Heute Nacht sing ich für dich
Emma Darcy
Julia 1486 3 – 01/02
Gescannt von suzi_kay
Korrigiert von vampyrL
1. ...
11 downloads
594 Views
492KB Size
Report
This content was uploaded by our users and we assume good faith they have the permission to share this book. If you own the copyright to this book and it is wrongfully on our website, we offer a simple DMCA procedure to remove your content from our site. Start by pressing the button below!
Report copyright / DMCA form
Heute Nacht sing ich für dich
Emma Darcy
Julia 1486 3 – 01/02
Gescannt von suzi_kay
Korrigiert von vampyrL
1. KAPITEL
Wie jeden Montagmorgen tauschten die Angestellten von „MultiMedia Promotions" die Erfahrungen des Wochenendes aus, bevor sich alle an die Arbeit machten. Nick Armstrong grüßte nur flüchtig, während er zu seinem Büro ging, im Schlepptau seinen Freund und Geschäftspartner Leon Morrell. Sobald die Tür geschlossen und er mit dem einzigen Menschen allein war, der seine Situation eigentlich verstehen sollte, ließ Nick seiner angestauten Wut freien Lauf. „Weißt du, was Tanya am Samstag zu mir gesagt hat, nachdem ich unseren geplanten Ausflug noch einmal verschoben hatte?" „Zweifellos irgendetwas, was darauf angelegt war, dich in die Wüste zu schicken." Nick verzog das Gesicht. Er dachte an die hässliche Trennung, die Leon gerade erlebt hatte. „Sie hat gesagt, in Wirklichkeit wolle ich eine Puppe, die nicht verletzt sei, wenn ich sie links liegen lasse, bis ich Zeit zum Spielen hätte." „Klingt gut! Eine Puppe nörgelt nicht." „Eine, die wie eine Märchenprinzessin aussieht ..." „Ja. Bezaubernd schön, langes blondes Haar und ein strahlendes Lächeln ..." „Mit einem Zauberstab, der mir die Kraft gibt, so gut im Bett zu sein, wie es sogar eine Gummipuppe von einem Mann verlangen würde." „Oooh, jetzt kommen wir zu den perversen Sachen." „Leon, es ist ernst. Und wir müssen ernsthaft miteinander sprechen." Er zog die Augenbrauen hoch. „Über Frauen?" fragte er in spöttischem Ton. „Übers Geschäft." Nick blickte seinen Freund finster an, ging um den Schreibtisch herum und sank in seinen Sessel. „Setz dich. Und hör auf, so blöd zu grinsen. Es ist sehr wichtig." „Der Mann ist verwundet", sagte Leon seufzend, als er sich auf einen Stuhl setzte. Dann sah er, wie verärgert Nick war, und bemühte sich, ein ernstes Gesicht zu machen. Es war gefährlich, Nick zu reizen, wenn er in dieser Stimmung war. Er war ein kreativer Mensch, ein ASS am Computer und ein grüblerischer Typ, der oft aufgeheitert werden musste. Leon kam jedoch zu dem Schluss, dass dies nicht der richtige Moment war. Sein Freund und er waren grundverschieden, sogar was das Aussehen betraf. Nick war groß, hatte schwarzes Haar und blaue Augen, und nicht nur physische, sondern auch psychische Stärke kennzeichneten sein markantes Gesicht und den muskulösen Körper. Auch wenn er nur mittelgroß und mit seinem passablen braunen Haar und den braunen Augen nicht so auffallend attraktiv war, hatte Leon neben Nick niemals Minderwertigkeitsgefühle, denn er hatte ein flottes Mundwerk und konnte jede Frau für sich einnehmen, die er haben wollte. Sie waren ein großartiges Team - der Kreative und der Geschäftstüchtige -, und Leon würde nicht dulden, dass irgendetwas ihre gute Zusammenarbeit störte. Außerdem war das psychische Wohl seines Partners von allergrößter Bedeutung für ihren Erfolg. „Du weißt, wie fantastisch die Sache mit dem Internet ange laufen ist, Leon. Ich werde mit Arbeit überhäuft und brauche noch zwei Grafiker, die mich unterstützen." „Das wird unseren Gewinn verringern." „Ich muss auch noch ein Leben haben", stieß Nick hervor. Leon verdrehte die Augen. „Weil Tanya sich darüber aufgeregt hat, dass sie nicht deine ungeteilte Aufmerksamkeit bekommt? Sie besitzt dich nicht, und lass dir von mir sagen ..." Nick blickte ihn wütend an. „Ich lasse mir viel von dir sagen. Du bist ein Verkaufsgenie, und wir beide haben großen Erfolg zusammen. Aber unter so einem Druck arbeite ich nicht länger." „Okay, okay." Leon hob beschwichtigend die Hände. „Das akzeptiere ich ja. Vorausgesetzt, dass es deine Meinung ist und nicht Tanyas. Du hast doch immer erklärt, wenn wir schuften würden wie Pferde, bis wir dreißig sind ..." „Ich werde nächste Woche dreißig. Wir haben im vergange nen Jahr beide fünf Millionen Dollar verdient ..." „Und wir können in diesem Jahr gut das Doppelte verdienen."
„Aber wir haben einen hohen Preis dafür bezahlt. Du hast Liz verloren, und ..." „Da haben wir's. Du ziehst Frauen hinein." „Verdammt, Leon! Ich will neben der Arbeit auch noch ein Privatleben haben. Genug ist genug. Ich brauche mehr Mitarbeiter." „Schon gut. Ich höre mich um und werbe einen guten Grafiker für dich ab." Nick hielt zwei Finger hoch. Leon seufzte. Zwei Gehälter würden mehr zu zahlen sein. „Dann hole ich einen guten und einen von der Kunstakademie, den wir ausbilden. Wie findest du das?" „Geizkragen." „Keineswegs. Es ist vernünftig, selbst Leute auszubilden." Insgeheim gab Nick seinem Freund Recht. „Pack es sofort an, Leon. Und versuch nicht, mich hinzuhalten. Mir ist gleichgültig, wie viel es kostet. Es wird sehr viel teurer, wenn ich irgendwann am Burn-out-Syndrom leide." „Sprich nicht davon!" Leon stand entsetzt auf. „Dein Wunsch ist mir Befehl, alter Junge. Ich betätige mich sofort als Headhunter." „Vergiss nicht den Trainee." „Kein Problem. Die Studenten werden den Eingang stürmen, um den Job hier zu ergattern." Leon ging zur Tür, blieb stehen und warf Nick über die Schulter einen zynischen Blick zu. „Ich wette, Tanya kommt trotzdem zu deiner Geburtstagsparty. Ihr gefällt, was für unser Geld zu haben ist. Vergiss das nicht, wenn sie dir wieder die Daumenschrauben anlegt." „Die Arbeit wartet", erinnerte ihn Nick kurz angebunden, und Leon ging. Nervös, mit sich und der Welt unzufrieden, schaltete Nick den Computer ein und versuchte, sich ans Werk zu machen. Leons Worte blieben ihm jedoch im Gedächtnis haften. Am Ende seines heftigen Streits mit Tanya hatte sie gesagt, die Party sei seine letzte Chance. Wenn er nicht sein Leben ändern würde ... Nick presste die Lippen zusammen. Sie war zu weit gegangen. Es war ja nicht so, dass er nebenbei andere Frauen hatte. Er hatte wenig Zeit für sie, weil er hart arbeitete. Und es störte sie überhaupt nicht, das viele Geld auszugeben, das er verdiente. Immer bat sie ihn, sie in die teuersten Restaurants mitzunehmen und die besten Plätze bei den Konzerten zu besorgen, die sie sehen wollte. Leon hat Recht, dachte Nick, sie nutzt mich aus. Nicht, dass es ihn übermäßig störte. Wozu war Geld gut, wenn man es nicht für die Freuden des Lebens verwendete? Nur dass Tanya ihm nicht besonders viel Freude bereitete. Tatsächlich wurde sie zu einer unvernünftigen Nörglerin, die am Ende eines gemeinsamen Abends regelmäßig Streit anfing, was ihm die Lust auf Sex mit ihr nahm. Ihm fehlte nicht so sehr die Energie als vielmehr das Verlangen. Seine letzte Chance. Ihm war danach, die Beziehung vor der Party zu beenden, die Tanya natürlich nicht verpassen wollte. Wer würde das wollen? Leon hatte ein großes Zelt auf dem Observatory Hill mit Aussicht auf den Hafen organisiert, eine fantastische Jazzband und einen erstklassigen Partyservice. Tanya würde einen Blick auf all die erfolgreichen jungen Männer werfen können, die sich gerade im Geschäftsleben einen Namen machten. Soll sie doch, dachte Nick. Vielleicht würde er sich auch umsehen. Es musste eine Frau geben, die mehr Verständnis für seine Bedürfnisse und nichts dagegen hatte, sich zu beschäftigen, während er arbeitete. Auf eine unvernünftige Nörglerin konnte er zweifellos verzichten. Leon ging in sein Büro und hoffte, dass er Tanya mit seiner letzten Bemerkung einen Strich durch die Rechnung gemacht hatte. Egoistisches Miststück. Sie holte aus Nick so viel wie möglich heraus und gab niemals irgendetwas zurück. Vielleicht sollte er noch einige heiße Partygirls an Land ziehen und Nick an seinem Geburtstag zeigen, dass noch andere Frauen auf der Welt lebten. Frauen, die nur allzu glücklich wären, mit ihm zusammen zu sein, ohne Unruhe zu stiften. Noch besser ... Leon lächelte. Warum nicht eine Märchenprinzessin mit einem Zauberstab, die Tanya
Wells in einen hässlichen, quakenden Frosch verwandeln würde? Sein Lächeln wich einem schadenfrohen Lachen. „,Partyüberraschung'", meldete sich Sue Olsen und klemmte sich den Hörer zwischen Kinn und Schulter, während sie in der Hoffnung auf einen lukrativen Auftrag nach Notizblock und Kugelschreiber griff. „Wie sollen wir bei Ihnen plötzlich auftauchen?" „Sie bieten Shownummern für Geburtstagsfeiern an, stimmt's?" fragte ein Mann. „Ja, Sir. Wir haben ,Die singenden Sonnenblumen', ,Die Farm der Kuscheltiere', ,Die Gummibärchen'..." „Ich möchte eine Märchenprinzessin mit einem Zauberstab, die ,Happy Birthday' singt und ein bisschen Flitter streut", verlangte er energisch. Sue lächelte ihre Freundin und Teilhaberin Barbie Webster an, die von dem gestrigen Auftritt vor dreißig schreienden Fünfjährigen noch immer fix und fertig war. „Wir haben die perfekte Märchenprinzessin für Sie", erwiderte sie selbstbewusst. Barbie verdrehte die Augen. Offensichtlich musste sie selbst mit Zauberflitter bestreut werden, um an diesem Morgen Be geisterung aufzubringen. Vier Kinderpartys an einem Wochenende zu absolvieren bedeutete harte, Kraft raubende Arbeit. Wenn sie es von der heiteren Seite betrachtete, war der neue Auftrag einfach, viel leichter auszuführen als die Clownsnummer. „Und welchen Termin wünschen Sie?" fragte Sue. „Ich möchte zuerst einmal sichergehen, dass es wirklich das Richtige ist", sagte der Anrufer argwöhnisch. „Sie muss schön sein." „Sie ist wunderschön." „Langes blondes Haar? Es soll ihr offen über die Schultern fallen." „Die Beschreibung ist genau richtig." „Es ist keine Perücke?" „Ich verspreche Ihnen, dass sie keine trägt." „Gut. Lächelt sie herzlich? Gesunde Zähne?" „Ein strahlendes Lächeln. Jeder Zahnarzt wäre stolz auf sie." „Tja, bisher genügt das den Ansprüchen. Wie groß ist sie?" „Wie groß?" Sue runzelte die Stirn. „Ich will keinen Zwerg. Ich meine, wir reden hier doch nicht etwa über ein kostümiertes Kind?" „Nein. Unsere Märchenprinzessin ist eine schöne junge Frau, die über dem Durchschnitt liegt, aber nicht ganz die Größe eines Models erreicht." Barbie verzog das Gesicht, bleckte die Zähne und zerzauste sich das Haar, so dass sie aussah wie in ihrer Rolle als „Böse Hexe". Sue streckte ihr die Zunge heraus. „Prima!" rief der Anrufer. „Das hört sich ja gut an. Nur noch eine Frage: Was ist mit ihrer Figur?" „Wie bitte?" „Hat Sie Rundungen an den richtigen Stellen?" „Hm", sagte Sue unverbindlich und wartete ab, wie weit er gehen würde. „Eine Spindeldürre kommt nicht infrage", erklärte er energisch. „Sie muss sexy sein." Das Wort „sexy" machte Sue misstrauisch. Sie erhielten gelegentlich Anrufe von verrückten Typen. Es war an der Zeit, diesen festzunageln. „Sprechen wir hier zufällig über einen Junggesellenabschied?" fragte sie zuckersüß. „Glauben Sie mir, Hochzeiten sind nicht in Umlauf", erwiderte er sarkastisch. „Ich organisiere eine große Party für meinen Freund, der dreißig wird. Die Nummer soll eine besondere Überraschung sein." „Werden auch Frauen dabei sein?" „Natürlich. Die meisten sind Singles, wie die Männer. Man könnte sagen, dass sich auf der Party die junge Elite der Gesellschaft trifft. Nichts daran soll im Verborgenen bleiben. Die Feier findet in einem Zelt auf dem Observatory Hill statt." Offensichtlich hatte er begriffen,
was ihre Frage n bedeuteten. Sue dachte an die Möglichkeiten, die sich boten, wenn begehrenswerte Junggesellen auf den Putz hauten. „Wenn wir den Auftrag übernehmen, müsste ich darauf bestehen, die Märchenprinzessin zu begleiten, um sicherzustellen, dass sie keinen, sagen wir mal, Unverschämtheiten ausgesetzt wird." „Sie sind herzlich eingeladen, hinterher mitzufeiern. Ich nehme an, sie sieht tatsächlich sexy aus." „Zweifellos hat sie eine gute Figur. Aber ich möchte nicht, dass sich irgendjemand falsche Vorstellungen macht. Sie tritt als Märchenprinzessin auf und singt ,Happy Birthday', mehr nicht. Richtig?" „Haargenau. Oh! Das habe ich noch nicht gefragt. Kann sie singen?" „Sie ist als professionelle Unterhaltungskünstlerin in diesem Land auf Tournee gegangen. Reicht das?" „Großartig!" Das wird teuer, Mister, dachte Sue. Sie notierte sich die näheren Einzelheiten und vervierfachte kühn das Honorar für Barbie und sich selbst. Ein Engagement nach Geschäftsschluss plus Gefahrenzulage. Nic ht, dass Sue irgendeine echte Gefahr sah, aber sie hielt eine solche Bezahlung durchaus für gerechtfertigt. Barbie war ganz überwältigt, als sie hörte, was für ein unerhörtes Honorar Sue für diesen Auftritt verlangte. Nächste Woche Gewinn zu machen war kein Problem mehr. Seitdem sie „Partyüberraschung" gegründet hatten, mussten sie ständig kämpfen, um mit ihren Einkünften auszukommen. Zumindest hatten sie jetzt regelmäßig Arbeit, und sie wohnten wieder in Sydney. Mit der „Country and Western"-Nummer von einem Countryclub zum nächsten durchs Land zu reisen war schön gewesen, finanziell hatte es sich jedoch nicht gelohnt. Nach dem zu urteilen, was Sue am Telefon gesagt hatte, ging es bei dem Auftrag nicht darum, Kinder zu unterhalten. Es klang ziemlich heikel. Zugegeben, sie konnten einem geschenkten Gaul nicht ins Maul sehen. Das Auto kostete Geld, sie mussten die Miete für die Dreizimmerwohnung in Ryde und andere Rechnungen bezahlen. Trotzdem ... Sue legte auf. „Hab es!" rief sie. Ihre grünen Augen funkelten triumphierend. Mit ihrem kurzen roten Haar und der zierlichen Figur konnte sie sehr gut einen Kobold spielen, und im Moment machte sie zweifellos einen sehr mutwilligen Eindruck. „Was genau hast du?" fragte Barbie argwöhnisch. „Er hat nicht einmal gezögert, als ich das Honorar genannt habe. Das beweist, dass er wirklich reich ist und nichts dagegen hat, sein Geld auszugeben. Ich liebe solche Männer!" „Bist du sicher, dass er kein unanständiger alter Mann ist?" Sue lachte. „Er könnte ein unanständiger junger Mann sein. Ganz bestimmt ist er jung. So um die dreißig. Und Junggeselle. Mitbesitzer von Multi- Media Promotions. Vielleicht bitte ich ihn, eine Website für uns einzurichten. Dann bekommen wir Kunden aus dem Internet." „Wir haben noch nicht einmal einen Computer", erinnerte Barbie ihre Freundin trocken. Sue hatte immer hoch fliegende Träume, und es war oft schwierig, sie auf den Boden der Tatsachen zurückzubringen. Sie zuckte die Schultern. „Ich denke nur voraus. Dieser Auftrag ist wirklich gut für uns, Barbie. Viel Geld plus die Gelegenheiten, die sich an dem Abend bieten." „Würdest du so freundlich sein, mir zu erklären, worum es überhaupt geht?" Vor Begeisterung tanzte Sue buchstäblich durch das kleine Wohnzimmer, während sie Barbie von der Party und der Einladung erzählte, zu bleiben und sich unter die Elite der Junggesellen Sydneys zu mischen. Barbie musste zugeben, dass es interessant klang, wenn man bedachte, dass Sue und sie im Moment kein gesellschaftliches Leben hatten. „Wie heißt der Typ, der mich als Märchenprinzessin engagiert hat?" fragte sie und überlegte, ob sie vor dem Abend
irgendwie überprüfen könnten, ob er ehrlich gewesen war. „Leon Morrell." Der Name berührte sie unangenehm. Hatte Nick Armstrong nicht einen Studienfreund gehabt, der so hieß? „Und sein Geschäftspartner, das Geburtstagskind?" „Nick Armstrong." Sue fing übermütig an zu singen. „Happy birthday, dear Nick. Happy birthday, dear Nick ..." „Hör auf damit!" schrie Barbie. Die Hände zu Fäusten geballt, stand sie auf. Sue verstummte und blickte sie an, als wäre sie verrückt. „Was ist los?" „Erinnerst du dich nicht?" Barbie brannte das Gesicht, denn sie erinnerte sich nur allzu gut an die schlimmste Kränkung und Demütigung ihres Lebens. „Woran?" fragte Sue verwirrt. Barbies graue Augen funkelten vor kalter Wut, während sie an den Mann dachte, der ihr das Herz gebrochen hatte. „Ich habe vor neun Jahren auf der Party anlässlich seines einundzwanzigsten Geburtstags für ihn gesungen." Ihre Freundin sah noch immer ratlos aus. „Wirklich?" „Ja. Und ich habe dir damals alles darüber erzählt, wie er ... Ich werde nie wieder für ihn singen!" sagte sie energisch. „Oh!" Sue verzog das Gesicht. „Der Typ, in den du als Schulmädchen mächtig verliebt warst." „Ich war sechzehn." Barbie hatte Nick Armstrong von ganzem Herzen geliebt, und er hatte diese Liebe herabgesetzt, indem er ein sexy Flittchen mit einem protzigen Auto vorgezogen hatte. Sie hätte sich gesagt, er müsse ein oberflächlicher Mistkerl sein, wenn er sich von so seichten Dingen verführen lasse, aber sie war trotzdem völlig deprimiert gewesen. „Seitdem ist schon sehr viel Wasser den Hawkesbury River heruntergeflossen, Barbie." Das stimmte, doch der tiefe Schmerz war nicht verschwunden. Kein anderer Mann hatte auch .nur ansatzweise das in ihr geweckt, was sie früher einmal für Nick Armstrong empfunden hatte. Er hatte ihren Glauben an die Liebe zerstört, und vielleicht hielt sie seinetwegen nicht viel von Träumen. „Es ist nur ein Auftritt von zehn Minuten, durch den wir zum ersten Mal mit Gewinn arbeiten." Sue hob bittend die Hände. „Wahrscheinlich erkennt er dich nicht einmal wieder. Du hast damals eine Zahnspange getragen. Dein Haar war kurz und heller ..." Ja, und so drahtig wie das Fell eines Airedaleterriers. „Wauwau Webster" hatten Nicks Freunde sie damals genannt, weil sie ihm und seiner Clique wie ein treuer Hund überallhin gefolgt war. Sie hatte den Spitznamen gehasst. „Du hast eine Brille statt Kontaktlinsen getragen", sprach Sue weiter. „Und du warst als Teenager spindeldürr. Du siehst jetzt viel reifer aus." „Das ist nicht der springende Punkt!" brauste Barbie auf. „Ich werde nicht für ihn singen. Du kannst es ja selbst machen." „O ja, klar. Als wäre ich blond, schön und sexy. Die Märchenprinzessin ist deine Nummer, Barbie. Außerdem habe ich Leon Morrell versprochen, dass sie keine Perücke trägt." „Dann sag ihm, dass wir den Auftrag doch nicht übernehmen können. Soll er sich jemand anders suchen." „Und all das schöne Geld? Ganz zu schweigen von der Chance, aufstrebende junge Männer kennen zu lernen?" Sue schüttelte den Kopf. „Es wäre am besten, wenn du dich erst einmal hinsetzt, dich beruhigst und vernünftig überlegst. Wenn der Gedanke an Nick Armstrong nach neun Jahren noch so wehtut, hast du ein echtes Problem, und es wird Zeit, dass du dich diesem Problem stellst und darüber hinwegkommst." Barbie ließ sich in einen Sessel sinken. Sie wollte nicht mit ihrer Freundin streiten, aber sie war fest entschlossen, nicht nachzugeben. Sie würde nicht für Nick Armstrong singen! „Denk mal an die andere Abteilung unserer Firma: ,Geh zum Teufel'." Sue setzte sich auf die breite Armlehne. Sie hatten ziemlich viele Auftraggeber, denen die Vorstellung gefiel, dass ein Strauß
verwelkter Rosen an jemanden geliefert wurde, der ihnen unrecht getan oder sie gekränkt hatte. Barbie hatte Zweifel geäußert, aber Sue hatte argumentiert, dass es eine relativ harmlose Methode sei, seinen Gefühlen Luft zu machen, und die Leute davon abhalte, Schlimmeres zu tun. Sie würden dem Kunden die Befriedigung verschaffen, zumindest irgendetwas zu unternehmen, anstatt nur Opfer zu sein. Was wahrscheinlich stimmte. Trotzdem überließ Barbie diese Aufträge Sue, die sie gern erledigte. Und es war keine Lösung, Nick Armstrong verwelkte Blumen zu schicken, um ihm zu zeigen, was sie von ihm hielt. Sie wollte überhaupt nichts mit ihm zu tun haben. „Vergiss es, Sue. Lieber stelle ich mich einer Tigerotter, und du weißt, wie ich Schlangen finde." Schaudernd stützte Barbie den Ellbogen auf die andere Lehne. „Ich habe keine verwelkten Rosen im Sinn." „Warum fängst du dann davon an?" „Weil nichts über ein bisschen Rache geht, wenn man gemein behandelt worden ist." Sue nahm den Text auf, mit dem sie für „Geh zum Teufel" warben. „Am Ende zu triumphieren ist wundervoll. Wenn man abgerechnet hat, kann man sein Leben weiterführen." Barbie verdrehte entnervt die Augen. Was Sue nicht stoppte. Wenn sie bei einer Angelegenheit erst einmal Feuer gefangen hatte, war sie nicht zu bremsen. „Rache ist wirklich süß ", verkündete sie und breitete die Hände aus wie ein Zauberkünstler, der einen unglaublichen Trick vorführen wollte. „Jetzt stell dir mal Folgendes vor, Barbie ..."
2. KAPITEL
Barbie zitterte am ganzen Körper vor Nervosität, während sie auf ihren Auftritt wartete. Sie hätte sich von Sue nicht überreden lassen sollen. Irgendwie hatte Sue ihren Stolz so wachgerüttelt, dass sie tatsächlich gemeint hatte, Nick Armstrongs verblüffte Miene könnte ihre seelischen Narben heilen. Besonders wenn sie ihren Zauberstab schwang und ihn in das Kind verwandelte, während sie die Erwachsene war, die ihn unaufrichtig anlächelte. Sue nannte es süße Rache, aber im Moment bezweifelte Barbie, dass irgendetwas an diesem Engagement süß sein würde. Sie würde es hassen, von Nick nicht erkannt zu werden, und sie würde es hassen, wenn er sich an sie erinnerte. Trotzdem stand sie jetzt vor dem Partyzelt auf dem Observa tory Hill, und es war zu spät, die Vorstellung abzusagen. Drinnen hielt jemand eine Rede, die immer wieder von Beifallsstürmen und schallendem Gelächter unterbrochen wurde. Ungefähr hundert Gäste, sehr schicke Gesellschaftskleidung, eindeutig eine reiche Clique, hatte Sue berichtet. Die Zeltwände waren aus durchs ichtigem Plastik, damit die Gäste die Aussicht auf den Hafen und die wegen ihrer Form „Kleiderbügel" genannte spektakuläre Brücke sowie auf die unzähligen Lichter von Nordsydney genießen konnten. Um nicht gesehen zu werden, musste Barbie hinter dem Auto stehen. Sue stand am Eingang und beobachtete, was drinnen vorging. Mit dem Wagen ganz in der Nähe kann ich zumindest schnell entwischen, tröstete sich Barbie. Nur zehn Minuten, dann würde sie von hier weg sein. Sue wollte natürlich bleiben und hatte sich für die Party schick gemacht. In einem hautengen grünen Satinkleid sah sie sehr sexy aus. Sie hatte Barbie versichert, sie würde schon irgendwie allein nach Hause kommen, falls Barbie sofort nach ihrem Auftritt verschwinden wolle. Lauter Beifall ließ ihr Herz schneller schlagen. Sue hob die Hand. Einen Moment lang schloss Barbie die Augen und flehte im Stillen, dass die Flügel nicht abfallen und ihre Stimmbänder sie nicht im Stich lassen würden, dass die lange Schleppe des Kleides nirgendwo hängen bleiben und der Mechanismus an ihrem Zauberstab funktionieren würde. Leon Morrell wartete lächelnd, bis der Applaus für seine Rede verklang. „Und jetzt haben wir noch eine besondere Überraschung für Nick, die dem großen Ereignis ein bisschen Zauber verleihen soll." Leon nickte dem Bandleader zu und verließ das Podium. Nick beobachtete, wie sein Freund über die Tanzfläche auf ihren Tisch zukam. Zweifellos war Leon an diesem Abend in Topform. Seine Rede war überaus amüsant gewesen, und offensichtlich hatte er noch etwas anderes Unterhaltsames vorbereitet. Mit ihm konnte man großartig feiern. Im Lauf der Jahre hatten sie schon viel Spaß zusammen gehabt. Wir sind alte Freunde und werden immer Freunde bleiben, dachte Nick. Wahrscheinlich würde keine Frau einen von ihnen jemals so gut kennen, wie sie sich kannten. Die Band begann zu spielen, als sich Leon auf seinen Platz setzte. Nick sah ihn lachend an. „,Somewhere over the Rain-bow'?" „Ist das nicht ein bisschen kindisch, Leon?" nörgelte Tanya. Nick biss die Zähne zusammen. Sie kritisierte schon den ganzen Abend alles, und sehr bald würde er ihr raten, sich an einen anderen Tisch zu setzen. „Ich schenke Nick einen Hauch von Romantik, Tanya", sagte Leon. „Er hat es nötig." Nick spürte, dass sie böse wurde, und machte sich auf eine weitere abfällige Bemerkung gefasst. Die überraschten Ausrufe der Gäste lenkten Tanya zum Glück ab. Sie wandte sich um, und als Nick wie sie und alle anderen zum Eingang blickte, traute er seinen Augen zuerst nicht. Eine wunderschöne, funkelnde Blondine mit Flügeln aus Gaze? Dann nahm er das Gesamtbild in sich auf und unterdrückte gerade noch ein lautes Lachen. Leon hatte ihm eine Märchenprinzessin mit einem Zauberstab besorgt! Natürlich würde Tanya den Scherz nicht zu schätzen wissen, aber Nick interessierte nicht mehr, was sie dachte oder tat. Wenn sie durch ein Schwenken des Zauberstabs verschwinden würde, hätte er überhaupt nichts dagegen. Er lächelte die Märchenprinzessin an. Sie würde er
nicht lang links liegen lassen, und sie weckte sein Verlangen, ohne dass er ein Zaubermittel brauchte. Sie war die beste Verkörperung einer Fantasiegestalt, die er jemals gesehen hatte. Und was für ein Körper das war! Das silberfarbene Abendkleid betonte eine Sanduhrfigur, und der hauchdünne Stoff zeigte deutlich, dass die Frau keine raffinierten Dessous nötig hatte, um so sexy zu wirken. Ihr schönes Gesicht wurde noch strahlender durch ein Lächeln, das sogar ein Herz aus Stein erweichen würde. Ein zierliches Diadem schmückte langes, glänzendes blondes Haar, das umso herrlicher aussah, als es von den Flügeln mit ihren feinen silberfarbenen Speichen und Schlingen umrahmt wurde. Wirklich eine Prinzessin, dachte Nick und wünschte sich, dass sie auf der Party bleiben würde, damit sie gemeinsam Wunder wirken konnten. So weit, so gut, sagte sich Barbie und lächelte so angestrengt, dass ihr das Gesicht wehtat. Sie hatte es ohne Panne durch den Gang zwischen den Tischen vom Eingang bis zur Tanzfläche geschafft. Ihr Auftritt kam zweifellos überraschend, und sie war dankbar, dass die Gäste positiv reagierten. Kein Pfiff oder Buhruf brachte sie aus dem Konzept, nur staunende und anerkennende Ohs und Ahs waren zu hören, und sie spürte die gespannte Vorfreud e auf das, was als Nächstes passieren würde. Leon hatte zu Sue gesagt, das Geburtstagskind und er wür den an dem Tisch direkt gegenüber der Band sitzen. Ja, da waren die beiden. Leon zeigte auf Nick, damit Barbie wusste, wer der Ehrengast war. Sie nickte. Nick lächelte sie an. Er sah sogar noch besser aus, als sie ihn in Erinnerung hatte. Das dunkelblaue Hemd brachte vorteilhaft sein schwarzes Haar und die blauen Augen zur Geltung. Er verschlang sie förmlich mit Blicken, und einen Moment lang schlug ihr Herz schneller vor Freude. Dann dachte sie wütend, dass er wahrscheinlich ein aus einer Torte steigendes kurvenreiches Bikinimädchen genauso angeblickt hätte. Sie betrachtete flüchtig die Frau, die neben ihm saß: kunstvoll zerzaustes schwarzes Haar, rot geschminkter Schmollmund, ein rotes Kleid mit einem Dekollete, das Nick zweifellos gereizt hatte. Sie war aus demselben Holz geschnitzt wie das Flittchen, das er an seinem einundzwanzigsten Geburtstag wahrer Liebe vorgezogen hatte. Barbie konnte sie auf Anhieb nicht ausstehen. Und die Frau machte keinen Hehl daraus, dass die Märchenprinzessin für Nick bei ihr nicht gut ankam. Was Barbie mit Genugtuung erfüllte. Sie lächelte ihn besonders herzlich an, bevor sie sich umdrehte und aufs Podium zum Mikrofon ging. Lass ihn sein schwarzhaariges Betthäschen ruhig vergessen und auf mich scharf sein, dachte Barbie boshaft und wiegte sich in den Hüften, damit er sich völlig auf die Märchenprinzessin konzentrierte. Sue hatte Recht. Rache war süß. Es würde Balsam für ihre verletzte Seele sein, wenn Nick an diesem Abend schließlich verrückt nach ihr sein würde. Natürlich würde es bedeuten, dass er ein oberflächlicher Mistkerl war, aber das zu beweisen könnte ihr vielleicht helfen, endlich über die Sache mit ihm hinwegzukommen. Und dann konnte sie ihn fertig machen und ihn einfach stehen lassen. Barbie achtete darauf, dass sie genau zu den letzten Akkorden von „Somewhere over the Rainbow" auf dem Podium ankam. Den Musikern machte ihr Auftritt offensichtlich Spaß. Der Bandleader zwinkerte ihr anerkennend zu, und sie hatte noch einen boshaften Einfall. „Wissen Sie, wie Marilyn Monroe ,Happy Birthday' für den Präsidenten gesungen hat?" flüsterte sie. Er nickte. Seine Augen funkelten vor Vergnügen. „Ich möchte das Tempo. Okay?" „Sie bekommen es." Barbie nahm das Mikrofon. Sie konnte gut imitieren und hoffte, dass sie Marilyn Monroe an diesem Abend schaffen würde. Wenn Nick Armstrong auf Sex-Appeal stand, würde sie ihn damit überschütten. Sue stand noch immer am Eingang und hob den Daumen. Leon Morrell beugte sich vor und sagte etwas zu Nick. Die schwarzhaarige Sexbombe sah wütend
aus. Nick lächelte seinen Freund an, ignorierte die Frau und richtete seine Aufmerksamkeit auf die Märchenprinzessin, die für ihn singen würde. Es war keine höfliche Aufmerksamkeit, wie Barbie triumphierend bemerkte. Er verschlang sie geradezu mit Blicken! Die Band fing an zu spielen. Barbie atmete tief ein und hielt das Mikrofon dicht an den Mund. „Ha...ppy birth...day ...", hauchte sie und atmete noch einmal tief ein, „dear ... Nick ..." Es war pure, honigsüße Übertreibung. Eine Welle von Belustigung durchlief das Zelt. Nick legte den Kopf zurück und lachte leise. In Ordnung, ihm gefiel es. Barbie wiederholte die Zeile und ließ ihre Stimme noch heiserer klingen. Die Musiker warteten, bis das anerkennende Gelächter aufhörte, und spielten weiter, als Barbie mit dem dritten „Happy birthday" begann. Sie gab dem hohen Ton mehr Klangfülle und fiel dann sanft ab zum „Dear Ni...ick", das sie so verführerisch flüsterte, wie sie nur konnte. Er fand es überhaupt nicht peinlich. Wie bezaubert blickte er sie an, als wollte er mehr. Barbie zog das letzte „Happy birthday" in die Länge, sang „to ... you...ou...ou" mit einem anzüglich zum Oval geformten Mund und warf Nick einen langen KUSS zu. Die Partygäste klatschten begeistert Beifall. Männer stellten sich auf Stühle und johlten und pfiffen, die Frauen jubelten lachend. Leon Morrell sprang auf, hob die Arme und heimste die Anerkennung für seine großartige Inszenierung ein. Nick beachtete jedoch weder seinen Freund noch die ausge lassenen Gäste. Er blickte seine Märchenprinzessin an, und Barbie musste sich überhaupt nicht anstrengen, als sie sein Lächeln erwiderte. Sie steckte das Mikrofon wieder auf den Ständer und verließ das Podium, bereit zum letzten Teil der Nummer. „Alle mitsingen!" schrie Leon. Die Band spielte jetzt eine fröhlichere Interpretation von „Happy Birthday", und wer noch nicht auf den Beinen war, stand jetzt auf, um dem Mann Anerkennung zu zollen, der sitzen blieb. Während Barbie mit ihrem Zauberstab auf ihn zuging, sah sie, dass die Schwarzhaarige die Hände mit den langen rot lackierten Fingernägeln über seine Schultern gleiten ließ. Nick reagierte nicht auf die eifersüchtige, besitzergreifende Berührung. Er blickte unverwandt die Prinzessin an, die auf ihn zukam. Barbie genoss es, in ihrer Rolle Macht über den einen Mann auf der Welt zu haben, über den sie Macht haben wollte. Sie erschauerte vor Wonne. Ihre Brüste prickelten, und ihr Gang wurde aufreizender. Noch nie war sich Barbie ihrer Weiblichkeit so bewusst gewesen. Dicht vor Nick blieb sie stehen. Er blickte sie an, als könnte er es nicht erwarten, sie näher kennen zu lernen. Es war ein Wunder, dass sie sich daran erinnerte, was sie mit dem Zauberstab machen sollte. „Wünschen Sie sich etwas", forderte sie ihn heiser auf, hob lächelnd den Zauberstab und drückte auf den Knopf. Der Stern an der Spitze öffnete sich, und Silberflitter sprenkelte Nicks Haar und Schultern. Barbie beugte sich vor, um den Zauber mit einem anmutigen KUSS auf seine Wange zu bekräftigen. Aber plötzlich konnte sie der Versuchung nicht widerstehen und küsste Nick auf den Mund. Im nächsten Moment verlor Barbie die Kontrolle über die Situation. Nick stand auf, schob ihr die rechte Hand ins Haar und erwiderte ihren KUSS, während er ihr den linken Arm um die Taille legte und Barbie fest an sich zog. So einen wilden, leidenschaftlichen KUSS hatte sie noch nie erlebt. Ihr wurde schwindlig von den herrlichen Empfindungen, und sie lernte, wie berauschend Lust sein konnte. Hingerissen von dieser überwältigenden Erfahrung, bemerkte Barbie nicht, dass ihr der Zauberstab weggenommen wurde. Unvermittelt löste Nick den Mund von ihrem. Gerade als sie die Augen öffnete, knallte der Stern an der Spitze des Zauberstabs auf Nicks Kopf. Der Aufprall löste den Mechanismus aus, und ein Flitterregen ging auf sie beide nieder. „Ich werde dir Zauber geben!" kreischte die schwarzhaarige Frau und hob wieder den Stab. Nick wehrte den Schlag mit dem rechten Arm ab. „Hör auf damit, Tanya!" sagte er scharf.
