G. Ziemer
A. Haverich Herzchirurgie 3. Auflage
Mit freundlicher Empfehlung der Herausgeber
G. Ziemer
A. Haverich H...
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G. Ziemer
A. Haverich Herzchirurgie 3. Auflage
Mit freundlicher Empfehlung der Herausgeber
G. Ziemer
A. Haverich Herzchirurgie 3. Auflage
Gerhard Ziemer Axel Haverich
Herzchirurgie Die Eingriffe am Herzen und den herznahen Gefäßen
3., völlig neu bearbeitete Auflage
Mit 824 Abbildungen
123
Prof. Dr. med. Dr. h. c. Gerhard Ziemer Klinik für Thorax-, Herz- und Gefäßchirurgie Eberhard-Karls-Universität Tübingen Hoppe-Seyler-Str. 3 72076 Tübingen
Prof. Dr. med. Dr. h. c. Axel Haverich Klinik für Herz-, Thorax-, Transplantations- und Gefäßchirurgie Medizinische Hochschule Hannover Carl-Neuberg-Str. 1 30623 Hannover
ISBN 978-3-540-79712-8 Springer-Verlag Berlin Heidelberg New York Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes der Bundesrepublik Deutschland vom 9. September 1965 in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechtsgesetzes. Springer Medizin Springer-Verlag GmbH Ein Unternehmen von Springer Science+Business Media springer.de © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2010 Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Produkthaftung: Für Angaben über Dosierungsanweisungen und Applikationsformen kann vom Verlag keine Gewähr übernommen werden. Derartige Angaben müssen vom jeweiligen Anwender im Einzelfall anhand anderer Literaturstellen auf ihre Richtigkeit überprüft werden. Planung: Dr. Fritz Kraemer, Heidelberg Projektmanagement: Willi Bischoff, Heidelberg Einbandgestaltung: deblik Berlin Zeichnungen: Reinhold Henkel, Heidelberg Zeichnungen aus der 2. Aufl.: G. Frank-Wissmann, R. Henkel, P. Johnson, A. Konopatzki, H. Konopatzki, J. Kühn, U. Pallmert, A. Schwab, B. Zimmerman Satz, Reproduktion und digitale Bearbeitung der Abbildungen: Fotosatz-Service Köhler GmbH – Reinhold Schöberl, Würzburg SPIN: 12050239 Gedruckt auf säurefreiem Papier
2111/BF – 5 4 3 2 1 0
V
Vorwort zur dritten Auflage Dreizehn Jahre nach dem Erscheinen der ersten Auflage der »Herzchirurgie« 1978 wurde die völlig neu bearbeitete zweite Auflage 1991 veröffentlicht. Nunmehr, weitere 18 Jahre später, legen wir die dritte Auflage ebenfalls in völlig neuer Bearbeitung vor. Wir bedanken uns bei den Herausgebern der zweiten Auflage, H.G. Borst, W. Klinner und H. Oelert, für die Erlaubnis, ihre Arbeit an diesem Buch fortsetzen zu dürfen. War es Aufgabe der ersten Auflage, die Standardisierung der operativen Technik und deren Entwicklung in den ersten drei Jahrzehnten der klinischen Herzchirurgie darzustellen, so verdeutlichte die zweite Auflage auch neue Standards der Palliations- und Korrekturmöglichkeiten angeborener Herzfehler im Neugeborenenalter wie die Eingriffe bei hypoplastischem Linksherzsyndrom und die arterielle Switch-Operation bei Transposition der großen Gefäße. Darüber hinaus kamen die antiarrhythmische Chirurgie und die Transplantation von Herz, Herz und Lungen sowie von Einzel- und Doppellungen neu hinzu. Selbstverständlich ist es auch Aufgabe dieser Auflage, die Weiterentwicklung der Standardoperationen auf dem Gesamtgebiet der Herzchirurgie und der Chirurgie der herznahen Gefäße abzubilden. Über die aktuelle Chirurgie hinaus haben wir allen Autoren empfohlen, wahlweise Verfahren der interventionellen Kardiologie und Radiologie sowie auch der Kinderkardiologie dort darzustellen, wo sie angebracht erscheinen. Den alternativen Zugangswegen und der minimalinvasiven Herzchirurgie gehört ein eigenes Kapitel. Ein Novum ist die geschichtliche Betrachtung der deutschen Herzchirurgie – auch in der Zeit der 40-jährigen Trennung – sowie eine z. T. philosophisch anmutende Betrachtung der Geschichte der Kinderherzchirurgie durch einen Kollegen der ersten Stunde. Ebenfalls neu hinzugekommen – nicht nur für den Herzchirurgen – ist die Beschreibung vielfältiger Aufgaben der Qualitätssicherung und des Risikomanagements sowie die der Messsysteme komplexer Krankheitsbilder und des Schwierigkeitsgrades einer Operation. Die bisherigen Innovationen im Tissue Engineering bahnen sich ihren Weg in die klinische Anwendung, ebenso die neuesten Entwicklungen der mechanischen Kreislaufunterstützung Wir bedanken uns für die Mitarbeit von 51 Autoren aus mehr als 30 herzchirurgischen Kliniken in Deutschland, in der Schweiz, in Österreich und in den Niederlanden sowie einem Alterssitz in Guatemala. Weiterhin gebührt unser Dank Herrn Dr. Fritz Kraemer und Herrn Willi Bischoff vom SpringerVerlag, Herrn Reinhold Henkel für das Erstellen der Zeichnungen und Frau Dr. med. Elke Wolf für das Lektorat. Darüber hinaus bedanken wir uns bei Hannelore Laue aus Hannover sowie Susanne Baur und Rainer Storf aus Tübingen. Besonderer Dank gilt unseren Sponsoren, ohne deren Unterstützung die Realisierung dieses Projekts nicht möglich gewesen wäre. Wir Herausgeber und Autoren wünschen uns, dass dieses Werk sich als wertvolle Begleitung in der täglichen Arbeit bewährt, und das Nachschlagen auch höchst spezieller Fragestellungen sich als lohnend herausstellt. Tübingen/Hannover, im Herbst 2009 Gerhard Ziemer Axel Haverich
Vorwort zur ersten Auflage In den letzten drei Jahrzehnten haben Herzchirurgie, Kardiologie und zugehörige Grundlagenwissenschaften eine Entwicklung durchlaufen, die heute eine Korrektur der Mehrzahl aller angeborenen und erworbenen Fehler des Herzens und der herznahen Gefäße erlaubt. Im Zuge dieser Entwicklung ist jetzt eine gewisse Standardisierung der operativen Technik eingetreten. Auch in unserem Raum hat die Herzchirurgie eine Breitenwirkung und ein Niveau erreicht, die die Herausgabe einer zusammenfassenden deutschsprachigen Operationslehre gerechtfertigt erscheinen lässt. Zu dem vorliegenden ersten ausschließlich der Herzchirurgie gewidmeten Band der Kirschnerschen Operationslehre haben 16 hervorragende herzchirurgische Zentren beigetragen. Er ist unterteilt in die Darstellung der operativen Verfahren bei angeborenen und bei erworbenen Herzfehlern. Wiederum liegt der Schwerpunkt der Darstellungen in der Anleitung zur praktischen Durchführung der operativen Verfahren, wogegen die Pathophysiologie der Herzfehler, sowie Diagnostik und Indikationsstellung in den Hintergrund treten. Gesondert dargestellt sind die für den Operateur so entscheidende funktionelle Anatomie, die herzchirurgischen Hilfsmittel und die postoperative Therapie. Zahlreiche Zeichnungen und Illustrationen, die wir den Künstlern Frau Daxwanger, Frau Beyerle, Herrn Brandt, Herrn Kühn und Herrn Schnellbächer verdanken, erläutern den Hergang der einzelnen Operationen. Allen Beitragenden sowie dem Springer-Verlag und insbesondere Herrn Bergstedt und Frau Legner sei an dieser Stelle für ihr Engagement bei der Zusammenstellung und Herausgabe dieses Werkes herzlich gedankt. H. G. Borst W. Klinner Å. Senning
VII
Inhaltsverzeichnis I
11 Funktionell singulärer Ventrikel und Fontan-Operation . . . . . . . . . . . . . . . . . 331
Einführung
R. Lange, J. Hörer
1
Geschichte der Herzchirurgie in Deutschland .
3
12 Ventrikelseptumdefekte (VSD) . . . . . . . . . . . . 365
K. H. Leitz
M. K. Heinemann
2
Risiko-Scores in der Herzchirurgie . . . . . . . . .
27
13 Angeborene Herzfehler mit Anomalien des rechtsventrikulären Ausflusstrakts . . . . . . 379
D. Böthig, T. Breymann
3
Qualitätssicherung und Risikomanagement in der Herzchirurgie . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
G. Ziemer, Z. Nagy 49
14 Angeborene Anomalien des linksventrikulären Ausflusstrakts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 421
J. Ennker, T. Walker
4
Datenbanken in der Herzchirurgie – eine Übersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
V. Hraška, J. Photiadis 63
15 Aortenatresie, hypoplastisches Linksherzsyndrom und hypoplastischer Linksherzkomplex . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 461
J. F. Gummert
R. Mair
II Technische Voraussetzungen der Herzchirurgie
16 Truncus arteriosus communis . . . . . . . . . . . . 473 B. Asfour
5
Prinzipien und Entwicklungsschritte der extrakorporalen Zirkulation . . . . . . . . . . .
73
L. von Segesser
6
Kardiovaskuläres »tissue engineering« . . . . . . 111 A. Haverich, M. Wilhelmi
7
Herzchirurgische Intensivmedizin . . . . . . . . . . 135
17 D-Transposition der großen Gefäße und kongenital korrigierte Transposition . . . . 481 S. Däbritz, A. Tiete
18 Angeborene Anomalien des Koronararteriensystems und Koronarerkrankungen bei Kindern und Jugendlichen . . . . . . . . . . . . 507 F. Haas
A. Markewitz, A. Franke
19 Anomalien der großen intrathorakalen Gefäße 525 8
Intensivtherapie in der Kinderherzchirurgie . . 185
G. Ziemer, Z. Nagy
R. Kaulitz, G. Ziemer
III Angeborene Erkrankungen des Herzens und der herznahen Gefäße
IV Erworbene Erkrankungen des Herzens und der herznahen Gefäße 20 Koronare Herzkrankheit (KHK) . . . . . . . . . . . . 569
9
Angeborene Herzfehler – eine chirurgischgeschichtliche Betrachtung . . . . . . . . . . . . . . 213 A. Castañeda
10 Lungenvenenfehlmündungen und angeborene Fehler der Vorhöfe, des atrioventrikulären Septums und der Atrioventrikularklappen . . . 221 R. Hetzer, V. Alexi-Meskishvili, A. Unbehaun
J. Cremer, J. Schöttler
21 Linksventrikuläre Rekonstruktion und konventionelle Herzinsuffizienzchirurgie . . . . 589 F. Beyersdorf
22 Erworbene Vitien der Aortenklappe . . . . . . . . 601 H.-H. Sievers, M. Misfeld
1
VIII
Inhaltsverzeichnis
23 Chirurgie der erworbenen AV-KlappenErkrankungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 635
29 Kombinationseingriffe in der Herzchirurgie . . . 793 G. Walterbusch
T. Wahlers, J.T. Strauch
24 Alternative Zugangswege und minimalinvasive Herzchirurgie . . . . . . . . . . . . . . . . . . 665
30 Pulmonale Thrombembolektomie und pulmonale Thrombendarteriektomie . . . . 803 S. Iversen
F.-W. Mohr, J. Garbade
31 Lungentransplantation . . . . . . . . . . . . . . . . . 817 25 Aneurysma und Dissektion der thorakalen und thorako-abdominalen Aorta . . . . . . . . . . 691 M. Karck, K. Kallenbach
W. Klepetko, C. Aigner
32 Herz- und Herz-Lungen-Transplantation . . . . . 831 B. Reichart, B. Meiser
26 Chirurgie bei tachykarden Rhythmusstörungen und Herzschrittmachertherapie . . . . . . . . . . . 727 H. H. Scheld, H. Gulbins
33 Herzunterstützungssysteme und Kunstherzimplantation . . . . . . . . . . . . . . . . . 847 R. Körfer, L. Arusoglu
27 Herztumoren und Erkrankungen des Perikards 775 C. Schmid
34 Postoperative Sternumkomplikationen . . . . . . 873 C. Schmid
28 Verletzungen des Herzens und des Mediastinums . . . . . . . . . . . . . . . . . 787 T. Carrel, F. Eckstein
Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 879
IX
Autorenverzeichnis Aigner, C., Dr. med.
Castañeda, A.R., MD, PhD
Abteilung für Herz- und Thoraxchirurgie Medizinische Universität Wien Allgemeines Krankenhaus der Stadt Wien Währinger Gürtel 18–20 A-1090 Wien
Departamento de Pediatria Unidad de Cirugia Cardiovascular de Guatemala 9a Avenida 8–00, zona 11 Centro America 01011 Guatemala
Alexi-Meskishvili, V., Prof. Dr. med.
Cremer, J., Prof. Dr. med.
Klinik für Herz-, Thorax- und Gefäßchirurgie Deutsches Herzzentrum Berlin Augustenburger Platz 1 13353 Berlin
Klinik für Herz- und Gefäßchirurgie Campus Kiel, Universitätsklinikum Schleswig-Holstein Arnold-Heller-Str. 7 24105 Kiel
Arusoglu, L., Dr. med.
Däbritz, S., Prof. Dr. med.
Klinik für Thorax- und Kardiovaskularchirurgie Herz- und Diabeteszentrum NRW Georgstr. 11 32547 Bad Oeynhausen
Klinik für Herz- und Gefäßchirurgie Herzzentrum Duisburg Evangelisches und Johanniter Klinikum Niederrhein Gerrickstr. 21 47137 Duisburg
Asfour, B., Prof. Dr. med. Abteilung für Herz- und Thoraxchirurgie Deutsches Kinderherzzentrum Asklepios Klinik St. Augustin Arnold-Janssen-Str. 29 53757 St. Augustin
Eckstein, F., Prof. Dr. med.
Beyersdorf, F., Prof. Dr. med. Dr. h.c.
Ennker, J., Prof. Dr. med.
Chirurgische Universitätsklinik, Herz- und Gefäßchirurgie Herz-Kreislauf Zentrum Freiburg Albert-Ludwigs-Universität Freiburg Hugstetter Str. 55 79106 Freiburg
Klinik für Herz-, Thorax- und Gefäßchirurgie Mediclin Herzzentrum Lahr/Baden Hohbergweg 2 77933 Lahr
Klinik für Herzchirurgie Universitätsspital Spitalstr. 21 CH-4058 Basel
Franke, A., OSA Dr. med. Böthig, D., Dr. med. Bereich Kinderherzchirurgie/Kinderkardiologie Medizinische Hochschule Hannover Carl-Neuberg-Str.1 30625 Hannover
Abteilung XVII, Herz- und Gefäßchirurgie Bundeswehrzentralkrankenhaus Koblenz Rübenacher Str. 170 56072 Koblenz
Garbade, J., Dr. med. Breymann, T., Dr. med. Klinik für Herz-, Thorax-, Transplantations- und Gefäßchirurgie Medizinische Hochschule Hannover Carl-Neuberg-Str.1 30625 Hannover
Klinik für Herzchirurgie Herzzentrum Leipzig Strümpellstr. 39 04289 Leipzig
Gulbins, H., Priv.-Doz. Dr. med. Carrel, T., Prof. Dr. med. Klinik und Poliklinik für Herz- und Gefässchirurgie Departement Herz und Gefässe Inselspital, Universitätsspital Bern Freiburgstr. 10 CH-3010 Bern
Klinik für Herz- und Gefäßchirurgie Universitäres Herzzentrum UKE Hamburg Martinistr. 52 20246 Hamburg
X
Autorenverzeichnis
Gummert, J.F., Prof. Dr. med.
Karck, M., Prof. Dr. med.
Klinik für Thorax- und Kardiovaskularchirurgie Herz- und Diabeteszentrum NRW Georgstr. 11 32545 Bad Oeynhausen
Klinik für Herzchirurgie Universitätsklinikum Heidelberg Im Neuenheimer Feld 110 69120 Heidelberg
Haas, F., Prof. Dr. med.
Kaulitz, R., Prof. Dr. med.
Universitiy Medical Center Utrecht Wilhelmina Children’s Hospital Pediatric Cardiothoracic Surgery PO Box 85090 NL-03508 AB Utrecht
Abteilung Kinderkardiologie Kinderklinik der Eberhard-Karls-Universität Hoppe-Seyler-Str. 3 72076 Tübingen
Klepetko, W., Prof. Dr. med. Haverich, A., Prof. Dr. med. Dr. h.c. Klinik für Herz-, Thorax-, Transplantations- und Gefäßchirurgie Medizinische Hochschule Hannover Carl-Neuberg-Str. 1 30623 Hannover
Abteilung für Herz- und Thoraxchirurgie Medizinische Universität Wien Allgemeines Krankenhaus der Stadt Wien Währinger Gürtel 18–20 A-1090 Wien
Heinemann, M.K., Prof. Dr. med.
Körfer, R., Prof. Dr. med. Dr. h.c. mult.
Klinik und Poliklinik für Herz-, Thorax- und Gefäßchirurgie Klinikum Johannes Gutenberg Universität Langenbeckstr. 1 55131 Mainz
Klinik für Herzchirurgie Internationales Herz- und Gefäßzentrum Rhein-Ruhr Klara-Kopp-Weg 1 45138 Essen
Hetzer, R., Prof. Dr. med. Dr. h.c. mult.
Lange, R., Prof. Dr. med.
Klinik für Herz-, Thorax- und Gefäßchirurgie Deutsches Herzzentrum Berlin Augustenburger Platz 1 13353 Berlin
Klinik für Herz- und Gefäßchirurgie Deutsches Herzzentrum des Freistaates Bayern Lazarettstr. 36 80636 München
Hörer, J., Priv.-Doz. Dr. med.
Leitz, K.H., Prof. Dr. med.
Klinik für Herz- und Gefäßchirurgie Deutsches Herzzentrum des Freistaates Bayern Lazarettstr. 36 80636 München
Barlachweg 23 28355 Bremen
Hraška, V., Dr. med. Abteilung für Herz- und Thoraxchirurgie Deutsches Kinderherzzentrum Asklepios Klinik St. Augustin Arnold-Janssen-Str. 29 53757 St. Augustin
Iversen, S., Priv.-Doz. Dr. med. Klinik für Kardiovaskularchirurgie Helios-Klinikum Siegburg Ringstr. 29 27321 Siegburg
Kallenbach, K., Priv.-Doz. Dr. med. Klinik für Herzchirurgie Universitätsklinikum Heidelberg Im Neuenheimer Feld 110 69120 Heidelberg
Mair, R., Dr. med. Abteilung Chirurgie 1 Allgemeines Krankenhaus Linz Krankenhausstr. 9 A-4021 Linz
Markewitz, A., OFA Prof. Dr. med. Abteilung XVII, Herz- und Gefäßchirurgie Bundeswehrzentralkrankenhaus Koblenz Rübenacher Str. 170 56072 Koblenz
Meiser, B., Priv.-Doz. Dr. med. Herzchirurgische Klinik und Poliklinik Klinikum Großhadern Ludwig-Maximillians-Universität Marchioninistr. 15 81377 München
XI Autorenverzeichnis
Misfeld, M., Priv.-Doz. Dr. med.
Strauch, J.T., Priv.-Doz. Dr. med.
Klinik für Herzchirurgie Campus Lübeck, Universitätsklinikum Schleswig-Holstein Ratzeburger Allee 160 23538 Lübeck
Klinik für Herz- und Thoraxchirurgie Klinikum der Universität zu Köln, Herzzentrum Kerpener Str. 62 50937 Köln
Mohr, F.-W., Prof. Dr. med.
Tiete, A., Dr. med.
Klinik für Herzchirurgie Herzzentrum Universität Leipzig Strümpellstr. 39 04289 Leipzig
PricewaterhouseCoopers AG Elsenheimerstr. 33 80687 München
Unbehaun, A., Dr. med. Nagy, Z., Dr. med. Klinik für Thorax-, Herz- und Gefäßchirurgie Eberhard-Karls-Universität Tübingen Hoppe-Seyler-Str. 3 72076 Tübingen
Klinik für Herz-, Thorax- und Gefäßchirurgie Deutsches Herzzentrum Berlin Augustenburger Platz 1 13353 Berlin
von Segesser, L., Prof. Dr. med. Photiadis, J., Dr. med. Abteilung für Herz- und Thoraxchirurgie Deutsches Kinderherzzentrum Asklepios Klinik St. Augustin Arnold-Janssen-Str. 29 53757 St. Augustin
Reichart, B., Prof. Dr. med. Herzchirurgische Klinik und Poliklinik Klinikum Großhadern Ludwig-Maximillians-Universität Marchioninistr. 15 81377 München
Scheld, H.H., Prof. Dr. med. Abteilung für Thorax-, Herz- und Gefäßchirurgie Westfälische Wilhelms-Universität Albert-Schweitzer-Str. 33 48149 Münster
Schmid, C., Prof. Dr. med. Klinik für Herz-, Thorax- und herznahe Gefäßchirurgie Klinikum der Universität Regensburg Franz-Josef-Strauss-Allee 11 93053 Regensburg
Schöttler, J., Dr. med. Klinik für Herz- und Gefäßchirurgie Campus Kiel, Universitätsklinikum Schleswig-Holstein Arnold-Heller-Str. 7 24105 Kiel
Sievers, H.H., Prof. Dr. med. Klinik für Herzchirurgie Campus Lübeck, Universitätsklinikum Schleswig-Holstein Ratzeburger Allee 160 23538 Lübeck
Service de chirurgie cardio-vasculaire Rue du Bugnon 46 CH-1011 Lausanne
Wahlers, T., Prof. Dr. med. Klinik für Herz- und Thoraxchirurgie Klinikum der Universität zu Köln, Herzzentrum Kerpener Str. 62 50924 Köln
Walker, T., Dr. med. Klinik für Thorax-, Herz- und Gefäßchirurgie Eberhard-Karls-Universität Tübingen Hoppe-Seyler-Str. 3 72076 Tübingen
Walterbusch, G., Prof. Dr. med. Klinik für Herz-, Thorax- und Gefäßchirurgie St.-Johannes-Hospital Johannesstr. 9-13 44137 Dortmund
Wilhelmi, M., Priv.-Doz. Dr. med. Klinik für Herz-, Thorax-, Transplantations- und Gefäßchirurgie Medizinische Hochschule Hannover Carl-Neuberg-Str. 1 30625 Hannover
Ziemer, G., Prof. Dr. med. Dr. h.c. Klinik für Thorax-, Herz- und Gefäßchirurgie Eberhard-Karls-Universität Tübingen Hoppe-Seyler-Str. 3 72076 Tübingen
I
Einführung 1
Geschichte der Herzchirurgie in Deutschland
–3
K. H. Leitz
2
Risiko-Scores in der Herz- und Kinderherzchirurgie – 27 D. Böthig, T. Breymann
3
Qualitätssicherung und Risikomanagement in der Herzchirurgie – 49 J. Ennker, T. Walker
4
Datenbanken in der Herzchirurgie – eine Übersicht J. F. Gummert
– 63
1
1 Geschichte der Herzchirurgie in Deutschland K. H. Leitz 1.1 1.1.1 1.1.2 1.1.3 1.1.4 1.1.5
Geschichte der Herzchirurgie in Deutschland bis zum Zweiten Weltkrieg – 3 Operation am Herzbeutel – 4 Pulmonale Embolektomie nach Trendelenburg – 5 Resektion eines Ventrikelaneurysmas durch Sauerbruch (1931) – 5 Die erste Ligatur eines Ductus Botalli durch Emil Karl Frey (1888–1977) – 5 Verpasste Gelegenheit – 5
Charakter, das ist eine Zeitfrage (Berthold Brecht 1970).
1.1
Geschichte der Herzchirurgie in Deutschland bis zum Zweiten Weltkrieg
Der Beginn der Herzchirurgie wird üblicherweise auf den 09.09.1896 datiert. An diesem Tag entschloss sich nämlich Ludwig Rehn (1849–1930) in Frankfurt/Main zu einer linksseitigen Thorakotomie bei einem 22-jährigen Gärtner, dem eine thorakale Stichverletzung zugefügt worden war und der sich nach einem Tag konservativer Therapie (Eisblase, Kampferinjektionen) rasant verschlechterte. Nach Eröffnen des Perikards fand Rehn eine 1,5 cm große Wunde des rechten Ventrikels, die durch 3 Nähte geschlossen wurde. Fieber und Eiterabsonderungen erschwerten den postoperativen Verlauf, doch der Patient erholte sich davon und wurde entlassen. Rehn schließt bei der Präsentation dieses Falles auf dem 26. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie mit folgender Bemerkung: »Die Ausführbarkeit der Herznaht dürfte nunmehr wohl nicht mehr bezweifelt werden.« Er hoffe, dass sein Fall zur Weiterarbeit auf dem Gebiet der Herzchirurgie anrege (Rehn 1897). Die Pioniertat Rehns war kein plötzlich einsetzender chirurgischer Geistesblitz. Georg Fischer aus Hannover
1.2 1.2.1 1.2.2
Entwicklung der Herzchirurgie im Nachkriegsdeutschland – 7 Geschichte der Herzchirurgie in der BRD – 8 Geschichte der Herzchirurgie in der DDR – 18
1.3
Herzchirurgie in der Nachwendezeit – 21 Literatur
– 22
hatte bereits 1868 eine epikritische Auswertung von 452 Fällen mit Herzwunden publiziert (Fischer 1868). Er fand eine Remissionsrate von 10 %, d. h. es starben nicht alle Patienten. Experimentelle wie auch erfolglose klinische Versuche zum Thema »Herzstichverletzung« wurden auch von Block aus Danzig sowie von norwegischen und italienischen Chirurgen vorgelegt (Bircks 2002; Block 1882). Umstritten ist ein Ausspruch Billroths: Der Chirurg, der jemals versuchen würde, eine Wunde des Herzens zu nähen, kann sicher sein, dass er die Achtung seiner Kollegen für immer verlöre. Das Zitat findet sich bei K.H. Bauer (1972). Von Karl-Ludwig Schober wird aber bezweifelt, ob Theodor Billroth (1829–1894) diesen Ausspruch wirklich getan hat. Er meint, höchstwahrscheinlich ist das Zitat durch Fehler beim Zitieren, beim Abschreiben oder beim Weitersagen entstanden (Schober 1981). Rehn wird auch in der Operationslehre von Bier, Braun und Kümmel (1912) von Hermann Küttner, der in den ersten 6 Auflagen das Kapitel »Herzchirurgie« bearbeitete, zitiert (Rehn 1913; Schober 1993): 4 Wichtig sei, an beiden Wundrändern nicht zu wenig zu fassen, damit sich der Faden knüpfen lasse, ohne im brüchigen Herzmuskelgewebe durchzuschneiden. 4 Zur Frage »Fortlaufend oder Einzelnaht?« plädierte Rehn eindeutig für die Einzelnaht.
4
1
Kapitel 1 · Geschichte der Herzchirurgie in Deutschland
4 Zeige das Herz Erschöpfungszeichen und arbeite es unregelmäßig, während die Naht angelegt werde, so müsse man ihm eine Ruhepause gewähren. Dazu müsse man es in seine natürliche Lage zurücksinken lassen und sich aller Manipulationen enthalten. Eine sehr modern wirkende Anweisung. Ludwig Rehn war ein »Self-made«-Mann, der keine große Chirurgenschule durchlief, ein Vollblutchirurg, der den Augenblick erfasste und entsprechend handelte. Doch war er auch der erste Herzchirurg, der seine Operationen durch Tierversuche absicherte und damit die wissenschaftliche Herzchirurgie begründete (Mueller 2007; Schmieden 1931). Zwei weitere Männer bestimmten in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg die experimentelle Herzchirurgie und erarbeiteten somit Grundlagen für die klinische Anwendung (Schober 1993; Vaubel 1980; Westaby 1997): 4 Alexis Carrel (1873–1944) und 4 Ernst Jeger (1884–1915). Alexis Carrel wurde in Lyon geboren. Über Montreal kam
er an das Department of Physiology der Universität von Chicago und arbeitete vorwiegend mit Charles Guthrie zusammen. Sie verfeinerten die Technik der Gefäßanastomosen. Carrels im Jahre 1902 entwickelte Dreiecksmethode zur Gefäßanastomose gilt auch heute noch als Standard. Extremitäten wurden von ihnen replantiert, außerdem führten sie Autotransplantationen von Nieren, Ovarien und Schilddrüsen aus. Im Jahre 1906 trennten sich die Wege. Charles Guthrie ging zur Washington University in St. Louis, Alexis Carrel an das Department für experimentelle Chirurgie am Rockefeller-Institut in New York. Dort ersetzte er Aortensegmente durch Kava-Interponate, wobei ihm die Gefahr der Querschnittlähmung bei dieser Art von Chirurgie bewusst war. Techniken wie Mitralkommissurotomie, ventrikuläre Aneurysmektomie und Koronarbypassoperation wurden von ihm experimentell erforscht. Alexis Carrel führte auch Herztransplantationen durch, und zwar von kleineren Tieren an die Halsgefäße von größeren. Im Jahre 1912 wurde Carrel mit dem Nobelpreis für Physiologie und Medizin geehrt. Nach dem Ersten Weltkrieg setzte er seine Experimente über Organkonservierung fort und arbeitete mit Charles Lindberg an einer mechanischen Pumpe, die die Kreislaufarbeit übernehmen sollte, wenn das natürliche Herz für operative Zwecke ruhiggestellt wurde (Westaby 1997). Ernst Jeger wurde 1884 in Wien geboren. Bald nach seiner Ausbildung in Wien ging er an das Physiologische Institut in London, dann nach Berlin zu Prof. Bickel in die experimentell-biologische Abteilung der Charité. Klinische Chirurgie lernte er bei Eiselsberg und Zukerkandl in Wien. Zwischendurch unternahm er eine halbjährige Studienreise zu Carrel nach New York. Seit Juni 1913 arbeitete er als Vo-
lontär an der Chirurgischen Universitätsklinik in Breslau unter Hermann Küttner. Eine Assistentenstelle wurde ihm ohne erneute Ablegung der ärztlichen Prüfung für das Deutsche Reich verwehrt, da Jeger Österreicher war. Deshalb wurde er bei Ausbruch des Ersten Weltkriegs von den Österreichern eingezogen und musste die Festung Przemysel gegen die Russen verteidigen (Schober 1993). Kurz zuvor war seine Übersichtsarbeit »Der gegenwärtige Stand der Blutgefäßchirurgie« veröffentlicht worden (Jeger 1914b). Jeger starb 1915 in russischer Kriegsgefangenschaft an Typhus (Schober 1993). Ernst Jegers Hauptarbeitsgebiet war die experimentelle Kardiovaskularchirurgie. Im Jahre 1913 berichtete er über die Neuimplantation der V. renalis in die V. cava (Jeger u. Israel 1913). In Breslau gelang es ihm, resezierte Aortenanteile durch End-zu-Seit-anastomosierte Venentransplantate zu überbrücken (Jeger 1913). Für die Behandlung der portalen Hypertension gab er den mesenterikokavalen Shunt an (Jeger 1914a). Selbst im Krieg widmete er sich den Gefäßverletzungen und konnte 6 von 8 erfolgreich behandeln (Jeger 1914b). Bei einem Vortrag im Jahre 1913 auf dem 42. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie nahm er die spätere Blalock-Anastomose als Arterialisierung der Lungengefäßstrombahn vorweg, ohne allerdings dafür eine bestimmte klinische Zielvorstellung anzugeben (Jeger 1914a). Für die Entwicklung der deutschen Herzchirurgie war es sicher sehr verhängnisvoll, dass Ernst Jeger so früh verstorben ist. Ein weiterer Chirurg muss hier erwähnt werden: Rudolf Häcker, Assistent bei Paul Leopold Friedrich in Greifswald (Häcker 1907). Er experimentierte mit der Okklusion der oberen und unteren V. cava. Es zeigte sich, dass Hunde dieses Manöver nur wenige Minuten ohne zerebralen Schaden überlebten. Damit war die Inflow-Okklusion eine nur kurzfristig anzuwendende Methode bei der Versorgung von Herzwunden, was auch von Ferdinand Sauerbruch und Ludwig Rehn bestätigt wurde (Rehn 1913; Sauerbruch 1907). Die weiteren herzchirurgischen Erfolge betrafen vorwiegend die geschlossene Herzchirurgie, d. h. man arbeitete sich von außen an das Herz heran.
1.1.1 Operation am Herzbeutel
Aufgrund der Unmöglichkeit, entzündliche Perikarderkrankungen in Form der eitrigen bzw. tuberkulösen Perikarditis zu therapieren, war als deren Folge die schwieligschrumpfende Perikarditis bzw. das Panzerherz damals häufig. Als Erster gab Ludolf Brauer 1902 die sog. Kardiolyse an, bei der die vorderen Anteile des schwieligen oder verkalkten Herzbeutels mit der vorderen Thoraxwand reseziert wurden (Brauer 1903). Die ersten Perikardektomien gelangen 1912 wieder Ludwig Rehn in Frankfurt/Main und 1913 Ferdinand Sauerbruch in Zürich. Perfektioniert wur-
5 1.1 · Geschichte der Herzchirurgie in Deutschland bis zum Zweiten Weltkrieg
de dann die Perikardektomie von V. Schmieden (1894– 1945) in Halle und später in Frankfurt als Nachfolger Rehns in Zusammenarbeit mit dem Internisten Franz Vollhard (Bircks 2002; Schober 1993).
1.1.2 Pulmonale Embolektomie
nach Trendelenburg In seiner klassischen Arbeit zur Operation der Embolie der Lungenarterien aus dem Jahre 1908 gab Friedrich Trendelenburg (1844–1925) die Technik exakt an (Trendelenburg 1908). Mittels Pinzette bzw. Saugrohr sollte das Thrombusmaterial aus der quer eröffneten A. pulmonalis entfernt werden. Er argumentierte, dass die Patienten nach fulminanter Lungenembolie meist noch 10–15 min leben, d. h. einem gut eingespielten Team müsste es gelingen, den Patienten durch die Operation zu retten. Hilfreich sei dabei auch die Herzmassage. Doch klinische Erfolge waren Trendelenburg nicht vergönnt. Auch F. Krüger (1878–1954) in Jena hatte keinen Erfolg mit der Trendelenburg-Operation. Sein Patient überlebte nur die ersten 5 Tage (Krüger 1909; Schober 1993). Dagobert Schumacher aus Zürich, erster Assistent bei Sauerbruch, referierte 1913 über 9 bis dato erfolglos durchgeführte pulmonale Embolektomien und fügte denen 3 weitere erfolglose Fälle aus Zürich hinzu (Schumacher 1913). Erst 1924 gelang Martin Kirschner (1879–1942) in Heidelberg die erste erfolgreiche pulmonale Embolektomie (Kirschner 1924). Weitere Berichte über erfolgreiche Operationen stammen von Arthur Woldemar Meyer (1885–1933) aus den Jahren 1928 und 1931 (Meyer 1928, 1931).
1.1.3 Resektion eines Ventrikelaneurysmas
durch Sauerbruch (1931) Ursprünglich wurde von einem Mediastinaltumor ausgegangen, was sich intraoperativ aber als Fehldiagnose herausstellte. Zur Verkleinerung der großen Geschwulst wurde intraoperativ punktiert. Dabei entstand eine Blutung, die abgeklemmt werden sollte, doch die Wand riss weiter ein, und die Blutung nahm zu, ließ sich aber durch Fingerokklusion beherrschen. Über den liegenden Finger wurden Nähte gezogen und geknüpft. Die histologische Untersuchung ergab ein Aneurysma des rechten Ventrikels (Sauerbruch 1931).
1.1.4 Die erste Ligatur eines Ductus Botalli
durch Emil Karl Frey (1888–1977) Frey war damals in Düsseldorf tätig (Bircks 2002; Frey 1978). Er schreibt in seinem Buch »Rückschau und Umschau«: »Im Jahre 1939 hatte uns Edens, der Internist in
Düsseldorf, einen 14 jährigen Jungen überwiesen, bei dem man über dem Thorax laut zischende Geräusche hörte, so daß ich an ein arteriovenöses Aneurysma dachte. Bei der Operation zeigte sich, daß es sich um einen offenen Ductus Botalli handelte. Das laute Geräusch verschwand sofort, als ich die schmale Verbindung zwischen A. pulmonalis und Aorta komprimierte. Da dies keine nachteiligen Folgen zeigte, habe ich unter Assistenz von Karl Vossschulte den kurzen Gang doppelt unterbunden. Ich habe über diese Operation nicht sofort berichtet, weil wir hofften, bald einen Kranken gleicher Art behandeln zu können, bei dem dann genauere Ergebnisse der Voruntersuchungen und exakte Berichte über die Veränderungen nach der Operation hätten vorgelegt werden können. Dazu kam es nicht mehr. Der Zweite Weltkrieg brach aus, und ich wurde darauf aufmerksam gemacht, daß Groß in Amerika schon über die Unterbindung des Ductus Botalli geschrieben habe, ihm also die Priorität des Eingriffs gehört« (Frey 1978).
1.1.5 Verpasste Gelegenheit
Friedrich Trendelenburg (1844–1925), damals in Rostock, wandte erstmals 1869 die Intubation der Trachea bei einem Kranken an, um damit bei oralen Eingriffen eine Aspiration von Blut und Schleim zu verhindern (Trendelenburg 1871). Am Ende des 19. Jahrhunderts berichteten dann andere Chirurgen über erfolgreiche Intubationsnarkosen, so Karl Maydl (1853–1903) in Prag (Maydl 1892), Viktor Eisenmenger (1864–1932) in Wien (Eisenmenger 1893) und Théodore Tuffier in Paris (Schober 1993). Eisenmenger verwandte hierzu bereits 1893 einen aus Gummi hergestellten Tubus, der mit Cuff und Pilotballon versehen war (Goerig u. Schulte am Eich 2003). In Deutschland setzte sich Franz Kuhn (1866–1929), als Chirurg in Kassel arbeitend, für die Intubation ein (Kuhn 1901). Als Tubus benutzte er biegsame Metallrohre. Im März 1905 beschrieb er seine Hundeversuche wie folgt: »In tiefer Narkose wird der rechte Thorax freigelegt, die Lunge ist aufgrund der Überdruckbeatmung ausgedehnt und atmet ganz ruhig und gleichmäßig. Wird das Druckrohr vom Tubus genommen, sinkt die Lunge zusammen.« Kuhn sah den Vorteil seiner Methode im ungestörten Gasaustausch mit besserer An- und Abflutung des Inhalationsnarkotikums und somit einer besseren Steuerbarkeit der Narkose. Den Vorteil der Überdruckbeatmung zur Vermeidung des Pneumothorax bei Thoraxoperationen sah er zwar, doch war er kein Thoraxchirurg (Schober 1993). Nahezu zeitgleich mit Franz Kuhn berichtete Ferdinand Sauerbruch (1875–1951), Assistent von Johannes von Mikulicz-Radecki (1850–1905) in Breslau, 1904 über eine in einer von ihm konstruierten Unterdruckkammer durchgeführte Lungenoperation (Sauerbruch 1904b, c). Zur Vermeidung eines Pneumothorax wandte er dabei das von ihm
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Kapitel 1 · Geschichte der Herzchirurgie in Deutschland
entwickelte Unterdruckverfahren an, bei welchem der Kopf des Patienten atmosphärischer Luft ausgesetzt war und der Patient diese atmete, die übrigen Körperpartien aber dem Unterdruck in der Unterdruckkammer unterworfen waren, sodass die Lunge nach Eröffnen des Thorax nicht kollabierte. Sauerbruch, der mit dieser Entdeckung weltweit Beachtung fand, lehnte die von Kuhn vorgeschlagene positive Druckbeatmung über einen tracheal eingeführten Tubus als unphysiologisch ab (Sauerbruch 1904a; Schober 1993). Er begründete seine Haltung damit, dass die positive Druckbeatmung einen permanenten Valsalva darstellen würde, wodurch eine Zirkulationsstörung eintreten könne. An anderer Stelle schreibt er: »Beim Unterdruckverfahren werde die Druckdifferenz durch die Verdünnung der Luft über der Lungenoberfläche erreicht, beim Überdruckverfahren durch die Erhöhung des Luftdruckes in der Lunge erzeugt« (Schober 1993). Auch die von den Amerikanern James Meltzer (1851– 1922) und John Auer (1872–1948) entwickelte Insufflationsmethode lehnte Sauerbruch ab (Meltzer 1910; Schober 1993). Bei dieser Methode erfolgt die Oxygenierung des Blutes durch einen kontinuierlichen Luftstrom. Je tiefer der Applikationsschlauch in die Luftröhre reichte, desto länger war das Überleben der Versuchstiere. Klinische Erfolge mit der von Meltzer und Auer angegebenen Insufflationsmethode wurden von Elsberg aus dem Mount Sinai Hospital in New York berichtet (Schober 1993). Schließlich wurde auch das von dem Marburger Internisten Ludolf Brauer (1885–1951) vorgeschlagene Überdruckverfahren, bei dem Patienten über eine dicht schließende Maske gegen einen Überdruck ausatmen (Brauer 1904), von Sauerbruch nicht akzeptiert. Gegen die Autorität von Ferdinand Sauerbruch konnte sich die Intubationsnarkose in Deutschland vorerst nicht durchsetzen. Kurioserweise wurden Ferdinand Sauerbruchs und Ludolf Brauers Arbeiten in der gleichen Zeitschrift publiziert, und Mikulicz-Radecki schrieb zu beiden Arbeiten einen Kommentar, wobei er offen ließ, welches der beiden Verfahren das bessere sei (Goerig u. Schulte am Eich 2003; Schober 1993). Unterdruck- und Überdruckverfahren sowie die Insufflationsmethode zeigen das Ringen der verschiedenen Schulen um die Verhinderung eines Pneumothorax sowie um die beste Beatmungsmethode in der Thoraxchirurgie. Dabei war die Lösung bereits 1896 durch Thédore Tuffier und Hallion publiziert worden – intermittierend abgegebener Überdruck über einen dicht schließenden Tubus –, doch die optimale Lösung der beiden Franzosen wurde nur zögerlich in Deutschland akzeptiert (Goerig u. Schulte am Eich 2003; Schober 1993). In diesem Zusammenhang muss kurz auf die berufliche Entwicklung von Ferdinand Sauerbruch eingegangen werden. Nach Breslau ging Sauerbruch zu Paul Leopold Friedrich nach Greifswald, ein damals bedeutender Lungenchirurg (Cherian et al. 2001; Dewey et al. 2006; Schober 1993). Als dieser 1907 nach Marburg berufen wurde, folgte Sauer-
bruch ihm und wurde in Marburg zum Professor ernannt. Sauerbruchs Ansehen in der Lungenchirurgie verschaffte ihm dann den Ruf in die Schweiz, das Land der Tuberkuloseheilstätten. Im Jahre 1910 begann er in Zürich zu arbeiten, und 1911 publizierte er das damalige Standardwerk »Technik der Thoraxchirurgie« (Sauerbruch u. Schumacher 1911). Im Jahre 1918 ging Ferdinand Sauerbruch nach München (Cherian et al. 2001; Dewey et al. 2006). An seinem Urteil kam keiner vorbei. Rudolf Nissen schreibt dazu, Sauerbruch in Schutz nehmend, in seinem Buch »Erlebtes aus der Thoraxchirurgie«: »Die Ablehnung der endotrachealen Intubation durch Sauerbruch erscheint uns heute unbegreiflich. Sie war indessen nur zum geringen Teil durch die Unbelehrbarkeit bedingt. Der ausschlaggebende Grund lag im Fehlen einer Organisation des Narkosewesens. Sauerbruch lehnte die Etablierung der Narkose als Spezialfach ab. Er sah darin einen Schritt zur Auflösung der Chirurgie in Spezialfächer« (Nissen 1955). Auch die Herzkatheterisierung als diagnostische Möglichkeit wurde nicht erkannt. Es fehlten die Fragestellungen und die therapeutischen Konsequenzen. Werner Forßmann (1904–1979) wurde als junger Assistent im Krankenhaus Eberswalde bei Berlin durch ein Bild in einem Physiologiebuch dazu angeregt, einen Schlauch über eine periphere Vene direkt in das menschliche Herz vorzuschieben (Lichtlen 2002). Er dachte daran, Medikamente direkt dem Myokard zuzuführen sowie dessen Antwort studieren zu können. In einem im Jahre 1929 durchgeführten Selbstversuch schob er einen dünnen, gut geölten Blasenkatheter über die Ellenbogenvene zum Herz vor, ging in die Röntgenabteilung und dokumentierte seinen Selbstversuch (Forßmann 1929). Im Jahre 1931 veröffentlichte er einen Artikel über die Kontrastdarstellung der Herzhöhlen mit Hilfe des gleichen Versuchsaufbaus (Forßmann 1931). Die Wichtigkeit von Forßmanns Tat wurde von seinem Chef Dr. Schneider erkannt. Er riet Forßmann, damit zu dem angesehensten Chirurgen Deutschlands zu gehen, an die Charité zu Ferdinand Sauerbruch. Sauerbruch verkannte die Möglichkeiten dieser Arbeit und entließ Forßmann mit den Worten »Damit kann man ja in der Chirurgie überhaupt nichts anfangen, … mit solchen Kunststückchen habilitiert man sich in einem Zirkus und nicht in einer anständigen deutschen Klinik« (Forßmann 1972). Forßmann erhielt 1956 zusammen mit den Amerikanern André F. Cournand (1896–1988) und Dickinson Richards (1895–1973), beide am Bellevue Hospital in New York tätig, den Nobelpreis für Medizin (Bircks 2002; Lichtlen 2002). Es zeigte sich, so Karl Ludwig Schober, dass nach dem atemberaubenden Gipfelsturm bis zu Beginn des Ersten Weltkriegs – hier seien die Namen von Ernst von Bergmann, Curt Schimmelbusch, Robert Koch, August Bier, Rudolf Virchow, Konrad Röntgen oder Karl Landsteiner genannt – eine Stagnation in der Entwicklung der deutschen Medizin eintrat, die mit dem Ersten Weltkrieg und seinen Folgen nicht erklärbar ist (Schober 1993; Wachs-
7 1.2 · Entwicklung der Herzchirurgie im Nachkriegsdeutschland
muth 1985b). Die deutsche Medizin und mit ihr die Chirurgie fiel unter das Niveau der führenden Nationen zurück. Die nordamerikanischen, britischen und skandinavischen Vertreter der Thoraxchirurgie übernahmen mehr und mehr das Feld (Schober 1993). Bei der Durchsicht der Kongressberichte der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie ab 1920 fand Karl Ludwig Schober eigentlich nichts Bedeutendes, wenn man von der erfolgreichen Trendelenburg-Operation im Jahre 1924 durch Martin Kirschner und der Aneurysmektomie durch Ferdinand Sauerbruch im Jahre 1931 absieht. Als Ursachen nennt Schober einige Gründe; andere mögen hinzukommen, wobei vieles direkt oder indirekt zusammenhängt (Sauerbruch 1924; Schober 1993): 4 befürchtete Aufsplitterung der Chirurgie in Spezialgebiete – der Beste wird nur Meister in einem Teilgebiet (Nissen 1955); 4 fehlende diagnostische Möglichkeiten (die wenigsten Internisten waren bereit gewesen, ihre Patienten einer riskanten Therapie auszusetzen); 4 Ausschluss der deutschen Chirurgie aus der Société Internationale de Chirurgie nach dem Ersten Weltkrieg (Schober 1993); 4 fehlende Kooperation in Deutschland im Vergleich zu den angelsächsischen Ländern; 4 die beiden Weltkriege mit hohem Blutzoll und materieller Ressourcenvergeudung; 4 der hierarchische Aufbau der Gesellschaft, in der wenige Meinungsführer den Ton angaben (Forßmann 1972); 4 die noch erschwerte Informationsweitergabe im Vergleich zu heute (so wurde z. B. Werner Wachsmuth während seiner Gefangenschaft in England gefragt, ob die Deutschen Penicillin verwendeten – er hatte noch nie etwas davon gehört, obwohl Alexander Fleming das Penicillin bereits 1928 entdeckt hatte und die Alliierten es schon ab 1940 gebrauchten; Wachsmuth 1985a); 4 Verlust der deutschen Sprache als Wissenschaftssprache – publiziert wurde von nun ab in Englisch, das die wenigsten deutschen Meinungsführer sprachen (Leitz 2005); 4 der Exodus und die Tötung einer Vielzahl von Wissenschaftlern jüdischen Glaubens aufgrund der nationalsozialistischen Rassenpolitik, verschärft durch das am 07.04.1933 erlassene Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums mit dem Arierparagraphen (Nissen 1969). Letztlich hat die deutsche Thoraxchirurgie durch den Zweiten Weltkrieg ihren finalen Todesstoß erhalten. Als Beispiel ambivalenten Verhaltens gegenüber dem Nationalsozialismus sei Ferdinand Sauerbruch angeführt. In seiner Rundfunkrede zur Volksabstimmung vom 12.11.1933 unterstützte er offen den Nationalsozialismus. Er nahm den deutschen Nationalpreis für Kunst und Wis-
senschaft, eine von Adolf Hitler geschaffene Ehrung als Gegenstück zum Nobelpreis, an. Den Friedensnobelpreis durfte zur gleichen Zeit der Publizist Carl von Ossietzky nicht annehmen. Sauerbruch war ordentliches Mitglied des wissenschaftlichen Senats der militärärztlichen Akademie, die für alle von der Wehrmacht durchgeführten Experimente, so auch für Experimente mit Sulfonamiden an Insassen des Konzentrationslagers Ravensbrück, verantwortlich war (Cherian et al. 2001; Dewey et al. 2006). Andererseits half Sauerbruch Opfern des Nationalsozialismus. Er war nicht Mitglied der Nationalsozialistischen Partei. Sauerbruch war Mitglied der Mittwochsgesellschaft, der vorwiegend Personen mit einer kritischen Einstellung gegenüber dem Nationalsozialismus angehörten. Er versuchte, seinen Einfluss geltend zu machen, um das Euthanasieprogramm T 4 des Regimes zu vereiteln, indem er beim Justizministerium vorstellig wurde (Cherian et al. 2001; Dewey et al. 2006). Vor dem amerikanischen Militärgouvernement musste sich Sauerbruch mit der Begründung »He prospered under the Nazis« verantworten. Die Kommission befürwortete den Antrag auf Entnazifizierung. Weitere Einzelheiten finden sich bei Nissen, Wachsmuth und Dewey (Cherian et al. 2001; Dewey et al. 2006; Nissen 1969; Wachsmuth 1985a).
1.2
Entwicklung der Herzchirurgie im Nachkriegsdeutschland
Nach dem Zweiten Weltkrieg war Deutschland zerstört und beschädigt. Ein Großteil der Kliniken war funktionsunfähig. Viele Funktionsträger mussten entnazifiziert werden. Kriegsheimkehrer, Flüchtlinge und Verwundete irrten umher und versuchten, ihre Familien zu finden. Die meisten Deutschen wollten einfach überleben. Man kann ohne Dramatisierung von der Stunde Null sprechen. Was einzelne Wissenschaftler, Ärzte oder Chirurgen durch die Katastrophen des 20. Jahrhunderts und deren Folgen erfahren bzw. aushalten mussten, ist in Autobiographien u. a. von Ernst Kern (1999), Rudolf Nissen (1969), Jürgen Peiffer (2000), Werner Schmidt (1993), Karl Ludwig Schober (1995) und Werner Wachsmuth (1985a) nachzulesen oder anhand der Videoclips von Hans Georg Borst und Wolfgang Bircks (Leitz 2005, 2006) zu erleben. Auch Veranstaltungen wie Erlebte Geschichte und die Ringvorlesung der Universität Tübingen geben Einblick in individuelle Schicksale (Peiffer u. Fichtner 1994). Durch unterschiedliche Zielvorstellungen der Siegerallianz entwickelte sich Deutschland in seinem Westteil zu einem demokratischen Staatswesen, in seinem Ostteil zu einem marxistisch-leninistischen Staat sowjetischer Prägung. Demzufolge verlief die Entwicklung der Herzchirurgie in der BRD und der DDR unterschiedlich und soll nacheinander abgehandelt werden.
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Kapitel 1 · Geschichte der Herzchirurgie in Deutschland
1.2.1 Geschichte der Herzchirurgie in der BRD
Zunächst mussten nach dem Zweiten Weltkrieg chirurgische Kliniken wieder in Betrieb gehen. Für die Herzchirurgie ergab sich daraus Folgendes: Wo eine ausreichende kardiologische Diagnostik vorhanden war, führten oft Allgemeinchirurgen geschlossene herzchirurgische Operationen aus. Das entsprach der Tradition und dem Selbstverständnis der damaligen Allgemeinchirurgen. Bei der Besetzung der chirurgischen Lehrstühle griff man auf politisch unbelastete Persönlichkeiten zurück. So übernahm Ernst Derra (1901–1979) im Jahre 1946 den Lehrstuhl für Chirurgie in Düsseldorf (Schulte 2001), ebenfalls 1946 Hans Hellner (1900–1975) den Lehrstuhl in Göttingen (Tjindra 2004), 1950 Albert Lezius (1903–1953) den Lehrstuhl in Hamburg (Alnor 1984) und jeweils 1951 Fritz Linder (1912–1994) den Lehrstuhl an der Freien Universität Berlin (Junghanns 1980), Karl Vossschulte (1907–2001) den Lehrstuhl in Gießen (Junghanns 1980) und Rudolf Zenker (1903–1984) den Lehrstuhl in Marburg (Borst et al. 2004), um nur einige für die herzchirurgische Entwicklung in Westdeutschland wichtige Lehrstuhlinhaber zu nennen. Rückwanderungen von Emigranten in das besiegte Deutschland gab es fast nicht. Im Jahre 1946 erreichte Rudolf Nissen ein Ruf auf den Lehrstuhl für Chirurgie an der Universität Hamburg. Er lehnte den Ruf mit der Begründung der tiefgreifenden moralischen Unsicherheit ab, die das Naziregime innerhalb des deutschen Ärztestandes verschuldet habe (Rotermund 1997). Deshalb holte man sich Wissen und technische Expertise nach Deutschland durch Mitarbeiter, die Teile ihrer Aus- und Weiterbildung in den USA vollzogen hatten, wie z.B. Hans-Georg Borst (geboren 1927), der insgesamt 6 Jahre in Harvard (klinisches Studium und als Assistent am physiologischen Institut unter J. Wittenberger) bzw. in San Francisco bei Frank Gerbode (Internship) verbracht hatte (Leitz 2005), oder Martin Zindler, der von 1950 bis 1952 in den Vereinigten Staaten vorwiegend in Philadelphia zum Anästhesisten ausgebildet worden war und der in Philadelphia Charles Baileys Hypothermieexperimente miterlebt hatte (Leitz 2006; Schulte 2001). Andere verbrachten kürzere Zeit in den Staaten wie Fritz Sebening von 1958 bis 1960 in Syracuse (Junghanns 1980), N. Y., Peter Satter 1957 in Philadelphia (Junghanns 1980), Werner Klinner in Rochester, Minnesota, oder Josef Koncz, der 1960 mehrere Monate an der Mayo-Klinik bei John Kirklin hospitierte. Ursprünglich wollte Josef Koncz mehrere Herzzentren in den USA besuchen, doch er änderte seinen Plan und begründete dies in seinem Reisebericht: »Ich erachtete es für fruchtbringender für mein Vorhaben, die ganze Zeit in einem klinischen Milieu zu verbringen, in dem meiner Überzeugung nach die Herzchirurgie einen überragenden Platz einnimmt und ein kaum steigerungsfähiges Niveau hat« (Tjindra 2004). Auch an der Crafoord-Klinik in Stockholm verbrachten einige ihre Lehrzeit, so z. B. Emil Bücherl von 1951 bis 1952
(Junghanns 1980), Volker Schlosser 1960 (Junghanns 1980) und Georg Rodewald (Krümpelmann 2008). Aber auch Amerikaner kamen in das besiegte Deutschland, v. a. William Longmire aus Los Angeles, der als erster Amerikaner in einer Reihe deutscher Kliniken der Nachkriegszeit operierte, so auch in Zenkers Klinik in Marburg, und der speziell beim Aufbau des EKZ-Programms (EKZ: extrakorporale Zirkulation) in Berlin Fritz Linder unterstützte (Borst 1985). Doch auch andere angelsächsische Chirurgen reichten die Hand zur Hilfe: Walton Lillehei, Frank Gerbode, William Bigelow, David Sabiston oder John Kirklin, um nur einige anzuführen. John Kirklin erhielt dafür 1961 die Ehrendoktorwürde der LMU München (Borst et al. 2004; Meisner 2002). Als Student im klinischen Semester erlebte ich die Woge der Begeisterung mit, die er in uns Studenten bei seiner Vorlesung für die kardiovaskuläre Chirurgie entfachte. Und in der Tat – es kam zu einem viel größeren Aufbruch in umgekehrter Richtung. Von der chirurgischen Nachkriegsgeneration, die sich der kardiovaskulären Richtung verschrieben hatte, gab es kaum einen, der nicht 1–2 Jahre am Stück oder in Intervallen in Kliniken der USA oder Großbritanniens verbracht hatte. Damit löste sich das Sprachproblem weitgehend, denn die jüngere Generation der kardiovaskulären Chirurgen sprach Englisch, außerdem öffnete man sich der internationalen Welt, was nach der geistigen Enge des Nationalsozialismus dringend notwendig war. Schließlich übernahm man Vorstellungen aus den USA, z. B. für die Organisation chirurgischer Kliniken; man erlebte Department-Strukturen, Teamarbeit und technische Neuerungen und war so gerüstet, der kardiovaskulären Chirurgie im Nachkriegsdeutschland eine Heimstatt zu geben. Durch den einsetzenden regen Austausch gelang es schon bald, in der BRD eine Chirurgie am geschlossenen Herz zu betreiben (Bailey 1955; Björk 1957). So wurden 1947 operative Verschlüsse von offenen Ductus Botalli durch M. Loeweneck in Hamburg vorgenommen (Rodewald 1983) sowie 1949 durch Ernst Derra in Düsseldorf und durch Albert Lezius, damals noch Chefarzt der chirurgischen Abteilung des Städtischen Krankenhauses Lübeck Ost, 1952 durch Fritz Linder in Berlin und 1953 durch Josef Koncz in Göttingen (Bircks 2002; Rodewald et al. 1983). Friedrich Bernhard nahm am 12.08.1948 in Gießen die erste Resektion einer Aortenisthmusstenose vor (Bernhard 1949). Er benutzte die von Crafoord und Nylin beschriebene Technik der Stenosenresektion mit End-zu-End-Vereinigung des Aortenrohres. Nach Rathcke wurden bis 1950 in Gießen 7 Patienten mit Aortenisthmusstenose operiert, darunter 3 weitere von Friedrich Bernhard (Rathcke 1950). Danach folgten M. Loewenick, Ernst Derra, Albert Lezius, Rudolf Zenker, Max Schwaiger, Alfred Gütgemann, Fritz Rehbein, Hermann Krauss und Karl Vossschulte (Bircks 2002; Rodewald et al. 1983). Blalock-Taussig-Anastomosen zur Behandlung der »blue babies« wurden bereits 1948/49 von Rudolf Zenker, Friedrich Bernhard, Ernst Derra und Albert Lezius angelegt
9 1.2 · Entwicklung der Herzchirurgie im Nachkriegsdeutschland
sowie zwischen 1950 und 1954 von Fritz Linder, Alfred Gütgemann und Fritz Rehbein (Bircks 2002; Rodewald et al. 1983). W. Irmer aus der Düsseldorf-Klinik berichtete, dass zwischen 1949 und 1956 insgesamt 410 Patienten unter der Diagnose »Fallot-Tetralogie« oder »Pentalogie« operiert wurden. Bei 360 Patienten konnte eine Anastomose nach Blalock angelegt werden, bei 50 Kranken musste man wegen Pulmonalatresie, Hypoplasie der A. pulmonalis oder zu kurzer A. subclavia auf die Anlage einer Anastomose verzichten (Irmer et al. 1958). Die transventrikuläre Eröffnung der Pulmonalstenose führten M. Loewenick im Jahre 1950, Ernst Derra, Albert Lezius und Rudolf Zenker im Jahre 1951 sowie zwischen 1952 und 1954 Fritz Linder, Josef Koncz und Karl Vossschulte durch (Bircks 2002; Rodewald et al. 1983). Nach den vorliegenden Unterlagen ist sicher, dass Ernst Derra in Düsseldorf sowie Albert Lezius und M. Loewenick in Hamburg mit der geschlossenen Kommissurotomie der Mitralstenose begonnen haben. In den Jahren 1951 bis 1954 folgten Rudolf Zenker, Diebold, Alfred Gütgemann, Fritz Linder, F.F. Nieder, Karl Vossschulte, K.H. Bauer, Hermann Krauss, Josef Koncz und Paul Sunder-Plassmann (Bircks 2002; Rodewald et al. 1983). Auf der zweiten thoraxchirurgischen Arbeitstagung im Jahre 1957 berichtete Ernst Derra von rund 700 Mitralstenosenoperationen; Rudolf Zenker verfügte über 102 und Fritz Linder über 100 operative Fälle (Becker 1957). Die transventrikuläre Sprengung von Aortenklappenstenosen wurde 1953/54 von Albert Lezius, Ernst Derra, Fritz Linder und M. Loewenick begonnen (Bircks 2002; Rodewald et al. 1983). Im Nachlass von Rodewald findet sich eine Gedenkrede auf Max Loeweneck anlässlich der 132. Tagung der Vereinigten Nordwestdeuschen Chirurgen im Jahre 1983 (Rodewald 1983). Loeweneck war 1897 in München geboren worden. Seine chirurgische Ausbildung durchlief er bei E. Enderlen in Heidelberg, E. von Redwitz in Bonn und E. K. Frey in Düsseldorf. Dort erfolgte 1938 die Habilitation. Er war dann, unterbrochen durch 2 Jahre Kriegsdienst, erster Oberarzt bei Rieder in Leipzig. Im Jahre 1946 flüchtete er vor den Russen nach Hamburg und war Chefarzt im AK Heidberg, St. Georg, und ab 1959 im Marienkrankenhaus. Für die Chirurige am geschlossenen Herz begeisterte er sich anhand der angelsächsischen Literatur, an die er schon 1947 gekommen war. Den ersten offenen Ductus Botalli habe er, wie schon berichtet, 1947 verschlossen. Während seiner Zeit im Marienkrankenhaus habe er 290 Patienten mit Mitralstenose, 125 Kranke mit offenem Ductus Botalli, 60 mit Pulmonalstenose, 41 mit einer Aortenisthmusstenose und weitere 41 mit Pericarditis constrictiva operiert. Die gemeinsame Arbeit mit dem Internisten Jakobi führte zu einer im Jahre 1958 veröffentlichten Monographie über operable Herzleiden (Rodewald 1983). An der grundlegenden Erarbeitung der offenen Verfahren, zunächst der Oberflächenhypothermie durch William
Bigelow (Toronto) im Jahre 1950 (Bigelow et al. 1950a, b) sowie John Lewis (Minneapolis; Lewis u. Taufic 1953) und Henry Swan (Denver) im Jahre 1952 (Swan et al. 1953) wie auch der extrakorporalen Zirkulation durch John Gibbon (Philadelphia) im Jahre 1953 (Gibbon 1954) und John Kirklin (Mayo-Klinik) und Walton Lillehei (Minneapolis) (Kirklin 1989), hatten deutsche Wissenschaftler keinen Anteil. Zwar konstruierten Max von Frey und Max Gruber im Jahre 1885 (Frey u. Gruber 1885) und entwickelte C. Jacobi im Jahre 1890 (Jakobi 1890) in Tübingen Pumpenoxygenatoren, um Organe zu perfundieren, doch an eine klinische Anwendung für Operationen am Herz dachten sie nicht. Auch der 1931 in Heidelberg konstruierte Apparat diente H. Straub dem Studium des Metabolismus von isoliert durchströmten Organen wie der Leber (Straub 1931). Herbert Schwiegk berichtete zwar 1940 von Perfusionsexperimenten, bei denen er zeigen konnte, dass eine künstliche Perfusion den gesamten Organismus von entbluteten Hunden wiederbeleben konnte (Schwiegk 1946), doch auch seine Experimente waren kein Startschuss für die Herzchirurgie. Der Erste, der sich in Deutschland der offenen, d. h. sichtkontrollierten Herzchirurgie zuwandte und darin eine Möglichkeit der klinisch-praktischen Anwendung sah, war Ernst Derra in Düsseldorf (Bircks 2002; Leitz 2006; Schulte 2001). Auf einer Kongressreise nach Südamerika hatte er von William Bigelows und Henry Swans Erfolgen mit der Hypothermie beim Verschluss eines Vorhofseptumdefekts gehört und nach Düsseldorf telegraphiert: »Badewanne kaufen – für Eis sorgen«. Gleichzeitig engagierte Ernst Derra Martin Zindler, der ab 1952 die Anästhesie sowie das Hypothermieverfahren in Düsseldorf aufbaute, zunächst als Assistent und ab 1959 als Oberarzt der chirurgischen Klinik. Am 09.02.1955 wurde von Ernst Derra der erste Eingriff mit Hilfe der Oberflächenhypothermie auf dem europäischen Kontinent vorgenommen. Er verschloss einen Vorhofseptumdefekt (Bircks 2002; Leitz 2006; Schulte 2001). Ernst Derra waren die Gedankengänge der tiefen Hypothermie durch F. Grosse-Brockhoff, mit dem er in Bonn zusammenarbeitete und der später Lehrstuhlinhaber für Innere Medizin in Düsseldorf wurde, bekannt (Leitz 2006). F. Grosse-Brockhoff hatte zusammen mit Schoedel den Sauerstoffverbrauch unterkühlter Tiere untersucht. Waren die Tiere leicht narkotisiert, führte die Unterkühlung zu erheblichen Stoffwechselsteigerungen einschließlich des Sauerstoffverbrauchs. Waren die Tiere hingegen in tiefer Anästhesie, führte die Unterkühlung zu einer winterschlafähnlichen Verminderung aller Stoffwechselvorgänge (Grosse-Brockhoff u. Schoedel 1943). Zum grundlegenden Verständnis der Pathophysiologie der Hypothermie haben auch die Arbeiten der deutschen Physiologen Rudolf Thauer und Walter Brendel beigetragen (Thauer 1958; Thauer u. Brendel 1962). Es ist ohne Zweifel der Verdienst von Ernst Derra und seiner Klinik, die Chirurgie des Vorhofseptumdefekts und
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der Pulmonalklappenstenose mit Hilfe der Hypothermie zu einem Standardverfahren entwickelt zu haben. Davon zeugt auch die größte Hypothermieserie einer Klinik in der Welt von 1851 in Düsseldorf mittels Oberflächenhypothermie operierten Patienten (Schulte 2001). Im Jahre 1956 folgten in Westdeutschland Josef Koncz, Fritz Linder und Karl Vossschulte sowie 1957 Alfred Gütgemann, Hermann Krauss und Ludwig Zukschwerdt mit Operationen in Oberflächenhypothemie (Bircks 2002; Rodewald et al. 1983). Fritz Linder berichtete 1958 von 11 transaortal durchgeführten Valvulotomien von Aortenklappenstenosen in Hypothermie (Linder u. Schütz 1958). In den Unterlagen aus Georg Rodewalds Nachlass findet sich die Notiz, dass ihre Hypothermieversuche an Hunden so gut funktionierten, dass sie 1954 zu Demonstrationszwecken nach Groningen eingeladen wurden (Krümpelmann 2008). Insgesamt wurde die Chirurgie am offenen Herz mit Hilfe der Hypothermie bis 1957 an 8 deutschen Universitätskliniken aufgenommen (Rodewald et al. 1983). Doch die Zeit für den intrakardialen operativen Akt war kurz, aus Gründen der Sicherheit höchstens 6–8 min. Deshalb war mit dem Verfahren der Hypothermie der Durchbruch in der Herzchirurgie noch nicht erreicht. Dieser erfolgte mit der Herz-Lungen-Maschine, auf die Rudolf Zenker in Marburg setzte. Stark beeindruckt von einer Filmvorführung des Physiologen J. Jongbloed (Utrecht, Niederlande) auf dem Kongress der Internationalen Gesellschaft für Chirurgie in Paris im Jahre 1951, bei dem er einen von ihm konstruierten Spiraloxygenator zeigte, entschied Zenker sich für diese Methode und ließ die Hypothermieära der deutschen Nachkriegsherzchirurgie ganz aus (Borst et al. 2004) – ein weitreichender Entschluss, wie sich zeigen sollte. Im Jahre 1956 begann man experimentell in Marburg mit den Vorarbeiten zur extrakorporalen Zirkulation. Zum Mitarbeiterstab gehörten Georg Heberer, Hans Georg Borst, Hans Gehl, Rüdiger Bär, Manfred Schmidt-Mende und Y.H. Yeh als Gastarzt aus Taiwan (Borst et al. 2004). Zunächst experimentierte man mit einem Dispersionsoxygenator, den Lillehei und De Wall in Minneapolis ab 1955 erfolgreich erprobt hatten (Zenker et al. 1957). Doch die Rate von Luftembolien war zu hoch. Deshalb wechselte man zu einem Gitteroxygenator. Zusammen mit dem Physikalischen Institut der Universität Marburg (Prof. Walcher) wurde unter Federführung von Hans Georg Borst und Manfred Schmidt Mende das Marburger Modell eines Gitterpumpoxygenators gebaut, das sich in 80 Tierversuchen bewährte (Borst et al. 2004; Leitz 2005). Auch an anderen Stellen in der BRD befasste man sich experimentell mit dem Bau und der Funktion einer HerzLungen-Maschine. Am Physiologischen Institut der Universität Göttingen arbeitete Emil Bücherl, angeregt durch den Physiologen Rein, seit 1951 mit der extrakorporalen Zirkulation (Bücherl 1955). In den Jahren 1951–1955 entwickelte er an der Göttinger Chirurgischen Klinik eine eigene Herz-Lungen-Maschine, mit der 1954 erstmal ein
Hund die totale Ausschaltung von Herz und Lunge einschließlich einer Ventrikulotomie überlebte. Im Sommer 1957 wurden von Emil Bücherl mit der von ihm entwickelten Herz-Lungen-Maschine 2 Patienten mit FallotTetralogie operiert, die aber beide wenige Tage nach der Operation verstarben (Bücherl et al. 1959). Kurt Spohn in Heidelberg berichtete 1958 von Tierversuchen mit der Crafoord-Sennig-Maschine (Spohn et al. 1958), und G. Griesser in Tübingen baute an einer eigenen Maschine, über die er ebenfalls 1958 berichtete (Griesser 1958). Auch in Bonn experimentierte man mit einem an Jongbloed angepassten System, später mit einer Eigenentwicklung, die Karl Dietmann zusammen mit dem dabei erzielten Ergebnis 1955 vorstellte (Dietmann 1955). Alfred Gütgemann berichtete später, dass in Bonn erstmals 1955 mit dem dort entwickelten System ein Atriumseptumdefekt operativ verschlossen wurde. Der Patient sei aber postoperativ bei der Umlagerung an einer Luftembolie gestorben (Gütgemann et al. 1963). Die erste erfolgreiche Operation mit der Herz-LungenMaschine gelang dem Marburger Team am 18.02.1958 (Faschingsdienstag). Operateur war Rudolf Zenker, seine Assistenten Georg Heberer, Horst Hamelmann und Hans Gehl. Rüdiger Beer (1925–1975), der spätere Ordinarius für Anästhesie in München, führte die Narkose durch, und an der Herz-Lungen-Maschine saßen Hans Georg Borst, Manfred Schmidt Mende und Y.H. Yeh. Yeh erwarb sich große Verdienste, musste er doch ein Leck an der arteriellen Leitung zupressen, wie Borst berichtete (Borst et al. 2004; Zenker et al. 1958). Operiert wurde die 29-jährige J.N., die einen Sekundumatriumseptumdefekt hatte. Im Operationsbericht hieß es: »Der Vorhofseptumdefekt mit 5 zu 3 cm konnte durch fortlaufende Naht verschlossen werden. Die Dauer der extrakorporalen Zirkulation betrug 22 Minuten, das Herz übernahm ohne Störung die Pumpleistung« (Borst et al. 2004). Es folgten in Marburg noch 7 weitere Operationen, ab dem 01.10.1958 wurde in München weiteroperiert, wohin Rudolf Zenker berufen wurde (Borst et al. 2004; Meisner 2002). Er trat die Nachfolge von Emil Karl Frey (1888–1977) an. In München setzte Rudolf Zenker die Herzchirurgie fort, sodass 1958 insgesamt 12 Operationen ausgeführt wurden; 1959 waren es schon 70 und 1960 bereits 145 Operationen (Klinner et al. 1968). Die Patienten drängten zur Operation, denn vielen konnte durch die neuen herzchirurgischen Eingriffe geholfen werden. Im Sommer 1964 operierten die Münchner Herzchirurgen an Zenkers Klinik bereits den 1000. Patienten (Klinner et al. 1968). Ermöglicht wurde diese große Zahl durch die Anwendung der Blutverdünnung, um deren wissenschaftliche Bearbeitung sich in München besonders Alfred Schaudig und Fritz Sebening verdient gemacht haben (Klinner et al. 1968; Meisner 2002). Gleichzeitig kam es zur Einführung des Travenol-Einmaloxygenators nach dem Dispersionsprinzip, was die Vorbereitung und Entsorgung der Herz-LungenMaschine immens erleichterte (Klinner et al. 1968).
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Wie beschwerlich die Verhältnisse vor Einführung von Einmalartikeln waren, beschreibt Werner Klinner 1989 in seiner Abschiedsvorlesung »Meilensteine der Herzchirurgie«: Die aus Einzelteilen zusammengesetzten Oxygenatoren mussten über Nacht in Formalin eingelegt werden. Der diensthabende Arzt hatte dann am frühen Morgen das zweifelhafte Vergnügen, die einzelnen Bestandteile herauszunehmen und zusammenzusetzen (Klinner 1990). Etzel Adler, ein Assistent Ernst Derras in Düsseldorf, erinnert sich, dass man zwischen 4 und 5 Uhr morgens in die Klinik kam und begann, die Maschine steril zusammenzubauen (Adler 2003). Auch an anderen westdeutschen Kliniken standen kurze Zeit später Herz-Lungen-Maschinen für den klinischen Einsatz bereit. Am 14.06.1958 verschlossen Karl Vossschulte und Ake Senning in Gießen einen Vorhofseptumdefekt bei einem 11-jährigen Mädchen unter Einsatz der HerzLungen-Maschine (Schmid et al. 2003). Am 18.10.1958 wurde die erste erfolgreiche Operation mit kardiopulmonalem Bypass am Menschen in Berlin durchgeführt (Linder et al. 1965). Derra verschloss am 21.02.1959 in Düsseldorf einen Ventrikelseptumdefekt unter Verwendung der MayoGibben-Maschine, die damals als weltweit dritte Herz-Lungen-Maschine dieses Typs käuflich erworben wurde (Leitz 2006; Schulte 2001). Die Verbindung war durch Berthold Löhr hergestellt worden, der ab 1957 experimentell mit der Herz-Lungen-Maschine arbeitete und sich zur Vertiefung seiner Kenntnisse bei Kirklin in der Mayo-Klinik aufhielt (Adler 2003). Ernst Derra schickte ein ganzes Team an die Mayo-Klinik, das dort speziell an der Düsseldorfer Maschine ausgebildet wurde (Adler 2003; Leitz 2006). In Hamburg hatte man sich ebenfalls mit der Funktion der Herz-Lungen-Maschine vertraut gemacht. Georg Rodewald verbrachte dazu 1958/59 einen Studienaufenthalt am Karolinska-Krankenhaus in Stockholm bei Crafoord und Ake Senning. Da aufgrund von Vorschriften der britischen Besatzungsmacht um diese Zeit Geräte wie HerzLungen-Maschinen offiziell nicht eingeführt werden durften, schmuggelte Georg Rodewald in seinem VW Käfer eine Herz-Lungen-Maschine Typ Crafoord/Senning von Stockholm nach Hamburg (Krümpelmann 2008). Er hatte bei diesem Unternehmen die volle Unterstützung von Ludwig Zukschwerdt, mit dem zusammen er auch die für den Erwerb benötigten Gelder aufgetrieben hatte. Am 25.06.1959 verschloss dann die Hamburger Gruppe unter Ludwig Zukschwerdt, Friedrich Stelzner, Karl-Heinz Hoffheinz und Georg Rodewald einen Vorhofseptumdefekt. Im Operationsbericht wird der Defekt als dorsal vom Koronarsinus gelegen und 2 cm lang beschrieben. Falsch einmündende Lungenvenen seien nicht nachweisbar gewesen. Der Defekt wurde durch eine fortlaufende Naht verschlossen; die extrakorporale Zirkulation hatte 22 min gedauert, die Operation 4 h (Krümpelmann 2008). Am 22.07.1959 kam es in Erlangen zum ersten Einsatz einer Herz-Lungen-Maschine bei einem Verschluss eines
Vorhofseptumdefekts. Damals wurde das sog. große Erlangener Modell verwandt, das in Zusammenarbeit des Physikers Meyer-Wegner und der Firma Ulrich in Ulm entstanden war (Münch u. Bretzger 2003). Nach dem Weggang von Ernst Bücherl aus Göttingen nach Berlin im Jahre 1957 wurde in Göttingen mit einer Melrose-Maschine ein Neuanfang begonnen. Damit erfolgte am 09.03.1960 durch Josef Koncz der Verschluss eines Ventrikelseptumdefekts (Bock 2003; Tjindra 2004). Im gleichen Jahr war auch in Bonn, Frankfurt, Freiburg und Köln mit dem Einsatz der Herz-Lungen-Maschine begonnen worden. Damit war 12 Jahre nach der Währungsreform die Grundlage für die weitere Entwicklung der Chirurgie am offenen Herz an 11 westdeutschen Universitätskliniken geschaffen worden, von denen jedoch nur 8 ihre Arbeit auf diesem Gebiet fortsetzten, während 3 von ihnen (Bonn, Frankfurt und Köln) sie erst Anfang bis Mitte der 1970 er Jahre wieder aufnahmen (Rodewald et al. 1983). Auf 3 Entwicklungen, die synchron mit der Entwicklung der Chirurgie am offenen Herz verliefen und in der Folgezeit mächtig wuchsen, gilt es hinzuweisen: die kardiologische Diagnostik, die Intensivmedizin und das nichtärztliche Personal. Nach Werner Forßmann, André Counard und Dickinson Richards waren es insbesondere A. Himmelstein in Harvard und Richard Bing am John Hopkins Hospital in Baltimore, die den rechtsventrikulären Katheterismus für diagnostische Zwecke vervollkommneten (Lichtlen 2002). Erstmals 1948/49 kamen in Deutschland die Röntgenkinematographie und die Herzkathetertechnik in Bonn durch die Zusammenarbeit von R. Janker mit F. Grosse-Brockhoff und A. Schäde zur angiokardiographischen Diagnostik zum Einsatz (Bircks 2002; Leitz 2006; Meisner 2002). Die weitere Entwicklung erfolgte vorwiegend in Düsseldorf und ist mit den Namen O. Bayer, D. Effert, W. Gillmann, F. Loogen und H. Wolter verbunden (Bircks 2002; Lichtlen 2002). In München fing man erst 1954 mit den Herzkatheteruntersuchungen an. Hier arbeiteten Hans Blömer, der die Diagnostik in Schweden erlernt hatte, sowie A. Bernsmeyer (Meisner 2002). In Hamburg wurde die Diagnostik durch die Chirurgen selbstständig durchgeführt, und zwar durch J. Krall, Karl-Heinz Hoffheinz und Georg Rodewald in Zusammenarbeit mit Ludwig Bartels (Krümpelmann 2008). Die weitere Entwicklung mit Linksherzkatheterismus, Seldinger-Technik, transseptaler Punktion, Evolution der Bilderzeugung über Kassetten-, Blatt- und Rollenfilmwechsler sowie der Erfindung der biplanen Kineangiokardiographie soll hier nicht nachgezeichnet werden. Es wird auf das Buch von Lüderlitz und Arnold verwiesen (Heintzen u. Adam 2002). Überall dort, wo man Eingriffe mit der Herz-LungenMaschine durchführte, entwickelte sich die Intensivmedizin, wobei man sich daran erinnerte, dass bereits vor dem Zweiten Weltkrieg Martin Kirschner und Ferdinand Sauerbruch derartige Wachstationen in ihren Kliniken eingerich-
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tet hatten (Kirschner 1930; Lawin u. Opderbecke 2003). Der Weg von der Strauß-Flügelkanüle über die Braunüle bis hin zum zentralvenösen Katheter mit der Möglichkeit der Volumensubstitution, der Venendruckmessung sowie des Elektrolytausgleichs ist von vielen geebnet worden, oft auch von anästhesiologischen Kollegen, die damals vielerorts noch als Funktionsoberärzte chirurgischer Kliniken fungierten (Lawin u. Opderbecke 2003). Mit dem Umzug in die neue Klinik im Jahre 1958 bekam die chirurgische Klinik in Düsseldorf erstmals eine Intensivstation mit 18 Betten, vorwiegend für thorax- und herzchirurgische Patienten (Schulte 2001). Die erste Intensivstation Münchens wurde 1960 in der Klinik von Zenker eingerichtet (Meisner 2002). Auf den Intensivstationen betreute man Frischoperierte rund um die Uhr, man griff auf besonders geschulte Schwestern zurück, Tag und Nacht stand ein Arzt zur Verfügung, der keine anderen Funktionen ausüben musste (Meisner et al. 1966). Außerdem wurde ein entsprechendes Monitoring für die einzelnen Organsysteme entwickelt. Festzuhalten gilt, dass gerade die schnellen postoperativen Entscheidungen in der Herzchirurgie die Entwicklung der Intensivmedizin forciert haben. Die genaue Evolution ist bei P. Lawin und H.W. Opderbecke (2003) nachzulesen. Wie berichtet, saß H.G. Borst in Marburg bei der ersten mit Hilfe der extrakorporalen Zirkulation durchgeführten Operation an der Maschine (Borst et al. 2004; Leitz 2005). Das änderte sich in München keinesfalls. Auch die folgenden 250 Operationen betreute er. Nach ausreichender Standardisierung ging man dann daran, nichtärztliches Personal – Krankenpfleger, Techniker oder Mechaniker – zu trainieren. In Düsseldorf übernahm diese Rolle Josef Güttler, den man als Vorreiter und Vater der Berufsgruppe der Kardiotechniker bezeichnen kann (Bircks 2002; Leitz 2006). In Göttingen war es Herbert Bock (Bock 2003) und in Erlangen Peter Becker, die sich diesen Aufgaben widmeten (Münch u. Bretzger 2003). August Stöckert, aus dessen einfacher Werkstatt viele Jahre später ein international bekanntes medizinisches Unternehmen wurde, und Egon Weishaar gehören auch in diesen Personenkreis. Egon Weishaar war gelernter Goldschmied, den sein Hobby als Funker zur Medizintechnik und zur medizinischen Elektronik geführt hatte. Weishaar entwickelte und baute einfache, verlässliche Herz-Lungen-Maschinen, die viele Jahrzehnte in vielen Herzkliniken Europas hervorragende Dienste leisteten (Meisner 2002). Auch in der Medizinischen Hochschule in Hannover wurde 1968 mit einer Weishaar-Maschine die herzchirurgische Ära begonnen. In dem Jahrzehnt zwischen 1960 und 1970 konsolidierte sich die herzchirurgische Arbeitslast auf niedrigem Niveau. Man operierte vorwiegend »Congenitals«, wie sich Wolfgang Bircks ausdrückte (Leitz 2006). Beispielhaft sei das Krankengut der Münchner Klinik angeführt, das Werner Klinner zusammen mit dem übrigen Münchner Team als Erfahrungsbericht nach 10 Jahren extrakorporalem Kreislauf vorstellte; 1122 angeborene Vitien stehen
334 erworbene Vitien gegenüber. Auffallend ist die große Zahl von Fallot-Tetralogien, wobei die 140 Fälle in den Jahren 1958–1962 mit einer Letalität von 27,1 % und die 227 Fälle in den Jahren 1962–1967 mit einer Letalität von 12,3 % operiert wurden (Klinner et al. 1968). In diese Zeit fällt auch die weltweit erste Implantation eines Conduits als Zwischenschaltung zwischen rechtem Ventrikel und A. pulmonalis durch Werner Klinner (Klinner et al. 1968). In Göttingen wurden von 1960 bis 1968 insgesamt 1500 Operationen mit der Herz-Lungen-Maschine durchgeführt (Scheler et al. 1969). Doch wurden z. B. 1970 in der gesamten BRD von 16 herzchirurgischen Einheiten nur 1975 Fälle operiert; nur 3 Kliniken führten über 250 Eingriffe pro Jahr durch, 10 Zentren weniger als 100 (Rodewald u. Polonius 1982). Dabei zeichnete sich ab, dass ein Großteil der angeborenen Vitien früher korrigiert werden sollte (Castaneda et al. 1974). Auch die bis dato nicht korrigierbaren Vitien wie die Transposition der großen Gefäße ließen sich durch die von Senning im Jahre 1959 und von Mustard im Jahre 1964 angegebenen Vorhofumkehroperationen korrigieren (Mustard et al. 1964; Senning 1959). In Deutschland korrigierte Josef Koncz in Göttingen im Jahre 1965 erstmals eine Transposition der großen Gefäße nach dem MustardVerfahren (Tjindra 2004). Hinzu kam ein Boom von Klappenoperationen, da durch Harken und Starr im Jahre 1960 der Weg für den Klappenersatz gebahnt worden war (Harken et al. 1960; Starr u. Edwards 1961). So wurde z. B. der erste Aortenklappenersatz mittels Starr-Edward-Ballprothese 1961 in Düsseldorf ausgeführt, außerdem 1962 der erste Mitralklappenersatz (Schulte 2001). Auch in München erfolgte 1962 der erste Herzklappenersatz (Borst et al. 2004; Meisner 2002). Den weltweit ersten Herzschrittmacher implantierten Ake Senning und der Ingenieur R. Elmquist am 08.10.1958 in Stockholm (Elmquist u. Senning 1959). In Deutschland erfolgte die erste Implantation eines Herzschrittmachers am 06.10.1961 in Düsseldorf durch H.J. Sykosch (Leitz 2006; Schulte 2001) und folgend die zweite in Münster durch Paul Sunder-Plassmann (Schmid et al. 2003). Im Jahre 1962 setzte H.G. Borst den dritten Herzschrittmacher in München bei einer Patientin mit totalem AV-Block ein (Borst et al. 2004). Andere Kliniken in der BRD folgten. So setzte Rodewald in Eppendorf im Jahre 1963 einen Schrittmacher ein (Krümpelmann 2008). Die anfänglichen Schrittmachersysteme waren festfrequent. Durch die fortschreitende Entwicklung frequenzadaptierter Schrittmachersysteme ergab sich schließlich eine weitgehende Anpassung der notwendigen Stimulationsformen an die vorliegenden Erkrankungen der Patienten. Als Forum für den wissenschaftlichen Austausch wurden die Thoraxchirurgischen Arbeitstagungen von Karl Vossschulte ins Leben gerufen, der 1954 an Rudof Nissen schrieb: »Ich glaube deshalb, dass es an der Zeit ist, einen kleinen Kreis qualifizierter Interessenten zusammenzuführen, der sich mit Fragen beschäftigt, deren Diskussion in
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einem großen Gremium nicht möglich ist. Dieser Zielsetzung scheint mir eine Zusammenkunft der an der Thoraxchirurgie interessierten Chirurgen fruchtbar. Die Verwirklichung denke ich mir in Form einer Einladung Deutscher, Schweizer und Österreichischer Thoraxchirurgen zu einer Tagung vielleicht im Anschluß an den Münchener Kongreß der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie« (Vossschulte 1995). Rudolf Nissen begrüßte den Plan und schlug vor, Hermann Krauss aus Freiburg/Breisgau zur aktiven Mitarbeit zu gewinnen (Vossschulte 1995). So entstand ein Triumvirat, das als vorbereitendes Komitee der Thoraxchirurgischen Arbeitstagungen fungierte und Bad Schachen im Dreiländereck bei Lindau am Bodensee als Tagungsort wählte. Die Arbeitstagung, die erstmals 1956 stattfand, hatte einen überraschenden Erfolg. Um den aktuellen Erfordernissen der Programmgestaltung zu entsprechen, wurde das vorbereitende Komitee erweitert. Im Jahre 1959 trat Ernst Derra aus Düsseldorf, 1960 Rudolf Zenker aus München sowie 1961 Fritz Linder aus Berlin und Hubert Kunz aus Wien bei. Dieses 7-köpfige Gremium entwickelte eine sinnvolle Planungsarbeit (Vossschulte 1995). Als besonders förderlich für die Fortentwicklung der Thoraxchirurgie in der BRD wurde von Vossschulte die Internationalisierung der Thoraxchirurgischen Arbeitstagungen weit über den deutschsprachigen Raum hinaus beschrieben. Die Zahl der Teilnehmer wuchs so stark, dass die Raumkapazität in Bad Schachen nicht mehr ausreichte, weshalb der Kongress 1960 auf Einladung von Rudolf Thauer nach Bad Nauheim umzog und dort mit wenigen Unterbrechungen (Wien, Heidelberg, Freiburg) bis 1971 tagte (Vossschulte 1995). Karl Vossschulte beschreibt auch das psychologische Phänomen, dass zu den Sitzungen des vorbereitenden Komitees immer mehr Mitarbeiter und Sendboten herangezogen wurden, die schon zu arrivierten, selbstbewussten Oberärzten herangereift waren. Sie wollten nicht mehr im zweiten Glied stehen. Diese Oberärzte erkannten zwar noch die »big seven« an, sie strebten aber nach Eigenem und hatten den Zug in die Organchirurgie der Brusthöhle bestiegen (Vossschulte 1995; Wachsmuth 1985a). Man kann es auch so ausdrücken: Die aufwendigeren Methoden der sichtkontrollierten Herzchirurgie wurden von den Allgemeinchirurgen nicht mehr beherrscht. Die Thoraxchirurgischen Arbeitstagungen wurden deshalb zu Fortbildungskursen für chirurgische Ordinarien (Vossschulte 1978). Rudolf Nissen, der Altmeister der Thoraxchirurgie, formulierte es als Tagungsleiter der 11. Thoraxchirurgischen Arbeitstagung im Jahre 1966 rückblickend so: »Ob anerkannt oder nicht, die unaufhaltsame Bewegung zur Spezialisierung hat die psychologische Erscheinungsform des Chirurgen verändert, er kann nicht mehr der Allwissende sein« (Nissen 1966). So vollzog sich in den Jahren, die allgemein in Deutschland als »68er-Revolution« bezeichnet werden, auch eine aufsehenerregende Tat von mehr oder minder selbstbe-
wussten Oberärzten, nämlich die Gründung der Deutschen Gesellschaft für Thorax-, Herz- und Gefäßchirurgie
(DGTHG). Den Stein ins Rollen brachte Josef Koncz auf der 14. Thoraxchirurgischen Arbeitstagung am 14.02.1968, wo er als Tagungsleiter eine mutige und politisch wegweisende Eröffnungsrede hielt (Koncz 1969). Koncz führte aus: »Nach meinen Informationen sind zumindestens die operativen Herzzentren hoffnungslos überlastet. Alle schieben eine Warteliste vor sich her … dass aber der größte Teil der Herzkranken nur deshalb auf eine Warteliste kommt, weil Anzahl und Kapazität der Herzzentren unzureichend sind, darf um der Wahrheit willen nicht in Abrede gestellt werden. Die zunehmende Zahl der Herzpatienten, die während ihrer Wartezeit sterben, sollte uns ein Menetekel sein … die Zwangslage zu bewältigen kann uns, glaube ich, nur durch Schaffung eines Sonderfaches gelingen … das kardio-respiratorische und kardio-vaskuläre System ist eine Funktionseinheit … dem entsprechend scheint mir die Thoraxchirurgie zusammen mit der Herz- und Gefäßchirurgie eine zwanglose und dabei sinnvolle Arbeitseinheit zu sein …« Koncz sagt dann weiter, dass er nicht für ein großes Orchester unter einem Dirigenten sei. Zugegeben, es gibt auch heute noch Dirigentenpersönlichkeiten mit breitem instrumentalen Können, mit ungewöhnlicher Gestaltungskraft und mitreißender Übertragungsfähigkeit. Aber die Vorraussetzungen dafür sind heute unvergleichlich schwerer – allein die Partituren zu lesen, geschweige denn das polyphone Instrument der Chirurgie meisterhaft zu beherrschen. Und vollends unerträglich wird es für das Fach, wenn mangelhaftes Dirigieren in Dirigismus ausartet (Koncz 1969). Koncz sprach also dem Sonderfach »Thorax-, Herzund Gefäßchirurgie« das Wort, um die strukturellen Probleme, die Probleme der Aus- und Weiterbildung sowie die der Krankenversorgung zu lösen (Koncz 1969; Tjindra 2004). Josef Koncz behielt die Meinungsführerschaft bei. Einen Kreis auserwählter, junger, an der Thorax- und Kardiovaskularchirurgie interessierter Kollegen lud er zum 09.01.1971 nach Frankfurt/Main ein. Dem Einladungsschreiben mit einem Aufruf zur Gründung der Deutschen Gesellschaft für Thorax-, Herz- und Gefäßchirurgie fügte er einen Satzungsentwurf bei (Tjindra 2004). Der Schritt zur Gesellschaftsgründung war schon früher wiederholt erörtert, aber immer wieder durch die Scheu vor dem Bruch mit der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie aufgeschoben worden. Die Gründungsversammlung am 09.01.1971 fand im Steigenberger Airport Hotel in Frankfurt/Main statt. Zum Teilnehmerkreis gehörten Wolfgang Bircks aus Düsseldorf, Hans Georg Borst aus Hannover, Franz Gall aus Erlangen, Hans Eberhard Hoffmeister aus Tübingen, Georg Rodewald aus Hamburg, Peter Satter aus Essen, Volker Schlosser aus Freiburg, Kurd Stapenhorst aus Homburg/ Saar sowie Josef Koncz aus Göttingen als Initiator (Bircks 2002; . Abb. 1.1). Werner Klinner aus München war nicht anwesend, hatte aber Koncz informiert, dass er mit der
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. Abb. 1.1. a Gründungsmitglieder von links nach rechts: Gall, Hoffmeister, Schlosser, Rodewald, Koncz, Borst, Satter und Stapenhorst. Bircks machte das Bild. b Gründungsmitglieder von links nach rechte: Gall, Hoffmeister, Schlosser, Rodewald, Koncz, Satter, Stapenhorst und Bircks. Borst machte das Bild (9.1.1971)
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Gründung der Gesellschaft für Thorax-, Herz- und Gefäßchirurgie einverstanden sei, und bat ihn, ihn als Mitglied zu betrachten (Rodewald et al. 1975). Zum ersten Präsidenten wurde Georg Rodewald, zum ersten Vizepräsidenten Hans Georg Borst gewählt. Kurd Stapenhorst wurde Sekretär, Fritz Sebening Schatzmeister. Zu Beisitzern wurden Werner Klinner, Peter Satter, Volker Schlosser, Hans Eberhard Hoffmeister und Wolfgang Bircks gewählt (Rodewald et al. 1975). Der Satzungsentwurf wurde ausführlich diskutiert und ergänzt. So sieht man sich in der Tradition der von 1956 bis 1971 durchgeführten Thoraxchirurgischen Arbeitstagungen. Als Sitz der Gesellschaft wurde Bad Nauheim gewählt. Die Aufgabe der Gesellschaft wurde im Vergleich zum Vorschlag von Koncz präziser definiert und ist in der heutigen Satzung nachzulesen. Die jährliche Tagung wurde festgeschrieben und das Auszeichnungswesen durch Preise etabliert. Die Satzung wurde dann am 15.02.1980 in der Mitgliederversammlung angenommen. Zwischenzeitlich wurden 3 Änderungen vorgenommen, nämlich 1995, 1999 und 2004. Dabei wurde die Vernetzung mit der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie sowie Thoraxchirurgie und der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie eingearbeitet. Je ein Vertreter dieser Gesellschaften ist im Vorstand vertreten. Das Kommissions- und Arbeitsgruppenwesen wurde neu definiert, ein Ältestenrat wurde eingerichtet, und die Mög-
lichkeit der beitragsfreien Seniorenmitgliedschaft wurde geschaffen, um nur einige später in die Satzung aufgenommene Gesichtspunkte zu benennen. Wunschgemäß löste sich die Thoraxchirurgische Arbeitstagung auf. B. Loehr aus Kiel als Leiter der 16. Thoraxchirurgischen Arbeitstagung verkündete am 19.02.1971: »Das vorbereitende Komitee der Thoraxchirurgischen Arbeitstagung ist einstimmig der Meinung, daß die bisherigen Aufgaben und Belange der Thorax-, Herz- und Gefäßchirurgie durch eine ständige Gesellschaft getragen werden sollten. Deshalb wird die Thoraxchirurgische Arbeitstagung in Zukunft durch die am 09.01.1971 gegründete Deutsche Gesellschaft für Thorax-, Herz- und Gefäßchirurgie fortgeführt werden« (Löhr 1971). In der Begrüßungsansprache zum ersten Kongress der Deutschen Gesellschaft für Thorax-, Herz- und Gefäßchirurgie stellte dann Georg Rodewald als Tagungsleiter am 17.02.1972 fest: »Der Gesellschaft für Thorax-, Herz- und Gefäßchirurgie geht es wie einem Neugeborenen, das von vielen freudig begrüßt wird, weil es lange erwartet wurde, von anderen wiederum mißtrauisch beäugt wird, weil es unerwarteterweise und verfrüht geboren wurde. Wie andere Kinder auch wird es jedoch seinen Lebensweg nehmen, bestimmt von seinen Anlagen und seiner Umwelt.« An den Anlagen zweifelt Rodewald nicht. »Was die Umwelt an-
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langt, so wollen wir alles dazu tun, sie förderlich zu gestalten« (Rodewald 1972). Georg Rodewald benannte auch das Hauptproblem der damaligen Zeit: die zu geringe Operationsfrequenz der operierenden Zentren mit den immer mehr anwachsenden Wartelisten. Das Problem wurde auf der Konferenz der Senatoren und Gesundheitsminister der Bundesrepublik vorgetragen, und es wurde eine Zusammenarbeit auf der Ebene der leitenden Medizinalbeamten des Gesundheitswesens in der BRD und der Gesellschaft aufgenommen. Damit standen die Zeichen auf Expansion (Rodewald 1972; Rodewald et al. 1975). Publikationsorgan für wissenschaftliche Auseinandersetzungen in der Thoraxchirurgie wurde die seit 1953 im Thieme-Verlag herausgegebene Zeitschrift Thoraxchirurgie, die sich als Sprachrohr für klinische und operative Chirurgie, pathologische Physiologie, experimentelle Pathologie der Brustorgane und Anästhesie verstand. Im Geleitwort zum ersten Heft (April 1953) schrieb R. Nissen: »Es wäre unterdessen abwegig in der Begründung der neuen Zeitschrift einen Schritt zur Schaffung eines Spezialfaches der Thoraxchirurgie zu sehen. Es besteht guter Grund, eine solche Überspezialisierung abzulehnen« (Nissen 1953). Die Zeitschrift knüpfte bewusst an die Tradition der deutschen Thoraxchirurgie vor dem Zweiten Weltkrieg an. Das Herausgebergremium bestand aus den Herren Rudolf Nissen (Basel), Albert Lezius (Hamburg) und Karl Vossschulte (Gießen). K. Vossschulte übernahm die Schriftleitung. Die Veröffentlichungen fanden in deutscher Sprache statt. Im Juli 1962 wurde der Name der Zeitschrift in Thoraxchirurgie und vaskuläre Chirurgie erweitert. Die Sprache der Veröffentlichungen blieb weiterhin Deutsch, doch es mussten Zusammenfassungen in englischer und französischer Sprache beigefügt werden. Das Herausgeberkollegium wurde um die Herren Gerd Hegemann (Erlangen) und Ake Senning (Zürich) erweitert. Im Laufe der folgenden Jahre wurde der Kreis des Herausgeberkollegiums durch die Herren Wolfgang Bircks, Hans Georg Borst, Josef Koncz und Jörg Vollmar vergrößert. Alle wandten sich größtenteils neben der Thoraxchirurgie auch der Herz- und Gefäßchirurgie zu. Damit wurde der stürmischen Entwicklung der kardiovaskulären Chirurgie Rechnung getragen. Im Jahre 1979 wurde das weiterhin im Thieme-Verlag herausgegebene Journal dann in The Thoracic and Cardivascular Surgeon umbenannt. H.G. Borst aus Hannover übernahm die Schriftleitung, die Publikationssprache wurde Englisch, das »editorial board« sowie die »editorial consultants« wurden auf 18 Mitglieder erweitert, wobei mehr als 1/3 aus dem Ausland kamen. Damit bestand Zutritt zur internationalen Wissenschaftbühne, deren Kommunikationmittel die englische Sprache geworden war. In der Schriftleitung wurde Borst im Jahre 1986 von Kurt Stapenhorst (Homburg/Saar) abgelöst, der dann 1995 die Schriftleitung an Peter Klövekorn (Bad Nauheim) abgab. Jeder Wechsel in der Schriftlei-
tung ging mit einer Vergrößerung des »editorials board« einher. Gleichzeitig erfolgte eine Internationalisierung. In die beschriebene operative Kapazitätsenge platzte am 02.12.1967 die weltweit erste Herztransplantation am Groote Schuur Hospital in Kapstadt/Südafrika durch Christiaan Barnard (1922–2001), was speziell das Münchner Team stimulierte, sodass am 13.02.1969 an der Klinik von Zenker in München von den Ärzten Fritz Sebening, Werner Klinner, Hans Meisner und Eberhard Struck die erste deutsche Herztransplantation vorgenommen wurde (Barnard 1967; Sebening et al. 1969). Empfänger war ein 36-jähriger Kraftfahrer, der an einem rasch fortschreitenden, therapieresistenten Herzversagen auf dem Boden einer Kardiomyopathie litt. Das Spenderherz kam von einer schwer verunfallten Frau. Es wurde in Stanford-Technik implantiert. Nach 32 min war die Implantation beendet, nach 116 min wurde die Herz-Lungen-Maschine abgestellt. Doch es kam zu einem undurchbrechbaren Rechtsherzversagen, das 27 h nach Ende der Transplantation zum Herzstillstand führte. Todesursache war eine Thrombose der rechten Kranzarterie. Die zweite Herztransplantation in Deutschland wurde etwa einen Monat später durchgeführt, ebenfalls in München. Doch auch sie endete im irreversiblen »low output« (Schmid et al. 2003). Am 11.07.1969 versuchte Emil Bücherl die dritte Herztransplantation Deutschlands. Sein 46-jähriger Empfänger starb jedoch nur 9 h postoperativ an einer unbeeinflussbaren Gerinnungsstörung (Schmid et al. 2003). In Deutschland – wie vielerorts auf der Welt – setzte nach der ersten Euphorie über die Herztransplantation eine Pause ein. Nur wenige Zentren wie Stanford machten weiter. Erst mit der Einführung von Cyclosporin A als potentes Immunsuppressivum 12 Jahre später, also 1981, kam es dann in der BRD zu einem Frequenzanstieg der thorakalen Transplantationen. Das viel größere Problem hinsichtlich der Verfügbarkeit herzchirurgischer Kapazität entstand durch die anwachsende Koronarchirurgie. Zwischen 1959 und 1962 wurden von Mason Sones an der Cleveland-Klinik auf transbrachialem Wege 1000 Patienten selektiv koronarangiographiert (Lichtlen 2002). Im Jahre 1967 wurde das leichter durchzuführende transfemorale Verfahren nach Malvin Judkins eingeführt (Lichtlen 2002). Damit war die koronare Herzerkrankung hinsichtlich Verschlusslokalisation, Stenosegrad und Ausdehnung erfassbar. Als dann die Chirurgen lernten, den durch die Thrombendarteriektomie der Koronargefäße – primär ausgeführt durch William Longmire in Los Angeles und Ake Senning in Zürich – induzierten akuten Verschluss durch einen Venenbypass zu therapieren, war der Durchbruch der Koronarchirurgie erreicht (Borst u. Mohr 2001; Stephenson 1997). Zugesprochen wird diese Erkenntnis René Favaloro aus der Arbeitsgruppe von Effler an der Cleveland-Klinik und Dudley Johnson aus Milwaukee (Stephenson 1997). Beide erreichten mit der Bypasschirurgie niedrige Letalitätsraten. Mittels Koronarangiographie ließ sich exakt nachweisen, dass die
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Bypassgrafts offen blieben, was als erste Studie die Veterans Administrations Cooperative Study belegte (Leitz 1990; Lichtlen 2002). Alle früher angegebenen indirekten Verfahren zur operativen Behandlung der koronaren Herzkrankheit waren damit obsolet (Borst u. Mohr 2001). Trotz Kontaktaufnahme der DGTHG mit den leitenden Ministerialbeamten des Gesundheitswesen und der Erarbeitung von 3 gutachterlichen Stellungnahmen der Kommission zur Kapazitätsermittlung der DGTHG durch die Herren Herbert Dittrich, Hans Georg Borst und Michael Polonius trat vorerst keine Besserung hinsichtlich der herzchirurgischen Versorgung der Bevölkerung ein (Borst et al. 1976; Dittrich et al. 1976; Polonius et al. 1977). Von 1970 bis 1980 stieg die Zahl der herzchirurgischen Zentren nur von 16 auf 21 an und die absoluten Operationszahlen von 1975 auf 10.680, d. h. die Zuwachsraten entsprachen dem Tropfen auf den heißen Stein (Rodewald u. Polonius 1980, 1982). Das Problem der Warteliste bzw. des Todes auf der Warteliste schien auszuufern (Bircks 2002; Borst 1981b). Hacker und Mitarbeiter wiesen nach, dass mehr Patienten mit koronarer Herzkrankheit auf der Warteliste verstarben als durch die Operation (Hacker et al. 1983). Es handelte sich bei der Koronarchirurgie um eine Massentherapie industriellen Ausmaßes, die erstmals in ein darauf nicht vorbereitetes Gesundheitswesen einschlug. Doch das Phänomen traf nicht nur die BRD, sondern alle zivilisierten Länder, die damit jedoch viel souveräner umgingen (Borst 1981a). Die anfängliche Argumentation der schlechten Langzeitprognose koronaroperierter Patienten ließ sich nach Veröffentlichung der VA-Studie, der Europäischen Studie und der CASS-Studie in den frühen 1980er Jahren nicht mehr aufrechterhalten (Leitz 1990). Da die Verlegung von Patienten zur Koronaroperation in ausländische Zentren, z. B. in die Schweiz, bzw. innerhalb Deutschlands, damals vorwiegend nach West-Berlin, teuer war und somit von den Krankenkassen nicht unterstützt wurde, stieg der Druck auf die Gesundheitspolitiker der BRD. Als Folge davon kam es bis zur Wende im Jahre 1989 zur Erweiterung der Zahl der operierenden Zentren auf 38. Absolut wurden im Jahre 1989 insgesamt 32.486 Patienten operiert oder 519 pro eine Million Einwohner (Bruckenberger 1990). Resümierend kann man feststellen, dass in den 1980er Jahren die Kriegsschäden beseitigt waren. Viele Kliniken waren neu gebaut, z. B. die Kerckhoff-Klinik in Bad Nauheim (ab 1988 in Betrieb; Krümpelmann 2008) und das Deutsche Herzzentrum an der Lothstraße in München (Eröffnung 1974, Erweiterungsbau 1996; Meisner 2002), aber auch das Deutsche Herzzentrum in Berlin, das 1986 in Betrieb ging. Auch Universitätskliniken entstanden neu, beispielsweise die Medizinische Hochschule in Hannover, das Klinikum der RWTH in Aachen oder das Klinikum der LMU in München-Großhadern. Die Entwicklung von selbstständigen herzchirurgischen Abteilungen oder Kliniken, sei es in Form von Ordinariaten oder Extraordinariaten, verlief schleppend:
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1958 Göttingen mit J. Koncz, 1965 Hamburg mit G. Rodewald, 1968 Hannover mit H.G. Borst, 1969 Heidelberg mit W. Schmitz und Freiburg/Breisgau mit V. Schlosser, 1970 Düsseldorf mit W. Bircks und Essen mit anfangs P. Satter und ab 1973 C. Reidemeister, 1971 Tübingen mit H.E. Hoffmeister, Gießen mit F.W. Hehrlein und München (LMU) mit W. Klinner, 1972 Kiel mit A. Bernhard, 1973 Frankfurt/Main mit P. Satter, Münster mit H. Dittrich und Homburg/Saar mit K. Stapenhorst, 1975 Aachen mit B. Messmer, 1976 Köln mit H. Dalichau, 1977 Bonn mit P.G. Kirchhoff, 1983 Würzburg mit O. Elert, 1985 Mainz mit H. Oelert, 1986 Berlin (DHZ) mit R. Hetzer, 1988 Ulm mit A. Hannekum.
Außeruniversitär wurden folgende Einrichtungen gegründet: 4 1974 München (DHM) mit F. Sebening, 4 1978 Bad Krozingen mit M. Schmuziger, 4 1982 Kaiserslautern mit W. Seybold-Epting, 4 1983 Bremen mit K.H. Leitz und Dortmund (St. Johannes) mit G. Walterbusch, 4 1984 Bad Neustadt mit R. Hacker, Bad Oeynhausen mit R. Körfer, Dortmund (Städtische Kliniken) mit M. Polonius und Stuttgart (Robert Bosch) mit K.-D. Hellberg, 4 1985 Augsburg mit E. Struck und Fulda mit T. Stegmann, 4 1988 Bad Nauheim mit N. Bleese, 4 1989 Duisburg mit A. Krian, Rotenburg a. d. F. mit H. Oster, Wuppertal mit I. Minale und Braunschweig mit G. Frank. Ein Teil der außeruniversitären Einrichtungen wurde später in einen Universitätsverbund mit einbezogen. Die angebotenen Operationsverfahren entsprachen internationalen Standards, wobei nicht alle Zentren das gesamte Spektrum anboten. Die durch den Krieg bedingte Aufholjagd war weitgehend abgeschlossen. Von einer nationalen Herzchirurgie kann bei diesem Entwicklungsstand nicht mehr gesprochen werden; man beteiligte sich an der internationalen »scientific community«. Folgerichtig in diesem Zusammenhang war die Gründung der European Association for Cardio-Thoracic Surgery im Jahre 1986 (Fontan 1988). Bei der Herz-Lungen-Maschinen-Technik wurde die Modulbauweise bevorzugt und der Dispersionsoxygenator zugunsten des Membranoxygenators aufgegeben. Statt Rollerpumpen benutzten viele Zentren Zentrifugalpumpen. Die arterielle Leitung war mit Blutfiltern versehen. Viele
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bedienten sich einer Online-Datenregistrierung und -verarbeitung. Dennoch kam es zur Komplementaktivierung mit der Entwicklung des SIRS-Phänomens (SIRS: »systemic inflammatory response syndrome«) und dem »Capillaryleakage«-Syndrom (Borst u. Mohr 2001). Deshalb haben sich international besonders V.A. Subramanian und A.M. Calafiori für die »Off-pump«-Koronarchirurgie eingesetzt, in Deutschland vorwiegend die Gruppen um Friedrich Mohr in Leipzig und Jochen Cremer in Kiel (Borst u. Mohr 2001). Auch die erste vollkommen endoskopisch durchgeführte Bypassoperation gelang der Leipziger Gruppe (Falk et al. 2000). Verfahren der Myokardprotektion, inauguriert durch Dennis Melrose, wurden durch Hans Jürgen Bretschneider und seine Schüler (Stephan Spiekermann, Martha Gebhard und C.J. Preusse) sowie Ulrich Kirsch, Volker Döring und Niels Bleese aus der Hamburger Gruppe verfeinert, sodass ein länger andauernder Herzstillstand intraoperativ wie auch ein weiterer Weg für die Transplantatgewinnung möglich wurden (Bretschneider 1980; Krümpelmann 2008; Spieckermann 2002). Bretschneider führte den NatriumKalzium-Entzugsstillstand unter Beigabe von Procain schon 1964 ein (Bretschneider 1964). Im Jahre 1967 erfolgten durch Sondergaard und Senn die ersten klinischen Anwendungen (Sondergaard u. Senn 1967). Weiterentwicklungen führten dann zur HTK-Lösung, die Ende der 1970er Jahre zur Verfügung stand (Bretschneider 1980; Spieckermann 2002). An der Entwicklung von Herz-Assist-Systemen hat sich in der BRD bervorzugt Emil Bücherl beteiligt, was letztlich zur Vermarktung durch Berlin Heart führte. Auch das Helmholtz-Institut in Aachen entwickelte das Medos-HIAVAD-System, eine speziell bei neugeborenen Kindern mit postoperativem Herzversagen einsetzbare Membranpumpe (Bücherl 1974; Mehlhorn u. deVivie 2001). In der Kinderherzchirurgie wurde in der BRD dem von Castaneda eingeschlagenden Weg der Frühkorrektur gefolgt, den G. Ziemer nach 2-jähriger Lehrzeit als Senior und Chief Resident in Boston 1 : 1 in Hannover umsetzte. Andere Zentren folgten ebenfalls dieser Politik. Hans Meisner konnte nachweisen, dass zwischen 1978 und 1987 der Anteil der operierten unter Einjährigen in den westlichen Bundesländer von 7 % auf 28 % angestiegen war. Im Jahre 1978 wurden 27 % der Kinder mit Transposition der großen Gefäße in einem Alter von unter einem Jahr operiert, 1987 waren es 87 % (Castaneda et al. 1974; Meisner 2005). Mit der Herztransplantation wurde am 07.05.1981 am Deutschen Herzzentrum in München und am 19.08.1981 in München-Großhadern jeweils mit steigender Tendenz wieder angefangen (Schmid et al. 2003). Nach der Rückkehr von Roland Hetzer im Jahre 1977 von einem 2-jährigen Aufenthalt bei Frank Gerbode und Norman Shumway sollte auch in Hannover mit dem Transplantationsprogramm begonnen werden, dem die Kardiologen aber wegen der langen Wartelisten für Koronaroperation skeptisch gegen-
überstanden (Schmid et al. 2003). Am 21.07.1983 war es dann so weit. Empfänger war ein 46-jähriger Patient im therapieresistenten Endstadium einer koronaren Herzkrankheit. Da Hetzers Chef, Hans Georg Borst, krankheitshalber abwesend war, nahmen Roland Hetzer und Helmut Oelert die Operation vor. Im Jahre 1983 wurden weitere 6 Herztransplantationen in Hannover durchgeführt. Danach stieg die Zahl der Herztransplantationen in Hannover schnell an: 1984 auf 32, 1985 auf 47 und 1986 auf 63. Bis April 1987 vergrößerte sich die Zahl der in der BRD vorgenommen Herztransplantationen auf 323, wovon in Hannover allein 164, also mehr als 50 % aller bundesweiten Herztransplantationen, vorgenommen wurden. Weitere Zentren folgten: Hamburg-Eppendorf (Niels Bleese) und insbesondere Berlin, wohin Roland Hetzer 1986 wechselte, sowie ab 1989 auch Bad Oeynhausen mit steigender Tendenz unter Leitung von Reiner Körfer. Bruno Reichert führte am 13.02.1983 die erste Herz-Lungen-Transplantation in München-Großhadern durch, 1985 folgte die Medizinische Hochschule Hannover (MHH). Im Jahre 1988 wurde, ebenfalls an der MHH, durch H.G. Borst und Hans-J. Schäfers die erste Lungentransplantation vorgenommen. Der einsetzende Transplantations-Boom wurde schließlich durch den zunehmenden Mangel an Spenderorganen Ende der 1980er Jahre gebremst, an dem auch das 1997 eingeführte Transplantationsgesetz wenig ändern konnte (Schmid et al. 2003). Bei der Entwicklung der Chirurgie der thorakalen Aorta ist in Deutschland besonders die Hannoversche Gruppe mit den Herren Hans Georg Borst, Axel Haverich, Markus Heinemann und Gerd Walterbusch zu nennen. Die Elefantenrüsseltechnik, der Einsatz des Linksherzbypasses in der Deszendenschirurgie, die Propagierung der unterstützenden Klebetechnik, die frühe Operation der Marfan-Patienten vor der aufgetretenen Dissektion sowie die Unterstreichung der lebenslangen Verlaufskontrollen nach Operationen wegen Dissektion sind Beispiele, an denen die Hannoversche Gruppe mitgearbeitet hat. Ihre Erfahrungen gipfeln in dem weltweit anerkannten Buch »Surgical treatment of aortic dissection« (Borst et al. 1996). Drei weitere Ergebnisse prägten die westdeutsche Herzchirurgie: die Hamburger Statistik, die Maßnahmen zur Qualititässicherung sowie die Facharztfrage. Die Hamburger Statistik wurde 1978 von Georg Rodewald vorgeschlagen und durch die DGTHG beschlossen (Krümpelmann 2008). Sie stellt ein jährlich abzufragendes Register dar. Die Abfrage fußt auf einem Fragebogen von 10–12 Seiten, der einen allgemeinen Teil enthält, in dem Fragen nach Mitarbeiterstab, Operationstischen, Intensivtherapiekapazität etc. beantwortet werden, und einen operativen Teil, in dem die durchgeführten Operationen samt aufgetretener Letalität angegeben werden müssen. Wichtig war auch die Abfrage hinsichtlich der Warteliste eines jeden Zentums. Speziell in den Zeiten, in denen die Operationkapazität gering war, konnte damit auf den jährlichen Presse-
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konferenzen Druck gemacht werden. Durch eine Anwaltskanzlei wurden die abgefragten Merkmale anonymisiert. Nach statistischer Auswertung, die jedes Jahr veröffentlicht wird, liegt ein jährlich wiederkehrender repräsentativer Leistungsquerschnitt der deutschen Herzchirurgie ohne Risikoadjustierung vor, der jedermann zur Verfügung steht und damit Grundlage für gesundheitpolitische Entscheidungen sein kann. Anfang der 1980er Jahre fing die DGTHG an, Qualitätssicherungsmaßnahmen zu entwickeln, die in die vom Bundesministerium für Forschung und Technologie unterstützte Quadrastudie (Quality Assurance Date Review Analysis) mündeten (Struck 2001). In diesem Pilotprojekt wurden zunächst an 5 herzchirurgischen Kliniken Methoden der externen vergleichenden Qualitätssicherung entwickelt, die dann Grundlage für alle Kliniken werden sollten (Kalmar et al. 1996). Parallel dazu wurde der Heidelberger Verein für multizentrische Datenanalyse gegründet. Abgefragt wurden etwa 1500 Items pro Patient. Das System wurde in den Klinikalltag integriert und sollte für die klinische Routinedokumentation sowie für administrative und wissenschaftliche Zwecke genutzt werden. An der Entwicklung und der praktischen Realisierung war vorwiegend die Heidelberger Herzchirurgie mit Brigitte Osswald, Christian Vahl und Siegfried Hagl beteiligt (Vahl et al. 1996). Da der Gesetzgeber ab dem 01.01.1989 durch § 137 des Sozialgesetzbuches die Qualitätssicherung gesetzlich vorschrieb, wurde ab 1992 ein gemeinsames, von der DGTHG, den Spitzenverbänden der Krankenkassen und der Deutschen Krankenhausgesellschaft bundesweites erarbeitetes Qualitätssicherungsverfahren für alle herzchirurgischen Kliniken vereinbart, bei dem nur etwa 200 Items für alle mit der Herz-Lungen-Maschine operierten erwachsenen Patienten abgefragt wurden. Bis zum 31.12.2000 wurden die Kliniken von der Projektgeschäftsstelle bei der Ärztekammer Nordheim in Düsseldorf betreut. Nachdem anfänglich nur ein Teil der Kliniken teilnahm, beteiligten sich ab 1996 alle herzchirurgischen Kliniken an dieser Qualitätssicherungsmaßnahme (Kalmar et al. 1996; Struck 2001). Die Weiterentwicklung der herzchirurgischen Qualitätssicherung ist heute straffer gesetzlich geregelt und unterliegt damit viel stärker gesundheitspolitischem Kalkül. Die Fachgesellschaft, die anfänglich ganz die Initiative in der Hand hatte, ist heute nur noch beratend tätig. In der Facharztfrage waren die Vertreter der Fachgesellschaft immer zwischen mehreren Extremen hin und her gerissen. Die einen wollten im Haus der Chirurgie bleiben, andere wollten den Facharzt für Thorax-, Herz- und Gefäßchirurgie, wie es Josef Koncz vorschwebte, und wieder andere wollten einen eigenen Facharzt für Herzchirurgie haben. Da die Facharztfrage auf dem Ärztetag entschieden wird, hat die Bundesärtzekammer als Repräsentant aller Ärzte bzw. aller operativen Gesellschaften ein entscheidendes Wort mitzureden. Die Kompromisslinie mit der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie lag in der Teilgebiets-
lösung, sodass es ab 1972 neben dem Facharzt für Chirurgie Teilgebietsbezeichungen für Thorax- und Kardiovaskularchirurgie sowie für Gefäßchirurgie gab. Vorwiegend wegen der nicht wandlungsfähigen Haltung der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie erfolgte ab 1990 je nach Ratifizierung durch die Landesärztekammern die Einführung des Facharztes für Herzchirurgie.
1.2.2 Geschichte der Herzchirurgie in der DDR Für die Unterstützung bei der Abfassung dieses Kapitels danke ich Herrn Prof. Dr. Karl Emmrich, Frau Dr. med. Panzner, Herrn Dr. med. Manfred Herrmann und Herrn Prof. Dr. Günter Baust, mit denen ich sprechen durfte und die mich mit reichlich Material versehen haben.
Nach Übertragung der Hochschul- und Bildungspolitik von der sowjetischen Besatzungsmacht auf die DDR-Regierung begann die Phase der sozialistischen Umgestaltung, die in mehreren Hochschulreformwerken vorgenommen wurde. So wurde in den Jahren 1950 und 1951 das Ministerium für Hoch- und Fachschulwesen eingerichtet, welches zentral Weisungen für alle Universitäten erließ. Damit waren die Länder, die ja 1952 abgeschafft und nach sowjetischem Vorbild in Bezirke umgestaltet wurden, jeglicher hochschulpolitischer Kompetenz beraubt. Schließlich wurde in einer weiteren, etwa in den Jahren 1968 bis 1970 durchgeführten Reform das 3-jährige marxistisch-leninistische Grundlagenstudium mit Vorlesungen und Seminaren eingeführt (Pfeiffer 2002). Die Betroffenen sprachen von Rotlichtbestrahlung (Emmrich 2007). Die alten Fakultäten wurden durch Bereiche ersetzt, Institute durch Abteilungen, Ordinarien durch Direktoren, die Habilitation durch den Doctor scientiae (Dr. sc.). Die Universitäten dienten der Lehre; wissenschaftliche Aufgaben sollten entsprechend sowjetischem Vorbild vorwiegend an den Akademien der Wissenschaften bearbeitet werden (Emmrich 2007; Pfeiffer 2002). An manchen Orten blieben die medizinischen Fakultäten formal bestehen und kümmerten sich um die Promotion A (Dr. med.) und die Promotion B (Dr. sc.), was, wie gesagt, der westdeutschen Habilitation entsprach. Andere richtungsweisende Entscheidungen wurden aber in den Parteigremien entschieden, denen die staatlichen Gremien und Fakultäten Folge leisten mussten. Dem Bereich der Medizin stand an den Universitäten ein Prorektor vor (Emmrich 2007). Systemkonforme junge Akademiker wurden in einer langfristigen Planung über Promotion, Doctor-scientiaePrüfung und verschiedene Parteiaufgaben, durchsetzt von Besuchen in den sozialistischen Bruderstaaten, auf ihre Berufung vorbereitet. Hatte man die Promotion B durchlaufen, folgten Kurse in Hochschulpädagogik und -methodik, und man wurde Dozent, d. h. man gehörte mit den Professoren zur Gruppe der Lehrenden, die wiederum alle 5 Jahre eine
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Weiterbildung in marxistisch-leninistischer Lebensführung – diesmal in Klausur – über sich ergehen lassen mussten; die Rotlichtbestrahlung hielt an. Lehrstuhlbesetzungen wie Berufungsgespräche erfolgten zentral im Ministerium für Hoch- und Fachschulwesen in Berlin (Emmrich 2007). Gehörte man zum Kreis der sozialistischen Persönlichkeiten, wurde man mit dem Reiseprivileg ausgezeichnet. Da keine Devisen zur Verfügung standen, packte man Lebensmittel in das Reisegepäck. Die Dauerwurst im Koffer war ein Markenzeichen des DDR-Dienstreisenden (Lindenau 2002). Vorreiter der Herzchirurgie in der DDR waren Martin Herbst (1917–2005) in Leipzig und Karl Ludwig Schober (1912–1999) in Halle (Emmrich 2005; Kirsch 1974; Menzel 1998; Schober 1994). Die Leipziger Chirurgische Klinik konnte sich erst durch Herbert Uebermuth, einen Schüler von Payr, der 1952 zum ordentlichen Professor ernannt wurde, von den primären Kriegsfolgen erholen. Er setzte in seiner Klinik die Bildung von Spezialabteilungen durch, aus denen u. a. 1961 die Klinik für Herz- und Gefäßchirurgie hervorging. Den Leitern der Spezialabteilungen ließ Uebermuth bei der Entwicklung ihres Fachgebiets freie Hand (Menzel 1998). Leiter der herzchirurgischen Arbeitsgruppe wurde Martin Herbst, der 1943 seine ärztliche Prüfung in Berlin ablegte und sich, beeindruckt durch die Vorlesung von Sauerbruch, der Chirurgie zuwandte. Herbst war Mitglied des militärärztlichen Dienstes, sodass sein Medizinstudium von vielen Kriegseinsätzen unterbrochen war. So wurde er 1943/44 als Kriegsgefangener in die USA verschifft, wo er Baily begegnete. Tief beeindruckt von Charles Baily reifte in ihm der Wunsch, Herzchirurg zu werden. Schon als Facharzt ging er 1950 an die Leipziger Klinik (Menzel 1998). Zunächst widmete sich Herbst zusammen mit A. Smolik der kinematographen Angiokardiographie, ab 1954 dann der Herzkatheterdiagnostik. Bevor er mit dem herzchirurgischen Operieren am Menschen begann, hospitierte Herbst mehrere Wochen bei Ernst Derra in Düsseldorf (Menzel 1998). Mit dem Verschluss eines Ductus Botalli und der Operation einer Aortenisthmusstenose, gefolgt von geschlossenen Mitralkommissurotomien, begann Martin Herbst 1953 seine herzchirurgische Serie in Leipzig (Herbst 1958; Menzel 1998). Im Jahre 1956 führte er die Oberflächenhypothermie ein, doch war die Operationsletalität in den Folgejahren zu hoch. Deshalb stoppte er diese Methode und wandte sich der Herz-Lungen-Maschine zu (Menzel 1998). Herbst hatte anfangs Schwierigkeiten mit der Kaderabteilung der Universität. Er galt als gesellschaftlich inaktiv und wollte nicht in die SED eintreten. Stand anfänglich in seiner Beurteilung »Herr Dr. Herbst ist nicht der Arzt, der unsere Deutsche Demokratische Republik in Westdeutschland vertreten kann«, hieß es 1961: »Herr Dozent Herbst ließ in den letzten beiden Jahren eine spürbare Aufgeschlossenheit erkennen, die sich auch günstig auf seine Charakter-
eigenschaften auswirkte und ein wachsendes Vertrauen zu unseren Staatsorganen erkennen läßt.« Deshalb stand seiner Ernennung zum Professor und Direktor der Klinik für Herz- und Gefäßchirurgie im Jahre 1961 nichts mehr im Wege (Menzel 1998). Diese frühe Gründung einer selbstständigen herzchirurgischen Klinik in Deutschland war v. a. dem Pioniergeist von Martin Herbst und dem Weitblick seines damaligen Chefs Herbert Uebermuth zu verdanken (Emmrich 2005; Emmrich et al. 2001). Mit anfangs 18 Betten und 2 Operationssälen war die Klinik im Seitenflügel des Roten Hauses untergebracht, einem Gebäude, das 1896 errichtet worden war (Lindenau 2002). Am 20.02.1962 verschloss Herbst erstmals in der DDR erfolgreich einen Atriumseptumdefekt unter Einsatz der Herz-Lungen-Maschine (Emmrich 2005; Emmrich et al. 2001). Im Jahre 1969 erfolgte Herbsts Ernennung zum ordentlichen Professor. Von 1962 bis 1983, dem Jahr der Emeritierung von Herbst, wurden in Leipzig 1764 Operationen unter Verwendung der Herz-Lungen-Maschine durchgeführt (Menzel 1998). Die niedrigen Operationszahlen spiegeln die vielen Probleme der damaligen DDR wider: zerfallene Bausubstanz, veraltete Geräteparks, Versorgungsengpässe, Mangel an gut ausgebildeten Mitarbeitern, da es viele in den Westen zog, sowie Mangel an Einmalartikeln, die fast immer zu Mehrfachartikeln wurden (Emmrich 2007). Nach seinem medizinischen Staatsexamen im Jahre 1935 fing Karl Ludwig Schober, der aus einer Halleschen Familie stammte, wegen Einschränkungen in der Berufsausübung je nach dem Grad der nichtarischen Abstammung seine chirurgische Ausbildung in einer Privatklinik für Urologie und Gynäkologie an (Schober 1994). Im Jahre 1941 wurde er zur Wehrmacht eingezogen und geriet im Januar 1943 im Stalingrad-Kessel in sowjetische Gefangenschaft, aus der er 1948 entlassen wurde (Schober 1995). Seine chirurgische Ausbildung setzte er in Halle fort, zunächst bei Budde, dann bei Franz Mörl. Im Jahre 1952 erfolgte die Habilitation, 1959 die Ernennung zum außerordentlichen Professor und 1966 zum ordentlichen Professor und Direktor der chirurgischen Universitätsklinik Halle/ Wittenberg. Nach 2 Studienreisen, 1961 zu Ake Senning nach Stockholm und zu Kudácz nach Budapest, entschloss sich Schober mit kräftiger Unterstützung durch seinen Chef Franz Mörl, in Halle die Chirurgie am offenen Herz einzuführen (Kirsch 1974; Schober 1994). Da Fördermittel der DDR zum Ankauf einer Importmaschine aus dem kapitalistischen Ausland nicht zur Verfügung standen, baute er mit dem Biophysiker F. Struß und dem Anästhesisten Günter Baust die erste Herz-LungenMaschine in der DDR. Wie bei der Beschaffung der Materialien vorgegangen wurde, ist sehr anschaulich bei Rainer Kirsch nachzulesen (Kirsch 1974). Die Hallesche Herz-Lungen-Maschine, anfangs ausgestattet mit einem Scheibenoxygenator, wurde das Urmodell aller in der DDR benutzten
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Kapitel 1 · Geschichte der Herzchirurgie in Deutschland
Herz-Lungen-Maschinen (Schober et al. 1964; Struss u. Schober 1962). Für die Leistung des Baus der Herz-Lungen-Maschine sollten Schober und sein Team 1962 mit dem Virchow-Preis ausgezeichnet werden. Leitende Mitarbeiter des Ministeriums für Gesundheit erhoben dagegen Einspruch. Die Maschine sei außerhalb des Plans gebaut worden, Schober ein Planbrecher. Schober und sein Team erhielten die Auszeichnung ein Jahr später (Kirsch 1974). Nach anfänglichen Operationen am geschlossenen Herz erfolgte am 03.04.1962 die erste Herzoperation in extrakorporaler Zirkulation, ein Atriumseptumdefekt Typ II wurde verschlossen (Emmrich et al. 2001). Kudácz assistierte Schober dabei. Im Jahre 1965 erfolgte der erste Klappenersatz mittels Starr-Edwards-Prothese – H.G. Borst gab Hilfestellung – und 1978 die erste Bypassoperation. Schober war vielleicht durch die Härte in der sowjetischen Kriegsgefangenschaft, die er ungebrochen überstand, zu einer runden Persönlichkeit herangereift, die sich neben der Chirurgie, der Medizingeschichte, der Kunst und der Musik aufs engste verbunden fühlte (Kirsch 1974). Schobers ganz großes Verdienst war die Einsicht, dass der Dialog zwischen west- und ostdeutscher Herzchirurgie möglichst ideologiefrei stattfinden solle. Zu diesem Zweck richtete er seit 1964 das jährlich stattfindende Hallesche Symposium über das Operieren mit der Herz-Lungen-Maschine ein. Anfangs war es eine private Veranstaltung. Je nach politischer Großwetterlage konnten eine mehr oder weniger große Zahl ausländischer und westdeutscher Herzchirurgen nach Halle reisen und so den fachlichen Dialog über die Mauer hinweg aufrechterhalten. Das Hallesche Symposium war das einzige Forum für junge ostdeutsche und osteuropäische Herzchirurgen, auf dem sie die neuen internationalen Ideen hören und mit den vortragenden Herzchirurgen diskutieren konnten; es war quasi das Loch in der Mauer. Nach der Emeritierung von Schober im Jahre 1972 übernahm Rainer Panzner als Schüler Schobers die herzchirurgische Abeilung eigenverantwortlich. Auch das Hallesche Symposium setzte er fort. Im Jahre 1977 wurde er zum ordentlichen Professor für Herzchirurgie ernannt. Er verstarb nach einer stürmisch verlaufenden Krankheit innerhalb weniger Monate im Jahre 1992 (Schober 1992). Die Klinik in Halle war auf vielen Gebieten der Herzchirurgie tätig. So wurden Vorhofumkehroperationen bei Transposition der großen Gefäße – bei der ersten Operation war Helmut Oelert dabei – oder Fontan-Korrekturen vorgenommen, doch die Operationszahlen lagen immer im unteren Bereich der herzchirurgischen Leistungszahlen in der DDR. Neben den universitären Einrichtungen in Leipzig und Halle wurde in der DDR noch an der Charité in Berlin und an der Universität Rostock Herzchirurgie betrieben. Anders als in Leipzig, wo 1961 eine selbstständige Klinik für Herz- und Gefäßchirurgie eingerichtet wurde, verblieben
die übrigen universitären Abteilungen innerhalb der dortigen chirurgischen Universitätskliniken. In Bad Berka entwickelte sich das Herzzentrum innerhalb einer Tuberkuloseklinik, die direkt dem Ministerium für Gesundheit unterstand. Auch konnte der anfängliche Abteilungsstatus im Jahre 1976 zugunsten einer selbstständigen Klinik überwunden werden (Emmrich et al. 2001). Im Jahre 1968 erteilte das Ministerium für Gesundheitswesen Wolfgang Gündel den Auftrag, eine für alle herzchirurgischen Zentren verbindliche Herz-Lungen-Maschine zu entwickeln und gleichzeitig die Versorgung aller 5 Zentren der DDR mit dieser Maschine zu sichern. So war von nun an das Modell HLM 70 in den meisten Zentren in Gebrauch. Die Maschine war mit einem Dispersionsoxygenator zum Einmalgebrauch und einem Wärmeaustauscher versehen (Gündel 2003). Nach der Wiedereröffnung der Berliner Universität im Jahre 1946 wurde die Charité die bedeutendste medizinische Aus- und Fortbildungseinrichtung der DDR, die Kaderschmiede des sozialistischen Gesundheitswesens. Da das Gebiet der Charité im Zweiten Weltkrieg zu 50 % zerstört wurde, beschloss die SED-Führung, die Charité am historischen Standort durch Neubauten zu sanieren. Im Jahre 1962 war der erste Neubaukomplex für die operativen Fachgebiete fertig. Die Herzchirurgie bekam 2 Operationsräume. Im Jahre 1962 übernahm Hans-Jochen Serfing die Leitung der chirurgischen Klinik der Charité. Er wurde aus Greifswald berufen und war ein Chirurg alter Sorte, d. h. er operierte alles. Mit Serfing aus Greifswald kam auch Harry Warnke (geboren 1929) an die Charité. Er war für den Aufund Ausbau der Herzchirurgie verantwortlich. Im Jahre 1963 wurde die erste Operation in extrakorporaler Zirkulation durch Serfing ausgeführt, 1971 führte Warnke die erste Koronaroperation der DDR durch, und 1986 setzte Warnke den ersten Defibrillator der DDR ein (Lindenau 2002). Aber auch Kinder wurden operiert, speziell nach Aufenthalten von Warnke bei Aldo Castaneda (1976) und Ake Senning (1978). Bei den zwischen 1979 und 1986 insgesamt 185 vorgenommen Korrekturen bei Transposition der großen Gefäße nach Senning lag die Frühletalität bei 16 %; 83 Kinder waren unter einem Jahr alt (Emmrich 2007; Emmrich et al. 2001). Nach der Emeritierung von Serfing im Jahre 1978 kam Wolff aus Dresden, der die Klinik der Charité zu einem Transplantationszentrum machte, sodass es nur folgerichtig war, dass 1986 die erste Herztransplantation der DDR in der Charité ausgeführt wurde. Die Professoren Warnke und Wolff nahmen die Operation vor. Empfängerin war eine 28-jährige Patientin mit Kardiomyopathie. Die Charité war damit nach der Herzklinik in Prag die zweite Klinik in Osteuropa, die sich der Herztransplantation widmete. Insgesamt wurden an der Charité bis zur Wende 36 Herzen verpflanzt (Lindenau 2002). Die erste Operation unter Einsatz der Herz-LungenMaschine in Rostock wurde von Joachim Huth, der von Schober aus Halle kam, am 14.03.1967 vorgenommen.
21 1.3 · Herzchirurgie in der Nachwendezeit
Auch hier wurde ein Atriumseptumdefekt verschlossen. Nachdem W. Schmitt, der chirurgische Ordinarius, in Rostock emeritiert wurde, folgte Richard Reding aus Greifswald, der die Herzchirurgie neu organisierte, sodass 1984 Karl Emmrich (geboren 1934) für die Herzchirurgie verantwortlich wurde (Emmrich 2007). Emmrich kam als noch in Ausbildung befindlicher Chirurg 1961 zu Herbst nach Leipzig. Sein Schwerpunkt wurde die Kinderherzchirurgie. Nach seiner Habilitation im Jahre 1977 über tierexperimentelle und klinische Ergebnisse einer SäuglingsHerz-Lungen-Maschine – ursprünglich von Günter Weißbach konstruiert – erfolgte bald die Berufung nach Rostock. Neben der Kinder- und Erwachsenenherzchirurgie widmete sich Emmrich in Rostock auch dem Kunstherzprogramm, das zusammen mit Horst Klinkmann betrieben wurde. Warum bei dem sonst so flächendeckenden Mangel an Mitteln und modernen Gerätschaften dafür Devisen aufgewendet wurden, bleibt ein Geheimnis der DDR. Die künstlichen Ventrikel waren aus Polyurethan und mit Björk-Shiley-Prothesen versehen und wurden pneumatisch betrieben. Die Kunstventrikel wurden orthotop bzw. als links- und rechtsventrikuläre Assist-Systeme eingesetzt. Die längste Überlebenszeit eines Kalbes mit orthotop implantiertem Kunstventrikel betrug 1987 drei Monate (Emmrich 2007). Nachdem in der Zentralklinik für Lungenkrankheiten und Tuberkulose in Bad Berka seit 1962 Operationen am geschlossenen Herz ausgeführt wurden, wurde die Klinik 1966 als fünftes Herzzentrum der DDR anerkannt. Am 10.07.1968 erfolgte durch Hasche eine Aortenklappensprengung als erster Eingriff unter Verwendung der HerzLungen-Maschine. Im Jahre 1973 übernahm der aus Leipzig von Herbst kommende Wolfgang Ursinus die Abteilung. Er operierte ein ähnliches Spektrum wie in Leipzig, also anfänglich angeborene Vitien, folgte dann aber dem Trend, sodass in Bad Berka mehr und mehr Klappen und Koronarien operiert wurden. Der erste Klappenersatz wurde 1973, die erste Koronaroperation 1975 vorgenommen. Wurden 1974 noch 105 Operationen unter Einsatz der Herz-Lungen-Maschine ausgeführt, waren es im Jahr der Wende bereits 742, wobei eine kontinuierliche Steigerung zu verzeichnen war (Emmrich 2007; Emmrich et al. 2001). Nach der Emeritierung von Martin Herbst im Jahre 1983 wurde Karl Friedrich Lindenau (geboren 1941) auf den Leipziger Lehrstuhl berufen. Lindenau studierte in Petersburg und Berlin Medizin, machte 1966 das Staatsexamen und trat in die Klinik von Serfing ein, wo er 1978 mit der Arbeit »Wiederdurchblutung des akut ischämischen Myocards« den Dr. sc. erwarb (Lindenau 2002). Am Anfang seiner Leipziger Zeit wurden Teile der desolaten Bausubstanz der herzchirurgischen Klinik erneuert, sodass die Operationskapazität leicht gesteigert werden konnte. So wurde 1986 über die ersten 1000 Herzoperationen berichtet. Gegen Ende der 1980er Jahre verfügte die Klinik über
48 Betten, davon 7 Intensivbetten, sowie 3 Operationssäle. Die jährliche Operationskapazität lag bei 800 Eingriffen am offenen Herz. Wohl aus Prestigegründen fing man 1986 auch mit der Herztransplantation an (Lindenau 2002). Lindenau leitete die Leipziger Klinik bis zum Mai 1992, musste dann aber die Universität wegen Systemnähe und Stasiverstrickung verlassen (Lindenau 2002). Die von Lindenau für 1989 veröffentlichten Zahlen der herzchirurgischen Arbeitslast in der DDR waren nicht imponierend. Leipzig operierte 797, Bad Berka 742, Berlin 670, Halle 225 und Rostock 256 Patienten, was 158 Operationen pro 1 Mio. Einwohner entsprach und damit deutlich weniger war als in den westlichen Bundesländern. Die Planwirtschaft der DDR war unfähig, eine bedarfsgerechte herzchirurgische Versorgung der Bevölkerung sicherzustellen (Lindenau 1990). Ausgestattet mit fraglichen Zielvorstellungen, unfähig zu wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Reformen und immer mehr Zuflucht suchend bei Zwangsmaßnahmen (Mauer, Stasi) zerbröselte der von der sowjetischen Siegermacht eingesetzte Staat der DDR. Ob am Arbeitsplatz, in der Ehe, bei der Kindererziehung oder in der Kneipe – stets waren die Partei (SED) und im Hintergrund die Staatssicherheit dabei. Die perspektivlosen Menschen wollten dies nicht mehr und gingen mit dem Ruf »Wir sind das Volk« auf die Straße, sodass am 09.11.1989 die Mauer fiel und das Staatswesen der DDR implodierte.
1.3
Herzchirurgie in der Nachwendezeit
In beiden Teilen Deutschlands fehlte es in der Nachwendezeit an Operationskapazität. Auf der Konferenz der Gesundheitsminister wurde deshalb 1988/89 beschlossen, den Richtwert an Herzoperationen mit Herz-Lungen-Maschine pro einer Million Einwohner von 400–500 auf höchstens 700 zu erhöhen. Dies erforderte in der BRD mit einer Einwohnerzahl von rund 62 Mio. eine Operationskapazität von etwa 43.000 Operationen pro Jahr, was einen Zuwachs von ungefähr 11.000 Herzoperationen gegenüber 1989 bedeutete. Dazu sollten 12 neue Zentren gegründet werden, wobei man eine Regionalisierung anstrebte, d. h. jeder der 50 westlich gelegenen Regierungsbezirke sollte ein Herzzentrum erhalten (Bruckenberger 1990). Auf der gleichen Sitzung wurde beschlossen, neben den 5 bestehenden Einheiten in den neuen Bundesländern 7 weitere zu planen, damit die Operationszahlen zwischen neuen und alten Bundesländern auf gleichem Niveau, d. h. bei 700 Herzopertionen pro eine Million Einwohner, liegen (Bruckenberger 1990). Tatsächlich stieg die Zahl der Herzzentren bis zum Jahr 2000 auf 80 im wiedervereinigten Deutschland an, was einem Zuwachs gegenüber 1990 von 74 % entspricht (Bruckenberger 2001). Die neu entstandenen Zentren sind bei Hagl (2000) nachzulesen.
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Kapitel 1 · Geschichte der Herzchirurgie in Deutschland
Durch die politische Umstellung, die die Wende mit sich brachte, wurde ein Teil der Chefs der ostdeutschen Kliniken früher pensioniert. Der einzige, der bis zu seiner regulären Altersgrenze arbeitete, war Karl Emmrich in Rostock, der 2000 emeritiert wurde (Emmrich 2007). Sein Nachfolger wurde Gustav Steinhoff. In Leipzig entstand ein außerhalb der Stadt gelegenes neues Herzzentrum, das vom Rhönklinikum geplant wurde und seit 1994 in Betrieb ist. Mit dem Freistaat Sachsen und der Universität Leipzig besteht ein Kooperations- und Nutzungsvertrag, der dem Herzzentrum den Status einer Universitätsklinik verleiht. Zum Leiter wurde Friedrich Mohr berufen. In Bad Berka folgte auf Wolfgang Ursinus im Jahre 1994 Marius Torka. Nach Ausscheiden von H. Warnke an der Charité wurde 1993 Wolfgang Konertz von der Universität Halle an die Charité berufen. Die Nachfolge in Halle trat Rolf Edgar Silber ab 1998 an, nach Zwischenspielen von Wolfgang Konertz (1992–1993) und Hans Reinhard Zerkowski (1994– 1998). Auf der 19. Jahrestagung der DGTHG im Februar 1990 erfolgte die Aufnahme der DDR-Herzchirurgen in die westdeutsche Fachgesellschaft. Damit war neben der politischen auch die gesellschaftliche Vereinigung der deutschen Herzchirurgie nach dem Zweiten Weltkrieg vollzogen.
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1
24
1
Kapitel 1 · Geschichte der Herzchirurgie in Deutschland
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1
2
2 Risiko-Scores in der Herzchirurgie D. Böthig, T. Breymann 2.1
Was ist ein Score? – 27
2.2 2.2.1 2.2.2 2.2.3 2.2.4
Wichtige herzchirurgische Risiko-Scores – 27 EuroSCORE – 27 HCH-(Herzchirurgie-)Score – 29 STS-(Society-of-Thoracic-Surgeons-)Score – 29 Risk Adjustment in Congenital Heart Surgery, 1st version (RACHS-1) – 29 Aristotle-Score – 29
2.2.5 2.3
2.3.8
Möglichkeiten und Risiken bei der Verwendung von Scores, insbesondere in Hinblick auf die deutsche Qualitätssicherung – 35 Therapievergleich – 36 Qualitätsmonitoring – 36 Aufwand – 36 Inadäquater Score – 36 Beeinflussungsmöglichkeiten – 37 Nutzen – 37 Externe statt (fachgesellschafts-)interne Qualitätssicherung – 37 Veröffentlichung – 38
2.1
Was ist ein Score?
2.3.1 2.3.2 2.3.3 2.3.4 2.3.5 2.3.6 2.3.7
Ganz allgemein ist ein Score eine vereinfachende Zählmethode. Das altenglische Wort »scoru« stammt aus dem Norwegischen und bedeutete »zwanzig« [10]. Später bezeichnete man damit Kerben in Holzstäben, die man beim Zählen von Schafen für je 20 Schafe machte. Die vielfältigen englischen Bedeutungen [6] reichen heute von »Partitur« und »Stimme« über »Kerbe« und »Stiege« bis zu den hier eher diskutierten Interpretationen »Auswertung« und »Stand eines Wettkampfs«. Im deutschen Sprachraum hat das Wort »Score« immer noch ein breites Bedeutungsspektrum: Es reicht von der spielerischen Interpretation der »High-Scores« bei Computerspielen bis zu Letalitätswahrscheinlichkeiten nach kardiochirurgischen Operationen, beispielsweise im Fall des EuroSCORE. In der Herzchirurgie versteht man unter Scores Klassifizierungen von Patienten anhand bestimmter Symptome, Diagnosen, Operationen oder einer Kombination davon. Die Scores fassen Patienten zu Gruppen mit vergleichbarem Risiko für ein Endereignis zusammen. Die Qualität (Güte) eines Scores wird durch die treffsichere Voraussage des Ergebnisses (gute Kalibrierung) und die Fähigkeit, verschiedene Patientengruppen deutlich voneinander zu differen-
2.3.9 Gesundheitspolitik 2.3.10 Reklame – 38 2.3.11 Fazit – 38 2.4 2.4.1 2.4.2 2.4.3 2.4.4 2.5 2.5.1 2.5.2
– 38
Verschiedene Verfahren der Score-Bildung – 39 Prognostische Scores – 39 Verteilungsmaße als Scores – 41 Propensity-Scores – 41 Delphi-Prozess – 43 In der Herzchirurgie verwendete Scores – 43 Für welche Fragestellungen gibt es Scores? – 43 Begriffserklärung Mortalität und Letalität – 43 Literatur
– 44
Anhang: Scores in der Herzchirurgie – Gegenstände und Verwendung – 44 Anhang 2: Weitere Definitionen
– 47
zieren (gute Diskrimination), bestimmt. Der klinische Anwender schätzt einen Score eher, wenn er darüber hinaus einfach zu erstellen und leicht sowie anschaulich zu interpretieren ist.
2.2
Wichtige herzchirurgische Risiko-Scores
2.2.1 EuroSCORE
Der EuroSCORE (European System for Cardiac Operative Risk Evaluation; Nashef et al. 1999; . Tab. 2.1) beurteilt das Letalitätsrisiko nach einer herzchirurgischen Operation im Verlauf der postoperativen Krankenhausbehandlung. Abgeleitet aus der Ergebnisbeobachtung von 19.030 Datensätzen zahlreicher europäischer Kliniken aus dem Jahre 1995 ist er ein robustes, einfach zu verwendendes und vergleichsweise (Nilsson et al. 2006) zuverlässiges Werkzeug für die Bypass-, Klappen- und Aortenchirurgie. Nach Eingabe von 17 Parametern (15 davon können mit »Ja« oder »Nein« beantwortet werden, dazu kommen das Patientenalter und eine Klassifizierung der Ejektionsfraktion) kann durch simple Addition der entsprechenden Punktzahlen direkt eine Schätzung der zu erwartenden Letalität erfolgen. Eine
28
Kapitel 2 · Risiko-Scores in der Herzchirurgie
. Tab. 2.1. EuroSCORE
2
Parameter
Details
Score-Wert
Alter
Pro angefangenes Jahrfünft ab 60 Jahren
1
Geschlecht
Weiblich
1
Chronisch-obstruktive Lungenerkrankung
Langzeitanwendung von Bronchodilatatoren oder Steroiden
1
Extrakardiale Arterienerkrankung
Vorliegen eines der folgenden Symptome bzw. einer der folgenden Erkrankungen: 4 Claudicatio intermittens 4 Verschluss oder Stenose der A. carotis interna von ≥50 % 4 vorausgegangene oder indizierte Operation an der Aorta, den Arterien der unteren Extremität oder den Karotiden
2
Neurologische Erkrankungen
Erkrankungen, die die Fortbewegung oder den Alltagsablauf einschränken
2
Vorangegangene Herzoperation
Mit Perikarderöffnung
3
Präoperative Kreatininkonzentration von >200 μmol/l
–
2
Akute Endokarditis
Mit andauernder Antibiotikatherapie
3
Präoperativer Aufenthalt auf der Intensivstation
Eines oder mehrere der folgenden Kriterien (Punkte unabhängig von der Anzahl): 4 mechanische Reanimation 4 Beatmung 4 intraaortale Ballongegenpulsation 4 Katecholaminpflichtigkeit 4 Nierenversagen 4 Oligurie (<10 ml/h) 4 Kammertachykardie 4 Kammerflimmern 4 Asystolie
3
Instabile Angina pectoris
I. v. Gabe von Nitraten bis zur Narkoseeinleitung
2
Eingeschränkte Ejektionsfraktion
Moderat (30–50 %)
1
Schwer (<30 %)
3
Frischer Myokardinfarkt
Vor <90 Tagen
2
Pulmonale Hypertonie
Pulmonalarteriendruck von >60 mmH
2
Notfallindikation
Operation sofort oder vor Beginn des nächsten Arbeitstages
2
Kombinationseingriff: kein isolierter aortokoronarer Venenbypass
–
2
Thorakaler Aorteneingriff
–
3
Postinfarktventrikelseptumdefekt
–
4
Die Summe der Score-Werte ergibt das geschätzte Letalitätsrisiko (in %).
alternative Verrechnungsmethode auf Basis der logistischen Regressionsgleichung bewirkt eine nur geringgradige und nicht in allen Publikationen zu beobachtende Verbesserung der Schätzgenauigkeit, v. a. für die etwa 0,8 % der Patienten mit einem additiv ermittelten Risiko von >13 %. Gegenwärtig werden über die Internetseite www. euroscore.org Daten gesammelt, um den Score nach über
10 Jahren an die heute zu erwartenden Ergebnisse in der Herzchirurgie anzupassen. ! Der EuroSCORE ist sehr gut geeignet, wenn mit minimalem Aufwand bei Erwachsenen ein Vergleich der risikoadjustierten Letalität herzchirurgischer Eingriffe erfolgen soll.
29 2.2 · Wichtige herzchirurgische Risiko-Scores
2.2.2 HCH-(Herzchirurgie-)Score
Die Bundesgeschäftsstelle für Qualitätssicherung ermittelte aus den im Jahre 2004 bundesweit gesammelten Angaben zu 48.027 Patienten mit isolierter koronarer Bypassoperation ein Regressionsmodell (. Tab. 2.2), in dem die signifikant wichtigen Faktoren für die Krankenhausletalität bewertet werden. Im Vergleich zum logistischen EuroSCORE lassen sich damit genauere und relevantere Beurteilungen erstellen, weil die Gewichtung auf jüngeren Ergebnissen ausschließlich deutscher Kliniken beruht. Analoge Angaben zu Patienten aus den übrigen Patientengruppen, die von der Bundesgeschäftsstelle für Qualitätssicherung begleitet werden (Aortenklappenchirurgie, Aorten- und Koronarchirugie, Herztransplantation, Herz- und Lungentransplantation), sind nicht Bestandteil der jeweiligen Auswertungen. ! Der HCH-Score ist sehr gut geeignet, wenn aktuelle und auf die isolierte Koronarchirurgie beschränkte Vergleiche mit deutschen Ergebnissen durchgeführt werden sollen.
2.2.3 STS-(Society-of-Thoracic-Surgeons-)Score
Die STS-Datenbank ist sehr ausgedehnt: Die Zahl der teilnehmenden Zentren liegt gegenwärtig zwischen 700 und 800, und etwa 250.000 herzchirurgische Operationen werden jährlich codiert. Das Datenbankkomitee der STS ermöglicht eine fallbezogene Online-Risikoermittlung [1] für Patienten mit Koronaroperation, Aorten- oder Mitralklappenersatz oder Mitralklappenrekonstruktion (Letztere mit oder ohne begleitende Koronarchirurgie). Für die Gruppe der isoliert Koronaroperierten lassen sich außerdem Wahrscheinlichkeiten für folgende Ereignisse errechnen: 4 Liegezeiten von <6 und >14 Tagen, 4 Schlaganfall, 4 Nierenversagen, 4 tiefe Sternalwundinfektion, 4 Re-Operation, 4 verlängerte Beatmungszeit. Die Risikoermittlung erfolgt ebenfalls auf Basis logistischer Regressionsmodelle, die aus etwa 500.000 Eingaben der Jahre 2001–2002 (Koronarchirurgie) bzw. 1994–1997 (Klappen- und Kombinationschirurgie) gebildet wurden. Nachteile dieses Scores sind: 4 Die Richtigkeit und die Vollständigkeit der Angaben der teilnehmenden Institutionen sind nicht geprüft. 4 Der Score ist nicht rechnerisch, sondern nur nach Akzeptieren eines dreiseitigen »Terms-and-Conditions«Formulars per Eingabe patientenindividueller Risikofaktoren in den erwähnten Online-STS-Risikokalkulator zu ermitteln.
4 Der STS-Score hat mit Abstand die größte Datenbasis, und spezifische Vorhersagen für Mitralklappeneingriffe sind – zumindest derart fundiert – anderweitig nicht zu erhalten. Die Modelle selbst liegen jedoch nicht offen, sodass unkomplizierte Ergebnisvergleiche mit größeren Patientenzahlen nicht praktikabel sind. ! Der STS-Score-Rechner im Internet ist sehr gut geeignet, um nach überschaubarem Eingabeaufwand für einzelne Patienten Schätzungen zu verschiedenen Endpunkten zu erhalten. Seine Anwendung erfordert die internetbasierte interaktive Eingabe einer operationsspezifischen Reihe von Risikofaktoren eines Patienten. Direkt nach Eingabe der Variablen lassen sich die ermittelten Wahrscheinlichkeiten für die Endereignisse ablesen.
2.2.4 Risk Adjustment in Congenital Heart
Surgery, 1st version (RACHS-1) Dieser operationsspezifische Letalitäts-Score für Kinder mit angeborenen Herzfehlbildungen wurde anhand speziell erstellter Datensets aus 32 Kliniken mit insgesamt 3709 Eingriffen des Jahres 1996 entwickelt (Jenkins et al. 2002). Die Eingriffsarten wurden nach ihrem Letalitätsrisiko klassifiziert, und zwar zunächst per Expertenschätzung; diese Einschätzung wurde dann an die tatsächlich gemachten Beobachtungen angepasst. Anschließend erfolgte eine Validierung der Einteilung an 3419 Datensätzen, die man routinemäßig im Rahmen der Krankenhausentlassung erfasste. Für 9 der insgesamt 79 Prozedurenarten (. Tab. 2.3) ist zusätzlich eine Altersangabe erforderlich. Die 79 Prozeduren sind in 6 Klassen mit untereinander vergleichbarer Letalität eingeteilt. Etwa 10% der Eingriffe wurden nicht klassifiziert, darunter Transplantationen, Revisionen, Drainageeinlagen und Schrittmacheroperationen. Die Tauglichkeit dieser einfachen Klassifikation zur Einteilung von Patientenpopulationen in Gruppen mit signifikant unterschiedlichem Operationsrisiko wurde in verschiedenen Ländern wiederholt gezeigt (. Tab. 2.4). ! RACHS-1 ist sehr gut geeignet, um kinderherzchirurgische Patienten mit minimalem Aufwand hinsichtlich ihres Letalitätsrisikos einzuschätzen und um gruppenweise Letalitätsvergleiche durchzuführen.
2.2.5 Aristotle-Score
Diese Klassifikation für kinderherzchirurgische Operationen (Lacour-Gayet et al. 2004) wurde 2004 auf dem Kongress der European Association for Cardio-Thoracic Surgery vorgestellt und 2005 auch auf Daten der STS Congenital Database angewendet. Im zitierten Artikel wird die Na-
2
30
Kapitel 2 · Risiko-Scores in der Herzchirurgie
. Tab. 2.2. HCH-Score für die isolierte Bypasschirurgie mit Herz-Lungen-Maschine
2
Risikofaktor
Definition nach der Bundesgeschäftsstelle für Qualitätssicherung, Datensatz »Herzchirurgie«
Regressionskoeffizient
(Konstante)
–
–5,276 = β0
Alter
66–80 Jahre
0,743 = β1
>80 Jahre
1,490 = β2
Geschlecht
Weiblich
0,398 = β3
Präoperativer Kreatininwert
>2,3 mg/dl oder >200 μmol/l
0,790 = β4
Extrakardiale Arteriopathie
Periphere arterielle Verschlusskrankheit (Extremitäten) oder arterielle Gefäßerkrankung der zum Hirn führenden Gefäße oder Vorliegen eines Aortenaneurysmas
0,504 = β5
Chronische Lungenerkrankungen
Chronisch-obstruktive Lungenerkrankung mit Langzeittherapie mit Bronchodilatatoren
0,463 = β6
Neurologische Dysfunktion
Neurologische Erkrankungen: 4 des Zentralnervensystems, zerebrovaskulär (Blutung/Ischämie), oder 4 des Zentralnervensystems, andere (Morbus Parkinson, Morbus Alzheimer), oder 4 peripher oder 4 Kombination
0,250 = β7
Re-Operation (frühere Herzoperationen)
Voroperation an Herz/Aorta: 4 Koronarchirurgie oder 4 Aortenklappenchirurgie oder 4 Mitralklappenchirurgie oder 4 Trikuspidalklappenchirurgie oder 4 Pulmonalklappenchirurgie oder 4 Operation bei Aortenaneurysma/-ektasie (thorakal oder Kombination) oder 4 Operation bei kongenitalen Vitien oder 4 Herztumorchirurgie oder 4 Operation bei Perikarderkrankung oder 4 Transplantation oder 4 Rhythmuschirurgie (epikardiale Schrittmacherimplantation oder epikardiale Defibrillatorimplantation oder Kombination oder antitachykarde Operation) oder 4 sonstige Herzoperation
0,973 = β8
Kritischer präoperativer Status
4 Kardiogener Schock/kardiogene Dekompensation innerhalb der vorangegangenen 48 h oder 4 Reanimation innerhalb der vorangegangenen 48 h oder 4 Beatmung oder 4 Katecholamintherapie (i. v., Inotropiesteigerung) oder 4 Intraaortale Ballongegenpulsation als (präoperative) mechanische Kreislaufunterstützung
0,925 = β9
Linksventrikuläre Dysfunktion
Linksventrikuläre Ejektionsfraktion mittelgradig oder Wert von 30–50 %
0,447 = β10
Linksventrikuläre Ejektionsfraktion schlecht oder Wert von <30 %
0,860 = β11
Infarkt(e) <91 Tage zurückliegend
0,423 = β12
Pulmonale Hypertonie
Pulmonale Hypertonie
0,760 = β13
Notfall
4 Operationsdringlichkeitsnotfall oder 4 Operationsdringlichkeitsnotfall bei Reanimation/als Ultima Ratio
0,951 = β14
Diabetes mellitus (insulinpflichtig)
Diabetes mellitus, mit Insulin behandelt
0,306 = β15
Vorhofflimmern/andere Rhythmusstörungen
4 Führender Rhythmus bei Aufnahme: Vorhofflimmern oder 4 Andere Rhythmusstörungen
0,521 = β16
Kürzlicher Myokardinfarkt
Ermittlung des Letalitätsrisikos: 4 Markierung der auf den Patienten zutreffenden Risikofaktoren 4 Addition der Regressionskoeffizienten der zutreffenden Risikofaktoren 4 Subtraktion von 5,276 von dieser Summe (Berücksichtigung der Regressionskonstante) 4 Das Resultat der obigen Subtraktion, R, wird in die folgende Formel eingesetzt: 2,718259 R 077R 1 – 2,718259 4 Das Ergebnis dieser Formel ergibt – mit 100 multipliziert – das Letalitätsrisiko (in %) Quelle: www.bqs-outcome.de
31 2.2 · Wichtige herzchirurgische Risiko-Scores
. Tab. 2.3. Risikoklassen des Scores Risk Adjustment in Congenital Heart Surgery, 1st version (RACHS-1) Risikoklasse
Prozedur
Risikoklasse
Prozedur
1
4 Atrial septal defect surgery (including atrial septal defect secundum, sinus venosus atrial septal defect, patent foramen ovale closure) 4 Aortopexy 4 Patent ductus arteriosus surgery at age >30 days 4 Coarctation repair at age >30 days 4 Partially anomalous pulmonary venous connection surgery
3
4 Pulmonary artery banding 4 Repair of tetralogy of Fallot with pulmonary atresia 4 Repair of cor triatriatum 4 Systemic to pulmonary artery shunt 4 Atrial switch operation 4 Reimplantation of anomalous pulmonary artery 4 Anuloplasty 4 Repair of coarctation and ventricular septal defect closure 4 Excision of intracardiac tumor
2
3
4 Aortic valvulotomy or valvuloplasty at age >30 days 4 Subaortic stenosis resection 4 Pulmonary valvulotomy or valvuloplasty 4 Pulmonary valve replacement 4 Right ventricular infundibulectomy 4 Pulmonary outflow tract augmentation 4 Repair of coronary artery fistula 4 Atrial septal defect and ventricular septal defect repair 4 Atrial septal defect primum repair 4 Ventricular septal defect repair 4 Ventricular septal defect closure and pulmonary valvotomy or infundibular resection 4 Ventricular septal defect closure and pulmonary artery band removal 4 Repair of unspecified septal defect 4 Total repair of tetralogy of Fallot 4 Repair of total anomalous pulmonary venous at age >30 days 4 Glenn shunt 4 Vascular ring surgery 4 Repair of aorto-pulmonary window 4 Coarctation repair at age ≤30 days 4 Repair of pulmonary artery stenosis 4 Transection of pulmonary artery 4 Common atrium closure 4 Left ventricular to right atrial shunt repair 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4
Aortic valve replacement Ross procedure Left ventricular outflow tract patch Ventriculomyotomy Aortoplasty Mitral valvulotomy or valvuloplasty Mitral valve replacement Valvectomy of tricuspid valve Tricuspid valvotomy or valvuloplasty Tricuspid valve replacement Tricuspid valve replacement repositioning for Ebstein anomaly at age >30 days Repair of anomalous coronary artery without intrapulmonary tunnel Repair of anomalous coronary artery with intrapulmonary tunnel (Takeuchi) Closure of semilunar valve, aortic or pulmonary Right ventricular to pulmonary artery conduit Left ventricular to pulmonary artery conduit Repair of double-outlet right ventricle with or without repair of right ventricular obstruction Fontan procedure Repair of transitional or complete atrioventricular canal with or without valve replacement
(Fortsetzung)
4
4 Aortic valvulotomy or valvuloplasty at age ≤30 days 4 Konno procedure 4 Repair of complex anomaly (single ventricle) by ventricular septal defect enlargement 4 Repair of total anomalous pulmonary veins at age ≤30 days 4 Atrial septectomy 4 Repair of transposition, ventricular septal defect, and subpulmonary stenosis (Rastelli) 4 Atrial switch operation with ventricular septal defect closure 4 Atrial switch operation with repair of subpulmonary stenosis 4 Arterial switch operation with pulmonary artery band removal 4 Arterial switch operation with ventricular septal defect closure 4 Arterial switch operation with repair of subpulmonary stenosis 4 Repair of truncus arteriosus 4 Repair of hypoplastic or interrupted aortic arch without ventricular septal defect closure 4 Repair of hypoplastic or interrupted aortic arch with ventricular septal defect closure 4 Transverse arch graft 4 Unifocalization for tetralogy of Fallot and pulmonary atresia 4 Double switch
5
4 Tricuspid valve repositioning for neonatal Ebstein anomaly at age ≤30 days 4 Repair of truncus arteriosus and interrupted arch
6
4 Stage 1 repair of hypoplastic left heart syndrome conditions 4 Damus-Kaye-Stansel procedure
Ein gruppenweiser Letalitätsvergleich mit diesen Werten erfolgt durch Vergleich der erwarteten mit der beobachteten Letalität: 4 Erwartete Letalität. Für jede Gruppe wird folgendes Produkt berechnet: Anzahl der durchgeführten Operationen pro Kategorie multipliziert mit der Letalität der Vergleichsgruppe. 4 Die Produkte werden addiert und ergeben die Anzahl der erwarteten Verstorbenen. Die erwartete Letalität kann dann in Prozent ausgedrückt werden. 4 Vergleich. Der Quotient aus dieser Prozentzahl und der beobachteten Letalität (in Prozent) zeigt, wie sich die Letalitätsrisiken der beiden Gruppen zueinander verhalten.
2
32
Kapitel 2 · Risiko-Scores in der Herzchirurgie
. Tab. 2.4. Veröffentlichungen verschiedener Gruppen zu RACHS-1-bezogenen Letalitätsraten Literatur
Population
2
Auswertungszeitraum
Anzahl Patienten
Letalität [%] in den Risikokategorien nach RACHS-1 1
2
3
4
5
6
PCCC, USA
1996
4370
0,4
3,8
8,5
19,4
–
47,7
HDD, USA
1994–1996
3646
0,3
3,3
9,5
19,2
–
47,0
Boethig et al. (2004)
Bad Oeynhausen, Deutschland
1996–2002
2386
0,3
4,0
5,6
9,9
50,0
40,1
Larsen et al. (2005)
Aarhus, Dänemark
1996–2002
957
1,1
3,1
8,5
17,0
–
57,0
Kang et al. (2004)
London, England
200–2003
998
0
1,3
5,0
11,1
–
36,5
Welke et al. (2006)
CHSS members
2001–2004
12.672
0,7
0,9
2,7
7,7
–
17,2
Al-Radi et al. (2007)
Toronto, Kanada
1999–2004
2397
0
1,0
4,0
7,0
17,0
Nina et al. (2007)
Maranhao, Brasilien
2001–2004
145
3,8
26,0
60,0
–
–
–
Larrazabal et al. (2007)
Guatemala City, Guatemala
2003–2004
537
0,5
7,4
23,3
25,0
–
–
Mildh et al. (2007)
Helsinki, Finnland
2000–2004
1001
0
2,1
3,2
9,7
–
14,3
Jenkins et al. (2002)
CHSS Congenital Heart Surgeons Society; HDD Hospital Discharge Data sets; PCCC Pediatric Cardiac Care Consortium; RACHS-1 Risk Adjustment in Congenital Heart Surgery, 1st version
mensgebung erläutert: »Because our scoring system was derived from opinions, we gave the name of Aristotle to this project. According to Aristotle’s philosophy (Rhetoric, Book I, 350 BC): ›When there is no scientific answer available, the opinion (Doxa) perceived and admitted by the majority has value of truth.‹« Der Aristotle-Score basiert auf einer Zusammenfassung von Schätzungen, die nach der Delphi-Methode erhalten wurden: 50 Kinderherzchirurgen aus 23 Ländern haben 145 verschiedene Prozeduren (. Tab. 2.5) beurteilt. Mit 1–5 Punkten (wobei auch Zwischenstufen im Bereich einer Dezimale möglich waren) wurden das Sterbe- und das Morbiditätsrisiko (definiert als Länge des Aufenthalts auf der Intensivstation) sowie technische Schwierigkeit der einzelnen operativen Prozeduren eingeschätzt. Dabei legte man keine absoluten Zahlen zugrunde; es ging lediglich darum, eine konsistente Reihenfolge herzustellen, bei der keine riskantere oder schwierigere Prozedur niedriger klassifiziert wurde als eine einfachere. Die Punkte der genannten Parameter wurden addiert, sodass sich in der Summe 1,5–15 Punkte pro Eingriff ergeben konnten. Die Konstruktion dieses sog. Basic-Scores ist insofern nachvollziehbar, als alle Gruppen und die jeweiligen Klassenzuordnungen veröffentlicht sind. Die Eingruppierung beruht aber auf Schätzungen, nicht auf tatsächlichen Beobach-
tungen. Daher lassen sich aus der Summe der Punkte nur sehr vage Erwartungswerte für die Letalität oder die Liegedauer auf der Intensivstation berechnen (Jacobs et al. 2007). Im Bestreben, die Klassifikation weiter zu verfeinern, wurde zusätzlich ein sog. Comprehensive-Score definiert. Dieser erweitert den Basic-Score um Zusatzpunkte für 167 spezifische, operationsabhängige Faktoren wie Anatomie, Begleiteingriffe und Alter sowie um 81 operationsunabhängige Begleitumstände. Die Zusatzpunkte sind wiederum spezifiziert in Letalität, Morbidität und Schwierigkeit. Pro Operation können durch Elemente des Comprehensive-Scores bis zu 10 Punkte zusätzlich zu denen des Basic-Scores dazukommen; theoretisch sind auch höhere Werte möglich. Die Konstruktion des Comprehensive-Scores ist nicht nachvollziehbar, weil nur die geschätzten Gewichte von 44 der 167 operationsabhängigen Faktoren veröffentlicht sind. Gegen Gebühr kann man sich allerdings unter www.aristotleinstitute.org registrieren lassen, um in die Lage versetzt zu werden, den Comprehensive-Score selbst zu berechnen. Im Rahmen der Bestrebungen nach einer europaweiten kinderherzchirurgischen Datenbank werden Ergebnisse kinderherzchirurgischer Operationen vieler Zentren in Warschau gesammelt [7]. Dort kann man Auswertungen älteren Datums abfragen, die u. U. eine Grundlage für prozedurenspezifische Letalitätsvergleiche bieten.
33 2.2 · Wichtige herzchirurgische Risiko-Scores
. Tab. 2.5. Bewertung von Operationen laut Aristotle-Score Basic-Score
Operativer Eingriff
Basic-Score
Operativer Eingriff
1,5
4 4 4 4 4
6,3
4 Aortenstenose, subvalvulär, Korrektur 4 Shunt, Aortopulmonal, modifizierter Blalock-Taussig Shunt
6,5
4 RVOTO, Korrektur 4 Klappenersatz, Pulmonalklappe
6,8
4 Cor triatriatrum, Korrektur 4 Shunt, aortopulmonal, zentral
7,0
4 4 4 4 4
Pleuradrainage Bronchoskopie Sekundärer Thoraxverschluss Mediastinalexploration Sternumrevision
2,0
IABP-Implantation
3,0
4 4 4 4 4 4
PFO, Direktverschluss ASD, Direktverschluss ASD, Patch-Verschluss ASD, partieller Verschluss Perikarddrainage Offener Ductus arteriosus, Verschluss, chirurgisch 4 Herzschrittmacherimplantation, permanent 4 Herzschrittmacher, sonstiger Eingriff 4 Fenestrierung des interatrialen Septums, Verschluss
3,5
Shunt, aortopulmonal, Verschluss und Entfernung
4 4 4 4 4
3,8
ASD, Atrium communis, Septierung
4
4,0
4 4 4 4 4 4 4
4 4
ASD, Schaffung/Vergrößerung AV-Kanal (AVSD), partiell (inkomplett), Korrektur Koronaranomalie, Fistel, Korrektur AICD-Implantation AICD, sonstiger Eingriff Ductus thoracicus, Ligatur Zwerchfellplikatur
5,0
4 4 4 4 4
5,3
Pectus excavatum, Korrektur
5,6
Valvuloplastie, Pulmonalklappe
6,0
4 4 4 4 4
7,5
4 Fenestrierung des interventrikulären Septums 4 TOF, Korrektur, Ventrikulotomie, nichttransanulärer Patch 4 Klappenersatz, Trikuspidalklappe 4 Conduit, RV-PA 4 Aortenstenose, supravalvulär, Korrektur 4 Sinus-Valsalvae-Aneurysma, Korrektur 4 Klappenersatz, Mitralklappe 4 Aortokoronare Bypassoperation 4 Glenn (bidirektionale bilaterale kavopulmonale Anastomose)
7,8
4 Tunnelierung intraatrial (nicht Mustard oder Senning) 4 Pulmonalarterienstenose, intrahilär, Rekonstruktion 4 Pulmonalarterienstenose, extrahilär, Rekonstruktion 4 Koarktation der Aorta, Korrektur, Interponat
8,0
4 Partielle Lungenvenenfehlmündung, Scimitar Syndrom, Korrektur 4 Systemvenöse Obstruktion, Korrektur 4 TOF, Korrektur, ohne Ventrikulotomie 4 TOF, Korrektur, Ventrikulotomie, transanulärer Patch 4 TOF, Korrektur, RV-PA-Conduit 4 Conduit, Austausch 4 Conduit, LV-PA 4 Valvuloplastie, Aortenklappe 4 Valvuloplastie, Mitralklappe 4 Mitralstenose, supravalvulär (Ring), Korrrektur
Fenestrierung des interatrialen Septums AV-Kanal (AVSD), intermediär, Korrektur Partielle Lungenvenenfehlmündung, Korrektur Lungenbiopsie Arteriovenöse Malformation der Pulmonalarterie, Korrektur 4 Pleura, Dekortikation
4 4 4 4 4 4 4 4
VSD, Direktverschluss VSD, Patch-Verschluss Aortopulmonales Fenster, Korrektur Klappenersatz, Trunkusklappe Pulmonalarterienstenose, -hypoplasie, Stamm, Rekonstruktion Perikardektomie (Dekortikation) Koarktation der Aorta, Korrektur, End-zu-End Koarktation der Aorta, Korrektur, »subclavian flap« (Waldhausen) Koarktation der Aorta, Korrektur, Patch-Erweiterungsplastik (Vossschulte) Gefässring/doppelter Aortenbogen, Korrektur Pulmonalarterielle Bändelung Entfernung einer pulmonalarteriellen Bändelung ECMO-Prozedur
Valvuloplastie, Trunkusklappe Systemvenöse Anomalie, Korrektur MAPCA-Verschluss Valvuloplastie, Trikuspidalklappe Resektion, Trikuspidalklappe (ohne Klappenersatz) DCRV, Korrektur Klappenersatz, Aortenklappe, mechanisch Klappenersatz, Aortenklappe, Bioprothese Aortenbogenrekonstruktion Glenn (bidirektionale kavopulmonale Anastomose) Glenn (unidirektionale kavopulmonale Anastomose) RVAD-/LVAD-Prozedur Tunnelierung intraatrial, Revision (nach Mustard oder Senning)
2
34
Kapitel 2 · Risiko-Scores in der Herzchirurgie
. Tab. 2.5 (Fortsetzung)
2
Basic-Score
Operativer Eingriff
Basic-Score
Operativer Eingriff
8,0 (Fortsetzung)
4 Koarktation der Aorta, Korrektur, End-zu-End, »extended« 4 Rhythmuschirurgie – atrial, chirurgische Ablation (Cox-Maze) 4 Hemifontan 4 Aneurysma, rechter Ventrikel, Korrektur 4 Aneurysma, Pulmonalarterie, Korrektur 4 Herztumor, Resektion 4 Pulmonalisembolektomie 4 Rhythmuschirurgie – ventrikulär, chirurgische Ablation 4 Pulmonalisembolektomie, akuter Embolus
10,0
4 Arterielle Switch-Operation (ASO) 4 Rastelli 4 Koronaranomalie, Abgangsanomalie, Pulmonalis (auch ALCAPA), Korrektur 4 Koarktation der Aorta mit VSD, Korrektur 4 Aortenbogenhypoplasie mit VSD, Korrektur 4 Ebstein-Anomalie, Korrektur
10,3
4 Ross 4 DORV, Korrektur, intraventrikulärer Tunnel
10,8
Unterbrochener Aortenbogen, Korrektur#
11,0
4 Truncus arteriosus, Korrektur 4 TOF und AV-Kanal (AVSD), komplett, Korrektur 4 Pulmonalatresie, VSD-MAPCA (Pseudotrunkus), Korrektur 4 Unifokalisation, MAPCA 4 Konno 4 Kongenital korrigierte TGA, Korrektur (Senning und Rastelli) 4 Kongenital korrigierte TGA, Korrektur, VSD-Verschluss plus Conduit zwischen linkem Ventrikel und Pulmonalarterie 4 Arterielle Switch-Operation und VSD-Verschluss 4 »Réparation à l’étage ventriculaire« 4 DOLV, Korrektur 4 Aortendissektion, Korrektur
12,0
4 Pulmonalvenenstenose, Korrektur 4 Linksventrikuläre Reduktionsplastik (Batista) 4 Lungentransplantation
12,5
4 Ross-Konno 4 Fontan, Revision oder Konversion
13,3
Herz-Lungen-Transplantation
13,8
Kongenital korrigierte TGA, Korrektur, »double switch« (Senning und arterielle Switch-Operation)
14,5
Norwood
15,0
Hypoplastisches Linksherzsyndrom, biventrikuläre Korrektur
8,3
Tunnel zwischen linkem Ventrikel und Aorta, Korrektur
8,5
4 Klappenersatz, Aortenklappe, Homograft 4 Aortenwurzelersatz, klappenerhaltend (David, Yacoub) 4 Senning
8,8
4 Aortenwurzelersatz, klappentragendes Conduit, mechanisch (Bentall) 4 Aortenaneurysma, Korrektur
9,0
4 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4
VSD, multiple, Verschluss VSD, Erzeugung/Vergrößerung AV-Kanal (AVSD), komplett, Korrektur Ursprung der Pulmonalarterie aus der Aorta ascendens (Hemitrunkus), Korrektur Totale Lungenvenenfehlmündung, Korrektur Pulmonalatresie, VSD (auch TOF, PA), Korrektur Verschluss, Trikuspidalklappe (Exklusion, univentrikuläre Korrektur) 1,5-Ventrikel-Korrektur Fontan, atriopulmonale Konnektion Fontan, atrioventrikuläre Konnektion Fontan, TCPC, lateraler Tunnel, fenestriert Fontan, TCPC, lateraler Tunnel, nichtfenestriert Fontan, TCPC, extrakardial, fenestriert Fontan, TCPC, extrakardial, nichtfenestriert Kongenital korrigierte TGA, Korrektur, VSD-Verschluss Mustard Pulmonalarterienschlinge (Sling), Korrektur Aneurysma, linker Ventrikel, Korrektur Conduit zwischen linkem Ventrikel und Aorta Pulmonalisembolektomie, chronischer Embolus
9,3
4 TOF, »absent pulmonary valve syndrome«, Korrektur 4 Herztransplantation
9,5
4 Aortenwurzelersatz, Homograft 4 Damus-Kaye-Stansel (aortopulmonale Anastomose ohne Aortenbogenrekonstruktion) 4 Aortenwurzelersatz, Bioprothese
AICD automatischer implantierbarer Kardioverter/Defibrillator; ALCAPA Fehlabgang der linken Koronararterie aus der Pulmonalarterie; ASD Vorhofseptumdefekt; AVSD Atrioventrikularseptumdefekt; DCRV zweikammerige rechte Herzkammer; DOLV »double outlet left ventricle«; DORV »double outlet right ventricle«; ECMO extrakorporale Membranoxygenierung; IABP intraaortale Ballongegenpulsation; LV linker Ventrikel; LVAD »left ventricular assist device«; MAPCA »multiple major aortopulmonary collateral artery«; PA Pulmonalarterie; PFO persistierendes Foramen ovale; RV rechter Ventrikel; RVAD »right ventricular assist device«; RVOTO »right ventricular outflow tract obstruction«; TCPC totale kavopulmonale Zirkulation; TGA Transposition der großen Arterien; TOF FallotTetralogie; VSD Ventrikelseptumdefekt
35 2.3 · Möglichkeiten und Risiken bei der Verwendung von Scores
Gegenwärtig bemüht sich der Gemeinsame Bundesausschusses, sowohl Herzchirurgen als auch Kardiologen und Kinderkardiologen zu verpflichten, die Ergebnisse ihrer Behandlung von Patienten mit angeborenen Herzfehlern an das Kompetenznetz für Angeborene Herzfehler zu senden, von wo aus sie dann an die Datenbank in Warschau weitergeleitet werden sollen. Die Pilotphase hat Mitte Juni 2008 begonnen und soll nationale Auswertungen sowohl nach RACHS-1 als auch nach dem Aristotle-Score ermöglichen. Bewertung mit dem Aristotle-Score. Der Ergebnisvergleich
mit Hilfe des Aristotle-Score erfolgt per Diagramm, auf dem auf der X-Achse das Produkt aus dem durchschnittlichen Komplexitäts-(Basic-)Score und der beobachteten
2.3
Überlebensrate (Performance) und auf der Y-Achse die beobachtete Überlebensrate aufgetragen werden. Auf einer solchen Grafik liegen die Zentren mit Patienten der gleichen Komplexität auf einer schrägen Linie, und nur diese können miteinander verglichen werden – wer weiter oben zur Darstellung kommt, wird als besser angesehen. Zentren, deren Patienten eine unterschiedliche durchschnittliche Komplexität aufweisen, sind mit dem Aristotle-Score nicht vergleichbar. Die Klassifizierung lässt sich durch die Berücksichtigung von Begleitumständen unter Verwendung des Comprehensive-Scores verfeinern, die Auswertung erfolgt analog. Zusätzliche Auswertungsverfahren, die zu weitreichenden Endpunkten führen, sind beschrieben (Lacour-Gayet et al. 2004).
Möglichkeiten und Risiken bei der Verwendung von Scores, insbesondere in Hinblick auf die deutsche Qualitätssicherung
. Tab. 2.6. Möglichkeiten und Risiken der Verwendung von Risiko-Scores Thema
Möglichkeit
Risiko
Individuelle Prognosen
Scores ermöglichen objektiv die Wahl der aussichtsreicheren Therapie
Eventuell literaturbasierte statt patientenzentrierte Entscheidung; Scores sind unvollständig
Therapievergleich
Inhomogene Gruppen werden besser vergleichbar
Risiko der Nichtberücksichtigung wichtiger Faktoren
Qualitätsmonitoring (CRAM-Plots; Kang et al. 2006; Sergeant et al. 2001)
Früherkennung von Fehlentwicklungen und Herausfinden besonders vorteilhafter Behandlungsweisen
Notwendigkeit mag nicht gegeben sein; Aufwand erforderlich, Fehlinterpretation möglich
Aufwand
Nichterkennung komplikationsträchtiger und teurer Verfahren oder Institutionen verschwendet Ressourcen
Bei fehlendem Optimierungspotenzial wandert ein Teil der limitierten Ressourcen vergebens in den nichtkurativen Bereich
Inadäquater Score
Suboptimale Werkzeuge helfen mehr als keine
Nichtberücksichtigung relevanter, evtl. seltener Faktoren; neue Entwicklungen können Risikostrukturen verschieben
Beeinflussungsmöglichkeiten*
Tatsächliche Therapieverbesserungen sind beabsichtigt; bei inadäquaten Scores bleiben Maßnahmen zum Abwenden unberechtigter Konsequenzen erhalten
»Upcoding« sowie Daten- und Patientenselektion können die Versorgung Schwerstkranker und die Objektivität gefährden (Epstein 2006; Steinbusch et al. 2007) und/oder die wahren Verhältnisse verschleiern
Nutzen*
Geld und Personal könnten effektiver verteilt werden
Ergebnisstatistiken lindern Geld- und Personalmangel nicht
Fachgesellschaftsexterne statt -interne Qualitätssicherung*
Objektivere Beurteilung (?)
Größeres Risiko inadäquater Reaktionen
Veröffentlichung*
Die Lenkung von Patientenströmen könnte auch zum Vorteil der Patienten erfolgen
Manipulation oder systematische/rechnerische Irrtümer könnten Patienten fehlleiten [11]
Gesundheitspolitik*
Sanktionen könnten berechtigt sein, Abteilungsschließungen könnten die Prognose der Patienten verbessern
Scores und ihre Interpretation sind als Begründungen für Sanktionen und Abteilungsschließungen mit zu vielen Fehlermöglichkeiten behaftet
Reklame*
Evidenzbasierte Information statt Werbepsychologie könnte die Patienten lenken
Die Information kann unzureichend kommentiert sein; Manipulation kann abrechnungsrelevant werden
* Die gekennzeichneten Themen werden in Hinblick auf die deutsche Qualitätssicherung diskutiert CRAM »cumulated risk-adjusted mortality«
2
36
Kapitel 2 · Risiko-Scores in der Herzchirurgie
2.3.1 Therapievergleich
2
Unerwünschte Ereignisse lassen sich auch in der Herzchirurgie nicht ausblenden. Der beste Operateur, die beste Klinik, der robusteste Patient wird gelegentlich mit ihnen konfrontiert. Wann müssen daraus wie geartete Konsequenzen gezogen werden? Wie prüft man, ob mit diesen Konsequenzen weniger unerwünschte Ereignisse aufgetreten sind? Derartige Entscheidungen werden oft dem Gefühl der Führungskräfte überlassen; alternativ und objektiver können Scores bei der Ergebnisbewertung helfen. Ein zusammenfassender Vergleich der erwarteten mit den beobachteten unerwünschten Ereignissen informiert über den gegenwärtigen Leistungsstand und ggf. nach Ablauf eines Beobachtungszeitraums über mögliche Effekte von Verbesserungsmaßnahmen.
2.3.2 Qualitätsmonitoring
Unterschiede zwischen erwarteten und erreichten Ergebnissen können für die Kontrolle von Qualitätsentwicklungen verwendet werden. Sergeant erklärt sehr anschaulich, wie sich mit solchen Erwartungswerten analog zu einem Bankguthaben rechnen lässt (Sergeant et al. 2001): Eine erfolgreich durchgeführte Operation führt zu einer Gutschrift in Höhe des Sterberisikos. Wenn das Operationsrisiko bei 20 % lag und der Patient überlebt, hat der Operateur 0,2 Leben auf seinem Konto gut. Verliert der Operateur einen Patienten aus dieser Risikokategorie, werden 80 %, also die Überlebenswahrscheinlichkeit, von seinem Konto abgezogen. Wenn der Operateur von 5 Patienten dieser Art einen verliert, hat er insgesamt 4 × 0,2 = 0,8 Leben als Positiva einbezahlt und bekommt von seinem Konto für den verlorenen Patienten 0,8 Leben abgezogen. In anderen Worten heißt das, wenn er einen Patienten von 5 verliert und das in einer anderen Population beobachtete Sterberisiko bei 20 % liegt, befindet er sich – verglichen mit dieser Population – genau im Durchschnitt. Er hat dann kein Leben gerettet, aber auch keinen Todesfall mehr zu beklagen als in der Referenzpopulation erwartet worden wäre. Mit dieser Methode (Gruppenbildung, Beobachtung einer gruppenbezogenen Überlebenswahrscheinlichkeit und Verrechnung der individuellen Operationsergebnisse nach obigem Muster) kann man Ergebnisse von Patientengruppen gegenüberstellen, die deutlich unterschiedliche Risikostrukturen aufweisen. Die Maßzahl, mit der dann verschiedene Operateure oder Institutionen verglichen werden können, sind die geretteten Leben pro 100 Operationen, jeweils im Vergleich zur Referenzpopulation. Die graphische Darstellung des Lebenskontoverlaufs (. Abb. 2.1) entspricht einem CRAMPlot (CRAM: »cumulated risk-adjusted mortality«). Laufende Kontrollen sind mit CRAM-Plots auf der Basis beliebiger Vergleichspopulationen möglich. Einen anschaulichen Vorschlag zur Beurteilung der statistischen
. Abb. 2.1. Fiktives Beispiel für einen CRAM-Plot. CRAM »cumulated risk-adjusted mortality«; PCCC Pediatric Cardiac Care Consortium
Signifikanz von Performance-Veränderungen im laufenden Betrieb machten Kang et al. (2006).
2.3.3 Aufwand
Obwohl die Rechnerunterstützung die Pflege komplexer Scores erst möglich macht, ist eine vollautomatisierte Erfassung der erforderlichen Items nur selten möglich. Eine standardisierte und vollständige Erfassung in heterogenen Umgebungen der teilnehmenden Häuser, die verlässliche zentrale Datenhaltung und die Ableitung von stichhaltigen medizinisch wie auch statistisch korrekten Aussagen aus dem gesammelten Datenmaterial gibt es nicht zum Nulltarif. Gerade wenn im Gesundheitswesen das Geld knapp wird, ist es fragwürdig, wenn Ressourcen von der Patientenversorgung weg zur Score-Pflege hin verschoben werden müssen. Die Erfassung von Diagnosen und Prozeduren für die »disease-related groups« erfordert zwar ohnehin die möglichst vollständige Sammlung relevanter Details; trotzdem nimmt man aufgrund des limitierten Budgets jeden zur Score-Pflege verwendeten Euro aus dem unmittelbar für kurative Zwecke gedachten Geldbeutel. Daher müssen sämtliche diesbezüglichen Aufwendungen kritischem Hinterfragen standhalten.
2.3.4 Inadäquater Score
Auch der umfangreichste Score hat eine zwangsläufige Einschränkung: Es wird nur das erfasst, was zuvor kategorisiert und bedacht wurde. Die Aufnahme aller seltenen risikosteigernden Umstände triebe den Erfassungsaufwand in nicht mehr darstellbare Höhen. Scores, die wichtige Faktoren nicht berücksichtigen, bergen jedoch die Gefahr der Fehleinschätzung. Das Risiko eines (oder mehrerer) Patienten wird bei unvollständiger Berücksichtigung von Faktoren zu
37 2.3 · Möglichkeiten und Risiken bei der Verwendung von Scores
gering eingeschätzt, und falls dann Komplikationen eintreten, ist der Unterschied der vom Score erwarteten und der beobachteten Komplikationsrate größer als der Situation angemessen. Gerade bei kleinen Patientenzahlen mitteln sich solche Defizite nicht ausreichend zuverlässig aus.
2.3.5 Beeinflussungsmöglichkeiten
Kumulative Scoreergebnisse können – gerade bei drohenden Konsequenzen – beeinflusst werden (Epstein 2006; Steinbusch et al. 2007) [11]: 4 Qualitätssteigerung. Die ideale Reaktion auf sinkende Werte der Qualitätsparameter – eine Verbesserung der Behandlungsqualität – ist gelegentlich erreichbar, aber oft schwierig, und ihre Durchführbarkeit liegt zu großen Teilen nicht in der Hand des Chirurgen. Ein Mangel an Personal, Infrastruktur, Geld, Weisungsbefugnis über das (weiter-)behandelnde ärztliche und pflegerische Personal sowie die Administration sind denkbare Hindernisse auf dem Weg zur Ergebnisverbesserung, die der Chirurg nur eingeschränkt beeinflussen kann. 4 Höhercodierung. Je mehr sich eine Codierung negativ auswirken kann, umso größer wird die Neigung sein, eine Operation im Zweifelsfall der schwerwiegenderen Kategorie zuzuordnen oder eine grenzwertig beginnende Erkrankung als manifest anzusehen. 4 Ausgrenzung aus der Klassifikation. Variationen einer Prozedur könnten nach ungünstigem Ausgang eher bei den nicht klassifizierbaren Eingriffen auftauchen, damit sich die Negativwirkungen nicht im Gesamt-ScoreErgebnis bemerkbar machen. 4 Patientenselektion. Jeder Score stellt eine Vereinfachung dar, weil bestimmte patienteneigene Faktoren von der Berechnung ausgeklammert oder vergröbert werden. Eine chirurgische Abteilung, die auch in schwierigen Fällen jede Chance für den Patienten nutzen möchte und daher viele Patienten mit schlechten Ausgangsbedingungen und ausgeprägten Begleiterkrankungen operiert, steht durch mehr unerfreuliche Ereignisse fast zwangsläufig schlechter da als eine Abteilung, die Patienten nur in relativ gutem Allgemeinzustand zur Operation akzeptiert. Derartige Differenzierungen sind gerade auch bei Verwendung solcher Scores zu erwarten, deren Erwartungswerte diagnosebezogen ermittelt werden. In Regionen, in denen die Ergebnisse bis hin zu persönlichen Ergebnissen des einzelnen Chirurgen offengelegt werden, konnte man durchaus auch unerwünschte Ergebnisse dieser Praxis beobachten [4, 5].
2.3.6 Nutzen
Interne Qualitätssicherung kann nur effektiv sein, wenn auf schlechte Ergebnisse angemessen reagiert wird. Ergeben
sich Mängel, kann dies beispielsweise auf Geld- oder Personalknappheit zurückzuführen sein – dies liegt zum geringen Teil im Einflussbereich der führenden Ärzte, die nur über begrenzten Einfluss auf die Verfügbarkeit von Personal und die Verwendung der ohnehin knappen Mittel verfügen. Die Ergebnisse der internen Qualitätssicherung könnten eine Argumentationshilfe für Verbesserungsbestrebungen auch außerhalb des unmittelbar chirurgischen Einflussbereichs darstellen. Mit risikoadjustierten Ergebnisvergleichen lassen sich auch herausragend gute Ergebnisse objektivieren. ! Qualitätssicherung sollte die Analyse und Verbreitung der Ursachen für besonders risikoarmes Operieren als zumindest ebenso wichtige Aufgabe ansehen wie die Beseitigung von Schwachstellen.
2.3.7 Externe statt (fachgesellschafts-)interne
Qualitätssicherung Unspezifische Möglichkeiten, erschwerte Ausgangsbedingungen in einen Score einfließen zu lassen, bieten zwar die Möglichkeit einer gerechteren Beurteilung von Patienten in schwierigeren Ausgangssituationen, erleichtern aber andererseits die Höhercodierung. Der interne Umgang mit hohen Raten an unerwünschten Ereignissen erlaubt der Institution, zunächst einmal selbst maßvolle Reaktionen einzuleiten. Eine Institution hat aber auch die Verantwortung, weder überschießend noch zu zögerlich zu reagieren. Dies muss den Leistungserbringern präsent sein. Dem Risiko der Fehlinterpretation kann nur durch einen sehr behutsamen Umgang mit den Ergebnissen selbst begegnet werden. Die Bundesgeschäftsstelle für Qualitätssicherung trägt dieser Tatsache durch eine kleine Notiz am Ende ihrer Qualitätsreports Rechnung. In den »Lesehinweisen« heißt es standardmäßig unter Punkt 6 [4, 5]: »Interpretation der Ergebnisse: Statistiken geben keinen direkten Hinweis auf gute oder schlechte Qualität, sondern bedürfen fachkundiger Interpretation und ggf. weitergehender Analysen.« Wie niedrig die Schwelle zwischen Statistik und Qualitätsbeurteilung jedoch liegt, sieht man im gleichen Werk 2 Seiten weiter vorn, wo die Krankenhäuser (anonym) anhand ihrer unadjustierten Raten an Komplikationen verschiedener Schweregrade in »besser« und »schlechter« eingeteilt werden. Im Grunde ist der Ansatz, die Veröffentlichung von Scoring-Ergebnissen flächendeckend und unreflektiert per Gesetz zu erzwingen, Ausdruck eines tiefen Misstrauens des Gesetzgebers gegenüber dem Gesundheitswesen bezüglich einer effektiven internen Qualitätssicherung. Dieses Misstrauen wiegt offenbar schwerer als die Bedenken, mit unperfekten Werkzeugen eine perfekte Messung der medizinischen Qualität zu suggerieren.
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Kapitel 2 · Risiko-Scores in der Herzchirurgie
2.3.8 Veröffentlichung
2.3.9 Gesundheitspolitik
Die weit überwiegende Mehrheit der Patienten kann schwer einschätzen, welche Rolle Konfidenzintervalle, unvollständige Erfassung von Risikofaktoren, Datenqualität, Datenvollständigkeit und weitere Einflussfaktoren beim Zustandekommen von Abteilungs-Rankings haben. Die Vorstellung, Patienten mit Ergebnisdiagrammen eine wesentliche und objektive Entscheidungshilfe an die Hand zu geben, ist gewagt. Diagramme mit Mittelwerten und Konfidenzintervallen risikoadjustierter Ergebnisvergleiche sind aussagekräftige Informationen, werden aber extrem selten gezeigt. Konfidenzintervalle sind aber bedeutungsarm, wenn keine Risikoadjustierung vorgenommen wurde. Der Vergleich von Ergebnisraten, die weder risikoadjustiert noch mit Konfidenzintervallen versehen sind, ist scheinbar einfach zu verstehen – der objektive Informationsgehalt solcher Zusammenstellungen ist aber in der Regel sehr niedrig, gerade wenn die Ergebnisraten nahe beisammen liegen. Derartige Einzelheiten entgehen dem Großteil der potentiellen Patienten. Bereits im Jahre 1995 warnte Victor Parsonnet, Entwickler eines der am weitesten verbreiteten herzchirurgischen Score-Systeme, vor leichtfertigem und insbesondere allzu öffentlichem Umgang mit den damit errechneten Ergebnissen (Parsonnet 1995). Karl Wegscheider zeigt anschaulich die Wirkung unzureichend berücksichtigter Faktoren auf das Ranking von Institutionen [9]. Ein Gremium, das über die breite Veröffentlichung summarischer Scoring-Ergebnisse zu befinden hat, muss sich all dieser Limitationen bewusst sein. Die Rangfolge der Ergebnisse repräsentiert die Qualitätsränge der Abteilungen nur mit ganz erheblicher Unsicherheit. Eben dies weiß aber die weit überwiegende Mehrheit derjenigen Personen, die die Ergebnishistogramme der Bundesgeschäftsstelle für Qualitätssicherung betrachten, nicht. Werden Abteilungsergebnisse, in denen sich nicht erfasste Risikofaktoren besonders negativ auswirken, nach einer nur begrenzt möglichen Risikoadjustierung (inadäquater Score) isoliert sowie mechanisch und unkommentiert online gestellt, kann der Leser ihren Wert nicht beurteilen. Abteilungen können zufallsbedingt minderqualifiziert erscheinen, ohne dass der Leser die Limitationen der Darstellung erfährt oder versteht. Eine inadäquat kommentierte Veröffentlichung von Daten der Qualitätssicherung ist sehr bedenklich, und selbst wenn Begleittexte versierten Lesern die Einschränkungen erläutern – wer liest sie, wer versteht sie? Solange eine Klinik oder Abteilung nicht statistisch belegbar und signifikant besser oder schlechter arbeitet als andere Kliniken bzw. Abteilungen, ist es irreführend, der Öffentlichkeit zu suggerieren, es gäbe nachgewiesene Qualitätsunterschiede.
Es gibt intensive Bestrebungen der Gesundheitspolitik, analog zu den USA (Epstein 2006) [3] die Ergebnisse der vergleichenden Qualitätssicherung im Internet zu veröffentlichen. Dann kann die Frage des verwendeten Werkzeugs, also des Scores, der für den Vergleich zwischen erwarteter und beobachteter Letalität zugrunde gelegt wird, wesentlich über den Fortbestand einer Abteilung mitentscheiden. Der zunehmende Wettbewerb unter den Gesundheitsdienstleistern, Konzentrationstendenzen unter den Kostenträgern und nicht zuletzt die angekündigte flächendeckende und dezidierte Ergebnisveröffentlichung therapeutischer Einheiten im Internet verhelfen ausgefeilten komplexen Scores zu steigender Beachtung. Der Weg geht weg von der begrenzt exakten Faustregel, die die ihr immanenten Limitationen nicht verleugnet, und hin zu komplexeren, weniger intuitiven Modellen, mit denen sich unpopuläre Maßnahmen scheinbar fundierter begründen lassen. War das Ziel der Verwendung von Scores ursprünglich die Zählvereinfachung, dann später eine politisch unbedenkliche Patienteneingruppierung und noch später ein gut gemeintes Instrument zur Qualitätsverbesserung, so zeigt sich heute immer deutlicher ein Bestreben, mit komplexen risikoadjustierten Vergleichen erstellte Scores als eisernen Besen zum Auskehren vermeintlich unreiner Ecken des Gesundheitswesens zu verwenden. Je stringenter diese Vorstellungen bezüglich »Transparenz« sowie abteilungsbezogen erhobener und standardisiert risikoadjustiert dokumentierter Ergebnisqualität umgesetzt werden, umso eher droht die Gefahr, dass die Therapie des Patienten von der Sorge um die Performance der Abteilung beeinflusst wird.
2.3.10 Reklame
Kommt es zur verbindlichen Veröffentlichung von abteilungsspezifischen Qualitätsdaten, ist zu befürchten, dass wirtschaftliche Verlockungen (»wir sind besser«) die statistisch-wissenschaftliche Komponente der Information (»aber nicht signifikant besser, eigentlich wissen wir es nicht genau«) zurückdrängen. Die Neigung zu Manipulationen bis hin zur Selektion der erfolgversprechenderen Patienten könnte für den Arbeitsplatzerhalt entscheidend werden.
2.3.11 Fazit
Vernünftig entwickelt und mit Sachverstand im Interesse der Patienten angewendet, sind Risiko-Scores zur Erfolgsbeurteilung hilfreich. Sie geben den Leistungserbringern die Möglichkeit, Fehlentwicklungen früh objektiv zu erkennen, gegenzusteuern und wiederum die Erfolge eingeleiteter Maßnahmen zu bewerten.
39 2.4 · Verschiedene Verfahren der Score-Bildung
Unsachgemäß konstruiert, überinterpretiert und ausgiebig unkommentiert publiziert, können Risiko-Scores zur Verunsicherung der Patienten, zur Abweisung schwerkranker Patienten, zur Verschärfung der Ressourcenknappheit und zu unberechtigten Abteilungsschließungen führen. Auch die Herzchirurgie ist vor dieser Entwicklung nicht gefeit; sie droht hier in die Defensive zu geraten.
2.4
Verschiedene Verfahren der Score-Bildung
2.4.1
Prognostische Scores
2.4.1.1 Einfaktorieller Score
Bei einfaktoriellen Scores werden verschiedene Ausprägungen einer Ausgangsbedingung zu Gruppen zusammengefasst, in denen vergleichbare Wahrscheinlichkeiten für einen Endpunkt bestehen (z. B. bezüglich Frühletalität oder postoperativer Apoplexie). Viele Scores bilden mehrere Klassen ohne Zwischenwerte, deren Rangfolge ein Risiko bezeichnet – ordinal, nicht quantitativ. Das heißt, dass Klasse 2 riskanter ist als Klasse 1, nicht aber, dass das Risiko in Klasse 2 doppelt so hoch ist wie in Klasse 1. Der RACHS-1 (Jenkins et al. 2002; s. oben, 2.2.4) ist ein Beispiel für einen einfaktoriellen ordinalen Score. Der Faktor, die eine Ausgangsbedingung, ist die Operation, die am Patienten durchgeführt wird, und der Endpunkt, dessen Wahrscheinlichkeit beschrieben wird, ist die Krankenhausletalität. Der RACHS-1 wurde bewusst als einfach anzuwendender Maßstab für das Letalitätsrisiko konzipiert. Der Entstehungsprozess dieses Scores ist beispielhaft von K. Jenkins beschrieben worden: Eine Gruppe von Fachexperten versucht, Operationen so zu gruppieren, dass das Letalitätsrisiko innerhalb der gebildeten Gruppen ähnlich wird. Mit fachstatistischer Begleitung wird die Qualität der Einteilung überprüft, und es werden verschiedene Zusatzkriterien bezüglich ihres Beitrags zur Modellverbesserung untersucht und wieder verworfen, wenn sich ihre Entbehrlichkeit herausgestellt hat. Da eine derartige Einteilung nur dann sinnvoll ist, wenn sie tatsächlich Gruppen mit deutlich unterschiedlichen Merkmalen zusammenstellen kann, untersucht man zunächst die Trennschärfe des Entwurfs: Die Klassifikation wird an die Wirklichkeit angepasst. Dies geschieht, indem der aus einer »Erstellungspopulation« von Patienten abgeleitete Score an einer weiteren Patientengruppe verifiziert wird. Daraus resultieren im Fall der RACHS-1-Klassifikation 78 operative Prozeduren (von denen 9 durch Altersbeschränkungen eingegrenzt sind), die sich in 6 klar abgegrenzte Risikogruppen von 1–6 gliedern. Die Gruppierung ist eine Vergröberung der Erwartungsschätzungen der einzelnen Eingriffsarten, die hingenommen wird, um die Klassifikation zu vereinfachen. Die Bildung von Mittel- oder Durchschnittswerten mit den Gruppennummern (1–6 bei RACHS-1) ist nicht sinnvoll, weil ein doppelt so hoher Score-Wert nicht eine dop-
pelt so hohe Mortalität bezeichnet. Korrekt ist jedoch die Verrechnung der den Score-Werten zugeordneten Letalitäten, um Erwartungswerte für die Gesamtmortalität einer Patientengruppe zu ermitteln (. Tab. 2.3). 2.4.1.2 Mehrfaktorieller Score mit
verschiedenen Ausgangsparametern Verschiedene Ausgansparameter, z. B. Operation, Alter, Geschlecht, Voroperationen und vorbestehende Erkrankungen, werden herangezogen, um die Wahrscheinlichkeit für ein Ereignis (z. B. Hospitalletalität) abzuschätzen. Ein populäres Beispiel für diese Art von Scores ist der EUROScore (Nashef et al. 1999; s. oben, 2.2.1). Eine anschauliche Beschreibung, wie derartige Scores berechnet werden, findet sich auf der Webseite der Bundesgeschäftsstelle für Qualitätssicherung [4, 5]. Die Bedeutung eines Faktors für ein Endereignis wird aus der logistischen Regression abgeleitet. Bei diesem Verfahren geht man vereinfachend davon aus, dass man die Risikosteigerung, die durch das Vorhandensein eines Faktors bewirkt wird, durch eine konstante multiplikative Komponente ausdrücken kann, deren Höhe nicht von Anzahl und Art der außerdem noch vorhandenen Faktoren abhängt. Aus der logistischen Regression erhält man die β-Koeffizienten, mit deren Hilfe anhand der folgenden Gleichung das Ereignisrisiko in Abhängigkeit von einer gegebenen Konstellation von Risikofaktoren berechnet werden kann: ea Ereigniswahrscheinlichkeit = 0 1 + ea Dabei ist e die Euler-Zahl (2,71828183 ...) und a die Summe der Konstanten des Modells (β0) und der Produkte der n übrigen Regressionskoeffizienten β1 bis ßn mit ihren jeweiligen Risikofaktoren: β0 + β1 × Faktor 1 + β2 × Faktor 2 ... βn × Faktor n Falls ein Risikofaktor vorhanden ist, setzt man 1 in die Gleichung ein, summiert also den speziellen Regressionskoeffizienten. Ist ein Faktor nicht vorhanden, geht sein Regressionskoeffizient nicht mit in die Summe ein. Bei metrischen (statt dichotomen) Werten (z. B. Alter) werden die Messwerte (z. B. Jahre) mit den Regressionskoeffizienten multipliziert und aufsummiert. Im Fall des EuroSCORE wurden aus den Regressionskoeffizienten Gewichtungen für die einzelnen Faktoren gebildet, die es gestatten, die erwartete Mortalität in Prozent durch simple Addition der Gewichtungen abzuschätzen. Vergleicht man diese Zahl mit den tatsächlich lebend entlassenen Patienten, ist eine risikoadjustierte Ergebnisbeurteilung möglich. RACHS-1 und EuroSCORE sind einfache Klassifizierungswerkzeuge. Beide wurden nachvollziehbar erstellt, und beide basieren auf Beobachtungen an einer ausgedehnten Stichprobe und wurden anschließend an einem großen Kollektiv verifiziert. Der wesentliche Zweck der Scores ist
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Kapitel 2 · Risiko-Scores in der Herzchirurgie
die Voraussage der Letalität. Damit wird ein Vergleich zwischen erwarteten und tatsächlich beobachteten Todesfällen möglich. Die Aufnahme weiterer Parameter hat die Abbildungsgenauigkeit nicht erhöht. Die Autoren der Scores haben sich bewusst auf einfach zu erfassende und wohldefinierte Parameter beschränkt. Beiden Scores ist gemeinsam, dass sie im Laufe der Zeit an veränderte Rahmenbedingungen angepasst werden müssen, um ihre Präzision zu bewahren. 2.4.1.3
Scores zur Beurteilung der langfristigen Freiheit von unerwünschten Ereignissen
Diese Scores gewinnt man im Wesentlichen über die CoxRegression (Cox 1972). Die zugrunde gelegte (»Proportional-hazard«-)Annahme dieses Verfahrens besteht darin, dass die Präsenz eines Risikofaktors für den Patienten über die gesamte Beobachtungszeit hinweg im Vergleich zu einem nicht exponierten Patienten eine konstante Risikoerhöhung bedeutet. Dies wäre beispielsweise dann der Fall, wenn ein Diabetes mellitus 2 Jahre nach einer Mitralklappenrekonstruktion das Langzeitüberleben doppelt so stark beeinträchtigte wie eine Gicht und wenn dieses Gefährdungsverhältnis in gleichem Maß nach 5 oder 7 Jahren gelten würde. Die Cox-Regression schätzt diese Risikoverhältnisse ab, und aus diesen Schätzungen lassen sich Scores für Langzeitprognosen ableiten. Alternativ kann man Scores, die eigentlich die Krankenhausletalität als Endpunkt haben, bezüglich ihrer Eignung für die Langzeitprognose beurteilen. 2.4.1.4 Mehrfaktorielle Scores
Derartige Scores, die Aussagen über mehrere Endpunkte ableiten, sind beispielsweise der Higgins- (Higgins et al. 1992) und der Ontario-Score (Tu et al. 1995). Auch die Score-Familie der STS-Datenbank gehört in diese Gruppe. Hinter diesen Ableitungen stehen mehrere Einzelberechnungen nach den oben genannten Berechnungsverfahren. 2.4.1.5 Qualitätsbeurteilung von Scores
Nach Erstellung eines prognostischen Scores kann seine Qualität folgendermaßen überprüft werden (. Abb. 2.2): Die Fläche unter der »Receiver-operator-characteristic«Kurve (Abel 1993) zeigt die Trennschärfe (»performance«, »goodness of fit«) des ermittelten Scores an. Diese Fläche beträgt idealerweise 1, und ein Wert von 0,5 steht für eine komplett abwesende Trennschärfe. Viele der heute verwendeten Scores weisen Werte um 0,75 auf. Eine andere anschauliche Darstellung der Fähigkeit eines Scores, signifikant voneinander verschiedene Gruppen abzubilden, sind Fehlerbalken: Trägt man auf der y-Achse die beobachteten Letalitäten der verschiedenen Gruppen einschließlich ihrer 95%-Konfidenzintervalle auf, zeigen separierte, nicht überlagerte Konfidenzintervalle an, dass sich diese Gruppen hinsichtlich der Letalität signifikant voneinander unterscheiden.
. Abb. 2.2. Illustration von Trennschärfe und Kalibrierung verschiedener Scores
Technische Verbesserungen der Operationsverfahren können die Überlebenserwartungen steigern. Andere Faktoren wie zunehmende ökonomische Zwänge könnten bei gleicher Ausgangssituation des Patienten jedoch zu reduzierten durchschnittlichen Überlebensraten führen. Daher ist es möglich, dass sich die Zuordnungen von Score-Werten und Morbidität oder Letalität im Laufe der Zeit ändern, und es kann erforderlich werden, diesem Umstand Rechnung zu tragen: Eine erneute Kalibrierung passt die Erwartungen an die veränderte Realität an. Die Vorläufigkeit eines Scores ist beispielsweise mit der Bezeichnung »RACHS-1« für den kinderherzchirurgischen RisikoScore bereits im Namen ausgedrückt. Die Entwickler des EuroSCOREs sammeln aktuell Daten für eine Aktualisierung ihres Modells. Die Validität (Güte der Kalibrierung) eines Scores wird am besten durch Anwendung auf eine weitere, der Erstellungspopulation vergleichbare Personengruppe gezeigt (externe Validierung). Alternativ kommen Verfahren der internen Validierung wie das von Hosmer und Lemeshow (2000) zur Anwendung. Dabei wird eine Population in mehrere gleich große Teile aufgeteilt, auf die man den Score jeweils separat anwendet. Ein p-Wert von <0,05 signalisiert signifikante Unterschiede zwischen den Teilpopulationen, also eine unzureichende Validität des Scores. Angaben zur Modellgüte von LangzeitprognoseScores können über den Konkordanzindex (Harrell 2001; Lee et al. 2006; Tischendorf et al. 2007) gewonnen werden. In der Herzchirurgie spielen Scores, die zur Bewertung des spätpostoperativen Verlaufs entwickelt wurden, bisher eine untergeordnete Rolle. Budoff et al. (2007) untersuchten beispielsweise die Rolle des Koronarkalks auf das mittelfristige Überleben.
41 2.4 · Verschiedene Verfahren der Score-Bildung
. Abb. 2.3. Zusammenhänge zwischen verschiedenen Verteilungsmaßen
2.4.2 Verteilungsmaße als Scores
Die Gauss-Normalverteilung, die mit ihrem annähernd glockenförmigen Verlauf viele biologische Verteilungen gut beschreibt, wird auch Z-Verteilung genannt. Wenn die relative Position eines Patienten innerhalb einer Vergleichsgruppe, oft der Normalbevölkerung, bezeichnet werden soll, ist es daher einfach und gängig, von Z-Werten zu sprechen. Die Breite der Normalverteilungsglocke wird mit Hilfe der Standardabweichung ausgedrückt: 34,13 % der Beobachtungen liegen zwischen dem Mittelwert plus einer Standardabweichung, die gleiche Menge zwischen dem Mittelwert minus einer Standardabweichung; 95,44 % der Werte werden von 0 ± 2 Standardabweichungen eingeschlossen. Die Entfernung vom Mittelwert, gemessen in Standardabweichungen, wird als Z-Wert bezeichnet. Ein Z-Wert von 0 bedeutet, dass der am Patienten beobachtete Wert genau dem Mittelwert einer angenommenen Normalverteilung der beschriebenen Population entspricht. Ein Z-Wert von 1 heißt, dass der damit bezeichnete Wert genau eine Standardabweichung über dem Mittelwert liegt. Z-Werte unter –2 bezeichnen unnormal geringe Ausprägungen, und Werte über +2 sind abnorm hoch. Geht ein unnormaler Messwert gleichsinnig mit einem veränderten Risiko einher, kann auch der Z- Wert in Bezug auf die Verteilung eines Wertes in der Normalbevölkerung zur Risikobeschreibung nützlich sein. Anders als beim EuroSCORE beschreibt der Z-Score-Wert jedoch nicht direkt ein Risiko für ein bestimmtes Ereignis, und ein doppelt so hoher Z-Wert ist nicht mit einem doppelt so hohen Risiko gleichzusetzen. In anderen Fachgebieten spielen weitere Verteilungsmaße eine Rolle. So wird beispielsweise bei der Knochen-
dichtemessung der T-Score verwendet, und für die Beurteilung der somatischen Entwicklung sind Perzentilen üblich. Eine grafische Übersicht über die Beziehungen dieser Lagemaße zueinander gibt . Abb. 2.3.
2.4.3 Propensity-Scores
Diese stellen einen Ansatz dar, um eine mangelnde Randomisierung in retrospektiven Studien durch individuell errechnete Gewichtungsfaktoren einzelner Fälle auszugleichen. Beschrieben wurden Propensity-Scores erstmals im Jahre 1983 von Rosenbaum und Rubin in der Zeitschrift Biometrika. Die Publikationszahlen in PubMed, die diesen Begriff enthielten, lagen bis einschließlich 2001 bei <20/ Jahr, wenn auch mit steigender Tendenz. Im Januar 2002 erschien ein erklärender Artikel von Eugene H. Blackstone (»Comparing apples and oranges«), in dem der herzchirurgischen Leserschaft der Anwendungsbereich und die Konstruktion dieser Art der Ergebnisverrechnung nahegebracht wurden. Seitdem hat sich die Zahl der medizinischen Publikationen, die diesen Begriff enthalten, sprunghaft auf 351 (im Jahre 2007) erhöht. Manchmal ist eine Randomisierung aus ethischen oder anderen Gründen nicht möglich oder es liegen nur retrospektiv erfasste Datenbestände zur Auswertung vor. In diesem Fall ist die Bildung von Propensity-Scores anstelle der Randomisierung das exakteste Verfahren, um Ergebnisse zweier Gruppen unter Berücksichtigung ihrer potenziellen Risikofaktoren zu vergleichen. Propensity-Scores klassifizieren nicht das Risiko eines unerwünschten Ereignisses, sondern beschreiben mit Wer-
2
42
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Kapitel 2 · Risiko-Scores in der Herzchirurgie
ten zwischen 0 und 1 die Wahrscheinlichkeit, einer von 2 Vergleichsgruppen zugeordnet zu werden. Der Score wird in mehreren Schritten patientenweise errechnet: 1. Zunächst wird ein logistisches Regressionsmodell einschließlich aller vorstellbaren potenziellen Risikofaktoren (das eigentliche Endereignis wird dabei nicht beachtet) erstellt, bei dem die Zugehörigkeit zu einer der beiden Gruppen das Zielkriterium darstellt. Man wertet also nicht in Hinblick auf das eigentliche Endereignis aus, sondern ermittelt in den Schritten 1–4 das individuelle »Risiko« für die Gruppenzugehörigkeit.
2. Daraufhin wird für jeden Faktor eines jeden Patienten das Produkt aus dem Faktorwert selbst und seinem aus der logistischen Regression berechneten Regressionsko effizienten β gebildet. Bei dichotomen Faktoren addiert man den faktorentsprechenden Regressionskoeffizienten β, wenn der Faktor vorhanden war, ansonsten entfällt er. 3. Patientenweise werden alle diese Produkte addiert und um die Konstante aus der Regressionsgleichung vermehrt. Diese Summe ergibt einen Zwischenwert pro Patient.
. Tab. 2.7 1. Score-Themen und Anzahl der publizierten Artikel Score-Thema
Anzahl der Publikationen
Beispiele
Letalität/ Morbidität
416
EUROScore, Parsonnet
Statistik
119
Propensity, Jadad (Qualität randomisierter kontrollierter Studien)
Erkrankungsschwere
118
APACHE II
Echo
51
Wall motion
Kinderletalität
57
Aristotle, PRISM III, RACHS-1
Schmerz
43
Visual Analogue Scale
Neurologie
35
CCS
Lebensqualität
35
SF-36, Duke Activity Status
Intensiv-Behandlung
33
SOFA, MODS
Histologie/Chemie
30
Neurological Injury Histological Score
Psychologie
28
Depression
Anästhesie
28
Ramsay Sedation, BIS
Herz- Funktion und Morphologie
25
Myocardial Score, Valve Prosthesis Calcification Score
Behandlungsaufwand
24
SAPS, TISS, ICU LOS
Niere
22
Renal Function
Kognition
18
MMST
Lunge
15
Lung Injury Score
Erholung
10
QoR-40
Wundheilung/ Infektion
10
Asepsis
Blutung/Blutgabe
8
Blood Transfusion
Verwachsungen
7
Adhesion Score
Operationsdringlichkeit
6
Framingham
Leber
6
MELD
Chirurgen
3
Surgeon’s Skills Score
Abstoßung
2
Billingham Grading, GVD score
Mundpflege
1
Dental Care
Genetik
1
LOD Score
43 2.5 · In der Herzchirurgie verwendete Scores
4. Den Propensity-Score eines jeden Patienten errechnet man mittels folgender Division (dieses Verfahren entspricht dem Vorgehen für die Berechung des individuellen Risikos anhand der Ergebnisse der Cox-Regression): eZwischenwert 003 1 + eZwischenwert 5. Patienten mit gleichem Propensity-Score-Wert sind miteinander vergleichbar. Man kann daher paarweise »matchen« und die Ergebnisse dieser gepaarten Gruppen gegenüberstellen, wobei man jedoch die Informationen der nicht paarbaren Patienten unberücksichtigt lassen muss. Ein besseres Verfahren ist die Stratifikation, wobei die Gesamtzahl der Patienten in Gruppen mit ähnlichen Propensity-Scores aufgeteilt wird. Anschließend betrachtet man die Ergebnisse von Vergleichen innerhalb dieser Gruppen.
2.4.4 Delphi-Prozess
Die bisher beschriebenen Arten von Risiko-Scores sind mathematisch fundiert. Man geht von gewissen Verteilungsannahmen aus, beobachtet eine Population in Hinblick auf das Vorkommen bestimmter Faktoren und den interessierenden Endpunkt und konstruiert ein mathematisches Modell zur Vorhersage des Endpunkts auf der Basis bisheriger Beobachtungen. Idealerweise werden derartig entwickelte Modelle aus einer Population berechnet und an einer davon unabhängigen Population validiert. Klar umrissene, harte und solide erfassbare Daten sind hierfür Voraussetzung. Für »weiche« Daten wie Schweregrad einer Operation oder die allgemeine Komplikationsträchtigkeit eines Eingriffs gibt es keine Register, die vollständig und valide gefüllt werden. Zur Ermittlung der »gefühlten Schwierigkeit« einer herzchirurgischen Operation bedient man sich eines aufwendigen Verfahrens: Der Delphi-Prozess [2] ist ein Versuch des Ersatzes von konkretem Wissen durch die konsentierte Zusammenfassung von Expertenmeinungen. Sein Einsatz ist sinnvoll, wenn kein anderweitig erhältliches Wissen existiert. Diese Art der Wissensgenerierung repräsentiert nach den Kriterien der evidenzbasierten Medizin den niedrigsten Evidenzlevel. Der Delphi-Prozess wurde im Jahre 1963 von der RAND-Corporation (USA) [14] entwickelt und in vielen Gebieten eingesetzt. PubMed findet 111 Artikel mit den Stichworten »Delphi« und »Score«, die meisten abseits der Herzchirurgie. Der oben beschriebene Aristotle-Score für Eingriffe in der Kinderherzchirurgie gehört in diese Gruppe.
2.5
In der Herzchirurgie verwendete Scores
2.5.1 Für welche Fragestellungen gibt es
Scores? Die Kombination der Suchbegriffe »cardiac surgery« und »Score« ergab im August 2009 bei PubMed (www.ncbi.nlm. nih.gov) 1007 Treffer. In den Abstracts dieser Artikel wurde über 174 unterschiedliche Scores berichtet, und diese wiederum ließen sich 27 Themenkategorien zuordnen. In . Tab. 2.7 sind die Themengruppen und die Zitierhäufigkeiten dieser Scores aufgeführt sowie Score-Beispiele für jede Gruppe dargestellt.
2.5.2 Begriffserklärung Mortalität und Letalität
Die Begriffe »Mortalität« und »Letalität« werden im Deutschen anders verwendet als im englischsprachigen Raum »mortality« und »lethality«. Das Statistische Bundesamt Wiesbaden (www.gbebund.de/glossar/Letalitaet.html) definiert wie folgt: »Mortalität [Sterblichkeit] bezeichnet das Ausmaß der Todesfälle im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung oder zu einzelnen Altersklassen; wird global durch Sterbeziffern oder Sterberaten ausgedrückt und durch Sterbetafeln spezifiziert. Letalität ist definiert als Sterblichkeit, das Verhältnis der Todesfälle zur Zahl der Erkrankten.«
Auf der Webseite »americanheart.org/presenter.jhtml« findet sich keine Erläuterung von »lethality«, aber die folgende Definition für mortality: »The total number of deaths from a given disease in a population during an interval of time, usually a year.« Wikipedia dagegen definiert »Lethality«: »Lethality is a term designating the ability of a weapon to kill… expressed by percentage…« Eine Auswahl weiterer Definitionen finden Sie im Anhang 2. Mortalität und »mortality« bezeichnen die Anzahl oder den Anteil Verstorbener pro Zeit; Letalität und »lethality« sind Quotienten: Der Anteil Verstorbener an den Exponierten, zeitunabhängig. Im englischen Sprachraum wird der Begriff »lethality« hauptsächlich im militärischen und kaum im herzchirurgischen Kontext verwendet; stattdessen spricht man dort von »mortality rate« oder verwendet einfach »mortality« anstelle des oft nach unserem Verständnis eher angebrachten Begriffes »lethality«. Eine Auswahl weiterer Definitionen finden Sie im Anhang 2.
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Kapitel 2 · Risiko-Scores in der Herzchirurgie
Literatur
2
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Anhang: Scores aus der Herzchirurgie – Gegenstände und Verwendung In diesem Anhang sind zunächst die Themengebiete sowie die Gesamtanzahl der Artikel, die zu diesen Themen in PubMed bei Eingabe der Stichwortkombination »cardiac surgery« und »Score« gefunden wurden, genannt. Zu jedem Thema folgen spezielle Scores oder Score-Schwerpunkte, wiederum mit Angabe der Zitierhäufigkeit auf dem Gebiet der Herzchirurgie (Angaben in runden Klammern). Bei unspezifischer Bezeichnung einzelner Scores ist zur besseren Recherchierbarkeit der Name des Erstautors mit vermerkt. Weiter ist in eckigen Klammern die Anzahl der in PubMed gefundenen Artikel zum jeweiligen Score angegeben, wobei die Suche nicht auf die Herzchirurgie limitiert war. Bei Scores, die auch außerhalb der Herzchirurgie von Interesse
45 Anhang: Scores in der Herzchirurgie – Gegenstände und Verwendung
sind, ist diese Trefferzahl mitunter sehr hoch. Wenn für komplexe oder unspezifisch benannte Scores keine Einträge gefunden werden konnten, ist die Zahl der Veröffentlichungen genannt, die sich auf den/die score-beschreibenden Artikel beziehen (laut www.scopus.com). Diese Zahlen sind mit * markiert. Zwei Scores, die von der Bundesgeschäftsstelle für Qualitätssicherung (BQS) neu entwickelt wurden, bisher aber in keiner wissenschaftlichen Zeitschrift Erwähnung fanden, sind ebenfalls (in Klammern) mit aufgenommen. Abstoßung (2)
Billingham grading (1) – Intensität der Myokardabstoßungsreaktion [20] GVD score (1) – Gefäßzustand transplantierter Organe [168] Anästhesie (28)
Ramsay sedation (19) – Grad der Sedierung [50] Bispectral Index (5) – Narkosetiefe [1401] Bromage scale (2) – Intensität der motorischen Blockade [147] Penetration-Aspiration Scale (1) – Dysphagieinzidenz bei unilateraler Stimmbandparese [27] Blood-air barrier integrity score (1) – Integrität der Blut-HirnSchranke [4] Behandlungsaufwand (24)
SAPS (13) – Simplified Acute Physiology Score – Aufwand intensivmedizinischer Komplexbehandlung [520] TISS (6) – Therapeutic Intervention Scoring System – Therapeutischer Aufwand auf Intensivstationen [286] ICU LOS (3) – Intensivaufenthaltsdauer nach herzchirurgischen Operationen [185*] NEMS (1) – Nine equivalents of nursing manpower use score – Pflegebedarf [5] ICR beta (1) – relatives Kostengewicht [2]
Erholung (10)
QoR-40 (4) – Rehabilitationsqualität [9] Aldrete (2) – Erholung von der Anästhesie [104] Fast-track failure score (2) – Faktoren für längeren Krankenhausaufenthalt [5] CABG recovery (1) – Erholung nach Koronarbypass [2] Surgery recovery score (1) – Erholung nach Herz-Lungen-Maschine [111] Erkrankungsschwere (118)
APACHE (49) – Acute Physiology And Chronic Health Evaluation, Erkrankungsschwere [3236] NYHA (11) – Klinische Schweregrade der Herzinsuffizienz [3672] Glasgow Coma Scale (10) – Schweregrad einer Bewusstseinsstörung [6614] ASA (9) – Leistungsfähigkeit [738] Charlson comorbidity score (6) – Komorbidität [83] Minnesota Living with Heart Failure Questionnaire (5) – Einschränkung durch Herzversagen [410] SSS (4) – Sepsis Severity Score [127] Injury severity score (3) – Verletzungsschwere [9118] Apgar (3) – Postnatale Adaptation an das extrauterine Leben [9916] Goris (2) – Multiorganversagen nach Trauma [70] Ascending aorta calcification (2) – Kalkgehalt der aorta asc. [17 ] APSC (1) – Acute Physiologic Score for Children, Krankheitsschwere bei Kindern [50] AAA (1) – Atherosklerose der Aorta ascendens [9*] Coronary diffuseness score (1) – Diffusheit der Koronarerkrankung [7] Hypoxemia score (1) – Hypoxämie [4] Overall functional status score (1) – allgemeine Leistungsfähigkeit [37] Physical Activity Score (1) – körperliche Leistungsfähigkeit [111]
Blutung/Blutgabe (8)
Blood transfusion (3) – Transfusionsnotwendigkeit [1422] Bleeding (subjective score) (2) – Blutungsneigung [85] Magovern risk algorithms (1) – Transfusion nach Korornarbypassoperation [31] Blood Use (1) – Fremdblutverwendung [35194] Transfusion risk score (1) – Notwendigkeit der Fremdblutgabe [2] Chirurgeneigenschaften (3)
Technical difficulty of congenital repair (1) – OP-Qualität bei angeborenen Vitien [1*] Surgeon’s skills score (1) – Technische Fertigkeit eines Herzchirurgen [1*] Physician directiveness (1) – direktives Verhalten von Herzchirurgen [1*] Echo (51)
Wall motion (38) – Myokard-Wandbewegung [100] Cardiac function (23) – Verschiedene Echo-Myokardfunktions-Scores [175*]
Genetik (1)
LOD Score (1) – Maß für die Nachbarschaftswahrscheinlichkeit zweier Genorte [7304] Herz – Funktion und Morphologie (25)
Myocardial score (5) –Schweregrad und Bedeutung von Koronarstenosen [11] Valve prosthesis calcification score (3) – Klappenprothesenverkalkung [17] Coronary artery calcification (2) – von Koronarstenosen betroffene Myokardsegmente [40] Santa Crus score (2) – Erfolgswahrscheinlichkeit einer Therapie des Vorhofflimmerns [5] Long axis score (1) – LV-Funktion [4] Stress perfusion score (1) – Stress-SPECT-Bewertung [4] OPCAB complexity (1) – Komplexität bei Off-pump-Koronarrevaskularisation [1] Wilkins’ score (1) – Ergebnis einer Mitralvalvuloplastie bei Mitralstenose [5] New PM need (1) – Schrittmacherbedürftigkeit nach Herzklappenchirurgie [8*]
2
46
2
Kapitel 2 · Risiko-Scores in der Herzchirurgie
Cardioplegia delivery (1) – Verteilung der kardioplegischen Lösung [12] ST-Elevation score (1) – Summe der präkordialen maximalen ST-Elevationen [3] Aortic regurgitation (1) – Aorteninsuffizienz [157] Myocardial scar score (1) – erhaltene Funktionsfähigkeit myokardialen Narbengewebes [74] Rhodes’ score (1) – Durchführbarkeit einer biventrikulären Korrektur [4] LV hypertrophy (1) – Grad der linksventrikulären Hypertrophie [222] Summed Difference Score (1) – belastungsinduzierte Myokardischämie [89] Atrial activation pattern complexity score (1) – Atriale Erregungsmuster [1]
Kognition (18)
Mini Mental State examination (7) – Demenz [4619] Bayley Scales of infant development (5) – Kognitive Entwicklungsverzögerung [654] Cognitive impairment (3) – kognitive Beeinträchtigung [2304] IQ (1) – Intelligenz [1051] Paced Auditory Serial Addition Test (1) – Kognitive Funktion [151] ASEM (1) – antisakkadische Augenbewegungen [4*] Leber (6)
Child-Pugh (3) – Leberfunktion [2283] MELD (2) – Dringlichkeit der Lebertransplantation [917] PELD (1) – Dringlichkeit der Lebertransplantation bei Kindern unter 12 Jahren [35]
Histologie/Klinische Chemie (30)
Histologie (21) – verschiedene histologische Scores [411] Neurological injury, histological score (2) – Score für neurologischen Schaden [2] Composite score of proinflammatory cytokines (2) – proinflammatorische Zytokine [4] Pittsburgh Canine Neurologic Scoring System (1) – Schädigung des Hundehirns [2] Endothelial damage score (1) – Endothelialschaden und -denudation [188] Tissue noradrenaline content (1) – Noradrenalingehalt menschlicher Gewebe [5] iNOS (1) – semiquantitative Konzentration der induzierbaren Stickoxydsynthetase [7] RAST (1) – radioallergosorbent test score [3] Behandlung auf der Intensivstation (33)
SOFA (14) – Sequential Organ Failure Assessment [368] MODS (6) – multiple organ dysfunction syndrome [1024] OSF (4) – Organsystemversagen [417] Inotropic score (3) – Intensität verabreichter Katecholamine [14] Edinburgh Cardiac Surgery Score (1) – Überleben nach 10 postoperativen ICU-Tagen [18] Marshall (1) – posttraumatisches Multiorganversagen [32] Acidosis prediction score (1) – regionale Myokardazidose bei Herzoperationen [37] Postoperative organ dysfunction (1) Hekmat: frühpostoperatives Organsystemversagen [7*] MAP control (1) – Grad der Kontrolle des arteriellen Mitteldrucks [7*] Shivering score (1) – Kältezittern [8] Kinder-Letalität (57)
RACHS (23) – Überleben nach kinderherzchirurgischen Eingriffen [156*] Aristotle (22) – Überleben/weitere Endpunkte nach kinderherzchirurgischen Eingriffen [70*] PRISM (10) – Überleben nach kinderherzchirurgischen Eingriffen [278*] PIM (1) – Überleben pädiatrischer Intensivbehandlung nichtherzchirurgischer Patienten [152*] Pediatric cardiac surgery mortality score (1) – Gallivan: Kinderherzchirurgie, Überleben [26*]
Lunge (15)
Lung injury (5) – Lungenschädigung [302] Atelectasis score (4) – Atelektasen [14] Murray Score (2) – ECMO-Vorteil bei Erwachsenen [36] Respiratory complications (2) – respiratorische Komplikationen [90] VATS lung nodule excision success (1) – videoassistierte Lungen-Lymphknotenexzision [1] EVLW (1) – extrasvasales Wasser in der Lunge [26] Letalität/Morbidität/ – nach Herzoperationen im Allgemeinen (366)
EuroSCORE (257) – European System for Cardiac Operative Risk Evaluation [553] Parsonnet (71) – Letalität herzchirurgischer Operationen [107] Higgins (11) – Letalität und Morbidität nach ACB, Klappen, ggf. auch ACI [162] Ontario risk score (6) – Letalität, Intensiv- und Krankenhausliegezeit nach Herzoperation [664] French (6) – Überleben und Morbidität nach Herzchirurgie in Frankreich [5] Tu (4) – Letalität, Intensiv- und Krankenhausliegezeit nach Herzoperation [5] POSSUM (3) – Physiological and Operative Severity Score for the enUmeration of Mortality and morbidity [167] Toronto Risk Score (AEs) (2) – Unerwünschte Ereignisse nach Herzoperationen [3] CARE score (2) – Letalität nach Herzchirurgie [41] ACEF score (1) - Herzchirurgie- Letalität [1] Cardiac surgery morbidity (Kumbhani) (1) – Myokardazidose und Frühletalität [8*] Tremblay (1) – Letalität nach Herzchirurgie [76] Cardiac surgery ICU score, Gomes (1) – Überleben ab Tag 1 nach Herzchirurgie [1* – nach Koronarbypass (34)
Cleveland Clinic Foundation Score (13)- Letalität und Morbidität nach ACB [106] STS (9) – Society of Thoracic Surgeons risk score, Letalitätsund andere Risiken von Bypasspatienten [38] CABG mortality (2) – Letalität, zerebrales Ereignis, Mediastinitis [116*]
47 Anhang 2: Weitere Definitionen
CABG mortality (Italy, D‘Errigo) (2) – Letalität [6*] CABG mortality (New York, Hannan) (2) – in-Hospital-Letalität [14*] KHC score (1) – Letalitätsrisiko von Bypasspatienten in Deutschland [1] CABG mortality (China) (1) – Letalität [0*] CABG ReDo mortality (1) – Letalität [6*] LARS (1) - CABG mortality in Latin America [1*] CABG long-term survival (1) – Langzeitüberleben nach Koronarbypass [7*] ACC/AHA (1) - Guidelines for Coronary Artery Bypass Graft Surgery (296*) – nach Aortenklappenersatz (1)
Valve surgery risk indices (1, Hannan) – Frühletalität [14*] (AKL score (0) – Letalität, Neuentwicklung der BQS) [1] – weitere (15)
Angina (4) – Mortalität nach Angina pectoris Schweregrad [38] IABP survival (3) – Frühletalität nach Herzchirurgie und IABP-Implantation [30] International Registry of Acute Aortic Dissection score (2) – Letalität [2] QMMI (2) – unerwünschte Ereignisse nach PTCA [5] iNO use in cardiac surgery patients (1) – Herzchirurgie und NO-Inhalation [2 Cardiovascular death (1) – PTCA - Letalität laut NHLBI Balloon Valvuloplasty Registry [55*] HFSS (1) – Überleben nach Herzversagen [33] Eagle (1) – kardiovaskuläres Risiko bei nichtkardialen Eingriffen [4] (KBA score (0) – Letalität nach Aortenklappenersatz und ACB, Neuentwicklung der BQS)
Psychologie (28)
Depression (12) – Depression [803] Anxiety (9) – Angstsymptome [402] Comfort Score (2) – Stress auf Kinderintensivstationen [65] Somnolence score (1) – Somnolenz [5] Sickness score (1) – Krankheitsgefühl [27] Knowledge score (1) – diagnoserelevantes Wissen [442] Borg fatigue scale (1) – Müdigkeit [131] PTSS score (1) – posttraumatischer Stress [3] Lebensqualität (35)
SF-36 (14) – Lebensqualität [7752] Disability (6) – Pflegebedarf [633] Karnofsky (5) – Klassifikation funktioneller Behinderung [7] Duke Activity Status Index (5) – Aktivität im Alltag [79] Rankin (1) – Behinderung nach Schlaganfall [299] Barthel-Index (1) – Index zur Bewertung von alltäglichen Fähigkeiten [2024] EuroQol (1) – globaler Lebensqualitätsindex [1073] Nottingham Health Profile (1) – Lebensqualität [844] Specific Activity Questionnaire (1) – körperliche Aktivität bei Herzinsuffizienz [15] Schmerz (43)
Pain (43) – Visuelle Analog-Skalen zur Schmerzbeurteilung [5194] Statistik (119)
Propensity (89) – rechnerische Korrektur unausgeglichener heterogener Gruppen [1207] Z score (21 – Grad der Abweichung vom Normalwert [3783] Scorevergleiche/ Scoreverwendung (6) – Vorhersagequalität im Vergleich [19*] Jadad score (3) – Qualität randomisierter kontrollierter Studien [127]
Mundpflege (1)
Dental care score (1) [718]
Verwachsungen (7)
Neurologie (35)
Adhesion score (7) – Intensität postoperativer Verwachsungen [464]
Funktion (30) – zahlreiche neurologische/ cognitive Tests Agitation (2) – Unruhe [25] Nausea (1) – Übelkeit [49] CCS, clinical change scores (Grieco) (1) – semiquantitativ: Zustandsänderung [7374] Preoperative stroke risk index (1) – neurologische Ereignisse nach Herzoperation [3] Niere (22)
Renal function (10) – Nierenfunktion unter vielen Aspekten [3174] ARF (9) – Nierenversagen [818] AKICS (3) – akuter Nierenschaden nach Herzchirurgie [59] Operationsdringlichkeit [6]
Framingham (3) – Herzinfarktrisiko [105] CABG Urgency (3) – Koronarbypass-Dringlichkeit [10]
Wundheilung/Infektion (10)
Asepsis (3) – Wundkompikationen [212] Elebute score (2) – Definition/Kriterien für postoperative Sepsis [55] NNIS SSI risk index (2) – Risiko von Wundinfektionen herzchirurgischer Patienten [66] Redness (2) – Narbenrötung [241] DISINFECT (1) – Wundbeurteilung nach Saphena-Entnahme [0*]
Anhang 2: Weitere Definitionen Mortalität http://de.wikipedia.org/wiki/Mortalität: Die rohe Mortalität ist die Anzahl der Todesfälle pro Gesamtbevölkerung pro Zeit, beispielsweise pro 1000 Personen und ein Jahr.…
2
48
2
Kapitel 2 · Risiko-Scores in der Herzchirurgie
http://de.wiktionary.org/wiki/Mortalität Mortalität: Die Zahl der in einem bestimmten Zeitraum (i.d.R. ein Kalenderjahr) Gestorbenen je 1.000 der Bevölkerung.
http://flexikon.doccheck.com Die Letalität ist das Verhältnis der Todesfälle durch eine bestimmte Erkrankung zur Zahl der Erkrankten.
http://www.de.european-lung-foundation.org/index. php?id=400#par1933 Mortalität: (Sterberate): die Sterberate in einer Bevölkerungsgruppe über eine festgesetzte Zeit
Mortality
http://www.biorama.ch/biblio/b80gloss/glossarm.htm Mortalität: Anzahl der im Erfassungsbereich innerhalb eines Jahres Verstorbenen, z.B. bezogen auf 100’000 Einwohner. http://wirtschaftslexikon.gabler.de/Definition/mortalitaet. html Mortalität: Sterblichkeit; die in einer Bevölkerung registrierten Sterbefälle in einer Periode, zumeist eines Jahres, nach Altersgruppen, Geschlecht, Familienstand. Bei Einbeziehung sozioökonomischer Merkmale der Person und Sterbeursachen spricht man von sozialer Mortalität. Pädiatrie, Karl Heinz Niessen, 2001, Thieme Verlag, Stuttgart: Mortalität (Sterblichkeit) ist definiert als die relative Anzahl von Todesfällen, bezogen auf eine bestimmte Population und einen bestimmten Zeitraum. http://www.rki.de/cln_160/nn_205760/DE/Content/GBE/Gesundheitsberichterstattung/Glossar/gbe__glossar__catalog, lv2=204686,lv3=222168.html#LkEErklärung Mortalität: bevölkerungsbezogene Betrachtung der Sterblichkeit. Sie wird durch Mortalitätsmaße (Sterblichkeitsmaße), welche die Zahl der Gestorbenen auf die Bevölkerung beziehen, beschrieben. … Verallgemeinert kann die Mortalität als Inzidenz des Sterbens angesehen werden, deshalb sind auch viele Überlegungen und Maßzahlen, die (allgemein) von der Inzidenz ausgehen, übertragbar. http://flexikon.doccheck.com Die Mortalität ist die Anzahl der Todesfälle in einem bestimmten Zeitraum bezogen auf 1.000 Individuen einer Population. Als Zeitraum wird in der Regel 1 Jahr definiert.
Letalität http://de.wikipedia.org/wiki/Mortalität: Letalität ist die Mortalität bezogen auf die Gesamtzahl der an einer Krankheit Erkrankten. http://de.wiktionary.org/wiki/Mortalität Letalität als Unterbegriff der Mortalität: [1] Demografie/ Sozialmedizin: Wahrscheinlichkeit, an einer bestimmten Krankheit(s)/Ursache zu sterben. [2] Medizin: Tödlichkeit einer bestimmten Erkrankung http://www.biorama.ch/biblio/b80gloss/glossarm.htm Letalität: Anteil der Verstorbenen innerhalb einer definierten
Gruppe von Kranken oder Eingriffen, d.h. eigentlich krankheitsspezifische Mortalität.
wordnetweb.princeton.edu/perl/webwn deathrate: the ratio of deaths in an area to the population of that area; expressed per 1000 per year www.upmc-biosecurity.org/website/focus/agents_ diseases/fact_sheets/terms_definitions.html the number of deaths in a given time or place; the proportion of deaths to population. www.cybered.net/library/teaching_resources/biology/ population_ecology/populationeco_glossary.doc the number of deaths in a population during a specific period of time. www.pekinbantams.com/definitions.asp Percentage of Death https://www.delnor.com/workfiles/libraryOfTerms.html Incidence of death in a defined population. www.vdem.state.va.us/threats/terrorism/toolkit/glossary.cfm Frequency of death in a population. www.uwo.ca/pathol/glossary.html the quality of being mortal or alive; the ‘death’ rate, ie the number of people dying in a given population. www.mass.gov/ The number of people who die of a disease/condition/illness during a particular time period.
Letalithy wordnetweb.princeton.edu/perl/webwn deadliness: the quality of being deadly en.wiktionary.org/wiki/lethality the fact of something being lethal; the ability of something to kill; the rate of death of organisms exposed to something www.mhawisconsin.org/Uploads/spcommunitybased/rglossaryofterms.doc The degree of danger that a person will probably kill himself or herself is defined as lethality.
3
3 Qualitätssicherung und Risikomanagement in der Herzchirurgie J. Ennker, T. Walker 3.1
Einleitung
3.2 3.2.1 3.2.2
Grundlagen der Qualitätssicherung – 49 Qualitätssicherung als wesentlicher Teilaspekt des Qualitätsmanagements – 50 Exkurs Qualitätsmanagement – 50
3.3
Externe Qualitätssicherung
– 52
3.4
Interne Qualitätssicherung
– 52
3.5 3.5.1
Messbarkeit der Qualitätssicherung – 53 Marker des Behandlungserfolgs: operationsbedingte Letalität und Komplikationsrate – 53 Marker des Behandlungserfolgs: Anzahl der Re-Operationen – 53 Marker des Behandlungserfolgs: Operationszeit und Operationskosten – 53
3.5.2 3.5.3
3.1
– 49
Einleitung
Die Erbringung qualitativ hochwertiger medizinischer Leistungen war und ist noch immer der selbstauferlegte Anspruch, an dem sich Ärzte und Kliniken messen lassen wollen. Nun reicht es aber nicht mehr aus, nur hohe Ansprüche zu formulieren, sondern Erbringer medizinischer Leistungen müssen diese Leistungen auch dokumentieren, um eine Vergleichbarkeit erreichen zu können. Verschärft durch zunehmende ökonomischen Zwänge und eine immer stärker werdenden Konkurrenzsituation auf der einen Seite sowie eine gestiegene Anspruchshaltung der Patienten auf der anderen Seite kommen Ärzte und Kliniken nicht ohne die Einführung und dauerhaften Etablierung von Qualitätsmanagementsystemen aus. Dabei zeigte sich in der jüngsten Vergangenheit, dass das Streben nach einem Erhalt und nach Verbesserungen der Patientenversorgung neben einem verbesserten medizinischen Renommee auch ökonomische Vorteile bietet. Dabei spielen die Dokumentation und die Bewertung der erbrachten Leistungen, nämlich die Qualitätssicherung, so-
3.6
Auswertung der Daten der internen Qualitätssicherung – 54
3.7 3.7.1 3.7.2 3.7.3
Risikomanagement – 55 Grundlagen des Risikomanagements – 55 Was versteht man unter einem Risiko? – 55 Was versteht man unter einem Risikomanagement? – 56 Wie Fehler entstehen – 56 Bestandteile eines Risikomanagements – 57 Methoden der Risikoidentifizierung – 57 Risikoanalyse und -bewertung – 60 Risikobewältigung – 61 Risikoüberwachung – 61
3.7.4 3.7.5 3.7.6 3.7.7 3.7.8 3.7.9
Literatur
– 62
wie das Erkennen und Vorbeugen von Risikosituationen, das Risikomanagement, ganz essenzielle Rollen. Bei beiden Werkzeugen spielt eine an den Bedürfnissen und Forderungen der Patienten ausgerichtete medizinische Versorgung die zentrale Rolle. Aus Sicht des klinisch tätigen Herzchirurgen erläutern wir wesentliche Eckpunkte der Qualitätsicherung in der Herzchirurgie und stellen Kernelemente eines funktionsfähigen Risikomanagements im Klinikalltag dar.
3.2
Grundlagen der Qualitätssicherung
Bereits 1988 hat der Deutsche Ärztetag die Pflicht zur Beteiligung aller Ärzte an Qualitätssicherungsmaßnahmen in die Musterberufsordnung aufgenommen. Dieser Beschluss ist inzwischen von allen Landesärztekammern in ihren eigenen Berufsordnungen umgesetzt worden. Daher gehört inzwischen die Teilnahme an Qualitätssicherungsprogrammen zu einer der originären Berufspflichten des Arztes. Die Verpflichtung eines Arztes zur Teilnahme an der
50
3
Kapitel 3 · Qualitätssicherung und Risikomanagement in der Herzchirurgie
Qualitätssicherung ist auch über §§ 135–137 des Sozialgesetzbuches V (SGB V) durch den Gesetzgeber definiert. Darin heißt es: »Zugelassene Krankenhäuser, stationäre Versorgungseinrichtungen und stationäre Rehabilitationseinrichtungen sind verpflichtet, einrichtungsintern ein Qualitätsmanagement einzuführen und weiter zu entwickeln«. Im Fachbereich der Chirurgie sind Qualitätssicherungsmaßnahmen seit den 1970er Jahren eine konstante Größe; es wurde verbindlich eine systematische Qualitätssicherung eingeführt, und sie ist inzwischen zum beherrschenden Konzept in diesem Fachgebiet geworden. Dabei bestehen die angewandten Qualitätssicherungsmaßnahmen nicht nur aus einer internen und externen Qualitätssicherung mit Letalitäts- und Morbiditätskonferenzen, sondern sie gehen über dieses Konzept weit hinaus.
3.2.1
Qualitätssicherung als wesentlicher Teilaspekt des Qualitätsmanagements
Unter Qualitätssicherung im eigentlichen Sinn versteht man einen wesentlichen Teilaspekt des inzwischen in vielen Kliniken eingeführten Qualitätsmanagementsystems. Qualitätssicherungsmaßnahmen in Kliniken, medizinischen Versorgungseinrichtungen und Praxen sind darauf ausgerichtet, das Vertrauen sämtlicher Interessengruppen (»stakeholder«) durch die Erfüllung von exakt formulierten Anforderungen zu steigern. ! Ziel der medizinischen Qualitätssicherung ist eine Verbesserung der Behandlungsqualität und dadurch der Patientenzufriedenheit – eines der stärksten Argumente in Qualitätsmanagementsystemen.
Ärztliche Qualitätssicheung und das Patienteninteresse sind daher eng miteinander verknüpft. Gemeinsame Zielrichtung der verschiedenen Qualitätsmangementsysteme ist es, die Qualität der medizinischen Versorgung transparent zu machen und damit langfristig sicherzustellen und zu verbessern. Der Wunsch nach einer kontinuierlichen Verbesserung der medizinischen Leistung ist im ärztlichen Beruf seit langem vorhanden. Er geht über die bis dato etablierten Maßnahmen der ärztlichen Selbstkontrolle (medizinische Fallbesprechungen, Konferenzen, Hygienekommissionen, Arzneimittelkommissionen, klinische Studien, Seminare und Obduktionen) hinaus.
(QM) versteht die ISO »… ein Verfahren innerhalb einer Organisation, das sich um eine kontinuierliche Verbesserung eines Prozesses oder einer Dienstleistung bemüht …«. Ein in der Praxis etabliertes Qualitätsmanagement geht dabei jedoch über diese Maßnahmen hinaus. Für die Anwendung in einem Krankenhaus gibt es mehrere Qualitätsmanagementmodelle. Trotz unterschiedlich gewichteter Zielparameter (Patienten- und Zuweiserzufriedenheit, Prozessoptimierung, Verantwortlichkeit der Leitung) haben alle in Deutschland gängigen Konzepte eine zentrale Säule, nämlich den sogenannten PDCA-Zyklus. Dieser Kreisprozess wurde von William Edwards Deming und Walter Andrew Shewhart in den 1980er Jahren formuliert und beschrieben (Deming 1982, 1986). Hierbei steht PDCA für die englischen Begriffe »plan«, »do«, »check« und »act« und beschreibt die Planung eines Prozesses oder die Verbesserung eines bestehenden Prozesses (»plan«), dessen Umsetzung (»do«), die Überprüfung der erzielten Resultate (»check«) und die sich daraus ergebende Korrektur des Prozesses (»act«), die dann wiederum in eine erneute Planung (»plan«) münden kann. Dieser Kreislauf ist auch als Deming-Kreislauf oder Deming-Zyklus in die Literatur eingegangen. 3.2.2.1
Qualitätsmanagementmodelle im Krankenhaus
Für die Anwendung in Krankenhäusern sind mehrere Qualitätsmanagementmodelle entwickelt worden, die jeweils unterschiedliche Schwerpunkte setzen. Dies hat zum Teil historische Ursachen, weil die Modelle ursprünglich nicht für den medizinischen Bereich entwickelt wurden, oder pragmatische Gründe, weil sie ein besonderes Augenmerk auf bestimmte Spezialisierungen und Fachrichtungen innerhalb der Medizin legen. Die in Deutschland einflussreichsten und auch am häufigsten angewendeten Modelle des Qualitätsmanagements sind: 4 DIN EN ISO 9001:2000 (DIN: Deutsches Institut für Normierung; EN: Europäische Norm; ISO: Internationale Organisation für Normierung), 4 Kooperation für Transparenz und Qualität im Krankenhaus (KTQ) mit proCum Cert, 4 European Foundation for Quality Management (EFQM), 4 Joint Commission on Accreditation of Healthcare Organizations (JCAHO). Alle 4 Modelle sollen im Folgenden kurz erläutert werden.
3.2.2
Exkurs Qualitätsmanagement
Nach der Definition der Internationalen Organisation für Normung (ISO) aus dem Jahre 2000 ist Qualität »… der Grad, in dem ein Satz inhärenter Merkmale Anforderungen erfüllt …«. Unter dem Begriff »Qualitätsmanagement«
3.2.2.2
DIN EN ISO 9001:2000
Die DIN EN ISO 9001:2000 ist eine Qualitätsmanagementnorm und legt fest, welchen Anforderungen das Gesamtmanagement eines Unternehmens genügen muss, um einem bestimmten Standard bei der Umsetzung des Qualitätsmanagements zu entsprechen und bescheinigt zu be-
51 3.2 · Grundlagen der Qualitätssicherung
kommen. Generell handelt es sich bei DIN-Normen um einen universellen Standard, der auch außerhalb des medizinischen Bereichs vielen Menschen geläufig ist und deren Stellenwert eine allgemeine Bekanntheit erreicht hat. Das Qualitätsmanagementsystem nach DIN EN ISO 9001:2000 zeigt zudem den Vorteil, dass es auf komplexe Krankenhäuser und Universitätskliniken angewandt werden kann, aber auch in deren Teilbereichen, die dann entsprechend zertifiziert werden können. Kernpunkt der DIN-ISO-Norm ist die schriftliche Niederlegung der wesentlichen Handlungsabläufe einer Einrichtung (Krankenhaus, Laborbereich, Medizinisches Versorgungszentrum) in einem QM-Handbuch. Anhand dieses elektronischen oder gedruckten Dokuments werden die Prozesse im Klinikalltag nachvollziehbar und auch für Außenstehende überprüfbar gemacht (Stichwort: Transparenz). Darüber hinaus enthält das QMHandbuch aber auch Anleitungen und Vorschriften zur dauerhaften Orientierung des gesamten Arbeistprozesses. Das QM-Handbuch nach DIN ISO ist in 5 Kapitel gegliedert, die unterschiedliche Bereiche systematisch abfragen (Anforderungen an das Qualitätsmanagementsystem, Definition der Leitungsverantwortung, Management von Ressourcen, Produktrealisierung, Art der möglichst kontinuierlichen Prozessverbesserung). 3.2.2.3
Kooperation für Transparenz und Qualität im Krankenhaus (KTQ) und proCum Cert
Das KTQ-Modell ist ein von den Spitzenverbänden der Krankenkassen, der deutschen Krankenhausgesellschaft, den Ärztekammern und dem deutschen Pflegerat entwickeltes Qualitätsmanagementsystem; es wurde explizit für die Anwendung in Krankenhäusern entwickelt. ProCum Cert ist eng an KTQ angelehnt, wurde aber für konfessionelle Trägerverbäde adaptiert. Grundlage von KTQ ist eine strukturierte Selbstbewertung des Krankenhauses nach definierten vorgegebenen Kriterien. Der Bericht gliedert sich in 6 Kategorien, die anhand des PDCA-Zyklus von den Antragstellern zunächst selbst bewertet werden. Folgend kommt es dann zu einer Fremdbewertung (Visitation) durch externe KTQVisitoren. Dabei werden Punkte vergeben, die ein bestimmtes Level erreichen müssen, um eine Zertifizierung der Einrichtung zu erreichen. Dabei können schlechter bewertete Teilbereiche durch stärker bewertete Teilkriterien ausgeglichen werden. Allerdings müssen in allen Bereichen mindestens 55 % der möglichen Punkte erreicht werden. Im Fall des proCum Cert ist dieses Modell um ein christliches Leitbild und ein christliches Selbstverständnis innerhalb der KTQ-Anforderungen erweitert worden: 4 pro: für den Patienten, für gute und nachweisliche Qualität in kirchlichen Krankenhäusern; 4 Cum: mit den Patienten, ihren Anliegen und Wünschen, mit anderen konfessionellen Krankenhäusern;
4 Cert: Strukturen, Normen und Abläufe, die vorhanden sein müssen, werden von einem »Expertenfachbeirat« festgelegt und von ausgebildeten Visitoren überprüft. 3.2.2.4
European Foundation for Quality Management (EFQM)
Dem Qualitätsmanagementkonzept der Europäischen Union (European Foundation for Quality Management, EFQM) liegt ein Konzept zugrunde, das initial nicht auf Einrichtungen in der Gesundheitsversorgung ausgerichtet war. Es bestand ursprünglich eher als ein Konzept für industrielle Arbeitsbereiche und Dienstleister. Für eine Anwendung in Krankenhäusern sind 9 Kriterien definiert worden. Grundidee des Konzepts ist die Forderung, dass die Besten einer Sparte den Maßstab vorgeben, an dem gemessen und der durch die Wettbewerber ebenfalls erreicht werden soll. Im Einzelnen besteht das EFQM aus 5 Befähigungskriterien, die die Leistungserbringung einer Organisation abbilden. In 4 Ergebniskriterien werden die von der Organisation erzielten Ergebnisse aufgezeigt. Auch in diesem Modell bewertet sich der Antragsteller zunächst selbst (»self assessment«). Diese Bewertung wird dann im Fall einer Preiszuteilung von der EFQM im Rahmen eines Besuchs überprüft (Fremd-Assessment). Die Organisationen mit den höchsten Punktzahlen können von der European Organisation for Quality (EOQ) den European Quality Award (EQA) erhalten. Da die Kriterien dieser Auszeichnung sehr umfassend sind, eignet sich dieses Modell des Qualitätsmanagements vornehmlich für große Kliniken und nicht unbedingt für Teilbereiche oder einzelne Abteilungen einer Klinik. Ebenso ist dieses Modell eher für Unternehmen zu empfehlen, die bereits Erfahrungen mit Qualitätsmanagementsystemen haben und die bereits Zertifizierungsverfahren erlebt haben. 3.2.2.5
Joint Commission on Accreditation of Healthcare Organisations (JCAHO)
Dieses ursprünglich in den USA entwickelte Bewertungsverfahren für Krankenhäuser hatte historisch einen großen Einfluss auf die Entwicklung der deutschen und europäischen Qualitätsmanagementsysteme. Im JCAHO-Handbuch werden inzwischen 562 unterschiedliche Standards für medizinische Leistungskontrollen definiert. In Abhängigkeit von der Erfüllung dieser Standards werden dann von der JCAHO Zertifikate vergeben. Diese Zertifikate werden allerdings gestaffelt und entsprechen Akkreditierungsstufen, die jeweils höhere Anforderungen an das Krankenhaus stellen. Da die Rahmenbedingungen, unter denen Krankenhäuser arbeiten, weltweit sehr unterschiedlich sein können, wurden im Jahre 2000 die ersten weltweit gültigen Qualitätsstandards für Krankenhäuser veröffentlicht. Diese Standards berücksichtigen erstmals die unterschiedlichen ökonomischen, politischen und kulturellen Eigenheiten der Länder.
3
52
Kapitel 3 · Qualitätssicherung und Risikomanagement in der Herzchirurgie
3.3
3
Externe Qualitätssicherung
Die oben genannten Maßnahmen haben alle einen qualitätssichernden Charakter, sie garantieren allerdings noch keine optimale Behandlungsqualität. Die Unterschiedlichkeit in der medizinschen Behandlungsqualität ergibt sich im Wesentlichen aus dem jeweiligen Können der beteiligten Ärzte und des Pflegepersonals sowie aus der Erfahrung und der Motivation des für den Patienten eingeteilten Teams und nicht zuletzt aus der Compliance des Patienten. Daher lassen sich Behandlungsergebnisse, die unter Studienbedingungen erreicht werden, auch nicht immer reproduzieren und weichen daher von Klinik zu Klinik ab (Moreland 1999). Mit Hilfe der externen Qualitätssicherung soll versucht werden, die Behandlungsqualität der teilnehmenden Einrichtungen zu erfassen und damit vergleichbar zu machen. Ziel solcher Maßnahmen kann die schlichte Dokumentation eines angewandten Standards sein. Sie können aber auch im Zuge der Transparenzbemühugen verwendet werden, da die Möglichkeit der Vergleichbarkeit für Einweiser, Krankenkassen, Patienten und Angehörige (Kunden des Krankenhauses) besteht. ! Zusätzlich lässt sich mit Hilfe der externen Qualitätssicherung ein Wettbewerb zwischen den teilnehmenden Unternehmen entwickeln und dadurch letztendlich auch eine Steigerung der Behandlungsqualität iniitieren.
Allerdings sind mit der Einführung von externen Qualitätssicherungsmaßnahmen ein Reihe von Problemen verbunden. Beispielsweise ist der Gesundheitszustand der jeweiligen Patientenkollektive für die zu vergleichenden Kliniken zum Teil erheblich unterschiedlich. Ein Teil dieser Unter-
schiede lässt sich zwar durch eine Risikoadjustierung und/ oder Risikomodellierung angleichen. Es bleibt jedoch bei diesen Modellen oftmals eine nur schwer zu berücksichtigende und auch nicht zu erkennende Unterschiedlichkeit bestehen und damit ein Ungleichgewicht zwischen den teilnehmenden Institutionen. Des Weiteren ist die Dokumentation einer Vielzahl von Parametern über einen längeren Zeitraum nicht immer problemlos möglich, sodass hier wichtige Daten verloren gehen können. Es gibt bislang keine Kontrolle über die Richtigkeit der dokumentierten Daten von Ärzten, Praxen oder Kliniken. Die genutzten Qualitätsindikatoren spiegeln daher nicht zwingend die reale Situation wider. Alle diese Faktoren können bei der Etablierung und Auswertung von Qualitätssicherungssystemen zum Tragen kommen und schmälern daher deren Aussagekraft. Jedoch spiegeln sich in einer Kosten-Nutzen-Anlayse deutlich die Vorteile eines etablierten Qualitätsmanagementsysems wider. Dem hat auch der Gesetzgeber mit der Ergänzung des Fallpauschalengesetzes (§ 137 SGB V) durch Verpflichtung der Kliniken zur Veröffentlichung eines strukturierten Qualitätsberichts sowie zur Einführung der Bundesgeschäftsstelle für Qualitätssicherung in der Medizin Rechnung getragen.
3.4
Interne Qualitätssicherung
Da die Anforderungen und Aufgabenstellungen an die Bereiche der stationären und ambulanten Versorgung in einer Klinik sehr vielgestaltig sind und sich dadurch zwischen den Einrichtungen stark unterscheiden, eignen sich nicht alle Versorgungsbereiche für die Teilnahme an externen Qualitätssicherungsmaßnahmen. Erhebliche Bereiche der
. Tab. 3.1. Kernpunkte der Qualitätssicherung. Nach Ennker und Zerkowski (2006) Externe Qualitätskontrolle
Interne Qualitätskontrolle
Beschränkung der dokumentierten Daten auf wenige Indikatoren, die gemeinsam in allen teilnehmenden Kliniken zur Verfügung stehen und protokolliert werden. Parameter sind vorgegeben.
Es kann ein weiter Bereich der für die Bewertung des Krankheitsund Behandlungsverlaufs wesentlichen Parameter genutzt werden. Es erfolgt eine individuelle Auswahl der Parameter durch die Klinikleitung.
Die Auswertungen der Daten erfolgen mit einer deutlichen Zeitverzögerung zu den Beobachtungsereignissen.
Die Behandlungsergebnisse können kontinuierlich erfasst und zeitnah korrigiert werden.
Die Erfassung der Qualitätsindikatoren erfolgt zum Teil unvollständig und unterliegt einer zeitlichen Beschränkung (meist nur 30-Tages-Letalität).
Die für die Bewertung spezieller Behandlungseffekte adäquaten Daten können spezifisch ausgewertet und dargestellt werden.
Modelle zur Risikoadjustierung sind auf einfache Indikatoren beschränkt (Euroscore).
Statistische Modelle können auf definierte Fragestellungen abgestimmt werden und berücksichtigen die multifaktorielle Entstehung von Behandlungseffekten und deren Zeitabläufen.
Die Evaluation des Endpunkts des Behandlungsverlaufs erfolgt ohne Einsicht in die Ursachen-Wirkungs-Beziehungen.
Spezielle Analysen bestimmter Zeitmuster in den erhobenen Daten können Aufschluss über die Folgen von Therapie- und/ oder Personalwechseln geben.
53 3.5 · Messbarkeit der Qualitätssicherung
Patientenversorgung würden dadurch ausgespart bleiben. Daher ist für eine strukturierte Patientenversorgung auch eine einrichtungsinterne Qualitätssicherung zwingend notwendig. Externe Qualitätssicherungsmaßnahmen unterstützen dabei die internen Qualitätssicherungsmaßnahmen, wie sie beispielsweise in vielen Häusern bereits im Rahmen hausinterne Qualitätszirkel umgesetzt werden. Die interne Qualitätssicherung ist damit ein Instrument der klinikinternen Kontrolle. Es gibt den handelnden Personen die Möglichkeit, medizinisch valide Aussagen über Behandlungserfolge in ihrer Einrichtung zu treffen und auftretende Fehler zeitnah zu korrigieren. Dies gelingt aber nur, wenn die getroffenen Maßnahmen durch eine kontinuierliche Beobachtung, Reflexion und statistische Analyse der erhaltenen Daten begleitet werden (Albert et al. 2004). Dazu sollten die Risiken der Behandlung dem eigentlichen Behandlungserfolg, der oftmals erst nach Jahren zu messen ist, gegenübergestellt werden. In der Herzchirurgie ist beispielsweise das Risiko einer Herzklappen- oder koronaren Bypassoperation in einem bestimmten Krankenhaus über Risiko-Score-Systeme (z.B. Euroscore, Parsonnett-Score) kurzfristig zu bemessen. Die Haltbarkeit eines Bypasses oder einer implantierten Klappe manifestiert sich aber meist erst nach mehreren Jahren oder Jahrzehnten. Dies ist bei der Interpretation des Datenmaterials zu beachten. Eine Übersicht über die wesentlichen Kernpunkte der internen und externen Qualitätssicherung ist in . Tab. 3.1 wiedergegeben.
3.5
Messbarkeit der Qualitätssicherung
Um den Therapieerfolg einer statischen Analyse unterwerfen zu können, sind im Wesentlichen 3 Marker des Behandlungserfolgs definiert worden: 4 operationsbedingte Letalität und Komplikationsrate, 4 Anzahl der Re-Operationen, 4 Operationszeit und Operationskosten.
1999). Dabei muss berücksichtigt werden, dass v. a. ältere Patienten aufgrund der altersbedingt schlechteren Rekonstitutionseigenschaften einer längeren Erholungsphase bedürfen und damit oft noch innerhalb des vorgegebenen Zeitraums unter operationsbedingten Folgeerscheinungen zu leiden haben. Um von einem Operationserfolg im umfassenden Sinn sprechen zu können, muss das eigentliche Ziel der Operation erreicht sein, d. h. es muss eine Besserung der Beschwerden im Vergleich zum Zeitpunkt vor der Operation eingetreten sein (Statusverbesserug des Patienten). Für den Bereich der Herzchirurgie kann das eine Steigerung des Belastungsniveaus und damit eine Steigerung der Lebensqualität sein oder aber eine Verlängerung der möglichen Lebenszeit.
3.5.2 Marker des Behandlungserfolgs:
Anzahl der Re-Operationen Re-Operationen können auch als Folge der angewandten Operationstechnik angesehen werden. Dabei bedeutet eine Re-Operation für den Patienten in der Regel ein erhöhtes perioperatives Morbiditäs- und Letalitätsrisiko. Daher ist es das Ziel moderner Operationstechniken, eine Re-Operation zu vermeiden. Innerhalb der koronaren Bypasschirurgie werden daher zunehmend mehr arterielle Konduits als Bypassmaterialien verwandt, da diese eine längere Offenheitsrate versprechen. In der Herzklappenchirurgie werden modernste Herzklappen eingesetzt, die aufgrund neuartiger Materialien und Oberflächenbehandlungen eine längere Haltbarkeit und dadurch eine geringere Re-Operationsrate zur Folge haben sollen. Allerdings können auch die vom Arzt während der Operation getroffenen Entscheidungen sowie die technische Präzision der Operation die langfristigen postoperativen Ergebnisse entscheidend beeinflussen. Diese Problematik taucht insbesondere im Bereich der Mitralklappenrekonstruktion gehäuft auf und macht Nachbeobachtungszeiträume von mehreren Jahren notwendig (Flameng et al. 2003).
3.5.1 Marker des Behandlungserfolgs:
operationsbedingte Letalität und Komplikationsrate
3.5.3 Marker des Behandlungserfolgs:
Operationszeit und Operationskosten Diese Marker beinhalten Qualitätsindikatoren wie das perioperative Auftreten eines Schlaganfalls, Nachblutungen, perioperatives Nierenversagen, Infekte und Langzeitbeatmungen; sie sind als Qualitätsindikatoren der Bundesgeschäftsstelle für Qualitätssicherung (BQS) unter www. bqs-online.de abrufbar. Um diese Operationskomplikationen valide erfassen und auswerten zu können, sind bei koronaren Bypass- und Klappenoperationen in der Regel Nachbeobachtungszeiträume von 6–12 Monaten notwendig (Osswald et al.
Die Dauer einer Operation kann als Marker für die Operations- und somit für die Eingriffsqualität angesehen werden, weil sie die Routine und die Expertise des Chirurgen und seines Operationsteams widerspiegeln kann. Allerdings ist die Schnelligkeit allein nicht unbedingt ein Qualitätsindikator, weil Schnelligkeit auch unsauberes und unpräzises Arbeiten bedeuten kann (Rosser et al. 1997). Daher müssen bei diesem Marker die Komplexität der Operation und weitere Ergebnisvariablen miterfasst werden. Ähn-
3
54
Kapitel 3 · Qualitätssicherung und Risikomanagement in der Herzchirurgie
liches gilt auch für die Erfassung der Operationskosten als Qualitätsindikator. Auch hier kann der routinierte und erfahrene Operateur mit seinem Team kostengünstiger arbeiten als ein unerfahrener Chirurg. Indirekt lässt sich aber auch damit unter gewissen Vorbehalten die Qualität eines operaiven Eingriffs einschätzen.
3 3.6
Auswertung der Daten der internen Qualitätssicherung
Um die gewonnenen Daten der internen Qualitätssicherung valide auswerten zu können, müssen die unterschiedlichen Risikoprofile der Patienten, die in starkem Maße den Behandlungserfolg beeinflussen, einer statistischen Auswertung zugeführt werden. Dabei ist es Aufgabe dieser Auswertung, die Variabilität innerhalb der operationsbezogenen Letalitäts- und Komplikationsrate, des Operationserfolgs und der Re-Operationsrate auf die Operationstechnik, die Operationsmaterialien und die perioperative Therapie zurückzuführen. Dazu müssen die
individuellen Risikoprofile der Patienten mit eingerechnet werden. Aufgrund der Vielzahl der erhobenen Daten und der Komplexität der Auswertung ist diese Aufgabe der internen Qualitätssicherung nur mit Hilfe umfangreicher EDV-gestützter Systeme möglich. Kernpunkte einer solchen Art der Datenerfassung sind in . Tab. 3.2 zusammengefasst. Im aktuellen Spannungsfeld knapper werdender finanzieller Ressourcen stellt eine EDV-gestützte Datenerfassung und -auswertung als Werkzeug der internen Qualitätssicherung eine große Herausforderung dar. Daher ist es absolut notwendig, bei der Etablierung und auch bei der dauerhaften Erhaltung eines solchen Systems die multiple Verwendungsfähigkeit mit einem hohen Qualitätsstandard zu verknüpfen. Darüber hinaus sollte man sich auch nicht scheuen, die gewonnenen Daten im Zuge der Transparenz und Vergleichbarkeit im Gesundheitssektor nach außen zu kommunizieren. Neben der schriftlichen Information für Zuweiser, Krankenkassenverbände und Patienten ist die Darstellung innerhalb eines Internetauftritts hier sicherlich zu empfehlen.
. Tab. 3.2. Eckpunkte einer EDV-gestützten internen Qualitätssicherung Eckpunkte
Erläuterung
IT-Dokumentation und Datenerhebung
Für die Durchführung einer statistisch validen Datenanalyse ist es notwendig, mehrere Datenquellen innerhalb eines Hauses zusammenzufassen. In der Praxis stellt dies oftmals eine nicht unerhebliche Schwierigkeit dar: 4 Die Datenquellen sind in autonomen Abteilungen oftmals unverbunden. 4 Die Datenaufnahme erfolgt oftmals redundant. 4 Die Konsistenz der Datenaufnahme ist nur in Teilen gegeben. 4 Aufgrund von externen Verträgen ist eine Zusammenführung der Datenquellen nicht immer möglich. 4 Die einzelnen Abteilungen als »Besitzer« der Datenquellen beharren auf ihrer Autonomie. 4 Das Einhalten von Datenschutzbestimmungen kann in Einzelfällen problematisch werden. 4 Die Integration von Altdaten ist technisch äußerst anspruchsvoll.
Datenerfassung von Patientendaten nach Verlegung
Für eine weitgehende Analyse muss auf Daten der postoperativen Verlaufsbeobachtung zugegriffen werden. Dazu ist es notwendig, ein mehrstufig aufgebautes System zu entwickeln und zu implementieren. Dies soll eine kontinuierliche Dokumentation der wesentlichen anamnestischen perioperativen Daten ermöglichen. Empfehlenswert ist es daher, neben dem aktuellen Tagesgeschäft eine »Follow-up«Erhebung 6 Monate und ein Jahr postoperativ durchzuführen. Dies schließt die weiterbehandelnden Ärzte und Kliniken (Kliniken für Anschlussheilbehandlungen, Rehabilitationskliniken etc.) sowie die Patienten selbst in die Datenerhebung mit ein.
Risikoadjustierung
Um die Ergebnisse neuer Therapien sowie der einzelnen Operateure und Abteilungen zu bewerten, ist es notwendig, die Risikoprofile des Patientenguts angemessen zu vergleichen. Dies ist mit Hilfe etablierter Risikomodelle wie Euroscore oder Parsonnet-Score möglich. In der Abbildung klinikspezifischer Risikoprofile sind sie aber manchmal für eine adäquate Darstellung nicht ausreichend und können durch zusätzliche, zum Teil spezifische Modelle ergänzt werden. Zusätzlich ist zu berücksichtigen, dass die erfassten Daten nur retrospektiv erhoben werden können, sodass hier eine potenzielle Fehlerquelle liegen kann. Mit Hilfe moderner statistischer Verfahren wie sie »balancing scores« darstellen lässt sich eine Adjustierung der Patientenmerkmale erreichen und dadurch eine Vergleichbarkeit zwischen unterschiedlichen Einrichungen herbeiführen.
Plausibilität der Auswertung
Da die Ergebnisse chirurgischer Eingriffe in der Regel multifaktoriell beeinflusst werden, ist im Idealfall die Aufklärung einer Ursachen-Wirkungs-Beziehung wünschenswert. Statistische Verfahren allein können aber methodenbedingt lediglich Korrelationen aufzeigen und keine Beweise im eigentlichen Sinn erbringen. Daher müssen auch die ausgewerteten Egebnisse einer Plausibilitätsprüfung unterzogenen werden.
55 3.7 · Risikomanagement
3.7
Risikomanagement
3.7.1 Grundlagen des Risikomanagements
Am 01.05.1998 trat in Deutschland das Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich (KonTraG) in Kraft. Demnach hat z. B der Vorstand einer Aktiengesellschaft »… geeignete Maßnahmen zu treffen, damit den Fortbestand der Gesellschaft gefährdende Entwicklungen frühzeitig erkannt werden«. Diese gesetzliche Vorgabe bezieht sich auch auf Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbH) und deren leitendes Personal. Es findet demnach auch bei einer Vielzahl von Krankenhausgesellschaften in privater Trägerschaft Anwendung. Juristisch wird aus diesem Gesetz die vertragliche Nebenpflicht der Krankenhausleitung abgeleitet, die organisatorischen Grundlagen für einen reibungslosen Behandlungsablauf zu schaffen und dauerhaft zu garantieren. Konkret bedeutet dies für den Krankenhausträger und die Klinikleitung, dass eine den rechtlichen wie fachlich-medizinischen Vorgaben entsprechende Abteilung eingerichtet werden muss. Dies beginnt bei der Entscheidung für eine bestimmte Rechtsform für das Unternehmen bis hin zur Zuweisung der Abteilungszuständigkeiten. Darüber hinaus hat die Klinikleitung auch die Verpflichtung, die geschaffenen Organisationsstrukturen im Behandlungsalltag wirksam werden zu lassen und ggf. lenkend einzugreifen. Der Organisationsträger ist auch für die finanzielle, räumliche, personelle und apparative Ausstattung des Krankenhauses verantwortlich und rechenschaftspflichtig. Der BGH hat bereits 1952 hierzu ein »Postulat der Rechtsprechung« formuliert: »Für Organisationsfehler wird gehaftet, ungeachtet finanzieller, struktureller, personeller oder sachlicher Engpässe, denn Schutz und Sicherheit des Patienten haben absoluten Vorrang vor allen anderen Belangen.« ! Aus diesen Ausführungen ergibt sich die rechtliche Verpflichtung einer mediznischen Versorgungseinrichtung zu einer definierten unternehmerischen Strategie, um Schäden und Risiken jeglicher Art für das Unternehmen zu verhindern bzw. entstehende Schäden zu minimieren.
Auf der anderen Seite hat die Entwicklung im Gesundheitswesen zu vielfältigen Fortschritten der Therapiemöglichkeiten geführt. Dadurch konnte eine deutliche Verbesserung der Behandlungsergebnisse erreicht werden. Gleichzeitig hat sich auch die verfügbare Medizintechnik weiterentwickelt, sodass Behandlungsergebnisse, die noch vor einigen Jahren undenkbar waren, heutzutage als Selbstverständlichkeit angesehen werden. Durch die Publikation der Daten steigt demnach auch die Anspruchsmentalität der Patienten. Auf der anderen Seite führt die gesteigerte Frequenz von Hochrisikoeingriffen auch zu einer zunehmenden Zahl von Zivilprozessen mit steigenden Schadenersatz- und Schmerzensgeldforderungen gegenüber Ärzten, Praxen
und Kliniken. Gerade die moderne Medizin birgt ein großes Potenzial an Komplikationen, Fehlern und damit auch Schadensquellen. Akzentuiert wird dieses Problem durch die Forderung des Gesetzgebers, die Behandlungskosten zu senken. Letzendlich führt dies zu einer verkürzten stationären Verweildauer der Patienten im Krankenhaus und dadurch zu einem erheblich stärkeren Zeitdruck für die in der Behandlung involvierten Personengruppen. Alle diese Merkmale führen in der Summe zu einer erhöhten Patientengefährdung. Deutlich wurde dieser Zusammenhang, als das amerikanische Institut für Medizin seinen Bericht »To Err Is Human« im Jahre 2000 veröffentliche (Institute of Medicine 2000). Nach der Definition dieses Instituts bedeutet der Begriff »Patientensicherheit« die Abwesenheit von unerwünschten Ereignissen während der Behandlung. Allerdings erleiden ungefähr 10 % aller Krankenhauspatienten unerwünschte Ereignisse, von denen ungefähr die Hälfte auf unmittelbare Fehler im Krankenhausbetrieb zurückzuführen sind und die damit also vermeidbar gewesen wären (Institute of Medicine 2000, 2001). Damit muss man allein in den USA mit bis zu 100.000 Todesfällen pro Jahr rechnen, die prinzipiell vermeidbar gewesen wären. Für Deutschland liegen keine exakten Zahlen vor, aber es ist davon auszugehen, dass sie sich in ähnlichen Dimensionen bewegen. Die Thematik »Patientenrisiko, Patientensicherheit und Verbesserung der Risikostruktur« ist also bereits auf Basis dieser Untersuchung von enormer Wichtigkeit für Patienten, Klinikmitarbeiter und Versicherungen. Dementsprechend gibt es auch in Deutschland ein immer breiteres Bestreben sowohl vonseiten der Versicherungen als auch von Patienten- und Ärztevertretern, wesentliche Aspekte des Krankenhausbetriebs einem funktionierenden Risikomanagement zu unterstellen.
3.7.2 Was versteht man unter einem Risiko?
Der Begriff »Risiko« lässt sich als die Wahrscheinlichkeit des Eintretens eines Schadens im negativen Fall oder eines Gewinns im positiven Fall charakterisieren. Was als Schaden oder Nutzen aufgefasst wird, hängt dabei von den Wert- und Zielvorstellungen der jeweiligen Organisation ab. Für den Bereich des Risikomanagements beschränkt sich diese Betrachtungsweise allerdings ausschließlich auf die negative Sichtweise, also den potenziellen Schaden am Patienten oder den finanziellen Verlust für die Organisation.
Risikodefinition Risiko: Wahrscheinlichkeit eines Zwischenfalls multipliziert mit den möglichen Folgen (Komplikation oder Tod eines Patienten, finanzieller Verlust)
3
56
Kapitel 3 · Qualitätssicherung und Risikomanagement in der Herzchirurgie
. Abb. 3.1. Risikomodell nach Reason
3
Oft gibt es mehrere Risiken gleichzeitig, die den Behandlungserfolg eines Patienten gefährden können. Ein Problem bei der Risikobewertung ist, dass es sich nicht nur um ein mögliches Risikoreignis handelt, sondern oftmals um mehrere Einzelereignisse, die in enger Verknüpfung zueinander stehen. Häufig besteht hier die Tendenz, die Gesamtheit der Risiken zu vernachlässigen und nur das jeweils nächstliegende Einzelereignis zu betrachten. Dies kann im Weiteren zur Folge haben, dass es zu einer systematischen Unterschätzung des Risikopotenzials einer gegebenen Situation kommen kann.
3.7.3 Was versteht man unter einem Risiko-
management? Unter dem Begriff »Risikomanagement« versteht man den professionellen und systematischen Umgang mit Risiken, deren Erkennung und die Vorbeugung von Schadensfällen. Primärer Zielparameter des Risikomanagements ist die Schadensprävention durch Urachenerkennung. Risikomanagement ist eine Methodik, um in systematischer Form aufgetretene Fehler, deren Ursachen und möglich Folgen aus diesen Fehlern zu erkennen, zu analysieren und auf die Zukunft gerichtet zu vermeiden. ! Ein adäquates Risikomanagement setzt daher ein, bevor Fehler mit schwerwiegenden Konsequenzen auftreten können.
Ein adäquates Risikomanagement sorgt dafür, dass eine Organisation, ein Prozess oder eine Dienstleistung in ihrer Gesamtheit sicherer wird. Dabei ist offensichtlich, dass auch ein optimal funktionierendes Risikomanagement nicht eine völlige Fehlerprävention bedeuten kann. Durch ein Risikomanagement werden die Fähigkeiten einer Organisation verbessert, mit Fehlern und den daraus folgenden Risiken und Schäden umzugehen. Ein solides Risikomanagement wird damit immer mehr zu einem wichtigen Garant für den umfassenden Erfolg eines Unternehmens. Primärer Zielparameter des Risikomanagements ist die Schadensprävention durch die Urachenerkennung.
3.7.4 Wie Fehler entstehen
Wenn man davon ausgeht, dass Menschen grundsätzlich fehlbar sind, dann kann die Erbringung einer dauerhaften Dienstleistung zwangsläufig nicht dauerhaft fehlerfrei vonstatten gehen. Somit sind Fehler auch in denjenigen Institutionen zu erwarten, die einen weit überdurchschnittlichen Anspruch an die Fehlervermeidung stellen, wie es z. B in einer Klinik der Fall sein sollte. Fehler werden daher nicht als Ursache, sondern als Folge von im System befindlichen »Schwachstellen« betrachtet. Dieser Gedanken ist von J. Reason in den 1990er Jahren entwickelt worden und lässt sich bildhaft anhand eines »Schweizer-Käse-Modells« (»swiss cheese model«) verdeutlichen (Reason 1997, 2000; . Abb. 3.1). In jeder Organisation muss es auf unterschiedlichen Ebenen Abwehrmechanismen und Schutzbarrieren geben, die die Entstehung von Fehlern verhindern. Diese Barrieren können beispielsweise Alarmsignale bei Gerätefehlfunktionen, die exakte Regelung von Verantwortlichkeiten, das »4-Augen-Prinzip« oder auch die Verbesserung des Sicherheitsbewusstseins der Mitarbeiter sein. Trotzdem weisen alle Barrieren und Schutzfunktionen an verschiedenen Stellen kleinere oder größere Lücken auf. Durch ungünstige Konstellationen kann dann eine Situation entstehen, in der plötzlich alle Abwehrmechanismen für einen bestimmten Fehler durchlässig werden. In der Folge entwickelt sich eine Katastrophe oder ein fatales Ereignis. ! Auch aus Sicht der Statistik ist die Entstehung katastrophaler Ereignisse nicht unvorhersehbar, sondern ihnen gehen eine Vielzahl von kleineren Missgeschicken, Arbeitsfehlern und leichteren Zwischenfällen voraus.
Dieser Zusammenhang wurde von Heinrich bereits 1941 dargestellt und ist die Kernthese von »Heinrichs Gesetz« (Heinrich 1941). Darin wird dargestellt, dass bei etwa 4000 untersuchten Vorfällen ungefähr 300 kleinere und unauffällige Fehler passieren und dass davon bei 29 Vorfällen ein katastrophaler Fehler gerade noch vermieden werden konnte, aber in einem Fall kommt es gesetzmäßig zu einer schwerwiegenden Katastrophe (. Abb. 3.2). Diese Schadenspyramide belegt, dass zwischen dem Auftreten schwerster und kleinster Fehler ein relevanter Zusammen-
57 3.7 · Risikomanagement
Der gesamte Prozess eines gelebten Risikomanagements ist als ein Kreislauf zu verstehen (vgl. Qualitätsmanagement), der sich fortlaufend selbst hinterfragt und neuen Entwicklungen anpasst.
3.7.6 Methoden der Risikoidentifizierung
. Abb. 3.2. Schadenspyramide nach Heinrich
hang besteht und daher eine Strategie zur Vermeidung von Katastrophen beim Verhindern kleinerer Fehler anfangen muss. Dieser Zusammenhang existiert im gesamten Bereich des Gesundheitswesens, wobei hier katastrophale Ereignisse nicht nur den Tod oder die schwerwiegende Verletzung eines Patienten bedeuten müssen, sondern auch schwerwiegende finanzielle Einbußen für das Unternehmen, die ihre Ursache in vermeidbaren Fehlern haben.
3.7.5 Bestandteile eines Risikomanagements
Ein Risikomanagementsystem besteht aus 4 wesentlichen Bausteinen (. Abb. 3.3): 4 Risikoidentifizierung, 4 Risikobewertung, 4 Risikobewältigung, 4 Risikocontrolling, welches eine Kommunikation nach innen und außen beinhaltet. . Abb. 3.3. Kreislauf des Risikomanagements. Nach Ennker et al. (2006)
Um Risiken in einem System zu identifizieren, müssen sie als solche erkannt werden. Erst danach können sie in ihrer Bedeutung quantifiziert und qualitativ in ein System eingeordnet werden, das heißt bereits die Identifikation von bislang unbekannten Risiken ist alles andere als einfach, aber dennoch die essenzielle Voraussetzung für die erfolgreiche Etablierung eines Risikomanagementsystems. Risikoeinzelereignisse treten u. U. nur sehr selten auf und werden daher oft in ihrer Bedeutung unterschätzt. Teilweise werden Fehler von den Beteiligten nicht benannt, entweder aus Schamhaftigkeit oder weil juristische Implikationen befürchtet werden. Zuletzt handelt es sich bei der Risikoanalyse um ein rein retrospektives Verfahren, sodass wichtige Aspekte schlicht in Vergessenheit geraten können. Das bedeutet, dass in vielen Fällen die »Katastrophe« bereits geschehen ist und erst danach begonnen wird zu untersuchen, wie es zu diesem Unglück kommen konnte. Die häufigste Reaktion auf einen Großschadensfall ist dann die Vorkehrung von Vermeidungsmaßnahmen, sodass diese spezielle Katastrophe nicht mehr eintreten kann. Der wesentliche Aspekt einer weitreichenden Risikoprävention ist aber, dass das entstandene Unglück oftmals nur die Spitze eines Eisbergs darstellt, unter dessen Oberfläche sich das Potenzial für eine ganze Reihe von weiteren und unterschiedlichen Unglücken verbirgt, die durch die speziell zugeschnittenen Einzelmaßnahmen nicht erreicht werden.
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58
3
Kapitel 3 · Qualitätssicherung und Risikomanagement in der Herzchirurgie
Während sich in angelsächsischen Ländern die Einschätzung von Fehlern und Fehlerursachen in den letzten Jahren geändert hat, werden in Deutschland Fehler immer noch überwiegend unter dem Aspekt der persönlichen Verantwortung betrachtet. Da sie zudem in der Regel oft sanktionsbedroht sind, ziehen die Betroffenen daraus meist die Konsequenz, Fehler möglichst zu vertuschen oder ihre Beteiligung daran nicht preiszugeben. Die Folge solcher Verhaltensweisen ist, dass die exakten Ursachen für die Entstehung des Fehlers aufgrund mangelnder Information nicht oder nur unzulänglich erkannt werden können (Department of Health 2000). Wie aus dem Flugverkehr oder der Atomindustrie bekannt ist, sind aufgetretene Fehler nicht immer das Resultat menschlichen Versagens. Dieses falsche Postulat führt dann meist an den eigentlichen Ursachen vorbei, und dadurch führt die Fehleranalyse auch nicht zu einer wirklichen Verbesserung des verursachenden Prozesses. Die Entstehung von Fehlern und die daraus resultierenden Fehlhandlungen sind ein multifaktorieller Prozess, dessen Ursachen in der Regel in verschiedenen Arbeitsbereichen zu suchen sind und nur in den seltensten Fällen auf eine direkte, ausschließlich personelle Verursachung reduziert werden können (Carthey et al. 2001). Als prinzipielle Ursachen kommen häufig Unwissenheit und/oder Gleichgültigkeit, Arbeitsbe- oder -überlastung, Kommunikationsdefizite, Überwachungsprobleme, ungenügende Ressourcen und im Gesundheitssystem oftmals auch Patientenfaktoren infrage. Sie können alle allein oder auch in ihrer Gesamtheit einen entscheidenden Beitrag zum Entstehen eines Fehlers leisten. ! Die überwiegende Mehrzahl der Fehler ist dabei nicht einer einzelnen Person zuzurechnen, sondern entsteht häufig an Informationsschnittstellen zwischen verschiedenen Dienstbereichen und Dienstarten.
Um aber aus Fehlern lernen zu können und auch eine Wiederholung desselben Fehlers zu vermeiden, müssen Fehler und vorangegangene Zwischenfälle in erster Linie in einem reproduzierbaren System dokumentiert werden. Hierbei ist von ausschlaggebender Bedeutung, dass die Berichterstattung sanktionsfrei und am besten anonym erfolgt. Erst wenn in einer Organisation akzeptiert wird, dass Fehler bei jedem Menschen vorkommen und damit Teil des normalen Arbeitsablaufs sein können, lässt sich ein valides System etablieren, um Fehlerquellen zu identifizieren – die Voraussetzung für eine verlässliche Prophylaxe (Leape 2002). Im Folgenden soll eine Auswahl solcher Systeme, die ihre Tauglichkeit bereits in der Praxis bewiesen haben, vorgestellt werden. 3.7.6.1
Aufspüren ungünstiger Ereignisse (»adverse occurrence screening«)
Mit einem »adverse occurrence screening«, dem gezielten Suchen nach vorab definierten ungünstigen Ereignissen,
lässt sich eine Risikoeinschätzung für definierte Teilbereiche eines Prozesses oder einer Dienstleistung vornehmen. In einer Klinik kann das beispielsweise der Tod eines Patienten, die ungeplante Wiederaufnahme in ein Krankenhaus, die ungeplante Rückverlegung auf die Intensivstation, eine ungeplante Re-Operation oder eine Krankenhausverweildauer von mehr als 30 Tagen sein. Mit Hilfe einer computergestützten Datenbank lässt sich daraus eine Einschätzung über das Auftreten und den zeitlichen Verlauf von definierten Risiken gewinnen. Nachteilig an dieser Methode ist allerdings die Tatsache, dass lediglich eine retrospektive Erfassung der definierten Zielvariablen möglich ist und daher die Ursachensuche durch den Zeitverzug erschwert werden kann (Reason 1995). 3.7.6.2
Schlüsselereignisreport (»sentinel event report«)
Bestimmte Ereignisse in einer Klinik können als Schlüsselereignisse angesehen werden, denen eine Verknüpfung von gleichartigen Fehlerstrukturen zugrunde liegt. Beispiele hierfür sind (Leape et al. 1995): 4 Operation des falschen Patienten oder der falschen Seite, 4 Selbstmord eines Patienten während des Krankenhausaufenthalts, 4 unerwarteter Tod eines Patienten, 4 Re-Operation aufgrund von vergessenem Material oder Operationsbesteck, 4 Bluttransfusion trotz Blutgruppenunverträglichkeit, 4 Medikamentenverwechslung als direkte Ursache für den Tod eines Patienten. 3.7.6.3
Zwischenfallmeldung (»incidence report«)
Bei diesem Meldesystem handelt es sich um die Erfassung und Auswertung von allen fehlerhaften Zwischenfällen innerhalb einer Organisation, unabhängig davon, ob es sich um schwerwiegende oder nur leichtere Zwischenfälle handelt. Grundsätzlich gehören in einer so komplexen Organisation wie einem Krankenhaus Fehler und Beinahefehler zur täglichen Routine. Einige als besonders gravierend eingestufte Zwischenfälle werden zwar auch im Rahmen von Stationsübergaben oder Visiten diskutiert. Ein Großteil von ihnen wird aber nicht weiter aufbereitet, da sie als nicht wirklich relevant angesehen werden, weil ja »nichts passiert« ist. Mit Hilfe eines Meldesystems für Zwischenfälle (»incidence reporting system«) wird versucht, alle Zwischenfälle unabhängig von ihren möglichen Auswirkungen zu erfassen und daraus geeignete Maßnahmen für den Organisationsablauf abzuleiten (Gausmann u. Schmitz 1998). Der Grundgedanke bei dieser Art der Erfassung beruht im Wesentlichen auf dem in obigen Abschnitten erwähnten statistischen Zusammenhang zwischen einer Vielzahl von vorausgehenden Zwischenfällen kleinerer Wertigkeit und
59 3.7 · Risikomanagement
einer sich daraus letztendlich ergebenden Katastrophen (vgl. Heinrichs Gesetz). 3.7.6.4
Beschwerdemanagement
Der systematischen Einführung eines funktionierenden Beschwerdemanagements liegt folgende Boabachtung zugrunde: Ein Patient, der mit seiner Behandlung zufrieden ist, erzählt seine Erfahrungen im Durchschnitt 3 weiteren Personen. Ein Patient, der mit seiner Behandlung unzufrieden ist, teilt dies 9 weiteren Personen mit, und ein Patient der unzufrieden war und wieder zufriedengestellt werden konnte (z. B. mit Hilfe eines funktionierenden Beschwerdemanagements), erzählt dieses für ihn sehr befriedigende Erlebnis 20 weiteren Menschen. Dies macht deutlich, wie stark das Renommee eines Krankenhauses von negativen und positiven Vorfällen abhängig sein kann und wie wichtig es ist, auf Beschwerden der Patienten adäquat zu reagieren. ! Jede Beschwerde muss als Chance zur Verbesserung angesehen werden. Patienten, die Beschwerden äußern, sind prinzipiell an einem Kontakt zum Krankenhaus bzw. zu seinen Mitarbeitern interessiert.
Patienten, die das Gefühl haben, dass mit ihren Beschwerden aufmerksam und zufriedenstellend umgegangen wird, fühlen sich in ihrer Entscheidung für dieses Krankenhaus bestätigt und kommunizieren dies auch nach außen. Darüber hinaus können hieraus auch sehr wichtige Ansätze für das innerbetriebliche Qualitätsmanagement abgeleitet werden, an welchen Stellen es im täglichen Betrieb mangelt oder wo Verbesserungspotenzial besteht. 3.7.6.5
Patientenbefragung
Das Ziel von Patientenbefragungen ist es, die Zufriedenheit der Patienten und damit die Konkurrenzfähigkeit der eigenen Einrichtung zu verbessern. Eine der größten Herausforderungen im Einsatz dieses Werkzeugs besteht zunächst darin, sich von einem überholten Arzt-PatientenVerhältnis zu lösen. Ein Patient, der als Laie für gewöhnlich über nur geringe medizinische Kompetenz verfügt, muss als Partner betrachtet werden, der an releventen Entscheidungen beteiligt ist. Dazu sollte er durch das medizinsche Personal in die Lage versetzt werden, seine eigene Krankensituation sachgerecht zu beurteilen (Merten 2005). Richtet man ein besonderes Augenmerk der Befragungen auf mögliche Verbesserungspotenziale, die insbesondere risikobehaftete Situationen betreffen, so lassen sich mit einer Befragung wichtige Hinweise darauf gewinnen, wo sich aus Sicht des Patienten potenzielle Fehlermöglichkeiten entwickelt haben und bestehen, die der Aufmerksamkeit der Mitarbeiter entgangen sind. Unter diesem Gesichtspunkt stellen Patientenbefragungen daher eine wichtige Informationsquelle zur Aufdeckung von Risikopotenzialen dar.
Um einen möglichst großen Informationsgewinn aus solchen Befragungen zu ziehen, sollte ein Patientenfragebogen so aufgebaut sein, dass er nicht nur Ja- und NeinAntworten ermöglicht, sondern eine Gewichtung erlaubt. Dies geschieht in der Regel durch eine Bewertung von vorgegebenen Aussagen oder eine Skalierung von »trifft nicht/nie zu« bis zu »trifft voll/immer zu«, meist auf 5–6 Stufen. 3.7.6.6
Fehlermöglichkeits- und Fehlerfolgeanalyse (»failure mode and effects analysis«, FMEA)
Die FMEA ist eine analytische Methode, um potenzielle Schwachstellen in einem Ablauf, einem Prozess oder einer Organisation zu finden. Im Rahmen des Risikomanagements lässt sich die FMEA zur Fehlervermeidung und somit als Vorbeugemaßnahme einsetzen. Die FMEA folgt dem Grundgedanken einer vorsorgenden Fehlerverhütung anstelle einer nachsorgenden Fehlererkennung und -korrektur (Fehlerbewältigung). Dies geschieht durch eine frühzeitige Identifikation potenzieller Fehlerursachen. In der Praxis gestaltet sich der Ablauf meist so, dass ein Mitarbeiterteam aus den betroffenen Arbeitsbereichen eine Fehlerdiskussion und -bewertung vornimmt, die in definierten Schritten erfolgen sollte: 4 Identifizierung potenzieller Fehlermöglichkeiten, 4 Abschätzung der möglichen Fehlerfolgen, 4 Analyse der Ursachen, 4 Risikobewertung nach der geschätzten Wahrscheinlichkeit des Auftretens des jeweiligen Fehlers und Zuordnung in ein mathematisches Skalensystem, 4 Einstufung der Bedeutsamkeit des möglichen Schadens/der möglichen Schäden, 4 Einstufung der Wahrscheinlichkeit des Entdeckens dieses Fehlers, 4 Multiplikation der Werte für Auftreten, Bedeutung und Entdeckung (ergibt eine gestufte Risikoprioritätszahl, die die Dringlichkeit des weiteren Aktionsbedarfs regelt), 4 ergebnisorientierte Diskussion von Maßnahmen, um das Auftreten des Fehlers unmöglich zu machen, 4 Überprüfung der Wirksamkeit der getroffenen Maßnahmen zur Fehlerverhinderung, 4 erneute Einschätzung des Risikos nach der Korrekturmaßnahme anhand der oben genannten Stichpunkte (ergibt eine neue Risikoprioritätszahl, die wiederum den weiteren Aktionsbedarf regelt). Eine vergleichende Analyse der Risikoprioritätszahlen ergibt die mögliche Risikoreduzierung und damit die am besten geeignete Maßnahme, um das Auftreten eines bestimmten Fehlers und die damit verbundenen Schäden zu verhindern (vgl. Stauss u. Seidel 2002).
3
60
Kapitel 3 · Qualitätssicherung und Risikomanagement in der Herzchirurgie
. Abb. 3.4. Zusammenhang zwischen Wahrscheinlichkeit und Schaden. Nach Ennker et al. (2006)
3
3.7.7 Risikoanalyse und -bewertung
Im Anschluss an die Risikoidentifizierung erfolgen eine Analyse, eine Bewertung und eine Einschätzung der entdeckten Risiken und potenziellen Risikofelder. Diese ergeben sich als Produkt aus der Wahrscheinlichkeit des Eintritts des analysierten Fehlers und der Höhe des damit verbundenen Schadens. Dieser Zusammenhang lässt sich grafisch wie in . Abb. 3.4 dargestellt wiedergeben. Dabei können Risiken nicht immer nur als einzelne, unabhängige Punkte gesehen werden, sondern sie können auch größere Bereiche einschließen, die dann als »Risikofelder« bezeichnet werden. In bestimmten Sonderfällen können sich diese Felder aber auch in Bereiche hineinverlagern, die eine festgelegte Risikoschwelle überschreiten. Ein Teilbereich des Risikofeldes, der sich nicht in dem akzeptablen Rahmen befindet, muss dann gesondert betrachtet und neu analysiert werden. Am Anfang einer Risikoanalyse sollte die Eintrittswahrscheinlichkeit des Risikos bestimmt werden. Dies ist insbesondere deshalb wichtig, weil Risiken, die regelmäßig auftreten, einen Gewöhnungseffekt zeigen und dadurch im
Weiteren unterschätzt werden. Es ist daher zu empfehlen, sich anhand eines zeitlichen Schemas zu orientieren. Ein Beispiel hierfür ist in . Tab. 3.3 dargestellt. Im Anschluss an die Ermittlung der Eintrittswahrscheinlichkeit erfolgen eine Beurteilung und eine Einstufung der Schadensfolgen. Für ein Krankenhaus lässt sich dies wie in . Tab. 3.4 dargestellt vornehmen.
. Tab. 3.4. Schadensfolgen Konsequenzen
Definition
Extrem
Tod eines Patienten, der nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit der Erkrankung steht und nicht dem erwarteten Behandlungsergebnis entspricht
Groß
4 Schwerwiegende anhaltende Funktionsstörung, die nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit der Erkrankung steht und nicht dem erwarteten Behandlungsergebnis entspricht 4 Jegliche Form der Entstellung 4 Dringender chirurgischer Handlungsbedarf
Moderat
4 Anhaltende Funktionsstörung, die nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit der Erkrankung steht und nicht dem erwarteten Behandlungsergebnis entspricht 4 Jeder Fall mit verlängertem stationären Aufenthalt 4 Erfordernis einer zusätzlichen Operation
. Tab. 3.3. Risikozeitschema Häufigkeit des Auftretens
Zeitliche Bestimmung
Sehr häufig
Passiert wöchentlich oder mehrmals im Monat
Häufig
Passiert mehrmals im Jahr
Gelegentlich
1–3 Ereignisse pro Jahr
Geringfügig
Erhöhter Pflegebedarf
Selten
Passiert ab und zu in einem 5-Jahres-Intervall
Sehr geringfügig
Sehr selten
Passiert einmal in einem 5- bis 30-Jahres-Intervall
Zwischenfall, der jedoch keinerlei weitere pflegerische oder chirurgische Maßnahmen nach sich zieht
61 3.7 · Risikomanagement
in der eine Gewichtung der potenziellen Fehler und Fehlerquellen stattfindet. Anhand dieser Liste lässt sich dann ein Maßnahmenkatalog zur Risikobewältigung ableiten.
. Tab. 3.5. »Risk rating matrix« Wahrscheinlichkeit
Schadensfolgen Extrem
Groß
Moderat
Geringfügig
Sehr geringfügig
Sehr häufig
1
1
2
3
3
Häufig
1
1
2
3
3
Gelegentlich
1
2
2
3
4
Selten
1
2
3
4
4
Sehr selten
2
3
3
4
4
Aus den Tabellen 3.3 und 3.4 lässt sich eine Risikogewichtung (»risk rating matrix«) erstellen, und es lassen sich den eingruppierten Ereignissen bestimmte Tätigkeitsniveaus zuordnen, die von den Verantwortungsträgern umgesetzt werden müssen, um das zukünftige Auftreten dieser Risiken bzw. Schäden zu verhindern (. Tab. 3.5). Die angegebenen Zahlenwerte entsprechen verschiedenen Konsequenzstufen mit entsprechenden daraus abzuleitenden Maßnahmen, die nachfolgend aufgeführt sind. Stufe 1: unerwarteter Tod oder anhaltende Funktionsstörung, die nicht in normalem Zusammenhang mit der Erkrankung zu sehen ist. Hier ist das unmittelbare Einschreiten der Funktionsträger erforderlich. Für ein Krankenhaus, insbesondere in privater Trägerschaft, sind solche Vorkommnisse existenzbedrohend. Hier kann auch ein einmaliges Auftreten ausreichen, um zu schwerwiegenden Konsequenzen für die Klinik zu führen. Stufe 2: ein mit einem hohen Risiko behaftetes Ereignis oder ein mit einem hohen Risiko behafteter Vorfall, das bzw. der potenziell zum Tod, zu schwerwiegenden Komplikationen oder zu einer permanenten Funktionsstörung des Patienten führen kann. Auch hier ist das unmittelbare Einschreiten der Funktionsträger erforderlich. Stufe 3: Ereignisse, die eine gesundheitliche Beeinträchtigung des Patienten bedeuten und in Bezug auf Pflege, klinische Praxis und Qualität der Operation eine nicht adäquate Handhabung widerspiegeln. Hier ist ein Bericht an die Verantwortungsträger erforderlich, die dann über geeignetete Maßnahmen bestimmen, um zukünftige Wiederholungen zu verhindern. Stufe 4: Ereignisse, die eine geringfügige gesundheitliche Beeinträchtigung bedeuten, aber ein Risikopotenzial in sich bergen. Abhilfe ist oftmals schon durch eine qualitative Verbesserung der Routineabläufe möglich.
Anhand dieser strukturierten Risikoeinschätzung und der potenziellen Folgen lässt sich eine Ranking-Liste erstellen,
3.7.8 Risikobewältigung
Im Rahmen einer Risikoanalyse sollte man sich darüber im Klaren sein, dass es trotz eines hervorragenden Risikomanagements nicht möglich ist, alle vorhandenen Risiken vollständig und dauerhaft auszuschließen. Es gibt daher 4 strategische Überlegungen, wie mit identifizierten und gewichteten Risiken in einem Krankenhaus umgegangen werden kann: 4 Risikovermeidung, 4 Risikoreduzierung, 4 Risikoakzeptierung, 4 Risikotransfer. So kann im Rahmen einer Risikovermeidung ein Patient in ein Fachkrankenhaus verlegt weren, wenn eine adäquate Behandlung im eigenen Haus nicht garantiert werden kann. Oft sind die Anforderungen an eine funktionierende Risikoprävention auch wesentlich einfacher. So können Fehler, die auf eine Übermüdung im ärztlichen und pflegerischen Bereich zurückzuführen sind, durch die Einhaltung der gesetzlichen Vorschriften minimiert werden. In bestimmten Fällen lässt sich allerdings ein Risiko nicht vollständig durch Regeln und Maßnahmen verhindern. Dieses dann bekannte Restrisiko muss akzeptiert und dessen Folgen müssen weitestgehend abgemildert werden, beispielsweise durch den Transfer des Risikos, wie es im finanziellen Bereich durch den Abschluss von Versicherungen möglich ist. Trotz aller Bemühungen zum geregelten Umgang mit Risiken wird man das Auftreten von Fehlern auch im Klinikbetrieb nicht vollständig vermeiden können. ! Daher ist es sinnvoll, für die Risikobewältigung fehlertolerante Systeme einzusetzen und die Abläufe im Klinikalltag mehrstufig zu organisieren, sodass es an verschiedenen Schnittstellen möglich ist, regulierend einzugreifen.
3.7.9 Risikoüberwachung
Für die Risikoüberwachung (Risikocontrolling) ist es wichtig, das den Mitarbeitern geschenkte Vertrauen nicht durch übertriebene und als unsinnig empfundene Kontrollmaßnahmen zu zerstören. Ein Risikocontrolling muss vielmehr dazu dienen zu überprüfen, ob die gemeinsamen Bemühungen zur Risikoreduzierung wirklich messbare Erfolge zeigen. Dazu ist es zum einen wesentlich, dass ein
3
62
3
Kapitel 3 · Qualitätssicherung und Risikomanagement in der Herzchirurgie
Risikomangement als dauerhafter Prozess verstanden wird, der nicht wenige Monate nach seiner Einführung bereits wieder beendet werden kann. Zum anderen ist es notwendig, dass die Maßnahmen zur Risikoidentifizierung in regelmäßigen Abständen wiederholt und analysiert werden oder am besten gleich fortlaufend etabliert sind, wie es beispielsweise mit Hilfe eines Meldesystems für Zwischenfälle (»incidence reporting system«) möglich ist. Ergeben sich aus den Strategien zur Risikobewältigung konkrete Maßnahmen, ist es notwendig, die getroffenen Maßnahmen und die sich daraus ergebenden Verbesserungen deutlich an alle Mitarbeiter, aber auch an externe Partner und die Patienten zu kommunizieren, um dadurch einen Vertauenszuwachs in das Unternehmen zu erzielen – eine Tatsache, die bei dem zunehmenden Wettbewerb immer wichtiger wird und dadurch dem Überleben des Unternehmens und der darin beschäftigten Mitarbeiter dient.
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4
4 Datenbanken in der Herzchirurgie – eine Übersicht J. F. Gummert 4.1
DGTHG-Leistungsstatistik – 63
4.2
BQS-Statistik
4.3
STS-Datenbank – 70
4.4 4.4.1 4.4.2
EACTS-Datenbanken – 70 EACTS Adult Cardiac Database – 70 EACTS Congenital Database – 70 Literatur
– 64
– 70
Weltweit wurde schon frühzeitig in der Herzchirurgie erkannt, dass die Anwendung einer derart komplexen und für den Patienten risikoträchtigen Therapie nur durch solide Erkenntnisse über die Ergebnisse zu rechtfertigen ist. Daher war und ist die Herzchirurgie ein Entwicklungsmotor für die Einführung von Datenbanksystemen in der Medizin, um dem Patienten und den behandelnden Ärzten die Möglichkeit zu geben, die Chancen und Risiken eines bestimmten Eingriffs für den individuellen Patienten abzuschätzen. Außerdem wurde zum Ende des 20. Jahrhunderts in vielen Ländern die Notwendigkeit einer Qualitätssicherung von den beteiligten Partnern im Gesundheitswesen erkannt und dadurch eigene Datenbanksysteme entwickelt. In einigen Ländern (USA, Großbritannien) werden inzwischen die Ergebnisse einzelner Chirurgen mit Namen publiziert (z.B. New York State Department of Health, Großbritannien). Im folgenden werden die wichtigsten Datenbanksysteme für die deutsche Herzchirurgie näher beschrieben.
4.1
DGTHG-Leistungsstatistik
Die Leistungsstatistik der Deutschen Gesellschaft für Thorax-, Herz- und Gefäßchirurgie (DGTHG), bis zum Jahr
2003 als Hamburger Statistik und seit 2004 als DGTHG – Leistungsstatistik bezeichnet, wird seit 1978 erhoben und ist die einzige Datenbank, die einen vollständigen Überblick über die in Deutschland durchgeführten herzchirurgischen Eingriffe gibt. Erst seit 1989 werden die Ergebnisse in der Zeitschrift Thoracic and Cardiovascular Surgeon publiziert (Gummert et al. 2007; Kalmar u. Irrgang 1990). Diese Statistik basiert auf der freiwilligen anonymisierten Datenlieferung von allen deutschen herzchirurgischen Abteilungen im Jahresrhythmus. Gemeldet werden die Art des Eingriffs sowie die Krankenhausletalität für jeden Eingriff. Traditionell wurden die Daten mit Hilfe eines Fragebogens erhoben, der jährlich bis Januar des folgenden Jahres von den kardiochirurgischen Kliniken bearbeitet wurde. Seit 2004 besteht die Möglichkeit, die Daten auch elektronisch einzureichen. Dabei werden die einzelnen Prozeduren in Tabellenform auf Datenträger übermittelt. Zusätzlich können das Alter des Patienten bei dem Eingriff sowie der Euroscore mit angegeben werden. Dadurch ist eine risikoadjustierte Darstellung der Ergebnisse möglich geworden, außerdem können detaillierte Subanalysen erfolgen. Diese Möglichkeit wird derzeit aber noch nicht von allen Kliniken genutzt. Oberste Priorität dieser Datenbank ist die Vollständigkeit der jährlichen Erhebung, so dass weiterhin auch das alte Format des Fragebogens unterstützt wird und Ände-
64
Kapitel 4 · Datenbanken in der Herzchirurgie – eine Übersicht
4
. Abb. 4.1. Entwicklung der Herzchirurgie in Deutschland von 1994 bis 2008. 1) Unter Koronarchirurgie sind alle isolierten koronarchirurgischen Eingriffe (mit und ohne Herzlungenmaschine) zusammengefasst sowie Kombinationseingriffe. 2) Klappenoperationen beinhalten alle isolierten Eingriffe an Herzklappen sowie Mehrfachklappeneingriffe. Kombinationen mit Aortenchirurgie sind in der Gruppe »Son-
stiges« zusammengefasst. 3) Chirurgie angeborener Herzfehler/Kinderherzchirurgie beinhaltet alle Arten von Prozeduren mit und ohne Herzlungenmaschine. ASD – Verschluss in Kombination mit Koronarchirurgie oder Klappenchirurgie sind den entsprechenden Gruppen zugeordnet. 4) »Sonstige« beinhalten alle anderen Eingriffe mit Herzlungenmaschine
rungen nur unter Wahrung einer ausreichenden Abwärtskompatibilität vorgenommen werden, damit die Vergleichbarkeit der Daten über Jahrzehnte gewährleistet bleibt. In der Datenbank werden Prozeduren und nicht Patienten erfasst, so dass die Anzahl der Eingriffe höher ist als die Zahl der Patienten. Dadurch ist die angegebene Letalität geringfügig niedriger als tatsächlich, allerdings hat die Auswertung der auf elektronischem Wege eingereichten Daten gezeigt, dass dieser Fehler vernachlässigbar gering ist. Die zukünftige Entwicklung dieser Datenbank soll eine risikoadjustierte Darstellung der Ergebnisse der Herzchirurgie für ganz Deutschland ermöglichen. Entscheidend für den Fortbestand ist die fortgesetzte Unterstützung durch die Abteilungsleiter, damit diese für die Herzchirurgie extrem wichtige Datenbank fortgeführt werden kann. Die . Abb. 4.1–4.4 zeigen eine repräsentative Auswahl der jährlich publizierten Ergebnisse.
4.2
BQS-Statistik
An die Bundesgeschäftsstelle für Qualitätssicherung (BQS) müssen im Bereich der Herzchirurgie seit 2001 jährlich die Ergebnisse für die isolierte Aortenklappenchirurgie, isolierte Koronarchirurgie und die kombinierte Aortenklappen- und Koronarchirurgie berichtet werden. Das Verfahren bildet aus Kostengründen nur einen quantitativ wesentlichen Ausschnitt der gesamten Herzchirurgie ab. Bei dieser Form der externen Qualitätssicherung handelt es sich um ein vom Gesetzgeber vorgeschriebenes Verfahren. Im § 135a SGB V wird ausgeführt: 4 Verpflichtung zur Qualitätssicherung: 5 Die Leistungserbringer sind zur Sicherung und Weiterentwicklung der Qualität der von ihnen erbrachten Leistungen verpflichtet. Die Leistungen müssen dem jeweiligen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse entsprechen und in der fachlich gebotenen Qualität erbracht werden. 5 Vertragsärzte, medizinische Versorgungszentren, zugelassene Krankenhäuser, Erbringer von Vorsor-
65 4.2 · BQS-Statistik
. Abb. 4.2. Koronarchirurgie in Deutschland von 1994 bis 2008 mit einem absoluten Rückgang der Anzahl der Eingriffe. Der Anteil an Off pump Eingriffen bleibt weiterhin im Bereich von knapp über 10 %
. Abb. 4.3. Isolierte Aortenklappenchirurgie von 1994 bis 2008. Der Anteil an Bioklappen nahm in den letzten Jahren deutlich zu
4
66
Kapitel 4 · Datenbanken in der Herzchirurgie – eine Übersicht
4
. Abb. 4.4. Isolierte Mitralklappenchirurgie zwischen 1994 und 2008 Der Anteil an Rekonstruktionen hat beständig zugenommen und liegt nun bei 56 %
geleistungen oder Rehabilitationsmaßnahmen und Einrichtungen, mit denen ein Versorgungsvertrag nach § 111a besteht, sind nach Maßgabe der §§ 136a, 136b, 137 und 137d verpflichtet, 1. sich an einrichtungsübergreifenden Maßnahmen der Qualitätssicherung zu beteiligen, die insbesondere zum Ziel haben, die Ergebnisqualität zu verbessern und 2. einrichtungsintern ein Qualitätsmanagement einzuführen und weiterzuentwickeln […]. 4 Gemäß § 137 SGB V gilt: Qualitätssicherung bei zugelassenen Krankenhäusern: 5 Der Gemeinsame Bundesausschuss beschließt unter Beteiligung des Verbandes der privaten Krankenversicherung, der Bundesärztekammer sowie der Berufsorganisationen der Krankenpflegeberufe Maßnahmen der Qualitätssicherung für nach § 108 zugelassene Krankenhäuser einheitlich für alle Patienten […]. Die Beschlüsse nach Satz 1 regeln insbesondere 1. die verpflichtenden Maßnahmen der Qualitätssicherung nach § 135a Abs. 2 sowie die grundsätzlichen Anforderungen an ein einrichtungsinternes Qualitätsmanagement, […] Historisch ist diese Form der Qualitätssicherung aus der zunächst von der Ärztekammer Nordrhein eingeführten Qualitätssicherung hervorgegangen und wurde dann 2001 durch die BQS übernommen.
Zur Betreuung des Verfahrens sowie zur Beurteilung der Daten erhält die BQS Unterstützung durch die Fachgruppe Herzchirurgie, in der 5 Herzchirurgen sowie Vertreter der Krankenkassen, der Pflege und ein Vertreter der Patienten vertreten sind. Von dieser Fachgruppe werden die zu erhebenden Daten und die Qualitätsindikatoren festgelegt. Die Lieferung der Daten des Vorjahres an die BQS muss bis Mitte April des Folgejahres erfolgen. Anschließend werden die eingesandten Daten auf Plausibilität überprüft, stichprobenhaft wird in einzelnen Kliniken ein Audit vorgenommen, um die Datenqualität zu sichern und Missbrauch zu verhindern. Die Bearbeitung der Daten erfolgt im Rahmen des sogenannten strukturierten Dialoges. Die Ergebnisse der einzelnen Kliniken werden bei vorab definierten Auffälligkeiten der Fachgruppe in anonymisierter Form vorgelegt und nach Maßgabe der Fachgruppe die Kliniken dann in anonymisierter Form zu einer schriftlichen Stellungnahme aufgefordert. Kann durch diese Stellungnahme die Auffälligkeit erklärt werden, dann sind keine weiteren Schritte im Rahmen des sogenannten strukturierten Dialoges vorgesehen. Bei gravierenden Auffälligkeiten wird die Klinik nur gegenüber der Fachgruppe entanonymisiert und eine Begehung oder ein Fachgespräch mit der betroffenen Klinik durchgeführt, um mit Zielvereinbarungen eine Verbesserung der Qualität herbeizuführen.
67
. Abb. 4.5. Datenerhebungsbogen für die EACTS (European Association for Cardio-Thoracic Surgery) Adult Cardiac Database
4.2 · BQS-Statistik
4
68
Kapitel 4 · Datenbanken in der Herzchirurgie – eine Übersicht
. Abb. 4.5 (Fortsetzung)
4
. Abb. 4.5 (Fortsetzung)
4.2 · BQS-Statistik 69
4
70
4
Kapitel 4 · Datenbanken in der Herzchirurgie – eine Übersicht
Nur wenn durch diese Maßnahmen keine Verbesserung der Qualität erzielt werden kann, kann die Fachgruppe dem Bundesausschuss eine Entanonymisierung empfehlen. Die aktuellen Erhebungsbögen können von der Webseite der BQS (http://www.bqs-online.de/) abgerufen werden. Ab 2010 wird das AQUA Institut für angewandte Qualitätsförderung und Forschung im Gesundheitswesen GmbH in Göttingen (www.aqua-institut.de) die bundesweite Qualitätssicherung fortführen. Es bleibt abzuwarten, welche neuen Strukturen durch diesen Wechsel entstehen und wie die bundesweite Qualitätssicherung in der Herzchirurgie zukünftig aussehen wird (Stand August 2009).
4.3
STS-Datenbank
Die STS Database, die Datenbank der Society of Thoracic Surgeons, USA wurde von 1990 – 1997 durch einen kommerziellen Anbieter etabliert und hat sich inzwischen zu einer der wichtigsten Datenbanken in der Herzchirurgie entwickelt. An diese freiwilligen Datenbank werden weltweit, d.h. auch von Kliniken außerhalb der USA Daten geliefert. Seit 1997 gibt es von der STS zertifizierte Software von zahlreichen Software – Herstellern. Der Datensatz besteht aus 217 Kernfeldern und 255 zusätzlichen Variablen. Inzwischen sind mehr als 3 Millionen Datensätze erfasst. Regelmäßig werden allgemeine Statistiken publiziert, für die beitragenden Kliniken stehen umfangreiche Auswertungen für ein Benchmarking zur Verfügung. Nähere Informationen finden sich auf der Webseite der STS. 4.4
EACTS-Datenbanken
Die Europäische Gesellschaft für Herz- und Thoraxchirurgie (EACTS) unterstützt derzeit zwei wesentliche Datenbanken, die Datenbank für angeborene Herzfehler (EACTS Congenital database) und die Datenbank für Herzchirurgie im Erwachsenenalter (EACTS Adult cardiac database). 4.4.1 EACTS Adult Cardiac Database
Die Adult cardiac database hat sich zum Ziel gesetzt, Daten über Eingriffe aus allen Europäischen Ländern zu sammeln und in einem entsprechenden Report zu publizieren. Langfristig ist geplant, eine der STS – Datenbank (siehe dort) vergleichbare Struktur und Qualität zu erzielen. Der erste Report wurde im Jahr 2003 durch die EACTS mit Unterstützung der Firma Dendrite publiziert, der Report basierte auf 220.000 Datensätzen von Operationen aus den Jahren 2001 und 2002 aus 12 Ländern, noch ohne deutsche Beteiligung.
Der zweite Report wurde im September 2005 mit zusätzlichen Datensätzen aus dem Jahr 2003 publiziert, er enthielt 350.000 Datensätze aus nun 18 Ländern, nun erstmals auch unter deutscher Beteiligung. Der dritte Report wurde im September 2007 mit zusätzlichen Datensätzen aus den Jahren 2004 und 2005 publiziert. Dieser Report basiert nun auf 627.000 Datensätzen und zum ersten Mal wurden auch – sofern Daten geliefert wurden – die Gesamtsterblichkeit analysiert. Der vierte Report wurde für Oktober 2009 angekündigt (Stand: August 2009). Gegenwärtig (August 2009) ist das größte Problem dieser Datenbank die sehr heterogene Datenqualität, bedingt durch die Unterschiede in der lokalen Struktur und der historisch gewachsenen Datenerhebungskultur in den einzelnen Ländern. Die . Abbildung 4.5 zeigt den Datenerhebungsbogen für die Adult cardiac Surgery database, der unverändert seit 2003 verwendet wird.
4.4.2 EACTS Congenital Database
Die EACTS Congenital database ging aus einem ursprünglich in London beheimateten Datenbankenprojekt der European Congenital Heart Surgeons Association (ECHSA) 1999 hervor und hat sich seitdem zu einer qualitativ sehr hochwertigen Datenbank entwickelt, die weltweit große Akzeptanz gefunden hat. Es besteht eine Kooperation mit der STS. Die Datenbank wird von Bohdan Maruszewski in Warschau geleitet, die Funktionalität wird durch Zsislav Tobota sichergestellt. Inzwischen sind mehr als 282 Abteilungen aus 68 Ländern bei der Datenbank registriert (Jacobs et al. 2007, Maruszewski et al. 2005). Wichtiges Detail dieser Datenbank ist die Nutzung des Aristoteles Scores zur verbesserten Risiko – Stratifizierung der Eingriffe.
Literatur Gummert JF, Funkat A, Beckmann A, Schiller W, Hekmat K, Ernst M et al. (2007) Cardiac surgery in Germany during 2006: a report on behalf of the German Society for Thoracic and Cardiovascular Surgery. Thorac Cardiovasc Surg 55(6): 343–350 Kalmar P, Irrgang E (1990) Cardiac surgery in the Federal Republic of Germany during 1989. A report by the German Society for Thoracic and Cardiovascular Surgery. Thorac Cardiovasc Surg 38(3): 198–200 Gummert JF, Funkat A, Beckmann A, Schiller W, Hekmat K, Ernst M et al. (2008) Cardiac surgery in Germany during 2007: a report on behalf of the German Society for Thoracic and Cardiovascular Surgery. Thorac Cardiovasc Surg 56(6): 328–336 Jacobs JP, Mavroudis C, Jacobs ML, Maruszewski B, Tchervenkov CI, Lacour-Gayet FG et al. (2007) Nomenclature and databases – the past, the present, and the future : a primer for the congenital heart surgeon. Pediatr Cardiol 28(2): 105–115 Maruszewski B, Lacour-Gayet F, Monro JL, Keogh BE, Tobota Z, Kansy A (2005) An attempt at data verification in the EACTS Congenital Database. Eur J Cardiothorac Surg 28(3): 400–404
II
Technische Voraussetzungen der Herzchirurgie 5
Prinzipien und Entwicklungsschritte der extrakorporalen Zirkulation – 73 L. von Segesser
6
Kardiovaskuläres »tissue engineering«
– 111
A. Haverich, M. Wilhelmi
7
Herzchirurgische Intensivmedizin
– 135
A. Markewitz, A. Franke
8
Intensivtherapie in der Kinderherzchirurgie – 185 R. Kaulitz, G. Ziemer
5
5 Prinzipien und Entwicklungsschritte der extrakorporalen Zirkulation L. von Segesser 5.11
Arterieller Filter
– 75
5.12
Zugang zum Herzen
– 75
5.13 5.13.1 5.13.2 5.13.3 5.13.4
Antikoagulation – 94 Volle systemische Heparinisierung – 94 Reduzierte systemische Heparinisierung – 94 Inadäquate Heparinantwort – 94 Heparinallergie – 95
5.14 5.14.1 5.14.2 5.14.3
Arterielle Kanülierung – 95 Zentrale arterielle Kanülierung – 95 Periphere arterielle Kanülierung – 96 Allgemeine Betrachtungen zur arteriellen Kanülierung – 97
5.1
Erste Entwicklungsschritte
5.2
Moderne Herz-Lungen-Maschine
5.3 5.3.1 5.3.2
Herz der Herz-Lungen-Maschine Rollerpumpen – 76 Zentrifugalpumpen – 77
5.4 5.4.1 5.4.2 5.4.3
Lunge der Herz-Lungen-Maschine Oberflächenoxygenation – 77 Bläschenoxygenation – 78 Membranoxygenation – 78
5.5 5.5.1 5.5.2
Oberflächenbehandlung – 81 Gott-Shunt – 81 Extrakorporale Membranoxygenation (»extracorporeal membrane oxygenation«, ECMO) – 81
5.6
– 74
– 77
5.6.2
Bereitstellung der Herz-LungenMaschine – 81 Maschinen-, Tisch-, Kardioplegieund Hämofiltrationsset – 82 Vorfüllvolumen – 82
5.7 5.7.1 5.7.2 5.7.3 5.7.4
Anschluss der Herz-Lungen-Maschine Kanülierungsprinzipien – 82 Zentralvenöse Kanülen – 83 Periphere venöse Kanülen – 84 Arterielle Kanülen – 86
5.8 5.8.1 5.8.2 5.8.3
Intrakardiale Absaugung – 89 Entlüftung der Aortenwurzel – 89 Linker Vorhofkatheter – 90 Handsauger – 90
5.9
Kardiotomiereservoir
5.10 5.10.1 5.10.2 5.10.3
Venöses Reservoir – 92 Offenes venöses Reservoir – 92 Geschlossenes venöses Reservoir – 92 Minimale extrakorporale Zirkulation ohne Reservoir – 93
5.6.1
– 82
– 93 – 94
5.15 5.15.1 5.15.2 5.15.3
Venöse Kanülierung – 98 Einfache zentralvenöse Kanülierung – 98 Doppelte zentralvenöse Kanülierung – 98 Kanülierung einer persistierenden linken oberen Hohlvene – 99 5.15.4 Periphere venöse Kanülierung – 100 5.15.5 Optimierte periphere venöse Kanülierung – 100 5.15.6 Allgemeine Betrachtungen zur venösen Kanülierung – 101 5.16
Intrakardiale Drainage
5.17 5.17.1 5.17.2 5.17.3 5.17.4 5.17.5 5.17.6
Stilllegung des Herzens – 102 Elektrisch induziertes Kammerflimmern – 102 Ischämische Stilllegung des Herzens – 102 Kardioplegie – 103 Reperfusion – 105 Entlüftung des Herzens – 105 Luftembolie – 105
5.18
Operationen im Kreislaufstillstand
– 101
– 91
Literatur
– 107
– 106
74
Kapitel 5 · Prinzipien und Entwicklungsschritte der extrakorporalen Zirkulation
5.1
5
Erste Entwicklungsschritte
Die ersten klinischen Anwendungen der extrakorporalen Zirkulation erfolgten Anfang der 1950er Jahre. Innerhalb kurzer Zeit berichtete A.M. Dogliotti aus Turin über den ersten partiellen kardiopulmonalen Bypass (am 09.08.1951; von Segesser 2003), F.D. Dodrill über den ersten erfolgreichen Linksherzbypass (am 03.07.1952), J.H. Gibbon über den ersten erfolgreichen Eingriff am offenen Herzen mit der Herz-Lungen-Maschine (am 06.05.1953; Gibbon 1954) und C.W. Lillehei über die erste Operation mit Kreuzzirkulation, d. h. unter Einsatz eines zweiten Patienten als kontinuierlichem Spender von sauerstoffgesättigtem Blut (am 26.03.1954; 7 Kap. 9). Die meisten Komponenten, welche für die extrakorporale Zirkulation notwendig waren, wurden damals von anderen medizin- und labortechni. Abb. 5.1. Funktionsschema einer Herz-Lungen-Maschine mit zusätzlicher Organperfusion. A venöses Einflussteil; B künstliche Lunge; C arterielles Ausflussteil
schen Verfahren übernommen bzw. in den spitaleigenen Werkstätten speziell für diesen Zweck hergestellt. Alle wesentlichen Bestandteile der Herz-Lungen-Maschine waren wiederverwendbar und mussten nach Gebrauch sorgfältig gereinigt und aseptisiert werden. Das Bereitstellen einer Herz-Lungen-Maschine war ein mühsames Unterfangen und dauerte damals häufig wesentlich länger als die eigentliche Maschinenfahrt, denn damals wie heute galt: je kürzer die Perfusion, desto besser. Dies ist auf die komplexen Vorgänge zurückzuführen, welche bei der Übergabe der Aufgaben von Herz und Lunge an die Maschine auftreten. Die künstliche Ganzkörperperfusion hat eine eigene Physiologie (Baykut u. Krian 2000; Clowes 1960; Galletti u. Brecher 1962; Gravlee et al. 2006; Hagl et al. 1984; Inoescu 1981; Fraedrich et al. 1983; Kay u. Munsch 2004) und ist trotz aller Fortschritte mit Gefahren verbunden.
75 5.3 · Herz der Herz-Lungen-Maschine
5.2
Moderne Herz-Lungen-Maschine
Die moderne Herz-Lungen-Maschine ist eine komplexe Anlage, bei der die initiale Zweckbestimmung, nämlich die Funktion des Herzens im großen Kreislauf und diejenige der Lungen im kleinen Kreislauf zu übernehmen, mit der Zeit durch eine Vielzahl von Zusatzgeräten, Steuerungsmechanismen und Sicherheitsfunktionen ergänzt wurde (. Abb. 5.1). Die Hauptkomponenten – Filter, Reservoir, künstliche Lunge, Wärmeaustauscher, Pumpe – müssen allerdings nicht zwingend in der dargestellten Reihenfolge verbaut werden. Interessanterweise sind praktisch alle Positionen dieser Schlüsselkomponenten in der Vergangenheit angewendet worden. Das heute meist am Maschineneingang befindliche venöse Reservoir kann also durchaus auch als arterielles Reservoir, also nach Wärme- und Gasaustauscher, Filter und Entschäumer, angeordnet sein (. Abb. 5.2 u. 5.3). Bei einer detailierteren Betrachtung hat die Herz-Lungen-Maschine eine Systempumpe (Herz) mit der zugehörigen Steuerung und einen Gasaustauscher (Lunge) mit einem Gasmischer. Der Wärmeaustauscher erlaubt die Steuerung von Ein- und Ausgangstemperatur. Sowohl das venöse als auch das Kardiotomiereservoir weist Filter und Luftabscheider auf. Bis zu 3 Saugpumpen dienen der Blut-
. Abb. 5.2. Das Reservoir kann am Eingang der Herz-Lungen-Maschine angeordnet sein, hier ein offenes venöses Reservoir (Compactflo, Fa. Dideco, Mirandola/Italien)
rückführung. Einer oder 2 Pumpenköpfe (. Abb. 5.4) sind der (Blut-)Kardioplegie und ihrem Wärmeaustauscher zugedacht, eine weitere Pumpe bedient einen Hämofilter (künstliche Niere). Eine spezielle Bremse in der venösen Linie regelt das im Patienten verbleibende Volumen. Ein Füllstandsanzeiger sowie ein Blasendetektor mit automatisch ausgelöstem Maschinenstopp gehören zur Minimalausrüstung. Zentrifugalpumpe, Modul für pulsatilen Fluss, Druckanzeige und Flussmesser auf der arteriellen Linie und/oder auf den verschiedenen Zusatzkomponenten, kontinuierliche arterielle und venöse Blutgasanalyse sowie eine computergestüzte Protokollführung sind weitere Ausbaumöglichkeiten.
5.3
Herz der Herz-Lungen-Maschine
Wie der Name sagt, muss die Herz-Lungen-Maschine u. a. die Herzfunktion vorübergehend ersetzen können. Dazu sind zuverlässige Pumpen notwendig, die sowohl den mechanischen als auch den biologischen Anforderungen genügen. Zu den technischen Lösungen, welche ursprünglich Anwendung fanden, gehören sog. Fingerpumpen. Diese komprimieren sequenziell einen Schlauch und treiben damit dessen Inhalt vorwärts. Es handelt sich dabei um eine Technologie aus der Lebensmittelindustrie, welche auch bei
. Abb. 5.3. Das Reservoir kann auch auf der arteriellen Seite – nach dem Wärmeaustauscher, dem Oxygenator, dem Filter und dem Entschäumer – angeordnet sein, hier ein arterielles Reservoir (Travend)
5
76
Kapitel 5 · Prinzipien und Entwicklungsschritte der extrakorporalen Zirkulation
. Abb. 5.4. Mehrere fixe und ausgelagerte Pumpenköpfe sind das Herz dieser modernen Herz-Lungen-Maschine (Fa. Stöckert, München), welche über verschiedenste Funktionen verfügt: Gasmischer, Dosiergerät für volatile Anästhetika, integrierter Oxygenator (offenes venöses Reservoir, Kardiotomiereservoir, Wärmeaustauscher, Hohlfasermembran), Wärmeaustauscher für die Blutkardioplegie, Hämofilter etc.
5
Melkmaschinen Anwendung fand. Heute kommen für Herz-Lungen-Maschinen im Wesentlichen 2 Arten von Pumpen zum Einsatz: Roller- und Zentrifugalpumpen.
5.3.1 Rollerpumpen
Bei den Rollerpumpen werden einige Ideen der Fingerpumpe übernommen: Das Pumpgut, hier das Blut, ist durch einen Schlauch von der Pumpenmechanik getrennt und wird durch wiederkehrende Kompression des U-förmig angeordneten Schlauches durch auf einem Rotor montierte Rollen vorwärtsgetrieben (De Bakey 1934; . Abb. 5.5). In
. Abb. 5.5. Sicht auf eine kompakte Herz-Lungen-Maschine (Fa. Stöckert, München) mit verschiedenen Rollerpumpen, welche von links nach rechts dem systemischen Blutkreislauf, der Blutkardioplegie (Doppelkopfpumpe), dem Aufsaugen des Blutes aus dem offenen Herzen und dem Absaugen von Blut und/oder Luft aus der Aortenwurzel dienen
Dialysegeräten und Laborautomaten werden solche Rollen von Federn auf den Schlauch gepresst oder der Schlauch wird vorgespannt. Bei der Herz-Lungen-Maschine, bei der der Pumpenschlauch in Abhängigkeit von der Bluttemperatur seine Steifheit ändern kann, wird dieser in U-Form in ein Gehäuse mit präziser Geometrie eingelegt. In der Regel wird jede Pumpe von Hand kalibriert. Für die Systempumpe, welche das Herz ersetzt, wird die Okklusion am Pumpenkopf durch Rollenspreizung so eingestellt, dass der Schlauch durch die Rollen gerade nicht komplett zugedrückt wird (. Abb. 5.6). Bei einer Wassersäule von 200 cm soll das Niveau kaum bis zu 1 cm/s absinken. Damit wird einerseits sichergestellt, dass der Pumpenschlauch nicht
. Abb. 5.6. Einstellung der Okklusion einer Rollerpumpe (Fa. Stöckert, München) durch Spreizung der Rollen mittels einer zentralen Stellschraube
77 5.4 · Lunge der Herz-Lungen-Maschine
übermäßig durchgewalkt wird und dabei Schaden nimmt. Andererseits wird die Rollerpumpe damit praktisch zu einer volumetrischen Pumpe, d. h. der Pumpenfluss kann aus der Umdrehungszahl zuverlässig errechnet werden und wird auch so angezeigt. Voraussetzung dafür ist, dass die Kalibrierung korrekt erfolgte. Bei den Saugerpumpen, welche dem Aufsaugen von Blut aus dem Operationsfeld dienen, erfolgt eine eben okklusive Einstellung. Dies ist notwendig, da diese Pumpen für den genannten Zweck wegen der Luftbeimischung sonst ineffizient sind.
5.3.2 Zentrifugalpumpen
Zentrifugalpumpen sind im Prinzip Impellerpumpen wie man sie von vielen technischen Anwendungen von der Zentralheizung bis zur Wasserkühlung am Kraftfahrzeugmotor kennt (. Abb. 5.7). Der wesentliche Unterschied zu den vorgenannten Anwendungen liegt darin, dass die Zentrifugalpumpe für eine Herz-Lungen-Maschine so konzipiert sein muss, dass keine vermeidbare Hämolyse auftritt. Dies lässt sich durch eine stromlienengünstige Ausgestaltung von Impeller und Pumpengehäuse einerseits sowie durch eine Beschränkung der Beschleunigung der roten Blutkörperchen andererseits erzielen. Letzteres wird durch eine Reduktion der Umdrehungszahl in Funktion des Impellerradius erzielt; mit anderen Worten: je kleiner der Radius des Impellers, desto höher sind die Umdrehungszahlen, welche toleriert werden. Im Gegensatz zu den Rollerpumpen, bei denen das gepumpte Medium durch einen Schlauch von der Mechanik getrennt ist, gibt es bei Zentrifugalpumpen ein Lagerproblem, welches es zu lösen gilt. Verschiedene Ansätze kommen zur Anwendung: konventionelle Lagertechnik
. Abb. 5.7. Zentrifugalpumpen beschleunigen durch einen rotierenden Impeller die Flüssigkeit, welche dadurch an den äußeren Rand des Pumpengehäuses und nach außen getrieben wird. Die Leistung der definitionsgemäß nichtvolumetrischen Zentrifugalpumpen ist stark vor- und nachlastabhängig. Dies macht die Verwendung eines Durchflussmessgeräts notwendig. Oben und Mitte Biomedicus, unten Rotaflo
außerhalb des Blutpfades mit gekapseltem Kugellager und Simmerring, Saphierlager im Blutstrom, blutgespülte Lager, magnetische Aufhängung des Impellers unter Vermeidung von Gehäusekontakt etc. Unabhängig von der Lagerungsproblematik sind die Zentrifugalpumpen definitionsgemäß nichtvolumetrisch. Zur Erfassung der Pumpleistung werden deshalb unabhängige Flussmesser (z. B. elektromagnetisch, Ultraschall) eingesetzt. Alternativ kommen auch Algorithmen zur Anwendung, welche den Pumpenfluss aufgrund des Stromverbrauchs errechnen. Hier gilt es zu berücksichtigen, dass die Pumpleistung von Zentrifugalpumpen ausgesprochen vor- und nachlastabhängig ist. Ebenfalls im Gegensatz zu den Rollerpumpen sind Zentrifugalpumpen nicht selbstansaugend und müssen mit einer Flüssigkeit vorgefüllt werden. Dies stellt in der Notfallsituation, in der ein rasches Füllen der Herz-LungenMaschine gefragt ist, einen Nachteil dar. Gleichzeitig ist dies der Hauptvorteil der Zentrifugalpumpen, denn in der Regel wird der Pumpenfluss bei großen Luftmengen automatisch unterbrochen. Es ist aber ein Irrtum zu glauben, dass Gasembolien bei Zentrifugalpumpen unmöglich wären, denn weder werden kleine Blasen zuverlässig abgeschieden noch lässt sich die Kavitation bei plötzlichem Stopp (Leitungsknick) unter hohem Fluss verhindern.
5.4
Lunge der Herz-Lungen-Maschine
5.4.1 Oberflächenoxygenation
Bei den ersten künstlichen Lungen wurde das Blut für den Gasaustausch in einer sauerstoffgesättigten Atmosphäre auf einer großen Oberfläche verteilt. Ging es initial darum, überhaupt den minimal benötigten Gasaustausch zu erzielen, was mit einem senkrecht montierten Schirm, über den das ungesättigte Blut herablief (Gibbon 1954), möglich war, wurde der Akzent bei späteren Modellen auf eine kompaktere Bauweise gelegt, und es kamen rotierende Scheiben (Cross u. Kay 1957; . Abb. 5.8), versetzte Zylinder (Melrose
. Abb. 5.8. Sogenannter Scheibenoxygenator nach Kay-Cross. Die teilweise in das Blut eingetauchten Scheiben rotieren in einer sauerstoffgesättigten Atmosphäre. Wegen der geneigten Anordnung fließt das Blut von links nach rechts und wird durch die große Oberfläche oxygeniert
5
78
Kapitel 5 · Prinzipien und Entwicklungsschritte der extrakorporalen Zirkulation
5 . Abb. 5.9. Eine alternative Arte der Oberflächenvergrößerung wurde von Melrose durch die versetzte Anordnung von rotierenden Zylindern erzielt. Wegen der geneigten Anordnung fließt das Blut von rechts nach links, und der Gasaustausch findet an der gerippten inneren Oberfläche statt
1955; . Abb. 5.9) und Rollen (Crafoord u. Senning 1956) zur Anwendung. Da diese künstlichen Lungen aus rostfreiem Stahl und Glas sowie Latexschläuchen immer wieder verwendet wurden, war die einfache Zerlegbarkeit zur Reinigung und Sterilisierung von zunehmender Bedeutung. Über Jahre war jedoch die Aufbereitung einer Herz-Lungen-Maschine zeitaufwendiger als deren eigentlicher Einsatz (Kirklin et al. 1956).
5.4.2 Bläschenoxygenation
Bei den Bläschenoxygenatoren wird der Gasaustausch im Wesentlichen durch Einblasen von Sauerstoff in das ungesättigte Blut erzielt (Warden et al. 1955). Für einen effizienten Gasaustausch (Sauerstoffaufnahme und Kohlendioxidabgabe) ist es wichtig, dass die Gasblasen klein und regelmäßig sind. Idealerweise sind die roten Blutkörperchen bei diesen Systemen nur durch einen Flüssigkeitsfilm von den Gasblasen entfernt. Allerdings ist die Steuerbarkeit des Gasaustausches bei den Bläschenoxygenatoren nicht immer einfach (Zenker et al. 1957), denn eine erhöhte Sauerstoffzufuhr führt automatisch zu einer erhöhten Kohlendioxidabgabe und umgekehrt. Um den Säure-BasenHaushalt einigermaßen zu kontrollieren, kann es deshalb notwendig sein, separat Kohlendioxid zuzuführen. Ein großes Problem bei den Bläschenoxygenatoren besteht in der Kontrolle der Schaumentwicklung. Bevor das sauerstoffgesättigte Blut zum Patienten zurückfließen kann, muss sichergstellt sein, dass es einigermaßen blasenfrei ist. Dies lässt sich durch in den Blutlauf eingebaute Schikanen einerseits sowie sog. Entschäumer (Substanzen, welche die Oberflächenspannung beeinflussen) andererseits erreichen.
. Abb. 5.10. Der Sack – ein Bläschenoxygenator. Das venöse Blut tritt unten links ein, wird mit Sauerstoff aufgeschämt, steigt nach oben in den Entschäumer und fließt sauerstoffgesättigt wieder nach unten (Venotherm, Fa. Polystan, Vaerlose/Dänemark)
! Die Wirksamkeit dieser Vorrichtungen zur Entschäumung nimmt jedoch mit der Zeit ab, und damit ist die Anwendbarkeit der Bläschenoxygenatoren auf ungefähr 6 h begrenzt.
Die Einführung der Bläschenoxygenatoren hat die Chirurgie am offenen Herzen grundsätzlich gewandelt, und zwar weniger wegen deren Leistungsvermögen bzw. Unvermögen, sondern v. a. wegen des relativ einfachen Aufbaus aus kostengünstigen Materialien (Sack aus Polyvinylchlorid, Stahlwolle als Entschäumer; . Abb. 5.10). Die De-factoEinführung der Wegwerflunge (Lillehei et al. 1956) ermöglichte ein praktisch unbeschränktes Wachstum der offenen Herzchirurgie, da das Nadelöhr des aufwendigen Maschinenputzens, Aseptisierens und Neuaufbaus nun plötzlich weitgehend entfiel.
5.4.3 Membranoxygenation
Ausgehend von der Beobachtung, dass bei der Dialyse mit durchsichtigen Membranen im Wasserbad eine gewisse Sauerstoffsättigng auftrat, und in Übereinstimmung mit dem Aufbau einer natürlichen Lunge, bei der der Blutpfad ebenfalls durch eine Membran getrennt vom Gaspfad verläuft, war die Entwicklung effizienter Membranoxygenatoren nur eine Frage der Zeit. Analog zur angesprochenen Dialyse zur Blutreinigung verlief die Entwicklung von Membranoxygenatoren von Spulen- über Flachmembran- und schließlich zu Hohlfaseroxygenatoren.
79 5.4 · Lunge der Herz-Lungen-Maschine
. Abb. 5.11. Spulenoxygenator mit Silikonmembran, die keinen Blasendurchtritt zulässt (Fa. SciMed, Minneapolis/USA)
5.4.3.1
Spulenoxygenation
Beim Spulenoxygenator wird das Blut analog zum Spulendialysator in einer aufgerollten Membranhülle (Wursthaut) geführt, welche nicht in einem Wasserbad, sondern eben in einer Gasatmosphäre aufgehängt ist. Zur Verhinderung von Flussdiffrenzen werden sowohl auf der Blut- als auch auf der Gasseite Netze eingelegt und mitgerollt, welche für regelmäßige Distanzen zwischen den Membranen sorgen. Ein wesentlicher Vorteil der Spulenoxygenatoren ist auf das für die Membran verwendete Material zurückzuführen. In der Tat hat das dafür eingesetzte Silikon (SciMed, Minneapolis) die Eigenschaften einer echten Membran, welche keinen Blasendurchtritt erlaubt (. Abb. 5.11). Der Gasaustausch findet ausschließlich durch Diffusion statt. Letzteres ist ein großer Vorteil bei Langzeitperfusionen, wo beispielsweise bei den sonst üblichen mikroporösen Membranen sog. Plasmaleckagen auftreten. Diese beeinträchtigen den Gasaustausch und zwingen schließlich zum Oxygenatoraustausch. 5.4.3.2
Flachmembranoxygenation
Ein rechteckiger Stapel ist eine andere Form, die Membranen anzuordnen, wobei abwechselnd Blut bzw. Gas zwischen den Membranen fließt. Bei den ersten Plattenmembranoxygenatoren war es schwierig, einen regelmäßigen Abstand zwischen den Membranen einzuhalten. Eine spezielle Presse erlaubte es, das Membranpaket zu komprimieren und damit die Membranabstände zu reduzieren sowie auf diese Weise bis zu einem gewissen Grad den Gasaustausch zu verbessern (. Abb. 5.12). Ein zweite Maßnahme,
. Abb. 5.12. Plattenmembranoxygenator, dessen Membranabstände mit einer Presse reduziert und dessen Blutkanäle mit einer Rücklaufpumpe offen gehalten werden können (Fa. TMO, Baxter-Travenol, Deerford/USA)
um die Funktionstüchtigkeit solcher Membranstapel aufrechtzuerhalten, war die Hinzuziehung einer zweiten, sog. Rücklaufpumpe, welche kontinuierlich einen Blutfluss zwischen 2 künstlichen Vorhöfen und der Membranlunge aufrechterhielt. Bei moderneren Plattenmembranlungen wird mittels spezieller Platzhalternetze für eine konstante Distanz zwischen den Membranen gesorgt. Um den Blut- vom Gaspfad zu trennen, werden die Membranen mit den entsprechenden Platzhaltern so eingegossen, dass nach dem Anschneiden des Membranblocks das Blut beispielsweise von Norden nach Süden fließt, wohingegen das Gas von Osten nach Westen gelangt (. Abb. 5.13). 5.4.3.3
Hohlfaseroxyenation
Auch hier folgte die Entwicklung der künstlichen Lunge dem Vorbild der künstlichen Niere, indem man Hohlfaseroxygenatoren einführte, die im Wesentlichen aus Bündeln mikroporöser Polypropylenehohlfasern bestanden und in denen das Blut in den Hohlfasern geführt wurde, während das Gas außerhalb davon floss. Mit der Zeit setzte sich jedoch die umgekehrte Anordnung (Gaspfad in den Fasern, Blutpfad außerhalb) durch. Letzteres hat den Vorteil, dass bei einem gegebenen Hohlfaserdurchmesser die dem Gasaustausch zur Verfügung stehende Oberfläche außen größer ist als innen. Bei der Herstellung solcher Hohlfaseroxygenatoren werden die Faserbündel an beiden Enden eingegossen, angeschnitten und so im Gehäuse montiert, dass ein Medium in die Fasern eintreten kann, während das andere um die Fasern fließt.
5
80
Kapitel 5 · Prinzipien und Entwicklungsschritte der extrakorporalen Zirkulation
. Abb. 5.13. Vereinfachter Plattenmembranoxygenator (Fa. Cobe, Arvada/ USA) . Abb. 5.14. Integrierter Hohlfasermembranoxygenator mit Wärmeaustauscher, offenem venösen Reservoir und Kardiotomiereservoir (Sorin, Fa. Dideco, Mirandola/Italien)
5
5.13
5.14
In den letzten Jahren wurden wesentliche Fortschritte in der Effizienz des Gasaustauschs von Hohlfaseroxygenatoren erzielt (. Abb. 5.14–5.16). Computersimulationen und ausgiebige Labortets erlaubten es, sowohl die Anordnung der Hohlfasern als auch die Ausgestaltung des Blutflusses zu optimieren. Dadurch ließen sich die verbauten Membranoberflächen stark reduzieren.
Membranen für die Langzeitanwendung. Mikroporöse Hohlfasern gestatten den Gasaustausch – wie ihr Name sagt – aufgrund kleiner Poren. Der Blutdurchtritt durch eben diese Öffnungen wird im Wesentlichen durch die wasserabweisenden Eigenschaften des Membranmaterials verhindert. Dies ist jedoch ein zeitlich begrenztes Phänomen und führt bei Langzeitanwendungen der extrakorporalen Membranoxygenation (über Tage und Wochen) zu Plasmalecka-
. Abb. 5.15. Hohlfasermembranoxygenator mit integriertem Hohlfaserwärmeaustauscher (Quadrox, Fa. Maquet, Hirrlingen)
. Abb. 5.16. Integrierter Hohlfasermembranoxygenator mit Wärmeaustauscher, offenem venösen Reservoir und Kardiotomiereservoir (Admiral, Fa. Eurosets, Mirandola/Italien)
81 5.6 · Bereitstellung der Herz-Lungen-Maschine
gen, welche den Gasaustausch beeinträchtigen. Die künstliche Lunge wandelt sich mit anderen Worten langsam zu einer künstlichen Niere, kann damit ihren ursprünglichen Zweck nicht mehr erfüllen und muss ausgewechselt werden. Dieses Phänomen erklärt, warum sich Spulenoxygenatoren mit echten, absolut dichten Membranen (Silikon) für die Langzeitperfusion relativ lange halten konnten, obwohl sie ein relativ großes Füllvolumen aufwiesen und auch thromboseanfällig waren. Verschiedene Strategien zur Verhinderung von Plasmaleckagen haben es mit der Zeit erlaubt, die Hohlfaseroxygenatoren zu verbessern. Dazu gehört der Einsatz von Hohlfasern mit kleineren Poren, verschiedenen Beschichtungen wie Silikon (IVOX, Cardiopulmonics, Salt Lake City) und asymetrischem Membranaufbau.
5.5
Oberflächenbehandlung
Die dem Blut ausgesetzten Komponenten einer HerzLungen-Maschine werden aufgrund der spezifischen, funktionsgebundenen Anforderungen aus den verschiedensten Materialen hergestellt, deren wesentlichster gemeinsamer Nenner die industrielle (maschinelle) Verarbeitbarkeit ist. Es erstaunt daher kaum, dass man die meisten im extrakorporalen Kreislauf eingesetzten Materialen aus dem täglichen Leben kennt: Viele Schläuche sind aus PVC (Polyvinylchlorid; besser bekannt als glatter Bodenbelag), für Hohlfasern wird Polypropylen verwendet (Spannteppich), die Hohlfasern sind mit Polyurethan eingegossen (Schuhsohlen oder Schaumgummi), die Filter werden aus Polyester gefertigt (Schnürsenkel oder Segel), für die Wärmeaustauscher kommt rostfreier Stahl infrage (Messer oder Auspuffanlagen) etc. Keines dieser Materialien wurde für den extrakorporalen Kreislauf entwickelt, und keines kann als besonders biolgisch verträglich bezeichnet werden.
5.5.1 Gott-Shunt
Ein logischer Ansatz, um die Biokompatibilität all dieser Materialen zu verbessern, besteht darin, sie mit einer blutfreundlichen Schicht zu überziehen. Dieses Konzept wurde von V. Gott in den 1960er Jahren entwickelt und als Benzalkonium-Heparin Beschichtung eingeführt (Gott et al. 1961). In der Klinik wurde der sog. Gott-Shunt erstmals bei der Resektion thorakaler Aneurysmen zwischen der proximalen und der distalen Aorta bzw. zwischen linksventrikulärem Apex und distaler Aorta eingesetzt, um während der Abklemmung der deszendierenden Aorta die distale Durchblutung aufrechtzuerhalten und so das Risiko einer peripheren Ischämie bzw. einer Paraplegie zu reduzieren, ohne auf eine volle systemische Heparinisierung zurückgreifen zu müssen. In der Folge wurden verschiedene Verfahren
zur Heparinisierung künstlicher Oberflächen entwickelt (Krause et al. 1972).
5.5.2 Extrakorporale Membranoxygenation
(»extracorporeal membrane oxygenation«, ECMO) Unkontrollierbare Blutungen bei der Langzeitperfusion wegen Lungen- und/oder Herzversagen führten zur systematischen Erforschung der Beschichtbarkeit aller bei der extrakorporalen Zirkulation dem Blut ausgesetzten Komponenten. Grundsätzlich kann Heparin sowohl ionisch als auch kovalent an künstliche Oberflächen gebunden werden, wobei ersteren Bindungen eine mangelnde Stabilität und letzteren eine fragliche Aktivität vorgeworfen wurde. Tatsache ist, dass es verschiedene Beschichtungsverfahren mit (Krause et al. 1972; Larm et al. 1983; von Segesser u. Turina 1989; von Segesser et al. 1992; Wendel u. Ziemer 1999) und ohne Heparin (Ask et al. 2006; von Segesser et al. 1994a) gibt, welche die dem Blut ausgesetzten künstlichen Oberflächen relativ thromboseresistent machen und auch andere günstige Eigenschaften aufweisen, welche die Biokompatibiltät zu verbessern. Aufgrund der genannten Entwicklung werden von den meisten Firmen heute Perfusionssets mit einer alle Komponenten umfassenden, jeweils patentierten, biokompatiblen Beschichtung angeboten: 4 Eurosets, Sorin-Dideco (Mirandola/Italien): Physiocoating (Phospholipidbeschichtung); 4 Maquet (Hirrlingen): Bioline (Heparinbeschichtung); 4 Medtronic (Trillium; Minneapolis/USA): Carmeda (Heparinbeschichtung); 4 Terumo (Tokyo): X-coating (hydrophiles Polymer).
5.6
Bereitstellung der Herz-Lungen-Maschine
Die Bereitstellung der Herz-Lungen-Maschine beginnt mit der Prüfung auf Vollständigkeit, Reinlichkeit, Funktionstüchtigkeit etc. Häufig wird von einem für einen bestimmten, elektiven Patienten zuständigen Kardiotechniker eine sog. Bereitschaftsmaschine eingesetzt, die bereits von einer anderen Person für einen eventuellen Notfalleinsatz aufgebaut, aber noch nicht gefüllt wurde. Umso wichtiger ist deren genaue Prüfung, bevor man einen Patienten anschließt. ! Da es im Nachhinein schwierig ist, eine adäquate Prüfung einer Herz-Lungen-Maschine vor der Ingebrauchnahme nachzuweisen, wird die Verwendung von Prüflisten empfohlen, auf denen die wichtigsten Kontrollpunkte abgehakt werden müssen (Kurusz 2005; Svenmarker u. von Segesser 1999).
5
82
Kapitel 5 · Prinzipien und Entwicklungsschritte der extrakorporalen Zirkulation
5.6.1 Maschinen-, Tisch-, Kardioplegie-
5.7
Anschluss der Herz-Lungen-Maschine
und Hämofiltrationsset 5.7.1 Kanülierungsprinzipien
5
Die mit dem Blut des Patienten in Kontakt kommenden Bestandteile einer Herz-Lungen-Maschine sind heute alle als Wegwerfartikel konzipiert und werden als sog. Sets, nämlich Maschinen-, Tisch-, Kardioplegie-, Hämofiltrationsset etc., von der Industrie zur Verfügung gestellt. Das Maschinenset beinhaltet im Wesentlichen: 4 venöses Reservoir, 4 Kardiotomiereservoir, 4 Leitungen, die in die Pumpenköpfe eingelegt werden, 4 evtl. Zentrifugalpumpenkopf mit Flussmesser, 4 Wärmeaustauscher, 4 Oxygenator, 4 Teil der arteriellen Leitung mit dem arteriellen Filter. Das Tischset umfasst typischerweise: 4 venöse Leitung (mit der arteriellen Leitung zusammengesteckt), 4 Leitungen für die Sauger, 4 Leitungen für Kardioplegie- und kalte Spüllösung. Nachdem das Tischset an das auf der geprüften Herz-Lungen-Maschine montierte Maschinenset angeschlossen wurde, kann man die Maschine füllen.
5.6.2 Vorfüllvolumen
Maschinenset, Tischset etc. werden trocken angeliefert. Alle Anschlüsse sind mit Kappen abgedeckt. Dies verhindert den unerwünschten Eintritt von Fremdkörpern in das System. Wegen der vorangegangenen Gassterilisation sind die verwendeten Kappen jedoch auf Dichtigkeit zu prüfen und im Fall von Schutzkappen, wo nötig, gegen dichte Kappen auszuwechseln. Um die extrakorporale Zirkulation beginnen zu können, muss man die aufgebaute und geprüfte Herz-Lungen-Maschine füllen. Ursprünglich wurde dafür heparinisiertes Frischblut verwendet. Mit Ausnahme von anämischen Patienten ist es heute bei Erwachsenen meist möglich, die Maschine mit klarem Volumen vorzufüllen. Dafür gibt es die verschiedensten Rezepturen (McKnight et al. 1985), wobei v. a. über die Verwendung von Kolloiden diskutiert wird (Rex et al. 2006). Eine weitere Frage besteht darin, ob ein sog. Prebypassfilter Anwendung finden soll (Merkle et al. 2003), mit dem potenzielle Partikel im Set bzw. Füllvolumen beim Rezirkulieren und Entlüften herausgefiltert werden können, bevor man die Maschine an den Patienten anschließt. Falls doch Blutkonserven notwendig sind, müssen diese mit Heparin (500 IE/Beutel) versehen werden, bevor sie in die Maschine gegeben gelangen.
Die verlustfreie Kupplung der Herz-Lungen-Maschine mit dem Kreislauf des Patienten ist für ein erfolgreiches Operieren am Herzen von größter Bedeutung. Undichte Anschlüsse auf der arteriellen Seite führen zu einer permanenten Überschwemmung des Operationsfeldes bei zentraler Kanülierung und zu einem kontinuierlichen Verlust von zirkulierendem Volumen bei peripherer Kanülierung. Auf der venösen Seite sind undichte Kanülierungen mit einem andauernden Lufteintritt in den venösen Schenkel der HerzLungen-Maschine verbunden, welche neben einer Verschlechterung des venösen Rückflusses mit der Gefahr eines Abreißens der venösen Flüssigkeitssäule mit konsekutivem Maschinenstopp zu einer gesteigerten Hämolyse sowie zu einem Luftdurchtritt auf die arterielle Seite führen können. In Analogie zur Funktion elektrischer Geräte, deren Leistung von der Qualität des Anschlusses an das Netz abhängt, ist die Leistung der Herz-Lungen-Maschine direkt von der Qualität des Anschlusses bzw. von der Leistungsfähigkeit der Kanülen und deren Positionierung abhängig. Die Herz-Lungen-Maschine kann nur denjenige Blutfluss gewährleisten, der einerseits durch die venöse(n) Kanüle(n) aus dem Kreislauf des Patienten abgeleitet und andererseits durch arterielle Kanüle wieder in den Kreislauf zurückgepumpt werden kann. In der Tat sind die Kanülen die engste Stelle zwischen den gekoppelten Kreisläufen des Patienten und der Herz-Lungen-Maschine, welche während jeder Operation am offenen Herzen in einem Verbund stehen müssen. Verschiedene physikalische Gesetze, welche üblicherweise banal erscheinen mögen, entfalten hier ihre volle Wirkung. Gemäß Daniel Bernoulli ist der Massentransport in einer Röhre mit einem engeren Segment konstant. Die Reduktion des Querschnitts muss deshalb mit einer höheren Flussgeschwindigkeit kompensiert werden. Wie oben ausgeführt, ist die venöse Kanüle die engste Stelle im venösen Schenkel der gekoppelten Kreisläufe von Mensch und Maschine, denn aus naheliegenden Gründen muss der äußere Durchmesser einer traditionellen venösen Kanüle kleiner sein als das Gefäß, welches es zu kanülieren gilt (typischerweise die V. femoralis oder die V. cava). Ebenso logisch ist der innere Durchmesser einer traditionellen venösen Kanüle kleiner als der äußere, denn es gilt auch die Kanülenwand vom nutzbaren Kanülenquerschnitt abzuziehen. Bis zu einem gewissen Grad kann die lokale Flussbehinderung durch die Kanülen auf der venösen Seite durch eine Druckabsenkung auf der Maschinenseite kompensiert werden, wobei sowohl hydrostatische (Erhöhung des Gefälles bzw. Verminderung der Höhe des venösen Reservoirs) als auch hydrodynamische Prinzipien (kinetische Flusssteigerung mittels Zentrifugalpumpen bzw. Vakuum) zum Ein-
83 5.7 · Anschluss der Herz-Lungen-Maschine
satz kommen. Im Gegensatz zum arteriellen Schenkel lässt sich der Fluss auf der venösen Seite mit diesen Mitteln jedoch nur beschränkt steigern, denn einerseits widerstehen die geformten Blutbestandteile dem negativen Druck nur beschränkt, und andererseits besteht die Gefahr der Ansaugung der Venenwand an die Kanülenöffnung, was wiederum einen kompletten Rückflussstopp nachsichziehen kann. Aus den genannten Gründen sollte der negative Druck im venösen Schenkel der Maschine 50 mmHg nicht übersteigen. Schließlich muss auch auf die optimale Positionierung der venösen Kanüle geachtet werden, denn beispielsweise kann man bei transatrialer Positionierung einer venösen Kanüle in einer Lebervene kaum mit einem für eine Ganzkörperperfusion optimalen Flussverhalten rechnen.
5.7.2
Zentralvenöse Kanülen
Primär muss vor der zentralen venösen Kanülierung entschieden werden, ob man den rechten Vorhof im Laufe des Eingriffs eröffnet. Falls dies der Fall ist, empfiehlt sich eine doppelte venöse Kanülierung. Dabei werden venöse Kanülen in beide Hohlvenen eingelegt. Das Anschlingen derselben erlaubt es, bei Bedarf den gesamten systemischen venösen Rückfluss (mit Ausnahme der Koronarzirkulation) in den venösen Schenkel der Herz-Lungen-Maschine abzuleiten. In der Folge kann man den rechten Vorhof eröffnen, ohne dass es zu einem Ansugen von Luft mit konsekutivem Maschinenstopp kommt. Wenn bei der Planung des Eingriffs eine Eröffnung des rechten Vorhofs (oder evtl. des rechten Ventrikels) unwahrscheinlich erscheint, ist eine einfache zentralvenöse Kanülierung in der Regel ausreichend. Dies gilt insbesondere für Eingriffe am linken Herzen sowie Revaskularisationen der Herzkranzgefäße. 5.7.2.1
. Abb. 5.17. Abgewinkelte venöse Kanüle, wie sie für die transatriale Kanülierung der V. cava Verwendung findet
Kanülen für die doppelte zentralvenöse Kanülierung
Bei den traditionellen zentralen Kanülen, welche für die Kanülierung der oberen und der unteren Hohlvene zum Einsatz kommen, spielt neben dem Durchmesser, der Wandstärke, der Länge und dem Vorhandensein einer Drahtverstärkung zur Verhinderung des Abknickens v. a. die Ausformung der Kanülenspitze eine Rolle. Es werden schräg angeschnittene Kanülenspitzen mit oder ohne Seitenlöcher, sog. Leuchtturmspitzen in Korbform sowie verschiedene Abwinkelungen in Metall und/oder Plastik unterschieden (. Abb. 5.17 u. 5.18). Bei der venösen Kanülenwahl spielt natürlich die Größe des Zielgefäßes (hier eine Hohlvene) eine wesentliche Rolle. Allerdings darf auch der Maschinensollfluss (2,4 l/min/ m2 KOF) nicht vernachlässigt werden. . Abbildung 5.19 zeigt für eine Kanülenfamilie, welcher Kanülenaußendurchmesser für einen bestimmten Fluss bei einem gegebenen Höhenunterschied zwischen dem rechten Vorhof
. Abb. 5.18. Venöse Kanüle mit abgewinkeltem Metallansatz, wie sie vorzugsweise für die direkte Kanülierung der V. cava eingesetzt wird
und dem Einlass im venösen Reservoir notwendig ist, und kann auch für andere Fabrikate als Anhaltspunkt dienen. In der Regel kann davon ausgegagngen werden, dass die obere Hohlvene bei Erwachsenen 1/3 des Herzzeitvolumens fördert und die untere 2/3. Entsprechend kann man die Kanüle für die obere Hohlvene etwas kleiner wählen als für die untere. Für die in . Abb. 5.18 dargestellte venöse Kanüle mit abgewinkeltem Metallansatz, welche man direkt in die Hohlvenen einlegt, wird bei einem durchschnittlichen Erwachsenen für die obere Hohlvene typischerweise die Größe 24 F (entspricht 24 Ch) und für die untere die Größe 28 F gewählt. Ist bei transatrialer Kanülierung der oberen Hohlvene eine größere Kanüle einführbar als erforderlich, kann dies bei Abgang von der extrakorporalen Zirkulation und der Dekanülierung der unteren Hohlvene hilfreich sein: Nach Zurückziehen der oberen Kanüle in das Atrium kann man die untere Kanüle noch an der extrakorporalen Zirkulation bei weitgehender Herzentlastung entfernen und die Kanülierungsstelle sicher versorgen. 5.7.2.2
Kanülen für die einfache zentralvenöse Kanülierung
Für die einfache zentralvenöse Kanülierung werden heute am häufigsten sog. Mehrstufenkanülen eingesetzt, welche es ermöglichen, gleichzeitig die untere Hohlvene und den rechten Vorhof zu drainieren (. Abb. 5.20 u. 5.21). Das genannte Konzept kann auf verschiedene Arten abgewandelt werden,
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84
Kapitel 5 · Prinzipien und Entwicklungsschritte der extrakorporalen Zirkulation
indem 2-oder 3-stufige Modelle mit oder ohne Drahtverstärkung sowie mit oder ohne Abwinklung bzw. mit rundem oder ovalem Querschnitt zum Einsatz kommen.
5.7.3
Periphere venöse Kanülen
5.7.3.1
Traditionelle venöse Kanülen
Die periphere venöse Kanülierung genießt wieder zunehmendes Interesse. Dies hat v. a. mit der Entwicklung der minimal-invasiven Herzoperationen über kleine und kleinste Zugangswege und der roboterunterstützten Herzchirurgie einerseits sowie mit der Zunahme von Re-Operationen und anderen komplexen Eingriffen andererseits zu tun. Traditionelle Kanülen (. Abb. 5.22) und auch Thoraxdrainageschläuche eignen sich beispielsweise zum Einsatz via V. femoralis bei partiellem Bypass oder aber wenn zusätzlich noch weitere Kanülen in das venöse System eingelegt werden. Es ist allerdings schwierig, mit traditionellen Kanülen und peripherem Zugang einen vollen Fluss (2,4 l/ min/m2 KOF) zu erreichen. Dies gilt für alle peripheren Zugänge wie die beiden femoralen Venen wie auch für die V. axillaris, die V. subclavia oder die V. jugularis. Das Problem besteht darin, dass diese peripheren Venen – im Gegensatz zur V. cava inferior mit einem Durchmesser von >20 mm beim Erwachsenen – nur einen Durchmesser von 6–9 mm aufweisen, sofern sie gut gefüllt sind. Bei Hypovolämie und allgemeiner Vasoplegie sowie v. a. nach chirurgischer Darstellung sind die peripheren Zugangsvenen meist bedeutend kleiner und geben zur Wahl von Kanülen mit noch kleinerem Durchmesser Anlass.
5
. Abb. 5.19. Fluss durch venöse Kanülen (aus Kunststoff ) ansteigenden Durchmessers (10–40 Ch) in Abhängigkeit vom Niveauunterschied zweier Reservoire (Messungen mit Wasser)
. Abb. 5.20. Venöse 2-Stufen-Kanüle, deren Spitze bei der transatrialen Kanülierung in der V. cava inferior zu liegen kommt, wogegen der Korb am Übergang vom kleinen zum großen Durchmesser im rechten Vorhof platziert wird (Fa. Stöckert, München) . Abb. 5.21. Venöse 2-Stufen-Kanüle mit einer Variante der Spitze mit verdrehten Rippen, welche an die Stelle einer Leuchtturmspitze treten . Abb. 5.22. Traditionelle venöse Kanülen, welche von peripher eingelegt werden, sind meistens zu klein, um einen vollen Maschinensollfluss zu erreichen
5.20
5.21
5.22
85 5.7 · Anschluss der Herz-Lungen-Maschine
5.7.3.2
Perkutane venöse Kanülen
Der Problematik der traditionellen venösen Kanülen wird seit einiger Zeit mit langen, dünnwandigen, flexiblen Kanülen entgegengetreten, welche beispielsweise von der Leiste aus in den rechten Vorhof vorgeschoben und in Verbindung mit einer Zentrifugalpumpe oder mittels Vakuum betrieben werden können (Jegger et al. 1999; Mueller et al. 2001; Tevaearai et al. 2001). In den letzten Jahren wurden große Fortschritte bei der Entwicklung von sog. perkutanen Kanülen erzielt, welche trotz dünner Wand sehr flexibel sind. Die nötige Knickresistenz ließ sich durch eine Wandverstärkung mit einem gewickelten Flachdraht erreichen, welcher eingegossen ist (. Abb. 5.23). Kanülen, welche eine perkutane Anwendung ermöglichen, werden oft im Set mit Hohlnadeln, Dilatatoren und Führungsdrähten angeboten (. Abb. 5.24), sodass man sie mittels Seldinger-Technik (»Katheter über den Draht«) offen, halboffen oder geschlossen einlegen kann. Trotzdem ist es in der Regel auch mit diesen verbesserten perkutanen Kanülen trotz Flusssteigerung mit Vakuum oder Zentrifugalpumpen nicht möglich, einen vollen Fluss zu erreichen. Meistens bleibt dieser auf 90 % des Sollmaschinenflusses begrenzt (von Segesser 1999) und lässt sich durch eine weitere Steigerung des Unterdrucks in der venösen Leitung (mehr Vakuum oder Erhöhung der Umdrehungszahl der Zentrifugalpumpe) nicht steigern (Jegger et al. 2003) – im Gegenteil: Meist nimmt die venöse Drainage noch weiter ab. Der Rest des Blutes kann zwar mit einer zweiten Kanüle transjugular und/oder transpulmonal abgesaugt werden, wobei sich jedoch die Komplexität des Systems entsprechend erhöht. Beim Verzicht auf adäquate venöse Drainage muss auf der Patientenseite mit einer Blutüberflutung des Operationsfeldes einerseits und einer mangelhaften Gewebeperfusion andererseits gerechnet werden. Auf der Maschinenseite wird der beschränkte Rückfluss am ehesten mit zusätzlichem Volumen kompensiert, wobei ein Volumenersatz mit einem Absinken des Hämatokrits und einer Reduktion der venösen Sauerstoffsättigung einhergeht, welche wiederum mittels Transfusion von homologen Blutkompenenten kompensiert werden muss. 5.7.3.3
. Abb. 5.23. Eine perkutane venöse Kanüle muss bei geringer Wandstärke eine ausreichende Knickresistenz aufweisen. Dies kann mit einer eingegossenen gewickelten Drahtverstärkung erreicht werden (Fa. Research Medical Edwards Lifesciences, Irvine/USA)
Selbstexpandierende venöse Kanülen für die optimierte venöse Drainage
Es muss bei dieser Gelegenheit in Erinnerung gerufen werden, dass es klassische physikalische Gesetze sind, welche das Blutvolumen begrenzen, das durch ein dünnes Rohr bzw. eine kleinlumige Kanüle fließen kann (Jegger et al. 2003; von Segesser 1999). Wie bereits ausgeführt, ist der in der Klinik anwendbare negative Druck auf ungefähr 50 mmHg limitiert (Mueller et al. 2001). Bei einer weiteren Steigerung des negativen Drucks nimmt der Blutfluss nicht zu, sondern ab, da die Ansaugung der Venenwände die Kanüleneinlassöffnungen verschließen kann. Auch eine Vergrößerung des Querschnitts der venösen Leitung zur Herz-
. Abb. 5.24. Zu einem perkutanen Kanülierungsset gehören Hohlnadel, Führungsdraht, Dilatatoren, Kanüle und Mandrin (Biomedicus)
Lungen-Maschine erbringt in dieser Situation keine Verbesserung (Ni et al. 2001). Dieser Problematk kann durch die Verwendung selbstexpandierender venöser Kanülen entgegengewirkt werden (Corno 2007; Mueller et al. 2002; von Segesser et al. 2005, 2006). Diese lassen sich vor dem femoralen Einlegen in die venöse Strombahn auf einen Bruchteil des Venendurch-
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86
Kapitel 5 · Prinzipien und Entwicklungsschritte der extrakorporalen Zirkulation
5
. Abb. 5.25. Selbstexpandierende venöse Kanüle für die periphere Einlage über einen Führungsdraht. Die dargestellte gestreckte Kanüle misst vor dem Einlagen 18 F und expandiert vor Ort bis auf 36 F
. Abb. 5.26. Transösophagealer echokardiographischer Nachweis der Platzierung der Kanülenspitze in der V. cava superior
messers verkleinern und werden dann über einen Führungsdraht in das Drainagegebiet (z. B. rechter Vorhof und V. cava superior) vorgeschoben und dort entfaltet (. Abb. 5.25). Interessanterweise ist der mittlere Durchmesser solcher selbstexpandierenden venösen Kanülen um ein Vielfaches größer als derjenige traditioneller, geradliniger perkutaner Kanülen. Da der Fluss gemäß dem Gesetz von Bernoulli bei doppeltem Rohrdurchmesser 16-mal höher ist, erstaunt es nicht, dass die Drainageleistung mit selbstexpandierenden venösen Kanülen, welche sich automatisch dem venösen Querschnitt anpassen, steigerbar ist und in der Regel die Schwerkraft ausreicht, um den Sollfluss zu erreichen (Corno 2007; von Segesser et al. 2005, 2006, 2007). Wie bei traditionellen Kanülen, kann auch der optimalen Platzierung von selbstexpandierenden Kanülen nicht genug Beachtung geschenkt werden. Bei peripherer Anwendung legen wir deshalb großen Wert auf die Identifikation des Führungsdrahtes im Zielgebiet, beispielsweise mittels transösophagealer Echokardiographie (. Abb. 5.26).
5.7.4
! Bei transfemoraler Anwendung selbstexpandierender Kanülen ist es wichtig, dass der Führungsdraht in der V. cava superior platziert wird, bevor man die mit einem hohlen Richtdorn kollabierte Kanüle über den Draht vorschiebt und deren Spitze ebenfalls in der V. cava superior platziert. Um zu Verhindern, dass sich die Kanülenspitze verschiebt, ist es erforderlich, den Führungsdraht vor dem Richtdorn aus der selbstexpandierenden Kanüle zu entfernen.
Arterielle Kanülen
Auf der arteriellen Seite bestehen beim Kanülieren ebenfalls geometrische Einschänkungen. Natürlich muss auch die arterielle Kanüle einen kleineren Außendurchmesser aufweisen als der Innendurchmesser des zu kanülierenden Gefäßes, und auch hier muss die Kanülenwandstärke vom nutzbaren Kanülenquerschnitt abgezogen werden. Da die geformten Blutelemente größeren positiven Druckbelastungen widerstehen können, arbeitet man in der Regel mit positiven Drücken im arteriellen Schenkel der Herz-Lungen-Maschine von bis zu 300 mmHg. Es ist jedoch zu berücksichtigen, dass der Druck im arteriellen Schenkel beim klassischen Maschinenaufbau meist auf dem arteriellen Filter gemessen wird und damit zwischen Oxygenator und arterieller Kanüle. Aufgrund des Gradienten in Oxgenator und Wärmeaustauscher kann der tatsächliche Druck im System damit ohne Weiteres um >100 mmHg höher sein. 5.7.4.1
Zentrale arterielle Kanülen
Die Tatsache, dass im arteriellen Schenkel der Herz-LungenMaschine im Vergleich zum venösen Schenkel mit höheren Druckwerten gearbeitet werden kann, ist bei traditionellen Kanülendimensionen bereits berücksichtigt. Für Erwachsene Patienten hat eine typische aortale Kanüle deshalb eine Größe von 24 F (Durchmesser: 8 mm), während für die entsprechende zentrale venöse Kanüle ohne Weiteres Größen von 40 F bis >50 F (Durchmesser: 17 mm) zum Einsatz kommen. Bei der Ausbildung der arteriellen Kanülenspitzen wird zwischen geraden und angeschrägten, gebogenen und flexiblen Modellen unterschieden (. Abb. 5.27 u. 5.28). Letztere werden vom Blutstrom mitgenommen, und ihre Austrittsöffnung kommt damit in der Aorta descendens zu lie-
87 5.7 · Anschluss der Herz-Lungen-Maschine
. Abb. 5.27. Gebogene arterielle Kanüle. Die Spitze kann relativ zentral im Aortenlumen platziert werden. Damit trifft der arterielle Strahl nicht automatisch die gegenüberliegende Aortenwand (Fa. Sarus Terumo, Tokyo)
. Abb. 5.28. Gerade arterielle Kanülen (Fa. Maquet, Hirrlingen) werden v. a. in der Kinderherzchirurgie eingesetzt, wo die Platzverhältnisse ausgesprochen eng sind. Konflikte mit der Aortenwand und/oder der Aortenklemme sind nicht selten, lassen sich aber durch kurze, defibierte Spitzen vermeiden
gen (. Abb. 5.29), mit dem Ziel, den sog. Sandstrahleffekt räumlich von den Hirngefäßen zu entfernen (Swaminathan et al. 2007). Andere Konzepte zur Reduktion des arteriellen Jets am Kanülenaustritt beinhalten eine Vielzahl von Seitenlöchern sowie in die Kanülenspitze integrierte Flussablenker bzw. Diffusoren (Scharfschwerdt et al. 2004). ! Die nur äußert kurze intraaortale Lage gerader Kanülen in der Kinderherzchirurgie erfordert eine besondere Sorgfalt der temporären Fixierung, um Dislokationen zu vermeiden.
Bei stark verwachsenem Operationsfeld kann auch für die zentrale arterielle Kanülierung auf perkutane arterielle Kanülen zurückgegriffen werden. Letztere haben den Vorteil, dass sie relativ dünnwandig und knickresistent sind sowie mittels Seldinger-Technik (Hohlnadel, Führungsdraht, Dilatatoren, Kanüle mit Richtdorn) eingelegt werden können. Zentrale arterielle Kanülen mit Filter. Das Auftreten eines
Schauers von Embolien beim Lösen der Aortenklemmme bzw. beim seitlichen Anlegen einer Klemme zum Erstellen proximaler Anastomosen bei Koronarbypassoperationen ist ein klassisches Problem, dem durch Verwendung eines Aortenfilters begegnet werden kann. Zu diesem Zweck wird von Anfang an eine spezielle arterielle Kanüle eingelegt, welche ein zweites Lumen für die Filtereinlage aufweist (. Abb. 5.30). Vor dem Lösen der Aortenklemme wird ein
. Abb. 5.29. Flexible lange Aortenkanüle, welche vom Blutstrom in die Aorta descendens mitgeschwemmt wird (Fa. Sarus Terumo, Tokyo). Damit lässt sich die Gefahr von »Sandstrahlläsionen« vor den supraaortalen Ästen reduzieren
5
88
Kapitel 5 · Prinzipien und Entwicklungsschritte der extrakorporalen Zirkulation
5
. Abb. 5.30. Arterielle Kanüle mit speziellem Kanal für die temporäre Einlage eine Aortenfilters
. Abb. 5.31. Traditionelle gerade arterielle Kanüle mit schräg angeschnittener Spitze
benetzter, der Aortengröße entsprechender Filter zusammengefaltet in das Aortenlumen eingeführt und dort entfaltet. Vor dem Dekanülieren kann man den Filter wieder zusammenfalten und mit den evtl. eingefangenen Emboli aus der Aorta entfernen.
Dissektionen. Besonders dramatisch ist natürlich das unentdeckte Entstehen einer Dissektion infolge einer subintimalen Dissektion, welche beim unbedachten Anfahren der Herz-Lungen-Maschine zu einer totalen Aortendisektion führen kann, zu deren negative Konsequenzen Malperfusionen, Rupturen und unstillbare Blutungen gehören. Wir ziehen deshalb heute in den meisten Fällen peripherer arterieller Kanülierung sog. perkutane Kanülen vor.
5.7.4.2
Periphere arterielle Kanülen
Im Prinzip können gerade arterielle Kanülen nicht nur zentral, sondern auch peripher eingesetzt werden – vorausgesetzt, dass auch kleinere Ausführungen zur Verfügung stehen (. Abb. 5.31). Allerdings sind traditionelle gerade arterielle Kanülen nicht auf einen optimierten Fluss ausgelegt. Bei relativ großen peripheren Arterien können diese Kanülen problemlos angewendet werden. Die typischen Größen entsprechen denen bei der zentralen Kanülierung, da es ja in der offenen Herzchirurgie unabhängig von der Kanülierungsstelle stets möglich sein muss, mit vollem Fluss zu arbeiten. Bei Erwachsenen bedeutet dies für die femorale Kanülierung ab einem Körpergewicht von 70 kg in der Regel 24 F. Bei kleineren Erwachsenen kommt auch eine 21-F-Kanüle infrage. Etwas schwieriger gestaltet sich die periphere arterielle Kanülierung bei kranken Gefäßen, wobei hier nicht nur atheromatöse Veränderungen gemeint sind, sondern bereits ein gewundener Gefäßverlauf zu Problemen führen kann. Auch bei der Kanülierung der A. subclavia sind meist von Anfang an kleine Lumina zu erwarten. Neben der häufig nichtoptimierten Wandstärke der klassischen arteriellen Kanülen können deren relativ scharfe Kanten sowohl bei atheromatösen als auch bei wandschwachen Gefäßen Probleme bereiten. Dazu gehören ungewollte Gefässeinrisse, Endarteriektomien und lokale
5.7.4.3
Periphere perkutane arterielle Kanülen
Die perkutanen arteriellen Kanülen können analog zu den venösen Versionen offen, halboffen oder eben perkutan mittels Seldinger-Technik eingelegt werden. Die dazu notwendigen Komponenten sind sowohl einzeln als auch in Form von Kits im Angebot. Zu einem Set gehören eine Klinge, eine Hohlnadel, ein Führungsdraht, Dilatatoren, die Kanüle mit dem entsprechenden Mandrin/Stilett sowie Kappen und Klemmen. Wir bereits erwähnt, bevorzugen wir heute sowohl für die offene als auch für die halboffene und die geschlossene Einlage perkutane arterielle Kanülen. Deren Hauptvorteil besteht – neben dem erhöhten Wirkungsgrad (größeres nutzbares Lumen für einen gegebenen Kanülenquerschnitt) und der verbesserten Knickresistenz aufgrund der Wandunterstützung mit einem gewickelten Draht (. Abb. 5.32) – insbesondere in der führungsdrahtgestützen Anwendung nach Seldinger. Bei konsequenter Prüfung der intraluminalen Lage des Führungsdrahts mittels Echokardiographie vor Dilatation des Gefäßzugangs und Einführen der arteriellen Kanüle über den Führungsdraht kann eine Via falsa oder eine Dissektion mit den bekannten dramatischen Konsequenzen weitgehend vermieden werden.
89 5.8 · Intrakardiale Absaugung
. Abb. 5.32. Arterielle Kanüle mit Seitenkanal für den arteriellen Filter (Embolex)
5.7.4.4
Periphere arterielle Kanülen mit Sonderkanal für einen intraaortalen Ballon
Mit der roboterunterstützten Herzchirurgie, welche auf den peripheren arteriellen und venösen Anschluss der Herz-Lungen-Maschine angewiesen ist, wurde auch das Konzept der Ballonokklusion der Aorta ascendens anstelle einer Aortenklemmung eingeführt. Die dazu notwendige arterielle Kanüle, welche man in der A. femoralis platziert, weist einen seitlichen Zugang für den Blutfluss und einen geraden Zugang für den Ballon auf (. Abb. 5.33). Der Ballon wird transfemoral unter echokardiographischer Kontrolle in der Aorta ascendens platziert und verfügt außer dem Lumen für seine Füllung über ein weiteres Lumen für die Druckmessung an der Spitze (zwischen Ballon und Aortenklappe) und die Verabreichung der Kardioplegielösung.
5.8
Intrakardiale Absaugung
Es bestehen verschiedene Arten von Absaugsystemen, welche Blut in den extrakorporalen Kreislauf zurückführen. In abnehmender Qualität des aufgesaugten Blutes sind dies: 4 Sauger an der Aortenwurzel, 4 Sauger im linken Vorhof bzw. im linken Ventrikel, 4 Handsauger.
. Abb. 5.33. Periphere arterielle Kanüle mit Zugang für die transfemorale Einlage eines Ballons in die Aortenwurzel (Fa. HeartPort)
Die Qualität des aufgesaugten Blutes nimmt u. a. wegen der zunehmenden Beimischung von Luft sowie analog dem Kontakt des Blutes mit nichtendothelisierten Oberflächen ab.
5.8.1
Entlüftung der Aortenwurzel
An der Aortenwurzel wird eine spezielle, geschlitzte oder gelochte Kanüle eingesetzt, welche es ermöglicht, neben Blut auch Luft abzusaugen (. Abb. 5.34). Durch ein Y-Stück kann man diese Kanüle zudem zur temporären antegraden Verabreichung von Kardioplegielösung benutzen, sobald die Aorta abgeklemmt ist.
5
90
Kapitel 5 · Prinzipien und Entwicklungsschritte der extrakorporalen Zirkulation
5
. Abb. 5.34. An der Aortenwurzel werden geschlitzte oder gelochte Kanülen eingesetzt, welche das Absaugen von Luft an der höchsten Stelle, d. h. gerade unter der Aortenwand, ermöglichen
. Abb. 5.35. Flexibler, mit Ballast versehener Katheter, der zur Entleerung der linken Herzhöhlen sowohl durch die rechte obere Lungenvene als auch durch die Aorta eingesetzt wird
5.8.2 Linker Vorhofkatheter
Beim Arbeiten am offenen linken Herzen gilt es, das Blut, das auch bei abgeklemmter Aorta von der perfundierten Aorta via Bronchialarterien und Lungenvenen in den linken Vorhof gelangt, kontinuierlich abzusaugen. Dies kann mit einem Katheter, der häufig nahe der oberen rechten Lungenvene über den Sulcus interatrialis in den linken Vorhof eingelegt und über den kontinuierlich gesaugt wird, geschehen (. Abb. 5.35). Hier ist zu berücksichtigen, dass die Quantität des auf der linken Seite kontinuierlich abzusaugenden Blutes bei optimaler venöser Drainage auf der rechten Seite – wie dies mit selbstexpandierenden Kanülen zu erzielen ist (s. oben, 5.7.3) – stark reduziert wird, sodass häufig ein intermittierendes Saugen genügt. Letzteres kann transaortal erfolgen, was es wiederum gestattet, auf das Einlegen eines Katheters in den linken Vorhof zu verzichten.
. Abb. 5.36. Handstück für den Handsauger (Einwegartikel)
5.8.3 Handsauger
Es werden verschiedene Handstücke zur gezielten Absaugung von Blut aus dem Operationsfeld eingesetzt. Ursprünglich waren auch diese Komponenten aus Metall und resterilisierbar. Mehr und mehr kommen jedoch Einwegartikel zum Einsatz (. Abb. 5.36). Aus chirurgischer Sicht
ist neben der Handlichkeit des Handstücks wichtig, dass es ausreichend schwer ist, um dort zu bleiben, wo man es ablegt. Andernfalls bewegt es sich spontan aus dem Operationsfeld in Richtung der sich selbst aufrollenden Schläuche bzw. in Richtung Boden.
91 5.9 · Kardiotomiereservoir
5.9
Kardiotomiereservoir
Das gesamte von den Saugern geförderte Blut wird einem sog. Kardiotomiereservoir zugeführt, dessen primäre Aufgabe darin besteht, die in großen Mengen aufgesaugte Luft
zuverlässig abzuscheiden und das gewonnene Blut zu entschäumen. Zu diesem Zweck werden dieselben Techniken angewendet, welche eingangs schon beim Bläschenoxygenator beschrieben wurden (große Oberfläche, Entschäumer). Zusätzlich ist dafür Sorge zu tragen, dass mitaufgesaugte Gewebestücke und Knochenbröckel nicht in den Kreislauf gelangen. Dies wird mit mehrstufigen, kleinporigen Filtern erreicht (. Abb. 5.37). Kardiotomiereservoire wurden ursprünglich als separate Einheiten konzipiert (. Abb. 5.38). Dies hat den Vorteil, dass ihre Funktionen separat überwacht und evtl. auftretenende Probleme (Mueller et al. 2003) wie Gerinnselbildung, Filterverschluss oder Überschäumen einfach zugeordnet werden können. Bei modernen integrierten Oxygenatorsystemen ist das Kardiotomiereservoir häufig in das venöse Reservoir integriert. Im Routinegebrauch hat sich diese Anordnung durchaus bewährt, da der Maschinenaufbau dadurch kompakter wird (. Abb. 5.39). ! Bei unerwarteten Schwierigkeiten mit dem venösen Abfluss muss man jedoch daran denken, dass sich Probleme mit dem integrierten Kardiotomiereservoir auf das venöse Reservoir übertragen können und damit nicht nur das Absaugen erschwert oder unmöglich wird, sondern die gesamte Perfusion beeinträchtigt ist.
. Abb. 5.37. Kardiotomiereservoir mit mehreren Eingängen für das Saugerblut (oben), einer zentralen, mehrstufigen Filtersektion und dem eigentlichen Reservoir (seitlich) mit dem Abfluss (unten)
. Abb. 5.38. Separierbares Kardiotomiereservoir
Aufgrund der relativ schlechten Qualität des Saugerblutes gibt es bei integrierten Systemen auch die Möglichkeit, dieses Volumen bis zu einem gewissen Grad im Kardiotomieabteil zurückzubehalten, um es über eine Zellwaschanlage in den Kreislauf zurückzuführen. Dies ermöglicht die Abtrennung der aktivierten Blutkomponenten. Wegen des dabei entstehenden Verlusts an Gerinnungsfaktoren und Plättchen kann diese Strategie aber nur in beschränktem Maße Anwendung finden. Bei hohem Aufkommen von Saugerblut wird deshalb das Kardiotomiereservoir geöffnet, und das filtrierte Blut gelangt in üblicher Weise in das venöse Reservoir.
. Abb. 5.39. Das Kardiotomiereservoir kann in das venöse Reservoir integriert sein. Damit wird der Maschinenaufbau vereinfacht
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92
Kapitel 5 · Prinzipien und Entwicklungsschritte der extrakorporalen Zirkulation
5.10
Venöses Reservoir
Grundsätzlich können 3 Konzepte für die vorübergehende Lagerung von Blut aus dem Kreislaufsystem des Patienten unterschieden werden: 4 offene Reservoire, 4 geschlossene Reservoire, 4 in Abwesenheit eines für diesen Zweck geeigneten Behälters: Verwendung von Beuteln.
Absinken des minimalen Blutniveaus während des Einsatzes mit konsekutiver Aspiration von Luft, Luftembolie und schwerster Schädigung des Patienten. Im Gegenzug weisen offene venöse Reservoire bessere Luftabscheidungsleistungen auf als geschlossene. Zudem können sie größer ausgelegt werden, was es ermöglicht, 4 l Blut oder mehr aufzufangen.
5.10.2 Geschlossenes venöses Reservoir 5.10.1 Offenes venöses Reservoir
5 Ein venöses Reservoir wird als offen bezeichnet, wenn darin mit 2 Phasen, d. h. mit einer flüssigen (Blut) und einer Gasphase (Luft), gearbeitet wird. Dabei bildet sich ein klar identifizierbarer, horizontaler Blutspiegel, das sog. Niveau (. Abb. 5.40), welches – visuell erkannt – nicht unter eine bestimmte Höhe absinken darf und maschinell gesichert werden kann (Alarm, Pumpenstopp). Damit ist auch gleich das Hauptproblem der Verwendung eines offenen Resrevoirs angesprochen, nämlich das
. Abb. 5.40. Offenes venöses Reservoir mit einem deutlich sichtbaren Blutspiegel. Ein fallabhängig definiertes minimales Niveau darf während des Einsatzes nicht unterschritten werden
Im Konzept des geschlossenen venösen Reservoirs ist der Einsatz mit einem luftfreien System enthalten (. Abb. 5.41). Angestrebt wird also nicht nur ein geschlossenes venöses Reservoir, sondern eine insgesamt geschlossene Herz-Lungen-Maschine. In dem Maße, wie dieses Konzept realisierbar ist, wird davon ausgegangen, dass ein geringeres Bluttrauma entsteht und dass die Gefahr einer massiven Luftembolie mit den oben erwähnten Konsequenzen reduzierbar ist, da das flexible Reservoir beim Leerlaufen kollabieren kann – dies zur Theorie, welche bei der extrakorporalen Membranoxygenation zur kardialen und/oder pulmonalen Unterstützung – falls ein Reservoir eingesetzt wird – durchaus zur Anwendung kommen kann. In der praktischen offenen Herzchirurgie ist es natürlich nicht möglich, komplett geschlossen zu arbeiten, denn wenn das Herz eröffnet ist, kommt es automatisch zum Kontakt von Blut und Luft. Das im Herzen abgesaugte Blut kann nur unter Vermischung mit Luft in die Maschine zurückgeführt werden, auch wenn das Saugerblut über das Kardiotomiereservoir und seine Filter läuft. Hier kommt es nun aber zu der paradoxen Situation, dass die Entlüftungsleisteng von geschlossenen ve-
. Abb. 5.41. Ein geschlossenes venöses Reservoir ist im Wesentlichen ein flexibler Sack
93 5.11 · Arterieller Filter
nösen Reservoirs geringer ist als diejenige der offen ausgelegten Varianten. In der Folge ist mit einem höheren Durchtritt von Luftblasen in den Blutstrom zu rechnen.
5.10.3 Minimale extrakorporale Zirkulation
ohne Reservoir Bei der sog. minimalen extrakorporalen Zirkulation wird auf alles verzichtet, was nicht zwingend notwenig ist. Die minimalste Ausführung besteht aus einem Luftabscheider, einer Pumpe und einem Oxygenator, wie es von CardioVention (Icupatino/USA) mit dem CorOx-System vor einigen Jahren in die Klinik eingeführt wurde (Mueller et al. 2002; . Abb. 5.42). Mit der Annäherung dieses abgespeckten Perfusionsystems an den Patienten und der entsprechenden Kürzung der arteriellen sowie der venösen Leitungen konnte das Vorfüllvolumen massiv reduziert werden, und entsprechend weniger ausgeprägt ist die Hämodilution des Patienten. Um trotz des Fehlens eines Auffangbehälters temporär Blut aus dem Körper entfernen zu können, greift man auf die Lagerung in flexiblen Beuteln zurück, in die das Blut – je nach Bedarf – aus der Zirkulation abgezweigt oder aus denen es in den Kreislauf zurückgeführt werden kann. Das Konzept der minimalen extrakorporalen Zirkulation kann auch mit anderen Produkten realisiert werden,
. Abb. 5.42. Minimalstes System aus Luftabscheider, Pumpe und Oxygenator
wobei im Wesentlichen eine Zentrifugalpumpe, ein Oxygenator sowie einer oder mehrere Luftabscheider zum Einsatz kommen. Da das Hauptanwendungsgebiet die Revaskularisation der Herzkranzgefäße betrifft, sind die Blutvolumina, welche zurückgehalten werden müssen, meist nicht allzu groß (Mazzei et al. 2007). Die Überlegenheit dieser Technik im Vergleich zu einer modernen, voll ausgerüsteten Maschine, welche es beispielsweise ermöglicht, das Saugerblut zu separieren und zu waschen, ließ sich bis heute nicht schlüssig nachweisen (Schöttler et al. 2007).
5.11
Arterieller Filter
Der Einsatz von Mikrofiltern (25–40 μm) auf der arteriellen Seite, d. h. beim heute meist üblichen Aufbau zwischen dem Oxygenatorausgang und der arteriellen Kanüle, wird kontrovers diskutiert. Als negative Eigenschaften werden v. a. das erhöhte Bluttrauma, die inkomplette Luftabscheidung, die Gefahr des Verstopfens – was wiederum einen Umgehungskreislauf notwendig macht – und das zusätzliche Füllvolumen angeführt. Gerade Letzteres ist jedoch auch einer der Vorteile des arteriellen Filters. Dessen Füllvolumen beläuft sich typischerweise auf 180 ml. Bei einem Maschinenfluss von 6 l/min oder 100 ml/s beträgt die Laufzeit in einer arteriellen 3/8-Zoll-Leitung >4,7 m/s, d. h. eine Luftblase erreicht den Patienten bei einer typischen arteriellen Leitungslänge von 2 m und in Abwesenheit eines arteriellen Filters in <0,5 s und ist entsprechend schwierig zu erkennen und zurückzuhalten. Ist ein Filter eingebaut (. Abb. 5.43), verlängert sich die mögliche Interventionszeit im vorgegebenen Szenario um 1,8 s, falls am Filter nicht gesaugt wird. Besteht dort hingegen eine kontinuierliche Saugung, verlängert sich die Interventionszeit, wobei die Blase evtl. komplett abgesaugt wird. Aufgrund der obigen Ausführungen haben wir den arteriellen Filter bis heute in unseren Standardsets beibe-
. Abb. 5.43. Arterieller Filter mit Anschlüssen für die Druckmessung und eine kontinuierliche Absaugung
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94
Kapitel 5 · Prinzipien und Entwicklungsschritte der extrakorporalen Zirkulation
halten. Als technische Variante gibt es selbstentlüftende Versionen, welche die Luft an einer semipermeablen Membran abscheiden können. Die Leistungsfähigkeit arterieller Filter ist in den 1980er Jahren durch die Einführung von Heparinbeschichtungen (Toomasian et al. 1988) und anderer Oberflächenmodifikationen stark verbessert worden, und zwar in Bezug auf Benetzung, Entlüftung und Thromboseresistenz. Heute sind die meisten arteriellen Filter in diesem Sinne vorbehandelt, und damit sind auch Filterthrombosen ausgesprochen selten geworden.
5
5.12
Zugang zum Herzen
Die mediane Sternotomie ist der klassische Zugang zum Herzen und ermöglicht nach adäquater Ausspannung der Perikardränder in der Regel eine gute Sicht auf den rechten Ventrikel, den rechten Vorhof und meist auch die Aortenbzw. Pulmonaliswurzel. Sowohl rechte als auch linke Thorakotomien kommen für spezifische Eingriffe infrage. In neuerer Zeit sind im Rahmen der minimal-invasiven Chirurgie weitere Zugangswege zum Herzen durch verschiedenste Mini-Inzisionen (meist durch den 4. oder 5. Interkostalraum) entwickelt worden. Dabei zeigt sich, dass z. B. für die Chirurgie der Aorta ascendens und der Aortenklappe Ministernotomien geeignet sind und auch weitgehend von der üblichen zentralen Kanülierungstechnik begleitet werden können (von Segesser et al. 1999). Bei der minimal-invasiven Mitralchirurgie bzw. der robotergestützten Chirurgie über Trokare (Chitwood et al. 1997) wird jedoch meist auf periphere Kanülierungstechniken zurückgegriffen, da die Präsenz von Kanülen am Operationsort bei den bestehenden engen Zugangsverhältnissen nicht hilfreich ist. Hierzu sei auf 7 Kap. 24 verwiesen. ! Unabhängig vom Ort muss beim Kanülieren darauf geachtet werden, dass man die Kanülierungsstellen so wählt, dass sie den geplanten Eingriff im späteren Verlauf nicht behindern und auch wieder zuverlässig verschlossen werden können. Dies klingt banal, ist aber von Anfang an in die Operationsplanung einzubeziehen, um unangenehme Überraschungen zu vermeiden.
5.13
Antikoagulation
5.13.1 Volle systemische Heparinisierung
Bevor man kanüliert, gilt es, eine adäquate Antikoagulation für die extrakorporale Zirkulation sicherzustellen. Dies wird traditionell mit unfraktioniertem Heparin erzielt, wobei die »loading dose« 300 IE/kg KG beträgt. Um zu verhindern, dass der Patient ohne Antikoagulation perfundiert wird, ist das Vorfüllvolumen der Herz-Lungen-Maschine
ebenfalls mit Heparin versetzt (5000 IE/l). Bei einem 70 kg schweren Patienten beträgt die zirkulierende Heparindosis zu Beginn der extrakorporalen Zirkulation also ohne Weiteres etwa 30.000 IE (»loading dose« von 21.000 IE plus Vorfülldosis von 5000–10.000 IE). Ein adäquates Ansprechen des Gerinnungssystems auf die Heparingabe überprüft man chronometrisch mittels Bestimmung der aktivierten Gerinnungszeit, wobei der Zielwert bei >480 s liegt. Während der extrakorporalen Zirkulation muss die adäquate Antikoagulation regelmäßig geprüft werden. Falls sich die aktivierte Gerinnungszeit verkürzt und der Schwelle von 480 s nähert, spritzt man unfraktioniertes Heparin nach (Bolus von 5000 IE) und überprüft dessen Wirksamkeit.
5.13.2 Reduzierte systemische Heparinisierung
Unter Verwendung von Systemen für die extrakorporale Zirkulation, bei denen alle dem Blut ausgesetzten künstlichen Oberflächen mit Heparin oder anderen die Thromboseresistenz steigernden Molekülen beschichtet sind, ist es möglich, mit reduzierter Antikoagulation zu arbeiten. Wir verwenden in dieser Situation eine »loading dose« des Heparins von 100 IE/kg KG und eine Vorfüllvolumendosis von 1000 IE/l, mit dem Ziel, eine aktivierte Gerinnungszeit von 180 s (1,5faches der Norm) nicht zu unterschreiten. Zudem kommen Heparinnachspritzdosen von 2500 IE zum Einsatz. Zu den speziellen Vorschichtsmaßnahmen bei der Perfusion mit einem ausgesprochen straffen Antikoagulationsregime gehört es, die Maschine nicht zum Stillstand kommen zu lassen. Dafür bauen wir auf der Chirurgenseite einen Shunt zwischen der arteriellen und der venösen Leitung ein, um Rezirkulieren zu können und stehende Blutsäulen zu vermeiden. Es gelang uns mit heparinbeschichteten Systemen und dem dargestellten Heparinisierungsschema, den perioperativen Blutverlust bei offener Herzchirurgie messbar zu reduzieren (von Segesser et al. 1994b). Das beschrieben Vorgehen hat sich insbesondere bei der Unmöglichkeit von Bluttransfusionen bewährt, z. B. bei Zeugen Jehovas. Auch bei der chirurgischen Sanierung von Aneurysmen der deszendierenden und der thorakoabdominalen Aorta gelang es mit beschichteten Systemen und reduzierter Heparinisierung, die Resultate zu verbessern (von Segesser 2007; von Segesser et al. 2001a). Andere Gruppen haben diesbezüglich ebenfalls positive Erfahrungen gemacht (Mirow et al. 2001b; Ovrum et al. 2003).
5.13.3 Inadäquate Heparinantwort
Eine inadäquate Heparinantwort (keine oder nur ungenügende Verlängerung der aktivierten Gerinnungszeit) kann verschiedene Gründe haben, welche entsprechend dem
95 5.14 · Arterielle Kanülierung
Schweregrad zu berücksichtigen sind. Falls die aktivierte Gerinnungszeit nach der initialen »loading dose« überhaupt nicht ansteigt (hier zeigt sich der Nutzen eines Vorwertes), ist das Medikament am ehesten gar nicht in die Zirkulation gelangt (Leitungsleck bei peripherer Gabe, Gefäßperforation bei direkter Punktion) und muss erneut gespritzt werden. Bei ungenügendem Anstieg verabreicht man am ehesten eine Zusatzdosis und bestimmt den Wert erneut. Ist die Gesamtmenge des verabreichten Heparins sicher in die Zirkulation gelangt und damit ein technisches Problem ausgeschlossen, liegt wahrscheinlich ein Antithrombin-III-Mangel vor. Dieser lässt sich durch Gabe von Antithrombin III oder gefrorenem Frischplasma beheben. Auch hier gilt es, die Effektivität der getroffenen Maßnahmen zu prüfen, bevor man die Herz-Lungen-Maschine in Betrieb nimmt.
5.13.4 Heparinallergie
Ein anderes Problem sind die sog. Heparinallergien, welche im akuten Stadium die Verabreichung von Heparin verbieten und zu alternativen Antikoagulationsschemata für die Herz-Lungen-Maschine führen. Hauptverursacher in diesem Zusammenhang ist das unfraktionierte Heparin. Als Alternativen kommen u. a. infrage (von Segesser et al. 2001): 4 extreme Hämodilution, 4 fraktioniertes Heparin mit niedrigem Molekulargewicht, 4 Danaparoid, 4 Ancrod,
a . Abb. 5.44a, b. Aortale Kanülierung. a Ein Teil der Aorta ist unter Beachtung des arteriellen Drucks mit einer Satinsky-Klemme ausgeklemmt, eine Stichinzision von Kanülengröße durch alle Wandschichten gelegt und eine Tabaksbeutelnaht mit einem 4/0-Faden gestochen worden. b Die gefüllte arterielle Kanüle wird unter gleichzeiti-
4 4 4 4 4
r-Hirudin, Bivalrudin, Argatroban, Tirofiban, Abciximab.
Als gemeinsame Probleme der meisten dieser Alternativen gelten deren schwierige Dosierbarkeit in Echtzeit sowie das Fehlen potenter Gegenmittel.
5.14
Arterielle Kanülierung
5.14.1 Zentrale arterielle Kanülierung
Die traditionelle zentrale arterielle Kanülierungsstelle befindet sich an der Aorta ascendens gerade vor dem Abgang des Truncus brachiocephalicus. In Abhängigkeit von den lokalen Gegebenheiten und dem geplantem Engriff verschiebt sich die optimale Kanülierungsstelle nach kranial (z. B. Ersatz der Aorta ascendens) oder kaudal (z. B. palpable Verkalkungen). Wir legen 2 Tabaksbeutelnähte mit Tourniquet an und eröffnen die Aorta scharf mit einer 15er-Klinge, deren Durchmesser beim Anschlag (Beginn des Halters) 8 mm beträgt. Die so geschaffene Öffnung in der Aorta ascendens wird mit einem Finger kontrolliert, bis man diesen von der Aortenkanüle (palpable Delle in der Aorta) wegschiebt und die Aortenkanüle mit der Kante voran in die Aorta führt (. Abb. 5.44). Andernorts wird die Aorta teilweise ausgeklemmt, bevor die Inzision erfolgt. Dies lässt sich jedoch nur bei einer gesunden Aorta ascendens bewerkstelligen, was heute leider immer seltener der Fall ist.
b gem Lösen der Klemme und Anziehen der Tabaksbeutelnaht ohne Blutverlust in die Aorta vorgeschoben. Die Spitze der Kanüle muss im hinteren Abschnitt des Aortenbogens – entfernt von den Kopfgefäßen – liegen
5
96
Kapitel 5 · Prinzipien und Entwicklungsschritte der extrakorporalen Zirkulation
Bei stark verwachsenem Operationsfeld kann auch für die zentrale arterielle Kanülierung auf perkutane arterielle Kanülen zurückgegriffen werden. Letztere haben den Vorteil, dass sie relativ dünnwandig und knickresistent sind sowie mittels Seldinger-Technik (Hohlnadel, Führungsdraht, Dilatatoren, Kanüle mit Richtdorn) eingelegt werden können. Unsere bevorzugte Technik beinhaltet die Identifikation einer geeigneten Kanülierungsstelle an der Aorta ascendens oder am Aortenbogen. Dies geschieht einerseits digital, andereseits ultrasonographisch. Nach dem Anlegen einer Tabaksbeutelnaht folgen die Punktion mit einer Hohlnadel und das Einführen eines Führungsdrahtes, dessen Position im wahren Lumen der Aorta descendens mittels transösophagealer Echokardiographie dokumentiert werden muss, bevor die Dilatatoren zur Anwendung kommen und die Kanüle über den Draht eingelegt wird.
5
5.14.2 Periphere arterielle Kanülierung
Für die periphere arterielle Kanülierung kommen, wie eingangs ausgeführt, sowohl offene und halboffene als auch geschlossene, perkutane Kanülierungstechniken infrage. Die häufigste periphere Kanülierungsstelle ist die A. femoralis communis, aber auch die A. iliaca externa, die A. iliaca communis, die Aorta abdominalis, die A. axillaris und die A. subclavia können zur Kanülierung herangezogen werden. Die A. femoralis communis kann man unterhalb des Leistenbandes, welches sich zwischen Spina iliaca anterior und Pecten ossis pubis ausspannt, palpieren (von Segesser 2006). Beim perkutanen Vorgehen wird die A. femoralis communis unterhalb des Leistenbandes, aber oberhalb der A. femoralis profunda punktiert. Dabei muss man arterielles (rotes), pulsierndes Blut sichten, bevor man die Prozedur weiterführt. Da wir größten Wert auf eine gesicherte intralumiane Lage der Kanülenspitze legen, prüfen wir routinemäßig mittels Echokardiographie, ob der Führungs-
draht im (wahren) Lumen der Aorta zu liegen kommt, bevor wir den Zugang aufdilatieren und die Kanüle über den Führungsdraht vorschieben. Natürlich kann nach Darstellung der A. femoralis communis auch halboffen, d. h. unter Verwendung von perkutanen Kanülen, wie oben beschrieben, vorgegangen werden. Dieses Vorgehen ermöglicht später, nach dem Dekanülieren, eine kontrollierte Gefäßrekonstruktion unter Sicht. Bei größeren Gefäßen können auch das Anlegen einer Tabaksbeutelnaht vor dem Kanülieren und deren einfaches Zuziehen nach dem Dekanülieren erwogen werden. Immer muss man jedoch den peripheren Pulsstatus erheben und die Mikrozirkulation prüfen, bevor man sich mit der Rekonstruktion/Kompression zufriedengibt. Beim offenen Kanülieren liegt die optimale Kanülierungsstelle der A. femoralis communis ebenfalls unterhalb des Leistenbandes und oberhalb des Abgangs der A. femoralis profunda. Das Gefäß wird proximal und distal angeschlungen, wobei man Gummibändchen mit Tourniquets bzw. Gefäßklemmen einsetzt, um den Blutfluss vor der Arteriotomie zu unterbrechen (. Abb. 5.45). Die traditionellen peripheren arteriellen Kanülen, welche meist eine gerade, angeschrägte Spitze haben und mit Seitenlöchern ausgestattet sein können, werden unter Sicht in das wahre Gefäßlumen eingelegt. Bei gesunden Gefäßen ziehen wir eine quere Arteriotomie vor, welche man bei Beendigung des Maschineneinsatzes wieder direkt End-zuEnd rekonstruieren kann (. Abb. 5.46). Bei kranken Gefäßen und entsprechend unbekanntem Innenlumen, muss die Eröffnung über eine Längsinzision erfolgen, was später zur Rekonstruktion eine Erweiterungsplastik mit einem (Venen-)Flicken nach sich ziehen muss. Neben der häufig nicht optimierten Wandstärke dieser klassischen arteriellen Kanülen muss daran gedacht werden, dass deren relativ scharfe Kanten sowohl bei atheromatösen als auch bei wandschwachen Gefäßen Probleme bereiten können. Dazu gehören ungewollte Gefäßeinrisse,
a
b . Abb. 5.45a, b. Kanülierung der A. femoralis communis. Inzision des Gefäßes, das distal mit einer kleinen Bulldog-Klemme (a) oder mit Bändchen und Tourniquets (b) verschlossen ist. Aufhalten der Inzision
entweder mittels feiner Naht oder mit Gefäßpinzetten; vorsichtiges Einführen der Kanüle, sodass keine Intima mit hochgeschoben wird
5
97 5.14 · Arterielle Kanülierung
a
b . Abb. 5.46a, b. Dekanülierung der A. femoralis communis. a Die Kanüle ist zurückgezogen. Der distale und der proximale Gefäßanteil sind mit Gefäßklemmen verschlossen und approximiert. b Verschluss
Endarteriektomien und lokale Dissektionen. Besonders dramatisch ist die unbemerkte Entstehung einer Dissektion infolge einer subintimalen Dissektion, welche beim unbedachten Anfahren der Herz-Lungen-Maschine zu einer totalen Aortendissektion führen kann, zu deren negativen Konsequenzen Malperfusionen, Rupturen und unstillbare Blutungen gehören. Bei schlechter Gefäßqualität oder bei besonders engen Verhältnissen kann es das Annähen einer Gefäßprothese (z. B. 8-mm-Polytetraflourethylen) in End-zu-Seit-Manier gestatten, eine solide Verbindung zwischen der arteriellen Kanüle und dem arteriellen Gefäßbaum zu schaffen, wobei diese Art des Anschlusses nicht nur eine retrograde, sondern auch eine antegrade Perfusion ermöglicht. Bei prekären distalen arteriellen Verhältnissen sollte wohl häufiger an diese Option gedacht werden, auch wenn man üblicherweise davon ausgeht, dass die temporäre Versorgung einer unteren Extremität via Kollateralkreislauf über die A. femoralis profunda ausreicht.
5.14.3 Allgemeine Betrachtungen zur arteriellen
Kanülierung Sowohl in der Peripherie als auch zentral ist es auf der arteriellen Seite nicht immer möglich, das Aortenlumen unter direkter Sicht zu identifizieren. Bei blinden Manövern besteht jedoch immer eine gewisse Gefahr, eine Aortendissektion zu provozieren, welche, falls sie nicht rechtzeitig bemerkt wird, zu einer Katastrophe führene kann. ! Es ist deshalb von größter Wichtigkeit, sofort nach der Platzierung und Sicherung einer arteriellen Kanüle zu prüfen, ob ein adäquater arterieller Rückfluss in die Kanüle vorhanden ist und ob die Blutsäule und/ oder der Blutdruck auf dem Manometer der HerzLungen-Maschine nach dem Entlüften und Anschlie-
6
der Inzision mit 6 Einzelknopfnähten, die bei Erwachsenen auch fortlaufend gestochen werden können
ßen an den arteriellen Schenkel der Herz-LungenMaschine oszillieren. Bei Fehlen eines objektivierbaren arteriellen Rückflusses in die Kanüle und einer Oszillation der Blutsäule darf die Herz-Lungen-Maschine unter keinen Umständen angefahren werden, muss doch bei falscher Kanülenposition ggf. antegrad und retrograd mit einer explosionsartigen Aortendissektion gerechnet werden.
Ein anderes Problem bei engen Verhältnissen an der Aortenwurzel ist der Konflikt zwischen Kanülenspitze und Aortenwand, welcher zu einem übermäßigen Druckanstieg im arteriellen Schenkel der Herz-Lungen-Maschine sowie zu einem automatischen Pumpenstopp führen kann. Ein permanenter Informationsaustausch zwischen Chirurgen, Kardiotechnikern und Anästhesisten ist deshalb beim Abklemmen der Aorta sowie bei der Mobilisation des Aortenbogens und anderen Manipulationen von größter Wichtigkeit. Bei gutem Willen auf beiden Seiten kann diese Problematik in den meisten Fällen u. a. durch Reposition der Kanüle bzw. Klemme innerhalb kurzer Zeit behoben werden. Für die chirurgische Sanierung der Aorta ascendens und des Aortenbogens wird in den letzten Jahren zunehmend die arterielle Kanülierung der rechten A. subclavia vorgenommen. Dies hat den Vorteil, bei Situs solitus eine kontinuierliche Perfusion der rechten A. carotis zu ermöglichen, wobei – via Kollateralen über das Gesicht – auch die linke A. carotis interna antegrad durchblutet wird. Voraussetzung dafür ist jedoch, dass die Karotisbifurkationen stenosefrei sind und – bei offenem Aortenbogen – der Truncus brachiocephalicus sowie die linke A. carotis abgeklemmt oder mittels Ballons blockiert werden.
98
Kapitel 5 · Prinzipien und Entwicklungsschritte der extrakorporalen Zirkulation
5.15
Venöse Kanülierung
5.15.1 Einfache zentralvenöse Kanülierung
5
Bei Eingriffen, welche keine Eröffnung der rechten Herzhöhlen bedingen, kann in den meisten Fällen mittels einfacher venöser Kanülierung genügend venöses Blut in das venöse Reservoir der Herz-Lungen-Maschine abgeleitet werden, sodass ein Soll-Fluss (bei Erwachsenen 2,4 l/min/ m2 KOF) möglich ist. Dazu gehören Operationen an den Herzkranzgefäßen, der Aortenklappe und der Aorta ascendens sowie – in unseren Händen – auch an der Mitralklappe. Zu diesem Zweck werden am häufigsten sog. venöse 2-Stufen-Kanülen eingesetzt (s. oben, 5.7.2). Nach gesicherter systemischer Heparinisierung wird unterhalb des rechten Vorhofohrs eine Tabaksbeutelnaht angelegt, welche etwas größer ist als der Querschnitt der geplanten Kanüle an dieser Stelle. Bei einer 51-F-Kanüle, deren Durchmesser definitionsgemäß 17 mm beträgt, ist eine Tabaksbeutelnaht über eine Fläche mit einem Durchmesser von 20–25 mm angezeigt. Wir begnügen uns hier mit einer schrägen, schlitzförmigen Inzision und halten die vordere Lippe mit einer Pinzette über die hintere, bevor wir die venöse 2-Stufen-Kanüle direkt in den rechten Vorhof in Richtung V. cava inferior vorschieben. Kleine Blutmengen, welche austreten können, werden mit dem Handsauger direkt in die Maschine zurückgeführt. Es ist darauf zu achten, dass man die Kanüle frei vorschieben kann, damit die erste Stufe in der V. cava inferior zu liegen kommt und die zweite (Korb) im rechten Vorhof. Bei anderen Kanülierungstechniken des rechten Vorhofs wird zuerst eine seitliche Klemme angelegt, der Vorhof im ausgeklemmten Bereich eröffnet, die Tabaksbeutelnaht angelegt, nach Fassen der beiden Vorhoflippen die Klemme gelöst und die Kanüle in den Vorhof vorgeschoben. Dieses Vorgehen ist im Detail bei der doppelten zentralvenösen Kanülierung dargestellt. Für die zentrale Verwendung selbstexpandierender venöser Kanülen (3/8«, 36 F, Länge von 34–43 cm) kann die Seldinger-Technik zur Anwendung kommen. Nach dem Anlegen der Tabaksbeutelnaht an geeigneter Stelle wird der Vorhof mit einer Hohlnadel punktiert und ein Führungsdraht in der V. cava inferior platziert (echokardiographische Kontrolle). Ein Dilatator oder eine Stichinzision (5 mm) genügt, um die gestreckte, kollabierte Kanüle über den Draht einzuführen und in situ zu expandieren. Die Möglichkeit, praktisch blind den rechten Vorhof zu kanülieren, ist bei engen Platzverhältnissen, Re-Operationen etc. besonders nützlich. Es muss darauf geachtet werden, dass die offene Wandstruktur sowohl in der V. cava inferior als auch im rechten Vorhof zu liegen kommt. Wir haben zeigen können, dass eine 30-F-Zugangsöffnung (Zugangsdurchmesser: 10 mm) im rechten Vorhof ausreicht, um einen vollen Maschinenfluss zu ermöglichen, ohne auf Zentrifugalpumpen oder Vakuum zurückgreifen zu müssen (von Segesser
et al. 2006). Diese Kanülen, welche auf 18 F kollabiert werden, können bis auf 36 F expandieren und ergeben Flussmengen von 108 % des Soll-Flusses – einen Wert, der auch mit größeren 45-F-Kanülen nicht zu überbieten war.
5.15.2 Doppelte zentralvenöse Kanülierung
Für Eingriffe, welche eine Eröffnung des rechten Vorhofs erfordern – dazu gehören Eingriffe an der Trikuspidalklappe, am Vorhofseptum sowie bei vielen angeborenen Vitien –, ist eine doppelte venöse Kanülierung mit voller Ableitung des systemischen venösen Rückflusses in die Herz-LungenMaschine notwendig. Zu diesem Zweck kanüliert man die obere und die untere Hohlvene, nachdem diese angeschlungen und mit Tourniquets versehen wurden (. Abb. 5.47). Grundsätzlich kommen 2 unterschiedliche Strategien für die Kanülierung der Hohlvenen infrage: transatrial oder direkt. Die transatriale Technik umfasst (. Abb. 5.48): 4 seitliches Ausklemmen eines Teiles des rechten Vorhofs, 4 Inzision, 4 Tabaksbeutelnaht, 4 Anlage eines Tourniquets, 4 Fassen der vorderen und hinteren Vorhoflippe, 4 Lösen der Klemme, 4 Einführen der bereitgehaltenen Kanüle zuerst in den Vorhof und dann direkt oder gekreuzt in eine Hohlvene. Nach der korrekten Platzierung (Kanülenspitze jenseits der angeschlungenen Stelle der Hohlvene) wird die Tabaksbeutelnaht angezogen und mit einer Ligatur um die Kanüle gesichert. Die Kanüle wird an ein Y-Stück und die venöse Leitung angeschlossen. Die zweite venöse Kanüle schließt man ebenfalls an das Y-Stück an, sie bleibt aber mit einer Klemme geschlossen. Wenn die Kanülierung mit der Aortenkanüle begonnen wurde und die Heparinsierung sowie die Entlüftung des Systems gesichert sind, kann man ab diesem Moment mit der extrakorporalen Zirkulation beginnen. Dies hat den Vorteil, dass das Herz kleiner wird, auch wenn mit einer Kanüle meist nur ein partieller Bypass möglich ist. Auch die Beatmung kann am Bypass reduziert werden, und damit ändern sich die Platzverhältnisse im Thorax zugunsten des Operateurs. Das Einlegen der zweiten venösen Kanüle kann damit analog der ersten, aber unter besseren Sichtverhältnissen erfolgen. ! Wichtig ist, dass bei doppelter venöser Kanülierung am schlagenden Herzen eine der mit dem Y-Stück verbundenen venösen Kanülen abgeklemmt bleibt, bis die extrakorporale Zirkulation läuft. Andernfalls gelangt aufgrund von Druckunterschieden zwischen der oberen und der unteren Hohlvene die Luft in den Kanülen in das Herz, was nicht nur bei Shunt-Vitien suboptimal ist.
5
99 5.15 · Venöse Kanülierung
b
a . Abb. 5.47a, b. Nach Eröffnung des Herzbeutels werden die beiden Hohlvenen mit Bändchen umschlungen. a Einschneiden des Bindegewebes zwischen oberer Hohlvene und der unmittelbar darunter liegenden rechten Pulmonalarterie, anschließend Umfahren mit einer Thoraxklemme (Rumel III), mit der man das Bändchen durchzieht.
b Die untere Hohlvene wurde umfahren und das Bändchen hindurchgezogen. Die Präparation erfolgt am besten erst mit dem Zeigefinger medial zwischen rechtem Ventrikel und unterer Hohlvene, dann ebenfalls mit einer Rumel-III-Thoraxklemme
b
a . Abb. 5.48a, b. Venöse Kanülierung. a Ausklemmen eines Teiles der Vorhofwand oder des rechten Herzohrs mit einer weichen Klemme (nach Glover) und Umfahren oder Tabaksbeutelnaht mit einem festen Faden, der mit einem Metalltourniquet von einem Assistenten geführt wird; Eröffnung des Vorhofs durch eine Stichinzision. Die Ränder werden mit Allis-Klemmen gefasst, und der venöse Katheter wird unter gleichzeitigem Lösen der Vorhofklemme und Anziehen des umschlin-
genden Fadens eingeführt. b Beide venöse Kanülen sind eingeführt. Sie werden durch eine zusätzliche Befestigungsnaht fixiert. Die Kanülen sind durch kurzes Öffnen der Klemmen teilweise gefüllt. Dann wird die Verbindung zum bereits vorgefüllten venösen Ableitungsschlauch über ein Y-Stück hergestellt und anschließend die venöse Leitung durch Aspiration mit einer Spritze von Luft entleert
Die direkte Kanülierung der oberen und der unteren Hohlvene hat den Vorteil, dass der Verlauf der venösen Kanülen außerhalb des Herzens lokalisiert ist und damit die Platzverhältnisse im Herzen verbessert werden können, was insbesondere bei komplexen intrakardialen Eingriffen von großem Vorteil ist. In der Praxis wird die direkte venöse Kanülierung der Hohlvenen an der perikardialen Umschlagfalte vorgenommen. Die V. cava muss deshalb in diesem Bereich etwas freigelgt werden, wobei an der V. cava superior der N. phrenicus zu schonen ist und an der
V. cava inferior die suprahepatischen Venen intakt bleiben müssen.
5.15.3 Kanülierung einer persistierenden linken
oberen Hohlvene Bei einem doppelten oberen Hohlvenensystem muss zunächst die Frage beantwortet werden, ob eine V. anonyma vorhanden ist. Liegt eine solche mit einem ansprechenden
100
5
Kapitel 5 · Prinzipien und Entwicklungsschritte der extrakorporalen Zirkulation
Kaliber vor, kann in den meisten Fällen die zweite obere Hohlvene geklemmt bzw. mit einem Tourniquet vorübergehend verschlossen werden. Fehlt die V. anonyma, muss man die persistierende linke obere Hohlvene anschlingen und separat kanülieren. Dies kann erneut direkt oder transatrial erfolgen, mündet doch diese zusätzliche Vene typischerweise in den Sinus coronarius. Alternativ kann anstelle einer venösen Kanüle, welche an die venöse Leitung der extrakorporalen Zirkulation angeschlossen ist, auch ein Drainagekatheter durch den Sinus venosus eingeführt werden. Die Ableitung erfolgt dann mittels einer Saugerpumpe in das Kardiotomiereservoir. Im Zweifelsfall kann man die Drainagepflichtigkeit einer persistierenden oberen Hohlvene mit einer Druckmessung (Punktion mit einer Nadel) klären: Steigt der venöse Druck nach dem Abklemmen auf >20 mmHg, muss diese zusätzliche Hohlvene entlastet werden.
5.15.4 Periphere venöse Kanülierung
Für die periphere venöse Kanülierung kommen, wie eingangs ausgeführt, sowohl offene und halboffene als auch geschlossene, perkutane Kanülierungstechniken infrage. Die häufigste periphere Kanülierungsstelle ist die V. femoralis communis, aber auch die V. iliaca externa, die V. iliaca communis, die V. cava inferior, die V. axillaris und die V. subclavia können zur Kanülierung herangezogen werden. Die V. femoralis communis kann man unterhalb des Leistenbandes, welches sich zwischen Spina iliaca anterior und Pecten ossis pubis ausspannt, gerade medial der palpablen A. femoralis communis vermuten (von Segesser 2006). Beim perkutanen Vorgehen wird die V. femoralis communis unterhalb des Leistenbandes, aber oberhalb der V. saphena magna punktiert. Dabei muss man venöses (dunkles), nichtpulsierndes Blut sichten, bevor die Prozedur weitergeführt wird. Da wir größten Wert auf eine gesicherte intralumiane Lage der Kanülenspitze legen, prüfen wir routinemäßig mittels Echokardiographie, ob der Führungsdraht im (wahren) Lumen der V. cava zu liegen kommt, bevor wir den Zugang aufdilatieren und die Kanüle über den Führungsdraht vorschieben. Natürlich kann nach Darstellung der V. femoralis communis auch halboffen, d. h. unter Verwendung von perkutanen Kanülen, wie oben beschrieben, vorgegangen werden. Dieses Vorgehen ermöglicht später, nach dem Dekanülieren, eine kontrollierte Gefäßrekonstruktion unter Sicht. Bei größeren Gefäßen kann man auch das Anlegen einer Tabaksbeutelnaht vor dem Kanülieren und deren einfaches Zuziehen nach dem Dekanülieren erwägen. Immer muss jedoch die periphere Mikrozirkulation geprüft werden, bevor man sich mit der Rekonstruktion/Kompression zufriedengibt. Im Zweifelsfall kann man mit einem Dopplergerät den respiratorisch modulierten venösen Puls vom kardial getriebenen arteriellen unterscheiden.
Beim offenen venösen Kanülieren liegt die optimale Kanülierungsstelle der V. femoralis communis ebenfalls unterhalb des Leistenbandes und oberhalb des Abgangs der V. saphena magna bzw. der V. femoralis profunda. Das Gefäß wird proximal und distal angeschlungen, wobei man Gummibändchen mit Tourniquets bzw. Gefäßklemmen einsetzt, um den Blutfluss vor der Phlebotomie zu unterbrechen. Die traditionellen peripheren venösen Kanülen, welche meist eine korbartige sog. Leuchtturmspitze haben, werden unter Sicht in das wahre Gefäßlumen eingelegt. Bei der venösen Kanülierung ziehen wir in der Regel eine quere Phlebotomie vor. Diese kann man bei Beendigung des Maschineneinsatzes wieder direkt End-zu-End rekonstruieren. Bei größeren Venenwanddefekten muss auch hier auf eine (Venen-)Flickenrekonstruktion zurückgegriffen werden. Es sei daran erinnert, dass es mit traditionellen Kanülen, welche von der Peripherie in die V. cava eingelegt werden, in der Regel nicht möglich ist, einen vollen Maschinenfluss zu erreichen. Dies hängt einerseits mit dem beschränkten Querschnitt der peripheren Venen und andererseits mit dem ebenfalls beschränkten negativen Druck, welcher zur Augmentation generiert werden kann (darf), zusammen. Eine Option besteht in einem Operationsbeginn mit einer beschränkt wirksamen peripheren venösen Kanüle, welche später durch eine zentralvenöse Kanüle ergänzt wird. Dafür sind ein Y-Stück und eine Verlängerung der venösen Leitung zur Überbrückung der Distanz zwischen Leiste und Thorax vorzusehen. Bessere periphere Drainageleistungen lassen sich mit langen perkutanen venösen Kanülen erzielen. Diese werden aus der Leiste bis in den rechten Vorhof oder die V. cava superior vorgeschoben und gestatten es, im Verbund mit einer Zentrifugalpumpe oder Vakuum etwa 90 % des Sollflusses zu erzielen.
5.15.5 Optimierte periphere venöse Kanülierung
Bessere periphere Drainagewerte lassen sich mit selbstexpandierenden venösen Kanülen erzielen, welche auf 18 F kollabierbar sind und mittels Seldinger-Technik offen, halboffen oder perkutan in die Achse der V. cava eingelegt werden. Beim perkutanen Vorgehen punktiert man die V. femoralis communis unterhalb des Leistenbandes, aber oberhalb der V. saphena magna. Dabei muss venöses (dunkles), nichtpulsierndes Blut gesichtet werden, bevor man die Prozedur weiterführt. Bei der transfemoralen Anwendung selbstexpandierender Kanülen ist es wichtig, den Führungsdraht in der V. cava superior zu platzieren, bevor die mit einem hohlen Richtdorn gestreckte und kollabierte Kanüle über den Draht vorgeschoben und deren Spitze ebenfalls in der V. cava superior platziert wird. Um zu verhindern, dass sich die Kanülenspitze verschiebt, ist der Füh-
101 5.16 · Intrakardiale Drainage
rungsdraht vor dem Richtdorn aus der selbstexpandierenden Kanüle zu entfernen, welche sich dann im Lumen der V. cava bis auf 36 F ausdehnt, wohingegen in der V. femoralis communis eine sanduhrförmige Einengung bestehen bleibt. Es hat sich gezeigt, dass mit dieser Technik in der Regel ein Sollfluss möglich ist (von Segesser et al. 2005, 2007, 2008), ohne auf Zentrifugalpumpen oder Vakuumunterstützung zurückgreifen zu müssen. Kürzlich haben wir in diesem Zusammenhang auch über die venöse Kanülierung des rechten Vorhofs und der V. cava inferior via V. jugularis berichtet. Auch diese Anwendung selbstexpandierender venöser Kanülen wird vorzugsweise mit der Seldinger-Technik kombiniert, wobei für die Positionierung des Führungsdrahtes unter echokardiographischer Kontrolle gelegentlich gebogene Katheter notwendig sind und für die Überwindung des Winkels zwischen rechter V. subclavia und V. cava superior der Einsatz eines supersteifen Führungsdrahtes notwendig sein kann. Bei erfolgreicher Einlage einer selbstexpandierenden venösen Kanüle in den rechten Vorhof via V. subclavia oder V. jugularis ist in der Regel ein Sollfluss möglich, ohne auf Zentrifugalpumpen oder Vakuum zurückgreifen zu müssen (von Segesser et al. 2008).
5.15.6 Allgemeine Betrachtungen zur venösen
Kanülierung Für eine gute Drainage ist es wichtig, die Kanülenspitze zentral in der kanülierten Vene zu platzieren. Jeder Wandkontakt beeinträchtigt die Drainageleistung, und die Versenkung der Kanülenspitze in einem Seitenast führt neben einem geringen Blutfluss zu einem Blutrückstau in den übrigen Venen, was sich wiederum negativ auf die Durchblutung der abhängigen Gewebe auswirkt und zu bleibenden Schäden des Gehirns, der Leber, der Nieren und anderer Organe führen kann. ! Es ist deshalb von höchster Wichtigkeit, beim Anfahren der Herz-Lungen-Maschine den fahrbaren Fluss zu bestimmen, auf die Entleerung des rechten Vorhofs und des rechten Ventrikels zu achten sowie den Übergang von der pulsatilen aortalen und evtl. pulmonalen Blutruckkurve zur flachen Linie im Auge zu behalten, bevor irreversible Manöver am Herzen vorgenommen werden.
Falls eine Eröffnung des rechten Vorhofs geplant ist, muss man zudem prüfen, ob beim Übergang vom partiellen zum totalen Bypass, d. h. beim Anziehen der Tourniquets um die Kanülen in den beiden Hohlvenen, der Fluss gehalten werden kann. Andernfalls müssen die Kanülen repositioniert werden, bevor man die Aorta abklemmt und die Kardioplegielösung verabreicht. Bei einer schweren Aorteninsuffizienz muss beim Anfahren der Herz-Lungen-Maschine besonders vorsichtig
vorgegangen werden, denn einerseits wird der Puls am schlagenden Herzen trotz vollem Fluss der Herz-LungenMaschine nicht verschwinden, weil das Herz wegen der Aorteninsuffizienz auch dann auswirft, wenn kein Mitralfluss mehr besteht, und andererseits ist zu berücksichtigen, dass der Herzmuskel bei kaltem Perfusat schnell nicht mehr in der Lage ist, gegen die Herz-Lungen-Maschine anzuarbeiten und deshalb die Aorta abgeklemmt, sodass das linke Herz entlastet werden muss, um eine irreversible Überdehnung zu verhindern. Es ist deshalb zu empfehlen, das Perfusat der Herz-Lungen-Maschine warmzuhalten (37 °C), bis sicher ist, dass die Aorta zuverlässig abgeklemmt, das linke Herz entlastet und ein voller Fluss ermöglicht werden kann. Dies hört sich einfach an, ist jedoch bei Re-Operationen nicht immer zeitgerecht durchführbar.
5.16
Intrakardiale Drainage
Wie bereits angesprochen, kommt der Entlastung des Herzens große Bedeutung zu, denn – analog zu einer überdehnten Feder – wird auch das Myokard durch eine Überdehnung zerstört. Zur Entlastung des linken Ventrikels gibt es verschiedene Techniken (. Abb. 5.49): 4 transapikale Entlastung, 4 transatriale Entlastung über das linke Vorhofohr und 4 transatriale Entlastung über die obere rechte Lungenvene bzw. den Sulcus interatrialis, wobei jeweils durch eine Tabaksbeutelnaht ein Katheter in den linken Ventrikel eingelegt wird. Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass es nicht immer möglich ist, zeitgerecht an die linksseitigen Herzhöhlen zu gelangen. Dies trifft insbesondere auf Re-Operationen zu, gilt aber auch für Reanimationssituationen, wenn eine femorofemorale extrakorporale Zirkulation zur Kreislaufstützung herangezogen wird. Im letzteren Fall muss man die Herzmassage fortsetzen, bis dokumentiert ist, dass das Herz auswirft und genügend entlastet ist. Bei den Re-Operationen, bei welchen die Patienten im Prinzip ausreichend von peripher perfundiert werden können, bevor man den Thorax eröffnet (von Segesser et al. 2007), kann es trotzdem notwendig sein, das Herz zu entlasten, bevor die Freilegung der linksseitigen Strukturen erfolgt. Typische Beispiele sind die schwere Aorteninsuffizienzen sowie die Hypothermie. Unter diesen Umständen kann das linke Herz durch Punktion des rechten Ventrikels mit einer steifen, geraden, pädiatrischen Kanüle transseptal entlastet werden. Selbstredend ist hier eine echokardiographische Positionskontrolle von großer Hilfe. Als Alternative kommt die Drainage der A. pulmonalis infrage. Dies kann durch direkte Punktion, Inzision und offenes oder geschlossenes Einlegen eines Pulmonaliskatheters erfolgen.
5
102
Kapitel 5 · Prinzipien und Entwicklungsschritte der extrakorporalen Zirkulation
5.17
5 a
Während der extrakorporalen Zirkulation schlägt das Herz weiter. Bei guter Drainage ist das Herz weitgehend entleert und wirft kaum aus, und die arterielle Blutdruckkurve wird bei erhaltenem EKG flach. Viele Eingriffe lassen sich am leer schlagenden Herzen durchführen. Dazu gehören Revaskularisation der Herzkranzgefäße sowie Operationen am rechten Herzen inklusive Trikuspidal- und Pulmonalklappe. Bei der Eröffnung des linken Herzens wird meist eine komplette Stilllegung vorgezogen, um zu verhindern, dass Luft in den systemischen Kreislauf gerät und aufgrund von Luftembolien zu bleibenden Schäden führt. Grundsätzlich sind 3 Techniken zur Stilllegung des Herzens zu unterscheiden: 4 elektrisch induziertes Kammerflimmern, 4 ischämisch Stilllegung, 4 Kardioplegie.
5.17.1
b
c . Abb. 5.49a–c. Drainage des linken Ventrikels. a Durch die linke Herzspitze: Stichinzision in einen koronarfreien Bezirk. Nach Anlage einer kräftigen, teflonfilzunterlegten U-Naht wird die Drainage eingeführt und an die Saugung angeschlossen. b Durch den linken Vorhof von der rechten Seite aus: Eine Tabaksbeutelnaht wird am Sulcus interatrialis in die linke Vorhofwand gestochen und die vorgebogene Drainage nach Vorhofstichinzision durch die Mitralklappe in den linken Ventrikel vorgeschoben. c Durch das linke Herzhohr: Einführen der Drainage in den linken Ventrikel durch die Mitralklappe sowie Fixierung mittels Tabaksbeutelnaht und Metalltourniquet am linken Herzohr
Stilllegung des Herzens
Elektrisch induziertes Kammerflimmern
Die Stilllegung des Herzens unter Erhaltung der koronaren Durchblutung lässt sich am einfachsten durch Provokation von Kammerflimmern erreichen (Senning 1952; Wilson et al. 1972), das man kontinuierlich erhalten kann, wenn ein hochfrequenter Wechselstrom von 2–7 V durch die Ventrikelmuskulatur fließt. Dazu werden eigens dafür ausgelegte Fibrillatoren eingesetzt, deren Frequenz typischerweise 50 Hz beträgt. Dabei ist jedoch streng darauf zu achten, dass die Herzkammern dekomprimiert sind (Sebening et al. 1964), da nicht nur die vorübergehende Überdehnung des Herzmuskels per se ein Problem darstellt, sondern da ein hoher intraventrikulärer Druck zudem zu einem entsprechenden intramuralen Druck führt, welcher wiederum die Blutversorgung des Myokards unmöglicht macht. Wie bei der extrakorporalen Zirkulation sollte die Flimmerperiode so kurz wie möglich sein und 60 min nicht übersteigen.
5.17.2
Ischämische Stilllegung des Herzens
5.17.2.1
In Normothermie
Sobald bei der extrakorporalen Zirkulation der Sollfluss erreicht ist und gehalten werden kann, wird die Aorta mit einer weichen Gefäßklemme quer abgeklemmt und damit die koronare Zirkulation unterbrochen. Als Folge tritt nach 4–5 min durch Erliegen der sauerstoffabhängigen Energieübertragung ein ischämischer Stillstand des Herzens ein (Klövekorn et al. 1991). Der Ruhestoffwechsel des Herzens kann durch die anaerobe Verstoffwechselung des in den Herzmuskelzellen vorhandenen Glykogens nur unvollkommen aufrechterhalten werden (Sebening et al. 1963). Das Auftreten irreversibler Schädigungen ist in den verschiedenen Mykordbezirken unterschiedlich ausgeprägt und
103 5.17 · Stilllegung des Herzens
hängt von der Dauer der Abklemmung, der Temperatur des Myokards und dessen Stoffwechselzustand ab. Die Ischämietoleranz des Herzens bzw. die tatsächliche Wiederbelebungszeit (Kantrowitz et al. 1968; Spieckermann 1973) lässt sich für den einzelnen Patienten nicht exakt voraussagen. Man kann jedoch davon ausgehen, dass die Grenze für eine irreversible Gesamtschädigung des Herzens bei einer Temperatur von 37 °C bei etwa 20 min (ununterbrochene Ischämie) liegt. Eine normotherme Ischämie sollte daher – abgesehen von sehr kurzen Zeitspannen – nach Möglichkeit vermieden werden. 5.17.2.2
In Hypothermie
Die tolerierte Ischämiedauer kann bei Unterkühlung auf 28–30 °C ungefähr verdoppelt werden. Bei einer lokalen Unterkühlung des Herzens mit Hilfe von eiskalter Kochsalzlösung, die man wiederholt oder kontinuierlich in den Herzbeutel einfüllt (Griepp u. Stinson 1973), lässt sich das Herz für 50–60 min stilllegen. Aus der Transplantationsmedizin weiß man, dass ein Herz unter kontrollierter kalter Ischämie über 4 h und länger funktionstüchtig erhalten werden kann.
5.17.3
Kardioplegie
Die heute gebräuchlichste Methode der intraoperativen Myokardprotektion ist die Kombination der obigen Methoden mit pharmakologischen Maßnahmen, indem die Stilllegung des Herzens unter Verwendung von kardioplegischer Lösung erfolgt. Im Laufe der Zeit haben sich verschiedene Verfahren entwickelt. Man unterscheidet im Wesentlichen zwischen kristalliner Kardioplegie, Blutkardioplegie und einfachem Kaliumzusatz in wechselnder Dosierung. Primär bewirkt die Gabe von kristalliner Kardioplegielösung einen ischämischen Stillstand, wobei der Ruhesauerstoffbedarf des Myokards durch die Unterdrückung energieverbrauchender elektrischer Vorgänge und die allgemeine Reduzierung des Zellstoffwechsels stark vermindert wird (Klövekorn et al. 1991). Auf diese Weise führt die Kardioplegie zu einer Vervielfachung der Ischämietoleranz. Während der Sauerstoffverbrauch des leer schlagenden Herzens etwa 3 ml/min/100 g Gewebe und der des flimmernden Myokards 4–7 ml/min/100 g Gewebe beträgt, sinkt er beim kardioplegisch stillgelegten Herzen auf <1 ml/ min/100 g Gewebe. Bei zusätzlicher Unterkühlung liegt der Ruhesauerstoffbedarf bei Myokardtemperaturen von etwa 17°C bei 0,1–0,2 ml/min/100 g Gewebe, was Ischämiezeiten von bis zu 3 h ermöglicht. Der kardioplegische Stillstand wird nach Querabklemmen der Aorta durch Infusion der eiskalten (4 °C) Lösung entweder in die Aortenwurzel oder – nach Eröffnen der Aorta – in die Koronarostien erreicht (Kalmar et al. 1975; Wechsler et al. 1986). Das linke Herz sollte möglichst vollständig entlastet sein. Werden Mengen bis 1000 ml infun-
diert, kann die Lösung zusammen mit dem venösen Blut in die Herz-Lungen-Maschine bzw. in den Systemkreislauf gelangen. Bei Verwendung größerer Volumina sollte die Lösung zur Vermeidung einer zu starken Hämodilution und einer Hyperkaliämie entweder aus dem Koronarsinus abgesaugt und verworfen oder auf der Maschine ein Hämofilter installiert werden, welcher nicht nur die Wasserelimination, sondern auch die Korrektur des Kaliumspiegels ermöglicht. Während der internen Myokardkühlung durch die kardioplegische Lösung sollte eine zusätzliche Oberflächenkühlung mit kalter isotoner Kochsalzlösung erfolgen, um ein Aufwärmen des Herzens von außen zu verhindern. Die hauptsächlich verwendeten kardioplegischen Lösungen sind die HTK-Lösung nach Bretschneider, die St.-Thomas-Lösung, die Kardioplegische Perfusionslösung (Hamburg-Eppendorf) und die Lösung nach Kirklin (. Tab. 5.1). Die für die Kardioplegie empfohlene Lösungsmenge ist je nach Art der Lösung unterschiedlich und liegt zwischen 10 und 40 ml/kg KG. Bei einigen Lösungen genügt eine einmalige Applikation, während andere in bestimmten Zeitabständen (20 min) wiederholt appliziert werden sollen. Wegen der Gefahr von Luftembolien haben wir die Verabreichung von kardioplegischer Lösung mit der Schwerkraft aus Flaschen verlassen und verwenden heute systematisch druckgesteuerte Rollerpumpen, welche auch die Beimischung von Blut für die sog. Blutkardioplegie nach Buckberg (Buckberg 1982; Rosenkranz et al. 1986) ermöglichen. Ursprünglich erfolgte hierzu eine intermittierende Koronarperfusion in Abständen von 20 min mit kaltem Blut (4–8 °C), welches mit Kaliumlösung, Puffersubstanzen, Glutamat, Aspartat und Pharmaka (z. B. Kalziumantagonisten) angereichert wurde (. Abb. 5.50). Mit der Einführung des Koronarsinuskatheters wurde es möglich, nicht nur eine antegrade, sondern auch eine retrograde Blutkardioplegie durchzuführen (Ihnken et al. 1994). Letzteres wiederum eröffnete den Weg zur kontinuierlichen retrograden Blutkardioplegie nach antegrader Induktion eines Herzstillstandes mit abschließendem antegraden »hot shot« in die Aortenwurzel (Modi et al. 2006). Dies ist heute unsere bevorzugte Myokardprotektionsmethode, welche natürlich an die konkreten Gegebenheiten beim Patienten angepasst werden muss. Beispielsweise kann es bei einer schweren Aortenstenose schwierig sein, mittels antegrader Kardioplegiegabe in die Aortenwurzel einen Herzstillstand zu erzeugen, ohne das linke Herz zu überdehnen. Die Kombination verschiedener Methode erlaubt es jedoch, auch diese Situation zu meistern: 4 kurze antegrade Gaben von Kardioplegielösung in die Aortenwurzel unter Kontrolle der linksventrikulären Dimensionen (manuell, echokardiographisch), 4 Provokation von Kammerflimmern mit einem externen Fibrillator, 4 retrograde kontinuierliche Gabe von Kardioplegielösung über den Koronarsinus (. Abb. 5.51).
5
104
Kapitel 5 · Prinzipien und Entwicklungsschritte der extrakorporalen Zirkulation
. Tab. 5.1. Zusammensetzungen der gebräuchlichsten Kardioplegielösungen Inhaltsstoff
Konzentration
HTK-Lösung nach Bretschneider
5
Natriumchlorid
15,0 mmol/l
Kaliumchlorid
9,0 mmol/l
Kaliumhydrogen-2-Oxoglutarat
1,0 mmol/l
Magnesiumchlorid (6 H2O)
4,0 mmol/l
Histidin-HCl (H2O)
18,0 mmol/l
Histidin
180 mmol/l
Tryptophan
2,0 mmol/l
Mannit
30,0 mmol/l
St.-Thomas-Lösung Natriumchlorid
110,0 mmol/l
Natriumhydrogenkarbonat
10,0 mmol/l
Kaliumchlorid
16,0 mmol/l
Magnesiumchlorid
16,0 mmol/l
Kalziumchlorid
1,2 mmol/l
. Abb. 5.50. Handstück für die koronare Perfusion
Kardioplegische Perfusionslösung (Hamburg-Eppendorf) Poly(O-2-Hydroxyethyl-)Stärke
60,0 g/l
D,L-Magnesiumaspartat (4 H2O)
2,0 mmol/l
Procainhydrochlorid
4,0 mmol/l
Kalziumchlorid (2 H2O)
0,5 mmol/l
Natriumchlorid
25,0 mmol/l
Kaliumchlorid
5,0 mmol/l
Glukosemonohydrat
10,0 mmol/l
Mannit
200,0 mmol/l
Vor der Anwendung dazuzugeben Natriumhydrogenkarbonat
25,0 mmol/l
6-Methylprednisolon
250,0 mg/l
Abschließend Äquilibrierung mit Karbogen (95 % O2, 5 % CO2) Lösung nach Kirklin Natrium
110,0 mmol/l
Kalium
30,0 mmol/l
Chlorid
85,0 mmol/l
Bikarbonat und Karbonat im Verhältnis 5:1
27,0 mmol/l
Kalzium
0,5 mmol/l
Glukose
28,0 mmol/l
Mannitol
54,0 mmol/l
. Abb. 5.51. Retrograde Koronarperfusion durch den Sinus coronarius
105 5.17 · Stilllegung des Herzens
5.17.5 Entlüftung des Herzens
Wir vermeiden nach Möglichkeit die direkte Gabe von Kardioplegielösung in die Koronarostien, da diese Manipulationen mit einer Intimahyperplasie und konsekutiven ostialen Stenosen einhergehen können. Gelegentlich muss jedoch trotzdem auf diese Technik zurückgegriffen werden (. Abb. 5.52). Dies ist insbesondere bei Re-Operationen der Fall, wobei wir das Herz nur minimal freilegen sowie in anatomisch schwierigen Situationen den Koronarsinus sondieren. Eine vereinfachte Variante der Blutkardioplegie wurde von Calafiore in Chieti vorgeschlagen (Calafiore et al. 1994): Zugabe von Kalium zu warmem Blut, und zwar initial in hoher Dosierung, bis das Herz stillsteht, und anschließend in reduzierter Dosis. Das benötigte Kalium wird mit einer Spritzenpumpe kontinuierlich dem für die Kardioplegie abgezweigten Blut beigemischt. Tritt erneut Herzaktivität auf, wird die Kaliumdosis vorübergehend erhöht. Obwohl mit dieser Technik gute Resultate erzielt werden können, ist der effektive Myokardschutz evtl. geringer als bei anderen Verfahren (Pöling et al. 2006).
Wenn man das Herz eröffnet, muss man davon ausgehen, dass Luft in die Herzhöhlen gerät. Auf der rechten Seite verursacht dies bei begrenzter Luftmenge meist keine Probleme. Liegen jedoch Shunt-Vitien vor, kann die Luft auf die linke Seite gelangen, als wenn das linke Herz eröffnet würde. Diese Luft muss entfernt werden, und zwar bevor das Herz auswirft, weil andernfalls Luftembolien in die Herzkranzgefäße und das Gehirn gelangen und zu entsprechenden vorübergehenden oder bleibenden territorialen Ausfällen führen können. Es wird deshalb empfohlen, auf der Aortenwurzel routinemäßig eine Entlüftungskanüle anzubringen, welche das kontinuierliche Absaugen von Luft gestattet. Die entsprechende Saugerpumpe stellt man zu diesem Zweck bei Erwachsenen auf 0,5 l/min ein. Außerdem wird das Herz nach Möglichkeit luxiert und ggf. mit einer kräftigen Nadel an der Spitze punktiert. Der Anästhesist bläht die Lunge, um auch die Lungenvenen zu entlüften. Die eventuelle Punktionsstelle an der Herzspitze muss mit einer feinen Naht (Z-Stich) übernäht werden, um eine eventuelle Nachblutung zu vehindern. Die Beurteilung des Entlüftungsstatus gelingt am besten mittels transösophagealer Echokardiographie, da die Gasblasen einen starken Kontrast bedingen und gut sichtbar gemacht werden können. Bei Einhaltung der Entlüftungsmanöver in der hauseigenen Routine ist diese Kontrolle jedoch nicht erforderlich, da auch sie letztendlich von subjektiven Kriterien überlagert ist. Verschiedene Methoden zur Reduktion der Luftansammlung im Herzen während der offenen Herzchirurgie sind empfohlen worden. Dazu gehört das routinemäßige Füllen der Herzhöhlen vor deren Verschluss mit physiologischer Kochsalzlösung bzw. das Drosseln der venösen Drainage, womit ein vorübergehendes Ansteigen des Blutspiegels erzielt werden kann. Auch das systematische Fluten des Operationsgebiets mit CO2 kommt zur Anwendung und scheint die intrakavitäre Blasenbildung sowie die notwendige Zeit zur Entlüftung zu reduzieren (Barnard u. Speake 2004; Pöling et al. 2006; Svenarud et al. 2004). Allerdings ist auch über Nebenwirkungen dieser Techniken berichtet worden (progressive Hyperkapnie etc).
5.17.4 Reperfusion
5.17.6 Luftembolie
Nach allen Formen der Herzstilllegung ist zur Erholung des Myokards und zur Normalisierung seines Stoffwechsels eine Reperfusion der Koronarien notwendig, die idealerweise bei entlastetem, schlagendem Herzen und totaler extrakorporaler Zirkulation durchgeführt wird. Je nach Dauer der Stilllegung beträgt die Zeit für die Reperfusion 10–20 min, bis die energieliefernden Substate wieder in ausreichender Konzentration aufgebaut sind.
Die wohl am meisten gefürchtete Komplikation der offenen Herzchirurgie mit der Herz-Lungen-Maschine ist die massive Luftembolie. Dazu kann es kommen, wenn (Mills u. Ochsner 1980): 4 der Blutspiegel im venösen Reservoir zu tief absinkt, 4 die Pumpenköpfe oder die eingelegten Schläuche verkehrt montiert sind, 4 das Herz unerwartet zu schlagen beginnt und auswirft,
. Abb. 5.52. Koronarperfusion. Beide Perfusionskanülen sind in den Koronarostien platziert und werden durch Haltenähte zusammen mit kurzen Tourniquets an der Aortenwand fixiert
5
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Kapitel 5 · Prinzipien und Entwicklungsschritte der extrakorporalen Zirkulation
4 4 4 4 4 4
5
das Herz ungenügend entlüftet ist, tief in einer Lungenarterie massiv abgesaugt wird, man an der Aortenwurzel zu stark absaugt, ein defekter Oxygenator zum Einsatz kommt, ein Überdruck im Kardiotomiereservoir auftritt, es zu unvorhergesehenen Oxygenatordekonnektion kommt.
Zur Verhinderung massiver Luftembolien wird empfohlen, Sauger und Perfusionslinien systematisch zu prüfen, bevor man den Bypass einsetzt. Bei uns ist das Abklemmen der Aortenwurzelkanüle vor dieser Prüfung Routine. Niveaudetektoren am venösen Reservoir, ein Bläschendetektor auf der arteriellen Leitung und ein automatischer Maschinenstopp gehören nicht nur zur Grundausrüstung, sondern müssen auch eingesetzt werden. Dazu ist eine sog. Prä-Bypass-Checkliste einzusetzen, welche eine systematische Überprüfung aller Prozeduren sicherstellt (Svenmarker u. von Segesser 1999). Ist eine Luftembolie erst einmal eingetreten, gilt es, ohne Zeitverlust die Maschine zu stoppen, die Karotiden zu komprimieren, den Patient in eine tiefe TrendelenburgLage zu bringen und an der Aorta eine Inzision zur Entlüftung anzubringen, um den unmittelbaren Luftaustritt zu ermöglichen. Dazu kann man die arterielle Kanüle entfernen und an die V. cava superior bzw. eine dort liegende Kanüle anschließen, um den Kopf des Patienten für einige Minuten retrograd zu perfundieren (Druckwerte bis 20 mmHg), bis aus der Aorta keine Luft mehr austritt. Diese Maßnahme darf jedoch nicht überschätzt werden, da die Qualität der retrograden zerebralen Perfusion aufgrund der Venenklappen nicht vorhersehbar ist (ab Aquapendente 1603; Künzli et al. 2006). Als weitere Maßnahmen bei Wiederaufnahme der extrakorporalen Zirkulation werden deshalb empfohlen: 4 Hypothermie, 4 hoher arterieller Perfusionsdruck, 4 Steroide, 4 Ventilation mit 100 % Sauerstoff, 4 induzierte Hypokapnie durch Hyperventilation, 4 hyperosmolare Therapie (Mannitol), 4 tiefe Barbituratanästhesie, 4 evtl. hyperbare Sauerstofftherapie.
5.18
Operationen im Kreislaufstillstand
5.18.1.1
In Normothermie ohne HLM
Nach medianer Sternotomie oder rechtsseitiger lateraler Thorakotomie und bei völlig relaxiertem Patienten werden beide Hohlvenen angeschlungen und gedrosselt (»inflow occlusion«). Das Herz schlägt nach wenigen Kontraktionen leer. Nun kann ein kurzer Eingriff bei Herzeröffnung unter Sicht durchgeführt werden, z. B. die Kommissurotomie einer valvulären Pulmonalstenose oder einer neonatalen
kritischen Aortenklappenstenose, eine zentrale pulmonale Embolektomie oder eine offene Septostomie des Vorhofseptums. Limitierend ist die Ischämietoleranzzeit des Großhirns, die in Normothermie bei 3–4 min liegt. Der Eingriff sollte nach 2 min abgeschlossen sein. Die Inzision wird nach sorgfältiger Entlüftung der eröffneten Herzhöhlen mit einer passenden Klemme seitlich ausgeklemmt und später vernäht. Nach Freigabe der beiden Hohlvenen kommt der Kreislauf spontan wieder in Gang. Es folgt vorübergehend eine reaktive Tachykardie mit arterieller Hypertonie. ! Wichtig ist das gesicherte Auffüllen des Herzens mit Blut, und zwar wegen der Gefahr einer arteriellen Luftembolie. Hier muss auch angemerkt werden, dass es heute auf einer herzchirurgischen Abteilung, wo die extrakorporale Zirkulation Routine ist, kaum Indikationen für den normothermen Kreislaufstillstand gibt. Deshalb ist es wichtig, die Grenzen dieser Methode zu kennen.
5.18.1.2
In Hypothermie ohne und mit HLM
Operationen am offenen Herzen im Kreislaufstillstand unter Oberflächenhypothermie (30°C) wurden durch Bigelow (Bigelow et al. 1950) experimentell vorbereitet und von Lewis und Taufic erstmals klinisch ausgeführt. Operationen in tiefer Hypothermie (20°C) beschrieben Ishikawa und Okamura (1958) sowie Spohn (Spohn et al. 1960/1961). Zu diesem Zweck wird der Patient mit Kühlmatten oder in einem Wasserbad abgekühlt. Je nach Größe des Patienten sinkt die Temperatur pro Stunde um 5–8°C. Bei sog. mittlerer Hypothermie (29,5–30,5°C) kann man Korrekturen am offenen Herzen während eines 7- bis 10-minütigen Kreislaufstillstands durchführen. Wird weiter gekühlt (20– 22°C) lässt sich der Kreislaufstillstand auf 50–60 min ausdehnen. Da nur geringe Temperaturgradienten zulässig sind, ist das Aufwärmen entsprechend aufwendig und kann längere Perioden mit manueller Herzmassage notwendig machen. Dies hat sich mit der Einführung der Herz-Lungen-Maschine grundlegend geändert. Die Hypothermie wird nach Anschließen der HerzLungen-Maschine mit Hilfe des Wärmeaustauschers in extrakorporaler Zirkulation erzielt. Im Gegensatz zur Oberflächenhypothermie werden dabei die gut durchbluteten inneren Organe zuerst abgekühlt. Eine geringe Abkühlung auf 30–32°C kommt bei vielen Operationsgruppen routinemäßig zum Einsatz, um einen weiteren Schutz gegenüber einer regionalen Unterperfusion zu erhalten, insbesondere bei technischem Versagen der Apparatur oder vorübergehender Unterbrechung der Perfusion, z. B. durch Lösen eines Schlauchkonnektors oder bei schlechtem venösen Rückfluss. Bei weiterer Abkühlung auf 27–28°C kann das Maschinenminutenvolumen zeitweilig auf 50 % und weniger gedrosselt werden, wenn dies die intrakardiale Operation erleichtert, z. B. bei hohem bronchialen Rückfluss. Ein kurzzeitiger, 8–10 min andauernder Kreislaufstillstand ist
107 Literatur
bei dieser Temperatur ebenfalls ohne schädliche Folgen möglich. Bei bestimmten Operationen, z. B. Eingriffe an großen Aortenaneurysmen oder an Aneurysmen des Aortenbogens, Endarteriektomie der Lungenarterien oder komplexe Operationen bei Säuglingen, kann ein Kreislaufstillstand in tiefer Hypothermie nach extrakorporaler Unterkühlung notwendig sein. Dazu wird bei vollem Maschinenfluss und geringer Wassertemperatur bis zu einer Ösophagus- und Rektumtemperatur vom 18°C gekühlt. Nach Unterkühlung auf 18–20°C sind bei Säuglingen bis zu einem Körpergewicht von etwa 10 kg Korrekturen im totalen Kreislaufstillstand über eine Dauer von bis zu 60 min (bevorzugt nur bis 40 min) durchführbar. Bei Erwachsenen versuchen wir, den hypothermen Kreislaufstillstand auf 20–30 min zu begrenzen, und reperfundieren nötigenfalls über 10 min bei einer Temperatur von 18°C. Mit dieser Technik lassen sich mehrere Kreislaufstillstandsperioden realisieren. Um den Säure-Basen-Haushalt bei tiefer Hypothermie im Gleichgewicht zu halten, kann es erforderlich sein, zur Erhöhung des CO2-Patrialdrucks im Oxygenator separat bis zu 10 % CO2 beizumischen (Johnson u. Tamblyn 2006). Beim Wiederaufwärmen muss darauf geachtet werden, dass der Temperaturgradient zwischen dem Wasser des Wärmeaustauschers und dem Blut nicht mehr als 10°C beträgt. Obwohl sich die tiefe Hypothermie bei der Organprotektion, insbesondere des Gehirns, bewährt hat (Gega et al. 2007), kommt in neuerer Zeit bei der Chirurgie des Aortenbogens zunehmend die antegrade Perfusion der supraaortalen Äste zum Einsatz (Barnard et al. 2004). Dabei muss zwischen der Kanülierung der A. subclavia mit antegrader Perfusion der ipsilateralen und kollateraler Versorgung der kontralateralen A. carotis einerseits und der direkten Kanülierung von Truncus brachiocephalicus und linker A. carotis durch den Bogen andererseits (Pacini et al. 2006) unterschieden werden.
