Atlan ‐ Die Abenteuer der SOL Nr. 550 All‐Mohandot
Hidden‐X von Peter Griese
Die Entscheidung im Ysterioon ...
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Atlan ‐ Die Abenteuer der SOL Nr. 550 All‐Mohandot
Hidden‐X von Peter Griese
Die Entscheidung im Ysterioon
Seit Dezember des Jahres 3586, als die SOL unter dem Kommando der Solgeborenen auf große Fahrt ging und mit unbekanntem Ziel in den Tiefen des Sternenmeeres verschwand, sind mehr als zweihundert Jahre vergangen, und niemand hat in der Zwischenzeit etwas vom Verbleib des Generationenschiffs gehört. Schließlich ist es jedoch soweit – und ein Mann kommt wieder in Kontakt mit dem verschollenen Schiff. Dieser Mann ist Atlan. Die Kosmokraten entlassen ihn, damit er sich um die SOL kümmert und sie einer neuen Bestimmung zuführt. Jetzt schreibt man an Bord des Schiffes den Anfang des Jahres 3792, und der Arkonide hat trotz seines relativ kurzen Wirkens auf der SOL bereits den Anstoß zu entscheidenden positiven Veränderungen im Leben der Solaner gegeben – ganz davon abgesehen, daß er gleich nach seinem Erscheinen die SOL vor der Vernichtung rettete. Atlan, der sich gegenwärtig mit der abgekoppelten SZ‐2 in Flatterfeld aufhält, ist bestrebt, der unbekannten Macht, die die Ysteronen zu ihren verheerenden Nickelraubzügen verleitet, Einhalt zu gebieten. Zusammen mit Chart Deccon tritt Atlan gegen diese Macht an, die im Yste‐ rioon ihren Standort hat. Die beiden Männer wollen die Entscheidung erzwingen im Kampf mit HIDDEN‐X …
Die Hauptpersonen des Romans: Hidden‐X ‐ Ein Wesen, das sich für allmächtig hält. Atlan und Chart Deccon ‐ Zwei Männer im tödlichen Kampf. WyltʹRong ‐ Oberführer der Roxharen im Ysterioon. Girgeltjoff ‐ Ein Retter in höchster Not.
1. Meine Vergangenheit Ich bin älter als diese zerfetzte, irreguläre Kleingalaxis. Ich bin älter als jedes Wesen, das sich in der Reichweite meiner Sinne befindet, und ich werde älter werden, als jedes von ihnen werden kann. Wenn mein Bewußtsein zurückschweift an den fernen Ort, an dem ich begann, so ist dieser Weg von vielen markanten Ereignissen und Taten erfüllt. Die Zeit, die ich überbrücken muß, um mich an jenen Ort der Genese zu erinnern, ist unfaßbar groß. Die Entfernungen, die zwischen diesem Ort und meinem jetzigen liegen, machen sich dagegen kümmerlich aus. Mein Auftrag verlangte es so. Und doch ist dieser Weg durch die Dimensionen des Universums gekennzeichnet. Ich habe eine Spur hinterlassen, die unübersehbar ist. Die Spur zieht sich durch Zeit und Raum. Sie berührt Sterne, Planeten und kosmische Nebel, in denen das Leben haust. Es ist eine Spur der Erfolge. Meine Erfolge, so nenne ich sie. Überall, wo ich in der Vergangenheit mit meiner Macht das Leben berührte, wurde ich erkannt. Das machte mich stolz und zufrieden. Sie blickten zu mir auf, die Primitiven, die sich für die Krone der Schöpfung hielten. Als Zeichen der Anerkennung verliehen sie mir Namen. Starke Namen und schöne Namen. Sie berauschten sich daran. Meine Namen, ich berausche mich auch daran. Der lange Weg durch die Äonen war einfach, denn niemand konnte sich mir widersetzen. Mein Bewußtsein lebte von den Erinnerungen der Völker, die ich berührte. Und da ich nie eine Einzelheit vergessen konnte, wuchs
mit mir und meinen Erfolgen und meinen Namen mein wichtigstes Machtinstrument. Mein Wissen, von ihm zehre ich und sorge für die Zukunft. Oft war ich in der langen Zeit allein, denn Warten gehört zu den notwendigen Dingen meines Daseins. Diese Zeit ist so immens, daß in ihr genügend Freiraum bleibt, um neue Gedanken zu entwickeln, die in die Tat umgesetzt werden können. Trotz der vielen Äonen meines Daseins war es nicht möglich, all das zu erfüllen, was ich erdacht habe. Es ist etwas geblieben, was auf die Realisierung wartet. Meine Träume, ich werde sie mir erfüllen. Die ewigen Gesetze des Kosmos kennen viele Gegenpole. Primitive Völker sprechen von positiven und negativen Mächten, wobei sie sich automatisch zu den positiven zählen. Auch zwischen der Zeit und dem Raum besteht ein Gegensatz, der die gleichzeitig vorhandene innere Verbindung verhöhnt. Das eine kann ohne das andere nicht existieren. Die positiven Mächte wären nicht positiv, wenn es keine negativen gäbe. Ich weiß, daß der wichtigste Gegenpol der zwischen Stärke und Schwäche ist. Ich bin stark, aber bisweilen können einen auch die Schwachen zum Nachdenken oder sogar zum Handeln zwingen. Oft wurde versucht, meine Existenz zu gefährden. Einigemal wurde sogar die Wahnsinnsidee geboren, mich zu vernichten. Ich existiere mit denen, die sich mir gegenüber so verhalten. Meine Feinde, so nenne ich sie. Es ist unvorstellbar, daß es je jemand gelingen könnte, mich auszulöschen. Ich bin zu stark. Einzig das Wesen, das mich hervorgebracht hat, das mich mit einem Teil meines mannigfaltigen Bewußtseins aus einer Spiegelung dieser Fragmente hat entstehen lassen, wäre dazu in der Lage. Aber die Gefahr, daß dies geschieht ist gering. Es sind schon viele Äonen verstrichen, in denen sich mein Schöpfer nicht mehr gemeldet hat. Mit jeder Tat, die ich vollbrachte, habe ich mich mehr und mehr von ihm gelöst – und doch immer treu im Sinn der Sache gehandelt, die mein Dasein ist. Sollte sich der Schöpfer irgendwann gegen mich stellen, dann wäre das vielleicht mein Ende. Mein Tod, das wäre die treffende Bezeichnung für diesen Augenblick.
Bei meinen Erfahrungen und meinem Weitblick war es leicht, nicht nur in der Vergangenheit zu leben. Ich konnte auch an das denken, was mir bevorsteht. Natürlich ist dieses Bild verschwommen, aber das ist geprägt von meinem Auftrag, meinen Erfolgen, meinen Namen, meinem Wissen, meinen Träumen, meinen Feinden und meinem Tod. Selbst wenn der Tod eintreten würde, wäre meine Existenz nicht ausgelöscht. Ich habe seit langem begonnen, für diesen Moment zu sorgen. Meine Zukunft. Sie soll bis an das Ende allen Daseins reichen. Sie ist die Summe meiner Vergangenheit. Sie ist die geballte Macht aus den Knoten in der Spur, die ich durch den Kosmos gezogen habe. Sie soll da enden, wo alles begann, an jenem Pulsschlag des Universums, an dem mein Schöpfer Seth‐Apophis mich aus einem Teil seiner Bewußtseinsinhalte heraus spiegelte und auf die lange Reise schickte und mich vergaß… * Atlan lehnte sich schweratmend an die kühle Metallwand. Sein Mund war weit geöffnet von den Strapazen eines regelrechten Wettlaufs, den er gemeinsam mit Chart Deccon gegen einen Automaten durchgeführt hatte. Auch der High Sideryt der SOL war erschöpft. »Was war das für eine verrückte Maschine?« Nach Luft ringend, schüttelte er den Kopf. »Gehörte sie den Ysteronen oder den Roxharen?« »Ich weiß es nicht.« Atlan ging in die Knie. Er spürte, wie die erhöhte Leistung seinen Zellaktivator zu stärkeren Impulsen angeregt hatte. Schon bald würde er wieder im Vollbesitz seiner Kräfte sein. »Es spielt auch keine Rolle. Die Ysteronen sind vollkommen verwirrt. Wir können es ihnen nicht einmal verdenken, wenn sie sich teilweise auch gegen uns stellen.« Deccon nickte nur und starrte an die fast dreißig Meter hohe
Decke des ungewöhnlich schmalen Ganges, in den sie sich vorerst gerettet hatten. Praktisch jeder Durchlaß in dem Ysterioon war so hoch und damit der Körpergröße der Bewohner angepaßt. Daß dieser Korridor so schmal war, mußte einen besonderen Grund haben. Welcher das war, blieb dem Solaner unklar. Für ihn und Atlan zahlte nur, daß der schmale Gang dem Roboter die Verfolgung unmöglich gemacht hatte. Hoch oben an der Decke, die wie die Seitenwände aus blankem Nickel hergestellt war, flackerten fahlblaue Lichter. Sie erinnerten Atlan an defekte Neonröhren aus der Frühzeit der terranischen Geschichte. Ihre Lage war mehr als trostlos, denn es sah so aus, als seien sie vollkommen von allen Helfern abgeschnitten. Atlans einziger Trost war, daß seine Freunde aus den letzten Auseinandersetzungen in Sicherheit zu sein schienen. Wenn alles geklappt hatte, dann waren Bjo Breiskoll, Sanny, Argan, Lyta Kunduran, Nockemann und Breckcrown Hayes bereits an Bord der SZ‐2. Für Atlan und Chart Deccon war jedoch zunächst jeder Fluchtweg versperrt. Der transportable Transmitter, den Atlan mitgebracht hatte, existierte nicht mehr. Die beiden Kampfroboter hatten sich selbst vernichtet. Von Girgeltjoff, den man noch als Helfer bezeichnen konnte, fehlte im Augenblick jede Spur. Die eigentliche Gefahr ging von der geheimnisvollen Statue aus. In dieser war ein Wesen, über das man nichts Genaues wußte. Atlan hatte es vor längerer Zeit Hidden‐X genannt, weil man einfach einen Namen für die Macht brauchte, die hinter den Nickelraubzügen der Ysteronen stand. Denn daß der Impuls für diese Räuberei, die Planeten zu Dutzenden vernichtete, nicht von den zwar riesenhaften, aber eigentlich harmlosen Ysteronen ausging, war dem Arkoniden längst klar geworden. Auch ein anderer Verdacht hatte sich zur Gewißheit verhärtet, als man beobachten konnte, wer die Helfer von Hidden‐X waren. Die Roxharen kannte man aus dem Chail‐System. Und von dort wußte
Atlan auch, wer die lenkende Macht hinter dem Volk der Rattenartigen war. Der geistige Faktor, so hatten die Roxharen die unbekannte Wesenheit genannt, die als ihr Auftraggeber und Lenker erkennbar war. Für Atlan gab es keinen Zweifel mehr, daß Hidden‐X und der geistige Faktor miteinander identisch waren. Die mentale Kraft des Wesens war auch hier noch spürbar, obwohl sie nach der Verfolgungsjagd ein Stück Wegs zwischen sich und die Statue gebracht hatten. Anhaben konnte Hidden‐X den beiden Männern scheinbar nichts. Entweder er überließ dies ganz seinen Helfern, die unter dem Kommando des Roxharen WyltʹRong standen, oder das mächtige Wesen war mit anderen Dingen beschäftigt. »Wenn der Roboter meldet, daß wir in diesen schmalen Gang geflohen sind, wird man uns auch hier bald die Hölle heiß machen.« Chart Deccon hatte sich wieder erholt. Sein Arm deutete auf zwei Seitengänge, die wenige Schritte neben ihnen abzweigten und auf eine Wendeltreppe, die nach unten führte. Die Stufen dieser Treppe besaßen allerdings eine Höhe von gut einem Meter, denn sie waren für die Ysteronen mit ihren langen Beinen gebaut worden. Atlan antwortete nicht sofort. Er versuchte noch immer, sich ein klares Bild von der Situation zu machen, in der sie sich befanden. Die Art, in der Hidden‐X die Völker manipulierte, bedeutete für den Arkoniden, daß es sich hier um ein Wesen handelte, das nie und nimmer im Sinn der positiven Mächte tätig war. Hidden‐X war ein Feind, den man nicht genügend ernst nehmen konnte. Allerdings reagierte dieser Unbekannte häufig merkwürdig oder zu langsam. Im Rückblick war es einfach gewesen, in das Ysterioon einzudringen. Seine Bewohner hatten den Solanern teilweise sogar dabei geholfen. Erst als man auf WyltʹRong gestoßen war, der anfangs noch in der Maske eines Ysteronen aufgetreten war, hatte der Gegner sich etwas deutlicher gezeigt. Doch da war es zu spät
gewesen. Breckcrown Hayesʹ Attacke gegen den Glutplaneten Pryttar hatte sich als ein entscheidender Schlag gegen Hidden‐X erwiesen. Ein weiterer Erfolg war Sanny und Argan U gelungen, als diese in den Sockel der Statue verschleppt worden waren. Die beiden kleinen Helfer Atlans hatten dort erhebliche Verwüstungen angerichtet, die mit die Ursache waren, daß ein Teil der Hyperstrahlungen des Ysterioons nicht mehr wirksam war. Atlan starrte mit zusammengekniffenen Augen auf das tragbare Funkgerät, daß er bei Beginn dieser Mission bei sich trug. Es war wertlos, denn die überlagernden Strahlungen, die einen Funkkontakt unmöglich machten, herrschten noch immer vor. Auch beunruhigte ihn das Verhalten der Ysteronen. Sie vermuteten in den Fremden in erster Linie Rächer, die sie für ihre Nickelraubzüge bestrafen wollten. Es war zu bezweifeln, ob es Girgeltjoff in kurzer Zeit gelingen würde, seine Artgenossen davon zu überzeugen, daß Atlan ganz andere Ziele verfolgte. Die ganze Kleingalaxis Flatterfeld war ein Unruheherd. Die Völker, die hier lebten, allen voran die Ysteronen und die Pluuh, verhielten sich so unnormal, daß die lenkende Hand einer anderen Macht deutlich erkennbar war. Die Ysteronen zogen seit einer Ewigkeit aus, um Nickel aus dem Innern von Planeten zu rauben. Diese Maßnahme hatte keinen erkennbaren Sinn, denn nach dem, was Atlan bis jetzt erfahren hatte, war dieses Nickel stets in der Nähe von Pryttar und der Sonne Nickelmaul, die die Ysteronen Kores nannten, in einer höheren Dimension verschwunden. Klar war inzwischen lediglich, daß die Ysteronen dies nicht für sich taten. Auch die Pluuh waren ein merkwürdiges Volk, das von einem völlig übertriebenen Friedenswillen geprägt war. Trotz einer außergewöhnlichen Technologie schienen diese sehr menschenähnlichen Bewohner von All‐Mohandot gegenüber
einigen Erscheinungen regelrecht blind zu sein. Sie versuchten zwar, die Ysteronen in Schach zu halten, indem sie sie auf einen bestimmten Sektor im Ostteil der irregulären Kleingalaxis konzentrierten und diesen durch einen hyperenergetischen Sperriegel verbarrikadierten. Daß die Ysteronen diesen umgingen, wollten sie aber nicht erkennen. Auch weigerten sie sich, in irgendeiner Form aktiv für die Erhaltung normaler Zustände in Flatterfeld wirksam zu werden. Atlan war inzwischen zu der Meinung gekommen, daß der mentale Einfluß von Hidden‐X auch hier wirksam war. Sein Gegner war die Macht in der Statue in der Tabuzone, die den größten Teil der Zentralkugel des Ysterioons ausmachte, Hidden‐X und seine roxharischen Diener und deren Roboter. Die verwirrten Ysteronen, die aus Angst und Schamgefühl unkontrollierbar reagierten, durften dabei allerdings nicht übersehen werden. Hidden‐Xʹ Roxharen besaßen eine unbekannte Anzahl von Zellen, kleinen, wendigen Raumschiffen. Atlan beschäftigte sich mit dem Hintergedanken, mit einer dieser Zellen das Ysterioon zu verlassen, wenn die Lage zu gefährlich wurde. »Vorsicht!« Im gleichen Moment, als Chart Deccon dies rief, zerplatzten sämtliche Beleuchtungskörper an der Decke des hohen, schmalen Korridors. Ein Schauer von Scherben prasselte durch die Dunkelheit auf die beiden Männer nieder. Atlan hielt sich schützend eine Hand vor das Gesicht. Mit der anderen packte er den High Sideryt am Oberarm und zerrte ihn in einen beleuchteten Seitengang. Atlan blickte in das Gesicht des Solaners. In der linken Backe steckte eine dünne Scherbe. Blut rann aus der Wunde. Mit einem Ruck entfernte Atlan den Splitter. Der High Sideryt verzog seine wulstigen Lippen, über die kein Laut kam. »Danke, Atlan«, murmelte er dann, als ihm der Arkonide einen Wundverschluß auf die aufgeplatzte Haut aufsprühte. »Sind wir