„Hör du auf!" erwiderte sie böse.
Benommen sah Barbie die Furie an, deren Gefühlsausbruch sie seltsam kalt ließ.
„Wie kannst du es wagen, sie vor mir zu küssen!" stieß sie wütend hervor, als Nick
versuchte, ihr den Zauberstab zu ent winden. Sie riss ihn außer Reichweite und ging auf Barbie los. Nicks anderer Arm lag noch immer um ihre Taille, und Nick hatte Barbie dicht neben sich gezogen, aber einem Frontalangriff war sie offen ausgesetzt. Höhnisch lachend holte Tanya schwungvoll aus, um diesmal Barbie auf den Kopf zu schlagen. „Und du ... du Märchenkuh kannst jemand anders melken, wenn du Sex willst. Nick gehö rt mir!" In diesem Moment entriss Leon Morrell Tanya den Zauberstab und warf ihn auf die Tanzfläche. „Reg dich ab, Tanya!" befahl er. Keine Waffe mehr zu haben mäßigte jedoch nicht ihre Wut. Tanya stürzte sich auf Barbie. Nick wehrte den Angriff mit der Schulter ab, Leon packte Tanya von hinten und drehte ihr die Arme auf den Rücken. Alles war so schnell gegangen, dass Barbie noch immer wie betäubt dastand. „Lass mich los!" schrie Tanya.
„Erst wenn du bereit bist, dich gut zu benehmen", erwiderte Leon.
„Ganz recht!" mischte sich eine Frau ein.
Sue!
„Keine Unverschämtheiten, haben Sie gesagt, Mr. Morrell", erinnerte sie ihn
aufgebracht. Die Hände in die Seiten gestemmt, blickte sie verächtlich Nick und Leon an, der noch immer die sich windende Tanya festhielt. „Die junge Elite der Gesellschaft, ja?" spottete sie. „Miss Olsen ... Sue ...", begann Leon.
„Meine Märchenprinzessin wird gut sichtbar für hundert Leute gepackt und
geküsst..." „Ich habe nicht damit gerechnet, dass sie so ..." „Wir haben Ihnen genau das geliefert, was Sie bestellt haben, Sir", unterbrach ihn Sue. „Sie haben verlangt, dass sie sexy ist." „Ich weiß. Aber..." „Die Lage zu beherrschen war Ihre Aufgabe, Mr. Morrell." „Ich tue es. Ich habe die Märchenprinzessin davor bewahrt, angegriffen zu werden. Tanya, entschuldige dich bei den Damen." „Damen? Flittchen sind das!" schrie sie. „Noch mehr Unverschämtheiten." Sue blickte wütend Nick an. „Bitte lassen Sie meine Märchenprinzessin los, Sir. Wir möchten gehen." Er tat es, und Barbie fühlte sich zittrig ohne seinen stützenden Arm. „Ich bedauere, dass die Sache außer Kontrolle geraten ist." „Vielleicht sollten Sie sie jetzt in die Hand nehmen", erwiderte Sue und sah viel sagend Tanya an. „Ich erwarte, dass Mr. Morrell die Sicherheit meiner Märchenprinzessin garantiert und uns aus diesem Zelt führt. Und ich darf wohl behaupten, Mr. Armstrong, dass Ihre Begleiterin keine Dame ist." „Was bilden Sie sich ein?" stieß Tanya wütend hervor.
Sue ignorierte sie und nickte Barbie zu. „Heb den Zauberstab auf."
Sie atmete tief ein und wollte auf die Tanzfläche gehen.
„Nein, warten Sie!" bat Nick heiser.
Barbie zögerte. Noch immer spürte sie die magische Anzie hungskraft, die er auf sie
ausgeübt hatte. Aber sie widerstand ihr. Sue hatte Recht. Sie sollten so schnell wie möglich von hier verschwinden. Das, was bereits passiert war, konnte zu nichts Gutem führen. Rache ist eine sehr heikle Sache, dachte Barbie. „Bitte bleiben Sie!" rief Nick diesmal fast gequält.
Es ging Barbie zu Herzen und verwirrte sie. Bevor sie reagie ren konnte, wurden ihre Flügel gepackt und aus den Korsettstangen an der Rückseite ihres Kleides gerissen. Entsetzt drehte sich Barbie um und sah Nick mit den Flügeln jonglieren. „Entschuldigung. Das war nicht meine Absicht. Ich wollte nur..." „Noch mehr Unverschämtheiten!" sagte Sue anklagend. „Um Himmels willen, Nick!" rief Leon flehend. „Lass die Märchenprinzessin in Ruhe, und nimm mir Tanya ab." „Ich will Tanya nicht", brauste Nick auf. „Von mir aus kann sie vo n der Harbour Bridge springen." „Du Mistkerl!" Tanya befreite sich aus Leons Griff und schlug Nick mit den Fäusten die Flügel aus den Händen, dann trampelte sie mit ihren hochhackigen schwarzen Sandaletten auf ihnen herum wie ein Derwisch. Ihre rot lackierten Zehennä gel sahen auf dem silberfarbenen Stoff aus wie Blutstropfen. Einen Moment lang waren alle wie gelähmt vor Schreck. „Nein, nein ...", jammerte Barbie. Es veranlasste Nick zu handeln. Er hob die vö llig hysterische Tanya hoch und trug sie zur anderen Seite des Tisches, wo er sie gewaltsam festhielt, damit sie nicht noch mehr Schaden anrichtete. Barbie bückte starr die kaputten Flügel an. Es hatte so viele Stunden gedauert, sie zu entwerfen und zu konstruieren, und sie waren schön gewesen. Tränen traten ihr in die Augen. Irgendjemand tippte ihr auf den Arm und reichte ihr den Zauberstab, den sie hatten holen wollen. Der Stern an der Spitze war auch kaputt. Er hing schief herunter. „Dafür werden Sie eine dicke Rechnung bekommen, Mr. Morrell", drohte Sue finster. Sie verschränkte die Arme und sah ihn streitlustig an. „Okay, ich zahle", versprach er seufzend. „Könnten wir jetzt bitte gehen?" Er lotste Sue und Barbie durch das Gedränge aus dem Zelt. Die kaputten Flügel blieben zurück. Ein guter Scherz sei schief gegangen, sagte er zu Sue, die ihn scharf kritisierte, weil er nicht für ausreichenden Schutz gesorgt hatte. Barbie schwieg. Sie betrachtete den arg mitgenommen Zauberstab mit dem lose hängenden Stern. Wie eine Sternschnuppe, dachte sie. Ein Wunsch ... Wurden Wünsche jemals wahr?
3. KAPITEL
Leon hoffte, dass sein Freund die Geburtstagskatastrophe vergessen hatte, als er zur normalen Montagmorgenbesprechung in Nicks Büro stürmte, wurde jedoch mit dem unbestreitbaren Be weis dafür konfrontiert, dass Nick noch immer davon besessen war. „Was sollen die Flügel auf deinem Schreibtisch?" fragte Leon entnervt. „Ich werde sie reparieren", erwiderte Nick aggressiv. „Und wie willst du das machen? Tanya hat mit ihren Stilettoabsätzen so viele Löcher in den Stoff getreten, dass er nicht mehr zu flicken ist." Nick blickte Leon finster an. „Das ist mir auch klar. Deshalb muss ich den Stoff ersetzen. Du hast doch sicher nichts dagegen, mir heute Morgen eine Zeit lang deine Sekretärin zu leihen. Sie wird wahrscheinlich wissen, wo ich den Gleichen bekomme ..." „Du kannst Sharon nicht für deine Privatangelegenheiten einsetzen. " Nick zog herausfordernd die Augenbrauen hoch. „Kann ich nicht?" „Das ist ja lächerlich!" schimpfte Leon. „Ich bezahle den Schaden, sobald die Rechnung eingeht, und damit ist die Sache erledigt." „Ich werde die Flügel reparieren", wiederholte Nick eigensinnig. „Warum?" „Weil ich es will. Weil es ihr sicher etwas bedeutet, wenn ich sie ihr zurückgebe." Leon seufzte. Sein Freund war zweifellos verrückt. „Es war nur eine Vorstellung, für die ich bezahlt habe. Nichts weiter. Nur eine ..." „Es ist mehr daraus geworden." „Okay, sie war schön und sexy. Sie hat dich erregt. Aber du kennst die Frau überhaupt nicht, Nick. Vielleicht ist sie ..." „Mir ist gleichgültig, was sie ist!" Nick schlug mit der Faust auf den Schreibtisch und stand auf. „Ich will das noch einmal fühlen. Als ich sie geküsst habe ... So etwas hatte ich noch nie erlebt. Sie ist anders, Leon." „Märchenprinzessinnen sind nun einmal anders. Wie das Zeug, das wir träumen." Dieses sehr vernünftige Argument brachte Leon einen ungeduldigen Blick ein, der besagte, dass er nicht die Erfahrung habe, um es zu verstehen. „Ich kann es nicht loslassen", erklärte Nick unnachgiebig. Völlig verrückt! Leon wusste, wann er mit dem Kopf gegen die Wand rannte. „Dann hast du sie also aufgespürt und dich mit ihr verabredet?" Nick verzog frustriert das Gesicht. „Ich habe gestern immer wieder die Nummer von ,Partyüberraschung' gewählt, und jedes Mal bin ich nur an den Anrufbeantworter geraten. Heute Morgen hat sich endlich Sue Olsen gemeldet, aber sie hat es kategorisch abgelehnt, mir den Namen und die Adresse der Märchenprinzessin zu geben. Das sei gegen die Unternehmenspolitik." Völlig richtig, dachte Leon. Fantasie und Realität vertrugen sich nicht. Es war Zeitverschwendung, Erwartungen nachzujagen, die niemals erfüllt werden konnten. „Aber ich bekomme heraus, wie sie heißt und wo sie wohnt", sagte Nick leise! „Bevor ich Fragen gestellt habe, hat Sue Olsen aufgezählt, was man bei ,Partyüberraschung' alles bestellen kann. Ich werde meine Schwester bitten, für ihre Kinder ,Die singenden Sonnenblumen' zu engagieren. Meine Märchenprinzessin ist Sängerin, stimmt's? Vielleicht ist sie auch eine von den Sonnenblumen." Nicks verzweifelte Hoffnung überzeugte Leon davon, dass sein Freund nicht viel kreative Arbeit leisten würde, wenn er ihm nicht schnell half. Sofort änderte er seine Meinung. Je eher Nicks Erwartungen zunichte gemacht wurden, desto besser. „Die Mühe kannst du dir sparen", sagte er besänftigend. „Ich werde alles dafür tun", erwiderte Nick energisch. „Ich muss sie finden." „Klar. Ich verstehe. Ich habe nur gemeint, dass du es mir überlassen solltest. Ich habe den Namen und die Adresse, bevor der Tag zu Ende ist."
Nick runzelte die Stirn. „Wie?" fragte er zweifelnd. „Ich rufe Sue Olsen an und lade sie als Entschuldigung für den Schlamassel am Samstagabend zum Mittagessen ein. Wir treffen uns in einem Restaurant ihrer Wahl, ich schreibe sofort einen Scheck über die Schadenssumme aus und schmeichle ihr. Ein Kinderspie l. Wie du weißt, bin ich das Verkaufsgenie in der Branche und kann jede Idee an den Mann bringen. Ich beschwatze sie." „Und ihre Unternehmenspolitik?" „Ich finde ein Hintertürchen. Vertrau mir." Nick seufzte laut. Dann kniff er die Augen zusammen. „Und wenn du sie noch weiter in Abseitsstellung bringst?" „Die temperamentvolle kleine Rothaarige hat nicht abseits gestanden. Sie hat das Eisen geschmiedet, solange es heiß war. Durch und durch opportunistisch, wie ich. Tatsächlich gehe ich gern mit ihr essen. Ich habe das Gefühl, dass Miss Olsen und ich dieselbe Sprache sprechen." „Okay. Mach nur keinen Fehler, Leon. Es ist wirklich wichtig für mich." „Das klappt, ich schwöre es. Schieb einfach die Flügel von deinem Schreibtisch, und geh an die Arbeit, während ich ..." „Ich werde sie trotzdem reparieren. Schickst du mir bitte Sharon?" „In Ordnung", sagte Leon mit zusammengebissenen Zähnen. „Aber nimm nicht zu viel Bürozeit dafür in Anspruch. Sekretärinnen für Privatangelegenheiten einzuspannen ist ein Ärgernis, Nick. Und du hast auch einen vollen Terminkalender." „Ich will sie nur um Rat fragen." „Ja, schon gut! Wir reden später." Leon ging kochend vor Wut hinaus. Frauen! Er war Tanya Wells losgeworden, nur um jetzt ein neues Problem am Hals zu haben. Es war die reinste Ironie. Eine gute Fee sollte Schwierigkeiten beseitigen und sie nicht machen. Anstatt einer echten Frau hätte er eine Puppe engagieren sollen. Großer Fehler, Leon! schimpfte er mit sich. Aber es gab einen Lichtblick. Eine sehr temperamentvolle kleine Rothaarige. Niedlich war sie auch. Er hatte überhaupt nichts dagegen, mit Sue Olsen zu Mittag zu essen. Ja, das war zweifellos ein Lichtblick. Barbie versuchte noch immer, den kaputten Zauberstab zu reparieren, als das Geh- zumTeufel-Telefon klingelte. Sie runzelte die Stirn. Sue war mit Leon Morrell essen gegangen, überzeugt, einen Scheck über den Schadensbetrag zu bekommen. Während ihrer Abwesenheit sollte sie, Barbie, sich mit allen anrufenden Kunden befassen. Sie ging nur nicht gern ans Rache- Telefon, wie sie es nannte. Warum hatte es nicht das für Partyüberraschung sein können? „Geschäft ist Geschäft", sagte sie und legte resigniert seufzend den Zauberstab hin. Nach dem katastrophalen Zusammentreffen mit Nick Armstrong hatte sie eine besonders zwiespältige Meinung über Rache. Widerwillig hob sie den Hörer ab und zog einen Bestellblock und einen Kugelschreiber in Reichweite. „Geh zum Teufel", meldete sie sich ausdruckslos, unfähig, Sues Enthusiasmus zu vermitteln. „Was kann ich für Sie tun?" „Ich möchte, dass Sie ein Dutzend verwelkte Rosen an Nick Armstrong bei MultiMedia Promotions liefern." Barbies Herz schlug schneller. Sprach sie mit der schwarzhaarigen Hexe, die ihre Flügel kaputt getreten hatte? „Ihren Namen bitte?" „Tanya Wells." Tatsächlich! Auch wenn sie jetzt nicht so kreischte wie auf der Party, war ihr die schrille Stimme sofort bekannt vorgekommen. „Auf der Karte soll nur ein einziges Wort stehen: Versager!" „Und Ihr Name?" „Nein, er wird wissen, von wem es kommt", erwiderte Tanya gehässig. „Bevor wir weitermachen, will ich wissen, wann Sie ausliefern können. Es muss heute sein, und zwar je eher, desto besser."
Barbie ärgerte sich über den herrischen Ton. Diese Frau erwartete zweifellos, dass immer alles nach ihr ging. Trotzdem hatte sie als Kundin ein Anrecht auf den Service, für den sie zahlte. „Einen Moment, ich sehe nach", sagte Barbie gespielt ruhig. Versager! Tanya Wells war wirklich unglaublich eingebildet. Oder hatte sie vielleicht Grund, zu glauben, dass Nick die Beziehung zu ihr hoch schätzte? Wenn er es tat, war es dumm von ihm gewesen, sich auf seiner Geburtstagsparty so zu benehmen. Andererseits war es möglich, dass er an Frauen nur eins schätzte und meinte, er hätte eine neue Kandidatin gefunden, die seine Bedingung besser als Tanya erfüllte. Ist er deshalb so versessen auf meinen Namen und meine Adresse? dachte Barbie. „Also? Wann können Sie ihm die verwelkten Rosen bringen?" fragte Tanya ungeduldig. „Um drei Uhr würde es vielleicht gehen." Barbie legte sich nicht fest, weil sie Tanya Wells keinesfalls entgegenkommen wollte. „Nicht früher?" Nicht, wenn Sue den Auftrag erledigte. Und wenn sie es selbst übernehmen würde? In einem schwarzen Kostüm, das Haar unter einen Hut gesteckt, mit einer Sonnenbrille ... Sie würde völlig anders aussehen als die Märchenprinzessin, die Nick am Samstagabend gefallen hatte. Und wenn er sie doch wieder erkennen würde, konnte sie einen doppelten Schlag austeilen, indem sie ihn zurückwies. Es würde ihm recht geschehen, dafür bestraft zu werden, dass er Schindluder mit ihr getrieben hatte! Zumindest hatte er sie nicht als Barbie Webster identifiziert. Ihm die Blumen zu bringen würde nicht zu einer demütigenden Reise in die Vergangenheit führen. Und es wäre ... interessant, ihn an seinem Arbeitsplatz wieder zu sehen. Versuchung war etwas Schreckliches. „Zwei Uhr könnten wir schaffen, wenn Ihnen das besser passt." Es war jetzt kurz vor zwölf. Sie brauchte Zeit, um sich zurechtzumachen. „Großartig! Das müsste ihm heute Nachmittag seine geliebte Arbeit vermasseln." Barbie runzelte die Stirn. Es stand ihr nicht gut zu Gesicht, bei den Wünschen dieser gehässigen Frau mitzuspielen. Aber konnte sie beurteilen, was wirklich zwischen Tanya Wells und Nick vorgegangen war? Wenn er wirklich ein oberflächlicher Mistkerl war, hatte sie vielleicht einen triftigen Grund. „Darf ich um Ihre Kreditkartenangaben bitten, Miss Wells?" Barbie schloss das Geschäft ab und fragte sich dann besorgt, ob es klug gewesen war, diesen Auftrag zu übernehmen. Nicks Anrufe bei Partyüberraschung bewiesen, dass er sie wieder sehen wollte. Nur wusste er nicht, wer sie war. Wie würde er reagieren, wenn er es herausfand? Eine sexy Fantasiegestalt war eine Sache, die Realität eine ganz andere. Sie hatte jedenfalls herausgefunden, wie es war, verlangend von ihm geküsst zu werden. Und sie konnte nicht leugnen, dass sie selbst von Verlangen durchflutet worden war. Zweifellos war es jedoch nicht mehr gewesen als ein leidenschaftlicher Moment, entstanden durch flüchtige Emotionen auf beiden Seiten. Nicks wütende Bemerkung, Tanya könne von der Harbour Bridge springen, deutete darauf hin, dass die beiden Streit gehabt hatten, bevor sie als Märchenprinzessin auf der Bildfläche erschie nen war. Rache ... Vielleicht hat sich Nick an Tanya gerächt, indem er mich geküsst hat! dachte Barbie. Sie sah den Bestellzettel an, den sie gerade ausgefüllt hatte. Sollte sie besser nicht gehen? Sue konnte den Auftrag übernehmen, wenn sie von ihrem Mittagessen mit Leon Morrell zurückkam. Was machte es schon aus, wenn sie die Blumen ein bisschen später auslieferten? Nein! Sie wollte Nick selbst sehen, am helllichten Tag. Sue hatte Recht. Der Katzenjammer aus der Vergangenheit musste ein Ende haben. Der Samstagabend hätte den Zweck erfüllen sollen, aber als Nick sie geküsst hatte ... Irgendwie hatte der KUSS alles nur noch verschlimmert. Er hatte aufgerührt, was sie hatte hinter sich lassen wollen. An diesem Nachmittag würde es anders sein. Es war am besten, zu ihm zu gehen und sich davon zu überzeugen, dass Nick Armstrong nichts an sich hatte, was es wert war, in Erinnerung behalten zu werden.
4. KAPITEL
Nick lehnte die kaputten Flügel an den Aktenschrank und rückte den Stuhl daneben. Er hatte ein Stück des beschädigten Stoffs als Muster herausgeschnitten, und jetzt sahen sie noch schlimmer aus. Sharon hatte ihm ein Geschäft in der Strand Arcade empfohlen, wo er neuen Stoff gekauft hatte. Der Verkäufer hatte geschworen, dass es der gleiche sei. Nick war nicht ganz so sicher und wollte nachprüfen, ob es wirklich stimmte. Er öffnete das Paket, schüttelte den gefalteten Organza aus und hängte ihn über, den Stuhl, dann ging er einige Schritte zurück und sah von einem zum anderen. Zufrieden und erleichtert stellte er fest, dass sich der Verkäufer ausgekannt hatte. Es war der gleiche Stoff. Als es leise klopfte, lächelte Nick. Das war sicher Sharon, um zu sehen, ob er bei seiner Suche in der Mittagspause Erfolg ge habt hatte. „Herein", rief er, ohne zur Tür zu blicken. Barbie atmete tief ein. Sie hatte auf dem Weg zu dieser Tür neugierige Blicke aushalten müssen. Die Empfangsdame war offensichtlich unsicher gewesen, ob sie ihr sagen sollte, wie sie zu Nick Armstrongs Büro kam, und Barbie hatte befürchtet, zurückgerufen und genauer befragt zu werden. Aber sie hatte es bis hierher geschafft, ohne angesprochen zu werden. Wahrscheinlich hatte es wegen der Trauerkleidung niemand gewagt. Und jetzt wurde sie von Nick aufgefordert hineinzugehen. Sie musste die Sache durchführen. Es wäre dumm, jetzt einen Rückzieher zu machen. Ihr Herz hämmerte, als sie die Tür öffnete. Vor Aufregung zitterten ihr die Knie, und sie hatte das unheimliche Gefühl zu schweben, während sie das Zimmer betrat, um sich dem Mann und den Gefühlen zu stellen, derentwegen sie gekommen war. Nur dass er sie nicht einmal anblickte. Er konzentrierte sich völlig auf ... ihre Flügel! „Sehen Sie?" Er zeigte auf den Stoff, der über dem Stuhl neben ihm hing. „Genau der Gleiche!" Barbie war sprachlos. Sie betrachtete den silberfarbenen Organza, dann den Mann, der sich die Mühe gemacht hatte, den Stoff zu besorgen. Würde ein oberflächlicher Mistkerl ihre Flügel reparieren wollen? War Leon Morrell nicht gerade dabei, für alle Schäden zu bezahlen? Was ging hier vor? Sie wünschte, sie könnte Nicks Gedanken lesen. Er lächelte, aber was bedeutete das? Erinnerte er sich an die Märchenprinzessin und erhoffte sich mehr von ihr? Oder plante er bereits, wie er mehr bekommen konnte? Sie erschauerte, während sie ihn betrachtete. Er sah so gut aus, so stark und männlich. Sein dichtes schwarzes Haar berührte den Kragen des weißen Hemds. Er hatte breite Schultern und einen sexy Po, den die graue Hose betonte. Sie dachte daran, wie es sich angefühlt hatte, als ihre Brüste an seine harte, muskulöse Brust gepresst worden waren ... Plötzlich sah Nick sie an, und Barbie zuckte erschrocken zusammen. Sein Lächeln verschwand, während er sie von oben bis unten musterte. Sie geriet in Panik. Würde er sie wieder erkennen? War es möglich? Trotz der großen Sonnenbrille und des schwarzen Huts, den sie sich tief in die Stirn gezogen hatte und der ihr Haar verbarg? Sie umfasste den in schwarzes Seidenpapier eingewickelten Rosenstrauß fester. Wenn nötig, würde sie ihn als Waffe benutzen. „Wer sind Sie?" fragte Nick scharf. Er hatte sie nicht erkannt! Barbie versuchte, wieder einen klaren Kopf zu bekommen. Sie war nicht hier, um sich von diesem Mann erneut zerstören zu lassen. Ihr Selbsterhaltungstrieb verlangte, dass sie ihren Job machte und ging. „Mr.Nick Armstrong?" Sie sprach zu leise und heiser. Er runzelte die Stirn. Erinnerte er sich? Verglich er ihre Stimme mit der, die er auf seiner Geburtstagsparty gehört hatte? „Ja", erwiderte er schließlich und blickte beunruhigend lange auf ihren Mund. Unwillkürlich blickte Barbie auf seinen und dachte an Nicks K uss und an die Empfindungen, die er geweckt hatte ... Dass sie sich so verräterisch ablenken ließ, machte sie noch nervöser. Hastig sagte sie den
für diesen Auftrag einstudierten Satz auf: „Ich überreiche Ihnen hiermit eine Lieferung von Geh zum Teufel." „Wie bitte?" fragte Nick ungläubig. Irgendwie fand sie die Kraft, vorzutreten und ihm den Strauß hinzuhalten. „Dies wurde für Sie bestellt." „Von wem?" Er nahm die Blumen nicht an, und Barbie hatte das überwältigende Gefühl, sich in Gefahr gebracht zu haben, indem sie näher an ihn herangegangen war. Sie war sich seiner Männlichkeit so stark bewusst, dass ihr ganzer Körper zu prickeln begann, und sie wünschte, sie könnte einfach davonlaufen. Aber sie ahnte, dass Nick es nicht zulassen würde. Das schwarze Seidenpapier raschelte ein bisschen. Ihr zitterten die Hände. „Unsere Kundin hat gesagt, Sie würden wissen, von wem es ist", erklärte sie schnell, damit sie über die Panne hinwegkam. „Eine Frau, die will, dass ich zum Teufel gehe?" Er verweigerte noch immer die Annahme und betrachtete Barbie forschend. „Na, wer das wohl ist?" Er konnte unmöglich durch die dunklen Brillengläser sehen. Barbie atmete tief ein, um sich zu beruhigen. Offensichtlich bemerkte er, wie sich dadurch die enge Kostümjacke über ihren Brüsten spannte, denn er blickte sofort dorthin, Sie spürte, wie sie reagierte. „Ich bin nur die Botin", stieß sie hervor, entsetzt, dass die Spitzen hart wurden. Jetzt ließ er den Blick wieder zu ihrem Mund und weiter zur Sonnenbrille gleiten. „Ich verstehe." Was verstand er? Und was sollte sie tun, wenn er sie erkannte? Was wollte sie eigentlich? Wie war es nur möglich, dass sie so stark auf Nick Armstrong reagierte? Das war kein Katzenjammer aus der Vergangenheit, das war hier und jetzt! „Eine Botin in Trauerkleidung, die zweifellos betonen soll, dass mir dieses Geschenk ein schlechtes Zeugnis ausstellt. Und Sie werden dafür bezahlt, das Theater aufzuführen. Ihre Rolle mit allem Drum und Dran zu spielen, könnte man sagen." „Ja, ich werde dafür bezahlt", gab Barbie zu. Nicks Gesichtszüge wurden härter, und seine Augen funkelten spöttisch. „Offensichtlich sind Sie stolz darauf, jedes Detail zu beachten. Spielen Sie alle Ihre Rollen so perfekt?" Er hatte den Verdacht, dass sie die Märchenprinzessin vom Samstagabend war! Und es gefiel ihm überhaupt nicht. Während sich Barbie wie in einem Käfig vorkam, den sie sich selbst gebaut hatte, entriss er ihr den Blumenstrauß und musterte sie wieder von oben bis unten. Diesmal interessierte er sich zweifellos nicht für die Trauerkleidung, sondern nahm ihre Figur in sich auf. Barbie brannte das Gesicht. Sie ahnte, dass er sie dabei im Geiste in ihrer anderen Rolle vor sich sah und die Rachegöttin mit der Märchenprinzessin verglich. Und warum fühlte sie sich so schuldig? Sie hatte nichts Unrechtes getan, oder? Alles hatte mit dem Wunsch angefangen, die quälenden Erinnerungen an Nick endlich loszuwerden und die Sache mit ihm für immer abzuschließen. Unerbittlich wurde ihr Blick von den am Aktenschrank lehnenden kaputten Flügeln und dem Stoff angezogen, den Nick offensichtlich gekauft hatte, um sie zu reparieren. Warum? Was hatten sie für eine Bedeutung für ihn? „Ein Strauß verwelkter Rosen", sagte er spöttisch. „Ein Symbol für das Ende der Liebe?" Barbie sah wieder ihn an und platzte mit dem Grund heraus, warum sie hierher gekommen war. „Abschließen." Nur dass es keinen Abschluss geben konnte, solange so verlockende Fragen unbeantwortet blieben. „Wie bitte?" „Geh zum Teufel steht kurz vor der Schließung", behauptete sie schnell. Sie wusste, dass sie nicht länger bleiben sollte. Nick hatte die Lieferung abgenommen, also war ihr Auftrag erledigt. Aber sie war so durcheinander, dass sie wie gelähmt war. „Ah!" Nick las die Karte. „,Versager'!" Er lächelte ironisch. „Typisch für Tanya, dass sie das letzte Wort haben und sich mir in Erinnerung bringen will. Tja, mit ihrer letzten
Gehässigkeit hat sie nur ihr Geld verschwendet. Es berührt mich überhaupt nicht." Die Flügel der Märchenprinzessin mussten ihn berühren, sonst wären sie nicht hier in seinem Büro. „Haben Sie viele Kunden, die so einen Schlussstrich unter einen Streit ziehen wollen?" fragte er neugierig. „Ziemlich viele." Barbie war sehr beunruhigt darüber, dass er von einer „letzten Gehässigkeit" gesprochen hatte. Rache sollte ausgleichende Gerechtigkeit sein. Auge um Auge. Eine Kränkung für eine andere. Hatte Tanya keinen triftigen Grund gehabt, sich an ihm zu rächen? „Können die Kunden bestimmen, wer die Auslieferung übernimmt?" Glaubte er, Tanya hätte ausdrücklich verlangt, dass sie ihm die verwelkten Rosen brachte? Hielt er sie für eine Mitverschwörerin? In gewisser Hinsicht bin ich das, dachte Barbie. Aber sie hatte nicht gewollt, dass er in ihr die Märchenprinzessin wieder erkannte, auch wenn sie in Betracht gezogen hatte, ihm einen doppelten Schlag zu versetzen. Das sollte jedoch die Vergeltung dafür sein, dass er Schindluder mit ihr getrieben hatte. Und wie passte das zu der Zeit und Mühe, den Stoff zu kaufen, um ihre Flügel zu reparieren? Alles an diesem Auftritt als Rachegöttin war falsch, und Barbie hatte das flaue Gefühl, dass sie nichts mehr in Ordnung bringen konnte. Es war das Beste, von hier zu verschwinden. Schnell. „Nein, die Botin bleibt für beide Parteien anonym", erwiderte sie und machte einen Schritt zurück, um zu testen, ob sie für eine Flucht sicher genug auf den Beinen war. „Anonym", wiederholte Nick. Seine Augen funkelten gefährlich, und Barbie konnte kaum noch atmen. „Ja. Und jetzt, da ich den Strauß an Sie ausgeliefert habe, entschuldigen Sie mich bitte." Sie drehte sich auf dem Absatz um und ging zur offen stehenden Tür. Nick legte ihr die Hand auf die Schulter und hielt Barbie zurück. Entsetzt spürte sie, dass er ihr den Hut vom Kopf riss und sich die Nadeln lösten, mit denen sie ihr Haar hoch gesteckt hatte. Das lange blonde Haar, das Nicks Verdacht ganz bestimmt bestätigen würde!