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Kapitel 5 · Prinzipien und Entwicklungsschritte der extrakorporalen Zirkulation
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6 Kardiovaskuläres »tissue engineering« A. Haverich, M. Wilhelmi 6.1 6.1.1 6.1.2 6.1.3
Allgemeines – 111 Zelluläre Komponenten – 112 Matrizes – 114 Bioreaktortechnologien – 115
6.2 6.2.1 6.2.2
Strategien zum Gefäßersatz – 115 Biologischer Gefäßersatz – 115 Alloplastischer Gefäßersatz – 117
6.3 6.3.1 6.3.2 6.3.3
»Tissue engineering« kardialer Strukturen – 121 Herzklappen – 121 Herzmuskelgewebe – 122 Kardiale Zelltherapie – 125
6.4
Fazit – 129 Literatur
6.1
Allgemeines
Organerkrankungen im Endstadium sowie der Verlust gesunder, funktionsfähiger Organe und Organstrukturen konfrontieren Medizin und Gesellschaft mit therapeutisch wie sozioökonomisch immensen Problemen. Durch Identifizierung neuer und Verbesserung bestehender Therapieoptionen und hier insbesondere auch der Transplantation von Geweben und Organen konnten im Laufe der letzten Jahre vielfach deutliche therapeutische Fortschritte erzielt und dabei die Prognose einer Reihe von Erkrankungen deutlich verbessert werden. Beide Therapieansätze – rekonstruierend wie substituierend – sind jedoch auch heute noch mit Nachteilen behaftet, die ihre Anwendbarkeit limitieren. Beispiele hierfür sind insbesondere: 4 eine zunehmend große Diskrepanz zwischen Verfügbarkeit und Bedarf an Organen, 4 Entwicklung sekundärer Gesundheitsrisiken wie z. B. Ausbildung von Neoplasien durch notwendige und unabdingbare lebenslange immunsuppressive Therapien nach Organtransplantation, 4 Mangel an Spendergeweben wie z. B. arterielle und venöse Blutgefäße allogenen, aber auch autologen Ursprungs,
– 130
4 gesteigertes Risiko für Infektionen und thromboembolische Komplikationen nach Implantation mechanischer und alloplastischer Prothesen, 4 gesteigertes Risiko für das Auftreten von Blutungskomplikationen unter antikoagulativer Therapie, die aufgrund einer gesteigerten intrinsischen Thrombogenität alloplastischer Implantate zumeist lebenslang aufrechterhalten werden muss. Auf der Suche nach einer Methode, die unter Beibehaltung aller Vorzüge biologischer Gewebe- und Organsysteme nach Möglichkeit alle genannten Nachteile umgeht und dabei gleichzeitig den individuellen Bedürfnissen eines Patienten gerecht wird (Vacanti u. Langer 1999), entstand im Laufe der Zeit der interdisziplinäre Ansatz des »tissue engineering« (im deutschen Sprachgebrauch am ehesten frei mit »Gewebezüchtung« zu übersetzen). Kreiert wurde der Begriff im Jahre 1987 durch Mitglieder der amerikanischen Science Foundation in Washington. Ziel war es, durch gezielte Bündelung und Fokussierung von Prinzipien und Methoden von Ingenieurs- und Lebenswissenschaften über ein besseres Verständnis der Zusammenhänge von Struktur und Funktion physiologischer und pathologisch veränderter Gewebe- und Organfunktionen die Entwick-
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6
Kapitel 6 · Kardiovaskuläres »tissue engineering«
lung bioartifizieller Ersatzmaterialien voranzutreiben, die – in einen Organismus eingebracht – Gewebefunktionen wiederherzustellen, zu erhalten oder zu verbessern vermögen (Skalak u. Fox 1988; Vacanti 1988; Vacanti u. Langer 1999). Obwohl im Laufe der Zeit eine Vielzahl verschiedenster Ansätze zur Generierung der unterschiedlichsten Zielgewebe beschrieben worden sind, lassen sich 3 wesentliche Ansätze voneinander abgrenzen: 4 »Guided tissue regeneration«. Eine primär stabile, zumeist azelluläre Matrix, die bereits die Form der Zielstruktur vorgibt (z. B. ein Blutgefäß oder eine Herzklappe), wird in einen Empfänger implantiert, sodass die Matrix im Laufe von Wochen, manchmal auch Monaten durch die Besiedlung mit autologen Zellen in vivo zum funktionsfähigen Ersatz heranreift. Ein Beispiel hierfür ist die azellularisierte Herzklappe, die erst nach Implantation in einen Empfängerorganismus mit Zellen re-besiedelt wird. 4 »Selective cellular transfer«. Hierunter versteht man die gezielte lokale oder systemische Injektion allogener, xenogener oder auch autologer Zellpräparationen, um so die spezifische Konzentration eines Zelltypus innerhalb des Blutkreislaufs oder auch nur lokalisiert innerhalb eines Gewebes zu steigern (z. B. Injektion von Stammzellsuspensionen in myokardiale Infarktareale), um so regenerative Prozesse zu fördern. 4 »Tissue engineering« (klassischer Ansatz). Zuvor in vitro isolierte und expandierte Zellen, die unterschiedlichen Typs und unterschiedlicher Herkunft sein können, werden unter In-vitro-Bedingungen in oder auf eine Trägersubstanz (Matrix) gegeben, um so ein morphologisch und funktionell intaktes Gewebe- oder Organsubstitut zu bilden (. Abb. 6.1). Durch die Verwendung unterschiedlichster Zell-MatrixKombinationen konnten in der Vergangenheit bereits einige Gewebetypen generiert werden, und erste Ansätze zur Ausbildung ganzer Organsysteme zeichnen sich ab (Ferber 1999). Eine erfolgreiche Generierung übergeordneter ZellMatrix-Strukturen ist jedoch von einem umfangreichen Repertoire physiologischer Rahmenbedingungen abhängig, die organ- und gewebespezifisch individuell gestaltet und im zeitlichen Verlauf oftmals verändert und angepasst werden müssen. Einige der fundamentalsten Voraussetzungen in dieser Hinsicht sind Faktoren wie der Massentransfer von Sauerstoff und Nährstoffen sowie die Induktion der (Neo-)Angiogenese und damit von Prozessen der (Neo-)Vaskularisierung innerhalb dreidimensionaler Gewebestrukturen, die – bedingt durch ihre Schichtdicke – nicht durch Diffusion allein ernährt werden können. Darüber hinaus sind die Identifizierung notwendiger weiterer chemischer, physikalischer und mechanischer Stimuli sowie – damit verbunden – die Etablierung einer möglichst physiologischen Mikro- und Makrosphäre, die unter In-
. Abb. 6.1. Azellularisierte und im Bioreaktor mit Zellen des späteren Empfängers autolog wiederbesiedelte Pulmonalklappe nach Implantation im Tiermodell (bovin) für 6 Monate. Die Wand der Klappe wurde längs eröffnet, sodass die Taschenklappen beurteilt werden können. Gut zu erkennen ist die transparente Struktur der mit der Pinzette aufgehaltenen Klappe. Oben und unten finden sich die Gefäßnähte
vitro-Bedingungen nur durch geeignete Bioreaktorsysteme geschaffen werden können, zu nennen (. Abb. 6.2). Im Folgenden sollen zunächst einzelne, dem Prinzip des »tissue engineering« zugrunde liegende Komponenten näher betrachtet werden.
6.1.1 Zelluläre Komponenten
Zellen sind die Schlüsselkomponenten des »tissue engineering«, denn sie sind es, die azelluläre Matrizes (re-)vitalisieren und durch ihre proliferative Aktivität und Differenzierung die Synthese und Freisetzung biomolekularer Substanzen und die Bildung von extrazellulären Matrixkomponenten sowie von Zell-Zell-Interaktionen – verantwortlich für die Regeneration und den Aufbau von Geweben – steuern. Eine optimale Zellquelle im Sinne des »tissue engineering« sollte daher insbesondere folgende Charakteristika aufweisen: Sie soll leicht zugänglich sein, rasch expandieren und dabei Funktion und Phänotyp beibehalten, keine Pathogene übertragen, zumindest multipotent sein, um sich so in möglichst viele verschiedene Zelltypen differenzieren zu lassen, und keine immunologische Aktivität und keine antigenen Eigenschaften aufweisen. Einige differenzierte Zellen, die aus intakten Gewebeverbänden isoliert und in vitro expandiert werden, finden aufgrund ihrer zumeist guten Proliferationstendenz und ihres bereits determinierten Phänotyps heute breite Anwendung. Praktisch bedeutet dies, dass Fibroblasten und Keratinozyten heute
6
113 6.1 · Allgemeines
b
a
d
c
e . Abb. 6.2a–e. Komponenten eines modernen Bioreaktorsystems. a Bioreaktor mit eingespanntem Blutgefäß; b Bioreaktor mit eingespannter Herzklappe; c Rollerstand mit aufliegenden und an das Perfusionssystem angeschlossenen Bioreaktoren im Brutschrank;
d PC-gestützte Messeinheit zur Überwachung und Steuerung relevanter Parameter (z. B. Druck, Temperatur, Flussgeschwindigkeit und pH-Wert); e Zentrifugalpumpe zur Perfusion der Bioreaktoren
mit guten Resultaten zur Herstellung von Haut, Chondrozyten zur Therapie von Knorpelläsionen und Endothelzellen unterschiedlicher Herkunft zur Generierung kardiovaskulärer Strukturen wie z. B. Herzklappen und Blutgefäße eingesetzt werden können. Andere spezialisierte Zellen wie z. B. Hepatozyten oder Kardiomyozyten, die ebenfalls von großem Interesse für das »tissue engineering« und hier insbesondere auch für die Generierung ganzer Organsysteme wären, zeigen unglücklicherweise jedoch nur eine verhältnismäßig langsame Proliferation oder lassen sich überhaupt nicht expandieren (Teebken et al. 2005). In diesen Fällen ist es unter therapeutischen Gesichtspunkten sinnvoll, auf embryonale Blastozyten (totipotent) und/oder adulte Stammzellen (multipotent) zurückgreifen zu können, die in der Lage sind, sich selbst zu erneuern und so in mehr oder minder viele unterschiedliche Zelllinien differenzierbar sind. Embryonale Stammzellen sind aufgrund ihrer Totipotenz in der Lage, sich in Gewebe aller 3 Keimblätter zu differen-
zieren und könnten so, zumindest theoretisch, von großem Nutzen für regenerative Therapieansätze sein. Ethische und rechtliche Bedenken schränken in vielen Ländern dieser Welt den Einsatz humaner embryonaler Stammzellen jedoch so weit ein, dass sie zumindest derzeit nur von theoretischer Bedeutung sind. Adulte Stammzellen können sich ebenfalls selbstständig replizieren, sind jedoch aufgrund ihrer Multipotenz »nur« in der Lage, sich in Zellen und Gewebestrukturen mesenchymaler Herkunft zu differenzieren (z. B. hämatopoetische, neuronale und hepatische Stammzellen, aber auch Knochen, Knorpel, Sehnen und Skelettmuskel). Die immunologische Kompatibilität bei Verwendung autologer Zellen sowie die ethische und rechtliche Unbedenklichkeit sorgen dafür, dass diese Zellen heute Gegenstand intensiver Forschung sind (Pittenger et al. 1999). Darüber hinaus sind viele gegenwärtige wissenschaftliche Bestrebungen darauf fokussiert, Techniken zu identifizieren, mit deren Hilfe reine, kontaminations-
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Kapitel 6 · Kardiovaskuläres »tissue engineering«
freie Zellisolationen erreicht, zelluläre Proliferationstendenzen gesteigert und spezifische Differenzierungswege eines individuellen Zelltypus induziert und kontrolliert werden können.
6.1.2 Matrizes
6
Eine weitere Voraussetzung für die In-vitro-Gewebezüchtung im Sinne des »tissue engineering«, aber auch der »guided tissue regeneration« sind Matrizes biologischen, synthetischen oder kombinierten Ursprungs (Hybridkonstrukte), die dabei sowohl als Leitstruktur zur Ansiedlung von Zellen als auch als strukturelles Rückgrat des zu generierenden Gewebes notwendig sind. Im Gegensatz zu anderen Werkstoffen des täglichen Lebens sind Gewebematrizes dabei stetig dynamischen Veränderungen im Sinne situationsgerechter Adaptationsvorgänge unterworfen, die sich in Abhängigkeit von Ausmaß, Art und Festigkeit der Zell-Matrix-Interaktionen auch auf Funktion und Wachstumsverhalten residenter Zellen auswirken. Eine als ideal zu bezeichnende Matrix sollte daher insbesondere folgende Charakteristika aufweisen: Sie sollte hämo- und biokompatibel sein, nicht antigen und immunogen wirken, das Zellwachstum und die (Neo-)Angiogenese zur Sicherstellung einer suffizienten Zell- und Matrixnutrition unterstützen und dabei ein Wachtsumspotenzial aufweisen. Eigenschaften des idealen Ersatzmaterials sind: 4 autologes Gewebe, 4 Infektionsresistenz, 4 kein Übertragungsrisiko von Krankheiten,
4 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4
keine Kanzerogenität, keine Teratogenität, keine Antikoagulationsbehandlung notwendig, lebenslange Haltbarkeit, Wachstumspotenzial, Fähigkeit zur Reparatur/zum Remodelling, Hämo- und Biokompatibilität, unbegrenzte und zeitlich unabhängige Verfügbarkeit, geringe Kosten, keine Geräuschentwicklung, gute Handhabbarkeit.
Natürliche Materialien wie z. B. azellularisierte extrazelluläre Matrizes, zumeist allogenen oder auch xenogenen Ursprungs, werden insbesondere zur Generierung anatomischer Strukturen wie z. B. Blutgefäße oder Herzklappen eingesetzt. Biologische Matrizes bieten somit den Vorteil, dass die individuelle Form der Zielstruktur bereits vorgegeben ist, andererseits aber auch den Nachteil, dass diese Form kaum mehr geändert werden kann und die Matrizes aufgrund ihres allogenen oder xenogenen Ursprungs immunogen und/oder antigen wirken könnten. Synthetische Matrizes sind Kunstprodukte, zumeist auf Polymerbasis, die aus natürlich vorkommenden, biologischen und künstlichen Materialien oder auch durch die Kombination der genannten Verfahren hergestellt werden (. Tab. 6.1). Form und Größe sind dabei nahezu frei wählbar. Bei den im Rahmen des »tissue engineering« eingesetzten Polymeren handelt es sich zumeist um Abkömmlinge der (Poly-)Hydroxysäuren aliphatischer Polyester wie Polyglykolsäure und Polylaktidsäure sowie um die Ko-Polymere
. Tab. 6.1. Matrizes und klinische Anwendungsbeispiele. Nach Teebken et al. (2005) Matrizes
Bestandteil(e)
Beispiele klinischer Anwendungen
Nicht biodegradabel
Dacron (Polyethylenterephtalat), ePTFE, Polyurethan
Gefäßprothesen aus Dacron und ePTFE als klinische Routine; autologe Endothelzellbesiedlung von kleinkalibrigen Prothesen, die dann als Bypass oder DialyseShunt angewandt werden, möglich
Biodegradabel
Abkömmlinge der (Poly-)Hydroxysäuren aliphatischer Polyester wie Polyglykolsäure und Polylaktidsäure sowie deren Ko-Polymere, außerdem Polyepsilonaminocaprosäure, Poly-4-Hydroxybutyrat, Polyglykolsäure und HYAFF-11 (Hyaluronsäureester)
Nahtmaterial, Gefäßersatz
Primär azellulär
Kollagen
Gefäßkonstrukt
Sekundär azellularisiert
Natürliche azellularisierte Matrix aus Dünndarmsubmukosa (»small intestinal submucosa«), Knochen, Herzklappen oder Gefäßen
Dezellularisierte Herzklappe, Venenklappe aus »small intestinal submucosa«
Nicht azellularisiert
Natürliche Matrizes, z. B. humane Allo-/HomograftProthesen
Kryokonservierte humane Allograft-Prothesen zum Herzklappen-, Gefäß- oder Hautersatz
Synthetische Matrizes
Biologische Matrizes
ePTFE expandiertes Polytetrafluorethylen
115 6.2 · Strategien zum Gefäßersatz
dieser Materialien, die allesamt den oben genannten Kriterien einer idealen Matrix recht nahe kommen. Polyhydroxyalkanoate bilden eine Klasse natürlicher Polymere und weisen thermoplastische Eigenschaften auf. Sie sind biokompatibel, resorbierbar, extrem flexibel und induzieren nach Implantation lediglich geringe Entzündungsreaktionen. Aufgrund dieser Eigenschaften und einer großen Zugfestigkeit werden diese Polymere derzeit insbesondere zum »tissue engineering« von Blutgefäßen und Herzklappen eingesetzt (. Tab. 6.1). Alle die hier aufgeführten und derzeit erhältlichen Matrixstrukturen werden jedoch vornehmlich zur Generierung dünner Gewebestrukturen eingesetzt, bei denen die Zell- und Matrixernährung über Diffusionsprozesse sichergestellt werden kann. Strukturen größerer Schichtdicke, wie größere dreidimensionale Gewebe oder auch solide Organe, erfordern das Vorhandensein versorgender Blutgefäße im Sinne von Vasa vasorum, die sich derzeit jedoch noch nicht suffizient in vitro induzieren lassen. Zentrale Fragen, die derzeit Gegenstand wissenschaftlicher Bemühungen darstellen, betreffen in diesem Zusammenhang daher v. a. Methoden zur Isolation, Differenzierung und simultanen Expansion unterschiedlicher Zelllinien, um so komplexere Gewebe- oder auch Organstrukturen auszubilden, und Methoden zur Induktion der Angiogenese bzw. vaskulären Neogenese parallel zur Gewebeformation.
6.1.3 Bioreaktortechnologien
In den Anfangsjahren beschränkten sich die Techniken bioartifizieller Gewebezüchtung auf die statische In-vitro-Expansion von Zellen bzw. Geweben. Nach und nach wurde jedoch klar, dass die gerichtete Generierung lebenden Gewebes bzw. die Ausbildung struktureller und funktioneller Charakteristika eines Gewebes von einer Vielzahl dynamisch adaptierter Umgebungsfaktoren abhängt, die im Sinne einer Mimikry physiologischer Faktoren zur Ausbildung einer gewebespezifischen Mikrosphäre notwendig sind. Individuell auf die Bedürfnisse eines spezifischen Gewebes zugeschnittene Bioreaktoren (z. B. für Blutgefäße oder Herzklappen) erlauben daher den Massentransfer von Nährstoffen, Metaboliten, regulatorischen Molekülen und Gasen, simulieren Parameter der physiologischen Hämodynamik wie z. B. pH-Wert, Blutflussgeschwindigkeit, Scherkräfte (»shear stress«, »shear rate«), Temperatur, Blutdruck etc. und sind entscheidend an der Generierung und Differenzierung eines Gewebes beteiligt (Martin u. Vermette 2005). Vergleiche zwischen statisch und dynamisch pulsatil generierten Blutgefäßen und Herzklappen haben dabei u. a. gezeigt, dass pulsatil generierte Konstrukte signifikant höhere Berstungsdrücke und Nahtretentionswerte aufweisen und der Gehalt an kollagenen Fasern unter pulsatilen Bedingungen deutlich höher ist als unter statischen (Teebken u. Haverich 2002; Niklason et al. 1999). Darüber hinaus
ist heute bekannt, dass das Fehlen physiologischer Belastungen zu einer Veränderung von Genexpressionen und schließlich auch zur zellulären Apoptose führen kann. All dies verdeutlicht, welch essenzielle Bedeutung den zum Teil sehr komplexen Bioreaktorsystemen im Rahmen der Generierung bioartifizieller Strukturen beigemessen werden muss. Angesichts der Komplexität und Plastizität physiologischer mikro- und makroskopischer Kulturbedingungen wird daher deutlich, dass auch zukünftig ein wesentlicher Schwerpunkt wissenschaftlicher Bestrebungen auf der Entwicklung gewebespezifischer, effektiver Bioreaktorsysteme liegen wird (. Abb. 6.2).
6.2
Strategien zum Gefäßersatz
Das Ziel jeglichen Gefäßersatzes besteht in der Wiederherstellung einer durch Trauma, okklusive Gefäßerkrankung oder chirurgische Intervention unterbrochenen Blutversorgung – sei es an einer Extremität oder an einem isolierten Organsystem. Entsprechend der zur Herstellung vaskulärer Prothesen eingesetzten Materialien können diese in solche biologischen Ursprungs und solche, die auf Grundlage künstlicher (alloplastischer) Materialien oder auch mittels Kombinationen beider Materialien (Hybridkonzepte) gefertigt sind, unterteilt werden. Zentrale Einflussgrößen für die Entwicklung und Anwendung alloplastischer und biologischer Gefäßprothesen sind dabei insbesondere folgende Faktoren: Haltbarkeit, Infektionsanfälligkeit, Thrombogenität und Immunogenität.
6.2.1 Biologischer Gefäßersatz
Bereits zu Beginn des letzten Jahrhunderts wurden autologe, also patienteneigene Gefäße im Rahmen substituierender und rekonstruierender Eingriffe am Gefäßsystem verwendet (Carrel 1902; Goyanes 1906; Murphy 1897). Allogene Gefäße hingegen fanden erst in den 1940er Jahren und nach Vorarbeiten von Charles Hufnagel (Hufnagel 1947) und Robert Gross (Gross u. Bill 1948; Gross et al. 1949) Einzug in die klinische Praxis. Zumeist im Rahmen von Autopsien entnommen und durch Kobaltbestrahlung sterilisiert, stellten Koarktationen der thorakalen Aorta lange Zeit die ersten Indikationen zur Anwendung dieser frühen Homografts dar. Obwohl die Grafts initial gute Funktionen aufwiesen, zeigten Röntgenübersichtsaufnahmen bereits 3–5 Jahre nach Implantation schwere Kalzifikationen und limitierten so den Erfolg des Eingriffs. Im Bereich der abdominellen Aortenchirurgie wird die erste humane Anwendung eines Homografts Jaques Outdot (Outdot 1951; Outdot u. Beaconsfield 1953) zugeschrieben, der 1951 erstmalig eine verschlossene Aortenbifurkation durch einen Homograft ersetzte. Im gleichen Jahr gelang Dubost (Dubost et al. 1952) erstmalig eine abdominel-
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116
6
Kapitel 6 · Kardiovaskuläres »tissue engineering«
le Aneurysmektomie mit nachfolgendem Ersatz des verbliebenen Defekts durch Einsatz eines aortalen Homografts. Nachdem Mitte der 1950er Jahre auch deutliche Fortschritte hinsichtlich des Einsatzes biologischer Gefäße im Bereich der peripheren Gefäßchirurgie verzeichnet werden konnten, wurden unter der Zielsetzung einer verbesserten Verfügbarkeit die ersten Homograftbanken lyophilisierter Gefäße eingerichtet. Der initiale Enthusiasmus verflog jedoch schnell, als man feststellen musste, dass der Bedarf an Prothesen die vorhandene Verfügbarkeit deutlich überstieg und darüber hinaus eine zunehmende Zahl degenerationsbedingter Fehlfunktionen auftraten (Crawford et al. 1960; Szilagyi et al. 1957). Grund hierfür ist nach heutiger Auffassung die – wenngleich auch geringe – Antigenität allogener Prothesen, die durch Histokompatibilitätsdifferenzen schließlich zur Abstoßung führte. Obwohl eine mögliche Abschwächung dieser immunologischen Barriere durch Lyophilisation, andere Konservierungsverfahren und ggf. auch den Einsatz niedrigdosierter Immunsuppressiva denkbar wäre, stellen allogene Homografts heute keine alltägliche Alternative zum Gefäßersatz mehr dar, sondern bleiben klinischen Sonderfällen – namentlich Infektsituationen – vorbehalten. Anders verhält es sich bei der Anwendung autologer Gefäße. Vor dem Hintergrund der Tatsache, dass immunologische Prozesse hier keine Rolle spielen, gilt die Verwendung autologer venöser Gefäße im Rahmen rekonstruktiver und substituierender Eingriffe an klein- und mittelkalibrigen Gefäßen auch heute noch als Methode der ersten Wahl. Nichtbiologische, alloplastische Materialien wie z. B. Dacron und ePTFE (expandiertes Polytetrafluorethylen) kommen primär im Rahmen rekonstruierender Eingriffe an großkalibrigen Gefäßen wie der Aorta und ihrer großen Nebenäste zur Anwendung. Denn obwohl ein Einsatz auch bei kleineren Gefäßen möglich ist, konnte bereits in einer Reihe sehr früher Studien, u. a. von Murphy, Carrel und Goyanes (Carrel 1902; Goyanes 1906; Murphy 1897), gezeigt werden, dass damit im Vergleich zur V. saphena magna deutlich schlechtere Ergebnisse erzielt werden. Gebündelt dargestellt und in einer auf das Jahr 1949 zurückgehenden Publikation spricht Kunlin die noch immer geltende Empfehlung aus, dass Venenbypässe zur Revaskularisation insbesondere der unteren Extremität zu bevorzugen seien (Kunlin 1949). Trotz allem soll jedoch nicht der Eindruck entstehen, dass die V. saphena magna – wie von Vielen zunächst angenommen – den universell einsetzbaren, idealen Graft repräsentiert. Zum einen ist das Gefäß nicht bei jedem Patienten verfügbar – sei es aufgrund einer vorhergehenden Entnahme, einer Varikosis oder einer tiefen Beinvenenthrombose –, zum anderen können Manipulationen im Rahmen der chirurgischen Entnahme zu Traumen führen, die – ebenso wie die iatrogene Arterialisierung des dem Niederdrucksystem entstammenden Gefäßes – allein oder in Kombination ektatische und degenerative Ereignisse bedingen, insbesondere im Laufe des ersten Jahres post implantationem.
Alternative autologe Gefäße waren jahrelang Gegenstand intensiver Forschung – einige erwiesen sich als mehr oder minder nützlich, andere wurden sehr schnell wieder verworfen. Venen wie die tiefe Femoralvene oder solche der oberen Extremität erwiesen sich als nützlich; es bestehen jedoch Hinweise darauf, dass sich mit ihnen nicht der Grad an Qualität erreichen lässt wie dies mit der V. saphena magna möglich ist. Auch die Verwendung autologer Arterien birgt den Nachteil, dass allein zur Entnahme des Gefäßes ein größerer chirurgischer Eingriff notwendig ist und darüber hinaus offensichtlich nicht die Längen erreicht werden können, wie sie beispielsweise für einen Bypass an der unteren Extremität notwendig wären. Andere Versuche, primär nicht vaskuläre autologe Gewebe wie die Fascia lata zur Herstellung bzw. Rekonstruktion von Gefäßen zu verwenden, wurden aufgrund mangelnder Belastbarkeit der Grafts und/oder zu aufwendiger Präparationen ebenfalls schnell wieder verlassen. Als ein weiterer Meilenstein in der Geschichte biologischer Grafts kann der von Rosenberg und Mitarbeitern unternommene Versuch zur Verwendung imprägnierter bzw. konservierter boviner Karotiden bezeichnet werden (Rosenberg 1976; Rosenberg u. Henderson 1956). Durch Applikation chemischer Agenzien sollte durch Ausbildung von Kreuzverbindungen zwischen Kollagenresten und anderen Bestandteilen der extrazellulären Matrix eine Reduktion der Antigenität bei gleichzeitiger Konservierung erreicht werden. Die von Rosenberg verwendete Dialdehydstärke zur Imprägnierung erwies sich jedoch als schlechte Wahl. Bedingt durch die hohe Molekülgröße und eine repetitive Sequenzierung kam es zu einer nur inkompletten Ausbildung der angestrebten Querverbindungen, sodass immunologische Abstoßungsreaktionen der Grafts resultierten. Nichtsdestotrotz – der Grundstein war gelegt, und so gelang es schließlich mit Hilfe von Glutaraldehyd, eine Vielzahl von Geweben zu imprägnieren und im Sinne einer »On-shelf«-Verfügbarkeit für Implantationen vorzuhalten. Im steten Streben, weitere alternative Prothesen, insbesondere für den Einsatz an der unteren Extremität, zu finden, begann eine Arbeitsgruppe um Irving Dardik im Jahre 1972 damit, mittels Glutaraldehyd konservierte humane Umbilikalvenen zu evaluieren (Dardik u. Dardik 1973). EPTFE-Prothesen standen in dieser Zeit nicht zur Verfügung, bovine Grafts kamen aufgrund zunehmend beobachteter Degenerationen aus der Mode, und Dacron wurde als nicht ausreichend gut geeignet für den Einsatz an der unteren Extremität (insbesondere unterhalb des Knies) erachtet. Im Laufe der folgenden 20 Jahre stellte sich heraus, dass – wie bereits zuvor von Kunlin postuliert –, im Bereich der unteren Extremität, also bei kleinlumigen Zielgefäßen, die besten Ergebnisse bei Verwendung der V. saphena magna erzielt wurden und ePTFE-Prothesen die einzige ernstzunehmende Konkurrenz darstellten. Dacron, strengen Indikationsstellungen vorbehalten, spielte eine eher untergeordnete Rolle, und Umbilikalvenen fanden eine nur kleine, aber
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treue Anhängerschaft (Dardik 1995; Dardik et al. 1988). Andere Kunststoffe und biologische Grafts wie Polyurethan und kryopräservierte Venen wurden weiterhin evaluiert. Ausreichend überzeugende Daten, die dafür sprachen, dass sie bei Abwesenheit einer autologen V. saphana magna als gleichwertiges Substitut im Bereich der unteren Extremität verwendet werden könnten, fanden sich aber nicht. Neben der Infektanfälligkeit insbesondere alloplastischer Prothesen mit allen daraus resultierenden negativen Konsequenzen war und ist die intrinsische, also von der inneren Oberfläche der Grafts ausgehende Thrombogenität der limitierende Faktor rekonstruierender und substituierender vaskulärer Interventionen. Eine Reihe von Methoden wie z. B. die Applikation unterschiedlichster Deaggregatoren und Antikoagulanzien oder auch chirurgisch-technischer Modifikationen wurden verwendet, um die Offenheitsraten von Prothesen, insbesondere an der unteren Extremität, zu verbessern. Für nur wenige konnte jedoch eine tatsächliche Effektivität nachgewiesen werden (DeLaurentis u. Friedmann 1972; Flinn et al. 1984; Linton u. Darling 1962; Miller et al. 1984; Siegman 1979; Taylor et al. 1992; Tyrrell u. Wolfe 1991). Die erste rein aus biologischen Materialien generierte Gefäßprothese geht auf Weinberg und Bell zurück (Weinberg u. Bell 1986). Sie besiedelten eine aus Kollagengel bestehende Media mit glatten Muskelzellen, umgaben sie mit einer Fibroblasten enthaltenen Adventitia und fügten anschließend, nach 2-wöchiger Kultivierung, Endothelzellen als Intima hinzu. Im Rahmen der anschließenden Evaluation des Konstrukts beobachteten sie einen elektronenmikroskopisch nachweisbaren, geschlossenen luminalen Endothelzell-Monolayer und wiesen histologisch die Präsenz von von-Willebrand-Faktor nach. Trotz dieses initial vielversprechenden Resultats waren die Prothesen ohne strukturelle Unterstützung durch ein umgebendes Dacronnetz jedoch in ihrer Wandbeschaffenheit so labil, das sie physiologischen Druckbelastungen zunächst nicht standhielten (Weinberg u. Bell 1986). Erst durch Veränderung der Kulturbedingungen gelang es einer Arbeitsgruppe um L’Heureux, die Wandbeschaffenheit so zu beeinflussen, dass auch ohne artifizielle externe Unterstützung eine ausreichende Stabilität (Berstungsdruck von >2000 mmHg) zu erreichen war (Edelman 1999; L’Heureux et al. 1998). Campbell und Mitarbeiter postulierten eine Hypothese, der zufolge es möglich sein sollte, Zellen nichtvaskulären Ursprungs durch Implantation in das Gefäßsystem sekundär vaskuläre Eigenschaften und Funktionen zu verleihen (Campbell et al. 1999). Sie implantierten Silikonschläuche für 2 Wochen in die Peritonealhöhle von Ratten und Kaninchen und stellten fest, dass sich Fibroblasten und einreihige Mesothelzellen auf der Oberfläche der Schläuche ansiedelten. Die tubuläre, feste Gewebeschicht wurde in toto präpariert und evertiert, sodass die Mesothelzellen nun innen lagen. Nach anschließender Replantation der Prothesen in Karotis- bzw. Aortenposition der Tiere konnte eine 4-mo-
natige Durchgängigkeit der gegenüber vasokativen Agenzien physiologisch reagiblen Prothesen beobachtet werden (Campbell et al. 1999). Einer Arbeitsgruppe um Teebken gelang es, eine native porcine Aorta enzymatisch zu azellularisieren und anschließend mit humanen Endothelzellen und Myofibroblasten unter pulsatilen Flussbedingungen zu re-besiedeln. Im Rahmen der histologischen Analysen zeigte sich dabei, dass die generierten Konstrukte nativen Aorten ähnelten und darüber hinaus geschlossene Endothelzellverbände aufwiesen (Teebken et al. 2000). Huynh und Mitarbeiter verfolgten einen weiteren Ansatz. Sie verwendeten Dünndarmsubmukosa (»small intestinal submucosa«, SIS) und bovines Typ-I-Kollagen, um so nach Entfernung der Lamina muscularis mucosae und anschließender Behandlung mit hypotoner Lösung (zur Lyse verbliebener Zellen) eine neue Art bioartifizieller Gefäße herzustellen – SIS-Autografts. Allografts und Xenografts wurden zwischenzeitlich verschiedentlich hergestellt und mit exzellenten Offenheitsraten im Tiermodell angewandt. Darüber hinaus zeigten Explantationsanalysen, dass sich die primär azellulär implantierten Konstrukte im Laufe der Zeit in zellularisierte Gefäße umgewandelt hatten, die adäquate Reaktionen auf vasoaktive Agenzien wie Noradrenalin, Serotonin und Bradykinin aufwiesen (Huynh et al. 1999). Bei Anwendung im Kleintiermodell (Rattenmodell) kam es erstaunlicherweise jedoch in der Mehrzahl der Fälle zu Frühverschlüssen, sodass von einer ausgeprägten Thrombogenität der Prothesen ausgegangen werden muss (Schmidt u. Baier 2000).
6.2.2 Alloplastischer Gefäßersatz
Im Jahre 1952 entdeckten Voorhees und Mitarbeiter (Voorhees et al. 1952) alloplastische Fasern, die – als Konduit in einen Organismus implantiert – von diesem integriert wurden und zumindest für eine gewisse Zeit als voll funktionsfähiger Gefäßersatz fungieren konnten. Wie sich herausstellte, konnte das eingesetzte Material (Vinyon »N«) jedoch nicht autoklaviert werden, ohne dass es dabei zu Materialdeformierungen im Sinne deutlicher Schrumpfungsprozesse kam. Eine schiere Flut sich anschließender wissenschaftlicher Bestrebungen führte schließlich zur Entdeckung des Polyesters (Dacron), das sich als das zur damaligen Zeit beste verfügbare Material für die Herstellung und den praktischen Einsatz als Gefäßprothese herausstellte. Einige der an der Entwicklung beteiligten Personen gelangten zu Weltruhm, unter ihnen Michael DeBakey und Denton Cooley, aber auch Harris B. Shumacker, Sterling Edwards, Ormand Julian, Ralph Deterling, Adam Wesolowski und Lester Sauvage, die als Pioniere und Wegbereiter eines neuen Zeitalters der Gefäßchirurgie bezeichnet werden müssen. Ihre Studien und die daraus gewonnenen Erkenntnisse fungierten fortan als Grundlage zur Beurteilung der Eignung und Verwendbarkeit verschiedenster Prothesen und
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Kapitel 6 · Kardiovaskuläres »tissue engineering«
trugen so auch dazu bei, das noch neue Fachgebiet der medizinischen Materialforschung zu etablieren. Neben medizinischer Kompetenz reflektiert diese frühe Geschichte alloplastischen Gefäßersatzes aber auch die Fähigkeiten von Webern und Webstuhltechnikern, denn viele der zugrunde liegenden technischen Finessen der Prothesenherstellung konnten nur in Anlehnung an und auf Grundlage von Fertigkeiten der Textilindustrie realisiert werden. Nachdem die technischen Grundlagen zur industriellen Herstellung gewebter Prothesen etabliert waren, suchten Chirurgen und Ingenieure fortan nach Möglichkeiten, die Materialeigenschaften z. B. hinsichtlich Compliance und Handhabbarkeit zu verbessern. Einer Arbeitsgruppe um Lester Sauvage (Sauvage et al. 1974) gelang es, eine gefaltete (»crimped«), damit dehnbarere und gegen Abknicken resistente Prothese zu entwickeln, deren poröse und blutdurchlässige Wandstruktur vor Implantation jedoch durch BlutPreclotting verschlossen werden musste. Mit Hilfe dieser einfachen Methoden stand nun eine Prothese zur Verfügung, die sowohl Chirurgen als auch Patienten über Jahrzehnte wertvolle und zuverlässige Dienste leistete. Weiterführende Modifikationen durch Anlage externer Ring- oder Spiralverstärkungen, aber auch von Veloursbeschichtungen führten zu weiteren Verbesserungen, letztere insbesondere deshalb, weil man feststellte, dass auf diese Weise beschleunigte und intensivere Einheilungsprozesse induziert wurden, die so zu einer gewissen Infektresistenz beitrugen. Nachteilig war jedoch, dass etwaig notwendige Re-Eingriffe verwachsungsbedingt deutlich erschwert wurden. Bereits wenige Jahre später, im Jahre 1954, entdeckten Shumaker und King Nylon als neues Material (Shumaker u. King 1954), auf dessen Grundlage Edwards und Tapp eine neue Prothese entwickelten und 1955 auf den Markt brachten (Edwards u. Tapp 1955). Um einer Lumenverlegung durch Knickbildung vorzubeugen, wurde das dünne und formlabile Material durch externe Verstärkungen gestützt. Darüber hinaus konnte durch die Entwicklung neuer Webtechniken eine Verstärkung der Prothesenendigungen erreicht werden, wodurch ein stabileres Nahtlager geschaffen und die bis dahin notwendige Hitzeversiegelung durch Kauterisierung vermieden werden konnte. Trotz initial vielversprechender Ergebnisse führten Beobachtungen von Harris im Jahre 1958 jedoch zum Verlassen dieses Ansatzes, als dieser im Rahmen einer Studie zum Aortenersatz beim Hund feststellte, dass Nylon nach nur 100 Tagen signifikant an Längsstabilität verlor, wohingegen bei Teflon und Dacron in derselben Zeit keine oder nur geringe strukturelle Veränderungen auftraten (Harrison 1958). Der Grundstein für die Renaissance des Dacron war gelegt, und Szilagyi (Szilagyi et al. 1958), DeBakey, Cooley, Crawford und Morris (DeBakey et al. 1958a, b) erzielten bahnbrechende Erfolge damit. Erst Mitte der 1970er Jahre kam ein neues Material auf den Markt – expandiertes Polytetrafluorethylen (ePTFE), eine Variante des Teflons. Die Entdeckung dieses primär in der Elektronik als Kabelisolator eingesetzten Materials geht
auf Ben Eiseman zurück, der eher zufällig den gefäßchirurgischen Nutzen des Materials erkannte. Durch eine einzigartige Mikrostrukturierung mikroskopisch kleiner Knoten und dazwischen transversal verlaufender Fasern, sog. internodale Zwischenräume, bestehen 80 % der Prothesenwand tatsächlich einzig und allein aus Luft (. Abb. 6.3). Praktische Bedeutung erlangte diese Besonderheit durch die Beobachtung, dass ePTFE-Prothesen durch eben diese Strukturgegebenheit bereits primär blutdicht waren, wohingegen alle anderen gewebten Prothesen auch weiterhin eines Preclottings bedurften. Abgeleitet aus dieser Tatsache stellte sich nun zunehmend die Frage, wie sich auch gewebte Prothesen bereits im Rahmen des Herstellungsprozesses abdichten und somit gegenüber einem Blutverlust schützen ließen. Die Lösung war eine Art Gerbung, bei der die Prothesen mit Kollagen, Albumin oder auch Gelantine behandelt und so versiegelt wurden. Abgesehen von der Effektivität des Verfahrens hinsichtlich der Blutdichtigkeit konnte in einer Reihe von Studien gezeigt werden, dass es hierdurch weder zu Einbußen der chirurgischen Handhabbarkeit und der Compliance noch zu Veränderungen des Einheilungsverhaltens kommt. Vorstellbare und zum Teil bereits realisierte Weiterentwicklungen dieser Oberflächen durch eine Art Präkonditionierung könnten darin bestehen, durch molekulare Ankopplung verschiedenster Effektoren wie z. B. Antikoagulanzien, fibrinolytischer Substanzen, Antibiotika oder anderer Agenzien potenziell schädigende Einflüsse zu minimieren und so die Lebensdauer der Prothesen zu verlängern (Ginalska et al. 2005; Lachapelle et al. 1994; Murugesan et al. 2002; Sagnella et al. 2003, 2005). Die Idee, durch Kombination synthetischer und biologischer Materialien neuartige vaskuläre Hybridprothesen zu entwickeln, die die positiven Attribute beider Materialien in sich vereinigen, inspirierte zahlreiche Forscher. Ein frühes Beispiel hierfür ist die subkutane Implantation von Polyethylen-, Polyvinyl- oder Silasticmandrins, durch die – bedeckt von einem Polyesternetz – eine fibroblastäre Antwort induziert und ein neu gebildetes Kollagenblatt das implantierte alloplastische Netz nach einer Zeit von 6–8 Wochen umhüllen sollte. Nach Entfernung des Mandrins sowie proximaler und distaler Anastomose dieser tubulären Struktur mit dem Ein- und Ausflusstrakt einer stenosierten Arterie sollte das Gebilde so im Sinne eines In-situ-Bypasses als arterielles Gefäßsubstitut fungieren. Die bekannteste dieser Prothesen stammte von Sparks (Sparks 1973) und bestand aus einer gedoppelten Schicht eines locker gewebten Dacronnetzes, das ein Silikonmandrin bedeckte. Obwohl es tatsächlich gelang, eine tubuläre Struktur zu generieren, erwies sich der Graft jedoch schnell als unbrauchbar, weil es häufig zur Ausbildung von Aneurysmata und zu einem daraus resultierenden Graftversagen kam. Einschränkend kam hinzu, dass neben einer In-vivo-Entwicklungszeit von 6–8 Wochen 2 chirurgische Eingriffe notwendig waren und damit eine weitere Traumatisierung erfolgte.
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119 6.2 · Strategien zum Gefäßersatz
. Abb. 6.3a–c. Rasterelektronenmikroskopisches Bild einer ePTFE-Prothese (ePTFE: expandiertes Polytetrafluorethylen. a Querschnittabbildung, 110fache Vergrößerung; b Längsschnittabbildung, 680fache Vergrößerung; c Querschnittabbildung, 710fache Vergrößerung
a
b
Da es bei der praktischen Anwendung von Gefäßprothesen mit einem Innendurchmesser von <5 mm, wie sie z. B. bei koronaren oder peripheren Bypassgrafts vorliegen, im Vergleich zu autologen Materialien wie der oben genannten V. saphena magna darüber hinaus häufiger zu thrombotischen Verschlüssen kommt, wurde insbesondere für diesen Anwendungsbereich nach Alternativen gesucht. Einer der ersten Versuche zur Verringerung der Thrombogenität war die Besiedlung mit autologen Endothelzellen. Eine der ersten erfolgreichen Isolationen mit anschließender Übertragung venöser Endothelzellen auf die Oberfläche einer synthetischen Gefäßprothese wurde im Jahre 1978 publiziert (Williams 1995). Miwa und Matsuda (1994) gelang es, auf einer Polyurethangrundlage eine Prothese zu entwickeln, deren artifizielle Basalmembran aus einem komplexen Gel aus Typ-I-Kollagen und Dermatansulfat bestand und auf die ein Endothelzellmonolayer aufgetragen wurde. Sie implantierten das Konstrukt in Karotisposition beim Hund und beobachteten ohne antikoagulative Therapien eine spontane Offenheitsrate von 75 %. In einer Studie von Deutsch konnte bei peripherer Anwendung oberhalb des Knies eine 9-Jahres-Offenheitsrate von 65 % bei besiedelten PTFE-Prothesen gegenüber 16 % bei unbesiedelten Prothesen erzielt werden (Deutsch et al. 1999). Diese dem autologen Venenbypass vergleichbaren Ergebnisse ließen sich bei Anwendung im Koronarbereich jedoch nicht bestätigen (Laube et al. 2000). Bei Verwendung von Polyurethan kann die Endothelzelladhäsion
c
durch Heparin- und RGD-Inkubation (RGD: Arginin–Glyzin–Asparaginsäure) auf >75 % gesteigert werden, womit theoretisch die Herstellung von Grafts mit geringer Thrombogenität und guten elastischen Eigenschaften für Koronarund periphere Revaskularisationen möglich wäre (Seifalian et al. 2002). Es ist jedoch fraglich, ob das nichtresorbierbare Prothesenmaterial ggf. einer Gefäßtonusregulation entgegenwirkt und so das Gewebe-Remodelling ungünstig beeinflusst. Eine mögliche weitere Alternative wäre daher der Einsatz abbaubarer Materialien, die mit der Zeit vollständig verschwinden. Durch alleinige Implantation einer biodegradablen Matrix könnte so ein Neogefäß »in situ« (»guided tissue regeneration«) entstehen. Voraussetzung ist jedoch, dass das Material initial stabil genug ist und sich ein Gewebe mit entsprechenden physiologischen Eigenschaften vor einem vollständigen Abbau der Ausgangsmatrix entwickeln kann. Eine Reihe von Polymeren wurden diesbezüglich bereits untersucht (. Tab. 6.1), erwiesen sich jedoch aufgrund hoher Thrombogenität, der Induktion von Fremdkörperreaktionen, der Entwicklung von Aneurysmata und/oder Dilatationen sowie dem Auftreten von Rupturen, bedingt durch eine zu schnelle Resorption der Matrizes, bisher als noch nicht ausreichend geeignet. Der Ansatz, biodegradable Polymere mit vitalen Zellen zu kombinieren, wurde von einer Arbeitsgruppe um Niklason entwickelt (Niklason et al. 1999). Sie besiedelten tubuläre Polyglykolsäurepolymere mit glatten Muskelzellen einer bovinen Aorta und kultivierten diese für 8 Wochen
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Kapitel 6 · Kardiovaskuläres »tissue engineering«
unter pulsatilen Flussbedingungen. Anschließend fügten sie Endothelzellen hinzu. Die histologische Analyse extrazellulärer Matrixstrukturen erbrachte einen hohen Elastinund Kollagengehalt (50 % der extrazellulären Matrix), und bei der elektronenmikroskopischen Analyse zeigten sich geschlossene, PECAM-1-positive (PECAM: »platelet/endothelial adhesion molecule«) luminale Endothelzellver-
bände. Die Durchgängigkeit der wandstabilen Prothesen (Berstungsdruck von >2000 mmHg) konnte für bis zu 4 Wochen nachgewiesen werden. Gegenwärtige Ansätze zur Verwendung biodegradabler Materialien sind darauf fokussiert, weitere Materialien zu identifizieren, die Fähigkeit verschiedener Polymermatrizes hinsichtlich ihrer Fähigkeit zur Zellretention zu charak-
. Tab. 6.2. Aktueller Stand des kardiovaskulären »tissue engineering« nach Anwendungsgebieten und Implantatlokalisation Anwendungsgebiete
Materialien/Vorgehen
Aktueller Stand
Gefäßersatz mit synthetischer Matrix
Nichtresorbierbare Prothesen aus Dacron und PTFE
Kommerziell erhältlich, Routine in der Klinik (Rahlf et al. 1986)
Besiedlung künstlicher Prothesen mit Endothelzellen Klinische Studien (Vara et al. 2005)
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Gefäßersatz mit biologischer Matrix
Azelluläre Gefäßimplantate tierischer Herkunft
Kommerziell erhältlich, Routine in der Klinik
Azelluläre Gefäße menschlicher Herkunft
Tierexperimente (Schaner et al. 2004), klinische Fallberichte
Azelluläre und re-besiedelte Gefäße menschlicher Herkunft
Klinische Fallberichte (Zehr et al. 2005)
Besiedlung biodegradabler synthetischer Matrizes mit Zellen
Klinische Studien (Isomatsu et al. 2003)
Dünndarmsubmukosapräparationen
Tierexperimente (Tucker et al. 2002), stentbasierte Venenklappen, stentbasiert (Pavcnik et al. 2002)
Aus Zellschichten hergestellte Konstrukte
Klinische Studien in Planung (L’Heureux et al. 2006)
Herzklappen mit synthetischer Matrix
Besiedlung biodegradabler synthetischer Matrizes mit Zellen
Tierexperimente (Teebken et al. 2005)
Herzklappen mit biologischer Matrix
Mit Glutaraldehyd fixierte tierische Klappen
Kommerziell erhältlich, Routine in der Klinik
Kryokonservierte menschliche Klappen (Homograft)
Routine in der Klinik (Vogt et al. 1999)
Dezellularisierte kryokonservierte menschliche Klappen (Homograft)
Klinische Studien (Zehr et al. 2005)
Autologe Re-Besiedlung von kryokonservierten menschlichen Klappen (Homograft) nach Dezellularisierung
Klinische Fallberichte (Dohmen e al. 2002a)
Dezellularisierte tierische Klappen
Klinische Fallberichte (Goldstein et al. 2000)
Dezellularisierte menschliche Klappen
Klinisch-experimenteller Einsatz (Haverich, Medizinische Hochschule Hannover)
Autolog re-besiedelte tierische Klappen
Klinisch-experimenteller Einsatz
Autolog re-besiedelte menschliche Klappen
Klinisch-experimenteller Einsatz (Haverich, Medizinische Hochschule Hannover; Steinhoff et al. 2000)
»Small intestinal submucosa«
Stentbasiert, Pulmonalklappe
Myokardregeneration
Transplantation von suspendierten Zellen
Klinische Studien (Menasche et al. 2001)
Myokardersatz mit synthetischer Matrix
In vitro hergestellte Konstrukte
Tierexperimente (Ozawa et al. 2004)
Myokardersatz mit biologischer Matrix
In vitro hergestellte Konstrukte
Tierexperimente (Leor et al. 2000)
Flüssige Matrixpräparationen mit Myozyten oder Stammzellen
Tierexperimente (Eschenhagen u. Zimmermann 2005; Kofidis et al. 2005)
Autologe vaskularisierte Darmmatrix
Klinischer Fallbericht
Konstrukte aus einzelnen Zellschichten
Tierexperimente (Shimizu et al. 2006)
PTFE Polytetrafluorethylen
121 6.3 · »Tissue engineering« kardialer Strukturen
terisieren und zu modifizieren, das Wachstumsverhalten zellulärer Strukturen auf diesen Materialien zu fördern und die Einflüsse verschiedener dynamischer Besiedlungskonzepte zu evaluieren (Nerem 1992). Darüber hinaus existieren Bestrebungen, durch In-vivo-Gentherapie wie z. B. die Transfektion mit Adenoviren, die Plasminogenaktivator exprimieren (Kuo et al. 1998), und durch Hinzufügen von Peptidsequenzen sowohl das endotheliale Wachstumsverhalten als auch antithrombogene Eigenschaften positiv zu beeinflussen (. Tab. 6.2; Hubbell et al. 1991).
6.3
»Tissue engineering« kardialer Strukturen
6.3.1 Herzklappen
Der erste klinische Einsatz humaner allogener Herzklappenprothesen (homologe Herzklappenprothesen, Homografts) geht auf Ross und Barratt-Boyes zurück, die sich in den 1960er Jahren erstmals dieser biologischen Prothesen bedienten (Barratt-Boyes 1965; Ross 1967). Insbesondere die im Vergleich zu mechanischen Herzklappenprothesen für den Patienten angenehmen Eigenschaften einer nur kurzzeitig notwendigen oralen Antikoagulation und das Fehlen störender Klappenschlussgeräusche führten dazu, dass diese biologischen Prothesen schnell an Ansehen gewannen. Als nachteilig erwies sich jedoch schon bald, dass die Klappen nach einer Zeit von 8–10 Jahren zunehmend degenerative Veränderungen aufwiesen und schließlich aufgrund zunehmender Destruktion erneut ersetzt werden mussten. Ursächlich scheinen hierfür insbesondere 2 Faktoren zu sein: 4 immunologische Reaktionen im Sinne unterschwelliger Abstoßungsreaktionen (Wilhelmi et al. 2003a, b), die offenbar im Wesentlichen auf die Antigenität residenter allogener Zellen zurückzuführen sind, 4 Fixierung des Gewebes mit Glutaraldehyd. Das seit 1960 eingesetzte Glutaraldehyd wurde ursprünglich unter der Zielsetzung verwendet, die Immunogenität des Gewebes zu verringern und durch Kreuzvernetzung der Kollagenfasern die Haltbarkeit zu verlängern. Wie inzwischen nachgewiesen werden konnte, führt dieses Verfahren jedoch aufgrund einer Veränderung der natürlichen Matrix eher zu einem gesteigerten Risiko für das Auftreten von Kalzifizierungen, verstärkten immunologischen Reaktionen und einer Hemmung natürlicher In-vivo-Re-Besiedlungsprozesse (O’Brien et al. 1999). Unter der Zielsetzung, zumindest den Einfluss zellulärer Komponenten zu verringern, besiedelte Gulbins kryokonservierte humane Allografts (Homografts) ohne vorausgehende Dezellularisierung in vitro mit autologen Endothelzellen und implantierte sie dann im Tiermodell. Er folgte damit der Überlegung, durch die autologe Endothelzellbeschichtung eine etwaige Immunantwort abzuschwächen und damit Kalzifizierungen und Degenerationen vorzubeugen (Gulbins et al.
2003). Eine Arbeitsgruppe um Wilson ging noch einen Schritt weiter. In der Absicht, die Vorzüge einer biologischen Herzklappe weiterhin nutzen zu wollen, gleichzeitig aber die mit allogenen Zellen einhergehenden Nachteile zu minimieren, etablierten sie einen mehrstufigen Dezellularisierungsprozess auf Basis hypo- und hypertoner Lösungen, Detergenzien und Enzymen, mit deren Hilfe alle zellulären Bestandteile allogener Herzklappenprothesen entfernt werden sollten (Wilson et al. 1995). Nach einmonatiger Beobachtungszeit im kaninen Pumonalkreislauf waren die Klappen makroskopisch intakt und boten keine Hinweise auf immunologische Begleitreaktionen. Auch andere Arbeitsgruppen konnten nach in vitro erfolgter Dezellularisierung und anschließender Implantation in Tiermodellen über ähnlich gute Verläufe berichten (. Abb. 6.1; . Tab. 6.2), sodass bald bereits die ersten kommerziell zu erwerbenden dezellularisierten, kryokonservierten Herzklappenprothesen auf den Markt kamen. Trotz nachweislich verringerter Immunogenität der dezellularisierten Klappen im Vergleich zur nativen Kontrollgruppe (Bechtel et al. 2003) warnte eine Arbeitsgruppe um Simon nach einigen Todesfällen vor allzu großer Euphorie, insbesondere in Bezug auf eine Anwendung im Kindesalter, denn ähnlich wie auch bei den nichtdezellularisierten allogenen Herzklappen beobachteten sie auch hier eine sehr schnelle Degeneration der Klappen (Simon et al. 2003). Gründe für dieses Phänomen sind vermutlich eine gesteigerte Aktivität des Immunsystems und ein gesteigerter Kalziummetabolismus im Kindesalter. Ein anderer Ansatz, der gewissermaßen eine Weiterentwicklung bisher geschilderter Verfahren darstellte, war die autologe Endothelzellbesiedlung zuvor dezellularisieter allogener oder auch xenogener Herzklappen. Nach guten Resultaten im Tiermodell konnten zwischenzeitlich auch erste vielversprechende Beobachtungen am Menschen verzeichnet werden (human autolog re-besiedelte xenogene Herzklappen; Dohmen et al. 2002b). Eine besondere Form der autologen Re-Besiedlung von Herzklappenprothesen konnte in Kooperation mit der Universität Chisinau in der Republik Moldavien realisiert werden. Vor dem Hintergrund der Überlegung, dass auch dezellularisierte, insbesondere xenogene Matrizes z. B. durch residuale Zuckerreste immunogene Reaktionen hervorrufen könnten, wurden allogene Herzklappen dezellularisiert, mit autologen Endothelzellen besiedelt und bei Kinder mit schweren angeborenen Herzklappenerkrankungen implantiert. Entgegen den zuvor an dezellulariserten, kryokonservierten und mit Glutaraldehyd behandelten Allograftklappen beschriebenen degenerativen Veränderungen sind diese autolog rebesiedelten Klappen ohne Glutaraldehydfixierung auch nach 3,5 Jahren echokardiographisch voll funktionsfähig und weisen keinerlei erkennbare Kalzifizierungen auf. Darüber hinaus scheinen die Herzklappen altersentsprechend mit den Kindern zu wachsen (Cebotari et al. 2002, 2006). Die Verwendung synthetischer Matrizes bzw. die Entwicklung von Herzklappen auf Polymerbasis, namentlich
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122
Kapitel 6 · Kardiovaskuläres »tissue engineering«
Polyglykolsäure und Polylaktid, wurde seit 1994 insbesondere von den amerikanischen Chirurgen Mayer und Vacanti aus Boston vorangetrieben (Zund et al. 1998). Nach Besiedlung mit autologen arteriellen Gefäßwandzellen gelang zunächst der Ersatz einer einzelnen Pulmonaltaschenklappe und später eines pulmonalarteriellen Segments im Schafmodell (Shinoka et al. 1995, 1998; Shum-Tim et al. 1999). Der initial beobachtete Nachteil sehr hoher Steifigkeit des Polymergrundgerüsts führte zur Testung neuer Polymere und Kombinationen, z. B. Polyhydroxyoctanoat, Poly-4-Hydroxybutyrat und Polyglykolsäure (Hoerstrup et al. 2000; Shinoka 2002; Sodian et al. 2000; Stock et al. 2000), doch bis heute konnte keines dieser Verfahren das Stadium einer klinischen Testung erlangen.
6 6.3.2 Herzmuskelgewebe
Der typischen Dreischichtung eines Blutgefäßes folgend, ist das Herz rein anatomisch betrachtet das prinzipiell größte Blutgefäß des Körpers. Trotz dieses vermeintlich einfachen Aufbaus stellt die bioartifizielle Nachbildung dieses Organs jedoch eine der größten Herausforderungen wissenschaftlicher Bestrebungen dar. Der erste, eher zufällige Versuch, dreidimensionales Herzmuskelgewebe zu generieren, geht auf eine Arbeitsgruppe von Moscana zurück, die in den frühen 1950er Jahren embryonale Hühnerherzmuskelzellen isolierte und diese unter kontinuierlicher Rotation in Erlenmeyer-Kolben kultivierte. Nach nur 18 Stunden bildeten sich in diesem noch sehr primitiven Bioreaktor sphäroide, dreidimensionale, etwa 200 Zellen umfassende und spontan kontrahierende Aggregate (Moscona 1959). Viele weitere Arbeitsgruppen folgten diesem Beispiel und beobachteten dabei, dass die generierten Zellaggregate funktionell nativem Herzgewebe ähnlicher waren als die bis dahin üblicherweise generierten zweidimensionalen zellulären Monolayer (McDonald et al. 1972). Gleichzeitig ist dieses frühe Ergebnis auch ein Beweis dafür, dass Zellen, die aus embryonalen und damit noch unreifen Herzen isoliert werden, offenbar auch in vitro die Fähigkeit zur Ausbildung herzähnlicher Gewebestrukturen beibehalten und darüber hinaus Kardiomyozyten offensichtlich eine erbliche Neigung dazu aufweisen, spontan Zellaggregate auszubilden. Bei längerer Kultur und dem Einsatz höherer Zelldichten konnte beobachtet werden, dass sich die initial an den Kulturschalen adhärierenden und rhythmisch kontrahierenden Monolayer vom Boden der Kulturschalen ablösen und zunächst unter Beibehaltung der spontanen Kontraktionen frei im Kulturmedium flottieren. Da die Gewebe nun keiner mechanischen Belastung mehr ausgesetzt sind, kommt es jedoch recht schnell zu einer Retraktion und schließlich auch zum Erliegen spontaner Kontraktionen. Als Grund für dieses Phänomen wurden einige Zeit unzureichende Kulturbedingungen angenommen, sodass dieser Ansatz vielfach nicht weiter verfolgt wurde. Eine Arbeitsgruppe
um Shimizu nutzte die spontane Ablösung der Gewebe jedoch aus, indem die frei flottierenden Monlayer gestapelt und so zur Generierung eines Gewebes ohne den zusätzlichen Einsatz einer exogenen Matrix verwendet wurden (Shimizu et al. 2002). Eine Arbeitsgruppe um Vandenburgh versuchte in den späten 1980er Jahren, dieses auch bei differenzierten Skelettmuskelzellen beobachtete Phänomen dadurch zu umgehen, dass die kultivierten Muskelzellen mit einer Lage Typ-I-Kollagen bedeckt wurden, um die Zellen so einer dauerhaften Belastung auszusetzen (Vandenburgh et al. 1988). Tatsächlich führte dies auch zu einer verbesserten Differenzierung der Myozyten, sodass das Prinzip später auf verschiedene andere Zelltypen übertragen wurde, indem man auch hier Kollagenschichten auf oder unter die jeweiligen Monolayer brachte oder die Zellen direkt in Kollagengele einbettete. Diese Daten belegen auf eindrucksvolle Weise, dass eine dreidimensionale Umgebung in einem Kollagengel die Ausbildung von Gewebestrukturen und die zelluläre Differenzierung verschiedener Zelltypen in vitro fördert. Neben der zellulären Zusammensetzung und Differenzierung sind lebende Gewebe jedoch auch durch die Orientierung der darin siedelnden Zellen charakterisiert. Zwei Faktoren sind in dieser Hinsicht von besonderer Bedeutung: das Vorhandensein mechanischer Stimuli und die Ausrichtung der Gundmatrizes, die somit gewissermaßen als extrazelluläre Leitstrukturen fungieren. Arbeitsgruppen um Vandenburgh und Terracio nutzten diese Beobachtungen und konstruierten unabhängig voneinander computergesteuerte Bioreaktoren, mit denen es möglich war, Dehnungskräfte auf skelettale und kardiale Myozytenkulturen auszuüben. Es gelang ihnen zu zeigen, dass mechanische Stimulationen tatsächlich günstige Effekte auf die Differenzierung und Ausrichtung von Muskelzellen haben (Chambard et al. 1981; Terracio et al. 1988). Durch die kontinuierliche Ausübung zyklischer Belastungen, bestehend aus Dehnung und Relaxation, bildeten Skelettmuskelzellkulturen im Laufe der Zeit longitudinal ausgerichtete, dreidimensionale Muskelfasern aus (Vandenburgh et al. 1991), die darüber hinaus die Bildung von Sehnen induzierten und sich als Reaktion auf Depolarisationsreize kontrahierten. Andere Arbeitsgruppen konnten darüber hinaus zeigen, dass auch die Matrizes selbst einen wesentlichen Einfluss auf das Wachstum und die Differenzierung von Zellen ausüben. Ein Beispiel dafür ist die Beobachtung, dass neonatale Rattenkardiomyozyten, die auf rillenförmig konfigurierte Matrizes aus Typ-I-Kollagen aufgebracht wurden, ihr Wachstum entlang dieser Strukturen ausrichteten (Simpson et al. 1994). Neben mechanischen Einflüssen konnten aber auch andere Differenzierungsfaktoren wie z. B. stärkere Magnetfelder identifiziert werden (Torbert u. Ronziere 1984), die ebenfalls Einfluss auf die longitudinale Ausrichtung von Fibroblasten und glatten Muskelzellen auszuüben vermögen (Guido u. Tranquillo 1993; Tranquillo et al. 1996).
123 6.3 · »Tissue engineering« kardialer Strukturen
Ein weiterer Ansatz zur bioartifiziellen Generierung kardialer Strukturen resultierte aus der Suche nach einem verbesserten In-vitro-Herzmodell, mit dessen Hilfe sich sowohl kontraktile Kräfte als auch genetische, pharmakologische und mechanische Manipulationen kontrolliert applizieren und evaluieren lassen sollten. Es resultierte eine Methode, die bereits zuvor in modifizierter Form für embryonale Fibroblasten entwickelt wurde (Kolodney u. Elson 1993). Wie oben bereits methodisch beschrieben, wurden auch hier kardiale Myozyten in Kollagengelen kultiviert (Chambard et al. 1981; Hall et al. 1982), die hier allerdings zwischen 2 rechtwinklig zueinander angeordneten und mit Velcro beschichteten Glasstäben fixiert waren. Auf diese Weise war es möglich, spontan von diesen Zellen ausgebildete Netze hinsichtlich der von ihnen generierten kontraktilen Kräfte zu evaluieren (Eschenhagen et al. 1997). Neonatale Rattenkardiomyozyten, die in Typ-I-Kollagen-Gele eingebracht wurden, zeigten zunächst kein Wachstum, keine Differenzierung und somit auch keine Gewebebildung (Souren et al. 1992), sondern es bedurfte zunächst dem Zusatz einer weiteren extrazellulären Matrixkomponente (Matrigel; Zimmermann et al. 2000). Interessanterweise führte die chronisch zyklische Dehnungsstimulation nicht nur zur Ausbildung von Gewebe, sondern auch dazu, dass sich die vom Gewebe entwickelte kontraktile Kraft auf diese Weise um den Faktor 3 steigern ließ (Fink et al. 2000). Zwei weitere, grundsätzlich unterschiedliche Ansätze entwickelten sich zeitlich parallel. Einer davon entstammte primär einem materialwissenschaftlichen Ansatz und geht dabei auf das Prinzip des »tissue engineering« im klassischen Sinne zurück (Langer u. Vacanti 1993), indem eine Polyglykolsäurematrix in Kombination mit Zellkulturen eingesetzt wurde (Carrier et al. 1999). Alternativ dazu besiedelte eine Arbeitsgruppe um Li Gelatinematrizes mit fetalen Rattenkardiomyozyten, kultivierte diese für 7 Tage in vitro und implantierte sie dann in Rattenherzen, denen zuvor mit Hilfe einer Kryotechnik Myokardinfarkte beigebracht worden waren (Li et al. 1999). Obwohl dabei auch hier sowohl in vitro als auch in vivo spontane kontraktile Aktivitäten nachweisbar waren, ließen sich histologisch im Myokardgewebe nur wenige klar definierte Zellen beobachten. Eine Arbeitsgruppe um Leor verwendete auf Alginat basierende Matrizes, die mit fetalen kardialen Zellen besiedelt waren, und implantierte diese Konstrukte auf Rattenherzen (Leor et al. 2000). Interessanterweise konnten hier zwar ausgeprägte Vaskularisierungen nachgewiesen werden (entzündlich?), eine tatsächliche Integration in das Empfängermyokard blieb jedoch aus. Ein wichtiger konzeptioneller Vorteil klassischer »Tissue-engineering«-Ansätze, die im Gegensatz zu flüssigen Gelmatrizes auf der Verwendung vorgefertigter, solider Matrizes beruhen, besteht darin, dass technisch hergestellte Materialien in nahezu jede geometrische Form gebracht werden können. Negativ dabei ist jedoch, dass diese An-
sätze auch weniger vorteihafte Eigenschaften aufweisen wie z. B. die nur begrenzte Diffusionskapazität, eine geringe mechanische Compliance, die zumindest potenzielle Freisetzung toxischer Substanzen im Rahmen degradativer Prozesse und die Unfähigkeit zum physiologischen Wachstum. Eine weitere wichtige Erkenntnis ist die, dass kardiale Myozyten offensichtlich für einige Zeit in diesen Matrizes überleben können und auch beginnen, innerhalb dieser artifiziellen Strukturen zu kontrahieren, größtenteils aber isoliert bleiben und nicht in der Lage sind, ein übergeordnetes kohärentes, kontrahierendes Herzmuskelgewebe auszubilden. Die Entwicklung neuer Materialien, die molekulare Verbesserung von Oberflächen und die Generierung von Mikrostrukturen, die die Verbreitung von Zellen fördern, könnten eine Lösung dieses Problems darstellen. Eine Arbeitsgruppe von Vunjak-Novakovic entwickelte daher gewissermaßen einen Hybridansatz, indem sie präformierte Kollagenschwämme mit in Matrigel suspendierten neonatalen Rattenherzzellen verband und anschließend elektrisch stimulierte (Radisic et al. 2004). Dies führte zur Ausbildung kardialer Muskelstrukturen mit verbesserter Gewebemorphologie, kontraktiler Funktion und spezifischer molekularer Markerexpression und deutet daher darauf hin, dass elektrische Stimulation offensichtlich eine ähnliche kardiale Myozytendifferenzierung induziert wie die zuvor genannte mechanische Stimulation (Fink et al. 2000; Zimmermann et al. 2002). Ob die elektrische Aktivität per se einen Stimulus für die Differenzierung und Gewebeausbildung darstellt oder aber die resultierende kontraktile Aktivität des Gewebes selbst, ist nicht abschließend geklärt. Ein dritter Ansatz kann als »tissue engineering« ohne Matrix bezeichnet werden und beruht ebenfalls auf der Nutzung und Systematisierung des Phänomens der Ablösung zellulärer Monolayer nach verlängerter Kulturzeit. Die Arbeitsgruppe um Shimizu verwendete hierzu eine thermosensitive Oberflächenbeschichtung für Kulturflaschen, die es kardialen Myozyten, wie auch jeder anderen Zellart, erlaubt, bei 37°C wie in einer herkömmlich Kulturschale zu adhärieren, wobei die kardialen Myozyten aber unter kontrollierten Bedingungen bei Raumtemperatur als intakter zellulärer Monolayer abgelöst werden (Shimizu e al. 2002). Diese sich kontrahierenden kardialen Myozytenmonolayer können dann aufeinander gestapelt werden, um so eine übergeordnete, dreidimensionale und miteinander verbundene Gewebeschicht mit einer Dicke von 50–75 μm auszubilden. Die Vorteile dieser Technik liegen in der relativen Einfachheit des Ansatzes und der Unabhängigkeit von potenziell immunogenen oder pathogenen Matrixmaterialien. Nachteile umfassen die Fragilität, die Limitierung hinsichtlich geometrischer Formen und die Schwierigkeit, mechanische Belastungen auf diese kontraktilen Konstrukte auszuüben. Andere Studien haben verschiedenste Variationen der zuvor genannten Methoden beschrieben. Eine Arbeitsgruppe beschreibt z. B. die Generierung kohärenter und
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Kapitel 6 · Kardiovaskuläres »tissue engineering«
kontrahierender Aggregate aus neonatalen Rattenherzzellen, indem sie Zellsuspensionen mit fibronektinbeschichteten Polystyren-Beads oder mit ausgerichteten Kollagenfasern in Bioreaktorkulturen zusammenbrachte (Akins et al. 1999) oder kommerziell zu erwerbende Kollagenschwämme mit neonatalen Rattenherzzellen besiedelte, was dann zur Ausbildung kardialen Gewebes führte (Kofidis et al. 2002). ! Zusammengefasst sind im Laufe der vergangenen 10 Jahre verschiedenste grundlegende Techniken entwickelt worden, mit deren Hilfe es möglich wurde, spontan kontrahierende dreidimensionale kardiale Gewebe zu generieren.
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6.3.2.1 Status praesens – Gewebeentwicklung
Im Gegensatz zur früher üblichen Definition, dass ein Gewebe »Teil eines Organismus oder Organs, bestehend aus einer Ansammlung von Zellen ähnlicher Struktur und Funktion ist«, hat man sich heute insbesondere im Hinblick auf Verfahren des »tissue engineering« darauf geeinigt, dass ein Gewebe »eine Gruppe ähnlicher Zellen vereinigt, um eine spezifische Funktion auszuüben« oder auch »eine Ansammlung von Zellen, die durch Struktur und Funktion ähnlich charakterisiert sind« ist. Und tatsächlich – die elektrische und mechanische Stimulierbarkeit und das Vorhandensein gemischter Populationen herztypischer Zellen, namentlich kardialer Myozyten, Fibroblasten, glatter Muskelzellen, Endothelzellen, Makrophagen etc., führen zur Ausbildung von Herzmuskelkonstrukten, die durch einen hohen Grad organotypischer Differenzierung auf Zelllevel und die resultierende zelluläre Gesamtkomplexität dem nativen Herzmuskelgewebe recht ähnlich sind. Obwohl die zelluläre Komplexität durch Verwendung gemischter Herzzellpopulationen anstelle von aufgereinigten isolierten Kardiomyozyten gesteigert werden kann, zeigen auch kardiale Myozyten viele strukturelle Eigenschaften, die auf eine terminale Differenzierung hinweisen – Eigenschaften wie gut ausgebildete Sarkomere, Desmosomen, »gap junctions« und Fasciae adhaerentes. Bemerkenswerterweise ließen sich auch regelmäßig tubuläre plasmatische Retikulumverbindungen beobachten, die sich ansonsten nicht oder nur selten in neonatalen Rattenherzen fanden (Bishop et al. 1990). Interessant ist in dieser Hinsicht auch, dass sich bei Einsatz von gemischten Zellpräparationen im Vergleich zu isolierten Kardiomyozytenpräparationen etwa 2fach höhere kontraktile Kräfte nachweisen ließen (Zimmermann u. Eschenhagen 2003), was gleichzeitig als weiterer Hinweis auf die besondere Bedeutung zellulärer Interaktionen gewertet werden kann. Zusammengefasst zeigen diese Daten, dass Endothelzellen, glatte Muskelzellen, Fibroblasten, Makrophagen und andere Zelltypen eine wichtige Rolle für die Ausbildung bioartifiziell generierter kardialer Gewebe spielen.
Wichtige heute bekannte Faktoren für die In-vitro-Generierung kardialer Gewebe sind: 4 Vorhandensein biologischer Matrixkomponenten wie z. B. Kollagen Typ I, Kollagen Typ IV und/oder Laminin, 4 mechanische und/oder elektrische Stimuli, 4 Vorhandensein aller und somit auch nichtmyozytärer kardialer Zelltypen, 4 eine entweder spontane oder elektrisch induzierte kontraktile Aktivität. Eines der nach wie vor zentralen und bisher ungelösten Probleme aller wissenschaftlichen Ansätze, die sich mit der Generierung bioartifizieller kardialer, wie auch allgemein aller anderen Gewebe befassen, ist die Limitierung der maximal erreichbaren Gewebegröße bzw. Schichtdicke, deren Ursache in der nur begrenzten Diffusionskapazität für Nährstoffe und Sauerstoff liegt. Bis heute ist es daher nicht gelungen, herzgewebeähnliche, kontrahierende Konstrukte aus kompakten Muskelsträngen zu generieren, die eine Größe von 50–100 μm überschreiten. Studien zur Evaluation der Angiogenese in Tumoren haben in diesem Zusammenhang gezeigt, dass in Abwesenheit von Kapillarisierung und Perfusion lediglich eine maximale Größe von 2–3 mm erreicht werden kann (Folkman 1971). Als entscheidende Einflussgrößen sind in diesem Zusammenhang insbesondere die individuellen metabolischen Bedürfnisse eines individuellen Gewebes zu nennen, aber auch die damit in enger Beziehung stehende Dichte zellulären Besatzes. Kontrahierende und somit aktive kardiale Myozyten haben offensichtlich eine hohe metabolische Aktivität, die darüber hinaus mit einer sehr hohen Zelldichte verbunden ist. In einem menschlichen Herz sind z. B. in den unterschiedlichen Stadien seiner Entwicklung zwischen 2400 und 3300 Kapillaren pro Quadratmillimeter nachweisbar (Korecky et al. 1982; Rakusan et al. 1992). Auf der anderen Seite ist aber auch bekannt, dass embryonale Rattenherzen und die Herzen ausgewachsener Frösche avaskulär sind und ausschließlich über Diffusionsprozesse ernährt werden. Der Grund für dieses Phänomen liegt in der Gewebestruktur dieser Herzen, die sich durch ein ausgeprägtes Trabekularsystem auszeichnet (Ratajska et al. 2003; Sys et al. 1997). In Bezug auf Strategien zur bioartifiziellen Generierung von Geweben bedeutet dies, dass hier entweder eine physiologische Vaskularisierung oder die intensive Ausbildung eines Trabekelsystems, dessen Stränge nicht dicker als 50– 75 μm sein dürfen, vorhanden sein muss. Einige Arbeitsgruppen haben aus diesem Grund versucht, die Transportkapazitäten für Sauerstoff und andere Nährstoffe dadurch zu steigern, dass sie spezialisierte Bioreaktoren einsetzten, in denen die Konzentration des Sauerstoffs erhöht werden konnte und/oder Sauerstoff-Träger wie z. B. Perfluorcarbon verwendet wurden (Carrier et al. 2002; Radisic et al. 2005). Tatsächlich gelang es, auf diese Weise einen positiven Effekt auf die Zelldichte wie auch auf die metabolische Aktivität auszuüben (Carrier et al. 2002), sodass es schließlich ge-
125 6.3 · »Tissue engineering« kardialer Strukturen
lang, kardiale Gewebe mit einer auch klinisch relevanten Schichtdicke von bis zu 500 μm herzustellen (Radisic et al. 2005). Andere Strategien wurden z. B. in Anlehnung an die oben genannten Beobachtungen an neonatalen Rattenherzen entwickelt und bestanden darin, einzeln generierte Strukturen so miteinander zu verweben, dass ein Netzwerk von individuell unbegrenzt der Diffusion zugänglichen Strukturen resultierte. Ein weiterer Ansatz besteht darin, perfundierte native Gefäßstrukturen mit oder ohne zusätzliche gesonderte pharmakologische Stimulation der Angiogenese zu nutzen, um bioartifiziell generierte Herzmuskelkonstrukte darin zu integrieren (Kofidis et al. 2003). Obwohl in diesen Studien beobachtet werden konnte, dass artifiziell generierte Herzmuskelgewebe nach Implantation eine schnelle (Re-)Vaskularisierung aufweisen und hypoxischen Phasen während und nach der Implantation offenbar keine größere Bedeutung zugemessen werden muss, bleiben einige wichtige Fragen nach wie vor unbeantwortet: 4 Ist die Vaskularisierung suffizient? 4 Wie viele der initial implantierten Kardiomyozyten überleben auch über längere Zeit? 4 Integrieren sich die Zellen und Gewebe funktionell und strukturell ausreichend in das Empfängermyokardium? 4 Führt die Implantation der Konstrukte zu einer tatsächlichen Verbesserung der kardialen Pumpfunktion? Im Rahmen einiger In-vitro-Studien wie z. B. im Langendorff-Modell isolierter Herzen konnte beobachtet werden, dass es tatsächlich zu einer Verbesserung der kardialen Funktion kam, was sich in der Entwicklung höherer Drücke (Li et al. 1999), einer verbesserten linksventrikulärer Funktion und einem gesteigerten »fractional shortening« bemerkbar machte (Leor et al. 2000). Im Allgemeinen waren diese Effekte jedoch eher schwach und konnten darüber hinaus in ähnlicher Weise auch nach alleiniger Injektion von Zellsuspensionen unterschiedlichsten, auch nichtmyozytären Ursprungs beobachtet werden. Zusammenfassend bedeutet dies, dass der spezifische funktionelle Beitrag eines dreidimensionalen, bioartifiziell generierten Grafts im Vergleich zur isolierten Verwendung von Zellsuspensionen gegenwärtig unklar bleibt. 6.3.2.2 Matrixmaterialien
Wie bereits erwähnt, existiert bis heute keine optimale Matrix für die bioartifizielle Generierung kardialen Gewebes. Die Gründe hierfür sind vielfältig, lassen sich aber durch folgende Merkmale charakterisieren: 4 Notwendigkeit einer hohen mechanischen Stabilität bei gleichzeitig hoher Compliance, 4 helikale und miteinander verwobene Faserstruktur kardialer Muskelstränge, die zur Sicherstellung einer optimalen Pumpfunktion unabdingbar ist, 4 Gewährleistung einer ausreichenden Versorgung mit Sauerstoff und Nährstoffen (s. oben).
Gegenwärtig ist es nur schwer vorstellbar, dass es jemals möglich sein wird, Materialien herzustellen, die in der Lage sind, die so komplexe und komplizierte Struktur des Herzens nachzuahmen. Denn selbst wenn dies z. B. mit Hilfe moderner Verfahren auf dem Gebiet der Nanotechnologie möglich sein sollte, müsste darüber hinaus sichergestellt werden, dass sowohl qualitativ als auch quantitativ ausreichend »Nischen« in einer solchen Matrix vorhanden sind, in die sich entsprechende Zellen einnisten und so miteinander verbinden können, dass ein voll funktionsfähiges elektrisches und mechanisches Synzytium ausgebildet werden kann. 6.3.2.3 Zellquellen
Ein weiteres konzeptionelles Problem des kardialen »tissue engineering« bezieht sich darauf, passende Zellquellen zu finden. Es wird geschätzt, dass das Herz eines erwachsenen Menschen allein im Bereich des linken Ventrikels etwa 5 × 109 kardiale Myozyten umfasst (Beltrami et al. 1994). Das bedeutet, dass etwa 40 Mio. Kardiomyozyten in einem Gramm Herzmuskelgewebe vorhanden sind und dass damit eine Zellzahl erreicht wird, die unmöglich, z. B. im Sinne kardialer Biospien aus einem intakten Organismus, gewonnen werden kann. Eine mögliche Lösung des Problems könnte im Bereich der Stammzellforschung und hier insbesondere in der Verwendung adulter Stammzellen liegen. Denn neben einer weiten Verbreitung dieser Zellen wie z. B. im Knochenmark (Makino et al. 1999; Orlic et al. 2001), im peripheren Blut (Asahara et al. 1997; Badorff et al. 2003), in der Nabelschnur (Condorelli et al. 2001) und im Fettgewebe (Zuk et al. 2001) könnten diese Zellen zur Formierung eines autologen kardialen Gewebes mitsamt nichtmyozytären Zellen wie Endothelzellen, glatten Muskelzellen und anderen herangezogen werden. Ob diese Zellen tatsächlich auch in der Lage sein werden, die in sie gesetzten Hoffungen zu erfüllen, bleibt abzuwarten. ! Zusammengefasst haben die Entwicklungen der vergangenen 10 Jahre dazu beigetragen, das Ziel einer bioartifiziellen Generierung kardialen Gewebes in greifbare Nähe zu rücken. Ob es gelingt, zukünftig durch Fortentwicklung der daraus gewonnenen Erkenntnisse eine alternative Therapieoption im Sinne eines regenerativen Ansatzes zu etablieren, wird dabei jedoch auch entscheidend von Fortschritten konkurrierender Entwicklungen mechanischer Unterstützungssysteme, pharmakologischer Ansätze und der xenogenen Transplantation abhängen.
6.3.3 Kardiale Zelltherapie
In den vergangenen 20 Jahren konnten enorme Fortschritte in der Therapie der ischämischen Herzerkrankung bzw. der daraus resultierenden Herzinsuffizienz verzeichnet werden.
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Kapitel 6 · Kardiovaskuläres »tissue engineering«
Trotz aller Errungenschaften stellen die koronare Herzerkrankung und die damit verbundenen Komplikationen jedoch noch immer die häufigsten Mortalitäts- bzw. Morbiditätsursachen westlicher Industrienationen dar (Fuster et al. 1992). Neben den bisher bekannten Therapieoptionen, bestehend aus pharmakologischen Ansätzen, perkutanen Kathetertechniken, der chirurgischen Anlage koronarer Bypasses, Organtransplantationen oder auch der Implantation elektromechanischer Geräte wie z. B. kardialer Unterstützungs- oder Herzschrittmachersysteme, ist in den letzten Jahren ein neuer, hochinteressanter Therapieansatz hinzugetreten. Basierend auf der Überlegung, dass die eingeschränkte kontraktile Funktion geschädigten Herzmuskelgewebes im Wesentlichen aus einer reduzierten Anzahl vitaler Kardiomyozyten resultiert, ist man bestrebt, die im Rahmen der Stammzellforschung gewonnenen Erkenntnisse auf das Herzmuskelgewebe zu übertragen und so neue Zellen in geschädigten Myokardarealen anzusiedeln. Im Gegensatz zur Zielsetzung bisheriger Therapieansätze soll hier also nicht nur eine Schadensbegrenzung, sondern vielmehr möglichst eine Restitutio ad integrum erreicht werden. Die gegenwärtig hierzu eingesetzten Zellen umfassen dabei folgende prinzipielle Zellquellen: kardiale Muskelzellen, gestreifte Skelettmuskelzellen und pluripotente adulte Stammzellen. 6.3.3.1 Skelettmuskelzellen
Skelettale Myoblasten sind residente, also ortsständige Stammzellen innerhalb der gestreiften Muskulatur. Der physiologische »Aktivierungsstimulus« für diese zunächst hauptsächlich im Ruhezustand vorliegenden Zellen ist ein muskulärer Schaden, der dann dazu führt, dass die Zellen proliferieren und anschließend mit anderen Zellen fusionieren. Im Gegensatz zu Stammzellen aus dem Knochenmark, deren Pluripotenz in vollem Umfang erhalten ist, sind diese Zellen bereits myozytär vordifferenziert und somit gewissermaßen keine »richtigen« Stammzellen mehr. Vor dem Hintergrund ihres autologen Ursprungs, der leichten Isolation aus Muskelbiopsien und der Fähigkeit, in vitro zu proliferieren, waren sie jedoch nahezu ideal geeignet, um erste klinische Studien durchzuführen (Menasche et al. 2003). Nach Injektion aufbereiteter Zellsuspensionen in linksventrikuläre Ischämiebezirke ließen sich tatsächlich auch verbesserte linksventrikuläre Funktionen erkennen (Taylor et al. 1998). Nachteilig war jedoch, dass sich keine Differenzierung in kardiale Muskelzellen einstellte, sondern vielmehr der Charakter gestreifter Skelettmuskulatur erhalten blieb und die Zellen darüber hinaus eigene elektrische Potenziale generierten, die zur Ausbildung ektoper Arrhythmieareale führten (Menasche et al. 2003). Vor dem Hintergrund dieser zumindest elektrophysiologisch ausbleibenden kardialen Integration der Zellen mussten Teilnehmern späterer Studien daher bereits vor der Zellinjektion interne Defibrillatoren implantiert werden (Moss et al. 2002a).
6.3.3.2
Knochenmarkstammzellen
Stammzellen, die aus dem Knochenmark gewonnen wurden, zeigten in ersten Studien an Mäusen, dass sie – in linksventrikuläre Ischämiebezirke injiziert – wie skelettale Myoblasten zu einer Verbesserung der linksventrikulären Funktion führen. Ein wesentlicher erster Unterschied zu Skelettmuskelzellen besteht jedoch darin, dass es nicht die Knochenmarkstammzelle gibt, sondern bei der Entnahme von Aspiraten immer ein Cocktail verschiedenster Zellen gewonnen wird. Betrachten wir ausschließlich den Stammzellanteil, so gibt es mesenchymale Zellen, die das Potenzial haben, sich in nahezu jede Zellart und damit in jedes Gewebe zu differenzieren, Progenitorzellen vaskulärer Strukturen und Progenitorzellen der hämatopoetischen Zelllinie. Es stellt sich hier also die Frage, welche Zellen in welcher Situation am besten geeignet sind. Darüber hinaus konnte – im Gegensatz zu skelettalen Zellen – zumindest in einigen Studien beobachtet werden, dass aus dem Knochenmark gewonnene Zellen die Fähigkeit zur Differenzierung in Kardiomyozyten aufzuweisen scheinen (Orlic et al. 2001). Obwohl auch unerwünschte Effekte wie z. B. die Ausbildung stärkerer Verkalkungen in den Injektionsarealen beobachtet werden konnten (Yoon et al. 2004), erachtete man die in Tierversuchen gewonnenen Resultate als so richtungweisend, dass man erste klinische Anwendungsstudien wie z. B. die TOPCARE-AMI-Studie initiierte (Assmus et al. 2002). Aus dem Knochenmark oder dem peripheren Blut von Patienten mit akuter Myokardischämie isoliert, wurden dort die Zellen nach entsprechender Aufbereitung und unter der Voraussetzung, dass eine Rekanalisierung der infarktbezogenen Arterie erreicht werden konnte, in die Koronararterie reinjiziert. Obwohl die Studien zumeist nicht randomisiert waren und nicht einfach- oder doppelblind durchgeführt wurden, zeigte sich auch hier eine verbesserte linksventrikuläre Ejektionsfraktion, die auch ein Jahr nach Studienbeginn noch beobachtet werden konnte. Unterschiede zwischen Stammzellen aus dem peripheren Blut und solchen, die aus dem Knochenmark gewonnen wurden, zeigten sich dabei nicht. In einer sich anschließenden randomisierten Studie (BOOST; bisher einzige abgeschlossene randomisierte Studie), bei der Stammzellsuspensionen unmittelbar nach akuter Myokardischämie injiziert wurden, zeigte sich ebenfalls eine verbesserte linksventrikuläre Funktion (Wollert et al. 2004). Darüber hinaus konnte im Vergleich zur Kontrollgruppe beruhigenderweise keine gesteigerte Inzidenz unerwünschter Nebenwirkungen beobachtet werden. Die Ergebnisse einer weiteren randomisierten Studie (REPAIR-AMI) stehen noch aus. Neben den genannten Vorteilen liegt ein wesentlicher Nachteil von Stammzelltherapien darin begründet, dass sich nur relativ kleine Zellmengen aus dem Knochenmark oder dem peripheren Blut isolieren lassen. In einigen kleineren Studien wurde daher versucht, diesem Nachteil dadurch zu begegnen, dass man Patienten, die sich nach Myokardinfarkt einer perkutanen transluminalen Koronarangioplastie
127 6.3 · »Tissue engineering« kardialer Strukturen
unterzogen hatten, zur Erhöhung der Stammzellkonzentration im peripheren Blut »granulocyte-colony stimulating factor« (G-CSF) verabreichte (Kang et al. 2004). Neben einer verbesserten kardialen Funktion und Angiogenese konnte dabei jedoch auch eine Zunahme von In-Stent-Re-Stenosen verzeichnet werden. Darüber hinaus hat sich gezeigt, dass G-CSF offenbar mit einer gesteigerten Morbidität und Mortalität kardialer Ischämien in Verbindung gebracht werden muss und dass die Patienten keine objektivierbaren kardialen Verbesserungen aufweisen (Hill et al. 2005). 6.3.3.3 Zelluläre Therapie kardialer Arrhythmien
Die optimale Funktion des Herzens hängt entscheidend von einer geordneten Synchronisation und zeitlichen Abstimmung mechanischer Kontraktionen der verschiedenen Regionen des Herzens und einer aktivitätsadaptierten Herzfrequenz ab. Sichergestellt wird diese Forderung durch die übergeordnete hierarchische Organisation und elektrische Spezialisierung des kardialen Reizleitungssystems, das von einer differenziellen Expression spezieller kardialer Ionenkanäle in den entsprechenden Kompartimenten gekennzeichnet ist (Schram et al. 2002). Der Ursprung elektrischer Erregung entstammt dem sinuatrialen Konten (Sinusknoten), setzt sich dann über die Atrien bis zum atrioventrikulären Knoten (AV-Knoten) fort und aktiviert schließlich über das spezialisierte His-Purkinje-Faser-System die Ventrikel. Kardiale Arrhythmien sind definiert als pathologische Abweichung von der normalen Herzfrequenzrate und/oder dem normalen Reizleitungsmuster. Allgemein können kardiale Arrhythmien mit einer abnormal langsamen Herzfrequenz einhergehen (Bradyarrhythmie), was dann z. B. der Implantation permanenter Herzschrittmachersysteme bedarf, oder auch mit abnormal schnellen und häufig unkoordinierten Erregungen (Tachyarrhythmien). Das klinische Spektrum möglicher Symptome insbesondere letzterer Rhythmusstörungen reicht dabei vom Auftreten harmloser Palpitationen bis hin zum plötzlichen Herztod und führt so dazu, dass Diagnostik und Therapie derartiger Rhythmusstörungen heute zentrale kardiologische Tätigkeiten darstellen. Gegenwärtige therapeutische Strategien, die darauf abzielen, zugrunde liegende abnormale elektrophysiologische Substrate dieser Arrhythmien zu verändern, lassen sich allgemein in 3 Kategorien einteilen: 4 Pharmakotherapien, 4 bewusstes Herbeiführen fokaler Myokardschädigungen im Sinne chirurgischer oder katheterbasierter abladierender Maßnahmen, 4 Implantation kardialer Schrittmacher- und Kardiovertersysteme. Pharmakotherapeutische Ansätze, die über viele Jahrzehnte den zentralen therapeutischen Ansatz zu Bekämpfung von Rhythmusstörungen dargestellt haben, geraten heute hinsichtlich ihres Nutzens zunehmend in Kritik. Gründe hier-
für sind ihre wenig spezifische fokale Wirkung, die relativ geringe Effizienz, die relativ hohe Inzidenz unerwünschter Arzneimittelwirkungen und die schlechte Verträglichkeit, insbesondere aber auch proarrhythmische Effekte, die in einigen Studien zu einer paradoxen Steigerung der Mortalität beigetragen haben (Echt et al. 1991). Neuere Techniken der Radiofrequenzkatheterablation haben das Feld der klinischen Elektrophysiologie revolutioniert, und zwar insbesondere dadurch, dass sich hiermit kurative Ansätze für eine ganze Reihe kardialer Arrhythmien ergeben, die dabei jedoch keiner lebenslangen pharmakologischen Therapie bedürfen. Insbesondere für die Therapie vieler supraventrikulärer, aber auch einer Reihe ventrikulärer Arrhythmien stellen abladierende Maßnahmen somit die Therapie der ersten Wahl dar (Scheinmann 1995). Limitierungen des Ansatzes ergeben sich insbesondere dadurch, dass auch hier nur ein Teil der Patienten mit Hilfe dieser Therapieoption behandelt werden kann. Implantierbare Devices wie Herzschrittmachersysteme stellen heute »State-of-the-art«-Therapien insbesondere bradykarder Arrhythmien dar, wohingegen implantierbare Kardiovertersysteme (Defibrillatoren) insbesondere zur palliativen Therapie lebensbedrohlicher Tachykardien eingesetzt werden. Der Benefit für diese Hochrisikopatienten, insbesondere solche mit eingeschränkter linksventrikulärer Pumpfunktion und Überlebende nach plötzlichem Herzstillstand, konnte klar gezeigt werden (AVID Clinical Trial Center 1997). Die Limitationen der Anwendbarkeit der Systeme ergeben sich jedoch auch hier aus einem nur umschriebenen Patientenkollektiv, das von diesen Systemen profitiert, lebenslang wiederholt durchzuführenden chirurgischen Interventionen, einem damit verbundenen hohen Komplikationsrisiko und dem nur geringen Nutzen für Patienten mit niedrigem Risiko und noch gut erhaltener Pumpfunktion. Trotz aller zur Verfügung stehenden, oben genannten therapeutischen Strategien existieren für eine ganze Reihe kardialer Arrhythmien auch heute noch keine (suffizienten) therapeutischen Optionen, sodass man bestrebt ist, weitere Behandlungsansätze und -alternativen zu identifizieren. Fortschritte auf den Gebieten der Molekular- und Zellbiologie, aber auch des »tissue engineering«, lassen auf zukünftige zell- und gentherapeutische Lösungen hoffen, die bereits heute im Rahmen erster Ansätze zu einer Verbesserung der myokardialen Perfusion und kontraktiler Eigenschaften chronischer ischämischer Herzerkrankungen sowie kongestiver Kardiomyopathien beigetragen haben (Hajjar et al. 2000; Isner 2002; Reinlib u. Field 2000). Diese Technologie könnte daher auch dafür eingesetzt werden, das elektrophysiologische Potenzial des Herzens im Sinne einer Generierung neuer Strategien zur Behandlung kardialer Arrhythmien zu nutzen. Dies könnte z. B. dadurch geschehen, indem man die Expression verschiedener kardialer Ionenkanäle, Modulatoren der Ionenkanalfunktion oder Proteine, die in der Zell-Zell-Interaktion von Be-
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Kapitel 6 · Kardiovaskuläres »tissue engineering«
deutung sind, gezielt manipuliert. Prinzipiell könnten zelltherapeutische Ansätze daher auf 3 unterschiedlichen Wegen zur Anwendung gelangen: 4 Ersatz gänzlich fehlender oder fehlfunktionierender Zellen des Reizleitungssystems, 4 gezielte gentechnische Beeinflussung und Modifizierung zellulärer Strukturen elektrophysiologisch relevanter Bestandteile des Myokards, die dann z. B. spezifische Ionenkanäle exprimieren und die Fähigkeit erwerben könnten, sich elektrophysiologisch in das Empfängergewebe zu integrieren, 4 Anregung des myokardialen Umfeldes zellulärer Grafts zur lokalen Sekretion spezifischer rekombinatnter Proteine.
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Verlust und Dysfunktion zellulärer Strukturen an kritischen Stellen des Reizleitungssystems können zu einer ineffizienten elektrischen Impulsinduktion oder Impulskonduktion führen, die dann z. B. durch Auftreten schwerer Bradykardien die Notwendigkeit der Implantation eines permanenten Schrittmachersysetms bedingen könnte. Neben dieser herkömmlichen Therapie könnte ein möglicher alternativer therapeutischer Ansatz darin bestehen, die normale Funktion des Reizleitungssystems durch Transplantation passender kardialer Zellpopulationen wiederherzustellen (Schrittmacherzellen, spezialisierte Reizleitungszellen etc.). Notwendige Schritte auf dem Weg zu einem solchen Lösungsansatz umfassen: 4 Identifizierung einer passenden Zellquelle, 4 In-vitro-Evaluation phänotypischer struktureller und funktioneller Eigenschaften dieser Zellen, 4 Entwicklung und Etablierung von Strategien zur Transplantation und gezielten Positionierung der Zellen an den angestrebten Lokalisationen des Reizleitungssystems, 4 Gewährleistung, dass sich die nach Transplantation überlebenden Zellen sowohl strukturell als auch funktionell in das native Herzmuskelgewebe integrieren und die angestrebten Effekte in vivo auch tatsächlich zur gewünschten Funktion führen. Eine wesentliche Hürde auf dem Weg zur Realisation eines solchen Ansatzes besteht darin, dass es an zellulären Quellen für humane Kardiomyozyten mangelt. Eine mögliche, wenngleich aus ethisch-rechtlichen Gründen derzeit eher theoretische Lösung wäre der Einsatz humaner embryonaler Stammzelllinien (Gepstein 2003), die bekanntermaßen über die Eigenschaft verfügen, sich auch undifferenziert gut und schnell in vitro expandieren zu lassen, um anschließend in die verschiedenen Zelllinien einschließlich der hier angestrebten Kardiomyozyten differenzierbar zu sein (Kehat et al. 2001b). Die Möglichkeit, ex vivo verschiedene Subtypen humaner Kardiomyozyten (solche mit Schrittmerchfunktion, ventrikuläre Purkinje-Faser-ähnliche Zellen etc.; Mummery et al. 2003) generieren zu kön-
nen, ist daher in Hinblick auf regenerative zelltherapeutische Ansätze eines geschädigten Reizleitungssystems von großer Bedeutung und hohem Wert. Die oben genannte Voraussetzung einer kompletten funktionellen Integration der Zellen in das kardiale Gewebe konnte dabei in ersten grundlegenden Studien unter Verwendung humaner embryonaler Stammzellen gezeigt werden (Kehat et al. 2001a). Obwohl ein solches Resultat bei Verwendung kardialer Myozyten und damit spezialisierter Zellen nicht verwunderlich erscheint (Isner 2002), konnte in weiteren Studien beobachtet werden, dass auch andere Zelltypen wie z. B. Fibroblasten (Fast et al. 1996; Gaudesius et al. 2003; Rook et al. 1992) in der Lage sind, »gap junctions« mit Empfängerkardiomyozyten auszubilden, sodass auch hier spezifische elektrische Interaktionen zwischen den Zellen nachgewiesen werden konnten. Weitere Unterstützung erhielt diese Beobachtung durch Studien, bei denen genetisch modifizierte Fibroblasten so transfiziert wurden, dass sie den »Voltage-gated«Kaliumkanal Kv 1.3 exprimierten. Die elektrophysiologischen Eigenschaften wurden hierdurch so verändert (Feld et al. 2002), dass es zu einer signifikanten Reduktion der lokalen extrazellulären Signalamplitude und zum Auftreten multipler lokaler Leitungsblöcke kam. Das Auftreten all dieser Blockierungen korrelierte dabei exakt mit der Verteilung der transfizierten Fibroblasten bzw. der Lokalisation manipulierter Kaliumkanäle und konnte durch Applikation spezifischer Kv-1.3-Blocker revidiert werden. Im Gegensatz zu an dieser Stelle nicht näher beschriebenen systemischen gentherapeutischen Ansätzen ist die genetische selektive Manipulation von Zellgrafts durch eine Reihe von Vorteilen gekennzeichnet – Vorteile wie eine höhere Effizienz und eine exaktere Kontrolle des Transfektionsprozesses ex vivo, die Fähigkeit, die phänotypischen Eigenschaften der Zellen vor Transplantation evaluieren zu können, und die Möglichkeit, Langzeiteffekte zu erzielen (Muller-Ehmsen et al. 2002). Wichtige weitere Schritte auf dem Weg zur klinischen Etablierung eines solchen therapeutischen Ansatzes bestehen in der Identifizierung des optimalen Applikationswegs, der Gewährleistung zellulären Überlebens nach Transplantation, einer vollständigen Integration der Zellen in das myokardiale Umfeld und der Etablierung von Möglichkeiten zur Kontrolle der angestrebten elektrophysiologischen Effekte. ! Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass trotz des bisher schon beachtlichen Fortschritts pharmakologischer und nichtpharmakologischer Strategien zur Behandlung kardialer Arrhythmien auf der Grundlage eines zunehmend detaillierten Verständnisses pathomechanischer Faktoren und deutlicher Fortschritte auf den Gebieten der Molekular- und Zellbiologie durch neue gen- und insbesondere zelltherapeutische Ansätze zukünftig eine weitere Steigerung der Spezifität und Effektivität therapeutischer Optionen zu erwarten ist (Gepstein et al. 2004).
129 6.4 · Fazit
6.3.3.4
Methoden zur Applikation zellulärer Substrate
Stammzellen können auf unterschiedlichem Wege in Zielgebiete eingebracht werden. Der einfachste Weg ist sicher der, die Konzentration endogener Stammzellen, z. B. durch Applikation von G-CSF, zu erhöhen und dann darauf zu hoffen, dass die Zellen von selbst an ihr Ziel gelangen. Neben dieser nicht besonders effektiven Methode können die Zellen aber auch direkt in ein geschädigtes Gewebe eingebracht werden. Intravenöse Injektionen sind dabei natürlich wenig effektiv, denn die meisten Zellen werden hierbei in Lunge, Milz oder lymphatischen Geweben abgefangen. Ein weiterer Weg ist die intraarterielle Injektion, die aber insbesondere bei Patienten mit koronarer Herzerkrankung und somit häufig stenosierten Koronargefäßen ebenfalls zu wenig effektiv ist. Ein von vielen Arbeitsgruppen favorisierter Weg ist daher die transendokardiale Katheterapplikation, bei der das Zielgebiet unter Zuhilfenahme der Röntgendurchleuchtung (nicht sehr präzise), der intrakardialen Sonographie (zunehmend präziser), der Magnetresonanztomographie (nicht sehr praktikabel) oder des elektromechanischen Mappings identifiziert werden kann. Trotz des nach wie vor berechtigt großen Interesses und des potenziell immensen Nutzens, der mit dem Einsatz von Stammzelltherapien verbunden sein könnte, werden vor Etablierung dieser Methode insbesondere jedoch folgende Fragen zu beantworten sein: 4 Welche Zellen bieten die meisten Vorteile? 4 Wie werden die Zellen am besten isoliert und aufbereitet? 4 Können die Zellen markiert werden, sodass sie auch längere Zeit nach Verabreichung (nichtinvasiv) nachgewiesen werden können? 4 Welche Patienten bzw. Erkrankungen profitieren von einer Stammzelltherapie? 4 Wie sollten die Zellen appliziert werden? 4 Welche Mechanismen liegen der kardialen Integration injizierter Zellen zugrunde? 4 Wie entfalten diese Zellen ihre Wirkung?
6.4
Fazit
Die Erkenntnis, durch Bündelung vieler verschiedener wissenschaftlicher Fachdisziplinen die Effektivität der Generierung bioartifizieller Strukturen deutlich steigern zu können, hat in den vergangenen Jahren dazu geführt, dass das einst in weiter Ferne liegende hypothetische Ziel, Gewebe und Organe in der Retorte generieren zu können, in greifbare Nähe gerückt ist. In einer Zeit, die durch so viele wissenschaftliche Neuerungen gekennzeichnet ist, scheint es jedoch nahezu unmöglich, eine abschließende Bewertung all dieser wissenschaftlichen Bestrebungen vorzunehmen, sodass gegenwärtig lediglich eine Zwischenbilanz gezogen werden kann. Das ursprüngliche Ziel, nach Möglichkeiten zu fahnden, mit denen erkrankte Gewebestrukturen unter kurativen Aspekten ersetzt werden können, ist bereits erreicht, sodass nun die Genierung übergeordneter Organstrukturen als ein sich daran anschließender Schritt in den Fokus wissenschaftlicher Bestrebungen getreten ist. Insbesondere 3 wissenschaftliche Hauptrichtungen scheinen dabei in Zukunft von zentraler Bedeutug zu sein: 4 Entwicklung und Anpassung dynamischer In-vitroSysteme zur Mimikry pyhsiologischer Stimuli, 4 Identifizierung und Etablierung von Mikro- und Nanotechnologien zur Generierung vaskularisierter Matrizes, um so die konzeptionelle Basis für höhergradig strukturierte, komplexe, dreidimensionale Gewebe und Organsysteme zu schaffen, 4 selektive Isolation, kontaminationsfreie Expansion und Differenzierung multipotenter, primär undifferenzierter Zellen zur (Re-)Vitalisierung und zur gerichteten Funktionalisierung von Matrizes. Auf strenges Ordnen, raschen Fleiß Erfolgt der allerschönste Preis. (Faust II, Vers 11507; Chorus mysticus – Schlussverse Faust II) Dass sich das Werk vollende, Genügt ein Geist für tausend Hände. (Faust II, Vers 12104; Chorus mysticus – Schlussverse Faust II) Du kannst! So wolle nur! (Faust I, Vers 4544)
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6
132
6
Kapitel 6 · Kardiovaskuläres »tissue engineering«
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6
7
7 Herzchirurgische Intensivmedizin A. Markewitz, A. Franke 7.5
7.1
Einleitung
7.2
Ziele der Intensivbehandlung
7.3
Allgemeine intensivmedizinische Maßnahmen – 136 Aufnahme auf die Intensivstation und Übergabe – 136 Erhebung des Aufnahmestatus – 137 Basismonitoring und Diagnostik – 138
7.3.1 7.3.2 7.3.3 7.4
– 135 – 135
7.4.1 7.4.2 7.4.3 7.4.4 7.4.5 7.4.6 7.4.7
Ziele und Standardmaßnahmen der herzchirurgischen Intensivmedizin – 141 Ziele und Zielkriterien – 141 Sedierung und Analgesie – 141 Ulkusprophylaxe – 142 Antibiotikatherapie – 143 Gabe von Blut und Blutprodukten – 143 Ernährung – 145 Verlegung von der Intensivstation – 145
7.1
Einleitung
Die folgenden Abschnitte geben einen Überblick über die erforderlichen Maßnahmen im Rahmen der postoperativen Intensivmedizin nach herzchirurgischen Eingriffen. Es ist unmöglich, ein so komplexes Thema wie die herzchirurgische Intensivmedizin in einem Kapitel erschöpfend darzustellen. Der Leser sei daher in diesem Zusammenhang zusätzlich auf die weiterführende Literatur verwiesen. Das Kapitel gliedert sich orientierend am klinischen und zeitlichen Verlauf. Es vertieft nicht die physikalischen Grundlagen der erhobenen Messwerte und Parameter und gibt nur in Ansätzen Fehlermöglichkeiten dieser Methoden wieder. Es ist durch die unberechenbaren Abfolge des Tagwerks auf einer Intensivstation bedingt, dass man den hier wiedergegebenen Ablauf nicht immer einhalten kann, und es zeichnet den erfahrenen Kliniker aus, auch unter Zeitdruck die wesentlichen Dinge zu erfassen und trotz der hierdurch eingeschränkten Wahrnehmung zur richtigen therapeutischen Entscheidung zu kommen. Die im Folgenden dargestellten Inhalte sollen ein Grundgerüst zur Entscheidungshilfe geben.
Spezielle intensivmedizinische Maßnahmen – 145 7.5.1 Einleitung – 145 7.5.2 Herz-Kreislauf-System – 146 7.5.3 Nachblutung und Tamponade – 160 7.5.4 Lunge und Beatmung – 162 7.5.5 Niere – 171 7.5.6 Gastrointestinaltrakt – 173 7.5.7 Zentrales und peripheres Nervensystem – 174 7.5.8 Säure-Basen-Haushalt und Elektrolyte – 176 7.5.9 Fieber und Infektionen – 177 7.5.10 Dekubitus – 179 7.5.11 Gerinnungsstörungen – 180 7.5.12 Endokrinium – 180 7.6
Scores und Qualitätssicherung Literatur
7.2
– 181
– 182
Ziele der Intensivbehandlung
! Grundsätzlich ist es das Ziel der postoperativen intensivmedizinischen Maßnahmen, den Patienten nach zeitgerechter Extubation peripher warm und kardiopulmonal stabil so zeitnah wie möglich zu verlegen.
Dies beinhaltet die möglichst schnelle Widerherstellung der Homöostase, d. h. der Patient soll nach einer Herzoperation so schnell wie möglich 4 aufwachen, 4 extubiert werden, 4 normale Herz-Kreislauf-Verhältnisse aufweisen, 4 essen und trinken und 4 von Anfang an schmerzfrei sein. Dies setzt neben einer von operativer und anästhesiologischer Seite aus regelrecht durchgeführten und komplikationslos verlaufenen Herzoperation voraus, dass die übrigen körpereigenen Systeme normal funktionieren. Damit sind die nächsten Ziele definiert: 4 Verhinderung von Komplikationen durch entsprechendes präventives therapeutisches Eingreifen und 4 für den Fall, dass dies nicht ausreicht, rasche und konsequente Behandlung von Komplikationen.
136
Kapitel 7 · Herzchirurgische Intensivmedizin
. Abb. 7.1. Dauer des Aufenthalts auf der Intensivstation bei Patienten nach isolierter koronarer Bypassoperation, Aortenklappenersatz bzw. der Kombination von beidem. Nach den Ergebnissen der Bundesgeschäftsstelle für Qualitätssicherung (2008)
7
Nimmt man den Surrogatparameter »Dauer des Aufenthalts auf der Intensivstation« als Anhalt dafür, ob ein normaler oder ein komplizierter Verlauf vorliegt, und definiert eine Aufenthaltsdauer von weniger oder mehr als 3 Tagen als Trennlinie zwischen beiden, so zeigen die Ergebnisse der Bundesgeschäftsstelle für Qualitätssicherung (BQS; . Abb. 7.1), dass die ersten beiden Ziele im klinischen Alltag dieser Republik in etwa 80 % der Fälle erreicht werden. Ergebnisse der Literatur (Vargas-Hein et al. 2006) bestätigen diese Annahme: In einer monozentrischen Studie mussten 685 von 2683 Patienten (25,5 %) länger als 3 Tage auf der Intensivstation behandelt werden. Der im Vergleich zu den 19,3 % in . Abb. 7.1 höhere Prozentsatz wird verständlich, wenn man berücksichtigt, dass die BQS nicht alle Herzoperationen in Deutschland betrachtet und die nicht berücksichtigten Eingriffe nicht selten mit einem höheren Anteil von komplizierten Verläufen vergesellschaftet sind. Zusammengefasst kann man also davon ausgehen, dass etwa 75 % der herzchirurgischen Patienten einen Normalverlauf aufweisen und nur in ungefähr 25 % der Fälle Probleme auftreten, die einer längeren intensivmedizinischen Betreuung bedürfen.
7.3
Allgemeine intensivmedizinische Maßnahmen
7.3.1 Aufnahme auf die Intensivstation
und Übergabe Nach dem kontrollierten Transport des Patienten auf die Intensivstation durch den behandelnden Anästhesisten und einen Operateur erfolgt die Übergabe des Patienten an den diensthabenden Kollegen auf der Intensivstation. Im Rahmen der Übergabe müssen alle relevanten Informationen mitgeteilt werden, die erforderlich sind, um den weiteren Verlauf abzuschätzen und damit die Therapieziele für die folgenden 12–24 h festzulegen.
! Da das klinische Bild des Patienten (neben den Informationen aus dem Monitoring und den Laborverlaufskontrollen) das therapeutische Handeln bestimmt, kommt der körperlichen Untersuchung zum Zeitpunkt der Übernahme eine große Bedeutung zu.
Für die Übergabe notwendige Informationen aus der präund intraoperativen Phase. Die folgenden Punkte sollten
im Rahmen der Übergabe des Patienten besprochen werden. Vorteilhaft ist ein standardisiertes Übergabeprotokoll, welches folgende wichtige Punkte enthält: 4 Name, 4 Alter, 4 Größe und Gewicht präoperativ, 4 Anamnese (Vorgeschichte, Vorerkrankungen, Risikofaktoren), 4 präoperative Medikation, 4 Status zu Beginn der Operation (Intubationsprobleme, Lage der Zugänge, Herzzeitvolumen – sofern gemessen –, Ausgangswert der »activated clotting time«, auffällige Laborwerte), 4 Diagnose und durchgeführter Eingriff, 4 Narkoseführung und intraoperative Medikation, 4 Beatmungsparameter und Auffälligkeiten in der Blutgasanalyse, 4 intraoperativer Verlauf, 4 Komplikationen, 4 eventuelle inkomplette Versorgung/Restvitium, 4 EKG-Befund (Zeichen einer Ischämie?), 4 Blutungsneigung, 4 Lage der Drainagen, 4 gegebene und noch vorhandene Blutprodukte, 4 intraoperativer Füllungszustand und Pumpfunktion bei Abschluss der Operation (in Relation zu den erhobenen Messwerten: Herzfrequenz, systolischer Blutdruck, zentraler Venendruck, Herzzeitvolumen), 4 intraoperative Ausscheidung und Bilanzierung (Maschinenbilanz).
137 7.3 · Allgemeine intensivmedizinische Maßnahmen
Grundsätzlich ist die Übergabe auch in Form einer elektronischen Datei/Patientenakte möglich. Allerdings birgt diese Entlastung die Fehlermöglichkeit, die Wahrnehmung der behandelnden Kollegen einzuschränken – ein Aspekt, der bisher überhaupt noch nicht untersucht wurde.
7.3.2 7.3.2.1
Erhebung des Aufnahmestatus Körperliche Untersuchung
Generell erfolgt bei Übernahme die Untersuchung des Patienten in Form von Inspektion, Palpation und Auskultation. Die Erhebung des Untersuchungsbefundes zu diesem Zeitpunkt ist Voraussetzung für die Verlaufsbeurteilung des Patienten und die richtige Interpretation der im Weiteren erhobenen Messwerte und Befunde. Bei der Inspektion gilt es, die Pupillenreaktion und -stellung, ein eventuelles Grimassieren des Patienten, die Lage der Zugänge und Drainagen, die Positionierung des Beatmungstubus, die Stellung der Extremitäten, das Hautkolorit, eine evtl. vorhandene Stauung der Halsvenen sowie die Durchblutung der sichtbaren Schleimhäute und der Akren zu beurteilen. Im Rahmen der Palpation werden der Hautturgor, vorhandene Ödeme, das seitengleiche Heben des Thorax, die Bauchdeckenspannung sowie der Pulsstatus der Extremitäten erfasst. Um den Grad der durch relative Hypovolämie, Hypothermie oder endogene und exogene Katecholamine vermittelten Zentralisierung zu dokumentieren, werden die Extremitäten seitengleich von zentral nach peripher abgetastet und der Befund dokumentiert. Die Durchgängigkeit der Drainagen wird durch »anmelken« geprüft, um etwaige Koagel zu entfernen. Mittels Auskultation wird das Herz auf Strömungsgeräusche untersucht und die Belüftungssituation der einzelnen Lungenabschnitte im Seitenvergleich sowie die Qualität der Atemgeräusche erfasst. Darmgeräusche sind zu diesem Zeitpunkt meist nicht zu auskultieren. Bei fehlender Sekretion der liegenden Magensonde sollte eine auskultato-
rische Lagekontrolle durch Luftinsufflation unter Auskultation im Epigastrium erfolgen. Abschließend werden Qualität und Menge der Sekretion der Drainagen erfasst, zudem wird der Füllungsstand der Drainagen bei Übernahme markiert und dokumentiert. 7.3.2.2
Narkose- und Sedierungstiefe
Um die Sedierungstiefe festzustellen, erfolgen die Ansprache des Patienten, die Berührung beispielsweise an der Stirn und ggf. die Vermittlung eines adäquaten Schmerzreizes. Für den Transport, die Übergabe und das Lagern des Patienten sollte ein Ramsay-Score von 4–5 (. Tab. 7.1) angestrebt werden. Die erhobenen Befunde sind immer in Relation zu den applizierten Medikamentenmengen zu bewerten. 7.3.2.3
Neurologischer Status
Eine standardisierte Möglichkeit zur Verlaufskontrolle des neurologischen Status ist die Verwendung der Glasgow Coma Scale. Allerdings ist diese beim sedierten, intubierten und kontrolliert beatmeten Patienten nur von eingeschränkter Aussagekraft. Da zerebralen Ischämien und intrazerebralen Blutungen mit einer Inzidenz von 1–5 % nach herzchirurgischen Eingriffen (Markewitz u. Lante 2006) eine nicht unerhebliche Bedeutung zukommt, müssen bei der Übernahme und im Verlauf der Überwachung die Pupillenreaktion, die Stellung der Bulbi und die motorische Reaktion der Extremitäten dokumentiert werden, um frühzeitig Hinweise auf einen komplizierten Verlauf zu sichern sowie weitere diagnostische (z. B. kraniale Computertomographie) und therapeutische Maßnahmen zu ergreifen. 7.3.2.4
Volumenstatus, Zentralisation und Körpertemperatur
Das hämodynamische Monitoring und die Differenzialtherapie mittels adäquater Volumensubstitution sowie positiv inotroper und vasoaktiver Substanzen sind Grundpfeiler der postoperativen intensivmedizinischen Behandlung
. Tab. 7.1. Ramsay-Score Score-Wert
Sedierungsgrad
Beurteilung
0
Patient wach und voll orientiert (stressfrei)
keine Sedierung
1
Patient ängstlich, agitiert, unruhig
Sedierung evtl. zu flach
2
Patient wach, kooperativ, orientiert; Patient zeigt adäquate Reaktionen und toleriert/akzeptiert ggf. die Beatmung bzw. die Atemunterstützung
Adäquate Sedierung
3
Patient schläft; promptes Erwachen auf Berührung/laute Ansprache; Patient zeigt lebhafte Reaktionen auf Manipulation (Tubus oder Lagern)
4
Patient schläft; träges Erwachen auf Berührung/laute Ansprache
5
Patient schläft; kein Erwachen auf Berührung/laute Ansprache, aber Reaktion auf starke Schmerzreize
Sedierung evtl. zu tief
7
138
Kapitel 7 · Herzchirurgische Intensivmedizin
Reaktion
Aktion
Punkte
Augen öffnen
Spontan
4
Auf Ansprache
3
Auf Schmerzreiz
2
Gar nicht
1
Eingriffen mit kardiopulmonalem Bypass gehäuft bradyund tachykarde Rhythmusstörungen auftreten, muss eine regelmäßige Herzrhythmusanalyse mit kontinuierlicher Herzfrequenzerfassung erfolgen. Je nach EKG-Veränderung und Monitorsystem kann für die Frequenzaufzeichnung auch die Messkurve der arteriellen Druckaufzeichnung oder die Kurve der peripheren Pulsoxymetrie herangezogen werden. Im Zweifelsfall ist der Puls zu tasten.
Patient befolgt Aufforderungen
6
7.3.2.6
Gezielte Abwehr
5
Wegziehen
4
Pathologische Beugung
3
Strecken
2
Keine
1
Patient orientiert
5
Patient verwirrt
4
Wortsalat
3
Unverständliche Laute
2
Keine
1
Je nach Operation und präoperativ oder intraoperativ bestehenden Rhythmusstörungen erfolgt die Implantation von Schrittmacherdrähten auf den rechten Vorhof und/ oder Ventrikel, im Einzelfall auch auf den linken Ventrikel. Bedingt durch die hohe Inzidenz postoperativer Rhythmusstörungen, die das angestrebte Herzzeitvolumen reduzieren oder den Einsatz von Antiarrhythmika erforderlich machen, kommt der externen elektrischen Stimulation eine besondere Bedeutung zu. Aus diesem Grund ist die Funktion der vorhandenen Stimulationsdrähte zu prüfen und zu dokumentieren, da bei unsachgemäßer Anwendung, z. B. bei Stimulation des Ventrikels in der vulnerablen Phase des QRS-Komplexes, eine ventrikuläre Tachykardie ausgelöst werden kann; umso wichtiger ist eine einwandfreie Wahrnehmungsfunktion.
. Tab. 7.2. Glasgow Coma Scale
Beste motorische Reaktion
7
Beste verbale Antwort
herzchirurgischer Patienten. Umso wichtiger ist es, zu Beginn der Behandlung auf der Intensivstation abzuschätzen, ob der Patient über ein ausreichendes intravasales Volumen verfügt und mit welchem Grad der Zentralisierung bzw. der peripheren Vasokonstriktion dieser Status gehalten wird. In Relation zur gemessenen Körperkerntemperatur, zum kontinuierlich gemessenen zentralvenösen Druck (in Abhängigkeit vom applizierten positiven endexspiratorischen Druck –»positive endexpiratory pressure«, PEEP) sowie zur Undulation der arteriellen Druckkurve, der Herzfrequenz und des systolischen Blutdrucks kann der Volumenbedarf abgeschätzt werden. ! Sofern zum Zeitpunkt der Übernahme keine Hinweise auf eine Hypervolämie vorliegen (Lungenödem, zentrale Stauung auf der Röntgenaufnahme des Thorax, Rechtsherzversagen oder Trikuspidalinsuffizienz), sollte Volumen substituiert werden, um Blutdruckabfällen – bedingt durch einen raschen Abfall des peripheren Widerstandes im Rahmen der Wiedererwärmung – vorzubeugen.
7.3.2.5
Herzrhythmus und -frequenz
Um eine ökonomische Herzfunktion zu gewährleisten, sollte postoperativ eine Herzfrequenz zwischen 60 und 120/ min angestrebt werden. Hierbei stellt eine koordinierte Kontraktion von Vorhöfen und Ventrikel im Sinusrhythmus oder unter entsprechender Schrittmacherstimulation das Optimum dar, um ein Herzzeitvolumen von >2,0 l/ min/m2 KOF zu gewährleisten. Da nach herzchirurgischen
7.3.3
Schrittmachertest
Basismonitoring und Diagnostik
Ein einziges, ideales Monitoringverfahren, das alle Anforderungen an die hämodynamische Überwachung in der Herzchirurgie erfüllt, ist aktuell nicht verfügbar. Als Basismonitoring für postoperative herzchirurgische Intensivpatienten hat sich Folgendes etabliert (Carl et al. 2007): 4 EKG und 12-Kanal-EKG, 4 invasive Blutdruckmessung, 4 Messung des zentralen Venendrucks bzw. des rechtsatrialen Drucks, 4 Pulsoxymetrie, 4 Bilanzierung (Drainagen, Ein-und Ausfuhr), 4 zentrale Temperaturmessung. Diese Methoden stellen die Grundlage für die Verlaufskontrolle beim komplikationslosen Verlauf eines Patienten mit niedrigem Risiko dar und müssen ggf. bei entsprechender Indikation um weitere Parameter erweitert werden (s. unten). Nach der Aufnahme sollten das klinische Bild und die erhobenen Messwerte des Basismonitorings um folgende Untersuchungen ergänzt werden: 4 arterielle und zentralvenöse Blutgasanalyse, 4 Röntgenaufnahme des Thorax im Liegen und in Inspiration, 4 Routinelabordiagnostik.
7
139 7.3 · Allgemeine intensivmedizinische Maßnahmen
Im Weiteren werden die genannten Methoden und Maßnahmen kurz beschrieben. 7.3.3.1
EKG und 12-Kanal-EKG
Die kontinuierliche EKG-Überwachung erfolgt im Rahmen des Basismonitorings zur Arrhythmie- und Ischämiediagnostik. Sie sollte die Aufzeichnung der Ableitungen II und V5 oder alternativ II und V3 oder II und V4 oder, sofern technisch möglich, V3, V4 und V5 enthalten. Ein ST-Segment-Monitoring wird bei jeder EKG-Überwachung empfohlen. Bei herzchirurgischen Patienten wird ein 12-KanalEKG mit Dokumentation bei stationärer Aufnahme auf die Intensivstation sowie im Verlauf der ersten 3 postoperativen Tage des Aufenthalts auf der Intensivstation einmal täglich als ausreichend angesehen. Ab dem 3. Tag einer Weiterbehandlung auf der Intensivstation erfolgt die Indikationsstellung nach der jeweiligen klinischen Situation. 7.3.3.2
Invasive Blutdruckmessung
Die kontinuierliche Messung des arteriellen Blutdrucks ist bei herzchirurgischen Patienten in der postoperativen Phase integraler Bestandteil der intensivmedizinischen Überwachung. Die Erfassung des arteriellen Perfusionsdrucks ist prinzipiell nichtinvasiv oszillometrisch über eine Manschette oder invasiv durch eine arterielle Gefäßkanülierung möglich. Hierbei ist die oszillometrische Messung fehlerbehaftet und gibt nur unzureichend den intravasalen Perfusionsdruck wieder. Die invasive Blutdruckmessung erlaubt die Schlag-zuSchlag-Überwachung des Kreislaufs und damit über die atemabhängige Undulation der Kurve eine Abschätzung des Volumenstatus. Bei Einsatz von vasoaktiven und positiv inotropen Substanzen sind die Therapieeffekte kontinuierlich erfassbar, und repetitive Blutentnahmen für Blutgasund Laboranalysen sind problemlos durchzuführen. Fehlermöglichkeiten bestehen in der nicht korrekten Eichung des Druckaufnehmers oder im Auftreten von Luft im Messsystem, was die Impedanz des Systems beeinflusst und damit zur Verfälschung der Druckkurve durch Dämpfung führt. Als Zielwert zur Beurteilung des Blutdrucks hat sich in der Intensivtherapie herzchirurgischer Patienten der arterielle Mitteldruck (»mean arterial pressure«, MAP) etabliert, der sich wie folgt aus dem invasiv gemessenen systolischen (AP syst) und diastolischen Blutdruck (AP dia) errechnet: MAP [mmHg] = AP dia + 1/3 (AP syst – AP dia) 7.3.3.3
Messung des zentralen Venendrucks
Der in der V. cava superior etwa 1–2 cm oberhalb des rechten Atriums gemessene zentralvenöse Druck (ZVD) entspricht dem rechtsatrialen Druck und dieser – bei fehlender
Trikuspidalstenose – näherungsweise dem enddiastolischen Druck im rechten Ventrikel. Der ZVD hängt u. a. vom intravasalen Volumen, vom peripheren Gefäßtonus, von der rechtsventrikulären Compliance, vom pulmonalen Gefäßwiderstand sowie vom intrathorakalen Druck (PEEP-Beatmung/intrinsischer PEEP) ab. Der ZVD ist v. a. bei einem Volumenmangel vermindert sowie bei Rechtsherzversagen, Lungenembolie, Perikardtamponade, Spannungspneumothorax und Hypervolämie, aber auch bei hohen PEEP-Werten (Faustregel: ZVD real = ZVD – PEEP) erhöht. Wegen der hohen Compliance der venösen Kapazitätsgefäße ist die Aussagekraft des ZVD insgesamt begrenzt; im zeitlichen Verlauf kann er dennoch wertvolle Informationen über den Volumenstatus sowie die rechtsventrikuläre Vorlast und Compliance liefern. Hier ist z. B. im Rahmen der Übergabe des Patienten zu erfragen, bei welchem ZVD vom kardiopulmonalem Bypass entwöhnt wurde und welcher Zielwert zur Optimierung der rechts- und linksventrikulären Pumpfunktion angestrebt wird. 7.3.3.4
Pulsoxymetrie
Die perkutane spektralphotometrische Bestimmung der Sauerstoffsättigung ermittelt nichtinvasiv und kontinuierlich die periphere arterielle Sauerstoffsättigung (SaO 2), die als prozentualer Anteil des oxygenierten Hämoglobins an der Summe von oxygeniertem und desoxygeniertem Hämoglobin definiert ist. Sie ist in ihrer diagnostischen Bedeutung dem Sauerstoffpartialdruck (paO2) vergleichbar. Das respiratorische Monitoring ermöglicht die Beurteilung der pulmonalen Sauerstoffaufnahme und erlaubt bei Kenntnis der aktuellen Hämoglobinkonzentration darüber hinaus die Abschätzung des arteriellen Sauerstoffangebots an das Gewebe. Zusätzlich wird durch die Erfassung der Pulskurve die mechanische Herzaktion dargestellt. Eine Fehlerquelle liegt in der fehlenden Diskriminierungsfähigkeit der handelsüblichen Geräte für oxygeniertes Hämoglobin, Carboxyhämoglobin und Methämoglobin, was zu überhöhten Messwerten bei relevanten Konzentrationen dieser Dyshämoglobine führt. Orientierend entsprechen die in . Tab. 7.3 dargestellten peripheren Sauerstoffsättigungen dem gemessenen paO2 bei einem Kohlendioxidpartialdruck von 40 mmHg und einem pH-Wert von 7,4 bei normaler Temperatur. . Tab. 7.3. Anhaltswerte zur Abschätzung des Sauerstoffpartialdrucks (paO2) anhand der gemessenen Sauerstoffsättigungen (SaO2) Parameter
Werte
PaO2 [mmHg]
26
35
40
60
90
150
SaO2 [%]
50
66
75
90
95
100
140
Kapitel 7 · Herzchirurgische Intensivmedizin
7.3.3.5
Flüssigkeitsbilanzierung
Die postoperative Bilanzierung umfasst die Dokumentation der Flüssigkeitsein- und -ausfuhr unter Berücksichtigung der Diurese und der Drainagenverluste. In den ersten 24 h nach der Operation hat sich die stündliche Bilanzierung der »kristalloiden« Ein- und Ausfuhr bewährt. Danach kann die Bilanzierung in Abhängigkeit vom klinischen Zustand des Patienten in größeren Zeitintervallen, aber mindestens alle 4 h erfolgen. In manchen Kliniken ist es üblich, die »kristalloide« von der »kolloidalen« Bilanz zu trennen. Es spricht außer dem etwas erhöhten Dokumentationsaufwand nichts gegen dieses Vorgehen. Andererseits gibt es keine fundierten Hinweise darauf, dass dieses Vorgehen Vorteile hat.
fohlen. Die Messung kann über einen liegenden Blasenkatheter, ösophageal, über den Pulmonalarterienkatheter oder mittels Infrarottechnik (Mittelohrtemperatur) erfolgen. Die Interpretation erfolgt immer in Zusammenhang mit dem klinischen Bild: Während es völlig normal ist, dass sich die Körperkerntemperatur in der Phase der postoperativen Wiedererwärmung bei peripherer Vasokonstriktion innerhalb von 2–3 h auf 39°C erhöht, um dann nach peripherer Vasodilatation wieder auf Normalwerte abzusinken, ist eine Temperaturerhöhung bei peripherer Vasodilatation eher ein Hinweis auf eine prolongierte systemische Entzündungsreaktion (»systemic inflammatory response syndrome«, SIRS) oder ein septisches Geschehen. 7.3.3.8
7.3.3.6
7
Bilanzierung der Drainagen
Bei Aufnahme ist der Füllungstand der Drainagebehälter zu dokumentieren. Während es in der Allgemeinchirurgie umstritten ist, ob Drainagen suffizient eine Nachblutung anzeigen können, gilt dies in der Herzchirurgie als etabliert. Allerdings muss die Duchgängigkeit der Drainagen durch aktive Manipulation (»Anmelken«) immer wieder geprüft werden. Atem- oder pulssynchrone Bewegungen der Flüssigkeitsspiegel zeigen ebenfalls die Durchgängigkeit an. Bei Pleuradrainagen ist darüber hinaus zu prüfen, ob diese als Hinweis auf eine pulmonale Fistel atemabhängig Luft fördern. Die Gesamtfördermenge aller Drainagen sollte wünschenswerterweise <100 ml/h betragen. Liegt die Blutfördermenge darüber, ist die Gerinnungsfunktion zu prüfen: 4 »activated clotting time« (ACT), 4 Quick-Wert, 4 partielle Thromboplastinzeit (»partial thromboplastin time«, PTT), 4 Fibrinogenspiegel, 4 Thrombozytenzahl, 4 ggf. funktionelle Gerinnungstests, z. B. Thrombelastometrie oder Thrombelastographie. Ist der Patient kreislaufstabil und ohne Hinweis auf eine Mediastinal- bzw. Perikardtamponade, können die genannten Parameter zunächst normalisiert werden (vgl. Abschnitt 7.4.5). Bei hohen Fördermengen der Drainagen, hämoglobinwertwirksamer Blutung oder zunehmendem Perikarderguss sollte vor Auftreten einer Kreislaufinstabilität der Entschluss zur Re-Thorakotomie gefasst werden (vgl. Abschnitt 7.5.3). 7.3.3.7
Zentrale Messung der Körpertemperatur
Die Temperaturmessung sollte möglichst kontinuierlich erfolgen. Sie ist u. a. Voraussetzung für die Korrektur der mittels Blutgasanalyse ermittelten Messwerte. Aus diesem Grund sollte die Temperatur zumindest bei der arteriellen Blutabnahme für die Blutgasanalyse bestimmt werden. Bei diskontinuierlicher Messung wird ein 4-stündliches Intervall emp-
Blutgasanalyse
Eine Blutgasanalyse sollte direkt nach Aufnahme auf die Intensivstation erfolgen und bei Auftreten einer kardiopulmonalen Instabilität oder bei Veränderung der Ventilationsparameter innerhalb eines Zeitintervalls von 30 min wiederholt werden. Bei einer inspiratorischen Sauerstofffraktion (FiO2) von >0,6 wird eine Blutgasanalyse alle 4 h, sonst mindestens alle 8 h empfohlen. Da der Transport aus dem Operationssaal auf die Intensivstation in der Regel mit einer FiO2 von 1,0 erfolgt, um bei Diskonnektion der Beatmung oder anderen Problemen eine gewisse Sauerstoffreserve zu haben, kann über den direkt nach Aufnahme bestimmten paO2 auf die Lungenfunktion geschlossen werden. Patienten, die unter den genannten Bedingungen (kontrollierte Beatmung mit einer FiO2 von 1,0 zum Transport) einen körpertemperaturkorrigierten paO2 von <200 mmHg aufweisen (Horovitz-Quotient von <200, s. S. 165), haben mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit ein pulmonales Problem und bedürfen besonderer Aufmerksamkeit sowie engmaschiger Kontrollen. Darüber hinaus kann mit den meisten Blutgasanalysegeräten eine Bestimmung von Parametern des Säure-Basen-Haushalts, bestimmter Elektrolytkonzentrationen (zumeist Kaliumkonzentration) sowie des Hämoglobin- und Blutzuckerwertes erfolgen. 7.3.3.9
Röntgenaufnahme des Thorax
Zur Lagekontrolle der bei Narkoseeinleitung eingebrachten zentral liegenden Katheter, des Beatmungstubus, der Magensonde und der Drainagen sowie zur Beurteilung der Ventilationsverhältnisse der Lunge ist eine Röntgenaufnahme des Thorax im Liegen nach Abschluss der Lagerungsmaßnahmen bzw. zum Zeitpunkt der Aufnahme obligat. Dabei sollte die Aufnahme in Inspiration erfolgen. Neben dem Auschluss eines Hämato- oder Pneumothorax und einer zentralen Stauung bietet die radiologische Verlaufskontrolle unter standardisierten Bedingungen einmal täglich bis zum 3. postoperativen Tag die Möglichkeit, den Volumenstatus abzuschätzen. Im weiteren Verlauf erfolgt die Indikation zur Röntgenaufnahme des Thorax bei konkreten klinischen Fragestellungen.
141 7.4 · Ziele und Standardmaßnahmen der herzchirurgischen Intensivmedizin
7.3.3.10
Routinelaboruntersuchungen
Der herzchirurgische Eingriff stellt einen Eingriff in die Integrität aller physiologischen Vorgänge des Organismus dar. Mit den Änderungen der Körpertemperatur, der Vollheparinisierung, dem Volumenumsatz, den Elektrolytverschiebungen und der Dauer der Operation mit entsprechender Akutphasereaktion sind nur einige der Faktoren genannt, welche die Laborwerte postoperativ beeinflussen. Daher ist die Kontrolle der folgenden Laborwerte bei Aufnahme obligat: 4 Blutbild, 4 Aktivität der Laktatdehydrogenase (LDH), 4 Harnstoff- und Kreatininkonzentration, 4 Quick-Wert, 4 PTT, 4 Antithrombin-III-Spiegel, 4 Aktivität der Kreatinkinase (»creatine kinase«, CK) und der CK-MB, 4 Troponin-I-Spiegel, 4 Aktivität von Aspartat-Aminotransferase (AST), früher Glutamatoxalazetattransaminase (GOT) und AlaninAminotransferase (ALT), früher Glutamatpyruvattransaminase (GPT), 4 Konzentration des C-reaktiven Proteins (CRP). Bis zum Morgen sollten bei unkompliziertem Verlauf 6-stündlich folgende Parameter kontrolliert werden: 4 Blutbild, 4 Quick-Wert, 4 PTT, 4 Antithrombin-III-Spiegel, 4 Harnstoff- und Kreatininkonzentration, 4 Aktivität von CK und CK-MB, 4 Troponin-I-Spiegel. Ab dem Morgen des ersten postoperativen Tages halten wir ein Intervall von 12 h für ausreichend. Ergänzend sollten einmal pro Tag der Gesamteiweißgehalt, der Laktatspiegel und die Leberwerte bestimmt werden. Eine Verlaufskontrolle des Blutzuckerspiegels und der Elektrolytwerte erfolgt zumeist mit der Blutgasanalyse, die wir unter Beatmung stündlich und bei extubierten Patienten mit adäquater peripherer SaO2 (>92 %) alle 3–4 h durchführen. Andere Laborarameter werden nur bei entsprechender Indikation bestimmt.
7.4
Ziele und Standardmaßnahmen der herzchirurgischen Intensivmedizin
7.4.1
Ziele und Zielkriterien
Eine erfolgreiche herzchirurgische Intensivmedizin setzt voraus, dass die Therapieziele klar definiert sind. Dadurch lassen sich verzögerte oder komplizierte Verläufe
identifizieren, d. h. Situationen erkennen, die dazu zwingen, das Monitoring und/oder die Therapiemaßnahmen zu erweitern. Es versteht sich von selbst, dass für eine erfolgreiche Therapieplanung und Umsetzung die Erreichung bzw. die Anpassung der definierten Zielkriterien engmaschig (in der Regel einmal pro Schicht) kontrolliert werden muss. Als Zielkriterien für die postoperative Therapie sind bei unkompliziertem Verlauf innerhalb der ersten 24 h postoperativ die folgenden Werte und Parameter anzustreben: 4 wacher Patient (Ramsay-Score von 2; . Tab. 7.1) ohne Hinweis auf ein neurologisches Defizit, 4 warme Extremitäten ohne Ödeme bei ausgeglichener Bilanz, 4 keine pathologischen Veränderungen im Rahmen der Blutgasanalyse, 4 keine Hinweise auf eine Blutung oder Gerinnungsstörung, 4 Hämoglobinkonzentration von >8 mg/dl, 4 SaO2 von >92 % (peripher), 4 MAP von >65 mmHg, 4 Sinusrhythmus mit einer Herzfrequenz von 60–120/ min, 4 ausreichende ventrikuläre Pumpfunktion bei der orientierenden Echokardiographie, 4 ZVD von 8–12 mmHg (abhängig von der Beatmung), 4 stabile Diurese von >0,5 ml/kg KG/h bei stabilen oder fallenden Retentionswerten, 4 Laktatspiegel von <3 mmol/l. Die zunehmende Komorbidität und das steigende Alter der herzchirurgischen Patienten bedingen, dass dieser wünschenswerte Verlauf nicht immer erreicht werden kann. Die klinische Erfahrung zeigt, dass Fehler in dieser frühen postoperativen Phase häufig in einem komplizierten Verlauf resultieren, der neben der vitalen Bedrohung des Patienten eine mitunter kostenintensive Ausweitung des Monitorings und der Therapiemaßnahmen erforderlich macht und eine längere Liegedauer auf der Intensivstation mit sich bringt. Im Folgenden ist ein mögliches Vorgehen übersichtsartig dargestellt.
7.4.2
Sedierung und Analgesie
Für den Patienten mit unkompliziertem Verlauf ist eine differenzierte Analgosedierung mit den Zielen der Anxiolyse, der Analgesie und der vegetativen Abschirmung anzustreben. Nach den aktuellen Leitlinien (Martin et al. 2008) sind für das Analgosedierungskonzept verschiedene Medikamentenkombinationen denkbar. Grundsätzlich muss sich die Auswahl an der intraoperativen Narkoseführung orientieren, um unnötige Wechsel der Medikamente zu vermeiden, was den Nachteil einer unkontrollierten Wirkung – be-
7
142
Kapitel 7 · Herzchirurgische Intensivmedizin
. Tab. 7.4. Übersicht über gebräuchliche Sedativa und ihre Dosierungen Sedierungsdauer
Wirkstoff (Medikament)
Perfusordosierung [mg/50 ml]
Konzentration [mg/ml]
Fördermenge [ml/h/70 kg KG]
Bis 24 h
Propofol (Disoprivan)
1000
20
3–10
Remifentanil (Ultiva) 24–72 h
Midazolam (Dormicum) Sufentanil (Sufenta)
>72 h, instabiler Patient
7
0,1
1–12
90
1,8
1–7
0,01
1–10
1,8
1–7
0,5
Midazolam (Dormicum) Esketamin (Ketanest)
5
90 1250
dingt durch unterschiedliche Pharmakokinetiken und unerwünschte Wechselwirkungen – mit sich bringt. Zur Anwendung kommen hier z. B. die in . Tab. 7.4 aufgeführten Medikamente. Zur Dämpfung vegetativer Begleitreaktionen bei der Entwöhnung von der Beatmung und im Rahmen der Extubation kann ergänzend eine Sedierung mit Clonidin erfolgen: 4 Sedierungsziel: Weaning; 4 Perfusordosierung: 1,5 mg/50 ml; 4 Konzentration: 0,03 mg/ml; 4 Fördermenge: 1–4 ml/h/70 kg KG. Eine tiefe Sedierung ist in der Herzchirurgie nur noch speziellen Indikationen vorbehalten: 4 komplizierte Langzeitbeatmung, 4 Bauchlagerung, 4 Sepsis mit der Gefahr einer inadäquaten Sauerstoffversorgung. Eine Relaxierung erfolgt in der Regel deswegen nicht, da zum frühestmöglichen Zeitpunkt eine Spontanatmung des Patienten angestrebt wird. Neben der Medikation zur Sedierung und zur Analgesie ist die standardisierte Gabe von peripher wirksamen Analgetika empfehlenswert. Als Basismedikation können die folgenden Nichtopioide zur Anwendung kommen: 4 Paracetamol: 1 g Perfalgan alle 6 h über 15 min i. v. oder 1-g-Suppositorium alle 6 h rektal (maximale Dosis: 6 g/ Tag); 4 Diclofenac: 50 mg alle 8 h als Suppositorium oder 75mg-Tablette alle 12 h oral (maximale Dosis: 150 mg/ Tag); 4 Ibuprofen retard: 800 mg alle 12 h (maximale Dosis: 2,4 g/Tag). Die Basismedikation sollte an den Patienten (Allergien, Alter, Nierenfunktion etc.) und den operativen Eingriff adaptiert sein und möglichst schnell oral gegeben werden.
25
2–10
Nach Beendigung der kontinuierlichen Analgosedierung kann diese Basismedikation um die Gabe eines Opiods ergänzt werden: Dipidolor (Piritramid), als Einzelbolus 5–15 mg i. v., als Titrationsdosis 0,03–0,06 mg/kg KG. Dies geschieht mit dem Ziel, den Patienten schmerzfrei und damit stressfrei zu halten und eine Atemdepression zu vermeiden. Die leicht sedierende Komponente des Opiods bei adäquater Dosierung ist hier ein zu begrüßender Nebeneffekt.
7.4.3
Ulkusprophylaxe
Nachdem die Inzidenz der früher häufiger zu beobachtenden Stressulzera in den vergangenen 25 Jahren deutlich zurückgegangen ist (<0,5 % nach den Daten der BQS), wird eine generelle Ulkusprophylaxe auf der Intensivstation inzwischen nicht mehr empfohlen. Herzchirurgische Patienten zeigen jedoch regelmäßig mindestens einen, zumeist aber mehrere Risikofaktoren für ein Stressulkus, sodass für diese Patienten eine Ulkusprophylaxe angezeigt erscheint, ohne dass sich für dieses Vorgehen ein Evidenzgrad finden ließe, der über das sog. Eminenzniveau hinausgeht. Wie man die Ulkusprophylaxe gestaltet, ist ebenfalls dem Einzelnen überlassen, da diese Fragestellung in den letzten Jahren für das herzchirurgische Patientengut nicht mehr untersucht wurde. In der Praxis werden v. a. Sucralfat (Ulcogant, 3–4 Beutel/Tag) oder H2-Blocker (z. B. Ranitidin, 2- bis 4-mal 50 mg/Tag) verwendet. Der Nachteil der H2-Rezeptor-Antagonisten liegt in der Toleranzentwicklung innerhalb von 72 h, sodass bei der Notwendigkeit einer über 48 h andauernden Ulkusprophylaxe alternative Medikamente verwendet werden sollten. Dafür kommen in erster Linie Protonenpumpenhemmer wie Omeprazol infrage, die ansonsten der Therapie vorbehalten bleiben sollten und für die Prophylaxe nur in Einzelfällen eingesetzt werden. Abschließend sei zudem auf die günstigen Effekte einer frühzeitigen enteralen Ernährung auf die Prophylaxe eines Stressulkus hingewiesen.
143 7.4 · Ziele und Standardmaßnahmen der herzchirurgischen Intensivmedizin
7.4.4
Antibiotikatherapie
Die perioperative Antibiotikaprophylaxe (genau genommen eigentlich bereits eine Antibiotikatherapie) wird in Deutschland seit Jahren standardisiert durchgeführt (Markewitz et al. 1999). Ungeklärt ist die Frage, wie lange die Antibiotikatherapie fortgeführt werden soll. In Deutschland wird sie auf den meisten herzchirurgischen Intensivstationen nach 24 h beendet. Eine unlängst erschienen Leitlinie zu diesem Thema (Edwards et al. 2006) empfiehlt, die perioperative Antibiotikatherapie für max. 48 h fortzuführen, da eine längere Verabreichung nicht nur keinen größeren Schutz gegen das Auftreten von Wundinfektionen bietet, sondern überdies die Entwicklung von Antibiotikaresistenzen fördert. Nachdem resistente Infektionserreger eine immer größere Bedrohung für intensivmedizinisch betreute Patienten darstellen, sollten die genannten Zeitgrenzen beachtet werden. ! Tritt innerhalb dieses Zeitraums Fieber auf, das zusammen mit weiteren klinischen Zeichen auf eine systemische Infektion hindeutet, so darf die perioperative Antibiotikatherapie auf keinen Fall unverändert fortgeführt werden: Das Antibiotikum ist dann kalkuliert zu wechseln.
. Tab. 7.5. Beispiel für Richtwerte von Laborparametern des Gerinnungssystems bei Aufnahme auf die Intensivstation und wünschenswerte Entwicklung im Verlauf Parameter
Bei Aufnahme
Im Verlauf
»Activated clotting time« (ACT)
Wie Ausgangsbefund
Keine Änderung
Thrombozytenzahl
>50.000/μl
Anstieg
Thromboplastinzeit (Quick-Wert)
>50 %
Anstieg
Aktivierte partielle Thromboplastinzeit (»activated partial thromboplastin time«, aPTT)
<40 s
Abfall
Antithrombin-III(AT-III-)Spiegel
>60 %
Anstieg
Antagonisierung des Heparins nicht vollständig erfolgt ist. Die Gabe von 2500–5000 E Protaminhydrochlorid löst das Problem fast immer. Für alle anderen Situationen ist die Indikation für die Gabe von Blut oder Blutprodukten zu prüfen. 7.4.5.1
7.4.5
Gabe von Blut und Blutprodukten
Es ist nicht verwunderlich, dass Operationen unter Einsatz der Herz-Lungen-Maschine zu erheblichen, aber vorübergehenden Veränderungen des Gerinnungssystems führen. Die häufig zusätzlich zu beobachtende Dauermedikation mit mehreren Thrombozytenaggregationshemmern verbessert die Situation ebenfalls nicht. Daher existieren allenfalls näherungsweise Richtwerte für die üblicherweise bestimmten Parameter der Gerinnungsdiagnostik. In . Tab. 7.5 haben wir dargestellt, welche Werte wir erwarten und wie diese sich entwickeln sollten. Auf weitere Gerinnungstests wie die Thrombelastometrie und die Thrombelastographie, die eine differenzierte Analyse von Gerinnungsstörungen (z. B. Heparinüberhang, Faktorenmangel, Hyperfibrinolyse) erlauben, kann hier aus Platzgründen nicht eingegangen werden. Allerdings bedingt selbst eine erhebliche Abweichung der Laborergebnisse in die falsche Richtung nicht notwendigerweise eine sofortige therapeutische Reaktion. Erst der Kontext mit dem klinischen Bild entscheidet über den Aufforderungscharakter, d. h. insbesondere bei einer deutlich erhöhten Fördermenge über die Drainagen sollte zielgerichtet gehandelt werden. Ziel ist dabei, die Blutungsmenge zu reduzieren, und nicht, die Laborparameter zu normalisieren. Diese dienen nur als Anhalt dafür, wo therapeutisch anzusetzen ist. Der Therapieansatz ist vergleichsweise einfach, wenn eine verlängerte »activated clotting time« zeigt, dass die
Erythrozytenkonzentrate (EK)
Die Frage, ab welchem Hämoglobinwert, unterhalb welcher Anzahl von Thrombozyten oder ab welchem PTT-Wert Blut oder Blutprodukte verabreicht werden sollen, wird zumindest für die Gabe von EK kontrovers diskutiert. Es mehren sich die Hinweise darauf, dass die Gabe von Fremdblutkonserven mit einer erhöhten Letalität und Morbidität, insbesondere einer erhöhten Inzidenz an lokalen und systemischen Infektionen vergesellschaftet ist (Engoren et al. 2002; Whitson et al. 2007). Dabei ist nicht endgültig geklärt, ob die Gabe von EK per se das Risiko erhöht oder ob das erhöhte Risiko des Patienten die Gabe von EK notwendig macht. Für Letzteres spricht, dass die perioperative Anämie ab Unterschreiten eines präoperativen Ausgangshämoglobinwertes von 11 g/dl ebenfalls mit einer erhöhten Komplikationsrate in Zusammenhang gebracht werden konnte (Kulier et al. 2007). Die vorhandenen Leitlinien (The Society of Thoracic Surgeons Blood Conservation Guideline Task Force et al. 2007; Vorstand und Wissenschaftlicher Beirat der Bundesärztekammer 2003) sind für die Beantwortung der Frage ebenfalls nicht hilfreich. Immerhin wird ausgeführt, dass bei einem Hämoglobinwert von <6 g/dl EK gegeben werden sollten und dass oberhalb eines Wertes von 10 g/dl keine Indikation dafür besteht. Im Graubereich zwischen 6 und 10 g/dl tendiert man bei herzchirurgischen Patienten dazu, unterhalb eines Wertes von 8 g/dl EK zu verabreichen und oberhalb dieses Wertes individuell zu entscheiden. Dabei gilt für den Praktiker die Faustregel, dass man EK umso eher gibt, je kranker und instabiler der Patient ist. Eine wei-
7
144
Kapitel 7 · Herzchirurgische Intensivmedizin
tere Faustregel besagt, dass die Verabreichung eines EK den Hämoglobinwert um einen Punkt anheben sollte. Ist dies nicht der Fall, so lässt sich der Blutverlust mit der Gabe von EK allein nicht beheben und stellt daher ein weiteres Kriterium für die Entscheidung über eine Re-Thorakotomie dar. Besondere Beachtung verdienen die Nebenwirkungen von Blut und Blutprodukten:
7
4 hämolytische Transfusionsreaktion vom Soforttyp, 4 hämolytische Transfusionsreaktion vom verzögerten Typ, 4 febrile, nichthämolytische Transfusionsreaktion, 4 allergische Transfusionsreaktion, 4 transfusionsassoziierte akute Lungeninsuffizienz (»transfusion-related acute lung injury«, TRALI), 4 Transfusionsreaktionen durch bakterielle Kontamination, 4 transfusionsassoziierte Infektionen. Insbesondere die transfusionsassoziierte akute Lungeninsuffizienz führt bei ohnehin kompliziertem Verlauf mitunter zu differenzialdiagnostischen und therapeutischen Problemen. 7.4.5.2
Thrombozytenkonzentrate (TK)
TK kommen in der herzchirurgischen Intensivmedizin zur Behandlung thrombozytärer Umsatzstörungen zum Einsatz. Als Grenzwert, ab dessen Unterschreiten TK verabreicht werden sollten, gilt bei akuter Blutung eine Thrombozytenzahl von <50/nl (<50.000/μl), beim stabilen Patienten eine Thrombozytenzahl von <10/nl (<10.000/μl). Nach Gabe eines TK darf mit einem Anstieg der Thrombozytenzahl um etwa 30/nl (30.000/μl) gerechnet werden. 7.4.5.3
Gefrorenes Frischplasma (»fresh frozen plasma«, FFP)
Gefrorenes Frischplasma enhält im Mittel pro Milliliter etwa eine Einheit an allen Gerinnungsfaktoren und deren Inaktivatoren, wobei erhebliche Schwankungen nach oben oder unten vorkommen können. Als Indikationen zur Gabe von FFP gelten 4 die Notfallbehandlung bei klinisch manifester Blutungsneigung und bei akuten Blutungen aufgrund einer komplexen Störung des Hämostasesystems, wie sie nach lang andauernder extrakorporaler Zirkulation angenommen werden darf, sowie 4 die Verlust- und/oder Verdünnungskoagulopathie bei Patienten mit starkem Blutverlust und bei Massivtransfusionen. Als Faustregel gilt, dass pro 4 EK ein FFP verabreicht werden sollte. Eine Menge von 1 ml FFP/kg KG erhöht den Faktoren- und Inaktivatorengehalt um etwa 1–2 %; cum grano salis gilt dies auch für das Anheben des Quick-Wertes in Prozent.
Nur der Vollständigkeit halber sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass FFP kein Mittel zur Volumensubstitution darstellt. 7.4.5.4
PPSB
PPSB – ein Konzentrat aus den Faktoren II, VII, IX und X sowie den Proteinen C, S und Z – enthält die genannten Gerinnungsfaktoren, wobei die Faktoren II, VII, IX und X (Prothrombinkomplex) prokoagulatorisch wirksam sind, wohingegen die Proteine C und S inhibitorisch wirken. Protein Z kann sowohl prokoagulatorisch als auch inhibitorisch wirksam sein. Die Abkürzung PPSB folgt der Bezeichnung der Gerinnungsfaktoren: II – Prothrombin, VII – Prokonvertin, X – Stuart-Prower-Faktor, IX – antihämophiler Faktor B. Ein Mangelzustand an Prothrombinkomplex prädisponiert zu Blutungen, ein Protein-C- und -S-Mangel dagegen zu Thromboembolien. Der Protein-Z-Mangel ist teilweise mit einer erhöhten Blutungsneigung vergesellschaftet. PPSB ist auch bei komplexen Hämostasestörungen auf keinen Fall das Mittel der ersten Wahl, da es im Gegensatz zu den vorgenannten Blutprodukten von einer großen Zahl unterschiedlicher Spender stammt, was ein erhöhtes Risiko für die oben genannten Nebenwirkungen erwarten lässt. Der Mangel an Prothrombinkomplex kann jedoch so ausgeprägt sein, dass trotz Gabe von FFP zusätzlich eine Substitution mit PPSB erforderlich ist. Als Faustregel für die Dosierung von PPSB gilt: PPSB (E) = Körpergewicht (kg) × gewünschter Faktorenanstieg (%) bzw. Quick-Wert-Anstieg (%) 7.4.5.5
Rekombinanter Faktor VIIa (rhVIIa)
Vor einiger Zeit von der Industrie aggressiv beworben, stellt die Gabe von rhVIIa inzwischen eine seltene Maßnahme bei als unbeherrschbar imponierenden Blutungen dar. Als Initialdosis werden 4,5 KIE (90 μg)/kg KG als Bolus über 2–5 min empfohlen. Eine zweite Gabe nach 30–60 min wird bei fortbestehender unstillbarer Blutung diskutiert. Als wesentliche Nebenwirkung gelten thromboembolische Ereignisse, mit denen man mit einer Häufigkeit von etwa 5 % rechnen muss. Eine endgültige Bewertung für die herzchirurgische Intensivmedizin erscheint bei der sehr übersichtlichen Literatur noch nicht möglich (Warren et al. 2007). 7.4.5.6
Antithrombin III (AT III)
Wann und ab welchem Wert AT III verabreicht werden sollte, ist unklar. Der Praktiker wird einen niedrigen AT-IIIWert nur bei klarer Indikaion korrigieren, z. B. bei Mehrorganversagen mit Lebersynthesestörung. Ansonsten hat AT III seinen Stellenwert v. a. bei der Optimierung einer kontinuierlichen Heparintherapie, z. B. bei extrakorporaler Nierenersatztherapie. Dabei gilt als Faustregel, dass 1 E AT III/kg KG die Antithrombinaktivität um 1–2 % verstärkt.
145 7.5 · Spezielle intensivmedizinische Maßnahmen
7.4.6
Ernährung
Die Fragen, ob, ab wann und wie Intensivpatienten ernährt werden müssen, sind in 2 lesenswerten Leitlinien ausführlich abgehandelt (Deutsche Gesellschaft für Ernährungsmedizin 2003; Kreymann et al. 2006). Demnach benötigen Patienten, die voraussichtlich innerhalb von 3–7 Tagen wieder essen und trinken können, keine Form einer Ernährung. Dies trifft für die meisten herzchirurgischen Patienten zu. Patienten, die sich voraussichtlich nicht innerhalb des genannten Zeitraums selbstständig ernähren können, benötigen eine zusätzliche Kalorienzufuhr, und zwar so früh wie möglich, d. h. innerhalb von 24 h. Damit ist das Dilemma umschrieben, da man nicht bei jedem Patienten innerhalb von 24 h weiß, ob er sich selbst ernähren können wird. Der Erfahrene kann allerdings zumindest mit hoher Wahrscheinlichkeit abschätzen, welcher Patient sich zum kritisch Kranken entwickeln wird. Bei dieser Patientengruppe sollte frühzeitig mit der Ernährung begonnen werden, wobei der enteralen Ernährung der Vorzug zu geben ist. Da insbesondere die kritisch kranken herzchirurgischen Intensivpatienten nicht selten eine gastrointestinale Passagestörung aufweisen, die auch mit den üblichen adjuvanten Maßnahmen (Oberkörperhochlagerung, Positionierung der Ernährungssonde im Jejunum, Gabe motilitätsfördernder Medikamente) nicht immer überwunden werden kann, wird man enteral nicht die nötige Menge an Kalorien (20–25 kcal/kg KG/Tag) zuführen können. In diesen Fällen muss zusätzlich oder ausschließlich parenteral ernährt werden, da man heute davon ausgeht, dass der frühe Zeitpunkt der Kalorienzufuhr wichtiger ist als der Weg der Verabreichung. Das Problem der parenteralen Ernährung ist die häufig dadurch induzierte Hyperglykämie, die in vielen, insbesondere den vor 2001 veröffentlichten Studien zu einer erhöhten Infektionsrate geführt und die parenterale Ernährung vorübergehend erheblich in Misskredit gebracht hat. Nachdem die negativen Konsequenzen der Hypoglykämie für herzchirurgische Patienten und für infektiöse Komplikationen als nachgewiesen gelten dürfen (van den Berghe et al. 2001), ist es hochwahrscheinlich, dass die in früheren Studien beobachtete höhere Infektionsrate nur wenig mit der parenteralen Form der Ernährung und sehr viel mit der Hyperglykämie zu tun hatte. Zudem sollte sich das Problem der Hyperglykämie im Rahmen der parenteralen Ernährung mit einer entsprechend intensiven Insulintherapie lösen lassen.
7.4.7
Verlegung von der Intensivstation
Die Beantwortung der Frage, welcher Patient von der Intensivstation verlegt werden kann, sollte ausschließlich medizinischen Kriterien folgen und ist abhängig von der Art der Station, auf die verlegt wird:
4 Handelt es sich um eine »Intermediate-care«-Station kann ein wacher, ansprechbarer, extubierter, hämodynamisch und rhythmologisch stabiler Patient auch dann verlegt werden, wenn er noch ein engmaschiges Basismonitoring, eine intensive pflegerische Betreuung und eine organunterstützende Therapie benötigt. Dabei beinhaltet die auf der »Intermediate-care«-Station durchgeführte organunterstützende Therapie neben der intensiven Atemgymnastik ausschließlich medikamentöse Maßnahmen. 4 Auf einer Normalstation ist nur ein solcher Patient führbar, der die in Abschnitt 7.4.1 aufgeführten Kriterien erfüllt und weder ein kontinuierliches Monitoring noch organunterstützende Maßnahmen, insbesondere keine kontinuierlich über Perfusor verabreichte Medikamente, mehr benötigt. 4 Ein Patient, der eine organersetzende Therapie benötigt, hämodynamisch instabil ist sowie komplexe ventrikuläre Rhythmusstörungen oder einen RamsayScore von >3 aufweist, muss auf der Intensivstation verbleiben. Es ist kein Geheimnis, dass im klinischen Alltag der Wunsch nach freien intensivmedizinischen Kapazitäten mitunter den Blick auf die Wirklichkeit des Patientenzustandes verstellt. Dies hat bisweilen unerwünschte Folgen, und der Patient muss auf die Intensivstation zurückverlegt werden. Die Rate an Rückverlegungen auf die Intensivstation stellt insofern ein Kriterium für die Qualität der Entscheidungsfindung dar. Sie sollte bei 3 % oder darunter liegen; übersteigt sie 5 %, ist es an der Zeit, die Verlegungskriterien zu überdenken.
7.5
Spezielle intensivmedizinische Maßnahmen
7.5.1
Einleitung
7.5.1.1
Bedeutung der Kommunikation
Gerade bei kritisch kranken Patienten ist die Bedeutung der Kommunikation mit dem Patienten selbst und seinen Angehörigen, aber auch mit den ärztlichen und nichtärztlichen Mitarbeitern auf der Intensivstation von großer Bedeutung. Die genannten Personengruppen stellen das Team dar, mit dem frühzeitig das Gespräch gesucht und die Situation des Patienten täglich neu analysiert und kommuniziert sowie die Ziele und Erwartungen für die nächsten 24 h festgelegt werden sollten. Ein gewisses Mindestmaß an Einfühlsamkeit und Fingerspitzengefühl vorausgesetzt, lässt sich dadurch eine Vertrauensbasis schaffen, die es ermöglicht, schwerwiegende und finale Entscheidungen in einem unaufgeregten Konsens zu treffen. Ebenso sollte die Möglichkeit, geistlichen Beistand und/oder psychologisch geschulte Mitarbeiter frühzeitig hinzuzuziehen, erwogen werden,
7
146
Kapitel 7 · Herzchirurgische Intensivmedizin
insbesondere bei einem absehbar langwierigen und komplizierten Verlauf. Nur in den ganz seltenen Fällen einer limitierten Möglichkeit der Informationsverarbeitung auf der Seite des Patienten oder seiner Angehörigen ist dieses Vorgehen wenig sinnvoll. Ansonsten lassen sich durch diese Art der offenen Kommunikation und Zuwendung viele Probleme vor ihrer Entstehung vermeiden, da bekanntermaßen mangelnde Kommunikation und Informationsdefizite die häufigsten Ursachen für Klagen jedweder Art sind. 7.5.1.2
7
Inzidenz von Organdysfunktionen und Organversagen
Exakte Daten zu diesem Punkt sind nur spärlich vorhanden. Weitere Probleme in der Zuordnung ergeben sich durch die unterschiedlichen Definitionen von Komplikationen bzw. des Organversagens. Dementsprechend groß sind die Unterschiede bei den Angaben zu Prävalenz und Letalität (. Tab. 7.6). Unter Berücksichtigung der vorhandenen Literatur und der Ergebnisse der BQS kann man davon ausgehen, dass etwa 20–25 % aller herzchirurgischen Patienten in Deutschland einen verlängerten Aufenthalt auf der Intensivstation aufweisen, der auf das Auftreten von Komplikationen schließen lässt und der mit einer deutlich erhöhten Sterblichkeit sowie einem erheblichen Ressourceneinsatz vergesellschaftet ist (Markewitz u. Lante 2006). Hinzu kommt, dass die verschiedenen Organ- und Enzymsysteme des Körpers miteinander in einer Art und Weise vernetzt sind, dass die Dysfunktion oder das Versagen eines Systems immer auch Einfluss auf die Funktion der anderen Systeme nimmt (Sealy u. Christou 2000). Folgerichtig ist bei den Problempatienten in aller Regel mehr als ein System von einer Dysfunktion betroffen. Mit den entsprechenden therapeutischen Strategien gelingt es häufig, die Situation für das betroffene Organ zu beherrschen. Aufgrund des unvollständigen Verständnisses der Interaktionen zwischen den Systemen bleibt die Letalität jedoch nach wie vor hoch. Dies wird sich möglicherweise erst dann ändern, wenn wir lernen, die Subsysteme des Körpers und ihre Interaktionen in einer für das Gesamtsystem positiven Weise zu beeinflussen. Bis dahin bleibt es unsere Aufgabe, die einzelnen Komplikationen und Probleme so gut wie möglich zu behandeln, wobei es von entscheidender Bedeutung ist, die Therapie an klar definierten Zielen festzumachen sowie diese Ziele kontinuierlich und situationsgerecht zu adjustieren.
Wie man dies erreichen kann, ist im Folgenden für die zahlenmäßig relevanten Probleme dargestellt.
7.5.2
Herz-Kreislauf-System
7.5.2.1
Postoperative Physiologie und Inzidenz der Herz-KreislaufInsuffizienz
Die zahlreichen Veränderungen der kardialen Physiologie in Abhängigkeit von der zugrunde liegenden Herzerkrankung und der Art der durchgeführten Operation – um nur 2 der Determinanten zu nennen – sind an anderen Stellen erschöpfend dargestellt. Für die postoperative Intensivtherapie herzchirurgischer Patienten entscheidend ist die gemeinsame Endstrecke dieser Veränderungen, die vorübergehend eingeschränkte kardiale Funktion. Diese zeigt sich u. a. in einer reduzierten myokardialen Compliance, d. h. das Herz ist postoperativ steifer, und die Füllungsdrücke sind höher. Präoperative Risikofaktoren wie ein hohes Lebensalter, eine eingeschränkte linksventrikuläre Auswurffraktion von <30 %, eine höhergradige Hauptstammstenose, das Vorliegen eines Diabetes mellitus mit seinen sekundären vaskulären Veränderungen, eine Niereninsuffizienz oder eine symptomatische Lungenerkrankung erhöhen die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten einer postoperativen Herz-Kreislauf-Insuffizienz ebenso wie intraoperative Komplikationen (St. André u. DelRossi 2005). Daher reicht bei vielen Patienten die reine Volumengabe nicht aus, und die Herz-Kreislauf-Funktion muss medikamentös unterstützt werden. Eine höher dosierte medikamentöse Kreislaufunterstützung (Dopamin und/oder Dobutamin in einer Dosierung von >5 μg/kg KG/min) ist in etwa einem Drittel aller Fälle erforderlich (Vargas-Hein et al. 2006), und eine mechanische Kreislaufunterstützung wird bei 4–5 % der Patienten notwendig (Bundesgeschäftsstelle für Qualitätssicherung 2008; Vargas-Hein et al. 2006). 7.5.2.2
Ziele der postoperativen Herz-Kreislauf-Therapie
In der interdisziplinär von herzchirurgischen und kardioanästhesiologischen Intensivmedizinern erstellten Leitlinie zum Thema (Carl et al. 2007) sind als Ziele der postoperativen Herz-Kreislauf-Therapie eine suffiziente Gewebeperfusion und eine Normalisierung des oxidativen Metabolismus definiert worden. Dabei ist das Sauerstoffangebot von
. Tab. 7.6. Prävalenz und Letalität des Organversagens nach herzchirurgischen Eingriffen Parameter
Organkomplikationen/versagen Herz-Kreislauf-System
Lunge
Niere
Gastrointestinaltrakt
Zentralnervensystem
Prävalenz [%]
4–7
3–9
1–5
1–3
1–5
Letalität [%]
38
20–25
40–80
10–100
20–25
147 7.5 · Spezielle intensivmedizinische Maßnahmen
einem adäquaten Herzzeitvolumen und damit von einem adäquaten intravasalen Volumen sowie einer suffizienten kardialen Pumpfunktion abhängig. Als messbare Zielparameter der postoperativen Kreislauftherapie werden empfohlen: 4 MAP von >65 mmHg, 4 ZVD von 8–12 mmHg (in Abhängigkeit von der Beatmung), 4 Diurese von >0,5 ml/kg KG/h, 4 Laktatkonzentration von <3 mmol/, 4 zentralvenöse Sauerstoffsättigung (ScvO2) von >70 % bzw. gemischtvenöse Sauerstoffsättigung (SvO2) von >65 %, 4 Herzindex von >2,0 l/min/m2 KOF, 4 pulmonalkapillärer Verschlussdruck (»pulmonary artery occlusion pressure«, PAOP; auch als »pulmonary capillary wedge pressure«, PCWP, bezeichnet) von 12– 15 mmHg, 4 linksventrikulärer enddiastolischer Querschnittsflächenindex (»left ventricular enddiastolic area index«, LV-EDAI) von 6–9 cm2/m2, 4 intrathorakaler Blutvolumenindex (ITBVI) von 850– 1000 ml/m2, 4 globaler enddiastolischer Volumenindex (GEDVI) von 640–800 ml/m2. Der MAP, d. h. der Gewebeperfusionsdruck, und der ZVD als unspezifischer rechtsventrikulärer Vorlastparameter werden von dem in den Leitlinien (Carl et al. 2007) empfohlenen Basismonitoring erfasst. Die stündliche Messung der Urinausscheidung als Parameter der Organperfusion zählt ebenso wie die Laktatspiegelbestimmung als Parameter der Organperfusion und -oxygenierung ebenfalls zum Standardprogramm der postoperativen Überwachung. Während die Messung der ScvO2 über den zentralvenösen Katheter als Maß der Gewebeoxygenierung ebenfalls keine das Basismonitoring übersteigenden Maßnahmen erfordert, macht die Messung der SvO2 ebenso wie die Messung des PAOP als linksventrikulärer Vorlastparameter die Insertion eines Pulmonaliskatheters notwendig, der auch für die Bestimmung des Herzindex als Maß der linksventrikulären Auswurfleistung verwendet werden kann. Der LV-EDAI als linksventrikulärer Vorlastparameter wird mittels transösophagealer Echokardiographie ermittelt. Der ITBVI und der GEDVI, die beide ebenfalls als Maß für die linksventrikuläre Vorlast gelten, werden durch die Pulskonturanalyse erfasst. Pulmonaliskatheter, transösophageale Echokardiographie und Pulskonturanalyse sind daher diejenigen Methoden, die in den Leitlinien (Carl et al. 2007) als erweitertes Monitoring definiert wurden und nicht routinemäßig Verwendung finden. In der Langfassung der Leitlinien findet sich eine ausführliche Diskussion über die Vor- und Nachteile sowie die Indikationen der jeweiligen Methoden.
7.5.2.3
Diagnostik der postoperativen Herz-Kreislauf-Insuffizienz
Folgende Parameter- und Befundkonstellation weist auf eine unmittelbar therapiebedürftige Herz-Kreislauf-Insuffizienz hin, die man auch als »low cardiac output syndrome« (LCOS) bezeichnet: 4 MAP von <60 mmHg, 4 Urinausscheidung von <0,5 ml/kg KG/h, länger als eine Stunde bestehend, 4 ScvO2 von <60 % bei einer SaO2 von 98 %, 4 Laktatkonzentration von >2,0 mmol/l, 4 periphere Vasokonstriktion mit kühlen Extremitäten im Sinne einer Zentralisation. ! Von ausschlaggebender Bedeutung für die Therapie der Herz-Kreislauf-Insuffizienz ist die rasche Intervention, da die Prognose dieser Komplikation ausgesprochen eng mit dem Faktor »Zeit« verknüpft ist, wie sowohl für herzchirurgische (Polonen et al. 2000) als auch für septische Patienten (Rivers et al. 2001) gezeigt werden konnte.
7.5.2.4
Ursachen, Formen und Differenzialdiagnosen des postoperativen »low cardiac output syndrome« (LCOS)
Die rasche Intervention sollte das Problem kausal beseitigen. Die Wahl der Therapie ist daher in erster Linie von der Ursache abhängig. Die häufigsten Ursachen des postoperativen LCOS sind: 4 Volumenmangel (Sonderform: Blutung), 4 Rhythmusstörungen, 4 Perikardtamponade, 4 Myokardinfarkt, 4 Linksherzinsuffizienz, 4 Rechtsherzinsuffizienz, 4 vasoplegisches Syndrom, 4 Maximalvariante: Herz-Kreislauf-Stillstand. Zuvor sollten überdies ein Spannungspneumothorax und eine kreislaufkompromittierende Einstellung der Beatmung ausgeschlossen werden. Zunächst gilt es, leicht korrigierbare Probleme zu beseitigen. Hierzu zählen der Volumenmangel und die Rhythmusstörungen.
Volumenmangel Ein Volumenmangel macht sich durch einen niedrigen ZVD sowie atemabhängige Schwankungen der Blutdruckkurve bemerkbar. Eine allfällige Ursache für einen Volumenmangel ist die Nachblutung, die durch erhöhte Fördermengen aus den Drainagen in Erscheinung tritt, sofern diese adäquat »gemolken« werden. Bei welcher Befundkonstellation die Therapie dieser Komplikation eine chirurgische ist, wird in Abschnitt 7.5.3 detailliert beschrieben.
7
148
Kapitel 7 · Herzchirurgische Intensivmedizin
Die kausale Therapie des Volumenmangels ist die Vorlastoptimierung durch Volumengabe. Dabei halten die Diskussionen über die Art des zu verwendenden Volumenersatzes an. Zur Verfügung stehen: 4 Kristalloide, die als Vollelektrolytlösungen verabreicht werden sollten, 4 Kolloide, die in Form von Hydroxyethylstärke (HAES) 130/0,4 (6 %), als succinylierte Gelatinepräparate oder als Humanalbumin zum Einsatz kommen sollten.
200–300 ml, gefolgt von einer kontinuierlichen Infusion bis zu einer Menge von max. 10 ml/kg KG (dies ist üblicherweise ein knapper Liter), die Zielparameter (MAP von >65 mmHg, ZVD von 8–12 mmHg, Urinausscheidung von >0,5 ml/kg KG/h, ScvO2 von >70 %) nicht erreicht, muss umgehend durch Einsatz des erweiterten hämodynamischen Monitorings die Ursache des LCOS geklärt werden.
Perikardtamponade
7
Nach der Gabe von kristalloidem Volumenersatzmittel verbleiben nur etwa 25 % intravasal, sodass im Vergleich zu den Kolloiden deutlich mehr Volumen verabreicht werden muss, um den gleichen Effekt zu erzielen. Daher bevorzugen viele herzchirurgische Intensivmediziner kolloide Volumenersatzmittel, ohne dass der Beweis geführt wäre, dass eines der genannten Präparate hinsichtlich des Überlebens der Patienten überlegen wäre. Bei den synthetischen Kolloiden ist die Möglichkeit der anaphylaktischen Reaktion nach Verabreichung von Gelatinepräparaten zu beachten, wobei die succinylierte Form in dieser Hinsicht am wenigsten auffällig geworden ist. Die Gabe von HAES ist mit einer erhöhten Blutungsneigung in Zusammenhang gebracht worden, wobei dies offenbar nur für die hochmolekularen, hochsubstituierten Präparationen wie HAES 200/0,5 (10 %), HAES 200/0,62 (10 % und 6 %) und HAES 450/0,7 (6 %) gilt, nicht jedoch für das heutzutage fast ausschließlich verwendete mittelmolekulare und niedrigsubstituierte HAES 130/0,4 (6 %). Weiterhin gibt es Berichte darüber, dass HAES die Nierenfunktion negativ beeinflussen kann, was wiederum v. a. die hochmolekularen, hochsubstituierten Präparationen betrifft, aber auch hyperonkotische Lösungen wie Humanalbumin 10 % und 20 %. Daher sollten diese Präparate nicht verwendet und überdies die Tagesdosisbeschränkungen für HAES beachtet werden; für das heute üblicherweise verwendete HAES 130/0,4 (6 %) wird die Maximaldosierung mit 50 ml/kg KG angegeben. Beim Albumin müssen der hohe Preis und das nicht vollständig eliminierte Infektionsrisiko erwähnt werden, was in vielen Kliniken dazu geführt hat, dass Albuminpräparate überhaupt nicht mehr zum Einsatz kommen. Nur der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass die Gabe von Blut und Blutprodukten als Volumenersatzmittel heutzutage als obsolet gilt (Nebenwirkungen wie TRALI und Infektionen, Kosten bei zunehmend schlechter Prognose).
Rhythmusstörungen Gleichzeitig mit der Überprüfung des intravasalen Volumenstatus müssen Rhythmusstörungen ausgeschlossen bzw. vorhandene und offensichtlich hämodynamisch wirksame Rhythmusstörungen umgehend therapiert werden. Wie dies im Einzelnen erfolgt, ist weiter unten erläutert. Werden trotz Beseitigung der Rhythmusstörungen und Vorlastoptimierung durch eine Volumenbolusgabe von
Eine Perikardtamponade demaskiert sich zumeist durch einen deutlich erhöhten ZVD, eine nachlassende Urinausscheidung und eine kalte Peripherie. Typischerweise tritt diese Komplikation dann auf, wenn initial höhere Fördermengen über die Drainagen plötzlich sistieren. Das Röntgenbild des Thorax zeigt ein deutlich verbreitertes Mediastinum, und anstelle der kranial und kaudal abgerundeten Herzsilhouette tritt die Zeltform. Alternativ oder zusätzlich kann die Diagnose durch eine transthorakale Echokardiographie gesichert werden; diese ist jedoch nicht immer eindeutig. Die Therapie besteht in der umgehenden Re-Thorakotomie, die bei instabilen Kreislaufverhältnissen und dadurch je nach lokalen Gegebenheiten fehlender Transportmöglichkeit auf der Intensivstation durchgeführt wird.
Myokardinfarkt Den perioperativen Myokardinfarkt erkennt man im EKG durch die typischen ST-Elevationen über der betroffenen Myokardregion, häufig begleitet von ventrikulären Rhythmusstörungen unterschiedlichen Schweregrades, sowie durch deutlich ansteigende Laborparameter wie TroponinI-Konzentration, Aktivität der CK und Aktivität der muskelspezifischen Unterform der CK, der CK-MB. Das weitere Vorgehen richtet sich nach patientenindividuellen Gesichtspunkten und dem Ausmaß der hämodynamischen Instabilität. Ist der Patient transportfähig, sollte eine notfallmäßige Koronarangiographie durchgeführt werden, der sich ggf. eine therapeutische perkutane Koronarintervention oder ein erneuter koronarchirurgischer Eingriff anschließt. Ist der Patient nicht transportfähig oder sind die Interventionsmöglichkeiten ausgeschöpft, wird die weiter unten beschriebene Stufentherapie der Herz-Kreislauf-Insuffizienz durch eine medikamentöse Therapie des Myokardinfarkts mit i. v. verabreichtem Nitroglyzerin, Acetylsalicylsäure, einem β-Blocker, einer adäquaten Analgesie und – je nach Gerinnungssituation – Heparin ergänzt. Weitere Details sind in der entsprechenden Leitlinie (Antman et al. 2004) festgehalten. Sind die genannten Ursachen ausgeschlossen, ist die differenzialdiagnostische Unterscheidung zwischen Linksherzversagen, Rechtsherzversagen, biventrikulärem Versagen und vasoplegischem Syndrom ohne das erweiterte Monitoring nicht möglich. In der Praxis wird das erweiterte Monitoring mittels transösophagealer Echokardiographie,
149 7.5 · Spezielle intensivmedizinische Maßnahmen
Pulmonalarterienkatheterisierung und Pulskonturanalyse durchgeführt.
Linksherzversagen Das Linksherzversagen bzw. die Linksherzinsuffizienz ist eine der wichtigsten postoperativen Komplikationen. Prädisponierend, aber nicht beeinflussbar sind: 4 hohes Lebensalter, 4 Ausmaß und Schweregrad der zugrunde liegenden Herzerkrankung, insbesondere eine Einschränkung der linksventrikulären Pumpfunktion, 4 vorausgegangene Herzoperationen, 4 Vorhandensein einer peripheren Gefäßerkrankung, 4 Dringlichkeit des herzchirurgischen Eingriffs. In Maßen beeinflussbar sind die intraoperativen prädisponierenden Faktoren wie die Dauer der Aortenabklemmzeit, die Qualität der Myokardprotektion sowie die Art und die Qualität der operativen Versorgung der zugrunde liegenden Herzerkrankung. Die wesentliche Ursache einer akuten Linksherzinsuffizienz nach einer Herzoperation ist eine myokardiale Überbeanspruchung durch Druck- und/oder Volumenbelastung. Sonderformen sind das »stunned myocardium« und das »hibernating myocardium«. Beim myokardialen »stunning« (Betäubung) handelt es sich um eine prinzipiell vollständig reversible, überwiegend diastolische, prolongierte myokardiale Dysfunktion nach einer kurzfristigen Myokardischämie. Erfolgt eine adäquate Revaskularisation und damit Reperfusion, treten keine irreversiblen Zellschäden auf; die Kontraktilität kann allerdings längerfristig eingeschränkt sein. Der Mechanismus des myokardialen »stunning« ist noch nicht vollständig geklärt. Es kann sowohl aus einer regionalen (akuter Koronararterienverschluss) als auch aus einer globalen Myokardischämie (kardioplegischer Herzstillstand) – eine anschließende adäquate Reperfusion vorausgesetzt – entstehen. Unter »hibernating myocardium« (Winterschlaf haltendes Myokard) wird die Reduktion der myokardialen Kontraktilität als sinnvolle Anpassung an eine reduzierte Koronardurchblutung im Sinne einer Drosselung der Myokardarbeit als Reaktion auf die verminderte Sauerstoffzufuhr verstanden. Nach Wiederherstellung der Sauerstoffzufuhr kann sich die kontraktile Funktion wieder erholen, bisweilen geht sie zunächst in einen »Stunned-Zustand« über. Alle Formen des erweiterten Monitorings sind zur Diagnostik eines Linksherversagens geeignet und zeigen eine Erniedrigung des Schlagvolumens und des Herzindex sowie eine Erhöhung von PCWP, ITBVI und/oder LV-EDAI bei eingeschränkter linksventrikulärer Kontraktionsleistung.
Rechtsherzversagen Das Rechtsherzversagen nach herzchirurgischen Operationen ist selten, stellt aber hohe Anforderungen an die behandelnden Intensivmediziner. Prädisponierend ist ein vorbestehender pulmonaler Hypertonus. Die Ursachen sind multifaktoriell; ein unzureichender kardioplegischer Schutz wird ebenso diskutiert wie ein Reperfusionsschaden oder eine perioperative Volumenüberlastung. Zusätzlich kann ein linksventrikuläres Versagen, eine anaphylaktoide Reaktion auf die Protamingabe oder die inflammatorische Reaktion auf den Eingriff die rechtsventrikuläre Nachlast akut erhöhen, die bei vorbestehendem pulmonalen Hypertonus bereits erhöht ist. Die Echokardiographie ist die Methode der Wahl und zeigt die für die akute rechtsventrikuläre Insuffizienz pathognomonische Kombination aus kleinem, gut kontrahierendem linken Ventrikel und großem, hypo- oder akinetischem rechten Ventrikel.
Vasoplegisches Syndrom Ein erniedrigter systemischer Gefäßwiderstand findet sich in etwa 20 % aller Fälle nach herzchirurgischen Operationen und wird üblicherweise mit Volumen und Noradrenalin therapiert (Carrel et al. 2000). In einem bestimmten Prozentsatz, der möglicherweise >5 % beträgt, findet sich eine noradrenalinrefraktäre Erniedrigung des systemischen Gefäßwiderstandes (Levin et al. 2004). Dieses bislang nur sehr schlecht verstandene Krankheitsbild wird als »vasoplegisches Syndrom« bezeichnet; ein Zusammenhang mit der präoperativen Gabe von ACE-Hemmern wird diskutiert (Carrel et al. 2000). Als Therapie finden Methylenblau und Vasopressin Verwendung, ohne dass derzeit eine endgültige Beurteilung über die Wirksamkeit der Therapie oder das Mittel der Wahl möglich wäre (Egi et al. 2007).
Herz-Kreislauf-Stillstand Die Maximalvariante des LCOS ist der Herz-Kreislauf-Stillstand, mit dem man in etwa 1–2 % der Fälle nach herzchirurgischen Operationen rechnen muss (European Resuscitation Council 2005). Häufigste Ursachen des postoperativen Herz-Kreislauf-Stillstandes sind (mod. nach European Resuscitation Council 2005): 4 Myokardischämie, 4 Spannungspenumothorax, 4 Perikardtamponade, 4 massive Blutung mit hypovolämischem Schock, 4 Schrittmacherdysfunktion bei Patienten mit geringem oder keinem Eigenrhythmus, 4 Elektrolytstörungen, v. a. Hypo- oder Hyperkaliämie Die Diagnosestellung gelingt unmittelbar durch die nur noch minimalen bzw. fehlenden Ausschläge der Blutdruckkurve auf dem Monitor; das EKG zeigt je nach Ursache unterschiedliche Konfigurationen mit den Maximalvarianten Asytolie und Kammerflimmern. Die Therapie muss
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Kapitel 7 · Herzchirurgische Intensivmedizin
unmittelbar erfolgen. Die entsprechende Leitlinie ist 2005 erneuert worden (European Resuscitation Council 2005) und enthält auf den Seiten S155–S156 ein eigenes, allerdings extrem kurzes Kapitel über den Herz-Kreislauf-Stillstand nach herzchirurgischen Eingriffen. Bisweilen reicht es zur Beherrschung der Situation aus, leicht reversible Ursachen zu beheben: Der Spannungspneumothorax wird durch eine Drainage entlastet, die Schrittmacherdysfunktion durch Rekonnektion der Kabel oder Wechsel der Batterien etc. korrigiert, die Elektrolytstörung ausgeglichen. Die Myokardischämie manifestiert sich zumeist als Kammerflimmern und wird durch einen Defibrillationsschock mit maximaler Energie, vorzugsweise als biphasischer Schock, terminiert, an den sich unmittelbar die kardiopulmonale Reanimation für 2 min anschließt. Herzdruckmassage und Beatmung erfolgen dabei im Verhältnis 30 : 2. Besteht das Kammerflimmern fort, wird die Sequenz wiederholt. Unmittelbar vor einem evtl. erforderlichen dritten Schock wird Adrenalin als Bolus (1 mg) verabreicht. Ist das Kammerflimmern auch dann noch nicht beseitigt, wird vor dem vierten Schock die Gabe von 300 mg Amiodaron empfohlen. Bei weiterer Erfolglosigkeit kann ein zusätzlicher 150-mg-Amiodaronbolus verabreicht werden; eine kontinuierliche Infusion mit 900 mg über 24 h schließt sich an. Als Antiarrhythmikum der zweiten Wahl steht Lidocain (100 mg als Bolus, ggf. einmal wiederholen, danach kontinuierlich) zur Verfügung. Während dieser Bemühungen wird alle 3–5 min (d. h. bei jeder zweiten Schock-Reanimations-Sequenz) zusätzlich Adrenalin als Bolus gegeben. Persistiert das Kammerflimmern trotz aller Bemühungen, kann versucht werden, durch einen Wechsel der Position der Defibrillationselektroden und/oder das Aufbringen von
. Abb. 7.2. Therapeutisches Vorgehen bei HerzKreislauf-Stillstand. PEA pulslose elektrische Aktivität; VF Kammerflimmern; VT ventrikuläre Tachykardie. Mod. nach European Resuscitation Council 2005
mehr Elektrodengel die Erfolgsaussichten zu erhöhen. In extrem seltenen Fällen einer andauernden Erfolglosigkeit handelt es sich um einen nicht defibrillierbaren Rhythmus mit extrem ungünstiger Prognose (European Resuscitation Council 2005). Die kardiopulmonale Reanimation bei einem nicht defibrillationspflichtigen Rhythmus, z. B. bei pulsloser elektrischer Aktivität oder Asystolie, entspricht der oben angegebenen Abfolge ohne Schock und Gabe von Antiarrhythmica (European Resuscitation Council 2005). . Abbildung 7.2 fasst das Vorgehen zusammen. ! Insgesamt sollte man im Fall herzchirurgischer Patienten nicht zu viel Zeit mit der externen Herzdruckmassage verbringen, sondern bei offensichtlicher Erfolglosigkeit der Bemühungen eine sofortige ReThorakotomie durchführen. Eine Perikardtamponade als Ursache des Herz-Kreislauf-Stillstandes kann dadurch umgehend beseitigt, eine Blutung zumindest diagnostiziert, in vielen Fällen auch chirurgisch beherrscht werden. Zudem sind die Möglichkeiten der internen Herzdruckmassage und der internen Defibrillation gegeben.
Die Prognose der auf diese Art behandelten Patienten ist in Abhängigkeit von Zeitpunkt und Ort des Auftretens sowie vom Zeitintervall zwischen akutem Ereignis und Intervention nicht ungünstig: 33 % der Patienten, bei denen eine Re-Thorakotomie aufgrund eines Herz-Kreislauf-Stillstandes auf der Intensivstation erfolgte, überlebten; die Überlebensrate betrug 48 %, wenn die Re-Thorakotomie innerhalb der ersten 10 min nach dem akuten Ereignis durchgeführt werden konnte (Mackay et al. 2002).
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7.5.2.5 Therapie des LCOS Medikamentöse Kreislaufunterstützung
Die Therapie des LCOS besteht – abgesehen von den oben genannten chirurgisch und/oder interventionell zu behebenden Problemen – zunächst in der kontinuierlichen Verabreichung von kreislaufwirksamen Substanzen, die im Folgenden kurz vorgestellt werden (eine ausführliche Übersicht mit entsprechenden Literaturhinweisen findet sich in der Langfassung von Carl et al. 2007). Natürliche Katecholamine. Hierzu zählen Dopamin, Adre-
nalin und Noradrenalin: 4 Dopamin: Dopamin aktiviert β- und α-Adrenozeptoren
und im Gegensatz zu anderen Katecholaminen auch dopaminerge Rezeptoren. Die über diese Rezeptoren vermittelten Effekte sind je nach Dosierung des Dopamins unterschiedlich: 5 Dosierung von 0,5–3 μg/kg KG/min: Vasodilatation der Gefäße der Niere und des Splanchnikusgebiets durch überwiegende Stimulation der dopaminergen Rezeptoren; 5 Dosierung von 3–5 μg/kg KG/min: Erhöhung der Herzfrequenz und des Herzzeitvolumens sowie Erhöhung des arteriellen und pulmonalarteriellen Drucks durch überwiegende Stimulation der β-Adrenozeptoren; 5 Dosierung von >5 μg/kg KG/min: Anstieg des systemischen Gefäßwiderstandes durch Stimulation von α-Adrenozeptoren, die durch eine zusätzliche Noradrenalinfreisetzung aus den sympathischen Vesikeln verstärkt wird. Gleichzeitig kommt es zu einem unerwünschten Anstieg des pulmonalarteriellen Mitteldrucks und des PCWP, die durch die Gabe von Vasodilatoren korrigierbar sein können. 5 An weiteren Nebenwirkungen – insbesondere bei längerer Anwendung – sind zu nennen: Suppression der Sekretion von Hypophysenvorderlappenhormonen, Ischämie der Mukosa des Gastrointestinaltrakts und, wie bei allen Katecholaminen, Erhöhung des myokardialen Sauerstoffverbrauchs. ! Die niedrigdosierte Gabe von Dopamin zur Prophylaxe oder Therapie eines Nierenversagens ist nach den Ergebnissen der Literatur (Lassnigg et al. 2000) sinnlos (s. auch Abschnitt 7.5.5, »Prävention«).
4 Adrenalin: Adrenalin aktiviert β1-, β2- und α-Adrenozeptoren. Die über diese Rezeptoren vermittelten Effekte sind je nach Dosierung unterschiedlich: 5 Dosierung von 0,02–0,05 μg/kg KG/min: Steigerung der Inotropie durch überwiegende Stimulation der β1-Adrenozeptoren; 5 Dosierung von 0,05–0,2 μg/kg KG/min: Steigerung der Inotropie und des Gefäßwiderstandes durch Stimulation der β- und α-Adrenozeptoren;
5 Dosierung von >0,2 μg/kg KG/min: Steigerung des Gefäßwiderstandes durch überwiegende Stimulation der α-Adrenozeptoren. 5 An Nebenwirkungen sind zu nennen: Tachykardie, Anstieg des pulmonalarteriellen Mitteldrucks und des PCWP, selektive Minderperfusion im Splanchnikusgebiet sowie Erhöhung des myokardialen Sauerstoffverbrauchs. ! Nicht zuletzt aufgrund der Nebenwirkungen ist man allgemein der Ansicht, dass Adrenalin nicht als Mittel der ersten Wahl eingesetzt werden sollte und wenn, dann nur in möglichst geringer Dosierung.
4 Noradrenalin: Noradrenalin aktiviert überwiegend α-Adrenozeptoren, stimuliert aber auch β-Adrenozeptoren und hier vornehmlich β1-Adrenozeptoren. Noradrenalin wirkt über eine Vasokonstriktion der peripheren Gefäße, wobei das Herzzeitvolumen durch eine gleichzeitige Steigerung der Kontraktilität über β1-Adrenozeptoren des Herzens trotz der Erhöhung des peripheren Widerstandes meist unbeeinflusst bleibt. In der Summe resultiert eine Steigerung des systemischen Perfusionsdrucks aller Organe. An Nebenwirkungen sind zu nennen: Tachykardie (allerdings weniger ausgeprägt als bei Adrenalin) sowie Anstieg des pulmonalarteriellen Mitteldrucks und des PCWP. Im Gegensatz zu Dopamin und Adrenalin bewirkt Noradrenalin offensichtlich keine selektive Minderperfusionen bestimmter Versorgungsgebiete, insbesondere keine Einschränkung des renalen Blutflusses. ! Noradrenalin ist der Vasopressor der ersten Wahl und wird klinisch v. a. in 2 Situationen eingesetzt: 4 wenn sich bei einem stark erniedrigten peripheren Gefäßwiderstand und dadurch erhöhtem Herzzeitvolumen durch die Verabreichung von Volumen und/oder positiv inotropen Substanzen kein ausreichender Blutdruck erzielen lässt, 4 um den initialen Blutdruckabfall bei der Therapie mit Phosphodiesterase-III-Hemmern abzufangen.
Synthetische Katecholamine. Hierzu zählen Dobutamin und Dopexamin: 4 Dobutamin: Dobutamin ist ein synthetisches Dopaminderivat, das relativ spezifisch die β1-Adrenozeptoren und deutlich weniger die β2- und α-Adrenozeptoren aktiviert. Dobutamin wirkt positiv inotrop und positiv lusitrop (verbesserte Myokardrelaxation während der Diastole) und führt überdies zu einer gewissen Vasodilatation. Dadurch steigt das Herzzeitvolumen. An Nebenwirkungen ist v. a. die Tachykardie, aber auch die Erhöhung des myokardialen Sauerstoffverbrauchs zu nennen.
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Kapitel 7 · Herzchirurgische Intensivmedizin
! Es fehlen die bei anderen Katecholaminen beobachtete Steigerung des pulmonalarteriellen Mitteldrucks und des PCWP, ebenso die selektive Minderperfusion bestimmter Versorgungsgebiete. Daher gilt Dobutamin als Katecholamin der ersten Wahl zur Steigerung der myokardialen Kontraktilität und wird insbesondere beim LCOS, das mit erhöhten kardialen Füllungsdrücken bzw. erhöhten systemischen und/oder pulmonalen Widerständen einhergeht, eingesetzt.
4 Dopexamin: Dopexamin ist ein synthetisches dopaminanaloges Katecholamin und aktiviert die β2- sowie dopaminerge Rezeptoren, insbesondere die DA1-Rezeptoren, weniger ausgeprägt auch die DA2-Rezeptoren. Daraus resultiert eine vasodilatierende Wirkung.
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! Nachdem Berichte über den Einsatz von Dopexamin zur Verbesserung der intestinalen und renalen Perfusion widersprüchliche Ergebnisse erbrachten, gibt es derzeit keine Indikation zum Einsatz dieser Substanz.
Vasodilatatoren. Hierzu zählen folgende Substanzen: 4 Phosphodiesterase-III-Hemmer: Phosphodiesterase-
III-Hemmer, die als Amrinon, Milrinon und Enoximon im klinischen Einsatz sind, wirken im Gegensatz zu den Katecholaminen rezeptorunabhängig. Sie erhöhen die intrazelluläre cAMP-Konzentration durch Blockade des cAMP-Abbaus. Der Konzentrationsanstieg des cAMP führt zu einem vermehrten Kalziumeinstrom in die Zelle und zu einer erhöhten Kalziumfreisetzung aus dem sarkoplasmatischen Retikulum. Gleichzeitig wird in der glatten Gefäßmuskulatur durch die erhöhte cAMP-Konzentration die intrazelluläre Kalziumsequestrierung gesteigert, was eine Relaxation der glatten Muskulatur und damit eine Vasodilatation bewirkt. Weiterhin führen Phosphodiesterase-III-Hemmer am Sinusknoten über einen cAMP-abhängigen Kalziumeinstrom zu einer Steigerung der Herzfrequenz und verbessern die atrioventrikuläre Reizleitung. Dennoch – und damit in deutlichem Gegensatz zu den Katecholaminen – nimmt der kardiale Sauerstoffverbrauch bei Gabe von Phosphodiesterase-III-Hemmern kaum zu, da die Effekte der positiv inotropen Wirkung auf den kardialen Sauerstoffverbrauch durch die gleichzeitige Vor- und Nachlastsenkung ausgeglichen werden. In der Summe resultiert eine positiv inotrope Wirkung mit Anstieg des Herzzeitvolumens bei deutlicher Reduktion der kardialen Füllungsdrücke sowie des pulmonalen und systemischen Gefäßwiderstandes in Verbindung mit einer positiv chronotropen und positiv dromotropen Wirkung. Eine positiv lusitrope Wirkung durch Steigerung der Kalziumwiederaufnahme in das sarkoplasmatische Retikulum wird diskutiert. An Nebenwirkungen des Amrinons ist die Thrombozytopenie zu nennen, die für Milrinon und Enoximon bislang nicht
berichtet wurde. Weiter sind die Erhöhung des pulmonalen Shunt-Volumens und die ausgeprägte Vasodilatation zu erwähnen, wobei Letztere häufig den zusätzlichen Einsatz von Vasopressoren erforderlich macht. Ebenso sind die lange Halbwertszeit und die dadurch bedingte schlechte Steuerbarkeit als Nachteile zu betrachten. ! Daher beschränkt sich der klinische Einsatz der Phosphodiesterase-III-Hemmer zumeist auf Situationen, in denen das sehr ähnlich wirkende Dobutamin aufgrund einer vorbestehenden medikamentösen β-Blockade oder einer Herunterregulation der β-Rezeptoren wirkungslos bleibt.
4 Kalziumsensitizer: Levosimendan als derzeit einziger klinisch verfügbarer Kalziumsensitizer wirkt rezeptorunabhängig und ohne Vermittlung eines »second messenger« wie cAMP durch Sensibilisierung des kardiospezifischen Troponin C für Kalzium. Dadurch wird die Ausbildung von Aktin-Myosin-Querbrücken erleichtert, was eine erhöhte Kraftentwicklung der kontraktilen Elemente der Herzmuskelzelle zur Folge hat. Da dieser Vorgang von der intrazellulären Kalziumkonzentration abhängig ist, findet er nur während der Systole statt, wohingegen die diastolische Funktion nicht beeinflusst wird. Der kardiale Sauerstoffverbrauch nimmt allenfalls geringfügig zu. Auf die glatte Muskulatur wirkt Levosimendan über eine Aktivierung der ATP-abhängigen Kaliumkanäle relaxierend. ! Nachdem Levosimendan über den gleichen Mechanismus möglicherweise Zellschädigungen verhindern kann, erscheint sein Einsatz zur Steigerung der Inotropie beim ischämischen »Stunned-Myokard« besonders vorteilhaft. Dem steht als wesentlicher Nachteil insbesondere die bisweilen ausgeprägte Vasodilatation entgegen, sodass die Verabreichung von Levosimendan zum jetzigen Zeitpunkt lediglich im Sinne eines Heilversuchs bei Patienten mit einem LCOS, das durch eine systolische Dysfunktion bedingt ist, empfohlen werden kann. Die bislang nicht erfolgte Zulassung schränkt die Anwendung weiter ein.
4 Nitroglyzerin: Nitroglyzerin führt zu einer Erweiterung der Gefäße, v. a. im venösen und koronaren, aber auch im arteriellen Gefäßgebiet. Es hat sein primäres Einsatzgebiet in der Prophylaxe und Therapie einer Myokardischämie. Weiter wird es, zumeist additiv, zur Therapie eines erhöhten pulmonalarteriellen Drucks und der Rechtsherzinsuffizienz eingesetzt. An wesentlichen Nebenwirkungen sind die Herzfrequenzsteigerung und, insbesondere bei höherer Dosierung, der Abfall des systemischen Blutdrucks zu nennen. Weiter kann die Hemmung der hypoxischen pulmonalen Vasokonstriktion über eine Erhöhung des intrapulmonalen Rechts-links-Shunts zu einer Verschlechterung der
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Oxygenierung sowie zu einer Erhöhung der alveoloarteriellen Sauerstoffpartialdruckdifferenz führen. Schließlich kann es bei höherer Dosierung zu heftigen Kopfschmerzen kommen und bei längerer Anwendung zur Entwicklung einer Toleranz, d. h. zur Abschwächung der Wirkung. ! Die aufgrund der geringen Ausprägung limitierte klinische Relevanz der unerwünschten Wirkungen lässt jedoch eine nahezu uneingeschränkte Empfehlung für den Einsatz von Nitraten zur Vor- und Nachlastsenkung bei akuter Herzinsuffizienz zu.
4 Natriumnitroprussid: Natriumnitroprussid führt über eine Senkung insbesondere der Nachlast, aber auch der Vorlast zur systolischen und diastolischen Entlastung des Herzens und damit sekundär zu einer Verbesserung der Pumpfunktion. Gleichzeitig wird der myokardiale Sauerstoffverbrauch gesenkt. ! Natriumnitroprussid findet daher in Situationen Anwendung, in denen ein LCOS mit einem erhöhten periphervaskulären Widerstand einhergeht. Wie Nitroglyzerin kann Natriumnitroprussid zu einer Verschlechterung der Oxygenation führen. Die klinisch schwerwiegendere unerwünschte Wirkung ist jedoch die mögliche Zyanidvergiftung. Daher sollte jede Natriumnitroprussidinfusion von der Verabreichung einer Natriumthiosulfatlösung begleitet sein.
4 Prostanoide: Prostaglandin E1 ist der Prototyp dieser Substanzklasse. Prostanoide steigern die Aktivität der Adenylatzyklase. Die resultierende intrazelluläre Erhöhung der cAMP-Konzentration führt zu einer Abnahme der Kalziumkonzentration in den Gefäßmuskelzellen. Das Endresultat ist eine Gefäßdilatation. ! Prostaglandin E1 wird, wenn überhaupt, zur Therapie einer pulmonalen Hypertonie eingesetzt, hat sich aber im Routinebetrieb nicht durchsetzen können, da es neben dem pulmonalen Gefäßwiderstand auch den systemischen Gefäßwiderstand senkt und zu intrapulmonalen Rechts-links-Shunts führt
4 Inhalative Vasodilatatoren: Demgegenüber werden die inhalativ verabreichbaren Vasodilatatoren wie Stickstoffmonoxid (NO), Prostazyklin oder das Prostazyklinanalogon Iloprost häufiger zur Therapie einer pulmonalen Hypertonie eingesetzt. NO wirkt über eine Aktivierung der Guanylatzyklase (cGMP) und führt zu einer selektiven Dilatation der pulmonalen Gefäße. Der Abfall des pulmonalvaskulären Widerstandes und die Umverteilung des pulmonalen Blutflusses in ventilierte Lungenbezirke reduzieren den pulmonalarteriellen Druck und verbessern die arterielle Oxygenierung. NO wird rasch durch Hämoglobin inaktiviert, sodass im Gegensatz zu i. v. Vasodilatatoren kein Effekt auf den systemischen Gesamtwiderstand resultiert. NO ist al-
lerdings nur für den Einsatz bei Neugeborenen zugelassen. Zudem wird ein speziell für die Verneblung von NO geeignetes Beatmungsgerät benötigt, was die klinische Anwendung limitiert. Letzteres trifft v. a. deswegen zu, weil für NO lebensbedrohliche Rebound-Phänomene bei abruptem Absetzen der NO-Verneblung beschrieben sind, sodass im Prinzip ein Ersatzgerät bereitgehalten werden muss, was die Ressourcen vieler Kliniken überfordern dürfte. Demgegenüber scheinen die ebenfalls als Nebenwirkungen genannte toxische Methämoglobinämie und die verstärkte Blutungsneigung bei den üblicherweise verwendeten Dosierungen von ≤20 ppm keine Rolle zu spielen. ! Für die inhalativ verabreichten Prostanoide treffen die genannten Limitationen nicht zu, sodass insbesondere Iloprost häufiger als NO mit ähnlich positiven Ergebnissen eingesetzt wird. Es ist aber zu betonen, dass eine Therapieempfehlung momentan bei fehlender Zulassung nur im Sinne eines Heilversuchs ausgesprochen werden kann.
4 Alternative Vasodilatatoren: Die Einschränkung einer nicht möglichen Therapieempfehlung bei fehlender Zulassung gilt noch mehr für den oral zu verabreichenden Phosphodiesterase-V-Hemmer Sildenafil, für den Wirkungen wie bei NO und Prostanoiden beschrieben wurden, für den bislang aber nur sehr wenige Erfahrungsberichte vorliegen. Vasopressoren. Primäres Einsatzgebiet der Vasopressoren
sind Situationen, in denen die Kombination einer Optimierung des Volumenstatus und einer positiv inotropen Therapie trotz eines Anstiegs des Herzzeitvolumens nicht ausreichend ist, um einen arteriellen Perfusionsdruck zu erzielen, der eine ausreichende Organdurchblutung gewährleistet. Zu den Vasopressoren zählen außer dem bereits oben erwähnten Noradrenalin das Vasopressin und das Methylenblau: 4 Vasopressin: Vasopressin entfaltet seine Wirkung über eine Vasopressin-1-Rezeptor-vermittelte Erhöhung der intrazellulären Kalziumkonzentration. Vasopressin ist ein außerordentlich wirksamer Vasopressor und scheint insbesondere beim seltenen vasoplegischen Syndrom, d. h. in Situationen, in denen trotz hochdosierter Noradrenalingabe der systemische Gefäßwiderstand nicht oder nur marginal ansteigt, nützlich zu sein. Allerdings konnte sowohl bei hoch- als auch bei niedrigdosiertem Einsatz von Vasopressin eine erhebliche Beeinträchtigung der Mikrozirkulation nachgewiesen werden. ! Daher erfolgt der Einsatz von Vasopressin derzeit nur als Ultima Ratio und nach Möglichkeit in niedriger Dosierung. In der mehrfach erwähnten Leitlinie (Carl et al. 2007) wird auf eine Empfehlung ganz verzichtet.
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Kapitel 7 · Herzchirurgische Intensivmedizin
. Tab. 7.7. Dosierungen positiv inotroper und vasoaktiver Substanzen. Mod. nach Carl et al. (2007) Substanz
Bolusgabe
Dosierungsrate
Dopamin
Keine
4 <3 μg/kg KG/min: renale Wirkung 4 3–5 μg/kg KG/min: β-adrenerge Wirkung 4 >5 μg/kg KG/min: β- und α-adrenerge Wirkung
Dobutamin
Keine
2–20 μg/kg KG/min (β-adrenerge Wirkung)
Adrenalin
In Reanimationssituationen
0,05–2,5 μg/kg KG/min
Noradrenalin
Keine
0,2–1,0 μg/kg KG/min
Milrinon
Dosis: 25–75 μg/kg KG über 20 min
0,375–0,75 μg/kg KG/min
Enoximon
Dosis: 0,25–0,75 μg/kg KG
1,25–7,5 μg/kg KG/min
Levosimendan
Dosis: 12–24 μg/kg KG*
0,1 μg/kg KG/min (0,05–0,2 μg/kg KG/min)
* Bei Patienten mit Hypotension sollte auf eine Bolusgabe verzichtet werden.
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4 Methylenblau: Das für Vasopressin Erwähnte gilt auch für den Einsatz von Methylenblau, da die derzeitige Datenlage unzureichend ist. Gleichwohl gibt es auch für Methylenblau ermutigende Berichte über den Einsatz dieser Substanz beim noradrenalinrefraktären vasoplegischen Syndrom (Literatur bei Carl et al. 2007). In . Tab. 7.7 sind weitere Details der klinischen Anwendung der genannten Substanzen zusammengefasst. Grundzüge der medikamentösen Kreislaufunterstützung.
In der bereits mehrfach zitierten Leitlinie (Carl et al. 2007) sind die Therapiealgorithmen je nach Ursache des LCOS aufgeführt, sodass die Therapie im Folgenden komprimiert dargestellt wird. In der Praxis vergeht häufig eine gewisse Zeit, bis die Ergebnisse des erweiterten Monitorings mittels Pulmonalarterienkatheterisierung, Pulskonturanalyse und/ . Abb. 7.3. Stufentherapie der Linksherzinsuffizienz in Abhängigkeit von den Ergebnissen des erweiterten Monitorings. IABP intraaortale Ballonpumpe; ITBVI intrathorakaler Blutvolumenindex; LV-EDAI linksventrikulärer enddiastolischer Querschnittsflächenindex; OP erneute Operation; PAK Pulmonalarterienkatheterisierung; PAOP pulmonalkapillärer Verschlussdruck; PDE III Phosphodiesterase III; TEE transösophageale Echokardiograhie; VAD »ventricular assist device«. Mod. nach Carl et al. (2007)
oder transösophagealer Echokardiographie vorliegen und die in . Abb. 7.4 sowie . Abb. 7.5 dargestellten Algorithmen zur Anwendung kommen können. Da ein LCOS jedoch umgehend therapiert werden muss, erfolgt zunächst eine kalkulierte medikamentöse Kreislaufunterstützung. Dabei ist man auf die Ergebnisse des Basismonitorings angewiesen. Folgende Faustregeln können hilfreich sein: 4 Ein MAP von <60 mmHg sollte ab einem ZVD von >12 mmHg mit positiv inotropen Substanzen angehoben werden. 4 Je schlechter die linksventrikuläre Funktion ist, desto eher sollte man diese Substanzen einsetzen. 4 Je schlechter die linksventrikuläre Funktion ist, desto empfindlicher reagiert das Herz auf Volumen. Dies gilt insbesondere bei bereits präoperativ erhöhten linksventrikulären Füllungsdrücken und erhöhten Pulmonalisdrücken.
155 7.5 · Spezielle intensivmedizinische Maßnahmen
. Abb. 7.4. Stufentherapie der Rechtsherzinsuffizienz in Abhängigkeit von den Ergebnissen des erweiterten Monitorings. IABP intraaortale Ballonpumpe; LV linksventrikulär; MAP mittlerer arterieller Blutdruck; NO Stickstoffmonoxid; OP erneute Operation; PAK Pulmonalarterienkatheterisierung; PAOP pulmonalkapillärer Verschlussdruck; PDE III Phosphodiesterase III; PHT pulmonale Hypertonie; RV rechtsventrikulär; SVR systemischer Gefäßwiderstand; TEE transösophageale Echokardiographie; VAD »ventricular assist device«; ZVD zentraler Venendruck. Mod. nach Carl et al. (2007)
4 Als Substanz steht Dobutamin in Kombination mit Noradrenalin und/oder Adrenalin mit den genannten Vor-und Nachteilen zur Verfügung. Dobutamin hat den Vorteil, dass es neben seiner positiv inotropen Wirkung die beim LCOS häufig erhöhten Widerstände im systemischen und pulmonalen Gefäßsystem senkt. Geschieht dies überschießend, kann mit Noradrenalin gegenreguliert werden. Nicht selten reicht aber Dobutamin allein nicht aus, sodass zusätzlich Adrenalin verabreicht werden muss. Steigt trotz medikamentöser Kreislaufunterstützung nur der ZVD und nicht der MAP, ist das Herz zu voll und bedarf der raschen Volumenentlastung mittels Diuretika und/oder Nierenersatztherapie. Weiterhin ist an das Vorliegen einer zusätzlichen bzw. vorwiegenden Rechtsherzinsuffizienz zu denken, die eine zusätzliche, v. a. rechtsventrikuläre Nachlastsenkung, in erster Linie mit Nitroglyzerin und in zweiter Linie mit inhalativen Vasodilatatoren, notwendig machen kann. Kommt es trotz medikamentöser Kreislaufunterstützung nicht zu einer hämodynmaischen Stabilisierung und/ oder muss die Dosierung der kreislaufwirksamen Substanzen ständig gesteigert werden, ist spätestens ab einer Dosierung des Adrenalins bzw. des Noradrenalins von >0,2 μg/ kg KG/min und ab einer Dosierung des Dobutamins von >10 μg/kg KG/min eine rasche Entscheidung über den Einsatz mechanischer Kreislaufunterstützungssysteme herbeizuführen. Es versteht sich von selbst, dass die medikamentöse Kreislaufunterstützung von einer adäquaten Therapie der anderen Körpersysteme und Organe begleitet werden muss. Als für die Kreislauftherapie wesentlich seien erwähnt:
4 adäquate Oxygenierung, 4 ausgeglichener Säure-Basen-Haushalt, da insbesondere Katecholamine im sauren pH-Bereich schlecht wirken, 4 straffe Blutzuckerspiegeleinstellung mit dem nach wie vor nicht unumstrittenen Zielwert von 110 mg % (van den Berghe et al. 2001).
Mechanische Kreislaufunterstützung Intraaortale Ballonpumpe (IABP). Das aufgrund seiner vergleichsweise unkomplizierten Implantationstechnik (Robicsek et al. 2003) und seiner zumindest an herzchirurgischen Zentren ständigen Verfügbarkeit am häufigsten angewendete Prinzip der mechanischen Kreislaufunterstützung ist das der intraaortalen Ballongegenpulsation. Der wesentliche Wirkmechanismus besteht zum einen in einer Augmentation des diastolischen Blutdrucks durch Inflation des in der deszendierenden Aorta platzierten Ballons während der Diastole und zum anderen in einer akuten Senkung der linksventrikulären Nachlast durch Deflation des Ballons während der Systole. Dadurch wird die Koronardurchblutung verbessert und die Herzarbeit verringert. Das Nettoresultat ist ein verbessertes Sauerstoffangebots-Verbrauchs-Verhältnis; man spricht auch von einer Ökonomisierung der Herzarbeit. Trotz des weit verbreiteten Einsatzes der IABP existieren derzeit keine konsentierten Empfehlungen, bei welchen Patienten und welcher Befundkonstellation der Einsatz der IABP erfolgen sollte. Die Autoren sind der Meinung, dass die IABP so früh wie möglich genutzt werden sollte, da die Ergebnisse offenbar eng mit dem Zeitpunkt der IABP-Implantation korrelieren: plakativ formuliert: Je eher, desto besser (Baskett et al. 2002; Christensen et al. 2002; Ramnarine et al. 2005).
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Kapitel 7 · Herzchirurgische Intensivmedizin
Immerhin besteht Einigkeit darüber, dass die IABP zur Therapie eines perioperativen LCOS eingesetzt werden sollte, wobei dies insbesondere für Patienten nach koronarer Bypassoperation gilt (Baskett et al. 2002) und bereits die Phase der Entwöhnung von der Herz-Lungen-Maschine einschließt. Wie schon erwähnt, kann als Faustregel gelten, dass spätestens ab einer Adrenalin- und/oder Noradrenalindosierung von >0,2 μg/kg KG/min und ab einer Dosierung des Dobutamins von >10 μg/kg KG/min die Indikation für die IABP gegeben ist. Dies gilt insbesondere dann, wenn mehr als eine positiv inotrop wirkende Substanz hochdosiert verabreicht wird und die Inotropikadosierung ständig gesteigert werden muss, ohne dass eine hämodynamische Stabilisierung gelingt. Es mehren sich zudem die Hinweise darauf, dass der Einsatz der IABP bei bestimmten Risikokonstellationen, z. B. Vorliegen einer linksventrikulären Ejektionsfraktion von <30–40 %, Hauptstammstenose, instabile Angina pectoris oder Notwendigkeit einer koronaren Re-Operation, bereits präoperativ erfolgen sollte, um die Ergebnisse des folgenden Eingriffs zu optimieren (Dunning et al. 2003). Die Notwendigkeit der IABP-Implantation lässt sich bereits unmittelbar nach Inbetriebnahme des Systems durch Betrachtung der Druckkurve am Gerät prüfen: Typischerweise sieht man einen kleinen ersten Gipfel als Resultat der unzureichenden herzeigenen Auswurfleistung und einen wesentlich höheren zweiten Gipfel, der durch die diastolische Augmentation der IABP hervorgerufen wird. Bei einer Erholung der myokardialen Pumpfunktion kehrt sich dieses Verhältnis in den folgenden Stunden oder Tagen trotz sinkender Dosierung der kreislaufwirksamen Substanzen um, und man kann über die Explantation des Ballonkatheters nachdenken. Diese sollte aber erst dann erfolgen, wenn nur noch eine niedrigdosierte, am besten gar keine medikamentöse Kreislaufunterstützung mehr notwendig ist. Die Entwöhnung von der IABP geschieht vorzugsweise durch eine Reduktion der Pumpfrequenz von 1 : 1 über 1 : 2 auf 1 : 3. Mit Komplikationen der IABP ist heutzutage in etwa 10 % der Fälle zu rechnen, wobei es sich überwiegend um Gefäßprobleme wie eine Extremitätenischämie, die in extrem seltenen Fällen eine Amputation zur Folge hat, oder Blutungen an der Insertionsstelle handelt (Christenson et al. 2002). Der Erfolg der mechanischen Kreislaufunterstützung mittels IABP hängt u. a. davon ab, ob die Ursache des LCOS wie z. B. im Fall des »stunned myocardium« prinzipiell reversibel ist oder nicht. Bei einem irreversiblen Myokardschaden ohne Möglichkeit der Erholung ist die IABP meistens erfolglos (Baskett et al. 2002). In diesen Fällen bleibt der erste Gipfel der Druckkurve klein und der zweite groß; die Dosierung der kreislaufwirksamen Substanzen kann nicht reduziert werden. Kommt es trotz IABP nach Ablauf von 72–96 h nicht zu einer eindeutigen Besserung der hämodynamischen Situation, muss unter Berücksichtigung patientenindividueller Gesichtspunkte die Entscheidung
getroffen werden, ob man ein Scheitern der Bemühungen in Kauf nimmt oder in der Stufentherapie durch Implantation eines ventrikulären Unterstützungssystems fortschreitet. Letzteres beinhaltet allerdings gleichzeitig die Entscheidung für eine mögliche Herztransplantation, sodass der Patient die formalen Voraussetzungen dafür erfüllen sollte. Ventrikuläre Unterstützungssysteme (»ventricular assist devices«, VAD). Heutzutage ist eine nicht unbeträchtliche
Vielfalt an Systemen erhältlich. Sie basieren auf unterschiedlichen Antriebssystemen und sind je nach System kurzzeitig, mittellang oder langfristig einsetzbar. Durch Zwischenschalten eines Oxygenators in ein geeignetes Pumpensystem lässt sich zudem ein akutes Lungenversagen zumindest für einen limitierten Zeitraum therapieren. Die VAD sind als univentrikuläre (LVAD oder RVAD) oder biventrikuläre Systeme (BiVAD) verfügbar. Das Management von Patienten mit VAD ist zeit- und personalaufwendig und erfordert ein großes Maß an Erfahrung, die naturgemäß v. a. an Transplantationszentren vorhanden ist. Insofern impliziert die Implantation eines VAD an anderer Stelle die Notwendigkeit einer umgehenden Kontaktaufnahme mit einem Transplantationszentrum zur Klärung der auch nicht unkomplizierten Verlegungsmodalitäten. Eine ausführlichere Darstellung der VAD-Therapie erfolgt in 7 Kap. 33. Der an weiteren Details interessierte Leser sei zudem auf die einschlägige Literatur verwiesen (DiGiorgi et al. 2003). In . Abb. 7.5, . Abb. 7.6 und . Abb. 7.7 sind die wesentlichen Inhalte dieses Abschnitts graphisch zusammengefasst. 7.5.2.6
Hypertonus
Der Blutdruck ist nach herzchirurgischen Operationen zwar häufiger zu niedrig als zu hoch, dennoch stellt ein Hypertonus mitunter ein Problem dar, insbesondere bei fragilen kardialen, aortalen oder arteriellen Gewebeverhältnissen. Wenn Schmerzen als Ursache ausgeschlossen sind, lässt sich der Blutdruck mit den in . Tab. 7.8 aufgelisteten Antihypertensiva, jeweils allein oder in Kombination, senken. Zusätzlich ist der Blutdruck auch über eine Erhöhung des PEEP absenkbar, wobei diese Maßnahme primär natürlich völlig anderen Zielen dient.
Rhythmusstörungen Einteilung 7.5.2.7
Rhythmusstörungen lassen sich auf unterschiedliche Weise einteilen: 4 nach der Frequenz in bradykarde und tachykarde, 4 nach der Relevanz in hämodynamisch stabile und hämodynamisch instabile, 4 anatomisch in supraventrikuläre und ventrikuläre. Wir folgen der ersten Einteilung.
157 7.5 · Spezielle intensivmedizinische Maßnahmen
. Abb. 7.5. Stufenplan der Therapie des postoperativen »low cardiac output syndrome«, Stufe 1. LHV Linksherzversagen; LRHV Links- und Rechtsherzversagen; MAP arterieller Mitteldruck; RHV Rechtsherzversagen; SaO2 arterielle Sauerstoffsättigung; ScvO2 zentralvenöse Sauerstoffsättigung; ZVD zentraler Venendruck
. Abb. 7.6. Stufenplan der Therapie des postoperativen »low cardiac output syndrome«, Stufe 2. IABP intraaortale Ballongegenpulsation; LHV Linksherzversagen; LV linksventrikulär; MAP arterieller Mitteldruck; RHV Rechtsherzversagen; RV rechtsventrikulär; SaO2 arterielle Sauerstoffsättigung; ScvO2 zentralvenöse Sauerstoffsättigung; ZVD zentraler Venendruck
. Tab. 7.8. Dosierungen häufig verwendeter Antihypertensiva Substanz
Bolusgabe
Dosierungsrate
Nitroglyzerin
5–10 mg
0,5–2 μg/kg KG/min
Urapidil
10–50 mg
1–3 μg/kg KG/min
Clonidin
0,05–0,1 mg
0,01–0,05 μg/kg KG/min
Natriumnitroprussid
–
0,1–2 μg/kg KG/min
Bradykarde Rhythmusstörungen Bradykardien nach herzchirurgischen Operationen sind häufig, zumal operierte Herzen in den ersten Stunden und Tagen eine höhere Frequenz benötigen als unter Normalbedingungen. Dies bestätigen die Zahlen der BQS: Nahezu die Hälfte der Patienten verlässt den Operationssaal mit einer Schrittmacherstimulation. Die meisten herzchirurgischen Patienten sind mit β-Blockern vorbehandelt und haben daher häufig nach dem herzchirurgischen Eingriff eine relative Sinusbrady-
7
158
Kapitel 7 · Herzchirurgische Intensivmedizin
. Abb. 7.7. Stufenplan der Therapie des postoperativen »low cardiac output syndrome«, Stufe 3. BiVAD biventrikuläres »ventricular assist device«; IABP intraaortale Ballongegenpulsation; LHV Linksherzversagen; LVAD linksventrikuläres »ventricular assist device«; MAP arterieller Mitteldruck; RHV Rechtsherzversagen; RVAD rechtsventrikuläres »ventricular assist device«; SaO2 arterielle Sauerstoffsättigung; ScvO2 zentralvenöse Sauerstoffsättigung
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kardie, sodass bereits die erfolgreiche Entwöhnung von der Herz-Lungen-Maschine bisweilen nur unter Stimulation gelingt. Bei Klappenpatienten kommt hinzu, dass die Operation in der Nähe des Reizleitungssystems erfolgt, sodass sie nach der Herzklappenoperation nicht selten zu höhergradigen AV-Blockierungen neigen. Diese sind zwar in der überwiegenden Zahl vorübergehender Natur, dennoch ist für eine gewisse Zeit, die durchaus mehrere Tage betragen kann, eine externe Stimulation notwendig. Bradykardes Vorhofflimmern ist seltener als die beiden vorgenannten Rhythmusstörungen. Zur Auswahl der Stimulationsart, d. h. zur Frage, ob atrial, ventrikulär, AV-sequenziell oder biventrikulär stimuliert werden sollte, ist die Datenlage ausgesprochen bescheiden. Als Faustregel kann gelten: Je kranker das Herz ist, umso mehr benötigt es die AV-Koordination, d. h. die atriale oder AV-sequenzielle Stimulation. Dies gilt v. a. für hypertrophierte oder druckbelastete Ventrikel, während ansonsten gesunde Herzen oder volumenbelastete Ventrikel auf den Verlust der AV-Koordination eher weniger stark reagieren. Als Stimulationsfrequenz wird eine Rate von 80– 100 bpm bevorzugt. Das AV-Intervall wird zumeist bei 150 ± 25 ms eingestellt. Die Ausgangsenergie, entweder in Volt (V) oder Milliampere (mA) einstellbar und auch als »output« bezeichnet, sollte auf das doppelte des perioperativ ermittelten Reizschwellenwerts eingestellt werden, wenn der Patient über einen Eigenrhythmus verfügt, ansonsten auf das Dreifache. Die Empfindlichkeit oder Sensitivität in mV wird im Operationssaal zumeist sehr hoch, d. h. sehr unempfindlich gewählt, weil die Elektrokoagulation die Funktion des Herzschrittmachers fast immer beeinträchtigt. Auf der Intensivstation sollte der Wert korrigiert, d. h.
der Herzschrittmacher durch Erniedrigung der Sensitivität empfindlicher eingestellt werden, um der unerwünschten, weil potenziell arrhythmogenen Stimulation trotz vorhandenem Eigenrhythmus vorzubeugen (Spotnitz 2005). Die Rolle der AV-koordinierten biventrikulären Stimulation ist derzeit noch nicht geklärt. Es gibt aber erste Hinweise darauf, dass sich bei Patienten mit linksventrikulärer Dysfunktion durch eine biventrikuläre Stimulation eine Verbesserung der Hämodynamik erreichen lässt, wobei der epikardiale Stimulationsdraht vorzugsweise posterolateral, also in der Nähe des ersten Marginalastes, platziert werden sollte. Eine mehr anteriore Position hat sich demgegenüber als weniger vorteilhaft erwiesen (Flynn et al. 2005).
Tachykarde Rhythmusstörungen Diese lassen sich in die mit einer Inzidenz von bis zu 50% außerordentlich häufigen supraventrikulären und die mit einer Häufigkeit von bis zu 2% auftretenden und damit wesentlich selteneren ventrikulären Tachykardien enteilen. Supraventrikuläre Tachykardien. Zunächst ein Wort zu
den supraventrikulären Extrasystolen: Sie sind harmlos und nach Herzoperationen in aller Regel durch eine Hypokaliämie bedingt. Außer der Korrektur der Elektrolytstörung bedürfen sie keiner Therapie. Ansonsten handelt es sich bei den postoperativen supraventrikulären Tachykardien überwiegend um Vorhofflimmern. Peri- und postoperatives Vorhofflimmern ist mit einer erhöhten Sterblichkeit sowohl während des Krankenhausaufenthalts als auch danach vergesellschaftet. Weiter kommt es bei diesen Patienten häufiger zu Schlaganfällen und Kammertachykardien, und die Liegedauer ist verlängert (Dunning et al. 2006). Leitlinien zu diesem Thema existieren in ausreichender Zahl, berück-
7
159 7.5 · Spezielle intensivmedizinische Maßnahmen
sichtigen aber nur selten das postoperative Vorhofflimmern. Aus intensivmedizinischer Sicht erscheinen 3 Leitlinien lesenswert (Dunning et al. 2006; European Resuscitation Council 2005; McKeown et al. 2005). ! Vordringlich ist die Entscheidung, ob die Tachykardie den Patienten hämodynamisch kompromittiert oder nicht.
Bei hämodynamischer Instabilität ist eine sofortige Frequenzkontrolle notwendig, d. h. die Verlangsamung der Ventrikelfrequenz auf Werte von 80–100/min, die man entweder medikamentös oder mit höherer Wahrscheinlichkeit durch eine elektrische Kardioversion erreicht. Bei hämodynamischer Stabilität ist die Entscheidung zu treffen, was man erreichen will: eine Rhythmuskontrolle, d. h. die Konversion in einen Sinusrhythmus, oder die Frequenzkontrolle. Prognostisch sind beide Verfahren gleichwertig, sodass man die Auswahl von der Wahrscheinlichkeit, mit der in der Folgezeit ein Sinusrhythmus erhalten bleibt, abhängig machen sollte. War der Patient präoperativ im Sinusrhythmus und hatte keine bekannten Episoden von Vorhofflimmern und haben überdies der rechte und der linke Vorhof echokardiographisch einen Durchmesser von <40 mm, so ist die Wahrscheinlichkeit hoch. In . Tab. 7.9 sind die Antiarrhythmika sowie sonstige Medikamente und Maßnahmen zusammengefasst, die bei postoperativem Vorhofflimmern üblicherweise Verwendung finden. Die Bewertung der Wirksamkeit erfolgte anhand der vorhandenen Leitlinien und der Literatur, die trotz der zu unterstellenden Evidenz ein uneinheitliches Bild geben, sodass eine subjektive Note im Sinne einer Expertenmeinung bei der Bewertung zusätzlich eingeflossen ist. Der eine oder andere wird bei der Auflistung die Vorhofstimulation, mono- oder biatrial, vermissen, die jedoch die in sie gesetzten Hoffnungen bislang nicht erfüllt hat. Zusätzlich sind bei Patienten mit Vorhofflimmern eine Reihe weiterer Begleitmaßnahmen zu beachten: Der Kaliumspiegel sollte >4,5 mmol/l betragen, und eine ausreichende Oxygenierung mit dem Ziel einer Sauerstoffsättigung von >92 % ist ebenso wie ein Normovolämie sicherzustellen, da eine Hyokaliämie ebenso wie eine Hypoxie, eine Hypovolämie oder eine Hypervolämie Vorhofflimmern begünstigen kann. Gleiches gilt für zu ausgeprägten Stress, z. B. durch Schmerzen, die es zu behandeln gilt. Schließlich ist man sich trotz relativ schwacher Evidenz inzwischen einig, dass Patienten mit Vorhofflimmern spätestens nach 48 h mit einem Ziel-INR von 2–3 antikoaguliert werden sollten. Die Frage der Fortführung einer Antikaogulation, nachdem der Patient in Sinusrhythmus konvertiert ist, bleibt nach wie vor umstritten. Weitere, wesentlich seltenere supraventrikuläre Tachykardien sind im Folgenden kurz dargestellt: 4 Sinustachykardie: Sie ist zumeist Ausdruck von Stress, z. B. einer zu flachen Sedierung, und sollte durch Beseitigung der Stressursache behandelt werden. Im Zwei-
. Tab. 7.9. Übersicht über die verfügbaren Substanzen bzw. Maßnahmen bei Vorhofflimmern und das Ausmaß ihrer Wirksamkeit in der Literatur Substanz/ Maßnahme
Rhythmuskontrolle
Frequenzkontrolle
Prophylaxe
Flecainid
(+)
(+)
(+)
Propafenon
(+)
(+)
(+)
β-Blocker
+
++
+++
Amiodaron
++
+
++
Sotalol
++
+
++
Verapamil
+
++
+
Diltiazem
+
++
+
Digitalis
+
++
+
Magnesium
–
–
++
Kardioversion
+++
+++
–
– unwirksam; (+) Wirksamkeit umstritten; + Wirksamkeit möglich; ++ Wirksamkeit wahrscheinlich; +++ Wirksamkeit hoch wahrscheinlich
felsfall sind Therapieversuche mit β-Blockern, Digitalis oder Verapamil gerechtfertigt. 4 Vorhofflattern: Diese Rhythmusstörung demaskiert sich durch die sägezahnartige Konfiguration der P-Wellen und ist relativ therapieresistent. Überleitungsverzögernde Medikamente (z. B. Verapamil) oder Vagusreize (z. B. Karotisdruck) können zwar durch AV-Blockierungen die Zyklusdauer der Tachykardie verlängern, nicht jedoch das Vorhofflattern beenden. Häufig bleibt nur die Kardioversion oder die Überführung der Rhythmusstörung in Vorhofflimmern durch Überstimulation. 4 AV-Knoten-Reentry-Tachykardie: Sie ist akut einer medikamentösen Intervention mit Adenosin oder Verapamil zugänglich. Weniger wirksam sind Flecainid, Propafenon und β-Blocker. Ein Therapieversuch mit Ajmalin, das ansonsten kaum noch verwendet wird, ist bei Erfolglosigkeit möglicherweise wirksam. Dies gilt v. a. dann, wenn die Ursache der Tachykardie ein bis dahin unerkanntes Wolff-Parkinson-White-Syndrom ist, bei dem es sich genau genommen um eine atrioventrikuläre Reentry-Tachykardie handelt. Wenn man überhaupt nicht weiß, um was für eine Tachykardie es sich handelt, so ist die i. v. Gabe von 1–2 Ampullen Adenosin häufig richtungsweisend: Kommt es zu einer abrupten Frequenzverlangsamung bis hin zum kompletten AV-Block mit längerer Pause, so handelt es sich fast immer um eine supraventrikuläre oder atrioventrikuläre Tachykardie, häufig ausgelöst durch eine kreisende Erregung; bleibt Adenosin wirkungslos, hat der Patient fast immer eine ventrikuläre Tachykardie.
160
7
Kapitel 7 · Herzchirurgische Intensivmedizin
Ventrikuläre Tachykardien. Vereinzelte ventrikuläre Extrasystolen treten nach herzchirurgischen Eingriffen relativ häufig auf und bedürfen zunächst keiner Therapie. Allerdings sollten Elektrolytstörungen und Hypoxien als Ursache ausgeschlossen bzw. beseitigt werden. In Einzelfällen kann die Gabe eines β-Blockers oder von Amiodaron wirksam sein. Gleiches gilt für die nicht anhaltenden, zumeist monomorphen ventrikulären Tachykardien (»non-sustained ventricular tachycardia«, NSVT), die jedoch Vorboten einer anhaltenden ventrikulären Tachykardie sein können, sodass bei Auftreten einer NSVT erhöhte Wachsamkeit geboten ist. Eine anhaltende, zumeist polymorphe ventrikuläre Tachykardie ist postoperativ fast immer hämodynamisch wirksam. Dies gilt ohne Einschränkung für die Maximalvarianten Kammerflattern und Kammerflimmern, die umgehend durch eine elektrische Kardioversion – d. h. bei Kammerflattern durch einen R-Zacken-synchronisierten Elektroschock (monophasisch: 100 J → 200 J → 360 J; biphasisch: 100 J → 200 J) bzw. bei Kammerflimmern durch einen asynchronen Defibrillationsschock – terminiert werden müssen. Nicht selten ist in dieser Situation zusätzlich eine kardiopulmonale Reanimation notwendig. Das weitere Vorgehen entspricht dann dem in Abschnitt 7.5.2 (»Herz-KreislaufStillstand«) Dargestellten. Bei einer relativ langsamen ventrikulären Tachykardie mit noch vorhandenem Kreislauf kann eine medikamentöse Intervention mit 100–150 mg Lidocain oder 300 mg Amiodaron versucht werden.
In . Abb. 7.8 ist das Vorgehen bei Tachykardien nochmals als Übersicht dargestellt. . Tabelle 7.10 gibt einen Überblick über die häufig verwendeten Antiarrhythmika, ihre üblichen Dosierungen sowie ihre Indikationen.
7.5.3
Nachblutung und Tamponade
7.5.3.1
Inzidenz, Ursachen und Diagnostik
Über Komplikationen redet keiner gerne, insofern ist die Datenlage zur postoperativen Nachblutung übersichtlich. Man muss offensichtlich in 1–3 % der Fälle damit rechnen, wobei auch die Frage, ab wann die Drainagenfördermengen Anlass zu Sorge geben sollten, nicht klar definiert ist. Insofern mögen die in . Tab. 7.11 angegebenen Grenzwerte dem einen zu großzügig, dem anderen zu restriktiv erscheinen und sollen daher nur als Anhalt verstanden werden. Zudem sind es nicht nur die Blutmengen, die die Entscheidung darüber, welches therapeutische Vorgehen gewählt werden soll, beeinflussen – der wesentliche Punkt ist die mögliche Ursache, die kausal therapiert werden muss. Zunächst ist festzuhalten, dass nach herzchirurgischen Operationen mit der Herz-Lungen-Maschine das gesamte Gerinnungssystem derangiert ist. Die Thrombozyten als zelluläre Anteile sind nicht selten bereits präoperativ durch die Gabe von Thrombozytenaggregationshemmern in ihrer Funktion eingeschränkt; die Hämodilution reduziert die Zahl an Thrombozyten weiter, und die Hypothermie trägt
. Abb. 7.8. Vorgehen bei Tachykardien. AF Vorhofflimmern; SR Sinusrhythmus; SVT supraventrikuläre Tachykardie; VT ventrikuläre Tachykardie. Mod. nach European Resuscitation Council 2005
161 7.5 · Spezielle intensivmedizinische Maßnahmen
. Tab. 7.10. Übersicht über häufig verwendete Antiarrhythmika, ihre üblichen Dosierungen bei i. v. Applikation sowie ihre Indikationen Antiarrhythmikaklasse
Substanz
Dosierung (Akuttherapie)
Indikation
Ajmalin
25–100 mg
Medikamentöse Kardioversion, Wolff-ParkinsonWhite-Syndrom
Disopyramid
50–100 mg
Vorhof- und Kammertachykardien
1B
Lidocain
100–150 mg
Kammertachykardien
1C
Flecainid
100–150 mg
Prophylaxe von Vorhofflimmern
Propafenon
100–150 mg
Metoprolol
5–20 mg
Esmolol
25–50 mg
Amiodaron
5 mg/kg KG über 20 min (bis 450 mg)
Kammertachykardie, Vorhofflimmern
Sotalol
20–100 mg
Vorhofflimmern
Verapamil
5–10 mg
Vorhoftachykardien, Frequenzkontrolle bei Vorhofflimmern
Diltiazem
20–30 mg
Vorhoftachykardien, Frequenzkontrolle bei Vorhofflimmern
Adenosin
6–18 mg als Bolus
Alle Vorhoftachykardien (außer Vorhofflattern), Differenzialdiagnostik von Rhythmusstörungen
Digitalis
0,4–0,6 mg
Frequenzkontrolle bei Vorhofflimmern
1 (Natriumkanalblocker) 1A
2 (β-Blocker)
3 (Kaliumkanalblocker)
4 (Kalziumkanalblocker)
Sonstige
. Tab. 7.11. Grenzwerte für postoperative Drainagenfördermengen Zeit nach der Operation
Maximal tolerable Blutmenge [ml] pro Std.
Erste Stunde
400
Zweite Stunde
300
Dritte Stunde
250
Ab der vierten Stunde
200
das Ihrige zur Funktionsstörung der Blutplättchen bei. Hinzu kommen die komplette Hepariniserung, ein nahezu regelhaft zu beobachtender Fibrinogenmangel sowie die (Hyper-)Fibrinolyse, die umso stärker ausgeprägt ist, je länger die extrakorporale Zirkulation andauert. Hohe Drainagenfördermengen sind daher zunächst keine Überraschung, sollten jedoch umgehend 2 Konsequenzen nach sich ziehen: 4 Zum einen sollten der Operateur und – falls nicht identisch – derjenige, der den Thoraxverschluss durchgeführt hat, nach der Qualität der Blutstillung befragt werden. Die hierbei erhaltenen Informationen erleichtern in vielen Fällen die Entscheidung über das weitere Vorgehen und können kostspielige sowie zeitraubende diagnostische Maßnahmen überflüssig machen.
Supraventrikuläre und ventrikuläre Extrasystolen, Frequenzkontrolle bei Vorhofflimmern
4 Zum anderen, insbesondere wenn eine chirurgische Blutungsquelle unwahrscheinlich erscheint, sollte eine Gerinnungsdiagnostik durchgeführt werden, um ggf. eine entsprechende Therapie einleiten zu können, z. B. 5 Gabe von 2500–5000 E Protamin bei deutlich verlängerter »activated clotting time«, um die häufigste Maßnahme zu nennen, 5 Gabe von Thrombozytenkonzentraten bei Thrombopenie, 5 Gabe von FFP bei Faktorenmagel, 5 in ihrer Wirksamkeit umstrittene Verabreichung von Desmopressin bei Thrombozytenfunktionsstörungen. Weitere diagnostische Schritte sind – sofern stabile Kreislaufverhältnisse vorliegen – engmaschige Kontrollen der Hämoglobinkonzentration, die Bestimmung von Sauerstoffpartialdruck und Hämoglobinkonzentration im Drainagenblut, die Anfertigung eines Kontrollröntgenbildes des Thorax und eine Echokardiographie zum Ausschluss einer Tamponade. 7.5.3.2
Prävention
Die wichtigste vorbeugende Maßnahme ist eine sorgfältige Blutstillung, die eine intraoperative Kontrolle auf Bluttrockenheit aller Stellen, die man chirurgisch mit Messer, Schere oder Nadel bearbeitet hat, beinhaltet.
7
162
Kapitel 7 · Herzchirurgische Intensivmedizin
Die aus medizinischen und ökonomischen Gründen kontrovers diskutierte Gabe von Antifibrinolytika wie Aprotinin (zum Zeitpunkt der Manuskripterstellung nicht mehr erhältlich) oder Tranexamsäure trägt mit überzeugender Evidenz dazu bei, die postoperativen Drainagenfördermengen zu reduzieren. Die ε-Aminocapronsäure, von der man in amerikanischen Publikationen immer wieder liest, ist in Deutschland auf normalen Wegen zurzeit nicht erhältlich. 7.5.3.3
7
ein Transport in den Operationssaal unter geordneten Bedingungen stattfinden kann. Neben der ungünstigen Lagerung sind es häufig die schlechten Lichtverhältnisse, die für den Operateur einen Eingriff auf der Intensivstation zur Herausforderung werden lassen. Das Vorhandensein einer ausreichenden Lichtquelle, z. B. einer Stirnlampe, kann hier äußerst hilfreich sein. Für die bisweilen gegen dieses Vorgehen vorgebrachten hygienischen Bedenken finden sich in der Literatur keine Hinweise.
Therapie
Gerinnungsstörungen müssen wie bereits beschrieben therapiert werden (s. oben, 7.4.5). Bei Blutungen aus Stichkanälen der Sternumdrähte, die sich durch größere Fördermengen an dunklem Blut mit niedrigem Sauerstoffpartialdruck aus der substernalen Drainage demaskieren, hilft es bisweilen, den PEEP auf Werte um 10 mmHg zu erhöhen. In allen anderen Fällen sollte eine Überschreitung der oben genannten Fördermengen Anlass dazu sein, die Indikation zur Re-Thorakotomie zu prüfen. Die Entscheidung wird umso leichter, je höher die Hämoglobinkonzentration und der Sauerstoffpartialdruck des Drainagenblutes sind, außerdem wenn die Hämoglobinkonzentration im Blut deutlich abfällt. Wenn der Patient ein katecholaminpflichtiges LCOS entwickelt bzw. die Katecholamindosierung gesteigert werden muss, ist man mit der Entscheidung eigentlich schon zu spät – das aggressive Zuwarten, bis der Patient hämodynamisch instabil wird, sollte vermieden werden. Insgesamt gilt auch hier der alte chirurgische Grundsatz, dass in Fällen, bei denen man nicht sicher ist, ob man operieren soll oder nicht, die Entscheidung für eine Operation gefallen ist. Dabei sollte man im Einzelfall nicht zögern, die Re-Thorakotomie auch auf der Intensivstation durchzuführen, wenn es die hämodynamische Situation erfordert. Einfache Nachblutungen lassen sich so zügig beherrschen, und in komplizierteren Fällen kann man den Zustand des Patienten zumindest so weit stabilisieren, dass
. Abb. 7.9. Dauer der Nachbeatmung von Patienten nach isolierter koronarer Bypassoperation, Aortenklappenersatz bzw. der Kombination von beidem nach den Ergebnissen der Bundesgeschäftsstelle für Qualitätssicherung (2008)
7.5.4 Lunge und Beatmung
Die Lungen eines Patienten sind nach einem herzchirurgischem Eingriff durch verschiedenste Mechanismen in der Funktion kompromittiert. Daraus ergibt sich die Rationale, herzchirurgische Patienten postoperativ nachzubeatmen. Da die maschinelle Beatmung über einen endotrachealen Tubus jedoch eine unphysiologische, invasive und zudem nicht komplikationsfreie Maßnahme darstellt, sollte es das Ziel sein, den Patienten frühzeitig zu entwöhnen und innerhalb der ersten 4–12 h postoperativ zu extubieren. . Abbildung 7.9 zeigt, dass fast zwei Drittel der von der BQS erfassten Patienten innerhalb der ersten 12 h extubiert werden; lediglich etwa 10 % müssen länger nachbeatmet werden. Dies entspricht cum grano salis den Ergebnissen der Literatur, wonach ungefähr 5 % der herzchirurgischen Patienten eine Langzeitbeatmung über >72 h benötigen (Murthy et al. 2007). Prinzipiell unterscheidet man 2 Formen der Beatmung: die kontrollierte (mandatorische) und die assistierte (unterstützende, augmentierende) Beatmung. Die kontrollierte Beatmung wird dabei entweder druck- oder volumenkontrolliert durchgeführt. Letzteres hat momentan eher historische Bedeutung; die druckkontrollierte Beatmung ist heute die Beatmungsform der Wahl. Dabei verfolgt die kontrollierte Beatmung v. a. das Ziel, den Gasaustausch durch Optimierung des Ventilations-
163 7.5 · Spezielle intensivmedizinische Maßnahmen
. Tab. 7.12. Übliche Beatmungsformen Kontrollierte Beatmung
Assistierte Beatmung
Kontrollierte und assistierte Beatmung
4 IPPV: »intermittent positive pressure ventilation« (intermittierende Überdruckbeatmung) 4 CPPV: »continuous positive pressure ventilation« (kontinuierliche Überdruckbeatmung) 4 VCV: »volume-controlled ventilation« (volumengesteuerte mechanische Ventilation) 4 PCV: »pressure-controlled ventilation« (druckgesteuerte mechanische Beatmung)
4 SIMV: »synchronized intermittent mandatory ventilation« (synchronisierte intermittierende mechanische Beatmung) 4 MMV: »mandatory minute volume« (Beatmung mit vorgegebenem Minutenvolumen) 4 PSV: »pressure support ventilation« (unterstützte Spontanbeatmung)/ASB: »assisted spontaneous breathing« (unterstützte Spontanatmung) 4 CPAP: »continuous positive airway pressure« (kontinuierlicher positiver Atemwegsdruck)
4 BIPAP: »biphasic positive airway pressure« (zweiphasische positive Atemdruckuntersützung)
Perfusions-Quotienten zu verbessern, wohingegen die assistierte Beatmung durch ihre Unterstützung insbesondere die Atemarbeit reduzieren soll. Einige der am häufigsten verwendeten Beatmungsformen sind in . Tab. 7.12 aufgeführt, wobei die Liste keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt. 7.5.4.1
Beatmungsparameter und Einstellung des Beatmungsgeräts
Eine Reihe von Beatmungsparametern sind an den Beatmungsgeräten frei oder in gewissen Grenzen einstellbar. Die wesentlichen seien im Folgenden kurz vorgestellt: 4 Sauerstoffkonzentration (inspiratorische Sauerstofffraktion, FiO2): Die Sauerstoffkonzentration lässt sich üblicherweise in Grenzen von 21–100 % einstellen. Dies entspricht einer FiO2 von 0,21–1,0. 4 Atemfrequenz: Die Atemfrequenz entspricht der Anzahl der von der Beatmungsmaschine durchgeführten Beatmungszyklen pro Minute. Üblicherweise stellt man Atemfrequenzen von 8–12/min ein. 4 Tidalvolumen: Als »Tidalvolumen« wird das eingestellte Atemzugvolumen bezeichnet. Das Atemzugvolumen entspricht dem Volumen, das pro Atemhub abgegeben wird; es sollte bei 5–8 ml/kg Soll-KG liegen. Das Atemzugvolumen eines etwa 70 kg schweren Patienten beträgt demnach 350–560 ml. 4 Atemminutenvolumen: Das Atemminutenvolumen entspricht dem Produkt aus der eingestellten Atemfrequenz und dem eingestellten Tidalvolumen und liegt üblicherweise bei Werten von 5–8 l/min. 4 Inspirationsflow: Der Inspirationsflow entspricht dem Gasfluss während der Inspiration bezogen auf diejenige Zeit, in der Gas fließt. Er kann konstant, dezelerierend (abnehmend) oder akzelerierend (zunehmend) sein. Der Inspirationsflow wird üblicherweise so gering wie möglich und nur so hoch wie nötig gewählt und zumeist dezelerierend abgegeben. 4 Maximaler Inspirationsdruck: Dieser als »pmax« bezeichnete Parameter rückte in den 1990er Jahren in das Zentrum des Interesses, als sich zeigte, dass man durch
Auswahl eines zu hohen pmax mit den daraus resultierenden hohen intrapulmonalen Scherkräften nahezu regelhaft pulmonale Probleme induzierte. Dies führte dazu, dass heutzutage fast ausschließlich die druckkontrollierte Beatmung, d. h. eine Beatmungsform mit definierter Obergrenze für den Inspirationsdruck, zur Anwendung kommt. 4 Inspirations-Exspirations-Verhältnis: Ein Atemzyklus besteht aus Inspiration und Exspiration. Normalerweise ist die Exspiration länger als die Inspiration, damit die gesamte eingeatmete Luft komplett entweichen kann, d. h. das Inspirations-Exspirations-Verhältnis beträgt etwa 1 : 2. 4 Positiver endexspiratorischer Druck (»positive endexpiratory pressure«, PEEP): Beim spontan atmenden Gesunden liegt der PEEP bei etwa 4–5 cm H2O. Sinn des PEEP ist es zu vermeiden, dass Alveolen kollabieren, wodurch unerwünschte Scherkräfte auf die Membranen einwirken und Ventilations-Perfusions-Fläche im Lungenparenchym verloren geht. Die Einstellung der Beatmungsparameter berücksichtigt Größe, Gewicht und klinischen Zustand des Patienten. Bestimmte Grenzwerte sollten dabei nicht überschritten werden. So mehren sich Hinweise darauf, dass eine inspiratorische Sauerstoffbeimischung von >60 % (FiO2 von >0,6) langfristig schädlich für die Lunge ist (Oxytrauma). Von einem hohen pmax sowie einem Tidalvolumen von 12 ml/kg Soll-KG weiß man, dass sie nicht nur die Lungen schädigen, sondern auch mit einer schlechteren Prognose vergesellschaftet sind (Malhotra 2007; Wheeler u. Bernard 2007). So sind die in . Tab. 7.13 aufgeführten Einstellungen als Vorschlag zu verstehen, da mit Ausnahme des Tidalvolumens keine harten Daten (allerdings eine Menge klinischer Erfahrung) vorliegen, die den Vorschlag ausreichend begründen würden. Die Einstellung des Beatmungsgeräts wird mittels Blutgasanalyse und/oder Pulsoxymetrie überprüft und entsprechend angepasst.
7
164
Kapitel 7 · Herzchirurgische Intensivmedizin
. Tab. 7.13. Vorschlag für die Einstellung der Beatmungsparameter beim Normalverlauf Parameter
Zielwert/Einstellung
Sauerstoffkonzentration (inspiratorische Sauerstofffraktion, FiO2)
<0,6
Atemfrequenz
8–12/min
Inspirations-Exspirations-Verhältnis
1:1
Positiver endexspiratorischer Druck (»positive endexpiratory pressure«, PEEP)
5–8 cmH2O
Maximaler Beatmungsdruck
<30 mmHg
Tidalvolumen
5–8 ml/kg Soll-KG*
* Die Bezeichnung »Soll-KG« heißt im englischen Original »predicted body weight« und errechnet sich wie folgt: 4 45,5 + 0,91 × (Größe in cm – 152,4) für Frauen, 4 50 + 0,91 × (Größe in cm – 152,4) für Männer.
7 7.5.4.2
Entwöhnung und Extubation
Üblicherweise kommt der Patient kontrolliert beatmet auf die Intensivstation und wird bis zur endgültigen Stabilisation der Kreislaufverhältnisse und der Körpertemperatur nachbeatmet. Die Entwöhnung von der Beatmung folgt einem Stufenschema, das in . Abb. 7.10 wiedergegeben ist. Die kontrollierte Beatmung kann bei einer FiO2 von 0,6 mit zufriedenstellender Oxygenierung und stabilem SäureBasen-Haushalt (pH-Wert: 7,4 ± 0,5; arterieller Kohlendioxidpartialdruck: 40–55 mmHg; HCO3–-Konzentration: 20–28 mmol/l; Basenüberschuss: –1,5 bis 1,5) auf die assistierte Beatmung umgestellt werden. Eine stufenweise Reduktion der Druckunterstützung schließt sich an, und zwar bis zu einer Druckunterstützung von 3–5 cmH2O über dem PEEP. Wenn die folgenden Werte erreicht werden, kann man über eine Extubation nachdenken: 4 adäquate Oxygenierung unter Spontanatmung, d. h. paO2 von >60–80 mmHg bei einer FiO2 von ≤0,5 und einer peripheren SaO2 von >92 % (bzw. präoperativer Wert),
. Abb. 7.10. Prinzip der Entwöhnung von der Beatmung. FiO2 inspiratorische Sauerstofffraktion
4 4 4 4 4 4
PEEP von ≤8 cm H2O, Druckunterstützung von 3–5 cm H2O über PEEP, Atemzugvolumen von ≥5 ml/kg Soll-KG, Atemminutenvolumen von <20 l/min, Atemfrequenz von 8–12/min, pH-Wert von 7,3–7,45 bei einem Kohlendioxidpartialdruck von 40–55 mmHg.
Zur Extubation muss zudem der klinische Zustand des Patienten berücksichtigt werden, d. h.: 4 Patient wach, ansprechbar und kooperativ, 4 Patient hustet auf Kommando, 4 rhythmologische und hämodynamische Stabilität (Herzfrequenz von 50–140/min, systolischer Blutdruck von 90–180 mmHg, geringe erforderliche Katecholamindosen, Isovolämie, keine EKG-Veränderungen), 4 Körpertemperatur von ≥36°C, 4 Drainagenfördermenge von ≤100 ml/h, 4 intakte Schutzreflexe. Bisweilen wird zudem eine Urinausscheidung von >0,5 ml/ kg KG/h gefordert. Hier sind wir der Auffassung, dass eine vorübergehende Niereninsuffizienz oder eine extrakorporale Nierenersatztherapie keine Kontraindikation für eine Extubation darstellt, solange die anderen aufgeführten Kriterien erfüllt sind. In etwa 5 % der Fälle muss man den Patienten re-intubieren (Bundesgeschäftsstelle für Qualitätssicherung 2008). Daher ist es umso wichtiger zu wissen, bei welcher Befundkonstellation der Extubationsversuch nahezu regelhaft nicht funktioniert. Ein Patient, der in der Ausleitungsphase eine Atemfrequenz von >35/min zeigt und bei der Aussicht, bald extubiert zu werden, agitiert und mit einer Tachykardie und/oder einem Blutdruckanstieg reagiert oder verstärkt zu schwitzen beginnt, muss weiter beatmet werden. Dabei ist eine milde Analgosedierung für alle Beteiligten von Vorteil. 7.5.4.3
Respiratorische Insuffizienz
Das wesentliche pulmonale Problem in der Intensivmedizin ist das akute Lungenversagen. Es entspricht der täglichen Erfahrung, dass bestimmte Befundkonstellationen und Begleitumstände ein höheres Risiko für diese Komplikation beinhalten als andere. Die folgenden Risikofaktoren für pulmonale Komplikationen nach herzchirurgischen Operationen zählen dazu: 4 präoperativ: 5 Notfalleingriff, 5 kardiale Re-Operation, 5 Alter von >75 Jahren, 5 hoher Harnstoffspiegel, 5 niedriger Hämatokrit, 5 Body Mass Index von >30 kg/m2, 5 pulmonaler Hypertonus, 5 linksventrikuläre Ejektionsfraktion von <35 %,
165 7.5 · Spezielle intensivmedizinische Maßnahmen
5 kardiogener Schock, 5 chronisch-obstruktive Lungenerkrankung; 4 intraoperativ: 5 Dauer der extrakorporalen Zirkulation von >120 min, 5 >10 Bluttransfusionen, 5 Kreislaufstillstand; 4 postoperativ: 5 Serumalbuminwert von <4 g/dl, 5 katecholaminpflichtige akute Herzinsuffizienz, 5 Re-Operation wegen Blutung. Es entspricht andererseits ebenfalls der Erfahrung, dass gerade Patienten, auf die eine Vielzahl dieser Kriterien zutrifft, einen erstaunlich blanden postoperativen Verlauf zeigen, wohingegen andere, insbesondere jene, bei denen die Operation nicht wie initial geplant verlaufen ist, zu Langzeitbeatmeten werden. Weiterhin ist es wichtig, vor der Diagnosestellung einer akuten respiratorischen Insuffizienz zunächst die häufig leicht zu korrigierenden anderen Gründe für eine Hypoxämie auszuschließen: 4 Tubus verlegt, 4 Leckage im Beatmungssystem, 4 falsches Beatmungsmuster, 4 Bronchusverlegung, 4 Hämato-/Pneumothorax, 4 Zwerchfellhochstand, 4 Pleuraerguss, 4 Atelektasen, 4 Rechts-links Shunt, 4 Lungenödem kardialer Genese.
Symptome, Befunde, Pathophysiologie, Ursachen und Diagnostik Die Dyspnoe, zumeist verbunden mit einer Tachypnoe, sowie die Zyanose sind die führenden klinischen Symptome einer respiratorischen Insuffizienz. Der Beginn ist akut. Auf dem Röntgenbild des Thorax sind diffuse, bilaterale interstitielle Infiltrate im Sinne eines Lungenödems zu erkennen, die nicht kardial bedingt sein sollten, was bei herzchirurgischen Patienten mitunter schwierig zu unterscheiden ist. Daher ist das häufig in der Literatur auftauchende Kriterium eines PCWP von <18 mmHg zur Unterscheidung eines kardial bedingten von einem pulmonal bedingten Lungenödem insgesamt umstritten und führt in der herzchirurgischen Intensivmedizin nicht weiter. Dies liegt v. a. daran, dass das akute Lungenversagen in der herzchirurgischen Intensivmedizin selten isoliert, sondern zumeist in Kombination mit anderen Organkomplikationen, insbesondere kardialen Problemen, auftritt. Die Pulsoxymetrie zeigt eine Sättigung von <90 % und die Blutgasanalyse eine Hypoxämie. Liegt dabei das paO2/ FiO2-Verhältnis (sog. Horovitz-Quotient) unter 300, spricht man definitionsgemäß von einem akuten Lungenschaden
(»acute lung injury«, ALI), sowie bei einem Horovitz-Quotienten von <200 (z. B. paO2 < 100 mm Hg bei FiO2 0,5) und im Röntgenthorax sichtbaren Lungenveränderungen von einem akuten respiratorischen Disstresssyndrom (ARDS). Zusammenfassend zeigen die Kriterien, dass zur Diagnose eines ALI oder ARDS nicht nur die Hypoxämie, sondern auch fassbare pulmonale Veränderungen gehören. Die Ursachen für eine respiratorische Insuffizienz nach herzchirurgischen Eingriffen sind: 4 Pneumonie, 4 Aspiration, 4 TRALI, 4 Reperfusionsschaden, z. B. nach langer extrakorporaler Zirkulation, 4 Lungenblutung, 4 Exazerbation einer pulmonalen Grunderkrankung, 4 sekundäre Mitbeteiligung bei Mehrorganversagen. Die Liste erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit, sondern soll nur die in der herzchirurgischen Intensivmedizin häufigeren Ursachen darstellen. Aus den Ursachen ergibt sich die Diagnostik: 4 Bronchoskopie, möglichst mit Entnahme einer Probe zur mikrobiologischen Diagnostik (in vielen Fällen zugleich eine therapeutische Maßnahme), 4 kritische Würdigung der pulmonalen und perioperativen Anamnese, 4 Röntgenuntersuchung des Thorax, 4 bei unklarem Befund Computertomographie des Thorax. Die Pathophysiologie des akuten Lungenversagens war und ist Gegenstand zahlreicher Publikationen; der momentane Kenntnisstand kann hier aus Platzgründen nur komprimiert dargestellt werden. Zu Beginn des akuten respiratorischen Lungenversagens führt die Noxe zu einer Hyperpermeabilität des Kapillarendothels mit Ausbildung eines interstitiellen Lungenödems. Das Resultat ist eine Verlängerung der Diffusionsstrecke, aber auch ein Alveolenverschluss und/oder -kollaps, der durch den gleichzeitigen Surfactant-Verlust weiter begünstigt wird. Der thrombotische Verschluss von Lungenkapillaren, die hypoxämische Vasokonstriktion, die Freisetzung von proinflammatorischen Mediatoren und das Missverhältnis zwischen Ventilation und Perfusion (nicht belüftete Lungenabschnitte werden gut durchblutet, belüftete Abschnitte werden schlecht oder nicht durchblutet) tragen das Ihrige zur Verschlechterung der pulmonalen Situation bei. Das Nettoresultat ist eine durch die interstitielle Infiltration und Exsudate steife Lunge, die ihre Aufgabe nur noch unvollkommen wahrnimmt. Die sich daraus ergebende Hypoxämie beeinträchtigt in der Folge die Funktion anderer Organsysteme. Damit ergeben sich für den Intensivmediziner 2 wesentliche Probleme, die keine gemein-
7
166
Kapitel 7 · Herzchirurgische Intensivmedizin
same Lösung haben: Zum einen muss die Sauerstoffversorgung des Organismus wiederhergestellt werden; die dazu notwendige aggressive Beatmung darf aber die Lunge nicht weiter schädigen.
Therapie
7
Die Therapie des akuten Lungenversagens hat eine kausale und eine symptomatische Komponente. Kausal muss die zugrunde liegende Ursache so schnell wie möglich beseitigt werden. Symptomatisch geht es darum, für die Zeitdauer bis zur endgültigen Beseitigung der auslösenden Ursache bzw. bis zum Abklingen der Wirkung der auslösenden Noxe die Sauerstoffversorgung des Organismus sicherzustellen. Letzteres erreicht man mit der invasiven Beatmung, zumeist ergänzt um einige additive Maßnahmen, die den Nachweis ihrer Wirkung noch nicht endgültig erbracht haben, sodass man sie noch nicht als »adjuvant« bezeichnen kann. Der Stellenwert der nichtinvasiven Beatmung, wenn ein bereits extubierter Patient ein akutes Lungenversagen entwickelt, kann derzeit nicht endgültig bewertet werden. Ein zeitlich limitierter, zielorientierter Therapieversuch wird in der Literatur als gerechtfertigt beschrieben (Hill et al. 2007); der Praktiker wird eher zügig intubieren. Beatmung. Wie bereits erwähnt, lässt sich eine akut versagende Lunge nur sehr schlecht beatmen. Es stehen nur noch Teile der Alveolen für den Gasaustausch zur Verfügung, und die Lungen-Compliance ist zusätzlich durch die interstitielle Infiltration verringert. Dies führt dazu, dass ein deutlich erhöhter Beatmungsdruck notwendig wäre, um das gleiche Volumen wie zuvor in die Lunge zu befördern. Steigende Beatmungsdrücke führen jedoch zu einer Überdehnung der ohnehin in ihrer Zahl reduzierten Alveolen, die noch am Gasaustausch teilnehmen, bis hin zu deren Zerstörung. Es gilt daher als gesichert, dass man v. a. mit einem niedrigen Tidalvolumen von 4–6 ml/kg Soll KG (zu Soll KG . Tab. 7.13) beatmen sollte. Für dieses Vorgehen ist ein prognoseverbessernder Effekt nachgewiesen worden (The Acute Respiratory Distress Syndrome Network 2000), man spricht daher auch von einer »lungenprotektiven« Beatmung. Eine mögliche Nebenwirkung dieser Beatmung ist ein Anstieg des Kohlendioxidpartialdrucks, der jedoch bis zu Werten von 80 mmHg hingenommen wird (»permissive Hyperkapnie«). Weiter gehören mittlere bis hohe PEEP-Werte dazu, die bei akutem schweren Lungenschaden zwischen 12 und 15 cm H2O und bei max. 25 cm H2O liegen. Als Faustregel für die PEEP-Einstellung kann die Formel PEEP ≤ FiO2/0,05 hilfreich sein. Exakter ist die Einstellung anhand der DruckVolumen-Kurve, bei der der PEEP auf einen Druckwert unmittelbar oberhalb des unteren »inflection point« eingestellt werden sollte. Der untere »inflection point« entspricht demjenigen Beatmungsdruck, der notwendig ist, um die Alveolen zu eröffnen. Eine PEEP-Einstellung unmittelbar oberhalb dieses Punktes sorgt also dafür, dass die Alveolen
offen bleiben (für eine detaillierte Darstellung dieses Punktes s. Hemmila u. Napolitano 2006; Malhotra 2007; Wheeler u. Bernard 2007). Durch einen erhöhten PEEP wird der Kollaps der geschädigten, instabilen Alveolen verhindert und dem Atelektrauma, dem Zyklus aus Kollaps und Wiedereröffnung von Alveolen, vorgebeugt. Die immer wieder erwähnte kreislaufdepressorische Wirkung eines hohen PEEP kommt nur dann zum tragen, wenn der Patient hypovolämisch ist. Allerdings besteht bei einer Beatmung mit hohem PEEP eine erhöhte Pneumothoraxgefährdung. Schließlich sei darauf hingewiesen, dass für die Beatmung mit hohem PEEP der Nachweis einer Prognoseverbesserung bislang nicht erbracht werden konnte, obwohl das Konzept einleuchtet. Die Gesamtstrategie von niedrigem Tidalvolumen, permissiver Hyperkapnie und hohem PEEP wird auch als »open lung concept« bezeichnet. Zusätzlich zu einer Beatmung mit hohem PEEP wird bisweilen die Durchführung von Rekrutierungsmanövern empfohlen, d. h. das kurzfristige manuelle Aufblähen der Lunge mit höheren Drücken von etwa 40 cm H2O, damit bislang verschlossene Alveolen wiedereröffnet werden. In der Folge muss der pmax langsam wieder gesenkt werden, damit eröffnete Alevolen nicht wieder kollabieren. Eine Beatmung mit einem niedrigen Tidalvolumen und höherem PEEP reicht häufig nicht aus, um die pulmonale Situation zu bessern. Zumeist sind eine Modifikation des Inspirations-Exspirations-Verhältnisses mit deutlicher Verlängerung der Inspirationsphase (Inspirations-Exspirations-Verhältnis von 2 : 1 bis 4 : 1) – neudeutsch auch als »inversed ratio ventilation« bezeichnet – sowie eine Steigerung der Sauerstoffbeimischung (FiO2) bis zu Maximalwerten einer FiO2 von 1,0 notwendig. Der Stellenwert der bei akutem Lungenversagen propagierten Hochfrequenzoszillationsbeatmung ist noch nicht endgültig geklärt. Dabei handelt es sich um eine Beatmungsform, die durch schnelle Oszillationen mit einer Frequenz von 300–600/min zu sehr niedrigen Atemzugvolumina (1–4 ml/kg Soll-KG) führt. Im Gegensatz zu den bekannten Formen der Hochfrequenzventilationen, z. B. der Jetventilation, wird bei der Hochfrequenzoszillationsbeatmung die Exspiration aktiv durch die Schwingung einer Membran erzeugt, sodass eine alveoläre Überblähung verhindert wird. Die aus diesem Beatmungsmuster resultierenden theoretischen Vorteile wurden durch erste klinische Ergebnisse bestätigt (Hemmila u. Napolitano 2006). Da der Prozess der Entwöhnung von der invasiven Beatmung eigentlich schon bei der Intubation beginnen sollte, wird man möglichst schnell, d. h. wenn man das pulmomale Problem im Griff hat, assistiert beatmen, wobei neben der BIPAP-Beatmung (. Tab. 7.12) die »Airway-pressurerelease«-Ventilation infrage kommt. Dabei wird das obere Druckniveau sehr lange beibehalten und der Druck nur kurz (0,5–1,5 s) auf das untere Niveau abgesenkt. Sowohl mittels BIPAP als auch mit der »Airway-pressure-release«-
167 7.5 · Spezielle intensivmedizinische Maßnahmen
Ventilation kann das Prinzip des hohen PEEP und der kleinen Atemzugvolumina verwirklicht werden, und der Patient kann spontan auf jedem Druckniveau zusätzlich atmen. Ein weiterer Vorteil besteht darin, dass die Sedierung nicht so tief sein muss. Zusätzliche Maßnahmen. Hier ist zunächst die Oberkörperhochlagerung (30–45°) zu nennen. Sie vermeidet die
Mikroaspiration und erleichtert dem Patienten die Atmung dadurch, dass die Abdominalorgane das Zwerchfell weniger stark nach kranial verdrängen. Eine Maximalvariante der Lagerungstherapie stellt die Bauchlagerung dar. Diese führt bei einem hohen Prozentsatz der Patienten mit akutem Lungenversagen zu einer Verbesserung der Oxygenierung. Grundlage der verbesserten pulmonalen Sauerstoffaufnahme ist eine homogenere Belüftung der Lunge, die zu einer Abnahme des Ventilations-Perfusions-Ungleichgewichts führt. Die homogenere Belüftung der Lunge ist in erster Linie das Ergebnis einer Abnahme des Pleuradruckgradienten und einer Abnahme der Thoraxwand-Compliance. Allerdings sind Vorhersagen über den Erfolg der Bauchlagerung nicht ohne weiteres möglich, und die Maßnahme ist mit einem hohen personellen und logistischen Aufwand verbunden. Über die Dauer und die Häufigkeit ist wenig bekannt; es erscheint sinnvoll, die Lagerungswechsel an den Schichtrhythmus anzupassen, da zu den Wechselzeiten mehr Personal zur Verfügung steht. Neben der klassischen 180°-Bauchlagerung kommt auch die 135°-Lagerung zum Einsatz, deren Effekte auf die Oxygenierung jedoch etwas geringer ausgeprägt zu sein scheinen. Der Einsatz der kinetischen Therapie (z. B. Rotationsbett) führt ebenfalls zu einer Verbesserung der Oxygenierung, gegenüber der Bauchlagerung jedoch verzögert. Grundlage aller genannten Maßnahmen ist ein relativ kreislaufstabiler Patient. Dies ist insbesondere nach herzchirurgischen Eingriffen nicht immer der Fall und wird durch die Vorgaben, einen Patienten mit ALI/ARDS vom Flüssigkeitshaushalt her eher restriktiv zu bilanzieren, aber eine Hypovolämie zu vermeiden, weiter erschwert. Das bereits angesprochene restriktive Flüssigkeitsregime, das zu einer Reduktion des extrakorporalen Lungenwassers führt und vermeidet, dass man zusätzlich zum pulmonal bedingten Lungenödem auch noch ein kardiales Ödem in der Lunge erzeugt, zählt ebenfalls zu den bewährten Maßnahmen bei akutem Lungenversagen. Weiter sollte erwähnt werden, dass die tägliche, kurzfristige Reduktion der Analgosedierung während einer längeren invasiven Beatmung (sog. neurologisches Fenster) die Anzahl der Beatmungstage und die Liegedauer auf der Intensivstation reduziert. Auch die frühzeitige enterale Ernährung ab einer Beatmungsdauer von >36 h hat sich als vorteilhaft erwiesen, wohingegen die endobronchale Surfactant-Therapie bislang die in sie gesetzten Hoffnungen nicht erfüllen
konnte. Dies gilt auch für die inhalative Therapie mit Vasodilatanzien wie Stickstoffmonoxid, Prostazyklin oder dem Prostazyklinanalogon Iloprost. Rationale dieser Therapie ist es, durch die pulmonale Vasodilatation das Ventilations-Perfusions-Missverhältnis zu verbessern, ohne die systemischen Nebenwirkungen in Kauf nehmen zu müssen. Die partielle Flüssigkeitsatmung (»partial liquid ventilation«) konnte im Experiment den pulmonalen Gasaustausch über eine Rekrutierung von verschlossenen Gasräumen sowie eine Umverteilung von Ventilation und Perfusion verbessern. Klinisch stellte man jedoch einen Trend zu höheren Sterblichkeitsraten fest, sodass auch dieser Therapieansatz derzeit nicht weiter verfolgt wird. β2-adrenerge Agonisten (z. B. Salbutamol) können die pulmonale Neutrophilensequestration und -aktivierung reduzieren, zur Rückbildung des Lungenödems beitragen, die Surfactant-Sekretion steigern sowie Entzündungs- und Gerinnungsvorgänge vorteilhaft modulieren. Ihr endgültiger Stellenwert ist allerdings erst nach Abschluss einer laufenden Phase-III-Studie zu beurteilen. Ketoconazol (Inhibitor der Thrombinsynthese), NAcetylcystein (Antioxidans) und Lisofyllin (Phosphodiesteraseinhibitor) erscheinen aktuell ohne nachweisbaren therapeutischen Nutzen. Die Gabe von Methylprednisolon im fortgeschrittenen Stadium des ARDS beeinflusst signifikant und vorteilhaft arteriellen Blutdruck, pulmonalen Gasaustausch und Dauer der maschinellen Ventilation, jedoch nicht die 60- oder 180-Tage-Sterblichkeitsrate. Bei Vorliegen der Kombination aus Sepsis und ALI/ ARDS ist der Einsatz von aktiviertem Protein C zu erwägen. Lässt sich eine ausreichende Oxygenierung nicht oder nur mit Beatmungsdrücken und Tidalvolumina erreichen, die die Lunge weiter schädigen würden, kann die extrakorporale Lungenersatztherapie (entweder pumpengetrieben als »extracorporeal membrane oxygenation« – ECMO – oder als pumpenfreie extrakorporale arteriovenöse Lungenunterstützung, iLA) eine vorübergehende Therapiemaßnahme darstellen. Beide Verfahren sorgen über eine Gasaustauschmembran, an der das Blut des Patienten im Gegenstromprinzip im veno- oder arteriovenösen Bypass am Beatmungsgas vorbeifließt, für einen Abtransport von CO2 und eine Oxygenierung. Dabei ist die Oxygenierung mit der ECMO besser, wohingegen die iLA eher bei ausgeprägter Hyperkapnie, aber konventionell noch beherrschbarer Hyoxämie zum Einsatz kommt. Dabei ist die ECMO von der Kreislauffunktion unabhängig, wohingegen die iLA nur bei stabilen Kreislaufverhältnissen zur Anwendung kommen kann. Insbesondere die ECMO ist ein ressourcenintensives Verfahren (Bein et al. 2007). . Abbildung 7.11, . Abb. 7.12 und . Abb. 7.13 fassen das therapeutische Vorgehen zusammen. Dabei wird man in der überwiegenden Zahl der Fälle mit den in . Abb. 7.12
7
168
Kapitel 7 · Herzchirurgische Intensivmedizin
. Abb. 7.11. Vorschlag für das initiale therapeutische Vorgehen bei akuter respiratorischer Insuffizienz/akutem Lungenversagen. FiO2 inspiratorische Sauerstofffraktion; paO2 arterieller Sauerstoffpartialdruck; PEEP positiver endexspiratorischer Druck; Rö-Thorax Röntgenuntersuchung des Thorax; SaO2 arterielle Sauerstoffsättigung
7
. Abb. 7.12. Vorschlag für eine Therapieeskalation bei akutem respiratorischen Disstresssyndrom. FiO2 inspiratorische Sauerstofffraktion; paO2 arterieller Sauerstoffpartialdruck; PEEP positiver endexspiratorischer Druck; SaO2 arterielle Sauerstoffsättigung
169 7.5 · Spezielle intensivmedizinische Maßnahmen
. Abb. 7.13. Vorschlag für eine Therapieeskalation bei therapierefraktärem akuten respiratorischen Disstresssyndrom. FiO2 inspiratorische Sauerstofffraktion; IRV »inversed ratio ventilation« (das Inspirations-Exspirations-Verhältnis wird zugunsten der Inspirationsdauer verändert); NO Stickstoffmonoxid; paO2 arterieller Sauerstoffpartialdruck; PEEP positiver endexspiratorischer Druck; SaO2 arterielle Sauerstoffsättigung
dargestellten Maßnahmen und den in . Abb. 7.13 genannten additiven Verfahren auskommen. Tracheotomie. Die Tracheotomie ist ebenfalls eine zusätzliche Maßnahme, verdient aber besonderer Erwähnung, und zwar deshalb, weil es sich um eine inzwischen relativ einfach durchzuführende Maßnahme handelt, die mancherorts jedoch noch zurückhaltend und verzögert zum Einsatz kommt. Eine ausführliche Literaturübersicht, verbunden mit einer Leitlinie, ist unlängst publiziert worden (De Leyn et al. 2007). Kurz gefasst bietet die Beatmung über ein Tracheostoma verschiedene Vorteile: sicherer Zugang zu den Atemwegen, Erleichterung der Mundpflege, höherer Patientenkomfort, keine laryngeale Traumatisierung. Die Entwöhnung vom Beatmungsgerät ist bei tracheotomierten Patienten schneller und einfacher als bei endotracheal intubierten Patienten möglich. Dies wird mit der Verbesserung der mechanischen Eigenschaften erklärt, wobei nicht nur die Totraumreduktion, sondern auch eine Verminderung der restriktiven Atemarbeit am Tubus bzw. an der Trachealkanüle ausschlaggebend ist. Der optimale Zeitpunkt für die Tracheotomie ist unbekannt. Durch die nachgewiesenen positiven Effekte ist es aber sinnvoll, die Tracheotomie möglichst früh bei jenen Patienten durchzuführen, bei denen abzusehen ist, dass sie über einen längeren Zeitraum beatmet werden müssen Die Tracheotomie kann sowohl offen chirurgisch als auch perkutan auf der Intensivstation am Patientenbett durchge-
führt werden, wobei man inzwischen der perkutanen Dilatationstracheotomie unter bronchoskopischer Kontrolle den Vorzug gibt. Entwöhnung von der Beatmung und Extubation. Die Ent-
wöhnung von der Beatmung beginnt eigentlich schon mit der präoperativen Atemgymnastik des Patienten, spätestens aber mit der (Re-)Intubation, und entspricht dem bereits im Abschnitt »Entwöhnung und Extubation« (s. oben) dargestellten Vorgehen. Bei Patienten, die länger als 48 h beatmet werden müssen, kann sich der Entwöhnungsprozess allerdings schwierig gestalten. Der Erfolg der Entwöhnung ist in dieser Situation v. a. von einer ausreichenden Kooperation des Patienten, einer suffizienten Funktion der Atemmuskulatur und einem hinreichenden Atemantrieb abhängig – Faktoren, die darüber entscheiden, ob die für eine Extubation notwendige Atemarbeit geleistet werden kann. Daraus ergibt sich, dass man möglichst früh assistiert beatmen und den Patienten in regelmäßigen Abständen kurz aufwachen lassen sollte, um unmittelbar nach Erreichen der Zielkriterien den Entwöhnungsprozess beginnen zu können. Die Entwöhnung beginnt, indem die Sedierung so weit reduziert wird (Ramsay-Score von 2–3; . Tab. 7.1), dass der Patient unter druckunterstützter Spontanatmung stressfrei und hämodynamisch stabil ist. Zu diesem Zeitpunkt wird vom Patienten die Atemfrequenz vorgegeben, und das Atemzugvolumen ist von dem eingestellten Beatmungsdruck abhängig. Bei diesem Vorgehen sollten die Werte der Blutgasanalyse den Zielwerten entsprechen. Danach wird
7
170
Kapitel 7 · Herzchirurgische Intensivmedizin
der Beatmungsdruck schrittweise reduziert. Der Patient muss nun zunehmend mehr Atemarbeit leisten. Dabei sollten sich über einen Zeitraum von 30–60 min keine klinischen oder laborchemischen Zeichen einer respiratorischen Erschöpfung zeigen: 4 Unruhe, 4 Angst, 4 Schwitzen, 4 Tachykardie, 4 Blutdruckabfall oder -anstieg, 4 Zentralisation, 4 inadäquates Atemminutenvolumen, 4 inadäquates Atemzugvolumen, 4 Atemfrequenz von >35/min, 4 periphere Sauerstoffsättigung von <92 %, 4 paO2 von <60 mmHg.
7
Werden diese Symptome und Befunde beobachtet, wird der Patient für weitere 24 h beatmet und am nächsten Morgen der nächste Entwöhnungsversuch gestartet. Bei Abwesenheit dieser Symptome und Befunde wird die Sedierung weiter reduziert. Ist der Patient adäquat wach (drückt auf Aufforderung die Hand, hebt den Kopf, zeigt die Zunge oder schluckt), kann man ihn extubieren. In der Literatur wird zuvor die Ermittlung des »rapid shallow breathing index« (Atemfrequenz/Tidalvolumen in Litern), der <105 betragen sollte, als erfolgsversprechende Maßnahme empfohlen. Die Extubation erfolgt in Re-Intubationsbereitschaft; eine suffiziente Möglichkeit zum Absaugen sollte gegeben sein. Die Oberkörperhochlagerung (30–45°) erleichtert dem Patienten die Atmung und reduziert das Risiko einer
. Abb. 7.14. Vorschlag für das Vorgehen bei der Entwöhnung von der Beatmung. AMV Atemminutenvolumen; DU Druckunterstützung; FiO2 inspiratorische Sauerstofffraktion; paO2 arterieller Sauerstoffpartialdruck; PEEP positiver endexspiratorischer Druck; SaO2 arterielle Sauerstoffsättigung
Aspiration. Ist vor der Extubation noch eine Magensonde vorhanden, wird der Magen vorher abgesaugt und die Magensonde noch vor der Extubation entfernt, sofern sie nicht für weitere therapeutische Maßnahmen erforderlich ist. . Abbildung 7.14 fasst das beschriebene Vorgehen zusammen. Nebenwirkungen und Komplikationen der Beatmung.
Die Beatmung als invasive Maßnahme hat sowohl Nebenwirkungen als auch Komplikationen. Dies gilt insbesondere dann, wenn die Intensität der Beatmung im Rahmen der Behandlung eines akuten Lungenversagens gesteigert werden muss. An Nebenwirkungen sind zu nennen: 4 Erhöhung des intrathorakalen Drucks mit Reduktion der kardialen Füllung, 4 Absinken des renalen Blutflusses mit Aktivierung des Renin-Angiotensin-Systems, 4 Reduktion der mukozilliären Clearance der Lunge, 4 Reduktion der Splanchnikusdurchblutung, 4 Schädigung des Surfactant-Monolayers durch die bei der Beatmung auftretenden Scherkräfte (»shear stress trauma«) sowie die im Rahmen des pulmonalen Prozesses erfolgende Mediatorenfreisetzung. Folgende Komplikationen sollten erwähnt werden: 4 Laryngeal-/Tracheal-/Bronchialverletzung oder -ödem, 4 beatmungsassoziierte Pneumonie (im angloamerikanischen Schrifttum als »ventilator-associated pneumonia« bezeichnet), 4 Oxytrauma durch zu hohe FiO2,
171 7.5 · Spezielle intensivmedizinische Maßnahmen
4 Volutrauma mit Aleveolenzerstörung durch zu hohes Tidalvolumen mit daraus resultierenden zu hohen Beatmungsdrücken (s. oben, »Beatmung«), 4 Barotrauma der Lunge mit Ausbildung eines Pneumothorax. Die Nebenwirkungen sollten durch die Auswahl eines geeigneten Beatmungsmusters nicht so ausgeprägt sein, dass sie einen Handlungsbedarf induzieren, und einen Teil der Komplikationen kann man möglicherweise ebenfalls durch eine adäquate Einstellung der Beatmung vermeiden oder zumindest in der Ausprägung limitieren. Ein klinisch extrem unerwünschtes Ereignis bei der Beatmung eines Patienten mit akutem Lungenversagen ist das Auftreten einer beatmungsassoziierten Pneumonie, weil sie die Lunge zusätzlich schädigt, zwischenzeitlich erreichte therapeutische Fortschritte zunichte macht und mit einer hohen Sterblichkeit vergesellschaftet ist. Der Zusammenhang zwischen beatmungsassoziierter Pneumonie und Dauer der mechanischen Beatmung ist inzwischen gesichert. Es gibt kein Patentrezept für die Verhütung dieser Komplikation, aber eine peinlich genau eingehaltene Handhygiene, ein hygienisches Absaugen durch Verwendung von geschlossenen Absaugkathetersystemen, die Hochlagerung des Oberkörpers als Aspirationsprophylaxe und die protokollgesteuerte, standardisierte Entwöhnung von der Beatmung haben ihre präventive Wirkung bewiesen. Weiterhin macht die Beatmung zumeist eine Immobilisation des Patienten notwendig, sodass als sekundäre Komplikation der Beatmung alle Immobilisationsschäden (z. B. Dekubitus, Thrombose) einer Prävention bedürfen. Schließlich kann die Entwicklung eines Stressulkus, insbesondere bei Analgosedierung und einer Ulkusprophylaxe mit Optimierungspotenzial, als sekundäre Folge der Beatmung interpretiert werden.
7.5.5
Niere
7.5.5.1
Inzidenz, Ursachen und Diagnostik renaler Probleme
Das perioperative akute Nierenversagen wird je nach Typ der herzchirurgischen Operation und je nach der Literaturstelle mit einer Häufigkeit von 1,2–5,1 % beobachtet und ist mit einer hohen Sterblichkeit von 40–80 % vergesellschaftet (Markewitz u. Lante 2006; Mehta et al. 2006). Die Frage ist allerdings, wie man ein akutes Nierenversagen definiert, was auch Experten offensichtlich nicht leicht fällt. Ein in dieser Hinsicht großer Fortschritt war die im Jahre 2004 eingeführte Stadieneinteilung nach der RIFLE-Klassifikation (Bellomo et al. 2004), in der Nierenprobleme nach den Aspekten »risk«, »injury«, »failure«, »loss« und »end-stage renal failure« klassifiziert werden. Diese Klassifikation hat seither in das klinische Alltagsgeschäft Einzug gefunden (Hoste et al. 2006) und konnte auch für herzchirurgische Patienten validiert werden (Kuitunen et al. 2006). Inzwischen wurden die RIFLE-Kriterien hinsichtlich der Aspekte »risk«, »injury« und »failure« durch das Acute Kidney Injury Network (AKIN) verfeinert und vereinfacht (Mehta et al. 2007). Eine Übersicht über beide Schweregradklassifikationen geben . Tab. 7.14 und . Tab. 7.15. Die in . Tab. 7.14 genannte glomeruläre Filtrationsrate (GFR) wird häufig errechnet, wobei man sich bei Erwachsenen entweder der Cockcroft-Gault-Gleichung oder der »Modification-of-diet-in-renal-disease«-(MDRD-)Formel bedient: 4 Cockcroft-Gault-Gleichung: GFR [ml/min] = (140 – Alter) × Gewicht 008004 (× 0,85 bei Frauen); 72 × Serumkreatininwert [mg/dl]
. Tab. 7.14. Schweregradeinteilung der akuten Niereninsuffizienz entsprechend der 2. Internationalen Konsensuskonferenz der AcuteDialysis-Quality-Initiative-(ADQI-)Gruppe (Bellomo et al. 2004) – RIFLE-Kriterien Schweregrad
Laborbefunde
Urinausscheidung
»Risk«
4 Abfall der GFR um >25 % 4 Anstieg des Kreatininwertes um >150 %
<0,5 ml/kg KG/h über 6 h
»Injury«
4 Abfall der GFR um >50 % 4 Anstieg des Kreatininwertes um ≥200 %
<0,5 ml/kg KG/h über 12 h
»Failure«
4 Abfall der GFR um >75 % 4 Anstieg des Kreatininwertes um >300 % oder um >4 mg/dl mit akutem Anstieg um >0,5 mg/dl
<0,3 ml/kg KG/h über 24 h oder Anurie (<100 ml) über 12 h
»Loss«
Vollständiger Verlust der Nierenfunktion über >4 Wochen
»End stage renal failure«
Terminales, dialysepflichtiges Nierenversagen über >3 Monate
GFR glomeruläre Filtrationsrate
7
172
Kapitel 7 · Herzchirurgische Intensivmedizin
. Tab. 7.15. Schweregradeinteilung der akuten Niereninsuffizienz entsprechend der Konsensuskonferenz des Acute Kidney Injury Network (AKIN) (Mehta et al. 2007) Schweregrad
Laborbefunde
Urinausscheidung
1
Anstieg des Kreatininwertes um ≥0,3 mg/dl oder um >150–200 %
<0,5 ml/kg KG/h über 6 h
2
Anstieg des Kreatininwertes um >200–300 %
<0,5 ml/kg KG/h über 12 h
3
Anstieg des Kreatininwertes um >300 % oder um >4 mg/dl mit akutem Anstieg um >0,5 mg/dl
<0,3 ml/kg KG/h über 24 h oder Anurie (<100 ml) über 12 h
Oder Nierenersatztherapie notwendig
4 MDRD-Formel: GFR [ml/min] = 186 × Kreatininwert im Serum [mg/dl]–1,154 × Alter–0,203 × Konstante (0,742 für Frauen und 1 für Männer).
7
Bei Betrachtung der RIFLE-Klassifikation fällt auf, dass im klinischen Alltag sicher eine nicht unbeträchtliche Menge an herzchirurgischen Patienten dem Schweregrad »risk« bzw. »1« zugeordnet werden müssen. Aber auch eine Kreatininwerterhöhung auf mehr als das Doppelte des Ausgangswertes entsprechend dem Schweregrad »injury« bzw. »2« ist keine Seltenheit. Der Schweregradeinteilung »failure« wird bei der angegebenen Befundkonstellation jeder Kliniker zustimmen. Es bleibt zu hoffen, dass bei zukünftigen Publikationen die genannten Klassifikationen verwendet werden, um eine Vergleichbarkeit der Ergebnisse zu ermöglichen. Spätestens ab dem Stadium »failure« bzw. »3« gestaltet sich die Betreuung der Patienten aufwendig. Eine Verle-
gung von der Intensivstation ist nicht mehr möglich, und die Zahl an verfügbaren Intensivbetten sinkt. Daher wäre es für die Planung von Vorteil, wenn man das Risiko für eine postoperative Nierenersatztherapie präoperativ besser abschätzen könnte. Die Datenbank der Society of Thoracic Surgeons (STS) verfügte über die nötige Anzahl an Datensätzen, um einen relativ einfach anzuwendenden Vorhersagetest zu entwickeln. Die in . Tab. 7.16 aufgeführten Parameter basieren auf der Analyse von knapp 450.000 Datensätzen, deren Gewichtung bei weiteren 86.000 Datensätzen validiert wurde (Mehta et al. 2006). Dabei steigt das Risiko für eine Nierenersatztherapie ab einem Gesamtpunktwert von 20 exponentiell an, wie . Abb. 7.15 zeigt. NYHA New York Heart Association; STS Society of Thoracic Surgeons
So weist der rüstige 81-Jährige, der einen Aortenklappenersatz und 2 Koronarbypasses erhalten soll, bei einem in diesem Alter nicht unüblichen Kreatininwert von 2 mg/dl
. Tab. 7.16. Parameter und Punktwerte für die Risikoabschätzung, ob perioperativ eine Nierenersatztherapie notwendig wird – STS-RisikoScore für die Notwendigkeit einer perioperativen Nierenersatztherapie (Mehta et al. 2006) Parameter
Parameterausprägung/Punktwerte
Alter [Jahre]
<55/0
55–59/1
60–64/2
65–69/3
70–74/4
75–79/5
80–84/6
85–89/7
Kreatininwert [mg/dl]
0,5/5
1,0/10
1,5/15
2,0/20
2,5/25
3,0/30
3,5/35
≥4,0/40
Art der Herzoperation
Nur koronare Bypassoperation/0
NurAortenklappenoperation/2
Myokardinfarkt
Nein/0
Vor <3 Wochen/3
Hautfarbe
Weiß/0
Nichtweiß/2
Chronische Lungenerkrankung
Nein/0
Ja/3
Re-Operation am Herzen
Nein/0
Ja/3
NYHA-Stadium IV
Nein/0
Ja/3
Kardiogener Schock
Nein/0
Ja/7
Koronare Bypassoperation und Aortenklappenoperation/5
90–94/8
Nur Mitralklappenoperation/4
95–99/9
≥100/10
Koronare Bypassoperation und Mitralklappenoperation/7
173 7.5 · Spezielle intensivmedizinische Maßnahmen
. Abb. 7.15. Wahrscheinlichkeit für die Notwendigkeit einer Nierenersatztherapie nach herzchirurgischen Operationen in Abhängigkeit von präoperativen Risikofaktoren (STS-Risiko-Score-Wert; . Tab. 7.16) (Mehta et al. 2006)
eine Wahrscheinlichkeit von 6,2 % auf, postoperativ hämofiltriert oder dialysiert zu werden. 7.5.5.2
Prävention
Es ist klar, dass die beste Therapie des akuten Nierenversagens seine Prävention ist. Abgesehen von einem adäquaten Hydratationszustand, einer ausreichenden Oxygenierung und einem angemessenen areriellen Mitteldruck ist jedoch bislang nur für die perioperative Verabreichung von Acetylsalicylsäure ein präventiver Effekt gesichert (Mangano 2002), wohingegen das mit unter diesem Aspekt großen Hoffnungen getestete N-Acetylcystein die Erwartungen nicht erfüllen konnte. Auch die Vorstellung, dass es für Dopamin eine protektive »Nierendosierung« gibt, hält sich mit einer fast unerschütterlichen Hartnäckigkeit in der klinischen Praxis, ohne dass es dafür irgendeinen Beweis geben würde (Lassnigg et al. 2000). Als weitere präventive Maßnahme verdient die Vermeidung von Medikamenten, die die Nierenfunktion negativ beeinflussen (z. B. Aminoglykoside und alle Prostaglandinsynthesehemmer), Erwähnung. 7.5.5.3
Therapie
Da es in den ersten postoperativen Stunden bei herzchirurgischen Patienten aus den unterschiedlichsten Gründen fast regelhaft zu einem Nachlassen der Urinausscheidung kommt, werden auf der herzchirurgischen Intensivstation relativ liberal Schleifendiuretika wie Furosemid oder Torasemid verabreicht. Hier muss zunächst auf die Tatsache hingewiesen werden, dass die Urinausscheidung nichts über die Nierenfunktion aussagt. Auch der verstopfte Urinkatheter kann eine Ursache für ein Versiegen der Urinausscheidung sein, was sich durch Anspülen des Katheters rasch prüfen lässt. Ein Nachlassen der Urinproduktion ist aber zumeist das Resultat eines zu niedrigen arteriellen Mitteldrucks, der zunächst durch die Gabe von Volumen, evtl. zusammen mit positiv inotropen Substanzen, angehoben werden sollte. Reicht diese Maßnahme nicht aus, was insbesondere bei bereits vorgeschädigter Niere zu erwarten ist, so kann die
Diurese entweder mit osmotisch wirksamen Substanzen (z. B. Mannitol) oder mit Diuretika, entweder als Bolus (25–100 mg Furosemid oder 25–50 mg Torasemid) oder kontinuierlich über einen Perfusor, gefördert werden. Dabei ist für Furosemid die Tagesmaximaldosis von 1200 mg zu beachten. Kommt es trotzdem zu einer weiteren Verschlechterung der Nierenfunktion mit konsekutiver Oligo-/Anurie im Sinne eines akuten Nierenversagens entsprechend den in . Tab. 7.14 und . Tab. 7.15 genannten Kriterien (z. B. Urinausscheidung von <30 ml/h), sollte die Entscheidung für die Anwendung eines Nierenersatzverfahrens zügig erfolgen. Die in . Tab. 7.14 und . Tab. 7.15 genannten Zeitangaben von 24 h sind im Fall herzchirurgischer Patienten deutlich zu lang; spätestens in der zweiten Stunde einer nahezu sistierenden Urinausscheidung sollte die Nierenersatztherapie begonnen werden. Dabei spielt es offensichtlich nur eine untergeordnete Rolle, ob man kontinuierlich hämo(dia)filtriert oder intermittierend hämodialysiert (Garwood 2004). Diuretika sind in dieser Situation kontraproduktiv – vermutlich sogar schädlich – und sollten abgesetzt werden (Mehta et al. 2002). Ungefähr 25 % dieser Patienten bleiben auch im Langzeitverlauf dialysepflichtig.
7.5.6 Gastrointestinaltrakt
Schwerwiegende Komplikationen des Gastrointestinaltrakts wie Blutung, Ulkus, Ileus, Pankreatitis, Peritonitis, Darmischämie und Mesenterialthrombose werden nach den Ergebnissen der BQS in etwa 3 % der Fälle beobachtet (Bundesgeschäftsstelle für Qualitätssicherung 2008). Von diesen Patienten wurden 25 % laparatomiert, was darauf hindeutet, dass die Diagnose einer gastrointestinalen Komplikation mitunter erst vom Pathologen gestellt wurde. Die Ergebnisse der vorhandenen Literatur nennen in Zusammenhang mit gastrointestinalen Komplikationen eine hohe Sterblichkeit (Markewitz u. Lante 2006). Am häufigsten wird die gastrointestinale Blutung beobachtet, die
7
174
7
Kapitel 7 · Herzchirurgische Intensivmedizin
ebenso wie die meisten anderen gastrointestinalen Probleme einer konservativen oder endoskopischen Therapie zugänglich ist und eine vergleichsweise günstige Prognose hat. Seltener sind ischämische Ereignisse, die allerdings mit Sterblichkeitsraten zwischen 70 % und 100 % vergesellschaftet sind und daher eine große Herausforderung für den herzchirurgischen Intensivmediziner darstellen. Das Hauptproblem der Darmischämie ist die späte Diagnosestellung aufgrund der zumeist unspezifischen Symptomatik. Andere Organkomplikationen werden rascher bemerkt, da kardiale, pulmonale und renale Funktionen einem direkten Monitoring zugänglich sind. Dies ist bei der Darmischämie nicht der Fall, aber gerade hier kommt es auf die rasche Diagnosestellung an, da die Letalität bei früher operativer Intervention signifikant niedriger ist als bei einem späteren Operationszeitpunkt. Die Darmischämie ist zugegebenermaßen insbesondere beim analgosedierten Patienten schwer zu diagnostizieren. Da bei dieser Komplikation aber nur sehr wenig Zeit bleibt, sollte jeder Patient mit steigenden Laktatwerten und persistierender, therapieresistenter metabolischer Azidose, was zumeist von einer Leukozytose und einem paralytischen Ileus begleitet ist, umgehend einer selektiven Angiographie der Mesenterialgefäße zugeführt werden. In den Fällen, in denen eine nichtokklusive mesenteriale Ischämie vorliegt, kann in gleicher Sitzung eine lokale Vasodilatanzientherapie, z. B. mit Papaverin, durchgeführt werden, was die Situation zumeist rasch bessert. Sollte die Möglichkeit einer selektiven Angiographie nicht bestehen, ist die umgehende Laparatomie indiziert. Selbst bei rascher Intervention ist mit einer Sterblichkeit von 50 % zu rechnen, und jenseits der 12-StundenGrenze ist ein Überleben eher unwahrscheinlich.
7.5.7
Zentrales und peripheres Nervensystem
7.5.7.1
Inzidenz neurologischer Komplikationen
Je nach Definition sind neurologische Komplikationen selten bis extrem häufig. Es kann jedoch als sicher gelten, dass sie sowohl die operative Letalität als auch die postoperative Lebensqualität dauerhaft zu beeinflussen vermögen (Welsby et al. 2002). Aufgrund der unterschiedlichen Prognose und der unterschiedlichen klinischen Implikationen empfiehlt sich eine Einteilung in folgende Formen: 4 ischämischer Schlaganfall, 4 (hirn-)organisches Psychosyndrom (HOPS), 4 »critical illness polyneuropathy« (CIP), 4 sonstige Komplikationen wie neurokognitive Defizite, neuropsychologische Komplikationen und periphere Nervenläsionen.
7.5.7.2
Ischämischer Schlaganfall
Der ischämische Schlaganfall tritt je nach Typ der vorausgegangenen Herzoperation mit einer Häufigkeit von 2–10 % auf, wobei koronare Bypassoperationen mit einer Schlaganfallhäufigkeit von 1,4–3,8 % das untere und Mehrfachklappenoperationen mit einer Inzidenz von fast 10 % das obere Ende dieser Verteilung bilden (Selim 2007). Die früher übliche Unterteilung nach der Zeitdauer der Symptome in transitorische ischämische Attacke (TIA), prolongiertes ischämisches neurologisches Defizit (PRIND) und kompletter Schlaganfall (»complete stroke«, CS) gilt inzwischen als überholt (Deutsche Gesellschaft für Neurologie 2008). Die Patienten werden in der Regel durch eine arm- oder beinbetonte Hemiparese und je nach betroffener Hirnhemisphäre zusätzlich durch eine Aphasie auffällig. Die Diagnose erfolgt mittels kranialer Computertomographie, die bereits 2 h nach dem akuten Ereignis erste Infarktzeichen zur Darstellung bringt. Die Ursachen des ischämischen Schlaganfalls bleiben in der Regel unklar. Infrage kommen z. B. atherosklerotischer Debris aus der Aorta oder von der Aortenklappe, Thromben aus dem linken Vorhof oder dem linken Ventrikel oder der Verschluss einer hochgradig stenosierten Hirnarterie. Obwohl die Ursachenforschung zumeist unergiebig ist, sollten dennoch neben der kranialen Computertomographie durch die Echokardiographie mögliche Emboliequellen im linken Herz ausgeschlossen werden. Die kausale Therapie des thromboembolisch bedingten ischämischen Schlaganfalls mittels i. v. Lyse mit rt-PA (»recombinant tissue type plasminogen activator«, rekombinanter Gewebeplasminogenaktivator) verbietet sich beim frisch am Herzen Operierten. Die intraarterielle supraselektive Lyse stellt eine Alternative dar, die nach den gültigen Leitlinien (Deutsche Gesellschaft für Neurologie 2008) im Sinne eines individuellen Heilversuchs durchgeführt werden kann. Das Zeitfenster von max. 6 h nach dem akuten Ereignis stellt dabei ein Problem dar, da sich der perioperative Schlaganfall nach herzchirurgischen Eingriffen zumeist in einer Phase ereignet, in der die meisten Patienten noch analgosediert sind, sodass eine zeitnahe Diagnosestellung nicht gelingt. Daher beschränkt sich die Therapie des Schlaganfalls fast immer auf symptomatische Maßnahmen: 4 Der Blutdruck sollte im leicht hypertensiven Bereich (160–180 mm Hg systolisch) gehalten werden, da die zerebrale Autoregulation in Infarktarealen aufgehoben sein kann. 4 Auf eine adäquate Oxygenierung ist zu achten. 4 Der Blutzuckerspiegel sollte (nicht nur wegen des Schlaganfalls) nicht auf >150 mg/dl ansteigen. 4 Die Körpertemperatur sollte nicht mehr als 37,5°C betragen. Eine PTT-wirksame Verabreichung von Heparinen jedweder Art wird nicht empfohlen. Demgegenüber ist die Gabe
175 7.5 · Spezielle intensivmedizinische Maßnahmen
von 50–300 mg Acetylsalicylsäure als Sekundärprophylaxe etabliert. Die wesentliche zerebrale Komplikation des Schlaganfalls ist die Entwicklung eines Hirnödems bis hin zur Einklemmung als Maximalvariante einer intrakraniellen Druckerhöhung. Daher ist auf Hirndruckzeichen wie Stauungspapille oder Bewusstseintrübung zu achten. Als konservative Maßnahmen bei erhöhtem Hirndruck sollte die auch aus anderen Gründen vorteilhafte 30°-Oberkörperhochlagerung erfolgen. Weiterhin kann eine Osmotherapie mit Mannitol oder Hyper-HAES durchgeführt werden, und auch die Verabreichung von kurz wirksamen Barbituraten (z. B. Thiopental) kann den Hirndruck akut senken. Die Wirksamkeit einer Hyperventilation ist umstritten. Eine Kortisongabe wird nicht mehr empfohlen. Als chirurgische Therapieoption steht die dekompressive Kraniektomie zur Verfügung, wobei der Nutzen dieser Maßnahme insbesondere hinsichtlich des Ausmaßes der verbleibenden Behinderung trotz Dekompression eher limitiert zu sein scheint (Ausnahme: der seltene Kleinhirninfarkt). Weitere Komplikationen des Schlaganfalls sind epileptische Anfälle und alle Sekundärfolgen, die man bei Patienten beobachtet, die immobilisiert und/oder bewusstseinsgestört sind, wie z. B. Aspirationspneumonien, venöse Thrombosen oder Dekubitalulzera. Diese Komplikationen gilt es durch entsprechende Präventivmaßnahmen (Anlage einer Magensonde, Lagerung, Krankengymnastik, Ergotherapie, Mobilisation) zu verhindern. Für die weitere Prognose von Bedeutung ist die möglichst früh einsetzende Rehabilitationsbehandlung der motorischen Störungen, die bis zu einem Jahr nach dem akuten Ereignis nicht selten zu erstaunlichen Erfolgen führt. Insgesamt ist die Prognose der Patienten, die das akute Ereignis überleben, jedoch sowohl quoad vitam mit einer 5-Jahres-Überlebensrate von 47 % als auch hinsichtlich der Lebensqualität limitiert: Bei nahezu der Hälfte der überlebenden Patienten verbleiben dauerhafte Defizite, die ein Leben ohne fremde Hilfe unmöglich machen (Salazar et al. 2001). 7.5.7.3
Organisches Psychosyndrom
Dieses auch als »Durchgangssyndrom«, als »hirnorganisches Psychosyndrom« (HOPS) oder im angloamerikanischen Sprachraum als »Delirium« bezeichnete Krankheitsbild tritt relativ häufig auf und stellt Ärzte und Pflegepersonal mitunter vor schwer lösbare Herausforderungen, wenn der Patient aufgrund optischer oder akustischer Halluzinationen oder wegen Verwirrtheit und Orientierungsstörungen zu Aggressivität neigt (Score-Wert von ≥2 auf der Richmond Agitation and Sedation Scale; . Tab. 7.17). Die dabei entwickelten Körperkräfte sind beachtlich und sollten nicht unterschätzt werden. Will man das Ausmaß des organischen Psychosyndroms detaillierter quantifizieren, so wird die Verwendung
der Richmond Agitation and Sedation Scale in Verbindung mit der Confusion Assessment Method für die Intensivstation empfohlen (Ely et al. 2004). In seiner milden Form bedarf das organische Psychosyndrom keiner Therapie. Insbesondere bei älteren Patienten, ausgeprägtem Flüssigkeitsverlust (Schwitzen, Fieber, Durchfall) oder hohen Außentemperaturen ist zur Prävention für einen adäquaten Hydratationszustand zu sorgen. Im Einzelfall können 5–10 mg Haloperidol oder Clonidin i. v. über einen Perfusor verabreicht werden. Nur in extremen Einzelfällen bei hochgradiger Gefährdung des Patienten und des Personals stellt eine Sedierung, z. B. mit Propofol (Disoprivan) über einen Perfusor, die Ultima Ratio dar. Die mechanische Fixierung des Patienten sollte nur in Ausnahmesituationen zur Anwendung kommen, da sie juristisch nicht unbedenklich ist und zum anderen das Krankheitsbild aggravieren kann. In jedem Fall einer mechanischen Fixierung empfiehlt sich eine für jeden, insbesondere für einen späteren Gutachter nachvollziehbare Dokumentation über die Gründe, die zur Fixation zwangen. Eine nicht seltene unerwünschte Nebenwirkung des organischen Psychosyndroms ist das instabile Sternum, das zu einem Revisionseingriff zwingt, in dessen Folge der Patient nicht selten erneut ein HOPS entwickelt. Außerhalb der Herzchirurgie ist das organische Psychosyndrom als unabhängiger letalitätssteigernder Faktor bei beatmeten Intensivpatienten beschrieben worden (Ely et al. 2004). . Tab. 7.17. Richmond Agitation and Sedation Scale Score
Bezeichnung
Beschreibung
4
Sehr streitlustig
Gewalttätig, unmittelbare Gefahr für das Personal
3
Sehr agitiert
Aggressiv, zieht Drainagen und Katheter heraus
2
Agitiert
Häufige ungezielte Bewegungen, kämpft gegen das Beatmungsgerät
1
Unruhig
Ängstlich, aber Bewegungen nicht aggressiv oder heftig
0
Wach und ruhig
–
–1
Schläfrig
Nicht ganz aufmerksam, aber auf Ansprache erweckbar (Augenöffnen und Augenkontakt für >10 s)
–2
Leichte Sedierung
Kurzes Erwachen (Augenkontakt auf Ansprache für <10 s)
–3
Mäßige Sedierung
Bewegungen bei Ansprache, kein Blickkontakt
–4
Tiefe Sedierung
Keine Reaktion auf Ansprache, aber Bewegungen auf physikalische Reize
–5
Nicht erweckbar
Keine Reaktion auf Ansprache oder physikalische Reize
7
176
Kapitel 7 · Herzchirurgische Intensivmedizin
7.5.7.4
7
»Critical illness polyneuropathy«
Die Ursache dieser insgesamt sehr seltenen, aber sicher häufig nicht erkannten Komplikation konnte noch nicht eindeutig geklärt werden. Eine wirkungsvolle Prophylaxe und eine Therapie sind demzufolge unbekannt. Es handelt sich um eine vorwiegend motorische axonale Polyneuropathie, die bei intensivmedizinisch behandelten Patienten gehäuft beobachtet wird, insbesondere nach Sepsis und Polytrauma. Ein Zusammenhang mit dem systemischen inflammatorischen Reaktionssyndrom (SIRS), dem Mehrorganversagen und verschiedenen Medikamenten wird für hochwahrscheinlich gehalten. Das wesentliche Problem besteht üblicherweise darin, die Patienten von der Beatmung zu entwöhnen, da die Atemmuskulatur regelhaft von der Nervenschädigung mitbetroffen ist. Dies ist auch die einzige praktische Relevanz für den herzchirurgischen Intensivmediziner. Bei permanent fehlschlagenden Extubationsversuchen sollte die »critical illness polyneuropathy« als mögliche Ursache in die Überlegungen einbezogen werden. Die Sterblichkeit liegt immerhin bei etwa einem Drittel. In den übrigen Fällen ist die Prognose günstig: Ungefähr 50 % der Patienten erholen sich über einen Zeitraum von 6 Wochen bis zu einem Jahr komplett, und 20 % behalten Residuen zurück (Kane u. Dasta 2002). 7.5.7.5
Sonstige Komplikationen wie neurokognitive Defizite, neuropsychologische Komplikationen und periphere Nervenläsionen
Das Auftreten der genannten Krankheitsbilder ist kein spezifisches Problem herzchirurgischer Intensivpatienten,
sie werden nur der Vollständigkeit halber erwähnt. Es versteht sich von selbst, dass periphere Nervenläsionen als Folge einer nicht optimalen Lagerung während einer lang andauernden Phase der Analgosedierung durch adäquate Präventionsmaßnahmen vermieden werden sollten. In jedem dieser Fälle erscheinen jedoch eine fachkundige Begutachtung und eine entsprechende Dokumentation angezeigt.
7.5.8
Säure-Basen-Haushalt und Elektrolyte
Die einzelnen Formen der Störungen des Säure-BasenHaushalts sowie die entsprechenden Laborbefunde sind in . Tab. 7.18 zusammengefasst, die wesentlichen Ursachen und ihre Therapie in . Tab. 7.19. Klinisch relevant ist v. a. die metabolische Azidose, die bei herzchirurgischen Intensivpatienten nahezu ausschließlich durch den vermehrten Anfall von sauren Stoffwechselprodukten im Rahmen der Umstellung vom aeroben auf den aneroben Stoffwechsel bedingt ist. Die metabolische Azidose ist daher Ausdruck einer Sauerstoffunterversorgung des Gewebes, die entweder global als Folge eines »low cardiac output syndrome« oder lokal, z. B. im Rahmen einer Mesenterialischämie, auftritt. Daraus ergibt sich, dass es nicht ausreicht, eine metabolische Azidose zu therapieren, sondern zudem die auslösende Ursache beseitigt werden muss. Klinische Folgen der Azidose sind eine Einschränkung der Kontraktilität und eine herabgesetzte Wirksamkeit von kreislaufwirksamen Medikamenten, was wiederum die metabolische Azidose verstärken kann. Die
. Tab. 7.18. Laborwerte bei Störungen des Säure-Basen-Haushalts Störungen
pH-Wert
Kohlendioxidpartialdruck [mmHg]
Bikarbonatkonzentration [mmol/l]
Basenexzess [mmol/l]
Normalwerte
7,36–7,44
35–45
22–26
–2 bis +2
Respiratorische Azidose
<7,36
>45
Normal
Normal
Respiratorische Alkalose
>7,44
<35
Normal
Normal
Metabolische Azidose
<7,36
Normal
<22
Negativ
Metabolische Alkalose
>7,44
Normal
>26
Positiv
. Tab. 7.19. Häufige Ursachen von Störungen des Säure-Basen-Haushalts und deren Therapie Störungen
Ursache
Therapie
Respiratorische Azidose
Hypoventilation
Optimierung der Beatmung
Respiratorische Alkalose
Hyperventilation
Optimierung der Beatmung
Metabolische Azidose
Anaerober Stoffwechsel
Gabe von NaHCO3 bzw. Tris-Puffer
Metabolische Alkalose
Überkorrigierte Azidose
Gabe von Arginin-HCl
177 7.5 · Spezielle intensivmedizinische Maßnahmen
metabolische Azidose wird durch die Gabe von NaHCO3 nach folgender Formel korrigiert: negativer Basenexzess × 0,3 × Körpergewicht [kg] = mval NaHCO3 (8,4 %) Benötigt der Patient größere Mengen an NaHCO3, kommt es zur iatrogenen Hypernatriämie, wenn nicht rechtzeitig, d. h. ab einem Natriumwert von 145 mmol/l, auf eine Pufferung mit Trometamol gewechselt wird, z. B. durch Gabe von Tris-Puffer (Tris 36,34 % Braun) nach folgender Formel:
7
7.5.9 Fieber und Infektionen
Ein Anstieg der Körpertemperatur auf supranormale Werte ist nach operativen Eingriffen, insbesondere herzchirurgischen Operationen, ein alltägliches Ereignis und in Abwesenheit eines kritischen Krankheitszustandes oder ande-
negativer Basenexzess × 0,1 × Körpergewicht [kg] = ml Trispuffer Eine metabolische Alkalose ist häufig das Resultat einer Azidoseüberkorrektur, entweder iatrogen nach Gabe von Puffersubstanzen oder patientenbedingt durch metabolische Überkompensation einer respiratorischen Azidose. Die metabolische Alkalose kann ihrerseits die Kontraktilität mindern und zu Rhythmusstörungen führen und verschlechtert überdies durch eine Verschiebung der Sauerstoffdissoziationskurve die Sauerstoffabgabe an das Gewebe. Bei den Elektrolyten haben die Veränderungen des Kaliumspiegels die größte klinische Relevanz. Der Kaliumspiegel im Serum liegt normalerweise bei 3,5–5 mmol/l. Eine Hypokaliämie demaskiert sich zumeist durch Extrasystolen, Tachykardien, ST-Strecken-Senkungen und/oder Verlängerungen des QT-Intervalls und wird durch Zufuhr von KCl therapiert. Die Hyperkaliämie führt zu einer deutlich erhöhten, häufig spitzen T-Welle, zu einer Verbreiterung des QRS-Komplexes bis hin zum Schenkelblock, zu Arrhythmien und schließlich zu einer schwer behandelbaren Asystolie. Eine Maßnahme zur Senkung des Kaliumspiegels ist die Gabe von Diuretika, NaHCO3, Kalzium oder Glukose mit Insulin. Damit betreibt man allerdings nur Laborkosmetik, weil Kalium auf diese Weise nicht eliminiert, sondern nur vom Extra- in den Intrazellulärraum verschoben wird. Eine tatsächliche Kaliumelimination erreicht man durch einen Resoniumeinlauf. Alternativ oder bei nicht ausreichender Wirksamkeit der genannten Maßnahmen ist spätestens ab einem Kaliumwert von 6 mmol/l die extrakorporale Elimination des Kaliums mittels Hämofiltration oder Hämodialyse erforderlich. Die Hypernatriämie als Folge einer inadäquat hohen Zufuhr oder einer aggressiven Entwässerungstherapie wird durch Austausch jeglicher natriumhaltigen Flüssigkeitszufuhr gegen natriumfreie Lösungen wie z. B. Glukose 5 % therapiert, um die Ausbildung bzw. Verschlimmerung eines hyperosmolaren Komas zu verhindern. Eine Hyponatriämie bei Überwässerung oder Natriumverlust über Darm und/oder Niere wird durch Zufuhr von natriumhaltigen Lösungen ausgeglichen.
Sepsis
. Abb. 7.16. Differenzialdiagnostik und Schweregrade der systemischen Entzündungsreaktion ohne und mit infektiöser Ursache. Infektion klinische Diagnosestellung oder positiver mikrobiologischer Befund; Organdysfunktion akute Enzephalopathie mit: 4 eingeschränkter Vigilanz, Desorientiertheit, Unruhe und Delirium, 4 relativer oder absoluter Thrombozytopenie mit Abfall der Thrombozytenzahl um >30 % innerhalb von 24 h oder mit einer Thrombozytenzahl von <100.000/μl bei Ausschluss einer akuten Blutung, 4 arterieller Hypoxämie mit einem Sauerstoffpartialdruck von <75 mmHg bei Raumluft oder einem Verhältnis zwischen Sauerstoffpartialdruck und inspiratorischer Sauerstofffraktion von <250 unter Sauerstoffapplikation, 4 renaler Dysfunktion mit einer Diurese von <0,5 ml/kg KG/h über >2 h trotz ausreichender Volumensubstitution und/oder Anstieg des Serumkreatininwertes auf mehr als das Doppelte des lokal üblichen Referenzbereichs, 4 metabolischer Azidose mit einem Basenexzess von mehr als –5 mmol/l oder einer Laktatkonzentration von mehr als dem 1,5fachen des lokal üblichen Referenzbereichs, 4 Hypotension mit einem systolischen Blutdruck von <90 mmHg oder einem mittleren arteriellen Blutdruck von <70 mmHg für mindestens 1 h trotz adäquater Volumenzufuhr oder dem notwendigen Einsatz von Vasopressoren (z. B. Noradrenalin), um den systolischen Blutdruck bei mindestens 90 mmHg oder den arteriellen Mitteldruck bei mindestens 70 mmHg zu halten. paCO2 Kohlendioxidpartialdruck; SIRS »systemic inflammatory response syndrome«
178
Kapitel 7 · Herzchirurgische Intensivmedizin
rer klinischer Zeichen für eine Infektion zunächst lediglich ein kontrollbedürftiger Befund, der allenfalls einer symptomatischen Therapie bedarf. Der Temperaturanstieg ist zumeist Ausdruck der nach Operationen physiologischen systemischen Entzündungsreaktion (»systemic inflammatory response syndrome«, SIRS). Ausnahmen bilden Eingriffe bei infektiösen Herzerkrankungen (Endokarditiden) oder Revisionseingriffe bei septischen Komplikationen (z. B. Sternuminfektion, Mediastinitis). Die wesentliche Schwierigkeit besteht für den Intensivmediziner in der Unterscheidung zwischen nichtinfektiösem und infektiösem Fieber. . Abbildung 7.16 verdeutlicht diese Schwierigkeiten. Praktisches Vorgehen (Differenzialdiagnosen: Hypovolämie, SIRS, Infektion, Sepsis). Bei Temperaturerhöhungen
7
oder Fieber, von dem man definitionsgemäß ab einer Körpertemperatur von >38,3°C spricht, wird zunächst ein intravasaler Flüssigkeitsmangel ausgeschlossen, da dieser über eine periphere Vasokonstriktion und eine Zentralisation zu einer Erhöhung der zentral gemessenen Temperatur führen kann. Ist die Hypovolämie ausgeschlossen bzw. behandelt, ist ein Wiederanstieg der Temperatur nach Ablauf der ersten 24–48 h immer suspekt und muss Anlass sein, einen lokalen Infektionsherd und eine systemische Infektion auszuschließen. ! Da postoperative Infektionen mit einer deutlich erhöhten Sterblichkeit einhergehen sowie mit einem erheblich höheren Personal- und Materialeinsatz vergesellschaftet sind, sollte der Ausschluss bzw. Nachweis einer Infektion rasch und konsequent erfolgen.
. Abb. 7.17. Vorschlag für das diagnostische und therapeutische Vorgehen bei unklarem postoperativen Fieber. Rö-Thorax Röntgenuntersuchung des Thorax; ZVK zentraler Venenkatheter
Eine Möglichkeit, wie man dabei vorgehen kann, ist in . Abb. 7.17 dargestellt. Die für eine postoperative Infektion prädisponierenden Faktoren sind an anderer Stelle ausführlich beschrieben worden (Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention beim Robert Koch Institut 2007; Mangram et al. 1999); herzchirurgische Patienten weisen regelhaft mehrere davon auf. Die Diagnose einer Infektion wird dabei umso wahrscheinlicher, je mehr Risikofaktoren der Patient aufweist. Beweisend für eine Infektion ist aber nur und ausschließlich der Nachweis von pathogenen Mikroorganismen. Bei der Fokussuche kann man sich von der alten Regel, dass Häufiges häufiger vorkommt, leiten lassen. Erfahrungsgemäß handelt es sich bei den Infektionen nach herzchirurgischen Operationen am häufigsten um Pneumonien, gefolgt von Harnwegs- und Wundinfektionen sowie Bakteriämien, die zumeist durch einen infizierten zentralvenösen Katheter bedingt sind. Diese Infektionen treten in der Regel ab dem 5. postoperativen Tag auf, Wundinfektionen zumeist jenseits der ersten postoperativen Woche. Letztere stellen überdies eine Besonderheit dar, weil sie primär chirurgisch, fast immer lokal und v. a. nicht antibiotisch behandelt werden müssen. Sie werden daher in der Folge nicht weiter besprochen, da die chirurgische Behandlung von Wundinfektionen den allgemeinen Prinzipien der Basischirurgie folgen sollte. Lässt das Röntgenbild des Thorax oder eine bettseitige Untersuchung des Urins mittels Teststreifen eine Lungenoder Harnwegsinfektion wahrscheinlich erscheinen, steht man wie in dem Fall, bei dem man nicht weiß, woher die Infektion kommt, vor dem nächsten Problem: Man muss
179 7.5 · Spezielle intensivmedizinische Maßnahmen
antibiotisch behandeln, kennt aber den verursachenden Erreger noch nicht. Die in der Literatur angegebenen Keimspektren helfen hier nicht weiter; man muss die an der eigenen Klinik und auf der eigenen Intensivstation am häufigsten vorkommenden Keime und ihre Resistenzmuster kennen. Bei der auf dieser Basis kalkulierten Antibiotikatherapie kommt es überdies entscheidend darauf an, dass man das gewählte Antibiotikum hoch genug dosiert und die richtigen Dosierungsintervalle einhält. Ein falsches, zu niedrig dosiertes oder in zu großen Intervallen verabreichtes Antibiotikum ist nicht nur hinsichtlich der zu behandelnden Infektion wirkungslos, sondern erhöht überdies die Letalität und steigert die ohnehin besorgniserregend hohe Resistenzrate der Hospitalkeime. Weiterhin muss die kalkulierte Antibiotikatherapie so rasch wie möglich durch eine gezielte Behandlung ersetzt werden, was meist einer Deeskalation der Therapie entspricht. Dies unterstreicht die Bedeutung einer konsequent durchgeführten und ggf. genauso konsequent weitergeführten Suche nach dem Fokus und dem Keim, und zwar so lange, bis man Fokus und Keim identifiziert hat oder der klinische Verlauf in Form einer eindeutigen Verbesserung bzw. eines finalen Ereignisses eine weitere Suche überflüssig werden lässt. ! Dabei versteht es sich von selbst, dass neben der gezielten antibiotischen Therapie umgehend chirurgisch interveniert werden muss, wenn die Natur des Fokus dies erfordert, da ohne Fokussanierung jede Therapie, u. a. auch eine gezielte antibiotische, fehlschlagen muss.
Kommt es – aus welchen Gründen auch immer – zum Fortschreiten der infektiösen Erkrankung in Richtung einer schweren Sepsis (. Abb. 7.16), wird die Prognose sehr ernst. Die Behandlungsergebnisse der Sepsis haben sich seit ihrer Erstbeschreibung leider nicht im gewünschten Ausmaß gebessert. Die Sterblichkeit ist nach wie vor hoch, und es gibt eigentlich nur 3 Behandlungsmethoden, für die ein prognoseverbessernder Effekt bekannt ist: 4 »early goal directed therapy«, d. h. die sofortige, zielwertorientierte Wiederherstellung normotoner HerzKreislauf-Verhältnisse (Rivers et al. 2001), 4 intensivierte Insulintherapie (van den Berghe et al. 2001), 4 Behandlung mit rekombinantem humanen aktivierten Protein C (Bernard et al. 2001), wobei diese bereits wieder in die Diskussion geraten ist (Eichacker et al. 2007). Darüber hinaus werden eine Reihe weiterer Maßnahmen zur Therapie der Sepsis empfohlen. Eine ausführliche Diskussion der Problematik würde den Umfang dieses Kapitels sprengen, sodass der Hinweis auf die aktuelle Leitlinie (Dellinger et al. 2004) und die dazugehörige Internetpräsentation (Surviving Sepsis Campaign 2008) genügen soll.
7.5.10
Dekubitus
Ein Dekubitus ist eine Gewebeschädigung im Sinne eines Hautdefekts, die durch hohen und länger anhaltenden Druck entsteht und daher als »Druckgeschwür« bezeichnet wird. Dieser Vorgang kann durch Reibung oder Scherkräfte zusätzlich negativ beeinflusst werden (Maklebust 2005; Thompson 2005). Die Hauptursache für die Entstehung eines Dekubitus ist der Druck, der innerhalb einer gewissen Zeit beim Sitzen oder Liegen auf ein bestimmtes Hautareal ausgeübt wird. Dieser Druck bewirkt die Komprimierung der versorgenden Blutgefäße. Die Folge ist eine Mangeldurchblutung, sodass bei länger anhaltendem Druck auf ein räumlich begrenztes Hautareal die betroffenen Körperzellen absterben, wobei die entsprechenden Nervenzellen schon wesentlich früher geschädigt werden. Erste Druckschäden der Haut lassen sich bereits nach 2 h nachweisen, sodass ohne Prophylaxe bereits nach kürzester Zeit mit einem Dekubitus gerechnet werden muss, wenn der Patient nicht in der Lage ist, seine Position zu verändern. Neben der arteriellen wird auch die venöse Durchblutung unterbrochen. Folglich werden anfallende saure Stoffwechselprodukte nicht abtransportiert. Der Konzentrationsanstieg dieser sauren Substanzen im Gewebe löst beim gesunden Menschen einen Reflex aus, der zu einer minimalen Bewegung führt. Zudem bedingt der entstehende Druckschmerz in der Regel ebenfalls einen Positionswechsel. Dadurch wird die Entstehung eines Druckgeschwürs beim Gesunden verhindert. Durch die Übersäuerung im Gewebe kommt es zu einer Weitstellung der Gefäße. Dies führt zu einer stärkeren Durchblutung, erkennbar an einer Hautrötung. Die Gefäßdilatation bewirkt zudem einen Flüssigkeits- und Eiweißaustritt in das Gewebe und fördert die Entstehung von Ödemen und Blasen. Zusätzlich kommt es zu lokalen Thrombosen – der Dekubitus ist entstanden. Ein Dekubitus kann unterschiedlich groß und tief sein. Zudem ist das Druckgeschwür in der Regel infiziert. Dadurch nimmt die Heilung nicht selten Monate in Anspruch. Ein Dekubitus entsteht bevorzugt an Körperstellen, die sich durch Knochenvorsprünge und geringe Abpolsterung durch Muskel- und Fettgewebe auszeichnen. Daher treten Druckgeschwüre am häufigsten in der Steißregion, im Bereich der Trochanteren und an den Fersen auf. Je nach Ausmaß des Druckgeschwürs unterscheidet man 4 Stadien: 4 Stadium I: Die Haut ist noch nicht geschädigt. Es ist jedoch ein scharf umgrenzter roter Fleck zu erkennen. Dieser lässt sich nicht per Fingerdruck »wegdrücken« (»Fingertest«). Bei kontinuierlicher Druckentlastung verschwindet die Hautrötung nach einigen Stunden bis Tagen. 4 Stadium II: Findet keine Druckentlastung statt, kommt es zur verstärkten Einlagerung von Flüssigkeit mit an-
7
180
Kapitel 7 · Herzchirurgische Intensivmedizin
schließender Blasenbildung. Beim Aufplatzen dieser Blasen entsteht eine nässende, infektionsanfällige Schädigung der Haut. 4 Stadium III: Die durch die andauernde Druckeinwirkung abgestorbenen Hautzellen bilden eine schwarze, nekrotische Schicht. Diese kann nach einer gewissen Zeit aufbrechen. Muskulatur, Bänder und Sehnen werden sichtbar; gelegentlich ist der noch intakte Knochen zu sehen. 4 Stadium IV: Die Wunde ist so tief, dass der Knochen betroffen ist. Das Knochengewebe weist nun eine Entzündung, eine Osteomyelitis, auf.
7
Das Auftreten eines Dekubitus sollte immer Anlass sein zu prüfen, ob alles getan wurde, um diese Komplikation, die Patienten, Angehörige, Pflegepersonal, Ärzte und das Gesundheitssystem in gleicher Weise belastet, zu verhindern. Zu dieser Fragestellung wurde erstmals im August 2000 der nationale Expertenstandard zur Dekubitusprophylaxe veröffentlicht. Inzwischen liegt eine aktualisierte Fassung vor (Deutsches Netzwerk für Qualitätsentwicklung in der Pflege 2008). Der Expertenstandard umfasst u. a. folgende Schwerpunkte: 4 gewebeschonende Bewegungs-, Lagerungs- und Transfertechniken, 4 unverzüglicher Einsatz angemessener Hilfsmittel wie Weichlagerungssysteme (z. B. Schaumstoffmatratzen, Gelauflagen, Luftkissen etc.), 4 Gewährleistung der kontinuierlichen Durchführung prophylaktischer Maßnahmen. Die lokale Dekubitusbehandlung besteht aus: 4 Nekrosenentfernung/Débridement, 4 Infektionsbekämpfung, 4 phasengerechte Wundversorgung, 4 feuchte Wundbehandlung, 4 Wundkonditionierung, 4 weitere Therapieformen, z. B. gepulste elektrische Stimulation oder Vakuumversiegelungstechnik. Zur Kausaltherapie zählen im Wesentlichen: 4 vollständige Druckentlastung, 4 Ernährungsverbesserung, 4 Schmerztherapie, 4 Verbesserung des Allgemeinzustandes. Das Neuauftreten eines Dekubitus ab dem Stadium II ist das einzige von der verpflichtenden externen Qualitätssicherung erfasste Kriterium, mit dem die Qualität der Intensivmedizin betrachtet wird. Eine Inzidenz von <1 % pro Jahr ist das anzustrebende Ziel.
7.5.11
Gerinnungsstörungen
Auf die häufigsten Gerinnungsstörungen nach herzchirurgischen Operationen wurde bereits in Abschnitt 7.5.3 hingewiesen. Das Krankheitsbild der heparininduzierten Thrombozytopenie (HIT) ist unlängst ausführlich abgehandelt worden (Napolitano et al. 2006; Selleng et al. 2007). Nach herzchirurgischen Eingriffen ist in 1–2 % der Fälle mit dem Auftreten einer HIT zu rechnen. Der Prozentsatz der Patienten mit positivem HIT-Test ist deutlich, d. h. um den Faktor 10–15, höher, wobei bereits ein positiver HIT-Test mit einer erhöhten Inzidenz an Komplikationen sowie einer gesteigerten operativen Sterblichkeit vergesellschaftet ist (Kerendi et al. 2007). Kurzgefasst handelt es sich bei der HIT um eine antikoagulanzieninduzierte prothrombotische Erkrankung. Sie wird durch eine Immunreaktion gegen den Plättchenfakor-4-Heparin-Komplex verursacht. Im Vordergrund stehen ein Abfall der Thrombozytenzahlen um >50 % sowie das Auftreten von Thrombosen. Die Diagnosestellung ist nicht einfach und folgt dem in . Abb. 7.18 dargestellten Algorithmus. Die Schwierigkeit besteht darin, dass der heutzutage am häufigsten verwendete HIT-Test, ein ELISA (»enzyme-linked immunosorbent assay«), der das Vorhandensein von Plättchenfakor-4-Heparin-Antikörpern nachweist, zwar relativ sensitiv, aber wenig spezifisch ist. Dies liegt daran, dass nach herzchirurgischen Operationen fast 50 % der Patienten solche Antikörper bilden, aber nur 1–2 % tatsächlich eine HIT aufweisen. Die funktionellen HIT-Tests (z. B. der »serotonin release assay«) sind genauer. Sie messen die durch Heparinantikörper vermittelte Thrombozytenaktivierung, sind aber nur sehr begrenzt verfügbar. Die Therapie bei Nachweis einer HIT besteht im Absetzen des Heparins und der Verabreichung von alternativen Antikoagulanzien wie dem Thrombininhibitor Lepirudin (Refludan), wohingegen das in diesem Zusammenhang ebenfalls genannte Danaparoid (Orgaran) aufgrund möglicher Kreuzreaktionen mit Vorsicht zu verwenden ist. Das praktische Vorgehen ist in . Abb. 7.18 zusammengefasst.
7.5.12
Endokrinium
In diesem Abschnitt soll kurz auf die intensivierte Insulintherapie sowie den Stellenwert der Trijodthyronin- und Kortisontherapie eingegangen werden. 7.5.12.1
Intensivierte Insulintherapie
Seit der Arbeit von Frau van den Berghe, in der bei einem überwiegend herzchirurgischen Krankengut erwachsener Patienten der Nachweis geführt werden konnte, dass die intensivierte Insulintherapie mit einem Blutzuckerzielwert von 110 mg/dl die postoperative Sterblichkeit und Morbi-
181 7.6 · Scores und Qualitätssicherung
. Abb. 7.18. Algorithmus der Diagnostik einer heparininduzierten Thrombozytopenie (HIT). ELISA »enzyme-linked immunosorbent assay«. Mod. nach Selleng et al. (2007)
dität, insbesondere die Inzidenz von Infektionen, signifikant senkt (van den Berghe et al. 2001), gilt diese Therapie als Standard. Vor der kritiklosen Anwendung sei allerdings gewarnt, da die intensivierte Insulintherapie in einem um den Faktor 6 höheren Ausmaß zu Hypoglykämien führt, die ihrerseits ein morbiditäts- und sterblichkeitssteigerndes Potenzial haben. Weiterhin kann eine begleitende Hypokaliämie durch die Insulintherapie aggraviert werden, sodass diese prinzipiell uneingeschränkt zu empfehlenden Therapie zusammenfassend ein entsprechend engmaschiges Monitoring der Blutzucker- und Kaliumwerte voraussetzt, das möglicherweise die personellen Ressourcen einzelner Intensivstationen überfordert. Das Problem wird gelöst sein, wenn »Closed-loop«-Systeme verfügbar sind, bei denen der kontinuierlich gemessene Blutzuckerspiegel den Insulinperfusor steuert. Unter anderem aus diesem Grund ist der Zielwert von 110 mg/dl auch nicht unumstritten, und es bedarf der Klärung durch weitere Studien, ob sich die gleichen positiven Effekte nicht auch durch höhere Zielwerte, z. B. 140 oder 180 mg/dl, erreichen lassen. Schließlich darf nicht unerwähnt bleiben, dass gerade die schwerstkranken Patienten nicht selten eine Insulinresistenz zeigen, die das Erreichen des genannten Zielwertes weiter erschwert und im Einzelfall in der Praxis unmöglich machen kann. 7.5.12.2
Trijodthyronintherapie
Es gilt als erwiesen, dass der Trijodthyronin-(T3-)Spiegel nach herzchirurgischen Operationen teilweise deutlich abfällt. Die daher eine Zeit lang von vielen Hoffnungen
begleitete T3-Therapie konnte ihre Wirksamkeit in einer Metaanalyse jedoch nicht nachweisen (Ronald u. Dunning 2006). 7.5.12.3
Cortisontherapie
Gleiches wie für die Gabe von Trijodthyronin gilt für die noch besser erforschte Kortisontherapie, die in ihrer Wirksamkeit nach wie vor umstritten ist und bisweilen sogar mit schlechteren Resultaten in Zusammenhang gebracht wird (Rady et al. 2006).
7.6
Scores und Qualitätssicherung
Beide Themen waren und sind Gegenstand zahlreicher Publikationen aller Art. Der Nachweis ihrer klinischen Relevanz in der herzchirurgischen Intensivmedizin steht allerdings noch aus. Es gibt inzwischen eine große Zahl an intensivmedizinischen Scores in unterschiedlichen Versionen (7 Kap. 2), die für unterschiedliche Fragestellungen entwickelt wurden, z. B. APACHE (Acute Physiology and Chronic Health Evaluation), SAPS (Simplified Acute Physiology Score) oder SOFA (Sequential Organ Failure Assessment), um nur einige wenige zu nennen. Weiterhin gibt es ökonomische Scores wie den TISS 28 (Therapeutic Intervention Scoring System 28) und seine Weiterentwicklungen, die den Aufwand der Intensivtherapie abbilden. Der an Scores Interessierte sei auf das Internet verwiesen (Société Française d’Anesthésie et de Réanimation 2008). Die Kombination eines modifizierten SAPS-II- mit
7
182
Kapitel 7 · Herzchirurgische Intensivmedizin
. Tab. 7.20. Parameter für die interne Qualitätssicherung mit erstrebenswerten Zielen und Grenzen, die nicht über- oder unterschritten werden sollten (Thijs 1997)
7
Parameter
Ziel
Grenze
Anteil an Rückverlegungen auf die Intensivstation [%]
<3
5
Anteil an Patienten mit neu aufgetretenem Dekubitus (ab Stadium II) [%]
<1
2
Anteil an Extubationen innerhalb von 6 h [%]
>75
50
Anteil an Re-Intubationen [%]
<3
5
dem TISS-28-Score wird in Deutschland inzwischen zur Ermittlung der Behandlungsschwere des intensivmedizinischen Verlaufs eingesetzt und hat damit Vergütungsrelevanz – ein schönes Beispiel für den völlig zweckentfremdeten Einsatz. Qualitätssicherung in der Intensivmedizin wird bislang nur auf freiwilliger Basis betrieben, da eine verpflichtende externe Qualitätssicherung nicht existiert. Der an dieser Fragestellung Interessierte sei auf die interdisziplinäre Arbeitsgruppe Qualitätssicherung der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin hingewiesen, deren Aktivitäten im Internet nachverfolgt werden können (Waydhas 2008). Allerdings sollte auch auf Intensivstationen, die an der Qualitätssicherung wenig Interesse haben, eine gewisse Minimalüberprüfung der intensivmedizinischen Qualität stattfinden. Dazu bieten sich die in . Tab. 7.20 aufgeführten Parameter und Zielgrößen an. Werden die dort angegebenen Grenzen unter- oder überschritten, sollte man möglicherweise darüber nachdenken, wo es im intensivmedizinischen Vorgehen Optimierungspotenzial gibt.
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7
Kapitel 7 · Herzchirurgische Intensivmedizin
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8
8 Intensivtherapie in der Kinderherzchirurgie R. Kaulitz, G. Ziemer 8.10 Maschinelle Beatmung – 198 8.10.1 Indikationen und hämodynamische Folgen – 198 8.10.2 Beatmungsformen – 198 8.10.3 Entwöhnung – 199
8.1
Einleitung
8.2
Nichtinvasives und invasives Monitoring – 186
8.3
Myokardiale Dysfunktion – »low cardiac output syndome« (LCOS) – 187 Ursachen und Diagnostik – 187 Therapie – 188
8.3.1 8.3.2 8.4
8.4.1 8.4.2
8.5
– 186
Systemische Entzündungsreaktion (»systemic inflammatory response syndrome«, SIRS) und »capillary leak syndrome« – 191 Ursachen der systemischen Entzündungsreaktion – 191 Antiinflammatorische Behandlungsstrategien – 191
8.5.2
Postoperative Blutungskomplikationen, Antikoagulation und Gerinnung – 192 Ursachen postoperativer Blutungskomplikationen – 192 Therapie von Blutungskomplikationen – 192
8.6
Temporäre Thoraxwandplastik
8.7 8.7.1 8.7.2 8.7.3
Postoperative Analgesie und Sedierung – 194 Frühpostoperative Analgesie – 194 Postoperative Sedierung – 194 Muskelrelaxation – 194
8.8
Perioperative Infektionsprophylaxe
8.9 8.9.1
Arrhythmien – 195 Ursachen und hämodynamische Folgen postoperativer Herzrhythmusstörungen – 195 Diagnostik postoperativer Herzrhythmusstörungen – 196 Therapiekonzepte – 196
8.5.1
8.9.2 8.9.3
– 193
8.11
Postoperative pulmonalvaskuläre Widerstandserhöhung – 200 8.11.1 Ursachen und Diagnostik – 200 8.11.2 Therapie – 200 8.12
Nierenfunktion und Flüssigkeitsbilanz, Dialyse – 201 8.12.1 Ursachen postoperativer Nierenfunktionsstörungen – 201 8.12.2 Therapie der akuten Nierenfunktionseinschränkung – 201 8.13
Gastrointestinaltrakt und parenterale Ernährung – 202
8.14
Neurologische Komplikationen und peri-/postoperatives Neuromonitoring – 202 8.14.1 Präoperative neurologische Auffälligkeiten – 202 8.14.2 Peri-, intra- und postoperative neurologische Beeinträchtigungen – 203 8.14.3 Neurophysiologisches Monitoring – 204 8.15
– 195
Postoperative mechanische Kreislaufunterstützung – 205 8.15.1 Indikationen – 205 8.15.2 Extrakorporale Membranoxygenierung und ventrikuläre Unterstützungssysteme – 205 Literatur
– 206
186
Kapitel 8 · Intensivtherapie in der Kinderherzchirurgie
8.1
8
Einleitung
Die Anforderungen an die kinderherzchirurgische Intensivmedizin haben in den vergangenen Jahren durch Fortschritte in der pädiatrischen Kardiologie und Kinderherzchirurgie weiter zugenommen. Nachdem die neonatale Korrekturoperation auch komplexer angeborener Herzfehler etabliert wurde und kombinierte chirurgisch-katheterinterventionelle Behandlungskonzepte entwickelt wurden, erweiterte sich das Spektrum der zu behandelnden Patienten zum einen um Neugeborene mit geringem Geburtsgewicht und zum anderen um Erwachsene mit angeborenem Herzfehler nach vorangegangenen Palliations- oder Korrekturoperationen. Im gleichen Zeitraum ist die perioperative Mortalität erheblich gesunken. Zudem erreicht eine kontinuierlich wachsende Patientengruppe nach Korrektur oder Palliation auch komplexer angeborener Herzfehler im Kindesalter jetzt das Erwachsenenalter. Die chirurgische Behandlung von Patienten mit angeborenen Herzfehlern setzt daher eine intensive Zusammenarbeit der in der Chirurgie angeborener Herzfehler tätigen Herzchirurgen mit pädiatrischen und Erwachsenenkardiologen voraus. Die meisten Arbeitsgruppen sind als gemeinsame Einheit zumindest von Herzchirurgie, pädiatrischer Kardiologie und Erwachsenenkardiologie organisiert. Die Beteiligung einer spezialisierten kardiovaskulären Anästhesiologie sollte angestrebt werden. In den vergangenen Jahren sind für die prä- und postoperative Behandlung von Patienten mit angeborenen Herzfehlern neue, spezielle Behandlungskonzepte entwickelt worden. Diese erstrecken sich auf: 4 pharmakologische Therapie der Herzinsuffizienz und des postoperativen »low cardiac output syndrome«, 4 Behandlung der pulmonalen Hypertonie, 4 besondere Beatmungsmodalitäten (Hochfrequenzoszillation), 4 Behandlung postoperativer Herzrhythmusstörungen und einer postoperativen Niereninsuffizienz, 4 Anwendung mechanischer Kreislaufunterstützungssysteme. Ebenso haben sich die Möglichkeiten des intra- und perioperativen Monitorings einschließlich neurologischer Überwachung und Nachsorge verändert. Zunehmende Bedeutung erlangen das Verständnis und die Steuerung der univentrikulären Zirkulation nach Palliation bei hypoplastischem Linksherzsyndrom oder bei komplexen, funktionell univentrikulären Kreislaufsystemen. Dieses breite Spektrum der Erkrankungen macht Kenntnisse der kardiovaskulären Pathophysiologie und ihrer Beziehung zu anderen Organsystemen erforderlich und lässt die Notwendigkeit der Einbindung weiterer Disziplinen in die kardiovaskuläre Intensivmedizin (z. B. Neonatologie, Pulmonologie, Neurologie, Nephrologie und Hepatologie) erkennbar werden.
Postoperative Morbidität und Letalität stehen in enger Beziehung zu postoperativen Komplikationen, für die geeignete Strategien zu entwickeln sind, um sie zu verhindern, möglichst bereits im Verlauf zu antizipieren, rasch zu erkennen und zu behandeln. Angestrebt wird daher eine eigenständige kinderherzchirurgische/pädiatrisch-kardiologische Intensivstation mit spezieller Expertise. Hier sind pädiatrische Kardiologen, Neonatologen und pädiatrische Intensivmediziner gemeinsam mit Herzchirurgen tätig, ggf. unter Einbindung von Erwachsenenkardiologen.
8.2
Nichtinvasives und invasives Monitoring
Die kontinuierliche klinische Beobachtung während der postoperativen intensivmedizinischen Behandlung umfasst die routinemäßige nichtinvasive Überwachung mit Blutdruckmessung (oszillometrisch), EKG und Pulsoxymetrie. Ein adäquates Monitoring beinhaltet jedoch in der Regel zudem ein unterschiedliches Ausmaß an invasivem Monitoring: Eine kontinuierliche Messung von arteriellem und zentralvenösem Druck bietet die Möglichkeit wiederholter Bestimmungen arterieller und venöser Blutgaswerte. Sind rechts- oder linksatriale Druckmesskatheter platziert, kann über den rechts- bzw. linksventrikulären Füllungsdruck die Vorlast abgeschätzt und das Intravasalvolumen bzw. die linksventrikuläre Hämodynamik beurteilt werden. Der zentralvenöse Druck ist jedoch nicht nur ein Parameter des intravasalen Volumens, sondern wird auch durch die Funktion und Compliance der Ventrikel bestimmt. Veränderungen der Vorhofdruckkurven bieten Hinweise auf Herzrhythmusstörungen (atriale Tachykardien, junktionaler Rhythmus). In bestimmten Situationen kann es sinnvoll sein, den pulmonalarteriellen Druck zu überwachen, z. B. bei pulmonaler Hypertonie, zur Erkennung pulmonalhypertensiver Krisen oder bei »acute respiratory distress syndrome« (ARDS). Der pulmonalarterielle Verschlussdruck (»wedge pressure«) reflektiert den linksatrialen und linksventrikulären enddiastolischen Druck; er wird jedoch in der Kinderherzchirurgie nur bei älteren Patienten bestimmt. Können Anatomie und Funktion des Herzens postoperativ nicht ausreichend echokardiographisch beurteilt werden und bestehen unklare hämodynamische Befunde, kann bereits frühpostoperativ eine Herzkatheteruntersuchung erforderlich sein. Operationsergebnis und mögliche Residualbefunde lassen sich auf diese Weise rasch erkennen. Das überschaubare Risiko der in der unmittelbar postoperativen Phase stattfindenden invasiven Diagnostik muss gegen die angestrebte oder notwendige diagnostische Aussage und ihre eventuellen therapeutischen Konsequenzen abgewogen werden. Zur Beurteilung der Hämodynamik ist die Bestimmung des systemischen und pulmonalen Blutflusses sowie des systemischen und pulmonalen Widerstands notwendig. Die Bestimmung des systemischen (Qs) und pulmonalen (Qp) Blutflusses kann nach dem Fick-Prinzip vorgenommen wer-
187 8.3 · Myokardiale Dysfunktion – »low cardiac output syndome« (LCOS)
den: Unter Annahme eines konstanten Sauerstoffverbrauchs stellt die Differenz zwischen arteriellem und venösem Sauerstoffgehalt ein Maß für das Herzzeitvolumen dar: Sauerstoffverbrauch Qs = 080000050 arterieller Sauerstoffgehalt – venöser Sauerstoffgehalt bzw. Sauerstoffverbrauch Qp = 0800003 pulmonalvenöser Sauerstoffgehalt – pulmonalarterieller Sauerstoffgehalt
Das Monitoring übriger Organsysteme schließt die Kontrolle der pulmonalen und der Nierenfunktion, die Beurteilung der gastrointestinalen Organe sowie das neurologische Monitoring ein.
8.3
Myokardiale Dysfunktion – »low cardiac output syndome« (LCOS)
8.3.1 Ursachen und Diagnostik
Sauerstoffgehalt = O2 Sat × 1,34 × Hb + PO2 × 0,0031 O2 Sat = Sauerstoffsättigung; 1,34 = Konstante; Hb = Hämoglobingehalt in g%; PO2 = Sauerstoffpartialdruck; 0,0031 = Konstante. Eine Shunt-Kalkulation erfolgt über den Quotienten Qp/Qs (pulmonalvenöser Sauerstoffgehalt – pulmonalarterieller Sauerstoffgehalt/arterieller Sauerstoffgehalt – venöser Sauerstoffgehalt). Die Gefäßwiderstände für System- und Pulmonalkreislauf (Rs bzw. Rp) können nach folgender Formel berechnet werden: rechtsatrialer Mitteldruck Rs = arterieller Mitteldruck – 08003 Qs bzw. pulmonalarterieller linksatrialer Mitteldruck Rp = – 0009 Mitteldruck Qp Der pulmonale Gefäßwiderstand liegt zwischen 1 und 4 Wood-Einheiten (Freed 1989), das Verhältnis Rp/Rs normalerweise bei 0,2; ab 0,8 kann bei Shunt-bedingter pulmonaler Druckerhöhung die Operabilität infrage gestellt sein. Zumeist ist die transthorakale Echokardiographie jedoch postoperativ auch bei limitierten Schallfenstern zumindest bis zum (Klein-)Kindesalter mit ausreichender Sicherheit durchführbar; ggf. ist die transösophageale Echokardiographie aussagekräftiger. Neben der Beurteilung der kardialen Struktur können Klappenfunktion und Kontraktilität dokumentiert sowie Klappen- oder Ausflussbahnobstruktionen quantifiziert werden. Verlaufskontrollen sind beliebig wiederholbar. Die Beurteilung der linksventrikulären Funktion schließt die Dokumentation der Dimensionen und die Bestimmung der Faserverkürzungsfraktion als »Basisparameter« ein. Die mittlere Flussgeschwindigkeit in der Aorta (»velocity time integral«) ist ein weiterer wichtiger Verlaufsparameter. Aus ihr kann unter Einbeziehen des Gefäßquerschnitts das linksventrikuläre Schlagvolumen kalkuliert werden. Eine detaillierte Beurteilung gilt der Dokumentation der linksventrikulären regionalen Wandbewegung und Wandspannung. Die Einschätzung der rechtsventrikulären Funktion erfolgt qualitativ sowie quantitativ, wiederum mittels Dopplerechokardiographie unter Bestimmung des pulmonalen Blutflusses (mittlere Flussgeschwindigkeit an der Pulmonalklappe). Bei Vorliegen einer Trikuspidalinsuffizienz kann der systolische rechtsventrikuläre Druck kalkuliert werden.
Ein »low cardiac output syndome« (LCOS) als vorhersehbarer Abfall des Herzzeitvolumens (HZV) aufgrund einer transienten myokardialen Dysfunktion wird nach Korrekturoperation im Neugeborenen-, Säuglings- und jungen Kindesalter bei etwa 25 % der Patienten innerhalb der ersten 48 h nach dem Eingriff, zumeist 6–18 h postoperativ, beschrieben. Es ist mit einer Erhöhung des systemarteriellen Widerstands um etwa 25 % und einer Steigerung des pulmonalvaskulären Widerstands um ungefähr 40 % assoziiert und trägt somit zur postoperativen Morbidität und Letalität bei (Hoffmann et al. 2003; Wernovsky et al. 1995). Die Ursachen sind multifaktoriell und bestehen in der myokardialen Ischämie (Länge der Aortenklemmzeit) mit und ohne Kardioplegie, der Hypothermie sowie der myokardialen Reperfusionsschädigung. Die durch den Bypass bedingte Aktivierung der Entzündungskaskade sowie die Erhöhung des systemischen und des pulmonalvaskulären Widerstands bedingen ein Kapillarleck und eine pulmonale Dysfunktion. Residuelle Defekte (Shunts, Klappeninsuffizienz) oder eine Ventrikulotomie im Rahmen der Korrekturoperation können hinzutreten (Hoffmann et al. 2003; Nagashima et al. 2000; Ravinshankar et al. 2003). Ein LCOS wird zunächst diagnostiziert, wenn klinische Zeichen oder Symptome wie Tachykardie, schlechte Systemperfusion mit kühlen Extremitäten sowie Abnahme der Urinausscheidung bis hin zur Oligure/Anurie auftreten (normale Urinproduktion bei Säuglingen und Kleinkindern: 1 ml/kg KG/h; normale Urinproduktion bei älteren Kindern und Erwachsenen: 0,5 ml/kg KG/h). Pathophysiologisch assoziiert sind ein erhöhter System- und pulmonalvaskulärer Widerstand sowie eine eingeschränkte Myokardfunktion und Arrhythmien (Li et al. 1998). Zeichen der zellulären Hypoxie und der schlechten Systemperfusion können den klinischen Zeichen vorausgehen: 4 Differenz zwischen arterieller und gemischtvenöser Sauerstoffsättigung von ≥30 % (normal: 20–27 %), 4 metabolische Azidose (Basenexzess von mehr als – 5 mmol/l; korrelliert mit inadäquater Oxygenierung und Gewebeperfusion sowie erhöhter Morbidität; Takami u. Ina 2002), 4 Laktatspiegelanstieg auf >2 mmol/l bei 2 aufeinander folgenden Blutgasanalysen (Serumlaktatwerte von >4,5– 6 mmol/l erwiesen sich als prädiktiv für Morbidität und Letalität; Cheung et al. 2005; Hoffmann et al. 2002).
8
188
8
Kapitel 8 · Intensivtherapie in der Kinderherzchirurgie
Eine vermehrte Laktatproduktion besteht jedoch nicht nur bei verminderter Gewebeperfusion, sondern auch bei erhöhten metabolischen Anforderungen wie Hyperthermie oder vermehrter Muskelaktivität (Krampfanfälle, Zittern). Ebenso kommt es bei Adrenalinzufuhr durch eine erhöhte Glykogenolyse zur Erhöhung der Laktatwerte. Da die Laktatelimination über Leber und Niere erfolgt, führen auch deren Funktionsstörungen zu einer Laktatspiegelerhöhung. Wesentliche Bestandteile des postoperativen Monitorings sind daher die indirekte Beurteilung des HZV mittels Palpation (Temperaturdifferenz zur Peripherie, Zentralisation, Rekapillarisierung, venöses »refill«) und die indirekte Messung des HZV über die Bestimmung der gemischtvenösen Sauerstoffsättigung und des Serumlaktatspiegels im Verlauf als Marker des ausreichenden Sauerstofftransports. Ein direktes Monitoring des HZV mittels Thermodilution (Swan-Ganz-Katheter) sowie ein kontinuierliches Monitoring der Sauerstoffsättigung kommen in der Kinderherzchirurgie nicht routinemäßig zur Anwendung (Hausdorf 2000; Ravinshankar et al. 2003; Stocker u. Shekerdemian 2006). Es erfolgt ein kontinuierliches hämodynamisches Monitoring der Herzfrequenz (ggf. über Schrittmacherfunktion) sowie des arteriellen Systemdrucks und der Füllungsdrücke (rechts- und linksventrikuläre Vorlast; . Tab. 8.1). Die Ableitung eines intrakardialen EKG (Arrhythmiediagnostik) und eine Dopplerechokardiographie (»velocity time integral« über der Aortenklappe) kommen bei Bedarf hinzu, ebenso das invasive/nichtinvasive Monitoring des pulmonalvaskulären Widerstands (Swan-Ganz-Katheter/ Dopplerechokardiographie zur Bestimmung des Druckgradienten über Trikuspidal- und Pulmonalklappe).
8.3.2
Therapie
. Tab. 8.1. Ursachen der Veränderung rechts- und linksatrialer Füllungsdrücke Druckveränderung
Ursachen
Erniedrigte Drucke rechtsatrial/zentralvenös und linksatrial
4 4 4 4
Hypovolämie Systemische Vasodilatation Blutung Polyurie
Erhöhter rechtsatrialer/zentralvenöser Druck
4 4 4 4
Hypervolämie Tamponade Rechtsventrikuläre Dysfunktion Erhöhte Nachlast (erhöhter pulmonalvaskulärer Widerstand) Dysrhythmie Unzureichende Analgosedierung Tamponade Trikuspidal-/AV-Klappen-Stenose bzw. -Insuffizienz
4 4 4 4
Erhöhter rechtsatrialer/erniedrigter linksatrialer Druck
4 Pulmonale Hypertonie
Erhöhter pulmonalarterieller Druck
4 Linksventrikuläre Dysfunktion 4 Primäre/persistierende pulmonale Hypertonie 4 Periphere Pulmonalstenose 4 Hypoventilation/respiratorische Azidose 4 Mechanische Atemwegsobstruktion (Atelektase, Pneumothorax, Pleuraerguss) 4 Unzureichende Analgosedierung
Erniedrigter pulmonalarterieller Druck
4 Hypovolämie 4 Erniedrigtes Herzzeitvolumen
Erhöhter linksatrialer Druck
4 4 4 4
Postoperative Behandlungsstrategien des LCOS zielen auf: 4 Limitierung des Sauerstoffverbrauchs, 4 Optimierung der Kontraktilität, 4 Verbesserung der diastolischen Funktion, 4 Aufrechterhaltung einer adäquaten Vorlast, 4 Minderung der Nachlast. Herzfrequenz und -rhythmus müssen regularisiert sowie ggf. durch sequenzielle Stimulation optimiert werden. Residuelle anatomische Läsionen sind echokardiographisch (transthorakal, transösophageal) in ihrer Relevanz einzuschätzen und ggf. durch frühzeitige Herzkatheteruntersuchung auszuschließen.
8.3.2.1
Limitierung des Sauerstoffverbrauchs
Hierzu gehören eine adäquate Analgosedierung und mechanische Beatmung, die Kontrolle der Körpertemperatur (Normothermie, ggf. induzierte Hypothermie) und eine angemessene Katecholamintherapie. 8.3.2.2
! Prävention, rasches Erkennen der Entwicklung eines LCOS und frühe Behandlung sind daher entscheidend, um Herzstillstand, kardiopulmonale Reanimation und extrakorporale Kreislaufunterstützung zu verhindern bzw. letztere Maßnahme vor einer irreversiblen kardialen oder extrakardialen Schädigung einzusetzen.
Hypervolämie Tamponade Linksventrikuläre Dysfunktion Erhöhte Nachlast (erhöhter systemvaskulärer Widerstand) 4 Dysrhythmie 4 Mitral-/AV-Klappen-Stenose bzw. -Insuffizienz
Optimierung von Vor- und Nachlast
Eine Optimierung der Vorlast ist notwendig, um eine ausreichende Myokardfaserdehnung vor jeder Kontraktion zu gewährleisten. Flüssigkeitsverlust und unzureichender Flüssigkeitsersatz, wie anhand des rechtsatrialen, linksatrialen oder zentralvenösen Drucks abzuleiten, sind durch kolloidalen oder kristallinen Flüssigkeitsersatz auszugleichen.
189 8.3 · Myokardiale Dysfunktion – »low cardiac output syndome« (LCOS)
Vasoaktive Substanzen können durch Erhöhung der Gefäßkapazität gleichfalls die Vorlast vermindern. Die Überwachung von rechtsatrialem Füllungsdruck bzw. zentralem Venendruck (ZVD), Blutdruck und Herzfrequenz erlaubt unter Volumengabe (z. B. 5–10 ml/kg KG als Bolus) die Einschätzung einer optimalen Vorlast. Postoperative »Extravolumengaben« sind oftmals nach Fallot-Korrektur, Anlage einer Glenn-Anastomose oder Fontan-Operation notwendig (Ravinshankar et al. 2003). Pulmonal- und systemvaskulärer Widerstand können durch Azidose, Hypoxie, Hypothermie und unzureichende Analgesie ansteigen. Dadurch erhöht sich die Myokardarbeit, und die Auswurfleistung ist eingeschränkt. Die Behandlung kann die mechanische Beatmung zur Senkung des pulmonalvaskulären Widerstands oder die Gabe von Vasodilatatoren zur Senkung des systemarteriellen Widerstands einschließen (s. unten).
4 4 4 4 4
Erhöhung des myokardialen Sauerstoffverbrauchs, Herzfrequenzanstieg, Arrhythmien, systemarterielle Widerstandserhöhung/Hypertension, Down-Regulation β-adrenerger Rezeptoren
Dopamin verbessert in geringer Dosis (2–5 μg/kg KG/min)
die zerebrale und abdominale/renale Durchblutung. In höherer Dosierung (5–10 μg/kg KG/min) überwiegt zunehmend die α-mimetische Wirkung mit Inotropie und peripherer Vasokonstriktion (>10 μg/kg KG/min) sowie dem Risiko von Arrhythmien. Intrapulmonale Shunts wurden beschrieben. ! Bei Sepsis soll Dopamin einen ungünstigen Effekt auf die intestinale Perfuion haben (Dolye et al. 1995; Lee u. Mason 2001).
Dobutamin (reine β-Rezeptor-Stimulation) kombiniert die 8.3.2.3
Verbesserung der Inotropie, Steuerung der Nachlast
Die Behandlung der myokardialen Dysfunktion zielt auf die Verbesserung der Inotropie und die Nachlastsenkung nach Optimierung der Vorlast und Ausgleich der Blutgaswerte. Die Herzfrequenz variiert mit dem Alter der Kinder. So ist eine postoperative Tachykardie bis 200/min bei einem Neugeborenen zur Steigerung des Herzzeitvolumens zumeist zu tolerieren. Bei einem älteren Kind dagegen führt sie durch Minderung der ventrikulären Füllung zur Abnahme des Herzzeitvolumens. Supraventrikuläre Tachykardien werden pharmakologisch (Adenosin, Amiodarone; s. unten) oder bei hämodynamisch instabilen Patienten durch Kardioversion regularisiert. Bradyarrhythmien lassen sich durch epikardiale Herzschrittmacher-Stimulation vermeiden. Besteht eine atrioventrikuläre Asynchronie (bei junktionaler ektoper Tachykardie, langsamem junktionalen Rhythmus oder AV-Block 3. Grades), erfolgt möglichst eine sequenzielle (atrioventrikuläre) Herzschrittmacher-Stimulation. Eine Verbesserung der Kontraktilität wird pharmakologisch zumeist durch Katecholamine herbeigeführt (. Tab. 8.2). Ihr Effekt ist dosisabhängig, und sie können bei höherer Dosierung unerwünschte Nebenwirkungen hervorrufen (Bailey et al. 1999; Chang et al. 1995; Penny et al. 2001):
Wirkungen »Chronotropie«, »Kontraktilität« und »Vasodilatation«. Es wird zudem als arrhythmogen eingestuft (niedrige/hohe Dosierung: 5/20 μg/kg KG/min). Frühpostoperativ kann es daher zu einem weiteren Abfall der Perfusionsdrücke kommen, sodass hier eher Adrenalin angezeigt ist. Bei therapierefraktärem LCOS wird Dobutamin bei Down-Regulation der β-Rezeptoren eine positiv inotrope Wirkung über spezifische Rezeptoren zugeschrieben; es kann hier indiziert sein (Berg et al. 1993; Hausdorf 2000; Leonhard et al. 1997). Die Kombination von Dobutamin (myokardiale cAMP-Freisetzung) und einem Phosphodiesterasehemmer kann durch Nachlastsenkung und Steigerung der Kontraktilität synergistisch wirken. Adrenalin (0,05–1,0 μg/kg KG/min) hat über die α- und β-Rezeptoren-Stimulation einen ausgeprägt positiv inotropen Effekt. Der periphere Widerstand steigt durch α-Rezeptoren-Stimulation an. Ohne vorangehenden Ausgleich der Vorlast kann folglich eine Kreislaufzentralisation mit der Folge eines Nierenversagens eintreten. Der chronotrope Effekt ist im Neugeborenenalter u. U. zur Steigerung des Herzzeitvolumens nützlich. Andererseits kann die Tachykardie mit einer postoperativen Ischämie korrelieren. Insgesamt gelten die chronotropen und arrhythmogenen Effekte bei Adrenalin im Vergleich zu anderen Katecholaminen als geringer. Beeinträchtigung der diastolischen Funktion, Er-
. Tab. 8.2. Stärke der Rezeptorantwort nach Gabe von Katecholaminen. Mod. nach Beke et al. (2005) Katecholamine
α-Rezeptor (Antwort: Inotropie, Vasokonstriktion)
β1-Rezeptor (Antwort: Inotropie, Chronotropie)
β2-Rezeptor (Antwort: Vasodilatation)
Dopaminerger Rezeptor (Antwort: periphere/ renale Vasodilatation)
Dopamin
0–3
2–3
1
3
Dobutamin
0–1
3
1
0
Adrenalin
3
3
0
0
Noradrenalin
3
3
1
0
8
190
8
Kapitel 8 · Intensivtherapie in der Kinderherzchirurgie
höhung der Füllungsdrücke, Erhöhung des myokardialen Sauerstoffverbrauchs und der Laktatproduktion sowie Steigerung des pulmonal- und systemvaskulären Widerstands sind jedoch unerwünschte, dosisabhängige Effekte (Chang et al. 1995; Wernovsky u. Hoffman 2001; Wessel 2001). Milrinon ist ein Phosphodiesterase-III-Hemmer, wodurch als direkter myokardialer Effekt eine Erhöhung des intrazellulären cAMP- und Kalziumspiegels mit Steigerung der myokardialen Kontraktilität eintritt. Zugleich setzt eine cGMP-vermittelte Gefäßmuskelrelaxation ein. Inotropie und eine Abnahme des systemvaskulären Widerstands sowie der intrakardialen Füllungsdrücke durch Verbesserung der ventrikulären Relaxation sind die Folgen. Nach Gabe eines Bolus (50 μg/kg KG über 60 min) und einer Infusion (0,25–0,75 μg/kg KG/min) zeigten sich eine signifikante Zunahme des Herzzeitvolumens sowie eine Abnahme der Füllungsdrücke wie auch des system- und des pulmonalvaskulären Widerstands. Das Risiko für die Entwicklung von Arrhythmien, Hypotension oder Thrombozytopenie (Risiko steigt mit der Dauer der Gabe) ist im Kindesalter gering. Bereits die prophylaktische Anwendung von Milrinone kann das Risiko für die Entwicklung eines LCOS deutlich senken, erwies sich als sicher und effektiv und reduzierte die postoperative Morbidität und Letalität (Bailey et al. 1999; Chang et al. 1995; Duggal e al. 2005; Hoffman et al. 2002, 2003). Enoximone ist gleichfalls ein myokardspezifischer Phosphodiesterase-III-Hemmer und wurde bei gleichem Indikationsspektrum von Milrinone ersetzt, dies nicht zuletzt auch wegen der zwar immer noch im Stundenbereich liegenden, jedoch vergleichsweise kürzeren Halbwertszeit. Orciprenalin (Alupent) wird ausschließlich zur Steigerung der Herzfrequenz eingesetzt. Es bedingt als β-Rezeptor-Stimulator eine Senkung des Perfusionsdrucks. Bei Noradrenalin (0,01–1,0 μg/kg KG/min) steht die α-Stimulation mit geringerem inotropen Effekt im Vordergrund, sodass die Anwendung bei LCOS extrem eingeschränkt bis kontraindiziert ist. Myokardialer Sauerstoffverbrauch und Laktatproduktion nehmen zu. Die Anwendung beschränkt sich auf die Aufrechterhaltung eines adäquaten arteriellen Perfusionsdrucks, z. B. bei Sepsis oder nach Anlage eines eher kleinen aortopulmonalen Shunts zur Verbesserung der Lungenperfusion. Arginin-Vasopressin als potenter Vasokonstriktor kann bei Kindern mit katecholaminresistenter systemischer Vasodilatation nach Operation an der Herz-Lungen-Maschine bei niedrigem Spiegel des zirkulierenden Vasopressins angezeigt sein. Ein signifikanter Blutdruckanstieg ist zu verzeichnen. Gleichzeitig werden eine Abnahme der Herzfrequenz, eine Zunahme des »cardiac index« sowie eine Reduktion der Katecholamindosis und der Arrhythmieneigung beobachtet, was zur Verbesserung der myokardialen Funktion beiträgt. Die Dosierung beginnt einschleichend (0,0001 U/kg KG/min, im Median max. 0,0003– 0,001 U/kg KG/min; Dunser et al. 2003; Lechner et al. 2007; Rosenzweig et al. 1999).
Vasodilatoren wie Nitroglyzerin und Natriumnitroprussid werden zur Nachlastsenkung über Verminderung des endsystolischen Drucks eingesetzt. Der arterielle Mitteldruck zur Organperfusion bleibt idealerweise unverändert. Nitroglyzerin (5–20 μg/kg KG/min) bewirkt im Wesentlichen eine Minderung der Vorlast. Der Effekt der Senkung des peripheren Widerstands kann bei der Behandlung der postoperativen Kreislaufzentralisation genutzt werden. Natriumnitroprussid (0,5–10 μg/kg KG/min) wirkt relaxierend auf die glatte Muskulatur der Arterien und Venen und vermindert die Vorlast sowie den system- und pulmonalvaskulären Widerstand (Nachlast). Hohe Wirksamkeit und kurze Halbwertszeit sind kennzeichnend. Bei längerer Anwendung (>72–96 h) und Überschreiten einer Gesamtdosis von 0,5 mg/kg KG besteht das Risiko einer Zyanidintoxikation, sodass im Verhältnis 10 : 1 simultan Thiosulfat infundiert werden muss. Ein Monitoring erfolgt über die Thiozyanatspiegelbestimmung. Eine Titration der Dosis sollte wegen der Nebeneffekte wie pulmonale Vasodilatation, intrapulmonale Shunt-Entwicklung sowie Abnahme des arteriellen Sauerstoffpartialdrucks und der zerebralen Vasodilatation erfolgen (Wessel 2001). Ein transienter Hypothyreoidismus nach extrakorporaler Zirkulation ist für das Kindes- und Erwachsenenalter beschrieben. Niedrige Trijodthyroninspiegel in der frühpostoperativen Phase können zur Entwicklung eines LCOS beitragen und sind mit längerer Beatmungsdauer, höherem Bedarf an inotroper Unterstützung sowie längerer intensivmedizinischer Behandlung verbunden. Mögliche Ursachen sind Hämodilution, Freisetzung von Zytokinen und Tumornekrosefaktor sowie exogene Dopaminzufuhr mit Einfluss auf die Schilddrüsenfunktion und die Hormonspiegel (Murzi et al. 1995). Die Gabe von Trijodthyronin kann durch eine Erhöhung des systolischen Blutdrucks sowie eine verbesserte Nierenperfusion und glomeruläre Filtrationsrate einen günstigen Einfluss auf die postoperative Flüssigkeitsbilanz haben, ebenso auf den »cardiac index«. Empfohlen wird die Infusion von Trijodthyronin in den ersten 72 h postoperativ, orientiert am Hormonspiegel (Mackie et al. 2005). 8.3.2.4
Neuere Behandlungsstrategien
Ein ideales Konzept zur Behandlung der ventrikulären Dysfunktion beinhaltet: 4 venöse und arterielle Vasodilatation, 4 Vermeidung einer Herzfrequenzerhöhung und eines Anstiegs des myokardialen Sauerstoffbedarfs, 4 Vermeidung einer Arrhythmogenität, 4 Minderung der neurohormonalen Aktivierung, 4 Verbesserung der Diurese, 4 Erreichen des Ausbleibens einer Tachyphylaxie. Die »Standardtherapie« mit positiv inotrop wirksamen Substanzen wie Dobutamin und Milrinone kann durch Erhöhung des intrazellulären Kalziumspiegels den myokardi-
191 8.4 · Systemische Entzündungsreaktion (»systemic inflammatory response syndrome«, SIRS)
alen Sauerstoffbedarf erhöhen, die Relaxation beeinträchtigen und arrhythmogen wirken (Moffett u. Chang 2006). Kalzium-Sensitizer wie Levosimendan verlängern die myokardialen Kalziumeffekte, führen nicht zu einer Erhöhung intrazellulärer Kalziumspiegel und sind weniger arrhythmogen. Als Inodilatoren erhöhen sie nicht den myokardialen Sauerstoffverbrauch. Sie wirken auch koronararteriell und pulmonalarteriell vasodilatierend, haben aber eine relativ lange Halbwertszeit (Bildung aktiver Metabolite). Einige plazebokontrollierte Studien für das Erwachsenenalter liegen vor; für das Kindesalter existieren bisher nur wenige Berichte (Follath et al. 2005; Moffett u. Chang 2006; Rossano u. Chang 2006; Turanlahti et al. 2004). Milrinone und Levosimendan können möglicherweise in günstiger Weise kombiniert werden (Stocker et al. 2007). Nesiritide, ein humanes rekombinantes B-natriuretisches Peptid, wirkt venös, arteriell und koronararteriell vasodilatierend mit Abnahme der Vor- und Nachlast. Es vermindert die sympathische Stimulation mit Hemmung des Renin-Angiotensin-Aldosteron-Systems und wirkt natriuretisch sowie diuretisch (Mahle et al. 2005; Moffett u. Chang 2006; Simsic et al. 2006). Darüber hinaus macht das pharmakologische Profil mit relativ kurzer Halbwertszeit die Substanz für die postoperative Phase sehr attraktiv. Noch am kardiopulmonalen Bypass als Bolusgabe (1 μg/ kg KG) begonnen, gefolgt von einer Infusion (bis 0,02 μg/ kg KG/min) für 24 h, wurden keine hämodynamischen Komplikationen beobachtet (Mahle et al. 2005; Simsic et al. 2006).
obachten (Bronicki et al. 2000; Carvalho et al. 2001; Neuhof et al. 2003; Tarnok et al. 1999). Der präoperative Zustand (pulmonale Hypertonie, dekompensierte Herzinsuffizienz, Zyanose oder Sepsis) kann den Ausprägungsgrad beeinflussen, zudem sind genetische Polymorphismen anzunehmen (Chang 2003; Mou et al. 2002). Die verstärkte Komplementaktivierung bei Patienten mit C4-Mangel kann die systemische Entzündungsreaktion mit der Folge eines »capillary leak syndrome« triggern (Zhang et al. 2005). Bisher existieren jedoch keine Strategien, um Patienten mit einem hohen Risiko für die Entwicklung eines SIRS nach extrakorporaler Zirkulation zu identifizieren. Die Folge der durch Zytokinaktivierung induzierten biologischen Abläufe führt durch die gesteigerte mikrovaskuläre Permeabilität zu einer interstitiellen Flüssigkeitsretention, die durch einen verzögerten Thoraxverschluss, eine verlängerte Beatmungsdauer und eine medikamentöse Kreislaufunterstützung mit den unerwünschten Folgen der gesteigerten Katecholamintherapie, dem Risiko einer Infektion und der längeren Verweildauer auf der Intensivstation die postoperative Morbidität erhöhen oder sogar zum Multiorganversagen führen kann (Casey 1993; Dickerson u. Chang 2005). Therapeutisch abzugrenzen sind primär myokardial bedingte Zustände der erhöhten rechtsseitigen Vorlast, die zu Ödemen führen, z. B. frühpostoperativ nach neonataler Fallot-Korrektur.
8.4.2 Antiinflammatorische Behandlungs-
strategien 8.4
Systemische Entzündungsreaktion (»systemic inflammatory response syndrome«, SIRS) und »capillary leak syndrome«
8.4.1 Ursachen der systemischen Entzündungs-
reaktion Die extrakorporale Zirkulation und der tief hypotherme Kreislaufstillstand bei Korrekturoperationen im Neugeborenen- und Kindesalter induzieren eine zytokinvermittelte proinflammatorische Reaktion mit Aktivierung einer systemischen Entzündungskaskade und leukozytenvermittelter Endotheldysfunktion, was zum »capillary leak syndrome« führen und/oder Myokard-, Lungen- oder Nierenfunktionsstörungen oder zerebrale Auffälligkeiten bedingen kann (Carvalho et al. 2001; Chang 2003). Verschiedene Untersuchungen beschreiben die molekularen Mechanismen der Entzündungskaskade (»postcardiopulmonary bypass inflammation«), die altersabhängig ablaufen. Als wesentliche Mediatoren sind Interleukin 6, Interleukin 8, Tumornekrosefaktor, Adhäsionsmoleküle wie Integrine und Selectine sowie Immunglobuline beschrieben. Zudem ist eine Komplementaktivierung zu be-
Verschiedene antiinflammatorische Strategien und pharmokologische Ansätze haben die Minderung der inflammatorischen Reaktion auf die extrakorporale Zirkulation zum Ziel. Hierzu gehören die Verwendung heparinbeschichteter Systeme für die extrakorporale Zirkulation und der konventionellen sowie modifizierten Ultrafiltration, die Gabe von Steroiden und monoklonalen Antikörpern sowie die Leukozytendepletion (Berdat et al. 2004; Bronicki et al. 2000; Chaney 2002; Checchia et al. 2003; Grossi et al. 2000; Lindberg et al. 2003; Thompson et al. 2001). Auf diese Weise wird die Zytokinreaktion bei Verwendung heparinbeschichteter Systeme für die extrakorporale Zirkulation vermindert. Zudem werden Lungenfunktion und Gerinnungssystem stabilisiert, wenn auch kein eindeutiger Rückgang der Inzidenz des SIRS zu beobachten ist (Grossi et al. 2000; Horton et al. 1999). Die konventionelle Ultrafiltration während des Wiederaufwärmens erlaubt einen limitierten Flüssigkeitsentzug. Naik et al. (1991) führten daher mit dem Ziel eines größeren Flüssigkeitsentzugs die modifizierte Ultrafiltration nach Beendigung der extrakorporalen Zirkulation ein. Die Vorteile dieser Modifikation wurden in einer Reduktion des Gesamtkörperwassers, einer Abnahme des post-
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192
8
Kapitel 8 · Intensivtherapie in der Kinderherzchirurgie
operativen Transfusionsbedarfs, einem höheren systemischen Blutdruck, einer Stabilisierung der Vorlast, einer Verbesserung der Lungen-Compliance und des Gasaustausches sowie einer Entfernung vasoaktiver Substanzen und inflammatorischer Zytokine gesehen (Huang et al. 2003; Mahmoud et al. 2005; Thompson et al. 2001). Strategien der Ultrafiltration sollten, da generelle Empfehlungen fehlen, von dem primären Ziel abhängig gemacht werden: Aggressiver Flüssigkeitsentzug und Hämokonzentration sind sowohl mittels konventioneller als auch mittels modifizierter Ultrafiltration zu erreichen. Eine Elimination vasokativer Substanzen oder inflammatorischer Faktoren lässt sich frühzeitiger mittels konventioneller Ultrafiltration erzielen. Die kombinierte konventionelle und modifizierte Ultrafiltration gilt gegenwärtig als effektivste Strategie, besonders für Neugeborene und Patienten mit präoperativer pulmonaler Hypertonie und pulmonaler Rezirkulation sowie bei langer extrakorporaler Zirkulation (Berdat et al. 2004; Gaynor 2003; Thompson et al. 2001). Die Kriterien zur Anwendung von Steroiden variieren stark. Ein standardisiertes Vorgehen hinsichtlich Zeit der Applikation (vor, während oder nach extrakorporaler Zirkulation oder in Kombination), Dosierung und Art des Steroids bestehen nicht (Checchia et al. 2005; Dickerson u. Chang 2005). Der beschriebene Effekt der Steroide umfasst (Bronicki et al. 2000; Chaney 2002; Seri et al. 2001; Shore et al. 2001): 4 Reduktion proinflammatorischer Zytokine und der inflammatorischen Kapillarpermeabilität, 4 Zunahme antiinflammatorischer Zytokine, 4 Steigerung der pulmonalen Compliance, 4 Schutz der Myokardfunktion, 4 Verkürzung der Beatmungsdauer, 4 Zunahme β-adrenerger Rezeptoren, 4 Verstärkung verschiedener molekularer Prozesse. Die kombinierte prä- und intraoperative Steroidgabe scheint am effektivsten. Die maximale Wirkung von Methylprednisolon wird nach 1–4 h erreicht (Checchia et al. 2005; Lindberg et al. 2003). Die Dosisangaben variieren bei einem Dosisäquivalent von 1–30 mg Methylprednisolon/ kg KG. Dexametheson wurde mit einer Dosis von 1 mg/ kg KG gegeben. Ob sich die Steroideffekte auf die Phase der Reperfusion oder auf die postoperative Periode ausdehnen, ist nicht bekannt. Bei postoperativer Gabe wird bei schwerer hämodynamischer Kompromittierung nach Operation im Neugeborenenalter und bei katecholaminrefraktärem LCOS eine Verbesserung der hämodynamischen Parameter mit Anstieg des systolischen Blutdrucks und Abnahme der Herzfrequenz herbeigeführt (»rescue protocol hydrocortisone«: Hydrokortison in einer Dosierung von 100 mg/ m2 KOF/Tag für 2 Tage, 50 mg/m2 KOF/Tag für 2 Tage und 25 mg/m2 KOF/Tag für einen Tag oder 100 mg/m2 KOF/ Tag für einen Tag, 50 mg/m2 KOF/Tag für 2 Tage und 25 mg/m2 KOF/Tag für 2 Tage; Suominen et al. 2005). Zu
den unerwünschten Effekten der Steroidmedikation gehören die Entwicklung einer Hyperglykämie, eine Immunsuppression und eine mögliche Beeinträchtigung der Wundheilung (Checchia et al. 2005).
8.5
Postoperative Blutungskomplikationen, Antikoagulation und Gerinnung
8.5.1 Ursachen postoperativer Blutungskompli-
kationen Operationen unter extrakorporaler Zirkulation machen eine vollständige Heparinisierung erforderlich, die bei Abgang von der Herz-Lungen-Maschine durch Gabe von Protamin teilweise oder vollständig antagonisiert wird. Dazu stehen intraoperativ direkte Heparinspiegelmessungen zur Verfügung. Darüber hinaus werden Blutungen nach extrakorporaler Zirkulation durch Auslösung einer Thrombozytenfunktionsstörung und einer Thrombozytopenie, Komplementaktivierung, Hämodilution, Aktivierung des Gerinnungs- und Fibrinolysesystems sowie Verbrauch von Gerinnungsfaktoren begünstigt (Chang 2005; Pychynska-Pokorska et al. 2004). Im Neugeborenen- und Säuglingsalter treten hinzu: 4 Unreife des Gerinnungssystems, 4 verminderte Heparin-Clearance, 4 relativ ausgeprägtere Hämodilution, 4 tiefe Hypothermie und Kreislaufstillstand mit gesteigerter Entzündungsreaktion (SIRS mit erhöhter Gefäßpermeabilität), 4 Unreife oder verminderte Funktion von Nieren und Leber. Zu bedenken ist ferner eine die Thrombozytenfunktion beeinträchtigende vorangehende Prostaglandintherapie oder Polyglobulie (Bulutcu et al. 2005; Despotis et al. 2001; Williams et al. 1999). Die Hämodilution bedingt eine Verminderung der Konzentration an Fibrinogen, Gerinnungsfaktoren und Thrombozyten. Entzündungsmediatoren führen zu einer erhöhten Gefäßpermeabilität, einer Thrombozytenaktivierung und einer gesteigerten Fibrinolyse. Zusätzlich kann eine Thrombozytenfunktionsstörung durch eine vorbestehende Zyanose oder bei Asplenie oder Polysplenie (Heterotaxiesyndrome) vorliegen.
8.5.2 Therapie von Blutungskomplikationen
Postoperative Blutungskomplikationen machen eine erweiterte Labordiagnostik mit Bestimmung der Prothrombinzeit und der partiellen Thromboplastinzeit sowie der Konzentrationen von Fibrinogen, Fibrinspaltprodukten und D-Dimeren erforderlich. Die Beurteilung des Thrombelastogramms kann bei der Entscheidung für spezifische Blut-
193 8.6 · Temporäre Thoraxwandplastik
produkte hilfreich sein. Die Infusion von gefrorenem Frischplasma (10–15 ml/kg KG) und die Gabe von Thrombozytenkonzentraten (bei <30.000 Thrombozyten/μl) gehören zu den ersten Maßnahmen. Blutverluste mit Abnahme des Hämoglobinwertes werden durch Bluttransfusion ausgeglichen. Eine unzureichende Antwort auf die Gabe von Frischplasma und Thrombozytenkonzentrat kann eine chirurgische Revision erforderlich machen, die jedoch in <50 % der Fälle eine umschriebene Blutungsquelle offenlegt. Ein Kriterium hierfür ist ein Blutverlust über die liegenden Drainagen in den ersten postoperativen Stunden von 50–70 ml/h für Säuglinge mit einem Körpergewicht von <5 kg, 60–100 ml/h für Kinder mit einem Gewicht bis 10 kg und 160–270 ml/h bei einem Körpergewicht bis 25 kg bzw. ein Blutverlust von 5–10 ml/kg KG/h (Kirklin u. Barratt-Boyes 1993). Zur Wiederherstellung der Hämostase nach Operationen an der Herz-Lungen-Maschine kommen in Ausnahmefällen verschiedene pharmakologische Substanzen zur Anwendung. Aprotinin (Trasylol) wurde kontrovers diskutiert. Es scheint in hohen Dosen die Gerinnungsaktivierung abzuschwächen und den perioperativen Blutverlust sowie den Transfusionsbedarf zu reduzieren, birgt aber das Risiko anaphylaktischer Reaktionen und zeigt alters- sowie gewichtsabhängig variable Plasmakonzentrationen (Codispoti u. Mankad 2000; Mossinger et al. 2003). Vergleichbares gilt für Antifibrinolytika wie ε-Aminocapronsäure und Tranexamsäure, die – prophylaktisch angewandt – den postoperativen Blutverlust und den Substitutionsbedarf vermindern (Despotis et al. 2001; Ririe et al. 2002; Williams et al. 1999). Aprotinin wurde wegen vermuteter erhöhter Todesfallraten in der Herzchirurgie Ende 2007 zumindest temporär vom Markt genommen. Keine einheitlichen Erfahrungen liegen darüber hinaus für Desmopressin vor, das zu einer Konzentrationserhöhung von Faktor VIIIC und von-Willebrand-Faktor führt (Reid et al. 1997). Erzielen Transfusion und eine optimale Gerinnungsfaktorensubstitution keine Hämostase, kann rekombinanter Faktor VII eine bedrohliche nichtchirurgische Blutung effektiv und sofort kontrollieren (Douri et al. 2000; Tobias et al. 2003). Die Erfahrungen sind bisher jedoch begrenzt. Ein akutes (lokales) Thromboserisiko ist beschrieben und insbesondere bei Patienten nach aortopulmonaler ShuntAnlage oder kavopulmonaler Anastomose zu bedenken, sodass die Anwendung auf lebensbedrohliche, nichtchirurgische und durch die Standardtherapie nicht beherrschbare Blutungskomplikationen beschränkt werden sollte (Stocker u. Shekerdemian 2006; Tobias et al. 2003). Der Wirkungsmechanismus ist nicht vollständig bekannt und nicht durch die alleinige Erhöhung der Faktor-VII-Konzentration erklärbar. Rekombinanter Faktor VII kann möglicherweise die Thrombozytenfunktion verbessern, eine Faktor-X- und -Xa-Aktivierung herbeiführen und die Thrombinbildung fördern (Monroe et al. 1997; Pychynska-Pokorska et al .2004). Auch hier wird eine weitere Beurteilung nur durch
prospektive, randomisierte, multizentrische Studien möglich sein.
8.6
Temporäre Thoraxwandplastik
Der primäre Thorax-/Sternumverschluss kann bei Neugeborenen und jungen Säuglingen nach komplexen Eingriffen manchmal nicht möglich sein, da aufgrund myokardialer Schwellung, pulmonaler Überwässerung und Thoraxwandödem eine kardiale und pulmonale Kompromittierung entsteht. Diese äußert sich als Anstieg der Füllungsdrücke sowie als Abnahme des arteriellen Blutdrucks und/oder der zentralvenösen und arteriellen Sättigung. Ein zweizeitiger Sternumverschluss (»delayed sternal closure«) und eine temporäre Thoraxwandplastik erfolgen daher ggf. schon primär bei Zunahme des kardialen Volumens aufgrund einer Dilatation oder einer Myokardschwellung, bei myokardialer Dysfunktion mit hohem Katecholaminbedarf, bei hämodynamischer Instabilität, bei Abnahme der zentralvenösen Sauerstoffsättigung und bei zunehmendem Beatmungsdruck, aber auch bei nichtchirurgisch bedingter Blutungsneigung (Samir et al. 2002; Tabbutt et al. 1997; Ziemer et al. 1992). Als Risikofaktoren, die einen zweizeitigen Thoraxverschluss erforderlich machen können, wurden in einer umfangreichen Studie die kardiopulmonale Bypasszeit (>185 min), die Aortenklemmzeit (>98 min), die zentralvenöse Sauerstoffsättigung (<51 %) sowie ein Alter zum Zeitpunkt der Operation von <7 Tagen identifiziert. In >30 % der Fälle wurde nach komplexer neonataler Operation von einem primären Thoraxverschluss abgesehen (Samir et al. 2002). Die sekundäre Entscheidung zum zweizeitigen Thoraxverschluss (z. B. bei Pseudotamponade/LCOS mit Hypoperfusion, Hypoxie, Azidose, Erhöhung der Füllungsdrücke und Oligurie) birgt ein höheres postoperatives Letaltätsrisiko (Samir et al. 2002). Nach 1–4 Tagen kann bei stabilen hämodynamischen Verhältnissen (in den vorangegangenen 24 h), bei negativer Flüssigkeitsbilanz (zentraler Venendruck von <9 mmHg, unabhängig vom Bestehen peripherer Ödeme), bei adäquater Gerinnung und bei Verbesserung der respiratorischen Parameter unter Monitoring der zentralvenösen Drücke (Anstieg des zentralen Venendrucks um <2 mmHg), der Sauerstoffsättigung und des arteriellen Blutdrucks (Absinken des arteriellen Mitteldrucks um <5 mmHg) zumeist der sekundäre Thoraxverschluss erfolgen (Ziemer et al. 1992). Zur Vermeidung einer transportbedingten Kreislaufinstabilität, die eine Beurteilung der Verschließbarkeit des Thorax erschweren bis unmöglich machen würde, sollte der definitive sekundäre Thoraxverschluss am Intensivbehandlungsplatz im Intensivbett durchgeführt werden. Das Risiko einer Wundinfektion oder Sepsis, einer Re-Exploration wegen Mediastinitis oder einer Sternuminstabilität kann als gering eingestuft werden. Während des Zeitraums des »offenen« Thorax wird die perioperative Infektionsprophylaxe
8
194
Kapitel 8 · Intensivtherapie in der Kinderherzchirurgie
um ein Aminoglykosidantibiotikum erweitert (Christenson et al. 1996; Tabbutt et al. 1997).
8.7
8
Postoperative Analgesie und Sedierung
Hier soll nur auf die Prinzipien der postoperativen Analgesie und Sedierung (Analgosedierung) hingewiesen werden (Beke et al. 2005; Chang 2005; Diaz 2006; Donald et al. 2007; Huber u. Kretz 2005). Es wird eine Kombination von Medikamenten verwandt, um die jeweilige Dosis so gering wie möglich zu halten. Eine unzureichende Medikation zeigt sich in vegetativen Symptomen wie Tachykardie und Blutdruckanstieg sowie bei mechanischer Ventilation in unzureichender Synchronie zwischen Patient und Beatmungsmodus sowie in einer unkontrollierten Triggerung. Eine kontinuierliche Sedierung und Analgesie reduziert die endogene Katecholaminfreisetzung und ist postoperativ bei eingeschränkter Myokardleistung und labiler pulmonaler Hypertonie (Vermeidung pulmonaler hypertensiver Krisen) sowie nach komplexen, langwierigen Eingriffen über mindestens 12–24 h angezeigt. Sie wird zudem bei Eingriffen auf der Intensivstation wie Pleura-/Perikardpunktion und Kardioversion sowie bei diagnostischen Maßnahmen wie transösophageale Echokardiographie oder Bronchoskopie fortgesetzt. Eine Intensivierung der Analgesie ist während des zweizeitigen Thoraxverschlusses auf der Intensivstation notwendig, um die ggf. raschen hämodynamischen und respiratorischen Veränderungen auf die reine Mechanik bei Sternumverschluss beziehen zu können.
8.7.1 Frühpostoperative Analgesie
Frühpostoperativ wird zur Analgesie meist Morphin verwandt (Bolus: 0,1 mg/kg KG; Dauerinfusion: 25–100 μg/ kg KG/min). Es besteht eine große interindividuelle Variabilität des Opiatbedarfs. Unerwünscht sind dabei der atemdepressive Effekt, die Entwicklung einer Hypotension (verstärkt bei relativem Volumenmangel) und eine begleitende Histaminausschüttung. Der analgetische Effekt ist dosisabhängig, der sedative stärker als bei synthetischen Opiaten. Eine Beeinträchtigung der Darmmotilität besteht bei allen Opiaten. Neugeborene zeigen bei Unreife der Leber und der Nieren eine prolongierte Wirkung. Bei Niereninsuffizienz kann es zur Akkumulation aktiver Metabolite kommen. Fentanyl in einer Dosierung von 1–5(–10) μg/kg KG (Dauerinfusion: 0,5–5 μg/kg KG/h) hat eine 100fach höhere analgetische Potenz als Morphin, weist eine hohe Lipidlöslichkeit auf und zeigt einen raschen Wirkungseintritt sowie ein rasches Abklingen der Wirkung entsprechend der Re-Distribution. Toleranz und Abhängigkeit entwickeln sich schnell.
Piritramid (Bolus: 0,05–0,1 mg/kg KG/15min; Infusion: 0,01–0,03 mg/kg KG/h) ist in Kombination mit Propofol (Bolus: 1,5–3 mg/kg KG; Infusion: 1–9 mg/kg KG/h) zur Analgosedierung älterer Kinder geeignet. Ketamin (Bolus: 1–2 mg/kg KG) zeigt einen raschen Wirkungseintritt und eine relativ kurze Wirkungsdauer und führt zu einem Anstieg des Blutdrucks sowie der Herzfrequenz, kann jedoch auch kardiodepressiv wirken. Der Einfluss auf den pulmonalvaskulären Widerstand ist wahrscheinlich gering. Hypoventilation und bronchiale Hypersekretion können auftreten. Ketanest ist nicht zur Vertiefung der Analgesie beim sekundären Thoraxverschluss geeignet, da die eventuellen Änderungen der Hämodynamik den möglicherweise negativen Effekt des Sternumverschlusses kaschieren können und nach Abklingen der Ketanestwirkung zur Kreislaufdepression führen.
8.7.2 Postoperative Sedierung
Überwiegend besitzen die Analgetika auch sedierende Eigenschaften. Ist eine längere Beatmungsdauer abzusehen oder erfolgen bestimmte Prozeduren, ist eine zusätzliche Sedierung vorzunehmen. Benzodiazepine, die anxiolytisch, antikonvulsiv und hypnotisch wirken, werden häufig angewandt; es kann jedoch eine Atemdepression eintreten, außerdem eine Hypotension bei eingeschränktem Herzzeitvolumen. Midazolam (Bolus: 0,05–0,1 mg/kg KG; Dauerinfusion 0,05–0,2 mg/kg KG/h) ist kurz wirksam und kann bei reduziertem Herzzeitvolumen kumulieren sowie nach Tagen eine Tachyphylaxie bedingen oder Entzugssymptome auslösen. Die intermittierende Gabe von Chloralhydrat kann die Analgosedierung mit Morphin/Midazolam während der Entwöhnung ergänzen. Clonidin, ein α1- und α2-Andrenozeptor-Agonist, vermindert den Sympathikotonus bei Steigerung des Parasympathikotonus. Es weist zudem sedierende und analgetische Effekte auf und wird daher zur Prophylaxe des postoperativen »shivering« sowie zur Analgosedierung in einer Dosierung von 0,5–2(–4) μg/kg KG/h angewandt. In diesem Dosierungsbereich wurden bei normovolämischen Kreislaufverhältnissen keine negativen Auswirkungen auf Blutdruck und Herzfrequenz beobachtet. Etomidat (0,15–0,3 mg/kg KG) ist als Anästhetikum mit einer minimalen kardiovaskulären und respiratorischen Depression verbunden und zeigt eine nur kurze Wirkung (Anwendung zur Intubation). Es wird meist mit Opioiden kombiniert.
8.7.3 Muskelrelaxation
Eine Muskelrelaxation ist immer dann zu erwägen, wenn postoperativ die Myokardreserve eingeschränkt ist und der Sauerstoffverbrauch reduziert werden soll oder wenn eine
195 8.9 · Arrhythmien
pulmonalvaskuläre Hypertension oder Reagibilität besteht, außerdem bei temporärer Thoraxwandplastik bis zum sekundären Thoraxverschluss. Nichtdepolarisierende Muskelrelaxanzien unterscheiden sich bezüglich Wirkungseintritt und -dauer. Zumeist werden Substanzen mit intermediärem Wirkungseintritt und intermediärer Wirkdauer (Vecuroniumbromid, 0,1 mg/kg KG) oder langsamerem Wirkungseintritt und langer Wirkdauer (Pancuroniumbromid, 0,1 mg/kg KG) verwandt. Eine unnötig lange Relaxierung führt zu einer längeren Beatmungsdauer, verzögert den enteralen Nahrungsaufbau und kann durch verminderte Clearance, Bildung aktiver Metabolite oder relative Überdosierung zu einer prolongierten Muskelschwäche nach Absetzen des Medikaments führen.
8.8
Perioperative Infektionsprophylaxe
Eine perioperative antibiotische Prophylaxe ist bei allen herzchirurgischen Eingriffen angezeigt. Verabreichungsdauer und Wahl des Antibiotikums werden unterschiedlich gehandhabt. Besonders Säuglinge und Kleinkinder sind durch nosokomiale Infektionen gefährdet, hervorgerufen durch Staphylococcus epidermidis, Staphylococcus areus, Enterokokken oder gramnegative Erreger. Zum einen besteht durch verschiedene Eintrittspforten eine Infektionsgefahr, zum anderen ergibt sich bei Patienten mit angeborenen Herzfehlern ein erhöhtes Endokarditisrisiko, das besonders bei Vorliegen eines intrakardialen Rechts-links-Shunts (Gefahr der hämatogenen Absiedlung oder eines Hirnabszesses) oder nach Implantation von Fremdmaterial (Klappenprothesen, Conduits, Patch-Material) erhöht ist. Eine perioperative Infektionsprophylaxe erfolgt für mindestens 48–72 Stunden. Zentrale Katheter werden nach den intensivmedizinisch üblichen Richtlinien versorgt. Wegen des Risikos einer Kathetersepsis bzw. katheterbedingten Endokarditis bleibt die antibiotische Prophylaxe bis zur Entfernung der zentralen Zugänge bestehen. Grundsätzlich wird ein gegen Staphylokokken wirksames Cephalosporin gewählt. Bei Verdacht auf eine postoperative Infektion (z. B. Fieber 48 h postoperativ oder Temperatur von >39°C) ergänzt man ein Aminoglykosidantibiotikum. Eine antimykotische Prophylaxe wird in Abhängigkeit von der antibiotischen Behandlungsdauer, der Symptomatik etc. hinzugefügt. Infektionen gehen zumeist von zentralen Zugängen, dem Respirationstrakt, ableitenden Harnwegen oder – nach unserer Erfahrung äußerst selten – dem Mediastinum aus. Besteht eine temporäre Thoraxwandplastik, erfolgt primär eine prophylaktische Behandlung mit einem Cephalosporin oder mit Vancomycin in Kombination mit einem Aminoglykosidantibiotikum (Gentamicin). Bei nachgewiesener Infektion wird eine Erweiterung des Antibiotikaspektrums vorgenommen, möglichst entsprechend der Untersuchungsergebnisse von Blut, Trachealsekret, Wundabstrich und
Urinkulturen sowie entsprechend des Antibiogramms. Bei Einschränkung der Nierenfunktion ist eine am Medikamentenspiegel bzw. an der Kreatinin-Clearance orientierte Reduktion der Medikamentendosis vorzunehmen (Finkelstein et al. 2002; Maher et al. 2002; Niederhäuser et al. 1997).
8.9
Arrhythmien
8.9.1 Ursachen und hämodynamische Folgen
postoperativer Herzrhythmusstörungen Herzrhythmusstörungen werden postoperativ relativ häufig beobachtet. Sie können hämodynamisch eine erhebliche Gefährdung hervorrufen und lebensbedrohlich sein oder den postoperativen Verlauf prolongieren. Arrhythmien werden bei bis zu 25 % der Patienten nach Operationen unter Einsatz der Herz-Lungen-Maschine beobachtet und treten meist in den ersten 48 h nach dem Eingriff auf, und zwar als anhaltende oder nichtanhaltende Tachyarrhythmien (supraventrikuläre Tachykardie, Vorhofflattern, junktionale ektope Tachykardie, ventrikuläre Tachykardie) oder seltener als Bradyarrhythmien (kompletter AV-Block, Sinusbradykardie). Begünstigt wird ihr Auftreten durch: 4 Hypothermie, 4 Myokardischämie, 4 Kardiotomie (Vorhof/Ventrikel), 4 hämodynamische Instabilität, 4 Elektrolytimbalancen, 4 Störungen des Säure-Basen-Haushalts, 4 Gabe potenziell arrhythmogener Katecholamine. Präoperativ bestehende Herzrhythmusstörungen können postoperativ erneut auftreten bzw. persistieren (Batra et al. 2006; Beke et al. 2005; Craig et al. 2001; Hoffman et al. 2003; Ravinshankar et al. 2003). Hämodynamisch steht zumeist der Verlust der AV-Synchronizität im Vordergrund. Das Herzzeitvolumen ist hierdurch um 10–20 % vermindert, da eine suffiziente Vorhofkontraktion fehlt. Dies macht sich besonders bei residualen AV-Klappen-Insuffizienzen bemerkbar. Bei tachykarden Herzrhythmusstörungen kommt es zur Verkürzung der ventrikulären diastolischen Füllungsphase und somit zum Absinken des Herzzeitvolumens. Bradyarrhythmien werden durch eine Zunahme des Schlagvolumens zur Aufrechterhaltung des Herzzeitvolumens teilweise kompensiert. Die Ventrikelgröße nimmt jedoch enddiastolisch zu und damit auch der Füllungsdruck. Eine Dehnung der Klappenringe kann zudem neue Klappeninsuffizienzen zur Folge haben. Letztlich sind die hämodynamischen Auswirkungen postoperativer Herzrhythmusstörungen auch von dem zugrunde liegenden Herzfehler und postoperativen Zirkulationsverhältnissen abhängig.
8
196
Kapitel 8 · Intensivtherapie in der Kinderherzchirurgie
8.9.2
Diagnostik postoperativer Herzrhythmusstörungen
Eine geringe Herzfrequenzvariabilität bei der Monitorüberwachung kann diagnostisch hinweisend sein. Auch die arterielle sowie die zentralvenöse Druckkurve lassen Arrhythmien erkennbar werden. Ein über die passageren epimyokardialen Schrittmacherdrähte abgeleitetes EKG erlaubt die Differenzierung von P-Wellen und QRS-Komplexen sowie deren zeitliche Zuordnung und damit eine präzise Diagnosestellung. Vorhofpotenziale können auch durch ein Ösophagus-EKG detektiert werden. Der transösophageale Elektrodenkatheter kommt dorsal des Vorhofs zu liegen und zeigt deutliche Vorhofpotenziale. Sind keine passageren epikardialen Vorhofelektroden platziert, ist über diesen Elektrodenkatheter auch eine Stimulation/Überstimulation möglich.
8.9.3
8
Therapiekonzepte
Vor einer spezifischen medikamentösen Therapie sind rasch zu behebende Ursachen hämodynamisch wirksamer postoperativer Arrhythmien zu erkennen und auszugleichen. Hierzu gehören: 4 Hypokaliämie mit Begünstigung tachykarder Herzrhythmusstörungen und einer Extrasystolie, 4 Hyperkaliämie mit Bradyarrhythmien und Reizschwellenanstieg bei Schrittmacherstimulation, 4 Störungen des Säure-Basen-Haushalts mit metabolischer oder respiratorischer Azidose, 4 Hypokalzämien. Myokardiale Dysfunktionen bei LCOS oder Myokardischämien durch eine Koronarperfusionsstörung (anatomische Obstruktion einer Koronararterie, Luftembolie) machen eine Verminderung des Sauerstoffverbrauchs und eine Verbesserung der Myokardfunktion erforderlich. Hierzu zählt auch die Senkung der Vorlast durch Vasodilatoren, wodurch eine durch die Überdehnung der Vorhöfe ausgelöste tachykarde Rhythmusstörung verhindert werden kann. Katecholamingaben können Tachykardien hervorrufen und eine Modifikation der Katecholamintherapie erfordern, z. B. Dosisreduktion oder Wechsel von synthetischen Katecholaminen (Dopamin, Dobutamin) zu Adrenalin. ! Der dringende Verdacht auf eine chirurgisch induzierte oder behebbare Koronarperfusionsstörung erfordert eine invasive Diagnostik.
8.9.3.1
Therapie tachykarder Herzrhythmusstörungen
Supraventrikuläre Tachykardien beruhen meist auf in-
traatrialen Reentry-Mechanismen. Sie werden herzfrequenzabhängig mäßig toleriert und bei hämodynamisch
stabiler Situation durch vagale Stimulation (Eisbeutel), zumeist medikamentös (Adenosin) oder durch »overdrive pacing« regularisiert. Adenosin (initiale Dosierung: 0,05– 0,1 mg/kg KG i. v., max. 0,3 mg/kg KG) induziert einen kurzfristigen AV-Block und kann supraventrikuläre Tachykardien, bei denen der AV-Knoten Bestandteil des ReentryMechanismus ist, unterbrechen. Die kurze Halbwertszeit erlaubt die wiederholte Gabe. Da Adenosin keine negativ inotrope Wirkung besitzt, kann es auch bei manifester Herzinsuffizienz gegeben werden. Diagnostisch lässt sich durch Adenosin eine atriale Tachykardie bzw. ein Vorhofflattern demaskieren. Die atriale Tachykardie läuft während eines kurzfristigen AV-Blocks ununterbrochen weiter. Eine Überstimulation durch einen schnellen Vorhofschrittmacher mit Stimulationsfrequenzen von 10–40 Schlägen über der Tachykardiefrequenz (selten >300/min bis 600– 800/min: Overdrive-Stimulation) kann durch Refraktärität des Vorhofmyokards eine Unterbrechung der ReentryTachykardie induzieren. Bei hämodynamischer Kompromittierung ist die synchrone (R-Zacken-getriggerte) Kardioversion angezeigt (Beke et al. 2005; Perry u. Walsh 1998). Vorhofflattern als primäre atriale Tachykardie aufgrund eines Makro-Reentry zeigt sich im Oberflächen-EKG mit einem »sägezahnartigen« Muster. Die Vorhoffrequenz kann bei bis zu 300–600/min liegen. Die Ventrikelfrequenz hängt dabei von der AV-Überleitung ab; meist besteht ein 2:1oder 3:1-Block, eine 1:1-Überleitung so gut wie nie. Andere Formen des intraatrialen Reentry zeigen bei wechselnder P-Wellen-Morphologie variable isoelektrische Intervalle zwischen den P-Wellen (atypisches Vorhofflattern), möglicherweise durch die variable Lage der Nahtlinien und Narben im rechten Vorhof, die Atriotomie, die Kanülierung der V. cava, einen erhöhten Vorhofdruck oder eine Vorhofdilatation bedingt. Bei Vorhofflimmern mit Vorhoffrequenzen von 400–700/min ist keine mechanische Vorhofaktivität vorhanden. Die Ventrikelaktionen sind unregelmäßig (absolute Arrhythmie). Ziele der Behandlung sind die Wiederherstellung einer suffizienten Vorhofkontraktion und die Normalisierung der Ventrikelfrequenz. Postoperativ ist bei Vorhofflattern eine atriale Überstimulation mit einer Frequenz von 120 % der Flatterfrequenz angezeigt. Bei hämodynamischer Instabilität erfolgt eine Kardioversion, und ggf. wird eine antiarrhythmische Medikation mit Amiodarone verabreicht. Die Kardioversion und die Gabe von Amiodarone kommen auch bei absoluter Arrhythmie zur Anwendung. Ektope atriale Tachykardien sind postoperativ selten zu dokumentieren. Sie sind durch eine gesteigerte Automatizität bedingt und zumeist nicht anhaltend. In der Regel verschwinden sie nach wenigen Tagen. Die Behandlungsstrategien schließen eine Digitalisierung, die Reduktion der Katecholaminzufuhr sowie die Gabe von β-Blockern (Esmolol) und Amiodaron zur Kontrolle der ventrikulären Herzfrequenz ein.
197 8.9 · Arrhythmien
Die junktionale ektope Tachykardie stellt mittlerweile die häufigste postoperative tachykarde Herzrhythmustörung im Kleinkindesalter dar (Inzidenz: 6–11 %). Sie kann nach jeder Art von Herzoperation auftreten, besonders nach Korrektur einer Fallot-Tetralogie, eines Ventrikelseptumdefekts oder eines atrioventrikulären Septumdefekts, aber auch nach arterieller Switch- oder Norwood-Operation (Batra et al. 2006; Hoffman et al. 2003; Perry u. Walsh 1998). Eine Korrelation besteht mit einem jüngeren Alter zum Zeitpunkt der Operation (<6 Monate), einer längeren Bypassdauer und einer Katecholamin-(Dopamin-)Gabe. Eine chirurgische Manipulation in der Nähe des His-Bündels und eine Hypomagnesiämie sind nicht regelmäßig damit assoziiert, es wird jedoch ursächlich eine erhöhte Automatizität des His-Bündels aufgrund eines direkten Traumas oder einer infiltrativen Hämorrhagie diskutiert (Batra et al. 2006; Dodge-Khatami et al. 2002; Hoffman et al. 2003). Zumeist setzt sie junktionale ektope Tachykardie in den ersten 24–48 h nach der Operation ein. Sie ist grundsätzlich innerhalb von 2–8 Tagen selbstlimitierend. Es besteht eine AVDissoziation mit einer atrialen Frequenz deutlich unter der Ventrikelfrequenz. Diese »dissoziierte Kontraktion« des Vorhofs, das Fehlen der Vorhofkontraktion für die Ventikelfüllung und die hohe ventrikuläre Frequenz (Tachykardie mit schmalen QRS-Komplexen, meist mit einer Frequenz von 170–230/min) vermindern das Herzzeitvolumen und führen zu einer Hypotension. Es besteht daher bei höheren Frequenzen unbehandelt eine lebensbedrohliche Situation mit hoher Letalität. Ziel der Behandlung ist eine Kontrolle der Kammerfrequenzen und damit eine hämodynamische Stabilisierung. Hierzu gehören die Vermeidung einer Hyperthermie (ggf. moderate Hypothermie durch aktive Oberflächenkühlung auf etwa 32–34°C), eine ausreichende Sedierung und Analgesie, eine Reduktion der Katecholamingabe, eine antiarrhythmische Medikation mit Amiodarone und die Kontrolle der Herzfrequenz durch atriale oder sequenzielle Herzschrittmacherstimulation (»pacing«) (Janousek et al. 2000; Laird et al. 2003). Die kontrollierte Oberflächenhypothermie macht eine Relaxierung und eine adäquate Analgosedierung notwendig, um Muskelzittern und eine Steigerung des Sauerstoffverbrauchs zu verhindern. Amiodaron (Bolusgabe von 5 mg/kg KG gefolgt von einer Dauerinfusion von 10–15 mg/kg KG/Tag) erwies sich in der Behandlung der junktionalen ektopen Tachykardie als sicher und effektiv. Eine atriale bzw. AVsequenzielle Stimulation oberhalb der (durch Hypothermie/Antiarrhythmika kontrollierten) Tachykardiefrequenz verbessert die Hämodynamik (Hoffman et al. 2003; Laird et al. 2003). Ventrikuläre Tachykardien sind im frühen Kindesalter selten (begünstigt durch Elektrolytstörungen wie Hypomagnesiämie, Störungen des Kalium- oder Säure-BasenHaushalts, Myokardischämie oder LCOS). Patienten mit Druck- oder Volumenbelastung der Ventrikel oder chirurgischen Prozeduren unter Einbeziehung der Ventrikel sind
hierfür prädestiniert (z. B. Patienten nach Korrektur einer Fallot-Tetralogie, mit subendokardialer Ischämie bei Aortenstenose oder nach Ross-Operation). Im OberflächenEKG zeigen sich eine Verbreiterung der QRS-Komplexe (>0,09 s), eine AV-Dissoziation, Fusionsschläge und intermittierend übergeleitete Sinusschläge. Als monomorphe ventrikuläre Tachykardie oder »torsade de pointes« (ungeordnete elektrische Aktivität ohne Auswurf aus dem Ventrikel und Degeneration in Kammerflimmern) werden diese Rhythmusstörungen medikamentös (Magnesium, Lidocain, Amiodarone) bzw. bei instabilen Situationen durch Kardioversion (1–2 J/kg KG) und bei Übergang in Kammerflimmern durch Defibrillation (2 J/kg KG) regularisiert (Craig et al. 2001; Hanisch 2001). Langfristig kann das erneute Auftreten einer ventrikulären Tachykardie durch eine antiarrhythmische Medikation sowie ggf. durch Implantation eines Defibrillators (»automatic implantable cardioverter/defibrillator«, AICD) verhindert werden. 8.9.3.2
Therapie bradykarder Herzrhythmusstörungen
Der komplette AV-Block (z. B. nach Verschluss eines Ventrikelseptumdefekts, Korrektur eines atrioventrikulären Septumdefekts oder Resektion einer Subaortenstenose) ist durch eine AV-Dissoziation mit atrialen Frequenzen deutlich oberhalb der ventrikulären Frequenzen gekennzeichnet. Die Überleitung kann sich postoperativ erholen. Nach gegenwärtigen Empfehlungen wartet man 10–14 Tage ab, bevor ein permanentes Schrittmachersystem (endokardial oder epikardial bei Kindern mit einem Körpergewicht von <20 kg) implantiert wird (VVI- bzw. VVIR- oder DDD-Systeme) (Gregorates et al. 2002; Perry u. Walsh 1998). Der AV-Block ersten Grades als Verlängerung der PQZeit wirkt sich hämodynamisch nur bei extremer Verlängerung der Überleitung aus (die P-Welle kann dann in der vorangehenden ST-Strecke verborgen sein). Hier kann, ebenso wie beim AV-Block zweiten Grades mit intermittierendem Ausbleiben der AV-Überleitung (Mobitz-TypII-Block), eine sequenzielle Stimulation angezeigt sein. Medikamentös kann durch die Gabe von Orciprenalin (10 μg/kg KG; Perfusor: 0,1–2,0 μg/kg KG/min) oder Atropin (0,01 mg/kg KG) interveniert werden. Eine Sinusknotendysfunktion, wie sie auch passager nach Korrektur eines Vorhofseptum- oder eines Sinusvenosus-Defekts, nach Fontan- oder nach Vorhofumkehroperationen eintreten kann, bedarf bei Bradyarrhythmien, hämodynamischer Instabilität oder Symptomen wie Synkopen eines Schrittmachers (AAI- bzw. AAIR- oder DDDSysteme).
8
198
Kapitel 8 · Intensivtherapie in der Kinderherzchirurgie
8.10
Maschinelle Beatmung
8.10.1 Indikationen und hämodynamische
Folgen
8
Eine unzureichende Respiration bzw. Ventilation und eine kardiopulmonale Unterstützung können rasch zur kardiovaskulären Dekompensation mit kritischer Verminderung des Herzzeitvolumens und Arrhythmien führen sowie eine lebensbedrohliche Situation bedingen. Das Erkennen einer unzureichenden Respiration/Ventilation und Oxygenierung sowie die Entscheidung zur bzw. die Änderung der maschinellen Beatmung aufgrund der subjektiven Einschätzung und des vom Patienten geäußerten oder signalisierten subjektiven Gefühls der Luftnot bedürfen objektiver Kriterien, wie sie aus der Blutgasanalyse gewonnen werden. Die Indikation zur maschinellen Beatmung wird bei akuter respiratorischer Insuffizienz mit Entwicklung einer Apnoe oder Hypopnoe sowie bei Kohlendioxidretention (akuter Kohlendioxidpartialdruck von >50 mmHg) und Hypoxie (akuter Sauerstoffpartialdruck von <70 mmHg und akute Sauerstoffsättigung von <93 %) gesehen. Die Angabe derartiger Grenzwerte unterliegt jedoch Einschränkungen und bedarf der individuellen Anpassung, da beispielsweise Patienten mit Rechts-links-Shunt chronisch an erniedrigte Sauerstoffsättigungswerte adaptiert sind; vergleichbar ist die Situation für Patienten mit chronischer Hypoventilation und Hyperkapnie. Bei herzinsuffizienten Patienten mit Hyperperfusion der Lunge oder Lungenvenenstauung, was zunächst eine respiratorische Partialinsuffizienz hervorruft, kann die maschinelle Beatmung die Atemarbeit und den Sauerstoffverbrauch sowie die bei Erschöpfung drohende Entwicklung intrapulmonaler Shunts und eines Ventilations-Perfusions-Missverhältnisses vermindern. Eine Indikation zur Beatmung kann sich aber auch aus anderen Situationen/Erfordernissen ergeben: 4 Sicherung der Atemwege bei Obstruktion der oberen Atemwege, 4 neurologischen Erkrankungen, 4 Fremdkörperaspiration, 4 restriktive Lungen- oder Lungenparenchymerkrankungen zur Kontrolle der Ventilation. Bei Spontanatmung besteht eine synchrone aktive Kontraktion von Zwerchfell und Interkostalmuskulatur, und es entsteht ein negativer intrathorakaler Druck, gefolgt von der passiven Exspirationsphase. Unter maschineller Beatmung dagegen besteht inspiratorisch ein positiver intrathorakaler Druck; der exspiratorische Druckabfall kann durch Aufrechterhaltung eines positiven endexspiratorischen Drucks (»positive endexpiratory pressure«, PEEP) vermindert werden. Hieraus ergeben sich eine Verminderung des venösen Rückstroms, eine pulmonalarterielle Druckerhöhung, eine pulmonalvaskuläre Widerstandserhöhung, eine Abnahme des pulmonalen Blutflusses und ein pulmonal-
venöser Rückstrom, was sich u. U. nachteilig auswirkt. Letztlich kann eine Abnahme des Herzzeitvolumens resultieren, welche durch eine Erhöhung der Vorlast durch Volumengabe auszugleichen ist. In der Regel werden diese hämodynamischen Folgen der Beatmung jedoch durch die Verbesserung der Oxygenierung und die dadurch hervorgerufene Abnahme des pulmonalen Widerstands kompensiert. Bei einem individuell unterschiedlich anzunehmenden kritischen PEEP kommt es allerdings bei Steigerung des endexspiratorischen Drucks unter der Beatmung zu einer Kompression der Kapillaren mit nachfolgendem Abfall des Sauerstoffpartialdrucks. Bei Patienten mit FontanZirkulation kann der passive Pulmonalarterienfluss unter positivem Inspirationsdruck weitgehend sistieren, mit konsekutiver kardiovaskulärer Dekompensation (daher ist der PEEP bei diesen Patienten bei ≤2 cm H2O zu halten). 8.10.2 Beatmungsformen
Postoperativ ist es bei Risikopatienten (komplexe kardiochirurgische Eingriffe mit langer Bypasszeit) angezeigt, für mindestens 24 h eine kontrollierte Beatmung beizubehalten. Bei der primären Geräteeinstellung können Normwerte für Neugeborene und Erwachsene für Atemfrequenz (30–40/min bzw. 8–12/min), Inspirations-ExspirationsVerhältnis (1 : 1,5–1 : 2 bzw. 1 : 2–1 : 3) und Atemzugvolumen (6–8 ml/kg KG) zugrunde gelegt werden. Der inspiratorische Spitzendruck lässt sich durch eine Änderung des Inspirations-Exspirations-Verhältnisses oder durch eine höhere Beatmungsfrequenz senken. Ein hoher Spitzendruck kann den arteriellen Sauerstoffpartialdruck erhöhen. Eine Erhöhung des Atemminutenvolumens führt durch die gesteigerte Ventilation zu einer Abnahme des Kohlendioxidpartialdrucks. In der Regel wird postoperativ eine niederfrequente Beatmung mit einem PEEP von 4–6 cmH2O angestrebt. Ist eine Lungenüberflutung zu »steuern«, lässt sich durch Erhöhung des PEEP der intrathorakale Druck steigern und der Systemfluss günstig beeinflussen. Eine Erhöhung des Kohlendioxidpartialdrucks steigert den pulmonalen Gefäßwiderstand und vermindert den pulmonalen Blutfluss. Bei Vorliegen eines Lungenödems sind eine niederfrequente Beatmung und eine Erhöhung des PEEP bei druckkontrolliertem Beatmungmodus hilfreich. Nach univentrikulärer Palliation/Fontan-Operation ist eine Erhöhung des intrathorakalen Drucks und des pulmonalen Gefäßwiderstands unbedingt zu vermeiden, da die Lungenperfusion passiv erfolgt. Angestrebt werden daher eine optimale Ventilation und eine ideale Oxygenierung bei niedrigem intrathorakalen Druck, eine höherfrequente Beatmung und kein oder ein nur geringer PEEP sowie eine frühe Extubation, um den negativen intrathorakalen Druck bei Spontanatmung zur Verbesserung des venösen Rückflusses zu nutzten. Eine bronchiale Obstruktion macht eine Verlängerung der Exspirationszeit bei nieder- oder
199 8.10 · Maschinelle Beatmung
normofrequenter Beatmung erforderlich. Zudem wirken eine adäquate Befeuchtung der Atemluft, eine Sekretolyse und ggf. eine Lavage, die Gabe von Theophyllin und ggf. Steroiden sowie Inhalationen mit Salbutamol (Sultanol) und Ipratropiumbromid (Atrovent) unterstützend. Schwere obere und untere Atemwegsobstruktionen können durch den Einsatz von Heliox (einer festen Mischung aus Helium und Sauerstoff) an entsprechend dafür ausgelegten Atmungssystemen behandelt werden; der günstige Effekt beruht auf einer Verminderung der Atemarbeit durch Überführen einer turbulenten in eine laminare Strömung in den Atemwegen und eine Verbesserung des Gasaustauschs, besonders bei CO2-Retention (Gupta und Cheifetz 2006; Kissoon et al. 2008). Die unterschiedlichen Beatmungsformen können hier nur skizziert werden. Geringe hämodynamische Auswirkungen bei optimaler Ventilation und Oxygenierung lassen sich mit einer druckkontrollierten Beatmung mit dezelerierendem Fluss erreichen; ein Barotrauma der Lunge kann vermieden werden. Sind Beatmungsdruck, Beatmungsfrequenz und Inspirations-Exspirations-Verhältnis vorgegeben, sind für inspiratorisches und exspiratorisches Minutenvolumen Begrenzungen vorzugeben. Bei der druckunterstützten Ventilation werden die durch den Patienten getriggerten Atemzüge mit einem konstanten Druck angeboten. Es besteht eine geringere Gefahr der Pneumothorax- und Atelektasenbildung. Die Atemarbeit wird durch die Kombination der aktiven Inspiration mit der mechanischen Beatmung verringert. Die volumenkontrollierte Beatmung mit konstantem inspiratorischen Fluss sowie vorgegebenem Tidal- und Atemminutenvolumen sowie Inspirations-Exspirations-Verhältnis macht den Inspirationsdruck zur abhängigen Variablen mit potenziell deutlicher Anhebung des inspiratorischen Spitzendrucks. Daher muss eine Druckbegrenzung gewählt werden. Volumenkontrolliert und druckunterstützt wird patientengetriggert ein Beatmungsvolumen vorgegeben (»backup breaths«, »synchronized intermittent mandatory ventilation«). Der Modus der druckkontrollierten und druckunterstützten Beatmung unterstützt alle patientengetriggerten Atemzüge mit dezeleriertem inspiratorischen Fluss als »back-up«druckkontrollierten Atemzug. Im Bemühen eine Barotrauma zu verhindern besteht die Gefahr eines inadäquaten Tidalvolumens. Bei der druckregulierten und volumenkontrollierten Beatmung sind Atemminutenvolumen, Atemfrequenz und Inspirations-Exspirations-Verhältnis vorgegeben, und der Inspirationsdruck wird an die Compliance angepasst, um den niedrigstmöglichen Inspirationsdruck aufzuwenden. Die Hochfrequenzbeatmung nutzt die Kombination aus hoher Atemfrequenz und geringem Tidalvolumen. Bei der Hochfrequenzjetventilation resultiert aus der Atemfrequenz von 60–600/min bei einem Tidalvolumen von 2–5 ml/ kg KG ein geringerer mittlerer Atemwegsdruck. Die Hochfrequenzoszillation verwendet Frequenzen von 2–15 Hz
und Tidalvolumina von 1–3 ml/kg KG. Bei einem vorgegebenen mittleren Beatmungsdruck besteht ein kontinuierlicher Gasfluss (15–40 l/min), während die Luftsäule mit der oszillierenden Frequenz einem aktiven Druck und einem Sog unterliegt. Die Oxygenierung ist von der inspiratorischen Sauerstofffraktion und dem mittleren Atemwegsdruck abhängig, die Ventilation/Kohlendioxidelimination von Oszillationsfrequenz und -amplitude.
8.10.3 Entwöhnung
Die Entwöhnung von der Beatmung und die Extubation setzen eine adäquate Hämostase, einen stabilen oder stabilisierten Kreislauf mit Sinusrhythmus oder stabilem Schrittmacherrhythmus und einen angemessenen mentalen Zustand des Patienten voraus. Respiratorische Parameter sind ein Sauerstoffpartialdruck von >75 mmHg bei einer inspiratorischen Sauerstofffraktion von 0,3 und ein arterieller Kohlendioxidpartialdruck von <45 mmHg. Bei zyanotischen Vitien kann die Entwöhnung anhand der Sauerstoffsättigung und des arteriellen Kohlendioxidpartialdrucks erfolgen. Ein unzureichender Gasaustausch und eine ungenügende Spontanatmung lassen die Abklärung möglicher anatomischer Residualbefunde notwendig werden (mittels transthorakaler oder transösophagealer Echokardiographie oder mittels Herzkatheteruntersuchung). Ferner sind pulmonale Probleme (Pneumothorax, Pleuraerguss, Atelektasen, Zwerchfellparese, zentrale und periphere Atemwegsobstruktion), eine Rekurrensparese sowie neurologische Komplikationen auszuschließen. Bei Kindern und Erwachsenen erfolgt die Entwöhnung über die »synchronized intermittent mandatory ventilation« (SIMV) mit Druckunterstützung (PEEP auf 4 cm H2O reduziert). Bei Neugeborenen und Säuglingen ist eine Entwöhnung über aktives Triggern meist nicht möglich, sodass hier der Weg über die Reduktion des Inspirationsdrucks und/oder der Frequenz der »intermittent mandatory ventilation« (IMV) gewählt wird. Grundsätzlich ist unter den genannten Voraussetzungen eine zügige Extubation anzustreben. Die Beatmungsphase kann jedoch bei jungen Säuglingen, präoperativ bestehender pulmonaler Hypertonie, präoperativer Beatmung und komplexer kardialer Fehlbildung mit längerer Bypassdauer und postoperativen Komplikationen prolongiert bzw. es kann eine längere Beatmung angezeigt sein. Eine frühe Extubation (<8 h postoperativ) ist bei hämodynamisch stabilen Kindern in einem Alter über einem Jahr jedoch möglich. Sie ist v. a. dann erfolgreich, wenn präoperativ keine pulmonale Hypertonie oder symptomatische Herzinsuffizienz bestanden hat, unabhängig von der zugrunde liegenden Art des Herzfehlers und unabhängig davon, ob eine korrigierende oder eine palliierende Operation erfolgte. Die Re-Intubationsrate wird mit 1–3 % angegeben (Davis et al. 2004). Säuglinge nach Operationen
8
200
Kapitel 8 · Intensivtherapie in der Kinderherzchirurgie
unter Einsatz der Herz-Lungen-Maschine sollten aus logistischen Gründen nicht vor dem nächsten Morgen extubiert werden.
8.11
Postoperative pulmonalvaskuläre Widerstandserhöhung
8.11.1 Ursachen und Diagnostik
8
Ein geringeres Operationsalter und Korrekturoperation im Säuglingsalter, Modifikationen des kardiopulmonalen Bypasses, die Nutzung der modifizierten Ultrafiltration sowie eine Änderung des intensivmedizinischen Managements ließen Häufigkeit und Schwere einer postoperativen pulmonalvaskulären Widerstandserhöhung abnehmen. Eine verstärkte Reagibilität und eine krisenhafte Steigerung des pulmonalvaskulären Widerstands müssen bei bestimmten Vitien und in einem bestimmten Patientenalter antizipiert sowie durch entsprechendes Monitoring rasch erkannt werden. Derartige Probleme können altersabhängig häufiger nach Korrektur einer totalen Fehlverbindung der Lungenvenen, eines Atrioventrikularseptumdefekts oder eines Truncus arteriosus sowie bei vorbestehender pulmonaler Hypertonie eintreten. Das invasive Monitoring zeigt einen Anstieg des zentralen Venendrucks bei Absinken des Systemdrucks und Zyanose. Hyperkapnie, Hypoxie und Azidose führen ihrerseits zu einer pulmonalen Vasokonstriktion. Nach Fontan-Operation oder bei rechtsventrikulärer Dysfunktion ist allein der Abfall des Herzzeitvolumens hinweisend. Der pulmonalvaskuläre Widerstand – kalkuliert aus der Differenz zwischen mittlerem Pulmonalarteriendruck und linksatrialem Druck in Relation zum pulmonalen Blutfluss – wird durch die Struktur des Lungengefäßbetts und den pulmonalvaskulären Gefäßtonus beeinflusst, der wiederum durch alveoläre Hypoxie, Azidose und bestimmte vasoaktive Substanzen, zu denen auch die Katecholamine zählen können, erhöht wird. Verschiedene, vom Gefäßendothel produzierte Substanzen sind vasoaktiv; sie wirken vasokonstriktiv oder dilatorisch (NO). Weitere Faktoren können postoperativ eine pulmonalvaskuläre Widerstandserhöhung begünstigen, wodurch die Dauer der Beatmung und der intensivmedizinischen Behandlung zunimmt. Hierzu gehören (Brown et al. 2003; Schulze-Neick et al. 2001): 4 thorakobronchialpulmonale Probleme (Atelektasen, Pneumothorax, Pleuraerguss, Bronchospasmus), 4 Mikroembolie, 4 Lungenödem, 4 LCOS, 4 inadäquate Beatmung mit Kohlendioxidretention und zu niedrigem Sauerstoffpartialdruck oder ggf. zu hohem PEEP. Ein in Relation zum systemvaskulären Widerstand zu niedriger pulmonalvaskulärer Widerstand kann bei Vitien mit
system-/pulmonalarterieller Verbindung (postoperativ nach Anlage eines aortopulmonalen Shunts, präoperativ bei duktusabhängiger System- oder Pulmonalzirkulation) zu einem exzessiven pulmonalen Blutfluss führen. Eine Balance lässt sich durch Reduktion der inspiratorischen Sauerstofffraktion, Hypoventilation (permissive Hyperkapnie) oder Kohlendioxidbeimischung, Tolerierung einer milden Azidose, Erhöhung des Mitteldrucks bei Beatmung (PEEP) sowie systemische Nachlastsenkung (Natriumnitroprussid) erreichen. Bei einer postoperativen rechtsventrikulären Druckerhöhung, dopplersonographisch über den Gradienten einer Trikuspidalklappeninsuffizienz abgeschätzt, müssen differenzialdiagnostisch auch anatomische Ursachen ausgeschlossen werden: 4 residuelle rechtsventrikuläre Ausflussbahnstenose, 4 Pulmonalarterienstenose, 4 Linksherzobstruktion, 4 pulmonalvenöse Obstruktion. 8.11.2 Therapie
Behandlungsstrategien bei Patienten mit postoperativ potenziell erhöhtem pulmonalvaskulären Widerstand zielen zunächst auf eine Prävention und Vermeidung der geschilderten Triggermechanismen und schließen eine ausreichende Sedierung, eine moderate Hyperventilation (angestrebter Kohlendioxidpartialdruck: 30–35 mmHg), eine Erhöhung der inspiratorischen Sauerstofffraktion sowie ggf. eine PEEP-Beatmung ein. Die Applikation pulmonaler Vasodilatoren setzt wegen der möglichen Nebenwirkungen eine klare Indikation voraus. Zu den unspezifischen Vasodilatoren kann Milrinon gerechnet werden; hier bestehen jedoch eine systemarterielle Vasodilatation, eine schlechte Steuerbarkeit (Halbwertszeit) und eine für die Behandlung einer akuten pulmonalen Hypertension unsichere Indikation. Die Gabe von Prostazyklin (1–5 ng/kg KG/min; Infusion: 10–20 ng/kg KG/min; Thrombozytenaggregationshemmung und systemarterieller Druckabfall als potenzielle Nebenwirkungen) oder Natriumnitroprussid (0,5–10 μg/ kg KG/min; ebenfalls systemarterieller Druckabfall) kann alternativ erwogen werden. Zudem ist die orale Gabe von Beraprost oder Prostazyklin als Aerosol (Iloprost) möglich; dies scheint bezüglich der Effektivität dem NO vergleichbar zu sein (Barst et al. 1996; Rimensberger et al. 2001). Ein alternativer Behandlungsansatz besteht in der Gabe von Sildenafil (selektiver Phosphodiesterase-5-Inhibitor), das eine relativ selektive pulmonale Vasodilatation hervorruft und für die chronische Therapie der pulmonalen Hypertonie eingeführt ist. Die Effektivität einer Anwendung nach herzchirurgischen Eingriffen bedarf der Prüfung (Atz et al. 2002; Schulze-Neick et al. 2002). Gleichfalls für die chronische Behandlung der pulmonalen Hypertonie angezeigt ist die Gabe von Bosentan, einem Endothelinrezeptorblocker (Barst et al. 1996; Galie et al. 2003).
201 8.12 · Nierenfunktion und Flüssigkeitsbilanz, Dialyse
Die Inhalation von NO bewirkt eine selektive pulmonale Vasodilatation und kann daher postoperativ im Einzelfall von Bedeutung sein. Eine »prophylaktische« Anwendung bei möglichen Risikopatienten erwies sich nicht als sinnvoll, zumal eine Toxizität (Methämoglobinbildung) und eine »rebound«-pulmonale Hypertonie nach NO-Beatmung wesentliche Probleme darstellen können und die Entwöhnung somit langwierig ist (Atz et al. 1996; Miller et al. 2000). Die empfohlene optimale Startdosierung für NO liegt zwischen 5 und 40 ppm; zumeist wird eine Dosis von 20 ppm gewählt (Journois et al. 2005; Stocker et al. 2003).
8.12
Nierenfunktion und Flüssigkeitsbilanz, Dialyse
8.12.1 Ursachen postoperativer Nierenfunktions-
störungen Trotz Änderungen der intraoperativen Strategien und Einführung der modifizierten Ultrafiltration können interstitielle Flüssigkeitseinlagerungen und Nierenfunktionseinschränkungen nach Operationen an der Herz-Lungen-Maschine zur postoperativen Morbidität beitragen, besonders bei Neugeborenen und Säuglingen, und die intensivmedizinische Behandlung verlängern. Die Nierenfunktionseinschränkung ist multifaktoriell bedingt: 4 prärenal (Hypovolämie, LCOS, periphere Vasokonstriktion, erhöhter zentraler Venendruck, intraabdominelle Druckerhöhung bei Aszites, postoperative residuelle Defekte), 4 renal (ischämische Schädigung, akute Tubulusnekrose, Anwendung nephrotoxischer Substanzen, Hämoglobinurie), 4 neurohumorale Veränderungen (z. B. inadäquate Sekretion des antidiuretischen Hormons, erhöhte Plasmareninaktivität und erhöhte Aldosteronspiegel), 4 Sepsis, 4 postrenal (angeborene Fehlbildungen der Nieren und der ableitenden Harnwege). Die minimal anzustrebende Urinproduktion beträgt 0,5– 1 ml/kg KG/h (Kinder) bzw. 30 ml/h (Erwachsene). Eine Oligurie liegt bei einer Urinproduktion von <0,5 ml/kg KG/ h vor. Ein akutes Nierenversagen mit anhaltender Oligurie trotz ausreichender Kreislaufunterstützung und Diuretikatherapie tritt in etwa 4–8 % der Fälle auf. Risikofaktoren für eine akute Nierenfunktionseinschränkung sind (Beke et al. 2005; Chang 2003; Ravinshankar et al. 2003): 4 geringes Alter zum Zeitpunkt der Operation, 4 komplexe kardiale Anomalie, 4 lange kardiopulmonale Bypasszeit, 4 generalisierte Entzündungsreaktion, 4 gesteigerte Kapillarpermeabilität, 4 LCOS.
8.12.2 Therapie der akuten Nierenfunktions-
einschränkung Die Behandlung der akuten Nierenfunktionseinschränkung richtet sich zunächst auf die Verbesserung des Herzzeitvolumens und die Aufrechterhaltung eines adäquaten renalen Perfusionsdrucks nach Ausschluss einer Hypovolämie. Die Gabe von Dopamin (3–5 μg/kg KG/min) erfolgt zur Verbesserung der Nierenperfusion und der Urinproduktion; der präventive Effekt ist umstritten. Tachykarde Herzrhythmusstörungen sind als potenzielle Nebenwirkungen zu bedenken (Gajarski et al. 2003; Prins et al. 2001). Fenoldopam als selektiver Dopamin-1-Rezeptor-Agonist bewirkt eine systemische Vasodilation, einen erhöhten renalen Blutfluss und eine erhöhte tubuläre Natriumexkretion sowie eine Steigerung der Diurese. Im Gegensatz zu Dopamin werden Dopamin-2- und adrenerge Rezeptoren nicht aktiviert. Es fehlen daher chronotrope, potenziell arrhythmogene und inotrope Effekte (Bove et al. 2005; Costello et al. 2006; Goldstein u. Chang 2006). Erfahrungen im Kindesalter sind bisher jedoch limitiert. Um postoperativ die Entwicklung eines Lungenödems oder einer erhöhten Nachlast zu verhindern, wird initial eine negative Flüssigkeitsbilanz angestrebt. Die Flüssigkeitszufuhr ist in den ersten 24 h postoperativ auf etwa 50 % des Erhaltungsbedarfs reduziert. Postoperativ erfolgt zudem eine unmittelbare Initiierung der Diuretikamedikation, sofern die spontane Diurese unzureichend ist (Furosemid als kontinuierliche Infusion bei hämodynamisch instabilen Patienten in anfänglich höherer Dosierung von 4–8 mg/kg KG/Tag und Dosisanpassung in Abhängigkeit von der Diurese; Ravinshankar et al. 2003; Van der Vorst et al. 2001). Zusätzlich kann ein Versuch mit Etacrynsäure (0,5–1 mg/kg KG/Tag, max. 2 mg/kg KG/Tag) unternommen werden. Ab dem zweiten postoperativen Tag wird ggf. zusätzlich Hydrochlorothiazid (2 mg/kg KG/Tag p. o.; 20 mg/kg KG/Tag i. v. in 2 Einzeldosen) verabreicht. Elektrolytimbalancen wie Hyponatriämie (inadäquate Sekretion des antidiuretischen Hormons), Hyperkaliämie (Nierenfunktionsstörung, Azidose, inadäquate Kaliumzufuhr, Hämolyse) oder Hypokaliämie bei einsetzender Diurese sind auszugleichen, ebenso ist eine Hyperglykämie adäquat zu behandeln. Indikationen zur Dialyse. Die Indikation zur Dialyse oder Hämofiltration sollte großzügig und frühzeitig gestellt werden, um eine hämodynamische Verschlechterung abzuwenden und einen prolongierten Aufenthalt auf der Intensivstation zu vermeiden. Die Vorteile der Peritonealdialyse liegen in der raschen Anwendbarkeit ohne wesentliche hämodynamische Kompromittierung, in der Effektivität des Flüssigkeitsentzugs und in der Vermeidung einer Antikoagulationsbehandlung. Eine Indikation zur Dialyse besteht bei Oligurie (<0,5 ml/kg KG/h) über 4 h, zunehmendem Anstieg der Retentionsparameter, Hyperkaliämie
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202
Kapitel 8 · Intensivtherapie in der Kinderherzchirurgie
(>5,5 mmol/l), persistierender metabolischer Azidose oder LCOS (Chan et al. 2003; Ravinshankar et al. 2003). Zumeist war eine Dialysedauer von 3 Tagen notwendig. Die Komplikationsrate (Peritonitis) ist gering und korreliert mit der Dialysedauer (Chan et al. 2003; Hausdorf 2000). Die Hämofiltration nutzt den hydrostatischen arteriovenösen Druckgradienten über eine semipermeable Membran. Es sind ein arterieller und ein venöser Gefäßzugang notwendig, außerdem eine Antikoagulation mit Heparin. Unter Verwendung einer Rollerpumpe ist auch eine venovenöse Hämofiltration durchführbar. Die intermittierende Hämodialyse wird zumeist nur dann in Erwägung gezogen, wenn Kontraindikationen für eine Peritonealdialyse bestehen oder eine Langzeitdialyse vorgesehen ist; sie ist erst jenseits der Kleinkindperiode sinnvoll.
8.13
wohl präoperativ (duktusabhängige Zirkulation mit diastolischem »Steal-Phänomen«, verminderte intestinale Durchblutung bei Hypotension oder LCOS) als auch postoperativ (z. B. nach Norwood-Prozedur) entwickeln. Eine entsprechende Diagnostik (verminderte Peristaltik, Malabsorption, Flüssigkeitsspiegel in den Darmschlingen, freie Luft in der Pfortader) hat das Absetzten der enteralen Ernährung, eine erweiterte antibiotische Behandlung und bei Perforation eine chirurgische Intervention zur Folge. Obere gastrointestinale Blutungen (Stressulkus) sind selten (abhängig vom Patientenalter und der prophylaktischen Medikation). Nach Korrektur einer lange bestehenden Aortenisthmusstenose (Schulkind, jugendlicher oder erwachsener Patient) kann es postoperativ zu einer Magen-Darm-Atonie kommen. Deshalb sollte hier unbedingt bis zum Auftreten einer regelrechten Peristaltik eine Magensonde belassen werden.
Gastrointestinaltrakt und parenterale Ernährung 8.14
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Frühpostoperativ wird im Rahmen des Postaggressionssyndroms rasch eine Reduktion der katabolen Stoffwechsellage in der Übergangsphase angestrebt. Angepasst an den Zustand des Patienten soll die enterale/parenterale Ernährung daher 24–48 h postoperativ beginnen. Sedativa und Opiate können zu gastrointestinalen Transportstörungen führen, sodass eine parenterale Ernährung notwendig ist. Diese ist ferner bei unsicherer intestinaler Resorption und Malabsorption, intestinaler Ischämie oder bestimmten gastrointestinalen Erkrankungen erforderlich. Damit sind folgende Risiken verbunden: 4 Katheterinfektion/-sepsis, 4 Entwicklung einer Cholestase und einer Hypertriglyzeridämie, 4 Verschlechterung der Lungenfunktion und Anstieg des pulmonalarteriellen Drucks bei Lipidinfusion, 4 Hyperammonämie und Azidose bei Aminosäurenzufuhr, 4 überhöhte Zufuhr an Kohlenhydraten mit Anstieg des respiratorischen Quotienten (und Steigerung der Beatmungsparameter), 4 Elektrolytimbalancen. Eine enterale Ernährung ist daher immer vorzuziehen. Sie muss einer möglicherweise verminderten Kohlenhydrat-, Protein- und Fettabsorption Rechnung tragen. Entwickelt sich postoperativ durch Läsion des Ductus thoracicus oder hohe systemvenöse Drücke ein Chylothorax, ist eine Umstellung auf eine Kost mit mittelkettigen Triglyzeriden vorzunehmen. Diese Fette werden im Darm ohne Chylomikronenbildung absorbiert. Sie führen deshalb postprandial nicht zu einem erhöhten Fluss im Ductus thoracicus. Eine gastrointestinale Ischämie kann sich bei Neugeborenen und Säuglingen mit angeborenen Herzfehlern so-
Neurologische Komplikationen und peri-/postoperatives Neuromonitoring
Mehr als 80 % der mit einem Herzfehler geborenen Kinder erreichen heute das Erwachsenenalter. Die Gesamtüberlebensrate nach Korrekturoperation angeborener Herzfehler ist hoch. Modifikationen der Operationstechnik sowie des intra- und perioperativen Managements sind daher jetzt wesentlich auf die Prävention der Langzeitmorbidität gerichtet. Diese ist besonders durch Entwicklungsverzögerung, Verhaltensauffälligkeiten, Lern- und Ausbildungsschwierigkeiten geprägt. Komplikationen dieser Art sind häufiger als schwerwiegende Beeinträchtigungen der körperlichen Belastbarkeit, Re-Operationen, das Eintreten einer bakteriellen Endokarditis, postoperative Arrhythmien oder spätes Versterben. Untersuchungen zu frühen und späten neurologischen Auffälligkeiten und Komplikationen richten sich wesentlich auf intraoperative Ereignisse, Strategien des kardiopulmonalen Bypasses (hypothermer Kreislaufstillstand vs. »low-flow«-kardiopulmonaler Bypass), postoperative Komplikationen wie LCOS, Dauer des Intensivstationsaufenthalts sowie ein adäquates neurophysiologisches Monitoring.
8.14.1 Präoperative neurologische
Auffälligkeiten Auch bereits präoperativ bestehende strukturelle und funktionelle zerebrale Veränderungen, genetische Faktoren und perinatale Komplikationen wurden als zunehmend bedeutsam erkannt. Neurologische Auffälligkeiten – muskuläre Hypotonie, motorische Asymmetrien, Ernährungsschwierigkeiten, zerebrale Krampfanfälle – sind präoperativ bei >50 % der Neugeborenen mit angeborenen Herzfehlern
203 8.14 · Neurologische Komplikationen und peri-/postoperatives Neuromonitoring
beschrieben. Sonographisch wurden Auffälligkeiten (Holoprosenzephalie oder Balkenagenesie) bei etwa 10 % der Patienten dokumentiert. Generell wird bei Vorliegen eines angeborenen Herzfehlers eine zerebrale Dysgenesie in 10– 20 % der Fälle angenommen (Kaltman et al. 2005). Eine Mikrozephalie wurde präoperativ bei bis zu 37 % der Neugeborenen beschrieben und scheint bis in die spätere Kindheit fortzubestehen; eine multifaktorielle Genese ist hierfür anzunehmen (Limperopoulus et al. 2000; Shillingford et al. 2005). Präoperative magnetresonanztomographische Befunde zeigten bei bis zu 20 % der Neugeborenen ischämische Läsionen, meist als periventrikuläre Leukomalazie. Dieser Anteil erhöhte sich postoperativ auf >50 %, besonders nach Norwood-Operation. In einem relativ hohen Anteil kann von einer Rückbildung dieser zumeist milden Ausprägung der periventrikulären Leukomalazie ausgegangen werden (Dent et al. 2006; Galli et al. 2004; Mahle et al. 2002). Pathogenetisch sind hier eine prä-, intra- oder frühpostoperative Hypotension und eine Hypoxie anzunehmen. Eine Korrelation zur Dauer des tiefhypothermen Kreislaufstillstands oder des kardiopulmonalen Bypasses besteht nicht eindeutig (Bellinger et al. 1999; Galli et al. 2004). Ventrikulomegalie und Hirnatrophie als Folgen bleiben sehr seltene Befunde. Bei Vorliegen einer intrakraniellen, d. h. intra- oder periventrikulären Blutung, wie sie bei Frühgeburtlichkeit, nach perinataler Asphyxie sowie bei hämodynamischer Instabilität oder Gerinnungsstörungen eintreten kann, ist die Wahl des Zeitpunkts der Operation unter Einsatz der Herz-Lungen-Maschine von der Schwere des angeborenen Herzfehlers und der Komplexität des chirurgischen Eingriffs sowie dem Ausprägungsgrad der Blutung abhängig zu machen. Gegebenenfalls ist eine Verschiebung der Operation um mehrere Tage oder ggf. zunächst die Wahl eines Palliativeingriffs vorzuziehen. Genetische Faktoren, die von einer Entwicklungsverzögerung oder einer neurologischen Beeinträchtigung unterschiedlichen Ausmaßes begleitet sind, wurden vielfach beschrieben. Hierzu zählen chromosomale Anomalien wie Trisomie 21, 13 und 18, Williams-Syndrom oder Monosomie 22q11. Aber auch verschiedene kongenitale Anomalien wie CHARGE- oder VACTERL-Syndrom sind oftmals von neurologischen Beeinträchtigungen begleitet. Zu den präoperativen Faktoren können auch fetale Besonderheiten der zerebrovaskulären Physiologie und Sauerstoffversorgung bei bestimmten angeborenen Herzfehlern gezählt werden. So ist bei Feten mit Fallot-Tetralogie ein erhöhter zerebrovaskulärer Widerstand beschrieben (Kaltman et al. 2005). Bei Transposition der großen Arterien gelangt das Blut mit der geringsten Oxygenierung zur Aorta ascendens und zum Gehirn. Der Einfluss dieser Veränderungen ist gegenwärtig noch unklar.
8.14.2 Peri-, intra- und postoperative
neurologische Beeinträchtigungen Zu den perioperativen Faktoren, die eine neurologische Beeinträchtigung zur Folge haben können, zählen neben perinatalen Problemen die bei duktusabhängigen Vitien notwendige Prostaglandininfusion, eine mechanische Beatmung und Katheterinterventionen wie die Ballonatrioseptostomie. Zyanotische Vitien mit Rechts-links-Shunt und Entwicklung einer Polyglobulie begünstigen eine zerebrale Embolisation von Luft, Thromben und Bakterien (Gefahr der Entwicklung eines Hirnabszesses) schon präoperativ. Zu den intraoperative Risikofaktoren für eine zerebrale Schädigung gehören eine Vielzahl von Faktoren. Zu denken ist an (Bellinger et al. 2001): 4 notwendige anästhesiologische Maßnahmen, 4 Störungen des Elektrolyt- und Säure-Basen-Haushalts, 4 kardiopulmonaler Bypass mit unterschiedlichen neuroprotektiven Strategien (alpha- oder pH-stat-Blutgasmanagement; Einhalten eines minimalen Hämatokrits von optimal 20–25 % an der EKZ, von 30 % bei azyanotischen Vitien und von 40 % bei Palliation zyanotischer Vitien bei Bypass Ende), 4 tiefhypothermer Kreislaufstillstand vs. kontinuierlicher »Low-flow«-Bypass, 4 hypoxisch-ischämische Schädigung, 4 Reperfusionsschaden und Inflammationsreaktion, 4 Gefahr von Hyperglykämie und Hyperoxie. Relativ viele Arbeiten beschreiben den potenziell gefährdenden Effekt des tiefhypothermen Kreislaufstillstands, bleiben aber inkonsistent. Prolongierte Phasen des tiefhypothermen Kreislaufstillstands beeinträchtigen das neurologische Outcome (Clancy et al. 2003; Forbess et al. 2002). Eine sichere Grenzdauer für den tiefhypothermen Kreislaufstillstand kann nicht angegeben werden, zumal die Effekte des kardiopulmonalen Bypasses durch die zugrunde liegende Diagnose, das Alter bei Operation und andere perioperative Variablen beeinflusst werden (Wernosky 2006; Wypij et al. 2003). Vielfach wird der kontinuierliche Bypass mit selektiver regionaler zerebraler Perfusion dem tiefhypothermen Kreislaufstillstand vorgezogen; langfristige Ergebnisse liegen hierzu jedoch noch nicht vor. Nachuntersuchungen bei Patienten mit Transposition der großen Arterien nach arterieller Switch-Operation unter tiefhypothermem Kreislaufstillstand ließen langfristig motorische und Sprachentwicklungsverzögerungen deutlich werden, nach »low-flow«-kardiopulmonalem Bypass (initiiert, um das potenzielle Risiko ischämischer neurologischer Schädigungen zu vermindern) eher Verhaltensauffälligkeiten, während in der Gesamtgruppe Aufmerksamkeitsdefizite, Entwicklungs- und Sprachverzögerung sowie Lernschwierigkeiten beobachtet wurden (Bellinger et al. 1999; Skaryak et al. 1996). Tierexperimentelle Studien belegen jedoch nach »low-flow«-kardiopulmonalem Bypass eine deut-
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Kapitel 8 · Intensivtherapie in der Kinderherzchirurgie
lichere Entzündungsreaktion und damit eine nichtneurologisch bedingt Morbidität. Die intermittierende Perfusion während des tiefhypothermen Kreislaufstillstands scheint einen neuroprotektiven Effekt zu haben, da nach tierexperimentellen Befunden der zerebrale Metabolismus normalisiert wird und ultrastrukturelle Veränderungen fehlen (Langley et al. 1999). ! Besonders in den ersten 24–48 h postoperativ tritt nach kardiopulmonaler Bypassoperation eine Verminderung des Herzzeitvolumens ein, zumeist 12–18 h postoperativ. Diese Periode ist daher durch eine besondere Vulnerabilität des Zentralnervensystems durch ein möglicherweise unzureichendes Sauerstoffangebot gekennzeichnet, ferner durch eine Phase der postoperativ eingeschränkten Autoregulation der zerebralen Durchblutung (Bassan et al. 2005; Wernosky 2006). Dies gilt insbesondere für weiterhin zyanotische Patienten nach komplexen Palliationen.
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Postoperative Faktoren, die die neurologische Entwicklung gefährden können, schließen u. a. das invasive Monitoring, die mechanische Beatmung, die medikamentöse Unterstützung, das Risiko einer paradoxen Embolie und Hyperglykämien ein. Die Dauer der postoperativen intensivmedizinischen Behandlung scheint daher einen signifikanten Einfluss auf das entwicklungsneurologische Outcome zu haben (Newburger et al. 2003). Nach Eingriffen am Aortenbogen können Läsionen des N. phrenicus (Zwerchfellparese), des N. recurrens (Stimmbandlähmung) oder ein Horner-Syndrom auftreten. Die Korrektur einer Aortenisthmusstenose birgt das Risiko einer Paraplegie (<0,5 %). Bereits frühpostoperativ muss routinemäßig eine adäquate neurologische Diagnostik erfolgen, um mögliche Auffälligkeiten im Vergleich zum präoperativen neurologischen Status rasch zu erkennen. Eine apparative Diagnostik (idealerweise bereits im Vergleich zu präoperativen Befunden) mit kranialer Computertomographie und Magnetresonanztomographie sowie zerebraler Sonographie bei Säuglingen und Elektroenzephalographie zur Diagnostik von Krampfanfällen und Seitendifferenzen als Hinweise auf Blutung oder Ischämie gehört hierzu, ferner u. a. die Ableitung evozierter akustischer und visueller Potenziale sowie die Elektromyographie. Zerebrale Krampfanfälle werden postoperativ bei 10– 20 % der Neugeborenen beobachtet, abhängig von der Beschreibung als klinisch oder allein elektroenzephalographisch dokumentierte Krampfanfälle (Gaynor et al. 2006; Rappaport et al. 1998). Die Zeichen sind oftmals subtil, da die Kinder sediert und zum Teil auch relaxiert sind. Bisweilen ist das Auftreten eines Krampfanfalls nur anhand der plötzlichen Veränderung vegetativer Parameter zu erkennen. Diese Parameter sind nicht nur mit transienten neurologischen Auffälligkeiten verbunden, sondern können auch für das spätere neurologische Outcome bedeutsam sein
(Clancy et al. 2003; Gaynor et al. 2006; Rappaport et al. 1998). Eine längere Phase des tiefhypothermen Kreislaufstillstands (>60 min) wurde als Risikofaktor beschrieben; bei begrenzter Hypothermiedauer unterschied sich die Häufigkeit postoperativer zerebraler Krampfanfälle jedoch nicht von der bei Kindern mit kontinuierlichem kardiopulmonalen Bypass (Gaynor et al. 2006). Als Risikofaktoren wurden ferner genetische Auffälligkeiten und zugrunde liegende Aortenbogenanomalien identifiziert (Clancy et al. 2003). Mit Modifikation des postoperativen Managements und Gabe von Antiepileptika sind zerebrale Krampfanfälle seltener geworden und langfristige Folgen weniger ausgeprägt, zumal diese eher von der zugrunde liegenden, den Krampfanfall auslösenden neurologischen Schädigung bestimmt werden (Gaynor et al. 2006). Ein zerebrovaskulärer Insult thrombotischer oder embolischer Genese während oder unmittelbar nach der Operation kann bei postoperativer Sedierung und Relaxierung für Tage der Diagnostik entgehen. Sowohl intraoperativ (Exposition des Blutes gegenüber einer Fremdoberfläche) und bei Abgang von der extrakorporalen Zirkulation (Luftembolie) als auch postoperativ (venöse Stase, Imbalance der Gerinnungsfaktoren, chirurgische Residualbefunde, prothetisches Material) können embolische Ereignisse eintreten. Soll durch die primäre Prophylaxe das Risiko erkannt (z. B. durch Thrombophilie-Screening) und das Auftreten eines Insults verhindert werden, so soll die sekundäre Prophylaxe einer Wiederholung vorbeugen. Postoperative Dyskinesien, am häufigsten als Choreoathetose beschrieben, treten mit einer Latenz von Tagen und mit einer Inzidenz von etwa 0,5 % auf. Sie sind möglicherweise auf hypoxisch-ischämische Ereignisse zurückzuführen, kommen häufiger bei zyanotischen Vitien vor und lassen auf eine besondere intraoperative Vulnerabilität der Basalganglien schließen. Eine Rückbildung ist meist nicht ganz vollständig.
8.14.3 Neurophysiologisches Monitoring
Die Möglichkeiten des neurophysiologischen Monitorings sowie der Überwachung des zerebralen Sauerstoffverbrauchs und -angebots sind perioperativ limitiert. Die nichtinvasive Bestimmung der regionalen zerebralen Sauerstoffsättigung mittels »near-infrared spectroscopy« (NIRS) zeigt unter gewissen Einschränkungen eine gute Korrelation zur invasiv bestimmten gemischtvenösen Sättigung (Nagdyman et al. 2005; Tortoriello et al. 2005). Jedoch werden erst prospektive Studien zum neurologischen Outcome den Wert dieser Methode zur Dokumentation einer ausreichenden Hirnprotektion klären. Die transkranielle Dopplersonographie der A. cerebri media und die NIRS wurden bereits intraoperativ als Monitoring der zerebralen Perfusion eingesetzt, sind jedoch gegenwärtig nur innerhalb bestimmter Grenzen anwendbar
205 8.15 · Postoperative mechanische Kreislaufunterstützung
(Andropoulos et al. 2003). Vergleichbares gilt für das »Bispectral-index«-Monitoring, eine elektroenzephalograpische Varianzanalyse zur quantitativen Erfassung des Bewusstseinsgrades bzw. der Sedierungstiefe während der Narkose (Hayashida et al. 2003). Fortschritte der Magnetresonanztomographietechnologie wie die Magnetresonanzspektroskopie liefern zusätzliche Informationen. Eine zerebrale Laktatspiegelerhöhung wurde präoperativ in >50 % der Fälle beschrieben, möglicherweise als Folge der Kombination von Zyanose und vermindertem Herzzeitvolumen (Hanrahan et al. 1999).
8.15
Postoperative mechanische Kreislaufunterstützung
4 die medikamentöse Therapie maximale Grenzen (Kom-
bination introp wirksamer Medikamente, Adrenalin in einer Dosis von >0,3 μg/kg KG/min) erreicht hat. Zugleich können eine metabolische Azidose, eine Oligurie und steigende Laktatwerte (>0,75 mmol/l/Tag) bestehen. Der optimale Zeitpunkt für den Beginn der extrakorporalen Kreislaufunterstützung unterliegt jedoch auch der subjektiven Einschätzung. Bei weit weniger als 1 % der herzchirurgischen Eingriffe wird die Notwendigkeit einer extrakorporalen Zirkulation gesehen (Duncan et al. 1998; Morris et al. 2004; Walker et al. 2003).
8.15.2 Extrakorporale Membranoxygenierung
und ventrikuläre Unterstützungssysteme Ein myokardiales Pumpversagen kann verschiedene Ursachen haben. Myokardiale und/oder pulmonale Dysfunktionen können eine mechanische Unterstützung erforderlich machen, postoperativ als Prolongieren der extrakorporalen Zirkulation.
8.15.1 Indikationen
Zu den wesentlichen Indikationen einer mechanischen Kreislaufunterstützung zählen: 4 postoperative Myokarddysfunktion (LCOS), insbesondere nach Korrektur komplexer Herzfehler mit begleitenden Koronaranomalien, 4 akute Myokarditis, 4 notwendige Überbrückung bis zur Transplantation bei dilatativer Kardiomyopathie oder (»end stage«) angeborenem Herzfehler, 4 therapierefraktäre Dysrhythmien mit hämodynamischer Kompromittierung (supraventrikuläre Tachykardie, junktionale ektope Tachykardie, ventrikuläre Tachykardie), 4 nicht therapierbare pulmonale Hypertension, 4 pulmonale Dysfunktion (durch Blutung oder lange Bypasszeit), 4 »acute respiratory distress syndrome« (ARDS). Selten erfolgt der Einsatz zur präoperativen Stabilisierung. Voraussetzungen zur Anwendung mechanischer Kreislaufunterstützungssysteme sind, dass 4 es sich um eine reversible, innerhalb absehbarer Zeit therapierbare Erkrankung handelt, 4 die konventionelle Behandlung ein hohes Mortalitätsrisiko birgt, 4 postoperativ residuelle strukturelle Veränderungen ausgeschlossen wurden, 4 chirurgische Blutungen unter Kontrolle sind, 4 keine neurologischen Veränderungen nachweisbar sind (Ausschluss einer Hirnblutung),
Im Kindesalter stehen gegenwärtig 2 Verfahren im Vordergrund, für die nach der bisherigen Erfahrung Anwendungsrichtlinien formuliert werden konnten: extrakorporale Membranoxygenierung (»extracorporeal membrane oxygenation«, ECMO) zur kardiopulmonalen Unterstützung und ventrikuläre Unterstützungssysteme (»ventricular assist devices«, VAD) zur Anwendung bei myokardialem Pumpversagen. Besteht postoperativ eine myokardiale Dysfunktion, kann bei Kindern mit einem Körpergewicht von >5 kg ein Rechtsherz- und/oder Linksherzunterstützungssystem und bei Kindern mit einem Körpergewicht von <5 kg sowie bei solchen mit pulmonaler und myokardialer Dysfunktion die ECMO gewählt werden. Aber auch für Kinder mit einem Gewicht von <5 kg sind VAD verfügbar. Die Entscheidung für eines der Unterstützungssysteme ist individuell zu treffen, u. a. abhängig von uni- oder biventrikulären Zirkulationsverhältnissen sowie dem Vorliegen eines Atriumseptumdefekts, aber auch abhängig von den an der jeweiligen Institution bestehenden Erfahrungen. Die Anwendung einer intraaortalen Ballonpumpe unterliegt im Kindesalter technischen Limitationen (höhere Compliance der Aorta, höhere Herzfrequenz). Die grundsätzlichen Vorteile der ECMO sind die Möglichkeiten der peripheren Kanülierung, der biventrikulären Unterstützung, der effektiven Oxygenierung und Anwendbarkeit im Neugeborenenalter. Nachteilig sind die notwendige Antikoagulation, dadurch bedingte Blutungskomplikationen, der verminderte pulmonale Blutfluss und die nichtpulsatilen Flussverhältnisse (Aharon et al. 2001; Mehta et al. 2000). Der Einsatz eines VAD erfolgt zumeist bei Myokarditis, nach Korrektur von Koronararterienanomalien, bei dilatativer Kardiomyopathie oder bei akuter Abstoßungsreaktion nach Herztransplantation. Vorteilhaft ist hier der geringere Antikoagulationsbedarf. Können ECMO und VAD kurzfristig (<30 Tage) eine mechanische Unterstützung bieten, so sind zur Langzeitunterstützung (>30 Tage) spezielle Systeme erforderlich,
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Kapitel 8 · Intensivtherapie in der Kinderherzchirurgie
die einen pulsatilen Fluss, die Möglichkeit der biventrikulären Unterstützung und einen relativ geringen Antikoagulationsbedarf bieten (z. B. Berlin Heart VAD, MEDOS VAD; Reinhartz et al. 2002). Die ECMO kann venoarteriell zur mechanischen Kreislaufunterstützung und zur Entlastung des Herzens oder venovenös bei Lungenversagen durchgeführt werden. Die postoperative Kanülierung erfolgt über den rechten Vorhof und die aszendierende Aorta oder über die A. carotis und die V. jugularis interna. Bei venoarterieller Kanülierung werden etwa 70 % des venösen Rückflusses dem Oxygenator zugeleitet. Durch die Verminderung der Vorlast sind beide Ventrikel entlastet. Die Flussgeschwindigkeit beträgt 100–120 ml/kg KG/min. Die Ventilation ist reduziert (Inspirationsdruck: 20 cmH2O; Atemfrequenz: 20/min; PEEP: 2–4 cmH2O; inspiratorische Sauerstofffraktion: 0,4). Niedrigdosiert können ggf. Katecholamine gegeben werden, um eine leichte Inotropie zu bedingen und die Nierenperfusion zu unterstützen. Der Gasfluss durch den Oxygenator ist weniger für die Oxygenierung (durch größeren Oxygenator steigerbar) als für die Kohlendioxidelimination bedeutsam. Der arterielle Mitteldruck sollte bei Säuglingen um 40 mmHg, bei älteren Kindern um 60 mmHg gehalten werden. Eine systolische Hypertension und ein erhöhter systemarterieller Widerstand machen die Gabe von Nachlastsenkern (Natriumnitroprussid, Nitroglyzerin, Phenoxybenzamin) notwendig. Eine myokardiale Erholung kann durch den Beginn der arteriellen Pulsation erkennbar werden. Der rechtsatriale Füllungsdruck liegt zwischen 5 und 10 mmHg. Das Monitoring des Herzzeitvolumens schließt Blutgasanalysen sowie die Beobachtung der gemischtvenösen Sauerstoffsättigung und der Urinausscheidung ein. »Capillary leak« und Flüssigkeitsretention können zusätzlich eine Hämofiltration erforderlich machen. Die Antikoagulation mit Heparin (400–1000 IE/kg KG/Tag) wird durch die »activated clotting time« (ACT, angestrebt werden 180–220 s) überwacht. Das mögliche Eintreten einer disseminierten intravasalen Gerinnung und einer Hämolyse ist ebenfalls zu bedenken. Der Hämatokrit sollte bei 40–50 % und die Thrombozytenzahl bei >100.000/μl liegen. ! Grundsätzlich bedarf die aufwendige Behandlung eines Patienten an der ECMO eines multidisziplinären Teams (Fuhrman et al. 1999; Shen u. Ungerleider 2004).
Die häufigsten Komplikationen der ECMO sind: 4 Blutung, 4 Thromboembolie, 4 Luftembolie, 4 Infektionen (Sepsis, Mediastinitis), 4 plötzlicher Ausfall des Unterstützungssystems. Ein massiver Transfusionsbedarf kann zu pulmonalen Problemen und Multiorganversagen führen. Zerebrale Blutungen und Embolien können eintreten, sodass langfristig neurologische Probleme resultieren und wesentlich zur
postoperativen Morbidität beitragen. Die Entwicklung einer Niereninsuffizienz mit Kreatininspiegelanstieg wird als prognostisch ungünstiger Faktor gewertet (Montgomery et al. 2000; Sorof et al. 1999). Zur Entwöhnung von der ECMO unter engmaschigem Monitoring des Herzzeitvolumens und der Füllungsdrücke werden inotrope Katecholamine gegeben und der Fluss an der ECMO schrittweise (in Schritten von 5–10 % bis zu einem Fluss von 25 %) reduziert. Zumeist wird die ECMO nicht länger als 2–3 Tage vorgenommen, zur Entwöhnung können 1–2 weitere Tage erforderlich sein. Die Überlebensrate nach ECMO aus kardialer Indikation liegt bei 40–50 %. Zumeist sind keine langfristigen Folgen zu verzeichnen. Je früher (im Operationssaal oder innerhalb der ersten 12 h postoperativ) die Entscheidung für ein Unterstützungssystem getroffen wird, umso günstiger sind die Ergebnisse. Eine prolongierte Kreislaufunterstützung über 72 h hinaus ist prognostisch ungünstig. Innerhalb dieses Zeitraums ist eine Rückbildung der kardiotomiebedingten Myokarddysfunktion zu erwarten. Je länger eine ECMO-Behandlung notwendig ist, umso geringer ist die Überlebensrate, da neben einer unzureichenden Myokarderholung Funktionseinschränkungen übriger Organsysteme (Nieren-, Leberinsuffizienz) hinzutreten (Hintz et al. 2005; Kolovos et al. 2003; Morris et al. 2004). Nach 7 Tagen bestehen kaum noch Erholungschancen. Bei Kindern mit hypoplastischen Linksherzsyndrom ist der frühe Einsatz der mechanischen Kreislaufunterstützung bereits empfohlen worden, um bei maximaler Kreislaufunterstützung (Dopamin in einer Dosierung von 10 μg/kg KG/ min, Suprarenin in einer Dosierung von 0,2 μg/kg KG/min) eine Dekompensation unter fortgesetzter konservativer Therapie zu verhindern. In anderen Studien wird hingegen ein nichtelektiver ECMO-Einsatz erwogen (nur bei Patienten indiziert, für die keine Entwöhnung von der Herz-LungenMaschine möglich ist; dies sind etwa 9 % der Kinder mit hypoplastischem Linksherzsyndrom; Hintz et al. 2005; Ravinshankar et al. 2003; Ungerleider et al. 2004). Hier kommt auch der sog. NOMOVAD-Einsatz infrage (NOMOVAD: »No Membrane Oxygenator Ventricular Assist Device«) (Shen u. Ungerleider 2004).