hier in Sicherheit?« »Ich weiß es nicht«, entgegnete Atlan wahrheitsgemäß. »Wahrscheinlich gibt es in dem ganzen Ysterioon keinen Ort, an dem wir wirklich sicher sind.« Der Hüne blickte stumm auf den wenige Zentimeter kleineren Mann, der seit seinem unvermuteten Auftauchen auf der SOL vor ziemlich genau einem Jahr für eine Reihe von grundlegenden Veränderungen gesorgt hatte. Der 85 Jahre alte High Sideryt war ein Koloß von einem Mann. Gewaltige Muskeln waren unter seiner Kombination sichtbar. Die kaum noch erkennbaren, kleinen, grauen Augen in dem massigen, geröteten Gesicht suchten den Blick des Arkoniden. »Es stimmt nicht«, sagte Deccon plötzlich dumpf, »daß ich keine Gefühle habe. Kannst du mir verzeihen?« »Warum?« Atlan verstaute die Sprayflasche und legte prüfend einen Finger auf den Schnellverband. »Ich habe immer gegen dich gekämpft. Manchmal offen, manchmal versteckt. Ich habe dir nie wirklich ein Wort von deinem kosmischen Gefasel geglaubt.« »Das ist verständlich, Chart. Du bist in einer völlig anderen Umgebung aufgewachsen als ich. Dein Leben war seit jeher das in der SOL. Und die SOL ist weniger als ein Staubkorn in den Weiten des Kosmos.« »Du willst mich nicht verstehen«, grollte Deccon. »Was weißt du von einem Leben eines High Sideryt? Nichts. Ich sage dir, es ist die totale Einsamkeit. Die wenigen Stunden in meinem Leben, in denen ich nicht allein war und mich glücklich fühlte, waren meist auf Lug und Betrug aufgebaut.« »Alpha«, sagte Atlan nur. »Richtig.« Deccons Stimme klang dumpf. »Ich bin schuldig, denn ich selbst habe die SOL in eine tödliche Gefahr gebracht. Mein Egoismus war meine Sehnsucht nach Geborgenheit.« Er lachte plötzlich zynisch auf. »Mit 85 Jahren sollte man gegen
solche Dinge gefeit sein.« »Du irrst. Ich bin über zehntausend Jahre alt, und mir passieren solche Sachen noch heute. Es ist gut, wenn man seine menschlichen Gefühle nicht verliert.« »Ich weiß nicht.« Deccon deutete den Gang entlang, und sie setzten sich in Bewegung, weil von der anderen Seite dumpfe Schritte zu hören waren. Das mußten Ysteronen sein, die sich von dort näherten. Der High Sideryt hatte eine Hand auf den zigarrenkästchengroßen Behälter gelegt, den er an einer goldenen Kette um den Hals trug. Atlan registrierte die Bewegung des Hünen, schwieg aber. Er wußte, daß Deccon sich nie über den Inhalt des Kästchens äußerte. »Wir sollten versuchen«, brummte der High Sideryt, »auf dem schnellstmöglichen Weg zur SOL zu gelangen. Hier können wir nichts erreichen. Der geistige Druck der Statue wird immer stärker. Er wird mich noch wahnsinnig machen.« »Ich ziehe es vor, mir noch einmal die Statue mit Hidden‐X aus der Nähe anzusehen.« Atlan ging kaum auf das ein, was Deccon gesagt hatte. »Ich stelle mir vor, daß man diesem verborgenen Wesen irgendwie beikommen müßte.« »Es ist eine Schuhnummer zu groß für uns«, behauptete der Solaner. »Ich verstehe ja deine Idee, hier überall für den Frieden zu sorgen und die ewigen Nickeldiebstähle zu unterbinden. Aber was sollen wir zwei allein gegen ein Ding ausrichten, wie es dieses Hidden‐X ist? Nur ein Wahnsinniger würde den Kampf gegen etwas aufnehmen, was er überhaupt nicht kennt. Spürst du nicht den Druck in deinem Kopf?« »Doch«, gab der Arkonide zu. »Aber ich kann ihn abwehren.« Sie bogen in einen anderen Gang ein, der noch schmaler war. Das ferne Getrappel der Ysteronen war verstummt. »Es wehrt sich etwas in mir«, fuhr Atlan fort, »diesen Ort einfach zu verlassen. Ich bin nicht hierhergekommen, um mit der Erfahrung wieder zu gehen, daß Hidden‐X unbeeinflußbar ist.«
»Du meinst wohl unbesiegbar?« »Du kannst es nennen, wie du willst, Chart. Mein Wunschtraum ist es, ein so mächtiges Wesen wie Hidden‐X zum geistigen Zentrum einer Friedenszelle zu machen.« »Du bist verrückt.« Der High Sideryt lachte laut auf. »Das wird dir nie gelingen.« »Vielleicht«, meinte Atlan. »Dann muß ich eine andere Lösung finden, die allen Seiten gerecht wird.« »Die gibt es nicht.« Chart Deccon blieb stehen und deutete in die Höhe. Etwa zehn Meter über den Köpfen der beiden Männer war in eine Seitenwand ein Bildschirm eingelassen. Dicht darunter war eine Konsole mit verschiedenen Bedienungselementen zu erkennen. Atlan ging zur gegenüberliegenden Wand, um aus dem spitzen Winkel zu erkennen, welche Bilder der Schirm zeigte. »Erregte und diskutierende Ysteronen«, stellte er fest. »Leider fehlt der Ton, sonst könnten wir mehr erfahren. Das Völkchen scheint wirklich außer Rand und Band zu sein.« Deccon wollte zu Atlan kommen, aber in diesem Augenblick verschwand die künstliche Schwerkraft des Ysterioons. Er stieß einen kurzen Schrei aus, als er von seiner eigenen Bewegungsenergie emporgehoben wurde. Atlan gelang es, an seinem Platz zu verharren. Plötzlich war der ganze Gang in fahlgrünes Licht getaucht. Im gleichen Moment entdeckte Atlan neben dem Bildschirm eine kleine Kamera. Ein Sog packte nach den beiden Männern. Deccon wurde sofort davongewirbelt. Er prallte gegen eine Wand und brüllte auf. Seine Hände versuchten Halt zu finden, aber alle Flächen waren glatt. Der Abstand zwischen den beiden vergrößerte sich schnell. Er betrug schon nach wenigen Sekunden über 20 Meter. Atlan schwebte merklich langsamer hinter dem Solaner her. Auch er wurde dabei in die Höhe gerissen. Unvermutet setzte die normale Schwerkraft wieder ein. Atlan gab
seinem Körper in der Luft eine Gegendrehung, so daß er auf den Beinen landen würde. Aus der Bewegung sah er, wie Deccon mit dem Kopf voran auf den metallenen Boden zuschoß und dort in einer sich plötzlich bildenden Öffnung verschwand. In dem Moment, in dem der Arkonide den Boden mit den Fußspitzen berührte, krachten mehrere Wände nach unten, die direkt aus der hohen Decke kamen. Eine davon versperrte ihm die Sicht auf den im Boden versinkenden Deccon. Eine andere prallte gegen Atlans Rücken. Er wurde nach vorn geschleudert und schlug schwer auf. Seine Sinne schwanden. Das letzte, was er spürte, war eine übergroße Hand, die sich von hinten um seinen Hals legte. 2. Mein Auftrag In dem Moment der Entstehung war der Auftrag schon allgegenwärtig. Er war so sehr vorhanden, wie es der Schöpfer war. Ich brauchte eine lange Zeit, um zu merken, daß er mir den Auftrag nicht nach der Genese gegeben hatte. Der Auftrag stand bereits im Raum. Und weil er da war, wurde ich erschaffen. Diese Erkenntnis betrübte mich etwas, denn wer wird schon gern geboren, wenn er von dem Moment der Entstehung an weiß, daß er nur zu einem bestimmten Zweck zu einem eigenen Bewußtsein erwachte und wenn er weiß, daß dieser Zweck sein ganzes Dasein bestimmen wird. Das jedenfalls dachte ich damals, als ich die wahren Zusammenhänge erkannte. Heute weiß ich, daß ich sehr wohl meine Existenz in die Bahnen lenken kann, die mir genehm sind. Der Auftrag beinhaltete eine Reihe von verschwommenen Einzelaufgaben. Der Schöpfer ließ mich wissen, daß ich den Auftrag nur deswegen als verschwommen bezeichnete, weil mir das notwendige Wissen um die kosmischen Zusammenhänge und den Aufbau des Universums fehlte.
Damit war der erste Teil der Aufgabe auch schon formuliert. Gehe hinaus und lerne, was der Kosmos an geistigem und materiellen Potentialen besitzt! Verleibe dir alles ein, damit du die Aufgabe, die dich für immer begleiten wird, erfüllen kannst! Damals habe ich mich in der unmittelbaren Gegenwart des Schöpfers unendlich klein gefühlt. Heute weiß ich, daß ich groß und stark bin, und daß sich niemand mehr widersetzen kann. Er gab mir nicht viel mit auf den Weg durch die Äonen und Räume. Sein mentaler Befehl beinhaltete aber eine Zone des Universums, in der ich wirken sollte. Im Vergleich mit dem ganzen vierdimensionalen All war diese Zone weniger als ein Atombaustein im Verhältnis zu einer Riesensonne. Ich wußte aber schon damals, daß ich zum Durchstreifen dieser winzigen Region mehr Zeit benötigen würde, als ich mit meinem Bewußtsein augenblicklich erfassen konnte. Der Schöpfer stattete mich mit einem Grundwissen aus. Er nannte die Begriffe Völker, Zivilisationen, Machtgruppierungen, Mächtigkeitsballungen. Und er gab den Worten einen Sinn, die da lauteten Monde, Asteroiden, Planeten, Sonnen, Sternensysteme, Galaxien, Galaxienhaufen, Mächtigkeitsballungen. Auch brauchte ich Verständnis zur Erfüllung des Auftrags, indem ich andere Bedeutungen verstand, wie Instinkt, Geist, Intelligenz, psionische Kraft, Mentalbewußtsein; Mächtigkeitsballung, Materiequelle, Materiesenke. Er entließ mich in dem Bewußtsein, daß ich den Auftrag verstanden hatte. Er wußte, daß ich den vielen Begriffen meine eigenen Erfahrungen mit der Existenz des Kosmos hinzufügen würde. Erst dann wäre ich in der Lage, so zu handeln, wie es der Schöpfer wünschte. Der Auftrag besteht noch heute. Er ist da, und er lebt in mir. Aber er hat an Bedeutung verloren, denn das geistige Band zu meinem Erzeuger ist schon lange abgerissen. Ich zweifelte nicht daran, daß er seine Spiegelung entweder bewußt vergessen hatte oder aber, daß sich seine Interessen auf ganz andere Aspekte der kosmischen Auseinandersetzungen gelenkt hatten. Für mich war der wahre Grund für den fehlenden Kontakt bedeutungslos. Wichtig
war jedoch, daß ich mich durch diesen entfallenen Zwang in meinem Handeln frei fühlte. Der Schöpfer würde keinen Grund haben, mir zu zürnen, denn ich hatte den Auftrag praktisch erfüllt, wenngleich dieser keine zeitliche Begrenzung besaß. Und wenn er es dennoch wagen wollte, mich zu attackieren, dann würde er ein Wunder erleben. Er würde sich einen mächtigen Feind schaffen. Vielleicht wußte er das und ließ deshalb von mir ab. Ich hatte mich damals in jene kleine Zone begeben, die mein Lebensbereich werden sollte. Es wurde mein Reich, und es ist noch heute so. Dem Auftrag des Schöpfers folgend, vollführte ich gewaltige Veränderungen. Ich trieb bei niedrigen Völkern die Entwicklung an, damit sie eines fernen Augenblicks dem Schöpfer als tatkräftige Helfer zur Verfügung stehen würden. Bei anderen Völkern mußte ich diese Entwicklung bremsen, denn sie drohten so sehr an Wissen zu gewinnen und sich selbst zu vergeistigen, daß sie in nicht allzu ferner Zukunft das Spiel durchschaut hätten, das ich mit ihnen trieb. Ich prägte der ganzen Region das auf, was der Schöpfer von mir erwartete. Die Intelligenzen wurden so gesteuert, daß sie später einmal nur im Sinn des Erzeugers handeln konnten. Der große Wurf gelang mir, als ich eine riesige Galaxis fand, in der es vor fortgeschrittenen Völkern nur so wimmelte. Hier erschuf ich das, was der Schöpfer eine Kriegszelle genannt hatte. Noch dauert dieser Kampfan, an dessen Ende eine Macht im weltlichen Bereich entstehen wird, die jedem Hilfsvolk der Feinde des Schöpfers überlegen sein wird. Der Auftrag lautete, die genannte Zone in einen Sektor zu verwandeln, den der Schöpfer mit einem Schlag seiner Mächtigkeitsballung einverleiben konnte, wenn die Zeit des großen kosmischen Kampfes gekommen wäre. Der Auftrag ist erfüllt, obwohl noch vieles unvollendet ist. Die Weichen sind aber gestellt. Auch die Weichen für meine Zukunft sind gestellt, denn ich werde diesen
Abschnitt des Universums nicht mehr verlassen. Ich habe mich an ihn gewöhnt. Er gehört mir. Wenn der Schöpfer über ihn verfügen will, so werde ich von ihm verlangen, daß ich mit einem anderen Sektor des Universums entschädigt werde. Aber das sind sinnlose Spekulationen. Der Schöpfer hüllt sich mir gegenüber in völliges Schweigen. Dabei höre ich seine Stimme nahezu ununterbrochen durch die ewigen Weiten klingen, wenn er seine Aufträge erteilt, seine Agenten aktiviert oder nach neuen Grenzen sucht, die es zu überschreiten gilt. * Atlan erwachte von heftigen Bewegungen, die ihn hoch und nieder rissen. Er war noch so benommen, daß er einen Moment brauchte, um sich an die vergangenen Geschehnisse zu erinnern. Neben ihm bewegte sich eine Nickelwand auf und ab. Du bewegst dich auf und ab, korrigierte ihn sein Extrasinn vorwurfsvoll. Paß auf, wohin man dich verschleppt! Der Arkonide drehte seinen Kopf und blickte in die Höhe. Wenige Meter über ihm wackelte der mächtige Schädel des Ysteronen. Dieser hielt ihn mit einem Arm an der Hüfte fest. Bei dem wippenden Gang des vierbeinigen Wesens vollführte Atlan einen wilden Tanz in dessen Griff. Erst jetzt merkte er, wie sehr sein Hals schmerzte. Der Ysterone mußte ihn dort zu hart gepackt haben. Der Gang gehörte zu den breiten Verbindungswegen, wie sie am häufigsten im Ysterioon anzutreffen waren. Der Vierbeinige schritt ungewöhnlich schnell voran. Er schien ein, bestimmtes Ziel zu haben. Andere Ysteronen konnte Atlan nicht entdecken. Da er seine
beiden Arme kaum bewegen konnte, war nicht daran zu denken, eine seiner Waffen zu fassen, die noch an seinem Gürtel hingen. Er konnte aber den Einschaltknopf seines Translators berühren. »Heh, Ysterone!« Der Translator arbeitete automatisch mit großer Lautstärke. »So geht man nicht mit einem Gast um.« Der riesige Vierbeiner war ein Exemplar seines Volkes, das besonders groß wirkte. Atlan schätzte seine Höhe auf fast 25 Meter. Der Ysterone blieb mit einem Ruck stehen, durch den Atlan heftig an der Hüfte gequetscht wurde. Er konnte sich ein Aufstöhnen nicht verbeißen. »Du sprichst meine Sprache?« staunte der Ysterone. »Dann nenne mich Yaster‐Yaster, den Weisen.« »In Ordnung, Yaster‐Yaster. Ich schlage vor, du setzt mich erst einmal auf dem Boden ab.« »Das werde ich nicht tun.« Yaster‐Yaster packte den Arkoniden wie eine Puppe und hielt ihn vor sein Gesicht. Atlan erkannte, daß es sich um einen sehr alten Ysteronen handelte, denn das Gesicht, in das er blickte, war so alt und runzlig wie es das von Traug‐Tul‐ Traug gewesen war, den er auf Break‐2 getroffen hatte. »Dann bist du nicht sonderlich weise.« Atlan konnte durch den veränderten Griff seine Arme wieder freier bewegen. Es wäre nun leicht gewesen, Yaster‐Yaster zu paralysieren. Auch den Fall aus der Höhe hätte Atlan wohl überstanden. Aber daran lag ihm nichts. Er wollte vielmehr versuchen, einen Verbündeten zu gewinnen. »Die Statue hat befohlen«, erklärte Yaster‐Yaster schrill, »daß wir dich fangen und zu ihr bringen sollen. Das werde ich auch tun.« »Du bist ein Narr«, wehrte sich Atlan. »Du hörst auf die Stimme, die dein ganzes Volk seit einer Ewigkeit narrt und zu Verbrechen verleitet.« Der breite Mund des Weisen zuckte nervös. Die Worte des Arkoniden schienen wenigstens zum Teil zu wirken. Sofort hakte Atlan nach.