5. KAPITEL
Barbie hatte das Gefühl, dass alles außer Kontrolle geriet. Verzweifelt hob sie die Hände und hielt ihr Haar hoch, riss sich los und drehte sich um. „Mein Hut!" rief sie empört. Ohne ihren Protest zu beachten, nahm Nick ihr blitzschnell auch noch die Sonnenbrille ab, so dass Barbie seinem Blick schutzlos ausgeliefert war und er sie zweifelsfrei identifizieren konnte. „So trifft man sich wieder." Er lächelte nervenaufreibend zufrieden, und seine Augen funkelten triumphierend. „Eine sehr interessante ... Reinkarnation." Die effektvolle Enttarnung war ein Schock für Barbie. Noch immer hatte sie die Hände in ihrem Haar, obwohl jede Rettungsaktion jetzt sinnlos war. Sie blickte Nick starr an, während er ihre Sonnenbrille zusammenklappte und sie in seine Hemdtasche steckte. „Sie gehört mir", sagte Barbie, während sie darum rang, die Fassung wiederzugewinnen. „Bei mir ist sie sicher aufgehoben." Er ging an Barbie vorbei, schloss die Tür und stellte sich davor. „Und wir sind vor Störungen sicher", erklärte er energisch. Barbie hatte sich überrascht umgedreht und wartete wie hyp notisiert darauf, was er als Nächstes tun würde. Ihr Herz hämmerte. Ohne sich dessen bewusst zu sein, ließ sie langsam die Hände sinken. „Von der Märchenprinzessin zur finsteren Rachegöttin", sagte er sarkastisch. „Machen Ihnen Ratespiele Spaß?" „Sie sollten mich nicht wieder erkennen." Er zog herausfordernd die Augenbrauen hoch. „Dann wollten Sie also die Oberhand haben, damit Sie mich überprüfen können, während ich von Tanya unter Beschuss genommen werde." „So ungefähr", gab Barbie zu. „Die Beziehung zu Tanya war schon vor der Party am Ende. Keiner von uns beiden war mit dem anderen glücklich." „Und warum waren Sie noch mit ihr zusammen?" „Die Party war schon vor einiger Zeit geplant worden. Ich wollte nicht unhöflich sein und habe die Einladung nicht zurückgenommen. Aber ich bereue es", sagte Nick leise, und seine Augen funkelten plötzlich vor Verlangen. Es weckte sofort unkontrollierbare Reaktionen. „Tanyas Gefühle waren Ihnen gleichgültig", erwiderte Barbie scharf und erinnerte sich daran, dass ihm vor neun Jahren ihre Gefühle auch gleichgültig gewesen waren. Sie hatte so lange gespart, um ihm das Geburtstagsgeschenk zu kaufen, und er hatte ihr gedankt und es dann beiseite gelegt. Aber als er von dem sexy Flittchen auch eine Armbanduhr bekommen hatte - eine, die allerdings viel teurer gewesen war.-, hatte er sie getragen und damit allen gezeigt, wessen Geschenk ihm mehr bedeutete. „Manche Gefühle können stärker sein als alle anderen." Ja, Gefühle unter der Gürtellinie, dachte Barbie, die darum kämpfte, vernünftig zu bleiben und im richtigen Verhältnis zu sehen, was sie auf der Party mit ihm erlebt hatte und wie er sie jetzt anblickte. „ Sogar eine Verkleidung ändert nichts daran ", sprach er weiter und ging langsam auf Barbie zu. „Ich habe mir die kaputten Flügel angesehen und plötzlich Ihre Anwesenheit gespürt." Nein, das ist unmöglich, sagte sich Barbie, weil sie es nicht glauben wollte. „Meine Kopfhaut fing an zu prickeln." Ihre fing an zu prickeln, während er näher kam. Hatte sie das mit ihm gemacht, als sie ihn betrachtet und sich dabei daran erinnert hatte, wie es gewesen war, von ihm geküsst zu werden? „Ein außergewöhnliches Gefühl", sagte er. „Wie eine magische Kraft, die intensive Empfindungen auslöst." Zweifellos erlebte sie jetzt intensive Empfindungen. Es kam ihr nicht in den Sinn zurückzuweichen. Sie war völlig darin versunken, Nick zu beobachten.
„Ich habe mich umgedreht, eine Fremde in Schwarz gesehen und geglaubt, mein Instinkt hätte mich im Stich gelassen." Er blieb kaum eine Armeslänge von Barbie entfernt stehen und blickte sie spöttisch an. „Dann haben Sie etwas gesagt, und die Stimme war unverkennbar." Barbie war empört. Und warum hatte er nicht sofort erkannt, dass sie Barbie Webster war, als er am Samstagabend ihre Stimme gehört hatte? Ihre Familien hatten jahrelang miteinander verkehrt. Hatte er sich nicht einmal damit abgegeben, ihr zuzuhören? „Wütend, weil Ihre Täuschung missglückt ist?" „Ich glaube Ihnen nicht. Warum haben Sie mir den Hut vom Kopf gerissen, wenn Sie so sicher waren?" „Um Sie daran zu hindern zu gehen." „Warum haben Sie mir auch noch die Sonnenbrille wegge nommen?" „Ich kann es nicht ausstehen, mit Leuten zu reden, die sich hinter dunklen Gläsern verstecken." „Dazu hatten Sie kein Recht." „Sie sind hierher gekommen, um mich zum Narren zu halten. Niemand hat von Ihnen verlangt, diesen Job zu machen, stimmt's? Sie wollten ihn, weil er mit mir zu tun hat. Ich denke, das gibt mir das Recht, nach dem Grund zu fragen und Ihnen die Antwort von den Augen abzulesen." Barbie erwiderte nichts. „Konnten Sie nicht von mir fernbleiben?" fragte Nick verführerisch. „Doch, ich konnte." Sie ärgerte sich über seine Anziehungskraft, die er sogar gegen ihren Willen auf sie ausübte. „Es ging nur ums Geschäft. Warum sollte ich einen Auftrag ablehnen, weil Sie der Empfänger sind? Sie haben keinen Einfluss auf mein Leben, Mr. Armstrong." Er lächelte herausfordernd. „Dann spielt es ja wohl auch keine Rolle, wenn Sie mir Ihren Namen mitteilen." „Das gehört nicht zu meinem Auftrag. Ich habe getan, wofür ich bezahlt werde. Auf mehr haben Sie kein Anrecht." „Sie sind bestimmt nicht dafür bezahlt worden, auf meinen KUSS zu reagieren. Und ja, Tanya hat die Situation verworren gemacht. Aber erzählen Sie mir nicht, Sie seien aus rein geschäftlichen Gründen hierher gekommen. Sie dachten, es sei eine gute Möglichkeit, gefahrlos in Erfahrung zu bringen, ob Sie noch einmal empfinden könnten, was Sie am Samstagabend empfunden haben." Es stimmte. Sie begehrte Nick, hatte ihn immer begehrt. Aber warum sehnte sie sich nur nach einem Mann, der ihre Liebe völlig gefühllos zurückgewiesen hatte? Barbie ließ den Blick zu den kaputten Flügeln gleiten. „Ich wollte sie reparieren", sagte Nick leise. Leichter zu reparieren als ein gebrochenes Herz, dachte sie grimmig und sah wieder ihn an. Seine Augen funkelten plötzlich vor Verlangen, und sie geriet noch mehr aus der Fassung. Was war mit ihm? Hatte er ein Herz, das man ihm brechen konnte? „Warum?" stieß sie mühsam hervor. „Weil sie zu dem Wunder gehören, das zwischen uns gesche hen ist. Ich wollte nicht, dass irgendetwas ruiniert ist, was mit Ihnen und diesem perfekten Moment zu tun hat." Vor neun Jahren hat er nicht so gedacht, sagte sich Barbie, aber die Erinnerung konnte sie nicht mehr gegen die Gefühle schützen, die er in ihr weckte. Es war jetzt anders. Ihm lag etwas an ihr. Oder wünschte sie sich nur, dass es so war? Nick streckte die Hand aus und streichelte ihr sanft die Wange. „Die Empfindungen waren real. Jetzt sind sie es auch. Was beweist, dass sie keine Einbildung waren." Seine Berührung ließ ihre Haut prickeln und ihr Herz schneller schlagen. Barbie war unfähig, sich zu rühren. „Und es war nicht einseitig. Du hast meinen KUSS sofort erwidert." Seinen KUSS ... Sehnsucht durchflutete Barbie. Das sexy Flittchen mit dem Sportwagen war vergessen. Tanya auch. Dies ist meine Zeit mit Nick, dachte Barbie. Mit dem Mann, den
sie geliebt und gehasst, von dem sie geträumt hatte. Warum nicht nehmen, was sie jetzt haben konnte? Er schob ihr die Hand ins Haar und neigte langsam den Kopf. Vorfreude vertrieb alle störenden Gedanken. Es war, als würde sich ihr ganzer Körper nach Nicks KUSS sehnen. Würde sie dasselbe empfinden wie am Samstagabend? Mehr? Barbie schloss die Augen und konzentrierte sich völlig auf den ersten sanften Druck seines Mundes auf ihrem. Nick liebkoste, erforschte und weckte den unwiderstehlichen Wunsch, aus eigener Initiative Sinneseindrücke zu sammeln und Nick ebenso zu erregen, wie er sie erregte, Sobald sie zögernd mit seiner Zunge zu spielen begann, küsste er sie aggressiv und besitzergreifend, und Barbie genoss es. Sie legte ihm die Arme um den Nacken und schmiegte sich an Nick. Wie am Samstagabend, bevor Tanya den Zauber gebrochen hatte, wollte Barbie seine Erregung spüren, und sie ermutigte ihn, bis sie sich beide nach Erfüllung ihres Verlangens sehnten. „Nick!" Sie hörten es, waren aber so tief ineinander versunken, dass sie auf die Störung nicht reagierten. „Bist du völlig verrückt geworden?" Nick beendete den KUSS widerwillig. „Raus, Leon." „Wirklich großartig!" Leon lachte frustriert. „Ich bringe Sue Olsen mit, damit sie dich selbst überprüfen kann, und die Märchenprinzessin ist schon Vergangenheit." Erschrocken öffnete Barbie die Augen. Sue konnte alles vermasseln! „Ich brauche keine Hilfe mehr", erklärte Nick kurz angebunden. Er drehte Barbie halb herum, so dass sein Freund sie sehen konnte. „Ich habe die Märchenprinzessin bei mir. Also verzieh dich, Leon." „Barbie!" rief Sue schockiert. Der fatale Name konnte Nick an Barbie Webster erinnern, und dann würde er sie erkennen. Ihm würde der grässliche Spitzname einfallen, Wauwau Webster, und was sie mit sechzehn für ihn empfunden hatte. Damit wäre alles zwischen ihnen zerstört. Er würde anders an sie denken, amüsiert und nicht erregt. Barbie geriet in Panik. Sie blickte starr Sue an, die neben Leon Morrell stand, der die Tür zweifellos in der Erwartung aufgestoßen hatte, dass sein Partner bei der Arbeit war. Wie ließen sich weitere Enthüllungen verhindern? „Sie ist es wirklich!" sagte Leon überrascht. „In Trauerkleidung?" „Ein Auftrag für Geh zum Teufel von der Hexe, die meine Flügel kaputtgemacht hat", teilte Barbie ihrer Freundin mit und hoffte, ihr den Mund zu stopfen. „Ich musste kommen ..." „Geschäftlich." Sue verstand und sah missbilligend Nick an. „Und er ist wieder über dich hergefallen." „Mir schien es auf Gegenseitigkeit zu beruhen", sagte Leon. Er warf Sue einen schlauen Blick zu. „Es wäre ein fadenscheiniger Versuch, dafür Schadenersatz zu verlangen. Sie hat sich mit Sicherheit nicht gewehrt. Von einem Kampf war nun wirklich nichts zu sehen. Tatsächlich ..." „Entschuldige, aber dies ist mein Büro", unterbrach ihn Nick. „Das zufällig zum Arbeiten gedacht ist", erwiderte Leon spitz. „Weißt du noch, was das ist? Was wir hier eigentlich tun sollten?" „Der Auftrag ist offensichtlich ausgeführt", sagte Sue. „Los, Barbie, wir gehen." „Barbie ...", wiederholte Nick leise. Sie durfte nicht zulassen, dass er anfing, darüber nachzudenken, und sie vielleicht mit dem Mädchen in Verbindung brachte, das er früher gekannt hatte. „Den Spitznamen hat mir Sue gegeben", stieß sie hervor und suchte fieberhaft nach einer Erklärung. „Sie weiß, wie sehr ich es hasse, das Image einer Barbie-Puppe aufgedrückt zu bekommen. Sie hat mich ärgern wollen, und dann ist der Name irgendwie an mir hängen geblieben. Er passt überhaupt nicht zu mir. Ich bin normalerweise sehr reizbar bei Männern, die sich an mich heranmachen." „Bei diesem solltest du es auch sein", riet Sue ihr, die wie immer auf Draht war. „Er macht
sich nicht nur an dich heran, er stürmt drauflos wie ein Stier." Nick ignorierte diese Bemerkung, tat so, als wären Sue und Leon überhaupt nicht da, und konzentrierte sich völlig auf Barbie. Zu ihrer großen Erleichterung deutete nichts darauf hin, dass er sich an Barbie Webster erinnerte. Sein Blick verriet, dass er hier und jetzt an ihr interessiert war und sie näher kennen lernen wollte. „Und wie heißt du wirklich?" Sie überlegte verzweifelt. Sie war auf den Namen Barbara Anne getauft. Mit ihrem zweiten Vornamen würden ihr wohl keine Patzer unterlaufen. „Anne", sagte sie. Und weiter? Webster würde sein Gedächtnis todsicher auffrischen. „Shepherd." Das war der Mädchenname ihrer Mutter, auch leicht zu merken. Nick lächelte zufrieden. „Dann sind wir ja jetzt richtig miteinander bekannt." „In Ordnung!" mischte sich Leon ein. „Da du das geklärt hast, können wir ja vielleicht..." „Halt dich raus. Ich habe noch mehr zu klären." Nick sah seinen Partner unnachgiebig an. „Wenn ihr uns bitte einen Moment lang allein lassen würdet..." „Na schön!" sagte Leon verärgert. „Ich warte beim Empfang." Sue schüttelte resigniert den Kopf, als hätte Barbie den Verstand verloren. Habe ich? fragte sich Barbie flüchtig, während Leon und ihre Freundin hinausgingen und die Tür hinter sich schlössen. Dann wandte sich Nick wieder ihr zu und streichelte ihr zärtlich die Wange und das Haar. Sein Blick sagte ihr, wie begehrenswert er die Frau fand, die sie jetzt war. Es war berauschend, zu wundervoll, um es durch bittere Erinnerungen herabzusetzen. „Können wir uns nach der Arbeit treffen? Zum Abendessen?" „Wo?" „Ich hole dich ab. Wo wohnst du?" Das war heikel. Sue plapperte gern drauflos. Im Moment war es am wichtigsten, ihre wahre Identität zu verheimlichen, deshalb war es das Beste, Nick von ihrer gemeinsamen Wohnung in Ryde fern zu halten. „Ich treffe mich in der Innenstadt mit dir", sagte Barbie. Nick widersprach nicht. Wahrscheinlich dachte er an ihre „Reizbarkeit", denn er lächelte beruhigend. „Wie du willst. Kennst du das Restaurant ,Pier Twenty-One' am Circular Quay?" „Ich finde es." „Sieben Uhr?" „Ja." „Du lässt mich doch nicht wieder im Stich?" „Ich werde mit dir zu Abend essen." Keine Versprechungen darüber hinaus, sagte sich Barbie. Vielleicht hatte sie da etwas Verrücktes angefangen, aber so viel Zeit mit Nick konnte sie sich wohl gestatten. Nur um zu sehen, ob ... „Ich freue mich darauf." Er lächelte glücklich, als er sie losließ und ihre Sonnenbrille aus der Hemdtasche nahm. „Keine Verkleidungen mehr?" Barbie wurde rot. Ihn zu täuschen machte ihrem Gewissen schwer zu schaffen. „Es gehört zu meinem Job", rechtfertigte sie sich. „Darüber würde ich heute Abend gern mehr hören." Nick gab ihr die Brille, dann hob er ihren Hut auf und reichte ihn ihr. „Ich musste ihn abnehmen", sagte er und lächelte entschuldigend. „Dein Haar ist so schön. Du solltest es nicht verbergen." Ich verberge viel mehr als nur mein Haar, dachte Barbie, während sie den Hut aufsetzte. Sie trieb ein gefährliches Versteckspiel. Irgendwann würde sie auffliegen. Würde sie bis dahin wissen, wie sie damit umgehen sollte? „Danke. Ich muss jetzt los. Sue wartet." „Ist sie deine Chefin?" „Wir sind beide am Geschäft beteiligt", erwiderte Barbie aus weichend. , Er fragte nicht weiter. „Dann bis heute Abend", sagte er und brachte sie zur Tür.
Bevor Barbie hinausging, warf sie noch schnell einen Blick auf die kaputten Flügel der Märchenprinzessin, die am Schrank lehnten. Jagten sie beide einem Hirngespinst nach? Sie blieb in der Türöffnung stehen und sah ein letztes Mal Nick an. Sofort wurde sie von der sexuellen Anziehungskraft überwältigt, die er auf sie ausübte. Seine Augen funkelten vor Verlangen. Es war ebenso real wie ihre Reaktion darauf. „Bis heute Abend", wiederholte er. Barbie nickte und ging. Sie konnte nicht mehr klar denken, nur fühlen. Fühlen, was Nick Armstrong mit ihr machte.
6. KAPITEL „Anne Shepherd?" sagte Sue sarkastisch. Barbie seufzte. Zumindest waren sie nicht mehr in dem umgebauten Lagerhaus, in dem die verschiedenen Abteilungen von Multi- Media Promotions untergebracht waren, sondern saßen in ihrem Firmenwagen. Sie hatte gewusst, dass Sue nicht lange den Mund halten würde. Immerhin hatte sie gewartet, bis niemand mithören konnte. Trotzdem hatte Barbie keine Lust zu antworten. Sie wollte nichts erklären. Wie konnte man Gefühle erklären? „Das geht doch wohl ein bisschen zu weit." Die Kritik tat weh, aber Barbie beruhigte sich schnell damit, dass Sue nicht verstehen konnte, wie katastrophal es für diese neue Beziehung zwischen Nick und ihr sein würde, wenn bekannt wurde, wer sie wirklich war. Sie wollte es nur eine Zeit lang ohne die Schatten aus der Vergangenheit laufen lassen. Die Vergangenheit Sydneys war in dem alten Vorort Glebe, in dem Nick seinen Geschäftssitz hatte, überall gegenwärtig. Barbie blickte auf die Reihenhäuser, von denen inzwischen viele zu schicken Restaurants und Galerien umgebaut waren. Orte änderten sich. Menschen änderten sich. Oder zumindest ihre Ansichten. Zweifellos hatte Nick jetzt eine andere Meinung von ihr und wollte sie in seinem Leben haben. „Ein falscher Name", spottete Sue. „Wie lange wirst du ihn damit täuschen können?" „Lange genug." „Für was?" „Hat nichts zu sagen." „Wenn du den Racheplan weiterverfolgen willst, spielst du wirklich mit dem Feuer, und vielleicht verbrennst du dir böse die Finger", warnte Sue. „Die Sache am Samstagabend war harmlos und gut für deinen Stolz, aber wenn du vorhast ..." „Es geht nicht um Rache", unterbrach Barbie sie kurz angebunden. Sue schwieg, während sie über die Anzac Bridge und dann Richtung Ryde fuhr. Da sie keinen Streit mit ihrer Freundin wollte, brachte Barbie den einzigen Beweis dafür vor, dass Nick kein oberflächlicher Mistkerl sei. „Er hat den Stoff gekauft, damit er meine Flügel reparieren kann." Sue reagierte skeptisch. „Das hat der Kerl gemacht, um an dich heranzukommen. Und er hat erreicht, was er wollte. Ich wette, jetzt wird er sich nicht mehr um diese Flügel kümmern, Barbie." Was sollte sie auf das Argument erwidern? Nur die Zeit würde zeigen, ob Sue Recht hatte. „Was ist der nächste Schritt?" fragte Sue spöttisch. „Abendessen, Bett und Frühstück?" Barbie verzog das Gesicht. „Wir essen heute Abend zusammen. Ich treffe mich mit ihm in der Innenstadt, deshalb brauche ich das Auto. Geht das, oder hast du auch etwas vor?" „Abendessen." Sue warf ihr einen warnenden Blick zu. „Glaub ja nicht, dass dieser Frauenheld nicht Übernachtung und Frühstück auf dem Plan stehen hat." Barbie wurde rot und hob trotzig das Kinn. „Und wenn schon? Vielleicht ist mir das ja auch recht. Du selbst hast gesagt, ich solle ihn loswerden." „Nicht so, Barbie." „Die ganze komplizierte Geschichte hat begonnen, weil du behauptet hast, wir würden den Auftrag von Leon Morrell brauchen. Jetzt lässt sich die Sache nicht mehr stoppen. Ich habe Nick immer gewollt, Sue. Das ist die schlichte Wahrheit." „Du verfolgst einen Traum." „Ja. Warum nicht?" „Und du fängst es mit einer Lüge an, indem du dich Anne Shepherd nennst?" „Ein Name bedeutet nichts. Der Mensch zählt." „Warum ihn verheimlichen, wenn er nichts bedeutet?" Barbie schwieg wieder. Sie mochte Sues Argument nicht und wollte nicht auf sie hören. Es war ihre Sache. Sie war diejenige, die sich als Teenager emotional mit Nick Armstrong
verstrickt hatte, nicht Sue. Und all die schönen Gefühle würden verschwinden, wenn er sich erinnerte. Dann würde er sie anblicken und Wauwau sehen. Falls sich zwischen ihnen, wie sie jetzt waren, eine wirklich gute Beziehung entwickeln sollte, könnten sie dagegen vielleicht irgendwann gemeinsam über diese alten Erinnerungen lachen. „Erwartest du von mir, dass ich dich decke?" fragte Sue missbilligend. „Nein. Danke, dass du mich in Nicks Büro nicht hast auffliegen lassen. Von jetzt an werde ich mein Möglichstes tun, dich völlig aus der Sache herauszuhalten." „Das dürfte ein bisschen schwierig sein. Leon hat mich einge laden." „Wie bitte?" Barbie sah ihre Freundin überrascht an. Damit hatte sie nun wirklich nicht gerechnet. Sue zuckte die Schultern. „Ich mag ihn. Er ist amüsant. Wir gehen am Samstagabend zu einer Party." Barbie lehnte sich zurück, schloss die Augen und rieb sich die Stirn. Aus der Verbindung ergaben sich Komplikationen, über die sie in Ruhe nachdenken musste. Leon Morrell war schon an der Universität Nicks Freund gewesen, und jetzt besaßen sie gemeinsam ein Unternehmen. Bestimmt redeten sie so viel miteinander wie Sue und sie. Aber sie konnte Sue unmöglich bitten, Leon aufzugeben, wenn sie ihn mochte. Das wäre nicht fair. „Wir müssen die Beziehungen strikt voneinander trennen", sagte sie schließlich. „Deine zu Leon. Meine zu Nick." „Oder du bist ehrlich zu ihm und räumst das Problem aus dem Weg", erwiderte Sue. „Nein. Noch nicht. " > • . „Ich habe keine Lust, Leon zu belügen, was dich betrifft." „Dann tu einfach, was du tun musst, und lass mich tun, was ich tun muss. Okay?" Sue antwortete nicht. Ebenso wie sie sagte auch Barbie nichts mehr zu dem Thema. Aber beide waren sich sehr der ernsten Meinungsverschiedenheit zwischen ihnen bewusst, die einen Keil in ihre lange und enge Freundschaft trieben. War Nick Armstrong das wert? Ich werde es herausfinden müssen, dachte Barbie grimmig. Vor Samstagabend. Nachdem Nick berichtet hatte, was die verwelkten Rosen von Geh zum Teufel zu bedeuten hatten und wie er nach der Überreichung der Blumen Anne Shepherd als die Frau entlarvt hatte, die auf seiner Geburtstagsparty die Märchenprinzessin gespielt hatte, verzichtete er auf weitere Erklärungen und hatte deswegen keine Gewissensbisse. Leon hatte kein Recht darauf. Anne Shepherd war jetzt seine Privatangelegenheit. „Danke, dass du für mich deine Überredungskunst bei Sue Olsen angewendet hast. Ich hoffe, es war nicht allzu unangenehm. So, wie die Dinge liegen, kannst du die Sache jetzt fallen lassen, Leon. Okay? Zurück an die Arbeit?" „Nein, es ist nicht okay", sagte Leon scharf. „Du bist doch in mein Büro geplatzt und hast mich daran erinnert, dass wir eigentlich arbeiten sollten", erwiderte Nick trocken. „Sue hatte Recht. Du stürmst drauflos wie ein Stier. Ich wette, du hast dich mit ihr verabredet, um sie heute Abend schnellstens zu verführen." Nicht schnell. Er wollte die Vorfreude in vollen Zügen genießen und dann die Lust ausdehnen, die er mit seiner Märchenprinzessin erleben würde. Es war unmöglich, Leon seine Gefühle für sie zu erklären. „Was ich in meiner Freizeit mache, geht dich nichts an." „Es geht mich nichts an!" Leon stand auf und ging wild gestikulierend im Büro auf und ab. Seine Stimme wurde lauter. „Soll ich etwa ignorieren, wie du wieder in einen Schlamassel mit einer Frau gerätst? Tanya; weißt du noch? Du bist mit ihr gleich an dem Abend ins Bett gegangen, als du sie kennen ge lernt hast,, und dann hast du die nächsten vier Monate damit verbracht, festzustellen, was für ein Miststück sie ist. Du bist zu fix, Nick." Dies war anders. Anne Shepherd war keinesfalls wie Tanya Wells, und ihm gefiel nicht, dass Leon die beiden in Zusammenhang brachte. „Das sagst ausgerechnet du?"
„Klar, ich habe es auch schon getan", erwiderte Leon. „Nehmen, was da ist, wann immer einem danach ist. Wenn beide es so wollen, schadet es nichts. Aber das Ende der Beziehung zu Liz hat mich etwas gelehrt. Großartiger Sex läuft sich tot, wenn man nichts gemeinsam hat und jeder gegen die Interessen des anderen rudert. Wie bei dir und Tanya. Stimmt's?" Nick lehnte sich in seinem Chefsessel zurück und belächelte Leons angebliche Besserung spöttisch. „Wann ist diese Weisheit über dich hereingebrochen? Auf der Party am Samstagabend habe ich noch nichts davon bemerkt. Ich erinnere mich an ..." „Keine Frau dort war wichtig", unterbrach ihn Leon. „Du hast behauptet, Anne Shepherd sei dir wichtig." „Ja. Und?" „Dann geh richtig mit ihr um. Bemüh dich, sie wirklich kennen zu lernen." „Das habe ich vor." „So hat es mir nicht ausgesehen, als Sue und ich hereingekommen sind", sagte Leon und hörte sich an wie ein Prediger, der für den rechtschaffenen Weg warb. Nick warf ihm einen finsteren Blick zu und wünschte, er würde sich um seine eigenen Dinge kümmern. „Ich weiß dein Interesse zu schätzen. Lassen wir das jetzt, ja?" „Sie und Sue sind Freundinnen." Leon blieb stehen und sah Nick verärgert an. „Seit langer Zeit. Freundinnen und Geschäftspartne rinnen." „Das habe ich mir schon zusammengereimt." „Sue ist ihr gegenüber sehr beschützerisch, wenn es um aufdringliche Männer geht." „Das habe ich mir auch zusammengereimt." „Ich mag Sue Olsen. Wir harmonieren miteinander. Vielleicht wird das mit uns eine große Sache." Nick kapierte. Sein Freund und Teilhaber begehrte die kleine Rothaarige. „Jedem das Seine, Leon." Das gute Einvernehmen zwischen ihnen stellte sich nicht wieder ein. Leons Anspannung nahm noch zu. Er ballte die Hände zu Fäusten, als wollte er zuschlagen. Die Aggressivität seines Freunds verwirrte und beunruhigte Nick, und er wartete weitere Erklärungen ab. „Wir haben hier Beziehungen, die sich überschneiden", sagte Leon heftig. Es war völlig untypisch für ihn, sich so aufzuregen. „Ich verlasse mich darauf, dass du nicht mit der einen die andere belastest." „Im Moment sehe ich kein Problem", versicherte ihm Nick selbstbewusst. Alle von Anne übermittelten Signale waren positiv. Leon hob warnend den Zeigefinger. „Sue würde Anne nicht ohne guten Grund beschützen wollen. Denk mal darüber nach. Ich glaube, da gibt es irgendeine schlimme Sache in der Vergangenheit. Find diesen Grund besser heraus, bevor du drauf losstürmst, oder wir geraten vielleicht in einen schweren Konflikt." Noch während er das sagte, wandte er sich zur Tür und knallte sie dann hinter sich zu. Es stimmte Nick sehr nachdenklich. Leon musste die Rothaarige wirklich begehren. Und er hatte Recht. Ein starkes sexuelles Interesse konnte Freundschaften zerstören. Nick hatte es so manches Mal erlebt. Frauen traten zwischen Männer, Männer traten zwischen Frauen. Es konnte auch familiäre Beziehungen verpfuschen, wenn das Interesse nicht gebilligt wurde. Trotzdem sah er nicht ein, warum es in diesem Fall passieren sollte. Zweifellos hatte Sue Olsen versucht, Anne zu beschützen, und dass sie reizbar war bei Männern, die sich an sie heranmachten, deutete auf irgendeine schmerzliche Erfahrung hin. Aber er hatte sich nicht an Anne herangemacht. Auf seiner Geburtstagsparty hatte sie ihn zuerst geküsst. Und an diesem Tag hatte sie gewusst, was er tun wollte, und nicht protestiert. Nick dachte daran, wie sie begonnen hatte, mit seiner Zunge zu spielen. Anne war nicht abgeneigt gewesen, ihn immer mehr zu erregen ... Er spürte, wie er jetzt erregt wurde. Er brauchte, was sie ihm geben konnte. Sie hatte sich ebenso sehr wie er nach Befriedigung des Verlangens gesehnt. Gegenseitiges Begehren. Was konnte da schon schief gehen?