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Kapitel 8 · Intensivtherapie in der Kinderherzchirurgie
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Kapitel 8 · Intensivtherapie in der Kinderherzchirurgie
mendan in a model of infant cardiopulmonary bypass. Pediatr Crit Care 35: 252–259 Suominen PK, Dickerson HA, Moffett BS et al. (2005) Hemodynamic effects of rescue protocol hydrocortisone in neonates with low cardiac output syndrome after cardiac surgery. Pediatr Crit Care Med 6: 655–659 Tabbutt S, Duncan BW, McLaughlin D et al. (1997) Delayed sternal closure after cardiac operations in a pediatric population. J Thorac Cardiovasc Surg 113: 886–893 Takami Y, Ina H (2002) Significance of the initial arterial lactate level and transpulmonary arteriovenous lactate difference after open-heart surgery. Surg Today 32: 207–212 Tarnok A, Hambsch J, Emmrich F et al. (1999) Complement activation, cytokines, and adhesion molecules in children undergoing cardiac surgery with or without cardiopulmonary bypass. Pediatr Cardiol 20: 113–125 Thompson LD, McElhinney DB, Findlay P et al. (2001) A prospective randomised study comparing volume-standardized modified and conventional ultrafiltration in pediatric cardiac surgery. J Thorac Cardiovasc Surg 122: 220–228 Tobias JD, Berkenbosch JW, Russo P (2003) Recombinant factor VIIa to treat bleeding after cardiac surgery in an infant. Pediatr Crit Care Med 4: 49–51 Tortoriello TA, Stayer SA, Mott AR et al. (2005) A noninvasive estimation of mixed venous oxygen saturation using near-infrared spectroscopy by cerebral oximetry in pediatric cardiac surgery patients. Pediatr Anesthesia 15: 495–503 Turanlahti M, Boldt T, Palkama T et al. (2004) Pharmacokinetics of levosimendan in pediatric patients evaluated for cardiac surgery. Pediatr Crit Care 5: 457–462 Ungerleider RM, Shen I, Yeh T et al. (2004) Routine mechanical ventricular assist following the Norwood procedure – improved neurologic outcome and excellent hospital survival. Ann Thorac Surg 77: 18– 22 Van der Vorst MM, Ruys-Dudok van Heel I, Kist-van Holthe JE et al. (2001) Continuous intravenous furosemide in haemodynamically unstable children after cardiac surgery. Int Care Med 27: 711–715 Walker GM, McLeod K, Brown KL et al. (2003) Extracorporeal life support as a treatment of supraventricular tachycardia in infants. Pediatr Crit Care Ned 4: 52–54 Wernosky G (2006) Current insights regarding neurological and developmental abnormalities in children and young adults with complex congenital cardiac disease. Cardiol Young 16: 92–104 Wernovsky G, Hoffman TM (2001) Pediatric heart failure: solving the puzzle. Crit Care Med 29: S212–S213 Wernovsky G, Wypij D, Jonas RA et al. (1995) Postoperative course and hemodynamic profil after the arterial switch operation in neonates and infants – a comparison of low-flow cardiopulmonary bypass and circulatory arrest. Circulation 92: 2226–2235 Wessel DL (2001) Managing low cardiac output syndrome after congenital heart surgery. Crit Care Med 29: S220–S230 Williams GD, Bratton SL, Riley EC (1999) Efficacy of epsilon-aminocaproic acid in children undergoing cardiac surgery. J Cardiothorac Vasc Anesth 13: 304–308 Wypij D, Newberger JW, Rappaport LA et al. (2003) The effect of duration of deep hypothermic circulatory arrest in infants on late neurodevelopment: the Boston Circulatory Arrest Trial. J Thorac Cardiovasc Surg 126: 1397–1403 Zhang S, Wang S, Li Q et al. (2005) Capillary leak syndrome in children with C4A-deficiency undergoing cardiac surgery with cardiopulmonary bypass: a double-blind, randomised controlled study. Lancet 366: 556–562 Ziemer G, Karck M, Müller H, Luhmer I (1992) Staged chest closure in pediatric cardiac surgery preventing typical and atypical cardiac tamponade. Eur J Cardio-thorac Surg 6: 91–95
III
Angeborene Erkrankungen des Herzens und der herznahen Gefäße 9 Angeborene Herzfehler – eine chirurgisch-geschichtliche Betrachtung – 213 A. Castañeda
10 Lungenvenenfehlmündungen, angeborene Fehler der Vorhöfe, des atrioventrikulären Septums und der Atrioventrikularklappen – 221 R. Hetzer, V. Alexi-Meskishvili
11 Funktionell singulärer Ventrikel und Fontan-Operation – 331 R. Lange, J. Hörer
12 Ventrikelseptumdefekte (VSD) – 365 M. K. Heinemann
13 Anomalien des rechtsventrikulären Ausflusstraktes G. Ziemer, Z. L. Nagy
14 Angeborene Anomalien des linksventrikulären Ausflusstraktes – 421 V. Hraška, J. Photiadis
15 Aortenatresie, hypoplastisches Linksherzsyndrom und hypoplastischer Linksherzkomplex – 461 R. Mair
16 Truncus arteriosus communis
– 473
B. Asfour
17 D-Transposition der großen Gefäße und kongenital korrigierte Transposition
– 481
S. Däbritz, A. Tiete
18 Angeborene Anomalien des Koronararteriensystems und Koronarerkrankungen bei Kindern und Jugendlichen – 507 F. Haas
19 Angeborene Aortenanomalien und Gefäßringbildungen – 525 G. Ziemer, Z. L. Nagy
– 379
9
9 Angeborene Herzfehler – eine chirurgisch-geschichtliche Betrachtung A. Castañeda 9.1
Einführung
– 213
9.5
Zusammenfassung
9.2
Allgemeine Bemerkungen – 213
9.6
Ausblick – 219
9.3
Extrakardiale Operationen – 214
9.4
Chirurgie am offenen Herzen – 215
9.1
Einführung
Der Beginn der Kinderherzchirurgie ist auf den 08.08.1938 zu datieren. An diesem Tag ligierte Robert E. Gross am Children’s Hospital in Boston erstmalig erfolgreich einen persistierenden Ductus arteriosus Botalli, eine extrakardiale Läsion. Obgleich Gibbon der Erste war, der erfolgreich die von ihm entwickelte Herz-Lungen-Maschine zum Verschluss eines Vorhofseptumdefekts einsetzte, so ist doch die größte Bedeutung für den Beginn der Chirurgie am offenen Herzen zur Korrektur angeborener Herzfehler in den 1950er und 1960er Jahren C. Walton Lillehei und seinem Team aufgrund ihrer unermüdlichen klinischen und experimentellen Bemühungen an der University of Minnesota zuzuschreiben.
9.2
Allgemeine Bemerkungen
Die primäre Entwicklung des menschlichen Herzens ist 60 Tage nach der Befruchtung abgeschlossen. Das fetale Herz, das zu Beginn nur eine tubuläre Struktur ist, beinhaltet den Trunkus, den Konus, den Bulbus cordis, den solitären (linken) Ventrikel und die Vorhöfe. Genetischen Sig-
Literatur
– 218
– 219
nalen folgend, unterzieht sich das Herz einer Schleifenbildung (gewöhnlich einer Rechtsschleife folgend), um nach 2 Monaten das endgültige 4-Kammer-Organ mit 4 Klappen zu werden. Der originäre linke Ventrikel ist die ursprüngliche Pumpe des Phylum chordata, während der rechte Ventrikel seinen ersten Auftritt in Reptilien, d. h. in nur auf das Land beschränkten Tieren hat, die auf eine pulmonale Zirkulation angewiesen sind. Amphibien haben weiterhin nur einen Ventrikel, nämlich den linken, während Reptilien 2 Vorhöfe und 2 Ventrikel haben, die jedoch noch alle miteinander verbunden sind. Die individuelle Herzentwicklung (Ontogenese) scheint die komplette Entwicklungsgeschichte (Phylogenese) zu durchlaufen. Neueren Erkenntnissen zufolge können einzelne Gene auch einzelne Herzfehler verursachen, und eine einzelne Punktmutation kann durch unterschiedliche Penetration und Expression einen entsprechend unterschiedlichen Phänotyp hervorrufen, während mehrere Mutationen an unterschiedlichen Punkten den gleichen Phänotyp bedingen können. Die Genetiker vermuten nun, dass zumindest 75 % der angeborenen Herzfehler einen genetischen Ursprung haben. Je früher der Fehler bzw. die Läsion während der Embryogenese eintritt, desto komplexer wird die Fehlbildung sein. Während der verbleibenden 7 Monate der intra-
214
9
Kapitel 9 · Angeborene Herzfehler – eine chirurgisch-geschichtliche Betrachtung
uterinen Entwicklung in Gegenwart des ursprünglichen Defekts kommt es zu weiteren, vom ersten Defekt abhängigen, man kann jetzt sagen erworbenen zusätzlichen Herzfehlern, die den ursprünglichen alleinigen Herzfehler bedeutsam komplizieren. Eine der ersten Zeichnungen eines angeborenen Herzfehlers wurde von Leonardo da Vinci erstellt, der eine partielle Lungenvenenfehleinmündung der rechten oberen Lungenvene in das rechte Atrium zeichnete (da Vinci 1979). William Harveys erste Beschreibung des Kreislaufs reflektiert sein exaktes Verständnis der kardiovaskulären Physiologie. Eindeutig erkannte er die Bedeutung des Herzens als Pumpe einschließlich seiner zyklischen Kontraktionen und Relaxationen. Weniger bekannt ist, dass Harvey schon 1628 die fetale Zirkulation sehr gut verstanden hatte. Er beschrieb den Blutfluss innerhalb des fetalen Herzens recht genau. Er erkannte die 2 möglichen Wege des Blutes (Harvey 1628): 4 vom rechten Vorhof über das »ovale Loch« zum linken Vorhof und in den linken Ventrikel, 4 vom rechten Vorhof über den rechten Ventrikel zur Pulmonalarterie und dann unter Umgehung der Lunge über eine »arterielle Passage« (Ductus Botalli) in die »große Arterie«, die A. magna (Aorta). Wahrhaftig eine genaue Beschreibung. Im Jahre 1858 veröffentlichte Peacock sein Buch mit dem Titel »Das menschliche Herz« (»The Human Heart«), das wunderschöne und sehr genaue Zeichnungen angeborener Herzfehler enthält (Peacock 1858).
9.3
Extrakardiale Operationen
Die erste erfolgreiche Operation einer extrakardialen Läsion, nämlich die Ligatur eines persistierenden Ductus arteriosus, wurde von R.E. Gross am 08.08.1938 am Children’s Hospital in Boston durchgeführt (Gross u. Hubbard 1939). Bereits 1907 hatte John Munro die Ligatur des offenen Ductus arteriosus vorgeschlagen (Munro 1907). J.W. Strieder hatte im März 1937 einen erfolglosen Versuch einer Duktusligatur unternommen (Strieder 1937). Gross’ erfolgreiche Operation war der Beginn der Ära der Kinderherzchirurgie. Sechs Jahre später, am 10.10.1944, gelang Clarence Crafoord am Karolinska Hospital in Schweden die erste erfolgreiche Resektion einer Aortenisthmusstenose. Am 09.11. des gleichen Jahres stellte Alfred Blalock auf Hinweis von Helen Taussig an der John-Hopkins-Universität in Baltimore die erste Anastomose einer A. subclavia mit der Pulmonalarterie her, um eine bestehende Zyanose abzumildern, die typischerweise durch eine Fallot-Tetralogie hervorgerufen war. Blalock hatte schon zuvor, während er noch an der Vanderbilt-Universität in Tennessee tätig war, Hundeexperimente durchgeführt, bei denen die A. subclavia an die Pulmonalarterie anastomosiert wurde. Er wollte damit
ursprünglich eine pulmonalarterielle Hypertonie erzeugen. Bedeutende Modifikationen des Blalock-Taussig-Shunts schließen Willis Potts Seit-zu-Seit-Anastomose der linken Pulmonalarterie mit der deszendierenden Aorta ein (Potts et al. 1946) – eine Operation, die im Weiteren wegen der Schwierigkeit, die Größe der Anastomose exakt zu bestimmen, aufgegeben wurde. Zu häufig war es zu einer Lungenüberflutung mit konsekutiver irreversibler pulmonalarterieller Widerstandserhöhung gekommen. Auch die chirurgische Aufhebung der Potts-Anastomose im Rahmen späterer Korrekturoperationen war von erheblichen Schwierigkeiten begleitet. Ein anderer, sehr beliebter aortopulmonaler Shunt wurde von David Waterston am Hospital for Sick Children, Great Ormond Street, London, entwickelt, indem er die rechte Pulmonalarterie Seit-zu-Seit an die Aorta ascendens anastomosierte (Waterston 1962). Diese Operation wurde ebenfalls weitgehend verlassen, im Wesentlichen wegen ihres Potenzials, bedeutsame pulmonale Distorsionen, einseitige Verschlüsse und eine gegenseitige pulmonalarterielle Hypertonie hervorzurufen. Einen bedeutsamen Beitrag lieferte Werner Klinner, München, mit der Einschaltung einer Gefäßprothese zwischen der rechten A. subclavia und der rechten A. pulmonalis, womit die er die Kontinuität der rechten A. subclavia erhielt (Klinner et al. 1962). Von geschichtlichem Interesse sind die experimentellen und klinischen Irrungen und Wirrungen, die mit der Entwicklung der kavopulmonalen Anastomose und dem Konzept des verzichtbaren rechten Ventrikels (»the dispensable right ventricle«; Sade u. Castañeda 1975) verbunden sind. Die Schwierigkeit, die einzelnen Operationen chronologisch dem geschichtlichen Ablauf zuzuordnen, ist der Tatsache geschuldet, dass zu oft eine erhebliche Zeitspanne zwischen der Veröffentlichung der experimentellen Ergebnisse und der folgenden klinischen Versuche bestand. Auch wurde von verschiedenen chirurgischen Gruppen an den kavopulmonalen Shunts gearbeitet, ohne dass sie voneinander wussten. Carlon und seine Mitarbeiter in Italien scheinen jedoch zu den Ersten zu gehören, die in den 1950er Jahren mit kavopulmonalen Shunts experimentierten (Carlon et al. 1951). Sie berichteten über ihre erste klinische Anwendung 11 Jahre nach ihrer experimentellen Arbeit. Früh wurde in diesem Feld auch von Schumackers Gruppe in Indiana (Schumacker u. Mandelbaum 1960) und von Robicsek, zunächst in seinem Heimatland Ungarn und später in den USA, gearbeitet (Robicsek et al. 1956). Es scheint nun sehr sicher zu sein, dass die erste erfolgreiche und veröffentliche kavopulmonale Anastomose am 03.04.1956 von Meshalkin in der Sowjetunion durchgeführt wurde (Meshalkin 1956). In der westlichen Welt ist es William L. Glenn, der für seine umfangreichen experimentellen und klinischen Bemühungen auf diesem Feld Anerkennung verdient und der auch der Anwendung sowie der Indikationsstellung für einen kavopulmonalen Shunt zur Verbreitung verholfen hat (Glenn u. Patino 1954).
215 9.4 · Chirurgie am offenen Herzen
Obgleich zwischenzeitlich aufgrund primärer Korrekturoperationen überflüssig geworden, sind die verschiedenen Bemühungen zur Palliation bei einer Transposition der großen Arterien von historischem Interesse. Hierzu gehören Blalocks und Hanlons geniale geschlossene atriale Septektomie (Blalock u. Hanlon 1948) sowie der pulmonalvenöse und partielle V.-cava-inferior-Transfer durch Lillehei und Varco (Lillehei u. Varco 1953), der später von Baffes modifiziert wurde (Baffes et al. 1957). Gross’ Verwendung eines an das rechte Atrium angenähten Gummitrichters, um einen Vorhofseptumdefekt zu verschließen (»unter Wasser und durch Fühlen«; Gross et al. 1952), war genauso genial wie Sondergaards interatrialer Ring (Sondergaard 1954) und Baileys Atrioseptopexietechnik (Bailey et al. 1952). Allen Techniken ist gemein, dass es blinde Versuche zum Verschluss eines Vorhofseptumdefekts in den frühen 1950er Jahren waren. Holmes Sellors berichtete 1946 über die erfolgreiche Durchführung einer transventrikulären Pulmonalvalvulotomie (Sellors 1948). Muller und Dammann (1952) führten die pulmonalarterielle Bändelung ein, um die Pulmonalarterien davor zu schützen, eine permanente Obstruktion auf dem Boden eines hohen Flusses und eines entsprechenden Drucks in den Pulmonalarterien zu entwickeln. Diese im Wesentlichen palliativen Eingriffe gingen der Ära der Chirurgie am offenen Herzen voraus. Sie verdienen Respekt und Bewunderung für die Innovationskraft, den Mut und die Geschicklichkeit der frühen Pioniere. Offensichtlich war es während der späten 1940er und frühen 1950er Jahre eine Herausforderung, Zugang zum Inneren des Herzens zu erhalten. Einige der oben erwähnten genialen Hilfsmaßnahmen waren zwar bei einigen Patienten sehr hilfreich, erwiesen sich aber als zu begrenzt und unangemessen für die meisten intrakardialen Läsionen. Chirurgen mussten in die Lage versetzt werden zu sehen, wie sie innerhalb des Herzens Reparaturen durchführen.
9.4
Chirurgie am offenen Herzen
Haecker (1907) experimentierte mit der normothermen Okklusion der V. cava superior und der V. cava inferior, während er in der Von-Miculicz-Klinik in Breslau arbeitete. Er fand heraus, dass Hunde einen kompletten Kreislaufstillstand für mehr als 3 Minuten nicht tolerieren. Jenseits dieser Zeit starben die Tiere oder entwickelten zumindest einen auffälligen Gang infolge zentralnervöser Schädigungen. In Anwendung dieser wichtigen Hintergrundinformation begannen Chirurgen, Experimente durchzuführen, um diese begrenzten 3 Minuten zu verlängern. Boerema in Amsterdam (Boerema et al. 1951), Bigelow in Toronto (Bigelow et al. 1950) und John F. Lewis an der University of Minnesota (Lewis u. Taufic 1953) verwendeten eine Ganzkörperhypothermie, sowohl moderat mit 28°C als auch ausgeprägt mit 18°C. Ihr Ziel war es, die Stoffwech-
selanforderung, insbesondere des zentralen Nervensystems, zu senken, um so längere und sicherere Zeitspannen eines Kreislaufstillstandes zu ermöglichen. Als John F. Lewis und sein Team sich davon überzeugt hatten, dass erstens das zentrale Nervensystem bei 28°C ausreichend geschützt ist, um einen mindestens 10-minütigen Kreislaufstillstand zu überstehen, und dass zweitens ein einfacher Vorhofseptumdefekt vom Sekundumtyp leicht in weniger als 10 min verschlossen werden kann, führte Lewis am 02.09.1952 erstmalig einen Verschluss eines Vorhofseptumdefekts vom Sekundumtyp unter direkter Sicht bei einem 5-jährigen Mädchen durch, indem er eine moderate Hypothermie anwendete und einen bikavalen Einflussstopp vornahm. Diese Operation wurde bald von anderen Chirurgen übernommen, im Wesentlichen von Swan in Denver (Swan et al. 1953) und Derra in Düsseldorf (Derra et al. 1965). Obgleich diese Technik einen wesentlichen Fortschritt bedeutete, erwies sie sich immer noch als zu limitiert. Es wurde weiterhin ein System benötigt, das sowohl die Pumpfunktion des Herzens als auch die Atmungsfunktion der Lunge ersetzen könnte, um so ausreichende Zeit zu erhalten, Reparaturen innerhalb des Herzens unter direkter Sicht durchzuführen. Im Jahre 1933 erlebte John Gibbon, zu der Zeit chirurgischer Assistent an der Jefferson-Universität, während einer klinischen Rotation am Massachusetts General Hospital in Boston, wie eine junge Frau an einer Lungenembolie verstarb. Während der Sektion erkannte Gibbon, dass eine Entfernung des auf der Pulmonalisbifurkation reitenden Thrombus das Leben dieser ansonsten gesunden jungen Frau gerettet hätte. Obgleich er nur geringe Unterstützung seiner Vorgesetzten im Krankenhaus hatte, verfolgte Gibbon besessen die Entwicklung einer Herz-Lungen-Maschine. Zwanzig Jahre später und nach vielen experimentellen Versuchen war Gibbon am 09.05.1953 der Erfolg beschieden, unter Verwendung eines von ihm entwickelten Scheibenoxygenators und einer Rollerpumpe einen Vorhofseptumdefekt vom Sekundumtyp bei einer jungen Frau zu verschließen (Gibbon 1954). Unglücklicherweise verliefen sowohl ein vorheriger Versuch, einen Ventrikelseptumdefekt bei einem Säugling zu verschließen, als auch 4 weitere Operationen am offenen Herzen nach dem erfolgreichen Eingriff bei der zweiten Patientin tödlich. Sowohl seine eigenen Ergebnisse als auch die von anderen Chirurgen in der Zeit zwischen 1951 und 1954 (. Tab. 9.1) entmutigten ihn in einer Weise, dass er anbot, eine Bewegung zu führen, die weitere Versuche der Chirurgie am offenen Herzen in den USA auf unabsehbare Zeit verbieten wollte (Lillehei 1970). Gibbon sollte deshalb als Vater der Herz-Lungen-Maschine und der extrakorporalen Zirkulation und weniger als Begründer der Chirurgie am offenen Herzen anerkannt werden. Die Physiologen des 19. Jahrhunderts interessierten sich für die isolierte Organperfusion. Einer der ersten künstlichen Oxygenatoren wurde 1885 von Max von Frey
9
216
Kapitel 9 · Angeborene Herzfehler – eine chirurgisch-geschichtliche Betrachtung
. Tab. 9.1. Frühe Versuche der Chirurgie am offenen Herzen mit Einsatz der Herz-Lungen-Maschine Chirurgen
Jahr
Anzahl verstorbener Patienten
Anzahl operierter Patienten
Dennis
1951
2
2
Gibbon
1953
5
6
Helmsworth
1953
1
1
Dodrill
1953
2
2
Clowes
1954
2
2
Mustard
1954
5
5
Gesamt
1951–1954
17*
18
* 94 % der Patienten verstorben
9
und Max Gruber in Leipzig vorgestellt (von Frey u. Gruber 1885). Blut wurde oxygeniert, indem es in dünner Schicht über einen sich drehenden Glaszylinder lief und hier mit Sauerstoff in Kontakt kam. Vor, während und nach Gibbons ausdauernder und mühseliger Arbeit auf diesem Gebiet wurden im 20. Jahrhundert viele andere Prinzipien der künstlichen Blutoxygenierung und der Herz-Lungen-Maschinen vorgeschlagen. Für mehr Einzelheiten über diese Zeit und dieses herausfordernde Thema sei auf das äußerst informative Buch von Galletti und Beecher über dieses Thema verwiesen (Galletti u. Beecher 1962). Gibbons Pessimismus zog die kardiologische Welt in Mitleidenschaft, begründet auf der vorherrschenden Überzeugung, dass das kranke oder fehlgebildete Herz einfach keinen chirurgischen Manipulationen standhalten kann. Glücklicherweise gab es eine Gruppe junger, wissenschaftlich ausgebildeter und tatendurstiger Chirurgen an der University of Minnesota, die diese pessimistischen Überzeugungen nicht teilten. Die Geschichte der genialen
und wagemutigen »controlled cross circulation« von C.W. Lillehei und Mitarbeitern ist an vielen anderen Stellen erzählt worden. Obgleich die Hospitalletalität im Jahre 1955 hoch war (. Tab. 9.2), konnte Lillehei mit seinem Team letztendlich beweisen, dass das kranke oder fehlgebildete menschliche Herz tatsächlich die Reparatur sogar sehr komplexer angeborener Herzfehlbildungen einschließlich Ventrikelseptumdefekt, Fallot-Tetralogie und kompletter AV-Kanal zu überstehen in der Lage ist (Lillehei et al. 1955). Der kontrollierte »Über-Kreuz«-Kreislauf zwischen »Kreislaufspender« und Patient diente einem höchst wichtigen und angemessenen historischen Zweck: Er zerstreute den vorherrschenden Pessimismus über die Möglichkeiten und die potenzielle Zukunft der Chirurgie am offenen Herzen. Dennoch war die Notwendigkeit, einen gesunden Kreislaufspender dem Risiko der Anästhesie, der Antikoagulation und der Kanülierung wichtiger Venen und Arterien mit der zusätzlichen Gefahr einer möglichen Luftembolie auszusetzen, ein Grund dafür, diese Technik nicht als Routinemaßnahme einzusetzen. Was waren aber die Gründe, die es den Chirurgen an der University of Minnesota erlaubten, die ersten Operationen am offenen Herzen unter direkter Sicht entweder unter Verwendung einer moderaten Hypothermie mit bikavalem Einflussstopp oder mit der wagemutigen ÜberKreuz-Zirkulation – wie vieles andere auch – als Erste durchzuführen? Der Grund war die Person Dr. Owen H. Wangensteen, Direktor der chirurgischen Klinik, der an der University of Minnesota ein hochkarätiges intellektuelles Umfeld förderte, die wissenschaftliche Neugier anregte und durch viele Forschungsmöglichkeiten (PhD-Programme) die Werkzeuge zur Verfügung stellte, um neue Erkenntnisse zu verfolgen. Zu den herzchirurgischen Persönlichkeiten dieser Zeit gehörte Richard L. Varco, ein belesener Mann von vielseitigem Intellekt mit ausgesprochen deduktiver Intelligenz, ein Mann von profundem Wissen und ein begnadeter Chirurg. C. Walton Lillehei war ein visionärer Chirurg, innovativ, ein unbeugsamer Pionier,
. Tab. 9.2. Hospitalletalität bei kontrollierter Über-Kreuz-Zirkulation (26.03.1954 bis 19.07.1955) Läsion
Patienten gesamt n
Patienten in einem Alter von <2 Jahren Letalität [n (%)]
n
Letalität [n (%)]
Ventrikelseptumdefekt
27
8 (29,6)
16
6 (37,0)
Fallot-Tetralogie
10
5 (50,0)
5
3 (60,0)
Kompletter AV-Kanal
5
3 (60,0)
3
2 (66,6)
Pulmonalstenose plus totale Lungenvenenfehleinmündung
1
1 (100)
0
0
Infundibuläre Pulmonalstenose
1
0
0
0
Persistierender Ductus arteriosus
1
0
0
0
Gesamt
45
17 (37,0)
24
11 (49,0)
217 9.4 · Chirurgie am offenen Herzen
emotional gefestigt, ein Bilderstürmer und ausgesprochen extravagant. Die Idee der kontrollierten Über-Kreuz-Zirkulation trug das Siegel seiner Vorstellungskraft. Zu der Zeit war klar, dass der Kreislaufspender die verschiedenen metabolischen und hämatologischen Probleme, die die extrakorporale Zirkulation kreiert hatte, nicht unbedingt korrigierte, aber zumindest kompensierte. Es sei daran erinnert, dass zu dieser Zeit, in den frühen 1950er Jahren, die Bestimmung eines Kaliumwertes im Serum fast 6 h in Anspruch nahm und auch pH-Wert und Blutgasanalysen nicht kurzfristig zur Verfügung standen. Auch gab es keine brauchbaren Beatmungsmaschinen für Kinder, ganz zu schweigen von Säuglingen. Außerdem gab es noch keinerlei organisierte Herzintensivstationen. Entsprechend bemerkenswert waren diese frühen Erfolge. Die »intrauterine Umgebung«, wiederhergestellt durch die Über-Kreuz-Zirkulation, wurde als wichtiger Teil des Erfolgs angesehen. Es dauerte noch einige Jahre, bevor diese bemerkenswerten Ergebnisse mit Herz-Lungen-Maschinen wiederholt werden konnten. Im Jahre 1954 besuchte John Kirklin in Begleitung von Richard Jones, einem Ingenieur, ebenfalls von der MayoKlinik, Gibbons Labor, um seine Herz-Lungen-Maschine genau zu studieren. Kirklin und Jones gelang es, Gibbons Scheibenoxygenator nicht nur zu verbessern, sondern auch gleichzeitig zu vereinfachen. Seither gab es eine Mayo-Gibbon-Herz-Lungen-Maschine. Als Kirklin diese Maschine im Frühjahr 1955 erstmals klinisch verwendete, begründete er die ersten herausragenden Leistungen in der Herzchirurgie der Mayo-Klinikgruppe (Kirklin et al. 1955). Der erste Patient war ein Kind mit einem Ventrikelseptumdefekt. Währenddessen entwickelte Richard de Wall an der University of Minnesota einen sehr einfachen, leicht zusammenbaubaren, wiederverwendbaren, hitzesterilisierbaren Blasenoxygenator (»bubble oxygenator«; de Wall 1956). Daraufhin und in großem Maße dank der Einfachheit und der geringen Kosten des Blasenoxygenators entstanden in kurzer Zeit Zentren für Chirurgie am offenen Herzen, vielerorts zunächst in den USA und dann über die ganze Welt verteilt. Zu Beginn benötigte man für die Vorbereitung und Zusammensetzung der Ausrüstung für die extrakorporale Zirkulation etwa 48 h – eine Aufgabe, die in Verantwortung der jüngeren Mitglieder des Chirurgenteams lag. Die fabrikseitigen Verunreinigungen der Plastikschläuche zu entfernen, war eine der wichtigsten Aufgaben und erforderte eine höchst sorgfältige Zuwendung. Die Ausrüstung musste dann dampfsterilisiert und getrocknet werden. Letztendlich ersetzte der dreidimensionale, nur für den Einmalgebrauch entwickelte Kunststoffoxygenator von V. Gott aus Minnesota (Gott et al. 1957) und I.M. Rygg aus Kopenhagen (Rygg u. Kyvsgaard 1957) die wiederverwendbaren Schraubenmodelle (»plastic helix coil model«). Zu dieser Zeit führten Zuhdi und Mitarbeiter das Konzept der Blutverdünnung mit 5%iger Dextroselösung ein
(Zuhdi et al. 1961). Dadurch wurde nicht nur der Druck auf die Blutbank vermindert, sondern es wurden auch die Risiken der Hepatitis und die pulmonalen Komplikationen vermindert. Es sei nochmals darauf hingewiesen, dass zu Beginn der Chirurgie am offenen Herzen ausschließlich angeborene Herzfehler operiert wurden. Wichtige andere frühe Entwicklungen bei den Operationen angeborener Herzfehler umfassen die Vorhofumkehroperation für die physiologische Korrektur bei Transposition der großen Gefäße (Mustard et al. 1954; Senning 1959). Die Verwendung von klappentragenden aortalen Homografts wurde von D. Ross und J. Somerville eingeführt, anfänglich um die rechtsventrikulären Ausflusstraktobstruktionen zu behandeln (Ross u. Somerville 1966). Während der 1950er und 1960er Jahre herrschte der Eindruck vor, dass die Chirurige am offenen Herzen von den ganz jungen Patienten nur schlecht toleriert wurde. Dies war für den Über-Kreuz-Kreislauf, aber auch für andere sporadische Versuche der Chirurgie am offenen Herzen im frühen Säuglingsalter belegt (. Tab. 9.2). Deshalb wurden symptomatische Neugeborene, Säuglinge und junge Kinder zunächst Palliativoperationen unterzogen, während intrakardiale Korrekturen erst verzögert im 5. oder 7. Lebensjahr stattfanden. Dieses therapeutische Konzept hatte jedoch bedeutende Nachteile: 4 Notwendigkeit zweier Operationen, 4 teilweise unzureichende Effektivität des Palliativeingriffs, 4 nicht selten zusätzliche iatrogene Probleme durch die Palliativoperation selbst, 4 emotionale Belastung von Kind und Eltern, die mit der drohenden zweiten Operation leben mussten, 4 erhöhte Kosten zweier Operationen. In den späten 1960er und frühen 1970er Jahren begannen Horiuchi und Hikasa in Japan sowie Barrat-Boyes in Neuseeland, über gute Ergebnisse bei der Primärkorrektur im Säuglingsalter zu berichten (Barrat-Boyes et al. 1972; Hikasa et al. 1967; Horiuchi et al. 1963). Am Boston Children’s Hospital folgten wir ab 1972 diesen Vorreitern und bauten eine große und zufriedenstellende Erfahrung mit der Chirurgie am offenen Herzen im Säuglingsalter auf (Castañeda et al. 1974). Weitergehend zeigten jedoch unsere Ergebnisse im New England Infant Cardiac Program, dass Todesfälle wegen komplizierter angeborener Herzfehler meist schon während der ersten Lebenswoche eintraten (New England Regional Infant Cardiac Program 1980). Aufgrund dieser Information wie auch nach Durchsicht unserer mittel- und langfristigen Ergebnisse der Vorhofumkehroperation (nach Senning und Mustard) bei Transposition der großen Arterien wuchs unsere Überzeugung, dass komplizierte angeborene Herzfehler bevorzugt im Neugeborenenalter korrigiert werden sollten, um die frühen Todesfälle zu vermeiden und gleichzeitig die sekundären Organschäden auch an Herz, Lunge und zentralem Nervensystem zu minimieren. Diese
9
218
9
Kapitel 9 · Angeborene Herzfehler – eine chirurgisch-geschichtliche Betrachtung
frühe Korrektur würde gleichzeitig zu einer normalen frühpostnatalen Entwicklung führen (physiologische Herzmuskelhyperplasie/-hypertrophie, normale Koronararterienentwicklung, normale pulmonale Angio- und Alveologenese). Vorgeschaltete Experimente im Labor an 2 kg schweren jungen Hunden, die jeweils für 2 h an die extrakorporale Zirkulation angeschlossen worden waren, überzeugten uns, dass die Effekte einer 2-stündigen Periode der extrakorporalen Zirkulation sowohl auf die geformten Blutbestandteile als auch auf die Lungen nur geringe und schnell reversible Veränderungen bewirkten, die von diesen sehr jungen Tieren gut toleriert wurden (Visudh-Arom et al. 1970). Entsprechend führten wir am 02.01.1983 unsere erste »Arterial-switch«-Operation bei einem 11 Tage alten Neugeborenen mit Transposition der großen Arterien und intaktem interventrikulären Septum durch (Castañeda et al. 1984). Sowohl die frühen als auch die späten Ergebnisse nach derartigen Operationen im Neugeborenenalter erwiesen sich als zufriedenstellend (Castañeda et al. 1994). Wir hatten zu unserer Zufriedenheit festgestellt, dass eine optimale Behandlung der d-Transposition der großen Arterien mit intaktem Ventrikelseptum mit dieser Operation, die idealerweise innerhalb der ersten 2 Lebenswochen durchgeführt wurde, zu erzielen war. Leider wurden jedoch 12 % der Patienten erst jenseits des ersten Lebensmonats für diesen Eingriff überwiesen. Arbeiten zur linksventrikulären Hypertrophie hatten gezeigt, dass die linksventrikuläre Muskelmasse nach experimenteller Koarktation bei der Ratte sehr schnell zunahm. In der Tat konnte die linksventrikuläre Muskelmasse innerhalb von 7 Tagen um mehr als 30 % zunehmen. Darüber hinaus fand keine nennenswerte weitere Hypertrophie mehr statt. Dieser schnellen Antwort der Myozyten lag eine 5fache Vermehrung von c-fos und c-myc »myosin heavy chain m-RNA« sowie des Hitzeschockproteins 70 innerhalb von 1–3 h nach Anwendung des Druckstimulus zugrunde (Izumo et al. 1988). Aufgrund dieser experimentellen Ergebnisse begannen wir eine klinische Serie, in der der vorbereitende erste Schritt der Operation eine pulmonalarterielle Bändelung mit Anlage eines modifizierten BlalockTaussig-Shunts war. Postoperativ wurden die Patienten für 7 Tage auf der Kinderintensivstation betreut, um dann in einem zweiten Eingriff nach Entbändelung und ShuntDurchtrennung die »Arterial-switch«-Operation durchzuführen. Während dieses einwöchigen Intervalls wurden wiederholte zweidimensionale Echokardiographien durchgeführt, die zeigten, dass die linksventrikuläre Muskelmasse – ähnlich wie bei der Ratte – im Mittel um 30 % zunahm (Jonas et al. 1989). Die offensichtlichen Vorteile dieses schnellen zweistufigen Vorgehens (»rapid two-stage switch«) waren folgende: 4 Es konnte eine größere Gruppe von Patienten mit dTransposition und intaktem Ventrikelseptum auch jenseits des ersten Lebensmonats einer »Arterial-switch«Operation zugeführt werden.
. Tab. 9.3. Hospitalletalität nach Alter und Jahren Alter [Jahre]
Letalität im Zeitraum 1955–1960 [%]
Letalität im Zeitraum 2000–2005 [%]
<1
43
2
1 bis <5
28
1,5
5 bis <10
14
1,5
10 bis <17
18
2,5
4 Beide Operationsschritte ließen sich während eines einzigen Krankenhausaufenthalts durchführen. 4 Dieses Vorgehen hat bedeutende psychologische, logistische und finanzielle Vorteile. Andere Beispiele von Läsionen, bei denen die Patienten von einer Neugeborenenherzoperation profitieren, schließen das hypoplastische Linksherzsyndrom, die totale Lungenvenenfehleinmündung, den unterbrochenen Aortenbogen, den Truncus arteriosus und die Pulmonalatresie mit intaktem Ventrikelseptum ein. Selbstverständlich gab es während der vergangenen 66 Jahre noch viele andere wichtige Entwicklungsgebiete innerhalb der Kinderherzchirurgie. Zuletzt seien die beeindruckenden Verringerungen der Operationsletalität in den Jahren 1955–1960 und 2000–2005 dargelegt (. Tab. 9.3). Nicht dargestellt, aber in gleicher Weise dramatisch sind die Verbesserungen der funktionellen Ergebnisse nach früher Primärkorrektur der meisten komplexen angeborenen Herzfehler.
9.5
Zusammenfassung
Die Kinderherzchirurgie hat seit der epochalen Operation von Robert Gross im Jahre 1938 einen großen Fortschritt gemacht. Der Übergang von früher Palliation und elektiver Korrektur im Vorschulalter zur aggressiven Primärkorrektur im Neugeborenenalter hat zu einer substanziellen weltweiten Verminderung des Operationsrisikos und zu verbesserten Langzeitergebnissen geführt. Das klinische Konzept des verzichtbaren rechten Ventrikels (»dispensable right ventricle«), ursprünglich klinisch erstmalig durch Fontan erreicht, hat uns eine bedeutsame Erweiterung der chirurgischen Möglichkeiten beschert, die die Behandlung solcher extremer Läsionen wie des hypoplastischen Linksherzsyndroms oder anderer komplexer univentrikulärer Herzen beinhaltet. Obgleich sie weiterhin eine Palliationsoperation bleibt, so haben doch die verschiedenen Modifikationen der originären Fontan-Operation vielen dem Untergang geweihten Kindern ein lebenswertes Leben beschert. Um ein gut ausgebildeter und kompetenter Kinderherzchirurg zu werden, ist es erforderlich, zumindest 6–12 Mo-
219 Literatur
nate lang an einer Klinik ausgebildet zu werden, die ein großes operatives Aufkommen von Kindern mit komplexen Herzfehlern aufweist. Auch sollten zukünftige Kinderherzchirurgen, die an einer akademischen Karriere interessiert sind, idealerweise auch Forschungserfahrung haben, entweder in molekularer Kardiologie/Biologie, Genetik, Biophysik (»tissue engineering«), Immunobiologie (Xenotransplantation), Pharmakologie, Neurobiologie (Protektion des Zentralnervensystems) oder Ethik. Die frühen Anstrengungen der Kinderherzchirurgen und der Kinderkardiologen sowie der Anästhesisten, der Intensivmediziner, der Pathologen, der Kardiotechniker und der Mitglieder der Pflegeberufe, die sich alle mit der Behandlung von Kindern mit angeborenen Herzfehlern befassten, haben über diese vielen Jahre einen beeindruckenden Fortschritt erzielt. Dennoch werden die aufregendsten Jahre unseres Spezialgebiets noch vor uns liegen.
9.6
Ausblick
Bezüglich zukünftiger Entwicklungen scheint die fetale Herzchirurgie der logische nächste Schritt nach dem Erfolg der Neugeborenenherzchirurgie zu sein. Dieses Thema hat viel Interesse erregt und entsprechend viele Experimente initiiert. Nach Beendigung der primären Morphogenese (während der ersten 2 Monate der Schwangerschaft) bleiben noch 7 Monate des intrauterinen Lebens. Das Herzwachstum während dieser Zeit der sekundären Morphogenese ist wahrscheinlich im Wesentlichen flussabhängig. Deshalb können im Fall eines bedeutenden primären angeborenen Herzfehlers, z.B. einer kritischen Aortenklappenstenose, der Fluss und die Menge des Blutes, das durch den linken Ventrikel fließt, deutlich vermindert sein. Konsequenterweise wird die linksventrikuläre Entwicklung beeinträchtigt, wie auch die Koronararterienentwicklung. Deshalb ist es höchstwahrscheinlich, dass der linke Ventrikel zum Geburtszeitpunkt höchstgradig hypoplastisch sein wird, mit entsprechend kleinen Koronararterien. Das hypoplastische Linksherzsyndrom ist das extreme Ende dieses möglichen Szenarios. Intrauterine, fetale Herzinterventionen eröffnen das Potenzial, den intrauterin erworbenen Anteil des primär angeborenen Herzfehlers zu vermeiden oder zumindest zu minimieren. Frank Hanley und seine Mitarbeiter gehören zu den aktivsten Gruppen, die sich dieses Themas im Forschungslabor angenommen haben. Im experimentellen Schafmodell haben sie bedeutsame Fortschritte in der Erforschung der Plazentaphysiologie erzielt. Dabei konnten sie bereits gute Überlebensraten nach fetaler Chirurgie in der Mitte der Schwangerschaft aufweisen. Bisher hat sich jedoch weder Hanleys Gruppe noch irgendjemand anderes sicher genug gefühlt, um diese Experimente in die klinische Praxis zu übertragen.
Zwischenzeitlich haben die interventionellen Kardiologen mit ihren bemerkenswerten Erfolgen bei perkutanen Aortenklappenvalvulotomien bei menschlichen Feten die Chirurgen zumindest vorläufig in den Schatten gestellt. Kürzlich konnten Lock und Mitarbeiter berichten, dass knapp 35 % der fetalen hypoplastischen linken Ventrikel nach einer fetalen Valvulotomie ausreichend wachsen, um postnatal einer biventrikulären Reparatur zugeführt zu werden (Wilkins-Haug et al. 2006). Welche zukünftige Rolle die fetale Herzchirurgie zusätzlich zu perkutanen fetalen Interventionen spielen wird, muss abgewartet werden. Ein anderes Gebiet, das zusätzlicher Aufmerksamkeit bedarf, befasst sich mit den vielen Auswirkungen der Chirurgie am offenen Herzen (mit oder ohne tiefhypothermen Kreislaufstillstand) auf das zentrale Nervensystem. Die Neurobiologie entwickelt sich mit großer Geschwindigkeit; mehr und mehr Hirnfunktionen werden entdeckt. Unser Spezialgebiet muss mit diesen Entwicklungen Schritt halten, insbesondere betrifft dies die protektiven Maßnahmen zum Schutz vor neurologischen Schäden. Ein besseres Verständnis der Mechanismen der Verletzung des zentralen Nervengewebes vor, während und nach kinderherzchirurgischen Eingriffen und ihre eventuelle Verhinderung sind dringend erforderlich.
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9
220
9
Kapitel 9 · Angeborene Herzfehler – eine chirurgisch-geschichtliche Betrachtung
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10
10 Lungenvenenfehlmündungen und angeborene Fehler der Vorhöfe, des atrioventrikulären Septums und der Atrioventrikularklappen R. Hetzer, V. Alexi-Meskishvili, A. Unbehaun
10.1 10.1.1 10.1.2 10.1.3 10.1.4 10.1.5
10.2
10.2.1 10.2.2 10.2.3 10.2.4 10.2.5 10.2.6
10.3 10.3.1 10.3.2 10.3.3 10.3.4 10.3.5 10.3.6 10.3.7 10.3.8
Anomalien auf Vorhofebene – 222 Isolierte Vorhofscheidewanddefekte – 222 Partielle Lungenvenenfehlmündungen – 229 Fehlmündungen der Hohlvenen – 234 Cor triatriatum dextrum – 238 Atrioventrikularseptumdefekte (AVSD) – 239 Angeborene Herzfehler mit Obstruktion der linksventrikulären Einflussbahn – 252 Übersicht – 252 Angeborene Lungenvenenstenosen – 252 Cor triatriatum sinistrum – 254 Supravalvulärer stenosierender Mitralring – 258 Totale Lungenvenenfehlmündung – 259 Angeborene Divertikel und Aneurysmen des linken Vorhofs – 274 Angeborene Mitralklappenfehler – 276 Einführung – 276 Historische Vorbemerkungen – 276 Inzidenz für angeborene Mitralklappenfehler – 276 Normale Mitralklappenanatomie – 276 Einteilung der angeborenen Mitralklappenfehler bei Kindern – 277 Diagnostische Modalitäten – 280 Indikationen zur Operation – 281 Chirurgische Zugänge zur Mitralklappe bei Kindern – 281
10.3.9 10.3.10 10.3.11 10.3.12
10.4 10.4.1 10.4.2 10.4.3 10.4.4 10.4.5 10.4.6 10.4.7 10.4.8 10.4.9 10.4.10 10.4.11 10.5 10.5.1 10.5.2 10.5.3 10.5.4 10.5.5
Kardiopulmonaler Bypass und Myokardprotektion – 282 Behandlungsoptionen für angeborene Mitralklappenanomalien – 282 Chirurgische Therapie – 283 Ergebnisse der Korrektur angeborener Mitralklappenfehler – 289 Ebstein-Anomalie – 290 Einführung – 290 Letalität und Morbidität – 290 Geschichte der chirurgischen Behandlung – 290 Anatomie – 291 Assoziierte Anomalien – 291 Klassifikation – 292 Präoperative Beurteilung und Vorbereitung – 293 Chirurgische Behandlungsoptionen Operation – 301 Operation bei Neugeborenen und Kleinkindern – 307 Ergebnisse – 308 Überreiten der Atrioventrikularklappen – 311 Einleitung – 311 Definitionen – 311 Chirurgische Anatomie – 312 Chirurgische Behandlung – 314 Ergebnisse – 318 Literatur
– 319
– 295
222
Kapitel 10 · Lungenvenenfehlmündungen, Vorhofanomalien und angeborene Fehler der AV-Klappen
10.1
Anomalien auf Vorhofebene
10.1.1
Isolierte Vorhofscheidewanddefekte
10.1.1.1
Definition des Krankheitsbilds und Operationsziel
Der Vorhofseptumdefekt (Atriumseptumdefekt, ASD) vom Sekundumtyp ist einer der häufigsten angeborenen Herzfehler. Der ASD kommt bei etwa einem von 1500 Lebendgeborenen oder bei ungefähr 7 % aller Kinder mit angeborenen Herzfehlern vor. Das Verhältnis von männlichen zu weiblichen Patienten beträgt 3 : 2. Etwa 15–30 % der gesunden Erwachsenen haben ein offenes Foramen ovale mit einer funktionierenden Klappe. In den westlichen Ländern ist das Letalitätsrisiko aufgrund eines ASD sehr gering (<1 %). Sekundärerkrankungen des ASD sind ebenfalls selten, können jedoch bei Säuglingen mit sehr großem Links-rechts-Shunt und Begleiteffekten sowie bei Erwachsenen mit hohem pulmonalvaskulären Widerstand und/oder Arrhythmien auftreten, meist in Form von Vorhofflimmern oder Vorhofflattern. Eine eingeschränkte Compliance der Kammermuskulatur kann zur Entwicklung eines Herzversagens beitragen.
10
! Bei erwachsenen Patienten besteht das Risiko von Schlaganfällen durch paradoxe systemische Embolien über den ASD oder das Foramen ovale bzw. nach Auftreten von Arrhythmien (Gatzoulis et al. 1999; Mas et al. 2001).
Das klinische Bild des isolierten ASD ist vom Ausmaß des Links-rechts-Shunts abhängig. Die Größe der Shunts wiederum hängt von der Größe des Defekts, der Compliance der Herzkammern und dem pulmonalvaskulären Widerstand ab. Die meisten Kinder mit isoliertem ASD sind asymptomatisch. Die Diagnose wird möglicherweise nach dem Befund eines Herzgeräusches (volumenbedingt an der Pulmonalklappe) im Rahmen von Routineuntersuchungen oder bei der Echokardiographie gestellt. Wenn die klinischen Zeichen auf einen hohen pulmonalarteriellen Druck hinweisen, kann eine Herzkatheteruntersuchung indiziert sein, um das Ausmaß der pulmonalen Hypertension zu definieren. 10.1.1.2
Geschichtliche Anmerkungen
Der Sekumdum-ASD gehört zu den ersten Herzdefekten, die operativ behandelt wurden. Vor der Einführung der Ganzkörperhypothermie und des totalen kardiopulmonalen Bypassses wurden mehrere operative Techniken am geschlossenen Herzen entwickelt (Alexi-Meskishvili u. Konstantinov 2003). Diese Techniken führten trotz guter Ergebnisse im Tierversuch nicht in jedem Fall zu einem kompletten Verschluss großer Vorhofseptumdefekte. Robert E. Gross beschrieb die vorhofwandhalboffene Technik (Gross 1952). Zahlreiche Chirurgen wandten in jener Zeit die Methode von Gross an. Diese Methode führte jedoch nicht immer zu einem sicheren Defektverschluss,
besonders dann, wenn der Defekt nicht zentral im Vorhofseptum lokalisiert war. Am 02.09.1951 operierte F. John Lewis mit seinen Assisten Richard Varco, Mansur Taufic und Walton Lillehei ein 5-jähriges Mädchen mit Vorhofseptumdefekt in allgemeiner Hypothermie und bikavalem Einflussstopp (»inflow occlusion«). Diese Operation war die weltweit erste offene Herzoperation unter direkter Sicht (Lewis u. Taufic 1952) und markiert den Beginn der offenen Herzchirurgie. Ernst Derra operierte dann 1955 in Düsseldorf erstmals in Europa Patienten mit ASD unter Oberflächenhypothermie und »inflow occlusion« (Derra et al. 1955). Die weltweit erste Operation mit kardiopulmonalen Bypass war der Direktverschluss eines Vorhofseptumdefekts bei einer 18-jährigen Patientin am 06.05.1953 durch John H. Gibbon in Philadelphia (Gibbon 1954). Diese Operation ebnete den Weg zur modernen offenen Herzchirurgie. 10.1.1.3
Embryologie des Vorhofseptums
Herzgewebe erscheint erstmals am 18. und 19. Tag des embryonalen Lebens. Die Entwicklung des Herzens setzt sich dann während der folgenden Wochen fort. Das Vorhofseptum beginnt sich während der 4. Schwangerschaftswoche zu bilden und ist am Ende der 15. Woche vollständig. Im frühembryonalen Herzen bilden die Vorhöfe zunächst eine gemeinsame Kammer. Das Septum primum entwickelt sich und wächst vom Dach dieser Kammer aus in Richtung des atrioventrikulären Kanals, wo sich später die Teilung der AV-Klappen über dem superioren und dem inferioren Endokardkissen vollzieht. Diese Endokardkissen vereinigen sich und wölben sich mit ihrer Konvexität gegen die Vorhöfe, wobei sie dem nach kaudal wachsenden Septum primum entgegenkommen. Dieser Prozess verengt kontinuierlich den Durchtritt zwischen den beiden Vorhöfen (Ostium primum). Das Ostium primum schließt sich normalerweise vollständig. Bevor dieser Verschluss jedoch eintritt, erscheint eine zentrale Perforation im Septum primum, welche einen kontinuierlichen und unbehinderten Fluss vom rechten zum linken Vorhof erlaubt. Diese Perforation, welche die zweite Öffnung im Septum primum darstellt, wird Ostium secundum genannt. Wenn sich die Vorhöfe zu beiden Seiten des Truncus arteriosus entwickeln, erscheint eine Falte am Dach der Vorhöfe knapp rechts des Septum primum. Diese Falte bildet das Septum secundum. Der untere Rand des Septum secundum ist sichelförmig und bildet den oberen Rand des Foramen ovale. Es überlagert das Ostium secundum kulissenartig, behindert jedoch nicht den Blutfluss von rechts nach links über das Foramen ovale. Nach der Geburt und der Durchblutung der Lunge und damit dem Anstieg des linksarteriellen Drucks wird das Septum primum einem Ventilmechanismus entsprechend nach rechts gegen das Septum secundum gedrückt und dichtet damit das Vorhofseptum ab.
223 10.1 · Anomalien auf Vorhofebene
Die Verschmelzung des Septum primum und Septum secundum schließt das Foramen ovale bei den meisten Menschen vollständig. Bei 25–30 % der normalen Herzen Erwachsener kann das Foramen ovale jedoch vom rechten Vorhof aus sondiert werden, und bei 15–20 % der Erwachsenen lässt sich bei der Dopplerechokardiographie in Ruhe ein winziger Links-rechts-Shunt erkennen. Das Gewebe der Fossa ovalis wirkt wie eine Klappe, wenn es sich durch den erhöhten Druck auf der linken Seite auf die linke Facette des sichelförmigen Septum secundum legt. Bei Anstieg des rechtsatrialen Drucks kann diese Klappe den Weg für einen Rechts-links-Shunt und auch für paradoxe Embolien freimachen. 10.1.1.4
Es werden 3 internodale Bündel in der rechten Vorhofwand postuliert, die den Sinusknoten mit dem AV-Knoten verbinden: ein anteriores, ein mittleres und ein posteriores Bündel (James 1963; Sealy et al. 1969). Dies ist ein umstrittenes Thema. Nach Anderson und Becker (1980) existieren parallel verlaufende und dicht zusammengefasste Bündel von Arbeitsmyokard in der Crista terminalis und im anterioren Schenkel der Fossa ovalis, welche die morphologischen Substrate für die bevorzugten Erregungsleitungswege sein können, wie sie von Elektrophysiologen demonstriert werden. Es war jedoch nicht möglich, solche Bündel innerhalb der muskulären Bänder nachzuweisen (Wilcox et al. 2004). Experimentell wurde gezeigt, dass eine Verletzung der Crista terminalis Vorhofarrhythmien begünstigen kann (Gandhi et al. 1996).
Anatomie des Vorhofseptums
! Die Kenntnis der Anatomie des Vorhofseptums (. Abb. 10.1) ist wichtig, um spezifische Komplikationen zu vermeiden, insbesondere Rhythmusstörungen, die bei der Operation induziert werden können.
Der rechte Vorhof ist diejenige Herzhöhle, welche normalerweise das systemische Blut aus den Hohlvenen und dem Koronarsinus aufnimmt. Der Limbus der Fossa ovalis, welcher die Klappe der Fossa ovalis (Septum primum) kranial, anterior und posterior umfasst, der breite Eingang in das rechte Herzohr, die Valvula Eustachii am Eingang der V. cava Inferior, die Tebesi-Klappe am Eingang des Koronarsinus und das Muskelband der Crista terminalis, welche den trabekulierten vom nichttrabekulierten Teils des Vorhofs trennt, sowie das Ostium der Trikuspidalklappe sind die charakteristischen Merkmale des rechten Vorhofs. . Abb. 10.1. Anatomie des Vorhofseptums
10.1.1.5
Formen der Vorhofscheidewanddefekte
Vorhofseptumdefekte kommen an mehreren Stellen des Vorhofseptums vor, aber nur die Defekte in der Region der Fossa ovalis oder des »Sekundum«-Defekts im engeren Sinne sind reine ASD, da das interatriale Septum nur geringfügig größer ist als die Fossa ovalis selbst (Silverman 1997; Wilcox e al. 2004). Es wurden zahlreiche Klassifikationen der Vorhofseptumdefekte vorgeschlagen. Entsprechend der Klassifikationen von Jessie Edwards teilen sich die Vorhofseptumdefekte in die folgenden Typen: 4 Sekundumsefekt im Bereich der Fossa ovalis (60 % der Fälle), 4 Sinus-venosus-Defekt, der typischerweise mit einer anomalen Einmündung der rechten Lungenvenen vergesellschaftet ist (10 %),
10
224
Kapitel 10 · Lungenvenenfehlmündungen, Vorhofanomalien und angeborene Fehler der AV-Klappen
4 Ostium-primum-Defekt unter der Fossa ovalis, 4 Raghib-Typ-ASD (fehlender Koronarsinus mit persistierender linker oberer Hohlvene, welche in den rechten Vorhof drainiert; Raghib et al. 1965), 4 Multidefekte, die einem Atrium commune gleichkommen (Edwards 1953).
10
Eine neuere Klassifikation des ASD des Congenital Heart Surgery Nomenclature and Database Project identifiziert die in . Abb. 10.2 dargestellten Haupttypen von Vorhofseptumdefekten (Jacobs et al. 2000): 4 Atrium Commune (single atrium): vollständiges Fehlen des interatrialen Septums. Der Terminus »Single atrium« wird nun angewandt für solche Defekte bei vollständig normalen Atrioventrikularklappen, der Terminus »commun atrium« hingegen auf Defekte, die von einer Malformation von Atrioventricularklappen begleitet wird. 4 Koronarsinus ASD (Synonym: »unroofed coronary sinus«): dies definiert einen Defekt der Wand, die den linken Vorhof vom Koronarsinus trennt, welcher ermöglicht, dass Blut vom linken Vorhof über den Koronarsinus in den rechten Vorhof drainiert. Koronarsinusdefekte sind nur eine kleine Subgruppe und sind oft mit einer persistierenden linken oberen Hohlvene, welche in den Koronarsinus vergesellschaftet sind. 4 ASD, offenes Foramen Ovale: Eine kleine interatriale Verbindung in der Region des Foramen Ovale ohne
. Abb. 10.2. Haupttypen von Vorhofseptumdefekten nach dem Heart Surgery and Nomenclature and Database Project. CS Sinus coronarius; FO Fossa ovalis; IVC V. cava inferior; RAA rechtes Herzohr; RLPV
Fehlen von Septumgewebe des Septum Primum oder des Septum Secundum. 4 ASD Primum: Ein normalerweise sichelförmiger ASD in der inferioren Region des Vorhofseptums, direkt oberhalb der AV-Klappenebene. 4 ASD, secundum: Ein Vorhofseptumdefekt, der auf die Region der Fossa Ovalis beschränkt bleibt. Er ist nicht unbedingt von einem weit offenen Foramen ovale zu unterscheiden (»stretched foramen«). Die häufigste Ätiologie ist ein Defekt im Septum Primum, aber fehlendes Gewebe des Septum Secundum kann auch dazu beitragen. Ostium Secundum Defekt kann verbunden sein mit einem Aneurysma des interatrialen Septums. Dies wird betrachtet als überschüssiges Gewebe der Klappe der Fossa Ovalis. Dieses kann mit Mitralklappenprolaps und mit Vorhofarrhythmien verbunden sein. 4 ASD, sinus venosus: Ein Vorhofseptumdefekt in der Region des rechten Horns des Sinus Venosus, üblicherweise in der Region des cranialen sinoatrialen Übergangs nahe der Vena Cava Superior, seltener posterior der Fossa Ovalis ohne Verbindung zu einer Cava-Mündung oder in der Region des kaudalen sinoatrialen Übergangs nahe der Einmündung der Vena Cava Inferior. Der superiore Sinus venosus Defekt ist üblicherweise vergesellschaftet mit anomaler Mündung der rechten oberen und mitunter auch weiterer Lungenvenen in den rechten Vorhofs. Der Vorgang der zur Entwicklung von Sinus-Venosus-Defekten führt, ist umstritten.
rechte untere Pulmonalvene; RUPV rechte obere Pulmonalvene; SV Sinus venosus; SVC V. cava superior; TV Trikuspidalklappe
225 10.1 · Anomalien auf Vorhofebene
Dieser Typ von ASD sollte besser »Sinus-Venosus-Defekt« genannt werden, da es sich bei der Läsion zuvor um eine abnorme interatriale Verbindung handelt, jedoch weniger um einen Defekt von Vorhofseptumgewebe. Anderson und Mitarbeiter nehmen an, dass der superiore Sinus-Venosus-Defekt auf eine mangelhafte Faltung der Vorhofwände zwischen der oberen Hohlvene und den rechten Lungenvenen beruht (Al Zaghal, 1998; Anderson, 1979; Anderson, 1995). Demgegenüber haben Van Praagh und Mitarbeiter postuliert, dass die Sinus-Venosus-Defekte das Ergebnis eines Defekts in der gemeinsamen muskulären Wand, die normalerweise die rechten Lungenvenen von der Vena Cava Superior trennen, resultiert und damit ein »un-roofing« der rechten Lungenvenen ergibt, welche eine Drainage der selbigen in die obere Hohlvene oder in den rechten Vorhof zulässt. (Van Praagh, 1994). 10.1.1.6
Indikationen zur Operation
Obschon der ASD keine lebensbedrohende Erkrankung darstellt, jedoch die Gefahr beinhaltet, dass sich mit der Zeit Komplikationen und chronische Folgezustände einstellen, ist es allgemein akzeptiert, dass alle ASD vor dem Schulalter chirurgisch oder interventionell verschlossen werden sollen. Heute sind Patienten mit großem ASD, die für eine Kathetermaßnahme ungeeignet sind, Patienten mit Sinus-venosus- und Koronarsinusdefekten sowie Patienten mit Primum-ASD und Atrium commune Kandidaten für einen chirurgischen Verschluss. Wir empfehlen den Verschluss auch aller asymptomatischen ASD vor der Einschulung. Ein so früher Verschluss ist angezeigt, um Vorhofflimmern, pulmonale Hypertension, chronische Rechtsherzüberlastung, Mitralklappeninsuffizienz und das Risiko paradoxer, systemischer Embolien zu vermeiden (Cheng et al. 1994; Mas et al. 2001). Eine Herzkatheteruntersuchung ist selten erforderlich. Der echokardiographische Nachweis der Erweiterung des rechten Vorhofs und insbesondere des rechten Ventrikels ist i. A. Beweis genug für einen klinisch bedeutsamen Linksrechts-Shunt und stellt eine Indikation für den Verschluss des ASD dar. Idealerweise sollte die Operation bei Kindern im Alter von 2–4 Jahren mit einem sehr niedrigen Risiko durchgeführt werden. Wenn jedoch Symptome der Herzinsuffizienz eintreten und nicht effektiv beherrscht werden können, ist die Operation auch im frühen Säuglingsalter indiziert. Bei erwachsenen Patienten führt der Verschluss eines ASD über die Reduzierung der Volumenbelastung der Kammern zu einer deutlichen klinischen Besserung. Beispielsweise konnte nachgewiesen werden, dass ein Mitralklappenprolaps über die Normalisierung der linksventrikulären Geometrie bei 80 % der Patienten vermindert oder eliminiert wurde (Schreiber et al. 1989). Bei Patienten mit Vorhofseptumdefekt und Vorhofflimmern sollte der Verschluss des ASD mit einer antiarrhythmischen Operation (Vorhofablation) verbunden werden.
10.1.1.7
Durchführung der Operation
Heute wird die Operation in aller Regel in Normothermie und unter Einsatz der Herz-Lungen-Maschine vorgenommen. Dabei gibt es verschiedene Zugänge zum Herzen, wobei die mediane Längssternotomie den klassischen Weg darstellt (Julian et al. 1957). Um ein besseres kosmetisches Ergebnis zu erreichen, wurden Techniken für begrenzte, kleinere Zugänge entwickelt, wie z. B. die untere partielle Sternotomie, die vordere submammäre Inzision bzw. die anterolaterale Thorakotomie oder die limitierte posteriore Thorakotomie (Del Nido u. Bichell 1998). Jedoch sollte bei Mädchen vor der Pubertät aufgrund der Gefahr einer einseitigen Beeinträchtigung der Brustentwicklung von einem submammären Zugangsweg Abstand genommen und anderen chirurgischen Zugangswegen, wie der rechtsposterioren Thorakotomie oder der unteren partiellen Sternotomie, der Vorzug gegeben werden (Bleiziffer et al. 2004). Diese Techniken sind in idealer Weise geeignet, einen einfachen ASD vom Sekundumtyp zu verschließen, da sie neben einem kosmetischen Vorteil wahrscheinlich auch die Dauer des Krankenhausaufenthalts reduzieren (BarberoMarcial et al. 1998; Bauer et al. 2000a, b; Black u. Freedom 1998; Del Nido u. Bichell 1998; Gundry e al. 1998). Diese Techniken über begrenzte Zugänge erfordern vom Operateur eine größere Expertise auf dem Gebiet der Kinderherzchirurgie, da die Sicht auf das Operationsfeld eingeschränkt ist und Schwierigkeiten beim Entlüften des Herzens nach Verschluss der Herzkammern auftreten können (Cooley 1998). Im Vergleich zum Standardvorgehen verbessern kleine Inzisionen die Sicht nicht; der Chirurg hat nur Ausschnitte und nicht das gesamte Herz im Blickfeld, was einer Einbuße an operativer Kontrolle gleichkommt (Mavroudis et al. 2005). Auch wenn die diagnostischen Möglichkeiten im vergangenen Jahrzehnt verbessert worden sind, so sind sie dennoch nicht absolut akkurat. Im Gegensatz zur begrenzten alternativen Schnittführung hat der Chirurg bei der kompletten medianen Längssternotomie generell einen einfacheren Zugang zum systemischen venösen Rückfluss zur Verfügung, was besonders bei persistierender oberer linker Hohlvene oder bei anderen Anomalien des venösen Rückstroms an Bedeutung gewinnt. Bei der lateralen oder partiellen Thorakotomie praktizieren wir in unserer Klinik den Anschluss der Herz-Lungen-Maschine über eine aortale und bikavale Kanülierung und vermeiden den Anschluss über die Femoralarterie oder die Femoralvene (Bauer et al. 2000a, b). Aufgrund des bei allen offenen Herzoperationen bestehenden prinzipiellen Risikos der Luftembolisation und zur Risikominimierung empfehlen wir die kontinuierliche Insufflation von Kohlendioxid in das Operationsgebiet während der Kardiotomie (Barnard u. Speake 2004; Olinger 1995; Svenarud et al. 2003).
Zugang und allgemeine Operationstechnik Nach der medianen Längssternotomie wird das Perikard längs eröffnet, und es werden Perikardhaltenähte platziert.
10
226
10
Kapitel 10 · Lungenvenenfehlmündungen, Vorhofanomalien und angeborene Fehler der AV-Klappen
Um eine übertriebene Resektion von Eigenperikard zu vermeiden, bevorzugen wir es, den Eigenperikardflicken erst nach der Inspektion des Vorhofseptums zu gewinnen. Eine direkte Kanülierung der oberen Hohlvene ist insbesondere bei Patienten mit oberen Sinus-venosus-Defekten bedeutsam und ermöglicht eine optimale Exposition. Nach der direkten Kanülierung der V. cava superior folgen die transatriale Kanülierung der V. cava inferior in der Nähe der Einmündung der unteren Hohlvene in den rechten Vorhof, die Kanülierung der Aorta und der Beginn der extrakorporalen Zirkulation unter Beibehaltung von normothermen Bedingungen. Tourniquets werden um die Vv. cavae gelegt und angezogen. Nachdem Kammerflimmern induziert worden ist, wird die Aorta ascendens abgeklemmt und die kardioplegische Lösung proximal der Aortenklemme über eine separate Kanüle infundiert und somit der kardioplegische Zustand erreicht. Einige Chirurgen nutzen den Zustand des elektrisch induzierten Kammerflimmerns für die Operation, ohne den kontinuierlichen Blutfluss in die Koronararterien durch Abklemmung zu unterbrechen, was eine akzeptable Methode darstellt, allerdings das Risiko einer Luftembolie, ausgehend von der linken Kammer, beinhaltet, wenn es zur spontanen Defibrillation kommt. Das Atrium dextrum wird vom Vorhofohr in Richtung V. cava inferior über eine longitudinale Inzision eröffnet, und es werden Haltefäden an der anterioren und posterioren Kante der Atriotomie angelegt (. Abb. 10.3). Das Gebiet des Sinusknotens und der hiervon wegführenden Crista terminalis wird bei der Atriotomie geschont, um das Risiko postoperativer Arrhythmien gering zu halten. Zunächst wird sorgfältig die Anatomie inspiziert, um zusätzliche Fenestrationen oder Defekte des Vorhofseptums zu erkennen und die Lagebeziehung der 4 Pulmonalvenen und ihrer Öffnungen sowie die Lage der AV-Klappe und des Sinus coronarius zu erkennen. Für gewöhnlich wird ein Septumanteil mit multiplen Fenestrationen reseziert und in einen singulären ASD überführt. Nur kleine Defekte lassen sich mittels direkter Naht verschließen, da die Spannung auf dem Gewebe gering zu halten ist, um dem Wiederauftreten von Vorhofseptumdefekten vorzubeugen (. Abb. 10.4). Bei jenen Fällen mit kleinen Defekten, die heutzutage allerdings nur selten Indikationen für eine chirurgische Intervention darstellen, bevorzugen wir die fortlaufende Doppelnahttechnik. Die Naht wird an der inferioren Kante des Defekts begonnen (. Abb. 10.5). ! Es ist beim Plazieren der Nähte am unteren Teil des Defekts darauf zu achten, das Gewebe in der Nähe des Koronarsinus, welches das Erregungsleitungssystem enthält, nicht mitzufassen (. Abb. 10.6).
Um verbleibende Restluft in der linken Herzseite zu vermeiden und um diese vollständig zu entfernen, sollte ein Absaugen des linken Vorhofs vermieden und der linke Vorhof sorgfältig mit Blut gefüllt werden, bevor die Verschlussnaht festgezogen wird und der Anästhesist dabei die Lun-
. Abb. 10.3. Operativer Zugang
. Abb. 10.4. Verschluss eines kleinen Defekts mittels direkter Naht
gen energisch bläht. Bevor man die Aortenklemme löst, wird der Patient in die Trendelenburg-Lage gebracht. Es ist äußert nützlich, in dieser Phase der Operation die zusätzliche antegrade Entlüftung über die Aorta ascendens vorzunehmen. Wir empfehlen, alle Typen von Vorhofseptumdefekten mit autologem, unbehandeltem Perikard und nichtresorbierbaren Nähten zu verschließen (. Abb. 10.7). Bei großen Defekten vom Sekundumtp muss der untere Rand des Defekts genau identifiziert werden, um eine ungewollte Umleitung der V. cava inferior in den linken Vorhof beim Verschluss zu vermeiden (. Abb. 10.8; Gaynor, 2006). Sinus-venosus-Defekte sind keine Vorhofseptumdefekte, sondern interatriale Verbindungen außerhalb der Grenzen des Vorhofseptums (Van Praagh et al. 1994). Beim oberen Typ liegt der Defekt oberhalb und außerhalb der Fossa ovalis und grenzt gewöhnlich an die V. cava superior und die obere rechte Lungenvene. Beim äußerst seltenen unteren Typ liegt der Defekt nahe der Mündung der V. cava inferior und der rechten unteren Hohlvene. Sinus-venosusDefekte müssen immer mit einem Perikardflicken verschlossen werden. Beim oberen Sinus-venosus-Defekt wird das Orifizium der V. pulmonalis superior dextra dargestellt
227 10.1 · Anomalien auf Vorhofebene
10
a a
b . Abb. 10.7a, b. Verschluss mit autologem, unbehandeltem Perikard und nichtresorbierbaren Nähten b . Abb. 10.5a, b. Fortlaufende Doppelnahttechnik zum Verschluss kleiner Defekte
a
. Abb. 10.6. Verlauf der Nähte am unteren Teil des Defekts
b . Abb. 10.8a, b. Verschluss eines großen Defekts vom Sekundumtyp
228
Kapitel 10 · Lungenvenenfehlmündungen, Vorhofanomalien und angeborene Fehler der AV-Klappen
sowie die Nahtlinie zwischen diesem und dem Orifizium der V. cava superior angelegt und die Nahtreihe dem Rand des Defekts folgend geführt. Nachdem der Defekt verschlossen ist, wird die Atriotomie mittels fortlaufender Naht verschlossen. Vor dem Anziehen des Nahtknotens werden die Tourniquets um die untere und obere Hohlvene gelöst, und die venöse Linie wird leicht komprimiert, um das Atrium dextrum mit venösem Blut zu füllen. Der Patient wird ggf. in die Trendelenburg-Lage gebracht, die Lunge kräftig gebläht und unter abteilungstypischen Entlüftungsmanövern die Aortenklemme gelöst. Nachdem eine adäquate Herzfunktion wiederhergestellt ist, wird die extrakorporale Zirkulation beendet. Man entfernt die Kanülen, und es wird Protamin verabreicht. Wir empfehlen, bei allen Patienten das Ergebnis der Operation nach Beendigung der extrakorporalen Zirkulation mittels transösophagelaer Kontrastechokardiographie zu kontrollieren. Als Kontrastmittel benutzen wir kardioplegische Lösung (Hydroxyethylstärke), die in die obere rechte Pulmonalvene und die Vv. cavae injiziert wird, um residuale Shunt-Defekte und Anomalien des Abflusses aus der V. cava inferior zu erkennen. Der Abschluss der Operation erfolgt in der kliniküblichen Art und Weise.
Alternative Zugänge
10
Bei allen in der Folge beschriebenen Zugangswegen benutzen wir bislang ausschließlich das chirurgische Standardinstrumentarium und keine Spezialinstrumente oder gesondert angefertigte Hilfsmittel. Limitierte posterolaterale Thorakotomie rechts. Der Patient wird in der linkslateralen Dekubituslage gelagert, wobei der ipsilaterale Arm abgestreckt ist. Eine posterolaterale Thorakotomie wird rechts vorgenommen, wobei das anteriore Ende der Hautinzision nicht über die vordere Axillarlinie hinaus reicht. Der Thorax wird im 4. Interkostalraum eröffnet, die Lunge dorsalwärts retrahiert und das Perikard 1 cm anterior des N. phrenicus eröffnet. Perikardhaltefäden werden angebracht, wobei 2 kaudale Perikardhaltenähte durch den Rippenknorpel gestochen werden und die Aorta in das Operationsgewebe gezogen wird. Nachdem Heparin verabreicht worden ist, wird die Aorta kanüliert und eine bikavale venöse Kanülierung vorgenommen. Die Kanüle für die untere Hohlvene wird über einen separaten Hautschnitt eingebracht, durch welchen man später die Thoraxdrainage einbringen kann. Nach dem Abklemmen der Aorta mit einer geraden Aortenklemme und dem Verabreichen der Kardioplegielösung wird die Korrektur am Herzen vollzogen. Anterolaterale Thorakotomie rechts. Dieser Zugangsweg wird nur dann für junge Frauen empfohlen, wenn die Entwicklung der Brust abgeschlossen ist. Für eine optimale Darstellung ist die seitengetrennte Einlungenventilation hilfreich, aber nicht erforderlich. Der Patient wird mit der rechten Seite um 35° erhöht gelagert und ein aufblasbares
Luftkissen unter die Schulter gelegt. Der rechte Arm wird am Ellenbogen und am Handgelenk fixiert und an einem Gestell, das am Kopfende des Operationstisches angebracht ist, aufgehängt. Die Hautinzision wird unter der Brust etwa 1 cm kaudal der submammären Hautfalte vorgenommen und der Pleuraraum durch den 4. Interkostalraum eröffnet. Das Perikard wird anterior des N. phrenicus eröffnet und nach konventioneller Kanülierung und im kardioglegischen Herzstillstand die intrakardiale Reparatur ausgeführt. Limitierte Sternotomie. Eine begrenzte Hautinzision (maximale Länge von etwa 5–7 cm) wird über dem unteren Pol des Corpus sterni (unter Aussparung des Processus xyphoideus) halswärts geführt. Das subkutane Gewebe wird mobilisiert, um eine übermäßige Spannung des Weichteilgewebes zu vermeiden. Der untere Abschnitt des Sternums wird dargestellt und das Sternum partiell auf das Corpus sterni begrenzt, mittig durchtrennt. Ein schmaler Sternumspreizer wird eingesetzt, um die beiden Sternumhälften graduell aufzuspreizen. Um Sternumfrakturen vorzubeugen, ist eine rasche und komplette Spreizung in einem Zug zu vermeiden. Das Thymusgewebe wird nach halswärts gedrängt, und nach der Perikardiotomie werden Perikardhaltefäden angelegt, und man kanüliert die Aorta ascendens, ggf. in Seldinger Technik. Dabei kann die Aorta mit einer schmalen Zange gegriffen und kaudalwärts gezogen werden, um die Aorta ascendens komplett zu exponieren. Die V. cava inferior wird direkt kanüliert, die V. cava superior über das rechte Herzohr. Nach dem ASD-Verschluss wird sorgfältig die Luft aus dem linken Herzen entfernt.
Technische Besonderheiten Abgesehen davon, dass der ASD-Verschluss i. A. als einfache Operation angesehen wird, ist die exakte präoperative Diagnostik entscheidend dafür, intraoperative und postoperative Komplikationen zu vermeiden. Dies gilt ganz besonders dann, wenn minimal-invasive Zugangswege genutzt werden. Die untere Kante von Ostium-secundum-Defekten kann schwierig zu identifizieren sein, wenn die Kanüle für die untere Hohlvene zu hoch platziert wurde. Ebenso kann eine Eustachi-Klappe als untere Defektkante fehlinterpretiert werden, was im Fall eines nicht korrekt ausgeführten ASD-Verschlusses zur Blutumleitung aus der V. cava inferior in den linken Vorhof mit konsekutiver Zyanose führen kann. Ein ungewöhnlicher Fall eines interatrialen ShuntFlusses ist in dem »teilweise abgedeckten Sinus coronarius« zu sehen, über welchen linksatriales Blut durch den Koronarsinus zum rechten Vorhof gelangen kann. Um den Defekt in der Abdeckung des Sinus coronarius darzustellen, ist eine Inzision im Vorhofseptum notwendig. Das Letalitätsrisiko bei der Operation des unkomplizierten ASD ist gering. In erfahrenen pädiatrischen Zentren beträgt die Letalität weit weniger als 1 %. Die postoperative Morbidität bei Patienten mit ASD besteht fast ausschließlich in der Ausbildung eines Peri-
229 10.1 · Anomalien auf Vorhofebene
kardergusses (Postperikardiotomiesyndrom), der bei un-
gefähr einem Drittel der Patienten auftritt. Kommt es zur Tamponade, ist eine Perikardiozentese notwendig. Ein Perikarderguss sollte postoperativ bei allen Patienten, die einen ASD-Verschluss erhalten haben, ausgeschlossen werden, wenn Brustschmerz, Fieber, Dyspnoe und allgemeines Unwohlsein auftreten. Bei Kleinkindern können die Symptome unspezifisch sein und in Reizbarkeit und Appetitlosigkeit ihren Ausdruck finden.
Interventioneller Verschluss von Vorhofseptumdefekten
10.1.2.2
10
Isolierte partielle Lungenvenenfehlmündungen
Die obere Hohlvenenkanüle muss kranialwärts der anomalen Mündung der V. pulmonalis superior dextra plaziert werden. Nach der Atriotomie wird das Vorhofseptum zwischen dem Orifizium der V. cava superior und der Fossa ovalis inzidiert. Die Kanten des entstandenen ASD sollen so in die Verschlussnaht des ASD einbezogen werden, dass nur der endothelialisierte Anteil beim Defektverschluss mit einem Perikardflicken unter Korrektur der Anomalie und Umleitung der V. pulmonalis superior dextra in das Atrium sinistrum an der Oberfläche zu liegen kommt (. Abb. 10.9).
Der katheterinterventionelle Zugang zum ASD-Verschluss ist sowohl für die pädiatrischen als auch für die erwachsenen Patienten akzeptiert (Berger et al. 1999). Die Vorzüge des katheterinterventionellen Verfahrens liegen in der geringen Invasivität, d. h. dem Vermeiden jeglicher Thorakotomie und der extrakorporalen Zirkulation, und in der damit verbundenen relativ kurzen Rekonvaleszenzzeit. Nachteile bestehen im möglichen Fortbestehen eines ShuntFlusses um das den Defekt verschließende Schirmchen herum sowie in einer Dislokation des Schirmchens, was eine chirurgische Intervention zur Folge hat (Bohm et al. 1997). Bedenken ergeben sich, wenn nur ein ungenügender Rand zum Verankern den Defekt umgibt. Des Weiteren bestehen Bedenken hinsichtlich der Sicherheit im Langzeitverlauf. Zudem sind eine hohe technische Expertise und eine entsprechende technische Ausstattung notwendig.
a
! ASD vom Sekundumtyp sind derzeit die einzigen ASDSubtypen, die für diese Art der Behandlung, die im Katheterlabor ohne Durchleuchtung und unter ausschließlich echokardiographischer Kontrolle vorgenommen werden kann, geeignet sind (Ewert u. Berger 2003).
10.1.2
Partielle Lungenvenenfehlmündungen
10.1.2.1
Allgemeine Vorbemerkungen
Die partielle Lungenvenenfehlmündung kann als isolierte Anomalie bei Patienten mit intaktem Vorhofseptum oder aber bei Patienten mit ASD auftreten. Bei Patienten mit oberem Sinus-venosus-Defekt ist die Pulmonalvene oftmals hoch an der V. cava superior angeschlossen. Sinusvenosus-Defekte sind streng genommen keine ASD-Form, da sie außerhalb der Grenzen des Vorhofseptums bestehen und demzufolge interatriale Verbindungen, aber keine ASD-Form im eigentlichen Sinne darstellen. Bei der Korrektur des Sinus-venosus-Defekts mit Anomalie des pulmonalvenösen Abflusses muss vom Chirurgen die gesamte obere kavoatriale Verbindung neu gestaltet werden, wobei auf jeden Fall eine Verletzung des Sinusknotens, welche mit postoperativen Folgekomplikationen in Form von Arrhythmien einhergeht, zu vermeiden ist (Anderson et al. 1983).
b
c . Abb. 10.9a–c. Verschluss des Vorhofseptumdefekts bei isolierter partieller Lungenvenenfehlmündung
230
Kapitel 10 · Lungenvenenfehlmündungen, Vorhofanomalien und angeborene Fehler der AV-Klappen
Es wird angenommen, dass nichtendothelialisierte Kanten des geschaffenen ASD zur Thrombenbildung und damit zur systemischen Embolie führen können. Erfahrungen aus der Herztransplantation widersprechen jedoch dieser Annahme. Gelegentlich kann der Sinus-venosus-Defekt so klein sein, dass es keinen freien Abfluss aus der V. pulmonalis superior dextra nach dem Defektverschluss gibt. In solchen Fällen wird der ASD durch eine Inzision im Vorhofseptum in Richtung Fossa ovalis vergrößert und ein Flicken eingenäht. Dabei ist beim Einnähen des Flickens darauf zu achten, dass die Kanten des eingeschnittenen Septums von Endothel bedeckt sind, um einer Thrombenbildung in diesem Bereich vorzubeugen. Es gibt verschiedene Methoden, Sinus-venosus-Defekte und partielle Lungenvenenfehlmündungen zu korrigieren: 4 Defektverschluss mit einem einzelnen Flicken, 4 Verschluss mit Flicken unter Erweiterung der Verbindung von V. cava superior und rechtem Vorhof, 4 Defektverschluss mit Flicken unter Re-Implantation der V. cava superior in den rechten Vorhof, 4 transkavaler Verschluss.
10
Welche Methode ausgewählt wird, hängt von der individuellen Anatomie des Patienten ab. Es gibt nur wenige Daten zum funktionellen Langzeitergebnis nach Korrektur derartiger Defekte. Ist die V. cava superior groß angelegt, wird das rechte Atrium in üblicher Weise eröffnet. Die Einmündung der Pulmonalvenen in die obere Hohlvene wird dargestellt, und die Venen werden über einen angelegten ASD und unter Einnähen eines Perikardflickens in den linken Vorhof umgeleitet (. Abb. 10.10). Die Schnittführung durch die kavoatriale Verbindung ist zu vermeiden, da der Sinusknoten und seine arterielle Versorgung durch die Korrektur beschädigt werden können (Anderson et al. 1979, 1983; Buz et al. 2008). Wählt man als Atriotomie im kranialen Bereich eine Inzision, die parallel zum Verlauf der V. cava superior unmittelbar vor den fehlmündenden Lungenvenene verläuft, können keine Sinusknotenarterien beschädigt werden (R. Van Praagh, persönliche Mitteilung). Handelt es sich um Patienten mit einer klein angelegten V. cava superior mit verbleibender Einmündung des Kavablutes in den Sinus coronarius, kann beim Einnähen des Flickens, um das Pulmonalvenenblut in den linken Vorhof umzuleiten, eine relevante Stenose in der kavoatrialen Verbindung entstehen. In solchen Fällen kann nach Durchtrennen und Re-Implantation der V. cava superior eine kavoatriale Anastomose geschaffen werden, was eine sehr nützliche Technik darstellt (DiBardino et al. 2004; Warden et al. 1984). Diese Methode wurde von Warden verbreitet (Gustafson u. Warden 1995; Warden et al. 1984), nachdem sie ursprünglich von John Lewis im Jahre 1958 vorgeschlagen worden
a
b
c . Abb. 10.10a–c. Umleitung der Pulmonalvenen
war (Benvenuto u. Lewis 1959; Ehrenhaft e al. 1958; Groves 1967). Die V. cava superior wird mobilisiert, um Platz für die Anastomose mit dem rechten Vorhofohr zu schaffen. Sie wird oberhalb der Einmündung der am höchsten gelegenen Pulmonalvene durchtrennt und der herzseitige Teil mit einer fortlaufenden Naht verschlossen. Bevor die Anastomose fertiggestellt wird, ist es unbedingt notwendig, alle möglicherweise stenosierenden Trabeculae carneae der Mm. pectinati im rechten Vorhofohr zu identifizieren und zu resezieren (DiBardino e al. 2004). Der Sinus-venosus-Defekt wird mittels Perikardflicken derart verschlossen, dass sich der Stumpf der V. cava superior und die Pulmonalvenen in einer nichtobstruierenden Art und Weise in das Atrium sinistrum entleeren können (. Abb. 10.11 u. 10.12). Bei Verwendung
231 10.1 · Anomalien auf Vorhofebene
10
a a
b
b
c . Abb. 10.11a–c. Korrektur eines Sinus-venosus-Defekts in der Technik nach Warden. a Anomalie, bestehend in einer Verbindung zwischen oberer Hohlvene (SVC) und Pulmonalvenen, welche deutlich oberhalb des kavoatrialen Überganges liegt. Ein hiermit verbundener hoher Sinus-venosus-Defekt wird durch die gepunktete Linie markiert. b Erster Schritt der Korrektur: Eine Tabaksbeutelnaht wird oberflächlich um die halsseitige V. cava superior (SVC) gelegt und der partielle kardiopulmonale Bypass über den venösen Zufluss von der V. cava inferior (IVC) aus in Betrieb genommen. c Der Übergang auf den totalen kardiopulmonalen Bypass wird dadurch erreicht, dass man eine Kanüle über die Spitze des rechten Vorhofohres in die V. cava superior (SVC) einführt. Die V. cava superior ist durchtrennt, der kaudale Stumpf ist übernäht, und mit der Anastomose zwischen dem halsseitigen Ende der V. cava superior und dem rechten Vorhofohr ist begonnen worden. Ao Aorta; PA Truncus pulmonalis
c . Abb. 10.12a–c. Korrektur des Sinus-venosus-Defekts in der Technik nach Warden (Fortsetzung). a Die kavoatriale Anastomose ist vollständig. Durch die Rechtsatriotomie zeigt sich der Sinus-venosus-Defekt. b Die untere Kante des Defekts wird mit dem anterioren und lateralen Rand des intrakardialen Orifiziums der V. cava superior zusammengeführt. c Die Korrektur ist vollständig. Die Anomalie des Pulmonalvenenflusses wurde durch den konischen Stumpf der V. cava superior und den Septumdefekt in das linke Atrium umgeleitet. Der Fluss aus der V. cava superior in das rechte Atrium ist durch die kavoatriale Anastomose rekonstruiert (Warden et al. 1984)
232
Kapitel 10 · Lungenvenenfehlmündungen, Vorhofanomalien und angeborene Fehler der AV-Klappen
der lungenvenennahen posterioren Inzision der kavoatrialen Verbindung kann hier jedoch eine einfache Flickenerweiterung vorgenommen werden. 10.1.2.3
10
Das Scimitar-Syndrom
Der Abfluss aller rechtsseitigen Lungenvenen oder der teilweise Abfluss der rechten Lungenvenen in die V. cava inferior (Scimitar-Syndrom) ist eine seltene Anomalie, die erstmals im Jahre 1836 beschrieben wurde (Cooper 1836). Das Scimitar-Syndrom ist oftmals mit einer Aplasie von Teilen oder der gesamten rechten Lunge vergesellschaftet. Beim Scimitar-Syndrom können die rechten Lungenvenen auch in die Pfortader oder in die Lebervenen münden. Ein ASD tritt bei 25–50 % der Patienten auf. Bei einigen Patienten werden anomale Lungensegmente durch kleine Pulmonalarterien mit arteriellem Blut aus der Aorta descendens gespeist. Typischereweise ist die Scimitar-Vene einzeln angelegt, verläuft vor dem Lungenhilus und durchbohrt das Diaphragma auf dem Weg zur V. cava inferior, wo sie knapp oberhalb, hinter oder seitlich des Orifiziums der rechten Lebervene mündet. Beträchtliche Abweichungen von dem genannten Verlauf wurden beschrieben: Die Scimitar-Vene nimmt einen Verlauf hinter dem Hilus oder liegt als doppelt angelegte Scimitar-Vene vor, und die Einmündung liegt entfernt an der rechten Lebervene und an der V. azygos. Zusätzlich kann die Scimitar-Vene an oder distal ihrer Verbindung mit der V. cava inferior oder dem rechten Vorhof stenosiert sein, was in 10–20 % der Fälle auftritt. In absteigender Häufigkeit sind die folgenden Anomalien mit dem Auftreten einer Scimitar-Vene vergesellschaftet: 4 anomale Lungensequester und Hypoplasie der rechten Lunge (die fast 100 % beträgt, mit einer großen Variationsbreite in der Ausprägung der Hypoplasie), 4 Dextroposition des Herzens, 4 Hypoplasie der A. pulmonalis dextra (60 %), 4 systemische arterielle Blutzufuhr zum rechten unteren Lungenlappen von der infradiaphragmalen Aorta (60 %), 4 Vorhofseptumdefekte vom Sekundumtyp (40 % insgesamt, 80–90 % bei der kindlichen Variante), 4 rechtsseitige diaphragmale Hernie (15 %), 4 Hufeisenlunge (mit einer parenchymatösen Verbindung zwischen der rechten und der linken Lunge hinter dem Herzen und vor dem Ösophagus). Das kindliche Scimitar-Syndrom ist neben der hohen Koinzidenz mit einem ASD mit einer weiteren Vielzahl kardiovaskulärer Anomalien assoziiert (Brown et al. 2003): 4 Ventrikelseptumdefekte, 4 offener Ductus arteriosus Botalli, 4 hypoplastischer Aortenbogen, 4 Aortenisthmustenose, 4 Fallot-Tetralogie, 4 Anomalien des Ursprungs der linken Koronararterie, 4 Truncus arteriosus comunnis.
Eindeutig abgrenzbar anhand der klinischen Präsentation existieren 2 Formen des Scimitar-Syndroms (Gudjonsson u. Brown 2006): 4 frühkindliches Syndrom, welches mit einer erheblichen Letalität assoziiert ist, 4 mildere Form, die im späteren Kindes- oder Erwachsenenalter auftritt, dabei gelegentlich asymptomatisch bleibt und bisweilen erst aufgrund der typischen röntgenologischen Auffälligkeit diagnostiziert wird. Die chirurgische Behandlung des Scimitar-Syndroms wurde erstmals 1950 durch Drake und Lynch vorgenommen (Drake u. Lynch 1950). Bei einem Patienten mit rekurrenter rechtsseitiger Pneumonie und nachgewiesener ScimitarVene, welche die bronchiektatische untere rechte Lunge drainierte, nahmen sie eine Resektion des rechten unteren Lungenlappens mit gutem Ergebnis vor. Der erste korrigierende chirurgische Eingriff bei einem Patienten mit Scimitar-Syndrom und ASD erfolgte 1956 durch Kirklin unter Einsatz der Herz-Lungen-Maschine (Kirklin et al. 1956). Die Scimitar-Vene wurde mit dem rechten Vorhof in der Nähe des ASD anastomosiert und dieser Anteil in der Wand des rechten Vorhofs so mit dem Rand des ASD vernäht, dass der ASD verschlossen und der Blutfluss aus der Scimitar-Vene in den linken Vorhof umgeleitet wurde. Die klassische Korrektur des Scimitar-Syndroms besteht darin, die Lungenvenen mit ihrer Mündung in die V. cava inferior mittels einer Trennwand aus Perikard durch den Vorhofseptumdefekt in das Atrium sinistrum umzuleiten (. Abb. 10.13). Bei kleinen Kindern führt diese Methode mit hoher Inzidenz zu einer Obstruktion des umleitenden Tunnels. Die Methode der Wahl besteht hier darin, die rechten Pulmonalvenen direkt mit der Lateralwand des linken Vorhofs zu anastomosieren (. Abb. 10.14). Beim erwachsenen Patienten kann der Eingriff ggf. über einen rechtsseitigen posterolateralen Zugang und ohne Einsatz der Herz-Lungen-Maschine vorgenommen werden (Brown et al. 2003). Bei Kleinkindern ist der Einsatz der extrakorporalen Zirkulation obligat. Insbesondere bei Kindern und Kleinkindern kann die direkte Implantation der Scimitar-Vene in den linken Vorhof technisch schwierig sein, da das Atrium sinistrum klein ist. In diesen Fällen kann die Scimitar-Vene in den rechten Vorhof implantiert und der Blutfluss aus der rechten Pulmonalvene über einen existierenden oder anzulegenden ASD unter Einnähen eines Perikardflickens umgeleitet werden (Brown et al. 2003; Gudjonsson u. Brown 2006; . Abb. 10.15). Um zu vermeiden, dass die Scimitar-Vene unter Spannung gerät oder abknickt, wurde bei Kleinkindern die Interposition einer Verlängerung zwischen der anomalen Vene und dem linken Vorhof beschrieben (Lam et al. 2007). Wenngleich bei Patienten mit Scimitar-Syndrom und Sequesterbildung der rechten Lunge die Ligatur von Kolla-
233 10.1 · Anomalien auf Vorhofebene
. Abb. 10.14. Korrektur bei Scimitar-Syndrom über eine rechtsseitige Thorakotomie und ohne Einsatz der Herz-Lungen-Maschine, mod. n. Brown et al. 2003. Die Korrektur ist abgeschlossen, und die Klemme am linken Vorhof wird entfernt. LA linkes Atrium; RA rechtes Atrium; RPV rechte Pulmonalvene
teralen zum betroffenen Lungensegment allgemein empfohlen wird, bleibt die rechtsseitige Pneumonektomie dann indiziert, wenn nicht resezierbare symptomatische Lungensequester vorliegen oder der Korrekturversuch gescheitert ist (Huddleston e al. 1999; Torres u. Ca 1993).
a
10.1.2.4
b . Abb. 10.13a, b. Korrektur bei Scimitar-Syndrom. a Korrektur durch Re-Implantation der Scimitar-Vene in den rechten Vorhof und Umleitung durch Schaffen eines Tunnels unter Einnähen einer kurzen Scheidewand. b Korrektur durch Schaffen eines Tunnels von der V. cava inferior zum Vorhofseptumdefekt unter Einnähen einer langen Scheidewand
Fehlmündung der linksseitigen Lungenvenen in die V. anonyma
Isoliert auftretend handelt es sich hierbei um eine sehr seltene Anomalie (. Abb. 10.15a). Der Abfluss einer schmalen linken oberen Lappenvene in die V. anonyma kann unkorrigiert belassen werden. Wenn jedoch alle linksseitigen Lungenvenen abnorm abfließen und ähnliche hämodynamische Folgen wie ein großer ASD hervorrufen, ist die chirurgische Korrektur indiziert. Beim asymptomatischen Kind bzw. Kleinkind kann der Zeitpunkt der Operation hinausgezögert werden, um die Gefahr der Ausbildung einer Anastomosenstenose zwischen linken Lungenvenen und linkem Vorhofohr zu vermeiden. Die Operation wird unter Einsatz der Herz-LungenMaschine und im kardioplegischen Herzstillstand vorgenommen. Die Phase der Kardioplegie ist bedeutsam, um im blutleeren Operationsgebiet eine weite und nicht einengende Anastomose zwischen dem linksseitigen Lungenvenenstamm und dem linken Vorhofohr zu ermöglichen. Die persistierende linke obere Hohlvene (LSVC) sollte zweifach ligiert und am Eintritt in die V. anonyma durchtrennt werden, um so einen langen Tunnel für die Anastomose mit dem linken Vorhof zu schaffen. Der durchtrennte Lungenvenenhauptstamm wird longitudinal eingeschnitten, um eine großlumige Anastomose anlegen zu können. Das linke Vorhofohr wird amputiert und die Anastomose mittels fortlaufender Naht unter Verwendung eines monofilen 7/0oder 6/0-Fadens angefertigt (. Abb. 10.15b). Ggf. ist eine Flickenerweiterung dieser Anastomose erforderlich.
10
234
Kapitel 10 · Lungenvenenfehlmündungen, Vorhofanomalien und angeborene Fehler der AV-Klappen
a
b
. Abb. 10.15a, b. a. Isolierte Fehlmündung der linksseitigen Lungenvenen in die V. anonyma. b. Anastomosierung der fehlmündenden linksseitigen Lungenvenen mit dem linken Herzohr
10
10.1.3
Fehlmündungen der Hohlvenen
10.1.3.1
Definition und allgemeine Vorbemerkungen
Anomalien des systemischen Venenkanals, der im Herzen mündet, können isoliert oder in Assoziation mit anderen angeborenen Herzfehlern auftreten (DeLeval et al. 1975; Gandy u. Hanley 2006). Viele dieser verbreiteten Defekte besitzen nur eine geringe klinische Bedeutsamkeit, wenn sie isoliert auftreten. Es gibt eine Vielzahl seltener Anomalien, die klinische Relevanz erlangen können oder stumm bleiben. Jedoch gewinnen Anomalien der großen Venen bei Patienten mit den unterschiedlich ausgeprägten Formen eines univentrikulären Herzens große Bedeutung und können beim Anlegen einer oberen kavopulmonalen Verbindung oder bei der späteren Fontan-Operation erhebliche Komplikationen hervorrufen. Das Auftreten von Anomalien der großen Venen kann zu Modifikationen der Implantationstechnik bei der Herztransplantation oder der kombinierten Herz-Lungen-Transplantation zwingen. Die Klassifikation dieser Anomalien ist primär deskriptiv (Gaynor et al. 2000; . Abb. 10.16–10.18).
merkbar wäre. Die Bedeutung für die Chirurgie liegt darin, dass dies für die Technik der venösen Kanülierung berücksichtigt werden muss und dass Schwierigkeiten bei minimal-invasiven Zugängen auftreten können. Die am häufigsten auftretende Fehlbildung ist der Abfluss einer linken oberen Hohlvene in den linken Vorhof. Beim sog. ASD vom Raghib-Typ (Raghib et al. 1965) fehlt das Dach des Koronarsinus partiell oder komplett, was zu einem venoarteriellen Shunt auf der Ebene des linken Vorhofs führt. Eine Kombination mit anderen angeborenen Herzfehlern wurde ebenfalls beschrieben (Abbattista e al. 1994; Cherian u. Rao 1994; DeLeval et al. 1975; Liang et al. 1996; Quarti et al. 2005). Andere, weniger häufige Fehlmündungen der Hohlvenen in den linken Vorhof bestehen in der Mündung der V. cava inferior in das Atrium sinistrum oder in einer separaten Einmündung der Lebervene in das Atrium sinistrum. Dies kann, sofern es unentdeckt bleibt, zu einer inadäquaten totalen kavopulmonalen Verbindung während der FontanOperation oder beim ASD-Verschluss führen und einen residuellen venoarteriellen Shunt bedingen. 10.1.3.3
10.1.3.2
Anatomie
Isoliert auftretende Fehlmündungen der Hohlvenen sind selten und insbesondere beim Auftreten von Heterotaxie und Isomerismus häufig mit weiteren angeborenen Herzfehlern vergesellschaftet. Beim Situs solitus ist eine linke obere Hohlvene mit dem Sinus coronarius verbunden, ohne dass bei Fehlen weiterer Defekte irgendein negativer funktioneller Effekt be-
Chirurgische Technik
Die Fehlmündung der linken oberen Hohlvene in den Sinus coronarius ohne Fehlen des Koronarsinusdachs bedarf keiner chirurgischen Intervention. Bestehen weitere kardiale Fehlbildungen, so ist die direkte Kanülierung der linken oberen Hohlvene notwendig, um ein bluttrockenes Operationsfeld zu erreichen. Die Kanülierung muss nach dem Anfahren der Herz-Lungen-Maschine vorgenommen werden, um hämodynamische Störungen zu vermeiden. Die
235 10.1 · Anomalien auf Vorhofebene
. Abb. 10.16. Anomalien der V. cava superior. Oberer Reihe rechte obere Hohlvene zum rechten Vorhof (links), rechte obere Hohlvene über den Koronarsinus zum linken Vorhof (Mitte), rechtsseitige obere Hohlvene zum linken Vorhof (rechts); mittlere Reihe linke obere Hohlvene zum linksseitigen Vorhof (komplettes Fehlen des Koronarsinusdachs; links), linke obere Hohlvene über den Koronarsinus zum rechten Vorhof (Mitte), linke obere Hohlvene zum rechten Vorhof (rechts);
untere Reihe bilaterale obere Hohlvene und rechte obere Hohlvene zum rechten Vorhof, linke obere Hohlvene zum linken Vorhof (komplettes Fehlen des Koronarsinusdachs; links), bilaterale obere Hohlvene und rechte obere Hohlvene zum rechten Vorhof, linke obere Hohlvene über den Koronarsinus zum rechten Vorhof (Mitte), bilaterale obere Hohlvene und rechte obere Hohlvene über den Koronarsinus zum linken Vorhof, linke obere Hohlvene zum linken Vorhof (rechts)
Kanülierung selbst erfolgt in üblicher Weise. Gibt es eine Verbindung ausreichender Größe zwischen der linken und der rechten oberen Hohlvene über die V. anonyma, kann die linke obere Hohlvene zeitweise mittels Tourniquet oder Hämoclip abgeklemmt werden, wobei auf die Entfernung nach Verschluss der Herzkammern zu achten ist. Alternativ kann bei kleinen Kindern bzw. Säuglingen in Vorbereitung auf eine Fontan-Operation die linke obere Hohlvene durchtrennt werden. Die Unterbrechung der unteren Hohlvene ist eine sehr seltene Gefäßanomalie. In diesen Fällen wird das gesamte
venöse Blut von der unteren Körperhälfte über die V. azygos rechts in die obere Hohlvene oder über die V. hemiazygos in eine linke obere Hohlvene drainiert. Diese Anomalie bedarf bei der Fertigung der oberen kavopulmonalen Anastomose im Rahmen der Fontan-Operation und während der arteriellen Umkehroperation bei Patienten mit Transposition der großen Arterien besonderer Aufmerksamkeit. Bei Fehlmündung der Hohlvenen in den linken Vorhof stellt die chirurgische Handhabung bei Fehlen des Koronarsinusdachs eine technische Herausforderung dar. Es existieren verschiedene chirurgische Optionen, diese Fehlbildung
10
236
Kapitel 10 · Lungenvenenfehlmündungen, Vorhofanomalien und angeborene Fehler der AV-Klappen
10
. Abb. 10.17. Anomalien der V. cava inferior. Obere Reihe rechte untere Hohlvene zum rechten Vorhof (links), linke untere Hohlvene zum linken Vorhof (Mitte), untere Hohlvene zum linken und rechten Vorhof (biatrialer Abfluss; rechts); mittlere Reihe linke untere Hohlvene zum rechten Vorhof (links), rechte untere Hohlvene zum linken Vorhof (rechts); untere Reihe unterbrochene rechte untere Hohlvene mit Mün-
dung der V. azygos in die rechte obere Hohlvene (links), unterbrochene linke untere Hohlvene mit Mündung der V. azygos in die linke obere Hohlvene (Mitte links), unterbrochene rechte untere Hohlvene mit Mündung der V. azygos in die linke obere Hohlvene (Mitte rechts), unterbrochene linke untere Hohlvene mit Mündung der V. azygos in die rechte obere Hohlvene (rechts)
zu korrigieren (Gandy u. Hanley 2006; Quaegebeur et al. 1979; Reddy u. McElhinney 1997; van Son et al. 1998): 4 Ligatur der linken oberen Hohlvene, 4 Re-Implantation in den rechten Vorhof oder die Pulmonalarterie mit intraatrialer Umleitung.
narius sowie die Mündung der Pulmonalvenen nicht beeinträchtigt werden (Laks 1994). Besteht eine Hypoplasie der V. anonyma, kann eine Erweiterung der V. anonyma zwischen rechter V. brachiocephalica und linker V. jugularis mit einem Perikardflicken und Ligatur der linken oberen Hohlvene erfolgreich vorgenommen werden (van Son et al. 1998), ggf. darf man auch eine spontane Erweiterung erwarten. Die Re-Implantation der linken oberen Hohlvene in den rechten Vorhof oder die Pulmonalarterie wird erfolgreich praktiziert (Gandy u. Hanley 2006; Liang et al. 1996; Quarti et al. 2005). Es bestehen Bedenken hinsichtlich einer frühzeitigen potenziellen Anastomosenstenose und einer Thrombenbildung sowie eines möglichen Umkehrflusses
Die Ligatur der V. cava superior sinistra kann dann vorgenommen werden, wenn eine gute Verbindung zwischen rechter und linker V. cava über die V. anonyma besteht (Liang et al. 1996). Fehlt die V. anonyma, ist die Ligatur in Ausnahmefällen möglich, wenn dabei der Hohlvenendruck nach Abklemmen der V. cava superior sinistra nicht über 15 mmHg ansteigt und selbstverständlich der Sinus coro-
237 10.1 · Anomalien auf Vorhofebene
. Abb. 10.18. Anomalien der Lebervenen. Obere Reihe rechte untere Hohlvene und separate Mündung der Lebervenen in den linken Vorhof (links), rechte untere Hohlvene und separate Mündung der Lebervenen in den rechten Vorhof (Mitte), rechte untere Hohlvene und separate Mündung der Lebervenen in den Sinus coronarius (rechts); mittlere Reihe linke untere Hohlvene und separate Mündung der Lebervenen in den rechten Vorhof (links), linke untere Hohlvene und separate Mündung der Lebervenen in den linken Vorhof (Mitte), linke untere Hohlvene und separate Mündung der Lebervenen in den Sinus coronarius (rechts); untere Reihe unterbrochene rechte untere Hohlve-
ne mit Mündung der V. azygos in die rechte obere Hohlvene und separate Mündung der Lebervenen in den rechten Vorhof (links), unterbrochene rechte untere Hohlvene mit Mündung der V. hemiazygos in die rechte obere Hohlvene und separate Mündung der Lebervenen in den linken Vorhof (Mitte links), unterbrochene linke untere Hohlvene mit Mündung der V. hemiazygos in die linke obere Hohlvene und separate Mündung der Lebervenen in den linken Vorhof (Mitte rechts), unterbrochene linke untere Hohlvene mit Mündung der V. hemiazygos in die linke obere Hohlvene und separate Mündung der Lebervenen in den rechten Vorhof (rechts)
bei erhöhtem pulmonalarteriellen Druck in Ruhe oder während physischer Belastung im weiteren Verlauf. Die intraatriale Umleitung der linken oberen Hohlvene ist die bevorzugte Option. Es gibt 2 Techniken (Gandy u. Hanley 2006; Quaegebeur e al. 1979): 4 Überdachungsprozedur: Diese Operation kann empfohlen werden, wenn das Dach des Koronarsinus fehlt. Nach Anschluss der Herz-Lungen-Maschine und im kardioplegischen Kreislaufstillstand wird die rechtsatriale Inzision vorgenommen. Eine separate Kanüle wird
in die Mündung der V. anonyma über die Mündung des Sinus coronarius eingeführt. Besteht kein zusätzlicher ASD, wird das Septum interatriale eröffnet. Die Korrektur beginnt dort, wo sich der Eingang der V. cava superior sinistra in das Atrium sinistrum befindet. Ein Perikardflicken wird verwendet, um den Defekt im Dach des Koronarsinus abzudecken. Mit einem weiteren Perikardflicken wird dann der ASD verschlossen. 4 Intraatriale Umleitungsprozedur: Aufgrund des Risikos einer Obstruktion der linken Lungenvenen und der
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238
Kapitel 10 · Lungenvenenfehlmündungen, Vorhofanomalien und angeborene Fehler der AV-Klappen
Lungen-Maschine ist eine separate Kanülierung der anomalen Vene notwendig. Während einer Fontan-Operation können diese Venen an die totale kavopulmonale Verbindung angeschlossen werden, um der Entstehung pulmonaler arteriovenöser Fisteln vorzubeugen (Shah et al. 1997). Wenn zur Fontan-Operation ein extrakardialer Tunnel angelegt wird, kann man die Lebervenen in die kavopulmonale Verbindung mit einbeziehen, indem man eine Vorhofmanschette anlegt (Shah et al. 1997) oder sie über eine zusätzliche Rohrprothese separat an die extrakardiale Blutumleitung anschließt (Lee et al. 2002). Wird eine intrakardiale laterale Tunneloperation vorgenommen, können diese Venen zur Blutumleitung in den geschaffenen lateralen Kanal mit einbezogen werden (Gandy u. Hanley 2006; Shah et al. 1997). In ausgewählten Fällen besteht die Korrektur darin, die Vv. hepaticae oder die V. cava inferior durch Schaffung eines intrakardialen Tunnels in den rechten Vorhof umzuleiten. Liegt ein ASD vor, muss der Perikardflicken so eingenäht werden, dass der Blutfluss in das rechte Atrium führt (Derra et al. 1965; . Abb. 10.20).
a
Kombinierte Hohlvenen- und Lungenvenenfehlmündungen
10
b . Abb. 10.19a, b. Intraatriale Umleitungsprozedur
Mitralklappe sowie des Risikos, einen Tunnel zu klein anzulegen, wird die intraatriale Umleitung bevorzugt, die so vorgenommen wird, dass die abnormale Vene in den rechten Vorhof mündet. Liegt ein ASD vom Sekundumtyp vor, wird ein Flicken zwischen beiden Atrioventrikularklappen in den Rand des Vorhofseptums eingenäht oder aber bei Ostium-primum-Defekt entlang des Anulus einer Atrioventrikularklappe eingefügt. Die Nahtlinie wird nach unten in Richtung der posterior-inferioren Ecke des linken Vorhofs sowie um die Mündung der V. cava superior sinistra herum geführt, um das Blut aus der fehlmündenden Hohlvene auf die Vorderseite des Flickens umzuleiten. Die Nahtlinie führt dann weiter zum Dach des linken Vorhofs und erreicht den Rand des Vorhofseptums lateral. Sie vervollständigt auf diese Weise die Separation des systemischen venösen Rückflusses (. Abb. 10.19).
Fehlmündung der V. cava inferior in den linken Vorhof Als isolierte Anomalie tritt diese Fehlbildung selten auf (Zenker et al. 1965) und liegt häufig bei Patienten mit Heterotaxiesyndrom und atrialem Isomerismus vor (Rubino et al. 1995; Yun et al. 2006). Für den Anschluss der Herz-
Es existieren verschiedene Formen dieser Kombination. Oftmals und besonders bei Patienten mit Heterotaxie sind diese Anomalien mit weiteren komplexen kongenitalen Vitien assoziiert. Die chirurgische Therapie muss in solchen Fällen besonders den individuellen Gegebenheiten angepasst werden, um ein befriedigendes hämodynamisches Ergebnis zu erzielen. Die Letalität bei der Operation von Patienten mit Heterotaxie und kombinierten Hohlvenenund Lungenvenenfehlmündungen ist hoch und erreicht in aktuellen Untersuchungen 50 % (Friesen et al. 2005; Gaynor et al. 1999; Hashmi et al. 1998; Rubino et al. 1995; Yun et al. 2005, 2006).
10.1.4
Cor triatriatum dextrum
10.1.4.1
Definition und allgemeine Anmerkungen
Das Cor triatriatum dextrum ist definiert als eine Teilung des rechten Vorhofs durch Reste der rechten Sinus-venosus-Klappe (Abdulla et al. 2004). Das Ausmaß des Ausbleibens der Rückbildung der Sinus-venosus-Klappe variiert von einer schmalen und mobilen Septierung im rechten Vorhof, was als Chiari-Netzwerk bezeichnet wird, bis zu einer kompletten Septierung des rechten Vorhofs (Cor triatriatum dextrum). Das Cor triatriatum dextrum kann als isolierte Anomalie auftreten oder Teil einer komplexes Fehlbildung des rechten Herzens sein (Eroglu et al. 2004). 10.1.4.2
Chirurgische Technik
Die Operation wird unter Einsatz der Herz-Lungen-Maschine und im kardioplegischen Herzstillstand vorgenom-
239 10.1 · Anomalien auf Vorhofebene
a
b
c
. Abb. 10.20a–c. Umleitung des Blutflusses in das rechte Atrium
men. Wird die obstruierende Membran exzidiert und ein vorhandener ASD verschlossen, verschwinden die Symptome vollständig. In seltenen Fällen ist das Cor triatriatum dextrum mit einem Cor triatriatum sinistrum vergesellschaftet (Steen et al. 2007; Wedemeyer et al. 1970). Durch die Resektion beider Membranen und den Verschluss des ASD wurde die vollständige Korrektur erreicht, was von Wedemeyer in seinem Fallbericht beschrieben wird (Wedemeyer et al. 1970).
10.1.5
Atrioventrikularseptumdefekte (AVSD)
10.1.5.1
Definition des Krankheitsbildes und Operationsziele
Der Begriff »Atrioventrikularseptumdefekte« (AVSD) umfasst eine Gruppe angeborener Herzfehler unterschiedlicher Schweregrade im Bereich des atrioventrikulären Septums und der Atrioventrikularklappen, welche bis heute in der Literatur mit verschiedenen Bezeichnungen belegt wurden und werden, z. B. Endokardkissendefekt, Atrioventrikularkanaldefekt und persistierender Atrioventrikularkanaldefekt (Becker u. Anderson 1982; Bharati u. Lev 1973; Dubost u. Blondeau 1959; Litwin et al. 2007; Van Mierop u. Alley 1966). Da allen Formen dieser Defekte ein teilweises oder völliges Fehlen des atrioventrikulären Septums zugrunde liegt, erscheint der von Becker und Anderson (1982) vorgeschlagene Begriff »Atrioventrikularseptumdefekt« am besten geeignet, anatomisch korrekt und damit empfehlenswert, auch wenn in chirurgischen Schriften die Bezeichnung »atrioventrikulärer Kanaldefekt« verwendet wird (Backer et al. 2007).
AVSD repäsentieren ein Spektrum von Herzfehlbildungen, welche in einen partiellen AVSD, eine Übergangsform des AVSD (Intermediärtyp) und einen kompletten AVSD unterteilt werden können (Jacobs et al. 2000). Nach Anderson (Anderson u. Ho 1989) ist die früher als »Spaltbildung« bezeichnete Teilung des aortalen Segels der linksseitigen Klappe beim AVSD eher als Kommissur einer Dreisegelklappe aufzufassen. Carpentier (1978) folgerte daraus, dass ein Spalt-(Cleft-)Verschluss nicht erforderlich sei. Andere Autoren haben dem seither widersprochen (Alexi-Meskishvilli et al. 1996, 1997; Capuoa et al. 1992; Crawford 2007; Pozzi et al. 1991). Entsprechend der unterschiedlichen Ausprägung der genannten beiden Stigmata (die weiteren sind im Abschnitt »Chirurgische Anatomie« beschrieben) können 3 Untergruppen von AVSD definiert werden (Jacobs et al. 2000a): 4 partieller AVSD, der eine interatriale Verbindung vom Typ des Ostium-primum-Defekts (ASD I) und 2 Atrioventrikularklappenostien bei intaktem Ventrikelseptum aufweist (hierzu gehören als Sonderform auch der isolierte Ostium-primum-Defekt und der isolierte Mitralcleft oder Mitralspalt); 4 totaler AVSD, der durch ein gemeinsames Atrioventrikularklappenorifizium und das Fehlen des membranösen sowie des muskulären Teiles des atrioventrikulären Septums charakterisiert ist; 4 Übergangsform oder Intermediärtyp (hier liegt im Rahmen des AVSD ein nur kleiner, muldenförmiger, restriktiver Ventrikelseptumdefekt ausschließlich zwischen superioren und inferioren Segelanteilen vor). Allen 3 Gruppen gemeinsam ist das Vorliegen eines Linksrechts-Shunts mit Tendenz zu einer frühzeitigen (beim
10
240
Kapitel 10 · Lungenvenenfehlmündungen, Vorhofanomalien und angeborene Fehler der AV-Klappen
totalen Defekt eher als beim partiellen) Entwicklung eines pulmonalen Widerstandshochdrucks. Dementsprechend besteht das Operationsziel in der frühzeitigen, völligen Beseitigung des Links-rechts-Shunts durch Verschluss der Defekte unter Erhalt oder Erreichen einer normalen AVKlappen-Funktion. In 60–70 % der Fälle ist ein totaler AVSD mit einem Morbus Down vergesellschaftet. 10.1.5.2
10
Historische Anmerkungen
Während erste anatomische Hinweise auf das Vorliegen dieser Fehlbildung bereits bei Peacock (1846), Rokitansky (1875) und Abbott (1936) zu finden sind, beschrieben Roger und Edwards (1948) als erste die Ähnlichkeit der Morphologie beim Ostium-primum-Defekt und beim gemeinsamen AV-Kanal-Defekt. Wakai und Edwards führten den Begriff »partieller und kompletter atrioventrikulärer Kanaldefekt« ein. In der Folgezeit erwarben sich v. a. Lev (1958), der die Topographie des AV-Knotens und des His-Bündels beim AV-Kanal beschrieb, Bharati und Lev (1973), die den Begriff des intermediären AV-Kanals einführten, sowie Van Mierop mit einer Übersicht über Pathologie und Pathogenese der Endokardkissendefekte Verdienste um die anatomischen Kenntnisse dieser Fehlbildungen (Van Mierop u. Alley 1966). Im Jahre 1966 stellten Rastelli und Mitarbeiter eine Einteilung in die Typen A, B und C vor (Rastelli et al. 1966), an der sich das chirurgische Vorgehen lange Zeit orientierte, obwohl verschiedene Varianten eines Spektrums existierten. Der erste Bericht über eine erfolgreiche Korrektur eines AVSD stammt von C. Walton Lillehei. Er verband mittels direkter Naht den atrialen Rand des Septumdefekts mit dem Scheitel des Ventrikelseptums unter Einsatz der sog. gekreuzten Zirkulation (»cross circulation«; Lillehei et al. 1955). Ab den späten 1950er und frühen 1960er Jahren setzten Lillehei, Kirklin, McGoon und Colley die HerzLungen-Maschine ein und nähten 2 synthetische Flicken ein, um die atriale und die ventrikuläre Komponente des Defekts separat zu verschließen (Cooley 1960; Lillehei et al. 1955; McGoon et al. 1959). Maloney berichtete über den Einsatz eines einzelnen Flickens zum Defektverschluss (Maloney et al. 1962). Dwight McGoon beschrieb die Zweiflickentechnik (McGoon et al. 1959). Wilcox und Nicholson berichteten unabhängig voneinander über eine vereinfachte und modifizierte Einzelflickentechnik, um einen AVSD zu korrigieren (Nicholson et al. 1999; Wilcox et al. 2004). Für jede dieser 3 Techniken finden sich Verfechter der jeweiligen Methode, ohne dass klar die Überlegenheit des einen über die anderen Verfahren gezeigt worden ist (Crawford 2007). Kürzlich beschrieb Aramendy eine Technik zur Korrektur eines kompletten AVSD ohne Flicken (Aramendy et al. 2006). Mair und McGoon (1977) berichteten über die erfolgreiche Korrektur des AVSD im ersten Lebensjahr. Sie betonten die Bedeutung, ausreichend Gewebe von der Trikuspidalklappe zu nehmen, um eine adäquate linke AV-Klappe zu schaffen.
Die am heftigsten kontrovers diskutierte Frage bei der chirurgischen Behandlung des kompletten AVSD besteht darin, ob die Notwendigkeit, einen sog. Mitralspalt (Mitralcleft) zu verschließen, gegeben ist (Wilcox et al. 2004). Der sog. Mitralspalt (besser: Spalt der linksseitigen AV-Klappe) wird von einigen Autoren als Zone der Apposition bezeichnet (Wetter et al. 2000). Die Meinung, dass der Spalt belassen werden sollte, ist nicht neu und wurde für Patienten mit inkomplettem AVSD bereits vor etlichen Jahren vorgeschlagen (Dubost u. Blondeau 1959; Van Mierop u. Alley, 1966). In den späten 1970er Jahren wurde das Konzept der dreisegligen Mitralklappe von Carpentier, Becker und Anderson eingeführt (Becker u. Anderson 1982; Carpentier 1978;). Carpentier glaubte, dass die Funktion der linken AV-Klappe am besten sei, wenn sie als Dreisegelklappe rekonstruiert wird (Carpentier 1987). Dies führte dazu, dass einige Chirurgen den Spalt während der vollständigen Korrektur eines totalen AVSD offen ließen (McGrath u. Gonsales-Lavin 1987; Ross et al. 1991). Zur selben Zeit gaben einige Befürworter des Konzepts der dreisegligen Mitralklappe zu bedenken, dass bei einigen Patienten und obwohl es unmöglich ist, eine Zweiflügelklappe zu schaffen, die strukturell der Mitralklappe im normalen Herzen entspricht, im Verschluss des Spaltes die einzige Möglichkeit besteht, eine kompetente Atrioventrikularklappe zu schaffen (Becker u. Anderson 1982). ! Die rekonstruierte linksseitige AV-Klappe im Rahmen eines AVSD ist keine Mitralklappe.
Das Hauptziel bei der linksseitigen AV-Klappen-Rekonstruktion bei Patienten mit komplettem AVSD besteht darin, eine kompetente und nichtstenotische systemische Atrioventrikularklappe zu gestalten. Die Kritik an dem Konzept der 3 Segel ist in den vergangenen 2 Jahrzehnten angewachsen, als Chirurgen die zunehmende Zahl an Folgeoperationen bemerkten, welche auf eine späte linksseitige AVKlappen-Insuffizienz zurückzuführen waren und nach totaler Korrektur eines kompletten AVSD auftraten. Der Hauptgrund für die Inkompetenz der linksseitigen AVKlappe wurde in dem unterlassenen oder unvollständigen Verschluss des Spaltes bzw. im Ausreißen der Naht des zuvor verschlossenen Spaltes vermutet (Alexi-Meskishvilli et al. 1996, 1997; Ten Harkel et al. 2005; Wetter et al. 2000). Vom chirurgischen Standpunkt aus betrachtet, messen wir der Frage, ob es sich bei dem Spalt beim kompletten AVSD um eine normale Kommissur handelt, keine besondere Bedeutsamkeit bei. Es ist von ungleich größerer Bedeutung zu erkennen, dass ein nur inkomplett verschlossener oder offen belassener Spalt den Hauptgrund für eine folgende Klappenundichtigkeit darstellt und bei solchen Patienten nur mittels Spaltverschluss eine Kompetenz der Klappe im Langzeitverlauf erreicht werden kann. Die Inzidenz für das späte Auftreten einer hochgradigen linksseitigen AV-Klappen-Insuffizienz, die zur Folgeoperation führt, beträgt bei Patienten, bei denen der Spalt offen belas-
241 10.1 · Anomalien auf Vorhofebene
sen wurde, 14–26 % (McGrath u. Gonzales-Lavin 1987; Pozzi et al. 1991; Ross et al. 1991). Heutzutage muss Chirurgen empfohlen werden, immer einen linksseitigen AV-KlappenSpalt bis zum altersnormgerechten Diameter der Mitralklappe zu verschließen (Crawford 2007; Litwin et al. 2007; Nunn 2007; Wetter et al. 2000). Dabei sollte akzeptiert werden, dass beim Verschluss der Appositionszone (Spalt oder Cleft) kein Klappensegel entsteht, welches dem aortalen Segel einer normalen Mitralklappen gleicht (Wilcox et al. 2004). Ab Ende der 1960er und mit Beginn der 1970er Jahre wurde die Operationsindikation auf Kinder im ersten Lebensjahr ausgedehnt (Bailey et al. 1976; Barrat-Boyes 1973). Ab diesem Moment wurde der Zeitpunkt, an dem die elektive Korrektur beim kompletten AVSD stattfindet, herabgesetzt. In vielen Zentren beträgt das mittlere Patientenalter, an dem die Korrektur eines kompletten AVSD vorgenommen wird, ungefähr 4 Monate (Backer et al. 2007; Singh et al. 2006;). Aktuellere Empfehlungen basieren darauf, die Operation vorzunehmen, bevor sich eine Pneumonie einstellt bzw. bevor sich ein irreversibler pulmonaler Hypertonus oder die Folgen der Herz- und der AV-Klappen-Insuffizienz entwickelt haben. Die Möglichkeit, die Operation bei Kleinkindern sicher vorzunehmen, ist den Verbesserungen in der Anästhesie, den Anpassungen der Herz-Lungen-Maschine und der verbesserten postoperativen Handhabung zu verdanken. In den meisten Zentren umfasst die präoperative Abklärung vor dem Eingriff zur AVSD-Korrektur nur eine transthorakale Echokardiographie. Eine Herzkatheteruntersuchung findet nur selten statt. Das ideale Alter für die Korrektur beim kompletten AVSD liegt zwischen 3 und 6 Monaten (Backer et al. 2007), das ideale Alter für die Korrektur eines inkompletten und unkomplizierten AVSD bei etwa 2 Jahren. Treten bei Patienten mit partiellem AVSD sehr früh Symptome auf, sollte der Verdacht auf das Vorliegen einer komplexen Anatomie, einschließlich multipler linksseitiger hypoplastischer Läsionen, aufkommen, die in ihrer Handhabung in hohem Maße eine Herausforderung darstellen und eine ungünstige Prognose erwarten lassen (Giamberti et al. 1996; Manning 2007). 10.1.5.3
Chirurgische Anatomie
Als hauptsächliche anatomische Stigmata, deren Kenntnis außer ihrer Bedeutung für die Definition des Krankheitsbildes auch für die operative Behandlung unerlässlich ist, gelten (Anderson u. Ho 1989; Piccoli et al. 1979; Wilcox et al. 2004): 4 Fehlen des atrioventrikulären Septums, 4 Fehlen des normalen »Einkeilens« der Aorta zwischen Mitralis und Trikuspidalis, wodurch das Vorhandensein einer gemeinsamen atrioventrikulären Klappe mitbedingt ist, 4 abnormales Verhältnis zwischen dem Ausflusstrakt des linken Ventrikels und der nicht »eingekeilten« (»unwedged«) Aortenklappe,
4 abnormales Verhältnis von Ein- und Ausflussbahn des linken Ventrikels zugunsten der Ausflussbahn, welches aus den vorgenannten Besonderheiten resultiert, 4 Verlagerung des Erregungsleitungssystems durch das Fehlen des atrioventrikulären Septums. Für das praktisch-chirurgische Vorgehen (mit folgenden Operationszielen: sicherer Defektverschluss ohne AV-Blockierung, kompetente AV-Klappen) stehen die Morphologie der AV-Klappen (. Abb. 10.21) und der Verlauf des Erregungsleitungssystems im Vordergrund (. Abb. 10.22). Zwischen den AV-Klappen eines normalen Herzens und eines Herzens mit partiellem oder totalem AVSD bestehen signifikante Unterschiede (. Abb. 10.21a–c). Wie beim normalen Herzen (. Abb. 10.21a) sind beim partiellen AVSD (. Abb. 10.21b) 2 AV-Klappen-Orifizien abzugrenzen, wobei sich die einzelnen Segel dieser AV-Klappen unterscheiden: Sowohl die Trikuspidal- als auch die Mitralklappe sind beim AVSD nicht als solche anzusehen, sondern vielmehr als rechts- bzw- linksseitige AV-Klappe. Prinzipiell handdelt es sich um 2 Dreisegelklappen mit entsprechenden Kommissuren (Anderson u. Ho 1989). Die somit resultierenden 6 Segel sind nach ihrer Lage benannt: für die rechte AV-Klappe rechtes superiores (RSS), rechtes laterales (RLS) und rechtes inferiores Segel (RIS), für die linke AV-Klappe linkes superiores (LSS), linkes laterales (LLS) und linkes inferiores Segel (LIS) (. Abb. 10.21b). Beim kompletten AVSD liegt ein gemeinsames AV-KlappenOstium vor (. Abb. 10.21c). Die gemeinsame AV-Klappe besteht in der Regel aus 5, selten aus 6 Segeln, deren Bezeichnung jeweils derjenigen beim partiellen AVSD entspricht. Zwar wurde erkannt, dass die von Rastelli et al. (1966) erarbeitete Einteilung der totalen AVSD in die Typen A, B und C nicht exakt den tatsächlichen anatomischen Gegebenheiten entspricht, doch hat es sich für die chirurgische Praxis bewährt, die individuell vorgefundene Morphologie nach detaillierter Beschreibung zu dieser Klassifizierung in Bezug zu setzen. Unter der Annahme, dass die inferioren Anteile der linken und rechten AV-Klappe im Regelfall ein gemeinsames posteriores Segel bilden, bezieht sich die Einteilung von Rastelli auf das Verhalten der superioren Segel: Sind sie voneinander getrennt und haben Chordaeansätze am Septum, liegt der Typ A vor (. Abb. 10.21c); findet sich ein sog. gemeinsames anteriores Segel ohne septale Chordaeansätze, handelt es sich um den Typ C (. Abb. 10.21e). Beim Typ B, der äußerst selten vorkommt, ziehen Sehnenfäden des linken superioren Segels zu einem anomalen Papillarmuskel im rechten Ventrikel (. Abb. 10.21d). Nach heutigen Vorstellungen (Anderson et al. 1985; Wilcox et al. 2004) müssen die gemeinsamen anterioren (oder superioren) bzw. posterioren (oder inferioren) Segel als »bridging leaflets« angesehen werden, die den Ventrikelseptumdefekt mehr (Typ C) oder weniger (Typ A) überbrücken. Die größere Varianz weist dabei das anteriore (superiore) Segel im Verhältnis zum überbrückten Sep-
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Kapitel 10 · Lungenvenenfehlmündungen, Vorhofanomalien und angeborene Fehler der AV-Klappen
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. Abb. 10.21a–e. Morphologie der AV-Klappen. LIS linkes inferiores Segel; LLS linkes laterales Segel; LSS linkes superiores Segel; RIS rechtes inferiores Segel; RLS rechtes laterales Segel; RSS rechtes superiores Se-
gel. a Normales Herz, Mitral- und Trikuspidalklappe, b partieller AVSD, c Kompletter AVSD (Rastelli A), d Kompletter AVSD (Rastelli B), e Kompletter AVSD (Rastelli C)
tum auf, sodass die Einteilung im Wesentlichen darauf zu beziehen ist. Die Größe der interventrikulären Kommunikation, der Ventrikelseptumdefekt, ist ebenfalls sehr variabel. Manchmal besteht nur eine kleine Lücke zwischen dem linken superioren und dem inferioren Segel. Häufiger reicht der Defekt jedoch über die gesamte Ausdehnung des superioren Segels bis an die Aortenklappe heran, genauso wie er sich unter dem inferioren Segel erstrecken kann. Neben den bisher genannten Varianten sind diejenigen zu erwähnen, die durch die relative Position der gemeinsamen AV-Klappe in Bezug auf das Ventrikelseptum zustande kommen. Neben einer ausgeglichenen Form (gleich großer rechter und linker Ventrikel mit zentral darüber liegender gemeinsamer AV-Klappe) kann eine rechtsdominante Form gefunden werden, die durch einen vergrößerten rechten Ventrikel bei unternormal großem linken Ventrikel und Rechtsverlagerung der AV-Klappe definiert ist. In Analogie dazu ist die linksdominante Form zu sehen. Durch das Fehlen des atrioventrikulären Septums ist bei Herzen mit AV-Septum-Defekten im Vergleich zu normalen
Herzen das Erregungsleitungssystem verlagert. Dies betrifft zunächst den AV-Knoten, der – während er sich normalerweise in der Spitze des Koch-Dreiecks befindet – bei AVSD wegen des fehlenden Atrioventrikularseptums nach posterior verlagert ist und sich zwischen der Ansatzlinie des posterioren (inferioren) gemeinsamen Segels und dem anterioren Bereich des Koronarsinus befindet (. Abb. 10.22c, d). Ebenso wie der AV-Knoten ist – verglichen mit normalen Herzen (. Abb. 10.22a) – zusammen mit dem kranialen Rand des Ventrikelseptums auch die gesamte Achse des Erregungsleitungssystems nach posterior verlagert (. Abb. 10.22b; Mitchell et al. 2007). Die AVSD kommen nicht nur isoliert, sondern auch in Kombination mit anderen Herzfehlbildungen vor, z. B. mit der Fallot-Tetralogie, der Transposition der großen Arterien und der totalen Lungenvenenfehlmündung. Der korrigierende Eingriff muss sich dann nach den Gegebenheiten beider Fehlbildungen richten, wobei hier nur betont sei, dass die interventrikuläre Kommunikation bei derartigen Kombinationen besonders groß ausgebildet ist, sodass der zum Verschluss vorgesehene Flicken ausreichend dimensi-
243 10.1 · Anomalien auf Vorhofebene
10
a
b
c d . Abb. 10.22a–d. Verlagerung des Erregungsleitungssystems. a Schema normale Lage, b Schema posteriore Verlagerung, c, d Situs posteriore Verlagerung
oniert und der jeweiligen Form entsprechend zugeschnitten werden muss.
Besonderheiten der extrakorporalen Zirkulation Die intrakardiale Korrektur führt man heute am totalen kardiopulmoanel Bypass in moderater Hypotheramie und zur Protektion des Myokards im kardioplegischen Herzstillstand durch (Crawford 2007; Litwin et al. 2007; Manning 2007). Im Säuglingsalter steht zudem der tiefhypotherme Kreislaufstillstand mit oder ohne Kardioplegie zur Verfügung.
Zugang und allgemeine Operationstechnik Der Standardzugang ist die mediane Längssternotomie. Bei größeren Patienten kann auch die rechtsseitige anterolaterale Thorakotomie im 4. oder 5. Interkostalraum gewählt werden. Heutzutage findet auch die limitierte untere Sternotomie oder die posterolaterale rechtsseitige Thorakotomie Anwendung.
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Kapitel 10 · Lungenvenenfehlmündungen, Vorhofanomalien und angeborene Fehler der AV-Klappen
! Es ist bedeutend, die seitlichen Kommissuren adäquat festzulegen und das Orifizium der linksseitigen AVKlappe, welches nach Verschluss der Appositionszone (Cleft) übrig bleibt, näherungsweise auszumessen.
. Abb. 10.23. Rechtsatriotomie
Spezielle Operationstechnik Partieller Atrioventrikularseptumdefekt. Nach der media-
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nen Sternotomie oder einem anderen Thorakotomiezugang wird ein Perikardflicken unter Wahrung eines angemessenen Abstands vom N. phrenicus abgetrennt. Der Flicken kann mit Glutaraldehyd (0,1–0,6 %) vorbehandelt werden, sofern dies vom Chirurgen bevorzugt wird. Es folgt die aortale und bikavale Kanülierung. Wenn eine persistierende linke obere Hohlvene vorliegt, wird diese ebenfalls mit einer separaten Kanüle versehen, ggf. temporär mit Tourniquet verschlossen. Für gewöhnlich nehmen wir die Korrektur unter hohem Fluss an der Herz-Lungen-Maschine mit Hämodilution in Normothermie oder moderater Hypothermie (28– 32°C) vor. Die Myokardprotektion wird durch die antegrade Applikation von kalter Kristalloid- oder Blutkardioplegielösung gewährleistet. Die Rechtsatriotomie wird von der Basis des rechten Vorhofohrs bis knapp oberhalb der V. cava inferior vorgenommen (. Abb. 10.23). Nach der Rechtsatriotomie werden die Reste des Septum secundum bis zur Vorhofwand (Sondergraad-Grube) inzidiert, um ein extremes Hochziehen und eine Deformation der Mitralklappe zu vermeiden und der rekonstruierten Klappe eine optimale Aufhängung und Mobilität zu verleihen (Alexi-Meskishvilli et al. 1996). Bisweilen liegt zusätzlich zum Ostium-primum-Defekt ein Vorhofseptumdefekt vom Sekundumtyp vor, der durch eine Muskelbrücke vom Primumdefekt abgetrennt ist. Ein kleiner Sauger wird durch den Vorhofseptumdefekt im Atrium sinistrum platziert und sorgt für ein blutleeres Operationsfeld. Um einer eventuellen Luftembolie vorzubeugen, bevorzugen wir es, kontinuierlich Kohlendioxid mit einem Fluss von 3–6 l/min in das Operationsfeld zu leiten. Die Anatomie der Atrioventrikularklappen wird analysiert und der Insuffizienzgrad durch die Injektion kalter, steriler Salzlösung in den linken und rechten Ventrikel bestimmt.
Der septale Kommissurenspalt wird identifiziert und mit einzelnen nichtresorbierbaren Fäden verschlossen, wobei die Nähte ggf. bei Säuglingen und kleinen Kindern mit fragilem Klappengewebe durch Perikardplättchen verstärkt werden können, um einer Nahtdehiszenz vorzubeugen. Während des Spaltverschlusses wird der minimal zu akzeptierende Mitralklappendiameter anhand der Körperoberfläche des Patienten festgelegt (Rowlatt et al. 1963). In denjenigen Fällen, bei denen die mediale und die laterale Kommissur verschmolzen sind und beim Spaltverschluss ein stenotisches Orifizium entstehen würde, erfolgt der Spaltverschluss nur partiell oder der Spalt wird vollständig belassen. Die Dichtigkeit der Atrioventrikularklappen wird erneut getestet, und in einigen Fällen wird eine Anuloplastie oder eine Kommissuroplastie vorgenommen, um eine perfekte Apposition der Klappensegel zu erzielen. Anschließend wird der ASD verschlossen. Ein Perikardflicken wird nahe der Verbindung der Atrioventrikularklappen in der Nähe der Trikuspidalklappe mit monofilen, nichtresorbierbaren Matratzennähten eingenäht. Alternativ kann man eine fortlaufende Naht anlegen (Sadeghi et al. 1997). Einige kurz gestochene Nähte werden sorgfältig am posterolateralen Segel der Trikupidalklappe und in der Nähe des Anulus angelegt, um residuelle Vorhofseptumdefekte zu vermeiden. Zunächst wird die Naht in Richtung des Sinus coronarius fortgesetzt. Für gewöhnlich lassen wir den Koronarsinus im rechten Vorhof münden, indem die Nahtlinie auf die linke Seite des Vorhofseptums und der anterioren Lippe des Koronarsinus – weg vom Koch-Dreieck – geführt wird. Die Nahtlinie wird zum Dach des rechten Vorhofs fortgesetzt. Eine weitere Naht beginnt an der vorderen Kante des Vorhofseptumdefekts und wird mit der posterioren Naht vereinigt, und beide Nähte werden, nachdem die Luft aus der linken Herzseite evakuiert wurde, miteinander verknotet (. Abb. 10.24). Nachdem der ASD verschlossen ist, wird der rechte Vorhof mit einer kontinuierlichen Naht verschlossen. Ein besonderes Augenmerk ist auf die Entlüftung der linken und rechten Herzseite zu legen, indem die Lungen forciert gebläht werden und kontinuierlich Blut aus der Aorta ascendens entweichen kann; ggf. kann man sogar einen Sauger an die Kadioplegiekanüle anschließen. Bei allen Patienten wird nach Beendigung des Einsatzes der Herz-Lungen-Maschine eine transösophageale Echokardiographie vorgenommen, um die Klappenfunktion zu bestimmen und Restdefekte zu erkennen. Intermediärer AVSD. Liegt eine Intermediärform vor
(. Abb. 10.25a), kann man den Rand des kleinen, muldenförmigen Ventrikelseptumdefekts direkt mit der Mittellinie
245 10.1 · Anomalien auf Vorhofebene
c a b . Abb. 10.24a–c. Verschluss partieller Atrioventrikularseptumdefekt
b
c
a . Abb. 10.25a–c. Verschluss eines intermediären Atrioventrikularseptumdefekts
des AV-Klappen-Apparats, die dabei leicht gesenkt wird, vernähen. Dazu stechen wir doppelt armierte Fäden als Einzel-U-Nähte möglichst oberflächlich in den rechtsseitigen Anteil des Ventrikelseptums unter Schonung der spezifischen Strukturen, insbesondere des rechten Bündels. Die Nähte werden etwa 6 mm vom oberen Defektrand entfernt in das Septum ein- und 2–3 mm entfernt ausgestochen und anschließend vorhofwärts durch die Grenzlinie der AVKlappen geführt. Zum Schutz gegen ein Durchschneiden der Fäden durch die Septummuskulatur benutzen wir Kunststoffwiderlager, d. h. entweder kleine Teflonröhrchen oder Teflonfilzplättchen. Die Platzierung der Nähte beginnt beiderseits im Bereich der Außenränder des Defekts und schreitet zur Mitte hin fort, sodass man die letzte dieser Nähte als erste Naht zur Adaptation (. Abb. 10.25b) der Eckpunkte des linkssuperioren und des linksinferioren Segels im Bereich des Markierungsfadens verwenden kann. Dieselben Nähte werden sodann durch den Unterrand eines Perikardflickens, der dem Verschluss des Foramen-primum-Defekts dient, gestochen und verknotet (. Abb. 10.25c). In seltenen Fällen kann es bei der Intermediärform des totalen AVSD erforderlich sein, zum sicheren Verschluss der interventrikulären Kommunikation einen Kunststoffflicken zu verwenden, nämlich dann, wenn unterhalb der AV-Klappen nur eine sehr zarte, fragile Membran zu erkennen ist.
Totaler AVSD Korrektur mit 2-Flicken-Technik
Verglichen mit der Einflickentechnik und der modifizierten Einflickentechnik bietet die Korrektur mit der 2-FlickenTechnik praktische und theoretische Vorzüge. Es besteht nämlich keine Notwendigkeit, das überbrückende Segel zu inzidieren, wie es bei der Einflickentechnik erforderlich ist. Dadurch werden drohende Dehiszenzen der Klappensegel sowie eine Verkürzung der Mitralklappensegel, welche ebenfalls bei der Einflickentechnik auftreten kann, vermieden (Fortuna et al. 2004; Litwin et al. 2007). ! Bei der Korrektur des kompletten AVSD sollte die anatomisch richtige Position der Atrioventrikularklappensegel zum Ende der Systole gewahrt bleiben, um Segeldistorsionen zu vermeiden, die zu einer Mitralklappeninsuffizienz führen oder aber zur Beeinträchtigung des linksventrikulären Ausflusstrakts und zur Entstehung einer subaortalen Stenose beitragen können.
Wir nehmen die Operation über eine komplette oder partielle mediane Sternotomie vor. Die Herz-Lungen-Maschine wird über eine aortale und bikavale Kanülierung angeschlossen und der Eingriff in moderater Hypothermie sowie unter Myokardprotektion mittels kristalliner Kardioplegielösung vorgenommen. Für eine optimale Darstellung wird die obere Hohlvenenkanüle direkt in die obere Hohl-
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Kapitel 10 · Lungenvenenfehlmündungen, Vorhofanomalien und angeborene Fehler der AV-Klappen
vene und die untere Kanüle nahe der Mündung der V. cava inferior in das Atrium sinistrum eingeführt. Der rechte Vorhof wird in gleicher Weise eröffnet, wie es bei der Korrektur der partiellen AVSD beschrieben wurde. Nach der Rechtsatriotomie werden 4 Haltenähte an der anterioren und posterioren Kante der atrialen Inzision angelegt, und ein kleiner Vent-Katheter wird in den linken Vorhof eingeführt, um nachfolgend die Anatomie studieren zu können. Danach wird der Ventrikelseptumdefekt, einschließlich der Lagebeziehung von Ventrikeldefekt und Klappenanulus anterior und posterior, dargestellt, um das notwendige Ausmaß der Korrektur zum Verschluss des Ventrikelseptumdefekts erkennen zu können. Die gemeinsame Atrioventrikularklappe wird mittels Injektion kalter, steriler Salzlösung in den linken Ventrikel untersucht, um die ideale Koaptation der linksseitigen Komponenten des anterioren und posterioren überbrückenden Segels erkennen zu können. Um den Cleft- oder Spaltverschluss zu antizipieren, wird eine markierende Naht an der Basis des entstehenden Clefts angelegt. Eine asymmetrische Annäherung der Segel ist zu vermeiden, da es hierdurch zu einer postoperativen Insuffizienz der linksseitigen AV-Klappe kommen kann. Der tiefste Teil des Spaltes am freien Segelrand wird identifiziert, indem man die überbrückenden Segel an der ersten Insertionsstelle der Chordae an den freien Rändern zusammenbringt. Das Ausmaß des Spaltverschlusses wird durch Markierungsnähte, die zum Rand des anterioren und posterioren überbrückenden Segels zeigen, festgelegt (. Abb. 10.26). Sind die Klappensegel nicht geteilt, wird der Versuch unternommen, mehr Klappengewebe auf der Seite der linksseitigen AV-Klappe zu platzieren. Sind die Segel anlagebedingt geteilt, bestimmt dies für gewöhnlich die Größe des neuen anterioren linksseitigen AV-Klappen-Segels (. Abb. 10.27a). Nachdem die Anatomie der Segel beurteilt wurde und Markierungsnähte am posterioren Punkt des AV-KlappenSpalts (Cleft) angelegt worden sind, folgt der Verschluss des Ventrikelseptumdefekts mit mehreren filzarmierten Einzelknopfnähten oder mittels fortlaufender Naht auf der rechtsventrikulären Seite des Ventrikelseptumdefekts. Normalerweise werden dafür 6–8 Einzelnähte benötigt (. Abb. 10.27b). Diese Nähte sollten am posterioren Teil mit Abstand zum Kamm des Ventrikelseptumdefekts gestochen werden, um Verletzungen des Erregungsleitungsgewebes zu vermeiden. Ein ummantelter Dacronflicken (oder alternativ ein Flicken aus Perikard oder PTFE) wird etwas kleiner als der Ventrikelseptumdefekt zurechtgeschnitten. Hierdurch wird die Größe des dilatierten Anulus reduziert, was dabei hilft, die Inzidenz neu auftretender Mitralklappeninsuffizienzen nach der Korrektur zu reduzieren (Suzuki u. Fukuda 2002). Beim Zurechtschneiden des Flickens zum Verschluss des Ventrikelseptumdefekts sollte die Höhe so gewählt werden, dass die Klappensegel nahe ihrer nativen und systolischen Position verbleiben und vom linksventrikulären
. Abb. 10.26. Verschluss eines totalen Atrioventrikularseptumdefekts mittels 2-Flicken-Technik
Ausflusstrakt durch ein kurzes anteriores Ende des Flickens ferngehalten werden (Van Arsdel et al. 1995). Die Nähte werden so festgezogen, dass der Flicken auf der rechten Seite dem Ventrikelseptum fest anliegt. Nachdem der Verschluss des Ventrikelseptumdefekts sichergestellt ist, werden nichtresorbierbare, monofile 6/0oder 5/0-Nähte durch den oberen Rand des Ventrikelseptumdefektflickens und anschließend durch die angrenzenden Atrioventrikularklappensegel geführt, wobei die zuvor gelegten Markierungsnähte der Orientierung dienen. Auf diesem Weg wird die Separierung erreicht, um eine links- und eine rechtsseitige AV-Klappe formen zu können (. Abb. 10.27c, d). Der Spalt im neuen anterioren AV-Klappen-Segel links wird bis zum Insertionspunkt der Primärchordae an den Segelkanten komplett verschlossen, wobei unterbrochene, feine, monofile und nichtresorbierbare Nähte zum Einsatz kommen. Die Klappengröße wird mit Hegar-Stiften ausgemessen und mit dem altersnormalen Diameter verglichen, um eine AV-KlappenStenose zu vermeiden (Rowlatt et al. 1963). Wenn das kreierte neue Orifizium zu klein ist, wobei wir eine um 1–2 mm kleinere Öffnung als der altersnormale Diameter des Orifiziums akzeptieren (Rowlatt et al. 1963), können einige jener Nähte am freien Klappenrand entfernt werden, die zum Spaltverschluss angelegt worden waren. Die Kompetenz der Klappe wird getestet, indem man den linken Ventrikel mit Kochsalzlösung füllt. Wenn Restinsuffizienzen bestehen, sind zusätzliche Anuloplastienähte erforderlich, wobei die Lage der Anuloplastie von der Richtung des Insuffizienzstrahls bestimmt sein soll (Spray 2004). Gegebenenfalls müssen leichtere Insuffizienzen toleriert werden. Anschließend wird der ASD mit jener Technik verschlossen, die bereits im Abschnitt zum partiellen AVSD beschrieben wurde (. Abb. 10.27e). Der rechte Vorhof wird
247 10.1 · Anomalien auf Vorhofebene
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a c
d b
. Abb. 10.27a–e. Verschluss eines totalen Atrioventrikularseptumdefekts mittels 2-Flicken-Technik (Fortsetzung)
e
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Kapitel 10 · Lungenvenenfehlmündungen, Vorhofanomalien und angeborene Fehler der AV-Klappen
verschlossen und nach Entlüftung des Herzens die Aortenklemme freigegeben. Nur bei Patienten mit einem Risiko für die Ausbildung einer kritischen pulmonalvaskulären Widerstandserhöhung im postoperativen Verlauf legen wir einen linksatrialen Druckmesskatheter über den Sulcus interatrialis in Höhe der rechten oberen Pulmonalvene und einen pulmonalarteriellen Druckmesskatheter über den rechtsventrikulären Ausflusstrakt ein. Eine transösophageale Echokardiographie dient dazu, die kardiale Funktion, mögliche residuelle Shunt-Flüsse und die Funktion der AV-Klappen zu studieren. Bei sorgfältiger Beurteilung der intrakardialen Verhältnisse und akribischer technischer Ausführung der Korrektur ist es nach unserer Erfahrung nur in Ausnahmefällen erforderlich, an die Herz-Lungen-Maschine zurückzukehren, um eine weitere Korrektur vorzunehmen. Korrektur mit Einflickentechnik
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Einige Chirurgen geben bei der Korrektur des totalen AVSD der sog. Einflickentechnik den Vorzug (Crawford 2007; Reddy u. McElhinney 1997), die im Folgenden kurz beschrieben werden soll (. Abb. 10.28). Ein Perikardflicken, der zu Beginn der Operation entnommen und mit Glutaraldehyd (0,1–0,6 %) fixiert wird, kommt für die Korrektur des gesamten Septumdefekts zur Anwendung. Nach Abklemmen der Aorta und Gabe der Kardioplegielösung wird die Rechtsatriotomie wie vorgeschrieben vorgenommen. Die Klappensegel werden nach Infusion von 20 ml einer kalten Kochsalzlösung über einen kleinen Katheter in den linken Ventrikel inspiziert. Da das überbrückende superiore und das inferiore Segel der gemeinsamen Atrioventrikularklappe bei der Einflickentechnik komplett gespalten werden müssen, ist es von Vorteil, die Kontaktpunkte dieser Segel zu identifizieren und mit feinen Haltfäden zu markieren. Wenn die Trennungslinie geplant ist, werden das superiore und das inferiore überbrückende Segel geteilt; sie werden damit Teil einer linken und einer rechten Atrioventrikularklappe. Nachdem die Segel geteilt worden sind, wird der zugrunde liegende Septumdefekt dargestellt. Alle Chordae tendineae, die am freien Rand der Segel ansetzen, sollten weitgehend erhalten werden. Der interventrikuläre Teil des Defekts wird zuerst verschlossen, wofür plättchenarmierte nichtresorbierbare 5/0-Einzelnähte oder eine fortlaufende 5/0-Polypropylenenaht Anwendung finden. Wenn die Ebene des Atrioventrikularklappenorifiziums erreicht ist, werden die geteilten Klappensegel an den Flicken mit nichtresorbierbaren, doppelt plättchenarmierten Einzelknopfnähten befestigt. Der Verschluss des Spaltes der neu geschaffenen linken Atrioventrikularklappe erfolgt mit Polypropyleneeinzelnähten der Stärke 5/0, 6/0 oder 7/0, die beim kompletten CleftVerschluss bis zur ersten Reihe der Chordae tendineae angelegt werden. Beim partiellen Spaltverschluss, der gelegentlich angewendet wird, wenn ein vollständiger Ver-
schluss zu einem restriktiven Klappenorifizium führen würde, werden einige Nähte weniger angelegt. Die neu gestaltete linksseitige AV-Klappe wird getestet, indem man Salzlösung in den linken Ventrikel spritzt. Falls erforderlich, wird eine Anuloplastie vorgenommen. Nach der ReSuspension und dem Ausrichten der Klappensegel wird mit dem Perikardflicken der atriale Teil des Septumdefekts (einschließlich und sofern vorhanden des Sekundumdefekts) unter Verwendung einer fortlaufenden 5/0-Polypropylenenaht verschlossen, wobei die Mündung des Sinus coronarius im Atrium dextrum zu liegen kommt. Der rechte Vorhof wird verschlossen und die Operation auf übliche Art und Weise zu Ende gebracht. Korrektur mit der modifizierten Einflickentechnik
Kommt die modifizierte Einflickentechnik zur Anwendung (Nicholson et al. 1999; Wilcox et al. 2004), wird der Ventrikelseptumdefekt direkt mit mehreren, unterbrochenen Matratzennähten verschlossen. Teflonfilzverstärkte 5/0-Nähte werden von der rechten Seite des interventrikulären Septumdefektrandes aus platziert und durch das überbrückende Segel der gemeinsamen Atrioventrikularklappe, durch eine Kante des autologen Perikardflickens – um den Vorhofseptumdefekt zu verschließen – und schließlich durch einen dünnen Streifen Dacron oder Perikard geführt. Diese Nähte werden sodann heruntergezogen, um den Ventrikelseptumdefekt zu verschließen. Die Länge des Dacron- oder Perikardstreifens muss kürzer sein als die Kante des Septumdefekts, sodass das Knüpfen der Naht zu einer zentralen Anuloplastie des gemeinsamen Orifiziums führt und sichergestellt ist, dass ausreichend Klappensegelgewebe für die Koaptation der Segel zur Verfügung steht. Sind die zentralen Segel anlagebedingt eher geteilt und weniger überbrückend angelegt, werden die Nähte von der septalen Kante aus durch den Rand der Segel auf jeder Seite des Septums gelegt (und führen so zu einem überbrückenden Segel) und anschließend wie zuvor beschrieben durch Dacron bzw. Perikard gestochen (Nunn 2007). Die restliche Korrektur des AVSD wird wie bei der vorab beschriebenen Einflickentechnik vollzogen. Wichtige technische Anmerkungen
Um eine Verletzung des Erregungsleitungssystems zu vermeiden, nutzen einige Chirurgen alternative Techniken zum ASD-Verschluss. Die Nahtlinie kann außerhalb des Sinus coronarius geführt werden, welcher so unter dem Flicken in den linken Vorhof münden würde. Gibt es eine linke obere Hohlvene, die in den Sinus coronarius mündet, kann die Technik nicht zur Anwendung kommen. Ist der Sinus coronarius nicht überdacht, sollte der Defekt vom linken Vorhof aus geschlossen werden. Ist eine prominente linke obere Hohlvene angelegt, die im Sinus coronarius mündet, führt der Flickenverschluss des ASD in der vorgeschriebenen Technik dazu, dass Sinus coronarius und linke obere Hohlvene im Atrium dextrum münden. Eine linke
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249 10.1 · Anomalien auf Vorhofebene
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d . Abb. 10.28a–d. Verschluss eines Atrioventrikularseptumdefekts mittels Einflickentechnik
obere Hohlvene wird so behandelt, wie es im Abschnitt über die Anomalien der Hohlvenen beschrieben ist. Ein doppeltes Orifizium der linken Atrioventrikularklappe und eine potenzielle Fallschirmklappe (»parachute valve«), die durch eine Fusion der Mm. papillares zu einem einzigen Papillarmuskel entsteht und in etwa 10 % der Fälle vorkommt (Ilbavi et al. 1983), können zu einer postoperativen Inkompetenz der Atrioventrikularklappe führen und in der Notwendigkeit zur Re-Operation nach Korrektur des AVSD resultieren (Alexi-Meskishvili et al. 1996; Nakano et al. 2002). Bisweilen kann mehr als eine zusätzliche Anomalie an einer Klappe auftreten (Bano-Rodriges et al. 1988). Ist ein doppeltes Klappenorifizium angelegt, ist das Hauptorifizium oftmals mit einer Spalt- oder Cleft-Bildung assoziiert, die von beiden Papillarmuskeln gestützt wird, während das sekundäre Orifizium, welches im poste-
romedialen Teil der linksseitigen AV-Klappe liegt, gewöhnlich nur von einem Papillarmuskel gestützt wird. Hierdurch wird die normale Exkursion der Segel während der Diastole verhindert (Manning 2007). Die Teilung des überbrückenden Segelgewebes muss vermieden werden, um ein Flottieren und Durchschlagen des zentralen Segments der Klappe zu verhindern, was zu einer hochgradigen Klappeninsuffizienz nach der Korrektur führen würde (Lee et al. 1985; Manning 2007). Ist ein Spalt im wahren Orifizium angelegt, sollte er bis zu jenem Punkt an der Kante des Segels verschlossen werden, an dem die Chordae tendineae das Segel abstützen. Bei Patienten mit schmalem muralen Klappenanteil und wenn der vollständige Spaltverschluss signifikant die wahre Öffnungsfläche verkleinern würde, muss der Verschluss des Spaltes partiell erfolgen. Einige Chirurgen akzeptieren in solchen Situationen eine wahre
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Kapitel 10 · Lungenvenenfehlmündungen, Vorhofanomalien und angeborene Fehler der AV-Klappen
Öffnungsfläche von bis zu minmal 80 % der Norm (Nakano et al. 2002; Rowlatt et al. 1963;). Ist ein akzessorisches Mitralklappenorifizium gut von Chordae abgestützt und erzeugt keine Insuffizienz, kann es so belassen werden (Lee et al. 1985; Nakano et al. 2002; Schaff 1982). Ist ein einzelner linksventrikulärer Papillarmuskel angelegt, führt dies potenziell zu einer stenotischen Fallschirmklappe (»parachute valve«), welche in der Handhabung der Korrektur des AVSD in hohem Maße anspruchsvoll ist. Diese Situation sollte von Pathologien differenziert werden, bei denen eine Hyperplasie eines der Papillarmuskeln besteht. Ist nur ein einzelner Papillarmuskel angelegt, beinhaltet der vollständige Verschluss des Spaltes (»cleft«) das Risiko, eine signifikante Mitralklappenstenose zu erzeugen. Die Teilung eines einzelnen Papillarmuskels und ein partieller Spaltverschluss, ohne eine Stenose zu erzeugen, stellen in solchen Situationen einen akzeptablen Kompromiss dar (David et al. 1982; Litwin et al. 2007; Manning 2007). Liegt assoziiert eine Fallot-Tetralogie vor, sollte die anteriore Kante des Flickens zum Verschluss des Ventrikelseptumdefekts viel weiter sein und weit nach rechts reichen, um die überreitende Aortenwurzel vollständig aufzunehmen und eine Einengung des subaortalen Gebiets zu vermeiden (Ilbavi et al. 1990).
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die bisher verwendeten Hauptkriterien gelten für kleine linke Ventrikel bei anderen Krankheitsbildern (Phoon u. Silverman 1997; Van Son e al. 1997). In unserer Klinik haben wir eine Richtlinie für die Festlegung der chirurgischen Strategie entwickelt, die auf dem Verhältnis der langen Achse des linken Ventrikels zur langen Achse des rechten Ventrikels (LV/RV) basiert (Delmo Walter et al. 2008). Ein kleiner linker Ventrikel wird aufgrund angiographischer Messungen dann definiert, wenn das Verhältnis von linksventrikulärer zu rechtsventrikulärer langer Achse kleiner ist als 1,1. Die Achsenlängen der Ventrikel wurden in jener Ebene gemessen, in der die linke und die rechte Atrioventrikularklappe in der Ventrikulographie in einer Ebene zum zugehörigen Apex zu liegen kommen (. Abb. 10.29). Wir konnten bei 16 Patienten mit einem LV/RV-Wert von >0,65 (Mittelwert: 0,80 ± 0,11) eine refolgreiche biventrikuläre Korrektur des Defekts durchführen. Bei 2 von 3 Patienten mit schwerer linksventrikulärer Dysplasie (LV/RVWert von 0,45, 0,60 bzw. 0,62) war keine Entwöhnung von der extrakorporalen Zirkulation möglich. Zwei Patienten (LV/RV-Wert von 0,45 und 0,60) starben am 8. bzw. 11. post-
Patienten mit AVSD und kleinem linken Ventrikel
Die chirurgische Korrektur eines partiellen oder totalen AVSD bei Vorliegen eines präoperativ diagnostizierten kleinen linken Ventrikels stellt eine große Herausforderung für den Kinderherzchirurgen dar, insbesondere was die Festlegung der chirurgischen Strategie betrifft (Apitz et al. 2009). Bis heute gibt es keine klaren Richtlinien, die festlegen, wann eine biventrikuläre Korrektur und wann eine univentrikuläre Palliation erfolgen soll (Cohen u. Stevenson 2007). Cohen und Mitarbeiter berichteten in diesem Zusammenhang von einer großen Patientengruppe mit asymmetrischen AVSD, bei denen sie die echokardiographische Bestimmung des Atrioventrikularklappen-(Valve-)Index (AVVI) anwandten. Bei diesem Parameter handelt es sich um die Fläche der linken Klappe geteilt durch die Fläche der rechten Klappe. Die Autoren empfehlen, dass lediglich Patienten mit einem AVVI von >0,67 (symmetrisch) sicher einer biventrikulären Korrektur unterzogen werden können. Zudem wurde die Hypothese formuliert, dass eine Volumenüberladung des rechten Ventrikels zu einer Septumverschiebung von rechts nach links führt, was gleichsam zum Auftreten eines hypoplastischen linken Ventrikels führt, der sich allerdings gut an eine größere Volumenzufuhr anpassen kann (Phoon u. Silverman 1997). Insofern hängt die chirurgische Entscheidungsfindung nicht allein vom AVVI-Wert ab, sondern wird ebenfalls vom absoluten linksventrikulären Volumen und vom potenziell tolerierten Gesamtvolumen bestimmt. Dabei bleibt jedoch die Definition einer präoperativ zu bestimmenden ventrikulären Hypoplasie unklar, denn
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b . Abb. 10.29a, b. Die Achsenlängen der Ventrikel wurden in jener Ebene gemessen, in der die linke und die rechte Atrioventrikularklappe in der Ventrikulographie in einer Ebene zum zugehörigen Apex zu liegen kommen. Diese Achsenlängen werden in das Verhältnis von linker zu rechter Seite gesetzt (normal: >1,1)
251 10.1 · Anomalien auf Vorhofebene
operativen Tag trotz Einsatz einer mechanischen Kreislaufunterstützung. Der dritte Patient mit einem LV/RV-Wert von 0,62 benötigte postoperativ aufgrund eines myokardialen Versagens eine extrakorporale Membranoxygenierung und erhielt am 21. postoperativen Tag eine Herztransplantation, wobei der weitere Verlauf unkompliziert war. Unsere Erfahrungen zeigen, dass die Größe des linken Ventrikels bei totalem AVSD nicht absolut zu sehen ist, sondern dass das Potenzial erkannt werden muss, inwieweit sich der Ventrikel so zu vergrößern vermag, dass er eine ausreichende systemische Zirkulation aufrechterhalten kann. In diesem Zusammenhang war es überraschend, dass der volumenüberladene rechte Ventrikel den bereits kleinen linken Ventrikel komprimieren kann. Ebenso war es bemerkenswert, dass der linke Ventrikel nach der chirurgischen Korrektur des totalen AVSD und insbesondere durch die Beseitigung der Septumverschiebung die Möglichkeit erhält, seiner Funktion als Ventrikel vollständig gerecht zu werden. Das Vorhandensein eines kleinen linken Ventrikels (mit einem LV/RV-Wert von bis zu 0,66) schloss eine erfolgreiche biventrikuläre Korrektur nicht aus. Allerdings war ein mittels präoperativer Angiographie bestimmter Wert unter 0,65 eindeutig ein Prädiktor für ein myokardiales Versagen. In einem solchen Fall sollten alternative chirurgische Strategien, z. B. die univentrikuläre Korrektur, zur Anwendung kommen (Drinkwater u. Laks 1997). Auch wenn unsere Ergebnisse nicht direkt mit denen von Cohen und Rychik (1999) zu vergleichen sind, stimmen wir ihnen zu, dass die wahre Größe des linken Ventrikels irreführend sein kann. Unsere Untersuchungen weisen darauf hin, dass die Größe des linken Ventrikels von der chirurgischen Manipualtion beeinflusst wird. Der entscheidende Parameter ist das Verhältnis der langen Achsen, da dieser Wert von der Septumverschiebung unabhängig ist. Zudem ist dieser Parameter nicht einfach zu erheben, sondern wahrscheinlich aussagekräftiger als eine Volumetrie, die zudem komplexe Messungen erfordert. Chirurgische Ergebnisse
Die vollständige Korrektur eines totalen AVSD stellt unverändert eine chirurgische Herausforderung dar. Abgesehen von vielen Modifikationen in der chirurgischen Technik und variablen Zugängen zur Atrioventrikularklappe haben viele Zentren in den letzten Jahren über eine niedrige frühund spätpostoperative Letalität berichtet. Allerdings stellt die Insuffizienz der linken Atrioventrikularklappe die Hauptursache für die postoperative Letalität und Morbidität dar und ist der häufigste Grund, die Indikation zur Re-Operation nach Korrektur von AVSD in 10 % der Fälle zu stellen (Permut u. Mehta 1997). Die Inzidenz einer hochgradigen Insuffizienz der linken Atrioventrikularklappe ist präoperativ gering. Jedoch wurde in einigen Serien beim partiellen AVSD eine höhere Inzidenz für das präoperative Auftreten einer linksseitigen Atrioventrikularklappeninsuffizienz be-
obachtet, wenn man partiellen und kompletten AVSD vergleicht. Dieses Phänomen kann teilweise dadurch erklärt werden, dass bei Patienten mit partiellem AVSD häufiger zusätzliche Anomalien der linken Atrioventrikularklappe bestehen, als dies beim kompletten Typ der Fall ist. Han und Mitarbeiter (Han et al. 1995) fanden heraus, dass die Gesamthäufigkeitszunahme der Klappeninsuffizienz nach Korrektur eines partiellen AVSD durch eine Zunahme der geringgradigen Insuffizienzen bedingt ist. Zudem besteht eine Tendenz zur Zunahme bei den mittelgradigen Insuffizienzen und keine Veränderung in der Gruppe der hochgradigen Insuffizienzen. Die Inzidenz für Folgeoperationen aufgrund einer signifikanten linksseitigen Atrioventrikularklappeninsuffizienz nach Korrektur verschiedener AVSD-Typen beläuft sich auf 8–20 % und scheint bei Patienten mit unversorgtem Spalt oder Cleft bzw. bei zusätzlichen Klappenanomalien höher zu sein (Alexi-Meskishvili et al. 1997; Nakano et al. 2002). Eine einzelne oder ideale Prozedur, um eine residuelle Atrioventrikularklappeninsuffizienz zu korrigieren, gibt es nicht, sofern der Grund nicht in einem offenen Spalt bzw. Cleft liegt. Verschiedene chirurgische Techniken wurden empfohlen, darunter der Verschluss des Spaltes oder einer Klappenperforation mittels Naht mit oder ohne die unterschiedlichsten Formen der Anuloplastie, der triangulären und quadrangulären Segelresektion, der Chordaeraffung oder der Resektion sekundärer Chordae und der Plikatur redundanter Segel, was in der Fülle der Variationen die Komplexität des Problems deutlich werden lässt. Der Klappenersatz ist während der Erstoperation beim AVSD selten notwendig, wobei jedoch das Auftreten schwerer Klappenanomalien das Risiko für ein Wiederauftreten der Klappeninsuffizienz und einen dann erforderlichen Klappenersatz erhöht. Wenngleich der Mitralklappenersatz beim erwachsenen Patienten sicher durchführbar ist, kann er beim Kind oder Kleinkind zur großen Herausforderung werden. Die Nachteile des prothetischen Klappenersatzes bei Kindern bestehen in der Notwendigkeit zur Langzeittherapie mit Antikoagulanzien, der Beeinträchtigung des jährlichen Wachstums und der Notwendigkeit zum Klappenprothesenaustausch, wenn das Kind heranwächst. Zu den vorgeschlagenen Techniken des Klappenersatzes beim Kleinkind gehören die supraanuläre Implantation bei Fällen mit schwerer Anulushypoplasie und die Vergrößerung des Mitralklappenanulus, indem der Flicken im Ventrikelseptum inzidiert wird (Ando u. Fraser 2001). Eine weitere potenzielle Gefahr nach Korrektur eines AVSD besteht in der Ausbildung einer Obstruktion des linksventrikulären Ausflusstrakts, welche bei 2–10 % der operierten Patienten beobachtet wurde (Crawford 2007; Nunn 2007). Der Grund für diese Komplikation liegt in den intrinsischen Anomalien des linksventrikulären Ausflusstrakts. Eine Elongation sowie eine anterior-rechtsseitige Verlagerung und Stenosierung des linksventrikulären Ausflusstrakts bestehen mehrheitlich bei Herzen mit AVSD
10
252
10
Kapitel 10 · Lungenvenenfehlmündungen, Vorhofanomalien und angeborene Fehler der AV-Klappen
und repräsentieren die anatomische Ursache für die sog. Gänsehalsdeformität (»gooseneck deformity«). Ist dieser Befund aggraviert, kann es zur tubulären Stenose kommen. Die Ausstülpung von Bindegewebe, welches zur Atrioventrikularklappe gehört, sowie die Verdickung des Bindegewebes im membranösen Teil des Septums können einen in den linksventrikulären Ausflusstrakt hineinragenden Absatz bilden. Weitere Gründe für eine Obstruktion sind eine anomale Insertion der Papillarmuskeln oder der Chordae tendineae im infundibulären Septum sowie eine dynamische Obstruktion durch eine systolische anteriore Bewegung (»systolic anterior movement«) der linken Atrioventrikularklappe in den linksventrikulären Ausflusstrakt hinein (Shiokawa u. Becker 1997). Eine signifikante Obstruktion des linksventrikulären Ausflusstrakts nach Korrektur eines AVSD liegt dann vor, wenn der Druckgradient in Ruhe >40 mmHg beträgt, was einen Grund für eine erneute Operation darstellt (Permut u. Mehta 1997). Zur Handhabung dieser Komplikation müssen oft verschiedene Techniken herangezogen werden (Van Arsdel et al. 1995). Es gibt verschiedene basischirurgische Optionen, um diese Komplikation zu behandeln (DeLeon e al. 1991; Starr u. Hovaguimian 1994; Van Son et al. 1997): 4 Resektion von fibromuskulärem Gewebe, 4 modifizierte Konno-Prozedur, 4 Abtrennung und Re-Suspension der linken Atrioventrikularklappe, 4 Implantation einer apikoaortalen klappentragenden Rohrprothese. Welches Verfahren angewendet wird, ist von der spezifischen Ätiologie der Obstruktion abhängig. Die häufigste Form der Subaortenstenose, ggf. Jahre nach der AVSD-Korrektur auftretend, bleibt jedoch die typische fibromuskuläre (»membranöse«) Form. Atrium commune
Ein gemeinsames Atrium ist durch das vollständige Fehlen des Vorhofseptums gekennzeichnet. Der Terminus »einziger Vorhof« ist auf jene Defekte beschränkt, bei denen keine Fehlbildungen der Atrioventrikularklappen bestehen. Der Terminus »gemeinsamer Vorhof« wird für Fehlbildungen mit einem vollständigen Fehlen des Vorhofseptums und begleitenden Fehlbildungen der Atrioventrikularklappen angewandt, was als eine Variante des AVSD angesehen werden kann (Jacobs et al. 2000a). In diesen Fällen besteht die chirurgische Therapie darin, einen kompletten Ersatz des atrialen Septums mit autologem Perikard oder einem synthetischen Flicken vorzunehmen. Bestehen parallel Anomalien der Hohl- oder der Pulmonalvenen, werden diese ebenfalls behandelt.
10.2
Angeborene Herzfehler mit Obstruktion der linksventrikulären Einflussbahn
10.2.1
Übersicht
Angeborene Herzfehler, denen hämodynamisch eine Behinderung des Blutabflusses aus der Lunge in das Herz und embryologisch eine fehlerhafte Einbeziehung der Lungenvenen in den wahren linken Vorhof gemeinsam ist, sind nach der Höhe ihrer Lokalisation aufgegliedert: 4 Stenose und Atresie einer oder mehrerer Lungenvenen, 4 totale Lungenvenenfehlmündung mit oder ohne Obstruktion der blutumleitenden Wege, 4 Cor triatriatum. Außer diesen entwicklungsgeschichtlich miteinander verwandten Anomalien zählen zu den Herzfehlern mit Obstruktion der linksventrikulären Einflussbahn: 4 angeborene Mitralklappenleiden, 4 supravalvulär stenosierender Mitralring, 4 linksatrialer Herztumor, der meistens als Vorhofmyxom auftritt (7 Kap. 27). Das klinische Bild dieser Herzfehler kann verwechselbar ähnlich sein, sodass sie nur durch exakte Interpretation der Untersuchungsergebnisse von Echokardiographie, Herzkatheteruntersuchung und Angiokardiographie einwandfrei voneinander zu unterscheiden sind. Vollständigkeitshalber vonseiten der Erkrankungen der linksventrikulären Einflussbahn und weniger aus Gründen der eigentlichen Differenzialdiagnostik wird auch das angeborene Divertikel des linken Vorhofs in dieses Kapitel mit eingeschlossen.
10.2.2
Angeborene Lungenvenenstenosen
10.2.2.1
Vorbemerkungen
Die angeborene Stenose der Pulmonalvenen ist eine seltene Anomalie, die etwa 0,4–0,6 % aller angeborenen Herzfehler ausmacht (Edwards 1960; Park et al. 1974). Es können einzelne oder alle Pulmonalvenen betroffen sein. Die Pulmonalvenenstenose bezeichnet eine Vielzahl an Entitäten, welche einen unterschiedlichen klinischen Verlauf nehmen. Der zugrunde liegende pathologische Prozess ist eine fibröse Intimaverdickung, welche graduell eine Obliteration des Lumens der Pulmonalvenen an der atrialen Einmündung verursachen kann. Bei der schwersten Verlaufsform ist die Pulmonalvenenstenose eine progressive Erkrankung, bei welcher sich rasch eine pulmonale Hypertension einstellt und selten das erste Lebensjahr überlebt wird. Die chirurgische Intervention in dieser Gruppe ist nicht erfolgreich gewesen. Andere Formen der Pulmonalvenenstenose, einschließlich der unilateralen Typen, welche mit wei-
253 10.2 · Angeborene Herzfehler mit Obstruktion der linksventrikulären Einflussbahn
teren angeborenen Herzfehlern assoziiert sind, können durch unterschiedliche chirurgische Verfahren oder eine Pneumonektomie in Einzelfällen gehandhabt werden. Die Pulmonalvenenstenose, die sich nach einer Radiofrequenzablation zur Therapie des Vorhofflimmerns ausbilden kann, stellt eine iatrogene Komplikation dar (Saad et al. 2003). Obgleich zahlreiche chirurgische Techniken für die Korrektur der angeborenen Pulmonalvenenstenose beschrieben worden sind, gehören die »nahtlosen« Techniken ebenso zur chirurgischen Behandlung dieser Erkrankung (Caldarone et al. 1998; Lacour-Gayet et al. 1996). Bei der schwersten Verlaufsform kommt der Lungentransplantation eine bedeutende Rolle zu und sollte frühzeitig bei dieser Erkrankungsform in Betracht gezogen werden. Oftmals handelt es sich bei der koexistierenden Pulmonalvenenstenose um einen Zufallsbefund bei der Korrektur anderer kardialer Anomalien (Ito et al. 2001). Um die kongenitale oder erworbene Pulmonalvenenstenose zu beheben, fanden unterschiedliche chirurgische Techniken bei pädiatrischen Patienten Anwendung, wobei der Erfolg der Behandlung begrenzt war (Sakamato et al. 1995; Spray u. Bridges 1999). Das Problem bei den vorgeschlagenen Techniken mit Einnähen eines Flickens besteht bei Kleinkindern und Säuglingen zum Teil darin, dass geringfügige Änderungen der Geometrie beim kleinen Patienten kritische Auswirkungen auf das Niederdrucksystem, in dem ein hoher Fluss vorliegt, haben und zu Turbulenzen, Intimahyperplasie oder Abknicken der Flickenkorrektur mit resultierender zusätzlicher venöser Obstruktion führen können. Die während der vergangenen Dekade vorgeschlagenen nahtlosen Techniken ermöglichen dagegen eine hämodynamisch optimale Korrektur (Caldarone et al. 1998; Lacour-Gayet et al. 1996, 1999;). Jene Patienten, bei denen alle Pulmonalvenen betroffen sind, haben uniform eine schlechte Prognose und sind Kandidaten für eine Herz-Lungen-Transplantation (Mendelhof et al. 1995; Spray u. Bridges 1999). Es ist klar, dass kein einzelner Behandlungsalgorithmus für alle Formen angewendet werden kann. Die kongenitale Pulmonalvenenstenose ist oftmals eine isoliert auftretende Läsion, kann jedoch mit einer kompletten Pulmonalvenenfehlmündung, einer kompletten Transposition der großen Arterien, einem Ventrikelseptumdefekt oder anderen Anomalien vergesellschaftet sein (van Son et al. 1995). 10.2.2.2
Embryologie
Die kongenitale Pulmonalvenenstenose ist im embryologischen Sinne mit der totalen Lungenvenenfehlmündung und dem Cor triatriatum verwandt. Neben der embryologischen Verwandtschaft der Pulmonalvenenstenose mit dem Cor triatriatum ist ein gemeinsames Auftreten extrem selten (Sade et al. 1974). Im 3 mm großen Embryo hat sich ein Divertikulum herausgebildet, welches zukünftig den linksatrialen Anteil der sinoatrialen Region bilden wird.
Das Divertikulum oder die gemeinsame Pulmonalvene wächst auf die sich entwickelnden Lungen zu und verbindet sich schließlich mit den Pulmonalvenen, die bereits angelegt sind. Hat sich erst einmal der Abflussweg etabliert, ist die frühe Verbindung zwischen dem Plexus splanchnicus und dem umbilikovitellinen sowie dem kardinalvenösen System von sekundärer Bedeutung und findet nur selten nicht statt. Indem das Atrium sinistrum rasch an Größe zunimmt, wird die gemeinsame Pulmonalvene in die posteriore Vorhofwand integriert, und die Pulmonalvenen münden dann separat ein. Es können eine Vielzahl unterschiedlicher Formen an Einengungen der Einmündung der Pulmonalvenen auftreten, je nachdem in welchem Stadium die normale Embryogenese unterbrochen wurde. Wenn eine Atresie der gemeinsamen Pulmonalvene sehr frühzeitig auftritt, kann sich ein Hauptabflussweg entweder über das umbilikale oder das kardinalvenöse System ausbilden und zur totalen Lungenvenenfehlmündung vom infra- oder suprakardialen Typ führen. Tritt die Stenose in einem späteren Stadium auf, kann dies zur Stenose der gemeinsamen Pulmonalvene (Cor triatriatum) führen. Entwickelt sich die Stenose in einem sehr späten Stadium, nachdem die gemeinsame Pulmonalvene in die posteriore linke Vorhofwand inkorporiert worden ist, führt dies zur Stenose oder Atresie einer einzelnen Pulmonalvene. Des Weiteren kann eine Pulmonalvenenstenose auf physiologischer Grundlage bei Patienten mit einem Cor triatriatum entstehen, indem der Fluss von der Kammer, die die Pulmonalvenen enthält, in jene Kammer, in der sich die Mitralklappe befindet, behindert ist. 10.2.2.3
Klinisches Erscheinungsbild
Das klinische Erscheinungsbild der kongenitalen Pulmonalvenenstenose ähnelt all jenen Erkrankungsbildern, die zum pulmonalvenösen Hochdruck führen. Die Prognose ist insbesondere dann schlecht, wenn alle Pulmonalvenen betroffen sind. Auch wenn sich die Verstärkung der Symptome weniger rasch vollzieht und lediglich eine oder 2 Pulmonalvenen betroffen sind, ist dennoch die Progression zur bilateralen pulmonalvaskulären Erkrankung bis hin zum Tod für gewöhnlich die Regel, auch wenn die Erkrankung zunächst weniger schwer in Erscheinung tritt (Edwards 1960; Lacour-Gayet 2006; Sade et al. 1974; Spray u. Bridges 1999,). Die zweidimensionale Echokardiographie mit Pulsdoppleruntersuchung und farbkodierter Flussmessung stellt eine zuverlässige Methode dar, um die pulmonalvenöse Obstruktion und das Ausmaß zu erkennen und zu lokalisieren (Van Son et al. 1995). 10.2.2.4
Geschichtliches
Erstmals wurde von der chirurgischen Korrektur einer angeborenen Pulmonalvenenstenose im Jahre 1971 von Kawashima berichtet (Kawashima et al. 1971). Bei der Korrektur in einem späteren Lebensabschnitt lässt sich eine lokalisierte Venenobstruktion erfolgreich beseitigen (Binet et al.
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Kapitel 10 · Lungenvenenfehlmündungen, Vorhofanomalien und angeborene Fehler der AV-Klappen
1972; Kawashima et al. 1971). In den nachfolgenden Untersuchungen wurde von einer hohen Früh- und Spätletalität berichtet (Binet et al. 1972; Pacifico et al. 1985).
Erwachsenen wird der chirurgische Eingriff elektiv vorgenommen. 10.2.3.2
10.2.2.5
10
Operationsverfahren
Der chirurgische Zugang zur Pulmonalvenenstenose muss variabel gewählt werden. Die Technik der Korrektur ist an die lokale Anatomie der vorliegenden Fehlbildung anzupassen. Jene Fehlbildungen vom diaphragmatischen Typ, wie sie in diesem Bericht beschrieben werden, lassen sich effektiv durch die Exzision der Obstruktion therapieren (LacourGayet 2006). Eine Vergrößerung des Venenkalibers kann in effektiver Weise durch eine plastische Erweiterung mit Einnähen eines Flickens erreicht werden. Wann immer es möglich ist, sollte man auf die Verwendung von Kunststoffflicken oder allogenem Material verzichten, da sie zur Neointimabildung neigen und so die Notwendigkeit für Folgeoperationen erhöhen (Van Son et al. 1995). Liegt eine segmentale Stenose oder Atresie vor, kann die von Pacifico beschriebene Technik zur Beseitigung pulmonalvenöser Obstruktionen hilfreich sein, bei der entweder Vorhofwand oder Vorhofseptumgewebe verwandt wird (Pacifico et al. 1985). Das chirurgische Verfahren zur Behandlung der kongenitalen und erworbenen Pulmonalvenenstenose wird detailliert in dem Abschnitt, welcher der totalen Lungenvenenfehlmündung gewidmet ist, beschrieben. Histologisch zeigt die Membran, welche von der Öffnung der Pulmonalvene entfernt wird, eine fibröse Verdickung der Intima ohne Zellinfiltration und somit keinen Hinweis auf eine mögliche aktive Inflammationsreaktion.
10.2.3
Cor triatriatum sinistrum
10.2.3.1
Vorbemerkungen
Beim Cor triatriatum handelt es sich um eine seltene Fehlbildung des Herzens, die 0,1 % aller kongenitalen Herzfehler ausmacht. Diese Anomalie ist in bis zu 50 % der Fälle mit anderen kardialen Defekten vergesellschaftet, z. B. (Oelert et al. 1977; Oglietti et al. 1983; Pirc et al. 1996; Richardson et al. 1981; Rodefeld et al. 1990; Sethia et al. 1988): 4 Transposition der großen Arterien, 4 Fallot-Tetralogie, 4 Atrioventrikularkanaldefekte, 4 Fehlmündungen der Lungenvenen, 4 Trikuspidalklappenatresie, 4 Aortenisthmusstenose, 4 Ebstein-Anomalie, 4 offener Ductus arteriosus Botalli. Die Chirurgie ist die Behandlungsmethode der Wahl. Bei den Anzeichen von Herzinsuffizienz mit pulmonaler und systemischer Stauung ergibt sich beim Kleinkind die Indikation zur Notfalloperation. Beim älteren Kind oder beim
Geschichtliches
Die klassische Form des Cor triatriatum wurde im Jahre 1868 von Church detailliert beschrieben. Eine anatomische Klassifikation wurde erstmals durch Löffler im Jahre 1949 vorgenommen und von Edwards im Jahre 1960 erweitert. Die erste erfolgreiche Korrekturoperation des Cor triatriatum wurde von Wineberg und Kollegen im Jahre 1956 mitgeteilt. 10.2.3.3
Chirurgische Anatomie
Embryologisch betrachtet entsteht diese Fehlbildung durch einen fehlerhaften Einschluss der 4 Lungenvenen in die posteriore Wand des Atrium sinistrum (Steen et al. 2007). Bei der häufigsten Form, dem Cor triatriatum sinistrum, ist der linke Vorhof in eine proximale und eine distale Kammer unterteilt. Beide Kammern sind durch ein Diaphragma, welches ein Ostium oder mehrere restriktive Ostien aufweist, getrennt. Die Pulmonalvenen münden in der proximalen Kammer, und bei schmaler Öffnung entsteht eine Pulmonalvenenstenose. Es existieren unterschiedliche Formen des subtotalen Cor triatriatum, wobei lediglich eine rechte oder eine linke Pulmonalvene in die proximale Kammer mündet (. Abb. 10.30). Der klinische Verlauf des Cor triatriatum ohne Therapie ist von der effektiven Öffnungsfläche im Diaphragma und von der Lage eines Vorhofseptumdefekts, der als Entlastungsventil für den linken Vorhof fungiert, abhängig. Drei Viertel der Patienten mit einer schweren Obstruktion versterben im Kindesalter (Brown u. Hanish 2003). Diese angeborene Malformation wird durch die Lage des Vorhofohres bestimmt. Hierdurch ist das Cor triatriatum von der ähnlichen Fehlbildung der supravalvulären Mitralklappenstenose zu unterscheiden. Beim Cor triatriatum wird das Vorhofohr immer in jener Kammer gefunden, die den Mitralklappenring beherbergt, es liegt also proximal der den Vorhof teilenden Membran, d. h. im »Unterdruck«-Kompartment. Die Klassifikation nach Lucas et al. (1961) beinhaltet 8 Hauptformen des Cor triatriatum sinistrum und gründet sich auf dem Verhältnis der obstruierenden Membran zu den Vorkammern und zum Vorhofseptumdefekt. 10.2.3.4
Klinisches Erscheinungsbild
Der Schweregrad der Erkrankung hängt von der Zahl und der Größe der Durchtrittsöffnungen in der Membran zwischen dem oberen und dem unteren Vorhofanteil ab. Während eine hochgradige Obstruktion unweigerlich zu pulmonaler Hypertension und Rechtsherzversagen führt, kann der Herzfehler bei mäßigem oder nicht vorhandenem Druckgradienten klinisch gering ausgeprägt sein oder sogar nur rein zufällig entdeckt werden. Klinisch ist das Bild des Cor triatriatum durch eine Blutstauung im kleinen Kreislauf und
255 10.2 · Angeborene Herzfehler mit Obstruktion der linksventrikulären Einflussbahn
a
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e
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. Abb. 10.30a–f. Erscheinungsformen des Cor triatriatum sinistrum mit den verschiedenen Verbindungen zwischen den Vorhöfen: intrakardial (a–e) und extrakardial (f)
eine pulmonale Hypertension gekennzeichnet und damit dem Bild der angeborenen Mitralstenose täuschend ähnlich. Die endgültige Diagnose wird mittels Herzkatheteruntersuchung und/oder Echokardiographie gestellt. 10.2.3.5 Operationstechniken Vorbemerkungen
Unabhängig von der Tatsache, dass katheterinterventionelle Verfahren entwickelt wurden und erfolgreich bei einigen Patienten Anwendung fanden (Huang et al. 2002), wird den offenen chirurgischen Verfahren gegenüber den geschlossenen (perkutanen) Praktiken der Verzug gegeben. Bei asymptomatischen Patienten mit normalem pulmonalarteriellen Druck werden regelmäßige echokardiographische Beurteilungen empfohlen (Alphonso et al. 2005; Steen et al. 2007). Die Korrektur erfolgt unter Einsatz der Herz-Lungen-Maschine und im kardioplegischen Herzstillstand. Dabei wird über eine atriale Inzision die komplette Resektion des Diaphragmas vorgenommen. Die erste erfolgreiche Operation wurde von Vineberg am 15.07.1954 durchgeführt (Vineberg u. Gialoreto 1956). Die Chirurgie bietet dabei gute Ergebnisse im frühen und langfristigen
Verlauf, sowohl für die isolierte Fehlbildung als auch für jene, die mit weiteren kongenitalen Herzfehlern assoziiert sind (Alexi-Meskishvilli et al. 2000; Alphonso et al. 2005). Die chirurgische Behandlung besteht in der kompletten Resektion der obstruierenden Membran zwischen der distalen und der proximalen Kammer im linken Vorhof durch den zu vergrößernden Vorhofseptumdefekt bzw. das inzidierte Vorhofseptum hindurch. Alle Pulmonalvenen sollten dabei sorgfältig identifiziert werden. Der Vorhofseptumdefekt wird mit einem Perikardflicken verschlossen. Alternativ kann man bei älteren Patienten mit dilatiertem linken Vorhof einen Zugang über eine Linksatriotomie wählen. Bei einigen Fällen mit koexistierenden komplexen Herzfehlern kann die vollständige Korrektur in tiefer Hypothermie und Kreislaufstillstand ausgeführt werden (Alphonso et al. 2005).
Operation über den rechten Vorhof und das Vorhofseptum Das transatrioseptale Vorgehen über den rechten Vorhof empfiehlt sich in erster Linie bei Säuglingen und Kleinkindern sowie im späteren Lebensalter, wenn zusätzlich ein großer Vorhofseptumdefekt besteht. Die Kanülierung der
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256
Kapitel 10 · Lungenvenenfehlmündungen, Vorhofanomalien und angeborene Fehler der AV-Klappen
oberen und unteren Hohlvene ist so vorzunehmen, dass ein breites Stück Vorhofwand für die Atriotomie freibleibt. Die Eröffnung des rechten Vorhofs erfolgt parallel und nahe der atrioventrikulären Grube: Nach Einsetzen des Retraktors in die Vorhofwand wird das Vorhofseptum vom Oberrand der interatrialen Kommunikation aus in Richtung rechter oberer Lungenvene inzidiert (. Abb. 10.31a). Dann wird die Schnittrichtung umgekehrt und das kaudale Vorhofseptum eröffnet, wodurch sich nicht nur der eigentliche linke Vorhof auftut, sondern auch der Insertionsrand der unterteilenden Membran am Vorhofseptum deutlich erkennbar wird. Nach Umsetzen des Retraktors in das Vorhofseptum wird die Beziehung der Membran zur Mitralklappe einerseits und zu den linken Lungenvenen andererseits überprüft und die Membran, nachdem man sich von der normalen Einmündung aller 4 Lungenvenen überzeugt hat, direkt entlang ihres Anheftungsrandes exzidiert (. Abb. 10.31b). Nicht immer ist es möglich, die Mitralklappe von Anfang an vollständig zu überblicken. Mit zunehmender Membranresektion gelangt sie jedoch ständig besser zur Darstellung, was besonders posterolateral wich-
tig ist, wo die Membran der Vorhofwand sehr klappennah anhaftet (. Abb. 10.31c). Die Resektion der triatrialen Membran beginnt an der septalen Anheftung und schreitet nach anterior und posterior durch scharfe Schnittführung fort. Am schwierigsten kann die Resektion entlang der linksatrialen Lateralwand sein, wo man besonders darauf achten muss, dass weder die Mitralklappe noch der Eintritt der linken unteren Lungenvene in den linken Vorhof verletzt wird. Auch ist die Tiefe der Exzision in dieser Gegend schwer abzuschätzen, und es kommen gelegentlich Perforationen sowohl der freien Hinterwand des linken Vorhofs als auch des Koronarsinus vor. Manchmal sind derartige Verletzungen, die übernäht werden müssen, nicht zu vermeiden, wenn durch die vollständige Exzision der Membran der ungehinderte Blutfluss aus den Lungenvenen zur Mitralklappe sichergestellt werden muss. Nach Rückversicherung über die Unversehrtheit der linksatrialen Wand und der Mitralklappe wird das Vorhofseptum durch direkte Naht oder Implantation eines Flickens aus Perikard bzw. PTFE, der mittels fortlaufender Naht (4/0-Prolenenaht) verankert wird, wieder verschlos-
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a
b
c . Abb. 10.31a–d. Cor triatriatum: Operation über den rechten Vorhof und das Vorhofseptum. a Inzision des Vorhofseptums entlang des Oberrandes des Foramen ovale in Richtung rechter oberer Lungenvene. b Nach Einblick in beide linken Vorhofanteile Beginn der Membranexzision entlang des oberen und hinteren Anheftungsrandes.
d c Nach Exzision der Membran gelangt die Mitralklappe in das Blickfeld und wird auf ihre Unversehrtheit hin überprüft. d Verschluss der zurückgebliebenen Kommunikation zwischen den Vorhöfen durch Kunststoffflicken
257 10.2 · Angeborene Herzfehler mit Obstruktion der linksventrikulären Einflussbahn
sen (. Abb. 10.31d). Beim Flickenverschluss beginnt die Naht am tiefsten Punkt des Vorhofseptumdefekts. Sie wird von dort aus zuerst im Uhrzeigersinn entlang des rechtslateralen Randes, anschließend im Gegenuhrzeigersinn entlang des linkslateralen Randes des Vorhofseptums nach kranial geführt und am Treffpunkt unterhalb der oberen Hohlveneneinmündung verknotet. Den Eingriff beendet der direkte Verschluss der rechtsatrialen Inzision durch eine fortlaufende Naht (4/0-Prolenenaht). Routinemäßig wird danach am partiellen Bypass das Herz entlüftet und die Koronarperfusion durch Lösen der Aortenklemme freigegeben. Nach Zurückerlangen von Normothemie wird der Patient wie üblich vom extrakorporalen Kreislauf entwöhnt.
Operation durch den linken Vorhof Bei älteren Kindern und Erwachsenen kann der Zugang zur intraatrialen Membran des Cor triatriatum alternativ durch den Lungenvenensinus, d. h. durch den kranial gelegenen akzessorischen linken Vorhof, erfolgen. Die Inzision wird rechts posterior des interatrialen Sulkus vorgenommen. Nach breiter Eröffnung wird ein Lidhaken in die Vorhofwand eingesetzt, wodurch die Membran mit ihrer meist zentralen Perforation zur Darstellung kommt. Außer den 4 Einmündungen der Lungenvenen sind das normalerweise im linken Vorhof sichtbare Herzohr und die Mitralklappe nicht zu erkennen. Die mangelhafte Information über die genaue Lage des eigentlichen linken Vorhofs und dessen Begrenzung gegenüber der interaatrialen Membran ist ein schwerwiegender Nachteil dieses Zugangs. Auch ist die evtl. vorhandene interatriale Kommunikation nicht immer einsehbar. ! Der translinksatriale Zugang zur Korrektur eines Cor triatriatum sinistrum sollte nur bei großen Herzen gewählt werden, bei welchen er den Erfolg der Korrektur nicht einschränkt.
Die Resektion der Membran, die aus Gründen der Übersicht nur am vollständig durch die Karidoplegie erschlafften Herzen durchgeführt werden sollte, beginnt mit einer Inzision, die von der Perforationsöffnung aus auf die rechte obere Lungenvene hin gerichtet ist (. Abb. 10.32a). Sobald durch Retraktion der inzidierten Membran die darunter gelegene Mitralklappe sichtbar ist, kann die Resektion ungefährdet fortschreiten. Am linksseitigen Anheftungsrand ist besonders die enge Nachbarschaft der unteren Lungenvene mit der Mitralklappe zu beachten und bei fortschreitender Exzision der Membran insbesondere zwischen diesen beiden Strukturen eine Perforation der freien Wand des linken Vorhofs zu vermeiden. Tritt eine derartige Verletzung nach außen hin auf, ist sie durch direkte Naht wieder zu verschließen. Erst die vollständige Exzision der Membran stellt die freie Verbindung zwischen den Lungenvenen und der Mitralklappe, die gewöhnlich normal angelegt ist, endgültig her (. Abb. 10.32b). Die Korrek-
tur wird, nachdem ein ggf. vorhandener Vorhofseptumdefekt durch den gleichen Zugang zuvor noch korrigiert worden ist, durch den Verschluss der Vorhofinzision mittels fortlaufend überwendlicher Naht beendet (. Abb. 10.32c). Die Naht beginnt am kaudalen Inzisionsrand mit einer Dreistichnaht, die die vordere Vorhoflefze, tangential das Endokard unter dem Inzisionswinkel und zuletzt die hintere Vorhoflefze fasst und, nachdem der Knoten gesetzt ist, bis zur Mitte der Inzisison nach kranial fortschreitet. Eine gleichartige Naht wird vom oberen Inzisionswinkel her gegenläufig geführt und nach Entlüften des Vorhofs durch Ausblähen der Lunge mit der unteren Nahtreihe verknotet. Das Lösen der Aortenklemmen nach Entlüften des Herzens und die Abnahme des Patienten von der HerzLungen-Maschine in Normothermie sind anschließend Routine.
Operation bei vollständiger Unterteilung des linken Vorhofs Ist der akzessorische linke Vorhof durch eine Membran ohne Perforation vom eigentlichen linken Vorhof vollständig getrennt (. Abb. 10.30d), dafür aber mit dem rechten Vorhof durch eine Kommunikation verbunden, ist die Korrektur am besten transatrioseptal durch den rechten Vorhof auszuführen. Dabei wird ebenfalls die Membran herausgetrennt, beginnend an ihrer dem Fuße des Vorhofseptumdefekts anhaftenden kaudalen Begrenzung. Um die notwendige Übersicht zu gewinnen, wird zuerst der Vorhofseptumdefekt nach unten hin vergrößert (. Abb. 10.31a). Damit öffnet sich gleichzeitig der eigentliche linke Vorhof und lässt die ganze Ausdehnung der Membran erkennen. Diese wird sodann vollständig exzidiert (. Abb. 10.31b, c), und der zuletzt verbleibende große Vorhofseptumdefekt wird mit einem Flicken aus Perikard oder Kunststoff verschlossen (. Abb. 10.31d). Der Eingriff am Herzen endet mit dem Verschluss der rechtsatrialen Inzisison mittels fortlaufend überwendlicher Naht mit einem monofilen Faden. 10.2.3.6
Komplikationen und deren Vermeidung
Die häufigste Komplikation ist die Verletzung der linksatrialen Hinterwand zwischen Mitralklappe und Einmündung der linken unteren Lungenvene. Sie ist im Zuge der vollständigen Exzision der triatrialen Membran nicht immer vermeidbar und im Prinzip auch ungefährlich, solange sie erkannt und durch direkte Naht von innen wieder verschlossen wird. Die Operationsergebnisse sind sehr gut, sofern die Kinder rechtzeitig operiert werden. Eine persistierende pulmonale Hypertension kann den Verlauf – insbesondere frühpostoperativ bei älteren Patienten – stark negativ beeinflussen.
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. Abb. 10.32a–c. Cor triatriatum sinistrum: Operation durch den linken Vorhof. a Exzision der den linken Vorhof unterteilenden Membran, ausgehend von der zentralen Perforation entlang ihres Anheftungsrandes. b Nach vollständiger Membranexzision sind die linken Vorhofanteile zusammengeschaltet und die Blutflüsse zur Mitralklappe unbehindert wiederhergestellt. c Der Verschluss des linken Vorhofs erfolgt durch direkte Naht fortlaufend überwendlich
10.2.4
Supravalvulärer stenosierender Mitralring
10.2.4.1
Vorbemerkungen
c
Dieser Defekt wird von einer zirkulären Leiste aus endokardialem Gewebe gebildet, welches dem anterioren Segel unterhalb der Insertionsstelle am Anulus anhaftet. Abhängig vom Diameter des Ringes existieren verschiedene Stenosegrade. Für gewöhnlich ist die Klappe selbst fehlerhaft angelegt und häufig stenotisch oder hypoplastisch. In vielen Fällen ist diese Läsion mit weiteren stenotischen Fehlbildungen assoziiert, z. B.: 4 Parachute- oder Fallschirmklappe, 4 Hammock- oder Hängemattenklappe, 4 Fusion von Mm. papillares, 4 doppelt angelegte Mitralklappenöffnung. Der supravalvuläre Mitralring muss vom Cor triatriatum unterschieden werden. Sowohl beim Cor triatriatum als auch beim supravalvulären Mitralring ist das Atrium sinistrum in 2 Kompartimente unterteilt. Beim Cor triatriatum enthält die posteriore Kammer die Pulmonalvenen,
während die anteriore Kammer das Vorhofohr und das Mitralklappenorifizium beherbergt. Beim supravalvulären Mitralring enthält das posteriore Kompartiment die Pulmonalvenen und das Vorhofohr, während in der anterioren Kammer nur das Mitralklappenorifizium liegt. 10.2.4.2
Geschichtliches
Der erste Fall wurde von Fisher beschrieben (Cassano 1964; Fisher 1902;). Die Autoren Stone und Edwards beschrieben einen Entwicklungskomplex mit Fallschirmfehlbildung (»parachute«) der Mitralklappe, bei welcher ein supravalvulärer Mitralring zusätzlich zur subaortalen Stenose, zum Ventrikelseptumdefekt und zur Aortenisthmusstenose besteht (Shone et al. 1963). Die Kombination mit weiteren kongenitalen Herzfehlern, zumeist mit der Aortenisthmusstenose und dem Ventrikelseptumdefekt, ist beschrieben (Srinvasan et al. 1980; Sullivan et al. 1986; Watraida et al. 1997). Eine Parachute- oder Fallschirmklappe ist oft mit einem supravalvulären Mitralring vergesellschaftet (Banerjee et al. 1995). Die erste erfolgreich durchgeführte chirurgische Korrektur wurde von Lynch und Mitarbeitern im
259 10.2 · Angeborene Herzfehler mit Obstruktion der linksventrikulären Einflussbahn
Jahre 1962 beschrieben, wobei der Eingriff bei einem 10jährigen Mädchen mit koexistierendem Ventrikelseptumdefekt erfolgte (Lynch et al. 1962). 10.2.4.3
Operationsverfahren
Die Resektion des fibrösen Gewebes unter Schonung des anterioren Mitralklappensegels stellt die Behandlung der Wahl dar. Der Ring ist gewöhnlich einfach von der Klappe zu separieren, wenn die Resektion posterior beginnend nach anterior geführt wird. Nur selten ist ein Mitralklappenersatz notwendig. Die Operation wird über eine mediane Sternotomie und unter Einsatz der Herz-Lungen-Maschine im normothermen oder hypothermen Herzstillstand vorgenommen. Die einengende Membran kann durch den linken oder über den rechten Vorhof und eine Inszision des Septum interatriale reseziert werden. 10.2.4.4
Operationstechniken
Die Operation erfolgt ausschließlich am kardiopulmonalen Bypass und besteht in der vollständigen Resektion des supramitralen Ringes, gleichgültig ob es sich im Einzelfall um eine Leiste, einen Ring oder eine Membran handelt. Der Zugang erfolgt entweder durch den rechten Vorhof und das Vorhofseptum (insbesondere bei zusätzlichen intrakardialen Anomalien) oder direkt durch den vergrößerten linken Vorhof. Die Resektion beginnt mit dem Einschneiden des überschüssigen anterosuperioren Gewebes, das sich im Anschluss daran von seiner Anheftung am Mitralanulus verhältnismäßig leicht komplett abtrennen lässt (. Abb. 10.33). Verletzungen der Mitralklappe sollten vermeidbar sein. Begleitende Herzfehler müssen gleichzeitig mitkorrigiert werden. Falls der Erkrankung eine erworbene Endokardfibrose zugrunde gelegen hat und infolgedessen eine begleitende Mitralinsuffizienz besteht, bedarf die Klappe der Rekonstruktion, damit sich die Insuffizienz postoperativ nicht verstärkt.
a
b
. Abb. 10.33a–c. Supramitraler Ring: a Hufeisenförmig gestalteter supravalvulärer Mitralklappenring. Lediglich im Bereich der anterioren Kommissur tritt die stenosierende Wirkung der Membran weniger deutlich in Erscheinung. b Heraustrennen des supravalvulär stenosie-
10.2.5
Totale Lungenvenenfehlmündung
10.2.5.1
Vorbemerkungen
Die Diagnose der totalen Lungenvenenfehlmündung ist dann zu stellen, wenn alle 4 Lungenvenen fehlerhaft im rechten Vorhof oder in einem Seitarm der Hohlvenen münden. Diese Fehlbildung besteht bei 1–1,5 % aller Kinder mit angeborenem Herzfehler. Auch wenn die totale Lungenvenenfehlmündung mit anderen Herzfehlern vergesellschaftet sein kann, insbesondere bei Kindern mit Polysplenie, Asplenie oder Heterotaxiesyndrom, werden wir uns hauptsächlich auf die isolierte totale Lungenvenenfehlmündung oder die Kombination mit kleineren Anomalien, wie offener Ductus arteriosus Botalli oder Vorhofseptumdefekt, beziehen. 10.2.5.2
Chirurgische Anatomie
Die Kenntnis der normalen Entwicklung der Pulmonalvenen bildet die Grundlage, um zu erkennen, wie die verschiedenen Formen der Lungenvenenfehlmündung entstehen können. Bleibt der Anschluss der gemeinsamen Pulmonalvene an den pulmonalvenösen Plexus aus, kommt es zur Persistenz einer oder mehrerer Venenverbindungen zur rechten V. cava superior, zur linken Vertikalvene bzw. V. anonyma oder zur umbilikovitellinen Vene bzw. V. portae. Ein Fehler in der normalen Entwicklung des Septum primum oder eine abnormale Septierung des Sinus venosus kann zum direkten Anschluss der Lungenvenen an das Atrium dextrum führen. Eine spätere Obstruktion der gemeinsamen Pulmonalvene, nachdem sich frühere Venenkanäle zurückgebildet haben, kann zur isolierten Pulmonalvenenatresie, einer seltenen Anomalie mit gewöhnlich letalem Ausgang, führen. Bleibt die Einbeziehung der gemeinsamen Pulmonalvene aus, kann es zur linksatrialen Teilung oder zur Membranbildung eines Cor triatriatum (also zur Stenose der gemeinsamen Pulmonalvene) kommen. Die totale Lungenvenenfehlmündung wird grob in 4 Kategorien unterteilt, die durch die anomale Einmün-
c renden Mitralrings entlang seines Anheftungsrandes am Mitralanulus. c Nach vollständiger Entfernung des stenosierenden Ringes ist der Blick auf die (zumeist intakte) Mitralklappe freigegeben
10
260
Kapitel 10 · Lungenvenenfehlmündungen, Vorhofanomalien und angeborene Fehler der AV-Klappen
dung der Verbindung zur systemischen venösen Zirkulation definiert sind. Darling hat die gebräuchlichste Einteilung für die totale Lungenvenenfehlmündung vorgeschlagen, die auf dem Ort der Einmündung der Lungenvenen basiert (Darling et al. 1957; . Abb. 10.34): 4 Der Typ I oder die suprakardiale Verbindung ist die häufigste Form und liegt in 51 % der Fälle vor. Die 4 Pulmonalvenen münden über eine gemeinsame Vene in die rechte V. cava superior, in die linke V. cava superior oder in deren Seitenarme. Bei der suprakardialen Verbindung kann eine Stenose am Ursprung der aufsteigenden Vertikalvene oder an der Einmündung dieser Vene in die V. anonyma vorliegen bzw. die Vertikalvene kann an der Kreuzung mit der linken A. pulmonalis und dem linken Bronchus stenosiert sein. 4 Der Typ II oder die kardiale Verbindung besteht bei 28 % der Fälle. Die Pulmonalvenen sind direkt mit dem rechten Herzen verbunden, z. B. mit dem Sinus coronarius oder direkt mit dem Atrium dextrum. Bei dieser Fehlmündung sind Obstruktionen selten, können jedoch an der Verbindung der gemeinsamen Vene mit dem Koronarsinus entstehen.
4 Der Typ III oder die infradiaphragmale Verbindung liegt in 14 % der Fälle vor, wobei die gemeinsame Pulmonalvene nach unten und vor dem Ösophagus durch das Diaphragma zum Anschluss an die V. portae zieht. Bei dieser Fehlmündung hemmen fast immer hochgradige Stenosen der gemeinsamen Pulmonalvene den Pulmonalvenenfluss, da der Zusammenfluss der Pulmonalvenen für gewöhnlich im Sinus venosus mündet, der sich kurz nach der Geburt verengt. 4 Der Typ IV oder die gemischte Verbindung ist selten und liegt in 7 % der Fälle vor. Die rechten und linken Pulmonalvenen münden an unterschiedlicher Stelle (z. B. die linke Pulmonalvene in die linke Vertikalvene und diese dann in die linke V. anonyma und die rechte Pulmonalvene an separater Stelle). Bei allen Formen kann durch die restriktive Vorhofseptumdefektgröße und den kleinen linken Vorhof zusätzlich eine Stenose entstehen. Die Inzidenz der verschiedenen Formen der totalen Lungenvenenfehlmündung ist in . Tab. 10.1 dargestellt.
10
a
d
b
c
e
. Abb. 10.34a–e. Anatomische Erscheingsformen der totalen Lungenvenenfehlmündung. a Typ I mit suprakardialer Einmündung der Lungenvenen in die linke obere Hohlvene; b Typ I mit suprakardialer Einmündung der Lungenvenen in die rechte obere Hohlvene; c Typ II
mit kardialer Einmündung der Lungenvenen in den rechten Vorhof; d Typ II mit kardialer Einmündung der Lungenvenen in den Koronarsinus; e Typ III mit infrakardialer Einmündung der Lungenvenen in das Pfortadersystem oder die untere Hohlvene
261 10.2 · Angeborene Herzfehler mit Obstruktion der linksventrikulären Einflussbahn
. Tab. 10.1. Totale Lungenvenenfehlmündung: Häufigkeitsverteilung der Anlageformen. Nach Hammon u. Bender (1983) Anlagetyp
Häufigkeit n
%
Typ I: suprakardiale totale Lungenvenenfehlmündung
284
51
Typ II: kardiale totale Lungenvenenfehlmündung
156
28
Typ III: infrakardiale totale Lungenvenenfehlmündung
79
14
Typ IV: gemischte Formen
40
7
559
100
Gesamt
Eine Obstruktion der Pulmonalvenen kann bei allen Formen auftreten, und in allen Fällen muss der Kliniker alle Orte der Stenosen identifizieren, um diese zum Zeitpunkt der chirurgischen Korrektur möglichst vollständig zu beheben. ! Kinder mit stenosierender totaler Lungenvenenfehlmündung weisen häufig respiratorische Probleme, eine Hypoxie oder sogar ein »Low-cardiac-output«-Syndrom auf. Eine pulmonalarterielle Hypertension kann ebenfalls bestehen.
Jene Kinder, die unter einer obstruktiven totalen Lungenvenenfehlmündung leiden, benötigen eine dringliche, ggf. notfallmäßige Korrektur, wohingegen jene Kinder mit nichtobstruierender Lungenvenenfehlmündung die Korrektur elektiv erhalten können. 10.2.5.3
Patienten mit Lungenvenenobstruktion
Eine Lungenvenenobstruktion tritt bei nahezu allen Patienten mit infradiaphragmaler Einmündung und bei etwa 50 % der Patienten mit suprakardialer Einmündung auf. Die Patienten mit einer Obstruktion entwickeln frühzeitig Symptome, für gewöhnlich nach 24–36 h. Zu den Symptomen gehören Tachypnoe, Tachykardie und Zyanose. Gelegentlich müssen Neugeborene mit stenosierender totaler Lungenvenenfehlmündung infolge eines Lungenversagens oder aufgrund einer pulmonalen Hypertension an die extrakorporale Membranoxygenierung angeschlossen werden (Ishino et al. 1997). Die Zeichen des pulmonalen Hochdrucks nehmen mit Verschlechterung des Blutflusses in der Lungenstrombahn und Verstärkung der Zyanose zu. Unbehandelt ist der Verlauf durch die progressive Verschlechterung des klinischen Zustandes und den frühen Tod in der ersten Lebenswoche oder im ersten Lebensmonat in Abhängigkeit vom Grad der Lungenvenenobstruktion gekennzeichnet. ! Patienten mit symptomatischer, obstruierter totaler Lungenvenenfehlmündung benötigen ggf. eine nicht aufschiebbare Notfalloperation.
Einige anatomische Subtypen der suprakardialen Einmündung neigen eher zur Obstruktion. Mündet die fehlangelegte Vene direkt in die rechte V. cava superior, treten in etwa 65 % der Fälle partielle Einengungen auf. Erfolgt die Einmündung in die V. azygos, zeigen nahezu alle Patienten das Bild einer Obstruktion der Pulmonalvenen. Die Diagnose wird echokardiographisch gestellt. ! Die präoperative Angiographie kann bei Kindern mit Symptomen der Obstruktion eine klinisch bedeutsame Verschlechterung auslösen (Serraf et al. 1991).
Bei der klinischen Untersuchung imponiert die schwere Zyanose mit drohendem pulmonalen Versagen. Der Herzspitzenstoß ist prominent, ohne dass das Herz klinisch vergrößert wirkt. Die pulmonale Komponente des 2. Herztons erscheint lauter, und meist ist der Ton gespalten. Ein typisches Geräusch fehlt gewöhnlich. Bisweilen ist ein systolisches Geräusch über der Pulmonalklappe oder ein Insuffizienzgeräusch der Trikuspidalklappe über dem mittleren oder unteren Sternum hörbar. Die peripheren Pulse erscheinen unmittelbar nach der Geburt normal, verschlechtern sich jedoch mit Fortschreiten der sich entwickelnden Herzinsuffizienz. Im Thoraxröntgenbild ist jedoch ein kleines Herz mit Lungenstauung zu erkennen, die gelegentlich auch als schwerer pulmonaler Infekt gedeutet wird. Eine Hepatomegalie tritt oftmals auf, insbesondere beim Typ III der totalen Lungenvenenfehlmündung mit infradiaphragmaler Mündung. Obwohl eine definitive Korrektur mittels Katheterintervention nicht möglich ist, wird die Vorhofseptostomie ausnahmsweise bei einigen Patienten angewandt, wenn das Foramen ovale ein Ort der Obstruktion ist oder wenn eine Stenteinlage in die verengte Vertikalvene es ermöglicht, den Zeitraum bis zur definitiven chirurgischen Korrektur zu überbrücken, sofern die chirurgische Intervention aus anderen Gründen zeitversetzt erfolgen muss (Kanter 2006). 10.2.5.4
Patienten ohne Lungenvenenobstruktion
Patienten, bei denen der Pulmonalvenenfluss ungehindert ist, präsentieren sich mit Symptomen, die denen bei großem Vorhofseptumdefekt gleichen. Geringergradige Gedeihstörungen, eine ungewöhnlich große Zunahme der Atemarbeit bei Belastungen sowie häufig wiederkehrende pulmonale Infektionen gehören zum Krankheitsbild. Oftmals zeigen diese Patienten mit gehäufter Inzidenz pulmonaler Infektionen im Röntgenbild des Thorax eine signifikant vergrößerte Herzsilhouette. Bei der klinischen Untersuchung sind die Zeichen der rechtsventrikulären Volumenbelastung mit einer spürbaren Zunahme der rechtsventrikulären Pulsation erkennbar, außerdem ein weit gespaltener 2. Herzton, der gewöhnlich mit einem normal lauten Pulmonalklappenschluss vergesellschaft und mit einem Geräusch über dem rechtsventrikulären Ausflusstrakt sowie mit oder ohne einem diasto-
10
262
Kapitel 10 · Lungenvenenfehlmündungen, Vorhofanomalien und angeborene Fehler der AV-Klappen
lischen Geräusch über der Trikuspidalklappe verbunden ist. Die Zyanose tritt nicht regelhaft im ersten Lebensjahr auf. Wenn sich eine Restriktion des Foramen ovale entwickelt, nehmen die Wahrscheinlichkeit für die Entstehung einer pulmonalen Hypertension und deren Schweregrad zu. Es kommt zu einem früheren Einsetzen von Tachypnoe, einem lauteren Pulmonalklappenschlusston, prominenteren rechtsventrikulären Pulsationen und einer höheren Wahrscheinlichkeit, dass sich systemische und pulmonalvenöse Stauungszeichen entwickeln. Die Diagnose einer totalen Lungenvenenfehlmündung wird gewöhnlich echokardiographisch gestellt. Nur selten ist heutzutage die Katheteruntersuchung notwendig und bleibt für jene Patienten reserviert, die weitere abklärungsbedürftige komplexe Herzfehlbildungen aufweisen oder aber bei denen Formen der gemischten Einmündung vorliegen und die einzelnen Pulmonalvenen echokardiographisch nicht sicher dargestellt werden können. 10.2.5.5
10
Operationsverfahren
Das Ziel der chirurgischen Therapie besteht darin, den Lungenvenenfluss wieder direkt in den linken Vorhof umzuleiten. Die erste chirurgische Korrektur wird Muller und Kollegen von der UCLA (University of California, Los Angeles) zugeschrieben. Ohne die Herz-Lungen-Maschine einzusetzen, wurde im Jahre 1951 die Anastomose zwischen dem linken Herzohr und dem Konfluens der Pulmonalvenen angelegt (Muller 1951). Die erste komplette Korrektur am offenen Herzen wurde im Jahre 1956 an der Universität von Minnesota durch Lewis und Varco vorgenommen, indem sie die Technik des bikavalen Einflussstopps (»caval inflow occlusion«) anwandten (Lewis et al. 1956). Die erste Korrektur am kardiopulmonalen Bypass erfolgte am 26.05.1955 an der Mayo-Klinik durch Kirklin (Kirklin 1973). In der Vergangenheit wurde die Korrektur bei nahezu allen Kindern in tiefer Hypothermie und im Kreislaufstillstand durchgeführt, auch wenn der Eingriff bei älteren Kindern mit bikavaler Kanülierung und unter hypothermer Perfusion mit niedrigem Fluss möglich ist. Der Kreislaufstillstand hat den Vorzug, dass im blutleeren Operationsfeld eine exzellente Exposition des Konfluens der Pulmonalvenen gelingt, ohne dass unnötige Manipulationen oder Klemmungen der Pulmonalvenen erforderlich wären, aus denen später relevante Pulmonalvenenstenosen entstehen können. Wir tendieren dazu, eine bikavale Kanülierung bei allen und auch bei den kleinsten Neugeborenen mit einem Körpergewicht von <2 kg einzusetzen. Rechtwinklige Standardkanülen mit Metallspitze werden direkt in die V. cava inferior unmittelbar oberhalb des Diaphragmas sowie in die V. cava superior nahe der Einmündung der V. anonyma eingebracht. Bei Kindern mit der suprakardialen Form der totalen Lungenvenenfehlmündung ist die V. cava superior deutlich vergrößert, da die Vene einen zusätzlichen Zufluss von den fehlmündenden Pulmonalvenen
erhält. Hierdurch ist die direkte Kanülierung erleichtert. In jenen selten Fällen mit der suprakardialen Form, bei denen die anomale Einmündung in die V. azygos erfolgt, ist es besser, eine Bulldog-Klemme unterhalb der V. azygos (aber mit Abstand zum Sinusknoten) zu platzieren, als ein Tourniquet um die Kanüle in der V. cava superior anzulegen. Dies ermöglicht die Dekompression der Pulmonalvenen über die V. cava superior während der Kühlung (Kanter 2006). Bei der bikavalen Kanülierung sind die Kanülen während der Korrektur nicht im Weg, und man erhält so eine exzellente Darstellung des pulmonalvenösen Zusammenflusses, insbesondere in der Phase des kardioplegischen Kreislaufstillstands. Bei Bedarf ist es von Nutzen, gelegentlich für ein kurzes Zeitfenster den kompletten Kreislaufstillstand herzustellen, um die optimale Darstellung der Strukturen im blutleeren Operationsgebiet zu erzielen. Jedoch ist dies mit einer bikavalen Kanülierung und unter Niedrigflussbedingungen in Hypothermie selten notwendig. Werden Kanülierung und Dekanülierung mit der notwendigen Sorgfalt vorgenommen, sind Folgekomplikationen der direkten Kavakanülierung, wie Thrombose der V. cava superior oder die postoperative Ausbildung eines Chylothorax, nicht zu erwarten. 10.2.5.6
Operationstechniken
Liegt die Mündung bei der totale Lungenvenenfehlmündung im Sinus coronarius oder im rechten Vorhof (Typ II oder intrakardiale Verbindung), erfolgt die Korrektur einfach dadurch, dass der existierende Vorhofseptumdefekt oder ein offenes Foramen ovale erweitert und der Sinus coronarius vollständig zum linken Vorhof hin eröffnet wird, sodass alle 4 Pulmonalvenen adäquat sichtbar sind. Der vergrößerte Vorhofseptumdefekt wird dann mit einem Perikardflicken oder einem Flicken aus anderem Material so verschlossen, dass die Pulmonalvenen in das Atrium sinistrum umgeleitet werden (. Abb. 10.35 u. 10.36). Dabei ist sorgsam auf die Schonung der Erregungsleitungsbahnen zu achten. Ein Primärverschluss des Vorhofseptumdefekts kann die Anatomie verziehen, sodass die Verwendung eines Flickens dringend anzuraten ist. Ein alternatives Operationsverfahren, das bei Kindern mit großem Koronarsinus bevorzugt eingesetzt werden kann, haben Van Praagh et al. (1972) beschrieben. Nach Längseröffnung des rechten Vorhofs wird durch Heraustrennen oder Inzision von Vorhofseptumgewebe zunächst das Forman ovale vergrößert und dadurch ein besserer Einblick in den linken Vorhof geschaffen. Dann wird ein gebogenes Instrument in den erweiterten Koronarsinus eingeführt und die Vorderwand des Koronarsinus, die zugleich die Hinterwand des linken Vorhofs ist, herausgehebelt. Die derart in das Blickfeld gelangende aufgespannte Membran wird inzidiert und so weit herausgeschnitten, dass ein Defekt mit einem Durchmesser von mindestens 1,5–2 cm resultiert. Die Anlage einer derart weiten und nahtlosen Öffnung tief unterhalb der Mündung des Koronarsinus schließt
263 10.2 · Angeborene Herzfehler mit Obstruktion der linksventrikulären Einflussbahn
. Abb. 10.35. Korrektur des kardialen Typs der Lungenvenenfehlmündung in den Koronarsinus durch Resektion der Vorderwand des
Koronarsinus (»unroofing«) und abschließenden Verschluss der Vorhofkommunikation
b
a
. Abb. 10.36a, b. a Die den Koronarsinus vom linken Vorhof trennende Wand ist tiefreichend exzidiert. b Der den Vorhofseptumdefekt abdichtende Perikard- oder Kunststoffflicken wird an der Vorderwand
des Koronarsinus verankert, sodass der Koronarsinus selbst mit den zuvor fehleinmündenden Lungenvenen nun definitiv im linken Vorhof mündet bzw. endet
eine Verletzung der atrialen Reizleitungsbahnen und des AV-Knotens weitgehend aus. Auch besteht keine Gefahr, nach dorsal in den freien Perikardraum durchzuschneiden. Im Weiteren wird die Mündung des Koronarsinus in den rechten Vorhof durch einzelne Nähte oder eine fortlaufende Naht verschlossen, wobei die Stiche 4–5 mm einwärts des Koronarsinus anzulegen sind. Sobald die interatriale Kommunikation durch direkte Naht oder Verankerung eines Flickens ebenfalls abgedichtet ist, endet der intrakardiale Eingriff mit dem Verschluss der Vorhofinzision. Beiden Operationsverfahren ist gemeinsam, dass die Lungenve-
nendrainage in den linken Vorhof am Ende der Korrektur durch den nicht länger überdachten Koronarsinus erfolgt. Es sind viele Techniken für die Korrektur der suprakardialen Form der totalen Lungenvenenfehlmündung beschrieben worden. Gewöhnlich werden die Pulmonalvenen – nach Anschluss an die Herz-Lungen-Maschine und im kardioplegischen Herzstillstand – in der posterioren Perikardhöhle dargestellt, wobei man den Perikardumschlag zwischen Atrium dextrum und dem Zusammenfluss der Pulmonalvenen spaltet (Kirklin 1973). Eine Inzision der gemeinsamen Pulmonalvene – des »Konfluens«, der typi-
10
264
Kapitel 10 · Lungenvenenfehlmündungen, Vorhofanomalien und angeborene Fehler der AV-Klappen
scherweise in transversaler Richtung verläuft – wird vorgenommen. In korrespondierender Weise und entsprechender Größe wird die posteriore Wand des linken Vorhofs inzidiert. Die Schnittführung beginnt nahe dem Vorhofseptum und wird dann zur Basis des linken Vorhofohres geführt, sodass eine transversal verlaufende Inzision in der Rückwand des Atrium sinistrum entsteht, die dem Schnitt in der gemeinsamen Pulmonalvene entspricht. Anschließend wird eine direkte Anastomose, die so groß wie möglich anzulegen ist, mittels fortlaufender und resorbierbarer 7/0- oder 6/0Naht gefertigt (. Abb. 10.37). Die Anastomose kann verstärkt werden, indem man die linksseitige Vertikalvene so weit wie möglich im oberen Abschnitt, an der Mündung in die V. anonyma, spaltet. Eine Inzision wird vorgenommen, die vom rechten medialen Teil der V. anonyma bis zur Mündungsstelle in den Zusammenfluss der Pulmonalvenen hinabführt. Diese Vene wird dann nach medial unten umgeschlagen und kommt am oberen Teil der Anastomose zwischen der gemeinsamen Pulmonalvene und der Rückwand des Atrium sinistrum zu liegen. Der gestielte Umschlag autologer Venenwand dient der Verstärkung der Anastomose und vergrößert das effektive Volumen des Atrium sinistrum. Normalerweise wird die Vertikalvene ligiert bzw. durchtrennt (Kumar et al. 2001; Spray 2001).
Eine alternative Technik, die suprakardiale Form einer totalen Lungenvenenfehlmündung zu korrigieren, besteht darin, eine transversale biatriale Inzision vorzunehmen (Shumacker u. King 1961). Die Technik beinhaltet eine transversale rechtsatriale Inzision, welche über die Crista terminalis und dann durch die posteriore Wand des linken Vorhofs geführt wird. Unter direkter Sicht kann man schließlich die Rückwand des Atrium sinistrum direkt mit dem Zusammenschluss der Pulmonalvenen anastomosieren. Der letzte Abschnitt der Anastomose kann mit Einzelknopfnähten fertiggestellt werden. Der Vorhofseptumdefekt wird typischerweise mit einem Flicken aus Perikard oder anderem geeigneten Material verschlossen. Die rechtsatriale Inzision wird direkt verschlossen, man kann sie bei Bedarf aber auch mit einem Flicken erweitern. Der Vorzug dieser Technik liegt darin, dass die Exposition der Pulmonalvenen besser ist. Jedoch sind mehr Nahtlinien im Vorhof anzulegen, die das Risiko postoperativer Arrhythmien, welche vom Vorhof ausgehen, erhöhen (. Abb. 10.38 u. 10.39). Cobanoglu beschrieb eine weitere Technik, um die suprakardiale Form der totalen Lungenvenenfehlmündung zu korrigieren, wobei die Anastomose von der linken Seite des Operationstisches aus gefertigt wird. Hierfür wird der
10
a
. Abb. 10.37a–c. a Horizontale Inzision des linken Vorhofs und des Lungenvenenkonfluens durch parallele Schnittführung (gestrichelte Linie); b Herstellen der Anastomose zwischen Lungenvenenkonfluens und linkem Vorhof durch fortlaufend überwendliche Naht mit einem resorbierbaren Faden; c schematische Darstellung der abgeschlossenen Korrektur mit breitflächiger Anastomose zwischen Lungenvenenkonfluens und linkem Vorhof sowie Durchtrennung der links aszendierenden Hohlvenendrainage zwischen 2 Ligaturen
b
c
265 10.2 · Angeborene Herzfehler mit Obstruktion der linksventrikulären Einflussbahn
a
c
f
b
d
e
. Abb. 10.38a–f. a Rechter Vorhof, Vorhofseptum und linker Vorhof sind horizontal eröffnet. Der gegenüberliegende Lungenvenenkonfluens wird parallel dazu inzidiert. b Die Anastomose zwischen Lungenvenenkonfluens und Hinterwand des linken Vorhofs wird mittels fortlaufender Naht mit einem resorbierbaren Faden vorgenommen. c Die Anastomose zwischen linkem Vorhof und Lungenvenenkonfluens ist fertiggestellt. d Zur Vergrößerung des linken Vorhofs und zum Herstellen eines unbehinderten Blutabflusses aus den Lungenvenen in den linken Ventrikel wird der Vorhofseptumdefekt nicht direkt, sondern mit einem Kunststoffflicken verschlossen. e Der Flicken zum Verschluss des Vorhofseptumdefekts ist mittels fortlaufender Naht verankert. Der Verschluss der rechtsatrialen Inzisison beginnt mit einer fortlaufenden Naht am verbliebenden vorderen Inzisionswinkel. f Der Verschluss der rechtsatrialen Inzision erfolgt mittels fortlaufend überwendlicher Naht eines resorbierbaren Fadens, ggf. unter plastischer Verschiebung der Vorhofwand
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266
Kapitel 10 · Lungenvenenfehlmündungen, Vorhofanomalien und angeborene Fehler der AV-Klappen
a . Abb. 10.39a, b. a In seltenen Fällen wird die Anastomose zwischen linkem Vorhof und Lungenvenenkonfluens bei der suprakardialen totalen Lungenvenenfehlmündung von links am nach rechts aus dem Thorax gehaltenen Herzen hergestellt. Die Schnittführung verläuft dabei nach rechts, horizontal entlang der Hinterwand des linken Vor-
b hofs und, parallel dazu, entlang der Vorderwand des Lungenvenenkonfluens. b Die Anastomose zwischen eröffnetem Lungenvenenkonfluens und linkem Vorhof wird mittels fortlaufend überwendlicher Naht mit einem resorbierbaren Faden hergestellt. Das Foramen ovale ist durch direkte Naht bereits verschlossen
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a
b
. Abb. 10.40a, b. Vorgehen nach Cobanoglu
Apex cordis angehoben und nach rechts geschoben (Cobanoglu u. Menashe 1993). Die Anastomose beginnt an der rechten Seite, und der Chirurg führt die Nahtlinie auf sich zu zur Basis des linken Herzohres und schließt dabei die gemeinsame Pulmonalvene nahe der linken oberen Pulmonalvene an den linken Vorhof an (. Abb. 10.40). Ein persistierendes Foramen ovale wird dann direkt oder wenn Bedenken hinsichtlich einer Beeinträchtigung der Pulmonalvenenanastomose bestehen mit einem Flicken verschlossen. Anschließend wird die Vertikalvene typischerweise ligiert. Das Herz wird verschlossen, das Kind
wieder aufgewärmt und der Kreislauf vom kardiopulmonalen Bypass entwöhnt. ! Bestehen Bedenken hinsichtlich einer postoperativen pulmonalen Hypertonie mit folgendem Rechtsherzversagen, kann als lebensrettende Technik das persistierende Foramen ovale partiell offen belassen werden, um eine Dekompression der rechten Seite durch das Vorhofseptum mit einem Rechts-links-Shunt, aber zum Preis einer gewissen systemisch-arteriellen Entsättigung zu ermöglichen.
267 10.2 · Angeborene Herzfehler mit Obstruktion der linksventrikulären Einflussbahn
Hawkins beschrieb einen direkten Zugang zur Anastomose zwischen linkem Vorhof und gemeinsamer Pulmonalvene, wobei zunächst die Fossa ovalis durch den rechten Vorhof exzidiert wird (Hawkins et al. 1983). Es werden eine großzügige transversale Inzision an der Rückwand des Atrium sinistrum und ein korrespondierender Schnitt am Zusammenschluss der Pulmonalvenen angelegt. Die gemeinsame Pulmonalvene wird nun mit der Rückwand des linken Vorhofs direkt durch die Fossa ovalis, welche danach mit einem Perikardflicken zu verschließen ist, anastomosiert. Die Autoren postulieren, dass hierbei die Möglichkeit, die Anastomose zu verziehen, eliminiert wird, da das Herz in der anatomisch korrekten Position verbleibt. Die chirurgische Korrektur des infrakardialen Typs der totalen Lungenvenenfehlmündung ist jener, die für die suprakardiale Form beschrieben wurde, sehr ähnlich. Oftmals ist der Zusammenfluss der Pulmonalvenen in der gemeinsamen Pulmonalvene vertikal orientiert, sodass die Inzision der gemeinsamen Pulmonalvene mehr hockeyschlägerförmig zu führen ist, indem der Schnitt zunächst vertikal verläuft und dann zur linken oberen Pulmonalvene zieht, um
mit der formähnlichen Inzision an der Rückwand des linken Vorhofs von der medialen und inferioren Seite des linken Herzohrs zu korrespondieren (. Abb. 10.41). Es ist nicht notwendig, die gemeinsame Pulmonalvene unterhalb des Diaphragmas zu verschließen, und tatsächlich haben einige Autoren vorgeschlagen, diese Vene regelhaft offen zu lassen, und zwar bei jenen Patienten, welche die Symptome einer Obstruktion zeigen (Cope et al. 1997). Der Vorzug, diese Vene offen zu belassen, besteht zumindest theoretisch darin, dass hierüber eine Dekompression des Pulmonalvenenkanals über den Sinus venosus in der frühpostoperativen Phase möglich ist, insbesondere dann, wenn der linke Vorhof klein angelegt und von schlechter Compliance ist (Ishino et al. 1997). Andererseits kann es bei einem klein angelegten Auriculum sinistrum nützlich sein, die Vertikalvene zu teilen und den verbleibenden Rest als aufliegenden Flicken zur Vergrößerung des linken Vorhofs zu verwenden. Diese Technik setzt voraus, dass die Pulmonalvenen und deren Zusammenschluss großzügig mobilisiert werden. Die Korrektur wird vollendet, wobei die Herzspitze nach oben und rechts zu ziehen ist. Nach Tei-
b
a
c . Abb. 10.41a–d. a Bei der infrakardialen totalen Lungenvenenfehlmündung erfolgt die Schnittführung gelegentlich vertikal im Verlauf der nach kaudal führenden Drainagevene. Die gegenüberliegende Inzision am linken Vorhof verläuft parallel dazu. b Mittels fortlaufender, zunächst offen geführter Naht werden die Inzisionsöffnungen miteinander verbunden. c Auf halber Kantenlänge werden die Fadenenden angezogen. d Die Anastomose zwischen Lungenvenenkonfluens und linkem Vorhof ist fertiggestellt, die Drainagevene zwischen den 2 Ligaturen durchtrennt.
d
10
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Kapitel 10 · Lungenvenenfehlmündungen, Vorhofanomalien und angeborene Fehler der AV-Klappen
lung der Vertikalvene am Diaphragma wird die Vene longitudinal gespalten. Parallel wird der Schnitt an der Rückseite des linken Vorhofs bis in das Herzohr hinein geführt. Die venoatriale Anastomose beginnt am oberen Rand des Zusammenschlusses der Lungenvenen und der Basis der Linksatriotomie. Die Anastomose wird zu beiden Seiten fortgeführt und die inferiore Seite des Pulmonalvenenzusammenschlusses (die geteilte Vertikalvene) mit der Spitze des linken Vorhofohres vereinigt. Die chirurgische Handhabung der gemischten Formen der totalen Lungenvenenfehlmündung variiert in Abhängigkeit von der vorliegenden spezifischen Anatomie bei jedem einzelnen Patienten (Imoto et al. 1998). Eine einzelne anomale Pulmonalvene kann gelegentlich unkorrigiert belassen werden, sofern die anderen 3 Venen befriedigend rekonstruiert und korrekt angeschlossen sind. Dabei ist jedoch eine engmaschige Überwachung im postoperativen Verlauf indiziert, um signifikante Links-rechts-Shunts oder den Beginn einer pulmonalvaskulären Hochdruckerkrankung frühzeitig zu erkennen. 10.2.5.7
10
Postoperative Komplikationen und deren Vermeidung
Postoperativ können diese Kinder eine pulmonalarterielle Hypertension zeigen, insbesondere diejenigen, die unter den Symptomen der Pulmonalvenenobstruktion gelitten haben. Tatsächlich und wie oben bereits erwähnt, kann bei einigen Patienten eine persistierende fetale Zirkulation bei pulmonalarterieller Hypertension fehldiagnostiziert worden sein, wobei sie der fortgesetzten extrakorporalen Membranoxygenierung bedürfen. Wenn der pulmonalarterielle Druck nach der Korrektur angestiegen ist, kann die kontinuierliche Messung des pulmonalarteriellen Drucks sinnvoll sein, um eine angemessene Therapie zu veranlassen (Imoto et al. 1998). Gelegentlich bedürfen Kinder mit persistierender pulmonalarterieller Hypertonie der Behandlung mit Stickstoffmonoxid oder einer extrakorporalen Membranoxygenierung, jeweils zusammen mit den Standardmaßnahmen wie Hyperventilation, adäquate Oxygenierung und Sedierung. Sowohl noch im Operationssaal als auch in der frühpostoperativen Phase kann der linke Ventrikel partiell nichtcompliant sein und ein eingeschränktes Schlagvolumen aufweisen. Diese Kinder sind sehr empfindlich hinsichtlich einer Volumenüberlastung. Sie scheinen ein fixiertes Schlagvolumen zu haben und können das verminderte Schlagvolumen demzufolge über eine Erhöhung der Herzfrequenz oftmals kompensieren, bis sich die Compliance des Ventrikels verbessert hat. Der Einsatz von Milrinon mit dem Ziel, die ventrikuläre Compliance zu verbessern und gleichzeitig den pulmonalvaskulären Widerstand zu senken, kann dabei sehr nützlich sein. Bei diesen klinisch kritischen Patienten stellt eine temporäre Thoraxwandplastik mit sekundärem Sternumverschluss eine weitere sinnvolle Strategie dar (Alexi-Meskishvilli et al. 1995).
Eine besondere Herausforderung stellt jene Patientengruppe mit totaler Lungenvenenfehlmündung dar, die die Physiologie eines singulären linken Ventrikels aufweist. Bei diesen Kindern ist die Aufrechterhaltung eines adäquaten Blutflusses durch die Lungenstrombahn schwierig, da sie frühzeitig eine pulmonalarterielle Hypertension ausbilden. Dies gilt ganz besonders dann, wenn sie entweder einen systemisch-pulmonalarteriellen Shunt oder eine Bändelung der Pulmonalarterie benötigen. Ein im Operationssaal adäquater Blutfluss durch die Lungenstrombahn kann später einen exzessiven Blutfluss durch das pulmonale Gefäßbett bedeuten, wenn der pulmonalvaskuläre Widerstand abfällt und sich normalisiert. Hierbei kann es notwendig sein, die Quelle des pulmonalen Blutflusses an diese Veränderungen anzupassen. Auch in den erfahrensten klinischen Händen sind diese Kinder problematisch. Ein im Jahre 1999 veröffentlichter Bericht vom Children’s Hospital of Philadelphia zeigte eine Einjahresüberlebensrate in der Gruppe der Kinder mit totaler Lungenvenenfehlmündung und der Physiologie des singulären linken Ventrikels von lediglich 37 % (Gaynor et al. 1999). Die Frühletalität betrug 58 %, wobei die totale Lungenvenenfehlmündung bei der Erstoperation korrigiert wurde. Bei mehr als der Hälfte der Überlebenden stellte sich im Verlauf eine Stenose der Pulmonalvenen ein. Hashimi und Mitarbeiter vom Hospital for Sick Children in Toronto berichten über ein 95%ige Letalität bei 20 Kindern mit rechtsatrialem Isomerismus, bei denen eine Korrektur der totalen Lungenvenenfehlmündung, zum Teil kombiniert mit weiteren Eingriffen, vorgenommen wurde (Hashimi et al. 1998). 10.2.5.8
Pulmonalvenenstenose nach Korrektur der totalen Lungenvenenfehlmündung
Die wesentliche Komplikation und der Hauptgrund für Folgeoperationen nach der Korrektur einer totalen Lungenvenenfehlmündung ist das Auftreten einer Pulmonalvenenstenose. Die pulmonalvenöse stenosierende Erkrankung ist eine wenig verstandene Erscheinungsform, die zur angeborenen Pulmonalvenenhypoplasie gehört und eine schlechte Prognose aufweist. Der kausale Mechanismus ist bislang nicht ausreichend geklärt und möglicherweise auf das endotheliale Trauma in der Pulmonalvene infolge der Erstoperation oder die Folge perikardialer Verwachsungen zurückzuführen. Bei der pathologischen Untersuchung der pulmonalvenösen Obstruktion nach Korrektur einer totalen Lungenvenenfehlmündung findet sich eine bindegewebige Intimahyperplasie, die mit einer gewissen Mediahypertrophie einhergeht. Es gibt einen zunehmende Schweregrad im Spektrum der Läsionen von Strikturen an den Anastomosen bis hin zu ostialen und diffusen Pulmonalvenenstenosen. Im Fall einer Läsion an der Anastomose erbringt die Revision der linksatrialen Anastomose mit Fli ckenerweiterungsplastik ein gutes Ergebnis. Im Gegensatz hierzu versagen konventionelle Techniken, eine ostiale Pulmonalvenentenose zu beheben, und haben ein sehr
269 10.2 · Angeborene Herzfehler mit Obstruktion der linksventrikulären Einflussbahn
schlechtes Resultat. Die nahtlose Technik der Korrektur, welche im Jahre 1996 publiziert wurde, erbringt im mittelfristigen Verlauf bessere Ergebnisse als jedes andere Verfahren und verbesserte die Freiheit von Letalität und Wiederkehr der Stenose von 65 % auf 90 % (Lacour-Gayet 2006; Lacour-Gayet et al. 1996). Tritt eine Pulmonalvenenstenose sofort nach der Operation bzw. innerhalb der ersten postoperativen Tage auf, ist dies die Folge einer primär restriktiven Anastomose. Häufiger jedoch tritt die Stenose nach einem Intervall von 2 bis zu mehreren Monaten und insbesondere nach Anlage einer großen Anastomose und einem zunächst unauffälligem Verlauf auf. Die komplexen Formen der totalen Lungenvenenfehlmündung haben ein höheres Risiko für die Ausbildung einer pulmonalvenösen Stenosierung. Nach der Korrektur einer totalen Lungenvenenfehlmündung, die mit einem singulären Ventrikel und einem rechtsatrialen Isomerismus verbunden war, wird von einer Inzidenz von 20–50 % für die Ausbildung einer Pulmonalvenenstenose im postoperativen Verlauf berichtet. Die gemischten Formen der Fehlmündung, die aberrierende Pulmonalvenenmündung, die Kombination mit dem Scimitar-Syndrom oder mit genetischen Syndrome sowie ein Körpergewicht von <2,5 kg sind mit dem vermehrten Auftreten einer sekundären pulmonalvenösen Stenosierung verbunden (Lacour-Gayet 2006). Der gemeinsame Nenner aller höchstkomplexen totalen Lungenvenenfehlmündungsformen ist die Hypoplasie des gemeinsamen Pulmonalvenenstamms. Kürzlich hat die Arbeitsgruppe aus Toronto eine nahtlose Korrektur als ersten Behandlungsschritt bei Patienten mit Hypoplasie der gemeinsamen Pulmonalvene eingeführt (Yun et al. 2006). Der kritische Punkt dieser Technik besteht darin, die atriale Anastomose direkt mit dem Perikard zu fertigen, welches die inzidierte gemeinsame Pulmonalvene umschließt. Die Diagnose einer ostialen Pulmonalvenenstenose wird mittels Dopplerechokardiographie gestellt. Hierbei lässt sich ein kontinuierlicher Fluss mit einer Geschwindigkeit von >1,5 mm/s über dem Pulmonalvenenostium messen. Die Magnetresonanztomographie ist ebenfalls und zumindest partiell hilfreich für die Diagnosestellung. Es ist das einzige bildgebende Verfahren, welches intakte Teile der Pulmonalvenen im Fall einer Ostiumatresie sichtbar werden lässt. Ein pulmonalarterieller Druck von >50 mmHg stellt eine Indikation zur Operation dar (Lacour-Gayet 2006). Der Schweregrad der Pulmonalvenenstenose kann anhand der von Lacour-Gayet (2006) vorgeschlagenen Punktebewertung eingeschätzt werden: 4 Anastomosenstenose zwischen dem gemeinsamen Pulmonalvenenstamm und dem linken Vorhof ohne jegliche Ostiumstenose, 4 Ostiumstenose der rechten Pulmonalvene unter Einbeziehung der oberen und/oder unteren Vene (eine ein-
4 4 4 4
zelne Pulmonalvenenstenose wird gewöhnlich gut toleriert), Ostiumstenose der linken Pulmonalvene unter Einbeziehung der oberen und/oder unteren Vene, bilaterale Pulmonalvenenstenose unter Einbeziehung von 2, 3 oder 4 einzelnen Pulmonalvenenostien, diffuse Hypoplasie einer oder verschiedener Pulmnalvenen, totale Atresie verschiedener Pulmonalvenenostien.
Yun und Mitarbeiter haben ein anderes Punktebewertungssystem für die Beurteilung der Pulmonalvenenstenose vorgeschlagen: 4 0: keine Stenose; 4 1: geringgradige Stenose; 4 2: hochgradige Stenose; 4 3: verschlossene Pulmonalvene. Je höher die Punktezahl ist, desto höher ist das Risiko für die Notwendigkeit einer Re-Operation oder den Tod des Patienten (Yun e al. 2005). 10.2.5.9
Standardtechniken
Für jeden Patienten wird die chirurgische Technik an die spezifische vorliegende Anatomie der Stenose angepasst. Bei Patienten mit isolierter Anastomosenstenose erfolgt die Revision der Anastomose durch eine Erweiterungsplastik, indem die linksatriale Anastomose unter Einnähen eines Flickens über einen transseptalen Zugang erweitert wird. Der anterior gelegene Teil der Anastomose zwischen dem gemeinsamen Pulmonalvenenstamm und der linken Vorhofwand wird inzidiert. Zur Erweiterung der Anastomose verwendet man einen Polytetrafluorethylenflicken. Eine Ostiumstenose ist bisweilen mit dieser Läsion vergesellschaftet. Die konventionelle Korrektur der einzelnen Pulmonalvenenstenose durch entweder eine Endarteriektomie von Narbengewebe oder eine Venenplastik mit Flicken unter Verwendung von Perikard, vitalem Vorhofgewebe oder Polytetrafluorethylen ist mit einem hohen Risiko für ein Rezidiv der Stenose behaftet (Ricci et al. 2003). Der anterior gelegene Teil der zuvor geschaffenen Anastomose zwischen dem gemeinsamen Pulmonalvenenstamm und der linken Vorhofwand wird inzidiert. Die Exposition wird gewöhnlich über eine Rechtsatriotomie und einen transseptalen Zugang erreicht (. Abb. 10.42a–c). Die stenotische Verbindung zwischen dem linken Vorhof und dem Pulmonalvenenstamm kann durch eine Serie von 5 oder 6 radial angelegten Schnitten gelöst werden (. Abb. 10.42d, e). Bisweilen ist es erforderlich, einen Teil der stenosierenden Kante zu resezieren, um eine weitere Lumenvergrößerung der Pulmonalvenenöffnung zu erzielen (Devaney et al. 2006). Die Erweiterung einer linksseitigen Pulmonalvenenstenose mit einem Flicken aus Gewebe des linken Herzohres
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Kapitel 10 · Lungenvenenfehlmündungen, Vorhofanomalien und angeborene Fehler der AV-Klappen
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. Abb. 10.42a–e. Korrektur der Anastomosenstenose der Pulmonalvene über eine Rechtsatriotomie (a) und transseptale Inzision (b), welche die verengte Anastomose zwischen Atrium sinistrum und Pulmonalvenenzusammenschluß (c) zeigt. Eine Serie von fünf oder sechs ra-
dial geführten Schnitten (d) kann angelegt werden und so zu einer weit offenen Kommunikation (e) führen
stellt eine weitere alternative Technik dar (Pacifico et al. 1985).
V. cava inferior wird tief kanüliert und nicht angeschlungen. Hierdurch wird der Abstrom des größten Anteils des Rückflusses über die V. cava inferior ermöglicht. Den linken Vorhof erreicht man über einen transseptalen Zugang. Die stenotischen Pulmonalvenenostien werden identifiziert. Sie können bis auf Stecknadelkopfgröße reduziert und somit oftmals schwer zu erkennen sein. Das stenosierende Gewebe der rechten Pulmonalvene wird vollständig von der Innenseite des Atrium sinistrum und gleichsam von der Außenseite und unterhalb des Sondergaard-Sulkus reseziert. Diese Resektion schafft eine große Öffnung in der linken Vorhofwand, die offen belassen wird. Das stenotische Narbengewebe der Pulmonalvene wird bis zur Ebene des Perikardumschlags und bis auf das normale Pulmonalvenengewebe exzidiert (. Abb. 10.43 u. 10. 44). Das Septum interatriale wird verschlossen, ebenso die Wand des rechten Vorhofs. Die Fenestration vom linken Atrium in das Perikard wird weit offen belassen. Der wei-
10.2.5.10 Nahtlose Korrektur postoperativer
Lungenvenenstenosen mit Perikard Diese Technik wurde von Lacour-Gayet im Jahre 1996 publiziert (Lacour-Gayet et al. 1996). Das Verfahren basiert auf einer kompletten Resektion des stenotischen Narbengewebes der Pulmonalvene, wobei eine Öffnung in der linken Vorhofwand geschaffen und belassen wird. Für die Operation ist es notwendig, die Adhäsionen zwischen der posterioren Wand des linken Vorhofs, den Vv. cavae und dem Perikard intakt zu belassen. Posterior wird eine minimale Inzision vorgenommen. Obgleich die Korrektur im totalen Kreislaufstillstand einfacher ist, bevorzugen wir die Technik mit bikavaler Kanülenlage und unter vollem Fluss der extrakorporalen Zirkulation. Die V. cava superior wird direkt kanüliert und möglichst weit oben angeschlungen. Die
271 10.2 · Angeborene Herzfehler mit Obstruktion der linksventrikulären Einflussbahn
. Abb. 10.43. Resektion und nahtlose Korrektur (rechte Seite). Diese Technik gründet sich auf der vollständigen Entfernung des stenotischen Narbengewebes in der Pulmonalvene. Posterior ist eine kleine Inzision erforderlich. Das Atrium sinistrum wird über einen transseptalen Schnitt erreicht. Das stenotische Gewebe der rechten Pulmonalvene wird vollständig reseziert. Diese Resektion schafft eine großlumige Öffnung in der linken Vorhofwand, die belassen wird
tere Operationsverlauf bei dieser Technik ist für die linke und die rechte Seite unterschiedlich. Bei rechtsseitigen Läsionen wird das Gewebe der rechten Perikardwand mit der rechten Vorhofwand oberhalb der linksatrialen Fenestration anastomosiert und so eine neoatriale Tasche mit dem Perikardbeutel geschaffen. Der Perikardbeutel wird durch die Adhäsionen im Perikard begrenzt, die von der Voroperation herrühren. In den Beutel mündet die offene rechte Pulmonalvene frei ein, und das Blut fließt durch die Öffnung in der linken Vorhofwand ab (. Abb. 10.44 u. 10.45). Bei linksseitigen Läsionen erfolgt die Korrektur durch die linksatriale Höhle (. Abb. 10.46–10.50). Der das stenosierende Narbengewebe umgebende Anteil des linksatrialen Gewebes wird exzidiert. Dies schafft eine große Öffnung in der Wand des linken Vorhofs. Die linken Pulmonalvenen werden im Perikard abgesetzt und in transversaler Richtung bis in das gesunde Pulmonalvenengewebe hinein eingekerbt. Bestehen suffiziente Adhäsionen im Perikard, kann auf das Anlegen von Nähten verzichtet werden (. Abb. 10.47). Dem Blut aus den linken Pulmonalvenen wird gestattet, durch die posteriore Perikardhöhle, welche einen durch Adhäsionen abgegrenzten Raum darstellt, passiv in den linken Vorhof abzufließen. Fehlen suffiziente Verwachsungen oder liegt eine kongenitale pulmonalvenöse Stenose ohne Perikardadhäsionen vor, ist es notwendig, eine atrioperikardiale Anastomose zu schaffen, entweder von der Innenseite des linken Vorhofs aus oder von der Außenseite durch
. Abb. 10.44. Resektion und nahtlose Korrektur (rechte Seite). Das stenotische Narbengewebe der Pulmonalvene wurde bis auf die Ebene des Perikardumschlags entfernt, sodass das normale Pulmonalvenengewebe zu erkennen ist
. Abb. 10.45. Resektion und nahtlose Korrektur (rechte Seite). Bei rechtsseitigen Läsionen wird das Gewebe der rechten Perikardwand mit der rechten Vorhofwand oberhalb der linksatrialen Fenestration anastomosiert. So wird durch den Perikardbeutel eine neolinksatriale Tasche geschaffen, über welche die offene rechte Pulmonalvene frei in die Öffnung der linken Vorhofwand mündet. Der N. phrenicus liegt dabei unterhalb der Anastomose
Anheben des Herzens. Die Durchtrennung der V. cava inferior ist dabei unnötig (. Abb. 10.47–10.49). Die Nahtlinie wird auf dem Perikard und im weiten Abstand zu den Ostien der Pulmonalvenen angelegt. Der linke N. phrenicus kommt über der Anastomose zu liegen. Im Jahre 1998 beschrieben Caldarone und Mitarbeiter eine ähnliche Technik, wobei man das stenotische Gewebe
10
272
Kapitel 10 · Lungenvenenfehlmündungen, Vorhofanomalien und angeborene Fehler der AV-Klappen
. Abb. 10.46. Resektion und nahtlose Korrektur (linke Seite, von innen). Bei linksseitigen Läsionen erfolgt die Korrektur durch die linksatriale Höhle. Der das stenosierende Narbengewebe umgebende Teil der linken Vorhofwand ist exzidiert worden. Hierdurch entsteht eine große Öffnung in der linken Vorhofwand
. Abb. 10.47. Resektion und nahtlose Korrektur (linke Seite, von innen). Die linken Pulmonalvenen wurden durchtrennt und in transversaler Richtung bis in das normale Pulmonalvenengewebe hinein gespalten. Bestehen suffiziente Perikardadhäsionen, werden keine Nähte angelegt. Das Blut aus den linken Pulmonalvenen fließt über die posteriore Perikardhöhle, die infolge der Perikardadhäsionen als abgegrenzter Hohlraum besteht, passiv in den linken Vorhof
10
. Abb. 10.48. Resektion und nahtlose Rekonstruktion (linke Seite, von innen). Bei Fehlen suffizienter Verwachsungen im Perikard ist es notwendig, eine atrioperikardiale Anastomose anzulegen, entweder von innen (wie in der Abbildung dargestellt) oder von außen
. Abb. 10.49. Resektion und nahtlose Rekonstruktion (linke Seite, von außen). Die atrioperikardiale Anastomose kann auch von außen angelegt werden, wenn man das Herz hochzieht
273 10.2 · Angeborene Herzfehler mit Obstruktion der linksventrikulären Einflussbahn
belässt und die obstruierten Pulmonalvenen longitudinal inzidiert werden (Caldarone u. Behrendt 2000; Caldarone et al. 1998; . Abb. 10.51 u. 10.52). 10.2.5.11 Stenteinlage in die Pulmonalvenen
und Ballonangioplastie
. Abb. 10.50. Resektion und nahtlose Rekonstruktion (linke Seite, von außen). Es ist zu berücksichtigen, dass die Nahtlinie im Perikard mit weitem Abstand vom Pulmonalvenengewebe geführt wird. Der N. phrenicus sinister kommt oberhalb zu liegen
Das Ergebnis einer Stenteinlage in die Pulmonalvenen ist enttäuschend. Die Neigung der Pulmonalvenen zur Intimaproliferation lässt die Stentprozedur gefährlich werden. Dennoch kann diese Therapieoption als Ultima-Ratio-Versuch angesehen werden, wenn es nach mehreren Operationen erneut zu einer Stenose gekommen ist. Dabei wird bevorzugt die atriale Fenestration belassen, um den Zugang für die Angioplastie zu erleichtern. Neue Generationen von Stentsystemen, wie die für Koronarinterventionen Verwendung findenden medikamentenfreisetzenden Stents (»drug eluting stens«), können möglicherweise zukünftig bessere Ergebnisse erbringen. Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass das Endothel der Pulmonalvenen nach jeglicher Manipulation zur Stenosierung neigt, ist wohl allenfalls für einige Monate eine Offenheit zu erwarten. 10.2.5.12 Prävention einer pulmonalvenösen
Obstruktion durch Anwendung der »No-touch«-Technik Seit Lacour-Gayet im Jahre 1995 die chirurgische Technik zur Korrektur der totalen Lungenvenenfehlmündung geändert hat, wobei unter Einsatz des totalen Kreislaufstillstands
b
a . Abb. 10.51a–c. Eine rechtsseitige Marsupialisation wird bei einer rechtsseitigen Pulmonalvenenstenose vorgenommen, indem eine linksatriale Inzision (a) erfolgt, die in jede stenosierte Vene erweitert und über das einengende Areal geführt wird. Eine posterior sitzende Perikardkrempe wird mobilisiert (b) und in sich – das linke Atrium einbeziehend – umgeschlagen (c), wodurch eine direkte Naht der Venen vermeidbar ist
c
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Kapitel 10 · Lungenvenenfehlmündungen, Vorhofanomalien und angeborene Fehler der AV-Klappen
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. Abb. 10.52a–c. Die linksseitige Marsupialisation wird in analoger Weise ausgeführt wie rechts. Hierbei ist das Anheben des Apex cordis für die Exposition notwendig. Eine linksatriale Inzision wird angelegt (a) und bis in die stenosierten Venen erweitert. Es wird ein Perikardlappen ausgeschnitten (b) und die Marsupialisation vervollständigt (c)
nur minimiale Inzisionen an den Pulmonalvenen vorgenommen werden, scheint die Rate der pulmonalvenösen Obstruktion spürbar zurückgegangen zu sein. Auch wenn die Gründe unklar sind, besteht dennoch kein Zweifel, dass das neonatale Pulmonalvenengewebe sehr sensitiv reagiert und zu inflammatorischen stenosierenden Prozessen neigt. Demzufolge ist die »No-touch«-Technik erfolgversprechend, wobei die Pulmonalvenen im totalen Kreislaufstillstand nur minimal eingeschnitten werden, eine eröffnende Inzision strikt auf den gemeinsamen Pulmonalvenenstamm begrenzt bleibt sowie dabei ein gebührender Abstand von den einzelnen Pulmonalvenenostien gewahrt wird (Kanter 2006). Als weitere Vorsichtsmaßnahme sollten resorbierbare Nähte aus Polydioxanon für die Anastomosen Verwendung finden (Lacour-Gayet 2006).
10.2.6
Angeborene Divertikel und Aneurysmen des linken Vorhofs
10.2.6.1
Geschichtliches
Die kongenitalen Aneurysmen des linken Vorhofs gehören zu den sehr seltenen angeborenen Herzfehlern. Erstmals wurden sie von Semans und Taussig (1938) beschrieben. Zwei Varianten sind dabei bekannt: diejenigen mit in-
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taktem Perikard und jene, bei denen das Perikard partiell fehlt. Im letzteren Fall handelt es sich möglicherweise eher um eine Protrusion des linken Herzohres durch den Perikarddefekt als um ein Aneurysma im eigentlichen Sinne (Bukharin u. Aleksi-Meskishvili 1969). Gold stellte die Berichte von 48 Patienten aus der internationalen Literatur zusammen (Gold et al. 1996). Seither sind viele neue Fälle publiziert worden (Kiaii et al. 2004; Pome e al. 2000; Tanoue e al. 2004). 10.2.6.2
Chirurgische Anatomie
Ein wahres linksatriales Aneurysma muss folgende Kriterien erfüllen (Foale et al. 1982; Huang et al. 1993; Stone et al. 1990): 4 Ein normales Atrium ist angelegt. 4 Es ist eine direkte Kontinuität des Blutflusses, der aus dem Atrium gespeist wird, nachweisbar. 4 Ein Defekt im Perikard ist nicht nachweisbar. 4 Es liegt eine Distorsion der freien Wand des linken Ventrikels durch das Aneurysma vor. Raritäten sind die multiplen Aneurysmen beider Vorhöfe, die oftmals durch Vorhoftachykardien symptomatisch werden (Bokeria et al. 1989; Miyamura et al. 1990; Varghese 1969).
275 10.2 · Angeborene Herzfehler mit Obstruktion der linksventrikulären Einflussbahn
10.2.6.3
Klinisches Erscheinungsbild
Bei asymptomatischen Patienten kann die Diagnose vermutet werden, wenn eine vergrößerte Herzsilhouette im Röntgenbild des Thorax festzustellen ist. Abgesehen von der kongenitalen Ätiologie manifestiert sich die Erkrankung für gewöhnlich erst ab der 2. Lebensdekade mit einem mittleren Erstmanifestationsalter von 26 Jahren. Vorhofflimmern wird bei 40 % der Patienten festgestellt, und Schlaganfälle treten bei 18 % der Patienten auf (Gold et al. 1996). Über Schlaganfälle im Kindesalter wurde ebenfalls berichtet (Sands et al. 2003).
Ein typischer Brustschmerz kann infolge einer Kompression der linken A. coronaria entstehen (Pomerantzev et al. 2002). Treten die Zeichen der Herzinsuffizienz bereits beim Neugeborenen auf, kann dies Folge einer anatomischen Abflussbehinderung in den Pulmonalvenen (Stone et al. 1990) oder Ausdruck einer Mediastinalverschiebung oder einer Atemwegsobstruktion sein (Morales et al. 2001). Ebenfalls wurde die Tamponade des Herzens durch eine Behinderung der diastolischen Expansion des linken Ventrikels beschrieben (Dimond et al. 1960). Liegen multiple biatriale Aneurysmen vor, können im Kleinkind-
a
c
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. Abb. 10.53a–c. Linksatriales Aneurysma als Aussackung des linken Vorhofs entlang der Hinterwand des linken Ventrikels. a Ansicht von anterior; b Ansicht von posterior; c Verschluss des linken Vorhofs nach Abtragen des Aneurysmas durch eine direkte, fortlaufend überwendlich geführte Naht
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276
Kapitel 10 · Lungenvenenfehlmündungen, Vorhofanomalien und angeborene Fehler der AV-Klappen
und Säuglingsalter Vorhoftachykardien auftreten, was beschrieben wurde (Bokeria et al. 1989; Miyamura et al. 1990). Die Diagnose kann mittels Echokardiographie und Magnetresonanztomographie leicht gestellt werden. Aufgrund des bestehenden Risikos für lebensbedrohliche Komplikationen, einschließlich Tamponade, Tachyarrhythmien, systemische Embolien, Herzinsuffizienz und dem potenziellen, denkbaren Risiko einer Herzruptur, wird die chirurgische Intervention auch beim asymptomatischen Patienten jeden Alters empfohlen (Fontain-Dommer et al. 2000; Gold et al. 1996; Morales et al. 2001; Pomerantzeff et al. 2002). Die Operation zur Korrektur dieser Anomalie kann über eine Linksthorakotomie mit oder ohne Einsatz der Herz-Lungen-Maschine (Victor u. Nayak 2001), unter Verwendung von speziellen Heftwerkzeugen (Burke et al. 1992) oder sogar minimal-invasiv und endoskopisch (Kiaii et al. 2004) erfolgen. 10.2.6.4
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Operationstechniken
Die mediane Sternotomie ist der bevorzugte Zugangsweg, da insbesondere bei größeren Strukturen eine adäquate Exposition über eine laterale Thorakotomie misslingt. Unter Einsatz der Herz-Lungen-Maschine ist die die Exklusion mit mehr Sicherheit im ruhenden Operationsfeld möglich, was dabei hilft, Embolisationen durch Manipulationen zu vermeiden (Gold et al. 1996; Tanoue et al. 2004; . Abb. 10.53). Von Bedeutung ist es, die Lagebeziehung von Aneurysmahals und posteriorer Kommissur der Mitralklappe zu erkennen. Ist das Aneurysma bis in die Kommissur hinein ausgedehnt, kann eine partielle Anuloplastie notwendig werden, um einen kompetenten Mitralklappenschluss wiederherzustellen (Stone et al. 1990). Ebenso wurde von der Notwendigkeit eines Mitralklappenersatzes berichtet, wenn der Versuch, die deformierte Mitralklappe zu rekonstruieren, misslingt (Morales et al. 2001). Das Ergebnis ist gewöhnlich gut, und die Symptome verschwinden (Gold et al. 1996; Pomerantzeff et al. 2002).
10.3
Angeborene Mitralklappenfehler
10.3.1
Einführung
Die Anomalien der Mitralklappe stellen in der Pädiatrie eine große Anforderung an die Fähigkeiten des behandelnden Chirurgen, der sich zwischen den Möglichkeiten einer Klappenrekonstruktion und einem Ersatz zu entscheiden hat. Nicht selten muss dabei nicht nur die Mitralklappe versorgt werden, sondern oft bestehen auch begleitende angeborene Herzfehler, die ebenfalls einer Korrektur bedürfen. Die Mitralklappenrekonstruktion ist die zu bevorzugende Technik für jede Art der Mitralklappenfehlbildung beim Neugeborenen, beim Säugling und beim Kleinkind sowie bei Kindern bis in das Adoleszentenalter hinein. Die Klappenrekonstruktion gestattet das Klappenwachs-
tum mit zunehmendem Alter, bedarf keiner Antikoagulation und hat ein sehr niedriges Risiko für eine Thrombosebildung. Damit wird zudem das Problem, dass geeignete Prothesentypen für diese Altersgruppe generell und ganz besonders für kleine Kinder fehlen, komplett umgangen. Selbst wenn die Primärrekonstruktion kein optimales Ergebnis erbringt, kann die Zeit bis zu einer wiederholten Korrektur und bis zum Erreichen eines Alters, für das geeignete Prothesengrößen verfügbar sind, überbrückt werden. Das beste Rekonstruktionsergebnis lässt sich dann erzielen, wenn die gesamte Palette an Rekonstruktionsmöglichkeiten verfügbar ist, die Rekonstruktionstechnik an die vorliegenden Gegebenheiten angepasst und jegliches Fremdmaterial vermieden wird. Der prothetische Klappenersatz bleibt für jene Fälle mit nicht reparierbarem Mitralklappenfehler reserviert.
10.3.2
Historische Vorbemerkungen
Die Mitralklappenchirurgie hat eine lange Tradition (Böttcher u. Hübler 2006; Murray et al. 1938). Von der ersten geschlossenen Kommissurotomie beim Kind wurde im Jahre 1952 von Mannheimer berichtet (Mannheimer et al. 1952). Young und Robinson (1964) berichteten vom ersten erfolgreichen Mitralklappenersatz bei einem Kind mit angeborener Mitralklappenstenose. Im Laufe der vergangenen 3 Jahrzehnte hat sich die Mitralklappenchirurgie bei Kleinkindern und Kindern zum bedeutenden Teil der Kinderherzchirurgie entwickelt (Carpentier et al. 1976; Dunn 1998; Lamberti u. Kriett 2007; Wood et al. 2004).
10.3.3
Inzidenz für angeborene Mitralklappenfehler
Ein angeborener Mitralklappenfehler betrifft weniger als 1 % aller Kinder, die mit einem normaldimensionierten linken Ventrikel geboren werden. Jene Patienten, die mit einem der unterschiedlichen Formen des Atrioventrikularkanaldefekts, einem singulären Ventrikel und einer kongenital korrigierten Transposition geboren wurden, haben keine Mitralklappe im anatomischen Sinne einer systemischen Atrioventrikularklappe. Bei bis zu 60 % der Fälle gehen angeborene Mitralklappenfehler mit weiteren Herzfehlbildungen einher, und oftmals ist mehr als ein Teil des Mitralklappenapparats hiervon betroffen (Wilcox u. Anderson 1985).
10.3.4
Normale Mitralklappenanatomie
Die Mitralklappe besteht aus einem Anulus, Segeln, Chordae tendineae und Mm. papillares. Der Mitralklappenanulus ist ein integraler Bestandteil des Bindegewebeskeletts
277 10.3 · Angeborene Mitralklappenfehler
des Herzens. Normalerweise besitzt die Mitralklappe 2 Segel, ein anteriores und ein posteriores. Das größere, anteriore (oder septale bzw. aortale) Segel ist über 150° am Anulus befestigt und in seiner Form gedrungen sowie trapezförmig. Als Konsequenz, dass es sich hierbei um eine bindegewebige Kontinuität der Aortenklappe handelt, bildet es die posteriore Begrenzung des linksventrikulären Ausflusstrakts. Beide Enden der bindegewebigen Einheit von Aorten- und Mitralklappe sind in der kurzen Achse des linken Ventrikels verankert. Zur Ventrikelmuskulatur hin ist das Bindegwebe verdickt und läuft nach rechts und links in Bindewebedreiecken aus (Wilcox et al. 2004). Das muschelförmige posteriore (oder wandartige) Segel ist schmaler und erstreckt sich über 210° vom Anulus aus. Die Kontroverse über die akkurate Terminologie der Mitralklappensegel dauert an. Während einige Autoren die Begriffe »aortales Segel« und »murales Segel« bevorzugen (Ho u. Anderson 1988; Wilcox et al. 2004), werden die Segel zumeist als anteriores und posteriores Mitralklappensegel bezeichnet (Carpentier u. Brizard 2006; Zias et al. 1998). Die beiden Segel der Mitralklappe sind durch die anterolaterale und posteromediale Kommissur getrennt. Nahe der Kommissuren liegen 2 korrespondierende Papillarmuskel, die Ausläufer des subendokardialen Myokards sind. Die Chordae tendineae der Papillarmuskeln inserieren zu beiden Seiten der gegenüberliegenden Kommissuren, sodass jedes Klappensegel Chordae von beiden Papillarmuskeln erhält. Die Chordae stützen die Segel, indem sie diese entweder mit der freien und rauen Seite der Papillarmuskeln oder direkt mit der Ventrikelwand, als sog. basale Chordae, verbinden (Wilcox et al. 2004). Die Mitralklappensegel sind in 8 Komponenten, sog. Muscheln, segmentiert (Carpentier u. Brizard 2006; Kumar et al. 1995; . Abb. 10.54). Die Beziehung zwischen Mitralklappenring und den Koronararterien wird vom Dominanztyp der koronararteriellen Versorgung bestimmt. Bei linksdominanter Koronararterie befindet sich die gesamte Anheftung des muralen
. Abb. 10.54. Bestandteile oder Muscheln der Mitralklappe. Nach Kumar (1995)
Segels in enger Lagebeziehung zur Koronararterie und ihr Ast in der Nähe des Atrioventrikularknotens. Liegt eine rechtsdominante Koronararterie vor, ist das posteriore Segel vom R. circumflexus umkreist, wobei der Ast unter und linksseitig vom Mitralklappenring (aus Sicht des Operateurs) verläuft (. Abb. 10.55).
10.3.5
Einteilung der angeborenen Mitralklappenfehler bei Kindern
10.3.5.1
Vorbemerkungen
Am häufigsten wird die Nomenklatur nach Carpentier für die Einteilung der angeborenen Mitralklappenfehler verwendet (Carpentier u. Brizard 2006; Carpentier et al. 1976). Carpentier definierte eine systematische Klassifikation, die auf der objektiven Einschätzung der Klappenfunktion beruht. Nach der Carpentier-Einteilung führen Läsionen mit normaler Segelbewegung oder Segelprolaps zur Mitralklappeninsuffizienz, während Läsionen mit eingeschränkter Segelbeweglichkeit eine Mitralklappenstenose bedingen. Die Klassifikation basiert auf einer funktionellen Analyse der Mobilität der Mitralklappensegel: 4 Typ I: Bei dieser Läsion haben die Segel eine normale Beweglichkeit. Die Insuffizienz entsteht durch die fehlende Koaptation zwischen den Segeln. Diese Fehlbildung wird in die Anulusdilatation, die Spalt- oder CleftBildung und die partielle Segelagenesie unterteilt (Chavaud et al. 1997b). 4 Typ II, Segelprolaps: Der freie Rand eines oder beider Segel schlägt in der Systole über die Ebene der Klappen-
. Abb. 10.55. Wichtige Strukturen, die bei der Mitralklappenchirurgie zu berückichtigen sind (aus Sicht des Operateurs). Nach Wilcox et al. (2004)
10
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Kapitel 10 · Lungenvenenfehlmündungen, Vorhofanomalien und angeborene Fehler der AV-Klappen
öffnung durch. Diese Defekte werden in Chordae-Elongation, Papillarmuskelelongation und Agenesie der Chordae unterteilt. 4 Typ III, restriktive Segelbewegungen: Die Bewegungen eines oder beider Segel sind eingeschränkt, was vornehmlich zur Mitralklappenstenose führt, auch wenn bei einigen Fällen eine Klappeninsuffizienz zu beobachten ist. Die Stenose resultiert aus einer Verschmelzung der Kommissuren, einer Imperforation sowie einer Verdickung oder Verkürzung des subvalvulären Apparats. Die Läsionen des Typs III sind in 2 Subgruppen zu unterteilen: 4 Typ III-1 mit restriktiver Segelbeweglichkeit bei erkennbar normalen Papillarmuskeln, 4 Typ III-2 mit restriktiver Segelbeweglichkeit und abnormalen Papillarmuskeln. Der Typ III-1 wird weiter in 2 Untergruppen unterteilt: 4 mit verschmolzenen Kommissuren der Papillarmuskeln, 4 mit verkürzten Chordae.
10
Zur letzteren Gruppe gehören auch die Fehlbildung mit überschüssigem Klappengewebe, der supravalvuläre Mitralring und die Anulushypoplasie. Der Typ III-2 wird weiter unterteilt in: 4 Fallschirmklappe (»parachute mitral valve«), 4 Hängemattenklappe (»hammock mitral valve«), 4 Papillarmuskelhypoplasie. Es gibt 2 Einschränkungen dieser Klassifikation, die zur unterschiedlichen Zuordnung durch verschiedene Untersucher und somit zur Inkonsistenz im Datenbericht führen können. Erstens ist eine reine Insuffizienz oder reine Stenose selten zu finden. Zweitens werden in der chirurgischen Literatur die angeborenen Mitralklappenvitien in stenotisch oder insuffizient eingeteilt und hinsichtlich ihres Risikos bewertet. Dabei wird die Funktion der Segel vernachlässigt. Des Weiteren wurde die Carpentier-Klassifikation entwickelt, noch bevor die 2D-Echokardiographie routinemäßig verfügbar war. Individuelle Interpretationen der funktionellen Anatomie führen zur Variabilität, was die Zuverlässigkeit und Reproduzierbarkeit der Einteilung erschwert (Mitruka u. Lamberti 2000). Mitruka und Lamberti haben eine einheitliche anatomische Klassifikation der kongenitalen Mitralklappenanomalien vorgeschlagen, die auf der grundsätzlichen Betrachtung beruht, ob die Klappe stenotisch oder insuffizient ist. Bestehen zahlreiche Defekte des Klappenapparats, ist der dominierende Defekt, der zum funktionellen Defizit führt, für die Einteilung der Fehlbildung richtungsweisend. Die vielen Formen der Pathologie der Mitralklappe können in einem hierarchischen System kodiert werden,
indem man die dominante Läsion als erste Diagnose und jede weitere Läsion einer Untergruppe in absteigender Ordnung nach absteigendem Bedeutungsgrad zuordnet. Gemäß dieser Regel lautet die Einteilung der kongenitalen Mitralklappenfehler wie folgt: Typ 1 umfasst die supravalvulären Läsionen und Typ 2 die valvulären Läsionen, welche sich in Gruppe A (anuläre Defekte) und Gruppe B (Segeldefekte) unterteilen. Mit dem Typ 3 werden die subvalvulären Läsionen zusammengefasst, wobei Gruppe A die Anomalien der Chordae tendineae und Gruppe B die Anomalien der Papillarmuskeln beinhaltet. Der Typ 4 umfasst die gemischten Läsionen. Die Autoren erwarten, dass die Akzeptanz und die Verwendung ihrer Einteilung die Beobachtervariabilität bei der Diagnosestellung minimieren und dass sich die Klappenfunktion als Konsequenz der veränderten Klappenanatomie beschreiben lässt. Dies führt umgekehrt dazu, dass ein in Segmente gegliederter und systematischer Weg entsteht, der bei der Auswahl der besten therapeutischen Option hilfreich ist (Mitruka u. Lamberti 2000). Die Mitralklappenrekonstruktion ist die bevorzugte Technik für jegliche Art eines Mitralklappenvitiums bei Kleinkindern, Kindern und Adoleszenten. Hierdurch wird ein Klappenersatz mit all seinen nachteiligen Konsequenzen umgangen, was ganz besonders bei Kindern und Kleinkindern bedeutsam ist, da geeignete Prothesen für diese Altersgruppen komplett fehlen. Selbst wenn ein optimales Rekonstruktionsergebnis nicht erreicht werden kann, lässt sich auf diese Weise evtl. die Zeit bis zu einer definitiven Korrektur, für die dann eine passende Prothese der Erwachsenengröße verfügbar ist, überbrücken. Wir sind überzeugt, dass eine Rekonstruktion das Klappenwachstum gestattet, ohne dass die Notwendigkeit für eine Antikoagulationsbehandlung besteht. Am besten ist dies zu erreichen, wenn das gesamte Spektrum der Rekonstruktionstechniken verfügbar ist und an die individuellen Gegebenheiten angepasst werden kann, wobei auf die Implantation jeglichen Prothesenmaterials verzichtet werden sollte. ! Der Ersatz der Mitralklappe sollte für Patienten mit wirklich irreparablem Klappenschaden reserviert bleiben (Hetzer et al. 2008).
10.3.5.2
Einteilung der kongenitalen Mitralklappenstenose
Die angeborene Mitralklappenstenose ist ein sehr seltener Defekt, der weniger als 4 von 1000 Kindern mit angeborenem Herzfehler betrifft (Keith et al. 1967). Kinder mit angeborener Mitralklappenstenose haben eine Letalitätsrate, die nach 2 Jahren 40 % erreicht, egal welche Behandlungsmodalität Anwendung findet (Moore et al. 1994). Anhand einer postmortalen Untersuchung von 49 Kindern mit Mitralklappenstenose haben Ruckman und Van Praagh (Ruckman u. Van Praagh 1978) eine Einteilung der
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Mitralklappenstenose in 4 Typen vorgeschlagen, die weitestgehend akzeptiert ist: 4 Typ A sind diejenigen Anomalien der Mitralklappe, die gewöhnlich bei biventrikulären Herzen zu beobachten sind. Sie werden unterteilt in Untergruppen mit kurzen Chordae, mit abnormalen Anheftungen der Mitralklappe und mit einem Verlust an interpapillärem Abstand. 4 Typ B sind jene Läsionen, die bei hypoplastischem linken Ventrikel gefunden werden. 4 Typ C sind Läsionen, die beim supravalvulären Mitralring anzutreffen sind. 4 Typ D ist die Fallschirmfehlbildung (»parachute mitral valve«). Hierbei handelt es sich um eine Klappenanomalie, bei der alle Chordae tendineae der Mitralklappe, die selbst verkürzt und verdickt sein können, in einem einzelnen abnormalen Papillarmuskel inserieren, was gewöhnlich zur Mitralklappenstenose führt. Die Fallschirmklappe kann Teil des Shone-Komplexes sein (Shone et al. 1963). Eine kongenitale Mitralklappenstenose in Verbindung mit einer Obstruktion des linksventrikulären Ausflusstrakts, ein Shone-Komplex und ein Patientenalter von <3 Monaten zum Operationszeitpunkt sind signifikante Risikofaktoren für die Frühletalität (Serraf et al. 2000). 10.3.5.3
Hängemattenfehlbildung (Hammock-Klappe)
Die Hammock-Klappe ist der Fallschirmklappe ähnlich, jedoch sind die Chordae der Mitralklappe verkürzt oder fehlen, und die verdickten Mitralklappensegel inserieren direkt in dem rudimentär angelegten Papillarmuskel. Die Exkursionen der Mitralklappe sind limitiert, was zur Mitralklappenstenose führt. Diese Fehlbildung kommt sehr selten vor. Übergangsformen zur Fallschirmklappe sind möglich. 10.3.5.4
Shone-Komplex
Shone und Mitarbeiter haben einen Entwicklungskomplex beschrieben, der aus Obstruktionen auf vielen Ebenen des Herzens besteht (Shone et al. 1963). Klassischerweise beinhaltet er 4 Komponenten: 4 Parachute-Mitralklappe, 4 supraanulärer Mitralring, 4 subaortale Stenose, 4 Aortenisthmusstenose. Alle 4 klassischen Komponenten kamen bei 19 von 30 Patienten vor, die in einer der größten Serien untersucht wurden (Bolling et al. 1990). Die Fehlbildungen an der Mitralklappe beinhalten die Verschmelzung von Papillarmuskeln, die Verschmelzung von Papillarmuskeln mit der Ventrikelwand und das Vorliegen einer echten Parachute-Mitralklappe mit nur einem Papillarmuskel und verschmolzenen Chordae. Ein Druckgradient von >8 mmHg über der Mi-
tralklappe wird als signifikant bewertet. Die Aortenklappe ist für gewöhnlich bikuspid angelegt. Die Stenose der Mitralklappe oder die Obstruktion durch den supraanulären Mitralring war die führende intrakardiale Läsion, die bei 8 von 27 Patienten mit Shone-Komplex in einer zuletzt veröffentlichten Serie zur frühzeitigen Manifestation der Erkrankung führte (Brown et al. 2005). Diese Patienten wiesen eine schwere und progressive linksventrikuläre Ausflusstraktobstruktion auf und litten unter einer pulmonalen Hypertonie (Bolling et al. 1990). In der Praxis gibt es ein breites Spektrum dieses Komplexes, welches von geringgradigen Läsionen bis hin zu einer schweren obstruktiven oder hypoplastischen Linksherzanatomie, die eine Palliation des singulären Ventrikels (Norwood-, Fontan-Operation) erforderlich macht, reichen kann. Die chirurgische Therapie des Shone-Komplexes muss an die individuellen Gegebenheiten angepasst werden, da die Anatomie sehr variabel ausgebildet ist. Jene Fehlbildungen, die hinsichtlich der Hämodynamik am problematischsten sind, sind zuerst zu berücksichtigen. Viele Patienten benötigen mehrere Operationen, insbesondere dann, wenn die Mitralklappe betroffen ist. In 3 großen Untersuchungen wurde die Letalität in der Klinik zwischen 0 % und 16 % und die Spätletalität zwischen 10 % und 24 % angegeben (Bolling et al. 1990; Brauner et al. 1997; Brown et al. 2005). Das langfristige Ergebnis korreliert mit der Schwere der Mitralklappenobstruktion und dem Grad der pulmonalen Hypertonie (Bolling et al. 1990; Brauner et al. 1997). 10.3.5.5
Kongenitale Mitralklappeninkompetenz
Kleinkinder und Kinder, die mit einer angeborenen Atrioventrikularklappeninkompetenz vorgestellt werden, stellen ein signifikantes chirurgisches Problem dar. Eine fehlangelegte Klappe kann während der frühen Kindheit eine progressive Undichtigkeit entwickeln. Die anatomischen Ursachen für eine kongenitale Mitralklappeninsuffizienz können variabel sein und in Kombination vorliegen (Berguis et al. 1964; Davachi et al. 1971; Noren et al. 1964; Ohno et al. 1999): 4 Spalt (»cleft«) im anterioren oder posterioren Segel, 4 verkürzte Segel, 4 elongierte Chordae, 4 hypoplastische Segel, 4 akzessorisches Orifizium (doppeltes Mitralklappenorifizium), 4 Ringdilatation, 4 ischämischer Schaden an den Papillarmuskeln, wie er bei Patienten mit abnormalem Abgang der linken Koronararterie aus der Pulmonalarterie (Bland-WhiteGarland-Syndrom) vorkommt, 4 direkte Anheftung vom Segel am Papillarmuskel, 4 kurze bzw. fehlende Chordae, 4 ein einzelner Papillarmuskel.
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Kapitel 10 · Lungenvenenfehlmündungen, Vorhofanomalien und angeborene Fehler der AV-Klappen
Bindegewebestörungen wie das Marfan-Syndrom, der Mitralklappenprolaps oder die myxomatöse Mitralklappendegeneration können in der frühen Kindheit ebenfalls zu einer symptomatischen Mitralklappeninsuffizienz führen. Die chirurgischen Behandlungsmethoden der kongenitalen Mitralklappeninsuffizienz sind variabel und müssen auf die individuelle Anatomie eines jeden Patienten zurechtgeschnitten werden. Die segmentale Analyse der insuffizienten Mitralklappe führt zu einer Korrektur, die darauf abzielt, die Funktion der Segel, der Chordae oder der Papillarmuskeln zu optimieren (Lamberti u. Kriett 2007). Die chirurgischen Methoden beinhalten unterschiedliche Techniken der Anuloplastik (Carpentier u. Brizard 2006; Ohno et al. 1999; Okita et al. 1988; Lamberti u. Kriett 2007): 4 Plikatur an den Kommissuren, 4 Plikatur redundanter Segelanteile, 4 Verschluss des Spaltes mittels zusätzlicher Anuloplastik, 4 Segelresektion, -kürzung und -ersatz, 4 Schaffung von 2 Orifizien, 4 Verkürzung oder Ersatz von Chordae.
10
Oftmals ist es erforderlich, verschiedene Verfahren miteinander zu kombinieren, um ein optimales Rekonstruktionsergebnis der insuffizienten Klappe zu erhalten. Ist der Mitralklappenersatz nicht zu vermeiden, ist eine mechanische Prothese in aller Regel angemessen. Bioprothesen und Homografts neigen bei Kleinkindern und Kindern dazu, rasch zu degenerieren. Die Erfahrungen mit der Ross-KabbaniOperation (autologe Transplantation der Pulmonalklappe in die Mitralklappenposition) sind bei Kleinkindern äußerst begrenzt, und Langzeitergebnisse bei Kindern fehlen (Frigiola et al. 2005; Mitchell et al. 2001). 10.3.5.6
Ischämische Mitralklappeninsuffizienz
Diese Form der Mitralklappeninsuffizienz tritt gewöhnlich bei Patienten mit anomalem Abgang der A. coronaria sinistra aus der Pulmonalarterie (Bland-White-Garland-Syndrom) auf und ist auf eine Kombination aus Papillarmuskelischämie, Dyskinesie der freien linksventrikulären Wand und linksventrikulärer Dilatation zurückzuführen (Michielon et al. 2003; Noren et al. 1964). Die chirurgische Intervention an der Mitralklappe ist bei solchen Kindern umstritten (Dodge-Khatami et al. 2002). Es wurde gezeigt, dass die Korrektur am Koronarsystem allein aufgrund der Normalisierung des linksventrikulären enddiastolischen Diameters bei Patienten mit geringer oder mittlerer Mitralklappeninsuffizienz zu einer Besserung der Mitralklappeninsuffizienz führt, die graduell abnimmt, auch wenn sie nicht vollends verschwindet. Auch wenn die Patienten eine Verbesserung ihrer globalen Ventrikelfunktion zeigen, können aufgrund der bestehenden Mitralklappeninsuffi-
zienz Symptome persistieren (Huddleston et al. 2001; Michielon et al. 2003). ! Das Wiederkehren oder das Fortbestehen einer signifikanten Mitralklappenregurgitation nach Korrektur eines Bland-White-Garland-Syndroms sollte den Verdacht darauf lenken, dass möglicherweise ein Problem an der re-implantierten Koronararterie vorliegt (Huddleston et al. 2001).
Unsere Erfahrungen mit dieser Anomalie bei 20 Kindern ergaben, dass eine simultane Korrektur einer hochgradigen Mitralklappeninkompetenz in Form einer Mitralklappenanuloplastik bei 5 Patienten die Verschlechterung einer postoperativen hämodynamischen Instabilität verhindern konnte (Alexi-Meskishvili u. Hetzer 2001; Alexi-Meskishvili et al. 1994).
. Tab. 10.2. Systematische Einteilung der angeborenen Mitralklappenerkrankungen. Modifiziert nach Mitruka u. Lamberti (2000) 4 Typ I: supravalvulär 5 A: supravalvulärer Ring 4 Typ II: valvulär 5 A: Anulus: – 1: intravalvulär – 2: hypoplastisch – 3: dilatiert – 4: deformiert 5 B: Segel: – 5: hypoplastisch/agenetisch – 6: Spalt/»cleft« – 7: überschüssiges Gewebe – 8: zweites Orificium (»double orifice«) 4 Typ III: 5 A: – – – 5 B: – – – – –
subvalvulär Chordae tendineae: 1: Agenesie 2: verkürzt (»funnel«) 3: elongiert Papillarmuskel: 4: hypoplatisch/agenetisch 5: verkürzt 6: elongiert 7: singulär angelegt (»parachute«) 8: vielfach angelegt (»hammock«)
4 Typ IV: gemischt Alle denkbaren Kombinationen von Typ I bis Typ III
10.3.6
Diagnostische Modalitäten
Eine gründliche präoperative echokardiographische Untersuchung ist obligatorisch, um die Läsion anhand der Klappenbewegungen zu erkennen und die geeignete Rekonstruktionstechnik festzulegen (Chauvaud et al. 1997a, b). Die Visualisierung der Klappenfunktion kann bei der prä-
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281 10.3 · Angeborene Mitralklappenfehler
operativen zweidimensionalen Echokardiographie und bei der Herzkatheterisierung durchaus verschieden ausfallen (Banerjee et al. 1995; Freedom u. Smallhorn 1988). Die präoperative Herzkatheterisierung ist nützlich, um den Grad der pulmonalen Hypertonie zu bestimmen und die Anatomie assoziierter intra- sowie extrakardialer Defekte zu erkennen (Brown et al. 2005).
10.3.7
Indikationen zur Operation
Oftmals werden Kleinkinder und Kinder zur Mitralklappenoperation zugewiesen, ohne dass sie offensichtliche Symptome erkennen lassen. Eine ausgeprägte Kardiomegalie und eine Dilatation des linken Vorhofs bei einem scheinbar asymptomatischen Kind können triftige Gründe zur Operation sein, wenn die präoperative echokardiographische Analyse nahelegt, dass die Klappe für eine Rekonstruktion geeignet ist. Bei symptomatischen Kindern wird die chirurgische Behandlung erwogen, wenn eine therapierefraktäre Herzinsuffizienz, eine schwere pulmonale Hypertension oder eine Kombination von beidem vorliegt sowie wenn sich Symptome verschlechtern oder die Belastungseinschränkungen nicht länger hingenommen werdn können (Mitruka u. Lamberti 2000; Uva et al. 1995). Bei Patienten mit einer erkennbaren schweren Klappenanomalie oder jenen, bei denen zuvor eine Rekonstruktion erfolgt war, kann der Mitralklappenersatz bisweilen die einzig verbleibende Option darstellen.
10.3.8
Chirurgische Zugänge zur Mitralklappe bei Kindern
Beim biventrikulären Herzen kann die Mitralklappe auf vielen Wegen angegangen werden. Bei Kleinkindern ohne signifikante Dilatation des Atrium sinistrum bietet der transseptale Zugang die optimale Darstellung eines defekten septalen Segels. Wird die Inzision in die Kuppel des linken Vorhofs erweitert (sog. superiorer transseptaler Zugang), gelingt eine ideale Darstellung der Mitralklappe und des Mitralklappenapparats auch bei den kleinsten Patienten (Aharon et al. 1994; Lamberti u. Kriett 2007). Bei älteren Patienten ist gewöhnlich eine Inzision posterior des Sulcus interatrialis am besten geeignet. Der transapikale Zugang durch den linken Ventrikel wurde ebenfalls beschrieben (Barbero-Marcial et al. 1993). Das Einsetzen tiefer Retraktoren kann den Anulus vom Chirurgen wegdrücken sowie eine gute Sicht auf die Mitralklappe und den Zugang behindern. Bei der Inspektion der Klappe sollte man sich Zeit lassen. Die Mitralklappe wird geprüft, indem man behutsam kalte isotone Salzlösung in den linken Ventrikel spült, um die Apposition der Segel einschätzen zu können. Alle Komponenten der Klappe werden systematisch betrachtet (. Tab. 10.2):
4 4 4 4 4
supravalvuläres Areal, Klappenanulus, Klappensegel, Chordae, Papillarmuskeln.
Die intraoperativ nach der Rekonstruktion gemessenen Klappendiameter müssen mit der normalen Größe in Abhängigkeit von der Körperoberfläche vergleichbar sein (. Tab. 10.3). Hierzu hat Carpentier im Jahre 1983 eine Korrelation zwischen dem normalen Klappendurchmesser und der Körperoberfläche erstellt. Da er als Quelle »Rowlatt et al. 1963« angibt, gehen wir davon aus, dass die dort nur angegebenen Umfangsmessungen (»circumferences«) von Carpentier auf die Klappendurchmesser umgerechnet wurden. Insbesondere bei Kleinkindern sollte auf die Verwendung von synthetischen Nahtplättchen verzichtet werden, da sie zur Hämolyse führen können. Wir verzichten generell auf synthetische Ringe bei Kindern, da sie den Anulus fixieren und ihn damit der Möglichkeit zum Größenwachs-
. Tab. 10.3. Herzklappendurchmesser in Abhängigkeit von der Körperoberfläche. Nach Rowlatt et al. (1963), mod. nach Carpentier (1983) Körperoberfläche [m2]
Herzklappendurchmesser [mm] Mitralklappe
Trikuspidalklappe
Aortenklappe
Pulmonalklappe
0,25
11,2
13,4
7,4
8,4
0,30
12,6
14,9
8,1
9,3
0,35
13,6
16,2
8,9
10,1
0,40
14,4
17,3
9,5
10,7
0,45
15,2
18,2
10,1
11,3
0,50
15,8
19,2
10,7
11,9
0,60
16,9
20,7
11,5
12,8
0,70
17,9
21,9
12,3
13,5
0,80
18,8
23,0
13,0
14,2
0,90
19,7
24,0
13,4
14,8
1,00
20,2
24,9
14,0
15,3
1,20
21,4
26,2
14,8
16,2
1,40
22,3
27,7
15,5
17,0
1,60
23,1
28,9
16,1
17,6
1,80
23,8
29,1
16,5
18,2
2,00
24,2
30,0
17,2
19,0
Die approximierten Standardabweichungen für die Mitralklappe betragen 1,9 mm (Körperoberfläche von <0,3 cm2) und 1,6 mm (Körperoberfläche von >0,3 cm2).
282
Kapitel 10 · Lungenvenenfehlmündungen, Vorhofanomalien und angeborene Fehler der AV-Klappen
a
b
. Abb. 10.56. Dargestellt ist die Gefahr, die Koronararterie abzuknicken. a Laterale Anuloplastik; b posteriore Anuloplastik nach Gerbode
tum berauben (Aharon et al. 1994). Als nahtverstärkende Plättchen und als verstärkendes Material für die Anuloplastik bevorzugen wir autologes, unbehandeltes Perikard, welches sich ausgezeichnet für eine Rekonstruktion verwenden lässt, ein Größenwachstum zulässt und dabei stabil bleibt. Bei Patienten mit einer angeborenen Mitralklappenstenose kann eine aggressive Kommissurotomie eine signifikante Klappeninsuffizienz hervorrufen.
10
! Wird eine laterale oder posteriore Anuloplastik vorgenommen, ist sorgsam darauf zu achten, den R. circumflexus nicht abzuknicken (. Abb. 10.56).
Nachdem die Korrektur vollständig ist, wird das Herz entlüftet und das Rekonstruktionsergebnis mittels transösophagealer Echokardiographie beurteilt. Eine Revision unter dem erneuten Einsatz der extrakorporalen Zirkulation ist bei einigen Patienten erforderlich, wenn das Ergebnis der Rekonstruktion nicht adäquat ist (Lamberti u. Kriett 2007).
10.3.9
Kardiopulmonaler Bypass und Myokardprotektion
Die Operation erfolgt über eine komplette mediane Sternotomie. Aus kosmetischen Gründen kann bei weiblichen Patienten, bei denen die Brustentwicklung abgeschlossen ist, eine submammäre Inzision erfolgen. Es kommt eine konventionelle Herz-Lungen-Maschine mit geringem Vorfüllvolumen zum Einsatz, die nach aortaler und bikavaler Kanülierung angeschlossen wird. Die V. cava superior wird direkt kanüliert, um eine bessere Exposition der Mitralklappe zu erzielen. Bei den meisten Patienten nehmen wir den Eingriff in moderater Hypothermie von 32°C vor. Die Körperkerntemperatur des Patienten kann auch niedriger eingestellt werden, wenn der Eingriff komplexer ausfällt. Zur Myokardprotektion wird antegrad kristalline Kardioplegielösung oder Blutkardioplegielösung verabreicht und zerstoßenes Eis zur topischen Kühlung des Herzens verwendet. Wir wiederholen die Gabe der Kardioplegielösung alle 20 min. Zur Luftembolieprophylaxe leiten wir Kohlen-
dioxid in das Operationsfeld. Wenn die intrakardiale Korrektur vollendet ist, wird das Herz mit einer behutsamen Massage von Vorhof und Ventrikel über die Kardioplegiekanüle entlüftet.
10.3.10
Behandlungsoptionen für angeborene Mitralklappenanomalien
Die Mitralklappenchirurgie bei Kindern ist weniger etabliert und standardisiert als dies bei Erwachsenen der Fall ist. Hintergründe sind die größere Komplexität der Klappenfehler, die große Variationsbereite verfügbarer Rekonstruktionstechniken, die immer wieder bestehende Aussicht auf zukünftige Folgeoperationen und die fehlende Verfügbarkeit passender Prothesentypen (Lamberti u. Kriett 2007). Die Einschränkungen, die bei einem mechanischen Mitralklappenersatz bei Kleinkindern und Kindern bestehen, sind wohlbekannt. Die heute verfügbaren Techniken zur Rekonstruktion sind in den letzten Jahren immer anspruchsvoller geworden und haben zur weiteren Verbesserung der Mitralklappenfunktion nach der Korrektur beigetragen, sodass das Zeitintervall bis zu einem unumgänglichen Klappenersatz erheblich ausgedehnt werden konnte (Mitruka u. Lamberti 2000). Die chirurgischen Techniken umfassen die Möglichkeiten einer Dilatation, Reduktion oder Plikatur des Anulus, einer Implantation unterschiedlichster Ringe, eines Spaltoder Cleft-Verschlusses und von Verschiebeplastiken sowie viele weitere Alternativen (Pritisanac et al. 2005). Der Klappenersatz ist die zuletzt anzuwendende Option (Hetzer u. Drews 1999). Abgesehen von der Tatsache, dass der Ersatz der Mitralklappe bei Kindern mit einem Homograft ein befriedigendes frühpostoperatives Ergebnis erbringt (Plunkett et al. 1998), muss dieses Verfahren zum jetzigen Zeitpunkt als studienhaft angesehen werden, da es bei Kindern zu einer raschen Degeneration der HomograftKlappen kommt (Revuelta 1998). Die Ross-Kabbani-Operation, also der Ersatz der Mitralklappe durch die autologe Pulmonalklappe (Kabbani et al. 1999, 2001), stellt eine weitere Behandlungsalternative
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dar, auch wenn Langzeitergebnisse bei Kindern bislang nicht verfügbar sind (Brown et al. 2006). In Einzelberichten wurde dieses Verfahren für sehr kleine Kinder empfohlen, wenn die Klappenrekonstruktion unmöglich ist oder eine zuvor implantierte mechanische Prothese trotz angemessener Antikoagulationsbehandlung eine Klappenthrombose entwickelt hat (Frigiola et al. 2005; Mitchell et al. 2001). Die Erfahrungen mit der Ballonvalvuloplastie bei der kongenitalen Mitralklappenstenose sind sehr begrenzt, und es existieren lediglich wenige Berichte über das Langzeitergebnis nach diesem Eingriff (Alday et al. 1994). Dieses Verfahren sollte zunächst erwogen werden, bevor ein Mitralklappenersatz bei jüngeren Patienten unter 5 Jahren oder solchen mit hypoplastischem Mitralklappenanulus, bei denen der Klappenersatz problematisch wäre, erfolgt (Spevak et al. 1990). Die Anwendung dieses Verfahrens wird dadurch limitiert, dass eine entscheidende funktionelle Verbesserung der fehlgebildeten Klappe durch die Ballondilatation nicht gelingt und dass das Risiko für eine akute sowie hochgradige Mitralklappeninsuffizienz gegeben ist. Auch wenn die Ballondilatation den Druckgradienten über der Mitralklappe bei der Mehrzahl der Patienten reduzieren kann, bleibt dieser Effekt nur in etwa 40 % der Fälle bestehen (Moore et al. 1994). Das beste Ergebnis ist bei Patienten mit reiner Stenose und flexiblen Segeln zu erzielen. Das schlechteste Ergebnis wurde bei jenen Kindern beobachtet, die neben der angeborenen Mitralklappenstenose auch Anomalien der Papillarmuskeln aufwiesen. Viele Pa-
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tienten benötigen Folgeeingriffe, die entweder auf ein Rezidiv der Mitralklappenstenose oder aber auf eine Mitralklappeninsuffizinez durch eine dilatationsbedingte Zerstörung des Mitralklappenapparats zurückzuführen sind (McElhinney et al. 2005).
10.3.11
Chirurgische Therapie
10.3.11.1 Operation der stenotischen Anomalie
der Mitralklappe Supravalvulärer Mitralring Die Resektion des fibrösen Gewebes, ohne dabei das anteriore Segel zu beschädigen, ist die Therapie der Wahl. Der Ring kann gewöhnlich leicht von der Klappe separiert werden, wenn man die Resektion posterior beginnend nach anterior führt. Nur selten ist ein Mitralklappenersatz notwendig (Sullivan et al. 1986).
Singulärer Papillarmuskel – Fallschirmklappe (»parachute mitral valve«) Eine Fenestrierung des Papillarmuskels und eine Teilung in ein anteriores und ein posteriores Segment mit einer Fenestrierung der Chordaezwischenräume behebt gewöhnlich die subvalvuläre Stenose. Der am besten geeignete Ort für die segelspaltenden Inzisionen liegt zu beiden Seiten des gemeinsamen Papillarmuskels hin zu den Trigona (. Abb. 10.57a, b). Diese Inzisionen werden bis tief in
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. Abb. 10.57a–e. Vorgehen bei singulärem Papillarmuskel bzw. Fallschirmklappe. a, b Segelspaltende Inzisionen; c–e Erweiterung der Inzisionen bis tief in den Papillarmuskelkörper hinein
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Kapitel 10 · Lungenvenenfehlmündungen, Vorhofanomalien und angeborene Fehler der AV-Klappen
den Papillarmuskelkörper hinein erweitert, sodass dieser bis auf den Grund gespalten wird. Somit ist eine ausreichende Dicke der beiden »neuen« Papillarmuskeln sichergestellt (. Abb. 10.57c–e). Die Klappeninsuffizienz lässt sich mit einer Segelnaht oder einer Remodellierung des Anulus beheben. Naturgemäß steigt die Erfolgsrate dieses Vorgehens mit Größe und Alter der Patienten.
Hängemattenklappe (»hammock mitral valve«)
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Diese Läsion ist eine der am schwersten zu korrigierenden Fehlbildungen der Mitralklappe, da die Muskelmasse unter den Segeln in den linksventrikulären Ausflusstrakt eindringt (Stellin et al. 2000). Die Hammock-Klappe wird idealerweise durch die Exzision der überschüssigen Papillarmuskelanteile unter dem muralen Segel, eine Fenestration der Chordaezwischenräume, einen Cleft-Nahtverschluss oder eine Remodellierung des Anulus behandelt. Sind die Papillarmuskeln nicht an den freien Enden der Segel befestigt, wird ein ausreichend dickes Stück aus der posterioren Ventrikelwand, die den rudimentär angelegten Papillarmuskel und die Chordae enthält, herausgeschnitten (. Abb. 10.58a, b). Dabei ist sicherzustellen, dass sowohl die verbliebene Wand des linken Ventrikels als auch der »neue« Papillarmuskel eine ausreichende Muskeldicke be- bzw. erhält, damit die jeweilige Funktion erfüllt werden kann (. Abb. 10.58c). Oftmals ist ein Klappenersatz notwendig (Uva et al. 1995). ! Das Vorliegen einer Hammock-Klappe ist ein starker Prädiktor für eine hohe Inzidenz von Re-Operationen (Prifti et al. 2002).
10.3.11.2 Operation der Mitralklappeninsuffizienz
Dilatation des Klappenanulus Die Behandlung dieser Fehlbildung erfolgt typischerweise in Form einer Anuloplastik. Bei Kindern unter 10 Jahren führen die rechteckige Resektion des muralen Segels, die Plikatur des Anulus und das Einnähen der Segelkanten gewöhnlich zu einer Verminderung der Regurgitation, wobei das zukünftige Größenwachstum des Anulus erhalten bleibt. Die Kay-Wooler-Technik (Wooler et al. 1962) als exzentrische Anuloplastik beinhaltet die Reduktion des dilatierten posterioren Mitralklappenanulus durch 2 mit autologem
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Perikard armierte Nähte, die anterior zu den Kommissuren angelegt und über einen variablen Abstand entlang des muralen Anulus geführt werden. Wenn die Wooler-Technik zur Anwendung kommt, ist es in Hinblick auf die Stabilität im Langzeitverlauf essenziell, die Nähte durch die bindegewebigen Trigona zu führen. Durch das Anziehen der Nähte wird der Anulus verkürzt (. Abb. 10.59). Die modifizierte Anuloplastik nach Paneth (Burr et al. 1977) wird zumeist bei älteren Kindern und Adoleszenten mit hochgradig dilatiertem Anulus jeglicher Ursache angewandt. Die Technik beinhaltet eine Verminderung des Umfangs des posterioren Anulus, indem horizontale Matratzennähte aus Polypropylen, die an den Trigona mit autologen Perikardplättchen verankert sind, so angelegt werden, dass sie den posterioren Anulus raffen (. Abb. 10.60a). Der Grad oder das Ausmaß, in dem die Raffung vorgenommen wird, ist so zu wählen, dass die Segel gut koaptieren und dass der auf die Körperoberfläche bezogene normale Klappendurchmesser (Carpentier 1983; Rowlatt et al. 1963; . Tab. 10.2) erhalten bleibt. Der verkürzte posteriore Anulus wird alsdann mit einem unbehandelten autologen Perikardstreifen stabilisiert (. Abb. 10.60b, c).
Prolaps des anterioren Segels Die Ergebnisse einer triangulären Resektion, wenn alle 3 Segmente des anterioren Segels prolabieren und eine entsprechende Chordae-Abstützung fehlt, sind unbefriedigend (Mantovani et al. 2005). Bei Kindern scheint es effektiver zu sein, eine Verkürzung der Chordae in Kombination mit einer Verstärkung und Behandlung der Anulusdilatation mit einem autologen Perikardstreifen vorzunehmen (Aharon et al. 1994). Das größte technische Problem besteht hierbei darin, die korrekte Länge der künstlichen Chordae festzulegen, und zwar unter Berücksichtigung, dass Polytetrafluorethylennähte sehr glatt sind und die Knoten verrutschen können, wenn man sie anzieht. Bei Erwachsenen empfiehlt David (2004), die laterale Kommissur als Referenz für die Abmessung der richtigen Chordaelänge zu verwenden. Bei Kindern ist es ungleich schwieriger, die korrekte Länge abzumessen. Die Appositionszone der Länge der gesunden und nicht elongierten nativen Chordae, die am nichtprolabierenden Teil der Klappe ansetzen, kann als Referenz dienen (Boon et al. 2007; Minami et al. 2005).
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. Abb. 10.58a–c. Herausschneiden eines Anteils der Ventrikelwand bei Vorliegen einer Hängemattenklappe
285 10.3 · Angeborene Mitralklappenfehler
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. Abb. 10.59a, b. Wooler-Technik zur Dilatation des Klappenanulus
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. Abb. 10.60a–c. Modifizierte Anuloplastik nach Paneth
Segelhypoplasie oder -agenesie Die Behandlung einer Segelagenesie beinhaltet die rechteckige Resektion und das Annähen der freien Kanten der Segelreste, nachdem diese einer Verschiebevalvuloplastik unterzogen wurden. Ein Defekt im anterioren Segel kann je nach seiner Größe durch direkte Naht oder durch Einnähen eines autologen Perikardflickens behandelt werden (Aharon et al. 1994; Chauvaud et al. 1997a).
Isolierter Segelspalt (»cleft«) Die optimale Behandlung besteht im Verschluss des Spaltes im Segel (Zias et al. 1998). Spalten im anterioren Segel werden mittels direkter Naht verschlossen. Sorgfältig ist zu vermeiden, die Nahtlinie über den Ort der Chordae-Insertion hinaus auszudehnen, da dies die Klappenöffnung behindern würde. Spalten im posterioren Segel können mit einer viereckigen Resektion oder einem einfachen Verschluss therapiert werden. Ist die Mtralklappe mit 3 Segeln angelegt, ist die Kommissuroplastik von anterolateraler und posteromedialer Kommissur indiziert. Das Nähen der freien Kanten eines Spaltes im posterioren Mitralklappensegel und die Plikatur des Anulus bieten ebenfalls eine gute Palliation. Besteht zudem eine Anulusdilatation, wird gleichzeitig eine Anuloplastik vorgenommen (Perier u. Clausnit-
zer 1995). Selten ist der Mitralklappenspalt Teil einer Anomalie der ventrikuloarteriellen Verbindung und wird während und nach dem komplexen Korrektureingriff operiert (Fraisse et al. 2002; Menahem u. Anderson 2004; Photiadis et al. 1995).
Mitralklappe mit doppeltem Orifizium Es bestehen 2 Strategien zur Behandlung der Mitralklappe mit doppeltem Orifizium: Die akzessorische Öffnung kann belassen werden, sofern sie kompetent schließt (Carpentier u. Brizard 2006), oder sie kann übernäht und verschlossen werden, wenn hier eine Insuffizienz besteht und das Hauptorifizium einen angemessenen Diameter aufweist (BañoRodrigo et al. 1988). Wenn die Klappe stenotisch ist, gestaltet sich die Behandlung schwieriger, da bei der Durchtrennung des Brückengewebes oftmals eine Klappeninsuffizienz zurückbleibt, die eine extensive Rekonstruktion oder einen Klappenersatz erfordert. Bis zur Hälfte ist das posteriore Segel einer Resektion zugänglich; vom anterioren Segel kann jedoch nur ein schmaler Keil sicher reseziert werden. Größere Teile des ungestützten anterioren Segels lassen sich durch eine Chordaekürzung, einen Chordaetransfer oder einen Chordae-Ersatz behandeln. Aufgrund des sich ergebenden Missverhältnisses zwischen der Mitralklappenöff-
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Kapitel 10 · Lungenvenenfehlmündungen, Vorhofanomalien und angeborene Fehler der AV-Klappen
nungsfläche und der Segelgröße nach der Segelresektion, ist gewöhnlich eine zeitgleiche Anuloplastik notwendig. Ein Klappenersatz ist mitunter unumgänglich.
Agenesie und Ruptur der Chordae tendineae
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Das Fehlen oder die Ruptur der Primärchordae der zentralen Muschel wird am effektivsten mittels rechteckiger Segelresektion und direkter Naht behandelt. Eine modifizierte Plikaturplastik nach Gerbode (Gerbode et al. 1962) stellt die von uns bei der Chordaeruptur der Zentralmuschel des posterioren Segels angewandte Technik dar (. Abb. 10.61a). Das durchschlagende Segelsegment wird zum Ventrikel hin mit einer V-förmigen Nahtlinie aus Polypropylenematrazennähten plikiert, die mit unbehandelten autologen Perikardplättchen unterlegt sind (. Abb. 10.61b, c). Ist die Klappendichtigkeit erreicht, wird der posteriore Anulus mit einem unbehandelten autologen Perikardstreifen stabilisiert, der an beiden Trigona mit separaten plättchenarmierten Matratzennähten verankert ist (. Abb. 10.61d, e). Über den Einsatz von künstlichen Chordae aus Polytetrafluorethylennähten bei Neugeborenen und Kindern wurde berichtet (Anagnostopoulos et al. 2007; Kawahira et al. 1999; Matsumoto et al. 1999). Manche Autoren vermuten, dass bei Kombination dieser Technik mit anderen konservativen Techniken der Mitralklappenrekonstruktion bei Kindern die Notwendigkeit zur Implantation einer mechanischen Prothese hinausgezögert oder gänzlich vermieden werden kann (Murakami et al. 1998). Weiterhin wurde eine Klappenrestriktion durch künstliche Chordae im mittelfristigen Verlauf und bei Größenwachstum des Kindes bis-
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lang nicht beobachtet (Boon et al. 2007; Kawahira et al. 1999; Minami et al. 2005). Das Langzeitergebnis bleibt jedoch abzuwarten (Matsumoto et al. 1999). Defekte der Sekundärchordae lassen sich beheben, indem man die freien Kanten des Segels an die Sekundärchordae anheftet.
Elongierte Chordae tendineae, hypoplastische und verkürzte oder rupturierte Papillarmuskeln und gemischte Läsionen Die Behandlung orientiert sich an den individuellen Gegebenheiten und dem Umbau des Anulus. Oftmals ist der Klappenersatz die einzig zuverlässige Methode. Eine Kombination unterschiedlicher Methoden der Klappenrekonstruktion ist erforderlich: 4 Chordaekürzung durch Teilung des Papillarmuskels und Einnähen der Chordae in die Tiefe des Papillarmuskelstiels, 4 Resektion und Nähen des prolabierenden Segelanteils, 4 quadranguläre Resektion des gegenüberliegenden Segments im posterioren Segel, 4 Umsetzen der Primärchordae, indem das Segment an die Vorhofseite des anterioren Segels genäht wird, 4 Fenestration der Chordaezwischenräume. Ist die Segelmobilität durch anomal kurze Chordae oder fehlgebildete Papillarmuskeln limitiert (wie bei der Fallschirm- oder Hängemattenklappe), kann die Spaltung des Papillarmuskels die Segelexkursion verbessern. Die Persistenz von interchordalem Gewebe kann den linksventrikulären Einstrom behindern. Die Entfernung des Gewebes
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. Abb. 10.61a–e. Vorgehen bei Agenesie und Ruptur der Chordae tendineae
287 10.3 · Angeborene Mitralklappenfehler
zwischen den Chordae und die Resektion von Sekundärchordae können die Mitralklappenöffnung erweitern. Der Chordae-Ersatz durch Polytetrafluorethylen stellt eine Option dar, auch wenn die Erfahrungen bei der Anwendung bei Kindern begrenzt sind (Matsumoto et al. 1999).
Therapie eines »Systolic-anterior-movement«Phänomens bei Patienten mit hypertropher obstruktiver Kardiomyopathie Bei diesen Patienten liegen keine bestimmten Anomalien der Chordae tendineae und der Mm. papillares vor. Die Rekonstruktion wird von einer sorgfältigen transösphagealen echokardiographischen Beurteilung der Septumanatomie und -dicke, der Funktion und Anatomie der Mitralklappe sowie der Mobilität des subvalvulären Apparats begleitet. Die den Trigona am nächsten gelegenen Segmente des anterioren Segels werden mit Polypropylenenähten, die mit unbehandelten autologen Perikardplättchen unterlegt sind, an den korrespondierenden posterioren Anulus angeheftet. Die Nähte werden durch die Koaptationslinie des anterioren Segels mit dem korrespondierenden posterioren Anulus gelegt (. Abb. 10.62a, b).
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Auf diese Weise wird die Mobilität des anterioren Segels in jenen Segmenten, die den Trigona benachbart sind, eingeschränkt, und die Entstehung eines »Systolic-anteriormovement«-Phänomens oder einer Mitralklappeninsuffizienz wird verhindert (. Abb. 10.62c, d). Für die intraoperative Ausmessung der Mitralklappenöffnungsfläche werden Hegar-Stifte verwandt. Dabei ist sicherzustellen, dass der altersbezogene minimale Normalwert nicht unterschritten wird, um eine Mitralklappenstenose zu vermeiden. Zusätzlich zur Retentionsplastik des anterioren Mitralklappensegels sollte immer eine subaortale Myektomie nach Morrow über einen transaortalen Zugang erfolgen. Simultan und direkt werden der linksventrikuläre und der aortale Druck gemessen. Ist der Gradient über dem linksventrikulären Ausflusstrakt infolge der Narkose niedrig (30 mmHg), wird Isoprenalin appliziert oder es werden frühzeitige Ventrikelkontraktionen induziert, um den maximalen Druckgradienten zu bestimmen. Es wird eine schräge Aortotomie vorgenommen, die man nach rechts in den nonkoronaren Sinus in Richtung des Anulus führt. Die Aortenklappe wird inspiziert und die subvalvuläre Region dargestellt. Wir nehmen parallele In-
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. Abb. 10.62a–e. a. Retentionsplastik des anterioren Segels bei hypertropher obstruktiver Kardiomyopathie und »Systolic-anteriormovement«-Phänomen (Technik nach Hetzer); b abgeschlossene Rekonstruktion (Blick vom Vorhof aus); c Mitralklappeninsuffizienz bei hypertropher obstruktiver Kardiomyopathie und »Systolic-anteriormovement«-Phänomen vor der Rekonstruktion; d Umleitung der Mit-
ralklappenundichtigkeit nach der septalen Myektomie und der Retentionsplastik des anterioren Segels; e septale Myektomie (Blick durch die Aortotomie) und gegenüberliegendes anteriores Mitralklappensegel (die gestrichelte Linie markiert die Inzisionen im Myokard des Septums; Technik nach Hetzer)
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Kapitel 10 · Lungenvenenfehlmündungen, Vorhofanomalien und angeborene Fehler der AV-Klappen
zisionen im Septum, direkt gegenüber dem anterioren Mitralklappensegel vor. Dabei resezieren wir lange Blöcke von Septummyokard zwischen beiden Inzisionen, die direkt unterhalb des Aortenklappenanulus am rechtskoronaren Sinus und an der Kommissur zwischen dem rechts- und dem linkskoronaren Sinus beginnen (Hetzer et al. 2008; . Abb. 10.62e). Die Inzisionen sollten nach apikal bis über den Punkt des Mitralseptumkontakts hinaus geführt werden, wobei dieser Punkt gewöhnlich durch ein fibröses Band markiert ist. Die großzügige Inzision unterhalb der Aortenklappe verbessert die Exposition jenes Areals bis zum Apex hin. Nach der Myektomie und der Retentionsplastik des anterioren Segels müssen die Aorten- und die Mitralklappe inspiziert werden, um sicherzustellen, dass sie nicht beschädigt worden sind. Die Drücke im linken Ventrikel und in der Aorta sind erneut zu messen. Ebenso wird die Beurteilung mittels transösophagealer Echokardiographie nach Entwöhnung von der extrakorporalen Zirkulation wiederholt. Die Myektomie war erfolgreich, wenn kein oder nur ein geringer Restgradient zu messen ist sowie wenn kein »Systolic-anterior-movement«-Phänomen und keine Mitralklappenstenose bestehen.
Rekonstruktion der Mitralklappe bei Endokarditis
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Das allgemein gültige Prinzip besteht in einem angemessenen Débridement des infizierten Gewebes und einer sorgfältigen Spülung aller betroffenen Areale mit Polyvidonjodlösung, und zwar unabhängig davon, ob Pus oder Vegetationen vorgelegen haben oder nicht. Weiterhin gehören dazu ein sorgfältiges Entfernen von vorhandenen Vegetationen und die Rekonstruktion der Anatomie unter Verwendung von Nähten, die mit unbehandelten autologen Perikardplättchen oder einem Perikardsstreifen verstärkt sind. Die Rekonstruktion der Mitralklappe erfolgt durch eine anteriore Kommissuroplastik (unsere modifizierte Kay-Wooler-Technik; . Abb. 10.59a, b), eine posteriore Kommissuroplastik mit Segelresektion (. Abb. 10.60a) oder eine posteriore Kommissuroplastik mit Verstärkung durch einen Perikardstreifen nach unserer Modifikation (. Abb. 10.60b, c). Eine Chordaeruptur kann durch eine Chordae-Re-Implantation oder einen Chordae-Ersatz behoben werden. 10.3.11.3 Rekonstruktion der Atrioventrikular-
klappe bei Patienten mit singulärem Ventrikel Eine signifikante Atrioventrikularklappeninsuffizienz besteht bei bis zu einem Drittel der Patienten mit singulärem Ventrikel, die einer Palliation unterzogen werden (Imai et al. 1999; Sallehuddin et al. 2004). Es wird angenommen, dass hierin ein signifikanter präoperativer Risikofaktor und ein Grund für die Verschlechterung des Spätergebnisses nach Anlage eines bidirektionalen kavopulmonalen Shunts oder nach einer Fontan-Operation zu sehen sind (Scheurer
et al. 2008). Wir bevorzugen es daher, eine signifikante Insuffizienz der AV-Klappe bei der Anlage eines bidirektionalen kavopulmonalen Shunts gleichzeitig zu beheben. Dies bildet eine bessere Grundlage, vermeidet die Notwendigkeit, zusätzlich eine intrakardiale Korrektur vorzunehmen, wenn die Fontan-Operation erfolgt, und verbessert deren Ergebnis. Allgemeine Gründe für eine AV-KlappenInsuffizienz bei Patienten mit singulärem Ventrikel sind in der Anulusdilatation, in elongierten Chordae und in Spalten (»clefts«) zu suchen. Um eine Kompetenz der Klappe zu erreichen, ist es oft notwendig, eine Klappenrekonstruktion mit einer Anuloplastik zu kombinieren. Auch wenn Techniken existieren, die die AV-Klappen-Funktion verbessern, wie die Anuloplastik, die Zweiteilung einer gemeinsamen AV-Klappe, der Spaltverschluss, die Chordaeverlängerung oder -verkürzung oder das Einnähen von Perikardflicken (Lamberti u. Kriett 2007; Oku et al. 1994,), gibt es dennoch zahlreiche Patienten, die aufgrund der progressiven Klappeninsuffizienz, die einer Rekonstruktion nicht zugänglich ist, eines AV-Klappen-Ersatzes bedürfen. Es ist für die Aufrechterhaltung der Ventrikelfunktion wichtig, die Chordae und die Papillarmuskeln zu erhalten. Die Chordae-Anheftungen müssen nur dann geteilt werden, wenn sie den ventrikulären Ausflusstrakt obstruieren (Mahle et al. 2001). Häufig tritt postoperativ ein totaler AV-Block auf. Bei Patienten mit hypoplastischem linken oder rechten Ventrikel und hypoplastischen, undichten zugehörigen Klappen, die nicht zu rekonstruieren sind, kann die insuffiziente Klappe mit einem Perikardflicken verschlossen und auf diese Weise das Herzversagen in eine Mitralklappenoder Trikuspidalklappenatresie überführt werden. Die Schaffung oder Vergrößerung eines Vorhofseptumdefekts ist unter solchen Umständen bedeutsam, um eine atriale Stauung zu vermeiden. 10.3.11.4 Mitralklappenersatz
Zum derzeitigen Zeitpunkt gibt es keine ideale Klappenprothese für den Mitralklappenersatz bei Kindern, was ganz besonders für die frühe Kindheit und das Kleinkindesalter gilt (Alexiou et al. 2001). Bei Kindern sollten keine Mühen unterlassen bleiben, die native Klappe zu erhalten. Es ist unsere Strategie, eine Mitralklappenrekonstruktion bei jedem Kind zu versuchen, auch wenn ggf. ein nicht optimales Rekonstruktionsergebnis akzeptiert werden muss und Folgeoperationen nach geraumer Zeit einzuplanen sind. Die Philosophie hinter diesem Konzept besteht darin, ein jedes Kind – wenn nötig mit wiederholten Operationen – in ein Alter zu bringen, in dem eine Prothese mit lebenslanger Haltbarkeit implantiert werden kann (Hetzer u. Drews 1999). Wird der Versuch unternommen, eine Mitralklappenstenose zu rekonstruieren, bleibt oftmals eine Mitralklappeninsuffizienz zurück, die teilweise auf Defekte des subvalvulären Apparats (z. B. bei der Fallschirm- und Hängemattenfehlbildung) zurückzuführen ist. Der Klappenersatz stellt in dieser Situation oftmals die einzig verbleibende
289 10.3 · Angeborene Mitralklappenfehler
Option dar (Beierlein et al. 2007; Günter et al. 2000; Kadoba et al. 1999). Allerdings bevorzugen wir es bei kleinen Kindern, wenn immer es möglich ist, eine mechanische oder biologische Aortenklappenprothese zu implantieren. Das Risiko, das entsteht, wenn eine zu große Mitralklappenprothese implantiert wird, ist ungleich größer, als einen elektiven erneuten Mitralklappenersatz vorzunehmen, nachdem das Kind herangewachsen ist (Caldarone et al. 2001). Kleine Prothesentypen können im Laufe des somatischen Wachstums des Patienten zu einem Patienten-Prothesen-Missverhältnis führen (Vohra et al. 2006). Nach 15 Jahren reicht eine Prothese mit einer Größe von < 23 mm bei allen Patienten nicht mehr aus. Der erneute Mitralklappenersatz mit Implantation einer größeren Prothese ist jedoch immer möglich, und das operative Risiko ist gering (Beierlein et al. 2007). In einer großen Multicenterstudie wurde das Risiko, einen totalen AV-Block zu entwickeln, mit 16 % angegeben (Caldarone et al. 2001). Bei der großen Bandbreite an derzeit verfügbaren Techniken gelingt eine befriedigende Korrektur der kongenital anomalen Mitralklappe in 80 % der Fälle. Der Erhalt der Chordae-Anheftungen ist wichtig, um die Ventrikelfunktion zu erhalten. Dennoch ist dies bei Kindern und Kleinkindern oftmals nicht möglich. Ist der Anulus zu klein, um die Prothese in orthotoper Position zu platzieren, kann die Klappenprothese supraanulär im linken Vorhof implantiert werden. Die am besten geeignete Prothese für den Mitralklappenersatz bei älteren Kindern ist eine flache, mechanische Zweiflügelprothese (Alexiou et al. 2001; Günter et al. 2000). In der jüngeren Vergangenheit erreichte die perioperative Letalität beim Klappenersatz bei Kleinkindern und Kindern 30–50 % (Kadoba et al. 1999; Zweng et al. 1989). Jedoch konnte die Letalität beim Mitralklappenersatz im Kindesalter mit verbesserten Techniken der Myokardprotektion, besseren Klappenprothesen, einer strafferen postoperativen Antikoagulation und einer verbesserten postoperativen intensivmedizinischen Betreuung auf 3,5–11 % gesenkt werden (Alexiou et al. 2001; Günter et al. 2000), auch wenn der Klappenersatz bei den kleinsten Kindern in aktuellen Darstellungen unverändert eine hohe perioperative Letalität von bis zu 20 % aufweist (Beierlein et al. 2007; Serraf et al. 2000; Vohra et al. 2006). Ein wiederholter Klappenersatz ist in der Hälfte der Fälle innerhalb von 3 Jahren erforderlich. Das Langzeitüberleben bei kleinen Kindern ist schlecht, wobei die Rate des aktuarischen Überlebens nach 10 und 20 Jahren mit ungefähr 50–61 % angegeben wird (Alexiou et al. 2001; Günter et al. 2000; Kadoba et al. 1999). Zu den in einer großen multizentrischen Untersuchung angegebenen Gründen für einen zweiten Mitralklappenersatz bei 102 Kindern, die primär im Alter unter 5 Jahren operiert worden waren, gehören die Stenose der Klappenprothese und die Prothesenendokarditis. Im Detail wurden folgende Gründe für den erneuten Mitralklappenersatz angegeben:
4 Stenose der Klappenprothese (24 Kinder; 83 %), 4 Thrombose der Klappenprothese (4 Kinder; 14 %), 4 Endokarditis (1 Kind; 3 %). Die beim Zweiteingriff implantierte Prothese war jeweils größer, was die Tatsache eines kontinuierlichen Wachstums des Anulus unterstreicht (Raghuveer et al. 2003). Kinder mit mechanischen Mitralklappenprothesen müssen ein Antikoagulationsregime erhalten, das es gewährleistet, eine International Normalized Ratio zwischen 2,5 und 3,5 aufrechtzuerhalten (Günter et al. 2000). Die langfristige Antikoagulation wird für gewöhnlich gut toleriert (Beierlein et al. 2007; Caldarone et al. 2001; Sachweh et al. 2007). 10.3.11.5 Implantation extrakardialer
klappentragender Rohrprothesen Wenn die stenotische Mitralklappe nicht rekonstruiert werden kann und der Klappenersatz bei Anulushypoplasie in einem normal großen linken Ventrikel nicht durchführbar ist, kann man ein extrakardiales Conduit mit porciner Klappe implantieren (Amodeo et al. 1990). Die Operation ist über eine Linksthorakotomie oder eine mediane Längssternotomie möglich (Laks et al. 1980). Die Prothese wird am linken Vorhof befestigt, indem man die Inzision zwischen dem Boden des linken Vorhofohres und den Pulmonalvenen setzt. Das distale Ende der Prothese wird in den Apex des linken Ventrikels eingenäht. Die größten Bedenken bestehen bei Kindern hinsichtlich einer raschen Verkalkung der biologischen Klappenprothese (Mazzera et al. 1989; Serraf et al. 2000).
10.3.12
Ergebnisse der Korrektur angeborener Mitralklappenfehler
Die Ergebnisse der Mitralklappenrekonstruktion bei Kindern haben sich in den letzten Jahren entscheidend verbessert. Ursache für diesen Trend sind ein besseres Verständnis der Klappenpathologien, verbesserte chirurgische Techniken, die Änderungen bei der Myokardprotektion und der extrakorporalen Zirkulation und der intraoperative Einsatz der transösophagealen Echokardiographie. Bei der Analyse besteht dabei die Schwierigkeit, verschiedene Studien miteinander zu vergleichen, da Unterschiede in der Komplexität der Erkrankung, im Patientenalter zum Zeitpunkt der Operation, in der Beschreibung der Mitralklappenanomalien und in den angewendeten Operationstechniken bestehen (Pritisanac et al. 2005; Seccombe 1999;). Die Spätergebnisse hängen vom Patientenalter zum Zeitpunkt der Operation, dem klinischen Erscheinungsbild, der Tatsache, ob eine Insuffizienz oder eine Stenose der Klappe vorliegt, und dem begleitenden Bestehen weiterer relevanter Herzfehler ab (Aharon et al. 1994). Im Allgemeinen wird bei einer Rekonstruktion eine höhere Letalität zu erwarten sein, wenn der Mitralklappenfehler gemeinschaftlich mit weiteren re-
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Kapitel 10 · Lungenvenenfehlmündungen, Vorhofanomalien und angeborene Fehler der AV-Klappen
levanten Anomalien besteht (Wood et al. 2004). Die besten Ergebnisse im mittel- und langfristigen Verlauf werden bei Patienten mit isolierter Mitralklappeninsuffizienz bei Anulusdilatation oder bei Vorliegen eines Spaltes erzielt (Zias et al. 1998). Die Ergebnisse sind suboptimal, wenn Chordae fehlen (Sugita et al. 2001). Bei Patienten mit Mitralklappenstenose sind die Resultate weniger befriedigend, da eine größere Komplexität und Variabilität in der Pathologie besteht (Lorier et al. 2001). Viele Patienten mit einer Mitralklappenstenose benötigen später Folgeeingriffe oder sogar einen Mitralklappenersatz (Serraf et al. 2000; Uva et al. 1995).
10
10.4
Ebstein-Anomalie
10.4.1
Einführung
Die Ebstein-Anomalie repräsentiert eine seltene, komplexe kongenitale Fehlbildung der Trikuspidalklappe und des rechten Ventrikels mit einer sehr variablen Anatomie. Die Fehlbildung schließt abnormale Anheftungen der Trikuspidalklappensegel an den Trikupidalklappenanulus ein. Dabei existiert eine besondere Variabilität des Ausmaßes der Verschiebung des septalen und posterioren Segels in die Höhle des rechten Ventrikels hinein. Dies kann zu einem rechten Ventrikel führen, der in einen atrialisierten Anteil über den Klappensegeln und einen muskulären Anteil unter den Klappensegeln geteilt ist. Die Fehlbildung wurde erstmals im Jahre 1866 von dem deutschen Pathologen Wilhelm Ebstein (Ebstein 1866) beschrieben und im Jahre 1927 als Ebstein-Anomalie benannt (Arstein 1927). Der Erstbeschreibung einer Ebstein-Anomalie beim Lebenden erfolgte von Tournaire und Mitarbeitern (Tournaire et al. 1949). Die Inzidenz für die Ebstein-Anomalie der Trikuspidalklappe beträgt etwa 1 : 20.000 Lebendgeburten. Die Fehlbildung macht <1 % aller angeborenen Herzfehler aus. Jungen und Mädchen sind mit gleicher Häufigkeit betroffen. In einem repräsentativen großen chirurgischen Zentrum sind <1 % aller kardiovaskulären Eingriffe bei angeborenen Herzfehlern ursächlich auf die Ebstein-Anomalie zurückzuführen (Hetzer u. Pasic 2004). Die hämodynamischen Auswirkungen dieser Fehlbildung stehen in direktem Zusammenhang zum Schweregrad der Verlagerung der Klappensegel und der resultierenden Trikuspidalklappeninsuffizienz. Im Fall einer geringen Verlagerung und einer geringgradigen Klappeninsuffizienz kann der Patient über viele Jahre asymptomatisch bleiben. Sind jedoch das Ausmaß der Verlagerung der Klappensegel und die Trikuspidalklappeninsuffizienz hochgradig, ist der Blutfluss über die Lungenstrombahn vermindert, der rechte Vorhof dilatiert, und es kommt zu einem ShuntFluss von rechts nach links über einen Vorhofseptumdefekt oder ein persistierendes Foramen ovale. Der Patient wird zyanotisch. Die Zeichen der Herzinsuffizienz entwickeln sich im Gefolge des funktionell kleinen rechten
Ventrikels und der eingeschränkten rechtsventrikulären Compliance.
10.4.2
Letalität und Morbidität
Die intrauterine Letalität beträgt bis zu 85 %. Die Letalität nach der Geburt steht mit dem Schweregrad der Zyanose, der Trikuspidalklappendeformation und dem Fehlen eines antegraden Flusses über die Pulmonalklappe in Zusammenhang (McElhiney et al. 2005). Neugeborene mit einer Zyanose weisen eine Letalität von bis zu 70 % auf; im Vergleich dazu beträgt die Letalität bei Neugeborenen ohne Zyanose 15 % (Arizmendi et al. 2004). Der Tod tritt infolge der Herzinsuffizienz, infolge postoperativer Komplikationen oder als plötzlicher Herztod ein. Die Rate des aktuarischen Überlebens beträgt für lebendgeborene Patienten 67 % für das erste Jahr und 59 % für die ersten 10 Jahre (Giuliani et al. 1979). Der Schweregrad der Segelverlagerung und der Grad der begleitenden rechtsventrikulären Ausflusstraktobstruktion bestimmen das Alter, in dem der Patient symptomatisch wird. In groß angelegten Untersuchungen zur Ebstein-Anomalie wurden 81 % der Fälle in der ersten Lebenswoche, 6 % im Alter von 1–4 Wochen, 11 % im Alter von 5–25 Wochen und 2 % im Alter von >25 Wochen diagnostiziert (Arizmendi et al. 2004; Correa-Villasenor et al. 1994; Kumar et al. 1971). Nach 6 Monaten entspricht die Prognose im Kleinkindalter derjenigen, die für das Kindes- und Adoleszentenalter angegeben wird (Arizmendi et al. 2004; Davidson et al. 1995).
10.4.3
Geschichte der chirurgischen Behandlung
Die chirurgische Behandlung der Ebstein-Anomalie, der begleitenden Trikuspidalklappeninsuffizienz und der bedeutsamen Folgekomplikationen war lange umstritten, insbesondere hinsichtlich der Indikation zur Operation, der geeigneten Operationsstrategie (Klappenersatz oder Rekonstruktion), der richtigen Rekonstruktionstechnik sowie des optimalen Zeitpunkts für den Eingriff. Die Rekonstruktion der Trikuspidalklappe bei der Ebstein-Anomalie hat nicht generell Akzeptanz gefunden. Ursache hierfür ist sicherlich die immense Variabilität pathologischer Befunde der Anomalie, welche die Entstehung eines standardisierten Konzepts für die Rekonstruktion behindert. Erschwerend kommt hinzu, dass nur wenige Chirurgen ausreichend Expertise in der Handhabung dieser Fehlbildung entwickeln können, da sie selten auftritt. Viele Chirurgen gaben dem Trikuspidalklappenersatz, der das technisch einfachere Verfahren darstellt, den Vorzug, insbesondere seit dem Bericht vom ersten erfolgreichen Ersatz, der im Jahre 1963 von Barnard und Schrire veröffentlich wurde (Barnard u. Schrire 1963). Auch wenn sich einige Patienten über
291 10.4 · Ebstein-Anomalie
viele Jahre nach dem Trikuspidalklappenersatz gut entwickeln, setzt der prothetische Klappenersatz den Patienten den bekannten potenziellen Problemen, wie Prothesenfehlfunktion, Thromboembolie, Endokarditis und ein sich entwickelndes Patient-Prothesen-Fehlverhältnis im Laufe des Größenwachstums, aus. Wegen der genannten Gründe sollte, wenn immer es möglich ist, der Rekonstruktionsplastik der Trikuspidalklappe der Vorzug vor dem Klappenersatz gegeben werden. Fehlt die Trikuspidalklappe vollständig, sodass Chordae und Papillarmuskeln nicht erkennbar sind, oder sind die freien Enden der Segel an der Ventrikelwand fixiert, kann eine Rekonstruktion nicht erfolgen, und der prothetische Ersatz beim älteren Kind oder Erwachsenen ist unumgänglich. Hunter und Lillehei beschrieben im Jahre 1958 erstmals das Konzept der Klappenrekonstruktion (Hunter u. Lillehei 1958). Diese Technik wurde von Hardy (Hardy et al. 1964) klinisch erfolgreich umgesetzt und von Danielson, dem die Verbreitung der Klappenrekonstruktion in einer großen Patientengruppe zuzuschreiben ist, weiterentwickelt (Danielson et al. 1979). Zusätzlich zur Rekonstruktion der Trikuspidalklappe beinhaltet diese Technik die transversale Plikatur der sog. atrialisierten Kammer. Im Jahre 1988 führte Carpentier eine Technik zur Klappenrekonstuktion mit longitudinaler statt transversaler Plikatur der atrialisierten Kammer ein (Carpentier et al. 1988). Diese Technik wurde von Quaegebeur weiterentwickelt (Quaegebeur u. Sreeram 1991). Im Gegensatz zu all diesen Verfahren führte Hetzer im Jahre 1998 ein Konzept zur Trikuspidalklappenrekonstruktion ein, bei dem die atrialisierte Kammer unberührt belassen werden kann (Hetzer et al. 1998). Beim Neugeborenen und beim Säugling können 2 unterschiedliche Strategien Anwendung finden: die Klappenrekonstruktion und der univentrikuläre Therapieansatz (Starnes-Verfahren; Starnes et al. 1991).
10.4.4
Anatomie
Die Ebstein-Fehlbildung der Trikuspidalklappe ist durch 3 Befunde charakterisiert: 4 Adhärenz des septalen und des posterioren Segels am darunter liegenden Myokard mit einem nach unten (apikalwärts) verlagerten funktionellen Anulus und einer sog. Atrialisierung des beteiligten Anteils des rechten Ventrikels, 4 Redundanz und Fenestration des anterioren Segels, 4 Dilatation der rechten atrioventrikulären Verbindung (also des eigentlichen Trikuspidalklappenanulus). Da jeder dieser Befunde unterschiedlich ausgeprägt sein kann, ist die Morphologie der Trikuspidalklappe sehr variabel (Anderson u. Lie 1979; Chauvaud et al. 2003; Chen et al. 2004).
Die apikale Verlagerung betrifft immer das septale Segel, kann aber auch das posteriore Segel einbeziehen, und große Teile der betroffenen Segel sind gewöhnlich an der Wand des rechten Ventrikels fixiert (Becker 1995). Das vordere Segel ist gewöhnlich vergrößert und ähnelt einem geblähten Schiffssegel, ist aber immer an normaler Position mit dem Anulus verbunden (Becker 1995). Obwohl das vordere Segel für gewöhnlich nicht verlagert ist, ist es fast immer anatomisch anomal angelegt. Dieses Segel kann mehrere chordale Anheftungen an der Ventrikelwand haben. Die Verlagerung der Klappe in Richtung Apex der rechtsventrikulären Höhle teilt den rechten Ventrikel in einen Anteil, der supravalvulär und somit auf der atrialen Seite der Trikuspidalklappe liegt und atrialisierte Kammer genannt wird, sowie einen subvalvulären Restanteil des Ventrikels, den man als eigentlichen oder wahren rechten Ventrikel bezeichnet. Der Anulus der Trikuspidalklappe und derjenige des rechten Vorhofs sind immer dilatiert, und die Trikuspidalklappe selbst ist gewöhnlich undicht. Die Dilatation des rechten Ventrikels ist nicht nur mit einer Wandausdünnung assoziiert, sondern auch mit einer Verminderung der Absolutzahl an myokardialen Fasern im rechtsventrikulären Myokard (Anderson u. Lie 1979). Zudem wurde eine signifikante Fibrose im linksventrikulären Myokard bei verstorbenen Neugeborenen beschrieben (Celermajer et al. 1992b).
10.4.5
Assoziierte Anomalien
Ein Vorhofseptumdefekt oder persistierendes Foramen ovale besteht bei 90 % der Patienten (Celermajer et al. 1992a; Watson 1974). Bei Neugeborenen mit Ebstein-Anomalie ist die Inzidenz für bedeutsame assoziierte Herzfehler erhöht (20–25 %; Arizmendi et al. 2004; Celermajer et al. 1992a, 1994; Kumar et al. 1971): 4 Ventrikelseptumdefekte, 4 L-Transposition der großen Arterien, 4 Fallot-Tetralogie, 4 Pulmonalvenenfehlmündung, 4 Aortenisthmusstenose, 4 atrioventrikuläre Septumdefekte. Fehlbildungen der Mitralklappe durch Fibrose und Prolaps werden bei 21 % der Patienten beobachtet (Cabin et al. 1981; Gerlis et al. 1993). Weitere bedeutsame Begleiterkrankungen dieser Patienten betreffen paroxysmale supraventrikuläre Tachykardien, welche bei 25–50 % der Patienten auftreten. Fünf Prozent bis 20 % dieser Patienten haben nachweislich ein Wolff-Parkinson-White-Syndrom (Arizmendi et al. 2004; Guiliani et al. 1979). Weitere bedeutsame Komplikationen, die gemeinschaftlich mit der Ebstein-Anomalie auftreten, sind zerebrale Abszesse und paradoxe Embolien (Genton u. Blount 1967; Mathews et al. 1983).
10
292
Kapitel 10 · Lungenvenenfehlmündungen, Vorhofanomalien und angeborene Fehler der AV-Klappen
10.4.6
Klassifikation
Die chirurgische Einteilung der Ebstein-Anomalie nach Carpentier hilft bei der chirurgischen Entscheidungsfindung und ist anwendbar, um das am besten geeignete chirurgische Vorgehen wie auch das individuelle Risiko des Eingriffs abzuschätzen (Carpentier et al. 1988; . Abb. 10.63): 4 Beim Typ A (minimale Erkrankungsform) sind die Ursprünge des septalen und posterioren Segels nur geringgradig in den rechten Ventrikel verschoben. Die atrialisierte Kammer ist klein, und es verbleibt eine relativ große, trabekularisierte eigentliche rechtsventrikuläre Höhle. Das anteriore Segel ist groß und mobil. Das Volumen des eigentlichen rechten Ventrikels ist ausreichend (. Abb. 10.63a). 4 Beim Typ B (mittelgradige Erkrankungsform) ist das Verhältnis zwischen den Volumina von atrialisierter und eigentlicher rechtsventrikulärer Kammer um-
gekehrt: Es bestehen eine große atrialisierte Kammer und ein kleinerer kontrahierender Ventrikel. Das anteriore Segel ist ebenfalls groß und mobil angelegt (. Abb. 10.63b). 4 Beim Typ C (schwere Erkrankungsform) ist das anteriore Segel in seiner Beweglichkeit behindert, da es durch ein Bindegwebeband oder abnormale Chordae tendineae am Endokard der anterioren Ventrikelwand fixiert ist. Diese Restriktion kann Ursache einer signifikanten Stenose des rechtsventrikulären Ausflusstrakts sein (. Abb. 10.63c). 4 Beim Typ D (Läsion des Trikuspidalklappenbeutels) ist der gesamte rechte Ventrikel von breiten, adhärenten, bindegewebigen Segelstrukturen ausgekleidet und nahezu komplett atrialisiert (mit Ausnahme eines kleinen infundibulären Anteils). Auf diese Weise bildet der gesamte rechte Ventrikel einen sog. Trikuspidalklappenbeutel (. Abb. 10.63d).
10
a
b
c
d
. Abb. 10.63a–d. Chirurgische Einteilung der Ebstein-Anomalie nach Carpentier Typen A–D
293 10.4 · Ebstein-Anomalie
10.4.7
10.4.7.1
Präoperative Beurteilung und Vorbereitung Vorbemerkungen
Patienten mit Ebstein-Anomalie werden in Abhängigkeit vom Schweregrad der Fehlbildung symptomatisch. Neugeborene, die hochsymptomatisch sind, weisen eine massive Vergrößerung des Herzschattens, eine schwere Zyanose und eine metabolische Azidose auf; hier ist dringend eine chirurgische Therapie erforderlich (Knott-Craig et al. 2002; Pflaumer et al. 2004; Reemtesen et al. 2006). Diese Patienten leiden aufgrund der Unfähigkeit des rechten Ventrikels, einen ausreichenden Druck aufzubauen, um die Pulmonalklappe zu öffnen, unter einer funktionellen Lungenatresie. Diese Situation verursacht einen venoateriellen Shunt über eine interatriale Verbindung, was eine systemische arterielle Entsättigung und eine Zyanose in Verbindung mit einer hohen Letalität bei ausbleibender Behandlung zur Folge hat. Die Überlebensrate bis zum 30. Lebensjahr beträgt 65 % (Arizmendi et al. 2004). Einige erwachsene Patienten können die Symptome einer chronischen Herzinsuffizienz mit progressiver Zyanose, paradoxer Embolie, Hirnabszessen und atrialer oder ventrikulärer Arrhythmien aufweisen. Paroxysmale Vorhoftachykardien können ein progressives Herzversagen oder die Verschlechterung der Zyanose zur Folge haben sowie eine Synkope verursachen. In der heutigen Ära stellt aus unserer Sicht die Anwendung der rechtsseitigen oder biatrialen Maze-Prozedur einen Routineschritt dar, wenn die Korrektur vorgenommen wird und gleichzeitig Vorhofarrhythmien bekannt sind. Einige Patienten mit der milden Form der Ebstein-Anomalie können bis zum Erreichen des Erwachsenenalters oligosymptomatisch oder sogar asymptomatisch bleiben. Selten verläuft das Langzeitüberleben ohne Intervention. Jedoch wurde auch von Patienten berichtet, die das 80. Lebensjahr erreichten (Lillehei et al. 1967; Seward et al. 1979). Bei diesen Patienten wird die Diagnose gewöhnlich dann echokardiographisch gestellt, wenn eine Herzvergrößerung aufgefallen ist. Jene Patienten mit Ebstein-Anomalie und bestehender schwerer Herzinsuffizienz, die für eine chirurgische Therapie nicht geeignet sind, werden mit der medikamentösen Standardtherapie der Herzinsuffizienz, einschließlich der Gabe von Diuretika und Digoxin, behandelt (Attenhofer et al. 2007). 10.4.7.2
Typische radiologische Befunde
Das Thoraxröntgenbild des erwachsenen Patienten ist durch die massive Vergrößerung des rechten Vorhofs gekennzeichnet, woraus eine dreieckige Herzsilhouette mit einer breiten, dem Diaphragma symmetrisch aufsitzenden Basis resultiert. Die Pulmonalarterien und die Aorta sind gewöhnlich schmal und die Strukturen des pulmonalen Gefäßbetts rarefiziert.
10.4.7.3
Typische echokardiographische Befunde
Die höchste diagnostische Aussagekraft besitzt die dopplergestützte Echokardiographie. Hier zeigen sich der Regurgitationsfluss über der Trikuspidalklappe, der interatriale Shunt und die typische Ebstein-Anatomie. Aus der echokardiographischen Analyse ergeben sich der Insuffizienzgrad über der Trikuspidalklappe und die Größen des rechten Atriums, der atrialisierten Kammer und des eigentlichen rechten Ventrikels. Insbesondere von der eigentlichen Ventrikelgröße hängen Risiko und Ergebnis einer chirurgischen Korrektur ab. Von ebenso hoher Wichtigkeit sind die Größe und die Mobilität des prädominanten Trikuspidalklappensegels, wobei es sich zumeist um das anteriore Segel handelt. Weiterhin kommt der Bestimmung von Form, Größe und Funktion des gewöhnlich deformierten linken Ventrikels eine Bedeutung zu. Diese Kenngrößen können infolge einer Korrektur mit Plikatur der atrialisierten Kammer weiter beeinträchtigt werden. Die Größe und die Lokalisation einer interatrialen Verbindung sowie das Ausmaß des Shunt-Flusses lassen sich hervorragend echokardiographisch bestimmen. Celermajer und Mitarbeiter haben das graduelle Punkteschema unter dem Namen Great Ormond Street Echo (GOSE; . Abb. 10.64) erfunden, das den Schweregrad der Ebstein-Anomalie bestimmt. Hierbei wird das Verhältnis der kombinierten Fläche von rechtem Vorhof und atrialisiertem rechten Ventrikel zur kombinierten Fläche des funktionellen rechten Ventrikels, des linken Vorhofs und des linken Ventrikels im Vierkammerblick am Ende der Diastole berechnet. Diese Punktebewertung besitzt nachgewiesenermaßen den höchsten unabhängigen prädiktiven Wert für die neonatale Letalität bei der Ebstein-Anomalie und ermöglicht es, die Prognose abzuschätzen (Celermajer et al. 1992a). Nach dem Verhältnis werden 4 Schweregrade unterschieden (Celermajer et al. 1992a): 4 Grad 1 mit einem Verhältnis von <0,50, 4 Grad 2 mit einem Verhältnis zwischen 0,50 und 0,99, 4 Grad 3 mit einem Verhältnis zwischen 1,00 und 1,49, 4 Grad 4 mit einem Verhältnis von >1,49. ! Dabei ist ein Herz-Thorax-Quotient von >0,85, ein GOSE-Grad von 4 oder eine Kombination aus dem echokardiographischen Grad 3/4, einer Zyanose und einer schweren Trikuspidalklappeninsuffizienz prädiktiv für ein Versterben des Patienten (Celermajer et al. 1992a; Knott-Craig et al. 2000).
Eine Zyanose in Kombination mit einem GOSE-Grad von 3 oder 4 ist bei Neugeborenen und Kleinkindern gleichbedeutend mit einer Letalität von 100 %. Bereits ein alleiniger Grad 3 beinhaltet ein Risiko von 45 % für das Versterben im späteren Verlauf (Knott-Craig et al. 2007). Die Autoren Robertson und Silverman haben weitere echokardiographische Parameter definiert, die ebenfalls hochprädiktiv für das Versterben ab dem 3. Lebensmonat sind. Diese Parameter
10
294
Kapitel 10 · Lungenvenenfehlmündungen, Vorhofanomalien und angeborene Fehler der AV-Klappen
treten dabei Tachyarrhythmien auf (Davidson et al. 1995). In den frühen 1960er Jahren wurde über nicht kontrollierbare, maligne supraventrikuläre Arrhythmien bei Patienten mit Ebstein-Anomalie berichtet (Watson 1974). 10.4.7.5
10
. Abb. 10.64. GOSE-Punktebewertungssystem (GOSE: Great Ormond Street Echo Score). aRV atrialisierter Teil des Ventriculus dexter (RV); LA Atrium sinistrum; LV Ventriculus sinister; RA Atrium dextrum
bewerten das Ausmaß der distalen Anheftungen des anterioren, superior gelegenen Segels, den Grad der rechtsventrikulären Dysplasie und Dyskinesie sowie die linksventrikuläre Kompression infolge der Dilatation des rechten Herzens (Robertson u. Silverman 1989). Die Magnetresonanztomographie kann angewendet werden, um die Ventrikelvolumina und die Ventrikelfunktion zu bestimmen, wenn dies echokardiographisch nicht gelingt (Attenhofer et al. 2007). 10.4.7.4
Typische Befunde bei der Herzkatheteruntersuchung
Eine Herzkatheteruntersuchung ist nur dann wünschenswert, wenn es gilt, die Anatomie weiterer komplexer Anomalien und weitere Krankheiten zu beurteilen. Dazu gehört z. B. eine Anomalie der Koronararterien, welche beim Erwachsenen sehr selten auftritt. Eine weitere Indikation ist gegeben, wenn es notwendig ist, mittels Elektrophysiologie präoperative Arrhythmien abzuklären. Eine elektrophysiologische Kartierung (»mapping«) dient der Lokalisation und Ablation akzessorischer Erregungsleitungsbahnen (Hebe 2000). Intrakardiale Druckableitungen und oxymetrische Bestimmungen intrakardialer Shunts können hilfreich sein, wenn es notwendig ist, die echokardiographischen Ergebnisse zu verifizieren. Dennoch ist die Katheterisierung des Herzens nicht ohne Risiko. Relativ häufig
Indikationen für die chirurgische Therapie
Die klinische Betreuung von Patienten mit Ebstein-Anomalie zielt darauf ab, Komplikationen zu vermeiden und zu behandeln. Im Allgemeinen wird die medikamentöse Therapie nur für Patienten mit gering ausgeprägten Symptomen empfohlen. Dabei gilt es, die Herzinsuffizienz und Arrhythmien zu behandeln sowie eine Antikoagulation vorzunehmen. Die klassische Operationsindikation ist der schweren, chronischen Herzinsuffizienz vorbehalten, entsprechend einem funktionellen Grad III oder IV nach der New York Heart Association (NYHA). Jedoch wurde die Indikationsstellung zur Operation aufgrund der günstigen Ergebnisse der chirurgischen Behandlung wesentlich erweitert. Derzeit können die meisten Patienten mit gutem Ergebnis operiert werden. Die erweiterte Indikation für die chirurgische Behandlung erstreckt sich auf (Hetzer u. Pasic 2004): 4 wenig symptomatische Patienten mit funktioneller NYHA-Klasse II und progredienter Beschwerdesymptomatik, 4 zunehmende Zyanose, 4 Abnahme der Belastungstoleranz, 4 Retardierung in der Wachstumskurve bei Kindern, 4 Auftreten paradoxer Embolien und von Hirnabszessen, 4 Vorliegen von atrialen und/oder ventrikulären Arrhythmien, 4 Zunahme der Herzgröße, 4 Verschlechterung echokardiographischer Parameter, z. B. Zunahme der Trikuspidalklappeninsuffizienz, 4 Vergrößerung von rechtem Vorhof und rechtem Ventrikel, 4 Abnahme der rechtsventrikulären Funktion. Diese Indikationen gelten insbesondere für ältere Kinder und erwachsene Patienten. Bei symptomatischen Neugeborenen und Kleinkindern führt die Verzögerung der Operation gewöhnlich zu einer sehr hohen Letalität (Knott-Craig et al. 2000). Bei dieser Patientengruppe fanden 2 verschiedene Strategien Anwendung: die Klappenrekonstruktion (Knott-Craig et al. 2000, 2007) oder der univentrikuläre Ansatz und die Technik nach Starnes (Reemtsen et al. 2006; Starnes et al. 1991). Die Erfahrungen mit beiden Techniken sind begrenzt und müssen erweitert werden, um abschätzen zu können, welches Verfahren tatsächlich überlegen ist. 10.4.7.6
Kontraindikationen
Es gibt per se keine spezifischen Kontraindikationen für die chirurgische Korrektur der Ebstein-Anomalie. Kontraindi-
295 10.4 · Ebstein-Anomalie
kationen erstrecken sich auf allgemeine Kontraindikationen für einen chirurgischen Eingriff am offenen Herzen und wenn absehbar ist, dass mit einer chirurgischen Intervention weder Lebensqualität noch Überlebenswahrscheinlichkeit zu verbessern sind.
10.4.8
Chirurgische Behandlungsoptionen
delt wurden. In Abhängigkeit von klinikspezifischen Richtlinien ist die Valvuloplastik bei 40–98 % der Patienten möglich, wobei die Re-Operationsrate bei 3–15 % liegt. Es wurden zahlreiche chirurgische Techniken und Modifikationen vorgeschlagen. Die 5 wichtigsten Rekonstruktionstechniken sind diejenigen, die von den folgenden Autoren entwickelt wurden: Hardy, Danielson, Carpentier, Quaegebeur und Hetzer. Je nachdem, ob und – nach der Art und Weise – wie die Plikatur der atrialisierten Kammer erfolgt, können die Techniken in 3 Gruppen zusammengefasst werden: 4 transversale Plikaturtechnik (Danielson et al. 1992; Hardy et al. 1964), 4 longitudinale Plikaturtechnik (Carpentier et al. 1988; Quaegebeur u. Sreeram 1991), 4 keine Plikatur (Augustin u. Schmidt-Habelmann 1997; Hetzer et al. 1998; Ullmann et al. 2004). 10.4.8.2
. Abb. 10.65. Das rechte Atrium kann auf 3 alternativen Wegen eröffnet werden: bogenförmige schräge Inzision (A), schräge Inzision vom rechten Vorhofohr bis zur V. cava inferior (B) oder gerade Inzision parallel zur interatrialen Grube (C)
10.4.8.1
Vorbemerkungen
Nach wie vor gibt es keine einheitliche, deutlich erkennbare Meinung darüber, welche Form der Trikuspidalklappenrekonstruktion am besten geeignet ist, wann die Indikation zum Klappenersatz zu stellen ist, ob und wie die Plikatur des atrialisierten Teiles des rechten Ventrikels vorzunehmen ist und wie die chirurgische Strategie beim Neugeborenen aussehen sollte (Boston et al. 2006; Chauvaud et al. 2003; Chen et al. 2004; de Silva et al. 2007; Dearani 2007; Friesen et al. 2004; Hetzer u. Pasic 2004; KnottCraig et al. 2007; Reemtsen et al. 2006; Sano et al. 2002; Ullmann et al. 2004; Yun et al. 2006). Wohl die bedeutsamste Erkenntnis besteht darin, dass jeder Patient mit Ebstein-Anomalie verschieden ist und dass die unterschiedlichen Möglichkeiten zur Korrektur verfügbar sein sollten und an die individuellen Gegebenheiten anzupassen sind (Dearani 2007). Die Rekonstruktion der Trikuspidalklappe ist dem Klappenersatz vorzuziehen, um die bekannten Probleme der Klappenprothesendysfunktion und der Antikoagulationsbehandlung sowie die Notwendigkeit eines wiederholten Klappenersatzes in der Kindheit bei Wachstum des Patienten zu vermeiden. Aufgrund der exzellenten funktionellen Ergebnisse scheint es gerechtfertigt, die Klappenrekonstruktion sogar auf jene Fälle auszuweiten, die bislang bevorzugt mit einem primären Klappenersatz behan-
Chirurgische Optionen für sehr schwere Anomalien (Typen C und D nach der Carpentier-Klassifikation)
Bei sehr kranken Patienten mit schweren Anomalieformen beinhaltet jede der vorgenannten Techniken ein hohes operatives Risiko. Bei erwachsenen Patienten und Kindern können eine Trikuspidalklappenrekonstruktion und die Anlage einer bidirektionalen kavopulmonalen Anastomose kombiniert zur Anwendung kommen (Carpentier et al. 1988; Chauvaud et al. 1998). Ein bidirektionaler kavopulmonaler Shunt sollte selektiv angewendet werden, wenn die rechtsventrikuläre Funktion schlecht ist und Schwierigkeiten bei der Entwöhnung des Patienten von der extrakorporalen Zirkulation bestehen. In einer Gruppe von 169 Patienten mit Ebstein-Anomalie legten Quinonez und Mitarbeiter bei 14 Patienten mit reduzierter rechtsventrikulärer Funktion einen zusätzlichen bidirektionalen kavopulmonalen Shunt an (Quinonez et al. 2007). Bei Hochrisikopatienten mit Ebstein-Anomalie scheint ein zusätzlicher bidirektionaler kavopulmonaler Shunt verschiedene spezifische Vorzüge zu haben, wie eine reduzierte Letalität im Rahmen der Operation und eine bessere Toleranz gegenüber einer residuellen Trikuspidalklappendysfunktion. Die Anlage eines bidirektionalen kavopulmonalen Shunts kann eine geplante Prozedur, ein intraoperativ entschiedener Rettungsversuch oder eine Alternative zur Herztransplantation bei einzelnen Patienten darstellen (Chauvaud et al. 1998; Quinonez et al. 2007). Der Mechanismus, der durch einen bidirektionalen kavopulmonalen Shunt zur Verbesserung führt, mag in einem energiesparenden Effekt für die systolische Arbeitsbelastung des rechten Ventrikels bestehen. Der Kernpunkt bei der präoperativen Entscheidung, während der Korrektur der Ebstein-Anomalie zusätzlich einen kavopulmonalen Shunt anzulegen, liegt in der Beurteilung der rechtsventrikulären Funktion. Unglücklicherweise ist es bei der Ebstein-Anomalie nicht zuverlässig möglich, die rechtsventri-
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Kapitel 10 · Lungenvenenfehlmündungen, Vorhofanomalien und angeborene Fehler der AV-Klappen
a
10
b . Abb. 10.66a, b. Darstellung des intrakardialen Situs. Bei dieser komplexen Anomalie variiert die intrakardiale pathologische Anatomie erheblich zwischen den Patienten, und kein Fall gleicht dem anderen in allen Aspekten. Allerdings können die charakteristischen Befunde der Ebstein-Anomalie leicht bei allen Patienten gefunden werden. Der anatomische Anulus der Trikuspidalklappe ist in grober Weise dilatiert, und der Ursprung des septalen Segels ist in die Kammer des rechten Ventrikels hineinverlagert. Das posteriore und das anteriore Segel lassen eine deutliche Variationsbreite erkennen. Die Anheftung des posterioren Segels am Anulus ist gleichfalls apikal verlagert und führt zur Formation der sog. atrialisierten Kammer, deren Größe in er-
heblichem Maße variieren kann (s. auch Abschnitt 10.4.6). In den meisten Fällen ist das anteriore Segel das größte. Dieses Segel kann voll mobil oder partiell bzw. vollständig über eine unterschiedliche Zahl fibröser Bänder an der benachbarten freien rechtsventrikulären Wand fixiert und in seiner Beweglichkeit eingeschränkt sein. Bei einigen Patienten ist das posteriore Segel recht kräftig und beweglich sowie von nahezu gleicher Größe wie das anteriore Segel oder sogar größer. Das vordere Segel kann gespalten sein (»cleft«) oder eine Fenestration aufweisen. Selten findet man ein viertes, schmaleres, akzessorisches Segel, welches seinen Ursprung an der anteroseptalen Kommissur hat
kuläre Wandspannung, die Ejektionsfraktion und die Verkürzungsfraktion im deformierten Ventrikel zu messen. Damit in der Anlage eines bidirektionalen kavopulmonalen Shunts eine potenzielle Hilfe für die Operationsstrategie zu sehen ist, bedarf es einer guten linksventrikulären Funktion und eines niedrigen linksatrialen Drucks, was insbesondere in fortgeschrittenen Fällen nicht immer gegeben ist.
10.4.8.3
! Da begleitend zum Rechtsherzversagen eine linksventrikuläre Dysfunktion vorliegen kann, ist es wichtig, direkte Druckmessungen vorzunehmen, die dokumentieren, dass der linksatriale und der pulmonalarterielle Druck niedrig sind – sonst bleibt der Shunt wirkungslos.
Bei Neugeborenen und Kleinkindern ist die Technik nach Starnes indiziert. Hierbei wird ein fenestrierter Trikuspidalklappenverschluss mit einer zentralen aortopulmonalen Anastomose kombiniert (Starnes et al. 1991; Van Son et al. 1998). Alternativ kann primär eine orthotope Herztransplantation erwogen werden.
Bedeutung der atrialisierten Kammer
Die Plikatur des atrialisierten Anteils des rechten Ventrikels wird kontrovers diskutiert (Augustin u. Schmidt-Habelmann 1997; Boston et al. 2006; Dearani 2007; Friesen et al. 2004; Hetzer et al. 1998; Ullmann et al. 2004; Vargas et al. 1998). Die Hauptfrage ist jene nach der Bedeutung der atrialisierten Kammer. Hardy, Danielson, Carpentier und Quaegebeur halten es für notwendig, diese Kammer zu obliterieren oder sie zumindest aus unterschiedlichen Gründen zu verkleinern. Einerseits kann diese Kammer, wenn sie dem rechtsventrikulären Druck ausgesetzt wird, einen ähnlich negativen Effekt auf die Energieökonomie des rechten Ventrikels haben wie ein linksventrikuläres Aneurysma auf den linken Ventrikel. Ebenso ist die Bildung von Thromben durch Stase in einem nichtkontrahierenden Sack möglich. Auf diesem Weg kann die Plikatur der atrialisierten Kammer die rechtsventrikuläre Funktion verbessern und charakteristischen Herzrhythmusstörungen verbeugen. Andererseits kann die transversale Plikatur zumindest in den schwereren Fällen der Formen B und C nach der Carpentier-Klassifikation ungewollt eine hohe Spannung auf die Plikaturnähte und das Gewebe übertragen, was möglicherweise unbe-
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297 10.4 · Ebstein-Anomalie
b a
. Abb. 10.67a–c. Trikuspidalklappenrekonstruktion mit Plikatur der atrialiserten Kammer (Danielson-Technik). a Apikobasale transversale Ventrikelplikaturnähte werden angelegt und teflonfilzarmierte Einzelknopfnähte entlang der ventrikelwärtigen Kante der atrialisierten Kammer eingestochen und am eigentlichen Trikuspidalklappenanulus ausgestochen. b Es erfolgt die transversale Plikatur der atrialisierten Kammer. Die Plikaturnähte werden angezogen, wodurch das posteriore und das septale Segel zum eigentlichen Anulus der Trikuspidalklappen hin gezogen werden, sodass die atrialisierte Kammer plikiert und in einer transversalen Ebene, die parallel zum eigentlichen Trikuspidalklappenanulus liegt, verschlossen wird. c Es erfolgt die posteriore Anuloplastik des Trikuspidalklappenanulus. Der Diameter des Trikuspidalklappenanulus wird durch eine posteriore Anuloplastik reduziert, wofür teflonfilzarmierte Matratzennähte aus Polypropylene (Stärke 3/0) zur Anwendung kommen. Die Nähte der posterioren Anuloplastik werden auf der Ebene des Sinus coronarius angelegt, um Verletzungen der Erregungsleitungsbahn zu vermeiden. Die Trikuspidalklappe wird durch Instillation von isotoner Salzlösung in den rechten Ventrikel bezüglich ihrer Dichtigkeit getestet. Die Trikuspidalklappe funktioniert nach der Korrektur als monokuspide Klappe
c
kannte negative Einflüsse auf das bereits anomale Septum und den linken Ventrikel ausübt. Demgegenüber verursacht die longitudinale Plikatur keine Verziehung der Ventrikelgeometrie und erhält die Lagebeziehung von Apex und Boden des linken Ventrikels. Allerdings lassen die meisten Befürworter des Trikuspidalklappenersatzes die atrialisierte Kammer unberührt, ohne dass über negative Auswirkungen berichtet worden wäre. In ähnlicher Weise wird bei der Technik nach Hetzer darauf verzichtet, die Kammer zu verschließen oder zu verkleinern. Dies hat ebenfalls weder zu einer weiteren Vergrößerung des rechten Ventrikels noch zu anderen ungewollten Auswirkungen geführt. Zusätzlich
kann die Inkorporation der atrialisierten Kammer in den kontrahierenden rechten Ventrikel in positiver Weise die Ventrikelfüllung während der Diastole begünstigen. Hierdurch kann es zur Stimulation der verbliebenen Muskulatur in der Wand der atrialisierten Kammer bis hin zur Hypertrophie kommen, was u. U. sogar zur Verbesserung der rechtsventrikulären Kontraktion beiträgt. Dieses interessante Konzept bedarf weiterer Untersuchungen. Von Interesse ist in diesem Zusammenhang, dass Danielson seine Originaltechnik, bei der routinehaft eine Plikatur der atrialisierten Kammer vorgenommen wurde, modifizierte (Danielson et al. 1979). Eine Plikatur oder Resektion
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299 10.4 · Ebstein-Anomalie
wird von der Arbeitsgruppe an der Mayo-Klinik nur noch dann vorgenommen, wenn der rechte Ventrikel im atrialisierten Bereich aus einer ausgedünnten, transparenten Wand, insbesondere in den inferioren Segmenten, besteht, da dieser Ventrikelanteil absehbar nicht zur rechtsventrikulären Funktion beitragen wird. Es kommt hinzu, dass die derzeitige Technik gewöhnlich auf der Ebene des funktionellen Trikuspidalklappenanulus vorgenommen wird. Im Gegensatz hierzu erfolgte beim ursprünglichen Korrekturverfahren, bei dem der funktionelle Anulus nach oben, zum eigentlichen Anulus hin verlagert wurde, per definitionem eine Plikatur des atrialisierten Anteils des rechten Ventrikels. Die ursprünglich angewandte Technik war äußerst effektiv darin, die Herzgröße zu verkleinern und ein dauerhaft gutes Langzeitergebnis der rekonstruierten Klappe zu erzielen. Allerdings können infolge der angelegten Nahtlinien im rechten Ventrikel und/oder der Unterbrechung schmaler Seitenäste der rechten Koronararterie ventrikuläre Arrhythmien begünstigt werden. Seit Mitte der 1980er Jahre die oben angeführten Änderungen der Technik vorgenommen wurden, ist die Inzidenz perioperativ auftretender ventrikulärer Arrhythmien nicht mehr von Belang (Attenhofer et al. 2007; Boston et al. 2006; Dearani 2007).
Die Prinzipien der Anästhesie folgen denen, die generell für die Chirurgie am offenen Herzen gelten. Spezifische anästhesiologische Erfordernisse bestehen für die perioperative Betreuung bei diesem Eingriff nicht. In unserer Klinik sieht
. Abb. 10.69. Quaegebeur-Technik. Es wird eine posteriore Anuloplastik des Trikuspidalklappenanulus vorgenommen. Bei dieser modifizierten Carpentier-Technik kommt kein Prothesenring zur Anwendung, um den Anulus zu verstärken. Der Diameter des Trikuspidalklappenanulus wird durch eine posteriore Anuloplastik mit einer 3/0-Polypropylenematratzennaht, die mit Teflonfilzen verstärkt ist, reduziert. Im Gegensatz zur Carpentier-Technik geraten die neu inserierten Segel dabei nicht unter exzessive Spannung, sodass die Ablösung und die Translokation des Papillarmuskels unterbleiben können. Die posteriore Anuloplastiknaht wird nahe dem Koronarsinus angelegt, wobei Verletzungen des Erregungsleitungsbündels zu vermeiden sind
9 . Abb. 10.68a–f. Klappenrekonstruktion mit longitudinaler Plikatur der atrialisierten Kammer – Technik von Carpentier. a, b Es erfolgt die Mobilisation des anterioren und posterioren Segels. Das anteriore Segel und der angrenzende Teil des posterioren Trikuspidalklappensegels werden von der Anheftung entlang des Anulus abgelöst. Die Inzision beginnt an der anterioren Kommissur. Dabei sollte jedoch die Anheftung des anterioren Segels an der anteroseptalen Kommissur unberührt bleiben. Die gelösten Segel werden weiter mobilisiert, indem man akzessorische Trabekel, fribröse Bänder und Adhäsionen an der Ventrikelwand durchtrennt. Die Interchordalräume werden durch Fenestration erweitert, sofern sie verengt sind. Der zugehörige Papillarmuskel wird gleichfalls vollständig mobilisiert, indem man das Muskelband, welches an der Seitenwand des rechten Ventrikels inseriert, durchschneidet. Bei einer ungenügenden Mobilisation des Muskels kann es zu einer nur unbefriedigenden Segelkoaptation kommen, wenn ein exzessiver Zug auf den Segeln lastet. c, d Es erfolgt die longitudinale Plikatur der atrialisierten Kammer. Die atrialisierte Kammer wird verschlossen, indem man Nähte senkrecht zum eigentlichen Trikuspidalklappenanulus anlegt. Für die Plikatur werden entweder teflonfilzarmierte Einzelknopfnähte oder aber eine fortlaufende Naht, die mit mehreren Einzelknopfnähten verstärkt wird, verwendet. Sorgfältig ist darauf zu achten, nicht die Ventrikelwand zu perforieren oder die Koronararterien zu verletzen. Durch die Plikatur der atrialisierten Kammer wird der Diameter des Trikuspidalklappenanulus reduziert. e Die mobilisierten Segel werden rotiert und erneut fixiert. Das anteriore und das posteriore Segel werden im Uhrzeigersinn gedreht und
dann am neuen, schmaleren Anulus mit einer fortlaufenden 5/0-Polypropylenenaht fixiert. Die Stiche sollten mit Abstand zum Atrioventrikularknoten durch das Gewebe gestochen werden, um einen atrioventrikulären Block zu vermeiden. Die gefährliche Zone liegt dabei im septalen Teil des Anulus und nahe der Öffnung des Koronarsinus. Daher sollte die Naht hier enden. Nach der Annaht des mobilisierten anterioren Segels bedeckt dieses die gesamte Klappenöffnungsfläche, wobei die Klappe monokuspid funktioniert. Auf diese Weise wird der Trikuspidalklappenanulus um die Größe der plikierten atrialisierten Kammer reduziert und das vordere Segel im Uhrzeigersinn geschwenkt, um den gesamten Anulusanteil des anterioren und des posterioren Segels abzudecken. Die Trikuspidalklappe wird dann durch die Instillation von isotoner Salzlösung in den rechten Ventrikel bezüglich ihrer Kompetenz getestet. Nach der Korrektur funktioniert die Trikuspidalklappe allein durch das anteriore Segel als monokuspide Klappe. Ist die Segelkoaptation aufgrund einer ungenügenden Mobilisation des Papillarmuskels undicht, kann der Muskel von der lateralen Ventrikelwand gelöst und an einem höheren Punkt am ventrikulären Septum refixiert werden. f Der Trikuspidalklappenanulus wird verstärkt. Für die Stabilisierung des Anulus wird ein Anuloplastikring implantiert. Der Ring vermindert den Diameter des dilatierten Trikuspidalklappenanulus, vergrößert dadurch die Koaptationfläche des Segels und verbessert so die Klappendichtigkeit. Auf den Ring sollte bei Kindern verzichtet werden, und er muss bei Patienten mit der Form A nach der Carpentier-Klassifikation nicht notwendigerweise zur Anwendung kommen
10.4.8.4
Anästhesie
10
300
Kapitel 10 · Lungenvenenfehlmündungen, Vorhofanomalien und angeborene Fehler der AV-Klappen
b a
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c
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e . Abb. 10.70a–f
301 10.4 · Ebstein-Anomalie
g
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. Abb. 10.70a–h. Rekonstruktion der Trikuspidalklappe ohne Plikatur der atrialisierten Kammer – Technik von Hetzer bei groß angelegtem und intaktem anterioren Segel. a–c Das Segel wird mobilisiert, und die Nähte werden angelegt. Zunächst wird das anteriore Segel hinsichtlich seiner Mobilität beurteilt. Bestehen fibröse Bänder zwischen dem Segel und der rechtsventrikulären Wand, werden diese durchtrennt, um die Segelmobilität zu verbessern. Die ursprüngliche Klappenöffnungsfläche der Trikuspidalklappe wird durch einen Verschluss des posterioren Anteils der Trikuspidalklappenöffnung mit 4–6 einzelnen Rückstichnähten aus 3/0-Polypropylen, die mit autologem Perikard oder Teflonfilzplättchen unterlegt sind, reduziert. Der Diameter der neu geschaffenen Trikuspidalklappenöffnung sollte mindestens 2,5 cm betragen. Um diese Größe nicht zu unterschreiten, wird die erste Naht als Probenaht angelegt. Die Naht zieht durch den eigentlichen Anulus im Bereich des anterioren Segels und dann durch den gegenüberliegenden Punkt im Septum. Die Naht teilt die ursprüngliche Öffnung der Klappe in 2 Teile. Der anteriore Teil wird zur neuen Klappenöffnung, und der posteriore Teil wird verschlossen. Die Klappe wird durch die Instillation von isotoner Salzlösung in die Kammer des rechten Ventrikels geprüft, um zu zeigen, dass das anteriore
Segel die neue Klappenöffnung effektiv verschließen kann. Die restlichen Nähte werden konsekutiv angelegt, um den posterioren Teil des Trikuspidalklappenorifiziums zu verschließen. Die Nahtlinie wird in der Ebene des eigentlichen Trikuspidalklappenanulus angelegt, wobei man die Region des Septums ausspart. Um Verletzungen des Atrioventrikularknotens in diesem Areal zu vermeiden, liegt die Nahtlinie hier im muskulären Teil der atrialisierten Kammer knapp unter dem eigentlichen Anulus. Die atrialisierte Kammer wird ohne Plikatur belassen. d, e Es erfolgt der Verschluss des posterioren Teiles des Anulus. Die vorgelegten Nähte werden angezogen, wodurch der posteriore Teil des ursprünglichen Trikuspidalklappenorifiziums verschlossen wird. Auf diese Weise wird der anteriore Anulus dem Septum angenähert. f, g Die Klappe wird bezüglich ihrer Dichtigkeit geprüft. Die Kompetenz der Klappe wird getestet, indem man die Höhle des rechten Ventrikels mit isotoner Salzlösung anfüllt, sodass das anteriore Segel mit dem atrialisierten Septum koaptiert. Die atrialisierte Kammer wird so in die Höhle des kontrahierenden Ventrikels mit einbezogen. h Selten ist es notwendig, die Trikuspidalklappenöffnung durch eine zusätzliche Verengung an der anterospetalen Kommissur zu korrigieren, wenn hier eine residuelle Insuffizienz besteht
das Standardanästhesieprotokoll die Induktion mit Etomidate und Fentanyl vor, und es wird Pancuronium als Musklerelaxans appliziert. Unter Propofolinfusion wird die Anästhesie aufrechterhalten.
dilatiert zu sein, was sowohl die atrialisierte Kammer als auch den verbleibenden Teil des rechten Ventrikels betrifft. Die atrialisierte Kammer lässt sich von außen sehr gut am Margo acutus und entlang der inferioren Seite des Herzens abgrenzen. Der linke Ventrikel ist nach links verlagert und wie eine gebogene Gurke um den rechten Ventrikel gewunden.
10.4.9
Operation
10.4.9.1
Allgemeines Vorgehen vor der Klappenrekonstruktion
Die Operation erfolgt über eine komplette oder partielle mediane Sternotomie. Nach Eröffnung des Perikards (. Abb. 10.65) wird ein Stück hiervon als Flickenmaterial gewonnen und in Glutaraldehyd (0,6 %) fixiert oder unfixiert belassen. Anschließend wird der intraoperative Situs inspiziert (. Abb. 10.66). Typischerweise ist der rechte Vorhof enorm vergrößert, und der rechte Ventrikel scheint
10.4.9.2
Kardiopulmonaler Bypass
Nach Kanülierung der Aorta und getrennter bikavaler Kanülierung wird der Anschluss an die Herz-Lungen-Maschine vollzogen, der totale kardiopulmonale Bypass hergestellt und eine moderate Hypothermie von 30°C gewählt. Die Aorta wird abgeklemmt und der kardioplegische Kreislaufstillstand erzeugt.
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Kapitel 10 · Lungenvenenfehlmündungen, Vorhofanomalien und angeborene Fehler der AV-Klappen
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c
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. Abb. 10.71a–d. Rekonstruktion der Trikuspidalklappe ohne Plikatur der atrialisierten Kammer – Technik von Hetzer, wenn das anteriore Segel durch einen Spalt (»cleft«) oder Fissuren geteilt ist. a Es erfolgen die Inspektion und die Mobilisation des anterioren Segels. Das anteriore Segel ist durch einen Spalt (»cleft«) und tiefe Fissuren geteilt. Einige Chordae-Adhäsionen an der rechtsventrikulären Wand werden durchtrennt. b Die Nähte werden angelegt. Zwei Polypropylenerückstichnähte, die mit autologem Perikard oder Teflonfilzen unterlegt sind, werden durch den mittleren Abschnitt des Anulus im Bereich des Spaltes und den gegenüberliegenden Teil des atrialisierten Septums,
10.4.9.3
Myokardprotektion
Die Myokardprotektion erfolgt gemäß unserer klinikinternen und herzchirurgischen Leitlinien. In unserer Klinik wird der Herzstillstand durch Infusion einer kardioplegischen Elektrolytlösung in die Aortenwurzel induziert. Die Myokardprotektion wird durch die wiederholte Infusion kalter Hydroxyethylstärkelösung aufrechterhalten.
knapp unter dem septalen Anulus, gestochen. c Es wird eine neue Klappenmorphologie geschaffen. Die vorgelegten Nähte werden angezogen, und der vordere Anulus wird dem Septum angenähert. Hierdurch erhält die Klappe 2 Öffnungen. Die beiden einzelnen Teile des vorderen Segels koaptieren mit dem gegenüberliegenden Septum. d Der dichte Klappenschluss wird geprüft. Die Kompetenz der Klappe wird getestet, indem man den rechtsventrikulären Innenraum mit isotoner Salzlösung auffüllt. Die beiden Orifizien der Klappe sind von den beiden Teilen des vorderen Segels verschlossen. Die atrialisierte Kammer wird somit in den kontrahierenden rechten Ventrikel inkorporiert
Rekontruktion der Trikuspidalklappe Trikuspidalklappenrekonstruktion mittels transversaler Plikatur – Techniken von Hardy und Danielson 10.4.9.4
Die Rekontruktion der Trikuspidalklappe besteht bei dieser Technik (Danielson et al. 1979, 1992; Hardy et al. 1964) darin, das mobile anteriore Segel als Verschlussmechanismus für die Klappe zu verwenden. Bei diesem Verfahren
303 10.4 · Ebstein-Anomalie
a
b
c . Abb. 10.72a–c. Sebening-Stich zur Stabilisierung der Ostiumteilungsnaht bei der Ebstein-Trikuspidalklappenrekonstruktion
wird eine Transposition der verlagerten septalen und posterioren Segel zur normalen Anulusebene der Trikuspidalklappe vorgenommen. Dadurch wird die atrialisierte Kammer plikiert und in der transversalen Ebene verschlossen, also parallel zum eigentlichen Trikuspidalklappenanulus. Dieses Verfahren führt den anterioren Segelkörper zum eigentlichen Trikuspidalklappenanulus und gestattet die Koaptation des anterioren Segels mit dem atrialisierten Septum. Danielson hat diese Technik modifiziert, indem er eine zusätzliche posteriore Anuloplastik vornahm, um den Diameter des Trikuspidalklappenanulus zu reduzieren. Über einige Modifikationen am ursprünglichen Vorgehen von Danielson wurde kürzlich von der Gruppe der Mayo-Klinik berichtet (Attenhofer et al. 2007; Boston et al. 2006; Dearani 2007). Ein persistierendes Foramen ovale wird durch eine direkte Naht und größere Vorhofseptumdefekte werden mit einem autologen Perikardflicken verschlossen. Aufgrund des vergrößerten rechten Vorhofs erfolgt gewöhnlich eine Verkleinerungsplastik. Bei der ursprünglichen Technik der Trikuspidalklappenrekonstruktion wurde der funktionelle Trikuspidalklappenanulus hoch zum eigentlichen Trikuspidalklappenanulus geführt, was der Plikatur des atrialisierten Teiles des rechten Ventrikels gleichzusetzen ist (. Abb. 10.67). Derzeit erfolgt die Rekonstruktion auf der Ebene des funktionellen Trikuspidalklappenanulus. Zudem und im Gegensatz zu früheren Erfahrungen wird auf die Plikatur der atrialisierten Kammer verzichtet, es sei denn, die Wand ist hier hochgradig ausgedünnt. Bei Patienten, die intermittierendes oder chronisches Vorhofflattern oder -flimmern aufweisen, wird eine rechtsseitige Maze-Prozedur vorgenommen.
Trikuspidalklappenrekonstruktion mit longitudinaler Plikatur – Techniken von Carpentier und Quaegebeur Die Rekonstruktion nach Carpentier (1988; . Abb. 10.68) beinhaltet die Ablösung des anterioren und/oder posterioren Segels vom Ursprung am Anulus, die Durchtrennung der Bindegwebebänder zwischen des Segeln und der rechtsventrikulären Wand, die longitudinale Plikatur der atrialisierten Kammer sowie die Re-Insertion der abgelösten Segel an den eigentlichen Anulus oberhalb der plikierten Kammer. Zudem werden die Segel im Uhrzeigersinn zum posterioren Teil des septalen Anulus verschoben. Um die Spannung auf diese neue Segelanheftungslinie zu mindern, können die Durchtrennung und das Wiederanheften des Papillarmuskels am anterioren Segel notwendig werden, insbesondere im anterioren Teil. Es wird dringend empfohlen, diesen neuen Klappenanulus mit einem Prothesenring zu stabilisieren. Quaegebeur modifizierte die Carpentier-Technik in zweierlei Hinsicht (. Abb. 10.69): Anstatt einen Ring einzunähen, um den Anulus in einer bestimmten Form und in
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304
Kapitel 10 · Lungenvenenfehlmündungen, Vorhofanomalien und angeborene Fehler der AV-Klappen
a
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einer reduzierten Größe zu halten, führte er die Reduktionsplastik entlang des posterioren Segels durch eine Naht ein, die zusätzlich die Anulusgröße verringert. Die zweite Modifikation bestand darin, dass von einer Ablösung und Neuimplantation der Papillarmuskeln des anterioren Segels Abstand genommen wurde. Seit der Erstbeschreibung der Erfahrungen mit der Quaegebeur-Technik (Quaegebeur u. Sreeram 1991) wurden verschiedene Abänderungen vorgenommen. Die Autoren glauben weiterhin, dass die vertikale Plikatur des rechten Ventrikels die normale Einlasskonfiguration des rechten Ventrikels wiederherstellt, den Trikuspidalklappenanulus reduziert und den subvalvulären Apparat unterstützt. Zudem hilft die Plikatur wahrscheinlich selbst, eine mehr normale Ventrikelgeometrie zu bewahren, und kann
b
. Abb. 10.73a–c. Trikuspidalklappenersatz. Dargestellt ist die Standardimplantation einer AV-Klappenprothese ohne Plikatur der atrialisierten Kammer. Die Segel und die Chordae-Anheftungen werden belassen, um die rechtsventrikuläre Funktion zu erhalten. Wenn Obstruktionen des rechtsventrikulären Ausflusstrakts infolge von Segelgewebe auftritt, werden kommissurotomieähnliche radiale Schnitte im Gewebe der Segel angelegt, um den rechtsventrikulären Ausflusstrakt zu öffnen. Gegebenenfalls mit Teflonfilzplättchen verstärkte einzelne Matratzennähte werden durch das Gewebe des eigentlichen Trikuspidalklappenanulus und dann durch den Prothesenring gestochen. Sorgfältig ist darauf zu achten, das Gebiet des His-Bündels zu vermeiden, indem die Nähte im Septum unter dem natürlichen Anulus, mindestens im anteroseptalen Areal, angelegt werden. Ebenso ist das Legen von Nähten zwischen dem Sinus coronarius und dem Trikuspidalklappenanulus zu vermeiden. Eine Prothese, die gewöhnlich einen Diameter von 31–33 mm haben sollte, wird im Anulus der Trikuspidalklappe positioniert. Wenn die Nähte festgezogen werden, kommt der Nahtring der Prothese auf dem anatomischen Trikuspidalklappenanulus zu liegen. Die atrialisierte Kammer ist nicht plikiert worden und kommt unter der Prothese zu liegen
so die Remodellierung fördern. Im Gegensatz zur Danielson-Technik, bei der eine monokuspide Klappe entsteht, erzeugt dieses Verfahren eine Zweisegelklappe (zumindest dann, wenn ein – obgleich morphologisch abnorm – posteriores Segel angelegt ist). Im Allgemeinen halten die Autoren die Vorhofverkleinerung nicht für einen notwendigen Bestandteil der Prozedur. Schließlich fanden verstärkende Anulusnähte oder künstliche Chordae aus Polytetrafluorethylen in ausgewählten Fällen Anwendung (Chen et al. 2004).
Trikuspidalklappenrekonstruktion ohne Plikatur – Technik von Hetzer Mit dieser Technik (Hetzer u. Pasic 2004; Hetzer et al. 1998; . Abb. 10.70 u. 10.71) wird der Klappenmechanismus auf
305 10.4 · Ebstein-Anomalie
. Abb. 10.74. Dargestellt ist die Standardimplantation mit Plikatur der atrialisierten Kammer. Ist die atrialisierte Kammer extrem dilatiert und das Volumen im funktionellen rechten Ventrikel normal, kann die Plikatur der atrialisierten Kammer zusätzlich zur Prothesenimplantation erfolgen. Einzelne, teflonfilzverstärkte Matratzennähte werden nah beieinander durch den falschen Anulus, an der Insertionslinie von posteriorem und septalem Segel, durch den wahren Anulus und schließlich durch den Nahtring der Prothese gestochen. Wenn die Nähte festgezogen werden, ist die atrialisierte Kammer ausgeschaltet. Die Trikuspidalklappensegel werden nicht exzidiert
. Abb. 10.75. Dargestellt ist die klassische Technik nach Barnard u. Schieri 1963. Die Nahtlinie wird posterior zum Atrioventrikularknoten und um den Koronarsinus herum gelegt, um Verletzungen des Erregungsleitungssystems zu vermeiden. Auf diese Weise liegt die Klappenprothese auf der atrialen Seite des Sinus coronarius, der hierdurch in den rechten Ventrikel einmündet. Die atrialisierte Kammer ist nicht plikiert. Wird bei dieser modifizierten Technik jedoch eine Plikatur der atrialisierten Kammer vorgenommen, muss man dabei eine zusätzliche Nahtlinie anlegen, um Einengungen des Sinus coronarius zu vermeiden
der Ebene des eigentlichen Trikuspidalklappenanulus wiederhergestellt, indem man das mobilste Segel für den Klappenschluss verwendet, ohne die atrialisierte Kammer zu plikieren. Die Hetzer-Technik gewährleistet eine suffiziente Rekonstruktion, die sogar bei jenen Fällen gelingt, bei denen nur das posteriore Segel oder Teile des anterioren Segels remodelliert werden und dem Klappenschluss dienen können. Bei der von uns eingeführten Operationstechnik, welche die atrialisierte Kammer dem rechten Ventrikel zuschlägt, haben wir in letzter Zeit v. a. entweder die »posteriore Anuloraphie«, d. h. den Verschluss des »wahren« Ostiums, praktiziert oder die Schaffung einer »double orifice valve« durch Annähen des anterioren Anulus an den »wahren« septalen Anulus. Die Entscheidung zur posterioren Anuloraphie fällt dann, wenn das posteriore Segel oder der posterior gelegene Anteil des anterioren Segels nicht mobil und nicht schlussfähig ist. Eine »double orifice valve« bevorzugen wir dann, wenn sowohl nach anterior wie auch nach posterior hin Segelanteile, zumeist des anterioren Segels, vorliegen, die mobil und schlussfähig sind und die in der Lage sind, die neu geschaffenen beiden Ostien zu verschließen. Die Teilung des Ostiums durch die Anulusnaht erfolgt dann dort, wo am anterioren Segel eine tiefe Fissur vorliegt. Zur Stabilisierung der Ostiumteilungsnaht haben wir regelmäßig einen sog. Sebening-Stich angebracht, welcher
einen Papillarmuskel oder eine kräftige fibröse Chorde des anterioren Segels zur Mitte hin fasst und an das gegenüberliegende Septum anheftet, zumeist an das fibröse Gewebe des rudimentären, displatzierten septalen Segels (. Abb. 10.72). 10.4.9.5
Trikuspidalklappenersatz
Allgemein gilt, dass der Trikuspidalklappenrekonstruktion gegenüber dem prothetischen Ersatz, wenn immer es möglich ist, der Vorzug gegeben werden sollte. In Abhängigkeit von der klinikinternen Erfahrung variiert die Frequenz des Klappenersatzes erheblich von 2–50 %. Eine klare Indikation für den Trikuspidalklappenersatz ist gegeben, wenn das Klappengewebe fehlt oder im Fall des Vorliegens einer TypD-Läsion nach der Carpentier-Einteilung (»Trikuspidklappenbeutel«; Boston et al. 2006). Die Prothese kann im Standardverfahren mit der Insertion des Nahtrings in den eigentlichen Trikuspidalklappenanulus implantiert werden oder in Form einer leicht modifizierten Technik, die von Barnard und Schrire (1963) empfohlen wurde (. Abb. 10.73–10.74). In ihrer klassischen Darstellung haben sie beschrieben, dass die Klappenprothese auf der atrialen Seite des Sinus coronarius platziert wird, um das Risiko für einen kompletten AV-Block zu minimieren (. Abb. 10.75). Hierdurch wird gestattet, dass der Sinus coronarius im rechten Ventrikel einmündet. Aller-
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Kapitel 10 · Lungenvenenfehlmündungen, Vorhofanomalien und angeborene Fehler der AV-Klappen
dings kann der komplette atrioventrikuläre Block nicht immer vermieden werden, und einige Patienten benötigen die Implantation eines Herzschrittmachers. Das Standardverfahren der Klappenprothesenimplantation kann mit oder ohne Plikatur der atrialisierten Kammer erfolgen. Wenn die atrialisierte Kammer exzessiv dilatiert und das Volumen des funktionellen, also wahren rechten Ventrikels normal ist, kann die Plikatur der atrialisierten Kammer bei der Klappenimplantation mit ausgeführt werden. Es existiert keine einheitliche Meinung darüber, welcher Prothesentyp, also Alloprothese vs. Xenoprothese, implantiert werden sollte. Die Entscheidung wird in Absprache mit dem Patienten, der über die Vorzüge und Nachteile biologischer wie auch mechanischer Prothesen informiert worden ist, getroffen. ! Eine mittelgradige oder schwere Trikuspidalklappeninsuffizienz nach einer Rekonstruktion bei Ebstein Anomalie stellt einen signifikanten Risikofaktor für eine erneute Operation dar (Boston et al. 2006).
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Die Rate der Freiheit von einer Re-Operation aufgrund einer Trikuspidalklappendysfunktion über einen Beobachtungszeitraum von 10 Jahren nach initialer Klappenrekonstruktion wird im Bericht der Mayo-Klinik mit 79,6 ± 6,5 % angegeben (Boston et al. 2006) und gleicht damit dem Ergebnis für porcine Bioprothesen in einer vergleichbaren pädiatrischen Population (72 %; Kiziltan et al. 1998).
Allgemeines Vorgehen nach der Klappenrekonstruktion Verschluss einer interatrialen Verbindung 10.4.9.6
Ein persistierendes Foramen ovale wird direkt mittels fortlaufender Naht verschlossen. Größere Vorhofseptumdefekte sollte man mit einem Flicken aus impermeablem Material, wie autologem Perikard oder Polytetrafluorethylen, verschließen.
Korrektur zusätzlicher kongenitaler Fehlbildungen Weitere assozierte Anomalien, wie Ventrikelseptumdefekte, Atrioventrikularkanaldefekte, Mitralklappenpathologien und valvuläre oder subvalvuläre Pulmonalklappenstenosen, werden standardgemäß entweder vor oder nach der Trikuspidalklappenrekonstruktion angegangen.
Behandlung von Vorhofarrhythmien Eine Ablation bei AV-Knoten-Reentry-Tachykardie oder die Ablation einer akzessorischen Leitungsbahn beim Wolff-Parkinson-White-Syndrom kann als Teil der operativen Behandlung vorgenommen werden. Die Cox-MazeProzedur (d. h. eine übliche biatriale Maze-Prozedur oder die isolierte links- oder rechtsatriale Maze-Prozedur) kann zeitgleich mit der Klappenrekonstruktion erfolgen, um chronisches oder paroxysmales Vorhofflimmern oder -flattern zu kontrollieren. Die Maze-Prozedur wird entweder chirurgisch durch eine Schnitt-Naht-Sequenz aus-
geführt oder durch Einsatz eines Hochfrequenzablationsgeräts.
Rechtsseitige Vorhofverkleinerungsplastik und Verschluss der Atriotomie Der Verschluss der Rechtsatriotomie kann so erfolgen, dass es zu einer signifikanten Verkleinerung des gigantischen Atrium dextrum kommt. Ein substanzieller Teil der dilatierten und dann redundanten Wand kann exzidiert oder aber in die Nahtlinie eingeschlagen werden. Der rechte Vorhof wird mit einer fortlaufenden 4/0-Polypropylenenaht verschlossen.
Entlüftung des Herzens Die Entlüftung des Herzens wird in der kliniküblichen Art und Weise vorgenommen. Um eventuellen Luftembolien vorzubeugen, kann man während der Operation Kohlendioxid in das Perikard insufflieren.
Intraoperative echokardiographische Beurteilung Nachdem das Herz verschlossen ist und schlägt, wird intraoperativ mittels transösophagealer Echokardiographie die Funktion der Trikuspidalklappe beurteilt und die Klappenöffnungsfläche gemessen. Ebenso werden hierdurch residuelle Shunts beurteilt sowie die Links- und Rechtsherzfunktion analysiert.
Perioperative Monitorüberwachung und Entwöhnung vom kardiopulmonalen Bypass Atriale und ventrikuläre epikardiale Drähte für eine postoperative Schrittmacherstimulation werden aufgenäht. Der links- und rechtsatriale Füllungsdruck wird überwacht und hierunter die Entwöhnung von der Herz-Lungen-Maschine vollzogen.
Peri- und postoperative Betreuung Bei der Entwöhnung von der extrakorporalen Zirkulation kann eine inotrope Unterstützung notwendig sein sowie in seltenen Fällen eine mechanische Kreislaufunterstützung, z. B. in Form der intraaortalen Ballongegenpulsation. Stickstoffmonoxid kann der Respiratorluft beigemischt werden, um den pulmonalvaskulären Widerstand zu reduzieren; die Indikation sollte großzügig gestellt werden, um die rechtsventrikuläre Funktion zu entlasten. Im Übrigen gelten die klinikinternen üblichen Standardgrundsätze, wie sie generell für Patienten nach einem Eingriff am offenen Herzen Anwendung finden. 10.4.9.7
Spezifische Komplikationen der Operation
Die spezifischen Komplikationen durch die Operation betreffen einen totalen AV-Block, eine Verletzung der rechten Koronararterie, eine akute Herzinsuffizienz und ein myokardiales Pumpversagen, welches den Einsatz einer mechanischen Kreislaufunterstützung erforderlich machen kann.
307 10.4 · Ebstein-Anomalie
Weiterhin können persistierende atriale oder ventrikuläre Arrhythmien auftreten, residuelle Trikuspidalklappeninsuffizienzen oder -stenosen nach der Klappenrekonstruktion entstehen oder sich nach dem Klappenersatz Prothesenfehlfunktionen zeigen. 10.4.9.8
Postoperative Nachsorge
Alle Patienten sollten postoperativ standardmäßig überwacht werden. Nach der stationären Entlassung empfiehlt sich eine mindestens einmal jährliche Untersuchung. Diese Nachbetreuung sollte neben der klinischen Untersuchung auch eine Echokardiographie und ein Langzeit-EKG beinhalten.
10.4.10
Operation bei Neugeborenen und Kleinkindern
10.4.10.1 Vorbemerkungen
Neugeborene, die unter einer symptomatischen EbsteinAnomalie leiden, sind nach wie vor anspruchsvoll und schwierig in der klinischen Handhabung. Sie haben eine hohe Frühletalität, und diejenigen, die den ersten Monat überleben, bleiben Hochrisikopatienten für eine Kreislaufverschlechterung und einen plötzlichen Herztod (Celermajer et al. 1992a). Alle chirurgischen Therapieansätze bei diesen Kindern, einschließlich palliativer Shunt-Anlagen, waren i. A. nicht erfolgreich, bis Starnes im Jahre 1991 ein Verfahren entwickelte, bei dem das Trikuspidalklappenorifizium verschlossen, die intraatriale Verbindung erweitert und ein zentraler Shunt angelegt wird. Hierdurch wird die neonatale Ebstein-Fehlbildung in eine funktionelle Trikuspidal- und Pulmonalklappenatresie konvertiert. Bei Kindern mit gering- bis mittelgradiger Trikuspidalklappeninuffizienz und schwerer rechtsventrikulärer Ausflusstraktobstruktion wird zusätzlich zur Erweiterung der interatrialen Verbindung ein Shunt zwischen systemischer Arterie und Pulmonalarterie angelegt (Starnes et al. 1991).
Hauptteil des neuen Trikuspidalklappenorifiziums abdecken können. Die Residuen des schmalen, angehefteten septalen und posterioren Segels werden dahingehend bewertet, ob sie zur Einbeziehung in die Rekonstruktionsplastik verwendbar sind. Der rechtsventrikuläre Ausflusstrakt wird untersucht. Jegliche Pulmonalklappenstenose oder -atresie muss zusätzlich behoben werden. Ist der rechte Ventrikel dreigeteilt und ausreichend Gewebe der Trikuspidalklappe vorhanden, erfolgt die Klappenrekonstruktion nach der Technik von Danielson oder Hetzer. Die Erfahrungen mit einer biventrikulären Korrektur der Ebstein-Anomalie beim Neugeborenen und Kleinkind sind sehr begrenzt. Nur ein Operationsteam von der University of Oklahoma berichtete erstmals im Jahre 2000 von einer erfolgreichen biventrikulären Korrektur bei 3 zyanotischen Neugeborenen mit schwerer Trikuspidalklappeninsuffizienz (Knott-Craig et al. 2000). Bei der Operation erfolgten die Rekonstruktion der Trikuspidalklappe als monokuspide Klappe, eine rechtsseitige Ventrikulorhaphie, ein subtotaler Vorhofseptumdefektverschluss, eine großzügige Vorhofverkleinerungsplastik und die Rekonstruktion assoziierter angeborener Herzfehler (. Abb. 10.76– 10.78). Ein großes und mobiles anteriores Segel lag bei allen 3 Patienten vor und wurde für die Klappenrekonstruktion, die in einer ähnlichen Weise wie bei der von Danielson beschriebenen Technik (Danielson et al. 1992) erfolgte, verwendet. Wenn die Trikuspidalklappe für eine Rekonstruktion nicht geeignet ist, der verbleibende funktionelle Teil des rechten Ventrikels insuffizient erscheint oder eine nicht
10.4.10.2 Kardiopulmonaler Bypass
und Rechtsatriotomie Nach der medianen Sternotomie wird ein Stück vom Perikard als später zu verwendendes Flickenmaterial ausgeschnitten. Der Anschluss an die Herz-Lungen-Maschine erfolgt nach üblicher aortaler und bikavaler Kanülierung. Anschließend wird die moderate Hypothermie (28°C) hergestellt und das Herz kardioplegiert. Über eine schräge Rechtsatriotomie wird die Trikuspidalklappe inspiziert und hinsichtlich der Möglichkeit einer Rekonstruktionsplastik bewertet. Das Größenverhältnis der atrialisierten Kammer gegenüber dem trabekularisierten (funktionellen) rechten Ventrikel wird abgeschätzt. Anschließend wendet man sich dem vorhandenen Segelgewebe zu. Von größter Bedeutsamkeit ist es, die Möglichkeit, das anteriore Segel mobilisieren zu können, zu analysieren. Dieses Segel muss den
. Abb. 10.76. Technik von Knott-Craig zur Korrektur der EbsteinAnomalie beim Neugeborenen. Der Vorhofseptumdefekt wird mit einem gefensterten Flicken verschlossen und für die Anuloplastik eine Naht gestochen, deren eine plättchenarmierte Seite im Sinus coronarius und deren andere plättchenarmierte Seite in der Kommissur zwischen anteriorem und posteriorem Segel zu liegen kommt
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Kapitel 10 · Lungenvenenfehlmündungen, Vorhofanomalien und angeborene Fehler der AV-Klappen
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. Abb. 10.77a, b. Technik von Knott-Craig zur Korrektur der EbsteinAnomalie beim Neugeborenen. a Das Orifizium der Trikuspidalklappe wird in 2 Öffnungen unterteilt, indem man die angelegte Naht anzieht. b Ist die Klappe als ausreichend dicht geprüft worden, wird das kaudale Orifizium verschlossen und dabei der atrialisierte Teil des rechten Ventrikels plikiert
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sinnvoll zu korrigierende rechtsventrikuläre Ausflusstraktobstruktion besteht, kann die rechtsventrikuläre Exklusion, also die univentrikuläre Strategie, verfolgt werden (StarnesProzedur; Starnes et al. 1991). Dabei wird die Trikuspidalklappe mit einem in 0,6%igem Glutaraldehyd fixierten autologen Perikardflicken oder einem Goretexflicken verschlossen, den man in den anatomischen Trikuspidalklappenanulus einnäht (. Abb. 10.79 u. 10.80). Anschließend legt man mit der Koronarstanze eine 4 mm große Fenestration im Flicken an. Der Sinus coronarius wird – im Gegensatz zur urprünglichen Starnes-Technik – auf der atrialen Seite des Flickens belassen (Reemtsen et al. 2006; Starnes et al. 1991). Die Öffnung im Septum interatriale wird erweitert. Es folgen eine rechtsatriale Verkleinerungsplastik und in Abhängigkeit von der Größe des atrialisierten Anteils eine rechtsventrikuläre Plikatur. Dabei ist sorgfältig darauf zu achten, ein Abknicken der A. coronaria dextra zu vermeiden. Anschließend wendet man sich dem rechtsventrikulären Ausflusstrakt zu. Für die Beseitigung einer Pulmonalklappeninsuffizienz wird der Truncus pulmonalis unterbrochen (Reemtsen et al. 2006; Van Son et al. 1998). Schließlich wird der Blutfluss durch die pulmonale Strombahn durch einen modifizierten Blalock-Taussig-Shunt (5– 4 mm) hergestellt. Die Atriotomie verschließt man. Gewöhnlich wird das Sternum zunächst elektiv offen belassen und 2–3 Tage nach dem Eingriff verschlossen (Reemtsen et al. 2006).
. Abb. 10.78. Technik von Knott-Craig zur Korrektur der EbsteinAnomalie beim Neugeborenen. Es wird eine kompetente monokuspide Klappe geschaffen, indem man das anteriore Segel vom Anulus demontiert. Das Segel wird fenestriert und mit einem Perikardflicken verstärkt
Wenn der Patient ungefähr den 6. Lebensmonat erreicht hat, wird gewöhnlich eine bidirektionale Anastomose zwischen V. cava superior und Pulmonalarterie angelegt und der Shunt demontiert. Die Fontan-Komplettierung (durch eine Anastomose von der V. cava inferior zur Pulmonalarterie) wird gewöhnlich vorgenommen, wenn der Patient das 2.–4. Lebensjahr erreicht hat. Es gibt vielfältige weitere Modifikationen der ursprünglichen Starnes-Prozedur. Sano und Mitarbeiter entwickelten ein Verfahren zur vollständigen Exklusion des rechten Ventrikels, bei welcher auch ein Teil des rechten Ventrikels reseziert wird, um dessen Größe zu verkleinern (Sano et al. 2002; . Abb. 10.81). Ein weiteres Verfahren wurde von Yun und Mitarbeitern publiziert (Yun et al. 2006).
10.4.11
Ergebnisse
Viele frühere Studien stellten eine 25- bis 30%ige Letalität im Krankenhaus fest. Die Spätergebnisse werden durch Arrhythmien, Probleme mit einer künstlichen Herzklappenprothese und intrinsische, primär myokardiale Erkrankungen beeinflusst. Aktuelle Studien zeigen im Vergleich dazu eine deutlich geringere Letalität und Morbidität. Ob aus diesen Gründen auch den asymptomatischen Patienten eine frühzeitige Operation empfohlen werden sollte, ist nicht unumstritten. Immerhin ist gezeigt worden, dass manche dieser Patienten
309 10.4 · Ebstein-Anomalie
. Abb. 10.79. Starnes-Prozedur. Ein in Glutaraldehyd fixierter autologer Perikardflicken wird in den anatomischen Trikuspidalklappenanulus eingenäht
. Abb. 10.81. Exklusion des rechten Ventrikels durch die Technik nach Sano
. Abb. 10.80. Starnes-Prozedur. Mit einer 4-mm-Koronarstanze wird eine Fenstration im Flicken geschaffen. Der Sinus coronarius mündet weiterhin auf der rechtsatrialen Seite des Flickens
über Jahre hinaus keine Symptome entwickeln oder nur geringgradige Beschwerden beibehalten. Stulak und Mitarbeiter von der Mayo-Klinik publizierten die Ergebnisse einer biventrikulären Korrektur der Ebstein-Anomalie bei 524 konsekutiven Patienten. Eine Trikuspidalklappenrekonstruktion wurde bei 189 Patienten (36 %) und ein Klappenersatz bei 335 Patienten (64 %), die zumeist eine Bioprothese erhielten, vorgenommen. Eine antiarrhythmische Chirurgie fand bei 108 Patienten statt. Der Klappenersatz erfolgte dann, wenn die Ablösung des anterioren Segels nur unzureichend gelang oder wenn starke lineare Anheftungen oder zahlreiche fadenförmige Verbindungen zwischen dem freien Ende und dem darunter liegenden Myokard bestanden. Seit 1999 beträgt die FrühLetalität 2,4 %. Die Rate der Freiheit von einer ReOperation aufgrund einer Trikuspidalklappeninsuffizienz nach 5, 10 und 15 Jahren betrug 91 %, 80 % bzw. 68 %. Es gab keine signifikanten Unterschiede hinsichtlich der
Wahrscheinlichkeit für eine wiederholte Operation zwischen den Patienten, die mit einer Klappenrekonstruktion behandelt wurden, und denjenigen, die einen Klappenersatz erhielten. Eine mittelgradige oder schwere Trikuspidalklappeninsuffizienz bei Entlassung aus der Klinik war nur in derjenigen Patientengruppe, die eine Rekonstruktion erhalten hatte, ein signifikanter Risikofaktor für eine erneute Operation (Stulak et al. 2007). Chauvaud und Mitarbeiter berichteten über 191 Patienten, die unter Anwendung der Technik mit Mobilisation des anterioren Segels, die 1988 von Carpentier eingeführt wurde (Carpentier et al. 1988), operiert wurden. Ein konservatives chirurgisches Vorgehen war bei 187 Patienten (98 %) möglich und bestand in der Mobilisation des anterioren Segels, der longitudinalen Plikatur des atrialisierten rechten Ventrikels und einer Anuloplastik mit Prothesenring beim Erwachsenen. Ein bidirektionaler kavopulmonaler Shunt musste bei 60 Patienten angelegt werden. Vier Patienten erhielten einen Klappenersatz. Achtzehn Patienten (9 %) verstarben während des Krankenhaushalts, wobei bei 9 Patienten ein Rechtsherzversagen ursächlich war. Die Rate des aktuarischen Überlebens während der mittleren Beobachtungszeit von 6,4 Jahren betrug nach 20 Jahren 82 %. Die Trikuspidalklappeninsuffizienz war in 80 % der Fälle erst- bzw. zweitgradig. Eine wiederholte Operation erfolgte bei 16 Patienten (8 %). Eine erfolgreiche
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Kapitel 10 · Lungenvenenfehlmündungen, Vorhofanomalien und angeborene Fehler der AV-Klappen
Rekonstruktion beim Zweiteingriff gelang bei 10 Patienten. Bei der Elektronenstrahltomographie, die bei 20 Patienten erfolgte, war jeweils eine verbesserte linksventrikuläre Ejektionsfraktion von 56–66 % (p <0,05) zu erkennen. Die Anzahl der Fälle mit supraventrikulären Tachykardien und Präexzitationssyndromen wurde von 23 auf 5 reduziert (Chauvaud et al. 2003). Chen und Mitarbeiter berichteten über 25 Patienten (19 Kinder und 6 Erwachsene), die eine Klappenrekonstruktion unter Anwendung der Quaegebeur-Technik erhielten, wobei eine vertikale Plikatur der atrialisierten Kammer und eine Re-Implantation des Klappensegels nach Rotation im Uhrzeigersinn erfolgten (Chen et al. 2004). Das mittlere Alter zum Operationszeitpunkt betrug 14,2 ± 5,9 Jahre und der mittlere Beobachtungszeitraum 4,1 ± 3,4 Jahre. Drei Patienten mussten erneut operiert werden, wobei die Gründe eine rechtsventrikuläre Volumenüberlastung (ein Kind) sowie eine progressive, hochgradige Trikuspidalklappeninsuffizienz (2 Erwachsene) waren. Beide Erwachsenen erhielten einen Trikuspidalklappenersatz, einer nach 4, der andere nach 8 Jahren. Bei 3 Patienten wurde intraoperativ eine Hochfrequenzablationsbehandlung vorgenommen. Zehn Patienten (40 %) wiesen perioperativ eine mittel- bis hochgradige Trikuspidalklappeninsuffizienz auf. Allerdings zeigten 18 Kinder (95 %) und 5 Erwachsene (83 %) beim spätpostoperativen Belastungstest eine signifikante Verbesserung. Zwei Kinder verstarben unvorhersehbar 11 Monate bzw. 4 Jahre nach der Korrektur. Ullmann und Mitarbeiter publizierten ihre Ergebnisse der Ebstein-Korrektur bei 23 Patienten, wobei vorzugsweise eine Technik zur Anwendung kam, bei der eine monokuspide Klappe bei gleichzeitiger Ventrikularisierung der atrialisierten rechtsventrikulären Kammer geschaffen wurde (Augustin u. Schmidt-Habelmann 1997; Ullmann et al. 2004). Die Letalität betrug 4 % (ein Patient). Bei der Valvuloplastik wurde mehrheitlich eine monokuspide Klappe auf Ebene der anatomischen atrioventrikulären Verbindung geschaffen, was in der Ventrikularisation der atrialisierten Kammer resultierte. Eine bedeutsame atrioventrikuläre Regurgitation entwickelte sich erneut bei 3 Patienten (13 %). Ursache war die Ruptur der Fixationsnähte. Es war jeweils eine Re-Operation erforderlich, wobei 2 Patienten eine erneute Valvuloplastik und ein Patient einen Trikuspidalklappenersatz erhielten. Bei einem Patienten, der einen hypoplastischen rechten Ventrikel besaß und mit den Zeichen des Rechtsherzversagens auffällig wurde, legte man eine kavopulmonale Anastomose an. Während der Nachbeobachtungszeit von 4,6 (0,5–10,9) Jahren waren alle Patienten wohlauf und ließen bei wiederholten echokardiographischen Beurteilungen eine signifikante Besserung der Insuffizienz der rechtsseitigen Atrioventrikularklappe sowie eine günstige Entwicklung der rechtsventrikulären Geometrie und Funktion erkennen. Die Autoren haben geschlussfolgert, dass die von ihnen angewandte Technik, die Ebstein-Anomalie mit einer Ventrikularisation der atriali-
sierten Kammer zu korrigieren, exzellente Ergebnisse hinsichtlich der rechtsseitigen Atrioventrikularklappenfunktion erbringt sowie in erfolgreicher Weise die rechtsventrikuläre Geometrie und Funktion wiederherstellt (Ullmann et al. 2004). Sarris und Mitarbeiter publizierten die Ergebnisse einer multizentrischen Studie, in der die Ergebnisse der chirurgischen Korrektur der Ebstein-Anomalie bei 150 Patienten untersucht wurden. Die chirurgischen Eingriffe (n = 179) umfassten 60 Klappenersätze, 49 Klappenrekonstruktionen, 46 Eineinhalbventrikelrekonstruktionen, 13 palliative Shunt-Anlagen und 11 weitere komplexe Eingriffe. Es gab 20 Todesfälle in der Klinik (perioperative Letalität: 13,3 %). Die perioperative Letalität zeigte keinen Unterschied zwischen den Subgruppen, die eine Klappenrekonstruktion, einen Klappenersatz oder eine Eineinhalbventrikelrekonstruktion erhalten hatten. Die Letalität war jedoch bei jenen Patienten größer, die einen palliativen Eingriff bei schwerer Erkrankungsform im frühen Lebensalter erhielten. Ein junges Patientenalter schien dabei der einzige unabhängige Prädiktor für die perioperative Letalität zu sein (Sarris et al. 2006). Unlängst haben da Silva und Mitarbeiter ihre Ergebnisse über die Rekonstruktion der Ebstein-Anomalie bei 40 Patienten veröffentlicht, wobei sie eine konische Rekonstruktion der Trikuspidalklappe und eine longitudinale Plikatur des atrialisierten rechten Ventrikelanteils anwandten. Falls vorhanden, wurde der Vorhofseptumdefekt mittels Flickentechnik verschlossen. Die Letalität betrug 2,5 %. Zwei Patienten benötigten später eine neuerliche Trikuspidalklappenrekonstruktion. Weder trat ein atrioventrikulärer Block auf noch war zu irgendeinem Zeitpunkt während der Beobachtungszeit von 4 Jahren ein Trikuspidalklappenersatz erforderlich (da Silva et al. 2007). Boston und Mitarbeiter von der Mayo-Klinik haben die Ergebnisse ihrer chirurgischen Behandlung der EbsteinAnomalie bei 186 Kindern im Alter unter 13 Jahren veröffentlicht. Einhundertsiebzehn Patienten erhielten einen Trikuspidalklappenersatz. Die Trikuspidalklappenrekonstruktion und eine Anuloplastik erfolgten bei 52 Patienten mit Ebstein-Anomalie der Formen I und II nach der Carpentier-Einteilung (Carpentier et al. 1988). Die Autoren nutzten dabei die klappenerhaltende Rekonstruktionstechnik nur bei denjenigen Fällen, bei denen mindestens 50 % des anterioren Segels abgelöst werden konnte und das vordere Ende nicht am Endokard fixiert war. Die Frühletalität in der Gruppe mit der Rekonstruktion betrug 5,8 %, wobei es seit 1981 bei 31 Patienten zu keinem Versterben gekommen war. Die Risikofaktoren waren ein Alter von <2,5 Jahren und ein Gewicht von <10,7 kg. Die Morbidität erstreckte sich auf transiente Arrhythmien atrialen und ventrikulären Ursprungs sowie die Notwendigkeit zur frühzeitigen Re-Operation bei 3 Patienten. Es bestand keine Notwendigkeit, dauerhaft einen Herzschrittmacher zu implantieren.
311 10.5 · Überreiten der Atrioventrikularklappen
Die Rate des aktuarischen Überlebens nach der Trikuspidalklappenrekonstruktion betrug nach 5, 10 und 15 Jahren 92,3 %, 89,9 % bzw. 89,9 %. Die Rate der Freiheit von einer Re-Operation lag nach 5, 10 und 15 Jahren bei 91,0 %, 76,9 % bzw. 61,4 %. Eine mittel- bis hochgradige Trikuspidalklappeninsuffizienz vor Entlassung aus der Klinik war der einzige Risikofaktor für eine Re-Operation. Eine Trikuspidalklappenstenose trat bei keinem Patienten auf. Im Rahmen der langfristigen Nachbeobachtung waren 89 % der Patienten den NYHA-Herzinsuffizienzstadien I und II zuzuordnen (Boston et al. 2006). Im Jahre 2006 berichtete Starnes von 14 Patienten, die mit seiner Technik behandelt wurden und eine Gesamtletalität von 30 % aufwiesen. Die Überlebensrate wurde von 30 % auf 80 % verbessert, nachdem eine 4 mm große Fenestration im Trikuspidalklappenflicken angelegt worden war, um eine rechtsventrikuläre Dilatation zu vermeiden, sowie nachdem darauf geachtet worden war, dass der Koronarsinus auf der atrialen Seite des Flickens mündet (Reemtsen et al. 2006). Knott-Craig berichtete von der biventrikulären Korrektur bei Ebstein-Anomalie in einer konsekutiven Serie von 20 Neugeborenen und 4 Kleinkindern mit einer Überlebensrate von 70 %. Drei Patienten benötigten während der mittleren Nachbeobachtungszeit von 4,5 Jahren einen Trikuspidalklappenersatz (Knott-Craig et al. 2007).
10.5
Überreiten der Atrioventrikularklappen
10.5.1 Einleitung
Overriding- und Straddling-Phänomene im Bereich der Atrioventrikularklappen sind selten. Ihre Häufigkeit in der Gesamtheit angeborener Herzfehler liegt zwischen 0,3 % und 3 %. Dabei sind inbesondere die Trikuspidalklappe und Herzen mit diskonkordanter atrioventrikulärer Konnektion betroffen (Güeven et al. 2003; Jacobs u. Mayer 2000; Kiraly et al. 2007; Libertsohn et al. 1971; Milo et al. 1979; Reddy u. McElhinney 1997). Das Phänomen des Straddlings wurde wahrscheinlich erstmals von Lambert (1951) beschrieben und detailliert von van Praagh et al. (1964) an univentrikulären Herzen analysiert. Rastelli und Mitarbeiter (1968) identifizierten den Versatz zwischen atrialem und ventrikulärem Septum als charakteristisches Merkmal bei Herzen mit überreitenden Klappen und beschrieben das Straddling-Phänomen an der Trikuspidalklappe beim Atrioventrikularseptumdefekt. Straddling- und Overriding-Phänomene werden oftmals in Kombination mit anderen komplexen angeborenen Herzfehlern beobachtet und sind immer an das Vorhandensein eines Ventrikelseptumdefekts oder eines gemeinsamen Ventrikels geknüpft (Huhta et al. 1982a; Khairy et al. 2007; Libertsohn et al. 1971; Reddy u. McEl-
hinney 1997; Serraf et al. 1996; Tarby et al. 1979; van Son et al. 1998). Seit Einführung der Echokardiographie wurde diese Fehlbildung häufiger erkannt und kann bei Patienten mit komplexen angeborenen Herzfehlern exakt beschrieben werden. Hingegen spielt die Angiographie heutzutage nur eine untergeordnete Rolle (Delius et al. 1996; Freedom u. Van Arsdell 1998; Freedom et al. 1978; Güeven et al. 2003; Huhta 1982b; Seward et al. 1975; Yoshida et al. 1977). Die Kenntnis von einem Straddling-Phänomen bei einer der Atrioventrikularklappen ist für das chirurgische Vorgehen von besonderer Signifikanz, da die Wahl der chirurgischen Strategie (also univentrikuläre oder biventrikuläre Korrektur) vom Straddling-Typ abhängig ist sowie davon, ob eine Korrektur gelingt, ohne eine Klappeninsuffizienz oder einen totalen atrioventrikulären Block zu produzieren. Das Vorliegen einer solchen Anomalie kann bei einigen Patienten mit Transposition der großen Gefäße und Ventrikelseptumdefekt sowie anderen komplexen angeborenen Herzfehlern gegen eine Korrektur nach Rastelli sprechen, insbesondere dann, wenn der Verschluss des Ventrikelseptumdefekts zur Entstehung einer AV-Klappen-Dysfunktion führen würde (Anderson u. Ho 1998; Freedom u. Van Arsdell 1998; Huhta 1982b; Khairy et al. 2007; Russo et al. 1988; van Arsdel 2006).
10.5.2 Definitionen
Eine Atrioventrikular-(AV-)Klappe besteht aus Anulus, Segeln und Tensorapparat. Normalerweise steht jede AV-Klappe in morphologischer Beziehung zu einem zugehörigen Ventrikel, d. h. der Klappenanulus mit seinen Segeln befindet sich vollständig über diesem Ventrikel, und der gesamte Tensorapparat ist in diesem Ventrikel verankert. Das Straddling-Phänomen einer AV-Klappe entsteht dann, wenn der Halteapparat seinen Ursprung von beiden Seiten des Ventrikelseptums nimmt, sodass die Öffnung gewöhnlich über beiden Ventrikelhöhlen zu liegen kommt. Ein Straddling geschieht fast immer über einen Ventrikelseptumdefekt des Einlassseptums. Bei Anwendung dieser Definition weist eine gemeinsame Atrioventrikularklappe nahezu immer ein Straddling-Phänomen auf. Jedoch gibt es keine Übereinkunft darüber, ob auch in einem solchen Fall von einem Straddling-Phänomen gesprochen werden sollte (Libertsohn et al. 1971; Milo et al. 1979) oder ob der Begriff »Straddling« für die Beschreibung entweder der Mitral- oder der Trikuspidalklappe reserviert ist, wenn deren Papillarmuskeln mit beiden Seiten des Septums verbunden sind. Eine AV-Klappe wird als überreitend bezeichnet, wenn der Klappenanulus mit den Segeln so über einem Ventrikelseptumdefekt steht (»reitet«), dass sie mit beiden Ventrikeln
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Kapitel 10 · Lungenvenenfehlmündungen, Vorhofanomalien und angeborene Fehler der AV-Klappen
kommuniziert und der Tensorapparat vollständig der originären Kammer zugeordnet ist. Das Wesen des Überreitens und des Straddling-Phänomens der Trikuspidalklappe besteht in dem Versatz der Klappe zwischen der Vorderkante des Vorhofseptums und dem Kamm des muskulären Septums (Anderson u. Shirali 2009; Rastelli et al. 1968). Die Kammer, in welcher der gesamte Tensorapparat einer AV-Klappe und Teile des Tensorapparats der kontralateralen AV-Klappe inserieren, bezeichnet man als Primärkammer (»primary chamber«; Anderson et al. 1981) bzw. als dominanten Ventrikel (»dominant ventricle«). Die Kammer, in der nur ein Teil des Tensorapparats der Straddling-AV-Klappe inseriert, wird Sekundärkammer (»secondary chamber, incomplete ventricle«) genannt. Sie ist typischerweise deutlich kleiner, bis hin zur Hypoplasie. Überreit- und Straddling-Phänomene kommen sowohl im Bereich ausdifferenzierter rechter und linker als auch bei gemeinsamen AV-Klappen (AV-SeptumdefektAnomalien) vor. Sie werden ferner unabhängig vom Vorhofsitus (solitus, inversus oder ambiguus) und von der Art der atrioventrikulären Konnektion (konkordant, diskordant oder univentrikulär) beobachtet (Güeven et al. 2003). Überreit- und Straddling-Phänomene einer AV-Klappe treten zumeist gemeinsam auf. Sehr selten finden sie sich im Bereich beider AV-Klappen. Jedoch kann sowohl das Straddling als auch das Überreiten isoliert auftreten (. Abb. 10.82). Sowohl das Überreiten als auch das Straddling von AVKlappen wird in unterschiedlichen Ausprägungen beobachtet. Umfasst das Überreiten einer AV-Klappe mehr als 50 % des Klappenquerschnitts, d. h. der größere Teil der AV-Klappe ist der Primärkammer (Anderson et al. 1981) bzw. dem dominanten Ventrikel zugeordnet, spricht man von einem »double inlet« dieses Ventrikels und von einer
univentrikulären atrioventrikulären Konnektion (univentrikuläres Herz). Bei Herzen mit weniger als 50%igem Überreiten einer AV-Klappe, d. h. der größere Teil des Klappenquerschnitts ist der zugehörigen Kammer (Sekundärkammer; Anderson et al. 1981) zugeordnet, spricht man von einer biventrikulären atrioventrikulären Konnektion (biventrikuläres Herz). Die unterschiedlichen Straddling-Ausprägungen sind von der Determination der atrioventrikulären Konnektion unabhängig.
10.5.3
Chirurgische Anatomie
Das Überreitphänomen von AV-Klappen impliziert neben der Klappenfehlbildung Anomalien im Bereich der Vorhofund Kammerscheidewände (»malalignment«, Ventrikelseptumdefekt), des ventrikulären Erregunsleitungssystems und der Ventrikelmorphologie. 10.5.3.1
AV-Klappen
Nur AV-Klappen können ein Straddling-Phänomen aufweisen, da arterielle Klappen nicht über einen Tensorapparat verfügen (Anderson u. Shirali 2009). Es können 4 Möglichkeiten des Überreitphänomens von AV-Klappen definiert werden: das Überreiten von Mitral- und Trikuspidalklappe bei atrioventrikulärer Konkordanz und Diskordanz (Anderson 1977; Güeven et al. 2003; Ho 2003; Jacobs u. Mayer 2000; Khairy et al. 2007). Unabhängig vom Typ der atrioventrikulären Konnektion und vom Ausmaß des Überreitens steht eine überreitende Trikuspidalklappe praktisch immer über dem posterioren Anteil des interventrikulären Septums. Im Bereich des Überreitens besteht ein »malalignment« zwischen Vorhof- und Kammerseptum, und das Kammerseptum ist nach posterior nicht bis zur Crux cordis ausgebildet. Im Gegensatz dazu sind bei der
b a . Abb. 10.82a, b. Das Diagramm illustriert die Bezeichnungen Überreiten und Straddling. Gewöhnlich weisen die Klappen beide Phänomene auf (a). Jedoch kann ein Überreiten ohne Straddling auftreten (b)
313 10.5 · Überreiten der Atrioventrikularklappen
a
b
c
. Abb. 10.83a–c. Klassifikation nach dem Ort der Insertion des Papillarmuskels in der gegenüberliegenden Ventrikelhöhle nach Tabry et al. (1979). a Typ A: Insertion an der anderen Seite des Ventrikelseptums oder an der Kante des Ventrikelseptumdefekts; b Typ B: Insertion
an der gegenüberliegenden Seite des Ventrikelseptums und entfernt von der Kante des Ventrikelseptumdefekts; c Typ C: Insertion an der gegenüberliegenden freien Wand der Ventrikelkammer
Mitralklappe in der Regel die anteromedialen Anteile von Überreit- bzw. Straddling-Phänomenen betroffen, d. h. die Klappe reitet über dem anterioren interventrikulären Septum. In dieser Situation ist das Septum nach posterior bis zur Crux cordis ausgebildet (Anderson 1997; Anderson et al. 1981; Becker et al. 1980; Ho 2003). Das Straddling von Anteilen des Tensorapparats einer AV-Klappe kann leicht, mäßiggradig oder stark ausgebildet sein, d. h. die den Ventrikelseptumdefekt kreuzenden Chordae tendineae inserieren an der kontralateralen Seite des Septums in unmittelbare Nähe des Ventrikelseptumdefekts, 2–3 cm von ihm entfernt, oder sie kreuzen das Cavum des kontralateralen Ventrikels und inserieren im Bereich seiner freien Wand. Entsprechend dieser Varianten haben Seward und Mitarbeiter (1975) sowie Tabry und Mitarbeiter (1979) Einteilungen in die Straddling-Typen A, B und C vorgeschlagen (. Abb. 10.83). Die Öffnungsfläche der anomalen AV-Klappe ist gewöhnlich relativ weit; die kontralaterale Klappe ist häufig hypoplastisch (Milo et al. 1979). Liegt ein Überreiten der morphologischen Trikuspidalklappe vor und wird so eine doppelte Einlasskonnektion erzeugt, weist der dominante Ventrikel immer die Morphologie eines linken Ventrikels auf. Der rudimentäre und inkomplette rechte Ventrikel kann sowohl rechtsseitig als auch linksseitig liegen. In dieser Form ist das Überreiten extrem, und der Halteapparat ist fast immer an der Parietalwand des dominanten linken Ventrikels angeheftet (Anderson u. Shirali 2009).
teile. Der VSD reicht bis an die Crux cordis (marginaler perimentbranöser VSD, Juxtacrux-VSD; Milo et al. 1979) und »verhindert«, dass das (Einlass-)Septum bis zur Crux cordis ausgebildet ist. Bedeutsam ist es, diesen Typ »Malalignment-VSD« bei überreitender Trikuspidalklappe von Defekten vom AV-Kanal-Typ (AV-Septum-Defekt) zu unterscheiden (Anderson 1997). Der Malalignment-Defekt bei überreitender Trikuspidalklappe ist kein AV-SeptumDefekt. Der Unterschied besteht darin, dass das Septum bei AV-Septum-Defekten, wenn auch defizient, bis zur Crux cordis ausgebildet ist (Anderson 1997). Da die anteromedialen Klappenanteile bei überreitender Mitralklappe in der Regel in den Überreit- bzw. Straddling-Prozess einbezogen sind, findet sich hier bevorzugt ein anterior gelegener VSD. Die posterioren Septumanteile sind intakt. Der Schwerpunkt der Anomalie im Bereich des anterioren Septums erklärt auch deren häufige Kombination mit Fehlbildungen wie »double oulet right ventricle« und subpulmonalem VSD (Taussig-Bing-Anomalie) oder einer Transposition der großen Arterien (Anderson et al. 1981; Freedom et al. 1978; Milo et al. 1979; Niinami et al. 1995; Ostermayer et al. 1980; Serrraf et al. 1996).
10.5.3.2
Ventrikelseptumdefekt (VSD)
Alle bislang publizierten Mitteilungen belegen, dass ein zumindest zum Teil im Inlet Septum befindlich großer VSD eine unabdingbare Voraussetzung von Straddling-Anomalien der AV-Klappen ist. Bei überreitender Trikuspidalklappe findet sich ein »malalignment« zwischen Vorhof- und Kammereinlassseptum. 1). Der VSD liegt posterior, und das Überreitphänomen betrifft die posteroseptalen Klappenan-
10.5.3.3
Erregungsleitungssystem
Die Position und der Verlauf der spezifischen erregungsleitenden Strukturen (AV-Knoten, »penetrierendes« HisBündel, AV-Schenkel) hängen entscheidend vom Typ der atrioventrikulären Konnektion (konkordant oder diskordant) und der Anatomie im Bereich des posterioren atrioventrikulären Überganges (AV-junction; »alignment« oder »malalignment« der Septen) ab. Bei Fehlen eines »malalignment« zwischen Vorhof- und Kammerseptum, d. h. Ausbildung des Kammerseptums nach posterior bis zur Crux cordis und atrioventrikulärer Konkordanz, können Position und Verlauf der erregungsleitenden Strukturen als normal, d. h. regulärer AV-Knoten im Bereich des KochDreiecks und posteriorer Verlauf des His-Bündels, erwartet werden. Diese Verhältnisse bestehen nur bei Herzen mit
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atrioventrikulärer Diskordanz. Bei jenen mit überreitender Trikuspidalklappe (»malalignment« zwischen Vorhof- und Kammersepten, Juxtacrux-VSD) sind eine abnorme Position des AV-Knotens und ein abnormer Verlauf des HisBündels zu erwarten. Milo und Mitarbeiter berichteten, dass das Erregungsleitungsgewebe nicht dem regulären Atrioventrikularknoten entspringt, und bei biventrikulären Herzen mit einer normalen AV-Verbindung ist die Crux vom Erregungsleitungsgewebe abgeleitet (Milo et al. 1979). Bei atrioventrikulärer Diskordanz (isolierte Ventrikelinversion, korrigierte Transposition der großen Arterien) nimmt das ventrikuläre Erregungsleitungssystem unabhängig von der VSD-Position und unabhängig davon, welche AV-Klappe überrreitet, seinen Ursprung von einem anterolateral gelegenen AV-Knoten und verläuft im Bereich der anterioren Zirkumferenz des VSD (Anderson 1997), d. h. der determinierende Faktor für die Lokalisation der spezifischen Muskulatur ist die atrioventrikuläre Diskordanz. In Herzen mit atrioventrikulärer Konkordanz und überreitender Trikuspidalklappe sind wegen des »malalignment« zwischen Vorhof- und Kammerseptum und des bis an die Crux cordis reichenden VSD die Kriterien für die Formation eines normal lokalisierten Erregungsleitungssystems ebenfalls nicht erfüllt (Anderson et al. 1981; Milo et al. 1979). Der AV-Knoten findet sich lateral des Vorhofseptums an einer Position unmittelbar inferior des Punktes, an dem das Ventrikeleinlassseptum den Trikuspidalanulus erreicht (Milo et al. 1979). Das His-Bündel verläuft im Bereich der posterioren Zirkumferenz des VSD. Auch wenn Serraf und Mitarbeiter (1996) angenommen haben, dass das Erregungsleitungssystem bei biventrikulären Herzen und VSD denjenigen in Herzen mit einfachem VSD gleicht, finden sich für diese These keine unterstützenden anatomischen Beweise (Anderson 1997). 10.5.3.4
Ventrikelmorphologie
Unabhängig von atypisch inserierenden Chordae tendineae und Papillarmuskeln werden im Bereich der Ventrikel häufig Größenunterschiede beobachtet. Als fast übliches Phänomen finden sich eine Hypoplasie der Sekundärkammer (inkompletter Ventrikel) und relativ größere Verhältnisse im Bereich der Primärkammern, welche zusätzlich zu der ihnen zugehörigen AV-Klappe noch mehr oder weniger mit der überreitenden kontralateralen Klappe kommunizieren (Anderson et al. 1981; Corno 2005; Hanley 1999; Milo et al. 1979; Muster et al. 1979; Seward et al. 1975; van Praagh et al. 1964).
10.5.4
Chirurgische Behandlung
Der Korrektureingriff bei Atrioventrikularklappen mit Straddling-Phänomen wurde erstmals 1979 beschrieben (Pacifico et al. 1979; Tabry et al. 1979). Die sich aus Über-
reitphänomenen von AV-Klappen ergebenden chirurgischen Gesichtspunkte sind in einer Reihe von Publikationen der letzten Jahre niedergelegt (Aeba et al. 2000; Anderson 1997; Danielson et al. 1979a, b; Niinami et al. 1995; Planche et al. 1982; Russo et al. 1988; Serraf et al. 1996; Tabry et al. 1979; van Son et al. 1998). Danach zeigt sich, dass die operative Strategie immer an der hämodynamisch im Vordergrund stehenden Anomalie zu orientieren ist und dass das eigentliche chirurgische Problem mit der Straddling-AV-Klappe darin besteht, den immer koexistierenden VSD zu verschließen, ohne die AV-Klappen-Funktion zu beeinträchtigen, ohne bei den Verlaufsanomalien der spezifischen Muskulatur einen AV-Block zu erzeugen und ohne nach dem VSD-Verschluss eine zu kleine Sekundärkammer zu hinterlassen. Da Überreitphänomene von AV-Klappen, wie vorangehend ausgeführt, ein ganzes Spektrum von Anomalien darstellen, welches eine breite Variabilität hinsichtlich Lage und Größe des VSD sowie hinsichtlich Lokalisation und Verlauf der spezifischen erregungsleitenden Strukturen und der Geometrie der Ventrikel impliziert, erscheint es nicht sinnvoll, im Detail und gewissermaßen »Stich für Stich« das operative Vorgehen für eine willkürlich herausgenommene Straddling-Situation zu beschreiben, welches möglicherweise für eine andere Variante aus dem Anomaliespektrum nicht mehr anwendbar wäre. Die Autoren sehen ihre Aufgabe vielmehr darin, nachfolgend unter Berücksichtigung der verschiedenen Anomalievarianten die grundsätzlichen Optionen eines chirurgischen Vorgehens darzustellen. Das Straddling-Phänomen stellt unverändert eine große Herausforderung für den Kardiologen und den Kinderherzchirurgen dar (Delius et al. 1996; Kiraly et al. 2007; Tabry et al. 1979). Es sollte bei Patienten mit gut entwickelten Ventrikeln stets der Versuch einer biventrikulären Korrektur im Vorzug vor einer univentrikulären Korrektur unternommen werden. Dabei gilt es, einen traumatischen Atrioventrikularblock zu vermeiden (Anderson 1997). Die Anwendung einer biventrikulären Korrektur bei Klappen mit Straddling-Phänomen beinhaltet das potenzielle Risiko, eine Dysfunktion der Mitral- und Trikuspidalklappe zu erzeugen, da die Trennung der Kammern oder die Nahtlinie zum VSD-Verschluss oftmals den Halteapparat der Atrioventrikularklappen direkt unterhalb des VSD mechanisch verziehen oder verletzen kann. Zusätzlich kann ein Versetzen der Klappennahtlinie nach links oder rechts bei Patienten mit Straddling-Phänomen der Mitralklappe und doppeltem Auslassventrikel, um eine Verletzung des Papillarmuskels zu vermeiden, zur Obstruktion des links- oder rechtsventrikulären Ausflusstrakts führen (Delius et al. 1996; Serrraf et al. 1996). Eine bemerkenswert variable Klappenmorphologie lässt die Klappen bei Patienten mit funktionell singulärem Ventrikel dafür anfällig werden, im Langzeitverlauf eine Insuffizienz zu entwickeln (Kiraly et al. 2007).
315 10.5 · Überreiten der Atrioventrikularklappen
Ein weiteres Problem ist das hohe Risiko, einen totalen atrioventrikulären Block zu entwickeln (Anderson 1997; Anderson u. Ho 1998; Serraf et al. 1996). Um ein solches Blockbild zu vermeiden, beschrieben Planche und Mitarbeiter (1982) eine Technik, bei welcher das Segelgewebe der überreitenden Komponente der Trikuspidalklappe genutzt wird, um die Nähte in jenen Arealen zu verstärken, wo die Nahtlinien die atrioventrikuläre Leitungsbahn kreuzen. Dabei werden die Nähte mit Abstand von der Septumkante, aber im rechtsventrikulären oder atrialen Gewebe gestochen. Allerdings verbleibt bei dieser Vorgehensweise die Straddling-Komponente im linken Ventrikel (Planche et al. 1982). Das penetrierende atrioventrikuläre Bündel kann geschont werden, indem man die Nähte an der linken Seite der Septumkante platziert (Seraff et al. 1996). Robert Anderson vertritt die Auffassung, dass durch die genaue Kenntnis der Anatomie der Klappen mit Straddling-Phänomen und der dazugehörigen ventrikulären Anbindung eine chirurgische Verletzung des Erregungsleitungssystems vermieden werden kann (Anderson 1997). Dennoch wurde in vielen Patientengruppen eine hohe Inzidenz für einen chirurgisch verursachten kompletten AVBlock beobachtet (Pacifico et al. 1979; Reddy u. McElhinney 1997; Tabry et al. 1979). Es sind verschiedene chirurgische Techniken bei Patienten mit Straddling-Phänomen der Trikuspidal- und Mitralklappe, die einer biventrikulären Korrektur unterzogen wurden, beschrieben.
a . Abb. 10.84a, b. Schematische Illustration mit Blick in den rechten Ventrikel bei einem Patienten mit Transposition der großen Arterien und Ventrikelseptumdefekt. a Am Papillarmuskel der Mitralklappe mit Straddling-Phänomen wurde die Nahtlinie unterbrochen. b Nach der
10.5.4.1
Durchtrennen von Sehnenfäden
Wenn das Straddling nur einzelne Sehnenfäden betrifft, die für den Schlussmechanismus der AV-Klappe keine Rolle spielen, können diese ohne Risiko durchtrennt werden. Der VSD-Verschluss kann danach in der üblichen Weise erfolgen. Eine Möglichkeit für dieses Vorgehen ist sicher gegeben, wenn bei leichtem oder mäßigem Straddling (Typ A oder B) die kreuzenden Chordae an einem isolierten Papillarmuskel im kontralateralen Ventrikel inserieren. 10.5.4.2
Schlitzen des VSD-Flickens und Teilung der VSD-Flickennahtlinie
In seltenen Fällen von Typ-A- und Typ-B-Straddling konnten die kreuzenden Sehnenfäden durch einen Schlitz im VSD-Flicken geführt werden. Um einen Restdefekt zu vermeiden, wird dieser Schlitz nach dem VSD-Verschluss vernäht (Aeba et al. 2000; Pacifico et al. 1979). Diese Technik sollte nur angewandt werden, wenn die kreuzenden Chordae keinen wesentlichen Anteil am Schlussmechanismus der Klappe haben, da diese sicherlich ihre freie Beweglichkeit einbüßt (Aeba et al. 2000; Danielson et al. 1979b; Tabry et al. 1979; . Abb. 10.84). 10.5.4.3
Papillarmuskel-Re-Implantation
Wenn bei leichtem oder mäßigem Straddling (Typ A oder B) die kreuzenden Chordae an einem isolierten Papillarmuskel im kontralateralen Ventrikel inserieren und dieser Papillarmuskel keine Verbindungen zur anderen AV-Klappe hat, kann er an seiner Basis abgetrennt und später mit
b Komplettierung der Umleitung kommt der Stützapparat der Mitralklappe mit Straddling-Phänomen zwischen dem Ventrikelseptum und der Umleitung zu liegen. Der kraniale Teil der Umleitung wurde entfernt, was den Blick auf die Aortenklappe freigibt. Nach Aeba et al. (2000)
10
316
Kapitel 10 · Lungenvenenfehlmündungen, Vorhofanomalien und angeborene Fehler der AV-Klappen
dem VSD-Verschluss im Septumbereich des zugehörigen Ventrikels re-implantiert werden (Niinami et al. 1995; Reddy u. McElhinney 1997; van Son et al. 1998). Ob mit dieser Methode längerfristig ein störungsfreies Klappenspiel zu erreichen ist, bleibt fraglich. Technisch ist dieses Verfahren praktisch nur dann durchführbar, wenn die Re-Implantation im Bereich des Ventrikels möglich ist, durch den die Operation ausgeführt wird. 10.5.4.4
Pseudoseptierung
Der Flicken zum Verschluss des VSD wird deutlich größer gewählt und innerhalb der Primärkammer um die Fußpunkte der kreuzenden Chordae herumgeführt, sodass danach der gesamte Tensorapparat der vormaligen Straddling-Klappe innerhalb des neu geschaffenen Ventrikelkavums liegt – ein Verfahren, das insbesondere bei Typ-A-Straddling infrage kommt. Dies ist technisch relativ einfach, wenn die Chordae in den Ventrikel kreuzen, durch den der Chirurg arbeitet (meist Straddling der linken AVKlappe in den rechtsgelegenen Ventrikel). Es ist jedoch prinzipiell auch bei einem Straddling der rechten AV-Klappe in den linksgelegenen Ventrikel möglich (Pacifico et al. 1979; . Abb. 10.85). 10.5.4.5
10
Methode des »myocardial conal flap«
Das Zurechtschneiden einer konischen Krempe aus Myokard bei Vorliegen einer anomalen Anheftung der Trikuspidalklappe am Septum des Ausflusstrakts und die Fixation am intrakardialen Tunnel bei Patienten mit doppeltem Auslassventrikel ist in . Abb. 10.86 dargestellt (Niinami et al. 1995; Serraf et al. 1996). 10.5.4.6
Retraktion der Chordae oder des Papillarmuskels
In . Abb. 10.87 ist die Retraktion der Chordae oder des Papillarmuskels einer Trikuspidal- oder Mitralklappe mit Straddling-Phänomen in den linken Ventrikel durch die native Aortenklappe (. Abb. 10.87a) oder die Pulmonalklappe (. Abb. 10.87b) bei einem Patienten mit Dextrotransposition der großen Gefäße dargestellt (Serraf et al. 1996). 10.5.4.7
Klappenersatz
Wenn eine überreitende bzw. Straddling-AV-Klappe insuffizient ist (extrem selten) oder bei einem Typ-C-Straddling klappenerhaltende Maßnahmen nicht möglich sind, muss ein Klappenersatz in Betracht gezogen werden. Jedoch ist der Klappenersatz bei Kindern aufgrund der wohlbekannten Nachteile eine Quelle größter Bedenken (Tabry et al. 1979). Bei Vorliegen eines Malalignment-VSD (Straddling-Trikuspidalklappe) muss die Kunstklappe in der Regel septal am VSD-Flicken fixiert werden, was den Gebrauch einer Prothese mit niedrigem Profil ratsam erscheinen lässt.
10.5.4.8
Alternative Methoden
Wenn diese intrakardialen »Korrekturoperationen« mit hoher Wahrscheinlichkeit nur mit totalem AV-Block, zu kleinem Sekundärventrikel und/oder funktionseingeschränkten AV-Klappen (z. B. bei primärer Stenosierung der Non-Straddling-Klappe) durchgeführt werden können, kommen die im Folgenden dargestellten Alternativen in Betracht.
Fontan-Operation Patienten mit riesigem Papillarmuskel und anomaler Insertion der Trikuspidalklappe können nicht mit einer biventrikulären Korrektur behandelt werden, da es hierdurch zur Obstruktion des linksventrikulären Ausflusstrakts sowie zur Dysfunktion der Atrioventrikularklappe kommen würde (Aeba et al. 2000). Vorhangartige fehlangelegte Chordae der Trikuspidalklappe bleiben bei Patienten mit »double outlet right ventricle«, Transposition der großen Gefäße sowie schwerer rechtsventrikulärer Hypoplasie eine Kontraindikation für eine biventrikuläre Korrektur (Serraf et al. 1996). Gelegentlich erschweren Anomalien der Trikuspidalklappe oder Anomalien im Ursprung der Papillarmuskeln um die Kante des VSD herum bei Patienten mit doppleten Auslassventrikel die Schaffung einer befriedigenden intrakardialen Umleitung oder machen dies gar unmöglich. Sofern die generellen Kriterien für eine Fontan- bzw. modifizierte Fontan-Operation (7 Kap. 11) erfüllt sind, könnte dies die Methode der Wahl für Patienten mit TypB- bzw. Typ-C-Straddling und deutlicher Hypoplasie des Sekundärventrikels darstellen. In solchen Situationen wird angenommen, dass die univentrikuläre Korrektur in Form eines extra- oder intrakardialen lateralen Tunnels im Rahmen der Fontan-Operation einer biventrikulären Korrektur überlegen ist (Anderson u. Ho 1998; Delius et al. 1996; Freedom u. Van Arsdell 1998; Hanley 1999; Marino 2002; Pacifico et al. 1979; Russo et al. 1988; van Arsdell 2006). Daher ist die exakte präoperative Diagnostik der Klappen mit Straddling-Phänomen obligatorisch vorzunehmen, und alle chirurgischen Optionen sollten geprüft werden, bevor man sich für eine bi- oder univentrikuläre Korrektur entscheidet. Bei Patienten mit geringgradig hypoplastischem rechten Ventrikel kann die Eineinhalbventrikelkorrektur angewandt werden (Hanley 1999; Serraf et al. 1996).
Palliation Bei Säuglingen und kleinen Kindern, insbesondere wenn im Rahmen der präoperativen Diagnostik ein Typ-B- bzw. Typ-C-Straddling dokumentiert wurde, ist eine der »klassischen« Palliativoperationen (Bändelung der Pulmonalaterie, systemisch-pulmonalarterieller Shunt) zur Optimierung der Lungenperfusion in Betracht zu ziehen.
317 10.5 · Überreiten der Atrioventrikularklappen
b a
d
c
e
. Abb. 10.85a–e. Pseudoseptierung eines perimembranösen Malalignment-(Juxtacrux-)Ventrikelseptumdefekts bei überreitender und Straddling-Trikuspidalklappe bei einem Patienten mit Situs solitus und normalen atrioventrikulären Konektionen. a Zugang durch schräge Inzision des rechten Vorhofs. b Die Sehnenfäden des septalen Trikuspidalsegels ziehen durch den Ventrikelseptumdefekt, um an Papillarmuskeln im linken Ventrikel zu inserieren. Das Überreiten des Trikuspidalanulus macht 10–20 % aus. c Der Verschluss des Ventrikelseptumdefekts erfolgt transtrikuspidal. Um die Intergrität der Trikuspidalklappe zu erhalten, wird der Flicken so auf der linken Seite des Septums platziert, dass der gesamte Tensorapparat der Trikuspidalklappe rechts des Dacronflickens verbleibt. d, e Abgeschlossener Verschluss des Ventrikelseptumdefekts. Mod. nach Pacifico et al. (1979)
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Kapitel 10 · Lungenvenenfehlmündungen, Vorhofanomalien und angeborene Fehler der AV-Klappen
. Abb. 10.86. Chirurgische Technik zum Zurechtschneiden einer Myokardkrempe bei Vorliegen einer anomalen Anheftung der Trikuspidalklappe am Septum des Ausflusstrakts und Fixation am intrakardialen Tunnel bei Patienten mit doppeltem Auslassventrikel. Nach Serraf et al. (1996)
a
Herztransplantation
10
Die Herztransplantation sollte Patienten mit schwerster myokardialer Dysfunktion vorbehalten bleiben, ist also bei Überreit- bzw. Straddling-Anomalien von AV-Klappen niemals primär indiziert.
10.5.5 Ergebnisse
Es gibt nur wenige Berichte über die mittel- und langfristigen Ergebnisse der chirurgischen Behandlung von Klappen mit Straddling-Phänomen, die noch dazu jeweils nur kleine Patientengruppen berücksichtigen. Serraff und Mitarbeiter (1996) berichteten von ihren Erfahrungen mit 34 Patienten mit »double outlet right ventricle« und AV-Klappen mit Straddling-Phänomen. Bei 4 Patienten wurde auf eine univentrikuläre Korrektur gewechselt. Es gab 4 Todesfälle nach biventrikulärer Korrektur (13,3 %), und 6 Folgeoperationen waren während der Nachbeobachtungszeit notwendig, wobei die Gründe eine subaortale Stenose, eine AV-Klappen-Insuffizienz und die Notwendigkeit einer Schrittmacherimplantation waren. Reddy und Mitarbeiter (1997) berichteten von 5 Patienten mit Straddling-Phänomen der AV-Klappen, bei denen während der biventrikulären Korrekktur die Technik der Chordaetranslokation und -neuordnung Anwendung fand. Kein Patient verstarb, jedoch entwickelten 3 einen totalen AV-Block, der notwendigerweise die Implantation eines permanenten Schrittmachers zur Folge hatte. Für Patienten mit dem Typ A des Straddling-Phänomens und ohne Überreiten liegen deutlich günstigere Ergebnisse vor (Aeba et al. 2000; Niinami et al. 1995).
b . Abb. 10.87a, b. a Chirurgische Technik für das intraoperative Management einer Trikuspidalklappe mit Straddling-Phänomen bei Transposition der großen Gefäße. Die Chordae des Papillarmuskels werden mit einem Haken, der durch die native Aortenklappe geführt wird, zum rechten Ventrikel gezogen. Der Ventrikelseptumdefekt wird entweder durch die native Aortenklappe hindurch oder durch die Pulmonalarterie in üblicher Weise verschlossen. Gelegentlich besteht die Notwendigkeit, den Eingriff durch das rechte Atrium hindurch zu vervollständigen. b Chirurgische Technik für die intraoperative Handhabung einer Mitralklappe mit Straddling-Phänomen bei Transposition der großen Gefäße. Die Chordae des Papillarmuskels werden mit einem Haken durch die Pulmonalarterie zum linken Ventrikel gezogen. Der Ventrikelseptumdefekt wird dann durch die native Aortenklappe oder über eine Rechtsventrikulotomie verschlossen. Gelegentlich ist es notwendig, den Eingriff durch den rechten Vorhof hindurch zu komplettieren. Nach Serraf et al. (1996)
319 Literatur
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10
11
11 Funktionell singulärer Ventrikel und Fontan-Operation R. Lange, J. Hörer 11.1
Hintergrund – 331
11.2
Nomenklatur und Klassifikation – 332
11.3 11.3.1
Anatomie – 332 Herzen mit »double-inlet«-atrioventrikulärer Verbindung – 332 Herzen mit Fehlen einer atrioventrikulären Verbindung – 333 Funktionell singulärer Ventrikel bei Herzen mit gemeinsamer atrioventrikulärer Verbindung und nur einem normal entwickelten Ventrikel – 335 Funktionell singulärer Ventrikel bei Heterotaxiesyndrom und nur einem normal entwickelten Ventrikel – 335
11.3.2 11.3.3
11.3.4
11.4
Natürlicher Verlauf
11.5
Entwicklung der chirurgischen Therapie des funktionell singulären Ventrikels – 337 Palliativoperationen – 337 Septierung des funktionell singulären Ventrikels – 337 Kavopulmonale Anastomose – 337 Fontan-Operationen und Modifikationen – 337 Stufentherapie zur Komplettierung der Fontan-Zirkulation – 339
11.5.1 11.5.2 11.5.3 11.5.4 11.5.5
11.1
– 336
Hintergrund
Die Behandlung von Neugeborenen und Kleinkindern, bei denen keine 2 gut entwickelten Ventrikel vorhanden sind, gehört im Bereich der chirurgischen und medikamentösen Therapie kongenitaler Herzfehler zu den anspruchsvollsten Aufgaben. Darüber hinaus ist die Klassifizierung dieser Herzfehler schwierig, da es eine Vielzahl angeborener Herzfehler gibt, die mit einem hypoplastischen Ventrikel vergesellschaftet sein können. Die häufig verwendeten Begriffe »singulärer Ventrikel« und »univentrikuläres Herz« sind unpräzise und meist falsch, da diese Herzen in sehr seltenen Fällen tatsächlich nur aus einem Ventrikel bestehen. In den meisten Fällen finden sich ein gut entwickelter sowie ein
11.6
Indikationen zur definitiven Palliation im Sinne einer Fontan-Zirkulation – 340
11.7 11.7.1
11.7.4 11.7.5
Operationstechniken – 340 Stufe-I-Palliation: Kontrolle der Lungendurchblutung – 340 Stufe-II-Palliation: Verbesserung der Effizienz der komplett gemischten Zirkulation – 343 Stufe-III-Palliation: Komplettierung der Fontan-Zirkulation – 347 Spezielle Operationstechniken – 350 Kontroverse Therapiestrategien – 352
11.8 11.8.1 11.8.2 11.8.3 11.8.4 11.8.5 11.8.6 11.8.7
Ergebnisse – 355 Letalität – 355 Funktionsstatus – 356 Neurologischer Status – 356 Thromboembolische Komplikationen Rhythmusstörungen – 357 Proteinverlustenteropathie – 357 Re-Operationen – 357
11.9
Zusammenfassung
11.7.2
11.7.3
Literatur
– 356
– 358
– 358
hypoplastischer, unvollständiger oder rudimentärer Ventrikel. Daher hat sich in jüngster Zeit der Begriff »funktionell singulärer Ventrikel« für alle angeborenen Herzfehler, bei denen keine Trennung der Ventrikel durchgeführt werden kann, durchgesetzt. Im Blutkreislauf mit einem funktionell singulären Ventrikel sind System- und Pulmonalzirkulation im Gegensatz zur Anordnung in Serie in einem normalen Kreislauf parallel angeordnet. Ohne chirurgische Intervention führt dies zu einer extrem ungünstigen Prognose. Die Entwicklung chirurgischer Behandlungsstrategien, die eine Trennung der Kreisläufe vorsehen, hat zu einer dramatischen Verbesserung der Lebenserwartung und der Lebensqualität dieser Patienten geführt.
332
Kapitel 11 · Funktionell singulärer Ventrikel und Fontan-Operation
11.2
11
Nomenklatur und Klassifikation
Die bereits erwähnten, nicht mehr zu verwendenden obsoleten Begriffe »singulärer Ventrikel« und »univentrikuläres Herz« sind historisch und wurden durch Abbott (1936), Taussig (1939), Edwards (1960) und Lev (1953) geprägt. Heute werden die meisten Herzfehler mit dem Begriff »funktionell singulärer Ventrikel« nach van Praaghs »Segmental anatomy approach« (van Praagh et al. 1979) oder nach Andersons »System of sequential chamber localisation« (Anderson et al. 1975) beschrieben. Zwischen beiden Nomenklaturen gibt es jedoch fundamentale Unterschiede. Nach van Praagh ist ein singulärer Ventrikel mit der Mitral-, der Trikuspidalklappe oder einer gemeinsamen Atrioventrikularklappe mit den Vorhöfen konnektiert. Diese Nomenklatur schließt demzufolge die Trikuspidalatresie und die Mitralatresie von den Herzfehlern mit funktionell singulärem Ventrikel aus. Andersons Nomenklatur bezieht sich ebenfalls auf die atrioventrikuläre Verbindung. Demnach wird ein singulärer Ventrikel dadurch definiert, dass die gesamte atrioventrikuläre Verbindung mit nur einem Ventrikel konnektiert ist. Falls ein zweiter Ventrikel vorhanden ist, fehlt diesem die atrioventrikuläre Verbindung, und er ist rudimentär. Daher kann der funktionell singuläre Ventrikel nach Anderson auch als »univentrikuläre atrioventrikuläre Verbindung« bezeichnet werden. Der Chirurg benötigt eine strukturierte Nomenklatur, die alle kongenitalen Vitien mit funktionell singulärem Ventrikel abbildet und zudem alle begleitenden Fehlbildungen erfasst, die für die Planung der chirurgischen Therapie – die bei diesen Herzfehlern häufig aus mehreren Operationen besteht – bekannt sein müssen. Vor Kurzem wurde ein solcher Konsens im Rahmen des Society of Thoracic Surgeons International Congenital Heart Surgery Database Project gefunden (Jacobs u. Mayer 2000).
Demzufolge sind unter dem Begriff »funktionell singulärer Ventrikel« folgende Herzfehler subsumiert: 4 Herzen mit »double-inlet«-atrioventrikulärer Verbindung, 4 Herzen mit Fehlen einer atrioventrikulären Verbindung, 4 Herzen mit gemeinsamer atrioventrikulärer Verbindung und nur einem normal entwickelten Ventrikel, 4 Herzen mit nur einem normal entwickelten Ventrikel in Verbindung mit einem Heterotaxiesyndrom, 4 sehr seltene Herzfehler, die nicht nach den oben erwähnten Kategorien klassifiziert werden können. Die Gemeinsamkeit aller dieser Herzen besteht in der Physiologie eines funktionell singulären Ventrikels, unabhängig von der speziellen Morphologie. Liegt eine solche Physiologie vor, ist es unmöglich oder in den meisten Fällen zumindest nicht ratsam, eine biventrikuläre Korrektur durchzuführen. Die Operationstechnik der univentrikulären Palliation, die bei Herzen mit der Physiologie eines funktionell
singulären Ventrikels zur Trennung der Kreisläufe führt, wird in ihren wesentlichen Punkten bei allen Patienten ungeachtet der speziellen Morphologie angewendet. Daher werden alle Operationen, die im Rahmen dieser univentrikulären Palliation notwendig sind, in diesem Kapitel abgehandelt. Nach der Erstbeschreibung durch Fontan et al. (1971) werden die Operationen, mit denen eine Trennung der Kreisläufe erreicht wird, Fontan-Operationen genannt, und der daraus resultierende Kreislauf mit nur einer Pumpkammer wird als Fontan-Zirkulation bezeichnet.
11.3
Anatomie
11.3.1 Herzen mit »double-inlet«-atrioventriku-
lärer Verbindung Eine »double-inlet«-atrioventrikuläre Konnektion besteht dann, wenn beide Vorhöfe mit nur einem Ventrikel entweder über 2 separate oder über eine gemeinsame Atrioventrikularklappe konnektiert sind. In den meisten Fällen sind die Vorhöfe mit einem normal entwickelten Ventrikel verbunden. Gewöhnlich ist ein zweiter rudimentärer und hypoplastischer Ventrikel vorhanden. In sehr seltenen Fällen existiert nur ein Ventrikel. Der hypoplastische Ventrikel kann entweder keine atrioventrikuläre Konnektion besitzen oder eine der beiden Atrioventrikularklappen oder die gemeinsame Atrioventrikularklappe öffnet sich teilweise im Sinne eines Überreitens in den hypoplastischen Ventrikel. Man spricht von einem »Double-inlet«-Ventrikel, wenn >50 % der überreitenden Klappe über dem dominanten Ventrikel liegen. Der dominante Ventrikel kann die Morphologie eines rechten oder eines linken Ventrikels besitzen. In sehr seltenen Fällen ist die Morphologie nicht zuzuordnen. Die Größe des dominanten Ventrikels korreliert mit dem pulmonalen Blutfluss. Besteht eine Pulmonalstenose, ist der Ventrikel im Vergleich zu Herzen mit nichtrestriktivem pulmonalen Blutfluss kleiner (Shimazaki et al. 1980). Die Morphologie des rudimentären Ventrikels entspricht immer derjenigen des komplementären Ventrikels. Meist fehlt ihm der Anteil im Bereich des Einlasses. In manchen Fällen fehlt auch der Auslass, und der Ventrikel besteht nur aus dem trabekularisierten Anteil. Der hypoplastische Ventrikel ist über ein bulboventrikuläres Foramen mit dem dominanten Ventrikel konnektiert. Der Situs der Vorhöfe ist variabel. Bei Herzen mit »double inlet« in den linken Ventrikel besteht meist eine normale Lage der Vorhöfe, wohingegen nur bei der Hälfte der Herzen mit »double inlet« in den rechten Ventrikel eine normale Vorhoflage vorliegt. Bei der anderen Hälfte liegt ein Isomerismus der (meist rechten) Vorhöfe vor. Gewöhnlich bestehen 2 atrioventrikuläre Klappen, die sich beide in den dominanten Ventrikel öffnen. Morphologisch handelt es sich dabei meist nicht um eine Trikuspidal-
333 11.3 · Anatomie
bzw. Mitralklappe. Deshalb ist es ratsam, die Klappen als linke und rechte Atrioventrikularklappe zu bezeichnen (Restivo et al. 1982). In seltenen Fällen gibt es eine gemeinsame atrioventrikuläre Klappe, die meist eine höhergradige Insuffizienz aufweist (Soto et al. 1979). Bei etwa 20 % der Patienten überreitet eine der Klappen das Ventrikelseptum, und ein Teil der Chordae dieser Klappe zieht durch die interventrikuläre Kommunikation, was als Straddling bezeichnet wird.
11.3.2
Herzen mit Fehlen einer atrioventrikulären Verbindung
11.3.2.1
Trikuspidalatresie
Der Terminus »Trikuspidalatresie« bezieht sich auf Herzen mit fehlender rechter atrioventrikulärer Konnektion. Folglich besteht eine univentrikuläre atrioventrikuläre Konnektion, die aus einer linken Atrioventrikularklappe zwischen linkem Vorhof und linkem Ventrikel besteht. In allen Fällen liegt ein Atriumseptumdefekt vor, zumindest ein großes, nichtrestriktives offenes Foramen ovale. In den meisten Fällen besteht ein bulboventrikuläres Foramen. Die ventrikuloarterielle Konnektion kann konkordant oder diskordant sein. Die Trikuspidalatresie wurde erstmals von Kühne im Jahre 1906 als Atresie des Ostium venosum dextrum beschrieben. Kühne nahm auch eine erste Einteilung der 2 Grundformen vor. Es folgten weitere Differenzierungen der Nomenklatur, und zwar 1949 von Edwards und Burchell, 1958 von Keith et al. und 1974 von Tandon und Edwards. Das klinische Bild wurde 1933 von Bellet und Steward sowie 1936 von Taussig beschrieben. In den meisten Fällen fehlt die Trikuspidalklappe vollständig, und der Boden des rechten Vorhofs besteht aus Muskelgewebe (Anderson et al. 1977). Seltener liegt eine membranöse Atresie vor, wobei 3 Gruppen unterschieden werden können. Als »tricuspid atresia with imperforate valve membrane« bezeichnet man die erste Gruppe, bei der sich eine undurchlässige, klappenartige Membran findet, bei der ventrikelseitig auch Chordae vorhanden sein können (Anderson u. Rigby 1987). Bei der zweiten Gruppe besteht eine Ebstein-artige Malformation der Trikuspidalklappe, deren Segel komplett fusioniert sind (Anderson et al. 1977). Bei der dritten, seltensten Gruppe findet man einen kompletten atrioventrikulären Septumdefekt, bei dem sich der rechtsseitige Atrioventrikularklappenanteil nicht in den rechten Ventrikel öffnet (Ottenkamp u. Wenink 1989). Bei der Trikuspidalatresie kann der rechte Vorhof etwas dilatiert sein, seine Wand ist meist verdickt. Der Atriumseptumdefekt, welcher in den häufigsten Fällen vom Sekundumtyp ist, stellt den einzigen Auslass aus dem rechten Vorhof dar. Der linke Vorhof ist aufgrund des intraatrialen Shunts dilatiert, zeigt aber eine normale Morphologie.
Die Mitralklappe ist, wie auch der linke Ventrikel, größer als normal. Der linke Ventrikel ist als Folge der Volumenbelastung hypertrophiert. Der rechte Ventrikel ist mit dem linken Ventrikel über ein bulboventrikuläres Foramen verbunden, dessen Ränder ausschließlich muskulär sind. Da der rechte Ventrikel keinen Einlassanteil besitzt, ist er rudimentär. Die Größe des trabekularisierten Anteils und des Auslassanteils ist von der Größe des bulboventrikulären Foramens und von der Art der ventrikuloarteriellen Konnektion abhängig. Gewöhnlich besteht ein normales Muster der Koronararterien. Die systemvenöse Konnektion ist ebenfalls meist normal, abgesehen von einer links persistierenden oberen Hohlvene, die sich in bis zu 15 % der Fälle findet. Die Position des Sinusknotens ist normal, der AV-Knoten liegt rechts des zentralen Bindegewebekörpers. Der Verlauf des ventrikulären Reizleitungssystems hängt von der Lage des bulboventrikulären Foramens ab, meist verläuft es jedoch posterior und inferior des Defekts. Nach der Art der ventrikuloarteriellen Konnektion lassen sich 2 morphologische Hauptgruppen unterscheiden: ventrikuloarterielle Konkordanz (normale Stellung der großen Gefäße) und ventrikuloarterielle Diskordanz (Transpositionsstellung der großen Gefäße) (Rosenthal u. Dick 1983). Nach der Größe des bulboventrikulären Foramens und der Art sowie dem Grad einer Pulmonalstenose können jeweils 3 Untergruppen gebildet werden: 4 Gruppe I (ventrikuloarterielle Konkordanz; 60–70 % der Fälle): 5 Ia: kein bulboventrikuläres Foramen und Pulmonalatresie; 5 Ib: restriktives bulboventrikuläres Foramen und/ oder Pulmonalstenose; 5 Ic: nichtrestriktives bulboventrikuläres Foramen, keine Pulmonalstenose; 4 Gruppe II (ventrikuloarterielle Diskordanz; 30–40 % der Fälle; Annecchino et al. 1980; Edwards u. Burchell 1949): 5 IIa: bulboventrikuläres Foramen und Pulmonalatresie; 5 IIb: bulboventrikuläres Foramen und Pulmonalstenose; 5 IIc: bulboventrikuläres Foramen, keine Pulmonalstenose. Selten besteht ein »double outlet« aus dem rechten oder linken Ventrikel (Anderson et al. 1977). Andere Varianten sind noch seltener, sodass etwa 80 % der Patienten den beiden genannten Gruppen zugeordnet werden können (Anderson u. Rigby 1987; Forrest et al. 1987). . Abbildung 11.1 veranschaulicht die Klassifikation nach Edwards und Burchell (1949) in der vereinfachten Beschreibung von Rosenthal und Dick (1983).