»Du solltest inzwischen wissen, warum ich hier bin. Meine Leute und ich wollen euch helfen. Hat dir Girgeltjoff nichts berichtet?« »Girgeltjoff ist ein Verrückter.« Die Hände des Ysteronen, die für seinen Körper proportional viel zu klein waren, packten wieder fester zu. Dadurch konnte Atlan auch nicht mehr nach seinen Waffen greifen. Dummkopf! schimpfte sein Extrasinn. Du hast deine Chance vertan! »Das ist er nicht. Er hat sich sogar mit den Molaaten versöhnt, deren Welten du zerstört hast.« »Das berührt mich nicht«, behauptete der alte Ysterone. »Ich habe an keinem einzigen Nickelraubzug teilgenommen. Die Statue hat mich immer verschont, weil ich etwas Besonderes bin. Daher ist mein Gewissen auch nicht belastet.« Yaster‐Yaster schickte sich an, seinen Weg fortzusetzen. »Warte, Weiser!« brüllte Atlan. »Ich will wissen, wo mein Begleiter ist. Unterschätze meine Geduld nicht.« Der Ysterone zögerte erneut. Sein Gesichtsausdruck veränderte sich wieder, aber Atlan konnte diese Mimik nicht deuten. »Die Stimme der Statue ruft«, grollte Yaster‐Yaster. »Ich war ihr immer treu.« Er trampelte nun endgültig weiter. Als sein Oberarm für einen Moment dicht vor Atlans Gesicht auftauchte, handelte dieser blitzschnell. Das Körperglied des Ysteronen war zwar mindestens 40 Zentimeter dick und außerdem von einem dünnen, papierähnlichen Stoff überzogen, aber die darunterliegenden Muskeln fühlten sich weich und schwammig an. Atlan wußte außerdem inzwischen, daß die körperliche Stärke der Nickeldiebe im wesentlichen nur auf ihrer Überdimensionierung beruhte. Er biß Yaster‐Yaster mit aller Gewalt in den unteren Teil des Oberarms und stieß gleichzeitig beide Stiefel in dessen Armbeuge. Der alte Weise zuckte am ganzen Körper zusammen. Der Griff um Atlans Leib lockerte sich für wenige Sekunden, die der Arkonide
nutzte, um den Paralysator zu ziehen. Er drückte ihn sofort gegen den Oberkörper Yaster‐Yasters ab. Der sank zu Boden, verstärkte aber dabei den Griff um Atlans Körper. »Laß mich los!« forderte Atlan energisch. »Oder ich betäube dich von oben bis unten. Wenn es sein muß, werde ich dich töten.« Ungläubigkeit trat in das Gesicht des Alten. Sein fester Griff gab aber noch nicht nach. Atlan drehte sich, so gut es ging. Dann feuerte er auf die Schulterpartie des Riesen. Nun sank Yaster‐Yaster endgültig auf die Knie. Sein freier Arm holte zu einem Schlag aus, der dem Arkoniden den Schädel zertrümmern konnte. Atlan straffte seinen ganzen Körper wie eine Sehne. Dann ließ er sich zusammenfallen. Bevor die Faust des Ysteronen ihn traf, konnte er sich dem Griff entwinden. Noch einmal mußte er seine ganze Geschicklichkeit aufwenden, um sicher auf dem Metallboden zu landen. Mit schnellen Schritten brachte er mehrere Meter zwischen sich und dem teilgelähmten Ysteronen. »Ich werde dich zerquetschen«, grollte der Weise dumpf. Seine Körperbewegungen waren jedoch schon so träge, daß er bei dem Versuch, nach Atlan zu packen, ins Torkeln geriet. Als dieser auch noch die beiden vorderen Beine lähmte, brach Yaster‐Yaster zusammen. »Du siehst, Weiser«, erklärte Atlan sachlich, »daß mit mir nicht zu spaßen ist. Laß dir das eine Warnung sein.« Der Ysterone schüttelte heftig seinen Kopf. »Ich muß es doch tun«, jammerte er. Sein beweglicher linker Arm patschte durch die Luft, aber Atlan war in sicherer Distanz. »Du mußt etwas ganz anderes tun, wenn du weise bist«, belehrte ihn der Arkonide. »Du mußt Leuten wie Girgeltjoff oder Barlog‐ Traug‐Tul helfen. Sie sind diejenigen, die sich vom Joch der Statue
gelöst haben und für die Zukunft der Ysteronen sorgen. Nichts anderes will ich. Dem Zwang der Statue muß ein Ende gesetzt werden.« Yaster‐Yaster antwortete nicht. »Ich werde dich nun allein lassen, du weiser Narr«, fuhr Atlan fort. »Du brauchst nichts zu befürchten. Die Lähmungen, die ich dir wegen deiner Uneinsichtigkeit zufügen mußte, werden in Kürze wieder verschwinden. Dann kannst du deinem Volk berichten, daß die Retter der unterdrückten und zu Verbrechen verleiteten Ysteronen hier sind.« »Geh nicht!« klagte der Riese. »Es wäre mein Ende. Die Statue weiß alles. Sie weiß auch, daß ich dich schon in meiner Falle gefangen hatte. Sie wird mich mit dem Tod bestrafen, weil ich dich entkommen ließ.« »Ich werde dir helfen«, versprach Atlan, »wenn du mir sagst, wo mein Begleiter ist.« »Meine Roboter bringen ihn zur Statue in die Tabuzone«, antwortete Yaster‐Yaster sofort. Sein beweglicher Arm zeigte den Korridor entlang. »An der nächsten Abzweigung rechts und eine Etage tiefer.« »Ich muß mich erst um ihn kümmern. Dann werde ich dafür sorgen, daß Hidden‐X dir nichts antut.« »Wer ist Hidden‐X?« »Hidden‐X«, entgegnete Atlan bitter, »ist der Herr des Ysterioons, das eigentlich euch gehört und das deine Vorfahren in einem Riesenbetrug gegen eine blühende Welt, euren Heimatplaneten, eingetauscht haben.« »Das weißt du?« Die Überraschung war Yaster‐Yaster deutlich anzumerken. Sein Arm sank langsam nach unten. Atlan steckte den Paralysator ein. »Ich wünsche dir Erfolg, Fremder«, sagte Yaster‐Yaster leise. »Und vergiß mich nicht.« »Ich heiße Atlan. Ich werde dich nicht vergessen, und ich hoffe,
daß wir uns unter erfreulicheren Umständen und ohne den geistigen Zwang von Hidden‐X noch einmal sprechen können.« »Geistiger Zwang … Hidden‐X …«, murmelte Yaster‐Yaster, während Atlan davoneilte. Chart Deccon war in Gefahr. Das mußte zunächst bereinigt werden. Hinter der Abbiegung, die der alte Ysterone genannt hatte, fand Atlan sofort einen breiten Antigravschacht, der in die Tiefe führte. Orientierungsschwierigkeiten gab es in dem Ysterioon kaum. Nur die riesige Anzahl von Gängen, Schächten, Treppen, Wohnvierteln und technischen Anlagen verwirrte. Dazu kamen Fabrikationsstätten und künstliche Gärten, aus denen sich die Nickeldiebe ernährten. Die künstliche Schwerkraft zeigte jedoch überall in die gleiche Richtung. Irgendwo in den unteren neun Kugeln mußten große Gravitationserzeuger sein, denn eine Abweichung war nirgends festzustellen. Daß Yaster‐Yaster in einem bestimmten Abschnitt die Anziehung manipuliert hatte, um seine vermeintlichen Feinde zu finden, stand auf einem anderen Blatt. Der Antigravschacht trug Atlan sicher auf die nächste Sohle. Der dumpfe Druck, der von Hidden‐X ausging, verriet dem Arkoniden sogar noch, in welche Richtung er sich zu wenden hatte. Obwohl er schon einige Abschnitte in der unmittelbaren Gegend der Tabuzone kennengelernt hatte, kam ihm dieser gewundene Gang völlig unbekannt vor. Uneinheitlichkeit schien ein Grundprinzip des Ysterioons zu sein. Hundert Meter vor Atlan wurde eine große Öffnung erkennbar, aus der helles Licht in den Korridor fiel. Das mußte der zentrale Sektor sein, in dem die riesige Statue stand, die einem Ysteronen nachgebildet war und in der die Macht Hidden‐X ihre Fäden spann. Noch bevor Atlan den Durchgang in den Innenraum erreichte, hörte er das Gebrüll von Chart Deccon. Eine dumpfe Explosion
klang auf. Der Arkonide spurtete los. Der Korridor stieg steil an, und als er den letzten Punkt der Steigung erreicht hatte, ging sein Atem keuchend. Hier begann die Zone, die nicht mehr bebaut war. Die unheimliche Statue schimmerte hinter einem blassen Energieschirm, der jetzt wechselnde Farben angenommen hatte. Etwa dreißig Meter unterhalb von sich erblickte Atlan den High Sideryt inmitten von fünf unförmigen Robotern, die alle über zehn Meter groß waren. Dicht vor dem teilweise zerstörten Sockel der Statue standen drei Rox‐haren. Sie hielten Waffen in den Händen und feuerten auf Deccon und die Roboter. Die Szene war für Atlan verwirrend, so daß er für einen Augenblick stutzte. Eine Treppe, die in sich zweigeteilt war, führte vor ihm in die Tiefe. Eine Hälfte war in der Stufenhöhe für Ysteronen ausgelegt, die andere für die Roxharen. Eine Deckungsmöglichkeit bot sich Atlan nicht, wenn er diesen Abgang benutzen würde. So pirschte er sich an den Rand der Treppe heran und zog dabei seinen Impulsstrahler. Er prallte gegen ein unsichtbares Hindernis und merkte, daß dieser Durchgang durch ein nicht erkennbares Energiefeld versperrt wurde. Der Kampf unten in der riesigen Halle tobte weiter. Zur erneuten Verwunderung des Arkoniden konnte dieser sehen, wie sich die Roboter schützend vor Chart Deccon stellten. Die Strahlwaffen der drei Roxharen, die hinter einem von Zeit zu Zeit aufflammenden Energieschirm standen, spien ihr Feuer auf Deccon und die Roboter. Yaster‐Yaster, erklärte Atlans Extrahirn. Er wird seine Helfer angewiesen haben, so zu handeln. Du hast den Alten tatsächlich überzeugt. Nun laß dir noch etwas einfallen, sonst ist der High Sideryt verloren! Der Arkonide blickte an den Seitenwänden hoch. Etwa fünfzehn Meter
oberhalb erblickte er ein kleines Schaltfeld mit zehn dicken Sensorknöpfen. Das war eindeutig eine Bedienungseinrichtung, die nur für Ysteronen gebaut war. Die Schaltelemente waren natürlich weit außerhalb von seiner Reichweite. Außerdem kannte er die Kombination nicht. Er wich ein paar Schritte von dem unsichtbaren Energiegatter zurück und feuerte einen Schuß mit kleiner Leistung darauf ab. Der Strahl wurde vollständig reflektiert, so daß Atlan keinen Zweifel mehr hatte. Mit Gewalt würde er dieses Hindernis nicht überwinden. Die dicken Wände aus purem Nickel ließen sich auch nicht umgehen. Und Anhaltspunkte, wie er an das Sensorfeld kommen konnte, gab es auch nicht. Unterdessen waren unter ihm zwei der Roboter der Ysteronen in dem Feuer der Roxharen zusammengebrochen. Die drei anderen Kolosse und Chart Deccon benutzten die Trümmer nun als Deckung. Es war aber nur noch eine Frage von Sekunden, vielleicht von Minuten, bis die Rattenmenschen sich durchsetzen konnten. Auch sie werden nur von Hidden‐X gesteuert! erinnerte ihn sein Extrasinn lakonisch. Öffne endlich die Energiesperre! »Du hast leicht reden«, zürnte Atlan. Er wich an die Seite zurück, die dem Sensorfeld gegenüber lag. Dann zog er seinen Impulsstrahler und stellte ihn mit dem Daumen auf die schwächste Intensität. Seine Hand war ganz ruhig, als er zielte. Er gab mehrere Schüsse auf die breiten Sensortasten ab und konnte erkennen, daß diese sich auch bewegten. Die richtige Kombination, verlangte die Stimme seines ewigen Begleiters. Neun Tasten waren in einem Umkreis um eine in der Mitte angeordnet. Die Anordnung erinnerte ihn gefühlsmäßig an den Aufbau des Yste‐rioons, das ja auch in jeder Ebene neun Kugeln besaß. Die Mitte, das war die Tabuzone. Sie war unantastbar und schied damit
aus. Es blieben also neun, ein Drittel der Kugelwelten der künstlichen Heimat der Ysteronen. Er gab der Reihe nach auf jede dritte Sensortaste einen Druckschuß ab. Viermal mußte er das erste Feld wechseln und fünfmal die Drehrichtung. Dann endlich verriet ihm ein Knistern, daß das Energiefeld erloschen war. Ein letzter Versuch überzeugte ihn, daß die Sperre verschwunden war. Unten brachen die letzten Roboter zusammen, und die Roxharen legten ihre Waffen auf Chart Deccon an. 3. Meine Erfolge Seht euch an, ihr Großen des Universums, was ich erreicht habe! Ihr werdet Superintelligenzen genannt, doch was seid ihr? Verwickelt in eure abstrakten Vorstellungen von Kraft und Macht, verwirrt von absurden Definitionen, die ihr GUT und BÖSE, POSITIV und NEGATIV nennt. Seht her, was ein Produkt eures unwürdigsten Mitglieds in wenigen Äonen erschaffen hat! Auch ihr jenseits der Materiequellen, die ihr den realen Teil des Kosmos meidet und euch hinter dem Imaginären verkriecht, ihr Unnahbaren, seht her! Seht, was ich erschaffen habe. Dabei stand mir ein Bruchteil der Zeit zur Verfügung, in die ihr eure Existenz aufgehen läßt. Richtet eure Sinne in den Bereich, der von Varnhagher‐Ghynnst ausgeht, über Myrsantrop und seine Begleitgalaxien, Pers‐Mohandot und All‐Mohandot, Bars‐2‐Bars bis nach Xiinx‐Markant reicht. Überall werdet ihr die gefestigte Macht sehen, die ich ausübe. Macht und Stärke bestimmen, was in diesem Universum geschieht; – ihr Narren jenseits der Materiequellen! Allein das Ysterioon ist jeder der kosmischen Burgen überlegen. Wenn es eines Tages von dem richtigen Volk beherrscht wird, ist es unschlagbar. Natürlich muß ich von dieser Behauptung das Flekto‐Yn ausnehmen,
denn es ist die Manifestation der Herrschaft schlechthin. Aber das Flekto‐ Yn ist ja auch mein Werk. Manchmal glaube ich, daß ihr meine Erfolge wahrnehmt und euch in eure Wurmhaftigkeit vor mir verkriecht. Beschränkt euch auf eure so scheinbar positiven Gefühle, die in Wirklichkeit nur ein Ausdruck eurer Unfähigkeit sind! Ihr seid schwach! Ich bin stark! Meine Erfolge beweisen es. Ganze Planetensysteme werden umstrukturiert. Auch Bars‐2‐Bars wäre heute nicht das, was es ist, wenn meine geistige Faust nicht lenkend eingegriffen hätte. Und was tut ihr? Ihr Superintelligenzen und Kosmokraten? Steht da noch jemand hinter euch? Warum führt er euch nicht vor Augen, was ich in den wenigen Äonen erreicht habe? Hat euch euer lächerlicher Beobachter nichts von meinen Erfolgen berichtet? Seht allein, welche Energien ich in Xiinx‐Markant freigesetzt habe! Dabei ist der Prozeß der Herauskristallisierung des Siegers noch lange nicht abgeschlossen. Oder betrachtet das Vlaahalaan! Habt ihr euch auch von ihm täuschen lassen? Merkt ihr nicht, wie der Schalter wirkt? Dagegen wirken sich meine Erfolge mit den Roxharen bescheiden aus. Ich habe sie seit der Zeit im Griff, zu der ich begann, die Lichtäonen meines Reiches zu durchstreifen. Sie sind meine Knechte. Ja, ich habe Knechte. Und ihr Großen, was habt ihr? Du, mein Schöpfer, hast nicht einmal mehr mich! Ich habe die Ysteronen, die Roxharen, das Vlaahalaan, die kleinen Baumeister des Flekto‐Yns, das Flekto‐Yn selbst und tausend andere Völker und Galaxien. Das sind Erfolge. Und Erfolge machen stark. Ich habe einen namenlosen Ableger in Xiinx‐Markant, der allein in der Lage wäre, die Existenz einer Superintelligenz zu gefährden. Ihr habt einen Fehler gemacht, ihr Narren! Ihr Tölpel von diesseits und jenseits der unsichtbaren Grenzen.
Ihr habt aus euren Erfolgen nichts gelernt. Statt dessen schlagt ihr eure Bewußtseinsinhalte mit Worten wie Demut und Güte tot. Ich habe aus meinen Erfolgen gelernt, und ihr alle dort draußen in den Weiten des Kosmos, ihr hättet die Chance gehabt, auch von meinen Erfolgen zu lernen. Wir brauchen sie alle, ihr und ich. Denn was wird geschehen, wenn die Geister aus den anderen Universen und Zeiten kommen und euch euer Reich streitig machen? Wißt ihr nicht, daß die Existenz nur ein Produkt des ewigen Kampfes ist? Es gibt keinen moralischen Code! Es gibt nur die Stärke und die Macht. Ihr werdet irgendwann in der Zukunft jammernd zu mir gekrochen kommen, wenn es fast zu spät ist. Wenn die begierigen Finger derer, die über euch stehen, nach eurem Besitz greifen. Ich werde da sein, und ich werde euch führen. Denn meine Erfolge sind die Voraussetzung für die Existenz unseres Kosmos. Ich werde noch da sein, wenn ihr in den Dimensionen verweht. Meine Erfolge kennen kein Ende. Ich werde euch beobachten, wie ihr hilflos zwischen Raum und Zeit hängt und meine Erfolge seht, die unverrückbar existieren. Dann werde ich kein Mitleid empfinden. Aber wenn ihr euch dann unterordnet, könnt ihr teilhaben an meinen Erfolgen. * Atlan zögerte nun keine Sekunde mehr. Die Roxharen schienen ihn noch nicht bemerkt zu haben. Von seinem jetzigen Standort aus das Feuer auf die unfreiwilligen Helfer von Hidden‐X zu eröffnen, war sinnlos. Die Roboter und Chart Deccon hatten nichts gegen das Energiefeld ausrichten können, das sich in einem Halbkreis um die drei Roxharen wölbte. Also würde Atlan ebenfalls nichts erreichen. Mit Riesensprüngen hastete er die Doppeltreppe hinunter. Damit es schneller ging und er den Gegnern kein Ziel bot, wählte er die übergroßen Stufen, die für die Ysteronen gemacht worden waren. So gelangte er schnell seitlich der Roxharen, die ihn immer noch
nicht bemerkt hatten, denn Deccon feuerte aus der Deckung, die die zerstörten Roboter bildeten, wie ein Wilder. Jetzt zeigte es sich, daß der Arko‐nide ein erfahrener Kämpfer war. Seine ersten Schüsse aus dem Impulsstrahler feuerte er an die Decke. Sofort tropfte von dort glühendes Nickel auf die bepelzten Wesen. Einer schrie auf, denn ein glühender Metallbrocken war auf seinem Rücken gelandet. Die beiden anderen blickten nach oben und suchten dort den Feind. Atlan nutzte die Verwirrung der Roxharen und ging hinter der letzten Stufe in Deckung. Nun war er auf gleicher Höhe wie die Roxharen. Deren Schild war noch immer gegen den Solaner gerichtet. Einer manipulierte an einem kleinen Gerät, worauf sich die leuchtende Energie auch über die Rattenwesen wölbte. Auf der Seite, auf der Atlan stand, war der Schirm jedoch offen. Der Arkonide wollte seine Gegner nicht töten. Er wechselte den Impulsstrahler gegen den Paralysator. Ein breit gefächerter Strahl ließ die Roxharen übereinander zu Boden stürzen. Ein wütender Gedanke brandete in Atlans Kopf auf. Er konnte nur aus der Statue gekommen sein. Es waren keine Worte, aber der Sinngehalt war deutlich zu erkennen. Atlan sah, wie sich Chart an den Kopf griff und stöhnend umhertorkelte. Wenn jetzt weitere Helfer von Hidden‐X auftauchten, dann war der High Sideryt verloren. Er bot nun ein leicht zu treffendes Ziel. Mit einem raschen Griff verstaute der Arkonide seine Waffen. Dann spurtete er los – quer durch die viereckige Halle, in deren Mitte die unheildrohende Statue stand. Er erreichte den taumelnden Solaner, packte ihn mit beiden Händen und zerrte ihn zum nächsten Ausgang. Als der mentale Druck für einen Moment aussetzte, faßte sich Deccon rasch. Er rannte auf den breiten Ausgang zu, in dessen Richtung ihn Atlan schon geschoben und gezogen hatte.