7. KAPITEL
„Ihr Tisch, Sir." „Danke." „Die Speisekarte?" „Ich warte noch auf jemanden." „Möchten Sie in der Zwischenzeit einen Drink?" „Erst einmal nur einen Krug Eiswasser." „Kommt sofort." Der Ober hielt sein Versprechen und brachte einen Moment später das Gewünschte. Er schenkte Nick ein und zog sich zurück. Normalerweise erholte er sich gern bei einem Bier vom Stress des Tages, aber seine Anspannung hatte nichts mit der Arbeit zu tun und sollte überhaupt nicht nachlassen. An diesem Abend wollte er seine Sinne nicht durch Alkohol trüben. Wenn Anne kam, würde er Wein bestellen und beim Essen nur ein oder zwei Glas trinken, damit er einen klaren Kopf behielt und sich völlig auf sie konzentrieren konnte. Nick lehnte sich zurück und sah sich das rege Treiben auf dem Pier an. Ihm wurde bewusst, dass er sich noch nie so lebendig gefühlt hatte, während er auf eine Frau wartete. Er blickte auf seine Armbanduhr. Es war erst fünf vor sieben. Da er einen Tisch im Freien reserviert hatte, unter dem Dach der zum Opera House führenden Kolonnade, konnte er nach Anne Ausschau halten. Er stellte fest, dass er es genoss, die vorbeigehenden Menschen und die Hafenfähren zu beobachten, die unablässig anlegten und abfuhren. Meistens hatte er es zu eilig, um zu beachten, was ihm vertraut war, doch jetzt fiel ihm sogar auf, wie milde die Luft war. Für Mitte November war es ein warmer Tag gewesen, und da es durch die Sommerzeit länger hell war, waren noch viele Touristen unterwegs, die zufrieden ihre Kameras klicken ließen. Leute in Gesellschaftskleidung gingen vorbei, auf dem Weg ins Konzert, Ballett oder Theater, doch keine der eleganten Frauen interessierte Nick. Keine konnte derjenigen das Wasser reichen, auf die er wartete. Er entdeckte sie, als sie noch ungefähr fünfzig Meter entfernt war. Bei ihrem Anblick hielt er den Atem an. Sie ragte unter all den Menschen heraus. Und die ganze Szene um ihn her trat in den Hintergrund. Das herrliche Haar fiel ihr offen über die Schultern. Ihr Kleid erinnerte ihn an die aufgehende Sonne. Es war in Pastelltönen gestreift, die von Zartgelb bis Orange reichten, betonte ihre wundervolle Figur und endete ein gutes Stück über den Knien. Sie trug einen dazugehörigen zartgelben Schal, eine kleine gold farbene Handtasche und goldfarbene Sandaletten. Sie war herzzerreißend schön und so pulsierend weiblich, dass Nick von sexuellem Verlangen überwältigt wurde. Gedankenlos sprang er auf, dann hinderte er sich gerade noch daran, ihr entgegenzulaufen und sie an sich zu ziehen. Du stürmst drauflos wie ein Stier. Leons Warnung fiel ihm ein, und Nick versuchte, sich zu entspannen. Nimm dir Zeit, Anne richtig kennen zu lernen, befahl er sich streng. Er wusste, dass es wichtig war. Aber eine innere Stimme schrie, es spiele keine Rolle, nur dieses Gefühl sei wicht ig. Barbie wurde auf einen Mann aufmerksam, der plötzlich von einem der Tische vor dem Restaurant Pier Twenty-One aufstand. Ihr Herz klopfte schneller. Es war Nick, der auf sie wartete, beobachtete, wie sie auf ihn zukam. Geh weiter! befahl sie sich. Stehe n zu bleiben oder auch nur langsamer zu werden würde ihre Unsicherheit verraten. Eine Frau, die sich zu einem Mann hingezogen fühlte, sollte sich auf ein Abendessen mit ihm freuen. Anne Shepherd würde es tun. Es war die sechzehnjährige Barbie Webster, die sich davor fürchtete, Nick gegenüberzutreten. Aber sie war nicht mehr die Barbie von vor neun Jahren. Sie hatte das unheimliche Gefühl,
dass sich ein Tunnel zwischen ihnen auftat, an dessen anderem Ende Nick Armstrong stand, sie magisch anzog und Bedürfnisse in ihr weckte, die ihren Sinn für Romantik durcheinander brachten. Sie war sich des regen Treibens um sie her nicht mehr bewusst. Es war, als wären nur Nick und sie real. Nichts anderes hatte noch Bedeutung. Sie nahm nur noch wahr, dass sie ihm immer nä her kam, und ihr ganzer Körper prickelte vor Erwartung. Er hatte sich umgezogen und trug jetzt eine schwarze Hose und ein hellblaues Hemd mit offenem Kragen. Die lässigen Sachen betonten seine athletische Figur, und er strahlte eine gefährliche Überlegenhe it aus, die Barbie sowohl erregte als auch verwundbar machte. Sie ließ den Blick wieder zu seinem gut aussehenden Gesicht gleiten, das sie in so vielen Träumen verfolgt hatte. Er lächelte sie an. Ich bin Anne, dachte sie und erwiderte das Lächeln. Anne Shepherd konnte die quälenden Erinnerungen an eine unerwiderte Liebe und eine demütigende Zurückweisung verschwinden lassen. Nick kam um den Tisch und zog Barbie einen Stuhl hervor -eine Höflichkeit, die im Namen der Gleichberechtigung kaum noch beachtet wurde. „Du siehst wundervoll aus", sagte er ein bisschen rau. Seine Stimme ließ sie erschauern. „Danke." Vor Freude brachte sie nicht mehr als das eine Wort heraus. Sie setzte sich und half ihm, den Stuhl an den Tisch zu rücken. Nick blieb noch einen Moment lang hinter ihr stehen. Bildete sie sich das nur ein, oder berührte er ihr Haar? Vielleicht wurde es vom leichten Wind zerzaust, der vom Hafen her wehte. Ihr Herz schlug allein schon bei der Vorstellung schneller, dass Nick es anfasste. Jetzt trat er zurück und ging um den Tisch zu seinem Stuhl. Ein zufriedenes Lächeln umspielte seinen Mund, als er sich setzte, und Barbie war sofort sicher, dass er tatsächlich flüchtig die Finger durch ihr Haar hatte gleiten lassen. „Es ist ein schöner Abend", sagte sie ein bisschen atemlos. „Wunderschön", erwiderte er und blickte ihr in die Augen. „Ist das hier eins deiner Lieblingsrestaurants?" „Das Essen ist gut, und es ist bequem zu erreichen. Ich wohne in der Nähe." „Oh." Hatte Sue Recht gehabt? Plante er Übernachtung und Frühstück? Barbie hatte zwar großspurig gesagt, dass sie das ja vielleicht auch wolle, aber sicher war sie sich dessen nicht. So schnell? Nick sah sie seltsam an. „Stört dich das?" Sie zuckte die Schultern. „Warum sollte es? Ich dachte nur gerade, dass die Mieten in dieser Gegend sehr hoch sein müssen." „Ich habe mir eine von den Wohnungen gekauft, die oberhalb der Kolonnade gebaut worden sind." „Meinst du diese Kolonnade?" Barbie konnte ihren Schock nicht verbergen. Sie erinnerte sich an das große, zweistöckige Backsteinhaus seiner Eltern in Wamberal, an die beiden Autos ... Zweifellos stammte er aus einer wohlhabenden Familie, aber sie hatte die Armstrongs niemals für Millionäre gehalten. Eine Eigentumswohnung auf dem Bennelong Point mit Blick auf den Hafen! Hatte Nick zusammen mit Leon Morrell so viel Geld verdient? Nick runzelte die Stirn. „Es stört dich doch." „Mir war nicht klar ..." Die Party auf dem Observatory Hill hätte es ihr verraten sollen. Das umgebaute Lagerhaus in Glebe auch. „Was?" „Wie reich du bist", platzte Barbie heraus. Er lächelte. „Ist das ein Minuspunkt für mich?" Im Grunde war es lächerlich. Wenn ein Mann durch harte Arbeit und Talent reich geworden war, sprach das wohl kaum gegen ihn. Es beunruhigte sie nur, wie weit er finanziell über ihr stand. Sue und sie mussten kämpften, um mit ihren Einkünften auszukommen. Sie fragte sich, wie und wo er Tanya Wells kennen gelernt hatte. War sie eine Karrierefrau oder eine Angehörige der oberen zehntausend?
„Wo liegt das Problem, Anne?" Anne ... Sie war nicht mehr das junge .Mädchen, das sie früher gewesen war. Nick hatte sich auch verändert. Aber sie hatte ihn bis zu diesem Moment immer noch als den Nick angesehen, der er früher gewesen war und von dem sie hatte geliebt werden wollen. Plötzlich kam es ihr albern vor, einem alten Traum nachzujagen. Sie hatte es tatsächlich mit einer ganz neuen Situation zu tun, und sie musste die Realität akzeptieren. Doch wenn sie ihn anblickte, spürte sie dieselbe Anziehungskraft, die er früher auf sie ausgeübt hatte. Barbie atmete tief ein. „Ich komme finanziell und gesellschaftlich nicht an dich heran. Ich bin Berufssängerin, aber als geregelte Arbeit kann man das nicht bezeichnen, und ich habe niemals das große Geld verdient. Ich singe gern und bestreite meinen Lebensunterhalt damit." „Daran ist nichts verkehrt", sagte Nick. „Nicht viele Menschen können von dem leben, was ihnen wirklich Spaß macht. In der Unterhaltungsbranche ist der Konkurrenzkampf sicher hart, und es ist großartig, dass du es geschafft hast. Ich bewundere dich dafür, dass du dich darauf eingelassen hast." Eine nette und überzeugende Antwort. Aber aufrichtig? „Sue und ich teilen uns die Miete für eine sehr durchschnittliche Dreizimmerwohnung in Ryde. Nicht gerade High Society", sagte sie kurz angebunden, denn sie musste das Problem der gesellschaftlichen Stellung klären. Nick lächelte ironisch. „Als ich nach Sydney gekommen bin, habe ich mir ein Zimmer in einer Bruchbude in Surrey Hills gemietet. Mehr konnte ich mir nicht leisten. Ich weiß, was es bedeutet, seinen Verhältnissen entsprechend zu leben, Anne. Und ich respektiere es." „Jetzt führst du ein anderes Leben, und du hast dich daran gewöhnt." „Ja. Und ich werde nicht behaupten, dass ich nicht froh bin, mir fast alles kaufen zu können, was ich haben will." Glaubte er, sie kaufen zu können? Hatte Tanya sein Geld ge reizt? „Materielle Dinge, Anne", sprach er eindringlich weiter. „Zum Beispiel, in diesem Restaurant zu Abend zu essen, wann immer ich es möchte. Ein erstklassiges Auto zu fahren. Eine Urlaubsreise nach Übersee zu machen. Eine schöne Wohnung zu haben. Es gefällt mir. Aber es erfüllt nicht alle meine Bedürfnisse. Wäre es für dich die Erfüllung all deiner Wünsche?" Barbie wurde rot. „Ich bin keine Frau, die nur hinter dem Geld der Männer her ist." „Und ich suche kein billiges Abenteuer." „Was willst du dann von mir?" „Dich kennen lernen." „In welcher Hinsicht?" „In jeder." Barbie sah ihn starr an. Sie wollte so gern glauben, dass er die Wahrheit sagte. Er wich ihrem Blick nicht aus, und die Zweifel an seinen Absichten verschwanden. Ihre Anspannung ließ nach. Sie musste sich irren. Nick schien wirklich mehr von ihr zu wollen als einen One-NightStand. „Hat dir ein reicher Mann wehgetan, Anne?" fragte Nick leise. Wieder wurde sie rot. „Wie kommst du denn darauf?" „Du bist umwerfend schön. Dich zu besitzen würde das Selbstwertgefühl vieler Männer heben. Und reiche Kerle meinen im Allgemeinen, dass eine schöne Frau ihren Erfolg im Leben widerspiegelt." „Meinst du das?" Nick schüttelte den Kopf. „Ich will mehr als nur oberflächliche Schönheit. Man könnte wohl sagen, dass ich darauf schon einige Male hereingefallen bin", erklärte er sarkastisch. „Wir machen alle Fehler. Und ich habe mich gefragt, ob du auch schon hereingefallen bist. Es hat dich so beunruhigt, dass ich reich bin."
„Ich hatte nicht darüber nachgedacht, und dann war es ein Schock. Ich bin mir ... dumm vorgekommen." Nick griff über den Tisch, nahm ihre Hand und drückte sie. Es sollte wohl eine beruhigende Geste sein, doch sie ließ Barbie vor Sehnsucht nach einer intimeren Berührung beben. „Gib uns eine Chance, Anne. Ist das zu viel verlangt?" „Nein", flüsterte sie, kaum fähig zu atmen. Er streichelte mit dem Daumen ihre Handfläche, und Barbie war wie hypnotisiert. Nick blickte ihr in die Augen. „Ich fühle mich ..." Ein Ober brachte die Speisekarten. Der Moment war vorbei, und Barbie konnte ihre Frustration kaum unterdrücken. Nick hatte ihr gerade etwas Wichtiges sagen wollen, dessen war sie sicher. Jetzt zog er seine Hand zurück und sah den Ober an, der anfing, die Tagesgerichte herunterzurasseln. „Möchtest du eins davon?" fragte Nick. Barbie war völlig durcheinander und hatte nicht richtig zugehört. Sie bat den Ober, die Gerichte zu wiederholen, doch die Zusammenstellungen klangen fremd und verwirrend. Haute Cuisine hatte in ihrem Leben noch nie eine große Rolle gespielt. Vornehme Restaurants wie dieses waren ihr zu teuer, und sie hatte auch niemals die Zeit gehabt, sich für die feine Küche zu interessieren. „Was empfiehlst du?" fragte sie Nick, da sie ihre Unwissenheit nicht verraten wollte. „Magst du Fisch?" „Ja, sehr." „Die Calamari mit Oregano, Koriander und Limone gewürzter Essigsoße und die gegrillte Seezunge mit Zitronengrasbutter sind hier ausgezeichnet." Offensichtlich hatte er überhaupt keine Probleme damit, alle Zutaten zu behalten, und zweifellos fand er die Zusammenstellung gut. „Nimmst du die beiden?" Ta " »"<*• „Dann nehme ich sie auch." Barbie hoffte nur, dass ihr die Gewürze und das Zitronengras nicht den Magen umdrehten. „Wein, Sir?" „Den ,Brown Brothers Chardonnay"', erwiderte Nick, ohne auch nur einen flüchtigen Blick auf die Weinkarte zu werfen. Er lächelte Barbie an. „Wenn es dir recht ist." „Natürlich", sagte sie schnell. Sie hatte keine Ahnung, wer die „Brown Brothers" waren. Sue und sie kauften ihren Wein im Supermarkt und achteten nicht darauf, aus welchem Weinanbaugebiet und von welchem Winzer er war. „Ich werde nicht viel trinken", warnte sie. „Ich muss noch fahren." „Ich verstehe." Nick protestierte nicht und sah auch nicht enttäuscht aus. Barbie war erleichtert. Übernachtung und Frühstück standen wohl wirklich nicht auf dem Plan. Wenn Nick im Sinn hätte, sie zu verführen, hätte er sicher gesagt, zwei oder drei Glas Weißwein würden schon nichts ausmachen. Der Ober nahm die Speisekarten vom Tisch und ging. Wieder mit Nick allein, wünschte Barbie, sie könnte Nick fragen, was er hatte sagen wollen, bevor sie gestört worden waren. Sie kam jedoch zu dem Schluss, dass es seine Sache war, das Gespräch fortzusetzen. Vielleicht würde es zu dreist oder zu eifrig erscheinen, wenn sie fragte. „Möchtest du ein Glas Eiswasser?" Er hob den Krug hoch. „Ja, bitte." Er schenkte ihr ein und verstärkte den Eindruck, dass er ihren Wunsch respektierte, sich beim Wein zurückzuhalten, und nicht versuchen würde, sie zu irgendetwas zu drängen, was sie eigentlich nicht wollte. Barbie fühlte sich dadurch wohler, auch wenn sie sich weiter nach seinen Beweggründen fragte, eine Beziehung zu ihr anzustreben. Sie lehnten sich beide zurück, blickten sich prüfend an und schätzten ab, wo sie jetzt waren. Nick sah zufrieden aus. Er strahlte Selbstsicherheit aus, als wäre sie tief eingewurzelt. Wahrscheinlich war sie es, wenn man den Erfolg bedachte, den er mit seinem
Unternehmen hatte. Vielleicht gehörte sie auch einfach zu seinem Charakter. Barbie erinnerte sich, dass er schon während ihrer Kindheit in Wamberal der geborene Anführer gewesen war. Alle in der Nachbarschaft hatten beachtet, was Nick Vorschlug, was er entschied, was er tat. Er erfand Spie le. Er war clever und mutig, und es war aufregend, mit ihm zusammen zu sein. War dies nur ein neues aufregendes Spiel für ihn? Gib uns eine Chance. Es war dumm, Zweifel und Ängste dazwischenkommen zu lassen. Gib uns eine Chance. Magische Worte. Allein damit hatte sich schon ein Wunsch erfüllt. Sie musste sich um mehr bemühen, ganz gleich, wohin es führte. In Gedanken versunken, ha tte Barbie nicht bemerkt, wie sich Nicks Gesichtsausdruck veränderte. Was er sagte, zerstörte sofort ihren Seelenfrieden wieder. „Du erinnerst mich an ein Mädchen, das ich früher gekannt habe." Sie fing seinen konzentrierten, abwägenden Blick auf, und ihr blieb fast das Herz stehen.
8. KAPITEL
Nick sah ihr an, wie geschockt sie war. Ihre Gesichtszüge wurden starr. Sie hatte eindeutig Angst und rang um Beherrschung. Jeder mögliche Zweifel war ausgeräumt: Anne Shepherd war Barbie Webster. Er hätte schon eher alles zusammensetzen müssen. Das Gefühl, sie zu kennen. Die körperlichen Reaktionen, die sie in ihm weckte. Die Leidenschaftlichkeit, die sie vermittelte. Dass ihre Freundin sie Barbie nannte. Im Lauf so vieler Jahre war die Erinnerung an sie in den Hintergrund gedrängt worden, und ihr verändertes Aussehen hatte ihn verwirrt. Außerdem hatten sie sich unter Umständen wieder getroffen, die ihm nicht gerade geholfen hatten, sie zu erkennen. Aber jetzt wusste er Bescheid, und ihm war völlig klar, dass er auf einem Drahtseil tanzte. Ein falscher Schritt könnte das Ende aller Hoffnungen auf eine Beziehung zu ihr bedeuten. Er musste in Erfahrung bringen, was sie dachte und fühlte, ob er eine echte Chance bei ihr hatte. Irgendeine schlimme Sache in der Vergangenheit, hatte Leon gesagt, und er selbst hatte an diesem Abend vermutet, dass ihr ein reicher Mann wehgetan hatte. Jetzt wusste er, dass diese schlimme Sache ihn betraf. Er war derjenige, der sie verletzt hatte. Sie senkte den Blick, nahm ihr Glas und trank langsam das Wasser. Es war offensichtlich, dass sie um Fassung rang und Zeit zu gewinnen suchte. Sie war blass geworden, und ihr zitterte die Hand. Nick konnte sich vorstellen, dass sie sich grässlich fühlte, so schlecht, wie er sich, bei dem Gedanken daran fühlte, was er ihr angetan hatte, auch wenn es das Beste für sie gewesen war. Warum Barbie die Märchenprinzessin gespielt hatte, war ihm klar. Sie hatte sein Interesse wecken, ihn erregen und dazu bringen wollen, sich zu wünschen, was er zurückgewiesen hatte. Hatte sie seine Einladung zum Abendessen angenommen, um ihn noch mehr zu reizen, bevor sie ihn stehen ließ? Würde sie Barbie Webster oder Anne Shepherd sein, wenn sie das Glas hinstellte? Barbie trank langsam das Wasser und versuchte, sich zu beruhigen. Nicks Worte hatten sie völlig verunsichert. Auch wenn ich ihn an ein Mädchen erinnere, das er früher gekannt hat, muss er mich noch lange nicht wieder erkennen, sagte sie sich streng und unterdrückte die Panik. Vielleicht dachte er überhaupt nicht an Barbie Webster. Alles in ihr schreckte davor zurück, sich der Vergangenheit zu stellen. Noch nicht! Sie könnte es nicht ertragen. Diese Chance mit ihm musste sie einfach bekommen, ohne verderbliche Erinnerungen. Die Not gebot, Zeit zu gewinnen. Nick konnte nicht sicher wissen, wer sie war. Barbie fasste sich ein bisschen, setzte das Glas ab und probierte ein sarkastisches Lächeln. „Nicht jede Frau hört das gern." Anscheinend verstand er die Bemerkung nicht sofort. Sein Schweigen ging Barbie auf die Nerven, und plötzlich fürchtete sie, dass er auf ein Eingeständnis wartete. Dann schüttelte er lachend den Kopf, beugte sich vor und blickte sie beruhigend an. „Ich habe keinen Vergleich angestellt. Du bist einzigartig, Anne. Glaub mir, ich bin sehr glücklich, dass sich unsere Wege gekreuzt haben." Barbie hatte keine Angst mehr, erkannt zu werden. Sie lä chelte vor Freude über sein Kompliment. „Wie kann ich dich dann an jemand erinnern?" neckte sie ihn, überzeugt, dass er sie nicht mit Barbie Webster in Verbindung brachte. „Es sind die Augen. Dieses klare Hellgrau ist sehr ungewöhnlich. Meistens ist ein bisschen Blau oder Braun dabei. Augen wie deine habe ich nur ein einziges Mal vor vielen Jahren gesehen." Ihre? Hatte er damals wirklich darauf geachtet? Barbie musste es einfach wissen. „Und bei wem?" Nick zuckte die Schultern. „Es ist lange her. Ich bin mit vie len Nachbarskindern zusammen aufgewachsen. Als Jugendliche sind wir gemeinsam herumgezogen, und eins der Mädchen hatte auch hellgraue Augen."
Das war ich! hätte Barbie ihn fast angeschrieen. Einfach nur irgendein Mädchen aus der Nachbarschaft zu sein tat weh, und es fiel ihr schwer, nicht die Beherrschung zu verlieren. Wenn sie klug wäre, würde sie das Thema fallen lassen. Schließlich konnte sie nichts gewinnen und viel verlieren, wenn sie die Vergangenheit aufrührte. Anne Shepherd war nicht „eins der Mädchen" . Sie war einzigartig. Aber die Versuchung war zu groß. Jetzt hatte sie die Gelegenheit, herauszufinden, was Nick eigentlich damals von ihr gehalten hatte. Vielleicht würde es schmerzlich sein, trotzdem konnte sie es nicht loslassen. Und so wählte sie einen gefährlichen Weg voller Stolpersteine. „Erinnerst du dich nur wegen ihrer Augenfarbe an diese Nachbarstochter, oder war sie auch in anderer Hinsicht etwas Besonderes?" Nick lächelte. „Ja. Ganz gleich, wie oft die Jungen versuchten, sie zu vertreiben, sie ist geblieben und hat alles mitgemacht, was wir unternahmen, ohne Rücksicht darauf, wie schwierig die Herausforderung war. Sie wollte nicht zurückgelassen werden und hat nicht ein einziges Mal geweint oder sich beklagt, wenn sie sich verletzt hat. Sie ist uns überallhin gefolgt." Wauwau Webster. Das schmerzte, trotzdem bemühte sich Barbie weiter, ein vollständiges Bild von Nicks Meinung über sie in jener Zeit zu bekommen. „Hast du sie lästig gefunden?" „Nein." Er wurde ernst. „Sie war furchtlos, aber ihre Furchtlosigkeit hatte etwas entsetzlich Naives. Ich wollte sie beschützen." „Nach dem, wie du sie beschreibst, kann ich mir nicht vorstellen, dass sie beschützt werden wollte." „Du hast Recht. Sie war sehr stolz. Doch ich war fünf Jahre älter, deshalb fiel mir eine gewisse Verantwortung zu." „Warum dir?" „Ich nehme an, weil..." Nick lächelte ironisch. „Sie hat sich an mich gehalten, und ob nun zu Recht oder nicht, ich hatte das Gefühl, dass ich derjenige war, der sie beeinflusste." Er zögerte, dann sagte er leise: „Schließlich musste ich der Sache ein Ende machen." Barbie wurde von diesem völlig unerwarteten Eingeständnis überwältigt. Sie hatte niemals auch nur vermutet, dass Nick die Situation abgewägt und sie, Barbie, dann bewusst zurückgewiesen hatte. All die Jahre hatte sie geglaubt, er hätte sie kaum wahrgenommen oder sie wäre ihm einfach lästig gewesen und er hätte sie gekränkt und gedemütigt, ohne sich Gedanken darüber zu machen.. „Warum?" „Es wurde ein Problem." Die Antwort provozierte Barbie dazu, wieder nachzuhaken. „Wieso?" Nick verzog trübselig das Gesicht. „Sie hat nicht einmal erkannt, dass mein jüngerer Bruder in sie verliebt war." Danny? Der schüchterne, stotternde Danny, der mit ihr niemals über irgendetwas anderes als Schularbeiten gesprochen hatte? Barbie war völlig verwirrt. Sie hatte immer versucht, nett zu ihm zu sein, hauptsächlich, weil er Nicks Bruder war. „Willst du damit sagen, dass sie nur dich gesehen hat?" „So ungefähr. Danny ist deswegen wütend auf mich gewesen, aber ich hatte überhaupt nichts getan. Sie war zu jung für mich. Es wäre falsch gewesen, mit ihr etwas anzufangen." „Und wie hast du der Sache ein Ende gemacht?" Nick seufzte. „Ich habe zu verstehen gegeben, dass ich mich für eine andere interessieren würde." „Hast du es getan?" „Genug, um es überzeugend behaupten zu können. Damit bin ich Danny losgeworden." „Und sie auch?" stieß Barbie hervor und hoffte, dass Nick ihr die Verbitterung nicht anhörte. „Ja. Aber sie hat sich nicht mit Danny eingelassen. Das hatte ich auch nicht erwartet. Sie ist einfach aus unserem Leben verschwunden. Von meiner Clique hat sie sich völlig fern gehalten. Sie ist für sich geblieben. Ungefähr ein Jahr später ist sie mit ihren Eltern
weggezogen, nach Byron Bay, glaube ich." „Du erinnerst dich noch immer sehr deutlich an sie." Welche Ironie, dachte Barbie gequält. „Sie hat viele Jahre zu meinem Leben gehört. Deins ist doch sicher auch von Menschen beeinflusst worden, die du in deiner Jugend gekannt hast." Er hatte es negativ beeinflusst, indem er sie zurückgewiesen hatte. Und sie hatte nur negativ gesehen, was er getan hatte. Aber er war kein oberflächlicher Mistkerl gewesen. Zumindest die Gefühle seines Bruders waren ihm nicht gleichgültig gewesen. Danny, der ihr nichts bedeutet hatte ... „Wo leben deine Eltern, Anne?" Barbie verdrängte die trostlosen Gedanken, die Nicks Enthüllungen ausgelöst hatten. Sie würde sich später mit ihnen auseinander setzen und sie in die richtige Perspektive rücken. Das Jetzt musste Vorrang haben. Sie war mit Nick zusammen, und sie wollte sich nicht um das bringen, was vielleicht diesmal zwischen ihnen sein konnte. „In Queensland. An der Sunshine Coast", erwiderte sie wahrheitsgemäß. Ihre Eltern waren noch einmal umgezogen. „Du bist weit weg von zu Hause." „Ich habe mit achtzehn angefangen, im ganzen Land herumzureisen. Von einem Engagement zum nächsten. Ich wollte das Singen zum Beruf machen und musste zusehen, dass ich meinen Lebensunterhalt damit verdienen konnte." Nick lächelte. „Natürlich." „Was ist mit deiner Familie?" „Meine Eltern wohnen noch immer in Wamberal. Das ist an der Central Coast. Meine Schwester lebt hier in Sydney. Sie ist verheiratet und hat zwei Kinder." Carole ... Zwei Jahre älter als sie und schon mit dreizehn sehr modebewusst. Barbie war sicher, dass sie einen wohlhabenden Mann geheiratet hatte. „Und dein Bruder... der, den du erwähnt hast?" „Er ist zurzeit in San Diego. Danny hat es mit Segelregatten. Er war schon immer vernarrt in Boote." Barbie erinnerte sich an den kleinen Katamaran der Armstrongs. Danny hatte ihn auf dem Wamberal Lake gesegelt. Er hatte sie eingeladen, und sie war einige Male mit ihm gefahren, um zu zeigen, dass sie Lust dazu hatte. Viel lieber hätte sie mit Nick gesegelt. Sie war froh, dass Danny so weit weg und auf etwas anderes versessen war. Zumindest er konnte diese Beziehung nicht durchkreuzen. Drei Ober kamen an den Tisch. Einer brachte die Weinflasche, ein anderer bot ihnen Brötchen aus einem Korb an, der dritte servierte ihnen die Vorspeise. Barbie war dankbar für die Betriebsamkeit, durch die Nicks Aufmerksamkeit von ihr abge lenkt wurde. Ihr war nicht klar gewesen, wie schwierig es sein würde, so zu tun, als wäre sie eine Fremde. Sie musste ihre Worte sorgfältig abwägen und versuchen, ihre Fragen als natürliche Neugier erscheinen zu lassen. „Danke." Barbie nahm ein Brötchen und nickte dem Weinkellner zu, der die Flasche über ihr Glas hielt und sie fragend anblickte. Als sich die Ober zurückzogen, hatte sie sich fast davon überzeugt, dass sie Nick seine Entscheidung nicht verübeln konnte, „der Sache ein Ende zu machen". Nur war es unmöglich, Gefühlen ein Ende zu machen. Sie wurden vielleicht verdrängt oder änderten sich, verschwanden jedoch nicht. Zumindest erinnerte sich Nick ein bisschen bewundernd an sie. Vielleicht bedauerte er auch ein wenig, was ihm durch sein Handeln verloren gegangen war. Trotzdem wollte sie nicht über diese alte Demütigung sprechen. Sie brauchte seine jetzige Be wunderung, damit die wieder geöffnete Wunde heilte. „Was ist los?" Nicks Frage riss Barbie aus ihren Gedanken. Sie sah erschrocken auf. „Nichts. Warum?" „Du hast so zweifelnd die Calamari betrachtet. Möchtest du lieber etwas anderes bestellen?" „Nein. Ich habe sie nur noch nie so serviert bekommen", sagte sie lächelnd. „Das Gericht
sieht wie ein Kunstwerk aus. Es ist ja fast eine Schande, es zu essen." Nick ermutigte sie, indem er sein Besteck nahm. „Bon Appetit." Sie folgte seinem Beispiel, begann zu essen und fand die Calamari wundervoll zart und den Geschmack der mit Oregano, Koriander und Limone gewürzten Soße sehr interessant. Nick versuchte abzuschätzen, was in Barbie vorging. Sie wollte also noch immer Anne Shepherd bleiben. Er hatte keine Ahnung, ob sie mit den Antworten zufrieden war, die er ihr auf ihre Fragen nach seiner Erinnerung an sie und den Beweggründen für sein Handeln gegeben hatte. Hatte sie verstanden, dass ihm mildernde Umstände zuzubilligen waren für seine Entscheidung, sie zurückzuweisen? Ihm wurde klar, dass sie jetzt ihn zurückwies, und wenn er eine Chance bei ihr haben wollte, musste er ihre Entscheidung respektieren. Sie war nicht bereit, ihre Sicht der Geschichte zu erzä hlen. Zu schmerzlich? Zu aufschlussreich? Würde sie sich dabei zu verletzlich fühlen? Als sie an diesem Tag in sein Büro gekommen war, hatte sie sich durch ihre Verkleidung geschützt gefühlt. Und jetzt schützte Anne Shepherd das Mädchen, das er früher gekannt hatte. Aber wollte sie sich wirklich schützen? Oder täuschte sie ihn aus Rachsucht? Hatte sie vor, gegen ihn vom Leder zu ziehen, wenn er am verletzlichsten war? Nick schreckte davor zurück, sich damit zu befassen. Es wäre ein zu böser Plan, der auf eine psychische Störung hindeutete. Neun Jahre waren vergangen. Er konnte verstehen, dass sich Barbie vor ihm und davor hütete, sich zu ihm hingezogen zu fühlen, aber ihn in eine Falle zu locken ... Nein, das wollte er einfach nicht glauben. Die Barbie Webster, die er in Erinnerung hatte, war anständig und ehrlich gewesen. Der Charakter eines Menschen änderte sich nicht. Ihr Stolz mochte sie veranlassen zu verheimlichen, wer sie war, doch im Übrigen verstellte sie sich nicht. Er war sicher, dass ihre Reaktion auf seine Küsse echt gewesen war. Sie hatte sich der Leidenschaft zu sehr hingegeben. Gegenseitiges Begehren. Oder machte er sich etwas vor? Barbie legte Messer und Gabel auf den Teller und lächelte Nick herzlich an. „Das war lecker. Eine großartige Empfehlung. Danke, Nick." Sofort war jede Besorgnis über ihre Beweggründe vergessen. „Freut mich, dass es dir geschmeckt hat", sagte er und lächelte ebenso herzlich. Er begehrte sie, ganz gleich, wie sie sich nannte und wohin das Begehren führte. Er wollte dieses Gefühl und sie nicht loslassen.