11
334
Kapitel 11 · Funktionell singulärer Ventrikel und Fontan-Operation
11 . Abb. 11.1. Die häufigsten Formen der Trikuspidalatresie in der vereinfachten Einteilung nach Rosenthal und Dick (1983). Beschreibung im Text
11.3.2.2
Mitralatresie
Analog dem Fehlen einer rechten atrioventrikulären Konnektion kann auch eine fehlende linksseitige atrioventrikuläre Konnektion mit einer Vielzahl unterschiedlicher assoziierter Herzfehler vergesellschaftet sein. Das klassische Beispiel der Mitralatresie ist ein funktionell singulärer Ventrikel von morphologisch rechtsventrikulärem Typ mit einer fehlenden linksseitigen atrioventrikulären Konnektion. Wie bei der Trikuspidalatresie kann die Atresie durch eine undurchlässige Klappe bedingt sein, bei der sich noch Chordae identifizieren lassen. Häufiger jedoch besteht eine Membran aus fibrösem Fettgewebe (Thiene et al. 1981). Liegen eine Mitral- und eine Aortenatresie vor, wird eine solche Morphologie dem Komplex des hypoplastischen Linksherzsyndroms zugeordnet. Dies gilt im erweiterten Sinne auch für Kombinationen aus Mitralatresie oder -stenose und Aortenatresie oder -stenose. Dabei sind die Übergänge fließend, weshalb von der Physiologie eines hypoplastischen Linksherzsyndroms immer dann gesprochen werden sollte, wenn keine biventrikuläre Korrektur mög-
lich ist und eine definitive Palliation im Sinne einer FontanZirkulation angestrebt werden muss (Kouchoukos et al. 2003a). Meist bestehen bei diesen Herzen eine normale Vorhoflage, ein d-Loop der Ventrikel, ein dominanter rechter Ventrikel, welcher über eine Trikuspidalklappe mit dem rechten Vorhof konnektiert ist, und ein links posterior liegender hypoplastischer linker Ventrikel. Existiert eine Verbindung zwischen dem dominanten und dem hypoplastischen Ventrikel und liegt eine ventrikuloarterielle Konkordanz vor, bestimmt die Größe dieses bulboventrikulären Foramens die Dimensionen der Aorta ascendens und des Aortenbogens. Ist dieses Foramen restriktiv, sind die Aorta ascendens und der Aortenbogen ebenfalls hypoplastisch. In manchen Fällen findet sich eine Aortenisthmusstenose, in seltenen Fällen ein unterbrochener Aortenbogen (Jacobs 2003). Eine Mitralatresie mit ventrikuloarterieller Diskordanz wurde ebenfalls beschrieben, kommt jedoch sehr selten vor. Häufiger sind Formen mit »double outlet« aus dem rechten
335 11.3 · Anatomie
Ventrikel. In diesen Fällen ist der hypoplastische linke Ventrikel eine Blindkammer, die nur mit dem rechten Ventrikel konnektiert ist (Jacobs 2003).
11.3.3 Funktionell singulärer Ventrikel
bei Herzen mit gemeinsamer atrioventrikulärer Verbindung und nur einem normal entwickelten Ventrikel Darunter versteht man eine seltene Untergruppe der Endokardkissendefekte, bei der ein Ventrikel dominant und der andere hypoplastisch ist. Der hypoplastische Ventrikel ist – anders als die anderen in diesem Kapitel beschriebenen hypoplastischen Ventrikel – nicht rudimentär, da er auch einen Einlassanteil besitzt. Er ist jedoch hypoplastisch, da der Blutfluss durch die gemeinsame Atrioventrikularklappe präferenziell auf den dominanten Ventrikel gerichtet ist. Die zugrunde liegende Anatomie besteht also in einer Unausgewogenheit der Atrioventrikularklappe bezüglich der beiden Ventrikel. Dabei bestimmt das Ausmaß dieser Unausgewogenheit den Grad der Hypoplasie bzw. Dominanz der Ventrikel. Bei der rechtsdominanten Form der gemeinsamen atrioventrikulären Verbindung ist der rechte Ventrikel groß, der linke ist kleiner als üblich, und der atrioventrikuläre Blutfluss ist durch eine Rechtsverlagerung der gemeinsamen Atrioventrikularklappe präferenziell in den rechten Ventrikel gerichtet. Bei der linksdominanten Form ist der linke Ventrikel groß, der rechte ist kleiner als üblich, und der atrioventrikuläre Blutfluss ist durch eine Linksverlagerung der gemeinsamen Atrioventrikularklappe präferenziell in den linken Ventrikel gerichtet. Bei dieser Form ist die rechtsventrikuläre Hypoplasie offensichtlich. Bei der rechtsdominanten Form kann es schwierig sein, eine echte Dominanz des rechten Ventrikels und eine Hypoplasie des linken Ventrikels von der häufig vorkommenden flussbedingten Vergrößerung des rechten Ventrikels bei einem balancierten atrioventrikulären Septumdefekt zu unterscheiden (Jacobs 2003). Für die Festlegung der chirurgischen Therapie in Hinblick auf eine biventrikuläre Korrektur oder eine definitive Palliation ist es von großer Bedeutung, den Grad der Hypoplasie des kleineren Ventrikels bestimmen zu können. Als nützlich hat sich in diesem Zusammenhang der Atrioventrikularklappenindex erwiesen, wie er von Cohen et al. (1996) vorgeschlagen wurde. In Verbindung mit der rechtsdominanten Form der gemeinsamen atrioventrikulären Verbindung findet man häufig eine Hypoplasie des Aortenbogens oder eine Aortenisthmusstenose und eine prominente Pulmonalarterie. Demgegenüber ist der Aortenbogen bei der linksdominanten Form unauffällig, und die Pulmonalarterie ist normal entwickelt (Jacobs 2003).
11.3.4 Funktionell singulärer Ventrikel
bei Heterotaxiesyndrom und nur einem normal entwickelten Ventrikel Beim Heterotaxiesyndrom besteht eine besondere Anordnung der Thorax- und Abdominalorgane, die sich dadurch auszeichnet, dass die unpaaren Organe tendenziell in der Mittellinie und die paarweise vorhanden Organe wie z. B. die Lungenflügel oder Organteile wie z. B. die Vorhöfe spiegelbildlich angeordnet sind. Demzufolge sprechen Wilcox et al. (2004) von einem Isomerismus der Vorhöfe (genauer: der Herzohren). Da bei Isomerismus der rechten Vorhöfe, auch als »Rechtsisomerismus« bezeichnet, typischerweise keine Milz vorhanden ist, wohingegen bei Isomerismus der linken Vorhöfe, auch »Linksisomerismus« genannt, typischerweise eine Polysplenie besteht, sind auch die Begriffe Asplenie und Polysplenie gebräuchlich (Van Mirop u. Wiglesworth 1962; Wilcox et al. 2004). Bei den meisten Patienten mit Heterotaxiesyndrom findet sich ein funktionell singulärer Ventrikel. Zusätzlich bestehen Anomalien des systemvenösen und pulmonalvenösen Rückflusses. Die intrakardiale Anatomie zeichnet sich häufig durch Endokardkissendefekte und Pulmonalstenosen aus. Mehr als die Hälfte der Patienten mit Rechtsisomerismus haben einen funktionell singulären Ventrikel. Typischerweise finden sich ein dominanter rechter Ventrikel (42 %) mit doppeltem Auslass aus dem rechten Ventrikel (82 %), eine Pulmonalstenose oder -atresie (96 %), bilaterale obere Hohlvenen (71 %) und eine gemeinsame atrioventrikuläre Klappe (93 %). Es liegen bilaterale Sinusknoten vor. Koronarsinus fehlen. Häufig besteht eine totale Lungenvenenfehlmündung (Rubino et al. 1995). Die untere Hohlvene und die Lebervenen sind separat mit den Vorhöfen verbunden. Beide Lungenflügel bestehen aus 3 Lungenlappen (Jacobs 2003). Weniger als die Hälfte der Patienten mit Linksisomerismus haben einen funktionell singulären Ventrikel. Zwei Drittel davon weisen einen dominanten rechten Ventrikel auf, seltener ist die Ventrikelmorphologie nicht zuzuordnen, und es gibt keine rudimentäre Kammer. Häufig finden sich bilaterale obere Hohlvenen und eine infrahepatisch unterbrochene untere Hohlvene mit Azygoskontinuität (80 %). Die Lebervenen münden oft bilateral in die Vorhöfe, die Lungenvenen meist in den rechts liegenden Vorhof. Verglichen mit Herzen mit Rechtsisomerismus besteht seltener eine Pulmonalatresie. Der Sinuskonten kann eine abnorme Lage haben oder völlig fehlen. Beide Lungenflügel bestehen aus 2 Lungenlappen (Jacobs 2003). Herzfehler, bei denen weder eine Atresie einer atrioventrikulären Konnektion noch ein »double inlet« in einen Ventrikel oder ein Überreiten der Atrioventrikularklappe bei einem kompletten atrioventrikulären Septumdefekt vorliegt und bei denen dennoch ein hypoplastischer oder rudimentären Ventrikel besteht, werden streng genommen
11
336
Kapitel 11 · Funktionell singulärer Ventrikel und Fontan-Operation
nicht als funktionell singulärer Ventrikel bezeichnet. Trotzdem kann es die zugrunde liegende Anatomie unmöglich machen, eine biventrikuläre Korrektur zu erreichen, sodass prinzipiell die gleichen chirurgischen Strategien zur Anwendung kommen müssen, wie sie bei den klassischen Formen des funktionell singulären Ventrikels durchgeführt werden. Zu diesen Herzfehlern zählen Extremformen der Ebstein-Anomalie der Trikuspidalklappe, Extremformen der Pulmonalatresie mit intaktem Ventrikelseptum, die isolierte Trikuspidalklappenstenose mit intaktem Ventrikelseptum und die isolierte Hypoplasie des rechtsventrikulären Myokards (Uhl-Erkrankung; Uhl 1952).
11.4
11
Natürlicher Verlauf
Unter den funktionell singulären Ventrikeln sind solche mit Trikuspidalatresie am häufigsten. Damit kommt die Trikuspidalatresie mit einer Häufigkeit von 1–3 % aller kongenitalen Herzfehler vor (Kouchoukos et al. 2003a). Der frühe natürliche Verlauf ist in erster Linie vom Vorhandensein bzw. dem Grad einer restriktiven Lungendurchblutung (Pulmonalstenose, restriktives bulboventrikuläres Foramen) abhängig. Im weiteren Verlauf kommt der Kardiomyopathie, die sich als Folge der Volumenbelastung des funktionell singulären Ventrikels entwickelt, eine entscheidende Bedeutung zu. Gegenwärtig ist es nicht mehr möglich, sichere Aussagen über den natürlichen Verlauf von Patienten mit funktionell singulärem Ventrikel zu treffen, da die Lebenserwartung seit der Einführung palliativer chirurgischer Interventionen, die den pulmonalen Blutfluss kontrollieren, deutlich angestiegen ist. Moodie et al. (1984) berichteten über eine Letalität von 50 % 14 Jahre nach der Diagnosestellung eines funktionell singulären Ventrikels, wenn keine chirurgische Therapie erfolgte. Die Haupttodesursachen waren eine terminale Herzinsuffizienz und Rhythmusstörungen. In einer Gruppe von Patienten mit »double inlet« in den linken Ventrikel, in der bei einigen Patienten eine Palliativoperation, jedoch in keinem Fall eine definitive Trennung der Kreisläufe durchgeführt wurde, stellten Franklin et al. (1991) eine Überlebenswahrscheinlichkeit von 42 % nach 10 Jahren fest. Die Kombination einer Atresie der linken Atrioventrikularklappe mit einer restriktiven interatrialen Kommunikation nimmt aufgrund der Obstruktion des pulmonalvenösen Rückflusses einen besonders ungünstigen Verlauf. Diese Kinder versterben häufig innerhalb der ersten Tage nach der Geburt an einer Azidose als Folge der Hypoxie (Jacobs 2003). Eine der wichtigsten morphologischen Letalitätsrisiken ist das Vorhandensein einer Stenose im Bereich der Ausflussbahn in die Aorta. Dies kommt immer dann gehäuft vor, wenn die Aorta mit dem hypoplastischen Ventrikel konnektiert ist. Das morphologische Substrat ist das res-
triktive bulboventrikuläre Foramen, über welches das gesamte Herzzeitvolumen des Systemkreisaufs fließen muss. Wenn diese Kommunikation bereits pränatal restriktiv ist, findet sich häufig eine Hypoplasie des Aortenbogens, eine Aortenisthmusstenose oder sogar ein unterbrochener Aortenbogen. Ein restriktiver Fluss über das bulboventrikuläre Foramen bei neonatal zunächst nicht restriktivem Fluss kann aber auch im Verlauf durch eine Verengung der interventrikulären Kommunikation entstehen (Rao 1983). In diesem Zusammenhang ist es von Bedeutung, dass eine Bändelung der Pulmonalarterie diese Entwicklung begünstigen kann (Freedom et al. 1986). Donofrio et al. (1995) konnten zeigen, dass alle palliativen Strategien, die zu einer Volumenentlastung des funktionell singulären Ventrikels führen, die Ventrikelgeometrie verändern. Es kommt zu einer Verschiebung des Masse-Volumen-Verhältnisses, zu einer Erhöhung der Wanddicke und damit zu einer Verkleinerung des bulboventrikulären Foramens. Bei Patienten mit Trikuspidalatresie ist der natürliche Verlauf sehr variabel und wie bei den anderen Formen des funktionell singulären Ventrikels von der Lungendurchblutung abhängig. Bei ventrikuloarterieller Konkordanz besteht meist ein limitierter pulmonaler Blutfluss durch ein restriktives bulboventrikuläres Foramen oder auch durch eine Infundibulumstenose. Da sich das bulboventrikuläre Foramen weiter verengt und dadurch der pulmonale Blutfluss weiter abnimmt, versterben 90 % der nicht chirurgisch behandelten Patienten innerhalb des ersten Lebensjahres an einer Hypoxämie (Rao 1977). In seltenen Fällen besteht eine balancierte Hämodynamik ohne exzessiven Lungenfluss und mit nur milder Zyanose. Allerdings versterben auch 90 % dieser Patienten durch die Entwicklung einer Pulmonalstenose innerhalb der ersten 10 Lebensjahre an einer Hypoxämie (Rao 1977, 1983). Die wenigen Patienten, die bis in die 2. und 3. Lebensdekade hinein überleben, versterben an einer chronisch-obstruktiven pulmonalen Vaskulopathie oder aufgrund der hohen Volumenbelastung des linken Ventrikels an einer Herzinsuffizienz. Patienten mit Trikuspidalatresie und diskordanter ventrikuloarterieller Konnektion haben i. A. eine schlechtere Prognose. Der nichtrestriktive Lungenfluss führt innerhalb des ersten Lebensjahres aufgrund einer Herzinsuffizienz zum Tod. Das Vorhandensein einer Subaortenstenose verschlechtert die Prognose, da sich dadurch der pulmonale Blutfluss weiter erhöht und gleichzeitig der Blutfluss des Systemkreislaufs abnimmt. Bei Patienten mit hypoplastischem Aortenbogen oder Aortenisthmusstenose ist der Systemkreislauf duktusabhängig. Die Mehrzahl dieser Patienten versterben innerhalb weniger Wochen nach der Geburt, wenn sich der Ductus arteriosus verschließt (Kouchoukos et al. 2003b). Schließlich wird der natürliche Verlauf von Patienten mit funktionell singulärem Ventrikel auch durch das Vorhandensein einer totalen Lungenvenenfehlmündung bestimmt. Eine abnorme Konnektion der Lungenvenen kann
337 11.5 · Entwicklung der chirurgischen Therapie des funktionell singulären Ventrikels
bei allen Patienten mit funktionell singulärem Ventrikel vorkommen, am häufigsten jedoch bei Patienten mit »Rechtsisomerismus«. Hier ist der natürliche Verlauf nicht nur vom Grad der Restriktion des antegraden Flusses aus dem funktionell singulären Ventrikel in die Pulmonalarterie abhängig, sondern auch vom Vorhandensein und dem Grad einer pulmonalvenösen Stenose. Insgesamt ist die Frühletalität dieser Kinder auch nach chirurgischer Intervention mit 44 % nach 6 Monaten sehr hoch (Gaynor et al. 1999).
11.5
Entwicklung der chirurgischen Therapie des funktionell singulären Ventrikels
11.5.1 Palliativoperationen
Schon bald nach der Einführung von Shunt-Operationen zwischen System- und Lungenkreislauf im Jahre 1944 durch Blalock und Taussig (Blalock u. Taussig 1945) und der Erstbeschreibung der Bändelung (Banding) der Pulmonalarterie im Jahre 1952 durch Muller und Dammann wurden diese Palliativeingriffe genutzt, um bei Patienten mit Trikuspidalatresie entweder eine Zyanose oder eine Herzinsuffizienz als Folge einer unbalancierter Kreislaufsituation zu behandeln. Natürlich wurden diese Palliativoperationen damals nicht im Rahmen einer Stufentherapie mit dem Ziel einer definitiven Palliation durchgeführt, sondern als Maßnahmen, um die Lebenserwartung und die Lebensqualität von Kindern zu verbessern, die entweder unter einer Zyanose oder einer Herzinsuffizienz litten.
11.5.2 Septierung des funktionell singulären
Ventrikels Die Septierung eines funktionell singulären Ventrikels hat das Ziel, die Ventrikel zu trennen und so eine separate subaortale und subpulmonale Pumpkammer zu schaffen. Die ersten veröffentlichten Operationstechniken aus den 1970er Jahren beinhalteten sämtlich eine Ventrikulotomie (Edie et al. 1973; Sakakibara et al. 1972). Doty et al. beschrieben im Jahre 1979 erstmals den transatrialen Zugang für eine Septierung. Allerdings lag die Krankenhausletalität bei nahezu 50 % (McKay et al. 1982). Als Risikofaktoren wurden ein restriktives bulboventrikuläres Foramen und ein kleiner Ventrikel identifiziert. Durch die Anlage eines Shunts zwischen System- und Pulmonalkreislauf versprach man sich ein Wachstum des hypoplastischen Ventrikels. Trotzdem blieb die Frühsterblichkeit hoch (Stefanelli et al. 1984). Strenge Selektionskriterien für eine Septierung schließen die meisten Patienten mit funktionell singulärem Ventrikel von dieser Therapieoption aus. Zu diesen Kriterien zählen die Morphologie und die Funktion der Atrioventrikularklappen und des hypoplastischen Ventrikels sowie das Vor-
handensein und der Grad einer Subaortenstenose wie auch das Vorhandensein und der Grad einer Pulmonalstenose (Pacifico et al. 1985). Obwohl Ebert (1984) mit einer zweizeitigen Strategie der Septierung (temporärer Ventrikelseptumdefekt) Erfolge erzielen konnte, bleibt die Indikation für die Septierungsoperation limitiert. Die Ergebnisse der Septierungsoperation muss man mit denen der definitiven Palliationen im Sinne einer Fontan-Zirkulation vergleichen, bei der seit Einführung der Fontan-Operation im Jahre 1968 enorme Verbesserungen erzielt werden konnten.
11.5.3 Kavopulmonale Anastomose
Glenn berichtete 1958 von seiner ersten klinischen Durchführung eines Palliativeingriffs in Form einer End-zu-EndAnastomose der oberen Hohlvene mit der distalen rechten Pulmonalarterie (Glenn-Anastomose). Unabhängig davon entwickelten Bakulev und Kolesnikov (1959) in Moskau das gleiche therapeutische Konzept, das Meshalkin als erster am 3. 4. 1956 (7 Kap. 9) klinisch eingesetzt hatte. Die erste bidirektionale Glenn-Anastomose wurde im Jahre 1974 von Azzolina et al. in die klinische Praxis eingeführt und 1984 von Hopkins et al. im Sinne einer End-zu-Seit-Anastomose der oberen Hohlvene mit der nicht durchtrennten rechten Pulmonalarterie weiterentwickelt (Azzolina et al. 1972; Hopkins et al. 1985).
11.5.4 Fontan-Operationen und Modifikationen
Die erste erfolgreiche definitive Palliation eines Patienten mit Trikuspidalatresie im Sinne einer kompletten Trennung des System- und des Lungenkreislaufs wurde von Fontan im Jahre 1968 durchgeführt und 1971 publiziert (Fontan u. Baudet 1971; Fontan et al. 1971). Diese Operation beinhaltete eine Glenn-Anastomose und eine Direktanastomose des rechten Herzohrs mit dem proximalen Ende der durchtrennten rechten Pulmonalarterie. Der Pulmonalisstamm wurde ligiert, der Atriumseptumdefekt verschlossen, und es wurde eine Homograftklappe in das Ostium der unteren Hohlvene implantiert. Bei 2 weiteren Patienten stellte man die Kontinuität zwischen rechtem Vorhof und Pulmonalarterie mit einer Homograftklappe her. Kreutzer et al. veröffentlichten 1973 eine vereinfachte, schon 1970 durchgeführte Operationstechnik, bei der die autologe Pulmonalklappe als Conduit zwischen rechtem Vorhof und Pulmonalarterie zu liegen kommt. Auf eine Glenn-Anastomose mit Durchtrennung der rechten Pulmonalarterie sowie auf eine Klappe in der unteren Hohlvene konnte so verzichtet werden (. Abb. 11.2). Nachfolgend wurde die Fontan-Operation sowohl von Fontan selbst (Fontan et al. 1983) als auch von vielen anderen Autoren weiter modifiziert. Obwohl manche dieser Operationstechniken nicht mehr durchgeführt werden,
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338
Kapitel 11 · Funktionell singulärer Ventrikel und Fontan-Operation
. Abb. 11.2. Atriopulmionale Anastomose nach Kreutzer et al. (1973) mit Interposition der autologen Pulmonalklappe. AOA Aorta ascendens; LA linkes Atrium; LV linker Ventrikel; PA Pulmonalarterie; RA rechtes Atrium; RV rechter Ventrikel; VCI V. cava inferior; VCS V. cava superior
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sollen die häufigsten an dieser Stelle genannt sein, da der Chirurg auch heute noch im Rahmen von Re-Operationen oder Fontan-Konversionen mit Patienten nach solchen Fontan-Modifikationen konfrontiert ist. Bjork et al. beschrieben 1979 eine Direktanastomose des rechten Vorhofs mit dem rechtsventrikulären Ausflusstrakt unter Zuhilfenahme eines Perikardflickens bei Patienten mit normaler Pulmonalklappe (. Abb. 11.3). Die Modifikationen der direkten Anastomose des Vorhofohrs mit der Pulmonalarterie, wie die im Jahre 1981 von Lins et al. beschriebene, waren in den 1980er Jahren jedoch die gebräuchlichsten (. Abb. 11.4). Die Gemeinsamkeit dieser Fontan-Modifikationen besteht jedoch darin, dass sich im Fall der Trikuspidalatresie der gesamte rechte Vorhof in subpulmonaler Position befindet. Dies führt im Langzeitverlauf zur Dilatation des Vorhofs und zur Linksverlagerung des rekonstruierten interatrialen Septums. Die möglichen Folgen sind eine Einflussbehinderung der linken Atrioventrikularklappe und eine Dilatation des rechten Vorhofs mit ungünstiger Flusscharakteristik des Blutes von den Hohlvenen zur Pulmonalarterie mit der Konsequenz von Arrhythmien und Thrombosen. Daher haben einige Chirurgen eine Teilung des rechten Vorhofs entwickelt, durch die der größte Teil des rechten Vorhofs vom kavopulmonalen intraatrialen Fach exkludiert wird. Durch Implantation eines Kunststoffflickens oder durch Einfalten der Vorhofwand analog der
. Abb. 11.3. Direktanastomose des rechten Vorhofs mit dem rechtsventrikulären Ausflusstrakt unter Zuhilfenahme eines Perikardflickens bei Patienten mit normaler Pulmonalklappe nach Bjork et al. (1979). AOA Aorta ascendens; LA linkes Atrium; LV linker Ventrikel; PA Pulmonalarterie; RA rechtes Atrium; RVOT rechtsventrikulärer Ausflusstrakt; VCI V. cava inferior; VCS V. cava superior
. Abb. 11.4. Direkte atriopulmonale Anastomose nach Lins et al. (1981). AOA Aorta ascendens; LA linkes Atrium; LV linker Ventrikel; PA Pulmonalarterie; RA rechtes Atrium; RV rechter Ventrikel; VCI V. cava inferior; VCS V. cava superior
339 11.5 · Entwicklung der chirurgischen Therapie des funktionell singulären Ventrikels
. Abb. 11.5. Intrakardiale totale kavopulmonale Konnektion (lateraler Tunnel). Neo-AO Neoaorta; LA linkes Atrium; LV linker Ventrikel; RA rechtes Atrium; RPA rechte Pulmonalarterie; RV rechter Ventrikel; VCI V. cava inferior; VCS V. cava superior
. Abb. 11.6. Extrakardiale kavopulmonale Konnektion. Neo-AO Neoaorta; LA linkes Atrium; LV linker Ventrikel; RA rechtes Atrium; RPA rechte Pulmonalarterie; RV rechter Ventrikel; VCI V. cava inferior; VCS V. cava superior
Senning-Operation wurde so ein unbehinderter Fluss zur Pulmonalarterie geschaffen (DeLeon et al. 1989; Jonas u. Castaneda 1988; Puga et al. 1987). Der geringere Energieverlust der Strömung in diesem sog. lateralen Tunnel ließ sich von de Leval et al. (1988) mit Hilfe hydrodynamischer Studien in vitro zeigen. Von de Leval wurde auch der Begriff der totalen kavopulmonalen Konnektion für diese Fontan-Modifikation geprägt (. Abb. 11.5). Der logische nächste Schritt bestand demzufolge darin, möglichst vollständig auf Vorhofgewebe zur Konstruktion des kavopulmonalen Tunnels zu verzichten. Dies wurde von Danielson und Norwood durch die Implantation einer Rohrprothese von der unteren Hohlvene zur Pulmonalarterie erreicht (Jacobs 2003). Mit dem Bericht über die Verlagerung dieser Rohrprothese nach extrakardial durch Marcelletti et al. (1990) wurde die erste extrakardiale kavopulmonale Konnektion vorgestellt (. Abb. 11.6). Durch die Modifikationen der intrakardialen und extrakardialen kavopulmonalen Konnektionen war die Komplettierung der Fontan-Zirkulation nun für alle Herzen mit funktionell singulärem Ventrikel anwendbar. Die Fontan-Operation wird als chirurgischer Endpunkt für alle Patienten angesehen, deren intrakardiale Anatomie keine biventrikuläre Korrektur erlaubt. Alle Modifikationen der Fontan-Operation haben zum Ziel, das systemvenöse Blut aus den Hohlvenen und in manchen Modifikationen auch aus dem Koronarsinus passiv in die Lunge zu
leiten und den verbliebenen funktionell singulären Ventrikel als einzige Pumpkammer zu verwenden, der die treibende Kraft für eine in Serie geschaltete System- und Pulmonalzirkulation darstellt. Daher wird in diesem Zusammenhang auch von einer definitiven Palliation gesprochen. Die unterschiedlichen Modifikationen haben jeweils Vorund Nachteile, daher sollen in den folgenden Abschnitten die heute am häufigsten angewandten Techniken vorgestellt werden. Weniger gebräuchliche Operationstechniken, die dennoch ihre speziellen Indikationen haben, sowie kontrovers diskutierte Therapiestrategien werden in den Abschnitten 11.7.4 u. 11.7.5 diskutiert.
11.5.5 Stufentherapie zur Komplettierung
der Fontan-Zirkulation Die meisten Patienten mit funktionell singulärem Ventrikel benötigen innerhalb der ersten Lebenstage eine Palliativoperation, um den pulmonalen Blutfluss zu kontrollieren. Häufig gelang es dadurch, für mehrere Jahre eine balancierte Situation zu erzielen, sodass die Patienten zum Zeitpunkt der Fontan-Operation eine gute Ventrikelfunktion und einen niedrigen Lungengefäßwiderstand aufwiesen. Trotzdem war der postoperative Verlauf nach der FontanOperation häufig von einem erhöhten zentralvenösen Druck, Pleuraergüssen, Aszites und einem »Low-output«-
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Kapitel 11 · Funktionell singulärer Ventrikel und Fontan-Operation
Syndrom gekennzeichnet. Man erkannte, dass die Konversion einer Mischzirkulation zu einer Fontan-Zirkulation zu einer sofortigen Volumenentlastung des Ventrikels führt. Aufgrund der langsameren Regression der Ventrikelmasse ergibt sich jedoch eine systolische und diastolische Funktionsstörung des singulären Ventrikels. Kirklin et al. (1986) konnten in diesem Zusammenhang ein höheres Alter zum Zeitpunkt der Fontan-Operation und eine Hypertrophie des Ventrikels als Letalitätsrisiken identifizieren. Francois et al. (2005) wie auch andere Autoren (Schreiber et al. 2007) konnten zeigen, dass ein jüngeres Alter zum Zeitpunkt der Fontan-Operation zu einer kürzeren Hospitalisation und weniger Pleuraergüssen nach der Operation führt. Dies führte zu der Hypothese, dass es durch die Aufteilung der Fontan-Operation in 2 Eingriffe möglich wäre, die Volumenbelastung des Ventrikels zu verringern und damit eine Hypertrophie zu vermeiden. Daher führten Norwood et al. im Jahre 1989 die Hemi-Fontan-Operation im Sinne einer zweiten Stufe als Zwischenschritt auf dem Weg zur Komplettierung einer Fontan-Zirkulation ein (Norwood u. Jacobs 1993). Physiologisch gesehen entspricht diese Operation einer bidirektionalen Glenn-Anastomose, unterscheidet sich jedoch technisch von dieser, da sie Teil einer Operationsstrategie zur Komplettierung der Fontan-Zirkulation ist. Es wird wie bei der bidirektionalen Glenn-Anastomose eine Verbindung zwischen der oberen Hohlvene und der rechten Pulmonalarterie hergestellt. Die Kontinuität der oberen Hohlvene zum rechten Vorhof wird jedoch belassen und nur durch einen Flicken verschlossen, den man zum Zeitpunkt der Komplettierung entfernt. Durch die Einführung dieses Zwischenschritts ließ sich die Überlebenswahrscheinlichkeit von Patienten mit funktionell singulärem Ventrikel verbessern (Attanavanich et al. 2007). Zum Zeitpunkt der Hemi-Fontan-Operation werden evtl. vorhandene assoziierte Herzfehler wie eine Pulmonalarterienstenose, eine Subaortenstenose oder eine Insuffizienz der Atrioventrikularklappe korrigiert. Ein Pulmonalarterienstamm wird vom Herzen im Klappenniveau abgesetzt. Damit vereinfacht sich die Fontan-Operation, bei der man den Flicken im Ostium der oberen Hohlvene entfernt und die Kontinuität von der unteren Hohlvene zur oberen Hohlvene im Sinne eines lateralen Tunnels herstellt. Einige Chirurgen ziehen die bidirektionale Glenn-Anastomose der Hemi-Fontan-Operation vor. In diesem Fall bietet sich zur Komplettierung die Implantation einer extrakardialen Rohrprothese von der unteren Hohlvene zur rechten Pulmonalarterie an.
11.6
Indikationen zur definitiven Palliation im Sinne einer Fontan-Zirkulation
Die definitive Palliation im Sinne einer Fontan-Operation muss bei allen Patienten in Betracht gezogen werden, bei denen ein funktionell singulärer Ventrikel vorliegt, der über
eine ausreichende Größe und Funktion verfügt, um eine in Serie geschaltete Körper- und Lungenperfusion gewährleisten zu können. Dies ist in der Regel bei Herzen mit fehlender atrioventrikulärer Konnektion, »double inlet« in den dominanten Ventrikel oder unbalanciertem atrioventrikulären Septumdefekt der Fall. Die Fontan-Operation muss auch in manchen Fällen angewendet werden, in denen kein genügend großer zweiter Ventrikel mit ausreichender Funktion für die Lungenperfusion zur Verfügung steht. Dies ist z. B. bei Extremformen der Ebstein-Anomalie der Trikuspidalklappe oder bei der Pulmonalatresie mit intaktem Ventrikelseptum der Fall (Alboliras et al. 1987). Darüber hinaus gibt es Herzfehler, bei denen zwar 2 normal entwickelte Ventrikel vorhanden sind, eine biventrikuläre Korrektur aufgrund einer komplexen Ventrikellage, einer abnormen Gefäßstellung oder multipler Ventrikelseptumdefekte aber dennoch kompliziert ist. In einigen dieser Fälle kann die definitive Palliation im Sinne einer Fontan-Zirkulation verglichen mit einer biventrikulären Korrektur zu besseren Ergebnissen führen (Hraska et al. 2005; Russo et al. 1988).
11.7
Operationstechniken
11.7.1
Stufe-I-Palliation: Kontrolle der Lungendurchblutung
Das Ziel der neonatalen Palliation aller Formen des funktionell singulären Ventrikels besteht in der Balancierung des systemischen und pulmonalen Blutflusses. Darüber hinaus sollten die Voraussetzungen für eine unbehinderte Mischung von system- und pulmonalvenösem Blut auf Vorhofebene geschaffen sowie alle Stenosen im Bereich des Auslasses des funktionell singulären Ventrikels in den Systemkreislauf und im Bereich der Pulmonalarterien beseitigt werden. 11.7.1.1
Systemisch-pulmonalarterieller Shunt
Einen reduzierten Lungenfluss findet man typischerweise bei der Trikuspidalatresie mit konkordanter ventrikuloarterieller Konnektion. Ursache ist eine Pulmonalstenose, eine Infundibulumstenose oder ein restriktives bulboventrikuläres Foramen. In manchen Fällen findet sich auch eine duktusabhängige Lungenperfusion. Bei allen diesen Patienten muss die Lungenperfusion durch die Anlage eines Shunts von der Aorta oder von einem ihrer Äste zur Pulmonalarterie sichergestellt werden. Eine weitere große Gruppe von Patienten mit funktionell singulärem Ventrikel, bei denen die Anlage eines Shunts notwendig ist, sind jene mit Obstruktionen im Bereich des Auslasses in den Systemkreislauf und des Aortenbogens. Um diese Stenosen zu beseitigen, wird der Pulmonalisstamm im Sinne einer modifizierten Norwood-Operation zur Konstruktion einer Neoaorta benutzt. Es besteht demzufolge zwischen dem
341 11.7 · Operationstechniken
. Abb. 11.7a–c. Anlage eines rechtsseitigen modifizierten Blalock- 7 Taussig-Shunts ohne extrakorporale Zirkulation über eine mediane Sternotomie. a Zunächst werden Teile des Thymus reseziert, und der Truncus brachiocephalicus wird bis zur Bifurkation in rechte A. subclavia und rechte A. carotis präpariert. Grundsätzlich kann man die proximale oder die distale Anastomose zuerst anlegen. In dem beschriebenen Fall erfolgt zuerst die Anastomosierung mit der Pulmonalarterie. Die rechte Pulmonalarterie wird partiell ausgeklemmt und längs inzidiert. Die Anastomose mit dem Polytetrafluorethylen-(PTFE-)Rohr wird mit nichtresorbierbarem, monofilem Nahtmaterial der Stärke 7/0 durchgeführt. Dabei führt man die posteriore Zirkumferenz der Anastomose zuerst aus. b Anschließend wird die Klemme von der rechten Pulmonalarterie entfernt und der Shunt okludiert. Dadurch liegt die distale Anastomose torsionsfrei, was die Einschätzung der richtigen Länge des Shunts erleichtert. Die Länge des Shunts ist von entscheidender Bedeutung, da sowohl ein zu langer als auch ein zu kurzer Shunt zu Torsionen und Stenosen der Arterien führen kann. Nach Trimmen der Prothese auf die korrekte Länge wird der Truncus a brachiocephalicus proximal des Abgangs der rechten A. subclavia partiell ausgeklemmt und längs inzidiert. c Die Anastomose mit dem PTFE-Rohr wird mit nichtresorbierbarem, monofilem Nahtmaterial der Stärke 7/0 durchgeführt. Dabei ist besonders auf den Winkel zwischen der Arterie und dem Shunt zu achten. Nach Vervollständigung der Anastomose wird die Klemme von der Arterie entfernt und zuletzt der Ductus arteriosus mit einer nichtresorbierbaren Naht der Stärke 5/0 ligiert
singulären Ventrikel und der Pulmonalarterie keine Kontinuität mehr, was die Notwendigkeit einer Shunt-Anlage zur Folge hat (7 Kap. 15). Als Zugang ist die mediane Sternotomie der Thorakotomie vorzuziehen, da der Zugang zu allen relevanten Strukturen einfacher ist und im Fall einer hämodynamischen Instabilität schnell die Herz-Lungen-Maschine angeschlossen werden kann. Der Shunt kann zentraler platziert werden, um Stenosen der oberen Lungenlappenarterien zu vermeiden, eine zentrale Stenose der Pulmonalarterie lässt sich plastisch erweitern, der Ductus arteriosus kann sicher durchtrennt, und es kann, falls erforderlich, eine Atrioseptektomie durchgeführt werden. Der einzige Nachteil besteht in der Entwicklung von Verwachsungen im Bereich der Ventrikel und der Vorhöfe, die jedoch weniger ausgeprägt sind, wenn man das Perikard nur über den großen Arterien eröffnet.
b
Modifizierter Blalock-Taussig Shunt Zunächst wird zumindest der rechte Thymuslappen, bevorzugt der gesamte Thymus, subtotal reseziert und der Truncus brachiocephalicus bis zur Bifurkation in rechte A. subclavia und rechte A. carotis präpariert. Nach i. v. Gabe von 3 mg Heparin/kg KG wird der Truncus brachiocephalicus proximal des Abgangs der rechten A. subclavia mit einer geeigneten Klemme partiell ausgeklemmt und auf einer Länge entsprechend dem Ende eine schräg zugeschnittenen Rohrprothese längs inzidiert (. Abb. 11.7). In der Regel kommt eine elastische Polytetrafluorethylenrohrprothese mit einem Durchmesser von 3,5 oder 4 mm
c
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Kapitel 11 · Funktionell singulärer Ventrikel und Fontan-Operation
(Neugeborene und kleine Säuglinge) zur Anwendung. Die Anastomose wird mit nichtresorbierbarem, monofilem Nahtmaterial der Stärke 6/0 oder 7/0 angelegt, wobei besonders auf den Winkel zwischen der Arterie und dem Shunt zu achten ist. Nach Vervollständigung der Anastomose entfernt man die Klemme von der Arterie und okkludiert den Shunt. Dadurch liegt die proximale Anastomose torsionsfrei, was die Einschätzung der richtigen Länge des Shunts erleichtert. Die Länge des Shunts ist von entscheidender Bedeutung, da sowohl ein zu langer als auch ein zu kurzer Shunt zu Torsionen und Stenosen der Arterien führen kann. Nach Trimmen der Prothese auf die korrekte Länge wird die rechte Pulmonalarterie partiell ausgeklemmt und längs inzidiert. Die Anastomosierung erfolgt ebenfalls mit nichtresorbierbarem, monofilem Nahtmaterial der Stärke 6/0 oder 7/0. Anschließend wird die Klemme von der rechten Pulmonalarterie entfernt. Grundsätzlich kann die proximale oder die distale Anastomose zuerst angelegt werden. Bevor man die Klemme vom Shunt entfernt, wird ein evtl. vorhandener offener Ductus arteriosus umschlungen und temporär okkludiert. Nach Öffnen des Shunts wird die hämodynamische Situation beobachtet. Die Sauerstoffsättigung sollte bei 75–85 % liegen. Bei Werten unter 75 % könnte der Shunt zu klein sein oder es könnten Stenosen im Bereich der Anastomosen oder der Arterien vorliegen. Betragen die Werte >85 %, und liegt der diastolische Blutdruck bei <30 mmHg, können dies Zeichen für einen zu großen Shunts sein. In diesen Fällen ist die Revision des Shunts in Erwägung zu ziehen. Wenn die hämodynamische Situation stabil erscheint, kann der Ductus arteriosus definitiv verschlossen werden, ebenso das Sternum nach Anlage einer retrosternalen Drainage.
Zentraler aortopulmonaler Shunt Es bestehen sowohl auf aortaler als auch auf pulmonaler Seite eine Vielzahl alternativer Möglichkeiten, einen systemisch-pulmonalarteriellen Shunt zu platzieren. Die Entscheidung über die Position des Shunts hängt von der individuellen Anatomie ab. Bei Patienten mit kleinen Pulmonalarterien kann es vorteilhaft sein, das distale Ende des Shunts mit der zentralen Pulmonalarterie zu anastomosieren (. Abb. 11.8). Die proximale Anastomose wird dann in der Regel an der Aorta ascendens angelegt. Gegebenenfalls anastomosiert man den Shunt zunächst mit einem zentralen Stanzdefekt an einem Polytetrafluorethylen- oder Homograftflicken, mit dem dann die zentrale Pulmonalarterie erweitert werden kann. In diesem Fall ist die distale Anastomose vor der proximalen durchzuführen. Zentrale aortopulmonale Shunts sind in der Regel kürzer als modifizierte Blalock-Taussig-Shunts. Daher sollte der Durchmesser der verwendeten Rohrprothese entsprechend kleiner sein. Die kleinste Polytetrafluorethylenprothese hat jedoch einen Durchmesser von 3,5 mm. Hier lässt sich die ggf. erforderliche Flussverminerung durch einen längeren, im Bogen
geführten Shunt-Verlauf erzielen. Eine Flussreduktion durch Clip-Applikation führt zumindest bei den kleinsten Prothesen im Verlauf zu einer vorzeitigen, behandlungsbedürftigen Zyanose. Durch Clip-Applikation lumenreduzierte Shunts lassen sich ggf. durch interventionelle Ballondilatation erweitern. 11.7.1.2
Bändelung der Pulmonalarterie
Einen erhöhten pulmonalen Blutfluss findet man typischerweise bei der Trikuspidalatresie mit diskordanter ventrikuloarterieller Konnektion. Da die Aorta in diesem Fall aus dem hypoplastischen Ventrikel entspringt, ist sie oft kleiner als gewöhnlich. In vielen Fällen bestehen eine Aortenisthmusstenose und ein hypoplastischer Aortenbogen. Daher wird die Bändelung (Banding) der Pulmonalarterie häufig mit der Resektion der Aortenisthmusstenose kombiniert (Rodefeld et al. 2005). In Fällen, in denen auch die Aortenklappe und die Aorta ascendens zu klein sind, wird eine modifizierte Norwood-Operation in Kombination mit der Anlage eines systemisch-pulmonalarteriellen Shunts durchgeführt (7 Kap. 15). Als Zugangsweg ist eine mediane Sternotomie der Thorakotomie aus den gleichen Gründen vorzuziehen, wie sie bei der Anlage des modifizierten Blalock-Taussig-Shunts beschrieben sind. Nach Resektion des linken Thymuslappens, bevorzugt des gesamten Thymus, wird das Perikard nur im Bereich der großen Gefäße eröffnet. Das Gewebe zwischen Aorta ascendens und Truncus pulmonalis wird in der Mitte zwischen dem sinutubulären Übergang der Pulmonalarterie und dem Abgang der rechten Pulmonalarterie in einem sehr limitierten Bereich präpariert, wobei man die beiden Gefäße voneinander separiert (. Abb. 11.9). Eine großzügige Präparation ist zu vermeiden, da dies ein Dislozieren des Bändchens begünstigen kann. Das Bändchen sollte nicht zu dünn sein, um Erosionen der Pulmonalarterie zu vermeiden, und es sollte möglichst wenige Verwachsungen induzieren. Nachdem die Pulmonalarterie mit dem Bändchen umschlungen ist, werden die freien Enden fixiert. Nun ermittelt man über eine kontinuierliche Druckmessung in der Pulmonalarterie distal der Bändelungsstelle und der Druckmessung in der Systemzirkulation den Gradienten über das Bändchen. Durch die Platzierung von MetallClips oder Nähten am Bändchen wird die Pulmonalarterie schrittweise eingeengt und so der Gradient erhöht. Gleichzeitig beobachtet man die Sauerstoffsättigung. Ein Gradient zwischen 30 und 60 mmHg und eine arterielle Sauerstoffsättigung von 75–85 % sind akzeptabel. Dabei ist darauf zu achten, dass der systemarterielle Blutdruck den Normalwerten bei einem spontan atmenden Neugeborenen entspricht. Wenn die definitive Position des Bändchens erreicht ist, sollte es mit Nähten proximal an der Pulmonalarterienwand fixiert werden, um eine Dislokation und damit eine Bifurkationsstenose zu verhindern. Nach Anlage einer retrosternalen Drainage kann man das
343 11.7 · Operationstechniken
a
b
c
d
. Abb. 11.8a–d. Anlage eines zentralen aortopulmonalen Shunts mit extrakorporaler Zirkulation über eine mediane Sternotomie. a Zunächst werden Teile des Thymus reseziert, und man präpariert die Aorta ascendens sowie die rechte, die linke und die zentrale Pulmonalarterie. b Nach Kanülierung der Aorta ascendens gegenüber des Truncus brachiocephalicus und des rechten Vorhofs werden die Pulmonalarterien während partieller extrakorporaler Zirkulation okkludiert. Die zentrale Pulmonalarterie wird im Bereich der Bifurkation längs eröffnet. Den Shunt kann man zunächst mit einem zentralen Stanzdefekt in einem Polytetrafluorethylen- oder Homograft-
flicken anastomosieren. Mit diesem Flicken wird dann die zentrale Pulmonalarterie erweitert. c Die Anastomosierungen erfolgen mit einer monofilen Naht der Stärke 7/0. Nach Trimmen des Shunts auf die korrekte Länge wird die richtige Stelle im Bereich der Aorta ascendens identifiziert und die Aorta partiell ausgeklemmt sowie an der entsprechenden Stelle längs inzidiert. d Die Anastomosierung des Shunts mit der Aorta erfolgt mit einer monofilen, nichtresorbierbaren Naht der Stärke 7/0. Der Shunt liegt korrekt, wenn er nicht knickt und die Pulmonalarterie weder nach dorsal gedrückt noch zu weit nach anterior gezogen wird
Sternum verschließen. Alternativ kann zur Bestimmung der Einengung der Pulmonalarterie die sog. Trusler-Formel, eine empirisch ermittelte Formel, verwendet werden: Die Länge des Bändchens beträgt 2 cm + 1 mm/kg KG bei Normalstellung der großen Gefäße und 2,2 cm + 1 mm/ kg KG bei Transpositionsstellung der großen Gefäße. Das Ausmaß der Bändelung wird entsprechend des erzielten Sauerstoffsättigungsgrades, wie oben beschrieben, ggf. modifiziert.
11.7.2 Stufe-II-Palliation: Verbesserung
der Effizienz der komplett gemischten Zirkulation Die zweite Stufe als Zwischenstufe einer dreizeitigen Strategie der Komplettierung der Fontan-Zirkulation soll so früh wie möglich zu einer Volumenentlastung des funktionell singulären Ventrikels führen. Dies soll die Effektivität der kompletten Mischzirkulation verbessern. Zu diesem Zeit-
11
344
Kapitel 11 · Funktionell singulärer Ventrikel und Fontan-Operation
9 . Abb. 11.9a–c. a Nach Teilresektion des Thymus wird das Perikard
a
11
b
nur im Bereich der großen Gefäße eröffnet. Das Gewebe zwischen Aorta ascendens und Truncus pulmonalis wird in der Mitte zwischen dem sinutubulären Übergang der Pulmonalarterie und dem Abgang der rechten Pulmonalarterie in einem sehr limitierten Bereich präpariert, wobei man die beiden Gefäße voneinander separiert. b Eine großzügige Präparation ist zu vermeiden, da dies ein Dislozieren des Bändchens begünstigen kann. Nachdem die Pulmonalarterie mit dem Bändchen umschlungen ist, werden die freien Enden fixiert. c Nun wird mittels einer kontinuierlichen Druckmessung in der Pulmonalarterie distal der Bändelungsstelle und der Druckmessung in der Systemzirkulation der Gradient über das Bändchen ermittelt. Durch die Platzierung von Metall-Clips wird die Pulmonalarterie schrittweise eingeengt und so der Gradient erhöht. Gleichzeitig beobachtet man die Sauerstoffsättigung. Ein Gradient zwischen 30 und 60 mmHg und eine Sauerstoffsättigung von 75–85 % sind akzeptable Messwerte. Dabei sollte darauf geachtet werden, dass der systemarterielle Blutdruck den Normalwerten bei einem spontan atmenden Neugeborenen entspricht. Wenn die definitive Position des Bändchens erreicht ist, sollte es mit Nähten an der Pulmonalarterienwand fixiert werden, um eine Dislokation und damit eine Bifurkationsstenose zu verhindern
punkt sind zudem alle zusätzlichen Pathologien zu behandeln. Bei Neugeborenen, die ohne Shunt-Operation oder Bändelung der Pulmonalarterie innerhalb der ersten 3–6 Lebensmonate eine ausgeglichene Pulmonal- und Systemzirkulation aufweisen, wird die Stufe-II-Palliation als Primäreingriff durchgeführt. Die Volumenentlastung wird durch eine teilweise Trennung der pulmonalen und systemischen Zirkulation erreicht. Hierzu wird das desoxygenierte Blut der oberen Hohlvene direkt in die Pulmonalarterie geleitet. Den Fluss über einen systemisch-pulmonalarteriellen Shunt kann man erheblich reduzieren oder ganz beseitigen. Dies führt nahezu zu einer Normalisierung der Arbeitsbelastung des funktionell singulären Ventrikels (Allgood et al. 1994; Jacobs et al. 1996b) und damit auf längere Sicht zu einem Schutz des Myokards (Mahl et al. 1999; Schwartz et al. 1996). ! Dies ist von ganz entscheidender Bedeutung, da eine schlechte Ventrikelfunktion im Langzeitverlauf häufig die Ursache für die Morbidität und Letalität von Patienten mit funktionell singulärem Ventrikel darstellt (Fontan et al. 1990; Parikh et al. 1991).
c
Betrachtet man die hämodynamischen Vorteile dieser oberen kavopulmonale Anastomose im Vergleich zur Situation einer vollständigen Mischzirkulation, erscheint es sinnvoll, diesen Zwischenschritt so früh wie möglich zu vollziehen. Heute besteht weitgehend Konsens darüber, dass die kavopulmonale Anastomose in einem Alter von 2–5 Monaten durchgeführt werden sollte, wenn der Lungengefäßwiderstand auf normale Werte gefallen ist (Bradley et al. 1996; Chang et al. 1993; Slavik et al. 1995). Kontraindikation bestehen bei: 4 Alter von <6 Wochen, 4 Lungengefäßwiderstand von >4 Wood-Einheiten,
345 11.7 · Operationstechniken
4 pulmonalarteriellem Druck von >30 mmHg (flussabhängig), 4 Lungenvenenstenosen. Der zweite Grund für diesen Zwischenschritt ist die Möglichkeit, begleitende kardiale Anomalien frühzeitig zu korrigieren, falls dies zum Zeitpunkt der Stufe-I-Palliation nicht geschehen ist. Dazu zählen die Plastik der Pulmonalarterien, die Resektion einer Subaortenstenose, die Korrektur einer Hypoplasie des Aortenbogens, die Erweiterung einer restriktiven interatrialen Kommunikation und die Korrektur einer Insuffizienz der Atrioventrikularklappe. Bei Beachtung aller dieser Umstände kann eine gute Herzfunktion erhalten und die Fontan-Operation erleichtert werden. Für die zweite Stufe, die teilweise Trennung der pulmonalen und systemischen Zirkulation durch Leitung des desoxygenierten Blutes der oberen Hohlvene direkt in die Pulmonalarterie, haben sich 2 Techniken bewährt: die bidirektionale obere kavopulmonale Anastomose (bidirektionale Glenn-Anastomose) und die Hemi-Fontan-Operation. 11.7.2.1
a
Bidirektionale obere kavopulmonale Anastomose (Glenn-Anastomose)
Die obere kavopulmonale Anastomose kann mit oder ohne Herz-Lungen-Maschine erreicht werden. Voraussetzung für ein Vorgehen ohne extrakorporale Zirkulation ist ein pulmonalarterieller Blutfluss abseits der Anastomose. Im Folgenden wird die Technik mit Hilfe der extrakorporalen Zirkulation beschrieben (. Abb. 11.10). Der Anschluss an die Herz-Lungen-Maschine erfolgt über eine Kanülierung der Aorta ascendens, der oberen Hohlvene an der Einmündung der V. anonyma und des rechten Vorhofs. Alle systemisch-pulmonalarteriellen Shunts werden kontrolliert. Wenn man keinen zusätzlichen Lungenfluss belassen möchte, können die Shunt-Verbindungen durchtrennt und ihre Stümpfe übernäht oder geclippt werden. Besteht ein antegrader Fluss über die Pulmonalarterie, kann diese doppelt geklemmt, durchtrennt und die Stümpfe übernäht werden. Möchte man einen zusätzlichen Lungenfluss beibehalten, sind die Shunts mittels Klemmen temporär zu okkludieren; ein Bändchen an der Pulmonalarterie wird in diesem Fall belassen. Die V. azygos wird doppelt geclippt oder ligiert und durchtrennt, um ein Abfluss des Blutes der oberen Hohlvene zur unteren Hohlvene zu verhindern. Hierbei muss man eine Azygoskontinuität, wie sie beim Heterotaxiesyndrom mit »Linksisomerismus« häufig vorkommt, präoperativ ausschließen. In diesem Fall darf die V. azygos nicht durchtrennt werden. Die obere Hohlvene wird unmittelbar kaudal der Kanülierungsstelle und vor ihrer Einmündung in den rechten Vorhof abgeklemmt. Hierbei ist die Lage des Sinusknotens zu beachten. Das Gefäß wird am Übergang zum Vorhof durchtrennt und zum Vorhof hin übernäht. Nach Ausklem-
b
. Abb. 11.10a, b. Obere kavopulmonale Anastomose. a Die Pulmonalarterie ist bifurkationsnah rechts der Aorta ascendens abgeklemmt. Die Tourniquets um die obere Hohlvene, den Oberlappenast und die rechte Pulmonalarterie sind verschlossen. Die V. azygos wird ligiert und durchtrennt. Die obere Hohlvene wird an der Mündung zum Vorhof durchtrennt und proximal übernäht. b Die rechte Pulmonalarterie wird an der Kreuzungsstelle mit der oberen Hohlvene längs inzidiert. Die Anastomosierung der Hohlvene mit der Pulmonalarterie erfolgt mit einer monofilen, resorbierbaren Naht der Stärke 6/0 oder 7/0. Die Anastomose sollte bis zur Abzweigung der rechten Oberlappenarterie reichen
men der rechten Pulmonalarterie wird diese an der Kreuzungsstelle mit der oberen Hohlvene längs inzidiert. Die Anastomosierung erfolgt mit einer monofilen, resorbierbaren Naht der Stärke 6/0 oder 7/0. Die Entwöhnung von der extrakorporalen Zirkulation erfolgt unter Beobachtung des Vorhofdrucks, des Druckes in der oberen Hohlvene, des systemarteriellen Druckes und der Sauerstoffsättigung. Ein transpulmonaler Gradient von 8 mmHg bei einem Druck in der oberen Hohlvene von
11
346
Kapitel 11 · Funktionell singulärer Ventrikel und Fontan-Operation
Die Physiologie nach einer Hemi-Fontan-Operation entspricht der nach einer bidirektionalen oberen kavopulmonalen Anastomose. Bei der Operationstechnik bestehen jedoch fundamentale Unterschiede. Die Hemi-FontanOperation ist in jedem Fall eine Operation am offenen Herzen, daher muss sie mit Hilfe der Herz-Lungen-Maschine durchgeführt werden (. Abb. 11.11).
Nach aortaler und bikavaler Kanülierung wird unter totalem kardiopulmonalen Bypass und im kardioplegischem Herzstillstand der Pulmonalisstamm durchtrennt. Anschließend übernäht man ihren proximalen und distalen Stumpf. Die Pulmonalarterien werden bis in die Peripherie präpariert und mit Tourniquets kontrolliert, das Dach des rechten Vorhofs in der Nachbarschaft zur rechten Pulmonalarterie inzidiert und die Inzision spiralförmig in die obere Hohlvene verlängert. Die rechte Pulmonalarterie eröffnet man ebenfalls im Bereich dieser Inzision längs. Die dorsalen Ränder der Inzisionen werden mit einer resorbier-
a
b
<18 mmHg ist akzeptabel. Die arterielle Sauerstoffsättigung sollte bei Werten um 80 % liegen.
Hemi-Fontan-Operation
11.7.2.2
11
c . Abb. 11.11a–d. Hemi-Fontan-Operation. Der Eingriff muss unter extrakorporaler Zirkulation und im kardioplegischen Herzstillstand durchgeführt werden. a Nach aortaler und bikavaler Kanülierung wird unter totalem kardiopulmonalen Bypass und im kardioplegischem Herzstillstand die zentrale Pulmonalarterie durchtrennt, und ihr proximaler sowie ihr distaler Stumpf werden übernäht. Die Pulmonalarterien werden bis in die Peripherie präpariert und mit Tourniquets kontrolliert. Das Dach des rechten Vorhofs wird in der Nachbarschaft zur
d rechten Pulmonalarterie inzidiert und die Inzision spiralförmig in die obere Hohlvene verlängert. Die rechte Pulmonalarterie wird ebenfalls im Bereich dieser Inzision längs eröffnet. b Die dorsalen Ränder der Inzisionen werden mit einer resorbierbaren monofilen Naht anastomosiert. c Der anterior Bereich der Anastomose wird mit einem Flicken verschlossen. d Über eine separate Atriotomie wird das Ostium der oberen Hohlvene mit einem Flicken verschlossen
347 11.7 · Operationstechniken
baren monofilen Naht anastomosiert. Den anterioren Bereich der Anastomose verschließt man mit einem Flicken. Auf diese Weise wird eine breite Verbindung geschaffen, über die das Blut aus der oberen Hohlvene in die Pulmonalarterie fließen kann. Über eine separate Atriotomie wird das Ostium der oberen Hohlvene mit einem Flicken verschlossen. Damit sind der Blutfluss aus der oberen Hohlvene in die Pulmonalarterie sowie der Blutfluss aus der unteren Hohlvene, dem Koronarsinus und den Lungenvenen in den funktionell singulären Ventrikel getrennt. Nach Entlüftung des Herzens und Verschluss der Atriotomie kann das Herz von der extrakorporalen Zirkulation entwöhnt werden. Hierbei gelten die gleichen Kriterien wie bei der bidirektionalen oberen kavopulmonalen Anastomose.
11.7.3
Stufe-III-Palliation: Komplettierung der Fontan-Zirkulation
Zum Zeitpunkt der Fontan-Operation ist bei den meisten Patienten bereits eine bidirektionale obere kavopulmonale Anastomose oder eine Hemi-Fontan-Operation durchgeführt worden. Ziel der Fontan-Operation ist es, das Blut der unteren Hohlvene in die Pulmonalarterie zu leiten. Damit drainieren nur noch die Lungenvenen und der Koronarsinus in den gemeinsamen Vorhof und damit in den funktionell singulären Ventrikel. Dadurch wird eine fast vollständige Trennung von Pulmonal- und Körperzirkulation erreicht. Bestehen begleitende kardiale Anomalien wie z. B. Pulmonalstenosen, Klappeninsuffizienzen oder Stenosen des systemarteriellen Auslasses, müssen diese zum Zeitpunkt der Fontan-Operation korrigiert werden. Zur Komplettierung der Fontan-Zirkulation hat sich die Konnektion der unteren Hohlvene mit der rechten Pulmonalarterie über eine extrakardiale Rohrprothese, auch »extrakardiale totale kavopulmonale Konnektion« genannt, oder über einen intraatrialen lateralen Tunnel, auch »intrakardiale totale kavopulmonale Konnektion« genannt, durchgesetzt. 11.7.3.1
Extrakardiale totale kavopulmonale Konnektion
Die hier beschriebene Technik bezieht sich auf einen Patienten mit Trikuspidalatresie, bei dem bereits eine obere bidirektionale kavopulmonale Anastomose durchgeführt wurde (. Abb. 11.12). Prinzipiell lässt sich die vorgestellte Technik bei allen Herzen mit funktionell singulärem Ventrikel und bei bislang nicht voroperierten Patienten anwenden. Sie muss jedoch in Abhängigkeit von der zugrunde liegenden Anatomie modifiziert werden. Dies ist z. B. bei Patienten mit Isomerismus der Vorhöfe, Situs inversus oder unterbrochener unterer Hohlvene erforderlich. Bei nicht voroperierten Patienten oder solchen, bei denen bislang nur eine Stufe-I-Palliation durchgeführt wurde, wird vor der
Anlage der extrakardialen kavopulmonalen Konnektion eine obere bidirektionale kavopulmonale Anastomose durchgeführt. Nach medianer Sternotomie wird die Herz-LungenMaschine über Kanülierung der Aorta ascendens sowie der oberen und unteren Hohlvene angeschlossen. Die untere Hohlvene sollte unmittelbar oberhalb des Diaphragmas so weit kaudal wie möglich kanüliert werden. Hierfür empfiehlt sich die Verwendung einer Winkelkanüle. Die rechte Pulmonalarterie wird nach peripher bis zur Aufteilung in obere und untere Lungenlappenarterie freigelegt sowie nach zentral bis nach retroaortal. Eine meist vorhandene obere kavopulmonale Anastomose wird einschließlich der oberen Hohlvene freigelegt. Verwachsungen der Vorhöfe sind bis zu den rechten Lungenvenen zu lösen, um eine korrekte Lage der Rohrprothese zu ermöglichen. Die rechte Pulmonalarterie wird lateral weit peripher im Bereich der Lappenarterien abgeklemmt, die zentrale Pulmonalarterie medial links oder rechts der Aorta ascendens. Die obere Hohlvene wird mit einem Tourniquet um die Kanüle okkludiert. Damit ist die gesamte zentrale Pulmonalarterie ausgeklemmt und lässt sich nun kaudal auf einer Länge entsprechend dem Ende einer schräg zugeschnittenen Rohrprothese eröffnen. Alternativ kann man auf das Abklemmen der zentralen Pulmonalarterie verzichten. Stattdessen wird ein Vent-Sauger über die rechte Pulmonalarterie nach links eingeführt. Dadurch kann auf eine aufwendige Präparation der Aorta ascendens verzichtet werden. Dies reduziert das Risiko schwerwiegender Blutungskomplikationen bei bereits durchgeführten plastischen Aortenbogenrekonstruktionen. Die Prothese sollte einen Durchmesser von mindestens 18 mm aufweisen. Eine Prothese dieser Größe kann bei Kindern ab einem Körpergewicht von 10 kg implantiert werden. Die Anastomosierung erfolgt mit einer nichtresorbierbaren, monofilen Naht der Stärke 6/0 oder 5/0. Nach Beendigung der Nahtreihe wird die Prothese abgeklemmt, und die Klemmen an der Pulmonalarterie und an der oberen Hohlvene werden entfernt. Der Vorhof wird am Ostium der unteren Hohlvene abgeklemmt und die untere Hohlvene um die Kanüle mit einem Tourniquet okkludiert. Die untere Hohlvene lässt sich nun durchtrennen, und ihr vorhofseitiger Stumpf wird mit einer resorbierbaren, monofilen Naht der Stärke 4/0 doppelt übernäht. Nach Trimmen der Prothese auf die korrekte Länge erfolgt die Anastomosierung der Prothese mit der unteren Hohlvene mit einer nichtresorbierbaren, monofilen Naht der Stärke 5/0. Alternative Techniken erlauben diese Operation ohne Zuhilfenahme der extrakorporalen Zirkulation. Diese Techniken werden in den Abschnitten 11.7.4 u. 11.7.5 beschrieben und diskutiert. Bei der Entwöhnung von der Herz-Lungen-Maschine werden über eine Druckmessung im gemeinsamen Vorhof sowie in der unteren und oberen Hohlvene der Füllungsdruck des Systemventrikels, der präpulmonale Druck und
11
348
Kapitel 11 · Funktionell singulärer Ventrikel und Fontan-Operation
a
b
11 c d
e
. Abb. 11.12a–f
f
349 11.7 · Operationstechniken
g
h
. Abb. 11.12a–h. Extrakardiale totale kavopulmonale Konnektion. a Zuvor wurde eine obere kavopulmonale Anastomose angelegt. b Die rechte Pulmonalarterie wird medial der oberen kavopulmonalen Anastomose schräg abgeklemmt, sodass ein Blutfluss von der oberen Hohlvene in die rechte Pulmonalarterie bestehen bleibt. Die zweite Klemme kann man links der Aorta ascendens setzen. Damit ist die gesamte zentrale Pulmonalarterie ausgeklemmt und kann nun kaudal eröffnet werden. c Die Anastomose wird mit einer nichtresorbierbaren, monofilen Naht der Stärke 6/0 oder 5/0 durchgeführt. d Nach Beendigung der Nahtreihe wird die Prothese abgeklemmt, und die Klemmen an der Pulmonalarterie und an der oberen Hohlvene wer-
den entfernt. e Die untere Hohlvene wird unmittelbar oberhalb des Diaphragmas so weit kaudal wie möglich kanüliert. Hierfür empfiehlt sich die Verwendung einer Winkelkanüle. f Der Vorhof wird am Ostium der unteren Hohlvene abgeklemmt und die untere Hohlvene um die Kanüle mit einem Tourniquet okkludiert. Die untere Hohlvene lässt sich nun durchtrennen, und ihr vorhofseitiger Stumpf wird mit einer resorbierbaren, monofilen Naht der Stärke 4/0 doppelt übernäht. g, h Nach Trimmen der Prothese auf die korrekte Länge wird die Anastomose der Prothese mit der unteren Hohlvene mit einer nichtresorbierbaren, monofilen Naht der Stärke 5/0 angelegt
der transpulmonale Gradient beobachtet. Ein Druck von 16 mmHg in der unteren und oberen Hohlvene bei einem transpulmonalen Gradienten von <8 mmHg ist ideal. Zunächst können auch Druckwerte von bis zu 20 mmHg in den Hohlvenen akzeptiert werden. Die Drücke in der oberen und unteren Hohlvene sollten identisch sein. Bei Patienten mit eingeschränkter Ventrikelfunktion oder erhöhtem transpulmonalen Gradienten ist die temporäre Anlage eines transkutanen Katheters im gemeinsamen Vorhof zu erwägen. Dies ist aus diagnostischen und therapeutischen Gründen vorteilhaft. Es ermöglicht die Volumensubstitution und die Katecholamintherapie ohne primäre Lungenpassage. Nach Anlage von Drainagen und temporären Schrittmacherdrähten kann das Sternum verschlossen werden.
kann man die Operation auch im hypothermen Kreislaufstillstand durchführen. Alle systemisch-pulmonalarterielle Shunts werden beseitigt und die Pulmonalarterien bis zur Aufteilung in die Lappenarterien freigelegt. Wenn noch eine Kontinuität zwischen Ventrikel und Pulmonalarterie besteht, wird diese getrennt. Hierzu durchtrennt man die zentrale Pulmonalarterie möglichst nah an der Pulmonalklappe und übernäht die beiden Stümpfe. Es folgt eine Atriotomie rechts, die jedoch weiter anterior als gewöhnlich durchgeführt wird, um lateral genügend freie Vorhofwand zur Konstruktion des Tunnels zu belassen. Die obere Hohlvene wird mit einem Tourniquet um die Kanüle okkludiert. Über das rechte Herzohr führt man einen Vent-Sauger in die Pulmonalarterie ein. Nun lässt sich der während der Hemi-Fontan-Operation implantierte Flicken am Ostium der oberen Hohlvene explantieren. Bevor der intraatriale Tunnelflicken implantiert wird, muss man kräftigere Trabekel im Bereich der lateralen Vorhofwand resezieren.
11.7.3.2
Intrakardiale totale kavopulmonale Konnektion
Bei Patienten, bei denen eine intrakardiale totale kavopulmonale Konnektion durchgeführt wird, sollte im Idealfall bereits eine Hemi-Fontan-Operation erfolgt sein. Nach medianer Sternotomie wird die Herz-Lungen-Maschine über Kanülierung der Aorta ascendens sowie der oberen und unteren Hohlvene angeschlossen (. Abb. 11.13). Nach Beginn der extrakorporalen Zirkulation wird die Aorta ascendens bei moderater Hypothermie abgeklemmt und Kardioplegielösung in die Aortenwurzel infundiert. Alternativ
! Wenn die Füllung des dominanten Ventrikels hauptsächlich über die rechte Atrioventrikularklappe erfolgt, sollte die interatriale Kommunikation so weit wie möglich vergrößert werden. Dazu kann auch der Koronarsinus eingeschnitten werden.
11
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Kapitel 11 · Funktionell singulärer Ventrikel und Fontan-Operation
a
b
. Abb. 11.13a, b. Intrakardiale totale kavopulmonale Konnektion. Zuvor wurde eine Hemi-Fontan-Operation durchgeführt. a Nach medianer Sternotomie wird die Herz-Lungen-Maschine über Kanülierung der Aorta ascendens sowie der oberen und unteren Hohlvene angeschlossen. Nach Beginn der extrakorporalen Zirkulation wird die Aorta ascendens bei moderater Hypothermie abgeklemmt und Kardioplegielösung in die Aortenwurzel infundiert. Die Pulmonalarterien werden bis zur Aufteilung in die Lappenarterien freigelegt. Es folgt eine Atriotomie rechts, die jedoch weiter anterior wie gewöhnlich durchgeführt wird, um lateral genügend freie Vorhofwand zur Konstruktion des Tunnels zu belassen. b Die obere Hohlvene wird mit einem Tourniquet um die Kanüle okkludiert. Über das rechte Herzohr wird ein VentSauger in die Pulmonalarterie eingeführt. Nun lässt sich der während
der Hemi-Fontan-Operation implantierte Flicken am Ostium der oberen Hohlvene explantieren. Bevor man den intraatrialen Tunnelflicken implantiert, müssen kräftigere Trabekel im Bereich der lateralen Vorhofwand reseziert werden. Eine Polytetrafluorethylenrohrprothese wird längs eröffnet, zurechtgeschnitten und implantiert. Die Nahtreihe beginnt zwischen dem Koronarsinus und dem Ostium der unteren Hohlvene. Medial verläuft sie entlang des Randes des Atriumseptumdefekts (ASD) nach kranial bis zum medialen Rand des Ostiums der oberen Hohlvene. Mit dem anderen Ende der Naht verläuft die Nahtreihe anterior des Ostiums der unteren Hohlvene weiter entlang der lateralen Vorhofwand nach kranial und anterior des Ostiums der oberen Hohlvene
Eine Polytetrafluorethylenrohrprothese wird längs eröffnet, zurechtgeschnitten und implantiert. Die Nahtreihe beginnt zwischen dem Koronarsinus und dem Ostium der unteren Hohlvene. Medial verläuft sie entlang des Randes des Atriumseptumdefekts nach kranial bis zum medialen Rand des Ostiums der oberen Hohlvene. Mit dem anderen Ende der Naht verläuft die Nahtreihe anterior des Ostiums der unteren Hohlvene weiter entlang der lateralen Vorhofwand nach kranial und anterior des Ostiums der oberen Hohlvene. Nach Verschluss der Atriotomie und sorgfältiger Entlüftung des Herzens wird die Aortenklemme entfernt. Die Entwöhnung von der Herz-Lungen-Maschine entspricht dem Vorgehen bei der extrakardialen totalen kavopulmonalen Konnektion.
trolle und der Verschluss eines Potts- oder WaterstonShunts zum Zeitpunkt einer erneuten Operation verglichen mit einem modifizierten Blalock-Taussig- oder einem zentralen Shunt schwieriger. Der Klassiker der Shunt-Operationen, der klassische Blalock-Taussig-Shunt mit End-zuSeit-Anastomose der A. subclavia an die gleichseitige Pulmonalarterie, wird zugunsten der Kontinuitätserhaltung der Armdurchblutung nicht mehr durchgeführt, kann in Ausnahmefällen bei besonders kleinen Patienten (<2 kg) jedoch indiziert sein.
11
11.7.4
Spezielle Operationstechniken
11.7.4.1
Andere Techniken des systemischpulmonalarteriellen Shunts
Die Direktanastomose der Aorta ascendens mit der rechten Pulmonalarterie (Waterston-Shunt) und die Direktanastomose der Aorta descendens mit der linken Pulmonalarterie (Potts-Shunt) sind heute obsolet. Ihnen gemeinsam ist der unkontrollierte Shunt-Fluss. Darüber hinaus sind die Kon-
11.7.4.2
Anastomose der proximalen Pulmonalarterie mit der Aorta ascendens und Aortenbogenrekonstruktion
Nach medianer Sternotomie und subtotaler Thymektomie wird das Perikard längs eröffnet und hochgenäht. Die aortale Kanüle wird möglichst weit distal platziert. Im Fall eines unterbrochenen Aortenbogens muss auch die Pulmonalarterie kanüliert werden. Als venöse Drainage genügt eine Winkelkanüle im rechten Herzohr. Bei extrakorporaler Zirkulation unter Kühlung des Patienten werden die Aorta ascendens, der Aortenbogen mit den proximalen Anteilen der supraaortalen Äste und die Aorta descendens über den Isthmusbereich hinaus freigelegt. Ebenso präpariert man den Pulmonalisstamm sowie die rechte und die linke
351 11.7 · Operationstechniken
Pulmonalarterie mit dem Ductus arteriosus. Bei Verwendung einer arteriellen Kanüle in der Aorta kann der Duktus verschlossen werden. Musste man auch den Pulmonalisstamm kanülieren, werden beide Pulmonalarterien temporär okkludiert. Wenn die Zieltemperatur erreicht ist, wird die Aorta ascendens abgeklemmt und Kardioplegielösung in die Aortenwurzel infundiert. Danach wird im totalen Kreislaufstillstand nach Entfernen der Aortenkanüle und ggf. der Kanüle in der Pulmonalarterie der Duktus reseziert und sein pulmonalseitiger Stumpf übernäht. Den Isthmusbereich reseziert man einschließlich sämtlichen Duktusgewebes aus der deszendierenden Aorta. Die innere Kurvatur des Aortenbogens wird nach proximal eingeschnitten und die Inzision mit einer resorbierbaren, monofilen Naht der Stärke 7/0 mit der Aorta descendens anastomosiert. Die Pulmonalarterie wird oberhalb des sinutubulären Übergangs durchtrennt. Für die Konnektion des Pulmonalisstamms mit der Aorta ascendens sind verschiedene Techniken beschrieben. Um Stenosen und eine Pulmonalinsuffizienz zu vermeiden, empfiehlt sich die folgende Technik: An der dem Pulmonalisstamm zugewandten Seite wird die Aorta ascendens längs inzidiert und die Pulmonalarterie dann Seit-zu-Seit mit dem proximalen Ende der Inzision mit der Aorta anastomosiert. Hierzu wird eine resorbierbare, monofile Naht der Stärke 7/0 verwandt. Den restlichen Defekt rekonstruiert man mit einem Flicken und nichtresorbierbarem, monofilem Nahtmaterial der Stärke 7/0. Wenn eine restriktive interatriale Kommunikation vorhanden ist, sollte über eine rechtsseitige Atriotomie eine Atrioseptektomie durchgeführt werden. Sobald der rechte Vorhof verschlossen ist, kann man mit der extrakorporalen Zirkulation und dem Wiedererwärmen beginnen. Zuletzt muss man die Lungenperfusion herstellen. Der distale Stumpf der Pulmonalarterie muss in der Regel mit Flickenmaterial verschlossen werden, um Stenosen der zentralen Pulmonalarterie zu vermeiden. In der Regel wird die distale Anastomose des modifizierten Blalock-TaussigShunts oder des zentralen aortopulmonalen Shunts mit einem Stanzdefekt innerhalb dieses Flickens ausgeführt. Das weitere Procedere entspricht dem nach einer Norwood-Operation bei hypoplastischem Linksherzsyndrom (7 Kap. 15). In der Literatur sind diese Umgehungstechniken einer Subaortenstenose mit den Namen Damus, Kaye, Stansel und Lamberti (Damus 1975; Kaye 1975; Lamberti et al. 1991; Stansel 1975) verbunden. 11.7.4.3
Modifizierte Norwood-Operation
Die Modifikation der Norwood-Operation, die bei der Trikuspidalatresie mit ventrikuloarterieller Diskordanz oder bei »double inlet« in den linken Ventrikel mit ventrikulärem »l-loop« und ventrikuloarterieller Diskordanz angewendet wird, unterscheidet sich nur wenig von der klassischen Norwood-Operation bei Mitralatresie. Durch die unterschiedliche Gefäßstellung sind die Dimension und die
Orientierung des Flickens, mit dem der Aortenbogen aufgebaut wird, unterschiedlich und werden von der individuellen Anatomie bestimmt (7 Kap. 15). 11.7.4.4
Resektion einer Subaortenstenose
Diese Technik wird hier für Patienten mit Trikuspidalatresie, ventrikuloarterieller Diskordanz und Obstruktion auf Ebene des bulboventrikulären Foramens beschrieben. Sie kann aber auch bei Herzen mit univentrikulärer atrioventrikulärer Konnektion, bei denen die Aorta aus dem hypoplastischen Ventrikel entspringt, bei Herzen mit »double inlet« in den linken Ventrikel und ventrikuloarterieller Diskordanz sowie bei Herzen mit Mitralatresie und konkordanter atrioventrikulärer Konnektion zur Anwendung kommen. Der Zugang erfolgt über eine mediane Sternotomie, bei der die retrosternale Lage der anterior liegenden Aorta berücksichtigt werden muss. Nach aortaler und bikavaler Kanülierung wird die Aorta am totalen kardiopulmonalen Bypass abgeklemmt und Kardioplegielösung in die Aortenwurzel infundiert. Das bulboventrikuläre Foramen kann man am einfachsten über eine Inzision in der Auslasskammer darstellen (Cheung et al. 1990). Alternativ ist der transatriale oder transaortale Zugang zu erwägen, der jedoch durch die kleine Aortenklappe problematisch sein kann (Newfeld u. Nikaidoh 1987; Smolinsky et al. 1988). Das Reizleitungssystem befindet sich am posterior-inferioren Rand des Defekts. Dies gilt auch für Herzen mit »double inlet« in den linken Ventrikel und ventrikuloarterieller Diskordanz. Daher kann der Defekt durch Resektion des anterior-superioren Randes erweitert werden. Subvalvuläre Muskelbündel, die zu einer Stenose führen, sollte man unter Berücksichtigung der Aortenklappe resezieren. Die Inzision in der hypoplastischen Kammer wird mit einem Flicken verschlossen, ebenso das Sternum nach Entwöhnung von der extrakorporalen Zirkulation in üblicher Weise. 11.7.4.5
Bidirektionale obere kavopulmonale Konnektion ohne extrakorporale Zirkulation
Die bidirektionale obere kavopulmonale Konnektion kann bei pulmonalarteriellem Zufluss abseits des Anastomosierungsortes ohne Zuhilfenahme der Herz-Lungen-Maschine durchgeführt werden. Wenn nur eine obere Hohlvene vorhanden ist, wird die Anlage eines Bypasses zur venösen Drainage des Blutes der oberen Körperhälfte dann essenziell, wenn von einer Klemmphase von >20 min auszugehen ist. Bestehen bilaterale obere Hohlvenen, ist dies in der Regel nicht notwendig. Bei Vorliegen bilateraler oberer Hohlvenen wird die erste Anastomose auf der kontralateralen Seite des systemisch-pulmonalarteriellen Shunts ausgeführt. Während der Anastomosierung ist die Lungenperfusion über diesen Shunt gewährleistet. Nachdem die Lungenperfusion über die erste Anastomose freigegeben ist, kann der Shunt reseziert und die zweite Anastomose auf der
11
352
Kapitel 11 · Funktionell singulärer Ventrikel und Fontan-Operation
Shunt-Seite angelegt werden (Lamberti et al. 1990). Eine linksseitige kavopulmonale Anastomose bei Situs solitus erfordert immer wieder dann den Einsatz der Herz-Lungen-Maschine, wenn durch die erforderlichen Manipulationen eine Kreislaufinstabilität resultiert. 11.7.4.6
Fenestrierung der totalen kavopulmonale Konnektion
Die Technik ist davon abhängig, ob eine intra- oder eine extrakardiale totale kavopulmonale Konnektion durchgeführt wird. Normalerweise ist die Fenestrierung einer extrakardialen totalen kavopulmonalen Konnektion nicht notwendig. Besteht nach Fontan-Komplettierung aufgrund eines hohen zentralvenösen Drucks und eines niedrigen Füllungsdrucks des Ventrikels dennoch eine Indikation, kann in der Regel ohne extrakorporale Zirkulation ein Fenster angelegt werden. Hierzu klemmt man mit 2 geeigneten Klemmen einen Teil der Vorhofwand und einen Teil der Rohrprothese in unmittelbarer Nachbarschaft voneinander aus. Mit einer Stanze wird ein definierter Defekt in der Prothese geschaffen. Nach Resektion eines größeren Teiles der Vorhofwand wird der Rand des Defekts im Vorhof mit der Prothese anastomosiert. ! Bei der Fenestrierung eines extrakardialen Conduits sollte die Nahtreihe in einem geringen Abstand um den Stanzdefekt verlaufen, um eine Stenose durch Vorhofmyokard zu vermeiden.
11
Für die Fenestrierung eines lateralen Tunnels sind verschiedene Techniken beschrieben worden. Im einfachsten Fall wird ein Stanzdefekt im Tunnelflicken angelegt. Dieser sollte bei Patienten mit einem Körpergewicht von ≤12 kg einen Durchmesser von 4 mm, bei solchen mit einem Körpergewicht zwischen 12 und 30 kg einen Durchmesser von 5 mm und bei schwereren Patienten einen Durchmesser von 6 mm aufweisen (Kopf et al. 1992). Alternative Techniken beschreiben die Anlage eines Fensters mit kontrollierbarer Öffnung, welches postoperativ transkutan verschlossen werden kann (Laks et al. 1991). 11.7.4.7
Extrakardiale totale kavopulmonale Konnektion ohne extrakorporale Zirkulation bei bestehender oberer kavopulmonaler Anastomose
In diesem Fall kann auf die Kanülierung der oberen Hohlvene verzichtet werden. Die rechte Pulmonalarterie muss medial der oberen kavopulmonalen Anastomose schräg abgeklemmt werden, sodass ein Blutfluss von der oberen Hohlvene in die rechte Pulmonalarterie bestehen bleibt. Die zweite Klemme kann man links der Aorta ascendens setzen. Damit ist die gesamte zentrale Pulmonalarterie ausgeklemmt und kann nun kaudal für die Anastomose mit der Rohrprothese eröffnet werden. Für die Anastomose der unteren Hohlvene mit der Rohrprothese muss das venöse Blut der unteren Hohlvene
drainiert werden. Dazu wird die untere Hohlvene unmittelbar kranial des Zwerchfells kanüliert und zusätzlich der rechte Vorhof kanüliert. Nach Konnektion der beiden Kanülen und sorgfältiger Entlüftung kann man den Shunt-Fluss freigeben (Uemura et al. 1998). Wenn eine Kollateralverbindung zwischen der unteren und der oberen Hohlvene über eine V. azygos besteht, kann die Anastomose auch ohne Shunt durch einfaches Klemmen der unteren Hohlvene angelegt werden (Shiraishi et al. 2005). Eine temporäre Stauung der Lebervenen ist jedoch auf jeden Fall zu vermeiden.
11.7.5
Kontroverse Therapiestrategien
11.7.5.1
Fontan- vs. Septierungsoperation
Obwohl die zugrunde liegende Anatomie in manchen Fällen eine biventrikuläre Korrektur ermöglichen würde, kann es dennoch ratsam sein, den Weg der univentrikulären Palliation zu verfolgen. Dies ist dann gegeben, wenn eine sehr komplexe Operation notwendig ist, um eine biventrikuläre Korrektur zu erreichen, oder wenn es unsicher ist, ob der hypoplastische Ventrikel seine Funktion in einer 2-Kammer-Zirkulation erfüllen kann. Im Einzelnen kann eine univentrikuläre Palliation der Septierungsoperation bei folgenden Gegebenheiten vorgezogen werden: 4 unbalancierter atrioventrikulärer Septumdefekt, 4 mittelgradige Hypoplasie des rechten Ventrikels, 4 mittelgradige Hypoplasie des linken Ventrikels, 4 »double outlet« aus dem rechten Ventrikel mit »noncommitted« Ventrikelseptumdefekt (7 Kap. 13), 4 Trikuspidalatresie mit Ventrikelseptumdefekt und mittelgradiger rechtsventrikulärer Hypoplasie, 4 Pulmonalatresie mit Ventrikelseptumdefekt und mittelgradiger rechtsventrikulärer Hypoplasie sowie eingeschränkter rechtsventrikulärer Funktion, 4 Ebstein-Anomalie mit mittelgradiger rechtsventrikulärer Hypoplasie und eingeschränkter rechtsventrikulärer Funktion, 4 deutliches Straddling einer der Atrioventrikularklappen mit atrioventrikulärer und ventrikuloarterieller Diskordanz, Ventrikelseptumdefekt und Pulmonalstenose. Als Alternative zur Fontan-Operation und zur biventrikulären Korrektur wurde die Eineinhalbkammerkorrektur für Patienten mit hypoplastischem rechten Ventrikel entwickelt, der eine Größe von <30 % der Norm aufweist (Hanley 1999; Muster et al. 1993). Es gibt jedoch keine klaren Kriterien, um die möglichen Optionen abzuwägen und eine Entscheidung für den individuellen Patienten zu treffen (DeLeon et al. 1989). Neben Berichten über erfolgreiche biventrikuläre Korrekturen bei komplexen Herzfehlern und hypoplastischem Ventrikel (Ebert 1984) beobachteten andere Autoren bessere Ergebnisse nach univentrikulärer Palliation (Delius et al. 1996; Hraska et al. 2005). In beiden
353 11.7 · Operationstechniken
Fällen müssen die Langzeitergebnisse jedoch noch abgewartet werden. 11.7.5.2
Pro und kontra: zusätzlicher pulmonaler Blutfluss bei der bidirektionalen oberen kavopulmonalen Konnektion
Das Belassen einer zusätzlichen Lungenperfusion neben der kavopulmonalen Anastomose, entweder über einen bereits bestehenden systemisch-pulmonalarteriellen Shunt oder über die native Pulmonalarterie, hat Vor- und Nachteile. Es ist unstrittig, dass die systemische Sauerstoffsättigung dadurch verbessert werden kann (Webber et al. 1995). Möglicherweise lässt sich auch ein besseres Wachstum der Pulmonalarterien erzielen. Dies ist vor dem Hintergrund wichtig, dass die Größenzunahme der Pulmonalarterien bei Patienten auf dem Weg zur Fontan-Komplettierung nicht dem somatischen Wachstum entspricht (Mendelsohn et al. 1994; Slavik et al. 1995; Tatum et al. 2006). Es konnte allerdings gezeigt werden, dass auch eine zusätzlichen Lungenperfusion nicht zu einem normalen Wachstum der Pulmonalarterien führt (Berdat et al. 2004; Yoshida et al. 2005). Die Lunge wird nur dann mit in der Leber synthetisierten Angiogeneseinhibitoren perfundiert, wenn ein zusätzlicher pulmonaler Blutfluss aus der Aorta belassen wird (Clement et al. 1999). Durch den Mangel an Endostatin und Angiostatin im pulmonalen Gefäßbett kann es bei Patienten ohne zusätzlichen pulmonalen Blutfluss zur Bildung von arteriovenösen Fisteln in der Lunge kommen. Diese führen, bedingt durch den Rechts-links-Shunt, zu einer niedrigeren arteriellen Sauerstoffsättigung. Die arteriovenösen Malformationen findet man bei Patienten mit unilateraler Glenn-Anastomose in der ipsilateralen Lunge (McFaul et al. 1977) und bei Patienten mit bidirektionaler partieller kavopulmonaler Anastomose in beiden Lungen. Dies ist ein Hinweis auf die zugrunde liegende Pathogenese (Srivastava et al. 1995). Auch bei Patienten mit Azygoskontinuität findet man nach Anlage eines bidirektionalen kavopulmonalen Shunts (Kawashima-Operation) gehäuft arteriovenöse Malformationen (Matsuda et al. 1986). Die Ausbildung dieser intrapulmonalen Fisteln ist jedoch reversibel. Nach Komplettierung der Fontan-Zirkulation bilden sich die Gefäßanomalien zurück (Knight u. Mee 1995; Praus et al. 2008; Srivastava et al. 1995). Der Nachteil der verbesserten Lungenperfusion über einen zusätzlichen Shunt besteht in der Volumenbelastung des funktionell singulären Ventrikels. Erstrebenswert ist jedoch die Normalisierung der Arbeitsbelastung des funktionell singulären Ventrikels (Allgood et al. 1994; Jacobs et al. 1996b) und damit auf längere Sicht der Schutz des Myokards (Schwartz et al. 1996). Darüber hinaus kann ein höherer pulmonalarterieller Druck zu einem erhöhten pulmonalarteriellen Gefäßwiderstand führen, welcher in vielen Untersuchungen als Risikofaktor für die Frühletalität nach einer Fontan-Operation identifiziert wurde (Bartmus et al. 1990; Boruchow et al. 1970; Driscoll et al. 1992; Fontan
et al. 1989; Knott-Craig et al. 1995). In einer vergleichenden Untersuchung zeigten sich bessere Ergebnisse bei Patienten, bei denen keine zusätzliche Lungenperfusion belassen wurde (Mainwaring et al. 1995). Die bidirektionale kavopulmonale Anastomose mit zusätzlichem pulmonalem Blutfluss als definitive Palliation ohne planmäßige Fontan-Operation führt zu sehr schlechten Ergebnissen. Die 5-Jahres-Überlebenswahrscheinlichkeit beträgt 75 %. Wird bei diesen Patienten aufgrund einer Verschlechterung des Funktionsstatus oder einer Zyanose eine Fontan-Operation notwendig, beträgt die perioperative Letalität >50 % (Yamada et al. 2000). Dabei spielt jedoch auch die primäre Indikation der nicht Fontan Palliation eine Rolle. 11.7.5.3
Pro und kontra: bidirektionale obere kavopulmonale Konnektion ohne extrakorporale Zirkulation
Die Entscheidung, ob die obere kavopulmonale Anastomosierung mit oder ohne Herz-Lungen-Maschine durchgeführt werden soll, hängt von den anatomischen Verhältnissen und der Vorliebe des Chirurgen ab. In den meisten Fällen erlauben die Verhältnisse eine Anastomose ohne Herz-Lungen-Maschine oder es wird ein Shunt von der oberen Hohlvene zum Vorhof angelegt (Murthy et al. 1999). Die einzige Situation, bei der die Anastomosierung mit Herz-Lungen-Maschine durchzuführen ist, besteht dann, wenn die Lungendurchblutung ausschließlich durch einen Shunt erfolgt, welcher zur Anlage der oberen kavopulmonalen Anastomose reseziert werden muss. Dies ist typischerweise dann der Fall, wenn nur eine rechte obere Hohlvene vorliegt und zuvor ein rechtsseitiger Blalock-TaussigShunt angelegt wurde. Bei der oberen kavopulmonalen Konnektion ohne extrakorporale Zirkulation können die potenziell schädlichen Effekte der Hämodilution durch das Priming-Volumen der Herz-Lungen-Maschine vermieden werden, was eine niedrigere Frühletalität zur Folge haben könnte (Hussain et al. 2007). ! Wird die obere kavopulmonale Konnektion unter Zuhilfenahme der Herz-Lungen-Maschine durchgeführt, empfiehlt es sich, nach Beendigung der extrakorporalen Zirkulation eine modifizierte Ultrafiltration anzuschließen, um der Bildung von Ödemen und Pleuraergüssen entgegenzuwirken.
11.7.5.4
Bidirektionale obere kavopulmonale Konnektion vs. Hemi-Fontan-Operation
Die Entscheidung, eine bidirektionale obere kavopulmonale Konnektion oder eine Hemi-Fontan-Operation durchzuführen, hängt davon ab, auf welche Weise die Fontan-Zirkulation komplettiert werden soll. Liegt die Präferenz des Chirurgen bei der intrakardialen totalen kavopulmonalen Konnektion in Form eines lateralen Tunnels, bietet sich die
11
354
Kapitel 11 · Funktionell singulärer Ventrikel und Fontan-Operation
Hemi-Fontan-Operation an. Wird eine extrakardiale totale kavopulmonalen Konnektion angestrebt, sollte der oberen kavopulmonale Konnektion der Vorzug gegeben werden. Der entscheidende Nachteil der Hemi-Fontan-Operation besteht darin, dass es sich um eine intrakardiale Operation handelt, die in der Regel einen kardioplegischem Herzstillstand voraussetzt und im Gegendsatz zur oberen kavopulmonalen Konnektion immer unter extrakorporaler Zirkulation durchgeführt werden muss. 11.7.5.5
11
Pro und kontra: Fenestrierung der totalen kavopulmonalen Konnektion
Die inkomplette Trennung von system- und pulmonalvenösem Rückfluss durch Anlage eines Fensters zwischen dem Fontan-Tunnel und dem systemvenösen Atrium kann in manchen Fällen vorteilhaft sein. Dieses Konzept wurde Ende der 1980er Jahre zunächst bei Patienten angewendet, die als Hochrisikopatienten für die Konversion von einer Misch- zu einer Fontan-Zirkulation eingeschätzt wurden. In den darauf folgenden Jahren wurde es als Routineprozedur von vielen Autoren bei allen Fontan-Operationen angewendet (Bando et al. 2000; Cochrane et al. 1997; Gaynor et al. 2002; Gentles et al. 1997a, b; Gupta et al. 2004; Kumar et al. 2003). Ob eine Fenestrierung der totalen kavopulmonalen Anastomose generell notwendig ist, wird kontrovers diskutiert (Thompson et al. 1999). Die Fenestrierung der totalen kavopulmonalen Anastomose sollte man bei Patienten mit einem erhöhten pulmonalvaskulären Widerstand mit Werten zwischen 2 und 4 Wood-Einheiten in Betracht ziehen. Durch Belassen eines Rechts-links-Shunts über ein solches Fenster kann eine adäquate Vorlast des funktionell singulären Ventrikels erreicht und ein postoperatives »Low-output«-Syndrom verhindert werden. Darüber hinaus lässt sich ein zu hoher Druck in den Hohlvenen und der Pulmonalarterie vermeiden. Dies belegen kürzere Drainage- und Krankenhausaufenthaltszeiten. Dieser Vorteil wird jedoch mit einer niedrigeren systemischen Sauerstoffsättigung erkauft. Bezüglich der Früh- und Spätletalität zeigen sich bislang keine eindeutigen Unterschiede. Eine Fenestrierung führt jedoch im Langzeitverlauf zu einem höheren Herzzeitvolumen und zu weniger Arrhythmien (Ono et al. 2006). Zur Vermeidung von an der Fenestration generierten Thromboembolien sollte eine medikamentöse Thrombozytenaggregationshemmung (z. B. Azetylsalizylsäure) erfolgen. 11.7.5.6
Pro und kontra: intrakardiale oder extrakardiale totale kavopulmonale Konnektion
Bislang existieren keine sicheren Daten über die Vorteile der intra- oder extrakardialen Modifikation der totalen kavopulmonalen Konnektion bezüglich des Langzeitverlaufs. Bei beiden Operationstechniken ist ein weitgehend laminarer Fluss im Tunnel zu erreichen, worin der wesendliche Vorteil beider Techniken gegenüber den atriopulmonalen
Konnektionen besteht (Alphonso et al. 2005). Allerdings sind die Flussverhältnisse der extrakardialen Modifikation verglichen mit denen bei einem intrakardialen Tunnel noch günstiger (Lardo et al. 1999). Ein wesendlicher Nachteil der intrakardialen totalen kavopulmonalen Konnektion besteht darin, dass sie immer am stillgelegten offenen Herzen durchgeführt werden muss. Demgegenüber kann die extrakardiale totale kavopulmonale Konnektion unter extrakorporaler Zirkulation bei Normothermie am schlagenden Herzen erfolgen. Dadurch lassen sich die negativen Auswirkungen des kardioplegischen Herzstillstands auf die Ventrikelfunktion vermeiden (Schreiber et al. 2007). Jacobs et al. (2008) erreichten jedoch auch mit der intrakardialen Modifikation durch Operationen mit Herz-Lungen-Maschine im hypothermen Kreislaufstillstand eine sehr niedrige Letalitätsrate. Die extrakardiale totale kavopulmonale Konnektion kann in manchen Fällen ohne extrakorporale Zirkulation durchgeführt werden (Uemura et al. 1998). Eine temporäre Erhöhung des pulmonalvaskulären Widerstandes durch die potenziell schädlichen Effekte der extrakorporalen Zirkulation und der Hypothermie lassen sich so vermeiden. Der Verzicht auf die extrakorporale Zirkulation schlägt sich in einer postoperativ günstigeren hämodynamischen Situation, einer geringeren Rate an Fenestrierungen und einer niedrigeren Rate an Thrombosen nieder (Petrossian et al. 2006). Bei der extrakardialen Modifikation sind nahezu keine Manipulationen am Vorhof erforderlich. Darin sahen einige Autoren den Grund für eine niedrigere Rate an Sinusknotendysfunktionen (Lee et al. 2007; Petrossian et al. 2006), was jedoch von anderen Autoren nicht bestätigt wurde (Kumar et al. 2003). Der Nachteil der extrakardialen totalen kavopulmonalen Conduit-Konnektion besteht im mangelnden Wachstumspotenzial der Rohrprothese. Dies spricht jedoch nicht gegen eine extrakardiale Modifikation und eine frühzeitige Komplettierung. Ab einem Körpergewicht von 10 kg ist es möglich, eine Prothese mit einem Durchmesser von 18 mm zu implantieren (Schreiber et al. 2007), die voraussichtlich nicht gewechselt werden muss. Lemler et al. (2006) stellten eine Technik der extrakorporalen totalen kavopulmonale Konnektion vor, bei der durch die Verwendung von bovinem Perikard und nativer Vorhofwand auch bei der extrakardialen Komplettierung ein Wachstumspotenzial vorhanden sein soll. Eine Empfehlung für die intra- oder extrakardiale Technik kann aufgrund der Literatur nicht gegeben werden. Mit beiden Techniken ließen sich sehr niedrige Letalitäts- und Komplikationsraten erzielen (Fiore et al. 2007; Jacobs et al. 2008; Meyer et al. 2006; Schreiber et al. 2007).
355 11.8 · Ergebnisse
11.8
Ergebnisse
11.8.1
Letalität
11.8.1.1
Stufe-I-Palliation
Die Frühletalität von Patienten mit Trikuspidalatresie und restriktivem Lungenfluss, bei denen ein systemisch-pulmonalarterieller Shunt angelegt wurde, ist mit der von Patienten mit Fallot-Tetralogie vergleichbar (Kouchoukos et al. 2003b). Innerhalb der vergangenen 6 Jahrzehnte ließ sich die Frühletalität von Patienten, bei denen aufgrund unterschiedlicher Herzfehler ein Blalock-Taussig-Shunt angelegt wurde, von 16 % innerhalb der ersten Hälfte des Beobachtungszeitraums auf 9 % innerhalb der zweiten Hälfte senken (Williams et al. 2007). Neben dieser immer noch hohen perioperativen Letalität ist auch die Letalität nach der Krankenhausentlassung bis zur nächsten geplanten Operation mit 14–26 % sehr hoch (Fenton et al. 2003; Fermanis et al. 1992; Li et al. 2007). Die Ursache besteht häufig in einer Shunt-Thrombose (Cholette et al. 2007). Die Frühletalität von Patienten, bei denen eine Bändelung der Pulmonalarterie durchgeführt wurde, ist mit 25– 35 % angegeben worden (Horowitz et al. 1989; LeBlanc et al. 1987). Diese hohe Letalität liegt zum einen daran, dass es sich bei diesen Untersuchungen um historische Kollektive handelt. Zum anderen weisen Patienten mit nichtrestriktivem Lungenfluss, bei denen eine Bändelung der Pulmonalarterie durchgeführt werden muss, häufiger Stenosen des systemventrikulären Auslasses und des Aortenbogens auf, welche als Letalitätsrisiken beschrieben sind (Lee et al. 2003). Gegenwärtig sollte die Frühletalität von Patienten, bei denen nur eine Bändelung der Pulmonalarterie ohne Eingriff im Bereich des Aortenbogens durchgeführt wird, bei <5 % liegen (Cleveland et al. 1984; Stefanelli et al. 1984). Bei der Anastomosierung der proximalen Pulmonalarterie mit der Aorta ascendens in Kombination mit einer Aortenbogenrekonstruktion wird die Frühletalität mit 35 % angegeben (Rychik et al. 1991). Mit zunehmender Erfahrung mit der Norwood-Operation bei Patienten mit hypoplastischem Linksherzsyndrom kann eine modifizierte Norwood-Operation bei Patienten mit Trikuspidalatresie und ventrikuloarterieller Diskordanz zu besseren Ergebnissen führen. Die Ergebnisse der Resektion einer Subaortenstenose sind aufgrund der Heterogenität der zugrunde liegenden Anatomie und der Resektionstechnik nicht eindeutig zu bestimmen. In einem sehr kleinen Kollektiv wird die Frühletalität mit 11 % angegeben (Cheung et al. 1990). Im Einzelfall ist es sehr schwierig vorherzusehen, ob eine Erweiterung des bulboventrikulären Foramens ausreichend ist oder ob eine Indikation für eine modifizierte NorwoodOperation besteht.
11.8.1.2
Stufe-II-Palliation
Die Frühletalität liegt zwischen 0 % und 10 % (Bradley et al. 1996; Chang et al. 1993; Hussain et al. 2007; Lamberti et al. 1990; Reddy et al. 1995) und hängt von der Art zusätzlicher Eingriffe ab. Risikofaktoren sind ein erhöhter pulmonalarterieller Druck, ein dominanter rechter Ventrikel, eine totale Lungenvenefehlmündung, das Heterotaxiesyndrom, eine Insuffizienz der Atrioventrikularklappe und ein sehr junges Alter (Alejos et al. 1995; Reddy et al. 1995; Scheurer et al. 2007). Der Verzicht auf die extrakorporale Zirkulation könnte einen günstigen Einfluss auf die Frühletalität haben (Hussain et al. 2007). Die bidirektionale kavopulmonale Anastomose mit zusätzlichem pulmonalen Blutfluss als definitive Palliation ohne planmäßige Fontan-Operation hat eine ungünstige Prognose (Yamada et al. 2000). 11.8.1.3
Stufe-III-Palliation
Die Krankenhausletalität hat sich seit den ersten FontanOperationen von >20 % auf aktuell <5 % reduziert (Annecchino et al. 1988; Bartmus et al. 1990; Cetta et al. 1996; Cochrane et al. 1997; Day et al. 1994; Driscoll et al. 1992; d’Udekem et al. 2007; Fontan et al. 1989, 1990; Hosein et al. 2007; Iemura et al. 1997; Jacobs et al. 1995b; Knott-Craig et al. 1995; Laschinger et al. 1996; Mavroudis et al. 1992; Mayer et al. 1992; Myers et al. 1990; Ocello et al. 2007; Petrossian et al. 2006; Stein et al. 1991). In jüngster Zeit wurde auch über größere Serien mit einer perioperativen Letalität von <2 % berichtet (Jacobs et al. 2008; Meyer et al. 2006; Nakano et al. 2007; Schreiber et al. 2007). In multivariaten Analysen potenzieller Risikofaktoren für ein frühpostoperatives Versagen der Fontan-Zirkulation wurden folgende Faktoren identifiziert (Gentles et al. 1997b): 4 präoperativer pulmonalarterieller Druck von >19 mmHg, 4 jüngeres Alter zum Zeitpunkt der Operation, 4 Heterotaxiesyndrom, 4 Trikuspidalklappe als dominante Atrioventrikularklappe, 4 Stenosen der Pulmonalarterien, 4 Fontan-Modifikationen mit atriopulmonalen Konnektionen über das Vorhofohr und die totale kavopulmonale Konnektion ohne Fenster. Die Risikofaktoren »erhöhter pulmonalarterieller Druck« und »Heterotaxiesyndrom« wurden von den meisten Autoren bestätigt (Bartmus et al. 1990; Driscoll et al. 1992; Fontan et al. 1989; Kirklin et al. 1986). Durch die Vorbereitung der Patienten im Sinne einer Stufentherapie scheinen jedoch heute ein jüngeres Alter zum Zeitpunkt der Komplettierung und eine kürzere Zeitdauer zwischen der Stufe-IIund der Stufe-III-Palliation mit einer niedrigeren Komplikationsrate und einer geringeren Frühletalität verbunden zu sein (Kirklin et al. 1986; Norwood u. Jacobs 1993; Schreiber et al. 2007).
11
356
11
Kapitel 11 · Funktionell singulärer Ventrikel und Fontan-Operation
Die Ergebnisse der Überlebensanalysen der am längsten nachverfolgten Patientenkollektive verdeutlichen jedoch den palliativen Charakter der Fontan-Zirkulation. Von denjenigen Patienten, bei denen in den 1970er und 1980er Jahren eine Fontan-Operation durchgeführt wurde, waren nach 5 Jahren noch 70 %, nach 10 Jahren noch 65 % und nach 15 Jahren noch 50 % am Leben (de Brux et al. 1983; Earing et al. 2005; Fontan et al. 1989; Tam et al. 1989; Williams et al. 1984). Bezüglich potenzieller Risikofaktoren für die Langzeitletalität liegen noch wenige Erkenntnisse vor. Die Ergebnisse von Kollektiven mit einer längeren Nachuntersuchungszeit können auf diejenigen Patienten, bei denen heute eine totale kavopulmonale Konnektion durchgeführt wird, nur bedingt übertragen werden, da durch die Verbesserung der Operationstechnik und die frühe Volumenentlastung des Ventrikels durch die Stufentherapie günstigere Ergebnisse zu erwarten sind. Durch Eliminierung »vermeidbarer Risikofaktoren« in einem mathematischen Modell berechneten Fontan et al. (1990) die Überlebenswahrscheinlichkeit von Patienten nach einer »idealen FontanOperation«. Die Vorhersage betrug 73 % nach 15 Jahren, mit einem geringen konstanten Letalitätsrisiko im Langzeitverlauf. Ein höheres Alter zum Zeitpunkt der FontanOperation war der einzige Risikofaktor für die Langzeitletalität. In diesem Kollektiv wurde jedoch das moderne Prinzip der Stufentherapie nicht verfolgt. Demgegenüber hat sich die 10-Jahres-Überlebenswahrscheinlichkeit nach Einführung der Stufentherapie und der totalen kavopulmonalen Anastomose auf >90 % erhöht (Driscoll 2007; Lee et al. 2007; Nakano et al. 2007).
11.8.2 Funktionsstatus
Die Belastungsfähigkeit von Patienten ist nach der Fontan-Operation verglichen mit dem präoperativen Zustand signifikant besser. Bei nichtfenestrierten Patienten kann die zentrale Zyanose meist vollständig beseitigt werden (Ovroutski et al. 2003). Obwohl sich der Herzindex in einigen Fällen von Patienten mit Fontan-Zirkulation in Ruhe nicht von dem gesunder Kinder unterscheidet (Peterson et al. 1984), zeigen die meisten Studien bei Fontan-Patienten schlechtere hämodynamische Werte als bei Gesunden (Annecchino et al. 1988; Chin et al. 1993; Harrison et al. 1995). Unter Belastung erreichen jedoch nur einige Patienten normale Werte. Dabei steigt die Herzfrequenz an, das Schlagvolumen bleibt meist unverändert (Shachar et al. 1982). Mit zunehmender Nachuntersuchungszeit zeigt sich eine Verschlechterung des Funktionsstatus der Patienten, gemessen an der Einteilung nach der NYHA-Klassifikation. Ein Jahr nach der Fontan-Operation können 90 % der Patienten der NYHA-Klasse I zugeordnet werden, nach 20 Jahren nur noch 56 % (Fontan et al. 1990; Gentles et al. 1997a).
Kinder mit funktionellem singulären Ventrikel erreichen kein normales Körperwachstum (Ono e al. 2007; Vogt et al. 2007). Eine frühe Volumenentlastung durch eine obere partielle kavopulmonale Anastomose hat jedoch einen positiven Effekt auf das Körperwachstum (Ono e al. 2007; Vogt et al. 2007) und die Leistungsfähigkeit im Langzeitverlauf (Mahle et al. 1999). Darüber hinaus zeigte sich bei Patienten mit fenestriertem Fontan-Tunnel ein besserer Herzindex als bei jenen mit komplett getrennten Kreisläufen (Ono et al. 2006).
11.8.3 Neurologischer Status
Bezüglich der neurologischen Entwicklung von Kindern mit funktionell singulärem Ventrikel wurde kein Unterschied im Vergleich zu herzgesunden Kindern festgestellt (Goldberg et al. 2000; Uzark et al. 1998). Dies zeigt sich auch in vergleichbaren schulischen Leistungen (Mitchell et al. 2006). Die Inzidenz eines Schlaganfalls im Langzeitverlauf wurde mit 3–9 % angegeben (Barker et al. 2005; Chowdhury et al. 2005; du Plessis et al. 1995). Dabei hat die Art der Fontan-Operation keinen Einfluss auf die Häufigkeit eines Schlaganfalls (Barker et al. 2005). Das Risiko für zerebrovaskuläre Ereignisse konnte durch Gabe von Azetylsalizylsäure signifikant gesenkt werden (Barker et al. 2005).
11.8.4 Thromboembolische Komplikationen
Thromben können sich im rechten Vorhof, im Fontan-Tunnel, in der extrakardialen Prothese, in den Hohlvenen oder in den Pulmonalarterien bilden. Die Entstehung von Thromben erfolgt in der Hälfte der Fälle unmittelbar postoperativ und in der anderen Hälfte während des Langzeitverlaufs (Dobell et al. 1986; Putnam et al. 1988). Durch Embolisierung können diese Thromben zu schweren und teilweise letalen Komplikationen führen (Cromme-Dijkhuis et al. 1990). Die Entstehung von Thromben ist multifaktoriell bedingt. Begünstigende Faktoren sind (Jacobs u. Pourmoghadam 2007): 4 Stase in den venösen Fächern, 4 Fremdmaterial, 4 Vorhofarrhythmien, 4 Hyperkoagulabilität. Eine prophylaktische Antikoagulation mit Vitamin-K-Antagonisten oder eine Antiaggregation mit Thrombozytenfunktionshemmern kann die Inzidenz von Thrombosen und Embolien reduzieren. Bei der Indikation sollten die Flussverhältnisse in den venösen Fächern, Vorhofarrhythmien, eine Hyperkoagulabilität und die Verwendung von Fremdmaterial bei der Fontan-Komplettierung berücksichtigt werden (Kaulitz et al. 2005).
357 11.8 · Ergebnisse
11.8.5 Rhythmusstörungen
Im Verlauf der Behandlung von Patienten mit funktionell singulärem Ventrikel können sowohl tachykarde als auch bradykarde Rhythmusstörungen auftreten. Als Ursachen werden folgende Faktoren diskutiert: 4 iatrogene Verletzung des Sinusknotens oder von dessen Blutversorgung, 4 ausgedehnte Inzisionen und Nahtreihen im Vorhof, 4 Exposition des Vorhofmyokards gegenüber einem erhöhten Druck, 4 angeborene Anomalien des Reizleitungssystems, 4 Folgen einer Klappeninsuffizienz. Die Inzidenz tachykarder Rhythmusstörungen im Langzeitverlauf wird mit >50 % angegeben (Deal et al. 2007). Als signifikante Risikofaktoren für Rhythmusstörungen wurden bislang identifiziert (Alphonso et al. 2005; Chowdhury et al. 2005; Durongpisitkul et al. 1998; Ono et al. 2006): 4 Heterotaxiesyndrom, 4 schlechte Ventrikelfunktion, 4 Lungenvenenanomalien, 4 Glenn-Anastomose, 4 Insuffizienz der Atrioventrikularklappe, 4 präoperatives Vorhofflimmern, 4 atriopulmonale Fontan-Modifikation, 4 höheres Alter zum Zeitpunkt der Fontan-Operation. Der Einfluss der intra- oder extrakardialen totalen kavopulmonalen Konnektion auf die Inzidenz von Sinusknotendysfunktionen wurde kontrovers gesehen (Kumar et al. 2003; Lee et al. 2007; Petrossian et al. 2006). Als chirurgische Therapieoption kann die Maze-Operation in ihren Modifikationen kombiniert mit der Konversion einer atriopulmonalen in eine intra- oder extrakardialen Fontan-Modifikation erwogen werden (Deal et al. 2007).
11.8.6 Proteinverlustenteropathie
Die Proteinverlustenteropathie zeichnet sich durch eine niedrige Serumalbuminkonzentration mit der Folge von Pleuraergüssen und Aszites aus. Die Ursachen sind nicht geklärt. Die Inzidenz beträgt 10 Jahre nach der FontanKomplettierung 13 % (Feldt et al. 1996; Mertens et al. 1998). Die Letalität dieser Komplikation liegt 5 Jahre nach der Diagnosestellung bei 50 %. Ursächlich kommen ein erhöhter diastolischer Vorhofdruck im systemvenösen Atrium, ein pathologischer Mesenterialgefäßwiderstand und Entzündungsreaktionen in Betracht (Hess et al. 1984; Ostrow et al. 2006). Bei Patienten mit Sinusknotendysfunktion konnten durch Schrittmacherstimulation Verbesserungen erzielt werden (Cohen et al. 2001). In einigen Fällen ließ sich durch eine Fenestrierung des Fontan-Tunnels
ebenfalls eine Verbesserung erreichen (Jacobs et al. 1996a; Warnes et al. 1996). Als weitere Optionen stehen die Fontan-Konversion und die Herztransplantation zur Verfügung. Die Ergebnisse werden im folgenden Abschnitt besprochen.
11.8.7 Re-Operationen Stenosen der venösen Fächer stellen die häufigste Indikation für Re-Operationen nach Fontan-Korrekturen dar (Girod et al. 1987; Mavroudis et al. 2005). In einem bezüglich der Technik der Fontan-Operation heterogenen Kollektiv betrug die Freiheit von Stenosen der venösen Fächer nach 15 Jahren 50 % (Fernandez et al. 1989). Die Inzidenz von Re-Operationen liegt zwischen 2 % nach einer direkten atriopulmonalen Konnektion und 13 % nach Interposition eines Conduits (Fontan et al. 1989). Die Krankenhausletalität im Rahmen dieser Operationen beträgt 24 % (Fontan et al. 1989). Nach modernen Fontan-Modifikationen wie dem lateralen Tunnel und dem extrakardialen Conduit scheinen Stenosen seltener zu sein. Allerdings beschränken sich die Nachuntersuchungszeiten bislang auf 10 Jahre. Unterschiedliche Komplikationen, die in der Folge nach atriopulmonalen Fontan-Operationen auftreten, können einzeln oder in der Summe Indikationen für eine Konversion der Fontan-Zirkulation zu einer totalen kavopulmonalen Konnektion darstellen. Hierzu zählen: 4 großer rechter Vorhof mit ungünstiger Flusscharakteristik, 4 Rhythmusstörungen, 4 Thrombosen, 4 Stenosen der venösen Fächer, 4 Proteinverlustenteropathie.
Die Konversionsoperation beinhaltet die Anlage eines lateralen Tunnels oder einer extrakardialen Konnektion, die Entfernung von Thromben, eine Vorhofreduktionsplastik und ggf. eine Maze-Operation (Kreutzer et al. 1996; Marcelletti et al. 2000; McElhinney et al. 1996). Wird die Operation rechtzeitig durchgeführt, bevor sich der Funktionsstatus verschlechtert, ist die Krankenhausletalität niedrig, und es kann mit einer deutlichen Verbesserung der Ergusssymptomatik sowie der Arrhythmien gerechnet werden (Erek et al. 2006; Kim et al. 2005). Dabei sind mit der intra- und der extrakardialen totalen kavopulmonalen Konnektion gleich gute Ergebnisse zu erreichen (Morales et al. 2005). Weitere Indikationen für Re-Operationen sind Stenosen im Bereich des systemventrikulären Auslasses und Insuffizienzen der Atrioventrikularklappen. Eine Subaortenstenose kann zu jedem Zeitpunkt im Verlauf der Behandlung eines Patienten mit funktionell singulärem Ventrikel auftreten (Rao 1983). Wird die Indikation für eine Anastomose der Pulmonalarterie mit der aszendierenden Aorta zum Zeitpunkt der Stufe-I- oder Stufe-II-Palliation großzü-
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Kapitel 11 · Funktionell singulärer Ventrikel und Fontan-Operation
gig gestellt, lassen sich Re-Operationen im Bereich des systemventrikulären Auslasses weitgehend vermeiden (Jacobs et al. 1995a; Jonas et al. 1985). Eine Insuffizienz der dominanten oder singulären Atrioventrikularklappe kann zu einer Verschlechterung des Funktionsstatus führen. Diese sollte korrigiert werden, bevor sich die Ventrikelfunktion verschlechtert. Dabei sind die Ergebnisse einer Trikuspidalklappenplastik schlechter als diejenigen einer Mitralklappenplastik. ! Da eine längere Ischämiezeit einer AV-Klappenrekonstruktion mit einer höheren Letalität verbunden ist, sollte die Indikation zum Klappenersatz bei Fontan-Patienten großzügig gestellt werden (Mavroudis et al. 2005).
Als letzte Therapieoption steht die Herztransplantation zur Verfügung (Huddleston 2007; Pereira et al. 2005). Die Überlebenswahrscheinlichkeit von Kindern (<18 Jahre) mit funktionell singulärem Ventrikel beträgt 5 Jahre nach einer Transplantation 68 % (Jayakumar et al. 2004) und liegt damit etwas unterhalb derjenigen von Kindern mit anderen angeborenen Herzfehlern oder mit erworbenem Herzfehler (Bernstein et al. 2006). Der Funktionsstatus der Patienten wird durch eine Transplantation deutlich verbessert. Zudem ist eine Verbesserung der Symptomatik einer Proteinverlustenteropathie zu erwarten (Bernstein et al. 2006).
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Zusammenfassung
Die Fontan-Operation in ihren Modifikationen als intraoder extrakardiale totale kardiopulmonale Konnektion stellt heute die beste Therapie für die meisten Patienten mit funktionell singulärem Ventrikel dar. Die Stufentherapie mit früher Volumenentlastung des Ventrikels ist integraler Bestandteil dieses modernen Therapiekonzepts. Mit der Diagnosestellung sollte das gesamte Behandlungskonzept bis zur Komplettierung der Fontan-Zirkulation geplant und konsequent umgesetzt werden. Trotz erheblicher Fortschritte in der Behandlung von Patienten mit funktionell singulärem Ventrikel ist es fraglich, ob die bekannten Spätkomplikationen mit den modernen Therapiekonzepten und Operationstechniken vermieden werden können. Die Fontan-Operation bleibt wahrscheinlich eine Palliativtherapie.
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Kapitel 11 · Funktionell singulärer Ventrikel und Fontan-Operation
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11
12
12 Ventrikelseptumdefekte (VSD) M. K. Heinemann 12.1 12.1.1 12.1.2 12.1.3 12.1.4
Klassifikation und Lokalisationen – 365 Defekt des Einlassseptums (Inlet-VSD) – 365 Muskulärer VSD – 366 Konoventrikulärer VSD – 367 Konus-VSD – 367
12.2
Natürlicher Verlauf und Operationsindikationen – 367
12.3 12.3.1 12.3.2 12.3.3
Zugang zum Herzen – 368 Transatrialer Zugang – 368 Transventrikulärer Zugang – 368 Transvalvulärer Zugang – 369
12.4 12.4.1 12.4.2 12.4.3 12.4.4
Verschlusstechniken – 369 Konoventrikulärer VSD – 369 Muskulärer VSD – 371 Defekt des Einlassseptums (Inlet-VSD) – 371 Konus-VSD – 371
12.1
Klassifikation und Lokalisationen
Als Ventrikelseptumdefekt (VSD) wird eine Kommunikation zwischen linkem und rechtem Ventrikel im Bereich der Kammerscheidewand bezeichnet. Diese kann isoliert
aber auch in Kombination mit anderen kardialen oder vaskulären Fehlbildungen vorkommen. Dieses Kapitel befasst sich vorwiegend mit der Behandlung des isolierten VSD, der 20–25 % aller angeborenen Herzfehler ausmacht. Wie leider in der Terminologie so häufig, gibt es mehrere Klassifikationen der VSD, die in unterschiedlicher Ausprägung Eingang in die Literatur gefunden haben. Hier erfolgt die Orientierung nach van Praagh (van Praagh et al. 1989), wobei die Einteilungen nach Kirklin (Kirklin et al. 1957) sowie nach Anderson und Becker (Becker u. Anderson 1982) ebenfalls gebräuchlich sind. Allen Klassifikationen gemeinsam ist die Beschreibung der Lage des Defekts anhand von Merkmalen des rechten Ventrikels, da der chirurgische Zugang i. A. von der rechten Seite aus erfolgt (. Abb. 12.1). Während der komplexen embryonalen Kardiogenese (Goor u. Lillehei 1975) kommt es – sehr vereinfacht dargestellt – normalerweise zur vollständigen Trennung der beiden Herzkammern durch die Entwicklung einer Kammer-
12.5
Komplikationen – 371
12.6
12.6.2 12.6.3 12.6.4 12.6.5 12.6.6 12.6.7
Sonderformen der operativen Behandlung – 372 Bändelung der A. pulmonalis (»pulmonary artery banding«) – 372 VSD mit Aortenklappeninsuffizienz – 373 VSD mit Aortenisthmusstenose – 374 »Swiss-cheese«-VSD – 375 VSD bei Sinus-Valsalva-Aneurysma – 375 Katheterinterventionelle Techniken – 375 Grenzgänge – 376
12.7
Perioperative Aspekte
12.6.1
Literatur
– 376
– 377
scheidewand, die überwiegend aus Muskelgewebe (muskuläres Septum) und zu einem kleinen Teil aus Bindegewebe (membranöses Septum) besteht. Letzteres liegt zum Ausflusstrakt hin, wo es kranial Anschluss an die Scheidewand des ehemaligen Truncus arteriosus gewinnt, welcher wiederum die beiden großen Arterien trennt (Konus- oder konotrunkales Septum). Der rechte Ventrikel wird in einen Einlass-(Inlet-), einen trabekularisierten und einen Auslass-(Outlet-)Teil untergliedert. Folgt man der Flussrichtung des Blutes, so würde man den verschiedenen Defekten in dieser Abfolge und Häufigkeit begegnen: 4 Inlet-VSD (6 %), 4 muskulärer VSD (10 %), 4 konoventrikulärer VSD (80 %), 4 Konus-VSD (4 %). 12.1.1 Defekt des Einlassseptums (Inlet-VSD)
Dieser Defekt, auch »AV-Kanal-Typ« genannt, liegt unmittelbar hinter der Trikuspidalklappe und entspricht dem ventrikulären Anteil eines atrioventrikulären Septumdefekts oder AV-Kanals. Dementsprechend begegnet man
366
Kapitel 12 · Ventrikelseptumdefekte (VSD)
a
b
12
. Abb. 12.1a, b. Anatomie und Nomenklatur der VSD. a Einteilung des Septums: membranöses Septum; muskuläres Septum: Einlass(Inlet-), trabekuläres und Auslass-(Outlet-)Septum; b Lage von Einlass-
(Inlet-), muskulären, konoventrikulären (perimembranösen) und Konusdefekten
ihm gehäuft bei Trisomie 21. Seine Begrenzung wird stromaufwärts vom Trikuspidalklappenanulus gebildet. Das Reizleitungssystem liegt sehr oberflächlich in der kaudalen muskulären Begrenzung. Chordae und Papillarmuskeln der manchmal atypisch ausgebildeten rechtsseitigen AVKlappe können den Überblick vom rechten Atrium aus erschweren und für den Verschluss die Teilablösung eines Segels erforderlich werden lassen (s. unten, 12.3.1).
Herzspitze hin gelegene VSD werden auch als »apikal« bezeichnet. Sie treten in der Regel multipel auf und sind Ausdruck einer noch nicht vollständig abgeschlossenen Differenzierung des muskulären Septums. Die Spontanverschlussrate innerhalb der ersten Lebensmonate ist daher hoch. Die ursprünglich netzartige Struktur der interventrikulären Abscheidung mit zahlreichen Kommunikationen erklärt, warum nicht selten mehrere Defekte beobachtet werden. Während dies bei den mittmuskulären oft nur scheinbar der Fall ist, treten weiter apikal gelegene VSD in der Regel multipel auf. Im Fall einer ausgeprägten Differenzierungsstörung des gesamten myokardialen Septumanteils wird vom »Swiss-cheese«-Typ gesprochen. Neben einem konoventrikulären Defekt kann durchaus separat noch ein muskulärer bestehen, dessen Relevanz, sollte er »übersehen« werden, oft erst postoperativ evident wird.
12.1.2 Muskulärer VSD
Ein solcher Defekt wird auf allen Seiten von Muskel begrenzt. Er kann im gesamten trabekularisierten Anteil des rechten Ventrikels vorkommen. Von rechtsventrikulär aus entsteht durch das Kreuzen von Trabekeln oft der Eindruck multipler Defekte. Vom glatten linksventrikulären Aspekt her ist die Übersichtlichkeit folglich besser. Anterior zur
367 12.2 · Natürlicher Verlauf und Operationsindikationen
12.1.3 Konoventrikulärer VSD
Dieser Defekt liegt zwischen eigentlichem Ventrikel- und Konusseptum. Das Konusseptum kann ursächlich nach anterior abweichen (Embryogenese der Fallot-Tetralogie), seltener auch nach posterior (subaortale Enge bei unterbrochenem Aortenbogen). Isoliert ist der konoventrikuläre VSD Ausdruck einer mangelhaften Ausbildung des membranösen Septums und wird daher auch als »membranöser« oder – wegen der üblichen Ausdehnung in den muskulären Teil – besser als »perimembranöser VSD« bezeichnet. Diese Lokalisation ist mit Abstand die häufigste (>80 %). Der Bezug zur Trikuspidalklappe im Bereich der Kommissur zwischen septalem und anterior-superiorem Segel ist eng. Am posteroinferioren Rand verläuft hier das Reizleitungssystem. Fehlt das membranöse Septum völlig, erreicht der Oberrand des VSD die Basis der rechts-/akoronaren Taschen der Aortenklappe. Unterschiedliche Ausdehnungen nach inferior (muskuläres Septum, Einlassbereich) oder anterior-superior (Konusseptum, Fallot-Typ) können vorkommen und die Übersicht erschweren. Besteht nur eine kleinere Perforation des membranösen Septums, ist der Defekt hämodynamisch unbedeutend. Die Entwicklung einer mitunter eindrucksvollen aneurysmatischen Vorwölbung der Pars membranacea kann zu einer subpulmonalen Obstruktion führen. Der Eindruck eines solchen »Aneurysma-VSD« entsteht allerdings häufiger durch eine assoziierte Dysplasie des dem Defekt benachbarten Trikuspidalklappensegels, welches mit einigen Chordae direkt am VSD-Rand ansetzen kann. Kommt es zu einer Art Tunnelbildung durch septales und anterior-superiores Segelgewebe, kann der Blutstrom vom linken Ventrikel direkt in das rechte Atrium geleitet werden (GerbodeDefekt; Gerbode et al. 1958).
12.1.4 Konus-VSD
Dieser Defekt bezeichnet einen inkompletten Verschluss des Konusseptums zwischen den großen Gefäßen und wird auch als »subpulmonaler« oder als »Auslass-(Outlet-)VSD« bezeichnet. Kranial von der Pulmonalklappe begrenzt, sind seine kaudalen Ränder muskulär. Das Reizleitungsystem liegt weit entfernt, ebenso die Trikuspidalklappe. Embryologisch bedingt findet man diesen Defekttyp beim Truncus arteriosus communis, isoliert ist er sehr selten.
12.2
Natürlicher Verlauf und Operationsindikationen
Der natürliche Verlauf ist von Größe und der Lage des VSD abhängig. Je nach Shunt-Volumen und davon abhängiger Lungenüberflutung, unterscheidet man zwischen restriktiven und nichtrestriktiven Defekten. Bei letzteren entspricht
der rechtsventrikuläre systolische Druck dem linksventrikulären. Das Ausmaß der Lungenüberflutung hängt von der Stellgröße des pulmonalarteriellen Widerstandes (Rp) ab. Da dieser unmittelbar postnatal physiologisch erhöht ist, offenbart sich die wahre hämodynamische Relevanz eines VSD erst mit seinem Absinken innerhalb der ersten Lebenswochen. Von einem kleinen, restriktiven Defekt spricht man bei einem Qp:Qs-Verhältnis (Verhältnis des Lungendurchflusses zum Systemdurchfluss) von <1,5 : 1. Nichtrestriktive VSD weisen einen Durchmesser auf, der mindestens dem der Aortenklappenöffnung entspricht. Qp:Qs-Verhältnisse von >3 : 1 sind keine Seltenheit. Linksrechts-Shunts solcher Größenordnungen führen rasch zur Herzinsuffizienz, beim Säugling mit den typischen Zeichen der Tachypnoe, des Schwitzens und der Trinkschwäche bis hin zum Gedeihstillstand. Diese Entwicklung bestimmt den Operationszeitpunkt, wobei ein altersunabhängiger Verschluss vor dem Auftreten einer manifesten Herzinsuffizienz sinnvoll ist. Eine chronische pulmonale Hypertonie bei unbehandeltem VSD führt zu Umbauprozessen der pulmonalen Strombahn, die letztlich irreversibel werden und zu einem massiven Anstieg des pulmonalarteriellen Widerstandes führen. Übersteigt das Widerstandsverhältnis Rp : Rs (Rs: Systemwiderstand) den Wert 1,0, kommt es zur ShuntUmkehr von rechts nach links und somit zum Auftreten einer Zyanose. Dieses Phänomen wird als »EisenmengerSyndrom« bezeichnet. Wegen der Destruktion der Lungenstrombahn besteht ein denkbarer therapeutischer Ansatz nur noch in der Herz-Lungen-Transplantation. Als historische Vignette sei angemerkt, dass der erste erfolgreiche Eingriff dieser Art an der Medizinischen Hochschule Hannover wegen dieser Indikation vorgenommen wurde. Der natürliche Verlauf kleiner Defekte ist variabel. Apikal-muskuläre zeigen mit fortschreitender Differenzierung des Myokards eine Tendenz zum Verschluss innerhalb des ersten Lebensjahres. Im membranösen Septum wird ein solcher Verschluss oft durch den über die Jahre zunehmenden Prolaps akzessorischen Bindegewebes (»Aneurysma-VSD«) vorgetäuscht. Die Entwicklung eines subaortalen Sporns auf der linksventrikulären Seite des Unterrandes eines unbehandelten konoventrikulären/perimembranösen Defekts wird bei etwa 6 % der Fälle beobachtet. Beim VSDVerschluss muss dieser ausgeschält werden, da ansonsten eine subaortale Stenose zurückbleiben bzw. sich im weiteren Verlauf akzentuieren kann (Eroglu et al. 2003; Kidd et al 1993; Kleinman et al. 2007). Bei mehrjährigem Verlauf eines VSD mit rechtsventrikulärer Belastung kann es zur Entwicklung einer trabekulären Hypertrophie im Sinne einer infundibulären Ausflusstraktstenose kommen (»double-chambered right ventricle«, DCRV). Beim VSD-Verschluss ist diese chirurgisch durch Myotomie/Myektomie zusätzlich zu korrigieren. Ein DCRV kann selten auch ohne VSD entstehen.
12
368
Kapitel 12 · Ventrikelseptumdefekte (VSD)
Der unmittelbare Bezug eines hoch gelegenen VSD zur Aortenklappe bedingt den Prolaps der rechtskoronaren, manchmal auch der akoronaren Tasche in den VSD. Die Entstehung einer Niederdruckzone am Rand einer beschleunigten Flüssigkeit wird als »Venturi-Effekt« bezeichnet. Am Rand eines kleinen, den Blutfluss beschleunigenden VSD entsteht ein solcher Sog an den betroffenen Aortenklappentaschen mit konsekutiver Entwicklung einer Aortenklappeninsuffizienz. Die Dynamik dieses Phänomens ist Gegenstand zahlreicher Untersuchungen. Generell gilt die Empfehlung zum VSD-Verschluss spätestens bei Auftreten einer Schlussunfähigkeit der Klappe (s. unten, 12.6.2; Jian-Jun et al. 2006; Kostolny et al. 2006; Saleeb et al. 2007; Tatsuno et al. 1973; Tomita et al. 2004). Interessanterweise werden derartige Defekte bei Patienten ostasiatischer Abstammung häufiger beobachtet, was als indirekter Hinweis auf eine genetische Determinierung von VSD-Lokalisationen gelten mag. ! Jeder noch so kleine VSD gilt durch die am Endokard entstehenden Verwirbelungen als Endokarditisrisiko mit der Notwendigkeit einer entsprechenden Prophylaxe. Dies ist ein weiteres Argument für den Verschluss auch hämodynamisch nicht oder wenig relevanter Defekte (Backer et al. 1993).
Es sei am Rande darauf hingewiesen, dass ein VSD auch eine kardiale Fehlbildung im Rahmen eines komplexeren Syndroms wie z.B. der Chromosomendeletion 22q11 sein kann. Genetische Untersuchungen in diesem Zusammenhang helfen, die zugrunde liegenden Mechanismen der Kardiogenese zu entschlüsseln.
12 12.3
Zugang zum Herzen
Als Standardzugang für den VSD-Verschluss ist die mediane Sternotomie anzusehen. Mit der stetigen Fortentwicklung sog. minimal-invasiver Techniken mehren sich zwar die Berichte über alternative Zugangswege wie partielle inferiore Sternotomie, rechts-anterolaterale oder axilläre Thorakotomie (Kadner et al. 2006; Mavroudis et al. 2005); diese kompromittieren jedoch die Übersicht und sollten daher Gruppen mit entsprechender Erfahrung und dem Einsatz beim größeren Patienten vorbehalten bleiben. Auf keinen Fall dürfen etablierte Sicherheitsstandards zugunsten eines letztlich hauptsächlich kosmetisch vorteilhaften Zugangs aufgegeben werden, so z. B. Direktnaht anstatt Flickenverschluss oder induziertes Kammerflimmern statt Aortenabklemmung und Kardioplegie. Die Kanülierung kindlicher Femoral- oder Iliakalgefäße bleibt hinsichtlich ihrer Langzeitfolgen äußerst umstritten. Beim Standardzugang über die mediane Sternotomie erfolgt die arterielle Kanülierung an der distalen Aorta ascendens, die venöse über beide Hohlvenen mit deren Umschlingung. Daran schließt sich die Induktion des
kardioplegischen Herzstillstandes in Aortenabklemmung an. Entsprechend seiner Lokalisation erfolgt die Darstellung des VSD durch eine Inzision am Herzen.
12.3.1 Transatrialer Zugang
Beim transatrialen/transtrikuspidalen Zugang wird der rechte Vorhof durch eine Längsinzision aus dem rechten Herzohr heraus eröffnet, die bei schlechter Exposition problemlos verlängert werden kann. Über das Foramen ovale bzw. eine Stichinzision in der Fossa ovalis wird ein Ventkatheter im linken Atrium platziert. Das anterior-superiore Segel der Trikuspidalklappe wird dann auf einen stumpfen Venenhaken aufgeladen und beiseite gehalten. Hilfreich kann das Elevieren auch des septalen Segels sein, z. B. mit Haltenähten. Transtrikuspidal erhält man so Aufblick auf den rechtsventrikulären Aspekt des interventrikulären Septums und alle konoventrikulären (perimembranösen) Defekte. Der Oberrand des VSD mag dennoch schwierig einzustellen sein. Eventuell ist dann die teilweise Ablösung des anterior-superioren Trikuspidalklappensegels indiziert. Unübersichtliche Chorda- oder Papillarmuskelverläufe können die Abtrennung des septalen Segels erfordern. Das entsprechende Segel wird scharf am fibrösen Anulus inzidiert und nach erfolgtem VSD-Verschluss mit einer zarten Monofilamentnaht re-inseriert.
12.3.2 Transventrikulärer Zugang
Der direkte Zugang durch den rechten Ventrikel ist als historisch zu betrachten. Bei Lage oder Ausdehnung des Defekts im Konusseptum ist eine Infundibulotomie unter Schonung der Koronararterien zur Exposition sinnvoll. Ansonsten kommt die Rechtsventrikulotomie nur noch selten beim anterioren muskulären VSD zum Einsatz. Bei apikaler Lage im trabekulären Septumanteil (»Swisscheese«-Typ; s. unten, 12.6.4) bietet eine Linksventrikulotomie aufgrund des Fehlens von Trabekeln theoretisch den besten Überblick. Die Inzision sollte spitzennah rechtsseitig des Ramus interventricularis anterior erfolgen. Der Verschluss des Ventrikels erfordert in der Regel eine Absicherung durch Nahtwiderlager (z. B. Teflonstreifen). Im Langzeitverlauf wurden schwere linksventrikuläre Dysfunktionen und Arrhythmien beobachtet (Hanna et al. 1991), weswegen die Indikation für die Linksventrikulotomie äußerst kritisch zu sehen ist. Hier sind alternative Techniken (s. unten, 12.6.6) zu diskutieren. Ein Zugang zu diesen herzspitzennahen Defekten ist auch über eine apikale Rechtsventrikulotomie möglich. Allerdings müssen dann in der Regel kreuzende Trabekel abgetragen werden. Die feste Verankerung des Flickens im kranialen Randbereich kann schwierig sein (Myhre et al. 2004).
369 12.4 · Verschlusstechniken
12.3.3 Transvalvulärer Zugang
12.4.1 Konoventrikulärer VSD
Konotrunkale Defekte in unmittelbarer Nähe zur Pulmonal- oder Aortenklappe können auch durch die Pulmonalbzw. Aortenklappe erreicht werden. Die Übersicht über das Ventrikelseptum ist eingeschränkt. Dieser Zugangsweg bleibt daher kleinen Defekten oder Rezidiven in diesem Bereich vorbehalten. Bei assoziierter Aortenklappeninsuffizienz (s. unten, 12.6.2) oder Sinus-Valsalva-Aneurysma (s. unten, 12.6.5) ist eine Aortotomie obligat und ermöglicht die exakte Darstellung des Defektoberrandes an der Aortenklappe.
Die im Folgenden beschriebenen Verschlusstechniken beinhalten ganz überwiegend die Verwendung von Flickenmaterial (meist Dacron, seltener Polytetrafluorethylen – PTFE, ausnahmsweise Perikard). Die jeweils verwendeten Nahttechniken seien hier ausdrücklich empfohlen. Individuelle Erfahrungen erlauben es, routinemäßig davon abzuweichen, d. h. »immer« fortlaufende Nähte oder entsprechend »immer« Einzelnähte mit und ohne Unterlegmaterial (Teflonfilz, Perikard) zu verwenden.
Diese Defekte lassen sich fast ausnahmslos durch einen transatrialen/transtrikuspidalen Zugang verschließen. Initial ist der Oberrand meist schwer einsehbar. Vor Beginn des Verschlusses muss jedoch die gesamte Anatomie eindeutig dargestellt werden. Es ist auch zu beurteilen, ob der Defektrand direkt an den Trikuspidalklappenanulus heranreicht oder ob dort eine muskuläre Leiste vorhanden ist. Bleiben randbildende Strukturen durch Klappengewebe verborgen, ist ggf. die Ablösung des jeweiligen Trikuspidalklappensegels im Segelgewebe knapp oberhalb des Anulus erforderlich. Generell wird die Verwendung von einzelnen, doppelt armierten, geflochtenen und mit Teflonfilz unterlegten U-Nähten zur Verankerung eines Flickens empfohlen (. Abb. 12.2). Die ersten Nähte fixiert man zweckmäßigerweise am antero-inferioren Aspekt im muskulären Septum. Mit kleinen Klemmchen armiert und – der Übersichtlichkeit halber – auf einem Lochtuch drapiert, verbessern sie straffgezogen schrittweise die Exposition, ähnlich der Implantationstechnik etwa für eine Mitralklappenprothese. Das Vorgehen erfolgt zunächst im Uhrzeigersinn, wobei insbesondere kaudal darauf zu achten ist, dass die kleinen Widerlager direkt auf dem Septum zu liegen kommen und
. Abb. 12.2. Transatrialer VSD-Verschluss. VSD-Darstellung transatrial/transtrikuspidal. Hier Teilablösung des septalen Trikuspidalklap-
pensegels am Anulus zur Exposition des superioren Defektrandes. VSD-Nähte in U-Naht-Technik
12.4
Verschlusstechniken
12
370
12
Kapitel 12 · Ventrikelseptumdefekte (VSD)
. Abb. 12.3. Rechtsventrikulärer Aspekt des VSD-Verschlusses. Eröffneter rechter Ventrikel. Die schraffierte Zone markiert den Septumanteil, in dem das Reizleitungssystem verläuft. Hier ist streng rechts-
ventrikulär und abseits des Randes zu stechen. Dargestellte Nahttechniken: U-Naht, fortlaufende Naht (Kombination möglich)
dass keine Chordae oder Papillarmuskeln von den Nähten gefangen werden. Inferior-posterior erreicht man die Gegend des Reizleitungsystems (. Abb. 12.3). Hier sind die Nähte streng durch den rechtsventrikulären Aspekt und etwas abseits vom eigentlichen Rand des VSD zu legen. Zur Trikuspidalklappe hin kann es – insbesondere bei schmalem Rand – erforderlich sein, die Nähte von atrial aus durch den Trikuspidalklappenanulus nach ventrikulär zu stechen. Die Widerlager liegen somit atrial. An der posteriorsten Stelle angekommen, empfiehlt es sich, sich wieder dem anterioren Aspekt zuzuwenden. Ein leichter Zug an den bereits vorgelegten Nähten exponiert den Oberrand. Hier ist das Vorgehen im Gegenuhrzeigersinn identisch, wobei man im Bereich des Ausflusstrakts zur sicheren Verankerung reichlich Muskulatur aufnehmen kann. Zur Aortenklappe hin ist der fassbare Rand oft erschreckend schmal – vermutlich der Grund für die Häufigkeit von Restdefekten oder Ausrissen in diesem Bereich. Hier kann man sich behelfen, indem man die Stiche – meist nur 1–3 an der Zahl – mit nichtfilzunterlegten Nähten längs im Verlauf des Klappenrandes vornimmt. Bei sehr zarten Verhältnissen und unmittelbarem Bezug zur Klappe kann man auch auf einen besser führbaren Monofilamentfaden ausweichen. Eine Füllung der Aortenwurzel durch Gabe von Kardioplegieflüssigkeit ist hilfreich. So überwindet man diese Problemzone und erreicht wieder den posterioren Trikuspidalklappenbereich, in dem wie zuvor verfahren wird. In der Regel sind bei einem nichtrestriktiven Defekt im Säuglingsalter 10–15 Nähte erforderlich, um eine sichere Verankerung zu gewährleisten, ohne die Nachbarstrukturen zu kompromittieren. Als Flickenmaterial hat sich gewebtes Dacron bewährt. Es ist reißfest und flexibel. Auch PTFE kommt gelegentlich
zur Anwendung. Autologes Perikard (in der Regel mit 0,6%iger Glutaraldehydlösung über 10 min imprägniert) ist beim VSD-Verschluss aufgrund seiner geringeren Reißfestigkeit umstritten, ebenso Xenoperikardmaterial. ! Man sollte sich bewusst sein, dass nach erfolgtem Verschluss eine enorme Druckbelastung auf dem Flicken liegt und dass sich der muskuläre Teil der Zirkumferenz und damit das gesamte Nahtlager in diesem Bereich in jeder Systole kontrahiert.
In der Reihenfolge der erfolgten Stiche werden die Nähte durch den Flicken gestochen, der dann vorsichtig auf den Septumdefekt abgesenkt wird. Er kommt wie ein Deckel auf dessen rechtsventrikulärem Aspekt zu liegen und sollte dementsprechend etwas größer zurechtgeschnitten sein. Auch beim Hinunterführen des Patches ist darauf zu achten, dass er keine Chordae oder Teile der Trikuspidalklappe behindert. Hier kann das Beiseitehalten von Strukturen mit einem feinen Nervenhaken helfen. Ist der Flicken sicher platziert, werden die einzelnen Nähte geknüpft. Wurde ein Trikuspidalklappensegel abgetrennt, erfolgt jetzt die Re-Insertion, idealerweise mit feiner Monofilamentnaht. Die Schlussfähigkeit der Klappe wird in jedem Fall durch Instillation von Flüssigkeit in den rechten Ventrikel überprüft. Gegebenfalls sind noch plastische Maßnahmen zur Verringerung einer Insuffizienz erforderlich (Kommissurnaht, Anuloplastik, evtl. aber auch die Neuanlage von VSD-Nähten). Der linksatriale Ventkatheter wird entfernt, das atriale Septum verschlossen. Für den Verschluss der Rechtsatriotomie verwenden wir beim Kind resorbierbare Monofilamentfäden. Vor Lösen der Aortenklemme ist das linke Herz über die Kardioplegiestelle ausgiebig zu entlüften. Zur
371 12.5 · Komplikationen
Überprüfung des Operationsergebnisses, insbesondere bei problematischer Anatomie, empfiehlt sich die Durchführung einer intraoperativen transösophagealen Echokardiographie. ! Vor Direktverschlüssen mit filzunterlegten Einzel-UNähten wird wegen der hohen Gefahr des Ausreißens und des Verziehens von Nachbarstrukturen ausdrücklich gewarnt, auch beim kleinen Defekt.
12.4.2 Muskulärer VSD
Singuläre mittmuskuläre, inferiore oder posteriore Defekte werden i. A. ebenfalls durch einen rechtsatrialen Zugang erreicht. Je mehr sie im trabekularisierten Anteil des rechten Ventrikels gelegen sind, desto mehr wird die Übersicht durch eben diese Trabekel erschwert. Dadurch kann auch der Eindruck mehrerer Defekte vorgetäuscht werden. Eine teilweise Durchtrennung von Muskelbündeln kann hilfreich sein, um einen Flicken sicher zu verankern. Der gesamte Rand – auch zur Trikuspidalklappe hin – ist muskulär. Von einem Direktverschluss ist daher abzusehen. Besteht ein muskulärer Defekt in enger Nachbarschft zu einem konoventrikulären Defekt oder auch zu einem Defekt des Einlassseptums, läuft das Reizleitungssystem in diesen Fällen meist durch die trennende Muskelbrücke. Der Verschluss ist mit einem gemeinsamen überdeckenden Patch unter Aussparung von Nähten im Brückenbereich durchzuführen. Weit anterior gelegene Defekte sowie die apikalen sind nur über eine Ventrikulotomie zugänglich. Auch wenn eine spitzennahe Linksventrikulotomie einen guten Überblick bietet, ist man aufgrund der schlechten Langzeitverläufe weitgehend von ihrer Verwendung abgekommen. Dies wurde durch die Entwicklung alternativer Verschlusstechniken möglich (s. unten, 12.6.6). Die apikale Rechtsventrikulotomie erfährt dort, wo Kathetermethoden nicht einsetzbar sind, eine gewisse Renaissance (Myhre et al. 2004). Bei sehr seltenen großen anterioren Defekten, die man über eine infundibulumnahe Rechtsventrikulotomie erreichen kann, muss bei der Platzierung der anterioren Stiche peinlich auf den Verlauf des Ramus interventricularis anterior der linken Kranzarterie geachtet werden.
12.4.3 Defekt des Einlassseptums (Inlet-VSD)
Wegen ihrer unmittelbaren Beziehung zum Trikuspidalklappenanulus können diese Defekte sehr gut transatrial verschlossen werden. Definitionsgemäß erreichen sie die Klappe ohne zusätzliche Gewebebrücke. Die Nähte in diesem Bereich sind daher von rechtsatrial zu stechen. Bestehen zahlreiche atypische Chordae, mag eine fortlaufende Einnaht in der klappennahen Zirkumferenz hilfreich sein.
Sie kann zwischen den Sehnenfäden und den Papillarmuskeln, die oft sehr kurz und plump ausgebildet sind, im Sinne einer Matratzennaht gut hindurchgeführt werden. Da der für die Flickenverankerung definierte Defektrand hier aus festem Bindegewebe besteht, ist die Ausrissgefahr entsprechend gering. In der Durchtrittszone des Reizleitungsgewebes am inferior-posterioren Rand werden zur Sicherheit wie beim konoventrikulären Defekt einzelne, armierte U-Nähte eingesetzt, die einige Millimeter vom Defektrand und streng durch den rechtsventrikulären Aspekt verlaufen müssen. Somit ergibt sich häufig das Bild einer kombinierten fortlaufenden und einzelnen Flickenverankerung.
12.4.4 Konus-VSD
Dieser subpulmonal gelegene Defekt ist meist mit komplexen Fehlbildungen wie etwa dem Truncus arteriosus communis assoziiert. Kommt er isoliert vor, kann er über eine limitierte Infundibulotomie oder transpulmonal erreicht werden. Eine sparsame Längsventrikulotomie unter Schonung eventueller rechtskoronarer Konusäste gibt einen guten Überblick über das Konusseptum, welches die hintere Zirkumferenz des so eröffneten Trichters bildet. Nach kranial reichen die Defekte i. A. direkt bis an eine bindegewebige Leiste zwischen der anterioren Pulmonal- und der posterioren Aortenklappe heran. Erscheint dieses Gewebe zu fragil für eine sichere Nahtverankerung, müssen die Nähte aus den betroffenen Sinus der Pulmonalklappe heraus gestochen werden. Auch hier kommen einzelne, filzunterlegte U-Nähte zum Einsatz. Zur besseren Orientierung und zum präzisen Platzieren der Stiche empfiehlt sich die Auffüllung der Aortenwurzel durch die intermittierende Gabe kleiner Mengen Kardioplegielösung. Kaudal kann die Flickenverankerung auch mittels fortlaufender Naht erfolgen. Da ausschließlich das Konusseptum betroffen ist, liegt das Reizleitungssystem weit entfernt, und es kann entsprechend viel Muskelgewebe aufgenommen werden. Bei kleineren, halbmondförmigen Defekten oder ungenügendem Geweberand zwischen Aorta und A. pulmonalis wird Letztere oberhalb ihrer Kommissuren quer eröffnet. Dann werden die Einzelnähte für den oberen Aspekt aus den Sinus heraus gestochen. An der unteren Zirkumferenz kann transpulmonal fortlaufend genäht werden. Bei Ausdehnung nach tief ventrikulär ist die Übersicht eingeschränkt.
12.5
Komplikationen
Die Anatomie des konoventrikulären/perimembranösen VSD birgt 3 Gefahrenzonen, deren Verletzung eine jeweils spezifische Komplikation nach sich zieht:
12
372
Kapitel 12 · Ventrikelseptumdefekte (VSD)
4 Der Oberrand des Defekts liegt in vielen Fällen in unmittelbarer Nachbarschaft zur Aortenklappe, die beim Verschluss durch den VSD hindurch sichtbar sein sollte. Eine Verziehung der Anatomie in diesem Bereich kann eine postoperative Aortenklappeninsuffizienz bedingen (Chiu et al. 2007). Zur intraoperativen visuellen Überprüfung des Klappenschlusses kann intermittierend Kardioplegielösung in die Aortenwurzel gegeben werden. 4 Der Unterrand des Defekts verbirgt posterior zur Trikuspidalklappe hin das Reizleitungssystem. Stiche, die dieses verletzen, führen zu einer permanenten, i. A. vollständigen Blockierung der AV-Überleitung (AVBlock Grad III). Je nach Anatomie und bisherigem Verlauf der Operation kann überlegt werden, bei totalem AV-Block während der Reperfusionsphase im Rahmen einer zweiten Abklemmung die Nähte in diesem Bereich neu zu legen. Dies kann jedoch keine vollständige Rückbildung garantieren (Andersen et al. 2006). 4 Werden mehrere Nähte vom rechten Atrium aus durch den Trikuspidalklappenanulus gestochen oder musste ein Klappensegel zur besseren Exposition abgetrennt werden, kann eine höhergradige Trikuspidalklappeninsuffizienz resultieren. Vor Verschluss des Atriums ist daher der rechte Ventrikel zur visuellen Überprüfung des Klappenschlusses mit Flüssigkeit aufzufüllen, ggf. unter Klemmung der Pulmonalarterie.
12
Nach Verschluss apikal gelegener muskulärer Defekte über eine Linksventrikulotomie besteht naturgemäß eine Einschränkung der linksventrikulären Funktion, besonders im Langzeitverlauf. Auch das späte Auftreten bedrohlicher ventrikulärer Arrhythmien wurde beobachtet (Hanna et al. 1991). Aus diesen Gründen ist die Indikation für diesen Zugang äußerst zurückhaltend zu stellen. Beim »Swiss-cheese«-Typ können kleinere Defekte offen bleiben oder übersehen werden, deren hämodynamische Signifikanz früh postoperativ schwer zu beurteilen ist. Im Einlass-(Inlet-)Teil des Septums unmittelbar hinter der Trikuspidalklappe gelegene Defekte bieten oft wenig Raum zur sicheren Verankerung der Nähte im Bereich des Reizleitungssystems. Mit einem erhöhten Risiko des Auftretens einer AV-Blockierung ist zu rechnen. Der Verschluss konotrunkaler Defekte durch die Pulmonal- oder Aortenklappe hindurch kann zu einer postoperativen Insuffizienz der betroffenen Semilunarklappe führen. Eine ungenügende Einstellung des Unterrandes bei ausgedehnteren Defekten führt zu einer erhöhten Inzidenz von Restdefekten in diesem Bereich. Ist ein Restdefekt bekannt, sind regelmäßige Verlaufskontrollen zu seiner hämodynamischen Einschätzung notwendig (Dodge-Khatami et al. 2007). Eine intraoperative transösophageale Echokardiographie deckt die meisten Klappeninsuffizienzen und Restdefekte auf und kann so das weitere Vorgehen, etwa eine sofortige Revision, entschei-
dend beinflussen. Signifikante Defekte sind auch durch eine Sauerstoffsättigungsmessung (Blutgasanalyse) in der A. pulmonalis festzustellen. Ein verschlusswürdiger Defekt führt in der Regel dort zu Sauerstoffsättigungen von >80%.
12.6
Sonderformen der operativen Behandlung
12.6.1 Bändelung der A. pulmonalis (»pulmonary
artery banding«) Der erste operative Verschluss eines VSD wurde am 26.03.1954 in »cross circulation« durch Lillehei durchgeführt (Lillehei et al. 1955; 7 Kap. 6). In den Jahren zuvor hatte man, ausgehend von der Beobachtung, dass eine moderate Pulmonalstenose die Prognose von Patienten mit singulärem Ventrikel positiv beeinflusste, palliativ die Lungendurchblutung durch Einengung mit einem Bändchen gedrosselt (Muller u. Dammann 1952). Die Verschiebung einer Korrekturoperation in ein Alter jenseits der Säuglingsperiode war damit über längere Zeit möglich und ein weithin geübtes Vorgehen gewesen. In der heutigen Behandlung des VSD hat die pulmonalarterielle Bändelung ihren Stellenwert fast völlig verloren und wird nur bei absoluten Kontraindikationen gegen einen Eingriff mit extrakorporaler Zirkulation oder beim »Swiss-cheese«-Septum erwogen (s. unten, 12.6.4). Der Eingriff hat durchaus noch bei der vorbereitenden Palliation univentrikulärer Kreislaufsysteme mit Lungenüberflutung im Neugeborenenalter seine Berechtigung. Im Gegensatz zur historischen Technik über eine links posterolaterale Thorakotomie erfolgt der Zugang heute über eine mediane Sternotomie. Neben den Vorteilen einer seitengleichen Lungenbeatmung und -durchblutung bietet dieser Zugang auch eine bessere Übersicht, die Möglichkeit der Etablierung einer extrakorporalen Zirkulation im Notfall sowie den kosmetischen Aspekt nur einer für alle konsekutiven Eingriffe benötigten Inzision. Nach Verdrängen oder partieller Resektion des Thymusgewebes wird das Perikard über den großen Gefäßen eröffnet. Man durchtrennt das Bindegewebe zwischen Aorta und dem oft recht kurzen Hauptstamm der A. pulmonalis sparsam über die Breite des geplanten Bändchens. Anstelle der gebräuchlichen geflochtenen textilen Bänder, die im Verlauf durch die pulmonalarterielle Wand hindurchwandern können und in jedem Fall zu erheblichen Verwachsungen führen, empfiehlt sich glattes, inertes Silikon, am besten mit einem Dacronnetz verstärkt. Ausgehend von der historischen Trusler-Formel (Trusler u. Mustard 1972), sollte die initiale Länge, die auf dem Bändchen markiert wird, 20 mm + 1 mm/kg KG betragen (also bei 4 kg 24 mm). Nach Anbringen der Markierung wird das Band um die A. pulmonalis gezogen und in der markierten Länge fixiert. Je nach Hämodynamik ist dann eine Lockerung oder ein weiteres Einengen erforderlich. Da nach dem Poi-
373 12.6 · Sonderformen der operativen Behandlung
a
b
. Abb. 12.4a, b. Pulmonalarterielle Bändelung. a Vorläufiges Justieren des Bändchens an der A. pulmonalis mit einer Klemme; distal da-
von Druckmessung; b endgültiges Fixieren des Bändchens mit einzelnen Nähten
seuille-Gesetz der Radius eines Rohres in der 4. Potenz in seinen Durchfluss eingeht, führen minimale Veränderungen mitunter zu dramatischen Effekten. Auch muss dem Kreislaufsystem eine gewisse Zeit zur Adaptierung an die neuen Widerstandsverhältnisse gegeben werden, bevor man ein Bändchen endgültig fixiert (. Abb. 12.4). Als Richtgröße beim univentrikulären Herz gelten eine arterielle Sättigung von 75–80 % (bei Beatmung mit Raumluft und offenem Thorax!) sowie ein Abfall des pulmonalarteriellen Drucks auf etwa ein Drittel des systemischen. Bei der Palliation biventrikulärer Systeme sollte die arterielle Sättigung nicht unter 85 % abfallen. Um ein distales Abwandern des Bändchens mit Kompromittierung der Bifurkation sowie der Gefahr einer asymmetrischen Lungendurchblutung zu vermeiden, müssen Fixationsnähte an der Pulmonaliswurzel vorgenommen werden. Bei biventrikulären Vitien darf die Pulmonalklappe dabei auf keinen Fall kompromittiert werden. Ist der pulmonalarterielle Hauptstamm sehr kurz, kann man das Bändchen im Bereich der Unterseite des rechtwinkligen Abgangs der rechten Pulmonalarterie bogenförmig ausschneiden, um einer Stenosierung vorzubeugen. Da nach den Gegebenheiten einer Palliation lediglich ein krankhafter Zustand in einen anderen, mutmaßlich besser tolerierbaren pathologischen Zustand überführt wird, sollte die Zeitspanne mit einer gebändelten Pulmonalisstrombahn so kurz wie möglich gehalten werden. Dies gilt insbesondere für die letztlich anatomisch korrigierbaren Vitien wie VSD oder atrioventrikulärer Septumdefekt. Die Widerstandserhöhung bedingt eine Hypertrophie der rechtsventrikulären Muskulatur – bis hin zur Entwicklung einer nach Entbändelung hämodynamisch wirksamen und damit resektionspflichtigen infundibulären Stenose. Mit dem Wachstum des Kindes wird die Bändelung immer
effektiver und kann bei Belastung zu kritischen Sättigungsabfällen führen.
12.6.2 VSD mit Aortenklappeninsuffizienz
Der Prolaps einer Aortenklappentasche in einen Ventrikelseptumdefekt kann zu einer Verziehung der Klappe mit konsekutiver Insuffizienz führen. Prädestiniert hierfür sind kleine, hochgelegene konoventrikuläre sowie juxtaarterielle Konusdefekte. In der Regel hat die rechtskoronare Tasche Bezug zum VSD, gelegentlich auch die akoronare oder beide (Tomita et al. 2005). Als Mechanismen der Entwicklung einer zunehmenden Klappeninsuffizienz gelten eine fehlende Unterstützung des betroffenen Areals sowie der Venturi-Effekt (Tatsuno et al. 1973; Tweddell et al 2006; s. oben, 12.2). Prognostisch günstig ist der Verschluss eines solchen VSD vor Auftreten einer Schlussunfähigkeit der Klappe bzw. wenn diese erst gering ausgeprägt ist (Jian-Jun et al. 2006; Kostolny et al. 2006; Saleeb et al 2007; Tomita et al. 2004). In solchen Fällen genügt oft der alleinige VSD-Verschluss, wobei der Flicken der Aortenklappe die nötige Unterstützung gibt. Ist die Klappe bereits eindeutig morphologisch verändert, ist eine Erweiterung der Operation erforderlich. Eine Rekonstruktion der Aortenklappe nach der von Trusler beschriebenen Technik (Trusler et al. 1973, 1992) ist auch langfristig erfolgversprechend. Nach querer Aortotomie oberhalb des sinutubulären Übergangs wird die Aortenklappe inspiziert. In der Regel zeigt sich eine Elongation der in den VSD prolabierenden Tasche. Um das Ausmaß der Asymmetrie exakt beurteilen zu können, empfiehlt es sich, durch die Noduli Arantii eine dünne Monofilamentnaht zu legen und die Klappe damit zu elevieren (»Frater
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Kapitel 12 · Ventrikelseptumdefekte (VSD)
b
a
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stitch«; Frater 1967). Die betroffene Tasche wird sich kommissurennah über ihre pathologisch verlängerte Strecke einfälteln. Mit einer filzunterlegten Naht wird die so entstandene Falte transmural an der benachbarten Aortenwand fixiert und die Symmetrie der freien Taschenränder somit wiederhergestellt (. Abb. 12.5). Der zentrale Markierungsfaden wird dann entfernt. Eine Instillation von Kardioplegielösung in die Aortenwurzel gibt einen ersten Eindruck von der Dichtigkeit der Klappe. Eine intraoperative transösophageale Echokardiographie ermöglicht die exakte Beurteilung des Erfolgs der Rekonstruktionsmaßnahme. Liegt zusätzlich eine kongenitale Klappenasymmetrie, etwa eine Bikuspidalisierung, vor, ist die Prognose naturgemäß eingeschränkt.
12.6.3 VSD mit Aortenisthmusstenose
Ventrikelseptumdefekte können ein definierter, fixer Bestandteil einer komplexen Malformation sein, z. B. bei Fallot-Tetralogie oder Truncus arteriosus communis. Häufig sind sie jedoch mit einer zweiten Malformation assoziiert, ohne dass von einem direkten syndromalen Zusammenhang gesprochen werden kann. Die häufigste Fehlbildung, der man bei Vorliegen eines VSD begegnet, ist die Aortenisthmusstenose (7 Kap. 19). Während sich bei komplexeren Vitien eine einzeitige Korrektur weitgehend durchgesetzt hat (Heinemann et al. 1990), wird das optimale Vorgehen für einen VSD mit Aortenisthmusstenose noch immer diskutiert (Gaynor 2003). Historisch etabliert ist ein zweizeitiges Vorgehen, bei dem zuerst die Aortenisthmusstenose über eine linkslaterale Thorakotomie korrigiert wird. Der Verschluss des VSD erfolgt in einer zweiten Operation über eine Sternotomie.
c
d . Abb. 12.5a–d. Trusler-Plastik bei Aortenklappeninsuffizienz; transversal eröffnete Aortenwurzel. a »Frater stitch« durch die Noduli Arantii. Die rechtskoronare Tasche ist elongiert. b Der Zug am »Frater stitch« führt zur Bildung einer Falte der elongierten Tasche an der Aortenwand. c Rechtskoronare und akoronare Tasche werden miteinander fixiert. Danach erfolgt die transmurale filzunterstützte Fixierung der Falte zur Raffung der Elongation. d Sicherungsnaht mit Abdeckung zwischen den beiden Taschen
Diese Strategie kann bei großen Defekten durch die Bändelung der Pulmonalarterie bei der Isthmusstenosenoperation komplettiert werden, um bis zur zweiten Operation Zeit zu gewinnen. Nachteilig ist die Notwendigkeit zweier Zugänge, zweier Narkosen sowie eines längeren oder wiederholten stationären Aufenthalts, verbunden mit einem Stadium der Palliation. Technische Fortschritte haben dazu geführt, in Analogie zu den komplexen Vitien auch beim
375 12.6 · Sonderformen der operativen Behandlung
isolierten VSD vermehrt eine einzeitige Korrektur über eine Sternotomie anzustreben. Die Aortenenge wird dabei in einer Phase der tiefen Hypothermie, ggf. im Kreislaufstillstand, operiert. Während der Kühlphase erfolgt die ausgedehnte Präparation des Aortenbogens und der Aorta descendens. Nachteilig sind der Einsatz der für den VSD-Verschluss allein nicht nötigen tiefen Hypothermie, also die erhebliche Ausdehnung des Eingriffs mit den entsprechenden Risiken, sowie eine erhöhte Inzidenz von ReKoarktationen, vermutlich aufgrund der schlechteren Exposition (Brouwer et al. 1996; Gaynor et al. 2000; Isomatsu et al. 2001). Die erfolgreiche Kombination beider Strategien wird ebenfalls beschrieben (Kanter et al. 2007). Über eine laterale Thorakotomie erfolgt dabei zunächst die klassische Korrektur der Isthmusstenose, danach – nach Umlagerung und in gleicher Sitzung – über eine Sternotomie der VSD-Verschluss unter Vermeidung einer tiefen Hypothermie. Bei uns hat sich folgendes praktisches Vorgehen bewährt: Bei kleinem VSD und Aortenisthmusstenose wird zunächst die Aortenfehlbildung behoben und der natürliche Verlauf des VSD beobachtet. Ein ggf. notwendiger Verschluss kann später erfolgen. Bei einem VSD, dessen Größe und Lage einen frühen Verschluss notwendig machen, besteht eine Indikation zum einzeitigen Vorgehen. Greift die Aortenenge in Form einer tubulären Hypoplasie auf den Bogen über, wie dies in solchen Fällen häufig beobachtet wird, erscheinen der alleinige Zugang von vorn und der Einsatz hypothermer Techniken zur erweiterten Aortenrekonstruktion ohnehin gerechtfertigt.
12.6.4 »Swiss-cheese«-VSD
Unter einem etwas salopp als »Swiss-cheese«-VSD bezeichneten Defekt versteht man im Grunde eine ausgeprägte Entwicklungsstörung des muskulären Ventrikelseptums, hauptsächlich in seinem trabekularisierten Bereich. Der Verschluss der embryonal und fetal stets existenten multiplen Verbindungen zwischen rechter und linker Kammer unterbleibt, sodass mehrere Defekte im muskulären Septum vorliegen. Handelt es sich um anterior-apikal gelegene, kleine Kommunikationen, so ist die Spontanverschlussrate im ersten Lebensjahr hoch. Eine Ansammlung größerer VSD mit Ausdehnung in das mittmuskuläre Septum kann jedoch durch ihre erhebliche kombinierte Durchtrittsfläche spätestens mit dem physiologischen Abfall des Lungengefäßwiderstandes hämodynamisch hochsignifikant werden. Anzahl und Lage der Kommunikationen bedingen ihre schlechte chirurgische Zugänglichkeit. Es muss eine Abwägung zwischen pulmonalarterieller Bändelung und Rechtsventrikulotomie erfolgen (Seddio et al. 1999). ! Eine Linksventrikulotomie sollte wenn möglich vermieden werden.
12.6.5 VSD bei Sinus-Valsalva-Aneurysma
Beim kongenitalen Aneurysma des Sinus von Valsalva liegt eine angeborene Trennung der Media des betroffenen Sinus von der Media des Angelpunkts der Aortenklappentasche vor (Edwards u. Burchell 1957). Diese Strukturschwäche zwischen Aortenwurzel und Herz führt unter dem Aortendruck zu einer Vorwölbung des Sinusanteils in die darunter gelegene Herzstruktur bis hin zur Perforation. In der Regel ist nur der rechtskoronare Sinus betroffen, gelegentlich auch die benachbarte Häflte des akoronaren Sinus. Der Durchbruch erfolgt in das rechte Atrium oder in den rechten Ventrikel. Liegt als Ausdruck der Entwicklungsstörung zusätzlich ein an die Aortenklappe heranreichender Ventrikelseptumdefekt vor, kann sich auch eine Klappeninsuffizienz entwickeln. Eine Häufung derartiger Fälle wird in Asien beobachtet und ist ein indirekter Hinweis auf eine genetische Prädisposition (Brizard 2006; Sakakibara u. Konno 1962, 1968). Das operative Vorgehen besteht aus der Resektion des »Aneurysmas«, dem VSD-Verschluss und einem Aortenklappeneingriff. Nach Inspektion der Anatomie durch eine Aortotomie ist in den meisten Fällen auch eine Exposition von ventrikulär, etwa über eine Infundibulotomie, sinnvoll. Diese erlaubt eine sichere Unterscheidung zwischen konoventrikulärem und reinem Konusdefekt und damit eine Beurteilung des mutmaßlichen Verlaufs des Reizleitungssystems. Das aneurysmatische Gewebe wird reseziert, wodurch ein größerer Defekt im rechtskoronaren Sinus entsteht. Der Dacronflicken für den VSD-Verschluss wird nach kranial zur Deckung dieses Aortenwurzeldefekts mitgenutzt. Zunächst erfolgt der komplette Defektverschluss mit Verankerung des mittleren Teiles des Flickens direkt an der Insertionsstelle der rechtskoronaren Tasche in üblicher Technik. Der kraniale Überstand des Flickens wird – am besten mittels fortlaufender Naht – in den Aortenwurzeldefekt eingepasst. Bei einem klassischen Konusdefekt, wie er bei asiatischen Patienten häufiger beobachtet wird, kann der gesamte Eingriff transaortal erfolgen. Eine Asymmetrie der Klappentasche kann eine zusätzliche Rekonstruktion oder einen Klappenersatz bedingen.
12.6.6 Katheterinterventionelle Techniken
Das Bestreben, bei hämodynamisch hochwirksamen muskulären Defekten unter allen Umständen eine Ventrikulotomie zu vermeiden, führte zur Entwicklung katheterinterventioneller Verschlusstechniken (Bacha et al. 2005; Lock et al. 1988; Okubo et al. 2001; Waight et al. 2002). Aufgrund der eingeschränkten vaskulären Zugangsmöglichkeiten beim kleinen Kind kommen diese vermehrt in Verbindung mit der offenen chirurgischen Exposition des Herzens als sog. Hybridverfahren zum Einsatz und haben sich an den entsprechenden Zentren etabliert. Auch der perkutane Ver-
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Kapitel 12 · Ventrikelseptumdefekte (VSD)
tioneller Verschluss eines konoventrikulären VSD daher auf wenige, in streng kontrollierte Studienprotokolle eingebundene Zentren beschränkt werden.
12.6.7 Grenzgänge
. Abb. 12.6. »Amplatzer membranous septal occluder«. Laterale Ansicht, Schirm am Katheter montiert und entfaltet; linksventrikuläre Scheibe zwischen 3 und 4; aortaler Überstand (4) von 0,5 mm schmaler als septaler Überstand (3) mit 5,5 mm. Rechtsventrikuläre Scheibe zwischen 1 und 5, gleichmäßiger Überstand von 2 mm; Taille, die im VSD zu liegen kommt (2), mit einer Tiefe von 1,5 mm. A »delivery sheath«; B »pusher catheter«; C Konnektor am Katheter; D Schraubverbindung am Schirm. Im Nitinolgeflecht ist das Dacronpolyesterflickenmaterial erkennbar. Aus Hijazi et al. (2002)
12
schluss eines muskulären VSD gilt inzwischen unter bestimmten Voraussetzungen als sicher. Die Verfeinerung der Verschlussapparaturen hat dazu geführt, dass diese beim konoventrikulären/perimembranösen VSD als Alternative zur Chirurgie in Studien erprobt werden (Butera et al. 2007; Hirsch et al. 2007; Holzer et al. 2006; Michel-Behnke et al. 2005; Xunmin et al. 2007). Da die Okklusionsschirme zur sicheren Verankerung im Defekt einen entsprechenden Überstand an den Rändern des rechtsund linkskardialen Aspekts benötigen, waren Modifikationen der etablierten Modelle für den Atriumseptumdefektverschluss erforderlich. Der »Amplatzer membranous septal occluder« zeigt z. B. am superioren Rand Aussparungen des Nitinolgeflechts für die Aortenklappe (. Abb. 12.6). Bei größeren Kindern und Erwachsenen mit dementsprechend relativ kleinen Defekten konnten hiermit Erfolge erzielt werden. Durch direkten Kontakt der Schirme mit den Nachbarstrukturen des VSD wurden erwartungsgemäß auch Insuffizienzen der Aorten- und Trikuspidalklappe beobachtet. Der Druck auf den inferioren VSD-Rand führt gelegentlich zum Auftreten einer höhergradigen AV-Blockierung bis hin zur Notwendigkeit einer transvenösen passageren Stimulation über mehrere Wochen. Im Gegensatz zur chirurgischen Therapie sind die Möglichkeiten der Beherrschung von Komplikationen eingeschränkt, und auch der theoretische Vorteil eines kurzen stationären Aufenthalts mit geringer Morbidität wird dann schnell hinfällig. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt sollte ein elektiver interven-
Die Möglichkeiten der Technik haben zu erstaunlichen Entwicklungen wie etwa einem telemetrisch adjustierbaren Bändelungsgerät geführt (Bonnet et al. 2004). In der Behandlung des VSD spielt dies keine Rolle. Ein ähnliches Konzept des Vermeidens operativer Nachjustierungen verfolgt die Strategie des transkutanen Ausleitens einer Fixationsnaht des Bändchens (Choudhary et al. 2006). Solche Ideen kommen vornehmlich in Schwellenländern zur Anwendung, die zwar theoretisch über eine moderne Herzchirurgie verfügen, in denen aber aus infrastrukturellen Gründen viele Patienten erst relativ spät oder unter schlechten Voraussetzungen einer Behandlung zugeführt werden. Wird ein primärer Verschluss eines VSD bei spürbar erhöhtem, aber noch reagiblem Widerstand in der Lungenstrombahn angestrebt, sind Flicken mit eingebautem Ventilmechanismus denkbar (Novick et al. 2005; Zhang et al. 2007). Diese erlauben bei kritischem Anstieg einer pulmonalen Hypertension einen Überlauf von desoxygeniertem Blut vom rechten in den linken Ventrikel und damit eine Aufrechterhaltung des systemischen Blutdrucks auf Kosten der Sättigung. Diese Idee ist dem Konzept des fenestrierten Fontan nachempfunden. Aus dieser Erfahrung heraus hat sich bei uns in solchen Fällen eine simple Fenestration des VSD-Kunststoffflickens mit einer genormten Stanze bewährt. Konsekutiv kann eine solche Öffnung, die in der Regel einen Durchmesser von etwa 3 mm aufweist, katheterinterventionell verschlossen werden, falls es nicht ohnehin zu einem Spontanverschluss kommt. Ein unerwünscht frühzeitiger Spontanverschluss wie ggf. bei einem eingebauten Ventilmechanismus ist nicht zu befürchten.
12.7
Perioperative Aspekte
Beim präoperativen Aufklärungsgespräch müssen die typischen Risiken des VSD-Verschlusses genannt werden: AV-Block mit Schrittmacherabhängigkeit, Restdefekt, Klappenundichtigkeiten (trikuspidal, aortal). Positiv kann hervorgehoben werden, dass Lebensqualität und -erwartung sowie körperliche Belastbarkeit nach erfolgreicher Operation durch den transatrialen Zugang als normal anzusehen sind (Roos-Hesselink et al. 2004). Kontrovers diskutiert wird die Notwendigkeit einer postoperativen Endokarditisprophylaxe. Diese ist bei noch offenem VSD strikt durchzuführen, ebenso bei nachgewiesenem Restdefekt. Je nach verwendetem Flickenmaterial kann man spätestens nach 6 Monaten von einer voll-
377 Literatur
ständigen Endothelialisierung ausgehen, sodass dann keine zwingende Notwendigkeit mehr zu einer aggressiven Endokarditisprophylaxe besteht (Backer et al. 1993; Dajani et al. 1997). Für die postoperative Intensivtherapie gelten insbesondere beim jungen Säugling mit präoperativ massiv erhöhtem Qp:Qs-Verhältnis die Behandlungsgrundsätze zur Prophylaxe sog. pulmonalhypertensiver Krisen (Relaxierung, evtl. NO-Behandlung; 7 Kap. 8). Eine anfängliche AV-Blockierung, die durch eine Gewebeschwellung bedingt ist, kann sich innerhalb der ersten 10–14 Tage zurückbilden, sodass bis dahin die Indikation zur Implantation eines permanenten Herzschrittmachersystems zurückhaltend zu stellen ist. Aus Sicherheitsgründen hat es sich bewährt, bei Patienten, die am Ende der Operation noch eine höhergradige Blockierung aufweisen, eine zweite temporäre ventrikuläre epikardiale Elektrode aufzunähen. Auch wenn der VSD-Verschluss historisch zu den ersten jemals erfolgreich durchgeführten Herzoperationen gehört, handelt es sich keineswegs um einen Bagatell- oder gar einen »Anfängereingriff«. Heutzutage muss man fordern, dass auch diese Operation auf Zentren beschränkt bleibt, die in der operativen Behandlung angeborener Herzfehler eine entsprechende Expertise aufweisen, zumal die Mehrzahl der durchzuführenden Eingriffe im Neugeborenen- oder frühen Säuglingsalter vorgenommen werden muss. Nur so kann die notwendige Qualität in Hinblick auf Morbidität und Letalität erreicht werden.
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Kapitel 12 · Ventrikelseptumdefekte (VSD)
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13 Angeborene Herzfehler mit Anomalien des rechtsventrikulären Ausflusstrakts G. Ziemer, Z. Nagy 13.1 13.1.1 13.1.2 13.1.3 13.1.4 13.1.5 13.1.6 13.1.7
13.2 13.2.1 13.2.2 13.2.3 13.2.4
13.3 13.3.1 13.3.2 13.3.3 13.4
13.4.1 13.4.2 13.4.3 13.4.4
Fallot-Tetralogie mit Pulmonalstenose – 380 Historischer Überblick – 380 Chirurgische Anatomie – 380 Klinisches Bild – 382 Diagnostik – 382 Indikationsstellung zur Operation – 383 Therapiekonzepte für die Fallot-Tetralogie mit Pulmonalstenose – 383 Restriktive Physiologie des rechten Ventrikels in der früh- und spätpostoperativen Phase – 389 Spätkomplikationen nach Korrektur einer Fallot-Tetralogie – 390 Rezidiv der Obstruktion des rechtsventrikulären Ausflusstrakts – 390 Bifurkations-/Knickstenose der linken Pulmonalarterie – 390 Pulmonalinsuffizienz – 391 Aneurysmatische Erweiterung der Aorta ascendens und Aortenklappeninsuffizienz – 394 Therapie der Fallot-Tetralogie mit Pulmonalatresie – 394 Nomenklatur und Anatomie – 394 Klinisches Bild und Diagnostik – 396 Operative Korrektur – 396 Fallot-Tetralogie mit Pulmonalklappenagenesie (»absent pulmonary valve syndrome«) – 400 Definition – 400 Anatomie und Embryologie – 400 Diagnostik – 401 Therapie – 401
13.5 13.5.1 13.5.2 13.5.3 13.5.4 13.5.5 13.5.6 13.6 13.6.1 13.6.2 13.6.3 13.6.4 13.7 13.7.1 13.7.2 13.7.3 13.7.4 13.7.5
»Double outlet right ventricle« (DORV) – 403 Terminologie – 403 Definition – 403 Pathoanatomie – 404 Pathophysiologie und klinisches Bild Diagnostik – 405 Chirurgische Therapie – 405
– 405
Pulmonalatresie mit intaktem Ventrikelseptum – 409 Definition – 409 Patholologie – 409 Diagnostik – 410 Chirurgische Therapiekonzepte – 411 »Double-chambered right ventricle« (DCRV) – 415 Definition – 415 Pathologie – 415 Klinisches Bild und Diagnostik – 415 Indikation zur Operation – 416 Operationstechnik – 416 Literatur
– 416
380
Kapitel 13 · Angeborene Herzfehler mit Anomalien des rechtsventrikulären Ausflusstrakts
13.1
Fallot-Tetralogie mit Pulmonalstenose
13.1.1
Historischer Überblick
Seit der Beschreibung einer Herzfehlerkombination mit 4 4 4 4
13
Ventrikelseptumdefekt (VSD), Pulmonalstenose, dextroponierter Aorta (den VSD »überreitend«) und Hypertrophie des rechten Ventrikels
durch Etiennne Louis Fallot (1888), zu diesem Zeitpunkt Professor für Hygiene und Gerichtsmedizin in Marseille, ist diese als Fallot-Tetralogie in die medizinische Nomenklatur eingegangen und bis heute als solche geläufig. Eine kommentierte neue Übersetzung der Originalpublikation ins Englische wurde 1989 von Van Praagh herausgebracht. Fallot war jedoch nicht der erste, der auf diesen Herzfehler hinwies. Eine Beschreibung aus dem Jahre 1672 liegt von Stensen vor. Im Jahre 1777 berichtete Sandifort über diese Fehlbildung. Erst Fallot aber stellte die klinisch-pathologische Bedeutung bei solchen Fällen heraus. Als gemeinsames Kennzeichen hob er die Blausucht hervor und sprach ausdrücklich von einer »maladie bleu«. Nach Fallots Beschreibung taucht der mit seinem Namen verbundene Begriff der Tetralogie erst fast 40 Jahre später in den Arbeiten von Maud Abbott (1936) und vor allen Dingen bei Helen Taussig (1948) wieder auf. In der Zwischenzeit wurden mit Blausucht einhergehende Herzfehler nicht näher klassifiziert. Allgemein wurde nur von einem Morbus caeruleus gesprochen (Pfaundler u. Schlossmann 1926). Erklärt wird diese Entwicklung dadurch, dass sich bis 1944 keine Behandlungsmöglichkeit für diese Fehlbildung ergab. Zu diesem Zeitpunkt entwickelten Blalock und Taussig den Subklavia-Pulmonalis-Shunt, der als Blalock-Anastomose oder Blalock-Taussig-Shunt in die Geschichte der Herzchirurgie einging (Blalock u. Taussig 1949; 7 Kap. 9). In der Folgezeit wurden andere systempulmonale ShuntArten entwickelt, wie die Potts-Anastomose (Potts et al. 1946), der Kurzschluss nach Waterston (1962) sowie seine Modifikation nach Cooley und Hallman (1966). Eine wegweisende Modifikation, den ersten modifizierten BlalockTaussig-Shunt, publizierte Vishnevsky im Jahre 1960. Er interponierte eine Homograftarterie zwischen A. pulmonalis und A. subclavia (Vishnevsky u. Donetsky 1960). Die Verbindung mit Hilfe einer Dacrongefäßprothese wurde zuerst von Klinner et al. (1962) angegeben. DeLeval et al. (1981) führten das Polytetrafluorethylenrohr als ShuntMaterial ein. Die Ära der intrakardialen Eingriffe wurde mit der palliativen Pulmonalstenosesprengung durch Sellors (1948) und Brock (1948) eingeleitet. Der erste Korrektureingriff erfolgte 1954. Lillehei und Varco führten ihn an der Universität von Minnesota mit Hilfe der »Cross-circulation«Technik durch (Lillehei et al. 1955; 7 Kap. 9). Die Erstoperation unter Einsatz der Herz-Lungen-Maschine gelang
Kirklin (Kirklin et al. 1955) an der Mayo Clinic ein Jahr später. Aus Deutschland wurden erste große Serien von Klinner und Zenker (1965) veröffentlicht. Die routinemäßige primäre Totalkorrektur im Säuglingsalter wurde von Castaneda in Boston bereits Anfang der 1970er Jahre eingeführt (Castaneda et al. 1977; 7 Kap. 9). Die eindeutigen Vorteile der Frühkorrektur haben sich sowohl durch die positiven Auswirkungen auf die postnatale Phase der Lungenentwicklung (Johnson u. Haworth 1982) als auch durch den sehr günstigen Langzeitverlauf der rechtsventrikulären Funktion dieser Patienten gezeigt (Bacha et al. 2001).
13.1.2
Chirurgische Anatomie
13.1.2.1
Ventrikelseptumdefekt (VSD)
Der VSD in der Fallot-Tetralogie ist das typische Beispiel für den sog. Malalignment-VSD. Er entsteht als Lücke aufgrund einer anterolateralen Verschiebung des Auslassseptums zwischen Letzterem und dem Einlassseptum. So kommen die Aortenklappe, die Achse des Einlassseptums und damit auch der VSD überreitend zu liegen. Dieses Detail ist echochardiographisch besonders deutlich zu sehen. Es ändert jedoch intraoperativ nichts an den Prinzipien des VSD-Verschlusses. Im Gegensatz zum perimembranösen VSD begrenzt beim Malalignment-VSD ein bedeutsam größerer Anteil der Aortenklappenzirkumferenz die interventrikuläre Kommunikation. Die Platzierung der Flickennaht/-nähte in diesem Bereich erfordert besonderes Augenmaß, um die Integrität der Aortenklappe nicht zu verletzen. Der VSD kann entweder direkt bis zum Trikuspidalanulus reichen oder er wird von Letzterem durch einen Muskelstrang (die posteriore Aufzweigung der Trabecula septomarginalis) getrennt. Falls dieses Muskelbündel vorhanden ist, können die Nähte in diesem Abschnitt direkt am VSD-Rand platziert werden, da das elektrische Überleitungsgewebe weit vom Defektrand entfernt liegt. Bei bis zum Trikuspidalanulus reichendem VSD sollten die Nähte auf der rechten Seite des Septums etwas entfernt vom Defektrand und dann durch den Trikuspidalanulus gesetzt werden, um eine Verletzung des His-Bündels zu vermeiden. Kranial wird der VSD vom Konusseptum und vom dahinter liegenden Aortenanulus begrenzt. Das Konusseptum hat eine glatte muskuläre Struktur, die in normalen Herzen zum Teil nur schwer abgrenzbar ist, und weist bei Patienten mit Fallot-Tetralogie eine eigene Charakteristik auf. Es kommt als eine transversal und schräg-horizontal angelegte Muskelbrücke zwischen dem Ventrikelseptum und der freien rechtsventrikulären Wand zu liegen. Im Gegensatz zum normalen Herzen, wo es in der Gabelung des septomarginalen Trabekels (Crista ventricularis) zu liegen kommt, befindet sich der septale Ansatz des Konusseptums bei der Fallot-Tetralogie kranial vom anterioren Ast des septomarginalen Trabekels. Lateral läuft es etwas oberhalb
381 13.1 · Fallot-Tetralogie mit Pulmonalstenose
des Trikuspidalanulus in die Vorderwand aus und setzt sich nach anterior gemeinsam mit dem Trabeculum septomarginalis fort. In diesem Abschnitt zwischen Trikuspidalanulus und Konusseptum muss die Naht des VSD-Flickens in der mit tiefen Trabekeln versehenen freien rechtsventrikulären Wand verlaufen. Die Nähte/Naht sollte(n) hier sehr tiefgreifend gestochen werden, da das Risiko für intertrabekuläre residuelle VSD (sog. intramurale Rest-VSD; Preminger et al. 1994) sehr hoch ist. 13.1.2.2
Rechtsventrikulärer Ausflusstrakt
Die Anatomie des rechtsventrikulären Ausflusstrakts wird ebenfalls von der Deviation des Konusseptums bestimmt. Diese bereits beschriebene, gut charakterisierte Struktur bildet zusammen mit der Trabecula septomarginalis einen vollkommen ausgebildeten muskulären Ring, der das Infundibulum vom Rest des rechten Ventrikels abgrenzt (. Abb. 13.1). Dieser auch als »Os infundibuli« bekannte Muskelring bildet bei der Fallot-Tetralogie eine der engsten Stellen des rechtsventrikulären Ausflusstrakts. Der Ring ist bei Neugeborenen noch relativ weit. Wenn die Hypertrophie des gesamten rechten Ventrikels mit der Zeit zunimmt, werden auch die angrenzenden Muskelbündel dicker und führen zu einer Zunahme der infundibulären Obstruktion. Eine dynamische Komponente dieser hyperkontraktilen infundibulären Muskulatur ist auch für die bei der FallotTetralogie typischen hypoxämischen Krisen verantwortlich.
Bei Korrektur im Säuglingsalter kann dieser Muskelring durch einfache Durchtrennung der Muskelbündel effizient gesprengt werden. Bei im späteren Leben ggf. sekundär durchgeführten Korrekturoperationen ist zudem eine Resektion sekundärer hyperplastischer Endokardverdickungen (»jet lesions«) erforderlich, die mit weiteren Muskelresektionen sowie einem negativen Einfluss auf die Pumpfunktion und die Stabilität des rechten Ventrikels vergesellschaftet sein können. Die Van-Praagh-Schule spricht bei der Fallot-Tetralogie von einer Hypoplasie des gesamten rechtsventrikulären Infundibulums (Van Praagh et al. 1970). In der Tat ist das relative Volumen des Infundibulums im Vergleich zum gesamten rechten Ventrikel kleiner als in normalen Herzen. Von einer umschriebenen, auf das subpulmonale Infundibulum beschränkten Hypoplasie kann man u. U. jedoch nur bei extremen Fällen mit gleichzeitig deutlicher Pulmonalanulushypoplasie sprechen. 13.1.2.3
13.1.2.4
. Abb. 13.1. Schematischer axialer Schnitt in Höhe des Os infundibuli. Die Komponenten des Muskelrings sind das Moderatorband (auch als Trabecula septomarginalis bezeichnet) mit seinen 2 Abzweigungen (anterior und posterior) sowie das anterior und kranial deviierte Konus-(Infundibulum-)Septum
Fehlendes Konsusseptum
Zwar definiert das deviierte Konusseptum die Fallot-Tetralogie, dennoch ist bei einer bis auf das fehlende Konussseptum ähnlichen intrakardialen Anatomie und entsprechendem klinischen Krankheitsbild ebenfalls von einer Fallot-Tetralogie zu sprechen. Bei diesen Patienten sind Aorten- und Pulmonalklappenring nur durch eine schmale, fibröse Gewebebrücke voneinander getrennt, und entsprechend ist der VSD sowohl der Aorta als auch der A. pulmonalis zugeordnet. Er wird dann auch als »subarteriell« (»doubly committed«) bezeichnet. Die Obstruktion liegt bei diesen Patienten im Wesentlichen im Bereich der Klappenebene – als reine valvuläre Stenose, mit dysplastischem Klappengewebe oder mit assoziierter Anulus- und Pulmonalisstammhypoplasie. Bei dieser Anatomie fehlt die dynamische infundibuläre Komponente der Ausflusstraktstenose, und dementsprechend sind hypoxämische Anfälle äußerst selten und lassen sich dann weniger durch eine weitergehende sekundäre Muskelhypertrophie als durch akute pulmonale Widerstandserhöhungen (z. B. Schreikrämpfe) erklären.
Pulmonalklappe und Pulmonalarterien
Die Pulmonalklappe ist bei der Mehrzahl der Patienten an der rechtsventrikulären Ausflusstraktobstruktion beteiligt. Sie kann unterschiedliche Formen der Dysplasie aufweisen. Bei hochsymptomatischen Neugeborenen ist sie als domförmiges, knorpeliges Diaphragma ohne identifizierbare Kommissuren angelegt. In der Mitte des Spektrums ist sie bikuspid mit fibrotisch verdickten Taschen vorfindbar. Bei Patienten mit in Ruhe vorliegendem Links-rechts-Shunt, dem sog. Pink-Fallot, liegt häufig eine normal ausgebildete, trikuspide, jedoch etwas hypoplastische, zarte Klappe vor. Der Pulmonalisstamm ist meist deutlich kleiner als die Aorta ascendens, die ihrerseits größer ist als normal. Der Durchmesser korelliert sehr gut mit dem klinischen Krank-
13
382
Kapitel 13 · Angeborene Herzfehler mit Anomalien des rechtsventrikulären Ausflusstrakts
heitsbild, wobei eine auf den Stamm lokalisierte Stenose (supravalvuläre Komponente) bei der Fallot-Tetralogie eher atypisch ist. Relativ charakteristisch ist die Aufzweigung der Pulmonalarterie. Die V-förmige Bifurkation, die angiographish als Seemövenzeichen (»sea-gull sign«) zu beschreiben ist, bestimmt ein eher übereinander als nebeneinander beschreibbares Verhältnis zwischen den Pulmonalarterienhauptästen. In Höhe des Duktusabgangs kann bei hypoplastischen Pulmonalarterien eine typische Coarctatio pulmonalis (7 Kap. 19) in der Regel der linken Pulmonalarterie bestehen oder sich entwickeln (Luhmer u. Ziemer 1993). Weiter peripher liegende Stenosen sind eher bei Patienten mit Pulmonalatresie beschrieben. Das Vorkommen großer aortopulmonaler Kollateralarterien – sog. MAPCA (»major aortopulmonary collateral arteries«; s. unten, 13.3) – ist bei Patienten mit klassischer Fallot-Tetralogie eher selten, jedoch nicht als Ausnahme zu betrachten. Ihre Existenz ist dann konstant als Hinweis auf eine extrem ausgeprägte rechtsventrikuläre Obstruktion (funktionelle Atresie) zu betrachten. 13.1.2.5
Koronaranomalien
Wie bei allen konotrunkalen Fehlbildungen ist die Inzidenz der Koronaranomalien (etwa 4 %; Fyler 1992) größer als in der Allgemeinbevölkerung. Zwei Varianten haben eine besondere Bedeutung für die chirurgische Behandlung: der anomale Abgang des Ramus interventricularis anterior (RIVA) aus der rechten Koronararterie (»right coronary artery«, RCA) sowie der anomale Abgang der RCA aus dem RIVA. In beiden Fällen kreuzen diese Gefäße das Infundibulum und verbieten damit die Durchführung einer konventionellen transinfundibulären Korrektur mit transanulärem Ausflusstraktflicken.
13
! Das Wissen um die Koronaranomalien bei der FallotTetralogie und ihre Diagnostik ist insbesondere bei Re-Operationen, bei denen aufgrund der Verwachsungen die epikardiale Inspektion erschwert ist, von größter Bedeutung.
Manchmal sind sehr kräftige infundibuläre Äste der rechten Koronararterie zu sehen. Sie verlaufen schräg über das Infundibulum und erreichen die Herzspitze parallel mit dem RIVA oder sogar als einziges Versorgungsgefäß des apikalen Myokards als sog. doppelter RIVA. Diese Gefäße sollten ebenso auf keinen Fall durchtrennt werden. Wir empfehlen daher, auch bei »normal« angelegtem proximalen RIVA die Versorgung der Herzspitze bei »verdächtigen Konusästen« intraoperativ zu inspizieren.
defekt Typ I und die fast fehlende VSD-Komponente unterhalb des unteren Segels (Suzuki et al. 1998b). Der VSD unter dem oberen Segel ist sehr tief und dehnt sich wie der Fallot-typische Malalignmentdefekt in Richtung auf das Infundibulum aus (7 Kap. 10).
13.1.3
Die Fallot-Tetralogie ist das häufigste zyanotische Vitium (10 % aller angeborenen Herzfehler), und die meisten klinischen Zeichen, die für zyanotische Patienten beschrieben wurden, waren überwiegend bei solchen mit Fallot-Tetralogie zu beobachten. Die klassischen, im späteren Leben auftretenden Zeichen und Komplikationen wie Trommelschlägelfinger mit Uhrglasnägeln, Hockstellung (»squatting«) oder Hirnabszesse sind heute in den Industrieländern äußerst selten geworden. Das Krankheitsbild ist bei Neugeborenen und Säuglingen durch die Zyanose und das laute Systolikum gekennzeichnet. Die Zyanose kann bei schwerer Ausflusstraktobstruktion sehr früh und sehr ausgeprägt auftreten, sodass diese Kinder als Neugeborene nur unter Prostaglandintherapie zu stabilisieren sind – sofern ein Ductus Botalli vorliegt. Die meisten Patienten mit Fallot-Tetralogie und Pulmonalstenose zeigen nach der Geburt eine Sauerstoffsättigung unter Raumluftatmung von etwa 85–90 %. Gelegentlich besteht bei ausschließlichem Links-rechts-Shunt auch eine vollständige Sättigung. Das Auftreten der zyanotischen Krisen ist erst später, nach den ersten paar Lebensmonaten, zu erwarten, wobei Anfälle auch bei sehr jungen Patienten beschrieben sind. Diese Sättigungsabfälle treten bei Sympatikotonie durch Überstimulation der β-Rezeptoren auf. Gleichzeitig zur infundibulären Hyperkontraktion (Spasmus) kommt es auch zu einem Verlust des peripheren Gefäßwiderstands, der den Rechts-links-Shunt weiter verstärkt. ! Spätestens das Auftreten hypoxämischer Anfälle bei Fallot-Tetralogie sollte die Indikation zur dringlichen Operation bedeuten.
Einige Patienten mit Fallot-Tetralogie bleiben während des gesamten Säuglingsalters asymptomatisch und zeigen eine subklinische Zyanose (Sauerstoffsättigung unter Raumluftatmung von >90 %). Diese unter dem Namen Pink-Fallot bekannte Gruppe wird meist nur durch das Herzgeräusch auffällig.
13.1.4 13.1.2.6
Klinisches Bild
Diagnostik
Assoziierter AV-Kanal
Diese Assoziation tritt relativ häufig (etwa 4 % der Patienten mit Fallot-Tetralogie) auf (Fyler 1992; McElhinney et al. 1998b; Najm et al. 1998). Meistens liegt eine komplette Form vom Typ Rastelli C vor (Suzuki et al. 1998a). Typisch für diese Assoziation sind der relativ kleine Vorhofseptum-
Die klinische Symptomatik, die Auskultation, das Röntgenbild und das EKG sind zwar wichtige Anhaltspunkte, die definitive Diagnose wird jedoch durch die echokardiographische Untersuchung gestellt. Das deviierte infundibuläre Septum mit dem großen VSD und die Flussbeschleuni-
383 13.1 · Fallot-Tetralogie mit Pulmonalstenose
gung über dem rechtsventrikulären Ausflusstrakt sind die Hauptkriterien der Ultraschalldiagnostik. Eine detaillierte Untersuchung soll zusätzlich eventuelle muskuläre VSD, relevante Koronaranomalien, Stenosen in den zentralen Pulmonalarterien sowie die Pulmonalklappenmorphologie möglichst genau beschreiben. Eine Herzkatheteruntersuchung mit Angiokardiographie ist im Säuglingsalter nur bei sehr hypoplastischen Pulmonalarterien oder bei anderen direkten oder indirekten echokardiographischen Zeichen systemischer Kollateralen (MAPCA) erforderlich (Acherman et al. 1996; Mackie et al. 2003). Eine invasive Diagnostik halten wir auch bei ReOperationen für erforderlich, dazu gehören auch Korrekturen nach palliativer Shunt-Anlage.
13.1.5
Dieser könnte u. U. deutlich kleiner sein als ein für die normale Körpergröße ausgerechneter Conduit und damit das Risiko der Komprimierung der dahinter liegenden anomalen Koronararterie deutlich reduzieren. Eine eindeutige Indikation zur zunächst palliativen Shunt-Anlage bei Fallot-Tetralogie sehen wir bei akut präoperativ, z. B. im Rahmen der Narkoseeinleitung, aufgrund einer hypoxämischen Krise reanimationspflichtigen Patienten. Ebenso ist bei symptomatischen Neugeborenen mit multiplen VSD zunächst eine Shunt-Anlage indiziert. Die Assoziation einer Fallot-Tetralogie mit einem kompletten AV-Kanal sollte bei balanciertem Ventrikel elektiv oder entsprechend dringlich wie bei allen anderen Patienten mit Fallot-Tetralogie im Säuglingsalter primär korrigiert werden.
Indikationsstellung zur Operation
! Die Diagnose einer Fallot-Tetralogie stellt eine Indikation zur Korrekturoperation im Säuglingsalter dar. Ein prostaglandinabhängiges, auf der Intensivstation behandeltes Neugeborenes sollte alsbald, d. h. in der 2.–4. Lebenswoche operiert werden. Dem Auftreten zyanotischer Anfälle bei ambulanten Patienten sollten die unmittelbare stationäre Aufnahme und die dringliche Operation folgen.
Bezüglich des Zeitpunkts der elektiven Operation der oligo- oder asymptomatischen Säuglinge sind die Meinungen sehr unterschiedlich. Einige Arbeitsgruppen schlugen eine elektive neonatale Korrektur bei allen Patienten vor (Hirsch et al. 2000; Parry et al. 2000). Andere Autoren empfehlen die Operation eher ab dem 3. Lebensmonat (Kouchoukos et al. 2003). Während in der Arbeit von Parry et al. (2000) die sehr früh (durchschnittlich am 62. Lebenstag) durchgeführte Operation die Inzidenz der transanulären Erweiterung nicht beeinflusst hat, zeigen andere Studien eine deutlich erhöhte Anzahl von Patienten mit transventrikulärem Zugang (Stellin et al. 1995). Mit zunehmender Zahl von Patienten, die wegen der Folgen einer Pulmonalinsuffizienz nach Fallot-Korrektur eine Re-Operation benötigen, sollte eine weitgehend klappenerhaltende transatriale Korrektur, die im 2. Lebenshalbjahr erfolgt, immer mehr als elektives Vorgehen betrachtet werden. Kann die Pulmonalklappe nicht erhalten werden, scheint jedoch nach unserer Erfahrung langfristig kein Vorteil des transatrialen Vorgehens zu bestehen. Koronaranomalien stellen keine grundsätzliche Indikation für eine Shunt-Implantation dar. Sollte in gelegentlichen Fällen von Fallot-Tetralogie mit Pulmonalstenose mit infundibulumkreuzenden Koronarien eine transatriale Korrektur wegen des hypoplastischen Pulmonalanulus als nicht ausreichend erscheinen, empfehlen wir, einen parallel zum nativen Ausflusstrakt laufenden Conduit zwischen rechtem Ventrikel und Pulmonalarterie zu implantieren.
13.1.6
Therapiekonzepte für die FallotTetralogie mit Pulmonalstenose
13.1.6.1
Palliative Operationen
Palliative Operationen bei Fallot-Tetralogie finden in unserer Praxis nur unter besonders außergewöhnlichen Umständen statt, z. B. im Fall einer unmittelbar zurückliegenden schweren Kreislaufdekompensation als Folge einer hypoxämischen Krise. Unter diesen Umständen ist die Verwendung der extrakorporalen Zirkulation, ggf. mit Kreislaufstillstand, äußerst kritisch zu betrachten, und eine kurzfristige Shunt-Anlage (für 2–3 Monate) sollte bei diesen Patienten die Möglichkeit einer metabolischen und ggf. neurologischen Erholung bieten (7 13.1.5). Die Operation sollte über eine mediane Sternotomie erfolgen. Zahlreiche technische Varianten sind vorgeschlagen worden.
Klassischer Blalock-Taussig-Shunt Dieser Shunt wird bei typischerweise vorliegendem linken Aortenbogen als End-zu-Seit-Anastomose zwischen dem proximalen Teil der distal abgesetzten rechten A. subclavia und der rechten A. pulmonalis angelegt. Bei Vorliegen eines rechten Aortenbogens verwendet man entsprechend die linke A. subclavia und die linke A. pulmonalis. Wird die dem Aortenbogen gleichseitige A. subclavia genutzt, kann es gehäuft zu Abgangsstenosierungen an ihrem aortalen Ursprung kommen. Obwohl kritische Durchblutungsstörungen des rechten Armes bei der guten Kollateralisierung v. a. über die A. vertebralis unmittelbar nach der Operation nur äußerst selten beschrieben worden sind (Mearns et al. 1978), bleibt das Potenzial für ein verzögertes Wachstum (Skovránek et al. 1976) oder für ein »Subclavian-steal«-Syndrom (Sokól et al. 1969) als mögliche Spätkomplikation bestehen.
Modifizierter Blalock-Taussig-Shunt Dieser stellt für viele Institutionen das Elektivverfahren sowohl für die Erstpalliation univentrikulärer Herzfehler mit
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384
13
Kapitel 13 · Angeborene Herzfehler mit Anomalien des rechtsventrikulären Ausflusstrakts
restriktiver Pulmonalzirkulation als auch für die Ausnahmefälle der Fallot-Tetralogie dar (deLeval et al. 1981). Der aus einer Polytetrafluorethylenrohrprothese mit einem Durchmesser von 3,5–4 mm gefertigte Shunt kommt zwischen dem Truncus brachiocephalicus und der rechten A. pulmonalis zu liegen. Bei linkem Aortenbogen verläuft der Shunt interaortokaval dorsal an die Oberkante der rechten A. pulmonalis. Bei rechtem Aortenbogen mit Spiegelbildverteilung (»mirror-image branching«) der supraaortalen Äste liegt die Prothese etwas ventraler und verläuft spiralförmig um den Aortenbogen. Für den modifizierten Blalock-Taussig-Shunt empfehlen wir unabhängig von der Seitlichkeit des Aortenbogens, die rechten Aa. subclavia et pulmonalis zu verwenden. Als theoretischer Vorteil dieser technischen Variante gegenüber dem zentralen aortopulmonalen Shunt wird eine gewisse Autoregulierung des Flussvolumens angenommen. Diese Autoregulierung, die v. a. bei einer univentrikulären Kreislaufkonstellation in der frühpostoperativen Phase eine entscheidende Rolle spielen kann, wird der dämpfenden Wirkung des Truncus brachiocephalicus auf die pulsatile dynamische Komponente der aortalen Schockwelle/des Windkessels zugeschrieben und sollte im Gegensatz zum direkten aortopulmonalen Shunt zu einem geringeren diastolischen Abfluss (»run-off«) führen. Als Nachteile des modifizierten Blalock-Taussig-Shunts sind Entwicklungsstörungen und iatrogene Stenosen der A. pulmonalis jedoch deutlich häufiger zitiert (Sachweh et al. 1998). Diese evtl. zu sekundären Stenosen oder gar zu einem Verschluss führenden Distorsionen der Pulmonalarterie spielen bei den gelegentlich notfallmäßig palliierten Patienten mit geplanter Einsatzdauer des Shunts von nur einigen Monaten oder sogar Wochen keine so große Rolle wie eine evtl. über Jahre belassene Verbindung. Nach Mobilisierung der Quervene und zirkumferenziellem Freipräparieren des Truncus brachiocephalicus sollte die rechte A. pulmonalis – zwischen V. cava superior und Aorta ascendens arbeitend – ebenfalls komplett bis zu den hilusnahen Aufzweigungen freipräpariert werden. Wir bevorzugen die Kontrolle der Hilusäste (Oberlappen- und Intermediärarterie) mittels Tourniquets, die einen deutlich geringeren Platzbedarf haben als herkömmliche Gefäßklemmen. Alternativ kann die pulmonale Anastomose unter Verwendung einer von kranial platzierten »C«-Klemme (z. B. Cooley-Klemme) angelegt werden. Für die proximale Anastomose wird das Polytetrafluorethylenrohr sehr schräg abgeschnitten. Seine Länge kann man in situ abschätzen und das pulmonale Ende leicht konvex abscheiden, um eine bessere Anpassung der T-förmigen Anastomose an die Zirkumferenz der Pulmonarterie zu gewährleisten (. Abb. 13.2). Zu diesem Zeitpunkt könnten subadventitiell platzierte Markierungsnähte in den Winkeln/an den Enden der geplanten Arteriotomien bei nicht geklemmten Gefäßen die korrekte Lage des Shunts festlegen und optimieren. Nach systemischer Heparingabe (100 IE/kg KG) prüft man mit-
. Abb. 13.2. Zurechtschneiden der Polytetrafluorethylenprothese für die Fertigung des modifizierten Blalock-Taussig-Shunts. Das arterielle, an den Truncus brachiocephalicus dextra zu anastomosierende Ende wird sehr schräg angeschnitten. Pulmonaliswärtig soll die Prothese konvex zurechtgeschnitten werden
tels Probeklemmung sowohl des Truncus brachiocephalicus als auch der Pulmonalarterie die Durchführbarkeit der Operation. Mit der tangentiellen Ausklemmung des Truncus brachiocephalicus achtet man v. a. auf die routinemäßig eingesetzte zerebrale Oxygenierungsmessung. Bei der Probeklemmung der A. pulmonalis sollte die periphere Sauerstoffättigung nicht auf kritische Werte sinken. Typischerweise verändert sie sich nicht – wenn doch, kann eine Optimierung mit Erhöhung der inspiratorischen Sauerstofffraktion vonseiten der Anästhesie einen kritischen Sättigungsabfall während der Ausklemmung fast regelhaft verhindern. Sollte die Probeklemmung trotz hämodynamischer (Volumenzufuhr in Form von Erythrozytenkonzentraten) und ventilatorischer Maßnahmen zu einer Kreislaufinstabilität führen, muss/müssen die Anastomose(n) mit Unterstützung der normothermen extrakorporalen Zirkulation bei schlagendem Herzen gefertigt werden. Dabei sind dann zusätzlich zur Pulmonalisklemmung auch mechanische Beeinträchtigungen (Druck/Zug) der Herzfunktion als ursächlich anzunehmen. Unsere bevorzugte technische Variante sowohl bei biventrikulären (äußerst selten) als auch bei univentrikulären Herzen ist der aus einer ringverstärkten Polytetrafluorethylenrohrprothese gefertigte zentrale aortopulmonale Shunt. Bei Neugeborenen mit offenem Ductus arteriosus wird die tangentielle Ausklemmung des Pulmonalisstamms sehr gut toleriert. Die Anastomosenstelle wird pulmonal nur geschlitzt und aortal nach Durchführung einer Stichinzision mittels Aortenstanze aus der Koronarchirurgie (Durchmesser von 4 mm) vorbereitet. Die so gewonnene zirkuläre Öffnung erlaubt eine deutlich harmonischere Anlage der Anastomose. Sollte die tangentielle Ausklemmung an der Aorta nicht toleriert werden oder eine umschriebene Coarctatio pulmonalis vorliegen, empfiehlt es sich, die Operation mit normothermer Unterstützung durch die extrakorporale Zirkulation durchzuführen (s. oben).
385 13.1 · Fallot-Tetralogie mit Pulmonalstenose
Bei Säuglingen sollte der Durchmesser des Shunts höchstens 4 mm betragen (bei einem Körpergewicht von <3 kg 3,5 mm), und jenseits des ersten Lebensjahres sollte der Shunt nicht größer sein als 5 mm. Durch den Einsatz überdimensionierter Shunts ist praktisch keine wesentliche Verbesserung der systemischen Oxygenierung, sondern nur eine Volumenbelastung des linken Herzens zu erwarten. Für den Verlauf zentraler Shunts bei Neugeborenen und kleinen Säuglingen siehe auch . Abb. 13.13b, S. 412. Andere historische Shunt-Verfahren (Potts, Waterston, Cooley) sind wegen häufiger Sekundärprobleme schon seit vielen Jahren obsolet.
Korrekturoperation Führung der extrakorporalen Zirkulation
13.1.6.2
Die Korrektur einer Fallot-Tetralogie im Säuglingsalter führen wir im tiefhypothermen Kreislaufstillstand durch. Normothermie und kardioplegischer Herzstillstand sind ebenfalls möglich. Nach Eröffnung des Perikards wird der evtl. vorhandene und noch offene Ductus arteriosus dargestellt. Falls die peripheren Sättigungswerte im akzeptablen Bereich bleiben, können die Trennung der A. pulmonalis von der Aorta und die eventuelle Freipräparierung der Pulmonalisäste bereits vor Anschluss an die Herz-LungenMaschine erfolgen. Bei wiederholten Sättigungsabfällen während der Manipulation sollten diese Manöver später, während der Kühlungsphase an der Herz-Lungen-Maschine, stattfinden. Die arterielle Kanülierungsstelle wählt man bei Fallot-Tetralogie etwas nach rechts versetzt distal an der Aorta ascendens, um einen möglichst großen Abstand zum pulmonalarteriellen Operationsgebiet zu erhalten. Bei den nicht selten anzutreffenden Patienten mit rechtem Aortenbogen (etwa 25 % der Patienten mit Fallot-Tetralogie) stellt man den linksseitigen Truncus brachiocephalicus dar, um die aortale Kanüle etwas proximal davon einzuführen und eine iatrogene Stenose des Trunkusabgangs durch Festziehen der Tabaksbeutelnaht zu vermeiden. Die venöse Kanülierung erfolgt über das rechte Herzohr. Während der Kühlungsphase wird das Freipräparieren des Pulmonalisstamms ergänzt. Nach Erreichen der tiefhypothermen Temperaturen, Klemmen der Aorta ascendens und Einleitung des Kreislaufstillstands (7 Kap. 5) wird die Vorhofkanüle routinemäßig entfernt und über eine Rechtsatriotomie der intrakardiale Situs inspiziert. Bei intaktem Vorhofseptum wird im Bereich der Fossa ovalis eine vorübergehende Öffnung geschaffen. Damit kann nicht nur das linke Herz besser blutfrei gemacht, sondern später auch die anschließende Entlüftung des linken Herzens besser gestaltet werden. Bei älteren Patienten, bei denen die Operation unter moderat hypothermer extrakorporaler Zirkulation ohne Kreislaufstillstand durch aortobikavale Kanülierung erfolgt, wird der linksventrikuläre Entlastungs-(Vent-)Katheter ebenfalls über das Vorhofseptum eingeführt. Unmittelbar nach Verschluss des VSD kann die RePerfusion mit geringer Flussmenge (25 % des errechneten
Flusses) bereits eingeleitet werden. Anfänglich wird das venöse Blut über die Kardiotomiesauger zurückgeführt. Die Temperatur des Perfusats sollte initial bei 20°C gehalten werden und das Aufwärmen erst nach Freigabe der Koronarperfusion beginnen. Die venöse Kanüle führt man nach Verschluss des Vorhofseptums und der Atriotomie wieder ein. Nach Lösen der Aortenklemme soll der arterielle Perfusionsdruck für 10 min bei <30 mmHg bleiben. Sind dabei Flussraten von >50 % erreichbar, wird auf 25°C angewärmt. Die eventuelle Einnaht des rechtsventrikulären/transanulären Ausflusstraktflickens erfolgt während des Aufwärmens. Typischerweise liegen die Kreislaustillstandszeiten zur Korrektur einer Fallot-Tetralogie bei Neugeborenen und Säuglingen zwischen 18 und 25 min.
Transinfundibuläre Korrektur Die klassische Operation bei Fallot-Tetralogie mit Pulmonalstenose erfolgt über einen transinfundibulären Zugang. Zwar sind quer verlaufende Inzisionen koronarschonender und waren Teil einer inversen T-Inzision früherer Operationstechniken, heute wird bei Patienten mit Fallot-Tetralogie jedoch eine Inzision in Längsrichtung, praktisch in Verlängerung der Achse der A. pulmonalis geführt. Frühere technische Beschreibungen und ihre beigefügten Zeichnungen empfahlen eine großzügig in Richtung Herzspitze über das Infundibulum hinaus gerichtete Inzision, wodurch ein breiter Zugang zum VSD-Verschluss gewährleistet wurde. Lange rechtsventrikuläre Inzisionen sind nicht erforderlich und können bei Einnaht eines entsprechend breiten Erweiterungsflickens die Ursache einer rechtsventrikulären Dysfunktion darstellen. Bei Patienten, bei denen keine transanuläre Erweiterung vorgesehen ist, sollte die Infundibulotomie sicher unterhalb des Anulus beginnen. Man sollte nach proximal strikt infundibulär bleiben und das Moderatorband (Crista supraventricularis) nicht durchschneiden. Bei größeren Patienten ist diese Inzision relativ einfach durchführbar. Bei Neugeborenen, bei denen die Verschlussnähte, d. h. die Einnaht des Ausflusstraktflickens, verhältnisgemäß wesentlich mehr Ventrikelwand verbrauchen, sollte an den absolut immer sehr nah liegenden RIVA zu jedem Zeitpunkt gedacht werden. Eine retrospektive Studie hat die deutlich höhere Letalität nach neonataler Operation einer Fallot-Tetralogie mit der möglichen Ischämie im RIVA-Gebiet erklärt, ohne eindeutige pathologische Hinweise auf einen Komplettverschluss zeigen zu können (Di Donato et al. 1991). Die Orientierung bei der Schnittführung kann durch 2 oberflächliche Haltenähte erleichtert werden, wobei wir den Schnitt mit einer 11er-Klinge am zusammengefallenen rechten Ventrikel (in seiner natürlichen Lage) durchführen, um in der Längsachse der Pulmonalarterie zu bleiben. ! Bei der Darstellung der intraventrikulären Anatomie ist ein Lidhaken im apikalen Winkel der Infundibulotomie äußerst hilfreich.
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Kapitel 13 · Angeborene Herzfehler mit Anomalien des rechtsventrikulären Ausflusstrakts
Bei Säuglingen sind keine unüberschaubar hypertrophierten infundibulären Muskelbündel zu erwarten, und meistens kann durch einfache Durchtrennung einiger Muskelbündel (Os infundibuli) im Bereich des lateralen Ansatzes des deviierten Konusseptums die sog. dynamische Stenosekomponente beseitigt werden. Weitere infundibuläre Muskelinzisionen und/oder -resektionen werden durch das eventuelle Vorfinden von »jet lesions« (ältere Säuglinge) erleichtert, da diese fibrotischen Verdickungen des Endokards v. a. im Bereich von Stellen mit deutlicher Flussbeschleunigung auftreten. Obgleich am Konusseptum sehr häufig »jet lesions« zu sehen sind, sollte insbesondere im mittleren Bereich wegen der unmittelbar dahinter liegenden Aortenklappe möglichst keine Muskelresektion, sondern nur eine sparsame Resektion der Fibrose erfolgen. Die Pulmonalklappe stellt bezüglich der Langzeitergebnisse eine der »Achillessehnen« der Operation dar. Bei symptomatischen Patienten mit Fallot-Tetralogie ist eine valvuläre Komponente der Obstruktion konstant vorhanden, deren Behebung unbedingt stattfinden muss. Eine komplette Resektion empfiehlt sich in der Tat nur bei einer akommissuralen knorpeligen Membran. Eine schrittweise Sprengung mittels Hegar-Stiften sollte jedoch auch bei zarten trikuspid angelegten Klappen durchgeführt werden. Der Durchmesser des Klappenrings ist präoperativ echokardiogaphisch mit großer Genauigkeit bestimmbar. Die Bougierung sollte sich eher auf diesen als auf den für die Körperoberfläche berechneten normalen Durchmesser beziehen. Die Klappe sollte nie mit Stiften angegangen werden, die größer sind als der Anulusdiameter minus einer Standardabweichung. Größere Stifte können zu parakommissuralen Rissen in der Pulmonaliswand und im Anulus führen. Obgleich die Erhaltung der Klappendichtigkeit durch schonendes Umgehen mit dem Taschengewebe sehr wichtig ist, sollte nicht vergessen werden, dass der Anulus der Klappe im Gegensatz zu allen anderen Herzklappen komplett muskulär ist. Dadurch kann später auch bei ursprünglich komplett erhaltener, zarter und trikuspider Klappenanatomie durch eine aneurysmatische Infundibulum- und Anuluserweiterung eine wesentliche Regurgitation entstehen (s. auch unten, 13.2). Wir bevorzugen es, den VSD mittels Dacronflicken zu verschließen. Der Flicken wird mit einer fortlaufenden Polypropylenenaht (Stärke 5/0 für Neugeborene und Kleinkinder, später Stärke 4/0) eingenäht. Trotz unterschiedlicher Nahttechniken und Flickenmaterialien bleiben einige Grundprinzipien des VSD-Verschlusses allgemein gültig. Die erste Naht sollte im fernsten und tiefsten Punkt, nämlich im Bereich des Trikuspidalanulus, angelegt werden. Falls der Defekt bis zur Trikuspidalklappe reicht (perimembranöser Malalignment-VSD), wird die erste U-förmig gesetzte Naht durch das Trikuspidalklappenorifizium hindurch und dann von der atrialen Seite kommend in den Trikuspidalanulus im Bereich der anteroseptalen Kommissur gelegt (A in . Abb. 13.3b). Die Darstel-
lung dieses gelegentlich schwer einsehbaren Winkels kann durch einen starren, im VSD platzierten Koronarsauger erleichtert werden. Die folgenden Stiche sollte man nach Herabsenken des Flickens posterior aortenklappennah ansetzen (B in . Abb. 13.3b). Die weitere Stichführung erfolgt posterokaudal auf der rechtsventrikulären Seite, weit entfernt vom Defektrand (C in . Abb. 13.3b). Der hier ansetzende mediale Papillarmuskel (Lancisi-Muskel) wird mit den Nähten sorgfältig umfahren, da eine postoperative Trikuspidalinsuffizienz bei dem hypertrophierten und hyperdynamen rechten Ventrikel frühpostoperativ hämodynamisch relativ schlecht toleriert wird. Nach ungefähr 4 oder 5 Stichen, wodurch die kritische Stelle gesichert wurde, sollte man durch Nahtwechsel die Einnaht im posterokranialen Winkel anfertigen (D in . Abb. 13.3b). Dieser Bereich weist mehrere unregelmäßige Muskeltrabekel auf und wurde in der Regel im Rahmen der infundibulären Resektion/Inzision eingeschnitten. Daher sollte man die Stiche sehr tiefgreifend anlegen. Einerseits sollten die durchgreifenden Stiche das fehlende, relativ feste Endokard kompensieren, anderseits werden damit intramurale RestVSD vermieden. Sobald der Unterrand des Konusseptums erreicht ist, sind die Stiche weiterhin fest, jedoch relativ oberflächlich zu führen, um die unmittelbar hinter dem Septum liegende Aortenklappe nicht zu verletzen (E in . Abb. 13.3b). Der Verschluss der Infundibulotomie erfolgt mittels Erweiterungsflicken (isoliert infundibulär oder darüber hinaus transanulär) während des Aufwärmens am schlagenden Herzen. ! Um einen relativ blutfreien Situs zu erzielen, ist der Einsatz von 2 Koronarsaugern unabdingbar. Sie sollten jedoch den Situs in keiner Weise verziehen, um v. a. im Bereich des sehr kritischen distalen Winkels eine Stenosierung zu vermeiden.
Rechtsventrikulärer transanulärer Ausflusstraktflicken Wir benutzen fast ausschließlich Polytetrafluorethylen (0,4 mm stark) als Rekonstruktionsmaterial für den rechtsventrikulären Ausflusstrakt. Als Alternativen sind autologes Perikard, Homograft, Xenograft und Dacron bekannt. Falls der Klappenring weit genug ist (mehr als –2 Standardabweichungen im Vergleich zum Normwert), kann man mit einem reinen infundibulären Flicken die Integrität des Klappenrings und ggf. der Klappe erhalten. Im Fall eines hypoplastischen oder atretischen Anulus muss ein transanulärer Flicken zur Anwendung kommen. Der Schnitt wird in der Regel bis zur Bifurkation geführt, zumindest in Höhe des Abgangs der rechten Pulmonalarterie. Bei Coarctatio pulmonalis wird bis in die linke Pulmonalarterie eingeschnitten (. Abb. 13.4). Um Verziehungen der Pulmonalisbifurkation oder der Äste durch den Flicken zu verhindern und gleichzeitig eine ausreichende Erweiterung zu erzielen,
387 13.1 · Fallot-Tetralogie mit Pulmonalstenose
a
b
c
. Abb. 13.3a–c. a Transinfundibulärer Zugang zur Korrektur einer Fallot-Tetralogie. Die septalen bzw. parietalen Ausläufer des Konusseptums sind bereits inzidiert. Die Ränder des Ventrikelseptumdefekts können in der Regel nicht gleichzeitig dargestellt werden. b Halbschematische Darstellung der Zirkumferenz des Ventrikelseptumdefekts. Segment A aortotrikuspidale Winkel; Segment B Crista supraventricularis mit unregelmäßigen und gelegentlich sehr tiefen Muskeltrabekeln; Segment C Einlassseptum, wo das His-Bündel ungefähr am Rand des Ventrikelseptumdefekts verläuft und das manchmal die Insertionsstelle isolierter Trikuspidalchordae darstellt; Segment D Trabekelseptum (glattflächig); Segment E Konusseptum mit der unmittelbar dahinter liegenden Aortenklappe; c Abstand (Tiefe) der Stiche vom Defektrand in den verschiedenen Abschnitten der Zirkumferenz des Ventrikelseptumdefekts
a
b
. Abb. 13.4a, b. a Die Inzision sollte bei Verdacht auf Coarctatio pulmonalis bis in die linke A. pulmonalis geführt werden. b Der sich vorwöl-
bende Flicken sollte an den Enden fast rechteckig abgeschnitten werden. Der maximale Durchmesser befindet sich in der Ebene des Anulus
13
388
13
Kapitel 13 · Angeborene Herzfehler mit Anomalien des rechtsventrikulären Ausflusstrakts
verwenden wir neben 0,4 mm dickem Polytetrafluorethylenflickenmaterial auch gelegentlich aus entsprechend großen, längs aufgeschnittenen Polytetrafluorethylenrohrprothesen (Durchmesser: 6–8 mm) gefertigte, drittel-/halbrohrförmige Stücke. Die vorhandene Konvexität der Rohrprothese erlaubt die Implantation eines ausreichend breiten Flickens, ohne dass dieser durch ihre Steifigkeit das Gefäßlumen verzieht bzw. zusammendrückt. Die so entstandenen vorgewölbten Rekonstruktionen adaptieren sich mit der Zeit an die wachsende Gefäßstruktur. Eine deutliche Überdimensionierung des Flickens ist nicht erwünscht, der Anulusdiameter sollte den für die Körperoberfläche normierten Wert nicht wesentlich überschreiten. Die Einnaht des Flickens beginnt im distalen Winkel und erfolgt nach proximal mittels fortlaufender Polypropylenenaht. Im Bereich der Pulmonalarterie ist die Kongruenz der Stichschritte im Flicken und in der Gefäßwand anzustreben, wobei man im Infundibulum im Myokard breiter und tiefer stechen sollte, um die Hämostase und die bereits erwähnte Vorwölbung hier ebenfalls sicherzustellen. Eine durchgreifende Naht im Myokard ist nicht erforderlich, den Halt gibt das Epikard. Die benachbarten Koronarien (v. a. der RIVA) sollten durch die Flickennähte auf keinen Fall beeinträchtigt werden, ggf. muss man bei sichtbaren Verziehungen der Koronarie das darüber liegende Epikard inzidieren. Dies schafft in fast jedem Fall Entlastung. Mehrere Arbeitsgruppen schlagen verschiedene, die Klappenfunktion ersetzende technische Neuerungen vor. So wurde z. B. von der Loma-Linda-Gruppe die sog. Monocusp-Klappe vorgeschlagen (Gundry et al. 1994). Diese Technik verwendet einen autologen transanulären Perikardflicken, worauf intraoperativ eine ebenfalls aus autologem Perikard oder aus 0,1 mm starker Polytetrafluorethylenmembran bestehende Semilunartasche aufgenäht wird. Die Idee war bereits in den 1970er Jahren vorgeschlagen worden, hat aber generell – außer einer frühpostoperativ nachgewiesenen verbesserten Klappenfunktion – keine andauernden Auswirkungen auf die Pulmonalregurgition gezeigt (Ionescu et al. 1979). Die Arbeitsgruppe aus Indiana berichtete über eine besser erhaltene Klappenfunktion (Polytetrafluorethylen Monocusp) im mittelfristigen Verlauf, wobei 10 Jahre nach der Operation 48 % der Patienten frei von bedeutsamer Klappenundichtigkeit blieben (Brown et al. 2007).
1998). Eine »partielle transatriale« Korrektur (auch: transatriale/transpulmonale Korrektur) mit transatrialem VSDVerschluss und limitierter distaler Infundibulotomie hat sich in anderen Zentren ebenfalls etabliert (Atallah-Yunes et al. 1996; Edmunds et al. 1976; Kawashima et al. 1985). Die zunehmende Zahl der nach transventrikulärer Korrektur re-operierten Patienten hat das Interesse an diesem Zugang erneut geweckt, weil intuitiv dadurch eine bessere Erhaltung der rechtsventrikulären Struktur zu erhoffen ist. Unsere Strategie hat sich in den vergangenen 20 Jahren ebenfalls in diese Richtung bewegt, und jenseits der frühpostnatalen Phase ist dies unser elektiver Zugangsweg für die Korrektur der unkomplizierten Fallot-Tetralogie mit Pulmonalstenose geworden. Nach der Rechtsatriotomie wird mittels zweier schmaler Lidhaken (von der Operateur-/rechten Seite aus betrachtet bei 11 und 2 Uhr der Zirkumferenz des Klappenrings angesetzt) durch die Trikuspidalklappe geblickt. Der VSD kommt im Vergleich zum perimembranösen VSD weit kranial zu liegen. Die überreitende Aortenklappe ist durch den VSD fast immer sehr deutlich zu sehen (. Abb. 13.5). Der manchmal sehr schmale Eingang in den rechtsventrikulären Ausflusstrakt liegt ungefähr auf der gleichen Höhe unmittelbar distal des VSD. Sowohl der VSD als auch der rechtsventrikuläre Ausflusstrakt sollten vor jeglichem weitergehenden chirurgischen Manöver eindeutig identifiziert werden. Das Einführen einer nach kranial orientierten Overholt-Klemme sollte manuell in der A. pulmonalis oder mindestens im distalen rechtsventrikulären Ausflusstrakt (durch das Infundibulum) tastbar sein.
Transatriale Korrektur Diese Technik war von Hudspeth bereits Anfang der 1960er Jahre beschrieben worden (Hudspeth et al. 1963). Die transinfundibuläre Korrektur hat sich jedoch in den folgenden 3 Jahrzehnten als fast ausschließlich verwendete Methode durchgesetzt (Castaneda et al. 1977). Über eine transatriale Korrektur wurde in der Literatur gelegentlich berichtet, z. B. bei Koronaranomalien oder bei älteren Kindern als sekundäre Korrektur nach primärer Palliation (Brizard et al.
. Abb. 13.5. Transtrikuspidale Darstellung der intraventrikulären Anatomie mit dem bereits eingeschnittenen Konusseptum. Der Eingang des rechtsventrikulären Ausflusstrakts kommt praktisch apikal des Ventrikelseptumdefekts und etwas kranial davon zu liegen
389 13.1 · Fallot-Tetralogie mit Pulmonalstenose
Im Weiteren führen wir die Erweiterung das rechtsventrikulären Ausflusstrakts durch. Hier gelten die gleichen Prinzipien und anatomischen Anhaltspunkte wie beim transinfundibulären Zugang. Zuerst werden die septalen und parietalen Ausläufer des Konusseptums durchtrennt. Dadurch wird der Eingang in den rechtsventrikulären Ausflusstrakt deutlich breiter. Eine hinter den zu durchtrennenden Muskelbündeln eingeführte, leicht gespreizte Overholt-Klemme verhindert bei diesem Manöver die Perforation der Wand des Infundibulums. Die Darstellung des unmittelbar subpulmonalen Infundibulums wird durch kraniale Retraktion des Konusseptums mit Hilfe kleinerer Zenker-Haken erleichtert. Die bereits beschriebene Orientierung und die Resektionsprinzipien anhand der »jet lesions« gelten auch beim transatrialen Zugang. Die freie Einsicht auf die Pulmonalklappe ist bei kürzeren Infundibuli eher einfach möglich, wobei es auch mühselig sein kann, die gesamte Klappe durch das Infundibulum sichtbar zu machen. Dies muss jedoch das Ziel der transatrialen Resektion sein. Distale infundibuläre Stenosen sind bei Säuglingen praktisch unbekannt. Die schrittweise Bougierung mit transtrikuspidal eingeführten Hegar-Stiften beseitigt die valvuläre Stenosekomponente. Der VSD-Verschluss erfolgt mittels Dacronflicken und fortlaufender Naht. Störende septale Chordae und aneurysmatisches Trikuspidalklappengewebe werden bei FallotTetralogie nur selten beobachtet. Die erste U-Naht wird im apikalen Winkel/am tiefsten Punkt des VSD angelegt. Das weitere Vorgehen entspricht dem transinfundibulären Zugang. Mit der seit Kurzem von Pretre (unveröffentlichte Daten) wieder propagierten Methode, den Fallot-VSD direkt oder nur mit einem äußerst kleinen Flicken, ggf. nach Mobilisierung des Konusseptums, zu verschließen, haben wir keine Erfahrung.
Vorhofseptumdefekt/persistierendes Foramen ovale Mehrere Referenzarbeiten (Hirsch et al. 2000; Jonas 2004) befürworten bei der Fallot-Korrektur im Neugeborenenund Säuglingsalter das Belassen einer Restkommunikation auf Vorhofebene. Die Autoren begünden dieses Vorgehen mit der zu erwartenden frühpostoperativen rechtsventrikulären Dysfunktion. Ein Entlastungsventil auf Vorhofebene sollte durch einen Rechts-links-Shunt den linksventrikulären Auswurf erhalten und die systemvenöse Stauung (ähnlich dem Konzept eines »fenestrierten Fontan«) vermindern. Obwohl die rechtsatrialen Drücke in den ersten 24 h in der Regel Werte von >10 mmHg zeigen, halten wir dieses Manöver als Routinemaßnahme für übertrieben. Ein belassener RestShunt kann im späteren Leben deutlich mehr Schwierigkeiten als die kurzfristigen Vorteile einer Entlastung bedeuten, zumal – eine technisch perfekte Operation vorausgesetzt – der meist wenig problematische frühpostoperative Verlauf dieser Patienten ein solches Vorgehen nicht erfordert. Auch
wir verwenden dieses Prinzip als rettende Maßnahme bei eindeutiger rechtsventrikulärer Dysfunktion, deren Ursache sich intraoperativ durch hämodynamische (Druck- und Sättigungsmessungen) und echokardiographische Untersuchungen nicht erklären lässt. Im Rahmen der postoperativen Behandlung muss man sich dann immer die Ursache der erniedrigten Sauerstoffsättigung vergegenwärtigen und entsprechend agieren, d. h. ggf. auch abwarten können.
Beendigung der extrakorporalen Zirkulation Das Management der Beendigung der extrakorporalen Zirkulation verlangt die Beachtung von 2 grundlegenden Prinzipien:
4 Zunächst ist die Umstellung des hypertrophierten, an den Systemdruck gewöhnten rechten Ventrikels an die postoperativen Verhältnisse mit niedrigerem Druck zu beachten. Dieser Adaptationsprozess findet innerhalb weniger Tage statt, und bis dahin persistiert eine mittelgradige diastolische Funktionsstörung. 4 Zudem besteht unmittelbar nach der Trennung von der Herz-Lungen-Maschine (Gabe von 5–10 μg Dopamin/ kg KG/min und 5–10 μg Nitrolingual/kg KG/min) meist ein relativ niedriger systemarterieller Mitteldruck. In dieser Phase ist die systolische Funktion beider Ventrikel regelhaft zufriedenstellend, und eine pharmakologische Intervention, v. a. die Steigerung der Inotropie, ist nicht erforderlich sowie u. U. kontraproduktiv. Unter einer moderat erhöhten Vorlast des rechten Ventrikels mit Werten für den rechtsatrialen/zentralvenösen Druck von 11–12 mmHg (seltener 14–15 mmHg) beobachten wir konstant eine spontane und dauerhafte Verbesserung der arteriellen Druckwerte mit gleichzeitiger Senkung der Vorhofdrücke um 1–3 Punkte nach etwa 10 min. Einen linksatrialen oder gar pulmonalarteriellen Druckmesskatheter zur postoperativen Kontrolle verwenden wir nur äußerst selten und dann nicht ohne sekundär erkennbaren triftigen Grund. Bei der Führung der frühpostoperativen Intensivtherapie sollten die gleichen Prinzipien beachtet werden. Eine Steigerung der Katecholaminunterstützung ist nur bei nachgewiesener Hypokontraktilität des linken Ventrikels zu erwägen, da dies bei der meistens diastolischen Dysfunktion des rechten Herzens nur geringgradig hilfreich ist und gelegentlich zur Auslösung oder Unterhaltung einer junktionellen Tachykardie beiträgt (7 Kap. 7).
13.1.7 Restriktive Physiologie des rechten
Ventrikels in der früh- und spätpostoperativen Phase Die diastolische Funktionsstörung kann postoperativ mehr oder weniger ausgeprägt auftreten. Die Physiologie des rechten Ventrikels nach Korrektur einer Fallot-Tetralogie
13
390
Kapitel 13 · Angeborene Herzfehler mit Anomalien des rechtsventrikulären Ausflusstrakts
wurde von der Arbeitsgruppe von Redington sehr intensiv untersucht. Anhand der diastolischen Funktion des rechten Ventrikels wurde die sog. restriktive Physiologie beschrieben (Gatzoulis et al. 1995a). Dopplersonographisch ist diese als spätdiastolischer (von der atrialen Kontraktion generierter) antegrader Fluss im rechtsventrikulären Ausflusstrakt definiert. Ein solches Verhaltensmuster des rechten Ventrikels, das mit keinem demographischen oder anatomisch-klinischen Faktor in Zusammenhang gebracht werden konnte, deutet jedoch auf die Tatsache hin, dass trotz »scheinbar technisch perfekter« Operation bei bestimmten Patienten mit einem deutlich protrahierten Verlauf zu rechnen ist. Eine Erhöhung der Katecholaminzufuhr ist auch unter diesen Umständen eher zu vermeiden (nicht immer möglich), da die erwünschte lusitrope Wirkung bei höheren Dosierungen (z. B. >0,07 μg Suprarenin/kg KG/ min) von den nachteiligen inotropen und chronotropen Effekten überschattet wird. Die Spekulation, dass eine restriktive Physiologie zwar frühpostoperativ mit einer langsamen Erholung der diastolischen Funktion assoziiert ist, jedoch im späteren Verlauf mit einer besser erhaltenen rechtsventrikulären Funktion zu korrelieren wäre, konnte bisher nicht eindeutig belegt werden.
13.2
Spätkomplikationen nach Korrektur einer Fallot-Tetralogie
13.2.1 Rezidiv der Obstruktion des rechtsventri-
kulären Ausflusstrakts
13
Diese Komplikation kann auf mehreren Ebenen auftreten. Eine wieder auftretende infundibuläre Stenose ist nach standardmäßig im Säuglingsalter durchgeführter Korrektur eher selten, und auch bei älteren Kindern muss man eher von einem Residuum als von einem Rezidiv sprechen. Ein primär tolerables Residuum kann sich jedoch zu einem therapiewürdigen Rezidiv entwickeln. Eine sekundäre Muskelresektion bzw. eine Flickenerweiterung des rechtsventrikulären Ausflusstrakts sollte bei einem Druck von >75 % des systemischen Drucks im rechten Ventrikel vorgenommen werden. Die Operation und die entsprechende invasive Untersuchung erfolgen wegen der möglichen Zurückbildung der muskulären Obstruktion allerdings – sofern klinisch vertretbar – frühestens 6 Monate nach der Korrektur. Eine Re-Stenose in Höhe des »Anulus« der Pulmonalklappe wird v. a. bei Patienten mit primärer Pulmonalatresie (membranös oder muskulär) oder bei primärer hochgradiger Anulushypoplasie häufig beobachtet. Die primäre Flickenerweiterungsplastik kann bei diesen in der Regel im Neugeborenenalter operierten Patienten frühpostoperativ eine gradientenfreie Verbindung geschaffen haben. Bei eingeschränktem Wachstumspotenzial (lediglich etwa 20 % der primär engsten Stelle – »Anulus« – besteht aus nativem
Gewebe) sind diese Einengungen eher als kalkuliertes Risiko der conduitlosen Primärkorrektur zu betrachten. Alternative Vorgehensweisen bei der Primäroperation, die Verwendung eines Conduits bei der Korrektur im Neugeborenen- und Säuglingsalter wie auch die primäre Palliation weisen eine 100%ige Re-Operationsbedürftigkeit auf.
13.2.2 Bifurkations-/Knickstenose
der linken Pulmonalarterie Die eher selteneren Stenosen am Abgang der rechten, aber auch die deutlich häufigeren Abgangsstenosen der linken Pulmonalarterie bei Situs solitus können ursächlich mehrere Faktoren haben. Die residuelle/rekurrente Stenose im Bereich des ehemaligen Ductus arteriosus wird bei der Coarctatio pulmonalis (7 Kap. 19) ausführlich diskutiert. Eine akzentuierende Vernarbung zusätzlich zur primär technisch bedingten Engstelle an der pulmonalen Anastomosierungsstelle eines ehemaligen Blalock-Taussig-Shunts sowie Strikturen am distalen Ende des Flickens am rechtsventrikulären Ausflusstrakt, die durch eine wahre Einengung des Gefäßlumens entstehen, können häufig durch perkutane Ballondilatation (evtl. mit Stenteinlage) behoben werden. Eine über die Zeit zunehmende Knickbildung (»kinking«) durch Remodeling der rekonstruierten Pulmonalisbifurkation stellt ein eher kompliziertes Problem dar. Diese nicht selten beobachtete Komplikation entwickelt sich Monate oder sogar Jahre nach der Primäroperation. Die Ursache ist auf die typische »Seemöwenanatomie« (in der Angiokardiographie: »seagull sign«) der Bifurkation zurückzuführen. Das Einbringen eines bis in die Pulmonalisbifurkation reichenden Erweiterungsflickens des rechtsventrikulären Ausflusstrakts bei der Primäroperation (materialunabhängig) ist der mögliche Ursprung für die Entwicklung einer Distorsion bei eher übereinanderliegenden als – in der Normalanatomie – gegenüberliegenden Ostien der Pulmonalarterien. Dementsprechend werden im Abgangsbereich der Äste sowohl dopplersonographisch als auch invasiv hämodynamisch relevante Gradienten gemessen. Ein typisches Zeichen ist in diesen Fällen eine Abgangsangulation der betroffenen Arterie, deren Ostium schlitzförmig verzogen wird. Eine Ballondilatation ist nicht wirksam. Eine strikt ostiale Stentplatzierung ist technisch zwar durchführbar, aber bei kleinen Kindern wegen des zu erwartenden Wachstums aus chirurgischer Sicht nicht empfehlenswert. Bei Eröffnung des Pulmonalisstamms während der Re-Operation findet man das Ostium komplett frei, kann die Distorsion jedoch in der Regel nachvollziehen. Die chirurgische Behandlung sollte dementsprechend in diesen Fällen eher die Geometrie der Bifurkation als isoliert ein Ostium angehen. Eine allgemein verwendbare Technik können wir nicht empfehlen, vielmehr muss individuell vorgegangen werden (. Abb. 13.6).
391 13.2 · Spätkomplikationen nach Korrektur einer Fallot-Tetralogie
iert werden (s. unten, 13.2.3). Wir halten eine Klappenimplantation erst ab dem 5. Lebensjahr für sinnvoll. Bei Patienten unter diesem Alter, die diese Problematik relativ früh nach der Operation entwickelt haben, sehen wir ausschließlich eine Pulmonalarterienrekonstruktion sowie nur in sehr seltenen Ausnahmefällen (erhebliche rechtsventrikuläre Dilatation) eine Klappenimplantation als indiziert an. a
b
c . Abb. 13.6. Interne ostiale Plastik bei Bifurkationsstenosen
Das alte Flickenmaterial als mögliche Ursache des »kinking« soll vollständig entfernt sowie bei freien Ostien eine entsprechend zurechtgeschnittene und für die aktuelle Größe des Kindes wie auch für die lokale Anatomie angepasste Re-Erweiterungsplastik durchgeführt werden. Der dabei verwendete Flicken kann ggf. sogar kleiner und insbesondere schmaler sein als bei der Erstoperation. Falls sich die Torquierung dadurch nicht beheben lässt, sind zudem ostiale bzw. Bifurkationsplastiken – ähnlich wie von Fraser vorgeschlagen – vorzunehmen (Fraser et al. 1995). McElhinney et al. (1998a) schlagen parallel zur Revision des Pulmonalarterienflickens eine proximale Re-Implantation der linken Pulmonalarterie vor, die das Problem der versetzten Abgänge grundsätzlich eliminieren sollte. In den meisten Fälle sind bei diesen Patienten zusätzlich Zeichen einer Pulmonalinsuffizienz mit rechtsventrikulärer Dilatation vorhanden, und die Korrektur sollte altersabhängig ggf. mit der Implantation einer Pulmonalklappe assozi-
13.2.3
Pulmonalinsuffizienz
13.2.3.1
Konsequenzen der Pulmonalinsuffizienz und ihre Pathomechanismen
Sowohl bezüglich der Häufigkeit als auch bezüglich ihrer prognostischen Implikationen ist die zu einer signifikanten rechtsventrikulären Dilatation führende »Pulmonalklappeninsuffizienz« die häufigste Komplikation nach operativer Korrektur einer Fallot-Tetralogie. Nach der langjährigen Verharmlosung der Konsequenzen einer Pulmonalinsuffizienz noch in den 1980er Jahren wurde dieses Thema nach den Arbeiten von Shimazaki et al. (1984) sowie nach den mehrschichtigen systematischen Nachuntersuchungen der Arbeitsgruppe von Redington und Gatzoulis zum Kernpunkt zahlreicher weiterer Arbeiten (Gatzoulis et al. 1995a, b; Norgård et al. 1996). Heute gehören operierte Patienten mit Fallot-Tetralogie neben Patienten mit univentrikulären Herzen zur größten Gruppe der sogenannten EMAH-/ GUCH-Patienten (EMAH: Erwachsene mit angeborenen Herzfehlern; GUCH: »grown-ups with congenital heart disease«). Eine Übersicht der einzelnen pathophysiologischen Ketten sei zitiert (Redington 2006). Weitere Ausführungen liegen jedoch jenseits des Zieles dieses Kapitels. Die noch sehr flauen und durch laufende Studien immer wieder neu formulierten Re-Operationskriterien seien wie folgt zusammengefasst: Eine kardiomagnetresonanztomographisch bedeutsame Regurgitationsfraktion (>35 %) mit einem errechneten enddiastolischen rechtsventrikulären Volumen von >140 ml/m2 KOF wird als wichtigstes Indikationskriterium für die Klappenimplantation akzeptiert. Wir operieren derzeit bereits ab einem Wert von >120 ml/m2 KOF. Dieses Kriterium wird von ca. 10–20% der Patienten bei zeitgerechter systematischer Untersuchung aller operierten Kinder etwa im 10. Lebensjahr erfüllt. Zu diesem Zeitpunkt ist die physikalische Leistungsfähigkeit nicht signifikant beeinträchtigt. Ein eindeutiger Zusammenhang zwischen der primären Korrekturtechnik und einer signifikanten Pulmonalinsuffizienz konnte bisher nicht bewiesen werden. ! Unsere eigenen Daten von 101 Patienten über einen Untersuchungszeitraum von bis zu 12 Jahren zeigen, dass ein transatrialer Zugang die auf echokardiographischer Diagnostik basierende weitere Abklärung und letztendlich die Notwendigkeit der Klappenimplantation zwar nicht reduzieren, aber wesentlich verzögern kann.
13
392
Kapitel 13 · Angeborene Herzfehler mit Anomalien des rechtsventrikulären Ausflusstrakts
Es scheint, dass die Pulmonalinsuffizienz nicht allein auf die Integrität des Klappengewebes (unabhängig vom transanulären Erweiterungsflicken) zurückzuführen ist, sondern als ein komplexeres, mit der Dilatation des als rein muskulärer Anulus wirkenden Infundibulums zusammenhängendes Phänomen angesehen werden muss. Mit oder ohne Infundibulotomie werden bei der Erweiterung des rechtsventrikulären Ausflusstrakts konstant Muskelbündel durchtrennt oder reseziert, was dann im weiteren Verlauf zu einer zunehmenden Dilatation des Infundibulums führen kann. Die Anuluserweiterung stellt dann die Hauptursache der kontinuierlich bedeutsameren Regurgitation bei diesen Patienten dar, auch wenn die normofunktionelle native Pulmonalklappe im Rahmen der Primäroperation weitgehend intakt gelassen wurde (del Nido 2006). 13.2.3.2
13
Konventionelle offene chirurgische Klappenimplantation
Die Operation erfolgt unter normothermer extrakorporaler Zirkulation am schlagenden Herzen. Intrakardiale RestShunts müssen ausgeschlossen sein. Es sollte grundsätzlich eine bikavale Kanülierung erfolgen. Bei starken Verwachsungen im Bereich des rechten Vorhofs kann jedoch auch mit einer einzelnen Vorhofkanüle operiert werden. Da das Herz stark verwachsen ist und während der Operation nicht luxiert wird, scheint eine »Two-stage«-Kanüle keine Vorteile zu haben, und eine einfache großkalibrige venöse Kanüle ermöglicht unserer Erfahrung nach eine ausreichende Drainage. Bei solitärer atrialer Kanülierung ist jedoch mit einer etwas ausgeprägteren Hämolyse (Koronarsauger) und der Gefahr eines wiederholten Luftblocks zu rechnen. Bei präoperativ beschriebenem Restdefekt (persistierendes Foramen ovale, Rest-VSD) muss dieser zunächst entweder im kardioplegischen Herzstillstand oder unter extern induziertem Kammerflimmern verschlossen werden. Die Hauptoperation erfolgt dann nach Entlüftung des linken Herzens, eventueller Freigabe der Koronarperfusion und/oder Defibrillation am schlagenden Herzen. Bei Reoperationen werden grundsätzlich externe Defibrillationselektroden vorsorglich auf den Thorax geklebt. Der rechtsventrikuläre Ausflusstrakt wird transanulär längs eröffnet, sofern dies nicht schon zum Restdefektverschluss erforderlich war. Nach transanulärer Erweiterung sollte die Inzision in der Mitte des alten Flickens erfolgen. Das Flickenmaterial wird in der Regel vollständig entfernt, insbesondere dann, wenn gleichzeitig eine durch »kinking« verursachte ostiale Pulmonalarterienstenose vorliegt. Eine distale Verlängerung (jenseits des alten Flickens) ist nicht oder nur selten erforderlich. Proximal wird der Schnitt bei aneurysmatisch erweitertem Infundibulum in der ggf. ausgedünnten Vorderwand weiter apikal geführt. Die Inzision entlang der Vorderwand wird bis zum Übergang in normal dicken rechtsventrikulären Muskel fortgeführt. Nach distal hält man die Inzision bei normaler Pulmonalarterienanatomie ohne vorherigen Flickeneinsatz relativ kurz.
Nach primär transatrialer Korrektur führen wir den Schnitt zentral grundsätzlich wie bei der primären transifundibulären Korrektur durch, in der Regel jedoch apikal deutlich kürzer (. Abb. 13.7a). Als Prothese verwenden wir wegen der geringeren Verkalkungstendenz möglichst pulmonale Homografts. Ein aortaler Homograft kommt bei Patienten mit erhöhtem Lungengefäßwiderstand und entsprechend hohem Pumonalisdruck zum Einsatz. Die Verwendung kommerzieller klappentragender Kälberjugularvenen-Conduits hat in verschiedenen Studien gleich gute (Brown et al. 2006), aber auch schlechtere Ergebnisse (Bautista-Hernandez et al. 2008; Meyns et al. 2004), jedoch keine besseren Daten erbracht. Der Vorteil liegt in ihrer Verfügbarkeit. Die Homograftklappe sollte möglichst »intraanulär« implantiert werden. Im Gegensatz zum Conduit-Wechsel nach Pulmonalatresie oder Verbindungen zwischen rechtem Ventrikel und Pulmonalarterie ähnlich der RastelliOperation sind nach primärer Korrektur einer Fallot-Tetralogie ein morphologisch gut definierter Anulus und ein morphologisch gut definierter Ausflusstrakt vorhanden, die eine fast anatomisch orthotope Implantation ermöglichen. Die proximale Nahtlinie des Homografts sollte möglichst an der Übergangsgrenze zwischen rechtem Ventrikel und Pulmonalarterie liegen (. Abb. 13.7b). Die Höhe der distalen Anastomose/Nahtlinie wird dementsprechend zuvor bestimmt. Nach Fertigung der distalen Anastomose und eventueller Instillation von Kochsalzlösung stellt sich die Klappe in geschlossener Position dar, und die proximale Anastomose kann praktisch bei distendiertem Homograft unter kontinuerlicher Kontrolle der Klappendichtigkeit gefertigt werden. Meistens ist im Bereich der vorderen Hemizirkumferenz die Einnaht eines halbkragenartigen bis trapezoiden Flickens zur Angleichung an den Ventrikel erforderlich, um die Verziehung der Klappe und damit ihre Undichtigkeit zu vermeiden (. Abb. 13.7c). Gelegentlich stellt die exzessive Länge des immer etwas überdimensionierten Homografts ein Problem dar. Unter diesen Umständen wird die trikuspide Homograftklappe so orientiert, dass einer ihrer 3 Sinus gegenüber dem proximal liegenden rechten Pulmonalarterienostium zu liegen kommt. Nach Teilexzision der Homograftwand wird das rechte Pulmonalarterienostium praktisch hoch in diesen Sinus »implantiert« (. Abb. 13.7a). Mit gleichzeitig etwas tiefer im rechtsventrikulären Ausflusstrakt geführter proximaler Anastomose lässt sich diese Inkongruenz der Länge fast immer ausgleichen. 13.2.3.3
Interventionelle transluminale Pulmonalklappenimplantation
Die Alternative einer transluminalen Klappenimplantation scheint wegen der Vermeidung der extrakorporalen Zirkulation eine attraktive Alternative darzustellen. Es existieren zurzeit eine perkutane transfemorale, komplett interventio-
393 13.2 · Spätkomplikationen nach Korrektur einer Fallot-Tetralogie
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nelle und eine direkte transinfundibuläre/transventrikuläre chirurgische (»Hybrid«-)Technik. Die perkutane Implantationstechnik, wie sie von Bonhoeffer eingeführt wurde, ist eher bei stenotischen oder insuffizienten Conduits und zurzeit nicht für den nativen Ausflusstrakt geeignet (Bonhoeffer et al. 2000). Erstens liegt die obere Grenze bei dieser Methode derzeit bei einem Durchmesser von 21 mm, und zweitens sind die Verankerungsmöglichkeiten im rechtsventrikulären Ausflusstrakt stark eingeschränkt, sodass das Dislokationsrisiko deutlich erhöht ist. Obwohl bereits Experimente mit einem zweischichtigen doppelten Gerät erfolgen, das evtl. die Implantation auch bei größerem Durchmesser sowie u. U. auch in den nativen Ausflusstrakt ermöglichen soll, kann diese Technologie noch nicht für den klinischen Alltag empfohlen werden (Lurz u. Bonhoeffer 2008). Die transinfundibuläre Implantation, wie sie aus München (Schreiber et al. 2006) und Bern (Berdat u. Carrel 2006) fast gleichzeitig berichtet wurde, scheint eine chirurgische Alternative darzustellen. Sie erfordert jedoch eine Sternotomie. Dafür kann ein deutlich größerer Klappendurchmesser implantiert werden. Durch Fixierung der im-
b . Abb. 13.7a–c. Implantation eines Homografts als Pulmonalklappenersatz bei Patienten mit korrigierter Fallot-Tetralogie. a Orientierung der Klappe und Herausschneiden des dem Ostium der rechten Pulmonalarterie entsprechenden Sinus. Die künftigen distalen und proximalen Anastomosenlinien sind mit gepunkteten Linien dargestellt. Die proximale Anastomose kann im Bereich der Hinterwand bis knapp an den Flicken des Ventrikelseptumdefekts heran im Konusseptum gefertigt werden. Die Ventrikulotomie kann bei dünnem und hypokontraktilem rechtsventrikulären Myokard bei Bedarf apikalwärts in die angedeutete Richtung verlängert und eine lineare Reduktionsplastik (»rechtsventrikuläres Remodeling«) durchgeführt werden. b Nach Anlage der distalen Anastomose und eventuellem Einspritzen von Kochsalzlösung stellt sich das Homograft derart dar, dass die Klappendichtigkeit bei Anfertigung der proximalen Anastomose in situ gesichert werden kann. c Der anteriore Adaptationsflicken sollte trapezoid sein und seine Größe so gering wie möglich gehalten werden. Er dient der Sicherung der Homograftklappengeometrie und -funktion. Die apikal davon gefertigte lineare Plikaturnaht ist bei aneurysmatischem Infundibulum immer Teil der Operation
plantierten Prothese lässt sich die Dislokation als mögliche Komplikation weitgehend vermeiden. 13.2.3.4
Rechtsventrikuläres Aneurysma
Ähnlich dem Ausschalten der infarzierten dyskinetischen Segmente des linken Ventrikels Erwachsener bei Kardiomyopathie unterschiedlicher Genese und bei Ventrikelaneurysmen wurden vor Kurzem ausgedehnte Rekonstruktionsoperationen zur Verbesserung der globalen rechtsventrikulären Funktion bei massiver Dilatation vorgeschlagen. Der Eingriff erfolgt meistens als Ergänzung zur Klappenimplantation. Die Resektion des dünnen und magnetresonanzangiographisch hypokontraktilen Infundibulums kann akut zu einer bedeutsamen Reduktion des enddiastolischen Volumens führen. Del Nido beschreibt eine bis zum Apex des rechten Ventrikels verlängerte Inzision der rechtsventrikulären Vorderwand und eine Plikatur mit Resektion der ausgedünnten Muskulatur (»rechtsventrikuläres Remodeling«). Ob solche umfangreichen Eingriffe, die das Moderatorband obligatorisch durchschneiden, im Langzeitverlauf ihre Effizienz beweisen, bleibt abzuwarten (del Nido 2006).
13
394
Kapitel 13 · Angeborene Herzfehler mit Anomalien des rechtsventrikulären Ausflusstrakts
13.2.4
Aneurysmatische Erweiterung der Aorta ascendens und Aortenklappeninsuffizienz
Die Aorta ascendens von Patienten mit Fallot-Tetralogie, v. a. von jenen mit zusätzlicher Pulmonalatresie, weist bereits primär, im Neugeborenenalter, einen erheblich erweiterten Durchmesser auf. Dieser Durchmesser indiziert auf die Körperoberfläche liegt bei allerdings kleinen Absolutwerten im hochpathologischen Bereich. Etwa 10–12 Jahre nach Korrektur im Säuglingsalter haben sich diese Verhältnisse wieder auf Normalwerte reduziert (François et al. 2009). Bei heutigen Patienten im Erwachsenenalter beträgt der Durchmesser relativ häufig 4,5–5 cm, womit formal die Indikation eines prothetischen Ersatzes gegeben wäre. Kleinere Serien belegen, dass Patienten, die weit jenseits des Säuglingsalters operiert werden, eine deutlichere Erweiterung der Aorta ascendens aufweisen. Histologische Untersuchungen haben für die degenerativen Erkrankungen der Aorta ascendens typische Veränderungen (zystische Medianekrose, Elastinfaserfragmentierung) nachgewiesen, wobei eine Anomalie auf Molekularebene noch nicht zu identifizieren war (Tan et al. 2006). ! Die Seltenheit von Komplikationen (Dissektion oder Ruptur) der erweiterten Aorta ascendens bei Patienten mit Fallot-Tetralogie in der Literatur (Kim et al. 2005; Rathi et al. 2005) unterstreicht jedoch, dass eine übereifrige prophylaktische Chirurgie in Form eines Aorta ascendens Ersatzes bei diesen Patienten mit primär zyanotischen Vitien nicht begründet ist.
13
Wenn die Aorta einen Durchmesser von 5 cm erreicht hat, empfehlen wir, die Aorta ascendens periodisch computertomographisch zu kontrollieren (jährliche Computertomographie mit Kontrastmittel). Sollte im Verlauf eine kontinuierliche Zunahme des Durchmessers auftreten, ist eine Operation zu erwägen. Die gleichzeitige zunehmende Erweiterung der Aortenwurzel führt gelegentlich zur Aortenklappeninsuffizienz, die für sich eine Indikation zu einer operativen Behandlung darstellen kann. Bei strukturell intakten Klappentaschen empfehlen sich bei den meist jungen und aktiven Patienten klappenerhaltende Operationen (7 Kap. 22). 13.3
Therapie der Fallot-Tetralogie mit Pulmonalatresie
13.3.1
Nomenklatur und Anatomie
Die typischen Merkmale der intrakardialen Anatomie einer Fallot-Tetralogie mit Pulmonalatresie sind: 4 großer VSD (mit extrem nach anterior deviiertem oder sogar fehlendem, ggf. mit der Vorderwand des rechten Ventrikels fusioniertem Ausflussseptum), 4 überreitende Aorta, 4 atretischer rechtsventrikulärer Ausflusstrakt.
Die Konusseptumdeviation und die sekundäre Obstruktion des rechtsventrikulären Ausflusstrakts beschreiben diese Anomalie als eine Variante der Fallot-Tetralogie. Die alternative Nomenklatur »Pulmonalatresie mit VSD« und die früher häufig verwendete Bezeichnung »Pseudotrunkus« umschreiben diese Anomalie ebenfalls hinreichend, jedoch bezüglich der intrakardialen Pathoanatomie wenig spezifisch. 13.3.1.1
Intrakardiale Anatomie
Wenn man die intrakardiale Anatomie durch eine rechtsventrikuläre Längsinfundibulotomie (der übliche Zugang für die Korrekturoperation) einstellt, kann man 2 verschiedene Varianten beschreiben. Bei der ersten Variante (Fallot-Typ) ist eine Septierung des Ausflusstrakts mit mehr oder weniger gut ausgeprägtem Konusseptum zu sehen. Das hypoplastische rechtsventrikuläre Infundibulum endet blind an der muskulären Ventrikelwand oder seltener an der membranösen Pulmonalklappenatresie. Bei der zweiten Variante (Trunkustyp) steht die überreitende Aortenklappe in direktem Kontakt mit der Vorderwand des rechten Ventrikels (die Vorderwand des rechten Ventrikels bildet einen Teil des Aortenanulus); ein Infundibulum ist in diesem Fall nicht vorhanden. Beim klassischen Truncus arteriosus (A-Typen nach Van Praagh) kann jedoch ein stark hypoplastisches Infundibulum im Nebenschluss vorhanden sein. Die externe Inspektion erlaubt es nicht, die 2 Varinaten voneinander zu unterschieden. Zudem besteht – wie es mehrere Arbeiten belegen (Anderson et al. 1991; Thiene et al. 1977) – kein Zusammenhang zwischen der intrakardialen Anatomie und dem Aufzweigungsmuster bzw. der Kontinuität des pulmonalarteriellen Gefäßbaums.
Anatomie der Pulmonalarterien Einleitung und Klassifizierung der Lungendurchblutungsquellen 13.3.1.2
Das anatomische Spektrum der Aufzweigungsanomalien der zentralen und intraparenchymalen Pulmonalarterien ist bei Fallot-Tetralogie mit Pulmonalatresie sehr breit, sodass es sinnvoll erscheint, nur eine funktionelle Klassifizierung vorzunehmen. Jedoch muss für jeden Patienten eine individuelle Anatomie einschließlich der evtl. multiplen Quellen der Lungendurchblutung beschrieben werden. Das Spektrum spannt sich vom normal entwickelten Lungengefäßbett mit atretischer Verbindung zum rechten Ventrikel bei solitärer Blutversorgung (Ductus Botalli) bis zu komplett fehlenden intraperikardialen Pulmonalarterien mit multiplen Quellen der Lungendurchblutung ausschließlich über wenige großkalibrige oder diffus über viele kleinkalibrige Kollateralarterien aus der Aorta (. Abb. 13.8). Nach Rabinovitch et al. (1981) können grundsätzlich 3 embryologisch unterschiedliche, alternative systemarterielle Quellen mit 3 unterschiedlichen Anschlussebenen zu den nativen Pulmonalarterien unterschieden werden. Wäh-
395 13.3 · Therapie der Fallot-Tetralogie mit Pulmonalatresie
a
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. Abb. 13.8a–f. Anatomische Varianten der Fallot-Tetralogie/Pulmonalarterie. Lungendurchblutung nach Castaneda und mod. nach Griselli et al. (2004)
rend das diffuse peribronchiale Netzwerk für eine chirurgische Behandlung nicht infrage kommt, spielen sowohl die direkten als auch die indirekten Kollateralen für die Behandlung bzw. die Behandlungsversuche dieser Patienten eine fundamentale Rolle.
Große aortopulmonale Kollateralarterien: »major aortopulmonary collateral arteries« (MAPCA) Zum besseren Verständnis der Beziehungen zwischen nativen Pulmonalarterien und MAPCA soll hier die embryonale Entwicklung der Lungengefäße kurz wiederholt werden. Die primären Lungenknospen entwickeln sich aus dem entodermalen Vorderdarm mit ihren eigenen peripheren segmentalen Gefäßen, die erst im späteren Verlauf Anschluss an die aus dem 6. primitiven dorsalen Aortenbogen stammenden zentralen Pulmonalarterien finden. Dieser Anschluss erfolgt etwa am 38. Entwicklungstag. Bis dahin ist die Lunge nur durch diese segmentalen Arterien durchblutet (Haworth 1990). Bei normaler Entwicklung der zentralen Pulmonalerterien bilden sich diese segmentalen Gefäße vollständig zurück. Im Fall einer Hypoplasie oder sogar Agenesie der zentralen Pulmonarterien bleiben sie jedoch auch postnatal eine mehr oder weniger wichtige weitere oder sogar einzige Quelle der Lungendurchblutung. Bezüglich der Morphologie sind diese Gefäße als großkalibrige, teilweise
muskuläre Arterien anzusehen. Zusätzlich zeigen sie eine ausgeprägte Neigung zur Entwicklung von segmentalen Stenosen. Ihre Zahl ist unterschiedlich, variiert in den meisten deskriptiven Studien jedoch zwischen 4 und 11. Obwohl Rabinovitch die direkten (aortale Äste) und die indirekten (supraaortale Äste, Koronarien) Kollateralen aus embryologischer Sicht voneinander abgrenzt, sind wegen ihrer ähnlichen Histologie und klinisch-chirurgischen Relevanz in der klinisch orientierten Literatur mit der Zeit beide Formen als MAPCA akzeptiert worden. Ihr Verlauf ist ebenso unterschiedlich wie ihr Ursprung. Die meisten aortalen Kollateralen sind retrohilär lokalisiert, wobei einige Gefäße, die die gegenseitige Lunge perfundieren, auch prätracheal/prehilär, jedoch in der Regel extraperikardial verlaufen. Die Anschlüsse der MAPCA an die primären (lungenparenchymalen) oder zentralen intraperikardialen (kiemenbogenstämmigen) Pulmonalarterien können extrapulmonal, hilär, aber auch intraparenchymal (auf der segmenalen oder sogar azinären Ebene) bestehen. In diesem Sinne unterscheidet man klinisch zwischen überwiegend nativer (aus dem 6. Kiemenbogen stammend) und überwiegend MAPCA-abhängiger Perfusion. Die Einstufung wird jedoch von zahlreichen überlappenden, sog. dualen Versorgungsformen verkompliziert.
13
396
Kapitel 13 · Angeborene Herzfehler mit Anomalien des rechtsventrikulären Ausflusstrakts
Eine für die klinisch-praktische Orientierung sehr nützliche Klassifizierung der Pulmonalarterienanatomie unterscheidet 5 Gruppen: 4 Gruppe 1 (. Abb. 13.8a, b): komplett duktusabhängige Lungendurchblutung ohne MAPCA, mit oder ohne Pulmonalisstamm; 4 Gruppe 2 (. Abb. 13.8c): hypoplastische intraperikardiale Pulmonalarterien, die alle Lungensegmente versorgen, jedoch mit multiplen dualen MAPCA-abhängigen Bereichen; 4 Gruppe 3 (. Abb. 13.8d): stark hypoplastische intraperikardiale Pulmonalarterien mit multiplen, ausschließlich durch MAPCA versorgten Segmenten; 4 Gruppe 4 (. Abb. 13.8e): fehlende intraperikardiale Pulmonalarterien (die Lungendurchblutung wird ausschließlich über MAPCA gewährleistet); 4 Gruppe 5 (. Abb. 13.8f neuerlich definiert; Griselli et al. 2004): keine angiographisch identifizierbaren Pulmonalarterien vorhanden (hier findet die Lungendurchblutung ausschließlich über kleine, diffuse Kollateralen statt). Im deutschen Sprachgebrauch handelt es sich bei Gruppe 1 um eine unifokale, bei den Gruppen 2–5 um eine multifokale Lungenperfusion.
13.3.2
13
Klinisches Bild und Diagnostik
Der sehr heterogenen Lungendurchblutung entsprechend zeigen diese Patienten auch sehr unterschiedliche Krankheitsbilder. Kinder mit vollständig duktusabhängiger Durchblutung erleiden unmittelbar nach dem frühpostnatalen Duktusverschluss eine ausgeprägte Hypoxämie mit Azidose und müssen rechtzeitig intensivmedizinisch (Prostaglandininfusion) behandelt werden. Bei einem partiell oder komplett MAPCA-abhängigen Kreislauf ist die unmittelbare neonatale Zyanose unterschiedlich ausgeprägt. Einige MAPCA haben die Tendenz, sich postpartal zunehmend zu stenosieren, zu verschließen oder im späteren Leben kein Wachstum aufzuweisen. Bei diesen Patienten wird dementsprechend eine mehr oder weniger rasche Zunahme der Zyanose beobachtet. Einige sich schnell verengende Kollateralen können frühpostpartal prostaglandinsensibel sein. Bei großkalibrigen, nichtrestriktiven MAPCA ist nur eine leichtere Zyanose bei gleichzeitiger Herzinsuffizienz zu verzeichnen. Diese Patienten entwickeln dann im späteren Verlauf die typischen Stigmata eines Eisenmenger-Syndroms. Unbehandelte Patienten mit MAPCA trotz global ausgeglichener Lungenzirkulation und ausreichender Oxygenierung zeigen wegen der anomalen Wandstruktur und der zunehmenden pulmonalen Hypertonie eine ausgeprägte Tendenz zu ausgeprägten Lungenblutungen, die bei Bronchusanschluss oder im Fall einer primär endobronchialen Blutung letal enden können.
Die klinische Untersuchung der Patienten mit FallotTetralogie und Pulmonalatresie führt nicht weiter, jedoch können atypisch lokalisierte und multiple systolodiastolische Geräusche auf das Vorhandensein von Kollateralen hindeuten. Neben der echokardiographischen Darstellung der intrakardialen Anatomie gehört zur genauen Diagnostik eine ggf. selektive angiographische Darstellung der Lungenperfusion. Eine invasive Untersuchung sollte bei echokardiographischer Vermutung von MAPCA relativ früh postnatal auch bei klinisch stabilen Patienten stattfinden. Retrograde geblockte Lungenveneninjektionen und eine direkte Kanülierung (evtl. mit Druckmessung und Probeokklusion) aller identifizierbaren Kollateralen ist immer Bestandteil der Untersuchung. Die Probeokklusion der einzelnen MAPCA kann deren Bedeutung/Absetzbarkeit aus der Perspektive der Gesamtoxygenierung abzuschätzen helfen. Die Darstellung der nativen Pulmonalarterien ist meistens durch die retrograde geblockte Lungenveneninjektion möglich. Sie können aber auch kurzzeitig und relativ flau während der Kontrastdarstellung einzelner Kollateralen sichtbar sein. Die Angiographie sollte theoretisch die anatomische und funktionelle Beschreibung der individuellen Durchblutung aller 20 Lungensegmente ermöglichen. Dies ist bei komplex verschlungener dualer Perfusion nicht immer durchführbar. Im Zweifelsfall wird von einer dualen Zirkulation auch auf Segmentniveau ausgegangen. Trotz der beschriebenen umfangreichen Darstellungen bleiben Einzelheiten, v. a. Verhältnisse der MAPCA zu den benachbarten Organen (Trachea und Lungenven), anhand der konventionellen Angiographie sehr schwierig erkennbar, weswegen u. U. eine ergänzende Bildgebung hilfreich sein kann. Die von Lofland empfohlene, frei drehbare 3DSpiralcomputertomographierekonstruktion ist nicht nur sehr suggestiv, sondern kann zudem relativ schnell und ohne besonders großen anästhesiologischen Aufwand wie auch direkt anschließend an die meist in Allgemeinnarkose durchgeführte Herzkatheteruntersuchung und die Angiokardiographie erfolgen (Lofland 2004).
13.3.3
Operative Korrektur
13.3.3.1
Operative Korrektur bei unifokaler duktusabhängiger Lungendurchblutung
Von einem einheitlichen Therapiekonzept kann bei der Fallot-Tetralogie mit Pulmonalatresie nur im Fall einer unifokalen, in der Regel duktusabhängigen Lungenperfusion bei zusammenhängendem, ausreichend entwickeltem pulmonalarteriellen Gefäßbaum gesprochen werden. Diese Patienten werden in der frühpostpartalen Phase hochsymptomatisch und müssen durch Prostaglandininfusion am Leben gehalten und stabilisiert werden. Der Ductus arteriosus dieser Patienten ist häufig elongiert und kann sehr
397 13.3 · Therapie der Fallot-Tetralogie mit Pulmonalatresie
geschwungen verlaufen. Sein pulmonales Ende ist u. U. restriktiv und prostaglandinresistent. In diesem Fall besteht neben einer primär anzustrebenden notfallmäßigen Operation (Shunt oder auch Korrektur, falls der Patient metabolisch kompensiert ist) die Möglichkeit eines interventionellen Eingriffs. Die palliative Eröffnung eines nur membranös atretischen Ausflusstrakts stellt ggf. eine Alternative zur Shunt-Operation dar. Dilatation und Stenteinlage in den stenotischen Ductus arteriosus sind dagegen deutlich risikoreicher (Qureshi et al. 1988; Sluysmans et al. 1995). In wenigen Fällen wird ein beidseitiger Ductus arteriosus beobachtet. Bei diesen Patienten besteht in der Regel eine zentrale Diskontinuität der beiden Pulmonalalarterien. Diese verlaufen jeweils praktisch als Verlängerung des als ihr Ursprung wirkenden ipsilateralen Duktus. Die Pulmonalarterien stammen aus den primitiven dorsalen Aortenbögen, nehmen einen regelrechten intraperikardialen Verlauf und weisen eine normale periphere Arborisation auf. Aus diesen Gründen sind sie trotz der bifokalen Durchblutung von den typischen MAPCA-abhängigen Formen deutlich zu unterscheiden. Auch bei dieser Anatomie empfiehlt sich eine primäre neonatale Totalkorrektur. Die Zusammenführung der nichtkonfluenten Arterien sollte möglichst ohne Verwendung von Fremdmaterial und nach vollständiger Resektion des Duktusgewebes erfolgen. Um eine spannungsfreie End-zu-End-Anastomose zu ermöglichen, sollten die 2 Gefäße – ähnlich wie bei der arteriellen Switch-Operation – bis in den Lungenhilus jenseits der ersten Aufzweigungen komplett mobilisiert werden. Falls das Approximieren der beiden Gefäße nach Resektion der Duktusreste nicht ohne erhebliche Spannung möglich ist, muss ein künstliches Interponat (z. B. Polytetrafluorethylenrohr) Anwendung finden. Falls die Rekonstruktion der Verbindung zwischen rechtem Ventrikel und Pulmonalarterie durch einen kryokonservierten Homograft erfolgt, ist die Verwendung eines Conduits mit erhaltener Pulmonalisbifurkation bei älteren Kindern möglich, wobei die beiden Pulmonalarterien in die Verlängerung der Homograftbifurkation End-zu-End anastomosiert werden können. Hier ist jedoch mit einer frühen Homograftaststenose zu rechnen (Shanley et al. 1993). Die Korrekturoperation sollte elektiv in der 2. Lebenswoche erfolgen. Bei einer sog. membranösen Atresie mit angelegtem Pulmonalisstamm wird die Operation fast identisch mit der transinfundibulären Korrektur der FallotTetralogie mit Pulmonalstenose durchgeführt. Die kritischste Stelle, an der die Mehrheit der Rezidivstenosen auftreten, liegt im Bereich des »Anulus«, d. h. am Übergang zwischen Myokard und Pulmonalarterie. Daher empfiehlt es sich, den künftigen Erweiterungsflicken hier besonders großzügig zurechtzuschneiden. Auch bei kurzstreckiger muskulärer Atresie (blindes, den rechten Ventrikel wandbegrenztes Infundibulum oder Truncus-arteriosus-Anatomie) mit gut entwickeltem Pulmonalisstamm halten wir die Implantation eines Conduits
bei Neugeborenen und jungen Säuglingen in der Regel nicht für erforderlich. Die Längsinfundibulotomie wird in den Pulmonalisstamm wie eine transanuläre Inzision standardmäßig durchgeführt. Der Übergang zwischen rechtem Ventrikel und Pulmonalarterie hat in diesen Fällen eine sanduhrförmige Konfiguration, die sowohl den Ausflusstrakt als auch den proximalen Pulmonalisstamm ampullenförmig erscheinen lässt. Um in diesem Bereich den Anteil des wachstumsfähigen nativen Gewebes zu vergrößern, trennen wir den Pulmonalarterienstamm kurz oberhalb der Taillierung des Halses/der Ampulle quer durch, und nach adäquater, aber nicht vollständiger Mobilisierung anastomosieren wir mit sich langsam auflösenden Monofilamentfäden (Polydioxanon) weiter proximal, praktisch an das Endokard des rechtsventrikulären Ausflusstrakts. Die gesamte Mobilisierung betrifft bei Neugeborenen lediglich 2–3 mm, aber unseres Erachtens ist dies ein wichtiges Manöver, um Re-Stenosierungen in diesem Bereich und die Implantation eines Conduits zu vermeiden. Der transanuläre Flicken wird dann, wie oben beschrieben, eingenäht. Dabei ist die potenziell engste Stelle, der Muskeldurchtritt, noch einmal deutlich rezidivgefährdeter als für die membranöse Form beschrieben. Bei atretischem oder prohibitiv hypoplastischem Pulmonalisstamm ist die Implantation eines Conduits zwischen rechtem Ventrikel und Pulmonalarterie unabdingbar. Eine direkte Verbindung sollte bei diesen Patienten bei kleinen, unterentwickelten Pulmonalarterienästen wegen des erhöhten Stenoserisikos nach Mobilisierung und evtl. Verziehung eher nicht hergestellt werden. Der Auswahl des Conduits ist relativ umstritten. Als zurzeit am häufigsten verwendete Alternativen stehen Homografts, Xenografts und klappenlose Kunststoffröhren zur Verfügung. Der Durchmesser der zu implantierenden Conduits für normal entwickelte Neugeborene beträgt meistens etwa 10–12 mm. Bei der Auswahl des Conduits sollten folgende Punkte beachtet werden: 4 Ein derartiges Conduit ist rein durch seinen Durchmesser in den meisten Fällen spätestens nach etwa 4–5 Jahren ausgewachsen und erfordert einen Wechsel. 4 Die Klappenfunktion ist im Säuglings- und Kleinkindalter kein entscheidender Faktor für die Ventrikelfunktion und für die Entwicklung der nativen Pulmonalarterien. 4 Die Verfügbarkeit entsprechender Homografts ist weltweit stark eingeschränkt. 4 Die Ergebnisse mit Xenografts mit einem Durchmesser von <14 mm sind uniform schlecht. In Anbetracht dieser Argumente optieren wir bei der Notwendigkeit, ein Conduit zwischen rechtem Ventrikel und Pulmonalarterie zu implantieren, für den Einsatz von Polytetrafluorethylenrohrprothesen, die den zusätzlichen Vorteil einer übersichtlichen Freipräparierung bei späterem Conduit-Wechsel aufweisen.
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Kapitel 13 · Angeborene Herzfehler mit Anomalien des rechtsventrikulären Ausflusstrakts
Bei der neonatalen Korrektur der Fallot-Tetralogie mit Pulmonalatresie ist die Prävention und ggf. auch die Behandlung einer bereits vorhandenen Coarctatio pulmonalis sehr wichtig. Die Inzision sollte konstant 3–4 mm jenseits der Ductus-arteriosus-Mündung in die linke Pulmonalarterie geführt werden (s. auch S. 386/387; . Abb. 13.4). Der intrakardiale Teil der Operation (VSD-Verschluss) erfolgt, wie es für die Fallot-Tetralogie mit Pulmonalstenose oder Truncus arteriosus (bei entsprechender Anatomie) detailliert beschrieben wurde (s. S. 385/386). 13.3.3.2
13
Chirurgische Strategie bei multifokaler Lungenperfusion
Die chirurgischen Strategien bei MAPCA-abhängiger multifokaler Lungenperfusion sind genauso vielfältig wie die anatomischen Varianten. Das Problem wird zudem dadurch verkompliziert, dass viele Patienten erst spät vorstellig werden, wenn evtl. nichtrestriktive aortopulmonale Kollateralen eine irreversible segmentale pulmonale Hypertonie verursacht haben oder durch zwischenzeitlichen Verschluss von MAPCA erhebliche Lungenareale ohne anschlußfähige Gefäße bleiben. Die Therapiestrategien bei multifokaler Lungenperfusion können folgendermaßen zusammengefasst werden: 4 palliative periphere Shunt-Operationen; 4 primär periphere Unifokalisation mit anschließender Zentralkorrektur: nach Puga, deLeval oder Imai (Puga et al. 1983, 1989; Sawatari et al. 1989; Sullivan et al. 1988); 4 primär zentrale Operation mit evtl. späteren Unifokalisierungen und/oder interventionenellen Dilatationen/ Coil-Cerschlüssen: 5 durch einen aortopulmonalarteriellen Shunt: nach Mee (Iyer u. Mee 1991; Watterson et al. 1991); 5 durch ein Conduit zwischen rechtem Ventrikel und Pulmonalarterie ohne VSD-Verschluss: nach der Boston-Gruppe (Rome et al. 1993); 4 primäre Totalkorrektur: nach Hanley und Reddy sowie nach Lofland (Lofland 2004; Reddy et al. 1995).
Palliative Shunt-Operationen Die primär mittels Thorakotomie durchgeführten peripheren Shunt-Operationen bei zyanotischen Patienten, ohne die Operation in eine künftige Therapiestrategie zu integrieren, sollten vermieden werden. Diese Operationen können zwar zu einer kurzfristigen klinischen Verbesserung führen, die häufig beobachteten Sekundärverschlüsse machen eine spätere korrektive Strategie jedoch u. U. schwieriger oder evtl. unmöglich. Der einzige Fall, in dem sie als Ultima Ratio infrage kämen, wäre die Variante mit komplett fehlenden nativen Pulmonalgefäßen (Gruppe 4 oder Gruppe 5 der Birmingham-Klassifikation) bei hochzyanotischen Patienten. Diese Patienten haben jedoch mit allen Strategien die ungünstigste Langzeitprognose (Griselli et al. 2004).
Primär periphere Unifokalisation Die klassische mehrstufige Unifokalisation, die v. a. von Puga (Puga et al. 1983, 1989), de Leval (Sullivan et al. 1988) und Imai (Sawatari et al. 1989) popularisiert wurde, geht von einer schrittweise durchgeführten Zusammenführung aller zur Lungenduchblutung beitragenden Gefäße aus. Diese sich primär auf die Peripherie konzentrierende Strategie führt die einzelnen im Lungenhilus vorhandenen Gefäße entweder direkt oder durch Kunststoffprotheseninterponate zusammen, und die so gewonnenen Kollektoren werden mit Hilfe eines peripheren systempulmonalen Shunts versorgt. Die Arbeitsgruppe aus Osaka (Yagihara et al. 1996) sieht sogar intrapulmonale Unifokalisierungsanastomosen vor, um möglichst alle Arterien zu erfassen. Die Operationen, die über beidseitige Thorakotomien erfolgen, werden nach geraumer Zeit von einer über eine mediane Sternotomie durchgeführten Operation gefolgt, wobei man die beidseitig unifokalisierten Lungengefäße durch ein T- oder Y-förmiges Conduit mit dem rechten Ventrikel verbindet. Bei dieser letzten Operation wird der VSD evtl. ebenfalls verschlossen und somit eine Komplettkorrektur erreicht. Wenn man als Ziel der Strategie die komplette Kreislauftrennung sieht, schwanken die Angaben der Erfolgsrate in der Literatur zwischen etwa 12 % und 60 % aller primär eingeschlossenen Patienten.
Primär zentrale Operation Die Arbeisgruppe aus Melbourne sah einen zentralen aortopulmonalen Shunt als Erstmaßnahme im Säuglingsalter vor (Iyer u. Mee 1991). Im Fall einer winzigen zentralen Pulmonalarterie, an der ein 3–4 mm großer Polytetrafluorethylen-Shunt technisch nicht anastomosierbar erscheint, bei der jedoch der Pulmonalistamm vorhanden ist, schlagen die Autoren eine direkte End-zu-Seit-Anastomose zwischen dem abgesetzten hypoplastischen Pulmonalisstamm und der Hinterseite der Aorta ascendens vor (sog. Melbourne-Shunt; Watterson et al. 1991). In den folgenden, über laterale Thorakotomien durchgeführten Unifokalisationsoperationen sollten die hilären Gefäße zusammengeschlossen werden. Die definitive Korrekturoperation stellt neben der intrakardialen Korrektur letzendlich die Verbindung zwischen rechtem Ventrikel und Pulmonalarterie her. Die primär von der Arbeitsgruppe aus Boston publizierte Strategie (Rome et al. 1993) basiert auf einem primären, elektiv im Säuglingsalter implantierten Conduit zwischen rechtem Ventrikel und Pulmonalarterie. Diese ursprünglich im Jahre 1993 veröffentlichte Serie empfiehlt sowohl klappentragende als auch klappenlose Conduits. Die Strategie setzt den Schwerpunkt der weiteren Behandlung auf die enge Zusammenarbeit mit der interventionellen Kardiologie. Die nativen Pulmonalarterien haben ein ausgesprochen gutes Wachstumspotenzial, und der früh angebrachte Conduit zwischen rechtem Ventrikel und Pulmonalarterie dient in der Zukunft auch als Zugang für die katheterbasierten Interventionen an den peripheren
399 13.3 · Therapie der Fallot-Tetralogie mit Pulmonalatresie
. Abb. 13.9. Vorgeschlagene Unifokalisierungsmuster. Rechts Endzu-Seit-Anastomose. Diese Art der Anastomose setzt eine minimale Mobilisierung der MAPCA (»major aortopulmonary collateral arteries«) voraus. Links eine nach langstreckiger, vollständiger Mobilisierung der MAPCA durchgeführte Seit-zu-Seit-Anastomose, wobei die MAPCA selbst zur Augmentation des zentralen Pulmonalislumens beitragen. Ao Aorta; LPA linke Pulmonalarterie; RPA rechte Pulmonalarterie
Gefäßen. Die folgenden perkutanen Interventionen sollen sowohl das Eliminieren von nichtrestriktiven oder als duale Quelle vorhandenen MAPCA als auch die Dilatation einzelner peripherer Stenosen ermöglichen. Diese Strategie setzt die beidseitige Existenz der zentralen Pulmonalarterien voraus und kann dementsprechend bei der ausschließlich durch MAPCA gewährleisteten Lungendurchblutung primär nicht eingesetzt werden.
Primäre komplette Unifokalisierung Die primäre komplette Unifokalisierung wurde von Hanley und Reddy favorisiert (Reddy et al. 1995). Sie sehen die komplette Korrektur im frühen Säuglingsalter (3–4 Monate) vor. Im Prinzip basiert die Operation auf einer aggressiven, kompletten Mobilisierung aller MAPCA (. Abb. 13.9). Die Autoren führen die Operation über eine mediane Sternotomie durch. Andere Arbeitsgruppen (Luciani et al. 1997; Moritz et al. 1996) empfehlen die quere bilaterale Thorakotomie im 4. Interkostalraum (sog. Clamshell-Inzision), die v. a. bei älteren Patienten für die extensive Präparation in den Lungenhili besser geeignet ist. Vor dem Anschluss an die Herz-Lungen-Maschine erfolgt eine vollständige Präparation in beiden Lungenhili. Für die Darstellung der sowohl prä- als auch retrobronchial verlaufenden Äste ist ein anteriores Herausluxieren der Lunge
äußerst hilfreich. Da die Mehrzahl der MAPCA aus dem mittleren Abschnitt der thorakalen Aorta descendens stammen, erfolgt die weitere Präparation durch Inzision des posterioren Perikards im Sinus transversus zwischen Aorta ascendens und V. cava superior im infrakarinalen Dreieck. Das Absetzen der Kollateralen geschieht unmittelbar an ihren aortalen Abgängen. Diese Gefäße haben eine duktusartige, manchmal sehr brüchige Struktur, weswegen ihre Manipulation nur mit äußerster Sorgfalt erfolgen darf. Nach vollständiger Freilegung sollten sie durch gesonderte retrophrenische, aber prähiläre Inzisionen nach intraperikardial geführt werden. Die Hanley-Gruppe empfiehlt, bereits vor dem Anschluss an die Herz-Lungen-Maschine so viel wie möglich von den Kollateralen abzusetzen und diese zusammenzuführen (Reddy et al. 1995). Dieses Vorgehen ist bei kritischem Abfall der Oxygenierung sekundär nach Absetzen der ersten MAPCA im weiteren Verlauf unter normothermer extrakorporaler Zirkulation bei schlagendem Herzen zu vervollständigen. Lofland empfiehlt, die gesamte Präparation und Unifokalisierung unter normothermer extrakorporaler Zirkulation durchzuführen (Lofland 2004). Seiner Meinung nach kann damit sowohl die Sauerstoffversorgung gesichert als auch das Herz, die großen Gefäße und die Lunge ausgedehnter mobilisiert/manipuliert werden. ! Bei der Unifokalisierung bzw. bei der intraperikardialen Rekonstruktion der zentralen Pulmonalisäste verweisen alle Autoren auf ein individuelles, genau an die Patientenanatomie angepasstes Vorgehen.
Das von Hanley favorisierte Anastomosenmuster besteht in einer langstreckigen Seit-zu-Seit-Zusammenführung der Gefäße (. Abb. 13.9). Die dadurch gewonnene Zirkumferenzvermehrung soll einen besseren Abnehmer des rechtsventrikulären Auswurfs schaffen. Die eventuelle intrakardiale Phase des Eingriffs sowie die Verbindung zwischen rechtem Ventrikel und Pulmonalarterie werden anschließend im kardioplegischen Herzstillstand durchgeführt. Andere Autoren (Jonas 2004) unterstreichen im Gegensatz dazu eine minimale Mobilisierung der MAPCA und einen End-zu-Seit-Anschluss an die zentralen intraperikardialen Pulmonalarterien. Um die Manipulation der MAPCA zu vermeiden und sie in ihrer nativen Lage an die Lunge anzuschließen, beschreibt die Gruppe um Marcelletti eine Technik, bei der das Segment der Aorta descendens, das als Ursprung für die MAPCA dient, proximal und distal abgesetzt und dann mittels eines Conduits an den rechten Ventrikel angeschlossen wird. Die Aorta wird anschließend mit einem entsprechenden Prothesenstück als Bypass rekonstruiert (Abella et al. 2004).
Kreislauftrennung mit komplettem oder fenestriertem VSD-Flicken Unabhängig von den erwähnten vorbereitenden Eingriffen sollte als Ziel der Therapie möglichst die komplette Kreislauftrennung mit Verschluss aller intrakardialen Verbin-
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Kapitel 13 · Angeborene Herzfehler mit Anomalien des rechtsventrikulären Ausflusstrakts
dungen gesetzt sein. Der limitierende Faktor, der eine komplette Korrektur evtl. verhindert, bleibt der Gefäßquerschnitt des Lungengefäßbetts. Neben dem arteriolären Widerstand, der u. U. als Folge eines anhaltenden Systemdrucks in einzelnen Lungenarealen irreversibel erhöht sein kann, spielt bei den nur teilunifokalisierten Patienten der durch den begrenzten Gesamtquerschnitt bedingte Widerstand der extra- und intrapulmonalen zentralen Arterien die entscheidende Rolle. Da die erhöhten postoperativen rechts- und linksventrikulären Druckverhältnisse bei operierten Patienten die einzigen Prädiktoren der mittel- und langfristigen Letalität bleiben, muss die Entscheidung über den VSD-Verschluss als Kernproblem der Therapiestrategie betrachtet werden. Im Gegensatz zur Fallot-Tetralogie mit Pulmonalstenose, bei der die intraoperativ gemessenen erhöhten rechtsventrikulären Drücke eher auf eine dynamische und im Verlauf regressive Komponente hinweisen, bleiben der intra- und der frühpostoperativ gemessene Wert bei den unifokalisierten Gefäßen eher anatomisch und funktionell fixiert. Die Voraussage der postoperativen rechtsventrikulären Drücke anhand der angeschlossenen Lungensegmente (mindestens 10 der insgesamt 20 Segmente; Reddy et al. 1995) oder verschiedener Indices, die die Fläche oder den Durchmesser (z. B. Nakata-Index; Nakata et al. 1984) der Lungengefäße errechnen, ist für praktische Entscheidungen von begrenzter Bedeutung. Eine auf der präoperativen Angiographie basierende Beurteilung ist grundsätzlich hilfreich, um die Option eines definitiven Verschlusses präoperativ abzuschätzen. Die letztendliche Entscheidung muss jedoch anhand der intraoperativen Druckmessungen in den Herzkammern und ggf. den großen Arterien getroffen werden. Bei suprasystemischen Werten im rechten Ventrikel muss man den VSD-Flicken fenestrieren oder – wenn dies in seltenen Fällen nicht ausreicht – u. U. sogar komplett entfernen. Jonas empfiehlt, erst bei rechts-/linksventrikulären Druckwerten von >110–120 % eine Fenestrierung des VSD-Flickens vorzunehmen (Jonas 2004). Reddy und Hanley begründen ihre Entscheidungen auf einem komplizierten, aber ihrer Erfahrung nach sehr hilfreichen intraoperativen Flussmessungsverfahren. Nach Durchführung der Unifokalisierung und peripherem Anschluss des künftigen Conduits zwischen rechtem Ventrikel und Pulmonalarterie wird durch eine zusätzlich angeschlossene Kanüle der extrakorporalen Zirkulation eine isolierte Lungenperfusion über das Conduit durchgeführt. Der Fluss über die Lungenperfusionspumpe sollte dem theoretischen Herzzeitvolumen des Patienten entsprechen. Parallel dazu wird der Druck in der zentralen Pulmonalarterie gemessen. Falls das gesamte rechnerische Herzzeitvolumen bei einem pulmonalarteriellen Druck von <25 mmHg vom Lungengefäßbett aufgenommen werden kann, wird der VSD-Verschluss konstant hämodynamisch gut toleriert. Falls die pulmonalarteriellen Druckwerte jedoch zwischen 25 und 40 mmHg liegen, sollte man den VSD entsprechend fenes-
trieren, und bei Werten von >40 mmHg ist eine VSD-Flickenimplantation kontraindiziert (Reddy et al. 1997). Wir führen relativ selten eine primär elektive Fenestrierung durch. Trotz angiographisch ungünstig erscheinenden Bedingungen können sich am Ende der Operation günstige Druckverhältnisse ergeben. Bei suprasystemischen rechtsventrikulären Drücken führen wir eine sekundäre Fensterung in Normothermie bei extern induziertem Kammerflimmern durch. Der Durchmesser der Fensterung mit einer Koronarstanze (2,8 mm bei Säuglingen, 4 mm bei älteren Kindern) erlaubt eine effiziente Dekompression des rechten Ventrikels, führt später jedoch nicht zu einer Lungenüberflutung. Bei angiographisch zunächst äußerst spärlichem Lungengefäßbett lassen jedoch auch wir den VSD primär komplett offen. 13.3.3.3
Schicksal der unifokalisierten MAPCA
Die Euphorie bezüglich der auf den MAPCA basierenden Unifokalisierung wurde nach den 2005 und 2006 veröffentlichten angiographischen Langzeitergebnissen aus dem Royal Children’s Hospital in Melbourne deutlich gedämpft (d’Udekem et al. 2004; Nørgaard et al. 2006). Es wurden 65 Patienten langfristig nachuntersucht, bei denen eine teilweise auf MAPCA basierende komplette Korrektur erreicht worden war. Die Autoren haben frühere und aktuelle Angiographien der einzelnen Patienten verglichen und konstant ungünstige Ergebnisse der inkorporierten MAPCA nachgewiesen. Zu einem großen Anteil waren diese frühpostoperativ nachweislich offenen Gefäße komplett verschlossen, und die noch offenen MAPCA zeigten über die Zeit weder ein relatives noch ein absolutes Wachstum. Bei Mangel an Langzeitstudien ist zu der Frage nach der Bedeutung einer MAPCA-Perfusion derzeit schwierig fundiert Stellung zu nehmen. Es scheint sinnvoll, die nativen Pulmonalarterien auf jeden Fall primär – unabhängig von ihrer Größe – anzuschließen und auf die MAPCA soweit wie möglich zu verzichten.
13.4
Fallot-Tetralogie mit Pulmonalklappenagenesie (»absent pulmonary valve syndrome«)
13.4.1
Definition
Dieses Vitium ist als Variante der Fallot-Tetralogie mit fehlender oder rudimentär angelegter Pulmonalklappe sowie aneurysmatisch erweiterten extra- und intraparenchymatösen Pulmonalarterien zu definieren.
13.4.2
Anatomie und Embryologie
Obwohl Einzelberichte über Pulmonalklappenagenesie mit aneurysmatischen Pulmonalarterien auch bei anderen kar-
401 13.4 · Fallot-Tetralogie mit Pulmonalklappenagenesie (»absent pulmonary valve syndrome«)
dialen Vitien vorliegen, besteht bei der überwiegenden Mehrheit der Fälle intrakardial eine typische Fallot-Anatomie mit anteroseptal deviiertem Konusseptum und großem Malalignment-VSD. Die rechtsventrikuläre Ausflusstraktobstruktion ist bei leicht hypoplastischem Klappenring meist nur geringgradig ausgeprägt. Das Infundibulum ist dabei normal groß und gelegentlich dilatiert. Die Taschen der Pulmonalklappe fehlen komplett (fibrotischer Anulus) oder sind lediglich als anulusnahe myxomatöse Anhängsel vorhanden. Die Pulmonalarterien sind aneurysmatisch erweitert. Ihr Durchmesser ist unterschiedlich, jedoch imponiert die rechte Pulmonalarterie in der Regel deutlich weiter als die linke. Histologisch nachgewiesene Anomalien der Gefäßwandstruktur sind nicht charakteristisch und nur isoliert beschrieben worden. Bei einigen Patienten sind lediglich die extraparenchymalen Gefäße betroffen, wobei sich die aneurysmatische Erweiterung bei anderen Patienten zusätzlich auf die segmentalen Arterien unter Kompromittierung der entsprechenden kleinen Bronchien ausdehnen kann (Milanesi et al. 1984; Rabinovitch et al. 1982). Diese sehr weit nach peripher reichenden Veränderungen sind mit den schwersten klinischen Verläufen assoziiert, bei denen eine umgehende, in der Regel neonatale Korrekturoperation ggf. erfolgslos sein kann. Ein typisches Merkmal des Pulmonalklappenagenesiesyndroms ist der fehlende Ductus arteriosus. Mehrere Spekulationen versuchen den Zusammenhang zwischen der fehlenden Pulmonalklappe und der Duktusagenesie/ dem Frühverschluss zu interpretieren. Einerseits scheint der fehlende Duktus als intrauteriner Schutzmechanismus zu wirken: Bei der freien Regurgitation über die Pulmonalklappe wäre bei dem großen VSD und einem offenen Duktus das Äquivalent einer hochgradigen fetalen Aorteninsuffizienz entstanden, die nach allgemeinen Erfahrungen fast immer zu einem schweren fetalen Hydrops und zum intrauterinen Tod führt. Daraus wurde die Hypothese formuliert, dass durch den fehlenden Duktus das Überleben des Fetus bis zur Geburt sichergestellt ist (Zach et al. 1979). Anderseits führt der durch die Regurgitation erhöhte proximale Pulmonalarterienfluss zur aneurysmatischen Erweiterung der Gefäße, da nun bei verschlossenem bzw. nicht vorhandenem Duktus der gesamte, wenn auch verminderte rechtsventrikuläre Auswurf über das Gefäßbett der atelektatischen fetalen Lunge fließen muss (Emmanouilides et al. 1978).
13.4.3
Diagnostik
Bei den Patienten, die an einer Pulmonalklappenagenesie leiden, unterscheidet man grundsätzlich 2 verschiedene klinische Verläufe: Einerseits gibt es eine als »pink« Fallot zu betrachtende Gruppe, deren Symptomatik durch eine leichte Zyanose gekennzeichnet ist. Anderseits gibt es die
Gruppe der hochsymptomatischen Neugeborenen mit ausgeprägter respiratorischer Insuffizienz. Diese schwerkranken Kinder werden in den ersten Lebensstunden durch eine progressive und therapieresistente Kohlendioxidretention mit schwerer Azidose auffällig. Die Röntgenaufnahme zeigt die verbreiterte Herzsilhouette und die monströs erweiterten hilären Pulmonalgefäße. Die Lungenfelder weisen charakteristische Wechsel zwischen segmentalen Atelektasen und Hypertransparenzen auf. Die definitive Diagnose wird mittels Echokardiographie gestellt. Die intrakardiale Anatomie beinhaltet einen großen Malalignment-VSD mit anterior deviiertem infundibulären Septum. Die fehlende Pulmonalklappe, die hochgradige Pulmonalinsuffizienz und die dilatierten Pulmonalarterien sind die pathognomonischen diagnostischen Merkmale dieses Vitiums. Die Koronaranatomie sollte möglichst abgeklärt werden, und v. a. sind große, quer über das Infundibulum laufende Gefäße, insbesondere ein anomaler Abgang der rechten Koronararterie aus dem RIVA, zu beschreiben. Eine Herzkatheteruntersuchung sollte man bei den schwerkranken Neugeborenen vermeiden, und die dadurch gegenüber einer Echokardiographie zusätzlich gewonnene Information ist auch bei älteren, elektiv zu operierenden Kleinkindern zu vernachlässigen, solange es sich um Primäreingriffe handelt. Bei Patienten, die erst später im Leben auffallen und ggf. nur eine leichte Fallot- oder sogar nur eine VSD-Symptomatik aufweisen und entsprechend keine Kohlendioxidretention oder Bronchomalazie zeigen, kann heute im Rahmen der elektiven Diagnostik die Bronchoskopie – wie auch Computer- und Magnetresonanztomographie – die anatomischen sowie funktionellen Beziehungen zwischen den Atemwegen und den intra- und extraparenchymalen Gefäßen darstellen.
13.4.4
Therapie
13.4.4.1
Präoperative Stabilisierung
Bei der extremen Form der Pulmonalklappenagenesie des kritisch kranken Neugeborenen muss umgehend operiert werden. Standardmaßnahmen für eine präoperative Stabilisierung sind nicht bekannt. Eine aggressive Hyperventilation kann durch ein sekundäres Barotrauma (Pneumothorax) die respiratorische Insuffizienz verschlechtern und führt gleichzeitig zu einer hämodynamischen Beeinträchtigung. Unterstützende Maßnahmen wie Korrektur der Azidose und Bauchlagerung oder eine sitzende Position des Patienten (Takabayashi et al. 2005) sollten frühzeitig eingeleitet werden. Diese Lagerungsmaßnahmen können nicht nur präoperativ, sondern auch im Rahmen der frühpostoperativen Behandlung der Patienten äußert vorteilhaft sein, da sie durch die Schwerkraft der Pulmonalarterien den Druck von den zentralen Atemwegen nehmen. Eine unterstützende Maßnahme, die eine vorübergehende Verbesserung und dadurch eine bessere Überlebens-
13
402
Kapitel 13 · Angeborene Herzfehler mit Anomalien des rechtsventrikulären Ausflusstrakts
chance nach der Operation ermöglichen kann, ist die präoperative Eröffnung des Sternums mit temporärer Thoraxwandplastik, um den intrathorakalen Raum zu erweitern und damit die Komprimierung der Atemwege zu vermindern (Heinemann u. Hanley 1993). Kirshbom und Kogon (2004) schlagen als ultimative Maßnahme die Einleitung einer präoperativen extrakorporalen Membranoxygenierung vor, die in ihrer venovenösen Variante zur Normalisierung des Gasaustausches führt und bei sonst therapieresistenten Patienten eine sichere präoperative Stabilisierungsmethode darstellt. 13.4.4.2
13
Operative Strategien
Die Operation sollte nicht nur die intrakardiale typische Fallot-Korrektur umfassen, sondern auch die anatomische Ursache der Atemwegssymptomatik angehen. Während die intrakardiale Korrektur relativ standardisiert abläuft (s. oben, 13.1.6.2, S. 385ff), bleibt die Behandlung der aneurysmatischen zentralen Pulmonalarterien eine relativ umstrittene Frage. Wir bevorzugen eine extensive Reduktionsplastik sowohl der posterioren (Stellin et al. 1983) als auch der anterioren Wand der Pulmonalarterien. Die Herz-Lungen-Maschine wird über den rechten Vorhof und die Aorta ascendens angeschlossen. Die Kanülierung soll möglichst distal an der Aorta ascendens oder sogar im Aortenbogen erfolgen, um ggf. eine temporäre Durchtrennung der Aorta zu ermöglichen. Die Freipräparation der A. pulmonalis sollte zirkumferenziell durchgeführt werden. Nach Erreichen der Zieltemperaturen sowie Klemmen und Durchtrennen der Aorta ascendens wird die Vorderwand des Pulmonalisstamms und beider Pulmonalarterien bis in die beiden Hili eröffnet. Die Durchtrennung der Aorta ascendens ist bei der Durchführung dieses Y-förmigen Schnittes in der Pulmonalisbifurkation äußerst hilfreich. Ein Teil der Vorderwand wird reseziert (. Abb. 13.10a). Die Hinterwand der Pulmonalarterie wird dann mit fortlaufendem, nichtresorbierbarem Nahtmaterial endoluminal plikiert (. Abb. 13.10b). Mit dem Verschluss der Gefäße entlang der Vorderwand sollte das Lumen der Pulmonalarterien über entsprechende Hegar-Stifte kalibiert werden. Wir verwenden bei Neugeborenen 8-mm-Stifte. Eine Reduktion auf den der Körpergröße entsprechenden Durchmesser von 5–6 mm halten wir wegen der Stenosegefahr für nicht indiziert. Der Pulmonalisstamm sollte ebenfalls plikiert und evtl. durch Resektion partiell auch in der Länge reduziert werden. Bei der Primäroperation im Neugeborenen- oder Säuglingsalter halten wir die Implantation eines klappentragenden Conduits für nicht indiziert. Der Einsatz eines transanulären Polytetrafluorethylenerweiterungsflickens sowie die meistens nur sehr sparsam durchzuführende infundibuläre Muskelbündeldurchtrennung sollten für die Ausflusstraktrekonstruktion bei der Primäroperation aus-
a
b . Abb. 13.10a, b. Pulmonalarterielle Reduktionsplastik mit posteriorer endoluminärer Längsplikatur und anteriorer Resektion. a Die Inzision und die mehr oder weniger ausgeprägte Exzision der Vorderwand erstrecken sich von Hilus zu Hilus bis zum Abgang der Unterlappenarterien und dann T-förmig in Richtung Anulus. Für die Durchführung der Operation wird die Aorta ascendens ggf. vorübergehend quer durchtrennt. b Nach großzügiger endoluminaler Plikatur der Hinterwand und Resektion der Vorderwand wird Letztere über entsprechende Hegar-Stifte (nicht dargestellt) mit einer resorbierbaren Naht verschlossen (mod. n. Stellin et al. 1983)
reichen. Die funktionellen Vorteile einer kompetenten Pulmonalklappe konnten auch hier nicht eindeutig bewiesen werden. Exzellente Ergebnisse lassen sich ohne Implantation eines klappentragenden Conduits auch bei kritisch kranken, respiratorisch kompromittierten Neugeborenen erreichen. Die erzielte Minimierung der systolodiastolischen Windkesselfunktion der aneurysmatischen Gefäße scheint durch eine Reduktionsplastik der zentralen Pulmonalarterien auch bei der fehlenden Klappenfunktion
403 13.5 · »Double outlet right ventricle« (DORV)
gewährleistet zu sein. Im Gegenteil kann die Implantation eines etwas überdimensionierten Homo- oder Xenografts die Komprimierung der Trachealbifurkation akzentuieren. Eine intraoperative Bronchoskopie nach Komplettierung der Korrektur sollte lokalisierte zentrale Stenosen identifizieren. Diese Stenosen könnten bei erhaltenen bindegewebigen Verbindungen zwischen A. pulmonalis und Bronchien evtl. durch eine Pulmonalopexie bzw. durch eine Pexie der A. pulmonalis an die retrosternale Faszie behoben werden (Alsoufi et al. 2007; Bove et al. 1972).
Alternative und komplementäre chirurgische Therapien Komplette Resektion der mediastinalen Pulmonalarterien mit Homograftrekonstruktion
diesen Patienten sollten weitere postoperative Untersuchungen (Bronchoskopie, Computertomographie) eine korrigierbare lokalisierte zentrale Komprimierung ausschließen. Dodge-Khatami et al. (1999) sehen bei Patienten mit diffuser Einengung der zentralen Atemwege die tracheobronchiale Stentimplantation als ermutigende Methode an. Für funktionell und anatomisch kompromittierte Lungenanteile mit rezidivierenden Infekten sind limitierte Lungenresektionen oder sogar Lobektomien beschrieben worden (Alsoufi et al. 2007).
13.4.4.3
Hew et al. aus Boston sehen die komplette Resektion der zentralen Pulmonalarterien vor (Hew et al. 2002). Sie setzten hilusnah beide Gefäße ab und implantierten einen pulmonalen Homograft mit erhaltener Bifurkation, ebenfalls nach Durchtrennung der Aorta ascendens. Zu vermerken ist, dass die Ergebnisse mit der neuen Technik in keiner Weise besser sind als die Ergebnisse nach den früher in der gleichen Institution durchgeführten Operationen mit Plikatur ohne Klappenimplantation, wobei der Anteil der kritisch kranken Neugeborenen in der früheren Serie deutlich kleiner war als in der neueren Reihe. Langzeitergebnisse dieser Operation, v. a. Daten über die Komplexität, Zeitpunkt und Häufigkeit der Re-Operation, sind nicht vorhanden.
Hraska-Technik Diese Technik sieht eine dem Lecompte-Manöver ähnliche Verlagerung der dilatierten Pulmonalarterie vor die Aorta ascendens vor (Hraska 2000). Die extensive Mobilisation der V. cava superior mit Durchtrennen der V. azygos und eine keilförmige Resektion im rechtslateralen Rand der Aorta ascendens mit zusätzlicher breiter Mobilisierung des Aortenbogens sollen die Distorsion der V. cava superior verhindern. Mit der keilförmigen Resektion sollte die Aorta ascendens nach links und posterior versetzt werden, wobei eine exzessive Dislokation eine direkte aortale Komprimierung der Atemwege verursachen kann. Hraska empfiehlt zudem eine Resektion der fast konstant zu langen linken Pulmonalarterie. 13.4.4.4
Postoperative Behandlung
Bei Neugeborenen sollte der Thorax postoperativ für einige Tage offen gelassen und anschließend ggf. nach und nach in mehreren Schritten verschlossen werden. Trotz der sehr aggressiven Reduktionsplastik bleiben diese Patienten bei der assoziierten schweren diffusen Tracheomalazie postoperativ über lange Zeit beatmungsabhängig. Einige Patienten benötigen eine Tracheotomie. Trotz intensiver physikalischer Maßnahmen ist eine Extubation u. U. über Monate nicht durchführbar. Bei
13.5
»Double outlet right ventricle« (DORV)
13.5.1
Terminologie
Obgleich dieses Vitium zuvor im deutschen Schrifttum korrekterweise als »gemeinsamer Ausgang der großen Gefäße vom rechten Ventrikel« bezeichnet wurde (Klinner u. Reichart 1991), halten wir den generell akzeptierten Terminus »double outlet right ventricle« (DORV) ausnahmsweise auch in einem deutschsprachigen Lehrbuch für akzeptabel.
13.5.2
Definition
Die Definition dieser Anomalie bleibt eine der meistumstrittenen Nomenklaturen und Klassifikationsthemen sowohl der Herzpathologen als auch der Kliniker. Es gibt grundsätzlich 3 Definitionen, die dieses Vitium aus 3 komplett unterschiedlichen Blickwinkeln betrachten. Allen gemein ist zumindest ein VSD. Die engste Definition von Maurice Lev (Lev et al. 1972) sieht einen DORV nur bei 2 komplett aus dem rechten Ventrikel ausgehenden großen Arterien. Van Praagh (1968) setzt die Existenz einer aortomitralen oder pulmonalomitralen (bei Transposition der großen Arterien) fibrösen Diskontinuität voraus. Er fordert so einen beidseitigen subarteriellen muskulären Konus als entscheidendes Definitionskriterium. Die liberalste Definition von Robert Anderson (Anderson et al. 1983) verlangt für einen DORV einen 100%igen plus einen 51%igen Ausgang der Arterien aus dem rechten Ventrikel. Dies kann unseres Erachtens zu äußerst knappen und ggf. fragwürdigen Entscheidungen führen. Alle 3 Definitionen können kritisiert werden, und es bleiben tatsächlich einige Patienten sowohl am Transpositionsende als auch am Fallot-Ende des Spektrums, die nicht richtig definiert, aber nichtsdestotrotz erfolgreich operiert werden können. Wir halten uns an die Van-Praagh-Definition, weil sie uns am praktikabelsten und bezüglich der Pathologie am eindeutigsten erscheint.
13
404
Kapitel 13 · Angeborene Herzfehler mit Anomalien des rechtsventrikulären Ausflusstrakts
13.5.3
Pathoanatomie
13.5.3.1
Konotrunkus
Der DORV ist aus embryologischer Sicht eine konotrunkale Malformation. Diese entsteht, wenn die spiralartige Drehung des embryonalen Konotrunkus unvollständig bzw. fehlerhaft ist. Lev sieht den DORV eher als eine primitive Form der konotrunkalen Entwicklung an, da diese im Laufe der Kardiogenese konstant zu erkennen ist (Lev et al. 1972). Das Vitium muss im Gesamtkonzept anderer konotrunkaler Anomalien (Dextrotransposition der großen Arterien, Fallot-Tetralogie, Truncus arteriosus) betrachtet werden. In diesem Sinne bildet sich ein Spektrum von Anomalien von der Fallot-Tetralogie (bei der die Aorta in unmittelbarem Kontakt zur Mitralklappe steht) über den Fallot-Typ des DORV (Aorta von der Mitralklappe durch einen Konusmuskel getrennt) und weiter zur Transposition der großen Arterien mit DORV (Aorta noch weiter von der Mitralklappe entfernt, mit engeren räumlichen Beziehungen zwischen A. pulmonalis und Mitralklappe) bis hin zur kompletten Dextrotransposition der großen Arterien (bei der nun die Pulmonalklappe in Kontakt zur Mitralklappe steht). Da es sich bei der Kombination aus DORV und Transposition der großen Arterien streng genommen nicht um eine »Transposition« handelt – die Pulmonalarterie wird weiterhin dem rechten Ventrikel zugeordnet –, sollte man eher von einer Malposition (DORV plus Malposition der großen Arterien) sprechen. 13.5.3.2
13
a
Ventrikelseptumdefekt (VSD)
Lev klassifizierte 1972 die VSD bei DORV aufgrund ihrer Lagebeziehung zu den großen Arterien (Lev et al. 1972): 4 Subaortaler VSD: Diese Patienten zeigen eine Fallotähnliche Anatomie und bei Subpulmonalstenose auch eine Fallot-Physiologie (. Abb. 13.11a). 4 Subpulmonaler VSD: Bei diesen Patienten bestehen Anatomie und Physiologie wie bei Transposition der großen Arterien (. Abb. 13.11b). 4 Subarterieller (»doubly committed«) VSD: Bei Agenesie des Konusseptums befinden sich die Semilunarklappen in fibröser Kontinuität, und der VSD kann nicht eindeutig der einen oder der anderen Klappe zugeordnet werden. Dies bedeutet aber meistens nicht, dass der VSD unter gleich optimalen Bedingungen zu dem einen oder anderen Gefäß getunnelt werden kann. 4 Fernsitzender (»noncommitted«) VSD: Bei dieser für eine biventrikuläre Korrektur selten geeigneten Anatomie liegt der VSD entweder im Einlass- oder im Trabekelseptum, eben fern der Semilunarklappen. Diese Einteilung berücksichtigt nicht nur die Pathoanatomie und die ihr folgende Pathophysiologie sowie das klinische Bild, sondern sie hat auch eine besondere Bedeutung für die chirurgische Therapie.
b . Abb. 13.11a, b. Infundibuläre Anatomie bei den 2 häufigsten DORV-Formen (DORV: »double outlet right ventricle«). Der Ventrikelseptumdefekt (VSD) liegt konstant zwischen den Aufzweigungen (anterior und posterior) des septomarginalen Trabekels (TSM). Das beim DORV als reine intrarechtsventrikuläre Muskelstruktur angelegte Konusseptum (KS) fusioniert entweder mit der vorderen (anterioren; a) oder der hinteren (posterioren; b) TSM-Aufzweigung und bestimmt die Zuordnung des Ventrikelseptumdefekts als subaortal oder subpulmonal. Ao Aorta; Pu Pulmonalarterie
13.5.3.3
Konusseptum (infundibuläres Septum)
Diese muskuläre Struktur, die im normalen Herzen Teil des Ventrikelseptums ist, kann im Rahmen eines DORV als freistehendes Muskelbündel des rechten Ventrikels betrachtet werden. Die großen Arterien sind im typischen DORV parallel in einer Frontalebene angeordnet. Auf den
405 13.5 · »Double outlet right ventricle« (DORV)
echokardiographischen Querschnittsbildern liegen auch die beiden Semilunarklappen nebeneinander in der gleichen Ebene. Das Konusseptum, das per definitionem zwischen den beiden Klappen liegt, wird dementsprechend als eine viereckförmige Muskelmasse gesehen, die sich zwischen dem subarteriellen Konus und dem Kammerseptum erstreckt. Während das Konusseptum bei einem DORV mit subaortalem VSD (Fallot-Typ) mit der vorderen Aufzweigung des Moderatorbandes fusioniert, kommt es bei den subpulmonalen VSD mit der posterioren Aufzweigung in Kontakt. Diese Einzelheiten sind wichtig, weil im Rahmen einer intraventrikulären Korrektur (s. unten) ggf. die Resektion des Konusseptums erfolgen muss. Dafür ist die Identifzierung seiner anatomischen Grenzen von entscheidender Bedeutung (. Abb. 13.11). Im Rahmen des DORV sind sehr häufig subarterielle (häufiger pulmonale, aber auch aortale) Stenosen zu verzeichnen. Sie können auch von Anulushypoplasien oder sogar -atresien begleitet sein. Neben isoliert auftretenden DORV kommt diese Ventrikelarchitektur sehr häufig beim Heterotaxiesyndrom vor. Der DORV ist dann häufig mit einem unbalancierten AVKanal oder einer hypoplastischen Mitralklappe assoziert. Hierdurch wird dann in der Regel wegen des hypoplastischen linken Ventrikels eine biventrikuläre Korrektur unmöglich. Die Stellung der großen Arterien ist sehr unterschiedlich. Am häufigsten ist eine Seit-zu-Seit-Stellung mit rechts von der A. pulmonalis liegender Aorta. Dextromalpositionsstellungen (s. oben, 13.5.3.1) der großen Arterien sind keine Ausnahmen. Levomalpositionsstellungen sind eher selten. Die extrakardiale Stellung der großen Arterien lässt keinen Rückschluss auf die intrakardiale Anatomie zu. Bei der Auswahl der operativen Strategie kann die Stellung der großen Arterien eine wichtige Rolle spielen.
13.5.4
Pathophysiologie und klinisches Bild
Bei der pathoanatomischen Vielfältigkeit des DORV können entsprechend sehr unterschiedliche Krankheitsbilder beobachtet werden. Entscheidend für das klinische Bild sind sowohl die Verhältnisse zwischen dem VSD und den großen Arterien als auch eventuelle intra- oder extrakardiale Ausflusstraktobstruktionen. Patienten mit subpulmonalem VSD zeigen eine Transpositionsphysiologie, die mit einer unmittelbar postpartalen tiefen Zyanose auffällt. Bei subpulmonal liegendem VSD ist nicht selten eine subaortale Stenose mit eventueller Aortenbogenobstruktion (das typische Taussig-Bing-Herz) assoziiert. Diese Neugeborenen zeigen gleichzeitig mit dem Duktusverschuss zusätzlich eine zunehmende metabolische Azidose mit rasch auftretendem Kreislaufkollaps. Die Variante mit subaortalem VSD kann bei einer assoziierten Subpulmonalstenose ein Fallot-typisches, mehr oder weniger ausgeprägtes zyanotisches Krankheitsbild
oder bei freier pulmonaler Ausflussbahn das klinische Bild eines großen VSD bedingen. Bei der subarteriellen Variante sind sowohl subaortale als auch subpulmonale Stenosen sehr häufig zu sehen, und dementsprechend wird das klinische Bild von den Rechtslinks- oder den Links-rechts-Shunts geprägt. Beim fern von den Arterien liegendem VSD ist ebenfalls kein typisches Krankheitsbild zu beschreiben. Der VSD kann sowohl im Einlass des rechten Ventrikels (als typischer Inlet-VSD oder als AV-Kanal) als auch in der Mitte des muskulären Septums vorkommen. Bei restriktivem VSD ist der linke Ventrikel gelegentlich hypoplastisch, und die aortopulmonale Flussverteilung wird von den eventuellen subarteriellen Stenosen und der Größe des ASD bestimmt.
13.5.5
Diagnostik
Eine alleinig klinische Diagnostik dieses Vitiums ist nicht möglich. Die Auskultation, das Röntgenbild sowie das EKG sind nicht wegweisend. Eine echokardiographische Untersuchung kann die relevanten pathoanatomischen und pathophysiologischen Einzelheiten dieses Vitiums jedoch mit sehr großer Klarheit nicht nur postnatal, sondern auch schon in utero beschreiben. ! Eine pränatale Diagnostik eines DORV ist relativ spezifisch und sollte die Entbindung in der Nähe einer in der Behandlung von Kinderherzkrankheiten erfahrenen Klinik nach sich ziehen (Kim et al. 2006).
Eine komplette präoperative Echokardiographie sollte folgende Informationen liefern: 4 Lokalisierung des VSD, 4 eventuelle Restriktion des VSD, 4 Koronaranatomie (quer über das Infundibulum verlaufende Koronararterien, ggf. Einzelheiten der Koronaranatomie bei geplanter Switch Operation), 4 Morphologie und Funktion der Semilunarklappen, 4 subvalvuläre Stenosen der Semilunarklappen, 4 Morphologie und Funktion der AV-Klappen, insbesondere Ausschluss anomaler Sehnenfadenansätze am Konsusseptum oder am VSD-Rand. Eine Herzkatheteruntersuchung ist bei Neugeborenen und Säuglingen selten erforderlich. Bei älteren Patienten mit VSD-Physiologie sollte die Reversibilität einer pulmonalen Widerstandserhöhung verifiziert werden.
13.5.6
Chirurgische Therapie
13.5.6.1
Allgemeine Operationsstrategie bei DORV-Korrektur
Obgleich der DORV im Rahmen eines Heterotaxiesyndroms als Ausflusstraktarchitektur des meistens dominan-
13
406
Kapitel 13 · Angeborene Herzfehler mit Anomalien des rechtsventrikulären Ausflusstrakts
ten rechten Ventrikels sehr häufig ist, spricht man grundsätzlich nur bei der chirurgischen Behandlung biventrikulär angelegter Herzen von einer DORV-Korrektur. Die Operation sollte den Auswurf des linken Ventrikels über den VSD in die Aorta leiten, während der rechte Ventrikel unbehindert in die A. pulmonalis auswerfen kann. Trotz der relativen Übersichtlichkeit der von Lev beschriebenen Klassen zeigt die tatsächliche intraoperative Anatomie ein breites Spektrum von Übergangsformen, bei denen die individuelle akute Entscheidung sehr wichtig ist. Nichtdestotrotz werden wir die Therapieoptionen anhand der klassischen Einteilung diskutieren, und Einzelheiten, die ein atypisches Vorgehen bestimmen, lassen sich dort diskutieren. Technische Einzelheiten oder Kontroversen, wie das Umgehen mit anomalen Sehnenfäden oder die VSD-Erweiterung, werden abschließend gesondert diskutiert. 13.5.6.2
13
Korrektur des DORV mit subaortalem VSD
Diese in allen Studien als häufigste Form erwähnte Variante eignet sich in der Regel für eine intraventrikuläre Korrektur. Die Korrektur kann sowohl durch einen transatrialen als auch durch einen transinfundibulären Zugang erfolgen. Eine transatriale Korrektur sollte v. a. bei Formen ohne subpulmonale Obstruktion möglich sein. Man darf jedoch nicht vergessen, dass die Identifizierung der VSD-Ränder hier relativ schwierig sein kann und die evtl. durchzuführende VSD-Erweiterung (s. unten) durch den transatrialen Zugang nicht immer sicher durchzuführen ist. Wir empfehlen dann relativ großzügig die Durchführung einer queren Infundibulotomie. Dieser Zugang erlaubt nicht nur die sichere Einsicht in die Semilunarklappen, sondern auch die Vergrößerung des VSD mit eventueller Abtrennung und Re-Implantation von anomalen Sehnenfäden. Bei fehlender subpulmonaler Obstruktion wird die Querinfundibulotomie mittels Direktnaht verschlossen. Zur Bildung des sog. Tunnelflickens (»Tunnelbildung« vom VSD zur Aortenklappe) verwenden wir aus Polytetrafluorethylenrohrprothesen herausgeschnittene Stücke. Der Flicken sollte eine gewisse Redundanz haben, um die Bildung von sekundären Subaortenstenosen im Flickenbereich zu verhindern. Die Einnaht beginnt am vom Operateur am weitesten entfernten Punkt (d. h. im Bereich der Trikuspidalklappe bei transinfundibulärem oder im apikalen Winkel bei transtrikuspidalem Zugang) und erfolgt mittels fortlaufender Polypropylenenaht (Neugeborene/Säuglinge: Stärke 5/0; größere Kinder: Stärke 4/0). Die Resektion des Konusseptums ist zwar technisch jederzeit durchführbar, wir empfehlen sie jedoch nicht routinemäßig durchzuführen. Diese Resektion kann zwar zur Beseitigung einer Subpulmonalstenose beitragen, lässt allerdings das Anpassen und die Einnaht des Tunnelflickens deutlich komplizierter werden. Bei reseziertem Konusseptum müssen die Nähte im Bereich des Aortenanulus ohne
die Möglichkeit, das relativ feste Endokard zu verwenden, gestochen werden. Dabei darf man das Risiko eines RestVSD oder die Beeinträchtigung der Aortenklappe nicht außer Acht lassen. Die Querinfundibulotomie kann entweder direkt (Cave: Restriktion des rechtsventrikulären Ausflusstrakts) oder durch einen Erweiterungsflicken verschlossen werden. Falls eine Stenose im Bereich des pulmonalen Ausflusstrakts vorliegt, wird die Korrektur ähnlich wie bei der Fallot-Tetralogie durchgeführt. Der Zugang besteht dann eher in einer subpulmonalen Längsinfundibulotomie, die bei deutlicher Hypoplasie (oder sogar Atresie) des Pulmonalklappenrings transanulär geführt werden sollte. Im Säuglingsalter reicht die Durchtrennung der anomalen infundibulären Muskelbündel für die Beseitigung der subpulmonalen Obstruktion aus, wobei bei älteren Patienten mit fortgeschrittener Myokardhypertrophie u. U. auch die Resektion des Konusseptums (s. oben) erforderlich sein kann. 13.5.6.3
Korrektur des DORV mit subpulmonalem VSD (Taussig-Bing-Anomalie)
Obwohl das berühmte, von Taussig und Bing beschriebene Herz neben der Anomalie eines DORV mit subpulmonalem VSD auch eine Seit-zu-Seit-Stellung der großen Arterien, eine Subaortenstenose und eine Aortenisthmusstenose aufwies (Taussig u. Bing 1949), wurde der Name später sowohl von Klinikern als auch von Anatomen großzügig für alle DORV mit subpulmonalem VSD übernommen. Die Korrektur kann entweder komplett intraventrikulär mit Umleitung des linksventrikulären Ausstroms an die fernsitzende Aortenklappe oder durch eine Umleitung an die Pulmonalklappe mit gleichzeitiger arterieller SwitchOperation erfolgen. Intraventrikuläre Umleitungen in ihren verschiedenen Varianten. Die Eingriffe nach Kawashima et al. (1971), Patrick
und McGoon (1968) sowie Doty (1986) waren historisch gesehen die ersten Operationen, die bei diesen komplexen Herzfehlern eine erfolgreiche Korrektur erreichten. Mit der Etablierung der arteriellen Switch-Operation als Standardverfahren für die neonatale Korrektur der Dextrotransposition der großen Arterien bietet sich dieses Vorgehen heute für Patienten mit subpulmonalem VSD schon im Neugeborenenalter an. Obgleich mehrere Arbeitsgruppen primär die arterielle Switch-Operation bevorzugen (Belli et al. 1998), sehen andere eher ein differenziertes Vorgehen mit der intraventrikulären Umleitung als Operation der Wahl an.
Kawashima-Operation Bei der Kawashima-Operation (Kawashima et al. 1971) wird eine intraventrikuläre Umleitung des linksventrikulären Ausstroms posterior der Pulmonalklappe entlang des subarteriellen Konus an die Aortenklappe angelegt
407 13.5 · »Double outlet right ventricle« (DORV)
a
b
. Abb. 13.12a, b. Schematische Darstellung des rechtsventrikulären Ausflusstrakts in der Koronarschnittebene. Die gepunkteten Linien zeigen den Verlauf des künftigen Tunnelflickens an. a Bei der KawashimaOperation verläuft der Tunnelflicken retropulmonal entlang des subarteriellen Konus über das resezierte Konusseptum. b Bei der Patrick-
McGoon-Operation (und auch bei der Doty-Operation) verläuft der intraventrikuläre Tunnel zwischem dem Ventrikelseptumdefekt (VSD) und der Aorta entlang der Vorderwand. Ao Aortenklappe; Pu Pulmonalklappe; Tk Trikuspidalklappe
(. Abb. 13.12a). Die Operation wird nur bei Patienten mit Seit-zu-Seit-Stellung der großen Arterien vorgenommen – ein anteroposteriores Verhältnis (Dextro- oder lntermediärmalposition der großen Arterien) stellt eine Kontraindikation dar. Der intraventrikuläre Tunnel verläuft zwischen der Trikuspidal- und der Pulmonalklappe. Ein geringer Abstand zwischen Trikuspidal- und Pulmonalklappe schließt diese Operation aus. Sollte die Distanz zwischen den beiden Klappen geringer sein als die Hälfte des erforderlichen Tunneldurchmessers (also weniger als die Hälfte des Aortenklappendurchmessers), kommt es regelhaft zu subaortalen Obstruktionen, und es sollte eine alternative Operationstechnik erwogen werden. Die Operation wird über eine Infundibulotomie durchgeführt. Die intraventrikuläre Inspektion sollte v. a. den Abstand zwischen der Pulmonal- und der Trikuspidalklappe sowie die Möglichkeit der Insertion von Sehnenfäden am Konusseptum abschätzen (7 Kap. 10). Falls diese Kriterien die Operation erlauben, sollte man zuerst das Konusseptum komplett resezieren, und zwar vorsichtig, evtl. in mehreren Schritten, um eine Perforation der Ventrikelwand zu vermeiden. Nach eventueller Erweiterung des VSD erfolgt die Einnaht des Flickens. Die fortlaufende Naht beginnt am VSD, und von dort folgt sie dem gebogenen Verlauf zwischen Trikuspidal- und Pulmonalklappe. Die Redundanz des Flickens ist sehr wichtig. Deshalb sollte etwa die Hemizirkumferenz einer Prothese als Tunnelmaterial verwendet werden. Tiefe und evtl. mit Einzelstichen verstärkte, unterlegte Nähte setzt man im Bereich des resezierten Konusseptums und des vergrößerten VSD, wo bei fehlendem Endokard eher ein Dehiszenzrisiko besteht.
Rastelli-Operation Die ursprünglich für die Behandlung der Dextrotransposition der großen Arterien mit VSD und Pulmonalstenose beschriebene Operation (Rastelli et al. 1969) kann auch bei DORV mit subpulmonalem VSD zur Anwendung kommen. Bei dieser Operation muss die Pulmonalarterie abgesetzt und wegen des Embolisationsrisikos aus einem evtl. belassenen pulmonalarteriellen Blindsack in die Systemzirkulation auf Klappenebene, die Pulmonalklappe fassend, übernäht werden. Den Umleitungsflicken kann man dann ohne Berücksichtigung der Pulmonalklappe (die nicht zwingend hypoplastisch sein muss) zwischen VSD und Aorta implantieren. Anschließend wird die Verbindung zwischen dem rechten Ventrikel und der Pulmonalarterie hergestellt. Die Verbindung kann man entweder durch Implantation eines klappentragenden oder klappenlosen Conduits oder durch direkte Verbindung der Pulmonalarterie nach vorherigem Lecompte-Manöver (Lecompte u. Bex 1985) herstellen. ! Die Rastelli-Operation sollte bei DORV mit funktionsfähiger Pulmonalklappe nur unter äußerst ungewöhnlichen Bedingungen wie im Fall einer ungewöhnlichen Koronaranatomie oder Vorliegen eines »double outlet both ventricles« (s. unten) durchgeführt werden.
Patrick-McGoon- und Doty-Operationen Diese Operationen werden heute nur noch sehr selten durchgeführt. Es handelt sich um intraventrikuläre Umleitungen, wobei der Tunnelflicken im Gegensatz zur Kawashima-Operation anterior der Pulmonalklappe verläuft (. Abb. 13.12b).
13
408
Kapitel 13 · Angeborene Herzfehler mit Anomalien des rechtsventrikulären Ausflusstrakts
Bei der Patrick-McGoon-Operation wird der Flicken entlang des Kammerseptums und der Vorderwand des Infundibulums geleitet. Die Doty-Operation sieht den Einsatz einer intraventrikulären Rohrprothese vor.
Besonderheiten der arteriellen Switch-Operation
13
Die ausführliche Beschreibung der arteriellen Switch-Operation ist 7 Kap. 17 zu entnehmen. Besonderheiten der DORV-Anatomie, die bei der Operation berücksichtigt werden müssen, sind Koronaranomalien sowie die Seit-zuSeit-Stellung der großen Arterien. Auch bei Seit-zu-Seit-Stellung empfehlen wir die routinemäßige Durchführung des Lecompte-Manövers. Daraus ergibt sich jedoch fast regelhaft die Notwendigkeit, die Pulmonalisbifurkation auf die rechte Pulmonalarterie zu versetzen. Dafür sollte die rechte Pulmonalarterie aus der Bifurkation heraus inzidiert werden. Der Verschluss der ursprünglichen Bifurkation kann in der Regel direkt oder muss gelegentlich durch Einbringen eines Erweiterungflickens erfolgen. Theoretisch kann bei der sehr seltenen Form mit posteriorer Aorta (SDL-Variante: Situs solitus, d-Loop der Ventrikel – N: Normalstellung –, L-Malposition der großen Arterien) auf das Lecompte-Manöver verzichtet werden (Tanaka et al. 1993; Van Praagh et al. 1971; Wilkinson et al. 1975). Die Häufigkeit atypischer Koronaranomalien ist beim DORV mit Seit-zu-Seit-Stellung der großen Arterien und Malposition größer als bei der Transposition der großen Arterien mit intaktem Ventrikelseptum. Meistens besteht ein isolierter Abgang des Ramus circumflexus der linken Koronararterie mit einem gemeinsamen Abgang des RIVA und der RCA aus dem vorderen Sinus (Klassifikation nach Sauer: AB1 – Gittenberger-de Groot et al. 1983; Klassifikation nach Quaegebeur: 1L 2RCX – Quaegebeur 1986). Die nebeneinander liegenden großen Arterien setzen auch bei der »normalen« typischen Koronaranatomie einige Besonderheiten voraus. In ihrem abgangsnahen Verlauf schlängeln sich die Koronararterien über eine längere Distanz um die arterielle Wurzel herum, bevor sie ihren normalen Verlauf im Sulcus atrioventricularis erreichen. Damit entsteht unabhängig von der anatomischen Variante ein komplikationsträchtiges »looping pattern« (Jonas 1998; Planche et al. 1998), d. h. die Koronarien umschlingen die Wurzeln der großen Arterien. Kommt es bei diesem Koronarmuster in der frühpostoperativen Phase durch Erhöhung der ventrikulären Vorlast oder eher der Nachlast zur Erweiterung der Aorten- bzw. Pulmonaliswurzel, können die bei der elastischen Gefäßwand extremen Schwankungen des Durchmessers der großen Gefäße zu Spannungen im Verlauf der re-implantierten Koronararterien und damit zur Myokardischämie führen. Diese bedingt eine weitere Dilatation des Herzens und somit einen Circulus vitiosus, der relativ schwierig (wenn überhaupt) zu unterbrechen ist. Daher sollten bei diesen Kindern in der frühpostoperativen Phase sowohl die rechts- als auch die linksventrikuläre
Nachlast sowie die Vorlast konstant niedrig gehalten und v. a. auf eine plötzliche Volumengabe zur Behandlung eines evtl. »schlechten Blutdrucks« verzichtet werden. Der Verschluss des VSD, der nach den Prinzipien der Korrektur eines DORV mit subaortalem (hier: subneoaortalem) Defekt abläuft, wurde bereits beschrieben. Bei Seit-zu-Seit-Stellung liegen häufig Subaortenstenosen, eine Aortenklappenhypoplasie, eine Aorta-ascendens-Hypoplasie und eine Aortenisthmusstenose vor. Bei diesen Patienten ist die subaortale (subneopulmonale) Komponente durch Resektion des Konusseptums und Einnaht eines infundibulären Erweiterungflickens in der Regel zu beseitigen. Eine ausgeprägte Aortenklappenhypoplasie (nach arterieller Switch-Operation: Neopulmonalklappenhypoplasie) stellt die Indikation zur Einnaht eines transanulären Flickens in den rechtsventrikulären Ausflusstrakt dar. 13.5.6.4
DORV mit fernsitzendem (»noncommitted«) VSD
Bei diesen Patienten liegt der VSD entweder im Einlassoder im Trabekelseptum. Eine biventrikuläre Korrektur ist trotz des Vorliegens zweier normal großer Ventrikel nicht immer möglich. Ungeachtet des ungewissen Langzeitverlaufs nach Fontan-Operation wird die univentrikuläre »Korrektur« (Delius et al. 1996; Jonas 2004) häufig einer komplexen intraventrikulären Umleitung vorgezogen (Barbero-Marcial et al. 1998). ! Im Rahmen einer biventrikulären Korrektur eines DORV mit fernsitzendem VSD sollten diese VSD immer vergrößert werden, um eine nichtrestriktive Hämodynamik zu ermöglichen.
Einlass-VSD sind zusätzlich sehr häufig mit anomalen und auch das Ventrikelseptum kreuzenden Chordae der AVKlappen assoziiert, die entweder an den VSD-Rändern oder am Konusseptum ansetzen. Diese Ansätze erschweren sowohl die obligatorische Vergrößerung des VSD als auch das Einbringen des Flickens für den Umleitungstunnel. Bei der bekannten Tendenz der mittmuskulären Defekte, sich trotz großzügiger VSD-Vergrößerung bei der Primäroperation im weiteren Verlauf zu verkleinern oder sich sogar zu verschließen, scheint die Frage, ob eine biventrikuläre Korrektur dieser Variante überhaupt indiziert ist, durchaus begründet. Die komplexen intraventrikulären Umleitungen können das diastolische Volumen des rechten Ventrikels reduzieren und u. U. eine komplette biventrikuläre Korrektur gefährden. Eine ergänzende kavobipulmonale Anastomose (bidirektionale Glenn-Anastomose, Eineinhalbventrikelkorrektur) stellt in grenzwärtigen Fällen eine Alternative für eine univentrikuläre Rekonstruktion dar.
409 13.6 · Pulmonalatresie mit intaktem Ventrikelseptum
13.5.6.5
Intraventrikuläre Korrektur des DORV mit subarteriellem VSD
Diese Form ist die seltenste der 4 Lev Klassen. Sie betrifft etwa 4–7 % der biventrikulär korrigierbaren DORV-Fälle (Aoki et al. 1994; Lacour-Gayet 2008). Der VSD hat meistens eine eher elliptische oder sogar schlitzförmige Form und erstreckt sich unterhalb der miteinander in unmittelbarem Kontakt stehenden Semilunarklappen. Gelegentlich ist sogar ein Überreiten beider Klappen vorhanden, woher auch die eher grotesk klingende Definition »double outlet both ventricles« stammt (Brandt et al. 1976). Dies sei auch der aus unserer Sicht fragwürdigen 100%-plus-51%-Regel geschuldet. Die intraventrikuläre Rekonstruktion ist dementsprechend komplex. Eine Vergrößerung des VSD muss in seinem subaortalen Abschnitt bis an die Aorta heran fast obligatorisch durchgeführt werden. Falls die räumlichen Beziehungen (z. B. Aorta posterior der Pulmonalarterie) für die konventionelle Umleitung trotz eventueller VSD-Vergrößerung ungünstig sind, sollte bei der Operation entweder eine gleichzeitige arterielle Switch-Operation (falls die Umleitung an die Pulmonalklappe durchführbar ist) oder eine Rastelli-Operation vorgenommen werden.
Kontroversen Anomale Chordaansätze am Konussseptum
13.5.6.6
Präoperativ kann die Existenz anormaler Chordae tendinae echokardiographisch mit großer Genauigkeit dargestellt werden. Die funktionelle Bedeutung dieser Strukturen lässt sich jedoch nur intraoperativ eruieren. Früher galten funktionell wichtige anomale Sehnenfäden als relative Kontraindikation für die Durchführung einer Korrektur. Ein temporäres Absetzen mit Re-Implantation der Sehnenfäden an den VSD-Flicken und der erfolgreiche Einsatz von Neochordae aus Polytetrafluorethylen haben dieses Problem relativiert. Chordae der Trikuspidalklappe, die entweder am VSDRand oder am Konusseptum ansetzen, können temporär abgetrennt werden, um die VSD-Vergrößerung bzw. die Resektion des Konusseptums zu ermöglichen. Die Re-Implantation an einer entsprechenden Stelle der rechtsventrikulären Seite des Tunnelflickens kann nach dessen Einnaht erfolgen. Funktionell bedeutsame Sehnenfäden der Mitralklappe, die an den zu resezierenden Strukturen ansetzen, sollten eher kritisch betrachtet werden. Einerseits ist ihre Erhaltung aufgrund der funktionellen Bedeutsamkeit der Mitralklappe von höchster Wichtigkeit. Anderseits müssten sie an der linksventrikulären Seite des Tunnels re-implantiert werden, was in der Regel technisch nicht oder nur sehr schwierig durchführbar ist. Wir empfehlen, bei derartigen anatomischen Varianten äußerst zurückhaltend zu sein und im Zweifel eher ein univentrikuläres Vorgehen zu erwägen.
Vergrößerung des VSD Die Vergrößerung des VSD bei der Primäroperation ist ein umstrittenes Thema. Einige Autoren schlagen eine routinemäßige Vergrößerung aller VSD vor, andere nehmen eine eher zurückhaltende Position ein und vergrößern nur klein imponierende oder atypische anatomische Varianten (»noncommitted« und »doubly commited«). Falls die anteroapikale Erweiterung technisch durchführbar ist, empfehlen wir sie routinemäßig auch bei den typischen großen Malalignment-VSD. Die Resektion erfolgt im Bereich der superoapikalen Quadranten. Als kaudale Grenze der Resektion sollte der septale Papillarmuskel (M. Lancisi) der Trikuspidalklappe nicht überschritten werden, um eine Verletzung des Reizleitunggewebes zu verhindern. Bei nach Resektion typischerweise an diesen Stellen fehlendem Endokard sollen und dürfen die Stiche im Bereich der VSDErweiterung durchgreifend gesetzt werden.
13.6
Pulmonalatresie mit intaktem Ventrikelseptum
13.6.1
Definition
Diese Anomalie ist durch eine membranöse Atresie der Pulmonalklappe mit unterschiedlichen Graden der Hypoplasie des rechten Ventrikels und seiner Strukturen definiert. Die Nomenklatur »Pulmonalatresie mit intaktem Ventrikelseptum« deutet scheinbar auf einen eher einfachen Herzfehler hin. Pathologie und die Therapie sind jedoch äußerst komplex.
13.6.2
Patholologie
13.6.2.1
Rechter Ventrikel
Der rechte Ventrikel ist bei diesen Patienten grundsätzlich hypoplastisch. Die frühere Einteilung des Vitiums in hypoplastische und erweiterte rechte Ventrikel (Davignon et al. 1961) scheint ihre Bedeutsamkeit verloren zu haben, da Letztere eher als eine Variante des M. Ebstein zu betrachten sind (7 Kap. 10). Um den Schweregrad der rechtsventrikulären Hypoplasie zu beschreiben, wurde in den meisten klinischen Studien der Anulus der Trikuspidalklappe bzw. deren ZWert verwendet (Hanley et al. 1993). Der Z-Wert des Trikuspidalanulus korreliert sehr gut mit dem Ausmaß der Hypoplasie des rechten Ventrikels im Neugeborenalter und ist daher eines der wichtigsten Kriterien für die Entscheidung über die künftige Therapie. Bei älteren, v. a. bei voroperierten Patienten ist dieser Zusammenhang eher kritisch zu betrachten. In einer retrospektiven Studie haben Bull et al. (1982) die operativen Ergebnisse von Patienten mit Pulmonalatresie und intaktem Ventrikelseptum anhand der angiokardio-
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410
13
Kapitel 13 · Angeborene Herzfehler mit Anomalien des rechtsventrikulären Ausflusstrakts
graphisch dargestellten rechtsventrikulären Anatomie untersucht. Bezugnehmend auf das von Lillehei vorgeschlagene Modell (Goor u. Lillehei 1975) stellten sie den rechten Ventrikel als eine dreiteilige Einheit von Sinus (Einlass oder Inlet), trabekuliertem Apex und Infundibulum (Auslass) dar. In hypoplastischen rechten Ventrikeln lassen sich diese Komponenten voneinander getrennt betrachten. Der Einlass mit der hypoplastischen, jedoch meistens normal angelegten Trikuspidalklappe ist konstant vorhanden. Der Apex ist der am häufigsten fehlende Teil des Ventrikelvolumens, der durch die kräftige Wandhypertrophie zugemauert wird. Das Infundibulum kann bis zur atretischen Klappe durchgängig sein, wobei es sich nicht selten – ähnlich dem apikalen Anteil – komplett verschlossen darstellt. Die von Bull vorgeschlagene Unterteilung des rechten Ventrikels in ein-, zwei- oder dreiteilig (»uni«-, »bi«- oder »tripartite«) wurde von mehreren Arbeitsgruppen als ein wichtiges Kriterium für die Entscheidung über die Therapiestrategie genutzt. Ein offenes Infundibulum ist v. a. eine obligatorische Voraussetzung für die Verwendung eines transanulären Erweiterungsflickens (Pawade et al. 1993). Die in den vergangenen Jahrzehnten gesammelten klinischen Erfahrungen deuten jedoch darauf hin, dass auch die Größe des rechten Ventrikels (meistens als Z-Wert des Trikuspidalanulus ausgedrückt), d. h. letztendlich des Sinus, sowie die unten beschriebenen Koronaranomalien in der Therapieplanung ebenfalls eine wichtige Rolle spielen. Die endokardiale Fibroelastose, die im linken Ventrikel bei Vitien mit hochgradiger linksventrikulärer Ausflusstraktobstruktion im Neugeborenenalter quasi konstant beobachtet wird, kommt bei der Pulmonalatresie mit intaktem Ventrikelseptum nur sehr selten vor. Die Fibroelastose und die Koronaranomalien scheinen sich gegenseitig auszuschließen, da diese typischen ischämischen Veränderungen des subendokardialen Myokards bei Patienten mit nachweisbaren Koronaranomalien, die als rechtsventrikuläre Fisteln wie alternative Entlastungskanäle wirken, pränatal fast nie auftreten. 13.6.2.2
Koronararterien
Bei etwa 40 % der Patienten mit Pulmonalatresie und intaktem Ventrikelseptum bilden sich pränatal breite Verbindungen zwischen dem Lumen des rechten Ventrikels und den epikardialen Koronararterien (Freedom et al. 2005). Der embryologische Ursprung dieser Gefäße scheint einerseits das sekundär dilatierte thebesische Venensystem zu sein, andererseits sind auch mit den Koronarkapillaren kommunizierende dilatierte intertrabekuläre Räume ohne eigene Wandstruktur beschrieben worden. Erstere sind in der Literatur als Koronarfisteln bekannt, Letztere werden als Sinusoide beschrieben (Gittenberger-de Groot e al. 1988). Unabhängig von den histologischen Einzelheiten wirken diese pränatal entwickelten Verbindungen als Entlastungskanäle des drucküberlasteten rechten Ventrikels. Die veränderte Flussrichtung und die erheblich erhöhten Fluss-
verhältnisse in den Koronararterien führen gelegentlich zu sekundären Veränderungen der Koronarwände. Einengungen, Verschlüsse oder sogar Ostialatresien der einzelnen Koronarien können sich bereits pränatal entwickeln. Eine postnatale Progression wurde jedoch ebenfalls beobachtet (Gittenberger-de Groot e al. 1988). Als Folge stammt ein bestimmter Anteil der Myokardperfusion ausschließlich aus dem rechten Ventrikel und ist entsprechend auf die erhöhten intrakavitären rechtsventrikulären Drücke angewiesen. Diese Veränderungen können ggf. sehr wichtige therapeutische Konsequenzen haben. Für diese Fälle wurde das Konzept der »vom rechten Ventrikel abhängigen Koronarperfusion« vorgeschlagen (Giglia et al. 1992). Sollte die präoperativ obligatorisch durchzuführende Koronarangiographie signifikante Stenosen oder Verschlüsse in mindestens 2 der 3 Koronargefäße darstellen, ist eine »rechtsventrikuläre Dekomprimierung« im Rahmen der Operation (s. unten) nicht erfolgversprechend. Bei ansonsten intakten Koronargefäßen sollte der alleinige Nachweis der Verbindungen die Therapiestrategie nicht wesentlich beeinflussen, da postnatal nach rechtsventrikulärer Dekomprimierung mit einer deutlichen Rückbildung oder sogar mit einem kompletten Verschluss dieser gelegentlich sehr voluminösen Strukturen zu rechnen ist. 13.6.2.3
Pulmonalklappe und Pulmonalarterien
Die atretische Klappe kann rudimentäre, seltener sogar vollständig ausgebildete Kommissuren mit fusionierten Taschen zeigen. Meistens ist die Klappe jedoch nur als fibrotische Membran angelegt. Der Anulus ist mehr oder weniger ausgeprägt hypoplastisch. Der Pulmonalisstamm kann eine fast normale Größe zeigen, wobei auch eine ausgeprägte Hypoplasie bis hin zur kompletten Atresie möglich ist. Diese Einzelheiten der Pulmonalarterien deuten darauf hin, dass die Pulmonalatresie mit intaktem Ventrikelseptum – im Gegensatz zur FallotTetralogie mit Pulmonalatresie – eher später, nach vollständiger Ausbildung der Pulmonalarterien entsteht. Arborisationsdefekte oder eine multifokale Lungenperfusion (s. oben, 13.3.1.2) sind so gut wie nie beobachtet worden.
13.6.3
Diagnostik
Die Pulmonalatresie mit intaktem Ventrikelseptum verursacht ein zyanotisches Krankheitsbild, das typischerweise bei Neugeborenen diagnostiziert wird. Die deutliche Vertiefung der Zyanose, ggf. mit Azidose, die während des funktionellen Verschlussvorgangs des Duktus entsteht, lässt sich mit Prostaglandininfusionen schnell rückgängig machen. Die Echokardiographie ermöglicht die Diagnosestellung. Eine vollständige echokardiographische Untersuchung sollte neben der Festlegung der Diagnose auch
411 13.6 · Pulmonalatresie mit intaktem Ventrikelseptum
Auskunft über das Ausmaß der Hypoplasie des rechten Ventrikels und der Trikuspidalklappe, über die Offenheit des Infundibulums und des Apex sowie über den Zustand des Vorhofseptums geben. Koronaranomalien, v. a. eine vom rechten Ventrikel abhängige Koronarperfusion, können mittels Echokardiographie nicht sicher identifiziert werden. Daher gehört die Pulmonalatresie mit intaktem Ventrikelseptum bei echokardiographischem Verdacht auf Koronarfisteln/-sinusoide zu den seltenen kongenitalen Vitien, bei denen eine neonatale Herzkatheruntersuchung vor dem chirurgischen Eingriff obligatorisch ist. Die Anatomie der Koronararterien lässt sich in der Regel durch Kontrastmittelinjektion sowohl in die Aorta als auch in den rechten Ventrikel darstellen. Bei suprasystemischen rechtsventrikulären Drücken spricht die retrograde Füllung der Aortenwurzel über beide Koronarostien gegen relevante Stenosen oder Atresien. Die antegrade Injektion in die Aorta oder ggf. selektiv in die Koronararterien ermöglicht bei Unklarheiten nach der rechtsventrikulären Injektion die weitere Darstellung der Anatomie. Die Informationen, welche die Koronardarstellungen bieten, sind gelegentlich schwierig zu interpretieren, wobei die bedeutsamste Frage, nämlich die nach der vom rechten Ventrikel abhängigen Koronarperfusion, relativ sicher zu beantworten ist.
schränkte Pumpfunktion leisten. Ein systemisch-pulmonaler Shunt sollte deswegen grundsätzlich immer Teil der Erstoperation sein, um in dieser kritischen Phase eine ausreichende Oxygenierung zu gewährleisten. Da diese restriktive Physiologie des rechten Ventrikels bei Neugeborenen sehr rasch (5–10 Tage) rückläufig ist, muss man bei einem nur leicht hypoplastischen Ventrikel danach mit einer erheblichen Lungenüberflutung rechnen. Das Auftreten einer typischen, durch Lungenüberzirkulation bedingten Herzinsuffizienz sollte die Indikation zur sofortigen Herzkatheteruntersuchung darstellen. Dabei ist die Möglichkeit des Shunt-Verschlusses zu eruieren: Falls sich die Sättigungswerte während einer Probeokklusion des Shunts nicht wesentlich verschlechtern, sollte ein interventioneller oder bei diesen Neugeborenen bevorzugt ein operativer Shunt-Verschluss erfolgen. Die Alternative, statt eines Shunts den Ductus arteriosus durch postoperative Fortführung der Prostaglandintherapie als Lungendurchblutungsquelle offen zu lassen, erscheint bei normal großem Ventrikel als vertretbare Option. Dabei gilt es jedoch, sorgfältig eine Coarctatio pulmonalis, die in 30 % der Fälle zu erwarten ist (Luhmer u. Ziemer 1993), auszuschließen. Im Folgenden werden die Einzelheiten der chirurgischen Therapie diskutiert. 13.6.4.2
13.6.4
Chirurgische Therapiekonzepte
13.6.4.1
Einleitung
Die chirurgische Behandlung der Pulmonalatresie mit intaktem Ventrikelseptum erzielte bis in die 1980er Jahre deutlich schlechtere Ergebnisse als die Therapie anderer zyanotischer, prinzipiell univentrikulärer Vitien. Retrospektiv gesehen sind die Missachtung der Koronaranatomie sowie das voreilige Anstreben einer frühen biventrikulären Korrektur als Hauptursachen für die sehr hohe Letalität zu benennen. Hauptziel der Therapie ist die komplette Kreislauftrennung (system-/pulmonalvenös). Diese kann sowohl als univentrikuläre Rekonstruktion im Rahmen einer FontanOperation als auch biventrikulär erfolgen. Das Eineinhalbventrikelkonzept (7 Kap. 11) sollte für grenzwertige Fälle ebenfalls als mögliche Therapieoption betrachtet werden. Da bei Neugeborenen eher selten eine eindeutige Entscheidung über eine definitive Therapiestrategie getroffen werden kann, sollten bei der Primäroperation die Optionen für möglichst alle 3 Strategien offengehalten werden. Zunächst sind die Sicherstellung einer adäquaten Lungendurchblutung und die Dekompression der suprasystemischen Drücke des rechten Ventrikels anzustreben. Der massiv hypertrophierte rechte Ventrikel kann in den ersten postoperativen Tagen wegen der ausgeprägten diastolischen Funktionsstörung trotz eines ggf. anatomisch ausreichend erweiterten Ausflusstrakts nur eine sehr einge-
Leichte Hypoplasie des rechten Ventrikels
Bei leichter Hypoplasie des rechten Ventrikels mit einem Z-Wert des Trikuspidalanulus von 0 bis –2 sollte die biventrikuläre Korrektur angestrebt werden. Die antegrade Lungendurchblutung ist durch Eröffnung der Pulmonalklappe sicherzustellen. Dabei reicht eine isolierte Valvulotomie auch bei gut entwickeltem Klappenring mit vergleichsweise breitem Infundibulum selten aus. In der Regel ist eine transanuläre Flickenerweiterung erforderlich und sollte primär angestrebt werden. Falls im Mündungsbereich des Duktus intraoperativ makroskopisch als Duktusgewebe imponierende intimale Veränderungen zu vermuten sind, sollte der Flicken bis jenseits der Mündung in der linken Pulmonalarterie reichen, um eine mögliche Coarctatio pulmonalis vorbeugend zu behandeln. Dies gilt umso mehr, wenn die proximale linke Pulmonalarterie trotz offenem Duktus bifurkationsnah hypoplastisch erscheint. Die rechtsventrikuläre Inzision muss lang genug sein, um das Infundibulum komplett zu eröffnen. Im Gegensatz zur Fallot-Tetralogie ist die infundibuläre Hypertrophie auch bei neugeborenen Patienten mit Pulmonalatresie mit intaktem Ventrikelseptum deutlich ausgeprägt, und die alleinige Durchtrennung der obstruierenden Muskelbündel ist nicht immer ausreichend. Entsprechend muss hier zur kompletten Eröffnung – anders als bei Patienten mit FallotTetralogie – auch Muskel reseziert werden. Als Flickenmaterial bevorzugen wir Polytetrafluorethylen (s. oben, 13.1.6.2).
13
412
Kapitel 13 · Angeborene Herzfehler mit Anomalien des rechtsventrikulären Ausflusstrakts
a
ergänzte Länge den Shunt-Fluss reduzieren und eine Überzirkulation verhindern (. Abb. 13.13b). Bei der Primäroperation ist der Verschluss eines persistierenden Foramen ovale bzw. eines Vorhofseptumdefekts eher kontraindiziert. Wegen der frühpostoperativen Restriktion des rechtsventrikulären Myokards ist mit erheblich erhöhten rechtsatrialen Drücken zu rechnen. Später kann die Vorlast für den rechten Ventrikel durch einen partiellen Verschluss oder durch den Einsatz eines fenestrierten Kunststoffflickens optimiert werden. Der Vorhofseptumdefekt ist – sofern im weiteren Verlauf erforderlich – im Rahmen einer Herzkatheteruntersuchung ebenfalls einer Probeokklusion zu unterziehen und bei ausreichender rechtsventrikulärer Funktion entweder interventionell oder chirurgisch zu verschließen. 13.6.4.3
b . Abb. 13.13a, b. a Ex situ durchgeführte Anastomosierung der hier ringverstärkten Polytetrafluorethylenprothese mit dem Erweiterungsflicken aus gleichem Material. b Relativ redundanter Shunt, kranzförmig am Ausflusstrakt des rechten Ventrikels liegend (apikal konvex)
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Als technische Variante des systempulmonalen Shunts bevorzugen wir den zentralen aortopulmonalen Shunt. Um während der Operation und insbesondere während der extrakorporalen Zirkulation Zeit zu sparen, kann die pulmonale Anastomose an den Erweiterungsflicken bereits ex situ gefertigt werden (»chimney patch«; Plunkett et al. 1998; . Abb. 13.13a). Die Auswahl der Shunt-Größe ist – wie bei allen univentrikulären Zirkulationen – äußerst kritisch. Die Faustregel, einen 3-mm-Shunt bei einem Körpergewicht von <2,5 kg, einen 3,5-mm-Shunt bei einem Gewicht bis 4 kg und einen 4-mm-Shunt bei größeren Neugeborenen zu verwenden, sollte in diesem Fall etwas differenzierter betrachtet werden. Da, wie bereits beschrieben, binnen weniger Tage nach der Operation mit einem deutlichen Anstieg der antegrad durch den rechten Ventrikel gepumpten Blutmenge zu rechnen ist, muss man bei der Auswahl der Polytetrafluorethylenprothesengröße deutlich zurückhaltender vorgehen. Eine andere Möglichkeit, den Fließwiderstand des Shunts zu erhöhen und damit die geförderte Blutmenge zu reduzieren, besteht darin, einen langen Verlauf zu verwenden. Ein aus einer ringverstärkten Polytetrafluorethylenprothese gefertigter Shunt kann harmonisch, kranzförmig oder kaudal konvex um das Infundibulum herumgeleitet werden. Hydrodynamisch kann die derart
Moderate Hypoplasie des rechten Ventrikels
Die Auswahl der anzustrebenden Therapiestrategie ist bei diesen sich in der »Mitte des Spektums« befindenden Herzen sehr schwierig. Obwohl in der Literatur, v. a. in größeren Serien, die Normalisierung der rechtsventrikulären Hypoplasie trotz Vor- und Nachlastoptimierung durch gezielte Operationen im Neugeborenenalter eine Ausnahme bleibt, gibt es einzelne Berichte (Foker et al. 2008; Shaddy et al. 1990) über biventrikuläre Korrekturen auch bei ursprünglich sehr kleinem Ventrikel. Daher empfiehlt es sich, auch bei diesen relativ schwer eingeschränkten rechten Ventrikeln die Option offen zu lassen, den Ventrikel künftig in den Kreislauf zu integrieren.
Neonatale Palliation Die Shunt-Anlage mit Erweiterungsflicken im rechtsventrikulären Ausflusstrakt bleibt auch bei diesen Patienten im Neugeborenalter das Standardverfahren. Die Nachuntersuchungen in den ersten Monaten sind bei diesen Patienten sehr wichtig. Eine Herzkatheteruntersuchung sollte dann in der Regel am Ende des ersten Lebenshalbjahrs erfolgen. Sollte die Probeokklusion sowohl des Shunts als auch des Vorhofseptumdefekts toleriert werden, ist die baldige Planung einer biventrikulären Korrektur möglich. Falls die rechtsatrialen Drücke trotz adäquater Oxygenierung nach der Shunt-Okklusion durch probatorische Okklusion des Vorhofseptumdefekts prohibitiv hohe Werte erreichen, ist eher die Eineinhalbventrikeloperation anzustreben.
Eineinhalbventrikelkorrektur Diese Operation, die technisch letztendlich aus einer bidirektionalen Glenn-Anastomose mit evtl. gleichzeitigem Verschluss des Vorhofseptumdefekts besteht, erlaubt die Integration des hypoplastischen rechten Ventrikels für die Förderung des Zuflusses aus der V. cava inferior. Die Operation kann bereits ab dem 6. Monat durchgeführt werden, bei adäquater Oxygenierung und niedrigen
413 13.6 · Pulmonalatresie mit intaktem Ventrikelseptum
pulmonalarteriellen Drücken auch später (im 2. Lebensjahr). Falls nach den ersten 6 Monaten weiterhin eine schwere Hypoplasie des Ventrikels besteht, sollte der univentrikuläre Weg der Kreislauftrennung angestrebt werden. Eine genaue Abschätzung der Fähigkeit des rechten Ventrikels, den Rückfluss aus der V. cava inferior zu fördern, ist leider nicht möglich. Wie bereits erwähnt, ist der Z-Wert des Trikuspidalklappenanulus unter diesen Umständen (d. h. außerhalb der Neugeborenenperiode) ein eher unzuverlässiger Index. Die Entscheidung orientiert sich an der angiographischen Abschätzung des rechten Ventrikels (Volumen, Funktion) sowie an den hämodynamischen Veränderungen, die bei der Probeokklusion des Vorhofseptumdefekts auftreten. Die rechtsatrialen Drücke jenseits des ersten Lebenshalbjahres sollten nach unserer Erfahrung nicht bei >15 mmHg liegen.
Bipulmonale Glenn-Operation Wenn als Zweitoperation lediglich eine bipulmonale GlennOperation (bidirektionaler Glenn-Shunt) geplant wird, erfolgt diese routinemäßig im Alter von etwa 6 Monaten. Hierbei empfiehlt sich nach unserer Erfahrung die Erhaltung des funktionierenden zentralen Shunts. Dies ermöglicht nicht nur eine bessere postoperative Oxygenierung sowie eine jahrelange oder sogar definitive Palliation, sondern sollte auch die Gefahr der Entwicklung sekundärer pulmonaler atriovenöser Fisteln verhindern. Bei funktionierendem aortopulmonalen Shunt kann bei ausreichender Lungendurchblutung mit der Durchführung der FontanOperation bis zum 4. Lebensjahr gewartet werden. Dieses Abwarten begründet sich in der Hoffnung, statt der FontanOperation evtl. eine Eineinhalbventrikelkorrektur durchführen zu können.
werben kann und die univentrikuläre Rekonstruktion die einzige Therapieoption darstellt (Hanley et al. 1993). Als Neugeborenoperation wird ein zentraler Shunt angelegt. Außerdem erfolgen eine Atrioseptektomie und eine Dekomprimierung des suprasystemische Drücke aufweisenden rechten Ventrikels durch Trikuspidektomie. Eine antegrade Dekomprimierung des rechten Ventrikels im Sinne einer Eröffnung des rechtsventrikulären Ausflusstrakts ist in diesem Fall sowohl technisch schwierig als auch in Anbetracht der obligatorisch anstehenden FontanOperation taktisch nicht sinnvoll. Wir bevorzugen die partielle oder komplette Trikuspidektomie. Andere Varianten, wie ein Verschluss der Trikuspidalklappe (Waldman et al. 1984) oder eine Thromboexklusion (Williams et al. 1991) des rechten Ventrikels, sind von anderen Autoren als Alternative vorgeschlagen worden, aus unserer Sicht jedoch nicht gleichwertig und zudem unnötig komplexer. Die Operation wird unter Einsatz der Herz-LungenMaschine durchgeführt. Mit Angang an die Herz-LungenMaschine sollte der Ductus arteriosus verschlossen und durchtrennt werden. Die pulmonale Anastomosierung des Shunts kann während der Kühlungsphase erfolgen. Der Pulmonalisstamm kann eröffnet werden und die Anastomosierung ohne Setzen von Klemmen durchgeführt werden. Bei einem hypoplastischen Pulmonalisstamm (was bei einer ausgeprägten rechtsventrikulären Hypoplasie häufiger vorkommt) ist es möglich, dass die Anastomose der schräg angeschnittenen Polytetrafluorethylenprothese gleichzeitig als Erweiterungsflicken dient. Zu beachten ist auch hier die eventuelle Erweiterungspflichtigkeit der proximalen linken Pulmonalarterie (Coarctatio pulmonalis; . Abb. 13.14). Die sehr kleine Trikuspidalklappe sollte mindestens partiell reseziert werden. Der Vorhofseptumdefekt ist bei diesen Patienten nicht restriktiv, jedoch sollte eine großzügige Resektion des Septum primum mit zusätzlichem Einschneiden
Modifizierte Fontan-Operation Bei der Fontan-Operation sollte neben der Abtragung des Shunts auch der Ausflusstrakt des rechten Ventrikels verschlossen werden. Da durch den Verschluss der Verbindung zwischen rechtem Ventrikel und Pulmonalarterie die Dekomprimierungsmöglichkeit des rechten Ventrikels aufgehoben wird, muss im Rahmen der Operation auch eine partielle oder komplette Exzision der Trikuspidalklappe erfolgen, um das Auftreten suprasystemischer Drücke im rechten Ventrikel zu verhindern. 13.6.4.4
Ausgeprägte Hypoplasie des rechten Ventrikels
Bei diesen Patienten liegt der Z-Wert der Trikuspidalklappe im Neugeborenenalter unter –4. Der rechte Ventrikel besteht meistens nur aus dem Einlass. Der apikale und der infundibuläre Teil sind regelhaft nicht vorhanden oder ihr Lumen ist von hypertrophierter rechtsventrikulärer Wand faktisch zugemauert. Die Erfahrung zeigt, dass der rechte Ventrikel in diesem Fall keine nennenswerte Funktion er-
. Abb. 13.14. Pulmonalatresie mit intaktem Ventrikelseptum und Coarctatio pulmonalis. Bei eindeutiger Coarctatio pulmonalis wird die schräg angeschnittene Polytetrafluorethylenprothese als Erweiterungsflicken, die Engstelle überbrückend, eingenäht
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414
Kapitel 13 · Angeborene Herzfehler mit Anomalien des rechtsventrikulären Ausflusstrakts
des Daches des Koronarsinus prophylaktisch durchgeführt werden. Der weitere Ablauf der univentrikulären Rekonstruktion nach den Fontan-Prinzipien erfolgt nach den üblichen Schemata (7 Kap. 11). 13.6.4.5
13
Vom rechten Ventrikel abhängige Koronarperfusion
Diese Patienten, deren Myokardurchblutung von der Pumpfunktion des rechten Ventrikels abhängig ist, haben ein sehr hohes Letalitätsrisiko. Erstens ist die Dekomprimierung des rechten Ventrikels nicht möglich, ohne dadurch eine meistens fatale Myokardischämie zu verursachen, und zweitens sind die fortbestehenden suprasystemischen Druckwerte als Risiko für maligne ventrikuläre Rhytmusstörungen anzusehen. Razzouk et al. (1992) beschreiben zudem das Risiko einer Subaortenstenose durch das nach links sich vorwölbende Kammerseptum. Der rechte Ventrikel kann – unabhängig von seiner Größe – nicht dekomprimiert und im pulmonalen Kreislauf verwendet werden. Dementsprechend können diese Patienten nur eine univentrikuläre Korrektur erhalten. Wir selbst haben jedoch bei Neugeborenen in über 20 Jahren keinen akuten Todesfall infolge einer rechtsventrikulären Dekompression erlebt, sodass wir auch von einer weiteren Entstehung der Abhängigkeit der Koronarperfusion vom rechtsventrikulären Druck bei neonatal nicht dekomprimierten rechten Ventrikeln ausgehen. Akzeptierte chirurgische Maßnahmen, um die Lebenserwartungen dieser in der Regel nicht mehr neugeborenen Patienten zu verbessern, sind nicht bekannt. Eine Myokardrevaskularisation durch einen A.-mammaria-interna- oder sogar A.-subclavia-Graft stellt eine Möglichkeit dar, die theoretisch eine Dekomprimierung des rechten Ventrikels ermöglichen könnte, wobei Ergebnisse solcher Operationen nicht bekannt sind. Ein von Freeman et al. (1993) vorgeschlagenes Vorgehen, einen aortorechtsventrikulären Shunt einzulegen, wurde in einer kleinen Serie von 8 Patienten verwendet (Laks et al. 1995). Die Autoren dieser Serie räumen in einer späteren Arbeit die fehlenden Langzeitergebnisse bei diesen Patienten ein (Laks u. Plunket 2001). Theoretisch sollte sich der suprasystemische rechtsventrikuläre Druck über diese Verbindung in der Systole in die Aorta entlasten können. In der Diastole, bei sonst kompetenter Trikuspidalklappe, stellt der Shunt die Koronardurchblutung aus der Aorta sicher. Mehrere Autoren sehen bei diesen Patienten eine Herztransplantation als einzige definitive Therapieoption an (Rychik et al. 1998). Die Transplantation stellt unseres Erachtens im Neugeborenalter keine Primäroperation dar. Ansonsten ist sie später bei sich progressiv verschlechternder Myokardfunktion indiziert.
13.6.4.6 Kontroversen und alternative Therapien Verschluss der Koronarfisteln bei der Primäroperation
Foker et al. (2008) empfehlen bei der Primäroperation Neugeborener, die präoperativ nachgewiesenen Koronarfisteln soweit möglich durch epikardiale Echokardiographie zu identifizieren und sie zu Beginn der Operation zu verschließen. Die einzelnen Koronarverbindungen sollen probatorisch mit Fäden der Stärke 7/0 ligiert und danach die evtl. entstehenden Wandbewegungsstörungen mittels transösophagealer Echokardiographie identifiziert werden, da eine Differenzierung zwischen Koronarfisteln und wahren Koronarästen nicht möglich ist. Den Beobachtungen dieser Autoren nach, die auch von anderen Autoren (Hausdorf et al. 1987; Rychik et al. 1998) geteilt werden, sind diese nicht kritischen, jedoch bedeutsamen Verbindungen für eine gewisse Myokarddysfunktion verantwortlich, v. a. in der frühpostoperativen Phase. Ein Argument gegen ein solches Vorgehen ist das eventuelle Risiko einer Beschädigung der tatsächlichen, autochthonen Koronararterien, das in Anbetracht des üblicherweise stattfindenden postoperativen Spontanverschlusses bei Neugeborenen durchaus kritisch betrachtet werden muss.
Extensive Muskelresektion (rechtsventrikuläre Überholung – »overhaul«) Die Arbeitsgruppe aus Melbourne/Cleveland hat die transtrikuspidal und transinfundibulär durchzuführende extensive Myokardresektion bei Patienten mit offenem Infundibulum vorgeschlagen, um ein größeres enddiastolisches rechtsventrikuläres Volumen zu schaffen (Pawade et al. 1993). Die Hoffnung, ein zusätzliches Wachstum des rechten Ventrikels und damit einen höheren Anteil einer biventrikulären Korrektur zu erzielen, hat sich retrospektiv nicht bestätigt. Der einzig verbleibende Vorteil der Operation besteht in einer ggf. früher durchführbaren definitiven biventrikulären Korrektur bei Patienten, die für ein solches Vorgehen ohnehin geeignet erschienen (Bryant et al. 1008).
Geschlossene pulmonale Valvulotomie bei der Primäroperation Mehrere Arbeitsgruppen führen die Primäroperation ohne Verwendung der extrakorporalen Zirkulation durch. Diese Strategie wurde insbesonders in früheren Arbeiten bevorzugt – in einer Ära, als die durch die extrakorporale Zirkulation bedingte Morbidität erheblich höher war als in der Gegenwart. Bei selektierten Patienten kann die atretische Klappe bei breitem Infundibulum und gut entwickeltem Pulmonalklappenring transpulmonal eröffnet werden. Laks und Plunket (2001) schlagen sogar eine infundibuläre Muskelresektion und die Einnaht des transanulären Erweiterungflickens ohne extrakorporale Zirkulation vor.
415 13.7 · »Double-chambered right ventricle« (DCRV)
Unseres Erachtens sind die Vorteile einer am offenen Herzen technisch perfekt durchgeführten Operation den eventuellen Nachteilen des Einsatzes der extrakorporalen Zirkulation deutlich überlegen.
Interventionelle Therapie Die technische Durchführbarkeit der interventionellen Valvulotomie mit folgender Ballondilatation wurde bereits 1991 bei Patienten mit normal entwickeltem rechten Ventrikel nachgewiesen (Parsons et al. 1991). Die Therapie, die entweder mittels Laser oder mit einem Radiofrequenzkatheter durchgeführt wird, ist jedoch nur für eine sehr limitierte Patientengruppe geeignet, deren Anteil max. 10 % aller Patienten mit Pulmonalatresie mit intaktem Ventrikelseptum betrifft. In dieser Gruppe liegt die technische Erfolgsrate der Intervention bei 80–90 %, mit einem relativ niedrigen frühen Re-Operationsbedarf. Bei Patienten, die eine bedeutsame rechtsventrikuläre Hypoplasie aufweisen, wird die postinterventionelle Entwöhnung von der Prostaglandintherapie nur in etwa35–50 % der Fälle toleriert, sodass eine frühe Re-Operation mit Shunt-Anlage mit oder ohne Erweiterungsplastik erforderlich wird. Obgleich diese Strategie in grenzwertigen Fällen durchaus begründet sein kann, halten wir eine primäre oder sekundäre Stenteinlage in den Ductus arteriosus als Folgeintervention (Alwi et al. 2000) für wenig sinnvoll. Dadurch werden die mit Sicherheit anstehenden Folgeoperationen (Aortenbogenund/oder Pulmonalisrekonstruktion) deutlich komplizierter.
13.7
»Double-chambered right ventricle« (DCRV)
13.7.1 Definition
Auch hier halten wir – wie beim DORV – die englische Bezeichnung für den in 2 Kammern unterteilten rechten Ventrikel auch in einem deutschsprachigen Lehrbuch für akzeptabel. Diese Anomalie – funktionell eine Subpulmonalstenose – kann sowohl bezüglich ihrer Genese als auch ihres klinischen Verlaufs mit der membranösen Subaortenstenose verglichen werden. Bei beiden Vitien sind die Meinungen umstritten, ob man sie als angeborene oder eher als sich im Verlauf akzentuierende erworbene Krankheiten betrachten soll (Hartman et al. 1964). Typischerweise werden beide Vitien nie bei Neugeborenen diagnostiziert, und im Fall des DCRV bestehen daneben in der Regel zusätzliche Vitien der Ventrikelarchitektur, am häufigsten ein perimembranöser VSD (in 60–70 % der Fälle). Ob der VSD oder andere diskrete Veränderungen der Ventrikelmorphologie wie eine anomal liegende Trabecula septomarginalis (Alva et al. 1999) die intraventrikulären
Flussverhältnisse in einer Art Circulus vitiosus beeinflussen, ist nicht eindeutig nachgewiesen. Echokardiographische Beobachtungen haben ein relativ hoch im Ventrikel sitzendes Moderatorband als möglichen Auslöser der intraventrikulären Obstruktion identifizieren können (Wong et al. 1991).
13.7.2 Pathologie
Die muskuläre intraventrikuläre Obstruktion entwickelt sich am Übergang zum Infundibulum. Typischerweise liegt hier ein sehr kräftiges Muskelbündel mit einer zentralen diaphragmaartigen Öffnung vor, einem Os infundibuli entsprechend. Alva et al. (1999) beschreiben 2 Varianten: 4 Bei der proximalen Form liegen das Muskelbündel und das Os infundibuli meistens in einer koronaren, vertikalen Ebene. 4 Bei der distalen Form ist eine Stenose in horizontaler Ebene vorhanden. Der rechte Ventrikel wird in einen hypertrophierten proximalen Sinus und eine dünnwandige distale Kammer unterteilt. Im Gegensatz zur Fallot-Tetralogie, bei der die distale »Kammer« ausschließlich aus dem glattwandigen Infundibulum besteht, sind beim DCRV im distalen Anteil konstant auch trabekularisierte Segmente des Ventrikelmyokards zu sehen. Der evtl. assoziierte perimembranöse VSD ist Teil der proximalen Kammer, die unter hohem Druck steht. Eine besondere Form ist der sich postoperativ entwickelnde DCRV. Dieser wurde sowohl nach Verschluss eines VSD als auch nach Fallot-Korrektur beschrieben, zeigt jedoch typische pathoanatomische Merkmale des DCRV (Moran et al. 1998).
13.7.3 Klinisches Bild und Diagnostik
Die Läsion ist häufig progressiv und wird meistens in den ersten 10 Lebensjahren festgestellt. Gelegentlich kann sich die Krankheit auch erst im Erwachsenenalter manifestieren (McElhinney et al. 2000). Typischerweise fallen dabei eine Leistungsminderung und ein sehr harsches Systolikum auf. Eine klinisch erkennbare Zyanose ist bei dem meistens relativ kleinen VSD eher als Ausnahme zu betrachten. Sie erfordert zudem einen suprasystemischen Druck in der rechtsventrikulären »Hochdruckkammer«. Das EKG und die Röntgenaufnahme des Thorax sind unspezifisch. Die Diagnose wird mittels Echokardiographie bestätigt. Die Abgrenzung gegenüber einer Fallot-Tetralogie ist echokardiographisch anhand der infundibulären Anatomie auch bei assoziiertem VSD sehr gut mög-
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Kapitel 13 · Angeborene Herzfehler mit Anomalien des rechtsventrikulären Ausflusstrakts
lich. Gelegentlich wird echokardiographisch fehlerhaft nur der begleitende VSD diagnostiziert. Diskrepanzen zwischen der VSD-Größe und dem abgeleiteten Druck im rechten Ventrikel (geringer Druckunterschied zwischen rechtem und linkem Ventrikel bei kleinem/ mittelgroßem VSD) sollten den Verdacht auf einen DCRV lenken. Bei älteren Patienten, bei denen die transthorakale Echokardiographie nur eine eingeschränkte Anlotbarkeit des rechten Ventrikels ermöglicht, ist eine definitive Bestätigung der Diagnose mittels transösophagealer Echokardiographie (Hoffman et al. 2004), Magnetresonanztomographie (Kilner et al. 2002) oder Angiokardiographie erforderlich. Die ergänzende Bildgebung ermöglicht in der Regel zudem eine gute anatomische Beschreibung der Obstruktion.
13.7.4 Indikation zur Operation
Bei der relativen Seltenheit der Krankheit haben sich keine eindeutigen Richtlinien für die Indikation zur korrigierenden Operation etabliert. Eine deutliche Druckerhöhung im proximalen rechten Ventrikel (>75 %) und ein intraventrikulärer Gradient von >40 mmHg werden meistens als Hauptkriterien zur Indikationsstellung bewertet. Bei einem assoziierten VSD ist die Indikation großzügiger zu stellen. Die Krankheit verläuft meistens progressiv. Dabei muss die auftretende Obstruktion nicht regelhaft eine hämodynamische Relevanz entwickeln. In solchen Fällen empfiehlt sich ein abwartendes Vorgehen, evtl. begleitet von einer β-Blocker-Therapie (Arai et al. 2001).
13
13.7.5 Operationstechnik
Die Operationstechnik unterscheidet sich kaum von der transatrialen Korrektur einer Fallot-Tetralogie. Transtrikuspidal wird der rechte Ventrikel dargestellt. Die Stenose liegt, wie bereits erwähnt, im Gegensatz zur Fallot-Tetralogie mehr apikal, und die Abgrenzungen des infundibulären Ostiums sind deutlicher zu definieren. Die sekundären »jet lesions« der hämodynamisch relevanten Obstruktion sind für die Orientierung und die Muskelresektion äußerst hilfreich. Die gut abzugrenzenden obstruierenden Muskelbündel können fast vollständig reseziert werden. Vitale Strukturen, die bei der Resektion beschädigt werden können, sind nicht vorhanden. Die Ergebnisse sind überwiegend sehr gut. Eine Rezidivobstruktion nach primär zufriedenstellender Operation ist nahezu unbekannt.
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Kapitel 13 · Angeborene Herzfehler mit Anomalien des rechtsventrikulären Ausflusstrakts
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13
420
13
Kapitel 13 · Angeborene Herzfehler mit Anomalien des rechtsventrikulären Ausflusstrakts
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14
14 Angeborene Anomalien des linksventrikulären Ausflusstrakts V. Hraška, J. Photiadis 14.1
Einleitung
14.2
Anatomie des linksventrikulären Ausflusstrakts und der Aortenwurzel – 422 Aortenklappe – 422 Aortenwurzel – 422
14.2.1 14.2.2 14.3 14.3.1 14.3.2 14.3.3 14.3.4
14.1
– 421
Valvuläre Aortenvitien – 423 Einleitung – 423 Aortenstenose im Neugeborenenund Säuglingsalter – 424 Aortenstenose im Kindesalter – 427 Aorteninsuffizienz im Kindesalter – 428
Einleitung
Kongenitale Obstruktionen des linksventrikulären Ausflusstrakts gehören mit etwa 10% zu den häufigen angeborenen Herzfehlbildungen (Samanek et al. 1989). Die Aortenstenose wird entsprechend ihrer Lokalisation bezüglich der Aortenklappe als valvuläre, subvalvuläre bzw. supravalvuläre oder als Kombination (»Mehretagenstenose«) klassifiziert. Die Auswahl des adäquaten operativen Vorgehens kann durch den unterschiedlichen Ausprägungsgrad und die Lokalisation der linksventrikulären Ausflusstraktstenose erschwert sein. Bei Neugeborenen geht es auch um die prognostisch schwerwiegende Entscheidung, ob eine biventrikuläre Korrektur oder eine univentrikuläre Rekonstruktion mittelfristig erfolgversprechender ist. Ein Patient mit isolierter Aortenstenose und gut ausgebildetem linken Ventrikel hat gute Voraussetzungen für eine erfolgreiche biventrikuläre Korrektur. Dem stehen Patienten mit linksventrikulärer Ausflusstraktstenose als Teil eines komplexen Herzvitiums mit morphologisch oder funktionell (Endokardfibroelastose) grenzwertig kleinem linken Ventrikel gegenüber. Für diese komplexen Vitien mit multiplen, sequenziellen Ausflusstraktobstruktionen wie Shone-Syn-
14.3.5 14.3.6
Einfache Rekonstruktion – 429 Komplexe Rekonstruktion – 432
14.4
Subaortenstenose
14.5
Supravalvuläre Aortenstenose
14.6
Sinus-Valsalvae-Aneurysma
14.7
Aortolinksventrikulärer Tunnel – 455 Literatur
– 440 – 449
– 453
– 456
drom (supramitrale Membran, Parachute-Mitralklappe, Subaortenstenose und Aortenisthmusstenose) oder hypoplastisches Linksherzsyndrom kann die univentrikuläre Rekonstruktion nach dem Norwood-Prinzip (7 Kap. 15) die optimale chirurgische Behandlungsmethode darstellen. Weiterhin stellen das natürliche Körperwachstum, der Wunsch nach sportlicher Aktivität und die manchmal mangelnde Compliance – gerade der jugendlichen und adoleszenten Altersgruppe – eine besondere Herausforderung in der Behandlung von Vitien dar. Wünschenswert wäre die Verfügbarkeit eines Prothesenmaterials, das weder das kardiale Wachstum noch die Lebensqualität einschränkt. Die Einführung der Ross-Operation, bei der die erkrankte Aortenklappe und die Aortenwurzel durch die autologe Pulmonalklappe ersetzt werden, hat die Therapieoptionen von Kindern mit kongenitaler Aortenklappenerkrankung und komplexer linksventrikulärer Ausflusstraktstenose erweitert. Aber auch der prothetische Klappenersatz oder die Verwendung eines Homografts kann für ausgewählte Indikationen die beste Therapieoption darstellen, trotz bekannter Nachteile im mittelfristigen Verlauf. Die Auswahlkriterien der gegenwärtig angewandten Techniken bei linksventrikulärer Ausflusstraktobstruktion sind
422
Kapitel 14 · Angeborene Anomalien des linksventrikulären Ausflusstrakts
im Weiteren näher ausgeführt. Nicht in diesem Kapitel berücksichtigt werden: linksventrikuläre Ausflusstraktobstruktionen, die mit anderen komplexen Malformationen einhergehen, z. B. linksventrikuläre Ausflusstraktobstruktion durch das posteriore Abweichen des Infundibulumseptums bei Kammerseptumdefekten mit unterbrochenem Aortenbogen (7 Kap. 19), linksventrikuläre Ausflusstraktobstruktionen bei »double outlet right ventricle« (7 Kap. 13), atrioventrikuläre Septumdefekte (7 Kap. 10), Transposition der großen Arterien mit Ventrikelseptumdefekt (7 Kap. 17) sowie das restriktive bulboventrikuläre Foramen in Kombination mit einem univentrikulären Herzen (7 Kap. 11).
14.2
Anatomie des linksventrikulären Ausflusstrakts und der Aortenwurzel
14.2.1 Aortenklappe
14
Die normale Aortenklappe besteht aus 3 Klappentaschen, die sich im geschlossenen Zustand der Klappe halbmondförmig auf Höhe der 3 Sinus Valsalvae aufspannen. Im geöffneten Zustand legen sich die Klappentaschen der Wandung der Sinus Valsalvae an und geben somit die volle Klappenöffnungsfläche frei. Die Sinus Valsalvae und die Aortenklappentaschen werden nach der aus ihnen entspringenden Koronararterie als links-, rechts- und nonkoronarer Sinus bzw. als links-, rechts- und nonkoronare Klappentasche bezeichnet. Die Matrix der Klappentaschen besteht aus Bindegewebe, das mit Endothel überzogen ist. Im Bereich der Anheftung an den Aortenklappenanulus ist sie verstärkt. In der Mitte des freien Randes der Klappentaschen befinden sich kleine fibröse Verdickungen, die Noduli Arantii. Der Aortenanulus ist nicht kreisrund, und die Aufhängepunkte der Klappentaschen liegen nicht auf ein und derselben vertikalen Ebene. Die Aortenklappe ist hinsichtlich des Abstands der Kommissuren und der Größe der einzelnen Klappentaschen nur selten ganz symmetrisch aufgebaut. Im Normalfall ist die nonkoronare Klappentasche die größte, die linke reicht ventrikelwärts am tiefsten, und die rechte hat meist den am wenigsten ausladenden Bauch (Ralph et al. 1998). Oberhalb des Klappenanulus weitet sich der Aortendurchmesser zu den Sinus Valsalvae. Auf Höhe der Spitzen der Kommissuren verjüngen sich diese Sinus zum sinutubulären Übergang der Aorta. Der Durchmesser des sinutubulären Übergangs ist 10–15% kleiner als derjenige der Sinus Valsalvae (größter gemessener Diameter der Aortenwurzel; Kunzelman et al. 1994; Sands et al. 1969; Silver et al. 1985; Swanson et al. 1974). Die Klappentaschen sind durch Kommissuren voneinander getrennt. Vom ventrikulären Aspekt her markieren die Insertionsstellen der Klappe dreieckige Flächen unterhalb der Klappentaschen mit einer etwas stärkeren Aortenwand. Diese Dreiecke trennen den linksventrikulären Ausflusstrakt von der Perikardhöhle.
Die Höhe und die Weite dieser unterhalb der Kommissuren und zwischen den Klappentaschen gelegenen Dreiecke bestimmen die Überlappungsfläche (Koaptation) der Klappentaschenränder. Bei einer normalen, trikuspiden Aortenklappe entspricht die Länge des freien Randes jeder einzelnen Klappe etwa dem Durchmesser der Aorta. Eine geringfügige Überlänge der freien Ränder der Klappentasche sorgt dabei für die normale valvuläre Schluss- und Öffnungsfunktion. Während der Kammersystole erlaubt diese Überlänge jeder einzelnen Klappe die Bewegung bis zur Wand des Sinus Valsalvae, dessen Diameter etwas größer ist als der des Aortenanulus. So wird ein völlig stenosefreier Blutfluss während der Kammersystole gewährleistet. Gleichzeitig verhindern turbulente Strömungen im Sinus Valsalvae einen Verschluss der Koronarostien durch die Klappentaschen. Somit ist die systolische Perfusion des Myokards gewährleistet, wenn auch der wesentliche Anteil der Perfusion des Herzens diastolisch erfolgt. Während der Diastole treffen sich alle 3 Klappentaschen an den zentral gelegenen Noduli Arantii, wobei sich die gegenüber liegenden Klappenränder im geschlossenen Zustand überlappen. Die Summe der Längen aller freien Ränder der 3 Klappentaschen entspricht dem Umfang der Aorta auf Höhe des sinutubulären Übergangs. Bei einer bikuspiden Klappe hingegen ist die Summe der Längen aller freien Ränder der Klappentaschen bestenfalls doppelt so lang wie der Durchmesser der Aorta. Deshalb ist die Öffnungsfläche dieser Klappe signifikant kleiner als die eigentlich mögliche Öffnungsfläche (Doty 1987; Tsang et al. 2006). Die bikuspide Klappe kann bei vergrößertem Aortenanulus auch eine normwertige Öffnungsfläche haben und muss daher nicht immer stenotisch sein. Trotzdem ist sie gegenüber hämodynamischer Schädigung empfindlicher, sodass sie bereits während der 2. Lebensdekade häufig Zeichen der Voralterung im Sinne eines fibrotischen Umbaus aufweist, gelegentlich sogar mit Fett-, Hyalin- und Kalkeinlagerung.
14.2.2 Aortenwurzel ! Der Chirurg muss die anatomischen Beziehungen der Aortenwurzel zum umgebenden Gewebe genau kennen (. Abb. 14.1–14.3).
Der Begriff »Aortenwurzel« umfasst: 4 Aortenanulus, 4 Sinus Valsalvae, 4 rechtes und linkes Koronarostium. Aorten- und Mitralklappe haben eine bindegewebige Verbindung. Die rechte Seite der Aortenwurzel macht ungefähr 55% des Gesamtumfangs aus und ist mit dem Herzskelett verbunden. Die linke Seite, welche sich auf etwa 45% der Zirkumferenz beläuft, ist mit der Kammermuskulatur konnektiert. Der gesamte rechtskoronare Sinus liegt dabei dem
423 14.3 · Valvuläre Aortenvitien
. Abb. 14.1. Normale Anatomie des linksventrikulären Ausflusstrakts (Längsschnitt durch den linken Ventrikel)
. Abb. 14.3. Anatomische Beziehungen der Aortenwurzel. Nach Sud et al. (1984)
dung mit dem anterioren Mitralklappensegel. Die Kommissur zwischen links- und rechtskoronarer Klappentasche liegt sehr nah an der korrespondierenden Kommissur der Pulmonalklappe. Das Bindegewebe ist hier sehr dicht (Tsang et al. 2006).
14.3
Valvuläre Aortenvitien
14.3.1 Einleitung
. Abb. 14.2. Normale Aortenklappe aus Sicht des Chirurgen
rechtsventrikulären Ausflusstrakt auf. Kaudal hat er Verbindung zum interventrikulären Septum. Direkt unterhalb der rechts- und nonkoronaren Kommissur ist die Aortenwurzel mit dem membranösen Septum verbunden und befindet sich so in unmittelbarer Nachbarschaft zum HisBündel. Der linke Teil des nonkoronaren Sinus inseriert im anterioren Mitralklappensegel. Die Kommissur zwischen non- und linkskoronarer Klappentasche befindet sich direkt oberhalb der aortomitralen Kontinuität. Der linkskoronare Sinus hat eine enge Verbindung zu rechtem und linkem Vorhof und zum interatrialen Septum. Er liegt auf der rechten Seite dem linken Atrium direkt auf, während der linke Anteil mit der Basis des linken Ventrikels verbunden ist. Inferior hat er eine direkte bindegewebige Verbin-
Die Inzidenz der kongenitalen Aortenklappenstenose beträgt etwa 3–5% aller Patienten mit angeborenen Herzfehlern, wobei das männliche Geschlecht mit einer 5-mal höheren Inzidenz deutlich überwiegt (Samanek et al. 1989). Es existiert ein breites Spektrum verschiedener anatomischer und klinischer Variationen. Die meisten Patienten, v. a. jene mit bikuspider Aortenklappe, sind im Kindesalter symptomfrei. Werden die Aortenklappentaschen im späteren Leben fibrotisch und verdickt, kann eine chirurgische Intervention notwendig werden. Die kritische Aortenklappenstenose im Neugeborenen- und Säuglingsalter liegt am anderen Ende des Spektrums. Diese besonders herausfordernde Patientengruppe präsentiert sich meist mit einer schwersten Obstruktion auf valvulärer Ebene und einer duktusabhängigen Systemzirkulation. Sobald sich der Duktus verschließt, ist der alleinige Blutfluss über den linksventrikulären Ausflusstrakt für die Systemperfusion nicht mehr ausreichend, und die Patienten sich klinisch schwer krank. Meist geht dies mit einem »Low-cardiac-output«Syndrom, einem akuten Nierenversagen und einer schweren metabolischen Azidose einher.
14
424
Kapitel 14 · Angeborene Anomalien des linksventrikulären Ausflusstrakts
Außerdem können viele andere kardiale Anomalien mit einer valvulären Aortenklappenstenose assoziiert sein, z. B.: 4 unterbrochener Aortenbogen mit posteriorem Malalignment des infundibulären Septums (7 Kap. 19), 4 linksseitige Mehretagenstenose, z. B. supramitrale Stenose durch eine Membran oder eine Mitralklappenstenose (7 Kap. 10), 4 hypoplastischer linker Ventrikel (7 Kap. 15), 4 Hypoplasie der aufsteigenden Aorta und des Aortenbogens (7 Kap. 19), 4 Aortenisthmusstenose (7 Kap. 19). Die kritische Aortenstenose kann zudem mit einer schwerwiegenden endokardialen Fibroelastose einhergehen.
14.3.2
14.3.2.1
14
Aortenstenose im Neugeborenenund Säuglingsalter Anatomie
Die reduzierte Öffnungsfläche bei kritischer Aortenstenose kann von einer mangelhaft ausgeprägten oder vom kompletten Fehlen einer oder mehrerer Kommissuren mit konsekutiv bikuspider oder sogar unikuspider Aortenklappe herrühren. Des Weiteren kann eine Unreife der Aortenklappentaschen mit myxödematöser Veränderung oder Verdickung mit oder ohne Kommissurenverschmelzung oder eine Hypoplasie des valvulären Anulus bestehen (. Abb. 14.4). Die unikuspide Klappe hat meist eine exzentrische, stecknadelkopfgroße Öffnung mit nur einer definierten Kommissur oder aber überhaupt keiner kommissurartigen Verbindung zur lateralen Aortenwand (Roberts 1973). Die Klappe kann dann von Geburt an hochgradig stenotisch sein, selbst wenn keine Kommissurenverschmelzung besteht. Die dysplastische bikuspide oder trikuspide Klappe kann ein myxödematöses Aussehen und verdickte Klap-
a
b
. Abb. 14.4a–c. Formen angeborener Aortenklappenstenosen. a Trikuspide Klappe; b bikuspide Klappe; c unikuspide Klappe. Die Raphe kann akoronar oder rechts- bzw. linkskoronar (b) liegen. Ent-
pentaschen aufweisen, mit ganz unterschiedlichen Ausprägungen von Kommissurenverschmelzungen. Dieser Klappentyp erscheint im Rahmen der Diagnostik und während der Systole vorgewölbt, mit einer kleinen, zentralen Öffnung. Dabei geht man davon aus, dass eher die aufgetriebenen Taschen als die Fusion der Kommissuren Grundlage dieser Obstruktion sind (Ho et al. 2000). Aortenklappenanulus und Aorta ascendens sind meist hypoplastisch. Typische Merkmale der kritischen neonatalen Aortenklappenstenose sind (McKay et al. 1992):
4 Unreife des Klappengewebes (gallertartig, myxödematös, primitiv), 4 unvollständige Entwicklung des Klappenapparats (unvollständig definiert), 4 bikuspide oder unikuspide Morphologie, 4 grenzwertig kleiner Aortenklappenanulus. 14.3.2.2
Pathophysiologie
Der postnatale Verlauf einer kritischen Aortenstenose hängt von folgenden Einflussgrößen ab: 4 Schweregrad der Ausflusstraktobstruktion, 4 Funktion und Entwicklung des linken Ventrikels, 4 Ausmaß des Shunts auf atrialer und duktaler Ebene. Dabei gibt es 2 mögliche Szenarien: 4 Ist die Stenose auf valvulärer Ebene mild ausgeprägt und der linke Ventrikel gut ausgebildet sowie ohne sichtbare Dysfunktion, bleibt die Systemzirkulation auch nach dem Duktusverschluss erhalten. Im weiteren Verlauf wird sich aufgrund der Stenose eine linksventrikuläre Hypertrophie entwickeln, jedoch ohne Ausbildung einer Endokardfibroelastose. 4 Der Schweregrad der Aortenklappenstenose als pathomorphologisches Korrelat der gesteigerten ventrikulären Nachlast bestimmt das Ausmaß der daraus resultierenden erhöhten ventrikulären Wandspannung und Arbeit. Dies ist der Stimulus für eine konzentrische Ventrikelhypertrophie, die die Wandspannung norma-
c scheidend ist dabei die Lage der Kommissuren, die bei der bikuspiden Klappe rechts/links oder ventral/dorsal zu liegen kommen können
425 14.3 · Valvuläre Aortenvitien
lisieren und die linksventrikuläre Ejektionsfraktion auf einem akzeptablen Niveau halten soll. Ein hoher Druckgradient über der stenotischen Klappe kann ein Missverhältnis zwischen koronarem und myokardialem Perfusionsdruck entstehen lassen. Dies führt evtl. zu einer Myokardischämie, die Arrhythmien oder einen Myokardinfarkt nach sich zieht. Eine Fibroelastose, die sich pathomorphologisch als fokale oder diffuse, knorpelähnliche, fibroelastische Verdickung des muralen Endokards darstellt, kann sich dabei als Konsequenz einer chronischen subendokardialen Ischämie schon in utero oder aber auch postnatal entwickeln. Dieser Prozess schränkt möglicherweise die systolische und diastolische Funktion des linken Ventrikels wesentlich ein. Wenn durch die linksventrikuläre Hypertrophie keine Normalisierung der Wandspannung erreicht wird, ist es nicht mehr möglich, durch eine weitere Steigerung der Vorlast das Schlagvolumen zu erhöhen. Konsekutiv führt jede weitere Nachlaststeigerung zu einer progressiven Senkung des Schlagvolumens. Schließlich kommt es zu einem Anstieg des enddiastolischen Drucks des linken Ventrikels und zu einem unzureichenden antegraden Fluss über den linksventrikulären Ausflusstrakt. Es findet eine Transformation vom eher hypertrophierten zu einem eher dilatierten linken Ventrikel statt. Sowohl System- als auch Koronarperfusion wären dann direkt von einem ausreichend weiten Ductus arteriosus abhängig. Wenn sich der Duktus nach Geburt zu schließen beginnt, entwickeln sich Zeichen des Kreislaufkollapses mit arterieller Hypotension, Oligurie und metabolischer Azidose. 14.3.2.3
Klinisches Bild und Diagnostik
Typische Symptome der kritischen valvulären Aortenstenose mit duktusabhängiger Zirkulation sind beim Neugeborenen und beim Säugling eine unterschiedlich ausgeprägte Zyanose und eine reduzierte Systemperfusion. Ein Systolikum kann hörbar sein – abhängig von der linksventrikulären Funktion und des Blutvolumens, das über die Aortenklappe fließt. Manchmal stellt aber auch der Kreislaufkollaps nach Duktusverschluss das erste Krankheitszeichen der kritischen Aortenstenose dar. Bei Säuglingen mit schwerer, aber nicht kritischer Aortenstenose (ohne duktusabhängige Systemzirkulation) fallen in den ersten Lebenswochen klinische Zeichen der Unruhe sowie Trinkschwäche und Gedeihstörung auf. Patienten mit weniger ausgeprägter Aortenstenose können auch völlig asymptomatisch sein. Die Echokardiographie und Dopplerflussuntersuchungen stellen heute essenzielle diagnostische Werkzeuge dar. Abgesehen von der anatomischen Diagnostik lassen sich der Schweregrad der Aortenstenose, das Ausmaß der Endokardfibroelastose und die Ventrikelfunktion beurteilen. Alle kardialen Strukturen sollten in 2 Ebenen ausgemessen und die erhobenen Befunde den entsprechenden Normwerten gegenübergestellt werden, einschließlich der
kalkulierten Z-Scores für jeden einzelnen Parameter. Dabei ist zu beachten, dass der Dopplergradient über die stenotische Aortenklappe bei eingeschränkter linksventrikulärer Kontraktilität oder bei Rechts-links-Shunt auf Duktusebene unterschätzt werden kann. Eine Herzkatheteruntersuchung ist dann indiziert, wenn besondere anatomische Fragestellungen bei komplexen Herzvitien geklärt werden müssen. 14.3.2.4
Indikation zur chirurgischen Korrektur
Schwerkranke Neugeborene sollten vor der Operation aggressiv stabilisiert werden. Dazu gehören Beatmung, inotrope Unterstützung und ggf. die Korrektur einer metabolischen Azidose. Der Duktus wird zunächst mit Prostaglandin offen gehalten bzw. wiedereröffnet. Wenn die linksseitigen Strukturen gut entwickelt sind sowie die linksventrikuläre Funktion adäquat und der Schweregrad der Aortenklappenstenose nicht hochgradig ist, kann ein Auslassversuch der Prostaglandintherapie unternommen werden. Wird der Duktusverschluss gut toleriert, ist zunächst keine weitere Intervention erforderlich. Ist dies nicht der Fall, stellt die duktusabhängige Systemzirkulation eine dringliche Indikation zur Intervention dar. 14.3.2.5
Abwägung der Therapieoptionen
Das Kernproblem der Abwägung möglicher Therapieoptionen ist die kritische Einschätzung der Strukturen des linken Herzens – ob diese adäquat ausgebildet sind, um die Systemzirkulation zu erhalten, oder ob sie mit Hilfe chirurgischer Verfahren so erweitert werden können, dass eine biventrikuläre Korrektur erfolgversprechend ist. Neugeborene mit gut ausgebildeter Mitralklappe, linkem Ventrikel und Aortenwurzel profitieren von einer biventrikulären Korrektur. Andererseits kommt für Patienten mit schwerer Hypoplasie der Mitralklappe, des linken Ventrikels und der Aortenwurzel nur eine univentrikuläre Rekonstruktion (zunächst als Norwood-Palliation) infrage (7 Kap. 15). ! Eine besondere Herausforderung stellt die Einschätzung der Patientengruppe mit grenzwertig kleinem linken Ventrikel dar (Corno 2005). Um bei diesen Patienten insgesamt eine Verbesserung der Prognose zu erzielen, muss ganz am Anfang das richtige Operationsverfahren gewählt werden. Die Konversion einer nicht gelingenden biventrikulären Rekonstruktion in eine NorwoodOperation ist mit einer erhöhten Letalität assoziiert (Rhodes et al. 1991).
Der Entscheidungsprozess, ob bei kritischer Aortenstenose eine uni- oder biventrikuläre Rekonstruktion vorgenommen werden kann, sollte die im Folgenden dargestellten Überlegungen beinhalten.
Morphometrische Parameter Eine ausreichende Größe des linken Ventrikels wird durch eine adäquate Einstrombahn, eine ausreichend entwickelte
14
426
Kapitel 14 · Angeborene Anomalien des linksventrikulären Ausflusstrakts
linke Kammer und adäquate Ausflussstrukturen des linken Ventrikels begründet. Bei Neugeborenen mit isolierter Aortenstenose und intaktem Kammerseptum kann das Gelingen einer biventrikulären Rekonstruktion durch den Rhodes-Score abgeschätzt werden (Rhodes et al. 1991). Das Bewertungssystem basiert auf folgenden Parametern des linken Herzens: 4 Öffnungsfläche der Aortenwurzel bezogen auf die Köperoberfläche (<3,5 cm2/m2), 4 Verhältnis der Längsachse des linken Ventrikels zur Längsachse des Herzens (<0,8), 4 Mitralklappenfläche bezogen auf die Köperoberfläche (<4,75 cm2/m2), 4 linksventrikuläre Masse (< 35 g/m2 KOF). Treffen eine oder mehrere Bedingungen zu, sollte die univentrikuläre Rekonstruktion in Erwägung gezogen werden. Ein reduzierter Durchmesser des Mitralklappenanulus (<9 mm), ein kleiner Aortenklappenanulus (<5 mm; Leung et al. 1991) und ein nicht die Herzspitze bildender linker Ventrikel sind Risikofaktoren für Sterblichkeit bei biventrikulärer Rekonstruktion (Karl et al. 1990). Als weitere Risikofaktoren für eine erhöhte Sterblichkeit wurden in einer multizentrischen Studie der Congenital Heart Surgeons Society of North America identifiziert (Lofland et al. 2001): 4 biventrikuläre Rekonstruktion: 5 hoher Schweregrad der Endokardfibroelastose, 5 jüngeres Alter, 5 niedriger Z-Wert des Aortenklappendurchmessers (auf Höhe des Sinus Valsalvae); 4 univentrikuläre Rekonstruktion: 5 moderate oder höhergradige Trikuspidalklappeninsuffizienz, 5 geringer Durchmesser der Aorta ascendens.
14
Hämodynamische Parameter Pelech et al. (1987) identifizierten einen linksventrikuären enddiastolischen Druck von >20 mmHg, eine linksventrikuläre Ejektionsfraktion von <40% und ein erniedrigtes enddiastolisches Volumen des linken Ventrikels (<20 ml/ m2 KOF; Keane et al. 1983) als signifikante Parameter für eine erhöhte Sterblichkeit bei biventrikulärer Rekonstruktion. Der Nachweis eines vollständigen oder vorwiegend antegraden Blutflusses in der Aorta ascendens und im transversen Aortenbogen korrelierte mit einer höheren Überlebenchance nach biventrikulärer Korrektur (Kovalchin et al. 1998). 14.3.2.6
Behandlungsstrategie am Deutschen Kinderherzzentrum St. Augustin
Derzeit gibt es noch keinen Konsens darüber, welche Maße linksventrikulärer Dimensionen ausreichend sind, um eine biventrikuläre Korrektur zu garantieren. Auch sollten Pa-
tienten nicht nur aufgrund von Formeln oder des Nichterreichens eines bestimmten Score-Wertes von der Möglichkeit einer biventrikulären Rekonstruktion ausgeschlossen werden. Die größte Einschränkung aller Empfehlungen und Studien chirurgischer Kollektive ist jedoch darin zu sehen, dass nur zwischen biventrikulärer und univentrikulärer Rekonstruktion verglichen wurde. Die einzige chirurgische Therapieoption für eine biventrikuläre Korrektur stellte dabei eine Valvulotomie der Aortenklappe dar. Aktuellere Untersuchungen weisen aber darauf hin, dass die Letalität nach Aortenklappenvalvulotomie signifikant mit einem kleineren Aortenklappenanulus und mit dem Vorhandensein einer Endokardfibroelastose korreliert. Da allerdings die reine Aortenvalvulotomie keine dieser Letalitätsrisikofaktoren chirurgisch angeht, ist es nicht verwunderlich, dass der Versuch der aortalen Valvulotomie bei grenzwertig kleinem Aortendurchmesser oder höhergradiger Endokardfibroelastose nicht von Erfolg gekrönt sein kann. Durch neuerlich auch für Neugeborene mit kritischer Aortenstenose verfügbare chirurgische Techniken wie Ross- oder Ross-Konno-Operation können der Aortenklappenanulus erweitert, die ggf. vorhandene Endokardfibroelastose reseziert, die linksventrikulären Dimensionen vergrößert und somit auch die Prognose dieser Patienten verbessert werden (Hanley et al. 2001). Der Entscheidungsprozess hinsichtlich der Patienten mit kritischer Aortenstenose beruht am Deutschen Kinderherzzentrum St. Augustin daher auf: 4 Einflussstrukturen und Länge des linken Ventrikels, 4 Flussmuster in der Aorta ascendens, 4 Vorhandensein bzw. Ausmaß einer Endokardfibroelastose. Wenn der Durchmesser des Mitralklappenanulus beim reifen Neugeborenen <8 mm beträgt oder kleiner ist als 2 Standardabweichungen der Norm, die Herzspitze nicht durch den linken Ventrikel geformt wird, eine verminderte linksventrikuläre Länge besteht, der Blutfluss in der Aorta ascendens retrograd ist oder eine Endokardfibroelastose vorliegt, wird die univentrikuläre Palliation gewählt. Dagegen sind hypoplastische linksventrikuläre Ausflussstrukturen, z. B. ein hypoplastischer Aortenklappenanulus, und eine Endokardfibroelastose keine Kontraindikationen für eine biventrikuläre Rekonstruktion, falls eine Ross-/Konno-Operation eine chirurgische Therapieoption darstellt und die Endokardfibroelastose reseziert werden kann. Unser Protokoll zieht dabei die chirurgische der interventionellen Behandlung des kritisch kranken Patienten vor. Wenn die linksventrikuläre Funktion allerdings stark eingeschränkt ist, wird eine Ballonvalvuloplastie mit einem 5-mm-Ballon durchgeführt, um die effektive Öffnungsfläche der Aortenklappe zu vergrößern, ohne dabei eine Aortenklappeninsuffizienz zu verursachen. Diese sog. vorsichtige Ballonvalvuloplastie ist ein Zwischenschritt, um
427 14.3 · Valvuläre Aortenvitien
. Abb. 14.5. Behandlungsstrategie bei kritischer Aortenstenose am Deutschen Kinderherzzentrum St. Augustin
den Patienten bis zur chirurgischen Intervention zu stabilisieren. Ist die linksventrikuläre Funktion nicht eingeschränkt und der Aortenklappenanulus nicht hypoplastisch, stellt die offene Valvulotomie die Therapie der Wahl dar. Wenn der Aortenklappenanulus hypoplastisch ist und eine mehr oder weniger ausgeprägte, aber resezierbare Endokardfibroelastose vorliegt, wird eine Ross-Konno-Operation in Erwägung gezogen. Ebenso kann eine Ross-Operation infrage kommen, sollte eine Ballonvalvuloplastie oder eine offene Valvulotomie versagen (. Abb. 14.5).
14.3.3
Aortenstenose im Kindesalter
14.3.3.1
Anatomie
Die Pathomorphologie einer bikuspiden Aortenklappe kommt im Kindesalter bei etwa 70% aller Aortenklappenstenosen vor. Hierbei existieren nur 2 Kommissuren, die entweder anterior und posterior oder links und rechts gelegen sind. Eine der beiden Klappentaschen kann auch durch eine angedeutete Kommissur – auch »Raphe« oder »falsche Kommissur« genannt – geteilt sein. Typisch für die Raphe ist, dass die benachbarten Klappentaschen ontogenetisch nicht getrennt sind und sich die Klappe daher während der Systole an dieser Stelle nicht öffnen kann. Der Schweregrad der Fusion einer oder beider Kommissuren bestimmt das Ausmaß der Stenose (Roberts 1973). Die Aortenklappenstenose kann aber auch ohne Verschmelzung der Kommissuren existieren, und zwar als Resultat verdickter und myxödematös veränderter Klappentaschen in einer bikuspiden Konfiguration. Wenn sich die freien Ränder aufgrund der fehlenden Länge des freien Randes einer Tasche von einer zur anderen Kommissur der Aortenwurzel straff aufspannen, kann sich die Klappe nicht komplett öffnen und verursacht so eine Stenose (Tsang et al. 2006). Der Durchmesser des Aortenklappenanulus ist oft normal oder sogar leicht vergrößert. Aber auch abnorme trikuspide Aortenklappen, die im Kindesalter noch nicht obstruktiv sind, können im weiteren Leben durch Verdickung und Kalzifikation der Klappentaschen stenotisch werden.
14.3.3.2
Pathophysiologie
Die fortwährende Nachlaststeigerung induziert eine konzentrische Hypertrophie des linken Ventrikels, um die erhöhte Wandspannung zu kompensieren. Sind der myokardiale Sauerstoffverbrauch und der koronare Blutfluss in Ruhe noch normal, kann es jedoch schon bei leichter Veränderung der Koronarperfusion des hypertrophierten linken Ventrikels zu einer Relaxationstörung der Kammer – zu einem steifen Ventrikel – kommen, der gegenüber einer Ischämie sehr empfindlich ist. Der myokardiale Perfusionsdruck ist dann sowohl aufgrund des poststenotisch erniedrigten Aortendrucks als auch wegen des erhöhten linksventrikulären enddiastolischen Drucks reduziert. Unter Belastung ist die Ausbildung einer subendokardialen Ischämie möglich, die pektanginöse Beschwerden oder – über eine unzureichende Steigerung des Herzzeitvolumens – Synkopen hervorrufen kann. 14.3.3.3
Klinisches Bild und Diagnostik
Typischerweise sind Kinder mit Aortenstenose lange Zeit asymptomatisch, obwohl bereits eine hochgradige Aortenklappenstenose besteht. Mit Progression der Stenose können Symptome wie Luftnot, Synkopen und Angina pectoris auftreten. Es besteht ein hohes Risiko einer Endokarditis und des plötzlichen Herztods. Das EKG zeigt dabei charakterischerweise Zeichen der linksventrikulären Hypertrophie mit T-Wellen-Inversion und evtl. ST-Strecken-Veränderungen. Der Aortenklappengradient kann mit Hilfe von Echokardiographie und Dopplerflussuntersuchungen zuverlässig abgeschätzt werden. Die Morphologie der Klappe sowie Funktion und morphometrische Parameter des linken Ventrikels kann man echokardiographisch ebenfalls hinreichend bestimmen. Bei Vorhandensein von zusätzlichen Defekten und Mehretagenstenosen ist u. U. eine Herzkatheteruntersuchung indiziert. Bei Patienten mit normaler Ventrikelfunktion wird der Schweregrad der Aortenstenose anhand des Dopplergradienten eingeteilt. Dabei klassifiziert man die Stenose als mild, wenn der maximale Gradient <40 mmHg oder der mittlere Gradient <25 mmHg beträgt. Beläuft sich der Spitzendruck bis auf 60 mmHg bzw. der mittlere Gradient auf 25–40 mmHg, wird die Stenose
14
428
Kapitel 14 · Angeborene Anomalien des linksventrikulären Ausflusstrakts
. Abb. 14.6. Behandlungsstrategie bei Aortenklappenstenose und -insuffizienz am Deutschen Kinderherzzentrum St. Augustin. 3 Z-Score 3 Standardabweichungen über der Norm der entsprechenden Körperoberfläche; LVEDD linksventrikulärer enddiastolischer Durchmesser
als moderat bezeichnet. Eine schwere Aortenklappenstenose liegt vor, wenn der Spitzengradient bei >60 mmHg oder der mittlere Gradient bei >40 mmHg liegt (Hossack et al. 1980). 14.3.3.4
14
Indikation zur chirurgischen Korrektur
Die Indikation für eine chirurgische Korrektur einer Aortenklappenstenose ist bei symptomatischen Patienten immer gegeben. Bei asymptomatischen Patienten mit intakter linksventrikulärer Funktion besteht dann eine Indikation, wenn der mittlere Gradient dopplersonographisch >40 mmHg beträgt und Zeichen einer linksventrikulären Hypertrophie oder entsprechende EKG-Veränderungen bestehen. Jeder Patient muss individuell evaluiert werden. Es gibt auch Hinweise dafür, dass eine Intervention vorteilhaft sein kann, noch bevor der linke Ventrikel Veränderungen aufweist. Um das Wachstum des Aortenanulus zu stimulieren, kann die Intervention wie auch die Operation bereits bei asymptomatischen Patienten mit einem Spitzengradienten von 40–60 mmHg indiziert sein (. Abb. 14.6).
14.3.4
Aorteninsuffizienz im Kindesalter
14.3.4.1
Anatomie
Die Pathomorphologie ist von der zugrunde liegenden Ätiologie abhängig. Bei Kindern kann eine Aortenklappeninsuffizienz mit kongenitalen Herzfehlern, z. B. Ventrikelseptumdefekt, Truncus arteriosus, Fallot-Tetralogie, subaortale Membran, bikuspide Aortenklappe oder Aortenisthmusstenose, assoziiert sein (Bonderman et al. 1999). Nach systematischer Einführung der Ballonvalvuloplastie wird auch häufiger eine postinterventionelle Aortenklappeninsuffizienz beobachtet. Die Pathomorphologie der Aortenklappeninsuffizienz nach Ballondilatation ist dabei eine Kom-
bination aus kommissuraler Verletzung, Klappentaschenablösung mit Retraktion (vermutlich verursacht durch einen balloninduzierten Riss), Klappentascheneinriss bzw. -perforation und zentraler, verkalkungsbedingter Undichtigkeit. Auch eine Dilatation des Sinus Valsalvae, unzureichend entwickelte Klappentaschen und eine Verschmelzung der freien Enden der Klappentaschen mit der Aortenwand können Grundlage einer nicht mehr vollständig schlussfähigen Klappe sein (Bacha et al. 2001; Solymar et al. 1992). Die Anuloektasie mit Dilatation der Aortenwurzel basiert meist auf einer Bindegewebeveränderung (Marfan-, Ehlers-Danlos-, Turner-Syndrom; Dervanian et al. 1998). Dieser Prozess der Sinus Valsalvae geht mit einer zwiebelbzw. birnenförmigen aneurysmatischen Erweiterung der Aortenwurzel einher. Die valvuläre Aortenklappeninsuffizienz entsteht durch die Dilatation auf kommissuraler Ebene. Eine andere Ursache der Aortenklappeninsuffizienz ist ein rheumatischer Prozess mit Verkürzung der freien Enden der Klappentaschen zwischen ihren anulären Aufhängepunkten. Das Resultat ist ein Einrollen der freien Ränder mit zentraler Undichtigkeit. Weniger häufige Ursachen für eine Aortenklappeninsuffizienz sind u. a. bakterielle Endokarditiden, eine myxomatöse Degeneration und spontane Klappentaschenrupturen. Eine primär isolierte Aortenklappeninsuffizienz kommt nur sehr selten vor. 14.3.4.2
Pathophysiologie
Die chronische Aortenklappeninsuffizienz stellt eine Kombination aus Volumen- und Drucküberlastung dar. Bei vielen Patienten lässt sich das Gleichgewicht aus erhöhter Nachlast, Vorlastreserve und einer diesen Bedingungen angepassten Myokardhypertrophie nicht unbegrenzt erhalten, sondern es kommt allmählich zu einer Reduktion der Ejektionsfraktion. Im weiteren Verlauf dilatiert der Ventrikel zunehmend und nimmt eine eher sphärische Geometrie an. Die eingeschränkte Myokardkontraktilität überwiegt bei starker Belastung und führt dann letztlich zu einer progressiven systolischen Dysfunktion. Dieser Prozess kann so weit fortschreiten, dass der Vorteil einer rechtzeitigen chirurgischen Behebung der Aortenklappeninsuffizienz, nämlich die vollständige Regeneration der linksventrikulären Funktion und ein verbessertes Überleben, nicht mehr zu erreichen ist (Bonow et al. 1998). 14.3.4.3
Klinisches Bild und Diagnostik
Die Patienten, die früher aufgrund einer primären Aortenstenose einer Ballonvalvuloplastie zugeführt wurden, präsentieren sich nun vorwiegend mit einer Aortenklappeninsuffizienz. Die Mehrzahl der Kinder bleibt dabei asymptomatisch. Mit Abnahme der systolischen Funktion und erhöhten endiastolischen Drücke des linken Ventrikels können Atemnot, Synkopen und pektanginöse Beschwerden auftreten. Außerdem besteht ein erhöhtes Risiko für eine bakterielle Endokarditis. Im EKG lassen sich Zeichen
429 14.3 · Valvuläre Aortenvitien
einer linksventrikulären Hypertrophie, einer linksventrikulären Belastung oder einer Ischämie darstellen. Echokardiographie und Dopplerflussstudien sind sehr zuverlässig, um eine Aortenklappeninsuffizienz sicher einzuschätzen. Dies betrifft sowohl die Morphologie der Klappe als auch funktionelle und morphometrische Parameter des linken Ventrikels. Die Aortenklappeninsuffizienz wird in 4 Schweregrade eingeteilt (mild, moderat, moderat bis schwer, schwer). Eine präzisere Quantifizierung lässt sich auch bei Kindern anhand des Verhältnisses des Durchmessers des proximalen Insuffizienzjets zum Durchmesser des Aortenanulus, durch die Jetlänge in Richtung des linken Ventrikels und durch das Ausmaß des Rückflusses in der Aorta ascendens erreichen. Eine Herzkatheteruntersuchung ist nur selten indiziert. 14.3.4.4
Indikation zur chirurgischen Korrektur
Die Wahl des richtigen Operationszeitpunkts bei Patienten mit chronischer Aortenklappeninsuffizienz wird kontrovers diskutiert. Allgemein anerkannte Indikationen sind das Auftreten von Symptomen, eine zunehmende, mit echokardiographisch erkennbaren Zeichen der signifikanten Volumenbealstung einhergehende linksventrikuläre Dilatation mit oder ohne Dysfunktion sowie eine mehr als moderate Aortenklappeninsuffizienz. Um eine komplette Erholung der linksventrikulären Funktion zu gewährleisten, sollte die Korrektur erfolgen, bevor die Aorteninsuffizienz als schwer eingeschätzt wird und die präoperative linksventrikuläre enddiastolische Dimension mehr als 3 Standardabweichungen über der Norm der entsprechenden Körperoberfläche liegt (. Abb. 14.6). Weitere echokardiographische Hinweise auf eine mehr als moderate Aorteninsuffizienz sind beispielsweise eine Insuffizienzjetlänge von bis zu 2/3 des linken Ventrikels sowie ein durch die Insuffizienz bedingter Blutrückfluss, der noch in der Aorta descendens nachweisbar ist.
14.3.5
Einfache Rekonstruktion
14.3.5.1
Offene Valvulotomie bei Neugeborenen und Säuglingen
Die Operation erfolgt am kardiopulmonalen Bypass in milder Hypothermie (32°C). Nach medianer Sternotomie wird der Ductus arteriosus dargestellt und nach systemischer Heparinisierung mit einer solitären venösen Kanüle im rechten Vorhofohr sowie einer arteriellen Kanüle in der distalen Aorta ascendens die extrakorporale Zirkulation begonnen. Der offene Ductus arteriosus wird verschlossen. Zur Entlastung des linken Herzens wird ein Ventkatheter über den linken Vorhof eingelegt. Die Aorta wird abgeklemmt und antegrad kalte kristalline Kardioplegielösung verabreicht. Danach wird eine schräge, hockeyschlägerförmige Inzision durchgeführt, die vom anterioren Aspekt der Aorta bis in den nonkoronaren Sinus
Valsalvae reicht. Die Aortenklappe wird sorgfältig untersucht und ein kleiner Kardiotomiesauger durch die Klappenöffnung geführt, um die Inspektion der Klappe zu erleichtern. Wenn es die Sichverhältnisse erfordern, kann auch eine kurze Phase des Kreislaufstillstands notwendig sein. Verklebte Kommissuren werden sorgfältig mit einem Messer durchtrennt. Dabei ist sicherzustellen, dass die Klappentaschenaufhängung erhalten bleibt und ein Prolaps derselben vermieden wird. Obwohl die eigentliche Inzision mit 1–2 mm meist nur sehr kurz ist, kann sie in einer adäquaten Ausflusserweiterung resultieren, da der Radius mit der 2. Potenz in die Öffnungsfläche eingeht (A = π × r2). Obstruierende, myxomatöse und fibröse Knötchen werden entfernt, und es erfolgt eine sorgfältige Ausdünnung der Klappentaschen. Oftmals findet sich direkt unterhalb der Aortenklappentaschen eine fibrotische Schicht, die man mit Aortenklappengewebe verwechseln kann, tatsächlich aber die Mobilität derselben merklich einschränkt. Die Beseitigung dieser fibrotische Leiste kann die effektive Öffnungsfläche der Aortenklappe erheblich vergrößern (. Abb. 14.7). ! Eine Raphe oder falsche Kommissur sollte man bei der reinen Valvulotomie im Säuglingsalter nicht inzidieren, da sie eine laterale Unterstützung der Klappentaschen darstellt.
Nach Durchführung der Valvulotomie wird die Aortotomie mit einer fortlaufenden Naht verschlossen. Der linke Teil des Herzens wird entlüftet und die Aortenklemme abgenommen. Nach vollständigem Aufwärmen des Patienten beendet man die extrakorporale Zirkulation. Eine transösophageale Echokardiographie sollte routinemäßig bereits intraoperativ erfolgen, um die Funktion des linken Ventrikels und der Aortenklappe sowie das Flussmuster über dem linksventrikulären Ausflusstrakt zu evaluieren. Der Ductus arteriosus sollte – wenn es die hämodynamische Situation erlaubt – verschlossen werden. Reicht das Herzzeitvolumen des linken Ventrikels jedoch trotz hochdosierter inotroper Unterstützung nicht aus, kann man den Duktus mit Hilfe von Prostaglandin offenhalten, um eine zusätzliche Systemperfusion über den rechten Ventrikel zu gewährleisten. 14.3.5.2
Offene Valvulotomie im Kindesalter und Trikuspidalisierung der Aortenklappe
Das operative Verfahren gleicht jedem bei Säuglingen und Neugeborenen angewandten, die Darstellung der Aortenklappenanatomie ist jedoch einfacher. Bei bikuspider Klappe kann die Kommissurotomie bis in die Aortenwand hinein erweitert werden, um die effektive Öffnungsfläche zu vergrößern. Die Aortenwand kann man hierfür begrenzt auch in 2 Schichten spalten (Ilbawi et al. 1991). Wenn nach vollständiger Kommissurotomie trotz normwertigen Durchmessers des Aortenklappenanulus keine adäquate Öffnungsfläche erzielt wird, ist eine Trikuspidalisierung der
14
430
Kapitel 14 · Angeborene Anomalien des linksventrikulären Ausflusstrakts
a
b
c
d
e
Abb. 14.7. a Die verschmolzenen Kommissuren werden inzidiert, und die Inzision wird an den Aufhängepunkten der Klappentaschen bis über die Kommissuren und in den ventrikuloaortalen Übergang fortgeführt. b Die Inzision wird bis in den Muskel unterhalb der Kommissur zwischen rechter und linker Klappentasche geführt. c Die myxomatösen Knötchen werden entfernt und verdickte Klappentaschen ausgedünnt. d Die rudimentäre Kommissur oder Raphe wird abgelöst. e Die Aorta wird supravalvulär mit einem Patch erweitert
14
431 14.3 · Valvuläre Aortenvitien
a
b
c
Abb. 14.8. a Blick auf eine kongenital bikuspide Klappe mit einer mittig gelegenen Raphe; b Inzision der medianen Raphe. c Ein vorher gefertigter dreieckiger Perikardflicken wird gefaltet und dann entlang
der zuvor inzidierten Ränder der Klappentaschen zu ihrer Unterstützung während der Diastole vertikal auch an der Aortenwand angenäht
Klappe in Erwägung zu ziehen. Im Normalfall gibt es bei der bikuspiden Klappe eine prominente, verdickte und manchmal kalzifizierte Raphe. Diese Raphe wird inzidiert, und die verdickten und unbeweglichen Teile der nunmehr neu kreierten Klappentasche werden vollständig entfernt. Dabei ist darauf zu achten, dass möglichst viel natives, mobiles Gewebe erhalten bleibt. Danach werden die fehlenden Anteile der 2 Klappentaschen mittels eines autologen Perikardflickens augmentiert. Ob eine Augmentation der dritten Klappentasche erforderlich ist, hängt davon ab, wie effizient die Koaptation der schon augmentierten Klappentaschenränder ist. Die symmetrische Augmentation aller involvierten Klappentaschen sowie die ausreichende Höhe und Weite der Dreiecke unter den Kommissuren sind für die Überlappung der Klappentaschen maßgebend. Alternativ kann nach Inzision der Raphe ein dreieckiger Flicken so an die inzidierten, freien Enden der Klappentaschen genäht werden, dass eine neue Kommissur entsteht, die einen Klappentaschenprolaps während der Diastole verhindert (. Abb. 14.8; Tolan et al. 1997). Die supravalvuläre Aorta ascendens kann mit Hilfe eines Perikardflickens augmentiert und verschlossen werden, wenn ein Risiko der Einengung in diesem Bereich besteht. Im Fall einer poststenotischen Dilatation der Aorta ascendens erfolgt eine keilförmige Resektion des anterioren Teiles der Aorta, um einen optimalen Durchmesser des sinotubulären Übergangs wiederherzustellen.
Rekonstruktion mit zufriedenstellenden Ergebnissen erreicht (Borghi et al. 1999; McCrindle et al. 2001). Beide Verfahren stellen nur palliative Maßnahmen dar, d. h. sie werden früher oder später eine Re-Intervention nach sich ziehen. Dabei tragen die Patienten, die einer offenen Valvulotomie zugeführt wurden, ein höheres Risiko einer residuellen Stenose, während jene mit Ballonvalvuloplastie ein höheres Risiko einer signifikanten Klappeninsuffizienz tragen (Lofland et al. 2001). Die postinterventionell vorwiegend bestehende Klappenpathologie (Stenose oder Insuffizienz) spielt für die langfristigen Ergebnisse der Rekonstruktion eine große Rolle. Eine milde Aortenstenose wird i. A. gut toleriert, und die Patienten sind normal belastbar (Mitchell et al. 2003). Ein Aortenklappenersatz kann mit Hilfe der genannten rekonstruktiven Verfahren hinausgezögert werden. Im Gegensatz dazu haben junge Patienten mit nur geringer oder milder Aortenklappeninsuffizienz ein hohes Risiko der Progression der Insuffizienz bzw. der ventrikulären Dysfunktion. Deshalb sollte bei ihnen eine frühere Aortenklappenersatzoperation in Erwägung gezogen werden (Balmer et al. 2004; Karamlou et al. 2005). Bei der Ballonvalvuloplastie wird die Aortenstenose durch Aufweitung und Sprengung der Aortenklappentaschen im Gebiet des geringsten Widerstands verringert oder beseitigt. Es entsteht ein Riss, der entweder entlang der unterentwickelten Kommissuren oder direkt quer durch den Bauch der Klappentasche zieht (Solymar et al. 1992). Ein besonderes Problem stellt dabei die schwer veränderte Aortenklappe dar. Oft besteht eine bikuspide oder sogar unikuspide Klappe. Beim Einreißen eines Teiles dieser Klappentaschen verliert die Klappe jegliche Aufhängungsvorrichtungen, was ein hohes Risiko für ein Therapieversagen oder eine nachfolgende Re-Intervention birgt. Der transanuläre Gradient kann bei der schwer veränderten Aortenklappe zwar meist effektiv reduziert werden, es be-
14.3.5.3
Diskussion
Therapeutische Ziele der Rekonstruktion sind die Beseitigung der Aortenstenose sowie die Gewährleistung eines möglichst langen Zeitraums bis zu einer wiederkehrenden Stenose. Gleichzeitig sollte keine schwere Aortenklappeninsuffizienz verursacht werden. Diese Ziele wurden bei Neugeborenen und Säuglingen mit kritischer Aortenstenose mittels Ballonvalvuloplastie und chirurgischer, offener
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432
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Kapitel 14 · Angeborene Anomalien des linksventrikulären Ausflusstrakts
steht jedoch ein erhöhtes Risiko einer progressiven Aortenklappeninsuffizienz, die eine Prädisposition für eine ReOperation darstellt. Eine Re-Intervention ist meist unumgänglich (Hawkins et al. 1996; Robinson et al. 2000; Zeevi et al. 1989). Die Inzidenz einer unmittelbar postoperativ bestehenden oder sich im weiteren Verlauf entwickelnden, erheblichen Aorteninsuffizienz beträgt 13–40%. Die Re-Interventionsrate nach initialer Ballonvalvuloplastie liegt nach 8 Jahren bei etwa 50% (Moore et al. 1996). In der Untergruppe der neugeborenen Patienten sind die Ergebnisse noch schlechter, mit Re-Interventionsraten von bis zu 70% nach 15 Jahren (Reich et al. 2004). Dabei ist die Sterblichkeit der Prozedur mit immerhin 2% sicherlich nicht vernachlässigbar. Dies ist ein Zeichen dafür, dass die weniger invasive Vorgehensweise nicht notwendigerweise die sicherste ist (McCrindle et al. 1996). Ebenso ist eine hohe Inzidenz einer Femoralarterienverletzung nach dieser Prozedur bekannt. Trotz adäquater Behandlung kann man bei der Mehrzahl der Kinder nach Ballonvalvuloplastie eine Verengung der Iliofemoralgefäße nachweisen (Balmer et al. 2004). Die offene Valvulotomie hingegen erlaubt eine sorgfältige Durchführung der Kommissurotomien, sodass nach der Rekonstruktion eine anatomisch möglichst normale Klappentasche vorliegt. Das Ausdünnen der verdickten Klappentaschen, das Ausschneiden obstruktiver, myxomatöser Knötchen und die Mobilisation der Klappentaschen können die effektive Öffnungsfläche der Klappe mit einem nur minimalen Risiko der Entstehung einer Insuffizienz erheblich vergrößern. Dies ist durch eine »blinde« Ballondilatation, die mit einem großen Risiko des Einreißens oder der Perforation der Klappentaschen einhergeht, kaum möglich. Wenn 3 Klappentaschen rekonstruiert werden können, ohne eine signifikante Klappeninsuffizienz zu erzeugen, ist die Re-Interventions- oder Re-Operationsrate im Kindesalter geringer als bei bikuspid rekonstruierten Aortenklappen (Bhabra et al. 2003). Die gesamte Frühletalität beträgt nach offener Valvulotomie <5%, wobei die Sterblichkeit bei Säuglingen und älteren Kindern bei nahezu 0% liegt. Die Frühsterblichkeit beim kritisch kranken Neugeborenen korreliert negativ mit folgenden prognostischen Faktoren (Agnoletti et al. 2006; Alexiou et al. 2001b; Chartrand et al. 1999; Miyamoto et al. 2006): 4 Mitralstenose, 4 kleiner linker Ventrikel, 4 kleiner Aortenanulus, 4 eingeschränkte linksventrikuläre Verkürzungsfraktion, 4 niedriger Gradient über der Aortenklappe, 4 Endokardfibroelastose, 4 weitere assoziierte Fehlbildungen. Insgesamt beträgt die 10-Jahres-Überlebensrate nach Valvulotomie annähernd 90%, mit nahezu 100%igem Überleben bei isolierter Aortenklappenstenose. Bei Neugeborenen und Säuglingen mit assoziierten schwerwiegenden Herz-
fehlern liegt die Überlebensrate bei lediglich 60–70%. Die Freiheit von einer wiederkehrenden Aortenklappenstenose beläuft sich nach 10 Jahren auf ungefähr 80%. Eine milde Aortenklappenstenose bleibt meist stabil und ist nicht progredient. Kommt es dennoch zur Progedienz, kann eine erneute Rekonstruktion durchgeführt werden (Keane et al. 1993). Die Entwicklung einer schweren Aortenklappeninsuffizienz nach offener Valvulotomie ist in <10% der Fälle innerhalb der ersten 10 Jahre zu erwarten. Eine postoperative Aortenklappeninsuffizienz ist meist mit einer ursprünglich monokuspiden Klappe oder einer technisch inadäquaten Kommissurotomie assoziiert und entsteht am ehesten durch eine zu ausgedehnte Inzision der Klappentasche (Alexiou et al. 2001a). Insgesamt beträgt die re-interventionsfreie Überlebensrate nach 10 Jahren 75–90%, wobei die Ergebnisse bei kritisch kranken Neugeborenen weniger günstig sind (Alexiou et al. 2001b; Detter et al. 2001; Miyamoto et al. 2006). Die zugrunde liegende Anatomie des linksventrikulären Ausflusstrakts und die assoziierten Herzfehler beeinflussen also das Ergebnis der kritischen Aortenstenose mehr als die Behandlungsmethode. Dabei können durch direkte chirurgische Rekonstruktion – durch exakte Spaltung der fusionierten Kommissuren und Abschälen obstruktiver Knötchen, über das Erreichen einer maximalen Öffnungsfläche und ohne Induktion einer Klappeninsuffizienz – bessere und länger anhaltende Ergebnisse erzielt werden. Die Ballonangioplastie ist ein relativ sicheres und einfaches Verfahren, aber oft konvertiert sie die Physiologie der Aortenstenose in eine Aorteninsuffizienz mit schon mittelfristig nachteiligen Folgen für die Ventrikelfunktion. Zudem ist die Re-Interventionsrate höher, und eine Aortenklappenersatzoperation wird früher notwendig als nach direkter chirurgischer Valvulotomie (Tweddell et al. 2005a).
14.3.6
Komplexe Rekonstruktion
14.3.6.1
Aortenklappenrekonstruktion und klappenerhaltende Technik
Während der Kammersystole erweitern sich die Aortenwurzel und der flexible sinotubuläre Übergang, was zu einer Straffung und somit der Vermeidung eines Flatterns der freien Ränder der Klappentaschen führt. Dies hilft, die Scherkräfte bei geöffneten Klappentaschen zu minimieren (Brewer et al. 1976). Während der Diastole ist die Koaptation der Klappentaschen vom Diameter des Aortenanulus, dem Diameter des sinotubulären Übergangs sowie der Höhe und der Position jeder einzelnen Kommissur im Verhältnis zu den anderen Kommissuren abhängig. Dabei liegen die Anknüpfungsstellen der Kommissuren oberhalb der Klappenschlussebene, was der Klappe die nötige Höhe der Koaptationsfläche verleiht. Der halbmondförmige Teil des freien Randes der Klappentasche bildet dabei die eigentliche Koaptationsfläche. Anomalien
433 14.3 · Valvuläre Aortenvitien
bezüglich der Länge oder der Struktur der freien Ränder resultieren in einer schlechten Mobilität oder Koaptation. Fehlende Koaptationsflächen der Klappentaschen entstehen oft durch Narbenbildung und nachfolgende Einziehung der freien Klappenränder nach Ballonvalvuloplastie. ! Die folgenden anatomischen Merkmale werden zur Erzielung einer erfolgreichen Klappenrekonstruktion benötigt: 4 ausreichender Durchmesser der Aortenklappe, 4 mobile oder durch Resektion oder Ausdünnung mobilisierbare Klappentaschen, welche eine ausreichende Koaptationsfläche bilden, ohne eine Stenose zu induzieren.
Das Ziel der Rekonstruktion ist die Wiederherstellung einer normalen Klappengeometrie, wobei möglichst viel natives Klappengewebe erhalten bleiben soll. Die Rekonstruktion muss die Pathologie der individuellen Klappentasche berücksichtigen. Dabei ist das optimale Flickenmaterial autologes Perikard, welches mit Glutaraldehyd vorbehandelt wird. Auf diese Weise fixiert, hat es exzellente mechanische Eigenschaften, lässt sich chirurgisch-technisch sehr gut verarbeiten und ist mit einer geringen Kalzifikations-, Retraktions- oder Fibroserate vergesellschaftet (Duran 1993; Duran et al. 1998). Die Fixierungszeit von 20–30 min verbessert das Handling und steigert die Festigkeit des Perikardflickens. Eine weitere Alternative stellt kommerziell erhältliches bovines Perikard dar. Dieses Material ist antikalzifizierend behandelt und unterstützt das Einwachsen von Trägerzellen. Auch hier ist das Handling sehr gut. Das bovine Perikard bedarf nur eines kurzen Spülvorgangs vor der Implantation und ist somit schnell verfügbar (Moore 1997). Der operative Zugang, die Bypassstrategie und die myokardiale Protektion gleichen denen anderer Operationen an der Aortenklappe. Nach Eröffnung der Aorta werden die Klappentaschen inspiziert. Besondere Beachtung wird der Tiefe, der Länge, der Dicke, der Mobilität, dem Kommissurenaufbau, der subvalvulären Region und dem Durchmesser des Aortenanulus geschenkt. Der erste Schritt der Operation besteht in der Lösung der Verschmelzung der Kommissuren und dem extensiven Ausdünnen der Aortenklappentaschen. Dann wird die geeignete Rekonstruktionstechnik entsprechend der Pathologie, die der Aortenstenose bzw. -insuffizienz zugrunde liegt, ausgewählt. Dabei gibt es verschiedene Möglichkeiten: 4 Perforationen oder Risse der Aortenklappentaschen werden durch direkte Naht oder mittels Perikardflicken rekonstruiert. 4 Überschüssiges Klappengewebe wird durch Kürzen der koaptierenden Ränder so korrigiert, dass diese mit den gegenüberliegenden Klappentaschen optimal koaptieren. Zur Evaluation des Prolapses einer Klappentasche bei trikuspider Anatomie legt man eine feine Naht
durch die 3 Noduli Arantii der jeweiligen Klappentasche und schätzt die relative Länge der freien Ränder aller 3 Klappentaschen von diesem Mittelpunkt zur freien Wand ab. Bei bikuspider Klappe werden die gegenüberliegenden freien Ränder vom Mittelpunkt des Anulus aus angespannt, um das Ausmaß und die Lokalisation eines Prolapses identifizieren zu können. Eine prolabierende Klappentasche kann man dabei durch mehrere Techniken rekonstruieren: 5 Dreieckige Exzision der Klappentasche. Dabei wird eine dreieckige Resektion der Klappentasche vorgenommen, wobei man einen gewissen Randsaum für die Re-Adaptationsnaht belässt. Die Enden werden dann mittels Einzelknopfnähten bzw. fortlaufender monofiler Propylenenaht re-adaptiert (. Abb. 14.9; Mariani et al. 1997). 5 Plikatur überschüssigen Taschengewebes im Bereich des freien Randes. Eine Resektion von Klappengewebe ist nicht erforderlich. 5 Plikatur überschüssigen Klappengewebes und Fixierung an der freien Aortenwand mittels einer 5-0plättchenverstärkten Matratzennaht (Trusler et al. 1973). – Die Korrektur der Länge der freien Klappenränder resultiert nicht automatisch in einer Korrektur des Taschenprolapses. Manchmal sind die Verstärkung und Kürzung des freien Randes der Klappentasche erforderlich, um eine Verbesserung der Koaptation der Klappentaschen zu erzielen. Dazu wird eine 7/0 PTFE-Naht überwendlich von einer Kommissur aus über den freien Rand der Klappentasche angelegt. Beide Enden der Naht werden dann an der Kommissur – entsprechend des Bedarfs der Kürzung der Klappentasche – geknotet. 4 Eine schwere Destruktion der Klappentaschen mit zum Teil fehlenden Taschen erfordert eine extensivere Rekonstruktion mittels Perikardflicken. Dabei sollte die Länge der halbmondförmigen Flicken etwa 15% größer sein als der Diameter der Aorta. Die überschüssige Länge wird benötigt, um der bei fortlaufender Nahttechnik durch den Tabaksbeuteleffekt entstehenden Verkürzung des Perikardflickens vorzubeugen. Die Höhe des Perikardflickens hängt dabei von der erwarteten bzw. benötigten Augmentationshöhe der neu zu kreierenden Kommissur ab. Der zerstörte Teil der Klappentasche wird entfernt und ein Patch so zugeschnitten, dass man eine normale Morphologie der rekonstruierten Klappe erreicht. Dabei wird die Höhe großzügig überkorrigiert, um eine Koaptationslinie zu erzeugen, die etwa 3–5 mm oberhalb der ursprünglichen Klappentaschen bzw. 2– 3 mm oberhalb des sinotubulären Übergangs liegt. Dann führt man eine fortlaufende 6/0-Propylenenaht von der tiefsten Stelle einer Kommissur aus über den Taschenbauch zur gegenüberliegenden Kommissur.
14
434
Kapitel 14 · Angeborene Anomalien des linksventrikulären Ausflusstrakts
. Abb. 14.9. Der Prolaps der verklebten Klappentasche wird durch eine dreieckige Resektion korrigiert. LCO linkskoronares Ostium; RCO rechtskoronares Ostium
. Abb. 14.10. Die unzureichend ausgebildete Klappentasche wird, um eine normale Taschenhöhe und -länge zu erreichen, mit einem glutaldehydbehandelten Flicken, der an der Aortenwand fixiert ist, augmentiert. LCO linkskoronares Ostium; RCO rechtskoronares Ostium
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Die Naht geht ca. 2–3 mm über die ursprüngliche Insertionsstelle der Kommissuren hinaus. Zu beachten ist außerdem ein ausreichender Abstand zu den Koronarostien. Nach Einbringen der Flicken werden ihre freien Enden so gekürzt, dass man eine gleichmäßige Klappentaschentiefe erreicht. Danach werden die Kommissuren mittels einer durch die Aortenwand gestochenen und außen geknoteten monofilen 5/0-Naht verstärkt und aufgehängt (. Abb. 14.10; Caspi et al. 1994). Dabei kann es erforderlich sein, eine schmale Aorta ascendens mit einem Perikardflicken zu erweitern, um eine Stenose im Bereich des sinotubulären Übergangs zu verhindern. Das gilt insbesondere für eine Rekonstruktion mit Extension aller 3 Klappentaschen. 4 Eine Aorteninsuffizienz, die auf einer geringfügigen Dilatation des Aortenanulus beruht, kann durch eine Anuloplastik unterhalb der Kommissuren therapiert werden. Dabei wird der totale Umfang des Anulus reduziert, was ohne Einschränkung der Klappenbeweglichkeit eine vergrößerte Koaptation bewirkt. Dabei hängt das Ausmaß der Reduktion des Diameters von der Platzierung der Nähte im Bereich der Klappentaschenbäuche ab: Je niedriger (mehr ventrikelwärts) man die Nähte an den Kommissuren anlegt, desto größer ist das Ausmaß der Plikatur des Anulus, und desto ausgeprägter ist auch die Zunahme der Taschenkoaptationsfläche. Dazu werden plättchenunterlegte Matratzennähte unterhalb der 3 Kommissuren horizontal angelegt und geknotet. Eine Klappentaschenverziehung bzw. eine Einengung der Koronarostien ist unbedingt zu verhindern (Cosgrow et al. 1991).
4 Eine Aortenklappeninsuffizienz, die durch eine Einschränkung der Klappentaschenbeweglichkeit mit Dilatation der Sinus Valvsalvae bedingt ist und ohne Dilatation des Aortenklappenanulus einhergeht, ist für eine klappenerhaltende Rekonstruktionstechnik geeignet (Sarsan u. Yacoub 1993). Dabei wird die native Aortenklappe erhalten, aber alle 3 Sinus Valsalvae werden exzidiert. Ein entsprechend ausgeschnittenes Dacrongraft näht man proximal des in situ verbliebenen Aortenklappengewebes, die Klappentaschen inkorporierend, ein. Die Koronarostien werden in die neu kreierten Sinus re-implantiert (7 Kap. 22). Ein potenzieller Vorteil dieses Verfahrens liegt darin, dass sich das Dacrongraft ausdehnen kann und somit die natürliche Form der Sinus Valsalvae nachahmt. Dies führt zu einer physiologischeren Klappentaschenbewegung (Leyh et al. 1999), was theoretisch die Scherkräfte der Aortenklappenbewegung reduzieren und dadurch die Haltbarkeit der Klappe langfristig erhöhen sollte (Grande-Allen et al. 2000). Ein Nachteil dieser Technik ist jedoch die fehlende Fixierung des Aortenklappenanulus, was eine postoperative Anulusdilatation mit konsekutiv wiederkehrender Aortenklappeninsuffizienz nach sich ziehen kann. 4 Bei hochgradiger Aortenwurzeldilatation mit progredienter Aortenklappeninsuffizienz auf dem Boden einer Bindegewebeerkrankung (Marfan-, Ehlers-Danlos- oder Turner-Syndrom oder kongenitale Herzerkrankungen mit bikuspider Aortenklappe; Massih et al. 2002) sollte man eine klappenerhaltende Technik mit Ersatz der Sinus Valsalvae und Fixierung des Aorten-
435 14.3 · Valvuläre Aortenvitien
anulus wählen (David et al. 2001; Vricella et al. 2005). Dabei wird die erkrankte Aortenwurzel einschließlich aller 3 Sinus Valsalvae entfernt, die Klappe selbst aber erhalten (7 Kap. 22). Ein tubuläres Implantat mit vorgefertigten Sinus fixiert man dabei proximal des ventrikuloaortalen Übergangs unterhalb der Klappen und verankert die Kommissuren nachträglich innerhalb des Dacrongrafts. Mittlerweile erhältliche Prothesen mit präformierten Sinus Valsalvae können die potenzielle Gefahr von Klappentaschenverletzungen limitieren. Die Re-Implantationstechnik minimiert das Risiko einer späteren Aortenanulusdilatation, die nach re-modulierenden Techniken (s. vorangegangener Aufzählungspunkt) gesehen wurde. 4 Bei zentraler Klappeninsuffizienz mit Dilatation des nonkoronaren Sinus Valsalvae wählt man eine Reduktionsplastik, um das Auseinanderdriften der Kommissuren zu reduzieren. Dabei wird ein dreieckförmiger Teil des Koronarsinus reseziert und danach mit einer fortlaufenden Naht verschlossen (Bacha et al. 2001). 4 Bei isoliertem Klappentaschenprolaps mit normaler Wurzelanatomie kann eine Plastik des sinotubulären Übergangs die Koaptation der Klappentaschen verbessern. Dazu wird eine 4/0-Polypropylennaht im Bereich des sinotubulären Übergangs genau zwischen den Kommissuren der prolabierenden Klappentasche platziert. Eine Plikatur, eine Teilexzision oder der Einschluss in eine Kunststoffprothese (»wrapping«) kann bei dilatiertem sinotubulären Übergang oder bei poststenotisch erweiterter Aorta ascendens erforderlich sein. 4 Eine Aortenklappeninsuffizienz, die in Assoziation mit einem Ventrikelseptumdefekt auftritt, kann man über einen transaortalen Zugangsweg korrigieren. Dabei werden mehrere filzunterlegte Matratzennähte durch den First des Ventrikelseptumdefekts gelegt. Die Filzplättchen kommen dabei auf der rechten Seite des Septums zu liegen, also in gewissem Abstand zum Überleitungsgewebe. Danach werden die Nähte durch den Anulus der Aortenklappe in den Sinus Valsalvae gestochen, wobei man die ausgedünnten Anteile des Sinus mit einschließt. Dadurch wird der Ventrikelseptumdefekt geschlossen, das rechtskoronare Segel angehoben und der rechtskoronare Sinus gerafft (Yacoub et al. 1997). Die intraoperative Beurteilung der Rekonstruktion der Klappe ist sehr wichtig. Dazu kann die effektive Öffnungsfläche mit Hegar-Stiften ausgemessen werden. Der Anulus sollte für einen 1–2 mm über der Norm liegenden HegarStift durchgängig sein, um einen minimalen Gradienten zu erzielen. Die Kompetenz der Aortenklappe evaluiert man durch die Applikation von Kardioplegielösung nach dem Aortenverschluss. Wenn sich die Aortenwurzel dabei gut aufstellt und der Rückfluss der Kardioplegielösung über den linksventrikulär eingelegten Vent-Sauger minimal ist,
kann die Aorteninsuffizienz nicht schwerwiegend sein (Tweddell et al. 2005a, b). Nach Abgehen von der Herz-Lungen-Maschine sollte der Druckgradient zwischen linkem Ventrikel und Aorta ascendens über eine direkte Messung ermittelt werden. Die transösophageale Echokardiographie ist für die Beurteilung des linken Ventrikels sowie potenzieller Gradienten oder residueller Insuffizienzen der Aortenklappe essenziell. Sollte ein Spitzengradient von >40 mmHg oder eine mehr als moderate Aortenklappeninsuffizienz vorhanden sein, ist eine Revision dieser Restbefunde zu erwägen. Generell wird eine residuelle Stenose besser toleriert als eine residuelle Insuffizienz. Mit der künftig wachsenden Erfahrung auf dem Gebiet der dreidimensionalen Echokardiographie wird diese durch die noch genauere Darstellung der Aortenklappenanatomie und -pathomorpholgie bereits intraoperativ nach der Rekonstruktion eine vielversprechende Rolle spielen. 14.3.6.2
Mechanischer Aortenklappenersatz
Die Technik des mechanischen Aortenklappenersatzes wird in 7 Kap. 22 beschrieben. Sollte der Aortenklappenanulus hypoplastisch und deshalb eine moderate Erweiterung nötig sein, kann eine posteriore Erweiterung des Anulus erfolgen. Der Zugangsweg und der Anschluss an die Herz-Lungen-Maschine wie auch die Applikation von Kardioplegielösung gleichen dem Vorgehen bei anderen Aortenklappenoperationen. Die von Nicks et al. (1970) beschriebene Prozedur erweitert den Aortenanulus zwischen links- und nonkoronarer Kommissur. Dabei wird die Inzision im Bereich der fibrösen Kontinuität der Aorten- und Mitralklappe durchgeführt. Die Inzision reicht nicht bis in das anteriore Segel der Mitralklappe. Zur Erweiterung und Unterstützung des Anulus wird ein Dacronflicken implantiert. Nach kompletter Entfernung der Aortenklappe legt man mehrere invertierende, horizontale Matratzennähte durch den Anulus und den Patch. Werden die Nähte im Bereich des Dacronflickens etwas weiter distal gelegt und wird die Prothese etwas schräg implantiert, ist Platz für eine etwas größere Prothese geschaffen. Die Manouguian-Technik ist der von Nicks beschriebenen vergleichbar, allerdings wird die Inzision bis in das anteriore Mitralsegel und das Dach des linken Vorhofs verlängert (7 Kap. 22). Ein Perikardflicken findet für die Erweiterung der Aortenwurzel und zur Deckung des Defekts in der Mitralklappe Verwendung. 14.3.6.3
Ross-Operation
Bei Kindern kann mit der zwischenzeitlich standardisierten Ross-Operation ein kompletter Aortenwurzelersatz durchgeführt werden (Stelzer et al. 1998). Dabei sind Zugangsweg und Technik des kardiopulmonalen Bypasses wie für andere Aortenklappeneingriffe standarisiert. Die Myokardprotektion erfolgt jedoch häufig über die retrograde Applikation von Kardioplegielösung. Ein Ventkatheter wird über
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436
Kapitel 14 · Angeborene Anomalien des linksventrikulären Ausflusstrakts
c
a
14 b . Abb. 14.11a–c. Ross-Operation. a Die Aorta wird genau oberhalb des sinutubulären Übergangs durchtrennt und das pulmonale Autograft vorsichtig unter Schonung des Ramus interventricularis anterior, der Pulmonalklappe und des ersten Septalasts entnommen. b Die rechte und die linke Koronararterie werden samt ausreichendem Randsaum mobilisiert, und das pulmonale Autograft wird mittels fortlaufender Naht im linksventrikuären Ausflusstrakt eingenäht. c Beide Koronararterien werden in die Neoaorta implantiert. Für die Rekonstruktion des rechtsventrikulären Ausflusstrakts kommt ein Homograft zum Einsatz
die rechte obere Pulmonalvene in den linken Ventrikel eingelegt. Es erfolgen eine ausgedehnte Präparation und eine Mobilisation der Aorta ascendens, des Truncus pulmonalis sowie beider Pulmonalarterien. Das Lig. arteriosum wird ligiert und durchtrennt und so die Mobilität der Pulmonalarterien verbessert. Nach Abklemmen der Aorta wird diese eröffnet und eine mögliche Klappenrekonstruktion evaluiert. Entscheidet man sich für eine Ross-Operation, durchtrennt man den Truncus pulmonalis auf Höhe der Bifurkation. Die Pulmonalklappe wird inspiziert, um eventuelle Veränderungen der Klappe auszuschließen. Im Fall einer schwer veränderten oder bikuspiden Pulmonalklappe ist ein mechanischer Aortenklappenersatz zu erwägen. Nach Durchtrennen der Aorta ascendens werden die Koronarostien unter Belassung eines Randsaums aus den Sinus exzidiert. Beide Koronarien werden mobilisiert. Danach entfernt man die Klappentaschen und die Sinus Valsalvae bis auf einen kaudalen Randsaum von 3–5 mm. Dann erfolgt die Entnahme des pulmonalen Autografts (. Abb. 14.11). Dabei wird eine rechtwinklige Klemme durch die Pulmonalklappe zum rechten Ventrikel geführt, um eventuelle Verletzungen der Pulmonalklappe zu vermeiden. Im Anschlss folgt die Inzision im rechtsventrikulären Ausflusstrakt, unter Belassung eines muskulären Randsaums von 3–5 mm. ! Bei der Inzision hin zur Aorta ist inbesondere auf den Konusast der rechten Koronararterie zu achten. Die Inzision nach links muss vorsichtig ausgeführt werden, um den Ramus interventricularis anterior und dessen ersten Septalast nicht zu verletzten. Dabei sollte man die Inzision mit einer feinen Schere flach unter der Endokardoberfläche ausführen.
Nach Entnahme der Pulmonalklappe wird erneut Kardioplegielösung appliziert, und etwaige Blutungsquellen im Bereich der Dissektion des Autografts werden mittels Dia-
437 14.3 · Valvuläre Aortenvitien
thermie oder Einzelknopfnähten unterbunden. Wenn der Diameter des Aortenklappenanulus um >3 mm größer ist als der des Pulmonalklappenanulus, sollten man bei jugendlichen Patienten die Kommissuren auf beiden Seiten des nonkoronaren Sinus mit plättchenunterlegten Nähten raffen, um so annäherend gleiche Durchmesser zu erzeugen. Das pulmonale Autograft wird dann mit einer fortlaufenden Naht in den linksventrikulären Ausflusstrakt eingenäht. Hierfür wird es so ausgerichtet, dass die linke und die rechte Koronararterie den entsprechenden Sinus gegenüberliegen. Die Nahtlinie kommt dabei subanulär zu liegen. So wird das Autograft in den linksventrikulären Ausflusstrakt eingebracht und erhält den fibromuskulären Halt des Aortenanulus. Es folgt eine zweite fortlaufende Naht, die den Randsaum der Aortenwurzel und die Adventitia des Autografts greift. Diese verstärkt die erste Nahtreihe und vermindert das Risiko einer – nach Fertigstellung der Korrektur schwer zugänglichen – Blutung im posterioren Bereich der Anastomose. Die linke Koronararterie wird in eine kreisrunde Öffnung des Autografts knickfrei und ohne Rotationsfehler implantiert. Die rechte vordere Kommissur des Autografts wird an der Aventitia markiert, um eine Verletzung der Klappentasche während der späteren Implantation der rechten Koronararterie zu vermeiden. Danach fertigt man die distale Anastomose mittels fortlaufender Nahttechnik. Nach Vollendung der distalen Anastomosierung wird die Wurzel der Neoaorta mit Kardioplegielösung gefüllt, um eine geeignete Implantationsstelle für die rechte Koronararterie festzulegen. Danach schneidet man eine kreisrunde Öffnung im Autograft aus, wobei eine gewisse Distanz zu den Kommissuren einzuhalten ist. Die rechte Koronararterie wird mit einer fortlaufenden Naht implantiert. Zur Rekonstruktion des rechtsventrikulären Ausflusstrakts findet ein übergroßes kryokonserviertes Pulmonalishomograft Verwendung. Dabei wird die distale Anastomose zuerst ausgeführt. Die Rekonstruktion dieser Anastomose wird durch die zuvor durchgeführte, großzügige Mobilisation der Pulmonalarterien erleichtert. Anschließend fertigt man die proximale Anastomose an, wobei man die Stiche im posterioren Anteil zwischen rechtsventrikulärem Ausflusstrakt und Homograft etwas oberflächlicher führt, um eine Verletzung des ersten Septalasts zu vermeiden. Im anterioren Aspekt greift die Naht die ganze Wand des Homografts bzw. des rechtsventrikulären Ausflusstrakts. Nach ausreichender Entlüftung des linken Herzens wird die Aortenklemme gelöst. Eine transösophageale Echokardiographie sollte nach dem Weaning des Patienten vom Bypass routinemäßig erfolgen (Elkins et al. 1994; Mohan Reddy et al. 1998). 14.3.6.4
Aortenwurzelersatz durch einen aortalen Homograft
Bei komplizierter bakterieller Endokarditis und bei komplexer Rekonstruktion eines obstruierten linksventrikulären Ausflusstrakts wird, wenn die Ross-Konno-Operation keine Therapieoption darstellt, ein Aortenwurzelersatz mit
einem Homograft durchgeführt. Der Eingriff erfolgt in standardisierter Kanülierungs- und Bypasstechnik, die Myokardprotektion vorzugsweise über die retrograde Applikation von Kardioplegielösung über den Koronarsinus. Der erste Schritt ist die transverse Aortotomie. Die Koronararterien werden mit einem großen Randsaum aus der Aortenwand exzidiert und hinreichend mobilisiert. Die Klappentaschen entfernt man und führt, wenn nötig, eine Wurzelerweiterung (Konno-Inzision) durch. Als nächstes wird ein aortales Homograft geeigneter Größe ausgewählt. Dabei ist es fast immer möglich, ein Homograft einzusetzen, dessen Durchmesser etwas größer ist als derjenige der nativen Aortenwurzel. Das Homograft wird dann mittels fortlaufender Nahttechnik in den linksventrikulären Ausflusstrakt eingenäht. Um das Vernähen von Muskel an Muskel zu vermeiden, dreht man das Homograft um 120° gegen den Uhrzeigersinn, sodass das Ostium der rechten Koronararterie des Spenders (bei aortalem Homograft) dem Ostium der linken Koronararterie des Empfängers gegenüberliegt. Eine weitere fortlaufende Naht, die die Aortenwand des Empfängers und die Adventitia des Spenders einfasst, verstärkt die erste Nahtlinie. Anschließend wird die linke Koronararterie in die zuvor erweiterte Öffnung der rechten Koronararterie des Homografts implantiert. Um eine Verletzung der rechten Klappentasche bei der Implantation der rechten Koronararterie zu vermeiden, wird die rechts und vorne liegende Kommissur des Homografts mit einer Haltenaht an der Außenseite des Homografts markiert. Anschließend erfolgt die distale Anastomosierung des Homografts mit der aszendierenden Aorta mittels kontinuierlicher Naht. Nach Auffüllen der Aortenwurzel mit Kardioplegielösung wird der optimale Implantationsort für die rechte Koronararterie gewählt. So verhindert man einen Rotationsfehler, eine Spannung oder ein Abknicken der Koronararterie nach der Implantation (Clarke 1991). Bei großen Aortenwurzeln kann auch die von Ross empfohlene orthotope Homograftklappenimplantation unter Erhalt des akoronaren Homograftsinus durchgeführt werden. 14.3.6.5
Diskussion
Das ideale Operationsverfahren bei Aortenklappeninsuffizienz sollte die native Aortenklappe und deren funktionelle Einheit (linksventrikulärer Ausflusstrakt, Aortenanulus, Sinus Valsalvae, sinotubulärer Übergang) erhalten. Die chirurgischen Therapieoptionen bei Kindern mit Aortenklappenerkrankung bleiben limitiert. Es gibt derzeit noch keinen idealen Klappenersatz. Deswegen sollte eine Rekonstruktion gegenüber den vorgestellten Verfahren des Klappenersatzes immer Vorrang haben. Voraussetzung ist allerdings, dass damit eine hinreichende Reduktion der Aortenklappeninsuffizienz oder -stenose erzielt werden kann. Eine nach Rekonstruktion fortbestehende geringgradige Stenose oder Insuffizienz wird im Langzeitverlauf sehr gut toleriert. Eine rekonstruierte Klappe hat Wachstumspotenzial und bedarf keiner antikoagulativen Therapie.
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438
Kapitel 14 · Angeborene Anomalien des linksventrikulären Ausflusstrakts
Allerdings sind nicht alle Aortenklappenvitien rekonstruierbar. Anatomische Voraussetzungen für die Rekonstruktion umfassen: 4 ausreichend großer Aortenanulus, 4 mobile Klappentaschen, 4 Möglichkeit, eine ausreichende Koaptationsfläche schaffen zu können, ohne dabei eine signifikante Stenose zu verursachen.
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Die Trikuspidalisierung kongenital bikuspider Aortenklappen geht mit besseren mittelfristigen Ergebnissen einher, wahrscheinlich durch eine Reduktion der Scherkräfte an den Klappentaschen und ein verbessertes Flussmuster (Odim et al. 2005). Dabei werden die besten Ergebnisse erzielt, wenn ausreichend natives Aortenklappenmaterial verbleibt, speziell im Bereich der Aufhängepunkte der Klappentaschen proximal der Taschenextension. Von einer ganzen Reihe verschiedener Valvuloplastietechniken wurden gute frühe und mittelfristige Ergebnisse beschrieben. Diese Techniken reichen von der Kommissurotomie, der Wiederanheftung partiell abgerissener Klappentaschen, der Wiederaufhängung von Kommissuren, der Ausdünnung einer dysplastischen Klappe und der Entfernung dysplastischer Knötchen über die symmetrische Augmentation der Klappentaschen bis hin zur Reduktionsanuloplastik. Die Aortenklappenrekonstruktion ist eine sichere Methode. Sie ist mit einer nur minimalen Frühsterblichkeit behaftet und zeichnet sich durch eine Freiheitsrate von einem Klappenersatz von bis zu 75% nach 5 Jahren aus. Innerhalb dieses Zeitraums wird die Aortenklappenrekonstruktion als eine gute, wenn auch temporäre Lösung angesehen, die eine Reduktion der Insuffizienz bzw. Stenose sowie eine Stabilisierung der ventrikulären Dimensionen gewährleistet, bis der Patient eine Körpergröße erreicht hat, bei der andere Therapieoptionen zum Einsatz kommen können, z. B. mechanischer Klappenersatz oder Ross-Operation (Alsoufi et al. 2006; Bacha et al. 2001; Caspi et al. 1994; Tweddell et al. 2005a, b). Die Auswahl des geeigneten Aortenklappenersatzes bei Kindern mit irreparablem Aortenklappenvitium wird kontrovers diskutiert, da alle verfügbaren Optionen individuelle Nachteile mit sich bringen. Die Ross-Operation stellt eine Alternative zur mechanischen Klappenprothese dar. Eine zunehmende Dilatation der Neoaortenwurzel mit konsekutiver Autograftinsuffizienz, die möglicherweise eine pulmonale Homograftaustauschoperation erfordert, bleibt jedoch eine ernst zu nehmende Komplikation (Elkins et al. 1996). Die Ross-Operation heilt die Aortenklappenerkrankung nicht. Sie sollte nicht durchgeführt werden, wenn die Pulmonalklappe deformiert oder durch eine erworbene Erkrankung geschädigt oder die Funktion durch vorangegangene chirurgische Prozeduren eingeschränkt ist. Darüber hinaus können Bindegewebeerkrankungen wie das Marfan-Syndrom die Pulmonalklappenfunktion mögli-
cherweise ebenso beeinträchtigen, und Patienten, bei denen eine solche Erkrankung nachgewiesen ist, sollten deshalb keine Kandidaten für eine Ross-Operation sein. Die Ergebnisse der Ross-Operation bei rheumatischen Erkrankungen der Aortenklappe waren enttäuschend (Al-Halees et al. 2002). Vorteile dieses Eingriffs liegen in den hervorragenden hämodynamischen Eigenschaften, dem Wachstumspotenzial und der nicht notwendigen antikoagulatorischen Therapie (Al-Halees et al. 2002). Des Weiteren erlaubt die Ross-Operation einen frühen Ersatz der stenotischen oder insuffizienten Aortenklappe und verhindert so wiederholte chirurgische Interventionen, welche evtl. nur eine kurzzeitige Palliation gewährleisten können und potenziell die Ventrikelfunktion verschlechtern (Marino et al. 1999; Mohan Reddy et al. 1998; Ohye et al. 2001). Betrachtet man den Aortenwurzelersatz ausschießlich für Kinder, werden exzellente mittelfristige Ergebnisse erzielt, mit Sterblichkeitsraten von <5% bei einfacher und komplexer linksventrikulärer Ausflusstraktstenose, selbst im Neugeborenen- und Säuglingsalter (Marino et al. 1999; Mohan Reddy et al. 1998; Stelzer et al. 1998; Ohye et al. 2001). Nach 5 Jahren besteht in 88–95% der Fälle eine Freiheit von einer mehr als geringfügigen Neoaorteninsuffizienz oder einer Aortenklappenersatzoperation (Elkins et al. 1996, 1998; Hraska et al. 2004). Dabei stellen die Dilatation der Neoaortenwurzel mit konsekutiver Aortenklappeninsuffizienz, speziell ein geometrisches Mismatch der Aorten- und Pulmonaliswurzel, eine bikuspide Aortenklappe und eine chronische Aortenklappeninsuffizienz prognostisch ungünstige Faktoren dar (David et al. 1996, 2000; Laudito et al. 2001). Das Angleichen des Aortendiameters im Bereich des Anulus und des sinotubulären Überganges scheint ein wichtiger Faktor zur Vorbeugung einer Neoaorteninsuffizienz nach Ross-Operation zu sein. Der sinotubuläre Übergang kann vor der Fertigstellung der distalen Anastomose (zwischen Autograft und aszendierender Aorta) mittels Reduktion des Diameters der aszendierenden Aorta angepasst werden. Bei Kindern über 15 Jahren, wenn also das Größenwachstum keine bedeutende Rolle mehr spielt, kann man auch eine Anpassung des Durchmessers des Aortenanulus durch Plikatur oder Anulusverstärkung erwägen. Ebenso wurde der Einschluss des Autografts in eine Dacronprothese (»wrapping«) zur Vermeidung einer späteren Dilatation vorgeschlagen (Slater et al. 2005). Ein weiterer Risikofaktor des Versagens der Ross-Operation ist das Phänomen der mechanischen Adaptation der Autograftwand, welche mit einer Fragmentation der elastischen Fasern assoziiert ist (Carr-White et al. 2000; De Sa et al. 1999; Ishizaka et al. 2003). Um die Wandspannung zu senken, sollte deshalb postoperativ eine aggressive Blutdrucksenkung angestrebt werden (Hraska et al. 2004). Auch Patienten mit bikuspider Aortenklappe oder einer chronischen Aortenklappeninsuffizienz mit dilatierter Aortenwurzel sind weniger geeignete Kandidaten für eine
439 14.3 · Valvuläre Aortenvitien
Ross-Operation. So besteht die Möglichkeit, dass die Aortenklappeninsuffizienz die Geometrie und die Gewebeeigenschaften des subvalvulären linksventrikulären Ausflusstrakts so verändert, dass nach Implantation des Autografts ebenfalls eine Neigung zu einer Wurzeldilatation mit progredienter Neoaortenklappeninsuffizienz besteht. Gleichermaßen könnte eine intrinsische Anomalie des Pulmonalklappenanulus oder der Klappe selbst mit mukozystischer Degeneration des Bindegewebstromas für die Dilatation der Neoaorta verantwortlich sein (Laudito et al. 2001). Da das Risiko des Autograftversagens in dieser speziellen Untergruppe noch weiter evaluiert werden muss, sollte man hier den mechanischen Klappenersatz als alternative Option in Betracht ziehen. Auf der anderen Seite gibt es Hinweise darauf, dass Patienten mit kombinierter schwerer Aortenstenose und -insuffizienz von einer RossOperation mehr profitieren als von einer Rekonstruktion (Bacha et al. 2001). Die Freiheitsrate von einem Homograftersatz nach Ross-Operation wird mit etwa 90% nach 12 Jahren angegeben (Elkins et al. 2001). Diese Ergebnisse sind weitaus besser als jene der Rekonstruktion rechtsseitiger Vitien. Dies beruht wahrscheinlich auf der idealen Hämodynamik und dem exzellenten Flussmuster eines orthotop implantierten und leicht übergroßen pulmonalen Homografts. Trotzdem ist eine Re-Operation gerade im frühen Kindesalter, das mit einer im Vergleich zu älteren Patienten beschleunigten Degeneration des Homografts einhergeht, sehr wahrscheinlich. Das Remodeling des linken Ventrikels mit Normalisierung der diastolischen Dimension und der linksventrikulären Muskelmasse wird bei Patienten ohne assoziierte Herzfehler 3–11 Monate nach Ross-Operation erwartet (Hraska et al. 2004). Die Langzeitergebnisse der Ross-Operation sind besser als für andere bei Kindern eingesetzte Aortenklappenersatzverfahren. ! Ein auf lange Sicht möglicher Autograftersatz sowie die sichere Degeneration des Homografts im rechtsventrikulären Ausflusstrakt machen jedoch klar, dass die Ross-Operation eine Einklappenerkrankung potenziell in eine 2-Klappen-Erkrankung überführt.