Hinter der ersten Seitenwand bogen die beiden Männer scharf ab. Nun war eine dicke Nickelwand zwischen Hidden‐X und ihnen. Der mentale Druck war für Atlan nun problemlos. Auch Deccon atmete auf. »Bloß weg von hier«, keuchte er. »Das ist ja schlimmer als die Hölle.« »Wir bleiben in der Nähe der Statue«, entgegnete Atlan. »Hier werden uns die Helfer der Statue nicht vermuten. Reiß dich also zusammen, und wehre dich gegen den Druck.« Deccon nickte. Er folgte dem Arkoniden, als dieser auf einen stufenlosen Wendelgang deutete, der neben ihnen in die Höhe führte. Es ging steil bergauf. Da dieser Weg für Ysteronen viel zu schmal war, konnten diese hier kaum auftauchen. Außerdem, das hatte ʹdie Erfahrung schon gezeigt, mieden die Nickeldiebe die Tabuzone, wenn es nur irgendwie ging. Mehrere Minuten hasteten sie aufwärts. Eine durchgehende Lichterkette in der Mitte des Wendelgangs erleuchtete ihren Weg. Schließlich mündete ein Ausgang in zwei nebeneinanderliegende Räume. Auch diese waren nach ihren Ausmaßen kein Aufenthaltsort für die Ysteronen. »Wir müßten etwa in Kopfhöhe der Statue sein«, vermutete Atlan und betrat den rechten Raum, nachdem er kurz einen Blick in den linken geworfen hatte. Beide waren leer und mit dürftigem Mobiliar ausgestattet, wie es Atlan von den Roxharen in der Blauen Stadt auf Chail her kannte. Ein kleines Fenster gab den direkten Blick auf die Statue frei. Deccon drehte sich stöhnend ab, als er den Koloß erkannte. Atlan untersuchte zunächst den Eingang. Die Tür ließ sich verriegeln. Eine zweite, die er zunächst nicht bemerkt hatte, weil sie zur Hälfte von einer Schaltkonsole bedeckt war, führte in den Nebenraum. Chart Deccon ließ sich auf einem Hocker nieder und stützte seinen
Kopf in die Hände. »Ich halte das nicht aus, du Barbar.« Die Worte waren leise und ähnelten eher einem dumpfen Stöhnen. »Du bist stärker als ich. Bring mich bitte von hier fort.« »Barbar«, wiederholte Atlan mit einem Anflug von Humor. »Das erinnert mich an frühere Zeiten. Ich habe Perry oft so genannt.« . »Ist das alles, was du mir zu sagen hast?« Deccon schob einen Metallschrank zwischen sich und den Ausblick. So brauchte er die in ihrem Energiefeld leuchtende Statue nicht mehr direkt zu sehen. »Ja, Chart. Das ist im Moment alles. Dort unten sind inzwischen ein paar Dutzend Roxharen aufgetaucht. Sie haben auch Roboter aus dem teilzerstörten Sockel geholt. Ich erkenne WyltʹRong, den Oberführer der Bande. Er teilt seine Leute ein.« Atlan begann den Raum nach weiteren Fluchtmöglichkeiten abzusuchen. Wenn die Roxharen sie hier auf stöbern würden, wollte er nicht in einer Sackgasse sitzen. Im Nebenraum entdeckte er einen weiteren Ausgang, der in die Richtung von der Statue weg führte. Er ließ sich nicht verschließen. Also konnten von hier auch ihre Gegner kommen. Vorsorglich stellte Atlan einen schweren Tisch vor diese Tür, die sich nur nach innen öffnen ließ. Den Ausgang zu dem Wendelgang sicherte er mit dem hier vorhandenen Kombinationsschloß. Als er zu Chart zurückkehrte, stand dieser vor dem Ausblick. »Hidden‐X scheint für einen Moment zu schlafen«, meinte er erleichtert. »Jedenfalls ist der Druck in meinem Kopf fast zur Gänze verschwunden.« »Du gewöhnst dich an ihn. Das ist gut.« »Vielleicht.« Deccon blickte Atlan durchdringend an. »Hast du dir einmal überlegt, in welche Lage du uns gebracht hast?« Atlan war sich nicht sicher, ob ein Vorwurf in diesen Worten mitschwang. »Du bist doch von dir aus in das Ysterioon gekommen«, antwortete er ausweichend.
»Stimmt.« Der High Sideryt senkte seinen breiten Kopf. »Aber ich hatte keine andere Wahl. Mein Ebenbild auf der SOL hätte mich umgebracht.« Atlan beobachtete, wie unten die Roxharen mit ihren Robotern in alle möglichen Richtungen verschwanden. »Die Jagd geht los«, erklärte er leise. »Ich hoffe nur, daß man uns hier nicht vermutet und uns eine Weile in Ruhe läßt.« Sie warteten schweigend fast eine halbe Stunde. Vereinzelt drangen Geräusche an ihre Ohren, aber in der unmittelbaren Nähe blieb alles still. »Dein Wahnsinnsplan geht auf, Arkonide.« Deccons anerkennende Worte klangen ehrlich. »Das Risiko ist Hidden‐X. Ich weiß nicht, wie ich diese Macht einschätzen soll. Bei diesen starken mentalen Kräften müßte es doch für Hidden‐X einfach sein, uns aufzuspüren.« »Vielleicht kann es nicht aus der Statue heraus. Sie könnte eine Art Wohnort für ihn darstellen. Das Ding ist ja aus reinem Nickel, wie wir inzwischen wissen. Und Nickel scheint für dieses Wesen eine besondere Bedeutung zu haben.« »Ich habe eher das Gefühl, daß unser Feind etwas weltfremd ist. Er neigt dazu, ganz wesentliche Dinge zu übersehen. Sonst wäre es Sanny und Argan nie und nimmer gelungen, dort unten in dem Sockel so herumzutoben. Vielleicht unterschätzt er uns.« »Das wäre unsere Stärke.« Deccon setzte sich nachdenklich wieder hin, während Atlan die nun leere Halle beobachtete. Nur die strahlende Nikkelstatue in ihrem bunten Energiefeld stand unverrückbar an ihrem Platz. »Mit Perry meinst du wohl Perry Rhodan«, sagte Chart Deccon unvermutet. Als der Arkonide nickte, fuhr der Solaner fort: »Er war dein Freund, nicht wahr?« »Er ist mein Freund, Chart. Ich bin überzeugt, daß er noch lebt, und daß er an einer anderen Stelle des Universums für die positiven
Kräfte und die Menschheit kämpft.« »Ich habe nie Freunde gehabt. Ein High Sideryt hat keine Freunde.« Atlan lehnte sich an eine Wand, so daß er gleichzeitig die Tabuzone beobachten und mit Deccon sprechen konnte. »Das kannst du ändern, Chart, wenn wir wieder auf der SOL sind.« »Es ist zu spät. Ich kann die Jahre meiner Gewaltherrschaft nicht ungeschehen machen. Die Geschichte der SOL hat mich geformt. Die SOLAG hat nie danach gefragt, ob dieser Führungsstil meinen Wünschen entsprach. Nein, Atlan, ein High Sideryt kann keine Freunde haben. Wenn er nur die geringste Schwäche zeigt, wird man ihn beseitigen. Die anonyme Masse der einzelnen Brüder und Schwestern der Wertigkeiten ist es doch, die letztlich bestimmt, was mit der SOL und den Solanern geschieht. Der High Sideryt ist nicht mehr als ein Rädchen in einem Getriebe, das vor vielen Jahren in Bewegung gesetzt wurde. Ich bezweifle, daß es je anhalten wird.« »Ich werde es anhalten«, erklärte Atlan fest, »weil ich es muß.« »Dein Auftrag von den Kosmokraten.« Deccon schüttelte verstehend und zweifelnd zugleich seinen Kopf. »Wie sehen sie aus, deine Kosmokraten?« »Ich weiß es nicht mehr. Es sind bestimmt nicht meine Kosmokraten, aber vielleicht unsere. Es ist nur eine Frage, auf welcher Seite man steht.« »Manchmal kann man sich die Seite nicht aussuchen. Man wird in sie hineingeboren. Oder das Leben mit all seinen Umständen zerrt einen in eine Bahn. Man erlebt das Gefühl der Stärke, man spürt, wie sich andere vor einem verkriechen, man braucht nur eine Hand zu haben, und alle Umherstehenden schweigen.« »Macht«, sagte Atlan. »Sie zieht den Menschen fast immer auf die Seite der negativen Kräfte. Nur wenige sind innerlich so stark, daß sie sich behaupten können.« »Die Kosmokraten, besitzen sie keine Macht?«
»Bestimmt haben sie Macht.« Atlan lachte kurz auf. »Aber das ist eine Art Macht, die ganz anders ist. Ich fühle, daß es sie gibt, aber ich kann sie dir nicht beschreiben.« »Die Macht der wahren Liebe?« fragte Chart Deccon zögernd. »Vielleicht trifft das den Kern der Wahrheit.« Die beiden Männer schwiegen eine Weile. Dann suchte Chart wieder das Gespräch. »High Sideryt«, meinte er abfällig. »Ich hasse dieses Amt und diese Bezeichnung. Ich weiß nicht einmal, was sie wirklich bedeutet.« »Es muß eine kluge Person gewesen sein, die diesen Namen erfand. Sidus bedeutet das Gestirn, sideris des Gestirns. Eine alte Sprache von der Erde, die auch das Interkosmo beeinflußt hat. High stammt auch von Terra, aber aus einer anderen Sprache der früheren Geschichte. Du kannst es mit hoch übersetzen.« »Und was soll das ganze Wort bedeuten?« Chart Deccon stand auf und trat näher an Atlan heran. »Das am höchsten stehende Gestirn eines kosmischen Systems«, behauptete Atlan. »Das gilt natürlich nur im übertragenen Sinn.« Der hünenhafte Solaner trat noch einen Schritt näher an Atlan heran. »Ich weiß, daß es zu spät ist«, sagte er dumpf. »Außerdem sagt mir mein Gefühl, daß ich meinen Fuß nie wieder auf die SOL setzen werde. Willst du …« Er brach mitten im Satz ab, als hätte ihn der Mut verlassen. »Sag mir, was du möchtest!« »Ich möchte wenigstens einmal in meinem kümmerlichen Leben eine menschenwürdige Tat vollbringen«, fuhr Chart Deccon holprig fort. »Ich möchte dich um etwas sehr Großes bitten. Wenn es uns wirklich gelingen sollte, wieder unversehrt die SOL zu erreichen, so werde ich mein Amt an den Nachfolger übergeben, den ich in SENECAs Spezialspeicher benannt habe. Das ist aber nicht meine Bitte. Das ist ein Versprechen. Mein Nachfolger taugt mehr für diese
Aufgabe.« Atlan fühlte, daß Deccon ihm jetzt den Namen der Person nennen würde, die High Sideryt werden sollte, wenn er ihn danach fragen würde. Aber er unterdrückte bewußt seine Neugier. »Nenne mir deine Bitte, Chart. Wenn ich dir helfen kann, werde ich es tun.« Chart Deccon richtete sich zu seiner vollen Größe auf. Seine Pranken glitten nervös an der lädierten Bordkombination entlang. »Sei du mein Freund!« platzte er plötzlich heraus. Die beiden Männer suchten den gegenseitigen Blick. Ihre Augen hingen noch aneinander, als der Arkonide die kräftige Hand des Solaners wieder losließ. »Jetzt wird es mir auch gelingen, eine menschliche Aufgabe zu erfüllen.« Chart Deccon lächelte befreit auf. »Du solltest dich etwas ausruhen«, entgegnete Atlan. »Der Tanz mit den Roxharen geht sicher bald wieder los. Irgendwann werden sie entdecken, daß wir sie an der Nase herumgeführt haben. Und dann möchte ich einen ausgeruhten Freund haben, der an meiner Seite kämpft.« Wieder lächelte der Solaner so, wie es Atlan noch nie bei ihm gesehen hatte. »Und du? Schläfst du nie?« fragte Deccon. »Mein Zellaktivator hält mich fit. Aber wenn du dich ausgeruht hast, werde ich mich nicht gegen eine Pause wehren und … Still!« Der Arkonide deutete auf die verschlossene Tür. Auf leisen Sohlen schlichen die beiden Männer zu dem Ausgang und stellten sich zu beiden Seiten mit gezogenen Waffen an die Wand. Jetzt hörte auch Chart Deccon die Schritte, die sich näherten. Er hob zwei Finger und wollte Atlan damit andeuten, daß er diese Anzahl von Ankömmlingen vermutete. Der Arkonide nickte zustimmend. Draußen verharrten die Schritte vor dem verriegelten Eingang. Für
einen geschulten Roxharen dürfte die Sperre kein Hindernis sein, dachte Atlan, das lange standhalten würde. Er wunderte sich, daß keine Stimmen zu hören waren. Nach einer Weile, in der alles ruhig blieb, wurde ein Kratzen und Scharren an der Tür hörbar. Deccon zuckte mit den Schultern, weil er diese Geräusche nicht deuten konnte. Auch Atlan konnte damit nichts anfangen. Mehrere Minuten vergingen in völliger Lautlosigkeit. Dann wurden die Schritte wieder hörbar, wie sie sich entfernten. Die beiden Männer wollten schon aufatmen, als der Klang von Stiefeln auf Metall wieder näher kam. Es waren eindeutig vier Füße, die sich bewegten. »Zwei Roxharen«, flüsterte Atlan ganz leise. Narr! sagte sein Extrasinn, ohne eine Erklärung für diese Beschimpfung hinzuzufügen. Atlan kam auch nicht mehr dazu, darüber weiter nachzudenken, denn eine seltsame hohe Stimme von draußen fesselte ihn. »Atlan? Atlan?« klang es durch die Tür. Die Stimme kam dem Arkoniden bekannt vor, aber er wußte im gleichen Moment, daß er sie dennoch noch nie gehört hatte. Er deutete Deccon an, ein paar Schritte zurückzutreten. Dann öffnete er die Verriegelung. Im Eingang stand ein junger Ysterone, der gerade so groß war wie Chart Deccon. »Girgeltjoff schickt mich«, sagte der Ysterone. »Ein Glück, daß ich euch gefunden habe.« Atlan und Deccon steckten ihre Waffen weg. Der junge Ysterone hielt plötzlich zwei Strahler in den Händen. Gleichzeitig fiel die Maske von seinem Körper ab. »Du siehst, Fremder«, triumphierte der Roxhare WyltʹRong, »ich habe auch ein paar Tricks auf Lager.«
4
. Meine Namen Am Anfang nannte ich mich die Spiegelung von Seth‐Apophis. Je weiter ich meine Fühler in den viele tausend Lichtäonen durchmessenden Raum streckte, den ich zu Beginn meines Daseins erfassen konnte, desto bewußter wurde mir, daß dies nicht nur ein schlechter Name war. Es war viel schlimmer, denn es war überhaupt kein Name. Kann man namenlos existieren? Vielleicht ja. Mein Ableger in Xiinx‐ Markant hat ja auch keinen Namen. Noch keinen, muß ich richtigerweise denken. Denn irgendwann in der Zukunft wird man ihn erkennen und ihm einen Namen geben. Als das geistige Band zu meinem Schöpfer immer dünner wurde, suchte ich nach einem Namen. Auch Namen machen stark, und Stärke ist der Faktor, der alles, Geschehen bestimmt. Ich gab mir den bescheidenen Namen ALLMACHT. Der Schöpfer hörte dies und lachte. Er lachte! Da ich zu diesem Zeitpunkt mein Bewußtsein bereits mit eigenen Gedanken beleben konnte, die jeder Teilnahme von draußen verborgen blieb, merkte er nicht, wie ich darauf reagierte. Ich lachte. Ich lachte, weil ich meine Zukunft sah. In Pers‐Mohandot bekam ich meinen ersten Namen. Ich erlauschte ihn mit dem mentalen Sektor des dritten geistigen Armes. Man nannte mich HERR. Das war ein merkwürdiges Wort, aber es gefiel mir. Überhaupt muß ich sagen, daß eine Namensgebung dann wirkungsvoller ist, wenn sie nicht aus einem selbst heraus kommt. Das sollte ich in den Äonen danach noch oft spüren. Und das ist auch der Grund, weswegen ich meinen Namen so oft wechseln durfte. Es macht stark, viele Namen zu besitzen. Die Reihe ist lang. Es gibt sehr viele gute und starke Beispiele darin, aber auch schwache. Einmal, es war auf einem kleinen Planeten in einer Begleitgalaxis von Myrsantrop, da nannte man mich WALDGEIST. Der Klang des Wortes war gut, aber als ich erkannte, welche Bedeutung diese Primitiven damit verbanden, bestrafte ich sie.
Die Usteris nannten mich SCHÖPFER. Das war ein schöner Name, aber er weckte Widersprüche in mir, denn er erinnerte mich an die Wesenheit, die mich gespiegelt hatte. Also mußte ich auch die Usteris bestrafen. Eigentlich war das bedauernswert, denn der Name war eine Huldigung, und er klang herrlich. Die Usteris wären ein Volk gewesen, das alle Wünsche meines Schöpfers erfüllt hätte. Nun existierten sie seit einer Ewigkeit nicht mehr. Dann nannte man mich HERRLICHKEIT. An diesem Namen gab es nichts auszusetzen. Ich belohnte dieses Volk und gab nach. Sie erflehten ein Geschenk. Ich gab es ihnen, ohne daß sie es merkten. Aus Bars wurde Bars‐ 2‐Bars, eine kosmische Leistung, denn kein Stern kollidierte mit einem anderen. Heute ist Bars‐2‐Bars eine Einheit. Die Verkörperung der Stärke eines Namens, das ist Bars‐2‐Bars. Die Roxharen nannten mich geistiger Faktor. Das ließ mich vergessen, daß ich Hunderte von anderen schönen Namen besessen hatte. Nur ein anderer Name blieb seit einiger Zeit. Er ließ mich nachdenklich werden, denn er war noch schöner und stärker als alle anderen vorher. Meine kleinen Baumeister nennen mich ARCHITEKT! Wunderbare Vorstellungen verbinden sich mit diesem Wort, das für mich nichts mit dem Flekto‐Yn zu tun hat, obwohl es von dort stammt. Ich werde der Architekt des Universums sein. Ich werde das bauen und bauen lassen, was Ausdruck der Stärke, der Macht und des Wissens ist. Es kamen andere Namen in mein Leben, und es werden noch schönere kommen. Es ist eine Wonne und ein Glück und ein Ausdruck der Stärke, daß ich nichts vergesse. Meine treuen und dummen Diener, die Ysteronen, die auf das dümmste Gaukelgeschäft hereingefallen sind, das überhaupt vorstellbar ist, haben mir bis heute noch keinen passenden Namen gegeben. Sie reden um die Sache herum, sprechen von einer Statue (was auch sehr gut klingt) und einer Tabuzone. Sie sind Feiglinge, dumme, verschacherte Feiglinge, wie ich sie brauche, um meinen Auftrag zu erfüllen und meine Träume zu realisieren. Sie wissen nichts, diese Narren. Sie haben nicht einmal einen Namen für
mich geboren. Die Zwerge sind da schon anders. Sie sind, wie sie selbst so ausdrucksvoll sagen, aus einem anderen Holz geschnitzt. Noch bevor sie erahnten, auf wen sie treffen würden, gaben sie mir einen Namen. Sie wußten nicht, daß sie mich längst kannten. Sie haben mit ein paar lächerlichen Figuren für eine momentane Unordnung gesorgt, die die Zeit von sich aus bereinigen wird. Es war unterhaltsam. All das zählt nicht, denn sie haben mir einen Namen gegeben. Es ist ein Name, der so geheimnisvoll ist, wie ich auf sie wirke. Eine Schwäche hat der Name, aber das ist eine Schwäche seiner Erfinder. Er enthält nichts von der unermeßlichen Stärke, die mir innewohnt. Ich glaube, es ist an der Zeit, diese Zwerge einmal spüren zu lassen, wie stark und wissend ich bin. Als ich die mentalen Strömungen der Zwerge erfaßt hatte und damit erkannte, welchen Sinn sie diesem Namen beimaßen, begann er mir zu gefallen. Scheu, Mut, Tapferkeit und Neugier sprechen aus ihm. Ich werde diesen Namen behalten. (Natürlich darf ich meine früheren Namen deswegen nicht vergessen. Vergessen ist tödlich. Außerdem beinhalten die früheren Namen mehr Stärke). Dann ist da noch ein Widerspruch, aber der reizt mich zum Lachen. Sie nennen mich HIDDEN‐X. Das bedeutet der Verborgene und der Unbekannte. Ich bin weder verborgen, noch bin ich unbekannt. Sie waren doch bei den Chailiden, den überflüssigen Träumern? Sie haben doch erlebt, wie ich All‐ Mohandot im Griff habe und lenke. Oder haben sie das vergessen? Egal. Ich bin HIDDEN‐X. (Der Name gefällt mir. Ich denke, ich werde ihn für einige Äonen beibehalten). HIDDEN‐X, der VERBORGENE, der UNBEKANNTE. Ich lache.