9. KAPITEL
Nicks Lächeln hatte Barbie früher schon immer glücklich ge macht. Damals schien es zu bedeuten, dass er sie wirklich gern hatte. Und vielleicht hatte er sie gern gehabt, obwohl ihm andere Dinge wichtiger gewesen waren. Jetzt, da es einer Frau galt, die nicht zu jung für ihn war, hatte es eine viel weiter gehende Wirkung. Es war sehr erotisch und gab ihr zu verstehen, dass er sie ungeheuer begehrenswert fand. Seine Augen funkelten vor Verlangen, als würde er daran denken, wie sie sich in seinen Armen angefühlt hatte, und sich wünschen, es immer wieder zu erleben. Erregung durchflutete Barbie. Noch nie hatte sie so sinnlich auf einen Mann reagiert. Sie hatte Nick immer nur aus weiter Ferne begehrt. Jetzt saß er ihr gegenüber und erwiderte ihr Begehren. Sie staunte darüber, was für ein großer Unterschied es war. Was wäre passiert, wenn er sie so angesehen hätte, als sie sechzehn gewesen war? Wenn er sie geküsst hätte? Barbie schüttelte den Kopf. Sie musste aufhören, sich ständig mit damals zu beschäftigen. „Woran denkst du?" „Ich wundere mich darüber, dass wir beide hier sind", erwiderte sie aufrichtiger, als er wissen konnte. „Das Schicksal war uns hold und hat uns zusammengebracht." Sie lachte. „Glaubst du wirklich an das Schicksal?" Er zuckte lächelnd die Schultern. „Manche Zufälle sind unheimlich. Wer weiß, wie das funktioniert? Vielleicht gibt es ja Kräfte, die Begegnungen und ihre Folgen irgendwie steuern, und wir sollten uns hier an diesem Abend treffen." Barbie bekam eine Gänsehaut bei seiner Andeutung, ihr Zusammensein sei vorherbestimmt gewesen. „Ich hätte deine Einladung ablehnen können." „Aber du hast es nicht getan." Die Anziehungskraft war zu stark, räumte Barbie insgeheim ein. Nick blickte sie weiter unverwandt an und sagte leise: „Ich habe das Gefühl, dass ich schon sehr lange auf dich gewartet habe." Er hätte sie finden können, wenn er es gewollt hätte. Nein, er meinte ja Anne. Er wusste nicht, dass sie Barbie Webster war. Sollte sie es ihm verraten? Und beobachten, wie schockiert er reagierte? Wie peinlich es ihm war? Nein. Das wollte sie nicht. „Vielleicht haben wir uns in einem früheren Leben gekannt", erwiderte sie ironisch. „Und irgendetwas hat uns auseinander gebracht. Jetzt hat uns das Schicksal wieder zusammengeführt." Es machte sie nervös, wie er sie ansah. Als würde er ihre Gedanken lesen. „Eine sehr romantische Vorstellung", spottete sie, brach den Blickkontakt ab und griff nach ihrem Weinglas. Ein kurzes Schweigen folgte, dann lachte er. „Mir gefällt wohl einfach der Gedanke, dass man eine zweite Chance bekommt. Wir treffen nicht immer die richtigen Entscheidungen." „Das stimmt", pflichtete ihm Barbie bei und ließ es gern dabei bewenden. Eine zweite Chance. „Du musst geschäftlich viele richtige Entscheidungen getroffen haben, sonst wäre dein Unternehmen nicht so ein Erfolg geworden." „Leon und ich haben die Möglichkeiten erkannt, die sich in der Branche bieten, besonders da sich das Internet so schnell entwickelt", erwiderte Nick lässig. Barbie stellte ihr Glas ab und beugte sich vor, begierig darauf, mehr über sein gegenwärtiges Leben zu erfahren. „Entschuldige, dass ich so unwissend bin, aber was macht ihr eigent lich?" „Wir entwerfen die Werbung für andere Unternehmen. Wir tun unser Bestes, um ihre Produkte verkaufsfördernd zu präsentieren." „Nenn mir ein Beispiel." Der Ober kam und räumte die leeren Teller ab. Barbie ließ sich durch die Störung nicht
von ihrem Vorhaben ablenken zu verstehen, wo Nick jetzt stand und wie er dorthin gekommen war. Da sie ihm interessiert Fragen stellte, verriet er, dass er der Chefdesigner von Multi-Media Promotions war, verantwortlich für die gesamte künstlerische Gestaltung. Alle Arbeiten für ihre Kunden entstanden am Computer und konnten durch einen Mausklick strukturell geändert oder anders koloriert werden. Fasziniert hörte ihm Barbie zu. Nick war schon während seiner Schulzeit bekannt dafür gewesen, dass er ein ASS am Computer war. Er hatte jedoch niemals mit ihr darüber gesprochen. Es war offensichtlich, dass ihm seine Arbeit Spaß machte und ihn die erzielten Ergebnisse zutiefst befriedigten. Leidenschaftlich sprach er von seinem Wunsch, immer alles hundertprozentig hinzubekommen und seine Vorstellungen durchzusetzen, indem er die anderen für seine Konzepte gewann. Barbie spürte die Begeisterung und den Schwung und wusste, dass sie der Grund für seinen Erfolg und seine Anziehungskraft waren. Nick glaubte an sich. Er war die geborene Führungskraft, ein Mann, der sich einen Weg bahnte, auf dem ihm andere folgten. Und Barbie sehnte sich danach, mit diesem Weg und mit ihm verbunden zu sein. Obwohl sie als Teenager nur am Rand daran beteiligt gewesen war, hatte sie später das Aufregende und Besondere vermisst, das er hatte passieren lassen. In ihrem Leben war eine Lücke entstanden, als er sie aus seiner Welt vertrieben hatte. Der Wunsch, diese Lücke jetzt zu füllen, war so stark, dass Barbie jedes seiner Worte begierig in sich aufnahm und es genoss, wie offen er mit ihr sprach. Sich ihr so mitzuteilen war intimer als ein KUSS. Damit erkannte Nick an, dass sie ihm intellektuell ebenbürtig war. Das Fischgericht wurde gebracht, und Nick verstummte. Er lehnte sich zurück und lächelte entschuldigend. „Ich habe zu viel über mich selbst geredet." „Nein", sagte Barbie schnell, „ich wollte es hören." . Er blickte sie fragend an. „Es ist wohl kaum deine Sphäre. „Muss ich mich auf meine beschränken?" Er schüttelte den Kopf. „So habe ich das nicht gemeint. Normalerweise spreche ich außerhalb der Firma nicht über meine Arbeit." „Dann fühle ich mich geehrt." „Nein, ich. Es hat dich wirklich interessiert." „Es ist ein wesentlicher Bestandteil deines Lebens." „Ja. Aber einer, von dem viele Leute lieber nichts hören wollen." „Wie Tanya, meinst du." Sofort wünschte Barbie, sie hätte das nicht gesagt. Es war dumm, diese Frau zu erwähnen, wenn Nick doch nicht mehr mit ihr zusammen war. Nur ärgerte sie sich unwillkürlich darüber, dass er sich so eine Freundin ausgewählt hatte, während er angeblich auf sie gewartet hatte. Tanya war wirklich gemein und bösartig. Das hätte er eigentlich erkennen müssen. Oder hatte ihm der Sex genügt? Alles nehmen, solange das Verlangen anhielt, und die Frau fallen lassen, wenn die Differenzen schließlich die sexuelle Anziehungskraft schwächten? Suchte er jetzt nur eine neue aufregende Sexpartnerin? „Mir ist klar, dass du einen schlechten Eindruck von Tanya bekommen hast", erwiderte Nick trübselig. „Aber sie konnte amüsant sein, wenn sie gute Laune hatte." „Amüsant", wiederholte Barbie und dachte an Spaß im Bett. „Mir dabei helfen, mich nach dem Stress in der Firma zu entspannen", erklärte er. „Dann hätte ich das Thema Arbeit vielleicht besser nicht zur Sprache bringen sollen." „Mit dir ist das etwas anderes", versicherte er ihr. Sein Lächeln hatte wieder eine verheerende Wirkung auf sie. Barbie atmete tief ein, nahm energisch ihr Besteck und begann, die gegrillte Seezunge mit Zitronengrasbutter zu essen. Etwas anderes ... Es berauschte sie, machte sie schwindlig vor Freude. Was zwischen Nick und Tanya - und ihm und anderen Frauen -gewesen war, spielte keine Rolle. Schließlich hatte sie selbst auch einige Beziehungen ausprobiert, die ihr nie mals das gegeben hatten, was sie sich gewünscht hatte. Bedürfnisse veranlassten Menschen, Fehler zu machen. Warum Nick seine vorwerfen? Dies war etwas anderes. Ihre zweite Chance. Und Barbie sehnte sich danach, sie zu ergreifen, wo auch immer es hinführte.
Nick aß das Fischgericht, ohne irgendetwas zu schmecken. Barbies Bemerkung über Tanya hatte in ihm das Gefühl zurückge lassen, auf dem Prüfstand zu sein, und es gefiel ihm überhaupt nicht. Er hatte erklärt, warum er vor neun Jahren so gehandelt hatte. Jeder vernünftige Mensch würde die Erklärung doch wohl akzeptieren. Er hatte Barbie Zeit gegeben, darüber nachzudenken, und ihr eine weitere Gelegenheit geboten, einzugestehen, wer sie wirklich war. Außerdem hatte er sich so ausgedrückt, dass sie eigentlich beruhigt sein müsste, was seine Meinung über ihr Wiedersehen betraf. Warum hatte sie die Gelegenheit ausgelassen? Was für positive Signale hätte er denn noch aussenden können? Die Erinne rung an seinen einundzwanzigsten Geburtstag begann ihn zu quä len. An jenem Abend hatte er eine zu junge und unschuldige Barbie abgewiesen. Sie hatte das Geburtstagslied gesungen, während die Torte hereingetragen worden war. Seine Mutter hatte sie darum gebeten, weil Barbie so eine schöne Stimme hatte. Aber wie sie es sang ... Ihre Empfindungen für ihn waren so offensichtlich, dass er tief beunruhigt war und es kaum ertrug, das Geschenk anzunehmen, das sie ihm hinterher überreichte. Er legte es schnell beiseite und stellte erst später fest, dass es eine Armbanduhr war. Als er die liebenswerte Gravur auf der Rückseite sah, kam er sich richtig mies vor, umso mehr als ihm Jasmine Elliot auch eine Armbanduhr geschenkt hatte, die er an dem Abend getragen hatte. In dem Moment wurde ihm klar, wie grausam er Barbies Gefühle verletzt hatte. Er sagte sich jedoch, dass er sie damit erfolgreich von sich gestoßen habe. Sie war viel zu jung gewesen. Es wäre nicht gut gegangen mit ihnen. Jetzt war ihre Zeit. Oder hatte Barbie ihm niemals verziehen, dass er sie so grausam gekränkt hatte? War sie dabei, ihm eine Falle zu stellen und sich dafür zu rächen, wie er sie behandelt hatte? Vielleicht war das Interesse an seiner Arbeit nur ein Trick, um ihn noch mehr in Hochstimmung zu versetzen, bevor sie einfach davonging und ihn so niedergeschlagen zurückließ, wie sie es vor all den Jahren gewesen sein müsste. Verdammt, sie war zu jung gewesen! Nick beobachtete Barbie verstohlen. Sie hatte sehr schöne Hände, und er sehnte sich danach, dass sie ihn sanft, erotisch und liebevoll streichelte. Das herrliche Haar war eine Versuchung, die seine Fantasie anregte. Er stellte sich vor, wie es sich auf seiner nackten Haut anfühlen würde ... Barbie legte das Besteck hin und sah auf. „Wenn du oft hierher kommst, bist du zweifellos an gutes Essen gewöhnt", sagte sie anerkennend. „Die Seezunge war köstlich, Nick." Ihr Blick hatte nichts Verschlagenes. Und dennoch musste sie ihn hereinlegen wollen. Warum verbarg sie sonst ihre wahre Identität? Nick fragte sich, wie lange sie es hinauszögern und wie viel sie geben würde, bevor sie ihn fallen ließ. „In der Nähe des Piers sind viele hervorragende Restaurants", erwiderte er lächelnd, während er seinen leeren Teller beiseite schob. „Ich würde dich gern mit allen bekannt machen." Sie wurde rot. Vor Schuldbewusstsein oder vor Freude? „Danke, das wäre schön", sagte sie schlicht, und ihr Lächeln verriet, dass er und nicht das Essen die Hauptattraktion war. Es bereitete ihm unerträgliche Qualen, und plötzlich musste er Barbie einfach sofort bis zum Äußersten drängen und testen, wie sehr sie sich wünschte, mit ihm zusammen zu sein. „Möchtest du ein Dessert?" Sie schüttelte den Kopf. „Nein, danke. Ich bin satt." „Dann lass mich dir zeigen, wo ich wohne. Ich koche uns bei mir Kaffee." Ihre Röte vertiefte sich. Sie sah ihn starr an. Es war offensichtlich, dass sie unschlüssig war. Nick wartete grimmig. Sollte sie ihm doch beweisen, dass ihr Begehren echt war, indem sie mit ihm ging! Wenn sie nur ein rachsüchtiges Spiel mit ihm trieb, dann sollte sie es doch jetzt zugeben und vermeiden, mit ihm in seiner Wohnung allein zu sein, wo das Risiko bestand, dass sie intim miteinander wurden. „In Ordnung", sagte Barbie atemlos.
Erleichterung und Erregung durchfluteten ihn. Indem sie mit ihm kam, gab sie eine gewisse Kontrolle auf und wagte mehr, als ein Glücksspieler wagen würde. Oder erhöhte sie rücksichtslos den Einsatz bei ihrer Täuschung? Was auch immer sie dachte, jetzt war er am Zug, und er beschloss sofort, scharf ranzugehen. „Hast du die Wohnung schon lange?" fragte sie. „Seit zwei Jahren." „Zeit genug, um sie wirklich zu deinem Zuhause zu machen." Nick wurde klar, dass Barbie neugierig war. Sie interessierte sich dafür, wie er wohnte. Wollte sie sich ein Urteil bilden? War es ein weiterer Test? „Sie ist nach meinem Geschmack eingerichtet, wenn du das meinst", erwiderte er und überlegte, ob sie es wohl bis in sein Schlafzimmer schaffen würde. Das würde er ihr gern zeigen. Er war fest entschlossen, ihr Begehren zu testen. „Hattest du einen Innenausstatter?" „Nein. Ich habe mich umgesehen und gekauft, was mir gefallen hat." Barbie nickte. „Du wolltest deinen eigenen Sinn für Ästhetik befriedigen." Sein Herz schlug schneller. Sie verstand ihn sogar noch besser als Leon. Sein Freund hatte es für Zeitverschwendung erklärt, nach Möbeln zu suchen. Sag den Experten, was du dir vorstellst, und lass sie machen, hatte er ihm geraten. Und Nick konnte nicht bestreiten, dass sie in Leons Wohnung erstklassige Arbeit geleistet hatten. Trotzdem, er genoss es, mit all den Dingen zu leben, die er selbst ausgewählt hatte. „Stil ist mir nicht so wichtig", gab er zu. „Hauptsache, ich fühle mich wohl." Und sein größter Wunsch war es, sich mit Barbie wohl zu fühlen. Nur war das nicht möglich, solange Geheimnisse zwischen ihnen standen. Ja, er würde sie zum Äußersten drängen und zwingen, ihm zu verraten, was in ihr vorging. Der Ober kam, um die Teller abzuräumen. „Die Dessertkarte, Sir?" „Nein, danke. Die Rechnung bitte." Nick nahm seine Brieftasche heraus und gab dem Ober eine Kreditkarte. „Bin sofort zurück, Sir." „Möchtest du noch Wein?" fragte Nick, der bemerkte, dass Barbies Glas leer war. „Nein, danke." Sie erwiderte seinen Blick nervös, dennoch machte sie einen energischen, zielstrebigen Eindruck. Sie wollte nicht kneifen ... Noch nicht. Vorfreude durchflutete Nick. Er konnte es kaum erwarten, Barbie zu berühren. Sie trank langsam ihr Eiswasser aus. Um sich zu beruhigen? Oder war ihr auch heiß vor Verlangen? Er würde es bald herausfinden. Der Ober kehrte mit der Rechnung zurück. Nick unterschrieb, steckte die Kopie und seine Kreditkarte in die Brieftasche und stand auf. Er brannte darauf, dieses Spiel auf den eigenen Platz zu verlegen. Barbie schob ihren Stuhl zurück und stand auf, bevor er sie erreichte. Sie hielt krampfhaft die kleine goldfarbene Handtasche fest, und einen Moment lang hatte Nick das Gefühl, dass sie an Flucht dachte. Ihr zartgelber Schal war über die Rückenlehne des Stuhls gefallen. Er legte ihn ihr um die Schultern und sah, dass sie eine Gänsehaut hatte. „Ist dir kalt?" „Ein bisschen", sagte sie zittrig. „In meiner Wohnung wird es dir warm genug sein", versprach Nick. Er hob ihr Haar an, über den Schal, und nutzte die Gelegenheit, es über seine Hand gleiten zu lassen. Barbie zuckte nervös zusammen, protestierte jedoch nicht gegen die Freiheiten, die er sich erlaubte. Sie richtete sich energisch auf, und Nick nahm triumphierend ihre Hand und zog Barbie mit sich. Noch würde sie nicht kneifen. Er hörte sie tief einatmen, während sie losgingen. Das kleine Zeichen ihrer Verletzlichkeit schmälerte seine Siegesfreude ein bisschen. Leons Warnung kam ihm in den Sinn. Du stürmst drauflos wie ein Stier. Geh richtig mit ihr um. Bemüh dich, sie wirklich kennen zu lernen. Was ja alles gut und schön wäre, wenn sie mit mir richtig umgehen würde, dachte Nick sarkastisch. Sie hatte das Spiel bestimmt. Er hatte ihr mehr als eine Chance gegeben, sich zu offenbaren, und sie hatte keine genutzt. Wie sollten sich zwei Menschen wirklich kennen
lernen, wenn der eine den anderen vorsätzlich täuschte? Seiner Meinung nach hatte er jedes Recht, der Wahrheit Tür und Tor zu öffnen. Er musste in Erfahrung bringen, worauf sie hinauswollte. Bis das geklärt war, konnten sie keine Fortschritte machen, und er wünschte sich eine Zukunft mit ihr. Barbie Webster, das Mädchen, die Frau ... verloren und wieder gefunden. Er würde sie nicht noch einmal verlieren. Nicht kampflos.
10. KAPITEL „Es ist nicht weit", sagte Nick. Barbies Herz raste. Zweifellos würde Sue behaupten, es sei verrückt, so schnell mit ihm in seine Wohnung zu gehen. Aber ganz gleich, wie weit er sie mitnehmen wollte, Barbie konnte es nicht loslassen. Der Wunsch, an ihm festzuhalten, war stärker als alle vernünftigen Argumente, die dagegen sprachen, eine Beziehung so zu handhaben. Außerdem war dies etwas anderes. Sie würde nicht mehr lange verheimlichen können, wer sie wirklich war. Nick hatte gesagt, er finde Anne Shepherd einzigartig. Am wichtigsten schien es jetzt zu sein, festzustellen, ob er es wirklich ernst meinte. Erst dann würde sie das Selbstvertrauen haben, ihm zu offenbaren, dass Anne Shepherd und Barbie Webster eine Person waren. Und seine Wohnung zu sehen würde ihr mehr über ihn verraten. Das war eine logische Überlegung. Was sie gerade machte, hatte nur leider wenig mit Logik zu tun. Dass Nick besitzergreifend ihre Hand hielt, war einfach unwiderstehlich. Er begehrte sie. Zu welchem Zweck oder für wie lange, war unwichtig. Das Begehren war so gut. Barbie wäre überall mit ihm hingegangen. „Kochst du dir jemals selbst etwas?" fragte sie und versuchte, locker zu klingen, als würde sie seine Nähe und die Aussicht auf noch mehr Nähe nicht tief berühren. „Nicht oft. Ich mache gelegentlich Frühstück." Übernachtung und Frühstück. Barbie verdrängte den Gedanken, hatte jedoch keine Lust mehr, irgendein belangloses Gespräch zu führen. Sie wurde von Nervosität verzehrt, und sein Schweigen schien zu bedeuten, dass auch er angespannt war ... dass er es nicht erwarten konnte, mit ihr allein zu sein. Barbie hatte keine Ahnung, wie weit sie den überdachten Fußgängerweg Richtung Bennelong Point entlanggingen. Sie war sich ihrer Umgebung überhaupt nicht bewusst. Es war, als hätte sie eine Traumwelt betreten, in der sich Wünsche erfüllten, und sie wollte nicht eine Wirklichkeit betrachten, die vielleicht anders war. Nick führte sie durch einen gewaltigen Torbogen aus Marmor in eine Rundhalle mit einer imposanten geschwungenen Treppe. „Nehmen wir die?" fragte Barbie. „Sie führt nur zu den Stockwerken mit Büros", erwiderte er und zog sie zu einem Fahrstuhl. Die Türen glitten auf, sobald er auf den Knopf drückte. In der Kabine schob er eine Karte in einen Schlitz am Schaltbrett, bevor er die Acht drückte. Solche Sicherheitsvorkehrungen wiesen auf eine Exklusivität hin, die sich nur die sehr Reichen leisten konnten. Für mich wäre eine Wohnung im achten Stock mit Blick auf den Hafen wirklich wie ein Leben im Märchenland, dachte Barbie. Würde Nick sie wie eine Prinzessin behandeln, oder würde sie unsanft auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt werden? Sie erinnerte sich daran, dass er gesagt hatte, er habe sie beschützen wollen. Nur dass er von Barbie und nicht von Anne gesprochen hatte. Trotzdem, sie vertraute darauf, dass er nichts gegen ihren Willen tun würde. Auf dem Flur im achten Stock ließ Nick ihre Hand los, um seine Wohnungstür aufzuschließen. Barbie fühlte sich seltsam beraubt, als wäre dieser kleine körperliche Kontakt für ihr Wohlbefinden entscheidend gewesen. Und plötzlich war sie nicht mehr sicher, ob sie das Richtige tat. Nick öffnete die Tür, trat beiseite und blickte Barbie herausfordernd an. Es war wie in alten Zeiten ... War sie mutig genug, mit ihm Schritt zu halten, zu tun, was er tat, den Nervenkitzel mit ihm zu teilen? Stolz und der lang gehegte Wunsch nach seiner Anerkennung veranlassten sie hineinzugehen. Nick schaltete Lampen ein, und sobald Barbie den großen Wohnbereich vor sich sah, verschwand das Gefühl, gefährliches Terrain zu betreten. Der erste Eindruck war freundlich und einladend. Sie ging weiter, um Nicks private Welt zu sehen und sie mit dem Mann zu vergleichen, der sie jetzt in seinem Leben haben wollte.
„Wie schön, Nick!" rief sie, während sie die beiden langen Sofas betrachtete, die den Wohnbereich dominierten. Sie war erleichtert, dass ihr ehrlich gefiel, was er ausgesucht hatte. Die Einrichtung hatte nichts Einschüchterndes. Die Sofas waren mit einem grün braun gestreiften Stoff bezogen, die Armlehnen waren mit Kissen in Gold, Braun und Grün dekoriert. Auf Konsoltischen standen wunderschöne goldene Lampen, die ein sanftes Licht gaben. Ein großer quadratischer Couchtisch aus Teakholz stand zwischen den Sofas. Vom Boden bis zur Decke reichende Vorhä nge verbargen wahrscheinlich eine herrliche Aussicht. Während Barbie versuchte, sich den Blick auf den Hafen vorzustellen, ging Nick an ihr vorbei und zog die Vorhänge auf. Sogar bei Dunkelheit konnte man atemberaubend weit sehen. „Oh!" flüsterte Barbie entzückt. Die Lichter der Stadt strahlten vom Ufer des Hafens in den nächtlichen Himmel, die Insel Fort Denison war in Flutlicht getaucht, und sich bewegende funkelnde Punkte auf dem Wasser zeigten die Position von Schiffen an. „Es muss wundervoll sein, jeden Tag so eine Aussicht zu haben." „Ja. Auf dem Wasser ist immer etwas los. Tanker und Containerschiffe laufen in den Hafen ein, die Fähren kreuzen von einem Ufer zum anderen, Segelyachtrennen finden statt", sagte Nick. Er kam auf sie zu, und Barbies Herz schlug schneller. Plötzlich strahlte er eine aggressive Männlichkeit aus. Das Lampenlicht ließ sein Gesicht noch markanter wirken. Er blickte sie mit zusammengekniffenen Augen an, und seine Bewegungen waren ruhig und zielstrebig. „Ich glaube, den brauchst du jetzt nicht." Er nahm ihr den Schal weg und warf ihn über die Lehne eines der Sofas, dann legte er ihr den Arm um die Schultern, drehte Barbie herum und zeigte ihr den Essbereich und die Küche, die durch eine Frühstücksbar mit hohen Hockern abgetrennt war. „Alles in einem großen Raum, so dass man auch beim Essen und Kochen die Aussicht genießen kann." Nicks Griff wurde fester, während er weitersprach. „Aus dem Hauptschlafzimmer hat man einen ähnlich schönen Blick. Komm und sieh es dir an." Barbie hörte auf, irgendetwas zu sehen, als er sie fest an sich drückte und einen Flur entlangführte. Sie war sich seines muskulösen Körpers bei jedem Schritt bewusst und nahm alles andere nur verschwommen wahr. Bedenken und Hoffnungen stürmten auf sie ein, und sie wurde entsetzlich nervös. Aber zu verhindern, was passierte, war keine Alternative. Nicks Schlafzimmer übte einen unwiderstehlichen Reiz auf sie aus. Nick öffnete eine Tür, schaltete das Licht ein und zog Barbie mit sich ins Zimmer. Dann ließ er sie neben dem Bett zurück, ging zum Nachttisch auf der anderen Seite und drückte einen Knopf an einer Konsole. Die Vorhänge glitten auf, doch das Bett lenkte Barbie so ab, dass sie nicht einmal einen flüchtigen Blick zum Fenster warf. Sie stand starr da und betrachtete die Versuchung vor ihr. Die Tagesdecke schien aus Zobelfell zu sein, darunter lag eine Daunendecke in einem Bezug aus steinfarbener Rohseide. Unwillkürlich ließ Barbie die Hand über das weiche Fell gleiten. „Ist es echt?" „Nein." „Es fühlt sich so an." „Eine Imitation aus hochwertiger Synthetik." Nick ging zurück zu Barbie. Ein spöttisches Lächeln umspielte seine Lippen. „Es sieht echt aus. Es fühlt sich echt an. Aber es ist eine Fälschung. Wie du ..." „Was soll das heißen?" „Als Märchenprinzessin. Kindern würdest du sehr echt erscheinen, obwohl du in Wirklichkeit ein Schwindel bist." Barbie richtete sich stolz auf. Der Vergleich schockierte sie. Es war, als würde Nick ihre Integrität in Zweifel ziehen. „Deshalb frage ich mich, wie echt du bist, Anne." Vermutete er, dass sie ihn täuschte? Wie könnte er? „Ich weiß nicht, was du meinst." Er stand jetzt dicht vor ihr und streichelte ihr die Wange, während er ihr forschend in die Augen blickte. „Du kommst in verschiedenen Verkleidungen zu mir. Du spielst
Rollen." „Unter den Kostümen bin ich immer dieselbe Person", verteidigte sich Barbie. Er legte ihr einen Arm um die Taille und zog Barbie fest an sich. Sie hob die Hände und stemmte sie gegen seine Brust, damit sie ein bisschen Platz hatte, um sieh bewegen zu können. Was ging hier vor? Sie begriff nur, dass sie auf dem Prüfstand war. Anscheinend wollte Nick sicherstellen, dass sie ihn nicht zum Narren hielt. Hatte seine Beziehung mit Tanya ein Trauma bei ihm hinterlassen? „Du fühlst dich richtig an", sagte er leise. Er schob ihr die Hand ins Haar und streichelte ihr mit dem Daumen die Schläfe. „Fühle ich mich auch richtig an?" Barbie bebte, ob aus Furcht oder Erregung wusste sie nicht. Es war schwierig, klar zu denken. Sie erinnerte sich daran, wie es gewesen war, als er sie in seinem Büro geküsst hatte ... „Küss mich", flüsterte sie, weil sie unbedingt alles in Ordnung bringen wollte zwischen ihnen. Seine Augen wurden dunkler, und sie geriet in Panik. Sie hatte das Falsche gesagt. Was erwartete er von ihr? Dann presste er seinen Mund hart auf ihren, und ihre Ängste verschwanden. Nick küsste sie nicht sanft und forschend, sondern ungestüm. Er schien alle Schranken zwischen ihnen ein reißen und testen zu wollen, wie weit das Begehren ging, wie echt es war. Barbie reagierte ebenso heftig, und beide verrieten mit diesem KUSS ihre Wut und Frustration, das Bedürfnis, sich zu nehmen, wonach sie sich sehnten, als wäre dies ihre einzige Chance, zu bekommen, was ihnen im Leben gefehlt hatte. Sie waren gierig nacheinander und versuchten fieberhaft, in Erfahrung zu bringen und zu beweisen, dass es so richtig war, wie sie es sich wünschten. Barbie wusste, dass sie wahnsinnig leichtsinnig war, aber es war ihr gleichgültig. Es gab kein Zurück. Nick Armstrong war jetzt nicht der Anführer, und sie folgte ihm nicht wie ein kleiner Hund. Sie schmiegte sich an ihn, spürte seine Erregung und genoss es, dass er Zugang begehrte, dass er sie brauchte und fest entschlossen war, sie zu bekommen. Er hob ihr Haar an, fand den Reißverschluss, öffnete ihn und schob ihr das Kleid über die Schultern. Vorteil für ihn, dachte Barbie und begann sofort, an seinen Hemdknöpfen zu zerren. Sie konnte alles tun, was er tat. Er würde sie nicht hinter sich lassen. Diesmal nicht. Kleidungsstücke fielen auf den Boden. Schuhe wurden weggeschleudert. Nick umfasste ihre Taille und warf Barbie aufs Bett, und sie sank in das weiche Fell, das sündhaft sinnlich ihre nackte Haut liebkoste. Nick stand da wie ein Höhlenmensch, der die Beute in sein Versteck geschafft hatte. „Willst du wirklich so weit gehen?" fragte er schwer atmend. Die Vergangenheit wirkte nach, mit all den Zweifeln, ob die kleine Wauwau Webster über die Runden kommen konnte. Barbie verdrängte die Erinnerungen. „Ich bin schon so weit", erwiderte sie, und eine Teufelin flüsterte ihr ein, sich aufreizend zu rekeln. „Es ist deine Sache nachzukommen." Sie betrachtete seinen muskulösen Körper. Nick war viel stärker als sie, aber in diesem Moment hatte sie Macht über ihn. Die Macht einer Frau, die begehrt wurde. Es war gut, dass er zu ihr kommen musste. Einmal folgte er ihr, weil jetzt er unbedingt mit ihr zusammen sein wollte. Er ließ sich auf das Bett sinken und beugte sich über sie. Plötzlich fühlte sich Barbie verwundbar, doch sie zeigte ihre Furcht nicht. Stattdessen erwiderte sie seinen Blick herausfordernd. Bei diesem Spiel der Spiele würde sie nicht kapitulieren. Nick küsste sie so leidenschaftlich, dass sie sich ihm unwillkürlich entgegenbog, aber er hielt sich zurück. Sie zerkratzte ihm den Rücken. Nick sah auf und lächelte triumphierend über ihr rasendes Verlangen. Im nächsten Moment ließ er den Mund zu ihren Brüsten gleiten und nahm die Spitzen abwechselnd in den Mund. Lust durchflutete Barbie, und sie wollte immer mehr von der heftigen Erregung, die Nick in ihr weckte. Sie schob ihm die Hände ins Haar und umfasste seinen Kopf, fest entschlossen, die Kontrolle an sich zu reißen und Nick dazu zu bringen, sich ihrem wilden Verlangen anzupassen. Wieder entzog er sich einer Unterwerfung unter ihren Willen. Er küsste ihren flachen Bauch, ließ eine Hand zwischen ihre Schenkel gleiten und streichelte sie, bis die Erregung so stark wurde, dass Barbie nicht länger versuchte, ihn festzuhalten, sondern
die Augen schloss und sich völlig auf ihre Empfindungen konzentrierte. Plötzlich spürte sie statt der wundervollen Berührungen einen so schockierend intimen KUSS, dass sie zurückzuckte, aber der Schock verschwand, als Nick sie mit dem Mund immer weitertrieb. „Hör auf!" rief sie, weil ihr Verlangen unkontrollierbar wurde. „Komm zu mir, Nick. Jetzt!" Sie griff nach ihm, bereit, um die echte Vereinigung zu kämpfen, die sie wollte. Es war noch nicht richtig. Doch sie musste nicht kämpfen. Er schob sich auf sie und drang in sie ein. „Ja ...", seufzte sie, erfüllt von dem wundervollen, ekstatischen Gefühl, dass jetzt alles richtig war. „Öffne die Augen", befahl Nick. Seine Stimme klang rau vor Verlangen, und Barbie tat sofort, was er wollte. „Behalt sie auf. Ich will kein Fantasiegebilde sein. Dies ist sehr ..." Er zog sich zurück. „Sehr real." Er drang wieder in sie ein, um nachdrücklich zu beweisen, wie real. Dann zo g er sich wieder zurück und ließ Barbie beben vor Vorfreude, bis er erneut von ihr Besitz ergriff und Wellen von Erregung auslöste. „Fühlt es sich gut an?" Forderte er ihr Eingeständnis, oder machte er sich über ihr Verlangen nach ihm lustig? „Ja, ja! Das musst du doch wissen. Warum fragst du?" „Weil ich es von dir hören will." Ging es ihm darum zu gewinnen? Die Oberhand zu haben? „Spiel nicht mit mir, Nick." Sie streichelte ihm bittend die Wange. „Sei einfach mit mir zusammen. Willst du das nicht?" Ohne ein weiteres Wort brachte er sie beide in einen alles verzehrenden Rhythmus, und das Pulsieren ihrer Körper ließ für Barbie einen jahrelang gehegten Traum wahr werden. Nick und sie. Sie wusste nicht, wie viele Male sie den Höhepunkt erreichte. Es war wundervoll, dass Nick nicht aufhörte, dass er immer weitermachen wollte. Staunend und voller Wonne streichelte sie seinen schönen Körper und freute sich, als sie Nicks Erregung steigerte und er schneller zustieß. Es war nur recht und billig, dass er auch den Höhepunkt erreichte. Barbie reizte ihn, trieb ihn darauf zu, weil sie ihm geben wollte, was er ihr gegeben hatte. Und es war eine herrliche Empfindung, als er schließlich tief in ihr kam. Er entspannte sich, drückte sie fest an sich und blieb eins mit ihr. Was für ein Glück, so zusammenzuliegen! Nach einer Weile rollte sich Nick auf die Seite und nahm sie mit sich, so dass ihr Kopf an seiner Brust ruhte. Zufriedenheit durchflutete Barbie; und sie wünschte, das wunderbare Gefühl könnte ewig andauern. Oder war es nur ein Hirngespinst? Bei dem Gedanken erinnerte sie sich an das, was Nick gesagt hatte. Sie runzelte die Stirn. Die Beziehung zwischen Nick und ihr sollte nichts Unwirkliches an sich haben, und sie wollte die falsche Meinung ausräumen, die er darüber hatte, was sie hier mit ihm tat. „Das ist keine Fantasievorstellung für mich, Nick. Mehr wie ein Traum, der wahr geworden ist." Die Worte drangen zu Nick durch, während er den berauschenden Duft von Barbies Haar einatmete und genoss, wie seidenweich es über seine Haut glitt. Was für ein Traum? Nick dachte daran, wie Barbie weiter vermieden hatte zuzugeben, wer sie wirklich war. Sie hatte ihn dazu ermutigt, sie zu küssen. Ihn herausgefordert, sie zu nehmen. Ihn gebeten, zu Ende zu bringen, was er angefangen hatte. Und dabei war das beunruhigende Gefühl verschwunden, dass alles falsch war. Auch jetzt war es schwierig, sich auf das Problem zu konzentrieren, weil es mit ihr zusammen so schön war. Aber er konnte nicht ignorieren, dass sie ihm noch immer nicht die Wahrheit erzählte. Und er fragte sich wieder, was für ein Traum sich jetzt erfüllt hatte. Hatte sie sich vorgestellt, dass sie ihn als Liebhaber nahm und ihm zeigte, was er in all den Jahren versäumt hatte? Was war ihr nächster Schritt? Würde sie ihm direkt ins Gesicht sagen, wer sie war, und ihn dann verlassen? Hatte sie ihm nur eine unvergessliche Kostprobe von dem geben wollen, was er hätte haben können, wenn er vor neun Jahren
anders gehandelt hätte? Nick wurde unvermittelt aus seinen quälenden Gedanken gerissen, als Barbie eine Brustwarze in den Mund nahm und sie mit der Zunge liebkoste. Die Hand noch immer in ihrem Haar, packte er fest zu und zog ihren Kopf hoch. Barbie sah ihn neckend an. „Du hast es mit mir gemacht, Nick. Jetzt bin ich an der Reihe." „Wie du mir, so ich dir?" Sie lächelte ihn freimütig an, und er konnte einfach nicht glauben, dass sie ihn hereinlegte. „Ich möchte es", sagte sie sanft und verführerisch. Er ließ sie. Während sie langsam an seinem Körper entlang tiefer glitt, erregte sie ihn, indem sie mit den Fingern erotische Muster auf seine Haut malte und ihn überall küsste. Dann umfasste sie ihn, streichelte und drückte ein bisschen. Nick wollte sich bewegen, lag jedoch still, als sie ihn in den Mund nahm und herrliche Empfindungen weckte. Seine Muskeln spannten sich an. Er wusste, dass er sich nicht lange zurückhalten konnte. Sie brachte ihn an die Grenze seiner Selbstbeherrschung, und plötzlich wollte er es nicht so. Es war zu einseitig. Er zog Barbie hoch und setzte sie rittlings auf sich. „Reit mich", forderte er sie auf, ohne sich darum zu kümmern, was sie vielleicht mit ihm vorhatte. Sie war eine blonde Göttin, und in diesem Moment hätte sie ihm seinetwegen sogar die Seele stehlen können. Ihre Augen funkelten triumphierend, aber sie nutzte die Macht nicht aus, die er ihr gegeben hatte. Sie ritt ihn langsam und kostete jede Bewegung aus. Das Haar war ihr wie ein Schleier nach vorn über die Schultern gefallen. Nick griff unter den Schleier, umfasste ihre Brüste und genoss es, zu spüren, was seinem Blick verborgen blieb. Mit dieser Frau wollte er alles fühlen. Der Wunsch war so unwiderstehlich, dass er sich überhaupt keine Sorgen mehr darüber machte, wohin diese Nacht führen würde. Es ging über sexuelle Befriedigung hinaus. Das Verlangen nach Barbie hörte nicht mit dem Höhepunkt auf. Ihr Körper war unglaublich aufregend, ihr Mund versprach süße Leidenschaft, und ihre Sinnlichkeit übertraf alles, was er bisher kennen gelernt hatte. Sie hatten keinen Sex gehabt, sie hatten sich geliebt. Und dieses sehr Liebevolle und Zärtliche ließ Nick schließlich ruhig einschlafen, denn er hatte das Gefühl, dass noch nie etwas so richtig gewesen war. Nichts störte seinen Schlaf. Sein Unterbewusstsein warnte ihn nicht, und er nahm nicht wahr, dass er allein gelassen wurde. Um halb sieben ging der Radiowecker neben dem Bett an. Als die Musik einsetzte, wachte Nick auf. Die Erinnerungen ah die Nacht kehrten sofort zurück, er öffnete lächelnd die Augen ... und sah, dass Barbie nicht mehr neben ihm lag. Sie war aus seinem Bett und aus seiner Wohnung verschwunden. Und nichts deutete darauf hin, dass sie jemals wieder mit ihm zusammen sein würde!