Der mechanische Klappenersatz bei Kindern wird durch den Zwang einer systemischen Antikoagulation, das fehlende Wachstum und das mögliche Missverhältnis zwischen Patient und Prothese kompliziert. Die operative Sterblichkeit ist mit 0–5% niedrig (Ibrahim et al. 1994; Mazzitelli et al. 1998) und dann häufig mit einem schlechten präoperativen Allgemeinzustand assoziiert. Das Langzeitüberleben wird nach 20 Jahren mit 64–85% angegeben, was die Komplexität des zugrunde liegenden kongenitalen Herzfehlers reflektiert. Dabei ist das Überleben bei isolierter Aortenstenose etwas besser (Alexiou et al. 2000; Champsaur et al. 1997). Das Antikoagulationsregime ist bei Säuglingen und kleinen Kindern besonders schwierig. Im Jugendlichenalter
finden mechanische Klappen aufgrund mangelnder Compliance bezüglich Bewegung und Aktivität, der notwendigen Medikamenteneinnahme sowie des risikoreicheren Verhaltens in dieser Altersgruppe weniger Anwendung. Zwar wird die Rate für die Freiheit von einer Thromboembolie nach 20 Jahren mit etwa 93% beziffert, das Risiko einer Thromboembolie, einer Klappenthrombose, einer Blutung infolge eines inadäquaten Antikoagulationsregimes oder einer Prothesenendokarditis stellt jedoch eine Langzeitgefahr dar (Alexiou et al. 2000; Vongpatanasin et al. 1996). Bei der Implantation einer mechanischen Klappenprothese muss gerade bei kleineren Kindern eine Anuluserweiterung erfolgen, um eine adäquat große Prothese einsetzen zu können. Dies kann im weiteren Verlauf allerdings zu einer ventrikulären Dysfunktion führen (Sharma et al. 2004). Eine wiederholte Klappenaustauschoperation ist aufgrund des Größenwachstums und der konsekutiv entstehenden linksventrikulären Ausflusstraktobstruktion oft schon im Kindesalter unvermeidbar. Dabei ist die rechtzeitige Re-Operation – vor Einsetzen einer ventrikulären Dysfunktion – unbedingt erforderlich. Die Freiheitsrate von chirurgischen Re-Interventionen beträgt nach 10 Jahren 70–91%, nach 20 Jahren 53–86% (Alexiou et al. 2000; Mazzitelli et al. 1998). Andererseits können mechanische Aortenklappenprothesen besonders für solche Patienten eine lebenslange Lösung darstellen, denen eine Prothese mit einem Durchmesser von 21 mm oder mehr implantiert werden kann. Der Großteil der Überlebenden ist der NYHA-Klasse I zuzuordnen, und diese Patienten leben ein normales bzw. annähernd normales Leben. So bleibt der mechanische Klappenersatz mit einer optionalen Vergrößerung der Aortenwurzel und Langzeitantikoagulation eine gute Alternative zur Ross-Operation. Andere Alternativen des Klappenersatzes sind für die Patientengruppe der Kinder derzeit noch nicht ausgereift. Dies schließt die Implantation von Hetero- oder Allografts aufgrund der schnellen Degeneration und des fehlenden Wachstumspotenzials ein. Ein aortaler Homograftersatz der Aortenklappe stellt im Fall einer Klappenendokarditis eine akzeptable Alternative dar. Unglücklicherweise ist jedoch die Haltbarkeit des Aortenhomografts mit einer Freiheitsrate von Re-Interventionen nach 5 Jahren von 82% deutlich limitiert (Lupinetti et al. 2003). Das Risiko einer Re-Operation ist zudem nicht negierbar. Der Einsatz eines solchen Grafts sollte also nur unter Vorbehalt erfolgen, da das Homograft bei ggf. erforderlicher Re-Operation stark kalzifiziert und evtl. mit dem Sternum fest verbacken sein kann. Die Re-Sternotomie ist dann extrem gefährlich – es sei denn, es wurde bei der Voroperation mittels Implantation eines Perikardersatzes (z. B. Polytetrafluorethylenmembran) vorgesorgt. Die Koronarostien müssen erneut implantiert werden, und der Aortenanulus kann durch Narbengewebe erheblich geschrumpft sein. Beides kann eine erneute Austauschoperation erheblich erschweren.
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440
Kapitel 14 · Angeborene Anomalien des linksventrikulären Ausflusstrakts
14.4
Subaortenstenose
14.4.1.1
Einleitung
Die Subaortenstenose ist eine Obstruktion des linksventrikulären Ausflusstrakts unterhalb der Aortenklappenebene. Die häufigste Form ist die fixierte Einengung durch eine umschriebene (diskrete) Membran bzw. Leiste. Weniger häufig tritt eine diffuse, tunnelähnliche Obstruktion auf. Die Subaortenstenose kann als solitärer Defekt auftreten oder mit anderen Herzfehlern einhergehen, z. B. einem Ventrikelseptumdefekt, einer Aortenisthmusstenose, einem unterbrochenen Aortenbogen oder einem atrioventrikulären Septumdefekt. Die Subaortenstenose kann vor einer Korrekturoperation dieser assoziierten Defekte entstehen oder auch danach in Erscheinung treten und schließlich zu einem operationswürdigen Befund werden. Seltenere Ursachen einer subvalvulären Obstruktion stellen eine abnorme Aufhängung der Mitralklappe, eine nicht regelrechte Insertion der Papillarmuskeln, überschüssiges Gewebe und abnormale Muskelbänder innerhalb des linksventrikulären Ausflusstrakts sowie andere raumfordernde Strukturen dar. Shone et al. (1963) haben ein komplexes Syndrom kombiniert auftretender Herzfehler beschrieben, bei dem die Subaortenstenose in Verbindung mit einem supramitralen Ring, einer ParachuteMitralklappe und einer Aortenisthmusstenose auftritt (7 Kap. 10 u. 19). Die hypertrophe obstruktive Kardiomyopathie gehört ebenfalls zu den seltenen Ursachen einer Obstruktion des linksventrikulären Ausflusstrakts. In diesem Fall existiert eine dynamische, subvalvuläre Obstruktion aufgrund einer systolischen Vorwärtsbewegung des anterioren Segels der Mitralklappe gegen das hypertrophierte Ventrikelseptum. 14.4.1.2
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Anatomie
Die isolierte Subaortenstenose kann diskret (umschrieben) oder diffus sein. Die diskrete Form macht ungefähr 70% aller Fälle aus. Sie besteht typischerweise aus einer dünnen, fibromuskulären Leiste, die im Bereich der aortomitralen Kontinuität lokalisiert ist und sich zum interventrikulären Septum hin ausdehnt. Sie wird oft bei Patienten gesehen, bei denen die Längsachse des linken Ventrikels mit der Längsachse der Aorta einen etwas spitzeren Winkel bildet. Dieser Winkel führt zu einem Ungleichgewicht der auf die Wände des linksventrikulären Ausflusstrakts wirkenden Scherkräfte. Eine Proliferation von Bindegewebe in diesem Bereich bedingt dann evtl. eine Formation dieser Membran (Kleinert u. Geva 1993). Außerdem kann eine von der Norm abweichende anatomische Beziehung zur Mitralklappe bestehen, die nach anterior verschoben und im Uhrzeigersinn verdreht ist. Die diffuse Subaortenstenose wird durch eine zirkuläre Einengung verursacht, die auf Höhe des Aortenanulus beginnt und sich dann ventrikelwärts über 1–3 cm fortsetzen kann.
Die hypertrophe obstruktive Kardiomyopathie geht mit einer primär asymmetrischen Hypertrophie des Ventrikelseptums und einer dynamische Obstruktion einher, die durch eine abnorme systolische Vorwärtsbewegung des anterioren Mitralklappensegels verursacht wird. Die Histologie dieser Erkrankung ist durch ungeordnete, bizarr geformte und hypertrophierte Myozyten charakterisiert (Goodwin et al. 1960). 14.4.1.3
Pathophysiologie
Die durch die Engstellung verursachte Druckbelastung des linken Ventrikels führt zur konzentrischen Hypertrophie desselben und kann schließlich eine myokardiale Hypoperfusion mit denselben nachteiligen Effekten wie schon in Abschnitt 14.3.2 beschrieben bedingen. Die erhöhten Scherkräfte – verursacht durch die poststenotisch entstehenden Turbulenzen – können in einer endokardialen Schädigung sowie konsekutiv in Proliferation und Fibrose münden (Cape et al. 1997). Die wachsende Membran selbst induziert dann noch mehr Turbulenzen, was den Prozess der Proliferation und der Fibrose zusätzlich beschleunigt. Eine Turbulenz kann aber auch die Veränderung einer Aortenklappentasche (Verdickung und Verziehung) induzieren, was konsekutiv zu einer Aortenklappeninsuffizienz führt. Im Gegensatz zu anderen kongenitalen Herzfehlern wird eine umschriebene subvalvuläre Aortenstenose selten in der frühen Kindheit erkannt, sondern tritt wesentlich häufiger als erworbene Läsion auf, die aufgrund veränderter Flussbedingungen im linksventrikulären Ausflusstrakt entsteht (Gewillig et al. 1992). 14.4.1.4
Klinisches Bild und Diagnostik
Die diskrete subaortale Membran bzw. fibrotische Leiste wird typischerweise bei älteren Kindern beobachtet. Sie geht mit ähnlichen Symptomen einher, wie sie bei der valvulären Aortenstenose auftreten. Eine geringe oder milde Aorteninsuffizienz ist dabei in etwa 2/3 der Fälle vorhanden. Im Gegensatz zur diskreten Form findet sich die tunnelförmige Obstruktion oft als Teil eines komplexen Herzfehlers auch im Neugeborenen- oder frühen Kindesalter. Die hypertrophe obstruktive Kardiomyopathie wird im pädiatrischen Kollektiv selten gesehen. Symptome treten i. A. erst in der 2.–3. Lebensdekade auf. Die Echokardiographie ist die Untersuchungsmethode der Wahl, um den eingeengten linksventrikulären Ausflusstrakt darzustellen, zwischen diskreter und diffuser Form der Subaortenstenose zu differenzieren, den Druckgradienten zu bestimmen sowie die Funktion der Aortenklappe wie auch Funktion und morphometrischen Parameter des linken Ventrikels zu evaluieren. Die Herzkatheteruntersuchung ist mit der Möglichkeit der direkten Druckmessung zur Beurteilung von komplexen oder Mehretagenobstruktionen des linksventrikulären Ausflusstrakts und der Aorta indiziert.
441 14.4 · Subaortenstenose
. Abb. 14.12. Behandlungsstrategie bei Subaortenstenose am Deutschen Kinderherzzentrum St. Augustin
14.4.1.5
Indikation zur chirurgischen Korrektur
Symptome in Verbindung mit einer linksventrikulären Ausflusstraktobstruktion (Synkopen, Angina pectoris, eingeschränkte Belastbarkeit) sind eindeutige Indikationen zur Operation (. Abb. 14.12). Dabei wird ein mittlerer Dopplergradient über dem linksventrikulären Ausflusstrakt von >40 mmHg bei einer diskreten subaortalen Membran oder ein mittlerer Gradient von >60 mmHg bei einer tunnelförmigen Obstruktion des linksventrikulären Ausflusstrakts als Indikation zur chirurgischen Korrektur angesehen. Besteht ein Druckgradient von <40 mmHg und keine signifikante linksventrikuläre Hypertrophie, sollte der Patient gerade in den ersten Lebensjahren engmaschig untersucht werden, um eine eventuelle Progression der Stenose rechtzeitig zu erkennen. Bei Säuglingen und Kindern wird bei gleichzeitig bestehender bzw. nur beginnender, neu aufgetretener Aortenklappeninsuffizienz auch unabhängig von Symptomen und Druckgradienten zur Operation geraten. Die Indikation zur Korrekturoperation wird zudem bei hypertropher obstruktiver Kardiomyopathie mit Zunahme der Symptome trotz maximaler medikamentöser Therapie gestellt. Bei asymptomatischen Patienten stellt ein mittlerer Dopplergradient von >40 mmHg in Ruhe oder unter physiologischer Stressbelastung eine Indikation zur operativen Korrektur dar.
Chirurgische Korrektur Resektion einer umschriebenen, subaortalen Membran
14.4.1.6
Zugangsweg, Bypassstrategie und Myokardprotektion entsprechen Operationen an der Aortenklappe. Eine umgekehrt hockeyschlägerförmige Inzision wird vom anterioren Aspekt der Aorta zum nonkoronaren Sinus Valsalvae geführt. Die rechtskoronare Klappentasche wird nun angehoben und die subvalvuläre Region dargestellt. Alternativ kann man auch ein Spekulum einsetzen, um die Einsicht zu verbessern. Nun werden das Ausmaß und die Beziehung der Membran zu den umliegenden Strukturen – speziell zur Aortenklappe und zum anterioren Mitralklappensegel – sorgfältig untersucht (. Abb. 14.13a). Die Membran hält man dabei entweder mit einer Pinzette oder mit einem feinen Hauthaken. Dabei ist besondere Vorsicht geboten, um die Klappentaschen durch die Instrumentation nicht zu verletzen. Unterhalb der rechtskoronaren Klappentasche, nahe der rechts-links-koronaren Kommissur, wird eine radiale Inzision durch das weißliche Bindegewebe bis zu seiner Anheftung am Herzmuskel geführt. Danach schält man die Membran zirkulär – teils scharf, teils stumpf – von der Muskulatur des linksventrikulären Ausflusstrakts ab (. Abb. 14.13b). Wenn die Membran an den Klappentaschen angeheftet ist, wird das fibrotische Gewebe, welches
Abb. 14.13a, b. Darstellung (a) und Resektion (b) einer subvalvulären Membran
a
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442
Kapitel 14 · Angeborene Anomalien des linksventrikulären Ausflusstrakts
den linksventrikulären Ausflusstrakt einengt, sorgfältig und scharf von der Klappentasche abgelöst. Dabei ist insbesondere auf die Lokalisation der Leitungsbahnen zu achten sowie eine scharfe und zu tiefe Präparation zu vermeiden. Eine Myektomie wird routinemäßig durchgeführt, um den linksventrikulären Ausflusstrakt zu erweitern und die Wahrscheinlichkeit des Wiederauftretens der Subaortenstenose zu verringern. Hierfür exzidiert man einen Muskelkeil unterhalb der linken Hälfte der rechtskoronaren Klappentasche. Die Technik entspricht derjenigen, die für die diffuse, fibromuskuläre Stenose angewandt wird. Komplikationen dieser Prozedur schließen bei zu tiefer Resektion des Kammerseptums die Schaffung eines iatrogenen Ventrikelseptumdefekts, bei zu tiefer Resektion unterhalb der nonkoronaren Klappentasche eine Schädigung des Überleitungsgewebes und bei zu sorgloser Instrumentation eine Verletzung der aortalen Klappentaschen ein. ! Bikuspide Aortenklappen sind bei der transaortalen subvalvulären Resektion besonders verletzungsgefährdet.
Modifizierte Konno-Operation Bei der modifizierten Konno-Operation wird die Aorta vertikal inzidiert und die Inzision zur rechts-links-koronaren Kommissur fortgeführt (. Abb. 14.14). Dabei achtet man darauf, vom Ostium der rechten Koronararterie entfernt zu bleiben. Zunächst erfolgt eine schräge Inzision über dem rechtsventrikulären Ausflusstrakt. Eine OverholtKlemme wird dann durch die Aortenklappe geführt, um die richtige Stelle für die Inzision in das infundibuläre Kammerseptum zu ermitteln. Dies ist aufgrund einer extremen Septumhypertrophie immer sehr anspruchsvoll. Die Inzision sollte dabei immer oberhalb des Ansatzes des M. Lancisi liegen, um eine Verletzung des Überleitungsgewebes zu vermeiden (. Abb. 14.15). Der Schnitt wird dann nach links unter der Pulmonalklappe fortgesetzt. Danach führt man die Inzision von ventrikelwärts und von den Seiten des aortalen Zugangs aus zur links-rechts-koronaren Kommissur, ohne jedoch die Aortenklappentaschen zu verletzen. Besondere Aufmerksamkeit wird dabei dem inferioren Rand der Inzision geschenkt, um das Risiko einer Verletzung des His-Bündels zu minimieren. Nun reseziert man subaortal sämtliches fibröses Gewebe. Der so kreierte Ventrikelseptumdefekt wird dann entweder mit Hilfe eines glutaraldehydfixierten Perikard- oder eines Polytetrafluorethylenflickens mit Einzelknopfnähten verschlossen. Dabei werden alle Nähte auf der rechten Seite des Ventrikelseptums gestochen. Die Aorteninzision verschließt man direkt und
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. Abb. 14.14. Modifizierte Konno-Operation. Die infundibuläre Inzision schafft einen Zugangsweg zum interventrikulären Septum. Ein evtl. benötigtes pulmonales Autograft kann hierüber ebenfalls entnommen werden
. Abb. 14.15. Modifizierte Konno-Operation. Die Inzision in das Ventrikelseptum (breiter Pfeil) wird in Richtung der links-rechts-koronaren Kommissur der Aortenklappen fortgeführt. Zur Orientierung der Inzision kann man ein Instrument von der Aortotomie durch die Aortenklappe bis zur geeigneten Stelle des Ventrikelseptums vorschieben
443 14.4 · Subaortenstenose
. Abb. 14.16. Modifizierte Konno-Operation. Der kreierte Septumdefekt wird mit einem ellipsoiden Flicken auf der rechtsventrikulären Seite verschlossen
die Inzision in der freien Wand des rechtsventrikulären Ausflusstrakts mit einem Perikardflicken (. Abb. 14.16; Jahangiri et al. 2000). Alternativ kann der rechtsventrikuläre Ausflusstrakt durch das rechte Atrium und die Trikuspidalklappe dargestellt werden. Hierbei führt man nach Vorziehen des Trikuspidalklappensegels die Inzision in das Infundibulumseptum. Der Startpunkt der Inzision liegt direkt oberhalb des M. Lancisi. Die Inzision wird dann zur Pulmonalklappe fortgeführt. Über diesen Zugangsweg lässt sich somit das Risiko einer Verletzung des Leitungssystems reduzieren. Der Rest der Operation entspricht dem oben beschriebenen Vorgehen, abgesehen davon, dass auf eine Rekonstruktion des rechtsventrikulären Ausflusstrakts verzichtet werden kann.
Ross-Konno-Operation Bei Patienten mit linksventrikulärer Ausflusstraktstenose und hypoplastischem Aortenklappenanulus ist die RossKonno-Prozedur die Behandlungsmethode der Wahl. Dabei entsprechen Zugangsweg, Management des kardiopulmonalen Bypasses, Myokardprotektion sowie Präparation der großen Gefäße und der Koronararterien dem bereits für die Ross-Operation beschriebenen Vorgehen. Nach Abklemmen der Aorta und Gabe von Kardioplegielösung wird die Aorta auf Höhe des sinutubulären Übergangs durchtrennt. Die Koronararterien werden unter Belassung von reichlich umgebender Aortenwand, die fast vollständig den Sinus Valsalvae um die Koronarostien umfasst, explantiert.
Das pulmonale Autograft entnimmt man samt Ausflusstraktschürze von der freien Muskelwand. Dieses zusätzliche Muskelmaterial kann später zum Verschluss der Ventrikelinzision Verwendung finden. Das Ventrikelseptum wird zwischen der rechten und linken Koronararterie inzidiert. Die Länge der Inzision hängt vom Ausmaß und von der Morphologie der Obstruktion ab. Wird nur eine anuläre Erweiterung benötigt, ist auch die Inzision in das Septum auf eine Länge von etwa 5–10 mm begrenzt. Bei Patienten mit langstreckiger Subaortenstenose kann die septale Inzision über diese Einengung hinausgeführt werden (Mohan Reddy et al. 1996). Falls erforderlich, kann man eine bestehende Endokardfibroelastose resezieren oder eine ventrikuläre Myektomie durchführen. Das pulmonale Homograft wird anschließend samt Randsaum der infundibulären Muskulatur so eingesetzt, dass diese in die Konno-Inzision des Kammerseptums passt. Das Autograft wird dann mittels kontinuierlicher Naht in die Basis des Aortenklappenanulus eingenäht. Die infundibuläre Muskelschürze fixiert man dabei mit nichtresorbierbaren, filzunterlegten Einzelknopfnähten am Kammerseptum. Nach Re-Implantation der Koronararterien in die Neoaortenwurzel wird die distale Anastomose mit der Aorta ascendens mit Hilfe einer kontinuierlichen Naht komplettiert. Den rechtsventrikulären Ausflusstrakt rekonstruiert man danach mit Hilfe eines klappentragenden Homograft-Conduits. Dazu wird das Homograft direkt mit der infundibulären Muskulatur (ohne zusätzliches Patch-Material) verbunden (. Abb. 14.17).
Konno-Rastan-Operation Zugangsweg, Bypassstrategie und Myokardprotektion entsprechen jenen anderer Aortenklappenoperationen. Die Pulmonalarterie wird freigelegt, um die Basis der Aorta zu definieren. Nach Klemmen der Aorta wird diese vertikal eröffnet, wobei man die Inzision zur rechts-links-koronaren Kommissur führt. Dabei ist eine gewisse Distanz zur rechten Koronararterie zu wahren. Eine transverse Inzision erfolgt knapp proximal des Pulmonalklappenanulus in den rechtsventrikulären Ausflusstrakt. Nach Eröffnung des rechten Ventrikels werden das Ventrikelseptum und die Pulmonalklappentaschen inspiziert. Danach verlängert man die Aortotomie in das Ventrikelseptum. Die Inzision sollte dabei auf der rechten Seite distal des M. Lancisi und auf der linken Seite fern der Pulmonalklappentaschen geführt werden. Diese Öffnung muss man ventrikelwärts über die tunnelförmige Stenose verlängern. Die Aortenklappe wird dann komplett entfernt, ebenso subvalvuläre fibrotische endokardiale Auflagerungen. Ein angemessener Hegar-Stift wird dann durch den erweiterten Aortenanulus und das Ventrikelseptum geführt, um einen ausreichend großen Patch bzw. eine adäquat große Aortenklappe zu definieren. Anschließend schneidet man einen Dacron-Patch dreieckig zu und verschließt die entstandene Lücke im Ventrikelseptum bis hin zum Aortenklappenanulus mittels kontinuierlicher Naht. Die Nahtlinie wird im Bereich des
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. Abb. 14.17a–d. Ross-Konno-Operation. a Der Aortenanulus wird durch eine Inzision (gestrichelte Linie) durch die rechts-links-koronare Kommissur der Aortenklappe bis in das interventrikuläre Septum erweitert. Dabei wird der Schnitt oftmals nur minimal über den Aortenanulus geführt. Eine Myektomie kann die effektive Öffnungsfläche des linksventrikulären Ausflusstrakts ebenso erweiterten und das Ausmaß
der Ventrikuloplastie limitieren. b Das Autograft wird mit Einzelknopfnähten in den erweiterten Ausflusstrakt eingenäht. Dabei dreht man das Autograft so, dass eine Schürze des rechtsventrikulären Ausflusstrakts zur Erweiterung der Ventrikuloplastie dient. c Die Koronarknöpfe werden in das Autograft implantiert. d Abgeschlossene Rekonstruktion
Kammerseptums mit mehreren Einzelknopfnähten verstärkt. Danach legt man Einzelknopfnähte rund um den Aortenanulus und den Dacron-Patch an und fixiert die Prothese in anulärer Position. Potenzielle Blutungsquellen am Übergang zwischen Anulus und Patch werden doppelt mit Einzelknopfnähten verstärkt, um eine Blutung zu verhindern. Der Dacron-Patch wird nun zurechtgeschnitten und für die Erweiterung sowie den Verschluss der Aortotomie
verwendet. Anschließend löst man die Aortenklemme und übernäht jegliche Blutungsquellen am Patch-Rand. Danach wird der rechtsventrikuläre Ausflusstrakt mit Hilfe eines Perikardflickens so verschlossen, dass der gesamte DacronPatch überzogen ist und etwaige verbliebene Blutungsquellen in den rechtsventrikulären Ausflusstrakt drainieren (. Abb. 14.18).
445 14.4 · Subaortenstenose
a
b
c
e
d
. Abb. 14.18a–e. Chirurgische Technik der Aortoventrikuloplastik. a Schnittführung zur Eröffnung der Aorta und des rechtsventrikulären Ausflusstrakts; b längs eröffnete Aorta und quer eröffneter Ventrikel unterhalb der Pulmonalklappe; Längsinzision in das Ventrikelseptum nach Durchtrennung des Aortenklappenrings; Resektion der dysplastischen Aortenklappe; c eingenähte dreiecke Erweiterungsflickenplastik für den subaortalen Bereich und die bereits implantierte Aortenklappe; d fertiggestellte linksventrikuläre Erweiterungsflickenplastik und Technik des Einnähens des Flickens zur Erweiterung der rechtsventrikulären Ausflussbahn; e fertiggestellte Aortoventrikuloplastik. LC linke Koronararterie; RC rechte Koronararterie
14
446
Kapitel 14 · Angeborene Anomalien des linksventrikulären Ausflusstrakts
Resektion des Infundibulumseptums bzw. einer fibromuskulären Stenose Nach Eröffnung der Aorta ascendens wird über eine umgekehrt hockeyschlägerförmige Inzision die subvalvuläre Region inspiziert. Die fibromuskuläre Stenose oder Muskelleiste, die in den linksventrikulären Ausflusstrakt hineinragt, wird so weit wie möglich exzidiert, ohne dabei den Aortenklappenapparat oder das Leitungsgewebe zu schädigen. Dann führt man 2 parallele Inzisionen in den anterolateralen Bereich des ventrikulären Ausflusstrakts. Die erste Inzision beginnt unterhalb der rechts-links-koronaren Kommissur bzw. des darunter liegenden fibrösen Dreiecks, die zweite liegt direkt unterhalb des Bauches der rechtskoronaren Klappentasche. Die Inzisionen werden so weit wie nötig nach apikal verlängert. Die nunmehr mittig verbleibende Muskelbrücke entfernt man mit einer Schere.
Extensive Myekotomie bei hypertropher obstruktiver Kardiomyopathie
14
Die Operation wird in der gleichen Weise wie bei der Resektion einer fibromuskulären Stenose durchgeführt, jedoch ist das Ausmaß der septalen Myekotmie erheblich größer und reicht meist weitaus tiefer. Die septale Myektomie wird auf der Grundlage des echokardiographischen Befunds mit genauer Abmessung der Dicke des ventrikulären Septums sowie der Beurteilung der Anatomie und der Funktion der Mitralklappe geplant. Vor Einsatz der HerzLungen-Maschine bestimmt man den Druckgradienten direkt, um einen verlässlichen Vergleich mit den Befunden der Messungen nach Myektomie zu ermöglichen. Nach Klemmen der Aorta wird besonderes Augenmerk auf die Myokardprotektion des schwer hypertrophierten Herzmuskels gelegt. Nach Eröffnung der Aorta und Identifizierung der durch das Anschlagen des anterioren Mitralklappensegels an das ventrikuläre Septum verursachten Plaques werden 2 parallele Inzisionen zwischen der rechts-linkskoronaren Kommissur und der linkslateralen Hälfte der rechtskoronaren Klappentasche geführt. Diese Inzisionen lässt man unterhalb der Aortenklappe zusammenlaufen. Danach wird ein tiefer Muskelkeil reseziert, der bis über die Spitze des anterioren Mitralklappensegels hinausreicht, um eine dynamische Obstruktion durch eine systolische Vorwärtsbewegung des anterioren Mitralklappensegels zu verhindern. Dabei erweitert man die klassische Resektion nach links zur Mitralklappe und nach apikal zur Basis der Papillarmuskeln. Besteht eine Obstruktion bis zur Mitte des linken Ventrikels, wird die Myektomie weiter nach apikal und dort auch weiter nach rechts geführt. Alle Anheftungsstellen zwischen Papillarmuskeln und Septum werden geteilt. Nach Beendigung des kardiopulmonalen Bypasses führt man eine direkte Messung des Druckgradienten und eine transösophageale Echokardiographie durch, um die Effektivität der Myektomie abzuschätzen. Dabei ist ein Ruhegradient von im Mittel <20 mmHg akzeptabel (Dearani et al. 2005).
14.4.1.7
Diskussion
! Die chirurgische Behandlung sollte neben der Entfernung der Subaortenstenose auch die zugrunde liegende, d. h. die erhöhte septale Scherkräfte verursachende Pathophysiologie und Pathomorphologie (Cape et al. 1997; Serraf et al. 1999b) berücksichtigen.
Die umschriebene, subvalvuläre Aortenstenose kann bei den meisten Patienten durch die Entfernung der Membran in Verbindung mit einer Myektomie behandelt werden. Dabei sollte eine ausgiebige Resektion aller Strukturen erfolgen, die Flussturbulenzen induzieren können. Hierzu gehören eine abnorme, septale Insertion der Mitralklappe, akzessorisches Mitralklappengewebe sowie abnorme Papillarmuskeln oder Muskelbänder (Marasini et al. 2003). Das Entfernen allen pathologischen Gewebes von den Klappentaschen und den Dreiecken unterhalb der Kommissuren kann die Entwicklung oder das Fortschreiten einer Aortenklappeninsuffizienz verhindern und das Substrat einer wiederkehrenden Obstruktion eliminieren (Marasini et al. 2003). Bei Patienten, bei denen keine Myektomie durchgeführt wurde, stieg der postoperativ gemessenen Gradient über dem linksventrikulären Ausflusstrakt signifikant stärker an, als dies bei Patienten mit Myektomie der Fall ist (Barkhordarian et al. 2007). Die Frühsterblichkeit ist mit <5% bei einer 15-Jahres-Überlebensrate von >90% äußerst gering (Parry et al. 1999). Die Spätsterblichkeit wird durch anatomische Faktoren beeinflusst, z. B. einen hypoplastischen Aortenanulus oder eine begleitende Mitralstenose (Parry et al. 1999; Serraf et al. 1999b). Die Rate der Freiheit von Re-Operationen wird nach 15 Jahren mit etwa 85% angegeben. Dabei korreliert das Wiederauftreten einer Stenose nach Operation mit einem direkt postoperativ gemessenen Druckgradienten von >30 mmHg. Das mittlere Intervall bis zum Auftreten eines relevanten Druckgradienten, der zur erneuten korrektiven Operation führt, beträgt ungefähr 4 Jahre (Lupinetti et al. 1992; Rayburn et al. 1997). Besteht vor der Operation eine milde oder moderate Aortenklappeninsuffizienz, hat dies einen negativen Einfluss auf die Progression einer postoperativen Aortenklappeninsuffizienz. Deshalb wird bei Auftreten einer Aorteninsuffizienz – unabhängig vom präoperativ gemessenen Druckgradienten – die Resektion der Subaortenstenose empfohlen, um ein Fortschreiten der Klappeninsuffizienz zu verhindern oder die Aortenklappenfunktion mittelfristig zu verbessern (Brauner et al. 1997; Parry et al. 1999). Die höhere Inzidenz eines kompletten AV-Blocks weist auf eine oftmals zu aggressive Vorgehensweise bei ausgedehnter, zirkulärer Myektomie hin. Eine tunnelförmige oder Mehretagensubaortenstenose ist eine anspruchsvolle Variante der linksventrikulären Ausflusstraktobstruktion. Sie kann primär, nach Korrekturoperation komplexer angeborener Herzfehler wie »double outlet right ventricle«, Transposition der großen Arterien, unterbrochener Aortenbogen und kompletter
447 14.4 · Subaortenstenose
AV-Kanal oder nach Resektion einer Subaortenmembran auftreten (Belli et al. 1996; Jonas et al. 1994; Van Arsdell et al. 1995). Idealerweise sollte die Resektion der linksventrikulären Ausflusstraktobstruktion die Aortenklappenfunktion und das Wachstumspotenzial der Aortenklappe erhalten sowie die Wahrscheinlichkeit einer Folgeoperation reduzieren. Von Größe und Funktion der Aortenklappe ist abhängig, welche Operationstechnik angewandt wird bzw. ob eine chirurgische Korrektur überhaupt möglich ist. Bei isolierter oder einfacher Form mit normaler Aortenklappe kann eine ausgedehnte Myektomie effektiv sein. Für komplexe, diffuse Formen mit normaler Aortenklappe erscheint die modifizierte Konno-Operation als Operationsverfahren der Wahl. Sie ist auch bei Säuglingen und Kindern eine sichere Methode. Das Risiko einer Verletzung des Leitungsgewebes ist minimal (Jahangiri et al. 2000). Kinder mit Mehretagenstenosen des linksventrikulären Ausflusstrakts mit subaortaler Einengung und Aortenklappenstenose benötigen evtl. eine initial palliative Operation zur Behebung der kritischen Obstruktion. Dies kann mittels offenem Eingriff oder – bei eingeschränkter linksventrikulärer Funktion – durch eine Ballonvalvuloplastie mit nachfolgender offener Resektion der subaortalen Membran und Myektomie erfolgen. Diese initiale Therapie zielt dabei nur auf eine klinische Befundbesserung ab. Eine mehr oder weniger ausgeprägte residuelle Stenose oder Insuffizienz wird hierbei bewusst in Kauf genommen, um eine extensive Resektion innerhalb des ersten Lebensjahres zu vermeiden. Sind zur Behebung der Obstruktion eine Erweiterung der Aortenwurzel und ein Aortenklappenersatz notwendig, kann dies durch eine Konno-Rastan- oder eine Ross-Konno-Operation geschehen. Die zeitgleich von Konno (Konno et al. 1975) und Rastan (Rastan u. Kaney 1976) beschriebene anteriore Aortoventrikuloplastie kann alle Etagen der linksventrikulären Ausflusstraktstenose beheben und geht mit einem signifikanten Abfall des linksventrikulären Ausflusstraktgradienten sowie einer Verbesserung der linksventrikulären Funktion und der Belastbarkeit (nach NYHA-Klassifikation) einher. Die operative Sterblichkeit dieser Prozedur ist in den vergangenen 2 Jahrzehnten auf <10% gesunken, mit einer 10-Jahres-Überlebensrate von nahezu 90% (Suri et al. 2006). Die Operation wurde entwickelt, um eine definitive Korrektur einer komplexen Ausflusstraktobstruktion zu erzielen. Allerdings bleibt die Re-Operationsrate bezüglich der Aortenklappe relativ konstant, mit einer 10-JahresÜberlebensrate und einer Freiheitsrate von Re-Operationen von jeweils etwa 60–80% (Erez et al. 2002; Suri et al. 2006). Neben dem Risiko einer Thrombose oder Endokarditis wird das Re-Operationsrisiko durch eine Obstruktion der Prothese durch einwachsendes Bindegewebe (Pannus) sowie durch ein Missverhältnis zwischen Patient und Prothese aufgrund des somatischen Größenwachstums bestimmt. Die Pannusbildung wird gerade bei Patienten mit kleinen Prothesen besonders häufig gesehen. Aber auch bei Kin-
dern, denen hinsichtlich ihrer Körpergröße ausreichend große Klappen implantiert werden, besteht dieses Risiko, was auf die vermehrte Pannusbildung im Kindesalter zurückzuführen ist. Die Implantation einer übergroßen Prothese kann jedoch das Risiko der Einengung des nativen Pulmonalklappenanulus oder des Eindrückens der Pulmonalklappe oder der rechten Koronararterie mit sich bringen. Wann immer möglich, sollte man eine Prothese mit einem Durchmesser von mindestens 21 mm einsetzen, da durch das Größenwachstum sonst zwangsläufig ein »mismatch« zwischen Patient und Prothese entsteht. In diesem Fall kommt es trotz normaler Klappenfunktion zu einem erhöhten Gradienten. Bei der Konno-Operation besteht ebenfalls ein nicht zu vernachlässigendes Risiko pulmonaler Komplikationen. Diese werden auf eine initiale Verletzung der Pulmonalklappe, eine Unterbrechung des subpulmonalen muskulären Konus oder eine Verziehung des Pulmonalklappenanulus durch den rechtsventrikulären Ausflusstraktflicken zurückgeführt. Die Pulmonalklappe ist während dieser Prozedur für eine Verletzung sehr anfällig. Dies liegt am unzureichenden Raum zwischen rechtskoronarem Ostium und rechts-links-koronarer Kommissur der Aortenklappe. Im Bestreben, eine Koronarverletzung zu vermeiden, platziert der Chirurg seine Inzision durch den Aortenklappenanulus so nahe wie möglich an der rechts-links-koronaren Kommissur. Dabei wird jedoch eine Verletzung der Pulmonalklappe riskiert. Ein weiteres Problem der KonnoProzedur besteht im Auftreten eines kompletten AV- Blocks mit einer Inzidenz von ungefähr 10% (De Vivie et al. 1993). Die Erholung der Ventrikelfunktion nach einer KonnoOperation verläuft ähnlich wie nach alleiniger Aortenklappenersatzoperation (Sharma et al. 2004). Bei Kindern stellt die Konno-Operation eine effektive Methode zur Erweiterung einer Mehretagenobstruktion des linksventrikulären Ausflusstrakts dar. Die Morbidität scheint allerdings etwas höher zu sein als bei der Ross-Konno-Operation. Ist dabei die Implantation einer auch für das Erwachsenenalter ausreichend großen Prothese nicht möglich, sollte eher eine Ross-Konno-Operation in Betracht gezogen werden. Die Ross-Konno-Operation ist eine exzellente Methode, um eine Mehretagenstenose des linksventrikulären Ausflusstrakts beim Neugeborenen oder Säugling mit signifikanter anulärer und subanulärer Hypoplasie zu beheben. Neuerdings wird die Ross-Konno-Prozedur auch bei Patienten mit unterbrochenem Aortenbogen und schwerer Subaortenstenose, stark hypoplastischem Aortenanulus und bikuspider Aortenklappe als initiale Korrekturoperation gewählt. Eine weitere Indikation ist bei Neugeborenen und Säuglingen mit kritischer Aortenstenose gegeben, bei denen durch offene Valvulotomie oder Ballonvalvuloplastie keine akzeptablen Ergebnisse erzielt werden konnten. Bei einigen Neugeborenen mit kritischer Aortenstenose, hypoplastischem Aortenanulus und signifikanter Endokardfibroelastose kann die Ross-Konno-Operation in Verbin-
14
448
14
Kapitel 14 · Angeborene Anomalien des linksventrikulären Ausflusstrakts
dung mit einer Resektion der Endokardfibroelastose eine eventuelle univentrikuläre Palliation verhindern. Dabei erlaubt dieser Eingriff einen einfachen Zugang zum linksventrikulären Kavum. Die Resektion einer Endokardfibroelastose sowie die Normalisierung des linksventrikulären Ausflusstrakts und der Längachse des linken Ventrikels lassen sich auf diese Weise erreichen. Die Art der Erweiterung des linksventrikulären Ausflusstrakts hängt von der evtl. Präsenz eines großen Ventrikelseptumdefekts oder dem Ausmaß der Größenunterschiede von Aorten- und Pulmonalklappe ab. Wenn ein großer Ventrikelseptumdefekt vorhanden ist, wird die Inzision des infundibulären Septums zum Ventrikelseptumdefekt erweitert. Mit dem Flickenverschluss des Kammerscheidewanddefekts erfolgt gleichzeitig auch die Erweiterung des Ausflusstrakts, und zwar bevor das Autograft eingesetzt wird. Besteht eine primär muskuläre Obstruktion, kann die Ventrikuloplastikinzision auch durch einen etwas größer belassenen Randsaum des pulmonalen Autografts erweitert werden. Liegt ein deutliches Missverhältnis zwischen Pulmonalklappenanulus und stark hypoplastischem Aortenanulus vor (Durchmesser von ≤4 mm), ist u. U. auch die Exzision bzw. Re-Implantation der Koronarostien schwieriger, da eine ausgedehnte Erweiterung des Aortenklappenanulus nötig ist und die Koronararterien nach Rekonstruktion näher beieinander liegen. Außerdem geht dies oft mit einer schweren Aortenbogenhypoplasie, einer Aortenisthmusstenose und einem großen Ventrikelseptumdefekt einher. Bei diesen Patienten ist eine modifizierte Norwood-Operation mit Rastelli-Modifikation und Tunnelung des Ventrikelseptumdefekts zur Pulmonalklappe einfacher durchzuführen. In allen Fällen sollte jedoch eine Erweiterung des Ventrikelseptumdefekts durchgeführt werden, um das Entstehen einer Restriktion der Pulmonalarterie zu vermeiden (Serraf et al. 1999a). Die Ross-Konno-Operation kann mit einer Sterblichkeit von <5% und einer geringen Morbidität durchgeführt werden. Als Frühkomplikation werden v. a. Arrhythmien (therapieresistente ventrikuläre oder supraventrikuläre Tachykardien) beschrieben. Die Inzidenz eines kompletten AV-Blocks beträgt 0–6% (Marino et al. 1999). Die Freiheitsrate von ReOperationen nach 5 Jahren beläuft sich auf etwa 60–70%. Bei kleineren Kindern sind die Abstände zur Re-Operation aufgrund eines frühzeitigeren Homograftversagens etwas kürzer. Dabei beeinflusst die Wahl des Conduits die Notwendigkeit eines späteren Ersatzes. Pulmonale Homografts sind aortalen und im Durchmesser größere Homografts sind den kleineren hinsichtlich Langlebigkeit prognostisch überlegen. Aus diesen Gründen wird versucht, ein möglichst großes, pulmonales Homograft zu implantieren. Es gibt allerdings auch Nachteile der Ross-Konno-Operation. Es liegt in der Natur des Eingriffs, bei einer Einklappenerkrankung möglicherweise 2 Klappen zu gefährden. Andererseits ist das pädiatrische Patientenkollektiv nicht für eine klassische Konno-Operation geeignet, da die anatomischen Voraussetzungen nicht bestehen und die benötigten
Prothesengrößen derzeit nicht verfügbar sind. Gerade bei noch im Wachstum befindlichen Patienten ist das Risiko einer Austauschoperation des pulmonalen Conduits sehr hoch. Jedoch ist ein Conduit-Ersatz weit weniger schwierig als ein wiederholter Aortenwurzelersatz. Bei allem Optimismus bezüglich der Anwendung der Ross-Konno-Prozedur müssen auch die derzeit noch fehlenden Langzeitergebnisse des pulmonalen Autografts in Aortenposition in Betracht gezogen werden. Die kurzfristigen Ergebnisse bestätigen dem pulmonalen Autograft eine gute Haltbarkeit ohne Entwicklung einer Aortenstenose, einer Aorteninsuffizienz oder einer progredienten Dilatation des Aortenklappenanulus. Die Erweiterung des Aortenanulus geht mit dem somatischen Wachstum einher. Jedoch ist unklar, ob eine im jungen Alter durchgeführte Ross-Konno-Operation tatsächlich den natürlichen Verlauf der komplexen linksventrikulären Ausflusstraktstenose beeinflusst. Ebenso ist bisher noch nicht bekannt, ob das Risiko einer späteren Re-Operation an der Neoaortenklappe höher ist, wenn der Eingriff beim Neugeborenen, beim Säugling oder beim Kleinkind durchgeführt wurde. Die dabei zugrunde liegende Pathologie könnte in einer sich über die Zeit entwickelnden Aortenwurzeldilatation oder in einer Klappenverziehung begründet sein. Erfahrungen nach arterieller Switch-Operation bei Transposition der großen Arterien zeigen, dass sich die neonatale Pulmonalklappe sehr schnell der veränderten Physiologie in Aortenposition anpassen kann. Die langfristige Veränderung der linksventrikulären Mechanik muss noch in weiteren Studien evaluiert werden. ! Trotz der technisch sehr anspruchsvollen Operation bleibt die Ross-Konno-Prozedur bei Mehretagenstenosen des linksventrikulären Ausflusstrakts die Behandlungsmethode der Wahl, speziell bei Neugeborenen und Säuglingen (Brown et al. 2006; Hraska et al. 2004; Marino et al. 1999; Ohye et al. 2001).
Die linksventrikuläre septale Myektomie bei symptomatischen Patienten mit schwerer hypertropher obstruktiver Kardiomyopathie geht mit exzellenten Ergebnissen einher. Nach einer Korrekturoperation kann eine signifikante und anhaltende Verbesserung hinsichtlich der Symptome und der Belastbarkeit erwartet werden. Die Operation wird in größeren Zentren mit einer niedrigen operativen Letalität (1–3%) bei Patienten jeden Alters durchgeführt. Das operative Risiko kann bei Patienten mit bereits vorangegangener Myektomie und solchen, bei denen noch assozierte Herzfehler korrigiert werden müssen, erhöht sein. Komplikationen wie ein kompletter AV-Block, der die Implantation eines permanenten Schrittmachers erforderlich macht, oder die akzidentelle Perforation des Ventrikelseptums werden heutzutage nur noch sehr selten (etwa 1–2%) gesehen. Ein kompletter Linksschenkelblock oder partielle Hemiblockbilder sind nach ausgiebiger Myektomie unvermeidbar, gehen aber nicht mit nachteiligen Effekten einher.
449 14.5 · Supravalvuläre Aortenstenose
Die intraoperative Echokardiographie ist die diagnostische Methode der Wahl zur Abschätzung des Ausmaßes und der Lokalisation der durchzuführenden Myektomie, zur Abklärung der Mitralklappenstruktur sowie zur Evaluation des Effekts der muskulären Resektion auf die systolische Vorwärtsbewegung der Mitralklappe bzw. einer evtl. postoperativ bestehenden Mitralklappeninsuffizienz. Sie wird entweder transösophageal oder über einen direkt auf das rechte Herz aufgesetzten Schallkopf durchgeführt (Maron et al. 2003). Die Inzidenz eines wiederkehrenden linksventrikulären Ausflusstraktgradienten beträgt <5%. Dabei ist die rezidivierende Einengung mit einer eingeschränkten oder nur unzureichend durchgeführten Myektomie im Rahmen der primären Operation, mit einer ventrikulären Obstruktion durch Anomalien der Papillarmuskeln und mit dem Umbau der Ventrikelhöhle (Remodeling) korreliert. Das Wiederauftreten einer linksventrikulären Ausflusstraktobstruktion nach erfolgreich durchgeführter Myektomie ist bei pädiatrischen Patienten häufiger zu beobachten (Theodoro et al. 1996). Die Ursachen können einen operationstechnischen Aspekt haben. So kann eine ausgiebige septale Resektion durch eine kleinkalibrige Aorta und die dadurch limitierte Einsicht in die mittventrikuläre Region eingeschränkt sein. Auch stellt u. U. das Remodeling des linken Ventrikels nach einer solchen Operation, welche die Wanddicke der gesamten Kavität des linken Ventrikels beeinflusst, eine weitere Erklärung für die erhöhte Re-Operationsrate bei pädiatrischen Patienten dar (Maron u. Spirito 1998). Die wiederholte Myektomie ist heute durchaus mit exellenten Resultaten durchzuführen. Ein Mitralklappenersatz ohne zugrunde liegende Mitralklappenerkrankung wird selbst bei relativ schmalem Ventrikelseptum nicht empfohlen. Eine sorgfältig durchgeführte Reduktion des septalen Muskels wird als die erfolgversprechendere Methode angesehen. Die Re-Operationsrate sollte künftig durch Anwendung der aktuellen chirurgischen Behandlungsstrategien wie extensivere Resektion des mittmuskulären Septums und Behebung von Papilarmuskelanomalien sowie durch die standardmäßig bereits intraoperativ durchgeführte Kontrollechokardiographie gesenkt werden.
14.5
Supravalvuläre Aortenstenose
14.5.1.1
Einleitung
Die supravalvuläre Aortenstenose stellt zwar eine komplexe Anomalie der gesamten Aortenwurzel dar, die dominierende Stenose liegt jedoch auf Höhe des sinutubulären Übergangs. Mit etwa 5–8% aller Patienten mit linksventrikulärer Ausflusstraktstenose ist sie die am wenigsten häufige Form (Samanek et al. 1989). Die angeborene supravalvuläre Aortenstenose geht ursächlich auf heterozygote Mutationen des Elastingens zurück, das in der Chromosomenregion 7q11.23 liegt (Keating 1995). Bei Patienten mit Williams-
Beuren-Syndrom ist das Elastingen – zusammen mit einer Anzahl von Nachbargenen – zerstört und unterbrochen, was in der Gesamtheit zu den verschiedenen Merkmalen des Syndroms führt (Elfengesicht, leichte geistige Retardierung, Hyperkalzämie; Nickerson et al. 1995). Dagegen ist bei Patienten mit familiärer supravalvulärer Stenose (NichtWilliams-Syndrom) nur das Elastingen von einer Punktmutation betroffen, was zu seinem Funktionsverlust führt (Chowdhury u. Reardon 1999). Bei Patienten mit neu aufgetretener supravalvulärer Stenose trägt entweder ein Familienmitglied eine Mutation des Elastingens ohne Veränderung des Phänotyps oder aber der Elastingendefekt ist bei dem Patienten neu aufgetreten (Keating 1995). Der daraus resultierende Mangel der Elastinexpression während der Entwicklung geht mit einer erhöhten Anzahl von Elastinlamellen sowie einer exzessiven Akkumulation von Kollagen und glatten Muskelzellen in der Gefäßwand einher. Dies führt zur Ausbildung extrem verdickter und rigider arterieller Gefäße (Li et al. 1998; O’Connor et al. 1985). Die Elastinarteriopathie ist dabei kein lokalisierter Prozess, sondern eher eine generalisierte Erkrankung des System- und Pulmonalarteriengefäßbetts (Stamm et al. 1997, 2001). 14.5.1.2
Anatomie
Die supravalvuläre Aortenstenose wird in einen komplexen bzw. diffusen (23%) und einen lokalisierten Typ (77%) eingeteilt. Der lokalisierte Typ ist durch eine ausgeprägte Einengung des sinutubulären Übergangs charakterisiert. Dabei kann der Außendurchmesser der Aorta normal oder aber verkleinert sein, was evtl. zu einer uhrglasähnlichen Erscheinung der Aorta ascendens führt. Die Koronararterien können in diesem Fall aufgrund des erhöhten systolischen Drucks proximal des sinutubulären Übergangs entweder dilatiert oder wegen der Verdickung und der unregelmäßigen Einziehungen der Sinus Valsalvae stenotisch sein. Zudem sind atherosklerotische Veränderungen der Koronararterien möglich. Manchmal kommt es zu Verklebungen der freien Ränder der Aortenklappentaschen mit dem sinutubulären Übergang, was u. U. in einer Abtrennung der Koronararterien vom Lumen der Aorta resultiert. Bei fast der Hälfte aller Fälle ist die Aortenklappe verändert. Dabei werden verdickte Aortenklappentaschen und eine Aortenklappeninsuffizienz infolge eines erhöhten systolischen Drucks oder aufgrund einer bikuspiden Aortenklappenanlage beobachtet (Stamm et al. 1997; van Son et al. 1994b). Bei der komplexen Form können die gesamte aszendierende Aorta und die supraaortalen Äste verdickt und mit einem eingeengten Lumen imponieren. Der supravalvuläre Truncus pulmonalis sowie die zentralen und peripheren Pulmonalarterien sind evtl. ebenfalls stenosiert. 14.5.1.3
Pathophysiologie
Die Pathophysiologie der supravalvulären Aortenstenose gleicht derjenigen anderer angeborener Aortenstenosen. Schon während der frühen Kindheit bestehen meist eine
14
450
Kapitel 14 · Angeborene Anomalien des linksventrikulären Ausflusstrakts
. Abb. 14.19. Behandlungsstrategie bei supravalvulärer Aortenstenose am Deutschen Kinderherzzentrum St. Augustin
linksventrikuläre Hypertrophie, ischämische Myokardveränderungen aufgrund von Stenosen der Koronarostien und eine durch die arterielle Hypertonie induzierte Koronararteriensklerose, welche im weiteren Verlauf durchaus progredient sein kann (van Son et al. 1994b). Das Risiko von Kammerflimmern und eines plötzlichen Herztods in einer Phase der myokardialen Hypofusion ist bei dieser Form größer als bei anderen Formen der linksventrikulären Ausflusstraktobstruktion (van Son et al. 1994a). Im Fall einer Pulmonalarterienstenose kann sich eine rechtsventrikuläre Hypertension und konsekutiv eine Hypertrophie des Myokards entwickeln.
progredienter Koronararteriensklerose, Schädigung der Aortenklappe und dem hohen Risiko eines plötzlichen Herztodes ist ein sehr guter Grund, eine Korrektur durchzuführen, und zwar schon bevor die ventrikuläre Hypertrophie schwerwiegend wird. Dabei stellen ein maximaler Dopplerdruckgradient von >40 mmHg, eine Aortenklappeninsuffizienz und ein eingeschränkter koronarer Blutfluss klare Indikationen zur chirurgischen Intervention dar (. Abb. 14.19).
Klinisches Bild und Diagnostik
Hierfür stehen mehrere Techniken zur Auswahl. Durch eine einfache, asymmetrische Patch-Augmentation nur des nonkoronaren Sinus und die Resektion der stenotischen Leiste auf Höhe des sinutubulären Übergangs wird die Einengung auf Ebene der Klappentaschenaufhängungspunkte, die durch die verdickte Aortenwand bedingt ist, nicht angegangen (. Abb. 14.20a). Daher wird diese Methode, wenn überhaupt, nur noch selten angewendet. Derzeit wird eine symmetrische anatomische Rekonstruktion der Aortenwurzel unter Einbeziehung aller befallenen Sinus Valsalvae bevorzugt. Das Risiko der Entstehung einer bedeutsamen Aortenklappeninsuffizienz ist trotz signifikanter Erweiterung des Diameters des sinutubulären Übergangs minimal. Alle Techniken werden mit Hilfe der Herz-Lungen-Maschine und bei Herzstillstand durchgeführt. Sollte eine Rekonstruktion des Aortenbogens oder der subaortalen Äste erforderlich sein, kommen die tiefe Hypothermie und der Kreislaufstillstand oder alternativ der hypotherme »Lowflow«-Bypass mit direkter Perfusion der Kopfgefäße zum Einsatz.
14.5.1.4
14
Die supravalvuläre Aortenstenose kann als isolierter Defekt oder als Teil des Williams-Beuren-Syndroms (mit mentaler Retardierung, Gedeihstörungen sowie vereinzelt auch Hyperkalzämien) auftreten (Williams et al. 1961; Beurens et al. 1961). Das klinische Bild entspricht demjenigen anderer Formen der linksventrikulären Ausflusstraktobstruktion. Eingeschränkte Belastbarkeit, Synkopen und pektanginöse Beschwerden können im Verlauf zunehmen und dann auch mit einer nachweisbaren Myokardischämie oder einem Herzversagen einhergehen. Die Echokardiographie ist in vielen Fällen diagnostisch wegweisend, kann aber bei der komplexen Form der supravalvulären Aortenstenose mit Einbeziehung der Aorta ascendens, des Aortenbogens und der Kopfgefäße unzureichend sein. Zur Klärung eventueller Veränderungen dieser Strukturen und um eine u. U. vorhandene Pulmonalarterienstenose darzustellen, ist eine Herzkatheteruntersuchung indiziert. Wenn ein Anhalt für eine Obstruktion der Koronarostien besteht, sollte eine Koronarangiographie mit großer Sorgfalt durchgeführt werden. Die Magnetresonanztomographie kann ggf. eine attraktive Alternative zur invasiven Angiographie darstellen. 14.5.1.5
Indikation zur chirurgischen Korrektur
Der typischerweise rasch mit einer klinischen Verschlechterung einhergehende Verlauf dieser Erkrankung mit
14.5.1.6
Chirurgische Korrektur und symmetrische Rekonstruktion einer verzogenen Aortenwurzel
Reithosenplastik Bei der Reithosenplastik (. Abb. 14.20b) wird die Aorta ascendens umgekehrt Y-förmig inzidiert, wobei man den Schnitt über die verdickte sinutubuläre Leiste in den rechten und nonkoronaren Sinus führt. Dabei ist es wichtig,
451 14.5 · Supravalvuläre Aortenstenose
vom Ursprung der rechten Koronararterie entfernt zu bleiben. Nun wird ein autologer oder boviner Perikardflicken reithosenförmig zugeschnitten. Die natürlich ausladende Form des Sinus Valsalvae sollte man dabei nachbilden. Die Spitzen der Hosenbeine kommen nahe der Aortenklappenaufhängung zu liegen. Anschließend wird der Patch in die beiden anterior gelegenen Sinus Valsalvae und die Aorta ascendens eingenäht (Doty et al. 1977). Als Weiterentwicklung dieser Doty-Technik kann man mit der Reithosenplastik durch kommissurnahes Einschneiden auch des linkskoronaren Sinus und Versetzen der Kommissur von links- bzw. rechtskoronar nach ventral eine symmetrische Rekonstruktion erzielen (Brom 1988; Myers et al. 1993).
a
b
Symmetrische 3-Flicken-Technik Bei ausgeprägter Einengung des linkskoronaren Sinus ist die 3-Flicken-Technik (. Abb. 14.20c) vorzuziehen. Dabei wird die Aorta direkt oberhalb der Kommissuren durchtrennt. Vertikale Inzisionen erfolgen in alle 3 Sinus, wobei man vom Ursprung der Koronararterien Abstand hält. Dann werden 3 tränenförmige Flicken in die Sinus Valsalvae eingenäht. Die Aorta ascendens wird ventral longitudinal eröffnet und mit einem weiteren Patch – dem Diameter der bereits rekonstruierten Aortenwurzel entsprechend – augmentiert und anastomosiert (Brom 1988). Dabei ist es wichtig, die Flicken nicht zu breit anzufertigen, um eine Abscherung der Kommissuren mit konsekutiver Klappeninsuffizienz zu verhindern.
Symmetrische Rekonstruktionstechnik ohne Flicken Bei der symmetrischen Rekonstruktionstechnik ohne Flicken (. Abb. 14.20d) erfolgt die Durchtrennung der Aorta an ihrer engsten Stelle oberhalb der Kommissuren. Der verdickte Bereich der distalen Aorta wird vollständig herausgeschnitten. Anschließend werden – in ähnlicher Weise wie bei der 3-Flicken-Technik – 3 vertikale Inzisionen in allen 3 Sinus Valsalvae gesetzt. Hierbei ist darauf zu achten, von den Koronarostien entfernt zu bleiben, indem die Schnitte nicht im Mittelpunkt der Sinus zu liegen kommen (. Abb. 14.20e). Komplementär werden 3 vertikale, um 60° versetzte Inzisionen in der distalen Aorta ascendens angelegt. Dieses Manöver erlaubt bei Re-Anastomosierung der Aorta eine Verzahnung der proximalen und distalen Lappen, weshalb diese nunmehr zickzackförmige Anastomose der Aortenwurzel ganz ohne prothetisches Material auskommen kann (Myers et al. 1993). 14.5.1.7
Vorgehen bei der komplexen Form
Bei der komplexen bzw. diffusen Form der supravalvulären Aortenstenose sollte die Erweiterung der Aorta bis in die Aorta ascendens oder – falls erforderlich – auch darüber hinaus durchgeführt werden, um den Druckgradienten zu beseitigen. Dafür wird ein Perikardflicken über die gesamte Aorta ascendens bis in den Aortenbogen und ggf. bis distal des Ursprungs der A. subclavia sinistra geführt, falls eine
c
d
e . Abb. 14.20a–e. Chirurgische Techniken zur Behebung einer supravalvulären Aortenstenose. a Erweiterung des nonkoronaren Sinus mit einem rauten- oder tropfenförmigen Patch; b Insertion eines reithosenförmigen Flickens zur Erweiterung des rechts- und des nonkoronaren Sinus (Doty-Plastik); c Durchtrennung der Aorta ascendens und Erweiterung alle Sinus mittels Patch und Re-Anastomosierung der Aorta (Brom-Technik); d Durchtrennung der Aorta ascendens, Inzision aller Sinus und der den Kommissuren der Aortenklappe komplementären Aorta ascendens sowie direkte Re-Anastomosierung; e Inzisionen in der Aortenwurzel. LC linke Koronararterie; RC rechte Koronararterie
14
452
Kapitel 14 · Angeborene Anomalien des linksventrikulären Ausflusstrakts
Hypoplasie in diesem Bereich vorliegt. In vielen Fällen einer komplexen supravalvulären Aortenstenose sind auch die Abgänge der supraaortalen Äste betroffen, was mit einem erhöhten Risiko einer zerebralen Ischämie einhergeht. Eine Flickenerweiterung kann in diesem Fall auch die proximalen, supraaortalen Gefäße mit einschließen (Pretre et al. 1999). Bei einigen Patienten ist eine komplexe Aortenbogenrekonstruktion mit einer Kunststoffprothese (Aszendens-Deszendens-Conduit) und Re-Implantation der supraaortalen Äste erforderlich (7 Kap. 19). 14.5.1.8
14
Diskussion
Die angeborene supravalvuläre Aortenstenose darf nicht als isolierte Pathologie ausschließlich dieser Region verkannt werden. Die zugrunde liegende Elastinarteriopathie stellt eine generalisierte Erkrankung der Pulmonal- und Systemarterien dar. Des Weiteren hat die supravalvuläre Stenose tiefgreifende Auswirkungen auf die Architektur und die Funktion der Aortenklappe selbst. Zusätzlich zur linksventrikulären Nachlaststeigerung besteht immer auch das Risiko einer Myokardischämie aufgrund einer hypertonieinduzierten, vorzeitigen Atherosklerose oder einer Obstruktion des koronaren Blutflusses als Folge einer Malformation der Aortenwurzel. Sowohl der Zeitpunkt als auch alle beschriebenen Einflussfaktoren müssen in die Indikationstellung zur operativen Korrektur mit einfließen, um langfristig ein optimales Ergebnis zu erreichen (Stamm et al. 1997, 2001). Eine adäquate Behandlung sollte die Erhaltung und Wiederherstellung von Aortenklappe und -wurzel anstreben und nicht lediglich die supravalvuläre Stenose beseitigen. Eine symmetrische Rekonstruktion, die alle 3 Sinus mit einbezieht, resultiert sowohl in einer verbesserten Hämodynamik als auch in einem deutlich physiologischeren Flussmuster. Dies geht konsekutiv mit einer geringeren Sterblichkeit und einer niedrigeren Re-Operationsrate einher als die alleinige, asymmetrische Augmentation des nonkoronaren Sinus. Um die Entstehung einer Aorteninsuffizienz infolge eines »oversizing« der rekonstruierten Sinus zu vermeiden, kann eine adäquate Flickengröße unter Zuhilfenahme von Normwerttabellen hinsichtlich Größe und Gewicht der Aortenwurzel ermittelt werden. In den meisten Fällen reicht es jedoch aus, den Durchmesser der Aortenklappe dem der distalen Aorta anzugleichen (Hazekamp et al. 1999; Stamm et al. 1999, 2001). Dabei ist auch die Behandlung eventueller Anomalien der Aortenklappe, der Subaortenregion oder der Koronararterien für das Langzeitergebnis dieser Patienten entscheidend (McElhinney et al. 2000). Eine Aortenklappenstenose als Folge einer abnormen Anzahl an Klappentaschen wird bei rund 1/3 aller Patienten mit supravalvulärer Aortenstenose beobachtet. Degenerative Veränderungen der Klappe sind häufig und basieren wahrscheinlich auf vermehrten Scherkräften und einer Einengung der Klappentaschen bei eingeschränkter Dehnbarkeit des sinutubulären Übergangs (Braunstein et al.
1990). Die Rekonstruktion der Klappe ist hierbei unumgänglich. Ist eine Aortenklappenrekonstruktion nicht erfolgversprechend, kann eine Ross-Operation die Methode der Wahl darstellen. Gleichfalls kann eine Stenose bzw. Atresie eines Koronarostiums oder der proximalen Koronararterie auftreten. Dies bedingt ggf. eine Ostiumendarteriektomie, eine Patch-Erweiterung der Ostien oder eine aortokoronare Bypassoperation (Martin et al. 1988). Die frühzeitige chirurgische Behandlung ist insofern erforderlich, als dass eine progrediente Koronararterienerkrankung mit schwerwiegenden ischämischen Effekten auf das hypertrophierte Myokard und eine potenzielle Dissektion der Aorta ascendens oder der Koronararterien verhindert werden (van Son et al. 1994b). Jegliche Behinderung des Blutflusses in beiden Herzkranzarterien sollte präoperativ identifiziert und intraoperativ durch die Prüfung der Sondendurchgängigkeit verifiziert werden. Bei der komplexen supravalvulären Stenose können eine Vergrößerung der Aorta und eine ausgedehnte Endarteriektomie der Aorta ascendens – wenn nötig auch darüber hinaus – erforderlich sein, um den Druckgradienten zu beheben. Das Langzeitüberleben der Patienten mit diffuser, komplexer supravalvulärer Aortenstenose entspricht dem bei der einfachen Form, wenn auch das Operationsrisiko erhöht ist (Stamm et al. 1999). Bei einem Teil der Patienten mit Williams-Beuren-Syndrom oder anderen Formen der Elastinarteriopathie bestehen zusätzlich zur supravalvulären Aortenstenose Stenosierungen der Pulmonalarterien. In solchen Fällen kann durch eine Pulmonalarterienflickenerweiterung vom rechten bis zum linken Hilus meist ein gutes Langzeitergebnis erwartet werden. Patienten mit generalisierter obstruktiver Arteriopathie mit sowohl System- als auch Pulmonalarterienstenosen und suprasystemischem rechtsventrikulären Druck sollten einer präoperativen Ballondilatation dieser peripheren und zentralen Pulmonalarterienstenosen zugeführt werden, um die rechtsventrikuläre Druckbelastung zu reduzieren und so das Risiko einer Myokardischämie während der chirurgischen Korrektur zu minimieren (Stamm et al. 2000). Bei bis zu 30% der Patienten mit supravalvulärer Aortenstenose wird zudem eine schwerwiegende Wandverdickung der infradiaphragmalen Arterien mit lokalisierten Stenosen der Mesenterial- und Renalgefäße festgestellt (Rein et al. 1993; Zalzstein et al. 1991). Hierbei ist es wichtig, begleitende Stenosen schon vor der Korrekturoperation der supravalvulären Aortenstenose zu diagnostizieren, um mögliche Konsequenzen einer peri- oder postoperativen Hypofusion der abdominalen Organe zu minimieren (Stamm et al. 2001). Diese schweren, generalisierten Formen, die auch mit einer Aortenklappenerkrankung einhergehen, korrelieren nicht nur mit einer erhöhten Re-Operationrate, sondern auch mit einer erhöhten Spätsterblichkeit. Die 20-Jahres-Überlebensrate beträgt 70–97%, die Freiheitsrate von Re-Operationen etwa 65%. Dabei beziehen sich die Re-Operationen
453 14.6 · Sinus-Valsalvae-Aneurysma
eher auf Aortenklappenvitien als auf eine rezidivierende supraaortale Stenose. Die Lebensqualität der Patienten ist generell gut, wobei sich der Großteil der Betroffenen in der NYHA-Klasse I befindet (Brown et al. 2002; Hazekamp et al. 1999; Stamm et al. 1999; van Son et al. 1994a).
14.6
Sinus-Valsalvae-Aneurysma
14.6.1.1
Einleitung und Anatomie
Die Wand der Sinus Valsalvae ist dünner als jene der distalen Aorta und kann daher Ausgangspunkt verschiedener Anomalien sein. Die häufigste stellt das Sinus-ValsalvaeAneurysma dar. Aneurysmen sind dünnwandige Aussackungen, die sich häufig auch in andere Herzkammern fortsetzen, entweder als direkte Verbindung oder als windsackartige Ausziehung ohne Verbindung zur benachbarten Struktur. Da die 3 Sinus fast ausschließlich intrakardial gelegen sind, bestimmt ihre topographische Beziehung zu den Nachbarstrukturen (. Abb. 14.21) Richtung, Ausdehnung und Ort einer drohenden Perforation. Die Aneurysmen sind entweder angeboren oder erworben und histologisch durch ein Fehlen der elastischen Lamellen der Media der Aortenwand charakterisiert (Edwards u. Burchell 1957). Bei einem Großteil der Patienten mit angeborenem Sinus-Valsalvae-Aneurysma entspringt dieses dem rechtskoronaren Sinus und perforiert den rechten Ventrikel oder reicht von der rechten Hälfte des nonkoronaren Sinus in den rechten Vorhof. Aneurysmen des linkskoronaren Sinus sind sehr selten. Sie treten entweder in den Herzbeutel oder aber in das linke Atrium ein. Ein Aneurysma, welches dem anterioren Teil des linken Sinus entspringt, kann die linke Koronararterie komprimieren oder die Pulmonalarterie perforieren. Ungefähr die Hälfte aller Patienten haben assoziierte Defekte. Am häufigsten findet sich, speziell in der asiatischen Bevölkerung, ein Ventrikelseptumdefekt, eine
Aortenklappeninsuffizienz oder eine bikuspide Aortenklappe (Chu et al. 1990). Aneurysmen können auch erworben sein und auf dem Boden einer Aortenklappenendokarditis, einer Atherosklerose, eines Dezelerationstraumas oder einer Bindegewebeerkrankung wie dem Marfan- oder dem Ehlers-DanlosSyndrom entstehen (Harkness et al. 2005). Bei letzteren Erkrankungen bestehen jedoch regelhaft aneurysmatische Erweiterungen aller 3 Sinus, und man sollte zur besseren Unterscheidung vom Sinus-Valsalvae-Aneurysma vom Aortenwurzelaneurysma sprechen. 14.6.1.2
Pathophysiologie, klinisches Bild und Diagnostik
Die Pathophysiologie ergibt sich entweder aus der Lokalisation der Perforation oder der Kompression benachbarter Strukturen. Üblicherweise rupturiert das Sinus-ValsalvaeAneurysma in eine Niedrigdruckkammer, was in einem Links-rechts-Shunt resultiert. Die Kompression der Koronarien durch das Aneurysma kann pektanginöse Beschwerden, Arrhythmien oder einen Myokardinfarkt verursachen. Extrakardiale Perforationen, die typischerweise mit erworbenen Aneurysmen des Sinus Valsalvae in Zusammenhang stehen, führen in der Regel zu einer akuten und üblicherweise tödlich verlaufenden Herzbeuteltamponade (Brabham u. Roberts 1990). Die meisten Patienten sind bis zur Ruptur asymptomatisch. Diese kann zu jedem Zeitpunkt eintreten, ist jedoch im jungen Erwachsenenalter häufiger als in der Kindheit. Ein präexistentes Aneurysma kann im Rahmen intensiver physischer Aktivität rupturieren (Ferreira et al. 1996). Bei nur kleiner Perforation kann eine Ruptur unbemerkt bleiben. Eine ausgedehnte Perforation, die bis in den rechten Vorhof reicht, geht immer mit den klinischen Symptomen einer akuten Verschlechterung einher (Dyspnoe, Stenokardie, systolisch-diastolisches Herzgeräusch), was u. U. zu einer akuten Dekompensation führt. Nicht selten entwickelt sich im weiteren Verlauf eine bakterielle Endokarditis.
Die Echokardiographie kann zuverlässig die betroffenen Sinus und die Lokalisation der Perforation identifizieren, eine Aussage über das Ausmaß der Aortenklappeninsuffizienz ermöglichen und assoziierte Herzfehler darstellen. Auch die Magnetresonanztomographie ist hochsensibel und zur Diagnostik bei Sinus-Valsalvae-Aneurysma geeignet (Parissis et al. 2004). Eine Herzkatheteruntersuchung ist nur bei Ischämiezeichen indiziert. 14.6.1.3
. Abb. 14.21. Position der Sinus Valsalvae in Beziehung zu den Herzhöhlen und Perforation eines Aneurysmas, ausgehend vom rechtskoronaren Sinus, in den rechten Vorhof
Indikation zur chirurgischen Korrektur
Die Perforation des Aneurysmas stellt – unabhängig von der klinischen Symptomatik – eine klare Indikation zur Korrektur dar, um die Entwicklung eines höhergradigen Links-rechts-Shunts und eines kongestiven Herzversagens zu verhindern. Die Korrekturoperation ist selbst bei nichtrupturierten, asymptomatischen Sinus-Valsalvae-Aneurys-
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454
Kapitel 14 · Angeborene Anomalien des linksventrikulären Ausflusstrakts
men indiziert, um die zahlreichen Komplikationen, die mit einer fortschreitenden Erkrankung einhergehen, zu verhüten. Eine Perikardtamponade ist eine echte Notfallindikation. Die Richtlinien zur chirurgischen Korrektur sind weniger klar definiert als für eine einfache Aortenwurzeldilatation. Bei schwerer Dilatation der Aortenwurzel und damit einhergehender Aortenklappeninsuffizienz gelten dieselben Empfehlungen wie bei Aortenklappeninsuffizienz (s. oben, 14.3.4). Eine weitere Indikation zur chirurgischen Korrektur ist der vergrößerte Diameter der Aortenwurzel. Überschreitet er (wie auch der Durchmesser der tubulären Aorta) das kritische Maß von 5 cm, ist das Risiko einer Ruptur signifikant erhöht. Man kann diese Grenze auch niedriger ansetzen, wenn eine Aortendissektion in der Familienanamnese besteht. Diese Kriterien wurden für Erwachsene erarbeitet, werden nun aber auch bei pädiatrischen und adoleszenten Patienten angewendet. Hinsichtlich des Risikos einer Ruptur und anderer Komplikationen ist der auf die Körperoberfläche bezogene Diameter der Aortenwurzel bei diesem Kollektiv wichtiger als die absoluten Abmessungen. Jüngere Patienten können deshalb auch schon bei kleineren absoluten Durchmessern einer dilatierten Aorta von einer chirurgischen Korrektur profitieren (Coady et al. 1997; Davies et al. 2006). 14.6.1.4
14
Chirurgische Korrektur
Die Operation wird über eine mediane Sternotomie am kardiopulmonalen Bypass in milder Hypothermie (32°C) und mit einer standardisierten aortalen bikavalen Kanülierung durchgeführt. Ein Links-Vent wird über den Sulcus intraatrialis in Höhe der rechten oberen Lungenvene eingelegt. Nach Abklemmung der Aorta appliziert man die Kardioplegielösung entweder direkt über die Koronarostien oder retrograd über den Koronarsinus. Eine Applikation in die Aortenwurzel mit gleichzeitiger digitaler Kompression der Fistel ist nicht zuverlässig. Die Aorta ascendens sowie der rechte Vorhof werden inzidiert. Die Fistel sollte an beiden Enden verschlossen werden. Hierfür erfolgt zunächst die Identifizierung des Defekts von aortal. Anschließend wird das rechtsatriale Ende der Fistel angegangen. Große Defekte am aortalen Ende sollte man mit einem Flicken (glutaraldehydfixiertes Perikard oder prothetisches Material) verschließen. Kleinere Defekte können auch direkt vernäht werden. Dabei ist eine Verziehung der Geometrie der Klappentaschen und des Anulus unbedingt zu vermeiden. Das atriale oder ventrikuläre Ende der Fistel ist oft durch aneurysmatisch aufgetriebenes Gewebe erweitert. Dieses sollte entfernt und der Defekt übernäht werden. Dabei ist darauf zu achten, den AV-Knoten nicht zu verletzen, insbesondere bei einer Perforation vom akoronaren Sinus in das linke Atrium. Nicht rupturierte Aneurysmen, die den rechts- oder akoronaren Sinus betreffen und mit einer Ver-
drängung der benachbarten Strukturen einhergehen, werden über die Aorta und die entsprechend benachbarte Kammer rekonstruiert. Dabei ist ein rechtsatrialer oder transpulmonaler Zugangsweg meist ausreichend, um den Aneurysmasack zu erreichen. Der Sack wird geöffnet und reseziert. Der eigentliche Sinusdefekt wird mittels Patch verschlossen und mit einem weiteren Flicken, den man durch die benachbarte Kammer einbringt, verstärkt. Assoziierte Defekte wie ein Ventrikelseptumdefekt sollten transatrial mit einem separaten Patch verschlossen werden. Eine intraoperativ durchgeführte transösophageale Echokardiographie wird zur Beurteilung der Aortenklappe, assoziierter Anomalien und evtl. noch vorhandener residueller Fisteln empfohlen. Besteht eine moderate Aortenklappeninsuffizienz, gelten die Prinzipien und Richtlinien der Aortenklappenchirurgie, die in Abschnitt 14.3.6 beschrieben sind. Die Klappenrekonstruktion sollte dabei stets nach der Korrektur des Sinus-Valsalvae-Aneurysmas durchgeführt werden. Verschiedene andere Techniken, z. B. der Aortenwurzelersatz durch ein Composite- oder Autograft sowie durch eine klappenerhaltende Wurzelersatztechnik, können zum Einsatz kommen, wenn bereits eine Dilatation der gesamten Aortenwurzel mit begleitender Aortenklappeninsuffizienz vorliegt (s. auch oben, 14.3.6). 14.6.1.5
Diskussion
Das angeborene Sinus-Valsalvae-Aneurysma ist ein seltener Defekt der Aortenwurzel. Sieht man von der akuten Tamponade, die üblicherweise tödlich verläuft, ab, ist die chirurgische Behandlung des rupturierten Sinus-ValsalvaeAneurysma sehr erfolgreich. Die Ergebnisse der chirurgischen Korrektur sind exzellent, mit einer Sterblichkeit, die deutlich unter 1% liegt, wenn komplizierende Faktoren wie eine Endokarditis ausgeschlossen sind (Lukacs et al. 1992; Quiang et al. 1994; Takach et al. 1999). Die 10-JahresÜberlebensrate wird mit nahezu 100% angegeben (van Son et al. 1994c). Späte Komplikationen mit progressiver Aortenklappeninsuffizienz treten dann häufiger auf, wenn die Rekonstruktion ohne Patch durchgeführt wurde oder wenn zum Zeitpunkt der Korrektur eine bikuspide Aortenklappe vorlag (Quiang et al. 1994). Der natürliche Verlauf eines nicht rupturierten SinusValsalvae-Aneurysmas ist nicht bekannt, da dieser Herzfehler bis zur Ruptur meist asymptomatisch ist und daher unerkannt bleibt. Zahlreiche Komplikationen wurden beschrieben, u. a. Myokardinfarkt, totaler AV-Block, maligne Herzrhythmusstörungen, Endokarditis, progressive Vergrößerung und plötzlicher Herztod aufgrund einer Ruptur. Die Korrekturoperation ist sicher und effektiv und daher bereits beim asymptomatischen Patienten zum Zeitpunkt der Diagnosestellung indiziert. Bei Patienten mit Marfan-Syndrom oder anderen degenerativen Bindegewebeerkrankungen der Aortenwurzel wird die optimale chirurgische Therapie des Sinus-Valsalvae-Aneurysmas kontrovers diskutiert. Besteht kein Hin-
455 14.7 · Aortolinksventrikulärer Tunnel
weis auf eine signifikante Aortenklappenerkrankung wie eine Insuffizienz, sollte man eine klappenerhaltende Technik bevorzugen. Dabei verspricht die David-Operation eine bessere Unterstützung des verbliebenen Aortenwurzelgewebes als die Yacoub-Prozedur. Liegt eine signifikante Aortenklappeninsuffizienz vor, kann ein kompletter Aortenwurzelersatz mittels Composite-Graft die beste Therapieoption darstellen.
fluss im Tunnel sowie funktionelle und morphometrische Parameter des linken Ventrikels abzuschätzen. Allerdings kann es bei einer paravalvulären Insuffizienz echokardiographisch sehr schwierig sein, den Zustand der nativen Aortenklappe zu beurteilen. Eine Herzkatheteruntersuchung zur Identifikation der Koronarostien kann in diesem Fall hilfreich sein. 14.7.1.3
14.7
Aortolinksventrikulärer Tunnel
14.7.1.1
Einleitung und Anatomie
Dieser sehr seltene Herzfehler besteht aus einer abnormen Verbindung zwischen der Aorta ascendens und dem linken Ventrikel. Dabei entspringt aus der Aorta, und zwar oberhalb der rechten Herzkranzarterie und des rechtskoronaren Sinus Valsalvae, ein Tunnel, der entlang der Aortenwurzel zum linken Ventrikel verläuft und dort unmittelbar unterhalb der rechtskoronaren Aortenklappentasche einmündet. In sehr seltenen Fällen entspringt dieser Tunnel aus dem linkskoronaren Sinus Valsalvae oder mündet in den rechten Ventrikel bzw. den linken Vorhof. Dabei kann der Tunnel, der die Aortenklappe auf diese Weise umgeht, die strukturelle Aufhängung der rechtskoronaren Klappentasche in einem Maße einschränken, dass sich eine Aortenklappeninsuffizienz ausbildet. Die aneurysmatische Ausweitung des intrakardialen Tunnels kann zudem durch die Verlagerung des Infundibulumseptums nach vorn eine subpulmonale Obstruktion verursachen. In seltenen Fällen entspringt die rechte Koronararterie aus dem aortolinksventrikulären Tunnel. Von außen lässt sich eine Vorwölbung im Bereich der Aortenwurzel und des rechtsventrikulären Ausflusstrakts erkennen. Zwei verschiedenen anatomische Varianten wurden beschrieben (Hovaquimian et al. 1988): 4 Tunnel mit nur schlitzförmiger aortaler Öffnung ohne Verziehung der Aortenwurzel, 4 Tunnel mit großer aortaler Öffnung mit oder ohne Aortenklappenverziehung und evtl. Ausbildung eines intraoder extrakardialen Aneurysmas 14.7.1.2
Pathophysiologie, klinisches Bild und Diagnostik
Die Hälfte der Patienten weisen aufgrund einer schweren Aortenklappeninsuffizienz schon im frühen Säuglingsalter Herzinsuffizienzzeichen auf. Das klinische Bild kann dabei durch – in der Regel sehr selten vorkommende – assoziierte Fehlbildungen wie Aortenstenose, Aortenatresie, rechtsventrikuläre Ausflusstraktstenose oder Ventrikelseptumdefekt variieren (Waldner et al. 1996). Im EKG lassen sich Zeichen der linksventrikulären Hypertrophie mit linksventrikulärer Belastung oder Ischämie darstellen. Echokardiographie und Dopplerflussuntersuchungen sind zuverlässig, um die Morphologie, den Blut-
Indikation zur chirurgischen Korrektur
Symptomatische Neugeborene und Säuglinge sollten nach einer kurzen Phase der Stabilisierung durch eine nachlastsenkende Therapie dringlich operiert werden. ! Auch wenn die Kommunikation an der aortalen Öffnung des Tunnels klein ist, sollte man die Operation nach Diagnosestellung so früh wie möglich durchführen, um die Gefahr einer sekundären Beeinträchtigung der Aortenklappe zu minimieren.
14.7.1.4
Chirurgische Korrektur
Die Operation wird am kardiopulmonalen Bypass in milder Hypothermie (32°C) durchgeführt. Nach systemischer Heparinisierung beginnt man den kardiopulmonalen Bypass über eine singuläre, abgewinkelte, venöse Kanüle im rechten Vorhof und eine arterielle Kanüle in der distalen Aorta ascendens. Nach Verschluss eines evtl. noch offenen Ductus arteriosus erfolgt die Insertion eines linksatrialen VentKatheters. Die Aorta wird so früh wie möglich geklemmt, um eine linksventrikuläre Dilatation und einen subendokardialen Myokardschaden zu vermeiden. Eine schräge, umgekehrt hockeyschlägerförmige Inzision erfolgt im anterioren Aspekt der Aorta in Richtung des akoronaren Sinus. Die Kardioplegielösung wird antegrad direkt in die Koronarostien oder alternativ retrograd über den Koronarsinus verabreicht. Nach Inspektion der Öffnungen des Tunnels identifiziert man ober- und unterhalb der Aortenklappe die Koronararterienostien. Das ventrikuläre und das aortale Ende des Tunnels werden anschließend mit einem Dacron- oder Perikard-Patch und mittels fortlaufender Nahttechnik verschlossen. Dabei wird das ventrikuläre Ende durch die Aortenklappe oder den Tunnel selbst angegangen, um eine Verletzung des Reizleitungsgewebes zu vermeiden. Mündet der Tunnel in den rechten Ventrikel, kann man einen Zugangsweg über den rechten Vorhof, die Pulmonalklappe oder den Tunnel selbst wählen. Eine kleine schlitzförmige Öffnung kann direkt vernäht werden, wenn dabei eine Verziehung der Aortenklappe zu verhindern ist. Die Aortotomie wird daraufhin wieder verschlossen, das Herz antegrad entlüftet und die Aortenklemme gelöst. In dieser Phase muss man – bei residueller Aortenklappeninsuffizienz – eine linksventrikuläre Dilatation unbedingt vermeiden. Nach ausreichender Reperfusionszeit wird der kardiopulmonale Bypass in üblicher Weise beendet.
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456
Kapitel 14 · Angeborene Anomalien des linksventrikulären Ausflusstrakts
14.7.1.5
Diskussion
Der aortolinksventrikuläre Tunnel ist ein sehr seltener angeborener Herzfehler, der früh mit den klinischen Zeichen einer Herzinsuffizienz auf dem Boden einer schweren Aortenklappeninsuffizienz einhergeht. Die Echokardiographie ist üblicherweise in der Lage, diesen Herzfehler ausreichend darzustellen. Die Operation sollte so früh wie möglich angestrebt werden, um eine weitere Verschlechterung der linksventrikulären Funktion zu vermeiden. Die chirurgische Sterblichkeit beträgt 11–20% (Horváth et al. 1991; Turley et al. 1982). Der Verschluss beider Enden des Tunnels wird empfohlen, um eine Verziehung des Aortenanulus bzw. der Klappe zu verhindern. Bleibt das ventrikuläre Ende geöffnet, kann es durch den systolischen Einfluss zur Entwicklung eines Blindsacks mit Aneurysmabildung des Ventrikelseptums kommen. In diesem Fall kann eine Verziehung der Aortenklappe zu einer progressiven Aortenklappeninsuffizienz führen. Diese bleibt ein mögliches Langzeitproblem und scheint häufiger aufzutreten, wenn die initiale Operation zu einem späteren Zeitpunkt durchgeführt wird (Serino et al. 1983; Sreeram et al. 1991). Aufgrund der Seltenheit dieses Herzfehlers sind jedoch keine ausreichenden Langzeitergebnisse verfügbar.
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Kapitel 14 · Angeborene Anomalien des linksventrikulären Ausflusstrakts
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14
15
15 Aortenatresie, hypoplastisches Linksherzsyndrom und hypoplastischer Linksherzkomplex R. Mair 15.1
Anatomie
– 461
15.2
Zusätzliche extrakardiale Fehlbildungen – 462
15.3
Pathophysiologie
15.4
Diagnostik – 462
15.5
Klinisches Bild – 463
15.6
Präoperatives Management – 463
15.7
Operationszeitpunkt – 463
– 462
15.8 15.8.1 15.8.2 15.8.3 15.8.4 15.8.5 15.8.6
15.8.7 15.8.8 15.8.9
Operative Therapie – 463 Historisches – 463 Stufe 1: Norwood-Operation – 464 Stufe 2: bidirektionaler Glenn Shunt – 467 Stufe 3: Fontan-Operation – 468 Ergebnisse der univentrikulären Kreislauftrennung – 468 Alternativen zur Norwood-Operation: Ductus-arteriosus-Stent und beiderseitiges Pulmonalarterien-Banding – 469 Alternativen zur Kreislauftrennung als Dauerpalliation – 470 Behandlung von Grenzfällen (hypoplastischer Linksherzkomplex) – 470 Aortenatresie bei normal großem linken Ventrikel – 471 Literatur
15.1
Anatomie
Als »Aortenatresie« wird eine Fehlbildung mit vollständigem Verschluss der Aortenklappe und hypoplastischer Aorta ascendens bezeichnet. Ohne hypoplastischen linken Ventrikel kommt sie praktisch nur in Verbindung mit einem nichtrestriktiven Ventrikelseptumdefekt und einer normal großen Mitralklappe vor. Der Terminus »hypoplastisches Linksherzsyndrom« wurde 1958 von Noonan und Nadas eingeführt. Er bezeichnet ein Spektrum von Vitien, bei denen der linke Ventrikel aufgrund seiner Größe nicht in der Lage ist, den Systemkreislauf zu unterhalten, und seine vor- und nachgeschalteten Strukturen (Mitralklappe, Aortenklappe, Aorta ascendens etc.) massiv unterentwickelt sind. Als häufigste Ursache für eine linksventrikuläre Hypoplasie wird heute ein primäres Klappenproblem (Aortenstenose oder -atresie bzw. Mitralstenose oder -atresie) angenommen. Dementsprechend kann man traditionellerweise 4 Subtypen unterscheiden: 4 Mitral- und Aortenatresie, 4 Mitralstenose und Aortenatresie,
– 471
4 Mitralatresie und Aortenstenose, 4 Mitral- und Aortenstenose. Weitere Ursachen eines hypoplastischen linken Ventrikels sind: 4 kritische Aortenisthmusstenose, 4 asymmetrische Septierung wie beim unbalancierten AV-Kanal, 4 Komplex aus Ventrikelseptumdefekt und hypoplastischem oder unterbrochenem Aortenbogen, 4 Multiple, hintereinander geschaltete linksventrikuläre Obstruktionen (Shone-Komplex), 4 isolierte schwere Mitralstenose. Grenzfälle hypoplastischer linker Ventrikel ohne zugrunde liegendes Klappenvitium werden auch unter dem Begriff »hypoplastischer Linksherzkomplex« zusammengefasst (Tchervenkov et al. 1998). Die Aorta ascendens ist beim hypoplastischen Linksherzsyndrom, insbesondere beim Subtyp der Aortenatresie, oft äußerst dünnwandig und zart. Durchmesser von <2 mm sind keine Seltenheit. Bei Aortenstenose
462
Kapitel 15 · Aortenatresie, hypoplastisches Linksherzsyndrom und hypoplastischer Linksherzkomplex
und antegradem Blutfluss ist sie meist etwas kaliberstärker. Die weiteren Abschnitte der Aorta (Bogen und Isthmus) bis zur Mündung des Ductus arteriosus sind in der Regel ebenfalls hypoplastisch, jedoch nicht so gravierend wie die Aorta ascendens. Letztere ist im Fall einer Aortenatresie funktionell ein gemeinsames Koronargefäß. Arteria pulmonalis und Ductus arteriosus sind meist sehr groß. Das Septum primum ist in der Regel sehr dick und muskelstark. Es ist gelegentlich etwas nach links verschoben. Meist ist auch der linke Vorhof deutlich kleiner als der rechte. In vielen Fällen scheint die Primärläsion eine Obstruktion der Mitral- oder Aortenklappe zu sein. Das Wachstum des linken Ventrikels sowie seiner vor- und nachgeschalteten Strukturen bleibt dann aufgrund des fehlenden oder mangelhaften Blutflusses aus. Experimentell konnte so durch Obstruktion der Mitralklappe bei Hühnerembryonen ein hypoplastisches Linksherzsyndrom erzeugt werden (Harh et al. 1973). Beim Menschen wurde dieser Verlauf für die Aortenstenose erstmals 1989 von Allan und Mitarbeitern am Guy’s Hospital in London mittels fetaler Echokardiographie nachgewiesen (Allan et al. 1989). Die Gruppe fand bei einem Fetus in der 22. Gestationswoche eine kritische Aortenstenose mit einem in seiner Kontraktilität schwer beeinträchtigten, dilatierten linken Ventrikel. Bei einer Kontrolle in der 32. Schwangerschaftswoche zeigte sich, dass dieser linke Ventrikel nicht mehr gewachsen war. Er war zu einer kleinen, echodichten Kammer wie bei einem typischen hypoplastischen Linksherzsyndrom geworden. Seine Ausmaße waren dieselben wie in der 22. Gestationswoche – eine Erfahrung, die auch in unserem eigenen Programm für fetale Kardiologie immer wieder gemacht wurde. Diese Hypothese ist auch die Basis für fetale Klappeninterventionen. Frühzeitig durchgeführt, kann es damit heute gelingen, einen linken Ventrikel, der aufgrund einer Aortenklappenfehlbildung bereits schwer beeinträchtigt ist, zu rehabilitieren und funktionstüchtig zu erhalten (Makikallio et al. 2006).
15
! Weiterhin ergibt sich daraus, dass der Übergang zwischen kritischer Aortenklappenstenose und hypoplastischem Linksherzsyndrom fließend ist und dass es Grenzfälle bezüglich der Größe des linken Ventrikels gibt.
menanomalien, teils aufgrund autosomal-dominanter oder -rezessiver Störungen. Prinzipiell sind Fehlbildungen aller Organsysteme beschrieben. Bei unseren eigenen 120 Patienten, die zur Operation zugewiesen wurden, beobachteten wir ein Goldenhar-Syndrom, ein VACTERL-Syndrom, eine Hexadaktylie, eine Analatresie, ein intestinales Malrotationssyndrom und einen Zwergwuchs. Glauser und Mitarbeiter (1990) fanden im Rahmen einer Autopsieserie in einem Prozentsatz von bis zu 29 % zerebrale Fehlbildungen. Wirklich schwere Missbildungen wie eine Balkenagenesie wurden allerdings nur in etwa 10 % der Fälle festgestellt. ! Aus dieser Studie geht auch hervor, dass die Wahrscheinlichkeit zerebraler Fehlbildungen höher ist, wenn das hypoplastische Linksherzsyndrom Teil eines Fehlbildungssyndroms ist.
Unter den uns zur Operation zugewiesenen Patienten war ein Kind mit Balkenagenesie.
15.3
Es besteht ein duktusabhängiger Systemkreislauf. Das Blut fließt systolisch antegrad im Ductus arteriosus – wie im Fetalkreislauf – von der Pulmonalarterie in die Aorta und hier sowohl über den Aortenbogen in die großen Halsgefäße und in die Aorta ascendens, die bei Aortenatresie ein singuläres Koronargefäß darstellt, als auch in die Aorta descendens. Bei Aortenstenose kann in der Aorta ascendens und in den proximalen Bogenabschnitten auch ein antegrader Blutfluss vorhanden sein. In der Diastole fließt das Blut bei abnehmendem Lungengefäßwiderstand vom Systemkreislauf über den Ductus arteriosus zurück in die Pulmonalgefäße (diastolischer »run off«analog einem nichtrestriktiven aortopulmonalen Shunt). Dies führt einerseits zu Lungenüberflutung und Volumenbelastung des rechten Ventrikels, anderseits systemisch zu einem niedrigen diastolischen Blutdruck und einer eingeschränkten Durchblutung von Koronararterien, Gehirn und Intestinalorganen. Damit steigt das Risiko von zerebralen Schäden und nekrotisierender Enterokolitis.
15.4 15.2
Zusätzliche extrakardiale Fehlbildungen
Nicht selten sind angeborene Herzfehler mit extrakardialen Fehlbildungen kombiniert. Für das hypoplastische Linksherzsyndrom werden Prozentzahlen zwischen 12 % und 37 % angegeben. Natowicz und Mitarbeiter (1988) haben eine Rate von 28 % angegeben, wobei es sich hier um eine Postmortemstudie handelte. Etwas mehr als die Hälfte waren genetischer Ursache, teils aufgrund von Chromoso-
Pathophysiologie
Diagnostik
Die Diagnose des hypoplastischen Linksherzsyndroms wird heute ausschließlich echokardiographisch gestellt. Sämtliche für die Operation wichtigen Aspekte können damit abgedeckt werden. Eine Herzkatheteruntersuchung kann in Einzelfällen und bei therapeutischer Indikation (Hybridoperation; s. unten, 15.8.6) notwendig sein. Bei unklarer Situation der Lungenvenen und in Grenzfällen zur Entscheidung zwischen biventrikulärer Rekonstruktion und univentrikulärer Palliation kann auch ein Magnetreso-
463 15.8 · Operative Therapie
nanztomogramm mit entsprechender Bildrekonstruktion Vorteile bringen. In einem zunehmenden Prozentsatz wird die Diagnose echokardiographisch bereits in der Fetalperiode gestellt. Derzeit ist dies ab der 16. Woche sicher möglich. Dies bedeutet einen großen Vorteil für das Neugeborene, da präoperative Notfallsituationen wie Kreislaufversagen vermieden werden können. Die Entscheidung, ob der linke Ventrikel und insbesondere die Mitralklappe für eine biventrikuläre Korrektur geeignet sind oder ob der Weg der univentrikulären Palliation beschritten werden muss, ist bei kritischer Aortenstenose in Grenzfällen oft sehr schwierig. Dafür wurden von verschiedenen Autoren unterschiedliche Kriterien angegeben. In der Regel sind es morphologische Kriterien (s. unten, 15.8.8).
15.5
Klinisches Bild
In der Fetalperiode besteht in der Regel keine Kreislaufbeeinträchtigung, außer im Fall eines obstruktiven oder atretischen Vorhofseptums. Die Neugeborenen sind fast immer völlig unauffällig; gelegentlich fällt ein Herzgeräusch (offener Ductus arteriosus) auf. Ohne fetale Diagnosestellung werden die meisten Kinder erst dann auffällig, wenn der Ductus arteriosus beginnt, sich zu verschließen, und sie in ein Kreislaufversagen geraten.
15.6
Präoperatives Management
Da der präoperative Zustand ein wichtiger prognostischer Faktor ist, kommt der Behandlung des Neugeborenen in dieser Phase eine große Bedeutung zu. Basis des präoperativen Managements ist ein offener Ductus arteriosus. Dies wird primär durch Infusion von Prostaglandin erreicht. Ziel ist es in weiterer Folge, bis zum Operationszeitpunkt zu verhindern, dass es aufgrund des nichtrestriktiven aortopulmonalen Shunts zu einer massiven Lungenüberflutung und zur Dekompensation des Systemventrikels kommt. ! Alles, was den Lungenwiderstand senkt, sollte daher vermieden werden. Das heißt die Kinder sollten keinen zusätzlichen Sauerstoff bekommen und möglichst nicht intubiert werden. Der Gefäßwiderstand im Systemkreislauf sollte niedrig gehalten werden (Nachlastsenkung mit Nitroprussid oder anderen gut steuerbaren Nachlastsenkern). Vasopressoren sollte man präoperativ wenn möglich nicht verwenden.
Ideal ist es, wenn bei pränataler Diagnosestellung bereits unmittelbar nach der Geburt mit dem intensivmedizinischen Management begonnen werden kann.
15.7
Operationszeitpunkt
Dieser ergibt sich aus der Pathophysiologie. Gelingt es mit konservativen Maßnahmen (s. oben), eine Lungenüberflutung und eine Dekompensation des Ventrikels zu verhindern, so werden die Kinder bei uns um den 5. Lebenstag herum operiert. Treten Zeichen der Dekompensation auf (vermehrte Flüssigkeitseinlagerung), sollte mit der Operation nicht mehr zugewartet werden.
15.8
Operative Therapie
15.8.1 Historisches
Seit den frühen 1970er Jahren wird über Einzelfälle einer erfolgreichen Palliation beim hypoplastischen Linksherzsyndrom berichtet (Cayler et al. 1970; Doty u. Knott 1977). Cayler und Mitarbeiter publizierten bereits 1970 einen Fall von Mitral- und Aortenatresie, den sie erfolgreich palliativ operiert hatten. In keinem dieser Fälle ist aber jemals zu einer FontanOperation gekommen. Erst 1982 wurde am Children’s Hospital Boston erstmals erfolgreich eine Fontan-Operation bei einem Patienten mit hypoplastischem Linksherzsyndrom durchgeführt (Norwood et al. 1980, 1981, 1983). Dieser hatte zuvor als erste Stufe eine von Norwood beschriebene Palliation erhalten. Grundsätzlich gibt es 2 Wege zur Behandlung des hypoplastischen Linksherzsyndroms: 4 univentrikuläre Kreislauftrennung (Dauerpalliation), 4 primäre Transplantation. Standardtherapie ist heute an den meisten Zentren die univentrikuläre Kreislauftrennung, das heißt Endziel ist die Fontan-Operation mit dem rechten Ventrikel als Systemventrikel. Dieses Ziel wird über eine 3-Stufen-Palliation erreicht: 4 Stufe 1: Norwood-Operation; 4 Stufe 2: bidirektionaler Glenn; 4 Stufe 3: totale kavopulmonale Anastomose (Komplettierung zur Fontan-Operation). Nach der Norwood-Operation in der Neugeborenenperiode wird im Alter von 3–6 Monaten der Blalock-TaussigShunt bzw. der RV-PA-Conduit durch einen bidirektionalen Glenn-Shunt (Bridges et al. 1990) ersetzt und der Eingriff bei der 3. Operation durch extra- oder intrakardiale Verbindung der V. cava inferior mit der rechten Pulmonalarterie zur Fontan-Operation komplettiert. Wir bevorzugen die extrakardiale Form der Fontan-Operation mit einer Kunststoffprothese und führen diese im Alter von 2–3 Jahren durch.
15
464
Kapitel 15 · Aortenatresie, hypoplastisches Linksherzsyndrom und hypoplastischer Linksherzkomplex
15.8.2
15
Stufe 1: Norwood-Operation
de erreichen oder überschreiten. Deshalb wurde diese Methode bei uns vor 7 Jahren zugunsten anderer Perfusionsmethoden verlassen.
Ausgangspunkt ist eine univentrikuläre Mischblutphysiologie mit nichtrestriktivem pulmonalen Blutfluss. Ziel der Norwood-Operation ist eine univentrikuläre balancierte Mischblutphysiologie mit einem Qp:Qs-Verhältnis (Verhältnis des Kreislaufvolumens im Pulmonaliskreislauf zum Kreislaufvolumen im Systemkreislauf) von annähernd 1 : 1. Im Einzelnen liegen der Norwood-Operation folgende wesentlichen Punkte zugrunde: 4 unbehinderter Auswurf des rechten Ventrikels in den Systemkreislauf, 4 restriktiver pulmonaler Blutfluss (Blalock-TaussigShunt oder RV-PA-Conduit), 4 unbehinderter Abfluss aus der Lunge.
phalicus entweder direkt oder über eine 3,5-mm-PTFEProthese, die am Truncus brachiocephalicus anastomosiert wird. Venös wird eine Kanüle in den rechten Vorhof eingelegt. Unserer Erfahrung nach genügt eine Abkühlung auf eine rektale Temperatur von 22°C (Hofer et al. 2005). Für die Aortenbogenrekonstruktion wird die Flussrate auf 30 ml/kg KG reduziert sowie die Aorta descendens mit einer Gefäßklemme und die großen Halsgefäße mit Tourniquets abgeklemmt. Ein Kreislaufstillstand ist nur noch für die Exzision des Vorhofseptums notwendig.
15.8.2.1
Technik Zugang und Präparation
Moderate Hypothermie und zusätzliche Kanülierung der Aorta descendens
Zugang ist eine mediane Sternotomie mit einem etwas in das Jugulum verlängerten Hautschnitt. Der Thymus wird unter Belassung eines Restes im Processus cervicalis entfernt. Rechte und linke Pulmonalarterie sowie der Pulmonalarterienhauptstamm werden präpariert. Mit einem Tourniquet wird die rechte Pulmonalarterie temporär verschlossen und damit eine dem Pulmonalarterien-Banding analoge Reduktion des Shunt-Volumens erreicht. Der gesamte Aortenbogen mit allen Abgangsästen sowie die ersten Millimeter der Aorta descendens werden dargestellt und mobilisiert, ebenso der Ductus arteriosus. Markierungsnähte werden zu diesem Zeitpunkt an die Anastomosenstelle von Aorta ascendens und A. pulmonalis angebracht, um Verziehungen durch die Aortenbogenrekonstruktion zu vermeiden. Wird der Truncus brachiocephalicus kanüliert, so muss jetzt entschieden werden, ob dies direkt oder indirekt über eine PTFE-Prothese (PTFE: Polytetraflourethylen) erfolgt (Pigula et al. 1999). In jedem Fall muss jetzt Heparin verabreicht werden. Im Fall einer indirekten Kanülierung wird zunächst eine Anastomose zwischen einer 3,5-mmPTFE-Prothese und dem Truncus brachiocephalicus angelegt.
Siehe hierzu auch Imoto et al. (2001). Diese Methode wird von uns seit 4 Jahren verwendet. Die Kanülierung des Truncus brachiocephalicus erfolgt wie oben beschrieben. Beide Pulmonalarterien werden anschließend mit Tourniquets geklemmt. Das hintere Perikard wird inzidiert, die linke Pleurahöhle eröffnet, das Lig. pulmonale inferius durchtrennt und die Aorta supradiaphragmal freigelegt. Hierbei wird eine zweite arterielle Kanüle eingebracht (. Abb. 15.1). Bei dieser Methode reicht eine Abkühlung auf 25°C aus. Der Ductus arteriosus wird mit einer typischen Tabaksbeutelligatur auf der aortalen Seite verschlossen. Zur linken Pulmonalarterie hin wird er nun komplett exzidiert und quer übernäht. Der Hauptstamm der Pulmonalarterie wird unmittelbar vor der Bifurkation durchtrennt.
Extrakorporale Zirkulation Tiefe Hypothermie und Kreislaufstillstand. Dies ist die
klassische Form der extrakorporalen Zirkulation für die Korrektur bzw. Palliation dieser Fehlbildung. Die Kanülierungstechnik ist einfach: Eine weiche arterielle Kanüle wird ganz distal in den Pulmonalarterienhauptstamm eingelegt, eine relativ große venöse Kanüle in den rechten Vorhof. Bei dieser Perfusionsmethode müssen zumindest die gesamte Aortenbogenrekonstruktion und die Exzision des Vorhofseptums in Kreislaufstillstand durchgeführt werden. Selbst bei einiger Übung kommt es dabei zu Stillstandszeiten, die die Grenzen der Sicherheit dieser Metho-
Antegrade Hirnperfusion. Siehe hierzu auch Pigula et al. (1999). Hier erfolgt die Kanülierung des Truncus brachioce-
! Die Pulmonalisbifurkation wird quer zu rechter und linker Pulmonalarterie übernäht. Auf einen Patch wird bei uns verzichtet, da dies wiederholt zu einer Knickbildung geführt hat.
Kardioplegie Truncus brachiocephalicus, linke A. carotis und linke A. subclavia werden aortennah mit Tourniquets geklemmt. Die Aorta descendens wird mit einer weichen Gefäßklemme geklemmt und der Rest des Ductus arteriosus exzidiert. Der Aortenbogen wird an seiner konkaven Seite längs inzidiert. Etwa 5–10 mm vor Erreichen der markierten Anastomosenstelle verabreicht man zunächst Kardioplegielösung über eine olivenförmige Kunststoffkanüle direkt in die Aorta ascendens. Dann erst wird die Inzision bis dorthin fortgesetzt.
465 15.8 · Operative Therapie
. Abb. 15.1. Arterielle Kanülierung. Erste Kanüle: Truncus brachiocephalicus über eine PTFE-(Polytetrafluorethylen-)Prothese; zweite Kanüle: subdiaphragmale Aorta descendens
. Abb. 15.2. End-zu-Seit-Anastomose zwischen Aortenbogen und Aorta descendens
Rekonstruktion des Aortenbogens
anlegen. Zu beachten ist, dass es bei diesem Vorgehen zu einer Kompression der rechten Pulmonalarterie zwischen Aortenbogen und linkem Hauptbronchus kommen kann – eine äußerst unangenehme Situation, die auf jeden Fall vermieden werden sollte. Kann Letzteres nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden, so sollte man einen Patch verwenden (. Abb. 15.3).
! Bei der Resektion des Aortenisthmus ist es wesentlich, dass das Gewebe des Ductus arteriosus komplett entfernt und dass keine Stufe im Bereich des Aortenisthmus belassen wird. Besteht hier eine Stufe im Sinne einer dem Ductus arteriosus gegenüberliegenden Leiste, so sollte die Region reseziert werden.
Patch-Material und -Form Die Kontinuität der Aorta wird mittels einer End-zu-SeitAnastomose zwischen dem bereits inzidierten distalen Aortenbogen und der Aorta descendens wiederhergestellt (. Abb. 15.2).
Anastomose zwischen Pulmonalarterie und Aorta Ist die Aorta ascendens von ausreichender Größe und wurde eine Resektion des Aortenisthmus mit anschließender großzügiger Anastomose durchgeführt, lässt sich die Anastomose zwischen Aorta und Pulmonalarterie u. U. direkt
Ziel ist eine stufenlose Rekonstruktion des Aortenbogens ohne Knickbildung. Daraus ergeben sich folgende wichtige technische Gesichtspunkte: 4 Der Patch darf in seiner Gesamtheit, insbesondere aber an seiner Konkavität, nicht zu lang sein. 4 Da der Aortenbogen im Verlauf des Patches eine Wendung um 180° nimmt, muss der Patch in 2 Ebenen (Quer- und Längsschnitt) gekrümmt sein.
15
466
Kapitel 15 · Aortenatresie, hypoplastisches Linksherzsyndrom und hypoplastischer Linksherzkomplex
. Abb. 15.3. Aortenbogenrekonstruktion mit Patch
. Abb. 15.4. Zuschnitt des Patches aus einem Homograft einer Pulmonalarterienbifurkation
! Als Patch-Material eignet sich daher am besten ein Homograft aus dem rechten Teil einer Pulmonalarterienbifurkation mit dem unteren Teil der rechten Pulmonalarterie und dem anschließenden Teil des Pulmonalarterienhauptstamms (. Abb. 15.4).
Aortenbogenhomografts werden bei uns nicht mehr verwendet, da sie sehr schnell verkalken. Wesentlich ist auch, dass keine Stenose der Aorta ascendens im proximalen Bereich der Anastomose entsteht. Dies wird am besten dadurch verhindert, dass hier – besonders bei enger Aorta – nur wenige (3–4) Einzelknopfnähte der Stärke 7/0 verwendet werden. Der Patch wird mit nichtresorbierbarem monofilen Material der Stärke 6/0 eingenäht.
Exzision des Vorhofseptums
15
Diese erfolgt in der Regel durch die venöse Kanülierungsstelle. Wesentlich ist, dass sie komplett erfolgt, keine Residuen zurücklässt und einen unbehinderten Abfluss des Pulmonalvenenblutes sicherstellt. Um ganz sicher zu gehen, kann auch noch das Dach des Koronarsinus in den linken Vorhof hinein inzidiert werden. Bei den oben erwähnten Perfusionstechniken ist dies der einzige Akt, der noch in Kreislaufstillstand (2–5 min) erfolgt, um die V. cava superior in Hinblick auf die Glennund die Fontan-Operation zu schonen.
Herstellung des restriktiven pulmonalarteriellen Blutflusses – 2 Möglichkeiten Modifizierter Blalock-Taussig-Shunt. Dieser reicht vom
Truncus brachiocephalicus bis zur rechten Pulmonalarterie. In der Regel hat für Neugeborene eine PTFE-Prothese mit einem Durchmesser von 3,5 mm die richtige Größe.
. Abb. 15.5. Norwood-Operation mit RV-PA-Conduit zur rechten Pulmonalarterie. PA Pulmonalarterie; RV rechter Ventrikel
RV-PA-Conduit. Angegeben wurde dieses Verfahren bereits
von Norwood selbst. Allerdings wurden damals größere klappentragende Conduits verwendet. Das RV-PA-Conduit in Form einer 5-mm-Prothese wurde in größerer Serie erstmals von Sano im Jahre 2001 beschrieben (Sano et al. 2003, 2004). Technisch kann das RV-PA-Conduit in der von Sano angegebenen Weise vom Infundibulum zum Hauptstamm der A. pulmonalis angelegt werden. Wir bevorzugen jedoch seit 2 Jahren eine Modifikation, die Griselli aus der Gruppe von Brawn angegeben hat (Griselli et al. 2006). Dabei wird die distale Anastomose des Conduits an der rechten Pulmonalarterie angelegt (. Abb. 12.5). Nachteil der Original-
467 15.8 · Operative Therapie
methode nach Sano ist, dass es aufgrund der räumlichen Anordnung von Aortenbogenrekonstruktion und distaler Conduit-Anastomose zu einer Lateralverschiebung Letzterer kommt und damit zu einer Streckung der rechten Pulmonalarterie mit häufiger Stenosenbildung (eigene Erfahrung). Dies ist nicht der Fall, wenn das RV-PA-Conduit auf der rechten Seite angelegt wird. Dann ist auch die GlennOperation einfacher, wenn nicht auf der linken Seite präpariert werden muss. Wir verwenden grundsätzlich 5-mmProthesen.
Durchführung Die rechte Pulmonalarterie wird längs inzidiert und anschließend eine typische End-zu-Seit-Anastomose zwischen rechter Pulmonalarterie und einer 5-mm-PTFE-Prothese mit einem Polypropylenfaden der Stärke 6/0 angelegt. Die schräge Inzision im Infundibulum wird durch 2 Haltefäden markiert. Die Prothese wird anschließend auf die entsprechende Länge zurückgekürzt. Sie darf nicht knicken und darf auch keinen Druck auf die Aorta ausüben. Über einen aufgenähten Kammerschrittmacher wird Kammerflimmern eingeleitet. Am fibrillierenden Herz wird anschließend eine Infundibulotomie über eine Länge von etwa 10 mm vorgenommen. Diese wird an den Rändern etwas ausgedünnt, um eine proximale Conduit-Stenose zu verhindern. Der für die Anastomose vorgesehene Prothesenabschnitt wird längs inzidiert und die Anastomose wiederum mit einem Polypropylenfaden der Stärke 6/0 angelegt.
Modifizierter Blalock-Taussig-Shunt oder RV-PA-Conduit? ! Physiologisch steht eine Shunt-Physiologie mit diastolischem »run off«einer gebändelten Physiologie mit freier Pulmonalinsuffizienz gegenüber.
Patienten mit einem RV-PA-Conduit haben nachweislich einen um etwa 10 mmHg höheren diastolischen Blutdruck als Shunt-Patienten (Mair et al. 2003). Damit verbunden ist eine bessere Durchblutung der Koronargefäße, des Gehirns und der Intestinalorgane. Der physiologische Unterschied hat auch für die postoperative Intensivtherapie erhebliche Konsequenzen: Während man bei Blalock-Taussig-Shunts in der Regel eine Strategie des niedrigen Widerstands verfolgt und die Patienten Vasopressoren meist schlecht tolerieren, werden Letztere bei einem RV-PA-Conduit sehr gut toleriert und können insbesondere bei ausgeprägtem Kapillarleck problemlos zum Einsatz kommen. Der höhere diastolische Druck und die damit verbundene bessere Organdurchblutung führen unserer Ansicht nach auch zu einer rascheren Erholung der Patienten. Für das RV-PA-Conduit ist allerdings eine auf das Infundibulum beschränkte Ventrikulotomie erforderlich. Dies ist bei einem univentrikulären Herz, bei dem noch dazu der rechte Ventrikel Systemventrikel ist, nicht unbe-
denklich. Umgekehrt ist die Koronardurchblutung bei Conduit-Patienten aufgrund des höheren diastolischen Blutdrucks klarerweise besser als bei Shunt-Patienten. Inwieweit die bessere Koronardurchblutung, die das gesamte Myokard betrifft, die lokale Narbe dieser Ventrikulotomie (Infundibulotomie) aufwiegt, kann noch nicht mit Sicherheit gesagt werden. Unsere ersten Daten hierzu in Form von dp/dt-Messungen (dp/dt: Druckanstiegsgeschwindigkeit) vor der Glenn-Operation zeigten eine bessere Ventrikelfunktion der Conduit-Patienten (Mair et al. 2003). Generell ist dieses Kapitel jedoch noch keineswegs ausdiskutiert, sondern derzeit Gegenstand einer groß angelegten multizentrischen Studie.
Sekundärer Thoraxverschluss Diese anfänglich immer angewandte Methode ist heute bei uns nur noch in etwa 50 % der Fälle erforderlich. Häufig kann der Thorax in üblicher Weise primär verschlossen werden. Nur wenn offensichtlich ein deutliches Ödem mit zu erwartendem Platzproblem vorliegt oder wenn ein primärer Thoraxverschluss zur hämodynamischen Kompromittierung oder zu einem deutlichen Abfall der Sauerstoffsättigung führt, wird der Thorax provisorisch mit einem Gummiflicken verschlossen. Letzterer muss wasserdicht eingenäht und mit einem Folienverband abgedeckt werden. Kriterien für den sekundären Thoraxverschluss sind stabile hämodynamische und respiratorische Parameter sowie eine negative Flüssigkeitsbilanz über 1–2 Tage. Der sekundäre Thoraxverschluss wird in der Regel auf der Intensivstation durchgeführt (7 Kap. 8).
15.8.3
Stufe 2: bidirektionaler Glenn Shunt
Bereits Ende der 1980er Jahre zeigte sich aus empirischen Daten, dass der bidirektionale kavopulmonale Shunt als Zwischenstufe zwischen der Stufe 1 einer Dauerpalliation – sei es nun Blalock-Taussig-Shunt, Pulmonalarterien-Banding oder Stufe-1-Palliation nach Norwood – und der Fontan-Operation zu deutlich besseren Ergebnissen der Letzteren führte (Bridges et al. 1990). Besonders profitierten jene Patienten, deren Voraussetzungen für eine FontanOperation nicht ideal waren, sei es aus anatomischen oder physiologischen Gründen. ! Es ist daher Standard geworden, den bidirektionalen kavopulmonalen Shunt bei allen Patienten mit hypoplastischem Linksherzsyndrom als Interimspalliation zwischen Norwood- und Fontan-Operation anzulegen.
15.8.3.1
Physiologie
Der bidirektionale Glenn-Shunt führt zu einer Volumenentlastung des Ventrikels – das Blut aus der V. cava superior
15
468
Kapitel 15 · Aortenatresie, hypoplastisches Linksherzsyndrom und hypoplastischer Linksherzkomplex
fließt direkt in die Lunge und muss nicht durch den Ventrikel gepumpt werden. Die damit ereichte systemische Sauerstoffsättigung liegt in der Regel zwischen 80 % und 85 %. Damit erreicht der bidirektionale Glenn-Shunt mit einer geringeren Herzleistung das gleiche Ergebnis wie ein Blalock-Taussig-Shunt oder ein RV-PA-Conduit. Die Herzarbeit wird somit wesentlich effizienter – ein Aspekt, der der Vorbereitung auf die Fontan-Operation überaus entgegenkommt. 15.8.3.2
Operationszeitpunkt
Das empfohlene Intervall zwischen Norwood- und GlennOperation variiert von Zentrum zu Zentrum; der Operationszeitpunkt wird aber meist um den 6. Lebensmonat herum angegeben. Wir sind der Meinung, dass die GlennOperation aufgrund der benignen Physiologie und der Volumenentlastung des Systemventrikels zu einem frühen Zeitpunkt erfolgen sollte. Vonseiten des Lungenwiderstands sind die Voraussetzungen bereits nach 6–8 Wochen gegeben. Von uns wird der bidirektionale Glenn-Shunt nach 3–4 Monaten angelegt. 15.8.3.3
Technik
Grundsätzlich führen wir die einfache bidirektionale Glenn-Operation ohne Zusätze wie Hemi-Fontan-Operation etc. durch. Die prinzipielle Technik ist in 7 Kap. 10 beschrieben. Ein für das hypoplastische Linksherzsyndrom spezifischer Gesichtspunkt ist jedoch zu erwähnen: Grundsätzlich ist bei Ausklemmung der rechten Pulmonalarterie sorgfältig darauf zu achten, dass die dünne Aorta ascendens, die als singuläre Koronararterie fungiert, nicht abgedrückt wird, da dies gelegentlich unbemerkt zu schweren Ventrikelfunktionsstörungen führen kann.
Besteht eine Pulmonalarterienstenose oder -torsion, so muss diese meist mit einer entsprechend langen Patch-Plastik saniert werden.
15.8.4
Stufe 3: Fontan-Operation
Die Komplettierung der bidirektionalen kavopulmonalen zur totalen kavopulmonalen Anastomose ist die dritte und letzte Stufe der univentrikulären Kreislauftrennung. Die Technik der Fontan-Operation ist in 7 Kap. 10 beschrieben. Der Zeitpunkt hängt nicht zuletzt von der angewendeten Methode – extrakardial oder lateraler Tunnel – ab. Wir bevorzugen die extrakardiale Version der Fontan-Operation in fenestrierter Form und führen diese in der Regel im 3. Lebensjahr durch. Der Patient sollte mindestens 12 kg schwer sein. Folgende Gründe sprechen unserer Ansicht nach beim hypoplastischen Linksherzsyndrom für die extrakardiale Version der Fontan-Operation: 4 Durch das extrakardiale Conduit werden weitere Nahtreihen am Vorhof vermieden, und es wird keine Vorhofwand dem erhöhten Venendruck ausgesetzt – 2 Umstände, die wahrscheinlich zu einer geringeren Rate an Rhythmusstörungen führen können. 4 Auch ist bei dieser Version der Fontan-Operation keine Klemmung der Aorta erforderlich. Damit erspart man dem Ventrikel eine Phase der Ischämie – bei einem rechten Ventrikel als Systemventrikel von besonderer Bedeutung. Überdies erfordert die Aortenklemmung bei vorangegangener Norwood-Operation einen höheren präparatorischen Aufwand und ist nicht ohne Risiko.
Vorgehen bei Blalock-Taussig-Shunt Bei vorliegendem Blalock-Taussig-Shunt besteht außer dem oben Erwähnten kein Unterschied zu anderen univentrikulären Herzen mit aortopulmonalem Shunt.
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Vorgehen bei RV-PA-Conduit Das Conduit wird am Infundibulum durchtrennt. Der in situ bleibende PTFE-Rest wird mit einem Polypropylenfaden der Stärke 5/0 so übernäht, dass kein Stumpf übrig bleibt. Wurde die distale Conduit-Anastomose auf der linken Seite angelegt, so muss auch diese Region freipräpariert werden. Das Conduit wird distal unter Belassung eines Restes von max. 1–2 mm durchtrennt. In der Regel kann die Anastomosenstelle dann quer zu rechter und linker Pulmonalarterie übernäht werden. Wurde die distale Conduit-Anastomose auf der rechten Seite angelegt, so wird das Conduit ohne Rest abgetragen. Die Inzision in der rechten Pulmonalarterie muss dann noch um einige Millimeter erweitert und kann für die Glenn-Anastomose verwendet werden.
15.8.5
Ergebnisse der univentrikulären Kreislauftrennung
Jede Operation der Kreislauftrennung als 3-Stufen-Palliation hat ihre Letalität, v. a. aber auch die Intervalle dazwischen. Ausgangspunkt der Norwood-Operation ist eine univentrikuläre Mischblutphysiologie mit nichtrestriktivem pulmonalen Blutfluss (Shunt-Physiologie). Das Ergebnis einer erfolgreichen Norwood-Operation ist – im Gegensatz zu anderen neonatalen Eingriffen an der Herz-Lungen-Maschine – wiederum eine univentrikuläre Mischblutphysiologie. In jedem Fall ist sie jedoch balanciert, sei es nun eine Shunt-Physiologie beim Blalock-Taussig-Shunt oder eine gebändelte beim RV-PA-Conduit. Dies führt zwar zu einer Entlastung des Ventrikels; trotzdem erholen sich Neugeborene mit univentrikulärer Physiologie von so einer Operation schwerer als solche mit biventrikulärem Kreislauf. So gesehen muss die Letalität dieses Eingriffs höher sein.
469 15.8 · Operative Therapie
Die Überlebensrate der Norwood-Operation betrug anfänglich 50–70 % und liegt heute an verschiedenen Kliniken bei >90 %. In unserer Gruppe verbesserte sich die Überlebensrate von anfänglich 66 % auf heute 92 % in einer konsekutiven Serie unselektierter Patienten. Abgesehen von der persönlichen Lernkurve des Chirurgen und der einzelnen Teammitglieder sowie der Intensivmedizin führten folgende Faktoren zu dieser Verbesserung der Ergebnisse: 4 Pränatale Diagnostik. Pränatal diagnostizierte Patienten kommen in wesentlich besserem Zustand zur Operation als später diagnostizierte. Je höher der Anteil pränatal bekannter Patienten ist, desto besser sind die Ergebnisse. 4 RV-PA-Conduit statt Blalock-Taussig-Shunt. Die geänderte Physiologie führte zu einem wesentlich stabileren Kreislaufverhalten der Patienten in der unmittelbar postoperativen Phase. 4 Verbesserung der extrakorporalen Zirkulation. Tiefe Hypothermie und Kreislaufstillstand wurden zunächst von der antegraden Hirnperfusion und schließlich von der Komplettperfusion mit Kanülierung der supradiaphragmalen Aorta descendens abgelöst. Damit wurde aus einer Operation in tiefer Hypothermie und Kreislaufstillstand eine normale Operation an der Herz-Lungen-Maschine. Wenngleich in unserer Serie die einzelnen Schritte keine statistisch signifikante Verbesserung erkennen ließen, so ist sie doch in der Summe und über die Zeit deutlich. Die bidirektionale Glenn-Operation ist technisch ein sehr wenig invasiver Eingriff, der den Ventrikel entlastet und zu einer sehr sicheren Kreislaufphysiologie führt. Ihre Letalität liegt zwischen 0 % und 2 %. Sie trägt damit nur unwesentlich zur Gesamtmortalität der univentrikulären Kreislauftrennung bei. Ähnlich verhält es sich mit der Fontan-Operation. Auch diese ist in ihrer extrakardialen Variante eine sehr benigne Prozedur, die ohne Klemmung der Aorta auskommt und den Kreislauf effizienter macht. Ihre Letalität liegt ebenfalls zwischen 0 % und 2 % (in der eigenen Serie bei 0 %). ! Die Sterblichkeit der Kinder zwischen Stufe 1 und Stufe 2 ist nach wie vor nicht zu vernachlässigen. Sie wird zwischen 10 % und 16 % angegeben (»Interstage-Letalität«).
Ursachen dafür sind u. a. residuale oder rekurrente Läsionen wie restriktives Vorhofseptum, Obstruktion des Aortenbogens und Stenose des Blalock-Taussig-Shunts oder des RV-PA-Conduits. Gastrointestinale Infekte können über eine Dehydratation zu einer sehr raschen Entgleisung und Instabilität der Kreislaufsituation führen. Respiratorische Infekte können auf dem Weg einer respiratorischen Insuffizienz die Sauerstoffsättigung rapide verschlechtern und so zum Tod führen.
Ein Überwachungsprogramm verschiedener Parameter (pulsoxymetrisch bestimmte Sauerstoffsättigung, Gewichtszunahme, Trinkverhalten) wird von einer Gruppe aus Wisconsin angegeben und erbrachte eine deutliche Verbesserung (Ghanayem et al. 2003). Eine Verkürzung des Intervalls zwischen den Stufen 1 und 2, wie sie von uns seit geraumer Zeit vorgenommen wird, wird ebenfalls allgemein als eine Möglichkeit der Verbesserung angesehen. Auch scheint zumindest nach unserer eigenen Erfahrung die stabilere Physiologie des RV-PA-Conduits im Vergleich zum Blalock-Taussig-Shunt die Interimsmortalität zu senken. Über die Letalität zwischen Stufe 2 und Stufe 3 sind keine verlässlichen Daten publiziert. Allerdings scheint sie aufgrund der stabilen Physiologie der bidirektionalen kavopulmonalen Anastomose gering zu sein.
15.8.6
Alternativen zur Norwood-Operation: Ductus-arteriosus-Stent und beiderseitiges Pulmonalarterien-Banding
Das therapeutische Prinzip der Norwood–Operation – ungehinderter Auswurf des rechten Ventrikels in den Systemkreislauf, restriktive Lungenperfusion und ungehinderter Abfluss aus der Lunge – lässt sich zumindest zum Teil auch mit einer Hybridoperation ohne Herz-Lungen-Maschine unter Zuhilfenahme interventioneller Techniken erreichen. Der Ductus arteriosus wird mit einem entsprechenden Stent versehen, und die rechte sowie die linke Pulmonalarterie werden gebändelt. Besteht ein restriktives Foramen ovale, so wird auch dort ein Stent platziert (Akintuerk et al. 2002; Bacha et al. 2006; Michel-Behnke et al. 2003). Dieses Verfahren kann statt der Stufe-1-Palliation eingesetzt werden. Die Rekonstruktion des Aortenbogens und die aortopulmonale Anastomosierung werden dann auf der 2. Stufe zusammen mit der bidirektionalen Glenn-Operation durchgeführt. Dieses Verfahren wird im Wesentlichen für Patienten mit hohem Operationsrisiko angegeben. Die Zahlen sind noch relativ klein. Daher ist ein Vergleich mit der klassischen 3-Stufen-Palliation derzeit noch nicht sinnvoll. Von den Autoren selbst angegebene Schwachpunkte der Methode sind: 4 der Stent im Ductus arteriosus, welcher zu einer retrograden präduktalen Koarktation führen kann (Bacha et al. 2006) – eine insbesondere bei Aortenatresie prekäre Situation; 4 der evtl. erforderliche interatriale Stent. Der Vorteil dieser Methode gegenüber der initialen Stufe 1 nach Norwood liegt sicher darin, dass zur palliativen Operation eines Neugeborenen keine Herz-Lungen-Maschine, keine tiefe Hypothermie und kein Kreislaufstillstand benötigt werden. Bei Verwendung moderner Perfusionsmetho-
15
470
Kapitel 15 · Aortenatresie, hypoplastisches Linksherzsyndrom und hypoplastischer Linksherzkomplex
den reduziert sich dieser Vorteil allerdings auf die HerzLungen-Maschine, da bei diesen Methoden ebenfalls weder tiefe Hypothermie noch Kreislaufstillstand unbedingt erforderlich sind. Postoperativ besteht bei der Hybridoperation eine Shunt-Physiologie mit niedrigem diastolischen Blutdruck. Die Option einer gebändelten Physiologie, wie beim RVPA-Conduit, gibt es bei dieser Methode nicht. Ferner ist die Stufe 2 der Palliation dadurch erschwert, dass vor der eigentlichen Glenn-Operation – noch in einer Rezidivsituation – eine Aortenbogenrekonstruktion durchzuführen ist, bei der auch noch ein eingewachsener Ductus-arteriosusStent entfernt werden muss. Es kann daher derzeit noch nicht gesagt werden, ob diese Methode in der Summe gegenüber der klassischen Stufe 1, sei es mit einem BlalockTaussig-Shunt oder einem RV-PA-Conduit, Vorteile erbringt.
15.8.7
Alternativen zur Kreislauftrennung als Dauerpalliation
15.8.7.1
Transplantation
Zum ersten Mal wurde dieser Weg der Behandlung des hypoplastischen Linksherzsyndroms von L. Bailey (Bailey et al. 1986; Mavroudis et al. 1988) publiziert. Damals wurde als Spender ein 3,8 kg schwerer Pavian verwendet. Technisch wird die Herztransplantation in 7 Kap. 32 beschrieben. Beim hypoplastischen Linksherzsyndrom kommt zur Standardherztransplantation noch eine ausgedehnte Rekonstruktion des Aortenbogens hinzu. Letztere kann in der Regel mit dem Spendeaortenbogen durchgeführt werden. Probleme dieses Behandlungswegs sind primär die Knappheit an Organspendern und die damit verbundene lange Wartezeit. Des Weiteren ist eine lebenslange immunsuppresive Therapie erforderlich. Eine Koronarsklerose im Spenderherz ist eine bekannte Spätfolge. 15.8.7.2
15
Fetale Intervention
Besteht als Grundlage eines hypoplastischen Linksherzsyndroms eine kritische Aortenstenose, so ist dies mittels fetaler Echokardiographie ab der 16. Schwangerschaftswoche erkennbar. Der linke Ventrikel ist zu diesem Zeitpunkt noch groß, meist überdehnt und in seiner Kontraktilität massiv beeinträchtigt. Aus vielen echokardiographischen Verlaufskontrollen ist bekannt, dass solche Ventrikel ihr Wachstum einstellen sowie eine Fibroelastose und evtl. Koronarfisteln entwickeln; zudem entsteht ein hypoplastisches Linksherzsyndrom. Gelingt es zu einem ausreichend frühen Zeitpunkt, die Aortenklappe zu öffnen, den Ventrikel zu dekomprimieren und einen ausreichenden Durchfluss zu erzielen, so kann ein derartiger Ventrikel rehabilitiert und funktionstüchtig erhalten werden. Eine biventrikuläre Physiologie ist damit post partum möglich.
Erste derartige Interventionen wurden in den späten 1980er Jahren am Guy’s Hospital in London durch Allan und Maxwell in einer kleinen Serie durchgeführt (Allan et al. 1995). Nachdem die Norwood-Operation mittlerweile sehr gute Ergebnisse gezeigt hatte, wurde dieser Therapieansatz vorübergehend wieder verlassen. Aufgrund verbesserter echokardiographischer Darstellungsmöglichkeiten wurde um die Jahrtausendwende an einigen Stellen wieder damit begonnen (Makikallio et al. 2006; Tworetzky et al. 2004). Unsere eigene Erfahrung besteht derzeit in 8 fetalen Klappendilatationen; 5 davon waren erfolgreich. Die Ventrikel wurden initial durch die Dekompression kleiner und zeigten anschließend ein normales Wachstum. Leider ist einer der 5 erfolgreich dilatierten Feten intrauterin verstorben. Drei Kinder sind bereits geboren. Ihre biventrikuläre Physiologie konnte erhalten werden. Bei den ersten beiden war eine Ross-Konno-Operation erforderlich und bei einem der beiden auch noch ein mechanischer Mitralklappenersatz im Alter von 6 Monaten. Das 3. Neugeborene benötigte bislang keinen weiteren Eingriff. Ein Fetus ist zurzeit noch in utero. Insgesamt ist dies – zumindest für die kritische Aortenstenose – ein sehr vielversprechender Therapieansatz, der sicherlich dazu führt, dass vermehrt biventrikulär korrigiert werden kann. Für den Chirurgen vermehren sich so bisher eher seltene Problemstellungen wie die Resektion ausgedehnter Areale einer Endokardfibroelastose.
15.8.8
Behandlung von Grenzfällen (hypoplastischer Linksherzkomplex)
Siehe hierzu auch Tchervenkov et al. (1998). Die Entscheidung, ob ein linker Ventrikel für eine biventrikuläre Rekonstruktion geeignet ist, wird in der Regel nach morphologischen Kriterien getroffen. Die gebräuchlichsten sind die von L. Rhodes (Rhodes et al. 1991): 4 Mitralklappenöffnungsfläche von >4,75 cm2/m2, 4 Verhältnis zwischen linksventrikulärer Längsausdehnung und Längsausdehnung des Herzens von >0,8, 4 linksventrikulärer Massenindex von >35 g/m2, 4 Aortenwurzeldurchmesser von 3,5 cm/m2. ! Diese Parameter wurden nur für die kritische Aortenstenose angegeben.
Der Durchmesser des linksventrikulären Ausflusstrakts ist allerdings – berücksichtigt man die Konno- bzw. Ross-Konno-Operation – eine chirurgisch veränderbare Größe. Damit hat er bei der kritischen Aortenklappenstenose als Kriterium nur eine sehr untergeordnete Bedeutung. Für die Aortenisthmusstenose mit hypoplastischem linken Ventrikel haben diese Parameter nur eingeschränkte Gültigkeit. Tchervenkov und Mitarbeiter haben die Aortenisthmusstenose und den hypoplastischen Linksherzkomplex betreffend bereits 1998 in einer Kleinserie nachgewie-
471 Literatur
sen, dass unter bestimmten Bedingungen auch kleinere Ventrikel einer biventrikulären Korrektur zugänglich sind (Tchervenkov et al. 1998). Als Kriterien dafür wurden angegeben: 4 gute linksventrikuläre Funktion, 4 keine zugrunde liegende Mitral- oder Aortenstenose, 4 keine Endokardfibroelastose, 4 antegrader Blutfluss in Aorta ascendens und proximalem Aortenbogen. Entscheidend für den Erfolg der Behandlung ist ein unbehinderter antegrader Blutfluss durch die Mitralklappe. Dies ist Voraussetzung für das Wachstum des linken Ventrikels, d. h. ein evtl. bestehender Vorhofseptumdefekt sollte verschlossen werden. Ferner ist entscheidend, dass sämtliche Obstruktionen des Ausflusstrakts (Aortenwurzel, Aorta ascendens, Aortenbogen und -isthmus) beseitigt werden. Für den unbalancierten AV-Kanal wird ein linksventrikulärer Volumenindex von >15 ml/m2 als morphometrisches Kriterium angegeben. Eine ausgeprägte Ventrikelseptumdefektkomponente und ein stark dysplastischer Mitralklappenanteil sind allerdings schlechte Voraussetzungen für eine biventrikuläre Korrektur (van Son et al. 1997).
15.8.9
Aortenatresie bei normal großem linken Ventrikel
Diese seltene isolierte Form der Aortenatresie setzt einen nichtrestriktiven Ventrikelseptumdefekt voraus. Eine biventrikuläre Korrektur ist bei diesem Vitum möglich. Das Prinzip besteht in einer Rekonstruktion des Aortenbogens und einer aortopulmonalen Anastomosierung wie bei der Norwood-Operation. Zusätzlich ist ein intrakardialer Baffle erforderlich, der den Ventrikelseptumdefekt in die Pulmonalarterie leitet, gewissermaßen als inverse Rastelli-Operation. Der rechtsventrikuläre Ausflusstrakt wird mit einem klappentragenden Conduit wiederhergestellt. Diese Rekonstruktion wird als einzeitiges Verfahren im Neugeborenenalter angegeben und wurde so auch bei uns erfolgreich durchgeführt. Ein entsprechendes Vorgehen existiert für unterbrochenen Aortenbogen mit hochgradiger Subaortenstenose (Steger et al. 1998). Der Eingriff wird aber auch als zweizeitiges Verfahren beschrieben. Dabei erfolgt zunächst eine Norwood-Operation und zu einem späteren Zeitpunkt der intrakardiale Baffle mit dem Conduit.
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15
472
Kapitel 15 · Aortenatresie, hypoplastisches Linksherzsyndrom und hypoplastischer Linksherzkomplex
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15
16
16 Truncus arteriosus communis B. Asfour 16.1
Einleitung
– 473
16.2
Embryologie
16.3 16.3.1 16.3.2 16.3.3 16.3.4 16.3.5
Anatomie – 473 Pulmonalarterien – 473 Trunkusklappe – 474 Ventrikelseptumdefekt – 474 Koronararterien – 474 Assoziierte Anomalien – 474
16.4
Pathophysiologie
16.5
Diagnostik – 475
– 473
16.6 16.6.1 16.6.2 16.6.3 16.6.4 16.6.5 16.6.6 16.6.7 16.6.8
Operation – 475 Präoperatives Management – 475 Operationsindikation und -zeitpunkt – 475 Präoperative Vorbereitung – 475 Operativer Zugang – 475 Kardiopulmonaler Bypass – 475 Korrektur – 475 Besondere intraoperative Probleme – 478 Besondere postoperative Probleme – 479 Literatur
16.1
Einleitung
Beim Truncus arteriosus communis entspringt nur ein großes Gefäß aus der Herzbasis, das sowohl den großen als auch den kleinen Kreislauf versorgt. Definitionsgemäß muss zumindest eine Pulmonalarterie unmittelbar distal der Trunkusklappe abgehen. Die Klappe weist oft mehr als 3 Taschen auf und erscheint dadurch wie eine Fusion aus Aorten- und Pulmonalklappe. Fast immer existiert ein großer Ventrikelseptumdefekt unmittelbar unterhalb der Trunkusklappe. Die Pulmonalarterien entspringen an unterschiedlichen Orten direkt aus dem Trunkus und sind dadurch systolischem und diastolischem Systemdruck ausgesetzt. Nicht selten ist eine Unterbrechung des Aortenbogens mit dieser Anomalie assoziiert.
16.2
– 480
– 475
Embryologie
Der Truncus arteriosus communis ist das Ergebnis einer unvollständigen Septierung des Konotrunkus (Pexieder 1995). Der Ductus arteriosus ist fast nie vorhanden, wenn kein unterbrochener Aortenbogen vorliegt. Der Truncus arteriosus communis mischt sich morphologisch in das
Spektrum des aortopulmonalen Fensters (7 Kap. 19). Bei sehr großem aortopulmonalen Fenster ist nur ein sehr kleines konotrunkales Septum vorhanden. Wenn das Septum komplett fehlt, verschmelzen Aorten- und Pulmonalklappe zur Trunkusklappe (Van Praagh u. Van Praagh 1965).
16.3
Anatomie
16.3.1 Pulmonalarterien
Es gibt 2 übliche Klassifikationen, nach Van Praagh und Van Praagh (1965) sowie nach Collet und Edwards (1949) (. Abb. 16.1). Van Praagh und Van Praagh unterteilen den Truncus arteriosus communis nach dem Vorhandensein oder Fehlen des kontrunkalen Septums und definieren Typ A als Fälle mit und Typ B als jene ohne Ventrikelseptumdefekt. Bei Typ 1 ist das trunkale Septum zum Teil vorhanden, sodass die Pulmonalarterie mit einem kurzen Stamm aus dem Trunkus entspringt. Bei Typ 2 gehen rechte und linke Pulmonalarterie separat aus dem Trunkus ab, und bei Typ 3 fehlt der Ursprung einer Pulmonalarterie aus dem Trunkus.
474
Kapitel 16 · Truncus arteriosus communis
. Abb. 16.1. Trunkustypen nach der Klassifikation von Van Praagh und Van Praagh (A1–A4) sowie nach der Einteilung von Collet und Edwards (I–IV). Die Typen A1 und A2 ähneln den Typen I–III. Typ A1/I Gemeinsamer Ursprung der Pulmonalarterien aus dem Trunkus; Typ A2/II getrennter Abgang von rechter und linker Pulmonalarterie (hier relativ weit hinten) aus dem Trunkus; Typ III ebenso wie Typ II, jedoch sind die Abgänge der Pulmonalarterien weiter voneinander entfernt (nicht abgebildet). Typ A3 Nur die dem Aortenbogenverlauf kontralaterale Pul-
monalarterie geht direkt aus dem Trunkus hervor. Die andere Pulmonalarterie (hier die linke) entspringt über ein meist verengtes, duktusartiges Gefäß aus dem Aortenbogen. Typ A4 Der Trunkus setzt sich über den Ductus arteriosus in die Aorta descendens fort, nachdem vor dem Duktus die rechte bzw. linke Pulmonalarterie abgegangen ist. Die Aorta ascendens ist klein. Sie geht gewissermaßen aus dem Pulmonalisstamm ab. Der Aortenbogen ist unterbrochen. Zum Typ IV s. Text
Die nicht direkt aus dem Trunkus herznah abgehende Pulmonalarterie liegt typischerweise auf der Seite des Aortenbogens und wird von dort über eine duktusartige Struktur versorgt. Typ 4 ist mit einem unterbrochenen Aortenbogen assoziiert. Collet und Edwards unterteilen den Trunkus in die Typen I–IV. Bei Typ I entspringt aus dem Trunkus ein kurzer Pulmonalarterienstamm mit entsprechender Aufteilung. Bei Typ II gehen linke und rechte Pulmonalarterie separat aus dem posterioren Aspekt des Trunkus hervor. Am häufigsten kommt eine gemischte Form aus beiden Typen vor. Bei Typ III entspringen die Pulmonalarterien von gegenüberliegenden Seiten des Trunkus. In den meisten Fällen sind die zentralen und peripheren Pulmonalarterien gut entwickelt. Bei Typ IV, auch »Pseudotrunkus« genannt, ist kein Pulmonalarterienstamm vorhanden. Die Blutversorgung der Lungen erfolgt über aortopulmonale Kollateralen, sodass diese Konstellation in die Gruppe der Pulmonalatresie mit Ventrikelseptumdefekt gehört.
16.3.3 Ventrikelseptumdefekt
Der Ventrikelseptumdefekt liegt gewöhnlich direkt unterhalb der Trunkusklappe und ist von der Trikuspidalklappe entfernt lokalisiert, sodass das Risiko eines AV-Blocks nach Verschluss des Ventrikelseptumdefekts gering ist. Wenn die Trunkusklappe über einem kleinen Ventrikelseptumdefekt reitet, kann dieser nach einem Verschluss restriktiv wirken.
16.3.4 Koronararterien
Häufig entspringen die Koronararterien abnormal, wobei ihr Verlauf in der Regel normal ist. Die Ursprünge können sehr nah an den Abgängen der rechten und linken Pulmonalarterie liegen, und der Ramus interventricularis anterior kann – wie auch z. B. bei der Fallot-Tetralogie – aus der rechten Koronaraterie entspringen und über das Infundibulum verlaufen (Suzuki et al. 1989).
16.3.2 Trunkusklappe
16
16.3.5 Assoziierte Anomalien
Wie bereits erwähnt, erweckt die Trunkusklappe oft den Eindruck einer Fusion von Pulmonal- und Aortenklappe. Daher stammt auch die unterschiedlich mögliche Anzahl der Taschen, die von 2 bis zu 6 reichen kann. Selten sind jedoch mehr als 4 gut entwickelte Klappentaschen vorhanden. Häufiger sind einige Taschen und ihre Kommissuren nicht vollständig angelegt, wodurch eine signifikante Insuffizienz möglich ist. Gleichzeitig können diese Taschen myxomatös verdickt sein, was die Platzierung von Nähten zur Rekonstruktion erlaubt.
Am häufigsten kommen ein rechter Aortenbogen (25 %) und eine aberrante rechte A. subclavia (A. lusoria dextra; 5–10 %) vor (Calder et al. 1976). Eine Unterbrechung des Aortenbogens (Typen A und B) ist ebenso häufig (10–15 %). Zu 90 % besteht ein Di-George-Syndrom (Jahangiri et al. 2000; Sano et al. 1990).
475 16.6 · Operation
16.4
Pathophysiologie
Die Durchblutung der Lunge erfolgt nicht nur während der Systole, sondern auch während der Diastole. Dies wird insbesondere nach Abfall des pulmonalvaskulären Widerstands verstärkt, sodass die Symptomatik dann zunimmt. Zusätzlich kann der diastolische Druck aufgrund einer Insuffizienz der Trunkusklappe weiter absinken, was zu einer Zunahme des diastolischen Rückflusses in der abdominellen Aorta führt. Ein über der Trunkusklappe gemessener Druckgradient ist häufig eher ein Resultat der beschriebenen Hämodynamik als morphologisch bedingt. Eine milde Zyanose ist – obwohl die Lungendurchblutung gesteigert ist – häufig ein Resultat der Tatsache, dass beide Ventrikel in den Trunkus auswerfen. Ein irreversibler pulmonaler Hochdruck kann bei diesem Herzfehler bereits ab dem 6. Lebensmonat entstehen (Marceletti et al. 1976).
16.5
Diagnostik
Bei der körperlichen Untersuchung wie auch auf dem Röntgenbild findet man alle Zeichen der gesteigerten Lungendurchblutung. Die zur Operation führende Diagnose wird echokardiographisch gestellt. Eine Herzkatheteruntersuchung erfolgt zur Evaluierung des pulmonalen Gefäßwiderstands, wenn das Kind bereits älter als 3 Monate ist.
16.6
Operation
16.6.1 Präoperatives Management
Es handelt sich hier um einen zyanotischen Herzfehler, der nicht prostaglandinabhängig ist, auch wenn der Aortenbogen unterbrochen sein kann, da sich der Ducuts arteriosus in diesem Fall normalerweise nicht verschließt. Selten fallen die Patienten durch Schock oder Azidose auf, sondern vielmehr durch eine Herzinsuffizienz aufgrund der vermehrten Lungendurchblutung. Eine spezielle medikamentöse Therapie – außer einer kurzfristigen Optimierung des präoperativen Status – ist nicht sinnvoll.
16.6.2 Operationsindikation und -zeitpunkt
Die Diagnose stellt die Indikation zur Operation dar. Nach einer Stabilisierung auf der Intensivstation sollte der Eingriff in den ersten 2–3 Lebenswochen erfolgen.
16.6.3 Präoperative Vorbereitung
Es erfolgt eine routinemäßige anästhesiologische Einleitung mit Anlage entsprechender Katheter. Der bei diesem
Herzfehler typischerweise niedrige diastolische Druck und der erhöhte enddiastolische Druck können zu subendokardialen Ischämien mit Rhythmusstörungen führen. In Zusammenhang mit dem Di-George-Syndrom sind eine Hypokalzämie und eine Immunschwäche zu berücksichtigen. Daher müssen Blutprodukte bestrahlt werden.
16.6.4 Operativer Zugang
Nach standardmäßiger medianer Sternotomie wird zunächst auf das Vorhandensein oder Fehlen des Thymus bei Di-George-Syndrom geachtet. Dann erfolgt die Entnahme eines Perikardpatches, der in 0,6%iger Glutaraldehydlösung fixiert wird. Das Drosseln der rechten Pulmonalarterie vermindert den diastolischen Abfluss des Blutes und steigert somit den diastolischen wie auch den systolischen Blutdruck. Nach Heparinisierung wird die Aorta weit distal kanüliert und nach Anschluss an die Herz-Lungen-Maschine umgehend die linke Pulmonalarterie freigelegt, gedrosselt und anschließend großzügig mobilisiert.
16.6.5 Kardiopulmonaler Bypass
Verschiedene Strategien sind durchführbar: 4 bikavale Kanülierung und moderate Hypothermie, 4 singuläre Vorhofkanülierung und tiefe Hypothermie. Die Hypothermie könnte bezüglich der nur einmalig erforderlichen Applikation von Kardioplegielösung von Vorteil sein, da wiederholte Gaben bei Neugeborenen ungünstig sein sollen (Jonas 1998). Eine Gruppe berichtet, dass im tief hypothermen Kreislaufstillstand bei Neugeborenen und Säuglingen auch ohne Kardioplegie gearbeitet werden kann (Ziemer, persönliche Mitteilung).
16.6.6 Korrektur
Falls die Trunkusklappe insuffizient ist, sollte die Aorta gleich nach Anschluss an die Herz-Lungen-Maschine abgeklemmt werden. Meist kann man trotz der Insuffizienz die Hälfte der Kardioplegielösung über die Aortenwurzel applizieren; der Rest wird direkt über die Koronarostien infundiert. Für die Exzision der Pulmonalarterien kann bei Typ A1 der kurze Stamm aus dem Trunkus herausgetrennt werden (. Abb. 16.2a, b). Bei Typ A2/II, III durchtrennt man die Aorta meist oberhalb der Pulmonalarterie komplett (. Abb. 16.2d, e). Dies hat mehrere Vorteile: 4 Der distale Anteil der aszendierenden Aorta ist meist kleiner als die Trunkuswurzel. Für eine Anastomose muss diese anschließend gerafft werden, was den Durchmesser des sinutubulären Übergangs verringert und damit die Kompetenz der Klappe erhält.
16
476
Kapitel 16 · Truncus arteriosus communis
a
d
b
e
16
c
. Abb. 16.2. a Intraoperativer Situs nach Kanülierung eines Truncus arteriosus communis Typ A1/I und Schnittführung für die Exzision der Pulmonalarterien. b Am kardioplegischen Herzen ist der Truncus pulmonalis unter Schonung der Koronararterien durchtrennt. Zwischen den Haltefäden wird im nächsten Schritt der rechte Ventrikel eröffnet. c Die Exzisionstelle der Pulmonalarterie ist verschlossen. Der rechtsventrikuläre Ausflusstrakt wird zwischen 2 Haltefäden eröffnet. Die Pulmonalarterienbifurkation ist mit einem Haltefaden versehen. d Die Exzision der Pulmonalarterien aus dem häufigsten Truncus arteriosus communis (Typ A2/II, III) erfolgt mittels Durchtrennung des Trunkus auf Höhe der Pulmonalarterien. e Der Trunkus ist durchtrennt und die Bifurkation der Pulmonalarterie (PA) separiert. VSD Ventrikelseptumdefekt. f Der Ventrikelseptumdefekt wird mit filzpatcharmierten Einzelknopfnähten oder fortlaufend verschlossen. Das His-Bündel verläuft hier nicht am Unterrand des Ventrikelseptumdefekts, sodass man die Fäden sicher am Rand stechen kann. g Endgültige Lage des Flickens zum Verschluss des Ventrikelseptumdefekts
477 16.6 · Operation
f
g
. Abb. 16.2f, g
4 Exzidiert man die Pulmonalarterie von der linken Seite aus, ist das linke Koronarostium in Gefahr. 4 Die direkte Anastomose des Trunkus mit der Aorta ascendens kann auf diese Weise symmetrischer erfolgen. Der Verschluss des Ventrikelseptumdefekts erfolgt über eine kleinstmögliche Inzision im rechten Ventrikel (. Abb. 16.2c) unter Schonung vorhandener Konusäste und mit entsprechendem Abstand zum Ramus interventricularis anterior. Als Patchmaterial kommt Dacron, PTFE oder autologes Perikard infrage, das mit Einzelknopfnähten oder fortlaufend eingenäht wird. Normalerweise ist die Trikuspidalklappe durch Muskulatur vom Ventrikelseptumdefekt
getrennt, sodass ein nur geringes Risiko der Verletzung des His-Bündels besteht (. Abb. 16.2f, g). Für die Rekonstruktion des rechtsventrikulären Ausflusstrakts kommen verschiedene Möglichkeiten in Betracht. Im Idealfall ist ein kleiner Homograft (9–13 mm) vorhanden, welcher sich gut verarbeiten und geschmeidig implantieren lässt. Der Graft wird so kurz wie möglich getrimmt. Dann erfolgt zunächst die distale Anastomose. Anschließend wird der Graft proximal auf einem Drittel der Zirkumferenz direkt mit dem rechten Ventrikel anastomosiert (. Abb. 16.3a). Die Restöffnung verschließt man mit einem autologen Perikard- oder einem Polytetraflourethylenpatch (. Abb. 16.3b).
b
a . Abb. 16.3. a Implantation eines klappentragenden Homografts. Die distale Anastomose ist bereits erfolgt. Proximal wird der Homograft über ein Drittel seiner Zirkumferenz direkt mit dem rechten
Ventrikel anastomosiert. b Die Rekonstruktion des rechtsventrikulären Ausflusstrakts wird proximal mit einem autologen Perikardpatch vervollständigt
16
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Kapitel 16 · Truncus arteriosus communis
. Abb. 16.4. Trimmung des proximalen Endes eines klappenlosen Polytetraflourethylengrafts. Das Insert zeigt, wie die distale Schnittebene der Anschrägung im 90°-Winkel zur proximalen steht
Alternativ kann bei fehlender Verfügbarkeit eines kleinen Homografts ein klappentragender Rinderjugularvenengraft verwendet werden. Die kleinste Größe hat einen Durchmesser von 12 mm. Dieses Graft ist sehr weich und lässt sich gut verarbeiten, allerdings mit dem möglichen Nachteil einer Dilatation im Fall eines hohen Drucks. Die Klappe sitzt in der Mitte des Grafts, sodass nach distal oder proximal – je nach Bedarf – Gewebe zur Verfügung steht und somit kein weiteres Patchmaterial benötigt wird. Als Nachteil ist von einigen Zentren eine Intimaproliferation im Bereich der distalen Anastomose beschrieben worden, die wir nicht nachweisen konnten. ! Es erscheint wichtig, die distale Anastomose zuerst anzufertigen und dabei darauf zu achten, dass dies sowohl ventral als auch dorsal mit evertierenden Nähten erfolgt.
16
Das Klappenprofil ist relativ hoch, sodass der Graft auch bei kürzestmöglicher Länge immer noch deutlich länger ist als ein Homograft. Kontrovers wird die Verwendung klappenloser Conduits diskutiert. Im Allgemeinen muss man davon ausgehen, dass der intensivmedizinische postoperative Verlauf etwas länger ist. Dennoch stellt diese Option – insbesondere bei Patienten mit ausreichend großen Pulmonalarterien, ohne pulmonalen Hochdruck und ohne eine den rechtsventrikulären Ausflusstrakt kreuzende Koronararterie – eine gangbare Alternative dar, gerade weil kleine Homografts sehr selten verfügbar sind (Chen et al. 2005; Danton et al. 2001). Sind die Pulmonalarterien nach Exzision aus dem Trunkus ausreichend gut mobilisierbar, können sie direkt mit der Ventrikulotomie im posterioren Aspekt anastomosiert werden. Dies ist bei Typ I mit vorhandenem Pulmonalarterienstamm technisch am einfachsten zu realisieren.
Ventral wird die Konnektion mit einer Kappe aus autologem Perikard oder Polytetraflourethylen vervollständigt. . Abbildung 16.4 zeigt die Implantation eines Polytetraflourethylengrafts. Dabei wird auf die Trimmung des Grafts besonderer Wert gelegt. Bei einer weiteren klappenlosen Technik für die Typen I und II wird die linke Pulmonalarterie anterosuperior und dann weiter in Richtung linker Sinus Valsalvae des gemeinsamen Trunkus eröffnet (Barbero-Marcial et al. 1990). Man identifiziert den Abgang der rechten Pulmonalarterie und das linke Koronarostium, und anschließend wird ein autologer Perikardpatch an der Basis zwischen linker Koronararterie und Abgang der rechten Pulmonalarterie eingenäht. Mit diesem Patch kommt es zu einer Teilung des gemeinsamen Trunkus in einen aortalen und einen pulmonalarteriellen Anteil, wobei der linke Sinus Valsalvae auf der pulmonalen Seite verbleibt. Der Patch darf nicht zu groß gewählt werden, um nicht die rechte Pulmonalarterie zu obstruieren. Den rechten Ventrikel eröffnet man unmittelbar unterhalb des linken Sinus Valsalvae nach links inferior und verschließt den Ventrikelseptumdefekt mit Dacron oder Perikard. Schließlich wird der inferiore Rand der Inzision in der linken Pulmonalarterie mit Einzelknopffäden direkt mit dem rechten Ventrikel anastomosiert. Den rechtsventrikulären Ausflusstrakt rekonstruiert man mit einer Monocusp aus Perikard.
16.6.7 Besondere intraoperative Probleme
Eine insuffiziente Trunkusklappe ist einer Rekonstruktion meist zugänglich und ein Ersatz durch ein Homograft nur selten erforderlich. Die Ursache für eine Insuffizienz ist häufig ein Klappenprolaps. Dieser Prolaps kann durch eine Annaht an die benachbarte Taschenklappe Unterstützung
479 16.6 · Operation
finden. Auf diese Weise lässt sich aus einer quadro- bzw. trikuspiden eine tri- bzw. bikuspide Klappe herstellen. Bei assoziiertem unterbrochenen Aortenbogen wird mit einer Kanüle in Trunkus und Vorhof der Kreislauf gekühlt. Dabei drosselt man rechte und linke Pulmonalarterie mit einem Tourniquet, und während eines kurzen Kreislaufstillstands erfolgt die Korrektur. Es ist nicht ratsam, die Aorta descendens in diejenige Stelle zu implantieren, an der die Pulmonalarterien exzidiert wurden. Stattdessen sollte man diese, wie in 7 Kap. 19 beschrieben, mit der längs inzidierten distalen aszendierenden Aorta anastomosieren, ggf. mit Verlängerung in die linke A. carotis communis (. Abb. 16.5). Die Korrektur kann alternativ mittels selektiver Kopfperfusion über eine A. carotis communis erfolgen. Dabei wird für die Zeit der Rekonstruktion des Aortenbogens die Aortenkanüle in den Truncus brachiocephalicus vorgeschoben, mit einem Tourniquet angeschlungen und gedrosselt. Den Fluss in der Herz-Lungen-Maschine reduziert man bei 18°C auf etwa 30 % des Sollflusses. Mit Hilfe einer invasiven Blutdruckmessung in der rechten A. radialis erfolgt die Blutdrucküberwachung. Das Ziel besteht darin, den Druck nicht über 30 mmHg ansteigen zu lassen, um die Entstehung eines Hirnödems zu vermeiden. Um bei der Rekonstruktion eine bessere Übersicht zu erreichen, kann die Aortenkanüle über einen Polytetraflourethylen-Shunt (3,5 mm), der mit dem Truncus brachiocephalicus anastomosiert ist, eingebracht werden. Für die Rekonstruktion muss man die Aorta descendens mit einer CastanedaKlemme und die beiden supraaortalen Gefäße (linke A. subclavia, linke A. carotis) mit kleinen neurochirurgischen Yassargil-Clips drosseln. Die Entwöhnung von der Herz-Lungen-Maschine erfolgt nach üblichem Standard mit geringen Dosen von Dopamin (4–6 μg/kg KG/min). Der Thorax wird primär verschlossen. Andere Gruppen führen den sekundären Thoraxverschluss – insbesondere bei sehr kleinen Patienten (Körpergewicht von <2,5 kg) – routinemäßig nach 1–3 Tagen durch.
a
b
16.6.8 Besondere postoperative Probleme ! Die postoperative Behandlung kann aufgrund einer pulmonalen Hypertension und einer rechtsventrikulären Dysfunktion (wegen der Ventrikulotomie) anspruchsvoll sein.
Bevor man an die medikamentöse Behandlung einer pulmonalen Hypertension denkt, sollte mit Hilfe der Echokardiographie ein großer Restventrikelseptumdefekt ausgeschlossen und das Operationsresultat kontrolliert werden. Lebensgefährliche pulmonale Hypertensionen treten häufiger im späten Säuglingsalter auf (Bando et al. 1996). Aus diesem Grund sollte in diesen Fällen ein dünner Katheter über den rechtsventrikulären Ausflusstrakt in die Pulmonal-
c . Abb. 16.5a–c. Korrektur eines Trunkus mit assoziiertem unterbrochenen Aortenbogen. a, b Die Pulmonalarterien werden entlang der angezeigten Linien aus dem Trunkus herausgetrennt, und der Ductus arteriosus wird durchschnitten. c Die proximale Aorta ascendens und den proximale Ductus arteriosus übernäht man
16
480
Kapitel 16 · Truncus arteriosus communis
arterien einelegt werden. Ansonsten zieht man die üblichen Zeichen einer pulmonalen Hypertension (hoher zentraler Venendruck, arterielle Untersättigung, Tachykardie, Hypotension, Azidose, Oligurie etc.) prädiktiv heran. Bei uns werden die Patienten mindestens während der ersten Nacht, evtl. bis 48 h postoperativ, ventiliert, um den pulmonalvenösen Widerstand niedrig zu halten. Bei Hinweisen auf eine therapierefraktäre Erhöhung des pulmonalvenösen Widerstands appliziert man Stickstoffmonoxid (10–40 ppm). Nur in wenigen Ausnahmefällen kommt eine extrakorporale Membranoxygenierung zum Einsatz.
Literatur
16
Bando K, Turrentine MW, Sharp TG et al. (1996) Pulmonary hypertension after operations for congenital heart disease: analysis of risk factors and management. J Thorac Cardiovasc Surg 112: 1600–1607 Barbero-Marcial M, Riso A, Atik E et al. (1990) A technique for correction of truncus arteriosus types I and II without extracardiac conduits. J Thorac Cardiovasc Surg 99: 364–369 Calder L, Van Praagh R, Van Praagh S et al. (1976) Truncus arteriosus communis. Clinical, angiographic and pathologic findings in 100 patients. Am Heart J 92: 23–38 Chen JM, Glickstein JS, Davies RR et al. (2005) The effect of repair technique on postoperative right-sided obstruction in patients with truncus arteriosus. J Thorac Cardiovasc Surg 129: 559–568 Collet RW, Edwards JE (1949) Persistent truncus arteriosus: A classification according to anatomic types. Surg Clin North Am 29: 1245 Danton MH, Barron DJ, Stumper O et al. (2001) Repair of truncus arteriosus: A considered approach to right ventricular outflow tract reconstruction. Eur J Cardiothorac Surg 20: 95–103 Jahangiri M, Zurakowski D, Mayer JE, del Nido PJ, Jonas RA (2000) Repair of the truncal valve and associated interrupted arch in neonates with truncus arteriosus. J Thorac Cardiovasc Surg 119: 508–514 Jonas RA (1998) Myocardial protection for neonates and infants. Thorac Cardiovasc Surg 46 (Suppl 2): 288–291 Marceletti C, McGoon DC, Mair DD (1976) The natural history of truncus arteriosus. Circulation 54: 108–111 Pexieder T (1995) The conotrucus and its septation at the advent of the molecular biology era. In: Clark EB, Markwald RR, Takao A (eds) Developmental mechanisms of heart disease. Futura Publishing Co, Armonk/NY, p 227–248 Sano S, Brawn WJ, Mee RB (1990) Repair of truncus arteriosus and interrupted aortic arch. J Cardiac Surg 5: 157–162 Suzuki A, Sy H, Anderson RH, Deanfield JE (1989) Coronary arterial and sinusal anatomy in hearts with a common arterial trunk. Ann Thorac Surg 48: 792–797 Van Praagh R, Van Praagh S (1965) The anatomy of common aorticopulmonary trunk (truncus arteriosus communis) and its embryonic implications. A study of 57 necroscopy cases. Am J Cardiol 16: 406–426
17
17 D-Transposition der großen Gefäße und kongenital korrigierte Transposition S. Däbritz, A. Tiete 17.1 17.1.1 17.1.2
Dextro-(D-)Transposition der großen Gefäße – 481 D-Transposition der großen Gefäße – 481 Komplexe D-Transposition der großen Gefäße – 490
17.2
17.2.1 17.2.2 17.2.3 17.2.4 17.2.5 17.2.6 17.2.7
Kongenital korrigierte Transposition der großen Arterien (»congenitally corrected transposition of the great arteries«, ccTGA) – 494 Einleitung – 494 Anatomie – 494 Klinisches Bild und natürlicher Verlauf – 496 Diagnostik – 498 Chirurgische Behandlungsstrategien – 498 Ergebnisse – 502 Zusammenfassung – 503 Literatur
– 503
17.1
Dextro-(D-)Transposition der großen Gefäße
TGA ohne VSD sogar im Verhältnis 3 : 1 häufiger betroffen (Fyler 1980).
17.1.1
D-Transposition der großen Gefäße
17.1.1.2
Die D-Transposition der großen Gefäße (D-TGA) ist dadurch gekennzeichnet, dass die Aorta und die Pulmonalarterie in ihren Ursprüngen aus dem rechten und linken Ventrikel vertauscht sind. Die Erstbeschreibung geht auf Baillie (1797), die Namensgebung auf Farre (1814) und die erste klinische Beschreibung auf Fanconi (1932) zurück. Taussig hat 1938 die pathologische Anatomie und die Pathophysiologie beschrieben. 17.1.1.1
Epidemiologie
Die D-TGA ist mit der Fallot-Tetralogie zusammen der häufigste zyanotische Herzfehler. Die Inzidenz wird mit bis zu 10 % der kongenitalen Vitien, die wiederum mit einer Inzidenz von etwa 8/1000 Lebendgeburten vorkommen, angegeben (Sellke et al. 2005). Männliche Neugeborene sind bei der TGA mit VSD im Verhältnis 2 : 1 und bei der
Embryologie und Anatomie
Bei der D-TGA handelt es sich um eine konotrunkale Fehlbildung, d. h. eine Fehlbildung, die den Ausflusstrakt beider Ventrikel und deren Auslassklappen betrifft. Die Aorta entspringt mit der Aortenklappe aus dem mRV und hat – wie sonst die Pulmonalklappe – einen subvalvulären muskulären Konus, der nun die Aortenklappe von der Trikuspidalklappe trennt. Die Pulmonalarterie entspringt zusammen mit der Pulmonalklappe aus dem mLV und zeigt eine fibröse Kontinuität zur Mitralklappe. Normalerweise ist die Pulmonalklappe die einzige Klappe, die nicht mit den anderen Herzklappen in fibröser Kontinuität steht, weil sie durch das Konusseptum von diesen getrennt ist. Es handelt sich bei der D-TGA somit um eine ventrikuloarterielle Diskordanz. Da die Vorhöfe normal zu den Ventrikeln konnektiert sind, besteht hier eine atrioventrikuläre Konkordanz. Durch den Ursprung der Aorta aus
482
Kapitel 17 · D-Transposition der großen Gefäße und kongenital korrigierte Transposition
a
b
17
. Abb. 17.1a, b. Koronarmorphologien. a Häufigste Verteilungstypen der Koronararterien bei Transposition der großen Arterien; b seltene Formen der Gefäßverteilung mit singulärem Koronarostium.
a anterior; Cx R. circumflexus; l links; L R. descendens anterior; p posterior; r rechts; R rechte Koronararterie
dem rechten Ventrikel kommt diese rechts und anterior der Pulmonalarterie zu liegen. Der rechte Ventrikel selbst ist in seiner Lage normal und liegt somit rechts. Die einfache D-TGA und die D-TGA mit VSD sind nicht mit Lageanomalien assoziiert. Nach der Nomenklatur nach Van Praagh und Van Praagh (1966) ergibt sich daraus die Bezeichnung {SDD}: 4 S: Situs solitus (normale Konnektion der Vorhöfe); 4 D: Dextroposition der Aorta; 4 D: Lage des rechten Ventrikels auf der rechten Seite.
lar outflow tract obstruction«, RVOTO), eine Aortenbogenhypoplasie oder eine Aortenisthmusstenose (s. 17.1.2). Die Kombination einer TGA mit einer atrioventrikulären Diskordanz wird als L-TGA oder ccTGA (s. 17.2) bezeichnet. Nach Van Praagh und Van Praagh liegen ein Situs solitus, eine links lokalisierte Aorta und ein links liegender rechter Ventrikel vor {SLL} oder bei Situs universalis eine rechte Lage der Aorta und des RV vor {IDD}. Die ccTGA sowie Formen der TGA mit Ventrikelhypoplasie bis hin zum univentriukären Herzen sind im Abschnitt 17.2 sowie in 7 Kap. 15 dargestellt. Bei der TGA mit intaktem Ventrikelseptum liegt die Aorta typischerweise rechts vorne. Der subaortale Konus trennt die Aorten- von der Mitralklappe. Die großen Gefä-
Assoziierte Fehlbildungen sind in 25 % der Fälle ein VSD sowie Obstruktionen des linksventrikulären oder rechtsventrikulären Ausflusstrakts (LVOTO und »right ventricu-
483 17.1 · Dextro-(D-)Transposition der großen Gefäße
ße stehen nahezu hintereinander und sind von gleichem Kaliber. Meistens stehen sich die Kommissuren der beiden Auslassklappen gegenüber, und die Koronararterien gehen seitlich rechts und links ab. Koronaranomalien oder linksseitige Obtruktionen sind seltener als bei der TGA mit VSD. Zumeist handelt es sich bei einer subvalvulären LVOTO um eine funktionelle Enge, die durch eine Vorwölbung des Ventrikelseptums nach links verursacht ist und sich nach der Korrektur durch den Abfall des rechtsventrikulären Drucks zurückbildet. Eine anatomische LVOTO ist bei der einfachen TGA extrem selten. Ist die TGA mit einem VSD assoziiert, kann dieser alle bekannten Lokalisationen haben. Die Inzidenz liegt bei 25 %, und das Vorhandensein erhöht die Wahrscheinlichkeit für assoziierte Fehlbildungen. Bei hämodynamisch relevantem VSD ist die Pulmonalarterie deutlich größer als die Aorta. Dieser Unterschied kann ein Verhältnis von 1 : 3 erreichen. Eine Verengung des rechtsventrikulären Ausflusstrakts (RVOTO) nach arterieller Switch-Operation tritt bei diesen Patienten gehäuft auf und ist durch eine anteriore Verlagerung des Konusseptums verursacht. Linksventrikuläre Obstruktionen werden meist durch ein posteriores Malalignment des infundibulären Septums hervorgerufen und können tunnelförmig sein. Eine seltene Ursache ist akzessorisches AV-Klappen-Gewebe. Hintereinander geschaltete Stenosen mit einer Hypoplasie des Aortenbogens oder einer Aortenisthmusstenose sind wesentlich häufiger bei TGA mit VSD als bei einfacher TGA und leiten im Extremfall zu einem hypoplastischen Linksherzkomplex mit nur fraglich möglicher biventrikulärer Korrektur über. Die Kombination mit einem unterbrochenen Aortenbogen ist ebenfalls möglich, aber selten (s. 17.1.2). Generell kann bei der TGA die Pulmonalklappe verändert sein. Selten ist sie dysplastisch, häufiger asymptomatisch bikuspid und dann für das therapeutische Vorgehen ohne Bedeutung. Die Koronararterien zeigen bei der TGA in etwa 25– 30 % der Fälle keine normale Verteilung. Dies ist wiederum gehäuft in Kombination mit einem VSD und bei »double oulet right ventricle« (DORV) mit Seit-zu-Seit-Stellung der großen Gefäße zu beobachten (s. 17.1.2; Gittenberger-de Groot et al. 1983; Sim et al. 1994; Kap. 13). Koronaranomalien sind für den Koronartransfer von besonderer Bedeutung, der bei Vorliegen eines VSD durch die Lage der großen Gefäße mit mehr seitlicher Zuordnung (z. B. Taussig-Bing-Anomalie; s. unten) und die Größendifferenz (s. oben) erschwert sein kann. Für den Koronartransfer ist es günstig, wenn die Achse durch die großen Gefäße mit der Achse durch die Koronarostien im rechten Winkel steht, wenn also die großen Gefäße hintereinander stehen und die Koronarien seitlich abgehen oder – umgekehrt – die großen Gefäße seitlich stehen (wie bei der Taussig-Bing-Anomalie) und die Koronararterien anterior und posterior abgehen. Je mehr die beiden Achsen vom rechten Winkel abweichen,
desto weiter wird der Weg für eine Kranzarterie bzw. desto größer ist das Risiko der Abknickung für die andere Arterie, die im Extremfall »umklappen« müsste. Für die Beschreibung der Koronarmorphologie gibt es unterschiedliche Klassifikationen, deren Nomenklatur sich dadurch unterscheidet, wie die Sinus bezeichnet werden, aus denen die Koronarien entspringen. Bei der normalen Verteilung entspringen die Koronarien aus dem jeweils rechts und links hinten liegenden Sinus, während der vorne gelegene Sinus keine Koronarie abgibt. Die Achsen der Klappen und der Koronarien liegen im rechten Winkel. Die häufigste Koronaranomalie ist ein Abgang der A. circumflexa aus dem rechten Kranzarterienostium aus dem rechts hinten liegenden Sinus mit einem gemeinsamen Hauptstamm oder getrennt. Die A. circumflexa läuft dann hinter den beiden großen Gefäßen in ihr Versorgungsgebiet. Alle anderen Variationen sind ebenfalls möglich. Besonders erschwert wird der Koronartransfer bei einem singulären Ostium, bei dem die 3 Gefäße fächerförmig abgeben und beim Transfer einem Zug oder einer Stauchung unterliegen können. In diesen Fällen geht zumeist aus einem zweiten Ostium aus einem anderen Sinus nur ein Konusast ab, selten gar kein Gefäß. Die verschiedenen Koronarmorphologien sind in . Abb. 17.1 dargestellt. Von besonderer Bedeutung ist ein intraaortomuraler Verlauf einer Kranzarterie, der mit einer Häufigkeit von 2–3 % beschrieben ist (Sachweh et al. 2002). Dabei verläuft die Kranzarterie während der ersten Millimeter innerhalb der Aortenwand und hat keine eigene, getrennte Wand. Typischerweise kreuzt sie innerhalb der Aortenwand eine Klappenkommissur, und das Ostium ist nicht trichter-, sondern punktförmig. Sie kann bei der arteriellen Switch-Operation nicht in regulärer Weise exzidiert werden. 17.1.1.3
Physiologie
Der normale Kreislauf lässt sich wie die Zahl 8 darstellen: Das Herz liegt in der Kreuzung, und die Ringe sind der große und der kleine Kreislauf. Normalerweise wird das Blut entweder oxygeniert durch das linke Herz oder desoxygeniert durch das rechte Herz in den System- bzw. Lungenkreislauf gepumpt. Bei der D-TGA hingegen sind die Kreisläufe wie zwei getrennte Ringe: Das oxygenierte Blut kreist im kleinen Kreislauf, während das desoxygenierte Blut im Systemkreislauf verbleibt. Das Überleben der Patienten nach der Geburt ist nur durch Querverbindungen zwischen diesen beiden Ringen, also zwischen den Kreisläufen, möglich. Diese können entweder ein persistierendes Formanen ovale oder ein Vorhofseptumdefekt, ein persistierender Ductus Botalli oder ein zusätzlicher VSD sein (. Abb. 17.2). Durch Mischung des Blutes über diese Shunts besteht in der Regel eine ausreichende arterielle Sauerstoffsättigung. Der wichtigste Shunt ist dabei derjenige auf Vorhofebene. Ist dieser zu klein, kann die Vorhhoflücke durch eine Ballonatrioseptostomie erweitert werden. Diese ist ohne Durchleuchtung unter echokardiographischer Kon-
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Kapitel 17 · D-Transposition der großen Gefäße und kongenital korrigierte Transposition
jeweiligen Kreislauf und Aufgabenbereich beibehalten. Bei der arteriellen Switch-Operation ist es allerdings essenziell, dass der LV ausreichend muskelstark ist, um nach der Korrektur den Systemkreislauf sofort aufrechtzuerhalten. In einzelnen Fällen ist daher vor der Operation ein Auftrainieren des linken Ventrikels durch eine Bändelung der Pulmonalarterie erforderlich (s. oben, 17.1.5) 17.1.1.4
. Abb. 17.2. Im Gegensatz zum normalen Kreislauf sind Körper- und Lungenkreislauf bei D-Transposition der großen Gefäße (TGA) getrennt und in Reihe geschaltet. Das oxygenierte Blut kreist im kleinen Kreislauf, das desoxygenierte im großen. Die Durchmischung und damit das Überleben wird durch Querverbindungen ermöglicht, von denen der Vorhofseptumdefekt (ASD) die wichtigste ist, gefolgt vom persistierenden Ductus arteriosus Botalli (PDA) und einem Ventrikelseptumdefekt (VSD)
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trolle durchführbar und geht auf Rashkind und Miller (1969) zurück. Nur selten besteht danach noch keine ausreichende Oxygenierung, was dann eine dringende operative Korrektur erfordert. Normalerweise gewährleistet der Vorhofseptumdefekt das Überleben über das erste Lebensjahr hinaus. So sind Kinder mit D-TGA früher erst nach dem ersten Lebensjahr mittels Vorhofumkehr nach Senning bzw. Mustard operiert worden und haben bis dahin nur mit einem Vorhofseptumdefekt überlebt. Nach Einführung der Prostaglandine in den 1970er Jahren und der neonatalen arteriellen Switch-Operation in den 1980er Jahren wird als zusätzlicher Shunt der Ductus arteriosus medikamentös offengehalten. Dennoch ist häufiger ein RashkindManöver und im Einzelfall – bei fehlender Mischung – eine dringlichen operative Korrektur indiziert. Daten über den natürlichen Verlauf der D-TGA sind historisch, da dieser Herzfehler grundsätzlich einer operativen Behandlung zugeführt wird. Von besonderer Bedeutung ist das Verständnis, dass bei einer D-TGA – mit oder ohne VSD – nach der Geburt wie bei allen Neugeborenen durch den noch hohen Lungenwiderstand noch ein Druckangleich in beiden Ventrikeln besteht und daher beide Ventrikel gleich muskelstark sind. Postnatal wird der den Systemdruck produzierende rechte Ventrikel immer kräftiger, während der funktionell rechte, aber morphologisch linke Ventrikel bei fehlendem VSD wegen des sinkenden Lungenwiderstandes und des damit verbundenen Druckabfalls atrophiert, sodass sich das Ventrikelseptum zunehmend nach links wölbt. Ab etwa der 4. Lebenswoche wird dies bei verschlossenem oder kleinem Ductus arteriosus echokardiographisch sichtbar. Diese Abnahme der linksventrikulären Muskelmasse ist bei der Vorhofumkehr nicht von Bedeutung, da die Ventrikel ihren
Diagnostik
Die D-TGA lässt sich anhand der fehlenden Kreuzung der großen Gefäße häufig bereits intrauterin mittels Ultraschalldiagnostik feststellen. Postpartal fehlen typische Befunde wie ein spezifisches Herzgeräusch. Auch die Zyanose kann bei guter Mischung gering sein. Im Vordergrund stehen unspezifische klinische Symptome wie Tachypnoe, gestörtes Trinkverhalten oder Zyanose beim Trinken. Assoziierte, nichtkardiale Fehlbildungen sind bei der einfachen D-TGA extrem selten. Die Diagnose wird typischerweise echokardiographisch gestellt. Eine invasive Diagnostik ist bei der einfachen D-TGA und bei der D-TGA mit VSD ohne LVOTO in der Regel nicht erforderlich, da sich daraus keine therapeutischen Konsequenzen ergeben ! Die Therapie der D-TGA ist immer die arterielle SwitchOperation, für die präoperativ neben der Echokardiographie keine zusätzlichen Informationen erforderlich sind.
Koronaranomalien zeigen sich inraoperativ und stellen keine Kontraindikation für eine aterielle Switch-Operation dar. Im Fall von Ausflusstraktobstruktionen oder anderen komplexen Fehlbildungen, die eine andere Operationsstrategie bis hin zur univentrikulären Korrektur erfordern würden, erbringt die Herzkatheteruntersuchung und Angiokardiographie eine Klärung. Im Einzelfall kann auch eine Magnetresonanztomographie indiziert sein. Für die pränatale Diagnostik ist von Bedeutung, dass es bis dato keine Beschreibung einer D-TGA zusammen mit einer Trisomie 21 gibt. Für eine erst nach der Neonatalperiode zur Operation gelangende D-TGA reicht ebenfalls eine echokardiographische Diagnostik aus, um die Druckverhältnisse des linken Ventrikels durch Beurteilung der Septumstellung und Messung der Dicke der Hinterwand zu klären (Däbritz et al. 1997). 17.1.1.5
Therapie
Die Therapie der D-TGA erfolgt chirurgisch und hat sich seit Beginn der kongenitalen Herzchirurgie sehr verändert. Diese Veränderungen spiegeln die Grundprinzipien der Chirurgie angeborener Herzfehler wider: die möglichst frühe, möglichst komplette und weitestgehend anatomische Korrektur. Die ersten Therapieansätze waren rein palliativ und bestanden v. a. aus eine Atrioseptektomie, die ohne Herz-Lungen-Maschine möglich ist (Blalock u. Hanlon 1950). Mit
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der Herz-Lungen-Maschine entwickelten sich die Vorhofumkehr nach Senning (1959) und Mustard (1964) sowie später der arterielle Switch mit anatomischer Korrektur (Jatene et al. 1975, 1976).
Vorhofumkehr nach Senning oder Mustard Die D-TGA wurde erstmals durch Ake Senning im Jahre 1958 in Zürich chirurgisch korrigierend therapiert. Durch eine Umkehr der Vorhöfe wurde zu dem Fehler der vertauschten Gefäße ein weiterer hinzugefügt, der die Kreisläufe wieder in Serie schaltete und aus den 2 Ringen eine »8« herstellte (. Abb. 17.2). Das Ergebnis war ein physiologischer Kreislauf ohne normale anatomische Verhältnisse, da der rechte Ventrikel weiterhin Systemventrikel blieb – eine ähnliche Situation wie bei der ccTGA oder L-TGA (s. . Abb. 17.20). Daher konnte die Operation auch zeitverzögert erfolgen, wurde aber von der Züricher Schule auch in der Neonatalperiode als klassische Senning-Operation ohne Verwendung von Flickenmaterial erfolgreich durchgeführt. Bei der Mustard-Operation handelt es sich um eine im Jahre 1964 eingeführte Variante, bei der Flickenmaterial für die Tunnelung der Hohlvenen zur Mitralklappe verwendet wird. Vorhofumkehroperationen sind heute für die D-TGA nur noch selten indiziert, haben aber bei speziellen, komplexen anatomischen Situationen und bei ccTGA einen Stellenwert. Das Operationsprinzip umfasst die Herstellung eines inneren Tunnels von beiden Hohlvenen zur hinten gelegenen Mitralklappe und eine Umleitung des Lungenvenenblutes außen um diesen inneren Schlauch herum zur oben gelegenen Trikuspidalklappe (. Abb. 17.3–17.16). Bei der Kanülierung werden die venösen Kanülen unten in die untere Hohlvene und oben entweder in die obere V. cava oder in die V. anonyma eingelegt und die Aortenkanüle in die Aorta ascendens. Der Eingriff wird zumeist ohne Kreislaufstillstand in Hypothermie durchgeführt. Bei der Vorhofumkehr nach Senning wird der Vorhof nach Verschluss des »inflow« und Aortenabklemmung mit Gabe von Kardioplegielösung nach Auspräparieren des Vorhofseptums oberhalb der Kavamündungen längs eröffnet. Durch Längseröffnung des linken Vorhofs über den rechten Lungenvenen entsteht ein Vorhofstreifen mit einer Breite von 2 cm, der kranial und kaudal die vordere Zirkumferenz der entsprechenden Hohlvenen bildet. Intraatrial wird das restliche Vorhofseptum ventral abgelöst und der Sinus coronarius in ganzer Länge inzidiert. Das Septum zwischen den AV-Klappen verbleibt. Der Rand des Sinus coronarius und das dorsal gestielte (Rest-)Septum werden nun zur Überdachung der linken Lungenvenen durch fortlaufende monophile Naht an die gegenüberliegende linke Vorhofwand genäht. Die Vervollständigung der Überdachung erfolgt durch fortlaufende Annaht der Unterseite des Vorhofstreifens. Die ursprünglichen Lefzen des Vorhofseptums werden im nächsten Schritt zur Fertigstellung des Tunnels vorverlagert.
. Abb. 17.3. Kanülierungstechnik bei der Vorhofumkehr nach Senning bzw. Senning und Mustard. Die obere Hohlvene wird direkt, die untere unmittelbar am Übergang zum rechten Vorhof kanüliert
! Am unteren Rand sollten die Nähte im eröffneten Sinus coronarius, nicht aber trikuspidalseitig davon angelegt werden, um einen AV-Block zu vermeiden.
Durch Verbindung des entstandenen freien Randes mit dem Vorderrand des Vorhofstreifens wird der systemvenöse Tunnel vervollständigt und danach das Lungenvenenblut um diesen Schlauch herum geleitet. Dies erfolgt, indem der rechte Vorhofschnittrand an der oberen und unteren Hohlvene fixiert und abschließend mit dem Schnittrand am linken Vorhof vereinigt wird. Dabei sind Stenosen an den Hohlvenen und den Lungenvenen sorgfältig zu vermeiden. Im Bereich der oberen Hohlvene kann im Zweifelsfall das Vorhofohr zur plastischen Erweiterung verwendet werden; Erweiterungen durch Flicken sind an beiden Hohlvenen möglich (Eigen-/Rinderperikard oder Kunststoff). Während der Rezirkulation kann ein Links-Vent über das Vorhofohr oder über den neu gebildeten rechten, funktionell allerdings linken Vorhof eingelegt werden. Bei der Vorhofumkehr nach Mustard wird das gesamte Vorhofseptum exzidiert und der Sinus coronarius in ganzer Länge gespalten. Einen Perikardflicken – alternativ auch andere Materialien wie Rinderperikard oder Kunststoff – näht man, beginnend am Rand des Sinus coronarius, über die linken Lungenvenen um die beiden Kavamündungen herum.
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Kapitel 17 · D-Transposition der großen Gefäße und kongenital korrigierte Transposition
. Abb. 17.4. Vorhofumkehr nach Senning. Schnittführung am rechten bzw. linken Vorhof zur Bildung eines 2–3 cm breiten, über den beiden Vv. cavae haftenden Streifens aus Vorhofwand, welcher zur Bildung des neuen Vorhofseptums mitverwendet wird
. Abb. 17.5. Vorhofumkehr nach Senning. Ablösen des Restseptums an der kranialen und kaudalen Zirkumferenz. Zwischen den beiden AV-Klappen bleibt das ursprüngliche Vorhofseptum haften
. Abb. 17.6. Vorhofumkehr nach Senning. Spaltung des Sinus coronarius und der V. magna cordis am Boden des linken Vorhofs sowie Beginn der Überdachung der linksseitigen Lungenvenen mittels der hinteren Lefze des gespaltenen Sinus und der gegenüberliegenden Vorhofwand
. Abb. 17.7. Vorhofumkehr nach Senning. Beendigung der Überdachung der linksseitigen Lungenvenen
. Abb. 17.8. Vorhofumkehr nach Senning. Der hintere Rand des vorgeschnittenen Streifens aus Vorhofwand wird an die Überdachung der linksseitigen Lungenvenen genäht und bildet den mittleren Abschnitt des neuen Vorhofseptums
. Abb. 17.9. Vorhofumkehr nach Senning. Hinterer und mittlerer Abschnitt des neuen Vorhofseptums sind fertiggestellt
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. Abb. 17.10. Vorhofumkehr nach Senning. Das abgelöste ursprüngliche Vorhofseptum wird kranial und kaudal vor die Einmündung der Hohlvenen verlagert
. Abb. 17.11. Vorhofumkehr nach Senning. Durch Fixation des Vorderrandes des vorgeschnittenen Vorhofwandstreifens an das vorverlagerte ursprüngliche Restseptum wird das neue Vorhofseptum vervollständigt
. Abb. 17.12. Vorhofumkehr nach Senning. Hinter dem neuen Vorhofseptum wird das Blut beider Hohlvenen und der V. magna cordis über die Mitralklappe zum anatomisch linken Ventrikel und zur Pulmonalarterie drainiert
. Abb. 17.13. Vorhofumkehr nach Senning. Vereinigung des Lungenvenenkanals mit dem Rest des ehemals rechten Vorhofs. Dies ergibt den neuen linken Vorhof, über welchen das Lungenvenenblut über die Trikuspidalklappe zum anatomisch rechten Ventrikel und damit zur Aorta geleitet wird
. Abb. 17.14. Vorhofumkehr nach Mustard. Nach Eröffnung des rechten Vorhofs wird zunächst das gesamte Restseptum ausgeschnitten und der Sinus coronarius bzw. die V. magna cordis gespalten
. Abb. 17.15. Vorhofumkehr nach Mustard. Mit Hilfe eines Perikardoder Kunststoffflickens wird ein neues Vorhofseptum gebildet, im hinteren Anteil zwischen linksseitiger Lungenveneneinmündung und Mitralklappe fixiert und von hinten kommend um die Hohlvenenmündungen herumgeführt. Abschließend erfolgt die Fixation zwischen den AV-Klappen
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Kapitel 17 · D-Transposition der großen Gefäße und kongenital korrigierte Transposition
. Abb. 17.16. Vorhofumkehr nach Mustard. Das neue Vorhofseptum wird vollständig eingenäht. Dahinter drainiert das Blut aus beiden Hohlvenen und der V. magna cordis über die Mitralklappe zum anatomisch linken Ventrikel bzw. zur Pulmonalarterie, während das Lungenvenenblut über die Trikuspidalklappe zum anatomisch rechten Ventrikel und damit zur Aorta geleitet wird
! Am Unterrand ist darauf zu achten, dass die Naht vorhofseitig des gespaltenen Sinus coronarius bis zu dessen ursprünglicher Öffnung geführt wird, bevor sie nach vorne zur Kavamündung abbiegt, um das Reizleitungssystem nicht zu kompromittieren.
Hinter diesem neu gebildeten Septum drainieren beide Hohlvenen und der Koronarsinus zur Mitralklappe, zum linken Ventrikel und zur Pulmonalarterie (. Abb. 17.14– 17.16). Durch Vereinigung der Vorhofinzision wird der pulmonalvenöse Tunnel wie bei der Senning-Operation komplettiert, der das Lungenvenenblut zu Trikuspidalklappe, zum rechten Ventrikel und zur Aorta führt (. Abb. 17.13). Sollte hier Material fehlen, kann Eigenperikard Verwendung finden. Dieses kann man in situ belassen, indem man die Vorhofschnittränder mit dem anliegenden Perikard anastomosiert. Dabei ist auf den N. phrenicus zu achten, der am besten durch Eröffnung der rechten Pleura zu sehen ist. Verschiedene Modifikationen, die Techniken der Senning- und Mustard-Operation mit Verwendung eines Septumflickens betreffen, sind beschrieben.
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Ergebnisse. Das Hauptproblem der Vorhofumkehr liegt in der Tatsache, dass entgegen den physiologischen Verhältnissen der rechte Ventrikel als Systemventrikel verbleibt. Dieser ist mit seiner flachen, dem linken Ventrikel normalerweise anliegenden Form nicht für den Druckaufbau, sondern für den Volumentransport konzipiert. Er hat nur eines von 3 Reizleitungs- und Koronarsystemen, und die Trikuspidalklappe besitzt nur einen richtigen Papillarmuskel; die restliche Aufhängung ist septophil. Daher zeigt sich im Langzeitverlauf mit einer Häufigkeit von etwa 0,8 %/ Jahr ein Versagen des rechten Systemventrikels mit einer Trikuspidalinsuffizienz (Ebenroth u. Hurwitz 2002; Martin et al. 1990; Oechslin u. Jenni 2000]. Der Trikuspidalklap-
penersatz hat sich als Therpaie nicht bewährt, da er das weiter fortschreitende Systemventrikelversagen nicht aufhält. Eine zusätzliche Morbidität und auch Letalität ergibt sich nach der Vorhofumkehr aus der erhöhten Inzidenz von Rhythmusstörungen, die durch die multiplen Nahtreihen im Vorhof bedingt sind (Gadzoulis et al. 2000). Sie werden häufig erfolgreich mittels interventioneller Katheterablation behandelt, aber auch für den beschriebenen plötzlichen Herztod nach Senning- und Mustard-Operation verantwortlich gemacht. Bei Versagen des systemischen rechten Ventrikels nach Vorhofumkehr kann bis zum Teenageralter eine sekundäre arterielle Switch-Operation mit Aufhebung der Vorhofumkehr nach Auftrainieren des linken Ventrikels durch stufenweise Bändelung erfolgen. Allerdings ist dies technisch sehr aufwendig und potenziell mit einer Einschränkung der späteren linksventrikulären Funktion verbunden (Daebritz et al. 2001; Imai et al. 2001; Poirier u. Mee 2001). Die andere Therapieoption besteht in jedem Lebensalter in einer Herztransplantation. In Ausnahmefällen kann die Vorhofumkehr noch eine Indikation bei der D-TGA haben, nicht aber ausschließlich wegen einer Koronaranomalie. Die Frage, ob bei komplexer TGA im Einzelfall eine univentrikuläre Korrektur der Vorhofumkehr vorzuziehen ist, bleibt bisher unbeantwortet (s. 17.2). Der Vorteil einer Vorhofumkehr besteht in der biventrikulären »Korrektur«, der Vorteil einer Fontan-Operation im Erhalt des linken Ventrikels als Pumporgan für den Systemkreislauf. Der rechte Ventrikel bleibt trotzdem unter Systemdruck.
Arterielle Switch-Operation Bei der arteriellen Switch-Operation wird der Herzfehler nahezu anatomisch korrigiert, indem man die vertauschten großen Gefäße zurücktauscht. Dazu müssen auch die Kranzarterien umgepflanzt werden, da sie nach Umtausch der großen Gefäße sonst von der Pulmonalerterie abgingen. Diese Umpflanzung beinhaltet eine Umpositionierung und damit das Risiko des Abknickens oder Verziehens mit Stenosierung oder Verschluss und nachfolgendem Myokardinfarkt. Das Risiko ist bei Koronaranomalien erhöht, besonders wenn es sich um ein singuläres Koronarostium handelt, aus dem alle 3 Koronaräste entspringen (Daebritz et al. 2000; Mayer et al. 1990; Wernovsky et al. 1995). Es ist außerdem beim sog. intramuralen Verlauf eines Koronarabgangs (s. oben) erhöht (Sachweh et al. 2002). ! Um den intramuralen Verlauf zu erkennen und die Koronarie nicht versehentlich von außen durch zu trennen, ist vor der Exzision die Inspektion der Koronarostien von innen erforderlich.
Bei einer Ischämie im Versorgungsgebiet der Koronarie nach Transfer ist eine Revision erforderlich. Eine Perikardflickenerweiterung kann den Abgang bezüglich Winkel und Weite verbessern. Ein Mammaria-interna-Bypass ist bei Neugeborenen auch aus eigener Erfahrung erfolgreich durchführbar.
489 17.1 · Dextro-(D-)Transposition der großen Gefäße
Der arterielle Switch erfolgt meist ohne Kreislaufstillstand. Es gibt allerdings Kliniken, in denen die arterielle Switch-Operation mit ausgezeichneten Ergebnissen routinemäßig im hypothermen Kreislaufstillstand von etwa 40 min durchgeführt wird. Die Kanülierung geschieht doppelt – venös in beide Hohlvenen oder die V. anonyma und arteriell hoch in die Aorta vor den Trunkusabgang. Während der Kühlung an der Herz-Lungen-Maschine wird der Ductus Botalli unter Ligaturen durchtrennt und beidseits übernäht. Die großen Gefäße werden voneinander getrennt und die Pulmonalisgabel bis in die Peripherie freipräpariert, und zwar bis jenseits der Oberlappenabgänge. Dabei ist darauf zu achten, dass man auch zeltförmig an die Pulmonalarterie ziehende Gewebebrücken durchtrennt. Nach Abklemmen der Aorta und Gabe von Kardioplegielösung, die in der Regel über eine Inzision des rechten Vorhofs abgesaugt wird, legt man einen Links-Vent über den Vorhofseptumdefekt ein. Die Aorta wird oberhalb des Abgangs der Koronararterien durchtrennt, und die Koronarostien werden nach Inspektion U-förmig mit einem Kragen von etwa 1 mm ausgeschnitten. Dies sollte unter Sicht von der Innenseite aus erfolgen, indem man die Scherenbranche jeweils zwischen Koronarie und Aortenwand vorschiebt, bevor geschnitten wird. So kann eine intramurale Koronarie nicht versehentlich durchtrennt werden. Schwierig ist die Exzision, wenn das Ostium nicht in der Mitte des Sinus liegt und es kaum möglich ist, einen größeren Rand an einer Seite des Ostiums zu belassen, da die Kommissur dort ansetzt. Die Kranzarterien werden 5 mm in die Peripherie hinein präpariert. Manchmal ist es für die Mobilität erforderlich, einen Konusast zu opfern. Nachfolgend wird die Pulmonalarterie unterhalb der Bifuraktion – also eher etwas distaler als die Aorta – durchtrennt. Die Kranzarterien werden nun an die Neoaortenbasis gehalten, um die Stelle für die Implantation zu wählen. Eine Markierungsnaht kann nützlich sein und vor Durchtrennung der großen Gefäße erfolgen. Wichtig ist es, die Implantation eher höher als zu tief zu wählen, da ein Abknicken häufiger vorkommt als eine Überdehnung der sehr elastischen Kranzarterien. Mit einem Stichskalpell wird die entsprechende Stelle an der Neoaorta inzidiert. Dabei ist von innen darauf zu achten, dass die Klappentaschen nicht im Weg liegen, damit diese nicht verletzt werden. Nach leichter Dehnung mit einem Moskito wird eine 4-mm-Stanze (»punch«) eingeführt und ein kreisrundes Loch hergestellt. Die Implantation erfolgt fortlaufend mit 7/0-Polydioxannähten. Einige Chirurgen bevorzugen das Ausschneiden eines U-förmigen Loches, andere eine »Trap-door«-Plastik, bei der kein Gewebe entfernt wird, sondern das Implantationsloch durch einen Türflügelschnitt entsteht. In eigener Erfahrung hat die Ausstanzmethode exzellente Ergebnisse gezeigt und ist auch mit einer niedrigen Rate einer Neoaortenklappeninsuffizienz assoziiert (Daebritz et al. 2000). Nach Implantation der Kranzarterien wird das Lecompte-Manöver (Lecompte et al. 1981) durchgeführt, bei dem
man die Pulmonalisgabel vor die Aorta verlagert. Letztere wird dazu umgeklemmt. Es schließt sich die End-zu-EndAnastomose der Neoaorta an, bei der manchmal ein Kaliberausgleich erfolgen muss. Dieser kann zumeist durch Einschneiden des kleinkalibrigen distalen Anteils an mehreren Stellen und Raffung der proximalen Aorta bei jedem Stich erzielt werden. Nachfolgend werden der Vorhofseptumdefekt doppelreihig und der Vorhof verschlossen (jeweils direkt). Nach Entlüftung und Freigabe des Blutstroms in die Koronararterien werden die Exzisionsstellen der Kranzarterien mit U-förmigen Eigenperikardflicken verschlossen. Die Neopulmonalis anastomosiert man End-zuEnd mit 6/0-Polydioxanonnähten. In eigener Erfahrung haben sich 2 Flicken bewährt, aber ein einzelner, großer Flicken, der entsprechend »hosenförmig« geformt ist, kann ebenfalls Verwendung finden. Das Eigenperikard kann nativ oder in Glutaraldehyd eingelegt sein. Andere Materialien haben sich nicht bewährt. Das Ergebnis der Operation zeigt sich direkt an der guten Perfusion der Kranzarterien und dem allseits rosigen Myokard. Liegt ein intramuraler Koronararterienverlauf vor, muss die Aortenwand über die Kommissur hinaus mit der Kranzarterie exzidiert werden. Dazu löst man die Kommissur ab, um sie später wieder im Eigenperikardflicken der Pulmonalisrekonstruktion aufzuhängen. Manche Autoren empfehlen die Längseröffnung des Koronarostiums im intramuralen Verlauf (Asou et al. 1994). Ergebnisse. Die operative Mortalität liegt in erfahrenen Kliniken bei <5 % und ist auch bei sehr niedrigem Geburtsgewicht gering (Blume et al. 1999; Daebritz et al. 2000; Roussin et al. 2007). Durch die nahezu anatomische Korrektur der D-TGA weist die arterielle Switch-Operation zudem sehr gute Langzeitergebnisse auf. Die meisten Patienten benötigen keine kardiale Medikation und sind normal belastbar. Koronarstenosen sind selten, und die Rate der Freiheit von Re-Operationen liegt nach 10 Jahren bei >90 % (Daebritz et al. 2000; Kado et al. 1994). Pulmonalstenosen durch das Lecompte-Manöver oder die Entwicklung einer Neoaortenklappeninsuffizienz weisen auf die nichtanatomischen Punkte der Korrektur als Morbiditätsquelle hin (Losay et al. 2001; Marino et al. 2006). Rhythmusstörungen sind im Vergleich zur Vorhofumkehr selten (Rhodes et al. 1995). Ebenfalls äußerst gering ist die Rate von Koronarstenosen, die sich im Einzelfall mit einem Mammaria-Bypass therapieren lassen (Bonhoeffer et al. 1997; Castaneda et al. 1994b; Di Donato et al. 1989; HovelsGurich et al. 1997; Mayer et al. 1990; Planche et al. 1998; Pretre et al. 2001; Prifti et al. 2002; Quaegebeur et al. 1986; Sellke et al. 2005; Wernovsky et al. 1995; Williams et al. 1997). Ungeklärt ist die erhöhte Inzidenz der Entwicklung einer obstruktiven pulmonalvaskulären Erkrankung generell bei D-TGA (Newfeld et al. 1974; Rivenes et al. 1998).
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Kapitel 17 · D-Transposition der großen Gefäße und kongenital korrigierte Transposition
Wahl des operativen Vorgehens ! Bei der einfachen D-TGA ist der arterielle Switch die Therapie der Wahl, unabhängig von der Koronaranatomie.
Die Vorhofumkehr ist weitgehend obsolet (Williams et al. 2003). Die arterielle Switch-Operation ist auch bei intramuralem Koronarverlauf indiziert oder wenn die Pulmonalklappe zart, aber bikuspid ist (van Praagh 1992). Sie kann auch bei verschlossenem Duktus und abgefallenem Pulmonalisdruck mit hypotrophiertem linken Ventrikel sowie einer Hinterwanddicke des linken Ventrikels von 2–3 mm noch bis zu einem Alter von 12 Wochen primär erfolgreich durchgeführt werden (Däbritz et al. 1997). In der eigenen Erfahrung ist intraoperativ eine Probebändelung durchgeführt worden, um festzustellen, ob der linke Ventrikel den Systemdruck aufbauen kann. Dies war bis zu einem Alter von 3 Monaten immer möglich, sodass im Säuglingsalter nie eine 2-Stufen-Switch-Operation erforderlich war. Im Zweifelsfall kommt eine arterielle »Rapid-two-stage«Switch-Operation infrage, bei der der linke Ventrikel durch eine Pulmonalisbändelung innerhalb von 1–2 Wochen auftrainiert werden kann (s. oben; Castaneda et al. 1994b; Lacour-Gayet et al. 2001; Sellke et al. 2005). Wegen ausgeprägter Sättigungsabfälle muss man zusätzlich einen modifizierten Blalock-Taussig-Shunt anlegen. Dies scheint allerdings mit einer schlechteren linksventrikulären Funktion im Langzeitverlauf einherzugehen, sodass die primäre arterielle Switch-Operation in den ersten 4–6 Lebenswochen anzustreben ist. Die Bändelung zum Auftrainieren des linken Ventrikels nach Vorhofumkehr mit rechtsseitigem (System-)Ventrikelversagen oder zur Vorbereitung für einen Doppel-Switch bei ccTGA (s. 17.2) scheint altersabhängig erfolgreich und primär bis in das Teenageralter hinein möglich zu sein (Poirier u. Mee 2001; Sellke et al. 2005). Auch dabei sind Verschlechterungen der linksventrikulären Funktion beschrieben worden (Daebritz et al. 2001). Nach dem oft in meheren Schritten über einen Zeitraum von Monaten bis Jahren durchgeführten Ventrikeltraining wird der atriale Switch aufgehoben und eine arterielle Switch-Operation (Senning oder Mustard) durchgeführt (Daebritz et al. 2001; Imai et al. 2001; Mee 2005) oder es erfolgt eine kombinierte atriale und arterielle Switch-Operation (s. 17.2). Bei der D-TGA wird diese gesamte Problematik durch eine neonatale arterielle SwitchOperation vermieden, die daher indiziert ist.
17 17.1.2
Komplexe D-Transposition der großen Gefäße
17.1.2.1
Definition und Epidemiologie
Im gängigen Sprachgebrauch versteht man unter einer komplexen TGA eine TGA mit assoziierten konotrunkalen Fehlbildungen wie VSD und ventrikuläre Ausflusstraktobstruk-
tion durch Deviation des Konusseptums (LVOTO oder RVOTO) einschließlich Taussig-Bing- und Aortenbogenanomalien. Die TGA mit einfachem VSD wird im internationalen Sprachgebrauch nicht als komplex bezeichnet und hat eine Inzidenz von 10–25 % aller einfachen TGA (Fyler 1980). Im deutschsprachigen Raum wird die TGA mit VSD zumeist als komplex bezeichnet und ist daher hier aufgeführt. Komplexe Formen der TGA, die mit einer Hypoplasie eines Ventrikels oder Fehlbildungen der AV-Klappe wie einem Straddling assoziiert sind, werden in diesem Kapitel nicht behandelt, da sie eine biventrikuläre Korrektur ausschließen. 17.1.2.2
Physiologie und Diagnostik
Das klinische Bild der komlexen TGA zeigt ein weites Spektrum – abhängig davon, ob Ausflusstraktobstruktionen und nachfolgende Hypoplasien vorhanden sind. Entsprechend kann es zu einer massiven Lungenüberflutung mit verminderter Perfusion insbesondere der unteren Körperhälfte wie bei einer isolierten Aortenisthmusstenose oder umgekehrt zu einer verminderten Lungenperfussion mit ausgeprägter Zyanose wie bei einer Fallot-Tetralogie kommen. Durch die Gabe von Prostaglandinen lassen sich beide Situationen stabilisieren. Die Diagnostik besteht primär aus der Echokardiographie, die genaue Angaben zur Morphologie des VSD, des Konusseptums, der Koronararterien und der AV-Klappen einschließlich ihrer Aufhängung und der Anatomie des Aortenbogens ermöglicht. In den meisten Fällen lässt sich dadurch eine Herzkatheteruntersuchung vermeiden. Diese ist allerdings erforderlich, wenn funktionelle Untersuchungen mit blutiger Messung von Gradienten und Bestimmungen des pulmonalvaskulären Widerstandes erforderlich sind. Zudem ist eine Herzkatheteruntersuchung mit Angiokardiographie immer dann erforderlich, wenn zuvor palliative Eingriffe durchgeführt worden sind. 17.1.2.3
Transposition der großen Gefäße mit Ventrikelseptumdefekt
Bis zu 50 % der Patienten mit einer D-TGA haben einen VSD, der allerdings häufig klein ist und sich spontan verschließt, sodass nur etwa 25 % der Patienten einen chirurgisch anzugehenden VSD aufweisen (Daebritz et al. 2000; Moene et al. 1985). Wenn der VSD groß ist, kommt es nicht zu einem Druckabfall im linken Ventrikel, sodass dieser trainiert bleibt und die Korrektur nicht innerhalb der ersten Lebenswochen stattfinden muss. Zeitlich limitierend sind in diesem Fall das klinische Bild und die Lungenüberflutung. Die Therapie besteht bei fehlenden zusätzlichen Fehlbildungen in einer arteriellen Switch-Operation mit VSD-Verschluss, der bei der D-TGA der chirurgischen Technik bei VSD ohne TGA entspricht. Palliative Eingriffe sind heute nur noch in Ausnahmesituationen indiziert.
491 17.1 · Dextro-(D-)Transposition der großen Gefäße
Transposition der großen Gefäße mit links-/rechtsventrikulärer Ausflusstraktobstruktion Transposition mit linksventrikulärer Ausflusstraktobstruktion
17.1.2.4
Eine LVOTO bei TGA ist in der Regel mit einem konoventrikulären (perimembranösen) VSD assoziiert und durch eine posteriore Deviation des Konusseptums verursacht. Diese Enge kann sich zu einem fibromuskulären Tunnel entwickeln und – obwohl sie in der Regel subvalvulär ist – mit einer Hypo- oder Dysplasie der Pulmonalklappe einhergehen. Bei einer LVOTO mit TGA ist das nachgeschaltete Pulmonalisstrombett häufig hypoplastisch. Chirurgische Therapie. Als palliative Maßnahme kommt bei einer TGA mit LVOTO die Anlage eines systemischpulmonalarteriellen Shunts zur Verbesserung der Lungendurchblutung infrage. Dies kann technisch am einfachsten über eine mediane Sternotomie erfolgen. Der Shunt verläuft dann parallel zur V. cava superior vom Truncus brachiocephalicus bzw. von der A. subclavia dextra zur rechten Pulmonalarterie. In der Regel wird beim Neugeborenen ein 3,5 mm dicker, dünnwandiger Polytetrafluorethylen-Shunt verwendet, den man proximal anschrägt, distal quer durchtrennt und mit einer 7/0-Naht End-zu-Seit anastomosiert. Dies kann ohne Herz Lungen-Maschine durchgeführt werden, sollte dann aber dennoch mit einer Heparinisierung (50–100 IE/kg KG) erfolgen, um Thrombusformationen während des Eingriffs zu verhindern. Ob der Einsatz der Herz-Lungen-Maschine erforderlich ist, lässt sich durch probeweise Ausklemmung der rechten Pulmonalarterie mit Beobachtung der Sauerstoffsättigung klären. Wird die Duktusperfusion dadurch nicht beeinträchtigt, ist der Einsatz der Herz-Lungen-Maschine nicht erforderlich. Nach Eröffnen des Shunts sollte die Sättigung deutlich ansteigen und der diastolische Druck abfallen. Eine Ligatur des Ductus Botalli nach Absetzen der Prostaglandine ist bei funktionstüchtigem Shunt empfehlenswert, um eine Überperfusion der Lunge zu verhindern. In den meisten Kliniken wird auch bei sehr komplexen anatomischen Situationen die komplette Frühkorrektur angestrebt. Für diese stehen bei TGA mit VSD und LVOTO 2 Optionen zur Verfügung, da eine Resektion der LVOTO in der Regel nicht möglich ist: die Korrektur nach Rastelli (Rastelli et al. 1969) und die Nikaidoh-Operation (Nikaidoh 1984): 4 Rastelli-Operation. Dieser Eingriff ist bei TGA mit perimembranösem VSD und LVOTO indiziert. Das Prinzip besteht darin, dass das Blut durch den Flickenverschluss des VSD von der linken Kammer zur Aortenklappe geleitet und dadurch der linke Ventrikel zum Systemventrikel wird. In diesem Tunnel verbleibt auch die Pulmonalklappe, die man nach Durchtrennung des Pulmonalishauptstamms durch eine Naht verschließt. Dabei sollten die Klappentaschen mitgefasst werden. Der Anschluss des rechten Ventrikels an die Pulmonalarterie erfolgt mit einem klappentragenden
oder altersabhängig auch klappenlosen Conduit (. Abb. 17.17–17.19). Der Anschluss an die Herz-Lungen-Maschine wird in üblicher Weise vorgenommen, ein Kreislaufstillstand ist nicht erforderlich. Zunächst wird der rechtsventrikuläre Ausflusstrakt unter Schonung etwaiger größerer Koronaräste längs inzidiert. Der VSD wird dargestellt und erweitert, falls er nicht ausreichend groß ist. Die Erweiterung erfolgt in das Konusseptum nach kranial und links, um eine Beschädigung des Reizleitungssystems mit Blockbildung zu vermeiden. Ist der VSD groß und reicht bis in das Inlet-Septum, muss der VSD-Flicken in 2 Ebenen liegen, indem er unter den AV-Klappen zunächst flach verläuft, um die Sehnenfadenaufhängung nicht zu kompromittieren, und nachfolgend abbiegt, um die aortale Auslassklappe an den linken Ventrikel zu konnektieren. Zur Bildung des Tunnels wird in der Regel Dacron als Flickenmaterial verwendet. Dabei ist darauf zu achten, den Flicken tendentiell breit und kurz zu gestalten und nicht lang und schmal, um einen restriktiven Blutfluss zu vermeiden. Die Einnaht erfolgt nach anterior unter »Verdecken« der Aortenklappe, die nun links liegt. Die Nahttechnik entspricht der bei jedem VSD und kann fortlaufend oder einzeln sein. In eigener Erfahrung wird die fortlaufende flickenunterstützte U-Naht bevorzugt, da die Herstellung des dreidimensionalen Tunnels bei bereits in situ liegendem Flicken einfacher erscheint. Nach Verschluss des Pulmonalisstamms wird der RVOT in aller Regel mit einem klappentragenden Conduit rekonstruiert. Zumeist findet ein pulmonales Homograft oder ein Rinderjugularvenen-Conduit,
. Abb. 17.17. Korrektur nach Rastelli. Quere Durchtrennung der Pulmonalarterie, wobei der proximale Stumpf übernäht wird; Eröffnung des rechtsventrikulären Ausflusstrakts (ursprünglicher Systemventrikel) in der Längsachse
17
492
Kapitel 17 · D-Transposition der großen Gefäße und kongenital korrigierte Transposition
. Abb. 17.18. Korrektur nach Rastelli. Linksventrikulärer Anschluss der Aorta unter gleichzeitiger Abdichtung des Ventrikelseptumdefekts. Der Kunststoffflicken wird hinten und kaudal entlang des Randes des Ventrikelseptumdefekts fixiert, kranial hingegen entlang des vorderen Anteils der Aortenbasis eingenäht, welche sich dadurch nach links verlagert. Der Blutstrom aus dem linken Herzen wird über die ursprüngliche, evtl. erweiterte Öffnung des Ventrikelseptumdefekts zur Aorta geleitet
17
. Abb. 17.19. Korrektur nach Rastelli. Die Kontinuität zwischen rechtem Ventrikel und Pulmonalarterie wird mit einem klappentragenden Conduit hergestellt
das ab einer Größe von 12 mm erhältlich ist, Verwendung. Für den RVOT sind bei größeren Fallot-Patienten auch die ersten aus eigenem Gewebe gezüchteten Klappen implantiert worden (Cebotari et al. 2006). 4 Nikaidoh-Operation. Das Prinzip dieser Operation besteht darin, die gesamte Aortenwurzel mit der Pulmonaliswurzel auszutauschen. Potenzielle Vorteile sind die Vermeidung der Verwendung eines RVOT-Conduits oder zumindest eine anatomische Lage, der physiologische Abfluss über den LVOT ohne Tunnel und der Erhalt der anatomischen Aortenklappe als linksseitige Auslassklappe. Erstmals im Jahre 1984 beschrieben, erlangt der Eingriff zunehmende Bedeutung als Aternative zur Rastelli-Operation – bedingt durch die immer besseren operativen Ergebnisse auch bei komplexen neonatalen Eingriffen. Die Operation beginnt mit einer Exzision der Koronararterien mit einem zirkulären Kragen und der Freipräparation wie bei der arteriellen Switch-Operation. Danach wird die Aortenwurzel reseziert und der LVOT durch Inzision in das Konusseptum entweder bis in den vorhandenen VSD oder bei fehlendem VSD in den linken Ventrikel erweitert. Das aortale Autograft wird dann in den nativen LVOT eingenäht. Bei Vorhandensein eines VSD verschließt man diesen mit einem dreieckigen Flicken aus Dacron oder Polytetrafluorethylen bis zur Ebene des Autografts. Wie bei einer arteriellen Switch-Operation werden nachfolgend die Koronararterien in die neue Aortenbasis implantiert. In seltenen Fällen liegen sie so, dass man sie ohne Exzision mitsamt der Klappenbasis transplantieren kann. Die Rekonstruktion des RVOT erfolgt bei der klassischen Nikaidoh-Operation mit einer Flickenerweiterung, aber auch die Verwendung eines klappentragenden oder klappenlosen Conduits (Homograft oder Rinderjugularvenenklappe; s. oben) ist möglich. Das Conduit liegt in physiologischer Position. Ein Lecompte-Manöver bietet sich abhängig von der Lage der großen Gefäße an, ist aber bei Seit-zu-Seit-Stellung nicht regelmäßig günstig. Ergebnisse und Wahl des Operationsverfahrens. Die Rastelli-Operation geht mit einer niedrigen Letalität von <5 % einher, birgt aber im Langzeitverlauf durch LVOTO und RVOTO eine Morbidität. Daher benötigen knapp 50 % der Patienten nach 5 Jahren eine Re-Intervention (Herzkatheterisierung oder Operation) am RVOT und etwa 10 % am LVOT (Hörer et al. 2007; Kreutzer et al. 2000). Dies hat in den letzten Jahren zu einer Zunahme der Anwendung der Nikaidoh-Operation bei diesem Patientenkollektiv geführt, da eine sehr viel geringere Re-Operationsrate bezüglich RVOT und LVOT zu erwarten ist. Ob die Nikaidoh-Operation den Rastelli-Eingriff ablösen wird, hängt von den Ergebnissen im Langzeitverlauf ab (Yeh et al. 2007). Eine Vergleichsstudie der operativen Ergebnisse zeigte eine Überlegenheit der Nikaidoh- gegenüber der Rastelli-Operation (Hu et al. 2008), jedoch besteht auch bei einem Drittel der Patienten eine bedeutsame Aortenklappeninsuffizienz.
493 17.1 · Dextro-(D-)Transposition der großen Gefäße
Transposition mit rechtsventrikulärer Ausflusstraktobstruktion und Hypoplasie des Aortenbogens oder Aortenisthmusstenose Die RVOTO ist bei der TGA in der Regel ebenfalls mit einem Malalignment des Konusseptums bei konoventrikulärem (perimembranösem) VSD assoziiert, oft auch mit einem DORV (7 Kap. 13). Findet sich unter der Pulmonalklappe ein Konusseptum, welches die Pulmonal- von der Mitralklappe trennt, handelt es sich um eine Taussig-BingAnomalie, die mit einer Frequenz von 5–7 % der TGA auftritt (Pigott et al. 1987). Eine Deviation des Konusseptums mit entsprechender Ausflusstraktobstruktion führt regelmäßig zu einer Hypoplasie der nachgeschalteten großen Gefäße. Bei der TGA bedingt eine RVOTO daher gehäuft eine Hypoplasie des Aortenbogens bis hin zu einem unterbrochenen Aortenbogen oder sie geht mit einer Aortenisthmusstenose einher. Die Inzidenz einer Hypoplasie oder von anderen Anomalien des Aortenbogens liegt bei 7–10 % der TGA mit VSD und ist gehäuft bei DORV und TGA oder bei Taussig-Bing-Anomalie (s. unten) festzustellen (Pigott et al. 1987). Bei extremer Hypoplasie des Aortenbogens oder hochgradiger Aortenisthmusstenose ist postpartal die Gabe von Prostaglandin zum Offenhalten des Ductus arteriosus erforderlich. Diese Therapie wird bei jeder TGA routinemäßig unmittelbar postpartal eingeleitet. Chirurgische Therapie. Das chirurgische Vorgehen bei
TGA mit RVOTO entspricht dem Vorgehen bei TGA mit VSD. Zusätzlich ist eine Erweiterung des RVOT wie bei der Korrektur einer Fallot-Tetralogie erforderlich, um eine postoperative RVOTO zu vermeiden. In Einzelfällen zeigt sich diese erst im weiteren Verlauf, sodass ein Sekundäreingriff erforderlich wird. Sie kann dann nicht nur durch eine Deviation des Konusseptums, sondern auch durch das Lecompte-Manöver bedingt sein. Zusätzlich besteht bei TGA mit RVOTO eine erhebliche Größendifferenz zwischen der Neoaorta und der distalen Aorta. Bei der Anastomosierung reicht es auch bei erheblichen Kaliberdifferenzen in der Regel aus, die distale Aorta an mehreren gegenüberliegenden Stellen einzuschneiden, um einen trichterförmigen Übergang beider Kaliber zu erzielen. Bei Vorhandensein einer Aortenisthmusstenose wird diese heutzutage einzeitig, d. h. in der gleichen Operation, über die Sternotomie mitkorrigiert. Dazu wird eine End-zu-End-Anastomose mit ventralseitiger Eigenperikardflickenerweiterung durchgeführt. Ein Kreislaufstillstand ist dafür nicht erforderlich. Bei Hypoplasie des gesamten Bogens bietet sich eine Flickenerweiterung mit Eigenperikard oder einem pulmonalen Homograft-Patch über die gesamte Länge des Bogens und der Isthmusregion an, mit der gleichzeitig die Kaliberdifferenz bei der Neoaortenanastomosierung ausgeglichen wird. In den meisten Kliniken wird dieser Eingriff in kurzem Kreislaufstillstand durchgeführt.
Taussig-Bing-Anomalie Der DORV mit D-Malpositionsstellung der großen Arterien wird »DORV mit subpulmonalem VSD« genannt, um die Lage der großen Gefäße zueinander und zum rechten Ventrikel zu beschreiben (7 Kap. 13). Durch die TGA ist das zum VSD liegende große Gefäß bei DORV nicht die Aorta, sondern die Pulmonalarterie. Die großen Gefäße stehen in der Regel Seit-zu-Seit, und die Aorta liegt rechts von der Pulmonalarterie. Die TGA mit DORV und Seit-zu-Seit-Stellung der großen Gefäße geht gehäuft mit Koronaranomalien einher, die hinsichtlich eines singulären Ostiums in bis zu 27 % der Fälle beschrieben sind (Uemura et al. 1995). Das operative Vorgehen ändert sich dadurch nicht. Zusätzlich ist die Taussig-Bing-Anomalie mit Hypoplasien des Aortenbogens assoziiert, meist in Kombination mit einer Aortenisthmusstenose (Alsoufi et al. 2008). Chirurgische Therapie. Die Korrektur besteht normaler-
weise aus einer arteriellen Switch-Operation plus VSDVerschluss. Damit wird die Aortenklappe näher an den linken Ventrikel gebracht und durch den VSD-Verschluss an den linken Ventrikel konnektiert (Mavroudis et al. 1996). Der VSD-Verschluss kann über den Vorhof, eine rechtsseitige Ventrikulotomie oder über die Pulmonal(Neoaorten)-Klappe erfolgen. In eigener Erfahrung ist Letzteres die Regel, da der VSD über die große Pulmonalklappe zumeist gut einsehbar ist und die Ergebnisse mit dieser Technik sehr gut sind (Daebritz et al. 2000). Dazu werden die Stiche am Unterrand des VSD auf die rechte Seite gelegt. Dabei muss man die Nadel für die Stiche durch den VSD auf die rechte Seite führen. Der Flicken sollte so gestochen werden, dass die freien Ränder nach rechts zu liegen kommen, also nach Einnaht nicht sichtbar sind. Dies ist nur bei fortlaufender Nahttechnik möglich. Am Oberrand werden die Stiche wegen der subpulmonalen Lage des VSD in den Pulmonal- bzw. Neoaortenring gestochen. Die Patch-unterstützte Naht liegt dann in den Sinus der Klappe. Eine Rekonstruktion des RVOT mit einem Homograft oder einem klappentragenden Rinderjugularvenen-Conduit ist bei dieser Technik nicht erforderlich, sodass keine Re-Operationen zu planen sind. Da die anatomische Pulmonalklappe kleiner ist, kann es hier zu einer RVOTO kommen, die sich meist im ersten Jahr zeigt und eine der Fallot-Tetralogie ähnliche Patch-Erweiterung erforderlich macht. Das LecompteManöver kann dazu beitragen, wird aber bei der TaussigBing-Anomalie wegen der Seit-zu-Seit-Stellung der großen Gefäße nicht immer durchgeführt. Die Taussig-BingAnomalie geht gehäuft mit einer Hypoplasie des Aortenbogens und einer Isthmusstenose einher, sodass heute in der Regel eine einzeitige Aortenbogenplastik (s. oben) mit Pulmonalishomograftwand oder einem anderen Flickenmaterial verwendet wird. Auch wenn ein zweitzeitiges Vorgehen mit guten Ergebnissen erfolgen kann (Daebritz
17
494
Kapitel 17 · D-Transposition der großen Gefäße und kongenital korrigierte Transposition
et al. 2000), ist ein einzeitiges Vorgehen tendenziell besser und die Gesamtbelastung geringer, sodass ein zweizeitiges Vorgehen nur noch in Ausnahmefällen indiziert erscheint (Tchervenkov u. Korkola 2001; Tchervenkov et al. 1997). Ergebnisse der chirurgischen Therapie. Die Ergebnisse sind trotz der erheblich aufwendigeren Operationstechnik in großen Serien mit denen der arteriellen Switch-Operation vergleichbar (Daebritz et al. 2000; Tchervenkov u. Korkola 2001; Vogel et al. 1984). Die operative Mortalität liegt bei <7 % (Blume et al. 1999; Takeuchi et al. 2001; Wetter et al. 2004). Eine erhöhte Re-Operationsrate ergibt sich aus der Aortenbogenhypoplasie und der RVOTO und ist deutlich höher als nach einer arteriellen Switch-Operation (Alsoufi et al. 2008; Rodefeld et al. 2007).
17
17.2
Kongenital korrigierte Transposition der großen Gefäße (»congenitally corrected transposition of the great arteries«, ccTGA)
17.2.1
Einleitung
Die kongenital korrigierte Transpostion der großen Arterien (»congenitally corrected transposition of the great arteries«, ccTGA) ist ein seltener Defekt mit einer Inzidenz von 0,5 % der angeborenen Herzfehler. Der Terminus beschreibt die Morphologie einer atrioventrikulären sowie einer ventrikuloarteriellen Diskordanz. Der sytemvenöse, morphologisch rechte Vorhof ist über die Mitralklappe mit dem morphologisch linken Ventrikel verbunden, der wiederum über die Pulmonalklappe in den Truncus pulmonalis drainiert. Analog ist der pulmonalvenöse, morphologisch linke Vorhof über die Trikuspidalklappe mit dem morphologisch rechten Ventrikel verbunden, der die Funktion des Systemventrikels besitzt und über die Aortenklappe mit der Aorta verbunden ist. Als Ergebnis dieser doppelten Diskordanz resultiert trotz des kardialen Disarrangement ein physiologischer Blutfluss im gesamten Kreislaufsystem. Bei ccTGA findet sich in der Mehrzahl der Fälle ein atrialer Situs solitus mit segmentaler {SLL-}Anatomie (S: Situs solitus; L: linksseitige Lage des rechten Ventrikels bzw. linksseitige Lage der Aorta). Es kann aber auch ein Situs inversus mit segmentaler {IDD-}Anatomie (I: Situs inversus; D: rechtsseitige Lage des rechten Ventrikels bzw. rechtsseitige Lage der Aorta) vorkommen (van Praagh 1992; Van Praagh u. Van Praagh 1966; s. auch unten, 17.2.1, »Embryologie und Anatomie«). Obwohl die ccTGA auch ohne begleitende intrakardiale Malformationen auftritt (1–2%; Allwork et al. 1976), finden sich gewöhnlich assoziierte kardiale Fehlbildungen wie Ventrikelseptumdefekte (VSD), subpulmonale Stenosen und Stenosen der
Pulmonalklappe, die zu einer Obstruktion des linksventrikulären Ausflusstrakts (»left ventricular outflow tract obstruction«, LVOTO) führen, sowie Dysplasien der Trikuspidalklappe mit resultierender Insuffizienz der systemischen atrioventrikulären (AV-)Klappe. Die anatomischen Veränderungen des Reizleitungssystems prädisponieren zu Rhythmusstörungen, in erster Linie zu AV-Blockierungen ersten bis 3. Grades. Daher sind in der Mehrzahl der Fälle kardiochirurgische Eingriffe zur Korrektur der assoziierten Fehlbildungen erforderlich. Darüber hinaus können die Patienten eine Dysfunktion des systemischen, morphologisch rechten Ventrikels mit konsekutiver Trikuspidal- und Herzinsuffizienz entwickeln. In der Vergangenheit stand das Management der Folgen und Komplikationen der assoziierten kardialen Fehlbildungen wie VSD-Verschluss und Beseitigung einer LVOTO oder einer Trikuspidalinsuffizienz durch Trikuspidalklappenersatz oder -korrektur im Vordergrund der herzchirurgischen Behandlungsstrategie (sog. klassische oder konventionelle Reparatur). Heute kommt als weitere Strategievariante hinzu, ein Verbleiben des morphologisch rechten Ventrikels im Systemkreislauf zu vermeiden und den morphologisch linken Ventrikel durch eine atriale Switch-Operation in Kombination mit einer arteriellen Switch- (»Doppel-Switch«) oder Rastelli-Operation in den Systemkreis-
lauf zu integrieren. Die vergleichenden Langzeitergebnisse stehen noch aus.
17.2.2
Anatomie
17.2.2.1
Allgemeine Anatomie
Gewöhnlich liegt bei ccTGA ein Situs solitus vor. Der Apex des Herzens deutet in der Regel nach links. In etwa 25 % der Fälle kann jedoch eine Dextro- oder Mesokardie bestehen. Der morphologisch rechte Ventrikel (mRV) liegt linksseitig, der morphologisch linke Ventrikel (mLV) rechtsseitig des mRV. Bei atrialem Situs inversus (ungefähr 5 % der Fälle) findet sich eine spiegelbildliche Anordnung bei normalerweise vorhandener Dextrokardie. Bei Vorliegen eines Situs solitus liegt die Aorta links und anterior der posterior platzierten A. pulmonalis und kann aufgrund ihrer Lage den chirurgischen Zugang erschweren. In seltenen Fällen zeigt sich eine rechtsanteriore Lage der Aorta. Im Fall eines Situs inversus ist die Aorta rechts und anterior der A. pulmonalis positioniert. Ohne Vorliegen assoziierter Defekte findet sich ein physiologischer Blutfluss, bei dem das systemvenöse Blut über den rechten Vorhof, die Mitralklappe, den linken Ventrikel und die Pulmonalarterie in die Lunge gelangt. Das pulmonalvenöse Blut fließt über den linken Vorhof und die Trikuspidaklappe in den rechten Ventrikel, der das Blut über die Aorta in den Systemkreislauf pumpt (. Abb. 17.20).
495 17.2 · Kongenital korrigierte Transposition der großen Gefäße
b
a
. Abb. 17.20. a Normales Herz. b Kongenital korrigierte Transposition der großen Arterien. Ao Aorta; LA linker Vorhof; LV linker Ventrikel; RA rechter Vorhof; RV rechter Ventrikel
! Liegen keine assozierten Fehlbildungen vor, können Patienten mit ccTGA bis weit in das Erwachsenenalter ein symptomfreies Leben führen. Häufig findet sich als erste Auffälligkeit ein AV-Block. In der überwiegenden Zahl der Fälle liegen jedoch assozierte Fehlbildungen vor, deren Grad und Ausprägung den klinischen Verlauf bestimmen.
17.2.2.2
Ventrikelseptumdefekt (VSD)
Ein VSD ist die häufigste assoziierte kardiale Malformation bei ccTGA und findet sich in etwa 70 % aller Fälle (Warnes 2006). Obwohl der VSD im gesamten Ventrikelseptum lokalisiert sein kann, findet sich meist ein isolierter, perimembranös gelegener, großer VSD. Er kann sich bis in das Inlet-Septum erstrecken oder infundibulär lokalisiert sein, weiterhin können multiple VSD vorliegen. Ein großer, subaortaler, bis in das perimembranöse Septum reichender VSD ist regelmäßig mit einer hochgradigen Pulmonalstenose oder -atresie assoziiert. In diesen Fällen kann der VSD über einen intrakardialen Tunnel an die Aorta angeschlossen und der morphologisch linke Ventrikel somit in den Systemkreislauf inkorporiert sein. Selten findet sich ein atrioventrikulärer Septumdefekt (AVSD) in Kombination mit einer LVOTO. 17.2.2.3
Trikuspidalklappe (linkseitige atrioventrikuläre Klappe)
Während die Mitralklappe in aller Regel normal konfiguriert und kompetent ist, findet sich bei einer Vielzahl der Patienten mit ccTGA eine Insuffizienz der systemischen AV-Klappe (Trikuspidalklappe). Diese kann durch eine Dilatation des Trikuspidalklappenanulus bei progressiver rechtsventrikulärer Dilatation hervorgerufen werden. Zu-
dem ist häufig eine Dysplasie Ursache der Insuffizienz. Die dysplastischen Veränderungen betreffen vor allen Dingen das septale Segel, dessen Chordae kurz und verdickt sein können und das am Septum adhärent sein kann. Die septalen Komponenten der Trikuspidalklappe können wie bei einer Ebstein-Anomalie weit in den rechten Ventrikel verlagert sein. Im Gegensatz zur Ebstein-Anomalie findet sich jedoch keine Atrialisation des rechten Ventrikels. Aus chirurgischer Sicht sind die hohe Variabilität der Trikuspidalklappendysplasien sowie die schlechten Zugangsmöglichkeiten zur systemischen AV-Klappe in Hinblick auf eine Trikuspidalklappenrekonstruktion von Bedeutung. Ein sog. Straddling einer der AV-Klappen über einen VSD ist häufig mit einer Hypoplasie des entsprechenden Ventrikels assoziiert. Hierbei überreitet eine AV-Klappe das interventrikuläre Septum und hat auch Chorda- und Papillarmuskelansätze im benachbarten Ventrikel. Häufig findet sich ein Straddling der Trikuspidalklappe mit einer rechtsventrikulären Hypoplasie, seltener ein Straddling der Mitralklappe mit einer Hypoplasie des linken Ventrikels (7 Kap. 10). 17.2.2.4
Subpulmonalstenose (Obstruktion des morphologisch linksventrikulären Ausflusstrakts)
Die anatomische Positionierung des pulmonalen Ausflusstrakts bei ccTGA prädisponiert zur Entwicklung einer Stenosierung des morphologisch linksventrikulären Ausflusstrakts, da linksventrikulärer Ausflusstrakt (»left ventricular outflow tract«, LVOT) und Pulmonalklappe tief zwischen Mitral- und Trikuspidalklappe eingezwängt sind. Eine Obstruktion des LVOT findet sich in etwa 30–50 % aller Fälle (Freedom 1999) und kann sowohl fixiert als auch dyna-
17
496
Kapitel 17 · D-Transposition der großen Gefäße und kongenital korrigierte Transposition
misch sein und durch subvalvuläre oder valvuläre Komponenten verursacht werden. Eine subvalvuläre Stenose kann dabei durch akkzessorisches Mitralklappengewebe entstehen oder durch die fortschreitende Entwicklung fibrotischen Gewebes innerhalb des LVOT mit dem Resultat eines fibromuskulären Tunnels. Bei gleichzeitigem Vorhandensein eines VSD kann akzessorisches Gewebe aus dem Bereich des Defekts oder akzessorisches Mitral- oder Trikuspidalklappengewebe in den Ausflusstrakt oder in die Pulmonalklappe prolabieren. Auf Ebene der Pulmonalklappe ist eine Stenosierung durch fusionierte und verdickte Klappentaschen möglich. In einigen Fällen findet sich eine Pulmonalatresie. 17.2.2.5
Koronararterien
Die Koronararterien folgen in ihrer Morpholgie dem von ihnen versorgten, invertierten Ventrikel. Bei atrialem Situs solitus entspringt die rechtsseitige, den linken Ventrikel versorgende Koronararterie in aller Regel aus dem anterioren Sinus der Aortenklappe. Sie teilt sich in eine dem Verlauf des interventrikularen Septums folgende, anterior deszendiere Koronararterie und in den Ramus circumflexus, der im AV-Sulkus zwischen rechtem Atrium und linkem Ventrikel lokalisiert ist. Der linksposteriore Sinus der Aortenklappe ist Ursprung der morphologisch rechten Kranzarterie, die ihren Verlauf im AV-Sulkus zwischen linkem Atrium und rechtem Ventrikel nimmt. 17.2.2.6
17
Reizleitungssystem
Bei atrialem Situs solitus kann das His-Bündel – bedingt durch das Malalignment zwischen atrialem und ventrikulärem Septum – nicht aus dem vorhandenen und normal positionierten posterioren AV-Knoten an der Spitze des Koch-Dreiecks entspringen. Vielmehr findet sich ein anterior und superior am Übergang des Vorhofseptums auf den Mitralklappenring und in Nähe der Kommissur zwischen anteriorem und posteriom Mitralklappensegel gelegener akzessorischer AV-Knoten (Hosseinpour et al. 2004). Dieser akzessorische AV-Knoten ist Ursprung eines langen, penetrierenden His-Bündels, welches durch das Trigonum fibrosum sowie weiter anterior und unmittelbar inferior des Pulmonalklappenanulus subendokardial im Septum des morphologisch linken Ventrikels verläuft. Das HisBündel verzweigt sich in einen linken Schenkel, der weiter auf der Oberfläche des morphologisch linken Ventrikels verläuft, und in einen das Septum penetrierenden rechten Schenkel zum morphologisch rechten Ventrikel. Bei Vorhandensein eines perimembranösen VSD verläuft das HisBündel superior zum VSD in unmittelbarem Kontakt zum Ansatz der Pulmonalklappentaschen um den LVOT herum und weiter entlang des linksseitigen anterior-superioren Randes des VSD. In einigen Fällen ist ein anteriorer und posteriorer AVKnoten vorhanden, der jeweils Ursprung eines penetrierenden Bündels ist, sodass ein vorhandener VSD von
einem Ring aus Reizleitungsgewebe umgeben sein kann (Hosseinpour et al. 2004). Bei Vorliegen eines Situs inversus persistiert der normal gelegene posteriore AV-Knoten superior des Sinus coronarius und ist Ursprung des penetrierenden Bündels, welches analog zum Vorliegen einer atrioventrikulären Konkordanz am inferioren Rand des VSD auf der Oberfläche des morphologischen linken Ventrikels verläuft. Etwa 4–7,5 % der Neugeborenen mit ccTGA weisen bereits bei der Geburt einen AV-Block 3. Grades durch eine anatomische Diskontinuität zwischen AV-Knoten und HisBündel auf (Huhta et al. 1983; Lundstrom et al. 1990; van Son et al. 1995). Der durch das Malalignment bedingte anomale Verlauf des Reizleitungssystems prädisponiert bei zunehmendem Alter weiterhin zur Entwicklung eines kompletten AV-Blocks mit einer Progression von 2 % pro Jahr (Huhta et al. 1983). Insgesamt wird die Inzidenz eines AVBlocks 3. Grades zwischen 15 % und 32 % angegeben (Friedberg u. Nadas 1970; Huhta et al. 1985; Lundstrom et al. 1990; van Son et al. 1995). Bei weiteren 20 % der Patienten findet sich eine erst- oder zweitgradige AV-Blockierung.
17.2.3
Klinisches Bild und natürlicher Verlauf
Klinisches Bild und natürlicher Verlauf sind bei ccTGA extrem variabel und unmittelbar mit dem Vorhandensein oder Fehlen assoziierter kardialer Malformationen verknüpft. Liegen keine assoziierten Fehlbildungen vor (in 1–2 % aller Fälle; Allwork et al. 1976), können die Patienten bis in die 5. Lebensdekade hinein vollkommen symptomfrei bleiben oder einen AV-Block entwickeln. In der Regel findet sich jedoch eine sich mit dem Alter entwickelnde Insuffizienz des mRV, die meist durch eine sich parallel entwickelnde Trikuspidalinsuffizienz beschleunigt wird (Graham et al. 2000; Presbitero et al. 1995). Liegen assoziierte Fehlbildungen vor, sind Herzinsuffizienz, Zyanose und mit einem AV-Block assoziierte Bradykardien die führenden klinischen Symptome (Webb 1999). Bei Bestehen eines VSD führen Links-rechtsShunt und pulmonale Überflutung bei 30 % aller Patienten mit ccTGA und assoziierten Defekten innerhalb des ersten Lebensjahres zu einer Herzinsuffizienz (Friedberg u. Nadas 1970). Die initiale Therapie besteht aus einer Kombination aus konservativer Behandlung der Herzinsuffizienz und Bändelung der Pulmonalarterie, um die Fixierung der pulmonalen Hypertonie zu vermeiden. Pathophysiologie und Hämodynamik eines VSD werden bei vielen Patienten durch das gleichzeitige Vorliegen einer LVOTO gemindert. In vielen Fällen findet sich eine recht gut balancierte Situation mit einer nur geringen Ausprägung klinischer Symptome, sodass die Patienten über viele Jahre hinweg keine konservative oder chirurgische Therapie benötigen. Eine LVOTO mit inadäquatem pulmonalen
497 17.2 · Kongenital korrigierte Transposition der großen Gefäße
Blutfluss führt bei weiteren 30 % der Patienten innerhalb des ersten Lebensjahres zu einer Zyanose (Friedberg u. Nadas 1970), sodass die initiale Anlage eines sytemischen Shunts indiziert sein kann. Eine hochgradige Pulmonalstenose oder -atresie mit VSD bedingt bereits beim Neugeborenen die Manifestation einer schweren Zyanose und eine frühe Shunt-Anlage. Alternativ kann eine DoppelSwitch-Operation infrage kommen. Ein Teil der Patienten ist oder wird mit Herzrhythmusstörungen, v. a. einer Bradykardie oder einem kompletten AV-Block, klinisch auffällig. Zusammengefasst findet sich bei der ccTGA ein breites Spektrum des klinischen Erscheinungsbildes, das je nach Vorhandensein, Grad und Ausprägung assoziierter Defekte von dem eines Neugeborenen mit hochgradiger Herzinsuffizienz bis hin zu dem eines vollkommen symptomlosen Erwachsenen reichen kann. 17.2.3.1
Trikuspidalklappeninsuffizienz und Dysfunktion des morphologisch rechten Systemventrikels
Der wesentliche, den klinischen Verlauf bestimmende Faktor ist die Entstehung einer Insuffizienz des mRV in Assoziation mit einer Trikuspidalinsuffizienz. Die Entwicklung eines Versagens des mRV kann dabei primärer Natur sein oder sekundär unter einer physiologischen Korrektur auftreten. Der pathophysiologische Mechanismus bei primärem Versagen des mRV wird i. A. in einem Circulus vitiosus aus einem Versagen des mRV und konsekutiver Trikuspidalklappeninsuffizienz gesehen, welche wiederum zu einer Volumenbelastung des mRV führt; die veränderte Geometrie bedingt eine Verlagerung des ventrikulären Septums nach links. Die Verlagerung der septalen Komponenten der Trikuspidalklappe hat eine Verschlechterung der Koaptation mit weiterer Zunahme der Trikuspidalinsuffizienz zur Folge. Die Zunahme der Trikuspidalinsuffizienz führt wiederum zu einer progressiven Volumenbelastung des mRV mit Anulusdilatation, die ihrerseits eine weitere Verstärkung der Trikuspidalinsuffizienz und letztendlich ein Versagen des mRV bedingt. Das pathophysiologische Konzept eines Zusammenwirkens aus progressiver valvulärer und ventrikulärer Dysfunktion wird durch die Beobachtung gestützt, dass eine durch eine Pulmonalarterienbändelung zum Training des mLV bedingte Septumverlagerung in Richtung mRV eine Abnahme der Trikuspidalinsuffizienz zur Folge hat (van Son et al. 1996). Der natürliche Verlauf der Entwicklung des Versagens des mRV ist altersabhängig. Bei fortschreitendem Alter findet sich eine zunehmende Inzidenz einer progressiven Verschlechterung der rechtsventrikulären Funktion und einer Insuffizienz des rechten Ventrikels. In der 5. Lebensdekade haben 56 % aller Patienten mit ccTGA und assoziierten, signifikanten Defekten eine moderate bis schwere rechtsventrikuläre Insuffizienz. Selbst bei Patienten ohne signifikante assoziierte Defekte zeigt sich in 32 % der Fälle eine
moderate bis schwere Insuffizienz (Graham et al. 2000). Als mögliche Ursachen für das Versagen des mRV werden neben den anatomischen Faktoren (Ventrikel ist für das Niederdrucksystem konzipiert) eine myokardiale Minderperfusion des nur von einer Kranzarterie versorgten Systemventrikels (Hornung et al. 1998) und eine verringerte Koronarreserve (Hauser et al. 2003) diskutiert. Ein weiterer, wichtiger Faktor der ventrikulären Dilatation mit konsekutiver Trikuspidalinsuffizienz ist das höhere Schlagvolumen bei Patienten mit assoziierten Rhythmusstörungen, v. a. einem kompletten AV-Block (Voskuil et al. 1999; van Son et al. 1995). Liegt eine Dysplasie der Trikuspidalklappe vor oder ist diese wie bei Morbus Ebstein verlagert, kann die Entwicklung der rechtsventrikulären Dysfunktion durch die oben genannten Zusammenhänge einen rapiden Verlauf annehmen. Das Auftreten einer sekundären Zunahme der Trikuspidalinsuffizienz ist ein bedeutsames Problem nach klassischer Reparatur und findet sich bei bis zu 42 % der Patienten (Hraska et al. 2005). Nach dem dargestellten pathophysiologischen Mechanismus führt der infolge einer physiologischen Reparatur (VSD-Verschluss, Beseitigung einer LVOTO) gefallene Druck im mLV zu einem Shift des Septums in Richtung mLV und zu einer konsekutiven Trikuspidalinsuffizienz mit Volumenbelastung des mRV. Eine Rekonstruktion der Trikuspidalklappe nach vorangegangener klassischer Reparatur ist daher keine erfolgversprechende Lösung, denn sie ist entweder technisch nur schwer möglich (van Son et al. 1995) oder schlägt fehl, wenn der rechte Ventrikel im Systemkreislauf verbleibt (Acar et al. 1998). Die Ergebnisse des primären Ersatzes der Trikuspidalklappe haben sich v. a. bei rechtzeitiger Durchführung der Operation bei den ersten Anzeichen einer mRV-Dysfunktion verbessert (van Son et al. 1995), sind aber dennoch nicht zufriedenstellend, da die Ursache (mRV-Dilatation) auch damit nicht behandelt wird. In einer Serie von Hraska et al. (2005) wurde bei 14 Patienten ein initialer Trikuspidalklappenersatz vorgenommen. Die Ein- und die 5-JahresÜberlebensrate betrugen 71 % und 53 %, die Ein- und die 5-Jahres-Rate der Freiheit von einem erneuten Klappenersatz 100 % und 40 %. Bei 11 Patienten (79 %) fand sich eine Dysfunktion des mRV. Vor allem die Entwicklung einer progredienten rechtsventrikulären Dysfunktion in Verbindung mit einer progressiven Zunahme einer Trikuspidalinsuffizienz nach klassischer Reparatur hat zu Überlegungen geführt, den mLV wieder in den Systemkreislauf zu implementieren. So berichten Piran et al. (2002) von einer Dysfunktion des mRV bei 32 % von 65 Patienten mit ccTGA und einem Alter von >18 Jahren, von denen bei 55 eine konventionelle Reparation vorgenommen worden war. Die Rekrutierung des mLV in den Systemkreislauf erfolgt auf Vorhofebene durch ein Re-Routing des pulmonal- und systemvenösen Blutes mit Hilfe einer Vorhofumkehroperation (»atriale Switch-Operation«, Senning- oder Mustard-Eingriff) in
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Kapitel 17 · D-Transposition der großen Gefäße und kongenital korrigierte Transposition
Kombination mit einer arteriellen Switch-Operation (»Doppel-Switch«) oder, bei Vorliegen einer LVOTO und eines VSD, in Kombination mit einer Rastelli-Operation. Der große Vorteil dieser Strategien ist die unmittelbare Entlastung und Dekompression des mRV, der dann als subpulmonaler Ventrikel bei geringeren Drücken arbeitet. Die Druckentlastung führt weiterhin durch die oben beschriebene Septumverlagerung in Richtung mRV unmittelbar zu einer Abnahme der bestehenden Trikuspidalinsuffizienz, sodass eine Rekonstruktion oder ein Ersatz der Klappe nicht notwendig ist. Eine Doppel-Switch- oder Senning-Rastelli-Operation kann immer dann vorgenommen werden, wenn der Druck im mLV durch assoziierte Defekte wie bei Pumonalatresie mit VSD, eine Subpulmonalstenose oder eine Bändelung der Pulmonalarterie bei assoziiertem VSD auf Systemniveau liegt. Funktioniert der mLV lediglich als subpulmonaler Ventrikel, wie dies z. B. bei ccTGA ohne assoziierte Defekte der Fall ist, muss er zunächst durch eine Pulmonalarterienbändelung für seine zukünftige Aufgabe als Systemventrikel »trainiert« werden. Hierzu ist oft eine mehrfache, sukzessive Bändelung erforderlich.
17.2.4
dung kamen, war das chirugische Management der ccTGA auf die Reparatur der assoziierten Defekte, die sog. klassische oder physiologische Reparatur, beschränkt. Die Diskussion, welche Behandlungsstrategie die überlegene darstellt, ist nach wie vor nicht abgeschlossen. Bei den klassischen Reparaturen, bei denen der mRV im Systemkreislauf verbleibt, besteht das Risiko eines unvorhersehbar eintretenden, progredienten Versagens des mRV. Aus diesem Grund bevorzugen einige Klinken aktuell die anatomischen Korrekturen, bei denen der mLV wieder Systemventrikel wird. Allerdings liegen zurzeit keine Langzeitergebnisse dieser operativen Verfahren vor. . Abbildung 17.21 stellt zusammenfassend einen aktuellen, von uns verwendeten Entscheidungsalgorithmus der chirurgischen Therapie der ccTGA dar, der flexibel angepasst werden kann, wenn neue Ergebnisse, v. a. bezüglich des Langzeitverlaufs, vorliegen. 17.2.5.1
Palliative Prozeduren
Im Rahmen der chirurgischen Behandlungsstrategie der ccTGA kann in Abhängigkeit von Morphologie und Hämodynamik sowohl ein systemisch-pulmonalarterieller Shunt (modifizierter Blalock-Taussig-Shunt) als auch eine Bändelung der Pulmonalarterie zur Anwendung kommen.
Diagnostik Modifizierter Blalock-Taussig-Shunt
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Die Diagnosestellung der ccTGA erfolgt in aller Regel echokardiograpisch. Dies ist bereits pränatal durch die Echokardiographie des Fetus möglich (Allan et al. 1994). Nach der Geburt wird die Diagnose mittels transthorakaler Echokardiographie gestellt. Die transösophageale Echokardiographie ermöglicht insbesondere eine exakte Darstellung der Morphologie der AV-Klappen und einer subpulmonalen Stenose. Weitere nichtinvasive Verfahren, die additiv verwendet werden, sind die 3D-Echokardiographie, die Computer- und die Magnetresonanztomographie, Letztere insbesondere mit der Möglichkeit einer 3D-Rekonstruktion. Mit Hilfe einer Herzkatheteruntersuchung werden die Hämodynamik einer Pulmonalstenose, das Shunt-Volumen eines oder mehrerer VSD und der pulmonale Widerstands evaluiert. Soll eine anatomische Korrektur vorgenommen werden, ist die klare Darstellung der Koronaranatomie in der Angiokardiographie hilfreich, aber nicht obligat. Unumgänglich ist die invasive Messung der Ventrikeldrücke, wenn eine Bändelung der Pulmonalarterie für ein Re-Training des mLV im Hinblick auf eine anatomische Korrektur durchgeführt werden soll.
17.2.5
Chirurgische Behandlungsstrategien
Bis Ende der 1980er Jahre, in denen die chirurgischen Therapiestrategien, die den mLV wieder in den Systemkreislauf integrieren (anatomische Korrekturen), nicht zur Anwen-
Bei Neugeborenen mit einer hochgradigen Pumonalstenose oder Pulmonalatresie kann eine Indikation für die Implantation eines modifizierten Blalock-Taussig-Shunts vorliegen, wenn die Kinder für eine spätere anatomische Korrektur geeignet sind und in Hinblick auf die Vorhofumkehroperation (Senning-/Mustard-Operation; s. unten, 17.2.1) eine Größenzunahme erzielt werden soll. Eine weitere Indikation besteht bei Neugeborenen, bei denen eine Septierung der Ventrikel nicht erfolgen kann und die daher einer Fontan-Pallition zugeführt werden. Die Anlage eines modifizierten Blalock-Taussig-Shunts erfolgt über eine mediane Sternotomie. Als Graft verwenden wir eine 3,5 mm dicke, dünnwandige Stretch-Polytetrafluorethylenprothese, die zwischen der proximalen rechten A. subclavia bzw. dem Truncus brachiocephalicus und der rechten Pulmonalarterie häufig ohne Einsatz der Herz-Lungen-Maschine implantiert wird.
Bändelung der Pulmonalarterie Bei Patienten mit großem VSD und konsekutiver pulmonaler Hypertension durch pulmonale Überflutung, die im Intervall nach Größenzunahme einer Doppel-Switch-Operation zugeführt werden sollen, besteht die Indikation zur Pulmonalarterienbändelung (PAB). Eine weitere Indikation besteht bei Patienten, bei denen der mLV in Hinblick auf eine Doppel-Switch-Operation »trainiert« werden soll. Offen ist, ob eine chirurgische PAB für selektionierte Patienten eine definitive Palliation darstellen kann (Hraska et al. 2005).
499 17.2 · Kongenital korrigierte Transposition der großen Gefäße
. Abb. 17.21. Algorithmus für das chirurgische Management der kongenital korrigierten Transposition der großen Arterien. Horizontaler Pfeil Nein; vertikaler Pfeil Ja; ccTGA kongenital korrigierte Transposition der großen Arterien; HTX Herztransplantation; mBTS modifizierter Blalock-Taussig-Shunt; mLV morphologisch linker Ventrikel; PA Pulmo-
nalatresie; PAB Pulmonalarterienbändelung; PS Pulmonalstenose; TI Trikuspidalinsuffizienz; TK Trikuspidalklappe; TKE Trikuspidalklappenersatz; TKR Trikuspidalklappenrekonstruktion; VSD Ventrikelseptumdefekt
Im ersten Fall, der Vornahme einer PAB zur Vermeidung einer fixierten pulmonalen Hypertonie, wird der pulmonalarterielle Druck durch die Bändelung auf 1/3 des Systemdrucks gesenkt. Im zweiten Fall, beim Auftrainieren eines subpulmonalen mLV, stellt sich der Druck auf einen Zielwert von 80–100 % des Sytemdrucks ein. In der Regel ist hierzu ein mehrstufiges Verfahren erforderlich, welches mit einer hohen Morbidität sowie langen postoperativen Intensivpflegezeiten durch längere Beatmungsphasen oder Perioden pharmakologischer Unterstützung gekennzeichnet ist, da diese Patienten in der Regel keinen intrakardialen Shunt haben. Die Antwort des mLV auf die abrupte Erhöhung der Nachlast ohne intrakardialen Shunt ist nicht vorhersehbar und ist sowohl altersabhängig als auch von einer Vielzahl perioperativer Variablen beeinfusst. Der Zugang erfolgt in beiden Fällen über eine mediane Sternotomie. Für die Bändelung empfiehlt sich ein breites Polytetrafluorethylenband, das unter invasiver Messung des Drucks in der Pulmonalarterie bzw. im mLV und transösophagealer Echokardiographie angelegt wird. In den meisten Fällen ist eine mehrstufige Bändelung erforderlich. Ein adjustierbares Bändelungssystem wäre v. a. in Anbetracht der langen Zeitdauer eines Trainings des mLV zu wünschen.
Die bisherigen Versuche mit derartigen Systemen sind jedoch enttäuschend oder befinden sich noch in der Entwicklung (Bonnet et al. 2004; Daebritz et al. 1999). 17.2.5.2
Physiologische Korrektur (klassisch oder konventionell)
Ziel der physiologischen Reparaturen ist die Korrektur der assozierten Malformationen. Daher ist ein Verbleiben des rechten Ventrikels und der Trikuspidalklappe im Systemkreislauf das gemeinsame Merkmal der konventionellen
Reparaturen.
Allgemeines operatives Vorgehen und kardiopulmonaler Bypass Der Zugang zum Herzen erfolgt über eine mediane Sternotomie. Der Thymus wird subtotal reseziert, das Perikard mittig eröffnet und an Haltenähten aufgespannt. Nach Präparation der großen Gefäße und systemischer Heparinisierung kanüliert man Aorta, V. anonyma und V. cava inferior. Mit Beginn der extrakorporalen Zirkulation wird ein evtl. vorhandener Shunt proximal und distal mit Gefäßklemmen geklemmt und durchtrennt; anschließend übernäht man beide Shunt-Stümpfe. Die Operationen werden in milder
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500
Kapitel 17 · D-Transposition der großen Gefäße und kongenital korrigierte Transposition
Hypothermie durchgeführt, wozu am kardiopulmonalen Bypass eine Kühlung auf eine Körperkerntemperatur von 28°C erfolgt. Nach Zuziehen der Tourniquets der angeschlungenen Vv. cavae superior et inferior wird die Aorta geklemmt und der rechte Vorhof quer eröffnet. Das Herz legt man durch antegrade Installation von kristalliner Kardioplegielösung (Bretschneider; 30 ml/kg KG) still, die am Sinus coronarius abgesaugt wird. Die Entlastung des linken Ventrikels erfolgt durch Einlage eines Vents über einen vorhandenen oder zu diesem Zweck durch Inzision des Vorhofseptums im Bereich der Fossa ovalis geschaffenen Vorhofseptumdefekt. Nach erfolgter Reparatur wird der Vorhofseptumdefekt durch eine fortlaufende, zweireihige, nichtresorbierbare Naht (Polypropylene, z. B. Prolene, Fa. Ethicon) verschlossen. Vor dem Knoten des Fadens wird der linke Vorhof sorgfältig entlüftet. Der Verschluss der Atriotomie erfolgt durch eine zweireihige, fortlaufende Naht mit einem resorbierbaren Faden (Polydioxanon, PDS, Fa. Ethicon). Auch hier entlüftet man vor dem Knoten des Fadens das rechte Atrium komplett. Anschließend wird der Patient in Kopftieflage gebracht, der linke Ventrikel durch Punktion der A. ascendens und Aspiration sorgfältig entlüftet und anschließend die Koronarperfusion durch Öffnen der Aortenklemme freigegeben. Nach Aufwärmen und Erreichen einer normalen Körperkerntemperatur erfolgt das Weaning durch stufenweise Reduktion der extrakorporalen Zirkulation bis zur Beendigung des kardiopulmonalen Bypasses. Im Anschluss kann eine modifizierte Ultrafiltration erfolgen, während derer man das Operationsergebnis mittels transösophagealer Echokardiographie evaluiert. Zwischenzeitlich wird ein passagerer, epimyokardialer Vorhof- und Ventrikelschrittmacherdraht aufgenäht, und es werden intra- und retrosternale Blake-Drainagen eingelegt. Das Perikard wird bei allen Patienten unter Zuhilfenahme einer 0,1 mm starken Polytetrafluorethylenmembran verschlossen, um Herz und Gefäße bei potenziellen zukünftigen Eingriffen zu schützen.
Verschluss des Ventrikelseptumdefekts
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Der Zugang zum Verschluss des VSD erfolgt in der Regel über eine rechtstriale Inzision, die Exposition des Defekts über die Mitralklappe. Allerdings ist auch ein transpulmonaler Zugang oder – bei Inzision des linken Ventrikels zur Implantation eines linksventrikulären, pulmonalarteriellen, klappentragenden Conduits – ein Zugang über die vorgenommene Ventrikulotomie möglich. Der Verschluß des VSD mit Hilfe eines passend zurechtgeschnittenen DacronFlickens kann sowohl durch eine fortlaufende Naht, als auch durch teflonfilzunterlegte U-Nähte durchgeführt werden. Besonders zu beachten ist der Verlauf des Reizleitungssystems. Entlang des anterior-superioren Defektrandes, an dem das Bündel linksseitig verläuft, sticht man die Nähte durch den VSD auf die Seite des mRV. Im weiteren Verlauf, bei Übergang auf den Defektrand, der frei von Reizleitungs-
gewebe ist, können die Nähte durch die Basis oder den Anulus des septalen Mitralklappensegels und posterior-inferior auf die Seite des mLV gestochen werden.
Operation der Subpulmonalstenose und Implantation eines klappentragenden Conduits Ursachen und hämodynamische Relevanz von Stenosierungen des LVOT bei ccTGA sind von einer hohen Variabilität gekennzeichnet. Die Resektion des stenosierenden Gewebes ist zum einen durch die anatomische Lage des subpulmonalen Ausflusstrakts deutlich erschwert, zum anderen verläuft das penetrierende Bündel im Bereich des zu resezierenden Gewebes. Nur in Ausnahmefällen ist eine ausgedehnte Resektion stenosierenden Gewebes innerhalb des LVOT ohne Schädigung des Reizleitungsgewebes möglich. Die Beseitigung der LVOTO erfolgt deshalb durch Implantation eines extrakardialen, klappentragenden, ventrikulopulmonalen Conduits. Wir bevorzugen ein klappentragendes Rinderjugularvenen-Conduit, das jedoch nur in Größen von 12–22 mm erhältlich ist. Benötigt man ein kleineres oder größeres Conduit, wählen wir ein pulmonales Homograft. ! Bei der Inzision des linken Ventrikels muss besonders auf den Verlauf der Koronararterien und die Lokalisation der Papillarmuskeln geachtet werden, die man nicht verletzen darf.
Die Einnaht des Conduits erfolgt mittels fortlaufender Polypropylenenähte, wobei die Anastomosierung mit der Pulmonalarterie in der Regel rechts der Aorta erfolgt.
Trikuspidalklappenrekonstruktion und Trikuspidalklappenersatz Der transsternale Zugang zur Vornahme einer Trikuspidalklappenrekonstruktion oder eines Trikuspidalklappenersatzes kann sich aufgrund der posterioren Lage als schwierig erweisen, insbesondere wenn die Trikuspidalklappe tief in den mRV verlagert ist. Prinzipiell stehen alle bekannten Techniken der Klappenrekonstruktion inklusive Implantation eines Anuloplastierings zur Verfügung. Aufgrund der schlechten Ergebnisse einer Trikuspidalklappenrekonstruktion bei ccTGA ist ein primärer Ersatz der Trikuspidalklappe immer dann zu erwägen, wenn der Erfolg einer Rekonstruktion unsicher erscheint. In den meisten Fällen wird eine mechanische Klappe gewählt, die man mit einzelnen, flickengestützen Nähten implantiert. Im Allgemeinen ziehen wir jedoch eine anatomische Korrektur vor, da der Grad einer bestehenden Trikuspidalinsuffizienz durch die Wiederherstellung der Geometrie des mRV deutlich abnimmt oder keine Trikuspidalinsuffizienz mehr nachweisbar ist. Eine übersichtlichere Darstellung der linksseitigen AV-Klappe bei ccTGA kann ggf. über einen linksthorakalen Zugang – einen klassischen Zugang der Mitralchirurgie der frühen Zeit – erreicht werden.
501 17.2 · Kongenital korrigierte Transposition der großen Gefäße
Schrittmacherimplantation Ein kompletter AV-Block kann sich im natürlichen Verlauf entwickeln, ist häufig aber auch Folge einer direkten Schädigung des Reizleitungssystems nach ausgedehnter Resektion einer subpulmonalen Stenose oder Vergrößerung eines VSD im Rahmen einer anatomischen Korrektur. Nach klassischer Reparatur scheint die Inzidenz eines kompletten AV-Blocks höher zu sein als nach anatomischer Korrektur. Sie beträgt 22 % bei den nach 1981 operierten Patienten der Serie von Hraska et al. (2005) und 26 % in der Serie von Yeh et al. (1999). Die Technik der Implantation von transvenösen und epimyokardialen Schrittmachersystemen ist ausführlich in 7 Kap. 26 dargestellt. Bei Kindern mit einem Gewicht von <15 kg empfiehlt sich ein DDD-System mit der Aufnaht epimyokardialer Sonden. Das Aggregat wird in der Regel in eine oberhalb der hinteren Rektusfaszie präparierte Schrittmachertasche im Epigastrium eingebracht. Ab einem Gewicht von etwa 15 kg werden transvenös eingebrachte, dünne Schrittmacherelektroden verwendet, wobei man das Aggregat unterhalb des rechten M. pectoralis auf der Thoraxwand platziert. 17.2.5.3
Konditionierende Prozeduren in Hinblick auf eine anatomische Korrektur: Training des linken Ventrikels
Das Konzept des Auftrainierens des mLV durch Anlage einer Pulmonalarterienbändelung hat sich mittlerweile als potenzieller Bestandteil der Behandlungsstrategie bei Versagen des mRV nach atrialer Switch-Operation für sorgfältig selektierte Patienten etabliert (Daebritz et al. 2001; Mavroudis u. Backer 2000; Mee 1986; Poirier u. Mee 2000; Poirier et al. 2004). Nach einer Pulmonalarterienbändelung führt der erhöhte linksventrikuläre Druck zu einer Veränderung der Geometrie des linken Ventrikels mit einem Shift des Ventrikelseptums aus einer linksseitigen in eine mittig gelegene Position mit konsekutiver Abnahme des enddiastoloischen und endsystolischen Volumens des mRV. Die Volumenreduktion des mRV bedingt eine bessere Koaptation der Trikuspidalklappensegel mit Verringerung der Trikuspidalklappeninsuffizienz, was wiederum über eine weitere Reduktion der Volumenbelastung zu einer Verbesserung der Ventrikelfunktion führt. Aufgrund der hohen Variabilität der Ergebnisse bestehen allerdings nach wie vor Unsicherheiten, welche Patienten für ein Training des linken Ventrikels als Konditionierung für eine anatomische Korrektur geeignet sind. Eine exakte Altersgrenze, bis zu der ein Training des mLV erfolgreich durchgeführt werden kann, existiert nicht. Es besteht jedoch weitgehend Konsens darüber, dass ein Erfolg auf die Zeitspanne bis zum Erreichen des Jugendlichenalters von etwa 15–16 Jahre begrenzt ist (Mavroudis u. Backer 2000; Poirier u. Mee 2000), obwohl in einzelnen Fällen über ein erfolgreiches Trainieren des mLV im jungen Erwachsenen-
alter (23 Jahre) berichtet wurde (Padalino et al. 2000). Die Altersabhängigkeit des Erfolgs des Ventrikeltrainings ist unmittelbar mit einer potenziellen Schädigung des Ventrikels durch die PAB verknüpft. Als mögliche Ursache des Versagens eines mLV-Trainings wird die inadäquate myokardiale Perfusion des mLV sowohl durch die plötzliche Erhöhung der Nachlast, als auch durch die induzierte Hypertrophie diskutiert. Bei im Erwachsenenalter verringerter Koronarreseve kann die plötzlich erhöhte Nachlast zu ischämischen Schädigungen des Myokards und zu einer reduzierten linksventrikulären Funktion führen (Poirier et al. 2004). Selbst ein Training des linken Ventrikels im Säuglingsalter – wie bei der »rapid two stage switch operation« – ist mit einer Schädigung der linksventrikulären Funktion verbunden (s. unten, 17.2). Auch hinsichtlich der Fragen, in welchen Schritten und mit welcher Dauer ein mLV-Training durchgeführt werden sollte, existieren keine definierten Vorgaben. Als Dauer werden Zeiträume von im Median 13–20 Monaten angegeben (Duncan et al. 2003; Langley et al. 2003; Poirier et al. 2004). Für das Training des mLV wird eine PAB in der oben beschriebenen Technik durchgeführt. 17.2.5.4
Anatomische Korrektur
Im Gegensatz zur physiologischen Reparatur, bei der der mRV und die Trikuspidalklappe im Systemkreislauf verbleiben, werden bei der anatomischen Korrektur der mLV und die Mitralklappe in den Systemkreislauf integriert. Dabei erfolgt die Einleitung des systemvenösen Blutes in den mRV und des pulmonalvenösen Blutes in den mLV durch eine Senning- oder Mustard-Operation (s. unten, 17.2), wobei wir die Operationstechnik nach Senning bevorzugen. Die Aufhebung der ventrikuloarteriellen Diskordanz geschieht bei Patienten ohne pulmonale Ausflussbahnobstruktion durch eine arterielle Switch-Operation (»double switch«), bei jenen mit Pulmonalstenose oder Pulmonalatresie mit einem VSD durch eine Rastelli-Operation (»Senning-Rastelli«). Die Operationstechniken sind ausführlich im Abschnitt 17.2 beschrieben. Für den operativen Zugang und den kardiopulmonalen Bypass gelten dieselben Prinzipien wie bei Durchführung der klassischen Prozeduren. Obwohl absolute Kontraindikationen für die anatomische Korrektur der ccTGA nicht definiert sind, werden bestimmte intrakardiale Morphologien als relative Kontraindikationen erachtet. Bei Patienten, die für eine SenningRastelli-Operation vorgesehen sind, stellen Lage und Größe des VSD Limitationen für einen möglichen Anschluss des linken Ventrikels über den VSD an die Aorta dar. So kann eine Senning-Rastelli-Operation bei einer weit von der Aortenklappe entfernten Lage des VSD im muskulären oder apikalen Septum nicht erfolgversprechend durchgeführt werden. Eine notwendige Vergrößerung des VSD ist ein Risikofaktor für einen AV-Block 3. Grades mit konsekutiver Schrittmacherimplantation (Shin’oka et al. 2007). Eine weitere relative Kontraindikation ist der Ansatz einer oder
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Kapitel 17 · D-Transposition der großen Gefäße und kongenital korrigierte Transposition
beider AV-Klappen auf dem Rand des VSD oder am infundibulären Septum, sodass eine Tunnelung des linken Ventrikels an die Aorta die funktionelle Integrität einer oder beider AV-Klappen gefährdet. Bei ausgeprägter Hypoplasie des mRV oder des mLV sind die betroffenen Patienten als Kandidaten für eine Fontan-Palliation anzusehen. Bei geringer ausgeprägter Hypoplasie des mRV kann eine »Double-switch«-Operation mit »one and half ventricle repair« indiziert sein, also eine 1½-Ventrikel-Korrektur. Nach PAB werden Patienten mit Koronaranomalien und Zeichen einer myokardialen Ischämie sowie solche mit einem mLVDruck unterhalb des systemischen Drucks sowie atrialen Arrhythmien als für eine anatomische Korrektur nicht geeignet erachtet (Langley et al. 2003; Poirier et al. 2004). 17.2.5.5
17
Alternative Prozeduren
Bei Kindern, bei denen eine Septierung des Herzens aufgrund einer überreitenden (»straddling«; s. oben, 17.1.2) AV-Klappe, einer Hypoplasie eines Ventrikels oder einer ungünstigen Lage eines oder mehrerer VSD nicht vorgenommen werden kann, stellt die Fontan-Palliation ein chirurgisches Alternativkonzept dar (7 Kap. 11). Verglichen mit den Techniken der klassischen Reparatur sind die Ergebnisse der Fontan-Palliation im mittelfristigen Verlauf besser, das Überleben bei ccTGA beträgt nach einem Jahr und 5 Jahren jeweils 100 %, nach Vornahme intrakardialer Reparaturen 84 % bzw. 75 % (Hraska et al. 2005). Dies ist möglicherweise darauf zurückzuführen, dass der linke Ventrikel dem Systemkreislauf erhalten bleibt. Eine weitere Alternative für selektionierte Patienten stellt die »umgekehrte 1½-Ventrikel-Operation« dar, bei der eine begrenzte Reduktion einer LVOTO in Kombination mit einer bidirektionalen Glenn-Anastomose vorgenommen wird (Mavroudis et al. 1999). Dabei ist es wichtig, einen hohen, aber subsystemischen linksventrikulären Druck aufrechtzuerhalten, um einen Septum-Shift in Richtung des linken Ventrikels zu vermeiden und einer Trikuspidalinsuffizienz mit progredienter rechtsventrikulärer Dysfunktion vorzubeugen. Dieser Eingriff kann insbesondere bei denjenigen Patienten ein alternatives Behandlungskonzept darstellen, die aufgrund der Lage des VSD nicht für eine Senning-Rastelli-Operation geeignet sind. Als letzte Option ohne oder nach vorangegangenem Eingriff verbleibt die Vornahme einer orthotopen Herztransplantation (7 Kap. 32). Allerdings sind hier der Organmangel – gerade bei Neugeborenen und Kindern – sowie die Folgen der lebenslangen Immunsuppression in die Entscheidung über die Behandlungsstrategie mit einzubeziehen.
17.2.6
Ergebnisse
17.2.6.1
Physiologische Reparatur
Über die Ergebnisse nach klassischer bzw. konventioneller Reparatur sind mittlerweile eine Reihe von Veröffentli-
chungen verfügbar. Während die Frühletalität gering ist, wird in allen Veröffentlichungen auf das Problem des progressiven Versagens des mRV im Systemkreislauf verwiesen (Acar et al. 1998; Graham et al. 2000; Ilbawi et al. 2002; Shin’oka et al. 2007; van Son et al. 1995; Voskuil et al. 1999; Yeh et al. 1999). In der größten veröffentlichten Serie berichten Hraska et al. (2005) über 123 Patienten, bei denen physiologische Reparaturen vorgenommen wurden. Das Überleben nach einem, 5, 10 und 15 Jahren betrug 84 %, 75 %, 68 % bzw. 61 %, wobei Patienten mit initialem Trikuspidalklappenersatz im weiteren Verlauf das schlechteste Ergebnis aufwiesen. Eine Dysfunktion des mRV fand sich bei insgesamt 44 % aller Patienten. Die Rate der Freiheit von der Entwicklung einer rechtsventrikulären Dysfunktion nach einem, 5, 10, 15 und 20 Jahren (nach intrakardialer Reparatur) belief sich auf 88 %, 73 %, 57 %, 43 % bzw. 39 %. Eine Dysfunktion der Trikuspidalklappe fand sich bei 42 % der Patienten, und die Rate der Freiheit von der Entwicklung einer Trikuspidalklappendysfunktion nach einem, 5, 10, 15 und 20 Jahren betrug 91 %, 69 %, 52 %, 42 % bzw. 37 %. Diese Ergebnisse werden von weiteren Veröffentlichungen gestützt. Sano et al. (1995) berichten über eine Letalität von 17 % nach 10 Jahren. Die Inzidenz einer signifikanten Trikuspidalklappeninsuffizienz lag zu diesem Zeitpunkt bei 71 %, die einer rechtsventrikulären Dysfunktion bei 50 %. Der wesentliche Risikofaktor hinsichtlich des postoperativen Verlaufs konventionell operierter Patienten ist eine bereits präoperativ bestehende Trikuspidalinsuffizienz (Hraska et al. 2005; Shin’oka et al. 2007). Bei präoperativ kompetenter Trikuspidalklappe werden nach 30 Jahren Überlebensraten von 72 % erzielt, die äquivalent zu den Ergebnissen nach anatomischer Korrektur sind (Shin’oka et al. 2007). 17.2.6.2
Anatomische Korrektur
Die Unzufriedenheit über die Entwicklung eines progressiven Versagens des mRV im Systemkreislauf nach klassischer Reparatur hat die anatomische Korrektur aktuell in den Mittelpunkt der chirurgischen Strategie gestellt. Zwischenzeitlich liegen auch bezüglich der Ergebnisse nach anatomischer Korrektur im kurz- bis mittelfristigen Verlauf Studien vor, die die Annahmen eines besseren Verlaufs zu bestätigen scheinen (Devaney et al. 2003; Duncan et al. 2003; Imai et al. 1994; Imamura et al. 2000; Langley et al. 2003; Shin’oka et al. 2007). Die Frühmortalität ist gering und beträgt 0–7 % (Duncan et al. 2003: 46 Patienten, 26 »Double-switch«-Operationen, 20 Senning-RastelliEingriffe; Karl et al. 1997: 14 Patienten, bei allen »Doubleswitch«-Operationen; Langley et al. 2003: 54 Patienten, 29 »Double-switch«-Operationen, 22 Senning-RastelliEingriffe, 3 Senning-Tunneloperationen). Langley et al. (2003) berichten im Rahmen einer Serie von 54 Patienten über eine Überlebensrate nach einem, 5 und 9 Jahren von 94,4 %, 89,7 % bzw. 89,7 %. Eindrucksvoll bestätigt wird die Verringerung einer Trikuspidalinsuffizienz durch den Shift des interventrikulären Septums in Richtung des mRV
503 Literatur
nach anatomischer Korrektur. Im Gegensatz zu den Ergebnissen nach klassischer Reparatur geben alle Autoren eine Verringerung einer präoperativ vorhandenen Trikuspidalinsuffizienz an; kein Patient musste wegen einer Trikuspidalinsuffizienz erneut operiert werden (Devaney et al. 2003; Duncan et al. 2003; Imamura et al. 2000; Langley et al. 2003; Shin’oka et al. 2007). Shin’oka et al. (2007) berichten über ein erhöhtes Risiko eines postoperativen AVBlocks bei Vornahme einer Senning-Rastelli-Operation. Als Ursache wird die aggressive Vergrößerung eines VSD zur Vermeidung einer potenziellen subaortalen Stenose genannt. Besonderer Aufmerksamkeit bedarf die Entwicklung einer linksventrikulären Dysfunktion nach anatomischer Korrektur. In der Serie von Langley et al. (2003) fand sich postoperativ bei 6 von 49 Patienten eine neu aufgetretene linksventrikuläre Dysfunktion, was auch von weiteren Autoren beobachtet wurde (Duncan et al. 2003; Imamura et al. 2000; Shin’oka et al. 2007). Eine moderate Insuffizienz der Neoaortenklappe war bei 4 Patienten zu beobachten, bei denen in 3 Fällen eine PAB durchgeführt worden war (Langley et al. 2003). Inwieweit eine PAB vor anatomischer Korrektur die Entstehung einer Insuffizienz der Neoartenklappe beeinflusst, bedarf der weiteren Klärung.
17.2.7
Zusammenfassung
In der chirurgischen Behandlungstrategie der ccTGA ist aktuell die anatomische Korrektur die Prozedur der Wahl. Auch wenn derzeit noch Daten über den Langzeitverlauf fehlen und Unsicherheiten über die Entwicklung des mLV im Systemkreislauf und einer Aortenklappeninsuffizienz bestehen, favorisieren auch wir, wenn immer möglich, eine anatomische Korrektur, deren Vorteil in der unmittelbaren Eliminierung der den weiteren Verlauf ansonsten dominierenden Risikofaktoren – Trikuspidalinsuffizienz und progrediente Dysfunktion des mRV – liegt. Einige Patientengruppen eignen sich jedoch nicht für eine anatomische Korrektur. Dies sind beispielsweise ältere Patienten, bei denen ein Training des mLV nicht mehr erfolgreich durchgeführt werden kann. In dieser Patiengruppe sehen wir nach wie vor die Indikation zur Vornahme einer klassischen Reparatur oder alternativ bzw. im Langzeitverlauf nach klassischer Reparatur die Indikation zu einer Herztransplantation als gegeben an. Bei Vornahme einer klassischen Reparatur empfiehlt sich die Aufrechterhaltung eines ungefähr halbsystemischen mLV-Drucks, um die Geometrie des mRV zu erhalten. In der Gruppe der jüngeren Patienten, bei denen aufgrund morphologischer Kontraindikationen keine anatomische Korrektur möglich ist, wie bei einem Straddling einer AV-Klappe, ungünstiger Lage eines VSD oder einem hypoplastischen Ventrikel, erachten wir die Fontan-Palliation als organerhaltende Behandlungsoption mit guten Behandlungsergebnissen. Klinisch unauffällige
Patienten mit assoziierten Defekten sowie balanciertem pulmonalen und systemischen Kreislauf wie bei VSD und moderater Pulmonalstenose können bis zum Auftreten klinischer Symptome oder einer beginnenden mRV-Dysfunktion beobachtet und konservativ behandelt werden. Patienten mit einer ccTGA ohne Vorhandensein assoziierter Defekte können ebenfalls konservativ behandelt werden. Wir bevorzugen alternativ die Anlage einer PAB im frühen Säuglingsalter, um den Druck im mLV zu erhalten bzw. ein sanftes Training des mLV durch Hineinwachsen in die PAB zu gewährleisten. Im frühen Kleinkindalter kann dann eine »Double-switch«-Operation erfolgen.
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Kapitel 17 · D-Transposition der großen Gefäße und kongenital korrigierte Transposition
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Kapitel 17 · D-Transposition der großen Gefäße und kongenital korrigierte Transposition
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18
18 Angeborene Anomalien des Koronararteriensystems und Koronarerkrankungen bei Kindern und Jugendlichen F. Haas 18.1
Abgangsanomalien der Koronararterien – 507 Abgang der linken Koronararterie aus dem Pulmonalarterienstamm (Bland-WhiteGarland-Syndrom) – 507 Abgang der rechten Koronararterie, des Ramus circumflexus der linken Koronararterie oder des Ramus interventricularis anterior aus dem Pulmonalarterienstamm – 513 Anomaler Ursprung der linken Koronararterie aus dem rechten Sinus Valsalvae – 513 Anomaler Ursprung der rechten Koronararterie aus dem linken Sinus Valsalvae – 514 Anomaler Verlauf des Ramus circumflexus der linken Koronararterie und Aortenklappenersatz – 514
18.1.6 18.1.7
Singuläre Koronararterie – 515 Kongenitale Stenose oder Atresie der linken Koronararterie – 515
18.2
Myokardbrücken
18.3
Koronaraneurysmen
18.4
Kawasaki-Syndrom
18.5
Koronarfisteln
18.6 18.6.1 18.6.2
Aortoventrikuläre Kommunikation – 521 Aortolinksventrikulärer Tunnel – 521 Aortorechtsventrikulärer Tunnel – 521
18.1
Abgangsanomalien der Koronararterien
18.1.1
Abgang der linken Koronararterie aus dem Pulmonalarterienstamm (Bland-White-Garland-Syndrom)
cumflexus der linken Koronararterie. Die anomal abgehende linke Koronararterie entspringt am häufigsten aus dem posterioren oder linken Pulmonalklappensinus, außerdem wurde ihr Abgang aus der proximalen rechten Pulmonalarterie beobachtet. Die rechte Kranzarterie zeigt i. A. einen normalen Ursprung und Verlauf. Sie ist für die Kollateralversorgung des linken Systems von entscheidender Bedeutung. Das Bland-White-Garland-Syndrom kann, wenn es unbehandelt bleibt, zu Myokardischämie, Myokardinfarkt, kongestiver Herzinsuffiziez, Mitralinsuffizienz oder Tod in früher Kindheit führen. In der englischsprachigen Literatur ist das Bland-White-Garland-Syndrom als ALCAPA-Syndrom (»anomalous left coronary artery from the pulmonary artery«) bekannt.
18.1.1
18.1.2
18.1.3 18.1.4 18.1.5
Der anomale Abgang der linken Koronararterie aus dem Truncus pulmonalis ist eine seltene kongenitale Anomalie mit einer Häufigkeit von 1 zu 300.000 Geburten (ca. 0,05 % aller angeborenen Herzfehler). Nachdem diese Anomalie bereits 1886 von Brooks und 1908 von Abbott beschrieben wurde, veröffentlichten Bland, White und Garland im Jahre 1933 die erste klinische Kasuistik eines 3 Monate alten Säuglings. Das Bland-White-Garland-Syndrom tritt i. A. isoliert auf, kann jedoch seltener auch mit einem offenen Ductus Botalli, einem Ventrikelseptumdefekt, einem atrioventrikulären Septumdefekt oder einer Fallot-Tetralogie gemeinsam vorkommen. Die Abgangsanomalie betrifft am häufigsten das gesamte linke Koronararteriensystem, seltener singulär den Ramus interventricularis anterior oder den Raums cir-
Literatur
18.1.1.1
– 515 – 516 – 518
– 518
– 522
Pathophysiologie
Die Pathophysiologie dieser Anomalie wird vom pulmonalvaskulären Widerstand, vom pulmonalarteriellen Druck und von der Ausbildung einer koronaren Kollateralisation bestimmt.
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Kapitel 18 · Angeborene Anomalien des Koronararteriensystems und Koronarerkrankungen bei Kindern und Jugendlichen
Während der neonatalen Periode besteht ein hoher pulmonalvaskulärer Widerstand und ein hoher pulmonalarterieller Druck. Die Perfusion der linken Koronararterie erfolgt mit venösem Blut. Eine Myokardischämie wird hierdurch jedoch nur äußerst selten induziert. In der Übergangsperiode, die durch den Abfall des pulmonalvaskulären Widerstands und des pulmonalarteriellen Drucks gekennzeichnet ist, kommt es zur beginnenden Flussumkehr, d. h. es entsteht ein kollateraler Fluss von der rechten zur linken Koronararterie. In der linken Koronararterie entsteht ein retrograder Fluss mit messbarem Links/ Rechtsshunt in den Pulmonalisstamm. In Abhängigkeit vom Koronararterienversorgungstyp und der letztendlich unzureichend entwickelten Kollateralisation führt das Absinken des linkskoronaren Perfusionsdrucks Tage und Wochen postnatal zu einer konsekutiven Myokardischämie (infantiler Typ). Folgen sind: 4 schwere myokardiale Ischämie, 4 Myokardinfarkt, 4 linksventrikuläres Aneurysma, 4 linksventrikuläre Dysfunktion und Dilatation, 4 Mitralklappeninsuffizienz aufgrund einer Papillarmuskelischämie, 4 plötzlicher Tod. Bei weitgehend adäquater Kollateralisation und dominanter rechter Koronararterie kann sich die klinische Manifestation bis in das Erwachsenenalter verzögern. Der sog. Erwachsenentyp besteht bei etwa 10–15 % der Patienten. Manche Patienten bleiben für Jahrzehnte asymptomatisch oder zeigen nur leichte Symptome wie Müdigkeit, Dyspnoe oder Palpitationen. Eine Belastungs-Angina pectoris besteht bei nur etwa der Hälfte der Patienten. Ungeachtet der klinischen Symptomatik besteht bei dieser Patientengruppe eine hohe Inzidenz (80–90 %) eines plötzlichen Herztodes im 4. Dezennium (Bunton et al. 1987). 18.1.1.2
18
Klinisches Bild und Diagnostik
Symptome treten bereits Wochen nach der Geburt auf. Kardinalsymptom ist das problematische Füttern mit verminderter Gewichtszunahme. Vermehrtes Schwitzen, Dyspnoe und Unruhezustände als Zeichen von Angina pectoris und Herzinsuffizienz mit persistierender Tachykardie und Tachypnoe sind häufig. Die Diagnose kann allein mit Hilfe der zweidimensionalen Echokardiographie gestellt werden. Der dilatierte, deutlich hypokinetische linke Ventrikel mit evtl. begleitender Mitralinsuffizienz ist differenzialdiagnostisch gegenüber einer dilatativen Kardiomyopathie abzugrenzen. Mittels Dopplerechokardiographie kann man den anomalen Ursprung im Truncus pulmonalis nachweisen oder die koronare Flussumkehr im Ramus interventricularis anterior darstellen. Bei zweifelhafter Diagnose muss eine Herzkatheterdiagnostik mit genauer Darstellung der Koronaranatomie erfolgen. Für die operative Korrektur ist die routinemäßige Herz-
katheteruntersuchung heutzutage sicherlich nicht mehr obligat. ! Ein Kleinkind bis zum 3. Lebensjahr mit schlecht arbeitendem großen linken Ventrikel wird erst dann klinisch mit einer dilatativen Kardiomyopathie diagnostiziert, wenn ein Bland-White-Garland-Syndrom eindeutig ausgeschlossen ist.
18.1.1.3
Operationsindikationen
Die Operationsindikation ergibt sich aus dem natürlichen Verlauf dieser kongenitalen Anomalie. Patienten mit infantilem Typ versterben nahezu alle innerhalb des ersten Lebensjahres, falls keine chirurgische Behandlung erfolgt. Da Patienten mit Erwachsenentyp ebenfalls eine deutlich verminderte Lebenserwartung aufweisen (Bunton et al. 1987; Keith 1959), ist bei Nachweis des Abgangs der linken Koronararterie aus der Pulmonalarterie prinzipiell immer eine Operationsindikation zu stellen, um eine weitere chronische Minderperfusion des linken Ventrikels zu verhindern. Rahimtoola definierte 1989 das Konzept des »hibernating myocardium« als chronischen Zustand einer prolongierten myokardialen Kontraktionsstörung unter Ruhebedingungen, welche durch eine chronisch reduzierte Myokardperfusion hervorgerufen wird (Rahimtoola 1989). Im Laufe einer myokardialen Ischämie entsteht somit ein neues energetisches Gleichgewicht, und in Abhängigkeit von Sauerstoffverbrauch und -angebot bleibt das abhängige Myokard partiell oder vollständig vital. Die hohe klinische Relevanz ergibt sich aus der möglichen funktionellen Restitution hibernierender Areale nach korrigierender Operation mittels Schaffung eines »2-Koronararterien-Systems«. 18.1.1.4
Operationstechnik des 2-Koronararterien-Systems
Historische Operationstechniken umfassen sowohl Prozeduren, die die myokardiale Perfusion oder Oxygenierung erhöhen wie das pulmonalarterielle Banding oder das aortopulmonale Fenster, als auch Prozeduren, die eine verbesserte Kollateralisation induzieren wie z. B. die Deepikardialisation. Die Ligatur der anomalen linken Koronararterie an ihrem pulmonalarteriellen Ursprung ist mit einer Erhöhung des myokadialen Blutflusses und mit dem sofortigen Erliegen des koronaren Steal-Phänomens verbunden. Diese sicherlich am einfachsten durchzuführende Prozedur konnte im Langzeit-Follow-up jedoch nicht zur Normalisierung linksventrikulärer Volumina bzw. zur Erhöhung der Ejektionsfraktion beitragen (Bunton et al. 1987; Rein et al. 1987). Sie wird daher – genau wie alle anderen beschriebenen Techniken – heutzutage von den meisten Herzchirurgen, die angeborene Herzfehler therapieren, als therapeutische Option abgelehnt. Die gegenwärtige Behandlungsstrategie der Wahl ist die Schaffung eines 2-Koronararterien-Systems mittels unterschiedlicher Techniken.
509 18.1 · Abgangsanomalien der Koronararterien
Operative Verfahren zur Schaffung eines 2-Koronararterien-Systems sind: 4 direkte Re-Implantation der anomalen Koronararterie in die Aorta ascendens, 4 intrapulmonale Tunneloperation nach Takeuchi, 4 arteriokoronare Anastomosen der linken A. subclavia oder der linken A. mammaria interna, 4 aortokoronare Überbrückung mit autologer V. saphena magna oder synthetischem Interponat. Die direkte aortale Re-Implantation ist das wohl physiologischste operative Verfahren. Diese Technik wurde erstmals 1974 von Neches und Mitarbeitern beschrieben. Durch die stetig wachsende Erfahrung mit der koronaren Translokation bei der arteriellen Switch-Operation (7 Kap. 17) hat sich die direkte aortale Re-Implantation in den vergangenen 10 Jahren als Therapie der Wahl etabliert. Im Allgemeinen erfolgt die Schaffung eines 2-Koronararterien-Systems über eine mediane Sternotomie. Allen Operationstechniken gemeinsam ist der Gebrauch der Herz-Lungen-Maschine, wenngleich die Anastomose der A. subclavia auch ohne Herz-Lungen-Maschine über eine anterolaterale Thorakotomie links erfolgen kann. Da die kleinste Manipulation am Herzen zu Kammerflimmern führen kann, wird die Herz-Lungen-Maschine – einfach oder doppelt venös – unter Vermeidung unnötiger Manipulationen angeschlossen. ! Mit Beginn der extrakorporalen Zirkulation kommt es zu einer sofortigen Dekompression des Truncus pulmonalis mit konsekutiver Erhöhung des koronaren Steals und myokardialer Ischämie.
Diese kritische Situation kann entweder durch temporäre Okklusion der rechten und linken Pulmonalarterie (Platzieren von Tourniquets oder Mikroklemmen) oder durch nahezu gleichzeitiges Abklemmen der Aorta mit Gabe von Kardioplegielösung vermieden werden. Ein Vorteil der temporären Okklusion gegenüber dem Abklemmen besteht darin, dass die kardioplegische Lösung nicht in das pulmonalarterielle System drainieren kann und somit zur optimalen myokardialen Präservation führt, was für diese Operationsverfahren von entscheidender Bedeutung ist. Die Vermeidung der Kardioplegiedrainage kann jedoch auch mittels manueller Kompression des Abgangs der anomalen Koronararterie am Truncus pulmonalis erfolgen. Ein weiteres mögliches Kardioplegieverfahren ist die simultane Gabe von Kardioplegielösung in beide große Gefäße. Im kardioplegischen Herzstillstand wird der Truncus pulmonalis klappennah transversal durchtrennt und die anatomische Lage der anomalen Koronararterie evaluiert.
Re-Implantation der anomalen Koronararterie in die Aorta Die direkte Re-Implantation der anomalen Koronararterie in die Aorta ist heute die Therapie der Wahl und kann na-
hezu immer durchgeführt werden (. Abb. 18.1). Nach Durchtrennung des Truncus pulmonalis wird das anomale Ostium mit einer ausreichenden Manschette aus Pulmonalarterienwand explantiert und nach Mobilisation der proximalen Koronararterie an der am besten geeigneten Stelle in die Aorta re-implantiert. Die Öffnung in der Aorta wird entweder gestanzt oder es wird eine türflügelartige Inzision (»Trap-door«-Technik) angelegt und nachfolgend die Anastomosierung zwischen Manschette und Aorta mit 6/0oder 7/0-Polydioxannähten durchgeführt. Anschließend wird der Defekt im Truncus pulmonalis mit autologem Perikard oder einem PTFE-Patch verschlossen. Bei weit lateral liegender anomaler Koronararterie müssen Techniken der koronaren Elongation, z. B. die von Sese und Imoto bzw. Vigneswaran und Mitarbeitern beschriebenen, angewendet werden. Wir gebrauchen am häufigsten die »Trapdoor«-Technik zur Anlage eines inferioren aortalen Wandlappens. Zur Rekonstruktion der superioren Wand wird entweder autologes Perikard oder ein separates Stück Aortenwand verwendet. Benötigt man u. U. eine bessere Übersicht, kann zusätzlich nach Durchtrennung des Pulmonalisstamms auch die Aorta ascendens in gleicher Höhe durchtrennt werden. Dies ähnelt der Situation bei der arteriellen Switch-Operation bei Transposition der großen Gefäße, soweit der Koronartransfer betroffen ist. ! Bei möglicher Kompression dieses Tunnels durch die Pulmonalarterie kann die pulmonale Translokation nach anterior (Lecompte-Manöver; 7 Kap. 17) hilfreich sein. Auch die Translokation des Truncus pulmonalis zur linken Pulmonalarterie mit Patch-Plastik der Pulmonalarterienbifurkation kann eine mögliche Kompression der re-implantierten Kranzarterie verhindern (. Abb. 18.2).
Resultate. Die 30-Tages-Letalität liegt bei verschiedenen Autoren zwischen 0 % und 16 % (Cochrane et al. 1999; Isomatsu et al. 2001; Lange et al. 2007; Schwartz et al. 1997), wobei die Frühletalität in den letzten Jahren deutlich rückläufig ist. Eine präoperativ deutlich verminderte linksventrikuläre Funktion und eine klinische Präsentation im Kleinkindalter (infantiler Typ) werden einstimmig als Risikofaktoren der 30-Tages-Letalität angegeben. Eine präoperative Mitralinsuffizienz stellt für die 30-Tages-Letalität wohl keinen Risikofaktor dar (Lange et al. 2007; Sauer et al. 1992; Vouhé et al. 1992). Das Langzeitüberleben der Patienten ist exzellent. In 2 Langzeituntersuchungen mit einem mittleren Follow-up von 6,5 bzw. 8,7 Jahren bei 21 bzw. 31 Patienten verstarb nur ein Patient. Postoperativ ist bei vielen Patienten mit einer Restitution der eingeschränkten Ventrikelfunktion zu rechnen. Dies gilt ebenso für eine präoperativ bestehende Mitralinsuffizienz. Begleitende chirurgische Maßnahmen wie linksventrikuläre Aneurysmektomie und Mitralklappen- oder Anuloplastik werden von einigen Autoren empfohlen. Diese Maßnah-
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Kapitel 18 · Angeborene Anomalien des Koronararteriensystems und Koronarerkrankungen bei Kindern und Jugendlichen
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b . Abb. 18.1a–d. Direkte Re-Implantation der anomalen Koronararterie in die Aorta. a Operationssitus und Durchtrennung des Truncus pulmonalis; b Explantation des Koronarostiums mit ausreichend gro-
d ßer Gefäßmanschette; c Implantation in die Aorta ascendens über eine Stanzöffnung oder mittels türflügelartiger Inzision (»Trap-door«Technik); d Verschluss der A. pulmonalis
men werden jedoch in Hinblick auf die hohe Wahrscheinlichkeit der funktionellen Restitution von den meisten Chirurgen, die angeborene Herzfehler therapieren, als unnötig erachtet. Bei jedoch persistierender mäßiger bis schwerer Mitralinsuffizienz ist die Re-Operation zu einem späteren Zeitpunkt indiziert. Eine persistierende oder erneut auftretende postoperative Mitralinsuffizienz kann auch Ausdruck einer persistierenden myokardialen Ischämie sein. Daher sollte vor einem Re-Eingriff immer der Ausschluss einer Koronararterienstenose mittels Koronarangiographie erfolgen (Huddleston et al. 2001).
Intrapulmonale Tunnelbildung (Takeuchi-Operation)
18 . Abb. 18.2. Pulmonale Translokation zur linken Pulmonalarterie. Die native Pulmonalarterienbifurkation wird mittels Perikard-Patch erweitert
Die intrapulmonale Tunnelbildung (Takeuchi et al. 1979) wird heutzutage im Vergleich zur koronaren Re-Implantation deutlich seltener zur Schaffung eines 2-Koronararterien-Systems angewandt. Bei besonderen anatomischen Verhältnissen jedoch, z. B. bei einer extrem lateralen oder
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. Abb. 18.3a–e. Intrapulmonale Tunnelbildung oder Takeuchi-Operation. a Operationssitus mit anomaler linker Koronararterie mit Ursprung aus dem Truncus pulmonalis; b Inzision zur Schaffung eines anterioren Pulmonalarterienwandlappens; c Anlage eines aortopulmo-
nalen Fensters mittels Stanze; d Verlagerung des Wandlappens nach posterior, sodass ein Tunnel zwischen Aorta und Koronarostium entsteht; e der entstandene pulmonale Wanddefekt wird mit autologem Perikard rekonstruiert
kommissurennahen Position des anomalen Koronarostiums, findet sie noch Anwendung. Die Takeuchi-Operation wird ebenso über eine mediane Sternotomie unter Zuhilfenahme der extrakorporalen Zirkulation durchgeführt (. Abb. 18.3). Nach Abklemmen der Aorta und myokardialer Präservation wird der Truncus pulmonalis klappennah transversal inzidiert und ein Pulmonalarterienwandlappen geschaffen. Die Aorta ascendens wird auf der gleichen Höhe der pulmonalen Arteriotomie transversal inzidiert und ein aortopulmonales Fenster mit kontinuierlicher 7/0-Polydioxannaht angelegt. Der Wandlappen wird nach posterior verlagert und dient als anteriore Begrenzung des Tunnels zwischen aortopulmonalem Fenster und anomalem Ursprung der linken Koronararterie. Die Aortotomie wird verschlossen, die Pulmonalarterie mit autologem Perikard
als Ausgleich für das jetzt vorhandene intrapulmonale Strombahnhindernis rekonstruiert. Spezifische Komplikationen dieser Technik sind die supravalvuläre Pulmonalstenose und Tunnelleckagen, die zu koronar-pulmonalarteriellen Fisteln führen. Die Wahrscheinlichkeit der Notwendigkeit einer Re-Operation liegt zwischen 19 % und 43 % (Birk et al. 2000; Schwartz et al. 1997).
Arteriokoronare Anastomose A. subclavia. Meyer und Kollegen beschrieben 1968 erstmals die End-zu-End-Anastomose zwischen linker A. subclavia und anomaler linker Koronararterie. Dieses Operationsverfahren kann auch heute noch bei besonderen anatomischen Konstellationen, bei denen der Gebrauch der üblichen Techniken nicht geeignet erscheint, eingesetzt
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Kapitel 18 · Angeborene Anomalien des Koronararteriensystems und Koronarerkrankungen bei Kindern und Jugendlichen
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d . Abb. 18.4a–d. Arteriokoronare Anastomose mittels linker A. subclavia. a Als operativer Zugang kann sowohl die mediane Sternotomie als auch die linke anterolaterale Thorakotomie Anwendung finden; b zentrale Ligatur der anomalen Koronararterie; c, d End-zu-Seit- oder End-zu-End-Anastomose der A. subclavia mit der anomalen Koronararterie
18
werden. Die Operation kann sowohl über eine mediane Sternotomie mit Herz-Lungen-Maschine als auch über eine linkslaterale Thorakotomie ohne Herz-Lungen-Maschine erfolgen (. Abb. 18.4). Hierbei wird die A. subclavia hoch in der Pleurakuppel durchtrennt und nach Ligatur der proximalen linken Koronararterie End-zu-Seit mit dieser anastomosiert. Bei medianer Sternotomie und Gebrauch der Herz-Lungen-Maschine wird die linke Koronararterie mit einer Manschette aus der Pulmonalarterie exzidiert und mit der extensiv mobilisierten A. subclavia End-zu-End anastomosiert. Die Langzeituntersuchung nach ALCAPA-Korrekturoperation mittels 2 verschiedener Techniken konnte
. Abb. 18.5a, b. Arteriokoronare Anastomose mittels linker A. mammaria interna. a Mobilisation der linken A. mammaria interna in üblicher Weise; b End-zu-Seit-Anastomose in Einzelknopftechnik oder in fortlaufender Naht
aufzeigen, dass die Subklaviaanastomose zu gleichen Ergebnissen hinsichtlich postoperativer Morbidität und Mortalität führt wie die heutzutage gebräuchliche direkte Re-Implanationstechnik (Lange et al. 2007). Ein möglicher Vorteil besteht zudem in einer kürzeren Herz-Lungen-Maschinenund Ischämiezeit, sodass dieses Verfahren als alternative Operationstechnik nicht in Vergessenheit geraten sollte. A. mammaria interna. Der Gebrauch der A. mammaria in-
terna als arteriokoronare Anastomose erfolgt in gewohnter Weise wie bei der koronaren Herzerkrankung (. Abb. 18.5). Diese Art der Anastomose, die auch beim Säugling möglich ist, wird jedoch v. a. bei klinischer Manifestation im Erwachsenenalter (Erwachsenentyp) angewandt. Bei Patienten, bei denen in früher Kindheit allein eine Ligatur der linken Koronararterie als Palliativeingriff durchgeführt wurde, stellt die Anastomose der A. mammaria interna zudem eine geeignete therapeutische Option dar, um das Einin ein 2-Koronararterien-System mit höherem koronaren Perfusionsdruck zu verändern.
Aortokoronare Überbrückung Die aortokoronare Überbrückung mit autologer V. saphena magna oder gar synthetischem Interponat ist grundsätzlich möglich, stellt aber sicherlich nicht die Therapie der Wahl
513 18.1 · Abgangsanomalien der Koronararterien
dar. Fehlende Langzeitergebnisse, insbesondere hinsichtlich der Offenheitsrate des Bypasses, und die potenziell letale Auswirkung eines akuten Verschlusses lassen diese Operationsverfahren allein dann als sinnvoll erscheinen, wenn alle anderen therapeutischen Optionen nicht zur Anwendung kommen können.
18.1.2
Abgang der rechten Koronararterie, des Ramus circumflexus der linken Koronararterie oder des Ramus interventricularis anterior aus dem Pulmonalarterienstamm
Der anomale Ursprung der rechten Koronararterie aus der Pulmonalarterie (»anomalous right coronary artery from pulmonary artery«, ARCAPA) ist eine sehr seltene Anomalie, die bisher bei etwa 70 Patienten – hauptsächlich als Fallberichte veröffentlicht – beobachtet wurde (Williams et al. 2006). Meistens sind die Patienten asymptomatisch, können aber auch Symptome der myokardialen Ischämie oder ein Herzgeräusch aufweisen. Das gleichzeitige Vorkommen mit einer bikuspiden Aortenklappe (Bossert et al. 2005) oder dem hypoplastischen Linksherzsyndrom (Cleuziou et al. 2006) ist beschrieben. Die Re-Implantation der anomalen rechten Koronararterie wird von den meisten Autoren empfohlen. Der Abgang des Ramus circumflexus der linken Koronararterie oder des Ramus interventricularis anterior aus dem Pulmonalarterienstamm ist extrem selten. Beide Anomalien können sowohl mit einer schweren kardialen Dekompensation (Alexi-Meskishvili et al. 1998) als auch nahezu asymptomatisch verlaufen (Song et al. 2003). Die chirurgische Therapie sollte mittels der bereits beschriebenen Optionen erfolgen.
18.1.3
Anomaler Ursprung der linken Koronararterie aus dem rechten Sinus Valsalvae
Der anomale Ursprung der linken Koronararterie aus dem rechten Sinus Valsalvae oder aus der proximalen rechten Koronararterie ist eine seltene, jedoch klinisch sehr bedeutsame Anomalie, da sie bei Kindern und jungen Erwachsenen zum plötzlichen Herztod führen kann. Die Diagnosestellung ist äußerst schwierig. Die meisten Patienten sind asymptomatisch, und nur bei 18–30 % sind vage kardiovaskuläre Symptome zu verzeichnen. Synkopen und Angina pectoris während körperlicher Belastung gehören dabei zu den häufigsten beschriebenen Symptomen. Vier verschiedene Verläufe der linken Kranzarterie in Bezug auf die großen Gefäße sind bekannt: 4 anterior der Pulmonalarterie, 4 posterior der Aorta, 4 septal durch das Konusseptum, 4 zwischen den großen Gefäßen.
. Abb. 18.6. Schematische Darstellung des anomalen Ursprungs der linken Koronararterie aus dem rechten Sinus Valsalvae. LAD Ramus interventricularis anterior; LCX Ramus circumflexus der linken Koronararterie; PA Pulmonalarterie; RCA rechte Koronararterie
Das Risiko des plötzlichen Herztodes ist beim letztgenannten Verlauf besonders hoch (Taylor et al. 1992). Verschiedene intrinsische und extrinsische Mechanismen werden für die akute myokardiale Ischämie verantwortlich gemacht. Am wahrscheinlichsten ist eine Kombination aus einer Kompression der linken Koronararterie beim Verlauf zwischen den großen Gefäßen und verschiedenen intrinsischen Komponenten wie schlitzförmiges Koronarostium, evtl. bestehender intramuraler Verlauf und spitzwinkliges Abgehen der Koronararterie nach Durchtritt aus der Aorta mit möglichem Abknicken derselben (. Abb. 18.6). 18.1.3.1
Operationstechnik
Verschiedene Operationsmethoden sind beschrieben, u. a. das »unroofing« des intramuralen Verlaufs (Mustafa et al. 1981), die Schaffung eines neuen Koronarostiums (Garcia Rinaldi et al. 1994), die koronare Re-Implantation (Di Lello et al. 1991) und die pulmonale Translokation zur linken Pulmonalarterie (Rodefeld et al. 2001). Ein kombiniertes Verfahren zwischen pulmonaler Translokation und Koronararterienerweiterungsplastik wurde kürzlich beschrieben (Alphonso et al. 2007). Eine »State-of-the-art«-Methode existiert aufgrund der eingeschränkten Erfahrung bei geringer Patientenanzahl nicht. Die primäre Anlage einer ar-
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Kapitel 18 · Angeborene Anomalien des Koronararteriensystems und Koronarerkrankungen bei Kindern und Jugendlichen
teriokoronaren Überbrückung mittels A. mammaria interna sollte jedoch aufgrund bisher fehlender Langzeitergebnisse bei Kindern nicht erfolgen.
Anomaler Ursprung der rechten Koronararterie aus dem linken Sinus Valsalvae
18.1.4
Der anomale Ursprung der rechten Koronararterie aus dem linken Sinus Valsalvae ist häufiger als der Ursprung der linken Koronararterie aus dem rechten Sinus Valsalvae. In einer prospektiven Untersuchung an 1950 konsekutiven Patienten, die sich einer Koronarangiographie unterziehen mussten, trat diese Anomalie bei 0,92 % der Patienten auf (Angelini 2002). Die anomale Arterie verläuft häufig nach anterior zwischen den großen Gefäßen. Eine Kompression der rechten Koronararterie durch die großen Gefäße konnte angiographisch nachgewiesen werden (Lopushinsky et al. 2001) und scheint daher einer der Hauptgründe für eventuelle Symptome wie Angina pectoris, Myokardinfarkt oder Synkope zu sein. Der plötzliche Herztod ohne vorangegangene Symptome ist im Gegensatz zum anomalen Verlauf der linken Koronararterie aus dem rechten Sinus seltener, konnte jedoch kürzlich bei jungen Patienten
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. Abb. 18.7a, b. Schematische Darstellung des anomalen Ursprungs der rechten Koronararterie aus dem linken Sinus Valsalvae. Die rechte Koronararterie kann mittels separatem Ostium oder nahe dem Ostium der linken Koronararterie aus dieser entspringen. LAD Ramus interventricularis anterior; LCX Ramus circumflexus der linken Koronararterie; PA Pulmonalarterie; RCA rechte Koronararterie
während sportlicher Aktivität, aber auch unter Ruhebedingungen beschrieben werden (Basso et al. 2000; Bunai et al. 2001). Eine Indikation zur Operation besteht beim symptomatischen Patienten, aber auch der asymptomatische Patient, bei dem zweifelsfrei eine reversible Koronarischämie dem anomalen Verlauf zugeordnet werden kann, sollte der chirurgischen Therapie zugeführt werden. Beim asymptomatischen, älteren (>35 Jahre alten) Patienten ohne Ischämienachweis wird, da das Risiko des plötzlichen Herztodes besonders bei jungen Patienten besteht, von einem elektiven chirurgischen Eingriff abgesehen (Pelliccia 2001). Die therapeutischen Optionen sind die gleichen wie die bereits im vorangegangenen Abschnitt beschriebenen. Bei älteren Patienten steht sicherlich die aortokoronare Überbrückung mittels rechter A. mammaria interna im Vordergrund (. Abb. 18.7).
18.1.5
Anomaler Verlauf des Ramus circumflexus der linken Koronararterie und Aortenklappenersatz
Abgangsanomalien des Ramus circumflexus der linken Koronararterie kommen mit einer Inzidenz von 0,2–0,71 % bei Routinekoronarangiographien vor (Ueyama et al. 1997). Der Ramus circumflexus der linken Koronararterie entspringt aus dem rechten Sinus Valsalvae mittels separatem oder gemeinsamem Ostium mit der rechten Koronararterie oder direkt aus der proximalen rechten Koronararterie (. Abb. 18.8). Der Ramus circumflexus der linken Koronararterie verläuft dann seitlich und hinter der Aorta ascendens zu seinem Versorgungsgebiet. ! Bei erforderlichem Aortenklappenersatz und insbesondere beim Gebrauch der Technik der Prothesenverankerung von außen durch die Aortenwand im Bereich des akoronaren Sinus oder bei notwendiger plastischer Erweiterung des Aortenfundaments mittels posteriorer Erweiterungsplastik muss diese Anomalie besondere Beachtung erfahren, um deletäre Folgen zu verhindern.
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. Abb. 18.8a–c. Schematische Darstellung des anomalen Verlaufs des Ramus circumflexus der linken Koronararterie. Er entspringt mit-
c tels separatem oder gemeinsamem Ostium mit der rechten Koronararterie (RCA) oder direkt aus der proximalen rechten Koronararterie
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515 18.2 · Myokardbrücken
. Abb. 18.9. Schematische Darstellung einer singulären rechten Koronararterie mit anomalem Verlauf der linken Koronararterie zwischen den großen Gefäßen
arterie. Die Unterscheidung gegenüber dem Bland-WhiteGarland-Syndrom, das klinisch mit den gleichen Symptomen einhergeht, gelingt über den Nachweis der fehlenden Verbindung zum Pulmonalarteriensystem. Patienten mit dieser Anomalie zeigen schon in früher Kindheit Zeichen und Symptome der myokardialen Ischämie. Die chirurgische Therapie mittels aortokoronarer oder arteriokoronarer Überbrückung oder Koronarostiumplastik bei hochgradiger kongenitaler Stenose ist mit der Diagnosestellung indiziert.
18.2 18.1.6
Die singuläre Koronararterie stellt eine seltene Koronaranomalie dar, die häufig mit anderen komplexen Vitien gemeinsam vorkommt. Hier sind insbesondere die Transposition der großen Gefäße, der Truncus arteriosus und die FallotTetralogie zu nennen. Patienten ohne begleitendes Herzvitium sind meist asymptomatisch und führen ein normales Leben. Allein Patienten mit einer singulären rechten Koronararterie und einer anomalen linken Koronararterie, die zwischen den großen Gefäßen verläuft, haben ein erhöhtes Risiko des plötzlichen Herztodes (. Abb. 18.9). Ätiologisch scheint hier der gleiche pathophysiologische Mechanismus verantwortlich zu sein wie bei Patienten mit anomalem Ursprung der linken Koronararterie aus dem rechten Sinus Valsalvae. Ein prophylaktischer elektiver Eingriff in Form einer aortokoronaren oder arteriokoronaren Überbrückung sollte bei diesen Patienten diskutiert werden.
18.1.7
Myokardbrücken
Singuläre Koronararterie Bei Myokardbrücken handelt es sich um unterschiedlich dicke Muskelfaserbündel, die die subepikardial verlaufende Koronararterie überdecken. Solche Brücken werden in bis zu 16 % aller Fälle bei Koronarangiographien und bei mehr als 50 % der Patienten mit hypertropher Kardiomyopathie beschrieben. Die klinische Relevanz ergibt sich aus der Möglichkeit der Koronarkompression während der systolischen Kontraktion. Die systolische Verengung oder der komplette Gefäßverschluss im Koronarangiogramm bei andererseits normaler Gefäßweite in der Diastole ist für dieses Phänomen charakteristisch (. Abb. 18.11). Asymp-
Kongenitale Stenose oder Atresie der linken Koronararterie
Bei dieser extrem seltenen Anomalie ist die linke Koronararterie an ihrem Abgang entweder hochgradig stenosiert oder atretisch (. Abb. 18.10). In beiden Fällen kommt es zu einer Kollateralisation über das rechte Koronarsystem mit retrogradem Fluss im linken System. Die Kollateralisation und die Flussumkehr sind angiographische Unterscheidungsmerkmale gegenüber der singulären rechten Koronar-
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b . Abb. 18.10. Schematische Darstellung der Atresie der linken Koronararterie
. Abb. 18.11a, b. Schematische Darstellung einer Muskelbrücke nach dem Koronarangiogramm. a Normale Weite während Diastole; b kompletter Gefäßverschluss während der Systole
516
Kapitel 18 · Angeborene Anomalien des Koronararteriensystems und Koronarerkrankungen bei Kindern und Jugendlichen
. Abb. 18.13. Beispiel eines Koronaraneurysmas nach einem Operationsfoto bei einem einjährigen Patienten . Abb. 18.12. Spaltung der Muskelbrücke über dem Gefäß. Bei besonders tief liegender Koronararterie besteht auch die Möglichkeit einer Umgehung der Muskelbrücke mittels Venenbypass oder A. mammaria interna
tomatische Verläufe bis ins hohe Alter sind häufig, andererseits ist auch das Auftreten von pektanginösen Beschwerden und Myokardinfarkten bei Kindern beschrieben (Hillman et al. 1999). Die Indikation zur Operation besteht bei Nachweis einer symptomatischen Muskelbrücke. Als operative Verfahren kommen die supraarterielle Myotomie und die aortokoronare bzw. arteriokoronare Überbrückung infrage (. Abb. 18.12). 18.2.1.1
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Operationstechnik
Der Zugang erfolgt i. A. über eine mediane Sternotomie und unter Zuhilfenahme der Herz-Lungen-Maschine. Im kardioplegischen Herzstillstand wird die Muskelbrücke über der Koronararterie mit dem Skalpell vollständig durchtrennt. Durch die technischen Mittel der »Off-pump«Chirurgie ist der Einsatz der Herz-Lungen-Maschine heutzutage nicht mehr obligat. Eine Konversion von »off pump« zu »on pump« wird jedoch bei 23 % der Patienten beschrieben. Gründe hierfür waren hämodynamische Instabilität, Perforation des rechten Ventrikels und Verletzung der Koronararterie (Baryalei et al. 2005). Bei besonders tief liegender Koronararterie besteht auch die Möglichkeit einer Umgehung der Muskelbrücke mittels Venenbypass oder A. mammaria interna (Vianna et al. 2007).
18.3
Koronaraneurysmen
Unter einem Koronaraneurysma wird die Dilatation einer Koronararterie verstanden, deren Durchmesser dann das
1,5fache des zugehörigen normalen Gefäßsegments überschreitet. Die Häufigkeit liegt zwischen 0,3 % und 4,9 % mit Bevorzugung des männlichen Geschlechts (Briguori et al. 2002). Die häufigste Lokalisation findet sich im Bereich des proximalen und mittleren Drittels der rechten Koronararterie (53 %), gefolgt vom Ramus interventricularis anterior und vom Ramus circumflexus der linken Koronararterie (etwa 25 %). Koronaraneurysmen des Hauptstamms der linken Koronararterie sind selten (D’Eri et al. 2005). Die meisten Koronaraneurysmen sind sekundärer Natur und insbesondere mit einer dilatierenden ulzerösen Atherosklerose und dem mukokutanen Lymphknotensyndrom (Kawasaki-Syndrom; s. unten, 18.4) assoziiert. Auf dem Boden von bakteriellen Infektionen inklusive septischer Embolien, einer traumatischen Genese oder von Erkrankungen mit pathologischen Bindegewebeprozessen können sich ebenfalls Koronaraneurysmen entwickeln. Angeborene Koronaraneurysmen sind selten und nur für etwa 17 % aller Fälle verantwortlich (. Abb. 18.13). 18.3.1.1
Klinisches Bild und Diagnostik
Abhängig von der Größe des Aneurysmas sind Symptome häufig. Angina pectoris, kongestive Herzinsuffizienz und Myokardinfarkt durch Thrombosen oder sekundäre Koronarembolie stehen dabei im Vordergrund. Synkopen und Dyspnoe aufgrund einer Rechtsherzkompression können beim Riesenaneurysma auftreten (. Abb. 18.14; Augustin et al. 2006). Äußerst selten wird eine spontane Aneurysmaruptur mit Perikardtamponade beschrieben (Gunduz et al. 2004; Watanabe et al. 2004). Eine anomale kardiale Silhouette oder eventuelle Ringverkalkungen im Verlauf der Koronararterien können bereits bei der Röntgenuntersuchung des Thorax auf die Diagnose hinweisen. Die definitive Diagnosestellung erfolgt mittels Koronarangiographie. Für
517 18.3 · Koronaraneurysmen
a
b
c
d
. Abb. 18.14a–d. Riesenaneurysma der rechten Koronararterie mit Rechtsherzkompression. a Präoperatives Magnetresonanztomogramm. Nach Augustin et al. (2006). b Operationssitus; c Ausschaltung und Resektion des vorderen Aneurysmasacks und Überbrückung mit
einem aortokoronaren Venenbypass oder mit der rechten A. mammaria interna. RA rechter Vorhof; RV rechter Ventrikel. d Venengraft als Interponat (pers. Mitteil. G. Ziemer, Firstenberg et al. 2000)
das »follow-up« kann die Spiralcomputertomographie oder die Magnetresonanztomographie eingesetzt werden (Goz u. Cakir 2007). Das gleichzeitige Auftreten von extrakardialen Aneurysmen ist beschrieben (Rigatelli et al. 2004), daher ist der Ausschluss mittels Magnetresonanztomographie anzuraten.
temische Antikoagulation zur Vermeidung thromboembolischer Komplikationen sind zu empfehlen, wenngleich evidenzbasierte Daten hierzu nicht vorliegen (Anfinsen et al. 2004). Alternativ zur chirurgischen Therapie ist auch die perkutane Stentplatzierung zu erwähnen (Fineschi et al. 2004).
18.3.1.2
Operationsindikationen
Symptomatische Aneurysmen stellen unabhängig von ihrer Äthiologie eine Operationsindikation dar. Koronaraneurysmen, die mit lebensbedrohlichen Komplikationen wie Ventrikelkompression, Fistelbildung oder Ruptur einhergehen, müssen einer sofortigen chirurgischen Therapie zugeführt werden. Einige Autoren erachten eine Größenzunahme um das 3- bis 4fache des normalen Gefäßdurchmessers als absolute Operationsindikation, um mögliche Komplikationen zu verhüten (Chia et al. 1997). Demgegenüber ist die elektive Resektion bei einer diskreten Aneurysmagröße ohne begleitende koronare Herzerkrankung nicht gerechtfertigt. Thrombozytenaggregationshemmer oder eine sys-
18.3.1.3
Operationstechnik
Der Zugang erfolgt bevorzugt über eine mediane Sternotomie und unter Zuhilfenahme der Herz-Lungen-Maschine. Im kardioplegischen Herzstillstand wird das Aneurysma eröffnet (. Abb. 18.15) und vollständig ausgeräumt und nach Ausschaltung die Kontinuität der Perfusion mittels Anlage eines aortokoronaren Venenbypasses oder mittels A. mammaria interna wiederhergestellt. Die »Offpump«-Technik kann auch hier bei Hochrisikopatienten vereinzelt eingesetzt werden (Imren et al. 2006). Bei Aneurysmen des linken Hauptstamms empfiehlt sich zur besseren Darstellung die Durchtrennung des Truncus pulmonalis.
18
518
Kapitel 18 · Angeborene Anomalien des Koronararteriensystems und Koronarerkrankungen bei Kindern und Jugendlichen
18.4.1.1
. Abb. 18.15. Eröffnung eines Koronaraneurysmas. Nach vollständiger Ausräumung und Ausschaltung erfolgt die Wiederherstellung der Perfusion über einen venösen oder arteriellen Bypass
18.4
18
Kawasaki-Syndrom
Das Kawasaki-Syndrom ist eine akute fiebrige Erkrankung mit koronarer und/oder systemischer Vaskulitis, die hauptsächlich bei Kleinkindern und in der frühen Kindheit auftritt. In den vergangenen 35 Jahren sind in Japan mehr als 100.000 Kinder an diesem Syndrom erkrankt (Yanagawa et al. 1995), und in den USA ist das Kawasaki-Syndrom die führende Ursache einer erworbenen Herzerkrankung im Kindesalter (Taubert et al. 1991). Die intravenöse Gabe von Gammaglobulinen während der akuten Phase der Erkrankung konnte das Auftreten von koronaren Läsionen inklusive Aneurysmen und Riesenaneurysmen deutlich vermindern. Die Inzidenz liegt aber immer noch bei etwa 5 % (Newburger et al. 1986; Terai u. Shulman 1997). Mit dem Kawasaki-Syndrom assoziierte Aneurysmen werden als Koronararterien mit einem maximalen Durchmesser von ≥4 mm und <8 mm definiert. Riesenaneurysmen haben einen Durchmeser von ≥8 mm (Arjunan et al. 1986; de Zorzi et al. 1998). Die Unterscheidung zwischen beiden Formen ist wichtig, da der natürliche Verlauf verschieden ist. Während bei Patienten mit Aneurysmen mit einer Regression der Aneurysmagröße zu rechnen ist, wird dies bei Riesenaneurysmen nur selten beobachtet (Kato et al. 1996). Als mögliche Komplikationen des Riesenaneurysmas sind die Ruptur während der akuten Erkrankungsphase, eine Thrombose mit konsekutiver Gefäßobstruktion und konsekutivem Myokardinfarkt sowie die Entwicklung von Koronararterienstenosen zu nennen. Zur Vermeidung thromboembolischer Komplikationen empfiehlt die American Heart Association daher die Gabe von Thrombozytenaggregationshemmern mit bzw. ohne adjuvante Marcumartherapie (Dajani et al. 1994). Die Effektivität der systemischen Antikoagulation bei Kindern mit Riesenaneurysma ist bisher jedoch klinisch nicht bewiesen.
Operationsindikationen
Die Bestimmung des optimalen Zeitpunkts einer koronaren Bypassoperation ist schwierig und hängt wesentlich von den Charakteristika der koronaren Läsion und von deren Symptomen ab. Während der Grad und die Geschwindigkeit der Stenoseprogression individuell stark variieren, können auch asymptomatische, stenosefreie Patienten mit jedoch bestehendem Riesenaneurysma von einer koronaren Bypassoperation profitieren, und zwar durch die Ausschaltung des Risikos eines akuten Myokardinfarkts. In einer kürzlich veröffentlichten retrospektiven Studie mit 244 Patienten, die sich aufgrund eines Kawasaki-Syndroms einer koronaren Bypassoperation unterziehen mussten, lag das mittlere Operationsalter bei 13 ± 8 Jahren und das zeitliche Intervall zwischen Erkrankungsbeginn und Operationszeitpunkt zwischen einem Monat und 42 Jahren (Median: 8 Jahre). Bei 28 % der Patienten bestand bereits präoperativ ein Myokardinfarkt (Tsuda et al. 2004). 18.4.1.2
Operationstechnik
Der Zugang erfolgt bevorzugt über eine mediane Sternotomie und unter Zuhilfenahme der Herz-Lungen-Maschine. Die »Off-pump«-Technik kann auch hier vereinzelt eingesetzt werden. Das bevorzugte chirurgische Vorgehen ist die Anlage eines A.-mammaria-interna-Bypasses. Die Offenheitsrate wird nach 1, 5 und 15 Jahren mit 94 %, 79 % bzw. 73 % angegeben. Patienten, die zum Zeitpunkt der Operation älter als 12 Jahre sind, zeigen eine signifikant höhere Offenheitsrate (95 %, 91 % bzw. 91 %; Tsuda et al. 2004). ! Die Gefäßbeschaffenheit der Koronararterien von Patienten mit Kawasaki-Syndrom kann nicht mit der von atherosklerotischen Gefäßen gleichgesetzt werden. Sie ähnelt vielmehr einer knorpelig-gläsernen Struktur, und die Koronarien haben die Tendenz, schalenartig zu zerfallen. Die Schaffung der Anastomose kann hierdurch deutlich erschwert sein (persönliche Mitteilung von Prof. Dr. H. Meisner, ehemals Deutsches Herzzentrum München).
18.5
Koronarfisteln
Unter Koronarfisteln versteht man eine Verbindung einer oder mehrerer Koronararterien mit einer der 4 Herzhöhlen oder mit den großen herznahen Gefäßen. Sie sind für etwa die Hälfte aller angeborenen Koronaranomalien verantwortlich (Mavroudis et al. 1997). Koronarfisteln gehen am häufigsten (52 %) von der rechten Koronararterie aus. Die Häufigkeit des Ramus interventricularis anterior als Ursprungsort wird mit 30 % und die des Ramus circumflexus der linken Koronararterie mit etwa 18 % angegeben. Mehr als 90 % der Fisteln münden in der rechten Herzhälfte. Innerhalb des rechten Herzens erfolgt die Einmün-
519 18.5 · Koronarfisteln
a
. Abb. 18.16. Mündung einer vom Ramus interventricularis anterior ausgehenden Fistel in den Truncus pulmonalis mit Ausbildung eines Gefäßkonvoluts
dung am häufigsten im Bereich des rechten Ventrikels, gefolgt von rechtem Atrium, Koronarsinus und Truncus pulmonalis. Multiple Fisteln zwischen allen 3 Koronararterien und dem linken Ventrikel wurden beschrieben (Black et al. 1991). Intraoperativ findet sich häufig ein Gefäßkonvolut vor der Einmündung (. Abb. 18.16) oder es zeigen sich deutlich dilatierte Anteile der zuführenden Koronararterie (. Abb. 18.17). 18.5.1.1
b . Abb. 18.17a, b. Koronarfistel zwischen rechter Koronararterie und rechtem Ventrikel. a Dilatierte rechte Koronararterie im posterior-anterioren Strahlengang; b Darstellung im seitlichen Strahlengang
Pathophysiologie
Die hämodynamischen Auswirkungen sind vom Shunt-Volumen und der Fistellokalisation abhängig. Das Shunt-Volumen wird von der Fistelgröße und der Druckdifferenz zwischen der Koronararterie und der Herzhöhle, in die die Fistel einmündet, bestimmt. Kommt es zu einer Einmündung der Fistel in die rechte Herzhälfte, steht die Volumenbelastung des rechten Herzens, des pulmonalen Gefäßbetts, des linken Atriums und des linken Ventrikels im Vordergrund. Bei Einmündung in das linke Atrium besteht eine vergleichbare Physiologie wie bei einer Mitralklappeninsuffizienz und bei Einmündung in den linken Ventrikel eine Physiologie ähnlich der einer Aortenklappeninsuffizienz. Neben der Volumenbelastung besteht aber immer auch die Möglichkeit eines koronaren Steal-Phänomens. Hierbei wird dem Koronarkapillarbett Blut über die Fistel entzogen, was zu myokardialen Ischämien und selten zum Myokardinfarkt führen kann. Als weitere Komplikationen sind kongestive Herzinsuffizienz, pulmonale Hypertension, Thrombose, bakterielle Endokarditis, Vorhofflimmern und Ruptur der Fistel beschrieben.
18.5.1.2
Klinisches Bild und Diagnostik
Selten treten innerhalb der ersten beiden Lebensdekaden Symptome auf. Dagegen sind nur 40 % der Patienten, die älter als 20 Jahre sind, symptomfrei. Belastungsdyspnoe, Müdigkeit, Angina pectoris und Palpitationen werden häufig beschrieben. Auffällig ist ein kontinuierliches Herzgeräusch, das differenzialdiagnostisch gegenüber einem offenen Ductus Botalli oder einem Ventrikelseptumdefekt mit Aortenklappeninsuffizienz abgegrenzt werden muss. Die Diagnostik kann mittels Echokardiographie oder Magnetresonanztomographie erfolgen. Die Herzkatheteruntersuchung dient heutzutage nicht mehr allein als diagnostisches Mittel zur Sicherung der hämodynamischen Relevanz, sie wird vielmehr als therapeutisch-interventionelles Verfahren eingesetzt (Qureshi u. Tynan 2001). 18.5.1.3
Operationsindikationen
Bei symptomatischen Patienten besteht die Indikation zur Operation. Aber auch bei asymptomatischen Patienten mit einem Shunt-Volumen, das ein Qp/Qs-Verhältnis (Verhältnis des Lungendurchflusses zum Systemdurchfluss) von
18
520
Kapitel 18 · Angeborene Anomalien des Koronararteriensystems und Koronarerkrankungen bei Kindern und Jugendlichen
a
b
. Abb. 18.18a, b. Operationssitus mit Koronarfistel zwischen rechter Koronararterie und linkem Atrium. a Präoperativ; b doppelte Ligatur und Durchtrennung der Fistel
18
a
b
c
d
. Abb. 18.19a–d. Direkter und indirekter Verschluss einer Koronarfistel nach Eröffnung der Koronararterie mit unterschiedlichen Techniken. a Tangentiale U-Naht; b evertierende Einzelnähte; c Fistelver-
schluss mit fortlaufender Naht; d fortlaufende Naht der Koronararterieninzision
>1,3 bedingt, wird der chirurgische Verschluss zur Vermeidung möglicher Komplikationen allgemein empfohlen.
Fall, wenn die Fistel von einem distalen Koronararterienast ausgeht. Wenn jedoch die Myokardperfusion nicht gesichert erscheint oder ein großes Koronaraneurysma besteht, sollte der Fistelverschluss über eine Eröffnung der Herzhöhle oder mittels koronarer Aneurysmorrhaphie unter Zuhilfenahme der Herz-Lungen-Maschine erfolgen. Die genaue Lokalisation ist daher präoperativ zu bestimmen.
18.5.1.4
Operationstechnik
Die einfache Ligatur ohne Herz-Lungen-Maschine kann bei gut zugänglichen Fisteln und gesicherter Myokardperfusion des Herzens erfolgen. Dies ist insbesondere dann der
521 18.6 · Aortoventrikuläre Kommunikation
. Abb. 18.20a, b. Indirekter Fistelverschluss ohne Eröffnung der Koronararterie. Teflonarmierte U-Nähte werden unter der Koronararterie durchgestochen und danach verknotet
a
b
18.6
Aortoventrikuläre Kommunikation
Unter dieser seltenen kongenitalen Anomalie werden Verbindungen zwischen der Aortenwurzel und dem linken Ventrikel (aortolinksventrikulärer Tunnel) oder dem rechten Ventrikel (aortorechtsventrikulärer Tunnel) verstanden.
18.6.1
Aortolinksventrikulärer Tunnel
Dieser wird in 7 Kap. 14 abgehandelt. . Abb. 18.21. Direkter Fistelverschluss nach Eröffnung des rechten Atriums. Nach Identifikation der Fistelmündung wird diese direkt verschlossen
Techniken zum Fistelverschluss sind u. a.: 4 doppelte Umstechungsligatur (. Abb. 18.18), 4 direkter und indirekter Fistelverschluss mit und ohne Eröffnung der Koronararterie (. Abb. 18.19 und 18.20), 4 direkter Nahtverschluss nach Eröffnung der Herzhöhle oder eines herznahen Gefäßes (. Abb. 18.21). 18.5.1.5
Alternative chirurgische Verfahren
Der interventionelle Fistelverschluss mittels Herzkatheter wird heutzutage als effektive und sichere Alternative zum chirurgischen Verschluss angesehen. Der Fistelverschluss kann mit unterschiedlichen Systemen erfolgen (Ballons, Coils, Platinmikrocoils), was sich nach dem Patientenalter, der Morphologie und der Fistellokalisation richtet (Qureshi 2006). Die optimale Behandlungsstrategie (chirurgisch vs. interventionell) sollte individuell und in enger Kooperation mit den kinderkardiologischen/interventionellen Kollegen festgelegt werden.
18.6.2
Aortorechtsventrikulärer Tunnel
Der aortorechtsventrikuläre Tunnel ist eine Rarität. Bisher sind nur 10 Fälle beschrieben. Abhängig von der Größe der Verbindung kommt es zu einer eingeschränkten myokardialen Perfusion sowie zu einer Volumenbelastung der rechten Kammer und zu einer kongestiven Herzinsuffizienz. Differenzialdiagnostisch ist eine große Koronarfistel auszuschließen. Im Gegensatz zur Koronarfistel zeigen die häufig anomal entspringenden Koronararterien jedoch keine Dilatation. Die frühzeitige Diagnosestellung trägt wesentlich zur postoperativen Prognose bei. Bei einer eigenen Beobachtung wurde die Diagnose bereits pränatal gestellt und das periund postnatale Management festgelegt. Steigende TroponinI-Werte machten die operative Korrektur binnen 8 h postnatal notwendig. Hierbei zeigte sich eine 8 mm × 8 mm große Öffnung im linken Sinus Valsalvae. Der Tunnel erstreckte sich über 5 cm und mündete apexnah im rechten Ventrikel (. Abb. 18.22). Der Tunnel wurde mittels PTFEPatch an seiner Einmündungsstelle in den rechten Ventrikel verschlossen. Der Verschluss der aortalen Öffnung war nicht möglich, da das linke Koronararteriensystem aus dem mittleren Anteil des Tunnels entsprang (Freund et al. 2007).
18
522
Kapitel 18 · Angeborene Anomalien des Koronararteriensystems und Koronarerkrankungen bei Kindern und Jugendlichen
. Abb. 18.22. Angiographische Darstellung eines aortorechtsventrikulären Tunnels (AO-RV-Tunnel). AAO Aorta ascendens; RV rechter Ventrikel. Nach Freund et al. (2007)
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18
19
19 Anomalien der großen intrathorakalen Gefäße G. Ziemer, Z. Nagy 19.1
Vorwort – 525
19.2.2.6
19.2 19.2.1 19.2.1.1
Anomalien der Aorta – 525 Stenosierende Aortenanomalien – 525 Coarctatio aortae/Aortenisthmusstenose (ISTA) – 525 Unterbrochener Aortenbogen – 535 Segmentale Aortenhypoplasie (»midaortic syndrome«) – 541 Zervikaler Aortenbogen – 541 Persistierender fünfter Aortenbogen – 542 Komprimiernde Aortenanomalien – 542 Vorwort – 542 Geschichte der Gefäßringchirurgie – 543 Ziel der Operation – 543 Doppelter Aortenbogen – 544 Inkomplette Gefäßringe – 545
19.2.2.7
19.2.1.2 19.2.1.3 19.2.1.4 19.2.1.5 19.2.2 19.2.2.1 19.2.2.2 19.2.2.3 19.2.2.4 19.2.2.5
19.3 19.3.1 19.3.2
Kompression durch aberrantem Abgang des Truncus brachiocephalicus – 546 Kommerell-Divertikel – 547 Anomalien der A. pulmonalis – 548 Stenosierende Pulmonalisanomalien: Coarctatio pulmonalis – 548 Komprimierende Pulmonalisanomalien: pulmonalarterielleSchlingenbildung – 549
19.4 19.4.1 19.4.2
Links-rechts-Shunt – 551 Ductus arteriosus Botalli – 551 Aortopulmonales Fenster – 557
19.5 19.5.1 19.5.2
Rechts-links-Shunt – 561 Pulmonalarterio-venöse Fistel – 561 Pulmonalarterio-linksatriale Fistel – 561 Literatur
19.1
– 563
Vorwort Anomalien der Aorta
Die großen mediastinalen Arterien können ein breites Spektrum angeborener Anomalien aufweisen. Die Ursache dafür ist nicht nur deren komplexe embryologische Entstehung (Dische et al. 1975) aus den primitiven ventralen und den 2 dorsalen Aorten sowie den zwischen ihnen liegenden Kiemenbögen, sondern auch die Auswirkungen verschiedener intrakardialer Vitien auf die intrathorakalen Blutflussverhältnisse im Rahmen der Ontogenese, welche die Gefäßentwicklung mit großer Wahrscheinlichkeit beeinflussen. So unterscheidet man eigene Läsionen der großen Gefäße (Einengung, Unterbrechung, Atresie, anormale Verbindungen), die hämodynamische Symptome hervorrufen, von Lagenanomalien der Aorta und ihrer Äste, die sich durch Kompression der benachbarten mediastinalen Organe offenbaren. Die Shunt-verursachenden Kurzschlussverbindungen, die häufig mit intrakardialen Fehlbildungen einhergehen, werden hier nur in ihrem isolierten Auftreten behandelt. Die weitere Darstellung wird sich an der in der nachfolgenden Übersicht aufgeführten Einteilung orientieren.
4 Stenosierende Anomalien 4 Komprimierende Anomalien
Anomalien der A. pulmonalis 4 Stenosierende Anomalien 4 Komprimierende Anomalien
Kurzschlussverbindungen der großen Gefäße 4 Links-rechts-Shunt 4 Rechts-links-Shunt
19.2
Anomalien der Aorta
19.2.1
Stenosierende Aortenanomalien
19.2.1.1
Coarctatio aortae/Aortenisthmusstenose (ISTA)
Die im deutschsprachigen Raum als Aortenisthmusstenose (ISTA) bekannte Fehlbildung umfasst eine umschriebene, zum Teil membranartige Einengung am Übergang des Aortenisthmus in den weiteren Verlauf der Aorta descen-
526
Kapitel 19 · Anomalien der großen intrathorakalen Gefäße
dens. Besteht gleichzeitig eine mehr oder weniger ausgeprägte Hypoplasie des distalen oder gar des proximalen Aortenbogens, liegen häufiger auch intrakardiale Vitien vor (7 Kap. 12). Die Einengung liegt am Oberrand des Ductus Botalli und später in Höhe des Lig. arteriosum. Frühere deskriptive Klassifizierungen wie prä- oder postduktale Isthmusstenose sowie die ebenfalls empirische adulte oder infantile Form sind bei den aktuell akzeptierten und durch histologische Daten untermauerten Lasso- (Elzenga u. Gittenberger-de Groot 1986) und Flusstheorien (Rudolph et al. 1972) wenig bedeutsam. Für die Isthmusstenose ist ein verändertes fetales Kreislaufmuster verantwortlich. Dieses manchmal mit intrakardialen linksobstruktiven Läsionen assoziierte Flussmuster besteht aus einem reduzierten Fluss über Aorta ascendens, Aortenbogen und Isthmus aortae bei gleichzeitig vermehrtem Fluss durch die A. pulmonalis und den Ductus arteriosus in die Aorta descendens. Als Folge des vermehrten duktalen Flusses migrieren duktale myoepitheliale Zellen in der gesamten Zirkumferenz in den sich anschließenden Aortenverlauf. Diese prostaglandinempfindliche Zellen verursachen durch ihre postnatale Kontraktion (postpartaler Prostaglandinspiegelabfall, Anstieg der Sauerstoffsättigung) neben dem physiologischen Verschluss des Ductus arteriosus auch die u. U. subtotale Stenose in der sich unmittelbar anschließenden Aorta descendens. Diese Stenose kann auch als lassoartige Einstülpung der Aortenwand beschrieben werden, die später nach Fibrosierung evtl. wiederum als intraluminale Membran imponiert. Dem Entstehnungsmechanismus dieser umschriebenen Einziehung wird der lateinische Begriff »Coarctatio aortae« statt Aortenisthmusstenose in besonderer Weise gerecht (coarcere zusammenziehen). ! Aortenisthmus heißt der Aortenabschnitt zwischen dem Abgang der linken A. subclavia und der Einmündung des Ductus Botalli respektive dem Ansatz des Lig. arteriosum. Dieser Anfangsteil der Aorta descendens ist frühpostnatal physiologischerweise den Gegebenheiten des fetalen Kreislaufs entsprechend eng, jedoch nicht restriktiv. Der bildhafte Name ist der Landenge bei Korinth, Isthmus von Korinth, entliehen.
19
Eine wichtige therapeutische Option ist die Relaxierung der Isthmusstenose bei Neugeborenen mittels Prostaglandintherapie, die auf jeden Fall eine Perfusion der unteren Körperhälfte sicherstellt. Die assoziierte Bogenhypoplasie kann durch den verminderten Fluss während der Ontogenese erklärt werden; sie ist medikamentös nicht angehbar. Es bleibt weiterhin umstritten, ob dieses hypoplastisches Bogensegment nach der Beseitigung der Isthmusstenose ein Wachstumsnachholpotenzial besitzt (DeLeon et al. 1991; Siewers et al. 1991). Mit der gleichzeitigen Behebung einer Bogenhypoplasie im Rahmen einer Isthmusstenosenoperation kommt jedoch eine therapeutisch sichere Strategie zur Anwendung. Eine isoliert auftretende Aortenisthmusstenose kann sich klinisch in verschiedenen Formen manifestieren. Die
schwerwiegendste Form ist die kritische Aortenisthmusstenose des Neugeborenen. Hier führt die vom Duktusverschluss begleitete akute Entstehung der Stenose zu einer u. U. schweren kardialen Dekompensation. Bei noch fehlendem Kollateralkreislauf tritt rasch eine metabolische Azidose mit Multiorganversagen auf. Eine Prostaglandininfusion im Verein mit intensivtherapeutischen Maßnahmen erlaubt innerhalb weniger Stunden die Stabilisierung des Kindes, und die Operation kann nach metabolischer Kompensation und Wiedereinsetzen der Urinproduktion in geordneter Weise durchgeführt werden. Führt die Prostaglandininfusion zu keiner klinischen Verbesserung, die echokardiographisch auch bezüglich der Duktuswiedereröffnung zu verfolgen ist, sollte die Operation unverzüglich durchgeführt werden. Unter diesen Bedingungen ist jedoch mit einer hohen Letalität zu rechnen. Eine Aortenisthmusstenose, die beim Verschluss des Ductus arteriosus keine Kreislaufsymptome bedingt und auch metabolisch asymptomatisch bleibt, wird in der Regel in den ersten Lebensmonaten oder -jahren weiterhin klinisch asymptomatisch bleiben. Das heißt jedoch nicht, dass sie einer guten körperlichen Untersuchung entgehen könnte (fehlende Pulse der unteren Extremität, Hypertonie der oberen Körperhälfte). Die Indikation zur Operation sollte wegen eines asymptomatischen klinischen Status nicht verzögert werden, da Komplikationen einer nicht operierten ISTA wie eine irreversible arterielle Hypertonie oder eine linksventrikuläre Hypertrophie die Lebenserwartungen negativ beeinflussen. In der Regel entwickelt sich mit der Zeit ein ausgeprägter Umgehungskreislauf über beide Aa. mammariae internae und die Interkostalarterien zur ausreichenden Perfusion der unteren Körperhälfte, der den primären Druckgradienten klinisch zumindest in Ruhe deutlich abmildern, sogar fast aufheben kann.
Operationen bei isolierter ISTA Allgemeine Operationsstrategie. Als Zugang zur Korrek-
tur einer isolierten Aortenisthmusstenose wird eine posterolaterale Thorakotomie im 4. Interkostalraum gewählt (. Abb. 19.1). Für alle Operationen an der proximalen Aorta descendens (Eingriffe bei ISTA, Gefäßringen oder persistierendem Ductus arteriosus) bei Neugeborenen mit einem Körpergewicht von <3 kg kann auch der 3. Interkostalraum vorteilhaft sein; es genügt meist eine limitierte, nach dorsal-kranial gebogene Hautinzision, die einen Querfinger unterhalb der Skapulaspitze beginnt und posterior bis einen Querfinger lateral der Wirbelsäule reicht. Die Thorakotomie bei Neugeborenen und Säuglingen ist unkompliziert, sie verläuft in der Mitte des Interkostalraums. Eine ausgeprägte Kollateralisierung, die in der Regel in der zu durchtrennenden Thoraxmuskulatur verläuft und deren Gefäße manchmal eine beeindruckende Größe erreichen können, erfordert eine besondere Sorgfalt der Präparation bei größeren Kindern und älteren Patienten. Eine seitengetrennte Beatmung der Lungen ist ggf. bei älteren Kindern und regelhaft bei Erwachsenen von Vorteil.
527 19.2 · Anomalien der Aorta
. Abb. 19.1. Die gebogene, 4–5 cm lange Hautinzision soll im ausreichenden Abstand sowohl von der Skapulaspitze wia auch von der Wirbelsäule verlaufen bzw. enden. Zur Wirbelsäule hin verläuft sie dort lateral des M. erector trunci fast parallel
Die intrathorakale Präparation beginnt mit der scharfen oder elektrischen Durchtrennung der mediastinalen Pleura über der proximalen Aorta descendens. Sie umfasst kranial die A. subclavia und kaudal mindestens 3 Interkostalräume (je mehr, desto besser). Manchmal muss die Präparation bis zum Zwerchfell reichen, um für langstreckigere Resektionen bzw. Erweiterungen eine ausreichende Mobilisierung zu erzielen. Ein Vorteil der Operation im jüngeren Alter ist die exzellente Dehnbarkeit der Aorta. Besonders ist auf die benachbarten Nervenstrukturen (N. vagus mit N. laryngeus und N. phrenicus) zu achten. Das Ausmaß der Präparation hängt eng mit der gewählten Operationstechnik sowie den lokalen anatomischen Einzelheiten zusammen. Während eine Flickenerweiterungsplastik (im Neugeborenen-, Säuglings- und Kleinkindalter nur selten indiziert) nur eine limitierte Freilegung benötigt, wird bei ISTA-Resektion und geplanter End-zu-End-Anastomose eine ausgedehnte Mobilisation sowohl des Aortenbogens als auch der deszendierenden Aorta durchgeführt. Die ersten beiden segmentalen Interkostalarterien der Aorta entspringen unmittelbar distal des Isthmus und sollten in der Regel sorgfältig freipräpariert sowie vorübergehend angeschlungen oder durch Clip-Applikation verschlossen werden. Eine nicht selten festzustellende anomale Arterie, die nur bei Aortenisthmusstenose beobachtet wurde, nannte Robert Gross Abott-Arterie (nach Maude Abbott, der Autorin des Erstwerks der umfassenden Beschreibung der Pathoanatomie angeborener Herzfehler; Abbott 1936). Diese Arterie entspringt aus der Hinterseite des Isthmus und kann bei akzidentellem Abriss sehr störende Blutungen
verursachen. Dies ist insbesondere bei vermeintlich »einfacher« Flickenplastik hinderlich. Eine weitere Anomalie ist eine als A. lusoria abgehende rechte A. subclavia, die bei der invasiven arteriellen Blutdruckmessung und theoretisch bezüglich der Rückenmarkdurchblutung erhebliche Schwierigkeiten verursachen kann. Eine Arbeit, welche die Auswirkungen dieser Anomalie bei 5 Neugeborenen untersuchte, hat keine Querschnittsymptomatik festgestellt (Hjortdal et al. 2003). Dies ist sicherlich einer ausreichend kurzen Abklemmzeit geschuldet. Eine andere, als Normalvariante zu betrachtende Anomalie ist der isolierte Abgang der linken A. vertebralis aus dem Aortenbogen. Diese Arterie, welche die Operation technisch nicht verkompliziert, darf nicht mit der linksseitigen A. carotis communis verwechselt werden und somit zu einer unzureichenden proximalen Freilegung eines hypoplastischen Aortenbogens führen. Zudem darf man einen Truncus bicaroticus (der in den meisten Fällen mit einer ausgeprägteren Hypoplasie des weiteren Bogenverlaufs assoziiert ist) auf keinen Fall mit einer linken A. carotis communis verwechseln. Diese Bogenabgangsanomalien sollten in der Regel präoperativ echokardiographisch diagnostizierbar sein. Da unabhängig von der gewählten Technik die Abklemmung der Aorta erforderlich ist, sollen die Einzelheiten dieses Manövers und die währenddessen enge Zusammenarbeit mit der Anästhesiologie im Folgenden detailliert dargestellt werden. ! Die invasive arterielle Blutdruckmessung ist am rechten Arm durchzuführen, da die linke A. subclavia meist ebenfalls ausgeklemmt wird (Cave: A. lusoria).
Eine zusätzliche invasive Blutdruckmessung distal der Koarktation ist bei Neugeborenen, Säuglingen und Kleinkindern nicht erforderlich, solange Aortenklemmzeiten von deutlich unter 30 min gewährleistet werden können. Bei älteren Patienten, bei denen eine längere Klemmzeit erforderlich sein kann und die Ischämie v. a. des Rückenmarks ein erhebliches Risiko darstellt, ist es unbedingt erforderlich, mindestens vorübergehend während einer Probeklemmung den distalen Perfusionsdruck zu dokumentieren. Liegt dieser unter 40–50 mmHg, sollte man ein Bypassverfahren (z. B. partieller Linksherzbypass) zur Perfusion der unteren Körperhälfte anwenden, um eine Querschnittslähmung als schwerwiegendste postoperative Komplikation dieses Eingriffs zu vermeiden. Eine Heparinisierung während der Aortenabklemmung ist unseres Erachtens nicht notwendig, wobei andere Autoren die Operation unter Heparinverwendung (100 IE/ kg KG; Gail et al. 2005) durchführen. Sowohl die Abklemmung der Aorta am Aortenbogen als auch die Wiederöffnung der Klemme führen zu erheblichen Änderungen der linksventrikulären Nachlast. Während eine solche Nachlasterhöhung vom reifen Myokard problemlos toleriert wird, können unreife Neugeborene
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Kapitel 19 · Anomalien der großen intrathorakalen Gefäße
mit einer raschen kardialen Dekompensation (Bradykardie und Asystolie) auf die Abklemmung reagieren. Patienten, die einen Vorhof- oder Ventrikelseptumdefekt als assoziierte Anomalie aufweisen, können das Klemmen durch Umleitung des Blutes in den kleinen Kreislauf besser kompensieren. Es ist äußerst wichtig, dieser Komplikation durch rechtzeitige pharmakologische Manipulation vorzubeugen. Das Aufheben der Klemmung wird vom raschen Abfall der Koronarperfusion begeleitet und sollte rechtzeitig mittels Volumengabe und/oder Vasopressormedikation ausgeglichen werden. Eine kurzzeitige erneute, ggf. intermittierende Abklemmung und eine stufenweise Freigabe des Blutflusses in der Aorta descendens können erforderlich werden bzw. sinnvoll sein, bis die evtl. verzögert begonnene Volumen- und/ oder Medikamentengabe zur Wirkung kommt. Nach der Korrektur sollte der intraoperative systolische Gradient bzw. der Mitteldruckgradient bei Patienten, bei denen ein distaler invasiver Femoralarterienmesskatheter platziert wurde, einen Wert von 5 bzw. 2 mmHg nicht überschreiten. Bei Säuglingen sind eine kräftig pulsierende Aorta descendens und ein nicht tastbares Schwirren über der Anastomose bezüglich eines zufriedenstellenden Ergebnisses aussagekräftig. Dringend verdächtig auf eine signifikante Restbzw. Anastomosenstenose ist der Befund eines nicht signifikant abfallenden Blutdrucks in der A. radialis dextra nach Freigabe des antegraden Blutflusses in die Aorta descendens. Die mediastinale Pleura wird anschließend mittels fortlaufender Naht verschlossen. Einen bedeutsamen Perikarderguss entlastet man durch eine Perikardiozentese ventral des Ductus Botalli oder des N. phrenicus. Bei Säuglingen ist meist keine Thoraxdrainage erforderlich – es sei denn, es wurde ein Luftleck infolge einer Verletzung der Pleura visceralis festgestellt. Ansonsten werden die perikostal gelegten resorbierbaren Nähte (Vicryl) während eines vonseiten der Anästhesie durchgeführten Blähmanövers festgezogen und damit ein Ausschluss der Luft aus dem Pleuraraum gesichert. Die einzelnen Operationstechniken werden im Weiteren detailliert diskutiert.
Operationstechniken bei Coarctatio aortae/ Aortenisthmusstenose
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4 Resektion und End-zu-End-Anastomose 4 Resektion und erweiterte End-zu-End-Anastomose (»extended E-E-anastomosis«) 4 Interpostionsgraft 4 Extraanatomischer Bypass: – subklavioaortal (Blalock-Parks) – aortoaortal (ascendens-descendens) 4 Flickenerweiterungsplastik (indirekte VossschultePlastik) 4 Direkte Vossschulte-Plastik 4 »Subclavian-flap«-Plastik (Waldhausen-Plastik) 4 »Reverse subclavian flap«
Resektion und End-zu-End-Anastomose. Die ursprünglich
von Clarence Crafoord (Craaford u. Nylin 1950) aus Stockholm (Dezember 1944) und von Robert Gross (Gross 1945) aus Boston (Januar 1945) unabhängig voneinander und fast gleichzeitig durchgeführte Operation ist die zurzeit bei Neugeborenen und Säuglingen weltweit am häufigsten verwendete Technik. Sie wurde mit der Zeit schrittweise verfeinert sowie verschiedenen Alters- und Pathologiesubtypen angepasst. Der größte Vorteil der Resektionstechnik im Neugeborenenalter besteht in der vollständigen Beseitigung des in voller Zirkumferenz der Aorta vorhandenen und umschlingenden Duktusgewebes, dessen Verbleiben für die meisten Früh-Re-Stenosierungen nach Operationen im frühen Säuglings- oder Neugeborenenalter verantwortlich ist (Ziemer et al. 1986). Zusätzlich kann durch eine Erweiterung dieser Technik eine assoziierte distale oder sogar proximale Bogenhypoplasie beseitigt werden. Dies erfordert jedoch eine Mobilisierung des Bogens auch proximal des Abgangs der linken A. carotis – manchmal bis zum Truncus brachiocephalicus und bis zur Aorta ascendens – und eine Anastomose, die nach Einschneiden des Aortenbogens proximal die Unterseite (Konkavität) des hypoplastischen Bogens erweitert (erweiterte E-E-Anastomose, »extended E-E anastomosis«). Die Präparation beginnt in der Regel an der proximalen Aorta descendens und wird zirkumferenziell an der A. subclavia sinistra fortgesetzt. Dieses Gefäß besitzt in seinem proximalen Segment keine Seitenäste (gelegentlich kräftige Adventitialgefäße) und kann relativ rasch vollständig mobilisiert werden. ! Zu beachten ist hier insbesondere die Präparation unmittelbar an der Gefäßwand der Aorta und ihrer Äste, um Verletzungen des Ösophagus und des Ductus thoracicus zu vermeiden.
Des Weiteren sollten ausschließlich kleine Schnitte (Scherenschläge) zur Präparation verwendet werden; größere Spreizungen (»stumpfes Präparieren«) sind zu vermeiden – evtl. glatt durchtrennte oder eingeschnittene Strukturen, insbesondere Gefäße, sind deutlich einfacher und sicherer zu versorgen als ab- bzw. zerrissene Gefäße. Der nächste Schritt der Präparation besteht proximal in der zirkumferenziellen Aortenbogenfreilegung und distal in der Darstellung des Aortenisthmus und ggf. des Ductus Botalli. Die Abott-Arterie ist das einzige Gefäß, das aus der Hinterwand der Aorta entspringen könnte (s. S. 527; Lerberg 1981). Nach ihr ist zu suchen, und sie sollte möglichst geclippt und abgesetzt werden. Eine evtl. vorliegende A. lusoria dextra sollte bekannt sein. Irritierend kann ein isolierter Abgang der A. vertebralis aus der Aorta sein, da diese Situation manchmal während der präoperativen, ausschließlich echokardiographischen Diagnostik nicht immer sicher zu beschreiben ist. Sobald ein zirkumferenzielles Freipräparieren des distalen
529 19.2 · Anomalien der Aorta
. Abb. 19.2. Anschlingung des hypoplatischen Aortenbogens von ventral, proximal der A. subclavia. Die Führung der Anschlingung er-
möglicht die Ventralluxation des Aortenbogens und seine komplette langstreckige Präparation auch dorsal
Bogens erfolgt ist, kann dieser angeschlungen werden. Wir bevorzugen eine Anschlingung von ventral nach dorsal mit Herausführung der Anschlingung dorsal des Isthmus kaudal und dorsal der A. subclavia kranial. Bei ausgeprägter Bogenhypoplasie wird die Anschlingung proximal der A. subclavia ggf. sogar der linken A. carotis communis am Aortenbogen vorgenommen (. Abb. 19.2). Dieses Manöver ist bei der Präparation weiter proximal, insbesondere an der Hinterwand des Aortenbogens, sehr praktisch und sehr hilfreich. Der Ductus arteriosus wird je nach Mobilisierungsgrad und -möglichkeit vorher oder nachher präpariert. Erfolgt eine Prostaglandininfusion, ist das Duktusgewebe leicht verletzlich, und der Duktus selbst sollte in diesem Fall nicht mit Pinzetten gefasst werden. Eine zirkumferenziell subadventitiell geführte Polypropylenenaht setzt man pulmonaliswär-
tig an den Duktus oder an das Lig. arteriosum; sie wird gleichzeitig mit Absetzen der evtl. noch laufenden Prostaglandininfusion verknotet. Aortenwärts wird vorübergehend ein Titan-Clip gesetzt und der Duktus durchtrennt sowie ggf. zur primären Blutungssicherung prophylaktisch ein zusätzlicher pulmonalwärtiger Clip gesetzt (. Abb. 19.3). Das Absetzen des Duktus erleichtert die Mobilisierung der deszendierenden Aorta, die mindestens bis jenseits der ersten 2–3 Interkostalarterien vollkommen mobilisiert werden sollte. Bei guter Mobilisierbarkeit kann die Duktusabsetzung auch ohne aortenwärtige Clip-Applikation, dann allerdings erst nach Aortenklemmung im Rahmen der Koarktektomie, vorgenommen werden. Die Interkostalarterien sind bei Neugeborenen relativ übersichtlich, jedoch sind sie bei fortgeschrittenem Alter
. Abb. 19.3. Setzen eines aortenwärtigen Titan-Clips, Durchtrennung des Ductus nach pulmonalwärtiger Umstechungsligatur und danach Setzen eines zusätzlichen pulmonalwärtigen Clips zur primä-
ren Blutungssicherung. Stattdessen auch nur vorherige Ligatur als Zweitsicherung möglich
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Kapitel 19 · Anomalien der großen intrathorakalen Gefäße
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tomose abschätzen sowie u. U. die Mobilisierung erweitern, um das Risiko spannungsbedingter Anastomosenstrikturen zu reduzieren. Die proximale Aortenklemmung erfolgt in Abhängigkeit von einer Aortenbogenhypoplasie, ggf. unter Einschluss der linken A. carotis, mit derselben gebogenen Klemme, die auch die A. subclavia sinistra mitverschließt (. Abb. 19.4a, b). Im weiteren Verlauf wird das juxtaduktale Segment der Aorta reseziert. Kritisch ist, dass die Absetzungsränder frei von Duktusgewebe sein müssen; dazu ist ggf. ein Versetzen der distalen Klemme nach kaudal erforderlich. Die Konkavität des Aortenbogens wird aufgeschnitten, sodass sich diese Inzision über das gesamte hypoplastische Segment erstreckt. Falls die so geschaffene proximale Zirkumferenz deutlich größer ist als die Zirkumferenz der quer durchtrennten Aorta descendens, wird die Aorta-descendens-Zirkumferenz distal dorsal inzidiert, um eine harmonische End-zu-End-Anastomose unter Einbeziehung der A. subclavia zu ermöglichen (. Abb. 19.4c). Gelegentlich wird die A. subclavia sinistra isoliert distal der aortoaortalen Anastomose in die Aorta descendens oder direkt in die aortoaortale Anastomose implantiert. Der Einsatz der End-zu-End-Technik wurde in den Anfangszeiten wegen der Furcht vor fehlenden Wachstumsmöglichkeiten durch die zirkumferenzielle Anastomose mit den damals verfügbaren, sich nicht auflösenden Nahtmaterialien (v. a. Seide) vermieden. Später zeigte sich jedoch, dass zirkumferenzielle Anastomosen mit resorbierbarem Faden (Polydioxannaht, PDS; Neugeborene: 7/0; Säuglinge und Kleinkinder: 6/0; Kinder und Jugendliche: 5/0) und sogar solche mit nichtresorbierbarem Monofilamentfaden (Polypropylene 6/0) über ein normales Wachstumspotenzial verfügen. Letzteres gilt jedoch nur für 6/0-Polypropylenfäden, die offensichtlich während des Wachstums zerreißen. Bei Erwachsenen verwenden wir 4/0-Prolenenähte. Als technische Variante kann der distale Isthmus verschlossen (Neugeborene, Säuglinge) und die Aorta descendens End-zu-Seit an die Konkavität des Aortenbogens anastomosiert werden (Rajasinghe et al. 1996). Indirekte und direkte Isthmusplastik nach Vossschulte.
c . Abb. 19.4a–c. Proximale Aortenklemmung und -anastomosierung
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groß, von geschwungenem Verlauf und eher wandschwach. Sie können vorübergehend mit Yassargil-Clips oder definitiv mit Titan-Clips verschlossen werden, falls die distale Abklemmung dies erfordert. Bei älteren Patienten ist auch eine temporäre Anschlingung möglich. Wir bevorzugen den primären definitiven Verschluss mit und ohne Durchtrennung, je nach Mobilisationsbedarf. Während einer Probeklemmung kann der Operateur mit Approximierung der proximalen und distalen Klemmen (auch Pinzetten) die Spannung an der künftigen Anas-
Bei der im Jahre 1957 von Vossschulte beschriebenen Technik handelt es sich um eine Erweiterungsplastik mit Kunststoffflicken (zunächst Dacron, später auch Polytetrafluorethylen) unter Herausschneiden der ISTA-Membran. Sie wurde primär nur bei älteren Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen angewandt. Diese indirekte Vossschulte-Plastik erfordert eine nur relativ geringfügige Freipräparation der Aorta, was im Fall stark entwickelter Kollateralen oder bei starken Verwachsungen durch Voroperationen sehr vorteilhaft sein kann. Die Länge des Isthmus bleibt unverändert, und es können keine spannungsbedingten Stenosen entstehen (. Abb. 19.5). Die Nachteile dieser Prozedur zeigten sich mit dem Verlauf der Zeit immer deutlicher. Eine Aneurysmabildung und eine Dissektionsgefahr wurden in allen Nachfolgestudien
531 19.2 · Anomalien der Aorta
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. Abb. 19.5a–d. Indirekte Isthmusplastik nach Vossschulte: Nach Längsinzision über die Koarktation (a) wird die Koarktation entweder intakt belassen oder zirkumferentiell (b) herausgeschnitten. Über die entstandene »Schwachstelle« sollen die Intimaränder anschließend mit fortlaufender Naht von innen übernäht werden (c). Bei der Ein-
naht des Erweiterungsflickens (d) sollten die bekannten Prinzipien nicht ausser Acht gelassen werden (Vermeidung einer Überdimensionierung, Vermeidung der Anspitzung an den Enden). Dieser Eingriff sollte nur ausnahmsweise bei Fehlen von anderen Optionen durchgeführt werden
für Patienten nachgewiesen, die diese Operation in einem Primäroperationsalter von >14 Jahren erhielten (Aebert et al. 1993). Als ursächlich dafür werden die durch das Entfernen der Intima-Media-Membran geschwächte Aortenwand sowie die unterschiedliche Dehnbarkeit (Anisoelastizität) des Flickens im Vergleich zur Aorta angesehen (De Santo et al. 1987; Rheuban et al. 1986). Diesbezügliche Beobachtungen nach indirekter Vossschulte-Plastik im Neugeborenen- oder Säuglingsalter bei denen typischerweise keine intraluminalen Resektionen stattfanden, existieren nicht. Diese Technik der Flickenerweiterungsplastik scheint eine Renaisssance zu erleben. Backer und Mavroudis verwenden sie als elektives Operationsverfahren bei allen Patienten zwischen 2 und 16 Jahren, jedoch wird die IntimaMedia-Membran im Gegensatz zur ursprünglichen Beschreibung intakt gelassen (Mavroudis u. Backer 2003). Im Gegensatz zur indirekten Vossschulte-Plastik kann bei der direkten Plastik auf einen Erweiterungsflicken verzichtet werden. Allerdings ist eine ggf. nicht unerhebliche Mobilisation der proximalen und distalen Aortenanteile erforderlich. Die Engstelle der Aorta wird in Analogie zur Heinecke-Mikulicz-Plastik des Pylorus längs eröffnet und quer vernäht (. Abb. 19.6).
Wir sehen hier heute gegenüber der Resektion und der End-zu-End-Anastomosierung keine Vorteile, zumal diese Technik nur für äußerst umschriebene Engen Anwendung finden kann. Resektion und Protheseninterposition. Diese Operation
empfiehlt sich v. a. bei ausgewachsenen Patienten, wenn eine End-zu-End-Anastomose nicht infrage kommt. Sie ersetzt die Isthmusflickenplastik und verhindert bei passender Länge der Prothese Anastomosenstriktur und Aneurysmabildung. Der Durchmesser der Prothese richtet sich meist nach der distalen Aorta descendens. Durchmesser von 18 mm reichen für einen nichtrestrikten Blutfluss auch bei großen Erwachsenen aus. Bei Jugendlichen, z. B. bei Re-Operationen, muss man sich dennoch gelegentlich mit einer 16er- oder gar einer 14er-Prothese begnügen. ! Die normale Aorta ist ein eher zartes Organ (Heinemann et al. 1997).
Die Operation erfolgt nach den allgemeinen gefäßchirurgischen Prinzipien. Nur unter strenger Kontrolle eines ausreichenden Drucks in der Aorta descendens nach Abklem-
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Kapitel 19 · Anomalien der großen intrathorakalen Gefäße
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. Abb. 19.6a,b. Direkte Vossschulte-Plastik. a Längsinzision aus dem distalen Aortenbogen heraus über die Koarktation in die proximale Aorta descendens. b Quervernähung der Längsinzision
mung (s. oben) kann auf ein temporäres Bypassverfahren verzichtet werden. Extraanatomische Bypassverfahren bei Aortenisthmusstenose. Ein Extraanatomischer Bypass sollte nicht für die
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primäre Operation einer Aortenisthmusstenose im Kindesoder Jugendalter verwendet werden. Extraanatomische Bypass-Anlagen sind jedoch gelegentlich bei wiederholt rezidivierenden Isthmusobstruktionen oder bei Stenosen im Bereich des distalen oder sogar proximalen Aortenbogens frühestens bei älteren Kindern als evtl. günstige Alternativen zur orthotopen Ersatzoperation zu empfehlen. Bei Erwachsenen kann jedoch z. B. bei langstreckiger Isthmushypoplasie auch bei der Primäroperation an ein extraanatomisches Bypassverfahren gedacht werden. Eine Rezidivstenose in den ersten postoperativen Wochen (durch remodelliertes Duktusgewebe oder nicht ausreichende proximale Ausdehnung der Erstoperation) kann in der Regel durch erneute, jetzt weiter reichende Resektion und proximale Erweiterung (evtl. durch Sternotomie und extrakorporale Zirkulation mit Kreislaufstillstand) angegangen werden. Jenseits des Säuglingsalters lassen sich diese Re-Stenosen nicht in dieser Weise behandeln. Dabei erschweren Verwachsungen die Präparation, die zu bedeutsamen funktionellen Folgen nach eventueller Verletzung benachbarter Strukturen (N. phrenicus, N. laryngeus recurrens, Ductus thoracicus, Ösophagus) führen kann. Eine erneute Resektion außerhalb der Säuglingsperiode erhöht die Spannung an den Gefäßenden bei dem postoperativ fibrosierten und nicht mehr ausreichend elastischen Aortengewebe und führt so zu einem deutlich höheren Risiko für erneute Re-Stenosierungen – sofern die Resektionsenden überhaupt aneinander gebracht werden können. Eine reine Anastomosenstriktur mit normalkalbrigem Aortenbogen und normalkalibriger linker A. subclavia kann durch eine Blalock-Park-Operation (Bypass zwischen linker A. subclavia und Aorta descendens) über eine linke
Thorakotomie sehr erfolgreich und relativ einfach behandelt werden. Die postduktale Aorta descendens kann bei poststenotisch reduziertem Druck meistens großzügig seitlich ausgeklemmt werden. Wir empfehlen, die Aorta über die gesamte Länge der geplanten Anastomose zirkumferenziell freizupräparieren oder bei älteren Patienten mindestens mit Umbilikalband proximal und distal davon zu umfahren. Nach Platzieren einer entsprechend großen Satinsky-Klemme sollte man die Druckverhältnisse in der distalen Aorta kontrollieren. Bei Rezidivoperationen sollte neben der routinemäßigen invasiven Druckmessung in der A. radialis dextra auch eine invasive Druckmessung in einer Leiste oder in der distalen Aorta descendens erfolgen. Die Anastomose an der A. subclavia ist End-zu-Seit am proximalen intrathorakalen Segment des Gefäßs zu fertigen. Bei Patienten, bei denen der Wachstumsprozess noch nicht vollendet ist, sollte die Prothese (Polytetrafluorethylen oder Dacron) mit einer gewissen Redundanz zurechtgeschnitten werden. Die Verwendung des extraanatomischen Bypasses ist jedoch bei assoziierter Bogenhypoplasie (sog. komplexe Re-Koarktation) deutlich wichtiger. Unter diesen Umständen sollte er sich zwischen der Aorta ascendens und der Aorta descendens erstrecken. Ein »orthotop« liegender Bypass, der praktisch parallel und anterior zum autochthonen Bogen gelegt wird, ist transsternal wegen der erforderlichen retrokardialen Präparation ohne Einsatz der extrakorporalen Zirkulation sehr schwierig anzulegen. Im Fall von behandlungsbedürftigen assoziierten intrakardialen Befunden kann die benötigte Freipräparierung ohne zusätzliche Myokardischämie am schlagenden Herzen erfolgen. Daebritz et al. berichten über 5 Patienten, die durch eine linkslaterale Thorakotomie ohne Herz-Lungen-Maschine bei komplexer Re-Koarktation einen orthotopen Bypass zwischen Aorta ascendens und Aorta descendens erhalten haben. Dies entspricht auch unserer Erfahrung.
533 19.2 · Anomalien der Aorta
Arbeitsgruppen in der Mayo-Klinik (Connolly et al. 2001) und um Carell (Schoenhoff et al. 2008) schlagen die extraanatomische Verbindung zwischen Aorta ascendens und Aorta descendens bei komplexen ReKoarktationsfällen vor. Die Operation erfolgt über eine mediane Sternotomie. Die proximale Anastomose, die an der rechten Seite der Aorta ascendens durchgeführt wird, sollte in seitlicher Ausklemmung erfolgen. Für die distale Anastomose wird die Aorta descendens transperikardial, nach schrittweiser kranieller Luxation der Herzspitze, freipräpariert. Dieses Manöver kann mit dem OPCAB-Instrumentarium (Vakuum) durchgeführt werden und erlaubt einen exzellenten Zugang zur supradiaphragmalen Aorta. Die Aorta descendens wird nach den bei der Blalock-Park-Operation festgelegten Prinzipien präpariert. Andere Arbeitsgruppen (Robin et al. 1992, Levy Praschker et al. 2008) verwenden die abdominelle Aorta als Zielgefäß für die distale Anastomose. Die Komplexität des intraabdominellen Anschlusses begründet diesen 2-HöhlenEingriff unseres Erachtens nur in Ausnahmefällen. Um die Länge und die Lage des intraperikardial liegenden Bypasses optimieren zu können, werden für die distale und die proximale Anastomose 2 separate Prothesen ver-
wendet, die man anschließend zurechtschneidet und miteinander anastomosiert. Waldhausen-Plastik (»subclavian flap plasty«). Die Wald-
hausen-Technik, die ein Durchtrennen der linken A. subclavia am Austritt aus dem Thorax sowie die Verwendung der geschlitzten und nach unten geschlagenen A. subclavia als Erweiterungsflicken umfasst, war – historisch gesehen – die erste auch langfristig erfolgreiche, für die neonatale ISTAKorrektur verwendete Technik (Waldhausen u. Nahrwold 1966). Als Primäroperation wird sie heute bei Neugeborenen seltener benutzt, obwohl sie im Fall einer Re-Koarktation bzw. Re-Operation eine wichtige Rolle spielen kann. Als Nachteil sind Berichte über späte Wachstums- und Funktionsstörungen des linken Armes infolge der abgesetzten A. subclavia zu werten. Die Tatsache, dass das beim Neugeborenen noch plastische Duktusgewebe unbehandelt bleibt, ist eine bedeutsame Ursache der Re-Koarktation (Ziemer et al. 1986). Die A. subclavia wird proximal des Abgangs der A. vertebralis durchtrennt. Die Schnittführung erfolgt im Weiteren am lateralen Rand der A. subclavia und wird dann über den Isthmus hinaus durch die Koarktation nach distal fortgesetzt (. Abb. 19.7a, b).
a
b
c
d
. Abb. 19.7a–d. Klassische (a und b) und »inverse« (c und d) Waldhausen-Plastik. Die Inzision streckt sich deutlich jenseits der Koarktation. Wie bei der Vosschulte-Plastik bleibt die Membran intakt oder wird nach ev. Resektion (s. . Abb. 19.5c) von innen übernäht (a). Nach Umschlagen der eingeschnittenen proximalen A. subclavia sinistra wird
sie zungenförmig in den inzidierten Aortenverlauf eingenäht (b). Die »inverse« Waldhausen-Plastik kann als komplementäre Technik bei einem langen hypoplastischen distalen Bogen verwendet werden (c). Anschließend sollte jedoch die tatsächliche Isthmusstenose durch Resektion und End-zu- End Anastomose ebenfalls korrigiert werden (d)
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Kapitel 19 · Anomalien der großen intrathorakalen Gefäße
Neben der ursprünglichen Waldhausen-Plastik wurde das Prinzip des »subclavian flap« als Erweiterungsmaterial (»biologischer Flicken« mit Wachstumspotenzial) von mehreren Autoren als ergänzende oder selbstständige Prozedur im Rahmen verschiedener Techniken beschrieben (Zannini et al. 1993). Die »Reverse-subclavian-flap«-Technik, wie ursprünglich von Hart und Waldhausen (1983) beschrieben, sollte für die präisthmale Koarktation Anwendung finden. Die Inzidenz dieser anatomischen Variante ist jedoch äußerst gering. Kanter beschrieb diese Technik als eine Möglichkeit, die distale Bogenypoplasie zu beseitigen (Kanter et al. 2001). Allen modifizierte die Technik durch eine intraluminale Plikatur der hineinragenden Membran, wobei eine Vergrößerung des Lumens und eine Reduzierung der Länge erzielt werden sollen, um die mit dem gekippten Lappen überbrückbare Strecke zu verlängern (Allen et al. 2000). Asano schlägt eine auf die Membran limitierte Resektion der Aorta vor, um das Lumen zu vergrößern (Asano et al. 1998). Momentan sehen wir in der selten zu operierenden ReKoarktation des ehemaligen Neugeborenen nach Koarktektomie und End-zu-End-Anastomose die einzige Indikation für die »Subclavian-flap«-Plastik. Dies gilt jedoch nur dann, wenn eine erneute Resektion und End-zu-End-Anastomosierung unmöglich erscheinen und eine Prothesenflickenerweiterungsplastik bei narbigem Gewebe kein Wachstumspotenzial verspricht.
Assoziierte Aortenbogenhypoplasie Eine gewisse Bogenhypoplasie wird bei Vorliegen einer Aortenisthmusstenose häufig beobachtet. Eine genaue Beschreibung der Hypoplasie eines Bogensegments kann als Prozentzahl des Verhältnisses zwischen Aorta ascendens und dem betroffenen Segment ausgedrückt werden. Die von Pathologen festgelegten oberen Grenzwerte liegen bei 60 %, 50 % und 40 % für den proximalen und distalen Bogen bzw. den Isthmus (Moene et al. 1982). Es ist weiterhin nicht eindeutig, ob unterhalb dieser Werte einzuordnende Segmente in der Tat chirurgisch angegangen werden müssen (s. oben). Während mehrere Arbeiten ein Wachstumspotenzial nachweisen, bevorzugen andere Autoren – so auch wir – die primäre Beseitigung der Bogenhypoplasie. Die ausgedehnte, erweiterte E-EAnastomose (»extended E-E- anastomosis«) und der »reverse subclavian flap« (s. oben) erweitern den distalen und ggf. den proximalen Bogen.
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! Bei einer extremen Hypoplasie des proximalen oder des gesamten Aortenbogens, definiert als <25 % des Durchmessers der Aorta ascendens, empfiehlt es sich, auch bei fehlenden intrakardialen Defekten über eine mediane Sternotomie unter Verwendung der Herz-LungenMaschine und ggf. im tiefhypothermen Kreislaufstillstand zu operieren.
Eine besonders ungünstige Variante der Assoziation ist der gemeinsame Abgang des Truncus brachiocephalicus und der linken A. carotis communis aus dem Aortenbogen (Truncus bicaroticus). In diesem Fall ist der distale Bogen besonders lang und entsprechend hypoplastisch. Die zur Verfügung stehenden Techniken sind die genannten Erweiterungsplastiken des Bogens und die End-zu-Seit-Anastomosierung der Aorta descendens an die Aorta ascendens, was auch eine proximale Bogenhypoplasie beseitigen kann. Die Einzelheiten der Operationen am Aortenbogen werden im folgenden Abschnitt diskutiert.
ISTA als Teil komplexer Anomalien Wie bereits erwähnt, gehören embryonal modifizierte intrakardiale Flussbedingungen wahrscheinlich zu den wichtigsten pathogenetischen »Auslösern« der Isthmussstenose, sodass eine Koarktation häufig nur Bestandteil eines komplexen Herzfehlers ist. Wegen der Häufigkeit eines assoziierten Ventrikelseptumdefekts wird diese Kombination von einigen Autoren als eine Variante der ISTA betrachtet. Darüber hinaus ist die ISTA ein komplementärer Bestandteil mehrerer anderer komplexer Herzfehler, die alle mit einer Obstruktion bzw. Unterentwicklung der für die Systemperfusion zuständigen Herzhälfte einhergehen. Diese »ISTA-typischen« Herzfehlerkomplexe sind: 4 Shone-Komplex, 4 Taussig-Bing-Anomalie, 4 imbalancierter Atrioventrikularseptumdefekt, 4 verschiedene Formen des univentrikulären Herzens. Diese kombinierten Vitien werden in der Regel bereits im Neugeborenenalter symptomatisch, und eine Operation ist unverzüglich indiziert. Während der Umfang der Korrektur/Palliation des intrakardialen Defekts im Einzelfall abzuschätzen ist, sollte die Aortenisthmusstenosenkorrektur immer Teil der Erstoperation sein. Natürlicherweise erfolgt die Operation über eine linkslaterale Thorakotomie, falls die Operation am Aortenbogen der einzige Eingriff ist oder allenfalls eine Bändelung der A. pulmonalis als Zusatzprozedur ansteht. Intrakardiale Korrekturen im Neugeborenenalter unter Zuhilfenahme der Herz-Lungen-Maschine sollten über eine mediane Sternotomie erfolgen. Die Operation kann im tiefhypothermen Kreislaufstillstand mit oder ohne (unser Vorzug) isolierte Hirnperfusion, ggf. bei moderater Hypothermie, durchgeführt werden. Falls man sich für eine Operation im tiefhypothermen Kreislaufstillstand (»deep hypothermic circulatory arrest«, DHCA) entscheidet, erfolgt die arterielle Kanülierung konventionell über die Aorta ascendens. Für die isolierte Hirnperfusion kann die arterielle Kanülierung entweder über eine an den Truncus brachiocephalicus End-zu-Seit anastomosierte Polytetrafluorethylenprothese mit anschließender Klemmung am Abgang des Truncus brachiocephalicus oder über eine direkte Kanülierung der Aorta ascen-
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dens an ihrer rechten Seite mit querem Abklemmen des Aortenbogens distal des Truncus brachiocephalicus stattfinden. Bei Neugeborenen lässt sich die proximale Aorta descendens bei entlastetem Herzen von vorne nach Perikarderöffnung während der Kühlungsphase gut darstellen. Um die Aorta descendens besser nach kranial mobilisieren zu können, ist es äußerst hilfreich, nach suffizienter Kühlung (<25°C) temporär eine C-Klemme (Cooley-Klemme; das C steht aber auch für die Form der Klemme) jenseits des Isthmus zu setzen und damit die Präparation und Mobilisierung nach distal zu erleichtern. Ebenfalls während der Kühlung erfolgen das Anschlingen und die weitmöglichste Mobilisierung der gehirnversorgenden Bogenäste. Entscheidend ist in dieser Phase der Gradient zwischen den intraösophageal, nasopharyngeal oder tympanal und den intrarektal oder intravesikal (Harnblase) gemessenen Temperaturen. Größere Gradienten können als Zeichen der Minderdurchblutung der unteren Körperhälfte bewertet werden, die eine verlängerte Kühlungsphase (manchmal deutlich jenseits der üblichen 20 min) erforderlich machen. Im Fall einer notwendigen intrakardialen Operation und bei präoperativ nicht eindeutig indizierter Isthmusstenosenoperation wird die Indikation zur Isthmusresektion/Koarktektomie bei einem Temperaturgradienten zwischen oberer und unterer Körperhälfte von >10°C während der Kühlphase gestellt. Eine Korrektur der Isthmusstenose über eine mediane Sternotomie kann mit den beschriebenen Techniken erfolgen. Was dieser Zugang jedoch zusätzlich im Vergleich zu einer lateralen Thorakotomie bietet, ist die Möglichkeit, auch eine proximale Bogenhypoplasie zu korrigieren. Dies lässt sich entweder durch eine direkte End-zu-Seit-Anastomose zwischen Aortenbogen und Aorta ascendens (ähnlich wie bei einem unterbrochenen Aortenbogen) nach Isthmusverschluss oder durch eine lange, die gesamte Aortenbogenkonkavität umfassende Anastomose gewährleisten. Weiterhin kommt eine Flickenplastik analog zur NorwoodOperation infrage. Als Erweiterungsmaterial kann synthetisches Material wie Polytetrafluorethylen, autologes, mit Glutaraldehyd vorbehandeltes Perikard oder eine pulmonale Homograftwand verwendet werden (. Abb. 19.8). Eine neuere Technik schlägt eine Bogenerweiterung mit autologer Pulmonaliswand vor (Roussin e al. 2002). Die postulierten Vorteile gegenüber anderen Ersatzmaterialien bei noch fehlenden Langzeitergebnissen sind schwierig einzuordnen, und ob das vermeintliche Wachstumspotenzial den Aufwand sowie eine eventuelle Beeinträchtigung der Pulmonalisklappenfunktion und/oder der Pulmonalisäste rechtfertigt, lässt sich zurzeit noch nicht abschätzen. Nach Erreichen der rektalen Zieltemperaturen (<20°C) und einer Mindestkühldauer von 20 min wird nach Verschluss der gehirnversorgenden Arterien mittels Tourni-
quets die extrakorporale Perfusion gestoppt und das Blut über die venöse Kanüle in das Reservoir der Herz-LungenMaschein drainiert. Zu diesem Zeitpunkt liegt die Hirntemperatur (analog nasopharyngeal, ösophageal oder tympanal gemessen) bei <18°C (ggf. auch bei <15°C). ! Während des Kreislaufstillstands bleibt das Gehirn weiterhin das empfindlichste Organ. Als zusätzliche protektive Maßnahme sollte der Kopf schon während, spätestens jedoch kurz vor Ende der Kühlphase mit Eisbeuteln bepackt werden. Dies dient weniger der zusätzlichen Kühlung als einer Vermeidung der vorzeitigen Wiedererwärmung des Gehirns während der Kreislaufstillstandsphase.
Falls die Operation am Bogen relativ zügig gelingt, kann während derselben Kreislaufstillstandsphase eine einfache intrakardiale Korrektur vorgenommen werden. Nimmt die ISTA-Korrektur jedoch mehr als 15 min in Anspruch, sollte die von der Ungerleider-Arbeitsgruppe (Langley et al. 1999) empfohlene, kurze (1–3 min) tiefhypotherme Reperfusion zwischengeschaltet werden, um das Risiko postoperativer ischämischer Gehirnschädigungen zu minimieren. Die Idee einer isolierten Hirnperfusion, um einen kompletten tiefhypothermen Kreislaufstillstand zu vermeiden, ist nach der Veröffentlichung der mittelfristigen Ergebnisse der Boston Circulatory Arrest Study (Bellinger et al. 1993) von mehreren Arbeitsgruppen aufgenommen worden. Verschiedene experimentelle Arbeiten betonen die schädigenden Wirkungen der Ischämie und der Hypothermie, obwohl die Gegenargumente (Hirnödem nach langer hypothermer »Low-flow«-Perfusion) ebenfalls überzeugend wirken. Für eine isolierte Perfusion über den Truncus brachiocephalicus reichen bei einer Temperatur von <25°C Flüsse von 20–30 % des normalen Flusses aus. Einige Arbeitsgruppen verwenden die isolierte Perfusion nur für die Gehirndurchblutung (MacDonald et al. 2002; Pigula et al. 2000). Andere Autoren bevorzugen eine kombinierte Gehirn- und Myokardperfusion während der Bogenrekonstruktion (Ishino et al. 2000; Kostelka et al. 2004). Die doppelte Kannülierung der Aorta ascendens und der Aorta descendens unmittelbar supradiaphragmal (Imoto et al. 1999, 2001) ermöglicht theoretisch eine fast normotherme Perfusion, wobei die Vorteile solcher komplexen Perfusionen noch sehr genau nachgewiesen werden müssen. 19.2.1.2
Unterbrochener Aortenbogen
Ein unterbrochener Aortenbogen (UAB; »interrupted aortic arch«, IAA) wird als eine vollständige gewebliche Diskontinuität im Bereich des Aortenbogens definiert. Eine nur luminale Unterbrechung mit atretischem, fibrösem Segment ist gelegentlich im Isthmusbereich zu sehen und täuscht einen UAB Typ A (s. unten) vor. Es handelt sich dabei jedoch um eine extreme Form der Aortenbogenhypoplasie bei ISTA.
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b
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. Abb. 19.8a–c. Korrektur einer Aortenisthmusstenose mit Bogenhypoplasie über eine mediane Sternotomie. Aorta acendens Kanülierung distal gegenüber der späteren Anastomose/Bogenerweiterung. Die Resektions- und Inzisionslinien sind eingezeichnet (a). Im tiefhypothermen Kreislaufstillstand ist die Aortenkanüle entfernt, die Koraktation reseziert, der Ductus abgesetzt und die Konkavität des Aortenbogens bis in die distale Aorta ascendens eingeschnitten (b). Abschlussbild nach E-E Anastomose unter Erweiterung des Aortenbogens (c)
Im Gegensatz zur ISTA ist ein unterbrochener Aortenbogen als isolierte Fehlbildung eine Rarität (Dische et al. 1975). Vielmehr bestehen in der Regel weitere intrakardiale oder extrakardiale Defekte. Diese assoziierten Anomalien bedingen konstant eine Kommunikation im Ventrikel (Ventrikelseptumdefekt, Truncus arteriosus) oder in der Aorta ascendens (aortopulmonales Fenster, Truncus arteriosus). Der UAB als Teil komplexer Anomalien bedingt bei deren Klassiffizierung jeweils einen eigenständigen Typ: 4 Truncus arteriosus Typ A4 nach Van Praagh, 4 aortopulmonales Fenster vom Typ IV
c
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Der UAB kann auch im Fall funktionell univentrikulärer Herzen auftreten, wobei das hypoplastische Linksherzsyndrom eine seltene, aber in diesem Zusammenhang die häufigste Form einer univentrikulären Zirkulation mit UAB darstellt. Eine einfache, auch chirurgisch sinnvolle Klassifizierung des typischen UAB mit Ventrikelseptumdefekt wurde von Celoria and Patton (1959) vorgeschlagen. Ausgangspunkt dieser Klassiffizierung ist das fehlende Segment im fast regelhaft linken Aortenbogen mit links deszendierender Aorta (. Abb. 19.9).
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. Abb. 19.9a–d. Klassifikation des unterbrochenen Aortenbogens nach Celoria u. Patton 1959 a) Typ A b) Typ B c) Typ C d) Typ B mit A. lusoria
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c
Beim Typ A findet sich die Unterbrechung im Isthmusbereich, beim Typ B zwischen A. carotis communis sinistra und A. subclavia sinistra und beim Typ C zwischen Truncus brachiocephalicus und A. carotis sinistra. Einen UAB Typ C haben wir in mehr als 25-jähriger Praxis noch nicht klinisch gesehen. Rein statistisch betrachtet ist der Typ B die häufigste Form, wobei Typ C äußert selten ist und nur in Einzelfällen beobachtet wurde (Jonas et al. 1994). Außer der Seltenheit ist dieser Subtyp mit einer ausgeprägten Hypoplasie der Aorta ascendens assoziiert und stellt damit in Analogie zum hypoplatischen Linksherzsyndrom die risikoreichste Variante dar. Eine sehr schmale Aorta ascendens ist auch im Fall eines Typ B mit rechter A. lusoria zu erwarten, da hier analog zum Typ C nur 2 von insgesamt 4 Bogenästen über die Aorta ascendens perfundiert werden. Für die untere Körperhälfte und für die supraaortalen Äste jenseits der Unterbrechung besteht jeweils eine duktusabhängige Systemperfusion. Der Ventrikelseptumdefekt weist, im Gegensatz zu dem mit einer ISTA assoziierten Defekt, häufiger (93 % vs. 47 %) eine posteriore Deviation des Auslassseptums in den subaortalen Ausflusstrakt auf (Kreutzer u. Van Praagh 2000). Diese als »posterior malalignment defect« bekannte Entität
b
d
ist mit einer linksventrikulären Ausflusstraktobstruktion assoziiert, deren hämodynamische Relevanz jedoch erst nach der Aortenbogen- und Ventrikelseptumdefektkorrektur zutage tritt, sofern keine Resektionsmaßnahmen durchgeführt wurden. Andere Subtypen von Ventrikelseptumdefekten sind ebenfalls beschrieben worden, wobei außer dem am zweithäufigsten vorkommenden subpulmonalen Ventrikelseptumdefekt keinerlei andere Lokalisationen eine nennenswerte Häufigkeit aufweisen. Neben dem deviierten Septum können auch andere Komponenten des linksventikulären Ausflusstrakts betroffen sein. Eine anuläre Hypoplasie sowie eine reine valvuläre Aortenstenose oder zumindest die bikuspide Aortenklappenanlage sind nicht selten zu sehen und sollten bei der Operation evtl. berücksichtigt werden. Für deren hämodynamische Relevanz gilt das für das Ausflusstraktseptum Erläuterte. Operationsindikationen
Die Geschichte der chirurgischen Behandlung eines UAB begann einige Jahre nach der Aortenisthmuschirurgie. Die erste erfolgreiche Operation mit isolierter Korrektur war von Samson im Jahre 1955 bei einem 3-jährigen Mädchen vorgenommen worden (Merrill et al. 1957). Eine neonatale
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Totalkorrektur mit Verschluss eines Ventrikelseptumdefekts erfolgte erstmalig 1970 durch Barratt-Boyes in Neuseeland (Barratt-Boyes et al. 1972). Trotz dieser Erfolgsberichte bestand für diese Korrekturoperation bis zur Einführung der Prostaglandintherapie Ende der 1970er Jahre eine äußerst hohe Letalität. Der größte Teil des Systemkreislaufs bei unterbrochenem Aortenbogen ist duktusabhängig (s. oben). Mit dem Verschluss des Ductus arteriosus entsteht ein rasch progredientes Multiorganversagen mit Anurie und metabolischer Azidose. In diesem Zustand kann ein chirurgischer Eingriff nur in seltenen Fällen erfolgreich sein. Die Prostaglandininfusion erlaubt eine medikamentöse Stabilisierung, und danach, ggf. Tage später, kann die Operation unter geregelten Verhältnissen, metabolischer Ausgeglichenheit und guter Nierenfunktion durchgeführt werden. Außer der Weiterentwicklung der allgemeinen operativen Strategie mit Verfeinerung der einzelnen Schritte der Operation spielt mittlerweile auch die pränatale Diagnostik eine große Rolle, die dazu führt, dass diese Patienten ohne zwischenzeitliche metabolische Dekompensation in geordneter Weise auf die neonatale Korrektur vorbereitet werden können. ! Die Diagnose eines unterbrochenen Aortenbogens bedingt die Indikation zur dringlichen Operation.
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Die früher durchgeführte isolierte Bogenkorrektur mit gleichzeitiger Pulmonalarterienbändelung zur temporären Palliation des Ventrikelseptumdefekts ist in der gegenwärtigen Ära nur in denjenigen äußerst seltenen Fällen zu empfehlen, bei denen bei univentrikulären Herzen die Systemperfusion als erster Palliationsschritt analog zur NorwoodOperation sichergestellt werden muss. Die Operationen zur Korrektur eines UAB erfolgt über eine mediane Sternotomie. Auch für eine isolierte Bogenoperation scheint eine linkslaterale Thorakotomie nicht ausreichend zu sein. Karl et al. (1992) berichteten über eine Re-Operationsrate von 100 % bei 9 Patienten, bei denen die Rekonstruktion ursprünglich über eine laterale Thorakotomie durchgeführt wurde. Nach Spalten des Brustbeins wird insbesondere bei UAB Typ B häufig nur ein sehr schmächtiger oder fehlender Thymus als Manifestation eines Di-George-Syndroms (Mikrodeletion 22q11) festgestellt. Diese Beobachtung hat ggf. praktische Konsequenzen, da diese Kinder eine Neigung zur frühpostoperativen Hypokalzämie zeigen, die eine entsprechende Aufmerksamkeit erfordert (7 Kap. 8). Wie bei komplexer ISTA, kann die extra- und intrakardiale Operation im tiefhypothermen Kreislaustillstand mit oder ohne isolierte Hirnperfusion erfolgen. Eine Besonderheit der extrakorporalen Zirkulation für Operationen an einem UAB ist die doppelte arterielle Kanülierung: Aorta ascendens direkt und Aorta descendens über den Ductus Botalli. Die 2 Kanülen werden über ein Y-Stück von derselben Pumpeneinheit versorgt. Die gewählten Kanülen haben eine Größe von max. 8 F, was be-
sonders im Fall einer sehr schmalen Aorta ascendens sehr vorteilhaft ist (. Abb. 19.10a). Vouhé führt auch bei UAB nur eine solitäre Aorta ascendens Kanülierung durch (Vouhé et al. 1990). Für die Kanülierung der proximalen Aorta kann auch eine indirekte Kanülenanlage über eine vorübergehend an den Truncus brachiocephalicus seitlich anastomierte Polytetrafluorethylenprothese erfolgen. Wichtig ist es, bei der direkten Kanülierung der Aorta ascendens die Stelle am rechts-anterolateralen Aspekt der Aorta auszuwählen, damit die spätere Anastomose ungestört, idealerweise gegenüber der Kanülierungsstelle, durchgeführt und so die ursprüngliche Kanülierungsstelle auch als alleinige Quelle für die Reperfusion und die Aufwärmung verwendet werden kann. Die Perfusion der distalen Aorta führen wir über eine direkte Duktuskanülierung durch. Die Kanülierungsstelle kann sich auch im sehr kräftigen Pulmonalisstamm befinden; dann müssen jedoch beide Pulmonalisäste mit Beginn der Perfusion temporär verschlossen werden, und es besteht das Risiko einer akuten Pulmonalklappeninsuffizienz. Bei der direkten Kanülierung des Duktus kann man auf eine Tabaksbeutelnaht verzichten. Nach Platzierung eines Tourniquets um den Duktus kann die Kanüle über eine quere Inzision aortenwärts vorgeschoben und mit dem erwähnten Tourniqet fixiert und der Duktusverlauf pulmonalwärtig verschlossen werden. Der Duktus lässt sich in seinem proximalen Anteil im weiteren Verlauf bereits während der Kühlungsphase durchtrennen und der pulmonalwärtige Stumpf übernähen. Dadurch wird die Mobilisierung der Aorta descendens deutlich erleichtert. Bei der direkten Duktuskanülierung ist die vorherige venöse, rechtsatriale Kanülierung erforderlich. Wie bei der ISTA bereits erwähnt, sollte während der Kühlung eine komplette Mobilisierung des Aortenverlaufs und der supraaortalen Äste erfolgen. Eine rechtsseitige A. lusoria muss gelegentlich, aber nicht zwingend abgesetzt werden, kann aber auch als »reverse subclavian flap« (s. oben, »Operationen bei isolierter ISTA«) die Aortenbogenrekonstruktion unterstützen. Das Absetzen einer linksseitigen A. subclavia bei Korrektur eines UAB Typ B war nach unserer Erfahrung noch nie erforderlich, wird aber von wenigen Kollegen zur Erleichterung der Anastomosierung großzügig durchgeführt. Auf keinen Fall sollte man sowohl die A. subclavia sinistra als auch die A. lusoria dextra gleichzeitig absetzen – es sei denn, zumindest die einseitige Re-Implantation findet in gleicher Sitzung statt. Die abgesetzte A. lusoria dextra kann auch aus ihrem retroösophagalen Verlauf herausmobilisiert und orthotop Endzu-Seit an die A. carotis communis dextra re-anastomosiert werden, womit ein Truncus brachiocephalicus entsteht. Nach ausreichender Kühlung werden die gehirnversorgenden Äste mittels Tourniquets und im tiefhypothermen Kreislaufstillstand verschlossen und sämtliche Kanülen entfernt.
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b . Abb. 19.10a–c. Operation eines unterbrochenen Aortenbogens Typ B. Kanülierung bei UAB Typ B: die schmale Aorta asccendens wird in ihren rechtslateralen Seite kanüliert, während die Aorta ascendens über den Ductus arteriosus perfundiert wird (a). Nach Entfernung beider Kanülen wird die Anastomose End-zu- Seit zwischen Ao. asc. und der vom Ductusgewebe möglichst befreiten distalen Stumpf gefertigt. Die Inzision an der Ao. asc. soll an ihren posterio-medialen Quadranten geführt werden (b). Die fertige Anastomose die u.U. bis in die linke A. carotis communis bzw. A subclavia sinistra reichen kann (c)
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Nach kompletter Entfernung aller sichtbaren Duktusreste aus der distalen Aorta wird deren Zirkumferenz für die Anastomose vorbereitet. Die Inzision an der Aorta ascendens erfolgt links-dorsolateral, ggf. die linke A. carotis einbeziehend (Typ B). Die Führung der Inzision an der Aorta ascendens ist beim leeren Gefäß nicht immer einfach. Hier kann die ursprüngliche Kanülierungstelle oder es können während der Kühlung vorgelegte adventitielle Orientierungsnähte an der Aorta ascendens sehr hilfreich sein, um eine korrekte torsionsfreie Anastomose zu erzielen. Als Nahtmaterial wird langsam resorbierbares Material (Polydioxanone 7/0) verwendet. Die Anastomosierung erfolgt in herkömmlicher fortlaufender Nahttechnik, wobei die 2 Gefäßenden erst nach den ersten Eckstichen approximiert werden, oder nach einer Fixierung beider Ecken erfolgt die Naht an der hinteren Hemizirkumferenz »von innen« (. Abb. 19.10b, c).
Eine vor Kurzem veröffentlichte multizentrische Studie (McCrindle et al. 2005) hat bezüglich der Bogenrekonstruktion u. a. die potenziellen technischen Ursachen einer rekurrenten Obstruktion im Aortenbogen untersucht. Diese Arbeit hat als optimale Therapie eine durch Flickenerweiterung ergänzte direkte Anastomose beschrieben. Zusätzlich haben die Autoren bei den 472 untersuchten Patienten die Verwendung von Polytetrafluorethylen für die Erweiterungsplastik ebenfalls als Risikofaktor für eine spätere Re-Obstruktion identifiziert und empfehlen autologes Perikard oder Homografts als ideales Erweiterungsmaterial. In Anbetracht der Heterogenität der teilnehmenden Institutionen sowie der relativ wenigen konkreten anatomischen Einzelheiten bezüglich der Art und der Lokalisation der Re-Stenosen, die in die multivariate Analyse einbezogen wurden, müssen diese Ergebnisse jedoch kritisch betrachtet werden. Im Fall einer Erweiterung sollte der Flicken in der Konkavität des Bogens von der Aorta ascendens beginnend bis zur Aorta descendens hin eingebracht werden. Bei dieser Operation wird im Gegensatz zur herkömmlichen direkten Anastomose die Aorta ascendens erweitert und damit deren ursprünglich schmales Kaliber kompensiert. Nach Verschluss des Ventrikelseptumdefekts und einer eventuellen Kommunikation auf Vorhofebene erfolgt die Rekanülierung über die alte Stelle in der Aorta ascendens, wobei jetzt eine einzige Kanüle den gesamten Fluss transportiert.
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Kapitel 19 · Anomalien der großen intrathorakalen Gefäße
Früher, als die Möglichkeit und die Wichtigkeit der kompletten Mobilisierung der Aorta und der supraaortalen Äste noch nicht erkannt waren, wurden für die Überbückung des Abstands zwischen Aorta ascendens und Aorta descendens verschiedene Techniken vorgeschlagen. So wurde z. B. der Ductus arteriosus beibehalten oder die distal abgesetzte linke A. carotis communis als Verbindung genutzt (Monro et al. 1989). Eine Arbeit, die eine historische Serie dieser Techniken nachuntersuchte, konnte eine akzeptable Stenoseinzidenz nachweisen, sodass diese Techniken u. U. ebenfalls verwendet werden können (Monro et al. 1996). Die Interposition einer Kunstoffprothese zwischen Aorta ascendens und Aorta descendens setzt ebenfalls keine ausgiebige Mobilisation voraus, wird jedoch unweigerlich von einer späteren (auch früheren) komplizierteren Re-Operation gefolgt. Als technische Variante der direkten Verbindung wurde eine Seit-zu-Seit-Anastomose zwischen der linken A. carotis communis und der linken A. subclavia (im Fall einer Typ-B-Anatomie) vorgeschlagen. Hierbei sollte man die Inzision in beiden Gefäßen über eine Länge von 5–6 mm nach kranial führen, um eine breitere Kommunikation zu erreichen. Auch Castaneda war diese Technik bekannt, jedoch in seiner Erfahrung nie erforderlich gewesen (Castaneda et al. 1994). Eine detaillierte Beschreibung des Ventrikelseptumdefektverschlusses ist nicht Zweck dieses Kapitels. Die Besonderheiten des posterioren Malalignment-Ventrikelseptumdefekts und der damit assoziierten Subaortenstenose werden wir im Folgenden jedoch kurz beschrieben. Als Zugangweg kommen 4 Möglichkeiten in Betracht. Einzelne Autoren beschreiben ausschließlich transrechtsventrikuläre (Castaneda et al. 1994; Vouhé et al. 1990), transrechtsatriale (Bove et al. 1993; Serraf et al. 1996), transaortale oder transpulmonale (Luciani et al. 1996) Zugangswege. Wichtig ist jedoch eine Flexibilität, um individuell vorgehen zu können. Das beinhaltet auch die gleichzeitige Verwendung mehrerer Zugänge für den Verschluss eines andernfalls schlecht zugänglichen Ventrikelseptumdefekts in seinen unterschiedlichenAnteilen. Eine Entscheidung über eine primäre Operation im subaortalen Bereich ist ein kritischer Entschluss. Das deviierte Septum kann präoperativ echokardiographisch eindeutig identifiziert werden. Präoperativ wird hier meistens direkt kein Druckgradient gemessen, und auch unmittelbar postoperativ sind die Strömungsverhältnisse im linksventrikulären Ausflusstrakt regelrecht. Eine Stenose tritt meist später, in der Regel in den ersten 1–2 Monaten, jedoch fast immer innerhalb der ersten Jahre auf (Apfel et al. 1998). Grenzwerte für eine Behandlung sind nicht generell festgelegt, obwohl mehrere Arbeiten, v. a. von kardiologischer Seite, versuchen, eine spätere linksventrikuläre Ausflusstraktobstruktion anhand der ursprünglichen Anatomie vorherzusagen. Ein subaortaler Durchmesser von <3,5 mm
und eine subaortale Öffnungsfläche (»subaortic area«) von <0,7 cm2/m2 (Apfel et al. 1998) sowie ein Aortenklappenanulusdurchmesser von <4,5 mm (Salem et al. 2000) werden als Hinweis auf die Behandlungsnotwendigkeit der Subaortenregion angenommen Eine multizentrische Studie (Jonas et al. 1994) zeigte, dass eine primäre Muskelresektion mit einer höheren Letalität verbunden ist. Jedoch sind die direkten Zusammenhänge – wie auch in anderen multizentrischen Studien – nicht klar dargestellt. Da die Rate einer postoperativen Subaortenstenose in den meisten Studien zwischen 26 % und 57 % liegt (Geva et al. 1993), ist die Entscheidung zur primären Muskelresektion individuell den einzelnen Operateuren zu überlassen und sollte in Einzelfällen auch unter prognostischen Gesichtspunkten getroffen werden. Die Mehrheit der Autoren empfehlen eine Resektion, wobei das Septum in der Technik nach Starnes (Luciani et al. 1996) sowie Serraf/Planche (Serraf et al. 1996) durch besondere Nahttechnik des Flickens von der linken Seite aus in den rechten Ventrikel gezogen werden soll. Dies ist unseres Erachtens nicht in jedem Fall möglich, z. B. bei kurzem, dickem Septum, sodass zumindest zusätzlich eine Resektion erforderlich ist. In dieser Einschätzung stehen wir nicht allein (Jonas 2004). Die Resektion des Konus kann, wie bereits erwähnt, über mehrere Zugänge erfolgen, und es sollten alle Bemühungen unternommen werden, eine ausreichende Visualisierung zu erzielen, v. a. im Bereich des Aortenanulus, um trotz erforderlicher Resektion bis unmittelbar an den Anulus heran eine Verletzung der Aortenklappe zu vermeiden. Idealerweise erfolgt die Resektion bis knapp an den Anulus heran, sodass die Verankerung des Ventrikelseptumdefektflickens, gerade noch Restmuskel und Anulus fassend, möglich ist. Die Exposition der zu resezierenden Muskelenge kann entweder mit Hilfe eines Häkchens oder einer tiefgreifenden Naht unterstützt werden. Wir gehen in diesem Fall meist über eine Querinfundibulotomie vor, um gelegentlich auch transaortal zu inspizieren. Eine transaortale Resektion subaortal ist wegen der Größenverhältnisse und der häufig bestehenden zusätzlichen Bikuspidalität fast regelhaft nicht möglich. Bei eindeutiger, mehrstufiger Hypoplasie des gesamten linksventrikulären Ausflusstrakts sollte das von Yasui (Yasui et al. 1987) und Ilbawi (Ilbawi et al. 1988) vorgeschlagene Operationsprinzip Anwendung finden. Dabei wird der Blutfluss des linken Ventrikels über den Ventrikelseptumdefekt zur Pulmonalklappe geleitet und die proximale Pulmonalarterie mit der Aorta ascendens bzw. in der Konkavität des Aortenbogens anastomosiert. Ein zusätzliches Conduit sollte anschließend die Verbindung zwischen rechtem Ventrikel und A. pulmonalis herstellen. Wir nennen diese Variante auch »Norwood/Rastelli« (Steger et al. 1998). Die technischen Möglichkeiten der aortopulmonalen Anastomosierung sind vielfältig. Manche Gruppen verwenden hier eine Norwood-artige Konstruktion, wobei die klassische oder modifizierte Damus-Kaye-Stansel-Anasto-
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mose (McElhinney et al. 1997) oder die Modifikation nach Lamberti (Lamberti et al. 1991) ebenfalls Anwendung finden kann. Eine Ross-Konno-Operation stellt ebenfalls eine Alternative dar, v. a. wegen des geringeren retrosternalen Raumbedarfs im Vergleich zur Norwood-Rastelli-Operation – ein insbesondere im Neugeborenenalter möglicher Vorteil. Eine vorübergehende Univentrikularisierung des Kreislaufs im Sinne einer klassischen Norwood-Operation wurde ebenfalls vorgeschlagen, meist von Zentren, die eine größere Erfahrung mit der Behandlung des hypoplastischen Linksherzsyndroms erworben haben. Dieses Prinzip erscheint in Anbetracht der bekannten zwischenzeitlichen Letalität (»interstage mortality«) wegen Shunt-Thrombosen jedoch aus unserer Sicht nicht vertretbar. Komplikationen
Neben der bereits erwähnten Subaortenstenose, die im Rezidivfall eine erhöhte Letalität mit sich bringt, können als weitere Komplikationen die Re-Stenose im Bogenbereich und die Atemwegkompression erwähnt werden. Die Re-Stenoserate im Bogenbereich liegt in den meisten veröffentlichten Studien zwischen 20 % und 50 %. Dabei muss zwischen mindestens 2 verschiedenen Arten von Re-Stenosen differenziert werden. Eine lokalisierte Anastomosenstenose lässt sich ggf. mittels Ballondilatation ausreichend behandeln. Dagegen erfordert eine diffuse tubuläre Stenose ein operatives Vorgehen. Eine Flickenerweiterungsplastik sollte dann im Kreislaufstillstand erfolgen. Bei größeren Patienten, bei denen das Wachstum keine Rolle mehr spielt, kann ein extraanatomischer Bypass zwischen Aorta ascendens und Aorta descendens ebenfalls erfolgreich und dauerhaft ausreichend sein. 19.2.1.3
Segmentale Aortenhypoplasie (»midaortic syndrome«)
Dieses sowohl morphologisch als auch ätiologisch sehr vielfältige Krankheitsbild beruht auf einer fokalen oder diffusen Hypoplasie der Aorta descendens distal des Isthmus. Da in den meisten Fällen nur die abdominelle Aorta betroffen ist, wird das Syndrom entsprechend in gefäßchirurgischen Lehrbüchern behandelt. Sein sehr seltenes Vorkommen als Hypoplasie oder Stenosierung in der thorakalen Aorta bedingt die kurze Diskussion in diesem Kapitel. In Gegensatz zu den anderen Herzfehlern, die eine eindeutige embryologische Erklärung haben, werden beim »midaortic syndrome« auch erworbene (Takayasu-Arteriitis) und sekundär im Rahmen genetischer Systemerkrankungen (Neurofibromatose, Williams-Beuren-Syndrom) aufgetretene Einengungen des aortalen Lumens erwähnt (Connolly et al. 2002). Arnot und Louw (1973) vermuten einen Fusionsfehler der 2 dorsalen Aorten, wobei andere Autoren aufgrund der fast konstant zu beobachtenden Anomalien der Nierenarterien (Stenosierungen, multiple
Nierenarterien) eine renale Entwicklungsstörung als ursächlich erachten. In Anbetracht der unterschiedlichen Geschlechterverteilung der Takayasu-Arteriitis und der nichtentzündlichen Hypoplasie wird von anderen Arbeitsgruppen eine klare Abgrenzung gegenüber den entzündlichen Arteriitiden gesehen (Eibenberger et al. 1993). Analog zur typischen ISTA verursacht die segmentale postisthmale Hypoplasie eine renovaskuläre Hypertonie, jedoch mit deutlich seltener zu beobachtenden Herzinsuffizienzzeichen und einer nur selten verzeichneten Mesenterialischämie. Die histologischen Untersuchungen zeigen überwiegend dysplastische Veränderungen in der Media, in der Intima und insbesondere entlang der Lamina elastica interna. Obwohl dieses Krankheitsbild auch im Säuglingsalter beobachtet wurde, wird die Diagnose in der Regel erst nach einigen Jahren gestellt, in den meisten Fällen um das 20. Lebensjahr herum. Sollte die distale thorakale Aorta betroffen sein, wird über einen thorakalen oder thorakoabdominalen Zugang ein Prothesenbypass des betroffenen Segments angelegt. Nicht selten sind die Nierenarterien selbst von der Krankheit betroffen. Unter diesen Umstände hat sich bei Kindern die Rekonstruktion mittels V. saphena magna oder einer Kunststoffprothese nicht bewährt, und in der größten bisher veröffentlichten Studie wird eine Autotransplantation oder die Verwendung der A. iliaca interna als Graftmaterial für die diffus stenosierte Nierenarterie empfohlen (Stanley et al. 2006). Auch eine Re-Implantation, zumindest der linken Nierenarterie, direkt in einen aortoaortalen Bypass ist möglich. 19.2.1.4
Zervikaler Aortenbogen
Bei dieser Fehlbildung handelt es sich um einen aus der 3. statt der 4. Kiemenbogenarterie entwickelten Aortenbogen. Als isoliertes Vorkommnis verursacht diese Anomalie außer an der Halsbasis spürbarer Pulsationen keine Symptome. Die Anomalie wurde sowohl auf der rechten als auch auf der linken Seite beschrieben. Nicht selten sind jedoch koarktationsähnliche, kurzstreckige Stenosen, tubuläre Hypoplasien oder Tortuositäten assoziiert, die eine entsprechende Therapie erforderlich machen. Bei der Seltenheit und der morphologischen Vielfältigkeit des obstruierten zervikalen Aortenbogens kann man nicht von einer Standardtherapie sprechen. Eine End-zu-Seit-Anastomose der Aorta descendens an die Aorta ascendens sollte bei Säuglinge durchgeführt werden. Eine Komprimierung des Hauptbronchus ist bei der etwas weiter kranial durchführbaren Anastomosierung nicht zu befürchten. Eine der Vossschulte-Plastik ähnliche Flickenerweiterung (McElhinney et al. 2000) oder extranatomische Bypasses (Walker et al. 2002) sollten bei älteren Patienten Anwendung finden. Mehrere Fallberichte beschreiben eine aneurysmatische Erweiterung des zervikalen Bogens. Diese Komplikation tritt in der Regel früher auf als das herkömmliche
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Kapitel 19 · Anomalien der großen intrathorakalen Gefäße
atherosklerotsiche Aneurysma. In den meisten berichteten Fällen wurde dieses Aneurysma bei Patienten in einem Alter zwischen 30 und 40 Jahren beobachtet (Mitsumori et al. 2008), sodass die Spekulation über eine primär strukturell veränderte Wand des embryologischen 3. Aortenbogens durchaus berechtigt erscheint (McElhinney et al. 2000). Zervikale Aortenbögen können zudem Teil eines kompletten oder inkompletten Gefäßrings sein, wobei die dort beschriebenen Behandlungsprinzipien Anwendung finden. 19.2.1.5
19
Persistierender fünfter Aortenbogen
Diese anatomische Variante unterstreicht ebenfalls die Komplexität des embryologischen Entstehens der großen intrathorakalen Gefäße. Klassischerweise verläuft ein persistierender fünfter Aortenbogen parallel und oberhalb des normalen linken Aortenbogens. Der gemeinsame Aspekt wird auch als schrotflintenförmig beschrieben. Der Abgang des fünften, zusätzlichen Aortenbogens liegt in der distalen Aorta ascendens bzw. in der proximalen Aortenbogenkonkavität gegenüber dem Truncus brachiocephalicus, die Mündung im Isthmusbereich (Van Praagh u. Van Praagh 1969). Neben der klassischen, von den Van Praaghs berichteten Form sind auch andere, mit Fehlbildungen der zentralen Pulmonalarterien oder des »normalen« Aortenbogens assoziierte Varianten beschrieben worden. Anhand der Funktion der anomalen Gefäßstruktur kann man systemisch-systemische, systemisch-pulmonale, pulmonal-systemische und gemischte Formen unterscheiden. Entsprechend ist die typische Schrottflintenvariante als systemisch-systemische Form anzusehen. In einer bedeutsamen Fallzahl weist die »normale«, d. h. die aus dem vierten Kiemenbogen entwickelte Aorta eine Koarkation, eine Isthmushypoplasie oder eine Unterbrechung auf. Dann hat der parallele anomale Bogen die kompensatorische Funktion eines Kollateralgefäßes. Die isthmale Mündung des fünften Bogens kann jedoch auch zusammen mit dem »normalen« Isthmus eine gemeinsame, koarktationstypische, duktusgbedingte Einengung zeigen (Atsumi et al. 2001). Im letzteren Fall sollte die Korrektur wie bei einer klassischen Coarctatio aortae vorgenommen werden. Eine eventuelle Bogenhypoplasie lässt sich im Rahmen einer ISTA-Korrektur durch Längseröffnung und Seit-zu-seit-Anastomose beider Bögen erfolgreich beseitigen (Lambert et al. 1999). Ein als systemisch-pulmonale Verbindung angelegter persistierender fünfter Aortenbogen ist in der Regel mit einer Pulmonalatresie assoziiert. Die »duktusabhängige« Lungendurchblutung ist dann morphologisch durch einen persistierenden fünften Aortenbogen sichergestellt. Diese Anomalie wird oft sowohl präoperativ als auch intraoperativ fälschlicherweise als atypisch abgehender Ductus arteriosus bezeichnet. Der persistierende fünfte Aortenbogen hat im Gegensatz zum Ductus arteriosus jedoch keine Verbindung zum Aortenisthmus. Diese Erkenntnis hat ihre Relevanz in der präoperativen Behandlung, die fast regelhaft auch aus
einer Prostaglandininfusion besteht, die jedoch nur bei einem Ductus Botalli therapeutisch erfolgreich sein kann. Dennoch sei vermerkt, dass mehrere Berichte über Fälle mit prostaglandinabhängiger pulmonaler Mündung bekannt sind (Zartner et al. 2000). In einem Fall ist sogar über eine histologisch nachgewiesene Coarctatio pulmonalis berichtet worden (Khan u. Nihill 2006). Die dritte Variante, bei der es sich um eine pulmonalsystemische Verbindung handelt, tritt im seltenen Fall einer mit einem unterbrochenen Aortenbogen assoziierten Aortenatresie auf. Ein persistierender fünfter Aortenbogen erstreckt sich zwischen Pulmonalarterie und Truncus brachiocephalicus und versorgt die Koronararterien sowie den proximalen normalen Aortenbogen. Parallel dazu liegt in solchen Fällen ein typischer Ductus Botalli vor, der die Perfusion der deszendierenden Aorta gewährleistet. Vollständigkeitshalber erwähnen wir hier, dass neben diesem Koronarversorgungstyp über einen persistierenden fünften Bogen 2 weitere Varianten bei UAB/Aortenatresie bekannt sind: Eine zweite Variante die als pulmonal-aortale Fistel beschrieben wurde, hat ihren Verlauf zwischen der Pulmonalarterie und der Aortenwurzel in Höhe des Sinus Valsalvae (Donofrio et al. 1995). Die dritte beschriebene Variante stellt eine reine Willis-Zirkel-abhängige retrograde Kollateralperfusion dar, wobei keine zusätzliche Gefäßstruktur identifiziert wurde (Tannous et al. 2006). Weder bei Pulmonalatresie noch bei Aortenatresie/UAB sind operationstechnische Besonderheiten zu erwähnen. Das Einbeziehen des fünften Bogens in die Aortenbogenrekonstruktion in letzteren Fällen ist eine verführerische Alternative, um einen wachstumsfähigen, aus autologem Gewebe bestehenden Aortenbogen zu schaffen. Sie Seltenheit der Krankheit und die Ungewissheit des tatsächlichen Wachstumspotenzials sprechen jedoch für eine herkömmliche und für den einzelnen Operateur vertraute Norwood-Variante.
19.2.2
Komprimiernde Aortenanomalien
19.2.2.1
Vorwort
Die komprimierenden Gefäßanomalien sind wegen ihrer Vielfältigkeit auf den ersten Blick nicht einfach zu fassen. Berdon gab ihnen den Sammelnamen »Vascular rings, slings and things« (Berdon u. Baker 1972). Diese Ausdrucksform, die die Problematik der schwierigen Zusammenfassung untermauert, wurde später von Robert Freedom auch als Kapiteltitel in seinem kinderkardiologischen Textbuch übernommen (Moes u. Freedom 1992). Eine umfassende embryologische Systematik veröffentlichte Edwards bereits im Jahre 1953. Die Entstehung des Aortenbogens und seiner Äste aus 2 dorsalen und 2 ventralen Anteilen sowie den zwischen ihnen liegenden Kiemenbögen ist embryologisch sehr gut untermauert. Die von Anatomen und Embryologen vorgeschlagenen Klassifikationen sind zwar intellektuell perfekt
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nachvollziehbar, haben in ihrer Vielzahl der Möglichkeiten jedoch nur vereinzelt klinische Bedeutung. Eine definitiv vereinfachte Klassifizierung, die >95 % der bis jetzt klinisch beschriebenen Varianten erfasst, wurde von der Congenital-Heart-Surgery-Nomenklaturkomission im Jahre 2000 vorgeschlagen (Backer u. Mavroudis 2000): 4 doppelter Aortenbogen, 4 rechter Aortenbogen/linksseitiges Lig. arteriosum, 4 Komprimierung durch aberranten Abgang des rechtsseitigen Truncus brachiocephalicus. Gemeinsam ist diesen Anomalien, dass sie eine Kompression der benachbarten mediastinalen Hohlorgane, der Trachea und des Ösophagus bewirken und dadurch Atem- sowie ggf. auch Schluckbeschwerden verursachen. Im Säuglingsalter, bei überwiegend flüssiger Ernährung durch Muttermilch und relativ weicher Trachea, bestehen weit überwiegend respiratorische Symptome. Mit zunehmendem Alter treten Schluckprobleme in den Vordergrund, zumal die relative Enge der Gefäßbildung mit dem Wachstum zunimmt. Ein inspiratorischer Ruhe- oder Belastungsstridor ist das typische respiratorische Symptom, jedoch ist bei Neugeborenen auch eine globale respiratorische Insuffizienz mit Abhängigkeit von maschineller Beatmung schon unmittelbar postnatal möglich. Schwierigkeiten beim Schlucken von fester Nahrung sind die häufigsten Symptome des Erwachsenen. Diese »Schluckprobleme« werden ggf. über Jahrzehnte subjektiv nicht wahrgenommen, da diese Art des forcierten Schluckens die einzig bekannte war. Der Unterschied zur Normalität wird dann erst nach der OP deutlich! Die größte diagnostische Herausforderung bei den Gefäßanomalien besteht darin, sie bei den relativ heterogenen und in der Alltagspraxis häufig durch andere Erkrankungen hervorgerufenen Symptomen bei der Differenzialdiagnostik überhaupt einzubeziehen. Eine moderne bildgebende Diagnostik (Computer- oder Magnetresonanztomographie) kann sie meist ohne Schwierigkeiten darstellen. Die zeitgerechte und lege artis vorgenommene operative Korrektur führt in den meisten Fällen zur fast sofortigen Rückbildung der Symptome mit exzellenten Langzeitergebnissen. Diese anatomischen Varianten des Aortenverlaufs sind nicht obligatorisch symptomatisch, und es ist wichtig zu unterstreichen, dass die Indikation zur Behandlung – im Gegensatz zu anderen angeborenen Herzfehlern – strikt in Abhängigkeit von der klinischen Symptomatik gestellt werden sollte. Zwei Ausnahmen sind: 4 eine mit anderen operationswürdigen Befunden assoziierte asymptomatische Gefäßringbildung, die wegen der einfachen chirurgischen Möglichkeiten und aus prognostischen Gründen – wie beim isolierten Auftreten beschrieben – durchtrennt wird, 4 ein kompletter doppelter Aortenbogen, der mit zunehmendem Alter immer symptomatisch wird, im Säuglings- und Kleinkindalter jedoch am einfachsten zu operieren ist.
19.2.2.2
Geschichte der Gefäßringchirurgie
Die erste operative Korrektur eines Gefäßrings wurde im Jahre 1945 von Robert Gross vorgenommen. Er und Ware haben später auch eine systematische Zusammenfassung der bis dahin bekannten Formen und deren individueller chirurgischer Therapie veröffentlicht (Gross u. Neuhauser 1951). Die radikale Resektion der umgebenden vaskulären und fibrösen Strukturen wurde von Hallmann und Cooley im Jahre 1966 empfohlen (Hallman et al. 1966). Die Bedeutung des Kommerell-Divertikels als unabhängige Ursache von Rezidiven wurde in den letzten Jahren von mehreren Arbeitsgruppen anerkannt (Backer et al. 2002) und dieses bei der Primäroperation angegangen – ein von uns seit über 20 Jahren geübtes Vorgehen. Die erste nennenswerte Serie von videoassistierten thorakoskopischen Gefäßringsprengungen veröffentlichte die Arbeitsgruppe von Burke aus Boston im Jahre 1995 (Burke et al. 1995). Das dargestellte Vorgehen genügt jedoch nicht allen unten erwähnten Prinzipien der Radikalität. 19.2.2.3
Ziel der Operation
Ziel der Operation ist die externe Dekompression der Trachea und des Ösphagus durch weitestmögliche Resektion der umschlingenden Gefäßstrukturen, insbesondere die »Säuberung« des retroösophagealen Raumes (Hallman et al. 1966). Mit Ausnahme eines aberranten Truncus brachiocephalicus sollten diese Gefäßanomalien unserer Ansicht nach immer von der Seite der deszendierenden Aorta aus operiert werden. Unser Argument für einen solchen Zugang ist die intraoperative Kontrolle der zu durchtrennenden Strukturen, insbesondere an der Aorta descendens. Eine möglichst komplette Resektion sollte, falls die spezifischen anatomischen Einzelheiten nichts anderes begründen, von der deszendierenden Aorta auf der einen Seite bis weit jenseits des Ösophagus auf der anderen Seite erfolgen. ! Um diesem Prinzip nachzukommen, ist es unseres Erachtens wichtig, die empfindlichste/kritischste Struktur, nämlich die Aorta descendens, bestmöglichst zu kontrollieren, wozu sich selbstverständlich die Seite der deszendierenden Aorta primär anbietet.
Die Resektion einer offenen Gefäßstruktur an der Aorta descendens kann unter seitlicher sowie u. U. auch unter Querdurchklemmung der Aorta ober- und unterhalb der Struktur erfolgen. Die in fortlaufender Technik durchgeführte Nahtanlage sollte nicht mehr als einige Minuten in Anspruch nehmen und setzt in der Regel keine zusätzlichen protektiven Maßnahmen, z. B. in Form eine Linksherzbypasses, voraus. Es sei an dieser Stelle erwähnt, das Backer und Mavroudis – den gleichen radikalen Prinzipien wie wir folgend – jeden Gefäßring unabhängig von der Seite der deszendierenden Aorta über eine links-posterolaterale Thorakotomie angehen.
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Kapitel 19 · Anomalien der großen intrathorakalen Gefäße
Als unmittelbares intraoperatives Zeichen der Effektivität des Vorgehens sollte man die sofortige Retraktion der ringbildenden Strukturen nach Durchtrennung und vorheriger zirkulärer Präparation beobachten. Ist dies nicht der Fall, müssen umfassend sämtliche, bei einer Primäroperation als harmlos, periösophagotracheal, weich und bindegewebig imponierenden Strukturen durchtrennt und ggf. reseziert werden. Andernfalls kann es durch postoperative Vernarbungsrektionen auf dem Boden stattgehabter Verziehungen im späteren Verlauf zu Rezidiven kommen. Die verbleibenden Gefäßringstümpfe (A. lusoria, Lig. arteriosum, hypoplastischer Aortenbogen) werden also, wenn nicht zwischenzeitlich »von selbst« geschehen, jenseits des Ösophagus dauerhaft verschoben. Gefäßringe sind – im Gegensatz zur Schlingenbildung der A. pulmonalis – nur äußerst selten mit einer hypoplasiebedingen Trachealstenose assoziiert. Eine gewisse Tracheomalazie, die in den ersten postoperativen Monaten bei Säuglingen Ursache eines Reststridors sein kann, sollte man bei der Primäroperation nicht angehen. 19.2.2.4
Doppelter Aortenbogen
Trotz der Vielfältigkeit der bekannten und hypothetischen anatomischen Varianten (Stewart et al. 1964) sind bei der Planung der Operation einige gemeinsame anatomische Faktoren zu berücksichtigen (. Abb. 19.11): 4 Seitlichkeit der Aorta descendens, insbesondere ihre Lage in Bezug zum Ösophagus, 4 Lage des dominierenden Aortenbogens,
19 . Abb. 19.11. Primitiver Aortenbogen; die gestrichelten Linien deuten prinzipiell mögliche Unterbrechungen an
4 Durchtrennbarkeit der umschlingenden offenen vaskulären Strukturen. Die Seitlichkeit der descendierenden Aorta ist manchmal trotz Bildgebung nicht einfach zu definieren. Dies ist bei relativ mittelständiger Aorta der Fall. Hier sind die räumlichen Verhältnisse zwischen Aorta und Ösophagus entscheidend, da der Ösophagus den freien Zugang zur Aorta erheblich erschweren kann. Eine Bildgebung mit liegender Magensonde kann die Befundung vereinfachen. Die Größenverhältnisse zwischen den vorderen und hinteren Anteilen sind unterschiedlich. In der Regel handelt es sich um einen dominierenden rechten Aortenbogen mit einem hypoplastischen und ggf. partiell atretischen linken Anteil. Die Atresie im nichtdominanten Bogenanteil kann an verschiedenen Stellen beobachtet werden, und ähnlich wie beim unterbrochenen Aortenbogen entstehen dadurch die von der Celoria-Patton-Klassifikation des unterbrochenen Aortenbogens bekannten Untertypen. Eine Atresie ist am häufigsten im Isthmus- und im »postisthmalen« Segment zu verzeichnen, wobei eine Atresie im proximalen Anteil – einem UAB Typ C entsprechend – trotz der theoretischen Möglichkeit noch nicht beschrieben wurde, wie wir auch klinisch in mehr als 25 Jahren keinen UAB Typ C gesehen haben (. Abb. 19.12a). Beim doppelten Aortenbogen sollte der nichtdominierende Anteil möglichst in einem atretischen Segment durchgetrennt werden. Die proximale Aorta descendens kann links oder rechts verlaufen, wobei in den bisher veröffentlichten größeren Studien keine eindeutige Seitenpräferenz nachzuweisen war. Beim balancierten doppelten Aortenbogen sind die oben erwähnten Prinzipien, insbesondere das Ziel der retroösophagealen Säuberung, ebenfalls gültig, mit der Vorgabe, dass hier immer eine probatorische Klemmung des zur Durchtrennung und ggf. Resektion anstehenden Aortenbogens erfolgt. Bei Fehlen jeglicher Veränderungen der proximalen Druckverhältnisse oder der distalen peripheren Pulskurven kann auch der größere zweier Aortenbögen durchtrennt werden. Hierbei ist höchste Dokumentationssorgfalt geboten. Im Fall eines retroösophagal verlaufenden, eindeutig dominanten Aortenbogens (. Abb. 19.12b u. 19.13) können einfache Resektionen des anterioren Ringanteils die retroösophagale Kompression nicht in jedem Fall beheben. Durch die Ringsprengung lässt sich jedoch die klinische Symptomatik beseitigen. Bei persistierender Symptomatik sind komplexe Operationen mit anteriorer Verlagerung des Aortenbogens bei Kindern in äußerst seltenen Einzelfällen beschrieben (Planché u. Lacour-Gayet 1984). Eine »extraanatomische« Bypassoperation zwischen Aorta ascendens und Aorta descendens ist bei Erwachsenen mit entsprechend erforderlicher Bogendurchtrennung denkbar.
545 19.2 · Anomalien der Aorta
a
b
. Abb. 19.12a, b. Doppelter Aortenbogen. Die häufigste Form eines doppelten Aortenbogens: rechter Aortenbogen mit hypoplastischen linken Bogen bei rechts descendierender Aorta. Der hypoplastische Bogen kann zwischen den supraaortalen Ästen wie auch distal davon
extrem hypoplastisch, sogar atretisch sein (a). Die seltene Form eines dominanten linken Aortenbogens mit hypoplastischem/atretischen retroösophagalen Segment des rechten Bogens bei links descendierender Aorta (b)
Inkomplette Gefäßringe Rechter Aortenbogen mit linksseitigem Ductus Botalli/Lig. arteriosum
19.2.2.5
. Abb. 19.13. Der am häufigsten vorkommende doppelte Aortenbogen besteht aus einem dominanten rechten Bogen mit hypoplastischem oder atretischem linken Bogen. Das Lig. arteriosum trägt zur sekundären tracheoösophagealen Kompression bei und sollte gleichfalls, wie der linksseitige Bogen, durchtrennt und ggf. reseziert werden. Ansicht von hinten
Beim rechten Bogen handelt es sich um einen rechts vor der Trachea liegenden Aortenbogen. Von den theoretisch möglichen 3 Varianten führen 2 zur Ringbildung, wobei die entscheidende Struktur immer der auch retroösophagal verlaufende Duktus bzw. das retroösophagal verlaufende Lig. arteriosum ist (A. lusoria von lateinisch »lusus naturae«: Spiel der Natur – eine als letzter Ast aus dem Aortenverlauf abgehende A. subclavia, die zur Gegenseite des Aortenbogens zieht). Bei der ersten Variante, welche die meistgesehene pathoanatomische Form darstellt (65 %), handelt es sich um eine retroösophagal verlaufende linke A. subclavia (A. lusoria) und einen sich zwischen linker A. pulmonalis und Isthmus erstreckenden Duktus. Als Isthmus wird hier in der Tat ein kurzes Aortensegment betrachtet, aus dem die A. subclavia sinistra und der Duktus entspringen. Die beiden Strukturen können getrennt aus der Aorta abgehen oder ihren Ursprung in einem Kommerell-Divertikel (s. unten, »Kommerell-Divertikel«) haben. Die Existenz eines Kommerell-Divertikels ist für diese symptomatische Gefäßringbildung nicht obligatorisch.
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Kapitel 19 · Anomalien der großen intrathorakalen Gefäße
Bei der zweiten Variante (35 %) mit gegenüber dem »normalen« linken Aortenbogenverlauf spiegelbildlichem Abgang der Bogenäste (»mirror image branching«) ist der Ductus Botalli bzw. das Lig. arteriosum die einzige retroösophagale Struktur, und die linke A. subclavia verläuft regelhaft links von der Trachea, ventral aus einem linksseitigen Truncus brachiocephalicus entspringend. Die dritte Variante, ebenfalls mit spiegelbildlichem Abgang der Äste, bildet keinen Gefäßring, tritt sporadisch (2 %) auf, ist jedoch bei Fallot-Tetralogie in 25 % der Fälle assoziiert und hat keinen Krankheitswert.
Seltenere Gefäßringformen Die Vielfältigkeit dieser Formen, deren Auftreten meist als isolierter klinischer, aber auch pathologischer Fallbericht veröffentlicht wurde (Moes u. Freedom 1993; Ziemer et al. 1983), ist in Anbetracht der bereits beschriebenen komplexen embryologischen Entwicklung durchaus nachvollziehbar. Da sie etwa 1 % der klinischen Gefäßringfälle ausmachen und meist mit einem ungewöhnlich angelegten Ductus Botalli assoziiert sind (z. B. rechtsseitiger oder doppelter Duktus), werden sie nicht einzeln diskutiert. Die diagnostischen und operativen Prinzipien, die wir oben bereits festgelegt haben, sollten auch in diesen Fällen respektiert werden. 19.2.2.6
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a
Kompression durch aberrantem Abgang des Truncus brachiocephalicus
Bei dieser Anomalie handelt es sich nicht um einen Gefäßring, sondern vielmehr um einen abnormal distalen Abgang des Truncus brachiocphalicus aus dem Aortenbogen. Durch seinen posterioren Ursprung aus dem Aortenbogen schlingt sich das Gefäß ventral, von links-dorsal kommend, nach rechts um die Trachea und verursacht so eine Kompression der Trachea. Diese bronchoskopisch sichtbare ventrale Imprimierung ist für diese Anomalie pathognomonisch, da keine andere Gefäßanomalie eine isolierte Eindellung an der Vorderseite der Trachea verursacht (. Abb. 19.14a). Die Anomalie wurde überwiegend bei Säuglingen beobachtet und verursacht eine typische Stridorsymptomatik, wobei auch kurze Apnoe-Episoden beschrieben sind. Eine leichte Symptomatik wird überwiegend konservativ behandelt, da die Ausbildung der knorpeligen Trachealringe im 2.–3. Lebensjahr zur Rückbildung der Symptomatik führt wie auch die Änderung der Größenbeziehung der Strukturen zueinander im Verlauf des Wachstums. Eine deutliche (70- bis 80%ige) Kompromittierung des Tracheallumens oder apnoische Krisen (»apneic spells«) im Säuglings- und Kleinkindalter sollten eine Indikation zur chirurgischen Behandlung darstellen (. Abb. 19.14c). Als Operation empfiehlt sich die klassische ventrale Aortotrunkopexie, wie sie schon von Robert Gross vorgeschlagen wurde oder – als komplexe und ggf. risikobehaftete Alternative – die Resektion mit Re-Implantation
b
c . Abb. 19.14a–c. Aberranter Truncus brachiocephalicus. a,b ventrale Umsetzung. c Anteriore Aorto-trunkpexie
547 19.2 · Anomalien der Aorta
des Truncus brachiocaphalicus in den proximalen Aortenbogen oder die distale Aorta ascendens (. Abb. 19.14b; Hawkins et al. 1992). Dazu verwenden wir als Sicherheitsmaßnahme unter nichtinvasiver seitengetrennter Sauerstoffsättigungsmessung des Hirngewebes die hypotherme extrakorporale Zirkulation ohne Herzischämie. Die Aortotrunkopexie kann über mehrere Zugänge erfolgen. Der ursprüngliche Zugang von Gross ist eine linkslaterale Thorakotomie (Gross u. Neuhauser 1948), wobei andere Autoren einen rechts-anterolateralen submammären Zugang bevorzugen (Mavroudis u. Backer 2003). Unser Zugang ist eine mediane partielle obere Sternotomie. Den Vorteil eines medianen Zugangs sehen wir in der sicheren transsternalen Verankerung der Pexienähte, die uns bei dem bei anderen Zugängen relativ eingeschränkten Operationsfeld eher mühsam und entsprechend unsicher erscheint. Für die Operation verwenden wir 3 flickenunterlegte U-Nähte der Stärke 3/0 oder 4/0. Die erste Naht wird subadventitiell in der distalen Aorta ascendens, die zweite am Abgang des Trunkus und die dritte im distalen Trunkus (oberhalb der Quervene) gelegt. Die Nähte werden dann transsternal durch die rechte Sternumhälfte herausgeführt und nach Entfernung des Thoraxsperrers relativ fest angezogen. Dabei sollte das pulsoxymetrische Signal am rechten Arm unverändert bleiben und die obligatorische intraoperative Bronchoskopie die Erweiterung des Tracheallumens, idealerweise mit Verschwinden der Pulsationen, feststellen. 19.2.2.7
a
Kommerell-Divertikel
Das Kommerell-Divertikel, wie es im Jahre 1938 von dem Radiologen B. Kommerell, Oberarzt der Charité, beschrieben wurde, ist ein Überbleibsel der dorsalen rechten oder linken Aortenbogenwurzel als Pendant zum gegenseitig vorhandenen kompletten Aortenbogen (. Abb. 19.15). Damit ist diese Struktur nicht einer bestimmte Art von Gefäßring zuzuordnen, sondern kann, jedoch nicht obligatorisch, bei verschiedenen anatomischen Varianten auftreten. Das Divertikel ist eine etwa aortenstarke, als kurze Ausssackung der Aorta descendens imponierende Struktur, die in einen nichtdominanten/atretischen Aortenbogen, den Duktus und/oder die A. lusoria übergeht. Der ursprüngliche Fallbericht von Kommerell aus dem Jahre 1938 beschreibt das Divertikel bei einem Patienten mit linksseitigem Aortenbogen und retroösophagaler rechter A. subclavia. Über einen Zusammenhang mit dem Lig. arteriosus und einer eventuellen Gefäßringbildung wird nicht gesprochen, und der Autor unterstreicht, dass das Divertikel nicht obligatorisch bei allen Aa. lusoriae auftritt. Am häufigsten wird bei einem Kommerell-Divertikel die A. lusoria als A. lusoria sinistra in Verbindung mit Gefäßringen, bestehend aus rechtsseitigem Aortenbogen und linksseitigem Ductus arteriosus, beschrieben. In der Erstbeschreibung ist der genaue Zusammenhang zwischen Duktus, A. subclavia und Kommerell-Divertikel nicht ausreichend geklärt (Kommerell 1936). Das Divertikel kann als Teil eines Gefäßrings oder, wie in
b . Abb. 19.15a, b. Kommerell Divertikel (hier bei einem rechten Aortenbogen mit linker Arteria lusoria). Ansicht von ventral (a), Ansicht von dorsal (b)
der ursprünglichen Arbeit vom Kommerell, wahrscheinlich allein durch sein Volumen zu Kompressionsssymptomen führen. Letzteres bestätigt sich durch die Tatsache, dass es als häufige Ursache von symptomatischen Rezidiven bzw. bei Symptompersistenz nach einfacher Durchtrennung eines Gefäßrings ohne primäre Kommerell-Resektion gefunden wurde. Daraufhin waren nochmals die radikalen Prin-
19
548
Kapitel 19 · Anomalien der großen intrathorakalen Gefäße
zipien einer Divertikelresektion schon bei der Primäroperation dringend empfohlen worden (Backer et al. 2002). Nunmehr tauchen zunehmend Fallberichte auf, in denen ein jahrzehntelang asymptomatisches Kommerell-Divertikel einer aneurysmatischen Erweiterung unterlag und gelegentlich auch Ausgangspunkt einer Aortendissektion war. Eine pathohistologische Untersuchung von den als Teil von Gefäßringen resezierten Divertikeln zeigte degenerative Mediaveränderungen, die diese Komplikationen durchaus erklären können (Backer et al. 2005). Aus diesen Gründen empfiehlt sich bei Vorhandensein eines Divertikels, es bei der Primäroperation der Gefäßringe zu resezieren. Bezüglich der asymptomatischen aneurysmatischen Erweiterung gibt es keine definitiven Richtlinien. Die Progression sollte durch entsprechenden Bildgebung (Computer-/Magnetresonanztomographie) dokumentiert werden. Als Operation empfiehlt sich bei jungen und aktiven Patienten eine lokale Resektion mit eventueller Revaskularisation einer aus dem Divertikel abgehenden A. lusoria als supraklavikulärer karotidosubklavialer Bypass bzw. als Subklavia-Re-Implantation in die gleichseitige A. carotis communis. Bei älteren Patienten oder Vorliegen anderer Komorbiditäten ist eine endovaskuläre Behandlung mit Coiling der A. lusoria, Überstentung der Aorta descendens und ggf. chirurgischer Revaskularistion der A. lusoria nach klinischer Maßgabe zu empfehlen. Eine primäre chirurgische Revaskularisation der A. subclavia sinistra mit Verschluss proximal der A. vertebralis lässt ein Coiling beim endovaskulären Ausschluss des Divertikels überflüssig werden.
19.3
Anomalien der A. pulmonalis
19.3.1 Stenosierende Pulmonalisanomalien:
Coarctatio pulmonalis
19
Diese duktusnahe Stenosierung der Pulmonarterie wurde zwar in den 1950er Jahren bereits erkannt. Eine systematische pathoanatomische und pathophysiologische Zusammenfassung erfolgte jedoch erst 1990 durch die Arbeitsgruppe aus Leyden (Elzenga u. Gittenberger-de Groot 1986; Elzenga et al. 1990). Die Coarctatio pulmonalis kann als Pendant der Coarctatio aortae bei Anomalien mit rechtsventrikulärer Ausflusstraktobstruktion betrachtet werden. Eine Umkehr der Richtung des Flusses im pränatalen Ductus Botalli führt – analog zur ISTA – zu einer lassoartigen Umschlingung der proximalen linken Pulmonalarterie mit kontraktilen duktalen Zellen. In der postnatalen Phase entsteht dann die lokale Einengung in diesem Bereich. Im Gegensatz zur ISTA begegnet man einer Coarctatio pulmonalis fast nie als isolierte Läsion. Sie erlangt ihre Bedeutung nach Belassen einer evtl. noch grenzwertigen Einengung bei einer neonatalen intrakardialen Korrektur- oder Palliativoperation. Die postoperativ durch plastische Re-
modellierung des Duktusgewebes zunehmende Stenosierung kann klinisch lange unerkannt bleiben und in dieser kritischen Phase der postnatalen Lungenentwicklung zur hypoplastischen Kapillarisierung der betroffenen Lunge führen. Diese Entwicklungsverzögerungen können besonders bei eventuellen künftigen univentrikulären Rekonstruktionen eine ungünstige Auswirkung auf den pulmonalen Gefäßwiderstand haben. Der Schweregrad der Stenose ist meistens von der Obstruktion im rechtsventrikulären Ausflusstrakt abhängig, sodass Patienten mit Pulmonalatresie (mit oder ohne Ventrikelseptumdefekt) die schwersten Veränderungen aufweisen. Die präoperative Diagnosestellung ist bei diesen Neugeborenen, die meistens eine Prostaglandininfusion erhalten, durch die Relaxierung der duktalen myopithelialen Zellen erschwert. Der tatsächliche Schweregrad der potenziellen Stenose kann maskiert bleiben, da bis zum Zeitpunkt der Operation ein probatorisches Ausschalten des Prostaglandinperfusors bei Duktusabhängigkeit der Lungendurchblutung nicht möglich ist. Deswegen wird von mehreren Autoren (Castaneda et al. 1994; Kirklin u. Barratt Boyes 1993; Luhmer u. Ziemer 1993) für Korrekturoperationen von Pulmonalatreseien im Neugeborenenalter, die auch eine plastische Rekonstruktion des Pulmonalisstamms beinhalten, auch die Erweiterung im Abgangsbereich der linken und/oder rechten Pulmonalarterie (bei rechtsseitgem oder bilateralem Duktus) empfohlen. Nicht eindeutig ist die Strategie bei Patienten, die im Zuge der Primäroperation einen systemisch-pulmonalen Shunt erhalten. Bei umschriebener Einengung empfiehlt es sich, primär unter Einsatz der Herz-Lungen-Maschine zu operieren und dabei eine Flickenerweiterungsplastik der Coarctatio pulmonalis mit Shunt-Anlage im Erweiterungsbereich durchzuführen. Eine prophylaktische Pulmonalarterienplastik bei echokardiogarphisch nichtmanifester Coarctatio pulmonalis ist fraglich. Luhmer und Ziemer fanden bei Rechtsherzobstruktionen in 30 % der Fälle eine Coarctatio pulmonalis. Es empfiehlt sich jedoch, auch bei Patienten nach Shunt-Anlage ohne Exploration der Pulmonalerterie postoperativ eine erhöhte Vigilanz und eine maximale Aggressivität vonseiten der behandelnden Kinderkardiologen und Herzchirurgen walten zu lassen, um eine sich entwickelnde Stenose zu erkennen und zu beheben und somit eine normale Lungenentwicklung in den ersten Lebensmonaten zu ermöglichen. ! Differenzialdiagnostisch sollte bei diesen Patienten auch eine iatrogene Abgangsstenose der Pulmonalarterien diskutiert werden, da insbesondere neonatale Blalock-Taussig-Shunts an die Pulmonalarterienäste nicht selten postoperative Stenosierungen zur Folge haben können (Sachweh et al. 1998).
549 19.3 · Anomalien der A. pulmonalis
19.3.2 Komprimierende Pulmonalisanomalien:
pulmonalarterielle Schlingenbildung Die pulmonalarterielle Schlingenbildung ist eine seltene Anomalie der weit distal rechts-paratracheal ihren Ursprung nehmenden linken Pulmonaleraterie, die dann retrotracheal und präösophageal nach links zieht. Diese Aomalie verursacht charakteristischerweise eine anteriore Eindellung des Ösophagus. Im Gegensatz zu den aortalen Gefäßringen ist sie häufiger, d. h. in etwa der Hälfte der Fälle, mit pathologischen Veränderungen der Atemwege assoziiert. Zwar kann in wenigen Fällen bei Säuglingen von einer transitorischen und nicht therapiebedürftigen Tracheomalazie ausgegangen werden, meistens liegt den respiratorischen Symptomen bei der pulmonalarteriellen Schlingenbildung jedoch eine assoziierte Atemwegsstenose auf dem Boden mehr oder weniger hypoplastischer Ringknorpel zugrunde. Deshalb darf bei der pulmonalarteriellen Schlingenbildung auf eine präoperative Bildgebung der Atemwege nicht verzichtet werden. Da sich die begleitende Trachealstenose im Wesentlichen im Bereich der dorsal kreuzenden linken Pulmonalarterie befindet, war lange von einer mechanischen Ursache dieser Einengung ausgegangen worden. Die Länge der Stenose kann sich sogar bis deutlich proximal der Gefäßstruktur erstrecken, und die Trachea kann in ihrer gesamten Länge aus geschlossenen Knorpelringen aufgebaut sein. Distal reichen die Ringknorpel meist bis an die Carina heran. Die Hauptbronchien sind dagegen meist unauffällig. Die Therapie dieser Anomalie, wenn sie klinisch symptomatisch ist, sollte deswegen nicht nur die Umsetzung der Pulmonalarterie beinhalten, sondern auch die eingeengten Atemwege adressieren, d. h. gegebenenfalls sollte das mehr oder weniger lange stenotische Trachealsegment gleichzeitig reseziert werden. Obwohl die ursprüngliche Operation von Potts (Potts et al. 1954) über eine linkslaterale Thorakotomie erfolgte, wird heutzutage fast ausschließlich die mediane Sternotomie verwendet. Die Operation erfolgt in der Regel unter Einsatz der Herz-Lungen-Maschine. Bei isolierter pulmonalarteriel-
ler Schlingenbildung kann der Eingriff in Normothermie und am schlagenden Herzen durchgeführt werden. Die Entlastung des rechten Herzens mit fehlender Notwendigkeit der Beatmung kann die retroaortale und retrotracheale Präparation erleichtern. Bei fehlender intrinsischer Pathologie der Trachea – d. h. nur Tracheomalazie –, aber auch bei weiten Ringen soll das proximale Segment der linken A. pulmonalis freipräpariert und nach abgangsnahem Absetzen orthotop in die normale prätracheale Position links-anterolateral umgesetzt werden (. Abb. 19.16). Die Re-Implantation soll weiter proximal End-zu-Seit an den Pulmonalisstamm erfolgen. In der Regel wird die ausgeschnittene Insertion des Lig. arteriosum/Ductus Botalli verwendet. Bei der von Potts durchgeführten Operation wurde die transponierte linke Pulmonalarterie an ihre ursprüngliche Abgangsstelle rechts para- und prätracheal End-zu-End re-anastomosiert. Diese Methode hat jedoch zu einer inakzeptabel hohen Verschlussrate der linken Pulmonalarterie geführt. Später wurde im Rahmen der Trachealresektion auch wieder auf die orthotope Umsetzung der linken Pulmonalarterie verzichtet und nur eine Anteponierung ventral der Trachea vorgenommen, was aufgrund von Stenosierungen und Verschlüssen des Gefäßes jedoch wieder verlassen wurde. Die Rekonstruktion der Trachea und gelegentlich des proximalen rechten Hauptbronchus ist bei entsprechendem bronchoskopischen Befund ebenfalls indiziert. Bei der Planung und Durchführung dieses Teiles der Operation sollten folgende Prinzipien beachtet werden: 4 Im Gegensatz zu Erwachsenen ist die Trachea bei Kindern sehr gut über mediastinale Kollateralarterien vaskularisiert, und auf eine extensive zirkumferenzielle Präparation muss aus Angst vor ischämischen Komplikationen nicht verzichtet werden. 4 Die Trachea kann bei Kindern über eine Länge von 8–10 Knorpelringen (oder ungefähr die Hälfte der Gesamtlänge) reseziert und nach entsprechender Mobilisation ohne Dehiszenzgefahr End-zu-End anastomosiert werden.
. Abb. 19.16a, b. Schlingenbildung der A. pulmonalis und operative Korrektur
a
b
19
550
Kapitel 19 · Anomalien der großen intrathorakalen Gefäße
4 Die Trachealanastomose bleibt eine kritische Stelle, an der im Verlauf granulationsbedingte Stenosen auftreten können. 4 Eine Ringtrachea muss nicht in jedem Fall operiert werden. Als Operationstechniken stehen folgende Verfahren zur Verfügung: 4 einfache Resektion und End-zu-End-Anastomose, 4 Verschiebeplastik (»sliding plasty«), 4 Verwendung von autologem Perikard mit langzeitiger (14 Tage) postoperativer Beatmung zur Stabilisierung der rekonstruierten Trachea bzw. des autologen Rippenknorpels, 4 Einsatz eines trachealen Autografts. Wie bereits erwähnt, ermöglichen die Plastizität und die gute Vaskularisierung der Trachea bei Kindern eine ausgdehnte Resektion. Die einfache Durchführbarkeit macht die Resektion zu unserer bevorzugten Technik, mit der wir auch eine Hypoplasie von >50 % der Tracheallänge entfernen bzw. behandeln können. Voraussetzungen sind auch hier eine ausreichende Mobilisation beider Resektionsenden und eine Halsflexion. Gelegentlich haben wir auch eine Larynxmobilisierung durch Hals-Nasen-Ohren-Ärzte durchführen lassen (»laryngeal release«). Die Anastomosierung wird mit einer Polydioxanonnaht in Einzelnahttechnik durchgeführt. Wegen der schnellen Heilungstendenz und der postulierten
Minimalisierung der Bildung von obstruierendem Granulationsgewebe sollen andere Chirurgen auch schneller resorbierbares Fadenmaterial wie Vicryl verwendet haben. Wir dichten die Anastomose anschließend mit Fibrinkleber ab, der mit einem Antibiotikum vermischt ist (Nebactin). Andere »Anastomosensicherungsmaßnahmen« wie z. B. eine gestielte Perikardmanschette waren in unserer Erfahrung nicht erforderlich. Für die postoperative Phase erscheint uns die grundsätzliche Beibehaltung der Halsflexion für etwa 7 Tage als sehr wichtig, und diesbezüglich empfehlen sich die Fertigung einer Gipsschale sowie die obligatorische Fortführung der Sedierung. Eine frühe Extubation, z. B. am Morgen des ersten postoperativen Tages, sollte dennoch angestrebt werden. Gelegentliche aktive Halsüberstreckungen lassen sich nicht sicher vermeiden; ein temporäres Annähen des Kinnes an den Thorax, wie häufig in der Trachealchirurgie der Erwachsenen durchgeführt, ist jedoch nicht indiziert. Bei sehr langen Stenosen (weit mehr als 50 % der Tracheallänge), die eine einfache Resektion verhindern, kann eine Verschiebeplastik, die »sliding plasty« (. Abb. 19.17), durchgeführt werden (Beierlein u. Elliott 2006). Dabei wird die eingeengte Trachea über die gesamte Länge des stenotischen Segments in einem sehr großen Winkel schräg durchtrennt. Die Spitzen beider Enden schneidet man dann ab, um die Reste versetzt langstreckig miteinander zu anastomosieren. Bei Vorbestehen einer Stenose des rechten Hauptbronchus ist es äußerst hilfreich, den Schnitt sagittal, von der Oberseite des rechten Bronchus beginnend, in
c b
19
a . Abb. 19.17a–c. Tracheale Verschiebeplastik (»sliding plasty«)
551 19.4 · Links-rechts-Shunt
a
b
c . Abb. 19.18a–d. Tracheale Autografttechnik: ein Segment aus der mItte der hypoplastischen Trachea wird nach direkter Anastomose der posteriorer Hemizirkumferenz als ventraler Erweiterungsflicken eingenäht
Bei der sehr seltenen Form einer durchgehend stenotischen hypoplastischen Trachea sind die beschrieben
d
Richtung des linken Randes der Trachea zu führen, um diese gelegentlich vorhandene Einengung ebenfalls zu beseitigen (Jonas 2004). Andere Techniken wie die tracheale Autografttechnik von Backer (Backer et al. 1998), wobei ein reseziertes und anschließend längs aufgeschnittenes Trachealsegment als Erweiterungsmaterial für die End-zu-End-Anstomose dient, sollen das letztendlich zu resezierende stenotischen Segment verkürzen (. Abb. 19.18).
Techniken nicht ausreichend, und es sollte die von Idriss beschriebene Technik verwendet werden. Hierbei handelt es sich um eine mit autologem Perikard durchgeführte Erweiterung, die über die gesamte Länge der Trachea erfolgen kann. Diese Technik ist jedoch mit einer sehr hohen Rate von Re-Stenosierungen belastet, und die Trachea sollte für mindestens 2 Wochen durch eine interne Schienung mit dem Beatmungstubus unterstützt werden (Idriss et al. 1984). Dieser Technik ähnlich ist die plastische Erweiterung der langstreckig eingeengten Trachea mit autologem Rippenknorpel. In einer relativ kleinen Patientengruppe konnten gute Langzeitergebnisse erreicht werden (Forsen et al. 2002).
19.4
Links-rechts-Shunt
19.4.1 Ductus arteriosus Botalli
Der Ductus arteriosus Botalli ist ein essenzieller Bestandteil des normalen fetalen Kreislaufs, ein physiologischer Shunt im pränatalen Leben, der etwa 90 % des rechtsventrikulären
19
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19
Kapitel 19 · Anomalien der großen intrathorakalen Gefäße
Auswurfs (60 % des kombinierten rechts- und linksventrikulären Zeitvolumens) über die Aorta descendens und die Umbilikalarterien zur Plazenta leitet. Der intrauterine Durchmesser des Duktus ist mit dem Durchmesser der Aorta descendens oder des Pulmonalisstamms vergleichbar. Nach der Geburt mit dem erst funktionellen (1.–6. Lebenstag) und dann anatomischen Verschluss findet eine Involution des Duktusgewebes statt, und letztendlich bleibt beim Erwachsenen nur das Lig. arteriosum als dünne, fibrotische Struktur zwischen Aortenisthmus und proximaler linker Pulmonalarterie übrig. Position (rechts/links), Anzahl (1–2) und Größe des Ductus arteriosus können unterschiedlich sein, v. a. im Fall der bereits diskutierten Aortenbogenanomalien und anderer konotrunkaler sowie obstruierender Herzvitien. Meist ist er jedoch solitär und links liegend, ggf. auch bei rechtem Aortenbogen. Aufgabe dieses Kapitels ist es jedoch nicht, die Besonderheiten des Ductus arteriosus unter dieser Konstellation der assoziierten Anomalien zu diskutieren, wir vermerken allerdings das Fehlen des Duktus bei Patienten mit Truncus arteriosus der Typen A1–3 sowie bei Patienten mit Pulmonalklappenagenesie. Der Duktus verläuft bei Linksherzobstruktion parallel zur Aorta ascendens und bei Rechtsherzobstruktion parallel zur Aorta descendens. Der Ductus arteriosus ist sowohl histologisch als auch funktionell eine einzigartige Gefäßstruktur des Körpers. Pränatal ist das Gefäß histologisch gesehen eine großkalibrige muskuläre Arterie mit fast vollständig fehlenden elastischen Lamellen in der Media. Die Muskulariszellen sind meist zirkulär orientiert und zeigen einzigartige Rezeptoren, die auf die postnatalen Veränderungen (Anstieg des arteriellen Sauerstoffpartialdrucks, Reduktion des Prostaglandinspiegels im Blut) reagieren. Die Muskelzellen bedingen dann durch ihre Kontraktion den funktionellen Verschluss des Duktus bei 80 % der Neugeborenen schon innerhalb der ersten 24 h postnatal. Zusätzlich weist die Intima des Duktus eine sehr gut ausgebildete gelatinöse Matrix auf, die das sich unter der Muskelkontraktion verschließende Lumen abdichtet. Der endgültige Verschluss erfolgt dann innerhalb weniger Wochen durch Apoptose der Muskelzellen und Proliferation fibrotischen Gewebes. Der Verschlussprozess wird zuerst pulmonaliswärts vollendet; eine ampullenförmige Aussackung verbleibt ggf. noch für mehrere Monate in der Aorta und kann in seltenen Fällen im späteren Leben zu einer aneurysmatischen Erweiterung im diesen Bereich führen. Die erste Phase des Verschlusses ist reversibel und kann durch eine postnatale Prostaglandininfusion komplett rückgängig gemacht werden. Andererseits zeigen die duktalen Muskelzellen bei unreifen Frühgeborenen eine sehr eingeschränkte Reagibilität auf Sauerstoff – ein Grund für die hohe Offenheitsrate des Duktus in dieser Patientengruppe.
Der offene Duktus (spontan oder künstlich offen gehalten) als Bestandteil komplexer angeborener Vitien wird in den entsprechenden Kapiteln diskutiert. ! Da spontane Duktusverschlüsse klinisch bis zum Ende des 3. Lebensmonats beobachtet werden, gilt dieser Zeitpunkt für die Unterscheidung eines offenen (vorher) von einem persistierenden Ductus arteriosus (nachher).
Der persistierende Ductus arteriosus ist eine distinkte pathologisch-klinische Entität. Er weist histologisch im Gegensatz zum normalen Duktusgewebe eine gut entwickelte elastische Media auf, die der Aortenmedia sehr ähnlich ist. Somit kann das Offenbleiben bei dieser Pathohistologie nicht einfach als ein verzögerter oder inkompletter Verschluss betrachtet werden. Der chirurgische Verschluss des persistierenden Ductus arteriosus war historisch betrachtet die erste erfolgreiche Operation eines angeborenen Herzfehlers. Der erste Bericht über einen erfolgreichen Duktusverschluss wurde von Robert Gross veröffentlicht. Er hatte am 26.08.1938 bei einem 7-jährigen Mädchen den großkalibrigen Duktus über eine linkslaterale Thorakotomie ligiert (Gross u. Hubbard 1939). Es ist wenig bekannt, dass kurz darauf Emil Karl Frey aus der Medizinischen Akademie in Düsseldorf die Operation ebenfalls erfolgreich durchgeführt, jedoch nicht veröffentlicht hatte (7 Kap. 1). Interessanterweise ist der Ductus arteriosus nicht nur die erste Anomalie, die den Weg zur chirurgischen Behandlung angeborener Herzfehler eröffnet hat, sondern auch diejenge, bei der Porstmann im Jahre 1966 erstmals eine definitive interventionelle Behandlung durchgeführt hat (Porstmann et al. 1967). Der offene bzw. persistierende Ductus arteriosus wird grundsätzlich für 3 verschiedene Altersgruppen mit unterschiedlicher klinischer Symptomatik und Behandlung diskutiert. 19.4.1.1
Offener Ductus arteriosus des Frühgeborenen
Diese Form muss in der Regel als sich verzögert verschließender Duktus betrachtet werden, da hier keine für den persistierenden Ductus arteriosus typischen histologischen Merkmale (»Aortalisierung«) festzustellen sind. Die sehr häufige Assoziation mit einer als Folge der unreifen Lunge beobachteten respiratorischen Insuffizienz mit arterieller Hypoxämie lässt über einen unzureichenden Sauerstoffstimulus spekulieren, wobei die Unreife der duktalen Myozyten ebenfalls beschrieben wurde. Die Indikation zum chirurgischen Verschluss ist die hämodynamische Bedeutung des offenen Duktus im Einzelfall (Linksherzbelastung durch großen Links-rechts-Shunt mit persistierender pulmonaler Hypertonie). Die erste operative Behandlung bei Frühbegorenen wurde von DeCancq im Jahre 1963 berichtet. Die drama-
553 19.4 · Links-rechts-Shunt
tische Verbesserung des klinischen Zustands infolge der Operation hat diese Behandlung danach als Standardtherapie etabliert. Indomethacin wurde im Jahre 1976 als pharmakologische Behandlung (Prostaglandinsynthesehemmung) eingeführt, und bei günstigen Ergebnissen und deutlich reduziertem Risiko ist die Pharmakotherapie die primäre Behandlung in der Neonatologie für die Gewichtsgruppe von >1000 g geblieben. Heute wird eine Operation von den Neonatologen erst nach 2–3 in jeweils 24-stündigem Zeitabstand wiederholten erfolglosen Indomethacingaben oder zuletzt auch Ibuprofenzyklen erwogen. Bei Frühgeborenen mit einem Gewicht von <1000 g und auf jeden Fall bei Kindern mit einem Gewicht von <500 g sollten die unerwünschten, v. a. renalen Nebenwirkungen des Indomethacins sowie die nur 50%ige primäre Erfolgsrate des pharmakologischen Verschlusses eher an eine primäre chirurgische Behandlung denken lassen. Logistisch kann dabei bereits der Transport dieser Patienten in den Operationssaal eine Herausforderung darstellen. Bei den instabilen thermoregulatorischen Verhältnissen und dem meistens kritischen respiratorischen Zustand der Patienten sollte die Operation, wenn möglich, auf der neonatologischen Intensivstation stattfinden. Diese von uns seit Jahren verfolgte Strategie wird durch klinische Studien unterstützt. Diese haben nachgewiesen, dass die bei diesen Patienten häufiger zu beobachtende retrolentikuläre Dysplasie auf eine während des Transports unkontrollierte Sauerstoffzufuhr zurückzuführen ist. Die Arbeitsgruppe aus Philadelphia empfiehlt darüber hinaus sogar die Versorgung von Patienten aus peripheren Krankenhäusern in der primär behandelnden Einheit durch reisende Chirurgen (Gould et al. 2003). Wir bevorzugen weitergehend die Aufrechterhaltung des therapeutischen Ambientes nicht nur durch den Eingriff auf der neonatologischen Intensivstation, sondern auch durch die intraoperative Betreuung und Überwachung durch einen erfahrenen Neonatologen. Eine direkte arterielle Druckmessung ist während der Operation weder sinnvoll möglich noch erforderlich. Das EKG sowie die an den oberen und unteren Extremitäten durchgeführte Pulsoxymetrie sollten während des Eingriffs aussagekräftige Informationen liefern. Typischerweise sind diese Monitoring-Maßnahmen Teil der bereits stattfindenen intensivmedzinischen Behandlung. Die Positionierung des Thorax in Rechtsseitenlage kann mit Hilfe von Windeln im neonatologischen Wärmebett einfach durchgeführt werden. Der Thorax wird nicht aufgebogen. Die rechte Thoraxseite liegt flach auf dem Untergrund. Die posterolaterale Thorakotomie sollte bei der extremen Gewebeelastizität relativ kurz geführt werden und ist bei den etwa 500 g wiegenden Frühgeborenen selten mehr als 2,5 cm lang. Die Darstellung des Situs erfolgt durch sorgfältige ventrale Retrahierung der überblähten und relativ steifen Lunge. Dieses Manöver kann zur Kompromittierung des Herzens führen, weswegen eine maxi-
male Wachsamkeit bezüglich entstehender Bradykardien erforderlich ist. Da die konsekutive Kompromittierung des Kreislaufs sehr rasch erfolgen kann, sollten bei einem Abfall der Herzfrequenz auf <100/min sämtliche Instrumente aus dem Thorax entfernt und die Operation erst nach einigen Minuten der Erholung/Stablisierung fortgesetzt werden. Die Präparation sollte man ebenfalls minimal halten. Lediglich lokale Inzisionen der mediastinalen Pleura kranial und kaudal des Duktus sind erforderlich. Sie erlauben die Platzierung eines Clips. Bei dem ödematösen subpleuralen Bindegewebe symptomatischer Patienten ist die chirurgische Präparation weitergehend vereinfacht. Die Verwendung einer Lupenbrille (2,5-, besser 3,5fache Vergrößerung) sei der Vollständigkeit halber erwähnt. Auf eine zirkumferenzielle Präparation des Duktus sollte verzichtet werden. Das Duktusgewebe ist äußerst fragil, sodass man hier nicht direkt manipulieren sollte. Der N. laryngeus recurrens, der ventral aus dem N. vagus kommend den Duktus umschlingt (. Abb. 19.19), beschreibt den Duktus eindeutig. Auch er darf nicht manipuliert werden. Die Clip-Applikation sollte in der Mitte des Duktus erfolgen, um aortale oder pulmonale Einengungen zu vermeiden. Diesbezüglich ist die Pulsoxymtrie an den unteren Extremitäten sehr hilfreich. Der Clip sollte den Duktus komplett verschließen. Bei von außen inkomplett erscheinendem Verschluss ist die Clip-Entfernung wegen der Rupturgefahr zu vermeiden. Stattdessen ist dann ein zweiter Clip zu platzieren. Kommt es mit Platzierung des ersten Clips zu einer blutenden Duktusläsion, rettet die Zweit- und Drittapplikation pulmonal- und aortenwärtig des ersten Clips die Situation. Der Thorax sollte standardmäßig ohne Einlage einer Thoraxdrainage verschlossen werden. Nach Vorlegen der resorbierbaren Perikostalnähte (2×0 Vicryl) zieht man diese Nähte während eines forcierten Blähmanövers der Lunge fest, sodass damit eine vollständige Expansion der Lunge sichergestellt wird. Das Aufträufeln von Kochsalzlösung stellt eventuelle Leckagen schon primär fest. Im Einzelfall wäre dann eine Drainage erforderlich. Der Versuch, kleinere Luftlecks mit dem Ziel einer Drainageeinlage zu vermeiden, sollte unterlassen werden. Nach einer fortlaufenden Fasziennaht kann die Haut direkt verschlossen werden. Eine konventionelle Intrakutannaht ist bei der sehr unreifen Haut häufig eher traumatisch, ebenso klebende Verbände. Wir bevorzugen einen nichtakrylischen Gewebekleber (Dermabond) als Hautnaht- und Verbandersatz. Bei diesen Patienten haben die alternativen Methoden eines interventionellen oder videoassistierten thorakoskopischen Verschlusses heute keine Indikation mehr. Sogar Pionierkliniken des videoassistierten thorakoskopischen Verschlusses in den 1990er Jahren sind zwischenzeitlich wieder zum konventionellen Verschluss zurückgekehrt (u. a. in Boston; Jonas 2004).