HIDDEN‐X lacht … … bis ein Signal von Pryttar kommt, das mich in die Wirklichkeit reißt. Reicht mein Wissen aus? Reichen meine Träume? Ich habe Feinde! Gibt es so etwas wie meinen Tod? Nein! Ich habe nicht nur eine Zukunft. Ich BIN die Zukunft. NAMEN SIND SCHALL UND RAUCH, denkt einer der Zwerge. Ich erkenne den Sinn dieser Gedanken. Wie können diese Wesen so frevelhafte Überlegungen in das Universum streuen? Ich habe neue Feinde, denen ich zu wenig Beachtung geschenkt habe, weil sie aus einem Staubkorn stammen. Sie nennen das Staubkorn SOL. Dafür haben sie einen Namen, den sie mit Inbrunst ausfüllen! SOL! Ein lächerliches und dummes Wort ohne Aussagekraft. (Ein paar von ihnen sind sogar hier, aber WyltʹRong macht das schon. Er ist ein dummer und abhängiger Roxhare). SOL? Andere Namen klingen hindurch. Atlan, Chart Deccon, Girgeltjoff (der immune Abtrünnige, der mich unterhalten sollte), CptʹCarch (den kenne ich doch – habe ich etwas vergessen?), Sanny (die muß zum Flekto‐Yn), Bjo Breiskoll (ein Zwerg, der kosmisch fühlt) und zehntausend andere primitive Narren. Es wird unterhaltsam. Bevor ich zuschlage, werde ich mich mit mir beraten. Ich, der Starke, der Wissende, der mit der Zukunft, der, der nichts vergißt. ICH, HIDDEN‐X. * Chart Deccon setzte schon zu einem Sprung auf den Roxharen an, aber Atlan konnte ihn gerade noch zurückhalten. Im Augenblick
besaß WyltʹRong eindeutig alle Vorteile. Seine beiden Waffen deuteten auf die Köpfe der Männer. Der Oberführer zeigte seine beiden Reihen von scharfen Zähnen. Das sollte wohl ein Gefühl der Überlegenheit ausdrücken. Seine kleinen, runden und abstehenden Ohren bewegten sich hin und her. Atlan erkannte diese Gesten der Roxharen von Chail. So ganz sicher schien sich WyltʹRong nicht zu sein. »Ich werde euch töten«, erklärte er. Sein Fell sträubte sich etwas, was für den Arkoniden ein wichtiges Signal war. WyltʹRong hatte Furcht! »Wir werden dich nicht daran hindern«, entgegnete Atlan kühl. »Doch bevor du abdrückst, nimm bitte die Grüße deiner Artgenossen zur Kenntnis.« Das Drehen der Ohren wurde noch heftiger. Nun war WyltʹRong auch noch ratlos. »Du kannst mir nichts sagen, Atlan«, sagte er überheblich. »Das habe ich schon bei unserer ersten Unterredung gemerkt.« »Als du in der Maske eines künstlichen Ysteronen stecktest.« Atlan lachte, um den Roxharen noch mehr zu verunsichern. »Ich habe das Spiel natürlich sofort durchschaut. Es war zu primitiv. Von Leuten wie PhinʹSar, BengʹTut und SoonʹKum war ich anderes gewöhnt. Sie waren eine Klasse besser als du. Oder wenn ich an Zayger, AiʹSynn und Empter denke, das waren Kerle. Selbst die nette SoonʹKum, die ja nun wirklich keine Kämpferseele besitzt, hätte sich nicht so dümmlich angestellt wie du.« WyltʹRong sagte nichts. Sein Mund war weit geöffnet, und seine Ohren flirrten wie die Flügel einer Fliege. »Die willst du kennen?« stieß er schließlich schweratmend hervor. Die Namen der wichtigsten Roxharen, die Atlan auf Chail kennengelernt hatte, schienen ihre Wirkung auf den Bepelzten nicht zu verfehlen. »Natürlich«, behauptete Atlan überzeugend. »Sie sind sogar alle meine Freunde geworden.«
Das stimmte zwar nicht ganz, aber der Arkonide sah im Augenblick nur eine Chance darin, WyltʹRong so sehr zu verwirren, daß er ihn in einem günstigen Augenblick überwältigen konnte. »Und was sollst du mir von ihnen sagen?« WyltʹRongs Neugier war geweckt. »Sie alle haben sich vom geistigen Faktor losgesagt. Die meisten von ihnen sind nach Roxha zurückgekehrt, um auch dort die Befreiung vom Zwang dieses bösen Wesens fortzusetzen.« Auch das entsprach nicht ganz der Wahrheit, aber Atlan riskierte diesen Bluff. Seit den Abenteuern auf dem Planeten der Chailiden waren erst wenige Wochen vergangen. Es war unwahrscheinlich, daß WyltʹRong schon davon wußte. »Nach Roxha?« staunte der Oberführer. »Willst du damit sagen, daß sie wissen, wo Roxha liegt?« Die Frage schrie WyltʹRong förmlich heraus. Atlan merkte sofort, daß er zufällig ein Thema aufgegriffen hatte, das den Roxharen stark berührte. »Natürlich wissen sie es«, antwortete er ausweichend. »Warum stört dich das?« »Weil ich es nicht weiß. Und meine Leute hier auch nicht. Der geistige Faktor hat uns die Erinnerung daran genommen.« Atlan deutete durch den Ausblick auf die leuchtende Statue. »Du sprichst von dem, der da drin ist.« »Ja«, antwortete WyltʹRong leise. Seine Waffen senkten sich ein Stück, und Atlan straffte bereits unbemerkt seine Muskeln. Was der Roxhare sagte, war für den Arkoniden zugleich der letzte Beweis für seine Vermutung. Hidden‐X und der geistige Faktor waren identisch! »Du und deine Leute, ihr solltet euch von dem Zwang dieses Wesens befreien«, drängte Atlan. »Nur dann habt ihr eine Zukunft. Wir werden euch helfen, Roxha zu finden. Dann könnt ihr in eure Heimat zurückkehren.« »Ein Traum«, lehnte WyltʹRong ab. »Ich werde …«
Töte sie! Dieser gedankliche Befehl stand plötzlich unausgesprochen im Raum. Atlan vernahm ihn ebenso wie Chart Deccon. Jetzt durfte der Arkonide keine Sekunde mehr zögern. Er mußte den Zustand der Verwirrung WyltʹRongs ausnutzen, bevor dieser wieder vollständig in den Bann von Hidden‐X gezogen wurde. Er schnellte nach vorn. Seine Hände schlugen auf die schlanken Arme des rattenähnlichen Wesens, das mit diesem Angriff nicht gerechnet hatte. Beide Waffen polterten zu Boden. Es zeigte sich aber, daß der Roxhare ein geschulter Kämpfer war, der Atlan alles abverlangte. Schon Sekunden später hatte er den Arkoniden zu Boden geworfen. Nach einem Faustschlag gegen Atlans Schläfe packte er nach dessen Hals. Noch bevor Atlan einen Abwehrgriff ansetzen konnte, war Deccon zur Stelle. Seine mächtige Faust donnerte auf den Schädel des Roxharen. Der sank schlaff in sich zusammen. Atlan wälzte den Leib von seinem Körper und stand auf. »Danke, Freund.« Er winkte Chart Deccon mit einer Hand zu und gab gleichzeitig den Waffen des Roxharen einen Fußtritt, so daß diese durch die offene Tür in den Wendelgang flogen. »Wir verschwinden besser von hier.« Atlan deutete auf die Statue. »Man scheint nun doch auf uns aufmerksam geworden zu sein.« Bevor sie den Raum verließen, verschweißte Atlan mit seinem Impulsstrahler den Durchgang zu dem Nebenraum. Dann zerstörte er die Schaltkonsole, deren Zweck nicht erkennbar gewesen war. Zuletzt sorgte er dafür, daß der Ausgang in den Wendelgang auch nicht ohne weiteres von dem Roxharen geöffnet werden konnte. Die beiden Männer wählten für ihren weiteren Weg den Korridor, der waagrecht von der Tabuzone weg führte. Wieder einmal probierte der Arkonide, ob er mit seinem kleinen Funkgerät Kontakt bekäme, aber es war nur das gleichmäßige Störrauschen auf allen Kanälen zu vernehmen.
Der Gang war nur spärlich beleuchtet, was sie als ein Zeichen werteten, daß er nur selten benutzt wurde. Er mündete in einen kreisrunden Raum von etwa dreißig Metern Durchmesser und hundert Meter Höhe. In der Mitte dieser Halle stand ein Gebilde, das Atlan im ersten Augenblick an einen Tannenbaum erinnerte. Doch auch dieses Ding, das fast die halbe Höhe ausfüllte, war aus Metall. An einigen der weit ausladenden Seitenarme brannten kleine Lichter, die den Raum in eine gespenstische, Atmosphäre hüllten. »Es ist merkwürdig kühl hier«, stellte Chart Deccon fest. Dann deutete er auf das von einem Mittelstamm getragene Gerüst. »Was soll denn das sein?« Atlan zuckte nur mit den Schultern. Er trat näher heran und fuhr prüfend mit dem Finger über die unteren Äste, die tatsächlich eine Vielzahl von Seitenzweigen mit Blättern besaßen. Alles war jedoch aus Nickel gefertigt. »Staub«, sagte Atlan. »Dieser Bereich scheint seit langem nicht mehr benutzt worden zu sein.« Er blickte sich um. Außer dem Gang, durch den sie gekommen waren, gab es noch drei weitere Öffnungen in dem Rund. Die anschließenden Gänge waren auch nur dürftig beleuchtet. An den Wänden ringsum standen Kisten, die aus altem Holz zu bestehen schienen. Deccon wollte eine öffnen, aber sie widersetzte sich dem Versuch, denn die Deckel waren mit dicken Metallbeschlägen versehen. »Wenigstens sind wir hier sicher vor unseren Verfolgern«, meinte der High Sideryt. »Was uns wenig nützt, Chart. Wir müssen raus oder die Statue in unseren Besitz kriegen.« »Dann laß uns diesen ungemütlichen Ort wieder verlassen. Vielleicht finden wir ein paar vernünftige Ysteronen, die uns helfen. Dein Freund Girgeltjoff sollte seine Genossen allmählich von unseren guten Absichten überzeugt haben.«
»Ich glaube nicht, daß das so einfach ist«, zweifelte der Arkonide. Er schritt noch einmal das Rund der Halle ab, als ob er hier etwas entdecken könnte. Deccon stand unterdessen sinnend vor der Kiste. »Soll ich sie mit Gewalt öffnen?« rief er zu Atlan hinüber. »Von mir aus.« Der Solaner zog seine Waffe und durchtrennte die Beschläge des Deckels. Es gab einen dumpfen Knall, als Deccon den Deckel rasch wieder fallen ließ. Dazu stieß er einen Schrei aus. Atlan eilte sofort zu ihm und sah sein kreidebleiches Gesicht. »Knochen«, stammelte der Solaner. »Riesige Knochen. Sie können wohl nur von Ysteronen stammen. Vielleicht ist das hier eine Art Grabkammer für abtrünnige Nickeldiebe, die sich zu nah an Hidden‐ X heran gewagt haben.« Atlan blieb ruhig und warf einen Blick in die Kiste. »Es sind Knochen von Ysteronen«, stellte er fest. Als er sich wieder zu Chart Deccon drehte, deutete dieser auf das seltsame Gerüst. »Ich glaube«, meinte er zögernd, »die Lichter werden dunkler.« Atlan kam nicht mehr dazu, etwas zu sagen. Mit donnerndem Krachen schlugen schwere Metallplatten an den vier Eingängen zur gleichen Zeit nach unten. Der Hall brach sich an den Wänden und verklang wie ein unheilvolles Grollen. Dann wurde es ganz dunkel. Die beiden Männer schalteten ihre Handlampen ein. Jetzt wirkte die hohe Halle noch gespenstischer. Von irgendwoher klang ein höhnisches Lachen auf. Es vermischte sich mit dem ausklingenden Dröhnen der verschlossenen Ausgänge. »Verdammt, Atlan!« stöhnte der High Sideryt. »Das ist eine schöne Falle.« »Da!« Der Arkonide deutete auf den Metallbaum. An mehreren Spitzen der Äste strömte ein fahler Rauch in den Raum, der sich langsam zu Boden senkte.
»Was ist das?« fragte Deccon entsetzt. Er hatte unwillkürlich seine Waffe gezogen. Das anhaltende Gelächter übertönte seine Worte. Plötzlich öffnete sich eine hohe Nische in einer Seitenwand, und gleißende Helle fiel daraus in den Dom. Die beiden Männer schlossen für Sekunden geblendet ihre Augen. Als sie sie wieder öffneten, verharrten sie in Staunen. In der hellen Nische saß auf einem thronähnlichen Stuhl ein riesiger Ysterone. Er war fast um die Hälfte größer als seine bekannten Artgenossen und erreichte weit über dreißig Meter. Atlan registrierte das, als sich die gewaltige Gestalt erhob. Der Körper des Ysteronen war über und über mit bunten Fetzen bedeckt, die zwar irgendwie zusammenhielten, aber kein einheitliches Kleid darstellten. Torkelnd kam der Ysterone ein paar Schritte näher. Der Boden dröhnte unter seinen mächtigen Beinen. Endlich stellte er das peinigende Lachen ein. Neugierig beugte er sich nach unten. »Ihr seid etwas klein.« Seine Stimme klang schrill und hoch. Sie erinnerte Atlan an eine Hexe aus den Märchen der Menschen. »Aber der Gott des Baumes wird sich freuen, wenn er endlich wieder ein Opfer bekommt.« »Ein Verrückter«, stellte Chart Deccon fest. »Er kann uns gefährlich werden.« »Ich werde eure abgenagten Knochen in die Kiste werfen, in der die der anderen Kleinen sind«, fuhr der Buntgekleidete fort. »Ihr seht zwar etwas anders aus, aber das macht dem Gott des Baumes nichts aus. Nur wenn er viele Opfer bekommt, wird er uns eines Tages unsere schöne Heimatwelt wiedergeben.« Atlan erinnerte sich an die Geschichte, die der alte Ysterone Traug‐ Tul‐Traug auf Break‐2 erzählt hatte. Danach hatten die Ysteronen früher auf einer blühenden Welt gelebt, die sie gutgläubig an eine fremde Macht verschachert hatten, die nur Hidden‐X sein konnte. Dieser verrückte Ysterone schien ebenfalls mit seinen Träumen an
diesen alten, für ihn überlieferten Zeiten zu hängen. Oder war er tatsächlich so uralt? »Wir müssen ihn paralysieren«, sagte Atlan. »Ich spiele für seinen Baum nicht das Opfer.« Er zog seinen Paralysator und feuerte auf die riesige Gestalt. Die gewünschte Wirkung erzielte er damit nicht. Der Ysterone lachte nur höhnisch auf und reckte seine Arme dem Metallbaum zu. Im gleichen Moment senkte sich eine durchsichtige Röhre von oben über die beiden Männer. Das glasartige Gebilde durchmaß etwa zehn Meter. »Bereitet euch auf euer Ende vor«, dröhnte der Ysterone. 5. Mein Wissen Ich weiß alles, was man überhaupt wissen kann. Ich weiß, wer ich bin, warum ich bin und wie ich bin. All das ist unwichtig. Was zählt, ist, daß ich weiß, wie meine Zukunft aussieht. Meine mentalen Fühler erfassen Strömungen, die JETZT noch nicht existieren. Ich weiß vom kleinsten Baustein des diesseitigen Kosmos bis zu den Barrieren der Materiequellen ALLES. Was dahinter ist, ist für das wirkliche Dasein unbedeutend, denn kein vernünftiges Wesen beschäftigt sich mit dem Irrealen. Es beeinflußt mich zwar, aber ich kann mich wehren, weil ich stark bin. Stark bin ich, weil ich Wissen besitze. Ohne Materie kein Raum. Ohne Raum keine Zeit. Ohne Zeit keine Materie. Eine Schraube ohne Ende?Nein. Das ist die Einheit. Das ist der geschlossene Kreis der Existenz. Das und das Jenseits der Materiequellen bilden einen anderen Kreis. Kreise können sich überschneiden. Nur der Kreis lebt weiter, der allen anderen an Stärke überlegen ist. (Ich
weiß, daß es Kosmokraten und Superintelligenzen und Primitive gibt, die für sogenannte WERTE kämpfen. Aber das sind Narren, Tölpel des Kosmos. Bestand hat nur, was sich durchsetzt. Ich werde nie vergehen. Ich vergesse ja auch nichts.) Ich weiß nicht nur, daß die kleinsten Bausteine der Materie die Quarks sind, ich sehe sie sogar. Wie anders sonst hätte ich eine Massengruppierung aus einer bestimmten Anordnung von Elementarteilchen so gut manipulieren können, daß die ausgesandte Strahlung genau das erreichte, was ich wollte? Das Ysterioon mit meinem derzeitigen Sitz muß unangetastet bleiben. Es wird es auch bleiben, denn seit ich Hidden‐X bin, bin ich noch stärker. Quarks, sie bauen die Materie auf. Und doch sind sie nicht nur Materie. (Mein Schöpfer ist nahezu materielos! Ich auch!) Quarks bauen das Antihyperon, das Hyperon, das Antineutron, das Neutron, das Antiprotron, das Protron, das K‐minus, das K‐null‐L, das K‐ null‐S, das K‐Meson, das Pi‐minus, das Pi‐null, das Pi‐Meson, das Antimyon, das Myon, das Positron, das Elektron, das Antineutrino, das Neutrino und das Photon. Das ist Wissen, und doch ist es nichts. Das wirkliche Wissen hat zwei andere Wurzeln. : Eine davon ist das, was wissenschaftlich von den Primitiven nicht erfaßt werden kann, nämlich, das jedem Urteilchen etwas anhaftet, was sie nach den dürftig erkennbaren Auswirkungen als PSI bezeichnen. Sie haben zwar erkannt, daß Masse in Energie transformierbar ist und das dies auch auf dem umgekehrten Weg geschehen kann. Sie wissen aber nicht, daß Masse und Geist, Zeit und Psi, Leben und Raum und alle miteinander untrennbar verbunden sind. WISSEN IST MACHT, denkt einer der Zwerge, die sich Solaner nennen. Er irrt sich. Wissen ist nur ein Instrument, um die Macht auszuüben. Ich habe Wissen. Ich habe Macht. Die andere Wurzel betrifft die kosmischen Zusammenhänge. Sie sind für
die Primitiven unverständlich, weil die Gesetze nicht in ihren Bewußtseinsspeichern Platz finden. Ich weiß, daß ich von dem existiere, was mir bei meiner Spiegelung mitgegeben wurde. Nicht umsonst hat der Schöpfer die starken Komponenten in mich projiziert. Er wollte, daß ich stark bin und daß ich Wissen trage. Können ist Macht! Stärke ist Macht! (Die Narren unter den Superintelligenzen und denen, die über ihnen stehen und sich jenseits der Materiequellen verbergen, wollen keine Macht. Allein das zeigt schon, daß sie Fehlentwicklungen sind. Ich brauche nur noch wenige Äonen, dann werde ich an deren Stelle treten und das Universum in einen Block aus geballter Kraft verwandeln, dem niemand mehr widerstehen kann.) Macht ist Können, Fähigkeit. Ich kann mich in jedes Bewußtsein tasten und es erforschen. Hidden‐X kennt keine Grenze. Hidden‐X vergißt nichts. Es ist mir ein leichtes, eine ganze Galaxis in meinem mentalen Griff zu halten, den Namenlosen zu überwachen und die Roxharen zu steuern. Ich kann das, weil ich. Wissen und Können vereine. (WyltʹRong, du Idiot! Du störst mich.) Nur wer Wissen umsetzt, kann Erfolg haben. Nur wer stark ist, kann Erfolg haben. Nur wer seine Zukunft kennt, kann Erfolg haben. Nur wer nichts vergißt, kann Erfolg haben. Erfolg ist Macht. (Schon wieder dieser Narr. Er spricht von den Namen, die ich auslöschen werde. Ob das etwas bedeutet? Oder habe ich etwas übersehen oder gar vergessen?) Ich weiß, daß ich jetzt weiteres Wissen sammeln muß. Da … Die Warnung von Pryttar. (Habe ich sie übersehen oder vergessen? Natürlich übersehen, denn ich vergesse nichts). Diese Zwerge. Ein harmloses Bewußtsein. Der andere? Auch harmlos. Dumm.