11. KAPITEL
Nick fuhr mit seinem Porsche auf den Parkplatz hinter dem Lagerhaus, als Leon gerade aus seinem BMW stieg. Schlechtes Timing. Er hatte keine Lust, sich mit Leon zu unterhalten, denn er war sich völlig sicher, was das Gesprächsthema Nummer eins sein würde. Nachdem er den Motor abgeschaltet hatte, grübelte er darüber, ob er aussteigen sollte oder nicht. Seitdem er aufgewacht war und festgestellt hatte, dass sie weg war, brannte er darauf, zu der Wohnung in Ryde zu fahren und Barbie Webster gegenüberzutreten. Aber würde er damit erreichen, was er wollte? Wenn sie von Anfang an geplant hatte, mit ihm ins Bett zu gehen und ihn dann sitzen zu lassen, würde sie ihre Meinung nicht ändern, und er würde nur noch mehr „Prügel" heraufbeschwören. Im anderen Fall, wenn sie mehr Zeit brauchte ... zum Nachdenken, für eine Neubewertung, um zu der Überzeugung zu kommen, dass sie ihn wirklich wollte ... Die Zeit war vielleicht seine Verbündete. Wie auch immer, er hasste das Gefühl, dass dies der Tag des Jüngsten Gerichts war. Leon klopfte ans Fenster. Frustriert seufzend öffnete Nick die Tür und nahm sich fest vor, nicht auf die neugierigen Fragen seines Freundes einzugehen. Er hatte sowieso keine Antworten, jedenfalls keine, die ihm gefielen. „Und? Hat die schöne Anne deine Erwartungen erfüllt?" Nick blickte Leon finster an. „Warum kümmerst du dich nicht um deine eigenen Dinge?" „Ich habe damit zu tun, erinnerst du dich?" Mit der Zwickmühle beschäftigt, in der er steckte, hatte er vergessen, dass sich Leon für Sue Olsen interessierte. Nick stieg aus, schlug die Tür zu und schloss das Auto ab. „War sie doch nicht, was du wolltest?" fragte Leon unbeirrt weiter. „Sie ist alles, was ich will", erwiderte Nick kurz angebunden. Leon sah ihn skeptisch an, während sie ins Haus gingen. „Und wieso platzt du nicht vor Glück?" „Weil ich nicht sicher bin, worauf sie aus ist. Und jetzt hör auf damit, Leon." „Du hast sie doch nicht etwa gedrängt?" „Lass mich in Ruhe!" „Ja. Gut. Vorausgesetzt, dass ich nicht die negativen Auswirkungen zu spüren bekommen, wenn ich mit Sue zusammen bin." Die temperamentvolle zierliche Rothaarige machte bei Barbies Täuschung mit. Sie hatte sie am Vortag gedeckt. Vielleicht legten beide Frauen Leon und ihn herein. Nick hielt den Mund, obwohl ihm der Gedanke überhaupt nicht gefiel. Es war jedoch zwecklos, seinen Freund zu warnen, solange er nicht wusste, was genau gespielt wurde. Leon würde ihm mit Sicherheit nicht danken. „Ich hoffe, du kannst dich auf die Einstellungsgespräche konzentrieren", sagte Leon. „Welche Einstellungsgespräche?" Leon murmelte irgendetwas, dann erwiderte er sarkastisch: „Diejenigen, bei denen du über die beiden Grafiker entscheidest, die du angeblich unbedingt brauchst. Mir ist natürlich klar, dass der Druck, unter dem du gegenwärtig stehst, nichts mit der Arbeit zu tun hat, trotzdem ..." „Okay! Schick sie in mein Büro, wenn sie kommen." „Das erste Gespräch ist um zehn Uhr." „In Ordnung." „Nimm dir die Zeit, noch einmal ihre Lebensläufe zu überprüfen. Wir wollen keine Leute, die nicht ins Team passen." „Ich weiß, wie ich mich um meine Seite des Geschäfts kümmern muss!" brauste Nick auf. „Dann ist es ja gut!" schrie Leon. Er verschwand in sein Büro und knallte die Tür hinter sich zu. Nick verzog das Gesicht und ging weiter in sein Büro. Es machte ihn so wütend, in dieser
unangenehmen Situation zu sein. Warum hatte Barbie nicht ehrlich zu ihm sein können? Und wie, zum Teufel, hatte sie einfach hinter sich lassen können, was sie in der vergangenen Nacht erlebt hatten? Glaubte sie etwa, sie würde so eine sexuelle Harmonie auch bei einem anderen finden? Er wusste, dass er eine Lösung irgendwie erzwingen musste. Es ging ja nicht nur um ihn. Leon war auch betroffen. Nick setzte sich an den Schreibtisch, nahm das Telefonbuch, suchte die Nummer heraus und tippte sie ein. Nicht der Anrufbeantworter! dachte er grimmig, während er es am anderen Ende der Leitung klingeln hörte. „Partyüberraschung", meldete sich Sue Olsen. „Was können wir für Sie tun?" Nick war ganz versessen darauf, die Sache sofort zum Platzen zu bringen. Es lag ihm auf der Zunge, nach Barbie Webster zu fragen und ihre Freundin und Komplizin zu überraschen, um ihr eine Reaktion zu entlocken. Aber eigentlich wollte er, dass Barbie selbst ihm die Täuschung eingestand, und es wäre ihm lieber, wenn sie es freiwillig tun würde. „Hier ist Nick Armstrong. Kann ich bitte mit ... Anne Shepherd sprechen?" Der falsche Name blieb ihm fast im Hals stecken. „Anne", wiederholte Sue, als hätte sie auch ihre Schwierigkeiten damit. „Einen Moment, ich hole sie." „Danke." Sue Olsen spielte nicht die Botin für Geh zum Teufel. Falls das auf der Tagesordnung stand, wollte sie es Barbie selbst tun lassen. Möglicherweise gefiel Sue die Täuschung ebenso wenig wie ihm. Wenn sie sich wirklich zu Leon hingezogen fühlte, war es zweifellos eine Komplikation, die sie nicht begrüßte, da er Leons Partner war. Vielleicht drängte sie ja Barbie, jetzt sofort die Wahrheit zu sagen. Nick stellte sich darauf ein, das Gespräch vorsichtig zu hand haben. Wenn er eine Chance hatte zu gewinnen, wollte er sie nicht vergeben. „Wach auf, Schlafmütze! Raus aus den Federn!" Barbie öffnete die Augen. „Was ist denn los?" fragte sie verwirrt. „Es ist fast neun, und Casanova ist am Partyüberraschungs- Telefon." Sue lehnte am Türpfosten und betrachtete ihre verschlafene Freundin ohne jedes Mitgefühl. „Wer?" „Nick Armstrong. Sieh zu, dass du den privaten Kram aus dem Weg schaffst, bevor die Geschäftsstunden beginnen. Okay?" „Nick ... am Telefon ..." Barbie bekam Herzklopfen. „Er hat nach Anne Shepherd gefragt. Ich nehme also an, du hast nicht gebeichtet." Barbie schlug die Bettdecke zurück, stand auf und versuchte, einen klaren Kopf zu bekommen. Vielleicht würde Nick mit gutem Grund eine Erklärung dafür verlangen, dass sie ohne ein Wort gegangen war. Aber sie konnte ihm unmöglich sagen, dass sie ihm nicht so ganz zugetraut hatte, sie weiter zu wollen. Schließlich wusste er nicht, wer sie war, und sie mit in sein Schlafzimmer zu nehmen, nachdem sie sich gerade kennen ge lernt hatten ... Machte er das bei jeder Frau so, die er begehrte? Sobald er eingeschlafen war, hatte sie sich unsicher gefragt, was ihm die Nacht wohl bedeutet hatte. Sie hatte nicht bleiben können, weil sie nicht damit fertig geworden wäre, sich weniger gegenüberzusehen, als sie von ihm wollte. „Ich kann mir überhaupt nicht vorstellen, worüber ihr bis drei Uhr morgens geredet habt", sagte Sue spöttisch. „Über Barbie Webster ja wohl nicht. Und ich bezweifle, dass irgendein Restaurant so lange geöffnet hat." „Drei?" War es so spät gewesen, als sie Nicks Wohnung verlassen hatte? Sie war mit zu vielen anderen Dingen beschäftigt gewesen, um auf die Uhr zu sehen. „Ich habe dich um kurz vor vier hereinkommen hören", erklärte Sue trocken. „Ist er mit dir in einen Nachtclub gegangen?" „Er wartet am Telefon", erinnerte Barbie sie. „Und wir waren uns doch einig, dass es meine Sache ist."
„Richtig!" Sue trat beiseite, um Barbie vorbeizulassen. „Nur zu. Verpfusch alles." Barbie zuckte zusammen. Von ihrer Freundin hatte sie weder Verständnis noch einen hilfreichen Rat zu erwarten. „Danke, dass du mich geweckt hast." „Ich wünschte, du würdest endlich aufwachen", sagte Sue finster und ging in ihr eigenes Schlafzimmer. So, wie die Dinge lagen, missbilligte sie Barbies Beziehung zu Nick, dennoch respektierte sie ihr Recht, nicht gestört zu werden, wenn sie einen privaten Anruf bekam. „Und vergiss nicht, dass wir heute Abend einen Auftritt haben", rief sie über die Schulter. Barbie hob die Hand zum Zeichen, dass sie es gehört hatte. Während sie zum Telefon ging, überlegte sie fieberhaft, was sie zu Nick sagen sollte. Der Anruf musste bedeuten, dass er die Beziehung zu Anne Shepherd fortsetzen wollte. Oder weiter Sex mit ihr haben wollte. War es ein furchtbarer Fehler gewesen, mit ihm zu schlafen? Als sie den Hörer nahm, sah sie im Geiste vor sich, wie sie sich aufreizend vor Nick gerekelt hatte. Er hatte sie sogar gefragt, ob sie wirklich bereit sei, so weit zu gehen. Und sie hatte ihn hemmungslos zum Sex aufgefordert. Die Erinnerung machte sie so verlegen, dass sie nur „Hallo!" herausbrachte. „Dir auch Hallo", erwiderte Nick. Ein Schweigen folgte, und Barbie wusste nicht, was sie sagen sollte. „Ich habe dich heute Morgen vermisst", sprach er schließlich weiter. Ihr brannte das Gesicht. „Ich habe es für das Beste gehalten zu gehen", stieß sie hervor. „Ich war nicht sicher ... Ich meine, ich hatte das Auto in einer Straße westlich vom Circular Quay abgestellt, und ich konnte mich nicht erinnern, wie lange man dort parken darf. Und ich dachte, wenn am Morgen der Berufs verkehr anfängt ... Außerdem wusste ich, dass Sue auf mich warten würde ... und ich ..." „Und du wolltest mich nicht wecken, nur um auf Wiedersehen zu sagen", half ihr Nick ein bisschen ironisch. Barbie seufzte erleichtert. Er schien ihre Erklärung zu akzeptieren. Es war unmöglich, dem seelischen Konflikt auf den Grund zu gehen, den er heraufbeschwor, weil vieles davon mit einer Vergangenheit verbunden war, die sie noch immer äußerst verwundbar machte. Umso mehr als sie sich Nick so hemmungslos hingegeben hatte. „Ich habe mich gefragt, ob die Nacht für dich auch etwas Besonderes war." „Ja. Etwas ganz Besonderes", gab sie zu. Sie war unfähig, so zu tun, als hätte sie nicht bereitwillig alles mitgemacht oder es nicht genossen, solange es gedauert hatte. „Dann hast du also nichts, was dich ... beunruhigt?" Doch, ungefähr tausend Dinge. Sie brachte es jedoch nicht fertig, mit ihm darüber zu sprechen. „Mir geht es gut, Nick", versicherte sie ihm. „Es tut mir Leid, dass ich ohne ein Wort verschwunden bin, aber es war spät, und ..." „Ja, ich verstehe. Mir ist nur in den Sinn gekommen, dass wir nicht gerade viel geredet haben, nachdem wir .... Wenn du mir irgendetwas sagen möchtest ... Ich würde wirklich gern wieder mit dir zusammen sein. Sehr gern." „Ich mit dir auch", stieß Barbie schnell hervor und verdrängte die Zweifel an dem Weg, den Nick mit ihr einschlug. Die Zeit wird es zeigen, tröstete sie sich. Sie brauchte mehr Zeit. „Wie wäre es mit heute Abend?" Sues Warnung fiel ihr ein. „Ich muss arbeiten, Nick. Morgen Abend bin ich frei, wenn dir das passt." „Prima! Ich hole dich um sieben ab." Barbie runzelte die Stirn, während sie sich vorstellte, wie sie ihm die Tür öffnen und Sue im Hintergrund spöttische Bemerkungen vom Stapel lassen würde. „Es macht mir nichts aus, mich in der Innenstadt mit dir zu treffen." „Dann hast du vielleicht wieder Probleme mit deinem Auto. Ich fahre dich gern zurück, wann immer du nach Hause möchtest. Du brauchst es nur zu sagen." „Oh!" Schuldgefühle quälten Barbie. Es war falsch gewesen, sich aus seinem Bett und seiner Wohnung zu schleichen und Nick im Zweifel darüber zu lassen, wie sie sich am Morgen danach fühlte. „Es tut mir Leid. Ich hätte dir eine Nachricht schreiben sollen. Hol
mich am Mittwochabend ab, ich werde um Punkt sieben fertig sein." Sie würde an der Tür stehen, wenn Nick klingelte, und mit ihm weg sein, bevor Sue irgendeine geistreiche Stichelei loswerden konnte. „Hast du die Adresse?" „Ja. Aus dem Telefonbuch. Welches Apartment?" „Nummer vier." „Danke. Ich freue mich darauf, dich wieder zu sehen." „Ich mich auch", sagte Barbie herzlich und legte lächelnd auf. Nick lächelte nicht. Er hatte Barbie gerade wieder eine Gelegenheit gegeben, sich ihm mitzuteilen, aber sie täuschte ihn weiter, und er wusste noch immer nicht, ob sie sich rächen wollte oder ihn testete, um sich ein Urteil über ihn zu bilden. Jetzt musste er zwei Tage warten, bis er erfuhr, wie ihr nächster Schritt aussah. Wie weit sollte er sich eigentlich festlegen, bevor sie ihm die Wahrheit sagte oder ihn in die Wüste schickte? Waren die verle gene Entschuldigung und die Freude über seinen Anruf nur Theater gewesen? Nick schüttelte den Kopf. So vieles war ungewiss, aber eins war völlig klar: Er konnte es nicht ertragen, so mit Barbie weiterzumachen. Beide waren sie unehrlich. Sie gab vor, eine Fremde zu sein, die ihn gerade erst kennen gelernt hatte. Er verheimlichte ihr, dass er inzwischen wusste, wer sie wirklich war. Es musste aufhören. Sich am nächsten Abend ungezwungen zu benehmen würde unmöglich sein. Er würde mit den Zähnen knirschen vor Frustration und Wut über ihre Falschheit, wenn sie dabei bleiben würde, dass sie Anne Shepherd sei. Und sie hatte eben am Telefon zu erkennen gegeben, dass sie das vorhatte. Trotzdem, es war eine heikle Angelegenheit, sie direkt mit ihrer Lügengeschichte zu konfrontieren. Vielleicht würde sie sich wie eine Idiotin vorkommen, wenn sie erfuhr, dass er sie doch wieder erkannt hatte. Obwohl die vergangene Nacht unglaublich schön geworden war, und das bestimmt auch für sie, würde sie ihm vielleicht sogar übel nehmen, dass sie sich in eine intime Beziehung gestürzt hatten. Was sie erlebt hatten, sollte nicht als etwas Schlechtes hinge stellt werden. Obwohl er im Moment völlig durcheinander war, musste er eine Lösung finden, mit der er aus diesem ganzen Schlamassel herauskam. Er brauchte irgendjemand, der Barbie an seiner Stelle zum Handeln zwang, sie dazu brachte, ihre Beweggründe zu offenbaren. Wenn er erst einmal wusste, womit er es zu tun hatte, konnte er sie für eine gemeinsame Zukunft gewinnen. Er glaubte einfach nicht, dass ihr keinen Spaß gemacht hatte, was sie in der vergangenen Nacht getan hatte. Und wen konnte er ins Spiel bringen? Leon? Er ließ den Gedanken sofort fallen, dieses Problem seinem Freund anzuvertrauen. Sue Olsen wusste schon Bescheid, hatte jedoch keinen Grund, ihm zu helfen. Seine Schwester fiel ihm ein. Wenn sie „Die singenden Sonnenblumen" engagierte ... Ja, Carole würde sich zweifellos an Barbie Webster erinnern. Das bedeutete, dass Barbie das Geheimnis preisgeben musste. Ihr würde klar sein, dass Carole vielleicht ihrem Bruder erzählte, sie habe Barbie Webster wieder getroffen. Die Wahrheit würde sich nicht länger vermeiden lassen. Nick griff nach dem Telefon, ohne sich zu fragen, ob sein Plan klug war. Er wollte Barbie Webster, nicht Anne Shepherd. Und er wollte sie am nächsten Abend.
12. KAPITEL
„Ich sehe keine feiernden Kinder", sagte Barbie. Sie betrachtete die wunderschön gestalteten Gartenanlagen. „Bist du sicher, dass es die richtige Adresse ist, Sue?" „Ich habe es genau nachgeprüft. Wahrscheinlich hat Mrs. Huntley sie zusammengetrieben und für die große Überraschung ins Haus geschafft." Barbie war nicht überzeugt. Die kleine Sackgasse in dem High-Society-Vorort Pymble schien etwas für Leute zu sein, die viel Geld dafür bezahlten, ruhig und ungestört leben zu können, nicht für junge Familien. „Ich habe ein ungutes Gefühl. Und ist es nicht seltsam, dass Mrs. Huntley erst gestern angerufen hat? So kurzfristig ... Vielleicht spielt uns jemand einen bösen Streich." „Na und? Das Honorar wurde im Voraus bezahlt. Wir sind hier und gehen erst mal hinein." Sue sah auf ihre Armbanduhr. „Zehn Uhr siebenundfünfzig. Drei Minuten bis zum Auftritt. Machen wir uns fertig." Sie trugen bereits ihre grünen Bodysuits und die gelben Blütenblattröcke. Barbie griff nach den anderen Teilen ihrer Kostüme, die auf dem Rücksitz lagen. „Jetzt kommt eine Frau aus dem Haus", sagte Sue. „Wahrscheinlich hat sie am Fenster gestanden und nach uns Ausschau gehalten. Beeil dich besser, Barbie. Es ist bestimmt Mrs. Huntley. Jedenfalls ist sie im richtigen Alter, um Kleinkinder zu haben." Die braunen Manschetten mit dem gelben Rand waren mühelos anzustecken, aber es war schwierig, den Hut so aufzusetzen, dass die Sonnenblume das Gesicht umrahmte. In ihrer Eile warf Barbie der Frau nicht einmal einen flüchtigen Blick zu. Sie war erleichtert, dass kein Fehler passiert und der Auftrag ernst ge meint gewesen war. Sue stieg als Erste aus und begrüßte die Kundin. Bevor Barbie zu ihnen ging, nahm sie die tragbare Stereoanlage vom Rücksitz, die sie für ihre Nummer brauchten. Die Lieder zum Mittanzen, die Kindern so gefielen, hatten sie alle vorher aufge nommen. Sue hatte ihr berichtet, die Kundin sei bereit, die Musik aufs Stichwort einzuschalten. „Hallo! Wie schön, dass Sie pünktlich sind", sagte die Frau gerade. „Ich habe die Kinder in den Hobbyraum im unteren Stockwerk verfrachtet. Die anderen Mütter passen auf. Die Kinder sollten Sie nicht ankommen sehen. Ich will, dass es eine richtige Überraschung ist." Von der Straße aus sah das Haus eingeschossig aus. Das schräg abfallende Grundstück verbarg, dass es zwei Stockwerke hatte. „Mrs. Huntley?" fragte Sue. „Ja, ich bin Carole Huntley. Stuart und Tina sind meine Kinder." „Ich bin Sue Olsen, und das ist meine Partnerin ..." Sie drehte sich hastig um, stellte sich neben Sue und lächelte die Kundin an. „Barbie Webster." Ihr Lächeln verschwand. Carole Huntley war Carole Armstrong, Nicks Schwester! Mit achtzehn war sie schick gewesen, jetzt sah sie noch eleganter aus. Ihr dichtes, kurzes schwarzes Haar war hervorragend geschnitten, Hose, T-Shirt und Jacke stammten zweifellos aus einer exklusiven Boutique und waren perfekt aufeinander abgestimmt. „Barbie Webster?" wiederholte sie ungläubig. Sie musterte forschend das von einer Sonnenblume umrahmte Gesicht. „Ja, du bist es. Diese Augen sind unverkennbar. Barbie Webster, nach all den Jahren ..." Sie schüttelte fassungslos den Kopf. „Mein Mädchenname ist Carole Armstrong. Erinnerst du dich? Die Schwester von Danny und Nick. Ich war in der Schule zwei Klassen über dir. Wir haben in Wamberal in derselben Straße gewohnt." „Carole Armstrong", sagte Barbie wie betäubt. „ Du meine Güte! Es muss ... neun Jahre her sein. Zuletzt habe ich dich an Nicks einundzwanzigstem Geburtstag gesehen. Du hast auf der Party gesungen." Carole strahlte vor Freude. „Und du hast das Singen zum Beruf gemacht?" „Ja." Barbie konnte kaum sprechen. Es war ein Schock gewesen, plötzlich ein Mitglied von Nicks Familie vor sich zu haben. Wenn Sue sie nicht vorgestellt hätte, wäre sie vielleicht so geistesgegenwärtig gewesen, sich auch hier Anne Shepherd zu nennen. Selbst wenn sie
Carole trotzdem bekannt vorgekommen wäre, hätte sie einfach nur dabei bleiben und jede Ähnlichkeit als Zufall abtun müssen. Aber jetzt war nichts mehr zu retten. „Fantastisch!" Carole lachte begeistert, während sie den Blick über Barbie gleiten ließ. „Du bist eine schöne Sonnenblume." Ihre blauen Augen funkelten vor Vergnügen. „Sie auch", sagte sie zu Sue. „Danke. Ich hoffe, die Kinder sind derselben Meinung", erwiderte Sue schnell. „Wenn Sie uns hinführen würden ..." „Ja, natürlich." Carole lächelte entschuldigend. „Jetzt haben wir keine Zeit, um Erinnerungen auszutauschen." Bevor sie voranging, sah sie bittend Barbie an. „Könnten wir vielleicht hinterher Kaffee zusammen trinken? Ich würde gern hören, was du in den vergangenen Jahren gemacht hast." „Wir ... wir haben heute Nachmittag noch einen weiteren Auftritt außerhalb von Sydney und müssen gleich weiter", log Barbie, die nur den Wunsch hatte, Carole zu entkommen. „Das ist sowieso keine gute Idee, Mrs. Huntley", mischte sich Sue ein. „Es würde die Illusionen der Kinder zerstören. Am besten verschwinden ,Die singenden Sonnenblumen' so plötzlich, wie sie aufgetaucht sind." „Oh. Ja, stimmt wohl." Carole sah enttäuscht aus. „Wer hat denn Geburtstag, Stuart oder Tina?" redete Sue weiter, damit Barbie nicht noch mehr unter Druck geriet. „Keiner von beiden. Stuart ist dreieinhalb, Tina ist fast zwei. Stuart hat sich am vergangenen Samstag den Arm gebrochen und kann nicht zur Spielgruppe gehen. Ich dachte, ich gebe eine Party für ihn, um ihn aufzuheitern." Deshalb ist der Auftrag so kurzfristig erteilt worden, dachte Barbie benommen. Sie war noch immer völlig durcheinander. Was für ein furchtbarer Zufall, innerhalb von fünf Tagen zwei Armstrongs zu begegnen. Und das Zusammentreffen mit Nicks Schwester könnte sie durchaus auffliegen lassen. Carole war schon immer geschwätzig gewesen. „Wegen des Unfalls haben wir leider Nicks Geburtstagsparty am Samstagabend verpasst", sagte Carole gerade und blickte wieder Barbie an. „Dabei fällt mir ein ..." „Da kann man halt nichts machen", unterbrach Sue sie mitfühlend. Sie hatten inzwischen die Haustür erreicht. „Vielleicht wäre es das Beste, wenn Sie mit unserer Anlage vorausgehen, sie anschließen und die Musik einschalten, wenn wir hereinkommen sollen. Dann ist es wirklich eine Überraschung." Barbie war dankbar für die Ablenkung. Sie gab Carole die tragbare Stereoanlage, und Sue erklärte ihr, was sie tun musste. „Ja, in Ordnung", sagte Carole. Sie führte Barbie und Sue in die Diele, bog nach rechts ab und ging die Treppe hinunter. „Reiß dich zusammen, Barbie", flüsterte Sue. „Die Nummer klappt nur, wenn wir beide gut zusammenarbeiten." Barbie atmete tief ein, um sich zu beruhigen. „Danke, dass du mich aus der Schusslinie gezogen hast." „Du hast wie betäubt ausgesehen. Vergiss Carole Huntley, und konzentrier dich auf die Kleinkinder. Die Show geht weiter." „Ich lasse dich nicht im Stich." „Solltest du besser nicht. Dass der Teufel los ist, hast du dir selbst zuzuschreiben, und es wäre unfair, der Firma und mir zu schaden. Wenn du den Auftritt vermasselst, gebe ich dir einen Tritt." „Ich bin bereit." „Sehen wir zu, dass wir unsere Sache gut machen, und dann verschwinden wir von hier." Sie waren gut. Als sie die Treppe hinunterkamen, wurden die Augen der zwölf Kinder zwischen zwei und vier Jahren groß, und Barbie und Sue gelang es, sie alle völlig in ihren Bann zu schlagen. Sie wiederholten kurze Sätze, wenn sie dazu aufgefordert wurden, sie machten die einfachen Tanzschritte mit, klatschten zusammen mit den Sonnenblumen in die Hände und strahlten vor Freude.