19
554
Kapitel 19 · Anomalien der großen intrathorakalen Gefäße
a
b . Abb. 19.19a, b. Operationssitus bei offenem Ductus arteriosus bei Frühgeborenen. Nach minimaler Präparation distal und proximal des Ductus wird ein einziger Clip in Ductusmitte appliziert
ten. Die moderne dopplersonographische Technologie erlaubt die Identifizierung eines persistierenden Duktus ab einem Durchmesser von 1–2 mm. Diese winzigen Gefäße sind asymptomatisch, und eine prophylaktische Behandlung wegen der drohenden Komplikation einer Endarteriitis bleibt umstritten (Thilén u. Aström-Olsson 1997). In den vergangenen 10 Jahren hat sich der interventionelle Verschluss als Standardprozedur für diese Altersgruppe etabliert. Eine offene chirurgische Behandlung wird heutzutage nur in Ausnahmefällen oder bei Komplikationen (s. unten) durchgeführt. Seit der Anwendung des Rashkind-Schirmes in den 1970er Jahren ist die Technologie der interventionellen Duktusverschlussgeräte deutlich sicherer, jedoch auch aufwendiger geworden, insbesondere finanziell. Die Komplikationsrate ist äußerst gering. Jedoch ist das Herausholen eines verlorenen Geräts aus der A. pulmonalis oder der Aorta deutlich aufwendiger als der primäre einfache chirurgische Duktusverschluss bzw. die Duktusdurchtrennung. Während ein akut in die linke Unterlappenarterie der A. pulmonalis embolisiertes Gerät über eine links-posterolaterale Thorakotomie im 5. Interkostalraum direkt im Lappenspalt (Oberlappen/Unterlappen) entfernt werden kann (Querarteriotomie, temporärer Tourniquetverschluss der linken A. pulmonalis), empfehlen wir bei vermutlich dort schon länger (>2 Wochen) verweilenden Geräten den transsternalen Zugang unter Einsatz der normothermen extrakorporalen Zirkulation am schlagenden Herzen. Die Entfernung erfolgt dann nach Längseröffnung des distalen Pulmonalisstamms und der proximalen linken A. pulmonalis. Zuvor muss noch regelhaft der Ductus Botalli durchtrennt werden. Ein im Duktus sitzendes Gerät mit großem Rest-Shunt kann entweder transsternal mit extrakorporaler Zirkulation oder über eine laterale Thorakotomie im 4. Interkostalraum wie zur Duktusdurchtrennung entfernt und der Duktus durchtrennt werden. Dazu müssen über das übliche Vorgehen zum primären chirurgischen Duktusverschluss hinaus die intraperikardiale linke Pulmonalarterie und die Aorta descendens um die jeweiligen Duktusinsertionen herum präpariert werden. Je nach Lage
Bergung eines in die linke Pulmonalarterie embolisierten Duktusverschlussgeräts
Ductus arteriosus Botalli persistens Persistierender Ductus arteriosus bei Säuglingen und Kleinkindern
19.4.1.2
19
Hierbei handelt es sich um den typischen »aortalisierten« Ductus arteriosus, der bei entsprechender Größe durch einen ausgeprägtem Links-rechts-Shunt eine Herzinsuffizienz mit erhöhten Pulmonalisdrücken verursachen kann. Da der Duktus jenseits des 3. Lebensmonats klinisch keine Tendenz zum Spontanverschluss zeigt, sollte diese Diagnose automatisch die Indikationsstellung zur katheterinterventionellen oder offenen chirurgischen Behandlung bedeu-
4 Akut: laterale Thorakotomie links im 5. Interkostalraum, Querarteriotomie der linken Pulmonalarterie im Lappenspalt 4 Spät, d. h. nach mehr als 2 Wochen: transsternale Längseröffnung des distalen Lungenarterienhauptstamms und der proximalen linken Pulmonalarterie unter normothermer extrakorporaler Zirkulation 4 Cave: vor Bergung jeweils Duktusverschluss bzw. -durchtrennung
555 19.4 · Links-rechts-Shunt
des intraduktalen Geräts werden Umstechungsligaturen des Duktus in der Pulmonalis- und Aortenwand vorgelegt, um den Duktus nach Ausklemmen (Cooley-Klemme) der großen Gefäße (Aorta, ggf. auch Abklemmen proximal und distal der Duktuseinmündung) über dem meist tastbaren Gerät zu eröffnen. Selbiges wird entfernt. Abschließend erfolgt der Verschluss der Umstechungsligaturen. Die von Laborde et al. (1993) beschriebene videoassistierte thorakoskopische Technik bietet eine kosmetisch günstige Alternative zur offenen Chirurgie. Da gegenwärtig fast ausschließlich anatomisch kompliziert erscheinende Fälle zur chirurgischen Korrektur vorgesehen sind, was auch eine videoassistierte Prozedur äußerst mühsam werden lassen kann, erachten wir die postulierten Vorteile dieser Prozedur als nicht eindeutig bewiesen. Technisch werden die Trokare im 3. oder 4. Interkostalraum möglichst in einer Linie liegend eingeführt. Bei der Operation sollte der Duktus durchtrennt werden. Obwohl Robert Gross bei der ursprünglichen Operation eine Ligatur durchführte, hat er später selbst die Durchtrennung als Standardverfahren vorgeschlagen (Gross u. Longino 1951). Die solitäre Ligatur eines persistierenden Duktus führt zwar akut zu einem Verschluss, im Verlauf kann sich jedoch durch Rarefizierung/Atrophie des lokal durch die Ligatur zusammengedrückten Gewebes eine Rekanalisation ergeben. Wenn nun dennoch ligiert werden soll, dann sind zumindest 2 Ligaturen in einem gewissen Abstand zueinander erforderlich, sodass es zwischen diesen Ligaturen auch noch zusätzlich zu einem mehr oder weniger langstreckigen thrombotischen und später organisierten Verschluss kommen kann. Einer evtl. einfachen Ligatur eines offenen Frühgeborenenduktus droht das oben genannte Schicksal der Rekanalisierung jedoch in der Regel nicht, da es sich hier meist um potenziell funktionsfähiges, jedoch noch unreifes bzw. wegen der besonderen Umstände noch nicht reagibles Duktusgewebe handelt, das sich im Verlauf nach dem mechanisch-chirurgischen Verschluss und der Ausreifung der Lunge/des Patienten noch dem physiologischen Verschlussablauf und der Umwandlung in ein Lig. arteriosum unterzieht. Für den klassischen Duktusverschluss wird eine posterolaterale Thorakotomie im 3. oder 4. linken Interkostalraum vorgenommen. Dabei gilt, wie bei der ISTA-Operation, folgende Faustregel: je leichter der Patient, desto höher der Interkostalraum (<3 kg: 3. Interkostalraum; >4 kg: 4. Interkostalraum; dazwischen: Grauzone). Die Lunge wird erst mit einem Lungenspatel nach ventral verdrängt und die mediastinale Pleura über der proximalen Aorta descendens längs eröffnet. Der ventrale Rand der Pleura wird mittels mehrerer Haltenähte suspendiert, und nach Einlage einer feuchten Kompresse auf die Lunge kann damit auf den zunächst verwendeten Lungenspatel für den Rest der Operation verzichtet werden. Die Identifizierung des Duktus, obwohl grundsätzlich einfach, muss nicht auf den ersten
Blick gelingen. Der erste Blick spricht häufig den Duktus als Aortenbogen an. Als Orientierung dient dann der aus dem N. vagus kommende Rekurrensast, der den Duktus von ventral/kaudal nach dorsal umschlingt. Der Duktus sowie die Aorta proximal und distal des Duktus sollten zirkumfeneziell freipräpariert werden. Obwohl es in Einzelfällen möglich ist, die 2 Spezialklemmen (Potts-Klemmen) am Duktus zu platzieren, ist die Abklemmung der Aorta proximal und distal des Duktus sicherer und ermöglicht zudem den Verschluss äußerst kurzer und breiter Strukturen. Nach Durchtrennung sollten die beiden Enden doppelreihig mit Polypropylenefäden verschlossen werden. Wir bevorzugen im Säuglings- und Kleinkindalter primär die pulmonal- und aortenwärtige Umstechung ohne Abklemmung, um dann in kleinen Schritten den Duktus zu durchtrennen (. Abb. 19.20). Bei signifikanter Blutung müssen dann wie oben beschrieben Klemmen zum Einsatz kommen. Meist reicht eine zusätzliche Clip-Applikation, die wir ohnehin prophylaktisch durchführen. Selten ist eine zusätzliche Naht erforderlich. Die Pleura wird mittels fortlaufender Technik locker über den Situs approximiert, und die Thorakotomie wird meist ohne Belassen einer Drainage standardmäßig verschlossen. Ein Perikarderguss wird adjuvant durch eine kleine Perikardiozentese ventral des N. phrenicus oder unmittelbar ventral des pulmonalen Duktusstumpfs entlastet.
Persistierender Ductus arteriosus im Erwachsenenalter Trotz sorgfältiger medizinischer Vorsorge im Kindesalter bleibt ein geringer Anteil der im Säuglingsalter noch offenen Ductus Botalli bis zum Erwachsenenalter unentdeckt. Die Mehrhheit dieser Gefäßanomalien, die in der Regel hämodynamisch asymptomatisch bleiben, sind eher klein und weisen einen inneren Durchmesser von max. 3–4 mm auf. Bei dieser Größe sind eventuelle sekundäre Lungengefäßveränderungen ebenfalls begrenzt. Nach entsprechender invasiver Untersuchung, die typischerweise einen überwiegenden Links-rechts-Shunt mit nichtfixierter pulmonaler Hypertonie nachweist, sollte der Duktus verschlossen werden. Eine interventionelle Behandlung mittels verschiedener Vorrichtungen (Coils, Schirmchen) kann bei den unkomplizierten Varianten einen stabilen Verschluss erzielen. Es verbleiben jedoch einige primär (Fenstertyp: besonders kurz) oder sekundär veränderte Varianten (verkalkter, aneurysmatischer oder infizierter Duktus), deren Behandlung weder interventionell noch (wegen einer besonderen Risikokonstellation) mit den bereits beschriebenen konventionellen chirurgischen Techniken möglich bzw. sinnvoll ist.
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556
Kapitel 19 · Anomalien der großen intrathorakalen Gefäße
. Abb. 19.20a, b. Durchtrennung eines persistierenden Ductus arteriosus bei Säuglingen und Kleinkindern unter Umstechungsligaturenund evtl. zusätzlicher Klippapplikation aorten und pulmonalwärtig
b a
19.4.1.3
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Verkalkter Ductus arteriosus
Im höheren Alter, etwa ab dem 50. Lebensjahr, weist ein offener Ductus arteriosus in der Regel Verkalkungen auf, und zwar überwiegend aortenwärts. Diese meist zusammenhängende zirkumferenzielle Verkalkung verhindert einen konventionellen Verschluss im Sinne einer Ligatur/ Durchtrennung oder sogar eine ein- oder mehrfache Ligatur über eine Thorakotomie. Das Platzieren von Klemmen jeglicher Art unmittelbar am Duktus ist wegen der erhöhten Ruptur- bzw. Dissektionsgefahr zu unterlassen. Im Gegensatz zur aortalen Ampulle bleibt die pulmonale Duktusmündung vom Verkalkungsprozess meist verschont, sodass hier nur selten und dann auch nur deutlich geringer ausgeprägte Verkalkungen zu beobachten sind. Aus diesem Grund empfiehlt es sich, den Duktus transpulmonal durch eine mediane Sternotomie unter Verwendung der HerzLungen-Maschine in Normothermie am schlagenden Herzen zu verschließen (Morrow u. Clark 1966). Vor Eröffnung der Pulmonalarterie sollte der offene Duktus möglichst geklemmt werden. Falls auch pulmonaliswärts ausgeprägte Verkalkungen oder andere lokale Veränderungen eine Klemmung verbieten, kann man die Duktusmündung nach Längseröffnung der Pulmonalarterie vorübergehend transluminal okkludieren. Sehr hilfreich kann u. U. die Verwendung eines entsprechend großen Fogarty-Katheters sein. Sollte bei einem kurzen oder evtl. auch durch Endarteriitis fragilen Duktus weder das Klemmen noch die Okklusion möglich sein, ist die Anwendung eines tiefhypothermen Kreislaufstillstands durchaus berechtigt (O’Donovan u. Beck 1978). Die Öffnung sollte dann mittels eines Kunststoffflickens in fortlaufender Technik transpulmonal verschlossen werden. Alternative, durch Thorakotomie durchführbare Operationen sind ebenfalls beschrieben worden. Einige sehen
eine Abklemmung der Aorta proximal und distal des Duktus mit (Hara et al. 1993) oder ohne (Johnson u. Kron 1988) Verwendung eines Linksherzbypasses vor. Hierbei wird ebenfalls eine transluminale temporäre Ballonokklusion erforderlich, wodurch der Duktus durch einen intraaortalen Flicken verschlossen wird. Gold und Cohn (1986) schlagen ebenfalls eine Thorakotomie als Zugangsweg vor. Sie beschreiben eine extensive Präparation der A. pulmonalis, und zwar derart, dass hier die Platzierung zweier größerer Cooley-Klemmen im pulmonalen Mündungsbereich außerhalb der Verkalkungen möglich ist. Die Durchtrennung und die doppelreihige Übernähung erfolgen dann praktisch jenseits des verkalkten Duktusgewebes. Eine Stenosierung der Pulmonalerterie ist nicht zu befürchten, da der Durchmesser des Gefäßes bei hämodynamisch bedeutsamem Links-rechts-Shunt erheblich vergrößert ist. Mit den Fortschritten der Technologie der Endovaskularprothesen und mit zunehmender Erfahrung bei verschiedenen Erkrankungen der thorakalen Aorta wurden die ersten Berichte über die erfolgreiche endovaskuläre Behandlung des persistierenden Ductus arteriosus veröffentlicht (Ozmen et al. 2005; Roques et al. 2001). Eine schlüssige Serie, in der die spezielle Problematik des Endolecks angesprochen wurde, ist bei der Seltenheit der Prozedur noch nicht existent. 19.4.1.4
Infizierter Ductus arteriosus
Die an der pulmonalen Duktusmündung lokalisierte Endarteriitis ist eine bekannte, jedoch seltene Komplikation eines offenen Duktus. Als Pathomechanismus werden – ähnlich wie bei Endokarditiden an kleineren Ventrikelseptumdefekten – Intimaläsionen als Folge der Blutflussbeschleunigungen angenommen. Diese bieten ein ideales
557 19.4 · Links-rechts-Shunt
Nest, in dem sich die Vegetationen verankern können. Neben dem echokardiographischen Nachweis der Vegetationen können als typische Manifestationen einer rechtsseitigen Endokarditis szintigraphisch darstellbare Lungeninfarkte auftreten. Ziel der chirurgischen Behandlung ist nicht nur der Verschluss des Duktus, sondern auch die Resektion der infizierten Gefäßwandabschnitte. Eine Operation unter Einsatz der extrakorporalen Zirkulation empfiehlt sich als sichere Therapie. Vor und während des Anschlusses an die Herz-Lungen-Maschine sollten Manipulationen an der zentralen A. pulmonalis vermieden werden. Die Eröffnung der A. pulmonalis ist erst nach Klemmen des Duktus aortenwärts sowie nach Verschluss der peripheren Pulmonalisäste vorzunehmen, um periphere Embolisationen zu verhindern. Die Entfernung der Vegetationen wird von der Resektion der umgebenden Pulmonaliswand gefolgt. Sollte die duktale Intima auch aortenwärts makroskpisch auffällig entzündlich imponieren, ist eine lokale Resektion der Aortenwand ebenfalls erforderlich. Stejskal und Stark (1992) beschreiben für solche Fälle einen Zugang über eine linksanterolaterle Thorakotomie. Auf diese Weise sei sowohl der Anschluss an die Herz-Lungen-Maschine über die Aorta ascendens und den Pulmonalisstamm als auch eine Kontrolle des Aortenisthmus und der linken A. pulmonalis gut möglich. 19.4.1.5
Aneurysma des Ductus arteriosus Botalli
Das Aneurysma eines Ductus Botalli kann primär bereits intrauterin nachweisbar auftreten oder sich als Spätkomplikation eines persistierenden oder inkomplett verschlossenen Duktus manifestieren.
Neonatales Duktusaneurysma Mit Verbreitung der perinatalen echokardiographischen Diagnostik ist ein primäres Aneurysma (meist asymptomatisch) mit zunehmender Häufigkeit festgestellt worden. Die Inzidenz ist bei Kindern mit genetischen Anomalien (Pierre-Robin-Sequenz, Kollagenanomalien) höher. Anfänglich wurde die Operationsindikation bei dem beeindruckenden Durchmesser sehr liberal gestellt. Heute werden primär eine konservative Behandlung und die weitere Beobachtung empfohlen. Zwei- bis 3-täglich durchgeführte Ultraschalluntersuchungen sollten die Regressionstendenz dokumentieren. An eine Operation ist erst nach Zunahme oder Thrombose ohne Duktusverschluss im Bereich des Aneurysmas zu denken. Operationstechnisch gehen wir wie im Abschnitt »Persistierender Ductus arteriosus bei Säuglingen und Kleinkindern« beschrieben vor. Dabei ist der in der Regel elongierte Duktusverlauf einfacher zu durchtrennen. Beim dokumentierten, in die Aorta ragenden Thrombus sind die Ausklemmung des Isthmus und die Inspektion des Lumens obligatorisch. Einige Resekate weisen histologische Anomalien auf, v. a. des Bindegewebes.
Aortale Thromboembolien, auch beim Frühgeborenen nach Clip-Verschluss eines in Thrombosierung befindlichen großen Duktus/Duktusaneurysmas, können durch kurzzeitige medikamentöse Blutdruckerhöhung behandelt werden. Der in der Regel frische Thrombus wird auf diese Weise möglichst weit nach peripher, idealerweise iliakal/ femoral, geleitet und ggf. der Spontanlyse überlassen. Ein diesbezüglich therapieresistenter Aortenverschluss ist selbstverständlich chirurgisch anzugehen. Symptomatische pulmonalwärtige Duktusthromboembolien haben wir bisher nicht beobachtet, wobei über einen solchen Fall bereits berichtet wurde (Fripp et al. 1985).
Spätaneurysma Ein spontan nur inkomplett verschlossener oder persistierender Ductus Botalli kann im späteren Leben auch Ort von typischen degenerativen Aneurysmata mit ihren bekannten Komplikationen wie Thromboembolisierung und Dissektion sein. Neben den typischen, spindelförmigen Aneurysmata ist auch das sog. Duktusdivertikel, das aortenwärts trompetentrichterförmig offen gebliebene Duktusende, bekannt. Es wird manchmal bei thorakalen Traumata als Aortenruptur fehlinterpretiert. Die aneurysmatische Erweiterung kann die benachbarten Gefäße erfassen und dementsprechend die Behandlung deutlich komplizierter gestalten. Typischerweise setzt sich das Aneurysma in die Aorta fort. Aneurysmata der A. pulmonalis im Rahmen eines Eisenmenger-Syndroms als Folge des offenen Ductus Botalli sind im Erwachsenenalter ebenfalls bekannt. Die Symptome des Duktusaneurysmas des Erwachsenen bestehen bei einem hämodynamisch unwirksamen Duktus in einem thorakalen Druckgefühl sowie in einer äußerst typischen Heiserkeit, die auf eine Miteinbeziehung des N. laryngeus recurrens hinweist. Eine Größenprogredienz, das Vorhandensein von Symptomen sowie eine intraluminale Thrombosierung sollten feste Operationsindikationen darstellen. Bei einer sicheren Mitbeteiligung der Aorta sollte ebenfalls operiert werden. Die Operation ist meistens sehr komplex und macht eine segmentale Resektion mit Implantation einer Rohrprothese erforderlich. Die technischen Einzelheiten unterscheiden sich nicht vom Vorgehen bei einem Aneurysma der Aorta descendens.
19.4.2
Aortopulmonales Fenster
Diese seltene Malformation der großen Arterien ist als eine in der Regel nichtrestriktive, kaum Länge aufweisende Kommunikation zwischen Aorta ascendens und A. pulmonalis zu definieren. Die Symptomatik und die Pathophysiologie ähneln der Situation beim Truncus arteriosus, wobei die 2 Herzfehler einen unterschiedlichen embryologischen Ursprung haben. Während es sich beim Truncus arteriosus um eine kono-
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Kapitel 19 · Anomalien der großen intrathorakalen Gefäße
. Abb. 19.21a–d. CongenitalHeart-Surgeons-Klassifikation des aortopulmonalen Fensters nach Mori (Jacobs et al. 2000)
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a
b
c
d
trunkale Fehlbildung handelt, kann das aortopulmonale Fenster auf eine fehlerhafte Fusion der Anteile des weiter distal liegenden aortopulmonalen Septums zurückgeführt werden. Damit entsteht eine ovaläre Öffnung zwischen Aorta ascendens und Pulmonalisstamm mit 2 komplett ausgebildeten Semilunarklappen. Letztere sind der einzige morphologische Unterschied zu einem Truncus arteriosus (abgesehen vom intrakardialen Defekt). Die im Jahre 2000 von Jacobs vorgeschlagene Congenital-Heart-Surgeons-Klassifikation (Jacobs et al. 2000) differenziert anhand der Lokalisation 4 verschiedene Typen des aortopulmonalen Fensters (. Abb. 19.21). Bei der proximalen Variante liegt die Öffnung unmittelbar stromabwärts der sinotubulären Übergänge in beiden Gefäßen. Damit verbindet sie die linke Seite der Aorta ascendens mit der rechten Seite des Pulmonalisstamms. Bei der distalen Variante liegt die Kommunikation weiter stromabwärts und verbindet die 2 großen Gefäße im Bereich des Abgangs der rechten Pulmonalarterie. Somit kann die Öffnung in der Aorta hier praktisch an ihrer Hinterwand identifiziert werden.
Des Weiteren existiert eine sog. totale Variante, wobei das gesamte aortopulmonale Septum von proximal bis distal in fast ganzer Länge des Pulmonalisstamms fehlt. Eine intermädiere Variante weist eine ovaläre Kommunikation zwischen »proximal« und »distal« auf. Die proximale und die distale Variante entsprechen den in den meisten bis heute veröffentlichten Arbeiten zitierten Typen I und II der Richardson-Klassifikation (Richardson et al. 1979). Die dritte Richardson-Variante entspricht der auch als Hemitrunkus bekannten Entität. Dabei handelt es sich um einen anomalen Abgang der rechten oder linken Pulmonalarterie direkt aus der Aorta ascendens bei 2 komplett ausgebildeten aortalen und pulmonalen Semilunarklappen. Die Seite des anomalen Abgangs liegt in der Regel der Seite des Aortenbogens gegenüber. Bei fast 50 % der Patienten werden assoziierte Malformationen festgestellt. Einige davon sind einfache isolierte Begleitanomalien wie Ventrikelseptumdefekt, Vorhofseptumdefekt vom Sekundumtyp oder persistierender Ductus arteriosus, während andere für die aortopulmonalen Fenster typisch sind. Eine besonders komplexe Anomalie ist die Assoziierung eines unterbrochenen Aortenbogens. Diese
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erstmals von Berry et al. (1982) beschriebene Anomalie kommt in der Regel mit einer Typ-A-Unterbrechung des Aortenbogens vor. Die 3 Bogenäste entspringen aus der relativ normalkalibrigen Aorta ascendens. Die rechte Pulmonalarterie scheint aus der rechten Seite der Aorta ascendens zu entspringen, während der Abgang der linken Pulmonalarterie – weit entfernt davon – an der linken Seite des Pulmonalisstamms vor dem Abgang des Ductus Botalli liegt. Die proximal lokalisierten Fenster können mit Abgangsanomalien der Koronararterien zusammen vorkommen, wobei für die distalen Varianten eher komplexere räumliche Verhältnisse mit dem Abgang der rechten Pulmonalarterie typisch sind. In Einzelfällen wurden hier spiralförmige Verbindungen gesehen, die komplett zwischen der rechten Pulmonalarterie und der Aorta liegen. Diese Defekte verursachen unabhängig von der Lokalisation einen nichtrestriktiven Links-rechts-Shunt auf der arteriellen Ebene mit einer sich relativ früh entwickelnden pulmonalen Widerstandserhöhung, deren Verhinderung eine frühe, meistens im Neugeborenenalter durchzuführende Korrekturoperation erfordert. Im Gegensatz zum Truncus arteriosus, bei dem von einem gemischten Shunt ausgegangen werden kann, wird im Fall eines aortopulmonalen Fensters nach der Absenkung des neonatalen Lungengefäßwiderstands ein ausschließlicher Links-rechtsShunt mit normalen peripheren Sättigungswerten beobachtet. Die Diagnose wird in der Regel echokardiographisch gestellt (Apitz et al. 2007). Eine Herzkatheteruntersuchung empfiehlt sich bei vermuteten und sonographisch nicht eindeutig nachweisbaren Koronaranomalien sowie für eine funktionelle Eruierung des pulmonalerteriellen Gefäßwiderstands bei Patienten jenseits des 3. Lebensmonats. ! Die Diagnose eines aortopulmonalen Fensters stellt eine Indikation zur chirurgischen Behandlung dar. Die einzige Kontraindikation ist ein fixiertes EisenmengerSyndrom.
Chirurgische Behandlung. Der erste chirurgische Ver-
schluss eines aortopulmonalen Fensters wurde von Robert Gross im Jahre 1952 berichtet. Vor der Ära der Herz-Lungen-Maschine wurde die Verbindung durch Ligatur – wie bei Gross – oder durch Durchtrennung unter Ausklemmung – wie bei Scott und Sabiston (1953) oder Fletcher (Fletcher et al. 1954) – durchgeführt. Trotz mehrerer Berichte über erfolgreiche Fälle blieb diese Methode in Anbetracht der erwähnten möglichen anatomischen Varianten äußerst risikoreich. Erst mit Verwendung der Herz-Lungen-Maschine konnte die Korrektur dieses Herzfehlers sicher und reproduzierbar unter Schonung der benachbarten Strukturen durchgeführt werden. Von den mehreren, teilweise bis heute verwendeten Techniken erwähnen wir die von Cooley beschriebene Trennung mit Direktverschluss (Cooley et al. 1957) sowie den transaortalen (Deverall et al.
1969) bzw. transpulmonalen (Björk, nichtpublizierte Daten) Flickenverschluss. Per definitionem handelt es sich bei dieser Anomalie um ein Fenster, d. h. um eine Verbindung ohne Länge und nicht um eine rohrförmige Struktur. Gelegentlich kann die anatomische Verbindung sowohl aorten- als auch pulmonaliswärtig ohne Kompromittierung des Lumendurchmessers mit je einer gebogenen Klemme isoliert und somit dem Fenster eine Länge gegeben werden. Dann kann der Fensterverschluss wie eine Ductus-Botalli-Durchtrennung ohne Einsatz der Herz-Lungen-Maschine erfolgen. Dieses Vorgehen darf jedoch nur dann durchgeführt werden, wenn absolute Sicherheit besteht, dass durch die Verschlussnähte keine Behinderungen der Gefäßlumina von A. pulmonalis, Aorta und Koronararterien sowie keine Funktionseinschränkungen der Semilunarklappen hervorgerufen werden. Deshalb bleibt der Verschluss unter direkter Sicht die Methode der ersten Wahl. Bei proximalem Fenster kann die Kanüllierung der Aorta ascendens an der konventionellen Stelle durchgeführt werden. Bei distaler Lokalisierung sollte die Tabaksbeutelsnaht im proximalen Bogen erfolgen, um eine sichere Platzierung der Aortenklemme zu ermöglichen. Falls die Operation im Kreislaufstillstand durchgeführt wird, ist die Kanülierungsstelle weniger kritisch, da eine Umkanülierung nach dem Verschluss durchaus möglich ist. Der Anschluss an die Herz-Lungen-Maschine erfolgt über eine aorto-rechtsatriale Kanülierung. Unabhängig von der anatomischen Lokalisierung des Fensters sollten beide Pulmonalerterien vor dem Angang an die extrakorporeale Zirkulation zirkumferenziell freipräpariert und mit Tourniquets versehen werden. Mit Übergang auf die extrakorporeale Zirkulation erfolgt das Anziehen der Tourniquets analog zur Korrektur eines Truncus arteriosus. Selbstverständlich muss im Fall eines Hemitrunkus nur die abnormal aus der Aorta ascendens entspringende Pulmonalarterie temporär verschlossen werden. Im Gegensatz zur biarteriellen Kanülierung bei »herkömmlichem« unterbrochenen Aortenbogen ist im Fall eines Berry-Syndroms (s. oben) eine einfache Kanülierung ausreichend, da über das nichtrestriktive Fenster die Perfusion beider Aortenabschnitte stattfinden kann. Auf den temporären Verschluss der Pulmonaläste mit Angang an die Herz-Lungen-Maschine ist hier selbstverständlich ebenfalls zu achten. Während der Kühlungsphase kann bei entlastetem Herzen die Präparation im Bereich des Fensters erfolgen. Hierbei könnte im Fall von Abgangsanomalien der rechten Koronararterie aus dem Fenster oder sogar aus der A. pulmonalis ihr epikardialer Verlauf bei der Planung der künftigen Schnittführung helfen. Mit Erreichen der vorgesehenen Zieltemperatur, Abklemmen der Aorta und eventueller Gabe von Kardioplegielösung wird das Fenster eröffnet und faktisch eine Trennung von Aorta ascendens und Pulmonalisstamm durchgeführt.
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Kapitel 19 · Anomalien der großen intrathorakalen Gefäße
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a
b b
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. Abb. 19.22a, b. Verschluss eines aortopulmonalen Fensters. HLM-Kanülen nicht eingezeichnet
. Abb. 19.23a, b. Vorgehen bei aortopulmonalem Fenster mit assoziiertem unterbrochenen Aortenbogen. HLM-Kanülen fehlen
Bei tiefliegenden Fenstern mit relativ geringer Größe (etwa 25 % der aortalen Zirkumferenz) kann das Fenster aortenwärtig ggf. direkt vernäht werden. Falls es sich, wie in den meisten Fällen, um eine ovaläre Öffnung handelt, kann man sie doppelreihig, parallel zu ihrer Längsachse, direkt verschließen. Es sollte dabei keinerlei Einengung an den Gefäßen und keine Beeinträchtigung der Klappenfunktion oder der Koronarostien entstehen. Falls die Öffnung >25 % der aortalen Zirkumferenz betrifft, empfiehlt es sich, die Defekte sowohl in der Aorta als
auch in der A. pulmonalis mit Flicken (Perikard oder Polytetrafluorethylen) zu verschließen. Wir verwenden 0,4 mm starkes Polytetrafluorethylen (. Abb. 19.22). Als alternative Methode bietet sich der einfache Flickenverschluss des Fensters an, entweder über einen transaortalen oder einen transpulmonalen Zugang. Dabei wird jedoch das Risiko eines residualen Defekts eingegangen. Bei distal, im Bereich des Abgangs der rechten Pulmonalarterie liegenden Fenstern sollte die Aorta quer an ihrer Vorderseite eröffnet werden. Die Aortotomie ermög-
561 19.5 · Rechts-links-Shunt
licht das genaue Herausschneiden der retroaortal liegenden gefensterten rechten Pulmonalarterie. Die entstandenen Löcher, v. a. die in der rechten Pulmonalarterie, sollten mittels Flickenplastik verschlossen werden. Als weitere Technik bietet sich bei einer günstigen Anatomie der einfache transaortale Flickenverschuss an. Beim assoziierten unterbrochenen Aortenbogen sind die Abgänge der beiden Pulmonalarterien weit voneinander entfernt. Eine direkte Re-Implantation der rechten Pulmonalarterie ist wegen des großen Abstands nicht durchführbar. Hier empfiehlt es sich, das Ostium der rechten Pulmonalarterie nach einer longitudinalen Aortototomie über einen intraaortalen Tunnel mit dem aortopulmonalen Fenster zu verbinden und dadurch eine wachstumsfähige Pulmonalisbifurkation zu schaffen. Die distale Aorta sollte man nach Resektion des duktalen Gewebes End-zu-Seit an die fast normalkalibrige Aorta ascendens anastomosieren (. Abb. 19.23).
19.5
Rechts-links-Shunt
19.5.1 Pulmonalarterio-venöse Fistel
Pulmonalarterio-venöse Fisteln sind eine seltene, manchmal rätselhafte, aber durchaus korrigierbare zyanotische Krankheit. Es sind sowohl kongenitale als auch erworbene Formen beschrieben. Die überwiegende Mehrheit der angeborenen arteriovenösen Fisteln (etwa 70%) haben eine Osler-Telenagiektesie als Ursache. Diese autosomal-dominant vererbte Krankheit, die primär Haut und Schleimhäute, aber auch viszeralen Organe befällt, wird nur selten im Neugeborenenalter symptomatisch, mit fortschreitendem Alter jedoch deutlich zunehmend (ungefähr 35 % der Patienten zeigen pulmonale Manifestationen; Gossage u. Kanj 1998). Andere erworbene Formen sind auf Leberkrankheiten zurückzuführen. Eine aus kinderherzchirurgischer Sicht ebenfalls wichtige Form wird bei Patienten mit komplexen univentrikulären Herzen sowie nach Kawashima- aber auch nach den bidirektionalen Glenn-Operationen gesehen. Hier wird der Ausschluss des hepatovenösen Blutes aus der direkten Lungendurchblutung als Ursache der eher diffus auftretenden Fisteln betrachtet. Immer wieder sind diese neu aufgetretenen Fisteln nur auf einen Lappen beschränkt. Die angeborenen Fisteln treten in der Regel isoliert auf. In Abhängigkeit von ihrer Größe können sie eine mehr oder weniger ausgeprägte Zyanose und/oder Herzinsuffizienz auslösen. Morphologisch gesehen können diese anomalen Verbindungen in Abhängigkeit von der Anzahl der arteriellen Zufuhrgefäße (in der Regel pulmonalarterielle Kollateralen, aber auch von den Bronchialarterien stammend) als einfache oder komplexe Formen eingestuft werden. Bei den
einfachen Formen wird ein einziges arterielles Zufuhrgefäß identifiziert, wobei ganze Netzwerke von arteriellen und auch venösen Kollateralen die komplexe Form kennzeichnen. Typisch für die isolierten kongenitalen pulmonalen arteriovenösen Fisteln ist das Auftreten einer mehr oder weniger ausgeprägten Zyanose, wobei weder eine intrakardiale noch eine typische pulmonale Erkrankung nachweisbar ist. Die Veränderungen der Lungen auf dem Thoraxröntgenbild sind meist sehr diskret, und die Herzsilhouette zeigt ebenfalls keine Auffälligkeiten. Ein Kontrastechokardiogramm mit Erscheinen der periphervenös injizierten Luftbläschen im linken Vorhof ist pathognomonisch für die Krankheit. Der Befund sollte für die genaue Beschreibung der anatomischen Einzelheiten mittels Computer- oder Magnetresonanztomographie oder konventioneller Angiographie bestätigt werden. Kleinere Fisteln mit überschaubaren Zu- und Ablaufgefäßen können mit exzellenten Ergebnissen interventionell behandelt werden. Eine chirurgische Behandlung bleibt für komplexe Formen indiziert. Bei isolierten großkalibrigen Fisteln kann der Verschluss durch Ligatur nach sorgfältiger Freipräparierung der extrem dünnwandigen und brüchigen Fisteln erfolgen. Bevorzugt wird aber eine anatomische Lungenresektion (Lobektomie oder Segmentektomie) durchgeführt, welche die anomalen Verbindungen entfernt und die Zyanose behebt. Für den Extremfall beidseitiger diffuser Fisteln, die eine schwere Zyanose verursachen, bleibt die Lungentransplantation die einzige Therapiemöglichkeit (Svetliza et al. 2002).
19.5.2 Pulmonalarterio-linksatriale Fistel
Diese seltene Anomalie der Kurzschlussverbindung zwischen rechter A. pulmonalis und dem Dach des linken Vorhofs wurde bis jetzt in der Literatur in etwas mehr als 50 Fällen beschrieben, wobei die Mehrheit der Fälle jenseits des Neugeborenenalters als zyanotische und systemembolische Krankheit beschrieben ist. Die neonatale Form, die sich in Form einer schweren, konventionell unbehandelbaren Zyanose manifestiert, ist sicherlich aufgrund des meist akut postpartal letalen Ausgangs deutlich unterdiagnostizert geblieben. Dies könnte sich mit Zunahme der Pränataldiagnostik nun ändern. Obwohl eine systematische Einteilung in 4 anatomische Typen von de Souza e Silva et al. (1974) und Ohara et al. (1979; . Abb. 19.24) bereits in den 1970er Jahren veröffentlicht wurde, ist diese Anomalie bisher in keinem der wichtigen Lehrbücher der kinderkardiologischen oder herzchirurgischen Literatur erwähnt. Bei der neonatalen Form besteht neben dem obligatorischen Rechts-links-Shunt der Fistel zusätzlich durch den noch offenen Ductus arteriosus auch ein pränatal existie-
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Kapitel 19 · Anomalien der großen intrathorakalen Gefäße
. Abb. 19.24. Einteilung der pulmonalarteriell-linksatrialen Fisteln. Typ I: direkte Verbindung zwischen rechter Arteria pulmonalis und Hinterwand des linken Vorhofes. Typ II: Verbindung mit einer Lungen-
vene. Typ III: Verbindung mit dem linken Vorhof nicht zusammengewachsenen, gut individualisierten Lungenvenkonfluens. Typ IV: Aneurysmatische Fistelverbindung retrokardial
render Links-rechts-Shunt. So entsteht schon fetal eine erhebliche Rezirkulation zwischen Aorta und linkem Vorhof, die eine extreme Volumenbelastung für das linke Herz bedeutet. Gleichzeitig wird die Pulmonaldurchblutung minimiert. Bei der Pränataldiagnostik kann die Kardiomegalie mit extrem erweitertem linken Vorhof und Ventrikel eine detaillierte fetale Echokardiographie bedingen, welche die anomale Verbindung nachweisen kann. Postnatal kommt es bei noch hohem Lungenwiderstand zur kompletten funk-
tionellen Ausschaltung der Lunge mit rascher Asphyxie binnen der ersten Lebensminuten. ! Die erfolgreiche Behandlung der neonatalen Form setzt bei Vorhandensein einer pränatal gesicherten Diagnose eine logistische Vorbereitung mit der Möglichkeit eines sofortigen herzchirurgischen Eingriffs (Herzchirurgischer Saal in »stand-by«) nach der Entbindung (idealerweise im Operationstrakt der Herzchirurgie) voraus.
563 Literatur
Sollte der respiratorische Zustand des Kindes nach der Entbindung binnen weniger Minuten nach dem Einsetzen der Spontanatmung bzw. der Intubation und Beatmung nicht stabilisiert werden können, sollte man bei fetal-echokardiographisch gesicherter Diagnose ohne Verzögerung mit der Operation über eine mediane Sternotomie beginnen. Eine abgangsnahe Probeokklusion der rechten Pulmonalarterie kann zur Verbesserung des Gasaustausches führen und die intraoperative Inspektion der Anatomie ermöglichen. Theoretisch kann bei einer günstigen anatomischen Variante eine einfache Clip-Applikation die Verbindung erfolgreich verschließen, jedoch sollte bei komplexeren Formen, bei denen eine Beteiligung der Lungenvenen vorhanden ist, oder bei weiter drohendem Zeitverlust die extrakorporale Zirkulation begonnen werden. Den Duktus kann man probatorisch intraoperativ verschließen. Wird dieses Manöver hämodynamisch oder bezüglich der arteriellen Sauerstoffsättigung nicht toleriert, sollte der Duktus offen bleiben und sogar künstlich mittels Prostaglandin offen gehalten werden. In den kommenden Stunden/Tagen kann mit Sinken des pulmonalen Gefäßwiderstands und der Lungenreifung eine Verbesserung der Oxygenierung stattfinden. Die alternative Strategie eines primär interventionellen Verschlusses kann nur bei Neugeborenen empfohlen werden, bei denen frühpostpartal eine ausreichende Oxygenierung und Kohlendioxideliminierung erzielbar sind. Bei kontinuierlich sich verschlechternder Sauerstoffsättigung und metabolischer Azidose kann jedoch eine Operation innerhalb der ersten 30 min die metabolische Dekompensation effektiver beseitigen bzw. verhindern als eine deutlich zeitaufwendige perkutane Intervention. Bei älteren Patienten, bei denen naturgemäß die Kompromittierung durch den Defekt deutlich moderater ist, kann die Fistel abhängig von der Anatomie elektiv interventionell oder bei assoziierten Anomalien operativ behandelt werden.
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Kapitel 19 · Anomalien der großen intrathorakalen Gefäße
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Kapitel 19 · Anomalien der großen intrathorakalen Gefäße
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IV
Erworbene Erkrankungen des Herzens und der herznahen Gefäße 20 Koronare Herzerkrankung (KHK)
– 569
J. Cremer, J. Schöttler
21 Linksventrikuläre Rekonstruktion und konventionelle Herzinsuffizienzchirurgie – 589 F. Beyersdorf
22 Erworbene Vitien der Aortenklappe – 601 H.-H. Sievers, M Misfeld
23 Chirurgie der erworbenen AV-KlappenErkrankungen – 635 T. Wahlers, J.T. Strauch
24 Alternative Zugangswege und minimal-invasive Herzchirurgie – 665 F-W. Mohr, J. Garbade
25 Aneurysma und Dissektion der thorakalen und thorako-abdominalen Aorta – 691 M Karck, K Kallenbach
26 Chirurgie bei tachykarden Rhythmusstörungen und Herzschrittmachertherapie – 727 H. Gulbins, H. H. Scheld
27 Herztumoren und Erkrankungen des Perikards – 775 C. Schmid
28 Verletzungen des Herzens und des Mediastinums T. Carrel, F. Eckstein
– 787
29 Kombinationseingriffe in der Herzchirurgie – 793 G. Walterbusch
30 Pulmonale Thrombembolektomie und pulmonale Thrombendarteriektomie – 803 S. Iversen
31 Lungentransplantation – 817 W. Klepetko, C. Aigner
32 Herz- und Herz-Lungen-Transplantation – 831 B. Reichart, B. Meiser
33 Herzunterstützungssysteme und Kunstherzimplantation – 847 R. Körfer, L. Arusoglu
34 Postoperative Sternumkomplikationen – 873 C. Schmid
20
20 Koronare Herzkrankheit (KHK) J. Cremer, J. Schöttler
20.1
Einleitung
20.2
Geschichtlicher Rückblick – 569
20.3
Invasive Therapie
20.4 20.4.1
Operationskonzepte – 571 Konventionelle Koronarchirurgie (Standardkonzept) mit Bypassanlage von der linken A. mammaria interna zum Ramus interventricularis anterior verbunden mit Venenbypasses zu anderen Koronargefäßen – 572 Bypassoperationen am schlagenden Herzen – 581
20.4.2
20.1
– 569
– 570
Einleitung
Die koronare Herzkrankheit (KHK) ist die Manifestation der Atherosklerose an den Herzkranzgefäßen. Die damit einhergehenden Verengungen der Koronarien führen zu einem verminderten koronaren Blutfluss und dadurch zur Myokardischämie bis hin zum Infarkt. Neuere Untersuchungen konnten zeigen, dass für die Krankheitsentstehung neben den bekannten Risikofaktoren auch besonders genetische Faktoren ursächlich sind (Samani et al. 2007). Die demographische Entwicklung mit einem zunehmenden Anteil älterer Menschen in der Bevölkerung hat dazu geführt, dass die Inzidenz der KHK stetig steigt. Das Gros der herzchirurgischen Eingriffe bei Erwachsenen in Deutschland entfällt auf die operative Therapie der KHK. Die Koronarchirugie entwickelt sich kontinuierlich und wird zunehmend komplex. Außer technischen Neuerungen haben sich auch viele konzeptionelle Veränderungen ergeben. Neben Standards, wie z. B. LIMA-Bypass (LIMA: »left internal mammary artery«, linke A. mammaria interna) zum RIVA (Ramus interventricularis anterior) im Rahmen der operativen Therapie der koronaren Dreigefäßerkrankung, existieren unterschiedlichste zusätzliche Revaskularisationsmöglichkeiten. Das inhomogene Patientengut – zum einen sehr junge Patienten und zum anderen
20.4.3 20.4.4 20.4.5 20.4.6 20.4.7
Koronare Re-Operationen – 583 Koronare Endatherektomie – 584 Ostiumplastik – 584 Eingriffe bei Koronaraneurysmen – 584 Koronare Revaskularisation bei Atherosklerose der Aorta ascendens – 585
20.5
Stellenwert der Koronarchirurgie in der medizinischen Versorgungssituation und aktuelle Studien und Analysen – 585 Literatur
– 586
ältere Patienten mit schweren Begleiterkrankungen – erfordert mitunter neben Standards ein sehr differenziertes Vorgehen.
20.2
Geschichtlicher Rückblick
Die Geschichte der operativen Myokardrevaskularisation bei KHK beginnt etwa in der Mitte des vergangenen Jahrhunderts. Immer noch erwähnenswert ist die indirekte Revaskularisierung durch Implantation der LIMA in hypoxisches Myokard, die erstmals 1951 durch Vineberg (Vineberg u. Miller 1951) beschrieben wurde. Diese Methode war rückblickend zwar nicht sehr effektiv, einzelne konzeptionelle Aspekte der ursprünglichen Technik finden sich jedoch noch heute bei speziellen Operationsmethoden, wie MIDCAB-(»Minimally-invasive-direct-coronary-arterybypass«-) oder Laseroperationen, wieder. Die erste aortokoronare Bypassoperation unter Verwendung der V. saphena magna wurde 1964 durch Garrett (Garrett et al. 1973) durchgeführt, sodass er im Prinzip als Pionier der eigentlichen Koronarchirurgie angesehen werden kann. Favoloro (Favoloro 1968) führte schließlich im Jahre 1967 die Überbrückung von Stenosierungen durch
570
20
Kapitel 20 · Koronare Herzkrankheit (KHK)
Venentransplantate auch bei koronarer Mehrgefäßerkrankung ein. Ein weiterer Meilenstein gelang danach Kolessov (Kolessov 1967), der im Jahre 1967 als erster eine direkte Anastomose zwischen LIMA und einem Koronargefäß am schlagenden Herzen anlegte. Mit der Einführung der A. radialis in die koronare Bypasschirurgie löste Carpentier (Carpentier u. Guernonprez 1973) bereits 1971 eine Diskussion um den Stellenwert der arteriellen Revaskularisation aus. ! Mittlerweile gehören koronare Bypassoperationen in der westlichen Welt zu den häufigsten Herzoperationen überhaupt. In Deutschland ist die operative Myokardrevaskularisation im kardioplegischen Herzstillstand unter Einsatz der Herz-Lungen-Maschine dabei nach wie vor als Standard anzusehen.
Operationskonzepte ohne extrakorporale Zirkulation, die
zwischenzeitlich wieder aufgegriffen und technisch aktualisiert wurden, um die mit der Herz-Lungen-Maschine assoziierten Nebenwirkungen zu vermeiden und die Invasivität des Eingriffs weiter zu reduzieren, werden in Deutschland in insgesamt nur geringem Volumen an einer Reihe von Zentren durchgeführt. In diesem Zusammenhang wird an die erste OPCAB-(»Off-pump-coronary-artery-bypass«-)Operation im Jahre 1978 durch Benetti (Benetti et al. 1980) und die klinische Einführung der MIDCAB-Operation Mitte der 1990er Jahre durch Subramanian, Boonstra und Calafiore (Calafiore et al. 1996) erinnert.
20.3
Invasive Therapie
Die medizinische Behandlung der KHK basiert prinzipiell auf 3 unterschiedlichen Therapiestrategien, die sich u. a. in Invasivität und Leistungsfähigkeit wesentlich unterscheiden. Dabei handelt es sich nicht um klar getrennte Therapiealternativen, sondern vielfach auch um kombiniert und sukzessiv angewandte Behandlungskonzepte. Neben der rein medikamentösen Therapie steht die Anwendung der invasiven revaskularisierenden Verfahren, also der perkutanen koronaren Intervention (»percutaneous coronary intervention«, PCI) mit Dilatation und Stenting von Koronargefäßstenosen, oder die chirurgische Revaskularisation mit koronarer Bypassanlage (»aorto-coronary bypass«, ACB) im Vordergrund. Bei koronarer Mehrgefäßerkrankung mit proximalen Stenosen von >70 % und bei KHK mit linkskoronarer Hauptstammstenose von >50 % und klinischer Anginasymptomatik oder Nachweis einer Myokardischämie in Ruhe oder unter Belastung ist die operative Bypassanlage laut der aktuellen nationalen Versorgungsleitlinie indiziert (Programm für Nationale Versorgungsleitlinien 2008). Fehlt die klinische Symptomatik, kann der Ischämienachweis durch geeignete diagnostische Verfahren (Belastungs-
EKG, Stressechokardiographie, Myokardszintigraphie oder Magnetresonanztomographie) erbracht werden. Die Entscheidung »PCI oder ACB« richtet sich vorwiegend nach den zugrunde liegenden morphologischen Koronarbefunden, die im Rahmen der koronaren Bildgebung aktuell überwiegend durch konventionelle Koronarangiographien erhoben werden. Bei Anwendung anderer Bildgebungsverfahren – hier besitzt die kardiale Computertomographie (Jones et al. 2006) zunehmende Attraktivität – erreicht die Präzision der Bildgebung noch keine ausreichende Qualität, um für jeden Patienten eine genügend präzise Indikation treffen zu können. In Einzelfällen kann eine weitere Abschätzung des Stenosierungsgrades proximaler Stenosen mittels intravaskulärer Sonographie (Kuecherer 2002) sinnvoll sein. Entsprechend der anatomischen Versorgungsgebiete liegt der Differenzialindikationsstellung für die Anwendung invasiver Revaskularisationsverfahren die Einteilung in koronare Ein-, Zwei- und Dreigefäßerkrankungen unter spezieller Beachtung von Hauptstammstenose und proximaler Beteiligung des RIVA zugrunde. Abgesehen von der in verschiedenen Ländern unterschiedlich entwickelten Praxis der medizinischen Versorgung der KHK sind detaillierte nationale und internationale medizinische Leitlinien erarbeitet worden, die Behandlungsempfehlungen auf der Basis aktueller (relevanter), randomisierter, prospektiver, multizentrischer Studien und großer Registeranalysen unter Hinweis auf Evidenzlevel und Empfehlungsgrad geben. Demzufolge wird bei koronarer Mehrgefäßerkrankung mit proximalen Stenosen von >70 % oder signifikanter Hauptstammstenose der linken Koronararterie von >50 % primär die chirurgische Revaskularisation (Bypassoperation) empfohlen. Für die Revaskularisation bei koronarer Mehrgefäßerkrankung oder linkskoronarer Hauptstammstenose wird davon ausgegangen, dass sich durch die ACB-Operation seltener neuerliche pektanginöse Beschwerden entwickeln, weniger Myokardinfarkte auftreten, die Notwendigkeit nochmaliger invasiver Interventionen geringer ist sowie die mittel- und langfristige Überlebensrate höher ist (Booth et al. 2008). Für die koronare Ein- und Zweigefäßerkrankung mit proximaler RIVA-Stenose erfolgt aktuell keine Priorisierung von PCI oder ACB. ! Bei Diabetes mellitus (BARI Investigators 1997; Ben-Gal et al. 2006) und auch bei bereits deutlich eingeschränkter linksventrikulärer Funktion (linksventrikuläre Ejektionsfraktion von <30 %; Toda et al. 2002) liefert die chirurgische Revaskularisation günstigere Langzeitergebnisse als die PCI.
Auch die konservative Therapie (Amoroso et al. 2001; Hueb et al. 2004) besitzt in der klinischen Behandlung der KHK nach wie vor einen festen Stellenwert, setzt aber voraus, dass eine uneingeschränkte Compliance in der Durchführung verabredeter medikamentöser Therapiekonzepte besteht.
571 20.4 · Operationskonzepte
Im Vergleich zur PCI ist das operative Trauma bei allen chirurgischen Verfahren deutlich höher und der periprozedurale Krankenhausaufenthalt länger, ebenso die Rekonvaleszenzphase. Nach Indikationsstellung zur chirurgischen Revaskularisation bei KHK können entsprechende Operationskonzepte mit oder ohne Verwendung der Herz-Lungen-Maschine einer großen Zahl von Patienten angeboten werden. Bei der Planung von Eingriffen an der Herz-Lungen-Maschine ist in besonderem Maße ein vermehrtes Vorliegen atherosklerotischer Gefäßveränderungen außerhalb der Koronararterien zu berücksichtigen. Dabei ist speziell auf atherosklerotische Veränderungen der Aorta ascendens und der supraaortalen Gefäße (Subklavia-, Karotisstenose) sowie auf das Vorliegen einer peripheren arteriellen Verschlusskrankheit zu achten. Detailaspekte dazu werden bei den verschiedenen Operationskonzepten und -techniken genannt. Darüber hinaus ist davon auszugehen, dass Koronarpatienten – speziell bei Vorliegen eines akuten Koronarsyndroms oder bei bereits implantierten »Drug-eluting«Stents – unter einer gerinnungshemmenden Therapie stehen, die über die tägliche Basismedikation vom 100 mg Acetylsalicylsäure hinausgeht. Abgesehen von einer gelegentlichen Marcumarisierung finden sich Konstellationen mit antithrombozytärer Doppelmedikation (Kunadian et al. 2006), vorangegangener Fibrinolyse und Heparinisierung, sodass perioperativ erweiterte Maßnahmen zur Vermeidung von Blutungskomplikationen notwendig werden können. Auch für Koronarpatienten gibt es aktuell keine kategorischen Kontraindikationen zu chirurgischen Konzepten bei KHK. Andauernder Nikotinkonsum, fortgeschrittene Adipositas oder auch ein Lebensalter von >80 Jahre können heutzutage nicht mehr als »absolute« Kontraindikationen aufrechterhalten werden, da viele Patienten mit Operationsindikation gerade bei fortgeschrittener KHK ohne Operation ein nennenswertes Akutrisiko haben.
20.4
Operationskonzepte
Das in weit überwiegendem Maße bei KHK angewandte Operationskonzept ist die Anlage koronarer Bypasses mit Anastomosenanlage distal der Stenose, möglichst in einem atherosklerosefreien Gefäßabschnitt. Die Bypassanastomose sollte dabei einen nichtrestriktiven bidirektionalen Blutfluss in betroffene Koronargefäße erlauben. Durch die Anlage einer ausreichenden Zahl von Bypssses kann bei Mehrgefäß-KHK in der Regel eine komplette Revaskularisation (Ong u. Serruys 2006) erreicht werden, die u. a. für die mittel- und langfristigen, günstigen Resultate der chirurgischen Revaskularisation verantwortlich ist. Die komplette Revaskularisation reduziert zudem die Rate akuter perioperativer Myokardinfarkte. Von zahlenmäßig unter-
. Abb. 20.1. Standardkonzept Koronarchirurgie: LIMA auf RIVA in Kombination mit Venenbypasses. LIMA linke A. mammaria interna; RIVA Ramus interventricularis anterior
geordneter Bedeutung sind folgende weitere Operationskonzepte bei KHK: 4 Hauptstammplastik (Malyshev et al. 2004), 4 koronare Endarteriektomie (Marinelli et al. 2002), 4 Koronarplastiken (Barra et al. 2000), 4 epikoronare Myektomien (Katznelson et al. 1996), 4 transmyokardiale Laserrevaskularisation (Allen et al. 2000), 4 Angio- bzw. Arteriogenese (Heilmann et al. 2003). Das Standardkonzept (das am häufigsten angewandte) in der Chirurgie der KHK ist die Anlage eines LIMA-Bypass zum RIVA in Kombination mit Venenbypasses auf andere stenosierte Koronargefäße (. Abb. 20.1). Schon in den 1980er Jahren konnte in verschiedenen Untersuchungen gezeigt werden, dass der LIMA-Bypass zum RIVA nach 10 Jahren einen Überlebensvorteil gegenüber einer »rein venösen« Revaskularisation gewährleistet (Loop et al. 1986). Der prozentuale Anteil eines LIMA-Bypass zur Vorderwand gilt mittlerweile als Qualitätsindikator in der koronaren Bypasschirurgie. Mit dem Ziel, die Langzeitperspektive der chirurgischen Myokardrevaskularisation noch weiter zu verbessern, werden in der Koronarchirurgie in zunehmendem Umfang Arterienbypasses eingesetzt. Eine andere wesentliche Neuentwicklung der vergangenen 10 Jahre ist die Durchfüh-
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572
20
Kapitel 20 · Koronare Herzkrankheit (KHK)
rung von Bypassoperationen am schlagenden Herzen, um nachteilige Nebenwirkungen der extrakorporalen Zirkulation zu eliminieren. Dabei wird grundsätzlich die koronare Mehrgefäßrevaskularisation mittels OPCAB (Ngaage 2003) vom MIDCAB (Diegeler 1999) mit alleiniger LIMA-Revaskularisation an den RIVA unterschieden.
20.4.1
Konventionelle Koronarchirurgie (Standardkonzept) mit Bypassanlage von der linken A. mammaria interna zum Ramus interventricularis anterior verbunden mit Venenbypasses zu anderen Koronargefäßen
Die Operation wird überwiegend unter moderater hypothermer Herz-Lungen-Maschinen-Zirkulation (30–33°C) am partiellen Bypass unter Verwendung einer venösen Zweistufenkanüle und einer arteriellen Kanüle in der distalen Aorta ascendens bzw. im proximalen Aortenbogen durchgeführt. In den meisten Zentren kommt dabei ein kardioplegischer Herzstillstand (Lapenna et al. 1994) zur Anwendung, wobei auch eine Reihe von Zentren mit intermittierender Klemmung der Aorta ascendens (Boethig et al. 2004) arbeiten. Bei der Anwendung kardioplegischer Protektionsverfahren sollte – gerade bei koronarer Mehrgefäßerkrankung mit verschlossenen Koronargefäßen – der Einsatz der retrograden Applikation der Kardioplegielösung über den Koronarsinuskatheter (Franke et al. 2001) überlegt werden, um eine homogene Myokardprotektion zu erreichen (. Abb. 20.2). Auch die Gabe der Kardioplegielösung über distal bereits anastomosierte Venengrafts ist zu erwägen. Bei schwer eingeschränkter linksventrikulärer Funktion oder akuter Myokardischämie zeigt der Einsatz
. Abb. 20.2. Retrograder Kardioplegiekatheter
von kalter bzw. auch warmer Blutkardioplegielösung tierexperimentell und klinisch positive Effekte. Das zusätzliche linksventrikuläre Venting, das auch zum Absaugen eines koronaren Kollateralflusses in der aortalen Klemmphase eingesetzt wird, lässt sich mit einer Aszendenskombinationskanüle für die Applikation der Kardioplegielösung und das Venting erreichen. Ein präoperativer Einsatz der intraaortalen Ballonpumpe kann in Einzelfällen bei akutem Koronarsyndrom oder in Situationen mit schwer eingeschränkter linksventrikulärer Funktion sinnvoll sein.
Präparation der Bypassgefäße (V. saphena magna, linke A. mammaria interna) Venenentnahme 20.4.1.1
Neben der Verwendung arterieller Graftgefäße zur operativen Myokardrevaskularisation ist der aortokoronare Venenbypass immer noch ein Grundelement der Standardversorgung. Auch Venenbypasses haben differenziert betrachtet gute Langzeiteigenschaften; sie sind in hohem Maße verfügbar, und ihre Präparation ist verhältnismäßig leicht. Zahlenmäßig mit Abstand am häufigsten kommt die V. saphena magna als Venenbypass zum Einsatz. In Einzelfällen kann auch die V. saphena parva zu diesem Zweck entnommen werden. ! Grundvoraussetzung zur Entnahme einer oberflächlichen Beinvene ist die vorhandene Durchgängigkeit der tiefen Beinvenen. Nach Anamnese und klinischer Untersuchung sind in der Regel zur Feststellung der Suffizienz der tiefen Beinvenen keine apparativen Untersuchungen wie Duplexsonographie oder gar Phlebographie notwendig.
Bei Vorliegen einer schweren peripheren arteriellen Verschlusskrankheit sollte tendenziell eher Abstand von der Entnahme einer oberflächlichen Beinvene genommen werden. Zum einen besteht bei gestörter Durchblutung ein höheres Risiko für Wundheilungsstörungen, zum anderen kann die unversehrte V. saphena magna bei später evtl. notwendigen gefäßchirurgischen Eingriffen Verwendung finden. Die Venenentnahme kann prinzipiell durch 3 unterschiedliche Präparationstechniken erfolgen: 4 offene Technik mit einem durchgehenden Haut- und Subkutanschnitt über die gesamte Entnahmelänge (. Abb. 20.3); 4 »Brückentechnik«, bei der die Schnitte selbst nur wenige Zentimeter lang sind und deren Abstände zueinander in geübter Hand >15 cm betragen können (. Abb. 20.4), 4 endoskopische Technik, bei der in Abhängigkeit vom gewählten Präparations-Equipment für die Entnahme der gesamten V. saphena magna u. U. nur ein einziger Schnitt mit einer Länge von etwas mehr als 1 cm erforderlich ist (. Abb. 20.5).
573 20.4 · Operationskonzepte
. Abb. 20.3. Offene Venenentnahme
. Abb. 20.4. Brückentechnik
. Abb. 20.5. Endoskopische Venenentnahme
Die endoskopische Technik (Kiaii et al. 2002) ist attraktiv, besonders in Hinblick auf das kosmetische Ergebnis und eine beschwerdearme Frühmobilisation. Dennoch konnte sich diese Methode bislang nicht in großen Zahlen durchsetzen, da dabei aufwendigeres Instrumentarium und ein höherer Materialeinsatz erforderlich sind. Außerdem ist diese Präparationsvariante technisch anspruchsvoll. Die früher gebräuchliche offene Entnahmetechnik ist demgegenüber einfach erlernbar, hat aber kein so gutes kosmetisches Ergebnis und ist häufiger mit Wundheilungsstörungen assoziiert (Athanasiou et al. 2004). Der Kompromiss zwischen beiden Techniken ist die »Brücken«- oder »Tunneltechnik« (Tran et al. 1998). Diese Methode ist relativ schnell erlernbar, man benötigt keine speziellen Hilfsmittel,
und postoperative Wundheilungsstörungen werden nur in Ausnahmefällen beobachtet. Möchte man die V. saphena magna in offener Entnahmetechnik entnehmen, hat es sich bewährt, mit der Präparation am distalen Unterschenkel zu beginnen, da die Vene hier am leichtesten aufzufinden ist. Nach einem etwa 10 cm langen longitudinalen Hautschnitt, welcher wenige Zentimeter oberhalb des Innenknöchels über der dort in der Regel sichtbaren oder zu tastenden V. saphena magna anzulegen ist, wird mit einer gebogenen Schere das Subkutangewebe durchtrennt und die V. saphena magna mit dem N. saphenus dargestellt. Die Vene wird unter Schonung des Nervs aus dem umgebenden Gewebe freipräpariert. Um einer Thrombenbildung in der Vene während der weiteren Präparation vorzubeugen, sollte man die Vene nun knöchelnah dauerhaft unterbinden und dann oberhalb der Unterbindung durchtrennen sowie mit einer Knopfkanüle fest kanülieren, um sie anschließend z. B. mit verdünnter Heparinlösung durchzuspülen. Die Spülung darf nur mit geringem Druck erfolgen, um eine nachhaltige Schädigung der Venenwand zu vermeiden (Shuhaiber et al. 2002). Damit ein Zurückfließen des Blutes vermieden wird, sollte man die Spritze an der Kanüle belassen und die Spülung in kurzen Intervallen (z. B. alle 5 min) wiederholen. Bei geeigneter Venenqualität verlängert man den Hautschnitt entlang des Venenverlaufs nach proximal über die erforderliche Länge und präpariert die Vene in gleicher Weise frei. Die Seitenäste der V. saphena magna können mit nicht-
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574
20
Kapitel 20 · Koronare Herzkrankheit (KHK)
resorbierbaren Fäden ligiert oder mit Hämoclips unterbunden werden, bevor man sie mit ausreichendem Abstand zum Graftgefäß durchtrennt. Der proximale Venenstumpf sollte mit Hilfe einer Durchstechungsligatur versorgt werden. Auch bei der Brückentechnik empfiehlt es sich, mit der Präparation am distalen Unterschenkel zu beginnen. Nach einem etwa 3 cm langen Hautschnitt entlang des Venenverlaufs, wenige Zentimeter oberhalb des Innenknöchels beginnend, wird mit einer gebogenen Schere das Subkutangewebe durchtrennt und die V. saphena magna mit dem N. saphenus dargestellt. In Analogie zur offenen Entnahmetechnik wird anschließend das knöchelnahe Venenende kanüliert, um die Vene intermittierend spülen zu können. Der nächste Hautschnitt erfolgt nun mit gut 10 cm Abstand zum vorherigen, wieder longitudinal direkt entlang des Venenverlaufs. Auch über diesen Schnitt werden die Vene und ihr Begleitnerv aufgesucht, und die Vene wird unter Schonung des Letzteren vom umgebenden Gewebe gelöst. Um die Vene unterhalb der Hautbrücke zwischen den Hautschnitten loszulösen, wird die Hautbrücke am besten mit einem geeigneten chirurgischen Haken leicht angehoben. Da die Seitenäste zwischen den Hautschnitten nur sehr mühselig durch Ligaturen zu unterbinden sind, sollte man Hämoclips verwenden, welche die Seitenäste sicher und dauerhaft verschließen. Um die gewünschte Graftlänge zu entnehmen, setzt man das Prozedere gleichermaßen nach proximal fort. Geübte Operateure können auf diese Weise über 5 kleine Schnitte die gesamte Vene entnehmen. Der proximale Venenstumpf sollte ebenfalls mit Hilfe einer Durchstechungsligatur versorgt werden. Zur endoskopischen Venenentnahme stehen unterschiedliche Präparationssysteme zur Verfügung. Bei dieser Technik wird die V. saphena magna über einen knapp 2 cm langen Haut- und Subkutanschnitt am distalen Oberschenkel aufgesucht und zirkulär freipräpariert. Anschließend wird eine Schleuse eingebracht und geblockt. Über die Schleuse wird sodann unter fiberoptischer Sicht mit einem speziellen Stab das die V. saphena magna bedeckende Gewebe abgehoben. Um die Sicht zu erleichtern und den Arbeitskanal entlang des Venenverlaufs aufzuhalten, leitet man mit einem geringen Überdruck CO2-Gas in den Arbeitskanal. Die Seitenäste der V. saphena magna werden anschließend mit einer bipolaren Schere durchtrennt, um die Vene im gesamten Präparationsbereich zirkulär lösen zu können. Durch Richtungswechsel der Schleuse kann die Venenpräparation vom Schnitt aus nach proximal und nach distal erfolgen, sodass man bei Bedarf die gesamte V. saphena magna als Graftgefäß gewinnen kann. Beim Absetzen der Vene hat es sich bewährt, die beiden verbleibenden Venenstümpfe über kleinste Stichinzisionen mit sicheren Ligaturen zu versorgen. Nach der Entnahme sollte die Vene sofort kanüliert und gespült werden. Die Seitenäste müssen danach durch Ligaturen mit nichtresorbierbaren Fäden oder mit Hämoclips gesichert werden.
Unabhängig von der Entnahmetechnik wird nach der Subkutan- und der Hautnaht im Bereich der Schnitte ein steriler Wundverband angelegt und das gesamte Bein von distal nach proximal sogleich mit einer elastischen Binde gewickelt. Dieser Verband verhindert wirkungsvoll die Entstehung eines Wundhämatoms. ! Es ist dafür Sorge zu tragen, dass der elastische Kompressionsverband unmittelbar nach der Ankunft des Patienten auf der Intensivstation entfernt wird, um ein iatrogenes Kompartmentsyndrom zu vermeiden.
Der Beginn der Venenpräparation kann bei der offenen Entnahmetechnik und der Brückentechnik natürlich auch vom proximalen Oberschenkel aus nach distal erfolgen. Die Vene kann jedoch von proximal aus nicht gespült werden, was nachteilig ist. Nebenbei verhindert die anfängliche knöchelnahe Kanülierung ein späteres Vertauschen der Venenenden. Eine falschseitige Venenkanülierung mit konsekutiv richtungsfalscher Bypassanlage mit Funktionslosigkeit wird hierdurch von vornherein sicher verhindert. Zudem erlaubt die intermittierende Spülung die frühzeitige Testung der Wandqualität und der Kaliberstärke. Sollte sich dabei zeigen, dass die Venenbeschaffenheit für die Verwendung als Graftgefäß ungeeignet ist, kann man die Präparation rechtzeitig am anderen Bein fortsetzen. Bei der endoskopischen Venenentnahme lässt sich die Qualität demgegenüber letztlich erst nach der vollständigen Präparation beurteilen.
Präparation der linken A. mammaria interna (LIMA) Nach medianer Sternotomie beginnt man mit der Präparation der LIMA unter Verwendung eines speziellen Thoraxsperrers, der die Sternumhälften spreizt, aber insbesondere die linke Sternumhälfte vertikal anhebt. Danach trennt man zunächst aufliegendes mediastinales Fettgewebe von der endothorakalen Faszie. Die meisten Herzchirurgen bevorzugen eine atraumatische Präparationstechnik der LIMA als Pedikel im Gewebeverbund mit den begleitenden Mammariavenen, dem perivaskulären Gewebe und der aufliegenden Faszie (Jones 1991). Dazu führt man eine Längsinzision der endothorakalen Faszie etwa 1–1,5 cm medial der LIMA an einer günstig erreichbaren Stelle durch, wo die Faszie den Rippenansätzen nicht aufliegt (Interkostalräume). Von hier aus inzidiert man die Faszie über den gesamten LIMA-Verlauf von proximal aus bis zur Bifurkation. Die Präparation kann man überwiegend mit dem Elektrokauter (feine, flache Spitze) unter sparsamer Elektrokoagulation ausführen. Die Seitenäste kann man in geeignetem Abstand zur LIMA (etwa 5 mm) mit dem Elektrokauter unterbinden oder auch mit kleinen Titanclips ligieren. Schrittweise wird dann die Faszie 1–1,5 cm lateral der LIMA durchtrennt, nachdem die Gefäßstrukturen von der Thoraxwand abpräpariert worden sind. Auf diese Weise wird eine komplette Mobilisation des Pedikels von der Thoraxwand erreicht (. Abb. 20.6). Bei der proximalen Präparation ist besonders
575 20.4 · Operationskonzepte
. Abb. 20.7. Angeschnittene linke A. mammaria interna
. Abb. 20.6. Präparation der linken A. mammaria interna
darauf zu achten, dass eine Verletzung der A. oder V. subclavia und des N. phrenicus vermieden wird. Die Anwendung gefäßdilatierender Maßnahmen (Hartmann et al. 1998) ist für die Anastomosierung des Gefäßes und das perioperative Funktionsverhalten günstig. Dabei bietet sich insbesondere die perivaskuläre Anwendung dilatierender Lösungen (verdünnte Lösungen von Papaverin oder Nitropräparaten) an, die entweder auf das Pedikel gesprüht oder mit feuchten Kompressen aufgebracht werden. Bei der Anwendung endovaskulärer Dilatationskonzepte ist besondere Vorsicht angebracht, da bei unachtsamer Handhabung mit Endothelverletzungen zu rechnen ist. So sind eine generelle Injektion dilatierender Substanzen sowie die Sondierung mit Metallsonden oder dünnen Dilatationskathetern nicht zu empfehlen. Bei der Präparation ist auf eine atraumatische Technik mit dosiertem Einsatz des Elektrokauters zu achten, um einen Thermoschaden mit dem Risiko von Spasmen und Strikturen der LIMA zu verhindern und eine Karbonisation bzw. extensive Devitalisierung der präparierten Thoraxwand zu vermeiden. Vor dem distalen Absetzen der LIMA sollte eine systemische Heparinisierung erfolgt sein. Zur Anastomosenvorbereitung wird die LIMA unter Verwerfen des distalen Endes quer oder halbschräg durchtrennt und V-förmig über eine Länge von etwa 4–8 mm (abhängig von der Größe der LIMA und dem Durchmesser des Zielgefäßes) längs inzidiert (. Abb. 20.7). Zu der beschriebenen Präparationstechnik gibt es eine Reihe von Varianten. Dabei kann beispielsweise auf eine Eröffnung der Pleura verzichtet werden (Bonacchi et al. 2001). Die eigentliche Präparation kann auch instrumentell mit Schere, Pinzette und Clipligatur der Seitenäste erfolgen. Alternativ stehen spezielle »Präparationssonden«-Instrumente für die Ultraschallpräparation (Ultracision), bei der kein Thermoschaden entsteht, zur Verfügung (Yoshikai et al. 2004). Eine insgesamt andere Vorgehensweise ist in
. Abb. 20.8. Skelettierte linke A. mammaria interna
der skelettierenden Präparation zu sehen, bei der die LIMA als Einzelgefäß isoliert ohne Venen und perivaskuläres Gewebe präpariert wird (Canadas et al. 2005; . Abb. 20.8). Dazu eröffnet man die endothorakale Faszie längs direkt über der LIMA, umfährt das Gefäß vorsichtig – ggf. verbunden mit einer Anzügelung – und präpariert über die gesamte Länge mit Clipligatur der Seitenäste. Der Hauptvorteil dieser Technik liegt darin, dass deutlich mehr Graftlänge zur Verfügung steht, allerdings verbunden mit einer möglicherweise höheren Traumatisierung durch direkte Instrumentierung, da bei diesem Konzept eine »no touch technique« im engeren Sinne nicht möglich ist. Präparationsschwierigkeiten sind bei Rippenexostosen, bei Thoraxdeformitäten, nach Thoraxtrauma, bei rheumatischen Systemerkrankungen und nach thorakaler Radiatio zu erwarten. ! Bei Vorliegen einer hämodynamisch relevanten Stenose der proximalen A. subclavia ist die Verwendung eines LIMA-Grafts zur koronaren Revaskularisation kontraindiziert.
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Kapitel 20 · Koronare Herzkrankheit (KHK)
20.4.1.2
Alternative arterielle Grafts
Über die LIMA hinaus kann als weiteres arterielles Conduit die rechte A. mammaria interna (»right internal mammary artery«, RIMA) verwendet werden (Lytle et al. 2004). Die Präparation des Gefäßes stimmt mit den Techniken, die für den LIMA-Graft beschrieben wurden, überein. Ergänzend wird darauf hingewiesen, dass die RIMA ein eher etwas größeres Kaliber und tendenziell mehr Gefäßlänge bis zur Bifurkation aufweist. Zusätzliche Gefäßlänge, die für einen flexiblen Einsatz des RIMA-Pedikels essenziell ist, kann durch eine komplette proximale Trennung des Pedikels vom Mediastinum erreicht werden. Dazu ist ein Durchtrennen der proximalen Mammariavene unter Clipligatur notwendig, verbunden mit der Durchtrennung der Pleura parietalis bis zum N. phrenicus (. Abb. 20.9). Bei bilateraler Präparation der A. mammaria interna ist zusätzlich zu bedenken, dass dadurch die peristernale Gewebedurchblutung prinzipiell vermindert wird. Dieser Effekt, der klinisch mit einem höheren Risiko für prästernale Wundinfekte, Sternumdehiszenzen, Sternumosteomyelitiden und Mediastinitiden verbunden ist (De Paulis et al. 2005), kann kompensatorisch durch eine gewebeschonende Präparationstechnik aufgefangen werden. Dabei ist der punktuelle Einsatz des Elektrokauters von erheblicher Bedeutung, ebenso eine atraumatische Behandlung des Sternums (Thoraxsperrer) und der prästernalen Weichteile. Auch sollte Knochenwachs bei bilateraler Präparation eher vermieden werden. Die Verwendung der Radialarterie als Conduit in der koronaren Bypasschirurgie war nach initialer Einführung durch Carpentier in den 1970er Jahren wieder verlassen worden, und zwar aufgrund perioperativer Funktionsstörungen durch Spasmen und einer tendenziell hohen Frühverschlussrate. In Zusammenhang mit individuellen
. Abb. 20.9. Proximale Präparation der rechten A. mammaria interna
Nachbeobachtungen bei funktionierenden sklerosefreien Radialarterienbypasses ist es nach fast 20 Jahren erneut zu einem breiten Interesse an der A. radialis für die Bypasschirurgie gekommen (Acar et al. 1992). Vor einer Entnahme der Radialarterie muss die kollaterale arterielle Unterarmund Handperfusion, die an einen komplett ausgebildeten Arcus palmaris superficialis gebunden ist, mittels AllenTest (Agrifoglio et al. 2005) geprüft werden. Bei zweifelhaftem oder positivem Testergebnis kann eine Duplexsonographie (Rodriguez et al. 2001) oder eine Bildgebung mit Magnetresonanzangiographie weiterführen. Die offene Präparation der Radialarterie (vorzugsweise an der nichtdominanten Hand) beginnt mit einer Hautinzision entlang des medialen Randes des M. brachioradialis zwischen Ellenbogen und Handgelenk. Nach Durchtrennung von Subkutangewebe und Inzision der Unterarmfaszie wird der Muskelbauch des M. brachioradialis nach lateral gedrängt, sodass der gesamte Verlauf der Radialarterie einsehbar ist. Ausgehend vom Handgelenk entwickelt man das Graft zusammen mit den Begleitvenen nach proximal, wobei die Seitenäste mit kleinen Titanclips oder mittels vorsichtigem Elektrokautereinsatz durchtrennt werden (. Abb. 20.10). Alternativ kann auch die Ultraschallpräparationstechnik (Ultracision; Posacioglu et al. 1998) zum Einsatz kommen. In jedem Fall ist auf eine mechanisch und thermisch atraumatische Präparation zur Vermeidung intraoperativer Gefäßspasmen zu achten. Während die motorischen Nerven des Unterarms in einiger Distanz verlaufen, kann eine Verletzung des Ramus superficialis nervi radialis zu entsprechenden Sensibilitätsstörungen führen. Zum Karpaltunnel hin ist die Präparation – nicht zuletzt wegen einer größeren Anzahl kleiner Seitenäste – schwieriger. Zu Dilatationstechniken gilt das Gleiche wie für IMA-Grafts (IMA: »internal mammary artery«, A. mammaria interna). Nach Entnahme unter systemischer Heparinisierung ist eine Aufbewahrung in heparinisiertem Blut mit Dilatanzienzusatz sinnvoll. Um ein gewisses »Längenplus« zu erzielen, kann die perivaskuläre Faszie entfernt werden. In Zusammenhang mit dem Funktionsverhalten der Radialarterie mit einer Tendenz zur Ausbildung von Gefäßspasmen hat sich gezeigt, dass eine optimale Funktion und eine optimale Langzeitoffenheit bei Anschluss an ausreichend große (≥2 mm), proximal hochgradig stenosierte Koronararterien erwartet werden können (Maniar et al. 2002). Bei geringem »run off« oder hohem Konkurrenzfluss sind Spasmen, Frühverschlüse und »string sign phenomena« (strangartige Engstellung mit Funktionslosigkeit) möglich. Die Anastomosentechniken unterscheiden sich nicht von IMA-Anastomosenkonzepten, wobei die Arterienwand der Radialarterie etwas dicker und deutlich steifer ist. So sind insbesondere auch Sequenzialanastomosen, T- und Y-Grafts sowie aortale Anastomosen (4-mm-Stanzloch, monofile Naht der Stärke 7/0; . Abb. 20.11) möglich. Bei atraumatischer Operationstechnik ist perioperativ keine i. v. Infusion gefäßdilatierender Substanzen notwendig.
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. Abb. 20.10. Offene Radialispräparation
Alternativ kann die Radialarterie auch endoskopisch (Connolly et al. 2002) oder als skelettierter Graft (Rukosujew et al. 2004) präpariert werden. Hinsichtlich weiterer arterieller Conduits bestand zeitweise ein großes Interesse an der A. gastroepiploica dextra (Suma et al. 2007) und der A. epigastrica inferior (Buche et al. 1995; Puig et al. 1990). Die A. gastroepiploica dextra wird durch eine Verlängerung der Sternotomieinzision mit Eröffnung des Peritoneums an der großen Kurvatur des Magens erreicht. Durch Präparation eines Pedikels mit den üblichen Präparationstechniken wird das Gefäß transdiaphragmal entweder ante- oder retrohepatisch zum Herzen geführt. Koronaranschlüsse sind dabei an das Gebiet der rechten Koronararterie, Äste des Ramus circumflexus oder den distalen RIVA möglich. Insgesamt ist die A. gastroepiploica dextra deutlich schwieriger zu handhaben, und die Herzoperation wird dadurch auf einen Zweihöhleneingriff erweitert. Die A. epigastrica inferior wird als präperitoneal verlaufender Ast der A. iliaca externa transrektal oder pararektal präpariert. Die verwendbare Gefäßlänge ist eher kurz und der distale Gefäßdurchmesser gering. Aufgrund universeller Einsatzmöglichkeiten und einfacher Präparation der Radialarterie sind die A. gastroepiploica dextra und die A. epigastrica inferior in der Koronarchirurgie nur noch Reserve-Conduits. Durch die Verfügbarkeit beidseitiger IMA- und Radialarteriengrafts werden Armvenen, V. saphena parva und künstliche kleinlumige Gefäßprothesen (Laube et al. 2000) – v. a. wegen schlechter Langzeiteigenschaften – in der Koronarchirurgie praktisch nicht mehr verwendet. 20.4.1.3
. Abb. 20.11. Aortale Radialisanastomose
! Im Vergleich zu IMA-Grafts muss erwähnt werden, dass die Radialarterie mit einer breiteren Lamina muscularis und weniger Laminae elasticae internae ein ausgeprägteres Kontraktionsverhalten besitzt und (deutlich) eher zu atherosklerotischen Veränderungen neigt. Dies mag Anlass geben, die Radialarterie bei Diabetikern und Patienten mit generalisierter Atherosklerose nur zurückhaltend einzusetzen. Eine Entnahme der Radialarterie verbietet sich zudem bei Nachweis einer inadäquaten kollateralen Zirkulation durch die A. ulnaris und bei Niereninsuffizienz mit (absehbarer) Dialysenotwendigkeit, da hier die Verwendung als arteriovenöser Shunt für Dialysezwecke vorrangig ist.
Anastomosentechniken und Bypasskonstruktionen
Die Anastomosierung von Koronargefäßen erfolgt unter Verwendung entsprechender Mikroinstrumente und optischer Vergrößerung durch eine Lupenbrille oder gelegentlich auch eines Operationsmikroskops. Die individuelle chirurgische Technik kann dabei deutlich variieren. Vielfach wird zunächst die Gefäßoberfläche des Zielgefäßes von epikardialem Gewebe befreit, sodass eine übersichtliche Gefäßexposition besteht. Dabei sollte der präparierte Gefäßabschnitt möglichst frei von atherosklerotischen Veränderungen sein, zumindest im Vorderwandbereich des Gefäßes. Der kardioplegische Herzstillstand in Verbindung mit einem aortalen Vent erleichtert die distale Anastomose, die jedoch auch am flimmernden oder schlagenden Herzen ausgeführt werden kann. Zur Inzision des Koronargefäßes eignen sich insbesondere Mikroskalpelle, die zur Gefäßhinterwand stumpf und abgerundet sind. Die Inzisionslänge beträgt in der Regel 5–10 mm und richtet sich nach dem Durchmesser des Koronargefäßes. Korrespondierend dazu setzt man die Bypassvene schräg ab und nimmt ggf. auch noch eine zusätzliche Längsinzision in der Ferse des Gefäßes vor. Eine A. mammaria interna, die einen deutlich geringeren Gefäßdurchmesser besitzt, kann auch quer
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. Abb. 20.12. Distale Venenanastomose
. Abb. 20.13. Seit-zu-Seit Anastomose (parallel)
abgesetzt werden, bevor eine Längsinzision erfolgt. Die venöse Anastomosennaht führt man mit einer 7/0-Polypropylenenaht (monofil) in fortlaufender Nahttechnik durch (. Abb. 20.12). Dabei ist es günstig, zunächst in Distanz die Fersennähte zu platzieren und die restliche Anastomose auf sich zu zu nähen. Überwiegend wird Wert darauf gelegt, das Koronargefäß von innen nach außen zu durchstechen, sodass bei vielen Anastomosen ein Fadenende umgestochen wird. Die Fadenenden sollten im seitlichen Anastomosenbereich geknotet werden. Für arterielle distale Anastomosen wird zur Verwendung einer 8/0Polypropylenenaht (monofil) geraten, jedoch kommen auch 7/0-Nähte erfolgreich zum Einsatz. Das Fadenmaterial sollte bei optimaler Handhabung keinen Memory-Effekt zeigen. Bei Seit-zu-Seit-Anastomosen wird das Koronargefäß längs inzidiert, während man venöse Bypassgefäße längs oder quer inzidieren kann. Dabei orientiert sich die Inzisionslänge an der Anastomosengeometrie und dem Durch-
messer von Bypass- und Zielgefäß. Bei parallelen Anastomosen, z. B. zu Diagonalästen, ist die Inzisionslänge eher unkritisch (. Abb. 20.13), während bei quer angelegten Seit-zu-Seit-Anastomosen ein »diamond shape« entsteht (. Abb. 20.14), der bei zu langer Inzision zu einer Abflachung der Anastomose führt. Bei venösen Seit-zu-SeitAnastomosen kann die Veneninzision mit atraumatischen feinen Nervenhäkchen aufgespannt werden, was sich für arterielle Anastomosen nicht empfiehlt. Seit-zu-Seit-Anastomosen kann man auch schräg aufsetzen, während bei arteriellen Seit-zu-Seit-Anastomosen parallele Konstruktionen zu besseren Offenheitsraten führen. Der Bypassverlauf muss insgesamt und insbesondere auf den Teilstrecken eines Sequenzialbypass spannungsfrei sein (. Abb. 20.15). Durch die sequenzielle Anastomosentechnik arterieller (Dion et al. 2000) und venöser (Christenson u. Schmuziger 1997) Grafts kann eine komplette Revaskularisation mit guten Ergebnissen und unter Einsparung von Bypassmaterial erfolgen.
. Abb. 20.14. Seit-zu-Seit Anastomose (»diamond shape«)
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. Abb. 20.15. Spannungsfreier Sequenzialbypass
! Ungünstige Ergebnisse sind bei sklerotischer Verdickung der Venenwand und bei großkalibrigen Venen (>5–6 mm) zu erwarten, insbesondere wenn sie an kleine Koronargefäße angeschlossen werden.
Proximale Bypassanastomosen an die Aorta ascendens
können in Seitausklemmung während der Reperfusion angelegt werden (. Abb. 20.16). Bei atherosklerotisch veränderter Aorta empfiehlt es sich jedoch, die Manipulation an der Aorta ascendens auf ein Minimum zu beschränken und evtl. trotz einer Verlängerung der Ischämiezeit in Querklemmung zu arbeiten. Überwiegend werden für Venenbypasses 5 mm große runde Öffnungen in die Aorta gestanzt, während für Arterienbypasses 4-mm-Stanzlöcher besser geeignet sind. Auch ovale Stanzen sind erhältlich. Zur Anastomosennaht verwendet man 6/0-Polypropylene für Venen und 7/0-Polypropylene für Arterien.
a
c . Abb. 20.16a–e. Proximale Anastomosenanlage
Gerade bei der arteriellen Revaskularisation bieten sich Y- oder T-Graft-Techniken an, bei denen beispielsweise die Radialarterie oder die RIMA T- (quere Anastomose) oder Y-förmig (parallele Anastomose) in die erste Hälfte der LIMA anastomosiert wird (Barner et al. 2001; Ochi et al. 2001; Yilmaz et al. 2002; . Abb. 20.17). Solche Graftkonstruktionen können auch schon vor Anschluss der Herz-Lungen-Maschine angelegt werden. Zu erwähnen sind in diesem Zusammenhang noch der H-Graft (Cohn et al. 1998) und der λ-Graft (Egloff et al. 2002), auf die hier nicht im Einzelnen eingegangen wird. Bei multiplen Stenosen im Verlauf eines Koronargefäßes können auch lange Anastomosen, die eine längs eröffnete Stenose überbrücken und funktionell »aufpatchen« (Barra et al. 2000), sinnvoll und technisch einfacher sein als eine koronare Thrombendarteriektomie. Für proximale Anastomosen stehen Anastomosen-Devices aus überwiegend Nitinolkonstruktionen zur Verfügung, die die Anlage von Venenanastomosen (Eckstein et al. 2002; Mack et al. 2003) und Radialarterienanastomosen (Watanabe et al. 2004) im Sinne einer »single shot technique« auch unter kontinuierlicher Zirkulation erlauben. Derartige automatisierte Anastomosentechniken haben sich aus verschiedenen Gründen bisher nicht in großem Umfang durchgesetzt, sind aber technisch bei lokalisierten atherosklerotischen Veränderungen der Aorta interessant. Für distale Koronaranastomosen stehen ebenfalls derartige »automatic anastomotic devices« zur Verfügung, wobei eine Verbesserung der Anastomosenoffenheit und der Präzision gegenüber handgenähten Anastomosen nicht zu erwarten ist (Boening et al. 2005; Klima et al. 2003, 2004; Ono et al. 2002; Tozzi et al. 2002).
b
d
e
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Kapitel 20 · Koronare Herzkrankheit (KHK)
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. Abb. 20.17. T-Graft (linke A. mammaria interna und A. radialis)
. Abb. 20.18. Perikardschlitz
Reihenfolge der distalen Anastomosen (Sequenzial-, Einzelgrafts). Für die Reihenfolge der Anastomosen hat es sich
optimales Funktionsverhalten zu entwickeln. Die IMA hat aufgrund ihres biologischen Funktionsverhaltens in Zusammenhang mit histopathologischen Ergebnissen deutlich bessere Langzeiteigenschaften als eine Radialarterie (Khot et al. 2004; Ruengsakulrach et al. 1999). Daher verwundert es nicht, dass bei bilateraler IMA-Revaskularisation die besten Langzeitresultate erzielt werden, insbesondere durch In-situ-Grafts. Dabei hat die Qualität des Zielgefäßes, ebenso wie der intrathorakale Graftverlauf, Einfluss auf die Langzeitoffenheitsrate. Freie IMA-Arterien erbringen schlechtere Ergebnisse als In-situ-Grafts mit anatomisch unveränderter Inflow-Situation. Ausschließliche T- oder Y-Graftkonstruktionen sind technisch mit guten Ergebnissen durchführbar, jedoch führt die T- oder YGraftanastomose zu zusätzlichen Funktionsrisiken, und die gesamte Koronarperfusion ist u. U. von einem einzigen zuführenden Gefäß (LIMA-Inflow) abhängig. In vielen Fällen kann man von einer bilateralen IMA-Perfusion mit In-situGrafts die besten Langzeitresultate erwarten. Bei günstiger Lokalisation der Zielgefäße bieten sich sequenzielle LIMAGrafts zu D1 (erster diagonaler Ast des RIVA) und RIVA an. Die RIMA sollte das nächstgrößere Myokardareal versorgen. Retrosternal kreuzende IMA-Grafts (RIMA zu RIVA) lassen sich nicht immer spannungsfrei anastomosieren und bergen bei kardialer Re-Operation (z. B. Klappenersatz) ein nennenswertes Verletzungsrisiko. Eine im Vergleich zur beidseitigen IMA-Revaskularisation mit Venengrafts komplett arterielle Revaskularisation mit zusätzlicher Radialarterie setzt ein entsprechendes koronares Versorgungsgebiet für die Radialarterie (ausreichender »run off«, kein Infarktgebiet) voraus. Andernfalls mag der Venengraft die bessere Option darstellen. Insgesamt gibt es ein ganzes Spektrum von Variationsmöglichkeiten in der arteriellen Revaskularisation, wobei hier versucht wurde, die Eckpunkte einer solchen Konzeptwahl aufzuzeigen. Für die Positionierung
bewährt, mit der Hinterwand im Bereich des Ramus interventricularis posterior oder der rechten Koronararterie zu beginnen, um dann anschließend die Seitenwand und zuletzt die Vorderwand zu revaskularisieren. Dabei ist es zweckmäßig, zunächst Venen- bzw. Radialarteriengrafts vor Anlage von In-situ-IMA-Grafts zur Seiten- und Hinterwand anzulegen, um das Maß an mechanischen Manipulationen für die etwas empfindlicheren IMA-Graftanastomosen gering zu halten. Die Reihenfolge der Anastomosierung unter OPCAB-Bedingungen unterliegt anderen Aspekten. Prinzipiell ist es operationstechnisch sinnvoller, bei Vorliegen atherosklerotischer Veränderungen in einem distaleren Gefäßabschnitt des Zielgefäßes anzuschließen, auch wenn der Durchmesser dort kleiner ist. Insbesondere ist fraglich, ob ein IMA-Bypass zur rechten Koronararterie, die vielfach atherosklerotische Plaques bis zur Bifurkation aufweist, ein günstigeres Langzeitpotenzial bei Progression der KHK entwickeln kann. Ob Sequenzialgrafts günstigere Flussbedingungen und bessere Langzeiteigenschaften besitzen, ist bisher nicht ausreichend geklärt. Es wird jedoch dazu deutlich weniger V. saphena magna benötigt als bei der Einzelgrafttechnik zu jedem Gefäß, sodass mehr Vene für ggf. erforderliche Zweitoperationen oder Gefäßrekonstruktionen bei z. B. peripherer arterieller Verschlusskrankheit, an der viele KHK-Patienten ebenfalls leiden, zur Verfügung steht. In der Diskussion um die arterielle Revaskularisation von Koronargefäßen stehen einerseits bessere Langzeitfunktionsraten – zumindest für In-situ-IMA-Grafts – im Vordergrund, andererseits sind bei schlechter Qualität der V. saphena magna Ersatzlösungen notwendig. Der Einsatz von Arterien ist unter diesen Prämissen zu planen, wobei eine Radialarterie ein ausreichend großes Zielgefäß mit proximal hohem Stenosierungsgrad beansprucht, um ein
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der Bypassgrafts sollte auf einen spannungsfreien, »harmonischen« Conduit-Verlauf geachtet werden, mit gewissen Vorkehrungen für evtl. noch notwendige kardiale Re-Operationen. Insbesondere sollten Koronarbypasses so platziert werden, dass sie der Hinterwand des Sternums bzw. der Thoraxwand nicht anliegen, was durch Verlagerung in Perikardschlitze oder Einbettung in mediastinales Fettgewebe problemlos möglich ist (. Abb. 20.18).
20.4.2
Bypassoperationen am schlagenden Herzen . Abb. 20.19. Saugglocke (»off-pump coronary artery bypass«)
In Zusammenhang mit technischen Neuentwicklungen ist wieder großes Interesse an der Koronarrevaskularisation am schlagenden Herzen (»Beating-heart«-Prozeduren) ohne Verwendung einer Herz-Lungen-Maschine entstanden. Dabei wird grundsätzlich zwischen einem eher konventionellen Vorgehen zur Mehrgefäßrevaskularisation, dem OPCAB-Eingriff über eine mediane Sternotomie und dem MIDCAB-Konzept unterschieden. Der MIDCABEingriff dient der Revaskularisation des RIVA mit einem LIMA-Bypass über eine anterolaterale Minithorakotomie. 20.4.2.1
OPCAB-(»Off-pump-coronaryartery-bypass«-)Technik
Eine »Beating-heart«-Revaskularisation setzt eine im Idealfall unbewegte Anastomosenregion bei akzeptabler Exposition voraus. Dazu werden geeignete Druck- oder Saugstabilisatoren (Lemma et al. 2005; Scott et al. 2002) eingesetzt, die eine ausreichend präzise Anastomosierung erlauben. Die Exposition von Seiten- und Hinterwand bei OPCABProzeduren macht eine Luxation bzw. Dislokation des Herzens notwendig, was wiederum ein speziell angepasstes Kreislaufmanagement erfordert. Zur Dislokation des Herzens und insbesondere zur Exposition der Seiten- und Hinterwand kann man einerseits auf tief dorsal platzierte Perikardhaltenähte oder auf um das Herz gelegte Schlingen aus geeigneten Kompressen und andererseits auf apexnah platzierte epikardiale Sogsysteme (Gründemann et al. 2004), die jeweils so adjustiert werden, dass die beabsichtigte Anastomosenregion optimal dargestellt wird, zurückgreifen (. Abb. 20.19). Um Kreislaufstabilität zu behalten, ist eine differenzierte Abstimmung zwischen Volumenmanagement, Pharmakotherapie und Positionierung des Patienten, ggf. in Verbindung mit passagerer Schrittmacherstimulation (Kwak 2005), erforderlich. In Ergänzung zum üblichen Hämodynamikmonitoring ist eine parallele Funktionsbeobachtung mittels transösophagealer Echokardiographie sinnvoll, ebenso ein EKG-Monitoring mit 12-Kanal-EKG, da je nach Vorgehensweise u. U. während der Anastomosenanlage ausgedehnte Ischämiezonen vorliegen können. Passagere Ischämien und Intimaläsionen (Wippermann et al. 2004) treten insbesondere dann auf, wenn Koronarge-
fäße zur Anastomosierung segmental mit speziellen Tourniquets oder Mikroklemmen okkludiert werden und keine ausreichende Kollateralperfusion vorliegt. Eine kontinuierliche Koronarperfusion kann man mit Einlage geeigneter Shunt-Röhrchen (Rivetti u. Gandra 1997) erreichen, wobei die Handhabung dieser Shunts ebenfalls mit einem Verletzungsrisiko für die Gefäßwand verbunden ist und die Anastomosenränder schlechter zur Darstellung kommen. Eine bessere Darstellung der Gefäßstrukturen erreicht man mit »blowing devices«, und zwar dadurch, dass angefeuchtete Luft gezielt auf die Anastomose gerichtet wird. Prinzipiell läst sich in OPCAB-Technik eine komplette Revaskularisation erzielen (Jansen et al. 1998), jedoch sind Anastomosen bei kleinen Gefäßen, atherosklerotischer Wandveränderung und intramyokardialem oder tief endoepikardialem Verlauf deutlich komplexer als im kardioplegischen Herzstillstand. Darüber hinaus bestehen gewisse Einschränkungen bei der OPCAB-Technik bezüglich der Verwendung insbesondere von In-situ-IMA-Grafts, da am schlagenden, volumenbelasteten, dislozierten Herzen zur spannungsfreien Anastomosenanlage eine gewisse Zusatzlänge benötigt wird. Dennoch lassen sich auch in OPCABTechnik Konzepte mit erweitert oder komplett arterieller Revaskularisation realisieren (Mariani et al. 2004). Bezüglich der Reihenfolge der Anastomosierung bevorzugen viele Chirurgen eine initiale Revaskularisation des RIVA – unter der Annahme einer besseren Kreislaufstabilität bei schon normalisierter Vorderwandperfusion. Die wissenschaftlichen Ergebnisse von großen Einzelstudien oder Metaanalysen konnten bisher überwiegend keine generellen nachhaltigen Vorteile der OPCAB-Chirurgie belegen. In der Tendenz bestehen Vorteile am ehesten bei neurologischen Vorerkrankungen, präexistenten Nierenerkrankungen und (generalisierter) Atherosklerose der Aorta ascendens. Gerade in diesem Zusammenhang lässt sich mittels OPCAB in Verbindung mit arteriellen T- oder Y-Grafts eine »no touch technique« für die Aorta anwenden. Auch perioperativer Blutverlust, Myokardinfarktraten und Dauer der Intensivbehandlung sind nicht zwangsläufig unterschiedlich.
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Kapitel 20 · Koronare Herzkrankheit (KHK)
20.4.2.2
MIDCAB-(»Minimally-invasive-directcoronary-artery-bypass«-)Technik
Das MIDCAB-Konzept im engeren Sinne bezieht sich auf die Revskularisation des RIVA durch einen In-situ-LIMABypass am schlagenden Herzen. Das Konzept hat, nachdem es schon Ende der 1960er Jahre vorgestellt wurde, erst 30 Jahre später mit Verbesserung der instrumentellen Ausstattung eine gewisse klinische Bedeutung erreicht. Im Originalkonzept dient als Operationszugang eine anterolaterale Minithorakotomie, in der Regel im 5. Interkostalraum (Cremer et al. 2000; . Abb. 20.20). Gelegentlich werden Vorgehensweisen über eine untere Sternotomie auch als MIDCAB bezeichnet. Die Präparation des LIMAGrafts lässt sich einigermaßen übersichtlich über die Operationswunde mittels Elektrokauter erreichen. Dazu sind modifizierte Handgriffe und spezielle Elektrokauterspitzen vorteilhaft. Für die Präparation der proximalen LIMA kann man auf vertikel öffnende Thoraxsperrer zurückgreifen (. Abb. 20.21). Dabei steht die komplette Durchtrennung aller Seitenäste nicht im Vordergrund, sondern vielmehr ein ausreichend langes Pedikel, um eine spannungsfreie Anastomose anlegen zu können.
. Abb. 20.20. Anterolaterale Minithorakotomie für MIDCAB (»minimally invasive direct coronary artery bypass«) Operation
! Vielfach ist es zweckmäßig, zuerst die LIMA zu präparieren und das Perikard über dem linken Ventrikel erst später zu eröffnen, um eine bessere Übersicht im Operationsfeld zu behalten. Bei Zweifeln an der Qualität der Zielgefäße kann auch eine initiale Exploration der Vorderwand angeraten sein.
Manche Zentren bevorzugen eine komplette endoskopische Präparation der LIMA, um dann später die RIVAAnastomose über eine anteriore Minithorakotomie anzulegen. Eine Heparinisierung mit 100 IE/kg KG (wie bei gefäßchirurgischen Eingriffen) reicht für die MIDCAB-Prozedur aus. Bei der mit Stabilisatoren erreichbaren, gut zugänglichen Exposition ermöglicht eine mehrminütige Probeokklusion des RIVA einen Überblick über die Ischämietoleranz der Vorderwand, die man im Wechsel mit einer oder mehreren Reperfusionsphasen vor Anastomosenanlage im Sinne einer myokardialen ischämischen Präkonditionierung (Halkos et al. 2004) noch weiter verbessern kann. Auch für MIDCAB-Anastomosen kann auf KoronarShunts zurückgegriffen werden (Menon et al. 2002). Um eine hohe Anastomosenqualität zu erzielen, sollte man das gleiche Nahtmaterial verwenden wie bei konventioneller Technik (z. B. 8/0-Monofilamentpolypropylene). Aufgrund des beengten Operationsfeldes empfiehlt es sich, das LIMA-Pedikel zur Anastomosierung über Haltenähte im kontralateralen Wundwinkel zu platzieren, um einige Stiche im Fersenbereich der Anastomose in Distanz anzulegen (. Abb. 20.22). Nach Komplettierung der Anastomose ist eine Fixierung des Pedikelverlaufs mit Haltenähten oder Fibrinkleber zu erwägen, ebenso eine Bedeckung des distalen Pedikelverlaufs mit mediastinalem Fettgewebe (be-
. Abb. 20.21. Lift-Sperrer für MIDCAB (»minimally invasive direct coronary artery bypass«) Operation
sonders bei geringem Abstand zwischen Herzoberfläche und Thoraxwand), um eine Adhäsion des LIMA-Grafts an der Thoraxwand zu verhindern. Bei auseichender Schmerzfreiheit und Normothermie kann man die meisten Patienten schon im Operationssaal extubieren. Bei routinierter Durchführung von MIDCAB-Operationen sind uneingeschränkt hervorragende Offenheitsraten des LIMA-Bypasses zu erwarten, ebenso eine langfristige Stabilität der Revaskularisation (Oliveira et al. 2002). Für ausgesuchte Patienten, die besondere Risiken für eine konventionelle oder »Beating-heart«-Mehrgefäßrevaskularisation aufweisen, kann in Abhängigkeit vom anatomischen Befund ein Hybridkonzept mit MIDCAB-Revaskularistaion der Vorderwand und interventioneller Therapie (PCI) im Seiten- oder Hinterwandbereich attraktiv sein (Cisowski et al. 2002; Murphy et al. 2004; Wittwer et al. 2000).
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. Abb. 20.22. Anastomosenanlage bei MIDCAB (»minimally invasive direct coronary artery bypass«) Operation
20.4.3 Koronare Re-Operationen
Bei einem Teil der Patienten mit chirurgischer Myokardrevaskularisation werden in Zusammenhang mit degenerativen Veränderungen von Venengrafts, die zu signifikanten Stenosen oder Bypassverschlüssen führen bzw. zu einer generellen Progression der KHK, koronare Re-Operationen notwendig. Dabei ist die Ausgangssituation der betroffenen Patienten, die durchschnittlich 10–15 Jahre älter sind als beim Ersteingriff, auch dadurch erschwert, dass eher eine diffuse KHK vorliegt, die linksventrikuläre Funktion oft schlechter ist und in ausgeprägtem Maße Komorbiditäten vorliegen. Beim operativen Vorgehen sind Besonderheiten im Vergleich zur Erstoperation zu beachten. Die Auswahl geeigneten Bypassmaterials ist in der Regel nicht problematisch, da die Patienten überwiegend rein venös oder kombiniert mit einem LIMA-Graft zum RIVA vorbehandelt sind. Vielfach stehen noch V. saphena magna, Radialarterien und RIMA für eine komplette Revaskularisation beim zweiten oder selten einmal beim dritten Eingriff zur Verfügung. Bei der Eröffnung des Thorax durch eine mediane ReSternotomie sollte präoperativ ausgeschlossen werden, dass retrosternal kreuzende offene Grafts vorliegen, wobei insbesondere auf offene LIMA-Grafts zu achten ist, die häufig im proximalen Verlauf der Thoraxwand anliegen und gelegentlich retrosternal über die Mittellinie nach rechts kreuzen. Zur definitiven Abklärung bietet sich eine hochauflösende Computertomographie mit Kontrastmittel an, bei der – abgesehen vom Bypassverlauf – (ggf. auch dreidimensional) wesentliche Zusatzinformationen über den Zustand der Aorta ascendens erhalten werden (Cremer et al.
1998). Von wesentlicher Bedeutung ist dabei auch der Ausschluss von Adhäsionen der Aorta an das Sternum sowie von atherosklerotischen Veränderungen von Aorta ascendens und proximalem Aortenbogen. Dies hat Implikationen für die Operationsplanung in Bezug auf aortale Kanülierung, Klemmung der Aorta und Anlage proximaler Bypassanastomosen. Falls auf der Basis der präoperativen Diagnostik von einer risikoarmen Eröffnung des Thorax ausgegangen werden kann, ist eine Freilegung bzw. Kanülierung der Femoralgefäße nicht notwendig. Nach Lösen retrosternaler Adhäsionen präpariert man ggf. zuerst die RIMA parallel zur Gewinnung weiteren Graftmaterials. Anschließend sollte zunächst die distale Aorta ascendens bzw. der proximale Aortenbogen (u. U. mit Mobilisation der Quervene) dargestellt werden, um im Fall stärkerer Blutungen oder bei Kreislaufinstabilität zügig arteriell kanülieren zu können. Die diaphragmale Fläche des rechten Ventrikels erlaubt fast immer einen übersichtlichen Einstieg in das Perikard, wobei besondere Vorsicht bei rechts (rechter Vorhof, rechter Ventrikel) verlaufenden Bypasses geboten ist. Von hier aus lässt sich der rechte Vorhof besser entwickeln als von ventral, sodass dann schon in einer frühen Operationsphase bei Auftreten von Problemen ein sofortiger Anschluss an die Herz-LungenMaschine möglich ist. Anschließend kann man die diaphragmalen und anterolateralen Herzabschnitte freilegen. Mechanische Manipulationen an atherosklerotischen Venengrafts sind unbedingt zu vermeiden, damit es nicht zu intrakoronaren Embolisationen von atherosklerotischem Debris (auch bei verschlossenen Grafts) kommt. Die Aorta ascendens sollte so präpariert werden, dass eine Querklemmung möglich und ein Areal für die Anlage von proximalen Anastomosen vorhanden ist. Bei offenen IMA-Grafts ist eine segmentale Präparation notwendig, damit während der Ischämiephase mit atraumatischen Mikroklemmen oder Tourniquets die Perfusion unterbrochen werden kann. Zur Präparation der posterolateralen und basisnahen Herzabschnitte sollte man den Patienten an die Herz-Lungen-Maschine anschließen. Dabei erleichtert ein kardioplegischer Herzstillstand mit Venting die Präparation. In Zusammenhang mit einer vielfach sehr fortgeschrittenen KHK und einer kompromittierten antegraden Koronarperfusion (insbesondere wenn ein offener LIMA-Bypass in der Ischämiephase okkludiert wird), ist bei Re-Operationen die retrograde Applikation der Kardioplegielösung über einen Koronarsinuskatheter zu empfehlen (Fazel et al. 2004). Das Auffinden der Koronargefäße kann bei Re-Eingriffen ausgesprochen schwierig sein. Dabei dienen Bypassanastomosen der Erstoperation als guter Anhaltspunkt, um distal davon das Koronargefäß aufzusuchen. Der Herzkatheterfilm der Erstoperation ist gelegentlich für das Auffinden verschlossener Koronargefäße hilfreich. Die eigentliche Anastomosenanlage und die Verteilung der Grafts unterscheiden sich nicht grundsätzlich von der Erstoperation. Für die proximalen Anastomosen bieten sich bei
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Kapitel 20 · Koronare Herzkrankheit (KHK)
wenig Platz oder atherosklerotischer Aorta auch die Erstanastomosen an. Unter Umständen stellt sogar die proximale Anastomose an einen offenen LIMA-Graft eine ideale Lösung dar.
20.4.4 Koronare Endatherektomie
Die Indikation zur operativen Endatherektomie von Koronargefäßen (Marinelli et al. 2002) sollte restriktiv gestellt werden, da diese Prozedur mit einer erhöhten Morbidität und Letalität einhergeht. Nur wenn an einem Koronargefäß aufgrund stärkster atherosklerotischer Wandveränderungen an keiner Stelle eine Anastomosenanlage möglich erscheint und vitales Myokard in dem Versorgungsgebiet des Koronargefäßes vorliegt, sollte die offene Endatherektomie in Erwägung gezogen werden (. Abb. 20.23). Das Prinzip der offenen Endatherektomie besteht darin, dass nach großzügiger Inzision des Koronargefäßes die verengende Plaque mit einem Dissektor herausgeschält wird. Möglich ist auch eine Endatherektomie über 2 kürzere Inzisionen im Koronargefäß, eine proximale und eine distale. Hierbei wird die Plaque nach Mobilisation im Bereich der eröffneten Stellen vorsichtig durch Zug über die proximale Inzision entfernt. Das Koronargefäß wird mit Hilfe autologer Venenflicken rekonstruiert, bevor man es mit einem Bypass anastomosiert. Die Anastomosenanlage erfolgt am Venenflicken, bei der Methode mit 2 Koronarinzisionen am distalen. Möglich ist auch eine das gesamte Koronargefäß überspannende Anastomose, die den Venenflicken überflüssig macht.
20.4.5 Ostiumplastik
Isolierte Stenosierungen direkt am Ursprung der linken oder rechten Koronararterie können operativ prinzipiell auch durch eine erweiternde Ostiumplastik behoben werden. Im kardioplegischen Herzstillstand wird dafür der Anfangsabschnitt der betroffenen Koronararterie freipräpariert. Dann wird das Gefäß stromabwärts der Einengung längs inzidiert. Von dieser Inzision aus legt man über die Stenose hinweg bis etwa 1 cm weit in die gesunde Aortenwand hinein einen Längsschnitt an. In diesen wird anschließend ein ovalärer Venen-, RIMA- (Liska et al. 1999), Perikard- oder Kunststoffflicken zur plastischen Erweiterung eingenäht. In der klinischen Routine werden derartige Koronareingriffe heute nur noch äußerst selten durchgeführt. Die Gründe dafür liegen auf der Hand: 4 Isolierte Ostiumstenosen der A. coronaria dextra werden zumeist interventionell versorgt und sind somit für den Kardiochirurgen eine Rarität. 4 Umschriebene ostiumnahe Hauptstammstenosen der linken Herzkranzarterie hingegen stellen per se eine
a
b . Abb. 20.23a, b. Endatherektomie
klare Operationsindikation dar und kommen im Operationsspektrum daher häufiger vor. Da die Plastik des linken Koronarostiums jedoch technisch anspruchsvoller ist und in der Regel gute periphere Gefäßverhältnisse vorherrschen, wird dieses Erkrankungsbild überwiegend durch eine konventionelle Bypassoperation mit Grafts zum RIVA und zum Ramus circumflexus therapiert.
20.4.6 Eingriffe bei Koronaraneurysmen
Bei Erwachsenen können Koronaraneurysmen einen Durchmesser von bis zu 15 cm aufweisen (Mawatari et al. 2000). Bei Vorliegen von Koronaraneurysmen besteht das Risiko spontaner Rupturen oder Embolien. Hieraus ergibt sich die Operationsindikation (7 Kap. 19). Die Ausschaltung von Koronaraneurysmen kann durch unterschiedliche Techniken erfolgen. Neben der Aneurysmaligatur mit Bypassversorgung der nachgeschalteten Koronargefäße kommen Techniken infrage, bei denen das native Koronargefäß erhalten bleibt. So können in manchen Fällen die Aneurysmapforte und der Aneurysmaausgang nach Mobilisation und Aneurysmaresektion End-zu-End
585 20.5 · Stellenwert der Koronarchirurgie in der medizinischen Versorgungssituation
anastomosiert werden (Westaby et al. 1999). Bei größeren Aneurysmen, bei denen eine solche End-zu-End-Anastomose wegen einer zu großen Distanz nicht möglich ist, kann das Aneurysma nach Resektion mitunter auch durch ein Veneninterponat ersetzt werden (Firstenberg et al. 2000) (. Abb. 18.14d).
20.4.7 Koronare Revaskularisation
bei Atherosklerose der Aorta ascendens Das Vorliegen einer Atherosklerose der Aorta ascendens gibt Anlass, die konventionelle Vorgehensweise zu modifizieren, um insbesondere zerebrale Komplikationen durch Embolisation von Plaquematerial zu vermeiden. Vielfach ist schon präoperativ aufgrund des Thoraxröntgenbildes, der Herzkatheteruntersuchung oder einer Computertomographie des Thorax eine Atherosklerose der Aorta ascendens bekannt. Bei intraoperativem Zufallsbefund durch Palpation kann ergänzend eine epiaortale Sonographie oder eine transösophageale Echokardiographie präziser über die Befundausdehnung informieren. Um Manipulationen der Aorta ascendens und damit das Embolisationsrisiko auf ein Minimum zu reduzieren, bieten sich im Sinne einer »No-touch«-Philosophie verschiedene Maßnahmen an: 4 Bei Vorgehen mit Herz-Lungen-Maschine kann das kanülierungsbedingte Embolisationsrisiko durch Platzierung einer arteriellen Perfusionskanüle im distalen Aortenbogen oder in der A. subclavia reduziert werden. Die Klemmung der Aorta lässt sich durch intermittierenden Kreislaufstillstand, ggf. auch in Verbindung mit retrograder Applikation der Kardioplegielösung, vermeiden. 4 Alternativ kann auch bei Normothermie bzw. moderater Hypothermie unter ventrikulärer Fibrillation operiert werden (Beyersdorf et al. 1990), allerdings verbunden mit einer erschwerten Exposition der Herzoberfläche. 4 Mit einer OPCAB-Vorgehensweise stellt sich die Problematik der Kanülierung nicht mehr. Abhängig von der Verteilung atherosklerotischer Veränderungen sollte u. U. von vornherein eine aortale Anastomosenanlage durch In-situ-IMA-Grafts bzw. T- oder Y-Grafts (z. B. LIMA und RIMA oder LIMA und A. radialis oder LIMA und Vene) vermieden werden.
20.5
Stellenwert der Koronarchirurgie in der medizinischen Versorgungssituation und aktuelle Studien und Analysen
Gegenwärtig werden etwa 50.000 isolierte Bypassoperationen pro Jahr in Deutschland durchgeführt, verbunden mit einer 30-Tage-Letalität von <3 %. Dabei sind insbesondere die Risikogruppen mit Operationen bei schlechter linksventrikulärer Funktion oder bei akutem Myokardinfarkt und koronare Re-Operationen mit berücksichtigt. Etwa 10,5 % aller Koronaroperationen wurden 2008 unter »Beating-heart«-Bedingungen ohne Herz-Lungen-Maschine (MIDCAB/OPCAB) durchgeführt (7 Kap. 4, . Abb. 4.2). Das Durchschnittsalter der Patienten liegt bei 67,4 Jahren mit einem Anteil von 10,8 % im Alter von ≥80 Jahren. Im Mittel werden 3,1 distale Anastomosen angelegt, mit Verwendung von LIMA-Grafts in 92,3 % der Fälle. Demgegenüber werden in Deutschland aktuell etwa 300.000 Patienten pro Jahr mittels PCI behandelt. Aus der Syntax-Studie liegen erste Ergebnisse aus einem prospektiv randomisierten Vergleich von ACB und PCI bei Dreigefäßerkrankung und/oder Hauptstammstenose vor, mit einem signifikanten Vorteil für die Bypasschirurgie am primären Studienendpunkt (MACCE-Rate nach 12 Monaten – MACCE: »major adverse cardiac and cerebrovascular events«; Serruys et al. 2009). Damit sind erstmalig in einer großen, multizentrischen, randomisierten Studie Bypassoperation und PCI mit »Drug-eluting«-Stents bei Mehrgefäß-KHK und Hauptstammstenose verglichen worden, nachdem man zuletzt mit der ARTS- und der SOS-Studie ACB und PCI mit »Bare-metal«-Stents verglichen hatte. Die aktuellen Registeranalysen (Hannan et al. 2005, 2008) belegen übereinstimmend unter Risikoadjustierung einen Überlebensvorteil für operierte Patienten mit koronarer Dreigefäßerkrankung. Auf dieser Basis wird die Bypasschirurgie auch in Zukunft eine enorme Bedeutung in der Gesundheitsversorgung der Bevölkerung von Industrienationen darstellen, zumal die Überalterung der Gesellschaft mit komplexeren koronaren Befunden verbunden sein dürfte und die vielfach umfangreiche Vorbehandlung mittels PCI in vielen Fällen interventionelle Behandlungsoptionen erschöpfen dürfte.
20
586
20
Kapitel 20 · Koronare Herzkrankheit (KHK)
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21
21 Linksventrikuläre Rekonstruktion und konventionelle Herzinsuffizienzchirurgie F. Beyersdorf 21.1
21.2
21.2.1 21.2.2 21.2.3 21.2.4
21.1
Einleitung, Ergebnisse der medikamentösen Therapie
– 589
Chirurgische Rekonstruktion des dilatierten ischämischen linken Ventrikels – 590 Pathogenese des linksventrikulären Remodelings nach Myokardinfarkt – 590 Prognose – 590 Dyskinesie (Aneurysma) versus Akinesie – 590 Diagnostik und Indikation zur linksventrikulären Rekonstruktion – 590
Einleitung, Ergebnisse der medikamentösen Therapie
Die koronare Herzerkrankung stellt in >60 % aller Fälle die Ursache für die terminale Herzinsuffizienz dar. Die Mehrzahl dieser Patienten hatte früher einen Herzinfarkt erlitten (Gheorghiade et al. 1998). Die Herzinsuffizienz im Endstadium (Stadium IV) stellt eine lebensbedrohliche Erkrankung dar: Die Einjahresüberlebensraten werden mit <50 % angegeben und sind damit schlechter als die der meisten Krebserkrankungen. Die medikamentösen Therapiemöglichkeiten der terminalen Herzinsuffizienz haben sich in den letzten Jahren deutlich verbessert. Trotzdem sind die Ergebnisse noch nicht befriedigend, wie zahlreiche Studien zeigen konnten. So können beispielsweise Angiotensin-Converting-Enzym-(ACE-)Inhibitoren zwar das Überleben der Patienten im NYHA-Stadium IV verlängern; trotzdem beträgt die Letalität bis zum Ende des ersten Jahres noch 36 % (The CONSENSUS Trial Study Group 1987). In den letzten Jahren konnte die COPERNICUS-Studie zeigen, dass es von Vorteil ist, wenn Carvedilol – ein β-Blocker mit zusätzlicher α-blockierender und vasodilatierender Wirkung – zu den ACE-Inhibitoren hinzuge-
21.2.5 21.2.6 21.2.7
Operatives Vorgehen – 591 Perioperative Komplikationen – 595 Ergebnisse und Ausblick – 595
21.3
Konventionelle Herzinsuffizienzchirurgie – 597 Hochrisikobypasschirurgie – 597 Mitralklappenrekonstruktion – 597 Sonstige Maßnahmen – 598
21.3.1 21.3.2 21.3.3
Literatur
– 598
geben wird. Bei Patienten mit einer Ejektionsfraktion von <25 % lag das Überleben nach 28 Monaten bei 72 % im Vergleich zu 58 % in der Placebogruppe (Packer et al. 2001). Ein Nachteil zahlreicher Studien zur medikamentösen Behandlung der »chronischen Herzinsuffizienz« ist die Tatsache, dass nur wenige oder keine Patienten im NYHAStadium IV in diese Studien eingeschlossen worden sind, so z. B. in der CARMEN-Studie (60–70 % der Patienten im NYHA-Stadium II, keine Patienten im NYHA-Stadium IV; Remme 2003) oder in der RALES-Studie (keine Angaben über die NYHA-Klassen bei Einschluss in die Studie; Pitt et al. 1999). ! Somit sind chirurgische Verfahren bei der schweren Herzinsuffizienz von besonders großer Bedeutung.
Studienübersicht 4 CARMEN: Carvedilol and ACE-inhibitor Remodelling Mild Heart Failure Evaluation 4 CONSENSUS: Cooperative North Scandinavian Enalapril Survival Study 6
590
Kapitel 21 · Linksventrikuläre Rekonstruktion und konventionelle Herzinsuffizienzchirurgie
21.2.2 Prognose
21
4 COPERNICUS: Carvedilol prospective randomized cumulative survival 4 GUSTO I: Global Utilization of Streptokinase and TPA for Occluded Coronary Arteries 4 RALES: Randomized Aldactone Evaluation Study 4 RESTORE: Reconstructive Endoventricular Surgery, returning Torsion Original Radius Elliptical Shape to the LV 4 STICH: Surgical Treatment for Ischemic Heart Failure
21.2
Chirurgische Rekonstruktion des dilatierten ischämischen linken Ventrikels
Etwa 20 % der Patienten mit einem akuten Myokardinfarkt erfahren während der folgenden Monate bis Jahre eine progressive Dilatation ihres linken Ventrikels (Gaudron et al. 1993). Die Prognose des Patienten mit ischämischer Kardiomyopathie ist eher vom linksventrikulären Volumen als von der linksventrikulären Auswurffraktion (Ejektionsfraktion) abhängig (White et al. 1987). So konnten White und Mitarbeiter bereits 1987 zeigen, dass das Letalitätsrisiko nach einem Infarkt in direkter Relation zur Größe des linken Ventrikels (endsystolisches Volumen) steht. Bereits im GUSTO-I-Trial ließ sich nachweisen, dass ein LVESVI (linksventrikulärer endsystolischer Volumenindex) von >40 ml/m2 nach einem Infarkt mit einer hohen Rate an Herzinsuffizienzen und einem schlechteren Langzeitüberleben vergesellschaftet ist (Migrino et al. 1997).
21.2.1 Pathogenese des linksventrikulären
Remodelings nach Myokardinfarkt 21.2.3 Dyskinesie (Aneurysma) versus Akinesie
Die koronare Herzerkrankung ist in etwa 2/3 aller Fälle die Ursache für die terminale Herzinsuffizienz. Die Mehrzahl dieser Patienten hat einen Herzinfarkt erlitten (Gheorghiade et al. 1998). Trotz erfolgreicher früher Reperfusion entwickelt sich bei 20 % der Patienten eine spätere linksventrikuläre Dilatation; diese kann dann zur terminalen Herzinsuffizienz führen (Gaudron et al. 1993). Das restliche, nichtinfarzierte Myokard verändert sein Volumen und seine Form – ein Prozess, der als »ventrikuläres Remodeling« bezeichnet wird. Mit der Vergrößerung des linken Ventrikels verliert dieser seine normale elliptoide Form und wird eher kugelig; die globale linksventrikuläre Funktion verschlechtert sich, was schließlich in die terminale Herzinsuffizienz mündet (Sallin 1969). Durch die Vergrößerung des linken Ventrikels (Remodeling) nimmt die Wandspannung auch in denjenigen Arealen des linken Ventrikels zu, die nicht vom Infarkt betroffen sind. Die erhöhte Wandspannung führt zu einem erhöhten Sauerstoffverbrauch des Myokards, einem verminderten subendokardialen Blutfluss und einer reduzierten systolischen Verkürzungsfraktion. Auf molekularer Ebene ist als Ursache des ventrikulären Remodelings die Apoptose der Myozyten identifiziert worden (Baldi et al. 2002; Narula et al. 1996; Olivetti et al. 1997). Als eine der Ursachen für die vermehrte Apoptose wird die erhöhte Wandspannung angesehen, und insofern ist das Remodeling ein sich selbst unterhaltender Prozess. Während die Apoptose zunächst besonders in der dem Infarkt angrenzenden Zone nachweisbar ist, treten Wochen oder Monate später auch in entfernten (»remote«), nicht vom Infarkt betroffenen Regionen apoptotische Myokardzellen auf. Daher ist der Vorteil der chirurgischen linksventrikulären Rekonstruktion in einer Verminderung der Wandspannung und einer dadurch verbesserten Kontraktilität des nichtinfarzierten Myokards zu sehen.
Nach einem akuten Koronararterienverschluss entwickelt sich die Myokardnekrose vom Endokard zum Epikard (Reimer u. Jennings 1979). Eine Reperfusion in den frühen Phasen des Koronarverschlusses (perkutane Koronarintervention oder Lyse) vermag die epikardialen Anteile des Myokards zu retten und damit die Bildung eines dünnwandigen, dyskinetischen Aneurysmas zu verhindern. Das reperfundierte infarzierte Myokard behält eine gewisse Wanddicke und normale epikardiale Wandschichten. Dadurch entsteht ein akinetisches Segment mit unterschiedlichem Ausmaß der mittmyokardialen und epikardialen Fibrose. Trotzdem entwickelt sich auch bei »akinetischen« Ventrikeln ein ventrikuläres Remodeling des Restmyokards (s. oben, 21.2.1), sodass aus funktioneller Sicht akinetische und dyskinetische Areale gleich zu bewerten sind. Durch die heute übliche frühe Reperfusion nach akutem Koronarverschluss ist die Entwicklung einer Akinesie häufiger als die eines klassischen Aneurysmas (Dyskinesie). Vincent Dor war der Erste, der erkannte, das sowohl eine Akinesie als auch eine Dyskinesie (Aneurysma) die gleichen negativen Auswirkungen auf das nichtinfarzierte Myokard im Sinne eines Remodelings ausübt und entwickelte seine »endocardial patch plasty procedure« sowohl für akinetische als auch für dyskinetische Areale (DiDonato et al. 1997; Dor 1997).
21.2.4 Diagnostik und Indikation zur
linksventrikulären Rekonstruktion Bei der Mehrzahl der Patienten besteht außer der Indikation zur linksventrikulären Rekonstruktion auch eine Indikation zur koronaren Revaskularisation (inklusive Revaskularisation des Ramus interventricularis anterior beim
591 21.2 · Chirurgische Rekonstruktion des dilatierten ischämischen linken Ventrikels
Vorderwandinfarkt für eine verbesserte Septumkontraktilität) und/oder zur Mitralklappenrekonstruktion. Die meisten Patienten, für die eine linksventrikuläre Rekonstruktion geplant ist, haben eine Vorderwandnarbe und eine progressive linksventrikuläre Dilatation mit zunehmender Reduktion der Auswurffraktion und mit Symptomen der Herzinsuffizienz. Selten bestehen noch zusätzliche Narben in den Seiten- oder Hinterwandarealen des linken Ventrikels. In größeren Studien haben die meisten Patienten ein linksventrikuläres Aneurysma (60–70 %), die restlichen Akinesien mit progressiver linksventrikulärer Dilatation. Zur präoperativen Diagnostik zählen: 4 Koronarangiographie, 4 linksventrikuläre Angiographie, 4 transösophageale Echokardiographie (zwei- oder dreidimensional), 4 Magnetresonanztomographie inklusive »late enhancement« zur Beurteilung der Vitalität und des Ausmaßes der Narbenbildung. Folgende Parameter sollen mit diesen Methoden erhoben werden: 4 Koronarstatus, 4 Herzklappenfunktion, 4 Vitalität des Restmyokards, 4 Ausmaß der Narbenbildung (»asynergy scar«) in Relation zum übrigen linken Ventrikel (linksventrikulärer Umfang) (in %), 4 Akinesie vs. Dyskinesie (Aneurysma), 4 linksventrikuläre Ejektionsfraktion (LVEF; in %), 4 linksventrikulärer enddiastolischer Durchmesser (LVEDD; in mm), 4 linksventrikulärer endsystolischer Durchmesser (LVESD; in mm), 4 linksventrikulärer enddiastolischer Volumenindex (LVEDVI; in ml/m2), 4 linksventrikulärer endsystolischer Volumenindex (LVESVI; in ml/m2), 4 Vorhandensein von Thromben im linken Ventrikel. Das Ausmaß der Asynergie des linken Ventrikels lässt sich mit mehreren Methoden darstellen: 4 Ventrikulographie (Centerline-Methode in RAO-Projektion; RAO: »right anterior oblique«), 4 Echokardiographie, 4 Radionuklidventrikulographie, 4 Multisclice-Computertomographie, 4 Magnetresonanztomographie. ! Als Faustregel gilt, dass eine Indikation zur linksventrikulären Rekonstruktion besteht, wenn 4 etwa 35–40 % des Umfangs des linken Ventrikels asynergistisch sind, 6
4 der LVESVI >60 ml/m2 beträgt, 4 die LVEF bei <35 % liegt und 4 der Patient in der klinischen NYHA-Klasse II–III einzuordnen ist.
Patienten im (beginnenden) kardiogenen Schock (intraaortale Ballongegenpulsation, »cardiac index« von <2 l/m2, Katecholaminbedarf, pulmonale Hypertonie, Endorganschäden) sind keine geeigneten Kandidaten für eine linksventrikuläre Rekonstruktion.
21.2.5 Operatives Vorgehen
Während der Operation können alle 3 Komponenten, die für die Entwicklung der Herzinsuffizienz verantwortlich sind, angegangen werden: 4 Ventrikel, 4 Koronarien, 4 Herzklappe. Die präoperativen Untersuchungen (s. oben, 21.2.4) müssen klären, ob eine Komponente, 2 Komponenten oder alle 3 einer chirurgischen Korrektur unterzogen werden müssen. Der Eingriff wird unter Kontrolle mittels transösophagealer Echokardiographie durchgeführt. Von großer Bedeutung ist der präoperative Nachweis bzw. Ausschluss von intrakavitären Thromben, die in etwa 30 % der Fälle vorkommen. ! Sind Thromben vorhanden, darf am Herz nicht manipuliert werden, bis die Aorta abgeklemmt ist.
Nach medianer Sternotomie und evtl. Präparation des Herzens aus Perikardverwachsungen aufgrund vorheriger Myokardinfarkte hängt die Art der venösen Kanülierung davon ab, ob zusätzlich eine Mitralklappenrekonstruktion durchgeführt werden muss (separate Kanülierung der oberen und unteren Hohlvene) oder nicht (2-Stufen-Katheter). Die Einlage des linksventrikulären Vents erfolgt über die rechte obere Lungenvene bzw. den Sulcus interatrialis (. Abb. 21.1). In der überwiegenden Mehrzahl der Fälle wird die Operation am schlagenden Herz mit linksventrikulärem Vent durchgeführt. Lediglich zum Mitralklappeneingriff, evtl. auch zur Bypassanlage, wird eine antegrade und retrograde kalte Blutkardioplegie verwendet. Koronare Bypassanlagen und Mitralklappenoperationen werden vor der linksventrikulären Rekonstruktion durchgeführt. Die linksventrikuläre Rekonstruktion kann am schlagenden oder am kardioplegisch stillgestellten Herz vorgenommen werden. Der Vorteil der Durchführung dieses Teils der Operation am schlagenden Herz besteht in der Möglichkeit des »Tastens« der Grenze zwischen Narben- und vitalem Gewebe mittels Daumen und Zeigefinger, außerdem in der evtl. besseren Protektion des rechten Ventrikels bei pulmonaler Hyper-
21
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Kapitel 21 · Linksventrikuläre Rekonstruktion und konventionelle Herzinsuffizienzchirurgie
21
a
. Abb. 21.1. Kanülierung des Herzens
tonie. Wir bevorzugen für diesen Teil der Operation daher das schlagende Herz, auch wenn die anderen Teile des Eingriffs (Bypassanlage, Mitralklappenrekonstruktion) mit Blutkardioplegie durchgeführt wurden. Eine Ausnahme bilden Patienten mit linksventrikulären Thromben; in diesen Fällen wird die linksventrikuläre Rekonstruktion bei abgeklemmter Aorta durchgeführt. Besteht eine Mitralklappeninsuffizienz ab Grad 2–3, wird eine Mitralklappenrekonstruktion als erste Maßnahme durchgeführt. Die Techniken hierzu sind die üblicherweise verwendeten Standardtechniken. Wir verzichten auf Rekonstruktionen nach Alfieri vom eröffneten linken Ventrikel aus, wie sie von manchen Arbeitsgruppen angegeben werden. Wir sehen eher einen Vorteil in einer einwandfreien Rekonstruktion und nehmen dafür die etwas verlängerte Abklemmzeit bei Verwendung der antegraden/retrograden Blutkardioplegie in Kauf. In der überwiegenden Mehrzahl der Fälle (>80 %) führen wir eine Revaskularisation des Ramus interventricularis anterior durch – auch und besonders bei Patienten mit Vorderwandinfarkt –, um eine Revaskularisation der Randgebiete und des Septums zu erreichen. Andere stenosierte
b . Abb. 21.2a, b. Luxation des Herzens mit Bauchtüchern und Inzision in der Narbe des linken Ventrikels lateral des Ramus interventricularis anterior mit einem Skalpell (a); Thrombusmaterial in der linken Herzspitze (b)
Koronararterien (Ramus circumflexus, rechte Koronararterie, Ramus dexter) werden ebenfalls revaskularisiert. Die Herzspitze wird nun durch 2–3 große, warme Bauchtücher im Perikard angehoben. Durch den linksventrikulären Vent fallen Anteile der infarzierten Vorderwand ein. Im dünnwandigen Anteil der Vorderwand wird die Narbe deutlich linkslateral des Ramus interventricularis anterior mit einem Skalpell inzidiert (. Abb. 21.2a). Nach einer zunächst kleinen Inzision wird mit dem Daumen und
593 21.2 · Chirurgische Rekonstruktion des dilatierten ischämischen linken Ventrikels
dem Zeigefinger in die Inzision eingegangen und das Ausmaß der dünnwandigen Narbe ertastet. Man kann mit diesem einfachen Manöver eindeutig die Grenze zwischen Narben- und vitalem Myokard erkennen. Mit einer Schere wird nun die Inzision in Richtung der größten Narbenausdehnung erweitert. Insbesondere wird das Ausmaß der Narbe (Verlust der Kontraktilität beim schlagenden Herz) im Bereich der Seitenwand und des Septums mit den beiden Fingern analysiert, um später die Tabaksbeutelnaht (Fontan-Naht) an der Grenze zwischen Narbe und vitalem Myokard entsprechend anbringen zu können. Um besser in den Ventrikel hineinsehen zu können, werden die Ränder des eröffneten Narbengewebes mit Klemmen (Mikulicz) oder Haltenähten aufgehalten. In einigen Fällen findet sich im Bereich der Herzspitze Thrombusmaterial, das vollständig entfernt werden muss (. Abb. 21.2b). Im nächsten Schritt folgt die Anlage der Tabaksbeutelnaht an der Grenze zwischen vitalem (kontrahierendem) und nichtvitalem (Narben-)Gewebe. Zu diesem Zweck wird über einen Filzblock von außen im Bereich der Herzspitze mit einer 2/0-Polypropylennaht (z. B. SH-Nadel) an der Grenze zwischen vitalem und nichtvitalem Myokard in den linken Ventrikel eingestochen, und zwar in den Rand des Narbengewebes. Die Tabaksbeutelnaht wird von der Herzspitze über die Seitenwand, über die Innenseite der Vorderwand und über das Septum bis zurück zur Herzspitze geführt und dann in den Filzblock ausgestochen (. Abb. 21.3). Bei der überwiegenden Mehrzahl der Patienten mit einem alten Infarkt lässt sich die Linie für die Tabaksbeutelnaht gut und leicht finden. Bei Patienten mit transmuralen chronischen Aneurysmen sind kaum noch Trabekel im Narbengebiet vorhanden, sodass das Stechen der Tabaksbeutelnaht in dieser Gruppe sehr leicht ist. Bei Patienten mit akinetischen Arealen oder noch nicht sehr lange zurückliegenden Infarkten können ausgeprägte Trabekel das Stechen der Tabaksbeutelnaht und das Finden einer Grenzlinie erschweren. In solchen Fällen kann die Grenze sehr gut mit Daumen und Zeigefinger am schlagenden Herz ertastet werden. Die Tabaksbeutelnaht ist dann sehr tief in die trabekulierte Wand zu stechen. ! Wichtig ist es bei der Tabaksbeutelnaht an der Aneurysmabasis, dass einzelne Stiche dieser Naht nicht nach außen (epikardial) gestochen werden, da es sonst beim Zuziehen der Naht zu entsprechenden Einrissen und Blutungen im Bereich des Myokards kommen kann.
Deutlich schwieriger kann es bei frischeren Infarkten werden; auch kann es hier zu einem Ausreißen der Naht kommen. Aus diesem Grund ist die hier beschriebene Technik der linksventrikulären Rekonstruktion prinzipiell nicht bei Patienten mit frischem Infarkt indiziert. Durch die Tabaksbeutelnaht ist das infarzierte Gewebe vom übrigen »normalen« Herzmuskelgewebe isoliert und ausgeschlossen worden. Wichtig ist es, darauf zu achten,
. Abb. 21.3. Tabaksbeutelnaht im Narbengewebe an der Grenze zwischen vitalem und nichtvitalem Myokard (Fontan-Naht)
dass das übrig gebliebene Kavum des linken Ventrikels mehr als 100 ml groß ist. Zu diesem Zweck benutzen einige Chirurgen einen gassterilisierten Ballon, der mit 100 ml Kochsalzlösung gefüllt wird, oder eine Olive mit dem entsprechenden Volumen. Diese Technik kann allerdings nur am kardioplegischen Herzen gut ausgeführt werden, da sich der Ballon am schlagenden Herz immer herausarbeitet. Darüber hinaus kann ein großer Ballon in das Kavum des linken Ventrikels »gedrückt« werden, was keine 100%ig sichere Messmethode darstellt. Wichtiger ist es, das Ausgangsvolumen des Ventrikels zu kennen (besonders den Volumenindex), um dann intraoperativ das Ausmaß der Verkleinerung abschätzen zu können. Bei Patienten mit präoperativ bestehenden schweren ventrikulären Rhythmusstörungen kann an der Grenze zwischen vitalem Myokard und Narbengewebe eine Ablation (Kryo- oder Radioablation) durchgeführt werden. Die Implantation eines Defibrillators ist nur in Ausnahmefällen erforderlich. Die kräftige Tabaksbeutelnaht wird über den Filzblock fest geknotet und damit das Kavum in den meisten Fällen fast vollständig wieder verschlossen. Ist die verbliebene Öffnung anschließend kleiner als die Kuppe des Zeigefingers des Chirurgen, verzichtet man auf einen Patch-Verschluss.
21
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Kapitel 21 · Linksventrikuläre Rekonstruktion und konventionelle Herzinsuffizienzchirurgie
21
. Abb. 21.4. Tabaksbeutelnaht und 3 U-Nähte zum Verschluss der Inzision und zum Herstellen einer »neuen« Herzspitze
Stattdessen werden 3 U-förmige Polypropylen-(Prolene-) Nähte in einem Winkel von 60° zueinander angelegt. Sie verschließen die verbliebene Öffnung im Ventrikel (. Abb. 21.4). Auf diese Weise wird eine neue Herzspitze erzeugt, die dem linken Ventrikel seine elliptoide Form zurückgibt (. Abb. 21.5). Sollte die erste Tabaksbeutelnaht nicht in der Lage sein, die Öffnung wie gewünscht zu verkleinern, kann eine
. Abb. 21.5. Schematische Darstellung der normalen elliptischen Herzkonfiguration (links), der sphärisch (kugelig) veränderten Konfiguration des dilatierten Herzens nach einem Vorderwand-/Septum-
zweite Tabaksbeutelnaht oberhalb der ersten auf die gleiche Weise angelegt werden (. Abb. 21.6). Dadurch kann man in fast allen Fällen einen entsprechenden Verschluss erreichen. Der letzte Schritt besteht im Verschluss des Epikards über 2 Filzstreifen mit einer 2/0-Polypropylennaht (z. B. MH- oder SH-Nadel), zunächst als Matratzennaht, dann überwendlich über einen weiteren Filzstreifen. Wichtig ist hierbei, eine Verletzung oder einen Verschluss des Ramus interventricularis anterior zu vermeiden (. Abb. 21.7). Vor dem vollständigen Verschluss der Ventrikulotomie muss sorgfältig entlüftet werden. Wir fluten das Operationsgebiet mit CO2, und zwar unter der Vorstellung, die Gefahr einer Luftembolie weiter zu reduzieren. Der Vent sollte vor Verschluss des Epikards ausgestellt sein. Das eventuelle Vorhandensein intrakavitärer Luft kann echokardiographisch kontrolliert werden. Wie bereits erwähnt, ist ein Patch-Verschluss bei Benutzung der dargestellten Techniken selten notwendig. Es gibt aber Patientengruppen, für die ein Patch-Verschluss sinnvoll bzw. notwendig ist. Hierzu zählen Patienten mit: 4 kalzifizierten linksventrikulären Aneurysmen, bei denen die Tabaksbeutelnaht die Wände nicht in gewünschter Weise zusammenbringen kann; 4 monströs dilatiertem linken Ventrikel, bei dem die Tabaksbeutelnaht die Wände ebenfalls nicht zusammenbringen kann; 4 einem zu kleinen Volumen des linken Ventrikels (<100ml/m2) nach Rekonstruktion (s. unten, 21.2.6); hier dient der Patch der Vergrößerung des Kavums des linken Ventrikels (sehr selten). Der Patch (autologer Perikard-Patch, Rinder-PerikardPatch, primär dichter Dacron-Patch oder Endokardnarbengewebe) wird entweder fortlaufend mit einer 3/0-Polypropylen-(Prolene)-Naht oder wie eine Herzklappe mit filzunterstützten Ethibondnähten in den durch die Tabaks-
infarkt (Mitte) und der rekonstruierten konischen Konfiguration nach linksventrikulärer Rekonstruktion (rechts)
595 21.2 · Chirurgische Rekonstruktion des dilatierten ischämischen linken Ventrikels
. Abb. 21.6. Nach Anlage einer zweiten Tabaksbeutelnaht reduziert sich die verbliebene Öffnung in der Regel auf 1–2 cm
beutelnaht »kreierten« Anulus eingenäht. Es ist von Vorteil, wenn man zunächst einen 2–3 cm breiten Rand am Patch belässt, um diesen später für eine weitere fortlaufende Naht zur Blutstillung nutzen zu können (. Abb. 21.8). Abschließend wird auch hier das Epikard über Filzstreifen vernäht.
21.2.6
Perioperative Komplikationen
Ein Re-Remodeling nach einer primär erfolgreichen linksventrikulären Rekonstuktion kann in etwa 15–25 % der Fälle auftreten (DiDonato et al. 2001). Es handelt sich hierbei um die erneute Dilatation des primär erfolgreich rekonstruierten Ventrikels. Die Ursache hierfür ist noch nicht geklärt. Selten wird durch die linksventrikuläre Rekonstruktion das Kavum des linken Ventrikels zu stark verkleinert (<100 ml/m2). Dies macht sich durch ein niedriges Schlagvolumen und eine diastolische Dysfunktion bemerkbar. Bei geringeren Ausmaßen bessern sich die Symptome durch geringfügige Dilatation des linken Ventrikels von allein (3–6 Monate postoperativ). In ausgeprägten Fällen muss das Kavum durch Implantation eines Patches erweitert werden (sehr selten). Eines der häufigsten Probleme nach linksventrikulärer Rekonstruktion ist die Tatsache, dass der linke Ventrikel nicht genügend verkleinert wurde. Es bleibt dann ein immer noch relativ großes linksventrikuläres Volumen zu-
rück, mit allen assoziierten Langzeitproblemen (LVEDVI von >80–100 ml/m2). Erfreulicherweise sind postoperative ventrikuläre Rhythmusstörungen selten, auch bei Patienten, die präoperativ ventrikuläre Arrhythmien gezeigt hatten. Daher ist auch die Implantation eines Defibrillators oder die Gabe von Antiarrhythmika nur in Ausnahmefällen indiziert. Von einigen Arbeitsgruppen wird bei Patienten mit ventrikulären Arrhythmien eine intraoperative Ablation (Kryooder Radioablation) durchgeführt (s. oben, 21.2.5).
21.2.7
Ergebnisse und Ausblick
Die Ergebnisse der linksventrikulären Rekonstruktion wurden im Rahmen mehrerer Studien der RESTORE-Gruppe veröffentlicht (Athanasuleas et al. 2001, 2004). In diesen Studien ergaben sich: 4 niedrige 30-Tages-Letalität (5,3 %), 4 verbesserte LVESVI-Werte (präoperativ: 80,4 ± 51,4 ml/ m2; postoperativ: 56,6 ± 34,3 ml/m2; p<0,001), 4 5-Jahres-Überlebensrate von 68,6 ± 2,8 %. Aufgrund der vielversprechenden Ergebnisse ist inzwischen eine weltweite Langzeitstudie begonnen worden, die weitere Daten zu diesem Themenkomplex liefern wird und vom National Institute of Health gefördert ist (STICH-Studie; Velazquez et al. 2007).
21
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Kapitel 21 · Linksventrikuläre Rekonstruktion und konventionelle Herzinsuffizienzchirurgie
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a
b
c . Abb. 21.7a–c. Verschluss des Epikards mit Filzstreifen (a). Zuerst werden die Matratzennähte geknotet (b). Abschließend wird der Verschluss durch eine fortlaufende, überwendliche Naht vervollständigt (c)
. Abb. 21.8. Patch-Verschluss der Ventrikulotomie
597 21.3 · Konventionelle Herzinsuffizienzchirurgie
21.3
Konventionelle Herzinsuffizienzchirurgie
Die koronare Herzerkrankung und eine Mitralklappeninsuffizienz bei ischämischer Kardiomyopathie sind unabhängige Risikofaktoren für ein schlechteres Überleben der Patienten. Daher ist – bei entsprechender Indikation – immer an eine Kombinationsoperation aus linksventrikulärer Rekonstruktion, koronarer Bypassoperation und Mitralklappenrekonstruktion zu denken.
21.3.1
Hochrisikobypasschirurgie
21.3.1.1
Indikationen
Die koronare Revaskularisation dient der Behandlung des Infarkts, aber nicht der Therapie des ventrikulären Remodelings. Dank moderner Methoden der Myokardprotektion können koronare Bypassoperationen auch bei Patienten mit hochgradig eingeschränkter Ejektionsfraktion mit Erfolg durchgeführt werden. ! Es ist jedoch zu bedenken, dass die 5-Jahres-Überlebensrate bei Patienten mit hochgradig reduzierter Ejektionsfraktion (25 %) trotz guter perioperativer Ergebnisse nur 50–65 % beträgt (Elefteriades u. Edwards 2002; Shah et al. 2003).
Die Analyse von Yamaguchi et al. (1998) zeigte, dass das Ergebnis der koronaren Bypassoperation v. a. vom präoperativen LVESVI abhängt. So betrug die 5-Jahres-Überlebensrate nur 54 %, wenn der präoperative LVESVI bei >100 ml/m2 lag, und 85 % bei einem präoperativen LVESVI von <100 ml/m2. In einer neueren Studie ließ sich zudem zeigen, dass die koronare Bypasschirurgie mit linksventrikulärer Rekonstruktion bessere Ergebnisse erbringt als eine alleinige Bypassanlage (Maxey et al. 2004). Die idealen Voraussetzungen zur operativen Revaskularisation sind gute distale Anschlussgefäße, der Nachweis von »hibernating« Myokard und eine gute rechtsventrikuläre Funktion. In solchen Fällen sind auch bei Patienten mit einer linksventrikulären Ejektionsfraktion von <15 % gute Ergebnisse zu erwarten, selbst wenn eine moderate Erhöhung des Pulmonalarteriendrucks vorliegt oder es sich um eine Re-Operation handelt. Auf der anderen Seite sollten Patienten mit Nachweis einer sehr schlechten rechtsventrikulären Funktion, klinischen Zeichen der Rechtsherzdekompensation oder einer fixierten pulmonalen Hpertonie besser einer anderen Form der chirurgischen Therapie der ischämischen Kardiomyopathie zugeführt werden, z. B. Herztransplantation oder mechanische Kreislaufunterstützung (DiCarli et al. 1998).
21.3.1.2
Operatives Vorgehen
Wie bei jeder anderen Bypassoperation auch, sollte die linke A. thoracica interna als Graft für den Ramus interventricularis anterior verwendet werden; das Graftmaterial für die anderen Koronararterien hängt vom Einzelfall ab (V. saphena magna, rechte A. thoracica interna, A. radialis). Auf jeden Fall sollte eine komplette Revaskularisation angestrebt werden (in Abhängigkeit von der Qualität der distalen Anschlussgefäße). Ausgedehnte Manipulationen an dem meist sehr arrhythmogenen Ventrikel sind vor Beginn der extrakorporalen Zirkulation zu vermeiden. Dieser Teil der Operation kann – wenn keine Thromben im linken Ventrikel nachgewiesen worden sind – am schlagenden Herz (unterstützt durch die extrakorporale Zirkulation) oder besser am kardioplegisch stillgestellten Herz durchgeführt werden. Bei letzterer Methode sollte eine ante- und retrograde kalte Blutkardioplegie durchgeführt werden, um eine gleichmäßige Verteilung der kardioplegischen Lösung zu erzielen und damit ventrikuläre Dysfunktionen sowie Schwierigkeiten bei der Beendigung der extrakorporalen Zirkulation zu vermeiden.
21.3.2
Mitralklappenrekonstruktion
21.3.2.1
Indikationen
Die funktionelle Mitralklappeninsuffizienz entsteht durch die progressive Dilatation des linken Ventrikels; es ist also primär keine Klappenerkrankung, sondern eine Erkrankung des Myokards (. Abb. 21.9a, b). Mitralklappeninsuffizienz und linksventrikuläre Dilatation münden in einen Circulus vitiosus, der nur durch Mitralklappen- und linksventrikuläre Rekonstruktion durchbrochen werden kann. Von ausschlaggebender Bedeutung ist dabei der Erhalt des subvalvulären Apparats (Anulus, Sehnenfäden, Papillarmuskeln). Eine Indikation zur Mitralklappenrekonstruktion besteht ab einem Insuffizienzgrad von >2–3, in Einzelfällen auch schon ab Grad 2 (Bolling et al. 1998). 21.3.2.2
Operatives Vorgehen
In den meisten Fällen ist die Ursache der Mitralklappeninsuffizienz eine Anulusdilatation. Ziel der Operation ist es, eine ausreichende Koaptationsfläche zwischen vorderem und hinterem Mitralklappensegel zu erreichen. Zu diesem Zweck wird eine deutliche Verkleinerung des Mitralklappenanulus (»undersizing«) angestrebt, und zwar durch Verwendung eines kompletten Ringes. ! Besonders wichtig ist es, die Nähte für die Implantation des Mitralklappenrings sicher im Anulus (und nicht in der Vorhofwand oder gar im Segel) zu verankern, da der Zug an diesen Nähten bei der Ringverkleinerung und der ausgeprägten linksventrikulären Dilatation groß sein kann (. Abb. 21.9c).
21
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Kapitel 21 · Linksventrikuläre Rekonstruktion und konventionelle Herzinsuffizienzchirurgie
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a
c
das linksventrikuläre Netz (»left ventricular constraint device«, Acorn-Device; Konertz et al. 2001), die Myosplintimplantation (Fukamachi u. McCarthy 2005) und die transmyokardiale Laserrevaskularisation (Lutter et al. 2002).
Literatur
b . Abb. 21.9a–c. Normalbefund mit ausgeprägter Koaptationsfläche (a); Entstehung der funktionellen Mitralklappeninsuffizienz (b); Stechen der Nähte in den Anulus und Verwendung eines kompletten Mitralklappenrings (c)
21.3.3
Sonstige Maßnahmen
Aufgrund der großen Bedeutung der schweren Herzinsuffizienz haben sich über viele Jahre unterschiedliche Methoden entwickelt, die aber nicht zu den bewährten Routineverfahren zu zählen sind. Teils haben sie das experimentelle Stadium (noch) nicht verlassen, teils konnten sie keinen Stellenwert in der täglichen Praxis erreichen. Dazu zählen u. a. die dynamische Kardiomyoplastie (Lange et al. 1995), die biologische Gegenpulsation mit Aortoplastie (Guldner et al. 2000), der Skelettmuskelventrikel (Guldner et al. 2001),
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21
22
22 Erworbene Vitien der Aortenklappe H.-H. Sievers, M. Misfeld 22.1
Einleitung – 601
22.2
Historischer Rückblick
22.3 22.3.1 22.3.2 22.3.3
Allgemeine Grundlagen – 602 Anatomie der Aortenwurzel – 602 Erkrankungen der Aortenklappe – 603 Diagnostik von Aortenklappenerkrankungen – 604 Operationsindikationen – 605 Präoperatives Management – 605
22.3.4 22.3.5 22.4 22.4.1 22.4.2
22.5 22.5.1 22.5.2
22.1
– 601
Operative Technik und Zugang zum Herzen – 605 Technik der extrakorporalen Zirkulation und Myokardprotektion – 606 Exposition der Aortenklappe, Aortenverschluss und Herzentlüftung – 606
22.5.3 22.5.4 22.5.5
Mechanische Klappenprothesen – 617 Biologische Klappenprothesen – 618 Kombinierte Eingriffe – 622
22.6 22.6.1 22.6.2 22.6.3
Intra- und postoperativer Verlauf – 624 Patientenüberwachung – 624 Postoperatives Management – 624 Chirurgische Ergebnisse und Komplikationen – 625
22.7
Re-Operationen
22.8
Alternative Behandlungsmaßnahmen – 627
22.9
Chirurgische Techniken bei Aortenklappenendokarditis – 628 Aortenwurzelabszess – 628 Multivalvuläre Endokarditis – 630
22.9.1 22.9.2
Eingriffe im Bereich der Aortenklappe – 608 Aortenklappenrekonstruktion – 609 Aortenklappenersatz – 614
Einleitung
Die Chirurgie an der Aortenklappe gehört in der Herzchirurgie zu den Routineeingriffen. Neben rekonstruktiven Verfahren steht der Aortenklappenersatz im Vordergrund. Im Jahre 2005 wurden in Deutschland mehr als 11.400 Aortenklappeneingriffe durchgeführt (Gummert et al. 2006). Ursächlich liegt eine Aortenklappenstenose, eine Aortenklappeninsuffizienz oder die Kombination aus beiden Erkrankungen zugrunde. Als Ersatzventile stehen neben unterschiedlichen mechanischen Herzklappen biologische Klappen zur Verfügung. Hierbei verwendet man Xenografts (Heterografts – Gewebe einer anderen Spezies) in Form von gerüstlosen (»ungestenteten«) oder gerüstgestützten (»gestenteten«) Prothesen. Unter »gestenteten« Prothesen versteht man die Einnaht von Xenomaterialien in ein Gerüst (Stent), um die Ventilfunktion der Aortenklappe zu gewährleisten. Bei »ungestenteten« Prothesen wird entweder eine komplette Aortenwurzel vom Schwein, eine komplett rekonstruierte Aortenwurzel oder ein Anteil
Literatur
– 627
– 630
einer Aortenwurzel aus xenologem Perikard direkt eingenäht. Als xenologe Materialen kommen Aortenklappen vom Schwein oder Klappen aus Perikard von Rind oder Pferd zur Anwendung. Zu den biologischen Herzklappen zählen weiterhin Homografts (Allografts – Gewebe der gleichen Spezies) und Autografts (eigenes Gewebe des Patienten), die z. B. im Rahmen der Ross-Operation verwendet werden.
22.2
Historischer Rückblick
Die erste Operation einer Aortenklappenerkrankung wird dem Pariser Chirurgen Theodore Tuffier (1857–1929) und dem Chirurgen Alexis Carrel zugesprochen. Sie führten am 13.07.1912 eine manuelle Dilatation einer Aortenklappenstenose bei einem 26-jährigen Patienten durch, indem sie die Aorta ascendens in die Aortenklappe invaginierten. Carrel nahm zudem zu Beginn des 20. Jahrhunderts erstmalig eine Anastomose zwischen dem linken Ventrikel und
602
22
Kapitel 22 · Erworbene Vitien der Aortenklappe
der Aorta descendens im Tierversuch vor, um die Aortenklappe zu umgehen. Zwischen 1912 und dem Ende des 2. Weltkriegs wurden keine realistischen neuen Methoden zur Aortenklappenchirurgie entwickelt. Zu dieser Zeit führte der Zugang zur Aortenklappe entweder retrograd über die Aorta ascendens oder über die Spitze des linken Ventrikels. Im Jahre 1950 entwickelte Charles Bailey einen Aortenklappendilatator. Er ist in Anlehnung an einen Dilatator zur Mitralklappensprengung (entwickelt von Lord Brock) konzipiert worden, hat jedoch einen dreiteiligen Kopf, der zudem drehbar ist und der Einstellung in die Aortenkommissuren dient. Am 11.09.1952 implantierte Charles A. Hufnagel (1917–1989) von der Georgetown University eine von ihm konstruierte Klappe in die Aorta descendens und konnte bei einem Patienten mit Aortenklappeninsuffizienz eine Reduktion der Regurgitation um 70 % erreichen. Ursprünglich war der Ball in dieser Klappe aus Metall, später wurde er aus Silikon gefertigt. Am 10.03.1960 wurde durch Dwight E. Harken (1910–1993) erstmals eine von ihm entwickelte künstliche Herzklappe in Aortenposition implantiert. Der Thoraxchirurg Albert Starr und der Pumpeningenieur Miles Lowell Edwards entwickelten eine Kugelprothese, zunächst für die Mitralposition. Das Modell 1260 wurde 1966 erstmals implantiert. Viking Björk und Don Shiley entwickelten eine konvex-konkave Kippscheibenklappe. Das erste Modell hatte einen Öffnungswinkel von 60° und war zwischen 1969 und 1986 auf dem Markt. Das Nachfolgemodell mit nur einem Bügel (»monostrut«), verbessertem Käfigdesign und einem Öffnungswinkel von 70° war seit 1982 verfügbar. Es wurde wegen vereinzelter, zum Teil letal verlaufender Bügelbrüche im Jahre 1986 vom Markt genommen. Im Jahre 1977 entwickelte die Firma St. Jude Medical das erste Modell einer zentral öffnenden Doppelflügelklappe (Öffnungswinkel von 85°). Am 24.06.1962 verwendete Donald Ross erstmals einen tiefgefrorenen Homograft in Aortenposition. Marion Ionescu aus Leeds, England, implantierte eine in einem Rahmen (Gerüst) aufgehängte (»gestentete«) autologe Herzklappe, die aus der Fascia lata des Patienten gefertigt war. Ionescu verwendete zudem heterologes Perikard. Nachdem Carlos Duran und Alfred Gunning in Oxford sich auf die Konservierung von Xenografts konzentrierten und am 23.09.1964 die erste gerüstgestützte Schweineklappenprothese implantierten, folgten andere Chirurgen wie Alan Carpentier aus Paris, der mit Miles L. Edwards eigene biologische Herzklappen entwickelte und diese kommerziell vertrieb. Im Jahre 1964 wurden Herzklappen aus Schweine- und Kälbergewebe noch mit Quecksilbersalz konserviert, seit 1968 kamen dann Formaldehyd und Glutaraldehyd zum Einsatz.
22.3
Allgemeine Grundlagen
Die Aortenwurzel stellt die Verbindungseinheit zwischen dem linken Ventrikel und der aufsteigenden Aorta dar. Die Aortenklappe ist Bestandteil der Aortenwurzel und durch verschiedene Strukturen definiert. Es lässt sich eine anatomische Grenze zwischen dem linken Ventrikel und der Aortenwurzel feststellen, die sich jedoch von der physiologischen Grenze unterscheidet.
22.3.1
Anatomie der Aortenwurzel
Den funktionellen Hauptbestandteil der Aortenklappe bilden die 3 Klappentaschen dieser Taschenklappe. Die Form der Taschenansätze beschreibend wird die Aortenklappe auch als »Semilunarklappe« bezeichnet. Anatomisch können die Taschen in 3 Bereiche eingeteilt werden: 4 freier Rand mit den meist mittig gelegenen Verdickungen (Noduli Arantii), der die Koaptationsfläche zu den korrespondierenden Klappentaschen herstellt, 4 »Klappentaschenbauch«, 4 basaler Anteil. Letzterer inseriert in geschwungener Form an der Wand der Aortenwurzel und bildet hierbei den sog. Anulus. Dieser Begriff ist irreführend, da »Anulus« eine zikuläre Form impliziert, der Anulus jedoch durch die Form der Taschenklappenanheftung ein kronenförmiges Bild aufweist. Die 3 Ausbuchtungen der Aortenwurzel nennt man Sinus (Sinus Valsalvae). Aus 2 der Sinus entspringen die Koronararterien. Daraus folgt die Benennung der Sinus: 4 linkskoronartragender Sinus, 4 rechtskoronartragender Sinus, 4 nichtkoronartragender Sinus. Der Bereich der Taschenklappeninsertionsstellen, in dem 2 Klappen parallel verlaufen, heißt Kommissur. Unterhalb der Kommissuren liegen die 3 intervalvulären Trigona. Das Trigonum zwischen dem rechts- und dem nichtkoronartragenden Sinus entspricht dem membranösen Septum und beinhaltet das His-Bündel. Dieser Bereich ist beim Aortenklappenersatz von entscheidender Bedeutung, da es durch eine Schädigung der Reizleitung zu einer temporären oder dauerhaften Reizleitungsstörung (AV-Block) mit in der Folge notwendiger Herzschrittmacherimplantation kommen kann. Unterhalb des links- und des nichtkoronartragenden Trigonum verläuft die aortomitrale Kontinuität zum anterioren Mitralklappensegel. Die Sinus enden distal gemeinsam mit dem oberen Anteil der Kommissuren im sog. sinotubulären Übergang, der sich in der Aorta ascendens fortsetzt (. Abb. 22.1).
603 22.3 · Allgemeine Grundlagen
. Abb. 22.1. Schematische Darstellung der Aortenwurzelstrukturen nach Längseröffnung der Aortenwurzel. Im Bereich des membranösen Septums liegt das His-Bündel. Bei Beschädigungen des Reizleitungssystems in diesem Bereich kann es zu einer temporären oder perma-
22.3.2
Erkrankungen der Aortenklappe
Bei den Erkrankungen der Aortenklappe unterscheidet man die reine Aortenklappenstenose, die reine Aortenklappeninsuffizienz und die Kombination beider Erkrankungen. Bei der Kombination ist typischerweise eine der beiden Grundformen klinisch führend. Bei der Aortenklappenstenose unterscheidet man weiterhin valvuläre, supravalvuläre und subvalvuläre Stenosen. Eine Aortenklappeninsuffizienz kann durch eine Degeneration oder eine Zerstörung der Taschenklappen bedingt sein (z. B. bei Endokarditis) oder als rein funktionelle Insuffizienz vorliegen, und zwar durch eine Dilatation der Aortenwurzel bedingt, die durch Verziehung der Klappentaschen zu einer Regurgitation des Blutes führt. 22.3.2.1
Aortenklappenstenose
Vor 1950 zählten rheumatische Aortenklappenerkrankungen infolge von rheumatischem Fieber durch Streptokokkeninfektionen zu den häufigsten Klappenerkrankungen (Rahimtoola u. Frye 2000). Mit der allgemeinen
nenten postoperativen AV-Blockierung kommen. Die aortomitrale Kontinuität spiegelt die enge topographische Beziehung der Aortenwurzel zur Mitralklappe wider. K Kommissur; Dreieck Trigona; TK Taschenklappe
Einführung einer Penicillinprophylaxe sank die Anzahl dieser Erkrankungen dramatisch. Heutzutage ist die kalzifizierende Aortenklappenerkrankung die Hauptursache der Aortenklappenstenose, die gerade in Hinblick auf die steigende Lebenserwartung noch weiter zunehmende Bedeutung erlangen wird. Bei dieser Form der Erkrankung ist wohl – entgegen ursprünglicher Annahmen – nicht von einem rein zeitabhängigen degenerativen Prozess auszugehen, sondern es handelt sich vielmehr um einen »aktiven« Vorgang mit analogen Veränderungen wie bei der Atherosklerose. Es kommt zur Ablagerung von Lipoproteinen, einer chronischen Inflammation und einer aktiven Taschenklappenkalzifikation (Freeman u. Otto 2005). Es wird weiterhin angenommen, dass bei einigen Patienten eine genetische Komponente der kalzifizierenden Aortenklappenstenose besteht (Probst et al. 2006). Eine infektiöse Genese unter Beteiligung von Clamydia pneumoniae scheint hingegen eher unwahrscheinlich (Kaden et al. 2003).
22
604
Kapitel 22 · Erworbene Vitien der Aortenklappe
22.3.2.2
22
Aortenklappeninsuffizienz
Ursache einer erworbenen Aortenklappeninsuffizienz war in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts oft die tertiäre Syphilis mit der Folge einer Klappenendokarditis (Reader et al. 1947). Bei der rheumatischen Form der Aortenklappeninsuffizienz findet man häufig retrahierte und verkürzte freie Taschenklappenränder, die keinen suffizienten Klappenschluss mehr ermöglichen. Weitere Ursachen einer Insuffizienz in der heutigen Zeit sind die Destruktion der Taschenklappen, z. B. durch eine Endokarditis, die akute posttraumatische Klappenschädigung sowie die akute TypA-Dissektion. In den meisten Fällen kommt es jedoch zu einer relativen Aortenklappeninsuffizienz durch die Dilatation der Aortenwurzel, die zu einer Regurgitation des Blutes in den linken Ventrikel führt. Häufig stellt sich eine Aortenklappenerkrankung als kombiniertes Vitium dar, mit Prävalenz der stenosierenden oder insuffizienten Komponente. 22.3.2.3
Bikuspide Aortenklappen
Bikuspide Aortenklappen zählen mit einer Häufigkeit von bis zu 2 % zu den häufigsten angeborenen Herzfehlern. Ursächlich scheinen erbliche Faktoren eine Rolle zu spielen (Cripe et al. 2004). Da bikuspide Aortenklappen dazu neigen, eine kalzifiziernde Aortenklappenstenose zu entwickeln, ist es nicht verwunderlich, dass ein Aortenklappenersatz häufiger aufgrund dieses Vitiums als bei verkalkten trikuspiden Aortenklappen durchgeführt wird (Roberts u. Ko 2005). Die biskuspiden Aortenklappen können hinsichtlich ihrer morphologischen Präsentation klassifiziert werden, was bei der Beurteilung unterschiedlichster Rekonstruktionsergebnisse von Vorteil ist (Sievers u. Schmidtke 2007). Prinzipiell können alle Techniken der Aortenklappenoperation auch bei bikuspiden Aortenklappen durchgeführt werden. Klappenrekonstruktionen zeigen gute frühe bis mittelfristige postoperative Ergebnisse (Davierwala et al. 2003; ElKhoury et al. 2006). Aortenklappenerhaltende Verfahren wie die David- oder die Yacoub-Operation (David u. Feindel 1992; Fagan et al. 1982; s. unten, 22.5.1, »Rekonstruktion von Aortenwurzelanteilen«) können bei Vorliegen dieses Vitium ebenfalls durchgeführt werden, wenn die sonstige Klappenqualität nicht dagegen spricht und eine adäquate Rekonstruktion der Klappenfunktion erreicht werden kann. Bei »wahren« bikuspiden Aortenklappen hingegen, einer seltenen Form dieser Klappenanomalie, sind Operationstechniken, bei denen trikuspide, biologische, nichtgestentete Prothesen (z. B. Homografts, »Stentless«-Bioprothesen) Verwendung finden, nur mit Einschränkungen durchzuführen, da die Koronarostien meist in einem Winkel von 180° zueinander stehen, was die Orientierung und die Positionierung der Kommissuren deutlich erschweren kann.
22.3.2.4
Natürlicher Verlauf
Die kalzifizierende Aortenklappenstenose ist eine progrediente Erkrankung. Liegt eine asymptomatische, milde oder moderate Aortenklappenstenose vor, so wird dies vom Herzen meist noch gut toleriert. Eine schwere Aortenklappenstenose hingegen weist eine hohe Letalitäts- und Morbiditätsrate auf. Insbesondere bei Vorliegen einer verminderten linksventrikulären Funktion, bei eingeschränkter Nierenfunktion und im Stadium der Dekompensation, aber auch bei Patienten in einem höheren Lebensalter ist die Prognose der Aortenklappenstenose beim natürlichen Verlauf sehr ungünstig (Varadarajan et al. 2006b). Patienten mit einer Aortenklappeninsuffizienz bleiben häufig lange Zeit asymptomatisch. Sobald klinische Symptome auftreten, ist die linke Herzkammer meist schon dilatiert, und es kommt zu einer schnellen Verstärkung der Symptome.
22.3.3
Diagnostik von Aortenklappen erkrankungen
Patienten mit einer Aortenklappenstenose oder -insuffizienz können bei milder Ausprägung der Erkrankung symptomatisch sein oder trotz einer schweren Form keinerlei klinische Symptome aufweisen. Häufig geschilderte Beschwerden sind Angina pectoris oder Symptome einer Herzinsuffizienz wie Belastungsdyspnoe, Orthopnoe, paroxysmale nächtliche Dyspnoe oder systemische Stauungszeichen. Synkopen treten häufiger bei Patienten mit Aortenklappenstenose auf. In etwa einem Drittel der Fälle klagt der Patient über die typische Trias aus Angina pectoris, Dyspnoe und Synkope. Eine geringe Anzahl an Patienten mit Aortenklappenstenose fällt durch gastrointestinale Blutungen auf. Ursächlich liegt eine gastrointestinale Angiodysplasie vor, die vermutlich in Zusammenhang mit einem von-WillebrandSyndrom und der hierbei vorliegenden Gerinnungsstörung das klinische Bild verursacht. Eine gastrointestinale Angiodysplasie in Kombination mit einer Aortenklappenstenose wird als »Heyde-Syndrom« bezeichnet (Pate et al. 2004); Therapie der Wahl ist der Aortenklappenersatz. Bei der klinischen Untersuchung lassen sich auskultatorisch Stenose- (2. Interkostalraum rechts parasternal mit Weiterleitung in die Karotiden) oder Insuffizienzgeräusche (frühsystolisch mit Weiterleitung zum Apex) erfassen. Auf dem Röntgenbild des Thorax zeigen sich häufig Zeichen der Linksherzhypertrophie und ggf. Kalzifikationen im Bereich der Aortenklappe. Die echokardiographische Untersuchung ist wegweisend. Es lassen sich maximale und mittlere Druckradienten, Öffnungsflächen und Insuffizienzgrade bestimmen. Die Erfassung von Aortenwurzeldimensionen, Kalzifizierungsgrad der Aortenklappe und Restmobilität der Segel ist ebenfalls möglich. Zudem lassen sich evtl. vorliegende endokarditische
605 22.4 · Operative Technik und Zugang zum Herzen
Veränderungen (Vegetationen oder Abszesse) diagnostizieren. Die Linksherzkatheteruntersuchung stellt weiterhin den Goldstandard bei der Diagnostik von Aortenklappenerkrankungen dar. Hierbei lassen sich ebenfalls Druckgradienten und Insuffizienzgrade bestimmen. Sie ermöglicht zudem den Ausschluss oder die Beurteilung einer evtl. begleitenden weiteren kardialen Erkrankung (z. B. koronare Herzerkrankung) und ist zur Beurteilung evtl. vorliegender Koronaranomalien von Wert. Die Magnetresonanztomographie gewinnt im Bereich der kardialen Diagnostik zunehmend an Bedeutung. Zum jetzigen Zeitpunkt stellt sie jedoch noch eine zusätzliche diagnostische Möglichkeit dar, ohne die Echokardiographie oder die Linksherzkatheteruntersuchung zu ersetzen.
22.3.4
Operationsindikationen
Es gibt keinen alleinigen Parameter, der eine schwere Aortenklappenstenose definiert. Die Indikation zum Aortenklappenersatz hängt vielmehr von der klinischen Symptomatik, den hämodynamischen Parametern und den Begleiterkrankungen ab. Symptomatische Patienten profitieren eindeutig von einem Klappenersatz (Rahimtoola 1998). ! Grundsätzlich gilt eine Klappenöffnungsfläche von ≤1,0 cm2 oder ein mittlerer transvalvulärer Druckgradient von ≥50 mmHg als Indikation zum Klappenersatz.
Hierbei ist zu berücksichtigen, dass der Druckgradient entscheidend von der linksventrikulären Funktion abhängt. Somit kann eine schwere Aortenklappenstenose trotz eines deutlich kleineren mittleren Druckgradienten dann vorliegen, wenn die linksventrikuläre Funktion eingeschränkt ist. Diese Patienten scheinen ebenfalls von einer Operation zu profitieren, auch wenn die sog. kontraktile Reserve (Erholung der linksventrikulären Funktion nach dem Aortenklappenersatz) nicht mehr erhalten ist (Quere et al. 2006). Bezogen auf die Klappenöffnungsfläche ist eine schwere Aortenklappenstenose als eine Klappenöffnungsfläche von ≤1,0 cm2 (≤0,6cm2/m2) definiert (ACC/AHA Guidelines aus dem Jahre 2006; Bonow et al. 2006). . Tabelle 22.1
zeigt Klappenöffnungsflächen als Richtwerte bei der Beurteilung einer Aortenklappenstenose. Patienten mit einer asymptomatischen, jedoch schweren Aortenklappenstenose entwickeln innerhalb der ersten 5 Jahre Symptome, mit dem Risiko eines plötzlichen Herztodes von 1 % pro Patientenjahr (Pellikka et al. 2005). Unterstützend bei der Differenzierung zwischen einer symptomatischen und einer asymptomatischen Aortenklappenstenose kann das Belastungs-EKG sein, da ein signifikanter Anteil der zuvor asymptomatischen Patienten während der Belastung über Symptome berichten (Das et al. 2005). Patienten mit einer akuten und somit meist höhergradigen Aortenklappeninsuffizienz entwickeln typischerweise ein Lungenödem und eine arterielle Hypotension. Sie sollten unverzüglich operiert werden. Bei einer chronischen Insuffizienz ist die Wahl des richtigen Operationszeitpunktes entscheidend. Hierbei sollte die Operation erwogen werden, bevor die linksventrikuläre Ejektionsfraktion unter 55 % sinkt oder der (korrigierte) linksventrikuläre enddiastolische Diameter 55 mm erreicht (Bekeredjian u. Grayburn 2005). Nach den allgemeinen Richtlinien haben Patienten, die früh einer Operation zugeführt werden, in Hinblick auf das Langzeitüberleben eine günstigere Prognose als jene, bei denen man abwartet (ACC/AHA Guidelines aus dem Jahre 2006; Bonow et al. 2006; Tornos et al. 2006). Ist es bereits zu einer schweren Einschränkung der linksventrikulären Funktion gekommen, so profitieren jedoch auch diese Patienten von einer Operation (Bhudia et al. 2007).
22.3.5
Präoperatives Management
! Zusätzlich zur allgemeinen Vorbereitung auf eine Herzoperation sollten bei Patienten, die einer Herzklappenoperation zugeführt werden, akute und chronische Infektionsherde ausgeschlossen werden. Insbesondere Prozesse im Hals-Nasen-Ohren- oder Zahnbereich sind vor elektiven Eingriffen zu sanieren, um das Risiko einer möglichen Prothesenendokarditis zu reduzieren. In Ausnahmefällen (z. B. Notfälle) ist ein Eingriff unter laufendem Antibiotikaschutz indiziert. Patienten unter Dauerantikoagulation mit Coumadinderivaten sollten präoperativ auf i. v. Heparin umgestellt werden.
. Tab. 22.1. Klappenöffnungsflächen als Richtwerte bei der Beurteilung einer Aortenklappenstenose Klappenöffnungsfläche [cm2]
Grad der Aortenklappenstenose
>2,5
Keine Stenose
1,6–2,5
Leichte Stenose
1,0–1,5
Moderate Stenose
<1,0
Schwere Stenose
<0,75
Schwere, kritische Stenose
22.4
Operative Technik und Zugang zum Herzen
Die Operation wird in Allgemeinanästhesie unter Einsatz der Herz-Lungen-Maschine durchgeführt. Neben mehrlumigen zentralen Venenwegen und einer arteriellen Blutdruckmessung sollte idealerweise die transösophageale Echokardiographie zum Standardmonitoring, bzw. zur Standarddiagnostik gehören.
22
606
22
Kapitel 22 · Erworbene Vitien der Aortenklappe
Der Patient wird auf dem Rücken gelagert. Nach der Hautdesinfektion – die mindestens über die Leistenregion geführt werden sollte, um einen Zugang zu den Leistengefäßen zu ermöglichen – erfolgt die sterile Abdeckung. Der übersichtlichste Zugang zur Aortenklappe erfolgt über eine mediane Sternotomie. Zur Erhaltung der postoperativen Thoraxstabilität sind partielle Sternotomien, z. B. in Form einer invers T- oder L-förmigen Sternotomie im oberen Aschnitt für den unkomplizierten Aortenklappenersatz, möglich (Bakir et al. 2006). Für komplexe Eingriffe sollte der Standardzugang gewählt werden. Nach der sorgfältigen Blutstillung im Bereich des Sternums werden der Thoraxsperrer eingesetzt, das Perikard in einer inversen T-Form gespalten und die Perikardränder hochgenäht. Hierdurch wird eine Verlagerung des Herzens nach ventral erreicht und eine gute Übersicht geschaffen. Gegebenenfalls ist es erforderlich, das Herz aus Verwachsungen zwischen Myokard und Perikard zu befreien. Hierbei kann es u. U. erforderlich sein, den Patienten zunächst an die extrakorporale Zirkulation anzuschließen, um das Herz unter kontrollierten Bedingungen freizupräparieren. Häufig ist eine komplette Befreiung des Herzens bei Re-Operationen jedoch nicht notwendig. Zur Entlüftung reicht es oftmals aus, die linke Pleura zu eröffnen und hierüber den linken Ventrikel auszumelken.
22.4.1 Technik der extrakorporalen Zirkulation
. Abb. 22.2. Situs zu Beginn des kardialen Eingriffs. Die Aorta ascendens ist am Übergang zum Aortenbogen kanüliert. Die beide Hohlvenen wurden über den rechten Vorhof selektiv kanüliert. Die Aorta ascendens ist geklemmt. Es erfolgt eine bogenförmige Inzision der Aorta ascendens in den nichtkoronartragenden Sinus bzw. eine Querinzision der Aorta (Insert)
und Myokardprotektion Der Anschluss an die extrakorporale Zirkulation erfolgt in standardisierter Technik. Nach Vollheparinisierung wird in aller Regel die Aorta ascendens am Übergang zum Aortenbogen nach vorgelegter, ggf. doppelter Tabaksbeutelnaht kanüliert. Zuvor müssen palpatorisch Verkalkungen an dieser Stelle ausgeschlossen sein. Abweichend hiervon können bei Vorliegen von Verkalkungen in diesem Bereich der konvexe Anteil der Aorta ascendens, der Truncus brachiocephalicus, die A. subclavia (meist über einen separaten Zugang) und alternative arterielle Kanülierungsstellen verwendet werden. Mittels eines venösen Zweistufenkatheters wird der rechte Vorhof kanüliert. Alternativ kann man die beiden Hohlvenen selektiv anschließen (. Abb. 22.2). Die Operation erfolgt in Normothermie oder moderater Hypothermie (30–32°C). Nach der elektrischen Induktion von Kammerflimmern wird die Aorta mittels einer Aortenklemme geklemmt. Auch hier sollten vorher Verkalkungen ausgeschlossen sein. Hierbei ist eine Distension des linken Ventrikels zu vermeiden, insbesondere bei Vorliegen einer Aortenklappeninsuffizienz. Liegt eine reine Aortenklappenstenose vor, kann die kardioplegische Lösung initial über die Aortenwurzel gegeben werden. In allen übrigen Fällen wird eine selektive Gabe der Kardioplegielösung in die Koronarostien empfohlen, ebenfalls um eine Distension des linken Ventrikels zu vermeiden. Vorsicht ist bei kurzen
linken Hauptstämmen geboten, da bei der selektiven Gabe möglicherweise nur ein Ostium mit kardioplegischer Lösung versorgt wird. Ist eine antegrade Applikation der kardioplegischen Lösung aufgrund von Verkalkungen der Koronarostien nur erschwert möglich, so ist die retrograde Gabe unter weiterer Unterkühlung des Patienten oder eine vorherige Bypassversorgung mit dann selektiver Verabreichung der Lösung über den Bypass zu erwägen. Optional ist die Verwendung eines Entlastungskatheters (»vents«), der in Höhe der rechten oberen Pulmonalvene nach Vorlegen einer Tabaksbeutelnaht über den Sulcus interatrialis in die linke Herzkammer eingeführt werden kann und einen blutfreien Situs ermöglicht. Einige Chirurgen favorisieren zudem die Verwendung einer CO2-Insufflation in den Situs (2–4 l/min). Da CO2 schwerer ist als Luft, kommt es zur Verdrängung derselben. Das CO2 selbst wird schnell im Blut gelöst und soll die gefürchteten Luftembolien vermeiden (Martens et al. 2008).
22.4.2 Exposition der Aortenklappe, Aorten-
verschluss und Herzentlüftung Die Exposition der Aortenklappe wird durch eine oberhalb des sinotubulären Übergangs gelegene Querinzision oder
607 22.4 · Operative Technik und Zugang zum Herzen
b
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c . Abb. 22.3a–c. Schnittverlauf im nichtkoronartragenden Sinus bei bogenförmiger Aortotomie (a) bzw. bei suprakoronarer Querinzision (b, c)
durch eine bogenförmige Inzision in den nichtkoronartragenden Sinus erreicht (. Abb. 22.3). Hierbei ist insbesondere bei bikuspiden Aortenklappen darauf zu achten, dass das rechte Koronarostium sehr hoch im Bereich des sinotubulären Übergangs liegen kann. ! Vor der Inzision in die Aorta ist das rechte Koronarostium zu identifizieren und die Aortenbasis in Hinblick auf Verkalkungen zu inspizieren.
Dorsal ist bei der Querinzision auf die Position des linken Koronarostiums zu achten. Ist die Rekonstruktion der Aortenklappe geplant, so ist eine Inzision, die nicht über den sinotubulären Bereich in die Aortenwurzel hinausreicht, vorzunehmen, um die Gesamtgeometrie der Aortenwurzel nicht zu verändern. Dies ist zur Beurteilung der zugrunde liegenden Pathologie der Klappenfehlfunktion sehr wichtig. Durch Haltefäden am Aortenrand – besser im Kommissurenbereich – kann die Exploration der Aortenklappe
weiter verbessert werden. Je nach verwendetem Klappentyp kann ein spezieller Zugang zur Aortenklappe erforderlich sein (s. unten, 22.5.4). Ist eine Erweiterung der Aortenbasis notwendig, so ist die schräge Inzision in den nichtkoronartragenden Sinus vorzuziehen, da sie die Durchführung einer Erweiterungsplastik ermöglicht (s. unten, 22.5.2, »Erweiterung der Aortenbasis«). Liegen Verkalkungen der Aortenwurzel vor, so kann die Querinzision von Vorteil sein, um nicht durch die Verkalkungen schneiden zu müssen. Vor der Wahl der Aorteninzision sind diese Kriterien zu berücksichtigen. Nach Beendigung der Klappenkorrektur wird die Aorta unter Verwendung atraumatischen, monofilen Nahtmaterials (z. B. Stärke 4/0 oder 5/0) mit 2 fortlaufenden Nähten doppelreihig in doppelt überwendlicher Technik oder zunächst mittels Matratzennaht und danach in überwendlicher Technik verschlossen (. Abb. 22.4). Hierbei ist zu empfehlen, in beiden Inzisionswinkeln zu beginnen, ggf. unter Verwendung von Filzwiderlagern, und am höchstgelegenen Punkt zu enden (. Abb. 22.5). Ist die Aorta ascendens sehr fragil oder finden sich ausgedehnte Verkalkungen, so kann es erforderlich sein, den Aortenverschluss über doppelte Filz- oder Perikardstreifen zu sichern. In Ausnahmefällen müssen Teile der Aorta ascendens durch Perikardoder Prothesenflicken ersetzt werden (. Abb. 22.6). Vor dem Aortenverschluss ist rechtzeitig die Entlastung (das »Venten«) des linken Ventrikels zu beenden und die Tabaksbeutelnaht in der rechten oberen Lungenvene unter Belüften der Lungen zu verschließen. In Kopftieflage und bei reduziertem Fluss an der extrakorporalen Zirkulation sollten die Freigabe der Aortenklemme sowie weitere ausgiebige Entlüftungsmanöver über die Aorta ascenden in aktiver Form (Saugung) oder passiv (durch Schaffung einer Öffnung) erfolgen. Weiterhin in Kopftieflage geschieht eine weitere Entlüftung des linken Ventrikels über dessen Apex unter Zuhilfenahme einer Kanüle mit anschließender
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608
Kapitel 22 · Erworbene Vitien der Aortenklappe
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. Abb. 22.4a, b. Verschluss der Aorteninzision nach beendeter Prothesenimplantation mit 2 in den beiden Inzisionswinkeln beginnenden und bis zum höchsten Punkt aufeinander zulaufenden atraumati-
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schen Nähten (a) bzw. unter Einschaltung eines Perikard- oder Kunststoffstreifens (b), hier mit Fixierung des unteren Flickenendes am Nahtring der Kunstklappe
. Abb. 22.6. Verschluss der Aortotomie unter Einschluss eines Perikardstreifens bei schlechten Gefäßwandverhältnissen
. Abb. 22.5. Direktverschluss der Aortotomie mit 2 fortlaufenden Nähten kurz vor Komplettierung der Naht
Übernähung der Entlüftungsstelle (z. B. monofile Naht der Stärke 5/0 oder 4/0, ggf. mit Filz- oder Perikardwiderlager). Nach Aufhebung der Kopftieflage sollten weitere Entlüftungsmanöver über die Aorta ascendens erfolgen, bis unter echokardiographischer Kontrolle sowie nach Volumengabe über die extrakorporale Zirkulation und Lungenblähungen keine Zeichen für im Herzen verbliebene Luft mehr vorliegen. Ein komplettes Entlüften des linken Ventrikels kann auch noch unter Aortenklemmung durch linksventrikuläre
Manipulation, venöses Anstauen und Lungenblähen erfolgen, ohne dass die Patientenlage oder der Fluss der extrakorporalen Zirkulation verändert werden muss. Handelt es sich um eine Re-Operation, so kann der linke Ventrikel bei noch geklemmter Aorta zunächst durch Fußtief- und Linksseitenlagerung manuell über die eröffnete linke Pleura »ausgemolken« werden und die Entlüftung über eine Inzision in die Aorta ascendens erfolgen. Hierbei ist darauf zu achten, dass der linksventrikuläre Apex den tiefsten Punkt darstellen muss, um dieses Entlüftungsmanöver effektiv durchführen zu können.
22.5
Eingriffe im Bereich der Aortenklappe
Erstes Ziel einer Klappenoperation sollte die Rekonstruktion der patienteneigenen Herzkappe sein. Eine endgültige Entscheidung darüber, ob die Herzklappe rekonstruier-
609 22.5 · Eingriffe im Bereich der Aortenklappe
bar ist, lässt sich abschließend erst intraoperativ treffen. Hierbei ist nicht die Frage entscheidend, ob sich die Herzklappe rekonstruieren lässt, sondern vielmehr, wie dauerhaft das Rekonstruktionsergebnis sein wird. Bei Vorliegen einer absoluten oder relativen Aortenklappeninsuffizienz lässt sich die Klappenfunktion häufig durch spezielle Rekonstruktionsverfahren wiederherstellen. Aortenklappenstenosen führen meist zum Aortenklappenersatz.
22.5.1
Aortenklappenrekonstruktion
Rekonstruktionstechniken der Aortenklappe sind bereits Ende der 1950er Jahre von Taylor angewandt worden (Taylor et al. 1958). Ihr prinzipieller Vorteil gegenüber dem Klappenersatz liegt in der fehlenden Notwendigkeit einer dauerhaften Antikoagulation, und zwar aufgrund des fehlenden Thromboembolierisikos und der Tatsache, dass vitales Gewebe erhalten bleibt. Aortenklappenrekonstruktionen sollten – vergleichbar mit der Mitralklappenrekonstruktion – systematisiert erfolgen. Bei der Inspektion der Aortenklappe sind die einzelnen strukturellen Elemente der Aortenwurzel (Klappentaschen, »Anulus«, Sinus, Trigona, sinotubulärer Übergang und Kommissuren) hinsichtlich ihrer Kausalität für die Insuffizienz sowie ihrer Rekonstruierbarkeit zu beurteilen. Von entscheidender Bedeutung ist hierbei auch die Beziehung dieser Strukturen zueinander, z. B. erweiterter nichtkoronartragender Sinus und Anulusdilatation in diesem Bereich. Anders als bei der Mitralklappenrekonstruktion kann das Resultat der chirurgischen Maßnahmen an der Aortenklappe während der Operation am offenen Herzen nicht unmittelbar getestet werden. Die intraoperative transösophageale Echokardiographie ermöglicht es jedoch, das Operationsergebnis zeitnah zu überprüfen, weswegen die Aortenklappenrekonstruktion – falls erforderlich – noch während der Operation durch erneutes Abklemmen der Aorta und einen weiteren Eingriff verbessert oder die Aortenklappe ersetzt werden kann. Eine verbliebene, mittelgradige Restinsuffizienz ist als Rekonstruktionsergebnis nicht zu akzeptieren und sollte korrigiert werden.
. Abb. 22.7. Klappenrekonstruktion durch scharfe Trennung der in den Kommissuren verschmolzenen Segel einer stenosierenden Aortenklappe mit noch beweglichen und unverkalkten Segeln
! Die Aortenklappenrekonstruktion geht in erfahrenen Händen mit einem geringen perioperativen Risiko sowie akzeptablen 5- und 10-Jahres-Ergebnissen einher.
22.5.1.1
Rekonstruktion der Klappentaschen
Rekonstruktionen einer stenosierten Aortenklappe sind meist nur dann möglich, wenn es zu einer Verschmelzung der freien Klappentaschenränder gekommen ist, bei sonst noch zarten und nicht verkalkten Segeln. Hier kann eine scharfe Eröffnung der verschmolzenen Anteile und ggf. das vorsichtige Abtragen von verdickten Klappentaschenanteilen die Öffnungs- und Schlussfähigkeit maßgeblich verbessern (. Abb. 22.7).
. Abb. 22.8. Aortenklappeninsuffizienz durch fehlende Taschenklappenadaptation infolge Elongation eines Klappensegels bei ansonsten intakter Aortenklappe
Liegt eine Aortenklappeninsuffizienz vor, die durch einen Prolaps bzw. durch eine Elongation einer der Taschen bedingt ist, was eine adäquate Adaptation der Klappentaschen verhindert (. Abb. 22.8), so kann durch eine Plikatur im Kommissurenbereich, durch eine Plikatur im Nodulusbereich oder durch eine Verkürzung des freien Klappen-
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Kapitel 22 · Erworbene Vitien der Aortenklappe
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. Abb. 22.9. Aortenklappenrekonstruktion durch Plikatur der Taschenklappen im Kommissurenbereich. Die Aortenklappensegel werden zunächst mit einer temporären Haltenaht in ihrer Mitte adaptiert. Das elongierte nichtkoronare Segel wird angrenzend im Sinus zu beiden Kommissuren hin gefaltet und die Plikatur anschließend durch filzoder perikardarmierte U-Nähte, die durch die Aortenwand gestochen werden, fixiert
taschenrandes mittels einer Naht eine Schlussfähigkeit der Klappe erreicht werden. Hilfreich bei der Durchführung von Rekonstruktionstechniken der Aortenklappe sind temporäre Haltenähte, bei denen man zunächst im Nodulusbereich die korrespondierenden Taschenanteile miteinander verbindet Bei einer Plikatur im Kommissurenbereich wird das »überschüssige« Taschenmaterial gerafft und über eine mit Filz- oder Perikardwiderlager gesicherte U-Naht an der Aortenwand fixiert (. Abb. 22.9). Eine Plikatur im Bereich der Noduli Arantii wird ebenfalls mittels einer über Perikardwiderlagern gesicherten Naht durchgeführt. Als Nahtmaterialien verwendet man monofile 5/0- oder 6/0-Nähte bzw. Polytetraflourethylen-(PTFE-)Fäden (Stärke 5/0 oder 6/0). PTFE-Fäden eignen sich zudem zur Verkürzung des freien Klappentaschenrandes. Hierzu wird die Naht in Kommissurenhöhe über ein Filz- oder Perikardwiderlager zunächst von außen durch die Aortenwand gestochen und entweder in doppelt überwendlicher Technik oder mittels initialer Matratzennaht mit folgender überwendlicher Naht über den freien Rand der Klappentasche geführt, auf der anderen Seite der Tasche durch die Aortenwand erneut nach außen geleitet und über ein Widerlager geknotet (. Abb. 22.10). Liegt eine Verkürzung einer oder mehrerer Taschen vor, so kann eine Extension des freien Klappentaschenrandes durchgeführt werden (Duran et al. 1995). Hierzu verwendet man entweder autologes Perikard, welches zuvor in Glutaraldehyd fixiert wurde, oder fertig vorbereitetes Rin-
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. Abb. 22.10a–c. a Rekonstruktion einer insuffizienten Aortenklappe durch Plikatur der elongierten linkskoronaren Taschenklappe im Bereich des Nodulus Arantius; b, c Verkürzung des freien Taschenklappenrandes durch doppelt überwendliche (b) oder Matratzen- und einfach überwendliche Naht (c), die jeweils über Widerlager an der Außenseite der Aorta geknotet werden
611 22.5 · Eingriffe im Bereich der Aortenklappe
der Resektion der Tasche anulusseitig ein schmaler Klappensaum, an den die aus Perikard rekonstruierte neue Tasche mittels fortlaufender Naht (z. B. monofile Naht der Stärke 5/0) angenäht wird (. Abb. 22.12). Mittelfristige Ergebnisse nach Klappentaschenextensionen bei Patienten mit rheumatischer Aortenklappenerkrankung zeigen eine gute Stabilität dieser Rekonstruktionstechnik (Bozbuga et al. 2004; Grinda et al. 2002), wobei potenzielle Veränderungen der Perikard- und der nativen Klappenanteile nach Verwendung dieser Technik im Langzeitverlauf zu berücksichtigen sind (Cohen et al. 2007). Weitere isolierte Rekonstruktionstechniken der Klappentaschen bestehen in lokalen Dekalzifizierungen und im Verschluss von umschriebenen Fenestrationen oder Perforationen, z. B. nach ausgeheilter Endokarditis, mittels eines glutaraldehydfixierten autologen Perikard-Patches oder mittels Rinder- bzw. Pferdeperikard. 22.5.1.2
. Abb. 22.11. Aortenklappenrekonstruktion durch Elongation des freien Klappenrandes der linkskoronaren Taschenklappe mittels eines autologen oder xenologen Perikardstreifens
der- oder Pferdeperikard, welches bezüglich des Fixierungsprozesses den Segeln »gestenteter« Perikardklappen entspricht (. Abb. 22.11). Die Annaht des Perikardstreifens erfolgt mit einer monofilen oder einer PTFE-Naht (z. B. Stärke 5/0 oder 6/0). Je nach Ausmaß der Randverkürzung oder einer zusätzlichen Taschenverdickung kann auch eine ganze Klappentasche ersetzt werden. Hierzu verbleibt nach
. Abb. 22.12a–c. Wiederherstellung einer schlussfähigen Aortenklappe bei asymmetrischer Segelschrumpfung. a Das linkskoronare Segel ist isoliert geschrumpft. Die beiden übrigen Segel sind intakt. b Das geschrumpfte Segel wird bis auf einen klappenringnahen Saum reseziert und danach durch ein vorbereitetes Perikardtransplantat ersetzt. Dieses wird mittels fortlaufender Naht entlang des alten Taschenklappenansatzes von der einen bis zur anderen Kommissur eingenäht. c Rekonstruktionergebnis nach komplettiertem Einnähen des Perikardtransplantats
Rekonstruktion von Aortenwurzelanteilen
Veränderungen von Aortenwurzelanteilen, die eine Aorteninsuffizienz verursachen, sind in der Regel weniger durch eine Dilatation im Anulusbereich als besonders durch eine Dilatation im sinotubulären Übergang bedingt. Rekonstruktionsmaßnahmen zielen deshalb auf die Wiederherstellung der adäquaten Durchmesser in diesen Abschnitten ab (. Abb. 22.13). Liegt eine isolierte Dilatation im sinotubulären Übergang vor, kommt es zu einem Auseinanderweichen der Kommissuren mit der Folge einer funktionellen, zentral gelegenen Klappeninsuffizienz. In diesem Fall kann durch einen Ersatz der Aorta ascendens im suprakommissuralen Bereich ein kompetenter Klappenschluss erzielt werden. Eine umschriebene Dilatation des
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Kapitel 22 · Erworbene Vitien der Aortenklappe
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. Abb. 22.13a, b. Schematische Darstellung der Pathomechanismen einer zentralen Aortenklappeninsuffizienz durch Dilatation (Pfeile). Normale Aortenwurzel (a). Dilatation im basalen Anulusbereich (b)
oder im sinotubulären Bereich (c). Beides führt zu einem unvollständigen Schluss der Taschenklappensegel
basalen Anulus ist meist auf den Abschnitt des nichtkoronartragenden Sinus beschränkt. Eine mögliche Rekonstruktionstechnik besteht in einer subkommissuralen Plikatur, bei der jeweils vom nichtkoronartragenden Sinus aus mittels einer U-Naht (z. B. monofiler Faden der Stärke 4/0) über ein Filz- oder Perikardwiderlager durch das jeweilige Trigonum zum benachbarten Sinus gestochen wird, um die korrespondierenden Anulusanteile einander anzunähern. Mittels einer Anuloplastie kann zudem der gesamte basale Anulus in diesem Bereich gerafft werden. Hierzu wird zunächst die Aortenwurzel im nichtkoronartragenden Sinus-
bereich über die benachbarten Trigona hinweg freipräpariert. Anschließend werden filzamierte U-Nähte (z. B. monofiler Faden der Stärke 4/0) unter Einbezug der jeweiligen Trigona von innen nach außen durch die Aortenwurzel gestochen und über ein Widerlager (z. B. Dacronprothesenstreifen) geknotet, sodass es zu einer Raffung des basalen Anulus kommt (. Abb. 22.14). Bisherige Untersuchungen zeigen, dass die isolierte Rekonstruktion von Aortenwurzelanteilen mit guten mittelfristigen Ergebnissen durchgeführt werden kann (Carr u. Savage 2004; Langer et al. 2004). Im Gegensatz zur Mitral-
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. Abb. 22.14a, b. a Aortenklappenrekonstruktion bei isolierter Dilatation im nichtkoronartragenden Anulusbereich durch eine subkommissurale Raffung. Die mittels Widerlager (Filz oder Perikard) gesichterten U-Nähte werden vom nichtkoronartragenden Sinus aus unterhalb der Kommissuren durch die Trigona zum benachbarten Sinus gestochen und dort über ein Widerlager geknotet. b Bei der Anuloplastie werden filzgesicherte U-Nähte von innen nach außen durch den Anulus gestochen und über ein Widerlager (z.B. Dacronprothesenstreifen) in der Weise gestochen und geknotet, dass es zu einer Raffung des Anulus in diesem Bereich kommt. Hierbei sind die Bereiche unterhalb der entsprechenden Trigona unbedingt in die Raffung mit einzubeziehen. Der Verlauf der Naht im Anulusbereich muss über die entsprechenden Trigona hinausgehen (Insert)
613 22.5 · Eingriffe im Bereich der Aortenklappe
. Abb. 22.15. Yacoub-Operation (»Remodeling«-Technik). Nach der Resektion der Sinus unter Erhalt der Koronarostienabgänge wird eine Gefäßprothese »dreizüngig« zugeschnitten und in fortlaufender Technik in die Sinus eingenäht. Die Kommissuren werden durch eine zusätzliche U-Naht fixiert. Abschließend werden die Koronarostien in die Prothese re-implantiert
klappenrekonstruktion scheinen die Techniken zur Aortenklappenrekonstruktion noch einer weiteren Entwicklung zu unterliegen. Aus diesem Grund sollte man Patienten, bei denen eine Rekonstruktion durchgeführt wurde, regelmäßig nachuntersuchen (Minakata et al. 2004). Liegen bei einer komplexeren Dilatation der Aortenwurzel makroskopisch intakte Klappentaschen vor, so können klappenerhaltende Techniken zum Einsatz kommen, bei denen die Wand der Aortenwurzel durch eine Gefäßprothese ersetzt und die Klappe entweder an diese Prothese angenäht (Yacoub-Operation oder »Remodeling«-Technik) oder re-implantiert wird (David-Operation oder »Re-implantation«-Technik).
Yacoub-Operation Bei der erstmals im Jahre 1982 beschriebenen Yacoub-Operation (Fagan et al. 1982) wird die komplette Aortenwurzel freipräpariert; die Sinus werden unter Erhalt eines etwa 2 mm breiten Saumes exzidiert. Die Koronarostien werden ebenfalls mit einem »Restsaum« der Sinuswand (»button«) herausgeschnitten und zur späteren Re-Implantation in die Gefäßprothese erhalten. Nach der Bestimmung des Anulusdurchmessers legt man Haltenähte durch den oberen Anteil der Kommissuren und hält die hochgezogenen Kommissuren so in Position, dass eine ausreichende Koaptationsfläche der Taschenklappen zu erzielen ist. Hiernach
wird der Durchmesser der verwendeten Gefäßprothese mittels Sizern oder Hegar-Stiften bestimmt. Die Gefäßprothese wird in einer »dreizüngigen« Form zugeschnitten, sodass die 3 »Zungen« die resezierten Sinusanteile ersetzen. Mit einem monofilen Faden (z. B. der Stärke 4/0) erfolgt die Einnaht der »Neosinus« in fortlaufender Technik. Es ist darauf zu achten, dass die Stiche direkt durch den Anulus herangeführt werden, und zwar unmittelbar an die Klappentaschenansätze. Es ist eine absolut hämostatische Naht erforderlich (. Abb. 22.15). Beide Koronarostien werden anschließend mobilisiert. An der vorgesehenen Implantationstelle der Gefäßprothese werden mit einem Prothesenbrenner Löcher eingeschnitten. Ein Prothesenbrenner sollte auch zur Versiegelung der Prothesenränder Verwendung finden. Es ist darauf zu achten, dass die Koronarostien spannungsfrei, aber ohne Redundanz und nicht torquiert in die Prothese implantiert werden, wobei man die spätere Herzfüllung berücksichtigen muss. Die Re-Implantation der Koronarostien kann mittels eines Filz- oder Perikardstreifens mit einer monofilen Naht (z. B. der Stärke 5/0) erfolgen. Mittel- und Langzeitergebnisse dieser Technik sind sehr zufriedenstellend (Erasmi et al. 2003, 2007; Yacoub et al. 1998). ! Die Yacoub-Operation sollte bei Patienten mit Bindegewebeanomalien (z. B. Marfan-Syndrom) wegen der nicht stabilisierten Aortenbasis, die weiter dilatieren kann, nur zurückhaltend durchgeführt werden. Auch wird diese Operationsmethode aus demselben Grund bei der akuten Typ-A-Dissektion oder einem deutlich dilatierten Anulus eher nicht angewandt.
David-Operation Eine Stabilisierung des Anulusbereiches wird durch die von David im Jahre 1992 vorgestellte Operationstechnik erreicht (David u. Feindel 1992). Hierbei wird die Aortenwurzel in gleicher Weise wie bei der Yacoub-Operation freipräpariert; die Sinus werden unter Belassung eines 3–4 mm breiten Saumes exzidiert und die Koronarostien mit einem »button« erhalten. Nach der Bestimmung einer geeigneten Prothesengröße (vgl. Yacoub-Operation) werden mit oder ohne Filz armierte U-Nähte (z. B. monifiler Faden der Stärke 3/0 oder Seralene- oder Terilenenähte) von innen – dicht am Anulus – durch die Aortenbasis nach außen gestochen. Bei der Verwendung von Filzen ist darauf zu achten, dass diese keinen Kontakt zu den Taschenklappen haben. Alternativ zu einer kompletten Reihe aus U-Nähten können auch nur 3 Basisnähte unterhalb der Sinus zum Einsatz kommen. Die Nähte werden danach durch die Gefäßprothese geführt, und diese wird über die Aortenklappe gestülpt (. Abb. 22.16). Die Kommissuren werden hiernach in der Prothese positioniert. Unter Verwendung der zuvor angelegten Haltenähte werden die Kommissuren dann in der Prothese verankert, indem man sie über ein Filzwiderlager an der Außenseite der Prothese knotet. Die Einnaht des Sinussaums
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Kapitel 22 · Erworbene Vitien der Aortenklappe
! Der Vorteil der David-Operation liegt in der Möglichkeit, den Anulusbereich zu raffen und zu stabilisieren, weshalb diese Operationsmethode insbesondere bei Patienten mit Bindegewebeanomalien (z. B. MarfanSyndrom) sowie bei dilatiertem Anulus oder bei der akuten Typ-A-Dissektion besonders geeignet erscheint.
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. Abb. 22.16. David-Operation (»Re-implantation«-Technik). Nach Resektion der Sinus unter Erhalt der Koronarostienabgänge werden U-Nähte von innen nahe des Anulus zirkulär durch die Aortenbasis gestochen und durch eine Gefäßprothese geführt. Die Prothese wird dann über die Aortenklappe gestülpt, und die Fäden werden geknotet. Nach ihrer Positionierung werden die Kommissuren mittels einer U-Naht in der Prothese fixiert und die Restsinus in fortlaufender Technik eingenäht. Abschließend werden die Koronarostien in die Prothese re-implantiert
erfolgt dann in fortlaufender Nahttechnik von innen nach außen und umgekehrt, und zwar am tiefsten Punkt der Sinus beginnend mit einem monofilen Faden (z. B. der Stärke 4/0). Die Koronarostien werden in gleicher Weise wie bei der Yacoub-Operation re-implantiert. Für die David-Operation sind verschiedene Varianten vorgestellt worden, die versuchen, durch eine Überdimensionierung und Raffung der Gefäßprothese im Anulus- und Kommissurenbereich einen Pseudosinus zu kreieren. Speziell gefertigte Prothesen, die einen Pseudosinus oder bereits 3 Sinus aufweisen, sind verfügbar. Sie bieten zwar in Hinblick auf die Dauerhaftigkeit der Klappenfunktion theoretische Vorteile (Erasmi et al. 2005), zeigen jedoch bisher im klinischen Verlauf gegenüber der klassischen DavidOperation keine eindeutige Überlegenheit (David et al. 2001a, 2002; Erasmi et al. 2003, 2007). Je mehr nicht dehnbares, also prothetisches Material verwendet wird, desto mehr sind die Aortenwurzelflexibilität und die Dehnbarkeit eingeschränkt. Aus diesem Grund sind Langzeitbeobachtungen nach den verschiedenen Operationen von entscheidender Bedeutung.
22.5.2
Aortenklappenersatz
22.5.2.1
Klappenresektion und Basisentkalkung
Nach der Exploration der Aortenklappe und der Applikation der kardioplegischen Lösung wird die Klappe reseziert. Bei einer Aortenklappeninsuffizienz ohne die Möglichkeit der Rekonstruktion ist dies meist ohne Schwierigkeiten möglich. Bei der kalzifizierenden Aortenklappenstenose sind häufig ausgedehnte Verkalkungen vorhanden, die weit in den Anulus, in den linksventrikulären Ausflusstrakt und/ oder auf das anteriore Mitralklappensegel übergreifen können. Zunächst werden die Verkalkungen mittels Skalpell oder Schere in einem gewissen Abstand zum Anulus reseziert, um eine Perforation der Aortenbasiswand zu vermeiden. Mit dem Einbringen eines mit einem Haltefaden gesicherten Tupfers in den linksventrikulären Ausflusstrakt kann man verhindern, dass bei den folgenden Entkalkungsmanövern Kalkpartikel in die linke Herzkammer gelangen. Mittels Stanzen, Schere und Zangen (z. B. nach Luer oder Mikulicz) werden weitere Entkalkungsmanöver durchgeführt. Im Anulusbereich kann man die Verkalkungen dabei oftmals zunächst zerdrücken und anschließend mit der Schere resezieren. Verkalkungen im anterioren Mitralklappensegel lassen sich häufig mit einem Dissektor abpräparieren. Kommt es zu einer Perforation im Anulusbereich oder im anterioren Mitralklappensegel, so ist diese ggf. mit einem autologen Perikard-Patch und durch eine fortlaufende Nahttechnik (z. B. monofiler Faden der Stärke 5/0 oder 4/0) zu decken. Die Dekalzifizierung sollte möglichst radikal durchgeführt werden, um 4 eine adäquate Öffnungsfläche der Ausflussbahn für eine möglichst große Klappenprothese zu erhalten, 4 das Risiko paravalvulärer Lecks zu vermeiden und 4 das Risiko von Embolien durch Kalkreste zu reduzieren (. Abb. 22.17). Nach Beendigung der Entkalkungsmaßnahmen wird der Tupfer aus der linken Kammer entfernt und die Herzkammer unter temporärem Stillstand des Links-Vent mit Kochsalzlösung und einem scharfen Sauger mehrfach unter Sicht gespült. Anschließend wird eine adäquate Klappengröße ausgemessen (. Abb. 22.18). Hierbei ist zu berücksichtigen, dass die von der Industrie gelieferten unterschiedlichen Phantomgrößen nicht miteinander übereinstimmen (Bartels et al. 1998). Die Phantomgröße einer Klappe ist nur für die
615 22.5 · Eingriffe im Bereich der Aortenklappe
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c . Abb. 22.17a–c. Klappenresektion und Klappenringentkalkung vor dem prothetischen Ersatz einer stenotischen Aortenklappe. a Stilettinzision parallel zum Klappenring in der Tiefe des am besten überschaubaren und am wenigsten verkalkten Klappenanulus; b Abtra-
gung der Klappensegel mit der Schere durch Schnittführung parallel zur Aortenwand; c instrumentelle Entkalkung des Klappenanulus und der Aortenwand
entsprechende Prothesengröße und den entsprechenden Prothesentyp desselben Herstellers angemessen. 22.5.2.2
. Abb. 22.18. Ausmessung der Größe des Aortenostiums mit genormten Klappen-Sizern. Der Außendurchmesser des Sizers entspricht dem Außendurchmesser der entsprechenden Prothesengöße
Erweiterung der Aortenbasis
Ist trotz ausgiebiger Entkalkung eine für den Patienten adäquate Prothesengröße nicht zu implantieren, so kann man eine Erweiterungsplastik der Aortenwurzel durchführen. Hierzu wird die Inzision in den nichtkoronartragenden Sinus bzw. im Bereich der links- zu nicht-koronartragenden Kommissur in das anteriore Mitralklappensegel verlängert (Technik nach Manouguian und Seybold-Epting; Manouguian u. Seybold-Epting 1979). Nach der Spaltung des Anulus in diesem Bereich klappt das Aortenfundament auseinander. Unter Verwendung eines etwa 2–3 cm breiten, tropfenförmig zugeschnittenen Flickens (natives oder glutaraldehydfixiertes autologes Perikard oder Kunststoffmaterialien) wird die Aortenbasis erweitert. Mit einem monifilen Faden (z. B. der Stärke 4/0, doppelt armiert) wird die fortlaufende Naht am tiefsten Punkt im anterioren Mitralklappensegel begonnen, bis kurz oberhalb des Anulus geführt und dort mit einer zweiten Naht geblockt. Wurde der linke Vorhof eröffnet, so ist dieser mit einem separaten Flicken zu verschließen (z. B. monofile fortlaufende Naht der Stärke 4/0 oder 5/0). Die Aortenwurzel wird dann erneut vermessen und die Prothese eingenäht. Den Flicken integriert man abschließend beim Aortenverschluss auslaufend in die Naht (. Abb. 22.19).
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Kapitel 22 · Erworbene Vitien der Aortenklappe
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(Bigelow et al. 1966) oder besser durch eine Myektomie nach Morrow (Morrow 1978) durchgeführt (. Abb. 20). Angeborene Formen der subvalvulären Aortenstenose werden in 7 Kap. 14 beschrieben. 22.5.2.4
c
. Abb. 22.19a–c. Erweiterung einer zu kleinen Aortenwurzel durch eine posteriore Plastik. a Nach der Inzision durch die links- zu nichtkoronartragende Kommissur, wird die Inzision in das anteriore Mitralklappensegel verlängert. b Ein 2–3 cm breiter, tropfenförmiger Patch (natives oder glutaraldehydfixiertes autologes Perikard, xenologes Perikard oder Kunststoffmaterial) wird in die Inzision eingeführt. Das Einnähen beginnt im untersten Winkel der Mitralklappeninzision und verläuft beidseits bis kurz oberhalb des Anulus (Sternchen). c Die Implantation der Prothese erfolgt in herkömmlicher Technik. Der verbleibende Patch-Anteil wird auslaufend in den Aortenverschluss integriert
22.5.2.3
Supravalvuläre Stenose
Supravalvuläre Stenosen der aszendierenden Aorta stellen eine seltene angeborene Anomalie dar, die bereits im Kindesalter korrigiert wird und in 7 Kap. 14 abgehandelt ist. Ursächlich liegt ein Gendefekt vor, der häufig die systemischen und pulmonaren Gefäße mitbetrifft (Stamm et al. 2001). Beteiligungen der Koronararterien sowie Anomalien auf valvulärer und subvalvulärer Ebene liegen ebenfalls häufig vor (McElhinney et al. 2000).
Subvalvuläre Stenose
Bei den meisten Patienten mit einer Aortenklappenstenose liegt eine Hypertrophie des linken Ventrikels vor. Hierbei kann die Hypertrophie des M. bulbospiralis, der im Bereich des linksventrikulären Ausflusstrakts eine zusätzliche Obstruktion darstellt, erheblich ausgebildet sein. Um eine Reststenose trotz Klappenersatzes zu vermeiden, ist in diesem Fall eine Erweiterung des subvalvulären Anteils indiziert. Dies wird entweder durch eine Myotomie nach Bigelow
22.5.2.5
Prothesenwahl
Die richtige Prothesenwahl stellt einen zentralen Punkt beim Aortenklappenersatz dar. Von herausragender Bedeutung ist hierbei der Patientenwunsch, der nach einer umfangreichen Aufklärung über Risiken (z. B. Blutungen, Thromboembolien), Dauerhaftigkeit und Degenerationsraten der Prothese sowie über Re-Operationsrisiken und eigene Erfahrungen entstehen sollte. Dem Patienten sind hierbei Daten zu den in der jeweiligen Klinik verwendeten Prothesentypen darzulegen; zudem sollte eine Abschätzung des individuellen Risikos erfolgen. Insbesondere sind hier Begleiterkrankungen, die durchschnittliche Lebenserwartung sowie berufliche und soziale Kriterien (z. B. Kinderwunsch, Hobbys) zu berücksichtigen. Schwierig kann die Klappenwahl bei Patienten im Alter zwischen 60 und 70 Jahre sein. Bei ihnen liegt auf der einen Seite die wahrscheinliche Lebenserwartung meist über der Haltbarkeit einer biologischen Prothese, andererseits möchten viele Patienten auf eine Dauerantikoagulation verzichten. Gerade in dieser Altersgruppe ist eine umfangreiche Aufklärung unter Abwägung des allgemeinen Risi-
617 22.5 · Eingriffe im Bereich der Aortenklappe
b
c
a . Abb. 22.20a–c. Beseitigung einer subvalvulären muskulären Obstruktion mittels Myotomie nach Bigelow (a, b) bzw. durch eine Myektomie nach Morrow (c). Das Aortenklappenostium ist instrumentell gespreizt worden, sodass der septale Muskelwulst gut einzustellen ist. Die hypertrophierte Muskulatur wird unterhalb des rechtskoronaren Anulus – sich mehr zur Kommissur zwischen den koronartragenden
Sinus hin orientierend – scharf gespalten. Anschließend erfolgt eine digitale »Ausmuldung« der Inzision (Vorgehen nach Bigelow). Bei der Myektomie erfolgt eine rechteck- oder trapezförmige Resektion eines hypertrophen Myokardstreifens unterhalb des rechtskoronaren Anulus mit ausreichendem Abstand zum membranösen Septum, um eine Verletzung des Reizleitungssystems zu vermeiden
koprofils und unter Berücksichtigung der anderen genannten Faktoren erforderlich.
Implantationstechniken. Für die Implantation von mechanischen und gerüstgestützten biologischen Klappenprothesen stehen prinzipiell die gleichen Techniken zur Verfügung. In der Regel werden zur intraanulären Implantation filzarmierte evertierende (aortoventrikulär gestochene) und zur epianulären Implantation nichtevertierende (ventrikuloaortal gestochene) U-Nähte (z. B. monofile Naht der Stärke 3/0 oder 2/0 oder filzarmierte Seralene- oder Mersilene-Naht) unter Fassen eines ausreichenden Anteils des Anulus und der Aortenwand vorgelegt und anschließend durch den entsprechenden Anteil des Nahtrings der Prothese gestochen. Zur besseren Orientierung verwendet man häufig verschiedenfarbige Fäden (z. B. doppelt armierte 3/0-Mersilene- oder Seralenefäden), die dann alternierend durch den Anulus und die Prothese gestochen werden. Die Prothese wird hierbei mit einem speziellen Prothesenhalter gehalten. Sind die Stiche durch den Nahtring der Prothese gestochen, so wird die Prothese mit Hilfe des Halters über die liegenden Fäden in ihre Position verbracht und der Halter entfernt (. Abb. 22.21). Anschließend werden die Fäden geknotet, wobei dies nicht einfach fortlaufend erfolgen sollte, da dann die Gefahr besteht, dass die Prothese verkantet implantiert wird; die Fäden sollten in gleicher Weise, wie man »Radmuttern am Reifen« festsetzt, nämlich jeweils gegenüberliegend, eingeknotet werden. Hierdurch ist ein gleichmäßiges Aufsetzen der Prothese auf bzw. im Annulus zu erzielen. Die Orientierung der Längsöffnung bei Doppelflügelklappen erfolgt im 90°-Winkel zu einer virtuellen Verbindungslinie zwischen den Koronarostien. Typenspe-
22.5.3
Mechanische Klappenprothesen
Mechanische Klappenprothesen haben prinzipiell den Vorteil einer uneingeschränkten Haltbarkeit – bei der Notwendigkeit einer Dauerantikoagulation mit Coumarinderivaten und dem damit verbundenen Blutungs- und Thromboembolierisiko. Heutzutage werden meist Doppelflügelklappen und in einigen Zentren Kippscheibenprothesen implantiert. Mechanische Klappen gelten als Prothesen der Wahl bei jüngeren Patienten, die eine erneute Operation vermeiden wollen. Langzeituntersuchungen zeigen ein Risiko von thromboembolischen Ereignissen zwischen 0,5 % und 4,4 % pro Patientenjahr und ein Risiko für schwere Blutungskomplikationen von 0,4–2,3 % pro Patientenjahr (Lund et al. 2000; Prasongsukarn et al. 2005; Santini et al. 2002). Das Risiko ist hierbei von einer Vielzahl von Faktoren abhängig, z. B. Begleiterkrankungen (vorheriger Schlaganfall oder Blutungskomplikation), Patientenalter, Zielbereich der Antikoagulation und evtl. durchgeführte Selbstbestimmung der Parameter zur Antikoagulation. Insgesamt sind die Langzeitergebnisse mit mechanischen Klappenprothesen zufriedenstellend (Aagaard et al. 2003; Kvidal et al. 2000; Murday et al. 2003).
22
618
Kapitel 22 · Erworbene Vitien der Aortenklappe
22
. Abb. 22.22. Alternativ zur evertierenden oder nichtevertierenden Matratzennaht können die einfache Kopfnaht (A) und die Wirbelnaht (B) verwendet werden
. Abb. 22.21. Implantation einer Kunstklappenprothese mit evertierten Matratzennähten. Die Kommissuren sind mit Haltefäden markiert, die gleichzeitig der Exploration der Aortenbasis dienen. Die Prothese ist in einem Spezialhalter fixiert und wird von einem Assistenten gehalten. Die Matratzennähte werden paarweise evertierend durch den Anulussaum und anschließend mit gleichem Abstand durch den Prothesennahtring gestochen
zifische Bezeichnungen, wie »supra«- oder »intraanuläre« Lage sind häufig irreführend, da zum einen eine supraanulär zu implantierende Prothese nur in Bezug auf den basalen Anteil des Anulus supraanulär liegt, diesen jedoch im Bereich der Kommissuren kreuzt, und zum anderen für beide Prothesen die oben genannten Implantationstechniken möglich sind. Neben der U-Naht-Technik können auch die einfache Kopf- oder Wirbelnaht- sowie eine fortlaufende Nahttechnik (in der Regel 3 monofile Fäden der Stärke 2/0, je einen pro Sinus) verwendet werden (. Abb. 22.22 und . Abb. 22.23). Es ist zu berücksichtigen, dass bei mechanischen Klappenprothesen ein zirkulärer Nahtring einem geschwungenen, kronenförmigen Anulus gegenübersteht. Die Nahtringe der biologischen Prothesen weisen ebenfalls den geschwungenen Verlauf einer symmetrischen Klappe auf. ! Im Basisbereich des intervalvulären Trigonums zwischen dem rechts- und dem nichtkoronartragenden Sinus verläuft das Reizleitungssystem (His-Bündel), welches während der Operation nicht verletzt werden darf.
22.5.4
. Abb. 22.23. Prothesenimplantation mittels fortlaufender Nahttechnik. Die Naht beginnt unterhalb einer Kommissur und verläuft in offenen Touren bis unterhalb der nächsten Kommissur, die mit einem Faden gespannt ist
jüngeren Patienten kommen sie zum Einsatz, wenn ein erhöhtes Blutungsrisiko vorliegt. In Bezug auf die Re-Operationsrate unterscheiden sie sich im Vergleich zu mechanischen Klappen in den ersten 12–15 Jahren nicht (Chan et al. 2006; Khan et al. 2001; Prasongsukarn et al. 2005), wobei die Degenerationsrate biologischer Prothesen umso höher ist, je jünger der Patient zum Zeitpunkt der Implantation ist.
Biologische Klappenprothesen 22.5.4.1
Biologische Herzklappen stellen bei Patienten in einem Alter ab 70 Jahren meist die Prothesen der Wahl dar. Bei
Gerüstgestützte biologische Prothesen
Gerüstgestützte Bioprothesen, in der klinischen Umgangssprache als »gestentet« bezeichnet, bestehen aus Aorten-
619 22.5 · Eingriffe im Bereich der Aortenklappe
klappen vom Schwein oder aus Rinderperikard. Aufgrund moderner Konservierungsmethoden zeigen beide Klappentypen hinsichtlich ihrer Haltbarkeit keine wesentlichen Unterschiede (Aupart et al. 2006; David et al. 2001b; Rizzoli et al. 2006). Gerüstgestützte biologische Klappentypen unterscheiden sich im Wesentlichen in Bezug auf den Nahtring, die effektive Klappenöffnungsfläche und das Klappendesign. Implantationstechnik. Die Implantationstechnik gerüstgestützter Bioprothesen entspricht im Prinzip derjenigen mechanischer Klappenprothesen. Einige Prothesentypen haben einen geschwungenen Nahtring, was bei der Implantation zu berücksichtigen ist. 22.5.4.2
a
Gerüstlose (freie) biologische Prothesen
Die am häufigsten verwendeten gerüstlosen Prothesen bestehen aus kompletten Aortenwurzeln vom Schwein. Im Klinikalltag gelten sie als »Stentless«-Prothesen. Ihre Haltbarkeit scheint denen von gerüstgestützten Prothesen nicht überlegen zu sein (Ali et al. 2006; Desai et al. 2004; Dellgren et al. 2002; Luciani et al. 2002). Ihre Überlegenheit im Vergleich zu gerüstgestützten Prothesen besteht in ihrer größeren Öffnungsfläche bei gleicher Prothesengröße, weshalb sie insbesondere bei kleinkalibrigen Aortenwurzeln von einigen Chirurgen bevorzugt verwendet werden (Auriemma et al. 2006; Vrandecic et al. 2000, 2002). Implantationstechnik. Bei der Implantation gerüstloser Bioprothesen unterscheidet man 3 Techniken: die subkoronare Technik, die Wurzelersatztechnik und die Zylinderinklusionstechnik (. Abb. 22.24). Bei der subkoronaren Technik wird die Prothese komplett in die native Aortenwurzel integriert. Dies kann bei sehr kleinen oder sehr großen Aortenwurzeln problematisch sein und zusätzliche Erweiterungs- oder Verkleinerungsplastiken notwendig machen. Der Vorteil dieser Technik liegt in der erhaltenen nativen Aortenwand, die das physiologische Bewegungsmuster der einzelnen Wurzelabschnitte beibehält, Re-Operationen erleichtert und die Prothesenwand zudem verstärkt. Bei der Implantation gerüstloser Bioprothesen ist zunächst die Aortotomie so hoch durchzuführen, dass die Kommissuren der Bioprothese nicht über den basal verbliebenen Aortenwurzelanteil hinausragen (etwa 1 cm oberhalb des sinotubulären Übergangs). Eine Querinzision oder eine in den nichtkoronartragenden Sinus hinein geführte Inzision ist möglich. Nach erfolgter Exzision der Klappe bzw. Entkalkung des Ringes und anschließendem Vermessen des Wurzeldurchmessers erfolgt die Implantation durch eine mittels 4/0-Einzelknopfnähten durchgeführte Basisnaht. Hierbei werden die Fäden durch den Anulus gestochen und anschließend durch den Nahtring der Prothese geführt. Auf eine exakte Symmetrie zwischen Klappenring und Prothese sowie auf die Positionierung der Koronar-
b
c . Abb. 22.24a–c. Techniken zur Implantation gerüstloser Bioprothesen. a Subkoronare Technik; b Wurzelersatztechnik; c Zylinderinklusionstechnik
ostien in der Prothese ist zu achten. Im Bereich des Trigonums zwischen rechts- und nichtkoronartragendem Sinus ist das Reizleitungssystem (His-Bündel) zu schonen. Dies geschieht, indem man mit der Naht dem geschwungenen Anulus folgt und diese geschwungene Nahtführung auf die Prothese überträgt. Die Bioprothese wird anschließend über die liegenden Fäden in der Aortenwurzel versenkt,
22
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22
Kapitel 22 · Erworbene Vitien der Aortenklappe
und die Fäden werden geknotet. Um eine mögliche Schleifen- oder Knotenbildung der Fäden unterhalb der Prothese auszuschließen, ist die linke Kammer nach dem Versenken der Prothese zu inspizieren. Alternativ zur Einzelknopfnaht kann die Basisnaht durch mehrere fortlaufende Nähte (z. B. monofile Naht der Stärke 3/0 oder 4/0) erfolgen, die man nach dem Anziehen mittels eines Nervenhakens miteinander verknotet. Die subkoronare Nahtreihe wird nach der Resektion der entsprechenden Prothesensinus unter Belassung eines mindestens 3 mm breiten Saumes in fortlaufender Technik angelegt (z. B. monofile Naht mit einem Faden der Stärke 5/0 oder 4/0). Beginnend am tiefsten Punkt des Sinus näht man bis zu den Kommissuren. Die Kommissuren werden über eine zusätzliche, filzarmierte U-Naht an der nativen Aortenwand gesichert. Den nichtkoronartragenden Sinus der Prothese kann man belassen. Beim Aortenverschluss wird zunächst die Aortotomie im Bereich des nichtkoronartragenden Sinus fortlaufend verschlossen und die Prothese dann in diesem Bereich mittels einzelner, nach außen gestochener U-Nähte (z. B. monofile Naht mit einem Faden der Stärke 4/0) an der Aortenwand fixiert, bevor der definitive Aortenverschluss erfolgt. Beim Wurzelersatz wird die Aortenwurzel unter Belassen der von etwas Aortenwand umgebenen Koronarostien (»Koronarbuttons«) zunächst komplett reseziert. Die Basisnaht erfolgt analog zur Naht bei der subkoronaren Technik, wobei die Einzelknopfnähte zur besseren Stabilisierung und Hämostase über ein Perikard- oder Filzwiderlager nach außen gestochen werden können. Nach Einknoten der Basisnähte werden die Koronarostien spannungsfrei in die Prothese re-implantiert (z. B. monofile Naht mit einem Faden der Stärke 5/0). Abschließend erfolgt der Aortenverschluss mittels fortlaufender Naht an die verbliebene Aorta ascendens (z. B. monofile Naht mit einem Faden der Stärke 4/0). Bei der Zylinder- oder Wurzelinklusionstechnik wird die Basisnaht entsprechend der beiden anderen Techniken durchgeführt. Die Koronarostien werden großzügig aus der Prothese herausgeschnitten, und es erfolgt die Re-Implantation der nativen Koronarostien in die Prothese mittels fortlaufender oder Einzelknopfnaht (z. B. monofile Naht mit einem Faden der Stärke 5/0). Abschließend wird die Prothese durch eine fortlaufende Naht an der nativen Aortenwurzel fixiert (z. B. monofile Naht mit einem Faden der Stärke 4/0) und schließlich die Aortotomie in üblicher Weise verschlossen. ! Die gerüstlose (»Stentless«-)Bioprothese muss mit der Basisnaht tief genug in der Aortenwurzel implantiert werden, um eine spannungsfreie und ungestauchte ReImplantation der Koronarostien zu ermöglichen.
Weitere Modifikationen gerüstloser Bioprothesen liegen aus Perikard gefertigt vor. Sie erfordern gesonderte Nahttechniken wie eine Basisnaht und eine isolierte Aufhängung
der Kommissuren (Grubitzsch et al. 2005) oder eine alleinige fortlaufende Naht in den basalen Sinusanteilen (Beholz et al 2006). 22.5.4.3
Homografts
Menschliche Leichenklappen (Homografts) bedingen vergleichbare Langzeitergebnisse wie biologische Prothesen, allerdings mit einer früheren Degenerationsrate, wenn sie bei jüngeren Patienten eingesetzt werden (Takkenberg et al. 2003; Talwar et al. 2005). Sie bieten sich als idealer Klappenersatz bei ausgedehnten Endokarditiden an, da auf prothetisches Fremdmaterial verzichtet werden kann. Zudem zeigen sie vergleichbare Vorteile wie gerüstlose Bioprothesen (z. B. große Klappenöffnungsfläche, keine Notwendigkeit der Antikoagulation) und stellen somit beim kombiniertem Ersatz von Aortenklappe und Aorta ascendens eine Alternative zum klappentragenden Conduit dar (Gulbins et al. 2001). Langzeituntersuchungen von sog. dezellularisierten Homografts in Hinblick auf einen möglichen Vorteil in Bezug auf eine geringere Degenerationsrate im Vergleich zu herkömmlichen Homografts stehen noch aus (Zehr et al. 2005). Implantationstechnik. Die Implantationstechnik von Homografts entspricht im Prinzip derjenigen gerüstloser Bioprothesen. Da ein Homograft deutlich »flexibler« ist als eine »Stentless«-Bioprothese, besteht die Möglichkeit, den Homograft bei der subkoronaren oder Zylinderinklusionstechnik zunächst zu invertieren (in die Aortenwurzel einzubringen) und mit einer fortlaufenden Nahttechnik basal zu verankern (z. B. monofile Naht der Stärke 4/0 oder 3/0), was die Implantationstechnik deutlich vereinfacht (. Abb. 22.25). 22.5.4.4
Ross-Operation
Die Ross-Operation wurde erstmals durch Donald Ross im Jahre 1967 durchgeführt (Ross 1967). Sie basiert auf dem Prinzip des Aortenklappenersatzes durch die patienteneigene Pulmonalklappe (Autograft) und des folgenden Ersatzes der Pulmonalklappe, meist durch einen pulmonalen Homograft. Der Vorteil dieser Operation liegt in der Tatsache, dass »vitales« Gewebe in Aortenposition implantiert wird, welches das Potenzial zum Wachstum besitzt, eine geringe Rate an Klappenendokarditiden aufweist, keine Antikoagulation mit Coumarinderivaten erfordert und deutlich verbesserte Langzeitergebnisse aufweist als Homografts, die direkt in Aortenposition implantiert werden. Dies ist dadurch bedingt, dass der Homograft im »Niederdrucksystem« des Herzens implantiert wird und geringere degenderative Veränderung aufweist als Homografts in aortaler Positiont (Aklog et al. 2000). Nachteile dieser Operation sind ihre Komplexität und die Tatsache, dass eine »Einklappenerkrankung« durch einen »Zweiklappeneingriff« therapiert wird. Daten über Re-Operationen bei Patienten nach Ross-Operation zeigen, dass sich das Haupt-
621 22.5 · Eingriffe im Bereich der Aortenklappe
a
b
c
d
. Abb. 22.25a–e. Aortenklappenersatz unter Verwendung eines Homografts (Allograft). a Aus dem klappentragenden Homograft sind die Sinus ausgeschnitten worden. b Die Klappe wird invertiert. c Die invertierte Klappe wird in den Ventrikel versenkt und die Homograftbasis in fortlaufender Nahttechnik mit einer atraumatischen Naht mit dem nativen Aortenanulus vereinigt. d Nach Fertigstellung der unte-
e
ren Nahtreihe ist die Klappe wieder evertiert worden. Die Aortenlefzen des Homografts werden oberhalb der Kommissuren mit einer durch die Aortenwand nach außen gestochenen, filz- oder perikardverstärkten U-Naht fixiert. e Das überschüssige Aortenwandgewebe ist reseziert worden. Der distale Homograftrand wird nun mit fortlaufenden Nähten von Kommissur zu Kommissur an der Aortenwand verankert
22
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Kapitel 22 · Erworbene Vitien der Aortenklappe
risiko im Langzeitverlauf auf den Homograft in Pulmonalisposition bezieht (Carr-White et al. 2001). Untersuchungen aus internationalen Registern belegen jedoch, dass die Ross-Operation in Abhängigkeit von der verwendeten Technik i. A. exzellente Langzeitergebnisse aufweist und somit eine ideale Alternative zum mechanischen Klappenersatz darstellt, insbesondere bei jungen Patienten (Böhm et al. 2003; Duebener et al. 2005; Pasquali et al. 2007; Schmidtke et al. 2001; Sievers 2002; Sievers et al. 2006). Implantationstechnik. Auch bei der Ross-Operation gelten
die gleichen Implantationsprinzipien wie bei gerüstlosen Bioprothesen und Homografts. Es werden die subkoronare Technik (Originaltechnik) und Modifikationen wie der komplette Wurzelersatz und die Inklusionstechnik unterschieden. Insbesondere bei der Ross-Operation scheinen die subkoronare und die Inklusionstechnik im Langzeitverlauf Vorteile aufzuweisen, da die erhaltene native Aortenwurzel die wandschwächere Pulmonalklappe (Autograft) vor einer Dilatation durch systemische Blutdrücke schützt (Schmidtke et al 2001; Sievers et al. 2006). Der pulmonale Homograft, der den exzidierten Autograft ersetzt, wird distal in fortlaufender Nahttechnik (z. B. monofile Naht der Stärke 5/0 oder 4/0) und proximal ebenfalls in fortlaufender Technik (z. B. monofile Naht der Stärke 4/0) implantiert. Gegebenenfalls sind Größenanpassungen im rechtsventrikulären Ausflusstrakt durch autologes, glutaraldehydfixiertes Perikard oder durch eine PTFE-Membran vorzunehmen.
22.5.5
Kombinierte Eingriffe
Bei einem großen Anteil der Patienten sind Kombinationseingriffe an der Aortenklappe und an anderen Strukturen des Herzens oder an Anteilen der Aorta durchzuführen. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass man bei komplexen Kombinationseingriffen erwägen sollte, ob umfangreiche Eingriffe an der Aortenklappe die Gesamtoperationszeit zusätzlich erhöhen und somit der Aortenklappeneingriff auf das schnellstmögliche und sicherste Verfahren beschränkt werden sollte. ! Vor einer Operation ist eine Gesamtstrategie des Eingriffs zu planen.
22.5.5.1
Aortenklappenersatz und koronare Bypassoperation
Der Aortenklappenersatz und die koronare Bypassoperation zählen zu den Routineeingriffen in der Herzchirurgie und kommen dementsprechend in einem nicht unerheblichen Anteil auch als Kombinationseingriff vor. Im Rahmen einer wohlindizierten Koronaroperation gelten für die Indikationsstellung zum Aortenklappenersatz andere Kriterien als beim isolierten Aortenklappenersatz. Da es sich
bei der milden oder moderaten Aortenklappenstenose um eine schnell fortschreitende Erkrankung handeln kann, sollte ein Aortenklappenersatz auch bei Vorliegen einer milden bis moderaten Aortenstenose erwogen werden, wenn eine koronare Bypassversorgung indiziert ist (Rosenhek et al. 2004; Smith et al. 2004). Entsprechendes gilt prinzipiell auch bei Vorliegen einer Aortenklappeninsuffizienz. Bei Unsicherheiten über einen notwendigen Ersatz kann der Lokalbefund unter Beurteilung der Klappendegeneration im Rahmen einer Klappeninspektion zur Entscheidungsfindung beitragen. Ist ein Aortenklappenersatz in Kombination mit einer koronaren Bypassoperation indiziert, so wird nach der Bypassgraftpräparation zunächst die Aortenklappe reseziert, um bei der Manipulation des Herzens zur Darstellung der Koronarien keine Verkalkungen aus der Aortenwurzel zu lösen. Im Anschluss erfolgt dann die Bypassversorgung mit der distalen Anastomose, gefolgt von dem Aortenklappeneingriff, dem Aortenverschluss und der eventuellen Herstellung der proximalen Bypassanastomosen. Die angelegten Venenbypassgrafts bieten die Möglichkeit der nichtobstruierten Gabe der Kardioplegielösung. 22.5.5.2
Aortenklappenersatz bei multivalvulären Leiden
Ist ein Mehrfachklappenersatz indiziert, so wird zunächst eine verkalkte Aortenklappe reseziert. Anschließend nimmt man die Klappeneingriffe in folgender Reihenfolge vor: 4 Mitralklappeneingriff, 4 Aortenklappeneingriff und ggf. Trikuspidalklappeneingriff und/oder Pulmonalklappeneingriff bzw. 4 Aortenklappeneingriff gefolgt von Trikuspidalklappeneingriff und/oder Pulmonalklappeneingriff. Dies bietet den Vorteil, dass nach vorheriger Entkalkung der Aortenklappe die Verkalkungen nicht unbeabsichtigt losgelöst werden und zu möglichen Embolien führen. Zudem können Eingriffe an Trikuspidal- und/oder Pulmonalklappe am bereits wieder schlagenden Herzen durchgeführt werden bzw. nach Applikation der kardioplegischen Lösung über die wieder verschlossene Aortenwurzel. ! Ein Eingriff an der Mitralklappe ist unbedingt vor einer Aortenklappenintervention durchzuführen, da nach erfolgtem Mitralklappenersatz – bedingt durch die topografische Nähe von Aortenanulus und Mitralklappenring (. Abb. 22.1) – eine Einengung des Aortenklappenostiums resultiert. Die Größenbestimmung für eine Aortenprothese sollte zudem erst nach einer Mitralklappenintervention erfolgen.
Die operativen Techniken der einzelnen Klappeninterventionen an Mitral-, Trikuspidal- und Pulmonalklappe werden ausführlich in den entsprechenden Kapiteln abgehandelt.
623 22.5 · Eingriffe im Bereich der Aortenklappe
22.5.5.3
Aortenklappenersatz und Ersatz der Aorta ascendens
Kombinationseingriffe an der Aortenklappe und der ascendierenden Aorta können in Abhängigkeit von der operativen Erfahrung in unterschiedlichster Weise durchgeführt werden. Hierbei ist zu klären, ob die Aortenklappe rekonstruiert werden kann oder ersetzt werden muss und ob die aszendierende Aorta suprakommissural zu ersetzen oder ein kompletter Ersatz der Aortenwurzel erforderlich ist. Die klassische Bentall-Operation (Bentall u. De Bono 1968) mit Re-Implantation der Koronarostien zum Ersatz der kompletten Aortenwurzel und der aszendierenden Aorta kann mit einem vorgefertigten klappentragenden Conduit (Compositprothese) oder in Kombination mit einer gerüstgestützten biologischen Klappe durchgeführt werden (»BioBentall«). Die Langzeitergebnisse sind sehr gut (Hagl et al. 2003). Alternativ kann eine Kombination aus »Stentless«Bioprothese und Gefäßprothese verwendet werden (Urbanski et al. 2003). Ist die Aortenwurzel nicht betroffen und muss nur ein Ersatz der Aortenklappe sowie der suprakommissuralen Aorta durchgeführt werden, so kann die Aortenwurzel vom Ersatz ausgespart bleiben, was den Eingriff in seiner Komplexität deutlich reduziert (Houel et al. 2002; Sioris et al. 2004). Es sollte bei einer Ektasie der Aorta ascendens immer erwogen werden, eine Raffung durchzuführen. Hierbei wird die Aorta mittels einer Matratzennaht und folgender überwendlicher Naht (z. B. monofile Naht der Stärke 3/0) über 2 Filzstreifen gerafft (Bail et al. 2007; Robicsek et al. 2004; Walker et al. 2007). Ist ein Ersatz der aszendierenden Aorta bei makroskopisch normalen Klappentaschen indiziert, so können klappenerhaltende Verfahren wie die David- oder die Yacoub-Operation durchgeführt werden (s. oben, 22.5.1, »Rekonstruktion von Aortenwurzelanteilen«). 22.5.5.4
Aortenklappenersatz bei älteren Patienten
Die kalzifizierende Aortenklappenstenose ist eine typische Klappenerkrankung des hohen Alters. Mit der durchschnittlich steigenden Lebenserwartung hat sich das Alter der Patienten, bei denen eine Aortenklappenoperation indiziert ist, somit in den letzten Jahren deutlich erhöht. Trotz der schlechten Prognose einer schweren, symptomatischen Aortenklappenstenose wird bis zu ein Drittel der älteren Patienten für einen Aortenklappenersatz abgelehnt, wobei das Alter und eine eingeschränkte linksventrikuläre Funktion als Gründe im Vordergrund stehen (Iung et al. 2005). Mehrere Untersuchen konnten jedoch belegen, dass ältere Patienten trotz einer erhöhten perioperativen Mortalität und Morbidität eindeutig von einem Aortenklappenersatz profitieren (Carabello 2004; Charlson et al. 2006; Chukwuemeka et al. 2006; Langanay et al. 2006; Sundt et al. 2000; Varadarajan et al. 2006b). Die Prognose verschlechtert sich allerdings, wenn es sich um Notfalleingriffe handelt, weshalb eine zeitige Operation angestrebt werden sollte (Kolh
et al. 2007; Mistiaen et al. 2004). Hierüber sind die Patienten bei der Aufklärung zu informieren, da ältere Patienten einen elektiven Eingriff häufig ablehnen. Für Hochrisikopatienten steht der noch in begrenztem Umfang durchgeführte kathetergestützte transapikale oder transfemorale Aortenklappenersatz zur Verfügung (s. unten, 22.8). 22.5.5.5
Aortenklappenersatz und Dialyse
Hämodialysepflichtige Patienten sind für die Entwicklung einer kalzifizierenden Aortenklappenstenose prädestiniert. Aufgrund der notwendigen Gefäßpunktionen zur Dialyse und der allgemein eingeschränkten Lebenserwartung wird für diese Patienten nach den Richtlinien des American College of Cardiology (ACC) und der American Heart Association (AHA) der Einsatz von biologischen Prothesen empfohlen (ACC/AHA Guidelines aus dem Jahre 2006; Bonow et al. 2006). Es konnte jedoch gezeigt werden, dass bei Dialysepatienten in Bezug auf die Überlebensrate zwischen der Verwendung von biologischen und mechanischen Herzklappenprothesen kein signifikanter Unterschied besteht (Herzog et al. 2002). Aus diesem Grund sollten bei der Entscheidung, welchen Klappentyp man wählt, das Patientenalter, die Lebenserwartung, mögliche anstehende Nierentransplantationen, der Patientenwunsch und weitere Faktoren berücksichtigt werden. 22.5.5.6
Aortenklappenersatz und Schwangerschaft
Schwangere Patientinnen mit einer milden oder moderaten Aortenklappenstenose (Klappenöffnungsfläche von >1,0 cm2) zeigen während der Schwangerschaft einen günstigen Verlauf (Hameed et al. 2001). Liegt eine schwere Aortenklappenstenose vor, so sind die mütterliche Morbidität und die fetale Letalität erhöht. Die mütterliche Letalität ist eher selten erhöht (Silversides et al. 2003). Bei diesen Patientinnen ist in den ersten Monaten nach der Geburt in aller Regel ein Aortenklappenersatz notwendig. Entwickeln die Patientinnen während der Schwangerschaft Symptome, so kann ein Schwangerschaftsabbruch notwendig sein oder neben der chirurgischen Versorgung zunächst eine Ballonvalvuloplastie erwogen werden. Entscheidend für die Prognose der Erkrankung während der Schwangerschaft sind die linksventrikuläre Funktion, der Grad der Aortenklappenstenose sowie vorangegangene Linksherzdekompensationen und thromboembolische Ereignisse. Liegt eine Aortenklappeninsuffizienz vor, so wird dieses Vitium während der Schwangerschaft meist gut toleriert. Eine Schwangerschaft führt nicht zu einer verstärkten Degeneration biologischer Prothesen. Andererseits weisen mechanische Prothesen ein Thromboembolierisiko sowie die Gefahr der Fetopathie durch Coumarinderivate auf. Aus diesen Gründen sollten bei Patientinnen mit Kinderwunsch biologische Prothesen verwendet werden. Ist eine Patientin hingegen bereits Trägerin einer mechanischen Herzklap-
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Kapitel 22 · Erworbene Vitien der Aortenklappe
penprothese, so sollte die Antikoagulation (Ziel-INR: 2,0 bis 3,0) zur Reduzierung des Risikos der Entwicklung einer Fetopathie im ersten Trimenon sowie ab der 36. Schwangerschaftswoche auf unfraktioniertes Heparin umgestellt werden. Perioperativ scheint eine Antibiotikaprophylaxe sinnvoll zu sein (Elkayam u. Bitar 2005; Hung u. Rahimtoola 2007; Reimold u. Rutherford 2003). ! Von entscheidender Bedeutung bei der Betreuung von Patientinnen mit Kinderwunsch ist vor einer Schwangerschaft eine detaillierte Aufklärung über die Risiken bzw. während einer Schwangerschaft, peripartal und in der Zeit nach der Schwangerschaft die enge Kooperation zwischen Herzchirurgen, Kardiologen und Gynäkologen.
22.5.5.7
Die zu kleine Aortenklappenprothese
Der Begriff »prosthesis-patient mismatch« (PPM) wurde erstmals von Rahimtoola im Jahre 1978 eingeführt (Rahimtoola 1978). Er beschreibt den Zustand, bei der die effektive Öffnungsfläche einer Klappenprothese kleiner ist als die Öffnungsfläche der nativen Aortenklappe. Die Relevanz eines PPM für den funktionellen Status der Patienten nach biologischem Aortenklappenersatz wurde von Pibarot et al. (1996) erstmals untersucht. Im Allgemeinen folgt man bei der Definition des PPM den von Blais et al. (2003) beschriebenen Kriterien. In . Tab. 22.2 sind diese Definitionen zusammengefasst. Obwohl es Hinweise darauf gibt, dass das Vorliegen eines PPM einen ungünstigen Einfluss auf den postoperatives Verlauf hat (Kulik et al. 2006; Tasca et al. 2006), ist seine Wertigkeit durch die Vielzahl an Einflussgrößen auf den postoperativen Verlauf nicht unumstritten. So scheint die Verwendung von kleineren Prothesen bei älteren Patienten mit kleinen Aortenwurzeldurchmessern in bestimmten Fällen durchaus gerechtfertigt zu sein (Arata et al. 2002; Bortolotti et al. 2000). Von entscheidender Bedeutung bei der Wahl einer geeigneten Prothesengröße ist – neben der Berücksichtigung der linksventrikulären Funktion – die körperliche Aktivität des Patienten. So sollten kleine Prothesen für große und körperlich aktive Patienten unbedingt vermieden werden, um das perioperative Risiko zu verringern und die »Erholung« des linken Ventrikels bei präoperativ eingeschränkter Funktion im weiteren Verlauf zu ver-
. Tab. 22.2. Definitionen eines »prosthesis-patient mismatch« (PPM). Nach Blais et al. (2003) Definitionen
Effektive Klappenöffnungsfläche der Aortenklappenprothese [cm2/m2]
Schweres PPM
<0,65
Moderates PPM
0,65–0,85
Kein PPM
>0,85
bessern (David 2005). Gegebenenfalls sind Wurzelerweiterungstechniken anzuwenden, die es – ohne das operative Risiko zu erhöhen – erlauben, eine adäquat große Prothese zu implantieren (Peterson et al. 2007).
22.6
Intra- und postoperativer Verlauf
22.6.1
Patientenüberwachung
Das intraoperative Monitoring von Patienten, bei denen ein Eingriff an der Aortenklappe erfolgt, unterscheidet sich nicht vom Monitoring bei anderen herzchirurgischen Routineeingriffen. Neben großlumigen zentralen Venenkathetern und einer arteriellen Blutdruckmessung sowie dem anästhesiologischen Standardmonitoring kommt jedoch der intraoperativen transösophagealen Echokardiographie (TEE) eine zentrale Bedeutung zu. Sowohl beim Aortenklappenersatz als auch zur abschließenden Beurteilung einer ungestörten Kappenfunktion und zur Beurteilung der Koronarostien kann die TEE von Wert sein. Insbesondere ist sie jedoch bei der Aortenklappenrekonstruktion zur Beurteilung des operativen Ergebnisses von entscheidender Bedeutung. Allgemein lassen sich mit Hilfe der TEE die Entlüftungsmanöver kontrollieren sowie die Herzfunktion bei Abgang von der extrakorporalen Zirkulation und in der frühen Phase danach beurteilen.
22.6.2
Postoperatives Management
Auch beim postoperativen Management auf der Intensivstation unterscheiden sich Patienten nach Aortenklappeneingriffen nicht wesentlich von denen nach anderen herzchirurgischen Routineeingriffen. Besonderheiten stellen jedoch Patienten mit einer präoperativen Aortenklappenstenose und einer deutlichen linksventrikulären Hypertrophie dar. Sie sind durch hypertensive Phasen gefährdet, die zum einen das Risiko postoperativer Nachblutungen erhöhen und zum anderen zu einer erhöhten myokardialen Wandspannung mit dadurch bedingtem erhöhten myokardialen Sauerstoffverbrauch führen können. Aus diesem Grund ist eine engmaschige Kontrolle des Blutdrucks unbedingt notwendig. Patienten mit einer ausgeprägten linksventrikulären Hypertrophie benötigen zudem aufgrund einer oftmals vorliegenden diastolischen Compliance-Störung des linken Ventrikels erhöhte linksventrikuläre Füllungsdrücke. Für die Überwachung und die Steuerung stehen ein Swan-Ganz-Katheter und/oder ein eingelegter linksatrialer Druckmesskatheter zur Verfügung. Patienten nach einer Aortenklappenoperation sind auch durch temporäre oder permanente Reizleitungsstörungen gefährdet, weshalb jeder Patient intraoperativ temporäre atriale und ventrikuläre Schrittmacherkabel erhalten sollte.
625 22.6 · Intra- und postoperativer Verlauf
! Alle Patienten, die sich einem Eingriff an der Aortenklappe unterzogen haben, erhalten eine postoperative Endokarditisprophylaxe und eine adäquate Antikoagulation nach den Richtlinien der American Heart Association (Bonow et al 2006).
22.6.2.1
Antikoagulation
Prinzipell gilt für prothetische Herzklappen, dass Patienten, die eine mechanische Prothese haben, dauerhaft mit Coumarinderivaten antikoaguliert werden müssen und Patienten mit biologischen Prothesen auf eine Dauerantikoagulation mit Coumarinderivaten verzichten können. In Abhängigkeit vom Modell der implantierten mechanischen Prothese, von der Art der biologischen Prothese und insbesondere von den Begleiterkrankungen des Patienten können unterschiedliche Indikationen und Zielbereiche für die Antikoagulation gelten. . Tabelle 22.3 gibt einen Überblick über die von ACC/AHA empfohlenen Antikoagulationsschemata bei mechanischem und biologischem Klappenersatz (Bonow et al. 2006). Bei Patienten, die Marcumar erhalten, wird in praktisch allen Situationen zusätzlich die Gabe von Acetylsalicylsäure (ASS) empfohlen. Als Risikofaktoren gelten: 4 Vorhofflimmern, 4 eingeschränkte linksventrikuläre Funktion, 4 abgelaufenes thromboembolisches Ereignis, 4 Hyperkoagulopathie. In vielen Zentren werden die Patienten nach einem biologischen Herzklappenersatz – abweichend von den genann-
. Tab. 22.3. Empfehlungen des American College of Cardiology und der American Heart Association für die antithrombotische Therapie bei Patienten mit prothetischem Herzklappenersatz. Mod. nach Bonow et al. (2006) Risiko
Acetylsalicylsäure (75–100 mg)
Marcumar (INR: 2,0–3,0)
Marcumar (INR: 2,5–3,5)
Mechanische Prothese Niedriges Risiko, <3 Monate
×
ten Empfehlungen – auch bei niedrigem Risiko in den ersten 3 postoperativen Monaten mit einem Coumarinderivat antikoaguliert und dann auf ASS umgestellt. Patienten mit einem Homograft oder nach einer Ross-Operation erhalten in den ersten postoperativen Monaten meist ASS. Erstaunlicherweise werden die Indikationen für eine postoperative Antikoagulation nicht einheitlich bewertet. Auf diesem Gebiet sind sicherlich noch weitere Forschung und eine noch bessere Abstimmung in der postoperativen Phase notwendig. 22.6.2.2
22.6.3
×
Hohes Risiko
×
! Von entscheidender Bedeutung bei der Indikationsstellung zur Aortenklappenoperation ist die Abschätzung des individuellen Risikos.
×
×
×
Biologische Prothese Niedriges Risiko, <3 Monate
×
Niedriges Risiko, >3 Monate
×
Hohes Risiko
×
Chirurgische Ergebnisse und Komplikationen
Die allgemeinen postoperativen Ergebnisse nach Interventionen an der Aortenklappe können als sehr gut bezeichnet werden. Sowohl ältere Patienten (Kvidal et al. 2000) als auch Patienten mit einer eingeschränkten linksventrikulären Funktion (Chukwuemeka et al. 2006; Scognamiglio et al. 2005; Tarantini et al. 2003) oder einer schweren pulmonalen Hypertonie (Pai et al. 2007) profitieren von einem Aortenklappenersatz. Entscheidend ist die Wahl des richtigen Operationszeitpunktes, da elektive Eingriffe mit einem geringeren perioperativen Risiko einhergehen als Notfalleingriffe. Rekonstruktive Verfahren sollten nur bei speziellen Aortenwurzelpathologien angewandt werden, die ein gutes Langzeitergebnis der Rekonstruktion gewährleisten (Rankin et al. 2006).
22.6.3.1
Niedriges Risiko, >3 Monate
Endokarditisprophylaxe
Die Empfehlungen von ACC/AHA bezüglich einer Antibiotikatherapie zur Endokarditisprophylaxe oder bei Vorliegen einer Endokarditis mit oder ohne prothetisches Material sind so umfangreich und vielfältig, dass hier auf die Literatur verwiesen wird (Bonow et al. 2006).
Es wurden nur Evidenzlevel der Klasse 1 berücksichtigt. INR »international normalized ratio«
Intraoperative Komplikationen
Intraoperative Komplikationen können in Form von Anulus- oder Aortenwandperforationen bei der Durchführung der Entkalkungsmanöver auftreten. Diese lassen sich meist direkt durch eine filz- oder perikardarmierte Naht oder durch die Einbringung eines Perikard-Patches beherrschen. Gelegentlich treten diese Komplikationen erst nach der Druckbelastung der Aorta auf und werden in Form eines subepikardialen Hämatoms sichtbar, das rasch an Größe zunimmt. Umstechungsversuche von extern sind nicht erfolgversprechend, da die Läsion nicht genau lokalisiert werden kann. Die Aortotomie sollte in diesen Fällen erneut eröffnet und die Perforation von innen versorgt werden. Undichtigkeiten im Bereich der Aortotomienaht, ins-
22
626
22
Kapitel 22 · Erworbene Vitien der Aortenklappe
besondere in den Winkeln, lassen sich meist durch zusätzliche Nähte beherrschen, wobei die Inspektion des Aortotomieverschlusses kurz vor Abgang von der extrakorporalen Zirkulation erfolgen sollte. Es ist manchmal sinnvoll, am entlasteten Herzen – ohne Druckbelastung der Aorta – zusätzliche Nähte anzulegen. In einigen Fällen, insbesondere bei ausgedehnten Verkalkungen der Aortenwurzel, kann eine Wiedereröffnung der Naht erforderlich sein, mit anschließender Resektion des verkalkten Areals und Einbringen eines autologen Perikard- oder eines Dacron-Patches. Verlegungen der Koronarostien sind bei der richtigen Wahl der Prothesengröße auszuschließen. Bei atypischen Koronarverläufen (diese sind durch die präoperative Angiographie zu erkennen, 7 Kap. 18) oder bei ausgedehnten Verkalkungen der Koronarostien kann es in seltenen Fällen erforderlich sein, das betreffende Gefäß zusätzlich mit einem Bypass zu versorgen. 22.6.3.2
Klappenthrombose Das Risiko einer Klappenthrombose ist von der Position der Prothese abhängig. Am höchsten ist es in Bezug auf mechanische Prothesen in Trikuspidalposition, gefolgt von Mitralposition und Aortenposition, in der das Risiko mit <1 % am geringsten ist. Akute Klappenthrombosierungen können oft letal verlaufen und führen durch eine mechanische Behinderung der Klappenmobilität häufig zu einem Notfalleingriff. Alternativ zum Klappenersatz kann bei mechanischen Klappen bei akuter Klappenthrombose eine Lysetherapie erwogen werden. Obwohl alleinige Entfernungen des thrombotischen Materials zur Behandlung dieser Komplikationen durchgeführt worden sind, ist eine Oberflächenbeschädigung der mechanischen Prothese, die möglicherweise die Thrombose mitbedingt hat, nicht auszuschließen, weshalb ein Ersatz oftmals sinnvoller erscheint. Bei chronischen Klappenthrombosen, die durch Pannusgewebe bedingt sind, ist die komplette Entfernung der Prothese dem Pannus-Débridement vorzuziehen.
Postoperative Komplikationen
Postoperative Komplikationen betreffen sowohl den frühen als auch den späten postoperativen Verlauf. Während des frühen postoperativen Verlaufs stehen Reizleitungsstörungen mit Entwicklung eines AV-Blocks, Nachblutungen, Spättamponaden unter Antikoagulationstherapie sowie allgemeine Komplikationen wie Brustbeininstabilitäten und/ oder Wundheilungsstörungen im Vordergrund. Die postoperativen Spätkomplikationen beziehen sich in der Regel auf den implantierten Klappentyp und bestehen in Klappendegeneration, Klappenthrombose, Klappenausriss und Klappenendokarditis. Weiterhin besteht die Gefahr von thromboembolischen Ereignissen und Blutungskomplikationen. . Abb. 22.26. Refixation einer partiell ausgerissenen Klappenprothese (paravalvuläre Dehiszenz, paravalvuläres Leck) bei intakter Kunstklappe ohne Vorliegen einer Endokarditis. Die Wiederanheftung erfolgt mit Matratzennähten, die über Filz- oder Perikardwiderlager von außen durch die Prothesenwand gestochen werden
Prothesenendokarditis Eine Prothesenendokarditis stellt nach einem Aortenklappenersatz eine schwerwiegende Komplikation dar und ist mit einer Hospitalletalität von bis zu 30 % behaftet (Moon et al. 2001). Neben einer verlängerten Antibiotikatherapie und der Beseitigung des endokarditischen Herdes von der Prothese stellt der erneute Klappenersatz die Therapie der Wahl dar, zumal die Aortenwurzel in über der Hälfte der Fälle von der Endokarditis mitbetroffen ist. Prinzipiell scheint die Vermeidung von prothetischen Materialien bei einer Re-Operation von Vorteil zu sein, um ein weiteres Übergreifen der Infektion auf die neue Prothese zu verhindern. Aus diesem Grund kommen Homografts zum Einsatz
627 22.8 · Alternative Behandlungsmaßnahmen
(Lytle et al. 2002; Sabik et al. 2002). Die Frage nach der richtigen Prothese bei diesen Eingriffen ist jedoch noch nicht abschließend geklärt; die Wahl der Prothese sollte von der Komplexität des Eingriffs und den zusätzlich erforderlichen Interventionen an der Aortenwurzel abhängig gemacht werden (Hagl et al. 2002; Leyh et al. 2004; Moon et al. 2001).
Paravalvuläres Leck Ein partieller Klappenringausriss mit der Folge einer paravalvulären Leckage wird mit einer Inzidenz von <1 % bis 2 % angegeben. Ursächlich liegt entweder eine akute oder eine ausgeheilte Prothesenendokarditis zugrunde oder aber ein partielles Ausreißen der Prothese bei nur insuffizient verankerten Klappenfäden. Dies ist insbesondere bei ausgedehnten oder nicht vollständig resezierten Anulusverkalkungen der Fall. Die Indikation für einen erneuten Klappenersatz sollte von der Symptomatik des Patienten, dem Vorliegen von Hämolysezeichen und hämodynamischen Parametern abhängig gemacht werden. Handelt es sich um einen umschriebenen Ausriss der Prothese im Bereich des nichtkoronartragenden Sinus ohne Vorliegen einer Endokarditis, so kann die Prothese durch filz- oder perikardwiderlagergesicherte, doppelt armierte U-Nähte refixiert werden (z. B. monofile 3/0-Seralene- oder Mersilenenaht; . Abb. 22.26). Sind andere Anulusbereiche von dem Ausriss betroffen, so sollte die Prothese komplett entfernt und eine neue Prothese implantiert werden.
22.7
Re-Operationen
Re-Operationen im Bereich der Aortenklappe gehören in zunehmendem Maße zum herzchirurgischen Alltag. Bedingt durch die zeitabhängige Degeneration von biologischen Klappenprothesen sowie wegen möglicher postoperativer Komplikationen (s. oben) erfordern sie zwar bestimmte chirurgische Techniken, sind jedoch als elektive Eingriffe nicht mit einem wesentlich höheren perioperativen Risiko verbunden als ein Primäreingriff (Davierwala et al. 2006; Potter et al. 2005; Vogt et al. 2000). Zwar scheint die Explantation mechanischer Prothesen im Vergleich zu biologischen Prothesen mit einer höheren perioperativen Mortalität verbunden zu sein (Tang et al. 2007), doch sind komplexe ReOperationen an Homografts in anderen Untersuchungen mit einem nicht erhöhten perioperativen Risiko assoziiert (Kumar et al. 2004). Diese Erkenntnisse sind bei der Prothesenwahl zu berücksichtigen, da eine biologische Klappenprothese somit bei jüngeren Patienten mit einem geringen Risiko bei einer Re-Operation als alternativer Klappenersatz zur mechanischen Prothese erwogen werden kann. Indikationen. Die Indikationen zur Re-Operation orientie-
ren sich an den allgemeinen Kriterien zum Aortenklappenersatz. Sie sind von der Symptomatik des Patienten, den allgemeinen Begleiterkrankungen, hämodynamischen Para-
metern und der Notwendigkeit eines weiteren kardialen Eingriffs abhängig.
22.8
Alternative Behandlungsmaßnahmen
Die perkutane Ballonvalvuloplastie der Aortenklappe wurde in den 1980er Jahren als Alternative zum herkömmlichen Klappenersatz entwickelt, um auch Hochrisikopatienten mit einer symptomatischen, schweren Aortenklappenstenose eine Behandlung zu ermöglichen (Cribier et al. 1986). Den anfänglich berichteten hohen periprozeduralen Komplikationsraten von bis zu 25 % und Letalitätsraten von 8 % folgten frühzeitige Restenosen und Rehospitalisationen (NHLBI Balloon Valvuloplasty Registry Participants 1991). Zwischenzeitlich wurden Verbesserungen bezüglich der technischen Voraussetzungen und der Behandlungsmaßnahmen erzielt. So scheinen wiederholte Ballonvalvuloplastien die kurz bis mittelfristigen Überlebensraten zu verbessern (Agarwal et al. 2005). Neuere Untersuchungen zielen auf die Kombination einer Valvuloplastie mit einer Bestrahlung ab, mit dem Ziel, eine geringere Restenoserate zu erreichen (Pedersen et al. 2006). Die Aortenklappenvalvuloplastie wird zudem als initiale Maßnahme bei einem weiteren, von wachsendem Interesse begleiteten Therapieverfahren durchgeführt: dem transapikalen oder perkutanen Aortenklappenersatz.
Die klinische Anwendung dieses Verfahrens wurde erstmalig von Cribier et al. (2002) beschrieben. Für sog. Hochrisikopatienten liegen erste klinische Untersuchungen vor, wobei entweder ein arterieller Zugang über ein Leistengefäß mit retrograder Klappenimplantation erfolgt (Grube et al. 2007), eine transseptale Implantation durchgeführt wird oder die Aortenklappenprothese über den linksventrikulären Apex platziert wird (Walther et al. 2007). Das Verfahren ist ohne den Einsatz der extrakorporalen Zirkulation durchführbar, wobei die Prothese unter temporärer, schneller ventrikulärer Schrittmacherstimulation implantiert wird. Größere Patientenserien und Langzeituntersuchungen stehen noch aus. Dieses interessante Vorgehen bietet sich möglicherweise auch als »Valve-in-valve«-Konzept bei »Hochrisikopatienten« an, die einer Re-Operation unterzogen werden müssen und denen man so eine Behandlungsalternative zum herkömmliche Klappenersatz anbieten könnte (Walther et al. 2007). Der Vollständigkeit halber sei als alternatives Therapieverfahren zum konventionellen Aortenklappenersatz die supravalvuläre Positionierung der Klappenprothese bei z. B. ausgedehnten Wurzelabszessen erwähnt, bei der die nativen Koronarostien verschlossen und Bypasses oberhalb der suprakommissural implantierten Prothese in die Aorta re-implantiert werden. Zudem besteht die Möglichkeit, einen Aortenklappenbypass durch ein klappentragendes Conduit zwischen dem linksventrikulären Apex und der Aorta descendes herzustellen (Gammie et al. 2006).
22
628
Kapitel 22 · Erworbene Vitien der Aortenklappe
22.9
22
Chirurgische Techniken bei Aortenklappenendokarditis
Eine bakterielle Aortenklappenendokarditis ist eine Infektion unterschiedlichster Klappenanteile. Sie führt unbehandelt zur Zerstörung der Aortenklappe mit resultierender Klappeninsuffizienz sowie zur Destruktion der Aortenwurzel und benachbarter Strukturen und birgt zudem die Gefahr septischer Embolien. Unbehandelt verläuft die Erkrankung tödlich. Die Aortenklappe ist in etwa 25 % aller Fälle einer bakteriellen Endokarditis betroffen (Mitralklappe: etwa 40 %; Trikuspidalklappe: ungefähr 20 %; Pulmonalklappe: etwa 2 %). Bei fast der Hälfte aller Patienten mit einer akuten Aortenklappenendokarditis ist eine chirurgische Intervention indiziert. Sie muss auf den individuellen Fall bezogen werden, da eine großzügige Indikationsstellung zur Operation nicht unbedingt zu einer verbesserten frühpostoperativen Prognose führt (Tleyjeh et al. 2007). Insbesondere wenn drohende Embolien durch große (>8 mm messende), hochmobile septische Auflagerungen vorliegen, ist jedoch eine chirurgische Sanierung angezeigt. Ist es zu einer zerebralen septischen Embolie gekommen, so ist der richtige Zeitpunkt der Operation von entscheidender Bedeutung, da diese Patienten durch eine intrazerebrale Blutung gefährdet sind. Entweder sollte der Aortenklappenersatz als Notfalloperation innerhalb der ersten 24 h durchgeführt oder abgewartet werden, bis das zerebrale Ereignis ausgeheilt ist (etwa 4–6 Wochen), um eine mögliche intraoder postoperative zerebrale Einblutung durch die Vollheparinisierung zu vermeiden. Da nach einem Insult möglicherweise eine Blut-Hirn-Schrankenstörung vorliegt, sollte man eine solche vor einem operativen Eingriff durch eine zerebrale Computertomographie ausschließen. Oftmals befindet man sich in einem Zwiespalt zwischen verpasstem initialen Zeitfenster nach einem Insult und dem weiteren Abwarten bei weiter bestehender Emboliesationsgefahr. Als Risikofaktoren für eine Aortenklappenendokarditis gelten: 4 bikuspide und atherosklerotische Klappen, 4 vorangegangenes rheumatisches Fieber, 4 Diabetes mellitus, 4 kongenitale Vitien, 4 frühere Endokarditiden. Zu etwa 8 % sind zahnärztliche Eingriffe die Ursache für eine Endokarditis, und zu fast 20 % finden sich andere invasive Eingriffe. Ursächliche Keime sind u. a. (Bashore u. Khandheria 2004): 4 Staphylococcus aureus (32,4 %), 4 Streptococcus viridans (13,1 %), 4 Enterococcus faecalis (10,6 %). Zur Vermeidung einer infektiösen Endokarditis wurden von der AHA Richtlinien formuliert (Wilson et al. 2007).
Bei der Operation einer Aortenklappenendokarditis sollte neben einem standardisierten Zugang und der üblichen arteriellen Kanülierung routinemäßig eine bikavale venöse Kanülierung erfolgen, um bei einer unvorhergesehenen Erweiterung des Eingriffs problemlos auch die rechten Herzhöhlen eröffnen zu können. Oftmals wird das ganze Ausmaß einer endokarditisch veränderten Aortenklappe und/oder Aortenwurzel erst bei der Inspektion des Situs sichtbar. Es zeigen sich gelegentlich erst hier 4 supravalvuläre Abszesse und Aneurysmen mit oder ohne Fistelbildungen in die Herzhöhlen, 4 subvalvuläre Abszesse bzw. Aneurysmen mit aortikoventrikulärer Dehiszenz oder 4 Destruktionen an anderen Klappen (Mitral-, Trikuspidal- und Pulmonalklappe). Liegen endokarditische Mitbeteiligungen der Aortenwurzel oder der gesamten Aortenbasis vor, so ist von einer postoperativen Reizleitungsstörung auszugehen. Die Patienten sollten deshalb mit zusätzlichen Schrittmacherkabeln versorgt werden. ! Jegliches intraoperativ gewonnene endokarditische oder auf eine Endokarditis suspekte Material sollte zum Keimnachweis und zur Erstellung eines Antibiogramms in die Mikrobiologie verschickt werden.
Bei der Aortenklappenendokarditis unterscheidet man eine Infektion, die auf die Klappentaschen beschränkt ist, von einer Infektion, bei der benachbarte Strukturen mitbeteiligt sind. Grundsätzlich besteht die operative Strategie in einer möglichst radikalen Resektion makroskopisch infizierter Areale. Ist die Infektion nur auf die Klappentaschen beschränkt, so kann nach der Resektion derselben der Aortenklappenersatz in herkömmlicher Weise erfolgen. Welche Klappenprothese verwendet wird, entspricht bei der Endokarditis der nativen Aortenklappe der Entscheidung bei Prothesenendokarditis. Homografts bieten den theoretischen Vorteil, ohne Fremdmaterialanteile ein Fortschreiten der Infektion zu erschweren (Lytle et al. 2002; Sabik et al. 2002). Entsprechendes gilt für die Durchführung einer Ross-Operation (Birk et al. 2004). Mehrere Untersuchungen konnten jedoch keinen Vorteil biologischer Prothesen ohne Fremdmaterial gegenüber mechanischen Prothesen zeigen (Hagl et al. 2002; Leyh et al. 2004; Moon et al. 2001). ! Es ist unbedingt darauf zu achten, dass infiziertes Gewebe möglichst radikal entfernt wird, um eine weitere Ausdehnung der Endokarditis zu verhindern.
22.9.1 Aortenwurzelabszess
Liegt ein umschriebener Wurzelabszess vor, so ist dieser radikal zu entfernen und die Abszesshöhle mit der Schere, dem Skalpell oder dem scharfen Löffel zu débridieren. An-
629 22.9 · Chirurgische Techniken bei Aortenklappenendokarditis
a
a
b
b
. Abb. 22.27a, b. a In Richtung rechter Vorhof penetrierender Abszess des nichtkoronartragenden Sinus bei gleichzeitigem Befall der korrespondierenden Taschenklappe. b Die Aortenklappe ist entfernt und die aortale Abszesshöhle durch einen Perikard-Patch verschlossen
schließend wird der Defekt mittels eines glutaraldehydfixierten Perikard-Patches in fortlaufender Nahttechnik gedeckelt (z. B. monofile 5/0- oder 4/0-Naht; . Abb. 22.27). Finden sich subvalvuläre Abszesse, so können diese – nach radikaler Säuberung des betreffenden Areals – mittels perikardwiderlagergesicherter U-Nähte direkt verschlossen (z. B. monofile 4/0-Naht) oder unter Verwendung eines autologen Perikard-Patches gedeckelt werden (. Abb. 22.28). Bei subvalvulären Abszessen, die im Kammerseptum liegen, wird ebenfalls eine Säuberung des betroffenen Areals vorgenommen und der Defekt anschließend mittels eines Perikard-Patches verschlossen (. Abb. 22.29). In experimentellen Studien konnte gezeigt werden, dass eine Behandlung des infizierten Areals bzw. der Prothese mit einem Fibrinkleber-Antibiotika-Gemisch möglicherweise einen günstigen Effekt auf die Prophylaxe und die Behandlung einer Endokarditis hat (Deyerling et al. 1984; Karck et al. 1990).
c
. Abb. 22.28a–c. a Ausgeprägte Dehiszenz des aortomitralen Übergangs. Die Ansatzlinie des anterioren Mitralklappensegels (Pinzette) ist vollständig von der Aortenbasis abgerissen. Man hat über die Dehiszenz direkten Einblick in den linken Vorhof. b Wiedervereinigung von Aortenbasis und anteriorem Mitralsegel mit filz- oder perikardwiderlagergesicherten, raffenden U-Nähten, die die Abrisskanten des Defektes fassen. c Zur Vermeidung von Spannung an den Nahträndern kann der aortomitrale Defekt auch durch einen Perikard-Patch gedeckt werden
22
630
Kapitel 22 · Erworbene Vitien der Aortenklappe
22
a b
. Abb. 22.29a, b. a Subvalvulärer Abszess im Kammerseptum (Aortenklappe exzidiert). Die Abszesswand wird inzidiert und abgetragen. Es folgen Kürettage und radikale Säuberung der Höhle von endokardi-
22.9.2
Multivalvuläre Endokarditis
Sind die Aortenklappe und die Mitralklappe von einer Endokarditis betroffen, so muss ein kombinierter Aorten- und Mitralklappenersatz bzw. eine Rekonstruktion erfolgen. Nicht selten hat sich die Infektion von einer Herzklappe auf die andere ausgebreitet, sodass die verbindenden Strukturen ebenfalls betroffen sein können. In diesem Fall sollte in Anlehnung an die von Manouguian et al. (1979) beschriebene Operationstechnik zur Erweiterung des aortomitralen Übergangs eine Inzision über den nichtkoronartragenden Anulus in die Mitralklappenebene hinein erfolgen. Dieser Zugang ermöglicht die radikale Exzision infizierten Gewebes in diesem Bereich mit der zusätzlichen Möglichkeit einer Intervention an der Mitralklappe. Schrittweise muss dann der erneute Aufbau von Aortenbasis und aortomitralem Übergang durch autologes oder xenologes Perikard erfolgen. Ist die Trikuspidalklappe ebenfalls mitbetroffen, so lässt sich über diesen Zugang auch die Aortenbasis in Richtung Trikuspidalklappenebene rekonstruieren.
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23 Chirurgie der erworbenen AV-Klappen-Erkrankungen T. Wahlers, J.T. Strauch 23.5
23.1
Geschichte der AV-Klappenchirurgie – 635
23.2 23.2.1 23.2.2
23.2.5 23.2.6 23.2.7
Operative Zugänge – 636 Mediane Sternotomie – 636 Eröffnung des linken Vorhofs über den Sulcus interatrialis – 637 Eröffnung des linken Vorhofs über das Vorhofdach – 638 Eröffnung des linken Vorhofs transatrioseptal über den rechten Vorhof – 638 Biatriale Eröffnung nach Dubost – 639 Zugang bei Re-Operationen – 639 Zugang von links oder rechts – 640
23.3
Verschluss des linken Herzohres
23.4
Extrakorporale Zirkulation, Kanülierung, Myokardprotektion und Entlüftung – 640
23.2.3 23.2.4
23.1
– 640
Geschichte der AV-Klappenchirurgie
Die Geschichte der Mitralklappenchirurgie beginnt im Peter Bent Brigham Hospital in Boston mit der ersten erfolgreichen Operation durch Cutler im Jahre 1923. Hierbei eröffnete er die Kommissuren einer stenotischen Mitralklappe mit einem speziellen, gebogenen Messer nach medianer Sternotomie und Zugang über den Apex des linken Ventrikels (Cohn 1994). Im Jahre 1925 erfolgte durch Souttar die erste erfolgreiche digitale Sprengung der Mitralklappenkommissuren über den linken Vorhof (Comas et al. 2006). Nach zahlreichen experimentellen Studien durch Braunwald am National Institute of Health in den 1950er Jahren erfolgte der erste verlässliche prothetisch-mechanische Ersatz der Mitralklappe durch Starr und Edwards an der University of Oregon im Jahre 1961. Ihre Kugel-KäfigKlappe stellte trotz einer relativ hohen Rate an thromboembolischen Komplikationen unter Antikoagulation für viele Jahre den Goldstandard beim mechanischen Mitralklappenersatz dar (Gao et al. 2004). Dieser Klappentyp wurde in der Folgezeit zunächst durch die – einen niedrigeren Druckgradienten aufweisende – Kippscheibenprothese
23.5.1 23.5.2 23.5.3 23.5.4 23.5.5 23.5.6
23.6 23.6.1 23.6.2 23.6.3
Operative Eingriffe an der Mitralklappe – 641 Funktionelle Anatomie – 641 Mitralklappenersatz – 642 Klappenerhaltende Operationen – 647 Operationen bei ischämischer Mitralklappeninsuffizienz – 657 Operationen bei Mitralklappenendokarditis – 658 Kompetenzprüfung nach klappenerhaltendem Mitraleingriff – 659 Operative Eingriffe an der Trikuspidalklappe – 660 Funktionelle Anatomie – 660 Trikuspidalklappenersatz – 661 Anulorrhaphieverfahren bei Anulusdilatation – 661 Literatur
– 662
und letztendlich durch die in den 1980er Jahren eingeführte zweiflügelige Klappenprothese abgelöst. Zeitgleich zu der beschriebenen Entwicklung wurde auch an der Etablierung von biologischen Prothesen gearbeitet. So erfolgte im Jahre 1970 die Implantation der ersten gerüsttragenden Bioprothese aus dem Gewebe von Schweineaortenklappen durch Hancock und bereits 1976 die erste Implantation einer von Carpentier und Edwards entwickelten Prothese aus Rinderperikard. Nach Etablierung des prothetischen Ersatzmaterials gerieten offene rekonstruktive Verfahren an der Mitralklappe zunehmend in den Hintergrund. Erst in den vergangenen 10 Jahren hat die Bedeutung rekonstruktiver Verfahren wieder nachhaltig zugenommen. Die dauerhafte Antikoagulationspflichtigkeit und thromboembolische Komplikationen bei mechanischen Kappenprothesen einerseits sowie die erschreckend hohe Rate an degenerativen Veränderungen und Rissen in den Taschen biologischer Prothesen und das rasche Einsetzen dieser Entwicklung andererseits förderten diesen Prozess. Ein besonderer Verdienst hinsichtlich der Weiterentwicklung rekonstruktiver Techniken an der Mitralklappe, der systematischen chirurgischen Re-
636
23
Kapitel 23 · Chirurgie der erworbenen AV-Klappen-Erkrankungen
flexion mit vergleichendem Ansatz, der Erlernbarkeit mit reproduzierbarem Erfolg und auch der wissenschaftlichen Aufarbeitung dieses Themas kommt Carpentier, Duran und in jüngerer Zeit auch Dreyfuss und Adams zu (Adams et al. 2006; Carpentier 1977; Dreyfuss et al. 1990; Duran et al. 1978). Zunehmende Bedeutung hat in den letzten Jahren auch der Zweiteingriff an der Mitralklappe erlangt. Dies ist mit der Vielzahl der immer älter werdenden Patienten mit zuvor durchlaufenen rekonstruktiven Maßnahmen oder stattgehabtem biologisch-prothetischen Ersatz zu erklären. Durch die verlängerte Nachbeobachtungszeit der Patienten zeigt sich heutzutage in vielen Fällen das wahre Langzeitergebnis rekonstruktiver Verfahren, die in der Frühzeit der Klappenrekonstruktionen angewendet wurden. Unabhängig von der Art des Wiederholungseingriffs an der Mitralklappe ist dies ein über eine mediane Sternotomie sicher und standardisiert durchzuführende Operation geworden. Der Anteil der Trikuspidalklappenchirurgie am Gesamtaufkommen der Herzklappenchirurgie ist nach wie vor gering. Aufgrund des stetig seltener auftretenden rheumatisch bedingten Trikuspidalklappenfehlers und der nur selten vorkommenden Trikuspidalklappenendokarditis stellt auch der prothetische Trikuspidalklappenersatz einen heute nur selten durchzuführenden Eingriff dar. Zeitgleich hat jedoch der Anteil von Trikuspidalklappenrekonstruktionen zugenommen. Hier steht meist die Beseitigung einer Trikuspidalklappeninsuffizienz bei ausgeprägter pulmonaler Hypertonie als begleitendes Phänomen bei langjähriger Mitralklappeninsuffizienz im Vordergrund. Zu diesem Zweck sind derzeit zahlreiche operative Techniken der Trikuspidalklappenrekonstruktion einsetzbar, auf die am Ende dieses Kapitels eingegangen wird. ! Die Chirurgie der AV-Klappen hat eine zunehmende Bedeutung erfahren, was in der vergangenen Dekade insbesondere auf die ausgereifte Qualität der Herzklappenprothesen selbst, aber auch auf die hohe Qualität der Operationstechniken zurückzuführen ist.
. Abb. 23.1. Zugang zur Mitralklappe über eine mediane Längssternotomie
Die Zunahme von Re-Operationen an der Mitralklappe nach vorausgegangenen Rekonstruktionen oder zum Ersatz degenerierter biologischer Prothesen hat die Zurückhaltung bezüglich Wiederholungseingriffen schwinden lassen. Aus Gründen der besseren Erreichbarkeit und zur Beherrschung etwaiger Komplikationen hat sich die Zahl der Eingriffe über alternative Zugangswege wie rechts- oder linksseitige Thorakotomien in den letzten Jahren deutlich reduziert. Den alternativen Zugangsweg von rechts wählen wir in unserer Klinik nur noch im Rahmen minimal-invasiv durchgeführter Mitralklappenoperationen (7 Kap. 24). Dahingegen ist der Zugang über eine mediane Sternotomie auch bei Wiederholungs- oder Kombinationseingriffen zur Routine geworden. Die Furcht vor Verletzungen des mitunter deutlich vergrößerten rechten Vorhofs oder aber des rechten Ventrikels bei wiederholtem Zugang über eine mediane Sternotomie ist jedoch nicht unbegründet. Bei den heute zahlreich durchgeführten Wiederholungseingriffen zeigt sich, dass besonders dem Durchtrennen der hinteren Sternumlamelle und der Freipräparation sowohl des rechten als auch des linken Vorhofs große Bedeutung zukommt und dass ein umsichtiges Vorgehen Blutungskomplikationen weitgehend vermeiden kann.
23.2.1 Mediane Sternotomie
! Die Durchführung einer präoperativen Computertomographie zur Beurteilung von retrosternalen Dimensionen bzw. Abständen sollte zur Routine werden und hat zu einer deutlichen Reduktion von Herzverletzungen mit daraus resultierenden Komplikationen geführt.
Der Zugang zur Mitralklappe erfolgt über eine mediane Sternotomie (. Abb. 23.1), ist aber auch über eine linksoder rechtsseitige Thorakotomie möglich. Der heute mit weitem Abstand am häufigsten gebrauchte Zugang ist die mediane Sternotomie, und zwar sowohl bei Erst- als auch bei Wiederholungseingriffen an der Mitralklappe. Aufgrund dessen soll diesem Standardzugang besondere Aufmerksamkeit gewidmet werden.
Direkt nach dem Eröffnen der hinteren Sternumlamelle unter intermittierender, kurzzeitiger Dekonnektion der Beatmung präparieren wir zwischen Thoraxwand und Perikard bzw. wenn dieses nicht vollständig verschlossen wurde zwischen Thoraxwand und rechtem Vorhof bzw. Ventrikel sehr ausgedehnt nach beiden Seiten mit bewusster Eröffnung beider Pleurahöhlen, um beim Spreizen der Sternumränder keinen Zug auf die Wände gefährdeter Strukturen wie obere Hohlvene, Quervene (V. anonyma), rechter Vent-
23.2
Operative Zugänge
637 23.2 · Operative Zugänge
rikel und rechter Vorhof auszuüben. Durch weiterhin schrittweises Freipräparieren gelingt es, obere und untere Hohlvene darzustellen und zirkulär zu umfahren. Die zur korrekten und befriedigenden Darstellung der Mitralklappe notwendige Rotation des Herzens wie bei Erstoperationen macht es in der Regel erforderlich, sämtliche Verwachsungen zu lösen. Die Oberflächenkühlung des Herzens und die später unerlässliche Entlüftung werden dadurch deutlich begünstigt. Eine von einigen Zentren durchgeführte Routinekanülierung von A. und V. femoralis zur Etablierung der extrakorporalen Zirkulation vor medianer Sternotomie führen wir nur in Ausnahmefällen durch, wenn der Retrosternalraum obliteriert ist und ggf. auch die Aorta Kontakt zum Sternum hat. Der intrathorakale Anschluss der extrakorporalen Zirkulation bleibt in unserer Klinik das Standardverfahren.
a
23.2.2 Eröffnung des linken Vorhofs über den
Sulcus interatrialis Der von den meisten Chirurgen gewählte Zugang zur Mitralklappe erfolgt über die Inzision des linken Vorhofs entlang des Sulcus interatrialis (. Abb. 23.2). Dazu präpariert man derart, dass der Assistent den rechten Vorhof nach ventral und zu sich hin zieht. Ausgehend von der oberen Lungenvene erfolgt die Präparation im Sulcus interatrialis. Mit Schere oder Hochfrequenzkoagulator lassen sich rechter und linker Vorhof nach Inzision des Epikards auf einer Länge von 3–6 cm voneinander trennen; simultan erfolgt bei Verwendung des Hochfrequenzkoagulators eine vorteilhafte Blutstillung im epikardialen Gewebe. Je höher die Inzision am atrialen Septum lokalisiert ist, desto besser werden Sicht und spätere Manipulationsfreiheit an der Mitralklappe. Während ante- oder retrograder Applikation der Kardioplegielösung nimmt man eine Stichinzision des linken Vorhofs vor. Ein Gewebesaum von etwa 5 mm sollte als freie Lefze am septalen Rand verbleiben. Die Inzision kann nach kaudal bogenförmig bis hinter die Einmündung der unteren Hohlvene unter Vermeidung einer zeitgleichen Eröffnung des rechten Vorhofs und nach kranial nach Zug an der oberen Hohlvene nach links bis in das Dach des Vorhofs erweitert werden. Durch Hakenzug am septalen Rand der Inzision erreicht man die erforderliche Rotation des Herzens nach links, die dann in der Regel einen direkten Zugang zur Mitralklappe ermöglicht (. Abb. 23.3). Durch Einlage eines Bauchtuchs unter das Herz, vorbei am linken Herzohr, kann der subvalvuläre Halteapparat besser eingesehen und dezent auf den Operateur zubewegt werden. In unserer Klinik findet bei allen Eingriffen an der Mitralklappe ein spezieller Retraktor Anwendung, der Elevation und Linksverschiebung des rechten Vorhofs begünstigt.
b
. Abb. 23.2a, b. Eröffnung des linken Vorhofs im Sulcus interatrialis rechts. Das Gewebe des Sulcus wird abpräpariert (a) und zum späteren Verschluss aufbewahrt (b)
. Abb. 23.3. Darstellung der Mitralklappe nach Eröffnung des linken Vorhofs im Sulcus interatrialis
23
638
23
Kapitel 23 · Chirurgie der erworbenen AV-Klappen-Erkrankungen
Zur definitiven Einstellung des Operationssitus an der Mitralklappe installieren wir 2 meist schmale Haken an der Längsstange des Spreizers und bei Bedarf einen weiteren Haken an dessen zuvor aufzusetzender Querstange. Auf diese Weise ist in der Regel eine zirkumferenzielle Einstellung der Mitralklappe zu erreichen, ohne weitere manuelle Hilfe in Anspruch zu nehmen. Ist die Klappe trotz Einsatz des Mitralretraktors schwer einzusehen, verbessern Klappennähte an den Kommissuren die Exposition. Zur Routine bei der Darstellung der Mitralklappe und bei allen weiteren chirurgischen Maßnahmen an der Klappe gehört in unserer Klinik neben der Verwendung eines Herz-Lungen-Maschinen-Saugers die Einlage eines sog. Spiralsaugers in die linken Lungenvenen, um nachlaufendes Blut im linken Vorhof an dessen tiefster Stelle abzusaugen. Die Rotation des Herzens kann bei kleinem linken Vorhof erschwert sein, außerdem bei Re-Operationen und bei Erkrankungen, die mit einer Hypertrophie des linken Herzens einhergehen, z. B. bei gleichzeitig vorliegendem Aortenklappenvitium. Hier können die im Folgenden beschriebenen alternativen Atriotomien als Zugangswege notwendig werden. Die Inzision des linken Vorhofs verschließen wir durch eine überwendliche einfache Naht mit Prolene 3/0 von kranial bzw. kaudal zur Mitte der Atriotomie hin. Hierbei muss sichergestellt sein, dass die Naht an beiden Endpunkten der Inzision jenseits derselben beginnt, da insbesondere der untere Pol der Inzision bei gefülltem Herzen mitunter nur noch schwer einzusehen und zu kontrollieren ist. Es sollten stets alle Wandschichten durchgreifend genäht werden. Vor Fertigstellung der Naht erfolgt bereits die Auffüllung des linken Vorhofs mit NaCl-Lösung, um die komplette Entlüftung vorzubereiten (vgl. unten, 23.4).
schluss dieser Inzision weiter erschweren. Diese Art des Zugangs sollte dem erfahrenen Operateur vorbehalten bleiben. Die Eröffnung über das Vorhofdach wird besonders dann attraktiv, wenn nur eine partielle obere Sternotomie erfolgt. Dann sind die Verwendung einer venösen »Twostage« -Kanüle und die antegrade Applikation der Kardioplegielösung die Regel.
23.2.4 Eröffnung des linken Vorhofs
transatrioseptal über den rechten Vorhof Bei kleinem linken Vorhof, sehr tiefem Thorax oder stark hypertrophiertem linken Ventrikel kann eine transseptale Eröffnung über eine intrakardiale Septumlängsinzision gewählt werden. Die Eröffnung des rechten Vorhofs erfolgt über eine hakenförmige Inzision. Diese beginnt an der Einmündung der rechten oberen Lungenvene in Richtung der Basis des rechten Herzohres und verläuft dann parallel zum Sulcus interatrialis auf die untere Kanülierungsstelle zu. Nachfolgend eröffnet man das Vorhofseptum an der Fossa ovalis beginnend auf einer Länge von 3–5 cm zwischen der
23.2.3 Eröffnung des linken Vorhofs über das
Vorhofdach In besonderen Fällen kann als alternativer Zugang derjenige über das Dach des linken Vorhofs zwischen Aorta und oberer Hohlvene erfolgen (. Abb. 23.4). Nach Hakenzug unter der Aorta ascendens ventralwärts erfolgt die Inzision hierfür mindestens 1 cm hinter der Aortenwurzel. Sie wird nach rechts bis zur Einmündung der oberen Hohlvene fortgesetzt, außerdem nach links bis zur Einmündung der linken oberen Lungenvene. Auf diese Weise erreicht man einen Zugang zur Mitralklappe ohne wesentliche Rotation des Herzens. Im Extremfall kann eine Durchtrennung der Aorta notwendig werden. Gefahrenpunkte dieser Inzision sind eine fälschliche Eröffnung der Basis des linken Herzohres sowie ein zu geringer Abstand zur Aortenbasis, was einen Verschluss der beschriebenen Inzision erschweren könnte. Zerreißliches Vorhofgewebe beim älteren Patienten kann den blutdichten Ver-
a
b . Abb. 23.4a, b. Eröffnung des linken Vorhofs in seinem Dach. Die Inzision reicht vom rechten Vorhof bis zur Einmündung der linken oberen Lungenvene und verläuft 1–2 cm abseits der Aortenbasis
639 23.2 · Operative Zugänge
Einmündungsstelle der oberen Hohlvene und dem kaudalen Ende der Fossa ovalis. Auf diese Weise erhält man einen guten Zugang zu beiden AV-Klappen. Eine Rotation des Herzens ist nicht oder nur in sehr geringem Maße erforderlich (. Abb. 23.5a). Die Septumlängsinzision verschließen wir durch eine überwendliche ein- oder 2fache Naht mit Prolene 3/0, ebenso die Vorhofinzision. Guiraudon entwickelte eine Erweiterung dieses Zugangs durch Verlängern der atrioseptalen Inzision in das Dach des linken Vorhofs (Guiraudon et al. 1991). Es entsteht jedoch so bereits eine biatriale Eröffnung. ! Durch diese Form der Mitralklappenexposition kann jedoch die Blutversorgung des Sinusknotens beeinträchtigt werden, wodurch die Gefahr von temporären und dauerhaften Sinusknotendysfunktionen besteht (Guiraudon et al. 1991].
Insbesondere beim senkrechten transseptalen Zugang ist der Wiederverschluss genau vorzunehmen, um eine adäquate Re-Approximierung auf Septumniveau zu erzielen. Es kann von Vorteil sein, die verschiedenen entstandenen Gewebelefzen durch Haltenähte zu markieren, um beim Wiederverschluss eine anatomisch korrekte Re-Approximierung zu erzielen. Wegen der erhöhten Rate an Vorhofüberleitungsstörungen empfahl Deloche bereits in seiner Primärpublikation, diesen eine sehr gute Übersicht bietenden Zugang nur zu verwenden, wenn die direkte Linksatriotomie primär nicht ausreichend erscheint (Deloche et al. 1990).
23.2.6 Zugang bei Re-Operationen
! Für den erweiterten Zugang ist Vorsicht geboten bei eng aneinander liegenden Lungenveneneinmündungen und bei unkontrolliertem Hakenzug an den quer inzidierten Septumrändern. Hier kann ein Weiterreißen die AV-Klappen-Ebene, die Aortenbasis oder auch das His-Bündel erreichen (Deloche et al. 1990).
Auch im Rahmen der stetig häufiger erforderlichen ReOperationen wählen wir für Eingriffe an den AV-Klappen in der Regel die mediane Längssternotomie. Nach sorgfältiger Durchtrennung der hinteren Sternumlamelle mittels oszillierender Säge oder grober Präparierschere präparieren wir zwischen Thoraxwand und Perikard bzw. wenn dieses nicht vollständig verschlossen wurde zwischen Thoraxwand und rechtem Vorhof bzw. rechtem Ventrikel. Bei dieser Präparation öffnen wir die rechte Pleura, um beim Einsetzen des Sternumspreizers keinen übermäßigen Zug auf rupturgefährdete Strukturen wie obere Hohlvene, Quervene (V. anonyma), rechten Vorhof und rechten Ventrikel auszuüben. Durch schrittweises Präparieren werden nachfolgend die aszendierende Aorta sowie obere und untere Hohlvene freigelegt und zirkulär umfahren. Sind die Adhäsionen der vulnerablen lateralen Anteile des rechten Vorhofs mit dem Perikard sehr ausgeprägt, werden diese teilweise auf dem Vorhofgewebe belassen, und man wählt einen tieferen transperikardialen Einstieg. Aus Gründen der besseren Darstellbarkeit der Mitralklappe im Rahmen
a
b
. Abb. 23.5. a) Transrechtsatriale (transatrioseptale) Eröffnung des linken Vorhofs. Schnittführung im Vorhofseptum angezeichnet nach Rechtsatriotomie. b) Biatriale Vorhoferöffnung nach Dubost. Die quere
Inzision im Vorhofseptum muss auf die in der Nähe gelegenen Strukturen der Aortenbasis und der Trikuspidalklappe sowie auf das HisBündel Rücksicht nehmen
23.2.5 Biatriale Eröffnung nach Dubost
Die klassische biatriale Inzision nach Dubost (Dubost et al. 1966) erlaubt einen sehr guten Zugang sowohl zur Mitral- als auch zur Trikuspidalklappe. Hierbei handelt es sich um eine in der rechten oberen Lungenvene beginnende Inzision, die von dort sowohl in das Vorhofseptum als auch in die vordere freie Wand des rechten Atriums zieht (. Abb. 23.5b). Dieser Zugang kann in seiner Übersichtlichkeit durch zusätzliche quere Eröffnung im Sulcus interatrialis (7 23.2.2) erheblich erweitert werden (Brawley 1980; Deloche et al. 1990).
23
640
Kapitel 23 · Chirurgie der erworbenen AV-Klappen-Erkrankungen
einer dezenten Rotation des gesamten Herzens sehen wir es als erforderlich an, sämtliche das Herz umgebende Adhäsionen zu durchtrennen. Auf diese Art und Weise resultiert eine verbesserte Möglichkeit der epikardialen Oberflächenkühlung, zudem eine verbesserte Entlüftung des Herzens. Ein alternativer Zugang bei Re-Operationen ist die rechtsanterolaterale Thorakotomie, ggf. mit transfemoralem Anschluss der extrakorporalen Zirkulation, zumindest arteriell.
23 23.2.7 Zugang von links oder rechts
Unter den heute äußerst seltenen Gegebenheiten einer Mitralklappenoperation über einen linksthorakalen Zugang wird der linke Vorhof über eine schräge Inzision zwischen der Basis des linken Herzohres und der Einmündung der linken Lungenvenen eröffnet. Aufgrund der Schwierigkeiten der venösen Kanülierung ist von diesem Zugang unseres Erachtens abzuraten. Für die in der »Minimal-access« -Chirurgie (roboterassistiert, endoskopisch) verwendeten rechts- und linksthorakalen Zugangswege sei auf 7 Kap. 24 verwiesen.
23.3
Verschluss des linken Herzohres
Der Verschluss des linken Herzohres erfolgt mit einer einzelnen oder doppelten 3/0-Prolenenaht mit großer Nadel, in der Regel von innen. Ein Verschluss von außen ist ebenso möglich; hier bieten teflonunterlegte 4/0-Nähte die größte Sicherheit. Über den Verschluss ist mittelfristig ein geringeres Embolierisiko zu erwarten, auch bei bestehendem Sinusrhythmus. Beim Verschluss des linken Herzohres kann es hilfreich sein, es sich mittels Klappennaht eindeutig in den Vorhof zu luxieren. Einem Verschluss entspricht auch eine Herzohramputation/-resektion mit entsprechender Naht.
23.4
Extrakorporale Zirkulation, Kanülierung, Myokardprotektion und Entlüftung
Die Etablierung der extrakorporalen Zirkulation bei Eingriffen an der Mitralklappe unterscheidet sich im Wesentlichen nicht vom Vorgehen bei anderen herzchirurgischen Maßnahmen. Auf einige Details soll allerdings im Folgenden kurz eingegangen werden. Nach medianer Längssternotomie erfolgen die Präparation bzw. Durchtrennung des Restthymuskörpers (fettinvolutionierte Thymusdrüse) und die Darstellung des Herzbeutels. Nach Eröffnung des Herzbeutels in ganzer Länge über eine invers T-förmige Inzision wird diese bis zur Perikardumschlagfalte an der Aorta ascendens verlängert. Nun erfolgt die systemische Heparinadministration (400 IE/ kg KG). Nachfolgend wird der proximale Aortenbogen ge-
genüber dem Truncus brachiocephalicus nach Vorlegen zweier konzentrischer Tabaksbeuteltourniquetnähte (4/0Prolene) mittels Stichinzision kanüliert. Hinsichtlich der venösen Kanülierung ist zu erwähnen, dass Mitralklappenoperationen am leichtesten im totalen kardiopulmonalen Bypass mit selektiver Kanülierung beider Hohlvenen durchzuführen sind. Über eine Tabaksbeutelnaht an der oberen Hohlvene wird eine gewinkelte Kanüle in diese eingeführt. Mit diesem Katheter erfolgt der Anschluss an die extrakorporale Zirkulation. Gegebenenfalls lässt sich durch Mobilisierung der oberen Hohlvene nach kranial durch eine etwa 2 cm lange Inzision des Perikards auf der Ventralseite der oberen Hohlvene eine bessere Mobilität derselben erzielen. Am partiellen Bypass wird später unmittelbar oberhalb der Einmündung der unteren Hohlvene in den rechten Vorhof eine weitere Tabaksbeutelnaht angelegt und eine weitere gewinkelte venöse Kanüle in die untere Hohlvene eingeführt. Durch die beschriebene selektive Kanülierung beider Hohlvenen ist die Erweiterung des linksatrialen Zugangs bei schwierigen anatomischen Gegebenheiten in jede Richtung möglich. Durch Zug am um die untere Hohlvene gelegten Tourniquet lässt sich das Herz zusätzlich zum Operateur hin bewegen. Beide Hohlvenen werden nach stumpfer Umfahrung ihrer Perikardumschlagsfalten mit einem Mersileneband umfahren, um später durch Zuziehen dieses Bandes einen totalen Bypass zu etablieren. Die Platzierung eines transatrialen Koronarsinuskatheters ermöglicht die retrograde Applikation von Kardioplegielösung zu jedem Zeitpunkt der Operation ohne Aufhebung der Exposition. Bei der alternativ möglichen antegraden Applikation über die Aortenwurzel muss die Einstellung in aller Regel aufgehoben werden, da die Retraktionshaken des von uns verwendeten Mitralklappensperrers nach Cosgrove durch Druck auf die Aortenbasis eine Aortenklappeninsuffizienz verursachen. Nach Etablierung der extrakorporalen Zirkulation klappen wir alle Schläuche auf die linke Patientenseite – die Seite des Assistenten –, um eine bessere Sicht zu ermöglichen. Üblicherweise kühlen wir unsere Patienten auf eine Köperkerntemperatur von 32°C und applizieren zur Myokardprotektion während der Ischämiezeit nach Gabe eines initialen Blutkardioplegielösungsbolus über 4 Minuten alle 20–25 min 4–8°C kalte Blutkardioplegielösung nach Buckberg. Im Einzelfall führen wir eine äußere Kühlung des Herzens durch topische epikardiale Eiswasserkühlung durch. Der vollständigen und sorgfältigen Entlüftung des Herzens vor Öffnung der Aortenklemme kommt nach Mitralklappenoperationen besondere Bedeutung zu, da im Zuge der direkten Eröffnung des linken Vorhofs Luft in alle Bereiche des linken Herzens bis hinein in die Lungenvenen gelangen konnte. Die Entlüftung des Herzens erfolgt in unserer Klinik antegrad nach Freigabe der Torniquetokklusion an oberer und unterer Hohlvene unter Anstauung des venösen Rückflusses zur Herz-Lungen-Maschine und durch Blähen der Lungen durch die Kollegen der Anästhe-
641 23.5 · Operative Eingriffe an der Mitralklappe
sie. Zuvor wird bereits beim Verschluss der Naht des linken Vorhofs mittels NaCl-Spülblase ein aktives Auffüllen des Vorhofs durchgeführt. Auf die Einlage eines Katheters durch die Mitralklappenprothese zur Erzielung einer Insuffizienz im Rahmen der Entlüftung des linken Ventrikels wird in unserer Klinik verzichtet. Durch Entfernung der Kardioplegiekanüle aus der Aorta ascendens wird eine freie Luftaustrittsstelle geschaffen. Unter vorsichtiger manueller Kompression des Herzens und Einstülpung des linken Herzohres nach innen (sofern nicht verschlossen) erfolgt durch mehrmaliges Anstauen zuerst der Luftaustritt, später der ausschließliche Blutaustritt aus dem Entlüftungsloch. Es empfiehlt sich, das Herz unter Stauungs- und Blähmanövern mehrfach leicht anzuheben, da auf diese Weise Luftblasen aus den Chordae und den Trabekeln des linken Herzens mobilisiert werden können. Dieser Vorgang sollte sehr schonend erfolgen, da die Klappen beim prothetischen Klappenersatz, aber auch nach Anuloplastie als Hypomochlion wirken und zu einer Ruptur im AV-Übergang führen könnten (Rodriguez et al. 2001). Nach Wiedererwärmung erhalten alle unsere Patienten vor Beendigung der extrakorporalen Zirkulation durch Einlage über den Sulcus interatrialis in Höhe der oberen rechten Lungenvene einen linksatrialen Messkatheter zur Ermittlung der Vorlast. Bei allen Patienten, die sich in unserer Klinik einer Mitralklappenoperation unterziehen, erfolgt zudem eine Überwachung mittels transösophagealer Echokardiographie. Auf das Einlegen eines Vent-Katheters (Entlastungskatheter für den linken Ventrikel) verzichten wir bei den meisten Mitralklappenoperationen. Wird dies erforderlich, legen wir den Vent-Katheter über die spätere Insertionsstelle des linksatrialen Druckmesskatheters ein.
23.5
Operative Eingriffe an der Mitralklappe
23.5.1 Funktionelle Anatomie ! Die Mitralklappe weist eine besondere Komplexität auf: Sie kann ihre Funktion nur im Zusammenspiel von Klappensegeln, Sehnenfäden, Papillarmuskeln und dem Ventrikelmyokard ausüben.
Im Folgenden soll auf einige wesentliche funktionelle Strukturen der Mitralklappe wie Klappensegel, Kommissuren, Koaptationsfläche, Mitralanulus sowie Sehnenfäden und Papillarmuskeln näher eingegangen werden. Die Mitralklappe besteht aus 2 Segeln. Das anteriore Segel hat eine halbkreisartige Form und nimmt ungefähr 40 % der anulären Zirkumferenz ein. Weiterhin besteht eine fibröse Kontinuität zwischen dem anterioren Mitralklappensegel und der akoronaren Tasche der Aortenklappe. Diese Region wird mitral-aortale intervalvuläre Fibrosa (MAIVF) genannt und ist äußerst dünn. Häufiger wird im
deutschen Sprachgebrauch vom aortomitralen Übergang gesprochen. Der freie Rand des anterioren Mitralklappensegels ist durch die Sehnenfäden erster Ordnung leicht in Richtung des Kavums des linken Ventrikels gezogen, zeigt ansonsten jedoch eine Kontinuität ohne Einbuchtungen. Das Fehlen von überschüssigem Gewebe am Rand des anterioren Segels ist stets zu beachten, da beispielsweise im Fall eines anterioren Segelprolapses nur sehr zurückhaltend Segelgewebe reseziert werden kann, ohne das Risiko einer Schlussunfähigkeit einzugehen. Wesentliche Bedeutung kommt dem anterioren Mitralklappensegel und seinen Bewegungen auch als Begrenzungsstruktur im Rahmen der linksventrikulären Herzaktionen zu. So markiert das anteriore Mitralsegel während der Diastole die Grenzlinie des Einflusstrakts des linken Ventrikels, während der Systole diejenige des Ausflusstrakts (David et al. 1997). Das posteriore Mitralklappensegel hat eine viereckige Konfiguration und nimmt ungefähr 60 % der hinteren anulären Zirkumferenz ein. Carpentier (1983) führte eine chirurgisch anwendbare Klassifikation des anterioren und des posterioren Mitralklappensegels in jeweils 3 Segmente ein. Im Gegensatz zum anterioren Mitralklappensegel zeigt das posteriore Segel 2 eindeutig zu identifizierende Einbuchtungen an seinem freien Rand, die das Segel in 3 Segmente unterteilen. So spricht man im oberen Bereich der Draufsicht auf das posteriore Segel vom P1-Segment, im mittleren Bereich vom P2-Segment und im inferioren Bereich vom P3-Segment. Den beschriebenen Segmenten stehen mit A1, A2 und A3 die korrespondierenden Segmente des anterioren Segels gegenüber. Die Einhaltung dieser Segmentnomenklatur ist bei der morphologischen Beschreibung der Mitralklappe durch den echokardiographierenden Kardiologen und auch in der Planung der operativen Strategie zwischen Kardiologen und Chirurgen von großer Bedeutung. Als Mitralklappenkommissuren bezeichnet man das Areal der Mitralklappe, an der sich das anteriore und das posteriore Segel an ihrer Anheftungsstelle am Mitralklappenanulus begegnen bzw. an der der freie Klappensegelrand im Klappenanulus ausläuft. Nicht immer ist dieser Bereich eindeutig abgrenzbar. So kann es vorkommen, dass man sich die korrespondierend gegenüberliegenden Papillarmuskeln zur genauen Abgrenzung der Kommissuren orientierend zur Hilfe nehmen muss. Eine weitere wichtige Komponente der funktionellen Anatomie der Mitralklappe ist die sog. Koaptationsfläche der Mitralklappensegel, die Berührungsfläche zwischen anteriorem und posteriorem Segel. Hier unterscheidet man eine weiche Koaptationsfläche, welche meist die eigentliche Segelfläche einnimmt, von einer derben Koaptationsfläche, welche den eigentlichen, oft leicht verdickten freien Rand der Mitralklappensegel ausmacht. Die derbe Koaptationsfläche führt den eigentlichen kompetenten Mitralklappenschluss herbei; ihre Länge und ihre Breite sind für die Beurteilung des kompetenten Mitralklappenschlusses entscheidend.
23
642
23
Kapitel 23 · Chirurgie der erworbenen AV-Klappen-Erkrankungen
Die Mitralklappe grenzt als AV-Klappe den linken Vorhof von der linken Kammer ab. Der Mitralklappenanulus komplettiert einerseits diese Abgrenzung, dient andererseits aber auch als wichtige Ansatzstruktur für die Mitralklappensegel. Der Mitralklappenanulus ist ovalär geformt. Während der Systole bewegen sich beide Kommissuren in Richtung Apex, während sich die beiden anulären Zirkumferenzen einander annähern. Beide Mechanismen tragen zu einer optimalen Koaptation bei und können durch Anulusdilatation oder Verkalkung gestört sein. Weiter ist während der Chirurgie der Mitralklappe zu beachten, dass der Mitralklappenanulus von einigen wichtigen anatomischen Strukturen umgeben ist. So befinden sich die akoronare Tasche der Aortenklappe, der Koronarsinus, der AV-Knoten und auch der Ramus circumflex in unmittelbarer Nachbarschaft. Abschließend sollen mit Sehnenfäden (Chordae) und Papillarmuskeln 2 weitere Strukturen angesprochen werden. Die Sehnenfäden sind primär für die endsystolische Position sowohl des anterioren als auch des posterioren Mitralklappensegels verantwortlich. Sie haben ihren Ursprung an den Papillarmuskeln und sind je nach Insertionsstelle an den Klappensegeln zu klassifizieren. So unterscheidet man primäre, sekundäre und tertiäre Sehnenfäden. Primäre Sehnenfäden setzten am freien Rand der Segelflächen an und verhindern so den Prolaps des Segelrandes während der Koaptation. Sehnenfäden sekundärer Ordnung setzen direkt an der weichen Koaptationsfläche der Segel an und vermindern so die mechanische Belastung, die auf den Segelflächen lastet. Ihnen misst man des Weiteren zur Aufrechterhaltung von Form und Funktion des linken Ventrikels große Bedeutung bei. Zahlreiche Arbeiten, zunächst aufgezeigt von Lillehei, belegen eine deutliche Verbesserung der Herzfunktion nach Mitralklappenersatz, wenn das hintere Segel und seine Sehnenfadenaufhängung an beiden Papillarmuskeln erhalten bleiben, d. h. wenn eine komplette Resektion des subvalvulären Apparats unterbleibt. Die hierfür zur Anwendung kommenden chirurgischen Techniken sind weiter unten beschrieben. Sehnenfäden tertiärer Ordnung finden sich nur am posterioren Mitralklappensegel. Sie verbinden anulusnahes Segelgewebe bzw. direkt den Anulus mit den Papillarmuskeln im posterioren Bereich. Durch die Kinetik der Sehnenfäden und der Papillarmuskeln mit ihrer Verankerung im linken Ventrikel folgt die Mitralklappenfunktion direkt der Ventrikelfunktion bzw. wird von dieser bestimmt. In der Regel entspringen 2 Papillarmuskeln aus einem Areal zwischen mittlerem und apikalem Drittel des linken Ventrikels. Hierbei besteht der anterolaterale Papillarmuskel normalerweise aus einem Muskelköpfchen, der posteromediale hingegen aus 2 Muskelköpfchen. Jeder Papillarmuskel weist Sehnenfäden zu beiden Mitralklappensegeln auf. Im Rahmen von myokardialen Ischämien oder sogar Myokardinfarkten kommt der Blutversorgung der Papillarmuskeln, die normalerweise von einem einzigen Koronargefäß abhängt, besondere Bedeutung zu. So ist der anterolaterale Papillarmuskel von der Blutversorgung durch den
Ramus interventricularis anterior oder einen Seitenast des Ramus circumflexus abhängig, der posteromediale – je nach Dominanz des Koronarversorgungstyps – vom Ramus circumflexus oder von der rechten Herzkranzarterie. Die dargestellte Komplexität der Mitralklappe und ihres subvalvulären Halteapparats resultiert heute in der Erkenntnis, sowohl beim mechanischen als auch beim biologischen Mitralklappenersatz nur das anteriore Segel zu resezieren, das posteriore Segel mit seiner Chordae-Aufhängung bzw. Papillarmuskelverbindung jedoch in seiner Funktionalität zu erhalten. Langzeituntersuchungen weisen eine verbesserte Ventrikelfunktion nach (Chen et al. 2003; Yilmaz et al. 2005).
23.5.2
Mitralklappenersatz
Der prothetische Ersatz der Mitralklappe gehört heute weiterhin zu den Routineverfahren der Herzchirurgie, unterliegt zahlenmäßig aufgrund des Rückganges von rheumatischen Klappenfehlern, der früheren Hauptindikation für einen prothetischen Klappenersatz, allerdings einem stetigen Rückgang. Diese Klappenfehler erreichten in den 1970er und 1980er Jahren einen Höhepunkt. Die dem heutigen Mitralklappenersatz zugrunde liegenden Erkrankungen haben in den mitteleuropäischen Ländern ihre Verteilung verändert, und zwar insofern, als heute in zunehmendem Maße Mitralinsuffizienzen – entweder degenerativer oder ischämischer Natur – operiert werden. Der Ersatz der Mitralklappe durch ein prothetisches Ventil hat in den nahezu 5 Dekaden seit seiner ersten erfolgreichen klinischen Realisierung durch Starr im Jahre 1961 erhebliche Wandlungen durchlaufen, insbesondere was die Art der Prothesen anbelangt. Mehr noch als der Ersatz der Aortenklappe durch ein künstliches Ventil war der Mitralklappenersatz durch thromboembolische Komplikationen belastet, die sowohl durch die künstliche Oberfläche als auch durch die ungünstigen flussmechanischen Bedingungen in großen und fibrillierenden linken Vorhöfen begünstigt wurden (Carabello 2004). Kritisch ist anzumerken, dass leider sowohl auf dem Gebiet des mechanischen als auch des biologischen Aortenklappenersatzes seit mehr als 10 Jahren wesentliche innovative Trends und Entwicklungen fehlen. 23.5.2.1
Klappenprothesenwahl
Aus dem breiten Spektrum der im Laufe der vergangenen Jahrzehnte vorgestellten Klappenprothesen zum Mitralklappenersatz sind heute nur wenige weiterentwickelte Modelle in Gebrauch geblieben, die der Forderung nach guten hämodynamischen Charakteristika, guter Ventilfunktion mit nur sehr geringem Druckgradienten und Langlebigkeit gerecht werden. Die Klappenwahl wird nach wie vor durch die Thrombogenität und die Notwendigkeit einer ständigen Antikoagulation bestimmt. Letztlich ist diese Frage für
643 23.5 · Operative Eingriffe an der Mitralklappe
die Mitralposition in der Regel weniger wichtig als für die Aortenposition, da ein begleitendes chronisches Vorhofflimmern bei Mitralklappenvitien therapeutisch ohnehin eine Antikoagulation bedingt. Damit wird allerdings der einzige Vorteil einer biologischen Prothese vergeben. Es ist jedoch einschränkend anzumerken, dass Vorhofflimmern mit biologischen Prothesen einer geringeren »international normalized ratio« (INR) bedarf als mit mechanischen. Aufgrund ihrer hohen Degenerationsrate und dem Zwang zur erneuten Operation ist der Anteil dieser Prothesen – seien es Schweineaortenklappen oder Rinderperikardklappen – nach einer Phase der Bevorzugung seit 1980 stark zurückgegangen. Wir implantieren biologische Prothesen bei alten Patienten mit einer Lebenserwartung von etwa 10–15 Jahren und bei Kontraindikationen für eine Antikoagulation. Bei Kindern und Jugendlichen wird das in diesem Alter besonders gravierende Problem des Mitralklappenersatzes in nahezu allen Fällen durch eine Rekonstruktion umgangen, selbst wenn diese kein ideales Ergebnis nach sich zieht. Der Versuch, die erkrankte Mitralklappe ähnlich wie an der Aortenklappe durch eine menschliche zu ersetzen, ist bisher ohne dauerhaften Erfolg geblieben. Bei den heute fast ausnahmslos im Einsatz befindlichen mechanischen Prothesen unterschiedlichster Hersteller handelt es sich nahezu durchweg um solche mit Zweiflügelmechanismus. Frühere, den Markt beherrschende Einflügelprothesen oder auch Bügelprothesen sind nahezu in Vergessenheit geraten. Alle heute implantierten mechanischen Prothesen sind vollständig oder zum größten Teil aus Polycarbon gefertigt; sie sind nur wenig thrombogen, mit einer sehr geringen technischen Versagensrate belastet und seitens des Materials dauerhaft haltbar. Die Klappendynamik erscheint technisch ausgreift. Dennoch erfordern alle mechanischen Prothesen in Mitralposition eine konsequente Dauerantikoagulation. Wir implantieren in unserer Klinik ausschließlich Zweiflügelprothesen mit niedrigem Profil und breitem Nahtring, auch in Hinblick auf eine mögliche Prothesenbeeinträchtigung aufgrund der von uns belassenen subvalvulären Klappenstrukturen. Wir streben es grundsätzlich an, eine möglichst große Prothese (29 mm) zu implantieren. Bei engem Anulus und kleiner Körperoberfläche halten wir auch eine Größe von 27 mm für akzeptabel. Kleinere Prothesen sollten bei Erwachsenen vermieden werden. Komplikationen oder Probleme, die auf die Größe der Prothese zurückzuführen gewesen wären, haben wir bei diesem Konzept nicht beobachtet. 23.5.2.2
Exzision der erkrankten Mitralklappe
! Die Exzision der Mitralklappe für den nachfolgenden Klappenersatz richtet sich ganz nach dem Ausmaß der Mitralklappenerkrankung und ihren anatomischen Gegebenheiten, z. B. nach dem Ausmaß der Verkalkungen und nach der daraus resultierenden Aggressivität der
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Exzision, d. h. wie viel Segel und subvalvulärer Halteapparat man mit resezieren möchte bzw. welche Anteile man erhalten will. So ist jede Exzision einer pathologisch veränderten Mitralklappe in unseren Augen ein Abwägen von »wie viel muss exzidiert werden« und »wie viel sollte lieber erhalten bleiben«.
Beim Mitralklappenersatz, bei dem die Klappe vollständig reseziert werden soll, wird zuerst das anteriore Segel mit einer scharfen Klemme an seinem freien Rand gefasst und dadurch stabilisiert. Alternativ dazu bringen wir nicht selten eine 3/0-Prolenehaltenaht am A2-Segment des anterioren Segels an, mit der man das anteriore Segel in das Vorhofniveau hereinziehen kann. Durch eine Stichinzision im A2-Segment, etwa 2–4 mm vom Anulus entfernt, wird eine Einstiegsöffnung geschaffen, die in der Regel die geringsten Veränderungen aufweist. Von hier aus kann man das anteriore Segel in kontinuierlich gleichem Abstand zum Anulus in Richtung beider Kommissuren mit der Schere oder dem Stichskalpell resezieren. Soll die Klappe als Ganzes exzidiert werden, empfiehlt es sich, nun die Ansätze der Chordae an den Papillarmuskelköpfen abzutrennen, um dann das posteriore Segel in gleicher Weise, wieder unter Zurücklassen eines schmalen Segelrandes zum Anulus hin, zu exzidieren. Es ist jedoch sicherer und übersichtlicher, zunächst das anteriore Segel mit seinen Chordae tendinae zu entfernen, um dann gezielt Schritt für Schritt die Chordae des posterioren Segels abzutrennen und das Segel zu resezieren. Wie oben dargestellt, haben wir die vollständige Resektion der Mitralklappe in unserer Klinik weitgehend verlassen und versuchen zumindest, Teile des subvalvulären Aufhängeapparats, bei fehlenden Gegenargumenten wie einer zu kleinen Restöffnung nach Klappenresektion aber auch den gesamten subvalvulären Apparat zu erhalten. Die Technik besteht darin, nur das anteriore Segel in der oben beschriebenen Weise zu resezieren und das posteriore Segel mit seinen Chordae an beiden Papillarmuskeln zu belassen (. Abb. 23.6). Selbst oder gerade bei starker Verkalkung des posterioren Segels gelingt es, mittels eines Rongeurs nur den Kalk zu entfernen, ohne die fibrösen Segelstrukturen und die Chordae in ihrer Kontinuität zu durchtrennen oder das Segel gänzlich entfernen zu müssen. Dies kann aus Gründen der Vorsicht sehr sinnvoll sein, vermeidet man doch auf diese Weise häufig eine teilweise Zerstörung des Anulus im posterioren Bereich mit allen daraus resultierenden Komplikationsmöglichkeiten wie der Verletzung des Ramus circumflexus oder sogar einer Ventrikelruptur am AV-Übergang (Casselmann et al. 1999; Sasaki u. Ihashi 2003). Auch bei hochgradigen Mitralstenosen, kleinem linken Ventrikel und engem Anulus ist es möglich, durch radiäre Inzisionen in die belassenen Segelreste bis zum Anulus an beiden Trigona und in der Mitte des posterioren Segels zwischen den beiden Chordagruppen ausreichend Platz zu schaffen, um eine ausreichend große Prothese implantieren zu können.
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Kapitel 23 · Chirurgie der erworbenen AV-Klappen-Erkrankungen
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b
. Abb. 23.6a, b. Exzision der Mitralklappe unter Belassung des posterioren Segels und seines Halteapparats. Nach Stichinzision im ante-
rioren Segel, etwa 5 mm vom Anulus entfernt, werden die Papillarmuskeln gerade eben an ihren fibrösen Köpfen durchtrennt
Die Notwendigkeit des Prothesenwechsels ist u. a. bei Degeneration biologischer Klappen gegeben, jedoch auch bei Prothesenendokarditis und -thrombose sowie bei einem ausgedehnten paraprothetischen Leck. Der transseptale, aber auch der klassische Zugang im Sulcus interatrialis hat sich in unserer Klinik bei Wiederholungseingriffen angesichts der geringeren Rotationsbeweglichkeit des Herzens, auch nach vollständiger Mobilisation im Perikard, bewährt (Murashita et al. 2004). Kleinere, nicht infektionsbedingte paravalvuläre Lecks lassen sich zuverlässig durch eine oder wenige epianuläre, U-förmige Nähte unter Mitfassung von Vorhofwand, Klappenanulus und Prothesennahtring verschließen. Bei größeren Lecks ziehen wir es vor, die Prothese zu entfernen, um die Nähte für die neuerliche Implantation zuverlässig platzieren zu können. Degenerierte oder thrombosierte Prothesen sind mitunter sehr fest eingeheilt, und der Nahtring ist vollständig mit einer Fibrinschicht überzogen. Bei der Explantation derartiger Prothesen inzidieren wir die Fibrinschicht über den Nahtknoten zirkulär und durchtrennen alle Fäden einzeln. In den meisten Fällen gelingt es, die Prothese vollständig stumpf aus dem Pannusgewebe herauszulösen. Bei sehr kräftigen Verwachsungen ist es mitunter sicherer, den Stoff des Nahtrings zu durchtrennen, die äußere Stoffschicht zunächst noch zu belassen und diese Stoffstreifen sowie die Nahtreste nach Entnahme der Prothese selbst zu entfernen.
Größere Probleme sind bei Protheseninfektion und Befall des Anulus, der nach dem notwendigen Débridement oft
Die Klappennähte können sowohl von ventrikelwärts im Vorhof (epianulär) als auch vom Vorhof aus im Ventrikel (intraanulär) platziert werden (. Abb. 23.7). Die epianuläre Implantation der Prothesen hat sich weithin durchgesetzt, weil eine geringere Gewebebelastung resultiert. Sie erfolgt überwiegend mit U-förmigen Nähten, die von der ventrikulären Seite aus durch den Klappenanulus bzw. durch belassene Segelanteile und Anulus zum Vorhof gestochen werden. Bevorzugt wird geflochtenes, kräftiges Nahtmaterial der Stärke 2/0 verwendet. Das Unterlegen mit Teflonfilzplättchen, die heute vorgefertigt auf die Nähte aufgezogen erhältlich sind, ist in unserer Klinik zur Routine geworden. Wichtig ist dies bei dünnem und brüchigem Anulusgewebe. Alternativ verwenden wir auch Widerlagerplättchen aus autologem oder glutaraldehydpräserviertem Pferdeperikard, dies einem »besseren Gefühl« entsprechend, besonders bei Infektionsgefahr. Üblicherweise legen wir mindestens 12, maximal jedoch 15 solcher U-förmigen Nähte an, wobei darauf zu achten ist, dass zwischen den benachbarten Nähten keine Lücken verbleiben und dass die Anulusstrecke zwischen den beiden Fäden einer Naht nicht zu groß wird, um eine Faltenbildung auszuschließen. Bei fraglicher Faltenbildung stechen wir zusätzlich epianuläre U-Nähte mit monofilem Material der Stärke 4/0 von der Vorhofwand zum Prothesenring. Die epianuläre Nahttechnik erlaubt eine hervorragende Anheftung des subvalvulären Halteapparats an der Klappenbasis, was durch den Erhalt der ventrikuloanulären Kontinuität zu besseren Langzeitergebnissen führt. Bei Belassen des posterioren Segels kann man die U-Nähte durch den anulusnahen Segelrand ein- und durch den Anulus ausstechen, also eine sog. Plikatur vornehmen. Damit wird der Halteapparat zusätzlich etwas gestrafft.
kein ausreichend gutes Lager für die Klappennähte bietet, zu erwarten. Eine tiefere Implantation der Nähte, mit biologischem Material als Widerlager unterlegt, muss versucht werden, birgt jedoch eine höhere Gefahr für die umgebenden Strukturen.
! Wichtig ist es, den Anteil des mitgefassten Segels gering zu halten, da dieser sich faltet und bei den mechanischen Prothesen unter dem Prothesenring hervorragen sowie den Schluss der Prothesenflügel behindern kann.
! In jedem Fall ist es wichtig, das Pannusgewebe vollständig zu resezieren, um die neuerliche Prothese tatsächlich auf den Anulus selbst aufnähen zu können.
645 23.5 · Operative Eingriffe an der Mitralklappe
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. Abb. 23.7a–c. Nahttechniken zur Implantation einer Mitralprothese. a Einzelnahttechnik (links) und Wirbelnahttechnik (rechts). b Im Gegenuhrzeigersinn sind eine epianuläre Implantation mittels Matratzennaht mit Widerlagerplättchen aus Teflonfilz oder Perikard sowie 2 subanuläre Implantationen mittels Matratzennaht dargestellt (transatriales und transventrikuläres Vorgehen). c Implantation einer
Mitralprothese mit einem langen, fortlaufend überwendlich geführten Faden. Die Prothese wird abseits des Ostiums gehalten, und die Fäden werden aus dem Ventrikellumen heraus durch den Anulus zum Prothesenring geführt. Zug an den Ecknähten und am jeweilig letzten Faden erleichtert die Fortführung der Naht
Diese Art der Nahtplikatur kann auch bei äußerst zerreißlichen Verhältnis im Bereich des anterioren Segels bzw. am verbliebenen Segelrand durchgeführt werden. Das Vorlegen von intraanulären, also von vorhofseits gestochen U-Nähten zur Klappenimplantation haben wir in unserer Klinik weitgehend verlassen, weil dies zu einer verstärkten Eversion des Vorhofgewebes führt, was bei ausgeprägten Kalzifizierungen der Vorhofwand oder auch des Klappenanulus selbst problematisch und risikobehaftet sein kann. Verschieden Techniken der Verkleinerung des linken Vorhofs sind in der Literatur beschrieben. Grundlage der meisten Operationstechniken ist in der Regel eine Plikatur der posterioren Aspekte des linken Vorhofs. Eine bewährte Technik besteht darin, zwischen den Lungenvenen beginnend eine Prolenematratzennaht der Stärke 3/0 zur rechten Inzisionskante im Sulcus interatrialis zu legen, die je nach Stichtechnik in einer Eversion von 2-mal 3–15 mm Gewebematerial nach außen resultiert. Diese Matratzennaht wird überwendlich übernäht, um eine homogene Vorhofinnenfläche zu bewirken. Weitere Techniken würden den Rahmen dieses Kapitels sprengen und beinhalten zumeist die Resektion von Anteilen des linken Vorhofs (Isomura et al. 1993).
gen aber wohl leichte Vorteile für die antianatomische Implantationssituation von Doppelflügelprothesen, und zwar aufgrund des geringeren Risikos der linksventrikulären Ausflusstraktobstuktion (Laub et al. 1992). Bedeutung erlangt diese Frage bei den von uns favorisierten Techniken der Belassung von posteriorem Segel und subvalvulärem Anhängeapparat beim Mitralklappenersatz. Obschon es in keinem Fall zu einer Behinderung eines Prothesensegels durch verbleibende Anteile des subvalvulären Apparats gekommen ist, hat dies doch Anlass zu Bedenken gegeben. Verschiedene Prothesentypen bieten Vorteile durch einen verlängerten Zylinder des Klappenrings, was zu einem geringeren Risiko der Beeinträchtigung der Klappenfunktion führt. Deshalb kommt dem uneingeschränkten Segelspiel eine besondere Bedeutung zu. Dementsprechend haben wir bei der Belassung von Teilen oder des vollständigen mitralen Halteapparats keine Prothesen mit einem tief in den Ventrikel ragenden Verschlussmechanismus verwendet. Selbst bei den von uns bevorzugten Zweiflügelklappen richten wir nach Einknoten der Prothese besonderes Augenmerk darauf, dass das Spiel der Segel völlig frei ist und durch keinerlei Gewebeanteile behindert wird. Letzt-
23.5.2.3
Implantation mechanischer Prothesen
Die Implantation von mechanischen oder biologischen Mitralklappenprothesen folgt den gleichen Nahtprinzipien wie oben beschrieben. Hinsichtlich der heute üblichen Zweiflügelprothesen ergeben sich lediglich Fragen der Achsenorientierung (. Abb. 23.8). Unterschiedlich gehandhabt wird die Frage, ob die Schwingachse der Segel parallel zur Verbindungslinie der beiden Kommissuren oder senkrecht zu dieser Linie zu orientieren ist. Diese Frage ist derzeit noch nicht eindeutig durch wissenschaftliche Untersuchungen geklärt; tierexperimentelle Untersuchungen zei-
a
b
. Abb. 23.8a, b. Zwei gebräuchliche Orientierungsformen für Zweiflügelprothesen
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646
Kapitel 23 · Chirurgie der erworbenen AV-Klappen-Erkrankungen
lich sind diese Sorgen vermutlich unbegründet, da sich die subvalvulären Strukturen während der Ventrikeldiastole durch Relaxation des Ventrikels seitwärts vom Klappenmechanismus wegbewegen und der Prothesenschluss während der maximalen Ventrikelfüllung erfolgt. Beides wirkt offenbar einer Behinderung des Klappenmechanismus entgegen (Wippermann et al. 2005). 23.5.2.4
23
Implantation biologischer Prothesen
Die kommerziell erhältlichen biologischen Prothesen, seien es Schweine(-aorten-)klappen oder solche mit Rinderperikardtaschen, die jeweils auf künstliche Nahtringe aufgezogen sind, werden derart implantiert, dass 2 ihrer Pfeiler an der Position der beiden Trigona zu liegen kommen und der dritte in der Mitte des posterioren Anulus (. Abb. 23.9). Dies hat den bedeutenden Vorteil, dass der Ausflusstrakt während der Ventrikelsystole nicht durch einen in ihn hineinragenden Prothesengerüstpfeiler obstruiert, sondern zwischen den beiden trigonumwärts implantierten Pfeilern und dem geschlossenen Prothesensegel freigegeben wird
(Chitwood 1998). Verwendet man U-Nähte zur Klappenimplantation, besteht grundsätzlich die Gefahr, dass sich beim Einführen der Prothese ein Faden um einen Pfeiler legt und damit die Bewegung der Klappentaschen behindert. Die meisten Prothesen werden nur mit einer Naht geliefert, welche die 3 Pfeiler verbindet und die erst nach dem Einführen der Prothese entfernt wird. Auf diese Weise wird das Umschlingen eines Pfeilers durch eine Klappennaht verhindert. Übersehen werden kann eine Umschlingung bei Rinderperikardklappen mit ihren sehr schmalen Pfeilern, bei denen die betreffende Verziehung unter Umständen äußerst diskret ist. Wir haben es daher zur Routine gemacht, nach Implantation der Prothese grundsätzlich das Spiel der Klappentaschen und deren freie Koaptation in einem Spiegel zu betrachten. Beim Einbringen einer biologischen Klappe kann es im Einzellfall sinnvoll sein, den Klappenhalter erst dann zu entfernen, wenn die 3 Kommissuren eingeknotet sind. So besteht bei manchen Patienten die Gefahr, dass sich die Prothesengerüstpfeiler beim Herunterführen der Klappe bereits in der Vorhofwand oder aber in den subvalvulären Strukturen verkanten. Durch Entfernung des Klappenhalters nach dem Knoten der 3 Kommissuren kommt es erst dann zum geringfügigen Auseinanderweichen der Prothesengerüstpfeiler. 23.5.2.5
b a
d c . Abb. 23.9a–d. Orientierung biologischer Mitralprothesen. Es werden 2 der 3 Prothesenpfeiler gegenüber den Trigona platziert; den 3. Prothesenpfeiler platziert man gegenüber der Mitte des posterioren Anulus. a Diese Orientierung eröffnet den linksventrikulären Ausflusstrakt während der Kammersystole. b Bei der Implantation einer biologischen Prothese mit U-Nähten besteht grundsätzlich die Gefahr der Nahtumschlingung eines Prothesenpfeilers. c Bei Umschlingung eines Prothesenpfeilers kommt es zu einer Verziehung der beiden benachbarten Klappenprothesentaschen, die bei Kälberperikardklappen äußerst diskret (oben) und bei Schweineaortenklappen sehr breit und unübersehbar sein kann (unten). d Der fehlerlose Schluss der Prothesentaschen in allen Kommissuren kann mit einem Spiegel überprüft werden
Operative Probleme des Mitralklappenersatzes
Operationstechnisch begründete Risiken des Mitralklappenersatzes bestehen v. a. in der Verletzung der Umgebungsstrukturen der Mitralklappe bei deren Exzision oder treten bei der Implantation der Prothese auf. Bei der oben beschriebenen vollständigen Exzision der Klappe kann es durch sehr aggressive Resektion der Segelränder am Mitralanulus, wodurch nicht mehr ausreichend Material für die Platzierung der Klappennähte zurückbleibt, zu einer Verletzung der Aortenklappe, des im hinteren Trigonum verlaufenden Reizleitungsbündels oder des außerhalb des posterioren Anulus verlaufenden Ramus circumflexus kommen. Die Belassung eines ausreichenden Segelrandes mit einer Breite von etwa 3–5 mm ist daher von großer Bedeutung. Schwierig kann die Belassung dieses Lagers sein, wenn Kalk aus den Segeln und dem Anulus bis in die Ventrikelmuskulatur hineinreicht (Iida et al. 2005). ! Die schwerste Komplikation des Mitralklappenersatzes ist die Ruptur entweder des posterioren atrioventrikulären Übergangs oder der posterioren Ventrikelwand selbst. Diese Problematik entsteht bei zu aggressiver Gewebeentkalkung oder Verletzung oder aber auch durch Luxationen des Herzens bei implantierter Prothese im Rahmen von Kombinationsoperationen.
Eine zu ausgedehnte Entkalkung kann hier dazu führen, dass für die Platzierung der Klappennähte kein solides Lager mehr vorhanden ist (. Abb. 23.10). Diese zwar sehr seltene, aber äußerst gefährliche Situation und die zu ausge-
647 23.5 · Operative Eingriffe an der Mitralklappe
rikels, die am ehesten bei kleinen Ventrikeln sowie bei
großen und tief in das Ventrikelkavum reichenden Prothesen vorkommt. Insbesondere wenn der Ventrikel zur Entlüftung luxiert wird, z. B. wie früher üblich, um die Herzspitze zu punktieren, ist es grundsätzlich möglich, dass die Prothese die Hinterwand perforiert. Ähnlich wie die AVDissektion ist dies eine sehr schwere Komplikation, die nur in wenigen Fällen beherrscht werden kann. Bei den Niedrigprofilprothesen vom mechanischen Typ ist diese Komplikation im Gegensatz zu den biologischen Prothesen kaum möglich, und zwar aufgrund des üblicherweise gegenüber der Hinterwand platzierten Prothesenpfeilers. ! Generell sollte vermieden werden, das Herz nach prothetischem Mitralklappenersatz ausgedehnt zu luxieren. . Abb. 23.10. Bei zu extensiver Resektion des posterioren Anulus bzw. bei seiner Entkalkung und beim Legen von tiefen, nicht mit Widerlagern unterlegten Nähten kann es zur Dissektion des AV-Sulcus kommen (die Pfeile markieren die Rupturpforte). Die Rekonstruktion erfordert die Wiederherstellung der Stabilität des atrioventrikulären Übergangs mit widerlagerunterlegten Nähten
dehnte Resektion – v. a. im posterioren Anulusbereich mit der Notwendigkeit, die Klappennähte dann durch die Ventrikelmuskulatur zu legen – sind die bedeutendsten Vorausbedingungen der Ruptur bzw. der Dissektion des posterioren Anulus, welche sofort nach Wiederaufnahme der Ventrikelkontraktion, jedoch auch erst nach Stunden auftreten kann, wenn sich die Nähte durch die Muskulatur gearbeitet haben. Weitere Gründe können der heftige Zug am Mitralanulus während der Klappenexzision und der übermäßige Druck während der Prothesenplatzierung sein. Diese Komplikation ist, wenn überhaupt, nur durch Stabilisierung des atrioventrikulären Übergangs durch Filznähte bzw. Perikardwiderlager nach einer temporären Entfernung der Prothese von innen zu beherrschen. Besonders wichtig ist hierbei die unmittelbare Wiederetablierung der extrakorporalen Zirkulation zur Entlastung des Ventrikelmyokards. Jeglicher Versuch, die Blutung von außen zu versorgen, der zwangsläufig eine weitere Luxation des Herzens mit sich bringen würde, ist zu vermeiden – er verschlimmert oftmals die ohnehin lebensbedrohliche Situation, die mit einer Letalität von 30–50 % behaftet ist (David 1987). In der Literatur sind allerdings auch Verfahren durch Aufkleben von Flicken und Perikard in Einzelfällen als erfolgreich beschrieben worden. Die Technik der Belassung des posterioren Segels hat als positiven Nebeneffekt, dass eine AV-Dissektion nicht oder kaum denkbar auftreten kann. Gefährlich ist die Resektion der Papillarmuskeln unter Zug. Es wurde beobachtet, dass durch die tiefe Resektion Ventrikelrupturen geradezu provoziert wurden. Eine weitere Komplikation ist die durch die Prothese induzierte Ruptur der freien Hinterwand des linken Vent-
23.5.3
Klappenerhaltende Operationen
Die klappenerhaltenden Operationen erlebten aufgrund neuer, innovativer Operationsverfahren in den vergangenen 10–15 Jahren eine deutliche Renaissance in der Behandlung von Mitralklappenerkrankungen. Unter den zahlreichen Verfahren, die als ganzes Konzept oder als Detailaspekte angegeben wurden, sollen im Weiteren diejenigen näher abgehandelt werden, die eine breitere Akzeptanz erfahren haben. Dies sind im Wesentlichen die quadranguläre Resektion mit Verschiebeplastik, die Sehnenfadenplastik, die Sehnenfadenverkürzung und natürlich die Implantation von Klappenringen. Auf weniger invasive Behandlungsverfahren mit alternativen Zugangswegen wird in 7 Kap. 24 eingegangen. 23.5.3.1
Offene Mitralklappenkommissurotomie
Die offene Mitralklappenkommissurotomie war lange Zeit der am häufigsten angewandte rekonstruktive Eingriff an der Mitralklappe. Mit Einführung der Katheterintervention einschließlich der Ballonvalvuloplastie hat sie im heutigen chirurgischen Armentarium nur noch eine untergeordnete Bedeutung. Die Kommissurotomie ist dann am günstigsten durchzuführen, wenn es zu einer Verklebung der beiden Kommissuren gekommen ist, der Segelkörper jedoch – insbesondere der des anterioren Segels als dem eigentlichen Verschlussmechanismus – noch gut beweglich und damit zu einem schnellen Mitralklappenschluss fähig ist. Selbst Verdickungen der Segelränder, auch im Verklebungsbereich der Kommissuren, verhindern nicht, dass eine Rekonstruktion ein sehr günstiges Ergebnis nach sich zieht. Ungünstige Erfahrungen bestehen bei allen Formen des kombinierten Vitiums, wenn also zur Mitralklappenstenose noch ein erheblicher Insuffizienzanteil hinzugekommen ist. Dieser zeigt an, dass nicht nur eine Verschmelzung der Kommissuren besteht, sondern auch eine Schrumpfung der Segel.
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Kapitel 23 · Chirurgie der erworbenen AV-Klappen-Erkrankungen
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Die Technik der offenen Kommissurotomie besteht zunächst in der Identifikation der Verschmelzungslinie der beiden Segel in den Kommissuren und damit auch in der Zuordnung der verwachsenen Chordae-Anteile zum anterioren bzw. posterioren Segel. Praktisch ist dies am günstigsten dadurch zu erreichen, dass man in der Kommissurenlinie, etwa 5 mm vom Anulus entfernt, eine Stichinzision vornimmt, durch welche man eine kleine, gekrümmte Klemme (z. B. Overholt-Klemme) einführt, deren Spitze zur Mitralklappenöffnung hin dirigiert und damit die Chordaegruppe zum anterioren wie auch zum posterioren Segel voneinander trennt (. Abb. 23.11). Unter Umständen können diese so verklebt sein, dass ihre Längsspaltung erforderlich ist. Die Kommissurotomie sollte nicht bis ganz an den Anulus herangeführt werden, da sich sonst mangels Koaptationsfläche in diesen äußersten Ecken geringe Lecks bilden können. Befindet sich etwas Kalk in den Kommissurenverklebungslinien, kann dieser mit einem Rongeur oberflächlich abgenommen werden, ohne notwendigerweise eine Schlussunfähigkeit der Klappe zu produzieren. Wenn der Kalk jedoch in ausgedehnter Weise die Segelstruktur erfasst hat, sollte von einer Rekonstruktion Abstand genommen werden. Zeigt die Klappentestung nach beidseitiger Kommissurotomie eine bedeutende Insuffizienz und ist kein dauerhaft
. Abb. 23.11a–c. Technik der offenen Mitralklappenkommissurotomie. a Nach Darstellung der Fusionslinie wird an dieser entlang eine Stichinzision vorgenommen, und zwar etwa 5 mm vom Anulus entfernt. b Durch diese Inzision wird eine gewinkelte Klemme zum Klappenostium geführt, leicht gespreizt und über dieser dann der ostiumnahe Anteil der Kommissur scharf eröffnet. c Anschließend wird die Kommissur noch weniger Millimeter weiter in Richtung Trigonum eröffnet
gutes Rekonstruktionsergebnis zu erzielen, würden wir einen Klappenersatz vornehmen. 23.5.3.2
Mitralklappenrekonstruktionen (Rekonstruktionen von Segel und Anulus)
Die offenen Rekonstruktionsverfahren gründen sich auf dem zunehmenden Verständnis für die Funktion des erkrankten Mitralklappenapparats, die insbesondere von Carpentier analysiert und klassifiziert wurde. Er entwickelte ein System, nach welchem es grundsätzlich bei den meisten Mitralklappenerkrankungen – evtl. mit Ausnahme der stark verkalkten und auch der endokarditisch zerstörten Klappen – möglich sein müsste, eine Rekonstruktion durchzuführen. Auf der anderen Seite ist zu bedenken, dass unter Einsatz moderner Prothesen mit dem Mitralklappenersatz so gute Ergebnisse erreicht werden, dass bei fraglich geeigneter Pathologie für eine Rekonstruktion mit unsicherem Langzeitergebnis dem Ersatz der Vorzug gegeben werden sollte. Ist die Mitralklappe unter Einsatz der extrakorporalen Zirkulation freigelegt, wird die Entscheidung zum Ersatz der Klappe oder zu einem rekonstruktiven Verfahren im Wesentlichen von 3 Faktoren bestimmt: 4 Überzeugung des Operateurs bzw. seiner Sicherheit in der Anwendung rekonstruktiver Verfahren,
649 23.5 · Operative Eingriffe an der Mitralklappe
4 Art und Ausmaß der krankhaften Veränderungen an der Mitralklappe, 4 patientenbezogene Faktoren, z. B. Alter, Vorliegen von Kontraindikationen für eine Antikoagulation, Anzahl vorausgegangener kardialer Voroperationen und KoMobiditäten. ! Eine gute Klappenrekonstruktion ist für den Patienten bezüglich der Langzeitergebnisse, die mit der Erhaltung der eigenen Klappe verbunden sind (Antikoagulation, Re-Operationsrisiko, psychologische Aspekte etc.), eindeutig von Vorteil.
Heutzutage werden – je nach zugrunde liegender Pathologie – Rekonstruktionraten von bis zu 90 % erreicht. Die Art und das Ausmaß der Klappenerkrankung sind die entscheidenden Determinanten für die Rekonstruktionsfähigkeit. Günstig für eine Rekonstruktion sind Klappenfehler, bei denen die Segel in ihrer Beweglichkeit nicht oder nur wenig eingeschränkt sind und bei denen ausreichend viel Klappengewebe vorliegt, um eine schlussfähige Klappe zu modellieren. Jede Exploration eines Klappenfehlers sollte mit einer Funktionsprüfung beginnen. Dazu füllt man den linken Ventrikel mittels Wasserblase bzw. Katheter mit NaCl-Lösung auf. Der Rückfluss über die Mitralklappe zeigt die Pathologie der Insuffizienz an. Im Anschluss daran erfolgt die sorgfältige Exploration der Mitralklappe mit Hilfe von Mitralklappenhaken. Entsprechend der anatomischen Einteilung der Mitralklappe nach Carpentier sollte zuerst die Höhe der Koaptationsebene der komplementären Segmente des anterioren (A1, A2, A3) und des posterioren Mitralklappensegels (P1, P2, P3) bestimmt und die Koaptation der Segel zueinander analysiert werden (A1 zu P1 etc.) (. Abb. 23.12). Nach der Exploration sollte die Pathologie definiert sein, welche der Mitralklappeninsuffizienz zugrunde liegt. Die Systematisierung der verschiedenen Formen der Mitralklappeninsuffizienz durch Carpentier hat wesentlich zu einem besseren Verständnis und zu einer gezielten Anwendung von Korrekturmaßnahmen geführt. Diese Einteilung orientiert sich v. a. am Ausmaß der Segelbeweglichkeit (Carpentier 1977; . Abb. 23.13): 4 Normale Segelbeweglichkeit: Diese Form der Mitralklappeninsuffizienz wird durch eine Dilatation des Anulus verursacht, wodurch die Koaptationsfläche der Segel zu gering wird, um während der gesamten Systolendauer einen dauerhaften Verschluss zu gewährleisten. Auch die Segelperforation gehört in diese Kategorie. In der Regel ist diese Form der Mitralklappeninsuffizienz mit einem dilatierten Ventrikel verbunden. Diese Form der isolierten Anulusdilatation wird mit etwa 10 % aller Fälle verhältnismäßig selten angetroffen. 4 Mitralklappeninsuffizienz durch exzessive Segelbeweglichkeit: Diese Form ist besonders durch den sog. Morbus Barlow charakterisiert, bei dem Segelvergröße-
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. Abb. 23.12a, b. Prinzip der Rekonstruktion bei Mitralklappeninsuffizienz. Das Ziel der Rekonstruktion besteht in der Wiederherstellung einer breiten Koaptation beider Segel (b). Eine schmale Koaptationslinie (a) leitet die gesamte Spannung der Druckdifferenz über die Klappe auf die Chordae und führt zu Chordaruptur und Segelprolaps
rungen, Sehnenfädenelongationen und Ringdilatationen zur Klappeninsuffizienz führen. Weitere Klappeninsuffizienzen bestehen nach Sehnenfadenrupturen v. a. des posterioren Segels oder in Zusammenhang mit Chordae-Elongationen und -rupturen. In diese Gruppe wird auch die Ruptur eines Papillarmuskels eingeordnet. Es handelt sich hier mit etwa 60 % der Fälle um die häufigste Form der Mitralklappeninsuffizienz. 4 Mitralklappeninsuffizienz durch eingeschränkte Segelbeweglichkeit: Diese tritt auf, wenn die Segel geschrumpft und in ihrer Beweglichkeit eingeschränkt sind, sodass aufgrund der nicht ausreichenden Flexibilität kein rascher Verschluss der Klappe am Ende der Diastole möglich bzw. die verfügbare Segelfläche zu klein geworden ist, als dass die Klappe sich vollständig schließen könnte. Diese Form tritt in etwa 30 % der Fälle auf, meist in Zusammenhang mit postrheumatischen Veränderungen der Mitralklappe.
Quadranguläre Resektion und Verschiebeplastik Das Ziel der Rekonstruktion bei allen Formen der Mitralklappeninsuffizienz besteht darin, eine möglichst breite Koaptationsfläche der beiden Segel beim Klappenschluss entlang der gesamten Koaptationslinie zu erreichen (. Abb. 23.12). Alle Verfahren dienen letztlich diesem Zweck. Eine breite Koaptation der Segel während der frühen Ventrikelsystole neutralisiert einen erheblichen Teil der Energie, die der Ventrikel in der Systole auf die Segelunterfläche entlädt. Je schmaler die Koaptationsfläche zwischen den Segeln ist, umso mehr führt der ansteigende Ventrikel-
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. Abb. 23.13a–d. a, b Die Typ-1-Dysfunktion besteht in einer anulären Dilatation, einer Segelperforation oder einer Kombination von beidem. Die Segelperforation kann angeboren sein (Teil eines Spektrums angeborener gespaltener anteriorer Segel mit oder ohne partielle Defekte des atrioventrikulären Kanals) oder als Folge einer Endokarditis auftreten. c Typ-2-Läsionen (exzessive Segelbeweglichkeit) sind die Folge einer Elongation oder Ruptur der Chordae tendinae oder der Papillarmuskeln. Eine pathologische Veränderung der Papillarmuskeln kann auf eine Degeneration oder eine Ischämie zurückzuführen sein. Am häufigsten ist das posteriore Segel betroffen, allerdings sind Läsionen von beiden Segeln, auch in Kombination, mög-
lich. Die am einfachsten durchzuführenden und stabilsten Reparaturen sind mit degenerativen Veränderungen des posterioren Segels assoziiert. d Typ-3-Läsionen betreffen sowohl das anteriore als auch das posteriore Segel und sind prinzipiell die Folge einer rheumatischen Herzerkrankung. Die Anzahl der Klappen, die im Rahmen dieser Erkrankungsgruppe repariert werden können, ist verständlicherweise erheblich geringer als bei Typ-2-Läsionen. Die perkutane Ballonvalvulotomie ist in vielen Fällen zu einer akzeptierten Behandlung geworden. Die offene Valvulotomie spielt weiterhin eine Rolle, jedoch stellt der Klappenersatz unter Erhalt des subvalvulären Apparats eine exzellente Operation mit guten Langzeitergebnissen dar
druck zu einer Spannung auf den primären Chordae, was Segelprolaps und Chordaeruptur begünstigt (. Abb. 23.12). Das Ziel wird in der Regel auch durch eine Verkleinerung des Mitralklappenanulus mittels remodellierender Ringe erreicht. Da der Anulusanteil des anterioren Segels zwischen den beiden Kommissuren durch das fibröse Herzgerüst konstant bleibt, ist das angestrebte Ziel nur durch eine Verkleinerung des posterioren Anulus zu erreichen, wodurch dieser im Sinne der Verkürzung der senkrechten Ebene an den anterioren Anulus herangeführt wird. Alle Formen der Anulusverkürzung, sei es durch Nahttechniken (nach Paneth, Whooler etc.) oder durch Implantation von Klappenringen, dienen diesem Zweck. Folgt man der oben angegebenen Klassifikation, ist die Mitralklappeninsuffizienz durch eine überschießende Segelbeweglichkeit, genauer durch einen Mitralklappenprolaps mit Sehnenfadenabriss am posterioren Segel, das am häufigsten rekonstruktiv korrigierte Mitralklappenvitium. Hier betrifft die Segelelongation meist beide Segel, ist aber dennoch häufig durch die Korrektur nur des posterioren Segels zu beheben. Eine oft damit einhergehende Chordaruptur ist schon initial im Rahmen der Funktionsprobe eindeutig zu erkennen, da der freie, flottierende Rand des Segels mitsamt dem abgerissenen Sehnenfaden in den linken Vorhof zurückgespült wird (Carpentier 1983).
Wir behandeln diese Art des Mitralklappenfehlers in der Regel durch die sog. quadranguläre Resektion mit anschließender Verschiebeplastik (. Abb. 23.14). Sie stellt neben der reinen Anuloplastik mittels Ringimplantation die am häufigsten durchgeführte Mitralklappenrekonstruktionsmaßnahme mit den am validesten dokumentierten Langzeitergebnissen dar. Hierzu müssen zuerst das Ausmaß und die Grenzen der durchzuführenden Resektion festgelegt werden. Eine quadranguläre Resektion schließt am häufigsten das P2-Segment ein. Es werden zuerst die kräftigen Sehnenfäden erster Ordnung dargestellt. Diese werden von uns mit einer Prolenenaht der Stärke 5/0 markiert. Je nach Klappengröße betragen die Länge des freien Randes und die der Basis des Resektats 1–3 cm. Nach Festlegung der Resektionsgrenzen empfiehlt es sich, einen Sehnenfaden erster Ordnung aus dem zu resezierenden Areal des posterioren Segels festzulegen und zu erhalten, um ihn im Bedarfsfall für eine Korrektur am anterioren Segel zu nutzen. Vor der Resektion empfiehlt es sich, 2 Markierungsfäden der Stärke 5/0 (Prolene) um die Sehnenfäden zu schlingen, die während der Resektion am P1- und P3-Segment sicher erhalten bleiben. Zur quadrangulären Resektion wird nun, sich am Markierungsfaden orientierend, zwischen P2- und P3-Segment bzw. zwischen P1- und P2Segment mit dem Skalpell rechtwinklig vom freien Rand
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. Abb. 23.14a–c. Reparatur einer mitralen Regurgitation, die durch eine degenerative Erkrankung bedingt ist, mit dem üblichen Ansatz der Verbindung der rupturierten Chordae mit dem posteromedialen Aspekt des posterioren Segels (P2). a Nachdem der pathologische Zustand der Klappe durch sorgfältige Inspektion festgestellt wurde, wird der flottierende oder prolabierende Anteil für die Exzision isoliert. Hervorspringende Inzisionen an der Basis des posterioren Segels kommen auch für den Verschluss der quadrangulären Lücke im Rahmen einer Verschiebeplastik zur Anwendung. Rechtwinklige Segmente des Segelgewebes werden in Richtung Anulus exzidiert, wobei die Exzisionslinien gerade verlaufen und nicht konvex oder auswärts gerichtet.
b Nach der quadrangulären Resektion wird die Reparatur in 2 Phasen erreicht. Der Anulus wird an der Basis der Segelresektion verengt, wobei eine Kompressionsnaht mit oder ohne Plättchen zur Anwendung kommt, und zwar in 8-Form oder als horizontale Matratzennaht mit Stichen an den ventrikulären und atrialen Aspekten des Anulus, um die beiden Seiten des posterioren Segels zu reapproximieren. c Verbleibende Anteile des posterioren Segels werden einander angenähert (Verschiebeplastik) und an der Basis des Segels reapproximiert. Die Segelreparatur wird durch feine, unterbrochene, 8-förmige oder durch fortlaufende Nähte abgeschlossen
zum Mitralklappenanulus geschnitten. Hierbei ist Sorgfalt darauf zu verwenden, mitunter schwer einsehbare Sehnenfäden der zur erhaltenden Segelsegmente nicht zu verletzen. In analoger Weise werden nachfolgend das P1- und das P2-Segment voneinander getrennt. Die Basis des quadrangulären Resektats lösen wir ebenfalls mit dem Skalpell vom posterioren Mitralklappenanulus. Hier muss darauf geachtet werden, nicht zu tief in den Anulus hinein zu schneiden; in der Regel sollten zum Erhalt der Integrität des posterioren Anulus 1–2 mm Segelrest verbleiben (Gillinov u. Cosgrove 2001).
In vielen Fällen ist es hilfreich, nun den entstandenen senkrechten Spalt, zwischen P1- und P3-Segment beginnend, an der Oberkante mit einzelnen Prolenenähten der Stärke 5/0 zu verschließen. Der quadrangulären Resektion schließt sich die Verschiebeplastik an. Hierzu trennen wir an der Basis des P1-Segments das posteriore Segel vom posterioren Anulus auf etwa einem Drittel der Strecke in Richtung anteriorer Kommissur ab. Die Ablösung des P3-Segments erfolgt in analoger Weise. Der nächste Rekonstruktionsschritt hat das Ziel, den posterioren Mitralklappenanulus so stark wie möglich zu
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Kapitel 23 · Chirurgie der erworbenen AV-Klappen-Erkrankungen
raffen. Hierzu stechen wir bis zu 3 nichtresorbierbare Klappennähte tangential durch den posterioren Anulus. Alternativ können einfache U-Nähte Anwendung finden, um diesen zu raffen. Dieser Operationsschritt wird nicht von allen herzchirurgischen Zentren angewandt. Zur Re-Fixation des posterioren Mitralklappensegels wählen wir am Rand des Segels einen Abstand von etwa 2 mm, bei sehr zarten Segeln auch entsprechend mehr. Der Stichabstand am Anulus kann in Abhängigkeit von der Größe des zu überbrückenden Restdefekts 5–7 mm betragen. Durch diese längenausgleichende Stichführung wird das P1-Segment nach medial in den entstandenen P2-Restdefekt verschoben. Die Re-Fixierung des P3-Segments erfolgt in analoger Art und Weise. Wir führen diese Re-Fixation mit Einzelknopfnähten (Prolene der Stärke 5/0) durch. Nachdem nun auf diese Weise die Basis des posterioren Mitralklappensegels vollständig wiederhergestellt worden ist, legen wird die letzten Spaltnähte zwischen dem ehemaligen P1- und dem P3-Segemnt zur Basis hin an. ! Hierbei ist besonders wichtig, dass die Höhe beider Segelanteile gleich ist, sodass nach dem Verschluss ein kontinuierlicher freier Rand des posterioren Segels wiederhergestellt ist.
Eine erfolgreiche Rekonstruktion des posterioren Segels sollte bereits vor der sich nun anschließenden Anuloplastik ein zufriedenstellendes Ergebnis zeigen. Dazu füllt man den linken Ventrikel, wie bereits zuvor erfolgt, mittels Wasserblase bzw. Katheter mit NaCl-Lösung auf. Wenn zu diesem Zeitpunkt noch eine Regurgitation besteht, so ist ggf. durch adaptierende Nähte im A1-P1- bzw. im A3-P3-Segment eine Verbesserung zu erzielen. In der Regel verbessert eine nun durchzuführende Anuloplastik nicht das Rekonstruktionsergebnis, sondern sichert es lediglich (Lim et al. 2002). In einem gewissen Prozentsatz der Patienten kann es nach Rekonstruktion und Ringimplantation zu einer systolischen Einwärtsbewegung der Klappe in den linksventrikulären Ausflusstrakt kommen (»phenomenon of systolic anterior motion« ). Dies tritt insbesondere dann vermehrt auf, wenn ein zu kleiner Ring implantiert wurde, um eine übermäßige Anulusraffung zu erzielen. Die transösophageale Echokardiographie ist hier wegweisend.
rioren Anulus an den anterioren aufrechterhält. Verwendung finden derzeit offene und geschlossene sowie flexible und starre Ringe. Wir versehen derzeit jede Rekonstruktion mit einem Mitralklappenring, um die dauerhafte Stabilität der Rekonstruktion zu gewährleisten. Der Mitralklappenring wird hierbei mit U-Nähten auf den Anulus aufgenäht, ähnlich wie dies bei Mitralklappenprothesen erfolgt. Dies geschieht im Einzelnen wie im Folgenden dargestellt. Am Beginn der Anuloplastik steht die Bestimmung der adäquaten Ringgröße (. Abb. 23.15). Carpentier empfiehlt die Bestimmung der Höhe des anterioren Mitralklappensegels durch Unterfahren desselben und Anspannen in Richtung des posterioren Segels für die Größenbestimmung des Ringes. In unseren Augen sollte diese Messung, aber auch die Bestimmung des Abstands zwischen beiden Kommissuren für die exakte Größenbestimmung an der Basis des anterioren Segels vorgenommen werden. Hierbei sind die beiden äußeren oberen Eckmarkierungen der handelsüblichen Ringmessgeräte äußerst hilfreich. Im Unterschied zur Mitralklappenimplantation werden bei der Ringimplantation in unserer Klinik keine teflonunterstützen Nähte verwendet. Die Nähte werden longitudinal/zirkulär durch den Mitralklappenanulus gestochen. Im Bereich von rekonstruktiven Maßnahmen an den Segeln ist darauf zu achten, dass die Fixierungsnähte für den Ring außerhalb der eigentlichen Rekonstruktion liegen. Stiche in den schwer einzusehenden Arealen wie an den Kommissuren oder dem anterioren Segel lassen sich derart erleichtern, dass man bereits gestochene benachbarte Nähte beispielsweise mit einer Overholt-Klemme fasst und so auf sich zu zieht, dass angrenzende Anulusbereiche sichtbar werden. Die Implantation des Ringes erfolgt nach Vorlegen der Nähte in analoger Weise zur Implantation der Mitralklappenprothese. ! Wie schon beim Vorlegen der Nähte für die Mitralklappenimplantation, muss auch beim Stechen der Nähte zur Ringimplantation auf das oberhalb des hinteren Trigonums verlaufende Reizleitungsbündel und den außerhalb des posterioren Anulus verlau fenden Ramus circumflexus Rücksicht genommen werden.
Rekonstruktion mit Klappenringen
Whooler-Plastik
Die Implantation eines Ringes in Mitralklappenposition hat zahlreiche Gründe. Hervorzuheben sind hier in erster Linie die Wiederherstellung der normalen Anulusgröße und seiner Form sowie die Stabilisierung einer rekonstruktiven Maßnahme. Es wurden im Verlauf der letzten Jahre eine Reihe von Klappenringen eingeführt, die dazu dienen, die Verkleinerung bzw. Raffung des Anulus zu stabilisieren und, im Fall einiger Ringe, dem Anulus eine bestimmte Form aufzuzwingen, welche die Approximation des poste-
Die einfachen und bereits frühzeitig eingesetzten Techniken der Anulorrhaphie zeigen zwar in den Originalbeschreibungen von Kay et al., Whooler et al. und Reed et al. geringe Unterschiede, folgen jedoch dem gleichen Prinzip, nämlich der Verkürzung des posterioren Anulus in seinen kommissurennahen Anteilen durch eine Naht (. Abb. 23.16).
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. Abb. 23.15a–e. Rekonstruktion mit Klappenringen. a Carpentier-Edwardsoder ähnliche Anuloplastieringe werden eingesetzt. Die Ringgröße wird anhand der Höhe (Tiefe) des anterioren Segels und der anterioren interkommissuralen Distanz bestimmt. Zudem wird das anteriore Segel unter Verwendung eines Häkchens dargestellt, und die beiden Kerben des Messgeräts werden der anterolateralen sowie der posteromedialen Kommissur angenähert. b Der Anuloplastiering wird unter Verwendung horizontaler Matratzeneinzelknopfnähte eingesetzt, um den Effekt einer Tabaksbeutelnaht an der Basis des posterioren Segels zu erzeugen. An der Basis des anterioren Segels sind die exakt gleichen Abstände einzuhalten. Der Effekt einer Tabaksbeutelnaht wird sowohl zwischen den beiden Anteilen der Naht als auch im Bereich jeder Matratzennaht erreicht. c Die vollständige Ringinsertion verengt den Anulus und unterstützt die posteriore Reparatur. Lediglich 10–12 doppelt armierte Matratzennähte sind erforderlich, um den Ring zu sichern. d–e Reparatur einer mitralen Regurgitation von dem für diesen Zweck isolierten Prolaps des anterioren mitralen Segels oder des flottierenden anterioren Segels der rupturierten Chordae aus. Die Valvuloplastie beinhaltet eine trianguläre Resektion (hier für das Segment A2 dargestellt) mit Reparatur des Segels unter Verwendung feiner Einzelknopfnähte (e). Sie wird durch die Insertion eines Anuloplastierings vervollständigt. Die trianguläre Exzision erstreckt sich nicht über die gesamte Strecke bis zur Segelbasis
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Kapitel 23 · Chirurgie der erworbenen AV-Klappen-Erkrankungen
rioren Anulus aufgebaut, welcher als eine weitere Verstärkung des Anschlaglagers für das anteriore Segel dient. Die jeweiligen Enden dieser beiden doppelt armierten Nähte am Trigonum und an der Mitte des posterioren Anulus werden mit Plättchen aus Teflon oder besser aus autologem Perikard unterlegt. Der Anulus wird so gerafft, dass beim Erwachsenen eine Öffnungsfläche von 2,5–3,5 cm2 zurückbleibt, entsprechend der Größe eines Carpentier-Ringes der Größen 32–34. Das Messgerät für Carpentier-Ringe kann dabei zu Hilfe genommen werden. Grundsätzlich gilt auch für dieses Rekonstruktionsverfahren das oben Ausgeführte, nämlich die sinnvolle Anwendbarkeit in Einzelfällen bei jedoch serienmäßig unzureichenden Langzeitergebnissen und hohen Re-Interventionsraten.
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23.5.3.3 . Abb. 23.16. Whooler-Plastik
! Entscheidend dabei ist, dass tatsächlich nur der posteriore Anulus verkleinert wird, d. h. dass die Naht jeweils im Trigonum beginnen muss und entweder als Einzel-UNaht, als umflochtene Naht oder als doppelte U-Naht einen bestimmten Anteil des posterioren Anulus an das Trigonum annähert.
Unter dem Eindruck der zunehmenden Notwendigkeit der Mitralklappenrekonstruktion bei ischämischer Mitralklappeninsuffizienz ist diese etablierte Technik zwar zahlenmäßig zurückgegangen, gerade aber in Kombination mit der Verwendung eines Klappenrings weiterhin in Anwendung und in Einzelfällen mit einem guten Langzeitergebnis assoziiert. Große isolierte Serien ohne Anuloplastieverstärkung hingegen wiesen nur unbefriedigende Langzeitergebnisse und eine sehr hohe Rate an Re-Operationen auf.
Paneth-Plastik Nicht grundsätzlich unterschiedlich zur zuvor dargestellten Whooler-Plastik ist die Methode nach Paneth. Der einzige Unterschied besteht darin, dass hier der gesamte posteriore Anulus von beiden Trigona aus kontinuierlich bis zu seiner Mitte gerafft wird, wodurch man eine mehr homogene Verkürzung erzielt und ausgedehntere Verkürzungen bei stark dilatiertem Anulus ermöglicht. Von der ursprünglich angegebenen Parallelnaht sind wir etwas abgewichen, indem wir mit doppelt armiertem, kräftigerem monofilen Nahtmaterial der Stärke 3/0 die erste Naht vom Trigonum aus entlang des Anulus parallel zu diesem stechen und die zweite überwendlich um die erste herumführen, den Anulus und etwas Vorhofwand fassend. Durch diese Nahttechnik wird zum einen verhindert, dass die Nähte bei zu hoher Spannung reißen, zum anderen wird durch das Mitfassen von etwa 1 cm Vorhofwand ein zusätzlicher Wall entlang des poste-
Mitralklappenrekonstruktion (Rekonstruktion der Chordae)
Hier werden die Verfahren beschrieben, die eine primär durch eine Chordaepathologie hervorgerufene Klappeninsuffizienz therapieren.
Plikaturplastik bei Chordaruptur Chordarupturen betreffen in der Mehrzahl der Fälle das posteriore Segel, und zwar meistens den mittleren Teil – vermutlich weil auf den mittleren Chordae dieses Segels bei einem Prolaps und damit einer kleinen Koaptationsfläche die höchste Spannung lastet. Es handelt sich hierbei um eine typische Komplikation des von Carpentier als Barlow-Syndrom beschriebenen Krankheitsbildes, das durch eine abnorme Vergrößerung der Segel, eine Verlängerung der Chordae und eine Ausdehnung des Klappenanulus charakterisiert ist. Typisch sind diese Veränderungen auch beim Marfan-Syndrom. Pathologisch-anatomisch findet man eine sog. myxoide Degeneration. Die Chordaruptur des posterioren Segels kann in Form einer Plikaturplastik behandelt werden; diese wird im Folgenden beschrieben. Alternativ zu dieser Technik kann man eine trianguläre Resektion zur Anwendung bringen, die in ihren Operationsschritten der quadrangulären Resektion entspricht; daher wird im Weiteren nur die Plikaturplastik im Detail beschrieben. Bei der Plikaturplastik (. Abb. 23.17–23.19) wird der Segelanteil, dessen Chordae abgerissen sind, nach ventrikelwärts durch eine Nahtreihe eingestülpt, die senkrecht zum Anulus verläuft und den Anulus selbst um diejenige Länge verkürzt, welche zum chordalosen Segelsegment gehört. Ganz zwangsläufig muss daher diese Nahtreihe dann noch um einige Zentimeter auslaufend in die freie Vorhofwand weitergeführt werden. Von einer Reihe von Chirurgen wurden in jüngerer Zeit die rechteckförmige Resektion des Segelanteils, dessen Chordae abgerissen sind, und die direkte Nahtvereinigung der Segelränder mit noch intakten Chordae sowie eine Verkürzung des Anulus um gerade die
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. Abb. 23.17a–d. a Chordaverkürzungsplastik nach Carpentier bei elongierten Chordae. Es besteht die Möglichkeit der Verschiebeplastik des betroffenen Papillarmuskels (a, b), wobei der Papillarmuskel der elongierten Chorda gespalten und der Papillarmuskelanteil um die überschüssige Länge der Chorda an seinem abgetrennten Gegenstück verschoben sowie wieder mit diesem Vernäht wird (b). Die Alternative besteht darin, die Chorda um die überschüssige Länge zu schürzen und an der Basis der Papillarmuskelinzision zu verankern (c). d Der Papillarmuskel wird wieder über der Chorda verschlossen. Zur Stabilisierung wird nach der Carpentier-Methode in jedem Fall ein »flexibler« Ring implantiert
. Abb. 23.18a, b. a Fixierungsplastik der elongierten Chorda am fibrösen Kopf des Papillarmuskels. b Die Chorda wird um die überschüssige Länge geschürzt und mit mehreren Nähten an der fibrösen Spitze des Papillarmuskels fixiert
Strecke des resezierten Anteils favorisiert. Chordarupturen am anterioren Segel, insbesondere die äußerst gravierenden Rupturen der Pfeilerchordae, haben wir lange Zeit als nicht mit Erfolg rekonstruierbar und damit als Indikation für einen Klappenersatz angesehen. In letzter Zeit haben wir
. Abb. 23.19. Völlig flexibler Duran-Ring nach der Implantation. Unter Testung nimmt die Klappe ihre natürliche Form an
dann die Methode des Chordatransfers aufgegriffen, bei welchem gegenüber der abgerissenen Chorda ein kleiner Anteil des posterioren Segels mit einer Chorda erster Ordnung entnommen wird, die in Kontinuität mit dem Papillarmuskel verbleibt. Dieses Segelplättchen wird mit mehreren feinen monofilen Nähten an die Unterseite des anterioren Segels im Bereich der Insertionsstelle der abgerissenen Chorda angenäht. Der entstandene Segeldefekt im posterioren Segel wird dann durch eine umschriebene Plikaturplastik verschlossen. Die mittelfristigen Ergebnisse dieser Technik sind erfolgversprechend, ein abschließendes Urteil lässt sich jedoch nicht fällen (Anyanwu u. Adams 2007). Sehnenfadenplastik
Als Alternative zur Resektionstechnik ist beim Mitralklappensegelprolaps auch die Sehnenfadenplastik möglich (. Abb. 23.20). Der Sehnenfadenersatz wird in unserer Klinik mit Polytetrafluorethylenfäden der Stärke 4/0 oder 5/0 durchgeführt. Die Länge des zu ersetzenden Sehnenfadens ermitteln wir durch Ausmessen der Strecke zwischen dem an den Anulus gedrückten freien Rand des anterioren Segels und dem Kopf des Papillarmuskels. Diese Strecke beträgt in der Regel 1,5–2,5 cm. Der Längenabmessung ist besonderes Augenmerk zu schenken – wird die Neo-Chorda zu kurz, ist das korrespondierende Klappensegel in seiner Bewegung restriktiv eingeschränkt; wird die Neo-Chorda zu lang, ist sie ineffektiv und kann den Mitralklappensegelprolaps nicht beheben (Sarsam 2002). Die Nähte führen wir durch den fibrösen Teil des involvierten Papillarmuskels. Je nach Beschaffenheit der Spitze des Papillarmuskels werden die Nähte mit Perikard- oder Teflonstreifen unterlegt. Mittlerweile gibt es auch kommerziell gefertigte Nähte mit Pledges. Die Naht sollte am freien Segelrand stets doppelt gestochen werden (Risteski et al. 2007). Zur Testung der Länge kann man die Fäden mit einem Clip in ihrer Länge fixieren, um hiernach eine Klappentestung durchzuführen und die Segelkompetenz zu beurteilen.
Chordaverkürzung Bei prolabierendem Segel und zugrunde liegender Elongation von Chordae wurde von mehreren Chirurgen alterna-
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. Abb. 23.20a–e. Sehnenfadenplastik. a, b Die Verwendung von Polytetrafluorethylen-(PTFE-)Nähten der Stärke 5/0, um künstliche Chordae tendinae herzustellen, hat die Chordaverkürzung sowie »Flip-over« -Techniken als Ergänzungen der klassischen Mitralklappenreparatur weitgehend ersetzt. Hier ist ein anteriorer Prolaps mit rupturierten Chordae im Segment A2 dargestellt. Die störenden primären Chordae werden reseziert und die sekundären Chordae gelöst. c, d Doppelt armierte PTFE-Nähte der Stärke 5/0 werden 8-förmig angelegt oder mit Hilfe eines Widerlagers durch den Papillarmuskel gestützt, und zwar ungefähr 1 cm von dessen Spitze entfernt. Beide Anteile der Naht werden dann durch die führende Kante des prolabierenden Segels geführt, wobei man üblicherweise wiederholte Stiche oder eine Verankerungsnaht über einem Widerlager einsetzt. e Eine temporäre Haltenaht wird durch das prolabierte Segel und das benachbarte nichtprolabierte posteriore Segel geführt. Durch Zug an dieser Haltenaht lassen sich die passende Höhe des anterioren Segels und die Länge der künstlichen PTFE-Chorda feststellen. Die PTFE-Naht wird unter Beibehaltung des Zuges auf der Haltenaht geknotet, wobei typischerweise mehrere derartige Nähte zur Anwendung kommen
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tiv die Verkürzung solcher Sehnenfäden propagiert. Carpentier misst das Ausmaß der relativen Chorda-Elongation durch Zug an beiden freien Segelrändern mit Hilfe feiner Nervenhaken. Er spaltet dann den betreffenden Papillarmuskel in seinem Körper längs von der Spitze aus, verschiebt den Anteil mit elongierter Chorda und fixiert diesen am übrigen Muskelanteil. Alternativ schlägt er die Chorda um die halbe überschießende Länge ein, verankert sie mittels Naht an der Basis der Papillarmuskelinzision und vernäht den Papillarmuskel dann wieder über dieser Chorda. Wir selbst betrachten diese Technik in Hinblick auf den Papillarmuskel als nicht unproblematisch und haben bessere Erfahrungen mit dem künstlichen Sehnenfadenersatz gemacht. Die Alternative zur Carpentier-Technik wird von Kay et al. beschrieben. Hier werden die Chordae um ihre überschießende Länge gekürzt, und diese Schleife wird dann mit mehreren monofilen Nähten an der fibrösen Spitze des Papillarmuskels fixiert. ! Unabhängig von den vorgestellten Techniken ist jedoch festzuhalten, dass ein geringerer Segelprolaps häufig durch die alleinige und ausgedehnte Verkürzung des posterioren Anulus eliminiert wird, indem man mittels einer breiten Koaptationsfläche die Spannung auch auf elongierte Chordae verringert. Die Klappe wird dadurch mehr in die Form eines Trichters gezwungen und zudem das Prolabieren von Segeln mit verlängerten Chordae verhindert (Smedira et al. 1996).
23.5.3.4
Segelrekonstruktionen mit Flickenmaterial
Die häufigste Ursache einer Mitralklappensegelperforation ist die Mitralklappenendokarditis bzw. die daraus folgenden Veränderungen an den Segeln. Hierbei sollte das gesamte infektiöse Material sicher im Gesunden entfernt werden, um so strukturell unauffällige Segelränder im Reparaturbereich zu erhalten. Den Defekt verschließen wir dann mit glutaraldehydfixiertem Rinderperikard oder autologem Perikard unter Verwendung einer fortlaufenden Prolenenaht der Stärke 5/0. ! Es ist besonderes Augenmerk darauf zu richten, dass der Flicken etwa 20 % größer gewählt wird als der eigentliche Defekt, um während des Legens der Nähte keinen Zug auf die Segel auszuüben (Sternik et al. 2002; Zegdi et al. 2005).
23.5.3.5
Alfieri-Plastik
Die Alfieri-Plastik stellt die einfachste Möglichkeit einer Mitralklappenrekonstruktion bei zentraler Mitralklappeninsuffizienz dar (. Abb. 23.21). Sie lässt sich über jeden der zuvor beschriebenen Zugänge zur Mitralklappe durchführen. Nach Darstellung der Mitralklappe wird die Mitte des A2-Segments des anterioren Segels identifiziert und mittels Nervenhaken in Richtung des Operateurs gezogen. Am
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. Abb. 23.21a, b. »Edge-to-edge« -Reparatur bei ischämischer Mitralklappenregurgitation. a Perikardial unterstützte horizontale Polypropylenematratzennähte werden in den führenden Rändern des zentralen Anteils jedes Segels platziert und zusammengezogen, um eine Mitralklappe mit doppeltem Orifizium zu erhalten. Der resultierende fixierende Effekt verhindert zusammen mit der systolischen Segelapposition eine Regurgitation. b »Edge-to-edge« -Reparatur eines Prolapses des anterioren Segels unter Einbeziehung des medialen Anteils (A2). Dabei werden anteriores und posteriores Segel einander angenähert, um das prolabierte Segel zu fixieren und zu verkürzen
posterioren Segel wird im Anschluss ebenfalls die korrespondierende Mitte des P2-Segments aufgesucht und mit einem Haken angehoben. Die beiden Klappensegel werden nun etwa 3–5 mm vom Klappenrand entfernt mit einer teflon- oder perikardverstärkten Prolenematratzennaht der Stärke 4/0 vernäht (Maisano et al. 1998). Die Langzeitergebnisse dieses Verfahrens werden in der Literatur nicht eindeutig beurteilt. Allerdings hat die Technik durch die minimal-invasiven Operationsverfahren (7 Kap. 24) und die endovaskulären Methoden eine Neuaufwertung erfahren.
23.5.4
Operationen bei ischämischer Mitralklappeninsuffizienz
Die Operationen an der Mitralklappe bei koronarer Herzerkrankung und ischämisch bedingter Mitralklappeninsuf-
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fizienz sind im Vergleich zur Operation bei degenerativen Erkrankungen mit einem erhöhten Risiko verbunden. Dies trifft v. a. auf Patienten zu, die in der Frühphase nach einem akuten Infarkt eine Ruptur eines Papillarmuskels oder eines Papillarmuskelkopfes erleiden und aufgrund einer schweren akuten Mitralinsuffizienz sowie eines begleitenden Lungenödems in aller Regel eine notfallmäßige Operation benötigen. Die Ergebnisse sind dementsprechend ungünstig. Dennoch sind diese Patienten nur durch eine sofort und konsequent durchgeführte Operation zu retten, wobei wir in unserer Klinik meistens einen Mitralklappenersatz vornehmen. Einige Autoren schlagen vor, abgerissene Papillarmuskeln und Papillarmuskelköpfe durch eine Naht zu fixieren. Die Rekonstruktion des Papillarmuskels erfolgt mit Hilfe einer filzverstärkten Polytetrafluorethylennaht, die auf der einen Seite durch die Basis des Papillarmuskels und auf der anderen Seite durch den Kopf des elongierten Papillarmuskels gestochen wird (U-Naht). Dadurch soll der fibrotische Papillarmuskelanteil gerafft und eine Durchtrennung vermieden werden (Fasol et al. 2000). Ist diese Art der Rekonstruktion nicht erfolgreich, muss in derselben Sitzung ein Mitralklappenersatz vorgenommen werden. Gerade hier kommt es jedoch darauf an, bei dem ohnehin stark kompromittierten Ventrikel möglichst viel intakten Halteapparat zurückzulassen, um den Ventrikel bzw. die Ventrikelfunktion nicht weiter zu schädigen (Jouan et al. 2004). Im Unterschied dazu sind die Formen der Mitralinklappensuffizienz im Gefolge abgelaufener Infarkte zu betrachten. Hierbei handelt es sich meistens um Hinterwandinfarkte mit Befall des posterioren Papillarmuskels, die in den meisten Fällen durch den Verschluss einer dominanten rechten Kranzarterie oder aber den gleichzeitigen Befall eines rechten und eines linken Circumflexussystems verursacht wurden. Die Mitralklappeninsuffizienz wird in diesen Fällen nicht allein durch eine Fibrosierung des Papillarmuskels hervorgerufen, sondern ist auch durch die Akinesie bzw. Dyskinesie der infarzierten Ventrikelwand bedingt, welche das Zusammenspiel von Mitralklappe und Ventrikelmyokard unmöglich macht. Bei wenig ausgeprägten Formen der Mitralklappeninsuffizienz nahmen wir in der Regel nur eine Bypassoperation vor. Dabei konnten wir allerdings beobachten, dass in den meisten Fällen keine Verringerung der Mitralklappeninsuffizienz zu erzielen ist. Bei mittelgradigen und schweren Mitralklappeninsuffizienzen würden wir grundsätzlich eine Klappenrekonstruktion oder einen Klappenersatz durchführen. Zahlreiche Studien belegen, dass Patienten mit Mitralklappeninsuffizienz und koronarer Herzerkrankung eine deutlich ungünstigere Prognose haben als Patienten ohne Mitralklappeninsuffizienz. Die Wiederherstellung einer Klappenkompetenz hat somit einen günstigen Einfluss auf das Langzeitüberleben.
In einzelnen Kliniken erfährt die Anulorrhaphietechnik nach Whooler bei ischämischer Mitralklappeninsuffizienz eine gewisse Renaissance.
23.5.5 Operationen bei Mitralklappenendokarditis
Die Zerstörung der Mitralklappe durch eine aktive infektiöse Endokarditis ist seltener als die der Aortenklappe. In vielen Fällen entsteht sie sekundär bei Aortenklappenendokarditis. Pathogenetisch entsteht eine »jet lesion« , welche durch den Rückstrom von Blut über die endokarditisch bedingt insuffiziente Aortenklappe und den nachfolgenden Aufprall auf das anteriore Mitralsegel erzeugt wird, da sich die Aortenklappe während der Diastole in einer geöffneten, in den linksventrikulären Ausflusstrakt ragenden Position befindet. Dementsprechend sind solche »jet lesions« in der Mitte des anterioren Segels lokalisiert und können von nur geringfügigen Vegetationsauflagerungen bis zu einer ausgedehnten Perforation des Segels reichen (Piper et al. 2002). Darüber hinaus ist die Mitralklappe selten primär endokarditisch verändert und zerstört, dann zumeist in Form von Chordaabrissen und zum Teil mit sehr großen Vegetationen. Selten kann es auch zu einer Abszessbildung bis in den Mitralanulus und das umgebende Gewebe hinein kommen – eine Situation, die chirurgisch nur äußerst schwer zu beherrschen ist. Das chirurgische Prinzip ist die Entfernung allen offensichtlich infektiös endokarditisch veränderten Gewebes und aller Vegetationen, die sich auf den Klappenstrukturen befinden (. Abb. 23.22; Alexiou et al. 2000; Mylonakis u. Calderwood 2001). Die notwendige Resektion ist meistens derart ausgedehnt, dass ein Klappenersatz erforderlich wird, der nach der üblichen Technik erfolgt. Wir lassen dabei – sofern dieser nicht endokarditisch befallen ist – Teile des Halteapparats zurück und implantieren die Klappe in epianulärer Weise mit teflonunterstützten U-Nähten. Bei einem kleineren Anteil derart veränderter Mitralklappen ist es nach Resektion des infizierten Gewebes möglich, aus dem verbliebenen Gewebe eine funktionstüchtige Klappe zu modellieren. Dies würden wir insbesondere bei Kindern und Jugendlichen anstreben, um ihnen die Probleme des prothetischen Klappenersatzes zu ersparen, selbst wenn nach Rekonstruktion eine geringe oder gar mittelgradige Mitralinsuffizienz in Kauf genommen werden muss. Bei dieser Rekonstruktion wird die Klappenöffnung nach Resektion von Segelteilen im resezierten Bereich im Sinne einer sog. Kommissuroplastik verschlossen – vorausgesetzt, die restliche Klappenöffnung ist groß genug. Das Ausmaß dieser restlichen Öffnung überprüfen wir intraoperativ mit einem kugeligen Klappenmessgerät, aus dessen Größe mühelos die Fläche der Klappenöffnung errechnet werden kann. Selbst ausgedehnte Perforationen des anterioren Segels lassen sich durch Einnähen von Flicken aus autologem Perikard verschließen.
659 23.5 · Operative Eingriffe an der Mitralklappe
Äußerst problematisch ist die chirurgische Versorgung von Patienten mit Mitralklappenendokarditis, wenn es zu einer Abszedierung bis in den Anulus oder das klappennahe Myokard hinein gekommen ist. Die Resektion und die Versorgung solcher Abszesshöhlen können nur nach einem ausgedehnten Débridement und einer Rekonstruktion der Wand unter Einnähen von Flicken aus autologem Perikard
gelingen, die ausreichend stabil an der Ventrikelmuskulatur und – über den Anulus hinweg – in der Vorhofwand fixiert werden (Alexiou et al. 2000). Insgesamt ist die Prognose in den meisten Fällen jedoch als ungünstig anzusehen, da es häufig nicht gelingt, angesichts des zerreißlichen, infektbedingt veränderten Gewebes eine stabile Verankerung der Prothese zu erzielen. Es wurde auch vorgeschlagen, in diesen Fällen eine Prothese nicht in den Anulus selbst, sondern oberhalb desselben in die freie Vorhofwand zu implantieren (De Kerchove et al. 2007; Dreyfuss et al. 1990).
23.5.6 Kompetenzprüfung nach klappenerhal-
tendem Mitraleingriff Ein verlässliches, gutes Ergebnis nach einer Mitralklappenrekonstruktion ist daran gebunden, dass die Funktionsfähigkeit der Klappe schon intraoperativ überprüft werden kann. Hierzu wurden zahlreiche Methoden vorgeschlagen (. Abb. 23.23). Bei der einfachsten und sicherlich auch am weitesten verbreiteten Methode wird Flüssigkeit mit einer Spritze durch die Mitralklappe in den kardioplegisch stillgestellten Ventrikel eingebracht und die Mitralklappe auf diese Weise getestet. Wichtig ist hierbei, dass eine breite Koaptation der beiden Segel entlang der gesamten Schlusslinie erreicht wird, ohne dass an irgendeiner Stelle ein lokalisierter Segelprolaps erkennbar ist. Eine in ganzer Länge koaptierende Klappe ist die sicherste Voraussetzung für ein gutes Ergeb-
a
c
b
d a . Abb. 23.22a–d. Mitralklappenrekonstruktion bei aktiver infektiöser Mitralklappenendokarditis. Bei lokalisiertem Befall der Mitralklappe (a) kann es gelingen, das gesamte infizierte Material und das gesamte betroffene Klappengewebe zu resezieren. Wenn dann noch ausreichend Klappengewebe vorhanden ist, kann es möglich sein, eine neue, gut funktionierende Klappe zu rekonstruieren. In dem hier dargestellten Fall wurden Anteile des anterioren und des posterioren Segels im Bereich der anterioren Kommissur reseziert (b), durch Vereinigung der verbleibenden Segelreste die anteriore Kommissur verschlossen (c) und somit eine kompetente und nichtstenotische Klappenfunktion erreicht (d)
b
. Abb. 23.23a, b. Intraoperative Testmethoden mit kardioplegischer Vollfüllung des Ventrikels. a Bei solitärer Mitralklappenrekonstruktion wird ein dünner Perfusionskatheter (12 Ch) über die Kardioplegieöffnung und die Aortenklappe in den linken Ventrikel vorgeschoben, und man infundiert unter Druckkontrolle in der Aorta ascendens und gleichzeitiger Einlage einer Entlüftungskanüle Kardioplegielösung in den linken Ventrikel. Der Klappenschluss und mögliche Insuffizienzen können vom Vorhof aus beobachtet werden. Bei gleichzeitigem Aortenklappenersatz und schon exzidierter Aortenklappe (b) wird ein Foley-Katheter in den linksventrikulären Ausflusstrakt eingeführt, der Ballon okklusiv entfaltet und über den Katheter Kardioplegielösung infundiert
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Kapitel 23 · Chirurgie der erworbenen AV-Klappen-Erkrankungen
nis. Carpentier hat diese gekrümmte, koaptierende Verschlusslinie mit dem »Mund einer lächelnden Klappe« verglichen. Hetzer hat vor fast 20 Jahren eine verlässliche und reproduzierbare Variante der Kompetenzprüfung an der Mitralklappe beschrieben, bei welcher er über die antegrade Kardioplegieöffnung an der Aorta ascendens und die Aortenklappe einen dünnen Perfusionskatheter (12 Ch) in den linken Ventrikel einführt und über diesen unter Druckkontrolle Kardioplegielösung infundiert. Dabei sollte der Ventrikeldruck einen Wert von 40–50 mmHg auf keinen Fall übersteigen, um keine Distension des kardioplegisch stillgestellten Myokards zu verursachen. Mit dieser Methode ist es leicht zu beurteilen, ob sich die Klappe gut schließt und ob eine adäquate Koaptation der Segel erzielt wurde. Für den gleichzeitigen Aortenklappenersatz, bei dem man die Aorta ascendens eröffnet und die Aortenklappe exzidiert, wurde die Methode dahingehend modifiziert, dass ein blockbarer Urinkatheter (Foley-Katheter) in den linksventrikulären Ausflusstrakt eingebracht, sein Ballon die Aortenklappenebene abdichtend aufgeblasen und dann über das Katheterlumen selbst die Kardioplegielösung in den VentrikeI infundiert wird (Hetzer 1991). Diese Methoden lassen zwar für die meisten Fälle eine verhältnismäßig zuverlässige Klappenprüfung zu, allerdings haben wir feststellen müssen, dass diese statische Methode insbesondere bei den funktionell bedingten Mitralklappeninsuffizienzen im Rahmen einer koronaren Herzerkrankung bei nicht kontrahierendem Herzen versagen kann. Von einzelnen Chirurgen wurde auch vorgeschlagen, das Herz z. B. durch Infusion von Maschinenblut in die abgeklemmte Aortenwurzel zu tonisieren und zum Schlagen zu bringen, um die Klappe während des Herzzyklus beobachten zu können. Die unterbricht allerdings den kardioplegischen Stillstand und impliziert grundsätzlich die Gefahr einer koronaren Luftembolie. Es ist im Übrigen bei Blutfüllung des Ventrikels sehr schwierig, diskrete Ursachen einer noch bestehenden Klappeninsuffizienz zu erkennen; bei Füllung des Ventrikels mit einer wässrigen Lösung ist dies eher möglich. Wir wenden regelmäßig die oben beschriebene Methode der Füllung des linken Ventrikels mit NaCl-Lösung an, haben jedoch für alle Klappenrekonstruktionen die intraoperative transösophageale echokardiographische Überprüfung der Klappe am schlagenden Herzen angeschlossen. Mit dieser Technik sollte es gelingen, eine gute intraoperative Beurteilung der Mitralklappe zu erzielen. Auf diese Weise mussten wir in keinem Fall mehr eine bedeutende frühpostoperative Mitralklappeninsuffizienz hinnehmen. Die beste Überprüfung wird allerdings durch die intraoperative echokardiographische Untersuchung erzielt. Sie erfordert jedoch den Verschluss des Herzens, das Aufheben des kardioplegischen Stillstands und die volle Wiedererwärmung des Organismus bis zur Möglichkeit eines zumindest kurzfristigen Abgehens von der extrakorporalen Zirkulation
und der Generierung einer ausreichenden Auswurfleistung des linken Ventrikels. Sollten wir bei der echokardiographischen Überprüfung der Klappenfunktion eine bedeutende Mitralklappeninsuffizienz erkennen, muss das Operationsergebnis korrigiert und je nach Ausgangssituation ggf. auch ein Mitralklappenersatz durchgeführt werden.
23.6
Operative Eingriffe an der Trikuspidalklappe
Die zum Niederdrucksystem des Herzens zählende Trikuspidalklappe stellt das Ventil zwischen rechtem Vorhof und rechter Kammer dar. Sie unterliegt nur geringen mechanischen Beanspruchungen, sodass isolierte Erkrankungen dieser Klappe relativ selten sind. Operationen an der Trikuspidalklappe bei erworbenen Klappenfehlern konzentrieren sich heutzutage v. a. auf die Anulorrhaphie bei sekundärer Trikuspidalinsuffizienz im Rahmen von chronischen Mitralklappenvitien und pulmonaler Hypertension. Hierbei handelt es sich in aller Regel um völlig zarte und unauffällige Klappensegel und einen normalen subvalvulären Halteapparat, jedoch einen erheblich dilatierten Trikuspidalklappenring. Während noch vor Jahren umfangreiche Diskussionen über die Notwendigkeit einer gleichzeitigen Trikuspidalklappenraffung bei Mitralklappenvitien angestellt wurden, sind wir heute verhältnismäßig großzügig und führen eine Anulorrhaphie als eine wenig zeitaufwendige Zusatzmaßnahme durch, wenn Hinweise auf eine mehr als mittelgradige Trikuspidalinsuffizienz bestehen oder wenn der Trikuspidalklappenanulus signifikant dilatiert ist. Dieses Regime folgt der Beobachtung, dass solche Trikuspidalklappeninsuffizienzen trotz Beseitigung des Mitralklappenfehlers weiterbestehen und dass nach einem erfolgreichen Mitralklappenersatz und bei ganz offensichtlich gut funktionierender Mitralklappenprothese nach Jahren eine sekundäre Trikuspidalklappeninsuffizienz auftreten kann. Nur noch ganz selten trifft man heute auf ein organisch verändertes rheumatisches Trikuspidalvitium im Sinne von Trikuspidalstenosen oder kombinierten Fehlern. Häufig können diese Veränderung durch eine Kommissurotomie oder eine Anuloplastik rekonstruiert werden. Trikuspidalfehler bei infektiöser Endokarditis treten zunehmend häufiger auf, und zwar vor allem bei Drogenabhängigen (i. v. Konsum) und bei Patienten unter Immunsuppression (Shatapathy et al. 2000).
23.6.1
Funktionelle Anatomie
Die Trikuspidalklappe besteht aus 3 Segeln, einem anterioren, einem posterioren und einem septalen Segel. Das anteriore Segel ist das größte, das posteriore das kleinste. Das septale Segel ist am Herzskelett fixiert. Alle 3 Segel werden
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jeweils durch die entsprechende anteroposteriore, posteroseptale und anteroseptale Kommissur voneinander getrennt. Ein großer anterolateraler Papillarmuskel entspringt an der freien Wand des rechten Ventrikels und inseriert am anterioren und am posterioren Segel. Ein kleinerer posteromediale Papillarmuskel entspringt am Septum und zieht zum septalen Segel. Das septale Segel hat weitere Chordaeansätze unmittelbar am Septum. Im sog. Koch-Dreieck, welches durch den septalen Trikuspidalanulus, die TodaroSehne und den Koronarsinus begrenzt ist, liegen der AVKnoten und das His-Bündel.
23.6.2
Trikuspidalklappenersatz
Der Ersatz der Trikuspidalklappe wegen eines erworbenen Defekts ist heute eine chirurgische Rarität geworden und – zumindest in unseren Breiten – nur noch äußerst selten erforderlich. Lässt es sich bei einer Trikuspidalklappenstenose rheumatischer Genese oder auch bei Endokarditis nicht umgehen, einen Trikuspidalklappenersatz vorzunehmen, führen wir ihn nach demselben Prinzip durch wie den Mitralklappenersatz, nämlich unter Erhalt des gesamten Segel- und subvalvulären Halteapparats. Auch bei einer fortgeschrittenen Trikuspidalklappenstenose lässt sich über eine Kommissurotomie eine ausreichende Mobilisation des Klappenapparats erzielen, dass eine biologische oder eine mit niedrigem Profil versehene mechanische Prothese ohne Probleme auf den Anulus selbst implantiert werden kann. ! Beim Vorlegen der Klappennähte ist darauf zu achten, dass die Nähte im Septumbereich nicht durch den Anulus, sondern durch das Segel selbst gestochen werden, um eine Verletzung des His-Bündels zu vermeiden.
Ein totaler AV-Block stellt eine nicht seltene perioperative Komplikation dar. Aus dem vorbeschriebenen Grund sollte das septale Segel nicht vollständig reseziert werden. Bei sehr zarten Verhältnissen –an der Trikuspidalklappe nicht selten – kann es notwendig werden, eine Plikatur belassener Segelanteile als Widerlager der Klappennähte zu verwenden. Hinsichtlich einer Entscheidung bezüglich der zu implantierenden Prothese ist zu beachten, dass die Implantation einer mechanischen Prothese eine spätere SwanGanz-Katheter-Einlage ebenso unmöglich macht wie die spätere Einlage einer ventrikulären Herzschrittmachersonde. Bei der Implantation einer Bioprothese in Trikuspidalklappenposition sollte diese so positioniert sein, das dass Gerüst nicht in Richtung des anterioren Klappenanulus orientiert ist, da hier der rechtsventrikuläre Ausflusstrakt liegt und dieser teilweise verlegt werden könnte. Wie auch andere Gruppen glauben wir, dass dem biologischen Trikuspidalklappenersatz aus oben genannten Gründen der Vorzug zu geben ist (Filsoufi et al. 2005). Darüber hinaus ist bei der vergleichsweise geringen Belastung der Klappenprothe-
se in Trikuspidalposition mit einer deutlich verzögerten Degeneration zu rechnen.
23.6.3
Anulorrhaphieverfahren bei Anulusdilatation
Die verschiedenen Methoden der Anulusverkleinerung bei sekundärer Trikuspidalinsuffizienz folgen grundsätzlich ähnlichen Techniken wie an der Mitralklappe. Ihr Ziel ist die Verkleinerung des Anulus im Bereich des anterioren und posterioren Trikuspidalsegels, und sie vermeiden die Verkürzung des Anulus entlang des septalen Segels – zum einen um die Konfiguration des fibrösen Gerüsts nicht zu stören, zum anderen um eine Kompromittierung des HisBündels zu umgehen. Die Verkleinerung erfolgt auf eine Größe, die einer Querschnittsfläche von etwa 3–4 cm2 entspricht. Ähnlich wie an der Mitralklappe kann diese mit den Messgeräten der Carpentier-Ringe gut abgeschätzt werden. 23.6.3.1
Anulorrhaphie nach De Vega
Bei der De-Vega-Plastik wird der Bereich des anterioren und posterioren Segels verkürzt (. Abb. 23.24). Wir führen diese Naht mit Polypropylenefäden der Stärke 4/0 aus, indem vom vorderen Trigonum aus beginnend eine teflonunterlegte, doppelt armierte Naht entlang des Anulus des anterioren und des posterioren Segels gestochen wird. An der Kommissur zwischen dem posterioren und dem septalen Segel werden diese beiden Nähte nun durch die Vorhofwand nach außen gestochen und hier mit einem zwei-
. Abb. 23.24. Anulorrhaphie der Trikuspidalklappe bei Insuffizienz nach De Vega. Die Anulusanteile des anterioren und des posterioren Segels werden durch eine doppelte Naht, die man am Anulus entlangsticht, vom vorderen Trigonum aus gerafft. Die Naht wird dann an der Kommissur zwischen posteriorem und septalem Segel nach außen gestochen. Beiden Enden werden mit Widerlagerplättchen unterlegt. Am geschlossenen Herzen wird die Raffnaht nun unter digitaler Kontrolle so angezogen, dass die Insuffizienzkomponente verschwindet
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Kapitel 23 · Chirurgie der erworbenen AV-Klappen-Erkrankungen
ten Teflonplättchen unterlegt. Dieselbe Naht wird nun entgegengesetzt bis zum Beginn am anterioren Segel zurück und erneut über den ersten Teflonbalken gestochen. Danach werden sowohl anteriores als auch posteriores Segel durch Zug der Naht angenähert, und man kann die Naht verknoten. Die erhaltene Klappenöffnungsfläche nach Zuziehen der De-Vega-Naht sollte für 2 Finger durchgängig bleiben. Eine genauere Bestimmung erreicht man mittels Klappenmessgerät; hier sollte man ein 27-mm-Messgerät benutzen, über das die Naht geknotet wird. Auf diese Art erreicht man eine Verkleinerung des anulären Durchmessers auf ungefähr ein Drittel und eine Reduktion der Klappenöffnungsfläche auf etwa 4 cm2 (De Paulis et al. 1990). ! Diese Technik hat, so bestechend sie ist, den Nachteil, dass die beiden parallel gestochenen Nähte bei hoher Spannung aus dem Anulus ausreißen können und die Nähte dann frei, quer über dem Trikuspidalostium liegen. Abhilfe kann geschaffen werden, indem die zweite Naht überwendlich über die erste, ggf. nach semizirkulärer Perikardstreifenunterlegung, gestochen wird.
23.6.3.2
Rekonstruktionen durch Ringe
Alternativ zur oben beschriebenen De-Vega-Plastik kann der Trikuspidalklappenanulus auch durch Implantation von rigiden oder teils flexiblen Ringen verkleinert werden. Die in unserer Klinik ausschließlich verwendeten flexiblen Ringe haben den Vorteil, dass die physiologische Verformung des Klappenanulus weiterhin erhalten bleibt (Duran et al. 1978). Die Ringgröße wird mittels Klappenmessgerät bestimmt, wobei die Messung über der Basis des septalen Se-
. Abb. 23.25. Implantation des offenen, »flexiblen« CarpentierRinges zur Raffung des Trikuspidalanulus bei Insuffizienz. Der Ring wird mit U-förmigen Nähten auf den Anulus aufgebracht. Der vordere Anteil des septalen Anulus bleibt unbehelligt, um das His-Bündel zu schonen
gels erfolgen sollte. Die beiden Kerben der verwendeten Ringphantome entsprechen der anteroseptalen und der posteroseptalen Kommissur. ! Beim Stechen der U-Nähte zur späteren Verankerung des Ringes ist zu beachten, dass diese im Bereich des septalen Segels nicht im eigentlichen Anulusniveau gestochen werden sollten, sondern im anulusnahen Segel selbst, da sonst Strukturen des His-Bündels oder des AV-Knotens erreicht werden könnten (. Abb. 23.25). Am posterioren Segel in der Nähe der posteroseptalen Kommissur sollte man die räumliche Nähe des Sinus coronarius beachten.
23.6.3.3
Anulorrhaphie nach Kay – Bikuspidalisierung
Kay hat eine Trikuspidalplastik im Sinne einer Bikuspidalisation angegeben, indem der Anulus um den posterioren Anteil verkleinert wird. Das posteriore Segel wird dabei ventrikelwärts plikiert (Kay 1992). Diese Methode hat unserer Meinung nach nur dann eine Berechtigung, wenn es sich um milde Formen der Trikuspidalinsuffizienz bzw. der Anulusdilatation handelt.
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23
24
24 Alternative Zugangswege und minimal-invasive Herzchirurgie F.-W. Mohr, J. Garbade 24.1
Einführung
24.2
Entwicklung minimal-invasiver und alternativer Verfahren – 666 Voraussetzungen und Probleme – 666 Grundlagen der minimal-invasiven Herzchirurgie – 666 HeartPort-Technik – 667
24.2.1 24.2.2 24.2.3 24.3 24.3.1 24.3.2 24.3.3
24.1
– 665
Aktuelle klinische Konzepte – 668 Allgemeine minimal-invasive Verfahren – 668 Angeborene Herzfehler – 668 Minimal-invasive Aortenklappenchirurgie – 672
Einführung
Die Entwicklung minimal-invasiver und alternativer herzchirurgischer Operationsmethoden stellt einen wesentlichen Schwerpunkt der modernen Herzchirurgie dar. Ziel ist es, neben verträglicheren und effektiveren Techniken auch effizientere Algorithmen zu etablieren. Die Minimierung des thoraxchirurgischen Zugangs und die Reduktion des immunologischen Traumas sowie die Verhinderung einer kardialen Ischämie und eines Pulsatilitätsverlusts (z. B. myokardial und zerebral) sind wesentliche, im Fokus stehende Schwerpunkte der minimalinvasiven Herzchirurgie. Neben diesen Faktoren stellen die interdisziplinäre Kommunikation und die Entwicklung gemeinsamer therapeutischer Strategien weitere wichtige Säulen der Herzchirurgie dar. Prinzipiell versteht man unter minimal-invasiver Herzchirurgie jede direkte oder indirekte Maßnahme, die zum Ziel hat, das Trauma, das operative Risiko, die Morbidität und die Letalität zu reduzieren. Insgesamt soll das herzchirurgische Patientenkollektiv einer schnelleren Rekonvaleszenz und Rehabilitation zugeführt werden. Faktoren, die zu einer optimalen Ausnutzung der ökonomischen Ressourcen führen, wie die Verkürzung der Krankenhausverweildauer und die Senkung der Kosten durch
24.3.4 24.3.5 24.3.6 24.3.7 24.4 24.4.1 24.4.2
Minimal-invasive Mitral- und Trikuspidalklappenchirurgie – 674 Koronararterielle Revaskularisation – 678 Präparation von Bypassmaterial – 681 Rhythmuschirurgie – 682 Neue klinische Konzepte – 682 Hybridstrategie – 682 Endoskopische und telemanipulatorassistierte Herzchirurgie – 683 Literatur
– 686
prästationäre, stationäre und ambulante Behandlung, sind zusätzliche Anforderungen an alternative Operationsstrategien. Auch sollten kosmetische Aspekte in die Planung eines herzchirurgischen Eingriffs mit eingehen, jedoch niemals zulasten eines erhöhten operativen Risikos den Vorrang erhalten. Eine zunehmende Häufigkeit der Erkrankungen des kardiovaskulären Formenkreises, die sich verändernde Bevölkerungsstruktur sowie immer effektiver werdende medikamentöse und interventionelle Therapieoptionen sind wesentliche Herausforderungen, mit denen sich die klassische Herzchirurgie konfrontiert sieht und an denen sie sich messen muss. Zusammenfassend werden die Anforderungen an die Herzchirurgie wesentlich durch folgende Faktoren bestimmt: 4 Das Alter der Patienten, die sich einer Erst- oder Zweitoperation unterziehen, steigt (Anteil über 80-Jähriger im Jahre 2006: >9,6 %; im Vergleich 2005: 8,4 %; Gummert et al. 2007). 4 Die Schwere der kardialen Grunderkrankung ist – bedingt durch Begleiterkrankungen und stattgehabte interventionelle Prozeduren – vielfach ausgeprägter. 4 Es ist eine Zunahme von Kombinationseingriffen zu verzeichnen.
666
Kapitel 24 · Alternative Zugangswege und minimal-invasive Herzchirurgie
4 Der Anteil von Patienten, die sich einer Re-Operation unterziehen, steigt. 4 Es kommt zu einem stetig kritischer werdenden Risikoprofil des Patientenkollektivs. Das folgende Kapitel soll eine Übersicht über minimalinvasive und alternative operative Methoden und Konzepte geben, die Vor- und Nachteile verschiedener Techniken beleuchten, den Einsatz videoassistierter Verfahren abbilden und zuletzt Perspektiven der telemanipulatorassistierten Chirurgie aufzeigen.
24
24.2
Entwicklung minimal-invasiver und alternativer Verfahren
vielfältige Techniken und Systeme wie die videoassistierte Darstellung, die CO2-Insufflation, flexible mechanische Stabilisatoren, Blower und Koronar-Shunts entwickelt und gehören bereits zur täglichen Routine. Die ersten klinisch relevanten Entwicklungen begannen in den frühen 1990er Jahren auf der Grundlage allgemeinchirurgischer laparoskopischer Techniken. Die therapeutische Thorakoskopie und die videoassistierte thorakale Chirurgie hielten immer weiter Einzug in den klinischen Alltag (Landreneau et al. 1992; Mack et al. 1992). Als bevorzugtes Routineverfahren wird die videoassistierte thorakale Chirurgie heute weltweit bei einer Vielzahl von chirurgischen Prozeduren, aber auch bei komplexen thorakalen Eingriffen wie Lobektomie und Ösophagektomie eingesetzt.
24.2.1 Voraussetzungen und Probleme 24.2.2 Grundlagen der minimal-invasiven
Orientiernd an den anatomischen Gegebenheiten und der Komplexität werden die meisten herzchirurgischen Eingriffe – mit dem Ziel einer optimalen Exposition – über den klassischen Zugang der kompletten medianen Sternotomie durchgeführt. Um die Invasivität zu reduzieren, stehen verschiedene Ansatzpunkte zur Verfügung: 4 Minimierung des operativen Zugangs, 4 Reduzierung der Länge der Inzision, 4 Operation am schlagenden Herzen und Verzicht auf den kardiopulmonalen Bypass. Diesbezüglich sind verschiedene Strategien und Techniken beschrieben worden: 4 partielle Sternotomie in verschiedensten Variationen, 4 parasternale und thorakoskopische Zugänge, 4 laterale Thorakotomie, 4 Minithorakotomie, 4 subxiphoidale und subdiaphragmale Zugangsformen. ! Die Kombination aus minimalem chirurgischen Zugang und katheterbasierter Intervention (Hybridstrategie) stellt eine sinnvolle Alternative dar und führt zu einer deutlichen Reduktion der Invasivität.
Zusätzliche, mit der Minimierung des chirurgischen Zugangs verbundene Probleme sind: 4 Rigidität des knöchernen Thorax und die damit verbundene eingeschränkte Exposition, 4 Notwendigkeit mehrerer kleiner Inzisionen für die Platzierung zusätzlicher Instrumente, wodurch es zu einer Zunahme postoperativer Schmerzen kommen kann. Besondere Probleme in der Chirurgie am schlagenden Herzen wie die natürlichen Bewegungen und die hämodynamischen Imbalancen, welche durch die Manipulationen und Luxationen des blutgefüllten Herzens auftreten können, gilt es, sicher zu lösen. Aus diesen Gründen wurden
Herzchirurgie Drei wesentliche Entwicklungen führten in den 1990er Jahren zu einer deutlichen Reduktion der Invasivität: 4 HeartPort-System, 4 Verkleinerung des chirurgischen Zugangs, 4 Chirurgie am schlagenden Herzen. Das in Stanford entwickelte Kanülierungs- und Kathetersystem HeartPort-System wurde erstmals bei einer koronaren Bypassoperation mit Anschluss der linken A. mammaria interna an den R. interventricularis anterior nach konventioneller Sternotomie eingesetzt. Dabei wird der kardioplegische Stillstand durch einen intraaortalen Ballon (endoluminale Klemmtechnik), der über die A. femoralis eingeführt und im Bereich oberhalb der Koronarostien platziert wird und über den man die Kardioplegielösung appliziert, induziert. Als Weiterentwicklung erfolgte diese Operation einschließlich der endoluminalen Klemmtechnik durch eine linksanteriore Minithorakotomie am stillgelegten Herzen (Reichenspurner et al. 1998a, b). Bedingt durch eine Vielzahl beschriebener Komplikationen kommt diese Technik heute fast nur noch in der minimal-invasiven Mitralklappenchirurgie und der telemanipulatorassistierten Bypasschirurgie zum Einsatz (s. unten, 24.2.3). Mit der Einführung der direkten koronararteriellen Revaskularisation über einen limitierten chirurgischen Zugang wie die linksanteriore laterale Thorakotomie oder den subxiphoidalen Zugang unter Anwendung der videoassistierten Präparation der A. mammaria interna am schlagenden Herzen und dem Einsatz speziell entwickelter Stabilisatoren und Instrumente (Diegeler et al. 2008; Stahl et al. 2002; Subramanian et al. 1997) gelang es, neue und sichere operative Konzepte in die Klinik zu transferieren. Alternativ kommt diese Technik bei Patienten mit koronaren Ein- oder Mehrgefäßerkrankungen mit hohem operativen Risiko oder in Kombination mit interventio-
667 24.2 · Entwicklung minimal-invasiver und alternativer Verfahren
nellen Prozeduren als Hybridverfahren zum Einsatz (Stahl et al. 2002). Die koronararterielle Revaskularisaion ohne Einsatz der Herz-Lungen-Maschine – »off pump« – mit kompletter oder partieller Sternotomie, aber auch unter Verwendung verschiedener thorakaler Zugangswege erfolgt am schlagenden Herzen. Diese Technik wurde erst durch die Entwicklung spezieller Instrumente und Stabilisatoren möglich, welche eine optimale Exposition der entsprechenden Koronargefäße ermöglichen. Auch wurden verschiedene Algorithmen zur Anlage einer Bypassanastomose wie die Insertion eines Shunts oder die Verwendung spezieller Blower entwickelt. Die Einführung von distalen und proximalen Konnektorsystemen unterstützt diese Methode. Diese Entwicklungen erlauben auch die Operation am schlagenen Herzen mit Einsatz der Herz-LungenMaschine. Bei der »Off-pump«-Chirurgie ist eine effektive Zusammenarbeit mit der Kardioanästhesie unerlässlich. Nur so sind eine stabile Hämodynamik und die Sicherheit des Patienten zu gewährleisten. Diese Technik wird in den USA bei >25 % aller Bypassoperationen eingesetzt. In Deutschland lag der Anteil der »Off-pump«-Chirurgie im Jahre 2006 bei 10,1 % (Gummert et al. 2007). Die Effektivität und die Überlegenheit gegenüber der konventionellen Bypasschirurgie bezüglich Blutverlust, Nierenversagen, Intensivstations- und Krankenhausaufenthalt konnte bereits aufgezeigt werden (Puskas et al. 2004). Der Nachweis einer Überlegenheit bezüglich der Letalität steht noch aus. Ein direkter Vergleich mit interventionellen Strategien ist derzeit Gegenstand zahlreicher klinischer Studien. In eigenen Analysen ist die »Beating-heart«-Technik bei Notfalloperationen, bei Patienten mit eingeschränkter linksventrikulärer Funktion und bei solchen mit erhöhtem operativen Risiko der klassischen Operation am kardioplegierten Herzen überlegen (Rastan et al. 2006).
24.2.3 HeartPort-Technik
Die HeartPort-Technik hat das Ziel, über eine endoluminale Okklusion der Aorta ascendens minimal-invasive und endoskopische Operationen am Herzen zu ermöglichen (Pompili et al. 1996; Stevens et al. 1996). Das Kathetersystem wird perkutan über die Leistengefäße eingeführt. Das distale Ende besteht aus einem Ballon, den man in der Aorta ascendens oberhalb der Aortenklappe und proximal des Truncus brachiocephalicus platziert. Nach Applikation von NaCl-Lösung kann so eine endoluminale, temporäre Okklusion der Aorta erreicht werden. Anschließend kann man über dasselbe Kathetersystem Kardioplegielösung in die Aortenwurzel geben. Auch eine parallele Drainage ist möglich. Über die V. jugularis ist die Platzierung eines zusätzlichen Drainagekatheters in der
A. pulmonalis und eines Katheters zur Gabe von Kardioplegielösung im koronarvenösen Sinus möglich. ! Zur sicheren Anlage und zur intraoperativen Steuerung des Kathetersystems sollten ständig eine transösophageale echokardiographische Kontrolle und eine zusätzliche invasive Blutdruckmessung in der rechten A. radialis erfolgen, um Dislokationen und andere Komplikationen frühzeitig zu erkennen.
Die HeartPort-Technik wurde primär bei der minimalinvasiven Bypasschirurgie eingesetzt und klinisch evaluiert (Grossi et al. 1999a, b; Subramanian et al. 1997). Weitere Anwendungen sind bei der Aortenklappenchirurgie (Leshnower et al. 2006; Wheatley et al. 2004), der Chirurgie angeborener Herzfehler (De Mulder u. Vanermen 2002; Yamada et al. 2000), Re-Operationen und der minimalinvasiven Mitralklappenchirurgie (Aybek et al. 2000; Chitwood et al. 1997b; Dogan et al. 2005; Grossi et al. 2002; Mohr et al. 1998; Schneider et al. 1998) beschrieben. Bedingt durch Komplikationen und Probleme, die bei der Anwendung dieser Technik auftraten, gilt eine strenge Indikationsstellung. Mögliche Komplikationen sind (Muhs et al. 2005; Wimmer-Greinecker et al. 1999): 4 Verletzung der Iliakalgefäße, 4 Dissektion der femoralen Gefäße, 4 Verletzung der Aorta ascendens und des Bulbus aortae, 4 traumatische Aortenklappeninsuffizienz, 4 inkomplette Gabe der Kardioplegielösung durch Verlegung eines oder beider Koronarostien mit nachfolgender insuffizienter myokardialer Protektion, 4 Migration des Katheters, 4 Verschluss des Truncus brachiocephalicus mit der Folge zerebraler Ischämien und inkompletter Entlüftung nach Eröffnung der Herzinnenräume. Ausschlusskriterien für die Anwendung der HeartPort-
Technik sind: 4 ausgeprägte periphere arterielle Verschlusskrankheit, 4 atherosklerotische und/oder aneurysmatische Veränderungen der thorakalen Aorta, 4 Aortenklappeninsuffizienz, 4 Verkalkungen der Mitralklappe. Die endoluminale Klemmtechnik ermöglicht die Durchführung minimal-invasiver Techniken, zeigt aber insbesondere bei der Mitralklappenchirurgie keinen sinnvollen Vorteil gegenüber der von Chitwood entwickelten direkten Klemmtechnik (Aybek et al. 2000; Dogan et al. 2005; Reichenspurner et al. 1998b, 2005). Als Routinemethode findet dieses Verfahren daher keine breite klinische Anwendung. Einige Autoren berichten über die Anwendung bei total endoskopischen koronararteriellen Bypassverfahren (Bonatti et al. 2007; Subramanian et al. 2005) und bei Re-Operationen, wobei noch keine umfangreichen Daten vorliegen.
24
668
24
Kapitel 24 · Alternative Zugangswege und minimal-invasive Herzchirurgie
24.3
Aktuelle klinische Konzepte
24.3.1
Allgemeine minimal-invasive Verfahren
Über die mediane Sternotomie lassen sich alle wichtigen Pathologien des Herzens und der herznahen großen Gefäße chirurgisch versorgen. Die exzellente Exposition der anatomischen Strukturen geht jedoch mit einem ausgeprägten chirurgischen Trauma einher. Es kann zu einer mechanischen Überbeanspruchung und damit zu einer Verletzung der angrenzenden Gelenkverbindungen sowie zu muskulären Läsionen kommen. Die Patienten berichten über starke postoperative Schmerzen. Diese Schmerzempfindungen können ihrerseits zu einer Beeinträchtigung der Atemmechanik und der Mobilisation führen. Postoperative Infektionen und Mediastinitiden, deren Inzidenz in der Literatur mit 2–6 % angegeben wird und in deren Folge erneute chirurgische Eingriffe sowie aufwendige Therapien notwendig sind, stellen häufige und nicht zu unterschätzende Komplikationen dar (Gartlund et al. 2002; Gummert et al. 2002). Insbesondere bei Patienten mit einem erhöhten EuroSCORE-Wert (7 Kap. 2), einem Diabetes mellitus, einer chronisch-obstruktiven Lungenerkrankung oder einem erhöhten »body mass index« findet sich eine erhöhte Inzidenz dieser Komplikationen. Seit den Anfängen der Herzchirurgie stellt die laterale Thorakotomie ein Routineverfahren dar. So wurde diese Technik für die Mitral- und Trikuspidalklappenchirurgie, den Verschluss eines Vorhofseptumdefekts und die Versorgung angeborener Malformationen der Aorta descendens eingesetzt. Diese ausgedehnten Thorakotomien stellen ebenfalls ein deutliches Trauma dar, sind häufig mit Verletzungen der Rippen assoziiert und gehen in der postoperativen Phase mit erheblichen Schmerzen einher. Auch sind isolierte, abgekapselte Ergüsse und Verwachsungen der Lunge nicht selten zu beobachten. Aus diesen Gründen wurden verschiedene alternative Zugangswege und Techniken evaluiert, wobei sich diese auf bestimmte anatomische Strukturen mit einer definierten operativen Strategie konzentrieren. Derzeit werden 4 wesentliche Strategien verfolgt, die in der täglichen Routine einen großen Stellenwert haben und in einer Vielzahl von klinischen Studien validiert wurden: 4 Zum einen kommt der Verkleinerung des operativen Zugangs und damit der Reduktion des chirurgisch-mechanischen Traumas ein großer Stellenwert zu. Bereits in der Aorten-, Mitral- und Trikuspidalklappenchirurgie sowie in der Versorgung angeborener Herzfehler wie Vorhofsseptumdefekte, aber auch in der Bypasschirurgie stellen alternative Zugänge wie die Ministernotomie, die links- oder rechtsanteriore Minithorakotomie und die subxiphoidale Thorakotomie mögliche minimal-invasive Zugangswege dar. Als innovative Techniken werden endoskopische und telemanipulatorassistierte Methoden in der Bypass-, Mitral- und Triku-
spidalklappenchirurgie sowie in der Chirurgie angeborener Herzfehler und der Therapie des Vorhofflimmerns evaluiert. Ein komplett neuer Ansatz ist die perkutane Versorgung von Klappenvitien (Aorten-, Mitral- und Pulmonalklappe) am schlagenden Herzen. Die Entwicklung neuer Kanülensysteme ermöglicht einen sicheren und zuverlässigen Anschluss der HerzLungen-Maschine über die Leisten-, Axillar- und Halsgefäße. Des Weiteren gewinnen endoskopische Entnahmetechniken für Bypassmaterial, insbesondere von Venengrafts und arteriellen Conduits, eine zunehmende Bedeutung. Die alternativen Zugangswege für die einzelnen Pathologien des Herzens sind in den jeweiligen Kapiteln näher dargestellt. 4 Eine zweite Strategie besteht in der Reduktion oder Vermeidung der extrakorporalen Zirkulation. Heutzutage können viele koronarchirurgische Eingriffe am schlagenden Herzen ohne Einsatz der Herz-LungenMaschine durchgeführt werden. Trotz konventioneller Sternotomie sollte man auch bei dieser Technik von einem minimal-invasiven Eingriff sprechen. Auch sind Operationen wie die Klappenchirurgie oder linksventrikuläre Rekonstruktionen am schlagenden Herzen mit Herz-Lungen-Maschine möglich, wobei die Vermeidung der Ischämie zu einer Reduktion des zellulären Traumas führt. Zusätzlich vermindert die Miniaturisierung der Herz-Lungen-Maschinen sowohl in der Erwachsenen- als auch in der Kinderherzchirurgie das immunologische Trauma. 4 Eine dritte Säule ist das arterielle Endografting. In zunehmendem Maße werden chronische, aber auch akute Pathologien wie Dissektionen und Aneurysmen bis hin zu Rupturen der thorakalen und abdominalen Aorta mittels Endovaskularprothesen versorgt. Selbst Dissektionen im Bereich des Aortenbogens werden mittels Stents behandelt, wobei man parallel die supraaortalen Gefäße über extraanatomische Bypasses – ausgehend von der Aorta ascendens – therapiert. 4 Aus diesem Konzept leitet sich eine vierte wichtige Strategie ab, und zwar eine für den Patienten sinnvolle Verbindung chirurgischer und interventioneller Prozeduren – die Hybridstrategie. Diese Technik stellt neue Anforderungen an das gesamte Team und definiert die Ausstattung eines klassischen Operationssaales als Hybridsaal neu. Dieser Prozess befindet sich derzeit in der klinischen Evaluation und gehört in einigen Zentren bereits zum klinischen Alltag.
24.3.2
Angeborene Herzfehler
24.3.2.1
Ductus arteriosus Botalli (7 Kap. 19)
Derzeit stehen 3 verschiedene operative Techniken zum Verschluss eines persistierenden Ductus arteriosus (PDA) zur Verfügung:
669 24.3 · Aktuelle klinische Konzepte
4 Gross beschieb im Jahre 1938 erstmalig die erfolgreiche Ligatur eines PDA bei einem 7-jährigen Mädchen über eine linksseitige posterolaterale Thorakotomie in Höhe des 4. Interkostalraums (Gross u. Hubbard 1939). Nach Retraktion der Lunge werden der N. vagus und der N. phrenicus dargestellt sowie die mediastinale Pleura über den Aortenisthmus längs inzidiert. Dieses Verfahren ist mit einem ausgedehnten chirurgischen Trauma verbunden, bietet aber eine optimale Exposition aller anatomischen Strukturen. Allgemein auftretende Komplikationen sind gelegentlich Läsionen des N. recurrens und äußerst selten die Entwicklung eines Chylothorax. Eine Letalität ist praktische nicht existent. 4 Ein zweites, von Laborde im Jahre 1992 beschrieben und seit Jahren eingesetztes Verfahren ist die videoassistierte thorakoskopische Versorgung (Laborde et al. 1993). Durch die linksseitige Anlage von 2 Ports mit einer Größe von 5 mm werden die anatomischen Strukturen dagestellt. Der PDA-Verschluss erfolgt mittels eines Titaniumclips. Die von Laborde publizierten 12-Jahres-Ergebnisse (n = 743) zeigen im Vergleich zur linkslateralen Thorakotomie hinsichtlich der Effektivität der operativen Methode keine Unterschiede. Es gab keine Letalität, und persistierende Schäden des N. recurrens waren selten (4,2 %). Die Krankenhausaufenthaltsdauer lag bei 2 Tagen. Ausschlusskriterium ist ein PDA mit einem Durchmesser von >8 mm (Villa et al. 2004, 2006). 4 Konkurrierend hat sich in vielen Zentren der interventionelle Verschluss mittels perkutaner Kathetertechnik etabliert, meist als Methode der ersten Wahl (Jacobs et al. 2003). Diese Technik wurde von Porstmann und Kollegen im Jahre 1971 erstmals erfolgreich durchgeführt (Porstmann et al. 1971). Derzeit stehen verschiedene Systeme wie diverse Coil-Systeme oder Amplatzer-Okkluder zur Verfügung. In einer großen, mit 237 Patienten durchgeführten Studie ließen sich Effektivität und Sicherheit der Methode zeigen (Wang et al. 2007). Limitationen weist dieses Verfahren bei sehr kleinen Kindern, insbesondere bei Frühgeborenen, auf. 24.3.2.2
4 mediane Sternotomie, 4 rechtslaterale Thorakotomie (zentraler Anschluss der Herz-Lungen-Maschine), 4 rechtsseitge anterolaterale Thorakotomie, 4 Ministernotomie, 4 subxiphoidaler Zugang, 4 rechtslaterale Minithorakotomie mit Anschluss der Herz-Lungen-Maschine über die Leistengefäße, 4 perkutane endovaskuläre Okkludertechniken, 4 Hybridtechniken, 4 komplett endoskopische Verfahren. Voraussetzung für die chirurgische Versorgung eines ASD II ist die Herz-Lungen-Maschine. Bezüglich der Kanülierung gibt es verschiedene Möglichkeiten. Zum Beispiel können die Aorta ascendens und die A. femoralis angeschlossen werden. Die venöse Drainage kann über die obere und untere Hohlvene erfolgen, außerdem über die V. jugularis und die untere Hohlvene oder über die V. jugularis und die V. femoralis. Für den transfemoralen Anschluss der Herz-Lungen-Maschine ist jedoch eine ausreichende Größe der Gefäße notwendig. Somit ist dieser Zugang von der Größe und dem Alter des Patienten abhängig. Auch lassen sich komplexere Pathologien des Vorhofseptums, ein Sinus-venosus-Defekt und ein partieller AV-Kanal über einen lateralen Zugang versorgen. Dies setzt jedoch ein hohes Maß an Erfahrung voraus. Bei isoliertem ASD II wird die komplette mediane Sternotomie nur noch selten durchgeführt. Als chirurgischer Standard gilt die rechts anterolaterale Minithorakothomie (. Abb. 24.1a; Dabritz et al. 1999; Doll et al. 2003). Neben den sehr guten chirurgischen Ergbnissen zeichnet sich diese Technik im Vergleich zur medianen Sternotomie durch eine kleinere Hautinzison, ein geringes Trauma, eine schnelle postoperative Rekonvaleszenz und – insbesondere bei Frauen – ein exzellentes kosmetisches Ergbenis aus (Dabritz et al. 1999). Dabei erfolgt die Hautinzision – in Analogie zur minimal-invasiven Mitral- und Trikuspidalklappenchirurgie – unterhalb der Mammile leicht bogenförmig, gefolgt von der Thorakotomie in Höhe des 4. Inter-
Vorhof-(Atrium-)Septumdefekt vom Sekundumtyp (ASD II) (7 Kap. 10)
Im Jahre 1953 gelang Gibbon unter Verwendung der HerzLungen-Maschine erstmalig der erfolgreiche operative Verschluss eines ASD II (Gibbon 1954). Derzeit stehen diverse Methoden zur Versorgung eines ASD II zur Verfügung (Baird et al. 2007; Barbero-Marcial et al. 1998; Chang et al. 1998; Cremer et al. 1999; Dabritz et al. 1999; Diab et al. 2007; Dietl et al. 1992; Doll et al. 2003; Doty et al. 1998; Erkut et al. 2007; Gibbon 1954; Hongxin et al. 2007; Horvath et al. 1992; King et al. 1976; Konstantinides et al. 1995; Luo et al. 2001; Navia u. Cosgrove 1996; Rao et al. 2000; . Abb. 24.1):
a
b
. Abb. 24.1a, b. Minimal-invasive Zugangswege zur Versorgung eines Vorhofseptumdefekts vom Sekundumtyp. a Rechtslaterale Minithorakotomie; b subxiphoidaler Zugang
24
670
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Kapitel 24 · Alternative Zugangswege und minimal-invasive Herzchirurgie
kostalraums. Auf diese Weise können alle relevanten anatomischen Strukturen dargestellt werden. Es schließt sich die horizontale Eröffnung der Perikards 2 cm oberhalb des N. phrenicus an. Die Herz-Lungen-Maschine wird über die Leistengefäße angeschlossen, wobei man eine zusätzliche venöse Kanüle über die V. jugularis platziert. Die Insertion zusätzlicher Portsysteme (Videooptik, CO2-Insufflation), das »cross-clamping« (Chitwood-Technik) und die Gabe der Kardioplegielösung erfolgen in Analogie zur minimalinvasiven Versorgung der Mitral- und Trikuspidalklappe. Die obere und die untere Hohlvene werden gedrosselt. Nach dem »cross-clamping« und während der Gabe der Kardioplegielösung sind die Inzision des rechten Vorhofs und der anschließende ASD-Verschluss gut durchzuführen. Sobald der ASD sicher verschlossen ist, erfolgt das Lösen der Endoklemme, und der rechte Vorhof kann am schlagenden Herzen zugenäht werden. Bei der parasternalen minimalinvasiven Thorakotomie (eher selten praktiziert) legt man den Zugang in Höhe der 3. und 4. Rippe an. Die Herz-Lungen-Maschine wird über die Aorta sowie über die obere und untere Hohlvene angeschlossen (Cremer et al. 1999). Eine andere operative Methode ist die Ministernotomie (Hemisternotomie). Dabei werden die obere (Dabritz et al. 1999) und die untere (Barbero-Marcial et al. 1998; Konstantinides et al. 1995) partielle Sternotomie sowie der subxiphoidale Zugang (. Abb. 24.1b; Barbero-Marcial et al. 1998) unterschieden. Bei diesen Techniken erfolgt der Anschluss der HerzLungen-Maschine häufig über die Leistengefäße, und zwar zentral oder in Kombination mit der venösen Drainage über das rechte Herzohr und die untere Hohlvene. Unabhängig davon, welche Form der Ministernotomie verwendet wurde, berichten die Autoren über eine sehr gute Exposition, sehr gute operative Resultate und eine hohe Akzeptanz bei den Patienten. Welcher Zugang sich jedoch durchsetzen wird, bleibt abzuwarten und wird sicher von Zentrum zu Zentrum spezifisch bleiben. Im Jahre 1976 berichteten King und Mills erstmals über eine interventionelle, katheterbasierte Verschlussmöglichkeit eines ASD II (King et al. 1976). Sie legten damit den Grundstein für eine rassante Entwicklung. Seit den 1990er Jahren hat sich der perkutane Verschluss mittels diverser ASD-Okkludersysteme als Therapie der ersten Wahl etabliert. Ein randomisierter Vergleich mit der rechtslateralen Minithorakotomie oder anderen minimal-invasiven Verfahren steht noch aus. In der einzigen nichtrandomisierten Studie erfolgte ein Vergleich zwischen katheterbasierter Okklusion und konventioneller Sternotomie (Du et al. 2002). Initial wurde diese Technik nur bei kleinen, unkomplizierten ASD eingesetzt. Mittlerweile werden auch große ASD (bis zu 4 cm) mit Okkludersystemen versorgt. Bedingt durch Disslokation, Thrombosen, Perforationen, Infektionen und embolische Komplikationen nach interventio-
nellem ASD-Verschluss kann eine sekundäre chirurgische Versorgung notwendig werden (Divekar et al. 2005; Walther et al. 2007). Ein weiterer minimal-invasiver Ansatz ist die Kombination chirurgischer und interventineller Techniken ohne Verwendung der Herz-Lungen-Maschine. Am schlagenden Herzen wird über eine rechtslaterale Minithorakotomie der rechte Vorhof exponiert und durch die freie Wand – unter transösophagealer echokardiographischer Kontrolle – ein Okkluder-Device positioniert; erste Ergebnisse liegen vor (Diab et al. 2007; Hongxin et al. 2007). Komplett endoskopischen Verfahren (telemanipulatorassistierte Techniken) mit dem Da-Vinci-System am hypothermen, flimmernden Herzen setzen innovative Maßstäbe, welche jedoch noch experimentellen Charakter haben und als sehr aufwendig zu betrachten sind (Baird et al. 2007). Ergebnisse. In einer Vielzahl von klinischen Studien konnten die Effektivität und die Sicherheit der katheterbasierten Versorgung eines ASD II gezeigt werden (Diab et al. 2007; Du et al. 2002; Hongxin et al. 2007; Rao et al. 2000). Divekar und Kollegen analysierten 34.000 Okkluderimplantationen bezüglich kardialer Komplikationen. Bei 29 Patienten traten kardiale Komplikationen auf (darunter 5 Todesfälle und 3 neurologische Ereignisse). Perforationen wurden im Bereich der anterior-superioren Vorhofwand in unmittelbarer Nähe zur Aorta festgestellt. Eine Erklärung für diese Lokalisation konnte seitens der Autoren nicht gegeben werden. Wir gehen davon aus, dass diese relevante Komplikation durch Abrasionen des implantierten Systems im glattwandigen Bereich des rechten Vorhofs entsteht. Insgesamt findet sich eine erhöhte Inzidenz sekundärer chirurgischer Revisionen nach interventioneller Okkluderimplantation (Divekar et al. 2005). In einer im Jahre 2000 publizierten nichtrandomisierten Multizenterstudie wurden 442 Patienten mittels Okkludertechnik versorgt, und 154 Patienten unterzogen sich einer chirurgischen Prozedur mittels medianer Sternotomie. Die Erfolgsrate war in der chirurgischen Gruppe signifikant besser (100 % vs. 95,7 %). Todesfälle traten in keiner Gruppe auf. Die Früh- und die Langzeitergebnisse (nach 12 Monaten) unterschieden sich nicht. Dennoch war die periprozedurale Komplikationsrate in der chirurgischen Gruppe signifikant höher (24,0 % vs. 7,2 %), bei gleichzeitig verlängertem Krankenhausaufenthalt. Die Autoren kommen zu dem Schluss, dass die interventionelle Methode eine sichere und bezüglich der Komplikationen eine dem chirurgischen Vorgehen überlegene Technik darstellt (Du et al. 2002). Ein randomisierter Vergleich minimal-invasiver Techniken mit der interventionellen Methode steht noch aus. Die Früh- und Langzeitergebnisse nach chirurgischem ASD-II-Verschluss sind sehr gut. Unabhängig vom gewählten operativen Zugang gibt es keine wesentlichen Unterschiede bezüglich Letalität (<1 %) und Effektivität. Bedingt durch das chirurgische Trauma berichten die
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Patienen über weniger Schmerzen. Zudem ist eine schnellere postoperative Rekonvaleszenz zu verzeichnen (Chang et al. 1998). In einer randomisierten Studie verglichen Luo und Kollegen die konventionelle mediane und die partielle untere Sternotomie. Neben der Sicherheit und der Effektivität beider Methoden konnte gezeigt werden, dass der minimierte Zugang zu weniger Schmerzen, geringeren postoperativen Nachblutungen, einer kürzeren Krankenhausverweildauer und einem besseren kosmetischen Ergebnis führte (Luo et al. 2001). Im Allgemeinen ist ein minimal-invasiver Zugang bei den Patienten akzeptiert; insbesondere bei Frauen spielt der kosmetische Aspekt eine Rolle. Ein weiterer Ansatz besteht in der bereits erwähnten Kombination eines chirurgischen Zugangs von rechts-lateral mit der direkten Platziering eines Okkluders durch die Wand des rechten Vorhofs unter transösophagealer echokardiographischer Kontrolle, und zwar am schlagenden Herzen und ohne Herz-Lungen-Maschine. Hongxin et al. (2007) evaluierten diese Technik bei 100 Patienten. Die Größe der ASD variierte zwischen 5 und 37 mm. Nach 12 Monaten berichteten die Autoren über eine 100%ige Okklusion und eine Letalität von 0%. Die Autoren kommen zu dem Schluss, dass diese Methode eine Alternative zur isolierten endovaskulären sowie zur konventionellen chirurgischen Technik darstellt. Auch bei Kindern unter einem Jahr ließen sich die Sicherheit und die Effektivität sowohl der katherterbasierten Methode als auch der Kombination aus chirurgischem Zugang und katheterbasierter Platzierung des Okkludersystems zeigen (Diab et al. 2007). Zusammenfassung. Als Therapieoption der ersten Wahl
gilt heute die perkutane Platzierung eines Okkluders. Dabei werden auch ASD II mit einer Größe von bis zu 40 mm mittels dieser Technik versorgt. Bei Versagen der interventionellen Methode, Komplikationen, Infektionen, Thrombosen, Embolien oder komplexer Anatomie erfolgt eine chirurgische Versorgung. Als Standardverfahren ist hier die rechtslaterale Minithorakotomie mit Anschluss der HerzLungen-Maschine über die Leisten- oder Iliakalgefäße anzusehen. Alternativen bilden die verschiedenen Formen der Ministernotomie. Ein wesentlicher Aspekt ist der Anschluss der Herz-Lungen-Maschine, und zwar über die Leistengefäße, zentral oder kombiniert. Die Bedeutung von Hybridverfahren am schlagenden Herzen und von komplett endoskopischen Verfahren ist noch nicht geklärt; hier gilt es, weitere Ergebnisse abzuwarten. 24.3.2.3
Ventrikelseptumdefekt (VSD) (7 Kap. 12)
Als minimal-invasive Alternative zur Versorgung eines subarteriellen oder perimembranösen VSD ist die linksanteriore parasternale Minithorakotomie beschrieben. Über den 3. und 4. linken Interkostalraum erfolgt der direkte Zugang. Direkt oder durch Insertion von Portsystemen ist eine videoskopische Unterstützung möglich. Anschließend folgt
die Darstellung der anatomischen Strukturen: Der linke N. phrenicus wird visualisiert und das Perikard longitudinal inzidiert. Die Herz-Lungen-Maschine schließt man über die Leistengefäße an. Ein »cross-clamping« ist nicht zwingend erforderlich. Die Operation kann in milder Hypothermie am flimmernden Herzen vorgenommen werden (Lin et al. 1998). Andere mögliche Verfahren sind die partielle untere und die partielle mediane Sternotomie (T-förmige Sternotomie vom 4. Interkostalraum bis zum Xyphoid) zur Versorgung subarterieller, perimembranöser und muskulärer VSD (Kadner et al. 2004; Murashita et al. 1999). Alternativ kommen perkutane interventionelle Verfahren mit dem Amplatzer-System zur Anwendung. Erste Studien zeigen gute Ergebnisse, insbesondere beim perimembranösen VSD (Pinto et al. 2006), jedoch lassen komplette AV-Blockierungen Tage und Wochen nach der Intervention noch eine gewissen Skepsis zu. Man kann zusammenfassend feststellen, dass der minimal-invasive Zugang zur Versorgung eines VSD nicht routinemäßig praktiziert wird. 24.3.2.4
Erkrankungen des Perikards
Die ersten Erkrankungen des Perikards – akute und chronische Perikarditis – wurden 1669 von Lower beschrieben (Lower 1669). Der primäre chirurgische Zugang, insbesondere bei der Pericarditis constrictiva, erfolgt in den meisten Fällen über eine mediane Sternotomie. In einer Studie von Billa und Kollegen konnte gezeigt werden, dass ein linkslateraler Zugang bei diesem Krankheitsbild sicher ist sowie dass sich die unmittelbar postoperativen und die Langzeitergebnisse im Vergleich zur Sternotomie nicht unterscheiden. In der Sternotomiegruppe traten jedoch häufiger Wundinfekte und pulmonale Komplikation auf (Tiruvoipati et al. 2003). Ein weiterer operativer Zugang, und zwar von subxiphoidal aus, wurde ebenfalls beschrieben (Becit et al. 2005; Mills et al. 1989). Ein alternatives Verfahren, insbesondere zur Fensterung des Perikards bei rezidivierenden Perikardergüssen, ist die linkslaterale Minithorakotomie (McCaughan et al. 1971; Tiruvoipati et al. 2003). Zunehmend setzt sich in den meisten Kliniken die videoassistierte Thorakoskopie unter Verwendung eines Doppellumentubus und spezieller Instrumente wie der Kelly-Klemme durch (Georghiou et al. 2005; Noyes et al. 2003). Perikardiale Zysten und Tumoren (7 Kap. 27) können thorakoskopisch reseziert werden. Rees und Kollegen beschreiben die thorakoskopische partielle Perikardektomie über einen linksseitigen Zugang (Rees et al. 1993). Fallberichte über telemanipulatorassistierte Resektionen perikardialer Zysten existieren. Diese Techniken stellen jedoch einen erheblichen technischen Aufwand dar (Bacchetta et al. 2003).
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Kapitel 24 · Alternative Zugangswege und minimal-invasive Herzchirurgie
24.3.3
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Minimal-invasive Aortenklappenchirurgie
Zur Versorgung von Pathologien der Aortenklappe (7 Kap. 22), der Aorta ascendens, des Aortenbogens und angrenzender Strukturen (7 Kap. 25) stellt die komplette mediane Sternotomie mit Anschluss der Herz-Lungen-Maschine ein Standardverfahren dar. Dennoch ist die komplette Sternotomie nicht zwingend notwendig, da sich die anatomischen Strukturen auch über eine minimalinvasive partielle Sternotomie oder Thorakotomie darstellen lassen. Dieser Zugang ist ausreichend, um die Aorta ascendens und den rechten Vorhof zu kanülieren. Die Vent-Analage kann typischerweise über die rechte obere Lungenvene, die Pulmonalarterie oder direkt durch die Aortenklappe erfolgen. Zusätzlich ist die Anlage externer Schockelektroden notwendig. Ein völlig neuartiges Konzept stellt der perkutane Klappenersatz dar. Zwei unterschiedliche Techniken – der transapikale und der transfemorale Zugang – werden derzeit intensiv klinisch evaluiert. Verschiedene Formen und Modifikationen der partiellen Sternotomie für die Operation an der Aortenklappe und der aufsteigenden Aorta sind (. Abb. 24.2): 4 J-förmige obere Sternotomie, 4 transversale Sternotomie, 4 S-förmige Sternotomie, 4 rechtsseitige parasternale Thorakotomie Bei der J-förmigen partiellen oberen Sternotomie (. Abb. 24.1c) wird das Sternum im Bereich des Jugulums median durchtrennt. Nach kaudal erfolgt die mediane Trennung bis hin zum 4. oder 5. Interkostalraum, um hier nach rechtslateral das Sternum – unter Schonung der rechten A. mammaria interna – zu durchtrennen (Konertz et al. 1996).
Durch diesen leicht rechtsdominanten Zugang kann neben der Aortenklappe und der Aorta ascendens auch der rechte Vorhof ausreichend dargestellt werden. Die aortale Kanüle kann man direkt in der Aorta ascendens platzieren. Bei Vorliegen unübersichtlicher anatomischer Verhältnisse können die Leistengefäße zum Anschluss der Herz-LungenMaschine Verwendung finden. Die venöse Kanüle kann meist unkompliziert im rechten Vorhof angeschlossen und direkt über die Sternotomie oder über eine subxiphoidale Inzision und eine retrosternale Passage ausgeleitet werden. Der Vorteil dieser Methode liegt in einer besseren Exposition durch leichten Zug an der Kanüle und somit am rechten Vorhof. Der Verschluss des Sternums erfolgt mit normalen Draht-Cerclagen, Bändern oder Polydioxanschlingen unter Einbeziehung und Stabilisierung der rechtseitigen bogenförmigen Sternotomie. In Höhe des 3. Interkostalraums kann eine transversale Durchtrennung des Sternums erfolgen (. Abb. 24.2e). Der Nachteil dieser Methode besteht darin, dass die beiden Aa. mammariae internae für eine spätere arterielle Revaskularisation nicht mehr zur Verfügung stehen (Cosgrove u. Sabik 1996). Cosgrove beschreibt eine rechtsseitige parasternale Inzision (. Abb. 24.2d). Dabei werden die Rippen 1–5 oder 3–5 vom Sternum getrennt. Bedingt durch ein vermehrtes Auftreten von Thoraxinstabilitäten wurde diese Technik von den meisten Autoren wieder verlassen (Cosgrove u. Sabik 1996). Die S-förmige partielle Sternotomie (. Abb. 24.2f) ermöglicht – unter Schonung beider Brustwandarterien – eine gute Exposition nicht nur des Aortenklappenareals, sondern auch der benachbarten A. pulmonalis (Autschbach et al. 1998). Der Vorteil dieser Strategie soll in der erhaltenen Schultergürtelkontinuität liegen. Eine Herausfor-
. Abb. 24.2a–f. Minimal-invasiver Aortenklappenersatz. Chirurgische Zugangsmöglichkeiten. a L- oder T-förmige Sternotomie; b L- oder T-förmiger oberer Zugang; c J-förmige Sternotomie; d rechtsseitige parasternale Thorakotomie; e transversale Sternotomie; f S-förmige Sternotomie
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673 24.3 · Aktuelle klinische Konzepte
derung stellt jedoch die Stabilisierung des Sternums mittels Draht-Cerclagen dar. Die Technik findet kaum klinische Anwendung. Ergebnisse. Ein klarer Vorteil der partiellen oberen Sternotomie gegenüber der medianen kompletten Sternotomie wird kontrovers diskutiert. Gezeigt werden konnte, dass mittels partieller oberer Sternotomie eine Reduktion des Blutverlusts sowie der Dauer des Intensivstations- und des Krankenhausaufenthalts erreicht werden kann (Bakir et al. 2006; Doll et al. 2002). Ein signifikanter Vorteil bezüglich der Letalität ließ sich jedoch nicht nachweisen. Alternativ kann der operative Zugang über eine kleine Hautinzision, gefolgt von einer kompletten medianen Sternotomie, erfolgen. Dennoch werden in den meisten Zentren – trotz einer Vielzahl verschiedener alternativer Zugangsmöglichkeiten – zur Versorgung von Aortenklappenpathologien die partielle obere mediane Sternotomie und der klassische Zugang bevorzugt. 24.3.3.1
Transapikaler und transfemoraler Aortenklappenersatz
Ein neues chirurgisches Konzept besteht im transapikalen Zugang (. Abb. 24.3; Dewey et al. 2006). Bei dieser Technologie erfolgt der Zugang über eine kleine Inzision links anterolateral in Höhe des 4. Rippenzwischenraums. Über einen limitierten Zugang am Apexbereich und unter Fixation mittels einer Tabaksbeutelnaht und am schlagenden Herzen nimmt man die katheterbasierte orthograde Implantation einer z. B. ballonexpandierbaren Bioklappe vor, wobei diese zuvor auf ein Kathetersystem gefaltet und positioniert wird. Die Implantation, insbesondere die Expansion der Klappe, erfolgt dabei unter angiographischer und echokardiographischer Kontrolle (Dewey et al. 2006). Zusätzlich wird das Herz während der mechanischen Expansion der Klappe über einen externen Schrittmacher stimuliert (»rapid pacing«). Die Intervention wird ohne Herz-Lungen-Maschine vorgenommen, wobei eine zusätzliche Entlastung mittels Herz-Lungen-Maschine über die Leistengefäße möglich ist. Es liegen bereits erste erfolgreiche klinische Erfahrungen mit diesem chirurgischen Verfahren vor (Lichtenstein et al. 2006; Walther et al. 2007b, d, 2008). Durch die Vermeidung einer kompletten Sternotomie, die Reduzierung des chirurgischen Traumas und den Verzicht auf die HerzLungen-Maschine ist diese Methode besonders für Hochrisikopatienten, z. B. nach stattgehabter Herzoperation – auch nach bereits erfolgtem Aortenklappenersatz als »Valve-in-valve«-Konzept (Walther et al. 2007c) – oder bei Patienten mit Porzellanaorta, gut geeignet und stellt eine sinnvolle Alternative zur Sternotomie dar. Ein konkurrierendes interventionelles Verfahren, der transfemorale retrograde Aortenklappenersatz, stellt eine weitere Alternative dar. Erste klinische Erfahrungen liegen
. Abb. 24.3. Transapikaler Aortenklappenersatz. Orthograder Zugang und chirurgische Technik
vor, wobei die Rate an Schlaganfällen insgesamt erhöht erscheint (Cribier et al. 2004; Grube et al. 2007; Webb et al. 2007). Welcher therapeutische Ansatz sich jedoch durchsetzen wird, muss noch in randomisierten Studien gezeigt werden. Generell setzen beide Strategien eine Teamarbeit zwischen Herzchirurgen, Kardiologen und Kardioanästhesisten voraus. Zusammenfassung. Die minimal-invasive Aortenklappenchirurgie ist eine sichere, reproduzierbare und kosmetisch akzeptierte operative Strategie. Jedoch konnte noch keine Evidenz bezüglich der Letalität im Vergleich zur konventionellen Schnittführung festgestellt werden. Der limitierte Zugang ermöglicht eine übersichtliche Darstellung der anatomischen Strukturen bei geringerem Risiko einer Sternuminstabilität und einer Sternuminfektion. Eine zusätzliche Bypass-, Rhythmus- oder Mitralklappenchirurgie ist nicht möglich. Der transapikale und der transfemorale Aortenklappenersatz sind innovative, bereits klinisch praktizierte Ansätze und stellen für multimorbide sowie für Risikopatienen eine Alternative dar. Zusammenfassend kann man festhalten, dass die Ansicht, der Aortenklappenersatz benötige in jedem Fall eine Herz-Lungen-Maschine und eine große offene Exposition, nicht mehr zutrifft und dass der Einsatz der Herz-Lungen-Maschine in ausgewählten Fällen (transapikaler/transfemoraler Zugang) vermieden werden kann.
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Kapitel 24 · Alternative Zugangswege und minimal-invasive Herzchirurgie
24.3.4
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Minimal-invasive Mitralund Trikuspidalklappenchirurgie
Historisch betrachtet hatten bereits die ersten Versuche, Stenosen der Mitralklappe zu behandeln, minimal-invasiven Charakter. So erfolgten im Jahre 1902 durch Sir Lauder Brunton die ersten chirurgischen Eingriffe an der Mitralklappe (Brunton u. Edin 1902). Cutler und Levine berichteten 1923 über die erste chirurgische Mitralklappensprengung über eine mediane Sternotomie (Cutler u. Levine 1923). Souttar führte 1925 die erste digitale Sprengung der Mitralklappe durch (Souttar 1925). Die ersten geschlossenen Sprengungen der Mitralklappe wurden von Harken, Bailey und Brock zeitgleich berichtet (Bailey 1949; Baker et al. 1950; Harken et al. 1948). Diese Pionierleistungen wurden vor der Ära der Herz-LungenMaschine erbracht. Mit der Einführung der extrakorporalen Zirkulation publizierte Lillehei erstmalig die Versorgung einer Mitralklappeninsuffizienz via linksseitiger Thorakotomie (Lillehei et al. 1957). McGoon berichtete 1960 über die Möglichkeit, die Mitralklappe zu rekonstruieren. Mit der Einführung von künstlichen Herzklappen ermöglichten Starr und Edwards im Jahre 1961 den ersten Mitralklappenersatz. Dieser erfolgte über eine Sternotomie (Starr u. Edwards 1961). Die extrakorporale Zirkulation und eine gute Exposition sind für die optimale chirurgische Versorgung essenziell. In den meisten Kliniken stellt die mediane Sternotomie mit Eröffnung des linken Vorhofs über den Sulcus interatrialis den favorisierten Zugang dar (7 Kap. 23). Eine gute Exposition der Mitralklappe und der subvalvulären Strukturen kann über den von Dubost und Kollegen beschriebenen biatrialen Zugang erreicht werden (Dubost et al. 1966). Über eine transseptale Inzision gelingt eine gute Exposition
des Mitralklappenapparats (Guiraudon et al. 1991). Cosgrove und Kollegen beschrieben 1996 einen rechtsseitigen parasternalen Zugang. Bei dieser Technik werden die Rippen 3 und 4 sowie zusätzlich die rechte A. mammaria interna reseziert. Der direkte Zugang zur Mitralklappe wird über den rechten Vorhof und durch das interatriale Septum erreicht (Navia u. Cosgrove 1996). Diese Strategie findet keine breite klinische Anwendung. Verschiedene chirurgische Zugangsformen sind in . Abb. 24.4 illustriert. Die von Carpentier und Chitwood beschriebenen Techniken (. Abb. 24.4d) und Instrumente (. Abb. 24.5) zur Minimierung des operativen Zugangs gelten als Pionierleistung auf dem Gebiet der Mitralklappenchirurgie (Carpentier et al. 1996; Chitwood et al. 1997a, b). Die endoluminale Klemmtechnik spielt in der Entwicklung der minimal-invasiven Mitralklappenchirurgie eine wichtige Rolle. Die Vor- und Nachteile dieser Methode sind im Abschnitt 24.2.3 gesondert diskutiert. Als eine sehr schonende, effektive und sichere minimalinvasie Methode hat sich die anterolaterale Minithorakotomie in Höhe des 4. Interkostalraums durchgesetzt (. Abb. 24.4d). Durch die imaginäre Projektion der Mitralklappenebene in Richtung auf rechter Schulter lässt sich über diesen Zugang sowohl die Mitral- als auch die Trikuspidalklappe – isoliert, aber auch in Kombination – exzellent exponieren und chirurgisch versorgen. Zusätzliche Prozeduren wie Vorhofablation bei Vorhofflimmern, Verschluss eines persistierenden Foramen ovale/ASD II oder Entfernung von Raumforderungen (z. B. Myxome) sind zeitgleich und unkompliziert durchführbar. Am Herzzentrum Leipzig wird dieser operative Zugang bei Primäreingriffen routinemäßig verwendet. Auch bei
. Abb. 24.4a–e. Minimal-invasive Mitralklappenchirurgie. Chirurgische Zugangsmöglichkeiten. a Rechtsseitige obere Sternotomie; b linksseitige obere Sternotomie; c linksseitige C-förmige partielle Sternotomie; d rechtsseitige anterolaterale Thorakotomie; e T-förmige obere Sternotomie
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675 24.3 · Aktuelle klinische Konzepte
. Abb. 24.5. Chitwood-Klemme
Re-Operationen (nach Sternotomie oder minimal-invasivem Zugang) stellt diese Technik eine sichere Alternative dar, insbesondere bei Risikopatienten. Bei der rechtslateralen Thorakotmie erfolgt die Lagerung des Patienten auf dem Rücken, wobei die rechte Thoraxseite um etwa 30° angehoben ist. Der rechte Arm wird auf einer Armlagerungsschiene gelagert und leicht abduziert. Externe Schockelektroden sollten primär platziert werden. Der erste chirurgische Schritt ist der femorale Anschluss der extrakorporalen Zirkulation. Dieser erfolgt klassischerweise über die Darstellung der rechten Leistengefäße. Bei elektiven Eingriffen hat es sich daher bewährt, die notwendige Herzkatheteruntersuchung unter Schonung der rechten Leistengefäße durchzuführen, da eine solche diagnostische Maßnahme zu Verletzungen und Hämatomen in diesem Bereich führen und somit eine Exposition der Gefäße erschweren kann. Die Leistengefäße werden exponiert und jeweils eine 4/0- oder 5/0-Prolenenaht als Tabaksbeutelnaht für die Kanülierung vorgelegt. Anschließend folgt in Seldinger-Technik die Kanülierung der Gefäße, beginnend mit der V. femoralis. Hierbei ist es von Vorteil, wenn gleichzeitig eine transösophageale Echokardiographie durchgeführt wird, um die korrekte Lage zu bestätigen. Erfolgt zeitgleich die Versorgung einer Trikuspidalklappenpathologie, wird zusätzlich eine venöse Kanüle perkutan über die V. jugularis eingelegt. Mögliche Komplikationen sind: Rupturen, insbesondere retroperitoneal gelegener Gefäße, und das Auftreten einer retrograden Dissektion. Aus diesem Grund erfolgt an unserer Klinik die simultane Untersuchung mittels transösophagealer Echokardiographie. Sollte der Anschluss der Herz-Lungen-Maschine nicht möglich sein, können die linken Leisten- oder die Axillargefäße verwendet werden. Anschließend erfolgt die laterale Thorakotomie. Die Länge der Hautinzision beträgt 4–6 cm. Die Inzision wird in einem leicht kaudel-konvexen Verlauf unterhalb der rechten Mamille geführt. Bei sehr adipösen Patienten und bei Frauen erweisen sich eine vorherige Markierung und eine spezielle Positionierung des Situs mittels einer Abdeckfolie als hilfreich. Nach anschließender subkutaner Präparation nach kranial und kontrollierter Durchtrennung oder Verschiebung der Muskelschicht folgt die Thorakotomie in Höhe des 4. Interkostalraums. Anschließend kommt
ein spezieller, gewebeschonender Retraktor (Tissue Soft Retraktor, Fa. Cardiovations, Somerville, USA) zur Anwendung, um den Thorax atraumatisch zu spreizen. Zusätzlich sind 3 weitere, etwa 1 cm lange Inzisionen notwendig. In einer imaginären Achse zwischen Mitralklappe und rechter Schulter erfolgt im Bereich des 2. Interkostalraums eine Stichinzision für die Videooptik. Diese wird über ein spezielles Portsystem in den Thorax eingeführt, über welches die gleichzeitige CO2-Insufflation (4–6 l/min) möglich ist. Die CO2-Insufflation ist essenziell und muss zu jedem Zeitpunkt intrakardialer Manipulationen gewährleistet sein. Die Videooptik kann an einen speziellen Haltearm oder einen sprachgesteuerten Roboterarm (Fa. Computer Motion, Santa Ana, USA) angeschlossen werden. Eine zweite Inzision ist in Höhe des 2. Interkostalraums in der vorderen Axillarlinie notwendig, um hier die von Chitwood entwickelte Aortenklemme (. Abb. 24.5) zu platzieren (Chitwood et al. 1997). . Abbildung 24.6 gibt einen Überblick über die Lagerung und die notwendigen Inzisionen bei minimal-invasiver Mitralklappenchirurgie, wie sie am Herzzentrum Leipzig routinemäßig eingesetzt wird. Nach Eröffnung des Interkostalraums erfolgt die Darstellung des Perikards. Dieses wird horizontal und parallel zum N. phrenicus eröffnet. Dabei ist auf einen ausreichenden Abstand zwischen Schnittführung und Nerv zu achten (etwa 2 cm). Nach Darstellung der Aorta ascendens folgt unter direkter oder indirekter Sicht (videoassistiert) die transversale Abklemmung der Aorta mittels Chitwood-Klemme bei gleichzeitig reduziertem Fluss der Herz-Lungen-Maschine. Dabei muss der Präparation und Abklemmung der Aorta größte Aufmerksamkeit gewidmet werden, um Verletzungen angrenzender Strukturen, insbesondere der A. pulmonalis oder des linken Vorhofohrs, während der Abklemmung zu vermeiden. Eine Verletzung dieser Strukturen hat in der Regel eine Sternotomie zur Folge. Diese Technik des »cross-clamping« wird bevorzugt. Alternativ kann die endoluminale Okklusion der Aorta mittels HeartPortTechnik erfolgen. Durch eine Vielzahl von Komplikationen haben zahlreiche Autoren diese Technik wieder verlassen (s. oben, 24.2.3). Um den linken Vorhof optimal exponieren und eröffnen zu können, erfolgt eine 3. kleine Inzision im 4. Inter-
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Kapitel 24 · Alternative Zugangswege und minimal-invasive Herzchirurgie
. Abb. 24.6. Lagerung, Schnittführung und Projektion der anatomischen Strukturen für den rechtsseitigen anterolateralen Zugang für die Mitral- und Trikuspidalklappenchirurgie (Leipzig-Technik)
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kostalraum parasternal rechts (. Abb. 24.6), um einen Vorhofretraktor und eventuelle Zug- oder Haltenähte inserieren zu können. Dabei sollten Verletzungen der A. mammaria interna durch direkte Sichtkontrolle vermieden werden. Neben der endoskopischen Führung einzelner Operationsschritte sind spezielle Instrumente für diese Technik erforderlich und entwickelt wurden (z. B. ChitwoodKlemme, HeartPort-Instrumente). Das Operationsfeld wird über das Kopflicht des Operateurs und eine Lichtquelle an der Videooptik ausgeleuchtet. Über ein angeschlossenes Dokumentations- und Videosystem lassen sich jeder einzelne Schritt der Operation sowie die Pathologie und das Resultat des Eingriffs digitalisiert aufnehmen. Eine intelligente Anordnung der Monitore ermöglicht es, dass der Assistent und alle weiteren Beteiligten die chirurgischen Schritte zu jedem Zeitpunkt der Operation nachvollziehen können. Über den rechtsseitigen anterolateralen Zugang kann sowohl der linke – über die Präparation des Sulcus interatrialis – als auch der rechte Vorhof direkt eröffnet werden. Für die isolierte oder zeitgleiche Versorgung der Trikuspidalklappe ist zwecks kompletter Hohlvenenokklusion eine zusätzliche Kanülierung über die V. jugularis notwendig. Die Anlage der venösen Kanüle erfolgt bereits während der Einleitung durch die Kardioanästhesie. Beide venösen Schenkel werden dann über ein Y-Stück mit der HerzLungen-Maschine konnektiert. Die obere und die untere Hohlvene lassen sich über ein Tourniquet oder mittels großer, atraumatischer Klemmchen verschließen. Mit einer speziellen Kanüle wird die Kardioplegielösung in üblicher Weise in die anterolaterale Wand der Aorta ascendens – nach Klemmung derselben – appliziert. Anschließend leitet man diese Kanüle über die Inzision für den Vorhofretraktor nach außen und kann sie auf diese Weise zur späteren Entlüftung (Needle-Vent) benutzen. Der Verschluss der Punktionsstelle erfolgt in üblicher Technik.
! Auch und insbesondere bei Rezidiveingriffen kann die Operation am schlagenden oder flimmernden Herzen durchgeführt werden.