Doch … halt! Er hat eine Sperre in seinem Bewußtsein. Ich taste sie an. Es ist etwas, was sich verschließen will. Er denkt und fühlt doppelt. Das ist erstaunlich. Beide Sinne liegen jenseits der Sperre. Diese erinnert mich an etwas … etwas Starkes! Stärker als ich? Ich rufe all mein Wissen in die denkende Einheit, während sich die Träume entflechten und ihr Recht auf eine Existenz suchen. Träume! Verschwindet! Da ist ein Feind. Er trägt etwas an seiner körperlosen Materie, etwas Unfaßbares. Er war jenseits der Materiequellen! Er war bei den Kosmokraten! Und diese haben ihn nicht geschickt, weil es MICH gibt. Ich muß diesen Zwerg auslöschen. Er hat keinen Platz in meiner Welt. Er ist mein Feind, und die von der SOL … WYLTʹRONG! SETZE ALLE MITTEL EIN! Er hat einen starken Namen, dieser Zwerg mit der Aura der Kosmokraten. Er heißt Atlan. * Die Versuche, mit ihren Impulsstrahlern die durchsichtige Röhre zu zerstören, mußten Atlan und Chart Deccon rasch wieder aufgeben. Das transparente Material leuchtete bei Beschuß ähnlich wie ein hochenergetischer Schutzschirm. Wahrscheinlich wurde er durch eine solche Komponente verstärkt, denn das Material selbst wirkte nur wenige Zentimeter dick. Kritisch wurde der Versuch dadurch, daß die abgefeuerten Energien reflektiert wurden und den Innenraum, der nach oben
zwar offen war, unerträglich aufheizten. »So kommen wir nicht weiter.« Der High Sideryt riß sich den Kragen seiner Kombination auf. Schweiß stand auf seiner Stirn, und in seinem Gesicht bildeten sich rote Flecken. Draußen begann der Ysterone mit einem seltsamen Zeremoniell. Er schleppte aus der erleuchteten Nische eine Unmenge von Zweigen herbei, die er rings um die durchsichtige Röhre aufstapelte. Soweit Atlan erkennen konnte, handelte es sich dabei tatsächlich um die Produkte von Pflanzen. Schon nach wenigen Minuten war den beiden Männern ein Teil der Sicht versperrt. Nur der riesige Körper des Ysteronen ragte noch über den Wall aus Hölzern, Zweigen und Reisig empor. Auf Anrufe reagierte der offensichtlich Geistesgestörte nicht, obwohl er Atlan und Deccon hören mußte. Diese vernahmen nämlich sein fast ununterbrochenes Selbstgespräch. Der Arkonide konnte daraus unschwer schließen, was der Ysterone beabsichtigte und was ihn motivierte. Der übergroße Vierbeiner trauerte einem Naturgott nach, der früher einmal auf der vergangenen Welt der Ysteronen im Zentrum eines Glaubens gestanden hatte. Diese Gottheit erblickte er jetzt in dem künstlichen Metallbaum, der zudem ein Symbol für die Vergangenheit war. Damit stand fest, daß es sich bei diesem Wesen um einen Ysteronen handelte, der mit der längst nicht mehr existierenden Welt innerlich so sehr verbunden war, daß er dadurch einen geistigen Schaden erlitten hatte. »Verrückte sind immer besonders gefährlich«, unterstrich Atlan. »Weiß der Teufel, wie wir hier herauskommen.« »Gar nicht«, kicherte der Ysterone. »Ich habe euch als Opfer bestimmt. Ihr werdet verbrannt, und eure Knochen sammle ich ein. Später, wenn der Gott des Baumes uns unsere Heimat, wiedergegeben hat, werde ich daraus Düngemittel fabrizieren, damit viele schöne Bäume wachsen können.«
Diese einigermaßen klare Aussage bestätigte Atlans Vermutung. Der Verrückte hatte sie für den Tod in den Flammen vorgesehen. Vorsichtig tastete Atlan mit seinem auf kleine Energie gestellten Strahler die Innenwand der Röhre ab. Erst in einer Höhe von etwa fünfzig Metern endete die undurchdringliche Schicht. Ein Entkommen auf diesem Weg war also ausgeschlossen. »Bleibt uns nur der Boden«, stellte Atlan fest. Er justierte den Impulsstrahler auf feinste Bündelung und begann, einen Spalt in den Boden zu schweißen. Die Hitze wurde schnell unerträglich, und ein Ende des dicken Nickelbodens war noch nicht abzusehen. Auch als der Arkonide einen bestimmten Punkt anvisierte und einen armdicken Kanal senkrecht in den Boden brannte, zeigte sich kein Ende des Metalls. Wieder zwang ihn die ungeheure Hitze zum Abbrechen des Versuchs. »Es kommt noch schlimmer, Atlan.« Chart Deccon tippte dem Arko‐niden auf die Schulter. Der blickte auf. Der verrückte Ysterone hatte das aufgeschichtete Holz entzündet. Rasch schlugen die Flammen in die Höhe und verbreiteten ein grelles Licht. Dazu erklang ein schauerlicher Gesang aus dem riesigen Mund des Ysteronen, dessen Kopf zeitweise über den Flammen zu sehen war. Er umtanzte den Scheiterhaufen in einem wilden Rhytmus und klatschte dabei in die Hände. »Was soll das?« staunte der High Sideryt. »Die Wand hält die Flammen und die Hitze von uns ab. So kann uns doch nichts passieren.« »Das kann sich rasch ändern. Ich schätze, der Bursche wird die Röhre entfernen, wenn das Feuer zur vollen Größe entfacht ist. Das ist dann unsere Chance. Stelle deine Strahler auf breite Fächerung, damit wir uns für diesen Fall eine Schneise schießen können.« Deccon kam der Aufforderung sofort nach. Inzwischen loderten die Flammen so hoch, daß auch der Ysterone nicht mehr zu sehen
war. Nur seine schrille Stimme klang durch das Knistern und Prasseln des Feuers. Atlan stellte sich nahe dem Rand der Röhre auf, um das Verschwinden des Hindernisses sofort zu registrieren. Er wußte, daß es dann auf Sekunden ankommen würde, denn die Hitze würde ihnen nicht nur die Sinne, sondern auch die Atemluft rauben. Vorsorglich deutete er Chart an, in welcher Richtung man die Flucht nehmen sollte. Endlich trat das erwartete Ereignis ein. Allerdings bewegte sich die durchsichtige Röhre nur ganz langsam in die Höhe. Sofort drang die Glut in den Innenraum. Brennende Holzteile fielen durch den entstandenen Spalt herein. Atlan mußte von der Wand zurückweichen. Nach etwa einer Minute betrug der Abstand zwischen der Unterkante der Röhre und dem Boden nur Körperbreite. Jetzt eröffneten die beiden Männer das Feuer. Hinter der glasartigen Wand wurden die brennenden Zweige in die Höhe gewirbelt. Das Feuer entfachte sich dadurch zu noch stärkerer Wucht, und die Hitze stieg schlagartig an. Nur langsam entstand eine Schneise, weil von dem an die zwanzig Meter hohen Berg aus brennendem Material immer wieder Teile in die freigelegte Öffnung fielen. Glut‐ und Rauchschwaden wirbelten durch den Metalldom. Einzelne brennende Teile fielen nun auch von oben in die Röhre. Die beiden Männer mußten höllisch aufpassen, um nicht von ihnen getroffen zu werden. Die Hitze war an der Grenze des Ertragbaren, als der Durchlaß am Unterrand der Röhre einen Meter betrug. »Los, Chart!« brüllte Atlan. »Wir dürfen nicht länger warten, sonst werden wir gebraten.« Er hielt beide Strahler feuernd in den Händen, als er sich unter den Rand der transparenten Röhre hindurchzwängte. Deccon folgte direkt hinter ihm.
Sie kamen leichter durch die Glut, als sie es sich vorgestellt hatten. Der Wall aus brennendem Material war nur wenige Meter dick. So schnell es ging, stürmten sie voran. Von dem Ysteronen war in dem Rauch nichts zu sehen. »Da seid ihr ja!« jubelte der Verrückte auf, als die beiden Männer die letzte Glut hinter sich gelassen hatten. »Das Spiel funktioniert ausgezeichnet. Der Gott des Baumes wird es mir danken.« Atlan und Chart Deccon waren von der Flucht aus den Flammen noch so benommen, daß sie viel zu spät merkten, was geschah. Der Ysterone packte nach den beiden Männern und hob sie gleichzeitig in die Höhe. Dort schüttelte er sie so heftig, daß diesen die Waffen aus den Händen fielen. Triumphierend betrachtete er seine Opfer. Dann stieß er mehrere unverständliche Worte aus. Die transparente Röhre glitt nun schnell in die Höhe. Der Flammenberg stürzte in den leeren Innenraum. Nun erkannte Atlan auch, was die merkwürdigen Gasschwaden zu bedeuten hatten, die aus dem Metallbaum strömten. Sie sanken auf die Glut nieder und erzeugten dort purpurrote Flammen, deren Hitze bis zu den Ysteronen drang. Der umtanzte, die beiden Männer im festen Griff haltend, den Flammenhaufen und schob mit seinen Füßen die letzten Reste der Holzteile in den Innenraum. Auf ein weiteres Kommando, das ebenfalls unverständlich war, senkte sich die Röhre wieder nach unten. In ihr brannte jetzt das Purpurfeuer. Die Flammen schlugen bis an die hohe Decke des Metalldoms. »Nimm mein Opfer an, Gott des Baumes«, schrie der Ysterone schrill. »Und gib uns unsere Heimat wieder!« Seine Arme begannen zu rotieren. Atlan konnte unschwer erkennen, was die Absicht des Verrückten war. Er wollte die beiden Männer von oben in das Innere der Röhre und damit in die vernichtende Glut werfen. Der Arkonide hörte Chart Deccon wie ein waidwundes Tier auf
brüllen. Seine Gedanken überstürzten sich, denn er sah keinen Ausweg mehr. Zu fest war der Griff des riesigen Ysteronen. Das Gesicht des Verrückten tauchte in dem Moment vor Atlans Augen auf, als der Ysterone seine Opfer in die Höhe schleudern wollte. In diesem Moment legte sich ein Arm um den Hals des Verrückten und riß ihn nach hinten. In dem Flammenschein und der damit ständig wechselnden, grellen Beleuchtung ließ sich zunächst nicht erkennen, was geschehen war. Atlan fühlte sich plötzlich von dem harten Griff befreit. Er stürzte mehrere Meter in die Tiefe und fiel auf ein Körperteil des irrsinnigen Ysteronen. Durch dessen heftige Bewegung wurde er wieder zur Seite geschleudert. Noch in der Luft prallte er mit Chart Deccon zusammen. Für Sekunden sah er dessen Gesicht mit vor Angst und Entsetzen weit geöffneten Augen. Dann fiel er endgültig auf den Boden. Der Aufprall hinterließ einen stechenden Schmerz in der Hüftgegend, aber Atlan war sofort wieder auf den Beinen. Neben ihm krümmte sich der Solaner. Wildes Geheul erfüllte den Dom und vermischte sich mit dem Prasseln der Flammen. Atlan wich schnell an die nächste Wand zurück. Dann orientierte er sich, während Deccon ebenfalls zu ihm hastete. Neben dem Metallbaum und der glühenden Röhre war ein Kampf im Gang. Nun erkannte auch Atlan, wer ihr Retter war. Der Ysterone Girgeltjoff hatte sie aufgepürt und im letzten Moment vor dem Flammentod gerettet. Jetzt schlagen die beiden Vierbeiner mit aller Wucht aufeinander ein. Durchdringende Schreie begleiteten den Kanipf. Girgeltjoff gelang es, dem Verrückten sein buntes Kleid über den Kopf zu ziehen und dadurch einen Vorteil gegenüber dem größeren und stärkeren Gegner zu erzielen. An ein Aufgeben dachte der jedoch nicht. Er trat gleichzeitig mit zwei Beinen nach Girgeltjoff.