Barbie war völlig davon in Anspruch genommen, den Kontakt zu den Kindern herzustellen. Sie wagte es nicht, Carole anzusehen, weil es sie aus dem Konzept gebracht hätte, und die anderen Mütter im Raum nahm sie nur verschwommen war. Sie hielten die Kinder zurück, die Sue und ihr folgen wollten, als sie sich nach vierzig Minuten hochkonzentrierter Unterhaltung verabschiedeten und hinausgingen. . Carole kam ihnen mit der Stereoanlage nach und schloss die Haustür hinter ihnen. „Das war wirklich fantastisch!" schwärmte sie. „Meine Freundinnen waren auch bege istert." „Schön!" Sue zog schnell das kleine Bündel Visitenkarten heraus, das sie sich vor dem Auftritt in den Ärmel gesteckt hatte. „Bitte verteilen Sie sie. Wir freuen uns, wenn wir weiterempfohlen werden." Während Carole die Karten nahm, griff Sue rasch nach der Stereoanlage. „Vielen Dank für Ihre Hilfe damit. Wir verabschieden uns jetzt, gehen Sie ruhig schon zurück zu Stuart und Tina." „Ja. Es war nett, dich einmal wieder gesehen zu haben, Carole", warf Barbie schnell ein und hoffte verzweifelt, dass Nicks Schwester den Wink verstehen und ihr unerwünschte Erinnerungen ersparen würde. Leider funktionierte es nicht. „Nein, ich gehe mit zum Auto. Ich verstehe ja, dass ihr sofort losmüsst, Barbie, aber ich dachte gerade an ..." Bitte nicht! Irgendwie rang sie sich ein höfliches Lächeln ab, während sie den Weg zur Straße hochgingen, obwohl sie Carole Huntley zum Mond wünschte. „Am Freitag wird Mom fünfzig", sprach Carole weiter, „und mein Mann und ich geben am Samstagabend eine Party für sie. Danny kommt dafür aus San Diego. Wir wollten wieder einmal alle Familienmitglieder und gute Freunde zusammenbringen. Wie vor neun Jahren, als Nick einundzwanzig geworden ist. Es wäre schön, wenn du auch kommen könntest." Die Erinnerung an Nicks einundzwanzigsten Geburtstag löste sofort eine heftige Reaktion aus. Barbie schreckte schon vor der Einladung zurück, bevor sie überhaupt ihre jetzige Beziehung zu Nick als Anne Shepherd damit in Verbindung brachte. „Das ist sehr nett von dir, Carole, aber ich habe keine Zeit." „Ach, wie schade! Geht es wirklich nicht? Es wäre eine wundervolle Überraschung, wenn du ,Happy Birthday' für Mom singen könntest, so, wie du es vor neun Jahren an seinem Geburtstag für Nick getan hast. Sie hat immer gesagt, du hättest eine schöne Stimme." „Ich singe nicht mehr umsonst auf Partys, Carole. Das ist jetzt mein Beruf, und ich werde dafür bezahlt", sagte Barbie scharf. Carole sah niedergeschlagen aus. „Ich habe doch nicht gemeint, dass du nur deswegen kommen sollst. Es tut mir Leid, wenn es sich angehört hat, als wollte ich ..." Sie seufzte und sah Barbie bittend an. „Unsere Familien haben sich früher sehr nahe gestanden. Ich dachte nur, es wäre nett, wenn ..." „Vielleicht ein anderes Mal." „Barbie, ich habe dich wirklich nicht um eine Gratisvorstellung gebeten. Ich wollte einfach, dass du dabei bist. Die ganze Familie würde sich freuen, wenn du kommst. Und du würdest alte Freunde aus Wamberal treffen." Es kostete sie große Anstrengung, sich ein weiteres höfliches Lächeln abzuringen. „Tja, das klingt, als würde deine Mutter eine wunderschöne Geburtstagsparty bekommen. Ich wünsche euch allen viel Spaß." Sie hörte Sue die Fahrertür öffnen und nickte Carole zu. „Nochmals danke für die Einladung. Leider müssen wir jetzt los." „Ja, die Zeit wird knapp", sagte Sue über das Autodach hinweg. „Und Mrs. Huntley ... Sie können sich glücklich schätzen, so niedliche Kinder zu haben. Die beiden sind einfach entzückend." Sie stiegen ein, Sue ließ den Motor an, und weg waren sie. Nein, nicht ganz. Sie mussten den Wendekreis am Ende der Sackgasse benutzen und kamen wieder an Carole vorbei, die nicht auf dem Weg zurück zum Haus war, sondern noch immer mit gequälter Miene am
Straßenrand stand. Barbie winkte und wünschte, sie hätte nicht gleich so beleidigt auf die taktlose Einladung reagiert. Es würde ihnen beiden peinlich sein, wenn sie sich das nächste Mal trafen. Falls es ein nächstes Mal geben sollte. Eins war sicher: Sie konnte ihre Tarnung nicht mehr viel länger aufrechterhalten. Wenn Bruder und Schwester wegen des fünfzigsten Geburtstags ihrer Mutter telefonierten, und Carole ihm erzählte, sie habe bei der Firma Partyüberraschung für ihre Kinder „Die singenden Sonnenblumen" engagiert und eine der Sängerinnen sei Barbie Webster gewesen ... „Ich nehme an, Nick hat dich nicht zu dem großen Familienfest eingeladen", sagte Sue boshaft. „Nein. Noch nicht." „Er hat es nicht einmal erwähnt, während ihr gestern Nacht stundenlang geredet habt?" fragte Sue und betonte spöttisch das Wort „geredet". Barbie ärgerte sich darüber. „Warum sollte er?" brauste sie auf. „Nick hat mich sozusagen gerade erst kennen gelernt. Er weiß doch nicht, dass ich mit seiner Familie vertraut bin." „Er führt dich hinters Licht, um zu bekommen, was er will. Ich wette, du hast mehr Zeit mit ihm im Bett verbracht als irgendwo sonst." „Das ist meine Sache!" Der zynische Standpunkt ihrer Freundin machte Barbie so wütend, dass sie die Hände zu Fäus ten ballte. „Dann nimm zumindest die Scheuklappen von den Augen", erwiderte Sue genervt. „Seit der Nacht mit dir hat Nick Armstrong nicht Anne Shepherd im Kopf. Er weiß, wer du bist. Oder er hat einen so starken Verdacht, dass er es prüfen wollte. Was glaubst du, warum uns seine Schwester engagiert hat?" „Was meinst du damit?" „Carole Huntley hat genau eine Stunde nach deinem Gespräch Nick angerufen, bei dem du weiter vorgegeben hast, Anne Shepherd zu sein. Wenn du dir keinen Reim darauf machen kannst, ich kann es. Bevor er sich heute Abend mit dir trifft, wird ihm seine Schwester bestätigt haben, dass Sue Olsens Partnerin tatsächlich Barbie Webster ist." „Es kann ein Zufall gewesen sein", rief Barbie und versuchte, nicht daran zu denken, wie demütigend es wäre, wenn Sue Recht hätte. „Sei nicht albern." „Nick kann sie nicht gebeten haben, mich zu überprüfen", argumentierte Barbie verzweifelt. „Carole hat nicht mit mir ge rechnet. Ihre Überraschung war echt. Sie hat mich erst erkannt, als du mich vorgestellt hast." „Unverkennbare Augen, hat Carole Huntley gesagt. Wie lange hat sie dir während des Abendessens in die Augen geblickt? Und vergiss nicht, dass ich dich in seinem Büro Barbie genannt habe, bevor du dir in einem Anfall von Wahnsinn eine falsche Identität verpasst hast. Hältst du ihn für jemand, der lange braucht, um zwei und zwei zusammenzuzählen?" Barbie dachte daran, wie er ihr erklärt hatte, ihre Augen würden ihn an ein Mädchen erinnern, das er früher gekannt habe. „Finde dich damit ab!" sprach Sue schonungslos weiter. „Das Spiel ist aus. Er hat seine Schwester benutzt, um dich zu überprüfen, und wahrscheinlich telefoniert sie jetzt gerade mit ihm und berichtet ihm, wie es gelaufen ist. Also mach dich nicht lächerlich, indem du versuchst, bei dieser verrückten Täuschung zu bleiben, wenn er heute Abend kommt!" Lächerlich machen? Sue wusste nicht einmal die Hälfte davon. Nicks forschende Fragen, seine Bemerkungen über Fälschung ... Und ihr Benehmen. Wie sie ihn gebeten hatte, sie zu küssen. Wie sie ihm die Kleidung vom Leib gerissen hatte ... Sie konnte den Gedanken nicht ertragen, dass er die ganze Zeit gewusst oder vermutet hatte, dass sie die Barbie Webster war, die er früher einmal aus seinem Leben gedrängt hatte. „Diese Party, von der Carole Huntley gesprochen hat, ist vielleicht die, zu der mich Leon eingeladen hat. Sie ist am Samstagabend." Sue warf Barbie einen besorgten Blick zu. „Was
willst du jetzt machen?" „Ich weiß es nicht, Sue." „,Ich habe es dir ja gleich gesagt' willst du wohl nicht hören. Zumindest hast du den Rest des Tages Zeit, nach einer Lösung zu suchen." Barbie schloss die Augen. Ihr war so schlecht, dass sie nicht sprechen konnte. „Ich hoffe, du kannst es in Ordnung bringen", sagte Sue freundlicher. Die süßeste Rache ist gleichzeitig der Weg in die Hölle, dachte Barbie.
13. KAPITEL
Nick wusste, dass die Kinder seiner Schwester nach der Party überdreht sein würden und es einige Zeit dauern würde, bis sie sich zum Mittagsschlaf hinlegten. Er wollte nicht, dass sie Carole ablenkten, denn er musste alles aus ihr herausholen, was ihr an Barbie Webster aufgefallen war. Bis zwei Uhr hielt er seine Ungeduld in Schach, dann rief er an. Das Klingeln am anderen Ende der Leitung ging ihm auf die Nerven, während er minutenlang darauf wartete, dass seine Schwester abnahm. „Hallo!" meldete sich Carole endlich atemlos. „Ich bin's, Nick. Wo warst du?" „Unten. Ich habe aufgeräumt." „Wie ist die Party gelaufen?" „O Nick, du wirst es niemals erraten ..." „Was erraten?" Seine Haut prickelte vor Erwartung. Es war bestimmt passiert. Barbie musste sich damit abfinden, dass die Täuschung nicht länger funktionieren würde. „Die Party ist prima gelaufen. Es war ein großartiger Einfall. Die Kinder haben sich so gefreut. Und dein Vorschlag, bei Partyüberraschung anzurufen, war wirklich brillant. Sie waren hingerissen von den Sonnenblumen." Komm zur Sache! dachte Nick. „Und stell dir vor, eine von den Sängerinnen war Barbie Webster! Erinnerst du dich an sie? Das Mädchen in der Nachbarschaft, in das Danny verknallt war?" „Ja." Die Katze war zweifellos aus dem Sack. „Ich war so überrascht. Ich hatte keine Ahnung, dass sie das Singen zum Beruf gemacht hat. Und sie ist gut, Nick. Ich hätte gern mit ihr geplaudert, aber ..." Carole seufzte laut. „Aber was?" fragte er nervös. „Ich glaube, sie hat sich nicht gefreut, mich wieder zu sehen." „Warum glaubst du das?" „Na ja, sie hat sich nicht darauf eingelassen, Erinnerungen auszutauschen. Du weißt schon, wie Leute das so tun, wenn sie sich nach langer Zeit wieder treffen. Und unsere Familien haben sich doch wirklich nahe gestanden. Es war rein geschäftlich. Sie hat alles Persönliche abgeblockt." Schock, dachte Nick. Verständlich, unter diesen Umständen. „Was mir zuerst nichts ausgemacht hat", erzählte Carole weiter. „Ich konnte erkennen, dass sie und ihre Partnerin vor dem Auftritt angespannt waren. Und sie waren hochkonzentriert bei der Sache. Was die beiden bieten, ist fantastisch. Die Kinder waren begeistert." „Freut mich, das zu hören." „Jedenfalls dachte ich, es wäre doch schön, wenn Barbie zu Moms Geburtstagsparty kommen würde. Am Samstag hätten wir über die alten Zeiten plaudern können ... Und mit meiner Einladung bin ich dann wirklich ins Fettnäpfchen getreten, Nick. Es hat mich sehr mitgenommen, was mir da passiert ist." Nick hatte ein ungutes Gefühl. „Was ist denn schief gegangen?" „Zuerst hat Barbie erwidert, sie habe keine Zeit. Na gut, bei so einer kurzfristigen Einladung kann ich das durchaus verstehen. Obwohl sie nicht einmal einen Moment überlegt hat, ob es sich vielleicht irgendwie noch einrichten lässt vorbeizukommen. Dass sie überhaupt kein Interesse hat, uns alle wieder zu sehen, habe ich da aber noch nicht bemerkt." Nick runzelte die Stirn. Wenn Barbie ernsthaft an ihm interessiert war, hätte sie eigentlich daran interessiert sein sollen, den Kontakt mit seiner Familie wieder aufzunehmen. Vielleicht hatte sie der Gedanke völlig aus der Fassung gebracht, ihm vorher gestehen zu müssen, dass sie nicht Anne Shepherd war. Und er hatte den Geburtstag seiner Mutter mit keinem Wort erwähnt, als sie beim Abendessen über ihre Familien gesprochen hatten. Er hatte nur im Sinn gehabt, sie auszufragen.
Carole atmete hörbar ein. „Ich habe mir wirklich gewünscht, dass sie kommt. Ich bin mir nicht bewusst gewesen, dass ich etwas falsch mache. Jedenfalls habe ich gesagt, es wäre eine wundervolle Überraschung, wenn sie für Mom singen könnte, so, wie sie es an deinem einundzwanzigsten Geburtstag getan hat." Nick unterdrückte gerade noch ein Stöhnen. Das war das perfekte Beispiel dafür, wie man böse Erinnerungen wachrief! „Wenn Blicke töten könnten, wäre ich mausetot, Nick. Und sie hat gesagt, sie singe nicht mehr umsonst auf Partys. Das sei jetzt ihr Beruf, und sie werde dafür bezahlt. Als wollte ich sie ausnutzen. Es war schrecklich. Ich bin fast vergangen vor Verle genheit." „Das war ... ein-unglückliches Missverständnis, Carole." „Ich habe versucht, es wieder gutzumachen. Ich habe ihr erklärt, wie ich es gemeint hatte. Dass ich sie nur dabeihaben wollte. Dass sich die ganze Familie freuen würde. Barbie war höflich, aber kühl, und ich habe mich wie eine minderwertige Kreatur gefühlt. Ich hätte mich wirklich gern wieder mit ihr angefreundet." „Vielleicht erhältst du eine zweite Chance." Nick hoffte es. War die Anziehungskraft zwischen ihnen stark genug, um den angerichteten Schaden aufzuwiegen? „Nein", erwiderte Carole. „Sie konnte nicht schnell genug wegkommen. Es ist traurig. Wir haben uns früher alle nahe gestanden. Ich habe ihr unabsichtlich das Gefühl gegeben, dass ich sie benutze, als wäre mir ihre Freundschaft nur etwas wert, weil sie gut singen kann." Sie benutze ... Nein, Barbie konnte nicht denken, dass er sie benutzt hatte. Sie hatte gewollt, dass sie miteinander ins Bett gingen. Es herausgefordert. Hatte sie ihn benutzt? Ein Traum, der wahr geworden war ... Nick schüttelte den Kopf und konzentrierte sich wieder auf seine Schwester. „Möglicherweise hast du einen wunden Punkt getroffen, Carole. Ärzte reagieren auch empfindlich, wenn sie privat eingeladen werden und ihnen die anderen Partygäste ihre Gesundheitsprobleme schildern und sie um Rat fragen." Carole seufzte. „Damit magst du Recht haben. In der Unterhaltungsbranche wird man wohl besonders ausgenutzt. Und wer weiß, wie ihr Leben verlaufen ist, seit die Websters aus Wamberal weggezogen sind. Es ist viele Jahre her. Vielleicht gibt es für Barbie kein Zurück." „Wir können alle nicht zurückgehen." Wir können auch nicht ändern, was wir getan haben, dachte Nick grimmig. „Ich bin noch nie so ... brüskiert worden." Das ungute Gefühl wurde stärker. „Es tut mir Leid, Carole." Er hatte erreichen wollen, dass Barbie ihm alles gestand. Was bei seinem Plan herausgekommen war, verriet ihm, dass eine gemeinsame Zukunft mit Barbie mühsam errungen werden musste, wenn dieses Ziel nicht sogar nur ein Hirngespinst war. „Meine Schuld. Ich bin taktlos gewesen", sagte Carole niedergeschlagen. „Vielleicht ist mehr an der Sache", tröstete Nick sie. Er war sich völlig darüber im Klaren, dass er an dieser Situation schuld war. „Und was? Meinst du, sie will uns einfach nicht in ihrem Leben haben?" „Könnte doch sein." „Es ist entsetzlich, so zurückgewiesen zu werden." „Ja", sagte Nick und dachte wieder daran, wie tief er Barbie Webster vor neun Jahren mit seiner Zurückweisung verletzt hatte. Er hatte bewusst so gehandelt ... Barbie hatte sich bewusst aufreizend auf seinem Bett gerekelt und ihn dazu verlockt, zu ihr zu kommen. Rache war süß. War das für sie die süßeste gewesen? Dass Nick Armstrong sie unwiderstehlich fand, sie begehrte, zweifellos verrückt nach ihr war ... War das der Traum, der sich erfüllt hatte? Carole lachte leise. „Nicht, dass du weißt, was es bedeutet, zurückgewiesen zu werden. Einem so gefragten Junggesellen passiert das nicht." Nick hatte das Gefühl, dass er es bald erfahren würde. Mit Zins und Zinseszins! „Mein Leben hat auch nicht nur angenehme Seiten", sagte er ironisch. Er musste neuerdings allerhand aushalten. Mit einer Frau, die reizbar war bei Männern, die sich an sie
heranmachten. „Läuft die Sache mit Tanya nicht so gut?" neckte ihn Carole. „Das ist vorbei." „Oh! Bringst du zu Moms Geburtstagsparty eine Neue mit?" „Mein Liebesleben hängt zur Zeit in der Luft. Ich habe keine Lust, darüber zu sprechen." „Okay. Tja, danke, dass du mir zugehört hast. Und nochmals danke für deinen Vorschlag. Das war großartige Unterhaltung für die Kinder. Stuart hat wirklich vergessen, sich selbst zu bedauern. Er ist überhaupt nicht mehr mürrisch." „Freut mich, dass es funktioniert hat. Umarm ihn von mir. Tina auch. Ich muss jetzt Schluss machen." „Es war gut, mit dir zu reden, Nick. Bis Samstagabend." Nichts war gut! Nick legte auf und schlug sich mit der bösen Vorahnung herum, dass die Frau, die alles war, was er sich wünschte, ihren Racheplan an diesem Abend abschließen würde. Indem sie ihn aus ihrem Leben verbannte. Aber konnte sie das? Vielleicht hatte sie vorgehabt, ihn fallen zu lassen, nachdem er Montagnacht zweifelsfrei bewiesen hatte, dass er sie begehrte. Und dann war die Aussicht zu verlockend gewesen, mehr davon zu bekommen, weil der Sex zwischen ihnen auch für sie etwas ganz Besonderes gewesen war. Deshalb hatte sie sich am Telefon dafür entschuldigt, sich aus seinem Bett und seiner Wohnung geschlichen zu haben, und wollte ihn wieder treffen. Zumindest das hatte er, um zu kämpfen. Und er würde kämpfen. Auf jeder Ebene. Es war an der Zeit, dass Barbie anfing, klar zu sehen. Und er würde ihre Meinung an diesem Abend richtig stellen. Die Vergangenheit war vorbei, und sie musste sie loslassen. Um ihretwillen ebenso wie um seinetwillen. Rache führte zu nichts! Zu nichts Gutem, jedenfalls. Und er wollte etwas Gutes. Für sie beide.
14. KAPITEL „Ich verschwinde!" sagte Sue kurz angebunden. Das Gesicht ins Kopfkissen gedrück, lag Barbie schon seit einiger Zeit auf ihrem Bett und grübelte. Jetzt sah sie auf und versuchte, sich auf ihre Freundin zu konzentrieren. „Wohin willst du?" „Ins Kino. Zu Freunden. Irgendwohin." Sue musterte Barbies zerknitterte Sachen und ihr zerzaustes Haar. „Es ist offensichtlich, dass du nicht vorhast, mit Nick auszugehen, und ich habe keine Lust, beim Showdown zwischen euch beiden von einem Querschläger ge troffen zu werden. Anne Shepherd war deine Idee, nicht meine." „Ich kann nicht mit ihm ausgehen. Nicht unter diesen Umständen." „Er kommt hierher, um dich abzuholen", erinnerte Sue sie scharf. „Was willst du tun? Ihm die Tür vor der Nase zuschla gen?" „Ich weiß nicht, was ich tun soll!" rief Barbie verzweifelt. „Tja, Nick Armstrong hat auf mich nicht den Eindruck eines Mannes gemacht, der es sich gefallen lässt, dass man ihm die Tür vor der Nase zuschlägt. Deshalb verschwinde ich. Es ist gleich Viertel vor sieben, Barbie. Reiß dich zusammen!" Nachdem sie diese letzte Ermahnung losgeworden war, verließ Sue die Wohnung. Ihre Freundin hatte nachdrücklich darauf hingewiesen, es sei ihre Sache. Jetzt konnte sie sich allein darum kümmern. Noch eine Viertelstunde ... Ihr Stolz zwang Barbie zu handeln. Sie stand auf und zog frisch gewaschene Jeans und eine blau-weiß karierte Bluse an, die sie lose über die Hose fallen ließ, um nicht ihre kurvenreiche Figur zu betonen. Sie wollte nicht sexy aussehen. Dann bürstete sie sich das Haar, benutzte aber kein Make-up. Barbie Webster au naturel, dachte sie spöttisch, während sie sich im Spiegel betrachtete. An diesem Abend konnte Nick nicht sagen, sie würde Rollen spielen und sich ihm in verschiedenen Verkleidungen ze igen. Ihr - ungeschminktes Gesicht hatte nichts Falsches. Es klingelte. Ihr Herz fing an zu hämmern. Der gewissenlose Mistkerl hatte ihr absichtlich Spielraum gelassen, damit sie sich selbst das Genick brach. Überzeugt, dass er sie sich nur zu nehmen brauchte, war er für einen weiteren Happen von ihr gekommen. Er hatte gewusst, dass sie Barbie Webster war, bevor er sie in sein Schlafzimmer geführt hatte. Was dort passiert war, hatte nichts mit Anne Shepherd zu tun gehabt. Sie war für ihn keine Frau gewesen, die er gerade erst kennen gelernt und heftig begehrt hatte. Er hatte ihr auf dem Höhepunkt der Leidenschaft kaltblütig Eingeständnisse entlockt, die ihm die Oberhand bei jeder weiteren Begegnung zwischen ihnen geben sollten. Sie hatte ihn begehrt. Sie hatte darum gebettelt, dass er sie nahm. Sie hatte mit ihm geschlafen. Ihr brannte das Gesicht bei diesen demütigenden Erinnerungen, während sie langsam zur Tür ging. Sie wollte nicht öffnen, aber Sue hatte Recht. Nick Armstrong würde sich nicht abweisen lassen. Und sie war gespannt, wie er sein Benehmen diesmal erklären würde. Mit seinem jüngeren Bruder Danny konnte er das Spiel nicht rechtfertigen, das er mit ihr getrieben hatte. Und warum er seine Schwester in die Sache hineingezogen hatte, war völlig unverständlich. Nick hatte ihre Bestätigung doch überhaupt nicht gebraucht, dass sie in Wirklichkeit Barbie Webster war. Wie am Montagabend hatte er mit ihr gespielt wie ein Kater mit einer Maus, bevor er zubiss. Plötzlich kochte Barbie vor Wut über seine Falschheit. Er täuschte sich, wenn er glaubte, durch Manipulation zu bekommen, was er wollte. Ihr Blick war hart, als sie aufschloss und die Tür öffnete, nur dass sie als Erstes die Flügel der Märchenprinzessin sah, die Nick vor sich hertrug. Und sie waren so Schön wie vor der Beschädigung! Ein Blick genügte, und Nick wusste, dass Barbie und er an diesem Abend keinen Sex haben würden. Sie hatte auf alle Hilfsmittel verzichtet, die eine Frau normalerweise
benutzte, um auf einen Mann anziehend zu wirken. Kein Make-up. Nicht einmal Lippenstift. Und ihre Sachen waren für die Haus- oder Gartenarbeit passender als für einen Abend mit dem Mann, dessen Interesse sie erhalten wollte. Sie gab ihm deutlich zu verstehen, dass sie mit ihm Schluss machen wollte. Was bedeutete, dass sie ihn hingehalten hatte, um ihm mit ihrer Zurückweisung einen besonders harten Schlag zu versetzen. Wut löste eine Welle von Aggressivität aus. Er hatte das nicht verdient. Und er würde sich das nicht gefallen lassen. „Öffne die Tür ganz, damit ich die Flügel hineintragen kann", befahl er. „Ich will nicht, dass sie noch einmal beschädigt werden." Als Erstes musste er in die Wohnung kommen. Und anscheinend hatte er sie mit den reparierten Flügeln überrumpelt, denn sie trat beiseite und ließ ihn herein. Nick trug die Flügel durch den kleinen Wohnbereich und lehnte sie dort an die Wand, wo ein Flur offensichtlich zu den Schlafzimmern führte. Er befand sich jetzt im Herzen ihres privaten Territoriums, und er würde nicht wieder aufgeben, was er an Boden gewonnen hatte. Barbie schloss die Tür und blieb davor stehen, während sie beobachtete, wie Nick vorsichtig die Flügel abstellte. Er hatte sie tatsächlich repariert. Aber wann hatte er die Zeit dazu gehabt? Barbie war ebenso durcheinander wie am Montag in seinem Büro, als sie die kaputten Flügel und den silberfarbenen Organza gesehen hatte, den Nick besorgt hatte, um sie zu reparieren. „Wie hast du das denn so schnell geschafft?" fragte sie ungläubig. Er drehte sich zu ihr um und lächelte ironisch. „Ich habe mich am Montagnachmittag an eine Kostümbildnerin gewandt und alles ihr überlassen." Barbies Verwirrung verschwand. „Jemand anders hat es gemacht." „Ich wollte, dass die Flügel wieder so schön sind, wie sie es waren, bevor Tanya auf ihnen herumgetrampelt ist." „Kosten spielen ja keine Rolle", murmelte Barbie. Ihr fiel Sues zynischer Kommentar zu Nicks Absicht ein, die Flügel zu reparieren. „Ich nehme an, du hast festgestellt, dass dir Geld den Weg zu allem ebnet, was du haben willst." Dass sie seine Mühe nicht zu schätzen wusste, ärgerte ihn offensichtlich. Er hob herausfordernd das Kinn und blickte sie mit zusammengekniffenen Augen an. „Ich wollte dir einfach eine Freude bereiten." „Sie selbst haben, meinst du wohl", erwiderte Barbie scharf. „Heimliche Freude daran, Barbie Webster hinters Licht zu führen und zu sehen, wie weit sie gehen würde." Die Anschuldigung ließ ihn überrascht zusammenzucken. Barbie konnte die Wut nicht mehr unterdrücken, die sich den ganzen Nachmittag über in ihr angestaut hatte. Sie blickte Nick verächtlich an. „Glaub nicht, dass du mich noch länger zum Narren halten kannst. Ich weiß, dass du weißt, wer ich bin. Ich bin sogar in der Lage, zu bestimmen, wann dir klar geworden ist, wer ich bin. Deine Bemerkung über meine Augen beim Abendessen ..." „Und warum bist du dann nicht mit der Wahrheit herausgerückt? Warum hast du überhaupt gelogen? Und warum hast du immer weitergelogen, obwohl ich dir mehrmals Gelegenheit ge geben habe zuzugeben, dass du Barbie Webster bist? Mir scheint, ich war derjenige, der hereingelegt worden ist." Barbie verschränkte die Arme, als würde es ihr helfen, alle Argumente abzuwehren, die Nick seiner Meinung nach gegen sie anführen konnte. „Ich wollte nicht Erinnerungen an Wauwau Webster in dir wachrufen." „Ich habe dich niemals so genannt, Barbie." „Du hast es gedacht. Ich bin dir wie ein treuer Hund überallhin gefolgt. So hartnäckig, dass ich ein Problem für dich geworden bin und du der Sache ein Ende machen musstest." Nick presste die Lippen zusammen und verkniff sich jeden Versuch, es abzustreiten. „Als Anne Shepherd durfte ich die Frau sein, die ich jetzt bin!" rief Barbie. „Ich konnte mich mit dir treffen, ohne dass du Wauwau Webster in mir gesehen hast. Und du hättest mir sagen sollen, dass ich schon am Montagabend nicht mehr die für dich war, die ich
jetzt bin. Stattdessen hast du dein eigenes heimliches Spiel gespielt." „Es war dein Spiel", erwiderte Nick wütend. „Und ich wusste nicht, was, zum Teufel, du eigentlich vorhattest." „Wenn dich das beunruhigt hat, warum bist du nicht offen damit herausgerückt?" „Ich wollte nicht riskieren, dass du mich beiseite schiebst." „So, wie du es mit mir gemacht hast? Ein bisschen Schuldbewusstsein, Nick? Hast du geglaubt, ich sei darauf aus, dich zu kriegen und dann fallen zu lassen?" Er wurde rot. „Ich habe es für möglich gehalten", sagte er kurz angebunden. „Um das zu vermeiden, ha st du der Vergangenheit einen anderen Anstrich gegeben, indem du mir die Geschichte mit Danny erzählt und dich als den edlen älteren Bruder hingestellt hast, der verzichtete, damit er deinen Platz einnehmen konnte." „Es ist die Wahrheit", beteuerte Nick. Barbie schüttelte verächtlich den Kopf. „Tja, diesmal hast du nicht verzichtet. Es ging direkt in deine Wohnung, in dein Schlafzimmer ..." „Du hättest es jederzeit stoppen können", unterbrach er sie. „Du auch", erwiderte sie scharf und mit all der Verbitterung, die seine Täuschung geweckt hatte. „Aber es hat dir zu viel Spaß gemacht, stimmt's? Ich war früher einmal in dich verknallt, und jetzt hattest du die Gelegenheit, die erwachsene Barbie Webster auf schnellstem Weg mit in dein Bett zu nehmen. War es ein schönes Gefühl, mich dazu zu bringen, einzugestehen, dass ich dich begehre? Mich bis zum Äußersten zu treiben und dann hinzuhalten, damit ich dich anflehe ..." „Verdammt!" brauste Nick frustriert auf. „Du verdrehst alles. Ich wollte nur, dass du zugibst, wer du bist. Dass zwischen uns alles echt ist." „Wie viel echter hätte es denn sein können?" „Ich habe nicht geglaubt, dass du so weit gehen würdest. Und dann hast du es getan, dich aber noch immer nicht zu erkennen ge geben. Obwohl ich dir die Möglichkeit geboten habe, es zu tun. Barbie ..." Er hob bittend die Hände. „Bleib da stehen, Nick Armstrong!" befahl sie, als er auf sie zukam. „Jetzt habe ich das Sagen!" Er blieb stehen, ließ die Hände sinken und ballte sie zu Fäusten. „Du hast die ganze Zeit das Sagen gehabt. Leon mag ja eine sexy Märchenprinzessin verlangt haben, doch du hast viel mehr aus der Rolle gemacht, um mich zu erregen." „Ja." Barbie richtete sich stolz auf. „Ich wollte eine andere Reaktion von dir als auf deiner Geburtstagsparty vor neun Jahren." „Rache ist süß. Und danach wolltest du mich stehen lassen. Das hättest du auch dann getan, wenn Tanya nicht so ein Chaos verursacht hätte, stimmt's?" Barbie lehnte es ab, sich schuldig zu fühlen. Er hatte sie für das bisschen Rache teuer bezahlen lassen. „So war es geplant", gab sie zu. „Aber als du mich geküsst hast ..." Bei der Erinnerung an ihre Reaktion wurde sie rot. „Es hat alles wieder aufgerührt, und ich habe mir gewünscht, ich hätte es nicht getan." „Bis du noch einmal darüber nachgedacht hast und in mein Büro gekommen bist, um zu sehen, ob von meiner ,anderen Re aktion' noch mehr zu haben ist", stieß Nick grimmig hervor. „Und danach hast du die Sache immer weitergetrieben, mich dorthin gebracht, wo es hinführen sollte. Und leugne es ja nicht." „Ich wusste nicht, dass du dich dabei an mich erinnerst", schrie sie wütend. „Du hast dich an mich erinnert." Nick ging langsam auf sie zu. „Die ganze Zeit hast du daran gedacht, was ich früher einmal getan hatte. Du hast mich ausgefragt. Mich getestet. Meinst du, ich hätte es nicht gemerkt?" „Ich wollte nur herausfinden, woran ich bei dir bin." „Ohne mich wissen zu lassen, woran ich bei dir bin", erwiderte er spöttisch. „Und wie lange sollte das noch so weitergehen? Wann wollte sich Anne Shepherd in Barbie Webster verwandeln? Dann, wenn du mich satt gehabt hättest, so dass du hättest tun können, was du ursprünglich vorgehabt hattest? Der Plan war doch, aus meinem Leben
zu verschwinden, sobald du mich dazu gebracht hast, dich zu begehren. Stimmt's?" „Ich war nicht auf Rache aus. Nicht mehr, nachdem ich als Märchenprinzessin für dich gesungen hatte. Ich hatte Angst, nur irgendeine flüchtige Affäre für dich zu sein. Ich hätte dir die Wahrheit ge sagt, wenn ich mich erst einmal sicher gefühlt hätte", verteidigte sich Barbie. Er kam näher, und sie ließ die Arme sinken, bereit, sich gegen ihn zu wehren. Er blieb dicht vor ihr stehen. Seine Augen funkelten herausfordernd, während er das Kreuzverhör fo rtsetzte. „Und warum hast du meine Schwester so gekränkt, wenn du dir wirklich eine Zukunft mit mir gewünscht hast? Du hast ihren Versuch, eine alte Freundschaft wieder aufleben zu lassen, zurückgewiesen. Und ihre Einladung zu einer Familienfeier." „Ich hatte einen Schock. Der Zufall... Nur dass es kein Zufall war", sagte Barbie verbittert. „Du hättest deine Schwester nicht in die Sache hineinziehen sollen." „Mir ist nichts anderes eingefallen, um dich zu veranlassen, mit deiner Täuschung aufzuhören. Ich musste wissen, was in dir vorgeht. Ob du auf eine Zukunft mit mir hoffst oder dich an mir rächen willst, weil ich dich vor neun Jahren zurückgewiesen habe." Es war Hoffnung gewesen. Aber jetzt war eine Verständigung zwischen ihnen ausgeschlossen. Ihre Täuschung und seine Reaktion hatten zu einer Situation geführt, die nicht mehr zu retten war. Nick musterte sie spöttisch. „So, wie du aussiehst, ist die Antwort klar. Du bist sogar gleich an der Tür stehen geblieben, damit du mich schnell hinauskomplimentieren kannst." Endete hier, was am Montagabend so viel versprechend begonnen hatte? Wollte sie dieses Ende? Nein! schrie Barbies Herz, während ihr Verstand verzweifelt nach einer Lösung suchte. Bevor sie irgendetwas sagen oder tun konnte, packte Nick sie an den Schultern. „Aber noch nicht, Barbie. Bevor ich gehe, wirst du deine Rache bekommen." Sie hätte gern abgestritten, dass sie rachsüchtig gewesen war, doch sie war sich bewusst, dass sie es insgeheim genossen hatte, ihm eins auszuwischen. Er lockerte den Griff, ließ die Hände höher gleiten und umfasste ihr Gesicht. „Ich will dich, Barbie Webster. Obwohl ich weiß, dass du fest entschlossen bist, den Spieß umzudrehen und mich aus deinem Leben zu vertreiben, will ich dich." Er streichelte ihr sanft die Wangen, dann schob er ihr eine Hand ins Haar. „Hörst du das gern? Ist die Rache süß? Ich mache sie dir noch süßer. Es ist doch viel besser, das Begehren auch zu spüren." Er neigte langsam den Kopf. Barbies Herz hämmerte. Sie konnte nicht mehr klar denken und sich nicht rühren. Hitze durchflutete sie, und sie war unfähig, die Bedürfnisse zu unterdrücken, die sein verlangender Blick in ihr weckte, die Erinnerungen daran, wie es zwischen ihnen gewesen war. Nick küsste sie sanft und verführerisch. Er versuchte nicht, eine Reaktion zu erzwingen, sondern stellte Barbie nur verlockend in Aussicht, wie stark die Leidenschaft zwischen ihnen aufflammen könnte. Würde es wieder passieren? Sogar jetzt, da sie noch immer voller Groll und Verbitterung war? Sie sehnte sich danach, den KUSS zu erwidern. Was war richtig und was falsch? Verwirrt und ratlos, traf sie keine bewusste Entscheidung. Sie öffnete unwillkürlich den Mund, und sofort küsste Nick sie leidenschaftlicher. Wundervolle Empfindungen durchfluteten sie. Ihr ganzer Körper prickelte vor Erregung und Erwartung noch größerer Erregung. Es war unmöglich, dem KUSS zu widerstehen. Der Gedanke kam ihr überhaupt nicht. Sie legte ihm die Arme um den Nacken, schob ihm die Finger ins Haar und schmiegte sich an ihn. Nick ließ die Hände zu ihrem Rücken und unter ihre Bluse gleiten und zog Barbie fest an sich. Sein Verlangen nach ihr war keine Lüge. Er war zweifellos erregt, und Barbie genoss es, ihn zu spüren. Als er ihren BH öffnete, wurde sie jedoch trotz ihres eigenen starken Verlangens wachsam. War dieser überwältigende Wunsch nach sexueller Erlösung richtig? Nick schob den BH beiseite, umfasste eine Brust und streichelte mit dem Daumen die Spitze, die so hart und empfindlich war, dass Barbie bei der Berührung vor Lust aufstöhnte.