Nach Rekonstruktion oder Ersatz der entsprechenden Herzklappe erfolgt der Verschluss des Vorhofs bei gleichzeitiger Entlüftung und Blutstillung. Hier sei nochmals auf die von uns durchgeführte suffiziente und kontinuierliche CO2-Insufflation während der Operation hingewiesen. Über die Inzisionsstelle der Videooptik kann eine Thoraxdrainage eingelegt werden. Anschließend erfolgen die Entwöhnung von der Herz-Lungen-Maschine, die Adaptation der Rippen mit Vicryl und der schichtweise Wundverschluss. Zur postoperativen Schmerztherapie sollte man lokal ein Schmerzmittel applizieren. Einige Kliniken verfolgen das Konzept einer komplett endoskopischen, telemanipulatorassistierten Chirurgie. Erste klinische Studien sind diesbezüglich vorhanden, jedoch nur mit einer limitierten Anzahl von Patienten, sodass weitere Resultate abzuwarten sind. Zusätzlich ist dieses Konzept mit einem erheblichen personellen und technischen Aufwand verbunden. Zudem müssen ein intensiver Lernprozess und ein ständiges Training Bestandteile der Anwendung sein (Casselman et al. 2007; Chitwood 2005; Folliguet et al. 2006; McClure et al. 2006; Nifong et al. 2005; Woo u. Nacke 2006; Woo et al. 2006). Fazit. Diese Strategie besitzt derzeit eher experimentellen
Charakter. Ein relevanter Vorteil ließ sich bisher nicht herausarbeiten. Ergebnisse. Eine aktuelle Studie unserer Klinik untersuchte
die Kurz- und Langzeitergebnisse der minimal-invasiven rechtsanterolateralen Thorakotomie. Insgesamt wurden 1760 Patienten analysiert. Die mittlere Bypasszeit betrug 122 ± 41 min und die Ischämiezeit 70 ± 35 min. Die 30-Tages- und die Einjahresletalität lagen bei isolierter Mitralklappenrekonstruktion bei 2,4 % und 5 % sowie bei
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isoliertem Mitralklappenersatz bei 3,7 % und 11,2 %. Lediglich bei 7 Patienten war eine Konversion zur medianen Sternotomie erforderlich; ursächlich waren unbeherrschbare Blutungen, ein nicht einsehbarer Situs oder ausgeprägte Verwachsungen. Bei 494 Patienten wurden zusätzliche Eingriffe wie Vorhofablation (n = 305), Trikuspidalklappenrekonstruktion (n = 94) und Verschluss eines persistierenden Foramen ovale (n = 95) durchgeführt. Die mittlere Follow-up-Dauer lag bei 28,4 ± 23,5 Monaten bei einer Follow-up-Rate von 99 % (Seeburger et al. 2008). Im Gegensatz zu dieser Arbeit zeigt eine Analyse aus der ClevelandKlinik, dass die Rate der Mitralklappenrekonstruktionen nach lateraler Thorakotomie geringer ausfiel als nach medianer Sternotomie, auch fand sich in dieser Gruppe eine höhere Rate an Schlaganfällen. Die Autoren schlussfolgern, dass – in den meisten Fällen – die mediane Sternotomie die zu bevorzugende Methode ist (Svensson et al. 2007). Die Ergebnisse dieser Studie basieren jedoch auf einer geringen Anzahl an Patienten und sind bezüglich der Aussage als limitierend anzusehen. Komplett endoskopische, telemanipulatorassistierte Verfahren sind derzeit Gegenstand der klinischen Evaluation. Ergebnisse aus der Arbeitsgruppe von Chitwood zeigen, dass 341 videoassistierte und 100 komplett telemanipulatorassistierte Prozeduren (Da-Vinci-System) bezüglich der 30-Tages-Letalität vergleichbar waren (2,2 % vs. 1,0 %). In beiden Gruppen erfolgten komplexe Mitralklappenrekonstruktionen. Dennoch beobachteten die Autoren, dass die Klemm-, Bypass- und Operationszeiten in der Da-Vinci-Gruppe signifikant länger waren (Chitwood 2005). In einer aktuellen Arbeit von Vanermen und Kollegen konnte gezeigt werden, dass – insbesondere bei Patienten mit stattgehabter Herzoperation – der videoassistierte minimal-invasive Zugang zur Mitralund Trikuspidalklappe nicht nur sicher durchführbar, sondern dass zudem die 4-Jahres-Letalität niedriger ist als die statistisch erwartete Letalität (Casselman et al. 2007). 24.3.4.1
Perkutane minimal-invasive Strategie
Wie die Aortenklappe, so steht auch die Mitralkalppe im Focus intensiver Forschungsbemühungen, perkutane Strategien zu entwickeln. Diesbezüglich wurde in Kooperation verschiedener Fachgesellschaften (Society of Thoracic Surgeons, American Association of Thoracic Surgery, Society for Cardiovascular Angiography and Interventions, American College of Cardiology Foundation, American Heart Association, European Association for Cardio-Thoracic Surgery) ein Positionspapier zum perkutanen Klappenersatz erstellt (Thomas et al. 2005). Das Ziel perkutaner Techniken besteht darin, über Katheterverfahren, unter Vermeidung einer Sternotomie und einer Herz-Lungen-Maschine sowie am schlagenden Herzen Systeme zu platzieren, um eine Mitralklappenpathologie zu versorgen. Historisch betrachtet stellt die perkutane Ballonvalvuloplastie ein etabliertes Verfahren zur Behandlung einer
Mitralklappenstenose dar und wird auch noch heute als Alternative – insbesondere bei alten Patienten – diskutiert und angewendet. Limitationen des Konzepts liegen in der eingeschränkten Haltbarkeit und Effektivität der Mitralklappensprengung. Dieses Vorgehen kann jedoch bei bestimmten Patienten als Bridging-Verfahren für eine spätere operative Sanierung angesehen werden (Kim et al. 2007; Oukerraj et al. 2007). Derzeit werden 2 unterschiedliche perkutane Strategien evaluiert: die »Edge-to-edge«-Technik mittels Clip oder Naht (»double«/»triple orifice technique«) und die partielle Anuloplastie durch Implantation von stabilisierenden Systemen in den Koronarsinus, um dadurch die Zirkumferenz des posterioren Mitralanulus zu minimieren. Das EVEREST-Register (Endovascular valve Edgeto-edge REpair Studies) fasst die ersten klinischen Ergebnisse des »Double-orifice«-Konzepts zusammen (EVEREST Registry 2007). Nach Implantation des MitraClip Device (Fa. Evalve Inc., Menlo Park) ließ sich eine signifikante Reduktion der Mitralklappeninsuffizienz nachweisen (EVEREST Registry 2007; Feldman et al. 2005; Webb et al. 2006). Kritisch zu diskutieren ist, ob sich alle relevanten Pathologien der Mitralkalppe mit dieser Technik korrigieren lassen, insbesondere bei Verkalkungen und restriktiver Klappenpathologie (z. B. Carpentier-Typ-III-Dysfunktion). Zeitgleiche Prozeduren wie Vorhofablation oder Rekonstruktion einer relevanten Trikuspidalklappeninsuffizienz limitieren diese Technik. Potenzielle Probleme stellen die anatomischen Beziehungen folgender Strukturen dar (Tops et al. 2007): 4 posteriorer Mitralklappenanulus, 4 Koronarvenensinus, 4 A. circumflexa. Wesentliche Voraussetzung für die effektive und sichere Implantation ist eine parallele Beziehung zwischen Anulus und Koronarvenensinus – was gleichzeitig einen limitierenden Faktor darstellt. Zusätzlich kann der Koronarvenensinus für eine eventuelle retrograde Gabe der Kardioplegielösung oder eine kardiale Resynchronisationstherapie nicht mehr benutzt werden. Die ersten klinischen Ergebnisse tragen experimentellen Charakter und sind nicht mit den derzeitigen hohen Standards und den exzellenten Ergebnissen der rechtsseitigen anterolateralen direkten minimal-invasiven Mitralklappenchirurgie zu vergleichen. Zusammenfassung. Früh- und Langzeitergebnisse haben
den Nutzen, die Sicherheit und die Reproduzierbarkeit der rechtsseitigen anterolateralen Thorakotomie als alternativen Zugang zur Versorgung der Mitral- und Trikuspidalklappe nachgewiesen. Zusätzliche chirurgische Therapien wie Vorhofablation oder Verschluss eines persistierenden Foramen ovale/ASD II sind gleichzeitig durchführbar.
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Kapitel 24 · Alternative Zugangswege und minimal-invasive Herzchirurgie
Auch bei Re-Operationen und multimorbiden Patienten findet diese Methode breite Anwendung. Die nur teilweise Eröffnung des Perikards ist eine weitere protektive Maßnahme, insbesondere für spätere Sternotomien. Ungeachtet der Akzeptanz dieser minimal-invasiven Technik sprechen viele Vorteile dafür, diese Methode als Goldstandard zu betrachten. Videoassistierte, endoskopische Verfahren sind aus heutiger Sicht sicher durchführbar, erfordern aber einen stetigen Lernprozess und ein intensives Training. Komplett endoskopisch telemanipulatorassistierte Verfahren sind derzeit nur auf sehr wenige Zentren beschränkt und stellen interessante, aber aufwendige Alternativen dar. Perkutane Strategien – welcher Art auch immer – sind eine noch fragliche Option. Bedingt durch die geringe Anzahl klinischer Studien ist diese Methode – im Gegensatz zum perkutanen Aortenklappenersatz – derzeit noch als experimentell zu betrachten.
24.3.5
Koronararterielle Revaskularisation
Die 4 wesentlichen Ansatzpunkte minimal-invasiver Strategien der koronararteriellen Revaskularisation (7 Kap. 20) sind: 4 chirurgischer Zugang, 4 Verwendung der Herz-Lungen-Maschine, 4 Chirurgie am schlagenden Herzen (Vermeidung einer Ischämie), 4 Kombination mit interventionellen Methoden (Hybridverfahren).
endoskopischen und computerassistierten Durchführung der Bypassoperation, wobei die traditionellen Anforderungen an den Operateur – wie perfekte chirurgische Fähigkeiten – durch neue Eigenschaften wie visuelles, räumliches und technisches Verständnis erweitert werden. Eine detaillierte Darstellung erfolgt im Abschnitt 24.4.2. 24.3.5.1
Alternative Inzisionen
Der klassische Zugang über eine komplette mediane Sternotomie ist nicht immer zwingend erforderlich. . Abbildung 24.7 illustriert Zugangsmöglichkeiten für die Revaskularisation über eine inkomplette Sternotomie. Insbesondere bei Stenosen des R. interventricularis anterior hat sich die Technik der linksseitigen anterolateralen Minithorakotomie (MIDCAB) – bereits im Jahre 1967 von Kolessov beschrieben (Kolessov 1967) – in vielen Zentren als Standardmethode etabliert (. Abb. 24.8a). Weitere unterschiedliche Zugangsmöglichkeiten und Präparationstechniken sind in der Literatur beschrieben (. Abb. 24.7 u. 24.8): 4 thorakoskopische Präparation der linken A. mammaria interna (Benetti et al. 1991, 1995), 4 subxiphoidaler oder transabdominaler Zugang (Subramanian 1997; Subramanian u. Patel 2000), 4 erweiterte linksanteriore Minithorakotomie (Calafiore et al. 1996), 4 rechts parasternale Thorakotomie (Stanbridge et al. 1997).
Aufgabe ist es, über einen limitierten chirurgischen Zugang eine gute und sichere Exposition des Zielgefäßes zu erreichen und durch den Verzicht auf die Herz-LungenMaschine das operative sowie das immunologische Trauma zu reduzieren. ! Prinzipiell gilt, dass eine minimal-invasive Methode mindestens genauso sicher und effektiv sein muss wie die Standardmethode. Weiterhin soll durch Hybridverfahren das operative Risiko gering gehalten werden.
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Voraussetzungen ist nicht nur die Entwicklung entsprechender Instrumente, sondern auch eine intelligente Operationsführung. Als »off-pump coronary artery bypass« (OPCAB) werden Operationen bezeichnet, die ohne Verwendung der Herz-Lungen-Maschine mit kompletter medianer oder partieller Sternotomie durchgeführt werden. Als »minimally invasive direct coronary artery bypass« (MIDCAB)
bezeichnet man Operationen ohne Herz-Lungen-Maschine, die über eine Minithorakotomie, aber mit direkter Sicht auf das Myokard durchgeführt werden. Der »totally endoscopic coronary artery bypass« (TECAB) stellt ein innovatives, aber noch als experimentell zu betrachtendes Verfahren dar. Das Prinzip dieser Technik besteht in der komplett
. Abb. 24.7a–d. Minimal-invasive Zugangsmöglicheiten zur koronaren Bypasschirurgie über eine inkomplette Sternotomie. a Linksseitige partielle C-förmige Sternotomie; b untere linksseitige L-förmige Sternotomie; c untere T-förmige Sternotomie; d obere linksseitige L-förmige Sternotomie
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. Abb. 24.8a–d. Minimal-invasive Zugangsmöglichkeiten zur koronaren Bypasschirurgie über eine Thorakotomie. a Linksseitige anterolaterale Minithorakotomie; b rechtsseitige anterolaterale Minithorakotomie; c erweiterte linksseitige anterolaterale Thorakotomie; d subxiphoidaler transabdominaler Zugang
Mit der Entwicklung spezieller Instrumente wie Rippenretraktoren und Stabilisatoren hat sich das MIDCAB-Verfahren zur Revaskularisation des R. interventricularis anterior unter Verwendung der linken A. mammaria interna als Methode der Wahl mit exzellenten klinischen Langzeitergebnissen durchgesetzt (Al-Ruzzeh et al. 2004; Boodwhani et al. 2006; Calafiore et al. 1998; Diegeler et al. 1998; Fraund et al. 2005; Holzhey et al. 2007; Kettering et al. 2004; O’Keefe et al. 1999; Thiele et al. 2005). Bei dieser Technik erfolgt die Schnittführung leicht bogenförmig unterhalb der linken Brust auf einer Länge von etwa 6 cm. Zusätzlich lassen sich Anastomosen im Bereich eines Diagonal- oder Posterolateralasts durchführen, wobei eine Erweiterung der Thorakotomie hilfreich sein kann. Bei einer koronaren Zweigefäßerkrankung kann man alternativ ein Hybridverfahren strategisch diskutieren. Insbesondere bei multimorbiden Patienten gilt dieses Konzept als Alternative. Das bedeutet, dass das zweite Gefäß im Rahmen einer zeitgleichen oder weiteren Prozedur mittels perkutaner Koronarintervention versorgt wird. Ein direktes Abklemmen der Aorta oder die Anlage einer zentralen Anastomose ist mit dieser Technik nicht möglich. Jedoch erfolgt in fast allen Fällen die Revaskularisation am schlagenden Herzen. In besonderen Fällen kann die Herz-Lungen-Maschine über die Leistengefäße angeschlossen werden. Einige Autoren favorisieren die endoluminale Klemmtechnik, wie sie bei der telemanipulatorassistierten Bypasschirurgie Anwendung findet.
Die MIDCAB-Technik ist auch zur Revaskularisation der rechten Koronararterie anwendbar. Über eine rechtsseitige anterolaterale Minithorakotomie (. Abb. 24.8b) kann die rechte A. mammaria interna exponiert, präpariert und mit der rechten Koronararterie anastomosiert werden (Stanbridge et al. 1997). Weitere alternative Zugänge sind (Gulielmos et al. 1998, 1999): 4 partielle untere mediane Sternotomie, 4 partielle linksseitige Sternotomie, 4 obere linksseitige anterolaterale Thorakotomie, eine am Herzzentrum Dresden entwickelte Technik (. Abb. 24.8c). Bei der zuletzt genannten Technik erfolgt die Thorakotomie im 3. Interkostalraum links, wobei zumeist eine Rippe durchtrennt wird, um eine ausreichende Exposition zu erhalten. Der Vorteil dieser Methode besteht in der Darstellung der Aorta ascendens und des rechten Vorhofs. Somit kann die Herz-Lungen-Maschine angeschlossen und es können zentrale Anastomosen angelegt werden. Die partielle untere mediane Sternotomie bietet den Vorteil, dass beide Aa. mammariae präpariert werden können und sich alle Koronargefäße versorgen lassen (Walterbusch 1998). Der von Subramanian bechriebene subxiphoidale transabdominale Zugang (Abb.8d) ist zur Revaskularisation unter Verwendung der A. gastroepiploica sowie der rechten und der linken A. mammaria interna geeignet (Subramanian 1997; Subramanian u. Patel 2000). Bezüglich der Qualitätssicherung erfolgt nach Anlage der koronararteriellen Anastomose eine Bypasskontrolle. Als Routineverfahren hat sich die Dopplerflussmessung etabliert. Diese Technik wird auch bei minimal-invasiven Methoden eingesetzt. Zudem kann intra- oder postoperativ eine angiograpische Kontrolle erfolgen. Ergebnisse. Die von verschiedenen Autoren publizierten Daten zeigen, dass sich die minimal-invasive direkte Revaskularisation zu einer Standardmethode entwickelt hat und im Vergleich zur katheterinterventionellen Revaskularisation bezüglich der Freiheit von einer Re-Intervention überlegen ist (Al-Ruzzeh et al. 2004; Boodwhani et al. 2006; Calafiore et al. 1998; Diegeler et al. 1998; Fraund et al. 2005; Holzhey et al. 2007; Kettering et al. 2004; O’Keefe et al. 1999; Thiele et al. 2005). Auch konnte in einigen Studien bezüglich Freiheit von Angina pectoris und klinischer Symptome eine Überlegenheit der MIDCAB-Prozedur verifiziert werden (Boodwhani et al. 2006; Thiele et al. 2005). Im Vergleich zur Sternotomie fanden sich neben einer Reduktion von Wundinfektionen und postoperativen Schmerzen eine bessere Rekonvaleszenz und eine verkürzte Krankenhausverweildauer. Die perioperative Letalität liegt bei <1 % bei exzellenten Langzeitergebnissen (Boodwhani et al. 2006). Bereits 1998 berichtete Calafiore im Rahmen einer der ersten großen Studien über die Effektivität und die Sicherheit
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Kapitel 24 · Alternative Zugangswege und minimal-invasive Herzchirurgie
der minimal-invasiven Revaskularisation. Die Konversionsrate betrug in dieser Serie 5,7 %, und die 30-Tages-Letalität lag bei 1,1 % (Calafiore et al. 1998). Die frühpostoperative Letalität bei einer eigenen Studie mit >1300 MIDCABPatienten belief sich auf 0,8 % (n = 11), wobei die perioperative Apoplexierate bei 0,4 % lag (n = 5). Eine Konversion zur medianen Sternotomie war bei 1,7 % der Patienten (n = 23) notwendig, bedingt durch schwere pleurale Adhäsionen, einen intramyokardialen Verlauf des R. interventricularis anterior, ein Bypassversagen oder Blutungen. Bei 709 Patienten wurde routinemäßig eine postoperative Angiographie durchgeführt. Dabei zeigte sich in 95,6 % der Fälle eine regelrechte Bypassfunkion. Von den insgesamt 1347 Patienten mussten sich im frühpostoperativen Verlauf 10 Patienten einer perkutanen Koronarintervention und 45 Patienten einer erneuten Bypassoperation unterziehen (4,1 %). Die 5- und die 7-Jahres-Überlebensraten lagen bei 91,9 % bzw. 89,4 %. Die Raten der Freiheit von kardialen und neurologischen Komplikationen (»major adverse cardiac and cerebrovascular events«, MACCE) nach 5 und 7 Jahren beliefen sich auf 89,5 % und 83,3 %. Diese Operationstechnik ist auch als Re-Operation sicher durchführbar (Holzhey et al. 2007). O’Kefee und Kollegen berichteten im Vergleich zur perkutanen Ballonangioplastie und zur Stentimplantation über eine deutlich reduzierte Re-Interventionsrate nach Bypasschirurgie (linke A. mammaria interna auf R. interventricularis anterior). Bezüglich der Letalität ergab sich kein Unterschied, jedoch war ein Trend zu einer geringeren Letalität in der Bypassgruppe im Vergleich zur Stent- und zur Angioplastiegruppe zu erkennen (O’Keefe et al. 1999). In einer randomisierten Studie (MIDCAB vs. perkutane Koronarintervention bei isolierter koronarer Eingefäßerkrankung) konnte die Arbeitsgruppe um Cremer bezüglich Letaliät keinen Unterschied ausmachen. Jedoch gab es auch in dieser Studie bezüglich der Re-Interventionsrate einen signifikanten Unterschied. Nach einer mittleren Follow-up-Dauer von 5 Jahren betrug die Re-Interventionsrate in der Koronarinterventionsgruppe 24 % (Fraund et al. 2005). Bereits 2002 publizierte Diegeler in einer randomisierten Studie eine signifikante Überlegenheit der minimal-invasiven direkten Revaskularisation (MIDCAB) bezüglich Re-Interventionsrate und Freiheit von Angina pectoris bei symptomatischen Patienten mit hochgradiger proximaler Stenose des R. interventricularis anterior (Diegeler et al. 2002). In einer Metaanalyse von 1110 Patienten zeigte sich eine deutliche Überlegenheit der chirurgischen Versorgung des R. interventricularis anterior gegenüber der perkutanen Koronarintervention bezüglich Letalität, MACCE-Rate und Freiheit von Angina pectoris (Boodwhani et al. 2006). In einer eigenen randomisierten Studie verglichen wir bei Patienten mit isolierter Stenose des R. interventricularis anterior die minimal-invasive Revaskularisation (MIDCAB) mit der perkutanen Koronarintervention (»Bare-metal«-Stent). Nach 5 Jahren zeigte sich bezüglich Letalität und Re-Infarktrate kein signifikna-
ter Unterschied, jedoch lag die Re-Interventionsrate in der Koronarinterventionsgruppe signifikant höher, und bezüglich der klinischen Symptomatik (Klassifikation der Canadian Cardiovascular Society) war ein Trend zugunsten der MIDCAB-Gruppe erkennbar (Thiele et al. 2005). Insgesamt belegen die publizierten Daten, dass die minimal-invasive direkte Revaskularisation sicher und effektiv durchführbar ist und auch als Standardverfahren angesehen werden kann. Inwieweit sich diese Verfahren als Hybrideingriff etabliert, bleibt abzuwarten, jedoch kann bereits jetzt konstatiert werden, dass diese Methode insbesondere bei multimorbiden Patienten eine mögliche und sinnvolle Alternative darstellt. 24.3.5.2
»Off-pump«-Strategie
Mit Einführung der Herz-Lungen-Maschine – eine Innovation der Anfänge der Herzchirurgie – wurde ein hoher Qualitätsstandard in der Bypasschirurgie erreicht, auch wenn die ersten koronaren Bypassoperationen unter Verwendung der A. thoracia interna durch Kolessov ohne Herz-Lungen-Maschine durchgeführt wurden (Kolessov 1967). Dennoch stellt der kardiopulmonale Bypass ein erhebliches operatives und immunologisches Trauma dar. Neben der Manipulation an den großen thorakalen Gefäßen, der kaskadenartigen Aktivierung des Immunsystems, der aktiven Veränderung der Bluttemperatur und des laminaren Blutflusses ist der Einsatz der Herz-Lungen-Maschine nicht ohne Risiko. Die Aktivierung des Immunsystems führt zur Freisetzung von vasoaktiven Substanzen und Zytokinen. Diese Immunantwort zieht eine gesteigerte kapilläre Permeabilität mit Sequestration neutrophiler Zellen und gesteigerter Mikroembolisierung nach sich. Im Resultat ergibt sich ein vasoplegisches Syndrom (Brasil et al. 1998; Gomes et al. 2003). Die Vermeidung des Einsatzes der Herz-Lungen-Maschine hat eine verminderte Freisetzung von Zytokinen, insbesondere von Interleukin 8, zur Folge, was zu einer Reduktion der inflamatorischen Reaktion und zu einem geringeren myokardialen Schaden führt (Deng et al. 1996). Insbesondere ist das Risiko bei Verwendung einer Herz-LungenMaschine unter Notfallbedingungen und bei zunehmender Komorbidität erhöht (Brasil et al. 1998; Buffolo 1991; Buffolo et al. 2006; Palmer et al. 2007; Rastan et al. 2006). Verletzungen der Aorta ascendens, wie die Induktion einer akuten Dissektion oder die Mobilisation von Plaqueoder Kalkfragmenten, die zu zerebrovaskulären Komplikationen führen, sind typische Komplikationen bei der Platzierung der Herz-Lungen-Maschine (Santi Trimarchi et al. 2005). Erst durch die Arbeiten von Benetti (Benetti 1985; Benetti et al. 1991) und Buffolo (Buffolo 1991) in den frühen 1980er Jahren kam es zu einer Renaissance der Operationen am schlagenden Herzen.
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Eine der wichtigsten Entwicklungen der modernen »Off-pump«-Koronarchirurgie ist die von Benetti und Calafiore propagierte Technik der direkten Anstomose zwischen linker A. mammaria interna und R. interventricularis anterior am schlagenden Herzen über eine linkslaterale Minithorakotomie (Benetti 1991; Calafiore et al. 1996). Bedingungen für die Chirurgie am schlagenden Herzen sind:
4 gute Exposition und Stabilisierung des Zielgefäßes, 4 temporäre Unterbrechung des koronaren Bluttflusses während der Anastomosierung ohne irreversible Ischämie des Myokardareals, 4 Aufrechterhaltung eines suffizienten Kreislaufs durch das Herz während der Anastomosierung, 4 korrekte Reihenfolge der Revaskularisationen. ! Durch die Entwicklung neuer Instrumente und chirurgischer Maßnahmen, die zu einer effizienten Immobilisation und Darstellung des Zielgefäßareals führen, und durch die Kooperation mit der modernen Kardioanästhesie ist die Bypasschirurgie am schlagenden Herzen mit und ohne Einsatz der Herz-Lungen-Maschine mit hoher Qualität möglich und in vielen Kliniken Standard.
Im Gegensatz zur »On-pump«-Chirurgie ist es von großer Wichtigkeit, die Reihenfolge der zu revaskularisierenden Gefäße entsprechend ihrer klinischen Bedeutung zu wählen. Der chirurgische Zugang kann dabei über die klassische mediane Sternotomie, die partielle Sternotomie, die laterale linksseitige oder rechtsseitige Minithorakotomie oder subxiphoidal erfolgen. Für eine optimale myokardiale Physiologie während Luxation und Bypassanstomosierung sollte eine Reduktion der Druckanstiegsgeschwindigkeit, der Herzfrequenz und der Nachlast erfolgen. Eine ischämische oder pharmkologische Präkonditionierung kann hilfreich sein. Zur Steuerung des Volumenhaushalts nutzt man das TrendelenburManöver. Die Anlage zentraler Anastomosen ist nicht zwingend erforderlich, insbesondere bei stark verkalkter Aorta. Als Alternative bietet sich – besonders bei komplett arterieller Revaskularisation – die Analge von T- und Y-Anastomosen in die linke A. mammaria interna an. Mit dieser Technik lassen sich unter Verwendung der rechten A. mammaria interna oder der A. radialis alle Gebiete versorgen (Racz et al. 2004; Santi Trimarchi et al. 2005). Für zentrale Anastomosen kann ein partielles Ausklemmen erfolgen. Neue Konnektorsysteme bieten zudem die Möglichkeit, relativ atraumatisch zentrale wie auch proximale Anastomosen herzustellen.
et al. 2007). In einer Vielzahl von Studien konnten die Effektivität und die Sicherheit der »Off-pump«-Bypasschirurgie nachgewiesen werden, insbesondere bezüglich neurokognitiver Funktionen, Beatmungsdauer, Blutverlust, Behandlungsdauer, des Auftretens postoperativen Vorhofflimmerns und renaler Dysfunktion und somit einer optimalen Ausschöpfung aller Ressourcen. Hinsichtlich Letalität und Bypassfunktion besteht im Vergleich zur konventionellen Stategie keine Überlegenheit (Biancari et al. 2007; Palmer et al. 2007; Puskas et al. 2004; Rastan et al. 2006; Sellke et al. 2005). Andererseits zeigt eine im Jahre 2007 veröffentlichte, randomisierte Studie, dass die »Off-pump«-Chirurgie hinsichtlich neurokognitiver Funktion und Überleben nach 5 Jahren keinen Vorteil hat (van Dijk et al. 2007). Dennoch profitieren Patienten mit akutem Myokardinfarkt von dieser operativen Strategie (Racz et al. 2004; Rastan et al. 2006). Des Weiteren haben ältere Patienten, Hochriskopatienten sowie Patienten mit verkalkter Aorta/Porzellanaorta, zerebraler Insuffizienz oder Demenz einen Vorteil. Auch bei Re-Operationen ist diese Technik sicher anwendbar. Sellke und Kollegen publizierten 2005 eine allgemeine Übersicht über die Ergebnisse der koronaren Revaskularistaion mit und ohne Herz-LungenMaschine. Bezüglich des Outcomes unterschieden sich die Gruppen nicht, jedoch war ein Trend zu einer Reduktion der transfundierten Blutkonserven, zu einer Verminderung renaler und neurokognitiver Dysfunktionen sowie zu einer verringerten Herzenzymfreisetzung in der »Off-pump«Gruppe zu beobachten (Sellke et al. 2005). Zusammenfassung. Trotz der sehr guten Ergebnisse der konventionellen koronararteriellen Revaskularisation lässt sich zusammenfassend festhalten, dass die moderne Koronarchirurgie mit 4 wesentlichen Faktoren konfrontiert ist, woraus ein nicht unerheblicher Anspruch entsteht: 4 zunehmende Multimorbidität der Patienten, 4 Zunahme von Re-Operationen (bedingt durch eine sich verändernde Bevölkerungsstruktur), 4 multiple kardiologische Interventionen, 4 hoher und immer progressiver werdender interventioneller Standard.
Diese Faktoren erfordern schonende operative Strategien wie: 4 Revaskularisation am schlagenden Herzen mit und ohne kardiopulmonalen Bypass, 4 Minimierung des operativen Zugangs (MIDCAB), 4 Auswahl arterieller Grafts. 24.3.6 Präparation von Bypassmaterial
Ergebnisse. Diese sollen hier nur orientierend erwähnt
werden (7 Kap. 20). In Deutschland lag der »Off-pump«Anteil der koronararteriellen Revaskularisationen im Jahre 2006 bei 10,1 %, mit steigender Tendenz (Gummert
Zunehmend setzen sich endoskopische, minimal-invasive Verfahren zur Gewinnung von Bypassmaterial durch. Die endoskopische Entnahme der V. saphena magna und auch
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Kapitel 24 · Alternative Zugangswege und minimal-invasive Herzchirurgie
die videoassistierte Präparation der A. radialis sind akzeptierte und in vielen Kliniken praktizierte Standards (Buklas et al. 2005; Cable u. Dearani 1997; Cable et al. 1998; Connolly et al. 2002; Patel et al. 2004). In klinischen Studien konnten mit diesen Techniken die gute histologische Struktur und insbesondere die intakte Endothelfunkion der Gefäße nachgewiesen werden (Aziz et al. 2005; Fabricius et al. 2000). Zudem traten insbesondere bei adipösen Patienten weniger Wundheilungsstörungen auf (Cable u. Dearani et al. 1997). Bei der minimal-invasiven Technik der Venenentnahme werden 2. unterschiedliche Verfahren beschrieben: 4 Präparation unter direkter Sicht (Cable et al. 1998), 4 Präparation unter endoskopischer Sicht (Buklas et al. 2005; Tevaearai et al. 1997).
24.3.7 Rhythmuschirurgie
Durch die Evaluation verschiedener Energieformen, minimal-invasiver Zugänge und komplett endoskopischer Techniken hat sich die chirurgische Therapie des Vorhofflimmerns dynamisch entwickelt. Basierend auf der theoretischen Annahme existierender elektrischer Trigger im Bereich der Pulmonalvenen und der Vorhöfe entstand das Konzept der chirurgischen Isolation dieser Foci. Bezüglich der Vorhofablation stellt die Maze-Prozedur eine der effektivsten chirurgischen Methoden dar, wobei die Eröffnung des linken und des rechten Vorhofs notwendig ist. Unabhängig von den zum Einsatz kommenden Energieformen (monopolar, bipolare Radiofrequenz, Mikrowelle, Kryoenergie, Ultraschall) kann eine sichere und effektive Therapie des isolierten Vorhofflimmerns über eine rechtslaterale Minithorakotomie mit Insertion der HerzLungen-Maschine über die Leistengefäße erfolgen. Häufig wird die Behandlung des Vorhofflimmerns in Kombination mit anderen herzchirurgischen Eingriffen (Mitral-, Trikuspidal- und Aortenklappenchirurgie, koronararterielle Revaskularisation mit und ohne Herz-Lungen-Maschine) durchgeführt. Die isolierte Pulmonalvenenablation ist am schlagenden Herzen möglich, auch ohne Verwendung der Herz-Lungen-Maschine. Über die erfolgreiche Therapie des isolierten Vorhofflimmerns am schlagenden Herzen über einen minimalinvasiven oder komplett endoskopischen Zugang (»right side MiniMAZE«, »left side MiniMaze«) berichten verschiedene Arbeitsgruppen (Saltman et al. 2003; Vigilance et al. 2006; Wolf et al. 2005). Die chirurgische Erfolgsrate scheint dabei auch von der Isolation der ganglionären Plexus (parasympathische Innervation) abhängig zu sein (Mehall et al. 2007). Zudem sind komplett telemanipulatorassistierte Ablationstechniken beschrieben worden (Garrido et al. 2004).
Die interventionelle Behandlung des Vorhofflimmerns stellt eine alternative Therapieform dar. Dabei erfolgt die antiarrhythmische Therapie durch gezielte elektrische Ablation im rechten und linken Vorhof, aber auch in den Pulmonalvenen mit sehr guten klinischen Ergebnissen, jedoch auch mit Komplikationen (O’Neill et al. 2007). Ergebnisse. Es stehen sichere minimal-invasive Techniken
zur Therapie des Vorhofflimmerns zur Verfügung. Isoliertes Vorhofflimmern kann – in Analogie zur minimalinvasiven Mitralklappenchirurgie – chirurgisch versorgt werden. Alternativ besteht die Möglichkeit zur bilateralen videoassistierten thorakoskopischen Pulmonalvenenablation ohne Herz-Lungen-Maschine. Konkurrierend müssen sich die chirurgischen mit den interventionellen Ergebnissen vergleichen, wobei randomisierte Studien bisher noch ausstehen (7 Kap. 26).
24.4
Neue klinische Konzepte
24.4.1 Hybridstrategie
Unter dem Hybridverfahren versteht man die Kombination chirurgischer und interventioneller Methoden zur Behandlung einer relevanten Pathologie, die zeitgleich oder versetzt durchgeführt werden. Das Ziel besteht darin, minimal-invasive Techniken und operative »Teillösungen« mit interventionellen Verfahren zu kombiniren, um so das Risko möglichst gering zu halten. Diese neue, noch diskutierte Form der Therapie findet derzeit bei Patienten mit koronarer Mehrgefäßerkrankung, Klappenvitien oder Erkrankungen an den großen thorakalen und abdominalen Gefäßen sowie in der Kinderherzchirurgie Anwendung. Das Verfahren erfordert eine enge Kooperation der einzelnen Fachdisziplinen und eine strategische Planung der Prozeduren. Zunehmende Verbreitung findet die kombinierte operative (MIDCAB; Letalität: <1 %) und interventionelle (perkutane Koronarintervention) Revaskularisation, insbesondere bei Risikopatienten mit koronarer Zwei- oder Mehrgefäßerkrankung. Ungeklärt ist die Frage, ob eine zeitgleiche oder eine versetzte Therapie von Vorteil ist. Die simultane Versorgung hat folgende Vorteile: 4 Es erfolgt eine komplette Revaskularisation. 4 Die Bypassanastomose kann direkt kontrolliert werden. 4 Der Patient benötigt nur eine Operation. Durch eine einmalige Rekonvalszenz kann der Krankenhausaufenthalt verkürzt werden. Voraussetzung ist jedoch das Vorhandensein eines Operationssaales, der die chirurgischen und interventionellen Anforderungen sinnvoll vereint und der mit einer modernen Durchleuchtungsanlage
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sowie mit entsprechender Software zur Online-Darstellung und zur Rekonstruktion ausgerüstet ist – ein Hybridoperationssaal (. Abb. 24.9). Ergebnisse. Erste Erfahrungen der Hybridstrategie liegen
v. a. auf dem Gebiet der koronaren Revaskularisation vor (de Canniere et al. 2001; Davidavicius et al. 2005; Wittwer et al. 2000). In einer Multicenterstudie erfolgte die Kombination der minimal-invasiven direkten koronararteriellen Bypasschirurgie (MIDCAB) mit der perkutanen Koronarintervention bei Patienten mit koronarer Mehrgefäßerkrankung. Wittwer und Kollegen berichteten, dass diese Methode sicher durchführbar ist, eine komplette Revaskularisation erfolgen kann und insbesondere Riskopatienten sowie Ältere und Patienten nach stattgehabter Herzoperation profitieren (Wittwer et al. 2000). Die 2-Jahres-Ergebnisse der Gruppe von Davidavicius (Vergleich zwischen Hybrid- und »Off-pump«-Chirurgie bei koronarer Zweigefäßerkrankung) zeigen, dass die Methode sicher und effektiv ist. Beide Gruppen unterschieden sich bezüglich der Freiheit von kardialen Symptomen nicht. Die perioperative Morbidität, der Bedarf an Blutprodukten, das Schmerzempfinden und der Krankenhausaufenthalt waren in der Hybridgruppe reduziert (Davidavicius et al. 2005). Auch wurde die Kombination aus telemanipulatorassistierter Revaskularisation und perkutaner Angioplastie erfolgreich durchgeführt. Die Autoren berichteten, dass nach einem mittleren Follow-up von 19 Monaten keine Letalität, keine Re-Intervention und keine Myokardinfarkte vorlagen (Bonatti et al. 2007; Davidavicius et al. 2005). Diskutiert wird zudem die Kombination minimal-invasiver klappenchirurgischer Eingriffe mit perkutanen Revaskularisationen, insbesondere bei multimorbiden Patienten und nach vorausgegangener Herzoperation (Greelish et al. 2006). Zunehmend werden auch Pathologien bei Neugeborenen und Kleinkindern mit der Hybridstartegie erfolgreich versorgt (Bacha et al. 2005, 2007). Eine rassante Entwicklung erfährt diese Technik bei der Therapie von Aneurysmen und Dissektionen der gesamten Aorta, aber auch speziell des Aortenbogens. So berichten viele Grupen über eine erfolgreiche, meist schrittweise Versorgung von komlpexen Pathologien des Aortenbogens. Auch die erfolgreiche Behandlung akuter Typ-A-Dissektionen mittels chirurgischem Conduit-Ersatz, Bogenersatz und Stenting der thorakalen Aorta ist bekannt (Lee et al. 2007; Lin et al. 2007; Torsello et al. 2007). Zusammenfassung. Das Hybridkonzept setzt nicht nur in der Herzchirurgie, sondern in allen Bereich der Medizin neue Maßstäbe. Die Einführung dieser Methode ist die logische Folge des sich verändernden Patientenkollektivs und der zunehmenden Komplexität der Pathologien und setzt eine intensive Zusammenarbeit der einzelnen Fachdisziplinen voraus. Bereits erfolgreich eingesetzt wird dieses Verfahren in der Revaskularisation, aber auch in der Kinder-
. Abb. 24.9. Hybridoperationssaal
herzchirurgie. Interessante Ansätze liegen bei der Behandlung thorakoabdomineller Aneurysmen vor. Die Kombination aus minimal-invasiver Herzklappenchirurgie und anschließender perkutaner Koronarintervention stellt eine alternative Strategie zur Vermeidung einer kompletten Sternotomie bei Hochrisikopatienten dar. Dennoch stehen eine klare Definition und eine Charkterisierung der Patienten und der Indikationsstellungen aus. Hierfür müssen die Ergebnisse klinischer Studien abgewartet werden.
24.4.2 Endoskopische und telemanipulator-
assistierte Herzchirurgie Die telemanipulatorassistierte oder »Roboter«-Chirurgie hat ihren Ursprung in der klassischen endoskopischen Chirurgie. Mit der Entwicklung komlexer Instrumente und der 3D-Darstellung gelang es, minimal-invasive Techniken in die Realität umzusetzen. Die Einführung der endoluminalen Klemmtechnik (HeartPort-Technik) unterstützte die Entwicklung der telemanipulatorassistierten Herzchirurgie (Pompili et al. 1996; Stevens et al. 1996a). Die Grundidee der telemanipulatorassistierten Technologie besteht in der mechanischen Übertragung der motorischen Bewegung des Chirurgen über einen limitierten Zugang bei gleichzeitiger visueller Darstellung und Kontrolle des Operationssitus. Ein fehlendes sensorisches Feedback ist derzeit noch als Nachteil zu betrachten. Anwendung findet diese Methode bei: 4 Präparation der linken A. mammaria interna, 4 koronarer Revaskularisation (zwischen linker A. mammaria interna und R. interventricularis anterior; Argenziano et al. 2006; Falk et al. 2000; Loulmet et al. 1999; Mohr et al. 1999, 2001; Reichenspurner et al. 1998b), 4 einfachen, aber auch komplexen Pathologien der Mitralklappe (Carpentier et al. 1998; Chitwood et al. 1997a, b, 2000, 2003; Cosgrove et al. 1996; Falk et al.
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Kapitel 24 · Alternative Zugangswege und minimal-invasive Herzchirurgie
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a
b . Abb. 24.10a, b. Telemanipulator (Da-Vinci-System; Intuitive Surgical, Mountain View, USA). a Steuerkonsole; b Roboterkonsole
1996, 1998; LaPietra et al. 2000; Nifong et al. 2005; Reade et al. 2005; Reichenspurner et al. 1999; Trehan et al. 2002), 4 Vorhofablation (Akpinar et al. 2003; Seeburger et al. 2008), 4 linksventrikulärem Mapping, 4 Platzierung epikardialer Elektroden. Der Einsatz endoskopischer und telemanipulatorassistierter Systeme erfolgt primär unterstützend bei minimalinvasiven Eingriffen, zumeist als sprachgesteuerte Halteund Kamerasysteme, aber auch zur Durchführung kompletter Operationen (Falk et al. 1998, 2000; LaPietra et al. 2000). Die klassischen Limitationen der endoskopischen Chirurgie wie die geringe Beweglichkeit der starr inserierten Systeme (lediglich 4 Freiheitsgrade) und die eingeschränkte Fexibilität der distalen Instrumente führen zu einer erhöhten motorischen Anforderung an den Chirurgen. Ebenso stellt die Übertragung der motorischen Unruhe über die Endoskope eine nicht zu unterschätzende Einschränkung dar. Telemanipulatorassistierte Systeme sind in der Lage, diese Einschränkungen zu reduzieren. Es können 2 unterschiedliche Systeme klassifiziert werden: 4 Systeme, die vorrangig als unterstützende, passive Instrumente verstanden werden, welche als Halte- und Positionsinstrumente fungieren, ermöglichen eine tre-
morfreie Übertragung bzw. eine Fixation des Operationssitus. Die Steuerung erfolgt über die Sprache oder manuell (z. B. AESOP – Automated Endoscopic System for Optimal Positioning –, Intuitive Surgical, Mountain View, USA). 4 Die zweite Gruppe – Telemanipulatoren – ermöglicht eine direkte, dreidimensional geführte, feinste chirurgische Manipulation am Herzen. Das derzeit am häufigsten eingesetzte System ist das Da-Vinci-System (Intuitive Surgical, Mountain View, USA; . Abb. 24.10). Das Da-Vinci-System besteht aus einer Steuerkonsole, einer Instrumentenanlage und einer visuellen Plattform, sodass der Chirurg – ausgehend von der Steuerkonsole – 2 oder 3 verschiedene Armsysteme mit bis zu 6 Freiheitsgraden (X-, Y- und Z-Achse) flexibel und kontrolliert im Operationssitus bewegen kann. Die analogen Bewegungen des Operateurs werden sensorisch über eine digitale Datenbank analysiert und in synchrone chirurgische Bewegungen konvertiert. Dabei erfolgt die zeitgleiche Navigation über ein dreidimensionales Bild, welches aus dem Situs auf die Konsole übertragen wird. Die Insertion der Roboterarme erfolgt durch verschiedene Portsysteme. Theoretische Vorteile der telemanipulatorassistierten Chirurgie im Vergleich zum endoskopischen Vorgehen sind (Falk et al. 1998): 4 höherer Freiheitsgrad, 4 keine Tremorübertragung,
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4 variierbare Geschwindigkeit der Bewegungsübertragung, 4 frei wählbare Steuerbarkeit, 4 lineares Kraftverhalten, 4 direkte Hand-Augen-Ausrichtung. In Abhängigkeit von der technischen Komplexität und den visuellen Anforderungen erfolgte die schrittweise (Level I–III) Etablierung (Chitwood et al. 1997a, b; Cosgrove et al. 1998; Falk et al. 1996, 1998) bis hin zur kompletten roboterassistierten »Closed-chest«-Operation (Level IV; Carpentier et al. 1998; Chitwood et al. 2000; Falk et al. 2000). Ergebnisse. Das AESOP-System wird hauptsächlich im
Rahmen der minimal-invasiven Mitralklappenchirurgie als stabilisierende, sprachgesteuerte Haltevorrichtung verwendet. In Studien ließ sich die sichere und effektive Anwendung des Systems nachweisen (Reichenspurner et al. 1999; Trehan et al. 2002). Bis zum Jahre 2005 wurden weltweit insgesamt 2984 Prozeduren mit dem Da-Vinci-Robotersystem durchgeführt. Im Wesentlichen behandelte man 4 verschiedene Pathologien: koronare Eingefäßerkrakung (TECAB), Mitralklappenveränderungen (Rekonstruktion), ASD II (Verschluss), Rhythmusstörungen (Vorhofablation). Beim TECAB-Verfahren (erstmals 1998 in Paris und Leipzig durchgeführt; Loulmet et al. 1999; Mohr et al. 1999) erfolgt bei geschlossenem Thorax sowohl die Präparation der linken A. thoracica interna als auch die Anastomosierung mit dem R. interventricularis anterior ohne Verwendung der Herz-Lungen-Maschine am schlagenden Herzen. Der Patient ist auf dem Rücken gelagert, wobei die linke Thoraxhälfte leicht erhöht ist. Notwendig ist die Einführung von 3 Portsystemen (triangelförmig; . Abb. 24.11). Dabei liegt ein Port im 4. Interkostalraum medial-anterior, der kraniale Port im 3. Interkostalraum lateral und etwas dorsal, der kaudale Port im 6. oder 7. Interkostalraum lateral-dorsal. Zur besseren Exposition und Übersicht hat sich die Insufflation von CO2 bis zu einem intrathorakalen Druck von 6–14 mmHg als hilfreich erwiesen (Falk et al. 1998; Loulmet et al. 1999; Mohr et al. 1999). Die Ergebnisse der ersten prospektiven Multicenterstudie mit dem DaVinci-System ergaben keine Unterschiede bezüglich Letalität und Morbidität (Argenziano et al. 2006). Die angiographische Durchgängigkeit und die Re-Interventionsrate waren der konventionellen Operation vergleichbar. Jedoch erfolgte in dieser Studie die Anlage der Anastomose zwischen A. mammaria interna und R. interventricularis anterior mit der HeartPort-Technik und nicht am schlagenden Herzen (Argenziano et al. 2006; Bonatti et al. 2007). Bei Patienten mit koronarer Zweigefäßerkrankung kann auch ein Hybridverfahren diskutiert werden, und zwar die Kombination einer TECAB-Operation und einer zeitgleichen perkutanen Koronarintervention (Bonatti et al. 2007). Der Einsatz der telemanipulatorassistierten Chirurgie zur Rekonstruktion komplexer Mitralklappenpathologien konnte
. Abb. 24.11. Telemanipulatorassistiert Herzchirurgie. Operatives Setting
von Chitwood und Kollegen bereits dargestellt werden (Chitwood et al. 1997a, b, 2003). In einer Studie der Food and Drug Administration (FDA) wurden mittels des DaVinci-Systems verschiedene Techniken wie quadrangulärer Resektion, Sliding-Plastik, Sehnenfadentransfer, Sehnenfadenplastik sowie Ersatz und Implantation von Anuloplastiebändern angewandt (Chitwood et al. 2000). Mit der Einführung neuer Instrumente, Nahttechniken, Neochordae und Nitinolclips sind eine Rekonstruktion und die Implantation von Ringanula möglich – bei klinisch guten Ergebnissen. Auch ließen sich die Operations- sowie die Bypass- und die Klemmzeiten reduzieren (Nifong et al. 2005; Reade et al. 2005). Bezüglich der Vorhofablation stellt die Maze-Prozedur eine der effektivsten chirurgischen Methoden dar, wobei eine Eröffnung des linken und des rechten Vorhofs notwendig ist. Unabhängig von verschiedenen Energieformen, die zur Verfügung stehen (Radiofrequenz, Kryoenergie), kann über eine rechtslaterale Minithorakotomie mit Insertion der Herz-Lungen-Maschine über die Leistengefäße eine sichere und effektive Therapie erfolgen. Häufig wird diese Prozedur in Kombination mit einem Mitral- oder Trikuspidalklappeneingriff durchgeführt (Akpinar et al. 2003; Seeburger et al. 2008). Total endoskopische Verfahren zur isolierten Pulmonalvenenablation am schlagenden Herzen (Saltman et al. 2003), aber auch Systeme zur Ablation am schlagenden Herzen sind beschrieben (Vigilance et al. 2006). Garrido berichtete über den erfolgreichen Einsatz des Da-Vinci-Systems (Garrido et al. 2004). Die interventionelle Behandlung des Vorhofflimmerns stellt eine alternative Therapieform dar. Dabei erfolgt die antiarrhythmische Therapie durch gezielte elektrische Ablation im rechten und im linken Vorhof, aber auch in den Pulmonalvenen – mit sehr guten klinischen Ergebnissen, jedoch auch mit Komplikationen (O’Neill et al. 2007).
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Kapitel 24 · Alternative Zugangswege und minimal-invasive Herzchirurgie
Zusammenfassung. Der Einsatz endoskopischer, aber auch
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telemanipulatorassistierter Techniken stellt eine neue Ebene der Herzchirurgie dar. Wie jede Form des Umbruchs weist auch diese Technik Kritikpunkte auf und muss sich im klinischen Alltag noch durchsetzen. Dennoch: In ausgewählten Zentren geöhrt die Kombination endoskopischer Techniken zum Standard minimal-invasiver Eingriffe, sei es zur Bypassgewinnung oder im Rahmen der komplexen Klappenchirurgie. Die rasante technische Entwicklung, die Kreation neuer Instrumente sowie die sich entwickelnde Bildgebung und Verarbeitung machen die telemanipulatorassistierte Chirurgie zu einem interessanten Bestandteil der minimal-invasiven Herzchirurgie, wobei die klinische Anwendung mit einem erheblichen materiellen und zeitlichen Aufwand vergesellschaftet ist. Nicht nur der direkte Einsatz der Technik, sondern auch eine intelligente operative Strategie stellt jeweils einen wesentlichen Aspekt dar. Dazu gehören das intensive Training, die Simulation potenzieller Situationen, die Beherrschung aller Instrumente und das Einnehmen einer neuen Sichtweise, und zwar der Sichtweise eines technisch versierten und kreativ denkenden Chirurgen. Trotz aller Euphorie sollten alle Techniken kritisch betrachtet, an den bereits erreichten hohen Standards gemessen und immer wieder infrage gestellt werden – nur so kann ein für den Patienten optimales Ergebnis erreicht werden.
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Kapitel 24 · Alternative Zugangswege und minimal-invasive Herzchirurgie
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Kapitel 24 · Alternative Zugangswege und minimal-invasive Herzchirurgie
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25
25 Aneurysma und Dissektion der thorakalen und thorakoabdominalen Aorta M. Karck, K. Kallenbach 25.1 25.1.1 25.1.2 25.1.3 25.1.4
Einleitung – 691 Definitionen – 691 Historische Anmerkungen – 692 Operationsindikationen – 693 Prothesen, Nahtmaterial und Stentgrafts (Endovaskularprothesen) – 693
25.2 25.2.1
Aneurysma der Aorta ascendens – 693 Zugang und extrakorporale Zirkulation – 694 Begrenzter Aorta-ascendens-Ersatz – 694 Ersatz von Aorta ascendens und Aortenklappe – 694 Ersatz der Aorta ascendens mit Aortenklappenrekonstruktion – 699 Komplikationen – 701
25.2.2 25.2.3 25.2.4 25.2.5 25.3 25.3.1 25.3.2 25.3.3 25.3.4 25.3.5 25.3.6
25.1
Dissektion der Aorta ascendens – 701 Diagnostik und Indikationen – 701 Zugang und extrakorporale Zirkulation – 702 Methodenwahl – 703 Akute Typ-A-Dissektion – 703 Chronische Typ-A-Dissektion – 705 Komplikationen – 705
Einleitung
Die operativen Therapieoptionen bei Aortenerkrankungen haben sich in den vergangenen 15 Jahren erweitert. Die Triebfeder dieser Entwicklung lag dabei besonders in dem Streben nach einer Reduktion des operativen Traumas. So hat beispielsweise die Einführung technischer Neuerungen bei Eingriffen am Aortenbogen mittlerweile zu einer erheblichen Verbesserung der intraoperativen Neuroprotektion geführt (Hagl et al. 2003). Darüber hinaus stehen den klassischen »offenen« chirurgischen Verfahren heute in verschiedenen Indikationsbereichen neue Methoden zur Verfügung, die zwar keinen gefäßprothetischen Ersatz, so aber doch eine Exklusion des betroffenen Aortensegments durch die Implantation von Endovaskularprothesen, sog. Stent-
25.4 25.4.1 25.4.2 25.4.3 25.4.4 25.4.5 25.4.6 25.4.7
Aneurysma und Dissektion des Aortenbogens – 706 Zugang und extrakorporale Zirkulation – 707 Vorgehen an der Aorta – 708 Aortenbogenersatz bei Aneurysma – 709 Aortenbogenersatz bei Typ-A-Dissektion – 711 Totaler Aortenbogenersatz mittels Rüsselprothese – 712 Distaler Aortenbogenersatz – 713 Alternative Verfahren des Aortenbogenersatzes – 717
25.5
Re-Operationen – 718
25.6
Aneurysma und Dissektion der Aorta descendens – 718 Verfahrensstrategien – 718 Kreislaufunterstützung – 719 Indikationen – 719 Methodenwahl – 719
25.6.1 25.6.2 25.6.3 25.6.4
Literatur
– 722
grafts, erlauben (Baraki et al. 2007; Nienaber et al. 2007). Die operative Behandlung von Aortenerkrankungen erfolgt deshalb sinnvollerweise immer häufiger in interdisziplinär ausgerichteten Behandlungszentren. Die nachfolgende Darstellung wird dennoch primär aus der Perspektive der klassischen Aortenchirurgie vorgenommen, indikationsbezogen um Verweise auf interventionell geführte Verfahren erweitert.
25.1.1 Definitionen
Aneurysma und Dissektion der Aorta beruhen auf einer Schwächung des den arteriellen Druck tragenden viskoelastischen »Gürtels« der Gefäßmedia. Dieser kann – wie im
692
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Kapitel 25 · Aneurysma und Dissektion der thorakalen und thorakoabdominalen Aorta
Fall eines traumatischen Wandeinrisses – streng lokalisiert sein oder – wie bei der primären Mediadegeneration und der atherosklerotischen Aortopathie – weite Abschnitte des Gefäßrohres betreffen. Die Folgen sind eine progrediente Zunahme des Gefäßradius sowie eine Ausdünnung und, entsprechend dem Laplace-Gesetz, ein überproportionales Anwachsen der Wandspannung mit dem Ergebnis einer Kompression benachbarter Organe und schließlich der Ruptur. Einen Sonderfall stellt die Aortendissektion dar, bei welcher es zu einem Einriss und einer longitudinalen Aufspaltung der degenerierten Media kommt, zumeist über weite Strecken. Sofern der Kranke nicht an einer akuten Ruptur mit Perikardtamponade, massiver Aorteninsuffizienz oder Mangelperfusion vitaler Organe verstirbt, durchläuft der äußere Mantel der dissezierten Aorta die typische Umwandlung in ein Aneurysma. Auch kann sich eine Dissektion auf ein vorbestehendes Aneurysma aufpfropfen. Aufgrund dieser Zusammenhänge und auch in Hinblick auf ein ähnliches operatives Vorgehen werden die Eingriffe bei proximalen thorakalen Aneurysmen und Aortendissektion zusammengefasst dargestellt. Operationen bei Aneurysma und Dissektion der deszendierenden thorakalen Aorta und am thorakoabdominalen Abschnitt werden in Beziehung auf die Ersatzbedürftigkeit mehrerer Aortenabschnitte behandelt. Die Darstellung wird um Verweise auf interventionell geführte Verfahren zur Behandlung von Aortenerkrankungen mit Beteiligung des Aortenbogens und/oder der thorakoabdominalen Aorta erweitert. Im Übrigen sei der Leser auch auf die entsprechenden Kapitel von Stelter und Heberer bzw. von Becker und Jauch in der Kirschner-Operationslehre (Gefäßchirurgie; Becker u. Jauch 2004; Stelter u. Heberer 2004) sowie auf das Lehrbuch der Gefäßchirurgie von Hepp und Kogel (Kortmann 2001) hingewiesen. Definitionsgemäß handelt es sich um ein Aorta-ascendens-Aneurysma, wenn es zwischen der Aortenklappe und dem Ursprung des Truncus brachiocephalicus gelegen ist, um ein Bogenaneurysma, wenn der Aortenverlauf zwischen den Abgängen von Truncus brachiocephalicus und A. subclavia sinistra befallen ist, und schließlich um ein Aneurysma der Aorta descendens, sofern die thorakalen Aortenabschnitte jenseits dieser Arterie erkrankt sind. Die Dissektion der Aorta wird heute unter weitgehender Ablösung der Definition von De Bakey et al. (1966) in die Formen A und B unterteilt (Miller et al. 1979). Diese unterscheiden sich lediglich in Bezug auf den Befall des Aorta-ascendens- bzw. -descendens-Abschnitts, unabhängig vom Ort des proximalen »entry« und der peripheren Ausdehnung des Dissektionsprozesses. Diese Anschauungsweise soll den Bedürfnissen der chirurgischen Versorgung am ehesten gerecht werden, da bei einer Typ-A-Dissektion stets durch Sternotomie, bei Typ B dagegen über eine linkslaterale Thorakotomie vorgegangen wird, sofern keine andere Behandlungsoption, beispielsweise durch Implantation einer thorakalen Endovaskularprothese, besteht.
Unseres Erachtens ist die Beibehaltung der auf die Aorta ascendens begrenzten Dissektion vom Typ II nach De Bakey trotz ihrer Seltenheit noch sinnvoll, da sie sich häufig auf eine vorbestehende Anuloektasie, v. a. beim MarfanSyndrom, aufpfropft und in der Regel einfacher zu operieren ist als eine weit nach distal reichende Dissektion. Neuere Studien haben jedoch gezeigt, dass intramurale Hämatome und atherosklerotische Ulzerationen Zeichen einer beginnenden Aortendissektion sein können. Daher wurde von Swensson et al. (1999) eine Differenzierung nach pathomorphologischen Gesichtspunkten vorgeschlagen. Lansman et al. (1999) empfehlen eine Unterteilung der Aortendissektion in Abhängigkeit von der Lokalisation des Intimaeinrisses. In seltenen Fällen dehnt sich eine Typ-BDissektion retrograd in den Aortenbogen und bis zur Aortenklappe aus. Eine Dissektion wird als akut definiert, wenn sie innerhalb von 14 Tagen nach dem plötzlichen Schmerzereignis zur Operation führt, als subakut, wenn das Ereignis nicht mehr als 2 Monate zurückliegt, und als chronisch bei Verstreichen eines noch längeren Zeitraums. Vom Standpunkt des Operateurs aus gesehen erscheint eine Trennung von akuter und subakuter Dissektion allerdings weitgehend irrelevant, da in beiden Fällen die Aortenwandungen zart und brüchig sind und eine narbige Stabilisierung der äußeren Wandschicht erst im späteren Verlauf zustande kommt.
25.1.2 Historische Anmerkungen
Die Chirurgie der proximalen thorakalen Aortenabschnitte war wegen zunächst unlösbarer technischer Probleme gegenüber dem Vorgehen am absteigenden Aortenabschnitt deutlich verzögert. Diese Probleme betrafen v. a. den Schutz von Herz und Hirn sowie die Verfügbarkeit von auch bei Vollheparinisierung dichten Gefäßprothesen. Bis Mitte der 1950er Jahre musste man sich daher auf die Abtragung sakkulärer und die Raffung fusiformer Aneurysmen beschränken (Cooley u. De Bakey 1952). Der erste tubuläre Ersatz der Aorta ascendens bei extrakorporaler Zirkulation wurde 1956 von Cooley und De Bakey durchgeführt. Später folgten der radikale separate (Wheat et al. 1964) und der gemeinsame Ersatz von Aortenfundament und Aorta ascendens (Bentall u. De Bono 1968; Schulte u. Birks 1971), der sich weitgehend durchgesetzt hat und der heute mit einer dem einfachen Aortenklappenwechsel vergleichbaren Hospitalletalität ausgeführt werden kann (Kouchoukos et al. 1986). Die Einführung klappenerhaltender Verfahren nach Yacoub im Jahr 1983 und nach David Anfang der 1990er Jahre hat die therapeutischen Optionen erheblich erweitert (David u. Feindel 1992; Yacoub et al. 1983). Beim Aortenbogenersatz behalf man sich zunächst mit der Anlage von temporären oder permanenten extraanatomischen Kreislaufbrücken (Cooley u. De Bakey 1956;
693 25.2 · Aneurysma der Aorta ascendens
Cooley et al. 1955; Creech et al. 1956; Muller et al. 1960), bis 1957 De Bakey, Crawford und Cooley den ersten erfolgreichen Arkusersatz unter extrakorporaler Zirkulation vornahmen (De Bakey et al. 1957). Heberer et al. (1960) haben diese Entwicklung im Einzelnen beschrieben. Bogeneingriffe zählten jedoch lange Zeit zur Hochrisikochirurgie, bis Ende der 1970er Jahre Griepp et al. (1975) sowie Ott et al. (1978) und Thevenet (1980) wie auch später v. a. Crawford (Crawford u. Saleh 1981; Crawford et al. 1979, 1984) den älteren Vorschlag von Borst und Mitarbeitern eines Vorgehens bei Kreislaufstillstand in tiefer Hypothermie (Borst et al. 1964) wieder aufgriffen. Mit der breiten Einführung wissenschaftlich gut begründeter Verfahren zur intraoperativen Neuroprotektion durch Bachet (Bachet al. 1991) und später besonders durch Kazui (Kazui et al. 2007) lassen sich beim partiellen und totalen Bogenersatz hervorragende Ergebnisse erzielen. Lange Perfusionszeiten und u. U. gravierende Störungen der Blutgerinnung durch extrem niedrige Körpertemperaturen haben deshalb eine Reihe von Autoren zu einem Kompromiss von moderater Hypothermie und vergleichsweise kurzfristiger Kreislaufstilllegung bewegt (Bachet u. Guilmet 2002; Di Eusanio et al. 2002; Kamiya et al. 2006, 2007). Vorbehaltlich noch nicht verfügbarer Langzeitdaten wird die breite klinische Einführung endoluminaler thorakaler Aortenprothesen in einigen Indikationsgebieten mittlerweile als eine dem offenen chirurgischen Verfahren zumindest gleichrangige Option angesehen (Nienaber et al. 2007). Dies betrifft Pathologien der Aorta descendens ebenso wie in jüngster Zeit auch den Aortenbogen (Schumacher et al. 2006). Hier müssen jedoch die Abgänge der supraaortalen Äste vor Implantation der aortalen Endovaskularprothesen extraanatomisch auf die Aorta ascendens transponiert werden.
25.1.4 Prothesen, Nahtmaterial und Stentgrafts
(Endovaskularprothesen) Heute werden fast ausschließlich mit Kollagen vorbehandelte, gewebte Dacrondoppelvelourprothesen verwendet. Meist kommen einfache tubuläre Gefäßprothesen zum Einsatz, die je nach vorgesehenem Implantationsort auch mit vorgefertigten Seitenästen zur Erleichterung des Anschlusses der großen Aortenabgänge angeboten werden (Spielvogel et al. 2003). Zur Behandlung kombinierter Aortenbogen- und Aorta-descendens-Pathologien stehen Gefäßprothesen zur Verfügung, die sowohl aus einem gestenteten als auch einem nichtgestenteten Abschnitt bestehen (sog. Hybridprothesen; Karck et al. 2005). Die einer Endovaskularprothese gleichende Machart des distalen Prothesenabschnitts erlaubt vielfach den Verzicht auf eine spätere Zweitoperation über einen lateralen Zugang. Daneben ist ein vielfältiges Angebot an verschiedenen Gefäßstützen und Prothesen zur endovaskulären Therapie der meisten Aortenerkrankungen entstanden (Chuter 2007; Greenberg et al. 2006; Melissano et al. 2007). Besonders für Re-Eingriffe an der thorakalen Aorta, die wegen eines Gefäßprotheseninfekts erforderlich werden, eignen sich humane aortale Homografts (Lesèche et al. 2001). Das Nahtmaterial für die Aortenchirurgie ist weitgehend standardisiert. Wir verwenden ausschließlich monofiles, in der Regel doppeltarmiertes Material der Stärke 3/0. Extralange Fäden (monofiles Polypropylen, 120 cm) sind beim Arbeiten in der Tiefe von großem Vorteil, während geringere Fadenstärken zum Anschluss aortaler Seitenäste einschließlich der Koronarostien an die Aortenprothese vorzuziehen sind. Die Wahl speziell gehärteter Nadeln kann die Anastomosenanlage bei verkalktem Zielgefäß erheblich erleichtern.
25.1.3 Operationsindikationen 25.2
Ziel des operativen Eingreifens an der aneurysmatischen und/oder dissezierten Brust- und Bauchaorta ist die Vermeidung von Rupturen, seltener von Kompressionen benachbarter Organe. Eine Zunahme des Aneurysmadurchmessers auf >5 cm im aszendierenden und im Bogenabschnitt bzw. auf >6 cm im Bereich der Aorta descendens liefert die Indikation zum elektiven Eingreifen. Symptome einer drohenden Ruptur oder einer lebensbedrohlichen Kompression intrathorakaler Organe erfordern ein schnelles Vorgehen. Notfallmäßig muss bei manifester Ruptur und bei akuter Typ-A-Dissektion immer eingegriffen werden, um eine Perikardtamponade und eine massive Aorteninsuffizienz zu verhindern.
Aneurysma der Aorta ascendens
Aneurysmen der vom Aortenfundament bis zum Abgang des Truncus brachiocephalicus reichenden Gefäßstrecke können auf einen der Aortensinus oder auf den suprakommissuralen Anteil begrenzt sein, erfassen aber zumeist den gesamten Aortenbulbus und das eigentliche Aszendensrohr im Sinne einer anuloaortalen Ektasie mit ringdilatationsbedingter Aortenklappeninsuffizienz. Die Radikalität des Vorgehens wird daher in hohem Maße von der Ausdehnung des Aneurysmas bestimmt. Jedoch wird man versuchen, den operativen Eingriff auf die Anfangsstrecke des Aortenrohrs zu begrenzen. ! Zur Planung des Eingriffs in Hinblick auf einen möglichen Erhalt der Aortenklappe ist die Kenntnis über Art, Ausmaß und Prognose eines begleitenden Klappenvitiums unerlässlich.
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Kapitel 25 · Aneurysma und Dissektion der thorakalen und thorakoabdominalen Aorta
25.2.1 Zugang und extrakorporale Zirkulation
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Der Zugang zum Herzen und zur Aorta ist bei allen proximalen Aneurysmen identisch und erfolgt durch eine mediane Sternotomie. Bei intaktem Perikard (Erstoperation) ist das Aneurysma in der Regel vor Sägeverletzungen geschützt, sodass das Sternum in üblicher Weise durchtrennt werden kann. Für kompliziertere Situationen, insbesondere Re-Operationen, gelten die in Abschnitt 25.5 geschilderten Vorgehensweisen. Nach Eröffnung des Herzbeutels prüft man zunächst, ob sich der proximale Aortenbogen für eine arterielle Kanülierung eignet. Andernfalls weicht man auf eine der beiden Aa. femorales communes oder die rechte A. subclavia aus. Bei großen Aneurysmen ist das Herz durch die zwangsläufige Elongation der Aorta häufig nach links und kaudal verlagert, wodurch der Zugang zum rechten Vorhof erschwert wird. In diesem Fall kann es leichter sein, mit der Dekompression des Herzens zunächst über einen venösen Anschluss zu beginnen, der später durch einen zweiten Kavakatheter ergänzt werden kann. Ansonsten verwenden wir einen Zweistufenkatheter, der über das rechte Herzohr eingeführt wird, während der Assistent das Aneurysma vorsichtig etwas beiseite hält. Oft vorhandene Verwachsungen des Aortenaneurysmas mit dem rechten Vorhof und der V. cava superior müssen zuerst gelöst werden, sodass man die Aorta nach dem Übergang auf die extrakorporale Zirkulation und dem Eintreten von Kammerflimmern sofort abklemmen und eröffnen kann. Mit dem Aneurysma verwachsenes Perikard wird am besten umschnitten, wobei allerdings der N. phrenicus unter allen Umständen geschont werden muss. Wir führen stets einen linksventrikulären Absaugkatheter ein, entweder über den Sulcus interatrialis auf Höhe der rechten oberen Lungenvene und die Mitralklappe oder – bei ungünstigem Zugang – auch direkt durch den Apex der linken Kammer. Nach Aortenokklusion verabreicht man die kardioplegische Lösung bei Aneurysmen ohne Aorteninsuffizienz durch Punktion des Aszendensabschnitts, in allen anderen Fällen erst nach Eröffnung der Aorta über die Koronarostien. Die Eröffnungsweise der Aorta ascendens bzw. des Aortenfundaments ist vom vorliegenden Befund abhängig.
25.2.2 Begrenzter Aorta-ascendens-Ersatz
Bei den relativ seltenen, in der Aortenwurzel, in den Sinus Valsalvae oder suprakommissural gelegenen sakkulären Aneurysmen kann eine Flickenplastik oder ein anderes klappenerhaltendes Verfahren zum Ziel führen (s. unten, 25.2.4). Nach Aortenokklusion und Kardioplegie inzidiert man zunächst das Aneurysma, um dessen Ausdehnung erfassen zu können. Dann wird es bis in die gesunde Aortenwand hinein reseziert. Anschließend wird der Perikardoder Prothesenflicken im einfachsten Fall mittels fortlaufend überwendlicher 3/0-Naht in den Aortendefekt
implantiert, ggf. unter Zuhilfenahme von teflon- bzw. perikardunterstützten Matratzennähten. Ein suprakommissural gelegenes fusiformes Aneurysma eröffnet man in der Längsachse, um anschließend den dilatierten Aortenabschnitt zu resezieren. Eine erkrankte Aortenklappe wird bei Stenose in üblicher Weise ersetzt. In den Defekt der Aorta ascendens schaltet man ein dem proximalen Aortendurchmesser entsprechendes Prothesenrohr ein, das proximal und distal (meist angeschrägt) durch fortlaufende überwendliche Nähte mit den Aortenstümpfen End-zu-End anastomosiert wird. Bei einer Klappeninsuffizienz kann auch ein klappenerhaltendes Verfahren gewählt werden, wobei man das aneurysmatische Segment der Aorta ascendens durch die hierzu verwendete Gefäßprothese gleich mitersetzt. ! Die naturgemäß die Sinus Valsalvae betreffenden Aortenwurzelaneurysmen werden fälschlicherweise immer wieder als Sinus-Valsalvae-Aneurysmen bezeichnet. Dieser Terminus ist jedoch den in der Regel angeborenen und im Laufe der Zeit am häufigsten in den rechten Vorhof oder Ventrikel perforierenden sakkulären Wandschwächen am ventrikuloaortalen Übergang vorbehalten. Die Sinus-Valsalvae-Aneurysmen bedingen keine Erweiterung der Aorta oder der Aortenwurzel (7 Kap. 14).
25.2.3 Ersatz von Aorta ascendens
und Aortenklappe Ist das Aortenfundament über den eigentlichen Aszendensabschnitt der Aorta hinaus im Sinne einer anuloaortalen Ektasie dilatiert, muss die gesamte proximale Aorta einschließlich der Aortenklappe mit in die operative Planung einbezogen werden. Ist die Klappe nicht zu erhalten, kann der Ersatz der Aorta ascendens entweder nach Wheat (Wheat et al. 1964) separat durchgeführt werden oder nach Bentall und De Bono (1968) mit einer klappentragenden Kombinationsprothese. Wählt man das erste Verfahren, so muss das erkrankte Aortenfundament weitestgehend eliminiert werden, um einer späteren aneurysmatischen Dilatation stehenbleibender Reste der Aortenbasis nach Möglichkeit vorzubeugen, worauf Kouchoukos et al. (1986) aufgrund ausgedehnter Erfahrungen hingewiesen haben. Wir setzen diese Methode bei älteren Patienten mit nur gering ausgeprägter anuloaortaler Ektasie ein. Sie bietet sich auch bei insgesamt schmaler Aortenbasis an sowie bei extrem anulusnah gelegenen Koronarostien oder wenn bereits eine funktionstüchtige Aortenklappenprothese vorhanden ist. Unabhängig von der gewählten Technik eröffnet man die Aorta durch einen hockeyschlägerförmigen Schnitt, der zunächst auf Höhe des sinotubulären Übergangs vor Eintritt in den akoronaren Sinus endet (. Abb. 25.1). Anschließend durchtrennen wir die Aorta auf diesem Niveau trans-
695 25.2 · Aneurysma der Aorta ascendens
. Abb. 25.1. Typische Inzisionslinie für den Aorta-ascendens-Ersatz
versal, um eine bessere Übersicht und Mobilität im Bereich der Aortenwurzel herbeizuführen. 25.2.3.1
Getrennter Ersatz
Beim Wheat-Verfahren (Markewitz et al. 1986; Wheat et al. 1964; Yun et al. 1997) wird zunächst die Aortenklappe in üblicher Weise ersetzt. Sodann schneidet man in das herznahe Ende der Aorta-ascendens-Prothese 2 torförmige Öffnungen, die der anatomischen Lage der Koronarostien entsprechen, sodass das Prothesenrohr später so tief wie möglich im Bulbus verankert werden kann. Die doppelt armierte, fortlaufende Anastomosennaht beginnt in der Tiefe des akoronaren Sinus und schreitet in Richtung auf das linke Koronarostium fort, welches man umnäht. Im Uhrzeigersinn wird die Naht weiter geführt, bis das rechte Ostium erreicht ist und ebenfalls von der Anastomosennaht umgriffen werden kann (. Abb. 25.2). Mit dem anderen Fadenende näht man tief im akoronaren Sinus nach rechts, um schließlich das andere Fadenende zu erreichen und die Enden zu verknüpfen. Eine möglichst vollständige Elimination des akoronaren Sinus ist insofern von Bedeutung, als sich besonders in dieser Zone Rezidive ausbilden. Vorteilhafter kann es daher sein, die Aorta-ascendens-Prothese in diesem Bereich mit dem Nahtring der bereits implantierten Aortenklappenprothese direkt zu vereinigen (zur distalen prothesioaortalen Anastomosierung s. unten, »Distale Anastomosierung«). 25.2.3.2
Gemeinsamer Ersatz
Der gemeinsame Ersatz von Aorta ascendens und Aortenklappe zählt zu den routinemäßig geübten Verfahren bei anuloaortaler Ektasie, ob durch Aneurysma oder Dissektion bedingt (Ehrlich et al. 2001; Gott et al. 1999; Mingke et al. 1998; Sioris et al. 2004). Nach der Originalmethode von Bentall und De Bono (1968) werden die Koronarostien in Kontinuität mit der Aortenwand in die Kombinationsprothese re-implantiert. In der hier beschriebenen Modifikation werden sie hingegen zunächst zur besseren Mobilisation mit einer aortalen Gewebemanschette trompetenförmig aus der Gefäßwand exzidiert. Wir bevorzugen diese Methode sowohl bei Primär- als auch bei Re-Eingriffen an
. Abb. 25.2. Separater Ersatz von Aortenklappe und aufsteigender Aorta. Die Klappenprothese ist implantiert. Die aortale Prothese wird so tief wie möglich in den Sinus verankert. In das herznahe Ende der Prothese werden den Koronarostien entsprechende torförmige Lücken eingeschnitten. An diesen entlang werden die Ostien umnäht (hier ist das linke Ostium dargestellt). Im akoronaren Sektor kann man den Rand der Prothese direkt mit dem Nahtring der Kunstklappe vereinigen
der Aortenwurzel, weil hierdurch stets eine spannungsfreie Re-Implantation der Koronarostien in die Aortenprothese möglich ist. Die Originalmethode wurde von uns auch deshalb weitgehend verlassen, weil wir bei voroperierten Patienten gelegentlich Aneurysmarezidive im Bereich der zentralen Koronargefäßanastomosen gesehen haben. Besonders Svensson et al. (1992) und Gott et al. (1995) haben mit dieser modifizierten Technik schon früh Erfahrungen gesammelt. Weitere Varianten sind im Abschnitt »Alternative Methoden des proximalen Aortenersatzes« (7 25.2.3.6) beschrieben (Bachet et al. 1996). Beim gemeinsamen Ersatz von Aortenklappe und Aorta ascendens ist der Durchmesser des Aortenanulus für die Größe der Kombinationsprothese maßgeblich. Er wird wie vor einem isolierten Aortenklappenersatz nach Exzision der Klappentaschen bestimmt. Nach transversaler Aortotomie auf Höhe des sinotubulären Übergangs sind die Koronarostien leicht zugänglich und können nun bei guter Übersicht U-förmig aus der Aortenwand exzidiert sowie anschließend mit Haltenähten beiseite gehalten werden. Drei zusätzliche Haltenähte in Höhe der Klappenkommissuren werden unter leichte Spannung versetzt. Hierdurch hebt sich die gesamte Aortenwurzel etwas mehr in das Operationsfeld, was das weitere Vorgehen erleichtert. Die Prothese verankert man im Aortenfundament in der Regel mit unterfütterten Matratzeneinzelnähten, die von aortal her gelegt werden (. Abb. 25.3 und 25.4). Als zeitsparende Alternative kann man die Kombinationsprothese auch mit 3 langen, doppelt armierten 2/0-Polypropylenfäden in fortlaufender Nahttechnik implantie-
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Kapitel 25 · Aneurysma und Dissektion der thorakalen und thorakoabdominalen Aorta
. Abb. 25.3. Kombinierter Aorta-ascendens- und Klappenersatz. Verankerung der Prothese entlang des rechten Umfangs der Aortenbasis mit teflonunterstützten Matratzennähten. Die Klappentaschen sind entfernt. Die Koronarostien sind aus der Aortenwand exzidiert und werden mit Haltenähten beiseite gehalten
. Abb. 25.5. Anschluss des linken Koronarostiums als Koronarbutton an die Aortenprothese. Indem man aus der Prothese heraussticht, wird zunächst der herznahe Rand des Ostiums erfasst
. Abb. 25.4. Sämtliche Nähte sind gelegt, und die Prothese kann in das Aortenfundament eingelassen werden
. Abb. 25.6. Anschluss des rechten Koronarostiums, der in der gleichen Weise wie auf der linken Seite durchgeführt wird
ren. Diese führt man aus der Tiefe jedes der 3 Sinus an die zugehörigen Kommissuren, um die Prothese dann durch Flaschenzugwirkung in den Anulus einzulassen und zu verankern. Nach Fixierung der Kombinationsprothese im Aortenfundament erfolgt der seitenständige Anschluss der Koronarostien an die Gefäßprothese. Bei dem von uns bevorzugten Vorgehen wird der Aszendensanteil der Prothese genau an derjenigen Stelle sparsam gefenstert, an der das jeweilige Ostium unter größtmöglicher Spannungsfreiheit anastomosiert werden kann. Hierzu hält der Assistent das Ostium in Richtung Gefäßprothese, bevor der Operateur das Fenster an der unter diesem Gesichtspunkt günstigsten korrespondierenden Stelle anlegt. Hierfür verwendet man einen batteriebetriebenen Elektrokauter. Dabei muss zwischen dem Nahtring der Klappenprothese und dem jeweiligen Koronarostium eine ausreichend breite Brücke von Prothesengewebe stehenbleiben, damit die Anastomose
später keiner Spannung ausgesetzt ist. Die Öffnungen in der Prothese sollen mit der Größe der Ostien kompatibel sein, es sei denn, das Ostium ist sklerosiert, sodass man in einem größeren Abstand um die Öffnungen herumnähen muss. Bei der Anastomosenanlage ist darauf zu achten, dass die gesamte Aortenwand einschließlich der Adventitia erfasst wird. Je nach Wandbeschaffenheit ist hier eine 5/0- oder auch eine 4/0-Naht zu empfehlen. Zuerst wird das linke Ostium an die Aszendensprothese angeschlossen (. Abb. 25.5). Zweckmäßigerweise näht man den herznahen Anteil der Koronaranastomose, indem man aus der Prothese herausstechend den Unterrand des Ostiums fasst. Beim übrigen Umfang der Anastomose ist die Stichrichtung von untergeordneter Bedeutung. Ungeachtet dessen ist es leichter, die Nahtreihe auf sich zu nähend um die Anastomose herumzuführen. Der Anschluss des rechten Koronarostiums an die Prothese erfolgt auf die gleiche Weise und ist in der Regel technisch einfacher (. Abb. 25.6).
697 25.2 · Aneurysma der Aorta ascendens
. Abb. 25.7. Die Dichtigkeit der Anastomosen zwischen Koronarostien und Prothese wird mittels Infusion kardioplegischer Lösung in das distal abgeklemmte Prothesenrohr getestet
Es hat sich bewährt, die beiden Koronaranastomosen vor Fertigung der distalen prothesioaortalen Anastomose auf Dichtigkeit hin zu prüfen (Borst 1981). Man klemmt dazu das distale Ende der Kombinationsprothese ab und setzt diese mit kardioplegischer Lösung oder über eine gesonderte arterielle Zuleitung unter Druck (. Abb. 25.7). Noch vorhandene Blutungsquellen können jetzt leicht erkannt und unschwer versorgt werden; nach Fertigstellung der distalen prothesioaortalen Anastomose ist dies erheblich erschwert. 25.2.3.3
. Abb. 25.8. Distale prothesioaortale Anastomosierung mit fortlaufender überwendlicher Naht aus dem Lumen heraus. Es ist günstiger, die Aorta vollständig zu durchtrennen
lung der Anastomose am vorderen Aortenumfang bleibt manchmal ein mehr oder weniger großer Prothesenzwickel übrig, den man zur Entlüftung des Herzens benutzen kann, um ihn danach an seiner Basis abzunähen und zu entfernen.
Distale Anastomosierung
Unabhängig von der gewählten proximalen Aortenrekonstruktion wird die Prothese im nächsten Schritt mit der distalen Aorta ascendens anastomosiert. In der Regel wird diese Verbindung knapp stromaufwärts der Okklusionsklemme hergestellt. Bei in den Bogen reichenden Aneurysmen und gelegentlich auch bei Dissektion muss dagegen eine mehr distale Verankerung erfolgen (s. unten, 25.4.3, »Proximaler Ersatz«). Zur Fertigung der herzfernen prothesioaortalen Verbindung bieten sich 2 Varianten an: Entweder erfolgt sie vollständig aus dem Lumen der Aorta heraus mit transmural durchgreifender fortlaufender Naht. Als Alternative hierzu durchtrennen wir die Aorta oftmals etwa 12 mm entfernt von der Okklusionsklemme in Richtung Herz, sodass die Anastomose Kante auf Kante hergestellt werden kann (. Abb. 25.8). Diese Variante besitzt den Vorteil, dass später entdeckte Blutungsquellen leicht einzusehen und unschwer zu stillen sind. Die Aneurysmalefzen werden nicht mit eingenäht, sondern bei einer späteren Protheseninklusion getrennt mit der anastomosennahen Aorta verbunden (s. unten, »Protheseninklusion«). Vor Beginn der prothesioaortalen Anastomosierung wird die Okklusionsklemme in Richtung Herz herabgezogen und das oft weit nach kaudal und links abgewichene Herz angehoben. Danach schneidet man die Prothese auf die erforderliche Länge zurück, in der Regel stark anschrägend. Es folgt die End-zu-End-Anastomose mit doppelt armiertem 3/0Polypropylenfaden, die man am hinteren Umfang von der Prothese zur Aorta hin stechend beginnt. Nach Fertigstel-
25.2.3.4
Protheseninklusion
Das Originalverfahren nach Bentall und De Bono ermöglicht die Anlage einer vollständigen, die gesamte Aszendensgefäßprothese umscheidenden Inklusion. Nach Freigabe der Aorta schneidet man die redundanten Lefzen des Aneurysmas zurück, wobei proximal wie distal (hier auch linksseitig) entsprechend große Zwickel der Aneurysmawand entfernt werden müssen, um einen passgenauen Einschluss der Prothese in den Aneurysmamantel zu erzielen. Dieser erfolgt mittels fortlaufender überwendlicher Naht, bei dünner Aneurysmawand mittels fortlaufender Matratzen- und zusätzlicher überwendlicher Naht. Man beginnt die Naht am besten am tiefsten Punkt des Operationsfeldes im Bereich des akoronaren Sinus und führt sie über den Scheitel der Aszendens hinweg. Distal vereinigt man die rechts und links stehengebliebenen Aneurysmalefzen mit der Adventitia der Aortenwand knapp stromabwärts der prothesioaortalen Anastomose; bei Verwendung von Teflonfilzstreifen verbindet man sie mit diesen. Das von uns bervorzugte, durch Exzision der Koronarostien von der Originalmethode Bentalls und De Bonos modifizierte Verfahren ermöglicht im Bereich der Aortenwurzel keine vollständige, hämostatisch wirksame Protheseninklusion. Dadurch entfällt ein wesentlicher Grund für die Anlage einer Protheseninklusion überhaupt, weshalb wir hierauf häufig ganz verzichten. Es ist nicht belegt, dass eine Protheseninklusion postoperativ einen wirksamen
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Kapitel 25 · Aneurysma und Dissektion der thorakalen und thorakoabdominalen Aorta
Schutz der Prothese vor einer Infektion bei Mediastinitis bewirken kann. 25.2.3.5
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Gleichzeitige Koronarrevaskularisation
Eine Koronarrevaskularisation kann im Zuge des Aortaascendens-Ersatzes (mit oder ohne Klappenwechsel) bei Vorliegen einer ischämischen Herzkrankheit oder – seltener – eines Schadens im Bereich der Koronarostien (Sklerose, Dissektion) erforderlich werden. Im Fall einer Koronarsklerose erfolgt zunächst der Anschluss der peripheren Herzkranzgefäße an die Bypassbrücken in üblicher Weise, während man bei technisch bedingter Opferung eines Koronarostiums eine möglichst kurze Verbindung herstellt. Muss ein Koronarostium verschlossen werden, so ist es von entscheidender Bedeutung, eine retrograde Leckage zu verhindern. Dies erreicht man am sichersten durch eine tiefgreifende, stets unterfütterte Matratzennaht. Der proximale Anschluss von Venenbrücken kann bei Vorliegen eines Aorta-ascendens-Aneurysmas, insbesondere einer Dissektion, problematisch sein. Es gibt 2 Varianten: einmal der von uns bevorzugte Anschluss der Brücke(n) an den Truncus brachiocephalicus, der während dieses Operationsakts, wenn irgend möglich, tangential ausgeklemmt wird, sowie der Anschluss an die Aortenprothese. Wir wählen die letztgenannte Möglichkeit nur dann, wenn der Truncus, etwa bei ausgedehnter Dissektion oder palpabler Sklerose, nicht zur Verfügung steht. In diesem Fall wird zunächst ein runder Perikard-Patch mit einem Durchmesser von etwa 1,5–2 cm in die Aortenprothese eingenäht, in dessen Zentrum danach die Bypassanastomosierung erfolgt. Dieses Verfahren ist zwar aufwendiger als eine direkte Anastomosierung, schützt aber vor der Ausbildung einer Anastomosenstenose infolge einer Intimahyperplasie. 25.2.3.6
Alternative Methoden des proximalen Aortenersatzes
Wichtige Alternativen zu den Verfahren von Bentall und De Bono (1968) und ihrer Variante ergeben sich dann, wenn als Substitut der erkrankten nativen Aortenklappe ein »biologischer« Herzklappenersatz angestrebt wird. Hierfür kommen das Verfahren nach Ross (1967), die Implantation von Kombinationsimplantaten mit biologischer Herzklappenprothese (Etz et al. 2007) und neuerdings auch porcine Aortenwurzelimplantate in Betracht (Carrel et al. 2003). Inwiefern ein humanes Aortenwurzeltransplantat (Homograft) zum Ersatz einer infizierten Kombinationsprothese Vorteile mit sich bringt, hängt vom Vorliegen eines ausgeprägten Aortenwurzelabszesses ab. In diesem Fall nutzen wir diese Option häufig, weil ein aortaler Homograft eine sichere Verankerungsmöglichkeit im linksventrikulären Ausflusstrakt bietet (Yankah et al. 2005). Eine andere Variante haben Cabrol und Mitarbeiter (1986) an einer großen Anzahl von Patienten durchgeführt. Diese Autoren verbinden die beiden Koronarostien zu-
. Abb. 25.9. Kombinierter Ersatz von Aorta ascendens und Aortenklappe nach Cabrol. Die beiden Koronarostien wurden mit Hilfe einer 8-mm-Prothese miteinander verbunden. Anschließend wird diese laterolateral mit der Aortenprothese anastomosiert
nächst mit einer 8-mm-Dacronprothese und anastomosieren diese dann Seit-zu-Seit mit dem Aszendensrohr (. Abb. 25.9). Einen Vorteil dieses Verfahrens sehen wir darin, dass Koronarostien, die nur wenig oder gar nicht vom Aortenanulus abgerückt sind, einfach an die Prothese angeschlossen werden können. Andererseits erfordert diese Methode die Implantation einer weiteren Prothese mit ihren Komplikationsmöglichkeiten, und sie verbietet einen straffen Protheseneinschluss, weil sonst die Bypassbrücke komprimiert würde. Im Fall einer Anastomosenblutung empfehlen Cabrol et al. (1981), den um die Prothese verschlossenen Aneurysmamantel zwecks Dekompression mit dem rechten Herzohr zu anastomosieren (. Abb. 25.10). Der auf diese Weise entstehende Shunt soll in der Regel im Laufe der Zeit verschwinden; hierüber gibt es allerdings unterschiedliche Erfahrungen. Deshalb haben wir dieses Verfahren nur im Ausnahmefall genutzt und würden es auch nur unter anderweitig nicht beherrschbaren Bedingungen einsetzen. Eine früher eingesetzte Methode der operativen Behandlung von proximalen Aortenaneurysmen ist die bloße Reduktions- und Einscheidungsplastik, die von der Gruppe um Senning (Egloff et al. 1982) v. a. für die Behebung der poststenotischen Dilatation empfohlen und von Robicsek
. Abb. 25.10. Entlastung des unter Druck stehenden periprothetischen Mantels durch seine Anastomosierung mit dem rechten Herzohr nach Cabrol
699 25.2 · Aneurysma der Aorta ascendens
(1982) auch bei anuloaortaler Ektasie angewandt wurde. Die Aorta ascendens wird dabei zunächst so weit wie möglich zirkulär mobilisiert und dann in ihrer Längsachse und in den akoronaren Sinus hinein eröffnet. Das Gefäß wird auf ein normales Kaliber reduziert und die Klappe ersetzt. Zwei bis 3 Klappennähte im akoronaren Umfang der Aorta werden nach außen durch die Aortenwand hindurchgestochen. Nach dem Verschluss der Aorta mittels fortlaufender Naht umhüllt man das Gefäß mit einer aufgeschnittenen, proximal angeschrägten Kunststoffprothese entsprechenden Durchmessers, die man mit Hilfe der durch die Aortenbasis gestochenen Nähte fixiert, um sie anschließend unter mäßiger Spannung um das Gefäßrohr zu vernähen. Es liegt auf der Hand, dass das erkrankte Fundament einer auf solche Weise rekonstruierten Aorta zum großen Teil stehenbleibt. Aus diesem Grund haben wir dieses Vorgehen weitgehend verlassen und führen eine Reduktionsplastik der Aorta ascendens – wenn erforderlich – lediglich bei hochbetagten Patienten im Zuge eines Aortenklappenersatzes durch.
25.2.4
Ersatz der Aorta ascendens mit Aortenklappenrekonstruktion
Kommt es bei einer anuloaortalen Ektasie der Aortenwurzel durch Auseinanderweichen der Kommissuren bei morphologisch intakten Klappentaschen zu einer zentralen Aortenklappeninsuffizienz, so ist häufig die Rekonstruktion der Aortenwurzel unter Erhalt der Aortenklappe möglich. Yacoub (Yacoub et al. 1983) entwickelte die Methode der Remodellierung der Aortenwurzel für Patienten mit Aneurysma. Die erweiterte Aorta ascendens wird mit den Sinus Valsalvae reseziert, und die Koronarostien werden aus der Aortenwand exzidiert. Die Aortenklappe wird mit ihren Kommissuren und einem schmalen Saum von Aortengewebe zum Ansatz der Klappentaschen hin belassen. Nun schneidet man eine Dacronprothese am proximalen Ende so zu, dass 3 zungenförmige Prothesenausläufer an den aortalen Saum anastomosiert werden können. Anschließend re-implantiert man die exzidierten Koronarostien in die auf diese Weise ersetzten Sinus Valsalvae. Die Aortenbasis sollte im Anulus durch einen Ring aus autologem Perikard verstärkt werden, um eine erneute anuloaortale Dilatation zu verhindern. Im eigenen Vorgehen bevorzugen wir als klappenerhaltenden Ersatz der Aorta ascendens jedoch die Re-Implantationsmethode nach David (David u. Feindel 1992), da sie eine weitgehend vollständige Resektion des erkrankten Aortengewebes erlaubt und eine sekundäre Dilatation des Aortenanulus verhindert. 25.2.4.1
Indikationen für die Re-Implantationsmethode
Ein wichtiger Vorteil der Aortenklappenrekonstruktion liegt darin, dass keine langfristige Antikoagulation durch
Cumarinderivate erforderlich ist. Als Nachteil mag ihre bisher nicht abgesicherte Langzeitprognose gewertet werden, wobei die verfügbaren Nachuntersuchungsergebnisse bisher eher günstig ausgefallen sind (Kallenbach et al. 2005). Während David die Re-Implantationsmethode für Patienten mit Aortenwurzelaneurysma und Aorteninsuffizienz bei intakter Klappentaschenmorphologie beschrieben hatte, wird diese Technik heute auch bei Aorteninsuffizienz ohne ausgeprägte Aortenektasie, bei akuter Aortendissektion Typ A, bei bikuspider Aortenklappe, bei gering ausgeprägtem Prolaps eines oder mehrerer Klappensegel und auch im pädiatrischen Patientengut angewendet (David et al. 2001; Kallenbach et al. 2002, 2004; Karck u. Haverich 2005; Vricella et al. 2005). Die Langzeitprognose aortenklappenerhaltender Operationstechniken bei Patienten mit Marfan-Syndrom und Aortenwurzelektasie wird kontrovers diskutiert und bedarf noch weiterer Klärung (Karck et al. 2004). Unabhängig davon, ob ein Marfan-Syndrom besteht oder nicht, setzen wir die Re-Implantationsmethode im eigenen Vorgehen bei allen Patienten mit strukturell intakten Klappentaschen ein. Ausgeprägte Stressfenestrationen oder ein sehr ausgeprägter Prolaps eines oder mehrerer Klappentaschen weisen beim Marfan-Syndrom auf fortgeschrittene strukturelle Veränderungen der Aortenklappe hin, weshalb hier dann eine Rekonstruktion unterbleiben sollte. 25.2.4.2
Re-Implantation der Aortenklappe
Die Aorta wird transversal in Höhe des sinotubulären Übergangs eröffnet und hier komplett durchtrennt (Karck u. Haverich 2005). Besonderes beim Marfan-Syndrom ist diese Struktur jedoch meist nicht mehr erhalten, sondern stattdessen in der Marfan-typischen Aortenwurzelektasie aufgegangen. In diesem Fall sollte die Aorta ascendens deutlich weiter distal eröffnet werden, um eine Verletzung der gelegentlich überraschend weit stromabwärts gewanderten Koronarostien oder elongierter Kommissuren zu vermeiden. Die distale Aorta wird mit einer Haltenaht kopfwärts aus dem Operationsgebiet gehalten. Nach Applikation der Kardioplegielösung über die Koronarostien wird die Aortenklappe inspiziert. Die Entscheidung für oder gegen eine Rekonstruktion hängt von der Wiederherstellbarkeit der Klappengeometrie, dem Kalzifizierungsgrad der Taschen und davon ab, ob die Herzklappe makroskopisch strukturell intakt wirkt. Bei der Rekonstruktion wird die Aortenwurzel von außen so weit nach proximal mobilisiert, bis eine virtuelle, annähernd horizontale Ebene nahe der Nadire der Sinus Valsalvae erreicht ist. Dann werden die Koronarostien U-förmig aus der Aortenwand ausgeschnitten und mit Haltenähten beiseite gehalten, bevor man die Sinus Valsalvae bis auf einen Randsaum von 4–5 mm zur Ansatzlinie der Klappentaschen hin reseziert (. Abb. 25.11). Zur Durchmesserermittlung der zur AortenklappenRe-Implantation bestimmten Gefäßprothese werden zunächst 3 doppelt armierte Haltenähte an den Kommissuren
25
700
25
Kapitel 25 · Aneurysma und Dissektion der thorakalen und thorakoabdominalen Aorta
. Abb. 25.11. Re-Implantationsmethode nach David. Die Aortenwand wurde reseziert, die Kommissuren sind mit einem 4–5 mm breiten Saum von Aortenwand belassen worden. Die Kommissuren werden mit Haltefäden aufgehängt. Die Koronarostien wurden U-förmig aus der Aortenwand ausgeschnitten und mit Haltenähten beiseite gehalten
. Abb. 25.12. Zur Verankerung der Gefäßprothese werden bis zu 12 doppelt armierte Polyesternähte transmural aus einer horizontalen subvalvulären Ebene des linken Ventrikels heraus nach außen gestochen
vorgelegt. Unter leichtem Zug richtet man sie parallel zueinander aus, sodass es zu einer gut sichtbaren Koaptation der Klappentaschen kommt. In dieser Position hält der Assistent ein handelsübliches Herzklappenprothesenphantom oder einen Hegar-Stift über die Aortenwurzel, wobei der Durchmesser so gewählt wird, dass die Kommissurennähte unter paralleler Ausrichtung vom Messgerät berührt werden. Zu diesem Durchmesser addiert man 2–3 mm hinzu, um den passenden Gefäßprothesendurchmesser zu ermitteln. Dieser Summand fließt in die Berechnung mit ein, da die Gefäßprothese die Herzklappe von außen als Ganzes umfasst. Zur Verankerung der Gefäßprothese werden zunächst bis zu 12 doppelt armierte Polyesternähte transmural aus einer horizontalen subvalvulären Ebene des linken Ventrikels heraus nach außen gestochen (. Abb. 25.12). Die Gefäßprothese wird jetzt auf eine geeignete Länge gekürzt. Anschließend markieren wir die späteren Kommissurenpositionen mit einem Stift außen an der Prothese, indem der Perimeter der Prothese in 3 gleichseitige Segmente unterteilt wird. Nachdem man nun zunächst die Haltenähte an den Kommissuren durch das Prothesenlumen hindurchführt und an Klemmchen beiseite hält, werden die Nähte an der jeweils korrespondierenden Position des proximalen Prothesenendes durchstochen. Die Prothese wird anschließend durch Ligatur der vorgelegten Nähte in die Aortenbasis heruntergeführt und dort verankert.
versetzt. Der Gewebesaum der ausgeschnittenen Sinus Valsalvae wird sodann mittels fortlaufender 4/0-Naht in die Gefäßprothese re-implantiert. Man beginnt hierbei jeweils am Nadir der Sinus und näht auf die Kommissuren zu (. Abb. 25.13). Die sich treffenden Nähte werden außerhalb der Prothese über den Kommissuren miteinander verknotet, ebenso die kommissuralen Haltenähte. Nun kann man die Kompetenz der Klappe mit einer »Wasserprobe« testen. Anschließend werden die Koronarostien in die Neokoro-
! Der während der Ligatur aufgebrachte Fadenzug darf nicht zu stark sein, da es sonst zu einer ungewollten Raffung des Anulus kommt.
Danach werden die Haltenähte an den Kommissuren von innen durch die Prothese gestochen und unter leichten Zug
. Abb. 25.13. Die Kommissuren werden in der Prothese unter leichtem Fadenzug aufgehängt, und der Gewebesaum der ausgeschnittenen Sinus Valsalvae wird in die Gefäßprothese re-implantiert
701 25.3 · Dissektion der Aorta ascendens
narsinus re-implantiert, entsprechend dem Vorgehen bei infrakoronarem Aszendensersatz. Der Anschluss an die distale Aorta erfolgt befundabhängig als prothesioaortale oder aber prothesioprothesiale Anastomose. Vor der Entwöhnung von der extrakorporalen Zirkulation sollte die Klappenfunktion mittels transösophagealer Echokardiographie überprüft werden. 25.2.4.3
Modifikationen der Re-Implantationsmethode
Die oben beschriebene Re-Implantationsmethode entspricht der ursprünglich von David vorgeschlagenen Technik (sog. David-I-Methode; David u. Feindel 1992). Seither werden in Abwandlung von der Originalmethode verschiedene Modifikationen empfohlen, die eine weitgehend physiologische Rekonstruktion der Aortenwurzel erlauben sollen. David selbst verwendet hierfür eine um bis zu 5 mm im Durchmesser überdimensionierte Gefäßprothese, die bei der Verankerung im Aortenfundament durch Raffung Neosinus erzeugen lässt (David et al. 2007). Miller generiert Neosinus durch multiple Plikaturen im Verlauf der Gefäßprothese (Demers u. Miller 2004). De Paulis entwickelte eine spezielle Gefäßprothese mit vorgefertigtem Neoaortenbulbus (De Paulis et al. 2000). Experimentelle und klinische Studien zeigen nach Re-Implantation der Nativklappe in mit Neosinus modellierten Prothesen ein gegenüber der David-I-Methode physiologischeres Klappenschlussverhalten (Aybek et al. 2005; De Paulis et al. 2002). Inwiefern dieses Phänomen jedoch für die Langzeitfunktion nach Aortenklappen-Re-Implantation im Vergleich zur David-IMethode relevant ist, bleibt abzuwarten.
25.2.5
Komplikationen
Die wesentliche Komplikation des proximalen Aortenersatzes ist die unstillbare Hämorrhagie. Während sich Blutungen aus der distalen prothesioaortalen Anastomose in aller Regel durch zusätzlich unterfütterte Nähte problemlos stillen lassen, können größere Blutaustritte aus der proximalen Anastomose oder den koronaren Anastomosen tödlich sein. Kommt es trotz der oben aufgeführten Kautelen zu größeren Blutungen in diesen Bereichen und lassen sich diese nicht von außen stillen, so ist es am zweckmäßigsten, die Aszendensprothese unter erneuter Aortenabklemmung längs zu eröffnen. Auf diese Weise gewinnt man einen ausreichenden Zugang sowohl zum hinteren Umfang der Aortennähte als auch zu den koronaren Anastomosen. Zeigt die intraoperative Echokardiographie nach Rekonstruktion der Aortenklappe eine ausgeprägtere Insuffizienz, sollte die Aortenklappe ersetzt werden. Nach erneuter Klemmung der Aorta wird die prothesioaortale Anastomose wieder aufgelöst. Um eine bessere Übersicht über die Aortenwurzel zu gewinnen, kann man die Gefäßprothese im Bereich des akoronaren Neosinus basiswärts zusätzlich
einschneiden. In erneuter Kardioplegie werden die Klappentaschen reseziert, und es wird eine Herzklappenprothese in üblicher Technik im Nativanulus verankert.
25.3
Dissektion der Aorta ascendens
25.3.1
Diagnostik und Indikationen
Die akute Typ-A-Aortendissektion stellt mit einer initialen Spontanletalität von etwa 1 % pro Stunde eine der dringlichsten Operationsindikationen der kardiovaskulären Chirurgie dar (Anagnostopoulos et al. 1972). Die auch in erfahrenen Händen immer noch beträchtliche perioperative Letalität (De Bakey et al. 1982) beweist einerseits die Bedrohlichkeit der akuten Dissektion, andererseits das Vorhandensein von bislang nicht endgültig gelösten chirurgisch-technischen Problemen (Bachet et al. 1999; Fann et al. 1995; Hagan et al. 2000; Kallenbach et al. 2004; Safi et al. 1998a). Die Diagnose lässt sich sowohl echokardiographisch als auch per Kontrastmittelcomputertomographie durch Nachweis einer Dissektionsmembran in der Aorta ascendens sichern. Die Computertomographie erlaubt darüber hinaus Aussagen über die Ausdehnung der Dissektion und entstandene Malperfusionspathologien. Eine Magnetresonanztomographie ist wegen des Aufwandes und der langen Dauer in dieser Notfallsituation nicht indiziert. Entsprechend der betroffenen Aortenabschnitte werden die Dissektionen nach DeBakey oder aber nach der heute gebräuchlichen Stanford-Klassifikation eingeteilt (. Abb. 25.14). Von einer Typ-A-Aortendissektion spricht man, wenn die Aorta ascendens disseziiert ist, unabhängig von der Ausdehnung stromabwärts. Von der Operationsindikation ausgeschlossen sind lediglich Patienten mit Zeichen einer schwersten zerebralen Schädigung, nicht dagegen jene mit diskreteren neurologischen Ausfällen. Sonstige ischämische Komplikationen an beliebiger Stelle sind kein Hinderungsgrund für ein akutes Eingreifen, ebensowenig wie andauernde Reanimationsmaßnahmen, solange hierdurch ein suffizienter Kreislauf bis zum Anschluss an die Herz-Lungen-Maschine aufrechterhalten werden kann. Die Diagnostik der chronischen Dissektion entspricht derjenigen des Aneurysmas der proximalen Aorta und umfasst unter Elektivbedingungen eine Magnetresonanztomographie oder eine hochauflösende Kontrastmittelcomputertomographie. Bei älteren Patienten muss präoperativ der Koronarstatus erhoben werden, vorzugsweise per Angiographie. Ziele der Operation sind die Abwendung einer Aortenruptur, die Beseitigung einer Aorteninsuffizienz und nicht selten die Behebung ischämischer Komplikationen an peripheren Organen.
25
702
Kapitel 25 · Aneurysma und Dissektion der thorakalen und thorakoabdominalen Aorta
25
. Abb. 25.14. Einteilung der Aortendissektionen nach DeBakey und nach der Stanford-Klassifikation
25.3.2
Zugang und extrakorporale Zirkulation
Sternotomie und extrakorporale Zirkulation, Myokardprotektion mit Kardioplegie und kalter Perikardirrigation sowie die Drainage der linken Herzkammer entsprechen den herkömmlichen Prinzipien (7 25.2.1). Zur Vermeidung von Embolie oder Malperfusion sollte zur arteriellen Kanülierung ein Gefäß gewählt werden, über das man antegrad perfundieren kann. Dazu bietet sich die Kanülierung der rechten A. axillaris bzw. A. subclavia an, bei schmalem Gefäßdurchmesser über eine zuvor End-zu-Seit angeschlossene Gefäßprothese (Reuthebuch et al. 2004). Die Vorteile dieses Vorgehens liegen darin, dass die Perfusion über den meist nicht dissezierten Truncus brachiocephalicus erfolgen kann. Später kann über diesen Zugang auch eine antegrade Hirnperfusion vorgenommen werden. Alternativ lässt sich die dissezierte Aorta im Aszendensoder im proximalen Bogensegment auch direkt kanülieren (Minatoya et al. 2003). Die Gefäßpunktion kann ggf. unter echokardiographischer Kontrolle erfolgen, um hierdurch zu gewährleisten, dass die Spitze der Perfusionskanüle im wahren Lumen platziert wird. Zur retrograden Perfusion wird die A. femoralis kanüliert, wobei man im seltenen Fall einer auf diesem Niveau noch vorhandenen Dissektion das wahre Lumen zu intubieren versucht.
! Bei allen Kanülierungsarten muss der Druck in einer A. femoralis und in der rechten A. radialis gemessen werden, um eine Mangelperfusion des echten Aortenlumens rechtzeitig erkennen zu können (s. unten, 25.3.6).
Überdies hat sich die intraoperative Überwachung der zerebralen Sauerstoffsättigung in beiden Gehirnhemisphären als hilfreich erwiesen, besonders während der Phase des Kreislaufstillstandes bei selektiver antegrader Hirnperfusion (Orihashi et al. 2004). Sobald der Patient auf den totalen extrakorporalen Bypass übernommen ist, wird die Aorta auf Höhe der Perikardumschlagfalte mobilisiert, um bei Eintreten von Ventrikelflimmern das Gefäß möglichst rasch und hoch abklemmen zu können. Breit fassende weiche Okklusionsklemmen und ein vorsichtiges Schließen der Branchen vermeiden ein Einbrechen der geschädigten Aortenwand. Will man dieses Risiko ganz ausschalten, wird besonders bei Vorliegen einer akuten Dissektion die »no clamp technique« empfohlen. Hierbei wird auf die Klemmung der Aorta ganz verzichtet und der Patient stattdessen auf ein hypothermes Temperaturniveau ausgekühlt, um die Aorta erst nach Induktion des Kreislaufstillstandes zu eröffnen (Bavaria et al. 1996). Dabei ist auf jeden Fall eine Entlastung des linken Ventrikels zu gewährleisten.
703 25.3 · Dissektion der Aorta ascendens
25.3.3 Methodenwahl
25.3.4 Akute Typ-A-Dissektion
Der Standardeingriff bei Fehlen einer ausgeprägten anuloaortalen Ektasie ist der Aorta-ascendens-Ersatz mit nach stromabwärts hin erfolgender Resektion oder Rekonstruktion der dissezierten Wandschichten. Das methodische Vorgehen im Bereich der Aortenwurzel hängt davon ab, ob die Aortenklappe erhalten werden kann oder ersetzt werden muss. Bei normaler Klappentaschenmorphologie kann bei akuter Dissektion durch eine Resuspension der Kommissuren mit Klebung der Dissektionsmembran in der Aortenbasis und einen suprakommissuralen Aszendensersatz ein gutes Ergebnis erzielt werden. Berichte über spät postoperativ beobachtete Redissektionen der Aortenwurzel stellen die Wertigkeit dieses Verfahrens jedoch infrage, besonders für jüngere Patienten (De Paulis et al. 2005; Fukunaga et al. 1999). Wir führen diesen Eingriff deshalb nur in Ausnahmefällen bei sehr betagten Patienten durch. Stattdessen bevorzugen wir beim eigenen Vorgehen, möglichst die gesamte dissezierte Aortenwandung unter Erhalt des klappentragenden Abschnitts zu resezieren und die Aortenklappe – unabhängig vom Durchmesser der Aortenwurzel – nach dem von David beschriebenen Verfahren zu rekonstruieren (Kallenbach et al. 2004). Ein Ersatz des Aortenfundaments durch eine Kombinationsprothese wird dann notwendig, wenn der Aortenbulbus ektatisch ist und wenn ausgeprägtere pathologische Veränderungen an der Aortenklappe vorliegen. Bei älteren Patienten stehen hierfür Implantate mit biologischer Herzklappenprothese zur Verfügung. Auch können individuelle Kombinationsprothesen aus biologischer Herzklappe und Dacronprothese ohne großen Zeitaufwand intraoperativ hergestellt werden (»Bio-Bentall«). Bei Vorliegen eines Marfan-Syndroms, einer eher für die chronische Dissektion typischen anuloaortalen Ektasie oder einer auf die ektatische Aorta aufgepfropften akuten Dissektion können Aorta ascendens und Klappe ebenfalls gemeinsam ersetzt werden. Wir ziehen aber auch hier – wenn durchführbar – gerade bei den meist jüngeren Patienten mit Marfan-Syndrom die klappenerhaltende Re-Implantationsmethode vor (Karck et al. 2004). Eine Revision des Bogens (bei Kreislaufstillstand und moderater Hypothermie mit selektiver antegrader Hirnperfusion) führen wir bei jeder Aortendissektion vom Typ Stanford A und bei aneurysmatisch erweitertem Aortenbogen durch (Hagl et al. 2002; Kamiya et al. 2007). Das Ausmaß des Bogeneingriffs hängt dabei vom Gefäßdurchmesser und von der Dissektionspathologie im Aortenbogen ab. Von diesem Vorgehen weichen wir nur bei der seltenen Aortendissektion vom Typ De Bakey II ab, wenn die Dissektion im distalen Aszendenssegment ohne Eröffnung des Aortenbogens kurativ behandelt werden kann.
Unter Bedingungen der extrakorporalen Zirkulation wird die Aorta ascendens längs über die dünnwandige, durch die Dissektion von den beiden inneren Wandschichten separierte Adventitia eröffnet. Man erkennt jetzt die weißliche, dickere Wand des wahren Lumens, das in der Regel wenige Zentimeter stromabwärts der Aortenklappe das proximale »entry« trägt (. Abb. 25.15). Eine reichliche Thrombenbildung in der proximalen Tasche der Dissektion weist auf eine distale Lage des proximalen Einrisses hin. Die Aorta wird nun mit allen Wandschichten komplett etwa 5 mm stromabwärts der Aortenklappenkommissuren durchtrennt und bis einige Millimeter an die Aortenklemme heran reseziert. Aortenklappe und Koronarostien sind nun gut zu übersehen. Es erfolgt die Induktion des kardioplegischen Herzstillstandes, der je nach Zustand der Koronarostien antegrad über die Ostien selbst oder retrograd nach Einführung eines Perfusionskatheters über den Koronarsinus herbeigeführt wird. ! Beide Koronarostien müssen vor der Intubation sorgfältig untersucht werden, da besonders die rechte Kranzarterie abgangsnah gelegentlich mit in die Dissektion einbezogen ist oder gar ein »entry« aufweist.
Die nun folgende Analyse des Aortenwurzelbefundes bestimmt das weitere Vorgehen. Sprechen Geometrie und Struktur der Klappentaschen für die Re-Implantationsmethode, wird der Aortenbulbus von außen bis nach proximal an die Aortenbasis hinab freipräpariert (7 25.2.4, »Re-Implantation der Aortenklappe«). Reicht die Dissektion bis an diese heran, ist die Adventitia hier meist blutig imbibiert. Sie muss dennoch während dieses Präparationsschritts möglichst intakt bleiben, da sie später zur Stabilisierung der Nahtreihe bei der Re-Implantation der Aortenwurzel in die Gefäßprothese benötigt wird. Die beiden Koronarostien
. Abb. 25.15. Aortotomie bei akuter Dissektion. Die Aorta ascendens wurde durch einen hockeyschlägerförmigen Schnitt eröffnet. Das proximale »entry« liegt in der Wand des wahren Lumens
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Kapitel 25 · Aneurysma und Dissektion der thorakalen und thorakoabdominalen Aorta
werden nun trompetenförmig samt Adventitia aus der Aortenwand exzidiert und beiseite gehalten. Das weitere Vorgehen gleicht demjenigen bei nicht dissezierter Aortenwurzel, wobei das Gewebe bei akuter Dissektion im Unterschied hierzu erheblich fragiler ist (7 25.2.4, »Re-Implantation der Aortenklappe«). Entschließt man sich hingegen zur Rekonstruktion der dissezierten Aortenwurzel in toto, muss sie – unter möglichst vollständigem Erhalt der Adventitia – lediglich so weit zur Aortenbasis hin freipräpariert werden, wie es zur weiteren Handhabung erforderlich ist (. Abb. 25.16). Das Ziel der Rekonstruktion liegt in der Wiedervereinigung der dissezierten Aortenwand. Hierfür kommt eine Klebung mit biokompatiblen Klebern (Gelatin-Resorcin-FormaldehydKleber; Bioglue, Fa. Cryolife) in Betracht oder die Re-Adaptation durch eine fortlaufende Naht unter Verstärkung mit einem oder mehreren Filzstreifen. Bei Verwendung von Gelatin-Resorcin-FormaldehydKleber wird das falsche Lumen, das sich oft lediglich im akoronaren Sinus bis zur Aortenbasis hinab verfolgen lässt, mit beiden Kleberkomponenten sparsam aufgefüllt. Anschließend werden die dissezierten Wandschichten unter moderatem Druck adaptiert, wofür man spezielle Klemmen einsetzen sollte (Fixierklemme nach Borst, Aesculap, Art.-Nr. FB940R; . Abb. 25.17). Nach Aushärtung des gewebeimprägnierenden Klebers löst man die Klemmen und kann die auf diese Weise unter lederartiger Konsistenzver-
änderung rekonstruierte Aortenbasis nun an eine durchmessergleiche Gefäßprothese anastomosieren. Bei der Verwendung von Bioglue darf die Fixierungsklemme nach Borst nicht verwendet werden, da seine Wirkung – anders als diejenige des Gelatin-Resorcin-Formaldehyd-Klebers – lediglich über eine Gewebeverklebung ohne Imprägnierung vermittelt wird. Vor der breiten klinischen Einführung der Klebung war eine andere Technik der Aortenwurzelrekonstruktion weit verbreitet: Am posterioren Winkel der Aorta beginnend, werden hierbei die dissezierten Wandungen im Kommissurenniveau mittels fortlaufender 3/0-Matratzennaht miteinander vereinigt. Dabei wird das Gefäß außen mit einem Teflonfilzstreifen sowie zwischen den dissezierten Schichten mit einem zweiten Streifen unterfüttert (. Abb. 25.18). Bei brüchiger Wand des dissezierten wahren Lumens kann es von Vorteil sein, wenn die wiedervereinigende Aortennaht mit einem dritten, im Lumen vorgelegten Filzbalken unterlegt wird. Die Matratzennaht beendet man zweckmäßigerweise am Scheitel der Aorta. Vor Anziehen der Naht wird in die proximale Tasche der Dissektion reichlich Fibrinkleber gegeben, um sie vollständig zu obliterieren, da jegliche stromaufwärts der Rekonstruktionszone entstehende Blutung sehr schwer zu stillen ist. Sodann wird die wiedervereinigende Naht, die ausschließlich dem Aneinanderlegen der Wandschichten dient, geknüpft. Sie darf nicht zu fest angezogen werden, um ein Einbrechen der Aortenwand oder einen Tabaksbeuteleffekt zu vermeiden. Bei der Rekonstruktion der Aortenklappe werden die nun wieder in ihre normale Lage angehobenen Kommissuren mit je einer transmuralen 4/0-Matratzennaht zusätzlich gesichert.
. Abb. 25.16. Rekonstruktion von Aortenklappe und Aorta ascendens bei akuter Dissektion. Die Aorta ist weniger Millimeter stromabwärts der Klappenkommissuren vollständig durchtrennt
. Abb. 25.17. Kompressionsklemme nach Borst zur Adaptation dissezierter Aortus-Wandschichten bei Gewebeklebung
. Abb. 25.18. Alternativ zur Gewebeklebung werden die dissezierten Anteile der Aortenwand distal und proximal mittels fortlaufender Matratzennaht knapp distal der Klappenkommissuren miteinander vereinigt, wobei man Teflonfilzstreifen an der Aortenaußenseite und zwischen den Wandschichten vorlegt. Zur Obliteration der verbleibenden herznahen Tasche der Dissektion kann man diese mit Fibrinkleber beschicken. Durch die Dissektion abgescherte Aortenklappenkommissuren (meistens die des akoronaren Sinus) resuspendiert man zusätzlich durch transmural geführte unterfütterte Matratzennähte (. Abb. 25.18). Distal werden die dissezierten Wandschichten in ähnlicher Weise re-approximiert
705 25.3 · Dissektion der Aorta ascendens
a
b
. Abb. 25.19a, b. Rekonstruktion eines dissezierten rechten Koronarostiums. a Der Rand der partiell oder gänzlich aus der Wand des echten Aortenlumens ausgerissenen Koronararterie wird mit einer von innen nach außen geführten 5/0-Naht gefasst und mit dem Orifizium in der Aortenwand wiedervereinigt. b Nach Wiederherstellung des Ostiums werden die dissezierten Wandanteile verbunden, indem man um den herzfernen Umfang des Ostiums herumnäht
Erfasst die Dissektion das rechte oder seltener das linke Koronarostium, so müssen die Wandschichten des betroffenen Ostiumumfangs zunächst mittels fortlaufender überwendlicher 5/0-Prolenenaht miteinander vereinigt werden. Ist die eine oder andere Koronarie vollständig von ihrem Ostium abgerissen, so sollte bei entsprechend großem Gefäßlumen eine zirkuläre Re-Approximation zumindest versucht werden, indem man mittels fortlaufendem 6/0-Faden, jeweils aus dem Ostium heraus stechend, die abgescherte Koronararterie zusammen mit der äußeren Wand der Aorta fasst und vernäht (. Abb. 25.19). Bei kleinem Ostium dürfte eine Koronarüberbrückung unausweichlich sein (Kawahito et al. 2003; Neri et al. 2001). Dazu führt man in die rechte Koronararterie eine Sonde ein, um das Gefäß knapp außerhalb der Aorta aufsuchen und proximal ligieren zu können. Den (Venen-)Bypass setzt man End-zu-Seit knapp jenseits der Ligatur auf das Koronargefäß auf. Ein solches Vorgehen erfordert zwangsläufig einen Aorta-ascendens-Ersatz, um einen Fußpunkt für das Bypassgefäß zu gewinnen – es sei denn, man verwendet einen A.-mammaria-Bypass. Die distale Wandrekonstruktion wird vielfach in derselben Weise vorgenommen wie für das Aortenfundament beschrieben. Von diesem Vorgehen wird lediglich bei ausgewählten Patienten mit dilatierter Aorta descendens oder distaler, durch Kompression des wahren Lumens bedingter Malperfusion abgewichen. Hier kann die später besprochene »Elephant-trunk«-Technik mit ihren Varianten – auch unter Einsatz neuartiger Implantate mit integrierter Gefäßstütze – Vorteile bieten.
25.3.5 Chronische Typ-A-Dissektion
Die Sanierung des Aortenfundaments bei chronischer Dissektion vom Typ A unterscheidet sich nur wenig vom Aorta-ascendens-Ersatz bei primärer anuloaortaler Ektasie.
Auch hier würden wir wegen der zugrunde liegenden degenerativen Aortenerkrankung eine radikale Elimination der Aortenwurzel mittels Re-Implantation der Aortenklappe in eine Dacron- (Methode nach David) oder eine CompositeProthese dem separaten Ersatz von Aszendensabschnitt und Aortenklappe vorziehen, und zwar umso mehr, als dabei die technisch anspruchsvolle Wiedervereinigung der dissezierten Wandschichten am Aortenfundament entfällt. Die herznahe Implantation der Dacronprothese bzw. des Conduits bereitet man vor, indem man die flottierenden Anteile der Wand des falschen Lumens unter Stehenlassen einer etwa 10 mm langen Manschette stromaufwärts der Aortenokklusionsklemme radikal exzidiert. Die herznahen Wandungen der dissezierten Aorta müssen in diesem Fall nicht rekonstruiert werden. Entschließt man sich bei vorgeschädigter Aortenklappe zum Klappenersatz, wird die Kombinationsprothese zunächst im Aortenanulus verankert. Anschließend werden die stets stromaufwärts abgewanderten Koronarostien in entsprechende Öffnungen des Aszendensabschnitts der Prothese implantiert, wie dies in Zusammenhang mit dem Vorgehen bei Aneurysma verum in Abschnitt 25.2.3 (Abschnitt »Gemeinsamer Ersatz«) beschrieben wurde. Lediglich bei Einrissen der inneren Aortenwand im Bereich der Koronarostien müssen hier die Abrisskanten am äußeren Mantel der Aorta mittels fortlaufender 5/0-Prolenenaht fixiert werden, sodass das betreffende Ostium anastomosierungsfähig wird. Eine Unterfütterung dieser Naht mit Teflonfilzstreifen kann aufgrund der narbig verfestigten äußeren Aortenwand in der Regel unterbleiben. Distal werden i. A. die dissezierten Aortenwandschichten im Aortenbogensegment ähnlich wie bei der akuten Dissektion miteinander vereinigt. Die Gewebeklebung hat sich hier allerdings aufgrund des häufig vollzogenen fibrotischen Umbaus der Wandschichten als ineffektiv erwiesen. Meist genügt es deshalb, eine wandvereinigende fortlaufende Matratzennaht außen mit Teflonfilz zu unterfüttern. Den distalen prothesioaortalen Anschluss stellt man unter breitem Fassen des so geschaffenen festen Widerlagers mittels fortlaufender überwendlicher 3/0- oder 4/0-Naht her.
25.3.6 Komplikationen
Dissektionsbedingte und auf die Operation zurückzuführende Veränderungen der aortalen Blutströmung können zu charakteristischen Störungen führen, die es zu beherrschen gilt. Hat die Dissektion primär eine regionale Kompression des echten Lumens der Aorta und/oder großer Gefäßabgänge bewirkt, so muss die Organdurchblutung wiederhergestellt werden. Ischämien im Viszeralbereich oder an den unteren Extremitäten können nach proximaler Wiederherstellung der orthograden Durchströmung durch das echte Lumen spontan verschwinden. Um eine persistie-
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Kapitel 25 · Aneurysma und Dissektion der thorakalen und thorakoabdominalen Aorta
rende Störung der Viszeraldurchblutung zu erkennen, ist es bei akuter Dissektion zweckmäßig, die Bauchhöhle unter begrenzter Verlängerung der Sternotomie zu inspizieren. Persistiert eine Ischämie, muss man sofort nach Diagnosestellung (z. B. Anurie, abwesender Femoralispuls) im Sinne einer Aortenfensterung eingreifen. Dies kann offen chirurgisch oder interventionell über transfemoral eingeführte Katheter erfolgen. Die kathetergeführte Technik ist weniger traumatisierend und deshalb vorteilhaft. Führt sie nicht zum Erfolg, weil das hierdurch geschaffene Fenster nicht groß genug ist, kann man versuchen, die Malperfusion durch Implantation eines Stents oder einer Endovaskularprothese in das wahre Lumen der Aorta descendens abzumildern (Chavan et al. 2003). Entscheidet man sich jedoch für ein chirurgisches Vorgehen, so legt man bei viszeraler oder renaler Ischämie die terminale Aorta durch einen linksseitigen extraperitonealen Zugang so weit frei, dass sie in einer Ausdehnung von etwa 4 cm doppelt abgeklemmt werden kann. Der Zugang zur infrarenalen Aorta kann ggf. schneller transabdominell erfolgen. Man identifiziert den nichtdissezierten Streifen der Aortenwand und inzidiert diesen der Länge nach. In die gegenüberliegende, das echte und falsche Lumen trennende Membran schneidet man ein ausreichend großes Fenster, sodass die Lumina miteinander kommunizieren. Die Aortotomie lässt sich meist problemlos vernähen. ! Bei erforderlicher chirurgischer Fensterung der Aorta muss vor einer Aorteneröffnung durch die zarte, kaum zu versorgende Wand des falschen Lumens ausdrücklich gewarnt werden.
Im Fall einer Extremitätenischämie kann man versuchen, blind oder besser unter Durchleuchtung eine Fensterung zu erzielen, indem man einen Fogarty-Katheter ebenfalls transfemoral durch das echte Lumen in die terminale Aorta vorschiebt und dann den Ballon aufbläht. Beim Extrahieren des Katheters kann nun die gewünschte Kommunikation zwischen den beiden Flusskanälen entstehen. Wenn dieser Versuch misslingt, führt eine Fensterung der retroperitoneal freigelegten A. iliaca externa zum Ziel. In seltenen Fällen kann die transfemoral hergestellte extrakorporale Perfusion eine Kompression des echten Lumens auf Höhe der Rekonstruktionslinie an der Aorta ascendens mit dem Ergebnis einer fehlenden Koronardurchströmung nach Lösen der Aortenklemme bewirken (Orihashi et al. 2006). Die Blutzufuhr zu dem in Ischämie verharrenden Herzen stellt man wieder her, indem man einen arteriellen Perfusionskatheter direkt in die Aorta-ascendens-Prothese oder transapikal in die Aorta einführt und sodann rasch umkanüliert. Nach kurzer Zeit beginnt das Herz zu schlagen und kann fristgerecht seine volle Funktion wieder aufnehmen. Eine weit gefährlichere Komplikation, die bevorzugt bei femoraler Kanülierung auftreten kann, stellt die Kompression des echten Lumens des Aortenbogens und/oder seiner
Seitenäste mit nachfolgender Malperfusion des Gehirns dar. Wird dies nicht erkannt, können schwere neurologische Ausfälle einschließlich Dezerebrierung resultieren. Typisch für diese Komplikation ist ein akuter Abfall des stets in der rechten A. radialis zu messenden Drucks gegenüber dem Femoralisdruck bei Beginn der extrakorporalen Perfusion. Die permanente intraoperative Überwachung der zerebralen Sauerstoffsättigung in beiden Gehirnhemisphären hilft auch hier bei der Identifizierung dieser Komplikation durch Nachweis eines rapiden Sättigungsabfalls. Bei sicher unauffälliger zerebraler Sauerstoffsättigung kann der isolierte temporäre Druckabfall in der rechten A. radialis vernachlässigt werden. Die Sofortmaßnahme kann in der Rückführung des Patienten auf die Spontanzirkulation bestehen, wonach sich wieder normale Drucksignale an Armen und Beinen einstellen. Für die Behebung eines solchen Zwischenfalls machte Robicsek (Robicsek 1985) nützliche Vorschläge. Eine weitere Möglichkeit besteht darin, die Körpertemperatur des Patienten zunächst bei partieller extrakorporaler Zirkulation abzusenken, um bei Eintreten von Ventrikelflimmern (auch elektrisch induzierbar) das echte Lumen des Aortenbogens über die Herzspitze mit einer zusätzlichen arteriellen Leitung zu kanülieren. Unter diesen Perfusionsverhältnissen wird die Temperatur des Patienten bis zu einer Nasopharyngealtemperatur von <20°C abgesenkt, um den Kreislauf dann stillzulegen. In dieser Phase unternimmt man die ersten Schritte der Rekonstruktion bzw. des Ersatzes des Aortenfundaments. Bei Kreislaufstillstand wird der proximale Aortenbogen ersetzt. Daran anschließend beschickt man die herzwärts abgeklemmte Prothese mit dem arteriellen Perfusionskatheter, um die restliche Operation an der proximalen Aorta im Zuge der Wiedererwärmung bei orthograder Durchströmung durchzuführen.
25.4
Aneurysma und Dissektion des Aortenbogens
Aneurysmatische Erweiterungen des Aortenbogens, d. h. der zwischen den Abgängen von Truncus brachiocephalicus und A. subclavia sinistra gelegenen Gefäßstrecke, können auf den proximalen oder den distalen Abschnitt beschränkt sein, erfassen aber oft den gesamten Arkus und auch die proximale Aorta, seltener die distale. Insbesondere bei einer Dissektion können auch die Kopf- und Armgefäße mitbetroffen sein. Der bei der Beseitigung solcher Aneurysmen erforderliche Schutz von Hirn und Herz stellt beträchtliche Anforderungen an die praktische Planung und das technische Vorgehen. Wie eingangs erwähnt, führt man den Aortenbogenersatz in der Regel in orthotoper Weise durch, und zwar unter Kreislaufstilllegung in tiefer Hypothermie bzw. in mäßiger Unterkühlung unter selektiver Perfusion mindestens einer der das Hirn versor-
707 25.4 · Aneurysma und Dissektion des Aortenbogens
a
b
c
. Abb. 25.20a–c. Varianten des Aortenbogenersatzes. a Proximaler Arkusersatz unter Belassung der Kopf- und Armarterien jenseits der distalen prothesioaortalen Anastomose. b Subtotaler Arkusersatz unter Belassung der A. subclavia sinistra jenseits der prothesioaortalen
Anastomose. Die rechten Bogenabgänge werden in ein Fenster am Scheitel der Prothese implantiert. c Totaler Arkusersatz. Die prothesioaortale Verbindung liegt distal des Abgangs der A. subclavia sinistra. Alle Bogenabgänge sind in ein Fenster implantiert
genden Arterien. Die Varianten des proximalen, des subtotalen und des vollständigen Aortenbogenersatzes sind in . Abb. 25.20 dargestellt (zum distalen Aortenbogenersatz s. Abschnitt 25.4.6). Neuere Therapieansätze erlauben die erfolgreiche Exklusion des erkrankten Aortenbogens durch die Kombination aus Gefäßtransposition der supraaortalen Äste und Implantation einer Endovaskularprothese ohne Einsatz der extrakorporalen Zirkulation (Schumacher et al. 2003). Ob dieses extraanatomische Rekonstruktionsverfahren gegenüber der orthotopen Technik mit extrakorporaler Zirkulation in Hinblick auf das perioperative Risiko und langfristig postoperativ zu günstigeren Ergebnissen führt, ist bisher nicht geklärt.
lus anlegen lässt, d. h. wenn nicht mehr als die proximalen 4 cm des Deszendensabschnitts erweitert sind. Alternativ kann auch eine am distalen Implantatende mit einem Gerüstgeflecht durchwirkte Gefäßprothese über den eröffneten Aortenbogen in die Aorta descendens unter Exklusion des dortigen Aneurysmaanteils implantiert werden (»frozen elephant trunk«, Hybridprothese; Karck et al. 2003; Orihashi et al. 2001). Andernfalls ist ein zweizeitiges Vorgehen anzuraten, wobei die Größe des Aneurysmas und die relative Rupturgefahr den Vortritt bestimmen. Der gemeinsame Ersatz des Aortenbogens und der Aorta descendens via Sternotomie ist wegen der großen Tiefe des Operationsfeldes und der im Wege stehenden Lungenwurzel problematisch. Wenn man sich dennoch hierfür entscheidet, sollte deshalb eher der Clamshell-Zugang gewählt werden (Kouchoukos et al. 2007). Alternativ können zumindest Aneurysmen des mittleren und distalen Bogens zusammen mit der Aorta descendens über eine linke Thorakotomie beseitigt werden (s. Abschnitt 25.4.6, »Operativer Zugang«). Die Handhabung der extrakorporalen Zirkulation bedarf bei diesen zum Teil lang andauernden und traumatischen Eingriffen was Kühl- und Wärmphasen betrifft sowie besonders auch in Hinblick auf das intraoperative Neuromonitoring einer gezielten Abstimmung mit dem Anästhesisten. Bei einer Aorteninsuffizienz erfolgt die Aortenokklusion bei Eintritt von Kammerflimmern, während man sonst das dekomprimierte Herz bis zum Erreichen der Endtemperatur flimmern lässt. Der Kreislaufstillstand wird nach zumindest 30-minütiger Auskühlung auf ein Hypothermieniveau von 26°C Nasopharyngealtemperatur induziert. Die Herztemperatur hält man durch wiederholte Infusion kardioplegischer Lösung und perikardiale Kühlung bei <15°C. Einen zusätzlichen neuroprotektiven Effekt erreicht man während des Kreislaufstillstandes durch externe Kühlung des Kopfes unter Anlage von Eisbeuteln. Nach Eröffnen des Aortenbogens beginnen wir zunächst mit einer selektiven Perfusion der zum Hirn führenden Arterien. Dabei werden der Truncus brachiocephalicus und die A. carotis sinistra mit einer Rollerpumpe (Flussvolumen: 10 ml/ kg KG/min) über Perfusionskatheter mit arterialisiertem
25.4.1 Zugang und extrakorporale Zirkulation
Der Zugang zur Aorta erfolgt bei Aneurysma und Dissektion, die den Aortenbogen nicht überschreiten, stets über die mediane Sternotomie, die auch jegliches Eingreifen im Aszendensabschnitt erlaubt und somit einen gemeinsamen Ersatz dieser beiden Gefäßstrecken ermöglicht. Meist lässt sich die distale Aorta ascendens oder der Aortenbogen selbst kanülieren, sodass eine antegrade Perfusionsführung gleich mit Beginn der extrakorporalen Zirkulation möglich ist. Ist die Aorta ascendens mit dem hinteren Sternumblatt verwachsen, wie gelegentlich nach früherer Sternotomie, sollte nach dem in Abschnitt 25.5 beschriebenen Verfahren vorgegangen werden. Im Normalfall ermöglicht ein über das rechte Herzohr eingeführter großlumiger Zweistufenkatheter eine völlige Entlastung des Herzens, sodass die bikavale Drainage zur totalen extrakorporalen Zirkulation entbehrlich ist. Bei Eingriffen an der Aortenwurzel und besonders bei insuffizienter Aortenklappe sollte ein linksventrikulärer Absaugkatheter eingelegt werden. Auf die Aorta descendens übergreifende Aneurysmen des gesamten Bogens können dann einzeitig durch eine mediane Sternotomie operiert werden, wenn sich eine sichere prothesioaortale Anastomose kranial des linken Lungenhi-
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Kapitel 25 · Aneurysma und Dissektion der thorakalen und thorakoabdominalen Aorta
25 . Abb. 25.21. Selektive Perfusion des Gehirns bei Aortenbogenersatz. Zwecks Verkürzung der Dauer eines totalen Kreislaufstillstandes können der Truncus brachiocephalicus und die linke A. carotis aus dem Arkuslumen heraus intubiert und perfundiert werden. Die A. subclavia sinistra okkludiert man dabei mit einem Fogarty-Katheter
Kaltblut versorgt (Bachet et al. 1991; Frist et al. 1986; Hagl et al. 2002; Strauch et al. 2003). Die linke A. subclavia wird abgeklemmt oder mit einem Okklusionskatheter beschickt (. Abb. 25.21). Für die selektive Hirnperfusion bevorzugen wir selbstokkludierende Ballonkatheter wie für die retrograde Kardioplegiegabe. Unter diesen Bedingungen führen wir den gesamten Bogeneingriff – unabhängig vom Ausmaß des Bogenersatzes – bei stillstehendem Körper-, aber aufrechterhaltenem Hirnkreislauf durch. Nach unserer Erfahrung benötigt man für den totalen Aortenbogenersatz in aller Regel zwischen 40 und 60 min und für den proximalen Ersatz lediglich 15–25 min, sodass hier bei isolierter Hirnperfusion eine Temperaturabsenkung während des Kreislaufstillstandes auf 27–28°C ausreicht. Für einen tief hypothermen Kreislaufstillstand über >15 min ohne selektive Hirnperfusion werden Nasopharyngealtemperaturen von <20°C, besser 16–18°C, benötigt. Während der Wiedererwärmungsphase achtet der Kardiotechniker darauf, dass die Wassertemperatur im Wärmeaustauscher die arterielle Bluttemperatur um nicht mehr als 6–8°C übersteigt, um ein Ausperlen von Gasbläschen aus dem übersättigten Blut zu vermeiden. Der Anästhesiologe gleicht die stets vorhandene, mehr oder weniger ausgeprägte Azidose schrittweise aus. Die Verabreichung von Vasodilatanzien fördert die Homogenität der Wiedererwärmung.
25.4.2 Vorgehen an der Aorta
Nach Anschluss des Patienten an die extrakorporale Zirkulation wird als erster Schritt zunächst die oft verwachsene
Aorta ascendens zur Abklemmung mobilisiert und der Aortenbogen an seiner Vorderfläche soweit erforderlich freigelegt, indem man stets nahe an der Aortenwand vorpräpariert. Die Nn. phrenicus, vagus und recurrens sind zu schonen. Während der Auskühlung können Aorta-ascendens- und Klappeneingriff begonnen und in der eher zeitraubenden Wiedererwärmungsphase beendet werden. Sobald die erwünschte Endtemperatur erreicht ist, wird der Perfusionsstrom unterbrochen. Der Patient sollte während des Kreislaufstillstandes in eine moderate TrendelenburgPosition gebracht werden, um das Risiko einer Lufteinschleppung in das Zerebrum zu vermindern. Der Kopf liegt unter dem Niveau des Operationsgebiets; es entsteht so ein bogennaher Flüssigkeitsspiegel in den supraaortalen Ästen. Der Aortenbogen wird aus dem Aszendensabschnitt heraus an seiner Vorderfläche so weit inzidiert, wie es für die Rekonstruktion erforderlich ist, im Extremfall bis über das Lig. arteriosum hinaus. Anschließend werden nun zunächst aktive Maßnahmen zur Neuroprotektion ergriffen, wobei wir hierfür die selektiv antegrade Hirnperfusion über die beiden ersten Aortenbogenäste einsetzen (s. Abschnitt 25.4.1). Ein vorheriges Anschlingen dieser Gefäße kann sich bei ausgedehnten Eingriffen am Aortenbogen als hilfreich erweisen, weil sich die Perfusionskatheter hierdurch leichter in Position halten lassen. Wird die extrakorporale Zirkulation durch arterielle Perfusion über die rechte A. subclavia geführt, kann das Zerebrum alternativ auch über diesen Weg perfundiert werden, wobei man den Truncus brachiocephalicus hierbei abgangsnah klemmt oder mit einem Okklusionskatheter beschickt. Es erscheint ratsam, auch die linke A. carotis unter diesen Bedingungen über einen weiteren Katheter zu perfundieren, um eine seitengleiche Perfusion der Hemisphären sicherzustellen. Entschließt man sich dagegen zur retrograden Hirnperfusion, konnektiert man vorher den venösen Drainagekatheter in der V. cava superior an den arteriellen Schenkel der extrakorporalen Zirkulation um. Dieses Verfahren setzt voraus, dass die extrakorporale Zirkulation zuvor unter selektiver Drainage beider Hohlvenen geführt wurde. ! Für die bei Kreislaufstillstand notwendige Hirnprotektion sind 4 mögliche Verfahren zu nennen: 4 tiefe Hypothermie (nasopharyngeale Temperatur von 16–18°C), 4 tiefe Hypothermie kombiniert mit retrograder zerebraler Perfusion, 4 tiefe Hypothermie mit selektiver antegrader zerebraler Perfusion, 4 moderate Hypothermie von 26–28°C (je nach Dauer des Kreislaufstillstandes) mit selektiver antegrader zerebraler Perfusion.
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709 25.4 · Aneurysma und Dissektion des Aortenbogens
Obwohl die Datenlage nicht eindeutig ist, bevorzugen wir die selektive antegrade zerebrale Perfusion unter moderater Hypothermie. Ein großer Vorteil dieser Technik liegt in der Abkürzung der Wärmphase sowie der Vermeidung tiefer Körperkerntemperaturen, die das Auftreten von Gerinnungsstörungen und systemischen Entzündungsreaktionen begünstigen. Wir setzen dieses Verfahren auch bei Eingriffen am proximalen Aortenbogen mit in aller Regel kürzerem Kreislaufstillstand ein. Dabei verwenden wir für die Hirnperfusion selbstokkludierende Ballonkatheter, die ursprünglich für die retrograde Kardioplegie entwickelt wurden (RSCP MR 20, 15 F, Medtronic, Minneapolis, USA). Die extrakorporale Zirkulation wird bei Erreichen einer Nasopharyngealtemperatur von 26°C unterbrochen und die Aortenklemme geöffnet; zudem werden die supraaortalen Gefäße dargestellt. Nach Intubation des Truncus brachiocephalicus und der linken A. carotis communis werden die Katheter mit Hilfe der Ballons vorsichtig geblockt und nach kranial aus dem Operationsfeld herausverlagert. Über eine separate Rollerpumpe der Herz-Lungen-Maschine wird 15°C kaltes oxygeniertes Blut mit einer Rate von etwa 10 ml/kg KG/ min infundiert, wobei hieraus ein Perfusionsdruck (gemessen in der rechten A. radialis) von 40–60 mmHg resultieren sollte. Die Perfusionskanülen werden erst direkt vor der Fertigstellung der Aortenanastomose und der Wiederaufnahme der extrakorporalen Zirkulation entfernt, sodass die Zeit im Kreislaufstillstand ohne selektive Hirnperfusion nur wenige Minuten beträgt. Mit dieser Technik der isolierten Hirnperfusion sind Kreislaufstillstandszeiten von >90 min ohne Erhöhung der Rate neurologischer Komplikationen toleriert worden (Kazui et al. 2007).
Man informiert sich nun über Art und Ausdehnung des erforderlichen Aortenersatzes. Im Prinzip muss die prothesioaortale Anastomosenlinie so weit distal zu liegen kommen, dass man in haltbarer Aortenwand nähen kann. Dies ist bei atherosklerotischen Aneurysmen oftmals erst nach gründlichem Débridement von Plaques und Atheromen möglich. Diese müssen, unter Ausspülung des Arkus sowie der Kopf- und Armgefäße, unter gezielter Saugung entfernt werden. Die distale prothesioaortale Anastomose legt man beim Aneurysma knapp jenseits der Aortenerweiterung an, wo man in der Regel wieder auf intakte Intima trifft. Oftmals gelingt es, die Anastomose in der Weise schräg im Bogen zu führen, dass die Kopf- und Armgefäße nicht separat an die Bogenprothese angeschlossen werden müssen. Im Übrigen anastomosiert man die Fußpunkte eines, beider oder aller 3 Gefäße mit einem an der Konvexität der Bogenprothese geschaffenen Fenster (subtotaler oder totaler Bogenersatz). Als Alternative zu diesem Vorgehen können spezielle Gefäßprothesen mit vorgefertigtem Anschlussseg-
ment für jeden einzelnen supraaortalen Ast verwendet werden. Kazui und Mitarbeiter verfügen über große Erfahrungen mit diesen Implantaten, besonders in Zusammenhang mit der selektiven antegraden Hirnperfusion (Kazui et al. 2007). Nach Fertigstellung des Bogenersatzes wird die Gefäßprothese mit dem arteriellen Perfusionskatheter kanüliert. Nun wird die Perfusion wieder aufgenommen, wobei der Patient in Trendelenburg-Lage verharrt. Während sich die Prothese füllt, werden die Kopf- und Armgefäße von proximal ggf. noch vorhandenen Luftresten befreit, indem man eine gebogene Klemme in deren Ostien einführt. Danach wird die Prothese proximal abgeklemmt und mit der Wiedererwärmung begonnen. Das Operationsfeld ist bluttrocken, sofern die tiefste Tasche der Dissektion herznah der proximalen Rekonstruktionslinie wirkungsvoll obliteriert worden ist. Blutet es in diesem Bereich dennoch, so versucht man, die Quelle mit unterfütterten Matratzennähten zu stillen, die wiederum an den außen vorgelegten Teflonfilzstreifen verankert werden.
25.4.3
Aortenbogenersatz bei Aneurysma
25.4.3.1
Proximaler Ersatz
Ein proximaler, partieller Bogenersatz wird als ergänzender Schritt im Zuge der Sanierung weitreichender Aorta-ascendens-Aneurysmen empfohlen, insbesondere bei Dissektion (Ohtsubo et al. 2002). Wir führen ihn immer dann aus, wenn die Erweiterung der Aorta ascendens deutlich über das Niveau der stets trunkusnah platzierten Okklusionsklemme hinausreicht. Nach Eröffnen des Aortenbogens und Aufnahme der selektiven antegraden Hirnperfusion wählt man eine Prothese, die dem Durchmesser des Aortenrohres entspricht, und schrägt diese in einer Weise an, die den vollständigen Ersatz der aneurysmatischen Anteile des Arkus stromaufwärts der gewählten Anastomosenlinie erlaubt. Oftmals erleichtert die Resektion des Aneurysmas die Herstellung einer primär blutdichten Nahtreihe, da sie dann auf ganzer Länge Stoß auf Stoß angelegt werden kann. Man beginnt sie am tiefsten Punkt des Operationsfeldes in der Konkavität des Bogens mit einer Reihe zunächst offener Fadentouren (3/0-Naht, fortlaufend überwendlich, tief ausgreifend und immer aus dem Arkuslumen herausführend). Die Nähte werden dann vorn und hinten an der Aortenwand weitergelegt und treffen sich in der Regel unmittelbar rechts des Trunkusabgangs. Ist dieser ebenfalls aneurysmatisch erweitert, so empfiehlt es sich, das distale Gefäß vor dem hypothermen Kreislaufstillstand mit einer 8-mm-Prothese Seit-zu-End zu anastomosieren und diese später auf die Arkusprothese aufzusetzen. Nach Luftentleerung aus dem Arkus erfolgt der herznahe Anschluss der Prothese entweder unmittelbar suprakommissural oder bei gleichzeitigem Aorta-ascendens-Ersatz unter End-zu-End-Vereinigung der beiden Prothesenstümpfe.
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710
Kapitel 25 · Aneurysma und Dissektion der thorakalen und thorakoabdominalen Aorta
25.4.3.2
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Subtotaler und totaler Ersatz
Nach Eröffnung des Arkus und Aufnahme der antegraden Hirnperfusion wählt man eine Prothese, deren Durchmesser demjenigen der Aorta auf dem geplanten Anastomosenniveau genau entspricht. Wenn möglich, schafft man diese Verbindung am Orifizium der Aorta descendens. Am tiefsten Punkt der geplanten Anastomosenlinie beginnend, vereinigt man Prothese und Aorta mit einigen offenen Touren tiefgreifend geführter, doppelt armierter 3/0-Nähte. Die Naht wird von dorsal beidseits im Aortenlumen weitergeführt, um nach regelmäßigem Anziehen der Fäden vorn ligiert zu werden. Dabei ist zu beachten, dass die Nahtlinie eher distal des Abgangs der linken A. subclavia verläuft, wodurch deren Anastomosierung an die Arkusprothese erheblich erleichtert wird. Geht das Gefäß in ausreichendem Abstand von der A. carotis sinistra ab, so kann es manchmal günstiger sein, das Gefäß jenseits der prothesioaortalen Anastomose zu belassen. Im nächsten Schritt exzidiert man ein ovaläres Stück aus der Konvexität der Arkusprothese, das genau mit den Abgängen der anzuschließenden Gefäße übereinstimmt (. Abb. 25.22). Deren gemeinsamer Fußpunkt wird dann wiederum mit fortlaufend und tiefgreifend geführten 3/0Nähten an die Bogenprothese angeschlossen. Die Naht beginnt unmittelbar jenseits des Abgangs der am weitesten stromabwärts gelegenen Arterie und erfasst häufig denselben. Sie wird zunächst dorsal aus der Prothesenöffnung heraus genäht, später vorn weitergeführt und schließlich knapp diesseits des Abgangs des Truncus brachiocephalicus geknüpft (. Abb. 25.23). Während dieses Vorgehens ist es
zweckmäßig, einen Absaugkatheter durch das Prothesenrohr in die Aorta descendens vorzuschieben, um das Operationsfeld blutfrei zu halten. Nach Fertigstellung der Nahtreihe wird die Arkusprothese arteriell kanüliert, unter stufenweiser Aufnahme der extrakorporalen Zirkulation entlüftet und sodann proximal des Abgangs des Truncus brachiocephalicus abgeklemmt. Nun kann mit der vollen Perfusion der abhängigen Körperpartien und der Wiedererwärmung begonnen werden (. Abb. 25.24). Liegt der Abgang der linken A. subclavia sehr tief im Situs, so bevorzugen wir es, die 3 Aortenbogenäste von vornherein als Gewebeinsel aus der Aortenwand zu exzidieren. Erst im nächsten Schritt durchtrennen wir die Aorta descendens unmittelbar distal des Abgangs der linken A. subclavia auf ihrer gesamten Zirkumferenz. Dieses Vorgehen schafft
. Abb. 25.23. Am distalen Ende des Prothesenfensters beginnend, anastomisiert man zunächst den dorsalen Rand der die supraaortalen Äste tragenden Gewbeinsel
. Abb. 25.22. Totaler Arkusersatz. Distales Prothesenende und Orifizium der Aorta descendens sind bereits terminoterminal vereinigt. Es folgt die sparsame Fensterung der Arkusprothese an ihrem Scheitel gegenüber den Abgängen der Kopf- und Armgefäße. Eine ausreichend lange Distanz zwischen der distalen prothesioaortalen Verbindung und dem Fenster erleichtert die Anastomosierung der Insel mit den supraaortalen Gefäßabgängen und mit dem Prothesenfenster
. Abb. 25.24. Die Anastomosierung ist beendet. Nach Entlüftung von Aorta sowie Kopf- und Armgefäßen wird die Arkusprothese proximal abgeklemmt. Bei wieder aufgenommener extrakorporaler Zirkulation können Leckagen identifiziert und versorgt werden
711 25.4 · Aneurysma und Dissektion des Aortenbogens
. Abb. 25.25. Das Aortenfundament wurde bereits ersetzt. Arkusund proximale Aortenprothese werden miteinander vereinigt
die nötige Mobilität, um einen sicheren gefäßprothetischen Anschluss an die Aorta descendens und anschließend an die supraaortalen Äste vornehmen zu können. Je nach den an der Aorta ascendens durchzuführenden Maßnahmen folgt danach auch hier entweder der Anschluss der Arkusprothese an die suprakommissurale Aorta ascendens oder aber die restliche prothetische Rekonstruktion des herznahen Aortenabschnitts. In diesem Fall werden die beiden Kunststoffrohre unter Anheben des Herzens und kaudal gerichtetem Zug an der Aortenklemme schließlich erheblich gekürzt, angeschrägt und wiederum mittels fortlaufender Naht miteinander vereinigt (. Abb. 25.25). Nach Entlüftung des Herzens und Freigabe der Aorta steht während der Wiedererwärmung genügend Zeit zur Verfügung, um ggf. noch vorhandene Aneurysmareste zurechtzustutzen und straff um die Prothesen zu vernähen, um auf diese Weise eine blutdichte Ummantelung zu schaffen.
25.4.4 Aortenbogenersatz bei Typ-A-Dissektion
Der Ersatz des proximalen und auch des gesamten Aortenbogens bei Dissektion folgt bezüglich Zugang, extrakorporaler Zirkulation und Freilegung der Aorta den für Bogenaneurysmen geltenden Prinzipien. Allerdings erfordert das Vorgehen bei akuter Dissektion eine weitreichende, technisch schwierige und manchmal fragwürdige Rekonstruktion der zarten, brüchigen Gefäßwandschichten. Reicht die Dissektion über die aortale Okklusionsklemme hinaus, muss zumindest der proximale Aortenbogen im Kreislaufstillstand mitersetzt werden. Lassen sich die dissezierten Wandschichten im Aortenbogen durch Gewebeklebung oder eine geeignete Nahttechnik allein sicher rekonstruieren und ist unter Sicht kein »reentry« im Aortenbogen nachweisbar, so begrenzen wir den Bogenersatz auf das proximale Segment. Andernfalls halten wir einen kompletten Aortenbogenersatz, ggf. unter Einbeziehung der proximalen Aorta descendens mittels (»Frozen-)elephant-trunk«-
Technik, für erforderlich (Baraki et al. 2007; Shiono et al. 2006). Die Indikation zum Bogenersatz bei chronischer Dissektion entspricht derjenigen bei Aneurysmen anderer Genese, jedoch ist auch bei normalkalibrigem Bogenabschnitt zumindest dessen offene Revision erforderlich, wenn der dissezierte Intimazylinder auf Höhe der aortalen Okklusionsklemme nicht intakt erscheint. Operationstechnisches Vorgehen. Man nimmt den Patienten zunächst an die extrakorporale Zirkulation, und zwar unter Auskühlung auf 27–28°C Nasopharyngealtemperatur für den proximalen Bogenersatz; für den totalen Ersatz senkt man die Temperatur auf 26°C. Diese Zieltemperaturen gelten unter der Voraussetzung, dass das Hirn während des Kreislaufstillstandes zur Protektion weiterhin arteriell antegrad mit 15 °C kaltem Blut perfundiert wird. Andernfalls sollte zuvor eine Auskühlung auf ein tiefhypothermes Temperaturniveau (16–18°C nasopharyngeal oder tympanal) erfolgen. Nach Eintritt von Ventrikelflimmern okkludiert man die distale Aorta ascendens mit einer weichen Klemme und unternimmt die ersten Schritte für den stets erforderlichen proximalen Aortenersatz. Ist die gewünschte Auskühlung des Patienten erreicht, so entfernt man die Aortenklemme, eröffnet den Bogen zunächst begrenzt aus der Inzision in der Aorta ascendens heraus und prüft, an welcher Stelle die zweite (Bogen-)Prothese angeschlossen werden kann. Der Aortenbogen wird möglichst so weit über diese Linie hinaus mobilisiert, dass genug Raum entsteht, um die später anzulegende Anastomose mit außen vorgelegten Teflonfilzstreifen zu unterfüttern. Desgleichen mobilisiert man die Anfangsstrecken von Truncus brachiocephalicus und A. carotis sinistra, ggf. auch der A. subclavia sinistra. Beim Ersatz des akut dissezierten Aortenbogens besteht das Ziel der Rekonstruktion in der Wiederherstellung der antegraden Durchströmung der wahren Lumina des Arkus, ggf. auch seiner Abgänge, wobei man die Wand des falschen Kanals mit derjenigen des echten Lumens vereinigt. Wir verwenden hierfür den Gelatin-Resorcin-Formaldehyd-Gewebekleber, der zunächst unter Adaptation der Wandschichten zur Aushärtung gebracht wird, bevor man die prothesioaortale Anastomose anlegt, oft unter zusätzlicher Verstärkung mit einem Teflonfilzstreifen (. Abb. 25.26). Dabei hat es sich als vorteilhaft erwiesen, die Aorta proximal des Truncus-brachiocephalicus-Abgangs vollständig zu durchtrennen, um sodann den Arkus und seine Gefäßabgänge auch von dorsal her zu mobilisieren. Alternativ kommt auch heute, nach Einführung der Gewebeklebung noch die Nahtrekonstruktion der dissezierten Bogenwandungen mit ein- oder mehrschichtig mitgefassten Filzstreifen in Betracht (Fleck et al. 2003; Sabik et al. 2000). Hierbei anastomosiert man eine bedarfsgerecht angeschrägte Gefäßprothese mittels fortlaufender überwendlicher 3/0-Naht mit der auf diese Weise rekonstruierten Aortenwand, wobei die Abgänge von Truncus brachiocephalicus, linker A. carotis und A. subclavia jenseits dieser
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Kapitel 25 · Aneurysma und Dissektion der thorakalen und thorakoabdominalen Aorta
. Abb. 25.26. Nach Einbringen der Gelatin-Resorcin-FormaldehydKleberkomponenten in das falsche Lumen werden die dissezierten Wandschichten mit Borst-Klemmen adaptiert und der Kleber zur Aushärtung gebracht
Verbindung bleiben. Beim totalen Ersatz des dissezierten Aortenbogens bei akuter Dissektion muss ein festes, blutdichtes Widerlager für den Anschluss der Prothese an die distale Aorta wie auch der Kopf- und Armgefäße geschaffen werden. Zunächst resezieren wir den dissezierten Aortenbogen unter Erhalt einer die supraaortalen Abgänge tragenden Gewebemanschette in toto bis an die Aorta descendens heran. In Hinblick auf die Stabilität der später anzulegenden Anastomose ist es besonders wichtig, die Adventitia der Aorta descendens und der Bogengefäßmanschette vollständig zu erhalten. Vor Anlage der prothesioaortalen Anastomose vereint man die stromabwärts dissezierten Wandungen durch Gewebeklebung oder filzstreifenverstärkte Rekonstruktionsnaht. Alternativ kommt auch die sofortige Anlage der prothesioaortalen Anastomose unter äußerer und ggf. auch innerer Verstärkung mittels filzarmierter Naht in Betracht. Wenn immer möglich, wird man nun versuchen, die Aortenbogenabgänge mit Hilfe unterfütterter Matratzennähte in der Weise zu rekonstruieren, dass ein gemeinsamer Fußpunkt für die nachfolgende Anastomosierung mit der Aortenbogenprothese entsteht und das wahre Lumen dieser Gefäße durchströmt wird (. Abb. 25.27). Im Gegensatz zur akuten Bogendissektion ist eine Wiedervereinigung der Aortenschichten bei der chronischen Variante meist nicht erforderlich und meist auch nicht möglich, weil sich der äußere Aortenmantel bereits narbig konsolidiert hat. Die flottierenden Wandanteile des echten Lumens werden innerhalb des Aortenbogens und, soweit einsehbar, in die Aorta descendens hinein reseziert. Reicht die Dissektion in die Kopf- und Armgefäße hinein, so genügt es in der Regel, die Wandschichten ihrer Orifizien mit nichtunterfütterten Nähten, die aus dem Arkuslumen heraus fortlaufend überwendlich gestochen werden, miteinander zu vereinigen, um deren gemeinsamen Fußpunkt an das in der Konvexität der Aortenbogenprothese geschaffene Fenster zu anastomosieren.
. Abb. 25.27. Die dissezierten Aortenbogenabgänge werden mit Hilfe von Teflonfilzstreifen durch eine Naht rekonstruiert
25.4.5 Totaler Aortenbogenersatz mittels
Rüsselprothese Das Prinzip der Elefantenrüsselprothese wurde von Borst für den sukzessiven Ersatz von Aortenbogen und Aorta descendens entwickelt (Borst et al. 1983). Im Zuge des kompletten Aortenbogenersatzes wird dabei das distale Ende der Prothese in die Aorta descendens vorgeschoben, wo es frei flottiert. Bei der Zweitoperation zur Ausschaltung des Aorta-descendens-Aneurysmas muss es entweder nur mit der distalen Aorta anastomosiert oder an eine zweite Prothese angeschlossen werden, was den Eingriff deutlich erleichtert. Auch kann ein in die Aorta descendens vorgeschobener Rüssel als permanente Schienung eines Aortadescendens-Aneurysmas dienen, wobei der entstehende Blindsack zwischen Prothese und Aneurysmawand austhrombosiert (Borst et al. 1988). Das originäre operative Vorgehen nach Borst wurde von Crawford vereinfacht (Svensson et al. 1990) und gleicht im Prinzip demjenigen des totalen Aortenbogenersatzes bei Aneurysma oder Dissektion. Jedoch invaginiert man das distale Ende der Aortenbogenprothese über eine Strecke, die dem zu ersetzenden Aorta-descendens-Abschnitt entspricht (. Abb. 25.28a). Die so doppellagige Prothese wird mit ihren freien Enden in die Aorta descendens geschoben. Die distale Aortenanastomose wird zwischen der Umschlagfalte der Prothese und der Ursprungsstrecke des Deszendensaneurysmas fertiggestellt. Danach evertiert man den invaginierten Rohrprothesenanteil, der als innere Schicht in die Aorta descendens vorgeschoben wurde (. Abb. 25.28b). Früher wurde das distale, in der Aorta descendens verbliebene Rüsselende mit Metallclips markiert. Dies ist mit den modernen Bildge-
25
713 25.4 · Aneurysma und Dissektion des Aortenbogens
a
b
. Abb. 25.28a, b. Vorbereitung eines Aorta-descendens-Ersatzes im Zuge des Arkusersatzes mit Hilfe der »Elefantenrüsseltechnik«. a Bereits zu Beginn des Bogenersatzes wird das distale Ende der Aortenprothese invaginiert. Die Umschlagfalte des Invaginats anastomosiert man mit der proximalen Aorta descendens. Nach erfolgtem Anschluss wird das Invaginat beseitigt, indem man es mit einer Korn-
zange in die Aorta descendens vorschiebt. Das Invaginat liegt jetzt rüsselförmig frei in der aneurysmatischen Aorta descendens. b Die Kopf- und Armgefäße werden sodann an die Arkusprothese angeschlossen. Die arterielle Perfusionskanüle wird schließlich in die Arkusprothese verlegt, um ihre Aufstauchung bei wieder aufgenommener extrakorporaler Zirkulation zu vermeiden
bungsverfahren nicht mehr erforderlich, u. U. sogar störend. Bei chronischer Dissektion ist es wichtig, die flottierende Wand des echten Lumens so weit zu exzidieren bzw. inzidieren, dass beide Lumina über die Rüsselprothese perfundiert werden. Das restliche Vorgehen am Aortenbogen entspricht dem konventionellen Aortenbogenersatz. Mittlerweile machen neuartige, im Rüsselsegment durch ein intergriertes Drahtgeflecht unter radiärer Kraftentfaltung geschiente (Hybrid-)Gefäßprothesen den mit der herkömmlichen »Elephant-trunk«-Technik erforderlichen Zweiteingriff in vielen Fällen überflüssig (»Frozenelephant-trunk«-Technik). Das Implantat wird über den eröffneten Aortenbogen aus einem Einführungsbesteck in der Aorta descendens freigesetzt (. Abb. 25.29). Die weitere
Handhabung gleicht derjenigen bei konventioneller »Elephant-trunk«-Technik (Karck et al. 2003).
. Abb. 25.29. Die Hybridgefäßprothese wird über den eröffneten Aortenbogen aus einem Einführungsbesteck in der Aorta descendens freigesetzt
25.4.6
Distaler Aortenbogenersatz
25.4.6.1
Operativer Zugang
Erworbene und angeborene Aneurysmen können den distalen Aortenbogen betreffen, in der Regel zusammen mit der Aorta descendens. Eine Typ-B-Dissektion dehnt sich gelegentlich retrograd in den distalen Arkusabschnitt, in seltenen Fällen bis in die Aorta ascendens aus (Cipriano u. Griepp 1979). Das Operationsziel ist die Elimination des betroffenen Aortenbogensegments und unterschiedlicher Anteile der abhängigen Aortenpartien über einen linksseitigen Zugang. Die einzelnen Varianten des distalen Bogenersatzes sind in . Abb. 25.30 dargestellt. In der Regel eröffnet man den Brustraum mittels linksseitiger posterolateraler Standardthorakotomie im Bett der 4. Rippe, um einen unbehinderten Zugang zum distalen Aortenbogen, zur proximalen Aorta descendens wie auch zum Herzen zu gewinnen. Bezüglich der Höhe der Brustkorberöffnung sollte man keine Kompromisse eingehen. Bei einer Aortenerweiterung, die über den 7. Interkostalraum hinausreicht, ist es weit günstiger, den Thorax zusätzlich im Bett der 7. Rippe zu eröffnen. Der Zugang erfolgt über einen Hautschnitt, der dann entsprechend tiefer liegen muss. Die zweite Thorakotomie erfolgt, sobald man die periphere Ausdehnung des Wandschadens überblicken kann. Der Anästhesist ist dafür verantwortlich, dass die linke Lunge während des gesamten Eingriffs kollabiert bleibt, denn nur so ist die Sicht auf die gesamte Aorta ohne Kompression des Herzens durch Beiseitehalten der Lunge gewährleistet. Der Einsatz des Zellseparators (»cellsaver«) ist bei diesen oft blutreichen Operationen unerlässlich.
714
Kapitel 25 · Aneurysma und Dissektion der thorakalen und thorakoabdominalen Aorta
a
b
c
. Abb. 25.30a–c. Drei Varianten des distalen Aortenbogenersatzes. a Schräge prothesioaortale Anastomosierung, die die Arkusgefäße an der nativen Aortenwand belässt; b prothesioaortaler Anschluss unmittelbar distal des Abgangs der A. carotis sinistra; Anastomosierung der A. subclavia sinistra in die Arkusprothese; c prothesioaortale Anasto-
mosierung zwischen Truncus brachiocephalicus und linker A. carotis communis; Implantation des gemeinsamen Fußpunkts der beiden distal hiervon vom Arkus abgehenden Gefäße in ein Fenster der Bogenprothese
Wie Crawford al. (1987) zeigen konnten, ist es möglich, den gesamten Aortenbogen von einem linksseitigen Zugang aus zu ersetzen. Häufiger jedoch wird hierüber lediglich das distale Aortenbogensegment mit den Abgängen der A. carotis sinistra und der A. subclavia sinistra zu ersetzen sein.
wachsungen oder bei ausgeprägter Aortensklerose problematisch, so greift man auf die linksseitigen Femoralgefäße zurück. Meist reichen Pumpenminutenvolumina von 2,0 l/m2 KOF aus, um bei einem erwachsenen Patienten proximal und distal des ausgeklemmten Aortensegments physiologische Druckwerte herbeizuführen. Der Erhalt der Druckbalance zwischen beiden Kreislaufabschnitten muss unter kontinuierlicher Überwachung eng zwischen Anästhesist, Kardiotechniker und Operateur abgestimmt werden. Alternativ zu diesem Vorgehen wird oftmals auch ein isolierter Linksherzbypass eingesetzt. Anschluss und Betrieb der hierfür meistens verwendeten Zentrifugalpumpen, die bei nur geringer Heparinisierung (5000 IE) betrieben werden können, sind oftmals beschrieben worden (DeBois et al. 2000). Nach Heparingabe wird die linke A. femoralis communis kanüliert, das Perikard durch einen Längsschnitt dorsal des Verlaufs des N. phrenicus eröffnet und die linke untere oder obere Lungenvene mit einer Tabaksbeutelnaht versehen. Hierüber wird das Gefäß mit einem abgewinkelten Perfusionskatheter kanüliert. Ist das Lumen der Lungenvenen zu schmal oder der Zugang zu ihnen anderweitig verwehrt, steht mit dem linken Herzohr ein weiterer Kanülierungsort zur Verfügung. Der Katheter darf während der Perfusion jedoch nicht unter Zug versetzt werden, da das Herzohrmyokard leicht zerreißt. Bei Verzicht auf eine aktive Kreislaufunterstützung durch eine Blutpumpe kann zum Ersatz von distalem Aortenbogen und Aorta descendens auch der pumpenlose, heparinfreie TDMAC-Shunt (Argyle, Fa. Shervood, St. Louis, USA) verwendet werden, der allerdings dann seinen Ursprung von der Aorta ascendens nehmen sollte (Verdant et al. 1988). Andernfalls ist auch die Anlage eines temporären Gefäßprothesenbypasses zwischen der rechten A. subclavia und der linksseitigen Beckenbeinstrombahn in manchen Arbeitsgruppen weit verbreitet (Kogel 2001). Muss unter Notfallbedingungen bei einfacher Aortenabklemmung operiert werden, so obliegt die Führung des Patienten in erster Linie dem Anästhesisten, der dafür sorgt,
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25.4.6.2
Kreislaufmanagement
Nach Exposition des aortalen Situs ist zu entscheiden, ob unter einfacher Aortenabklemmung, unter partieller extrakorporaler Zirkulation (Linksherzbypass oder femorofemoraler Bypass) oder in Kreislaufstillstand bei tiefer Hypothermie vorgegangen werden soll.
Einfache Aortenabklemmung und extrakorporale Zirkulation Die einfache Aortenabklemmung ist früher von einzelnen Autoren auch für den Ersatz des distalen Aortenbogens unter Hinweis auf die Vorteile des Wegfalls von Gefäßkanülierung und Heparinisierung nachdrücklich propagiert worden. Auch erschienen Operationsletalität und Paraplegiegefährdung nicht signifikant höher als bei einer Kreislaufumleitung (Crawford et al. 1984; Hammerlijnk et al. 1989; Kay et al. 1986). Heute ist ausreichend belegt, dass die Perfusion der distalen Aortenprovinzen durch aktive Kreislaufumleitung zur Minimierung des Paraplegierisikos beiträgt – mit Ausnahme des Nofalls einer Blutung aus einem rupturierten Aneurysma (Girardi et al. 2005; Safi et al. 1998b; Schäfers et al. 1987; Schepens et al. 1999). Wir ziehen es daher vor, diese Eingriffe nach Vollheparinisierung unter Einsatz der Herz-Lungen-Maschine bei partieller extrakorporaler Zirkulation durchzuführen. Die Perfusionkanülen können hierfür meist über den gewählten Zugang intrathorakal platziert werden. Der venöse Abstrom wird durch retrograde Kanülierung des rechten Ventrikels über die Pulmonalis ermöglicht (abgewinkelter Solitärkatheter mit einem Durchmesser von 14 mm), der arterielle Zustrom durch Kanülierung der distalen Aorta descendens. Ist eine intrathorakale Kanülierung wegen perikardialer Ver-
715 25.4 · Aneurysma und Dissektion des Aortenbogens
dass in dieser Phase das linke Herz nicht überlastet sowie eine auftretende metabolische Azidose laufend und wirkungsvoll kompensiert wird. Der proximal gemessene arterielle Blutdruck wird durch Verabreichung von Vasodilatanzien so gesteuert, dass er den Ausgangswert nicht wesentlich überschreitet. Ein zuvor platzierter Swan-GanzKatheter informiert über die Vorlast der linken Kammer. Die induzierte Vasodilatation wird rechtzeitig vor Beseitigung der Aortenokklusion beendet. Die Blutgaswerte bestimmt man in Abständen von 10–15 min. Eine metabolische Azidose wird sofort und insbesondere nach Lösung der Aortenklemmen ausgeglichen. Zu diesem Zeitpunkt empfiehlt es sich, die Ventilation der linken Lungen wieder aufzunehmen.
Hypothermer Kreislaufstillstand Der erste erfolgreiche Eingriff am Aortenbogen in tiefer Hypothermie bei linksseitigem Zugang glückte Borst und Mitarbeitern bereits 1963 (Borst et al. 1964). Crawford et al. (1984) haben 1984 erneut auf die Brauchbarkeit dieses Verfahrens bei komplexen Eingriffen am Aortenbogen über einen linksseitigen Zugang hingewiesen. Ein solches Vorgehen kommt v. a. dann in Betracht, wenn sich der Arkus bei großen oder gar rupturierten Aneurysmen proximal der Aortenerweiterung nicht fassen lässt. Man verfährt dann nach dem in Abschnitt 25.4.1 beschriebenen Protokoll des Kreislaufstillstandes in moderater Hypothermie. Nach Kreislaufstilllegung eröffnet man das Aneurysma ohne Sicherung des proximalen Bogens oder der Kopf- und Armgefäße. Der Patient befindet sich dabei in Kopftieflage. Sodann intubiert man die Ostien der linken A. carotis und des Truncus brachiocephalicus mit Perfusionskathetern und beginnt mit der selektiven antegraden Hirnperfusion. Bei kompetenter Aortenklappe versetzen wir das Herz in den isoelektrischen Stillstand, indem Kardioplegielösung über einen geblockten Foley-Katheter in die Aortenwurzel abgegeben wird. Der Katheter wird zuvor unter digitaler Kontrolle retrograd über den Aortenbogen in die Aorta ascendens eingeführt und dort entfaltet. Die mit einem Seitenarm versehene Aortenprothese wird nun, ggf. unter Einschluss eines oder mehrerer Kopf- und Armgefäße, mit dem Arkus anastomosiert. Anschließend wird die Prothese mit Blut aufgefüllt und abgeklemmt und die obere Körperhälfte über diesen Seitenarm sowie die untere Körperhälfte weiter über den ursprünglich gewählten Kanülierungsort (Femoralarterie oder distale Aorta descendens) perfundiert. Während der Wiedererwärmungsphase erfolgt der distale prothesioaortale Anschluss. 25.4.6.3
Vorgehen an der Aorta
Wie erwähnt, bietet ein Standardschnitt im Bett der 4. Rippe den idealen Zugang zum distalen Aortenbogen und zum proximalen Aorta-descendens-Abschnitt. Liegen Verwachsungen der Pleurablätter vor, so müssen diese sehr sorgfältig gelöst werden, um eine Einblutung in die Lunge, beson-
ders bei Heparinisierung, zu vermeiden. Verwachsungen der Lunge mit dem Aneurysma löst man nur so weit, dass die Aorta proximal und distal der Abklemmung mobilisiert werden kann. Sofern dorsal ein verwachsungsfreier Streifen der Aorta vorhanden ist, eröffnet man später das Gefäßrohr in dieser Zone, ohne die Lunge zu lösen. Der N. phrenicus wird identifiziert, der N. vagus angeschlungen und sein Rekurrensast so weit wie möglich mobilisiert. Die Aa. carotis und subclavia sinistra werden zur Abklemmung freigelegt. In Abhängigkeit von der proximalen Ausdehnung des Wandschadens mobilisiert man nun die Aorta zwischen Truncus brachiocephalicus und A. carotis sinistra oder zwischen dieser und der linken Armarterie. Es empfiehlt sich, zunächst zwischen den genannten Gefäßen mit der Schere und dann mit dem Zeigefinger in die Tiefe zu dringen, bis man die Tracheavorderfläche tastet. Diese verfolgt man nach kaudal. Im nächsten Schritt durchtrennt man das Lig. arteriosum ohne weitere Sicherung knapp an der Aorta und präpariert großenteils scharf in der Konkavität des Aortenbogens in die Tiefe, bis man das Niveau der Trachealbifurkation erreicht hat. Restliche Gewebestränge hinter dem Aortenbogen werden unter Sicht scharf durchtrennt. Danach lässt sich der distale Bogen mit Hilfe einer unter digitaler Führung vorgeschobenen Kornzange umfahren. Nach Durchtrennung der parietalen Pleura werden die jetzt leicht erkennbaren linksseitigen Interkostalarterienabgänge 1–6 mit Metallclips versehen, damit sie nach Aneurysmaeröffnung nicht zeitraubend durchstochen werden müssen. Unabhängig davon, ob man bei einfacher Aortenabklemmung oder extrakorporaler Zirkulation arbeitet, werden die proximale Aorta, die distal von der Okklusionsstelle abgehenden Kopf- und Armarterien sowie die distale Aorta abgeklemmt, was bei Kreislaufstillstand entfallen kann. Das Aneurysma wird nun in der Längsachse eröffnet. Bei einer Typ-B-Dissektion trifft man dabei zunächst auf den falschen Kanal und oftmals auch auf das proximale »entry«. Die freie Wand des echten Lumens wird sofort exzidiert, um einen Überblick über noch blutende Interkostalarterien zu gewinnen; diese werden mit kräftigen Nähten umstochen. Sobald Bluttrockenheit erreicht ist, trifft man die Entscheidung über das weitere Vorgehen an der proximalen und distalen Aorta.
Proximale Anastomsierung bei Aneurysma Beim distalen Bogenaneurysma versucht man, die proximale und die distale Anastomose dort herzustellen, wo die Aortendurchmesser wieder annähernd normal werden und wo für die Anastomosennaht brauchbare Wandverhältnisse – erkennbar an einer intakten Intima – bestehen. Die proximale prothesioaortale Anastomose fertigt man beim Aneurysma, entsprechend dem proximalen Bogenersatz, möglichst in der Weise, dass die Kopf- und Armgefäße nicht separat mit der Prothese verbunden werden müssen. Man schrägt die Prothese erheblich an, um sie dann am tiefsten Punkt, in der Konkavität des Arkus beginnend, tief-
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716
25
Kapitel 25 · Aneurysma und Dissektion der thorakalen und thorakoabdominalen Aorta
greifend mit der Aortenwand zu vernähen (. Abb. 25.31a). Die Naht wird hinten und vorne in möglichst gesunder Aortenwand fortgesetzt, bis man das Niveau der Kopf- bzw. Armgefäße erreicht hat. Der übrig bleibende Zwickel der Prothese wird nun wiederum zunächst hinten und dann vorne knapp am Abgang dieser Gefäße mit der Aortenwand vernäht, wobei man die Fadenenden knapp links vom Ursprung der A. carotis bzw. der A. subclavia verknüpft. Müssen diese Gefäße aus operationstechnischen Gründen stromabwärts der soeben erstellten Anastomose bleiben, so lassen sie sich später direkt oder durch Gefäßbrücken an die Rohrprothese anschließen. Zwei Operationsakte einer prothesioaortalen Anastomosierung zwischen der linken A. carotis communis und der A. subclavia mit nachfolgender Implantation des letztgenannten Gefäßes in die Prothese sind in . Abb. 25.31 illustriert. Die distale prothesioaortale Anastomose wird entweder auf Stoß genäht oder aber in der Weise angeschrägt, dass große lnterkostalarterienabgänge stromabwärts des 7. Thorakalsegments in Hinblick auf die spinale Blutversorgung erhalten bleiben. Ist ein weiterreichender Aortenersatz erforderlich, so dürfte es in der Regel zweckmäßiger sein, die infrage kommenden lnterkostalarterienabgänge als Insel gemeinsam in ein in der Prothese geschaffenes Fenster zu implantieren und anschließend das Prothesenende mit der distalen Aorta zu anastomosieren. Voraussetzung für die Erhaltung solcher Gefäße ist allerdings, dass an ihren Fußpunkten noch brauchbare Aortenwand vorhanden ist, die für die Naht verwendet werden kann. Neueren Beobachtungen zufolge können unter bestimmten Bedingungen aber auch sämtliche thorakalen Interkostalarterienabgänge abgesetzt werden, ohne das Risiko eines Rückenmarkschadens zu erhöhen (Etz et al. 2006).
a
Proximale Anastomsierung bei Dissektion Wenn immer möglich, sollte man das proximale Ende einer in den Aortenbogen retrograd reichenden Typ-B-Dissektion als Anastomosenlager wählen, sodass man in fester Gefäßwand nähen kann. Lässt sich jedoch der proximale Endpunkt der Dissektion nicht fassen, so werden bei der akuten Dissektion die Wandungen des echten und des falschen Lumens proximal einer allenfalls vorhandenen erheblichen Aortenerweiterung vereinigt, um dann die proximale prothesioaortale Anastomose auf diesem Niveau herzustellen. Eine Klebung kommt hier nur ausnahmsweise in Betracht, wenn genügend Wandgewebe zur Verfügung steht. Meist wird man deshalb auf die wandvereinigende teflonunterfütterte Nahtverstärkung eines dissezierten Aortenrohres zurückgreifen, deren Technik in Abschnitt 25.3.4 beschrieben ist. Bei der chronischen retrograden Typ-B-Dissektion mit einem durch Vernarbung kräftigeren äußeren Aortenmantel empfehlen wir, die Prothese mit diesem zu verbinden, sodass sie mit beiden Lumina der Dissektion kommuniziert. Bei bis in den Aszendensabschnitt reichender akuter retrograder Dissektion wird man eine schräge prothesio-
b
. Abb. 25.31a, b. Im Lumen des eröffneten distalen Arkus wird die proximale prothesioaortale Anastomose hergestellt. Der Abgang der A. subclavia sinistra bleibt in diesem Fall stromabwärts der Anastomosenlinie. b Der Fußpunkt der A. subclavia ist mit der Aortenprothese verbunden worden. Die distale prothesioaortale Anastomose wird fertiggestellt
aortale Anastomosierung im Arkus vermeiden. Vielmehr wird der Aortenbogen bis an die gewählte Anastomosenlinie heran zirkulär mobilisiert und hier durchtrennt. Sind zu wenig Raum und zu wenig Gewebefläche für eine Klebung vorhanden, so werden auch hier die dissezierten Wandschichten mit Hilfe von äußerlich und zwischen den Schichten vorgelegten Teflonfilzstreifen mittels fortlaufender Matratzennaht miteinander vereinigt, sodass man ein festes Widerlager für den Prothesenanschluss gewinnt. In der Regel anastomosiert man dann die linksseitigen Arkusgefäße,
717 25.4 · Aneurysma und Dissektion des Aortenbogens
deren Abgänge ggf. rekonstruiert werden, direkt mit der Bogenprothese.
Distale Anastomosierung Die distale Anastomose beim gemeinsamen Ersatz von Aortenbogen und Deszendensabschnitt legt man nach Möglichkeit an diejenige Stelle, an welcher wieder ein annähernd normaler Aortendurchmesser angetroffen wird. Oftmals hat jedoch die aneurysmatische Erweiterung den gesamten Deszendensabschnitt und auch den abdominalen Teil der Aorta erfasst, sodass bezüglich der zu ersetzenden Gefäßstrecke ein Kompromiss gesucht werden muss. Die Erfahrung zeigt, dass fast immer ein engeres Segment, v. a. Knickbildungen der Aorta, vorhanden ist, das zur Anastomosierung benutzt werden kann. Die Beseitigung der restlichen erkrankten Aorta überlassen wir dann einem zweiten Eingriff, der mittels Rüsseltechnik vorbereitet wird (s. Abschnitt 25.4.5). Der distale prothesioaortale Anschluss muss bei akuter Dissektion zum echten Lumen erfolgen. Dies bedeutet, dass auch hier eine Wandrekonstruktion mit Hilfe einer teflonunterfütterten Matratzennaht erforderlich wird. Bei der chronischen Dissektion wird die distale prothesioaortale Anastomose stets mit dem äußeren Mantel der Aorta hergestellt. Zuvor sollte jedoch der flottierende Wandanteil des wahren Lumens – soweit er zu übersehen ist – exzidiert werden, sodass beide Lumina der Dissektion durchströmt bleiben. Wir haben es uns zur Regel gemacht, alle Interkostalarterienabgänge bis auf die Höhe des 6. Thorakalsegments zu opfern, während weiter distal abgehende größere Gefäße entweder mittels einer schrägen prothesioaortalen Anastomose erhalten oder die betreffenden gefäßetragenden Inseln der Aortenwand in das Prothesenrohr implantiert werden. Bei der chronischen Dissektion erfolgt der prothesioaortale Anschluss stets zum äußeren Mantel der Aorta hin. Nach kurzfristigem Lösen der distalen Aortenklemme exzidiert man zu diesem Zweck einen 2–3 cm langen Streifen der dissezierten Wand des echten Kanals, sodass nun beide Lumina perfundiert sind. Zur Anastomosierung selbst schneidet man die Aorta rechts und links der Klemme so weit ein, dass dorsal ein 3 cm langer Streifen intakter Wand erhalten bleibt. Die ersten Touren der Fäden werden offen aus diesem Streifen herausgeführt; anschließend werden an beiden Seiten Prothesenrand und Schnittkante der Aorta tiefgreifend miteinander vernäht, und der Faden wird vorne geknüpft. Nach sorgfältiger Entlüftung des Aortenbogens, der Gefäßabgänge und der Prothese bei Kopftieflage des Patienten werden die Klemmen abgenommen. Den Aneurysmamantel vernäht man dicht um das Gefäßrohr. Die in Abschnitt 25.4.5 beschriebene »Rüsseltechnik« lässt sich auch bei der distalen Anastomosierung an der Aorta durchführen, wenn es darum geht, bis in das Abdomen hinein reichende Wandschäden in einer zweiten Sitzung zu beseitigen (Carrel et al. 2001). Die distale prothesioaortale Anastomose wird dann nicht in üblicher Weise
End-zu-End angefertigt, sondern man invaginiert die Aorta-descendens-Prothese über einige Zentimeter, um eine Verbindung zwischen der so entstandenen Prothesenkante und der Aorta descendens herzustellen. Kurz vor Anziehen der Naht wird das Invaginat in die distale Aorta manipuliert und die Anastomosierung sodann beendet. Der im Lumen der abhängigen Aorta flottierende Prothesenstumpf dient bei der Zweitoperation dem vereinfachten Anschließen der thorakoabdominalen Aortenprothese.
25.4.7 Alternative Verfahren des Aortenbogen-
ersatzes Ein ideenreicher Vorschlag zur Versorgung ausgedehnter Aortenbogen- und Aorta-descendens-Aneurysmen, die »Thrombookklusionsoperation«, stammt von Carpentier et al. (1981). Dieses Vorgehen setzt das Vorhandensein von normalem Aortenfundament und normaler Aorta ascendens voraus. Die Operation kann ohne Kreislaufhilfen durchgeführt werden. Eine longitudinale Sternotomie und eine Perikardiotomie verschaffen den Zugang zum Herzen und zu den großen Gefäßen. Die Operation beginnt mit der Mobilisation der Anfangsstrecken von Aorta ascendens sowie von Kopf- und Armgefäßen. Letztere werden unter kurzer Aus- bzw. Abklemmung Seit-zu-End mit 8-mmProthesenbrücken vereinigt. Ein bi- bzw. trifurkationaler Aufbau der Prothesen ist empfehlenswert, sodass nur eine kurze Strecke der Aorta ascendens für den nachfolgenden Prothesenanschluss aufgebraucht wird. Unter Verlängerung der Sternotomie bis zum Nabel und nach Durchtrennung des linken Leberligaments dringt man zum Hiatus aorticus vor, um die Aorta hier zu mobilisieren. Das Gefäß wird entweder doppelt okkludiert oder tangential ausgeklemmt. Es folgt eine rechtwinklige End-zu-Seit-Anastomose zwischen einer mindestens 14 mm weiten Prothese und der Aorta. Jetzt wird der Patient voll heparinisiert. Das Diaphragma wird vorn eingekerbt, wonach man das nun entlüftete und unter Druck gesetzte Prothesenrohr am rechten Vorhof entlang zur Aorta ascendens zieht, um so seine erforderliche Länge zu bestimmen. Die Prothese wird extrem angeschrägt und dann mit dem rechten Umfang der ausgeklemmten Aorta ascendens anastomosiert. Im nächsten Schritt verbindet man den gemeinsamen Fußpunkt der Kopf- und Armbrücken End-zu-Seit mit der Aortenprothese und gibt diese Gefäße nach sorgfältiger Entlüftung frei. Die Abgänge der Kopf- und Armgefäße werden ligiert. Schließlich unterbricht man den nativen Aortenblutstrom jenseits der Anastomose zwischen der Aortenprothese und dem proximalen Arkus mit einem speziellen Kunststoffclip, den Carpentier et al. (1981) entwickelt haben. Alternativ kann die Aorta auch zwischen Klemmen durchtrennt und können ihre Stümpfe mit Hilfe einer unterfütterten fortlaufenden Matratzennaht sowie einer zusätzlichen überwendlichen Naht versorgt werden. Die abhängige Aorta soll dann
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25
Kapitel 25 · Aneurysma und Dissektion der thorakalen und thorakoabdominalen Aorta
bis zu den Abgängen der ersten vitalen Arterien austhrombosieren. Spätresultate dieses komplexen Verfahrens liegen nicht vor. Das bisher nur an kleineren Patientenkollektiven eingesetzte Hybridverfahren zum Aortenbogenersatz ähnelt zum Teil der von Carpentier beschriebenen Methode. Es kommt ohne Kreislaufhilfen aus, und auch hier erfolgt zunächst ein »debranching« des Aortenbogens, wobei die linke A. subclavia abgangsnah abgesetzt und End-zu-Seit an die linke A. carotis angeschlossen wird. Nach Anlage einer End-zu-Seit-Anastomose zwischen dem proximalen Schenkel einer Y-Prothese und der distalen Aorta ascendens wird die linke A. carotis ebenfalls abgangsnah abgesetzt und End-zu-End an den rechten distalen Y-Prothesen-Schenkel anastomosiert. Anschließend gibt man die Perfusion über diese Route frei und anastomosiert den linken Schenkel der Prothese End-zu-Seit an den Truncus brachiocephalicus, der daraufhin ebenfalls zentral abgesetzt werden kann. In einem zweiten Schritt lässt sich nun der gesamte Aortenbogen mit einem transfemoral eingeführten, der individuellen Bogenanatomie entsprechend ausgewähltem Stentgraft exkludieren. Wenn auch die bisher verfügbaren Frühergebnisse deutlich höhere Sterblichkeiten als unter Einsatz vergleichbarer Techniken mit extrakorporaler Zirkulation aufweisen, so ist dennoch zu erwarten, dass dieses Verfahren mit wachsender Erfahrung zu ähnlich guten Ergebnissen führen wird wie die »offene« chirurgische Therapie (Schumacher et al. 2006).
25.5
Re-Operationen
Re-Operationen nach vorheriger thorakaler Aneurysmachirurgie gelten heute noch als außerordentlich schwierige und risikoreiche Eingriffe, die in hohem Maße Einfallsreichtum und technisches Können des Operationsteams herausfordern. Es kann nicht Aufgabe einer allgemeinen Operationslehre sein, diese vielgestaltigen Operationen an den verschiedenen Abschnitten des thorakalen Aortenrohres im Einzelnen zu beschreiben. Der Leser sei in diesem Zusammenhang auf die umfangreichen Erfahrungen von Crawford und Mitarbeitern und anderen (Crawford et al. 1984; Lombardi et al. 2003; Yamashita et al. 1998) verwiesen. Unsere eigenen Erfahrungen mit einer bescheideneren Zahl derartiger Re-Operationen unterscheiden sich beim Vorgehen an Aorta ascendens, Arkus und Deszendensabschnitt im Prinzip nicht wesentlich von anderen schwierigen kardiovaskulären Wiederholungsoperationen – mit Ausnahme der Tatsache, dass bei der erneuten Sternotomie mit großer Umsicht vorgegangen werden muss. Daher soll hier im Wesentlichen auf die sichere Eröffnung des Brustkorbs eingegangen werden. Eine Übersicht über den Ort und die Ausdehnung einer evtl. vorhandenen Kontaktzone des Aneurysmas mit dem Sternum erhält man am besten mit Hilfe der Computerto-
mographie. Liegt das Aneurysma der vorderen Brustwand an oder hat es gar zu Knochendestruktionen geführt, so nehmen wir den Patienten zunächst femorofemoral an die extrakorporale Zirkulation. Unter fortwährender Auskühlung durchtrennen wir die vordere Lamelle des Sternums. Die Inzision wird anschließend zunächst lediglich im inferioren Anteil komplettiert, wonach man den diaphragmalen Anteil des Herzens so weit wie erforderlich auslöst, um bei Einsetzen von Ventrikelflimmern bei Patienten mit Aortenklappeninsuffizienz transapikal oder durch die untere rechte Lungenvene (Sulcus interatrialis) einen Ventkatherer einzuführen. Erst nach Auskühlung des Körperkerns auf 25°C wird die Sternotomie auf ganzer Länge komplettiert, wobei man die extrakorporale Zirkulation in diesem Moment kurzzeitig gänzlich aussetzt. Kommt es hierbei zu einer Eröffnung des Aneurysmas, kann die Aorta nun rasch mobilisiert und abgeklemmt werden (Karck et al. 1996). Alternativ zu diesem Vorgehen beginnt man mit einer rechtsseitigen anterolateralen Thorakotomie im Bett der 4. Rippe. Lässt sich das Aneurysma unschwer von der vorderen Brustwand trennen, so wird eine longitudinale Sternotomie aufgesetzt und der Eingriff in üblicher Weise vorangetrieben. Im anderen Fall kanüliert man den rechten Vorhof (oder eine der Vv. femorales) mit einem großlumigen Katheter und schafft über eine periphere Arterie einen arteriellen Zugang für die Herz-Lungen-Maschine. Bei bestehender Aorteninsuffizienz wird der Patient an der extrakorporalen Zirkulation nur so weit ausgekühlt (30°C), dass ein spontanes Kammerflimmern entfällt. Bei fehlender Regurgitation vertieft man die Hypothermie bedarfsentsprechend. Sodann eröffnet man das Sternum mit der oszillierenden Säge. Auch hier kann bei einer Verletzung des Aneurysmas die Aorta bei kurzfristigem Sistieren der extrakorporalen Perfusion und induziertem Kammerflimmem mobilisiert und abgeklemmt werden. Statt mit dem rechtsseitigen Vorgehen kann man auch primär über eine beidseitige anterolaterale Thorakotomie im Bett der 4. Rippe zum Ziel kommen, wobei man den mit dem Aneurysma in Kontakt stehenden Brustwandabschnitt zuletzt quer durchtrennt. Der so geschaffene Zugang ist hervorragend, gegenüber der longitudinalen Sternotomie jedoch deutlich traumatischer.
25.6
Aneurysma und Dissektion der Aorta descendens
25.6.1 Verfahrensstrategien
Das Spektrum der operativen Behandlungsoptionen bei Erkrankungen der absteigenden Aorta hat sich um die interventionell geführten Methoden erweitert. Diese Gruppe von Eingriffen einschließlich der als »Hybridverfahren« bezeichneten extraanatomischen Rekonstruktionstechniken sieht die Exklusion erkrankter Aortenabschnitte
719 25.6 · Aneurysma und Dissektion der Aorta descendens
durch Implantation einer oder mehrerer Gefäßstützen vor. Der endovaskuläre Behandlungsansatz erlaubt den Verzicht auf jegliche Art intraoperativer Kreislaufunterstützung durch extrakorporale Zirkulation oder die Anlage temporärer extraanatomischer Shunt-Verbindungen. Er unterscheidet sich damit grundsätzlich von den herkömmlichen, »offenen« Operationsverfahren, durch die der erkrankte Aortenabschnitt nicht exkludiert, sondern gefäßprothetisch ersetzt wird. Die hierzu erforderliche Abklemmung der Aorta macht den Einsatz einer Kreislaufunterstützung zur Versorgung der distal der Aortenklemme liegenden Gefäßprovinzen erforderlich, will man das Risiko einer durch Minderperfusion bedingten Organschädigung gering halten.
25.6.2
Kreislaufunterstützung
Neben den passiven Verfahren der Kreislaufunterstützung mit Anlage eines temporären Shunts oder eines extraanatomischen Gefäßprothesenbypasses stehen »aktive« Blutpumpen mit oder ohne integrierten Oxygenator zur Verfügung. Der von einigen Gruppen bei Aneurysmen ohne Bogenbeteiligung bevorzugte Einsatz einer Zentrifugalpumpe als isolierter Linksherzbypass reduziert das perioperative Blutungsrisiko, da keine vollständige Heparinisierung des Patienten erforderlich ist (Coselli u. LeMaire 1999; DeBois et al. 2000; Schepens et al. 1999). Als Nachteil gegenüber der klassischen extrakorporalen Zirkulation gilt jedoch die Tatsache, dass hierdurch keine Hypothermie induzierbar ist. Dies ist bei Patienten mit proximal gelegenen, den terminalen Aortenbogen gerade eben einbeziehenden Aneurysmen der Aorta descendens von Bedeutung, da hier nicht selten erst während des Eingriffs entschieden werden kann, ob der Bogen zur Anastomosierung mit einem gesunden Aortensegment eröffnet werden muss. Für diesen Fall wird die extrakorporale Zirkulation zur Induktion eines ausreichend tiefen Hypothermieniveaus eingesetzt, wobei wir den Körperkern im eigenen Vorgehen auf 26°C auskühlen. Nach Unterbrechung der extrakorporalen Zirkulation setzen wir zur Hirnprotektion die selektive antegrade Hirnperfusion ein (s. Abschnitt 25.4.6, »Hypothermer Kreislaufstillstand«). Bei Interventionen ohne Kreislaufstillstand kühlen wir den Körperkern ebenfalls aus, und zwar aus Gründen der hypothermievermittelten Organprotektion, allerdings lediglich um 2–3°C. Hierin unterscheidet sich das eigene Vorgehen von der Methode nach Kouchoukos, der Eingriffe an der deszendierenden Aorta in tiefhypothermem Kreislaufstillstand durchführt (Kouchoukos et al. 2002). Wir sehen die Möglichkeit zur Blutoxygenierung und die extakte Steuerbarkeit der Blutvolumenumverteilung als weitere Vorteile der extrakorporalen Zirkulation bei Eingriffen an der absteigenden Hauptschlagader an, weshalb sich unsere in jüngerer Zeit erworbenen Erfahrungen auf
diese Form der intraoperativen Kreislaufunterstützung beziehen.
25.6.3
Indikationen
Die Indikationsstellung zum operativen Ersatz der absteigenden Aorta bei Aneurysma oder Dissektion hängt von der Ätiologie, vom maximalen Gefäßdurchmesser, von der zeitlichen Dynamik einer sich vollziehenden Gefäßdilatation und von der Symptomatik des Patienten ab. Wir stellen die Indikation zum Ersatz eines diffusen, asymptomatischen Aorta-descendens-Aneurysmas mit oder ohne Dissektion bei einem Patienten ohne deutlich erhöhtes allgemeines Risikoprofil ab einem maximalen Gefäßdurchmesser von 6 cm. Steigt die Anzahl an Risikofaktoren, z. B. durch die nachweisliche Einschränkung verschiedener Organfunktionen, wird man die Operationsindikation sehr individuell abwägen müssen. Bei scharf abgegrenzten, auf dem Boden einer Plaqueruptur entstandenen Aneurysmen kann die Indikation schon bei geringerem Maximaldurchmesser zu stellen sein, da hier die Dreischichtung der Aorta aufgehoben ist und die Gefäßwandung aufgrund dessen schon diesseits des sonst geltenden Grenzwertes gefährlich ausgedünnt sein kann. Ähnliches gilt für Nahtaneurysmen, die sich nach gefäßchirurgischen Voreingriffen wie z. B. der operativen Korrektur einer Aortenisthmusstenose ausbilden können. Auch hier wird man sich in Ermangelung verlässlicher Daten über das Rupturrisiko bei Spontanverlauf eher zu einer frühzeitigen Intervention entschließen (Karck et al. 2002). Das posttraumatische Aorta-descendens-Aneurysma stellt eine weitere Sonderform dar, für das keine gesicherten maximal noch zu tolerierenden Gefäßdurchmesser angegeben werden können. Hier wird eher die zeitliche Dynamik einer Durchmesserzunahme des betroffenen Segments im Kontext des individuellen operativen Risikoprofils und des Lebensalters des Patienten für oder gegen eine operative Intervention sprechen.
25.6.4
Methodenwahl
25.6.4.1
Thorakaler Zugang
Bei proximal gelegenem Aorta-descendens-Aneurysma wird der Patient unter Abduktion des linken Armes auf der rechten Körperseite gelagert. Das Becken wird dabei leicht nach dorsal rotiert, um hierdurch den zur Etablierung der extrakorporalen Zirkulation erforderlichen Zugang zu den linksseitigen Leistengefäßen zu erleichtern. Zur seitengetrennten Beatmung ist die Verwendung eines Doppellumentubus erforderlich. Als Zugang zum proximalen Aortadescendens-Aneurysma wählen wir die Standarthorakotomie im 4. Interkostalraum (s. Abschnitt 25.4.6, »Operativer Zugang«). Über diesen Zugang sind die meisten proximal
25
720
Kapitel 25 · Aneurysma und Dissektion der thorakalen und thorakoabdominalen Aorta
gelegenen Pathologien erreichbar, und er erlaubt darüber hinaus die Vorbereitung einer Abklemmung zwischen der linken A. carotis communis und der linken A. subclavia (s. Abschnitt 25.4.6, »Operativer Zugang«). Ist der Arkus sicher nicht beteiligt und stattdessen die gesamte Aorta descendens bis auf den Zwerchfelldurchtritt hinab zu ersetzen, kann es sinnvoll sein, einen Interkostalraum tiefer zu thorakotomieren, die 5. Rippe partiell zu resezieren oder durch Inzision im 7. Interkostalraum einen weiteren Zugang zu schaffen (s. Abschnitt 25.4.6, »Operativer Zugang«). 25.6.4.2
25
Thorakaler Aortenersatz
Wenn auch in ihrer prophylaktischen Wirkung zum Schutz vor den Folgen einer spinalen Schädigung nicht unumstritten, so führen wir dennoch vor jedem ausgedehnten thorakalen und thorakoabdominalen Aortenersatz durch Lumbalpunktion eine präoperative Drainage des Liquor cerebrospinalis durch (Coselli et al. 2002; Schepens et al. 2004). Der Eingriff mit Kathetereinlage erfolgt am Tag vor der Operation, sodass das Auftreten einer akuten, punktionsinduzierten spinalen Einblutung ausgeschlossen werden kann, bevor die zur Etablierung der extrakorporalen Zirkulation erforderliche systemische Vollheparinisierung erfolgt. Bei nicht voroperiertem Situs und bei nicht erkrankter distaler Aorta descendens lässt sich der Anschluss an die extrakorporale Zirkulation durch intrathorakale Kanülierung des Pulmonalarterienstamms und der distalen Aorta descendens vornehmen (s. Abschnitt 25.4.6, »Einfache Aortenabklemmung und extrakorporale Zirkulation«). Diese Form der Kanülierung erspart die andernfalls zur Herstellung der extrakorporalen Zirkulation erforderliche Freilegung der A. und der V. femoralis. Die Abklemmung der Aorta kann bei einem Aorta-descendens-Aneurysma ohne Bogenbeteiligung meist unmittelbar hinter dem Abgang der linken A. subclavia erfolgen. Die Nn. phrenici et vagii werden hierzu nichtskelettierend mobilisiert und beiseite gehalten. Wie bei terminalem Aortenbogenersatz ist auch hier große Vorsicht bei Darstellung und Mobilisierung des N. recurrens geboten, um ihn vor Schäden durch Klemm- oder Nahteinwirkung zu schützen. Die zweite Klemme wird so gesetzt, dass die Anlage der proximalen prothesioaortalen Anastomose unter technisch möglichst günstigen Bedingungen erfolgen kann. Die Aorta muss zu diesem Zweck zwischen den Segmenten Th3 und Th5 kurzstreckig mobilisiert werden, wobei es gelegentlich notwendig ist, eine oder mehrere Segmentarterien abzusetzen. Nach medial hin ist der oftmals mit dem Aneurysma innig verwachsene Ösophagus vor Klemmung sicher zu mobilisieren und aus der Klemmebene fernzuhalten. Nach doppelter Klemmung der Aorta wird das dazwischen liegende Gefäßsegment in Längsrichtung eröffnet und zur Anastomosierung vorbereitet. Noch zurückblutende Interkostalgefäße werden umstochen. Anschließend
wird die Aorta unter Belassen einer zur proximalen Klemme hin etwa 1 cm breiten Gewebemanschette subtotal oder auch auf ganzer Zirkumferenz abgesetzt – je nachdem, welche der beiden Varianten die sicherste Anastomosierung erlaubt. Die Nahtverbindung mit einer durchmessergleichen Gefäßprothese kann nun problemlos fortlaufend erfolgen, wozu bei fragilem Gewebe auch Teflonfilz mit in die Nahtreihe einbezogen werden kann. Unter Klemmung der Gefäßprothese wird die Anastomose für den Blutstrom freigegeben und damit auf Blutdichtigkeit getestet. Die nächste Klemmebene wird so weit stromabwärts gewählt, dass die Anlage der distalen prothesioaortalen Anastomose mit einem nur wenig pathologisch veränderten Aortensegment erfolgen kann. Bei bis an den Abgang des Truncus coeliacus heranreichendem Aneurysma muss das Zwerchfell vor Klemmung am Hiatus aorticus eingekerbt werden. Lässt sich dies an dieser Stelle nicht sicher ohne Schaden für den Truncus-coeliacus-Abgang bewerkstelligen, kann unter direkter Sicht auch ein Okklusionskatheter in die distale Aorta eingeführt werden. Hierzu ist es allerdings erforderlich, die extrakorporale Zirkulation für einige Sekunden zu unterbrechen, um die Aorta ungestört eröffnen zu können. Das Gefäß wird anschließend längs inzidiert. Bei einer Aortendissektion wird die Dissektionsmembran an ihrem Ursprung in der Aortenwand reseziert. Aus dem proximalen Aortensegment zurückblutende Interkostalgefäße werden umstochen. Weiter distal entspringende Segmentarterien lassen sich einzeln oder zu mehreren in vis a vis angelegte Gefäßprothesenfenster mit fortlaufender Naht re-implantieren, um hierdurch zu einer Verbesserung der Rückenmarkperfusion beizutragen. Die Kriterien zur Auswahl dieser Gefäße sind bis heute wissenschaftlich strittig. Wie in Abschnitt 25.4.6 (Absatz »Distale Anastomosierung«) beschrieben, bevorzugen wir zur Re-Implantation eher großlumige Interkostalgefäßabgänge, die aus der unteren Hälfte der thorakalen Aorta entspringen, da die Kollateralversorgung des mittleren und unteren Rückenmarks geringer entwickelt ist als im weiter kranial gelegenen Abschnitt (Biglioli et al. 2004; Minatoya et al. 2002). Abschließend erfolgt die Anlage der distalen prothesioaortalen Anastomose, je nach Wandbeschaffenheit in InlayTechnik oder als End-zu-End-Anastomose. Die Anlage einer Prothesenummantelung (»graft inclusion«) aus nativer Aortenwand ist gelegentlich hilfreich, um Stichkanalblutungen im Bereich von Interkostalarterienanastomosen zum Abklingen zu bringen. Die Deckung der Gefäßprothese mit nativem Gewebe dürfte darüber hinaus auch vor Infekten und Arrosion schützen. 25.6.4.3
Thorakoabdominaler Zugang
Beim thorakoabdominalen Aortenaneurysma der Typen I und II nach Crawford (. Abb. 25.32; Svensson et al. 1993) bevorzugen wir die Thorakotomie im 6. Interkostalraum, wobei die Schnittführung über den Rippenbogen pararek-
721 25.6 · Aneurysma und Dissektion der Aorta descendens
. Abb. 25.32. Klassifikation der thorakoabdominellen Aortenaneurysmen nach Crawford
tal nach kaudal geführt wird. Bei sehr weit stromaufwärts in Richtung Aortenbogen reichendem Aneurysma kann es erforderlich sein, einen oder sogar 2 Interkostalräume weiter kranial zu thorakotomieren. In diesen seltenen Fällen muss über dieselbe Inzision eine zweite Thorakotomie im 7. Interkostalraum erfolgen, um hierüber einen sicheren Zugang zur infradiaphragmalen Aorta zu erlangen. Bei Aneurysmen des Typs III oder IV reicht dagegen die Thorakotomie im 7. Interkostalraum bereits allein aus, um den Anteil des zu ersetzenden thorakalen Aortensegments ausreichend zu exponieren. Unabhängig vom Aneurysmatyp wird der linksseitige Rippenbogen am ventralen Ende der Thorakotomie im 6. oder 7. Interkostalraum zunächst durchtrennt. Von hier aus beginnt man die zirkuläre Mobilisation des Zwerchfelles bis zum Hiatus aorticus hinab, wobei der Zwerchfellansatz an der Brustwand auf einer Breite von 3 cm belassen wird. Gegenüber der alternativen radiären Zwerchfellmobilisation schont diese Vorgehensweise den N. phrenicus und erleichtert die spätere Rekonstruktion. Mit Voranschreiten der ventrodorsalen Zwerchfellmobilisation lässt sich der intakte Peritonealsack behutsam in kraniokaudaler Richtung auf der Gerota-Faszie nach medial bis zur Aorta mobilisieren. Im nächsten Schritt wird der linksseitige Zwerchfellschenkel im Hiatus scharf von der Aorta abgelöst, wodurch die Abgänge des Truncus coeliacus und der A. mesenterica superior an ihrem Ursprung aus der Aorta dargestellt werden können. Aortaler Abgang und Verlauf der linken A. renalis werden nun von dorsal her identifi-
ziert. Weiter distal gelangt man im gleichen Präparationsschritt von links an die infrarenale Aorta, die sich nun über diesen Zugang bis auf die linke A. iliaca hinab verfolgen und kontrollieren lässt. 25.6.4.4
Thorakoabdominaler Aortenersatz
Nach Darstellung des erkrankten thorakoabdominalen Aortensegments beginnen wir mit dem gefäßprothetischen Ersatz in kraniokaudaler Abfolge. In gleicher Weise wie für den thorakalen Aortenersatz beschrieben, wird die Aorta vor und hinter dem zur proximalen prothesioaortalen Anastomosenanlage vorgesehenen Segment abgeklemmt und längs inzidiert. Nach Fertigstellung der Nahtreihe ist die nächste, distale Klemmebene zu wählen. Sie kann in Abhängigkeit von der Aneurysmausdehnung entweder vor dem Abgang des Truncus coelicaus oder infrarenal bis tief hinab auf Iliakalarterienniveau liegen. Wählt man die erste Variante, so kann die an dieser Stelle auf der Aorta liegende Gefäßklemme ein erhebliches Hindernis bei der Re-Implantation von tief gelegenen Interkostalarterien in die Gefäßprothese darstellen. Aus diesem Grund bevorzugen wir es beim eigenen Vorgehen, die Klemmung infrarenal vorzunehmen und die Aorta anschließend auf ganzer Länge zu eröffnen. Nach Intubation der Abgänge des Truncus coelicaus, der A. mesenterica superior sowie der linken und rechten Nierenarterie mit Perfusionskathetern wird hierüber eine selektive Organperfusion mit arteriellem Blut aus der extrakorporalen Zirkulation begonnen. Dieses Vorgehen verhindert das
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Kapitel 25 · Aneurysma und Dissektion der thorakalen und thorakoabdominalen Aorta
Auftreten einer Ischämie der Viszeralorgane, nachdem dieses Aortensegment eröffnet und damit aus der extrakorporalen Zirkulation genommen wurde. Darüber hinaus erleichtert es die Identifizierung der nun zur Re-Implantation in die Gefäßprothese auszuwählenden Interkostalbzw. Lumbalgefäße, da über die intubierten Ostien der Viszeralarterien kein Blut mehr retrograd in den meist ohnehin schon recht tief gelegenen aortalen Situs gelangen und dadurch die Sicht behindern kann. Nach Re-Implantation von 1–3 Segmentarterien aus dem thorakolumbalen Übergangsbereich werden nun die Viszeralarterien separat oder en bloc an die zentrale Gefäßprothese angeschlossen. Oft gelingt es hierbei, die Abgänge der rechten Nierenarterie, der A. mesenterica superior und des Truncus coeliacus auf einer Gewebeinsel zusammengefasst en bloc zu re-implantieren. Nur die meist etwas weiter entfernt hiervon abgehende linke Nierenarterie muss dann noch separat anastomosiert werden. Als Alternative zu diesem Vorgehen erlauben spezielle Gefäßprothesen mit anatomiegerecht vorgefertigten Seitenästen den separaten prothesioaortalen Anschluss jedes einzelnen Viszeralarterienastes als End-zu-End-Anastomose (Vascutek-Terumo, Gelweave – thorakoabdominale Prothese nach Coselli). Anschließend können die Viszera hierüber reperfundiert werden, bevor man die Rekonstruktion durch Anlage der distalen prothesioaortalen Verbindung abschließt. Diese Anastomose wird befundabhängig vor, auf oder als YAnschluss hinter der Iliakalarterienbifurkation angelegt. Vor Entwöhnung von der extrakorporalen Zirkulation muss – nicht zuletzt aus Gründen der besseren Spontanhämostase – ein normothermes Temperaturniveau herbeigeführt werden. Wie beim Ersatz der thorakalen Aorta wird die Prothese auch bei der ausgedehnteren thorakoabdominalen Prozedur abschließend mit aneurysmatischer Nativaorta ummantelt.
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Kapitel 25 · Aneurysma und Dissektion der thorakalen und thorakoabdominalen Aorta
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25
26
26 Chirurgie bei tachykarden Rhythmusstörungen und Herzschrittmachertherapie H. H. Scheld, H. Gulbins 26.1 26.1.1 26.1.2 26.1.3
Physiologie der Erregungsbildung und -leitung – 727 Sinusknoten – 728 AV-Knoten – 728 His-Bündel und ventrikuläre Weiterleitung – 728
26.3
Diagnostik – 733
26.4 26.4.1 26.4.2
Therapie – 733 Geschichte und Entwicklung – 733 Therapie bradykarder Rhythmusstörungen – 733 Therapie tachykarder Rhythmusstörungen – 756
26.4.3 26.2 26.2.1 26.2.2
26.1
Definitionen und Phathophysiologie kardialer Rhythmusstörungen – 728 Bradykarde Rhythmusstörungen – 728 Tachykarde Rhythmusstörungen – 729
Physiologie der Erregungsbildung und -leitung
Eine Besonderheit des Herzmuskels besteht in seiner Fähigkeit, selbstständig Aktionspotenziale zu generieren und hierdurch das gesamte Organ zu erregen. Diese Autonomie kommt durch einen steten Anstieg des Ruhepotenzials zustande, der bei Überschreiten der Aktionspotenzialschwelle zu einer Erregung führt, die entsprechend über das gesamte Organ weitergeleitet wird. Damit diese Erregungen geordnet ablaufen und die Gesamtfunktion sowie insbesondere die Koordination der einzelnen Kammern des Herzens dadurch sichergestellt wird, existiert eine hierarchische Abstufung der intrinsischen Frequenzen. Die jeweils schnellste Region bestimmt die effektive Frequenz, da die von ihr ausgehende Erregung die untergeordneten Zentren erreicht, bevor deren Autonomie zu einer Erregung führt. Einen weiteren Einfluss auf die Autonomie und die daraus resultierende Frequenz hat das vegetative Nervensystem. Durch Parasymphathikuswirkung kommt es zu einer verringerten Autonomie sowie zu Bradykardien (negativ chronotrop) und einer verzögerten atrioventrikulären Leitung (negativ bathmotrop), durch Symphatikuswirkung zu einer gesteigerten Autonomie sowie zu Tachykardien (positiv
Literatur
– 771
chronotrop) und einer schnelleren atrioventrikulären Leitung (positiv bathmotrop). Die Wirkung des Parasymphathikus ist hierbei auf den Sinusknoten, die Vorhöfe und den AV-Knoten begrenzt. Tiefer gelegene Zentren werden parasymphathisch nicht erreicht. Der Symphathikus hingegen beeinflusst das gesamte Herz. Die gesteigerte Autonomie ist hierbei Ursache der proarrhythmogenen Wirkung der β-mimetischen Katecholamine. Die Entwicklung und die Differenzierung der Zellen des Erregungsleitungssystems finden bereits in der Frühphase der Embryonalentwicklung des Herzens statt. Dies konnte an embryonalen Stammzellen unter In-vitro-Bedingungen nachvollzogen werden. Demnach findet die Differenzierung der unterschiedlichen Herzmuskelzellen in folgender Reihenfolge statt: Schrittmacherzellen, atriale Kardiomyozyten und zuletzt ventrikuläre Kardiomyozyten. Die Zellen des Erregungsbildungs- und -leitungssystems sind bis in den Bereich der Purkinje-Fasern histologisch durch eine deutlich geringere Ausbildung des kontraktilen Apparats und ein entsprechend helleres und größeres Zytoplasma zu erkennen. Entsprechend der embryonalen Entwicklung und Differenzierung steht ihre Zahl bereits bei der Geburt fest. Eine Zellteilung ist bei diesen ausdifferenzierten und spezialisierten Zellen unter physiologischen Bedingungen nicht mehr möglich.
728
Kapitel 26 · Chirurgie bei tachykarden Rhythmusstörungen und Herzschrittmachertherapie
26.1.1 Sinusknoten
26
Der Sinusknoten besitzt die höchste Eigenfrequenz; sie liegt beim denervierten Herzen zwischen 100 und 120 Schlägen pro Minute. Anatomisch ist der Sinusknoten anterolateral an der Einmündung der V. cava superior in den rechten Vorhof lokalisiert. Die physiologischerweise niedrigere Ruhefrequenz kommt durch den Einfluss des N. vagus (Parasymphathikus) zustande, dessen negativ chronotrope Wirkung unter physiologischen Bedingungen in Ruhe überwiegt. Vom Sinusknoten ausgehend wird die Erregung über die Vorhofbahnen auf die Vorhöfe ausgebreitet. Am atrioventrikulären Übergang existiert unter physiologischen Bedingungen nur eine einzige weiterleitende Bahn über den Atrioventrikular-(AV-)Knoten. Die Zahl der gesunden Sinusknotenzellen ist ab der Geburt praktisch konstant. Sie unterscheiden sich histologisch von den übrigen Herzmuskelzellen durch den deutlich geringeren Anteil an kontraktilen Elementen und das entsprechend größere Zytoplasma. Die Zahl der Sinusknotenzellen nimmt mit dem Alter ab; sie kann aber auch durch pathologische Veränderungen wie z. B. ischämische Prozesse vermindert werden.
26.1.2 AV-Knoten
Der AV-Knoten kontrolliert die Überleitung der Erregung von den Vorhöfen auf die Hauptkammern. Dies ist notwendig, damit eine der Vorhofkontraktion nachgeordnete koordinierte Kontraktion der nun optimal gefüllten Hauptkammern erfolgen kann. Die Eigenfrequenz des AV-Knotens liegt bei etwa 60 Schlägen pro Minute. Anatomisch ist er an der Spitze des Koch-Dreiecks zu finden, makroskopisch aber praktisch nicht zu erkennen. Der AV-Knoten besitzt auch eine wichtige Filterfunktion, die verhindert, dass pathologisch hohe Vorhoffrequenzen, wie sie beispielsweise beim Vorhofflimmern auftreten, auf die Hauptkammern weitergeleitet werden. Dies kommt durch seine relativ lange Refraktärzeit in Verbindung mit fehlenden Alternativen für die atrioventrikuläre Überleitung zustande.
26.1.3 His-Bündel und ventrikuläre Weiterleitung
Dem AV-Knoten nachgeordnet leitet das His-Bündel die Erregung durch den fibrösen Ring des Herzskeletts in Richtung auf das interventrikuläre Septum weiter. Hierbei kommt es anatomisch den Anuli der Mitral-, der Trikuspidal- und der Aortenklappe sehr nahe. Im Kammerseptum verzweigt sich das His-Bündel in 2 linksventrikuläre (anterior und posterior) sowie eine rechtsventrikuläre Leitungsbahn. Durch diese im Vergleich zur reinen Ventrikelerregung schnelleren Leitungsbahnen werden eine möglichst
zeitgleiche und koordinierte Erregung und Kontraktion des gesamten Herzens erreicht. Auch die Zellen der Leitungsbahnen des His-Bündels sind histologisch von den anderen Herzmuskelzellen zu unterscheiden. Die autonome Frequenz dieser Leitungsbahnen nimmt vom AV-Knoten zur Peripherie hin ab. Sie liegt beim His-Bündel noch zwischen 30 und 40 Erregungen pro Minute, und die Eigenfrequenz des Kammermyokards liegt bei ungefähr 20 Schlägen pro Minute (Kammerersatzrhythmus).
26.2
Definitionen und Phathophysiologie kardialer Rhythmusstörungen
Der normale Herzrhythmus ist der Sinusrhythmus. Er ist durch eine koordinierte Erregungsabfolge gekennzeichnet, ausgehend vom Sinusknoten und weiter über die Vorhöfe, den AV-Knoten und schließlich die beiden Ventrikel verlaufend. Im EKG zeigt sich dies durch die P-Welle für die Vorhofkontraktion mit dem PQ-Intervall als Ausdruck der durch den AV-Knoten bedingten Verzögerung, den QRSKomplex als Ausdruck der ventrikulären Erregung und letztlich das ST-Segment, das die Repolarisation abbildet. Die physiologische Herzfrequenz in Ruhe liegt hierbei zwischen 60 und 100 Schlägen pro Minute. Da die Autonomie des Herzens durch eine langsame Depolarisation der Zellmembran zustande kommt, spielt hierfür natürlich der Elektrolythaushalt bzw. das entsprechende Elektrolytverhältnis eine entscheidende Rolle. Zusätzlich wird die Herzfrequenz von einer Vielzahl von Faktoren wie z. B. dem intravaskulären Volumen, dem benötigten Herzzeitvolumen und eventuellen medikamentösen Therapien beeinflusst. Diese Aspekte spielen aber in der Regel für eine chirurgische Therapie keine Rolle, da sie kurzfristig auszugleichen sind (7 Kap. 7).
26.2.1 Bradykarde Rhythmusstörungen
Als Bradykardien werden grundsätzlich Herzfrequenzen unter 60 Schlägen pro Minute bezeichnet. Die Sinusbradykardie ist durch einen physiologischen Erregungsablauf bei niedriger Ruhefrequenz gekennzeichnet. Sie tritt ohne pathologische Bedeutung bei Sportlern auf und ist in diesem Zusammenhang durch den hier gesteigerten Vagotonus bedingt. Der Frequenzanstieg unter Belastung ist aber adäquat, und das effektive Herzzeitvolumen ist immer bedarfsgerecht adaptiert. Klinisch bedeutsam ist die Sinusbradykardie unter einer β-Blocker-Therapie. Durch die niedrige Herzfrequenz wird der Sauerstoffbedarf des Herzens gesenkt und hierdurch die Anfallshäufigkeit im Rahmen einer stabilen Angina pectoris vermindert. Zusätzlich konnte für die β-Blocker-Therapie bei Patienten mit koronarer Herzerkrankung eine klare lebensverlängernde Wirkung nachge-
729 26.2 · Definitionen und Phathophysiologie kardialer Rhythmusstörungen
wiesen werden. Allerdings sind der Frequenzabsenkung hier natürliche Grenzen gesetzt: Wenn das Herzzeitvolumen unter der Bradykardie nicht mehr ausreichend ist, wird der Patient symptomatisch. Zusätzlich wird durch die β-Blocker-Therapie der Frequenzanstieg unter Belastung reduziert, was eine deutlich verminderte Belastbarkeit zur Folge haben kann. 26.2.1.1
Sinuatriale Blockierungen und Erkrankungen des Sinusknotens
Bei sinuatrialen Blockierungen ist die Tätigkeit des Sinusknotens erhalten, es fehlt aber die physiologische Weiterleitung über die Vorhöfe. Dementsprechend kommt auch keine effektive Vorhofkontraktion zustande. Die Kammern schlagen meist mit einem hohen AV-Knoten-Rhythmus. Im EKG können Sinusknotenblockierungen mitunter schwer von bradykardem Vorhofflimmern abgegrenzt werden; hilfreich sind hier rechtspräkordiale Ableitungen. Neben den totalen Blockierungen sind auch intermittierende Blockaden analog zu den AV-Blockierungen (s. unten) möglich. Diese sind anhand des EKG leichter zu identifizieren. Das »Sick-sinus«-Syndrom stellt eine Erkrankung des Sinusknotens selbst dar und gehört zu den sinuatrialen Blockierungen. Es kommt zu unterschiedlichen und wechselnden Frequenzen, oft in Zusammenhang mit intermittierenden Phasen von Vorhofflimmern. Ursache ist meist ein Verlust funktionstüchtiger Zellen im Sinusknoten, entweder im Rahmen der Altersinvolution oder auf dem Boden ischämischer Ereignisse. Die bradykarden Phasen können differenzialdiagnostisch oft nur schwer von Sinusknotenblockierungen abgegrenzt werden. Intermittierende Sinusarrestphasen gehen im weiteren Verlauf in einen kompletten Sinusarrest über. Durch die fehlende Unterdrückung der Autonomie des Vorhofmyokards ist der resultierende Rhythmus dann meist ein normofrequentes Vorhofflimmern. Es kann allerdings auch zum sog. BradykardieTachykardie-Syndrom kommen, das durch bradykarde Phasen mit Sinusrhythmus, unterbrochen von ausgesprochen tachykarden Phasen mit Vorhofflimmern und schneller Überleitung, gekennzeichnet ist. Dieses Syndrom kann auch bei permanentem Vorhofflimmern auftreten und ist dann entweder durch eine pathologische, aber wechselnde AV-Überleitung (s. unten) oder durch eine hohe Sensitivität des AV-Knotens gegenüber Antiarrhythmika während der Therapie des Vorhofflimmerns verursacht. 26.2.1.2
AV-Blockierungen
Unter AV-Blockierungen werden klinisch alle Verzögerungen subsumiert, die den AV-Knoten oder das His-Bündelsystem betreffen. Sie sind durch eine ungehinderte Vorhoferregung gekennzeichnet, die dann nur verzögert auf die Kammern weitergeleitet wird. Beim Vollbild des AV-Blocks fehlt die Überleitung der Kammern ganz, und es kommt zu einem ventrikulären Ersatzrhythmus. Dieser geht von
demjenigen Zentrum aus, das direkt distal der Schädigung und damit der Blockierung liegt. Die Höhe und die Ausdehnung der Schädigung bestimmen somit die resultierende Kammerfrequenz: Je tiefer die Schädigung reicht, desto niedriger ist der Ersatzrhythmus. Bei Ursprung unterhalb des His-Bündels imponiert dann auch ein deutlich verbreiterter (>120 ms) QRS-Komplex im EKG. Klinisch werden die Blockierungen in 3 Schweregrade unterteilt: 4 Verzögerte Überleitung (Grad I): Hier findet sich im EKG ein PQ-Intervall von >200 ms. 4 Partieller AV-Block (Grad II) mit Unterteilung in 2 Formen: 5 Typ Wenckebach (Grad IIa): Die atrioventrikuläre Überleitungszeit nimmt von Zyklus zu Zyklus zu, bis schließlich eine Kammererregung komplett ausfällt. Ein weiteres charakteristisches Merkmal ist die zunehmende Verlängerung der RR-Intervalle. 5 Typ Mobitz (Grad IIb): Hier findet sich eine Blockierung mit starrem Muster, z. B. 2 : 1 (jede dritte Überleitung fehlt) oder 3 : 1. 4 Kompletter AV-Block (Grad III): Keine atriale Erregung wird mehr auf die Kammern übergeleitet. Diese schlagen analog der Höhe der Schädigung mit einem entsprechend bradykarden Ersatzrhythmus. 26.2.1.3
Schenkelblöcke
Schenkelblöcke kennzeichnen Störungen der interventrikulären Reizausbreitung auf der Ebene der Tawara-Schenkel. Man unterscheidet hierbei Blockierungen der Erregung der linken und der rechten Kammer: 4 Blockierung der linken Kammer: 5 linksanteriorer Hemiblock, 5 linksposteriorer Hemiblock, 5 kompletter Linksschenkelblock; 4 Blockierung der rechten Kammer: Rechtsschenkelblock. Die Blockierungen der einzelnen Schenkel können hierbei beliebig miteinander kombiniert auftreten, man spricht dann von bifaszikulären Blockierungen (Rechtsschenkelblock plus linksanteriorer Hemiblock oder Rechtsschenkelblock plus linksposteriorer Hemiblock oder kompletter Linksschenkelblock). Ein trifaszikulärer Block imponiert klinisch wie ein AV-Block dritten Grades, allerdings mit einem sehr langsamen Ersatzrhythmus von etwa 20 Schlägen pro Minute sowie einem breiten QRS-Komplex (>140 ms). Durch die entsprechende Katecholaminfreisetzung und die Symphathikusaktivierung kann die Frequenz auch höher sein.
26.2.2 Tachykarde Rhythmusstörungen
Tachykarde Rhythmusstörungen sind als Ruhefrequenzen oberhalb von 100 Schlägen pro Minute definiert. Sie sind in
26
730
26
Kapitel 26 · Chirurgie bei tachykarden Rhythmusstörungen und Herzschrittmachertherapie
Vorhof- und Kammertachykardien zu unterscheiden. Grundsätzlich ist zudem eine Bedarfstachykardie (Sinustachykardie) von den pathologischen tachykarden Rhythmusstörungen abzugrenzen. Bei Ersterer wird die Herzfrequenz durch einen vom Körper erhöhten Symphathikotonus angehoben sowie unter physiologischen Bedingungen auch das Schlagvolumen, um das Herzzeitvolumen an einen gesteigerten Bedarf anzupassen. Dies ist z. B. bei körperlicher Anstrengung, Hypovolämie oder Fieber der Fall. Tachykarde Rhythmusstörungen hingegen sind dadurch gekennzeichnet, dass sie nicht durch einen gesteigerten Bedarf getriggert werden, sondern auf Basis pathologischer Erkrankungen oder Zustände entstehen und hierbei die Herzleistung meist sogar vermindern. Ist die Zunahme der Herzfrequenz ein wichtiger physiologischer Mechanismus zur bedarfsadaptierten Steigerung des Herzzeitvolumens, bewirken hohe Frequenzen unter pathologischen Bedingungen eher eine Senkung desselben. Da die Dauer der Systole relativ konstant ist, führt jede Frequenzzunahme zu einer Verkürzung der Diastolendauer. Dadurch wird die diastolische Füllung reduziert, mit der Folge eines erniedrigten Schlagvolumens. Hieraus resultiert trotz erhöhter Frequenz ein vermindertes Herzzeitvolumen. Die Füllungsbehinderung ist hierbei umso ausgeprägter, je schlechter die diastolische Compliance der Ventrikel ist. Diese ist z. B. bei massiver ventrikulärer Hypertrophie sowie bei diastolischer Relaxationsstörung (Compliance-Störung) bei Ischämie oder Myokardfibrose besonders herabgesetzt. Die Gegenregulation des Organismus bewirkt nun eine gesteigerte Katecholaminfreisetzung, um das Herzzeitvolumen zu steigern, woraus jedoch wiederum eine weitere Frequenzzunahme resultieren kann. Hierdurch kann sich ein Teufelskreis entwickeln, der therapeutisch unbedingt durchbrochen werden muss. Durch hohe Herzfrequenzen wird zudem der Sauerstoffbedarf des Herzens deutlich erhöht, wodurch es bei Patienten mit koronarer Herzerkrankung oder ausgeprägter linksventrikulärer Hypertrophie zu myokardialen Ischämien kommen kann. Diese wiederum begünstigen regionale Autonomien in den ischämischen Arealen mit der Gefahr des Übergangs in maligne Arrhythmien bis hin zum Kammerflimmern. 26.2.2.1
Atriale Rhythmusstörungen
Diese Rhythmusstörungen gehen vom Vorhof aus und werden mit unterschiedlicher Frequenz auf die Kammern übergeleitet. Neben der echten Sinustachykardie, die in den meisten Fällen eine Bedarfstachykardie darstellt, ist das Vorhofflimmern die häufigste atriale Tachykardie. Atriale Tachykardien imponieren klinisch oft als Palpitationen, Herzrasen oder Herzstolpern. Bedeutsam werden sie durch die Leistungseinbuße durch Wegfall bzw. Reduktion der atrialen Transportfunktion sowie durch das Risiko der Thrombenbildung mit anschließender Embolisierung.
Vorhofflimmern Idiopathisches Vorhofflimmern tritt bei jungen Menschen intermittierend ohne fassbare Herzerkrankung auf. Es hat unter diesen Bedingungen außer einer eventuellen psychischen Belastung durch die Palpitationen keine pathologische Bedeutung und muss daher in den meisten Fällen auch nicht therapiert werden. Auch die Inzidenz thromboembolischer Komplikationen ist bei dieser Entität nicht signifikant erhöht, sodass keine dauerhafte Antikoagulation indiziert ist. Vorhofflimmern auf der Basis einer organischen Herzerkrankung hingegen hat eine deutliche Relevanz bezüglich im weiteren Verlauf auftretender Komplikationen sowie einer Einschränkung der Herzleistung durch den Wegfall der Ventrikelfüllung. Diese Reduktion des Herzzeitvolumens beträgt 15–30 %, und zwar in Abhängigkeit von der Frequenz und der diastolischen Compliance der Ventrikel. ! Vorhofflimmern mit kardialer Grunderkrankung führt zu einer reduzierten Lebenserwartung und ist mit einer deutlichen Morbidität assoziiert.
Klinisch unterscheidet man Vorhofflimmern in: 4 intermittierendes Vorhofflimmern, 4 persistierndes Vorhofflimmern, 4 permanentes Vorhofflimmern. Diese Unterscheidung ist insbesondere in Hinblick auf die Erfolgsrate bei der Wiederherstellung eines stabilen Sinusrhythmus von Bedeutung. Ausgangspunkt des Vorhofflimmerns sind MikroReentries, die oft von den Einmündungsstellen der Pulmonalvenen ihren Ausgang nehmen (. Abb. 26.1). Hierbei werden vagalen Nervenendigungen bzw. Knoten in diesem Bereich eine Schlüsselstellung zugeschrieben. Bei Erkrankungen, die zu einer Dilatation der Vorhöfe führen, kommt es aufgrund der verlängerten intraatrialen Leitungsbahnen zu Verschiebungen der Refraktärzeiten mit der Konsequenz, dass die atriale Erregung noch nicht vollständig war, wenn schon wieder erste Areale erregbar sind. Auf dieser Basis entstehen dann kreisende Erregungen. Die Einmündungsstellen der Pulmonalvenen und das linke Herzohr sind hierbei die häufigsten Areale, von denen diese Autonomien ausgehen. Der zweite pathophysiologische Mechanismus ist die Reduktion der Sinusknotenzellen, z. B. im Rahmen eines »Sick-sinus«-Syndroms, wodurch die gerichetete atriale Erregung wegfällt und durch die lokale Autonomie ersetzt wird. Bei ischämischer Herzerkrankung liegt ein ähnlicher Pathomechanismus vor, hier spielen aber mitunter auch ischämiebedingte Veränderungen der Refraktärzeiten sowie der lokalen Leitungsgeschwindigkeiten eine Rolle. Die Überleitung auf die Kammern wird durch den AV-Knoten gebremst, erfolgt aber unregelmäßig, sodass in Abhängigkeit von der Aktivität des vegetativen Nervensystems eine
731 26.2 · Definitionen und Phathophysiologie kardialer Rhythmusstörungen
. Abb. 26.1. Vorhofflimmern, schematische Darstellung. Die Mikro-Reentries haben ihren Ausgangspunkt in der Regel im linken Vorhof, wobei den Einmündungsstellen der Pulmonalvenen große Bedeutung zukommt. Es findet keine geordnete Erregung der Vorhöfe mehr statt. Wenn eine der Erregungen den AV-Knoten erreicht, wird sie – abhängig von der Refraktärzeit des AV-Knotens – auf die Kammern übergeleitet. a rechtes Herzohr; AVK AV-Knoten; b linkes Herzohr; IVC untere Hohlvene; PV Pulmonalvenenfach; SK Sinusknoten; SVC obere Hohlvene
Bradyarrhythmie, eine normfrequente absolute Arrhythmie oder eine Tachyarrhythmie resultieren kann. Bei einer gleichzeitig existierenden Erkrankung des AV-Knotens kann es auch zu schenkelblockartig deformierten Kammerkomplexen kommen. Dies ist dann der Fall, wenn Teile des His-Bündels frequenzabhängig blockieren – ein Phänomen, das man bei tachykarder Überleitung bei Patienten mit koronarer Herzerkrankung nicht selten findet. Das EKG zeigt dann eine täuschende Ähnlichkeit mit einer ventrikulären Tachykardie; die Abgrenzung erfolgt durch Ausmessen der Abstände zwischen den QRS-Komplexen: Unterschiedliche Abstände machen einen ventrikulären Ursprung extrem unwahrscheinlich und deuten auf eine tachykarde Überleitung einer absoluten Arrhythmie mit inkompletter Leitungsblockade hin. Gefährlich ist die Kombination mit einer akzesorischen Bahn, da hier in der Regel die Leitungsverzögerung fehlt bzw. von der Refraktärzeit/Leitungsgeschwindigkeit der akzessorischen Bahn abhängt. Hieraus können sehr schnelle Kammerfrequenzen resultieren, die u. U. auch in Kammerflimmern übergehen. Durch die hohe Frequenz um 400/min kommt es zum Erliegen der Transportfunktion der Vorhöfe. Auf dem Boden dieses Stillstands resultiert in Abhängigkeit von der Vorhofgröße eine Stase, die sich auch echokardiographisch als sog. Sludge-Phänomen darstellen lässt. Insbesondere im Bereich des linken Herzohrs besteht die Gefahr der Bildung von Thromben, die dann v. a. bei intermitterendem Vorhofflimmern bei Wechsel in den Sinusrhythmus über den linken Ventrikel in das arterielle System embolisieren können.
Vorhofflattern und Reentry-Tachykardien Vorhofflattern ist durch eine langsamere Frequenz von 250–300/min gekennzeichnet. Im Gegensatz zu Vorhofflimmern ist Vorhofflattern in der Regel eine Erkrankung des rechten Vorhofs (. Abb. 26.2). Die Überleitung erfolgt meist nach einem festen Schema. Die resultierende Kammerfrequenz beträgt dann etwa 120–140/min (2:1-Block) oder 60–70/min (3:1-Block). Im EKG sind – insbesondere in den rechtspräkordialen Ableitungen – typische Sägezahnmuster der atrialen Flatterwellen zu erkennen. Diese sind umso leichter auszumachen, je höhergradig die atrioventrikuläre Überleitung blockiert ist. Ursache des Vorhofflatterns sind in der Regel stabile Makro-Reentries, die sich auf dem Boden dilatierter Vorhöfe bei Klappenerkrankungen, aber auch bei ischämischer Herzerkrankung ausbilden können. Reentry-Tachykardien ähneln Vorhofflattern und kommen durch unterschiedliche Leitungsgeschwindigkeiten beziehungsweise -richtungen im Bereich des AV-Knotens zustande. Hierdurch können sich bei bestimmten Frequenzen, meistens abhängig vom Symphathikotonus, rezidivierend stabile Makro-Reentries bilden. Beide Entitäten zeichnen sich durch eine relativ hohe elektrische Stabilität und durch eine weitgehend fehlende atriale Transportfunktion aus. Das Risiko einer Thromboembolie ist, wahrscheinlich aufgrund der zumindest minimal bestehenden Transportfunktion der Vorhöfe, etwas niedriger als beim Vorhofflimmern. Die Leistungseinschränkung ist ebenfalls deutlich, zumal eine Frequenzsteigerung nur in größeren Schritten durch Änderung der Blockierung möglich ist (z. B. durch Wechsel von einer 3:1- auf eine 2:1-Blockierung). Bei Vorliegen akzessorischer Bahnen besteht die große Gefahr der Ausbildung stabiler Reentries über diese
26
732
Kapitel 26 · Chirurgie bei tachykarden Rhythmusstörungen und Herzschrittmachertherapie
. Abb. 26.2. Vohofflattern, schematische Darstellung. Es handelt sich um eine Erkrankung des rechten Vorhofs. In diesem bilden sich stabile Reentries aus, die dann meist nach einem starren Überleitungsmuster (2 : 1, 3 : 1) über den AV-Knoten auf die Kammern übergeleitet werden. Durch die resultierenden Kontraktionen resultiert eine nur noch minimale Transportfunktion. Durch diese ist das Embolierisiko gegenüber Vorhofflimmern deutlich niedriger. a rechtes Herzohr; AVK AV-Knoten; b linkes Herzohr; IVC untere Hohlvene; PV Pulmonalvenenfach; SK Sinusknoten; SVC obere Hohlvene
26 Bahnen mit dem Ergebnis einer schnellen Überleitung auf die Kammern. 26.2.2.2
Ventrikuläre Rhythmusstörungen
Ventrikuläre Rhythmusstörungen sind klinisch durch ihre starke und direkte Beeinflussung der Herzleistung meistens akut bedeutsam und therapiebedürftig. Die Ursachen können vielfältig sein: ischämisch, kardiomyophathieassoziiert oder idiophathisch. Grundsätzlich spielen bei ventrikulären Rhythmusstörungen die gleichen Mechanismen eine Rolle wie bei den atrialen Rhythmusstörungen. Ektope Erregungszentren – auf dem Boden einer ischämischen Herzerkrankung oder aufgrund von Störungen der histologischen Architektur der Myokardfasern bei Kardiomyophathien – haben eine herausragende Bedeutung bei diesen Ektopien. Eine zweite Ursache ist durch unterschiedliche Leitungsgeschwindigkeiten und Refraktärzeiten gegeben. Diese treten bei ischämischen Prozessen auf, inbesondere im Randbereich der myokardialen Narbe.
Ventrikuläre Ektopien Wird die Autonomie der Herzmuskelzellen nicht durch eine schnellere, vom übergeordneten Zentrum ausgehende Erregung unterdrückt, kommt es zu Erregungen, die ihren Ausgang in den Kammern nehmen (ventrikulärer Ersatzrhythmus). Unter pathologischen Bedingungen kann allerdings die Autonomie einzelner myokardialer Areale erhöht sein, und hierdurch kann es zu vorzeitigen Erregungen aus den Kammern kommen. Diese Entität imponiert klinisch als ventrikuläre Extrasystole. Besteht lediglich ein ektopes Zentrum, resultieren in aller Regel monomorphe Extrasystolen, bei mehreren Zentren polymorphe. Die Unterschiede in der EKG-Morphologie der Extrasystolen kommen durch den Verlauf der Erregung durch die Kammer zustande.
Grundsätzlich ist die QRS-Breite der Extrasystolen größer als 140 ms und der Komplex schenkelblockartig deformiert. Bei einer rechtsventrikulären Ektopie beispielsweise imponiert das Bild eines Linksschenkelblocks, da der linke Ventrikel zuletzt sowie über das Myokard statt über das HisBündelsystem und die Tawara-Schenkel erregt wird. Klinisch werden diese Extrasystolen meistens als Herzstolpern wahrgenommen, da sie in der Regel von einer postextrasystolischen Pause gefolgt sind. Hämodynamisch werden die Extrasystolen dann bedeutsam, wenn sie zu einer effektiven Bradykardie führen. Dies ist bei kurz gekoppelten bigeminiformen Extrasystolen der Fall, wobei der Auswurf gegenüber einer normalen Herzaktion deutlich vermindert ist. Hierdurch entsteht ein peripheres Pulsdefizit, d. h. dass nur jede zweite elektrische Herzaktion auch einen effektiven Auswurf aus dem Ventrikel nach sich zieht. Von rhythmologischer Seite aus sind ganz kurz gekoppelte Extrasystolen bedeutsam, die in die T-Wellen einfallen, da diese wiederum in die vulnerable Phase des Herzzyklus einfallen und hierdurch Kammerflimmern induzieren können.
Ventrikuläre Tachykardien Die Basis für ventrikuläre Tachykardien sind ektope Zentren und/oder Areale mit unterschiedlicher Leitungsgeschwindigkeit und Refraktärzeit. Bereits erregte Gebiete können hierbei aufgrund einer langsamen Leitung durch ein beispielsweise ischämisches Areal nach ihrer eigenen Refraktärzeit erneut von der gleichen Erregung erreicht und auch erneut erregt werden. Es resultiert eine kreisende Erregung, ein klassischer Reentry. Dieser Mechanismus spielt bei der Entstehung ventrikulärer Tachykardien, die als Salven mit mehr als 3 aufeinander folgenden Schlägen definiert sind, eine große Rolle. Aufgrund dieser Patho-
733 26.4 · Therapie
physiologie sind diese Tachykardien praktisch immer regelmäßig, da sich die Leitungsgeschwindigkeit im Reentry während der Tachykardie in der Regel nicht verändert. Von ventrikulären Tachykardien spricht man, sobald mehr als 2 ektope Schläge ventrikulären Ursprungs aufeinander folgen (Triplet und mehr). Sie werden in anhaltende und nichtanhaltende ventrikuläre Tachykardien unterteilt. Während die Letzteren dadurch gekennzeichnet sind, dass sie sich nach einer unterschiedlichen Dauer (<30 s) spontan terminieren, erfordern Erstere ein therapeutisches Eingreifen, da sie ansonsten in Kammerflimmern (s. unten) degenerieren. Unabhängig von der Dauer besteht während dieser Tachykardien, die in der Regel mit einer Frequenz von >150/min auftreten, ein stark reduzierter bis vollständig aufgehobener effektiver Herzauswurf, wodurch das resultierende Herzzeitvolumen ebenfalls stark erniedrigt ist und im Extremfall sogar effektiv ein Kreislaufstillstand vorliegt. In Abhängigkeit von der Dauer wird dieses Ereignis vom Patienten als Herzrasen, Hitzewallung oder Schwindelgefühl wahrgenommen oder es kommt zur Bewusstlosigkeit (Synkope).
Kammerflattern und -flimmern Unter Kammerflattern wird eine hochfrequente ventrikuläre Tachykardie ohne effektiven Auswurf verstanden. Kammerflimmern hingegen ist durch eine völlig ungeordnete Erregung des gesamten Herzens durch viele Mikround Makro-Reentries gekennzeichnet. Es kommt hierbei zum Kreislaufstillstand, daher ist schnelles Handeln erforderlich. Die meisten Fälle eines plötzlichen Herztodes werden auf solche rhythmogenen Ereignisse zurückgeführt.
26.3
Diagnostik
Die Diagnose der verschiedenen Rhythmusstörungen beruht zunächst auf der Anamnese. Typische Symptome, die auf Rhythmusstörungen hinweisen, sind: 4 Palpitationen, 4 Herzstolpern, 4 Gefühl »fehlender« Herzschläge, 4 Schwindel, 4 Herzklopfen/-rasen, 4 Synkopen und Präsynkopen.
In Fällen mit seltenem Auftreten der Arrhythmien haben sich kleine Holter-Geräte, die subkutan präkardial implantiert werden (»event recorder«), sehr gut bewährt (Kothari et al. 2006; Patten et al. 2006; Scalvini et al. 2005; Wu et al. 2003). Die Geräte messen etwa 3 cm × 1 cm × 0,4 cm und werden in Lokalanästhesie linkspräpektoral in eine kleine Tasche implantiert. Sie zeichnen dann über einen maximalen Zeitraum von 3 Monaten die elektrischen Signale auf. Das optimale Ergebnis wird erzielt, wenn der Patient parallel Aufzeichnungen vornimmt, sodass sich eventuelle Ereignisse bei der Auswertung des »event recorder« den subjektiven Beschwerden zuordnen lassen. Bei der elektrophysiologischen Untersuchung werden die Arrhythmien mit Hilfe links- und rechtsventrikulär oder atrial platzierter Elektroden exakt ausgelöst, gemessen, nachverfolgt und lokalisiert. Diese Untersuchung ermöglicht daher eine detaillierte Therapieplanung und ist heute für die meisten rhythmuschirurgischen Eingriffe diagnostischer Standard. Zusätzlich sollten bei allen Arrhythmien mögliche Ursachen und behandelbare Erkrankungen (ischämische Herzerkrankung, Klappenfehler) ausgeschlossen oder bestätigt werden.
26.4
Therapie
26.4.1 Geschichte und Entwicklung
Die antiarrhythmische Therapie hat sich in den letzten Jahren deutlich gewandelt. Nachdem viele Studien auf die proarrhythmogenen Effekte vieler, insbesondere Klasse-I-Antiarrhythmika aufmerksam gemacht haben und gleichzeitig die Implantation von Schrittmachern und Defibrillatoren (»automatic internal cardioverter/defibrillator«, AICD) zunehmend einfacher und standardisierter wurde, ist heute vielfach der AICD an die Stelle der medikamentösen Therapie getreten. Zusätzlich hat sich durch die Weiterentwicklung und Verbesserung im Bereich der Kathetertechniken die klinische Therapie der Rhythmusstörungen stark in Richtung auf das Katheterlabor verschoben. Die klassische Rhythmuschirurgie ist hierbei mehr und mehr zurückgedrängt worden, sodass sie sich heute nur noch auf seltene Fälle beschränkt, bei denen eine interventionelle Ablation nicht erfolgreich war.
Die weitere Diagnostik stütz sich zunächst auf apparative, aber nichtinvasive Methoden: 4 12-Kanal-EKG mit langem Rhythmusstreifen, 4 24-h-EKG.
26.4.2 Therapie bradykarder Rhythmus-
Die meisten Rhytmusstörungen können mit diesen Methoden bereits erfasst und sicher diagnostiziert werden. Zur invasiven Diagnostik stehen zu Verfügung: 4 »event recorder« 4 elektrophysiologische Untersuchung.
Bradykarde Rhythmusstörungen sind, wenn nicht vorübergehende Ursachen wie Elektrolytentgleisungen oder Vergiftungen vorliegen, medikamentös-konservativ kaum zu therapieren. Durch entsprechende Sympathomimetika oder Phosphodiesterasehemmer wie Theophyllin lässt sich
störungen
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Kapitel 26 · Chirurgie bei tachykarden Rhythmusstörungen und Herzschrittmachertherapie
allenfalls unter intensivmedizinischen Bedingungen eine Steigerung der Herzfrequenz erzielen. Dies stellt aber keine Therapie bei andauernden Bradykardien dar. Seit der ersten Implantation eines Herzschrittmachers im Jahre 1958 (Elmquist u. Senning 1959) hat sich hier die Schrittmachertherapie als Standardverfahren etabliert. 26.4.2.1
26
Geschichte
Im Jahre 1958 erfolgte die erste erfolgreiche Herzschrittmacherimplantation durch Elmquist und Senning, gefolgt von Chardack (Chardack et al. 1960) sowie von Zoll und Linenthal (1960). Seither hat insbesondere die technische Entwicklung die Schrittmachersysteme leistungsfähiger, zuverlässiger und haltbarer gemacht. Waren die ersten Geräte noch starrfrequente Impulsgeber, so weisen moderne Geräte eine Vielzahl von Funktionen auf, durch die eine möglichst physiologische Stimulation erzielt werden kann. Von chirurgisch-technischer Seite her bedeutete die Einführung der endokardialen Elektroden einen Meilenstein in der Schrittmacherchirurgie (Lagergren u. Johannson 1963), da hierdurch kein direkter Zugang zum Herzen mehr benötigt wurde. Die Implantation über die V. cephalica bzw. über eine Punktion der V. subclavia ist seither das etablierte Standardverfahren zur Implantation von Schrittmacher- und AICD-Elektroden. Lediglich für passagere Elektroden sollte eine Schleuse über die V. jugularis bevorzugt werden, um die V. subclavia für die evtl. erforderliche Schrittmacherimplantation zu schonen. Die Schwerpunkte der Entwicklung der Schrittmachersysteme seien im Folgenden summarisch genannt: 4 Prinzip der Demand-Funktion (Castellanos et al. 1964), 4 Einführung der Vorhofsteuerung des Schrittmachers (Nathan u. Center 1963), 4 Prinzip der bifokalen sequenziellen Stimulation (Berkovits et al. 1969), 4 Einführung der Lithiumbatterien (Greatbach 1978), 4 Therapie maligner ventrikulärer Tachykardien durch den automatischen implantierbaren Defibrillator (Mirowski et al. 1980), 4 Entwicklung der frequenzadaptiven Systeme (Alt 1985; Lüderitz 1980). Parallel zu diesen Entwicklungen ermöglichten technische Verbesserungen der Generatoren die nichtinvasive Programmierung von Schrittmachersystemen durch Telemetrie (Cammilli et al. 1981). Heute ist die Schrittmachertherapie eine anerkannte und standardisierte Therapie mit sehr geringem Risiko, einer geringen Morbidität und gesicherten Langzeitergebnissen (Trohman et al. 2004). 26.4.2.2
Therapieindikationen
Grundsätzlich besteht die Indikation zur Schrittmacherimplantation bei symptomatischen Bradykardien. Die Symptome sind hierbei durch das durch die erniedrigte Frequenz
bedingt erniedrigte Herzzeitvolumen verursacht und reichen von Leistungsminderung und Müdigkeit über Schwindel bis hin zu Synkopen. Ziele der therapeutischen Maßnahmen sind die Verhinderung eines Herzstillstands in Asystolie und des Auftretens maligner Arrhythmien aus der Bradykardie heraus sowie der Erhalt bzw. die Wiederherstellung der Leistungsfähigkeit des Patienten. Die transvenöse Implantation eines Schrittmachers ist heute als risikoarmer Eingriff einzustufen. Trotzdem sind die möglichen Komplikationen prinzipiell vital gefährdend: Myokardperforation, Infektion, Endokarditis. Daher ist die Indikation, auch unter ökonomischen Gesichtspunkten, grundsätzlich eng zu stellen. Allgemein akzeptierte Indikationen zur Implantation eines permanenten Schrittmachers sind: 4 symptomatische Sinusbradykardie, 4 Sinusknotenblockierung/Sinusarrest, 4 AV-Blockierung Grad IIb/III, 4 AV-Blockierung Grad IIa bei entsprechender Symptomatik, 4 trifaszikulärer Block, 4 »Sick-sinus«-Syndrom, 4 Karotissinussyndrom, 4 Bradyarrhythmia absoluta, 4 Bradykardien unter einer absolut indizierten antiarrhythmischen Therapie. Neben den absoluten Indikationen bei AV-Block dritten Grades, Sinusarrest und trifaszikulärem Block ist bei den anderen Indikationen immer das klinische Beschwerdebild entscheidend für die Indikationsstellung. Bei der antiarrhythmischen Therapie insbesondere von supraventrikulären Tachykardien wird oftmals das therapeutische Ziel der Unterdrückung der tachykarden Episoden nur auf dem Weg einer medikamentös induzierten Bradykardie erreicht. Dies trifft insbesondere für das Brady-Tachy-Syndrom zu. In dieser Situation kann eine Indikation für eine Schrittmacherimplantation vorliegen, wenn nur hierdurch eine ausreichende und regelmäßige Herzaktion unter Unterdrückung der Tachykardien zu gewährleisten ist. Eine weitere Schrittmacherindikation besteht bei chronischem Vorhofflimmern, das sich medikamentös nicht dauerhaft normofrequent einstellen lässt. Hier steht dann die interventionelle AV-Knoten-Ablation mit anschließender Einkammerschrittmacherimplantation als therapeutische (palliative) Option zur Verfügung. Durch die Vielzahl antiarrhythmischer Medikamente in Kombination mit den interventionellen ablativen Maßnahmen sowie durch den Siegeszug der AICD spielen Schrittmacher mit antitachykarden Funktionen heute praktisch keine Rolle mehr. Als Prinzipien der Tachykardieterminierung stehen hier verschiedenen Verfahren zur Verfügung: Underdrive- und Overdrive-Stimulation, Burstund Scanning-Stimulation (veränderliche Kopplungsintervalle) sowie die »Dual-demand«-Stimulation. Dabei
735 26.4 · Therapie
existieren patientenaktivierte und automatische Systeme. Da diese Geräte aber bei Erfolglosigkeit eine ventrikuläre Tachykardie nicht durch einen Schock terminieren können und zudem die Degeneration in Kammerflimmern nicht sicher zu verhindern bzw. sogar eine Triggerung durch die antitachykarde Stimulation möglich ist, kommen diese Programmierarten heute praktisch nicht mehr zum Einsatz. Sie spielen allerdings noch bei den AICD eine Rolle, wenn es darum geht, langsame ventrikuläre Tachykardien durch Stimulation anstatt durch Schockabgabe zu terminieren. Jüngere Studien zeigten einen günstigen Effekt der schnellen Vorhofstimulation (80 Schläge pro Minute) bei der Verhinderung des Auftretens von Vorhofflimmern bei Patienten mit Brady-Tachy-Syndrom (Flammang et al. 2005), insbesondere bei »Sick-sinus«-Syndrom (Carlson et al. 2003). Allerdings konnte die Reduktion der tachykarden Phasen durch schnelle Vorhofstimulation bei Brady-TachySyndrom in anderen Arbeiten nur in derjenigen Untergruppe gezeigt werden, die ohnehin im »follow-up« kein andauerndes Vorhofflimmern entwickelte (Padeletti et al. 2005). Der Nutzen dieser Systeme muss sich daher erst noch definitiv erweisen. Grundsätzlich kann man aber davon ausgehen, dass bei Patienten mit Brady-Tachy-Syndrom die Basisfrequenz des Schrittmachersystems höher programmiert werden sollte, um das Entstehen von atrialen Tachykardien aus bradykarden Phasen heraus zu verhindern. ! Ein isolierter Vorhofschrittmacher ist derzeit nur bei »Sick-sinus«-Syndrom und Ausschluss einer pathologischen AV-Überleitung einschließlich eines AV-Blocks ersten Grades indiziert. Ansonsten besteht in einem hohen Prozentsatz im weiteren Verlauf die Notwendigkeit zur Aufrüstung auf ein 2-Kammer-System.
Grundsätzlich werden heute in der überwiegenden Zahl der Fälle 2-Kammer-Systeme implantiert. Die isolierte Vorhofstimulation macht bei vielen Patienten eine spätere Aufrüstung auf ein 2-Kammer-System erforderlich, da im weiteren Krankheitsverlauf eine Einknotenerkrankung häufig in eine 2-Knoten-Erkrankung übergeht. Daher besteht die Indikation zu einer isolierten Einkammerstimulation des rechten Vorhofs nur bei Patienten mit isolierter Erkrankung des Sinusknotens (»Sick-sinus«-Syndrom) ohne jegliche Störung der AV-Überleitung (Masumoto et al. 2004; Tripp
et al. 2005). Allerdings ließ sich bei Patienten mit »Sick-sinus«-Syndrom durch eine isolierte Vorhofstimulation gegenüber der 2-Kammer-Stimulation die Inzidenz von Vorhofflimmern deutlich senken (Kristensen et al. 2004; Nielsen et al. 2003) – Ergebnisse, durch die die physiologischere ventrikuläre Erregung und Kontraktion bei normaler Leitung über den AV-Knoten unterstrichen werden. Aufgrund der unphysiologischen Stimulation mit einem Verlust von 15–30 % des Herzzeitvolumens, dem Auftreten des sog. Schrittmachersyndroms und von Pfropfungen sowie der möglichen Triggerung der Entstehung von chronischem Vorhofflimmern ist die isolierte ventrikuläre Stimulation über ein Einkammersystem nur bei chronischem Vorhofflimmern indiziert. Eine weitere Indikation besteht gemäß den aktuellen Leitlinien bei einer erwarteten Stimulationshäufigkeit von <5 %, z. B. als reiner Demand-Schrittmacher bei Karotissinussyndrom. 26.4.2.3
Schrittmacher-Codes
Um eine einheitliche und übersichtliche Terminologie und Kennzeichnung der Schrittmacher zu erreichen, wurde international der ICHD-Schrittmachercode (ICHD: Intersociety Commission for Heart Disease Resources) eingeführt (. Tab. 26.1). Der erste Buchstabe kennzeichnet den Stimulationsort, der zweite den Wahrnehmungsort und der dritte die Betriebsart. Der vierte Buchstabe gibt Auskunft über die Programmierbarkeit, und der fünfte Buchstabe kennzeichnet eventuelle antitachykarde Funktionen bzw. Programmierungen. Gegenwärtig werden in den meisten Fällen 2-KammerSysteme implantiert, d. h. es findet sowohl im Vorhof als auch im Ventrikel jeweils eine Wahrnehmung und eine Stimulation statt. Da diese Systeme sowohl inhibiert (I) als auch getriggert (T) programmiert sind, ist der entsprechende Betriebsmodus der DDD-Modus. Eine Abweichung hiervon liegt vor, wenn bei häufigen Episoden supraventrikulärer Tachykardien die Wahrnehmungsfunktion der Vorhofelektrode ausgeschaltet wird, um eine schnelle und unregelmäßige Überleitung dieser Tachykardien auf die Kammern zu verhindern. Gleichzeitig wird dann hier natürlich die Triggerung der Kammerstimulation durch die Vorhofwahrnehmung ausgeschaltet, aber die Vorhofstimulation aufrechterhalten, um in den Phasen mit Sinusrhythmus die
. Tab. 26.1. Internationaler Schrittmachercode I: Ort der Stimulation
II: Ort der Wahrnehmung (Sensing)
III: Arbeitsweise
IV: Programmierbarkeit
V: Antitachykardiefunktion
4 V: Kammer 4 A: Vorhof 4 D: Vorhof und Kammer
4 4 4 4
4 I: inhibiert 4 T: getriggert 4 D: inhibiert und getriggert 4 0: keine Steuerung
4 P: bis 2 Funktionen programmierbar 4 M: multiprogrammierbar 4 0: nicht programmierbar
4 B: »burst« 4 N: kompetitive Stimulation bei normaler Frequenz 4 S: »scanning« 4 E: externe Steuerung 4 0: keine Antitachykardiefunktion
V: Kammer A: Vorhof D: Vorhof und Kammer 0: keine Wahrnehmung
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736
Kapitel 26 · Chirurgie bei tachykarden Rhythmusstörungen und Herzschrittmachertherapie
atrioventrikuläre Synchronisation zu erhalten. Es resultiert der DVI-Modus. Bei Vorhofflimmern wird in dieser Betriebsart lediglich die Kammer stimuliert; funktionell resultiert der VVI-Modus.
AAI
26
Diese Stimulationsform wurde schon von Lillehei und seinen Kollegen im Jahre 1963 entwickelt und klinisch eingesetzt. Über eine meistens rechtsatriale Elektrode wird der rechte Vorhof stimuliert. Durch diese Stimulationsart wird die physiologische Erregungsausbreitung bestmöglich aufrechterhalten, und der Kammerkomplex bleibt schmal. Galt der AAI-Schrittmacher insbesondere aufgrund der physiologischen Erregungsausbreitung und der ventrikulären Kontraktion als Therapie der Wahl bei »Sick-sinus«-Syndrom, wird diese Form des Einkammerschrittmachers aktuell selten eingesetzt (<5 %), da die Meinung vorherrscht, dass eine große Zahl an Patienten mittelfristig eine Aufrüstung auf ein 2-Kammer-System benötigt. Allerdings zeigt die neuere Literatur (Masumoto et al. 2004; Tripp et al. 2005), dass dies bei Patienten mit normaler AV-Überleitung und »Sick-sinus«-Syndrom nur mit einer Häufigkeit von 1 % pro Jahr notwendig wird, sodass der atriale Einkammerschrittmacher bei dieser Indikation eine kleine Renaissance erlebt. Daher kommen heute auch Aggregate mit einer sog. DDD-Backup-Funktion zum Einsatz: Die primäre Stimulationsart ist AAI. Sollte sich aber eine entsprechende Blockierung der Weiterleitung ergeben, wird automatisch auf den DDD-Modus umgestellt.
VVI Der ventrikuläre Einkammerschrittmacher ist heute nur noch bei Patienten mit chronischem Vorhofflimmern sowie bei einer erwarteten Stimulationshäufigkeit von <5 % indiziert. Seine Vorteile liegen in den niedrigen Kosten, der einfachen Implantation und der relativ langen Lebensdauer des Aggregats. Die Nachteile resultieren aus der unphysiologischen Stimulationsform, insbesondere bei Patienten mit Sinusrhythmus: Synkopen als Ausdruck des Schrittmachersyndroms (simultane atriale und ventrikuläre Kontraktion), Palpitationen, Blutdruckabfälle bei Einsatz der Stimulation und untypischer Thoraxschmerz sind die häufigsten Beschwerden unter VVI-Stimulation.
DVI Durch Stimulation von Vorhof und Ventrikel bleibt die atrioventrikuläre Synchronisation bei (langsamem) Sinusrhythmus erhalten; bei tachykardem Vorhofflimmern liegt funktioniell ein VVI-Modus vor. Ein Vorteil besteht bei Patienten mit intermittierenden supraventrikulären Tachykardien, die aufgrund der fehlenden atrialen Wahrnehmung nicht an die Kammer weitergegeben werden. Der Nachteil besteht darin, dass eine bedarfsbedingte atriale Frequenzsteigerung im Sinusrhythmus nicht auf die Kammern weitergeleitet wird.
DDD Beide Kammern werden überwacht und bei Bedarf stimuliert. Abgesehen von der sich ergebenden rechtsventrikulären Stimulation mit resultierendem Linksschenkelblock bei ventrikulärer Stimulation liegt praktisch eine physiologische Weiterleitung der Erregung unter Erhaltung der atrioventrikulären Synchronisation vor. Der im DDDModus programmierte 2-Kammer-Schrittmacher stellt die derzeit am häufigsten implantierte Schrittmacherart dar.
Frequenzadaptive Systeme Um den Patienten eine belastungsadaptierte Herzfrequenz zu ermöglichen, werden heute meistens frequenzadaptive Systeme implantiert. Als Trigger für die Wahrnehmung der Belastungsstufe wurden hierbei die QT-Zeit, die Atemfrequenz, die zentralvenöse Temperatur, die Muskelaktivität, der Laktatspiegel und einige andere Parameter verwendet. Auch wenn die Frequenzsteigerung mit einer gewissen Verzögerung gegenüber dem Start der Belastung eintritt, lässt sich hierdurch eine deutliche Leistungssteigerung erreichen, wodurch die Lebensqualität erhöht werden kann. Insgesamt beeinflusst die Stimulationsart die Lebensqualität deutlich. Für die frequenzadaptiven Systeme und Programmierungen konnte hingegen noch kein eindeutiger Beweis für eine Verbesserung der Lebensqualität erbracht werden (Fleischmann et al. 2006; Greenspon et al. 2004; van Hemel et al. 2007). Dieser fehlende Effekt der Programmierung mag auch durch das durchschnittliche Lebensalter der Patienten mit einer Schrittmacherindikation mitbedingt sein, da hier der Bedarf einer deutlichen und raschen Herzfrequenzsteigerung im Alltag verglichen mit jüngeren Patienten geringer ist. Der Stimulationsmodus hingegen übt seinen Effekt schon allein über die Rekrutierung der atrialen Ventrikelfüllung unter Erhalt der atrioventrikulären Synchronisation aus, wodurch das Herzzeitvolumen um bis zu 30 % gesteigert und zusätzlich die Inzidenz des Schrittmachersyndroms deutlich reduziert wird (Fleischmann et al. 2006; van Hemel et al. 2007).
Sondenimplantation Vorbereitung
26.4.2.4
Zur präoperativen Vorbereitung des Patienten vor transvenöser Schrittmacherimplantation gehören die schriftliche Einverständniserklärung für den Eingriff, die Rasur im Operationsgebiet (rechts- bzw. linksthorakal, Oberbauch) und – obligat – ein peripherer venöser Zugang. Der Patient muss zudem mindestens 6 h vor dem elektiven Eingriff nüchtern sein. Eine präoperative Röntgenaufnahme des Thorax sollte vorliegen. Die Anwesenheit eines Anästhesisten zur Überwachung des Patienten bei der Operation ist wünschenswert, jedoch nicht unbedingt erforderlich. Ein Anästhesist sollte jedoch prinzipiell erreichbar, über die Operation informiert und im Notfall sofort verfügbar sein. Als apparative Ausrüstung im Operationssaal sind neben dem eigentlichen Instrumentarium (Venae-sectio-Be-
737 26.4 · Therapie
steck, Wundspreizer und -haken, sterile Verbindungskabel, steriler Magnet, verschiedene Schraubendreher, Lokalanästhetikum) erforderlich: 4 EKG-Monitor (ggf. mit Oszilloskop), 4 EKG-Schreiber, 4 Defibrillator, 4 Reizschwellenmessgerät, 4 Röntgenbildverstärker (Bildwandler). Außer dem implantierenden Arzt, der assistierenden Operationsschwester und einem Springer muss auch eine mit dem Ablauf einer Schrittmacherimplantation vertraute Person anwesend sein, die einerseits – wenn ohne Anästhesisten operiert wird – den Patienten überwacht (Blutdruckkontrolle!) und andererseits die Reizschwellenmessung und die Messung der intrakardialen Signale vornimmt. Die Versorgung des Patienten durch eine präoperativ applizierte passagere Elektrode und eine externe Stimulation ist nur selten notwendig, z. B. bei AV-Block dritten Grades ohne ausreichenden Ersatzrhythmus. In solchen Fällen sind die temporäre Elektrodenimplantation und die externe Stimulation in der Regel bereits präoperativ auf der Intensivstation erfolgt. Beim Zugang für die Anlage der passageren Elektrode sollte bevorzugt die der präferierten Seite kontralateral gelegene Seite Verwendung finden. Ebenfalls präoperativ muss mit dem Patienten der Ort der Implantation des Impulsgebers besprochen werden (. Abb. 26.3). Naturgemäß können sich hierbei spezielle Wünsche des Patienten ergeben (Rechts- oder Linkshänder, Jäger etc.). Im Operationssaal erfolgen die Lagerung des Patienten (Rückenlage, Anlegen des Armes an der Körperseite, auf der operiert wird, evtl. Auslagern des anderen Armes mit venösem Zugang) und der Anschluss an die EKG-Elektroden. Der Operateur steht auf der Seite, auf welcher die Vene freigelegt wird. Hautdesinfektion, steriles Abdecken des
. Abb. 26.4. Venen zur Elektrodenimplantation: V. cephalica, V. subclavia, V. jugularis externa, V. jugularis interna
. Abb. 26.3. Darstellung der verschiedenen Schnittführungen zur transvenösen Elektrodenapplikation. 1 Zugang zur V. cephalica rechts (über diesen Zugang erfolgt gleichzeitig im Bedarfsfall die Punktion der V. subclavia); 2 Zugang zur V. jugularis externa und zur V. jugularis interna rechts; 3 Zugang zur V. jugularis externa und zur V. jugularis interna links; 4 mehr horizontaler Hautschnitt als Zugang zur V. cephalica links
Operationsfeldes, Aufbringen einer durchsichtigen, selbstklebenden Folie, steriles Abdecken der Bildwandlerröhre und Setzen der Lokalanästhesie (10–30 ml eines 0,5- bis 1%igen Lokalanästhetikums) beenden die direkte Operationsvorbereitung.
Venen zur Elektrodenimplantation Zur Implantation der Elektrode kommen grundsätzlich die folgenden Venen in Betracht (. Abb. 26.4): 4 V. cephalica (rechts/links), 4 V. subclavia (rechts/links), 4 V. jugularis externa (rechts/links), 4 V. jugularis interna (rechts/links).
26
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Kapitel 26 · Chirurgie bei tachykarden Rhythmusstörungen und Herzschrittmachertherapie
26 . Abb. 26.5. Freilegung und Anschlingen der V. cephalica rechts
Die Technik der Elektrodenimplantation über die V. cephalica stellt die absolut erste Methode der Wahl dar, die bei 70–90 % aller Operationen möglich ist. Als Methode der zweiten Wahl wird die Punktion der V. subclavia nach der Seldinger-Technik durchgeführt. Dabei wird die Elektrode direkt über die V. subclavia implantiert. Extrem selten kann die Einführung der Elektrode auch über die V. jugularis externa oder die V. jugularis interna erfolgen. Aufgrund des ungünstigen extravasalen Elektrodenverlaufs und der Prädisposition für Elektrodenbrüche stellt die Verwendung der V. jugularis jedoch nur eine Ausweichmöglichkeit in den seltenen Fällen dar, in welchen beidseits eine Thrombose der V. subclavia vorliegt oder die V. subclavia aus individuellen Gründen nicht verwendet werden kann.
Präparation der Vene Zur Freilegung der V. cephalica wird ein 6–7 cm langer, fast vertikaler Schnitt über dem Sulcus deltoideopectoralis (Mohrenheim-Grube) angelegt (. Abb. 26.5); auch eine mehr transversale Schnittführung wird häufig angewandt. Unter sorgfältiger Blutstillung wird das subkutane Gewebe durchtrennt, ein Wundspreizer eingesetzt und der Sulkus zwischen M. pectoralis major und M. deltoideus dargestellt. In diesem Sulkus verläuft – meist von lockerem Fettgewebe umgeben – die V. cephalica, die sorgfältig freipräpariert und proximal (nichtresorbierbares Nahtmaterial der Stärke 3/0) sowie distal (resorbierbares Nahtmaterial der Stärke 3/0) angeschlungen wird. Ist die V. cephalica zu klein oder thrombosiert oder die Passage der Elektrode in die V. subclavia nicht möglich, wird die V. subclavia nach Seldinger-Technik punktiert (. Abb. 26.6). Hautschnitt und subkutane Präparation müssen hierzu nicht verändert werden.
Der etwa 4–5 cm lange Hautschnitt zur Präparation der V. jugularis externa erfolgt schräg transversal in der Fossa supraclavicularis und endet ventral am lateralen Rand des M. sternocleidomastoideus. Nach Spaltung des Platysmas und Einsetzen eines kleinen Wundspreizers wird die im subkutanen Fettgewebe liegende Vene mit 2 nichtresorbierbaren Fäden (Stärken 2/0 und 3/0) angeschlungen, nach distal hin ligiert und zwischen den angespannten Fäden venotomiert und dann die Elektrode zentralwärts eingeführt. Soll die Elektrode über die V. jugularis interna implantiert werden, wählt man als Zugang die gleiche Schnittführung wie zur Freilegung der V. jugularis externa. Es empfiehlt sich jedoch, zusätzlich den lateralen Rand des M. sternocleidomastoideus (Caput claviculare) einzukerben. Als Leitmuskel der weiteren, in die Tiefe gehenden Präparation dient der M. omohyoideus, der die V. jugularis interna ventral kreuzt; er kann bei Bedarf zur besseren Exposition der V. jugularis interna durchtrennt werden. Nach Längsinzision der Gefäßscheide wird die V. jugularis interna zirkulär freipräpariert und proximal sowie distal mit Bändchen (mit Tourniquetvorrichtung) angeschlungen. Kleinere Seitenäste der V. jugularis interna, besonders die medial einmündende V. thyreoidea media oder die V. thyreoidea inferior, werden ggf. zwischen Ligaturen durchtrennt.
Einführen der Elektroden Die Intubation der V. cephalica mit der Elektrode und das weitere Vorschieben erfolgen nach der Ligatur der Vene nach distal. Die Vene wird mit einer feinen Schere quer eröffnet, und man führt die Elektrode in das Venenlumen ein. Hilfreich ist hier ein Anspannen der Vene nach distal, ggf. auch die Verwendung eines Plastikhäkchens, das das Ve-
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f . Abb. 26.6. a Seldinger-Besteck zur Punktion der V. subclavia mit nachfolgender Elektrodenapplikation. Das Set enthält eine Punktionskanüle, eine Spritze, einen Einführungsdraht und einen Gefäßdilatator mit Einführungshülse. b–g Abfolge der einzelnen Schritte bei der Venenpunktion nach der Seldinger-Technik und der Einführung der Elektrode
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Kapitel 26 · Chirurgie bei tachykarden Rhythmusstörungen und Herzschrittmachertherapie
nenlumen zur Einführung der Elektrode offenhält. Unter Röntgenkontrolle wird nun die mit einem Führungsdraht armierte Elektrode weiter in die V. subclavia und die V. cava superior vorgeschoben. Venöse Schraubelektroden mit feststehendem, nichtretrahierbarem Kopf werden unter gleichzeitiger Drehung der Elektrode gegen den Uhrzeigersinn eingeführt und vorgeschoben. Schwierigkeiten beim Vorschieben der Elektrode über die V. cephalica können im Bereich der Einmündung der V. cephalica in die V. subclavia und durch Abweichen der Elektrode in die lateralen Thoraxwandvenen entstehen. In solchen Situationen kann durch Zurückziehen des Elektrodenmandrins um mehrere Zentimeter bzw. bis zur Einmündung der V. cephalica in die V. subclavia und nachfolgendes Vorschieben von Elektrode und Mandrin häufig eine Schleife gebildet werden, die in die V. subclavia reicht und die anschließend – nach vorsichtigem Zurückziehen der Elektrodenspitze – eine weitere freie Passage der Elektrode in die V. subclavia und die V. cava superior erlaubt. Andere Fehllagen der Elektrode – in der V. jugularis interna oder der V. subclavia bzw. in der V. brachiocephalica der Gegenseite – lassen sich mit Hilfe des Röntgenbildwandlers schnell erkennen und in der Regel leicht korrigieren. Häufig ist das Lumen der V. cephalica groß genug, um bei der Implantation sequenzieller Systeme auch 2 Elektroden aufzunehmen. Dabei sollte man eine evtl. verwendete Schraubelektrode mit fester Schraube immer zuerst einführen. Reicht das Lumen der V. cephalica nur zur Aufnahme einer Elektrode aus, wird die zweite Elektrode über die V. subclavia implantiert. Die Punktion der V. subclavia ist die Methode der Wahl, wenn man die V. cephalica nicht benutzen kann. Heute werden von vielen Firmen komplette Einführungsbestecke für die Elektrodenimplantation über die V. subclavia angeboten. Sie enthalten eine Punktionsnadel, eine Einmalspritze, einen Seldinger-Führungsdraht, einen Gefäßdilatator und den eigentlichen Einführungskatheter (Hülse). Letzterer wird nach Einführen der Elektrode in die V. subclavia entfernt, indem man ihn in 2 Hälften zerlegt und zieht. Die Größen der Einführungskatheter sind unterschiedlich und reichen von 7 bis 14 Ch. Gerade bei Verwendung größerlumiger Einführungskatheter (9 Ch) können auch 2 Elektroden leicht über eine Punktion implantiert werden, wenn man den Führungsdraht beim Vorschieben der ersten Elektrode in der Hülse belässt. Über den Führungsdraht kann man dann problemlos die zweite Hülse für die andere Elektrode platzieren. Die einzelnen Schritte bei der Elektrodenimplantation über die V. subclavia sind im Folgenden aufgeführt: 4 Punktion der V. subclavia in üblicher Weise mit Punktionsnadel und aufgesetzter Spritze, ausgehend vom mediokranialen Wundrand der vorausgegangenen Hautinzision (hier ist eine zusätzliche Infiltration des Punktionsgebiets mit Lokalanästhetikum zu empfehlen), 4 Einführen des Führungsdrahts über die Punktionsnadel,
4 Entfernen der Punktionsnadel über den Führungsdraht, 4 Einführen des Dilatators und der Führungshülse über den liegenden Führungsdraht in die V. subclavia, 4 Entfernen von Dilatator und Führungsdraht, 4 Einführen und Vorschieben der Elektrode über die noch belassene Führungshülse, 4 Entfernen des Einflührungskatheters. Das Vorgehen beim Einführen der Elektrode in die V. jugularis externa entspricht prinzipiell dem Vorgehen bei der V. cephalica. Schwierigkeiten beim Vorschieben der Elektrode ergeben sich im Bereich des Angulus venosus, weil hier trotz vieler Manipulationen ein Einbringen der Elektrode in die V. brachiocephalica und die V. cava superior oft nicht möglich ist. Es muss dann eine andere Vene freigelegt werden, wobei die V. jugularis interna vorzuziehen ist, da man sie über den gleichen Zugang erreichen kann. Bei der Einführung der Elektrode in die V. jugularis interna wird das Gefäß zunächst auf eine Strecke von etwa 2 cm freipräpariert und mit Tourniquets angeschlungen. Dann wird im Bereich der lateroventralen Gefäßwand mit atraumatischem Faden (z. B. 5/0-Prolene) eine Tabaksbeutelnaht mit einem Durchmesser von ungefähr 0,5 cm angelegt und nach zentraler Inzision der Vene – unter gleichzeitiger Lockerung des proximalen (zentralen) Tourniquets – die Elektrode eingeführt, die sich i. A. mühelos bis in den rechten Vorhof vorschieben lässt. Nach endgültiger Platzierung der Elektrode im rechten Ventrikel oder Vorhof wird die Tabaksbeutelnaht zugezogen und ligiert. Mit dem gleichen Faden fixiert man über 2 Ligaturen auch die Elektrode. Abschließend erfolgt – nach Durchzug des Elektrodenendes in den Bereich der geplanten Generatorimplantation (rechte oder linke Thoraxwand, linker Oberbauch) – der zweischichtige Wundverschluss.
Platzierung der ventrikulären Elektrode Mit Hilfe des Röntgenbildwandlers wird die Elektrode im rechten Ventrikel platziert (. Abb. 26.7). Die Passage der Elektrode durch die V. subclavia und die V. cava superior in den rechten Vorhof ist in der Regel problemlos. Schwierigkeiten können beim Vorschieben der Elektrode durch die Trikuspidalklappe in den Ventrikel entstehen. Hier ist es häufig hilfreich, wenn der Elektrodenmandrin teilweise zurückgezogen wird, sodass es zur Schleifenbildung der Elektrode im rechten Vorhof kommt. Die Schleife wird dann in toto in den rechten Ventrikel und der Mandrin unter langsamem Zurückziehen der Elektrode vorgeschoben, bis der Elektrodenkopf auf dem Boden des rechten Ventrikels – spitzennah – plaziert ist. Röntgenotogisch ist diese Lage der Elektrodenspitze im Apex des rechten Ventrikels gut zu erkennen: etwa 2–3 cm medial des linken Herzrandes, gerade vom Zwerchfellrand überlagert (Atemmittellage). Alternativ kann die Elektrode auch bis in den rechtsventrikulären Ausflusstrakt vorgeschoben und dann allmählich zurück-
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. Abb. 26.7a–c. Platzierung der Elektrode im rechten Ventrikel. a Durch Vorbiegen des Elektrodenmandrins wird die Elektrode an der lateralen Vorhofwand »gestaucht« (1–4). Durch Vorschieben von Elektrode und Mandrin wird eine Elektrodenschleife gebildet, die man durch die Trikuspidalklappe in das Kavum des rechten Ventrikels verlagert (5, 6). Abschließend findet die Elektrodenspitze durch Drehung ihre Platzierung am Boden des rechten Ventrikels. b Analoges Vorgehen zu a, jedoch erfolgt hier die Einstauchung der Elektrode am Vorhofseptum bzw. im Vorhofohr (1, 2). Die Elektrodenschleife wird in den
rechten Ventrikel geschoben, entfaltet (3–5) und durch Zurückziehen der Sonde am Boden des rechten Ventrikels – spitzennah – platziert (6). c Darstellung einer korrekt platzierten Elektrode im rechten Ventrikel: Die Elektrodenspitze liegt röntgenologisch im Schattenbereich des rechten Ventrikels, der gerade eben vom Zwechfell überlagert wird (schraffiert, 2). Die Elektrode erreicht nicht die linkslaterale Herzkontur! In der Systole wird der intrakardiale Elektrodenverlauf in typischer Weise verändert und gering medialwärts verlagert (1)
gezogen werden, bis sie auf den Boden des rechten Ventrikels zurückfällt. Die Verankerung der Elektrode im Trabekelwerk des rechten Ventrikels beendet die Platzierung, wobei die stabile Lage der Elektrode zusätzlich durch kurzen Zug geprüft werden kann. Über den endgültigen Ort der Elektrodenplatzierung entscheiden dann die gemessenen Reizschwellenwerte.
schrittmachersystems (AAI, AAT) notwendig. Ob bei der Implantation von 2 Elektroden zuerst die ventrikuläre oder die atriale Elektrode implantiert wird, ist grundsätzlich gleichgültig und hängt u. a. von der persönlichen Erfahrung des Operateurs ab. Aufgrund der niedrigen Dislokationsrate venöser Schraubelektroden bei atrialer Implantation ist die Verwendung einer derartigen Elektrode im Vorhof zu empfehlen. Moderne Schraubelektroden verfügen hierzu über einen in die Sonde integrierten Mechanismus (. Abb. 26.9), bei dem sich die Schraube nach Anstemmen der Elektrode durch Drehen ausfahren lässt. Diese Methode ist weitaus komfortabler als die Verwendung der früher üblichen starren
Platzierung der atrialen Elektrode Soll ein 2-Kammer-Schrittmachersystem zur Anwendung kommen, muss zusätzlich zur ventrikulären eine atriale Elektrode implantiert werden (. Abb. 26.8). Eine singuläre atriale Elektrode ist bei der Implantation eines Vorhof-
. Abb. 26.8a, b. Platzierung einer atrialen Schrittmacherelektrode: a im rechten Vorhofohr; b im Bereich der lateralen Vorhofwand
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Kapitel 26 · Chirurgie bei tachykarden Rhythmusstörungen und Herzschrittmachertherapie
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. Abb. 26.9a–d. Auswahl moderner venöser Schrittmacherelektroden (Polyurethan). a Solider Elektrodenkopf; b laserbehandelter, porö-
ser Elektrodenkopf (Laserpor); c bipolare J-Elektrode; d venöse Schraubelektrode
Schraubelektroden. Die Position der Schraube lässt sich mittels Bildwandler kontrollieren. Dadurch, dass die Schraube während der Implantation versenkt liegt, besteht auch nicht die Gefahr des Hängenbleibens an intrakardialen Trabekeln oder einer evtl. bereits liegenden ventrikulären Elektrode. Bei Verwendung von sog. J-Elektroden wird der Elektrodenkopf im Vorhof nach anterior und medial gedreht, etwas zurückgezogen und im Vorhofsohr verankert. Das J bezieht sich hierbei auf die Form des Mandrins, der zur Implantation verwendet wird; die Elektrode selbst ist ohne den Mandrin selbstverständlich gerade.
zu rechnen ist. Durch den dann chronisch erhöhten Stromverbrauch würde – wenn nicht sogar ein Exit-Block auftritt – die Lebensdauer des Aggregats stark herabgesetzt werden. Ist die ermittelte Reizschwelle zu hoch, muss durch Neuplatzierung der Elektrode versucht werden, einen Ort mit einer niedrigeren Reizschwelle zu finden. Häufig ist es üblich, die Reizschwelle zusätzlich zur Spannung in Form der Stromstärke (mA) anzugeben. Ergänzend erfolgt eine Stimulation mit einem »output« von 10 V, um eventuelles Zwerchfellzucken aufgrund einer Fehlstimulation durch die Elektrode auszuschließen.
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26.4.2.5
Messung der Reizschwelle
Nach stabiler Platzierung der Elektrode im rechten Ventrikel oder Vorhof wird die Reizschwelle bestimmt. Unter der Reizschwelle versteht man das kleinste Produkt aus Impulsamplitude und -dauer, das eine myokardiale Depolarisation auslösen kann. Kathode (Minuspol, Elektrodenende) und Anode (Pluspol, Körper- bzw. Gewebefläche) werden durch ein Reizschwellenmesskabel mit dem extemen Reizschwellenmessgerät verbunden, und das Herz wird bei konstanter Impulsbreite (0,5 oder 1 ms) elektrisch stimuliert. Die Stimulationsfrequenz sollte dabei immer deutlich über der Eigenherzfrequenz des Patienten liegen, um die Schrittmacherimpulse und die Depolarisationen eindeutig beurteilen zu können. Die vom Messgerät abgegebene Spannung wird – bei etwa 5 V beginnend – allmählich reduziert bis eine ventrikuläre bzw. atriale Depolarisation des Myokards ausbleibt. Dies ist im EKG und im Oszillogramm als ineffektiver »spike« zu erkennen. Als Richtwert für die Reizschwellen von Ventrikel und Vorhof gilt <1 V. Reizschwellenwerte über 1 V sollten nur in Ausnahmefällen (z. B. bei Kardiomyopathie oder KHK mit Zustand nach mehreren Infarkten mit entsprechenden Infarktarealen) akzeptiert werden, da während der ersten 3 Monate nach der Implantation mit einem weiteren Reizschwellenanstieg
26.4.2.6
Messung der intrakardialen Signale
Nach Bestimmung der Reizschwelle werden die intrakardialen Signale gemessen, d. h. für den Ventrikel die Amplitude der registrierten R-Zacke und für den Vorhof die Amplitude der P-Welle. Dies geschieht ebenfalls mit dem Reizschwellenmessgerät, das zur Bestimmung der sog. Sensing-Funktion der Elektrode ausgerüstet ist. Je besser die Sensing-Funktion ist, umso höher ist die gemessene Amplitude der R-Zacke bzw. der P-Welle. Als Grenzwerte für das Sensing gelten: 4 Ventrikel (R-Zacke): >5 mV; 4 Vorhof (P-Welle): >1,5 mV. Zusätzlich kann – dies gilt besonders für die Registrierung des Vorhofsignals – die Anstiegssteilheit (Spannungsänderung pro Zeiteinheit) der P- und R-Wellen-Amplitude gemessen werden. Diese Anstiegssteilheit des P-Wellen-Signals sollte 0,5 mV/ms nicht unterschreiten, da sonst keine sicher einwandfreie Steuerungsfunktion der P-Welle für das Schrittmachersystem gegeben ist; sog. Sensing-Defekte des Systems im Vorhof sind die Folge.
743 26.4 · Therapie
26.4.2.7
Elektrodenanschluss und Generatorimplantation
Bevor die Lage der Elektrode im Ventrikel bzw. Vorhof fixiert wird, überprüft man mit Hilfe von Provokationstests (Husten, tiefe Inspiration) die stabile Lage der Elektrode. Ist diese gewährleistet, wird der Elektrodenverlauf unter Röntgendurchleuchtung kontrolliert. Dabei ist besonders darauf zu achten, dass die Elektrode im Vorhof nicht zu viel und nicht zu wenig »Spiel« hat, dass ein Zug der Elektrode vermieden und dass eine Fehlplatzierung der Elektrode erkannt und korrigiert wird. Es folgt die Fixierung der Elektrode. Bei Einführung über die V. cephalica oder die V. jugularis externa wird die Elektrode mit einem proximal der Venotomie platzierten 3/0- oder 2/0-Faden (nichtresorbierbar) einligiert, wobei die Venenwand fest um die Elektrode schließt. Um Verletzungen der Elektrodenisolierung zu vermeiden, können die oft mitgelieferten kleinen Hülsen verwendet werden, die man im Bereich der Ligatur an der Elektrode platziert. Bei Implantation der Elektrode über eine Punktion der V. subclavia wird die Elektrode mit einer Tabaksbeutelnaht im perivaskulären Gewebe subklavikulär fixiert. Nach Platzierung der Elektrode über die V. jugularis interna wird die Tabaksbeutelnaht der Venotomie zugezogen und ligiert; zusätzlich wird die Elektrode über einen Steg mit dem gleichen Faden im Bereich der Austrittsstelle aus der Vene fixiert. In der Regel erfolgt die Präparation des Generatorbetts subkutan und präpektoral. Bei Patienten mit wenig Subkutangewebe in diesem Bereich kann der Generator auch subpektoral implantiert werden (. Abb. 26.10). Die Präparation der Generatortasche erfolgt vorwiegend stumpf. Eine ausreichende Lokalanästhesie und eine exakte Blutstillung im präparierten Generatorbett sind für diesen Operationsakt von entscheidender Bedeutung. Anschließend wird die Elektrode (bzw. werden die Elektroden) an den Impulsgeber angeschlossen, wobei bei sequenziellen Systemen auf die Kennzeichnung der Generatoranschlüsse zu achten ist. Der Generator wird dann in die präformierte Tasche versenkt; überschüssige Elektrodenlänge wird unter dem Generator platziert. Nach Implantation des Generators kann sofort die effektive und einwandfreie Funktion des implantierten Systems überprüft werden. Die Wunde wird zweischichtig verschlossen: Das Subkutangewebe wird mit resorbierbarem Faden (3/0) adaptiert, die Hautnaht erfolgt entweder als intrakutane Hautnaht mit resorbierbarem Nahtmaterial oder als Hautnaht mit Einzelknopfnähten. Eine Drainage wird nicht eingelegt, und eine perioperative Antibiotikaprophylaxe ist nach den derzeitigen Richtlinien nicht indiziert.
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. Abb. 26.10a–e. Verschiedene Möglichkeiten der Generatorimplantation. a, b Subkutan präpektoral (alternativ kann der Generator auch – nach stumpfer Spaltung der Fasern des M. pectoralis major – subpektoral implantiert werden; c); a, d subkutan im linken Epigastrium; a, e submuskulär (vor dem hinteren Blatt der Rektusscheide, hinter dem M. rectus abdominis) im linken Epigastrium
nach medial hin präpariert werden, um ein späteres Abwandern des Aggregats in die Axilla zu vermeiden. Gegebenenfalls muss das Aggregat mit einer nichtresorbierbaren Naht fixiert werden.
26.4.2.8 ! Nach dem Einbinden der Elektroden ist eine erneute Durchleuchtung zur Dokumentation ihrer definitven Lage erforderlich. Die Generatortasche sollte stumpf 6
Epimyokardiale Elektrodenimplantation
Gegenüber der transvenösen Schrittmacherimplantation, die als Methode der Wahl in der Schrittmachertherapie anzusehen ist, erfordert die epimyokardiale Implantation
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744
Kapitel 26 · Chirurgie bei tachykarden Rhythmusstörungen und Herzschrittmachertherapie
einen erheblich größeren personellen und operativen Aufwand. Die Indikation ist gegeben, wenn 4 die permanente transvenöse Elektrodenimplantation und die Platzierung im rechten Ventrikel trotz mehrfacher Versuche nicht möglich sind, 4 die Notwendigkeit einer biventrikulären Stimulation nach herzchirurgischen Eingriffen besteht oder 4 es sich um Kleinkinder handelt, bei denen eine transvenöse Implantation nicht möglich ist (etwa bis zum Alter von 6 Jahren), insbesondere bei 2-Kammer-Systemen.
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Im ersten Fall sind besonders Patienten mit Kardiomyopathie, Endokard- oder Myokardfibrose, dilatiertem rechten Ventrikel, Zustand nach prothetischem Ersatz der Trikuspidalklappe oder multiplen venösen Thrombosen (V. subclavia, V. jugularis interna, V. cava superior) betroffen. Gerade bei Patienten mit Kardiomyopathie kann es in Einzelfällen unmöglich sein, eine stabile Platzierung der Elektrode im rechten Ventrikel mit akzeptabler Reizschwelle zu erreichen.
Kinder mit Schrittmacherindikation
im Rahmen der Herzoperation eine linksventrikuläre, epimyokardiale Elektrode implantiert werden. Dies hat insbesondere den Vorteil, dass die Sonde unter Sicht an einer optimalen Stelle (laterale oder posterolaterale linksventrikuläre Wand) platziert werden kann, was bei Implantation über den Koronarsinus oftmals nicht möglich ist, z. B. wenn eben keine Koronarvene mit ausreichendem Lumen zu dieser Region zieht. Insgesamt tritt die epimyokardiale Elektrodenimplantation zahlenmäßig deutlich hinter der transvenösen Schrittmacherimplantation zurück. Dabei steht dem Vorteil einer stabilen Elektrodenlage ohne Dislokationsrisiko prinzipiell der Nachteil einer ungünstigeren (höheren) akuten und chronischen Reizschwelle sowie eines schlechteren Wahrnehmungsverhaltens gegenüber. 26.4.2.9
Vorbereitung
In der Regel erfordert die myokardiale Schrittmacherimplantation eine Intubationsnarkose sowie die Präsenz des allgemeinthoraxchirurgischen Instrumentariums. Nur in Ausnahmefällen ist der Eingriff (z. B. über eine Pericardiotomia inferior transversalis bzw. longitudinalis) auch in Lokalanästhesie möglich. Die präoperative Vorbereitung für den Eingriff in Vollnarkose folgt dabei den allgemeingültigen Richtlinien (Nüchtemheit, präoperative Rasur des Operationsfeldes, venöser Zugang, kontinuierliche anästhesiologische Überwachung).
Auch bei Säuglingen und Kleinkindern ist nach wie vor meist die Indikation zur myokardialen Schrittmacherimplantation gegeben, da durch die kleinen Dimensionen der Venen und das bevorstehende Körperwachstum (intravasale Elektrodenlänge!) Probleme und Komplikationen vorprogrammiert sind (Ennker et al. 1985; Stegmann 1981). Zwar sind in der jüngeren Literatur Ergebnisse mit transvenöser Sondenanlage auch bei Kindern mit einem Körpergewicht von <10 kg publiziert worden (Kammeraad et al. 2004), doch muss man hierbei einschränkend berücksichtigen, dass in diesen Studien mehr als 90 % der Kinder im Einkammermodus (VVI) stimuliert wurden. Die hierdurch deutlich eingeschränkte Hämodynamik sollte aber nur in Ausnahmefällen akzeptiert werden. So mussten auch in diesen Studien einzelne Patienten aufgrund der Hämodynamik sekundär mit einem epikardialen 2-Kammer-System versorgt werden. Demgegenüber steht die äußerst niedrige Komplikationsrate epimyokardialer Schrittmacherelektroden bei Kindern (Aellig et al. 2007), die zudem von der physiologischeren 2-Kammer-Stimulation profitieren (Cohen et al. 2001). Die geringere Batterielebensdauer erklärt sich hierbei hauptsächlich durch die im Vergleich zu Erwachsenen deutlich höhere Stimulationsfrequenz als durch inadäquate Reizschwellenanstiege. Letztere lassen sich durch steroidfreisetzende epimyokardiale Elektroden weitgehend vermeiden, die dadurch den konventionellen Elektroden auch bei dieser Indikation klar überlegen sind (Silvetti et al. 2006).
Der Zugang erfolgt über eine anterolaterale Thorakotomie links im Bett der 5. Rippe. Der etwa 15–20 cm lange Hautschnitt wird leicht bogenförmig vom linken Parastemalrand bis zur vorderen Axillarlinie geführt, bei weiblichen Patienten in der submammären Falte. Der Patient befindet sich in Rückenlage und Intubationsnarkose. Der linke Hemithorax kann durch Unterlegen eines Kissens etwas angehoben werden. Nach Eröffnung der Pleurahöhle im 5. Interkostalraum wird der Herzbeutel dargestellt und 2–3 cm ventral des N. phrenicus in Längsrichtung (parallel zum N. phrenicus) zwischen Haltefäden eröffnet. Auf diese Weise kommt die ventrolaterale Zirkumferenz des linken Ventrikels zur Darstellung. Hier wird die myokardiale Elektrode in einem avaskulären Bezirk implantiert. Nach der Elektrodenimplantation wird das Kabel in der Regel in das linke Epigastrium geleitet und der Generator dort implantiert. Das Perikard wird abschließend mit 2–3 Einzelknopfnähten (resorbierbares Nahtmaterial der Stärke 3/0 oder 2/0) wieder verschlossen, die eröffnete Pleurahöhle in typischer Weise drainiert und die Thoraxwand schichtweise verschlossen.
Linksventrikuläre epimyokardiale Elektroden
Transthorakaler extrapleuraler Zugang
Besteht bei einem Patienten, der sich einem herzchirurgischen Eingriff unterzieht, gleichzeitig grundsätzlich die Indikation zu einer biventrikulären Stimulation, so sollte
Um dem – häufig älteren – Patienten die Eröffnung einer Pleurahöhle mit der postoperativen Belastung für die Atemmechanik (Pleuradrainage etc.) zu ersparen, ist bei
26.4.2.10 Operativer Zugang
Transthorakaler transpleuraler Zugang
745 26.4 · Therapie
. Abb. 26.11. Schema der verschiedenen Schnittführungen zur subkostalen myokardialen Elektrodenimplantation. 1 Pericardiotomia longitudinalis inferior; 2 subkostaler Zugang links; 3 Pericardiotomia inferior transversalis; 4 paramedianer subkostaler Zugang; 5 subkostaler Zugang mit Exstirpation von Rippenknorpel
der elektiven myokardialen Schrittmacherimplantation dem extrazellulären Vorgehen der Vorzug zu geben. Im Einzelnen kommen folgende Zugänge in Betracht: 4 mediane Sternotomie, 4 extrapleurale Perikardiotomie, 4 subkostale Zugänge (. Abb. 26.11): 5 Pericardiotomia inferior longitudinalis simplex (subxyphoidaler zugang), 5 subkostaler Zugang links, 5 Pericardiotomia inferior transversalis. Die mediane Sternotomie, der Standardzugang der offenen Herzchirurgie, besitzt für die elektive myokardiale Schrittmacherimplantation keine wesentliche Bedeutung. Sie erlaubt zwar die beste Übersicht über den gesamten kardialen Situs, ist jedoch für die alleinige Schrittmacherimplantation überdimensioniert und zu invasiv. Ihre Anwendung ist lediglich in denjenigen wenigen Fällen zu diskutieren, in welchen aus den verschiedensten Gründen eine sequenzielle bifokale Schrittmacherimplantation auf transvenösem Wege nicht möglich ist und myokardiale Elektroden am rechten Vorhof wie auch am rechten bzw. linken Ventrikel plaziert werden müssen. Die extrapleurale Perikardiotomie besitzt den Vorteil eines wenig belastenden Eingriffs, jedoch den Nachteil einer sehr kleinen, begrenzten Exposition des Myokards (rechter Ventrikel). Daher kommt diese Methode praktisch nicht mehr zur Anwenung. Bei der Pericardiotomia inferior longitudinalis simplex wird ein medianer, etwa 15–18 cm langer Schnitt über der Linea alba angelegt, der 3 cm oberhalb des Processus xiphoideus sterni beginnt. Die Linea alba wird längs inzi-
diert und der Processus xiphoideus reseziert. Das unter der Linea alba liegende Peritoneum bleibt geschlossen. Im kranialen Wundpol werden nun die Fasern des Ansatzes der Pars sternalis des Zwerchfells und die Fasern des M. transversus thoracis von der Hinterwand des kaudalen Sternums abgelöst und stumpf nach kaudal und lateral abgeschoben. Nun kommt das Perikard (Pars diaphragmatica) zur Darstellung, das bis auf eine Fläche von etwa 5–6 cm (quer) × 3 cm (längs) stumpf freipräpariert wird. Nach querer Eröffnung des Perikards werden die Perikardränder mit 2–3 Haltefäden angehoben und fixiert. Damit ist der Margo acutus des Herzens, der vom rechten Ventrikel gebildet wird, freigelegt. Hier oder im Bereich der Facies diaphragmatica des rechten Ventrikels wird die myokardiale Elektrode implantiert. Hilfreich kann das Einsetzen eines Stieltupfers oder Spatels sein, der das Zwerchfell nach kaudal drückt. Wiederum unter Belassen einer Reserveschleife der Elektrode im Perikard wird die Elektrode anschließend zum Generator geführt, den man in das linke Epigastrium (subkutan oder subfaszial) implantiert. Das Perikard wird mit 2–3 lockeren Nähten (resorbierbares Nahtmaterial der Stärke 3/0 oder 2/0) adaptiert und die Wunde schichtweise (Faszie, Subkutis, Kutis) geschlossen. Eine Drainage des Operationsfeldes ist ebenfalls in der Regel nicht notwendig. Die Technik der Pericardiotomia inferior transversalis bietet gegenüber den oben beschriebenen extrapleuralen Zugängen den Vorteil einer großzügigeren Exposition des Operationssitus. Der Hautschnitt erfolgt bogenförmig unterhalb des Xiphoids und wird beidseits etwa 8 cm parallel zu den Rippenbögen nach lateral verlängert. Die vordere Rektusscheide und der M. rectus abdominis werden beidseits in Schnittrichtung durchtrennt, zusätzlich wird die Lina alba nach kranial und kaudal eingekerbt. Das hintere Blatt der Rektusscheide wird mit dem M. rectus abdominis beiderseits teils stumpf, teils scharf vom Rippenbogen abgetrennt und das Perikard supradiaphragmal dargestellt. Es folgt die quere Eröffnung des Perikards, die aufgrund des relativ großen Zugangs ungefähr 10–12 cm lang sein kann. Bei diesem Zugang ist besonders eine gute Exposition des rechten Ventrikels und auch des rechten Vorhofs gegeben, sodass neben einer ventrikulären auch eine atriale Elektrode implantiert werden kann. In dieser Technik werden die Elektroden – nach intraperikardialer Schleifenbildung – durch das hintere Blatt der linken Rektusscheide geführt und der Generator unter dem M. rectus abdominis vor dem hinteren Blatt der Rektusscheide implantiert. ! Besonders bewährt haben sich von den hier beschriebenen extrapleuralen Zugängen zum Herzen nach unseren Erfahrungen die Pericardiotomia inferior longitudinalis und die Pericardiotomia inferior transversalis. Letztere bietet den zusätzlichen Vorteil, dass auch der rechte Vorhof relativ problemlos erreicht und eine atriale Elektrode (z. B. für die sequenzielle Stimulation) platziert werden kann.
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Kapitel 26 · Chirurgie bei tachykarden Rhythmusstörungen und Herzschrittmachertherapie
26.4.2.11 Epimyokardiale Elektroden-
implantation Zur epimyokardialen ventrikulären Elektrodenimplantation werden heute meistens sog. Schraubelektroden verwendet (. Abb. 26.12), da sie eine schnelle, sichere und risikoarme Fixierung des Elektrodenkopfes im Myokard ermöglichen. Elektrodenkopf und -kabel sind in einen Kunststoffstab integriert, der den Elektrodenkopf freilässt. Wenige Millimeter hinter der freiliegenden Elektrodenspitze haben diese Elektroden einen mit einem Dacronnetz unterlegten Silikonkopf, der dem Epikard nach der Implan-
tation fest anliegt sowie eine stabile Elektrodenlage und Einheilung gewährleistet. Nach Darstellung eines gefäßfreien Myokardareals des rechten oder (seltener) linken Ventrikels wird die im Kunststoffstab fixierte Elektrode durch Drehen im Uhrzeigersinn (2-mal 360°) in das Myokard eingeschraubt (. Abb. 26.13). Anschließend wird die Verbindung zwischen Elektrode und Kunststoffstab mittels einfachen Druckes (oder mittels Manipulatorstab) gelöst. Nach Platzierung einer intraperikardialen Reserveschleife wird die Elektrode mit einer Naht am Perikard fixiert. Nähte zur Fixierung des Elektrodenkopfes im Myokard sind
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a
b . Abb. 26.12a, b. Auswahl moderner epimyokardialer Schrittmacherelektroden. a Ventrikuläre, unipolare Schraub-Elektrode (Silikon; Medtronic 6917 A–T); Mitte links der Elektrodenkopf. b Bevorzugt atrial
implantierbare, unipolare Elektrode (Polyurethan; Medtronic 4951); Mitte rechts der Elektrodenkopf
747 26.4 · Therapie
Nach epimyokardialer Implantation der Elektroden erfolgt die Messung der Reizschwelle und der intrakardialen Signale in der gleichen Weise wie bei der transvenösen Elektrodenapplikation. 26.4.2.12 Generatorimplantation
. Abb. 26.13. Implantation myokardialer Schraubelektroden. Durch Drehung der ventrikulären Elektrode um 2-mal 360° (im Uhrzeigersinn) wird die Elektrode im rechts- oder linksventrikulären Myokard verankert. Die atriale Elektrode wird mit ihrer Spitze (Widerhaken!) in die Lateralwand des rechten Vorhofs eingestochen und mit mehreren Nähten (Stärke 5/0) fixiert
nicht notwendig. Es kommen aber auch Plättchenelektroden zum Einsatz, deren Kopf dann mit nichtresorbierbaren Fäden (5/0-Prolene) an 3 Stellen zu fixieren ist und so an der gewünschten Position gehalten wird. Diese Elektroden bieten den Vorteil, dass die ideale Position vor der Implantation durch Anlegen an das Myokard getestet werden kann. ! Da das Myokard des rechten Ventrikels besonders bei älteren Patienten sehr fragil und dünnwandig sein kann, muss die myokardiale Elektrodenimplantation mit Vorsicht und Feingefühl vorgenommen werden. Grundsätzlich muss auch das Basisoperationsinstrumentarium der Herzchirurgie zur Verfügung stehen.
Kleine Stichkanalblutungen des Myokards sollten prinzipiell zunächst durch Kompression mittels Stieltupfer oder Kompressen oder mit Hilfe von Fibrinkleber gestillt werden. Dies ist in der Regel erfolgreich. Sollten zusätzliche Nähte im Myokard notwendig sein, sind diese vorsichtig anzulegen und kontrolliert anzuziehen. Es kann hierbei hilfreich sein, diese Nähte mit Teflonfilz oder Perikardgewebe zu unterlegen, um ein Durchschneiden zu vermeiden. Zur Implantation epimyokardialer Vorhofelektroden haben sich Elektroden bewährt, die mit einer Art Widerhaken versehen sind und in die kraniale laterale Wand des rechten Vorhofs eingestochen werden. Mit 3–4 Nähten (z. B. 5/0-Prolene, atraumatisch) wird die elektrodenspitzennahe, dacronunterlegte Silikonplatte – und damit die intramyokardiale Lage der Elektrodenspitze – fixiert. Jedoch sind auch hier verschiedene andere Elektroden gebräuchlich, die sämtlich mit Einzelknopfnähten im Vorhofmyokard stabilisiert werden.
Die bevorzugte Lokalisation für die Implantation des Impulsgebers nach epimyokardialer Elektrodenimplantation ist die Bauchwand im linken Epigastrium. Aber auch im infraklavikulären Bereich rechts oder links ist die Platzierung des Generators möglich – allerdings mit dem Nachteil eines relativ langen extrathorakalen Elektrodenverlaufs verbunden. Prinzipiell kann der Generator im linken Epigastrium subkutan oder submuskulär implantiert werden. Dies hängt u. a. vom individuellen Ausmaß des subkutanen Fettgewebes ab. In der Regel ist ein separater Hautschnitt nach epimyokardialer Elektrodenimplantation nicht notwendig, da über den Zugang der Pericardiotomia inferior oder des subkostalen Schnittes auch die Präparation des Generatorbettes möglich ist. Sollte ein separater Zugang erforderlich sein, ist ein querer, etwa 6 cm langer Hautschnitt knapp handbreit unter dem linken Rippenbogen anzulegen. Aus verständlichen Gründen (Leber, Eingriffe an der Gallenblase) stellt die Implantation des Generators im rechten Epigastrium die zweite Wahl dar. Bei Kindern spricht die dann eingeschränkte bis aufgehobene Beurteilbarkeit der Lebergröße als Zustandsbild der Rechtsherzfunktion gegen eine Generatorimplantation im rechten Epigastrium. Nach Durchtrennen der Subkutis wird präfaszial das Generatorbett präpariert. Eine exakte Blutstillung (epifasziale Gefäße!) ist selbstverständlich. Bei submuskulärer Generatorimplantation wird die vordere Rektusscheide schräg von kraniomedial nach kaudolateral eröffnet und der M. rectus abdominis stumpf vom hinteren Blatt der Rektusscheide gelöst. Auf diese Weise wird stumpf eine Loge für den Impulsgeber präpariert, die hinter dem M. rectus adominis und vor dem hinteren Blatt der Rektusscheide lokalisiert ist. Nach Implantation des Generators wird das vordere Blatt der Rektusscheide mit Einzelknopfnähten sorgfältig verschlossen (resorbierbares Nahtmaterial, Stärke 0). Anschließend folgt die Naht von Subkutis und Kutis. Die submuskuläre Implantation des Generators im linken Epigastrium ist die bevorzugte Technik bei der Schrittmacherversorgung von Säuglingen und Kleinkindern, da auf diese Weise am besten eine geschützte, das Kind wenig belastende Lage des Generators erreicht wird. 26.4.2.13 Verwendung der V. femoralis
Die Verwendung der V. femoralis zur Implantation eines transvenösen Schrittmachersystems stellt eine zusätzliche Alternative zur epimyokardialern Schrittmacherimplantation dar, wenn ein Zugang über die oben beschriebenen kranialen Venen nicht möglich oder nicht erwünscht ist.
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Kapitel 26 · Chirurgie bei tachykarden Rhythmusstörungen und Herzschrittmachertherapie
Hierbei wird die Vene über eine kleine Inzision freigelegt und eine Tabaksbeutelnaht mit nichtresorbierbarem, atraumatischem Nahtmaterial der Stärke 5/0 vorgelegt. Anschließend werden die Sonden eingeführt und unter Durchleuchtung im rechten Vorhof bzw. Ventrikel plaziert. Dieser Vorgang ist technisch anspruchsvoller als beim pektoralen Zugang, insbesondere bei Platzierung der ventrikulären Elektrode, kann aber bei entsprechender Erfahrung mit den üblichen Methoden (Verwendung vorgebogener Drähte, Anstemmen am Vorhof, Vorschieben einer Schlinge in die Pulmonalarterie bzw. den rechtsventrikulären Ausflusstrakt) erfolgen. Anschließend nimmt man die Generatorimplantation wie oben beschrieben im Epigastrium vor. Das Subkutangewebe wird bis zum Aggregat getunnelt, und die Elektroden werden mit dem Generator verbunden. Hierbei kann man ggf. ein Verlängerungsstück benötigen. Die Methode ist zwar gegenüber dem pektoralen Zugang aufwendiger, aber genauso komplikationsarm (Barakat et al. 2000; Mathur et al. 2001). 26.4.2.14 Intraoperative Komplikationen
Trotz zunehmenden Alters der Patienten, reduzierten Allgemeinzustandes und schlechter Myokardfunktion sind Komplikationen der Herzschrittmacherchirurgie heute grundsätzlich selten geworden. Dies gilt insbesondere für letale Komplikationen, deren Häufigkeit mittlerweile sicher deutlich unter 1 % liegt (Trohman et al. 2004). Während in den 1970er Jahren für die Schrittmacherimplantation Hospitalletalitäten von 2,43 % (Alt 1985) angegeben wurden, ließ sich das Risiko besonders dadurch senken, dass man – neben dem allgemeinen Erfahrungsgewinn bei der Schrittmachertherapie – Elektroden und Generatoren verbesserte sowie die intra- und postoperativen Techniken standardisierte. Dennoch muss darauf hingewiesen werden, dass bei jedem Herzschrittmachereingriff Risiken bestehen, die den Patienten akut und vital gefährden können. Dies gilt besonders für die Perforation des rechten Ventrikels durch die Elektrode sowie für das Auftreten von Kammerflimmern und die Ausbildung eines Pneumo- oder Hämatothorax. Es bleibt deshalb zu fordern, dass Herzschrittmacherchirurgie nur in solchen Kliniken betrieben werden sollte, in denen Chirurgen mit entsprechender Erfahrung operieren, adäquate gerätetechnische Voraussetzungen vorhanden sind und im Notfall auch sofort herz- bzw. thoraxchirurgisch eingegriffen werden kann.
Myokardperforation Wahrscheinlich tritt die intraoperative Komplikation einer Myokardperforation häufiger auf, als sie klinisch bemerkt wird. Dies liegt daran, dass sich eine Perforation des Myokards unter den Gegebenheiten eines weitgehend normalen Myokards spontan und ohne größere Blutung verschließt. Bei älteren Patienten und Vorschädigung des rechtsventrikulären Myokards (Kardiomyopathie, Myokardverfettung, koronare Herzkrankheit) kann es jedoch nach Perforation
des rechten Ventrikels zu einer Blutung in den Herzbeutel mit der Folge einer Perikardtamponade kommen. Hinweise für eine Ventrikelperforation sind: 4 plötzlich fehlende Stimulation der platzierten Elektrode, 4 bei der Röntgendurchleuchtung Elektrodenlage außerhalb des Herzschattens oder deckungsgleich mit der linksseitigen Herzbegrenzung, außerdem Größenzunahme des Mediastinalschattens, 4 Änderung der elektrischen Erregungsausbreitung, z. B. plötzlich auftretender Rechtsschenkelblock, 4 Änderungen der hämodynamischen Parameter wie Blutdruckabfall, 4 zunehmende Halsvenenstauung, 4 Dyspnoe und Unruhe des Patienten. Während kleinere hämorrhagische Perikardergüsse (<200 ml) klinisch stumm sein können, führt jede größere Blutung zum Bild einer Perikardtamponade. Diese ist durch das klinische Bild, den Ablauf des Eingriffs sowie echokardiographisch schnell und sicher zu diagnostizieren. In Abhängigkeit von der klinischen Situation kann zunächst eine Entlastung des Hämoperikards durch Punktion oder Drainage erfolgen und der Patient bei stabiler Situation zur Überwachung auf die Intensivstation gebracht werden. Hier sind engmaschige echokardiographische Untersuchungen sowie Kontrollen der Blutungsmengen, des Hämoglobinwertes und der klinischen Situation, insbesondere der Nierenfunktion, notwendig. Bei nicht sistierender Blutung bzw. Instabilität bleibt nur die Stemotomie. Unter direkter Sicht kann die Perforationsstelle dann übernäht werden. In jedem Fall ist der Patient sofort in ein Zentrum mit entsprechenden herzchirurgischen Möglichkeiten zu verlegen.
Herzrhythmusstörungen Besonders ventrikuläre Extrasystolen sind bei der Schrittmacherimplantation häufig zu beobachten. Sie werden durch mechanische Reizung v. a. des Ventrikelseptums durch die zu platzierende Elektrode ausgelöst. Es besteht keine spezielle Therapienotwendigkeit. Vielmehr sind die Extrasystolen Zeichen einer ventrikulären Lage der Elektrode und können auf diese Weise bei der Implantation hilfreich sein. Vereinzelt ist jedoch auch das Auslösen eines Adams-Stokes-Anfalls oder von Kammerflimmern möglich. In diesem Fall sind unmittelbar alle Reanimationsmaßnahmen einschließlich Defibrillation durchzuführen. Auf die Notwendigkeit der Bereitstellung eines funktionsfähigen und einsatzbereiten Defibrillators bei jeder Herzschrittmacherimplantation wurde bereits hingewiesen. Bei Patienten mit schlechter Myokardfunktion oder AV-Block dritten Grades sowie bei Patienten, die schrittmacherabhängig sind, ist daher die präoperative Applikation einer temporären, externen Schrittmachersonde zu empfehlen.
749 26.4 · Therapie
Fehllage der Elektrode
Elektrodendislokation
Während die Fehllage einer Elektrode in einer der Lebervenen bei der Erstimplantation immer bemerkt wird, gilt dies nicht für die Fehlplatzierung der Elektrode im Koronarsinus. Hier können eine effektive Stimulation und ein einwandfreies Sensing-Verhalten des Schrittmachersystems bestehen, sodass die anatomische Lage der Elektrode im Koronarsinus nicht bemerkt wird. Besonders anhand eines seitlichen Röntgenbildes lässt sich diese Fehllage im Koronarsinus jedoch eindeutig diagnostizieren. Arbeitet das implantierte Schrittmachersystem bei Lage der Elektrode im Koronarsinus korrekt, besteht keine zwingende Notwendigkeit zur Neuplatzierung der Elektrode. Häufiger geschieht es jedoch, dass es zum intermittierenden Stimulations- und Sensing-Defekt kommt und dass die Reizschwelle hoch ist. In diesem Fall ist die Indikation zur Neuplatzierung der Elektrode gegeben. Obwohl die Lage der Elektrode spitzennah am Boden des rechten Ventrikels ideal und fast immer erreichbar ist, besteht die Möglichkeit, sie in Einzelfällen auch trikuspidalklappennah oder im Bereich des rechtsventrikulären Ausflusstrakts (z. B. als venöse Schraubelektrode) zu platzieren und dort dauerhaft zu belassen. Entscheidend kann hierfür – besonders bei Patienten mit Kardiomyopathie, mehreren durchgemachten Herzinfarkten oder Endokardfibrose – die Tatsache einer nur in diesen Regionen des rechten Ventrikels bestehenden akzeptablen Reizschwelle sein. Die Alternative einer epimyokardialen Elektrodenimplantation wäre mit einer entsprechenden Belastung für den Patienten verbunden.
Die Elektrodendislokation in den ersten Stunden und Tagen nach der Implantation ist heute seltener geworden. Die Häufigkeit liegt zwischen 1 % und 5 %. Auch die Spätkomplikationsrate ist mit 1,4 % nach der Primärversorgung sehr gering (Harcombe et al. 1998). Besonders die Weiterentwicklung der Elektrodenköpfe und die Einführung venöser Schraubelektroden haben zu dieser niedrigen Dislokationsrate beigetragen. Eine Abhängigkeit der Dislokationshäufigkeit von postoperativer Bettruhe oder früher Mobilisation ist in keiner Weise belegt. Daher kann der Patient am ersten postoperativen Tag mobilisiert werden. Dies ist umso bedeutender, als die Schrittmacherimplantationen zunehmend in den ambulanten Sektor verschoben werden. Eine Elektrodendislokation äußert sich durch einen – evtl. intermittierend auftretenden – Stimulationsverlust und/oder einen Defekt der Sensing-Funktion. Die ventrikuläre Elektrode disloziert häufig in die pulmonale Ausflussbahn des rechten Ventrikels, seltener retrograd in den Vorhof. Atriale Elektroden können in den rechten Ventrikel oder das Kavum des rechten Vorhofs, seltener in die V. cava superior oder inferior dislozieren. Bei sog. Mikrodislokationen, bei denen die röntgenologische Kontrolle eine zum intraoperativen Status unveränderte Elektrodenlage zeigt, liegen zwar nur kleinste Veränderungen der Lage des Elektrodenkopfes vor, diese sind jedoch von einer massiv erhöhten Reizschwelle, einer komplett fehlenden Stimulationsfunktion (»exit block«) oder Störungen der Sensing-Funktion begleitet. Die Therapie der Wahl einer Elektrodendislokation ist die sofortige operative Revision mit Neuplatzierung der betroffenen Elektrode. Häufig ist dann die Verwendung einer Schraubelektrode hilfreich, besonders bei dilatiertem rechten Ventrikel mit abgeflachtem Trabekelwerk.
26.4.2.15 Postoperative Komplikationen Lokale Komplikationen
Grundsätzlich können alle lokalen Wundkomplikationen wie nach jedem chirurgischen Eingriff auftreten. Gefürchtet sind insbesondere Wundinfektionen mit resultierender Tascheninfektion, da die Elektroden durch die noch fehlenden Verwachsungen meistens sofort mitbefallen sind und die Inzidenz der Infektion auch der endoluminalen Teile relativ hoch ist. Zum Glück sind diese Frühinfektionen bei Beachtung streng steriler Kautelen bei der Implantation in erfahrenen Zentren sehr selten (<1 %). Häufiger treten Taschenhämatome auf, die sich meist aus subkutanen Blutungsquellen im Taschenbereich bilden. Diese stellen neben der lokalen Schmerzhaftigkeit naturgemäß auch ein erhöhtes Infektionsrisiko dar. Bei großen fluktuierenden Hämatomen sind daher die frühzeitige Entlastung und die chirurgische Versorgung indiziert. Von Punktionen sollte angesichts der Infektionsgefahr Abstand genommen werden. Gehäuft treten diese Hämatome bei Patienten mit Thrombozytenaggregationshemmung auf, sodass hier die klare Empfehlung gilt, entsprechende Medikamente vor einer elektiven Schrittmacherimplantation rechtzeitig abzusetzen (Wiegand et al. 2004).
Zwerchfellstimulation Durch elektrische Mitstimulation des rechten N. phrenicus oder des Zwerchfells selbst kann es zu einem für den Patienten ausgesprochen unangenehmen Zwerchfellzucken kommen. Um diese Komplikation primär zu vermeiden, sollte intraoperativ bei der Schrittmacherimplantation kurzfristig mit einer erhöhten Spannungsamplitude (8– 10 V) stimuliert werden. Zusätzlich muss der Patient tief ein- und ausatmen. Auf diese Weise lässt sich eine Zwerchfellmitstimulation in der Regel bereits bei der Erstimplantation der Elektrode erkennen und durch Korrektur der Elektrodenlage beseitigen. Tritt eine Zwerchfellstimulation postoperativ auf, muss bei multiprogrammierbaren Systemen die Impulsamplitude und/oder -breite reduziert werden, ohne allerdings die Effektivität des Systems zu gefährden. Sollte in Einzelfällen weiterhin eine Zwerchfellstimulation bestehen, muss man die Elektrodenlage operativ korrigieren.
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Kapitel 26 · Chirurgie bei tachykarden Rhythmusstörungen und Herzschrittmachertherapie
Muskelstimulation
Elektrodenbruch
Besonders bei Schrittmachergeneratoren, die eine kleine Kontaktfläche mit dem umliegenden Gewebe haben, kann es durch eine lokale, hohe Reizstromdichte zur Mitstimulation und Kontraktion des benachbarten Muskelgewebes (meist M. pectoralis major) kommen. Auch ein bestehender Leckstrom, z. B. bei Isolationsdefekten der Elektrode, kann eine Muskelstimulation hervorrufen. Bei bipolaren Elektroden kann häufig durch Umprogrammierung der Stimulation auf »bipolar« Abhilfe geschaffen werden. Eine persistierende, den Patienten häufig stark beeinträchtigende Muskelstimulation bedarf der operativen Revision. Lageveränderungen des Generators (z. B. Drehen) sowie eine Umhüllung des Generators mit einem Dacronnetz können die Muskelstimulation beseitigen. Allerdings besteht meist auch die Indikation zur Sondenrevision, da eine Muskelstimulation bei bipolaren Elektroden im Bereich normaler Reizschwellen extrem selten ist.
Speziell bei der Elektrodenimplantation über die V. subclavia ist – wie bei jeder Subklaviapunktion – das Risiko eines Pneumo- oder Hämatothorax gegeben. Die Therapie folgt den allgemeinen Richtlinien der Thoraxchirurgie. Ein postoperativer Mantel- oder Spitzenpneumothorax muss kurzfristig röntgenologisch kontrolliert und bei Zunahme oder entsprechender Symptomatik drainiert werden. Ein Hämatothorax, der prinzipiell selten ist, bei prä- und intraoperativ bestehender Antikoagulation des Patienten allerdings häufiger vorkommt, kann zunächst abwartend beobachtet werden. Es sollte jedoch eine intensivmedizinische Überwachung (Kontrolle von Blutbild, Venendruck und Kreislauffunktionen) erfolgen. Die Notwendigkeit der Einlage einer Pleuradrainage ist eher selten gegeben. Diese Maßnahme darf aber bei entsprechender Größe des Hämatothorax nicht hinausgezögert werden.
Elektrodenbrüche werden heute mit einer Häufigkeit von 1–1,5 % pro Patientenjahr gesehen. Dabei sind die früher häufiger verwendeten, einfach gewendelten (einadrigen) Elektroden bruchanfälliger als mehrfach gewendelte. Auch der Implantationsort der Elektrode sowie der Elektrodenverlauf spielen eine Rolle: Besonders bei Implantation der Elektrode über die V. jugularis interna erhöht sich, bedingt durch die stärkere mechanische Reizung und Beanspruchung der Elektrode im zervikalen und supraklavikulären Bereich, im späteren Verlauf das Risiko des Elektrodenbruchs. Dies ist mit ein Grund dafür, die Punktion der V. subclavia als bevorzugte Alternative vor der Elektrodenimplantation über die V. jugularis interna oder externa zu wählen. Prädisponierend für die Lokalisation des Elektrodenbruchs ist weiterhin die Eintrittsstelle der Elektrode in das venöse System. Besonders eine zu fest angezogene, die Elektrodenisolierung verletzende Ligatur ist Ursache für einen späteren Elektrodenbruch. Im EKG ist die Unterbrechung der Elektrodenkontinuität eindeutig zu diagnostizieren: Es liegen ineffektive Schrittmacheraktionen vor, und der Schrittmacherimpuls wird nicht mehr von einer myokardialen Depolarisation beantwortet. Klinisch besteht ein Abfall der Pulsfrequenz, der in Abhängigkeit von der noch vorhandenen Eigenfrequenz des Patienten symptomatisch wird. Gesichert wird die Diagnose durch das Röntgenbild, das in der Regel auch eine eindeutige Lokalisation des Elektrodenbruchs erlaubt. Nach Sicherung der Diagnose ist die Indikation zur umgehenden operativen Revision gegeben. Nach Freilegung und Identifizierung des Elektrodenbruchs erfolgt die neue Kupplung der Elektrode, die mit verschiedenen Konnektoren und Adaptern durchgeführt wird. Dabei ist auf eine einwandfreie Isolierung des neu gekuppelten Elektrodensegments zu achten, um Leckströme mit den entsprechenden Folgen (Muskelstimulation, Veränderungen der Reizschwelle etc.) zu vermeiden.
Venenthrombose
Reizschwellenanstieg
Wahrscheinlich sind Venenthrombosen (V. cephalica, V. axillaris oder V. subclavia) nach transvenöser Elektrodenimplantation häufiger als angenommen und häufiger als klinisch apparent. Symptomatische Venenthrombosen der oberen Körperhälfte treten nach Schrittmacherimplantationen in etwa 2–6 % der Fälle auf. Infektionen des Schrittmachersystems begünstigen die Entstehung einer Venenthrombose. Aufgrund der guten Kollateralisierung bei venösem Verschluss der V. axillaris und der V. subclavia ergeben sich in der Regel keine therapeutischen Konsequenzen, zumal die Ursache des Verschlusses – intravasaler Fremdkörper – nicht beseitigt werden soll und kann. Es besteht somit keine Indikation für eine Lysetherapie oder eine operative Thrombektomie. Jedoch wird für die ersten 6 postoperativen Monate eine Antikoagulation empfohlen.
Bekanntermaßen steigt die akute Reizschwelle, die initial bei Implantation niedrig ist, im frühen postoperativen Verlauf an, um dann – nach etwa 6 Wochen – die stabilen Werte der chronischen Reizschwelle zu erreichen. Ihre Maximalwerte erreicht sie 8–10 Tage postoperativ. Diese sind auf eine lokale Reaktion (Ödem, zelluläre Infiltration) am Implantationsort des Elektrodenkopfes zurückzuführen. In einzelnen Fällen steigt die chronische Reizschwelle so hoch an, dass eine effektive Stimulation des implantierten Schrittmachersystems nicht mehr möglich ist. Dies tritt besonders dann ein, wenn im Myokard rezidivierende Ischämien oder Infarkte auftreten, die durch die nachfolgende Fibrosierung naturgemäß die elektrische Leitfähigkeit des Gewebes verschlechtern. Möglich ist in Einzelfällen, bedingt durch die geringe Flexibilität der Elektrode mit Ausbildung eines stärkeren mechanischen Drucks auf das Endokard, auch die Ausbildung einer über-
Pneumo- und Hämatothorax
751 26.4 · Therapie
schießenden Fibrosierung im Bereich der Elektrodenspitze. Insgesamt ist die massive Erhöhung der chronischen Reizschwelle bis hin zur Ineffektivität des Systems unter Verwendung moderner Elektroden sehr selten geworden. Therapeutisch kommen 2 Möglichkeiten in Betracht: 4 Erhöhung von Spannung und/oder Stromstärke des Generators durch entsprechende Umprogrammierung, 4 Neuimplantation einer zweiten Elektrode bzw. Revision der alten Elektrode. In allen Fällen, in denen die Erhöhung der chronischen Reizschwelle nicht durch eine entsprechende Programmierung beherrschbar ist, muss operativ eine neue Elektrode implantiert werden.
Generatordekubitus Ein Generatordekubitus ist die Folge einer chronischen mechanischen Druckläsion des den Generator bedeckenden Gewebes. Es kommt dabei zu einer zunehmenden Schädigung und »Ausdünnung« der Haut (Prädekubitus) und schließlich zur Perforation des Generators durch die Haut. Besonders die früher verwendeten, häufig großen und schweren Schrittmacher begünstigten einen solchen Verlauf. Heute wird ein Generatordekubitus bei zunehmender Verkleinerung der Generatoren und Vermeidung von Ecken und Kanten selten gesehen. Fällt bei der Patientennachsorge in der Herzschrittmacherambulanz ein Prädekubitus auf, ist unverzüglich eine operative Revision angezeigt, bevor es zur Perforation des Generators kommt. Der Eingriff ist dann relativ wenig aufwendig und für den Patienten kaum belastend: In Lokalanästhesie wird die Generatortasche eröffnet und der Generator entweder submusculär (subpektoral oder retrorektal) oder an eine andere subkutane Stelle verlagert. Die Elektrode kann in der Regel belassen werden. Im Fall einer manifesten Perforation mit Freiliegen des Generators muss immer von einer nun bestehenden Infektion des Generators und des Generatorbetts ausgegangen werden. Dementsprechend erfolgt nach allgemeinen chirurgischen Richtlinien die Explantation des Aggregats und aller Fremdkörper aus dem betroffenen Bereich. Die Elektroden sollten am besten komplett entfernt werden, ansonsten kann man die Elektroden auch möglichst weit entfernt von der Dekubitusstelle kappen und stilllegen. Besteht Schrittmacherabhängigkeit, muss eine temporäre Sonde eingeführt werden. In jedem Fall ist der Patient zu überwachen. Gibt es Hinweise auf eine manifeste Infektion, erfolgt im Weiteren eine offene Wundbehandlung mit nachfolgender sekundärer Wundheilung. Wenn keine Infektionszeichen mehr vorliegen, wird in der Regel von der kontralateralen Seite ausgehend ein neues System implantiert.
Infektion Die Infektion eines Schrittmachersystems stellt eine schwerwiegende, den therapeutischen Erfolg der Schrittmacher-
therapie grundsätzlich infrage stellende Komplikation dar. Die Häufigkeit beträgt heute 0,8–1 %. Der häufigste nachgewiesene Erreger ist Staphylococcus aureus. Der Infekt eines Schrittmachersystems entsteht als intraoperativer Infekt oder im Rahmen eines Generatordekubitus. Sehr selten ist eine hämatogene Infektion ursächlich. Die Therapie eines Schrittmacherinfektes muss den Prinzipien der Behandlung eines jeden Infekts bei implantierten Kunststoffmaterialien folgen. Dies bedeutet die Entfernung des Fremdmaterials in toto. Alle Versuche einer »Lokalbehandlung« mit Spülung und Drainage sind, obwohl über einzelne Erfolge berichtet wurde (Alt 1985; Lüderitz 1986; Schüler et al. 1986), wenig erfolgversprechend und mit einer hohen Rezidivquote belastet. Sie bedeuten ein unabwägbares Risiko für die Entstehung einer Endokarditis. Zudem entsprechen sie keiner Kausaltherapie und sind daher kontraindiziert. Im Einzelnen bieten sich folgende Vorgehensweisen an: 4 Entfernung von Generator und Elektrode sowie Implantation eines neuen Systems auf der Gegenseite (Frühinfektion), 4 Entfernung des Generators mit dem Elektrodenanteil bis zur Veneneintrittsstelle (evtl. Verlängerung der Elektrode) sowie Implantation eines neuen Generators auf der Gegenseite oder im Epigastrium (Spätinfektion), 4 Entfernung von Generator und Elektrode bzw. bei intravasalem Elektrodeninfekt Entfernung der Elektrode mittels Thorakotomie und Einsatz der Herz-LungenMaschine (intravasaler Elektrodeninfekt). In allen Fällen eines Frühinfekts 2–3 Wochen nach der Schrittmacherimplantation kann das System in toto entfernt werden. Dies stellt die Therapie der Wahl dar. Die Elektrode lässt sich i. A. ohne größere Schwierigkeiten aus dem rechten Ventrikel und dem Venensystem extrahieren. Ist der Patient nicht von dem Schrittmacher abhängig, kann nach Explantation des Systems eine Abheilung des Infekts abgewartet (mindestens eine Woche lang) und dann über die Gegenseite ein neues System implantiert werden. Bei rezidivierenden Infekten nach venöser Schrittmacherimplantation ist in Einzelfällen als Ultima Ratio u. U. eine myokardiale Implantation indiziert. Besteht die zwingende Notwendigkeit zur permanenten Schrittmachertherapie, ist nach Explantation des infizierten Systems entweder eine temporäre externe Stimulation möglich oder die Implantation eines neuen Systems und die Explantation des infizierten Systems werden simultan in einer Operation durchgeführt. Wir ziehen, auch in Hinblick auf die häufig nicht stabile Lage der temporären Elektrode und die Immobilisierung des Patienten, das einzeitige Vorgehen vor. Nach sorgfältigem Abdecken der infizierten Wunde wird das neue System in typischer Weise auf der kontralateralen Seite implantiert. Wenn wiederum der Implantationsort des
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Kapitel 26 · Chirurgie bei tachykarden Rhythmusstörungen und Herzschrittmachertherapie
neuen Systems sorgfältig abgedeckt und abgeschirmt ist, wird die alte Operationswunde wiedereröffnet, der Generator mit Elektrode entfernt, ein lokales Débridement mit Spülung des Operationssitus durchgeführt und die Wunde offen belassen. Der Infekt heilt in der Regel schnell ab, und es kommt zur sekundären Wundheilung. In manchen Fällen kann die Wunde nach ausgiebigem Débridement auch primär verschlossen werden. Dieses simultane, einzeitige Vorgehen scheint kein erhöhtes Infektionsrisiko für das neu implantierte System zu bergen. Bei allen Spätinfektionen, die Monate bis Jahre nach der Implantation auftreten und bei denen der intravasale Teil der Elektroden nicht befallen ist, so ist ihre Exstirpation anzustreben. Gelingt dies nicht problemlos, so werden sie möglichst weit entfernt vom infizierten Areal gekappt. Eine Verlängerung der heute meistens bipolaren Elektroden ist aufwendiger und auch unter infektiologischen Gesichtspunkten nicht unbedingt ratsam. Die Elektroden werden dann stillgelegt. Die Stimulation muss bei schrittmacherabhängigen Patienten über passager eingeschwemmte Schrittmachersonden erfolgen. Nach Abklingen aller Infektzeichen erfolgt dann die Neuimplantation eines Schrittmachersystems auf der kontralateralen Seite. Zur Entfernung der kompletten, im rechten Ventrikel fixierten Elektrode bei einem Generator- und Elektrodeninfekt bestehen 3 Möglichkeiten: 4 Versuch der Elektrodenentfernung durch Dauerzug, 4 direkte Extraktion der Sonden unter Durchleuchtung, ggf. mit entsprechenden Extraktionssystemen, 4 Extraktion der Elektrode unter Sicht bei extrakorporaler Zirkulation. Die Elektrodenentfernung mittels Dauerzug (Gewichtsapplikation von 100–500 g) ist heute keine empfehlenswerte Methode mehr und hier nur der Vollständigkeit halber aufgeführt – zu groß sind die Komplikationsmöglichkeiten, z. B. intravasaler Abriss der Elektrode, Verletzung der Trikuspidalklappe (v. a. wenn die Elektrode hier fest verwachsen ist), Mitentfernung von rechtsventrikulärem Myokard und/oder Bindegewebe oder Ausbildung von Thromben im Elektrodenverlauf, besonders im rechten Ventrikel und im rechten Vorhof mit der Gefahr einer Lungenembolie. Auch die häufig tagelang notwendige Immobilisation des nicht selten älteren Patienten ist ein wesentlicher Nachteil. Die heute verfügbaren Sondenextraktionssysteme ermöglichen oft eine erfolgreiche Sondenentfernung unter Durchleuchtungskontrolle (Byrd et al. 1999; Kutalek 2004). Sie dürfen aber nur in einer Klinik angewendet werden, in der ein schnelles herzchirurgisches Eingreifen (mit Sternotomie und extrakorporaler Zirkulation) sichergestellt ist. Mit Hilfe dieser Systeme ist die komplikationsarme Entfernung der Sonden in >90 % der Fälle möglich. Die Entfernung der intravasalen und intrakardialen Elektrode mit Hilfe der extrakorporalen Zirkulation stellt sicher die invasivste Methode dar, ist aber mit Blick auf die
Risiken von Gefäß- und Herzverletzungen die sicherste Option. Nach Sternotomie erfolgt der Anschluss an die HerzLungen-Maschine mit aortaler und separater Kanülierung der unteren und oberen Hohlvene. Am flimmernden oder kardioplegierten Herzen wird der rechte Vorhof eröffnet und die Elektrode dargestellt. Diese kann nun unter Sicht sorgfältig aus allen Verwachsungen, besonders auch im Bereich der Trikuspidalklappen, gelöst werden. Transatrial wird auch der rechtsventrikuläre Elektrodenanteil dargestellt sowie die Elektrode scharf aus dem begleitenden Bindegewebe präpariert und schließlich in toto extrahiert. Die Atriotomie wird verschlossen und die extrakorporale Zirkulation wie üblich beendet. In gleicher Sitzung kann man ein epimyokardiales Schrittmachersystem implantieren. Dieses Vorgehen mit Hilfe der extrakorporalen Zirkulation ist zwar aufwendiger, sollte jedoch in jeder herzchirurgischen Klinik sicher und mit geringem Operationsrisiko durchführbar sein (Wilhelm et al. 1997). ! Bei Schrittmachersysteminfektionen gilt der alte chirurgische Grundsatz, dass alles infizierte Material entfernt werden muss. Eine Neuimplantation von Fremdmaterial kommt erst nach Abheilen des infektiösen Prozesses in Betracht. In diesem Fall ist dann auch eine Antibiotikaprophylaxe bei der Implantation – möglichst resistenzgerecht entsprechend der Primärinfektion – absolut indiziert.
Auch für frei im venösen System (V. subclavia, V. cava superior, rechter Vorhof und rechter Ventrikel, Truncus pulmonalis, V. cava inferior) flottierende Elektroden bzw. Elektrodenreste, häufig bedingt durch mangelnde Fixation des Elektrodenendes im subkutanen Gewebe, besteht eindeutig die Indikation zur operativen Entfernung. Es ergibt sich sonst das Risiko der Thrombenbildung sowie der Embolisation von Elektrodenanteilen in die pulmonale Gefäßstrombahn. Zudem bergen solche frei flottierenden Elektrodenreste ein nicht zu unterschätzendes Arrhythmierisiko. Alternativ kann vor der operativen Intervention versucht werden, die flottierende Elektrode transvenös mit Hilfe eines Spezialkatheters zu entfernen. In der Regel sollten asymptomatische, funktionslose Elektrodenreste im venösen System und im rechten Herzen entfernt werden. Im Einzelfall sind jedoch die Vorteile gegenüber dem Risiko eines operativen Eingreifens abzuwägen.
V.-cava-superior-Syndrom In seltenen Fällen kann es durch Thrombenbildung entlang der implantierten Sonden zu einer Thrombose mit Komplettverschluss der V. cava superior kommen. Dies ist häufiger bei Patienten mit mehreren stillgelegten Elektroden der Fall. Die Komplikationen dieses Syndroms sind allerdings gering und die klinische Bedeutung daher ebenfalls, sodass in aller Regel keine spezifische Therapie erfolgen muss (Chee et al. 2007; Melzer et al. 2006). Thrombosen der V. subclavia verlaufen aufgrund der guten Kollateralisation
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meist völlig asymptomatisch und erfordern daher in aller Regel ebenfalls keine spezifische Therapie. 26.4.2.16 Generatorwechsel
Je nach Generatortyp, Fabrikation, Stimulationsort und Stimulationshäufigkeit weisen die heute implantierten Generatoren eine Laufzeit zwischen 5 und 15 Jahren auf. Im Rahmen der Schrittmachernachsorge wird die Indikation zum Generatorwechsel aufgrund beginnender Batterieerschöpfung gestellt. Dabei variieren die Kriterien in Abgängigkeit vom Fabrikat: Frequenzabfall, Verlängerung der Impulsdauer und definierte Änderungen der Magnetfrequenz sind die häufigsten Kriterien zum Batterieaustausch. Fast allen Fabrikaten gemeinsam ist allerdings der Anstieg des Innenwiderstandes bei Erreichen der »End-of-life«Kriterien. Bei einer geladenen Batterie liegt er meist (fabrikatabhängig) bei 1 kΩ. Bei 4 kΩ ist dann die absolute Indikation zum Batteriewechsel gegeben. Heutige Schrittmacher zeigen allerdings ihren Ladezustand bei der Abfrage über die Telemetrie direkt an, ebenso wie die aufgrund der bisherigen Stimulation hochgerechnete Restlaufzeit. Hierdurch ist das Erkennen der Austauschkriterien deutlich einfacher, fabrikatunabhängiger und sicherer geworden. Ist die Indikation zum Generatorwechsel gegeben, erfolgt die Operation in Lokalanästhesie. Die Hautnarbe wird exzidiert und unter sorgfältiger Schonung der Elektrode (Cave: Durchtrennung der Elektrode mit nachfolgender Asystolie beim schrittmacherabhängigen Patienten) auf die in der Regel derbe Schrittmacherkapsel präpariert. Die Kapsel wird mit dem Skalpell eröffnet und der Generator aus seinem Bett hervorluxiert. Alternativ kann auch eine zweite Inzision etwas kaudal der ursprünglichen Schnittführung direkt über dem Aggregat erfolgen. Da die überschüssige Elektrodenlänge meistens hinter dem Aggregat liegen sollte, ist bei diesem Vorgehen das Risiko einer Verletzung der Sonden bzw. ihrer Isolation am geringsten. Grundsätzlich sollte man den Hochfrequenzkauter, wenn überhaupt, nur spärlich einsetzen, da hierdurch die Schrittmacherfunktion gestört werden kann, was insbesondere bei Patienten ohne Eigenrhythmus durch Inhibierung des Schrittmachers u. U. zum Herzstillstand führt. ! Vor dem Aggregatwechsel muss die Funktion der Elektroden unbedingt vollständig überprüft werden, um sicherzustellen, dass keine Elektrodenrevision bzw. -neuimplantation erforderlich ist, da dies einen größeren logistischen Aufwand bedeutet (Durchleuchtung, Subklaviapunktion, postoperative Überwachung).
Ist der Patient schrittmacherabhängig, muss der Impulsgeber sofort mit einem Massekabel verbunden werden (. Abb. 26.14), damit die weitere Stimulation gewährleistet ist. Dann wird die Elektrode vom Generator getrennt und sofort über sterile Messkabel mit dem externen Stimulations- und dem Messgerät verbunden. Wie bei der Erstimplantation eines Schrittmachers werden nun die Reiz-
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b . Abb. 26.14a, b. Operativer Ablauf bei Generatorwechsel. a Nach Exzision der alten Narbe wird die Generatorkapsel mit dem Skalpell inzidiert, der Generator hervorluxiert und die Elektrode diskonnektiert. Sofort nach der Elektrodendiskonnektion wird diese mit dem Minuspol des mit dem externen Impulsgeber (Reizschwellenmessgerät) verbundenen Kabels (Krokodilklemme) und der Pluspol des Reizschwellenmesskabels mit dem Wundspreizer (oder dem subkutanen Gewebe) verbunden. Es folgen die externe elektrische Stimulation und die Reizschwellenmessung. b Nach Konnektion der Elektrode mit dem neuen Generator wird sie über ein Massekabel mit dem Wundspreizer (oder der Subkutis) verbunden. Damit kann man bereits vor der eigentlichen Implantation des neuen Generators effektiv stimulieren. Abschließend wird der neue Generator im Generatorbett versenkt und die Wunde schichtweise (Generatorkapsel, Subkutis, Haut) verschlossen
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754
Kapitel 26 · Chirurgie bei tachykarden Rhythmusstörungen und Herzschrittmachertherapie
schwelle und – bei vorhandenem Eigenrhythmus des Patienten – die intrakardialen Signale gemessen. Ist die Funktion der Elektrode intakt (Vorhof: chronische Reizschwelle von <1,5 V und P-Welle von >1 mV; Ventrikel: chronische Reizschwelle von <2,5 V und R-Zacke von >4 mV), erfolgt nun die Kupplung der Elektrode mit dem neuen Generator, den man im alten Generatorbett versenkt. Die Wunde wird nun wie üblich schichtweise verschlossen. Eine Drainage legt man nicht ein, und eine perioperative Antibiotikaprophylaxe ist nicht indiziert. In der Regel kann der Patient noch am Operationstag – nach ärztlicher Kontrolle des Schrittmachersystems – nach Hause entlassen und die Wundheilung ambulant überprüft werden. 26.4.2.17 Elektrodenwechsel und
-neuimplantation
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Elektrodendislokation, Zwechfellstimulation, Reizschwellenanstieg und besonders Infektionen im Elektrodenverlauf können die Indikation zum Elektrodenwechsel und/oder zur Elektrodenneuimplantation darstellen. Auch Defekte der Elektrodenisolation, besonders im Bereich der Veneneintrittsstelle, mit nachfolgender Entstehung von Leckströmen erfordem die Neuimplantation einer Elektrode. Hierbei wird in der Regel versucht, die alten, defekten Elektroden zu entfernen. Dies sollte jedoch nicht stark forciert werden, da die Sondenexplantation durchaus Komplikationen aufweist (Ventrikelperforation, Einrisse der V. cava oder der V. subclavia). Außerdem ist die Komplikationsrate belassener und stillgelegter Elektroden gering (Suga et al. 2000), sodass diese problemlos belassen werden können. Insgesamt ist die Spätmorbidität nach Schrittmacherimplantation gering. Spätkomplikationen treten in 1,4 % der Fälle nach Primärversorgung auf, sind mit 6,5 % nach Rezidiveingriffen aber deutlich häufiger (Harcombe et al. 1998). 26.4.2.18 Postoperative Überwachung und
Ergebnisse nach Herzschrittmacherimplantation Zur Dokumentation gehört in der Herzschrittmacherchirurgie neben dem Operationsbericht essenziell die Ausstellung eines Herzschrittmacherausweises für den Patienten. Bewährt hat sich hier die Verwendung der sog. European Pacemaker Registration Card, die gleichzeitig als Durchschlag der Nationalen Registrierstelle für Herzschrittmacher zugeleitet wird. Neben der Neuimplantation werden auch alle Generatorexplantationen und operative Revisionen erfasst. Zusätzlich zu den Patientendaten und den Angaben über das implantierende Herzschrittmacherzentrum enthält der Schrittmacherausweis die Informationen über die Indikation zur Schrittmacherimplantation, die präoperativen EKG-Befunde sowie die technischen Daten des implantierten Schrittmachers und der Elektrode. Auch der Ort der Implantation ist angegeben. Gerade im Notfall kann der behandelnde Arzt so direkt die entscheidenden
Daten eines Schrittmachersystems aus dem Ausweis ersehen und den Patienten entsprechend behandeln. Die früheren Empfehlungen sehen nach der Erstimplantation eines Herzschrittmachers für 24 h Bettruhe vor, außerdem ein EKG-Monitoring sowie die radiologische Kontrolle des Elektrodenverlaufs. Dabei dient die postoperative Röntgenaufnahme des Thorax auch der Kontrolle bezüglich des Vorliegens eines Pneumo- oder Hämatothorax, speziell nach Elektrodenimplantation über die V. subclavia. Da heute mehr und mehr Schrittmacher ambulant implantiert werden, reduziert sich die Bettruhe meistens auf wenige Stunden. Zwingend erforderlich sind aber das Abschluss-EKG, eine telemetrische Schrittmacherkontrolle sowie eine Röntgenaufnahme des Thorax in 2 Ebenen zur Dokumentation der korrekten Lage der Schrittmacherlektroden wie auch zum Ausschluss möglicher Komplikationen (s. oben). Nach einem Generatorwechsel kann der Patient in aller Regel noch am Operationstag das Krankenhaus verlassen. Diese Eingriffe sind heute grundsätzlich auch ambulant durchzuführen. Die erste postoperative Kontrolle in der Schrittmacherambulanz sollte nach 4–6 Wochen erfolgen. Es ist aber auch ein längeres Intervall von 3 Monaten möglich. Zu diesem Zeitpunkt besteht dann bereits die chronische Reizschwelle, und die endgültige Programmierung kann dann vorgenommen werden. Die nächste Kontrolle erfolgt dann 6 oder 12 Monate nach der Implantation, und auch die weiteren Kontrollen finden im Halb- oder Ganzjahresrhythmus statt. Wenn sich erste Anzeichen für eine Batterieerschöpfung zeigen, werden die Intervalle bis zum Erreichen der Austauschkriterien wieder verkürzt. In Abhängigkeit von der Komplexität eines implantierten Schrittmachersystems sind auch die Nachsorge und die Kontrolle unterschiedlich. Essenziell zu jeder Herzschrittmacherkontrolluntersuchung gehört jedoch die Erfassung der folgenden Daten: 4 anamnestische Angaben, 4 allgemeiner klinischer Befund, 4 Ruhe-EKG und EKG unter Magnetauflage, 4 Impulsintervall, Impulsbreite und Impulsamplitude, 4 Sensing-Parameter, 4 telemetrische Daten. Außerdem ist ggf. eine Neuprogrammierung des Systems erforderlich. Dementsprechend müssen ein EKG-Gerät, das entsprechende Schrittmacherprogrammiergerät sowie zwingend ein Defibrillator in Reichweite sein. Die Herzschrittmachertherapie ist heute als die effektivste Behandlungsmethode bradykarder Herzrhythmusstörungen anzusehen. Bei einer Gesamthospitalletalität für die Herzschrittmacherimplantation von deutlich unter 1 % ist das Risiko dieser Behandlungsmethode sehr gering geworden. Die Prognose wird jedoch wesentlich von der Grunderkrankung bestimmt: Ein Vergleich der Lebenser-
755 26.4 · Therapie
wartung zwischen Patienten mit Schrittmacher (unabhängig von der Diagnose) und einer alters- und geschlechtsgleichen Normalbevölkerung zeigt, dass die Überlebenswahrscheinlichkeit von Schrittmacherpatienten etwa 10 % niedriger ist als die der Normalbevölkerung (Alt 1985; Lüderitz 1986). Patienten mit Sinusknotensyndrom haben dabei grundsätzlich eine höhere Überlebenswahrscheinlichkeit als solche mit höhergradiger AV-Blockierung oder Bradyarrhythmie. Beim Vergleich der Patienten mit und ohne Schrittmacherbehandlung wird jedoch die Verbesserung der Prognose und der Lebenserwartung durch den Herzschrittmacher deutlich: Während Patienten mit höhergradiger AV-Blockierung ohne Herzschrittmacher nach 5 Jahren eine Überlebensrate von 30 % aufwiesen, betrug diese mit Herzschrittmachertherapie 60 % (Lüderitz 1986). Ein Jahr nach Auftreten von Adams-Stokes-Anfällen bei AV-Block dritten Grades waren unter ausschließlich medikamentöser Therapie 50 % der Patienten verstorben (kumulative Überlebensrate) – im Vergleich zu nur 18 % der mittels Herzschrittmacher behandelten Patienten. Die steigende Lebenserwartung der Bevölkerung in den Industrienationen lässt auch die Zahl der Patienten mit einem Lebensalter von >80 Jahren und einer Indikation zur Schrittmacherimplantation stetig ansteigen. Bei einer mittleren Lebenserwartung von etwa 8 Jahren auch bei diesem hochbetagten Patientenkollektiv (Schmidt et al. 2003) gelten hierbei die gleichen Indikationen wie bei jüngeren Patienten. Das Alter stellt also auch keine relative Kontraindikation zur Schrittmacherimplantation dar. Wegen der schrittmacherassoziierten Morbidität ventrikulärer Einkammersysteme bei Vorliegen eines Sinusrhythmus sollte auch hier bei jedem Patienten ein sequenzielles 2-KammerSystem implantiert werden. 26.4.2.19 Biventrikuläre Systeme
Die biventrikuläre Stimulation ist aus der Beobachtung entstanden, dass bei schwer geschädigten Herzen oftmals eine intraventrikuläre Erregungsausbreitungsstörung vorliegt. Ursächlich kommen hier die Verlängerung der Erregungsstrecke bei Ventrikeldilatation, degenerative Prozesse im Bereich des tieferen Reizleitungssystems bei ischämischer Herzerkrankung wie auch strukturelle Veränderungen, z. B. bei Kardiomyophathien, in Betracht. Primäres Problem ist die intraventrikuläre Erregungsausbreitungsstörung, die durch eine Verbreiterung des QRS-Komplexes auf >120 ms in Erscheinung tritt. Meist liegt ein manifester Linksschenkelblock mit einer QRS-Dauer von >140 ms vor. Sekundär ist auch die interventrikuläre Synchronisation gestört, wie dies generell bei isolierter rechtsventrikulärer Stimulation der Fall ist. Eine Verminderung der linksventrikulären Funktion bei rechtsventrikulärer Stimulation konnte einwandfrei nachgewiesen werden (Nahlawi et al. 2004). Ziel der kardialen Resynchronisationstherapie ist es daher, die Koordination bei der Kammererregung/-kontraktion wiederherzustellen (Toussaint et al. 2000). Die In-
dikationen stammen hierbei vorwiegend aus dem Bereich der Herzinsuffizienztherapie und werden im Wesentlichen dort behandelt. Grundsätzlich gilt ein Linksschenkelblock mit deutlich reduzierter linksventrikulärer Funktion (Ejektionsfraktion von <35 %) und einer QRS-Dauer von >150 ms als Indikation für eine biventrikuläre Stimulation (Manolis 2004). Allerdings ist die Indikation auch hier stark von der Klinik abhängig. In den USA gilt bereits eine QRSVerlängerung auf >120 ms als Indikation für eine kardiale Resynchronisationstherapie. Für die Implantation eines biventrikulären Systems gelten die gleichen Vorgaben, wie sie oben für die Ein- bzw. 2-Kammer-Systeme beschrieben wurden. Die atrialen und rechtsventrikulären Elektroden werden in der gleichen Art und Weise implantiert, auch die Bildung der Aggregattasche entspricht dem herkömmlichen Prozedere. Eine Punktion der V. subclavia ist praktisch immer erforderlich, da sich nur in seltensten Fällen 3 Sonden über die V. cephalica platzieren lassen. Außerdem erfordert die Implantation oftmals die Unterstützung durch Mappingkatheter, für die eine entsprechende Schleuse erforderlich ist. Für die Implantation der linksventrikulären Sonde existieren grundsätzlich 2 Möglichkeiten: der direkte, epimyokardiale Zugang sowie der transvenöse Zugang über den Koronarsinus. Letzteres ist derzeit die Standardmethode, allerdings sind die Entwicklungen hier noch in vollem Gange. Die Implantation erfolgt analog zu den rechtsventrikulären Sonden über eine Punktion der V. subclavia. Anschließend wird das Führungssystem eingesetzt, mit dessen Hilfe man den Koronarsinus sondiert. Dann wird die Elektrode über den Koronarsinus in einer geeigneten linksventrikulär liegenden Vene platziert. Hierbei gilt derzeit eine laterale oder posterolaterale Position als optimal. Die Sondierung des Koronarsinus unter Durchleuchtung ist aufwendig und wird in den meisten Zentren nur mit Hilfe einer modernen Durchleuchtungseinrichtung, wie sie z. B. im interventionellen Herzkatheterlabor vorhanden ist, durchgeführt. Oftmals werden diese Systeme daher auch in Kooperation mit den elektrophysiologisch tätigen Kardiologen implantiert. Die Implantation mit einem einfachen C-Bogen ist zwar auch möglich, doch sind hier die gegenüber modernen Durchleuchtungseinrichtungen erhöhte Strahlenbelastung und die schwierige dreidimensionale Positionierung zu berücksichtigen. Die Platzierung einer Sonde über den Koronarsinus ist in 90 % der Fälle erfolgreich, wobei die Konversions- bzw. Abbruchrate auch sehr von den einrichtungsspezifischen Kriterien zum Abbruch der Implantation und der Erfahrung des imlantierenden Teams abhängt. Die zweite Option ist die direkte epimyokardiale Sondenimplantation über eine kleine linkslaterale Thorakotomie (Mair et al. 2005). Alternativ kommt zunehmend eine thorakoskopische Sondenplatzierung zum Einsatz (Navia et al. 2005). Die epimyokardialen Sonden haben hierbei in Studien im Vergleich zu den Koronarsinuselektroden sehr
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756
Kapitel 26 · Chirurgie bei tachykarden Rhythmusstörungen und Herzschrittmachertherapie
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. Abb. 26.15a–c. a Röntgenbild mit liegendem biventrikulären »automatic internal cardioverter/defibrillator« (AICD; mit epimyokardialer linksventrikulärer Sonde). Insgesamt sind bei dem Patienten 3 Sonden funktionell: die rechtsatriale Sonde (dünner Pfeil), die rechtsventrikuläre »Single-coil«-AICD-Elektrode (dünner gestrichelter Pfeil) und die epimyokardiale linksventrikuläre Sonde (dicker Pfeil). Allerdings ließ sich die Progression der Herzinsuffizienz auch hiermit nicht aufhalten: Nach 2 Jahren erfolgten die Implantation eines Incor-Assist-Systems (dicker gestrichelter Pfeil) über die Spitze des linken Ventrikels und die Listung zur Herztransplantation. b, c Anterior-posteriore (b) und Seitaufnahme (c) einer Patientin mit biventrikulärem AICD mit zusätzlichem Optimizer (dicker Pfeil) zur signalgesteuerten Optimierung der Kontraktion. Zwei Elektroden (dünne Pfeile) steuern hierbei den Optimizer, während zusätzlich eine ventrikuläre AICD-Elektrode (»single coil«) und eine atriale Elektrode den AICD steuern
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gute Ergebnisse gezeigt und sich teilweise im Langzeitverlauf sogar als klar überlegen erwiesen. Da transvenös platzierte Koronarsinuselektroden an den Verlauf und die Größe der epikardialen Venen gebunden sind, können diese oft nicht in der idealen Position implantiert werden. Dies ist wiederum durch den thorakoskopischen Ansatz zu gewährleisten. Als Nachteil ist natürlich die größere Invasivität anzuführen, obwohl der Eingriff als solcher heute ebenfalls weitgehend standardisiert und komplikationsarm verläuft. Aufgrund der Tatsache, dass die meisten Patienten, die die Kriterien für eine biventrikuläre Stimulation erfüllen, auch eine Indikation für einen AICD aufweisen, werden heute überwiegend biventrikulär stimulierende AICD statt reiner Schrittmacher implantiert (. Abb. 26.15) – dies umso mehr, als sich in Studien bei Trägern biventrikulärer Systeme aufgrund maligner ventrikulärer Rhythmusstörungen auf dem Boden der Grunderkrankung eine erhöhte Letalität zeigte (Bristow et al. 2004; Manolis 2004; Ypenburg et al. 2006).
26.4.3
Therapie tachykarder Rhythmusstörungen
Tachykarde Rhythmusstörungen werden von den Patienten oft stärker wahrgenommen als bradykarde. Sie haben durch das Symptom des »Herzrasens« einen bedrohlicheren Charakter. Dies ist sicher auch dadurch bedingt, dass diese Rhythmusstörungen eher mit einer sympathikotonen Lage assoziiert sind und eine dementsprechende Stresssituation des Organismus eintritt. 26.4.3.1
Geschichte
Die Therapie der tachykarden Rhythmusstörungen hat sich in den vergangenen 10 Jahren stark verändert. Standen früher für die akzessorischen Leitungsbahnen und die Präexzitationssyndrome sowie für die fokalen atrialen Tachykardien chirurgische Eingriffe mit Exzision/Unterbrechung der pathologischen Bahnen im Vordergrund, so sind diese
757 26.4 · Therapie
Erkrankungen heute nahezu vollständig in die Zuständigkeit der Kardiologen übergegangen, die diese Bahnen durch entsprechende interventionelle Ablationen unterbrechen. Die Rhythmuschirurgie nahm ihren Ausgang von der ersten erfolgreichen Durchtrennung eines akzessorischen Bündels durch Sealy im Jahre 1968 (Sealy et al. 1969). Waren die Bahnen hierbei von epikardial her unterbrochen worden, folgte anschließend die endokardiale Technik (Iwa et al. 1970). Weitere Berichte über die »verbesserte« endokardiale Technik folgten (Sealy u. Gallagher 1980; Sealy et al. 1974). Im Jahre 1977 wurde durch Gallagher erstmals der Einsatz der Kryothermie zur Ablation aberrierender Leitungsbahnen beschrieben (Gallagher et al. 1977). Die erste direkte, also elektrophysiologisch geleitete Chirurgie der ventrikulären Tachykardien wurde 1978 veröffentlicht (Guiraudon et al. 1978). Hierbei wurde das arrhythmogene Areal in der Randzone eines Infarkts komplett transmural ausgeschnitten (»encircling endocardial ventriculotomy«). Im Jahre 1979 führte Harken die subendokardiale Resektion zur Behandlung postinfarzieller Kammertachykardien ein (Harken et al. 1979). Zusätzliche Techniken sind hierbei die Kryochirurgie, die Elektrokoagulation und die Lasertechnik. Mit der Entwicklung der AICD hat sich die Chirurgie allerdings stark verändert. Die Operationen am offenen Herzen wegen tachykarder Rhythmusstörungen sind praktisch ganz aus der Herzchirurgie verdrängt und durch die neuen AICD ersetzt worden. Dies trat spätestens mit der Entwicklung der endokardialen AICD-Sonden ein, wodurch Morbidität und Mortalität der AICD-Implantation gegenüber den offenen Patch-Elektroden, die über eine Sternotomie implantiert werden mussten, dramatisch sanken. Auch die immer weiter voranschreitende Verkleinerung der Aggregate bei zusätzlicher Zunahme des Funktionsumfangs hat die Akzeptanz der AICD weiter gesteigert. Für die fokalen atrialen Tachykardien gibt es praktisch ebenfalls keine Indikation zum chirurgischen Vorgehen mehr, da bei diesen Patienten die antiarrhythmische Therapie in Kombination mit interventionellen Katheterablationstechniken in den Vordergrund getreten ist. Eine Sonderstellung nimmt die Vorhofablation bei Vorhofflimmern ein, die mit Hilfe neuer Geräte auch thorakoskopisch durchgeführt werden kann.
Atriale Tachykardien Konservative Therapie
26.4.3.2
Die medikamentöse Therapie der atrialen Tachykardien unterliegt einem steten Wandel. Waren Klasse-I-Antiarrhythmika in den 1990er Jahren generell in Verruf geraten, so ist bei Patienten mit Vorhofflimmern ohne koronare Herzkrankheit aktuell wieder Propafenon oder Flecainid in Kombination mit β-Blockern indiziert. Sotalol als β-Blocker mit starker Klasse-III-Wirkung ist derzeit nur noch in Ausnahmefällen indiziert, da hierunter signifikante QTZeit-Verlängerungen mit fatal verlaufenden Torsade-de-
pointes-Tachykardien beschrieben wurden. So bleibt auch hier Amiodaron als letztes aus kardialer Sicht indiziertes Antiarrhythmikum übrig. Aufgrund der starken Nebenwirkungen ist Amiodaron jedoch für eine Langzeittherapie des Vorhofflimmerns nur bedingt geeignet. Bei Patienten mit chronischem Vorhofflimmern ohne Aussicht auf eine dauerhaft erfolgreiche Kardioversion besteht daher die Indikation zu einer frequenzkontrollierenden Therapie mit Digitalisglykosiden und β-Blockern. Grundsätzlich muss hier aufgrund der Komplexität des Themas auf die aktuell gültigen Leitlinien (z. B. des American College of Cardiology, der American Heart Assocation oder der European Society of Cardiology; Fuster et al. 2006) verwiesen werden. Einigkeit besteht jedoch hinsichtlich des deutlich erhöhten Thromboembolierisiko bei Vorhofflimmern. Daraus resultiert die Empfehlung zur Antikoagulation, in der Regel mit Coumarin. Der Ziel-INR-Wert sollte hierbei zwischen 2,0 und 3,0 liegen, allerdings werden auch niedrigere Werte aufgeführt. Eine Antikoagulation mit Thrombozytenaggregationshemmern ist alternativ ebenfalls möglich, vorwiegend bei Patienten unter 75 Jahren mit guter linksventrikulärer Funktion. Allerdings muss hier gegenüber der Coumarintherapie mit einer höheren Inzidenz thromboembolischer Komplikationen gerechnet werden. Bei Vorhofflattern und neuerdings auch bei Vorhofflimmern stehen heute auch interventionelle Katheterverfahren zur Verfügung. Bei Vorhofflattern werden hierbei die Bahnen der Makro-Reentries bzw. bei AV-KnotenReentry-Tachykardie akzessorische Bahnen im AV-Knoten-Bereich gezielt abladiert. Hierdurch gelingt die Unterbrechung dieser kreisenden Erregungen, deren Rezidivprophylaxe und die Wiederherstellung eines stabilen Sinusrhythmus. Die Erfolgsquoten sind hervorragend. Insbesondere bei der AV-Knoten-Reentry-Tachykardie besteht allerdings ein nicht unerhebliches Risiko für einen höhergradigen AV-Block, der dann durch einen entsprechenden 2-Kammer-Schrittmacher therapiert werden muss. Bei Vorhofflimmern wird derzeit analog zum chirurgischen Vorgehen die interventionelle Ablation der Einmündungsstellen der Pulmonalvenen versucht. Für dieses Verfahren liegen noch keine validierten Langzeitergebnisse vor. Zusätzlich sind diese Verfahren – ebenso wie die zur Anwendung kommenden Ablationslinien – momentan noch ständigen Veränderungen unterworfen, sodass eine abschließende Beurteilung derzeit noch nicht möglich ist.
Chirurgische Therapie Vorhofflimmern/Vorhofflattern. Die chirurgische Therapie des Vorhofflimmerns wurde durch Cox und Guiraudon etabliert. Im Laufe der Jahre hat das ursprüngliche Verfahren zahlreiche Veränderungen durchlaufen und Ergänzungen erfahren. Bei der heute aktuellen Maze-III-Prozedur werden beide Vorhofohren abgetrennt. Zusätzlich erfolgen eine große Zahl an Schnitten durch beide Vorhöfe, die nicht nur die Unterbrechung der gängigsten Reentry-
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Bahnen für atriale Tachykardien zum Ziel haben, sondern durch die zudem ein elektrophysiologischer »Korridor« (. Abb. 26.16) der Erregung vom Sinusknoten auf den AVKnoten hergestellt wird (»Guiraudon’s corridor procedure«; Guiraudon et al. 1985). Hierdurch wird eine zügige Erregungsfolge gewährleistet, und das Herz schlägt im Sinusrhythmus. Dieser auch verwinkelt erscheinende elektrophysiologische Korridor wurde bildhaft von Cox dem englischen Irrgarten (»maze«, auch »Labyrinth«) gleichgesetzt. Die Erfolgsraten der Maze-Prozedur sind mit einem stabilen Sinusrhythmus nach einem Jahr in 80–90 % der Fälle sehr gut, allerdings ist das Verfahren invasiv und aufwendig. Hinzu kommt, dass durch die multiplen neu gesetzten Narben im Vorhofendokard im Rahmen der Bildung des Korridors das übrige Vorhofmyokard von der Erregung praktisch ausgeschlossen wird bzw. teilweise im chronischen Vorhofflimmern verbleibt. Auf diese Weise kommt es durch die Einbuße an funktionellem, aktivem Vorhofmyokard zu einer Einschränkung der Transportfunktion. Daraus lässt sich folgern, dass die Verbesserung der Hämodynamik und der klinischen Situation weitgehend auf der Etablierung eines stabilen Rhtyhmus basiert, wodurch insbesondere die tachyarrhythmischen Phasen erfolgreich therapiert werden. Die Reduktion der Thromboembolieinzidenz (Cox et al. 1999) beruht hingegen wahrscheinlich zu einem großen Teil auf der Ausschaltung des linken Vorhofsohrs als klinisch bedeutsamste Emboliequelle, da die atriale Transportfunktion bei den meisten Patienten eingeschränkt bleibt und weiterhin akinetische Areale im Bereich der Vorhöfe bestehen. Durch die Entwicklung zuverlässiger und leicht handhabbarer Ablationsgeräte ist noch einmal zusätzlicher
. Abb. 26.16. Elektrophysiologischer »Korridor« durch endokardiale Ablationsbahnen oder Durchtrennung des Vorhofmyokards, schematische Darstellung. Die vom Sinusknoten ausgehende Erregung wird durch die Blockierungen (dicke Balken) wie durch einen Korridor zum AV-Knoten geleitet. Reentries werden unterdrückt bzw. laufen ins Leere. a rechtes Herzohr; AVK AV-Knoten; b linkes Herzohr; IVC untere Hohlvene; PV Pulmonalvenenfach; SK Sinusknoten; SVC obere Hohlvene
Schwung in die Weiterentwicklung und die klinische Verbreitung der Maze-Prozedur gekommen. Hierfür stehen verschiedene Ablationsformen zur Verfügung: Kryoablation, Hochfrequenzablation und Mikrowellenablation. Für die sog. CryoMaze-Prozedur wurde die gleiche Effektivität wie für das konventionelle chirurgische Verfahren berichtet (Gammie. et al. 2005). Unabhängig von der Energieart ist es heute möglich, über Impedanzmessungen während der Ablation sicherzustellen, dass eine transmurale Narbe erzielt wurde. Die angelegten Ablationslinien entsprechen beim offenen Verfahren denen der Maze-III-Prozedur und werden in der Regel mit unipolaren Kathetern gesetzt. Zusätzlich besteht die Möglichkeit, bipolare Ablationszangen einzusetzen. Mit Hilfe dieser Instrumente können die wichtigsten Ablationslinien um die Pulmonalvenenostien und das linke Vorhofohr sowie die rechtsatrialen Linien von epikardial her angelegt werden, sodass eine Eröffnung des linken Vorhofs unnötig ist. Auf diese Weise ist das Verfahren ohne HerzLungen-Maschine anwendbar, beispielsweise im Rahmen von »Off-pump«-Revaskularisationen. Da die Pulmonalvenenostien als die wichtigsten Foci für das Entstehen von Vorhofflimmern identifiziert wurden, sollten die Erfolgsraten knapp unterhalb derer des klassischen Maze-III-Verfahrens angesiedelt sein (Lall et al. 2007). Unabhängig vom Verfahren werden die Erfolgsaussichten von verschiedenen Faktoren beeinflusst: 4 zugrunde liegende Herzerkrankung, 4 Größe des linken Vorhofs, 4 Vorliegen von permanentem vs. intermittierendem Vorhofflimmern, 4 Dauer des permanenten Vorhofflimmerns.
759 26.4 · Therapie
Die Erfolgsaussichten werden derzeit mit >80 % nach einem Jahr angegeben. In jedem Fall erfolgt zunächst eine antiarrhythmische Therapie mit Amiodaron für 6 Monate. In manchen Fällen kommt es offenbar zu einem Remodeling, insbesondere wenn ein Klappenvitium die zugrunde liegende Herzerkrankung darstellt. Daher werden hier zahlreiche Spätkonversionen beschrieben, obwohl initial nach der Ablation zunächst Vorhofflimmern bestanden hatte. Dementsprechend sollte auch die antikoagulative Therapie mit Coumarinen weitergeführt werden, da insbesondere die Wechsel des Rhythmus von Vorhofflimmern zu Sinusrhythmus mit einer erhöhten Thromboemboliegefahr assoziiert sind. Aufgrund der sehr hohen Erfolgsrate hat sich die MazeIII-Prozedur als das chirurgische Verfahren der Wahl bei medikamentös therapierefraktärem Vorhofflimmern etabliert. Trotz der hohen Konversionsrate ist die medikamentöse Therapie jedoch immer noch die erste Option geblieben, hauptsächlich aufgrund der naturgemäß größeren Invasivität des chirurgischen Vorgehens. Durch die Entwicklung von Kryo- und Hochfrequenzablationstechniken hat sich die Situation nun gewandelt: Mit Hilfe dieser Techniken lassen sich transmurale Narben erzielen, ohne das Vorhofmykard komplett durchtrennen und wieder zusammennähen zu müssen. Eingriffsdauer und -invasivität haben hierdurch deutlich abgenommen, und durch die Etablierung minimal-invasiver Techniken lässt sich die Akzeptanz möglicherweise weiter steigern, sodass diese Verfahren im Rahmen von Herzoperationen routinemäßig angewendet werden könnten (Khargi et al. 2004; Sie et al. 2004). Auch eine Ausdehnung der Indikationen auf rein rhythmologische Probleme ist zu erwägen (Millar et al. 2000). Durch thorakoskopische (endoskopische) Techniken wird die Invasivität des Eingriffs weiter vermindert (Pruitt et al. 2006; Wolf et al. 2005), sodass Studien bereits Patienten einschließen, bei denen das Vorhofflimmern die einzige Indikation zu einem herzchirurgischen Eingriff darstellt.
4 Die Stimulation des Vorhofs mit einer höheren Frequenz als die ektope atriale Tachykardie führt zu einer entsprechenden Vorhofantwort. Bei Beendigung der Stimulation setzt die Tachykardie ohne zwischenzeitlichen Sinusrhythmus wieder ein. 4 Der Ursprung der ektopen Vorhoferregung kann an beliebiger Stelle im Vorhof liegen. Bei Beginn einer ektopen atrialen Tachykardie stimmt die Morphologie der Vorhoferregung (P-Welle) des ersten Schlages mit allen folgenden Schlägen der ektopen atrialen Tachykardie überein. Der früheste Punkt der Erregung wird als Ort des ektopen Fokus angenommen. In aller Regel erfolgt die Diagnosestellung einer fokalen atrialen Tachykardie heute im Rahmen einer elektrophysiologischen Untersuchung bei entsprechender Symptomatik. Hierbei kann dann nicht nur der Fokus eindeutig lokalisiert, sondern mit Hilfe der interventionellen Kathetertechnik in gleicher Sitzung auch abladiert werden. Zugang und extrakorporale Zirkulation
Der Zugang bei atrialer Tachykardie erfolgt über eine mediane Sternotomie. Nach Längsinzision des Perikards und üblicher Exposition wird die Kanülierung zum Anschluss an die Herz-Lungen-Maschine vorbereitet. Zunächst erfolgt ein epikardiales Vorhofmapping. Der Einsatz der extrakorporalen Zirkulation ist dann notwendig, wenn der Fokus septal aufzusuchen ist und wenn die Ablation bzw. Exzision am stillgelegten Herzen erfolgen muss. Es hat sich zudem als günstig erwiesen, auch eine Kryoablation unter Herzstillstandbedingungen durchzuführen, da die Kühlung mittels Lachgaskryothermie dann sicherer ist. ! Nach Anschluss an die Herz-Lungen-Maschine muss geprüft werden, ob ein Vorhofseptumdefekt oder ein offenes Foramen ovale vorliegt, damit es beim Eröffnen des rechten Vorhofs nicht zu einer Luftembolie kommt.
Intraoperatives Mapping und chirurgische Technik Fokale atriale Tachykardie. Fokale Tachykardien als Folge
einer abnormen Impulsbildung in den Zellen des Leitungsund Schrittmachersystems in der Vorhofmuskulatur sind selten. Auffallend ist, dass der Anteil fokaler supraventrikulärer Tachykardien bei Erwachsenen nur etwa 2–3 %, bei Kindern dagegen bis 15 % beträgt. Die fokale atriale Tachykardie ist durch eine ektope Automatie charakterisiert. Diese basiert nicht auf einem Reentry-Mechanismus. Die Therapie mit Antiarrhythmika oder mit antitachykarden Schrittmachern ist daher in den meisten Fällen wirkungslos. Kriterien der fokalen atrialen Tachykardie sind: 4 Die ektope atriale Tachykardie kann in der Regel weder durch schnelle atriale Stimulation noch durch vorzeitige Extrastimuli induziert oder terminiert werden.
Als Referenzelektroden werden 2-polige Elektroden am rechten und linken Vorhof sowie am rechten Ventrikel fixiert. In der Regel kann das Vorhofmapping (. Abb. 26.17) analog zur entsprechenden elektrophysiologischen Kathetertechnik ohne extrakorporale Zirkulation erfolgen. Ein entsprechendes Monitoring der Hämodynamik ist selbstverständlich. Nur bei Notwendigkeit eines septalen Mappings ist der Anschluss an die extrakorporale Zirkulation erforderlich, um das Septum mit einer Stiftelektrode abzutasten. Die Entfernung des Fokus nach dessen Lokalisierung erfolgt durch direkte Exzision, direkte Kryothermie oder endokardiale Ablation mit Hilfe einer über eine Tabaksbeutelnaht vorgeschobenen Kryosonde (Bredikis u. Bredikis 1985; Bredikis et al. 1985).
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Kapitel 26 · Chirurgie bei tachykarden Rhythmusstörungen und Herzschrittmachertherapie
unter »akzessorische Bahnen« oder generell »WPW-Syndrom« subsumiert. Ihre Bedeutung erhalten diese Bahnen im Wesentlichen durch ihre Konkurrenz zum AV-Knoten in Bezug auf die Überleitung der atrialen Erregung auf die Kammern. Da ihnen in der Regel die blockierende Wirkung für hohe Frequenzen fehlt, besteht die Gefahr einer schnellen Überleitung pathologisch erhöhter atrialer Frequenzen. Zusätzlich liegt oft eine gerichtete Erregung über diese Bahnen vor, die antegrad, retrograd oder auch bidirektional ausgerichtet sein kann. Da der AV-Knoten grundsätzlich in beide Richtungen zu leiten in der Lage ist, ergibt sich hier die Gefahr eines Makro-Reentrys über den AV-Knoten und die akzessorischen Bahnen. Die Diagnosestellung der akzessorischen Leitungsbahnen erfolgt in der Regel durch eine elektrophysiologische Katheteruntersuchung, mittels derer das Bündel exakt lokalisierbar ist. Im EKG kann die Lage des Bündels anhand der resultierenden Blockierungen manchmal grob abgeschätzt werden. Klassisch ist hier das Präexzitationssyndrom mit δ-Welle: Bei extrem kurzer PQ-Zeit von <120 ms zeigt die folgende R-Zacke eine vorangehende, frühe Erregung. Diese Phänomene kommen durch die fehlende Verzögerung der über das akzessorische Bündel geleiteten Erregung zustande.
a
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b
Therapieindikationen . Abb. 26.17a, b. Schema für das epikardiale Mapping des linken (a) und des rechten Vorhofs (b)
Ergebnisse
Fokale atriale Tachykardien sind selten. Sie werden in der Regel im jüngeren Lebensalter symptomatisch und einer Therapie zugeführt. Die Chirurgie hat dabei sehr gute Ergebnisse mit minimaler Sterblichkeit und niedriger Rezidivrate erbracht. Trotzdem ist das offene chirurgische Verfahren mittlerweile durch die interventionellen Kathetertechniken im elektrophysiologischen Katheterlabor so weit zurückgedrängt worden, dass ein chirurgisches Vorgehen nur noch in sehr seltenen Fällen erforderlich ist. Hier ist dann meistens durch die elektrophysiologische Untersuchung die Lokalisation des Fokus bereits erfolgt, sodass der Kardiologe dem Herzchirurgen ganz klar das zu abladierende oder exzidierende Areal angeben kann. Akzessorische Leitungsbahnen. Als akzessorische Leitungsbahnen werden solche Bahnen bezeichnet, die unabhängig und anatomisch getrennt vom AV-Knoten Erregungen von den Vorhöfen auf die Kammern weiterleiten können. Früher wurde nach der Lokalisation und der Erstbeschreibung in Lown-Ganong-Levine (LGL; medial, Trikuspidalanulus) und Wolff-Parkinson-White (WPW; lateral, Mitralanulus) unterschieden. Heute werden diese Bahnen – nicht zuletzt aufgrund der einheitlichen Therapie –
Bei Stellung der Diagnose einer akzessorischen Bahn ist grundsätzlich auch die Indikation zur Unterbrechung derselben gegeben. Neben der Einschränkung der Lebensqualität aufgrund der Beeinträchtigungen durch die auftretenden Tachykardien und hierdurch bedingte Leistungseinschränkungen besteht eine prophylaktische Indikation zur Vermeidung eines rhythmogenen Herztodes. Zusätzlich gilt es, auch die im Langzeitverlauf oft auftretende Kardiomyophathie, die offenbar tachykardieassoziiert ist, zu vermeiden. Medikamentöse Therapiemöglichkeiten bestehen in Form der Gabe von Antiarrhythmika. Dabei stellen die akzessorischen Bahnen noch eine Indikation zur Therapie mit Klasse-I-Antiarrhythmika dar. Klassischerweise wird bei dieser Indikation Ajmalin eingesetzt. Dieses bewirkt eine Verlangsamung der Leitungsgeschwindigkeit der akzessorischen Bahn und verlangsamt dadurch die auf die Kammern übergeleitete Frequenz. Allerdings ist die medikamentöse Therapie nur in der akuten Situation und als Anfallsprophylaxe bis zur Ablation von Bedeutung. Eine Langzeittherapie ist nicht indiziert. Die meisten anderen Antiarrhythmika, insbesondere β-Blocker und Klasse-IV-Substanzen (Kalziumantagonisten) führen durch die Verlangsamung der AV-Überleitung zu einer gesteigerten Leitung über die akzessorische Bahn, die unter einer solchen Medikation führend werden kann. Daher stellt das WPW-Syndrom eine Kontraindikation für diese Antiarrhythmika dar.
761 26.4 · Therapie
Interventionelle Therapie
Die chirurgische Therapie akzessorischer Leitungsbahnen und Bündel ist heute mehr und mehr durch die interventionellen Kathetertechniken verdrängt worden. Durch sie ist es bei deutlich geringerer Invasivität möglich, in Kombination mit der elektrophysiologischen Untersuchung die akzessorischen Bahnen zu abladieren und den chirurgischen Eingriff zu vermeiden. Hierdurch wurde die Letalität dieser Erkrankungen deutlich reduziert. Ein offenes chirurgisches Vorgehen ist daher nur noch in seltensten Fällen erforderlich. Dies führt allerdings dazu, dass die Gefahr besteht, dass diese Techniken in Vergessenheit geraten. Die seltenen Fälle, in denen es interventionell nicht gelingt, eine vollständige Ablation der akzessorischen Bahnen zu erreichen, machen es jedoch erforderlich, dass man sich diese chirurgischen Methoden im Bewusstsein behält.
Voraussetzungen zur Rhythmuschirurgie Intraoperatives Mapping. Die intraoperative elektrophysiologische Untersuchung dient im Wesentlichen der Bestätigung der präoperativen Diagnose und darüber hinaus der exakten intraoperativen Lokalisation des arrhythmogenen Substrats. Dazu wird zunächst durch programmierte Stimulation die Tachykardie ausgelöst. Dies kann zeitaufwendig sein, da durch die Änderung des elektrophysiologischen Milieus durch Thoraxeröffnung, Temperaturabsenkung und andere unbekannte Einflüsse evtl. keine Tachykardie ausgelöst werden kann, häufig Vorhofflimmern auftritt (z. B. bei WPW-Syndrom und fokalen atrialen Tachykardien), andere sog. nichtklinische Tachykardieformen ausgelöst werden oder instabile, nicht anhaltende Tachykardien auftreten. Ist die klinische Tachykardieform intraoperativ auslösbar und stabil, folgt die kartographische Erfassung des Ortes der frühesten Erregung. Hierzu dienen die an den Vorhöfen und den Ventrikeln befestigten epikardialen Elektroden, die die Referenzelektrogramme liefern. Mit einer Abtastelektrode (Fingerringelektrode; . Abb. 26.18) werden dann die Oberflächen von Vorhof oder Ventrikel entsprechend angefertigter Schemata abgetastet (Mapping; . Abb. 26.19). Der Kardiologe im Operationssaal nimmt die Elektrogramme auf einem Papierschreiber auf und misst die zeitliche Differenz zwischen Referenz- und Abtastsignal. Der Ort der kürzesten Überleitungszeit während der Tachykardie bestimmt die Lokalisation des arrhythmogenen Substrats. Im Fall der Nichtauslösbarkeit einer Tachykardie bei anamnestisch sicherer lebensbedrohlicher Tachykardie wird man sich entweder auf das präoperative Kathetermapping allein verlassen müssen (z. B. bei WPW-Syndrom) oder zusätzlich ein Sinusrhythmusmapping (bei ventrikulären Tachykardien) durchführen. In der Regel führt man ein epikardiales Mapping (bei fokaler atrialer Tachykardie, WPW-Syndrom oder nichtischämischer ventrikulärer Tachykardie) am schlagenden Herzen und ohne extrakorpo-
. Abb. 26.18. Intraoperatives Mapping. Epikardiale Referenzelektroden werden an der Vorderseite des rechten Ventrikels und am rechten Herzohr aufgenäht. Als endokardiale Referenzelektrode wird eine bipolare Schrittmachersonde über den rechten Vorhof in den rechten Ventrikel gelegt. Mit einer bipolaren Fingerringelektrode (rechts oben) tastet man die Herzoberfläche epikardial ab
rale Zirkulation durch. Der Anästhesist wirkt dabei durch Hebung des peripheren Widerstandes einer Hypotension entgegen. Technische Möglichkeiten. Zur Ablation des elektrophysiologischen Substrats steht die chirurgische Durchtrennung mit dem Skalpell zur Verfügung. Zusätzliche technische Maßnahmen sind Kryothermie, Elektrokoagulation und Lasertechnik.
Zugang und extrakorporale Zirkulation Chirurgischer Zugang und Einsatz der extrakorporalen Zirkulation richten sich nach der Lage der akzessorischen Leitungsbahn und der Wahl der chirurgischen Methode. Zur endokardialen transatrialen Durchtrennung akzessorischer Leitungsbahnen (nach Sealy) wird das Herz grundsätzlich mittels Sternotomie freigelegt und unter Einsatz der Herz-Lungen-Maschine operiert. Für die epikardiale Durchtrennung ist zwar kein kardioplegischer Stillstand erforderlich, da die Vorhöfe nicht eröffnet werden müssen, doch ist auch hier zur Gewährleistung einer optimalen Exposition der Anschluss an die extrakorporale Zirkulation empfehlenswert, um in Hinblick auf die Vermeidung der Verletzung umliegender Strukturen (z. B. Ramus circumflexus, linksseitiger atrialer/ventrikulärer Übergang) eine optimale Übersicht zu gewährleisten.
Intraoperatives Mapping Referenzelektroden werden epikardial am rechten und linken Vorhof, am rechten und linken Ventrikel und ggf. als mehrpoliger Katheter im Koronarsinus platziert. Nach Vorbereitung zum Anschluss an die Herz-Lungen-Maschine
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b
a
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d c
WPW-Syndrom
e
. Abb. 26.19a–e. a–c Mappingpunkte am atrioventrikulären Übergang zum epikardialen Mapping bei Wolff-Parkinson-White-Syndrom (nach Gallagher); d intrakardiale Mappingpunkte für septale akzessorische Leitungsbahnen; e Aufsicht auf die Herzklappenebene und Verteilung der Mappingpunkte zur Lokalisation akzessorischer Leitungsbahnen. RA rechtes Atrium; RV rechter Ventrikel
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löst man die atriale Tachykardie durch programmierte Stimulation aus. Bei stabiler Vorhoftachykardie wird die atriale Seite der AV-Rinne mit einer bipolaren Elektrode entsprechend den modifizierten Gallagher-Schemata abgetastet. Normalerweise kommt eine Fingerringelektrode zum Einsatz, weil dadurch ein extremes Herausheben des Herzens vermieden wird. Häufig kommt es zum Vorhofflimmem oder Vorhofflattem, das man jeweils durch Kardioversion beenden muss. Ist keine stabile Vorhoftachykardie auslösbar, muss das atriale Mapping unter Ventrikelstimulation erfolgen. Anschließend wird durch epikardiales ventrikuläres Mapping unter Vorhofstimulation die antegrade Überleitung bestimmt. Als geeignet haben sich multipolare Elektroden erwiesen, die man um die halbe oder gesamte Zirkumferenz des AV-Übergangs legt. Bei entsprechender technischer Ausstattung kann die kürzeste AV-Überleitung auf diese Weise bereits nach wenigen Schlägen bestimmt weden. Septale Leitungsbahnen müssen selbstverständlich unter normothermem Bypass durch den eröffneten rechten Vorhof elektrophysiologisch aufgesucht werden, und zwar zweckmäßigerweise zunächst der AV-Knoten bzw. das HisBündel. Danach unterscheidet man die rechtsanterioren von den posteroseptalen Bündeln. Beide Lokalisationen stellen besondere Ansprüche an die prä- und intraoperative elektrophysiologische Diagnostik. Bestehen bei einem Patienten mit WPW-Syndrom Tachykardien mit unterschiedlicher EKG-Morphologie, kann schon präoperativ an die Möglichkeit einer Mehrfachlokalisation gedacht werden. Als Mehrfachbündel sind jedoch nur diejenigen Strukturen anzusprechen, bei denen durch epikardiales Mapping eine eindeutige getrennte Leitung nachweisbar ist. Bei dicht nebeneinander lokalisierter Aktivität stellt sich die Frage, ob 2 getrennte akzessorische Leitungsbahnen isoliert vorliegen oder ob es sich um eine einzige, fächerförmige akzessorische Leitungsbahn mit mehrfachen Verzweigungen handelt. Akzessorische Leitungsbahnen ziehen nur selten auf dem kürzesten Weg in gerader Linie vom Vorhof zur Kammer. Häufiger verlaufen sie über eine kurze Strecke zusammen mit den Koronargefäßen im AV-Sulkus, um erst dann in die Ventrikelmuskulatur zu inserieren. Nach beendeter chirurgischer Dissektion ist das erste Zeichen einer erfolgreichen Operation die Abwesenheit der δ-Welle im Oberflächen-EKG. Ein ventrikuläres Mapping unter atrialer Stimulation sollte ausschließlich eine AV-Knoten-Überleitung zeigen. Ein weiteres Indiz für die vollständige Durchtrennung der akzessorischen Leitungsbahn ist der Nachweis der retrograden Leitung über den AV-Knoten unter ventrikulärer Stimulation, bei der keine retrograde Leitung über die akzessorische Bahn sichtbar ist. Die Kammer wird dabei mit steigender Frequenz stimuliert, bis die retrograde 1:1-Überleitung in einen AVBlock zweiten Grades vom Typ I (Wenckebach) umschlägt.
Operative Technik Rechtsseitige Leitungsbahnen. Als operative Techniken kommen infrage: 4 Endokardiale Technik (nach Sealy). Nach Eröffnung
des rechten Vorhofs (am totalen Bypass) wird im Bereich der akzessorischen AV-Überleitung eine transmurale atriale Inzision mit einer Länge von etwa 1– 2 mm oberhalb des Trikuspidalklappenanulus angelegt. Die Inzision wird nach beiden Seiten um etwa 2 cm erweitert. Das die rechte Koronararterie enthaltende Fettgewebe ist sorgfältig von dem darunter liegenden atrialen und ventrikulären Myokard zu trennen. Anschließend wird der supraanuläre Einschnitt mit nichtresorbierbarem Nahtmaterial (monofil, Stärke 4/0) verschlossen. 4 Epikardiale Technik. Am Ort der frühesten Erregung wird das Epikard zunächst atrial, später auch auf der ventrikulären Seite inzidiert. Die Inzision erstreckt sich zu beiden Seiten der festgelegten Lokalisation der Bündel über mindestens 2 cm. Vorhofwand und Ventrikelmuskulatur werden vom Fettgewebe gesäubert, bis der Trikuspidalring identifizierbar ist. Dabei wird auf eine sorgfältige Präparation der rechten Kranzarterie Wert gelegt, da eine vollständige Mobilisierung des Fettkörpers nur bei Durchtrennung von Vorhofvenen und Vorhofarterien gelingt (. Abb. 26.20). Auf der ventrikulären Seite können nur Venenäste durchtrennt werden, während man die Koronararterienäste lediglich präpariert und isoliert. 4 Modifikation. Bei Vorliegen rechtslateraler akzessorischer Leitungsbahnen wird eine vollständige transmurale Durchtrennung der Vorhofwand parallel zum
. Abb. 26.20. Epikardiale Dissektion bei Wolff-Parkinson-White-Syndrom mit linkslateralen Leitungsbahnen. Durchtrennen des Fettkörpers im atrioventrikulären Übergangsbereich und sorgfältige Präparation der V. cordis magna
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. Abb. 26.21. Epikardiale Durchtrennung akzessorischer Leitungsfasern an der rechten freien Wand. Die Vorhof- und Ventrikelmuskulatur wird sorgfältig präpariert und die rechte Koronararterie mobilisiert. Die Seitenäste zum Vorhof werden durchtrennt. Eine (übertrieben dargestellte) Faserverbindung zwischen rechtem Vorhof und rechtem Ventrikel durchtrennt man mit dem scharfen Häkchen
Trikuspidalring durchgeführt (. Abb. 26.21). Das Absetzen des rechten Vorhofs erfolgt mit Schere oder Skalpell unter sorgfältiger Beachtung der rechten Kranzarterie. Die Inzision wird im Bereich der Lateralwand begonnen und nach hinten bis zur Crux, nach vorne bis unmittelbar in das anteriore Septum verlängert. Kleinere arterielle oder venöse Vorhofäste werden ligiert und durchtrennt. Anschließend wird die Vorhofwand mit monofilem Faden der Stärke 4/0 wieder vereinigt. Bei Vorliegen anteroseptaler bzw. rechtsanteriorer Bündel wird wie bei rechtslateralen akzessorischen Leitungsbahnen verfahren. Entscheidend ist, dass man nach der Vorhoferöffnung unter Einsatz der Herz-Lungen-Maschine zunächst das His-Bündel lokalisiert. Dann kann die rechte Vorhofwand unter Einbeziehung des epikardialen Fettgewebes entlang der Aortenbasis vollständig durchtrennt werden. Die chirurgische Dissektion kann am schlagenden Herzen erfolgen, wobei eine gute Übersicht nur bei ausreichender Absaugung des Koronarblutes gewährleistet ist. Dabei ist von Vorteil, dass man eine Schädigung der AV-His-Region intraoperativ erkennen kann. Ist die AV-His-Region jedoch mittels einer elektrophysiologischen Untersuchung definitiv lokalisiert worden, ist eine chirurgische Dissektion am kardioplegisch stillgelegten Herzen zufriedenstellender. Bei Nachweis posteroseptaler akzessorischer Leitungsbahnen wird eine kombinierte epikardiale und endokardiale Dissektion vorgenommen. Die transmurale Inzision beginnt wie bei rechtslateraten akzessorischen Leitungsbahnen 1–2 mm oberhalb der Trikuspidalklappe im posterolateralen Bereich. Sie wird dann zum posterioren Septum fortgeführt und erreicht den sog. Pyramidenraum. Dieser Raum darf nur mit äußerster Vorsicht dargestellt
werden, da durch Zug Verletzungen des AV-Knotens und der in den Koronarsinus einmündenden Koronarvenen entstehen können. Das gesamte Fettgewebe des Pyramidenraums wird an der Vorhofmuskulatur vom Ventrikelmyokard abgetrennt. Neben den einmündenden Venen ist auch die AV-Knoten-Arterie zur kompletten Leitungsunterbrechung zu durchtrennen. Septal wird das Myokard bis unmittelbar an den AV-Knoten heran inzidiert. Dabei ist es wesentlich, dass man die darunter liegenden Strukturen, d. h. Bindegewebefasern, Fett und Gefäße, sicher durchtrennt. In der Regel wird hier unter Schonung des AV-Knotens eine Kryoläsion gesetzt. Dabei sollte man die Kryosonde streng unterhalb des Ostiums des Koronarsinus in dorsokaudaler Richtung aufsetzen. Da man davon ausgehen muss, dass posteroseptale Bündel vom atrialen Septum sowohl zum rechten als auch zum linken Ventrikel ziehen können, ist der Pyramidenraum zu beiden Seiten bis zur Crux cordis zu präparieren, auch unter Durchtrennung der linksposterioren Vorhofwand. Linksseitige Leitungsbahnen. Hier kommen folgende Operationstechniken infrage: 4 Endokardiale Technik- (nach Sealy). Linksseitige ak-
zessorische Leitungsbahnen werden über eine Atriotomie erreicht, wie man sie zur Darstellung der Mitralklappe benutzt, d. h. im Sulcus interatrialis parallel zum interatrialen Septum oder durch das Dach des linken Vorhofs. Nach sorgfältiger Einstellung der Mitralklappe wird die atriale Wand 1–2 mm parallel des Randes des posterioren Segels inzidiert (. Abb. 26.22). Nach Durchtrennung des Vorhofmyokards wird, indem man an der anterioren Kommissur beginnt, das Fett des AV-Sulkus mit Koronarskalpell, scharfem Häkchen und Präpariertupfer sorgfältig präpariert. Die A. circumflexa, die V. cordis magna und ihre Seitenäste werden sorgfältig dargestellt und nur die venösen sowie die arteriellen Vorhofäste ligiert. Das epikardiale Fett wird nun unter Durchtrennung aller Strukturen von Vorhofmuskulatur und Ventrikelmuskulatur abgetrennt. In der Regel setzt man 2–3 Kryoläsionen auf das präparierte Vorhof- und Ventrikelmyokard, wobei die Äste der A. circumflexa häufig nicht – wie gewünscht – zu schonen sind. Die paravalvuläre Inzision wird anschließend mit monofilem 5/0-Faden fortlaufend verschlossen. Nach Verschluss des linken Vorhofs und Freigabe der Koronarzirkulation wird der kardiopulmonale Bypass routinemäßig beendet. 4 Epikardiale Technik. Am Ort der frühesten Erregung wird das epikardiale Fett zunächst atrial, später auch auf der ventrikulären Seite präpariert. Die Inzision erstreckt sich wiederum über mindestens 2 cm zu beiden Seiten der festgelegten Bündellokalisation. Bei der Präparation des Fettkörpers am atrioventrikulären Übergang müssen die A. circumflexa und ihre posterolateralen Äste
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mern direkt betreffen, sind Herzleistung und Herzzeitvolumen direkt beeinträchtigt – bis hin zum Kreislaufstillstand bei schnellen, anhaltenden ventrikulären Tachykardien oder Kammerflimmern. Die Therapie der ventrikulären Rhythmustörungen hat sich in den letzten Jahren stark verändert. Wurden früher verschiedenste antiarrhythmische Regimes angewandt, die sich im Wesentlichen auf das Langzeit-EKG bezogen und bereits polymorphe ventrikuläre Extrasystolen oder Couplets als Indikation zugrunde legten, so steht heut die elektrophysiologische Untersuchung an erster Stelle. Diese gibt Aufschluss über die Auslösbarkeit ventrikulärer Arrhythmien sowie deren Ursprung und Charakter.
Konservative Therapie . Abb. 26.22. Endokardiales Vorgehen zur Durchtrennung linkslateraler Leitungsbahnen bei Wolff-Parkinson-White-Syndrom. Einstellung der Mitralklappe durch Öffnung des linken Vorhofs im Sulcus interatrialis und Durchtrennung der linken Vorhofwand parallel zum Mitralklappenring, beginnend an der vorderen Kommissur
sowie die V. cordis magna sorgfältig dargestellt werden. Das Fettgewebe wird entfernt, bis der Mitralring zu sehen ist. Eine vollständige Mobilisierung der Gefäße gelingt atrial nur bei Durchtrennung von Vorhofvenen und Vorhofarterien. Auf der ventrikulären Seite können nur Venenäste durchtrennt werden, während man die Koronararterienäste lediglich präpariert und isoliert. Dabei kann die V. cordis magna in ihrem distalen Anteil problemlos durchtrennt und in ihrem proximalen Anteil sehr ausgiebig von Vorhof und Ventrikelwand abgesetzt werden. Die chirurgische Therapie des WPW-Syndroms kann mit guten Erfolgsraten und niedrigem Risiko vorgenommen werden. Die Erfolgsrate liegt bei 90–100 %, die Morbidität (AV-Block dritten Grades) bei 0–4,5 % und die Letalität bei 0–5 %. Bei einer unvollständigen Durchtrennung, bedingt durch inkomplette Diagnostik, Vorliegen von Mehrfachbündeln und unvollständige chirurgische Technik, wird eine Re-Operationsrate von 0,5–16 % angegeben. Trotzdem ist die chirurgische Therapie heute weitgehend von den interventionellen Kathetertechniken verdrängt worden. 26.4.3.3
Ventrikuläre Tachykardien
Die ventrikulären Rhythmusstörungen wurden ursprünglich nach Lown in 4 Klassen eingeteilt, wobei die Einteilung streng genommen nur für Patienten nach Myokardinfarkt galt. Prognostisch relevant ist die Unterscheidung in einzelne Extrasystolen bis hin zum Bigeminus, Couplets und ventrikuläre Salven. Hämodynamisch wirksam sind meist erst höhergradige Störungen mit mehr als 2 aufeinander folgenden Schlägen, die dann unter dem Begriff »ventrikuläre Tachykardien« subsumiert werden. Da sie die Kam-
Die isolierte konservative Therapie ventrikulärer Rhythmusstörungen ist in den letzten Jahren stark zurückgedrängt worden. Grund hierfür sind zum einen die Ergebnisse mehrerer Studien, die bei vielen Arrhythmien durch die proarrhythmogene Wirkung der Medikamente für die Therapiegruppen ein gesteigertes Letalitätsrisiko gezeigt haben (CAST-Study; Obias-Manno et al. 1996). Zum anderen wurden die AICD schnell weiterentwickelt und standardisiert, sodass sie bei allen potenziell bedrohlichen ventrikulären Rhythmusstörungen bei Therapie und Prophylaxe grundsätzlich an erster Stelle stehen. Hier wurde zudem in großen Studien eine klare Senkung der Letalität aufgrund arrhythmogener Ereignisse oder eines plötzlichen Herztodes gezeigt. Bei potenziell nicht lebensbedrohlichen Arrhythmien hingegen ist die medikamentöse Therapie aufgrund der Nebenwirkungen der Antiarrhythmika sowie wegen des fehlenden Effekts bei niedrigem Risiko der Grunderkrankung heute kaum noch indiziert. Lediglich für subjektiv als unangenehm empfundene Rhythmusstörungen wie z. B. gehäufte ventrikuläre Extrasystolen gibt es die Empfehlung, das Auftreten dieser Extraschläge durch eine β-BlockerTherapie zu vermindern und hierdurch eine gewisse Verbesserung der Beschwerden zu erreichen. Als einzige Substanz wird derzeit das Klasse-III-Antiarrhythmikum Amiodaron eingesetzt (Yap u. Camm 1999). Dieser Kaliumkanalblocker mit leichter β-blockierender Wirkung konnte im Vergleich zu Kontrollgruppen bislang deutlich bessere Ergebnisse hinsichtlich des Auftretens arrhythmogener Ereignisse im Langzeitverlauf zeigen. Allerdings schränken die schweren und häufigen Nebenwirkungen (Lungenfibrose, Hyperthyreose, Augen- und Leberschädigungen und andere) die Langzeittherapie ein.
Revaskularisation Die meisten ventrikulären Rhythmusstörungen treten heute als Folge einer koronaren Herzerkrankung auf, sei es als direkte Infarktfolge oder als Zeichen transitorischer Ischämien. Bei den infarktassoziierten Arrhythmien ist zwischen den früh aufretenden (48-h-Intervall nach Infarkteintritt)
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Kapitel 26 · Chirurgie bei tachykarden Rhythmusstörungen und Herzschrittmachertherapie
und den späten, chronischen Arrhtyhmien zu unterscheiden. Während Erstere als Ausdruck der akuten Ischämie mit wechselnden Erregungsausbreitungsgeschwindigkeiten sowie Repolarisationszeiten zu werten sind und nach der Akutphase oftmals verschwinden, sind Letztere Zeichen für ein chronisch geschädigtes Areal mit einer Narbenrandzone, in der unterschiedliche Repolarisationszeiten und/oder Leitungsgeschwindigkeiten vorliegen. Beruhen diese auf einer fortbestehenden Ischämie, so kann das Substrat durch eine Revaskularisation beseitigt werden. Basieren sie jedoch auf den elektrophysiologischen Eigenschaften einer »stabilen« Narbe, so erbringt die Revaskularisation hinsichtlich der Arrhythmien keinen Erfolg. Bei anhaltenden ischämischen Attacken hingegen ist die Revaskularisation, ob chirurgisch oder interventionell, die Therapie der Wahl, da sich hierdurch nicht nur eine weitere Infarzierung abwenden lässt, sondern auch die Ursache der Rhythmusstörungen kausal angegangen wird. Bei vielen Patienten kann die Implantation eines AICD oder eine langfristige medikamentöse Therapie auf diese Weise unnötig werden. ! Daher ist die Erhebung des Koronarstatus mit Hilfe der Koronarangiographie für jede Diagnostik ventrikulärer Rhythmusstörungen zwingend erforderlich.
Automatische implantierbare Defibrillatoren (»automatic internal cardioverters/defibrillators«, AICD) Im Jahre 1980 implantierten Mirowsky und Mitarbeiter erstmals einen AICD, der in der Lage war, Kammerflimmern zu erkennen und durch Abgabe eines Gleichstromstoßes eine geordnete Herztätigkeit wiederherzustellen. Das technische Konzept des AICD besteht aus einem Generator mit Lithiumbatterien. Nach Detektion einer ventrikulären Tachykardie oberhalb der eingestellten Grenzfrequenz durch die ventrikuläre Wahrnehmungselektrode laden die Batterien einen Kondensator auf. Bei den ursprünglichen Geräten wurde dann über 2 am Herzen anliegende Flächenelektroden mit einer Ausdehnung von 10 bzw. 20 cm2 ein Gleichstromstoß abgegeben. Sofern eine Defibrillation beim ersten Mal nicht möglich war, konnten bis zu 4 Schocks mit steigender Energie abgegeben werden. Die AICD-Implantationen haben in den vergangenen Jahren stark zugenommen. Dies ist auf die deutlich vereinfachte, standardisierte Implantation aufgrund der Verwendung endokardialer Systeme zurückzuführen. Durch den in großen Studien geführten Nachweis des Verhinderns eines plötzlichen (arrhythmogenen) Herztodes wurden die Indikationsstellungen zunehmend erweitert, bis hin zur Primärprophylaxe (s. unten). Indikationen. Das Primärziel der AICD-Therapie ist die
Lebensverlängerung durch eine Verhinderung des plötzlichen (arrhythmogenen) Herztodes. Als Sekundärziele
werden in der Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie, Herz- und Kreislaufforschung (Jung et al. 2006) eine Erhöhung der Lebensqualität sowie eine Verminderung des Morbiditätsrisikos genannt. Diese Ziele werden v. a. durch eine geringere Häufigkeit an Hospitalisationen, ein größeres Sicherheitsgefühl bezüglich potenziell lebensbedrohlicher Arrhythmien und moderne Geräte, die inadäqute Schockabgaben vermeiden, erreicht. Die Therapieindikationen zur Implantation eines AICD umfassen daher: 4 Sekundärprävention, 4 Primärprävention, 4 hereditäre Erkrankungen. Die Sekundärprävention bedeutet hier, dass ein entsprechendes Ereignis bereits aufgetreten ist (überlebter HerzKreislauf-Stillstand, arrhythmogene Synkope, dokumentierte stabile ventrikuläre Tachykardie). Die Indikation besteht dann zur Prophylaxe eines Rezidivs. Grundvorraussetzung ist, dass dieses Ereignis (sog. Indexereignis) nicht durch sicher vermeidbare oder einmalige Ursachen ausgelöst wurde. Zu diesen zählen ein Herzinfarkt im 48-h-Intervall, ein WPW-Syndrom sowie eine durch Antiarrhythmika oder eine Hypokaliämie ausgelöste Torsade-de-pointes-Tachykardie. Eine Sonderstellung nehmen die hämodynamisch stabilen Kammertachykardien ein. Sie sind als elektrokardiographisch gesicherte Kammertachykardien (über >30 s anhaltend) definiert, die nicht mit einer bedeutsamen hämodynamischen Einschränkung oder einer Angina-pectoris-Symptomatik einhergehen. Da keine prospektiven Studien zum Spontanverlauf vorliegen, handelt es sich um eine Klasse-IIb-Empfehlung zur AICD-Implantation. Für diese Therapie konnte aufgrund der fehlenden Vergleichsgruppen zudem kein Überlebensvorteil nachgewiesen werden. Die Primärprävention richtet sich gegen das primäre Auftreten eines Indexereignisses bei Patienten, die aufgrund ihrer Grunderkrankung ein bekannt hohes Risiko für einen plötzlichen Herztod aufweisen. Die größte Gruppe stellen Patienten nach Myokardinfarkt dar. Bei Patienten, die im subakuten Stadium (6–40 Tage) eine linksventrikuläre Ejektionsfraktion von <35 % sowie eine gestörte kardiale autonome Regulation aufweisen (gemessen an einer reduzierten Herzfrequenzvariabilität oder einer erhöhten mittleren 24-h-Herzfrequenz), konnte bislang kein Überlebensvorteil durch eine AICD-Implantation nachgewiesen werden, da sich eine Verschiebung von arrhythmogener hin zu nichtarrhythmogener, aber trotzdem kardial bedingter Sterblichkeit vollzog (»defibrillator in acute myocardial infarct trial«, DINAMIT-Studie). Im Gegensatz dazu konnte die MADIT-II-Studie (MADIT: »multi center automatic defibrillator implantation trial«) bei Patienten im chronischen Infarktstadium mit einer Ejektionsfraktion von <30 % eine deutliche Reduktion der Gesamtletalität durch Abnahme der arrhythmogenen Sterblichkeit zeigen (Moss et al. 2002; Wilber et al. 2004).
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Bei Patienten mit dilatativer nichtischämischer Kardiomyphathie ließ sich bislang kein Überlebensvorteil durch eine AICD-Implantation feststellen. Daher bleibt die AICDTherapie bei diesen Patienten eine individuelle Entscheidung, die durch zusätzliche Befunde (Langzeit-EKG, elektrophysiologische Untersuchung) gestützt werden sollte. Einen klareren Vorteil bringt die AICD-Implantation bei Patienten mit systolischer Herzinsuffizienz im NYHAStadium II oder III mit einer Ejektionsfraktion von <35 %, insbesondere bei gleichzeitiger Indikation zu einer Resynchronisationstherapie. Da sich die Überlebenskurven allerdings erst nach einem Nachuntersuchungszeitraum von 18 Monaten zugunsten der AICD-Gruppe auseinanderentwickeln, profitieren nur jene Patienten von dieser Primärprophylaxe, die eine Lebenserwartung von mindestens 2 Jahren haben. Bei hereditären Erkrankungen, die mit ventrikulären Arrhythmien assoziiert sind, besteht derzeit keine eindeutige Studienlage hinsichtlich der Primärprophylaxe, meist aufgrund fehlender Kollektive mit ausreichenden Fallzahlen, insbesondere in den Kontrollgruppen (Spontanverlauf). Die Therapie muss hier also individuell unter Zuhilfenahme zusätzlicher Untersuchungen (Langzeit-EKG, elektrophysiologische Untersuchung) geplant werden. Die Indikation zur Sekundärprophylaxe ist selbstverständlich gegeben. Die derzeitigen Empfehlungen sind in . Tab. 26.2 aufgeführt.
Implantationstechnik. Die Implantationstechnik entspricht dem für die endokardialen Schrittmacher beschriebenen Vorgehen. Ventrikuläre Patch-Elektroden werden heute praktisch nicht mehr verwendet. Lediglich sog. Fingerelektroden, die in der lateralen Thoraxwand subkutan implantiert werden, sind in seltenen Fällen bei hoher Defibrillationsschwelle erforderlich. Diese werden stumpf – ausgehend von der Aggregattasche –entlang der Rippen nach dorsal vorgeschoben. Grundsätzlich sind für eine AICDImplantation an der linkslateralen Thoraxwand und rechts parasternal externe Defibrillations-Patches aufzukleben und mit dem entsprechenden Gerät zu konnektieren. Beim Kleben der linkslateralen Elektrode ist darauf zu achten, dass diese nicht in den Strahlengang für die Durchleuchtung zur Elektrodenimplantation gerät. Aufgrund des größeren Durchmessers der AICD-Elektroden, die ja 1–2 Defibrillationselektroden (»coils«) sowie die normale ventrikuläre Wahrnehmungs- und Stimulationselektrode enthalten, können diese Sonden oft nicht über die V. cephalica implantiert werden, sodass häufiger die Punktion der V. subclavia zur Anwendung kommt. Alle übrigen Aspekte entsprechen denen der endokardialen Schrittmacherelektroden. Im Gegensatz zu der für Schrittmacher bevorzugten Lokalisation auf der rechten Seite werden AICD meistens links implantiert (. Abb. 26.23). Dies ist in der dann günstigeren Lage des elektrischen Feldes begründet, denn das Aggregat dient als Gegenpol für den Gleichstromschock.
. Tab. 26.2. Empfehlungen zum Einsatz automatischer implantierbarer Defibrillatoren Indikation
Empfehlung
Evidenz
Herz-Kreislauf-Stillstand durch Kammertachykardie oder Kammerflimmern
I
A
Kammertachykardie mit hämodynamischer Wirksamkeit
I
A
Nicht aufgezeichnete Synkope plus linksventrikuläre Ejektionsfraktion von <40 % nach Ausschluss anderer Ursachen und induzierbare Kammertachykardie
I
A
IIb
C
Innerhalb der ersten 4 Wochen nach Myokardinfarkt, linksventrikuläre Ejektionsfraktion von <35 % und reduzierter autonomer Tonus
III
B
Mindestens 4 Wochen nach Myokardinfarkt und linksventrikuläre Ejektionsfraktion von <35 %
I
B
IIb
A
I
B
Indikationen in Abhängigkeit vom Indexereignis (Sekundärprävention)
Stabile Kammertachykardien Hämodynamisch stabile Kammertachykardien Primärprävention nach Myokardinfarkt
Primärprävention bei nichtischämischer Kardiomyopathie Dilatative Kardiomyopathie mit linksventrikulärer Ejektionsfraktion von <35 % und einer Dauer von >9 Monaten Primärprävention bei Herzinsuffizienz NYHA-Stadium II/III mit linksventrikulärer Ejektionsfraktion von <35 % NYHA New York Heart Association
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. Abb. 26.23. Elektrisches Feld bei Implantation eines AICD (»automatic internal cardioverter/defibrillator«) links mit »Dual-coil«Elektroden (A, B). Die Hauptmasse beider Ventrikel liegt im elektrischen Feld zwischen dem Gerät und den beiden Elektroden. Hierdurch werden in der Regel gute Defibrillationsschwellen erzielt, die nur selten zusätzliche Elektroden erforderlich machen
Bei rechtsseitiger Implantation liegt dementsprechend die Hauptmasse der Ventrikel nicht im elektrischen Feld (. Abb. 26.24), was zu höheren Defibrillationsschwellen führen kann. Die Implantation erfolgt in Lokalanästhesie unter anästhesiologischer Überwachung. Für die Testschocks wird eine kurze Maskennarkose durchgeführt. Alternativ kann man den gesamten Eingriff natürlich auch in Intubationsnarkose durchführen. Über einen infraklavikulären Schnitt wird analog zur Schrittmacherimplantation die V. cephalica freigelegt. Da sich diese bei einem 2-Kammer-AICD oft als zu kleinlumig für die Aufnahme der dickeren ventrikulären Defibrillationselektroden und der atrialen Elektrode erweist, wird von vielen Chirurgen bereits primär die V. subclavia punktiert. Als ventrikuläre Elektroden stehen Anker- und Schraubelektroden zur Verfügung, wobei Letztere eine etwas sicherere Verankerung ermöglichen. Da die ventrikuläre Elektrode nicht nur eine ventrikuläre Wahrnehmungsund Stimulationsfunktion hat, sondern auch die »coils« enthält, ist sie im Vergleich zu nomalen Schrittmacherelektroden deutlich dicker. Die »coils« entsprechen den Defibrillations-Patches früherer Zeiten. Der relativ starke Strom, der durch sie geleitet wird, stellt entsprechende An-
. Abb. 26.24. Elektrisches Feld bei Implantation eines AICD (»automatic internal cardioverter/defibrillator«) rechts mit »Single-coil«-Elektrode (A). Der Großteil des Herzens und insbesondere des linken Ventrikels liegt außerhalb des eigentlichen Defibrillatorfeldes. Dies kann hohe Defibrillationsschwellen zur Folge haben
forderungen an die Isolation, und zwar sowohl gegenüber dem Wahrnehmungs-/Stimulationsteil als auch gegenüber dem umliegenden Gewebe. Bereits kleinste Isolationsdefekte können hier durch Kriechströme die Schockabgabge ineffektiv machen. Als Vorhofelektroden kommen hingegen die auch bei 2-Kammer-Schrittmachern üblichen Elektroden zur Anwendung. Nach Implantation der Elektroden werden diese bezüglich ihrer Wahrnehmungs- und Stimulationsfunktion analog zur Schrittmacherimplantation getestet. Dann erfolgt unter Einleitung einer Maskennarkose (oder Vertiefung der Intubationsnarkose) die Bildung einer submuskulären Tasche unter dem M. pectoralis major. Da auch die AICD zunehmend kleiner und flacher werden, gibt es bereits subkutan implantierbare Geräte. Allerdings ist dieses Vorgehen aufgrund der immer noch größeren Perforations- und Dislokationsgefahr derzeit noch Ausnahmefällen vorbehalten. ! Bei der Präparation der submuskulären Tasche ist darauf zu achten, dass diese nach medial hin präpariert wird, um ein Wandern des Geräts nach lateral in die Achselhöhle zu verhindern.
Ist die Tasche fertiggestellt, werden die Elektroden an das Aggregat angeschlossen, und dieses wird in der Tasche versenkt. Anschließend platziert man einen sterilen bzw. steril überzogenen Telemetriekopf über dem Aggregat. Hierüber fragt der Techniker, der in der Regel von der Herstellerfirma
769 26.4 · Therapie
aus die Implantation begleitet, das Gerät ab und führt nochmals eine Testung der Elektroden durch. Anschließend erfolgt nach Absprache mit dem Anästhesisten die Induktion von Kammerflimmern durch einen sog. T-Wellen-Schock. Hierbei wird zunächst eine schnelle ventrikuläre Stimulation begonnen und dann auf die T-Welle ein Gleichstromschock abgegeben. Dabei ist darauf zu achten, dass der Telemetriekopf über dem Aggregat festgehalten wird. Der Techniker sieht dann auf seinem Telemetriegerät, ob der AICD das Kammerflimmern korrekt detektiert, den Kondensator hochlädt und den Schock abgibt. Geschockt wird mit 2/3 der maximalen Kapazität, meistens mit 21 J. Grundsätzlich gilt, dass mit einer Energie von mindestens 10 J unterhalb der maximalen Energieabgabe des jeweiligen Geräts erfolgreich terminiert werden muss. Ist der Schock korrekt terminiert, kann man mit dem Wundverschluss beginnen, allerdings ohne Verwendung des Elektrokauters, da das Aggregat für den zweiten Testschock aktiviert bleibt. Nach etwa 5 min – abhängig von der hämodynamischen Erholung des Patienten von der ersten Flimmerphase – erfolgt dann analog zum ersten der zweite Testschock. Ist auch dieser erfolgreich, kann der Eingriff beendet werden. Gelingt es bei einem der Schocks nicht, das Kammerflimmern zu terminieren, lädt das Gerät erneut auf, diesmal bis auf die maximale Energie. Zeitgleich sollte der Anästhesist dann auch den externen Defibrillator aufladen, um bei einem erneuten Versagen des implantierten AICD extern defibrillieren zu können. Anschließend muss die Sondenlage verändert oder evtl. eine zusätzliche Coil-Elektrode in die V. cava superior (sog. SVC-Elektrode) implantiert werden oder man setzt die oben genannten Fingerelektroden ein. Letzteres ist heute aufgrund der weit entwickelten Technologie der Elektroden und der Aggregate allerdings nur sehr selten notwendig. Komplikationen. Grundsätzlichen können alle Komplikationen, die für die Schrittmachersysteme beschrieben wurden, auch bei den AICD auftreten. Die Therapie erfolgt ebenfalls entsprechend, insbesondere bei Systeminfektionen oder -perforationen. Letztere sind bei korrekter submuskulärer Implantation selten. Aufgrund des im Vergleich zu normalen Schrittmachern höheren Gewichts ist dagegen die Gefahr einer Luxation des Aggregats in Richtung Axilla deutlich größer. Das Aggregat stört dann bei den Exkursionen des Armes und kann zudem durch Kompression zu Nervenreizungen führen. Außerdem ist u. U. zusätzlich die Funktion des AICD beeinträchtigt. Aus diesen Gründen ist auf eine Präparation der Tasche nach medial hin sowie auf eine Fixierung des Aggregats durch eine Naht, beispielsweise mit 2/0-Prolene, zu achten. Häufig wird von Patienten die Frage nach der Fahrtauglichkeit bzw. der Befreiung von der Gurtpflicht gestellt. Zu Letzterem besteht kein Grund. Bei einem Unfall ist die Gefahr durch einen nicht angelegten Sicherheitsgurt in aller
Regel deutlich größer als die Verletzungsgefahr durch den Gurt im Bereich des AICD. Bei zur Primärprophylaxe implantierten AICD ist die Fahrtauglichkeit nicht eingeschränkt. Bei einer Sekundärprophylaxe sollte dem Patienten jedoch vom Autofahren abgeraten werden. Bei Auftreten von Kammerflimmern nehmen das Aufladen der Kondensatoren und die Schockabgabe etwa 20–30 s in Anspruch – eine Zeitspanne, die ausreicht, um bewusstlos zu werden. Dies stellt im Straßenverkehr ein unkalkulierbares Risiko dar. Allerdings muss dem Patienten vermittelt werden, dass diese Situation durch die Grunderkrankung und nicht durch den AICD gegeben ist. Auf jeden Fall ist der Patient zum Ausschluss haftungsrechtlicher Ansprüche über das besondere Risiko aufzuklären. Es existiert eine Empfehlung, dass das Fahrverbot 6 Monate nach der Implantation aufgehoben werden kann, sofern in dieser Zeit keine Schockabgabe notwendig war. Allerdings gibt es derzeit hierzu keine klaren juristischen Vorgaben. Bei Sondendefekten oder -dislokationen kann es zur Abgabe inadäquater Schocks kommen, wenn der AICD die Herzaktionen nicht mehr korrekt wahrnimmt. In solchen Fällen ist die Sondenlage radiologisch und die Funktion durch eine telemetrische Abfrage zu kontrollieren. Kann das Problem nicht durch Umprogrammieren gelöst werden, ist in der Regel eine Sondenrevision erforderlich. Bei dieser wird empfohlen, eine nicht mehr funktionierende ventrikuläre Elektrode komplett auszutauschen und nicht nur eine neue Wahrnehmungs- und Stimulationselektrode zu implantieren. Diese Empfehlung beruht auf der Unsicherheit, ob kleine Defekte tatsächlich nur die Wahrnehmungsfunktion und nicht auch die empfindliche Isolation der Defibrillationselektroden betreffen. Bei der Extraktion verhalten sich moderne AICD-Elektroden analog den Schrittmacherelektroden (Le Franc et al. 1999), sodass die Überlegungen zur Extraktion bzw. zum Belassen der Sonden identisch sind.
Chrirugische Therapie Mit Hilfe der oben genannten Mappingtechniken können die Foci für ventrikuläre Tachykardien im Rahmen einer Herzoperation am schlagenden Herzen identifiziert und anschließend mittels gezielter Endokardresektion oder Kryoblation ausgeschaltet werden (. Abb. 26.25–28). Diese chirurgischen Techniken zeigten hinsichtlich der Unterdrückung der Arrhythmien sehr gute Ergebnisse, sind heute aber durch ihre im Vergleich zur AICD-Implantation größere Invasivität und das höhere perioperative Risiko weitgehend zurückgedrängt worden. Eine gewisse Rolle spielt noch die Aneurysmektomie bei Vorliegen großer Herzwandaneurysmen. Da diese ebenfalls als Foci für ventrikuläre Arrhythmien infrage kommen, kann hier die Indikation zu einer chirurgischen Ausschaltung des Aneurysmas nicht nur aufgrund der Herzfunktion, sondern auch aus rhythmologischer Sicht gegeben sein. Umgekehrt benötigen viele Patienten nach chirurgischer Aneurysmaaus-
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Kapitel 26 · Chirurgie bei tachykarden Rhythmusstörungen und Herzschrittmachertherapie
. Abb. 26.25. Schema für das epikardiale Mapping bei ventrikulären Tachykardien
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. Abb. 26.26. Schema für das endokardiale Mapping (Blick in den an der Herzspitze eröffneten linken Ventrikel)
a
schaltung zusätzlich einen AICD, sodass hier generell die Empfehlung zu einer postoperativen elektrophysiologischen Untersuchung besteht.
Therapierefraktäre ventrikuläre Tachykardien In seltenen Fällen, insbesondere bei Kardiomyophathien, kann es zu einem derart häufigen Auftreten ventrikulärer Arrhythmien bis hin zum Kammerflimmern kommen, dass die Situation trotz der Implantation eines AICD nicht zufriedenstellend therapierbar ist, da aufgrund der häufigen Entladungen die Lebensdauer des Geräts extrem niedrig und zudem die Lebensqualität extrem schlecht ist und auch die Morbidität durch die häufigen Episoden ohne effektiven Kreislauf zunimmt. In solchen Fällen ist die Herztransplantation die letzte Option für den Patienten. Der AICD hat hier lediglich überbrückenden Charakter.
b . Abb. 26.27a, b. Subendokardresektion. Mit dem elektrischen Messer wird das Endokard des arrhythmogenen Areals abgeschält und das Subendokard dabei koaguliert
Arrhythmogene rechtsventrikuläre Dysplasie Die arrhythmogene rechtsventrikuläre Dysplasie ist eine seltene klinische Entität, die häufig mit einem Morbus Uhl vergesellschaftet ist. Der zugrunde liegende pathologische Prozess scheint ein fortschreitender Ersatz subepikardialer
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sind möglich, derzeit aber noch nicht nachgewiesen. Die derzeit einzige zur Verfügung stehende Therapie ist die Implantation eines AICD. Eine Transplantation wird jedoch, im Gegensatz zur arrhythmogenen rechtsventrikulären Dysplasie, nur selten erforderlich.
Literatur
. Abb. 26.28. Einsatz der Kryotechnik bei Ausdehnung des arrhythmogenen Areals auf Hinter- und Seitenwand, wenn eine Endokardresektion aufgrund von Trabekeln und Papillarmuskulatur nicht ausreichend bzw. nicht möglich ist; lokale Vereisung an der Basis des posterioren Papillarmuskels mit einer 10-mm-Kryosonde
Myokardfasern durch Fettgewebe zu sein (Fontaine et al. 1982). Der rechte Ventrikel zeigt hierdurch lokale Vorwölbungen, wobei der Prozess letztendlich den gesamten rechten Ventrikel befallen kann. Der linke Ventrikel ist u. U. mitbetroffen. Die Erkrankung tritt familiär gehäuft auf. Es scheint eine autosomal-dominante Vererbung, jedoch mit inkompletter Penetranz vorzuliegen. Basierend auf dem Umbau der Struktur des rechtsventrikulären Myokards kommt es durch Ausbildung von Makro-Reentries auf dem Boden der unterschiedlichen Leitungsgeschwindigkeiten zum Auftreten ventrikulärer Arrhythmien. Obwohl es Fallberichte über erfolgreiche lokale Exzisionen aus dem rechten Ventrikel gibt, existiert derzeit aufgrund der Progression der Erkrankung keine kausale Therapie, sodass in der Regel die Transplantation die einzige therapeutische Option für die meist jungen Patienten bleibt. Ein AICD hat hierbei den Charakter einer »Bridgeto-transplant«-Therapie. Allerdings sind die individuellen Verläufe sehr unterschiedlich, manche Patienten bleiben über Jahre stabil.
Brugada-Syndrom Das Brugada-Syndrom stellt ebenfalls eine seltene Ursache für ventrikuläre Arrhythmien dar. Es gehört zu den genetisch bedingten Syndromen, bei denen es offenbar zu einer (Punkt-)Mutation im Bereich des Natriumkanals gekommen ist (Chen et al. 1998; Verkerk et al. 2005). Die Mutationen liegen im sog. SCN5A-Gen, das für die α-Untereiheit des kardialen Natriumkanals kodiert. Andere Genstellen
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Kapitel 26 · Chirurgie bei tachykarden Rhythmusstörungen und Herzschrittmachertherapie
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27 Herztumoren und Erkrankungen des Perikards C. Schmid 27.1 27.1.1 27.1.2 27.1.3 27.1.4 27.1.5 27.1.6
Herztumoren – 775 Vorbemerkungen – 775 Chirurgische Anatomie – 775 Klinisches Erscheinungsbild – 777 Diagnostik und Indikationsstellung – 777 Operationsverfahren – 778 Komplikationen und Prognose – 780
27.2 27.2.1 27.2.2 27.2.3 27.2.4
27.1
Herztumoren
27.1.1
Vorbemerkungen
ebenfalls relativ selten; sie werden jedoch bei etwa 10–20 % aller Patienten gefunden, die an einer disseminierten Krebserkrankung versterben (Fine 1968; Silverman 1980).
Herztumoren sind selten und werden in großen Obduktionsstatistiken nur mit einer Inzidenz von 0,17–0,19 % gefunden, d. h. in etwa einem von 500 Fällen (Strauss u. Merliss 1945). Pathologisch-anatomisch werden primär benigne und maligne Tumoren sowie kardiale Metastasen unterschieden. ! Primäre Herztumoren sind in 75 % der Fälle benigne (Mc Allister u. Fenoglio 1978).
Den größten Anteil an den primär benignen Herztumoren hat mit 50 % das Myxom, gefolgt vom Rhabdomyom mit 20 % sowie verschiedenen weiteren nichtmyxomatösen Herztumoren mit 30 % (Silverman 1980). Unter den primär bösartigen Herztumoren haben die Sarkome mit 75 % den Hauptanteil, wobei eine exakte histologische Zuordnung in vielen Fällen nicht möglich ist (Mc Allister u. Fenoglio 1978). Die häufigsten Sarkome sind die Angiosarkome, gefolgt von Rhabdomyosarkomen, malignen Mesotheliomen und Fibrosarkomen (Mc Allister u. Fenoglio 1978). Sekundäre maligne Herztumoren, also kardiale Metastasen, sind
Erkrankungen des Perikards – 781 Vorbemerkungen – 781 Perikarderguss – 781 Pericarditis constrictiva – 783 Perikardzysten und Perikardtumoren – 785 Literatur
– 785
27.1.2
Chirurgische Anatomie
27.1.2.1
Myxome
Myxome sind mesenchymale Geschwülste des Herzens, die in jedem Lebensalter auftreten, überwiegend jedoch zwischen dem 30. und 60. Lebensjahr, wobei das weibliche Geschlecht etwa 2- bis 3-mal häufiger betroffen ist als das männliche (Bulkley u. Hutchins 1979). Die Myxome sind durchschnittlich 5–6 cm groß und 50–60 g schwer, wobei über Myxome mit einem Durchmesser von bis zu 15 cm berichtet wurde (Reynen 1995; Wold u. Lie 1980). Drei Viertel der Myxome sind im linken, 20 % im rechten Vorhof und 5 % in einem der beiden Ventrikel lokalisiert. Multiple Myxome in verschiedenen Kammern sind beschrieben worden, wobei am häufigsten auch hier die beiden Vorhöfe betroffen sind. Jedoch treten 94 % der Tumoren solitär auf (Carney 1985). Myxome sitzen gestielt, selten breitbasig, bevorzugt im Bereich der Fossa ovalis (und dort an ihrem kranialen Rand) auf, können aber überall in der Vorhof-
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27
Kapitel 27 · Herztumoren und Erkrankungen des Perikards
wand, an den Herzklappen und in den Hohlvenen entstehen. Als Grund für die bevorzugte Lokalisation an der Fossa ovalis wird angenommen, dass sich das Vorhofseptum als Letztes aus dem fetalen Mesenchym entwickelt und deshalb am meisten unausgereiftes Gewebe enthält. Die Länge des zumeist vorhandenen Tumorstiels bestimmt die Tumorbeweglichkeit. Chirurgisch bedeutsam ist, dass das Tumorwachstum innerhalb des Stiels selten über das Endokard hinausreicht. Makroskopisch findet sich in 2/3 aller Fälle eine ovoidrundliche Wachstumsform mit einer glatten oder leicht gelappten Oberfläche. Diese Myxome sind relativ fest. Seltener (1/3 der Fälle) ist der polyploid-zottenförmige Typ, der zerbrechlich ist und zur Embolisierung neigt. Es wird vermutet, dass sich die Myxome aus pluripotenten, subendothelial gelegenen mesenchymalen Zellen entwickeln (Ferrans u. Robert 1973). Einige wenige Berichte unterstützen die Vermutung, dass Myxome maligne entarten können. Sowohl ein aggressives lokales Tumorwachstum als auch eine Fernmetastasierung einschließlich einer Gefäßwandinvasion wurde beobachtet (Read et al. 1974; Seo et al. 1980). 27.1.2.2
Andere benigne Tumoren
Unter dem Begriff der nichtmyxomatösen Herztumoren werden in der Klinik in erster Linie Rhabdomyome, Fibrome und Lipome zusammengefasst, wobei prinzipiell jedes mesenchymale Gewebe als Hauptanteil eines Herztumors beschrieben worden ist (Mc Allister u. Fenoglio 1978). Im Gegensatz zu den gestielten, endoluminal wachsenden Myxomen zeigen die nichtmyxomatösen Herztumoren häufig ein multilokuläres, intramyokardiales Wachstum in den Ventrikeln, das die chirurgische Therapie erschwert oder in vielen Fällen eine radikale Tumorexstirpation unmöglich macht (Reece et al. 1984). An den Herzklappen können zudem papilläre Fibroelastome auftreten, die die Koronarostien verlegen und durch Fragmentierung Embolien verursachen können. Das Rhabdomyom hat einen Anteil von 20 % an allen benignen Geschwülsten des Herzens und ist der häufigste Herztumor im Kindesalter (Bigelow et al. 1954). Fünfundachtzig Prozent der betroffenen Kinder sind jünger als 15 Jahre. Rhabdomyome treten zu >90 % multipel auf und befallen überwiegend die Ventrikel. Pathologisch-anatomisch handelt es sich beim Rhabdomyom um ein Hamartom, wobei die Hälfte der Kinder (weitere) Zeichen der tuberösen Sklerose aufweist. Nahezu ebenso häufig sind Fibrome, die wiederum in über 80 % der Fälle bei Kindern, v. a. bei Kleinkindern, auftreten. Im Gegensatz zu den anderen Tumoren kommen sie überwiegend solitär vor und finden sich nur in den Ventrikeln. Sie sind weder vererbt noch mit anderen Erkrankungen assoziiert. Lipome können sich überall und in jedem Alter im Herz bilden. Sie sind gut abgekapselt und können eine be-
trächtliche Größe erreichen, bevor sie symptomatisch werden. Eine nicht abgekapselte Fettablagerung im interatrialen Septum wird als »lipomatöse Hypertrophie« bezeichnet und findet sich bevorzugt bei älteren adipösen Patienten. Papilläre Fibroelastome machen etwa 7 % aller Herztumoren aus. Sie entstehen zumeist an einer Aortentaschenklappe oder einem Segel der Mitralklappe, seltener an der Trikuspidalklappe oder dem ventrikulären Septum. 27.1.2.3
Primär maligne Herztumoren
Primär maligne Tumoren machen etwa 25 % der primären Herztumoren aus (Mc Allister u. Fenoglio 1978). Es handelt sich hierbei fast ausschließlich um Sarkome, die geschlechtsunabhängig meist erst im Erwachsenenalter auftreten. Bevorzugter Sitz ist das rechte Herz und hier insbesondere der rechte Vorhof. Histologisch können Anteile verschiedener mesenchymaler Gewebe das Bild des Sarkoms prägen. Das häufigste Sarkom ist das Angiosarkom, während Rhabdosarkome, Myosarkome und andere Weichteilsarkome wesentlich seltener beobachtet werden. Oft findet man jedoch hochmaligne, undifferenzierte Geschwülste, die histologisch nicht zugeordnet werden können. Obwohl die Sarkome in der Regel vom Endo- oder Perikard ausgehen, infiltrieren sie rasch alle Wandschichten, wachsen organüberschreitend in mediastinale Strukturen vor und metastasieren früh in Leber, Lunge und Gehirn (Bjerregard u. Baandrup 1979). Eine Metastasierung in beide Lungen sowie in mediastinale Lymphknoten hat zum Zeitpunkt der Diagnosestellung bereits bei 80 % der Patienten stattgefunden. Eine andere Wachstumsform zeigt eine mehr intramyokardiale, flächenhafte Ausdehnung, wobei Endo- und Perikard lange intakt bleiben. Zuletzt zeigen Sarkome gelegentlich ein exophytisches Wachstum in die Herzkammern. Ein äußerst seltener primär maligner Herztumor ist das Hämangioendotheliom (Lisy et al. 2007). 27.1.2.4
Sekundär maligne Tumoren (Metastasen)
Viel häufiger als die primären malignen Herztumoren findet man autoptisch Metastasen extrakardialer maligner Geschwülste in Myokard oder Perikard, die allerdings klinisch wegen der vorherrschenden limitierenden Grundkrankheit nicht in Erscheinung treten (Fine 1968). Es wird vermutet, dass 10 % der metastasierenden Tumoren letztendlich Herz und Perikard erreichen, entweder hämatogen, lymphogen oder per continuitatem. Häufiger findet man eine derartige Metastasierung beim malignen Melanom, beim Bronchialkarzinom sowie beim Mammakarzinom. Die Metastasierung betrifft überwiegend die Ventrikel und das Perikard. Eine Sonderform stellt das endoluminal von der V. cava inferior aus vorwachsende Hypernephrom dar, das den rechten Vorhof und den rechten Ventrikel nahezu komplett mit Tumorzapfen ausfüllen kann (Paul et al. 1975).
777 27.1 · Herztumoren
27.1.3 Klinisches Erscheinungsbild
Myxome stellen typischerweise eine sporadische und isolierte Pathologie dar, d. h. sie sind nicht mit anderen Fehlbildungen assoziiert. Nur etwa 5 % der Myxompatienten weisen eine familiäre Häufung mit einem autosomal-dominanten Erbgang auf. Letztere Patienten sind jünger, weisen keine Geschlechterpräferenz auf und zeigen häufiger einen multifokalen Tumorbefall. Jeder fünfte dieser Patienten leidet an zusätzlichen Neoplasmen (adrenokortikale noduläre Hyperplasie, Sertoli-Zell-Tumor, Hypophysentumor, multiple myxoide Fibroadenome der Mamma, kutane Myome und Pigmentveränderungen), weswegen das Krankheitsbild auch als »komplexes Myxom« bezeichnet wird (Carney 1985). Das klinische Erscheinungsbild der Myxome wird in erster Linie durch seine Lokalisation und seine Beschaffenheit bestimmt. Charakteristisches Merkmal aller Herztumoren ist eine (verschieden) lange symptomfreie Zeit bis zur Diagnosestellung (Larrieu et al. 1982). Üblicherweise führt erst eine lokale Komplikation, z. B. eine Ausflussbahnobstruktion oder eine Synkope, zu Symptomen und damit zur Diagnostik. Myxome des linken Vorhofs behindern bei Größenzunahme die Füllung des linken Ventrikels und täuschen dadurch eine Mitralstenose vor. Wachsen sie in das Mitralostium ein oder prolabieren sie (intermittierend) in den linken Ventrikel, kann selten auch eine MitraIinsuffizienz hinzutreten. Die oft kurze und akute Vorgeschichte ist typisch und deutlich von der langen Anamnese vieler Kranker mit postentzündlichem Mitralklappenleiden abgrenzbar. Die häufig gestielten Myxome führen insbesondere im Liegen, wenn der Tumor in das Klappenostium prolabiert, zu paroxysmaler Atemnot (aufgrund der Lungenstauung). Bezeichnend ist, dass die Herzinsuffizienz sehr plötzlich einsetzt, mit supraventrikulären Herzrhythmusstörungen einhergehen kann und auf Digitalis und Diuretika nicht anspricht. Darüber hinaus können durch einen Blutdruckabfall Synkopen (bei erworbenen Mitralstenosen sehr selten!) und Krampfanfälle ausgelöst werden. Bei wandadhärenten Myxomen verstärkt sich eine anfangs intermittierend auftretende Dyspnoe mit dem Wachstum des Tumors. Periphere und zentrale Embolien durch abgelöste Tumorfragmente treten in 30–40 % der Fälle auf (Silverman 1980). Die histologische Untersuchung des aus einer peripheren Arterie gewonnenen embolischen Materials kann die Diagnose eines Myxoms gelegentlich sichern (Bulkley u. Hutchins 1979). Der Anteil zerebraler Embolien ist erschreckend hoch und beträgt in verschiedenen Untersuchungen bis zu 50 % (Sandok 1980). Neurologische Symptome im Zusammenhang mit Vorhofmyxomen müssen als Folge zerebraler Tumorembolien interpretiert werden. Myxome des rechten Vorhofs können zu Störungen der Trikuspidalklappenfunktion führen, die einer Trikuspidalstenose, einer chronischen Rechtsherzinsuffizienz
oder dem Bild einer konstriktiven Perikarditis gleichen. Rezidivierende Tumorembolien in die Lungenstrombahn können eine pulmonale Hypertension verursachen. Sehr selten kommt es zur paradoxen Tumorembolie eines rechtsatrialen Myxoms bei offenem Foramen ovale. Rechtsatriale Myxome führen auch häufig zur sog. Myxomkrankheit, die mit Fieber, Arthralgien, Polymyositis, Gewichtsverlust und Hypergammaglobulinämie einhergeht (Fitzpatrick et al. 1986). Häufige Fehldiagnosen von Erkrankungen aus dem rheumatoiden Formenkreis und langjährige Kortisontherapien mit sekundärer Osteoporose sind bekannt geworden. Ventrikuläre Myxome und andere Tumoren werden erst sehr spät symptomatisch. Sie führen erst durch ihr Größenwachstum zu einer Obstruktion der Ein- und/oder Ausflussbahn oder durch ein extrakardiales Wachstum zu einer Kompromittierung der Nachbarstrukturen, z.B. des N. phrenicus. Die Symptomatik der malignen Tumoren ist von ihrem Wachstumsmuster abhängig. Klinisch findet man eine rasch fortschreitende, therapierefraktäre Myokardinsuffizienz mit Kardiomegalie und Blockierung der Reizleitung, v. a. bei den intramyokardial wachsenden Formen, wobei häufig zuerst an eine Kardiomyopathie gedacht wird. Andere Patienten klagen über Thoraxschmerzen, Fieber und Gewichtsverlust, weshalb pulmonale Erkrankungen diagnostisch abgeklärt werden. Ein nicht unbeträchtlicher Anteil der Patienten kommt notfallmäßig wegen eines hämorrhagischen Perikardergusses mit Tamponadesymptomatik oder wegen einer schweren oberen Einflussstauung zur Aufnahme. ! An eine sekundäre Beteiligung des Herzens im Rahmen einer extrakardialen malignen Grundkrankheit muss bei intraktablen brady- oder tachykarden Rhythmusstörungen, Herzvergrößerung oder hämorrhagischem Perikarderguss sowie bei Hohlvenenobstruktion ohne Nachweis einer mediastinalen Raumforderung gedacht werden.
Eine Diagnosestellung ist durch den Nachweis maligner Zellen des Primärtumors im Perikardpunktat möglich. Ähnlich wie bei den primären malignen Herztumoren können diese Patienten notfallmäßig wegen eines massiven Hämatoperikards, häufiger aber wegen einer akuten Ausflussbahnobstruktion zur Aufnahme in die Klinik kommen.
27.1.4 Diagnostik und Indikationsstellung
Außer in Fällen mit fortgeschrittener Herzinsuffizienz ist die klinische Untersuchung wenig ergiebig und unspezifisch. Das Thoraxröntgenbild ist meist normal, jedoch können eine Herzvergrößerung, eine pulmonale Stauung und selten auch eine intrakardiale Kalzifizierung hinweisend sein. Das EKG ist ebenso wenig hilfreich, selbst wenn
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Kapitel 27 · Herztumoren und Erkrankungen des Perikards
Rhythmusstörungen bestehen. Die Diagnose eines Vorhofmyxoms erfolgt durch eine Echokardiographie, nicht selten als Zufallsbefund nach einer peripheren Tumorembolie (DePace et al. 1981). Die transthorakale und besser noch die transösophageale Untersuchungstechnik erlauben es, Sitz und Größe des Tumors exakt zu bestimmen. Alternativen bieten die Kardiocomputertomographie und die Kardiomagnetresonanztomographie. Eine Herzkatheteruntersuchung ist für die Indikationsstellung zu einer Operation nicht notwendig, mag aber zum Ausschluss einer begleitenden koronaren Herzkrankheit im fortgeschrittenen Alter notwendig sein. Eine Indikation zur Operation ist beim Myxom stets gegeben, da der natürliche Verlauf der Erkrankung nicht vorhergesagt werden kann. Differenzialdiagnostisch muss stets an einen Thrombus gedacht werden, der klinisch ein vielfach identisches Bild entstehen lassen kann. Bei den anderen benignen und malignen Herztumoren wird die Diagnose in der Regel durch eine Computer- oder Magnetresonanztomographie gesichert, nachdem sich die Patienten mit Herzinsuffizienz, unklaren Brustschmerzen und/oder Gewichtsverlust vorgestellt haben. Auch die Echokardiographie kann häufig die Diagnose eines malignen Herztumors sichern. Die Angiokardiographie kann zwar durch Störungen der Ventrikelbeweglichkeit oder Verlagerung der Koronararterien Hinweise geben; eine exakte topographische Diagnostik ist damit jedoch nicht möglich. In vielen Fällen werden primäre maligne Herztumoren wegen des langen symptomfreien Intervalls erst bei einer notfallmäßigen Probethorakotomie diagnostiziert. ! Eine Indikation zur Operation ist bei all diesen Patienten gegeben, sofern nach einem entsprechenden Staging eine Fernmetastasierung ausgeschlossen und eine Resektabilität gegeben ist.
27.1.5
Operationsverfahren
Einen sog. Goldstandard gibt es in der Chirurgie der Herztumoren nicht, jedoch bestehen für die Myxome typische Vorgehensweisen. Hierbei gilt, dass einfache Myxome im Prinzip nur exzidiert werden, während man bei familiären Myxomen auch aggressiver vorgehen kann. Die weiteren Herztumoren werden so radikal wie möglich operiert, um die Lokalrezidivrate so gering wie möglich zu halten. Die Grenze der Resektabilität ist die Funktionsfähigkeit des Herzens. Eine vollständige Tumorentfernung kann in der Regel nur mit Hilfe der Herz-Lungen-Maschine erfolgen (Dein et al. 1987). Geschlossene Verfahren zur Resektion eines Vorhoftumors sind wegen der Gefahr der embolischen Verschleppung abbrechender Tumormassen oder locker anhaftender Thromben obsolet. Zur Entfernung eines
Herztumors/Vorhofmyxoms erfolgt der Zugang zum Herz normalerweise über eine mediane Sternotomie. Die HerzLungen-Maschine wird über eine bikavale Kanülierung angeschlossen, wobei eine direkte Kanülierung beider Hohlvenen den größten Zugang zu den Vorhöfen schafft. Reicht der Tumor an die Mündung einer Hohlvene, muss gelegentlich auf eine Kanülierung der V. femoralis bzw. der V. jugularis zurückgegriffen werden. Während der Anlage der extrakorporalen Zirkulation sollte am Herz möglichst wenig manipuliert werden, um Tumorembolisationen zu verhindern. Aus dem gleichen Grund kann es sinnvoll sein, die Hohlvenen erst nach Anschluss der Herz-LungenMaschine sowie bei induziertem Kammerflimmern und bei abgeklemmter Aorta anzuschlingen. Infusionskardioplegie und milde Hypothermie werden zur sicheren Myokardprotektion empfohlen. 27.1.5.1
Zugang zum linken Vorhof
Das linksatriale Myxom kann direkt durch den linken Vorhof dorsal des Sulcus interatrialis analog dem Zugang zur Mitralklappe erreicht werden. Am stillstehenden Herzen wird der Tumor auf seine Ausdehnung hin untersucht und zusammen mit dem Stiel in toto entfernt. Es empfiehlt sich, den Tumorstiel einschließlich eines 5 mm breiten gesunden Gewebesaums subendokardial auszuschälen oder besser noch das Vorhofseptum einschließlich des Tumorstiels anteilig zu resezieren. Der Vorteil des direkten Zugangs zum linken Vorhof ist allerdings mit Nachteilen verbunden. Insbesondere ein kleiner linker Vorhof behindert die bruchstückfreie Entfernung des Tumors und erschwert die Resektion des Tumorstiels, wenn er sich auf der dem Blickfeld abgewandten Seite des Vorhofs oder am Vorhofseptum befindet. Auch kann ein bei der Entfernung des Tumors gesetzter Vorhofseptumdefekt bei diesem Zugang schwierig zu verschließen sein. Eindeutig besser geeignet ist ein transseptaler Zugang durch den rechten Vorhof. Nach Rechtsatriotomie folgt eine Inzision des Vorhofseptums am Oberrand der Fossa ovalis, die in Richtung rechte obere Lungenvene (und ggf. auch bis in das Dach des linken Vorhofs) fortgeführt wird (. Abb. 27.1a). Dadurch gelangt der Tumorstiel – der meist dem Vorhofseptum anhaftet – kaudal der Schnittführung direkt ins Blickfeld (. Abb. 27.1b). Das Vorhofseptum wird so weit inzidiert, bis der Tumor möglichst vollständig überblickt und aus dem linken Vorhof geborgen werden kann (. Abb. 27.1c). Sobald die Tumormasse entfernt ist, müssen der linke Vorhof, die Lungenvenenmündungen und das Kavum des linken Ventrikels auf Tumorfragmente hin untersucht und gründlich ausgespült werden. Falls der Stiel des Tumors/Myxoms oder andere Tumorreste verblieben sind, muss der Stiel nachfolgend noch einmal gesondert aufgesucht und zur Verhütung eines Rezidivs zusammen mit dem unmittelbar anhaftenden Gewebe nachreseziert werden. Dies ist in aller Regel immer dann erforderlich, wenn der Tumor nicht dem Vorhofseptum, sondern der
779 27.1 · Herztumoren
a
. Abb. 27.2. Biatrialer Zugang. Eine zusätzliche Inzision im linken Atrium unterhalb des Sulcus interatrialis erleichert die Lokalisation des Myxoms
Polytetraflourethylen) verschlossen werden. Nach Vorhofverschluss und Entlüften der Herzkammern wird die Aortenklemme gelöst und die extrakorporale Zirkulation beendet.
b
c . Abb. 27.1a–c. a Zugang durch das Vorhofseptum zum linken Vorhof. Der rechte Vorhof ist längs eröffnet, die gestrichelte Linie zeigt die vorzunehmende Inzision im Vorhofseptum an. b Am eröffneten Vorhofseptum gibt sich der Tumorstiel zu erkennen. Er wird mitsamt seiner Anhaftung abgetragen. c Der linksatriale Tumor wird durch die Vorhofseptumlücke an seinem Anheftungsrand extrahiert
linksatrialen Wand direkt anhaftet oder wenn er abbricht. Inwieweit eine subendokardiale Resektion ausreichend oder eine umfassende transmurale Resektion des Vorhofseptums notwendig ist, konnte noch nicht hinreichend belegt werden. Resultierende atriale Wanddefekte können je nach Lage ausnahmsweise durch direkte Naht oder besser durch Einnähen eines Perikard- oder PTFE-Flickens (PTFE:
Alternativ kann ein biatrialer Zugang über eine zusätzliche linksatriale Inzision gewählt werden, der die Exposition und Lokalisation des Myxoms bei besonders großen Tumoren erleichtert (. Abb. 27.2). Eine weitere Möglichkeit besteht in einer vertikalen Inzision, insbesondere bei kleinen anatomischen Verhältnissen. Diese beginnt an der Basis des rechten Herzohrs, durchkreuzt den interatrialen Sulkus und erreicht zuletzt die freie Wand des linken Vorhofs zwischen den von rechts kommenden Lungenvenen. Dies entspricht dem von DuBost angegebenen Zugang zur Mitralklappe (DuBost et al. 1966). Nach Anlegen von Haltenähten kann der Tumor einschließlich Stiel gut exponiert werden. Nach der Tumorexzision wird das Vorhofseptum wie beschrieben und die biatriale Inzision durch eine einfache fortlaufende Naht wieder verschlossen. 27.1.5.2
Zugang zum rechten Vorhof
Der Zugang zum rechten Vorhof ist nach einer bikavalen Kanülierung nahezu beliebig möglich. Zumeist erfolgt eine Schräginzision vom Herzohr in Richtung rechte untere Lungenvene. Ist der Tumor gefunden, wird er vorsichtig luxiert und seine Anheftung identifiziert, um den Tumor nachfolgend einschließlich Tumorstiel oder -basis komplett resezieren zu können. Da die rechtsatrialen Tumoren häufig einen septalen Ursprung haben, entsteht – wie bei der typischen linksatrialen Tumorexzision – ein Septumdefekt, der nachfolgend durch Einnähen eines Perikard- oder PTFE-Flickens gedeckt werden muss. Vor Verschluss des
27
780
Kapitel 27 · Herztumoren und Erkrankungen des Perikards
Septumdefekts sollte das linke Atrium auf weitere Tumoren hin untersucht werden (Marvasti et al. 1984). 27.1.5.3
27
Zugang zu den Ventrikeln
Bei einem ventrikulären Herztumor ist der Zugang von der Lokalisation, der Ausdehnung und der Art des Neoplasmas abhängig. Die Entfernung eines Myxoms aus einem der beiden Ventrikel erfordert i. A. keine vollständige transmurale Resektion, da der Tumor meist endokardialen Ursprungs ist (s. oben) und Rezidive bisher nicht beschrieben worden sind. Der Zugang für Myxome erfolgt daher am besten transatrial, d. h. durch den der Kammer zugehörigen Vorhof, nur in Ausnahmefällen über eine der großen Arterien oder eine Ventrikulotomie. Zudem sollten gerade in diesen Fällen beide Vorhöfe immer mitexploriert werden, um die Ansiedlung zusätzlicher Vorhoftumoren auszuschließen. In den sehr seltenen Fällen, in denen der Tumorstiel entweder direkt von einer AV-Klappe ausgeht oder deren Funktion durch Prolaps oder Drucknekrose beeinträchtigt ist, sollte die Klappenfunktion intraoperativ am stillstehenden Herz inspiziert, getestet und ggf. durch weitere operative Maßnahmen wiederhergestellt werden. Bei den anderen benignen Tumoren, insbesondere solchen mit transmuralem Wachstum, gelten die gleichen Prinzipien wie bei den Malignomen. Im Vordergrund des chirurgischen Vorgehens bei benignen Tumoren steht die herzfunktionserhaltende bzw. eine evtl. obstruktionsbeseitigende, u. U. partielle, jedoch keine radikale Resektion. Im Bereich der freien Wand des linken Ventrikels sind Tumorresektionen nur begrenzt möglich, da der Ersatz der Ventrikelwand, z. B. durch einen Goretex- oder Dacronflicken, zu einem mehr oder weniger ausgeprägten Kontraktionsverlust führt. Das interventrikuläre Septum ist chirurgisch nicht zugänglich. Im Gegensatz dazu kann jedoch der rechte Ventrikel einschließlich der Trikuspidalklappe im Prinzip vollständig reseziert werden, sofern keine pulmonale Hypertonie vorliegt. Bei normalen pulmonalen Widerstandsverhältnissen kann das Blut aus den Hohlvenen passiv in die Lunge drainiert werden, analog einer Fontan-Operation bei angeboren Herzfehlern. 27.1.5.4
Erweiterte Zugänge und Autotransplantation
Ein ausgedehntes Tumorwachstum, insbesondere bei Infiltration der Basis des linken Vorhofs und seiner umgebenden Strukturen, kann mit den oben genannten herkömmlichen Zugängen nicht adäquat versorgt werden. Um eine komplette bzw. kurative Resektion zu erreichen, können aber schrittweise und letztendlich alle zum Herz führenden großen Gefäße durchtrennt werden. Im einfacheren Fall genügt ein Absetzen der oberen Hohlvene oder eine Separation von Aorta und Pulmonalarterie. Der Extremfall bildet die Autotransplantation, bei der das Herz nach Einleitung einer entsprechenden hypothermen Konsverierung analog der Methode von Lower und Shumway oder ggf. in
bikavaler Technik exzidiert und später wieder re-implantiert wird (7 Kap. 32). Der Vorteil der Autotransplantation ist die Ex-situ-Operation, d. h. der Zugang zu allen Strukturen des Herzens in einer blutleeren Umgebung. Der Tumor kann von allen Seiten bestmöglichst dargestellt und entfernt werden, und auch die plastische Rekonstruktion der verbliebenen Defekte kann in Einzelfällen ex situ einfacher sein (Hoffmeier et al. 2004).
27.1.6
Komplikationen und Prognose
Nach Beseitigung eines lokalen Tumors und Elimination des intrakardialen Strombahnhindernisses ist der postoperative Verlauf in der Regel unkompliziert. Zentrale oder periphere neurologische Ausfälle durch intraoperative Tumorembolisierung sind seit Einführung der Herz-Lungen-Maschine und damit der Tumorentfernung unter Sicht sehr selten geworden. Häufig treten früh postoperativ supraventrikuläre Tachykardien auf, die aber medikamentös gut therapiert werden können (Dein et al. 1987). Die vollständige Entfernung eines Myxoms ist in aller Regel gleichbedeutend mit einer Tumorheilung. Bei Vorliegen der sog. Myxomkrankheit zeigt der Rückgang der klinischen Symptomatik sowie der Konzentrationen der Entzündungsparameter den Erfolg der Operation an. Die potenzielle Gefahr eines Myxomrezidivs wurde immer wieder vereinzelt belegt. Als Ursachen werden neben einer inadäquaten Resektion die intraoperative Implantation von Tumoranteilen sowie eine multizentrische Tumorentstehung beschrieben (Read et al. 1974). ! Jährliche echokardiographische Untersuchungen sind angeraten, um ein Myxomrezidiv frühzeitig zu erfassen.
Bei den malignen Tumoren begrenzen die ausgedehnte Infiltration kardialer Strukturen, der Tumoreinbruch in benachbarte Organe sowie die frühzeitige Metastasierung jede radikale chirurgische Therapie. Ventrikelteilresektionen, Klappenersatz und die Anlage eines aortokoronaren Venenbypasses sind gelegentlich im Rahmen der palliativen Tumorchirurgie erforderlich, um eine lebensbedrohliche Tumorobstruktion zu beseitigen (Poule et al. 1983). Zusätzlich wird in der Regel eine Polychemotherapie in Kombination mit einer Strahlentherapie durchgeführt, wodurch Frührezidive bei chirurgisch radikaler Resektion verhindert werden sollen. Die Prognose eines primären malignen Herztumors ist sehr schlecht; nur in Ausnahmefällen sind Überlebenszeiten von mehr als einem Jahr beschrieben worden, und Heilungen wurden nur vereinzelt mitgeteilt (Sortie etal. 1984). Eine bessere Prognose dürften Solitärmetastasen aufweisen, die vereinzelt viele Jahre nach dem Primärtumor entdeckt und reseziert wurden (Bigelow et al. 1954). In vielen Fällen kommen überhaupt nur palliative Maßnahmen wie die Drainage eines rezidivierenden Perikard-
781 27.2 · Erkrankungen des Perikards
ergusses durch Perikardfensterung in die Pleurahöhle oder die Beseitigung einer rechtsventrikulären Ausflussbahnobstruktion durch Resektion in Betracht.
eines zentralen Venenkatheters, Angiographie, Herzkatheterisierung, Schrittmacherimplantation) oder ein penetrierendes oder dissezierendes Aortenaneurysma. 27.2.2.1
27.2
Erkrankungen des Perikards
27.2.1
Vorbemerkungen
Das Perikard hält das Herz in seiner Lage und verhindert eine Überdehnung des Herzens bei plötzlichem Volumenüberangebot. Es besteht aus einem kollagenreichen, stabilen Gewebe (parietales Blatt), das an seiner Innenseite mit einer dünnen Mesothelschicht (viszerales Blatt) ausgekleidet ist. Diese bindegewebige Kapsel enthält etwa 20 ml seröse Flüssigkeit, wodurch der Reibungswiderstand des sich bewegenden Herzens gegenüber seinen umliegenden Strukturen (Pleura, Mediastinum, Zwerchfell) gering gehalten wird (Schollmayer 1982). Darüber hinaus schützt es auch im Sinne einer Entzündungsbarriere gegen umliegende kontaminierte Gewebe. Die wichtigsten Erkrankungen des Perikards sind eine vermehrte Flüssigkeitsansammlung, d. h. ein Perikarderguss, und die konstriktive Perikarditis. Perikardzysten sind selten und primäre Perikardtumoren eine Rarität.
27.2.2
Perikarderguss
Akute oder chronische Entzündungen des Perikards, in deren Verlauf es zur Vermehrung oder Veränderung der intraperikardialen Flüssigkeitsansammlung kommt, können zu einer Beeinträchtigung der Funktion des Herzens führen. Eine rasche Flüssigkeitszunahme um 150–200 ml kann bereits Tamponadeerscheinungen hervorrufen. Bei chronischen Prozessen können dagegen bis zu 3 l aufgenommen werden, ohne dass es zu einer signifikanten Einschränkung der Hämodynamik kommt. Ätiologisch wird im Wesentlichen zwischen serösen, serofibrösen, eitrigen und hämorrhagischen Perikardergüssen unterschieden. Seröse und serofibröse Ergüsse finden sich bei der Herzinsuffizienz, der idiopathischen Perikarditis, der chronischen Niereninsuffizienz, Erkrankungen aus dem rheumatischen Formenkreis und Stoffwechselerkrankungen sowie als Folge metastasierender Tumoren. Herzchirurgisch bedeutsam sind sie auch im Rahmen eines Postkardiotomiesyndroms (Dressler-Syndrom; Dressler 1956). Eitrige Perikardergüsse entstehen nach perforierenden, purulenten oder karzinogenen Prozessen aus dem Bauchraum oder dem vorderen oder hinteren Mediastinum. Ein hämorrhagischer Perikarderguss kann im Rahmen unspezifischer entzündlicher Erkrankungen auftreten. Zumeist handelt es sich jedoch um ein posttraumatisches Zustandsbild, eine Myokardverletzung nach diagnostischen oder therapeutischen Eingriffen (Anlage
Diagnostik und Indikationsstellung zur Perikardentlastung
Ein Perikarderguss kann aus einer Größenzunahme der Herzsilhouette im Röntgenthoraxbild erahnt und durch ein Echokardiographie bestätigt werden. Typische Befunde in der Echokardiographie sind ein diastolischer Kollaps von rechtem Vorhof und rechtem Ventrikel und das Baumeln des Herzens im Flüssigkeitsmantel (»swinging heart«). Alternativen bieten Computer- und Magnetresonanztomographie, welche beide ebenfalls zuverlässige und ungefährliche Verfahren mit hohem Aussagewert sind und zudem eine Aussage zur Zusammensetzung des Perikardergusses erlauben. Eine Perikardtamponade bezeichnet eine kritische Zunahme der Perikardflüssigkeit und kann durch die Symptome Blutdruckabfall, Anstieg des zentralen Venendrucks und Tachykardie bei geeigneter Anamnese vermutet werden. Die Diagnosesicherung erfolgt aber wiederum durch die oben genannten bildgebenden Verfahren. ! Eine Indikation für eine Perikardentlastung ergibt sich aus der Einschränkung der Hämodynamik und nicht primär aus der Größe des Perikardergusses. Sie ist also stets gegeben, bevor sich eine Tamponadesymptomatik entwickelt.
Das Ziel der Perikardentlastung ist die momentane Senkung des intraperikardialen Drucks, um so eine Einflussstauung und ggf. die Kompression des Herzens zu vermindern und einem »Low-output«-Syndrom vorzubeugen. In der Akutsituation bietet sich die Perikardpunktion oder eine chirurgische (inferiore) Perikardiotomie an. Bei chronischen Perikardergüssen sind eine Perikardfensterung und eine Perikardektomie vorteilhafter. 27.2.2.2
Perikardpunktion
Anregungen zur Herzbeutelpunktion und Vorschläge zu ihrer technischen Durchführung sind seit 300 Jahren in der Literatur bekannt (Kleinschmidt 1945). Heute wird der subxiphoidale Zugangsweg bevorzugt. Als Ort des Einstichs wählt man den Larrey-Punkt (Rehn 1913; Sauerbruch 1925) im Winkel zwischen Schwertfortsatz und 7. Rippenknorpel links. Früher wurden die Patienten zur Perikardpunktion in eine halbsitzende Position gebracht, um den tiefsten Punkt des Herzbeutels anzupunktieren und die Gefahr einer Verletzung der Ventrikel zu minimieren. Perikardpunktionen erfolgen in der Regel am liegenden Patienten unter Echokardiographiekontrolle oder Durchleuchtung. Vorab wird die Punktionsstelle gereinigt, desinfiziert und örtlich betäubt. Die Punktion wird am besten in Seldinger-Technik durchgeführt. Zwischen dem Xiphoid und dem linken Rippenbogen wird eine etwa 10 cm lange, kurz
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782
Kapitel 27 · Herztumoren und Erkrankungen des Perikards
. Abb. 27.3a, b. Perikardpunktion mittels Seldinger-Technik. a Über die liegende Nadel wird ein weicher Draht als Führungsschiene in den Herzbeutel vorgeschoben. b Die Nadel ist entfernt worden. Über den liegenden Draht ist ein weicher Katheter im Herzbeutel platziert worden, über den der Erguss abgesaugt werden kann
27
a b
abgeschliffene Nadel mit 3-Wege-Hahn in Richtung linker Schulter vorgeschoben. Das Durchstoßen des Herzbeutels erkennt man daran, dass der Widerstand plötzlich nachlässt und dass im selben Augenblick meist Flüssigkeit aspiriert wird. Anschließend wird ein Seldinger-Draht über die Kanüle vorgeschoben und diese dann entfernt. Über den Draht lässt sich nun ein flexibler atraumatischer Katheter – zumeist wird ein Pigtail-Katheter mit Seitenlöchern verwendet – einbringen, über den der Perikardinhalt abgesaugt wird (. Abb. 27.3). Ist der subxiphoidale Zugang nicht möglich, bieten die apikale und die parasternale Punktion gelegentlich eine Alternative. Bei der apikalen Punktion wir über der vermuteten Herzspitze im 4. oder 5. Interkostalraum zwischen der vorderen und mittleren Axillarlinie punktiert. Die parasternale Punktion erfolgt im 4. Interkostalraum und wird als Ultima-Ratio-Maßnahme betrachtet. Die häufigste Komplikation ist die versehentliche Punktion eines Ventrikels. Man erkennt dies am pulsierenden Austritt größerer Mengen Blut, das schnell gerinnt (altes Blut aus dem Perikard gerinnt nicht!). Der Katheter wird in die Perikardhöhle zurückgezogen und dort belassen. Die Stichwunde im Herzmuskel schließt sich fast immer von selbst; bis dahin kann das Blut über den Katheter austreten. Eine operative Eröffnung des Herzbeutels ist deshalb äußerst selten erforderlich.
27.2.2.3
Inferiore (subxiphoidale) Perikardiotomie
Die inferiore Perikardiotomie ist ein einfaches und sehr effizientes Verfahren, das insbesondere auch beim kritischen oder schwierigen Patienten gut anzuwenden ist. Der Zugang erfolgt subxiphoidal. Die inferiore Perikardiotomie ist v. a. postoperativ nach Herzoperationen und nur noch selten bei infizierten Ergüssen angezeigt. Sie gestattet eine dauernde Druckentlastung und ermöglicht u. U. auch Spülungen und die Instillation von Medikamenten. In Lokalanästhesie oder Vollnarkose wird ein etwa 6–10 cm langer, medianer Längsschnitt von der Basis des Xiphoids kaudalwärts führt. Das Xiphoid und der Ansatz des M. rectus abdominis werden in der Mittellinie gespalten. Nach Einsetzen eines Spreizers und unter Anheben des kaudalen Sternumendes kann das Perikard nach Ablösen des Diaphragmas vom Sternum identifiziert werden. Nur selten muss ein hoch ansetzendes Zwerchfell gespalten werden. Das Perikard wird am unteren Rand am Übergang zum Zwerchfell über 2–3 cm quer inzidiert und ein weicher Drainageschlauch nach Absaugen des Perikardergusses eingelegt (. Abb. 27.4). 27.2.2.4
Perikardfensterung
Bei chronischen serösen, häufig rezidivierenden Herzbeutelergüssen ist eine einfache inferiore Perikardiotomie un-
783 27.2 · Erkrankungen des Perikards
27.2.3
. Abb. 27.4. Inferiore Perikardiotomie über einen subxiphoidalen Zugang. Nach einem medianen Hautschnitt in Verlängerung des Processus xiphoideus werden die Faszienschichten durchtrennt, und das Perikard wird kaudal eröffnet. Danach wird ein weicher Drainageschlauch eingelegt, den man über die Inzision oder separat ausleitet
geeignet, da hierbei die Drainagen bis zur Ausheilung lange in situ verbleiben müssten und somit die Infektionsgefahr erheblich ansteigen würde. In diesen Fällen wird eine permanente Fensterung des Perikards in die Pleurahöhle als innere Drainage (Effler u. Proudfit 1957) oder eine Perikardresektion als wesentlich umfassendere Maßnahme empfohlen (Levitsky et al. 1976). Eine Perikardfensterung wird typischerweise über eine linksseitige anteriore Thorakotomie durchgeführt. Die zur Thorakoskopie erforderliche Seitenlage wird in der Regel vom kranken Patienten schlechter vertragen. Zudem setzt die Thorakoskopie eine Doppellumenintubationsnarkose und eine freie Pleurahöhle voraus. Bei stabilen chronischen Zuständen kann sie jedoch eine elegante Alternative sein. In Intubationsnarkose wird das Perikard (ventral des N. phrenicus) aufgesucht und eine möglichst große Öffnung (z. B. 4–6 cm) darin geschaffen (Cave: Prolaps des Herzens, Luxatio cordis). Nach Absaugen des Perikardergusses wird eine Thoraxdrainage eingebracht und die Wunde wieder verschlossen. Zur Vermeidung eines frühen, vorzeitigen Verschlusses des Fensters sollte auf jeden Fall auf die Einlage einer Perikarddrainage verzichtet werden. Nur dann bleibt das Fenster so lange offen, wie intraperikardial Sekret entsteht. Das operative Vorgehen bei der Perikardresektion zur inneren Drainage entspricht der Perikardektomie beim Panzerherz (s. unten).