Der taumelte zurück und prallte gegen die glühende Röhre. »Hast du noch eine Waffe?« rief Atlan dem Solaner zu. Deccon hielt ihm seinen Paralysator entgegen. Atlan versuchte damit ein Ziel zu finden, aber die beiden kämpfenden Ysteronen waren schon wieder ineinander verschlungen. Der Verrückte stieß mehrere Worte aus, und die transparente Röhre glitt schnell in die Höhe. Sofort verbreitete sich die ganze Hitze in der Halle. Girgeltjoff begann zu taumeln, und sein Gegner stieß ein Triumphgeheul aus. »Auch du wirst ein Opfer des ewigen Baumes«, hörte Atlan. Für ein oder zwei Sekunden zeigten die dicken Säulenbeine des Verrückten in Atlans Richtung. Sofort drückte der Arkonide den Paralysator ab. Der in seinen bunten Fetzen hängende Ysterone verharrte für einen Moment. Wütend brüllte er auf. Girgeltjoff nutzte diesen Augenblick. Er warf sich mit seinem ganzen Körper gegen seinen Gegner und stieß diesen in die lodernden Flammen. Sein Geheul erstarb rasch. Die transparente Röhre stürzte von der Decke herab und zerschellte auf dem Boden. Alles schien sich mit dem Tod des Ysteronen aufzulösen. Trümmer flogen durch den Raum und trafen den Nickelbaum, der sofort aufglühte. Er neigte sich zur Seite und fiel auf die Glut und die Trümmer und den verrückten Ysteronen. Atlan und Chart Deccon brachten sich mit raschen Sprüngen in der erleuchteten Nische in Sicherheit. Girgeltjoff folgte ihnen. »Bloß weg hier!« schrie er den beiden Männern zu. »Diese Stätte des Wahnsinns zerreißt uns sonst alle.« Er faßte sanft nach den beiden und hob sie in die Höhe. Hinter der Nische begann an einer Biegung ein breiter Gang. Durch ihn rannte Girgeltjoff mit wiegenden Schritten. Erst nach mehreren hundert Metern hielt er erschöpft an und setzte die beiden
Männer ab. »Danke, Girgeltjoff«, sagte Atlan herzlich. »Das war in letzter Sekunde. Wie hast du uns gefunden?« »Es war Zufall und Glück«, entgegnete der bescheiden. »Ich weiß, was wir dir zu Danken haben. Ich mußte euch einfach finden. Die anderen sind wohl nicht mehr im Ysterioon. Außerdem streifen überall die Roboter der Statue umher. Sie suchen euch. Sogar die Helfer der Statue zeigten sich teilweise offen. Sie behandeln uns wie den letzten Dreck, was mich sehr freut.« »Wie bitte?« Chart Deccon verzog das Gesicht. »Es ist der beste Weg, um mein Volk zu überzeugen«, erklärte der junge Ysterone. »Wir haben eine große Bewegung aufgebaut, der sich immer mehr Ysteronen anschließen. Unser Feind ist die Statue in der Tabuzone. Wir können zwar noch nicht an sie heran, aber wir beginnen zu erkennen, wie sie uns übel mitgespielt hat. Viele folgen denen, die sich geistig von der Statue losgesagt haben.« »Eine gute Entwicklung«, bekräftigte Atlan. »Ich wünschte, wir könnten Hidden‐X für immer befriedigen. Dann hättet ihr auch eine Zukunft.« »Wo sind wir hier?« wollte Chart Deccon wissen. »Wie kommen wir hier heraus?« »Natürlich sind wir noch in der Zentralkugel, die nur von wenigen Ysteronen überhaupt betreten werden darf. Die Übergänge in die benachbarten Kugeln sind alle von den Helfern der Statue abgeriegelt worden. Sie lauern euch dort auf. Ihr müßt also sehr vorsichtig sein. Mehr helfen kann ich euch im Augenblick nicht, denn ich muß mich um unsere Leute kümmern. Sobald es geht, schaue ich wieder nach euch.« »Eine Frage noch, Girgeltjoff«, bat Atlan. »Wer war der verrückte Feuermacher?« »Es gibt verschiedene Geschichten über ihn«, antwortete der Ysterone. »In den Legenden nannte man ihn den Hüter des letzten Baumes. Ich glaube, Hidden‐X hat ihn in seiner Nähe gehalten oder
gesteuert, um ihn für die Ausschaltung von unliebsam gewordenen Ysteronen oder anderer seiner Knechte zu benutzen. Jetzt muß ich aber gehen.« »Wir sehen uns«, rief Atlan dem davoneilenden Girgeltjoff nach. Dann drehte er sich zu Chart um. »Es ist erstaunlich«, bemerkte er sinnend, »wie überraschend sich dieser verschüchterte und verängstigte Ysterone verändert hat. Wenn sein ganzes Volk diese Wandlung durchmachen sollte, dann können die Ysteronen zu einem Kernvolk einer Friedenszelle werden.« Ein merkwürdiger Geruch lag mit einemmal in der Luft, die sich hellrot färbte. Atlans Atem ging schwer. Chart Deccon faßte sich an den Hals und sank zu Boden. Giftgas, meldete Atlans Extrasinn lakonisch. 6. Meine Träume Was will ich sein? Die Antwort ist leicht. Ich werde so sein, wie es der Schöpfer ist, wie es Seth‐Apophis ist. Narretei! Ich bin wissend, folglich werde ich auch stärker sein. Ich werde sogar stärker sein, als es die Narren jenseits dieses Universums je waren oder sein werden. Träume sind die Geburtsstunde der Realität. Ich muß träumen, bevor ich handle. Nur wenn ich weiß, was mich erwartet, kann ich erfolgreich und stark handeln. Träume gehen nicht nur in die Zukunft. Sie wecken auch Erinnerungen. Das ist gut, denn es verhindert, daß man etwas vergißt. Wer so viel weiß und erlebt hat wie ich, der könnte dazu neigen, etwas zu vergessen. Ich träume. Ich bin stärker und mächtiger als Seth‐Apophis. Natürlich auch stärker und mächtiger als die anderen Superintelligenzen. Ich träume. Ich bin keine Superintelligenz. Ich bin die Spiegelung eines Großen. Aber
inzwischen (es sind Äonen verstrichen) bin ich mehr. Die Kosmokraten sollten mir ein Glas Wasser reichen! Das ist ein Traum. Und sie dürften keinen Tropfen verschütten, der irgendwo ihre Aura verbreiten könnte, die von Gefühlen geprägt ist, die Worte wie POSITIV hochschätzt und verherrlicht. Das Wasser müßte so rein sein wie mein Traum. Klar, absehend, was geschehen wird, aufbauend auf der Kenntnis der eigenen Vergangenheit, dem Leben mit dem Auftrag, dem Hochgefühl der Erfolge und dem Stolz der wunderbaren Namen. Dazu käme (nein: kommt!) mein Wissen, und der Traum findet seine Erfüllung. Dieses Symbol von dem Glas Wasser stammt von den Zwergen, die Unruhe in mein Dasein bringen. Es ist gut, wenn man diese Emotionen in sich aufnimmt, denn dann wird der Spaß des Kampfes noch größer. Wann habe ich einmal wirklich kämpfen müssen? Davon träume ich schon eine Ewigkeit. Es war alles zu leicht. Die Bindung an den Schöpfer, die zu früh abriß. Er gab mir keine Chance, ihm zu zeigen, wie stark ich bin. Ich bin stärker, besser, größer, wissender, mächtiger, durchdringender als der Schöpfer. Ich muß es auch sein. Ich will es so. Wie sonst könnte ich die Zukunft des Universums bewältigen? Die störenden Zwerge, die Pryttar vernichtet haben, haben ein Staubkorn des Alls in einen anderen Zustand versetzt. Mehr nicht. Ich träume, aber ich brauche die Station auf Pryttar nicht mehr. Sie hat über eine Zeit gewirkt. Viele Roxharen und die kleinen Baumeister in ihrem unübertrefflichen Fleiß haben aus der Großkonfiguration der Quarks das gebaut, wovon ich immer träumte. Meine Träume gehen weiter. Jetzt sind sie zwar gestört, denn es ist etwas haften geblieben an diesem einen Wesen. Etwas, was von jenseits der Materiequellen stammt. Ich merke plötzlich, daß ich im Sinn dieses Zwerges träume, der etwas an seinem Körper trägt, was auch nicht aus dem realen Universum stammt. Er nennt es Zellaktivator, und dieses Ding ist aus fast der gleichen Materie wie der lächerliche Beobachter. Es ist aber real, und dieser Atlan ist es
auch. Reales verursacht schlechte Träume. Ich bin auch real, auch wenn ich in den Sinnen der Primitiven keine Materie besitze. Materie ist nicht alles. Materie stört Träume. Meine Träume beschreiben ein Universum, in dem es nur zwei Dinge gibt. Mich, Hidden‐X, und die, die gehorchen. Das ist der Ausfluß der Macht und der Stärke. Flekto‐Yn existiert bereits. Die Ysteronen waren fleißig. Die Roxharen auch, und die kleinen Baumeister stehen kurz vor der Vollendung. Ich fühle, wie mein Traum in die Wirklichkeit drängt. Ich fühle, daß meine Träume Wirklichkeit werden. Die Welt von Varnhagher‐Ghynnst bis Bars‐2‐Bars gehört mir. Sie durchmißt nur wenige Millionen Lichtäonen, aber der Rest des Universums wird folgen. Es ist keine Frage der Zeit, es ist eine Frage der Stärke und Macht. Ich lache über Seth‐Apophis. Ich lache, weil ich mich selbst in meinen Träumen mit Fakten befasse, die ins Reale reichen. Ich lache über mich, denn ich bin mächtig. Meine Gedanken sind mächtig, meine Namen sind mächtig, meine Zukunft ist mächtig. Für mich gibt es keinen Tod. (Dieser Zwerg mit dem, was ihm von den Kosmokraten her anhaftet. Er paßt nicht in meinen Traum. Seinen Begleiter brauche ich nicht zu beachten, obwohl er früher einmal eine Denkweise besessen hat, die mir sogar in meinen Träumen gefällt). Träume ich zuviel? Reicht mein Wissen nicht aus? Sind meine Namen nicht stark genug? Beweisen meine Erfolge nicht, daß ich unbesiegbar bin? Hat mein Auftrag nicht verdeutlicht, daß es ein kosmischer Scherz ist, sich gegen mich aufzulehnen? Leuchtet über mir nicht eine glorreiche Vergangenheit? Vermische ich Traum und Wirklichkeit? Wo ist WyltʹRong, der Knecht? Wo ist dieser Behaftete? Behaftet von den Kosmokraten. Der andere, er nennt sich Chart Deccon, ist unwichtig. Er ist ein Nichts. Habe ich etwas übersehen? Habe ich zu lange gedacht und geträumt?
Selbst wenn es so sein sollte, ich bin stark. Ich bin eine Spiegelung, und damit kann mich nie der Tod ereilen. Dieser Atlan! Er ist kein Mensch, und doch hält er zu den Solanern. Es muß an dem liegen, was ihm die Narren von jenseits der Materiequellen mitgegeben haben. Ich kann seine Gedanken nicht klar erfassen. Dieses Instrument an seiner Brust. Dieses Werkzeug der anderen. Es muß weg! Oder habe ich etwas vergessen? * Der Zellaktivator des Arkoniden gab so starke Impulse ab, daß Atlan sie mit jeder Faser seines Körpers zu spüren schien. Er reagierte auf die Gefahr, in der Atlan sich befand. Noch schlimmer mußte es Chart Deccon ergehen. Atlan stürzte auf den bewußtlosen Solaner zu und preßte ihm mit einer Hand Mund und Nase zu. Mit der anderen suchte er in der Ausrüstung seiner Kombination, bis er einen breiten, selbstklebenden Plastikstreifen fand. Damit verschloß er die Atemöffnungen des Solaners. Er selbst bekam nur schwer Luft. Es war fraglich, wie lange der Aktivator das Gift in seinem Körper kompensieren konnte. Verschwinde endlich von hier! drängte das Extrahirn. Atlan warf sich den schweren Körper Deccons über den Rücken und lief los. Er wählte blindlings die Richtung, in der ihm die Atmosphäre noch ungetrübt erschien. Dabei bemerkte er auch, daß die rosafarbenen Gaswolken aus einem kleinen Kasten strömten, der in seiner Nähe stand und ihm prompt folgte. Also hatten die Helfer von Hidden‐X nun auch solche Gegner gegen ihn und Deccon eingesetzt. Ein Schreck fuhr durch die Glieder des Arkoniden, als er feststellte, daß er seine Waffen bei den Auseinandersetzungen mit
dem verrückten Ysteronen verloren hatte. In der Gluthitze des Metalldoms hatte es auch keine Möglichkeit mehr gegeben, nach ihnen zu suchen. Auch Deccon trug keine Energie‐Waffe mehr. Er besaß zwar noch ein paar Ausrüstungsgegenstände in seiner Kombination, wie die ausgebeulten Taschen zeigten, aber Atlan zweifelte nicht daran, daß der Paralysator des Solaners sein einziges Hilfsmittel war.. Damit konnte er gegen den kleinen Roboter, der das Gas ausströmen ließ, bestimmt nichts ausrichten. Der Arkonide und der Kasten waren etwa gleich schnell. So war es nur eine Frage der Zeit, bis die Kräfte erlahmten und der Roboter ihn einholen würde. Das Gewicht Deccons lastete schwer auf Atlans Schultern und stellte ein weiteres Handikap dar. Als der Roboter immer näher kam, mußte Atlan wohl oder übel den High Sideryt verlassen. Er legte ihn in einem leeren Seitengang ab und entfernte den Plastikstreifen von seinem Mund. Er hoffte, daß sich der Roboter dazu entschloß, ihm und nicht Deccon zu folgen. Tatsächlich heftete sich die Maschine auf seine Fersen. Atlan kam jetzt schneller voran, obwohl er deutliche Erschöpfungserscheinungen verspürte. Er mußte schnell handeln, um die Maschine zu vernichten. So erklomm er eine der ysteronischen Treppen mit ihren gut einen Meter hohen Stufen. Als er dreimal das Hindernis überwunden hatte, blieb er stehen und drehte sich um. Der Roboter stand wenige Meter unterhalb von ihm und sprühte sein farbiges Gas aus. Gleichzeitig fuhr er einen Greifarm aus, der an die Oberkante des ersten Treppenabsatzes packte. Daran zog sich die Maschine in die Höhe. Atlan wartete, bis der Roboter diese Prozedur an der Stufe wiederholte, auf der er stand. Das Gas benebelte ihn zwar stark, aber er verließ sich auf seinen Zellaktivator, der das Gift aus seinem Körper entfernen würde.
Als die Maschine ihre Klaue auf den Absatz ausfuhr, auf dem der Arkonide stand, hockte sich Atlan auf den Boden und stützte sich mit beiden Händen ab. Mit den Füßen voran wartete er darauf, daß der Kasten um die Kante bog. Dann versetzte er ihm einen doppelten Tritt, in den er seine ganze Kraft legte. Der Roboter wurde zurückgeschleudert. Er polterte über die großen Stufen in die Tiefe, wobei er sich mehrmals überschlug. Ein schrilles Quietschen erklang aus der Maschine. Sie bewegte sich nicht mehr, aber die rosafarbenen Gaswolken strömten weiter aus den Öffnungen an der Oberseite. Da der Bewegungsmechanismus ausgeschaltet war, wagte sich Atlan wieder nach unten. Er schenkte dem Roboter keine Beachtung mehr und eilte zu Chart Deccon. Der lag besinnungslos an der Stelle, an der ihn der Arkonide verlassen hatte. Der Atem des Solaners ging flach. Da die Gaswolken nicht bis an diese Stelle reichten, riskierte es Atlan, für eine kurze Zeit seinen Zeilaktivator abzunehmen und dem High Sideryt auf die Brust zu pressen. Das kleine, wunderbare Gerät hatte schon mehrmals bewiesen, daß es seine grundsätzliche Funktion der Beseitigung von Krankheiten und ähnlichen Erscheinungen auch bei anderen Lebewesen erfüllte, obwohl die lebenserhaltenden Impulse ja ausschließlich auf Atlans Zellstruktur abgestimmt waren. Als Schritte in den angrenzenden Gängen hörbar wurden, legte Atlan den Aktivator wieder selbst an. Die kurze Zeitspanne hatte jedenfalls einen gewissen Erfolg gezeigt. Deccon war zwar noch ohne Besinnung, er atmete jetzt aber wieder gleichmäßiger. Vorsorglich verabreichte ihm der Arkonide noch ein Medikament zur Stabilisierung der Körperfunktionen aus seiner Medo‐Notbox. Dann warf er sich den schwarzen Mann erneut über die Schultern, denn die Schritte kamen schnell näher. Er hörte die Stimmen von erregten Roxharen, als diese den demolierten Roboter entdeckten.
Als Atlan versuchte, in einem weiten Seitengang des Hauptkorridors zu verschwinden, entdeckte ihn einer der Rattenwesen. Es stieß einen gellenden Warnschrei aus und feuerte gleichzeitig einen Strahlschuß ab, der dicht über dem Arkoniden in eine Wand ging. »Laß mich runter«, meldete sich Chart Deccon, der wieder bei Bewußtsein war. »Nichts wie weg!« Atlan setzte den High Sideryt ab und rannte los. »Wo sind unsere Waffen?« rief Deccon benommen und stolperte hinter ihm her. Er bekam keine Antwort, denn Atlan entdeckte mehrere hohe Regale in diesem Gang, in denen große Schüsseln standen. »Umwerfen!« brüllte er Deccon zu und packte nach dem ersten Regal. Es ließ sich nur unter äußerster Anstrengung bewegen. Als der Solaner mit anpackte, ging die Sache leichter. Im Nu stapelten sich Regale mit umgekippten Behältern, aus denen eine braune Flüssigkeit strömte, in dem Gang. Weiter hinten wurden wieder die Stimmen ihrer Verfolger laut. Die beiden Männer wüteten, bis sie sicher waren, ein brauchbares Hindernis aufgebaut zu haben, daß die Roxharen wenigstens für einen Moment aufhalten würde. Dann rannten sie weiter und wechselten bei der nächsten Verzweigung in eine höhere Etage. Unter sich hörten sie, wie die Verfolger die Regale unter Feuer nahmen und sich den Weg frei schossen. Da sie inzwischen drei andere Wege hätten nehmen können, gewannen sie wieder etwas Vorsprung und Sicherheit. »Die Wege werden kleiner und enger«, stellte Deccon fest. »Ich glaube, wir dringen wieder weiter in die Tabuzone ein.« Zu ihrer Überraschung endete der Gang in der Halle, in der sie den verrückten Ysteronen getroffen hatten. Hier gab es kaum noch künstliches Licht. Der ganze Dom glich einem Trümmerfeld. Die Glut war längst erloschen, und auch von dem Alten entdeckten sie
in dem unbeschreiblichen Durcheinander keine Spur mehr. Das Licht in der Wohnnische des Verrückten brannte ebenfalls nicht mehr. »Hier liegen irgendwo unsere Waffen«, sagte Atlan. »Bei dem Chaos hat es wenig Sinn, aber laß uns rasch suchen, bevor die Roxharen da sind.« Sie nahmen ihre kleinen Handstrahler zu Hilfe und ließen den Lichtstrahl über den Boden gleiten. Ein leichtes Scharren ließ Atlan herumfahren. Es klang wie Metall auf Metall und kam aus der Richtung, in der Chart suchte. Im Lichtschein seiner Lampe erkannte Atlan zwei Roboter, die aus einem der nun offenen Eingänge kamen. Es handelte sich um die inzwischen hinreichend bekannten Maschinen der Roxharen. »Vorsicht, Chart!« gellte seine Warnung durch den Metalldom. Er selbst sprang zur Seite, als ein Flammenstrahl neben ihm in den Boden schlug. Ein unwahrscheinlicher Zufall kam ihm zu Hilfe. Er landete genau dort, wo einer der verlorengegangenen Impulsstrahler lag. Der Griff danach und der Sprung hinter eine der mächtigen Knochenkisten waren für Atlan eine einzige Bewegung. Sekunden später jagte er die gebündelte Energie auf die beiden Roboter. Der eine explodierte sofort. Den anderen erwischte Atlan unmittelbar danach. Sofort sprang er auf und rannte zu Deccon, der sich hinter den Trümmern des Metallbaumes versteckt hatte. »Verletzt?« Der High Sideryt schüttelte den Kopf. Dann lauschte der Arkonide. Aus zwei der Zugänge zu der Halle kamen eindeutig Geräusche. Das mußten ihre Verfolger sein. Er deutete auf den nächsten Ausgang, hinter dem eine Treppe in die Höhe führte. »Da entlang!« Die kleinen Stufen bewiesen, das dieser Durchgang nur von
Roxharen benutzt worden war. Vielleicht war das einer der Wege, auf denen sie ihre Opfer zu dem verrückten Ysteronen gebracht hatten. Rasch stiegen die Männer aufwärts. Vergebens suchte Atlan nach einer Möglichkeit, um auch hier Barrikaden zu errichten. Die Wände waren ausnahmslos glatt, und es gab kein bewegliches Material. Die Etage, die sie nach einem schier endlosen Stufensteigen erreichten, bestand aus kleinen Wohnkammern, die jedoch völlig verlassen waren. »Unterkünfte der Roxharen«, stellte Atlan sachkundig fest. Sie schritten vorsichtig durch den Mittelgang. Atlan gab nun Chart Deccon dessen Paralysator zurück, so daß jeder von ihnen wenigstens eine Waffe hatte. »Sie sind alle unterwegs, um uns zu suchen«, vermutete der Solaner. »Still!« Atlan schob eine halboffene Tür zur Seite. Der Raum dahinter ähnelte entfernt einer Kommandozentrale. Mehrere Dutzend Bildschirme und Schaltkonsolen mit Übertragungseinrichtungen waren hier untergebracht. »Die Leitstelle der Roxharen«, vermutete Chart Deccon. Er deutete auf einen der Bildschirme. »Ihr Hangar mit ihren Zellen. Es sind fast alle zerstört. Hier müssen auch unsere Leute gewütet haben.« Die Augen des Arkoniden suchten die anderen Bildschirme ab. Er prägte sich jede Einzelheit ein, die ihnen vielleicht noch nützlich sein konnte. Auf einem kleinen Schirm in einer Ecke war die Statue mit Hidden‐ X abgebildet. Auf diesem Bild regte sich nichts. Es war grotesk, aber auf der Bildkonsole stand eine Vase mit frischen Blumen, die Atlan an terranische Rosen erinnerten. Chart Deccon hatte unterdessen die anderen Einrichtungen studiert. Die Symbole der Roxharen bereiteten ihm wenig Schwierigkeiten.