Doch dann ließ er die andere Hand zum Bund ihrer Jeans gleiten und versuchte, den Knopf zu öffnen. Barbie erkannte, dass Nick vorhatte, sie gleich hier an der Tür zu nehmen. Gerade noch war sie dabei gewesen, sich ihrem rasenden Verlangen hinzugeben, jetzt fragte sie sich, ob Nick sie nur auf dieser Ebene wollte. War Sex der letzte Versuch, sie zu behalten ... für mehr Sex? Der plötzliche Schmerz stellte ihre Sehnsucht nach sexueller Befriedigung in den Schatten. Barbie stemmte die Hände gegen Nicks Schultern und löste den Mund von seinem. „Nein!" schrie sie gequält. „Gib uns eine Chance, Barbie", bat Nick rau. Er umfasste ihren Po, presste sie wieder an sich und erinnerte sie an die Leidenschaft, die sie schon miteinander geteilt hatten. „Was wir zusammen haben, ist etwas ganz Besonderes. Das weißt du. Und ich werde nicht zulassen, dass du davor wegläufst, nur weil ich vor neun Jahren getan habe, was ich als das Beste für dich angesehen habe." Das Beste für sie! Eine grausame Zurückweisung ohne ein freundliches Wort, um sie abzuschwächen? Er log! Dass er sie jetzt begehrte, war keine Lüge, aber er versuchte, ihre Gefühle zu manipulieren, ebenso wie er es am Montagabend getan hatte. Und an diesem Tag auch, indem er die Konfrontation mit seiner Schwester eingefädelt hatte. Er wollte seinen Willen durchsetzen. Was sie fühlte, hatte nichts zu sagen. Genau wie vor neun Jahren. Sie stemmte mit aller Kraft die Hände gegen seine Brust. „Geh weg von mir!" Nick ließ Barbie los und trat zurück. „Warum?" fragte er wütend und verwirrt. „Du hast mitgemacht. Auch Montagnacht. Ich habe mich dir nicht aufgedrängt." „Nein. Aber Sex hebt nicht alles andere auf. Für mich nicht." „Der Sex ist das Ehrlichste zwischen uns gewesen." „Ja, richtig. Nur möchte ich mehr Ehrlichkeit als rückhaltlose Lust. Das Beste für mich!" spottete Barbie. „Du interessierst dich allein dafür, was das Beste für dich ist. Du hast dich vor neun Jahren nicht um meine Gefühle gekümmert, und du tust es jetzt nicht. Mich in die Falle zu locken, indem du mich mit deiner Schwester zusammenbringst! Du duldest einfach nicht, dass irgendetwas nicht so läuft, wie du es willst." Nick verzog das Gesicht, als hätte sie ihn geschlagen. Er blickte sie nicht mehr wütend, sondern traurig an. „Ich habe wirklich geglaubt, es sei das Beste für dich, Barbie", sagte er leise. „Du warst ein ganz besonderes junges Mädchen, und es wäre falsch gewesen, wenn du dich nur auf mich konzentriert hättest. Mit sechzehn gab es viel mehr für dich zu entdecken." Dass er so ruhig argumentierte, traf offene Wunden. Als wäre er der kluge, objektive Erwachsene, der einem Kind etwas erklärte, und sie war kein Kind mehr. Wie vor neun Jahren blieb er emotional unbeteiligt, und sie griff gereizt einen Schwachpunkt in seiner Logik auf. „Wenn ich so etwas Besonderes war, warum hast du mich nicht ausfindig gemacht, nachdem ich Zeit gehabt hatte, zu entdecken, was ich deiner Meinung nach entdecken sollte?" Er zuckte die Schultern. „Wie das eben ist. Du bist weggezo gen. Ich bin völlig von meiner Arbeit in Anspruch genommen worden." „Die Wahrheit ist, dass du keinen Gedanken mehr an mich verschwendet hast, bis ich wieder in dein Leben getreten bin." „Nein, das stimmt nicht." Nick seufzte. „Ich kann die Vergangenheit nicht ändern. Es tut mir Leid, dass ich dich mit meiner Entscheidung damals so tief verletzt habe. Ich habe die Sache nicht gut angefasst, das weiß ich." Die Erinnerungen an jenen vernichtenden Abend kehrten zurück. Sie hatte ihm zeigen wollen, was sie für ihn empfand, und sich Anerkennung und Verständnis gewünscht. Da war nichts gewesen. Er hatte entschieden, dass es nicht sein durfte. Sie sah ihn forschend an und suchte nach einem Beweis dafür, dass er jetzt irgendwelche Gefühle für sie hatte. Sein Blick verriet keine Zuneigung, nicht einmal mehr Verlangen, nur Niedergeschlagenheit. „Ich dachte, du hättest dir ein Leben weit weg von mir aufgebaut. Und das hast du. Zu
weit weg, als dass ich dich erreichen könnte. Ich wünschte, es wäre anders, aber es gibt keine zweite Chance." Nick griff in seine Hemdtasche und zog eine Armbanduhr heraus. Eine alte Armbanduhr! Barbie erkannte sie, und ihr blieb fast das Herz stehen. Nein. Sie musste sich irren. Es konnte nicht die sein, die sie ihm vor neun Jahren geschenkt hatte ... „Nimm sie", befahl er rau. Ungläubig gehorchte Barbie. Sie drehte die Uhr um und sah den kleinen Hund, den sie hatte eingravieren lassen. Wauwau Webster ... Sie hatte Nick zeigen wollen, dass sie ihn liebte. Dafür hatte sie den verhassten Spitznamen akzeptiert und Nick mit der Gravur humorvoll versprochen, ihm überallhin zu folgen. Er hatte sie all die Jahre aufgehoben ... „Ich mag nicht nach dir gesucht haben, Barbie, doch ich habe dich niemals vergessen." Bevor sie auch nur aufsehen, geschweige denn ein Wort sagen konnte, ging Nick um sie herum, öffnete die Wohnungstür und verschwand aus ihrem Leben.
15. KAPITEL Sie hatte noch eine letzte Chance ... Barbie wollte unbedingt, dass es so war, während sie sich sorgfältig Silberflitter aufs Haar sprühte. Es war wichtig, dass sie ihr Aussehen gut hinbekam ... und alles andere. An diesem Abend musste die Märchenprinzessin tatsächlich Wunder wirken. Der Auftritt würde der schwierigste ihres Lebens sein. Ihre Zukunft hing davon ab. Sicher würde Nick erkennen, dass Hoffnung und nic ht Rache sie dazu trieben. Barbie stellte die Sprühdose auf den Toilettentisch. Als ihr Blick wieder auf die Armbanduhr fiel, die Nick ihr zurückgegeben hatte, wurde sie von Sorgen und Zweifeln gequält. Hatte sie die Hoffnung zerstört, indem sie seine Erklärungen verworfen hatte, seine Angst hinsichtlich ihrer Beweggründe und die sexuelle Anziehungskraft zwischen ihnen? Indem sie ihn zurückgewiesen hatte? Sie nahm die Uhr hoch und rieb mit dem Daumen über den kleinen eingravierten Hund, der das Versprechen symbolisierte, Nick überallhin zu folgen. Es war ihr ernst damit gewesen. Wenn sie sich nur diesmal daran gehalten und ihm vertraut hätte, anstatt ihn so schlecht zu beurteilen. Vielleicht wäre alles anders gekommen. Ihm an diesem Abend zu folgen musste funktionieren. Es musste. Barbie steckte die Armbanduhr in ihre Handtasche. Nick hatte sie neun Jahre lang aufbewahrt. Möglicherweise wirkte sie als Glücksbringer und sorgte dafür, dass Nick sie an diesem Abend auch nicht wegwarf. Sie blickte in den Spiegel und wusste, dass sie sich nicht noch besser vorbereiten konnte. Es würde keine Rolle spielen, wenn sie sich völlig lächerlich machte. Sie hatte nichts mehr zu verlieren. Und wenn sie gewann ... Ihr Herz schlug schneller, während sie sich vorstellte, dass Nick sie wieder ansehen würde, als wäre sie für ihn die begehrenswerteste Frau der Welt. Sie atmete tief ein und aus, bevor sie die Wohnung verließ. So oder so, der Abend würde ihre Zukunft regeln. Leon Morrell hatte Sue vor zwei Stunden abgeholt. Inzwischen müsste die Geburtstagsparty für Nicks Mutter in vollem Schwung sein. Sue und Leon würden ebenso überrascht sein wie alle anderen, und Barbie konnte nur hoffen, dass Sue es verstehen würde. Sich ihrer Freundin anzuvertrauen hätte vielleicht zu heftigen Diskussionen geführt, und Barbies Meinung nach war es sinnlos, darüber zu sprechen, was sie vorhatte, weil es ihre einzige Chance war. Und sie konnte sich damit rechtfertigen, dass Carole Huntley sie gebeten hatte, zu kommen und für ihre Mutter zu singen. Wenn Nick nicht reagierte ... Dann würde sie hinterher sofort gehen, und es war unwahrscheinlich, dass ihr Auftritt Sues Beziehung zu Leon negativ beeinflussen würde. Die Flügel, der Zauberstab und das Tonbandgerät lagen schon im Auto. Barbie kontrollierte noch einmal, ob sie wirklich nichts vergessen hatte, bevor sie einstieg und den Motor anließ. Von Ryde nach Pymble war es nicht weit, doch ihr kam die Fahrt nervenaufreibend lang vor, weil sie darauf achten müsste, sich rechtzeitig vor dem Abbiegen richtig einzuordnen. Als sie endlich ihr Ziel erreichte, müsste sie feststellen, dass die Sackgasse völlig zugeparkt war. Zu ihrer großen Erleichterung war auf der Auffahrt der Huntleys noch Platz. Sie stand zwar so, dass sie andere Autos blockierte, aber das war jetzt unwichtig. Vor Nervosität war sie entsetzlich ungeschickt. Es kostete sie große Mühe, die Flügel, den Zauberstab und das Tonbandgerät aus dem Wagen zu bekommen, ohne die Gegenstände fallen zu lassen. Noch schwieriger war es, ohne Hilfe die Flügel an der Rückseite des Kleids anzubringen. Sie wünschte, sie hätte Sue bei sich, doch sogar jetzt noch scheute sie davor zurück, ihre Freundin in diese Sache hineinzuziehen. Schließlich saßen die Flügel richtig, und indem sich Barbie grimmig auf ihre Aufgabe konzentrierte, schaffte sie es ohne Unfall den Weg hinunter. Der Partylärm schien hauptsächlich aus dem Garten hinter dem Haus zu kommen, was für ihren Auftritt günstig war. Sie klingelte und hoffte, dass wer auch immer öffnete ihre Erklärung akzeptieren würde, sie sei von Mrs. Huntley engagiert worden. Und wenn Nick die Tür aufmachte? Daran hatte sie nicht gedacht. Barbie wurde schwindlig
vor Schreck. Wie gelähmt stand sie da, bis die Tür aufging und sie ihr Glück kaum fassen konnte. Carole Huntley. „Barbie?" rief sie erstaunt. „Ich bin hier, um für deine Mutter zu singen. Du hattest mich gefragt, ob ich ... Es lässt sich doch noch einfügen, und da dachte ich..." „Oh! Was für eine schöne Überraschung!" Carole war begeistert. „Ich bin so froh, dass du es geschafft hast." Sie nahm das Märchenprinzessinkostüm in sich auf. „Und du kommst direkt von einem anderen Engagement. Du siehst wundervoll aus, Barbie." „Dann ist es in Ordnung?" „Fantastisch!" „Würdest du bitte die Musik für mich einschalten, Carole?" Sie hielt ihr das Tonbandgerät hin. „Du brauchst nur auf Play zu drücken." „Natürlich." Caroles Augen funkelten vor Vergnügen. „Warte noch einen Moment. Die meisten sind im Garten, einige sitzen im Wohnzimmer. Ich treibe die ganze Horde in den Hobbyraum. Wo Stuarts Party war, erinnerst du dich? Wir überraschen sie so wie neulich die Kinder." „Das wäre großartig", sagte Barbie erleichtert. Carole runzelte plötzlich besorgt die Stirn. „Ich bezahle dich dafür. Ich wollte wirklich nicht ..." „Nein. Bitte, lass es uns einfach machen. Ich komme die Treppe hinunter, wenn ich die Musik höre." Carole zögerte. „Na gut, wir können hinterher noch darüber reden. Kannst du bleiben?" „Ja", erwiderte Barbie und hoffte, dass es stimmte. „Ich freue mich so!" Carole lächelte strahlend. „Ich brauche höchstens fünf Minuten, um alle ins Haus zu schaffen und zur Ruhe zu bringen. Komm herein, und mach die Tür hinter dir zu, wenn die Luft rein ist. Dann kannst du an der Treppe warten. Okay?" „Prima! Danke, Carole. Ich singe zwei Lieder, und ,Happy Birthday' ist das zweite, denk also nicht, du hättest das falsche Band." „Mom wird begeistert sein, Barbie", sagte Carole aufgeregt. „Ich bereite alles vor." Das Glück ist auf meiner Seite, versicherte sich Barbie nervös, während sie wartete. Sie hörte, wie Carole die Partygäste aufforderte, nach unten in den Hobbyraum zu gehen. Der Lärm wurde leiser. Barbie spähte in die Diele, sah, dass die Luft rein war, und machte sich vorsichtig auf den Weg zur Treppe. Sie packte fest den Zauberstab, während sie sich noch mehr Glück wünschte. Alles Glück der Welt. Jetzt war es still. Die Mus ik fing an, und Barbie ging langsam die Treppe hinunter. Sie atmete tief ein und aus, um sich zu beruhigen. Es war so weit. Ein Rückzug war nicht mehr möglich. Ihr Einsatz kam, sie sang und ließ all ihre Hoffnung und Sehnsucht in den Text einfließen. „Somewhere over the rainbow ..." Noch nie hatte ihre Stimme so klar und kräftig geklungen, aber das wusste Barbie nicht. Sie sang, weil sie es tun musste, und schritt mit der majestätischen Würde einer Königin die Stufen hinunter. Die Partygäste flüsterten überrascht, einige riefen bewundernd „Oh!", dann wurde es still. Carole hatte ihnen offensichtlich befohlen, sich im Kreis aufzustellen. Die Möbel waren an die Wände gerückt worden, damit viel Platz zum Tanzen war. Die Mitte des Raums war völlig frei. Gegenüber der Treppe saßen Nicks Eltern in Rattansesseln. Nick und Danny standen neben Judy Armstrong, Carole und ihr Mann - Barbie nahm an, dass es ihr Mann war - neben Keith Armstrong. Alle außer Nick lächelten. Barbie tat ihr Möglichstes, seinen grimmigen Blick zu ignorieren, während sie in die Mitte des Raums ging. Aber sie war sich nur allzu bewusst, dass ihr Herz schneller schlug vor Angst. Sie musste sich konzentrieren und das Lied zu Ende singen, ohne zu stocken! Dann entdeckte sie Sue und war erleichtert, als ihre Freundin beifällig nickte und den Daumen hob. Würde Nick akzeptieren, dass nach dem Regen tatsächlich ein Regenbogen erscheinen konnte und er der Traum war, den sie verfolgte? Barbie wünschte es sich inständig, während
sie stehen blieb, seine Mutter ansah und die letzten Zeilen des Lieds vortrug. Sie ließ Hoffnung und Optimismus in ihre Stimme einfließen, weil sie Nick erreichen musste. Verstand er, dass sie gekommen war, damit er die Chance - die zweite Chance - doch noch ergreifen konnte, wenn er sie noch wollte? Nach dem letzten Ton brach lauter Beifall los. Judy Armstrong lächelte unter Tränen. Keith gab ihr ein Taschentuch und nickte Barbie wohlwollend zu. Sie lächelte beide an, dann warf sie Nick einen schnellen Blick zu. Er betrachtete sie mit zusammengekniffenen Augen, nicht mehr grimmig, sondern abwägend. Sofort machte sie sich Hoffnungen. Sie stieß nicht auf eisernen Widerstand. Er war zumindest ein bisschen empfänglich. Der einleitende Akkord für das nächste Lied erklang, und es wurde schnell wieder still im Raum. Auf dem Band war nicht die sexy Bearbeitung von „Happy Birthday", die Barbie für Nick gesungen hatte. Diesmal hatte sie eine eher sentimentale, traditionelle Version gewählt. Sie ging langsam weiter auf seine Mutter zu und löste den Mechanismus des Zauberstabs aus, als sie die letzte Zeile des Lieds sang. „Wünschen Sie sich etwas", sagte sie, dann beugte sie sich hinunter, küsste Judy Armstrong auf die Wange und gratulierte ihr privat noch einmal. „Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag, Mrs. Armstrong." „Danke, Barbie. Du hast ihn gerade zu etwas ganz Besonderem gemacht." „,Over the Rainbow' ist unser Lied", sagte Keith rau. „Du hast es besser gesungen als Judy Garland. Schön, dich hier zu haben, Barbie." Seine Freude rührte sie. „Ist mir ein Vergnügen", murmelte sie verlegen. „Carole, spiel es noch einmal. Deine Mutter und ich wollen dazu tanzen." „Ist es okay, wenn ich das Band zurückspule?" fragte Carole. „Nur zu." Barbie trat beiseite, um Keith und Judy Platz zu machen, und stand plötzlich neben Danny. Er nahm sofort ihre freie Hand. Sein Lächeln hatte nichts Schüchternes mehr, und sein unverhohlen bewundernder Blick verriet, dass er im Umgang mit Frauen sehr selbstsicher war. „Du hast großartig gesungen!" sagte er ohne die geringste Spur von Stottern. „Und es ist großartig, nach Hause zu kommen und dich wieder zu sehen, Barbie. Aus dir ist eine klasse Frau geworden." Eine sehr begehrenswerte ... Nur war es leider der falsche Mann, der ihr das signalisierte. Sie hatte sich niemals für Danny interessiert und tat es jetzt nicht. Machte es Nick etwas aus, dass sein jüngerer Bruder sie so für sich beanspruchte? Sie warf ihm einen besorgten Blick zu. Er beobachtete sie nachdenklich, als würde er versuchen he rauszufinden, warum sie hier war und was sie wollte. Die Musik setzte wieder ein. „Tanzt du mit mir, Barbie?" fragte Danny. „Nein!" sagte Nick scharf. Danny sah ihn überrascht an. „Nicht diesmal", sagte Nick wütend. „Barbie ist für dich nicht zu haben. War sie niemals. Und ich fordere diesen Tanz. Geh einfach beiseite, und such dir eine andere Frau." Die Aggressivität seines älteren Bruders verblüffte Danny. Er ließ Barbie los und hob beschwichtigend die Hände. „He, Mann! Immer mit der Ruhe. Ich habe doch nur ..." „Du hast dich eingemischt und Barbies ganze Aufmerksamkeit haben wollen, wie vor neun Jahren." „Verdammt!" Danny wurde rot. „Das ist Schnee von gestern." „Für mich nicht", erwiderte Nick grimmig. „Zisch ab!" „Okay. Ist ja gut. Du bist am Zug", sagte Danny mit großen Augen. Die feindselige Reaktion seines Bruders hatte ihn völlig aus der Fassung gebracht. Nick trat vor, legte ihr den Arm um die Taille und zog Barbie besitzergreifend an sich. „Bleibt so, ihr beiden!" Sue riss Barbie den Zauberstab aus der Hand und gab ihn Leon. „Ich muss die Flügel entfernen und die Schleppe des Kleids festhaken, damit nichts
zerreißt." Sie machte sich sofort an die Arbeit. Leon stand bereit, um auch die Flügel zu nehmen. „Sue hat Recht. Nicht, dass wieder etwas kaputtgeht", ermahnte er Barbie und Nick. „So, jetzt könnt ihr tanzen", sagte Sue. „Oder streiten. Oder euch weiter wie Verrückte benehmen, wenn es sein muss." „Bist du fertig?" stieß Nick wütend hervor. Barbie spürte seine Anspannung und blieb still. Alles in ihr sehnte sich nach einer, positiven Reaktion von ihm. „Aber ja", beruhigte ihn Sue. „Das Märchenprinzessinkostüm ist gerettet. Verlassen wir die Gefahrenzone, Leon." „Ganz meine Meinung, Schatz!" Ein Herz und eine Seele, gingen die beiden davon. Sie verstanden es, ihre Welt in Ordnung zu halten, und mischten sich nicht in Barbies und Nicks Privatangelegenheit ein. „Sag mir, dass dies kein Spiel ist", verlangte Nick. „Ich verspreche es", erwiderte Barbie. Seine Eltern kamen vorbei. „Tanzt ihr, oder was macht ihr da?" fragte Judy Armstrong belustigt. Damit sie nicht noch mehr unerwünschte Aufmerksamkeit auf sich lenkten, begann Nick, sich zur Musik zu bewegen. Er zog Barbie fester an sich, und sie war sich nur allzu bewusst, wie seine Oberschenkel ihre berührten und ihre Brüste an seine Brust gedrückt waren. „Möchtest du, dass wir noch einmal von vorn anfangen?" fragte er. Wollte er das? Barbie geriet in Panik. „Ich habe es ganz verkehrt gemacht. Ich hätte keinen falschen Namen benutzen dürfen. Und es tut mir Leid, dass ich alles verpfuscht habe", sagte sie besorgt. „Meine einzige Entschuldigung ist, dass ich mich als Barbie Webster so ... so verwundbar gefühlt habe." „Ich habe vorschnell gehandelt", erwiderte er bedauernd. „Hinterher habe ich mich deswegen verflucht. Wenn ich dich weiter hätte Anne Shepherd spielen lassen, hättest du vielleicht gelernt, mir zu vertrauen." Er sah zurück, nicht nach vom. Sie hörte keine Hoffnung aus seiner Stimme heraus, nur Traurigkeit über begangene Fehler. Es brach ihr das Herz. Er glaubte nicht, dass sie wieder finden konnten, was sie verloren hatten. Die Musik endete, und Nick ließ Barbie los. Einen entsetzlichen Moment lang war sie völlig verzweifelt. Es war vorbei. Ihre Beziehung hatte keine Chance mehr. Dann nahm Nick ihre Hand. „Komm mit." Er schlängelte sich an den Partygästen vorbei, die jetzt zum zweiten Musikstück auf dem Band laut „Happy Birthday" für seine Mutter sangen. Eine Glastür führte auf eine Terrasse. Er zog Barbie nach draußen, schloss die Tür hinter ihnen und ging mit ihr zum Ende der Terrasse und um die Hausecke, wo der Garten nur schwach erleuchtet war. „Hier müssten wir ungestört sein", sagte Nick. Er ließ ihre Hand los und entfernte sich einige Schritte von Barbie, bevor er sich umdrehte und sie ansah. Sie hatte wieder ein bisschen Hoffnung. Auch wenn er Ab stand hielt, war Nick doch noch immer mit ihr zusammen. Und er wollte reden. Vielleicht half Reden. Nur wusste sie nichts zu sagen. „Es ging die ganze Zeit um Vertrauen, stimmt's?" fragte er und schüttelte gequält den Kopf. „Ich habe es vor neun Jahren zerstört." „Lass uns nicht über die Vergangenheit sprechen", bat Barbie. Sie sehnte sich nach einer Zukunft mit ihm. „Ich muss dir das verständlich machen", widersprach er heftig. „Wir können das Problem nicht einfach notdürftig übertünchen. Es ist mir wichtig, dir zu erklären, dass du wirklich jemand Besonderes für mich warst. Du hast mich früher so vertrauensvoll angesehen, als würdest du glauben, dir könnte nichts Schlimmes passieren, weil ich auf dich aufpasse." „Das nennt man Heldenverehrung, Nick", spottete Barbie, weil sie ihn daran hindern wollte zurückzublicken. Sie fürchtete, dass es zu nichts Gutem führen würde.
„Nein, es war mehr. Eine unschuldige Liebe, der ich gerecht werden wollte, indem ich den Beschützer gespielt habe und mich anhimmeln ließ. Man könnte wohl sagen, ich habe sie ausgebeutet, bis mir klar geworden ist, wie egoistisch das ist. Ich habe mich überzeugt, dass ich dir ein erfüllteres Leben schenke, wenn ich der Sache ein Ende mache. Aber damit habe ich dein Vertrauen zerstört." Es war wahre Liebe! wollte Barbie protestieren, doch sie war nicht mutig genug, es auszusprechen. „Deshalb war es ein schwerer Schlag für mich, zu erkennen, wer Anne Shepherd wirklich ist. Ich wollte, dass du mir wieder vertraust. Als du es nicht getan hast, habe ich dir nicht mehr getraut, anstatt mich mit dem auseinander zu setzen, was ich getan hatte und wie es nachwirkt. Das stimmt, Barbie, ich schwöre es. In den vergangenen neun Jahren ist mir keine Beziehung wirklic h wichtig gewesen. Dann, vor einer Woche ..." Er kam langsam zurück zu ihr, umfasste ihre Schultern und blickte Barbie forschend an. „Habe ich eine Märchenprinzessin kennen gelernt", sprach er rau weiter. „Und als wir uns geküsst haben, bin ich wie verzaubert gewesen." „Ich auch, Nick", flüsterte Barbie. „Ich bin heute Abend in diesem Kostüm gekommen, weil ich gehofft habe, es könnte wieder so sein." „Barbie ..." Er küsste sie, und sie reagierte leidenschaftlich, weil sie wollte, dass der Zauber wirkte und die Schatten vertrieb, die sie beide gequält hatten. Die Vergangenheit war unwichtig. Nur die Gegenwart zählte. Und den Weg, den sie beide von hier aus nehmen konnten. Es war so gut, Nicks Begehren zu spüren und es unbefangen zu erwidern, zu wissen, dass sie ihm ebenso viel bedeutete wie er ihr. „Ich werde alles tun, was ich kann, um dein Vertrauen wieder zu verdienen. Gib mir nur die Chance, Barbie", flüsterte er. „Halt mich fest. Lass mich nicht los." „Niemals!" schwor er. Als er sie küsste, wollte ihr das Herz bersten vor Liebe, und sie wusste, dass sie in all den Jahren nicht aufgehört hatte, ihn zu lieben. „Nick? Barbie?" Er beendete den KUSS widerwillig. „Ja, was ist, Carole?" „Ich bringe jetzt die Torte für Mom hinein und möchte, dass ihr auch dabei seid." „Wir kommen sofort." Er zog sich zurück und umfasste Barbies Gesicht. „Ist es dir recht, wenn wir meiner Familie gemeinsam gegenübertreten?" „Dir?" „Ich habe kein Problem damit. Ich lasse nur allzu gern alle wissen, dass ich dich an meiner Seite haben will." „Dann ist es mir auch recht." Er streichelte ihr mit dem Daumen zärtlich die Wange. „Ich werde wirklich auf dich aufpassen, Barbie." „Ich glaube dir, dass du das tust", versicherte sie ihm. Nick lächelte erleichtert. „Jetzt sind wir richtig zusammen." „Ja", sagte sie und lächelte ebenso erleichtert.
16. KAPITEL
„Tage voller Glück." Leon hob sein Glas und zwinkerte seinem Freund zu. „Und Nächte." Nick lachte. „Das hast du richtig verstanden." Sie standen vor dem Zelt auf dem Observatory Hill und erholten sich von dem Gedränge drinnen. Barbie und Sue „machten sich frisch", und Nick wollte nicht ohne seine Braut zwischen den Hochzeitsgästen herumgehen. „Die richtige Frau, der richtige Ort..." Leon zog die Augenbrauen hoch. „Aber beim Datum bin ich nicht so sicher. Heute sind die Iden des März, der Tag, an dem Julius Cäsar fiel." Nick lachte wieder. „Julius war hinter der Krone Roms her. Ich würde für Barbie auf jede Krone verzichten. Es war der erste Termin, den wir bekommen konnten, und ich wollte nicht länger warten." „Es sind erst vier Monate", erinnerte ihn Leon. Nick antwortete nicht. Er hatte sein ganzes Leben auf Barbie gewartet. „Sue murmelt ständig vor sich hin, du würdest drauflosstürmen wie ein Stier und alles überstürzen." „Du lässt dir auch nicht gerade Zeit. Ich habe den Verlobungsring an Sues Hand gesehen. Das ist vielleicht ein Smaragd!" „Ich will die Dame nicht verlieren. Aber ein langes Werben hat viel für sich. Ich genieße jede Minute davon." „Jedem das Seine, Leon." „Dem kann ich nicht widersprechen. Wir sind beide Gewinner, und wir sind noch nicht einmal einunddreißig", sagte er zufrieden. Nick lächelte darüber, dass sein Freund immer Zahlen durchkauen musste. Was er für Barbie empfand, hatte nichts mit dem Alter zu tun, Sie machte sein Leben so viel schöner, er konnte sich nur wundem, was für ein Glück er gehabt hatte, dass sie sich vor vier Monaten auf eben diesem Hügel an ihm gerächt hatte. Eine süße Rache, denn sie hatte die einzigartige Verbindung zwischen ihnen wieder aufleben lassen. Wirklich passend, unsere Hochzeit hier zu feiern, dachte er. Der Observatory Hill würde für sie beide immer ein besonderer Ort sein. „He! Warum steht ihr hier draußen?" Nick und Leon drehten sich zu Danny um, der bei der Hochzeit stolz seine Rolle als rechte Hand des Bräutigams gespielt hatte. „Wir warten auf unsere Frauen", erwiderte Leon. „Sie haben uns allein gelassen, um sich die Nasen zu pudern." „Sehr hübsche Nasen", sagte Danny breit lächelnd. „Ihr beide habt mit Barbie und Sue das große Los gezogen." Plötzlich musste Nick ihn einfach fragen. „Du bist nicht böse, Danny?" Er sah verblüfft aus. Dann ging ihm auf, was sein Bruder meinte. „Wegen Barbie?" „Du warst völlig vernarrt in sie." „Eine jugendliche Obsession. Ich habe seitdem viele Freundinnen gehabt und bin ganz sicher noch nicht bereit zu heiraten." Das ist nicht der springende Punkt, dachte Nick, wollte die Sache jedoch nicht aufbauschen. Danny spürte seine Zweifel. „Ich bin froh, dass ihr beide zusammengekommen seid. Ich wünschte, ich hätte damals nicht so genervt, weil Barbie nur Augen für dich hatte. Mir war nicht klar, dass ich etwas Besonderes verpfusche. Es ist etwas ganz Besonderes, das kann ich jetzt erkennen, und ich freue mich ehrlich für euch." Er streckte lächelnd die Hand aus. „Frieden, Bruder." Nick drückte sie herzlich. „Danke, Danny." In diesem Moment bogen Barbie und Sue um die Ecke des Zelts und entdeckten die drei
Männer. „Leon", rief Sue und zeigte zum Eingang, „die Band spielt Rock. Können wir tanzen?" „Klar, Schatz." Er gab Danny das Glas Champagner, tanzte auf Sue zu, die sich verführerisch in den Hüften wiegte, und führte sie schwungvoll ins Zelt, um sich auf der Tanzfläche mit seiner Verlobten zu vergnügen. „Möchtest du auch tanzen?" fragte Nick, als Barbie näher kam. „Ich würde lieber einen Moment lang mit dir hier draußen bleiben", erwiderte sie. „In Ordnung!" Danny nahm auch noch das Glas seines Bruders. „Ich werde dafür sorgen, dass man euch in Ruhe lässt." Er ging los und blieb nur kurz stehen, um zu Barbie zu sagen: „Dich in die Familie zu bringen ist das Beste, was Nick jemals getan hat. Ihr gehört wirklich zusammen." „Danke, Danny." Sie blickte ihm nach, bis er im Zelt verschwunden war, dann sah sie fragend Nick an. „Wir haben nur geklärt, wo er steht. Kein Problem. Danny freut sich für uns." Sie seufzte. „Er war immer und ist nur dein Bruder für mich." „Ich weiß." Was für ein Glück ich habe, dachte Nick, während er beobachtete, wie sie auf ihn zukam. Sie war atemberaubend schön in dem mit kleinen silberfarbenen Glasperlen besetzten Brautkleid, das ihre herrliche Figur betonte. Das Haar fiel ihr wie schimmernde Seide über die Schultern. Aber was ihr Blick ihm sagte, war für Nick wundervoller als alles andere. Sie liebte ihn von ganzem Herzen und vertraute ihm wieder. Er zog sie an sich, und sie legte ihm die Arme um den Nacken. „Du trägst die Uhr, die ich dir an deinem einundzwanzigsten Geburtstag geschenkt habe. Ich habe es erst bemerkt, als du bei den Reden einen Trinkspruch auf meine Eltern ausgebracht hast." „Ich habe es für richtig gehalten, sie heute zu tragen. Ich liebe dich, Barbie. Es wird niemals eine andere Frau für mich geben." „Und für mich keinen anderen Mann. Du bist immer der eine gewesen. Die Liebe meines Lebens." Das ist das größte Wunder von allen, dachte Nick. Dass Barbie noch immer auf ihn gewartet hatte, als das Schicksal sie beide wieder zusammengeführt und er die Chance bekommen hatte, zu erkennen, dass sie die eine für ihn war. Die Einzige. Seine Frau ... seine Seelenverwandte ... und die Liebe seines Lebens. - ENDE