Pericarditis constrictiva
Die Häufigkeit der Pericarditis constrictiva hat in den vergangenen 20 Jahren abgenommen und wird inzwischen mit 0,2–0,5 % aller kardialen Erkrankungen angegeben (Hermann et al. 1983; McCaughan et al. 1985; Wood 1961). Nachdem früher insbesondere die Tuberkulose für die Verschwielung zwischen Epi- und Perikard verantwortlich war, ist ihr Anteil bei den Ursachen der Pericarditis contrictiva inzwischen auf <3 % gesunken (Hamelmann 1962; McCaughan et al. 1985). Heutzutage ist die Ätiologie vielfältig. Jede Perikarditis – unspezifisch, viral, bakteriell oder fungal ausgelöst – kann zum klinischen Krankheitsbild eines Panzerherzens führen. Zunehmende Bedeutung erlangen eine mediastinale Bestrahlung, postoperative Veränderungen nach herzchirurgischen Eingriffen und Traumata (Bubenheimer et al. 1985; Pick et al. 1984; Rice et al. 1981). Die Umklammerung und die Einengung des Herzens durch Schwielen- und Narbenbildungen, teilweise auch durch regelrechte Kalkschalen mit einer Dicke von bis zu 1 cm, führen zu einer zunehmenden Behinderung der Vorhof- und Ventrikelfüllung. Werden zusätzlich die obere und die untere Hohlvene abgeschnürt, vermindert sich außerdem der venöse Rückstrom. Starke Verschwartungen beeinträchtigen die Myokardkontraktion und führen zur Muskelatrophie. Die Auswurfleistung des Herzens wird gesenkt, eine Minderperfusion des gesamten Körpers resultiert. Bereits im klinischen Stadium NYHA II manifestieren sich Organschäden an Lunge, Leber und Nieren (Hermann et al. 1983). Klinisch stehen Belastungsdyspnoe, abdominelle Beschwerden mit Hepatomegalie und Aszites sowie periphere Ödeme im Vordergrund. 27.2.3.1
Diagnostik und Indikationsstellung zur Perikardektomie
Die Diagnose eine Pericarditis constrictiva kann bildgebend wie auch hämodynamisch-funktionell gestellt werden. Röntgenologisch zeigt sich meist nur selten ein vergrößerter Herzschatten, jedoch ist in 40 % der Fälle eine Kalkschale im Sinne eines Panzerherzens zu sehen. Besser noch sind Computer- und Magnetresonanztomographie, da durch sie auch die Perikarddicke, die Herzgröße (Vorhofdilatation, Ventrikelkompression) und die Abgrenzbarkeit des Myokards vom Perikard dargestellt werden können (Soulen et al. 1985; Sutton et al. 1985). Auch ein Infiltrieren der Perikardschwielen in den Herzmuskel, was das operative Risiko durch intraoperative Myokardverletzungen erhöht, kann so nachgewiesen werden. Die Echokardiographie ist für den Nachweis einer Pericarditis constrictiva weniger geeignet, jedoch lässt sich die Restriktion, d. h. eine erhaltene systolische Ventrikelfunktion mit dem typischen Bewegungsmuster der eingeschränkten diastolischen Funktion, gut nachweisen. Der hämodynamische Nachweis einer Konstriktion erfolgt durch eine Rechtsherzkatheterisierung. Bei Messung
27
784
Kapitel 27 · Herztumoren und Erkrankungen des Perikards
des Druckverlaufs im rechten Ventrikel zeigt sich ein charakteristisches »Dip-Plateau-Phänomen«, welches durch eine ungestörte frühdiastolische Füllung (»dip«) und einen abrupten nachfolgenden Füllungsstopp (Plateau) entsteht. Zusätzlich findet sich eine Ventrikularisierung des rechtsatrialen Drucks. Dieses Messphänomen ist für eine restriktive Erkrankung charakteristisch, differenziert jedoch nicht zwischen einer restriktiven Kardiomyopathie und der konstriktiven Perikarditis. Ein pathologisches EKG mit unspezifischen ST-Strecken- und T-Wellen-Veränderungen ist häufig, aber wenig spezifisch. Eine Niedervoltage des QRS-Komplexes oder Vorhofflimmern kann bei etwa 1/3 der Patienten beobachtet werden (McCaughan et al. 1985). Die Indikation zur Perikardektomie wird bei Nachweis einer Pericarditis constrictiva aufgrund der klinischen Symptomatik gestellt. 27.2.3.2
27
Perikardektomie
Die Operation wird in der Regel als elektiver Eingriff durchgeführt. ! Für das perioperative Management ist ein arterielles und venöses Kreislaufmonitoring wichtig, da sich durch die »Entpanzerung« die Füllungsdrücke des Herzens intraoperativ rasch ändern können und sich die Pumpfunktion des Herzens durch die nachlassende Wandspannung verschlechtert. Außerdem kann auf diese Weise das Operationsergebnis kontrolliert werden.
Zusätzlich sollte der Patient mit externen Defibrillationselektroden versehen sein, um ein während der Präparation induziertes Kammerflimmern möglichst schnell terminieren zu können. Am besten geeignet erscheint heute die mediane Sternotomie, da über sie alle 4 Herzkammern erreicht werden können. Darüber hinaus kann im Fall von Komplikationen (Instabilität, Blutung) relativ einfach eine extrakorporale Zirkulation angeschlossen werden (Shumaker u. Roshe 1960). Alternativ kann die linksseitige anterolaterale transpleurale Thorakotomie als klassischer Zugang erfolgen, der jedoch nur einen erschwerten Zugang zum rechten Herz und zu den Hohlvenen bietet. Nach Eröffnen des Thorax wird das erheblich verdickte Perikard inspiziert, und Stellen geringer(er) Verdickung und Verkalkung werden identifiziert. Gelegentlich bieten sich solche Bereiche für den Start der Präparation an, da sich das Perikard dort leichter ablösen lässt. Liegt eine homogene »Narbenplatte« vor, ist es am ungefährlichsten, die Präparation am kaudalen Rand des Perikards, d. h. am Übergang zum Zwerchfell, zu beginnen. Hat man die Schicht zwischen Perikard und Herz gefunden, wird das Perikard dann analog dem Vorgehen bei normalen kardialen Re-Operationen vorsichtig so weit wie möglich vom gesamten anterioren und lateralen Epikard abgelöst. Die Hinterwand des Herzens kann zumeist nur unvollständig
. Abb. 27.5. Das Perikard wird mit dem Skalpell inzidiert und teils stumpf, teils scharf vom Myokard gelöst. Der N. phrenicus muss identifiziert und geschont weden
perikardektomiert werden. Nach lateral sollte das Perikard bis an den N. phrenicus, der in der Regel durch Eröffnen der Pleuren identifiziert werden muss, entfernt werden (. Abb. 27.5). Dabei wird die schon gelöste Perikardschwiele durch Klemmen leicht gestrafft, während der Herzmuskel vom Operateur mit einer feuchten Kompresse in die entgegengesetzte Richtung zurückgehalten wird. Dadurch lässt sich die Schnittfläche besser einstellen; jedoch ist eine Verletzung des Myokards nicht immer zu vermeiden. Reichen Kalkschwielen bis in das Myokard hinein, so kann deren Lösung Probleme bereiten. Die Präparation in der richtigen Schicht ist hier besonders wichtig, da ein stumpfes Herausziehen der Kalkplatten Myokardeinrisse mit Blutungen zur Folge haben kann. Tiefergreifende Kalkinseln werden durchtrennt und myokardwärtig weitgehend ausgedünnt. Generell ist eine möglichst vollständige Dekortikation des Herzens anzustreben (Robertson u. Mulder 1984). Kleinere Kalkinseln können jedoch stehen bleiben, wenn deren Abpräparation zu risikoreich erscheint. Können größere, zusammenhängende Plaques, welche die Myokardbeweglichkeit behindern, nicht entfernt werden, sollte man zumindest versuchen, ihre Kontinuität zu unterbrechen und eine Teilresektion zu erreichen. Besondere Beachtung ist bei der Präparation den Koronararterien, v. a. dem Ramus interventricularis anterior und seinen diagonalen Ästen, zu schenken. Es empfiehlt sich, die abgelöste Perikardschwiele nicht sofort zu resezieren, sondern sie mit der Klemme oder Fäden zunächst hochzuhalten. Bei Verletzungen und stärkeren Blutungen erreicht man so durch
785 Literatur
das Zurückstemmen der abpräparierten Schicht am ehesten eine Kontrolle über die Situation. Kleinere Blutungen können durch vorsichtige Kompression oder mit Einzelnähten (dünnes Nahtmaterial) gestillt werden. Gegebenenfalls ist auch die Verwendung von Fibrinkleber angezeigt. Nicht selten findet sich ein festes Schwielenband oder eine Kalkspange quer über dem Ausflusstrakt des rechten Ventrikels; die Entfernung oder zumindest Unterbrechung ist wichtig, da sonst postoperativ eine funktionelle Pulmonalstenose mit einer rechtsventrikulären Hypertension resultiert (Portal et al. 1966). Die Resektion von Kalkschwielen im atrioventrikulären Übergang ist riskant, da dort Koronargefäße verlaufen. Dennoch muss zumindest deren teilweise Resektion (1–2 cm) gefordert werden, um eine ungestörte diastolische Ventrikelfüllung zu gewährleisten (Paul et al. 1948). Eine Dekortikation der Vorhöfe und der Hohlvenen an ihrer Einmündung ist nur bei hämodynamisch wirksamer Behinderung indiziert. Hier muss u. U. intraoperativ das Operationsrisiko gegenüber dem möglichen Erfolg abgewogen werden. ! Nach Entfernung des Perikardpanzers, welcher zuvor wie ein Korsett gewirkt hat, neigt das Herz zur Dilatation mit einer deutlichen Abnahme der ventrikulären Pumpfunktion. Es ist daher sinnvoll, die Patienten postoperativ dauerhaft mit Digitalispräparaten zu behandeln und temporär auch Katecholamine (z. B. Adrenalin) zu applizieren.
27.2.4
Perikardzysten und Perikardtumoren
Tumoren des Herzbeutels sind eine Rarität. Bei den gutartigen Tumoren handelt es sich meistens um Zysten. Dabei gehen die angeborenen Perikardzysten in der Regel von den diaphragmalen Herzbeutelanteilen, d. h. vom parietalen Teil, aus. Ihre Wand ist dünn und endothelialisiert, die Zyste selbst mit seröser Flüssigkeit gefüllt. Erworbene Zysten sind meistens Folge von Entzündungen des Perikards. Der Inhalt ist dementsprechend trübe, ihre Wand verdickt. Differenzialdiagnostisch sind Zysten nicht leicht von Divertikeln abzugrenzen, die ebenso wie die Zysten kongenital oder erworben sein können. Weiter werden Teratome, Angiome, Lipome und Fibrome als gutartige Herzbeuteltumoren gefunden. Diese Tumoren werden meistens zufällig entdeckt. Nur selten verursachen sie durch ihr Wachstum Atemnot, Schluckbeschwerden oder Rhythmusstörungen. Die Diagnose ist zugleich die Indikation zur Operation. Die Entfernung der gutartigen Herzbeuteltumoren ist problemlos möglich. Der Zugangsweg richtet sich nach der Lokalisation des Tumors, die vorher computer- oder magnetresonanztomographisch bestimmt wurde. Ein Perikarddefekt nach Tumorresektion ist bedeutungslos. Vorsicht ist jedoch bei größeren linksseitigen Defekten geboten, durch die das Herz bei Lagewechsel des Patienten nach links
luxieren kann. In einem solchen Fall empfiehlt sich der Perikardverschluss, evtl. unter Verwendung einer Kunststoffmembran oder eines (resorbierbaren) Netzes. Maligne Tumoren, die vom Perikard ausgehen, sind extrem selten. Histologisch handelt es sich um Sarkome, primäre Karzinome oder Endotheliome. Häufiger greift ein maligner Tumor aus der Nachbarschaft, z. B. ein Bronchialkarzinom, auf das Perikard über. Bisweilen kommt es auch zu metastatischen Aussiedlungen eines malignen Primärtumors in das Perikard. Eine kurative Operation ist kaum möglich. Meist gelingt nur die Tumorreduktion, die jedoch ausgiebig genug sein sollte, um eine Konstriktion des Herzens durch den Tumor zu verhindern.
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786
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Kapitel 27 · Herztumoren und Erkrankungen des Perikards
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28
28 Verletzungen des Herzens und des Mediastinums T. Carrel, F. Eckstein 28.1
Einleitung – 787
28.6
Verletzungen der Koronararterien
28.2 28.2.1 28.2.2 28.2.3
Penetrierende Herzverletzungen – 787 Pathophysiologie – 788 Klinische Präsentation – 788 Therapeutisches Vorgehen – 788
28.7
Perikardverletzungen – 790
28.8
Myokardverletzungen
28.9 28.3
Stich- und Schussverletzungen – 789
Traumatischer Ventrikelseptumdefekt – 791
28.4
Stumpfe Herzverletzungen – 789
28.10
Iatrogene Herzverletzungen
28.5
Herzklappenverletzungen
28.1
Literatur
– 790
Einleitung
Die erste erfolgreiche Naht einer penetrierenden Herzverletzung wurde 1896 von Ludwig Rehn am schlagenden Herzen durchgeführt (7 Kap. 1; Rehn 1897). An der damaligen Technik der Versorgung einer solchen Herzverletzung hat sich seither relativ wenig verändert, wohl aber am hierfür zur Verfügung stehenden Instrumentarium wie HerzLungen-Maschine zur Entlastung des Herzens, modernes Nahtmaterial mit atraumatischen Nadeln sowie nahtunterstützende und abdeckende Materialien wie Xenoperikardgewebe, künstliche Gewebeflicken oder biologische Klebstoffe. Von der von außen penetrierenden oder perforierenden Herzverletzung durch Stich- oder Schussverletzungen ist die stumpfe Herzverletzung im Rahmen eines Thoraxtraumas zu unterscheiden. Zudem werden heute verschiedenste iatrogene, innere Herzverletzungen beobachtet wie z. B. an Vorhof, Myokard, Herzklappen oder Koronararterien nach interventionellen oder diagnostischen Katheterinterventionen, beim Legen oder Entfernen von Herzschrittmacher- oder Defibrillatorsonden und nach Myokardbiopsien. Die häufigste Begleiterscheinung einer penetrierenden Herzverletzung ist das Hämoperikard mit
– 790
– 791
– 791
– 791
Perikardtamponade, welches auch bei stumpfen Herzverletzungen relativ oft beobachtet wird. Ausnahmen stellen allenfalls voroperierte oder sonstige mit dem Perikard verwachsene Herzen dar; hier kann der Schweregrad der Verletzung maskiert sein oder z. B. ein Hämatothorax als Symptom imponieren.
28.2
Penetrierende Herzverletzungen
Die penetrierende Herzverletzung tritt meist in Zusammenhang mit einem penetrierenden mediastinalen Trauma auf. Die Eindringrichtung des Fremdkörpers ist meist anterior-posterior, weniger oft lateral und am seltensten posterior-anterior oder kaudokranial. Dies bewirkt auch unterschiedliche Begleitverletzungen an Organen im vorderen, mittleren und hinteren Mediastinum sowie der Lungen oder der Bauchorgane. Ursächlich für die penetrierende Mediastinalverletzung sind hauptsächlich Schussund Stichverletzungen, seltener Nagel-, Pfählungs- und andere traumatische Verletzungen. Drei signifikante Risikofaktoren für eine frühe Mortalität sind (American College of Surgeons Subcommittee on Trauma 2004; Demetriades et al. 2004):
788
Kapitel 28 · Verletzungen des Herzens und des Mediastinums
4 ausgeprägte Thoraxverletzung, 4 schwere neurologische Begleitverletzung, 4 systolischer Blutdruck von <90 mmHg bei Aufnahme. Liegt der systolische Blutdruck bei >100 mmHg und besteht kein offensichtliches Blutungsproblem, kann eine vollständige Diagnostik durchgeführt werden (Burack et al. 2007; Renz et al. 2000). Der klinische Zustand des Patienten diktiert das weitere diagnostische und/oder therapeutische Vorgehen. Bei instabiler Kreislaufsituation ist eine sofortige offene chirurgische Exploration, bei stabiler Kreislaufsituation eine weitergehende Diagnostik mit genauer Lokalisation einer eventuellen Blutung und anschließender differenzierter weiterer Therapie indiziert. So kann eine Blutung nach ihrer Lokalisation neben einer chirurgischen Intervention evtl. auch perkutan-interventionell mittels Coil-Embolisation oder Implantation einer endovaskulären Prothese (koronarer Stent-Graft) behandelt werden.
28.2.1 Pathophysiologie
28
! Eine penetrierende Verletzung im mittleren Thoraxbereich, welche das Perikard eröffnet, verletzt auch meist das Herz und/oder die angrenzenden großen Gefäße. Deshalb sollten diese Patienten unverzüglichst in ein Krankenhaus der Maximalversorgung mit einer herzchirurgischen Abteilung eingewiesen werden.
Stichverletzungen sind prognostisch günstiger als Schussverletzungen, da Letztere ein größeres Gewebetrauma verursachen, zu stärkerer Blutung neigen und rascher zum Tod führen. Projektile, welche in den Thorax oder in das Perikard eindringen, bewirken meist einen Durchschuss durch das Herz und/oder den Thorax, können aber auch das Herz streifen oder im Herz stecken bleiben. Dies ist von vielen Faktoren wie z. B. Größe, Material und Form des Projektils sowie der Mündungsenergie bzw. der Eindringgeschwindigkeit des Projektils abhängig. Dringt ein Projektil in das Mediastinum ein und verletzt ein thorakales Gefäß, kommt es bei etwa 50 % der Patienten zu einer hämodynamischen Instabilität. Diese resultiert in einer hohen operativen Mortalität von 20–40 % (Burack et al. 2007; Degiannis et al. 2000; Renz et al. 2000; Richardson et al. 1981). Bei penetrierenden Herzverletzungen erscheint eine Überlebensrate von >40–50 % als ausgezeichnet und kann nur durch rasches Handeln erreicht werden (Asensio et al. 1998).
volämie. Eine obere Einflussstauung mit stark gefüllten Halsvenen deutet auf eine bestehende Perikardtamponade hin. Bei Stichverletzungen ist die Hautwunde nicht immer eindeutig erkennbar und gibt nicht immer Auskunft über das intrakorporale Ausmaß der Verletzung; dies ist v. a. bei Stilett- und Nagelverletzungen der Fall. Nebst Verletzungen der Ventrikel können Läsionen der Koronararterien beobachtet werden. In diesen Fällen sind Rhythmusstörungen, EKG-Veränderungen und später chronische arteriovenöse Fisteln möglich. Herzklappen können in Mitleidenschaft gezogen und die großen Gefäße verletzt werden.
28.2.3 Therapeutisches Vorgehen
Die Primärversorgung bei penetrierenden Herzverletzungen beginnt am Unfallort und hängt von der Kreislaufsituation des Patienten ab. Das vorrangige Ziel ist die Stabilisierung des Kreislaufs mittels sofortiger endotrachealer Intubation, druckgesteuerter Infusion von gewärmten kristallinen Elektrolytinfusionen und Blutprodukten sowie bei Vorliegen eines Hämato- oder Pneumothorax mittels Einlage einer Thoraxdrainage. Die Kreislaufsituation kann primär durch hämodynamische Parameter wie Herzfrequenz, Blutdruck sowie pulsoxymetrisch-transkutan gemessene Sauerstoff- und Kohlendioxidsättigung beurteilt werden (Lu et al. 2006). Im Thorax befindliche und herausragende Fremdkörper werden in situ belassen und erst intraoperativ unter visueller Kontrolle entfernt. Im Notfallzentrum erfolgt die weitere Stabilisierung der Vitalparameter. Bei einem stabilen Patienten werden eine Röntgenuntersuchung des Thorax und eine transthorakale Echokardiographie durchgeführt. Eine computertomographische Untersuchung zur weiteren Diagnostik der intrathorakalen und intraabdominalen Organschädigungen sollte primär nur beim kreislaufstabilen Patienten erfolgen. Bei nicht
28.2.2 Klinische Präsentation
Patienten mit penetrierenden Herzverletzungen präsentieren sich wegen des hohen Blutverlusts meist im kardiogenen Schock. Klinisch imponiert eine Tachykardie bei gleichzeitig kollabierten Halsvenen als Ausdruck der Hypo-
. Abb. 28.1. Management eines Patienten mit penetrierender Mediastinalverletzung
789 28.4 · Stumpfe Herzverletzungen
konklusiven Befunden dieser Maßnahmen können weitere Untersuchungen wie z. B. eine Endoskopie durchgeführt werden (Burack et al. 2007; . Abb. 28.1). Bei Nachweis eines Perikardergusses wird dieser punktiert oder mittels subxyphoidaler Drainage entlastet. Ein posttraumatisches Hämatoperikard ist eher eine Operationsindikation. Nicht stabilisierbare Patienten werden direkt in der Notaufnahme über eine linksseitige anterolaterale Thorakotomie oder im Operationssaal über eine mediane Sternotomie versorgt (Asensio et al. 1998).
28.3
Stich- und Schussverletzungen
Patienten, welche mit einer Stichverletzung des Herzens, aber nicht unter Reanimationsbedingungen in ein Krankenhaus eingeliefert werden, haben bei adäquater Behandlung eine relativ hohe Wahrscheinlichkeit, die Verletzung zu überleben. Dies steht im Gegensatz zu denjenigen Patienten, welche unter Reanimationsbedingungen oder mit marginalen Kreislaufverhältnissen eingeliefert werden, was bei Schussverletzungen häufig der Fall ist. In einem Zentrum mit herzchirurgischer Abteilung wird eine mediane Sternotomie bevorzugt. In Zentren ohne Möglichkeit einer extrakorporalen Zirkulation kann die Versorgung auch durch eine linksseitige anterolaterale Thorakotomie durchgeführt werden. Von rechts parasternal her entstandene Herzverletzungen lassen sich jedoch nur über eine mediane Sternotomie angehen. Ein Fremdkörper wird erst nach Eröffnen des Perikards und nach Vorlegen von blutungskontrollierenden Nähten entfernt. Blutende Wunden am Vorhof, an der Aorta und an der V. cava lassen sich primär durch partielle Abklemmung, ventrikuläre Myokardverletzungen am besten digital kontrollieren. Erst nach der Kontrolle der Blutungsquelle erfolgt die Versorgung mit Nähten. Vorhofperforationen werden mit Polypropylen 4/0 bzw. 5/0 verschlossen. Bei größeren Defekten kann eine PatchPlastik mit autologem oder Xenoperikard durchgeführt werden. Durchgreifende Nähte am Ventrikel werden am besten mit Filz oder Perikard unterfüttert, um ein weiteres Einreißen des Gewebes zu verhindern. Eine zusätzliche Verstärkung des Gewebes lässt sich mit biologischen Klebstoffen erreichen. Bei größeren Verletzungen des Herzens, welche mit einer Patch-Plastik versorgt werden müssen, bedarf es meist einer Entlastung des verletzten Ventrikels mit Hilfe der extrakorporalen Zirkulation. Steht keine Herz-Lungen-Maschine zur Verfügung, kann eine kurzfristige »In-flow«-Okklusion (Abklemmung der V. cava superior und der V. cava inferior) nach Hyperventilation unter maximaler Sauerstoffgabe durchgeführt werden. Nach einigen Herzschlägen haben sich die Ventrikel entleert, und die Aorta wird nun ebenfalls geklemmt. In den verbleibenden 2–3 min kann man nun die Herzverletzung versorgen. Danach werden die Klemmen an der Aorta und an den
28
Vv. cavae wieder entfernt, und ggf. wird nach einer kurzen manuellen Herzmassage der Kreislauf wieder etabliert. Für weniger ausgedehnte Verletzungen kann das Herz mittels i. v. Gabe von Adenosin kurzzeitig und wiederholt stillgelegt werden, um so Nähte am Myokard durchführen zu können (Kokotsakis et al. 2007). Die Zuhilfenahme von Stabilisatoren aus dem Bereich der »Off-pump«Bypasschirurgie zur Immobilisation des Herzens kann hierbei hilfreich sein. Über eine mediane Sternotomie sollten neben dem Perikard auch beide Pleurahöhlen eröffnet werden, um weitere Blutungsquellen an Interkostalarterien, an der A. mammaria oder an den Hilusgefäßen der Lungen auszuschließen bzw. zu versorgen. Bei bekannter transdiaphragmaler Stichrichtung zum Herz muss auch der Oberbauch (Magen, Leber) revidiert werden.
28.4
Stumpfe Herzverletzungen
Stumpfe Verletzungen des Herzens und der großen Gefäße entstehen häufig im Rahmen von Mehrfachverletzungen, hauptsächlich bei Verkehrsunfällen (Dezelerationstrauma), aber auch bei Stürzen, Stoß oder Schlag auf den Thorax, Explosionen, Kampfhandlungen oder gefährlichen Sportarten. Der früher häufigste und bekannteste Mechanismus war die Steuerradverletzung. Diese wurde durch die zunehmende Verbreitung von Sicherheitsgurten und Airbags deutlich reduziert. Das Erscheinungsbild der stumpfen, posttraumatischen Herzverletzungen reicht von einer völligen Symptomlosigkeit bis zur eingeschränkten Myokardfunktion, welche jedoch selten zu einer kardiogenen Schocksymptomatik führt. Am Herz können durch ein stumpfes Trauma folgende Schäden eintreten: Herzkontusi4 Kontusion des Myokards, on 4 Verletzungen des Herzbeutels, der Herzwand, des Kam- Contusio cormerseptums, der Klappen und der Koronararterien. dis Nicht immer kann eine äußere Verletzung am Thorax als Anhaltspunkt für eine traumatische Herzverletzung erkennbar sein. Immer verdächtig sind Sternumfrakturen, Rippen(serien)frakturen (insbesondere parasternal) und jede posttraumatische Mediastinalverbreiterung. Wichtigstes diagnostisches Zeichen ist das verbreiterte Mediastinum, welches durch eine anterior-posteriore Röntgenaufnahme erkannt werden kann. Bei polytraumatisierten Patienten ist eine sofortige Operation unter Verwendung der Herz-Lungen-Maschine nur beim instabilen Patienten mit einer lebensbedrohlichen Kreislaufsituation indiziert. Ansonsten muss die Operationsindikation unter Beachtung von Risiken einer lebensbedrohlichen Einblutung in andere Organsysteme (z. B. Gehirn) durch die Vollheparinisierung abgewogen werden. Die Diagnostik beinhaltet weiterhin die kontinuierliche EKG-Überwachung (Rhythmusstörun-
790
28
Kapitel 28 · Verletzungen des Herzens und des Mediastinums
gen, Infarktzeichen), eine Echokardiographie, die Bestimmung myokardspezifischer Serumparameter und ggf. eine Koronarangiographie sowie radiologische oder nuklearmedizinische Untersuchungen. Während man bei der Commotio cordis lediglich von einer funktionellen Störung des Herzens spricht, handelt es sich bei der Contusio cordis um eine traumatisch bedingte, pathologische Veränderung des Myokards, die von kleinen, umschriebenen Einblutungen bis zu transmuralen Nekrosen reichen kann. Die Herzkontusion kann sofort, aber auch erst nach Stunden oder Tagen symptomatisch werden (Asensio et al. 1998). Sie kann zur Ausbildung einer Herzinsuffizienz führen. Hierbei müssen andere Verletzungen wie traumatischer Ventrikelseptumdefekt oder traumatische Klappenfehler ausgeschlossen werden. Spätfolgen können eine Perikardtamponade, eine sekundäre Ruptur der verletzten Herzwand und die Ausbildung eines Aneurysmas im Bereich der Kontusionsstelle sein, welche operativ, endovaskulär oder im Hybridverfahren behandelbar sind (Kadner et al. 2007). Die Behandlung der Myokardkontusion erfolgt primär meist konservativ. Es werden Antiarrhythmika und bei Bedarf Katecholamine verabreicht. Ein Monitoring der Herzfunktion mittels Swan-Ganz-Katheter ist bei persistierender kardialer Instabilität sinnvoll. Bei schwerer ventrikulärer Dysfunktion kann bis zur kardialen Erholung eine intraaortale Ballongegenpulsation oder es können andere kardiale Unterstützungssysteme eingesetzt werden. Bei einem Perikarderguss sind zur Entlastung ggf. wiederholte Perikardpunktionen angezeigt.
28.5
Herzklappenverletzungen
Bei Verletzungen der Herzklappen wird in der Regel eine klappenerhaltende Operation angestrebt, deren Technik sich nach der Art der Klappenverletzung richtet, z. B. direkte Naht bei marginalen Einrissen, Re-Fixation bei partiellen Abrissen oder andere plastische Verfahren. Bei größeren Klappendefekten wird gelegentlich ein Klappenersatz notwendig. AV-Klappen-Rupturen durch Zerreißung der Klappensegel oder durch Ruptur der Chordae oder der Papillarmuskeln können isoliert auftreten, insbesondere bei Unfällen mit hydraulischer Sprengwirkung. Bei den AV-Klappen ist die ventral im Situs liegende Trikuspidalklappe häufiger betroffen als die Mitralklappe; eine Trikuspidalklappeninsuffizienz wird aber meist erst im chronischen Verlauf symptomatisch. Einer akuten Mitralinsuffizienz kann eine pulmonale Hypertonie mit konsekutivem Lungenödem folgen. Die insuffiziente Mitralklappe muss meist innerhalb der ersten Wochen nach dem Ereignis operiert werden. Die Aortenklappe ist von einer Ruptur seltener betroffen als die AV-Klappen. Wird das akute Trauma überlebt, so finden sich typische KIappenfehlergeräusche, und es treten Dekompensationszeichen auf. Diese können
je nach Schwere der Läsion früh oder aber im weiteren Verlauf auftreten. Lässt sich eine posttraumatische Herzinsuffizienz nicht konservativ beherrschen, so ist eine Operation angezeigt.
28.6
Verletzungen der Koronararterien
Koronarverletzungen sind von einer hohen Letalität geprägt (Asensio et al. 1998) und häufiger von schwerwiegenden Herzverletzungen begleitet. Sie führen in der Regel zu einer Perikardtamponade. Sofern sie durch eine Thorakotomie rechtzeitig erkannt werden, ist die akute Versorgung von kleineren Gefäßläsionen durch Ligatur indiziert. Größere Gefäße (>1,5 mm) sollten mittels eines aortokoronaren Venenbypasses oder eines A.-mammaria-Bypasses überbrückt werden (7 Kap. 20). Arteriovenöse Koronarfisteln und arterielle Fisteln zu den Herzhöhlen sind seltene Spätfolgen und müssen bei entsprechend großem ShuntVolumen operativ verschlossen werden.
28.7
Perikardverletzungen
Die häufigste Verletzung des Herzens betrifft das Perikard. Ist die Folge eine persistierende Blutung aus dem Perikardrand, kann diese zu einem Hämatoperikard oder einem Hämatothorax führen. Kleine Blutungen sind nicht akut lebensbedrohlich und deuten sich u. U. nur durch ein perikardiales Reibegeräusch an. Bereits ab einer Menge von 100 ml kann es zu typischen Zeichen und Symptomen einer Tamponade mit Hervortreten der Halsvenen ohne oder mit Absinken des arteriellen Drucks kommen. ! Beginnende klinische Schockzeichen in Kombination mit einem Rückgang oder Sistieren der Diurese, einer verbreiterten Herzsilhouette im Röntgenbild des Thorax oder einem direkten Nachweis eines Perikardergusses in der Echokardiographie oder im Computertomogramm benötigen eine sofortige Entlastung des Perikards mittels Punktion oder subxyphoidaler Drainageneinlage.
Die Perikardpunktion erfolgt unter echokardiographischer Kontrolle, um eine Verletzung des Herzens zu vermeiden. Über die Punktionsnadel sollte in Seldinger-Technik ein Pigtail-Katheter zur weiteren Drainage eingebracht und belassen werden. Bei starker oder anhaltender Blutung muss operativ eine großlumige subxyphoidale Drainage eingelegt werden. Die vollständige Zerreißung des Perikards mit Luxation des Herzens in die Pleura mit Kreislaufzusammenbruch wegen Abknickung des Herzens ist sehr selten.
791 Literatur
28.8
Myokardverletzungen
Verletzungen der Herzwand nach stumpfem Trauma treten hauptsächlich am rechten Vorhof auf, aber auch alle anderen Lokalisationen sind möglich. Eine vollständige Ruptur wird meist erst anlässlich einer Autopsie erkannt. Erreicht der Patient die Klinik, empfiehlt sich bei Verdacht auf Myokardruptur die sofortige chirurgische Exploration. Eine Myokardruptur kann akut oder auch nach einer Latenzzeit von mehreren Tagen ohne klinische Zeichen auftreten.
28.9
Traumatischer Ventrikelseptumdefekt
Der traumatische Ventrikelseptumdefekt tritt normalerweise unmittelbar beim Ereignis auf und wird durch seinen Geräuschbefund, das klinische Bild und die Echokardiographie diagnostiziert. Ein kleiner Ventrikelseptumdefekt ohne hämodynamische Einschränkung kann vorerst konservativ behandelt werden. Nur bei einem großen Ventrikelseptumdefekt mit akuter pulmonaler Hypertonie ist die Indikation zu einem sofortigen Eingriff zu stellen. Wie muskuläre Defekte werden sie mittels entsprechender Nahttechnik unter Verwendung von künstlichen Flicken verschlossen. Soweit der klinische Verlauf es erlaubt, erfolgt der Verschluss traumatischer Defekte wie bei einem hämodynamisch tolerierten Infarktventrikelseptumdefekt möglichst erst nach einem Intervall von 4–12 Wochen, wenn sich die Defektränder fibrotisch gefestigt haben (Schaffer et al. 1999). Bei entsprechender Lokalisation kann auch ein interventioneller perkutaner Defektverschluss in Betracht gezogen werden.
28.10 Iatrogene Herzverletzungen
Eine iatrogene Herzverletzung kann im Prinzip nach sämtlichen diagnostischen und therapeutischen Katheterinterventionen auftreten. Eine ernste, jedoch seltene Komplikation der perkutanen Koronarangiographie und -therapie ist die Koronarperforation, welche entweder konservativ, ggf. nach Einlage einer Perikarddrainage bei Tamponadezeichen, direkt mit kathetertechnischen Mitteln oder chirurgisch mittels koronarer Bypassanlage behandelt wird. Eine besondere Form ist das Entstehen einer subepikardialen Tamponade nach Koronarzerreißung und nach elektrophysiologischen Ablationsbehandlungen (Verna et al. 1992). Des Weiteren können Perforationen des Herzens beim Legen oder Entfernen von Schrittmacherkabeln, bei der Einlage von Thorax- oder Perikarddrainagen oder auch nach der Einlage von diagnostischen Kathetern über die Hohlvenen auftreten. Letzteres tritt bei Neugeborenen und Kindern häufiger auf als bei Erwachsenen.
Literatur American College of Surgeons Subcommittee on Trauma (2004) Advanced trauma life support program for doctors, 7th edn. American College of Surgeons, Chicago Asensio JA, Berne J, Demetriades D et al. (1998) One hundred five penerating cardiac injuries: a 2-year prospective evaluation. J Traum 44: 1073–1082 Burack JH, Kandil E, Sawas A et al. (2007) Triage and outcome of patients with mediastinal penetrating trauma. Ann Thorac Surg 83: 377– 382 Degiannis E, Benn CA, Leandros E et al. (2000) Transmediastinal gunshot injuries. Surgery 128: 54–58 Demetriades D, Murray J, Charalambides K et al. (2004) Trauma facilities: time and location of hospital deaths. J Am Coll Surg 198: 20–26 Kadner A, Fasnacht M, Kretschmar O, Prêtre R (2007) Traumatic free wall and ventricular septal rupture – «hybrid” management in a child. Eur J Cardiothorac Surg 31: 949–951 Kokotsakis J, Hountis P, Antonopoulos N, Skouteli E, Athanasiou T, Lioulias A (2007) Intravenous adenosine for surgical management of penetrating heart wounds. Tex Heart Inst J 34: 80–81 Lu KJ, Chien LC, Wo CC, Demetriades D, Shoemaker WC (2006) Hemodynamic patterns of blunt and penetrating injuries. J Am Coll Surg 203: 899–907 Rehn L (1897) Über penetrierende Herzwunden und Herznaht. Verb Dtsch Gesellsch Chir 26: 72–77, 151–165 Renz BM, Cava RA, Feliciano DV et al. (2000) Transmediastinal gunshot wounds: a prospective study. J Trauma 48: 416–422 Richardson JD, Flint LM, Snow NJ et al. (1981) Management of transmediastinal gunshot wounds. Surgery 90: 671–676 Schaffer RB, Berdat PA, Seiler C, Carrel TP (1999) Isolated fracture of the ventricular septum after blunt chest trauma. Ann Thorac Surg 67: 843–844 Verna E, Repetto S, Saveti C, Forgione N, Merchant S, Binaghi G (1992) Myocardial dissection following successful chemical ablation of ventricular tachycardia. Eur Heart J 13: 844–846
28
29
29 Kombinationseingriffe in der Herzchirurgie G. Walterbusch 29.1
Einleitung
29.2
Koronarchirurgie und Karotisendarteriektomie – 794 Prävalenz von koronarer Herzkrankheit und Karotisstenose – 794 Schlaganfälle in der Koronarchirurgie – 794 Rolle der Karotischirurgie in der Schlaganfallprophylaxe – 795 Operative Möglichkeiten – 796 Rationale Vorgehensweise bei Aufeinandertreffen von koronarer Herzkrankheit und Karotisstenose – 798
29.2.1 29.2.2 29.2.3 29.2.4 29.2.5
29.1
– 793
Einleitung
Die meisten Herzoperationen werden wegen Folgeerscheinungen der Atherosklerose an den Koronargefäßen und der Aortenklappe durchgeführt. Im Rahmen der Systemerkrankung treten nicht selten gleichzeitig weitere krankhafte Prozesse in anderen Gefäßprovinzen auf, sodass sich dann die Frage nach der Reihenfolge der Behandlung oder einer Simultanbehandlung stellt. Am häufigsten wird in diesem Zusammenhang die Ko-Inzidenz von koronarer Herzkrankheit und einer Stenosierung der A. carotis interna vorgefunden. Letztere wird im Gegensatz zur Herzerkrankung weniger infolge einer entsprechende Symptomatik als durch Screening-Untersuchungen diagnostiziert, für die sie durch sonographische, nicht belastende Untersuchungen gut zugänglich ist. Bei Nachweis einer hochgradigen Karotisstenose verfolgt man mit einer Simultanoperation dann nicht in erster Linie das ursprüngliche Ziel einer langfristigen Insultverhütung; eher will man einen direkten Einfluss auf die im Rahmen herzchirurgischer Eingriffe erhöhte Schlaganfallrate nehmen. Nachdem schon der Nutzen der isolierten Chirurgie asymptomatischer Karotisstenosen trotz evidenzbasiertem Nachweis der Wirksamkeit von vielen Seiten angezweifelt wird, ist es
29.3 29.3.1 29.3.2 29.3.3
Weitere Kombinationseingriffe – 799 Herzoperation und Bauchaortenaneurysmaausschaltung – 799 Herz- und periphere Gefäßoperationen – 800 Herzoperationen und Lungenresektionen – 800 Literatur
– 801
schwierig, den Nutzen der Kombinationsoperation unter noch komplizierteren Bedingungen zu belegen. Die fortgeführte Auseinandersetzung mit der Problematik dürfte aber dazu führen, dass man dem Ziel der Insultvermeidung in der Herzchirurgie näher kommt. Weitere Kombinationen von herz- und gefäßchirurgischen Eingriffen sind von untergeordneter quantitativer Bedeutung. Nennenswerte Literatur existiert zur simultanen Herz- und Bauchaortenaneurysmaoperation. Besonders die Möglichkeit der Herzoperation ohne Herz-LungenMaschine hat zu dieser Thematik eine Vielzahl neuer Publikationen ausgelöst. Weniger Beachtung erfährt die Kombination von Herz- und peripherer Gefäßchirurgie. Die Möglichkeiten der interventionellen Gefäßtherapie haben die schon immer wenigen Kombinationsoperationen in diesem Zusammenhang sicher noch seltener werden lassen. Die Entstehung des Bronchialkarzinoms ist v. a. durch das Rauchen mit den Risikofaktoren der Atherosklerose verbunden. Insofern kann man im herzchirurgischen Krankengut ein vermehrtes Vorkommen von Bronchialkarzinomen erwarten, die als Zufallsbefunde der präoperativen Diagnostik meist im resektablen Stadium gefunden werden. Durch den verständlichen Wunsch des Patienten nach
794
Kapitel 29 · Kombinationseingriffe in der Herzchirurgie
schnellstmöglicher kurativer Behandlung gewinnt die Kombination von Herzoperation und Lungenresektion relevante praktische Bedeutung, zumal beide Eingriffe über dieselbe Thorakotomie, d. h. in der Regel über eine Sternotomie durchgeführt werden können.
29.2
29
Koronarchirurgie und Karotisendarteriektomie
Bei herzchirurgischen Operationen treten Schlaganfälle sehr viel häufiger auf als bei anderen chirurgischen Eingriffen. Der Grund dafür dürfte in den Besonderheiten der extrakorporalen Zirkulation und dem hohen Anteil von Patienten mit atherosklerotischer Grundkrankheit liegen. Insbesondere werden eine begleitende Atheromatose der Aorta und hochgradige Karotisstenosen als Ursachen der erhöhten Schlaganfallrate angesehen (Selim 2007). Nachdem für die Karotisstenose seit langer Zeit ein standardisiertes Operationsverfahren in Form der Karotisendarteriektomie zur Verfügung steht, wurde die Simultanoperation von Herz und Karotis mit dem Ziel der Schlaganfallverhütung bereits 1972 in die klinische Praxis eingeführt. (Bernhard et al. 1972). Seitdem sind eine große Anzahl von Berichten zur Simultanoperation von Karotisstenose und koronarer Herzkrankheit vorwiegend als Einzelzentrumserfahrung publiziert worden. Die Schlussfolgerung der meisten Publikationen geht dahin, dass der Simultaneingriff mit akzeptablem Risiko durchgeführt werden kann. Die Ergebnisse sind 2003 in einer Metaanalyse zusammengefasst worden (Naylor et al. 2003b). Diesen relativ günstigen Erfahrungen mit der Simultanoperation widersprechen allerdings in letzter Zeit veröffentlichte Daten aus Versicherungsdatenbanken oder nationalen Registern, die unter Versorgungskrankenhäusern deutlich höhere Komplikationsraten finden (Brown et al. 2003). Leider existiert keine prospektiv randomisierte Vergleichsuntersuchung, die das bestmögliche Vorgehen bei simultanem Auftreten beider Erkrankungen klären könnte. Auch in absehbarer Zeit wird mit einer entsprechenden Untersuchung nicht zu rechnen sein, weil bei der Komplexität der Ausgangsbedingungen vonseiten zweier Erkrankungen und der Vielfalt der angewandten Behandlungstechniken die erforderliche Anzahl von Patienten kaum in eine solche Studie einzuschließen sein wird (Das et al. 2000). Die unklare Datenlage macht individuelle Lösungen für den Einzelfall und Konzepte für jede herzchirurgische Einheit notwendig. Mit Hilfe der in Deutschland administrativ vorgegebenen obligatorischen Qualitätssicherungsmodule sowohl der Karotis- als auch der Koronarchirurgie dürften sich die eigenen Ergebnisse mit den veröffentlichten Erfahrungen vergleichen und eine Annäherung an optimale Ergebnisse im Sinne eines kontinuierlichen Verbesserungsprozesses erreichen lassen.
29.2.1 Prävalenz von koronarer Herzkrankheit
und Karotisstenose ! Bis zu 28 % der für eine Karotisoperation vorgesehenen Patienten haben eine operationsbedürftige koronare Herzkrankheit und 5–10 % der Koronarpatienten eine Karotisstenose von >80 % (Ricotta u. Wall 2003).
Im eigenen, komplett duplexsonographisch untersuchten koronarchirurgischen Krankengut fanden wir in 4,5 % der Fälle eine Karotisstenose von >80 %. Das New York State Cardiac Surgery Reporting System registrierte 1997 und 1998 einen Anteil von Simultanoperationen von 0,48 % (Ricotta et al. 2005). Ein vergleichbarer Anteil von 0,51 % wurde in Kanada über einen 10-Jahres-Zeitraum bei 132.762 Koronaroperationen ermittelt (Hill et al. 2005). In einer vergleichenden Übersicht über mehrere US-Staaten stieg der Anteil von Karotis-Koronar-Kombinationsoperationen von 1,1 % im Jahr 1993 auf 1,58 % im Jahr 2002 (Dubinsky u. Lai 2007). Bei einer Analyse von Medicare-versicherten US-Bürgern lag der Anteil bei 2,1 % (Brown et al. 2003). Der variierende Anteil von Simultanoperationen mag darauf zurückzuführen sein, dass viele Chirurgen den Simultaneingriff nur bei Vorliegen symptomatischer Karotisstenosen durchführen. Ein zeitweiliger Enthusiasmus für die Simultanoperation dürfte sich 1994 nach Veröffentlichung der Studien zur Operation der asymptomatischen Karotisstenose ergeben haben (Executive Committee for the Asymptomatic Carotid Atherosclerosis Study 1995). Die Einführung des Karotisstentings auch durch Kardiologen und deren Zurückhaltung gegenüber der Simultanoperation bewirkte wiederum eine rückläufige Tendenz (Byrne et al. 2006). Darüber hinaus wird der routinemäßige Einsatz der Karotisdopplerdiagnostik vor Herzoperationen unterschiedlich gehandhabt. Unabhängig von therapeutischen Konsequenzen sollte eine duplexsonographische Screening-Diagnostik ab einem Alter von 60 Jahren und bei Vorliegen von mindestens 2 Risikofaktoren wie Rauchen, Diabetes mellitus und Hypertonie duchgeführt werden. In dieser Patientengruppe findet sich ein um 30 % höherer Anteil mit hochgradiger Karotisstenose (Ascher et al. 2001; Durand et al. 2004; Sheiman u. d’Othee 2007).
29.2.2 Schlaganfälle in der Koronarchirurgie
Als Schlaganfall wird definitionsgemäß jede länger als 24 h anhaltende neurologische Ausfallsymptomatik gewertet (Collaborators NASCET 1991). Der aus dem Schlaganfall resultierende Grad der Behinderung kann im weiteren Verlauf z. B. entsprechend der Rankin-Einteilung (. Tab. 29.1) weiter klassifiziert werden, wonach Rankin 3 und höher als behindernder Schlaganfall zu werten ist (Barnett et al. 1998). Die Schlaganfallrate in der Koronarchirurgie wird in der Literatur bei retrospektiven Analysen im Mittel mit
795 29.2 · Koronarchirurgie und Karotisendarteriektomie
. Tab. 29.1. Modifizierte Rankin-Scale (Farrell et al. 1991; van Swieten et al. 1988; Rankin 1957) 0 = Keine Symptome 1 = Keine wesentliche Funktionseinschränkung trotz Symptomen; kann alle gewohnten Aufgaben und Aktivitäten verrichten 2 = Geringgradige Funktionseinschränkung; unfähig alle früheren Aktivitäten zu verrichten, ist aber in der Lage, die eigenen Angelegenheiten ohne Hilfe zu erledigen 3 = Mäßiggradige Funktionseinschränkung; bedarf einiger Unterstützung, ist aber in der Lage, ohne Hilfe zu gehen
kommt auch der Mikroembolisation aus aufgebrochenen Karotisplaques eine größere Bedeutung zu als der hämodynamischen Wirksamkeit der Karotisstenose. Für das zeitlich oft verspätete Auftreten des Schlaganfalls sind darüber hinaus auch Embolien infolge neu aufgetretenen Vorhofflimmerns, das Absetzen gerinnungshemmender Medikamente und die durch das chirurgische Trauma induzierte Aktivierung des hämostatischen Systems mit konsekutiver Hyperkoagulabilität in Betracht zu ziehen (Selim 2007).
4 = Mittelschwere Funktionseinschränkung; unfähig, ohne Hilfe zu gehen und unfähig, ohne Hilfe für die eigenen körperlichen Bedürfnisse zu sorgen
29.2.3 Rolle der Karotischirurgie
5 = Schwere Funktionseinschränkung; bettlägerig, inkontinent, bedarf ständiger Pflege und Aufmerksamkeit
Der Nutzen der isolierten Karotischirurgie zur Schlaganfallprävention ist durch prospektiv randomisierte Studien belegt. Unbestritten ist ihr Nutzen bei symptomatischen Patienten mit hemishpärischer Ausfallsymptomatik und
1,4 % und bei prospektiven Untersuchungen mit 2,0 % angegeben (Naylor et al. 2003b). In der deutschen Statistik der Bundesgeschäftsstelle Qualitätssicherung wurde für das Jahr 2006 für die isolierte Koronarchirurgie eine Schlaganfallrate von 1,2 % ermittelt. In 23 % der Fälle ist der Schlaganfall unmittelbare Todesursache; 33–45 % der Schlaganfälle werden innerhalb der ersten 24 h nach der Operation beobachtet. Die Mehrzahl der neurologischen Ausfälle tritt aber erst innerhalb von 1–7 Tagen nach der Operation auf (McKhann et al. 2006). Die Schlaganfallhäufigkeit ist deutlich altersabhängig. Bei unter 50-Jährigen liegt sie bei <0,5 % und steigt bei über 80-Jährigen auf 8–9 % an. Am meisten schlaganfallgefährdet sind Patienten mit vorausgegangenem Insult und mit computertomographisch nachgewiesenen Hirninfarkten; sie haben ein 4fach höheres Schlaganfallrisiko gegenüber Patienten mit unauffälliger Schlaganfall- oder TIA-Anamnese (TIA: transitorische ischämische Attacke). Mit dem Grad der Karotisobstruktion nimmt die Schlaganfallhäufigkeit zu: von 1,9 % mit einer Stenose von <50 % über 6,7 % bei Stenosen von 50–99 % bis 11,7 % bei einseitiger Karotisobstruktion. Beidseitige signifikante Läsionen erhöhen das Risiko weiter. Den höchsten Gefährdungsgrad haben Patienten mit beidseitigem Verschluss der A. carotis interna. Aus eigener Erfahrung ist dies zu bestätigen; erstaunlicherweise sind hierzu nur 3 Fälle veröffentlicht (Naylor u. Bell 2002). Die Hälfte der Schlaganfallpatienten weisen keine extrakanielle Gefäßobstruktion auf. Hier überwiegt entsprechend radiologischer Kriterien zum Hirninfarktmuster mit 62 % die embolische Ursache. Wahrscheinlich durch die Karotisobstruktion verursachte Wasserscheideninfarkte lassen sich nur in 9 % der Fälle nachweisen (Likosky et al. 2003). Für die vorwiegende Emboliegenese dürfte v. a. eine Aortenatheromatose verantwortlich sein. Sie ist bei Patienten mit Karotisstenose und koronarer Herzkrankheit in der Hälfte der Fälle nachzuweisen. Wahrscheinlich
in der Schlaganfallprophylaxe
. Abb. 29.1. Die amerikanischen (North American Symptomatic Carotid Endarterectomy Trial, NASCET) und die europäischen (European Carotid Surgery Trial, ECST) prospektiven, randomisierten Studien zur Karotischirurgie benutzen einen unterschiedlichen Bezugswert zur Stenosegradbestimmung. Die NASCET-Studie setzt die Stenose in Bezug zum Durchmesser der A. carotis interna im jenseits der Stenose wieder parallel verlaufenden Gefäßabschnitt, und die ECST-Studie bezieht sich auf einen mit Kontrastmittel nicht dargestellten gedachten Gefäßdurchmesser in Stenosehöhe
29
796
Kapitel 29 · Kombinationseingriffe in der Herzchirurgie
Bei Patienten mit asymptomatischen, auch hochgradigen Stenosen bleibt der Nutzen grenzwertig. Nur wenn der Eingriff mit einer sehr niedrigen Komplikationsrate von <3 % durchgeführt werden kann, wird ein Vorteil gegenüber der konservativen medikamentösen Therapie beobachtet (NNT von 19). Der Nutzen der Operation ist weiterhin stark vom Grad der Karotisstenose abhängig. Er wird i. A. in Prozent der Diameterreduktion angegeben. Obwohl man abhängig vom verwendeten Messverfahren zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen kommt, findet die zugrunde liegende Messmethode häufig keine Erwähnung. So sind die angiographischen Messungen der amerikanischen Studien (North American Symptomatic Carotid Endarterectomy Trial, NASCET) mit denen der europäischen Studien (European Carotid Surgery Trial, ECST) inkongruent und selten mit den zunehmend verwendeten duplexsonographischen Untersuchungs- und Berechnungsmethoden abgeglichen. Legt man eine nach NASCET gemessene 70%ige Stenose zugrunde, so sollte man sich vergegenwärtigen, dass es sich hierbei um eine extrem hochgradige Stenose mit einer bereits 95%igen Lumenreduktion handelt. Es sind nur diese und noch höhergradige asymptomatische Stenosen, die für einen Simultaneingiff in Erwägung gezogen werden sollten (. Abb. 29.1–29.3).
29 . Abb. 29.2. Dieses Karotisangiogramm veranschaulicht einen in der subjektiven Wahrnehmung hohen Stenosegrad, der jedoch keine 70%ige Diameterreduktion erreicht und dementsprechend noch nicht operationswürdig ist
hochgradigen Stenosen. Die Anzahl der zu operierenden Patienten, um in einem Zeitraum von 5 Jahren einen Schlaganfall zu verhüten (»number needed to treat«, NNT; reziprok der absoluten Risikoreduktion), liegt für Männer bei 9 und für Frauen bei 36. Ihren größten Effekt entfaltet die Karotisoperation, wenn sie innerhalb von 14 Tagen nach einer transitorisch-ischämischen Symptomatik oder bei Patienten in einem Alter von >75 Jahren durchgeführt wird (NNT von 5; Rothwell et al. 2004).
. Abb. 29.3. Graphische Darstellung der Umrechnung verschiedener Methoden der Stenosegradbestimmung (duplexsonographische Ermittlung der Lumenreduktion; Angaben in Prozent). ECST European
29.2.4 Operative Möglichkeiten
Für das operative Vorgehen stehen die verschiedensten Kombinationen von zeitlicher Abfolge, Narkoseformen und Operationstechniken zur Verfügung. Die Karotisoperation kann zeitlich versetzt zur Koronaroperation vorher (»staged«), nachher (»reversed staged«) oder simultan (synchron) stattfinden. Bei der Simultanoperation erfolgt die Karotisoperation in der Regel vor der Koronaroperation. Häufig wird sie von getrennten gefäß- und herzchirurgischen Teams durchgeführt. Gelegentlich wird die Karotisoperation auch bei simultanem Vorgehen in Regionalanästhesie durchgeführt.
Carotid Surgery Trial; NASCET North American Symptomatic Carotid Endarterectomy Trial. Nach W. Maatz
797 29.2 · Koronarchirurgie und Karotisendarteriektomie
! Wenn in Allgemeinanästhesie routinemäßig kein intraluminaler Shunt eingelegt wird, ist die Verwendung eines zerebralen Monitorings angebracht.
Die Endarteriektomie erfolgt entweder nach Längsarteriotomie unter Einsichtnahme des Plaqueendes oder als Eversionsendarteriektomie mit querer Gefäßdurchtrennung und Re-Insertion in die A. carotis communis. Der Längsarteriotomieverschluss kann mittels Direktnaht oder PatchVerschluss – beim Kombinationseingriff wegen der kompletten Heparinisierung am besten mittels V.-saphenaStreifentransplantat – durchgeführt werden. Wegen der Heparinisierung sollte man die Wunde erst nach dem Herzeingriff verschließen. Während der extrakorporalen Zirkulation ist es erstrebenswert, dass die Autoregulation des Gehirns zur Vermeidung einer Hyperperfusion intakt bleibt. Dem Alpha-Stat-Blutgasprotokoll sollte deshalb gegenüber dem pH-Stat-Protokoll zur Vermeidung der regulatorisch wirksamen Hyperkarbie der Vorzug gegeben werden (Schoof et al. 2007; Selim 2007). 29.2.4.1
Ungeschützte Herzoperation in Gegenwart einer Karotisstenose (»reversed staged«)
Wenn man eine geschätzte Prävalenz von 6 % Karotisstenosen von >80 % im koronarchirurgischen Krankengut einem Anteil von max. 2,1 % Simultanoperationen in den administrativen Datenbanken gegenüberstellt, kann man annehmen, dass ein nicht unwesentlicher Anteil von Herzoperationen unter Vernachlässigung einer hochgradigen asymptomatischen Karotisstenose durchgeführt wird (Naylor u. Bell 2002). Erstaunlich ist, dass trotz dieser gängigen Praxis nur wenige Informationen über den Zusammenhang zwischen belassener asymptomatischer hochgradiger Karotisstenose und Schlaganfallinzidenz bei Herzperationen erhältlich sind. Eine der wenigen Studien mit auch nur 50 Patienten, die dezidiert auf den Stenosegrad >70 % eingeht, zeigte keine Erhöhung der Schlaganfallinzidenz gegenüber einer Patientenpopulation ohne Karotisstenose (Ghosh et al. 2005). In der einzigen, schon lange zurückliegenden prospektiven Vergleichsuntersuchung fand man bei vorausgehender alleiniger Koronaroperation eine erhöhte Schlaganfallrate bei niedrigerer Letalitäts- und Herzinfarktrate. Bei der Simultanoperation von A. carotis und Herz war die Schlaganfalllrate geringer – unter Inkaufnahme einer erhöhten Letalität (Hertzer et al. 1989). In Anwesenheit einer beidseitigen Karotisobstruktion, ggf. mit einseitigem Verschluss, steigt die perioperative Schlaganfallhäufigkeit an. Allerdings treten entsprechend autoptischer oder computertomographischer Befunde nur 7 % als direkt auf die Karotisstenose zu beziehende Hemisphäreninfarkte auf (Naylor u. Bell 2002). Letztendlich wäre nur eine prospektive, randomisierte Studie in der Lage, die umstrittene Frage der Notwendigkeit
der Beseitigung der Karotisstenose zu beantworten. Der Aufwand für eine solche Studie wird aber mit je 1000 Patienten in 2 Studienarmen als gewaltig und kaum leistbar eingeschätzt (Das et al. 2000). Ungeachtet des Einflusses, den die Beseitigung der Karotisstenose auf die unmittelbare Schlaganfallrate der Koronaroperation hat, muss der Effekt der Karotisoperation auf die langfristige Schlaganfallprävention in die Überlegungen mit einbezogen werden. Auch wenn man sich entschließt, den Koronareingriff »ungeschützt« in Gegenwart einer hochgradigen Karotisstenose durchzuführen, erscheint die Karotisoperation zu einem späteren Zeitpunkt indiziert. Deshalb sollten die addierten Komplikationsraten beider Eingriffe denjenigen des Kombinationseingriffs gegenübergestellt werden. Bei dieser Betrachtungsweise waren keine signifikante Unterschiede nachzuweisen (Naylor et al. 2003b). 29.2.4.2
Zeitlich vorausgehender Karotiseingriff (»staged«)
Wenn die Koronaroperation unter strenger Indikationsstellung nur bei hochsymptomatischen Patienten oder prophylaktisch bei Patienten mit linker Hauptstammstenose und koronarer 3-Gefäß-Erkrankung mit eingeschränkter Ventrikelfunktion durchgeführt wird, dürfte der Anteil der Patienten gering sein, bei denen eine zeitlich vorgezogene Karotisoperation zulässig ist. Der Anteil der für dieses Vorgehen infrage kommenden Patienten wird auf <10 % geschätzt (Hertzer et al. 1997). ! In der großen Mehrzahl der Fälle ist es nicht gerechtfertigt, einen Herzinfarkt im Rahmen der isolierten Karotischirurgie zu riskieren.
Mit zunehmender Verbreitung der interventionellen Therapie der Karotisstenose wurde auch der Wert einer der Herzoperation vorausgehende Dilatations- und Stentbehandlung der Karotisstenose untersucht. Die Erfahrungen mit diesem Vorgehen sind noch begrenzt. Eine prospektiv angelegte Studie kommt bei bisher begrenzter Anzahl eingeschlossener Patienten zu dem Schluss, dass eine Änderung der Therapie zugunsten der vorausgehenden interventionellen Behandlung zurzeit noch nicht gerechtfertigt ist (Randall et al. 2006). Die auch im Rahmen der Karotisstenttherapie für notwendig erachtete thrombozytenfunktionshemmende Medikation dürfte eine Herzoperation in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit zusätzlichen Problemen belasten. Mit dem zunehmenden Interesse an interventionellen Karotiseingriffen auch von kardiologischer Seite wird diese therapeutische Option sicherlich noch auf breiter Basis evaluiert werden. 29.2.4.3
Simultanoperation
Bei der Simultanoperation wird die vorausgehende Karotisoperation noch vor der herzchirurgischen Thorakotomie bevorzugt. Berichte über eine umgekehrte Vorgehens-
29
798
29
Kapitel 29 · Kombinationseingriffe in der Herzchirurgie
weise liegen nicht vor. Wir selbst bevorzugen diese umgekehrte zeitliche Reihenfolge seit 2 Jahren, ohne bisher unter 37 Patienten einen Schlaganfall verzeichnen zu müssen. Ein Unterschied gegenüber der über Jahre geübten gängigen Praxis ist statistisch bisher nicht nachzuweisen. Zur simultanen Vorgehensweise werden stark differierende Ergebnisse mitgeteilt. Die vorherrschend veröffentlichten Daten entsprechen den Berichten einzelner Zentren, wobei »centers of excellence« den größten Beitrag leisten. In einer Metaanalyse der bis zum Jahre 2002 veröffentlichten Literatur über die Ergebnisse der Simultanoperation bei 7753 Patienten konnte man eine Schlaganfallrate von 4,6 % und eine Letalitätsrate von ebenfalls 4,6 % errechnen (Naylor et al. 2003b). Im Gegensatz zu diesen aus Berichten von Exzellenzzentren ermittelten Komplikationsraten wurde im Jahre 2002 aus dem Versicherungsregister der amerikanischen Medicare-Versicherung, das die Ergebnisse von Versorgungskliniken mehrerer nordamerikanischer Bundesstaaten auswertete, eine kombinierte SchlaganfallSterblichkeits-Rate von 17,7 % ermittelt (Brown et al. 2003). Eine Kontrolle in den Folgejahren zeigte nach einem Qualitätsverbesserungsprogramm eine Verbesserung der kombinierten Komplikationsrate auf 13,3 % (Kresowik et al. 2004). Zu einem vergleichbaren Ergebnis einer kombinierten Schlaganfall-Sterblichkeits-Rate von 13 % kam die Auswertung der Daten des Canadian Institute of Health Information bei 669 über einen Zeitraum von 8 Jahren simultan karotis- und koronaroperierten Patienten (Hill et al. 2005). Damit erscheint das Risiko der Simultanoperation deutlich höher als die bloße Addition der für den jeweiligen Einzeleingriff bekannten Komplikationsraten. Hinsichtlich der Frage, ob die zusätzliche Karotisoperation die erhöhte Komplikationsrate als solche bedingt oder ob ein ungünstigeres Risikoprofil der kombiniert operierten Patienten dafür verantwortlich ist, kommt man zu unterschiedlichen Ergebnissen. Bei einer Gegenüberstellung von in der New York State Cardiac Data Base erfassten kombiniert operierten Patienten mit einer mittels Propensity Score (7 Kap. 2) ermittelten, mit dem gleichen Risiko behafteten Gruppe fand sich kein Unterschied in der Komplikationsrate, mit der Schlussfolgerung, dass der zusätzlichen Karotisoperation kein Anteil an der erhöhten Komplikationsrate zuzuweisen ist (Ricotta et al. 2005). Die ebenfalls nach Risikoadjustierung mit isoliert koronarchirurgisch operierten Patienten verglichene Gruppe kombiniert operierter Patienten, die sich aus dem amerikanischen Nationwide Inpatient Sample ermitteln ließ, wies dagegen eine um 38 % höhere Komplikationsrate auf, die bei diesem Kollektiv dem Doppeleingriff angelastet wurde (Dubinsky u. Lai 2007). In vereinzelten Zentren wird die Karotisendarteriektomie unter extrakorporaler Zirkulation durchgeführt. An dieser Vorgehensweise wird die im Rahmen der extrakorporalen Zirkulation mögliche Hypothermie als hirnprotek-
tive Maßnahme geschätzt (Minami et al. 2000). Als Nachteil ist die nicht unbeträchtlich verlängerte Zeit der extrakorporalen Zirkulation anzusehen. In einer vergleichenden Untersuchung beider Verfahren ließen sich die vermuteten Vorteile allerdings nicht bestätigen (Bonacchi et al. 2002). Eine weitere Alternative ist die Kombination von Karotisendarteriektomie und »Off-pump«-Bypasschirurgie. Vor allem die Gefahr eines Schlaganfalls vonseiten einer bei multiregionaler Gefäßerkrankung vermehrt zu beobachtenden Aortenatheromatose kann bei diesem Vorgehen möglicherweise verringert werden. Die bisher wenigen Berichte hierzu schildern eine vergleichsweise geringe Komplikationsrate (Beauford et al. 2003; Garcia-Rinaldi u. Cruz 2004; Mishra et al. 2004).
29.2.5
Rationale Vorgehensweise bei Aufeinandertreffen von koronarer Herzkrankheit und Karotisstenose
Für das Vorgehen bei operationsbedürftiger koronarer Herzkrankheit und hochgradiger Karotisstenose lassen sich aus der Literatur keine eindeutigen Empfehlungen ableiten. Die im Vergleich zu den isolierten Koronar- oder Karotiseingriffen hohen Komplikationsraten des Kombinationseingriffs zwingen dazu, seine Notwendigkeit individuell sehr genau zu überprüfen. Für ein zweckmäßiges Vorgehen empfiehlt es sich, jede der beiden Erkrankungen einzeln hinsichtlich der Dringlichkeit ihrer Behandlung einzuschätzen. Dafür sind Daten von höchstem Evidenzniveau und daraus abgeleitete Leitlinien verfügbar. Vorrangig wäre die symptomatische Erkrankung zu behandeln. Rezidivierende transitorische ischämische Attacken, insbesondere in einem Zeitraum von 14 Tagen nach ihrem Auftreten, machen die Behandlung der Karotisstenose vordringlich; umgekehrt lässt eine instabile Angina pectoris die Behandlung der koronaren Herzkrankheit vordringlich erscheinen. Bei Aufeinandertreffen beider Situationen wäre eine Simultanoperation unausweichlich. Bei fehlender Symptomatik oder Angina pectoris auf hohem Belastungsniveau ist die Entscheidung anhand objektiver Untersuchungsbefunde zu treffen. Filiforme Stenosen wichtiger Koronargefäße wird man nicht der Verschlussgefahr anlässlich einer vorgezogenen Karotisoperation aussetzen, wohingegen etwa der Befund einer mäßigen Hauptstammstenose den zweizeitigen Eingriff erlauben dürfte. Wahrscheinlich eignet sich hierfür nur ein kleines Patientenkollektiv. Im Fall einer asymptomatischen Karotisstenose ist eine sehr genaue Bestimmung des Stenosegrades, am besten durch Auswertung sowohl einer angiographischen als auch einer duplexsonographischen Diagnostik, erforderlich. Dabei sollte sichergestellt sein, dass der Stenosegrad >70 % entsprechend der NASCET-Messmethode oder >80 % entsprechend der ECST-Methode beträgt. Auch in diesem Fall
799 29.3 · Weitere Kombinationseingriffe
liegen keine gesicherten Daten bezüglich der Notwendigkeit des simultanen Eingriffs vor. Ein gleichzeitig vorliegender Verschluss der kontralateralen A. carotis würde den Entschluss zur simultanen Operation unterstützen. Darüber hinaus muss in die Überlegung einbezogen werden, dass entsprechend den Ergebnissen der prospektiven Studien zur isolierten Chirurgie asymptomatischer Karotisstenosen auch eine langfristige Schlaganfallprophylaxe zu erwarten ist. Nach einer erfolgreichen Koronaroperation wäre im Fall einer Stenose von >70 % (NASCET) zumindest der zweizeitige, nachfolgende Karotiseingriff (»reversed staged«) indiziert. Hinsichtlich der technischen Durchführung sowohl des Karotis- als auch des Koronareingriffs liegen keine Erkenntnisse bezüglich einer überlegenen Methode vor. Die Erwartungen in die interventionelle Behandlung der Karotisstenose vor der Koronaroperation konnten bislang nicht erfüllt werden. Auch die Ergebnisse der unter extrakorporaler Zirkulation mit Hypothermieschutz durchgeführten Karotisoperation zeigten im Vergleich keine Vorteile. Bei guten persönlichen Erfahrungen mit einer bevorzugten Technik muss diese nicht zugunsten eines als eindeutig überlegen identifizierten Verfahrens geändert werden. Von einigem Evidenzniveau scheint aber die Mitteilung zu sein, dass die zunächst sehr hohe Komplikationsrate der Simultanoperation bei der multizentrischen Auswertung von Versicherungsdaten durch eine perioperative Fortführung der Thrombozytenfunktionshemmung und durch eine Flickenplastik der A. carotis deutlich gesenkt werden konnte. Bemerkenswert ist, dass diese Verbesserung im Rahmen einer qualitätsverbessernden Initiative stattfand. Die Ergebniskontrolle sowohl der Karotis- als auch der Koronarchirurgie wird in Deutschland pflichtmäßig durchgeführt. Durch Kenntnis verlässlicher Daten lässt sich das eigene Vorgehen an die dargestellten Ergebnisse der Literatur adjustieren.
29.3
Weitere Kombinationseingriffe
29.3.1 Herzoperation und Bauchaorten-
aneurysmaausschaltung Bei Patienten mit einem operationsbedürftigen Bauchaortenaneurysma liegt in 27–46 % der Fälle gleichzeitig eine koronare Herzkrankheit vor (Garofalo et al. 2005; Kioka et al. 2002). Diese ist die wesentliche Ursache perioperativer Komplikationen und der Letalität bei Bauchaortenaneurysmaoperationen. Aus diesem Grund wird auf die präoperative Diagnostik der koronaren Herzkrankheit insbesondere bei der prophylaktischen Chirurgie des asymptomatischen Bauchaortenaneurysmas besonderer Wert gelegt. Mehrere Studien zu dieser Problematik, darunter auch eine prospektiv randomisierte Studie der Evidenzklasse I, zeigen allerdings, dass eine prophylaktische
Koronarrevaskularisation vor großen Gefäßeingriffen nicht erforderlich ist (McFalls et al. 2004). Nur bei Patienten mit Angina-pectoris-Symptomatik auf niedrigem Belastungsniveau (CCVS III und IV; CCVS: Canadian Cardiovascular Society), einer instabilen Angina pectoris oder einem akuten Koronarsyndrom sollte kein elektiver Gefäßeingriff durchgeführt werden. Für Patienten mit hinsichtlich des Langzeitüberlebens prognostisch relevanten koronarmorphologischen Befunden wie linke Hauptstammstenose, Stenosierung im Sinne eines Hauptstammäquivalents oder 3-Gefäß-Erkrankung mit eingeschränkter linksventrikulärer Funktion liegen keine Daten bezüglich des Risikos elektiver Gefäßoperationen vor. Ein gesteigertes Operationsrisiko ist bei diesen Konstellationen aber anzunehmen. Vonseiten der koronaren Herzkrankheit stellt das Bauchaortenaneurysma kaum eine komplikationsträchtige Begleiterkrankung dar. Obwohl das Auftreten von Aneurysmen mit einem Durchmesser von >5 cm im Rahmen der Koronarchirurgie (Häufigkeit: 1–5,2 %) nicht so selten ist, dürfte die Ruptur des Aneurysmas während der Herzoperation nur anektdotisch bekannt sein (Bergersen et al. 1998; Durham et al. 1991; Monney et al. 2004). Die Gefahr der Aneurysmaruptur nimmt exponentiell mit dem Aneurysmadurchmesser zu, wobei die Rupturgefahr von Aneurysmen mit einer Größe von >7 cm bei 32,5 % innerhalb eines Jahres liegt (Lederle et al. 2002). Ab dieser Größe sollte die Aneurysmaoperation frühzeitig – etwa 14 Tage nach der Herzoperation – oder spätestens bei einem Durchmesser von 8 cm simultan mit der Herzoperation erfolgen (Blackbourne et al. 1994). Mit Rückenoder Bauchschmerzen einhergehende, eindeutig symptomatische und bei Palpation berührungsempfindliche Aneurysmen sollten ebenfalls besser simultan operiert werden (Onwudike et al. 2000). Das Zusammentreffen einer dringlich operationsbedürftigen koronaren Herzkrankheit und eines Bauchaortenaneurysmas mit dringlicher Operationsindikation ist dennoch ein seltenes Ereignis. Im eigenen Krankengut wurde ein Simultaneingriff unter 18.424 Koronaroperationen nur in 7 Fällen durchgeführt. Dabei handelte es sich 3-mal um ein symptomatisches und einmal um ein rupturiertes Aneurysma sowie 3-mal um ein Aneurysma mit einem Durchmesser von >7 cm. Operationstechnisch wird das Bauchaortenaneurysma am besten über eine durchgehende mediane Sternotomie und Laparotomie erreicht. Der große Zugang garantiert eine außergewöhnlich gute Übersicht für beide Operationen. In der aktuellen Literatur werden Vorteile und zum Teil bessere Ergebnisse mit der »Off-pump«-Koronarchirurgie beschrieben (Ascione et al. 2001; Wolff et al. 2006). Beim eigenen Vorgehen haben wir die Operation auch des Bauchaortenaneurysmas unter extrakorporaler Zirkulation nach der Koronarrevaskularisation durchgeführt. Wir sahen Vorteile in der Entlastung des Herzens während der Aortenklemmphase und in der Möglichkeit
29
800
Kapitel 29 · Kombinationseingriffe in der Herzchirurgie
der Autotransfusion während der extrakorporalen Zirkulation. In äußerst seltenen Einzelfällen kann auch eine simultane Karotis-, Koronar- und Bauchaortenoperation angebracht sein.
29.3.2 Herz- und periphere Gefäßoperationen
29
Obwohl die Ko-Inzidenz von koronarer Herzkrankheit und peripherer arterieller Verschlusskrankheit mit 42 % sehr häufig ist, ergibt sich auch hier selten die Notwendigkeit der Simultanoperation. Nur die interventionellen Techniken nicht zugängliche periphere arterielle Verschlusskrankheit im Ruheschmerzstadium oder im bereits eingetretenen Nekrosestadium muss ggf. einer Simultanoperation zugeführt werden. Um das chirurgische Trauma so gering wie möglich zu halten, wird den weniger eingreifenden Operationsverfahren auch unter Inkaufnahme eines begrenzten Langzeitergebnisses der Vorzug geben. So wird man einen Verschlussprozess im Bereich der abdominellen Aorta trotz des zu erwartenden schlechteren Langzeitergebnisses vorerst mit einer den 2-Höhlen-Eingriff vermeidenden extraanatomischen axillofemoralen Gefäßrekonstruktion behandeln oder im Bereich der Beckenstrombahn einen einseitigen retroperitonealen Eingriff vornehmen, der sich auf die von der Ruheminderdurchblutung betroffene Extremität konzentriert. Im Bereich der Oberschenkelarterien reichen zur Behandlung der Ruheschmerzsymptomatik ohne Gewebenekrosen häufig isolierte Gefäßrekonstruktionen in der Region der Femoralisgabel aus, etwa in Form einer Ausschälplastik der A. femoralis communis, meist in Kombination mit einer Profundaerweiterungsplastik. Auch in Anwesenheit eines langstreckigen Verschlusses der A. femoralis superficialis sind diese Eingriffe besonders dann erfolgversprechend, wenn angiographisch sichtbare Kollateralen Anschluss an eine erhaltene A. poplitea finden. Fehlt diese bis zur Unterschenkelarterienaufzweigung gänzlich und liegt zusätzlich eine Nekrosenbildung vor, ist die risikobehaftete Bypassrevaskularisation einer Unterschenkelarterie unausweichlich. Es empfiehlt sich, diesen Eingriff erst nach erfolgreicher Beendigung der Koronarrevaskularisation in Angriff zu nehmen und in einer absehbar äußerst stabilen Kreislaufsituation vorzunehmen. Vonseiten des verfügbaren Bypassmaterials und der Qualität des Anschlussgefäßes sollten berechtigte Erfolgsaussichten für die Gefäßrekonstruktion vorliegen, um weitere Revisionsoperationen in der postoperativen Phase so weit wie möglich auszuschließen. ! Auf jeden Fall muss der Herzpatient mit symptomatischer peripherer arterieller Verschlusskrankheit über einen drohenden Extremitätenverlust eindringlich aufgeklärt sein, damit die Gliedmaßenamputation im schlimmsten Fall simultan erfolgen kann.
29.3.3 Herzoperationen und Lungenresektionen
Anlässlich der vor Herzoperationen durchgeführten Röntgenuntersuchungen der Thoraxorgane werden gelegentlich Lungentumoren entdeckt. Unter 3364 konsekutiv auf das Vorliegen von Lungenveränderungen durchgesehen Röntgenaufnahmen fand man 40 nichtkalzifizierte tumorverdächtige Läsionen, von denen sich 17 als maligne identifizieren ließen (Johnson et al. 1996). Unter dem Gesichtspunkt der unverzögerten Beseitigung eines wachsenden Tumors und einer früher möglichen adjuvanten Chemotherapie kann unter diesen Umständen eine Kombinationsoperation von Herz und Lunge in Betracht gezogen werden. Der Nachweis einer verlängerten Überlebensrate durch die frühzeitige Tumorentfernug ließ sich bislang jedoch nicht erbringen. In einem Einzelbericht wird im Gegenteil über eine bessere Langzeitprognose bei zweizeitiger Operation berichtet (Miller et al. 1994). Die aktuelle Literatur zur Frage der Kombinationsoperation beschäftigt sich vorwiegend mit der Frage, ob der herzchirurgische Eingriff unter Verwendung der HerzLungen-Maschine oder mittels »Off-pump«-Verfahren durchgeführt werden soll. Letzteres hat verschiedene theoretische Vorteile: 4 Das Blutungsrisiko scheint aufgrund der nicht notwendigen Vollheparinisierung geringer zu sein. 4 Die inflammatorische Immunantwort auf die extrakorporale Zirkulation entfällt, sodass die immunologische Kontrolle des Tumorwachstums nicht behindert wird. 4 Das Risiko der Ödembildung in der Restlunge ist geringer. 4 Tumorzellen können weniger leicht verschleppt werden. In einer Vergleichsstudie mit insgesamt 43 Patienten wurden in der »On-pump«-Gruppe vergleichbare perioperative Komplikationsraten beobachtet, wobei die Langzeitüberlebensraten in der »On-pump«-Gruppe sogar etwas besser waren (Schoenmakers et al. 2007). Bezüglich des zeitlichen Ablaufs der Kombinationsoperation wird von den meisten Autoren die vorausgehende Lungenresektion bevorzugt. Nur in Ausnahmefällen zwingt eine hämodynamische Instabilität zur vorgezogenen Koronarrevaskularisation. Ob die systematische Lymphadenektomie auch über die Sternotomie an allen Lymphknotenstationen übersichtlich durchzuführen ist, wird von japanischen Autoren, die hierauf bekanntlich besonders großen Wert legen, bezweifelt (Morishita et al. 2001). Nach eigener Erfahrung erleichtert die Verwendung eines für die A.mammaria-Präparation geeigneten Retraktionsspreitzers die Lungen- und Lymphknotenresektion. Ein Nachteil der »Off-pump«-Chirurgie liegt in der schlechteren Expositionsmöglichkeit des allerdings selten betroffenen linken Lungenunterlappens. Mit Hilfe einer Saugglocke zur Manipulation des Herzens oder durch den
801 Literatur
Einsatz der extrakorporalen Zirkulation ist die Resektion des linken Unterlappens möglich (Tan et al. 2006). Die veröffentlichten Komplikationsraten des Kombinationseingriffs sind eher gering. Nur in einer retrospektiven Analyse war sie in der Gruppe der zweizeitig operierten Patienten deutlich niedriger (Voets et al. 1997). Die Entscheidung zur ein- oder zweizeitigen Operation wird man letztendlich unter individuellen Gesichtspunkten treffen, nachdem man nicht zuletzt den Wunsch des Patienten erkundet hat.
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Kapitel 29 · Kombinationseingriffe in der Herzchirurgie
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30
30 Pulmonale Thrombembolektomie und pulmonale Thrombendarteriektomie S. Iversen 30.1 30.1.1 30.1.2 30.1.3
30.2
30.2.1 30.2.2
30.1
Akute Lungenembolie – pulmonale Thrombembolektomie – 803 Krankheitsbild – 803 Diagnostik – 804 Konservative Behandlung und chirurgische Therapie – 805 Chronisch-thromboembolisch bedingte pulmonale Hypertonie – pulmonale Thrombendarteriektomie – 807 Krankheitsbild – 807 Pathophysiologie – 807
Akute Lungenembolie – pulmonale Thrombembolektomie
30.1.1 Krankheitsbild
Eine massive oder fulminante Lungenembolie ist mit einer Letalitätsrate von >30 % ein akut lebensbedrohliches Krankheitsbild, welches ein unverzügliches und zielstrebiges therapeutisches Handeln erfordert. Zwei Drittel der Todesfälle treten innerhalb der ersten Stunde ein (Stulz et al. 1994). Autopsiestatistiken haben gezeigt, dass die Lungenembolie immer noch die häufigste klinisch nicht diagnostizierte Todesursache darstellt (Morgenthaler u. Ryu 1995; Morpurgo u. Schmid 1995). In mehr als 90 % der Fälle sind verschleppte Thromben aus dem venösen Gefäßsystem, überwiegend aus den unteren Extremitäten, die Ursache. Selten sind Fettgewebe- und Knochenpartikel, Amnionflüssigkeit, Luft, Gewebe- und Tumorzellen, Bakterien, Parasiten oder Fremdkörper auslösend. So lag bei >80 % an einer Lungenembolie verstorbener Patienten autoptisch eine tiefe Beinvenenthrombose vor, doch nur bei 19 % war dies klinisch erkannt worden (Sandler u. Martin 1989). In einer weiteren Studie konnte eine Lungenembolie bei 40 % pulmonal unauffälliger Patienten mit einer tiefen Beinvenenthrombose szintigraphisch aufgedeckt werden (Moser et al. 1994).
30.2.3 30.2.4 30.2.5 30.2.6 30.2.7 30.2.8 30.2.9
Diagnostik – 808 Operationsindikationen und chirurgische Techniken – 809 Postoperative Therapie – 812 Flüssigkeitsbilanz und Diurese – 812 Antikoagulation und Rezidivprophylaxe – 813 Ergebnisse – 813 Persistenz der pulmonalen Hypertonie – 814 Literatur
– 814
Noch heute gilt wesentlich die Virchow-Trias aus Gefäßwandläsion (Wandfaktor), Hämodynamikstörung mit Stase (Kreislauffaktor) und Hyperkoagulabilität (Blutfaktor) als Ursache der venösen Thrombusbildung. Risikofaktoren sind: 4 höheres Lebensalter, 4 Operationen (je nach Art und Dauer des Eingriffs und Art der Anästhesie, insbesondere Hüft- oder Kniegelenkersatz), 4 thrombophile Diathese, 4 angeborener Antithrombin-III-Mangel, 4 Protein-C- oder -S-Mangel, 4 Resistenz gegenüber aktiviertem Protein C, 4 Malignomerkrankung, 4 vorangegangene venöse Thromboembolie, 4 Immobilisierung, 4 Extremitätentrauma, 4 schwere internistische Erkrankungen mit Bettlägerigkeit (z. B. Herzinsuffizienz), 4 Einnahme oraler Kontrazeptiva oder postmenopausale Hormonsubstitution, 4 Wochenbett, 4 Übergewicht, 4 lange (Flug-)Reisen.
804
30
Kapitel 30 · Pulmonale Thrombembolektomie und pulmonale Thrombendarteriektomie
Aufgrund der Vielfalt des klinischen Erscheinungsbildes ist die Diagnosestellung erschwert – einerseits in Abhängigkeit vom Schweregrad der Lungenembolie und/oder des Allgemeinzustandes des Patienten, andererseits ist kein einziges Symptom bzw. kein einziger Symptomenkomplex für die Diagnosestellung ausreichend spezifisch. Die Diagnose wird in weniger als der Hälfte der Fälle gestellt (Moser 1997). Die akute partielle bis totale Verlegung der arteriellen Lungenstrombahn bewirkt je nach Grad der Obstruktion eine Störung des Gasaustausches, aber v. a. eine erhöhte Rechtsherzbelastung. Das Auftreten und das Ausmaß des rechtsventrikulären Versagens bestimmen die Akutprognose des Patienten. Bei einem massiven Emboliegeschehen ist die Symptomatik meist sehr dramatisch, mit plötzlicher Dyspnoe, Tachypnoe, Tachykardie, Thoraxschmerz und Angstgefühl. Ein Blutdruckabfall bis hin zur Entwicklung eines Schocks kann die weitere Folge sein. Die Behandlung der akuten Lungenembolie richtet sich nach dem klinischen Schweregrad der Erkrankung, wobei hauptsächlich die hämodynamischen Auswirkungen des thromboembolischen Geschehens den Verlauf und die Folgen für den Patienten bestimmen. Im Allgemeinen ermöglichen die pathophysiologischen Veränderungen und deren klinische Manifestation eine Einteilung in verschiedene Schweregrade. Die frühere Einteilung nach Greenfield und Grosser ist heute weitgehend verlassen worden. Hingegen ist die für die Therapie relevante Differenzierung zwischen nicht hämodynamisch bedeutsamen – d. h. ohne Rechtsherzbelastung einhergehenden (Grosser-Greenfield-Stadium I–II) – und hämodynamisch wirksamen Embolien (Grosser-Greenfield-Stadium III–IV) bedeutsam. ! Eine Rechtsherzbelastung gilt als entscheidender Faktor für die Kurzzeitprognose der akuten Lungenembolie.
Die Aggressivität von Diagnostik und Therapie folgt dem Ausmaß der rechtsventrikulären Dysfunktion (Konstantinidis et al. 1997; Lualdi u. Goldhaber 1995).
30.1.2 Diagnostik
Zur Basisdiagnostik der akuten Lungenembolie gehören die Röntgenuntersuchung des Thorax, die arterielle Blutgasanalyse sowie die sensible Bestimmung der D-DimerKonzentration im Serum. Besteht eine Lungenembolie, sind die D-Dimer-Spiegel in >90 % der Fälle erhöht. Ein normaler D-Dimer-Wert ist ein mit entscheidendes Ausschlusskriterium für eine Lungenembolie (Bounameaux et al. 1991). Konzentrationsanstiege kardialer Troponine und des pro-BNP (BNP: »brain natriuretic peptide«) sind Marker für das Ausmaß der rechtsventrikulären Dysfunktion und Schädigung (Konstantinides et al. 2002). Maßgeblich v. a. für die Festlegung der Therapie sind die Sicherung der Diagnose mit Hilfe bildgebender Verfahren sowie die Evaluation der rechtsventrikulären Funk-
tion. Die Mehrzeilenangiocomputertomographie hat die umständlichere Pulmonalisangiographie als »Goldstandard« verdrängt. Waren die ersten Generationen der Angiocomputertomographen mit einer Rate von 30 % falsch-negativen Ergebnissen bei der Diagnostik der akuten Lungenembolie behaftet, ist heute mit geringem Aufwand und insbesondere zeitsparend eine sichere Diagnosestellung möglich. Zudem können – obwohl mit einer höheren Strahlenbelastung einhergehend – im Rahmen der gleichen Untersuchung Aussagen über eine Rechtsherzbelastung sowie über das Ausmaß einer tiefen Beinvenenthrombose getroffen werden (Goldhaber 2005; Loud et al. 2005; Perrier et al. 2005; Stein et al. 2004). Die Magnetresonanztomographie als nichtinvasive Untersuchungsmethode liefert sichere diagnostische Daten. Das Verfahren ist jedoch zeitaufwendig, teuer und nicht überall verfügbar. Insbesondere für kreislaufinstabile Patienten ist diese diagnostische Option weniger gut geeignet (Madani u. Jamieson 2003). Bei gefährdeten Patienten ist die Echokardiographie mit ihren flexiblen Einsatzmöglichkeiten gefordert. In geübten Händen kann man sich innerhalb von Minuten einen Überblick über die Bedrohung des Patienten verschaffen, die Überwachungsintensität festlegen und einen Behandlungsplan erstellen. Diese Methode mag subjektiv, bezüglich der Übersicht eingeschränkt und für die Differenzialdiagnostik der Ursachen einer Rechtsherzbelastung nur bedingt nützlich sein. Jedoch lässt sich anhand wichtiger Parameter – Größe des rechten Ventrikels und des rechten Vorhofs, Kontraktion der freien Wand, Bewegung des Ventrikelseptums, Nachweis flottierender Thromben in den rechten Herzhöhlen – sowie der Möglichkeit der Einschätzung einer pulmonalen Hypertonie anhand einer Insuffizienz der Trikuspidalklappe wie auch mittels Beurteilung der linksventrikulären Funktion gut zwischen einer akuten Rechtsherzinsuffizienz und chronischen Vorschädigungen bzw. einer Linksherzinsuffizienz differenzieren. Bei einer akuten Rechtsherzbelastung infolge eines akuten embolischen Ereignisses ohne rechtsventrikuläre Vorschädigung kann der rechte Ventrikel einen systolischen Druck von >40 mmHg nicht aufbringen. Bei einer fulminanten Lungenembolie fällt der Druck jedoch ab, und dieser Parameter ist entsprechend nur im klinischen Kontext zu interpretieren (Wacker et al. 2003). Für unselektionierte Patienten mit Verdacht auf Lungenembolie ergibt sich eine Sensitivität von <50 % bei einer Spezifität von 90 %. Andererseits ist die Sensitivität bei hämodynamisch instabilen Patienten sehr hoch (Miniati et al. 2001). ! Bei Patienten im kardiogenen Schock muss die Diagnostik in aller Regel auf das unbedingt erforderliche Maß beschränkt werden, und zwar – sofern es die hämodynamische Situation erlaubt – auf die Pulmonalisangiographie oder die Computertomographie, da sich sämtliche diagnostischen Interventionen bei bereits einge6
805 30.1 · Akute Lungenembolie – pulmonale Thrombembolektomie
tretenem Kreislaufstillstand zugunsten eines sofortigen chirurgischen Eingriffs verbieten.
30.1.3
Konservative Behandlung und chirurgische Therapie
Jeder Patient mit Verdacht auf eine hämodynamisch wirksame Lungenembolie sollte möglichst rasch auf eine Intensivstation verlegt werden. Dort sind unverzüglich die diagnostischen und therapeutischen Erstmaßnahmen einzuleiten. Etwa 40 % der Patienten mit akuter Lungenembolie weisen eine Rechtsherzbelastung auf, wobei bei hämodynamischer Instabilität eine exorbitant hohe Letalität (bis zu 90 %) besteht. Eine rasche Diagnosestellung kann somit lebensrettend sein. Gegebenenfalls ist auch an die temporäre Implantation eines Herzunterstützungssystems (Überbrückung zur Organerholung (»bridge to recovery« (BTR), 7 Kap. 33) zu denken, mit nachfolgender Lyse oder OP (s. u.). Schon bei einem entsprechenden Verdacht sollte hoch dosiert i. v. Heparin verabreicht werden, um eine rasche und vollständige Antikoagulation zu erzielen. Unter Abwägung des Blutungsrisikos beginnt die Antikoagulation noch vor der diagnostischen Bestätigung. Hierbei sind unfraktioniertes und niedermolekulares Heparin gleichermaßen wirksam, jedoch wird das niedermolekulare Heparin aufgrund der einfacheren Handhabung vielfach als Therapie der ersten Wahl angesehen (Konstantinides 2006; Kucher u. Goldhaber 2005). 30.1.3.1
Lysetherapie
Wenn keine Kontraindikationen bestehen, ist die Thrombombolyse bei massiver Lungenembolie die Therapie der Wahl. Eine aktive Thrombolyse beschleunigt den Abbau des Thrombus und führt innerhalb weniger Stunden zu einer Abnahme der rechtsventrikulären Nachlast. Die Letalität nach Lysetherapie ist im Vergleich zur alleinigen Heparintherapie hochsignifikant geringer (Jerjes-Sanchez et al. 1995). Auch bei Patienten mit submassiver Embolie (d. h. Rechtsherzbelastung, aber kein systemischer Blutdruckabfall) scheint die Lysetherapie mit einer niedrigeren Letalitätsrate einherzugehen (Hach-Wunderle et al. 2005; Konstantinides et al. 1997). Langzeitthrombolysen werden nicht mehr durchgeführt. Die Kurzzeitlyse mit raschem Wirkungseintritt ist für die Behandlung instabiler Patienten von grundlegender Bedeutung. Ob Streptokinase (Streptase, 1,5 Mio. IE über 2 h i. v.), Urokinase oder Alteplase (Gewebeplasminogenaktivator; Actilyse, Bolus von 10 mg i. v. und anschließend Infusion von 90 mg über 2 h i. v.) verwendet wird, scheint in Bezug auf den Endpunkt »Tod« oder »Embolirezidiv« von sekundärer Bedeutung zu sein. Reteplase (rekombinanter Plasminogenaktivator; Rapilysin, 2 Boli à 10 IE im Abstand von 30 min i. v.) führt bei akuter massiver Lungenembolie durch Verminderung des Lungengefäßwiderstandes schneller zu einer Besserung der rechtsventrikulären Funktion, ist für diese Indikation jedoch (noch) nicht zugelassen (Meneveau et al.
1997; Tebbe et al. 1999). Bei der mechanischen Thrombolyse strebt man durch Manipulation der (zentralen) Thrombenmassen zusätzlich eine Fragmentierung des Thrombus an, um eine größere Kontaktfläche für die lytischen Substanzen zu erzielen (Uflacker 2004; Uflacker et al. 1996). Die vorliegenden Daten von relativ geringen Patientenzahlen und aus unkontrollierten Studien ermöglichen nur begrenzte Aussagen über Effektivität und Sicherheit. Limitationen. Für hämodynamisch stabile Patienten ist
auch bei Vorhandensein einer Rechtsherzbelastung der Nutzen einer Thrombolysetherapie trotz niedriger Letalitätsraten nicht bewiesen. Im Rahmen groß angelegter Analysen wurde in Hinblick auf die Überlebensrate der Patienten kein allgemeiner Vorteil der Thrombolyse gegenüber einer alleinigen Heparintherapie festgestellt (International Cooperative Pulmonary Embolism Registry 1999; Wan et al. 2004). Die Thrombolysetherapie ist die primär empfohlende Maßnahme bei akuter Lungenembolie mit kardiogenem Schock (Jerjes-Sanchez et al. 1995). Patienten mit nur geringer Rechtsherzbelastung und stabiler Hämodynamik weisen bei alleiniger Heparintherapie eine exzellente Prognose auf. Allerdings ist die Prognose hämodynamisch instabiler Patienten bei aggressiver Therapie besser als bei rein konservativer Behandlung. Als instabil gelten Patienten, bei denen die Applikation von Katecholaminen, die Infusion blutdruckstabilisierender Medikamente, eine kardiopulmonale Reanimation oder einer Rescue-Operation erforderlich ist. So ließ sich nachweisen, dass 17,4 % der mittels Thrombolyse behandelten Patienten innerhalb von 90 Tagen verstarben und dass 3 % der Betroffenen eine intrazerebrale Blutung entwickelten. Unklar bleibt, inwiefern die Thrombolyse das Risiko einer persistierenden pulmonalen Hypertonie reduziert und die Entwicklung einer chronisch-thromboembolischen pulmonalen Hypertonie hemmt (Meneveau et al. 2003). 30.1.3.2
Indikation zur Operation
Die Lysetherapie als auf jeder Intensivstation und in allen Krankenhäusern durchführbare Erstmaßnahme bei akuter, hämodynamisch wirksamer Lungenembolie hat die Rolle der Chirurgie längst dahingehend modifiziert, dass eine chirurgische Intervention auch bei massiver Verlaufsform erst dann zum Einsatz kommt, wenn absolute Kontraindikationen gegen eine thrombolytische Therapie bestehen oder eine rasche Verbesserung der hämodynamischen Situation durch die Lyse nicht in ausreichendem Maße zu erreichen ist. Demzufolge lassen sich für ein chirurgisches Vorgehen bei massiver oder fulminanter Lungenembolie grundsätzlich 2 Indikationen ableiten: 4 massive rechtsventrikuläre Dysfunktion und absolute Kontraindikation für eine thrombolytische Therapie, 4 hämodynamisch signifikant wirksame Embolisierung, wenn trotz thrombolytischer Vorbehandlung eine Verschlechterung hin zum Kreislaufzusammenbruch eintritt.
30
806
Kapitel 30 · Pulmonale Thrombembolektomie und pulmonale Thrombendarteriektomie
Des Weiteren ist bei Patienten mit intrakardialen (flottierenden) Thromboembolien und/oder Nachweis eines offenen Foramen ovale der Operation der Vorzug zu geben. Patienten mit Nachweis intrakardialer Thromben (Transitthromben) weisen bei einer Lungenembolie eine besonders hohe Sterblichkeit von bis zur 45 % auf (Chartier et al. 1999). Generell wird in der Literatur hier eine sofortige operative Embol- und Thrombektomie empfohlen, allerdings nicht unwidersprochen. Befürworter der Thrombolyse sehen auch bei Transitthromben keine Kontraindikation und können bei dieser Konstellation gute Ergebnisse mit niedriger Letalität vorweisen (Rose et al. 2002). Bei Nachweis eines ventiloffenen Foramen ovale ist die Krankenhausletalität der akuten Lungenembolie mit 33 % signifikant höher als bei Patienten ohne Shunt auf Vorhofebene (14 %). Atriale Shunts können während der Primärdiagnostik echokardiographisch erfasst werden und sind bei der therapeutischen Entscheidungsfindung zu berücksichtigen. Komplikationsrate und Letalität bei Patienten mit »paradoxer« Embolie sind erhöht (Chartier et al. 1999; Konstantinides et al. 1998; Rose et al. 2002).
30
! In diesem Zusammenhang ist besonders darauf hinzuweisen, dass eine bereits eingeleitete Lysebehandlung keine Kontraindikation für eine Operation darstellt und umgekehrt eine sich abzeichnende Operationsindikation nicht als Kontraindikation für die sofort einzuleitende Fibrinolyse anzusehen ist, wenn der Eingriff aus logistischen Gründen nicht unverzüglich vorgenommen werden kann.
30.1.3.3 Technik der pulmonalen Embolektomie
Der Standardzugang für die akute Embolektomie ist die mediane Sternotomie. Die venöse Kanülierung sollte durch getrennte Kavakanülen erfolgen, und zwar um am totalen Bypass zum einen die rechte Herzhöhlen inspizieren zu können und zum anderen eine Blockierung der venösen Ableitung durch Luft bei Eröffnen der A. pulmonalis zu vermeiden. Erfolgt der Anschluss der Herz-LungenMaschine bei kreislaufinstabilen Patienten oder gar unter Reanimationsbedingungen, sollte man die Kanülen vorher an das Schlauchset aufsetzen und vorerst mit einer venösen Drainage die extrakorporale Zirkulation beginnen. Der Anschluss der Herz-Lungen-Maschine führt zu einer schlagartigen Entlastung des überlasteten rechten Herzens und zu einer Sicherstellung des Kreislaufs wie auch der Oxygenierung. Der Eingriff kann in Normothermie erfolgen, da die Dauer der extrakorporalen Zirkulation in aller Regel gering ist. Die Embolektomie kann dann am leer schlagenden Herzen, im Flimmern oder in Kardioplegie vorgenommen werden. Die Inzision erfolgt, im Stamm der Pulmonalarterie beginnend, etwa 1 cm distal der Pulmonalklappe und wird über eine Länge von etwa 3–4 cm fortgeführt (. Abb. 30.1). Die Schnittführung wird bei Bedarf in die Konkavität der linken Pulmonalarterie unter stump-
. Abb. 30.1. Im Stamm eröffnete Pulmonalarterie. Fassen und Extraktion des Embolus mit Hilfe einer Klemme. Insert Bergung peripherer Emboli mit Hilfe eines Saugers
fer Präparation der perikardialen Umschlagfalte bis in den Lungenhilus hinein erweitert. Hierbei ist auf den Abgang der Lingulaarterie zu achten. Frei flottierende intraluminäre Thromboemboli können mit breiten Pinzetten, Greifzangen und/oder einem Sauger geborgen werden. Oft sind die Emboli weiter peripher lokalisert und blockieren die Abgänge der Segmentarterien, entweder aufgrund eines Schauers disseminierter kleiner Emboli oder durch periphere Migration durch die Druckwelle. Bei der Inspektion des peripheren Lungengefäßbaums sind Lupenbrillen und Kopflicht hilfreich. Dabei kann die rechte Pulmonalarterie zwischen V. cava superior und Aorta eröffnet werden. Hierzu ist die Mobilisation der oberen Hohlvene im Bereich der Hilusinzision sinnvoll (s. unten, 30.2). Die Desobliteration der Segmentund Subsegmentarterien unter Zuhilfenahme feiner Koronarsauger und Saugdissektoren kann erforderlich sein, ist aber nicht der Regelfall. Durch Blähen der Lungen lassen sich periphere Thromboembolien mobilisieren und können entfernt werden. Alternativ ist das Eröffnen der Pleurahöhlen mit manueller Massage und Kompression beschrieben und empfohlen. Diese Methode wird vom Autor nicht befürwortet, da potenziell Parenchymschäden herbeigeführt sowie Atelektasen und ein pulmonales (hämorrhagisches) Reperfusionsödem gefördert werden können (Couves et al. 1973; Mahfood et al. 1988; Makey et al. 1971; Timby et al. 1990; Ward et al. 1988). Die Inzisionen werden anschließend durch eine feine, fortlaufende Naht verschlossen (5/0- oder 6/0-Polypropylenfaden). Über eine kleine rechtsatriale Inzision erfolgt auf der Suche nach Transitthromben die Exploration der rechten Herzhöhlen. Dies
807 30.2 · Chronisch-thromboembolisch bedingte pulmonale Hypertonie – pulmonale Thrombendarteriektomie
dient zudem dem Verschluss eines ggf. offenen Foramen ovale. Um das Risiko eines intra- oder frühpostoperativen Embolierezidivs zu minimieren, empfehlen Jakob et al. (1995), bei offener V. cava inferior die Beine auszuwickeln und das Abdomen zu komprimieren. Im Anschluss an die Operation folgt eine dopplersonographische Untersuchung bzw. eine Kontrollangiocomputertomographie des venösen Systems, um potenzielle Emboliequellen zu erkennen. Anhand des Befundes wird entschieden, ob ein temporärer oder dauerhafter Kavafilter indiziert ist. Die routinemäßige Applikation eines Filters ist nicht mehr zu befürworten. Indiziert sind allerdings ein frühzeitiger Beginn der Antikoagulationstherapie mit Heparin und eine überlappende Einstellung auf Marcumar (INR: 3–3,5) für die folgenden 6 Monate. 30.1.3.4
Ergebnisse
In Veröffentlichungen schwanken die Angaben über die perioperative Sterblichkeitsrate nach pulmonaler Embolektomie zwischen 20 % und 44 %. Bei insgesamt 356 Patienten betrug die durchschnittliche Letalität 36 % (Iversen 1997). Evident ist, dass Patienten, die vor Diagnosestellung und operativer Therapie reanimationspflichtig waren, mit einer Letalitätsrate von 47–74 % eine besondere Risikogruppe darstellen. Patienten hingegen, die mit noch adäquaten Kreislaufverhältnissen zur Operation gelangen, haben signifikant bessere Überlebenschancen. Hier werden Sterblichkeitsraten von 11–36 % angegeben. Die stark streuenden Ergebnisse verdeutlichen, dass mit der Diagnose »fulminante Lungenembolie« oder »hämodynamisch wirksame Lungenembolie« ein sehr inhomogenes Krankengut erfasst und die Indikation zur Operation unterschiedlich gestellt wird. Entscheidend ist, ob die Intervention bei Patienten im Schockzustand durchgeführt wurde. Hinsichtlich der Beurteilung der Behandlungsergebnisse gilt zu berücksichtigen, dass die Pulmonalisembolektomie in der Mehrzahl der Fälle als brisanter Notfalleingriff anzusehen ist und sich somit einer konventionellen statistischen Betrachtung entziehen muss. Nicht der Misserfolg darf hier zählen, sondern jeder Einzelerfolg bestätigt die Methode.
bolien geschätzt (Fedullo et al. 2000). In Abhängigkeit vom Grad der Druckerhöhung im kleinen Kreislauf haben die Patienten eine schlechte Prognose. Ältere Untersuchungen haben gezeigt, dass die 5-Jahres-Überlebensrate bei einem pulmonalarteriellen Mitteldruck von >30 mmHg lediglich 30 % beträgt und bei Mitteldrücken von >50 mmHg sogar nur 10 %. Unterhalb des Grenzwertes von 30 mmHg steigt die Überlebensrate dagegen sprunghaft auf nahezu 90 % an (Riedel et al. 1982). Die medikamentöse Behandlung der pulmonalvaskulären Hypertonie ist trotz einiger Fortschritte eine wenig befriedigende Therapieoption mit überwiegend palliativem Charakter (Bresser et al. 2006; Galiè et al. 2004; Ghofrani et al. 2003). So beträgt die Mortalität einer konservativen Therapie in Abhängigkeit vom Ausmaß der Hypertonie nach 18 Monaten 31,5 % (Lewczuk et al. 2001). Die Diagnose wird häufig zunächst verkannt, zumal die Symptome unspezifisch sind und der Krankheitsverlauf schleichend ist. Die vordergründigen Symptome sind zum einen die schleichende und progrediente Belastungsdyspnoe, zum anderen eine sich im Spätstadium allmählich entwickelnde Rechtsherzinsuffizienz. Bei bis zu 2/3 der Patienten ist keine eindeutige Anamnese einer akuten Lungenembolie zu eruieren (Lang 2004). Die pulmonale Thrombendarteriektomie als Ausschälplastik der arteriellen Lungenstrombahn hat sich in der Behandlung der durch chronisch-persistierende oder rezidivierende Lungenembolien bedingten pulmonalen Hypertonie etabliert und als potenziell kurativ Therapieform erwiesen (Archibald et al. 1999; Daily et al. 1999; D’Armini et al. 2000; Iversen 1994; Jamieson et al. 2003). Die chronischthromboembolisch bedingte pulmonale Hypertonie ist somit eine chirurgisch beherrschbare Form des Lungenhochdrucks geworden. Jedoch ergeben sich im täglichen Umgang mit diesem Patientenkollektiv häufig Unsicherheiten oder kontroverse Beurteilungen hinsichtlich der Operationsindikation, der Patientenselektion sowie des Operationszeitpunktes (Auger et al. 1999; Riedel 2003; Thistlethwaite et al. 2002).
30.2.2 30.2
30.2.1
Chronisch-thromboembolisch bedingte pulmonale Hypertonie – pulmonale Thrombendarteriektomie Krankheitsbild
Die chronisch-thromboembolisch bedingte pulmonale Hypertonie als Folge abgelaufener Lungenembolien ist eine seltene Erkrankung. Bei etwa 4 % der Patienten entwickelt sich innerhalb der ersten 2 Jahre nach einer Embolisierung ein pulmonaler Hochdruck (Pengo et al. 2004; Tapson u. Humbert 2006). Die Inzidenz hinsichtlich eines chirurgischen Behandlungsbedarfs wird auf 0,1 % aller Lungenem-
Pathophysiologie
Anders als bei einer mehr oder weniger kompletten Verlegung des Gefäßlumens durch frische Thromben im akuten Stadium einer Embolie sind chronisch-thromboembolische Läsionen der Pulmonalarterien organisiert, d. h. in die Gefäßwand inkorporiert, in fibröse und elastische Fasern umgewandelt und endothelialisiert. Die Gefäße weisen ein typisches Bild mit membranösen Verschlüssen, intraluminären Narbensträngen und Stenosen auf (Wagenvoort u. Wagenvoort 1977). Die zentralen Abschnitte der Strombahn können durch Appositionsthromben unterschiedlichen Alters mehr oder weniger ausgefüllt sein. Dieser Befund ist jedoch nicht obligat. Wesentlich für die Progres-
30
808
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Kapitel 30 · Pulmonale Thrombembolektomie und pulmonale Thrombendarteriektomie
sion der pulmonalen Druckerhöhung ist die allmähliche Entwicklung einer präkapillären Vaskulopathie im perfundierten Gefäßbett. Durch die Umleitung des gesamten Herzminutenvolumens in die nichtobstruierten Lungengefäße wird eine reaktive Vaskulopathie – eine Art Eisenmenger-Reaktion – in den kleinen Gefäßen ausgelöst, die mit einer Gefäßengstellung, einer Mediahypertrophie und schließlich der Ausbildung einer Sklerose einhergeht. Das Gesamtbild der Gefäßveränderungen ist eine Mischform aus mechanischen und somit chirurgisch korrigierbaren Verlegungen der Stamm-, Lappen- und/oder (Sub-)Segmentarterien sowie einer zuletzt irreversiblen Vaskulopathie auf Ebene der Arteriolen, die sich einer chirurgischen Therapie entzieht. Der Ausmaß dieser Mikroangiopathie trägt maßgeblich zum Ergebnis einer chirurgischen Desobliteration bei (Galiè u. Kim 2006; Moser u. Bloor 1993; Timby et al. 1990; Yi et al. 2000). Dieses Mischbild ist bei allen Patienten individuell und variabel ausgebildet. Folglich sind die Befunde der angiographischen Untersuchungen, der Krankheitsverlauf bis zum Zeitpunkt der Diagnosestellung sowie der Zustand des Patienten fallspezifisch unterschiedlich. Die Progredienz aller Gefäßveränderungen bewirkt über die Zeit – neben der simultan sich einstellenden Hypoxämie durch Reduktion der Gasaustauschfläche – einen zunehmenden Anstieg der rechtsventrikulären Nachlast, welcher zunächst mit kompensatorischen Veränderungen von rechtsventrikulärer Funktion und Größe einhergeht, bis schließlich das Stadium der rechtsventrikulären Dysfunktion und des Rechtsherzversagens erreicht ist.
30.2.3
Diagnostik
Diagnostische Maßnahmen sollen zum einen die korrekte Diagnose einer thromboembolisch bedingten pulmonalen Hypertonie sowie deren Stadium sichern und zum anderen die Möglichkeiten der chirurgischen Intervention aufzeigen. Berücksichtigt werden müssen Parameter der kardialen und pulmonalen Funktionsdiagnostik, etwaige zugrunde liegende Gerinnungsstörungen sowie eine womöglich vorhandene Ko-Morbidität, die als Kontraindikation für den Eingriff gelten würde. 30.2.3.1
Basisdiagnostik
Die allgemeine Diagnostik muss bei Patienten mit Dyspnoe unklarer Genese zunächst das Spektrum der Differenzialdiagnosen berücksichtigen. EKG, Röntgenuntersuchung des Thorax, arterielle Blutgasanalyse und Lungenfunktionsdiagnostik schließen anderen Ursachen der Dyspnoe aus und richten den Fokus auf die pulmonale Hypertonie. Das EKG stellt durch Achsendrehung, ein P pulmonale sowie Endteilveränderungen die Rechtsherzbelastung dar. Auf der Röntgenaufnahme des Thorax deuten beidseitig prominente Lungenhili, eine Rechtsherzvergrößerung und
eine spärlich (irreguläre) Lungengefäßzeichnung auf die pulmonale Hypertonie hin. Die arterielle Blutgasanalyse zeigt in frühen Stadien lediglich eine Hypokapnie und erst später eine Hypoxämie. Bei der Lungenfunktionsanalyse ist die alveoloarterielle Diffusionskapazität vermindert; bei der Mehrzahl der Patienten ist die Lungenfunktion jedoch ansonsten unauffällig. In 20 % der Fälle kommt es aufgrund einer Narbenbildung des Parenchyms auf der Basis der Minderperfusion zu einer Reduktion der Vitalkapazität auf <80 % (Fischer et al. 1995; Moser et al. 1990). 30.2.3.2
Kardiale Funktionsdiagnostik
Die kardiale Funktionsdiagnostik erfolgt sowohl mittels Echokardiographie als auch invasiv durch eine Katheteruntersuchung. Mit der transthorakalen Echokardiographie lässt sich das Vorhandensein einer Rechtsherzbelastung und einer pulmonalen Hypertonie in Ruhe feststellen. Sie gibt Auskunft über die rechts- und linksventrikuläre Kontraktilität sowie die Funktion der Herzklappen und schließt eine linkskardiale Ursache der pulmonalen Hypertonie aus. Je nach Stadium der Erkrankung sind eine atriale und ventrikuläre Dilatation, eine rechts- und später auch linksventrikuläre Funktionsstörung, eine zunehmende Trikuspidalinsuffizienz, eine Abflachung und Verschiebung des interventrikulären Septums sowie in vielen Fällen ein offenes Foramen ovale mit Rechts-links-Shunt oder ein Perikarderguss zu diagnostizieren (Menzel et al. 2000). Für die Indikationsstellung zur chirurgischen Desobliteration bei Patienten mit thromboembolischer pulmonaler Hypertonie wird der Ermittlung des pulmonalvaskulären Widerstandes unter Bestimmung des Herzminutenvolumens entscheidende Bedeutung beigemessen. Selten werden Patienten zur Operation akzeptiert, wenn der pulmonalvaskuläre Widerstand in Ruhe <300 dyn/s/cm5 beträgt (Daily et al. 1999; Iversen et al. 1992; Jamieson et al. 1993). In fortgeschrittenen Stadien der Erkrankung geht die Progredienz der Widerstandserhöhung mit einer Erniedrigung des Herzminutenvolumens einher und ist für das perioperative Risiko sowie für den Kurz- und Langzeiterfolg der Desobliteration maßgeblich (Iversen et al. 1992). Bei Patienten in einem Alter von >40 Jahren oder Verdacht auf eine linksventrikuläre Erkrankung sollte eine Linksherzkatheterisierung mit Koronarangiographie erfolgen. 30.2.3.3
Bildgebende Diagnostik
Um die chronisch-thromboembolisch bedingte pulmonale Hypertonie von anderen Formen des pulmonalen Hochdrucks abzugrenzen und die Operabilität festzulegen zu können, ist eine hochauflösende bildgebende Diagnostik erforderlich. Die Festlegung der technischen Operabilität – d. h. die Vorhersage der Möglichkeit einer ausreichenden chirurgischen Druckentlastung – ist kritisch. Zudem sind für das Verständnis und die richtige Interpretation der radiologischen Befunde grundlegende Kenntnisse der pathomorphologischen Veränderungen in den Pulmonal-
809 30.2 · Chronisch-thromboembolisch bedingte pulmonale Hypertonie – pulmonale Thrombendarteriektomie
arterien im chronischen Stadium der Lungenembolie wichtig. Eine ausgedehnte zentrale Verlegung der Pulmonalgefäße durch Thromboembolien ist vornehmlich durch eine mechanische Obstruktion mit geringer antegrader Lungenperfusion charakterisiert. Die sekundäre Mikroangiopathie und die Hypertonie sind geringer ausgeprägt. Diese Befundkonstellation lässt eher auf einen chirurgischen Erfolg hoffen. Sind die mechanischen Obstruktionen dagegen ausschließlich peripherer lokalisiert, dominieren mit zunehmender Dauer der Erkrankung die reaktiven vaskulären Veränderungen. Mit steigender Widerstandserhöhung und zunehmender Rechtsherzinsuffizienz ist das Risiko einer ungenügenden operativen Druckentlastung sehr hoch und der Patient inoperabel, weil die pulmonale Widerstandserhöhung letztendlich irreversibel ist. Darüber hinaus können bei Patienten mit über Jahre bestehender thromboembolisch bedingter pulmonaler Hypertonie die angiographischen Zeichen der mechanischen Gefäßobstruktion diskret sein und nicht mit der fortgeschrittenen Erhöhung des pulmonalvaskulären Widerstandes korrelieren. Ausgehend von diesen pathomorphologischen Charakteristika bedeutet eine einwandfreie Darstellung der zentralen und peripheren Pulmonalarterien eine Conditio sine qua non zur chirurgischen Indikationsstellung. Dies gilt nicht nur für die korrekte Diagnosestellung, sondern auch für die Beurteilung des Ausmaßes und der Lokalisation der chronischen Veränderungen. Die Kombination der Pulmonalisangiographie als digitale Subtraktionsangiographie mit einer kontrastmittelgestützten Spiralcomputertomographie stellt den Standard der bildgebenden Diagnostik dar. Die schnelle Akquisition von Bilddaten in Mehrzeilentechnik ermöglicht es, den gesamten Thoraxrraum in einer Atemphase zu untersuchen. Sowohl Verlegungen des Gefäßlumens als auch wandständige Auskleidungen der Gefäßintima durch organisiertes Thrombenmaterial sind darstellbar. Im »Lungenfenster« weist ein Mosaikmuster aufgrund des Nebeneinanders von Hypo- und Hyperperfusion auf die chronische thromboembolische Erkrankung hin. Die Segmentarterien erscheinen dann in den befallenen Arealen besonders klein. Die Untersuchung ist wenig invasiv, schnell und dabei für die oft schwerkranken Patienten besonders schonend. Hinweise auf eine thromboembolische Hypertonie können bei allen Patienten sicher aufgezeigt werden, und die technische Operabilität (d. h. das Vorliegen zentraler Thromben) lässt sich mit einer Sensitivät von 77 % und einer Spezifität von 100 % vorhersagen (Bergin et al. 1996, 2000; Schwickert et al. 1994). Einschränkungen weist diese Untersuchungsmethode bei der Darstellung der Segmentarterien auf. Hier werden thromboembolische Veränderungen nur wenig präzise dargestellt (Auger et al. 1999; Bergin et al. 1997; Pitton et al. 2002). Da die chirurgische Endarteriektomie bei peripherer Lokalisation erst auf dieser Ebene beginnen kann, ist der alleinige computertomographische Aussage-
wert in diesen besonders schwierigen Entscheidungssituationen begrenzt. Hier bleibt die Angiographie der Goldstandard für den Nachweis und die Beurteilung der peripheren thromboembolischen Gefäßwandveränderungen. Seitengetrennte Aufnahmen und Kontrastmittelinjektionen in 2 Ebenen erlauben die genaue Darstellung auch der (sub-)segmentalen Äste. Dies ist für die Indikationstellung unerlässlich, da eine Endarteriektomie bei weit peripherer Lokalisation ein deutlich erhöhtes Risiko aufweist (Auger et al. 1999; McGoon et al. 2004; Oikonomou et al. 2004). Die Interpretation der Angiographiebilder erfordert eine ausgedehnte Erfahrung mit stetigem Vergleich mit dem intraoperativ erhobenen pathomorphologischen Befund. Als pathologische Befunde finden sich im Rahmen der radiologischen Bilddarstellung zentrale oder periphere Gefäßabbrüche, abrupte Kalibersprünge, zirkumskripte Stenosen, Füllungsdefekte des Gefäßlumens, intraluminäre Narbenstränge (»Strickleitern«), unregelmäßige Abgrenzungen der Gefäßwand und sich verjüngende Hauptgefäße (Auger et al. 1992). Der Stellenwert der Ventilations-PerfusionsSzintigraphie ist für die chirurgische Beurteilung äußerst begrenzt. Zwar kann die thromboembolische Ätiologie der Hypertonie mit hoher Sensitivität und Spezifität festgelegt werden; für die Festlegung der Operabilität ist diese Methode jedoch belanglos.
30.2.4
Operationsindikationen und chirurgische Techniken
30.2.4.1
Indikationen und Patientenauswahl
Erste Voraussetzung für den Erfolg der chirurgischen Therapie ist eine sorgfältige Patientenselektion. Primär wird jeder Patient mit chronisch-thromboembolisch bedingter pulmonaler Hypertonie für den Eingriff in Betracht gezogen. Für die Indikationsstellung reicht jedoch der alleinige Nachweis von thromboembolisch bedingten Perfusionsausfällen und einer Rechtsherzbelastung nicht aus. Der elektiv durchzuführende Eingriff ist indiziert, wenn der ermittelte pulmonalvaskuläre Widerstand in Ruhe einen Wert von 300 dyn/s/cm5 übersteigt. Ausnahmen sind einige wenige Patienten mit unilateralem zentralen Verschluss der Pulmonalarterien. Diese beklagen aufgrund der resultierenden Totraumventilation eine quälende Belastungsdyspnoe. Bei einer anderen Untergruppe von Patienten im frühen Stadium der Erkrankung zeigt sich eine pathologische Druckerhöhung im kleinen Kreislauf erst unter Belastung. In Kenntnis des natürlichen Verlaufs der Erkrankung sollten – wenn keine Kontraindikationen vorliegen – auch diese Patienten einer chirurgischen Therapie zugeführt werden. Gerade in Hinblick auf die unaufhaltsame Progredienz der Erkrankung durch die reaktive Vaskulopathie scheint es sinnvoll, diese Entwicklung durch eine frühzeitige Operation zu verhindern. Nur im frühen Stadium ist eine komplette Restitutio ad integrum möglich. Im fortgeschrittenen
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Kapitel 30 · Pulmonale Thrombembolektomie und pulmonale Thrombendarteriektomie
Stadium kann es dagegen für eine pulmonale Thrombendarteriektomie zu spät sein. Die Entscheidung zur chirurgischen Behandlung ist immer davon abhängig, ob die Gefäßläsionen als entfernbar eingeschätzt werden. Diese Beurteilung hängt einerseits von der Genauigkeit der Diagnostik und der Erfahrung in der Interpretation der erhobenen Befunde ab, andererseits wird sie stark von der chirurgischen Erfahrung des Operationsteams beeinflusst (Bergin et al. 1996, 2000; Daily et al. 1989, 1999; Iversen et al. 1993; Jamieson et al. 2003). Bei vorwiegend zentraler Lokalisation der thromboembolischen Obstruktionen ist die Operation immer durchzuführen, weil eine ausreichende rechtsventrikuläre Widerstandsentlastung zu erwarten ist. Wiederum ist die Kombination von ausschließlich peripherem Befall, über Jahre bestehendem pulmonalen Hochdruck und manifestem Rechtsversagen mit dem hohen Risiko einer unzureichenden operativen Nachlastsenkung und eines ungünstigen Therapieergebnisses verbunden. Letztendlich entscheidet aber die individuelle chirurgische Erfahrung, welche Patienten im fortgeschrittenen Stadium der Erkrankung, d. h. bei systemischen Druckverhältnissen im Lungenkreislauf und manifester Rechtsherzinsuffizienz, noch für den Eingriff im Betracht kommen. Insbesondere bei jungen Patienten, deren Langzeitprognose unter jedweder anderer Therapie ohnehin stark limitiert ist, kann nach ausführlichster Aufklärung – in dubio pro operatione – gehandelt werden. Schwerwiegende Kontraindikationen für die Operation sind parenchymatöse Lungenerkrankungen, da hierbei eine stark erhöhte postoperative Morbidität und eine gesteigerte Mortalität aufgrund eines respiratorischen Versagens zu erwarten sind. Perivaskuläre Entzündungsreaktionen in den Pulmonalgefäßen nach septischen Lungenembolien können die Thrombendarteriektomie erschweren oder gänzlich unmöglich machen. In Fällen subakuter Lungenembolien sollte ein Intervall von mindestens 3 Monaten eingehalten werden, um den Prozess der Organisation des Embolus abzuwarten. Eine gleichzeitig bestehende Herzerkrankung, z. B. eine koronare Herzkrankheit oder ein linksventrikuläres Klappenvitium, stellt keine Kontraindikation dar. Der dafür erforderliche Eingriff erfolgt dann simultan mit der Thrombendarteriektomie. Technisch ist die Thrombendarteriektomie dann möglich, wenn thromboembolische Veränderungen der Gefäßwand in Höhe oder proximal der Lobärarterien eindeutig vorhanden sind. Ist dieses Kriterium erfüllt, spielen weitere, in der Peripherie lokalisierte Stenosierungen keine Rolle. Die Desobliteration der Pulmonalarterien muss zentral beginnen können, erstreckt sich dann aber bis in die Subsegmentarterien. Ausschließlich periphere, d. h. auf (Sub-)Segmentebene beginnende thromboembolische Obstruktionen sind der Thrombendarteriektomie nur schwer zugängig und gehen in hohem Maße mit der Gefahr einer unvollständigen Wiedereröffnung der Strombahn, einer unzurei-
chenden Widerstandsreduktion und eines konsekutiven postoperativen Rechtsherzversagens einher. 30.2.4.2
Operationstechniken
Die Desobliteration der Pulmonalgefäße entspricht einer tatsächlichen Endarteriektomie und hat mit den Operationstechniken der Thrombembolektomie wenig gemeinsam. Die krankhaft veränderte Gefäßintima mitsamt intaluminären Obstruktionen muss vollständig entfernt werden. Die ausschließliche Entfernung intraluminärer Thrombusanteile führt nicht zur Beseitigung der zugrunde liegenden Gefäßobstruktion. Die operativen Verfahren der bilateralen pulmonalen Thrombendarteriektomie basieren auf den von Pat O. Daily entwickelten Techniken, die in den vergangenen 20 Jahren nur geringfügig modifiziert wurden (Daily et al. 1989, 1992; Iversen et al. 1993; Jamieson et al. 1993). Der Eingriff erfolgt über eine mediane Sternotomie unter Anwendung der extrakorporalen Zirkulation in tiefer Hypothermie mit Perioden von totalem Kreislaufstillstand. Das Herz wird erst mit Beginn des ersten Kreislaufstillstands stillgelegt. Einige Tricks und Prinzipien bei der Vorbereitung des Operationssitus erleichtern den Zugang zu den Pulmonalarterien und weichen von Standardeingriffen mit Einsatz der Herz-Lungen-Maschine ab. Der Zugang erfolgt vom dorsalen Perikard aus, wo die Pulmonalarterien bilateral in den Lungenhili eröffnet werden. Die Pleurahöhlen bleiben dabei geschlossen. Nach türflügelförmigem Eröffnen des Perikards durch Ablösen der perikardialen Umschlagfalte über Aorta und Pulmonalarterie werden die Perikardränder prästernal fixiert und mit dem Sternumretraktor hochgespannt. Danach wird die obere Hohlvene bis zur Einmündung der V. hemiazygos unter Ablösung der Adhäsionen zwischen rechtem Vorhof und rechter Pulmonalarterie komplett mobilisiert. Durch Inzision der perikardialen Umschlagfalte löst man dorsal des N. phrenicus nun die obere Lungenvene von den lockeren Adhäsionen mit der rechten Pulmonalarterie und kann somit die ventrale Fläche des Intermediärstamms und des Truncus anterior freilegen. Es empfiehlt sich, diese Präparation noch vor der Heparingabe vorzunehmen. Man stößt im ventralen Lungenhilus regelmäßig auf erweiterte Bronchialgefäße, dilatierte Lymphbahnen und ein gestautes Venengeflecht, welches eine subtile Präparation und eine sorgfältige Blutstillung erfordert. Da die Gefäßwand nach Desobliteration dünn und fragil wird, darf die Adventita der Pulmonalarterien nicht abpräpariert werden. Aus demselben Grund fasst man später die Inzisionsränder und die Gefäßwand nicht transmural mit der Pinzette, sondern greift nur die Adventitia, da andernfalls die Verletzungsgefahr der Gefäßwand groß ist. Nach Heparingabe erfolgt die Kanülierung hoch in die Aorta ascendens oder gar in den Aortenbogen, um den Zugang zu den Pulmonalgefäßen zu verbessern. Die Hohlvenen werden über den rechten Vorhof getrennt kanüliert
811 30.2 · Chronisch-thromboembolisch bedingte pulmonale Hypertonie – pulmonale Thrombendarteriektomie
. Abb. 30.2. Der Operateur steht auf der linken Tischseite. Die Adventitia und die Media des Intermediärstamms der rechten Pulmonalarterie sind ab Höhe des Truncus anterior auf einer Länge von 5 cm inzidiert, ohne die Intima zu eröffnen. Die Intima wird zunächst zirkumferenziell mobilisiert, bevor man die Desobliteration weiter nach peripher fortsetzt
und mit Tourniquets zugeschnürt. Wegen des oftmals starken Kollateralflusses in den Lungengefäßen über die Bronchialarterien platziert man die Ventkatheter sowohl über den Sulcus interatrialis in Höhe der rechten oberen Lungenvene im linken Ventrikel als auch über den Stamm (zunächst) in der linken A. pulmonalis. Die Kühlung des Patienten beginnt sofort nach Beginn der Bypassanlage, bis eine zentrale Körpertemperatur von 18°C erreicht ist. Die Hirnprotektion vor Ischämieschäden während der Phasen des Kreislaufstillstands erfolgt unter EEG-Überwachung medikamentös (Prednisolon und Barbiturate) sowie durch lokale Kälteapplikation (Eispackungen am Kopf). Während der Kühlphase wird zunächst die rechte Pulmonalarterie inzidiert. Der Operateur wechselt hierfür zweckmäßigerweise auf die linke Seite des Patienten. Die Desobliteration wird durch Zuhilfenahme von Kopflicht und Lupenbrillen erleichtert. Nach Identifikation der für die Desobliteration korrekten Wandschicht (d. h. der Lamina fibrosa elastica interna) beginnt man die Präparation zunächst zirkumferenziell zentral und führt sie anschließend nach peripher bis auf Subsegmentebene unter Desobliteration jeder einzelnen Segmentarterie fort (. Abb. 30.2). Die erfolgreiche Thrombendarteriektomie erstreckt sich nach peripher, bis eine dünnschichtige normale Gefäßintima keine stufenbildende Obstruktion mehr bilden kann (. Abb. 30.3). Für die anatomisch genaue Präparation verwendet man speziell konzipierte, schmale Dissektoren mit einer Saugvorrichtung (Daily et al. 1992).
. Abb. 30.3. Die Endarteriektomie wird zirkumferenziell mit Hilfe eines Saugdissektors bis in die einzelnen Segmentarterien hinein vorgenommen. Der Intimazylinder wird hierbei mit Gefäßpinzetten gefasst und allmählich herausgezogen. Die Wiedereröffnung eines Astes ist durch das verstärkte Heraustreten arterialisierten Kollateralblutes gekennzeichnet
Aufgrund des meist starken Kollateralflusses über die Bronchialarterien ist die exakte und vollständige Befreiung der Lungenstrombahn trotz Anwendung von Saugdissektoren bei peripherer Präparation nur in Blutleere möglich. Daher schaltet man Perioden des Kreislaufstillstands unter Exsanguination des Patienten ein. Hierbei wird die Lunge nach Beginn des Kreislaufstillstands mehrmals kräftig gebläht und das Blut über die venöse Leitung und über Ventkatheter im Reservoir der Herz-Lungen-Maschine gesammelt. Mit zunehmender Erfahrung des Operateurs ist selten mehr als ein Stillstand pro Seite von max. 20 min erforderlich. Sollten längere Stillstandzeiten erforderlich werden, ist eine intermittierende Reperfusion zu empfehlen. Die Thrombendarteriektomie der Äste des rechten Oberlappens kann bei peripherer Lokalisation über eine getrennte Inzision des Truncus anterior erfolgen. Unter Anwendung gleicher Techniken ist die Desobliteration hierbei in der Regel ohne Kreislaufstillstand durchführbar. Nach erfolgter Dissektion werden die Gefäßinzisionen je nach Wanddicke zweireihig mit einer Prolenenaht der Stärke 5/0 oder 6/0 in fortlaufender Nahttechnik verschlossen. Bei extrem dünner Gefäßwand muss man die Nahtreihe in Einzelfällen mit einem Perikardflicken spannungsfrei abdecken. Auf der linken Seite wird ebenfalls die perikardiale Umschlagfalte über der Pulmonalarterie und der kreuzenden oberen Lungenvene inzidiert bzw. stumpf mobilisiert und anschließend die Lungenvene nach ventral retrahiert. Die Präparation erfolgt an der Pulmonalarterie, um eine Verletzung des N. phrenicus zu vermeiden. Die Pulmonalarterie wird im vorderen Teil der Konkavität in die Pars basalis hinein unter Schonung der Abgänge der Lin-
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Kapitel 30 · Pulmonale Thrombembolektomie und pulmonale Thrombendarteriektomie
30.2.5 Postoperative Therapie
. Abb. 30.4. Nach Mobilisation der perikardialen Umschlagfalte ist die linke Pulmonalarterie in der Konkavität inzidiert und wird durch 2 Fäden offengehalten. Die Inzision reicht bis zum kreuzenden Oberlappenbronchus. Man blickt auf die Ostien der Oberlappenarterien. Die zentralen Veränderungen der Intima sind links gewöhnlich gering ausgeprägt. Die Endarteriektomie wird begonnen, indem man die Intima mit einem scharfen Dissektor (Tellermesser) ablöst
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gulaarterie eröffnet (. Abb. 30.4). Auf der linken Seite sind die thromboembolischen Gefäßveränderungen gewöhnlich weit weniger ausgeprägt, und die Obstruktionen ist häufig nur auf die Lingula- und die Unterlappenarterien begrenzt. Zentral sind in aller Regel keine sichtbaren Intimaveränderungen auszumachen, aber auch hier lässt sich die Intima durch Verwendung eines scharfen Dissektors (Tellermesser) ablösen und nach peripher präparieren. Nach erfolgreicher Thrombendarteriektomie ähnelt das Operationspräparat einem Ausguss des Pulmonalarterienbaums, dessen Innenlumen mit sekundären Thromben und Emboli unterschiedlichen Alters ausgefüllt sein kann. Mit dem Verschluss der linksseitigen Inzision beginnt die Wiedererwärmung des Patienten. Während der Wiedererwärmungsphase wird in etwa 10–15 % der Fälle ein offenes Foramen ovale geschlossen und eine höhergradige Insuffizienz der Trikuspidalklappe durch Rekonstruktionsmaßnahmen behandelt (Daily et al. 1989). Zwar zeigt eine Regurgitation über der Trikuspidalklappe mit Abfall der rechtsventrikulären Nachlast eine gute und schnelle Rückbildungstendenz (Dittrich et al. 1989; Mayer et al. 1996; Menzel et al. 2000), dennoch wird die häufig labile frühpostoperative Hämodynamik durch eine primär schlussdichte Trikuspidalklappe günstig beeinflusst. Die Rekonstruktion erfolgt mittels Anuloraphie und Bikuspidalisierung durch Ausschalten des posterioren Segels unter bewusstem Verzicht auf stützende Ringe. Diese Maßnahme bedeutet keine relevante Erweiterung des operativen Eingriffs.
Die frühpostoperative Behandlung der Patienten folgt den Richtlinien für andere Herzoperationen (7 Kap. 7). Es bestehen jedoch einige wichtige Spezifika, die besondere Aufmerksamkeit erfordern, um das operative Ergebnis zu sichern. Überwachung und Behandlung kardialer Arrhythmien und eines eingeschränkten Herzminutenvolumens sowie eventueller Gerinnungs- und Blutungskomplikationen entsprechen den Maßnahmen wie bei anderen kardialen Eingriffen. Die frühe Phase kann durch eine extreme Kreislaufinstabilität, metabolische Entgleisungen sowie das Auftreten eines pulmonalen Reperfusionsödems gekennzeichnet sein. Initial ist bei der Respiratortherapie ein höheres Minutenvolumen erforderlich, um die metabolische Azidose nach tiefer Hypothermie, Kreislaufstillstand und prolongierter extrakorporaler Zirkulation zu kompensieren. Hierbei empfiehlt es sich, am Respirator ein höheres Tidalvolumen als üblich einzustellen, um den pulmonalen Gasaustausch zu optimieren: 4 Atemzugvolumen: 12–15 ml/kg KG; 4 Beatmungsfrequenz: 8–10/min, entsprechend einem arteriellen Kohlendioxidpartialdruck von 32–34 mmHg. Eine Hyperkapnie sollte vermieden werden, damit es weder zu einer pulmonalen Vasokonstriktion noch zu einem Anstieg des pulmonalvaskulären Widerstands kommt. Andere in diesem Zusammenhang unerwünschte Nebenwirkungen einer Hyperkapnie sind: 4 intrazerebrale Vasodilatation mit Erhöhung des intrakraniellen Drucks, 4 reduzierte myokardiale Kontraktilität, 4 erhöhte myokardiale Erregbarkeit mit der Gefahr bedrohlicher Arrhythmien. Wenn möglich, sollte der maximale inspiratoriche Beatmungsdruck einen Wert von 30 cm H20 nicht überschreiten, um ein theoretisch mögliches Barotrauma zu vermeiden. Die Nachbeatmungzeit beträgt als Richtwert etwa 24–36 h. Eine prolongierte Sedierung mit Beatmung ist nur dann erforderlich, wenn eine deutliche Überwässerung nicht zeitgerecht mobilisiert und beseitigt werden kann oder gar ein pulmonales Ödem vorhanden ist.
30.2.6 Flüssigkeitsbilanz und Diurese
Je nach Grad der vorbestehenden chronischen Rechtsherzinsuffizienz sowie einer unterschiedlich ausgeprägten positiven Flüssigkeitsbilanz nach der Operation mit hypothermem Kreislaufstillstand ist die Gefahr einer postoperativen Überwässerung groß. Entsprechend sorgfältig müssen Flüssigkeitsbilanz und Diurese überwacht werden. Mit der Reduktion des pulmonalen Gefäßwiderstands ist regelmäßig eine Verbesserung des Herzminutenvolumens
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zu beobachten, die mit großen Stundenmengen der spontanen Urinausscheidung einhergeht. Die Ausscheidung sollte durch Diuretika verstärkt werden, um möglichst früh eine optimale Flüssigkeitsbilanz zu erreichen. Die Gesamtbilanz vor der Extubation richtet sich nach dem präoperativen Zustand sowie der intraoperativen Volumenbilanz und darf sich nicht ausschließlich an den Parametern der postoperativen Bilanz, der arteriellen Blutgasanalyse und des Röntgenbildes orientieren. Eine systemische Hypotension wird bei erhöhtem Herzminutenvolumen gut toleriert. Die Flüssigkeitszufuhr wird restriktiv gehandhabt und der Hämatokrit bei Werten von >30 % gehalten, um einerseits die Sauerstofftransportkapazität zu erhöhen und andererseits der Entwicklung eines pulmonalen Reperfusionsödems vorzubeugen.
30.2.7 Antikoagulation und Rezidivprophylaxe
Zur Rezidivprophylaxe der Lungenembolie und zur Verhinderung einer sekundären Thrombosierung bei Reststenosen im pulmonalen Strombett werden die Patienten zeitlebens antikoaguliert. Dies erfolgt zunächst durch eine i. v. Heparingabe auf der Intensivstation nach Auschluss einer postoperativen Blutungskomplikation als übliche Thromboseprophylaxe und setzt sich als Vollantikoagulation mit überlappender Einleitung einer Marcumartherapie fort. Sofern nicht bereits präoperativ erfolgt, wird zusätzlich dauerhaft ein Filter in die untere Hohlvene eingesetzt. Da der pulmonale Hochdruck bei vielen Patienten in unterschiedlichem Ausmaß fortbesteht, ist der zusätzliche mechanische Schutz vor weiteren Embolien in Kombination mit der Dauerantikoagulation unabdingbar, auch wenn phlebologisch keine Emboliequelle festgestellt werden konnte. Eine Ausnahme besteht allenfalls bei Nachweis anderer Emboliequellen in der oberen Körperhälfte (beispielsweise von Schrittmacherelektroden, Shunt-Ventilen oder Ähnlichem ausgehend) und nach Ausschluss einer kongenitalen oder erworbenen Koagulopathie.
30.2.8 Ergebnisse
Der Erfolg der pulmonalen Thrombendarteriektomie zeigt sich in Korrelation mit dem Ausmaß der Wiedereröffnung der Lungenstrombahn zunächst in einem bereits intraoperativen Abfall des pulmonalvaskulären Widerstands. Dies führt unmittelbar zu einer Verbesserung des Herzzeitvolumens. Dadurch ist zunächst jedoch nur eine mäßige Reduktion des pulmonalen Hochdrucks zu beobachten. Dieser bildet sich erst im Verlauf parallel mit der Rechtsherzhypertrophie zurück (D’Armini et al. 2000; Iversen et al. 1992; Madani et al. 2003; Mayer et al. 1996; Moser et al. 1987). So konnten eigene Untersuchungen eine Reduktion des Widerstands um >80 % von im Mittel 1945 auf
194 dyn/s/cm5 nachweisen (Iversen et al. 1992). Diese Ergebnisse wurden von anderen Arbeitsgruppen bestätigt (Daily et al. 1999; Moser et al. 1987; Tscholl et al. 2001). Auch ist die frühe Entlastung des rechten Ventrikels im Rahmen echokardiographischer Verlaufsbeobachtungen nachweisbar (Dittrich et al. 1989). Die Normalisierung der rechtskavitären Volumina, die Rückbildung der Trikuspidalinsuffizienz und das Verschwinden der paradoxen Septumbewegung mit Verdrängung des linken Ventrikels sind schon in den ersten Tagen nach der Operation zu erkennen. Relativ konstant ist der pulmonale Gasaustausch in der ersten postoperativen Phase weiter beeinträchtigt und hinkt der hämodynamischen Rekonvaleszenz nach. Regelmäßig fallen die arteriellen Blutgasanalysen in den ersten Wochen sogar schlechter aus als präoperativ, und u. U. bleibt die kontinuierliche Gabe von Sauerstoff erforderlich. Nach Resorption des interstitiellen pulmonalen Ödems, Verschwinden von Infiltraten und entsprechender Verbesserung der pulmonalvaskulären Mikrozirkulation bessert sich durch das zunehmend physiologischer werdende Ventilations-Perfusions-Verhältnis auch der Gasaustausch (Kapitan et al. 1990). Mit der Normalisierung der Gefäßstrombahn ist auch noch im späteren postoperativen Verlauf eine weitere Reduktion des Lungengefäßwiderstands nachzuweisen (Fadel et al. 2004; Hirsch et al. 1996; Iversen 1994; Moser et al. 1987). Endgültige Aussagen über das Operationsergebnis können indessen erst nach einem Jahr getroffen werden. Die operativ erzielten Ergebnisse sind in aller Regel anhaltend. Berichte über Langzeitverläufe weisen eine Überlebensrate von >75 % nach 6 Jahren auf. Im Rahmen der Langzeitbeobachtungen werden die meisten Patienten funktionell den NYHA-Stadien I und II zugeordnet (Archibald et al. 1999; D’Armini et al. 2000; Mayer et al. 1996). Eine Leistungsverbesserung bis hin zur Heilung ist in Abhängigkeit vom präoperativen Zustand beschrieben worden, wobei bei ungenügender chirurgischer Entfernung peripher lokalisierter Obstruktionen im Überlebensfall das Persistieren des pulmonalen Hochdrucks und eine unzureichende Minderung der Symptome zu erwarten sind. Hingegen ist eine erneute Verschlechterung des Zustands im Langzeitverlauf in einzelnen Fällen zu beobachten. Ein Grund hierfür sind Rethrombosierungen, insbesondere bei bestehenden Thrombophilien, v. a. aber durch eine unaufhaltbare Progredienz der sekundären Vaskulopathie bei Patienten, die in einem späten Stadium zur Operation überwiesen wurden. Re-Thrombendarteriektomien sind in einzelnen Fällen möglich, allerdings ist dies nur selten der Fall. Aus eigener Erfahrung und korrelierend mit der Literatur (Mo et al. 1999) werden erneute Eingriffe fast ausschließlich nach einer unzureichenden Primäroperation notwendig. Sicherlich kann dann bei Persistenz oder Progredienz des pulmonalen Hochdrucks eine Rezidivoperation in Betracht
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Kapitel 30 · Pulmonale Thrombembolektomie und pulmonale Thrombendarteriektomie
gezogen werden. Diese bleibt jedoch ausgewählten Patienten vorbehalten. Ungeachtet dieser Erfolge gehört die pulmonale Thrombendarteriektomie auch heute noch zu den Eingriffen mit einem hohen perioperativen Risiko. Haupttodesursachen sind respiratorisches Versagen infolge eines pulmonalen Reperfusionsödems, Herzversagen aufgrund einer fehlenden Senkung des pulmonalvaskulären Widerstands und die Kombination beider Komplikationen. Dennoch konnte das Risiko in den vergangenen 15 Jahren signifikant gesenkt werden. Ursächlich hierfür ist die gewonnene Erfahrung bezüglich Patientenselektion, Operationstechnik und perioperativem Management. Die Ergebnisse mehrerer Zentren aus den vergangenen 10 Jahren geben eine perioperative Sterblichkeit von 4,5–23,5 % an (D’Armini et al. 2000; Doyle et al. 2004; Hartz et al. 1996; Iversen 1994; Jamieson et al. 2003; Tscholl et al. 2001). Die große Spannbreite der operativen Ergebnisse spiegelt nicht nur die unterschiedliche Erfahrung einzelner Zentren, sondern auch die Variation der Selektionskriterien wider. Analysen der Ergebnisse konnten erwartungsgemäß das Patientenalter, die Höhe des pulmonalvaskulären Widerstands und das Stadium der Erkrankung als unabhängige Risikofaktoren für die perioperative Mortalität identifizieren. So erreicht das Sterberisiko auch heute noch 40 % und mehr, wenn Patienten im Stadium IV oder mit manifesten Zeichen des Rechtsherzversagens zur Operation kommen (Hartz et al. 1996; Iversen 1994; Tscholl et al. 2001).
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30.2.9 Persistenz der pulmonalen Hypertonie
Da die unzureichende Reduktion des pulmonalvaskulären Widerstands einen der Hauptrisikofaktoren darstellt, werden Fälle mit ausschließlich peripherer Thrombuslokalisation und fortgeschrittener Erkrankung hinsichtlich der Operationsindikation kontrovers diskutiert. So halten Jamieson und Kollegen grundsätzlich alle Patienten für operabel, sind aber bei solchen mit Risikofaktoren zurückhaltend (Jamieson et al. 2003; Thistlethwaite et al. 2002). Sicherlich birgt der Eingriff hier ein weit höheres Risiko des Misserfolgs, dennoch sollte gerade bei diesen Patienten angesichts fehlender Therapiealternativen jeder Fall individuell beurteilt werden. Des Weiteren wird die Operationsindikation im frühen Erkrankungsstadium bei noch geringer Ausprägung der klinischen Symptome skeptisch diskutiert. Ausgehend vom hohen perioperativen Risiko wäre die Operation erst nach Versagen einer medikamentösen Therapie zu erwägen (Riedel 2003). Dies scheint uns allerdings die falsche Behandlungsstrategie zu sein, denn das »Grundrisiko« des Eingriffs steigt im fortgeschrittenen Erkrankungsstadium deutlich (Hartz et al. 1996; Iversen 1994). Gerade in Hinblick auf die unaufhaltsame Progredienz der Erkrankung durch die reaktive Vaskulopathie erscheint es sinnvoll, diese Entwicklung durch eine frühzeitige Operation zu ver-
hindern. Nur im frühen Stadium ist eine komplette Restitutio ad integrum möglich. Im fortgeschrittenen Stadium kann es gar für eine pulmonale Thrombendarteriektomie zu spät sein. Zusätzlich bedeutet die medikamentöse Therapie für diese Patienten – wenn überhaupt – nur einen kurzfristigen Erfolg. Im späten Stadium bleibt dann evtl. nur die Transplantation als einzige Option. Die ein- oder beidseitige Lungentransplantation (7 Kap. 31) ist jedoch – abgesehen von der stark limitierten Verfügbarkeit der Spenderorgane – für dieses Patientengut mit einer sehr hohen Mortalität von 17–32 % verbunden. Des Weiteren beträgt die Langzeitüberlebensrate nach 2 Jahren derzeit nur 50 % (Bando et al. 1994; Doyle et al. 2004; Whyte et al. 1999). Somit ist die Transplantation nur als ein zeitlich begrenztes Palliativverfahren zu bewerten und keine echte Alternative zur potenziell kurativen Thrombendarteriektomie. Sie sollte daher denjenigen Patienten vorbehalten bleiben, die durch eine Thrombendarteriektomie nicht zu behandeln sind.
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30
816
30
Kapitel 30 · Pulmonale Thrombembolektomie und pulmonale Thrombendarteriektomie
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31
31 Lungentransplantation W. Klepetko, C. Aigner 31.1
Einleitung
31.2
Indikationen – 817
31.3
Kontraindikationen – 819
31.4
Evaluation – 819
31.5
Gesetzlicher Hintergrund – 820
31.6 31.6.1 31.6.2 31.6.3 31.6.4
Spenderkriterien – 820 Postmortale Spende – 820 Lebendspende – 820 »Non heart beating donation« Xenotransplantation – 821
31.7
Organentnahme
31.8
Operationstechniken – 821 Lagerung und Zugang – 821 Standardtechnik – 821 Extrakorporale Unterstützung – 823 Spezielle Operationstechniken – 823 Re-Transplantation – 824
31.8.1 31.8.2 31.8.3 31.8.4 31.8.5 31.9
31.1
– 817
Immunsuppression – 825 Cyclosporin A – 825 Tacrolimus (FK 506) – 825 Mycophenolsäure – 825 Prednisolon – 825 Sirolimus – 825 Everolimus – 825 OKT3 (Muromonab CD3) – 826 Antithymozytenglobulin (Thymoglobulin, Atgam) – 826 31.10.9 Interleukin-2-Rezeptor-Antagonisten (Basiliximab, Daclizumab) – 826 31.10.10 Alternative Therapien – 826
– 821
– 821
Peri- und postoperatives Management – 824
Einleitung
Die Lungentransplantation ist eine etablierte therapeutische Option für nichtmaligne Lungenerkrankungen im Endstadium. Fortschritte sowohl in der chirurgischen Technik als auch in der Immunsuppression sowie neue Erkenntnisse über das peri- und postoperative Management haben zu deutlichen Verbesserungen der Langzeitergebnisse und der Lebensqualität nach der Transplantation geführt. Die Zahl der durchgeführten Lungentransplantationen ist weltweit im Verlauf der vergangenen Jahre kontinuierlich gestiegen (. Abb. 31.1).
31.2
31.10 31.10.1 31.10.2 31.10.3 31.10.4 31.10.5 31.10.6 31.10.7 31.10.8
Indikationen
Es gibt ein breites Spektrum an Lungenerkrankungen, welche im Endstadium eine Indikation zur Lungentransplan-
31.11.1 31.11.2 31.11.3 31.11.4 31.11.5 31.11.6
Komplikationen und Behandlungsstrategien – 826 Bronchuskomplikationen – 826 Hyperakute Abstoßung – 826 Akute Abstoßung – 826 Chronische Abstoßung – 827 Infektionen – 827 Malignome – 828
31.12
Ergebnisse
31.11
Literatur
– 828 –829
tation darstellen können (. Abb. 31.2). Generelle Voraussetzungen sind: 4 eine reduzierte Lebenserwartung und eine deutlich reduzierte Lebensqualität aufgrund der Erkrankung, 4 das Versagen von allen anderen konservativen und chirurgischen Therapieoptionen, 4 eine kontinuierliche Verschlechterung der Erkrankung. Die Grunderkrankungen können prinzipiell in parenchymatöse und vaskuläre Lungenerkrankungen eingeteilt werden (. Tab. 31.1). Wie in . Abb. 31.2 dargestellt, ist die Hauptindikation zur Lungentransplantation die chronisch-obstruktive Lungenerkrankung (Emphysem), gefolgt von zystischer Fibrose und idiopathischer Lungenfibrose. Ander parenchymatöse und vaskuläre Erkrankungen stellen geringere Indikationsanteile am Volumen der weltweit durchgeführten Lungentransplantationen dar. In ausgewählten Einzelfällen
818
Kapitel 31 · Lungentransplantation
. Abb. 31.1. Jährliche Anzahl an Lungentransplantationen nach Angaben der Internationalen Gesellschaft für Herz- und Lungentransplantation (ISHLT) (ISHLT; 2008 J Heart Lung Transplant 27: 937–983)
. Abb. 31.2. Hauptindikationen zur Lungentransplantation nach Angaben der Internationalen Gesellschaft für Herz- und Lungentransplantation (ISHLT) (ISHLT; 2008 J Heart Lung Transplant 27: 937–983)
31
. Tab. 31.1. Indikationen zur Lungentransplantation Parenchymatöse Lungenerkrankungen
Vaskuläre Lungenerkrankungen
4 4 4 4 4 4 4 4 4
4 4 4 4
Chronisch-obstruktive Lungenerkrankung α1-Antitrypsin-Mangel Zystische Fibrose Idiopathische Lungenfibrose Bronchiektasien Exogen-allergische Alveolitis Histiozytosis X Sarkoidose Lymphangioleiomyomatose
Primär pulmonale Hypertension Sekundär pulmonale Hypertension, z. B. bei: Eisenmenger-Syndrom aufgrund eines Vorhof- oder Ventrikelseptumdefekts mittels pulmonaler Thrombendarteriektomie nicht korrigierbarer chronischer thromboembolischer pulmonaler Hypertension
wurde die Lungentransplantation auch zur Behandlung des multifokalen bronchioloalveolären Karzinoms angewandt (de Perrot et al. 2004). ! Die Entscheidung zur Lungentransplantation wird letztlich nicht nur basierend auf den funktionellen Kriterien getroffen, sondern zieht auch die Prognose der jeweiligen Erkrankung, den subjektiven Leidensdruck und die Lebensqualität in Betracht (Cupples et al. 2006).
Funktionelle Parameter, die die Notwendigkeit für eine Lungentransplantation untermauern, sind:
4 bei chronisch-obstruktiver Lungenerkrankung: 5 forciertes Einsekundenvolumen (FEV1) von <25 % des Sollwertes, 5 Kohlendioxidpartialdruck (pCO2) von >55 mmHg mit oder ohne begleitende pulmonale Hypertension; 4 bei zystischer Fibrose: 5 FEV1 von <30 % des Sollwertes, 5 zunehmende Hospitalisierungsdauer, 5 Kachexie, 5 Sauerstoffpartialdruck (pO2) von <55 mmHg, 5 pCO2 von >50 mmHg;
819 31.4 · Evaluation
4 bei Fibrose: funktionelle Vitalkapazität oder Diffusionskapazität von <50 % des Sollwertes; 4 bei pulmonaler Hypertension: 5 klinisches Stadium NYHA III oder IV, 5 »cardiac index« von <2 l/min/m2 KOF, 5 Druck im rechten Vorhof von >15 mmHg, 5 mittlerer pulmonalarterieller Druck von >55 mmHg.
31.3
Bereiche
Untersuchungen
Allgemein
Anamnese- und Statuserhebung
Labordiagnostik
4 »Routinetests« 4 Blutgruppenbestimmung 4 Konzentrationsbestimmung von TSH, T3, T4, Parathormon, Kalzitonin, Osteokalzin und Vitamin D 4 HLA-Typisierung 4 Bestimmung des Panels reaktiver Antikörper (lymphozytotoxische Antikörper) 4 Tuberkulintestung 4 Virusserologie: CMV (IgG/IgM), EBV, HIV, HAV, HBV, HCV
Bildgebung
4 4 4 4 4 4 4
Sonstiges
4 Sputumkultur 4 Elektrokardiographie 4 Erkrankungsspezifisch: – Computertomographie der Nasennebenhöhlen – Rechtsherzkatheterisierung – Koronarangiographie – Karotissonographie 4 Bei einem Alter von >40 Jahren: – Tumormarkerbestimmung – gynäkologische/urologische Untersuchung – Mammographie 4 Zusätzliche Untersuchungen, je nach individuellem Risikoprofil
Kontraindikationen
Die Kontraindikationen sind von Zentrum zu Zentrum etwas unterschiedlich, basierend auf der Erfahrung des jeweiligen Zentrums und der Verfügbarkeit von Spenderorganen. In vielen Zentren liegt das oberste Alterslimit bei 65 Jahren. Weitere absolute Kontraindikationen sind: 4 schwere extrapulmonale Systemerkrankungen oder Organdysfunktionen, 4 kürzlich durchgemachte maligne Erkrankungen, 4 aktive Infektion mit HIV, 4 aktive Hepatitis B oder C, 4 Infektion mit panresistentem MRSA (methicillinresistenter Staphylococcus aureus) oder Burkholderia cepacia, 4 aktiver Nikotin-, Alkohol- oder Drogenabusus. Es gibt eine große Zahl an relativen Kontraindikationen, welche individuell anhand der Gesamtsituation des Patienten evaluiert werden müssen. Dazu gehören: 4 Osteoporose, 4 Muskel- oder Skeletterkrankungen, 4 extreme Kachexie oder Adipositas, 4 Langzeitkortikoidtherapie, 4 Infektionen mit Mykobakterien, 4 koronare Herzerkrankung, 4 eingeschränkte linksventrikuläre Funktion, 4 ausgeprägte periphere Gefäßerkrankungen, 4 Niereninsuffizienz, 4 schwere Thoraxdeformitäten, 4 psychosoziale Instabilität.
31.4
. Tab. 31.2. Evualuationsuntersuchungen
Evaluation
Bevor ein Patient auf die Warteliste für eine Lungentransplantation gesetzt werden kann, ist eine genaue Abklärung hinsichtlich der Eignung erforderlich. Die tatsächlich verlangten Untersuchungen variieren etwas von Zentrum zu Zentrum und sind natürlich von der individuellen Grunderkrankung sowie eventuellen Begleiterkrankungen des potenziellen Empfängers abhängig. . Tabelle 31.2 führt exemplarisch die gängigsten Evualuationsuntersuchungen an. Wie bereits angesprochen, sind neben den objektiven Befunden der klinische Gesamteindruck des Patienten und die Lebensqualität wesentliche Faktoren für die Entschei-
Röntgenuntersuchung des Thorax Computertomographie des Thorax Lungenfunktionsuntersuchung Ventilations-Perfusions-Scan Echokardiographie Knochendichtemessung Abdomensonographie
CMV Zytomegalievirus; EBV Epstein-Barr-Virus; HAV Hepatitis-AVirus; HBV Hepatitis-B-Virus; HCV Hepatitis-C-Virus; HIV humanes Immundefizienzvirus; Ig Immunglobulin; TSH thyreoideastimulierendes Hormon
dung über eine Transplantation. Während der Wartezeit sollte der Patient physiotherapeutisch betreut werden, um einen möglichst guten muskulären Ausgangsstatus zu erreichen, der postoperativ die Entwöhnung von der Beatmung und die Mobilisierung erleichtert. Die Entscheidung über eine bilaterale oder »Singlelung«-Transplantation hängt von mehreren Kriterien ab. Eine bilaterale Transplantation ist bei Erkrankungen mit häufigen Infektionen wie bei zystischer Fibrose oder Bronchiektasien bzw. bei Patienten mit anderen Grunderkrankungen und rezidivierenden Infekten immer notwendig. Bei anderen parenchymatösen Erkrankungen wird die Entscheidung individuell getroffen. Bei vaskulären Erkrankungen gibt es unterschiedliche Ansätze, welche von der unilateralen über die bilaterale Lungentransplantation bis
31
820
Kapitel 31 · Lungentransplantation
zur kombinierten Herz-Lungen-Transplantation reichen. In Anbetracht des Mangels an Spenderorganen wird in einzelnen Studien über unilaterale Tranplantationen berichtet, welche jedoch den Nachteil mit sich bringen, dass aufgrund des persistierenden pulmonalarteriellen Hypertonus in der Nativlunge ein Großteil des »cardiac output« durch die transplantierte Lunge fließt, was insbesondere initial für diese eine erhebliche Belastung bedeutet. Dieses Problem lässt sich mit der bilateralen Transplantation lösen. Die kombinierte Herz-Lungen-Transplantation ist aufgrund des Spendermangels nahezu ausschließlich Fällen mit komplexen kardialen Vitien, welche zu einer EisenmengerRekation geführt haben, vorbehalten. Bei einfachen Vorhof- oder Ventrikelseptumdefekten kann dieser Defekt üblicherweise im Rahmen einer bilateralen Transplantation mit Einsatz der Herz-Lungen-Maschine korrigiert werden (Pielsticker et al. 2001). Aufgrund der unterschiedlichen Verfügbarkeit von Spenderorganen variiert die Wartezeit für eine passende Spenderlunge beträchtlich. Die Breite liegt zwischen wenigen Monaten in Ländern mit hohem Organaufkommen und durchschnittlichen Wartezeiten von mehreren Jahren in Ländern mit geringerem Aufkommen. Das jährliche Spenderaufkommen variiert von durchschnittlich etwa 12/1 Mio. Einwohner, z. B. in Deutschland, bis zu 32/1 Mio. Einwohner, z. B. in Spanien.
31.5
31
Gesetzlicher Hintergrund
Derzeit gibt es mit feinen Abstufungen in den einzelnen Ländern 3 grundsätzlich unterschiedliche gesetzliche Lösungen: 4 Widerspruchslösung (z. B. Österreich, Belgien, Luxemburg, Slowenien, Spanien). Jede sich im betroffenen Land aufhaltende Person ist ein potenzieller Organspender – es sei denn, man hat sich in einem »Widerspruchsregister« eintragen lassen. 4 Zustimmungslösung (z. B. Deutschland, Dänemark, Holland). Jeder, der bereit ist, Organe zu spenden, muss sich als potenzieller Spender in ein Register eintragen lassen, oder die nächsten Verwandten geben im Fall des Hirntods die Erlaubnis zur Organentnahme, und zwar in dem Wissen, dass der Verstorbene zu Lebzeiten den Wunsch geäußert hat, im Todesfall Organspender zu sein. 4 »Required request« (z. B. USA). Der den potenziellen Spender betreuende Arzt ist verpflichtet sicherzustellen, dass mit den Angehörigen über eine potenzielle Organspende gesprochen wird.
31.6
Spenderkriterien
31.6.1 Postmortale Spende
Primäre Voraussetzung ist die Feststellung des Hirntods, welche durch einen vom Transplantationsteam unabhängigen Neurologen erfolgt. Der Hirntod ist definiert als kompletter und irreversibler Verlust aller Hirn- und Hirnstammfunktionen. Dies wird durch repetitive klinische Untersuchungen sowie Funktionstests, welche den Verlust der Hirnaktivität bzw. das Sistieren des intrazerebralen Blutflusses dokumentieren, festgestellt. ! Die Lunge ist speziell anfällig für bakterielle Infektionen oder eine Aspiration vor Eintritt des Hirntods und außerdem den potenziell schädlichen Folgen der mechanischen Beatmung ausgesetzt.
Bei einer Beatmung mit einer inspiratorischen Sauerstofffraktion (FiO2) von 1,0 (100 % Sauerstoff) und einem PEEP (»positive endexpiratory pressure«, positiver endexspiratorischer Druck) von 5 cm H2O sollte der pO2 bei >300 mmHg liegen. Bei einer FiO2 von 0,4 sollte der pO2 >120 mmHg betragen. Hinsichtlich des akzeptablen Spenderalters existieren unterschiedliche Richtlinien, jedoch werden Spender in einem Alter über 65 Jahren generell nicht akzeptiert. Hinsichtlich der Raucheranamnese sollte die Exposition bei <20 »pack years« liegen. Die Röntgenaufnahme der Lunge sollte ohne wesentliche Auffälligkeiten sein, jedoch ist ein unilateral lokalisiertes Thoraxtrauma oder in einzelnen Fällen ein lokalisiertes Infiltrat kein Ausschlussgrund dafür, die nichtbeeinträchtigte Lunge zu verwenden. Vor der Entnahme wird routinemäßig eine Bronchoskopie durchgeführt. Generelle Kontraindikationen sind: 4 Malignome (mit Ausnahme niedrigmaligner Hirntumoren), 4 generalisierte Infektionen wie HIV-Infektion sowie meistens Hepatitis B und Hepatitis C, 4 prolongierter Schock. Die endgültige Entscheidung, ob ein Organ transplantabel ist oder nicht, wird nach Entnahme und genauer Inspektion des Parenchyms und der hilären Strukturen getroffen (Aigner et al. 2003b).
31.6.2 Lebendspende
Die Lebendspende einer Lunge oder genauer jeweils eines Lungenlappens, meist eines Unterlappens von 2 Spendern, wurde erstmals 1990 beschrieben (Goldsmith 1990) und v. a. bei pädiatrischen Patienten mit zystischer Fibrose angewandt, um dem Organmangel entgegenzutreten. Die Ergebnisse entsprechen denen der Spende von Verstorbenen. Bei den Spendern wurde über eine geringe Morbidität bei
821 31.8 · Operationstechniken
bis dato keiner Letalität berichtet (Bowdish et al. 2004). Die Langzeitabnahme der Werte der wesentlichen Lungenfunktionsparameter (totale Lungenkapazität, funktionelle Vitalkapazität, FEV1) betrug nur 14–16 %, und es wurden keine wesentlichen Beeinträchtigungen im Langzeitverlauf beobachtet. Aufgrund dieser Ergebnisse kann die Lebendspende als akzeptable Alternative zur Spende von Verstorbenen betrachtet werden, wenn kein Leichenspenderorgan rechtzeitig zu erwarten ist.
31.6.3 »Non heart beating donation«
Auch nach dem Eintritt des Herzstillstands können die Lungen bei rechtzeitiger topischer Kühlung und Heparinisierung des Spenders in ausgewählten Fällen zur Transplantation verwendet werden (Steen et al. 2001). Da in diesem Fall eine funktionelle Bewertung des Gasaustausches im Spender nicht möglich ist, wurde ein System zur Ex-vivoEvaluation entworfen (Steen et al. 2003).
31.6.4 Xenotransplantation
Haupthindernis ist hier die Gefahr der Übertragung von Zoonosen auf den Menschen. Derzeit ist keine realistische klinische Anwendung der Xenotransplantation der Lunge abzusehen (Cooper et al. 2000), auch und besonders wegen der heute noch nicht beherrschbaren Abstoßungsreaktion.
. Abb. 31.3. Rechte Spenderlunge
erhalten – werden die Spenderlungen »en bloc« entnommen (. Abb. 31.3). An einem gesonderten Tisch oder noch im Spender kann die Lunge retrograd perfundiert werden, um eventuelle Thromben aus der arteriellen Strombahn auszuwaschen. Danach wird die Spenderlunge separiert und einzeln gekühlt in Perfusionslösung bei 4–6°C aufbewahrt. Die Lunge toleriert eine Ischämiezeit von 6–8 h (Fiser et al. 2001).
31.8
Operationstechniken
31.8.1 Lagerung und Zugang 31.7
Organentnahme
Erster Schritt der Entnahme ist eine bronchoskopische Evaluation des gesamten Bronchialsystems, um endobronchiales purulentes Sekret aus der Peripherie sowie Inflammation, Aspiration, Blutungen und Ödem auszuschließen. Häufig findet sich zentral in der Trachea sowie in den Hauptbronchien meist zäher Schleim, der jedoch für die Organfunktion irrelevant ist. Die Entnahme wird über eine mediane Sternotomie vorgenommen. Nach Eröffnung des Perikards und beider Pleurahöhlen kann eine erste orientierende Inspektion der Lungen erfolgen. Nach Präparation und Anschlingung von V. cava superior und V. cava inferior sowie Separation von Aorta und Pulmonalishauptstamm wird nach systemischer Heparinisierung (300 IU/kg KG) die Pulmonalarterie kanüliert. Nach Gabe von Methylprednisolon bzw. zusätzlich Epoprostenol wird die Spenderaorta geklemmt und die Lunge nach Inzision des linken Herzohrs mit etwa 6 l Perfusionslösung gespült. Als Perfusionslösung wird von den meisten Zentren eine hochmolekulare extrazelluläre Dextranlösung verwendet. Nach Entnahme des Herzens – wobei insbesondere im Bereich des linken Vorhofs auf eine exakte Schnittführung geachtet werden muss, um eine ausreichende Manschette für Herz und Lunge zu
Zugang zur »Single-lung«-Transplantation ist üblicherweise eine anterolaterale (. Abb. 31.4), seltener auch eine posterolaterale Thorakotomie im 4. oder 5. Interkostalraum. Zugang zur bilateralen Transplantation sind entweder 2 separate anterolaterale Thorakotomien oder die sog. Clamshell-Inzision, bei der die beiden Thorakotomien über eine quere Sternotomie verbunden werden (. Abb. 31.5). Ein weiterer möglicher Zugang ist die mediane Sternotomie, welche jedoch aufgrund des limitierten Zugangs zum Hilus weniger verbreitet ist. Die Lagerung erfolgt für die bilaterale Transplantation mit dem Oberkörper erhöht und den Armen über dem Kopf an einem Strumabügel fixiert, sodass ein guter Zugang zu beiden Seiten gegeben ist (. Abb. 31.6a). Für die unilaterale Transplantation wird der Patient um 45° gekippt und mit einem Arm an einem Strumabügel fixiert gelagert (. Abb. 31.6b).
31.8.2 Standardtechnik
Zunächst erfolgt eine Pneumonektomie auf der jeweiligen Seite, wobei der Bronchus offen abgesetzt und mit 2 Haltenähten fixiert wird, um eine Retraktion in das Mediastinum
31
822
Kapitel 31 · Lungentransplantation
a
b . Abb. 31.4a, b. Anterolaterale Thorakotomie. a Operationssitus; b postoperatives Bild
. Abb. 31.5. Clamshell-Inzision und -Lagerung
31 zu vermeiden. Um Anastomosenprobleme zu umgehen, sollte der Bronchusstumpf möglichst kurz gehalten werden (Van de Wauwer et al. 2007). Die Hilusgefäße werden mittels Stapler abgesetzt und anschließend intraperikardial auspräpariert. Danach kann das hintere Mediastinum, falls
erforderlich, mit einer fortlaufenden Naht verschlossen werden. Anschließend wird die Spenderlunge ausgepackt, um die Strukuren des Spenderhilus zu präparieren. Ein Denudieren des Bronchusstumpfs ist zu vermeiden, um die Blutversorgung nicht zu beeinträchtigen. Sowohl vom Empfänger- als auch vom Spenderbronchus wird ein bakteriologischer Abstrich entnommen und der Spenderbronchus anschließend gut mit physiologischer Kochsalzlösung ausgespült. Der Spenderbronchusstumpf sollte – wie auch der des Empfängers – so kurz wie möglich gehalten werden, ebenso die vaskulären Pedikel, um ein Kinking zu vermeiden. Anschließend wird die Spenderlunge unter permanenter topischer Kühlung in den Empfängerthorax eingebracht und zunächst der Bronchus End-zu-End anastomosiert. Gängigste Nahttechniken, wie in . Abb. 31.7 dargestellt, sind die zirkulär fortlaufende Naht und die fortlaufende Naht nur im Bereich der Pars membranacea mit Einzelknopfnähten im Bereich der Pars cartilaginea (Aigner et al. 2003a). Als Nahtmaterial wird ein monofiler, langsam resobierbarer Faden verwendet (z. B. Polydiaxanon 4/0 oder 5/0). Nach Durchführung einer Wasserprobe zur Prüfung der
a
b . Abb. 31.6a, b. Lagerung für die bilaterale (a) und unilaterale Lungentransplantation (b)
823 31.8 · Operationstechniken
a
b
. Abb. 31.7a, b. Technik der Bronchusanastomose. a fortlaufende Naht; b Einzelknopfnähte im Bereich der Pars cartilaginea
Dichtheit der Anastomose wird der linke Vorhof des Empfängers tangential ausgeklemmt und danach der Vorhof fortlaufend anastomosiert. Abschließend wird die ebenfalls zentral ausgeklemmte Pulmonalarterie fortlaufend anastomosiert. Danach wird die implantierte Lunge retro- sowie antegrad gespült und anschließend reperfundiert. Hierbei hat sich gezeigt, dass sich eine kontrollierte Reperfusion, welche z. B. durch manuelle partielle Kompression der Pulmonalarterie in den ersten Minuten zu erzielen ist, vorteilhaft auf die initiale Graftfunktion auswirkt (Bhabra et al. 1996; Fiser et al. 2002). Für die bilaterale Transplantation, welche initial auch »en bloc« entweder mittels trachealer Anastomose oder mit 2 separaten bronchialen Anastomosen durchgeführt wurde, hat sich mittlerweile vorwiegend die sequenzielle Technik durchgesetzt.
31.8.3 Extrakorporale Unterstützung
Sowohl die uni- als auch die bilaterale Lungentransplantation kann bei hämodynamisch stabilen Patienten ohne exzessiven pulmonalen Hypertonus, welche die »Singlelung«-Beatmung tolerieren, ohne extrakorporale Unterstützung durchgeführt werden (Sherdan et al. 1998). Bei einer beidseitigen Lungentransplantation hat dies zur Folge, dass die erste transplantierte Lunge währen der Implantation der kontralateralen Seite dem gesamten »cardiac output« ausgesetzt ist, was potenziell den Ischämie-Reperfusions-Schaden verstärken kann. Aus diesem Grund verwenden mehrere Zentren bei bilateralen Transplantationen routinemäßig die Herz-Lungen-Maschine (Szeto et al. 2002). Eine Arbeit beschreibt sogar einen Überlebensvorteil bei Emphysempatienten mit 2 HLA-DR-Mismatches durch die Verwendung der Herz-Lungen-Maschine, was
potenziell immunsuppressiven Effekten zugeschrieben wird (de Boer et al. 2002). Aufgrund fehlender prospektiver Studien gibt es keine definitive Antwort auf die Frage der Verwendung der Herz-Lungen-Maschine bei bilateraler Transplantation. Eine Alternative zur Verwendung der Herz-LungenMaschine ist der Einsatz der extrakorporalen Membranoxygenierung mit Heparinbeschichtung. Während die Verwendung zum Bridging bzw. postoperativ zur Therapie einer schweren primären Organdysfunktion weit verbreitet ist (Meyers et al. 2000; Nguyen et al. 2000), wurde der intraoperative Einsatz bisher lediglich von 2 Gruppen beschrieben (Aigner et al. 2007; Ko et al. 2001). Mit Verwendung der extrakorporalen Membranoxygenierung lässt sich eine vollständige Heparinisierung vermeiden. Damit ist der Blutumsatz deutlich zu minimieren, während eine oxygenatorische und hämodynamische Stabilität während der Implantation gewährleistet ist. Ein weiterer Vorteil ist die potenzielle Verlängerung der Unterstützung in der postoperativen Phase über eine Kanülierung der Leiste. Hiermit kann eine kontrollierte Reperfusion bei niegrigen Beatmungsdrücken erreicht werden (Pereszlenyi et al. 2002).
31.8.4 Spezielle Operationstechniken
Bei geringem Größen-Mismatch ist die Möglichkeit gegeben, die Spenderlunge durch einfache Klemmenresektionen zu verkleinern und an den Empfängerthorax anzupassen. Insbesondere Lingula und Mittellappen lassen sich unkompliziert resezieren. Um insbesondere für dringend operationsbedürftige pädiatrische oder sehr kleine Empfänger auch deutlich größere Spenderorgane verwenden zu können, besteht zudem die Möglichkeit, nur Lappen der Spenderlunge zu transplantieren, wobei verschiedenen Lappenkombinationen mög-
31
824
Kapitel 31 · Lungentransplantation
lich sind. Die Lappentransplantation stellt weiterhin im Fall einer unerwarteten lokalisierten Pathologie in einem Spenderlappen, wobei die verbleibenden Lappen transplantabel sind, eine Möglichkeit dar. Die Lunge wird hierbei konventionell entnommen, und die Präparation der Lappen erfolgt unmittelbar vor der Implantation (Aigner et al. 2004). Eine weitere, technisch anspruchsvolle Möglichkeit ist die »Split-lung«-Transplantation, bei der eine linke Spenderlunge in Ober- und Unterlappen geteilt und für eine bilaterale Transplantation beim Empfänger verwendet wird, wobei man den Unterlappen nach links und den Oberlappen nach rechts um 180° um die longitudinale Achse dreht und in den rechten Hemithorax implantiert (Couetil et al. 1997). Die Technik ist in . Abb. 31.8 veranschaulicht. Auf
der rechten Empfängerseite wird der Abgang des Oberlappenbronchus abgestapelt und der Bronchus intermedius zu Verbesserung des Größen-Match für die Anastomose verwendet. Der Spendervorhof wird in Ober- und Unterlappenvene geteilt, der Hauptstamm der linken Pulmonalarterie mittels Stapler verschlossen und der fissurale Aspekt der Arterie geteilt und für die Anastomose verwendet.
31.8.5 Re-Transplantation
Die Re-Transplantation wird zur Behandlung des ansonsten therapierefraktären akuten bzw. chronischen Graftversagens eingesetzt. Die Ergebnisse der frühen Re-Transplantation sind insgesamt enttäuschend und rechtfertigen üblicherweise nicht die Verwendung von Spenderorganen für diesen Zweck. Andererseits liegen die Ergebnisse der elektiven Re-Transplantation bei Patienten mit Bronchiolitisobliterans-Syndrom bei ansonsten fehlender wesentlicher Ko-Morbidität nur knapp unterhalb derjenigen der primären Transplantation (Strueber et al. 2006).
31.9
a
31
b . Abb. 31.8a, b. Technik der »Split-lung«-Transplantation (a) und typisches postoperatives Röntgenbild (b)
Peri- und postoperatives Management
Patienten mit Lungenerkrankungen im Endstadium sind einem signifikanten Risiko der Hypoxie und der dynamischen Hyperinflation während mechanischer Beatmung ausgesetzt, insbesondere bei der »Single-lung«-Beatmung (Myles 2001). Fortschritte im anästhesiologischen Management wurden durch die Verwendung von inhalativem NO, ein Respiratormanagement, welches die dynamische Hyperinflation reduziert, sowie die permissive Hyperkapnie erreicht (Myles et al. 1997). Postoperativ werden alle Patienten auf der Intensivstation mit kontinuierlichem Monitoring von EKG, systemischem und pulmonalarteriellem Blutdruck sowie arterieller und gemischtvenöser Sättigung betreut. Nach komplikationsloser Transplantation sollten die Patienten rasch von der Beatmung entwöhnt und extubiert werden. Die Thoraxdrainagen werden entfernt, sobald die Sekretion eine Menge von 150–250 ml/24 h unterschreitet. Röntgenkontrollen des Thorax werden in der initialen postoperativen Phase engmaschig durchgeführt. Die i. v. Flüssigkeitszufuhr sollte minimiert werden, um eine Volumenüberladung zu vermeiden. Im Fall einer Hypotonie sollte man eher Katecholamine als überschießend Volumen verabreichen. Nach der Extubation ist eine rasche Mobilisierung mit intensiver Physiotherapie indiziert. Zur Überwachung und frühzeitigen Erkennung von Infektionen und Abstoßungsreaktionen werden routinemäßig Bronchoskopien mit transbronchialen Biopsien durchgeführt. Durch die hohen Kortikoiddosen ist die Wundheilung verzögert, und die Hautnähte sollten frühestens am 12. post-
825 31.10 · Immunsuppression
operativen Tag entfernt werden. Vor der Entlassung werden routinemäßig eine Lungenfunktionsprüfung und eine Computertomographie des Thorax durchgeführt. Bei komplikationslosem postoperativen Verlauf beträgt die durchschnittliche Krankenhausaufenthaltsdauer 3 Wochen.
31.10
Immunsuppression
Neue Entwicklungen im Bereich der Immunsuppression haben substanziell zu einer Verbesserung der Ergebnisse nach Lungentransplantation beigetragen. Eine Induktionstherapie mit Antithymozytenglobulin oder murinen monoklonalen Antikörpern wird vielfach durchgeführt. Zur Dauertherapie verwenden die meisten Zentren eine Dreierkombination aus einem Calcineurininhibitor (Cyclosporin A oder Tacrolimus), Kortikoiden und entweder Azathioprin oder Mycophenolat. Zusätzlich gibt es eine große Anzahl an neuen Immunsuppressiva wie Sirolimus, Everolimus, Alemtuzumab und Interleukin-2-Rezeptor-Antagonisten wie Basiliximab oder Daclizumab, welche teils bereits routinemäßig, teils in klinischen Studien eingesetzt werden. Wenn eine chronische Abstoßung im Sinne einer Bronchiolitis obliterans bzw. eines Bronchiolitis-obliteransSyndroms vorliegt, ist eine Verstärkung bzw. Adaptation der Immunsuppression Standard, um eine Progression zu vermeiden.
31.10.1
Cyclosporin A
Cyclosporin A wurde 1979 eingeführt und ist ein spezifischer Inhibitor der Interleukinproduktion in CD4-positiven Zellen. Die orale Bioverfügbarkeit ist in hohem Maße von der Galleproduktion abhängig. Sie beträgt 10–90 %, und die Dosis muss daher exakt anhand der Blutspiegelmessung gesteuert werden. Die meisten Zentren verwenden entweder Tal- oder C2-Spiegel (2 h nach der Einnahme gemessen). Wechselwirkungen sind mit vielen Substanzen bekannt. Beispielsweise erniedrigen Rifampicin und Phenytoin den Blutspiegel, während ihn Makrolide, manche Kalziumkanalblocker, Azole und Grapefruit-Saft erhöhen. Bei ungestörter Nierenfunktion beträgt die Initialdosis etwa 2 mg/kg KG/24 h i. v. Diese wird adaptiert, um initial Talspiegel von 250–400 ng/ml zu erreichen. Der Zielspiegel wird kontinuierlich nach unten korrigiert und beträgt ein Jahr postoperativ 250 ng/ml.
31.10.2
ist ähnlich wie derjenige von Cyclosporin A, jedoch ist Tacrolimus bis zu 100fach potenter. Die orale Bioverfügbarkeit ist mit 20–25 % gering, jedoch von der Galle komplett unabhängig. Ein Therapiemonitoring wird mittels Talspiegelkontrollen durchgeführt, wobei die Initialdosis 0,01–0,03 mg/kg KG/ 24 h i. v. beträgt und anfangs Zielspiegel von 18–21 ng/ml angestrebt werden. Diese kann man innerhalb eines Jahres kontinuierlich auf 8–12 ng/ml reduzieren.
Tacrolimus (FK 506)
Tacrolimus wurde 1994 zugelassen und kommt als Alternative zu Cyclosporin A zum Einsatz. Der Wirkmechanismus
31.10.3
Mycophenolsäure
Mycophenolsäure inhibiert die T- und B-Zell-Proliferation durch kompetitive Hemmung der Inosin-MonophosphatDehydrogenase. Die Suppression des blutbildenden Knochenmarks ist geringer als bei Azathioprin. Spiegelmessungen sind routinemäßig nicht notwendig.
31.10.4
Prednisolon
Kortikoide waren die ersten Immunsuppressiva, welche in der Organtransplantation verwendet wurden. Sie sind unspezifische antiinflammatorische Medikament, die sowohl die humorale als auch die zellmediierte Immunantwort hemmen. Daher werden sie sowohl zur Prophylaxe als auch zur Therapie von Abstoßungen verwendet. Nach einem initialen Bolus von 500–1000 mg Methylprednisolon vor der Reperfusion wird die Erhaltungsdosis gesenkt: 4 1 mg/kg KG eine Woche nach der Transplantation, 4 0,5 mg/kg KG 3 Wochen nach der Transplantation, 4 0,2 mg/kg KG ein Jahr nach der Transplantation.
31.10.5
Sirolimus
Sirolimus wurde 1999 zugelassen und bindet an das mTORProtein (mTOR: »mammalian target of rapamycin«). Sirolimus kann in Kombination mit einem Calcineurininhibitor verwendet werden. Die orale Bioverfügbarkeit ist gering (etwa 15 %). Therapeutische Spiegel liegen in Kombination mit einem Calcineurininhibitor bei 8–20 ng/ml. Aufgrund der wechselnden Bioverfügbarkeit ist eine regelmäßige Blutspiegelmessung erforderlich. ! Wegen möglicher Wundheilungs- bzw. insbesondere Bronchusheilungsstörungen wird Sirolimus in den ersten Wochen nach Lungentransplantation zurückhaltend angewandt.
31.10.6
Everolimus
Everolimus ist ein Derivat von Sirolimus aus der Gruppe der Proliferationshemmer. Es verhindert die Zellteilung
31
826
Kapitel 31 · Lungentransplantation
und damit die Vermehrung der T-Lymphozyten durch Blockade der Wachstumsfaktoren Interleukin 2 und Interleukin 15. Everolimus hemmt auch andere Zellneubildungen, die durch Wachstumsfaktoren stimuliert werden und die an chronischen Abstoßungsreaktionen beteiligt sind.
31.10.7
OKT3 (Muromonab CD3)
OKT3 wird – anders als die oben genannten Substanzen – nicht für die Erhaltungstherapie verwendet, sondern nur zur Induktion bzw. zur Therapie von steroidresistenten akuten Abstoßungen. Es führt innerhalb von Minuten bis Stunden nach der Applikation zu einer nahezu vollständigen T-Zell-Depletion. Erst etwa 48 h nach der Gabe können wieder CD3-positive Zellen nachgewiesen werden. Die übliche Dosis beträgt 5 mg/Tag für 3–14 Tage.
31.10.8
Antithymozytenglobulin (Thymoglobulin, Atgam)
Antithymozytenglobulin wird sowohl als Induktionstherapie als auch zur Behandlung steroidresistenter Abstoßungen sowie zur Stabilisierung einer sich entwickenden Bronchiolitis obliterans verwendet. Empfohlene Dosierungen betragen 1,5 mg/kg KG/Tag für Thymoglobulin und 10–20 mg/kg KG/Tag für Atgam.
31.10.9
31
Interleukin-2-Rezeptor-Antagonisten (Basiliximab, Daclizumab)
Hierbei handelt es sich um Immunsuppressiva, die nur zur Induktionstherapie verwendet werden und verglichen mit OKT3 ein geringeres Nebenwirkungsprofil sowie eine geringere Immunogenität aufweisen. Es sind murin-humane monoklonale Antikörper. Mittelfristig wurden gute Ergebnisse berichtet; aussgekräftige Langzeitdaten stehen noch aus.
31.10.10 Alternative Therapien
Alternative Therapien wie inhalative Kortikoide, Cyclosporin als Aerosol, Methotrexat, Lymphozytenirradiation und Photopherese werden in diversen Studien untersucht, wobei die Erfahrung insgesamt noch limitiert ist und die Ergebnisse größerer Studien abgewartet werden müssen, um den tatsächlichen Stellenwert zu definieren.
31.11
Komplikationen und Behandlungsstrategien
31.11.1
Bronchuskomplikationen
Postoperative Bronchuskomplikationen sind aufgrund einer verbesserten chirurgischen Anastomosentechnik mittlerweile selten. Das Hauptproblem ist entweder eine Dehiszenz, welche in erfahrenen Zentren kaum vorkommt, oder eine Stenose, welche typischerweise 2–6 Monate postoperativ durch überwucherndes Narbengewebe an der Anastomose auftritt. Die Therapie der Stenose erfolgt entweder mittels Ballondilatation oder mittels Stentinsertion im Rahmen einer starren Bronchoskopie. Granulationsgewebe kann auch chirurgisch oder mit einem Laser abgetragen werden.
31.11.2
Hyperakute Abstoßung
Aufgrund sorgfältiger Evaluation vor der Transplantation und Durchführung eines »crossmatch« zwischen Spender und Empfänger ist die hyperakute Abstoßung ein seltenes Ereignis. Die wichtigste Differenzialdiagnose ist der akute Ischämie-Reperfusions-Schaden. Präformierte Antikörper gegen humane Leukozyten- oder AB0-Blutgruppenantigene des Spenders verursachen Minuten bis Stunden nach der Implantation eine fulminante humorale Reaktion gegen das Gefäßendothel des Spenders, was zu Gefäßthrombosen und konsekutivem Graftversagen führt. Die hyperakute Abstoßung hat eine schlechte Prognose.
31.11.3
Akute Abstoßung
Das höchste Abstoßungsrisiko besteht in den ersten 6 postoperativen Monaten. Die akute Abstoßung ist nicht nur eine humorale Immunantwort wie die hyperakute Abstoßung, sondern wird auch durch eine zelluläre Antwort hervorgerufen. Die HLA-Inkompatibilität scheint ein Risikofaktor für die Entwicklung einer akuten Abstoßung zu sein. Die klinische Symptomatik ist sehr unterschiedlich ausgeprägt und reicht von kompletter Symptomlosigkeit bis zu schwerer Dyspnoe, Husten und Fieber. Funktionelle Indikatoren sind ein Abfall des »peak flow« um 10–15 % und eine Abnahme des FEV1 und der Vitalkapazität. Diese haben eine hohe Sensitivität, jedoch ist die Spezifität gering, da aus einer funktionellen Verschlechterung allein keine eindeutigen Rückschlüsse auf die Ätiologie gezogen werden können. Die radiologische Diagnostik ist häufig nicht aussagekräftig. Hinweisend können perihiläre und interstitielle Infiltrate sowie neu aufgetretene Pleuraergüsse sein. Die Diagnose wird üblicherweise durch die transbronchiale Biopsie mittels Bronchoskopie bestätigt. Der wichtigste histopathologische Befund ist ein perivaskuläres, lymphozytenreiches Infiltrat, welches in Kombination mit einer lym-
827 31.11 · Komplikationen und Behandlungsstrategien
phozytären Bronchitis oder Bronchiolitis auftreten kann. Die Ausprägung wird nach der Internationalen Gesellschaft für Herz- und Lungentransplantation in 4 Schweregrade eingeteilt (A0–A4). Innerhalb des ersten Jahres werden an vielen Zentren regelmäßige Überwachungsbronchoskopien durchgeführt, um klinisch asymptomatische Veränderungen rechtzeitig zu erkennen. Häufig treten akute Abstoßung und Infektion gemeinsam auf, sodass eine Infektion immer ausgeschlossen oder eine adäquate Therapie vor Dosiserhöhung der Immunsuppression eingeleitet werden sollte. Die Standardbehandlung der akuten Abstoßung besteht in einem 3-Tages-Kurs hochdosierter Kortikoide (7–15 mg/ kg KG/Tag). Darunter kommt es üblicherweise innerhalb von 2 Tagen zu einer symptomatischen Besserung. Danach wird eine erhöhte Kortisondosis für mehrere Tage beibehalten (über etwa 2 Wochen wird in 100-mg-Schritten bis zur Erhaltungsdosis reduziert). Bei steroidresistenten Abstoßungen sollte die Gabe von Antithymozytenglobulin oder OKT3 erwogen werden.
31.11.4
Chronische Abstoßung
Das Langzeitüberleben nach Lungentransplantation ist v. a. durch die Entwicklung einer chronischen Abstoßung, der sog. Bronchiolitis obliterans, limitiert. Die Genese ist multifaktoriell, mit akuten Abstoßungen, besonders spät im Verlauf auftretenden oder therapierefraktären akuten Abstoßungen, lymphozytärer Bronchitis oder Bronchiolitis, Zytomegalievirusinfektionen, insuffizienter Immunsuppression, HLA-Mismatch und evtl. bronchialer Ischämie als Risikofaktoren, wobei die exakte Ätiologie nach wie vor ungeklärt ist. Da die histologische Diagnose oft schwierig zu stellen ist, wurde ein klinisches Grading-System entworfen, welches als sog. Bronchiolitis-obliterans-Syndrom anhand der funktionellen Beeinträchtigung 5 Schweregrade beschreibt (Estenne et al. 2002). Ein Überblick ist in . Tab. 31.3 gegeben, wobei die »baseline« als der Durchschnitt der 2 besten Messungen, welche im Abstand von mindestens 3 Wochen durchgeführt wurden, definiert ist. Die Inzidenz beträgt
. Tab. 31.3. Klassifikation des Bronchiolitis-obliterans-Syndroms Schweregrad
Merkmale
0
FEV1 von > 90 % der »baseline« und FEV25–75 von >75 % der »baseline«
0-p
FEV1 von 81–90 % der »baseline« und/oder FEV25–75 von <75 % der »baseline«
1
FEV1 von 66–80 % der »baseline«
2
FEV1 von 51–65 % der »baseline«
3
FEV1 ≤50 % der »baseline«
FEV1 forciertes Einsekundenvolumen; FEV25–75 »forced expiratory flow« 25–75 %
international 40 % nach 2 Jahren und etwa 50 % nach 5 Jahren. Radiologisch können sich subsegmentale Atelektasen, Volumenverlust, lineare Verschattungen und Bronchiektasien zeigen. Es gibt Studien, welche die hochauflösende Computertomographie als sensitive und spezifische Methode zur Diagnostik der Bronchiolitis obliterans durch die Quantifizierung von »airtrapping« und Bronchialwandverdickung bezeichnen (Bankier et al. 2001). Die Bestimmung der exspiratorischen CO2-Konzentration wurde als Mittel zur nichtinvasiven Beurteilung der Graftfunktion und zur Erkennung einer akuten oder chronischen Abstoßung beschrieben. Verschiedene Behandlungsstrategien kommen zur Anwendung, beispielsweise eine Dosiserhöhung der laufenden Immunsuppression, eine Umstellung von Cyclosporin A auf Tacrolimus oder Sirolimus, eine zytolytische Therapie oder eine Photopherese (Sarahrudi et al. 2002). Meist kann das Fortschreiten auf diese Weise jedoch nur verlangsamt, aber nicht aufgehalten werden. Ein häufiges Problem dabei ist eine Superinfektion, welche durch die erhöhte Dosis der Immunsupression begünstigt wird. Eine mögliche chirurgische Therapieoption stellt die Re-Transplantation dar. Bei sorgfältiger Patientenselektion kann man mit der Re-Transplantation bei Bronchiolitis obliterans Ergebnisse erzielen, die nahezu mit denjenigen der primären Transplantation vergleichbar sind.
31.11.5
Infektionen
Als Nebeneffekt der Immunsuppression sind die Abwehrmechanismen des Körpers beeinträchtigt, und daher wird das Auftreten von Infektionen begünstigt. Patienten nach Lungentransplantation sind durch den ständigen Kontakt des transplantierten Organs zur Außenwelt sowie durch die Beeinträchtigung des Hustenreflexes und der mukoziliären Clearance besonders gefährdet. In den ersten 2 Monaten nach der Operation sind bakterielle Infektionen am häufigsten, mit vorwiegend gramnegativen Keimen. Es wird daher initial eine Prophylaxe mit einem Breitbandantibiotikum sowie ab der zweiten Woche eine spezielle Pneumocystisprophylaxe durchgeführt. Zusätzliche Antibiotika werden je nach Keimspektrum und Sensitivitätstestung verabreicht. Mykobakterielle Infektionen sind seltener, wobei Mycobacterium avium der häufigste Subtyp ist, dessen Pathogenität durch eine chronische Lungenerkrankung und eine Immunsuppression besonders begünstigt wird. Präoperativ wird routinemäßig ein Tuberkulintest durchgeführt, wobei ein positiver Test jedoch keine Kontraindikation zur Transplantation darstellt. Eine frühe Diagnosestellung und eine rechtzeitige Behandlung sind essenziell. Virale Infektionen sind fast ausschließlich auf die Gruppe der Herpesviren zurückzuführen. Infektionen mit dem Zytomegalievirus (»cytomegalovirus«, CMV) sind dabei am häufigsten, wobei diese durch eine Reaktivierung des Virus entstehen oder bei einem CMV-negativen Emp-
31
828
31
Kapitel 31 · Lungentransplantation
fänger durch ein Organ eines CMV-positiven Spenders übertragen werden können. Die Symptome sind unspezifisch und häufig von einer Leukopenie begleitet. Die schwerwiegendste Form ist die CMV-Pneumonie. CMVAntigen wird am häufigsten aus dem Material der Bronchiallavage isoliert, kann aber z. B. auch im Urin festgestellt werden und weist auf eine aktive Virusreplikation hin. Die Schwere der Erkrankung kann mittels einer Polymerasekettenreaktion aus peripherem Venenblut festgestellt werden. Die Behandlung besteht aus der Gabe von Ganciclovir oder Valganciclovir, welches in den ersten 3 Monaten bei Risikokonstellationen auch prophylaktisch gegeben wird. Zusätzlich kann CMV-Hyperimmunglobulin gegeben werden. Alle Patienten werden bei jedem »Follow-up«-Termin auf eine CMV-Infektion getestet. Herpes-simplex- oder Herpes-Zoster-Infektionen werden mit oralem Valciclovir behandelt. Pilzinfektionen kommen am häufigsten in den ersten beiden Monaten nach der Transplantation vor, wobei Aspergillus- und Candidaspezies die häufigsten Pathogene sind. Candida spp. können eine Ösophagitis oder Tracheobronchitis hervorrufen. Aspergillus spp. sind die am häufigsten festgestellten Pilze nach Lungentransplantation. Sie rufen insbesondere eine Tracheobronchitis oder Ulzerationen bzw. Pseudomembranen an den Anastomosen hervor. Ein disseminierter invasiver Befall wird eher selten beobachtet. Prophylaktisch werden in den ersten 3 Monaten Amphotericin-B-Inhalationen durchgeführt. Zur Behandlung von Pilzinfektionen stehen z. B. Amphotericin B, Azole (insbesondere Voriconazol) und Caspofungin zur Verfügung. Infektionen mit Protozoen wie Pneumocystis jirovecii oder Toxoplasma gondii werden üblicherweise durch die lebenslange Verabreichung von Trimethoprim-Sulfamethoxazol (3-mal wöchentlich) vermieden.
31.11.6
Malignome
Durch die Immunsuppression ist die Inzidenz mancher Neoplasien in der Transplantationspopulation höher als Abb. 31.9. Kaplan-Meier-Überlebenskurve nach Lungentransplantationen zwischen Januar 1994 und Juni 2006 nach Angaben der Internationalen Gesellschaft für Herzund Lungentransplantation (ISHLT; 2008 J Heart Lung Transplant 27:937–983)
normal. Non-Hodgkin-Lmyphome treten typischerweise 3–12 Monate nach der Transplantation auf. Die »posttransplant lymphoproliferative disorder« (PTLD) ist mit dem Epstein-Barr-Virus (EBV) assoziiert, wobei EBV-negative Empfänger ein höheres Risiko aufweisen. Die PTLD tritt häufig in extranodalen Lokalisationen wie Lunge, Gastrointestinaltrakt oder Zentralnervensystem auf. Die Therapie besteht in einer Reduktion der Immunsuppression mit Chemo- und/oder Radiotherapie. Neben der PTLD ist die Inizidenz von Plattenepithelkarzinomen der Haut und der Lippen sowie von Karzinomen der Vulva, des Perineums, der Nieren und des hepatobiliären Systems erhöht.
31.12
Ergebnisse
Die Letalität auf der Warteliste variiert in Abhängigkeit von der gesetzlichen Lage von Land zu Land beträchtlich. Tendenziell ist die Letalität auf der Warteliste in Ländern mit Widerspruchslösung und/oder zentrumsorientierter Organallokation geringer. In der Eurotransplant-Region sowie in den USA liegt die Wartelistensterblichkeit insgesamt bei etwa 25 %. Die Überlebenskurve der Patienten nach Lungentransplantation zwischen Januar 1994 und Juni 2006 nach Angaben der Internationalen Gesellschaft für Herz- und Lungentransplantation ist in . Abb. 31.9 dargestellt (ISHLT; 2008 J Heart Lung Transplant 27: 937–983). Funktionelles »outcome«. Nach erfolgreicher Transplantation erleben die Patienten eine massive Verbesserung der Leistungsfähigkeit und berichten am Ende des ersten Jahres meist über keine Aktivitätseinschränkung. Ein Ansteigen der totalen Lungenkapazität, des FEV1 und der Vitalkapazität ist zu beobachten, wobei es hier keinen signifikanten Unterschied zwischen »Single«- und »Double-lung«-Empfängern gibt (Schwaiblmair et al. 1999). Die Lebensqualität ist durch Unabhängigkeit von Sauerstoff, weniger Dyspnoe, verbesserten Schlaf, gesteigerte Mobilität und generell mehr Antrieb und Energie deutlich verbessert. Drei Jahre nach
829 Literatur
der Transplantation sind nach der Internationalen Gesellschaft für Herz- und Lungentransplantation 40 % der Empfänger voll- oder teilzeitbeschäftigt. Mit dem Entstehen des Bronchiolitis-obliterans-Syndroms kehrt sich dieser Trend jedoch langsam um, wobei die meisten Empfänger trotz des Bronchiolitis-obliterans-Syndroms aktiv bleiben. Ein weiteres Problem im Langzeitverlauf sind die Nebenwirkungen der immunsuppressiven Therapie.
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31
32
32 Herz- und Herz-LungenTransplantation B. Reichart, B. Meiser 32.1 32.1.1 32.1.2 32.1.3 32.1.4 32.1.5 32.2 32.2.1 32.2.2 32.2.3
32.1
Herztransplantation im Erwachsenenalter – 831 Indikationen – 831 Geschichtlicher Abriss und gegenwärtiger Stand – 832 Organspender – 832 Spenderoperation – 833 Empfängeroperation – 835 Herztransplantation im Kindesalter – 838 Indikationen – 838 Techniken der Herztransplantation bei hypoplastischem Linksherzsyndrom – 839 Technik der Herztransplantation nach vorheriger Fontan-Operation – 839
Herztransplantation im Erwachsenenalter
32.1.1 Indikationen
Ein chronisches Herzversagen aktiviert pathophysiologische Mechanismen, wobei dem Renin-Angiotensin-AldosteronSystem und dem erhöhten Sympathikotonus zentrale Rollen zukommen. Eine intensive, mindestens mehrere Monate lang durchgeführte medikamentöse Therapie mit ACE(Angiotensin-Converting-Enzym-)Inhibitoren oder Angiotensinrezeptorblockern ist deshalb Voraussetzung für die Indikationsstellung zur Herztransplantation; β-Blocker, Aldosteronantagonisten und natürlich Diuretika komplettieren eine Kombinationstherapie, die individuell zugeschnitten, u. U. mehrmalig adjustiert und mit anderen Medikamenten wie Digitalis, Hydralazinen und Nitraten erweitert werden kann (Richtlinien der Internationalen Gesellschaft für Herz- und Lungentransplantation; Mehra et al. 2006a). Eine therapierefraktäre NYHA-IV-Herzinsuffizienz (Stadium D des American College of Cardiology und der Klassifikationen der American Heart Association) stellt eine dringliche Indikation (Eurotransplant-Code »high urgent«) zur Transplantation dar. Dabei befindet sich der Patient auf der Intensivstation und benötigt i. v. verabreichte
32.3 32.3.1 32.3.2 32.3.3 32.3.4 32.3.5
32.4 32.4.1 32.4.2
Herz-Lungen-Transplantation – 840 Indikationen – 840 Geschichtlicher Abriss und gegenwärtiger Stand – 840 Organspender von Herz und Lungen – 841 Spenderoperation – 841 Technik der Herz-Lungen-Transplantation – 842 Postoperative Behandlung – 843 Immunsuppression – 843 Medikamentöse Prophylaxe – 845 Literatur
– 845
Katecholamine. Alternativ denkt man in dieser Situation an die Implantation eines mechanischen Herzunterstützungssystems – v. a. dann, wenn zusätzliche schwere, potenziell reversible Organschäden an Leber, Nieren und Lungen bestehen (»bridge to transplantation«, 7 Kap. 33). Bei rekompensierbarem NYHA-IV- sowie beim NYHA-III-Stadium ist die Indikation zur Transplantation (EurotransplantCode »urgent transplantable«) bei zusätzlichen, prognostisch ungünstigen Parametern gegeben: 4 Herzminutenvolumen von <2,0 l/m2, 4 linksventrikulärer enddiastolischer Durchmesser von >80 mm, 4 Auswurffraktion des linken Ventrikels von <20–25 %, 4 pulmonalkapillärer Druck von >20 mmHg. Pulmonalkapilläre Druckschwankungen liefern relativ gute Hinweise auf eine mögliche Verschlechterung des klinischen Zustands. Die Drücke sollten deshalb in 3-monatigen Abständen bestimmt werden, möglicherweise zukünftig mit Implantaten, deren Daten telefonisch abrufbar sind. Von den zahlreichen laborchemischen Werten ist ein maximaler Sauerstoffverbrauch (VO2 max) von ≤14 ml/ kg × min der stärkste Hinweis auf eine schlechte Prognose; weitere Parameter sind der Spiegel des atrialen natriuretischen Peptids und eine Hyponatriämie von <134 mmol/l.
832
Kapitel 32 · Herz- und Herz-Lungen-Transplantation
! Je mehr ungünstige Parameter kumulieren, umso schlechter wird die individuelle Überlebungsprognose während der Wartezeit.
Die Implantation eines biventrikulären Schrittmachers sollte erwogen werden, wenn im Oberflächen-EKG ein Linksschenkelblock mit einem QRS-Komplex von >120 ms verifiziert werden kann (7 Kap. 26). Seit der Veröffentlichung von MADIT II (Multicenter Automatic Defibrillator Implantation Trial II; Moss et al. 2002) und SCD-HeFT (Sudden Cardiac Death in Heart Failure Trial; Bardy et al. 2005) besteht die Indikation zum Einsetzen eines Defibrillators auch ohne rhythmusspezifische Kriterien; dieses Gerät kann mit einem biventrikulären Schrittmacher kombiniert werden (Richtlinien zur Listung und Behandlung von Herzrhythmusstörungen; Mehra et al. 2006b; Gronda et al. 2006). Eine orthotope Herztransplantation ist selbst bei Pulmonalarterienwiderständen von bis zu 5–6 Wood-Einheiten indiziert – vorausgesetzt, diese lassen sich durch die Gabe von Prostaglandoiden oder NO auf 3–4 Einheiten absenken. Ist dies nicht der Fall, kann man sich alternativ zum heterotopen Vorgehen entschließen.
32.1.2 Geschichtlicher Abriss
und gegenwärtiger Stand
32
R.R. Lower und N.E. Shumway veröffentlichten 1960 – damals arbeiteten beide an der Universität Stanford – ihre Meilensteinarbeit zur letztendlich erfolgreichen Technik der orthotopen Herztransplantation (Lower u. Shumway 1960) (7 Kap. 1). Fünf Jahre danach berichtete dieselbe Gruppe von Überlebenszeiten von bis zu 250 Tagen bei Tierexperimenten, wobei sie als Immunsuppressiva u. a. Azathioprin und Kortison verwendeten (Lower et al. 1965). Der Ersteingriff am Menschen gelang am 03.12.1967 Christiaan Barnard und seinem Team am Kapstädter Groote Schuur Hospital. Es folgte weltweit ein enthusiastischer Boom. Danach war es wieder die Stanford-Gruppe, die mit der Modifikation wichtiger Einzelschritte und in 10-jähriger Beständigkeit den endgültigen Erfolg der Methode sicherte. Die Einführung des Immunsuppressivums Cyclosporin A half nach 1980, diesen Weg zu ebnen. In Europa leistete Christian Cabrol mit seinem Team vom Krankenhaus Pitié-Salpétrière in Paris Pionierarbeit; ihr Ersteingriff erfolgte im April 1968. Nach der ISHLT-Statistik (ISHLT: International Society for Heart and Lung Transplantation) erreichten Herztransplantationen im Jahre 1995 ein Maximum mit weltweit knapp 4500 Eingriffen. Danach reduzierte sich die Zahl bis 2007 um ein Drittel. Ischämische (42 %) und dilatative (46 %) Kardiomyopathien waren Hauptindikationen. Die übrigen Patienten verteilen sich auf seltenere Diagnosen wie angeborene Herzfehler, Herzklappendefekte, Re-Eingriffe und Herztumoren (Taylor et al. 2006).
. Abb. 32.1. Indikationen zur Herztransplantation im Jahre 2008 in Deutschland (Quelle: Eurotransplant)
Eine ähnliche Entwicklung war im Bereich von Eurotransplant und speziell in Deutschland zu beobachten: Dort sanken die Herztransplantationszahlen seit 1998 von 528 auf inzwischen stabile Werte um 380 pro Jahr. Die aktuelle Indikationsverteilung zur Herztransplantation in Deutschland ist in . Abb. 32.1 wiedergegeben.
32.1.3 Organspender
Organverpflanzungen sind in Deutschland seit Dezember 1997 durch Gesetz geregelt. Die ständige Kommission Organtransplantation der Bundesärztekammer achtet auf die Umsetzung der von ihr gegebenen Richtlinien. Zwei Organisationen sind mit der Ausführung beauftragt: 4 Die Koordinierungsstelle, die Deutsche Stiftung für Organtransplantation (DSO), ist für das Spenderaufkommen und die Organisation der verschiedenen Organentnahmen zuständig. 4 Die Vermittlungsstelle, Eurotransplant, sorgt für die Aufnahme der Patienten in die Warteliste und die Organvergabe. Dabei wird für jeden Mitgliedsstaat separat ein Allokationsalgorithmus zugrunde gelegt, in den neben der Dringlichkeit auch die Wartezeit, geschlechts-
833 32.1 · Herztransplantation im Erwachsenenalter
spezifisch die Körpergröße, die Blutgruppe (Blutgruppenidentität ist die Regel) und die zu erwartende Ischämiezeit eingehen. Eine retrospektive HLA-Typisierung wird durchgeführt; zu einer HLA-kompatiblen Übertragung fehlt bei thorakalen Organen in der Regel jedoch die Zeit. Nach präformierten Antikörpern gegen das HLA-System wird jedoch gesucht. Sind – z. B. nach Voreingriffen – gegen ein häufig vorkommendes Antigen entsprechende Antikörper vorhanden, sollte ein »cross match« (Empfängerserum gegen Spenderlymphozyten) durchgeführt werden. Es herrscht ein weltweiter Organmangel – so auch in Deutschland. Mit etwa 15 Spendern pro 1 Mio. Einwohner steht das Land an 13. Stelle von insgesamt 28 europäischen Staaten; die 3 ersten Positionen nehmen Spanien, Belgien und Österreich ein. Als Reaktion auf den Spendermangel haben viele Transplantationszentren die Spenderkritierien schrittweise gelockert. So kann jedes Zentrum bei Eurotransplant bestimmte Kriterien angeben, in deren Grenzen Angebote erfolgen. Es ist möglich, ältere Spenderherzen für ältere – 60- bis 65-jährige – Empfänger vermittelt zu bekommen. Unter diesen Voraussetzungen empfiehlt es sich, vor der Explantation ein Koronarangiogramm des Spenders anfertigen zu lassen. Eine Perfusion mit University-of-Wisconsin-(UW-)Lösung macht es möglich, längere Ischämiezeiten von bis zu 6 h zu tolerieren und Organe von europäischen Grenzstaaten zu akzeptieren (Human et al. 1993). Das potenzielle Spenderherz sollte in situ in der Lage sein, einen stabilen Kreislauf zu gewährleisten. Einen Herzschaden kann man durch die Bestimmung der Troponinwerte ausschließen; EKG und Echokardiographie komplettieren die Untersuchung. Ein niedriger Blutdruck kann einen Volumenmangel bedeuten, häufig aufgrund eines Diabetes insipidus. Durch den Hirntod fallen zentrale Re-
. Abb. 32.2. Exzisionstechnik (Spender): Die obere Hohlvene wird zwischen 2 Ligaturen durchtrennt und die Aortenklemme möglichst weit distal platziert. Die untere Hohlvene setzt man unmittelbar kranial der hart am Diaphragma gesetzten Klemme ab. Zur Exzision wird die Aorta ascendens mit genügender Länge in Höhe der Punktionsstelle der Kardioplegie durchtrennt. Beide Pulmonalarterien setzt man ebenso wie die Lungenvenen direkt am Perikard ab. Die gestrichelte Linie am rechten Vorhof zeigt die Schnittführung zur rechtsatrialen Anastomose vor Implantation
gulationsmechanismen aus, es kommt zum Absinken der Serumspiegel von Insulin, Kortisol und v. a. T3. Eine Substitution der Hormone – und hier v. a. die Gabe von 1–2 μg T3 i. v. – kann zur Stabilisierung beitragen (Novitzky et al. 1984). Werden – nicht korrigierbar – große Mengen an Katecholaminen zur Kreislaufstabilisierung benötigt und sieht man bei der Echokardiographie deutliche Pumpfunktionsstörungen, sollte man von einer Herzentnahme absehen. Als weitere Kontraindikationen sind eine maligne Erkrankung des Organspenders (Ausnahme: niedrigmaligne Hirntumoren) sowie eine generalisierte Sepsis zu erwähnen, außerdem bestimmte Infektionen (z. B. HIV-Infektion, Hepatitis C). Lokal begrenzte Entzündungen – auch Pneumonien – können für bestimmte Empfängergruppen (infizierte Patienten, höchste Dringlichkeit) toleriert werden.
32.1.4
Spenderoperation
32.1.4.1
Präparation für die orthotope Herztransplantation
Grundsätzlich muss vor Beginn des Eingriffs die Richtigkeit der Blutgruppe sichergestellt sein (Schnelltest vor Ort). Das Herz des Organspenders wird über eine mediane Inzisionen von Sternum und Perikard eröffnet. Man gibt dann 2,5– 3,0 mg Heparin/kg KG. Es folgt die Inspektion des Organs, insbesondere der Koronararterien; diese werden darüber hinaus abgetastet. Noch einmal beurteilt man die Kontraktionskraft von rechtem und linkem Ventrikel. Die Vorbereitung für die Explantation beginnt mit dem Separieren von Aorta ascendens und Truncus pulmonalis (. Abb. 32.2). Die obere Hohlvene wird doppelt ligiert und dazwischen durchtrennt. Die herznahe Ligatur darf dabei den Sinusknoten nicht beschädigen. Zur Sicherheit übernäht man
32
834
Kapitel 32 · Herz- und Herz-Lungen-Transplantation
den Cava-superior-Stumpf herznah einfach fortlaufend. Anschließend wird die Aorta ascendens vor dem Truncus brachiocephalicus quergeklemmt und die 4°C kalte Perfusionslösung proximal davon eingeleitet. Extern wird eiskalte Kochsalzlösung aufgebracht. Eine Klemme befindet sich an der unteren Hohlvene, sehr nahe dem Diaphragma. Herzwärts durchtrennt man sodann die V. cava an der Stelle, wo sie in den rechten Vorhof mündet. Dadurch kann die Herzprotektionslösung über den Sinus coronarius gut drainieren. Die rechte obere Pulmonalvene oder das linke Herzohr wird inzidiert, um das linke Herz zu entlasten. Nachdem man das gewünschte Volumen an herzprotektiver Lösung eingebracht hat, entfernt man das Spenderherz von kaudal nach kranial. Als erstes werden die linken und rechten Pulmonalvenen durchtrennt, abschließend die Aorta ascendens und der Truncus pulmonalis kurz unterhalb der Bifurkation. In einer Schüssel mit eiskalter Kochsalzlösung bereitet man das Herz für die Implantation vor, indem man den rechten Vorhof – ausgehend von der unteren Hohlvene – in Richtung rechtes Herzohr inzidiert. Die Herzklappen sowie das interatriale Septum werden inspiziert. Findet sich ein Foramen ovale, muss es verschlossen werden. Der linke Vorhof wird eröffnet, indem man die Orifizien der 4 Lungenvenen durch Schnitte verbindet. Für einen Ferntransport wird das Organ 3fach in sterile Plastikbeutel, die jeweils mit Perfusionslösung gefüllt sind, abgepackt. Die endgültige Lagerung erfolgt in einer Kühlbox, die zur Hälfte mit Eiswürfeln gefüllt ist. 32.1.4.2
32
Präparation für die heterotope Herztransplantation
Ist eine heterotope Herztransplanttion vorgesehen, belässt man die obere Hohlvene in voller Länge und ligiert sie kurz vor dem Zufluss der V. anonyma. Die V. azygos wird doppelt ligiert und dann durchtrennt. Für die Herzentnahme geht man ansonsten analog zur orthotopen Transplantation vor. Die untere Hohlvene wird anschließend doppelt fortlaufend übernäht. Eine Längsinzision führt vom Azygosstumpf zur unteren Hohlvene. Die Orifizien der rechtsseitigen Lungenvenen übernäht man ebenfalls doppelt fortlaufend. Die linken Lungenvenen verbindet man zu einer gemeinsamen Öffnung, die etwa den Durchmesser der Mitralis besitzen soll (. Abb. 32.3). 32.1.4.3
Herzkonservierungslösungen
In Mitteleuropa ist eine Konservierungslösung ausreichend, die bei Ischämiezeiten von 4–6 h eine sichere Myokardprotektion gewährleistet. In diesen Fällen ist die intrazelluläre Bretschneider-Lösung verwendbar (Bretschneider et al. 1975; Hölscher u. Groenewoud 1991), die mit Histidin (Puffer), Tryptophan und Ketoglutarat versehen ist. Sie wirkt über eine Erniedrigung der Konzentration der Natriumionen, verhindert damit die Membrandepolarisation (Endothelzellschutz) und führt zur elektromechanischen Entkopplung. Die intrazelluläre Standard-University of
. Abb. 32.3. Heterotope Herztransplantation: Zur Vorbereitung des Spenderherzens für die Implantation werden die untere Hohlvene (untere Nahtreihe) sowie die rechtsseitigen Lungenvenen mittels fortlaufender Nähte verschlossen. Die V. azygos und V. cava superior (oberhalb der V. azygos) werden ligiert. Die Inzision des rechten Vorhofes erfolgt posterior und in kraniokaudaler Richtung
Wisconsin-(UW)-Lösung (Belzer u. Southard 1988) enthält u. a. 125 mMol Kalium; sie hat die Euro-Collins-Lösung (Collins u. Wicomb 1983) abgelöst. Beim Herz angewandt führt sie zu einem schnellen Stillstand und erlaubt eine sichere Aufbewahrung in den oben genannten Zeitgrenzen. Die hohe Kaliumkonzentration bedingt allerdings Endothelzellschäden, was langzeitig zur Entstehung einer Transplantatvaskulopathie beitragen kann. UW-Lösung gibt es seit einiger Zeit auch als extrazelluläre Rezeptur, woraus ein langsamerer Herzstillstand resultiert, ähnlich wie bei Anwendung der aus Frankreich stammenden Celsior-Konservierungslösung (Menasche et al. 1994). Alle aufgeführten Konservierungslösungen weisen Vorund Nachteile auf (Kajihara et al. 2006; Michel et al. 2002). Es wird deshalb empfohlen, während der Implantation großzügig eine extrakardiale Kühlung durchzuführen. In diesem Zusammenhang soll das Freiburger Konzept erwähnt werden, das nach initialer Konservierung mit Bretschneider-Lösung unmittelbar vor und während des Einnähens des Herzens wiederholt kalte Blutkardioplegielösung mit niedrigem Perfusionsdruck anwendet; die Lösung wird bei geöffneter Aorta retrograd über den Sinus coronarius verabreicht. Vor dem Öffnen der Aortenklemme reperfundiert man mit warmer Blutkardioplegielösung ein letztes Mal für eine Minute mit einem Druck von 40–60 mmHg (genaue Beschreibung bei Beyersdorf 2004). ! Weltweit ist lediglich die Bretschneider-Lösung zur Herzkonservierung zugelassen, in wenigen Ländern auch die Celsior-Lösung.
835 32.1 · Herztransplantation im Erwachsenenalter
32.1.5
Empfängeroperation
32.1.5.1
Orthotope Implantationstechnik nach Lower und Shumway
Siehe hierzu auch Lower und Shumway (1960). Der Thorax wird median eröffnet und dann das Perikard längs gespalten. Nach Gabe von 2,5–3,0 mg Heparin/ kg KG werden die obere und die untere Hohlvene umschlungen (. Abb. 32.4). Die Aorta kanüliert man möglichst im rechten Bogen. Die venöse Ableitung erfolgt über 2 getrennte großlumige Katheter, die direkt in die Vv. cavae eingeführt werden. Nach Übernahme des Kreislaufs durch die Herz-Lungen-Maschine senkt man die Körpertemperatur auf etwa 30°C ab. Obere und untere Hohlvene werden gedrosselt, und man beginnt mit der Entnahme des Empfängerherzens: Der rechte Vorhof wird entlang der Crista terminalis inzidiert, sodann die Fossa ovalis. Darüber wird das Blut aus dem linken Herz abgesaugt. Die Stichinzision in der Fossa wird nach kranial und kaudal verlängert, womit man das interatriale Septum durchtrennt hat. Aorta ascendens und Truncus pulmonalis werden mittig abgesetzt. Man entfernt das Empfängerherz, indem man die schon beschriebenen Inzisionen am rechten Vorhof und am Septum fortführt. Dabei hält man sich dorsal des Sinus coronarius und der Mitralklappe.
. Abb. 32.4. Technik der Exzision des Empfängerherzens. Zunächst wird der rechte Vorhof hart an der Vorhof-Kammer-Grenze abgesetzt. Die in Höhe des Herzohres beginnende Inzision wird kranial bis zur Aortenbasis, kaudal bis in den Koronarsinus hinein fortgeführt. Anschließend wird das atriale Septum eröffnet (– –) und der Schnitt ebenfalls in Richtung Aortenbasis und Koronarsinus verlängert. Nach Absetzen der großen Gefäße unmittelbar oberhalb der Semilunarklappen (– –) werdem Vorhofdach und freie Wand des linken Vorhofes (in Höhe des Koronarsinus) unter Mitnahme des Herzrohres durchtrennt
Die Verpflanzung des Herzens beginnt mit der Vereinigung der linken Vorhöfe (. Abb. 32.5). Das Spenderherz wird dabei so implantiert, dass sich die Region der oberen linken Lungenvene dem linken Herzohr nähert. Dort beginnt man mit der Naht, die mit einfach fortlaufender Technik und mit Hilfe eines doppelt armierten 4/0-Polypropylenfadens ausgeführt wird. Die Stiche werden eng und tief in das Gewebe greifend gesetzt. Die beiden Nahthälften treffen sich in der Mitte des Vorhofseptums und werden dort geknotet. Eine zweite Nahtreihe beginnt an diesem Punkt und wird in analoger Weise geführt, um den rechten Vorhof zwischen Spender- und Empfängerherz zu anastomosieren (. Abb. 32.6). Vor dem Knoten entlüftet man das rechte System, indem man kurz die Drosselung um die untere Hohlvene öffnet. Zwischendurch sollte das Spenderorgan immer wieder mit eiskalter Kochsalzlösung extern gekühlt werden. Analog kann man den von Shumway eingeführten Perikardbrunnen benutzen. Bei dieser Technik lässt man über ein Schlauchsystem kontinuierlich eiskalte Kochsalzlösung auf das Spenderorgan träufeln; eine weitere Leitung saugt die Flüssigkeit wieder ab. Die Implantation wird mit End-zu-End-Verbindungen der A. pulmonalis bzw. der Aortenstümpfe beendet, nachdem diese auf die entsprechende Länge gestutzt wurden
. Abb. 32.5. Implantation des Spenderherzens: Die Transplantation beginnt mit der Vereinigung des linken Spender- und Empfängervorhofs in Höhe der linken oberen Lungenvenen. Die Stichrichtung verläuft zunächst nach kaudal, die rechte Zirkumferenz des Atriums wird mit dem atrialen Septum anastomosiert
32
836
Kapitel 32 · Herz- und Herz-Lungen-Transplantation
. Abb. 32.6. Unter Doppeltfassen des Vorhofseptums werden die beiden rechten Vorhöfe anastomosiert
Vor Freigabe der Koronarperfusion werden 500 mg Methylprednisolon i. v. gegeben. Jetzt erst beginnt man mit dem Anheben der Körpertemperatur; falls erforderlich, wird defibrilliert. Es werden 2 Schrittmacherdrähte auf den rechten Vorhof und den rechten Ventrikel genäht. Drainagen werden vor und hinter das implantierte Herz platziert. Nach einer etwa 30-minütigen Reperfusionszeit beendet man die extrakorporale Zirkulation. Zu diesem Zeitpunkt sollten beide Herzhälften ein gutes Kontraktionsverhalten aufweisen. Bestand beim Empfänger eine pulmonale Hypertension, sollte der Anästhesist ausreichend Vasodilatanzien verabreichen. Nach dem Dekanülieren wird Protamin gegeben. Es folgt der übliche Thoraxverschluss. Ein primäres Transplantatversagen stellt eine hochgefährliche Komplikation dar. Nach nicht erfolgreicher Gabe von Vasodilatanzien und Katecholaminen wird man sich in diesem Fall zunächst für die Insertion einer intraaortalen Ballonpumpe entschließen. Lässt sich die Herz-LungenMaschine trotzdem nicht ohne Probleme abschalten und werden weiterhin Katecholamine in hohen Dosen benötigt, sollte man sich frühzeitig für den Einsatz einer extrakorporalen Membranoxygenation entscheiden. Dazu benötigt man eine Konsole mit Zentrifugalpumpe und ein heparinbeschichtetes venöses und arterielles Schlauchsystem, das man mit dem rechten Vorhof bzw. der Aorta ascendens verbindet. Nach unseren Erfahrungen gelingt es so in etwa der Hälfte der Fälle, auch in dieser verzweifelten Situation das Leben des Patienten zu retten. 32.1.5.2
32 . Abb. 32.7. Nach angemessener Längenreduktion auf der Seite des Spenders vereinigt man beide Aortenstümpfe End-zu-End. Vor Verknüpfen dieser Nahtreihe werden das linke Herz und die Aorta sorgfältig entlüftet. Die hier noch offen dargestellten Pulmonalisstümpfe werden anschließend in identischer Weise anastomosiert
(. Abb. 32.7). Dabei verwendet man 4/0- oder 5/0-Polypropylenfäden, jeweils doppelt armiert. Vor dem Knoten der Aortennaht entlüftet man die linke Herzhöhle, indem man die Drosselung um die untere V. cava löst und die Drehzahl der Herz-Lungen-Maschine reduziert. Gleichzeitig belüftet der Anästhesist beide Lungen. Die Herzspitze wird punktiert. Eine Entlüftungsnadel mit Schlauch und Verbindung zur Herz-Lungen-Maschine befindet sich zusätzlich in der Aorta ascendens. Distal davon bleibt das Gefäß mit einer Klemme partiell okkludiert.
Bikavale Anastomosen – Modifikation nach Dreyfus und Mitarbeitern
Siehe hierzu auch Dreyfus et al. (1991). Durch die von Dreyfus und Carpentier entwickelten bikavalen Verbindungen verspricht man sich ein besseres Strömungsmuster im rechten Vorhof. Die Technik ist bei bestimmten angeborenen Herzfehlern unerlässlich. Ursprünglich hatte die Pariser Gruppe neben den Endzu-End-Anastomosen von V. cava superior und V. cava inferior auch die getrennte Verbindung der rechten und linken Lungenvenen vorgeschlagen (eine Technik, die auch bei der Lungentransplantation Anwendung findet – die Lungenvenen beider Seiten werden getrennt mit Hilfe eines Vorhof-Patches anastomosiert). Eine Modifikation dieser Technik belässt alle Lungenvenen an der Rückseite des linken Vorhofs, wie von Lower und Shumway beschrieben (Modifikation erstmals bei Sarsam et al. 1993). 32.1.5.3
Heterotope Implantationstechnik
Eine Indikation zur heterotopen Technik gibt es heutzutage nur noch selten, etwa bei fixierten, therapieresistenten Pulmonaliswiderständen um 6–8 Wood-Einheiten. Unter diesen Bedingungen unterstützt das empfängereigene rechte Herz in der frühen postoperativen Phase das des Spenders, das nur normale Druckverhältnisse gewohnt ist. Die Technik wurde in den 1970er Jahren von Barnard
837 32.1 · Herztransplantation im Erwachsenenalter
. Abb. 32.8. Am totalen kardiopulmonalen Bypass wird der linke Vorhof des Empfängers im Sulcus interatriales eröffnet und mit den zu einem gemeinsamen Ostium verbundenen linksseitigen Lungenvenen des Spenderherzens mittels fortlaufender Naht anastomosiert. Die gestrichelte Linie im Bereich des rechten Vorhofes zeigt die Inzision dieser Herzhöhle für die rechtsatriale Anastomose
. Abb. 32.9. Die rechtsatriale Anastomose wird so angelegt, dass eine rautenförmige Öffnung entsteht. Hierzu beginnt man die Nahtreihe in der Mitte der Inzision beim Spenderherzen und kranial beim Empfänger. Die Anastomose wird dann zirkulär mittels fortlaufender Naht fertiggestellt
und Losman in Kapstadt entwickelt (Losman et al. 1977; Novitzky et al. 1985). Der Eingriff erfolgt zunächst analog der orthotopen Transplantation. In Abänderung muss man jedoch die V. cava superior sehr hoch in der Nähe der V. anonyma kanülieren. Sodann fertigt man eine rechtsseitige perikardiale Tasche, indem man 2 Schnitte senkrecht zur Gefäßachse in Höhe der Einmündung der oberen und unteren Hohlvene in den Vorhof anbringt. Die Schnitte führen bis etwa 2 cm an den rechten N. phrenicus heran. Diese Perikardtasche dient später als Unterlage für das heterotop gelegene Herz. Nach Beginn der extrakorporalen Zirkulation kühlt man den Empfänger auf 30°C ab und klemmt die Aorta nahe des Truncus brachiocephalicus; kardioplegische Lösung wird gegeben. Das Spenderherz legt man nun mit der Öffnung des linken Vorhofs nach anterior gerichtet in den Thorax. Es folgt eine Längsinzision in das linke Empfängeratrium (. Abb. 32.8). Man inzidiert dorsal im Sulcus interatrialis, wie für die Mitralklappenchirurgie üblich. Die beiden linken Vorhöfe werden mit einer fortlaufenden Naht aus 4/0-Polypropylen verbunden. Man näht dabei an der Rückseite in beiden Richtungen, kaudal und kranial, um schließlich in der Mitte des interatrialen (Spender-)Sulkus
zu knoten. Bei dieser Nahtreihe muss man besonders sorgfältig vorgehen, da sie nach Ende der Implantation nicht mehr zugängig ist. Es folgt die Inzision im rechten Vorhof des Empfängers. Sie beginnt in der Mitte der rechten Vorhofwand, in Höhe der Crista terminalis, und wird zur oberen Hohlvene hin verlängert. Der erste Stich mit dem 4/0-Polypropylenfaden beginnt am herznahen Ende der Spenderinzision (. Abb. 32.9) und in der Mitte des unteren Randes der eben beschriebenen Öffnung beim Empfänger (Losman et al. 1977; Novitzky et al. 1985). Man näht wiederum nach kaudal und kranial in einfach fortlaufender Technik. Die so entstandene rautenförmige Anastomose erlaubt eine weite und unbehinderte Kommunikation zwischen beiden Vorhöfen. Im Weiteren verbindet man die Spenderaorta End-zu-Seit mit dem Empfängergefäß. Es ist dabei wichtig, bereits während der Spenderoperation die Aorta möglichst lang zu belassen. Die Spenderpulmonalis wird mit dem Empfängerpendant verbunden, wobei man zusätzlich ein Segment (üblicherweise 6–8 cm lang) einer abgedichteten Gefäßprothese gleichen Durchmessers interponiert (. Abb. 32.10). Zur besseren Längenabschätzung sollte man die Gefäßprothese zunächst End-zu-Seit mit der Empfängerpulmonalis anastomosieren, um dann erst die
32
838
Kapitel 32 · Herz- und Herz-Lungen-Transplantation
. Abb. 32.10. Mittels eines End-zu-Seit auf den Truncus pulmonalis anastomosierten Protheseninterponates wird hier die A. pulmonalis des Spenderherzens mit der des Empfängers vereinigt. Die Spenderaorta ist bereits zuvor seitenständig in die aszendierende Aorta des Empfängers implantiert worden
32
End-zu-End-Anastomose mit der Spenderlungenarterie auszuführen. Nach dem sorgfältigen Entlüften beider Herzen belässt man einen Ventschlauch in der Empfängeraorta. Distal davon bleibt das Gefäß partiell geklemmt. Die rechtsseitige Lage des Spenderherzens bedingt ein Verdrängen des Unterlappens der rechten Lunge, der folglich minderbelüftet wird. Patienten mit heterotoper Herztransplantation benötigen zur Embolieprophylaxe zunächst Heparin, später eine Coumarindauertherapie. Grund hierfür ist der niedrige Blutfluss im linken Ventrikel des Empfängers, der die Bildung von Thromben, z. B. im Apexbereich, zur Folge haben kann. 32.1.5.4
Eingriffe nach Einsatz von Herzunterstützungssystemen und Re-Transplantationen
Verwachsungen nach Implantationen von Herzunterstützungsgeräten können sehr derb und damit schwer zu lösen sein. Grund hierfür sind die Wärmeentwicklung von komplett implantierbaren Systemen sowie die ständige, unphysiologische Bewegung der Implantate und der Verbindungsschläuche. Es hilft bei Re-Eingriffen, wenn man bei der Erstoperation reichlich künstliche Membranen (z. B. aus GoreTex) verwendet hat. Unter diesen Voraussetzungen ist es ebenso hilfreich, zunächst den Patienten über seine Leistengefäße an die Herz-Lungen-Maschine anzuschließen. Dabei schiebt man eine lange venöse Kanüle bis in die V. cava inferior, sodass später, bei freigelegtem Herz, nur die V. cava superior kanüliert werden muss; sie wird über ein
Y-Stück mit der venösen Rückleitung verbunden. Bei sehr schweren Verwachsungen in diesem Bereich kann man auch den Anästhesisten bitten, die V. cava superior über die rechte V. jugularis perkutan zu drainieren. Anschließend klemmt man die Aorta ascendens ab und verschafft sich damit eine gute Kontrolle des Operationsfeldes: Die restlichen Verwachsungen können am schlaffen, zum Teil geöffneten Herz sicher gelöst werden; die Verbindungsschläuche des jeweiligen »assist device« werden entfernt – die eigentliche Herztransplantation kann beginnen. Zu Ende der Operation und bei guter Gerinnung werden die Höhlen der ehemals implantierten UnterstützungsGeräte und die Kanäle der ehemals damit verbundenen Schläuche versorgt. War das System infiziert, benötigt man Saug-Spül-Drainagen und eine i. v. Antibiotikatherapie entsprechend der Keime und deren Resistenz. Analog geht man bei Re-Transplantationen vor. Es handelt sich dabei v. a. um Patienten mit Transplantatvaskulopathie und dadurch bedingter terminaler Herzinsuffizienz. Die weitere Operation erfolgt bei vorherigem orthotopen Vorgehen analog dem Ersteingriff. Anders gestaltet sich dies nach heterotoper Herztransplantation. Eigenen Erfahrungen entsprechend empfiehlt es sich unter diesen Umständen, das Spenderherz mit all seinen umgebenden Verwachsungen zu belassen und nach Entfernen des Empfängerorgans eine orthotope Transplantation durchzuführen.
32.2
Herztransplantation im Kindesalter
32.2.1
Indikationen
Ein terminales Herzversagen, das im Kindesalter eine Transplantation notwendig macht, kann auf ein systolisches Pumpversagen des linken Ventikels zurückzuführen sein. Dieses ist häufig durch eine sich früh manifestierende, evtl. hereditär bedingte dilatative Kardiomyopathie oder durch angeborene Fehler der Aorten- oder AV-Klappen-Ebene verursacht. Myokarditiden stellen primär eine Indikation für ein Linksherz- oder biventrikuläres Unterstützungssystem dar (7 Kap. 33). Erst wenn sich das Herz unter diesen Maßnahmen nicht erholt, entscheidet man sich für die Transplantation. Seltene Ursachen sind Herzinfarkte bei Koronaranomalien wie dem Bland-White-Garland- oder Kawasaki-Syndrom. Eine weitere Gruppe sind Patienten mit korrigierter Transposition der großen Gefäße sowie solche, die eine atriale Switch-Operation (z. B. nach Senning) erhielten. Sie haben zwar ein 2-Kammer-Herz, jedoch einen systemischen rechten Ventrikel, der dieser Aufgabe für längere Zeit nicht gewachsen sein mag. Die extreme Form eines Morbus Ebstein und rechtsventrikuläre Dysplasien (Morbus Uhl) sind seltene Ursachen eines terminalen Rechtsherzversagens. Endokardfibroelastose und hypertrophe Kardiomyopathie bedingen eine diastolische Pumpfunktionsstörung,
839 32.2 · Herztransplantation im Kindesalter
die ebenfalls eine Transplantation notwendig werden lassen kann. Eine weitere Indikation stellt die univentrikuläre Zirkulation dar. Diese Patienten haben in der Regel einen hypoplastischen und einen dominierenden Ventrikel. Diese sehr komplexe Gruppe von Vitien umfasst eine Vielzahl von Diagnosen, die von der Trikuspidalatresie über den »double inlet left ventricle« bis zur Mitral-/Aortenklappenatresie bzw. -hypoplasie (hypoplastisches Linksherzsyndrom; 7 Kap. 15) reichen. Die Anomalien können mit Blick auf eine Herztransplantation durch Hohlvenenanomalien – auch Situs inversus – und transponierte große Arterien kompliziert sein. Die meisten Patienten mit den oben genannten Indikationen sind bereits thorakotomiert; sie erhielten z. B. bilaterale (Glenn-)Anastomosen, Variationen der FontanOperation oder das komplexe dreistufige Norwood-Vorgehen (7 Kap. 15). Diese kurze Aufzählung, die keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt (s. auch Richtlinien der Internationalen Gesellschaft für Herz- und Lungen-Transplantation; Rosenthal et al. 2004), zeigt, dass die seltenen Herztransplantationen im Kindesalter in Zentren durchgeführt werden sollten, die sowohl eine große Transplantationserfahrung aufweisen als auch profunde Kenntnisse über Eingriffe bei angeborenen Herzfehlern und deren Folgen besitzen. Dort sind die Langzeitergebnisse gut – sie übersteigen häufig jene von Erwachsenen (Boucek et al. 2006; Groetzner et al. 2005; Ross et al. 2006). Für den Langzeitverlauf ist die Transplantatvaskulopathie auch bei Kindern der limitierende Faktor. Die Inzidenz von angiographisch nachgewiesenen Veränderungen beträgt nach einem, 3 und 5 Jahren 2 %, 9 % und 17 % und ist deshalb deutlich niedriger als bei den älteren Patienten. Ein erneutes, terminales Herzversagen war nach einem, 5 und 9 Jahren in 1 %, 4 % und 9 % der Fälle zu beobachten (Pahl et al. 2005). Re-Transplantationen sind möglich. Deren Langzeitergebnisse sind jedoch, verglichen mit den Ersteingriffen, schlechter (Chin et al. 2006).
32.2.2 Techniken der Herztransplantation bei
hypoplastischem Linksherzsyndrom Als Pionier auf diesem Gebiet ist L. Bailey aus Loma Linda zu erwähnen, der große Erfahrungen bei Neugeborenen mit hypoplastischem Linksherzsyndrom sammelte (Bailey et al. 1986). Der Eingriff erfolgt – wie bei Kindern mit dilatativer Kardiomyopathie – nach den Techniken von Lower und Shumway (Lower u. Shumway 1960). In Abänderung dazu wird beim Spender der Aortenbogen belassen. Damit ersetzt man die hypoplastische Aorta ascendens und erweitert großzügig die kleine Kurvatur bis hin zu einer Region, die sich jenseits der Insertion des Ductus Botalli befindet (pulmonalisseits wird der Duktusstumpf übernäht).
Der Anschluss der Herz-Lungen-Maschine geschieht arteriell über den Truncus pulmonalis, den offenen Ductus Botalli und damit die Aorta descendens; der venöse Rückfluss erfolgt über den rechten Vorhof. Nach dem Herabkühlen auf 18°C (nasopharyngeal) kann man die Kanülen entfernen. Es bleibt dann genügend Zeit, die kleinen Strukturen im Kreislaufstillstand zu verbinden. In den letzten Jahren ist der eben beschriebene Eingriff selten geworden, da jetzt nahezu alle Neugeborenen entsprechend den Empfehlungen von Norwood palliiert werden. Es ist jedoch zu erwarten, dass in Zukunft Kinder nach kompletter Fontan-Korrektur mit anatomisch rechtem Herz im Systemkreislauf eine Transplantation benötigen werden.
32.2.3 Technik der Herztransplantation
nach vorheriger Fontan-Operation Hier erfolgt der Anschluss der Herz-Lungen-Maschine über die Aorta ascendens (oder die A. femoralis), die untere Hohlvene (oder einen extrakardialen Tunnel) und die obere Hohlvene (oder die V. anonyma). Danach klemmt man die Aorta ascendens quer. Nach Drosseln der Vv. cavae wird das Empfängerherz exzidiert, das wegen der meist mehrfachen Voroperationen in der Regel erhebliche Verwachsungen aufweist; Letzteres gilt auch für die Präparation der großen Gefäße. ! Es empfiehlt sich deshalb immer, bei den Voroperationen künstliches Perikard (z. B. aus GoreTex) zum Verschluss zu verwenden, um den nächsten Eingriff zu erleichtern.
Die Verbindungen der bilateralen Glenn-Anastomose und des Vorhofdaches bzw. des extrakardialen Tunnels an der kranialen bzw. kaudalen Seite der rechten A. pulmonalis werden abgetrennt und die Defekte mit autologem Perikard aufgefüllt. Der evtl. vorhandene extrakardiale Tunnel wird entfernt und die V. cava inferior durchtrennt. Die Implantation geschieht nach den schon beschriebenen modifizierten Techniken (s. oben, »Bikavale Anastomosen – Modifikation nach Dreyfus und Mitarbeitern«; Dreyfus et al. 1991; Sarsam et al. 1993), also mittels bikavaler Anastomosen. Deshalb muss man bereits bei der Organentnahme darauf achten, die V. cava superior möglichst lang zu belassen (bis zur Einmündungsstelle der V. anonyma). Zwei zusätzliche Gefäßanomalien können den Eingriff erschweren: eine linksseitige, obere Hohlvene (ohne Querverbindung zur rechten Seite) und eine Transposition der großen Gefäße. Im ersteren Fall belässt man die Spenderanonyma so lang wie möglich (am besten mit dem Anfangsteil der linken V. jugularis) und anastomosiert sie Endzu-End mit der persistierenden linken oberen Hohlvene. War diese hämodynamisch bedeutend, muss man sie bis zu
32
840
32
Kapitel 32 · Herz- und Herz-Lungen-Transplantation
diesem Zeitpunkt über eine getrennte Kanüle in die HerzLungen-Maschine drainieren. Bei einer Transposition der großen Gefäße kann es notwendig werden, die Inzision in den linken Pulmonalarterienast hineinzuverlegen. Dies geschieht evtl. mit Hilfe eines zusätzlichen, geschlitzten Patches. Schwierig sind Herztransplantationen bei Situs inversus, wobei der angestrebte ungehinderte venöse Rückfluss die eigentliche Herausforderung darstellt. Dies soll an einem Fall aus der eigenen Erfahrung exemplarisch dargestellt werden: Das anatomisch rechtsseitig univentrikuläre Herz mit hypoplastischem linken Ventrikel und Mitralatresie hatte zusätzlich einen »double outlet«, wobei die großen Gefäße in Transpositionsstellung lagen. Es bestanden große Vorhof- und Ventrikelseptumdefekte. Als Letzteingriff war eine Fontan-Operation mit Verbindung des Vorhofdaches zur linkseitigen A. pulmonalis erfolgt. Die Situs-inversus-Stellung der Hohlvenen (mit Lävokardie) war durch ein Azygoskontinuum kompliziert. Der Anschluss an die Herz-Lungen-Maschine erfolgte über die V. femoralis, die V. cava inferior und die V. azygos mit Hilfe einer langen Kanüle, später zusätzlich über die Lebervenen (»V. cava inferior sinistra«) und die V. anonyma; die arterielle Kanüle lag in der A. femoralis. Nach dem Entfernen des kranken Herzens auf Vorhofebene erfolgte die Implantation: Man verband zunächst die beiden linken Vorhöfe, wobei man absichtlich das Spenderherz um 30–45 % gegen den Uhrzeigersinn drehte, bis die V. cava inferior des Spenders dem Sammelgefäß der Lebervenen gegenüberlag; es folgte die End-zu-End-Anastomose zwischen beiden Strukturen. Beide (Empfänger-)Pulmonalarterienäste hatte man großzügig mit einem langen Streifen aus bovinem Perikard erweitert. Der geschlitzte Patch wurde mit dem Truncus pulmonalis des Spenderorgans verbunden. Es folgte die End-zu-End-Anastomose zwischen den beiden Aorta-ascendens-Stümpfen. Abschließend wurde der Zusammenfluss von V. anonyma, V. cava superior und Azygosdrainage der V. cava inferior mit Hilfe einer weitlumigen, ringverstärkten Goretexprothese in den rechten Vorhof direkt durchgeführt (alternativ könnte man einen Homograft der Aorta oder der A. pulmonalis verwenden). Das normale Lumen einer oberen (Spender-)Hohlvene reichte in diesem Fall für den venösen Rückstrom nicht aus. Die Verbindung der Goretexprothese erfolgte in Höhe des großzügig ausgeschnittenen rechten Vorhofohres, und die Öffnung der V. cava superior wurde übernäht.
32.3
Herz-Lungen-Transplantation
32.3.1 Indikationen
Indikationen zur kombinierten Transplantation von Herz und Lungen sind in den letzten Jahren, bedingt durch den Erfolg der bilateralen Lungentransplantation, seltener ge-
worden. Es muss jedoch betont werden, dass eine HerzLungen-Transplantation bei Primäreingriffen im Vergleich z. B. zum bilateralen Lungenersatz bei schwerer pulmonaler Hypertension (oder gar bei kongenitalen Herzvitien, bei denen zusätzlich zur Transplantation eine Korrektur des Herzfehlers notwendig wird) vergleichsweise einfach und sicher durchzuführen ist. Die Strategie des »Dominoherzens« (Yacoub et al. 1990) erlaubt zudem die Transplantation des hypertrophierten Empfängerherzens in einen weiteren Empfänger und konterkariert somit das Argument eines Organverlusts. Herz-Lungen-Transplantationen sind v. a. bei Patienten mit terminalem 2-Organ-Versagen indiziert, die den NYHA-Klassen III–IV bzw. IV zuzuordnen sind. Heutzutage wird die Indikation meist bei komplexen kongenitalen Herzfehlern mit Eisenmenger-Syndrom gestellt (selten führt man den Eingriff bei einer extremen Form der Pulmonalatresie durch, bei der es keine chirurgisch verwertbaren Pulmonalarterien gibt). Die Patienten weisen häufig einen pulmonalarteriellen Druck auf, der dem Systemdruck gleicht oder sogar höher ist. Eine begleitende Trikuspidalinsuffizienz ist Ausdruck des schweren Rechtsherzversagens. Die Indikation wird durch das gesamte Armentarium einer modernen Diagnostik erhärtet: Echokardiographie, Röntgendiagnostik (Computertomographie, Herzkatheteruntersuchung), Magnetresonanztomographie. Die Lungenfunktionstests erbringen teils restriktive, teils obstruktive Befunde, sind jedoch im Gegensatz zur Lungentransplantation für die Entscheidung zur Operation nicht führend.
32.3.2 Geschichtlicher Abriss
und gegenwärtiger Stand Die beiden ersten Herz-Lungen-Transplantationen beim Menschen erfolgten 1968 und 1969 durch Cooley und Lillehei. Die Ergebnisse waren jedoch enttäuschend, sodass man der Methode aufgrund der damals möglichen Immunsuppression (Kortison, Azathioprin) keine Zukunft gab. Es zählt zu den Verdiensten von B.A. Reitz aus Stanford, im Rahmen von Primatenexperimenten bewiesen zu haben, dass allogene Herz-Lungen-Transplantationen unter Verwendung von Cyclosporin A zur Immunsuppression auf lange Dauer möglich sind (Reitz et al. 1980). Der erste Eingriff am Menschen mit Langzeiterfolg erfolgte 1981 ebenfalls durch Reitz; die 45-jährige Patientin überlebte den Eingriff für mehr als 4 Jahre. Laut ISHLT-Statistik fanden 2006 weltweit weniger als 100 Herz-Lungen-Transplantationen statt. Angeborene Herzfehler mit pulmonaler Hypertension waren die häufigste Indikation (Taylor et al. 2007). Von 36 Patienten unserer Klinik, die nach 1996 operiert wurden, überlebten 71 % das erste Jahr, 63 % überlebten 10 Jahre (zum Ver-
841 32.3 · Herz-Lungen-Transplantation
gleich die entsprechenden Zahlen für den Zeitraum 1983– 1999: 50 % und 28 %). Patienten mit angeborenem Herzfehler wiesen einen besseren Langzeitverlauf auf, was sicher mit dem Alter zum Zeitpunkt der Operation zu tun hat. Von den unter 18-Jährigen überlebten 82 % und 71 % die Ein- bzw. 10-Jahres-Marke.
32.3.3 Organspender von Herz und Lungen
Für eine Herzentnahme gelten die gleichen Regeln wie oben beschrieben (s. oben, »Präparation für die orthotope Herztransplantation«). Die Lungen müssen eine ausreichende Oxygenation gewährleisten: Bei einer inspiratorischen Sauerstofffraktion von 1,0 und einem PEEP (»positive endexpiratory pressure«) von 5 mmHg sollte der Sauerstoffpartialdruck >300 mmHg betragen. Liegt der Wert darunter, muss man nach dem Grund suchen und ggf. versuchen, die Ursache zu beseitigen (Atelektase, Pleuraerguss, Überwässerung), um danach erneut zu evaluieren. Das Größenverhältnis von Spender- zu Empfängerthorax muss beachtet werden. Falls Röntgenbilder – in einem standardisierten Abstand von 1 m aufgenommen – verglichen werden können, ist dieser Methode der Vermessung der Vorrang gegeben worden (. Abb. 32.11). Ansonsten werden die Körpergrößen von Spender und Empfänger herangezogen. Größenunterschiede bis 10 % können akzeptiert werden – wobei etwas kleinere Spendermaße von Vorteil sind. Zu große Organe können eine Herztamponade bedingen, was zur Volumenreduktion (atypisch) der Lungen oder zur Resektion des gesamten linken Unterlappens zwingt. Wichtig ist die Bronchoskopie, wobei man häufig Eiter absaugen kann (Proben für die Bakteriologie und die Antibiotikatestung sollten entnommen werden). Nachdem man das Bronchialsystem durch Absaugung gründlich gereinigt hat, sollte das Eiterexsudat nicht mehr nachlaufen. Ein
. Abb. 32.11. Thoraxmaße, die einen fernmündlich erhebbaren Vergleich von Spender- und Empfängerdaten erlauben: 1 Sternumlänge (Jugulum bis Xiphoid), 2 Jugulum bis untere Thoraxapertur, 3 Jugulum bis Akromion, 4 Thoraxumfang auf der Höhe der Mamillen und 5 in Höhe der unteren Thoraxapertur
gegenteiliger Befund, starke diffuse Rötungen und eine Schwellung der Schleimhäute stellen potenzielle Kontraindikationen zur Organentnahme dar, insbesondere bei bereits längerfristiger (>7 Tage andauernder) Intensivbehandlung. Die klassischen Regeln der Lungenentnahme sind in den letzten Jahren mit Erfolg gelockert worden (Patterson u. Cooper 1988). Eine Raucheranamnese spielt heute ebenso wenig eine Rolle wie kleinere Hämatome nach einem Trauma (die man mit Stapler-Klemmen exkludieren kann), und das tolerierte Spenderalter wurde angehoben.
32.3.4 Spenderoperation
Zunächst präpariert man analog zur Entnahme für eine orthotope Herztransplantation (s. oben, »Präparation für die orthotope Herztransplantation«). Die V. azygos wird durchtrennt, ebenso das Lig. arteriosum. Beide Pleuren schlitzt man anterior. Zusätzlich zur Konservierung des Herzens muss die der beiden Lungen erfolgen. Dazu legt man einen 16-F-Katheter in den Truncus pulmonalis und leitet darüber 4000 ml LPD-Lösung (Perfadex; Müller et al. 1999), der man TrisPuffer (0,5 ml/l) beimischt, ein. Vor Beginn der Explantation des Organblocks gibt man systemisch Heparin und Epoprosterenol (500 μg Flolan i. v.). Die obere Hohlvene wird doppelt ligiert und durchtrennt. Die V. cava inferior und die Aorta ascendens werden quer geklemmt. Man beginnt simultan mit der 4°C kalten Perfusion des Herzens (z. B. BretschneiderLösung) sowie der Lungen (s. oben). Extern wird eiskalte Kochsalzlösung in den Thorax appliziert. Die untere Hohlvene wird durchtrennt und das linke Vorhofohr inzidiert, um ein Entweichen der Perfusionslösungen möglich zu machen. Die Explantation beginnt mit dem Durchtrennen der A. ascendens kurz vor dem Abgang des Truncus brachiocephalicus. Die darunter liegende Trachea klemmt man deutlich oberhalb der Carina ab (proximales Durchtrennen der Luftröhre). Zuvor hat man die Lunge zu etwa einem Drittel gebläht, und der Anästhesist hat noch einmal beide Seiten tief abgesaugt. Mittels der Klemme an der Trachea erfolgt ein stetiger anteriorer Zug durch den Assistenten. Die Rückseite der Trachea und die Hauptbronchien werden vom Ösophagus abpräpariert, wobei man von kranial nach kaudal vorgeht. Die Reste von Perikardsack und Pleura werden durchtrennt, ebenso das rechte wie das linke Lig. pulmonale. Anschließend wird das Organpaket entnommen. Das »En-bloc«-Herz-Lungen-Präparat wird in eine Schüssel mit eiskalter Kochsalzlösung getaucht. Nach luftdichter Sicherung des trachealen Stumpfes mittels Klammernahtreihe hüllt man den Organblock sequenziell in 3 Plastikbeutel, die mit Ringerlösung gefüllt sind.
32
842
Kapitel 32 · Herz- und Herz-Lungen-Transplantation
32.3.5 Technik der Herz-Lungen-Transplantation
32
Siehe hierzu auch Reitz et al. (1980). Die Operation wird regelhaft über eine mediane Sternotomie durchgeführt. Das Perikard wird längs gespalten. Erfolgten Voroperationen – was nicht selten ist –, ist es ratsam, den Thorax (bilateral in Höhe des 4. Interkostalraums) unter querer Durchtrennung des Sternums zu eröffnen. Nur über diesen Zugang ist es möglich, bestehende Verwachsungen im Bereich der Lungen überall präzise zu lösen und eventuelle Blutungen mittels Ligatur und Elektrokauterisierung zu versorgen. Es folgt der Anschluss der HerzLungen-Maschine. Dabei kanüliert man den rechten Anteil des Aortenbogens sowie die obere und untere Hohlvene; die Aorta ascendens wird quer geklemmt. Als erstes erfolgt die Exstirpation des Herzens wie zur orthotopen Herztransplantation. Dann schlitzt man den rechten und linken Pleurasack in gehörigem Sicherheitsabstand unterhalb des N. phrenicus (. Abb. 32.12). Liegt eine persistierende linke obere Hohlvene vor, mündet diese normalerweise in den Sinus coronarius; diese Struktur ist dann an der Hinterwand zwischen linkem Vorhof und Ventrikel deutlich sichtbar. Bei der Herzentnahme achtet man darauf, das Gefäß nicht zu zerstören, vielmehr präpariert man es mit einem Elektrokauter nach kranial. Wenn notwendig, kann man eine zusätzliche venöse Kanüle einbringen und damit einen Rückfluss zur Herz-LungenMaschine schaffen. Später verbindet man die linke obere Hohlvene mit der V. anonyma des Spenders, die man für jede Herz-Lungen-Entnahme lang belassen sollte. Anschließend folgt die linksseitige Pneumonektomie (. Abb. 32.13). Die Separation von rechtem und linkem Lungenvenenpaar geschieht entlang des Sinus obliquus; die linken Lungenvenen werden zum Hilus hin präpariert. Man teilt die Lungenarterie im Bereich der Bifurkation, durchtrennt das Lig. arteriosum (Cave: N. recurrens) und präpariert die linke A. pulmonalis zum Hilus hin. Abschließend erfolgt die Darstellung des linken Hauptbronchus. Dazu wird die Pleura visceralis schrittweise durchtrennt, und die häufig reichlich vorhandenen Blutgefäße werden ligiert oder – besser – mit Gefäßclips versorgt. Das Lig. pulmonale wird Stück für Stück ligiert. Dabei kann man im Bereich des Hilus eher großzügig vorgehen, da er später mitsamt der proximalen Bronchusanteile und der Carina entfernt werden muss. Der Bronchus wird proximal im Bereich des Hilus mittels Klammernahtreihe verschlossen und die linke Lunge entfernt. Mit der rechten Lunge verfährt man analog, wobei man sich von dorsal des Stumpfes der Aorta ascendens und der oberen Hohlvene nach peripher vorarbeitet. Anschließend wird die Trachea rechts unterhalb der verbleibenden Aorta ascendens präpariert (. Abb. 32.14). Dort ist das Bindegewebe sehr blutreich; häufig finden sich große Lymphknoten. Bronchialarterien müssen durchtrennt und mit Ligaturen bzw. Gefäßclips versorgt werden.
. Abb. 32.12. Situs und Präparation einer links- (oben) und rechtsseitigen (unten angezügelten) Perikardmanschette, die den jeweiligen N. phrenicus trägt. Die Exzision des Empfängerherzens ist bereits erfolgt, man blickt auf die dorsale Wand des linken (oben) und rechten Vorhofs. Aorta und A. pulmonalis wurden abgeklemmt und durchtrennt. Zur sequentiellen Mobilisation beider Lungen wird die dorsale Wand des linken Vorhofes medial in kraniokaudaler Richtung durchtrennt
. Abb. 32.13. Die linke Lunge wurde durch Teilung des linken Vorhofes, Absetzen des Hauptbronchus zwischen 2 Klammernahtreihen und Durchtrennen der Pulmonalarterie vollständig mobilisiert. Nach diesen Maßnahmen wird nun die linke Lunge aus dem Thorax entfernt
Man schneidet die Trachea etwa 1 cm oberhalb der Carina ab und lässt sie offen. Der periphereAnteil – proximale Bronchusstümpfe samt Carina – werden nun vorsichtig abpräpariert. Dabei ist es wichtig, auf eine perfekte Blutstillung zu achten. Dies gilt auch für das gesamte hintere Mediastinum, in dem sich – von Resten des Perikards bedeckt – der Ösophagus, die beiden Vagusnerven und die Aorta descendens befinden.
843 32.4 · Postoperative Behandlung
. Abb. 32.14. Situs nach vollständiger Entfernung von Herz und beiden Lungen des Transplantatempfängers. Die unmittelbar oberhalb der Carina durchtrennte Trachea ist nur zum Teil hinter der Aorta zu sehen
. Abb. 32.15. Situs und Einbringen der Spenderorgane in den Thorax. Die linke Lunge wurde hinter der gleichseitigen Phrenikusmanschette, die rechte hinter dem rechten Vorhof entlang in den entsprechenden Hemithorax verlagert. Die Implantation beginnt mit der trachealen Anastomose, deren Hinterwand hier fertiggestellt wird
. Abb. 32.16. Beginn der rechtsatrialen Nahtreihe von Spender (oben) und Empfänger. Beim Spender wurde die Inzision wie bei der orthotopen Transplantation geführt. Beide Aortenstümpfe sind noch offen dargestellt, ihre Vereinigung erfolgt als letzte der 3 Anastomosen bei der Herz-Lungen-Transplantation
wobei man 4/0-Polypropylen in einfach fortlaufender Nahttechnik verwendet. Ungleiche Lumina korrigiert man entlang der Pars membranacea. Sodann werden die rechten Vorhöfe von Spender und Empfänger mittels 4/0-Polypropylen und letztlich die beiden Aortenstümpfe (nach entsprechender Längenreduktion) wie bei der orthotopen Herztransplantation anastomosiert (4/0-Polypropylen, überwendlich fortlaufend; . Abb. 32.16). Es folgen das Entlüften (wobei man nicht vergessen darf, das linke Herzohr zu übernähen), das Lösen der Aortenklemme und der Beginn des Wiederaufwärmens, der Reperfusion. Thoraxdrainagen werden in den jeweiligen Sinus phrenico costalis und in den Apexbereich der Pleura eingelegt. Anschließend entwöhnt man den Patienten von der extrakorporalen Zirkulation und verschließt den Thorax schichtweise. Atriale und ventrikuläre Schrittmacherdrähte werden aufgesteppt.
32.4
Postoperative Behandlung
32.4.1 Immunsuppression
Die Spenderorgane werden nach Entfernen der Klammernahtreihe an der Trachea in den Empfängerthorax eingebracht (. Abb. 32.15). Bakteriologische Proben werden aus dem rechten und dem linken Spenderbronchus entnommen. Die linke Lunge wird durch den Perikardschlitz unterhalb des linken N. phrenicus geschoben; die rechte Seite bewegt man unterhalb der Vv. cavae, der rechten Vorhofreste und des N. phrenicus dexter in die rechte Thoraxhälfte. Anschließend beginnt man mit der Implantation: Zunächst verbindet man Spender- mit Empfängertrachea,
Bis Anfang der 1990er Jahre bestand die standardisierte Dreifachimmunsuppression nach Herz- bzw. kombinierter Herz-Lungen-Transplantation aus Cyclosporin A, Azathioprin und Prednisolon. Viele Zentren führten zusätzlich eine Induktionstherapie unter Verwendung von Antikörperpräparaten wie polyklonalem Antithymozytenglobulin oder OKT3 durch. Zur Induktionstherapie wird in Deutschland bis heute am häufigsten Thymoglobulin eingesetzt, ein polyklonales Immunglobulin, das die zirkulierenden T-Lymphozyten
32
844
Kapitel 32 · Herz- und Herz-Lungen-Transplantation
depletiert. Das Antithymozytenglobulinpräparat wird in einer Tagesdosis von 1–1,5 mg/kg KG an 3–10 Tagen nach der Transplantation verabreicht. Das durch die Immunisierung von Kaninchen gewonnene Antikörperserum hat allerdings Nachteile: Es kann zu anaphylaktischen Reaktionen und zu einem Wirkverlust durch Anti-AntikörperBildung kommen. Inzwischen wurden 2 spezifischere Antikörperpräparate entwickelt, die gegen Interleukin-2-Rezeptoren gerichtet sind und keine Gegenreaktionen induzieren. Basiliximab (Simulect, Novartis) ist ein chimärischer (Mensch/ Maus) Immunglobulin-G1-Antikörper, der in einer Dosis von 20 mg/Tag direkt vor der Transplantation und am 4. postoperativen Tag verabreicht wird. Daclizumab (Zenapax, Roche) ist ein humanisierter Antikörper, der in einer Dosis von 1 mg/kg KG direkt vor der Transplantation sowie an den postoperativen Tagen 14, 28, 42 und 56 gegeben wird. ! Insgesamt ist die Induktionstherapie bei Patienten mit vorbestehender, fortgeschrittener oder aber operativ induzierter Niereninsuffizienz zu empfehlen, um unter dem Schutz des Antikörperpräparats die potenziell nephrotoxische Calcineurininhibitortherapie langsamer und damit nierenschonender beginnen zu können.
32
Die medikamentöse Immunsuppression basiert nach wie vor hauptsächlich auf Calcineurininhibitoren. Ihre wesentliche Wirkung besteht in der Hemmung der Produktion von Interleukin 2 in der frühen Phase der Aktivierung von T-Zellen, womit deren Proliferation verhindert wird. Neben dem schon erwähnten Cyclosporin A (Sandimmun, Novartis) wird seit Mitte der 1990er Jahre in zunehmendem Maße Tacrolimus (Prograf, Astellas) nach Herz- und HerzLungen-Transplantation verwendet. Beide Medikamente haben jeweils Vor- und Nachteile: Während Tacrolimus stärker immunsuppressiv wirkt, weniger Hypertonien und weniger Hypercholesterinämien verursacht, ist Cyclosporin weniger diabetogen; beide Medikamente sind vergleichbar nephrotoxisch (Meiser et al. 1998; Reichart et al. 1998; Rinaldi et al. 1997; Taylor et al. 1999). Tacrolimus sollte entweder in Kombination mit der oben genannten Induktionstherapie schonend oral oder alternativ (ohne Induktionstherapie) direkt postoperativ per infusionem verabreicht werden (Meiser 2005a). Hierzu erhalten die Patienten eine Dauerinfusion in einer Dosierung von 0,01 mg/kg KG/Tag. Sobald der Patient stabil und die Darmmotilität wiederhergestellt ist, wird auf die orale Gabe umgestellt (0,05–0,1 mg/kg KG/Tag). Die Zielblutspiegel liegen in den ersten 6 Monaten nach der Transplantation bei 10–15 ng/ml, im späteren Verlauf genügen 8–12 ng/ml (Taylor et al. 2001). Cyclosporin wird in ähnlicher Weise postoperativ entweder schonend oral mit Induktionstherapie oder i. v. (1 mg/kg KG/Tag) verabreicht. In letzterem Fall wird wiederum nach Stabilisierung des Patienten auf die orale Gabe
(3–8 mg/kg KG/Tag) umgestellt. Hier werden in der initialen Phase Zielblutspiegel zwischen 200 und 300 ng/ml sowie nach dem 6. postoperativen Monat zwischen 100 und 200 ng/ml angestrebt. Antimetabolite sind ein weiterer wichtiger Baustein für die medikamentöse Immunsuppression. Das lange Zeit verwendete Azathioprin, eines der ersten Immunsuppressiva überhaupt, wurde inzwischen fast vollständig durch die Mycophenolsäure ersetzt. Mycophenolsäure hemmt selektiv die Inosinmonophosphatdehydrogenase, ein Schlüsselenzym der De-novo-Purinsynthese (Kobashigawa et al. 1998). Es sind derzeit 2 Myocophenolsäureabkömmlinge auf dem Markt: Mycophenolat Mofetil (CellCept, Roche) und Myocophenolat-Natrium (Myfortic, Novartis). Die beiden Derivate haben eine etwas unterschiedliche Pharmakokinetik, aber identische Wirkmechanismen. Die empfohlene initiale Dosis von CellCept beträgt zweimal 1 g/Tag, diejenige von Myfortic zweimal 720 mg/Tag, wobei es sich hier um äquimolare Mengen von Mycophenolsäure handelt. CellCept kann in der frühen postoperativen Phase (in der gleichen Dosierung) als Kurzinfusion verabreicht werden. Für das bereits länger auf dem Transplantationsmarkt befindliche Medikament gibt es inzwischen Konsensusempfehlungen, die Dosierung nach Herztransplantation basierend auf den Mycophenolsäurespiegeln anzupassen; es werden Zielblutspiegel zwischen 1,5 und 3 μg/ml angestrebt (Meiser 2005b; Shaw et al. 2001; van Gelder et al. 2006). Erfahrungsgemäß benötigen die Patienten bei der spiegeladaptierten Gabe in der initialen Phase nach der Herztransplantation etwas höhere Dosierungen (etwa 3 g/ Tag) als in der späten Phase (etwa 2 g/Tag; Meiser et al. 1999). Außerdem werden in Kombination mit Cyclosporin etwa 30–50 % mehr CellCept benötigt als mit Tacrolimus, um vergleichbare Spiegel zu erreichen (Meiser et al. 2004). Die neueste Gruppe vielversprechender Immunsuppressiva umfasst sog. mTOR-Inhibitoren (mTOR: »mammalian target of rapamycin«). Es handelt sich hierbei um lipophile Makrolidantibiotika, die eine Progression aus der G1- in die S-Phase des Zellzyklus verhindern, ohne Einfluss auf die Interleukin-2-Synthese zu nehmen. Dieser Effekt ist allerdings nicht spezifisch für Lymphozyten, sondern betrifft alle proliferierenden Zellen (was zu Wundheilungsstörungen auch an Trachealanastomosen führen kann). Auf dem Markt erhältlich sind 2 Derivate: das Makrolid Rapamycin (Sirolimus, Wyeth Ayerst) und das halbsynthetische Präparat Everolimus (Novartis), welches sich von Sirolimus durch die erheblich kürzere Halbwertszeit unterscheidet (31,5 vs. 62 h). Während mTOR-Inhibitoren per se nicht nephrotoxisch sind, scheinen sie die Nephrotoxizität der Calcineurininhibitoren zu erhöhen. Deshalb muss bei der immunsuppressiv zweifellos sehr wirksamen Kombination mit Cyclosporin oder Tacrolimus darauf geachtet werden, dass beide Medikamentengruppen mit niedriger Dosierung und halbierten Zielblutspiegeln (z. B. Tacrolimus: 6–8 ng/ml;
845 Literatur
Sirolimus: 5–7 ng/ml) verabreicht werden (Kobashigawa et al. 2006; Meiser et al. 2007). Bei Patienten mit vorbestehender oder fortschreitender Niereninsuffizienz sollte eine Reduktion der Calcineurininhibitorendosis oder alternativ eine komplett cyclosporinbzw. tacrolimusfreie Immunsuppression angestrebt werden. Hier bietet sich die Kombination von mTOR-Inhibitor und Mycophenolsäure an (Groetzner et al. 2004; Meiser et al. 2005). Aufgrund der potenten Kombinationsmöglichkeiten der neuen Substanzen kann bei der Mehrzahl der Patienten auf die Gabe von Kortikosteroiden bereits etwa 6 Monate nach der Transplantation gänzlich verzichtet werden. Vor allem Kinder, die von den Nebenwirkungen der Steroide besonders betroffen sind, profitieren von dieser Maßnahme. Bei Herz-Lungen-Transplantierten wird dagegen auf das komplette Absetzen der Steroide verzichtet, um eine Verschlechterung der Lungenfunktion zu verhindern. ! Zusammengefasst gibt es heute keine standardisierte Immunsuppression mehr. Vielmehr sollte individuell, basierend auf dem Alter und den Vorerkrankungen des Patienten sowie dem Zeitraum nach der Transplantation, entschieden werden, welche Kombination den höchsten Nutzen und die geringsten Nebenwirkungen hat.
32.4.2 Medikamentöse Prophylaxe
Nach Herz- bzw. Herz-Lungen-Transplantationen müssen Substanzen zur Infektionsprophylaxe, zur Abmilderung der Nebenwirkungen und zur Behandlung der vorbestehenden Erkrankungen verabreicht werden. Zur Vorbeugung von Pilzinfektionen im Magen-DarmBereich wird häufig (solange die Patienten beatmet sind) ein lokal wirksames Antimykotikum (z. B. Nystatin) gegeben. Darüber hinaus erhalten die Transplantierten 2-mal wöchentlich für 6 Monate eine Pneumozystisprophylaxe (Cotrimoxazol). Bei zytomegalieviruspositivem Spender sollte der Empfänger zunächst für die ersten 7 postoperativen Tage mit Ganciclovir (5 mg/kg KG alle 12 h i. v.) behandelt werden. Anschließend wird die Prophylaxe mit dem oral verabreichbaren Valganciclovir (Valcyte, 2-mal 450 mg/Tag) für 3 Monate fortgesetzt. Bei eingeschränkter Nierenfunktion muss die Dosierung adaptiert werden. Zur medikamentösen Langzeittherapie sollten auch die HMG-CoA-Reduktase-Hemmer (Statine) gehören. Bei dieser Medikamentengruppe konnte inzwischen nachgewiesen werden, dass sie nicht nur effektiv die Spiegel des Gesamt- und des LDL-Cholesterins senken und die Entwicklung der Transplantatvaskulopathie verzögern können, sondern dass sie darüber hinaus auch zu einem signifikant verbesserten Überleben nach Herztransplantation führen (Wenke et al. 2005).
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Kapitel 32 · Herz- und Herz-Lungen-Transplantation
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33
33 Herzunterstützungssysteme und Kunstherzimplantation R. Körfer, L. Arusoglu 33.1
Einleitung
– 848
33.7.3
33.2
Geschichte der mechanischen Herzunterstützung und des Kunstherzens – 848
33.3
Definition der mechanischen Kreislaufunterstützung – 850
33.7.4 33.7.5 33.7.6 33.7.7 33.7.8 33.7.9
33.4
Indikationen zur Herzunterstützungstherapie – 850 Allgemein – 850 Überbrückung zur Transplantation (»bridge to transplantation«, BTT) – 850 Überbrückung zur Organerholung (»bridge to recovery«, BTR) – 851 Überbrückung zur weitergehenden Überbrückung (»bridge to bridge«, BTB) – 851 Definitive Organersatztherapie (»destination therapy«, DT) – 852
33.4.1 33.4.2 33.4.3 33.4.4
33.4.5
33.5 33.5.1
33.5.2 33.5.3
Indikationen und Auswahl des Unterstützungsverfahrens – 852 Linksventrikuläres Unterstützungssystem (»left ventricular assist device«, LVAD) – 852 Biventrikuläres Unterstützungssystem – 852 Kunstherz – 853
33.6
Kontraindikationen für eine mechanische Kreislaufunterstützung – 853
33.7
Komplikationen der mechanischen Kreislaufunterstützung – 853 Blutungen – 853 Luftembolien – 854
33.7.1 33.7.2
33.8 33.8.1 33.8.2 33.8.3 33.8.4
Neurologische Komplikationen und Thromboembolien – 854 Hämolyse – 855 Rechtsherzversagen – 855 Infektionen – 855 Arrhythmien – 856 Psychologische Probleme – 857 Funktionsstörungen und technische Probleme der Herzunterstützungssysteme – 857 Herzunterstützungssysteme – 857 Extrakorporale Herzunterstützungssysteme – 857 Parakorporale Herzunterstützungssysteme – 858 Teilweise implantierbare Herzunterstützungssysteme – 859 Vollimplantierbares pusatiles Linksherzunterstützungssystem LionHeart – 866
33.9
Kunstherzsysteme (»total artificial heart«, TAH) – 866
33.10
33.10.1 33.10.2 33.10.3 33.10.4 33.10.5 33.10.6 33.10.7
Nachbehandlung von Patienten mit Herzunterstützungssystem oder Kunstherz – 868 Antikoagulation – 868 Hämodynamisches Monitoring – 868 Mobilisation – 868 Ernährung – 869 Weitere Medikation – 869 Wundpflege – 869 Ambulante Nachbehandlung – 869
33.11
Zusammenfassung und Ausblick – 870 Literatur
– 871
848
Kapitel 33 · Herzunterstützungssysteme und Kunstherzimplantation
33.1
33
Einleitung
Seit Jahren ist weltweit ein Anstieg der Inzidenz und Prävalenz der Herzinsuffizienz zu beobachten. Es wird geschätzt, dass zurzeit ungefähr 10 Mio. Patienten in Europa daran leiden. Für Deutschland wird diese Zahl auf etwa 1,6 Mio. geschätzt. Prävalenz und Inzidenz sind altersabhängig. In der Altersgruppe der 65- bis 70-Jährigen entwickeln 2–5 % eine Herzinsuffizienz, bei über 75-Jährigen wird geschätzt, dass sogar etwa 10 % betroffen sind (Hoppe et al. 2001). Durch die zunehmende Überalterung der Gesellschaft handelt es sich daher um ein weiter wachsendes Problem, dass nicht nur eine medizinische Herausforderung für die Gesellschaft darstellt, sondern auch sozioökonomische Belastungen umfasst. Insbesondere die schwere, fortgeschrittene Herzinsuffizienz (NYHA-Stadien III–IV, AHA/ACC-Stadium D) geht mit einer hohen Letalitätsrate einher. Von den Patienten der NYHA-IV-Gruppe sterben innerhalb eines Jahres 30–40 %. Goldstandard der Behandlung der schweren Herzinsuffizienz ist bis heute die Herztransplantation. Fortschritte in der pharmakologischen Therapie sowie bei interventionellen Maßnahmen führen ferner dazu, dass immer mehr Patienten das Stadium der terminalen Herzinsuffizienz erreichen. Seit Jahren besteht jedoch ein limitiertes Angebot an Spenderherzen, sodass die immer längeren Wartezeiten bei gleichzeitig steigenden Patientenzahlen eine Suche nach Therapiealternativen auslösten. In den vergangenen 30 Jahren haben mechanische Kreislaufunterstützungssysteme zunehmend an Bedeutung gewonnen. Dabei haben die Kreislaufunterstützungssysteme einen langen Entwicklungsprozess durchlaufen, der noch nicht abgeschlossen ist. Es wurde zunehmend an miniaturisierten, implantierbaren Geräten gearbeitet, denn außer hoher technischer Zuverlässigkeit und Effektivität sollen die Geräte dem Patienten auch eine annehmbare Lebensqualität bieten. Mit den neueren Unterstützungssystemen ist fast immer eine ambulante Nachbehandlung möglich. Mittlerweile haben sich mechanische Kreislaufunterstützungsgeräte nicht nur im kurzfristigen Einsatz bewährt, z. B. bei Postkardiotomieherzversagen, sondern v. a. auch als Überbrückungsmaßnahme bis zur Transplantation, als »bridge to transplantation«. Bei immer längeren Überbrückungszeiten konnten auch die Zuverlässigkeit und die Effektivität der Geräte im Langzeiteinsatz nachgewiesen werden, sodass man zurzeit den Einsatz der Systeme als echte Therapiealternative zur Transplantation, als definitive Organersatztherapie (»destination therapy«), überprüft. Die REMATCH-Studie (Randomized Evaluation of Mechanical Assistance for the Treatment of Congestive Heart Failure) zeigte sogar einen Vorteil für Patienten mit Herzunterstützungssystem gegenüber einer medikamentös behandelten Kontrollgruppe (Rose et al. 1999, 2001). In anderen klinischen Studien wird der Einsatz der Unterstützungssysteme bis zur Erholung des eigenen Herzens – als »bridge to recovery« – evaluiert.
Für bestimmte Patienten mit ausgedehntem myokardialen Schaden, z. B. nach massivem Myokardinfarkt, ist eine biventrikuläre Unterstützung erforderlich. Unserer Erfahrung nach profitieren einige, sorgsam zu selektionierende Patienten – z. B. diejenigen mit so großem myokardialen Schaden, dass eine Ventrikelkanülierung ausgeschlossen ist, oder jene mit Shunts oder ventrikulären Thromben – am meisten von der Entfernung des nativen Herzens und dem orthotopen Ersatz desselben durch ein Kunstherz (»total artificial heart«, TAH). Indikation und Anwendung der mechanischen Kreislaufunterstützung ist ein komplexes Thema, das in den folgenden Jahren im Rahmen der Behandlung der terminalen Herzinsuffizienz vermutlich noch mehr an Bedeutung gewinnen wird. Dazu müssen sich die Geräte in der kommenden Zeit v. a. im Einsatz als Alternative zur Herztransplantation bewähren.
33.2
Geschichte der mechanischen Herzunterstützung und des Kunstherzens
Ein wachsendes Interesse an mechanischer Kreislaufunterstützung und der Entwicklung eines Kunstherzsystems bestand seit Einführung der Chirurgie am offenen Herzen in den 1950er Jahren. Insbesondere wenn ein Patient nicht vom kardiopulmonalen Bypass entwöhnt werden konnte, wurde nach einer Möglichkeit gesucht, dieses Postkardiotomieherzversagen mittels mechanischer Kreislaufunterstützung bis zur Erholung des eigenen Herzens zu überbrücken. Im Jahre 1966 gelang DeBakey bei einer 37-jährigen Frau mit Postkardiotomieherzversagen nach Doppelklappenersatz der Einsatz einer pneumatisch angetriebenen Pumpe für 10 Tage. Die Patientin wurde erfolgreich von der Unterstützung entwöhnt und konnte das Krankenhaus später verlassen (DeBakey 1971). Wiederum DeBakey gelang im Jahre 1971 die erfolgreiche klinische Anwendung einer mechanischen Kreislaufunterstützung bei 2 Patienten mit Postkardiotomieherzversagen, denen er eine linksventrikuläre Bypasspumpe als »bridge to recovery« einsetzte (Campbell et al. 1988). Der initiale Wunsch nach der Entwicklung eines kompletten Herzersatzes war technisch nicht leicht zu realisieren, sodass sich als alternative Therapieform Ende der 1970er und Anfang der 1980er Jahre zunächst die Herztransplantation durchsetzte. Die zunehmende Verbreitung der Herztransplantation bei gleichzeitigem Mangel an Spenderorganen führte zunächst zur Entwicklung von Herzunterstützungssystemen, die es erlaubten, den Patienten bis zur Transplantation zu unterstützen. Im September 1984 berichteten Portner und Kollegen von der Stanford-Universität über die erste erfolgreiche Herztransplantation nach Implantation eines Novacor-Linksherzunterstützungssystems durch Oyer und Kollegen (Portner
849 33.2 · Geschichte der mechanischen Herzunterstützung und des Kunstherzens
et al. 1985). Im Jahre 1986 wurde das HeartMate-I-System eingeführt, und 1992 erfolgte die erste erfolgreiche Überbrückung bis zur Transplantation mit der pneumatisch betriebenen HeartMate-I-P-Linksherzunterstützung durch Frazier und Kollegen (Frazier et al. 1992). Im Jahre 1994 erhielt das HeartMate als erstes »left ventricular assist device« (LVAD) die FDA-Zulassung als »bridge to transplantation«. Im Herzzentrum NRW gelang die erste erfolgreiche Überbrückung zur Transplantation mit einem Herzunterstützungssystem im Jahre 1989. Am Deutschen Herzzentrum Berlin erfolgte 1990 bei einem 8-jährigen Jungen erstmals der Einsatz eines LVAD als Überbrückung zur Transplantation (Verwendung eines für Erwachsene hergestellten LVAD). Die ersten pulsatilen Herzunterstützungssysteme wurden durch große, parakorporale Konsolen angetrieben, und so mussten die Patienten bis zur Transplantation stationär im Krankenhaus bleiben und konnten nur eingeschränkt mobilisiert werden. Anfang der 1990er Jahre kamen dann immer mehr kleinere, portable Antriebskonsolen zum Einsatz, sodass die Patienten die Überbrückungsphase nach Erholung von der Implantation zu Hause oder in einer Rehabilitationseinrichtung verbringen konnten. Im Jahre 1993 wurde von Loisance in Paris mit einem Novacor mit portablem Antrieb eine erfolgreiche Überbrückung bis zur Transplantation durchgeführt (Loisance et al. 1994). Die erste Implantation eines Novacor als Überbrückung zur Transplantation mit ambulanter Nachbehandlung in Deutschland erfolgte 1994 im Herzzentrum NRW. Im Gegensatz zur ersten Generation pulsatiler Pumpen, die zumeist mit positiver Verdrängung arbeiteten, arbeitete man später vermehrt an der Entwicklung nichtpulsatiler, miniaturisierter Rotationspumpen. Die erste Implantation eines solchen miniaturisierten Geräts (Rotationspumpe mit axialem Fluss; Micromed DeBakey) wurde 1998 von R. Hetzer am Deutschen Herzzentrum Berlin vollzogen (Noon et al. 2001). Mit zunehmender Miniaturisierung der Geräte wurde die ambulante Nachbehandlung der Patienten erleichtert, was entscheidend zur Verbesserung der Lebensqualität beitrug. So konnten auch immer längere Wartezeiten auf ein Spenderherz akzeptabel überbrückt werden. Noch heute ist die »bridge to transplantation« die häufigste Indikation zur Implantation eines Herzunterstützungssystems, jedoch konnte mit der multizentrischen REMATCH Studie (s. oben) die Evidenz erbracht werden, dass Patienten mit Herzunterstützung gegenüber denen, die nur medikamentös behandelt werden, einen deutlichen Überlebensvorteil haben, und zwar sowohl nach einem Jahr als auch nach 2 Jahren (Rose et al. 2001). Auf Basis der Studienergebnisse der REMATCH-Studie erhielt das HeartMate VE eine FDA-Zulassung für die definitive Organersatz-Therapie. Zusätzlich wurde der Weg für weitere Studien geebnet, die
zeigen sollen, inwieweit Herzunterstützungssysteme als Dauertherapie geeignet sind und somit bei schwerem, terminalem Herzversagen eine echte Alternative zur Transplantation darstellen. Eine besondere Bedeutung für den Einsatz der Herzunterstützungssysteme als Alternativtherapie spielte das erste komplett implantierbare System, das LionHeart, das erstmals 1999 im Herzzentrum NRW implantiert wurde (El-Banayosy et al. 2003; Mehta et al. 2001). Leider ist dieses System aus logistischen Gründen nicht mehr erhältlich. In den vergangenen 15 Jahren wurden diverse Modelle von Rotationspumpen der zweiten Generation als LVAD getestet. Inzwischen ist diese Generation der Herzunterstützungssysteme durch die dritte Generation abgelöst. Hierbei handelt es sich um Rotationspumpen, die ohne Lager und mit magnetisch gelagertem Rotor konstruiert sind. Diese Pumpen sind daher wartungsärmer und gleichzeitig weniger schädlich für Blutbestandteile, sodass einige häufige Komplikationen wie Hämolyse und Thromboembolien deutlich verringert werden konnten. Im Jahre 2001 wurde das erste System mit magnetisch gelagertem Impeller, das CorAide (Arrow Inc, Reading, USA), erstmals im Herzzentrum NRW implantiert. Die ersten klinischen Studien mit diesen neuen Herzunterstützungssystemen sind inzwischen abgeschlossen und konnten zeigen, dass es zu einer Reduktion einiger unerwünschter Nebenwirkungen bei gleichzeitiger Verbesserung der Lebensqualität gekommen ist. Das erste CE-zugelassene (CE: Conformité Européenne) System dieser Gruppe ist das DuraHeart (Terumo Heart Inc, Ann Arbor, USA), das 2004 ebenfalls im Rahmen einer klinischen Studie erstmals im Herzzentrum NRW implantiert wurde (Gazzoli et al. 2007; Nishinaka et al. 2006). Parallel zur Entwickling von Herzunterstützungssystemen bestanden weitere Bemühungen darin, ein komplettes Kunstherz zu entwickeln. Pionierarbeit für das Syncardia CardioWest wurde von Kolff, Olsen und Jarvik geleistet. Ihr Ziel war die Entwicklung eines Kunstherzens zum permanenten Ersatz des nativen Organs. Anfang der 1980er Jahre wurde das Jarvik-7 bei 4 chronisch herzkranken Patienten implantiert. Zwei dieser Patienten erlitten zerebrovaskuläre Insulte, und alle 4 Patienten verstarben an einer Sepsis. Im Jahre 1985 gelang – ebenfalls mit dem Jarvik-7 – die erste erfolgreiche Überbrückung bis zur Transplantation. Der Patient wurde transplantiert und konnte danach seine Arbeit wieder aufnehmen. Im Jahre 1991 wurde das Jarvik-7 in CardioWest umbenannt. Seit 2001 wird das Gerät von SynCardia Cardiosystems (Tucson, USA) hergestellt. Weltweit kam das System bei über 500 Patienten zum Einsatz. Dabei konnte man 79 % der Patienten erfolgreich bis zur Transplantation überbrücken (Copeland et al. 2004, 2006; Leprince et al. 2003). Der größte Nachteil des Systems war lange Zeit eine sehr große Antriebskonsole, die eine dauerhafte stationäre Behandlung des Patienten erforderlich machte. Seit 2004
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850
Kapitel 33 · Herzunterstützungssysteme und Kunstherzimplantation
steht mit einer modifizierten Version des BerlinHeart Excor Driver ein mobiler Antrieb zur Verfügung, mit dem Patienten auch ambulant nachbehandelt werden können. Für die Kombination dieser Geräte liegt inzwischen eine CE-Zertifizierung vor, die aufgrund der Ergebnisse einer ersten, zentrumsinitiierten klinischen Studie am Herzzentrum NRW erteilt wurde. Außer dem CardioWest erfolgte auf Betreiben von Abiomed in Zusammenarbeit mit dem Texas Heart Institute die Entwicklung eines komplett implantierbaren Kunstherzsystems. Nach extensiven präklinischen Studien wurde das Abiocor erstmals 2001 implantiert. Beim Abiocor gibt es keine perkutanen Zugänge. Eine erste klinische Studie ist abgeschlossen. Dabei setzte man das Abiocor nur bei solchen Patienten ein, die keine Transplantationskandidaten waren und eine Lebenserwartung von <30 Tagen hatten. Ein Nachteil bestand in dem sehr großen Umfang des Geräts, sodass es nur sehr großen, kräftigen Personen implantiert werden konnte. Die Studienergebnisse waren nicht zufriedenstellend, und das Abiocor steht in Europa zurzeit nicht zur Implantation zur Verfügung. Es wird jedoch an einer verbesserten Weiterentwicklung gearbeitet (Copeland et al. 2006).
33.3
33
Definition der mechanischen Kreislaufunterstützung
Bei einer Kreislaufunterstützung übernimmt bzw. unterstützt eine mechanische Pumpe die Aufrechterhaltung des Kreislaufs. Diese Unterstützung kann für kurze oder lange Zeit erfolgen. Dabei wird der systemische, der pulmonale Kreislauf oder beide unterstützt. Man kann daher univentrikuläre, d. h. Rechts- oder Linksherzunterstützungssysteme, biventrikuläre Verfahren unterscheiden. Das native Herz verbleibt dabei im Körper – im Gegensatz zu kompletten Kunstherzsystemen, bei denen es weitgehend reseziert werden muss, um Platz für die Ersatzventrikel zu schaffen, die über Gefäßprothesen mit der Aorta bzw. der Pulmonalarterie sind. Die häufigste Art der Unterstützung ist die Linksherzunterstützung. Dabei wird das Blut aus dem linken Vorhof oder dem linken Ventrikel zur Pumpe und von dort in die Aorta geleitet. Bei der Rechtsherzunterstützung fließt das Blut vom rechten Vorhof oder Ventrikel in die Pumpe und von dort in die Pulmonalarterie. Bei der Linksherzunterstützung ist die Vorhofkanülierung oftmals technisch einfacher, für eine Langzeitunterstützung ist jedoch die Kanülierung der Ventrikelspitze zu bevorzugen, da hierdurch eine vollständigere Entlastung der Kammer erreicht wird. Für die apikale Kanülierung stehen speziell angefertigte Kanülen zur Verfügung. Bei den Kunstherzsystemen wird das native Herz entfernt und durch ein 4-Kammer-System ersetzt. Die artifiziellen Vorhöfe werden mit den nativen anastomosiert und
die Ventrikel über Gefäßprothesen mit Aorta bzw. Pulmonalarterie verbunden. Zurzeit sind nur 2 komplette Kunstherzsysteme erprobt, zum einen das SynCardia CardioWest (SynCardia Systems Inc., Tucson, USA) zum anderen das Abiocor (Abiomed Inc., Danvers, USA). Das SynCardia wird normalerweise über eine große parakorporale Konsole pneumatisch angetrieben, während das Abiocor einen elektrohydraulischen Antrieb hat.
33.4
Indikationen zur Herzunterstützungstherapie
33.4.1 Allgemein
Indiziert ist eine mechanische Kreislaufunterstützung bei Patienten mit terminalem Herzversagen, also einer Herzinsuffizienz der NYHA-Klassen III–IV bzw. des AHA/ ACC-Stadiums D, sowie bei Patienten im kardiogenen Schock unterschiedlicher Ätiologie, bei denen alle herkömmlichen Therapiemaßnahmen ausgeschöpft sind. Mögliche Ziele der Therapie sind: 4 »bridge to transplantation« (BTT): Überbrückung zur Transplantation; 4 »bridge to recovery« (BTR): Überbrückung zur Organerholung; 4 »bridge to bridge« (BTB): Überbrückung zur weitergehenden Überbrückung; 4 »destination therapy« (DT), auch »alternative to transplantation« (ATT) genannt: definitive Organersatztherapie. ! Dabei ist zu beachten, dass das Ziel der Unterstützungstherapie im Verlauf u. U. angepasst werden muss, z. B. Wechsel von BTB zu BTT.
Das Ziel hängt auch von der Dauer der erwarteten Unterstützungszeit ab. Es gibt eine Kurzzeitunterstützung, die max. 30 Tage betragen sollte, und eine mittelfristige Unterstützung, bei der man von einer Unterstützungszeit von bis zu einem Jahr ausgeht. Alle darüber hinausgehenden Intervalle bezeichnet man als Langzeitunterstützungen.
33.4.2 Überbrückung zur Transplantation
(»bridge to transplantation«, BTT) Bei Patienten im Endstadium einer chronischen Herzerkrankung wie der dilatativen oder ischämischen Kardiomyopathie, bei denen generell eine Indikation zur Transplantation besteht, ist die BTT die häufigste Indikation zur mechanischen Kreislaufunterstützung. Hier ist die Unterstützung insbesondere auch dann indiziert, wenn eine drohende, fortschreitende Schädigung anderer Organe wie Leber oder Niere verhindert werden muss und die Patienten medikamentös austherapiert sind.
851 33.4 · Indikationen zur Herzunterstützungstherapie
Die BTT-Population kann ferner aus Patienten bestehen, die an terminaler Herzinsuffizienz leiden, und zwar aufgrund von: 4 valvulären Kardiomyopathien, 4 Myokarditis (häufig Riesenzellmyokarditis), 4 akutem Myokardinfarkt, 4 Kardiomyopathie durch angeborene Herzfehler, 4 Postkardiotomieherzversagen (ausgewählte Fälle). Die Patienten müssen der NYHA-Klasse IV oder dem AHA/ACC-Stadium D zuzuordnen sein. Viele sind auf die Gabe von inotropen Substanzen (für >7 Tage) angewiesen und weisen – bedingt durch das niedrige Herzzeitvolumen – ein beginnendes Endorganversagen auf, z. B. zunehmende Nieren- oder Leberinsuffizienz oder Hyponatriämie. Während der Anfänge der BTT-Therapie bezog sich die Indikation oft auf typische hämodynamische Parameter dieser Population, z. B. »cardiac index« (<2,2 l/m2 KOF/min), systolischer Blutdruck (<90 mmHg), pulmonalkapillärer Verschlussdruck (>20 mmHg) oder Sauerstoffaufnahme (<12 ml/kg KG/min). Entscheidender als die alleinige Hämodynamik ist heute das klinische Gesamtbild des Patienten und somit v. a. das Ausmaß der Schädigung auch anderer Organe. Die Erfahrung hat inzwischen gezeigt, dass eine möglichst frühe Implantation den Erfolg der Therapie am ehesten garantiert. Das typische hämodynamische Zeichen der BTT-Population ist eine echokardiographisch ermittelte linksventrikuläre Ejektionsfraktion von <20 %.
33.4.3 Überbrückung zur Organerholung
(»bridge to recovery«, BTR) Als BTR ist eine mechanische Kreislaufunterstützung bei Patienten indiziert, bei denen mit einer Erholung der eigenen Herzfunktion gerechnet werden kann. Ursächliche Erkrankungen, durch die eine BTR-Indikation bedingt sein kann, sind beispielsweise: 4 Postkardiotomieherzversagen, 4 akute, fulminante Myokarditis (ausgenommen Riesenzellmyokarditits), 4 akuter Myokardinfarkt, 4 primäres Transplantatversagen, 4 Rechtsherzversagen nach Herztransplantation, 4 Rechtsherzversagen bei fulminanter Lungenembolie, 4 akute Abstoßung nach Herztransplantation, 4 Intoxikation, 4 postpartale Kardiomyopathie. Inwieweit ein Erholungseffekt für das erkrankte Herz bei idiopathischer dilatativer Kardiomyopathie über die vorübergehende Entlastung durch eine Herzunterstützung erklärt werden kann, ist zurzeit noch strittig und Gegenstand von Studien. Insbesondere gibt es keinen Konsensus über anerkannte Marker, die den Erholungsprozess, das reverse Remo-
deling, zuverlässig anzeigen. Zwar konnten bisherige Untersuchungen nachweisen, dass bei Langzeitunterstützung mit einem LVAD, bei der der linke Ventrikel komplett entlastet ist, ein reverses Remodeling eintritt, das gleichzeitig mit einer Verbesserung der linksventrikulären Funtkion einhergeht. Allerdings konnte das LVAD bisher nur bei <10 % der Patienten mit dilatativer Kardiomyopathie erfolgreich und dauerhaft explantiert werden. Man testet daher im Rahmen von Studien, ob evtl. adjuvante Therapiemaßnahmen geeignet sind, die Entlastungswirkung der mechanischen Unterstützung zusätzlich zu fördern und das reverse Remodeling hierdurch zu unterstützen. Dies wird z. B von einer Gruppe um Yacoub bezüglich der Gabe von Clenbuterol, einem β2-Agonisten, berichtet (Birks et al. 2006; Dandel et al. 2005; Mancini et al. 1998; Mann et al. 1998; Simon et al. 2005). Eine Erholung unter mechanischer Unterstützung sollte bei Patienten mit Myokarditis innerhalb von 6 Monaten erkennbar sein, bei jenen mit Postkardiotomieherzversagen spätestens nach 7–14 Tagen, bei solchen mit dilatativer Kardiomyopathie in einem Zeitraum von 6 Monaten sowie bei Patienten mit primärem Transplantatversagen, Rechtsherzversagen nach Herztransplantation oder akuter Abstoßung innerhalb von 14 Tagen nach Implantation einer Herzunterstützungspumpe.
33.4.4 Überbrückung zur weitergehenden
Überbrückung (»bridge to bridge«, BTB) Die BTB-Population besteht aus Kranken, die eine mechanische Kreislaufunterstützung benötigen, bei denen sich jedoch zum Zeitpunkt der Implantation noch nicht endgültig abschätzen lässt, ob sie in die BTT- oder BTR-Gruppe gehören werden. Die Mehrzahl der Patienten befindet sich im kardiogenen Schock, und häufig erfolgt die Implantation einer Herzunterstützung unter Reanimation. Diese Patienten benötigen im Rahmen einer Notfallindikation primär eine Kurzzeitunterstützung durch ein schnell und einfach zu implantierenden Gerät, häufig als »extracorporeal life support«. Hier besteht zu Beginn der Therapie u. a. oftmals ein unklarer neurologischer Status. Durch die Kurzzeitherzunterstützung gewinnt man Zeit, um das Ausmaß der Endorganschädigung und ein mögliches Erholungspotenzial des Herzens zu evaluieren. Die Dauer der Kurzzeitunterstützung sollte auf weniger als einen Monat beschränkt und innerhalb dieses Zeitraums eine Entscheidung in Hinblick auf das weitere Management des Patienten möglich sein. Ältere Systeme waren mit wesentlich mehr Nebenwirkungen belastet und erlaubten lediglich eine kürzere Unterstützung. Weist der Kranke keine Kontraindikation für eine Transplantation auf und benötigt weiterhin eine Herzunterstützung, sollte in einem elektiven Eingriff auf eine Langzeitherzunterstützung umgerüstet werden. Häufige Ursachen für den kardiogenen Schock dieser Patienten sind:
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Kapitel 33 · Herzunterstützungssysteme und Kunstherzimplantation
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akute Myokarditis, akuter Myokardinfarkt, Intoxikation, Postkardiotomieherzversagen (ausgewählte Fälle), akut dekompensierte chronische Herzinsuffizienz, postpartale Kardiomyopathie.
Bei Umrüstung nach initialer Unterstützung erfolgt die Implantation einer Langzeitunterstützung in aller Regel dann als BTT. Aber auch eine BTR oder eine definitive Organersatztherapie ist im Anschluss an die BTB-Behandlung möglich.
33.4.5 Definitive Organersatztherapie
(»destination therapy«, DT)
33
Zielpopulation für diese Indikation der Herzunterstützungstherapie sind bisher überwiegend Kranke, bei denen eine BTT-Indikation besteht, die jedoch eine Kontraindikation zur Herztransplantation aufweisen, z. B. hohes Lebensalter oder Unverträglichkeit einer immunsuppressiven Therapie, oder die unter einer malignen Grunderkrankungen bzw. anderen, ähnlich schweren Komorbiditäten leiden. Die Patienten sollten über einen Zeitraum von >30 Tagen eine therapierefraktäre Herzinsuffizienz im NYHA-Stadium III oder IV bzw. im AHA/ACC-Stadium D aufweisen. Ferner sollte die Bedeutung dieser Therapiemaßnahme vor der Implantation auch mit Familienangehörigen/Lebensgefährten genau besprochen werden. Die DT ist zurzeit das ultimative Ziel der Weiterentwicklung mechanischer Kreislaufunterstützungssyssteme. Der Erfolg hängt wesentlich von den Fortschritten der Technologie dieser Geräte ab. Neueste Studienergebnisse zeigen eine zunehmende Verlässlichkeit der Pumpen der dritten Generation (z. B. DuraHeart, CorAide, Ventrassist) mit einer Einjahresüberlebensrate von bis zu 86 %. Diese Ergebnisse sind mit den Resultaten nach Herztransplantation vergleichbar. Bereits in naher Zukunft mag diese Behandlung für eine immer größere Patientenzahl als echte Alternativtherapie zur Transplantation geeignet sein. Insbesondere in Hinblick auf die zunehmende Alterung der Gesellschaft ist gerade auch für Senioren eine Alternative zur Transplantation wünschenswert (Lietz et al. 2005; Pennington et al. 1999; Stevenson et al. 2003).
33.5
Indikationen und Auswahl des Unterstützungsverfahrens
33.5.1 Linksventrikuläres Unterstützungssystem
(»left ventricular assist device«, LVAD) Für die meisten Patienten ist die Implantation eines LVAD ausreichend. Vor Implantation muss jedoch abgeklärt wer-
den, ob Thromben im linken Ventrikel vorhanden sind oder ob ein intrakardialer Shunt besteht. Ferner muss man die Funktion des rechten Herzens überprüfen. Dabei ist oftmals nicht einfach abzuschätzen, ob ein Rechtsherzversagen nach Implantation eines LVAD persisitieren bzw. entstehen wird. Nach unserer Erfahrung können folgende Parameter ein drohendes Rechtsherzversagen unter LVAD-Therapie anzeigen: 4 zentraler Venendruck von >16 mmHg, 4 »cardiac index« von <2,0 l/m2 KOF/min, 4 systemischer Gefäßwiderstand von >1400 dyn/s/cm5, 4 pulmonaler Gefäßwiderstand von >250 dyn/s/cm5. Risikofaktoren für ein Rechtsherzversagen sind außerdem eine Notfallindikation zur Implantation und das weibliches Geschlecht. Ein präoperativ niedriger »right ventricular stroke work index« erfordert oft eine längere Gabe inotroper Substanzen nach Implantation eines LVAD, ist jedoch nicht zwingend ein Indikator für die Notwendigkeit der Implantation eines »right ventricular assist device«.
33.5.2 Biventrikuläres Unterstützungssystem
Die Implantation eines biventrikulären Unterstützungssystems sollte in Betracht gezogen werden, wenn folgende Bedingungen vorliegen: 4 Der Patient weist alle Zeichen eines schweren biventrikulären Herzversagens auf, das durch konservative Therapiemaßnahmen nicht beherrschbar ist. 4 Der Patient ist ausgeprägt katecholaminpflichtig. 4 Es liegen Anzeichen für ein beginnendes Multiorganversagen vor. 4 Es bestehen maligne, therapieresistente Arrhythmien (da in der Arrhythmiephase die Funktion des rechten Ventrikels außer Kraft gesetzt wird). Liegen an mindestens 2 weiteren Organen schwere Schädigungen vor, z. B. eine Niereninsuffizienz, die eine kontinuierliche venovenöse Hämodialyse erfordert, oder eine Leberinsuffizienz mit Bilirubinwerten von >5 mg/dl oder einer Aktivitätssteigerung der Transaminasen um das 3fache der Norm, erachten wir eine biventrikuläre Unterstützung ebenfalls als ratsam. Bis heute fehlen genaue Richtlinien darüber, wann ein LVAD und wann ein biventrikuläres Kreislaufunterstützungssystem implantiert werden sollte. Die Kriterien sind häufig schwer abgrenzbar. Entscheidender als hämodynamische Parameter allein (z. B. »cardiac index« von <2,2 l/m2 KOF/min, zentraler Venendruck von >18 mmHg, peripherer Gefäßwiderstand von >500 dyn/sec/cm5 oder niedriger Pulmonalarteriendruck) bleibt das klinische Gesamtbild. Ausschlaggebend sind insbesondere Schädi-
853 33.7 · Komplikationen der mechanischen Kreislaufunterstützung
gungen, die auf ein Multiorganversagen hinweisen. Der vorraussichtliche Bedarf an postoperativen Katecholaminen sollte abgeschätzt werden. Bei niedrigem »right ventricular stroke work index« und einem vorraussichtlich höheren Bedarf an Katecholaminen kann die Erholung der Endorgane beeinträchtigt sein, sodass auch in diesem Fall eine biventrikuläre Unterstützung ratsam erscheint.
33.5.3 Kunstherz
Ein Kunstherz (»total artificial heart«, TAH) sollte implantiert werden bei: 4 schwerem biventrikulären Herzversagen mit beginnendem Multiorganversagen, 4 schwersten angeborenen Herzfehlern, 4 intrakavitären Thromben, 4 Shunts, 4 kardialen Tumoren, 4 akuter fulminanter Myokarditis/Riesenzellmyokarditis, 4 anhaltenden, malignen, therapierefraktären Rhythmusstörungen (da in der Arrhythmiephase die Funktion des rechten Ventrikels außer Kraft gesetzt wird), 4 ausgedehntem Myokardinfarkt mit massiver Schädigung des linken Ventrikels, sodass eine Kanülierung der linksventrikulären Spitze nicht möglich ist.
33.6
Kontraindikationen für eine mechanische Kreislaufunterstützung
Es gibt absolute und relative Kontraindikationen für die Implantation einer mechanischen Kreislaufunterstützung: 4 absolute Kontraindikationen: 5 Sepsis, 5 schwere Komorbidität, die das Überleben stark limitiert und daher den Aufwand für die Unterstützungstherapie nicht rechtfertigt, z. B. HIV-Infektion, irreversibler Hirnschaden oder aggressives Tumorleiden, 5 anatomische Vorraussetzungen, welche die Implantation einer mechanischen Kreislaufunterstützung nicht erlauben (hier können u. U. die Exzision des nativen Herzens und eine Kunstherzimplantation erfolgen), 5 schwere psychische Störung, 5 ausgeprägter Alkohol-, Drogen- oder Medikamentenabusus, 5 ungenügende Patienten-Compliance, 5 irreversibles Endorganversagen, 5 schwere Gerinnungsstörung; 4 relative Kontraindikationen: 5 Aorteninsuffizienz mehr als ersten Grades (evtl. biologischer Klappenersatz),
5 Vorhandensein einer mechanischer Klappe in Aortenklappenposition (evtl. Klappenaustausch oder Implantation eines Kunstherzens möglich), 5 fixierte pulmonale Hypertonie von >6 Wood-Einheiten (7 Kap. 8).
33.7
Komplikationen der mechanischen Kreislaufunterstützung
Trotz großer Anstrengungen, die Herzunterstützungsgeräte zu optimieren, kann es während der Therapie zu unerwünschten Nebenwirkungen kommen. Die Erfahrungen der vergangenen 20 Jahre haben einige typische Komplikationen gezeigt, die mit der mechanischen Kreislaufunterstützung einhergehen. Man kann nach dem zeitlichen Auftreten der Ereignisse zwischen peri- und frühpostoperativen sowie Langzeitkomplikationen unterscheiden.
33.7.1 Blutungen
Blutungen sind in der perioperativen Phase eine häufige Komplikation, da viele der Patienten Gerinnungsstörungen aufweisen. Durch erhöhte zentralvenöse Drücke und eine Leberstauung kann die Synthese der Gerinnungsfaktoren durch eine eingeschränkte Leberfunktion stark gestört sein. Zusätzlich sind viele Patienten mit Antikoagulanzien, z. B. Phenprocoumon, vorbehandelt. Nicht immer bleibt vor der Operation ausreichend Zeit, die Gerinnung zu optimieren. Die Pumpenoberflächenmaterialien können eine Verbrauchskoagulopathie induzieren. Operative Blutungen können durch stark geschädigtes Myokardgewebe, das sich bei vielen Patienten nachweisen lässt, begünstigt werden. Eine streng atraumatische chirurgische Technik und eine sorgfältige intraoperative Blutstillung sind bei der Implantation eines LVAD unumgänglich. Die Gerinnung sollte durch die präoperative Gabe von gefrorenem Frischplasma, Thrombozytenkonzentraten, Faktor VII und evtl. Vitamin K optimiert werden. Die früher teilweise geübte Applikation von Aprotinin ist zurzeit nicht möglich, das das Medikament aus dem Handel genommen wurde. Die intraoperative Heparinisierung sollte man komplett ausgleichen. Die Gerinnung muss in der frühen postoperativen Phase regelmäßig kontrolliert werden. Es sollten auch Thrombelastogramme oder weitere Thrombozytenfunktionstests zum Einsatz kommen. ! Für die ersten 24 h nach der Implantation eines Unterstützungssystems empfehlen wir, auf die Gabe von Heparin zu verzichten, um erst bei akzeptablen Gerinnungswerten und nicht erhöhten Drainagemengen vorsichtig mit einer systemischen Heparinisierung zu beginnen.
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854
Kapitel 33 · Herzunterstützungssysteme und Kunstherzimplantation
Blutungskomplikationen treten immer noch bei bis zu 40 % der Implantationen auf (Mc Bride et al. 1999). Unsere Erfahrungen mit den Herzunterstützungspumpen der ersten Generation (Novacor, Thoratec PVAD, HeartMate VE) ergaben bei 22–35 % der Patienten Blutungskomplikationen (El-Banayosy et al. 2001). Bei Systemen der dritten Generation sind weniger Blutungskomplikationen zu verzeichnen. Unsere Erfahrungen mit dem DuraHeart zeigen eine Blutungsinzidenz von etwa 15 %. Andere rotierende Pumpen erzielen ähnliche Ergebnisse und haben damit die Inzidenz postoperativer Nachblutungen signifikant verringert.
33.7.2 Luftembolien
Luftembolien können durch Luft hervorgerufen werden, die im Ventrikel oder im Unterstützungssystem eingeschlossen ist. Zusätzlich können negative Pumpendrücke durch etwaige poröse Conduits Luft ansaugen. Bei der Implantation muss immer auf eine ausreichende Entlüftung geachtet werden, ebenso auf eine ausreichende Volumenzufuhr, insbesondere wenn die Pumpe negative Drücke aufbaut. Sollten die Einfluss-Conduits nicht dicht sein, empfiehlt sich ein vorheriges Abdichten (»preclotting«). Ferner empfiehlt sich eine intraoperative transösophageale Echokardiographie, um Hinweise auf eingeschlossene Luft zu erhalten. Insgesamt sind Luftembolien eher selten, sodass keine konkreten Angaben über Inzidenz und Prävalenz zu finden sind.
33.7.3 Neurologische Komplikationen
und Thromboembolien
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Neurologische Komplikationen treten unter mechanischer Kreislaufunterstützungstherapie häufig auf und sind oftmals schwerwiegend. Sie können in der perioperativen Phase insbesondere durch Embolien von Luft oder kleinen Partikeln aus Thromben in das Gehirn entstehen. Die Mobilisation eines vorhandenen Thrombus aus Vorhof oder Ventrikel ist die häufigste Ursache neurologischer Komplikationen. In der Folge kann der Thrombus in den Kreislauf gelangen und die typischen thromboembolischen Komplikationen (Niereninfarkte, Schlaganfälle, periphere Gefäßverschlüsse etc.) hervorrufen. Eine transösophageale Echokardiographie sollte bei der Implantation eines Unterstützungssystems immer erfolgen, ebenso die genaue visuelle Inspektion der Ventrikel und Vorhöfe. Eventuell vorliegende Thromben müssen entfernt werden. Thromben bilden sich u. a. durch den Kontakt von Blut mit dem Pumpenmaterial. Die eingesetzten Systeme sollten daher eine optimale Biokompatibilität und eine athrombogene Oberfläche aufweisen.
Auch in der Spätphase der Unterstützungstherapie können neurologische Komplikationen wie transitorische ischämische Attacken, Insulte und intrazerebrale Blutungen auftreten. Das Risiko einer Thromboembolie ist auch von der Art des Unterstützungssystems abhängig und kann durch das Pumpendesign bedingt sein. Thromben entstehen z. B. durch unphysiologische Strömungsverhältnisse des Blutes innerhalb der Pumpe oder durch den Kontakt des Blutes mit Kunststoffoberflächen. Je nach Systen variiert die Rate an thromboembolischen Komplikationen zwischen 5 % und 37 % (Copeland et al. 2001; El-Banayosy et al. 2000; Goldstein et al. 2003; Pae et al. 2007b; Rose et al. 2001; Thomas et al. 2001). Im Herzzentrum NRW verzeichneten wir bei Pumpen der ersten Generation in etwa 20 % der Fälle thromboembolische Komplikationen (El-Banayosy et al. 2001). In der REMATCH-Studie war die Rate an neurologischen Komplikationen bei Patienten mit LVAD höher als bei jenen, die nur mittels optimaler Medikation behandelt wurden (Rose et al. 1999, 2001). Jedoch waren 76 % der mittels LVAD unterstützten Patienten frei von schweren neurologischen Komplikationen, obwohl sie keinerlei routinemäßige Antikoagulation erhielten. Zehn Prozent der LVAD-Patienten erlitten einen ischämischen Schlaganfall. Bei 47 % der neurologischen Zwischenfälle konnte eine rasche Rückbildung der Symptome erreicht werden, da die Ursache toxischer oder metabolischer Genese war. Ein Vergleich der thromboembolischen Komplikationen zwischen pulsatilen Pumpen der ersten Generation (Novacor, Berlin Heart Excor) und Axialflusspumpen (Micromed DeBakey, BerlinHeart Incor) am Deutschen Herzzentrum Berlin ergab für die pulsatilen Pumpen bei 15 % der Patienten Schlaganfälle und bei 17,5 % Thromboembolien. Bei den Axialpumpen wurden bei 37 % der Patienten messbare Thromben bei der Passage durch die Pumpe festgestellt, und es kam in 25 % der Fälle zu thromboembolischen Komplikationen. Das Gerinnungsmanagement beider Gruppen war identisch (Koster et al. 2000). Die neueste Generation, z. B. CorAide, Ventracor und DuraHeart, weist nach unserer Erfahrung bisher nur eine Rate von <3 % an thromboembolischen Komplikationen auf, obwohl bei diesen Geräten nur eine moderate Antikoagulationstherapie erforderlich ist. Zur Prävention einer Thromboembolie und neurologischer Komplikationen ist die Einhaltung eines Antikoagulationsprotokolls zwingend erforderlich. Die Steuerung der Antikoagulationstherapie mit Phenprocoumon kann durch den Patienten selbst über die Bestimmung des INR-Wertes (»international normalized ratio«) erfolgen. Der Ziel-INR-Wert muss dem Unterstützungsgerät gerecht werden. Je nach System ist evtl. die zusätzliche Gabe von Azetylsalizylsäure und/oder Clopidogrel erforderlich.
855 33.7 · Komplikationen der mechanischen Kreislaufunterstützung
33.7.4 Hämolyse
Von einer Hämolyse als unerwünschtes Ereignis unter Unterstützungstherapie spricht man, wenn das freie Hämoglobin im Plasma für länger als 5 h in einer Konzentration von >50 mg/dl messbar ist. Auch die Hämolyse ist vom Pumpendesign abhängig und geht häufig auf Scherkräfte zurück, denen die Erythrozyten bei ihrer Passage durch die Pumpe ausgesetzt sind. Außerdem kann ein Kinking von Einfluss- bzw. Ausflussprothese eine Hämolyse verursachen oder auch eine akute Klappeninsuffizienz. Systemabhängig lassen sich u. a. verschiedene durchschnittliche Aktivitäten der Laktatdehydrogenase (LDH) beobachten. Unsere Erfahrungen zeigen, dass z. B. Patienten mit Thoratec und SynCardia CardioWest deutlich höhere LDH-Werte aufweisen (im Mittel 600 U/l), während diese z. B. beim DuraHeart nur etwa 200 U/l betragen. In unserer Klinik hatten 6 % der Thoratec- und 7 % der CardioWest-Patienten eine Hämolyse. Bei jenen mit Novacor trat keine Hämolyse auf. Ergebnisse einer multizentrischen Studie aus den USA mit dem HeartMate II wiesen bei 3 % der Patienten eine Hämolyse nach, was auch die niedrige Inzidenz bei den »rotary blood pumps« anzeigt (Miller et al. 2007). ! Hämolyseparameter (Konzentration des freien Hämoglobins, LDH-Aktivität) sind regelmäßig zu kontrollieren. Bei Anzeichen für eine Hämolyse muss die Ursache eruiert und entsprechend behandelt werden.
33.7.5 Rechtsherzversagen
Ein akutes Rechtsherzversagen ist in der Frühphase direkt nach Initiierung einer Linksherzunterstützung möglich. Zum einen kann dies durch einen erhöhten venösen Rückfluss zum rechten Herzen bei gleichzeitig verminderter Kontraktilität auch des rechten Ventrikels bedingt sein. Zum anderen kann der Einsatz des kardiopulmonalen Bypasses einen Anstieg des pulmonalen Gefäßwiderstandes bedingen, insbesondere wenn viele Blutkonserven und Infusionen verabreicht wurden. Das Rechtsherzversagen bewirkt wiederum einen Anstieg des zentralen Venendrucks und beeinträchtigt u. U. die Nierenfunktion. Es sollte daher versucht werden, den pulmonalen Widerstand zu senken, um die Nachlast des rechten Ventrikels zu minimieren. Dies ist z. B. mit Hilfe von Phosphodiesterase-III-Hemmern, Levosimendan und synthetischen Prostaglandinderivaten möglich. Prostaglandine und Stickstoffmonoxid lassen sich auch inhalatorisch zuführen. Ein Rechtsherzversagen kann auch im weiteren Verlauf der Unterstützungstherapie auftreten. Ursächlich kommt dann z. B. eine Luftembolie oder ein zunehmendes Pumpversagen des rechten Herzens durch Septumdeviation nach links durch die Entlastung des linken Ventrikels infrage.
Diagnostisch wegweisend ist die transösophageale Echokardiographie. Nach unseren Erfahrungen tritt ein Rechtsherzversagen bei 5–20 % der Patienten mit Linksherzunterstützung auf. In den meisten Fällen ist eine medikamentöse Therapie ausreichend. In etwa 3 % der Fälle ist die zusätzliche Unterstüzung des rechten Ventrikels mit einem mechanischen Herzunterstützungssystem erforderlich. In unserer Klinik beobachteten wir nach der Implantation bei etwa 25 % der Novacor-, ungefähr 19 % der Thoratec- und 26 % der HeartMate-Patienten ein Rechtsherzversagen. Dies kam häufiger bei jenen Patienten vor, denen das LVAD im Rahmen einer Notfalltherapie implantiert wurde (El-Banayosy et al. 2001). Bei einer amerikanischen Multicenterstudie mit dem HeartMate II trat in 13 % der Fälle ein Rechtsherzversagen auf, das länger als 14 Tage anhielt und/ oder mittels Rechtsherzunterstützung therapiert werden musste. Im Rahmen der DuraHeart-Studie stellten wir bei 37 % der Patienten Episoden eines Rechtsherzversagens fest, die sich jedoch in 78 % der Fälle durch Gabe von Inotropika behandeln ließen. Kein Patient mit einem DuraHeart benötigte zusätzlich eine Rechtsherzunterstützung.
33.7.6 Infektionen
Infektionen sind bei Patienten mit einem mechanischen Kreislaufunterstützungssystem insgesamt die häufigste Komplikation. Sie stehen dabei häufig ursächlich mit dem Unterstützungssystem in Zusammenhang. So können sich die chirugischen Wunden, die Pumpentasche oder die perkutanen Zugänge (Drivelines) zur Pumpe entzünden. Derartige Infektionen, die direkt mit der Pumpe in Zusammenhang stehen, lassen sich nur durch komplett implantierbare Systeme wie das LionHeart deutlich reduzieren. Bei der LionHeart-CUBS-Studie (Clinical Utility Baseline Study to determine the safety and performance of the LionHeart) kam es bei 4 von insgesamt 23 Patienten zu Lokalinfektionen, und bei einem Patienten trat eine schwere Tascheninfektion auf. Weitere 3 Patienten erlitten eine Sepsis, die jedoch ursächlich nicht auf das Unterstützungssystem zurückzuführen war (Pae et al. 2007a). Die REMATCH-Studie zeigte hohe Raten an Drivelineund Tascheninfektionen mit 0,39 Infektionen pro Patientenjahr. Ferner wurde dort eine Inzidenz von 0,60/Jahr für septische Syndrome unter der Unterstützungstherapie beschrieben (Rose et al. 2001). Septische Komplikationen führten häufig zum Tod des Patienten, traten aber eher in der frühen postoperativen Phase auf (Holman et al. 2003). Diese Infektionen sind meist durch den multimorbiden Zustand der Patienten bei der Implantation bedingt. In der Folge einer Sepsis kann es insbesondere auch zu zerebralen Embolien und Multiorganversagen kommen (Gordon et al. 2006).
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Kapitel 33 · Herzunterstützungssysteme und Kunstherzimplantation
In der Literatur werden Infektionsraten von 12–48 % – je nach Unterstützungssystem – angegeben. Infektionen an Austrittsstellen von Kabeln wurden bei uns bei den Novacor-Patienten zu etwa 24 % beobachtet. Bei den HeartMatePatienten bestand eine Infektionsrate von 30 %, die durch viele Tascheninfektionen zustande kam. Ab 1998 entwickelten wir eine neue Methode zur Prävention dieser Tascheninfektionen: An der oberen Seite des Systems wird ein etwa 10 cm großer Hemashield-Patch mit Silikon angeklebt und zusätzlich mit 4 Nähtren fixiert. Diese Prothese führt zu Verwachsungen, welche die ständigen Bewegungen des Systems an der Bauchdecke blockieren. Durch diesen Effekt konnte die Infektionsrate erheblich reduziert werden. Eine Endokarditis, hervorgerufen durch ein Einfluss- bzw. Ausfluss-Conduit, kam bei etwa 3–4 % der Novacor- und HeartMate-Patienten vor (El-Banayosy et al. 2001). Die Thoratec-Pumpe verursachte in einer multizentrischen Studie mit insgesamt 39 Patienten in 2 Fällen eine Tascheninfektion, und bei 5 Patienten kam es zu einer Driveline-Infektion. Diese Komplikationen traten innerhalb von 30 Tagen nach der Implantation auf. Bei einem von 39 Patienten trat eine Sepsis auf, die zum Tod führte (Slaughter et al. 2007). Die neueren Rotationspumpen haben eine etwas geringere Infektionsrate, da z. B. die Präparation einer Pumpentasche bei einigen Systemen entfällt. Beim DuraHeart entwickelten 15 % unserer Patienten Infektionen, die mit der Pumpe in Zusammenhang standen. Davon waren 3 Driveline-Infektionen. Außerdem bestanden eine Tascheninfektion und eine Kombination aus Driveline- und Tascheninfektion. Ein Duraheart-Patient entwickelte eine Sepsis. Beim CorAide erkrankte ein Patient an einer Sepsis, aber wir verzeichneten keine lokalen Infektionen. Generell sind alle »rotary blood pumps« der dritten Generation am ehesten mit Driveline- bzw. mit Infektionen an der Austrittsstelle der perkutanen Leitung behaftet. Bei einer multizentrischen Studie mit dem HeartMate II hattten 14 % der Patienten eine Infektion, die mit dem Unterstützungssystem zusammenhing, und 28 % litten an anderen lokalen Infektionen. Zu einer Sepsis kam es in 20 % der Fälle. Das Auftreten der Infektionen ist vom allgemeinen Zustand des Patienten bei der Implantation und von der Art des Unterstützungssystems, aber auch von sekundären Faktoren wie z. B. frühe Mobilisation oder Ernährung abhängig. Generell muss bereits die Implantation des Unterstützungssystems sorgfältig und aseptisch vorgenommen werden. Perioperativ bis zum Entfernen der Drainagen ist eine Antibiotikatherapie mit Cephalosporinen anzuraten. Treten im Langzeitverlauf Infektionszeichen auf, sollte möglichst gezielt nach der Infektionsquelle gesucht werden, und die antibiotische Therapie ist anhand der mikrobiologischen Untersuchungsergebnisse festzulegen. Das strenge Einhalten steriler Bedingungen beim Verbandwechsel sollte selbstverständlich sein. Insbesondere zur Prävention ei-
ner Infektion ist das sorgfältige Befolgen eines Hygieneprotokolls unerlässlich. Dies gilt auch für die Zeit nach der Entlassung aus dem Krankenhaus Eine kürzlich erschienene Arbeit postuliert ebenfalls einen möglichen Zusammenhang zwischen der Dauer der Unterstützung und spät auftretenden Infektionen. Der Median der spät auftretenden Driveline-Infektionen bei den dort beschriebenen Patienten, die entweder mit dem Novacor oder dem HeartMate unterstützt wurden, lag bei 158 Tagen. Dabei waren die spät auftretenden Infektionen schlechter therapierbar und gingen mit einer erhöhten Morbidität einher (Zierer et al. 2007). In einer kürzlich veröffentlichen Arbeit untersuchten Lietz et al. (2007) den Erfolg einer Unterstützungstherapie in der Post-REMATCH-Ära. Dabei wurde bestätigt, dass Patienten mit sehr schlechtem Allgemeinzustand bei der Implantation die schlechtesten Überlebenschancen hatten, und zwar insbesondere dann, wenn zum Zeitpunkt der Implantation ein Infektionsrisiko bestand. Diese Patienten verstarben vermehrt bereits in der frühen postoperativen Phase an Multiorganversagen und/oder Sepsis.
33.7.7 Arrhythmien
Arrhyhmien sind in der perioperativen Phase eine häufige Komplikation. Sie treten bei bis zu 20 % der Patienten auf. Diese Arrhythmien sind jedoch meist medikamentös beeinflussbar und im weiteren Verlauf der Unterstützungstherapie durch die Entlastung des Ventrikels oftmals rückläufig. Bei unseren langzeitunterstützten Patienten, die ambulant nachbehandelt werden, treten nur zu 6–7 % Rhythmusstörungen auf. Sie sind in aller Regel nicht hämodynamisch relevant. Von unseren 200 ambulanten Patienten benötigten unter der mechanischen Kreislaufunterstützung nur 2 einen neuen implantierbaren Kardioverter/Defibrillator (»implantable cardioverter/defibrillator«, ICD). Patienten, die unter schweren Arrythmien litten und bereits einen ICD implantiert bekommen haben, können auch unter einer Unterstützungstherapie weiter zu schwer beherrschbaren Arrythmien neigen. Die Implantation eines ICD ist für Patienten mit therapierefraktären, malignen Arrhythmien u. U. empfehlenswert. Es ist sehr schwer, die exakten Auswirkungen einer Kammertachykardie oder eines Kammerflimmerns auf die Leistung des Unterstützungssystems vorherzusagen. In der multizentrischen HeartMate-II-Studie kam es bei 24 % der Patienten zu ventrikulären Arrythmien, die mittels Kardioversion/Defibrillation behandelt werden mussten. Eine präoperativ bestehende antiarrythmische Therapie ist unbedingt fortzusetzen, z. B mit Amiodaron. Unserer Erfahrung nach haben insgesamt <6 % der Patienten mit Unterstützungssystem schwere, therapiebedürftige Rhythmusstörungen.
857 33.8 · Herzunterstützungssysteme
33.7.8
Psychologische Probleme
Besonders beim Langzeiteinsatz eines Herzunterstützungssystems können durch die veränderte Lebenssituation psychologische Probleme auftreten. Depressionen bis hin zu Selbstmordgedanken müssen durch sorgsame Kontrolle auch des sozialen Umfeldes möglichst früh erkannt werden, um sie adäquat therapieren zu können. Sind die Patienten insbesondere bei der Nachsorge mit einem festen LVADTeam vertraut, welches täglich über 24 h erreichbar sein sollte, treten unserer Erfahrung nach nur wenige Probleme auf.
33.7.9
Funktionsstörungen und technische Probleme der Herzunterstützungssysteme
Technische Störungen der Unterstützungssysteme können in minderschwere und schwerere Funktionsstörungen unterteilt werden. Die schwerwiegendste Störung ist der komplette Ausfall des Systems, ein sog. Pumpenstopp (»device failure«). Nach den bisherigen Erfahrungen ist dies eine sehr seltene Komplikation. Beim Novacor traten bei uns unter 900 Patienten 3 Pumpenstopps auf. Beim HeartMate war dies häufiger zu beobachten. In der REMATCH-Studie kam es bei den 68 Patienten zu 7 Ausfällen des HeartMate, was als Langzeitkomplikation wesentlich zu der schlechten 2-Jahres-Überlebensrate von 23 % beitrug. Der Pumpenstopp war in der REMATCH-Studie nach Infektionen die zweithäufigste Todesursache in der LVAD-Kohorte (Rose et al. 2001). Bei den neueren Pumpen wie HeartMate II, DuraHeart oder CorAide zeigte sich bisher eine bessere technische Zuverlässigkeit. Ein Pumpenstopp war bei der HeartMate-IIStudie nicht zu verzeichnen. Es mussten jedoch 3,7 % der Pumpen ausgetauscht werden, entweder aufgrund einer Thrombose im System oder wegen Komplikationen nach chirurgischen Problemen bei der Implantation. Es kam zu 3 Todesfällen, die mit dem Herzunterstützungssystem in Zusammenhang standen (bei 2 Patienten Batterieprobleme, bei einem Patienten war die Einlasskanüle gedreht und abgeknickt). In der ersten klinischen multizentrischen Studie mit dem DuraHeart traten in unserem Zentrum keine kompletten Systemausfälle auf. Allerdings musste die Pumpe bei 2 Patienten ausgetauscht werden, da es zu Flussstörungen gekommen war. Beim CorAide verzeichneten wir ebenfalls keine mechanischen Pumpenstopps. Unterstützungszeiten von etwa 2 Jahren sind heute keine Seltenheit mehr. Bei allen längeren Unterstützungszeiten ist mit Verschleißerscheinungen an den diversen Teilen der Unterstützungspumpen zu rechnen. Insbesondere Pumpensäcke, Ventile und Kompressoren haben sich als anfällig erwiesen. Häufig kommen z. B. Ermüdungsbrüche von Kabeln innerhalb der Driveline, verstopfte Filter oder
verbrauchte Batterien vor. Generell sind alle außerhalb des Körpers liegenden Pumpenanteile besonders empfindlich, insbesondere auch gegenüber physikalischen und chemischen Einflüssen. In aller Regel führen die Verschleißprobleme jedoch nicht zu schwerwiegenden technischen Störungen. Problematisch sind z. B Rupturen eines Pumpensacks. Diese Komplikation haben wir bei 2 Patienten mit einem SynCardia CardioWest nach längerer Unterstützungszeit beobachtet. Einer der Patienten konnnte notfallmäßig transplantiert werden, der zweite Patient verstarb (Lietz et al. 2007). Außerdem arbeiten einige Unterstützungssysteme wie z. B. das Novacor oder das HeartMate I mit Klappen im Ein- und Ausflussbereich, die unphysiologischen Bedingungen standhalten müssen, z. B. hohen Drücken oder ausgeprägten Flussbeschleunigungen. Hierdurch ist oft ein erheblicher Verschleiß an den Klapppen aufgetreten. Der Motorantrieb der pulsatil arbeitenden Geräte war durch vorhandene Verschleißteile wie das Lager anfällig. Diese Probleme sind bei der neuen Generation der Rotationspumpen deutlich verringert, sodass die technische Zuverlässigkeit auch bei Langzeitunterstützungen gewährleistet ist.
33.8
Herzunterstützungssysteme
Seit ihrer Einführung sind eine Reihe verschiedener Herzunterstützungssysteme entwickelt worden, die auf unterschiedliche Weise klassifizierbar sind. Wir wählen hier die Unterteilung nach der anatomischen Lage der Pumpe. Entsprechend existieren extra- und parakorporale sowie partiell und komplett implantierbare Systeme.
33.8.1
Extrakorporale Herzunterstützungssysteme
Extrakorporale Systeme können durch periphere, aber auch intrathorakale Kanülierung die Herzfunktion unterstützen. 33.8.1.1
CentriMag LVAD
Für den Kurzzeiteinsatz, also hauptsächlich zur Organerholung oder zur Überbrückung zur weitergehenden Überbrückung, gibt es eine neuere Zentrifugalpumpe, die CentriMag LVAD (Levitronix/Pharos, Zürich, Schweiz; . Abb. 33.1), die mit magnetischer Levitation (vermeintliche Aufhebung der Schwerkraft) arbeitet. Das Design der Pumpe beruht auf einem lagerfreien Motor und kombiniert Antrieb, Lagerung und Rotorfunktion ausschließlich mittles magnetischer Levitation. Durch die Energie des Motors wird die Fließgeschwindigkeit des Blutes erhöht und das Blut über die Rotationsachse des Rotors zum Pumpenausfluss gelenkt. Diese Pumpe wurde speziell für den Einsatz bei Patienten im kardiogenen Schock entwickelt und eignet sich hervorragend als »extra corporeal life sup-
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858
Kapitel 33 · Herzunterstützungssysteme und Kunstherzimplantation
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33.8.1.3
Abiomed BVS 5000
Das Abiomed BVS 5000 (Abiomed Inc., Danvers, USA) ist eines der am häufigsten verwendeten extrakorporalen Herzunterstützungssysteme zur kurzfristigen Unterstützung. Es kann das linke oder das rechte Herz oder beide Kammern unterstützen. Diese pneumatisch betriebene Pumpe wird extern angebracht und ist über ein Kanülensystem mit dem Herz bzw. der Aorta verbunden. d . Abb. 33.1a–d. CentriMag
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port system«. Sie ist einfach zu implantieren und kann Pumpenflüsse von bis zu 9 l/min bei 1500–5500 Umdrehungen/min erreichen, und zwar unter normalen physiologischen Bedingungen und bei normalen Druckverhältnissen. Auch hier gibt es kaum mechanische Reibungspunkte und somit ein geringeres Hämolyserisiko als bei den herkömmlichen Zentrifugalpumpen wie z. B. der Biomedicus Zentrifugalpumpe. Ähnlich wie das CentriMag LVAD sind zudem das Rotaflow (Maquet Cardiopulmonary AG, Hirrlingen) und das TandemHeart (CardiacAssist Inc., Pittsburgh, USA) als neuere extrakorporale Herzunterstützungssysteme im Einsatz, auf die hier jedoch nicht näher eingegangen wird. 33.8.1.2
Biomedicus Zentrifugalpumpe
Die Biomedicus Zentrifugalpumpe (Medtronic, Eden Prairie, USA) wurde häufig bei Patienten mit Postkardiotomieherzversagen zur kurzfristigen Unterstützung eingesetzt. Sie kann als femorofemoraler oder kardiopulmonaler Bypass, extrakorporale Membranoxygenierung und Herzunterstützung eingesetzt werden. Idealerweise entwöhnt man die Patienten innerhalb von 7–10 Tagen durch langsame Flussreduktion (Reduktion der Drehzahlen). Der Vorteil dieser Pumpe besteht in der einfachen, schnellen Implantation.
! Der Einsatz der ersten Generation externer Herzunterstützungspumpen war mit einer Reihe von Komplikationen behaftet, insbesondere Hämolyse, Blutungen und Thromboembolien. Deshalb ist zurzeit eher die Implantation einer neueren Zentrifugalpumpe ratsam.
33.8.2
Parakorporale Herzunterstützungssysteme
Bei parakorporalen Systemen wird das Herz direkt kanüliert, bei extrakorporalen Systemen indirekt, meist von peripher. Bei den parakorporalen Systemen liegt die eigentliche Herzunterstützungspumpe außerhalb des Körpers und ist über Einfluss- und Ausfluss-Conduits intrathorakal mit dem Herzen des Patienten verbunden. Auch der Antrieb der Pumpen befindet sich außerhalb des Körpers. Beispiele für parakorporale Systeme sind das Thoratec PVAD, das BerlinHeart und das Medos PVAD. 33.8.2.1
Thoratec PVAD
Das Thoratec PVAD (parakorporales »ventricular assist device«) kann als links- oder rechtsventrikuläres sowie als biventrikuläres Unterstützungssystem zum Einsatz kommen. Es wurde zu Beginn der 1980er Jahre von William Pierce und James Donachy an der Pennsylvania State University entwickelt und zunächst in den USA im Rahmen klinischer Studien evaluiert. Mit diesem Unterstützungssystem gelang Donald Hill am California Pacific Medical
859 33.8 · Herzunterstützungssysteme
Center im Jahre 1984 die erste erfolgreiche Überbrückung bis zu einer Herztransplantation. Das System fand überwiegend als BTT Verwendung. Mittlerweile sind weltweit etwa 3000 Patienten damit unterstützt worden. Als wesentliche Komponenten des Thoratec PVAD sind die Blutpumpe, diverse Kanülen und eine duale Antriebskonsole zu nennen. Die Blutpumpe wird auf die vordere Bauchwand platziert. Der künstliche Ventrikel hat ein starres Außengehäuse, in welchem eine weiche, glatte und nahtlose Pumpenkammer eingebettet ist. Dieser Blutsack besteht aus Thoralon, einem Polyurethanmaterial, das die Bildung von Thromben verhindern soll und die Belastungen, denen der Blutsack ausgesetzt ist, dauerhaft verkraftet. Zwei mechanische Klappen bestimmen die Richtung des Blutflusses. Ein Sensor erkennt, wenn die Pumpe mit Blut gefüllt ist, und gibt der Konsole das Signal, das Blut aus der Pumpe in den Kreislauf auszuwerfen. Die klinische Erfahrung hat gezeigt, dass ein effektives Schlagvolumen von bis zu 65 ml erreichbar ist, und zwar bei Pulsraten von 20–110/min, sodass Herzzeitvolumina von 1,3–7,2 l/min erzielt werden können. Der Blutfluss zur Pumpe erfolgt über ein im Vorhof oder im Ventrikel gelegenes Kanülensystem. Von der Blutpumpe wird das Blut über eine arterielle Kanüle zur Aorta geleitet. Es stehen diverse Kanülengrößen zur möglichst guten anatomischen Anpassung zur Verfügung. Die ventrikuläre und die arterielle Kanüle sind zur Knickvermeidung mit Draht verstärkt und mit Velours umhüllt, um eine bessere Gewebeverträglichkeit zu ermöglichen und das Risiko einer aszendierenden Mediastinitis möglichst gering zu halten. Die duale Antriebskonsole erlaubt den Antrieb einer Pumpe für das rechte und das linke Herz als unabhängige Unterstützung. Ihre Leistung ist für beide Seiten identisch. Pulsraten, Vakuum und Druckvorgaben können unabhängig voneinander für jede Herzseite eingestellt werden. Der Kontrollmodus für den Einsatz der Pumpe bzw. der Pumpen ist ein asynchroner, ein Volumen- oder ein pulssynchroner Modus. Der Volumenmodus entspricht der physiologischen Art der Unterstützung, da sich die Pumpe automatisch veränderten physiologischen Gegebenheiten anpasst. Die externe Platzierung der Ventrikel und Kanülen ermöglicht den Einsatz des Systems auch bei kleinen Patienten mit einer Körperoberfläche ab 0,73 m2. Implantation. Die Implantation beginnt mit einer media-
nen Sternotomie. Für die Ventrikelkanülierung muss ein Anschluss an den kardiopulmonalen Bypass erfolgen und eine Vollheparinisierung bestehen. Je nach Kanülierungsort (Vorhof oder Ventrikelspitze) werden entsprechende Kanülen eingesetzt und an die Pumpe angeschlossen. Der Ausfluss aus der Pumpe geschieht durch direkte End-zuSeit-Anastomosierung eines Polyestergrafts an die Aorta
ascendens bzw. die Pulmonalarterie (»right ventricular assist device«). Die Kanülen führen perkutan durch Austrittsstellen und werden mit der Pumpe verbunden. Nach Entlüftung des Systems kann es seine Arbeit langsam aufnehmen. Die vorgegebene LVAD-Pulsrate und der Pumpenauswurf werden schrittweise gesteigert, und der Patient wird vorsichtig vom kardiopulmonalen Bypass entwöhnt. Die Heparinisierung antagonisiert man mit Protamin bzw. Aprotinin. Eine sorgfältige Blutstillung ist selbstverständlich. Drainagenanlage und Thoraxverschluss erfolgen in üblicher Weise. 33.8.2.2
BerlinHeart Excor
Das BerlinHeart Excor (Berlin Heart AG, Berlin) ist ein weiteres parakorporales, pulsatil arbeitendes Herzunterstützungssystem der ersten Generation. Es wird pneumatisch betrieben und hat sich u. a. bei Kindern bewährt, da es die Pumpenventrikel in verschiedenen Versionen (10– 80 ml) gibt, die den individuellen Verhältnissen des Patienten optimal angepasst werden können. Einfluss- und Ausflussklappen bestehen aus Polyurethran und sind dreiblättrig. Die Originalantriebskonsole war sehr groß. Mittlerweile steht mit dem Excor-Driver ein portabler Antrieb zur Verfügung. Der Einsatz erfolgt in aller Regel wie beim Thoratec PVAD als BTT. Ebenso wie dieses erlaubt auch das Berlin Heart eine uni- oder biventrikuläre Unterstützung. 33.8.2.3
Medos LVAD
Das parakorporale, pulsatile Medos-System (Medos Medizintechnik AG, Stolberg) kann ebenfalls als links-, rechtsoder biventrikuläre Unterstützung eingesetzt werden. Die Systemkomponenten entsprechen denen anderer parakorporaler Systeme: Ventrikel, die auf der Bauchdecke platziert werden, Kanülen und externer Antrieb bzw. Steuerkonsole. Die Antriebskonsole arbeitet pneumatisch. Durch unterschiedliche Ventrikelgrößen kann man das System – wie auch das BerlinHeart – bei Säuglingen, Kindern und Erwachsenen verwenden. Bisher wurde es etwa 650-mal implantiert und dient als kurz- bis mittelfristiges Herzunterstützungssystem.
33.8.3
Teilweise implantierbare Herzunterstützungssysteme
Bei den teilweise implantierbaren Herzunterstützungssystemen wird die Blutpumpe im Körper des Patienten implantiert, aber andere Teile wie Antrieb, Controller und Driveline liegen parakorporal. Bekannte Beispiele sind das Novacor LVAD, das HeartMate I LVAD und das implantierbare System von Thoratec. Viele der Geräte gehören zur ersten Generation von Unterstützungssystemen, die überwiegend pulsatil arbeiteten. Nachfolgend sind die am häufigsten implantierten Systeme dargestellt.
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Kapitel 33 · Herzunterstützungssysteme und Kunstherzimplantation
33.8.3.1
Novacor LVAD
Eines der bis jetzt am häufigsten eingesetzten Linksherzunterstützungssysteme ist das Novacor LVAD (WorldHeart Inc., Oakland, USA; . Abb. 33.2). Es wurde zur Langzeitbehandlung der terminalen Herzinsuffizienz entwickelt. Mit dem Novacor gelang im Jahre 1984 an der Stanford University die erste BTT-Anwendung eines LVAD. Mittlerweile wurde es weltweit bei mehr als 1700 Patienten implantiert. Ein Patient wurde über 6 Jahre mit dem Novacor LVAD unterstützt. In den meisten Fällen kam das System als BTT zum Einsatz. Es handelt sich um eine pulsatile Pumpe, die elektromechanisch angetrieben wird. Controller und Batterien können an einem Gürtel befestigt werden. Seit 1993 ist eine tragbare Version erhältlich, sodass viele Patienten in die ambulante Nachbehandlung entlassen werden konnten. Das Novacor hat sich als sehr zuverlässiges Linksherzunterstützungssystem erwiesen. Implantation. Die Pumpe wird in einer Tasche des linken oberen Quadranten des Abdomens implantiert, und zwar vor oder hinter der Rektusscheide. Das Inflow-Conduit wird durch das Zwerchfell bis zur Spitze des linken Ventrikels vorgeschoben und das Outflow-Conduit mit der Aorta ascendens anastomosiert. Biologische Herzklappenprothe-
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sen innerhalb des Inflow- und Outflow-Systems bestimmen die Richtung des Blutflusses im Pumpensystem. Die Pumpeneinheit wird über ein perkutanes Kabel mit der externen Pumpensteuereinheit verbunden. Dieses Verbindungskabel dient der Energieversorgung der Pumpe und wird »Driveline« genannt. Es dient aber auch der Datenerfassung und Steuerung (Pumpe/Antrieb). Die Driveline wird durch einen subkutan bzw. transmuskulär präparierten Tunnel im Bereich des rechten Abdomens aus der Haut geführt. Als Energiequelle stehen außer Netzstrom auch Batterien zur Verfügung, die der Patient in einer Tasche oder am Gürtel trägt. Zunächst erfolgt auf übliche Weise eine mediane Sternotomie, deren Hautschnitt bis oberhalb des Nabels verlängert wird, um eine Tasche vor der linken hinteren Rektusfaszie anlegen zu können, in die man die Pumpe einsetzt. Mittels perioperativer transösophagealer Echokardiographie sollten ein Shunt auf Vorhofebene, ein offenes Foramen ovale und eine Aorteninsuffizienz ausgeschlossen werden. Nach Anschluss an die Herz-Lungen-Maschine und Übergang auf die extrakorporale Zirkulation erfolgen die Luxation des Herzens und eine kreisförmige Exzision im Spitzenbereich des linken Ventrikels. Der linke Ventrikel sollte auf das Vorhandensein von Thromben überprüft werden. Die Ventrikelkanüle kann man dann mittels Filzstreifen fixieren. Der Inflow- und der Outflow-Trakt des Unterstützungssystems werden am Pumpenventrikel befestigt. Die Aortenprothese wird ebenfalls angeschlossen und befestigt. Wir überziehen den Ausflusstrakt zusätzlich mit einer 34er Hemashield-Prothese, um das Blutungsrisiko möglichst gering zu halten. Das Novacor-System lässt sich nun in der Tasche platzieren. Danach wird die Einlassprothese angeschlossen und der Antriebsschlauch transmuskulär auf der rechten Bauchseite ausgeleitet. Zwischen Aorta ascendens und Aortenprothese erfolgt eine End-zu-SeitAnastomosierung. Danach nimmt man eine sorgfältige Entlüftung aller Systemkomponenten vor. An der Aortenprothese entlüftet man durch eine Stichinzision, die anschließend mit einer Filznaht gesichert wird. Nach Starten des Systems können die Aufnahme der Beatmung und die schrittweise Reduktion der Herz-Lungen-Maschine erfolgen. Nach Anlage der üblichen Drainagen und einer weiteren Drainage in der Novacor-Tasche folgt der schichtweise Wundverschluss. Die chirurgische Vorgehensweise ist bei den anderen Systemen dieser Gruppe jeweils ähnlich. 33.8.3.2
. Abb. 33.2. Novacor
HeartMate XVE LVAD
Das HeartMate XVE LVAD (Thoratec Inc., Pleasanton, USA; . Abb. 33.3) arbeitet ähnlich wie das Novacor. Ursprünglich wurde es von Thermocardiosystems entwickelt. Seit einigen Jahren wird es von Thoratec hergestellt und vertrieben. Früher gab es ein pneumatisch betriebenes Modell, das später durch das »vented electric« (VE), ein elektrisch angetriebenes Modell, ersetzt und nun zum XVEModell, welches mittlerweile gebräuchlich ist, modifiziert wurde. Inzwischen wurde das HeartMate weltweit bei über
861 33.8 · Herzunterstützungssysteme
ebenfalls retromuskulär in der Rektusscheide platziert. Die Driveline mit einem Durchmesser von 9 mm verbindet die Pumpe mit der mobilen Antriebseinheit. Die Pumpe wird pneumatisch angetrieben. Das Schlagvolumen ist mit dem des parakorporalen Thoratec identisch (65 ml). Das IVAD kann bei Patienten mit einer Körperoberfläche von >1,3 m2 als rechts-, links- oder biventrikuläres Unterstützungssystem eingesetzt werden. Eine ambulante Nachbehandlung der Patienten ist möglich. Die Pumpe ist für den Langzeiteinsatz geeignet. 33.8.3.4
. Abb. 33.3. HeartMate XVE
5000 Patienten eingesetzt und hat, obwohl es überwiegend als BTT Verwendung findet, dank der positiven Ergebnisse der REMATCH-Studie auch eine Zulassung zur DT. Es handelt sich ebenfalls um eine pulsatile Pumpe. Der maximale Pumpenfluss beträgt bis zu 10 l/min. Die Blutpumpe besteht überwiegend aus Titan, wiegt etwa 1200 g und wird retromuskulär epigastrisch in die Rektusscheide implantiert. Die Pumpe setzt sich aus 2 Kammern zusammen, einer Blut- und einer Luft-/Motorkammer. Ein flexibles Diaphragma trennt die beiden Kammern und bewegt sich durch den Antrieb des Motors auf und nieder. Die Pumpe ist über eine Einlasskanüle (Durchmesser: 25 mm) mit der linken Ventrikelspitze und über eine Auslasskanüle (Durchmesser: 20 mm) mit der Aorta verbunden. Biologische Klappen dienen als Ein- bzw. Auslassventile. Eine perkutane Driveline verbindet die Pumpe mit dem Systemcontroller, der den korrekten Betrieb der Pumpe gewährleistet. Der externe Controller wiegt weniger als 300 g. Um das HeartMate unabhängig vom Netzstrom betreiben zu können, stehen wiederaufladbare Batterien zur Verfügung. Der Strom der beiden Batterien reicht ohne Aufladen für etwa 4–7 h aus. Auch dieses System ermöglicht die ambulante Weiterbehandlung der Patienten. Das besondere Merkmal des HeartMate ist die Oberflächenbeschaffenheit der eigentlichen Blutpumpe in der Art einer Biopseudointima, die als besonders thrombusabweisend gilt. 33.8.3.3
»Implantable ventricular assist device« (IVAD)
Auch das Thoratec IVAD (Thoratec Inc., Pleasanton, USA) besteht im Wesentlichen aus folgenden Komponenten: Blutpumpe, Kanülen mit 2 mechanischen Klappen und tragbare Antriebseinheit. Diese implantierbare Pumpe ist sehr klein, wiegt nur 339 g, hat ein Titangehäuse und wird
Axiale Rotationspumpen
Mit den Rotationspumpen mit axialem Fluss enstand die zweite Generation teilweise implantierbarer Herzunterstützungspumpen. Die Größe dieser Rotationspumpen (»rotary pumps«) konnte deutlich reduziert werden. Die Pumpen arbeiten nicht pulsatil, sondern mit einem kontinuierlichen Fluss. Ihr Konzept basiert auf dem Prinzip der ArchimedesSchraube, die von einem rotierenden Impeller angetrieben wird. Weitere Unterschiede zur ersten Generation der pulsatilen LVAD sind nicht nur der geringere Umfang, sondern auch die Abwesenheit von Klappen zur Flussregulierung und von Compliance-Kammern (Windkesselfunktion) und Ähnlichem sowie ein geringerer Stromverbrauch und zudem insgesamt geringere Kosten durch weniger Verschleißteile, geringere Wartung und niedrigeren Energieverbrauch. Außerdem sind die Geräte deutlich leiser als pulsatile Pumpen. Alle Rotationspumpen mit axialem Fluss erlauben die schnelle Mobilisierung der Patienten und deren ambulante Behandlung. Dadurch steigern sie wesentlich die Lebensqualität. Da sie chirurgisch einfacher zu implantieren sind als die Pumpen der ersten Generation, werden auch unerwünschte Nebenerscheinungen wie Infektionen und Blutungen positiv beeinflusst. Es ist jedoch abzuwarten, inwieweit Unterschiede zwischen pulsatilen und nichtpulsatilen Flüssen langfristig Auswirkungen auf die Patienten haben. In die Gruppe der Rotationspumpen mit axialem Fluss gehören z. B. die Micromed DeBakey LVAD, das HeartMate II LVAD, das Jarvik 2000 und das Incor von BerlinHeart.
Mikromed DeBakey LVAD Die Micromed-DeBakey-Pumpe wurde in Zusammenarbeit mit der NASA von Michael DeBakey und George Noon entwickelt. Zum ersten klinischen Einsatz kam es im Jahre 1998 in Europa, und zwar im Deutschen Herzzentrum Berlin. Es handelt sich um eine miniaturisierte, elektromagnetisch betriebene Titanpumpe, die einen gleichmäßigen, nichtpulsatilen Fluss erzeugt und etwa 100 g wiegt. Das Prinzip beruht auf der archimedischen Schraube. Im Innern einer Röhre, durch die das Blut fließt, befindet sich ein Metallzylinder mit einem Gewindegang. Außen ist die Schraube von Elektromagneten umgeben, die ein schnell
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Kapitel 33 · Herzunterstützungssysteme und Kunstherzimplantation
rotierendes elekromagnetisches Feld erzeugen. Die Rotation wird auf den Metallzylinder übertragen. Bei einer Drehzahl von 8000–12.000/min kann ein Fluss von bis zu 6 l/min erzeugt werden. Die Pumpe wird in das Perikard zwischen linkem Ventrikel und Aorta ascendens implantiert. Das System besteht aus einer L-förmigen Einflusskanüle, die mit der Spitze des linken Ventrikels verbunden ist, der Kammer um die Pumpe und einer Dacronausflusskanüle zum Anschluss an die Aorta ascendens. Eine Ultraschallsonde an der Ausflusskanüle misst direkt und ständig den Pumpenfluss. Die Driveline ist flexibel und verbindet die Pumpe mit dem extern gelegenen Controller. Weltweit wurde die Pumpe mittlerweile über 300-mal implantiert. Dabei führte man mehrere Software- und Hardware-Modifikationen ein. Der größte Nachteil besteht darin, dass sich – designbedingt – Thromben am Rotor bilden können, die den Pumpenfluss u. U. stark beeinträchtigen bzw. die Pumpe zum Stillstand bringen. Das System erfordert eine aggressive Antikoagulationstherapie und strenge, regelmäßige Kontrollen. Daher ist es nicht für ältere Patienten und nicht für die DT geeignet.
HeartMate II LVAD
33
Das HeartMate II LVAD (Thoratec Inc., Pleasanton, USA; . Abb. 33.4) wurde zunächst im Juli 2000 von R. Kormos in Israel implantiert (Lietz et al. 2007). Eine erste erfolgreiche klinische Anwendung erfolgte kurz danach im Herzzentrum NRW im Rahmen einer Machbarkeitsstudie. Es folgten weitere Implantationen in verschiedenen europäischen Studienzentren. Bei den ersten Patienten, die mit dieser Pumpe unterstützt wurden, traten schwere unerwünschte Ereignisse auf, die im Wesentlichen durch eine Thrombenbildung in der Pumpe bedingt waren. Daher wurden das Pumpendesign und insbesondere die Oberflächenkontaktstellen überarbeitet. Seit 2003 wird eine neue Version des HeartMate II implantiert. Inzwischen wurden mehr als 250 Patienten mit diesem System unterstützt. Auch diese Pumpe mit axialem Blutfluss wird elektrisch angetrieben. Sie wiegt etwa 350 g. Die Pumpeneinflusskanüle wird an der Spitze des linken Ventrikels angeschlossen und zieht das Blut aus dem Ventrikel in die Pumpe, die parallel zum Zwerchfell angebracht ist. Die Pumpe, die sich in einem Titangehäuse befindet, besteht aus einem einzigen, sich drehenden Impeller, der minütlich 6000–15.000 Umdrehungen leisten kann und damit Blutflüsse von bis zu 10 l/min erzielt. Die Rotorbaugruppe wird mittels der vom Motor erzeugten elektromotorischen Kraft bewegt. Die Drehung des Rotors leistet die Antriebskraft, mit der das Blut in den nativen Kreislauf gepumpt wird. Die Leistung ist von der Drehgeschwindigkeit des Rotors und der Druckdifferenz zwischen Pumpeneingang und Pumpenausgang abhängig. Das Blut wird über die Ausflusskanüle in die Aorta ascendens gepumpt. Der Systemcontroller ist über die
. Abb. 33.4. HeartMate II
Driveline mit dem LVAD verbunden. Die Energieversorgung stammt entweder aus einer externen Stromquelle oder aus wiederaufladbaren Batterien. Auch das HeartMate II ist klein, arbeitet weitestgehend geräuschlos und erlaubt eine schnelle Mobilisierung der Patienten mit ambulanter Nachbehandlung während der Wartezeit auf ein Spenderherz. Die Indikation zur Implantation eines HeartMate-IIUnterstützungssystems ist bei 70 % der Patienten die BTT. Das System wird jedoch auch zur Organerholung und im Rahmen der DT eingesetzt. Im Moment läuft noch eine Studie zum Einsatz des HeartMate II als DT. Über erste Ergebnisse berichtete L.W. Miller auf dem ACC-Kongress 2007 (Miller et al. 2007). Dabei zeigte sich, dass das System effektiv als BTT eingesetzt wurde. Die Patienten wiesen eine mediane Unterstützungszeit von 126 Tagen auf, und 75 % wurden erfolgreich länger als 180 Tage unterstützt oder waren transplantiert. Es gab nur wenige Driveline- und keine Tascheninfektionen. Technische Probleme mit der Elektromechanik der Pumpe traten ebenfalls nicht auf. Implantation. Zur Implantation erfolgen eine mediane
Sternotomie und der Anschluss an den kardiopulmonalen Bypass. Die Pumpe soll unter dem linken Rippenbogen pa-
863 33.8 · Herzunterstützungssysteme
rallel zum Zwerchfell unter dem linken M. rectus abdominis implantiert werden. Wir bevorzugen die präperitoneale Positionierung, da Adhäsionserscheinungen am Darm auf diese Weise unwahrscheinlich sind. Man präpariert die Tasche und positioniert die Pumpe unterhalb des Zwerchfells. Die Einflusskanüle wird durch das Zwerchfell mit der Spitze des linken Ventrikels verbunden. Dazu legt man eine Linksherzspitzenkanüle ein, nachdem das Perikard umgeschlagen wurde und die linksventrikuläre Spitze freiliegt. Die Auslasskanüle wird mit der Aorta ascendens verbunden. Das perkutane Kabel der Driveline führen wir transmuskulär in den rechten oberen Quadranten des Abdomens, da die Driveline-Infektionsrate bei Tunnelung durch das subkutane Fettgewebe deutlich höher ist.
Jarvik 2000 Das Jarvik 2000 (Jarvik Heart Inc., New York, USA; . Abb. 33.5) wurde von Robert Jarvik entwickelt und wiegt nur 85 g. Es ist 5,5 cm lang und hat einen Durchmesser von 2,5 cm. Es wird elektrisch angetrieben und pumpt kontinuierlich Blut vom linken Ventrikel zur Aorta descendens, und zwar mit einem einzigen sich drehenden Rotor, der in einem Titangehäuse liegt. Das Design dieser miniaturisierten Rotationspumpe ist einzigartig, da sie – im Gegensatz zu den anderen Unterstützungspumpen – direkt im linken Ventrikel zu platzieren ist und nicht an eine Einflusskanüle angeschlossen werden muss. Das Jarvik 2000 gibt es in 2 verschiedenen Versionen. Das System besteht aus der Blutpumpe, einer Dacronausflusskanüle (16 mm), dem perkutanen Antriebskabel (Driveline) und einem Controller, der wie die Batterie zur Stromversorgung extern an einem Gürtel befestigt wird. Batterien und Controller wiegen etwa 1 kg bei einer Betriebsdauer von bis zu 7 h. Die Pumpe besteht aus einem einzigen Antriebsrotor (Impeller), der elektrisch angetrieben wird. Die Drehzahlen liegen bei 8000–12.000 Umdrehungen/min. Dabei entstehen Flüsse von bis zu 6 l/min. Die Oberflächen der Pumpe, die mit Blut in Berührung kommen, sind sämtlich mit Titan beschichtet.
Anfängliche Erfahrungen mit dem Jarvik 2000 zeigten, dass es durch die Verbindung mit der Aorta descendens in der Ausflusskanüle zu Flussstörungen (Stase) im Bereich der Aortenwurzel kommen kann, insbesondere wenn die Kontraktilität des linken Ventrikels nicht ausreicht, um die Aortenklappe zu öffnen. Daher wurde ein intermittierend arbeitender Geschwindigkeitscontroller eingebaut, der die Drehzahl in jeder Minute automatisch für 9 s auf 6000 Umdrehungen/min herabsetzt, wodurch ein verbessertes linksventrikuläres Füllungsvermögen entsteht, was durch die verbesserte linksventrikuläre Ejektion eine Stase an der Aortenwurzel verhindert. Anfänglich wurde das Energieübertragungskabel nicht unterhalb des Zwerchfells ausgeleitet, sondern am Kopf des Patienten, und zwar retroaurikulär. Mittlerweile wurde das System weltweit bei über 200 Patienten eingesetzt. Ein Patient wurde für 5 Jahre damit unterstützt. Hauptindikation zur Implantation war mit 75 % die BTT. Dabei konnte in rund 70 % der Fälle erfolgreich bis zur Transplantation überbrückt werden. Einige Patienten erhielten das Gerät als Langzeitunterstützung (DT). Probleme gab es mit Thromben, die sich an der Basis der Pumpe im Ventrikel bildeten und zu Einflussstörungen führten. Implantation. Die Pumpe wird nach Thorakotomie und
Anschluss an die extrakorporale Zirkulation implantiert. Zunächst werden die Femoralarterie und die Femoralvene zur Kanülierung freipräpariert. Der Zugang zum Herzen erfolgt über eine linksseitige Thorakotomie im 5. oder 6. Interkostalraum. Auf diese Weise lassen sich Herz und Aorta descendens darstellen. Dann folgen der Anschluss des Outflow-Conduits an die Aorta, die Kanülierung der Femoralgefäße und der Übergang auf die extrakorporale Zirkulation. Anschließend wird der linke Ventrikel bei Kammerflimmern mit einem zirkulären Messer eröffnet. Die Herzspitze wird punktiert. Dann kann man das Stromkabel (Antriebskabel) von links nach rechts subkutan tunneln, sodass es unterhalb des Zwerchfells rechts anterior am oberen Abdomen aus der Haut austritt. Die Pumpe wird danach in den linken Ventrikel eingebracht und über das vorher platzierte Ausfluss-Conduit mit der Aorta verbunden. Nun können die Defibrillation des Herzens sowie die sorgfältige Entlüftung des linken Ventrikels, der Pumpe und des Conduits erfolgen. Es schließt sich die schrittweise Entwöhnung vom kardiopulmonalen Bypass an.
BerlinHeart Incor
. Abb. 33.5. Jarvik 2000
Das Berlin Heart Incor LVAD (Berlin Heart GmbH, Berlin) ist 200 g schwer, 12 cm lang und hat einen Durchmesser von 3 cm. In der Pumpe dreht sich ein Rotor mit 5000– 10.000 Umdrehungen/min. Er wird nur mittels magnetischer Lagerung in Position gehalten. Dadurch arbeitet die Pumpe völlig geräusch- und reibungsfrei und ähnelt den Zentrifugalpumpen der dritten Generation. Durch die Haut
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Kapitel 33 · Herzunterstützungssysteme und Kunstherzimplantation
führt ein Stromversorgungskabel nach außen. Dieses wird an die Steuereinheit und 2 Akkumulatoren angeschlossen, die der Patient in einer Umhängetasche bei sich trägt. Mit der Pumpe lassen sich bei 8000–10.000 Umdrehungen/min Flüsse von bis zu 7 l/min erzielen. Die Inflow-Kanüle aus Silikon wird an der Spitze des linken Ventrikels angeschlossen. Diese gebogene Kanüle zieht das Blut in die Axialpumpe, und zwar zunächst in das Vorleitrad, welches für die laminare Anströmung des eigentlichen Rotors sorgt. Erst dananch erfolgt die Rotation des Blutes durch den berührungsfrei agierenden, magnetisch gelagerten Rotor mit einer Umdrehungsrate von 5000–10.000/min. Das Nachleitrad nimmt mit einer speziell ausgerichteten Beschaufelung die Drehbewegung aus dem Blut und baut zusätzlich Druck auf, um das Blut in die Ausflusskanüle zu lenken. Die Ausflusskanüle, ebenfalls aus Silikon, wird mit der Aorta ascendens verbunden. Da das Incor komplett innerhalb des Perikards implantiert ist, entfällt die Präparation einer Tasche. Die Oberfläche von Teilen der Pumpe, die mit Blut in Kontakt kommen, bestehen aus Titan, welches mit Heparin überzogen ist (»carmeda coating«), um eine Thrombosierung zu verhindern. Das Gerät ist seit 2003 CE-zertifiziert und wurde bisher bei etwa 300 Patienten implantiert. Es wird als BTT, zur definitiven Therapie und als BTR eingesetzt. Bisherige Erfahrungen zeigen, dass der Einsatz dieses Unterstützungssystems eine aggressive Antikoagulation erfordert.
33
Die erste Generation der teilweise implantierbaren Pumpen und auch der parakorporalen Systeme hat den Weg für die mechanische Kreislaufunterstützung geebnet und im klinischen Einsatz zunächst beweisen können, dass diese Behandlung vielen Patienten mit terminaler Herzinsuffizienz als letzte Therapiemöglichkeit helfen kann, damals initial zumeist allerdings als BTT. So wurde mehr und mehr der Bedarf an verbesserter Technologie und weiterentwickelten Pumpen offenbar, insbesondere um Komorbiditäten, die mit der mechanischen Kreislaufunterstützung einhergehen, zu reduzieren. 33.8.3.5
CorAide LVAD Das CorAide LVAD war das erste System mit magnetischer Levitation (7 33.8.1.1) der Pumpe. Es wurde erstmals im Mai 2003 im Herzzentrum NRW implantiert. Da es zu massiven Hämolyseproblemen kam, wurde das Pumpendesign nochmals überarbeitet, und die erste multizentrische klinische Studie mit dem CorAide startete im Februar 2005. Das CorAide wird elektrisch angetrieben. Die Pumpe kann in einem kontrollierten, festen Modus arbeiten oder auch im Automodus, bei dem sich die Pumpengeschwindigkeit an der Pulsrate und dem systemischen Blutdruck orientiert. Sie wiegt zusammen mit dem Kabel 303 g und besteht aus Titan. Die tragbaren Energiequellen (2 Batterien, die für etwa 6 h ausreichen) und der tragbare Controller haben ein Gewicht von 1350 g. Auch beim CorAide sind die Oberflächen der Pumpe, die mit Blutbestandteilen in Berührung kommen, mit einem speziellen Schutzfilm versehen, um eine Thrombenbildung zu verhindern. Die Pumpe läuft mit einer Geschwindigkeit von 2000–3000 Umdrehungen/min und kann damit Flüsse von 1,5–8 l/min erzeugen. Teile der Zentrifuge bedienen sich sowohl hydrodynamischer als auch magnetischer Kräfte. Die implantierbaren Bestandteile des Systems bestehen aus der eigentlichen Pumpe und einer Einflusskanüle, die fest mit der Pumpe verbunden ist, sowie dem Ausflussgraft, das im rechten Winkel zur Einflusskanüle angebracht ist. Die Implantation erfolgt intrathorakal nach medianer Sternotomie. Die erste multizentrische Studie mit dem CorAide wurde inzwischen abgeschlosssen. Insgesamt wurden mehr als 20 Patienten untertsützt. Dabei erwies sich das CorAide als zuverlässige Herzunterstützung, auch für längere Zeiträume. Es gab kaum Infektionskomplikationen und eine nur geringe Rate an Thromboembolien. Bei längerer Unterstützungsdauer zeigte sich eine Instabilität der magnetischen Lagerung des Rotors, sodass es zu einer späten Hämolyse kommen konnte. Dieses Problem wird gegenwärtig bearbeitet. Bis zu dessen Lösung ist das CorAide LVAD nicht verfügbar.
Miniaturisierte Zentrifugalpumpen
Die neueste, dritte Generation von Herzunterstützungspumpen sind die miniaturisierten Zentrifugalpumpen. Wie die Pumpen der zweiten Generation, arbeiten sie nonpulsatil und sorgen für einen kontinuierlichen Blutfluss. Dieser ist jedoch nicht axial, da Ein- und Ausflusskanülen im 90°Winkel angeordnet sind. Außerdem laufen sie mit einer niedrigeren Geschwindigkeit, d. h. mit geringeren Umdrehungsraten von 1000–2400/min. Zu dieser Gruppe gehören das DuraHeart LVAD (Terumo Heart Inc., Ann Arbor, USA), das CorAide LVAD (Arrow International Inc., Reading, USA) und das VentrAssist LVAD (Ventracor, Chatswood, Australien).
DuraHeart LVAD Das DuraHeart LVAD (. Abb. 33.6) ist die erste Zentrifugalpumpe mit rein aktiv magnetisch bewegtem, frei schwebendem Impeller. Hierdurch erfolgt die Rotation völlig ohne Kontakt zu Verschleißteilen, sodass von einer hohen Haltbarkeit des Materials ausgegangen werden kann. Die Pumpe liegt in einem Titangehäuse und ist so hermetisch gegenüber Blutbestandteilen und Gewebekontakten abgeschirmt. Alle Bestandteile der Pumpe, die mit Blut in Berührung kommen, sind speziell vorbehandelt, um eine Thrombusformation zu verhindern, insbesondere in Gebieten mit niedrigem Fluss. Die Pumpe wiegt 540 g bei einem Durchmesser von 72 mm und einer Dicke von 45 mm. Weitere Bestandteile des Systems sind ein Inflow-Conduit aus Titan, ein Outflow-
865 33.8 · Herzunterstützungssysteme
Conduit (verstärkte Vascutek-GelWeave-Gefäßprothese mit Titankonnektor), das die Pumpe mit der Aorta verbindet, ein Controller, Batterien, ein Ladegerät und eine Krankenhaus-PC-Konsole. Das DuraHeart kann bei einer Umdrehungsrate von 1200–2400/min einen Fluss von bis zu 8 l/ min erzeugen. Die Flussrate ist von der Aktivität des Patienten und somit vom physiologischen Bedarf, dem sich das System anpasst, abhängig. Das Gerät arbeitet sehr leise. Die Driveline ist ein sehr dünnes und flexibles Kabel. Es gibt diverse Einfluss-Conduits, sodass eine optimale Anpassung an die anatomischen Verhältnisse möglich ist. Eine erste europäische multizentrische Studie, bei der 33 Patienten ein DuraHeart erhielten, ist abgeschlossen. Im Rahmen dieser Studie erfolgte die erste Implantation eines DuraHeart LVAD im Januar 2004 im Herzzentrum NRW. Die Ergebnisse zeigen, dass das DuraHeart auch über einen längeren Zeitraum zuverlässig arbeitet. Die mittlere Unterstützungsdauer der Studienpatienten betrug 231 ± 194 Tage, die kumulative Unterstützungsdauer 7610 Tage (entsprechend 20 Jahren). Ein Patient wurde für mehr als 800 Tage mit dem DuraHeart unterstützt. Bei 12 Patienten war das System für mehr als 6 Monate im Einsatz sowie in 4 weiteren Fällen über ein Jahr. Die Gesamterfolgsquote betrug 79 %, die Überlebensrate nach einem und 2 Jahren jeweils 77 %. Die Ergebnisse der Studie waren für die CE-Zertifizierung, die das DuraHeart als erstes System der dritten Generation Anfang 2007 erhielt, mitentscheidend. Es zeigte sich zudem eine niedrige Rate an Thromboembolien und Hämolysekomplikationen, troz nur moderater Antikoagulation. Auch die Infektionsrate war deutlich niedriger als bei Herzunterstützungssystemen der ersten Generation. Die guten Langzeitergebnisse mit dem DuraHeart haben die Bedeutung einer mechanischen Kreislaufunterstützung als Alternativtherapie zur Herztransplantation untermauert.
. Abb. 33.6. DuraHeart
flusskanüle an der Spitze des linken Ventrikels mit dem Kreislauf verbunden. Diese kurze Kanüle besteht aus Silikon. Von der Pumpe gelangt das Blut über eine Ausflussprothese in die Aorta ascendens. Die Ausflussprothese ist mit Gelatine imprägniert und hat einen Durchmesser von 10 mm (Vascutek Ltd, Renfrewshire, Schottland). Die Pumpe ist über eine dünne Driveline (Durchmesser: 6,4 mm) mit dem Controller verbunden. Die Driveline wird transmuskulär getunnelt und verlässt den Körper im rechten oberen Quadranten des Abdomens. Zwei Batterien werden extern angebracht. Im Jahre 2003 erfogte die erste Implantation eines VentrAssist beim Menschen. Die erste klinische multizentrische Studie mit diesem Herzunterstützungssystem ist abgeschlossen, und eine CE-Zertifizierung besteht. Im Rahmen der Studie kam es zu keinem Ausfall des Systems, und das VentrAssist hat sich auch bei Patienten mit DT-Indikation bewährt.
VentrAssist LVAD Das VentrAssist LVAD (Ventracor; . Abb. 33.7) ist eine weitere Zentrifugalpumpe ohne Lager mit elektromagnetisch angetriebenem Rotor mit hydrodynamischer Aufhängung. Der Durchmesser der Pumpe beträgt nur 67 mm, das Gewicht 298 g. Die Pumpe besteht ebenfalls aus Titan. Der Rotor ist konisch und wird von 4 Rotorblättern angetrieben. Durch dieses Design soll verhindert werden, dass sich in der Pumpe Thromben bilden. Alle Oberflächen von Pumpenbestandteilen, die mit Blut oder Gewebe in Kontakt kommen, sind speziell vorbehandelt (Überzug mit einer Carbonschicht), um die Biokomptabilität zu erhöhen und mögliche Thrombozytenablagerungen zu vermeiden. Die Pumpe kann einen Fluss von bis zu 10 l/min erzielen. Die geringe Größe der Pumpe ermöglicht eine Implantation innerhalb des Thorax oder unterhalb des Zwerchfells (extraperitoneal, hinter der Rektusscheide) im linken oberen Quadranten. Auch diese Pumpe wird über eine Ein-
. Abb. 33.7. VentrAssist
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866
Kapitel 33 · Herzunterstützungssysteme und Kunstherzimplantation
33.8.4
Vollimplantierbares pusatiles Linksherzunterstützungssystem LionHeart
Seit 1999 stand mit dem LionHeart LAVD 2000 (Arrow LionHeart LVAD, Arrow International, Reading, USA) das erste komplett implantierbare Linksherzunterstützungssystem zur Verfügung. Es wurde speziell für den Langzeitgebrauch als Alternative zur Transplantation konzipiert. Entwickelt wurde das LionHeart von einer Gruppe der Pennstate University (USA). Implantiert wurde es erstmals im Jahre 1999 im Herzzentrum NRW, eine Testung erfolgte im Rahmen der CUBS-Studie (Clinical Utility Baseline Study). Obwohl sich nach initialen Hämolyseproblemen zeigte, dass das LionHeart ein zuverlässiges System ist, und Komplikationen wie Infektionen signifikant reduziert werden konnten, hat sich dieses LVAD nicht durchgesetzt. Es traten relativ viele thromboembolische Komplikationen auf, sodass eine Weiterentwicklung zur Systemverbesserung erforderlich wäre. Aus finanziellen Gründen hat sich der Hersteller hierzu jedoch nicht in der Lage gesehen, und daher ist das LionHeart aktuell nicht verfügbar.
33.9
33
Kunstherzsysteme (»total artificial heart«, TAH)
Der Vorteil von Kunstherzsystemen gegenüber einem linksventrikulären Unterstützungssystem besteht primär darin, dass beide Herzkammern unterstützt werden. Indiziert ist ein Kunstherz bei schwerem biventrikulären Herzversagen sowie bei ausgedehnten Shunt-Vitien oder Herztumoren. Unserer Erfahrung nach profitieren auch Patienten mit ausgedehnten Schäden am gesamten Myokard, z. B. nach massivem Myokardinfarkt, von einem TAH. Zurzeit sind 2 komplette Kunstherzsysteme erprobt, zum einen das SynCardia CardioWest TAH (SynCardia Systems Inc., Tucson, USA), zum anderen das Abiocor (Abiomed Inc., Danvers, USA). Das SynCardia CardioWest TAH ist das am häufigsten implantierte TAH. Dabei handelt es sich um ein 4-Kammer-System (2 Ventrikel, 2 Vorhofmanschetten), das orthotop das Herz ersetzt. Die Vorhofmanschetten werden mit den nativen Vorhöfen anastomosiert und die Ventrikel über Gefäßprothesen mit der Aorta bzw. der Pulmonalarterie verbunden. Dieses TAH-System wird pneumatisch mittels einer großen, parakorporalen Konsole über eine perkutane Kabelverbindung angetrieben. Seit 2004 steht ein mobiler Antrieb mit einer modifizierten Version des BerlinHeart-Excor-Drivers zur Verfügung. Das Abiocor ist ein pulsatiles Gerät, das jedoch nicht pneumatisch, sondern elektrohydraulisch angetrieben wird. Das System besteht aus 5 implantierbaren Komponenten (thorakale Einheit, Controller, transkutanes Energieübertragungssystem, Kabel) und einer externen An-
triebskonsole. Der Antrieb wird von der Konsole über das transkutane Energieübertragungssystem übertragen, sodass es hier keine Driveline gibt. 33.9.1.1
SynCardia CardioWest TAH
Eines der am häufigsten eingesetzten Kunstherzsysteme ist das SynCardia CardioWest TAH (. Abb. 33.8). Dabei handelt es sich um eine modifizierte Version des Jarvik-7 TAH. Das SynCardia CardioWest TAH hat sich im klinischen Alltag als BTT bewährt und wurde weltweit über 500-mal implantiert. Der größte Nachteil besteht in einer sehr großen Antriebskonsole, die die Mobilisierung des Patienten stark limitiert und einen stationären Aufenthalt für die gesamte Unterstützungsdauer bis zur Herztransplantation notwendig macht. Außerdem sind die Ventrikel sehr groß, und so kann das System nur bei Patienten mit einer Körperoberfläche von >1,7 m2 zum Einsatz kommen. Technische Beschreibung. Das SynCardia Cardiowest TAH
ist ein biventrikuläres, pneumatisch angetriebenes TAH, das die nativen Ventrikel durch 2 einzelne künstliche Ventrikel orthotop ersetzt. Mit Draht verstärkte und mit Dacron überzogene Conduits verbinden die Ventrikel transkutan mit der externen Antriebskonsole. Das Außengehäuse der Ventrikel ist starr. Im Innern sind 4 segmentierte Diaphragmen aus Polyurethran eingebaut. Ein- und Ausfluss werden über Klappen geregelt (Auslass: 25 mm Medtronic Hall; Einlass: 27 mm Medtronic Hall). Die komplette Länge des Blutflusses innerhalb eines Ventrikels beträgt 21 cm. Die Bewegung des Diaphragmas innerhalb der Ventrikel reicht von einem Ende zum anderen, und dabei werden 70 ml Blut je Pulsschlag bewegt. Ein flexibler, mit Polyurethan überzogener Einflusskonnektor wird mit den Vorhöfen und dann mit dem Klappeneinflussventil der TAH-Ventrikel verbunden. Am Ausfluss sind Dacronkonnektoren der Ausflussprothesen mit den Ausflussklappen verknüpft. Die externe Konsole besteht aus 2 pneumatischen Antrieben, von denen einer als »backup« fungiert. Außerdem sind Batterien für die Mobilisation, Luftreservetanks, ein Alarmsystem und ein Computersystem für das Monitoring der Pumpenfunktion enthalten. Der primäre Antrieb wird so eingestellt,
. Abb. 33.8. CardioWest TAH
867 33.9 · Kunstherzsysteme (»total artificial hearts«, TAH)
dass das gesamte Blutvolumen komplett bei jedem Schlag des TAH in den Kreislauf gelangt. Rechts wird der Auswurfdruck daher 30 mmHg höher eingestellt als der pulmonalarterielle Druck, links 60 mmHg höher als der systolische arterielle Druck. Das Ausmaß der Füllung der Ventrikel wird durch die Schlagfrequenz und die Dauer der Systole bestimmt und sollte bei 50–60 ml/Schlag liegen. So entsteht eine Pufferzone im Luftdiaphragma für den Fall eines erhöhten venösen Rückstroms, z. B. bei vermehrter Aktivität des Patienten. Der Druck in den Ventrikeln des TAH wird auf –10 bis –15 mmHg festgesetzt. Der zentrale Venendruck des Patienten sollte 8–15 mmHg betragen. Das TAH erreicht so einen Auswurf von 7–8 l/min bei einem mittleren arteriellen Druck von 70–90 mmHg und einem Perfusionsdruck von 55–80 mmHg. Dieser hohe Durchfluss garantiert nicht nur eine gute Versorgung der Endorgane, sondern wäscht in gewisser Weise auch die Kontaktflächen des TAH, sodass durch die geringe Stagnation kaum eine Möglichkeit zur Thrombenbildung besteht. Seit Oktober 2003 steht eine modifizierte Version des BerlinHeart-ExcorDrivers als Antrieb für das SynCardia CardioWest TAH zur Verfügung. Es handelt sich um einen portablen Antrieb, sodass die Patienten auch mit dem TAH aus der Klinik entlassen werden können, bis ein Spenderherz gefunden ist. Die Kombination ist nach einer ersten klinischen, zentrumsinitiierten Studie am Herzzentrum NRW zugelassen. Implantation. Für die Implantation eines CardioWest TAH
werden folgende Systemkomponenten verwendet (. Abb. 33.9):
4 4 4 4 4
rechter und linker CardioWest-Ventrikel, 2 Vorhofmanschetten, 2 Outflow-Prothesen, Driveline, Werkzeuge zur Prüfung auf Dichtigkeit.
Vor der systemischen Heparinisierung werden die arteriellen Ausfluss-Conduits abgedichtet. Für diese Abdichtung
. Abb. 33.9. Kunstherzsystem. Übersicht über die Systemkomponenten
benutzen wir am Herzzentrum NRW CoSeal Surgical Sealant, das auf die Prothesen aufgesprüht wird und diese so versiegelt. Danach erfolgt das Zuschneiden der Outflow-Prothesen auf eine geeignete Länge von etwa 4–5 cm für die Aorten- und ungefähr 5–6 cm für die Pulmonalisprothese. Im Anschluss daran kann die Tunnelung für die Prothesen unterhalb des Rippenbogens durchgeführt werden. Es folgen die Heparinisierung des Patienten und der Anschluss an die extrakorporale Zirkulation. Nach Abklemmen der Aorta ascendens durchtrennt man die Aorta und den Stamm der A. pulmonalis knapp oberhalb der Klappenebene. Die beiden Ventrikel des nativen Herzens werden auf Höhe der AV-Ebene abgesetzt. Die AV-Klappen selbst sowie ein etwa 1–2 cm breiter Ventrikelstreifen bleiben erhalten. Danach erfolgt der Verschluss des Sinus coronarius. Es sollte geprüft werden, ob ein offenes Foramen ovale vorhanden ist, welches man ggf. verschließen sollte. Das linke Vorhofohr wird ligiert, um eine mögliche Thrombenbildung an dieser Stelle zu verhindern. Danach werden die zurechtgeschnittenen Vorhofmanschetten mittels fortlaufender Naht und mit Hilfe stabilisierender Polytetrafluorethylenfilzstreifen auf Höhe der AV-Ebene anastomosiert. Hiernach erfolgt die Anastomosierung der 2 Outflow-Prothesen mit der Aorta bzw. der A. pulmonalis mit Hilfe einer fortlaufenden Naht. Alle Anastomosen sollten auf Dichtigkeit überprüft und zusätzlich mit CoSeal Surgical Sealant versiegelt werden. Nach einer Hautinzision an geeigneter Stelle zum Ausleiten der Driveline kann man das System zusammenstecken. Dabei wird der linke Ventrikel zuerst mit der Vorhofmanschette und anschließend mit der Aorta ascendens verbunden. Zur sorgfältigen Entlüftung des Systems werden die Lungen gebläht und die Aortenklemme sukzessive gelöst. Anschließend steckt man den rechten Ventrikel in vergleichbarer Weise zusammen. Nun kann das System in Betrieb genommen werden. Der Abgang von der Herz-LungenMaschine und der Wundverschluss erfolgen in üblicher Weise.
33
868
Kapitel 33 · Herzunterstützungssysteme und Kunstherzimplantation
33.9.1.2
AbioCor
Als erstes vollimplantierbares, batteriebetriebenes Kunstherz wurde das AbioCor seit 1988 für Patienten mit biventrikulärem, terminalem Herzversagen als permanenter Herzersatz entwickelt. In einer ersten klinischen Studie wurde es ausschließlich als Alternative zur Transplantation eingesetzt. Im Rahmen der Studie erhielten 14 Patienten mit einer Lebenserwartung von <30 Tagen ein solches System. Bei den ersten Patienten wurden vermehrt Schlaganfälle beobachtet, und insgesamt traten viele thromboembolische Komplikationen auf. Fünf Patienten verstarben an Folgen thromboembolischer Komplikationen. Hingegen waren keine vom Kunstherz induzierten Infektionen zu beobachten. Probleme mit der Energieübertragung über das transkutane Energieübertragungssystem traten ebenfalls nicht auf. Die Ergebnisse der Studie führten zu Software-Modifikationen, und momentan wird an einer Verbesserung des Systems gearbeitet. Zurzeit ist das AbioCor in Europa nicht verfügbar. An einer verbesserten Version, dem AbioCor II, wird noch gearbeitet.
33.10
Nachbehandlung von Patienten mit Herzunterstützungssystem oder Kunstherz
Bei der Nachbehandlung von Patienten mit mechanischer Kreislaufunterstützung sollten bestimmte Teilkomponenten berücksichtigt werden, für die nach Möglichkeit zentrumspezifische, feste Protokolle (z. B. zu Verbandwechsel oder Antikoagulation) etabliert sind. Im Folgenden gehen wir auf wichtige Eckpfeiler der Nachbehandlung ein und beschreiben unsere Vorgehensweise.
33.10.1 Antikoagulation
33
Ein wichtiger Garant für den Erfolg der mechanischen Kreislaufunterstützung ist eine strenge Antikoagulationstherapie. Das initiale Ziel besteht darin, eine möglichst normale Gerinnungsfunktion sowie eine Stabilisierung der Thrombozytenfunktion zu erreichen. In den ersten 24 h nach Implantation eines Herzunterstützungssystems oder eines kompletten Kunstherzens erfolgt keine Heparinisierung und keine sonstige Antikoagulation. Vielmehr wird zunächst abgewartet, ob Anzeichen für eine vermehrte Blutungsneigung bestehen. In der perioperativen Phase kann außer der Kontrolle der üblichen Gerinnungsparameter der Einsatz eines Thrombelastogramms hilfreich sein. Die Ziel-INR sollte in dieser Phase wenn möglich bei >1,5 liegen, die Thrombozytenzahl bei >100.000/μl und der Zielwert der partiellen Thromboplastinzeit bei 50–60 s. Ist 24 h nach der Implantation keine vermehrte Blutungsneigung festzustellen und befinden sich die Gerinnungsparameter weitestgehend im Normbereich, kann mit einer vorsichtigen systemischen Heparinisierung be-
gonnen werden, um thromboembolische Komplikationen zu vermeiden. Nach 48 h kann eine Heparinisierung mit einem Zielwert der partiellen Thromboplastinzeit um 60 s erfolgen. Sind alle Drainagen entfernt und ist der Patient extubiert und zeigt keine wesentlichen Zeichen für ein Endorganversagen, erhält er zusätzlich Marcumar nach INR (Ziel: 2,5–3,5). Nach 14 Tagen verabreicht man ergänzend Azetylsalizylsäure (1 mg/kg KG). Bei Azetylsalizylsäureunverträglichkeit empfehlen wir die Gabe von Clopidogrel. Das genaue Vorgehen kann je nach System variieren. Im Fall einer heparininduzierten Thrombozytopenie (tritt bei niedermolekularem Heparin selten auf, und zwar mit einer Häufigkeit von <0,1 %, dagegen bei unfraktioniertem Heparin häufiger: bis zu 5 %) ist der Einsatz von Argatroban, einem synthetischen, niedrigmolekularen, direkten Thrombininhibitor, sinnvoll. ! Besonders in der Anfangsphase, aber auch bei Systemen wie Novacor und Axialpumpen ist die zusätzliche Überwachung der Gerinnung mittels Thrombozytenfunktionstests auch im weiteren Verlauf der Nachbehandlung ratsam.
Im Rahmen der Langzeitnachbehandlung erfolgt die Antikoagulation im Wesentlichen nach dem INR-Wert. Dessen Selbstbestimmung durch den Patienten hat sich bewährt.
33.10.2
Hämodynamisches Monitoring
In der perioperativen Phase sollten folgende Parameter regelmäßig gemessen werden: 4 arterieller Blutdruck, 4 zentraler Venendruck, 4 Pulmonalarteriendruck, 4 pulmonalarterieller Verschlussdruck, 4 systemischer Gefäßwiderstand, 4 peripherer Gefäßwiderstand, 4 Herzzeitvolumen. In aller Regel sind die Patienten mit einem Swan-Ganz-Katheter versorgt. Sobald möglich sollte dieser, falls erforderlich, gegen einen normalen venösen Zugang ausgetauscht werden, solange der Patient auf eine i. v. Medikation angewiesen ist. Die hämodynamischen Messwerte sollten mit den Daten der Steuerungscomputer der Herzunterstützungspumpen verglichen werden.
33.10.3
Mobilisation
Postoperativ sind eine frühe Extubation und eine möglichst rasche Mobilisation des Patienten anzustreben, sobald sich der Kreislauf stabilisiert hat.
869 33.10 · Nachbehandlung von Patienten mit Herzunterstützungssystem oder Kunstherz
In unserem Zentrum gelingt die Extubation bei 80 % der unterstützten Patienten innerhalb von 24 h nach der Implantation. Die Mobilisation erfolgt durch geschultes Personal, und zwar bereits auf der Intensivstation. Drei Viertel der Patienten können innerhalb von 3 Tagen auf die Normalstation verlegt werden, wo eine forcierte physikalische Therapie erfolgt. Treppensteigen sollte ebenfalls vor der Entlassung trainiert werden. Langzeitrehabilitationsmöglichkeiten sind zu prüfen und in die Wege zu leiten. ! Die Lebensqualität des Patienten wird wesentlich von seiner körperlichen Leistungsfähigkeit beeinflusst (Pennington et al. 1999).
Die miniaturisierten, teilweise implantierbaren Unterstützungssysteme erlauben in aller Regel die ambulante Nachbehandlung der Patienten. Unserer Erfahrung nach können die meisten Patienten vielen gewohnten Aktivitäten wie Fahrradfahren, Wandern, Bowlen etc. problemlos nachgehen. Unterstützende physikalische Therapiemaßnahmen können ambulant fortgesetzt werden. Einige Patienten sind sogar in der Lage, ihrem Beruf wieder nachzugehen.
In der perioperativen Phase erfolgt bei allen Patienten eine Antibiotikatherapie mit prophylaktischer Verabreichung eines Cephalosprins (3-mal 2 g/Tag). Wir setzen diese i. v. Antibiotikagabe bis zur Entfernung aller Drainagen fort. Eine weitere antibiotische Therapie erfolgt nur bei Vorliegen von Infektionszeichen und dann nach gezielter mikrobiologischer Austestung anhand von Kulturen. Patienten, die zum Zeitpunkt der Implantation bereits über einen längeren Zeitraum antibiotisch abgedeckt waren, erhalten perioperativ Vancomycin plus Tazobactam und Piperacillin für mindestens 4 Wochen. Eine routinemäßige antimykotische Therapie setzen wir nicht ein. Im Rahmen der Langzeitweiterbehandlung erhalten alle Patienten zusätzlich zur Antikoagulation die übliche Herzinsuffizienztherapie: ACE-Hemmer, β-Blocker und Diuretika. Der diastolische Blutdruck sollte bei <90 mmHg gehalten werden. Eine präoperativ bestehende antiarrhythmische Therapie sollte fortgesetzt werden, z. B. mit Amiodaron.
33.10.6 33.10.4
Ernährung
Durch die zumeist vorbestehende chronische Herzerkrankung befinden sich viele Patienten in einem schlechten Ernährungszustand, der bis zur Kachexie geführt haben kann. Es muss daher bereits in der frühen postoperativen Phase auf eine ausreichende Ernährung geachtet werden. Falls erforderlich, kann man die Patienten parenteral oder über eine Magensonde ernähren. Die Albuminwerte und das Gesamteiweiß sollten bei den Laborkontrollen mit überwacht werden.
33.10.5
Weitere Medikation
In der perioperativen Phase kann anfänglich eine weitere Unterstützung der Kreislauffunktion mit Katecholaminen erforderlich sein. Insbesondere der rechte Ventrikel muss bei Linksherzunterstützungen und drohendem Rechtsherzversagen zusätzlich medikamentös unterstützt werden, z. B. durch Phosphodiesterase-III-Hemmer, Levosimendan und/oder synthetische Prostaglandinderivate. Prostaglandine und Stickstoffmonoxid können auch inhalatorisch zugeführt werden. Die Gabe anderer kreislaufwirksamer Medikamente sollte perioperativ nach den hämodynamischen Messwerten erfolgen. Bei Einsatz von Vasokonstriktoren wird ein systemischer Gefäßwiderstand im Normbereich angestrebt. Vasodilatatoren setzt man ein, um einen systemischen und peripheren Gefäßwiderstand im Normbereich zu erzielen. Die Gabe vasoaktiver Substanzen ist von der hämodynamischen Situation des Patienten abhängig.
Wundpflege
Die Pflege der Sternotomiewunde erfolgt in üblicher Weise. Die Vorschriften zur sterilen Behandlung sind strengstens einzuhalten. Dies gilt insbesondere auch für die Pflege der Driveline-Austrittsstelle, jedoch auch für alle anderen perkutanen Zugangswege. ! Die Infektionsprophylaxe ist für diese Patienten essenziell.
Vor der Entlassung in die ambulante Nachbehandlung muss der Patient oder ein Angehöriger in die sterile Wundpflege eingewiesen werden.
33.10.7
Ambulante Nachbehandlung
Die meisten Herzunterstützungssysteme und beide Kunstherzen erlauben eine ambulante Nachbehandlung. Hierfür müssen jedoch vor der Entlassung folgende Kriterien erfüllt sein: 4 Der Patient hat sich von der Implantation voll erholt und ist komplett mobilisiert. 4 Er weist keine Zeichen für ein Endorganversagen auf. 4 Der Patient hat keine fulminanten Infektionszeichen. 4 Er ist in den Gebrauch des Herzunterstützungssystems eingewiesen und beherrscht den Umgang damit sicher. 4 Es besteht eine Herzinsuffizienz im NYHA-Stadium I oder II. 4 Eine adäquate Unterstützung durch die Familie des Patienten bzw. einen Lebensgefährten ist gegeben, und das soziale Umfeld ist intakt. 4 Es liegen Zeichen einer teilweisen Erholung des linken Ventrikels vor.
33
870
Kapitel 33 · Herzunterstützungssysteme und Kunstherzimplantation
So früh wie möglich sollte eine Einweisung des Patienten in den Umgang mit dem Unterstützungssystem erfolgen. Insbesondere eventuelle technische Störungen und Möglichkeiten, diese zu beheben, sollten dem Patienten vertraut sein. Bei Vorliegen perkutaner Zugänge muss der Patient in die Pflege der Austrittsstellen eingewiesen werden. Eventuell kann dies auch der Hausarzt übernehmen. In der Klinik sollte ständig ein Ansprechpartner für die ambulanten Patienten erreichbar sein, idealerweise ein LVAD-Koordinator. Ambulante Nachsorgetermine in der Klinik erfolgen nach Vorgabe des Zentrums in etwa 8-wöchigen Abständen. Außer der allgemeinen klinischen Untersuchung werden durchgeführt: 4 EKG-Kontrolle, 4 Röntgenuntersuchung, 4 Echokardiographie, 4 Blutuntersuchungen, 4 ggf. Wundinspektion. 33.11 Zusammenfassung und Ausblick
33
Obwohl auch die medikamentöse und kardiologisch-interventionelle Therapie für die Behandlung des terminalen Herzversagens weiterhin Fortschritte macht, sind Herzunterstützungssysteme als Therapieoption fest etabliert und werden in den kommenden Jahren eine zunehmende Bedeutung erlangen. Sie sind sowohl für die Therapie des akuten, mit üblichen Therapiemaßnahmen nicht beherrschbaren Herzversagens als auch für die Behandlung des chronischen Herzversagens geeignet. Die mechanische Unterstützungstherapie hat seit ihrem Beginn einen dynamischen Entwicklungsprozess erlebt. Die erste Generation der Unterstützungssysteme konnte zunächst beweisen, dass die mechanische Kreislaufunterstützung eine effektive Therapie darstellt. Die Weiterentwicklung der Systeme führte zu einer immer breiteren Indikationsstellung. Zunächst wurde die mechanische Kreislaufunterstützung beim Postkardiotomieherzversagen als kurzfristige Therapieform eingesetzt (BTR) und dann zunehmend als Überbrückung zur Herztransplantation (BTT). Durch die klinischen Resultate wurde der Entwicklungsprozess ständig neu vorangetrieben. Anfang der 1990er Jahre dominierten die pulsatilen Unterstüzungspumpen, die zumeist mit positiver Verdrängung arbeiteten. Die Ergebnisse zeigten jedoch, dass der Einatz dieser Geräte mit einer Reihe von Komplikationen behaftet war. Die Geräte waren relativ groß – für den Einsatz eines Novacor LVAD oder eines HeartMate I VE muss die Körperoberfläche des Patienten >1,5 m2 betragen. In unserer Klinik traten relativ viele Blutungskomplikationen auf, beim Novacor initial (vor 1996) zu 27 %, später (nach 1996) in 21 % der Fälle. Beim HeartMate I verzeichneten wir
vor 1996 bei 54 % der Patienten Nachblutungen und nach 1996 noch in 29 % der Fälle. Ferner war der Einsatz des Novacor bei 28 % der Patienten mit thromboembolischen Komplikationen behaftet (0,06 Ereignisse/Patientenmonat) und die Verwendung des HeartMate I bei 7,4 % (0,02 Ereignisse/Patientenmonat). Das Novacor bedurfte daher einer aggressiven Antikoagulationstherapie. Des Weiteren arbeiten die Systeme mit einer perkutanen Driveline, und es traten eine Reihe von Driveline-Infektionen auf, in unserem Zentrum bei 24 % der Novacorund bei 21 % der HeartMate-I-VE-Patienten. Eine Conduit-Endokarditis wurde bei 4 % der Novacor- und bei 3,7 % der HeartMate-Patienten verzeichnet. Es kam zu 3 Pumpenausfällen des HeartMate und zu einem Pumpenstopp bei einem Novacor-Patienten. Eine erfolgreiche Überbrückung bis zur Transplantation gelang in etwa 50 % der Fälle (El-Banayosy et al. 2000, 2001). Die Ergebnisse der REMATCH-Studie schließlich zeigten im Jahre 2001, dass der längerfristige Einsatz des HeartMate VE bei Patienten, die keine Transplantationskandidaten sind, erfolgreicher war als das Management dieser Patienten mittels optimaler medikamentöser Therapie. Die Überlebensrate betrug in der HeartMate-Gruppe nach einem Jahr 52 %, hingegen nur 25 % in der konservativ behandelten Vergleichsgruppe. Die Lebensqualität der HeartMate-VE-Patienten hatte sich nach einem Jahr im Vergleich zur anderen Gruppe signifikant verbessert. Unerwünschte Ereignisse – im Wesentlichen Infektionen, Blutungen und technische Probleme mit der Unterstützungspumpe – traten 2,35-mal häufiger auf als bei der Vergleichsgruppe (Rose et al. 2001). Der deutliche Nachweis des Überlebensvorteils in der Gruppe der mittels HeartMate unterstützten Patienten trug wesentlich dazu bei, den Langzeiteinsatz der Unterstützungen zu befürworten und diese Therapie als echte Alternative zur Transplantation einzusetzen. Zusätzlich führte die Entwicklung der magnetisch gelagerten Herzunterstützungssysteme zu einer Renaissance der mechanischen Kreislaufunterstützung. Klinische Ergebnisse konnten inzwischen die Überlegenheit und den Fortschritt dieser Systeme belegen. Die geringe Größe ermöglicht die Implantation auch bei Patienten mit kleiner Körperoberfläche und ist wesentlich atraumatischer. Das einzige sich bewegende Teil reicht aus, um effektiv zu arbeiten, und durch den kontinuierlichen Fluss kommt es nicht zu einer Stase der Blutbestandteile. Hierdurch wurde eine wesentlich weniger aggressive Antikoagulationstherapie ermöglicht. Unerwünschte Nebenerscheinungen wie Hämolyse, Thromboembolien und Blutungen konnten so wesentlich reduziert werden. Die Geräte weisen wesentlich weniger Verschleißteile auf, sodass von einer erhöhten Haltbarkeit auszugehen ist. Bei Patienten, die im Rahmen einer europäischen multizentrischen Studie seit 2004 mit dem DuraHeart versorgt wurden, besteht zurzeit eine Einjahresüberlebens-
871 Literatur
rate von 70 %. Die meisten Todesfälle traten jedoch bei den ersten 11 Patienten auf und hingen mit der damals eingesetzten aggressiven Antikoagulationstherapie zusammen. Bei den letzten 15 Patienten wurde ein wesentlich weniger aggressives Antikoagulationsprotokoll durchgeführt. In dieser Patientengruppe liegt die 2-Jahres-Überlebensrate bei 90 %. Die mit gravierendsten unerwünschten Ereignisse waren Infektionen. Es traten 2 Driveline-Infektionen sowie eine Tascheninfektion plus Infektion der perkutanen Driveline-Durchtrittsstelle auf. Ein Patient erlitt eine Sepsis. Die Infektionsrate von 15 % ist jedoch niedriger als die Infektionsraten mit Herzunterstützungen der ersten und zweiten Generation, die laut Literatur bei 17–55 % lagen. Ein Rechtsherzversagen trat bei 31 % der DuraHeartStudienpatienten auf, zumeist in der frühen postoperativen Phase. Es konnte in allen Fällen medikamentös behandelt werden. Unerwünschte neurologische Ereignisse kamen bei 27 % der DuraHeart-Patienten vor. Dies ist mit der Rate bei HeartMate-VE-Patienten vergleichbar. Pumpenthrombosen oder Hämolyseprobleme wurden bei keinem der DuraHeart-Patienten verzeichnet, was vermutlich auf den magnetisch gelagerten Rotor zurückzuführen ist. Ein Ausfall der DuraHeart-Pumpe trat ebenfalls nicht auf. Bei 2 Patienten kam es jedoch 3-mal zu Flussstörungen, sodass die Pumpe bei beiden Patienten sicherheitshalber im Rahmen eines elektiven Eingriffs ausgetauscht wurde. Die Ergebnisse einer klinischen Multicenterstudie aus den USA mit dem HeartMate II waren ähnlich. Sie wurden von L.W. Miller vom Washington Hospital Center et al. 2007 publiziert. Bei dieser Studie zeigten 31 % der Patienten Blutungskomplikationen. Lokale, nicht mit dem System in Verbindung stehende Infektionen kamen bei 28 % der Studienpatienten vor. Driveline-Infektionen traten in 14 % der Fälle auf. Eine Tascheninfektion erlitt kein Patient. Ein Rechtsherzversagen wurde mit einer Häufigkeit von 13 % beobachtet. Eine Hämolyse wiesen 3 % der Patienten auf, und 6 % erlitten einen ischämischen Insult sowie 2 % einen hämorrhagischen. Andere neurologische Komplikationen (transitorische ischämische Attacken, Krampfanfälle etc.) traten in 17 % der Fälle auf. Ein mechanischer Pumpenausfall war nicht zu verzeichnen, jedoch wurden insgesamt 5 Pumpen (3,7 %) ausgetauscht. Bei 2 betroffenen Patienten war es zu einer Pumpenthrombose gekommen, und in den anderen 3 Fällen bestanden chirurgische Komplikationen bei der Implantation. Es wurden 3 Todesfälle verzeichnet, die mit dem Gerät in Verbindung standen: Bei 2 Patienten waren Batterieprobleme ursächlich, und im dritten Fall war das Einfluss-Conduit abgeknickt. Beim Vergleich der Raten (Anzahl der Ereignisse pro Patientenjahr) des Auftretens unerwünschter Ereignisse zwischen HeartMate II und HeartMate VE zeigt sich eine
höhere Rate für das HeartMate VE. Die Blutungsrate betrug für das HeartMate II 0,78 und für das HeartMate VE 1,47, die Rate der Driveline-Infektionen für das HeartMate II 0,37 und für das HeartMate VE 3,49 und die Schlaganfallrate 0,19 im Vergleich zu 0,44. Nichtneurologische Schlaganfälle wurden für das HeartMate II mit einer Häufigkeit von 0,26 Ereignissen/Patientenjahr verzeichnet gegenüber 0,67 in der HeartMate-VE-Gruppe. Hinsichtlich des Überlebens erreichten 75,2 % der HeartMate-II-Studienpatienten den primären Studienendpunkt (Überleben nach 180 Tagen am System oder bis zur Transplantation). Einundfünfzig Prozent der Patienten wurden transplantiert, 22 % befanden sich nach 180 Tagen weiter am System, und 3 Patienten (2,3 %) konnten entwöhnt werden. Somit wies die HeartMate-II-Studie nach, dass dieses System eine effektive Unterstützung auch über einen längeren Zeitraum bis zur Transplantation gewährleistet. Die reduzierte Rate unerwünschter Ereignisse hat die Lebensqualität der Patienten weiter verbessert – bei erhöhter technischer Sicherheit der Unterstüzungspumpe. Sowohl die Ergebnisse der DuraHeart- als auch der HeartMate-II-Studie zeigen, dass eine Langzeitunterstützung mit diesen Geräten zuverlässig und mit akzeptablen Raten an unerwünschten Ereignissen durchführbar ist. Die letzte Generation der Herzunterstützungsgeräte ist daher als Alternative zur Transplantation einsetzbar. Gerade für ältere Patienten ist ein vermehrter Einsatz als DT denkbar. Das Ende der Evolution der mechanischen Kreislaufunterstützung und ihrer Anwendung ist sicher noch nicht erreicht. Es bleibt abzuwarten, ob eine Generation vollimplantierbarer Geräte das Infektionsrisiko oder andere Komorbiditäten noch weiter senken kann. Auch der Einsatz weiterer adjuvanter Therapiemaßnahmen bleibt Gegenstand von Studien der nahen Zukunft.
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33
872
33
Kapitel 33 · Herzunterstützungssysteme und Kunstherzimplantation
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34
34 Postoperative Sternumkomplikationen C. Schmid 34.1
Einleitung
34.2 34.2.1 34.2.2 34.2.3
Diagnostik – 874 Sternuminstabilität – 874 Wundheilungsstörungen – 874 Infizierte Sternuminstabilität – 875
34.3
Indikationsstellung zur Operation – 875
34.1
– 873
Einleitung
Die mediane Sternotomie wurde Ende des 19. Jahrhunderts entwickelt und dient heute bei >90 % aller herzchirurgischen Eingriffe als Zugang zum Herzen. Sie ist technisch einfach durchzuführen, bietet einen guten Überblick über alle für den Herzchirurgen wichtigen Strukturen und ermöglicht fast alle Eingriffe am zentralen kardiovaskulären System. Der nachfolgende Thoraxverschluss ist technisch wenig aufwändig und für den Patienten normalerweise auch problemlos zu bewältigen. Aufgrund der zunehmend älter werdenden Patienten und der steigenden Ko-Morbidität treten jedoch heutzutage eher mehr als weniger Sternumkomplikationen auf; diese stellen Herz- und plastische Chirurgen ggf. vor erhebliche Herausforderungen. Die Inzidenz postoperativer Sternumkomplikationen nach Herzoperationen wird in der Literatur aufgrund fehlender klarer Definitionen zwischen 0,2 % und 10 % angegeben, in Deutschland mit 1–4 %. Es handelt sich hierbei um ein großes Spektrum von sehr harmlosen, nicht chirurgisch behandlungsnotwendigen Komplikationen bis hin zur lebensbedrohlichen septischen Kreislaufentgleisung. Umfassende Klassifizierungen der septischen Sternumkomplikationen wurden von El Oakley und Wright (1996; . Tab. 34.1) sowie von den US-amerikanischen Centers for Disease Con-
34.4 34.4.1 34.4.2 34.4.3
Operative Therapie – 875 Sternuminstabilität – 875 Wundheilungsstörungen – 876 Infizierte Sternuminstabilität – 876 Literatur
– 877
trol and Prevention (CDC; Mangram et al. 1999; . Tab. 34.2) vorgeschlagen; diese werden jedoch kaum verwendet. Zumeist erfolgt eine mehr oder weniger unterschiedliche Beschreibung der sternalen Instabilität und der Wundinfektionen, wobei der Weichteilbefall, die ossäre und mediastinale Beteiligung sowie das Vorhandensein einer septischen Kreislaufsituation analysiert werden. . Tab. 34.1. Klassifikation der Mediastinitis nach einer Operation mit der Herz-Lungen-Maschine nach El Oakley und Wright (1996) Typ
Befund
1
Mediastinitis innerhalb von 2 Wochen nach einer Operation ohne Risikofaktoren
2
Mediastinitis 2–6 Wochen nach einer Operation ohne Risikofaktoren
3a
Typ 1 mit einem oder mehr Risikofaktoren
3b
Typ 2 mit einem oder mehr Risikofaktoren
4a
Typ 1, 2 oder 3 mit einem fehlgeschlagenen Behandlungsversuch
4b
Typ 1, 2 oder 3 mit mehreren fehlgeschlagenen Behandlungsversuchen
5
Mediastinitis >6 Wochen nach einer Operation
874
Kapitel 34 · Postoperative Sternumkomplikationen
. Tab. 34.2. Definition der Mediastinitis nach den Centers for Disease Control and Prevention (CDC; Mangram et al. 1999)
verlängerter Krankenhausaufenthalt mit einer entsprechenden Kostenzunahme sowie eine verkürzte Lebenserwartung (Sjogren et al. 2006).
Kultureller Erregernachweis aus Mediastinalgewebe oder -flüssigkeit Klinisches Bild einer Mediastinitis bei der operativen Revision Brustschmerz oder Sternuminstabilität oder Fieber (>38°C) plus Eiterentleerung oder kultureller Erregernachweis aus dem Blut oder der Drainageflüssigkeit Mindestens einer der 3 Punkte muss zutreffen.
Die Pathogenese der Sternumkomplikationen ist bis heute noch in weiten Bereichen unklar. Bei reinen, primär aseptischen Sternuminstabilitäten liegt wahrscheinlich ein ausschließlich mechanisches Problem vor. Eine erhöhte Belastung des Sternums, z. B. aufgrund einer ausgeprägten Adipositas, einer falschen Mobilisierung oder eines schweren Durchgangssyndroms, wie auch ein stark osteoporotisches und zerbrechliches Sternum sind die vermuteten Hauptursachen. Bei infizierten Sternuminstabilitäten wird die Entstehung dagegen sehr kontrovers diskutiert. Einerseits wird vermutet, dass eine Sternuminstabilität zur Wundinfektion führt, andererseits aber auch, dass zuerst eine lokale Osteomylitis entsteht, die sekundär zu einer Sternumdehiszenz führt. Eine weitere Hypothese beruht auf einer inadäquaten Drainage des Mediastinums mit retrosternalem Sekretverhalt (El Oakley u. Wright 1996). Als Risikofaktoren wurden 4 Adipositas, 4 Diabetes mellitus, 4 Osteoporose, 4 chronisch-obstruktive Lungenerkrankung, 4 längere Beatmungszeiten und 4 die Verwendung beider Aa. thoracicae internae im Rahmen der Koronarchirurgie
34
in zahlreichen Studien nachgewiesen, wobei die Risikofaktoren additive Effekte aufweisen (Eagle et al. 2004; El Oakley u. Wright 1996). Die beidseitige Verwendung der Aa. thoracica interna wird besonders kontrovers diskutiert, da die Sternumdurchblutung um >90 % abnimmt und somit ein mutmaßlich höherer Nutzen durch die arterielle Revaskularisation einem mutmaßlich höheren Risiko einer Sternumproblematik gegenübersteht (Seyfer et al. 1988). Inwieweit die Verwendung von Knochenwachs eine Sternuminstabilität begünstigt, ist ebenfalls noch unklar (Nelson e al. 1990; Prziborowski et al. 1008). Die Letalität ist bei infektiösen Sternumkomplikationen heutzutage dank hoher Antibiotikawirksamkeit und verschiedenartigen Behandlungsmöglichkeiten deutlich gesunken, variiert aber – bedingt durch die Ko-Morbidität – immer noch zwischen 5 % und 50 % (Domkowski et al. 2003). Problematisch sind darüber hinaus ein wesentlich
34.2
Diagnostik
34.2.1 Sternuminstabilität
Eine Sternuminstabilität bezeichnet per se eine aseptische Lockerung der Sternalhälften ohne assoziierte Infektion. Sie ist im Vergleich zur infizierten Sternuminstabilität seltener und wird im postoperativen Verlauf meist später, d. h. nach Wochen bis Monaten, diagnostiziert. Bei unauffälligen äußerlichen Wundverhältnissen beklagen die Patienten anhaltende oder rezidivierende Schmerzen oder berichten über Krepitationsphänomene. Die Laborwerte sind normal. Die Diagnosestellung kann in eindeutigen Fällen palpatorisch erfolgen, häufig ist jedoch eine thorakale Computertomographie erforderlich. Hier zeigt sich dann ein deutlicher Sternotomiespalt bzw. eine Sternumdehiszenz, die lokalisiert sein oder das gesamte Sternum betreffen kann. Als Ursachen dafür lassen sich gelockerte oder ausgerissene Draht-Cerclagen nachweisen, nicht selten auch ein multipel frakturiertes Sternum. In seltenen Fällen findet sich auch eine Pseudarthorse, die jedoch zumeist fest ist, d. h. ausreichend Stabilität verleiht und keine operative Korrektur notwendig macht.
34.2.2 Wundheilungsstörungen
Wundheilungsstörungen nach Sternotomie sind in der Regel Ausdruck einer Weichteilinfektion. Hauptsächlich betroffen sind adipöse Patienten und Diabetiker. Perioperativ applizierte Antibiotika erreichen das Fettgewebe nur schlecht, und dicke Hautfalten sind schwierig sauber zu halten. Bei Diabetikern konnte gezeigt werden, dass die Inzidenz sternaler Infektionen durch eine strikte Kontrolle des Blutzuckerspiegels deutlich abnahm (Zerr et al. 1997). Schlechte, nicht heilende Weichteilverhältnisse entstehen auch bei Re-Operationen und nach mehrmaligen chirurgischen Revisionen über denselben Zugang, die zu einem erheblichen Weichteiltrauma führen (The Parisian Mediastinitis Study Group 1996). Die Diagnosestellung erfolgt durch klinische Blickdiagnostik einer geröteten und sezernierenden Wunde, welche sich in 70–90 % der Fälle findet, zumeist 9–11 Tage nach der Operation (Wouters et al. 1994). Auch schmerzhafte Indurationen und fluktuierende/abszedierende Schwellungen sind nicht selten. Blutparameter einschließlich Blutkulturen können die Diagnose bestätigen, aber niemals ausschließen. Ein Röntgenbild des Thorax ist wenig hilfreich. In Abhängigkeit von der Tiefe werden oberflächliche von tiefen Wundinfektionen unterschieden.
875 34.4 · Operative Therapie
Oberflächliche sternale Wundheilungsstörungen betreffen nur das mehr oder weniger dicke Subkutangewebe, während tiefe Wundheilungsstörungen bis auf das Sternum reichen. Die häufigsten Keime sind Staphylococcus aureus und Staphylococcus epidermidis, die mit i. v. verabreichten, aber auch mit lokal applizierten Antibiotika gut zu eliminieren sind. Seltener finden sich Enterokokken, Escherichia coli, Klebsiella oxytoca, Propionibacterium acnes und andere.
34.2.3 Infizierte Sternuminstabilität
Die Kombination einer Sternuminstabilität mit einer Infektion ist häufiger als eine isolierte (aseptische) sternale Lockerung. Die zugrunde liegenden Mechanismen sind unklar (s. oben). Die Risikofaktoren entsprechen denen der Wundheilungsstörung, wobei in praxi 4 eine ausgeprägte Adipositas (häufig in Verbindung mit einem osteoporotischen Sternum), 4 ein verlängerter postoperativer Intensivstationsaufenthalt (aufgrund von respiratorischen Problemen oder schweren Durchgangssyndromen) und 4 eine mangelnde Patienten-Compliance im Rahmen der Mobilisierung heutzutage als Hauptursachen angesehen werden. Dieselben Risikofaktoren sowie 4 hohes Alter, 4 eingeschränkte Nierenfunktion und 4 hohe Dringlichkeit wurden auch in den Leitlinien der amerikanischen Gesellschaften ACC (American College of Cardiology) und AHA (American Heart Association) für die Mediastinitis nach aortokoronarer Bypassoperation formuliert (Eagle et al. 2004). Allerdings wurde hier die Dialysepflicht als mehr und der Diabetes mellitus als weniger bedeutsam bewertet. Die Diagnostik ist relativ einfach. Die Patienten beklagen thorakale Schmerzen und Krepitationen. Aus der Wunde, in der sich das Sternum sondieren lässt, entleert sich putrides Sekret, während die Infektparameter steigen und sich der Allgemeinzustand verschlechtert. Sofern der Befund bis jetzt noch nicht eindeutig ist, sichert ein thorakales Computertomogramm die Diagnose. In jedem Fall sollten zusätzlich Wundabstriche durchgeführt werden, um das Keimspektrum zu bestimmen.
34.3
Indikationsstellung zur Operation
Kleine lokale sternale Instabilitäten können belassen werden, insbesondere wenn sie wenig symptomatisch sind, da deren Korrektur keinen sicheren Nutzen bringt und mit
nicht negierbaren Risiken assoziiert ist. Hierbei ist nicht die Spaltbreite im Sternum entscheidend, sondern das klinische Bild, d. h. die Beschwerden und die palpable Krepitation. Größere Instabilitäten im Sinne einer weitgehenden oder vollständigen Sternumdehiszenz stellen eine klare Operationsindikation dar und werden nur dann konservativ behandelt, wenn sie dem Patienten keine oder nur geringe Beschwerden bereiten und eine operative Revision mit inadäquaten Risiken behaftet ist. Stark sezernierende Infektionen erfordern fast immer chirurgische Maßnahmen und eine i. v. Antibiotikagabe. Eine ausschließliche Antibiotikagabe ist nicht ausreichend. Es ist dennoch wichtig, den Keim und seine Resistenzlage zu bestimmen, um schwierige Keime wie z. B. einen methicillinresistenten Staphylococcus aureus erfolgreich therapieren zu können. Nach dem Eröffnen und dem Säubern der Wunde sind chirurgische und konservative Maßnahmen teilweise alternativ anwendbar. Abszessbildungen, Sekretverhalte und Nekrosenbildungen erfordern jedoch stets eine chirurgische Intervention.
34.4
Operative Therapie
Bei einer sternalen Instabilität besteht das Ziel darin, möglichst wieder ein belastungsstabiles Sternum herzustellen, während bei einer Infektion eine vollständige Elimination derselben im Vordergrund steht. Des Weiteren ist es vordringlich, den Patienten möglichst schnell wieder zu mobilisieren, um ggf. auch eine ambulante Therapie durchführen zu können. Die Therapiemaßnahmen orientieren sich am Befund.
34.4.1 Sternuminstabilität
Bei der operativen Revision wird die Sternotomienarbe wiedereröffnet. Sind die Drähte bei eindeutig aseptischen Verhältnissen nur gelockert, können sie nachgezogen werden. Sind die Drähte ausgerissen, werden sie entfernt und die beiden Sternalhälften freipräpariert. Auch wenn nur eine partielle Sternuminstabilität vorliegt, sollte die Sternotomie vollständig eröffnet werden, da neue Drähte andernfalls nicht adäquat eingebracht werden können. ! In jedem Fall ist darauf zu achten, dass bei der Freilegung der Sternumränder keine mediastinalen Strukturen (z. B. koronares Bypassgefäß) verletzt werden.
Für die erneute Stabilisierung des Sternums stehen mehrere Vorgehensweisen zur Verfügung, wobei kein sog. Goldstandard existiert und kein Verfahren klar vorteilhaft erscheint: 4 Re-Verdrahtung. Die frakturierten Sternalhälften werden zunächst stabilisiert. Hierzu können jeweils einzelne Drahtschlingen, ggf. wie bei der Erstverdrah-
34
876
Kapitel 34 · Postoperative Sternumkomplikationen
tung, oder 2 zusätzliche, fortlaufende, durchflechtende Drahtschlingen (Robicsek-Technik, . Abb. 34.1; Robicsek et al. 1977) zur Anwendung kommen. Danach werden die beiden konsolidierten Sternalhälften in üblicher Weise mit einzelnen Draht- oder Achterschlingen oder mit Sternalbändern readaptiert. 4 Verplattung. Für die Verplattung eines multipel frakturierten Sternums bestehen 2 Möglichkeiten: 5 Eine großflächige Titanium-Aluminium-Platte mit seitlichen Nahtlöchern, die in verschiedenen Formen und Größen erhältlich ist (Astudillo-Ley-Prothese; Astudillo et al. 2001), kann auf das Sternum gelegt werden. Daran lassen sich die Sternumfragmente mittels Drähten befestigen. Das auf diese Weise rekonstruierte Sternum ist bedingt übungsstabil. 5 Alternativ lassen sich winkelstabile Titanplatten, wie sie in der Unfallchirurgie verwendet werden, quer über das Sternum und die Rippen legen und an Letzteren festschrauben. Der Vorteil dieses Verfahrens besteht darin, dass eine relativ gute thorakale Stabilität erreicht wird, selbst bei ausgedehnter Sternumdestruktion. Allerdings ist der operative Aufwand erheblich größer als bei den anderen Verfahren. Mittlerweile sind auch neuere Fixationssysteme und Platten erhältlich, die jedoch in erster Linie für den prophylaktischen Einsatz bei der Erstoperation von Risikopatienten vorgesehen sind.
34
Bei einer ausgedehnten Fragmentierung des Sternums, die meist auch mit ossären Defekten einhergeht, kann eine Re-Stabilisierung des Sternums unmöglich sein. Wenn Sequesterbildungen evident sind, müssen die zerstörten knöchernen Anteile des Sternums entfernt werden. Solche kleinen ossären Defekte lassen sich über eine Pektoralisverschiebeplastik decken (Jurkiewicz et al. 1980). Problematischer ist es, wenn das gesamte Sternum entfernt werden muss. Sofern noch kein granulierendes Mediastinum vorliegt, kann eine Defektdeckung durch plastische Maßnahmen notwendig werden. Es ist daher immer sinnvoll, auch einen Teil des Sternums zu erhalten, v. a. wenn dieser dem Brustkorb Stabilität verleiht.
34.4.2 Wundheilungsstörungen
Eine erfolgreiche Therapie einer sternalen Wundinfektion erfordert neben einer adäquaten Antibiotikagabe auch eine Elimination der Infektion. Oberflächliche Wunden können durch Exzision der Nekrosen und ausgiebige Spülung mit H2O2 (wird kontrovers diskutiert: Zelltoxizität), Polyvinylpyrrolidon-Jod oder anderen wundreinigenden Lösungen so weit gesäubert werden, dass sie sich unmittelbar wieder chirurgisch verschließen lassen. Hierzu eigenen sich am besten Einzelknopfnähte, da die Wunde hierdurch bei einer Re-Infektion ggf. partiell wieder eröffnet werden kann.
. Abb. 34.1. Robicsek-Technik zur Re-Verdrahtung eines instabilen Sternums
Tiefe Wundinfektionen sind schwieriger zu behandeln, da ein Übergreifen der Infektion auf das Sternum bzw. die Draht-Cerclagen visuell nicht sicher beurteilbar ist. Auch hier muss das Weichteilgewebe durch Nekrosektomie und Spülung radikal und vollständig gesäubert werden. Gelingt dies gut und verbleiben keine größeren Weichteildefekte, ist ein Primärverschluss möglich. Geraten die Wundränder unter Spannung, kann der Wundverschluss durch Mobilisierung der Pektoralismuskulatur erleichtert werden. Bei großen Defekten und insbesondere bei einer ausgedehnten und unklaren Infektionssituation haben sich mittlerweile die sog. Vakuumsysteme als sehr vorteilhaft erwiesen: Die gesamte Wunde oder der infizierte Teil der Wunde bleibt offen und wird mit einem Schwamm abgedeckt. Über den Schwamm wird eine Drainage gelegt und die Wunde dann mit einer Folie verschlossen. Durch Sog an der Drainage (etwa 100 mmHg) kommt es zu einer Entfernung der Wundsekrete. Zudem wird die Kontraktion der Wundränder unterstützt und ein Granulationsreiz für die Wunde geschaffen. Bei einer ausreichenden Granulation kann die Wunde dann zweizeitig verschlossen oder ohne Vakuumsystem weiter konservativ versorgt werden. Cowan et al. (2005) konnten zeigen, dass sich die Anzahl der chirurgischen Interventionen und die Dauer des Krankenhausaufenthalts durch die Vakuumtherapie deutlich senken ließen.
34.4.3 Infizierte Sternuminstabilität
Eine Wundheilungsstörung in Verbindung mit einer Sternuminstabilität stellt die größte therapeutische Herausfor-
877 Literatur
derung dar. Die Behandlungskonzepte sind nicht standardisiert, jedoch ist in jedem Fall eine möglichst vollständige Infekteradikation wichtig. Im ersten Schritt wird die infizierte Wund eröffnet und das zerstörte Gewebe entfernt. Das Sternum wird – unter Entfernung vorhandener Draht-Cerclagen – wieder eröffnet. Das Mediastinum wird inspiziert, um zu prüfen, ob sich auch hier eine Infektion findet. Liegt der Verdacht dafür nahe, empfiehlt es sich, das gesamte Mediastinum mit mehreren Litern NaCl- oder Ringer-Lösung zu spülen. Auch die Verwendung von H2O2 (s. oben) und Polyvinylpyrrolidon-Jod ist möglich. Bei ausgedehnter Infektion wird nun zumeist eine SpülSaug-Drainage angelegt, d. h. die zuführenden Schläuche liegen jugulär und die abführenden Drainagen subxiphoidal (Shumaker u. Mandelbaum 1963). Dem Vorteil des primären Thoraxverschlusses steht hierbei die Gefahr einer Intoxikation durch die Spüllösung und einer Bildung von nicht durchspülten Toträumen, in denen die Infektion persistiert, entgegen. Optional kann nun auch das Omentum majus hochgeklappt und auf die mediastinalen Strukturen gelegt werden, jedoch bedingt dies einen Zweihöhleneingriff, der bei älteren Patienten mit einem deutlich erhöhten Risiko assoziiert ist (Lee et al. 1976). Zum Wiederverschluss werden die Sternalränder zunächst mit einem scharfen Löffel gesäubert und ggf. mit einer Sternumsäge geglättet. Die Pektoralismuskulatur wird mobilisiert (Jurkiewicz et al. 1980). Die Stabilisierung erfolgt analog zu den Verfahren bei einer aseptischen Lockerung (s. oben), jedoch versucht man in der Regel mit möglichst wenig Fremdmaterial bzw. Implantaten auszukommen. Andererseits ist die definitive Festigkeit der Sternumhälftenadaptionen die Grundlage und die Voraussetzung für den weiteren Heilungsverlauf. In Abhängigkeit vom deckenden Weichteilgewebe entscheidet man nachfolgend, ob die Wunde wieder primär verschlossen oder ob das Sternum partiell oder ganz so lange offen behandelt wird, bis die Wunde sauber ist und gut granuliert. Für letzteres Vorgehen wird heutzutage ein Vakuumverband eingesetzt, da dieser hocheffizient, pflegeleicht und für den Patienten angenehm ist. Eine vollständig offene Behandlung mit Kompressen und Tüchern wird heutzutage kaum noch durchgeführt, da sie häufig eine längere Beatmung des Patienten erfordert, das Risiko einer Verletzung des rechten Ventrikels deutlich erhöht und einer zügigen Mobilisierung entgegensteht. ! Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass zur Stabilisierung eines instabilen Sternums heutzutage mehrere Optionen bestehen. Infizierte Sternumwunden werden eröffnet und möglichst radikal gesäubert. Für eine infizierte Sternuminstabilität gibt es 2 Behandlungsalternativen, und zwar die Spül-Saug-Drainage mit primärem Sternumverschluss und die Vakuumtherapie mit zweizeitigem Sternumweichteilverschluss.
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34
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Sachverzeichnis A A. epigastrica inferior 577 A. gastroepiploica dextra 577 A. lusoria 527, 547 A. mammaria interna (LIMA) – Präparation 574 A. radialis 576, 577 A. vertebralis – isolierter Abgang 527 A. mammaria interna 512 A. mesenterica superior 721 aberranter Abgang des Truncus brachiocephalicus 543, 546 AbioCor 866, 868 Abott-Arterie 527, 528 Acorn-Device 598 acute respiratory distress syndrome (ARDS) 205 Adams-Stokes-Anfälle 755 Adenosin 196 Adrenalin 151, 154, 188, 189 adulte Stammzelle 125 AESOP – Automated Endoscopic System for Optimal Positioning 684 AICD 756, 757, 766, 768–771 Aktionspotenzial 727 akute Abstoßung 826 akute Dissektion 711, 717 akute myokardiale Ischämie 513 akute Niereninsuffizienz 172 – Schweregradeinteilung 172 akutes Lungenversagen 164 akutes Nierenversagen 171 akzessorische Leitungsbahn 760, 763, 764 akzessorischer AV-Knoten 496 ALCAPA-Syndrom 507, 512, 513 Alfieri-Plastik 657 Allen-Test 576 Alpha-Stat-Blutgasprotokoll 797 alveoloarterielle Diffusionskapazität 808 Analgosedierung 141, 167, 176, 194 Anastomosentechnik – automatisierte 579 Aneurysma Ductus Botalli 557 Angiosarkom 776 Anomalien der Koronararterien 559 antegrade Hirnperfusion 464
anterolaterale Thorakotomie rechts 228 Antiarrhythmika 161 Antibiotikaprophylaxe 143 Antikoagulation 356 antitachykarde Funktion 734 Antithrombin III (AT III) 144 – -Mangel 95 Antithymozytenglobulin 826, 827, 843 Anulusabszess – Mitralklappe 659 Aorta ascendens – bei Fallot Tetralogie 394 Aorta ascendens: Atherosklerose 585 aortaler Homograft 698 Aortenatresie 334, 461 Aortenbogen – unterbrochener 535 Aortenisthmus 465, 525, 526 Aortenisthmusstenose 334, 335, 342, 461, 470, 483, 525 – infantil/adult 526 – kritisch 526 – prä-/postductal 526 – Residuum, Rezidiv 532–533 Aortenklappe 602 Aortenklappendilatator 602 Aortenklappenendokarditis 628 Aortenklappenersatz 601, 627, 673 – bei älteren Patienten 623 – perkutaner 627 – transapikaler 627, 673 – transfemoraler 673 – und Dialyse 623 – und Schwangerschaft 623 Aortenklappeninsuffizienz 372, 428, 455, 603 Aortenklappenrekonstruktion 609, 612 Aortenklappenstenose 603 Aortenwurzel 422, 454, 602, 613 Aortenwurzelabszess 628 Aortenwurzelaneurysma 453, 694 Aorto-aortaler Bypass 532–533 aorto-coronary bypass, ACB 570 aortomitraler Übergang 641 aortopulmonales Fenster 473, 511, 557 aortorechtsventrikulärer Shunt 414 aortorechtsventrikulärer Tunnel 521 Aortotomie 619
Aortotrunkopexie 546, 547 Arginin-Vasopressin 190 Aristotle-Score 29, 32, 33, 35 arterielle Switch-Operation 488, 493 arteriokoronare Anastomose 511 ASD – secundum 224 – sinus venosus 224 – -Okkludersysteme 670 Asplenie 335 Asytolie 149 Atherosklerose der Aorta ascendens 585 atriale Switch-Operation 497, 501 atrialisierte Kammer 296 Atrioventrikularkanaldefekt 239 Atrioventrikularseptumdefekt 239 – imbalancierter 534 – intermediärer 245 Atrium Commune 224 Atriumseptumdefekt 222–231 Aufenthalt auf der Intensivstation 136 Autograft, Pulmonalklappe 620 Autografttechnik – tracheale 551 autologes Perikard 370 automatic internal cardioverter/ defibrillator (AICD) 756 automatische implantierbare Defibrillatoren, AICD 766 AV-Block 197, 494–496, 729 AV-Kanal-Defekt 240 AV-Knoten 728 AV-Knoten-Reentry-Tachykardie 159, 303 AV-Synchronizität 195 AV-Überleitung 372 AVSD – bei Fallot Tetralogie 250 – Einflickentechnik 248 – intermediärer 244 – komplizierend bei anderen Herzfehlern 242 – linksventrikuläre Ausflusstraktobstruktion 252 – modifizierte Einflickentechnik 248 – Re-Operationen 251 – Reizleitungssystem 242 – Zweiflickentechnik 245 Azathioprin 844 Azidose 475 Azygoskontinuum 840
A
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Sachverzeichnis
B Balkenagenesie 203 Ballonpumpe – intraaortale 572 Ballonvalvuloplastie, kritische Aortenstenose 431 – Mitralklappe 283 Bändelung der Pulmonalarterie 498 Barlow-Syndrom 654 Basiliximab 844 Basismonitoring 138, 147 bathmotrop 727 Bauchaortenaneurysma 799 Bauchlagerung 167 Beating-heart-Technik 667 Beatmungsform 163 Becker, Peter 12 beidseitige Lungentransplantation 823 Beinvenenthrombose 803, 804 Bentall-Operation 623, 697 Beraprost 200 Beschwerdemanagement 59 bidirektionaler Glenn 463 bikavaler Einflussstopp (»inflow occlusion«) 215, 222 Bikuspidalisierung – Trikuspidalklappenrekonstruktion 662 bikuspide Aortenklappe 422, 442, 604 bilaterale Lungentransplantation 819, 823, 840 Bio-Bentall 623, 703 biodegradables Polymer 119 biologische Prothese – Mitralklappenersatz 646 Bioreaktor 112, 115, 122 biventrikuläre Stimulation 158, 744 Blalock, Alfred 214 Blalock-Parks 528 Blalock-Taussig-Shunt 380, 463 – modifiziert 384 Bland-White-Garland-Syndrom 280, 507 Bläschenoxygenation 78 Blausucht 380 Blutgasanalyse 140, 198 Blutkardioplegie 105 – nach Buckberg 103 Blutungskomplikation 617 Bock, Herbert 12 Borst, H.G. 12 BQS 136, 173
Brady-Tachy-Syndrom 734, 735 Bradyarrhythmie 189, 195 bradykarde Rhythmusstörung 357, 728 Bradykardie-Tachykardie-Syndrom 729 Bradykardie 157, 496, 734 Bretschneider, Hans Jürgen 17 Bretschneider-Lösung 834 bridge to transplantation 831 Brom-Technik 451 Bronchiolitis obliterans 827, 829 Bronchusanastomose 823 Bronchuskomplikation 826 Brugada-Syndrom 771 Bücherl, Emil 17 Bundesgeschäftsstelle für Qualitätssicherung (BQS) 136, 173 Bypass 528
C Calafiore 105 Calcineurininhibitor 844, 845 Carboxyhämoglobin 139 CardioWest TAH 866, 867 Carrel, Alexis 4 Celsior-Konservierungslösung 834 chimney patch 412 Chirurgie der KHK 571 Chloralhydrat 194 Choreoathetose 204 Chromosomendeletion 22q11 368 chronische Abstoßung 827 chronische Dissektion 711, 717 chronische Reizschwelle 754 chronisches Vorhofflimmern 736 chronotrop 727, 728 Clamshell-Inzision 399, 707, 821, 822 Clamydia pneumoniae 603 Cleft 246 Clonidin 157, 194 CMV-Infektion 828 CO2-Insufflation 666, 675 – in den Situs 594, 606 Coarctatio pulmonalis 382, 386, 390, 398, 411, 413, 542, 548 Cockcroft-Gault-Gleichung 171 Composite-Prothese 705 Compositprothese 623 Computertomographie – kardiale 570 Conduit 491 – klappenlose 491 – klappentragende 491
Congenital Heart Surgery Nomenclature and Database Project 224, 332 Contusio cordis 789, 790 Cortisontherapie 181 Cor triatriatum dextrum 238, 239 Cor triatriatum sinistrum 239, 254 Cox-Maze-Prozedur 303 Cox-Regression 40, 43 Crafoord, Clarence 214 Critical illness polyneuropathy 176 Cyclosporin A 825, 832, 843
D D-Dimer-Spiegel 804 Da-Vinci-System 684 Daclizumab 844 Dacron 117 Damus 351 Darmischämie 174 David-I-Methode 701 David-Operation 455, 613, 614 De-Vega-Plastik 661 debranching des Aortenbogens 718 definitive Palliation 339 Degenerationsrate biologischer Prothesen 618 dekompressive Kraniektomie 175 Dekubitus 179 Dekubitusprophylaxe 180 Delphi-Prozess 43 Derra, Ernst 8, 9 Desobliteration der Pulmonalarterien 810 Deutsche Gesellschaft für Thorax-, Herz- und Gefäßchirurgie 13, 63 Deutsche Stiftung für Organtransplantation (DSO) 832 de Wall, Richard 217 Dezelerationstrauma 789 Di-George-Syndrom 475 Dialyse 623 diastolische Dysfunktion 595 dilatative Kardiomyopathie 508 DINAMIT-Studie 766 Dip-Plateau-Phänomen 784 Dispersionsoxygenator 10 Disseketion des AV-Sulcus 647 distaler Bogen 715 Dobutamin 151, 154, 189 Dominoherz 840 Dopamin 151, 154, 189, 201
881 Sachverzeichnis
Dopexamin 152 Doppel-Switch 494, 497, 498 Doppelflügelklappe 617 doppelter Aortenbogen 543, 544 doppelter RIVA 382 DORV – Koronaranomalien 408 DORV mit subaortalem VSD (Fallot-Typ) 405, 406 DORV mit subarteriellem VSD 409 DORV mit subpulmonalem VSD 405, 406 DORV plus Malposition der großen Arterien 404 Doty-Technik 451 Double-chambered right ventricle 415 Double-inlet-Ventrikel 332 double outlet both ventricles 407, 409 Double-switch 501, 503 Drainage des Liquor cerebrospinalis 720 dreidimensionale Echokardiographie 435 Driveline 860, 862, 863, 865, 866, 869–871 Druckgeschwür 179 Ductus arteriosus (Botalli) 429, 462, 489, 552, 554, 561 – bei Säuglingen und Kleinkindern 554 – des Frühgeborenen 552 – fehlend 401 – im Erwachsenenalter 555 – infiziert 556 – Minimalinvasiver Zugang 668–669 – verkalkt 556 duktusabhängig 538 duktusabhängige Systemzirkulation 425 Duktus Aneurysma 557 Duktusdivertikel 557 Durchgangssyndrom 175 Dyshämoglobine 139 Dyspnoe 165
E EACTS Adult Cardiac Database 70 EACTS Congenital Database 70 Ebstein-Anomalie 290, 293, 495 – Klappenkonstruktion 296–305 – Trikuspidalklappenersatz 299
ECMO 167, 205, 206 ECST-Studie 795, 796 Edge-to-edge-Technik 677 Eineinhalbventrikelkonzept 352, 408, 411–413 Eisenmenger-Syndrom/-Reaktion 367, 808, 840 ektope atriale Tachykardie 196 Elastinarteriopathie 452 Elastingen 449 Elefantenrüsselprothese 705, 712 Elektrodenbruch 750 Elektrodendislokation 749 Elektrodeninfekt 752 Elephant-trunk-Technik 705, 712 Elfengesicht 449 EMAH: Erwachsene mit angeborenen Herzfehlern 391 embryonale Stammzelllinie 128 Emmrich, Karl 21 Emphysem 817 En-bloc-Herz-Lungen-Präparat 841 Endatherektomie – koronare 584 – von Koronargefäßen 584 endogene Stammzelle 129 Endokardfibroelastose 421, 426, 470, 838 endokardiale Fibroelastose 410 Endokarditis 427, 856 Endokarditisprophylaxe 376 Endokardkissendefekt 239, 335 endoluminale Klemmtechnik 666, 674, 683 endoskopische Venenentnahme 573 Endovaskularprothese 691, 706 Enoximon 154, 190 enterale Ernährung 167 Entkalkungsmanöver 614 Entlüftung des Herzens 640 Entlüftung des linken Ventrikels 607, 608 Epstein-Barr-Virus 828 Ermüdungsbruch 857 Erweiterungsplastik der Aortenwurzel 615 Etacrynsäure 201 Etomidat 194 Euro-Collins-Lösung 834 Euroscore 27, 28, 39, 40, 63 Eurotransplant 832 Everolimus 825 Ex-situ-Operation 780 exit block 749 externe Schockelektrode 675
B–F
extrakorporale Lungenersatztherapie 167 extrakorporale Membranoxygenierung 205 extrapleurale Perikardiotomie 745 Extrasystole 732 Extubation 164, 169
F Facharztfrage 18 Fahrtauglichkeit 769 Faktor VII 193 Faktor VIIa 144 Fallot-Tetralogie – Aorta ascendens 394 – rechter Aortenboden 385 – transatriale Korrektur 388–389 – transinfundibuläre Korrektur 385–387 Fallot-Tetralogie mit komplettem AV-Kanal 382, 383 Fallot Tetralogie – bei AVSD 250 Fenestrierung 352 – VSD-Flicken 400 Fenoldopam 201 Fenster – aortopulmonales 536 Fentanyl 194 Fibrome 776 Fibrosa – mitral-aortale intervalvuläre 641 Fieber 177, 178 Fixierklemme nach Borst 704 Flachmembranoxygenation 79 Flüssigkeitsatmung 167 fokale atriale Tachykardie 759–761 Fontan-Konversion 338, 357 Fontan-Modifikation 338 Fontan-Operation 332, 466 Fontan-Palliation 503 Fontan-Zirkulation 339, 340, 357 Foramen ovale 222, 224, 834 Forßmann, Werner 6 Fossa ovalis 223, 638 Frater stitch 373 freie IMA-Arterien 580 freies Hämoglobin 855 Frey, Emil Karl 5 frozen elephant trunk, Hybridprothese 707, 713 fulminante Lungenembolie 851 Furosemid 201
882
Sachverzeichnis
G Gallagher-Schemata 763 Ganzkörperhypothermie 215 Gasaustausch 77, 78 gastrointestinale Blutung 173, 202 gebändelte Physiologie 470 gefrorenes Frischplasma 144 Gelatin-Resorcin-FormaldehydGewebekleber 711 Gelatinepräparat 148 Generatordekubitus 751 Generatorimplantation 743, 747 Gerota-Faszie 721 Gibbon, John 215 Gitterpumpoxygenators 10 Glasgow Coma Scale 137, 138 Glenn, William L. 214 Glenn-Operation 466, 468 Glutaraldehydlösung 370 gooseneck deformity 252 GOSE-Punktebewertungssystem 294 Great Ormond Street Echo (GOSE) 293 Gross, Robert E. 213, 218 Grosser-Greenfield-Stadium 804 GUCH: »grown-ups with congenital heart disease« 391 Güttler, Josef 12
H Häcker, Rudolf 4 Hallesche Herz-Lungen-Maschine 19 Hallesche Symposium 20 Hamburger Statistik 17, 63 Hammock-Klappe 279 hammock mitral valve 278, 284 Hämolyse 855 Hämoperikard 787 Harvey, William 214 HCH-Score 29, 30 HeartPort-System 666 Hegar-Stift 435, 443 Hellner, Hans 8 Hemi-Fontan-Operation 340, 346, 353, 468 Hemitrunkus 558 Heparinallergie 95 heparinbeschichtetes System 94 heparininduzierte Thrombozytopenie (HIT) 180 Herbst, Martin 19
Herz-Kreislauf-Stillstand 150 Herz-Lungen-Maschine 10, 11, 20, 75, 81, 216 Herz-Lungen-Transplantation 840 Herzchirurgie 665 – minimal-invasive 665 Herzdruckmassage 150 Herzinfarkt 589 Herzinsuffizienz 589, 848 Herzklappenverletzung 790 Herzkontusion 789, 790 Herzkrankheit, koronare (KHK) 569 Herzohramputation 640 Herzschrittmacherausweis 754 Herzstichverletzung 3 Herztransplantation 357, 414, 488, 848 Herzunterstützungstherapie 850 heterotope Herztransplanttion 834 Heyde-Syndrom 604 Hiatus aorticus 720 hibernating myocardium 149, 508, 597 hirnorganisches Psychosyndrom 175 Hirntod 820 His-Bündel 728, 764 HLA-Typisierung 833 Hochfrequenzbeatmung 199 hockeyschlägerförmig 441, 446 Hohlfaseroxyenation 79 Homograft 421, 436, 439, 443, 466, 620, 693, 698 Homograftbank 116 homologe Herzklappenprothese, Homografts 121 Horner-Syndrom 204 Horovitz-Quotient 165 Hraska-Technik 403 HTK-Lösung nach Bretschneider 103 humane Kardiomyozyten 128 Hybridoperation 469 Hybridoperationssaal 683, 668 Hybridprothese 693 Hybridverfahren 375, 718 Hydrochlorothiazid 201 Hydroxyethylstärke 148 hyperakute Abstoßung 826 Hyperkaliämie 177 Hyperkapnie 812 Hypernatriämie 177 Hypernephrom 776 hypertrophe obstruktive Kardiomyopathie 440 Hypokaliämie 177 Hyponatriämie 177
Hypoplasie des Aortenbogens 335 hypoplastischer Linksherzkomplex 461, 483 hypoplastisches Linksherzsyndrom 461, 839 Hypothyreoidismus 190
I iatrogen 442 iatrogene Hypernatriämie 177 Ibuprofen 553 ICHD-Schrittmachercode 735 idiopathische Lungenfibrose 817 Iloprost 200 IMA-Revaskularisation – bilaterale 580 IMA: internal mammary artery, A. mammaria interna 576 Immunsuppression 817, 845 Impellerpumpe 77 In-flow-Okklusion 789 In-situ-IMA-Graft 580 Indomethacin 553 Infektion 177, 178 – des Schrittmachersystems 750, 751 Infektionsprophylaxe 193, 195 Inhalation von NO 200, 824 inhalative Vasodilatatoren 153 instabiles Sternum 175, 874 Insufflation von CO2 685 Insulintherapie 180, 181 Intensivmedizin 135, 141 Interkostalarterienabgang 717 Interkostalgefäß 720 Intermediate-care-Station 145 Interstage-Letalität 469 interstage mortality 541 Interventionelle transluminale Pulmon alklappenimplantation 392 intraaortale Ballonpumpe 155 intraaortomuraler Verlauf einer Kranzarterie 483 intrakavitäre Thromben 591 intramurales Hämatom 692 intramuraler Koronararterienverlauf 489 intraoperative transösophageale Echokardiographie 372 Ischämiezeit 821 ischämische Kardiomyopathie 590, 597 ischämischer Schlaganfall 174
883 Sachverzeichnis
isolierter Linksherzbypass 714 Isomerismus der Vorhöfe 335 Isthmus 462 Isthmusplastik nach Vossschulte 530, 531
J J-Elektrode 742 Jeger, Ernst 4 jet lesion 381, 386, 389, 416 junktionale ektope Tachykardie 197
K Kälberjugularvenen-Conduits 392 Kalzium-Sensitizer 152, 191 Kammerersatzrhythmus 728 Kammerflattern 160 Kammerflimmern 149, 150, 160 kardiale Metastase 775 Kardiomyopathie 336 – hypertrophe obstruktive 287 Kardioplegielösung 104 kardiopulmonale Reanimation 150 Karotisstenose 793, 794, 798 Kavafilter 807 kavopulmonaler Shunt 353 Kavum des linken Ventrikels 593 Kawasaki-Syndrom 518 Kawashima-Operation 353, 406 Kay-Plastik 662 Kaye 351 Ketamin 194 Kippscheibenprothese 617 Kirklin, John 217 klappenloser Conduit 478 Klappenöffnungsfläche 605 Klappenprothesenwahl 642 Klappentasche 422, 602 Klappentaschenprolaps 431 Klappentaschenverziehung 434 Klappenthrombose 626 klappentragende Conduits 500 Klappenwahl 616 klassischer Blalock-Taussig-Shunt 383 Klinner, Werner 11, 214 Knochenmarkstammzelle 126 Knochenwachs 874 Koaptation 277, 422, 642, 649, 659
Koaptationsfläche 432, 597, 602, 641, 642, 649, 654 Koch-Dreieck 728 Kombinationseingriff 665 Kombinationsprothese 696 Kommerell-Divertikel 543, 547 Komorbidität 141 kompletter Aortenbogenersatz 712 kompletter AV-Block 446–448, 496, 497, 501, 729 Komplikation der Beatmung 170 Konno-Rastan-Operation 442, 443 kontraktile Reserve 605 Konusseptum 380, 381 Konversionsrate 680 Koronaranomalie 382 – bei AP-Fenster 559 – bei DORV 408 Koronararterien-Ostiumplastik 584 Koronarchirurgie – konventionelle 572 – Venenentnahme 572–574 Koronare Herzkrankheit (KHK) 569 koronares Steal-Phänomen 508 Koronarfistel 414, 518 – bei PA/IVS 410 Koronarfistel/-sinusoide 411 Koronarkompression 515 Koronarostiumplastik 515 Koronarperfusion – RV-abhängig 414 Koronarsinus ASD 224, 466, 749 Koronartransfer 483 Kortikoid 825 Kortikosteroid 845 Kreislaufstillstand 693 – tiefhypothermer 385, 534–536, 538 Krepitation 875 Krepitationsphänomen 874 kritische Aortenstenose 424 Kryo- oder Radioablation 593 KTQ 50, 51 Kunstherz 853
L Laboruntersuchung 141 Laktatspiegelerhöhung 188, 205 Langzeitperfusion 81 laryngeal release 550 lateraler Tunnel 347 Lebendspende 820
G–M
Lecompte-Manöver 403, 407, 408, 492, 509 left ventricular assist device 849, 852 Leonardo da Vinci 214 Levosimendan 154, 191 Lezius, Albert 8 Lig. arteriosum 552 Lillehei, C. Walton 213, 216 LIMA-Grafts – sequenzielle 580 – left internal mammary artery 569 limitierte posterolaterale Thorakotomie rechts 228 limitierte Sternotomie 228 Linder, Fritz 8 linksatrialer Druckmesskatheter 624 Linksherzsyndrom – hypoplastisches 536 Linksherzversagen 148, 149 Linksisomerismus 335, 345 linksventrikuläre Rekonstruktion 590, 591 Linksventrikulotomie 368, 371 LionHeart 866 low cardiac output syndrome (LCOS) 147, 187 Luftembolie 105, 106, 854 Lungen-Compliance 166 Lungenerkrankung 817, 818 Lungenödem 605 Lungensequester 232 Lungentransplantation 561 Lungentumor 800 Lungenvene – Stenteinlage 273 Lungenvenenfehlmündung 229, 259 Lungenvenenobstruktion 261 Lungenvenenstenose – nach Radiofrequenzablation 253 Luxatio cordis 783 Lysetherapie 805
M M. Lancisi 443 MACCE, major adverse cardiac and cerebrovascular events 585, 680 MADIT-II-Studie 766 Magen-Darm-Atonie 202 magnetische Levitation 857, 864 major adverse cardiac and cerebrovascular events, MACCE 585, 680 Malalignment 483, 493
884
Sachverzeichnis
Malalignment-Ventrikelseptumdefekt – posteriorer 540 Malalignment-VSD 380, 401 Malperfusion 702, 706 – -pathologien 701 Malposition der großen Arterien 404 Manouguian 615, 630 Manouguian-Technik 435 MAPCA-abhängige Perfusion 395 Mapping 761, 770 Marfan-Syndrom 280, 654 Mayo-Gibbon-Herz-Lungen-Maschine 217 Maze-Operation 357 Maze-Prozedur 682, 685, 757–759 mechanische Fixierung des Patienten 175 Mediadegeneration 692 mediane Sternotomie 94, 606, 745, 873 Mehretagenstenose 421 Mehrfachklappenersatz 622 Melbourne-Shunt 398 membranöses Septum 367 Membranoxygenation 78 Mesenterialischämie 176 Meshalkin 214 metabolische Alkalose 177 metabolische Azidose 176, 425 Methämoglobin 139 Methylenblau 154 midaortic syndrome (Segmentale Aortenhypoplasie) 541 Midazolam 194 MIDCAB (Minimally-invasive-directcoronary-artery-bypass) 569 MIDCAB-Konzept 581 MIDCAB-Operation 570 MIDCAB-Technik 582 Milrinon 154, 190, 200 minimally invasive direct coronary artery bypass (MIDCAB) 678 MiniMAZE 682 Ministernotomie 670 Mischzirkulation 343 Mitral-Ballonvalvuloplastie 283 Mitralchordae-Agenesie 286 Mitralchordae-Ruptur 286 Mitralcleft 240 Mitralinsuffizienz – doppeltes Orifizium 285 Mitralklappen-Cleft 285 Mitralklappenanulus 642 Mitralklappenendokarditis 658, 659
Mitralklappenersatz – biologische Prothese 646 – mechanische Prothese 645 – Ventrikelruptur 646–647 – Zweiflügelprothese 645 Mitralklappeninkompetenz – kongenitale 279 Mitralklappeninsuffizienz 649, 660 – ischämisch bedingte 657 Mitralklappenkommissurotomie 647, 648 Mitralklappenrekonstruktion 276, 278, 591, 597 – Ringprothese 652–653 Mitralklappenrekonstruktion (Rekonstruktion der Chordae) 654 Mitralklappenrekonstruktion (Rekonstruktionen von Segel tund Anulus) 648 Mitralklappensegel 641, 642 Mitralklappensprengung 677 Mitralklappenstenose – kongenitale 278 modifizierter Blalock-Taussig-Shunt 380, 383, 498 modifizierte Ultrafiltration 353 Mohrenheim-Grube 738 Monocusp-Klappe 388 monoklonaler Antikörper 826 Morbus caeruleus 380 Morbus Ebstein 497 Morbus Uhl 770 Morphin 194 mTOR-Inhibitor 844 mukozystische Degeneration 439 multifokale Lungenperfusion 396, 398 Mustard, Vorhofumkehroperation 485 Mustard-Operation, Teil des »DoppelSwitch« 501 Mycophenolsäure 825, 844 Myokarddysfunktion 205 myokardiale Dysfunktion 187, 196 Myokardperforation 748 Myokardruptur 791 Myosplintimplantation 598 Myxom 775–780 Myxomrezidiv 780
N Nachblutung 140 Nakata-Index 400 NASCET-Studie 795, 796
Natriumnitroprussid 153, 190, 200 near-infrared spectroscopy (NIRS) 204 nekrotisierende Enterokolitis 462 Neoaorta 340, 437 Neoaorteninsuffizienz 438 Neoaortenklappe 493, 503 neonatale Palliation 340 Neosinus 701 Nesiritide 191 Neugeborenenalter 217 neurologische Komplikation 174 Neuroprotektion 691, 708 Nierenersatztherapie 172, 173 Nierenersatzverfahren 173 Nikaidoh-Operation 491, 492 NIRS (near-infrared spectroscopy) 204 Nitroglyzerin 152, 157, 190 Noduli Arantii 422, 602, 610 NOMOVAD (no membrane oxygenator ventricular assist device) 206 Noradrenalin 151, 154, 190 Norwood-Operation 340, 342, 351, 463 Nylon 118
O Oberflächenhypothermie 9, 10 Oberflächenoxygenation 77 off-pump-Chirurgie 667 off-pump coronary artery bypass (OPCAB) 570, 678 Okklusion der Aorta ascendens 667 – endoluminale 667 OKT3 826, 827, 843 one and half ventricle repair 502 Ontogenese 213 OPCAB (Off-pump-coronary-arterybypass) 570, 678 OPCAB-Technik 581 Operationskonzepte bei KHK 571 Orciprenalin 190 orthotope Herztransplantation 502, 833 Os infundibuli 381, 415 Ösophagus-EKG 196 Ostium primum 222 Ostium secundum 222
885 Sachverzeichnis
P Paneth-Plastik 654 Panzerherz 4, 783 parachute mitral valve 278, 279, 283 parachute valve, AV-Kanal Korrektur 249, 250 paradoxe Embolie 222, 223 parakorporales Herzunterstützungstsy stem 858 parasternale minimalinvasive Thorakotomie 670 paravalvuläres Leck 627, 644 parenterale Ernährung 145 partieller Atrioventrikularseptumdefek t 244, 245 partieller AV-Block 729 partieller AVSD 239 partieller Bogenersatz 709 partielle Sternotomie 606 Patientensicherheit 55 PDCA-Zyklus 50, 51 PEEP 198, 200 percutaneous coronary intervention, PCI 570 Pericarditis constrictiva 783 Perikardektomie 784 Perikarderguss 781 Perikardfensterung 782, 783 Perikardtamponade 748, 781, 787, 790 Perikardverletzung 790 Perikardzyste 785 perimembranöser VSD 367 periphere arterielle Verschlusskrankheit 800 periventrikuläre Leukomalazie 203 perkutaner Klappenersatz 677 permissive Hyperkapnie 166 persistierende linke obere Hohlvene 233 persistierender fünfter Aortenbogen 542 Pferdeperikard 611, 644 pH-Stat-Protokoll 797 Phosphodiesterase-III-Hemmer 152, 190 Phylogenese 213 Phylum chordata 213 Pink-Fallot 382, 401 Piritramid 194 plötzlicher Herztod 427, 450, 488, 513 Pneumozystisprophylaxe 845 Polyneuropathie 176 Polysplenie 335
positiver endexspiratorischer Druck 198 Postkardiotomieherzversagen 848, 851, 852, 858 postoperative Infektion 178 Postperikardiotomiesyndrom 229 posttransplant lymphoproliferative disorder 828 posttraumatisches Aorta-descendensAneurysma 719 Potts, Willis 214 PPSB 144 pro-BNP 804 proCum Cert 50, 51 Propensity-Score 41, 43, 798 Prostaglandinsynthesehemmung 553 Prostaglandintherapie 425, 526 Prostanoide 153 Prostazyklin 200 prosthesis-patient mismatch 624 Prothesenendokarditis 626 Prothesenummantelung (graft inclusion) 720 Prothesenwechsel 644 pulmonalarterielle Schlingenbildung 549 Pulmonalarterienbändelung 501 Pulmonalarterienreduktionsplastik bei Pulmonalklappenagenesie 402 Pulmonalarterio-linksatriale Fistel 561 Pulmonalarterio-venöse Fistel 561 pulmonale Embolektomie 806 pulmonale Hypertension 479, 519 pulmonale Hypertonie 625, 807, 808, 809 pulmonaler Autograft 443 pulmonaler Hochdruck 475, 813 pulmonales Reperfusionsödem 813 pulmonale Thrombendarteriektomie 807 Pulmonalisangiographie 809 Pulmonalklappenagenesie 401 pulmonalvaskulärer Widerstand 808, 809 Pulmonalvene – Stenteinlage 273 Pumpenstopp 857, 870 Pumpenthrombose 871 Punktmutation 449 Purkinje-Fasern 727
M–R
Q Qualitätsmonitoring 36 Qualitätssicherung 37 – im Internet 38 Qualitätssicherungsmaßnahme 18 Querinfundibulotomie 406, 540
R RACHS-1 29, 31, 32, 35, 39, 40 Radialarterie 576, 577 Radiofrequenzablation 253 – Lungenvenenstenose 253 Raghib-Typ ASD 234 Ramsay-Score 137, 141 Rankin-Einteilung 794 Rankin-Scale 795 Rapid-two-stage-Switch-Operation 218, 490, 501 Rastelli-Operation 407, 491, 498, 501 Re-Implantationsmethode nach David 699, 700 re-intubieren 164 Re-Operation 101 – koronare 583 Re-Sternotomie – mediane 583 Re-Thorakotomie 162 – auch auf der Intensivstation 162 Re-Transplantation 824, 827, 838, 839 Re-Verdrahtung 875 rebound-pulmonale Hypertonie 201 rechter Aortenbogen/linksseitiges Lig. arteriosum 543 Rechtsherzbelastung 804, 805, 808 Rechtsherzinsuffizienz 155 Rechtsherzversagen 148, 149, 855 – unter LVAD-Therapie 852 Rechtsisomerismus 335 rechtsventrikulärer Ausflusstrakt 477 – Rekonstruktion 477 rechtsventrikuläres Remodeling 393 Rechtsventrikulotomie 371 Reduktionsplastik der Aorta 699 reentry 711, 732, 733 Reentry-Tachykardie 731 Rehn, Ludwig 3 Reithosenplastik 450 Reizleitungsystem 367 Reizschwellenanstieg 750
886
Sachverzeichnis
Rekonstruktion der Aortenklappe nach Trusler 373 Rekonstruktion der Mitralklappe nach Alfieri 592 Relaxationstörung 427 REMATCH-Studie 848, 849, 854, 855, 857, 861, 870 Remodellierung der Aortenwurzel nach Yacoub 699 rescue protocol hydrocortisone 192 Residualbefund nach Korrekturoperation 186 Resoniumeinlauf 177 restriktives bulboventrikuläres Foramen 336 restriktive Lungendurchblutung 336 restriktive Physiologie 390 – des rechten Ventrikels 389, 390, 411 Restventrikelseptumdefekt 479 retrograde Dissektion 716 Reverse-subclavian-flap 528, 534, 538 Rhabdomyom 776 rheumatisches Fieber 603 Rhythmusstörung 488 Richmond Agitation and Sedation Scale 175 RIFLE-Klassifikation 171 right internal mammary artery, RIMA 576 Rinderjugularvenen-Conduit 478, 491, 493, 500 Rinderperikard 611 Ringknorpel 549 Ringprothese – Mitralklappenrekonstruktion 652–653 – Trikuspidalklappenrekonstruktion 662 Risiko-Score 35 Risikodefinition 55 Risikoidentifizierung 57 Risikomanagement 55 risk rating matrix 61 Rodewald, Georg 11 Rollerpumpe 76 Ross-Kabbani-Operation 280, 282 Ross-Konno-Operation 426, 437, 443, 448, 470 Ross-Operation 421, 452, 601, 620 Rotationsbett 167 Rotationspumpe 861 Ruhepotenzial 727 RV-abhängige Koronarperfusion 414 RV-PA-Conduit 466, 467
S Sarkom 775, 776 Sauerbruch, Ferdinand 4, 5 Sauerstoffpartialdruck 139 Sauerstoffsättigung 139 Säuglingsalter 217 Schadenspyramide 56 Schlaganfall 356 Schlaganfallprävention 794, 795 Schlaganfallrate 793–795 Schlagvolumen 595 Schleifendiuretika 173 Schober, Karl Ludwig 19 Schrittmacherkabel 624 Schrittmachersysteminfektion 752 Schrittmachertherapie 734 Schussverletzung 788, 789 Schwangerschaft 623 Scimitar-Vene 232 Score 27, 44 sea-gull sign 382, 390 Segelbeweglichkeit 649 Segelprolaps 277 Segmentale Aortenhypoplasie (midaortic syndrome) 541 Sehnenfadenplastik 655, 656 Sekumdum-ASD 222 sekundäre arterielle Switch-Operation 488 selektive antegrade Hirnperfusion 708, 709 Semilunarklappe 602 Senning, Vorhofumkehroperation 485 – Teil des »Doppel-Switch« 501 Senning-Rastelli 501 – -Operation 498 Sepsis 177, 179 Septum primum 222, 223 Sequenzialbypass 578 Shone-Komplex 279, 421, 461, 534 Shunt-Operation 337 Shunt-Physiologie 468 Shunt-Thrombose 355 Sick-sinus-Syndrom 729, 730, 735, 736 Sildenafil 200 Single-lung-Transplantation 819, 821 singulärer Ventrikel 331 sinotubulärer Übergang 611 Sinus-Valsalvae-Aneurysma 453, 694 Sinus-Venosus-Defekt 225, 226, 230 Sinusknoten 728 Sinusknotendysfunktion 197, 357
Sinusoide bei PA/IVS 410 Sinusrhythmus 728 Sinustachykardie 159 Sinus Valsalvae 422, 602 sinutubulärer Übergang 422 Sirolimus 825, 827 SIRS »systemic inflammatory response syndrome« 177 Situs inversus 496 skelettale Myoblasten 126 Sludge-Phänom 731 Spenderbronchusstumpf 822 spinale Blutversorgung 716 spinale Schädigung 720 Split-lung-Transplantation 824 Spontanletalität Typ A-Dissektion 701 Spulenoxygenation 79 St.-Thomas-Lösung 103 Standardkonzept 571 Stansel 351 Stentless-Prothesen 619 Sternotomie – limitierte untere 228 – mediane 636 – partielle obere 638 Sternumdehiszenz 875 Sternumdurchblutung 874 Steroide 192 Stichverletzung 788, 789 Stickstoffmonoxid 869 Straddling 333 – -Phänomene 311 – einer AV-Klappe 503 Stressulkus 202 Stridorsymptomatik 546 STS-Datenbank 70 STS-Score 29 stunned myocardium 149, 156 subclavian-flap (-plasty) 528, 533, 534 subkoronare Implantationstechnik Bioklappenprothesen 619 Subpulmonalstenose 415 subvalvulärer Apparat 642 Sulcus interatrialis 637 Supramitraler Ring 258, 259 supraventrikuläre Tachykardie 158, 160, 189, 195, 196, 734 Swan-Ganz-Katheter 624 Synkope 733 systemic inflammatory response syndrome, SIRS 140, 178, 191 systemisches inflammatorisches Reaktionssyndrom (SIRS) 176 Systemperfusion – duktusabhängige 537
887 Sachverzeichnis
T Tabaksbeuteleffekt 433 Tabaksbeutelnaht 593 tachykarde Rhythmusstörung 357, 729 Tachypnoe 165 Tacrolimus 825, 827, 844 Takeuchi-Operation 510, 511 Taschenklappe 602 Taschenklappenkalzifikation 603 Taschenprolapses 433 Taussig, Helen 214 Taussig-Bing-Anomalie 493, 534 Taussig-Bing-Herz 405 Tawara-Schenkel 729, 732 Teflon 118 tertiäre Syphilis 604 The Thoracic and Cardiovascular Surgeon 15 thorakoabdominales Aortenaneurysma 720 thromboembolisches Ereigniss 617 Thrombolysetherapie 805 Thrombookklusionsoperation 717 Thrombozytenaggregationshemmung 354 tiefe Hypothermie 107, 715 tissue engineering 120, 121 total artificial heart 853 totale kavopulmonale Anastomose, Konnektion 339, 463 totaler Arkusersatz 710 totaler AVSD 239 totally endoscopic coronary artery bypass (TECAB) 678 Trachea 549 tracheale Verschiebeplastik 550 Trachealhypoplasie 551 Tracheotomie 169 Transfusionsreaktion 144 transösophageale Echokardiographie 591, 605, 609, 624, 675, 701 Transplantatvaskulopathie 838 traumatischer Ventrikelseptumdefekt 791 Trendelenburg, Friedrich 5 Trijodthyronintherapie 181 Trikuspidalatresie 333 Trikuspidalinsuffizienz 497 Trikuspidalisierung 438 Trikuspidalklappenbeutel 292 Trikuspidalklappenersatz 290, 497, 661 Trikuspidalklappeninsuffizienz 290
Trikuspidalklappenrekonstruktion 295, 636, 661 – Bikuspidalisierung 662 – Ringprothese 662 Trisomie 21 366 Trommelschlägelfinger 382 Truncus-coeliacus 720 Truncus arteriosus Typ A4 536 Truncus bicaroticus 534 Truncus brachiocephalicus 464 Trunkustypen nach Van Praagh 474 Trusler-Formel 343, 372 Tumorembolie 777 Tumorembolisation 778 Typ-B-Dissektion 713
U Übergabeprotokoll 136 Überreitphänomen 312 Uhrglasnägel 382 Ulkusprophylaxe 171 Ultrafiltration 192, 200 Umbilikalvene 116 unfraktioniertes Heparin 94, 95 Unifokalisation 398 – MAPCA Schicksal 400 Unifokalisierung 399, 400 unikuspide Aortenklappe 424 univentrikuläre Palliation 352, 426, 463 univentrikuläres Herz 331, 332 University of Wisconsin-(UW)-Lösung 834 Unterbrechung des Aortenbogens 473 unterbrochener Aortenbogen 334 Unterdruckkammer 5 Urapidil 157 Ursinus, Wolfgang 21
V V. azygos 345 Valciclovir 828 Valvula Eustachii 223 Varco, Richard L. 216 Vasodilator 190 Vasopressin 153 Venenbypass – aortokoronarer 572 Venenentnahme – endoskopische 574
R–W
– für Koronarchirurgie 572–574 venöser Zweistufenkatheter 606 Ventrikelruptur – am AV-Übergang 643 – Mitralklappenersatz 646–647 1½-Ventrikel-Korrektur 502 Ventrikelseptumdefekt (VSD) 477, 495, 671 – Verschluss 477 Ventrikeltraining 501 ventrikuläre Extrasystole 748 ventrikulärer Ersatzrhythmus 732 ventrikuläre Rhythmusstörung 595, 732, 765 ventrikuläres Remodeling 590, 597 ventrikuläre Tachykardie 160, 195, 197 ventrikuläres Unterstützungssystem (ventricular assist devices, VAD 156 Ventrikulotomie 371 Venturi-Effekt 368 Verbrauchskoagulopathie 853 Verengung der Iliofemoralgefäße 432 – Ballonvalvuloplastie 432 Verletzung des Ramus circumflexus 643 Verletzung der Herzklappe 790 Virchow-Trias 803 Volumenentlastung 344 Vorhofablation 682 Vorhofflattern 159, 195, 196, 731, 757 Vorhofflimmern 158, 160, 161, 196, 730, 757, 759 – chronisches 643 Vorhoftachykardie 161 Vorhofumkehr – nach Mustard 485 – nach Senning 485 Vossschulte, Karl 8 Vossschulte-Plastik 528, 531, 532 VSD-Flicken Fenestrierung 400 VSD bei DORV 404
W Waldhausen-Plastik 528, 533, 534 Wangensteen, Owen H. 216 Warnke, Harry 20 Warteliste 16, 819, 828 Wartezeit 820 Waterston, David 214 Wheat-Verfahren 695 Whooler-Plastik 652, 658 Widerspruchslösung 820
888
Sachverzeichnis
Williams-Beuren-Syndrom 203, 449, 541 Windsack 453 Wolff-Parkinson-White-Syndrom 291, 303 Wood-Einheit 187 WPW-Syndrom 760–763, 766 Wundheilungsstörung 874 Wurzelersatz 620
Y Yacoub-Operation 455, 604, 613 Yassargil-Clips 479
Z Z-Wert 41 zahnärztlicher Eingriff 628 Zeitschrift Thoraxchirurgie 15 Zeitschrift Thoraxchirurgie und vaskuläre Chirurgie 15 Zell-Matrix-Struktur 112 Zenker, Rudolf 8, 10 zentraler aortopulmonaler Shunt 384, 398 zentraler Shunt 413 Zentrifugalpumpe 77, 863, 864 zerebrale Sauerstoffsättigung 702, 706 zervikaler Aortenbogen 541 Zindler, Martin 9 Zustimmungslösung 820 Zwechfellstimulation 754 Zweiflügelprothese – Mitralklappenersatz 645 Zweistufenkatheter 707 Zwerchfellstimulation 749 Zwerchfellzucken 749 Zyanidintoxikation 190 Zylinder- oder Wurzelinklusionstechnik 620 zystische Fibrose 817, 820