»Das ist hier eine Art Rohrpost, die zu den Zellen in den Hangar führt«, sagte er. »Ich habe noch einen schönen Sprengsatz, den ich gern dorthin schicken würde.« »Einen Sprengsatz? Den könnten wir vielleicht noch besser gebrauchen«, entgegnete der Arkonide. Er betrachtete die einfache Explosionsladung, die der High Sideryt aus seiner Kombination geholt hatte. »Für den totalen Notfall habe ich noch etwas Besseres«, knurrte Deccon. Atlan studierte unterdessen einen Lageplan, den er entdeckt hatte. Er riß die Folie von der Wand. »Die unmittelbare Umgebung der Statue«, erklärte er zufrieden. »Das wird uns helfen.« Irgendwie mußten ihre Verfolger sie wieder aufgepürt haben. Deccon hörte sie zuerst. Atlan erkannte sie auf den Bildschirmen, die die Korridore der Umgebung zeigten. Mit Hilfe des Lageplans fand er schnell einen Ausweg, der nach seinen Beobachtungen frei war. Er zog Deccon in einen Nebenraum, von wo ein Antigravschacht in die Höhe führte. Auch dieser war in dem Plan vermerkt. Die beiden Männer glitten nach oben, während unter ihnen das Getrappel der Roxharen lauter wurde. Sie sprangen hintereinander in einen Seitengang. Atlan zerstörte mit einem Schuß die Steuereinrichtung des Antigravschachts. Er orientierte sich kurz auf dem Plan. »Wir befinden uns in Kopfhöhe der Statue. Dort hinten muß ein Durchgang zu der Halle sein.« »Ich weiß nicht«, wandte Deccon ein, »ob es richtig ist, wieder so nah an den Kern der Tabuzone zu gehen. Ich denke an die mentale Strahlung, die dort herrscht.« Atlan deutete auf die Folie. »Von dort führen weitere Wege in alle Bereiche der Mittelkugel. Damit kommen wir schnell weg, wenn wir in Gefahr geraten.«
Der High Sideryt schloß sich ihm schweigend an, als sie durch diesen niedrigen Gang eilten. Sie gelangten auf eine Art Empore, die in halber Höhe des viereckigen Zentralraums war. Hier führte ein weiterer Doppelantigravschacht nach oben und unten. Nach Atlans Plan gab es Verzweigungen in der nächst höheren und der nächst niedrigeren Etage. »Ein guter Platz«, meinte der Arkonide zufrieden. »So nah an Hidden‐X wird man uns nicht vermuten. Außerdem haben wir mehrere Fluchtwege.« Der High Sideryt sagte nichts. Er starrte nur mißtrauisch über die Brüstung der Empore auf die riesige Statue, die jetzt in einem gleichmäßig grünen Energiefeld schimmerte. Plötzlich stieg der mentale Druck wieder an. Deccon suchte sofort Schutz hinter der Brüstung, während Atlan der unsichtbaren Strahlung leichter widerstehen konnte. »Er sucht mich«, murmelte der Solaner benommen. »Ich soll zu ihm kommen.« »Unsinn«, wehrte der Arkonide ab. Er vermutete zunächst, daß Hidden‐X ihre Anwesenheit bemerkt hatte. Als er sich aber darauf konzentrierte, die Botschaft dieser Macht zu entschlüsseln, merkte er rasch, daß dessen Befehl nicht ihm oder Chart Deccon galt. »Er ruft nach WyltʹRong«, erklärte er dem Solaner. Deccon beruhigte sich wieder etwas und stellte sich auf. Er vermied es aber, direkt auf die Statue zu blicken. Statt dessen starrte er nach unten in die riesige Halle. »Da kommt er.« Deccon deutete nach unten, wo nun auch Atlan den Roxharen erkannte. »Wir haben ihn nicht lange einsperren können«, bedauerte der Arkonide. WyltʹRong schritt wie eine Maschine auf die Statue zu. Jeder seiner Bewegungen wirkte wie die eines plumpen Roboters. Er schien völlig im mentalen Bann seines geistigen Faktors zu stehen. Eine Gruppe anderer Roxharen verharrte regungslos an dem
Ausgang, aus dem der Oberführer gekommen war. Dort befanden sich auch zahlreiche Roboter. Atlan überflog die Zahl seiner Verfolger. Es waren dreißig oder vierzig Bepelzte und etwa die doppelte Anzahl an Kampfmaschinen. Deccon krümmte sich wieder. Er reagierte deutlich auf die mentalen Befehle, die unsichtbar aus der leuchtenden Statue kamen. Wieder konzentrierte sich Atlan, aber die Anweisungen Hidden‐ Xʹblieben ihm nun völlig unverständlich. »Was befiehlt er dem Roxharen?« wollte der Arkonide von dem in Schweiß gebadeten Solaner wissen. Chart Deccon öffnete seinen Mund, aber zunächst stammelte er nur zusammenhanglose Worte. »Komm zu mir«, murmelte er dann. »Entledige dich der verbotenen Teile, die dich versengen würden! Beeile dich, denn der Feind ist stärker, als ich zunächst vermutete.« Unten in der Halle begann der Roxhare seinen Kampfanzug anzulegen. Auch die darunter befindlichen Gürtel legte er mit mechanischen Bewegungen auf dem Nickelboden ab. Selbst die kleinsten Geräte und Hilfsmittel entfernte er aus seinem dichten Pelz. »Gut gemacht«, flüsterte Deccon wie in Trance. »Nun komm, aber nimm den oberen Weg, den du erst einmal gehen durftest. Komm direkt zu mir, denn ich werde dir das geben, was dir zum Sieg über den Boten der Kosmokraten helfen wird.« Atlan erkannte, daß nur er damit gemeint sein konnte. Das folgende Gemurmel des Solaners wurde immer undeutlicher. Auch Atlan, der zwar die geistige Macht des Wesens in der Statue spürte, konnte den Inhalt dieser Anweisungen nicht entschlüsseln. Unten stieg WyltʹRong mit seinen automatenhaften Bewegungen eine kleine Leiter hoch, die ihn auf das Dach des Sockels führte, auf dem die leuchtende Statue stand. Der Roxhare war nach normalen Begriffen splitternackt. Er setzte einen Fuß vor den anderen, bis er
die Deckfläche erlangt hatte. Dort schritt er unbeirrt weiter. Die anderen Roxharen an dem Ausgang zeigten keine Reaktion. Atlan war davon überzeugt, daß Hidden‐X sie in Bann hielt. WyltʹRong näherte sich dem Energieschirm. Der mentale Druck ließ etwas nach, und Chart Deccon wagte sogar einen Blick über die Brüstung der Empore. Atlan stützte den Solaner, der wieder zu taumeln drohte. Unterdessen schritt WyltʹRong durch die Energiehülle der Statue. Hinter dem flimmernden Feld wurde ein kleiner Eingang undeutlich sichtbar. »Jetzt gibt er es ihm«, murmelte Chart Deccon geistesabwesend, und auch Atlan spürte, daß nun in der Statue etwas Entscheidendes geschah. Der High Sideryt sank wieder benommen zu Boden. Er lag dort noch, als WyltʹRong mit einem rot leuchtenden Objekt von Faustgröße aus der Statue kam und seine Kampfkleidung wieder anlegte. Atlan schleppte Deccon aus der gefährlichen Nähe der Statue. »Du müßt höllisch aufpassen, mein Freund«, stammelte Chart Deccon. »Er hat WyltʹRong ein Stück Jenseitsmaterie gegeben, das deinen Zellaktivator zerstören wird.« 7. Meine Feinde Die eigene Existenz ist gekennzeichnet von Brutalität. Es ist brutal, so hart aus seinen Träumen gerissen zu werden und etwas Furchtbares zu erkennen. Ich habe Feinde. Meine Feinde. Natürlich wußte ich schon immer, daß es sie gibt. Stärke orientiert sich am Gegner. Richtige Gegner für mich gibt es nicht, denn ich bin …
ALLMACHT, HERRSCHER, SCHÖPFER, LENKER, EMPFÄNGER DER GNADE, das LICHT, das DU‐DIE‐WELT, der GEISTIGE FAKTOR, der WUNDERBARE, der BARS‐VERDOPPLER, der ARCHITEKT, HID … Vergiß tausend Namen, Spiegelung! Du hast Feinde! Das war meine eigene Stimme. Sie lügt. Sie versucht, mir etwas vorzugaukeln, was dem idiotischen Verhalten der Großen und der Kosmokraten entspricht, denn mit jedem Wort, mit dem man sich höher setzt, wird man tiefer fallen. Ich habe Feinde. Ich hatte schon immer Feinde. Aber in der Anfangszeit meines Daseins kümmerte sich niemand um mich. Nur der Schöpfer schickte von Zeit zu Zeit einen Mentalimpuls zu mir, den ich aufgrund meiner Beschaffenheit leicht spiegeln konnte. Wenn ich ihm dann von den Feinden berichtete, die mir begegnet waren, so bekam ich keine Antwort. Es gab auch keinen Grund für den Schöpfer, mir zu antworten, denn die Feinde, auf die ich während der ersten Äonen traf, dienten nur zu einem Zweck, nämlich mein Wissen, meine Fähigkeiten und mein Handlungsvermögen zu stärken. Später dann, als ich die Sendboten anderer Großer an ihren Herkunftsort verjagte, war er noch etwas aufmerksamer. Einmal hat er sogar nachgefragt, auf welche Weise ich diesen Feind besiegt hatte. Dann kam das große Schweigen. Ich war auf mich allein gestellt, und das gefiel mir. Die Zahl der Feinde wurde dadurch nicht geringer, aber meine Handlungsfreiheit wurde verstärkt, denn ich hatte nicht mehr den dumpfen Druck einer Superintelligenz hinter mir. Ich habe noch nie verloren. Zugegeben, ich habe uninteressant gewordenes Terrain aufgegeben oder vernachläßigt, wie beispielsweise Chail. Aber auch das hat einen Sinn. Ich wollte wissen, wer genau der Feind ist, der dies erreicht hat. An den dummen Kometen, den man die »Grüne Sichel von NarʹBon« genannt hatte, hatte ich nicht gedacht. DAS HEISST ABER NICHT, DASS ICH ETWAS VERGESSE! Wirkliche Feinde hatte ich nie. Ich kenne nur Verlierer, Unterjochte, Geleitete, Knechte, Diener, Helfer. Man braucht das für die Arbeit, die
einem selbst zu zeitaufwendig und dreckig ist. Damals war ich noch der GEISTIGE FAKTOR, der ich auch heute noch für die Roxharen bin. Und der ich ewig bleiben werde. Wen ich beherrsche, der kann nicht mein Feind sein. Der ist mein Untertan, mein ausführendes Organ, mein Knecht. Zugegeben, es gab Zeiten, wo ich in meinen Träumen nicht an die Zukunft dachte. Da mußte ich das lösen, was sich mir in den Weg stellte. Das geistige Potential der Chailiden war ein Problem, aber auch diese närrischen Primitiven ließen sich verleiten, in die Irre führen. Meiner mentalen Kraft widersteht niemand … …auch nicht dieser von der kosmokratischen Aura Behaftete! Er ist mein Feind. Er und die, die ihn begleiten. Ein harmloses Geplänkel von Narren. Es dient meiner Unterhaltung. Zu mehr taugen diese Wesen nicht. Feinde? Meine Feinde? Er trägt etwas mit sich an Wissen, was nicht aus meiner Welt stammen kann. Ist er ein Verbündeter des Beobachters, des Ausgestoßenen? Unwahrscheinlich. (Allein die Tatsache, daß ich dies nicht genau weiß, zeigt mir, daß mein Lernprozeß trotz der Äonen und Distanzen noch nicht abgeschlossen ist). Feinde, Widersacher, Zerstörer der Vergangenheit, Verwischer der Erfolge, Frevler meiner Namen, ich werde euch zertreten! Er hat etwas von den unfertigen Narren vom Jenseits. Du mußt wachträumen, Hidden‐X! (Wieder meine Stimme!) Es darf nichts gefährdet werden. Vor allem nicht die Zukunft. Um meine Existenz geht es nicht. Ich bin unauslöschbar. Seth‐Apophis hat mir das mitgegeben. Oder ist das auch ein Traum? Ich muß auf den mit dem Wissen von jenseits der Materiequellen achten. Er zerstört meine Träume. Allein die Tatsache, daß er hier ist, hier im Ysterioon, ist verwunderlich. Habe ich es zu spät gemerkt?
Habe ich etwas übersehen? Habe ich mich in meinen Träumen von dem realen Geschehen trennen lassen? Oder, was noch viel schlimmer wäre, habe ich etwas vergessen? Eine Kleinigkeit kann für mich tödlich sein. Tödlich? Ich lache. Ich bin Hidden‐X, und ich bin unsterblich, auch weil ich ein Ding aus fremdkosmischer Materie besitze wie dieser Atlan. * »Was?« Atlan war blaß geworden. »Das sind die Gedankenfetzen, die ich aufschnappen konnte.« Deccon hatte seine Benommenheit wieder abgeschüttelt. »Das leuchtende Ding, das WyltʹRong nun besitzt, es ist gleichzeitig ein Ortungsgerät, das auf deinen Zeilaktivator anspricht, und außerdem ein Zerstörungsmechanismus. In den gedanklichen Befehlen an den Roxharen sprach Hidden‐X von Jenseitsmaterie, was immer das bedeuten soll.« Der Solaner packte in seine Tasche und hielt Atlan den Sprengsatz hin. »Du wirst ihn vielleicht brauchen. Die Jagd gilt nur dir. Es ist im ironischen Sinn für mich enttäuschend, aber Hidden‐X verschwendet kaum einen Gedanken über mich. Er hält mich für unwichtig und harmlos.« Die Überlegungen Atlans überstürzten sich. Er konnte sich keine klare Vorstellung von dem rötlichen Objekt machen, das er gesehen und das Deccon in seiner Funktion beschrieben hatte. Es stand lediglich fest, daß eine ungeheure Gefahr auf ihn zukam. »Vielleicht sollten wir uns trennen«, schlug er dem High Sideryt vor. »Dann kannst du eher entkommen. Wenn sich die positive Entwicklung bei den Ysteronen fortsetzt, wird Girgeltjoff auch in
der Lage sein, dich zur SZ‐2 zu bringen, die noch in der Nähe sein muß. Außerdem rechne ich damit, daß Bjo und die anderen etwas versuchen werden, um uns aus dem Ysterioon zu holen.« »Ich werde hier warten«, versprach Deccon überraschend schnell. »Sieh du zu, daß du der Jenseitsmaterie entwischst.« »Wir sehen uns wieder, Chart.« Atlan überprüfte den einen Impulsstrahler, der ihm geblieben war. Dann eilte er zurück auf die Empore und blickte nach unten. Der roxharische Oberführer hatte seine Leute und die Roboter um sich versammelt. Er hielt die rötlich leuchtende Kugel in die Höhe. Atlan sah deutlich, wie sich die Seite, die ihm zugewandt war, grün verfärbte und dabei stark pulsierte. »Er ist in dieser Richtung.« WyltʹRong deutete auf den Arkoniden, ohne diesen in seiner Deckung sehen zu können. »Folgt mir. Wenn wir den Feind erblicken, werden die Roboter die Jenseitsmaterie übernehmen, denn die Explosion, die sie in der Gegenwart Atlans auslösen wird, würde uns auch vernichten.« Die Roboter! warnte sein Extrasinn. Richte dich darauf ein, sonst hat deine letzte Stunde geschlagen. Atlan handelte automatisch. Er schärfte die Explosionsladung. Die Maschinen der Roxharen standen etwas abseits von diesen. Die Ladung landete mitten zwischen ihnen und ging sofort hoch. Die Roboter wurden durcheinandergewirbelt. Metall krachte auf Metall. Wyltʹ Rong reagierte schnell. Kaum war die Druckwelle verrauscht, da entdeckte er Atlan. »Dort ist er, Männer«, schrie er seine Leute an. »Folgt mir und bringt die Maschinen mit, die den Angriff überstanden haben.« Die ersten Strahlschüsse zischten in die Höhe, aber die Roxharen schienen im Umgang mit ihren Waffen nicht sehr geübt zu sein. Atlan feuerte zurück, wobei er versuchte, die noch einsatzbereiten Roboter zu treffen. Dann mußte er vor dem Feuer der Rattenwesen zurückweichen. Er konnte sich nicht mehr davon überzeugen,
welche Wirkung sein Überfall gehabt hatte. Chart Deccon erwartete ihn wenige Meter in dem Gang, der von der Tabuzone wegführte. Atlan rannte an ihm vorbei. Für ihn zählte jetzt nur eins. Er mußte eine Möglichkeit finden, die Jenseitsmaterie unschädlich zu machen. Die rötlichen und grünen Farbtöne des leuchtenden Dinges weckten eine Erinnerung in ihm, die er aber sofort wieder verdrängte, weil sie ihm unbedeutend erschien. Als er um die Ecke bog, setzte sich auch Chart Deccon in Bewegung. »Ich werde dir folgen, Freund«, murmelte der High Sideryt. Seine Augen glänzten, als er mit den Händen über die Taschen seiner Kombination fühlte und auch das Kästchen an der goldenen Kette um seinen Hals berührte. »Ich lasse dich nicht allein.« Er lachte auf. »Bote der Kosmokraten! Du brauchst mich, obwohl ich in den Augen Hidden‐Xʹ nur eine unwichtige Figur bin.« * Vier Roxharen erwarteten ihn am Ende des Ganges, durch den Atlan in das Innere des Ysterioons fliehen wollte. Der Gegner war also viel schneller, als er gedacht hatte. Die Ortungseinrichtung des leuchtenden Klumpens aus Jenseitsmaterie machte sich nachteilig bemerkbar. Die Bepelzten schossen nicht sofort. Atlan konnte sehen, wie einer von ihnen hastig in ein kleines Funkgerät sprach. Offensichtlich litten die Helfer der Statue nicht unter dem Ausfall des Funkkontakts, wie er sich bei Atlans Gerät gezeigt hatte. Der Arkonide zögerte keine Sekunde. Er stellte seinen Strahler auf breite Fächerung und kleine Energie, denn er wollte die Roxharen nicht töten. Sein Flammenstrahl riß die Bepelzten von den Beinen. Sie flogen gegen die Metallwände und sanken dort bewußtlos zu
Boden. Es gab keinen Zweifel für den Arkoniden, daß seine Feinde nun genau wußten, wo er war. Er. bog daher in den Gang ein, der im rechten Winkel zu seiner ursprünglichen Fluchtrichtung verlief. Sein Ziel waren die Ysteronen, insbesondere Girgeltjoff. Nur wenn er das Ysterioon verlassen konnte, hatte er eine Chance zu überleben. Er hörte Schritte hinter sich und wich in eine Nische aus, um den Verfolgern aufzulauern. Doch kaum stand er ruhig da, da war wieder alles still. Vorsichtig tastete er sich weiter, wobei er von Zeit zu Zeit einen Blick auf die dreidimensionale Abbildung des Lageplans warf, den er aus dem Wohntrakt der Roxharen hatte. Als er sich jede Einzelheit eingeprägt hatte, ließ er die Folie achtlos fallen. Sein Weg führte ihn in eine der zahlreichen leeren Hallen, die um den Kern der Tabuzone angeordnet waren. In ihrer Größe glich dieser Raum dem Dom, in dem er dem verrückten Ysteronen begegnet war. Auch von hier führten mehrere Wege in alle Richtungen. Zwei davon waren durch schwere Tore versperrt. Er tastete sich vorsichtig an einer Wand entlang, denn er mußte jederzeit mit dem Auftauchen seiner Verfolger rechnen. Trotzdem fuhr er erschrocken zusammen, als sich mit einem Ruck eins der verriegelten Tore öffnete. Im fahlen Licht erblickte er zwei lädierte Roboter, die aber ganz offensichtlich noch einsatzbereit waren. Atlan schoß sofort und rannte dabei weiter, um dem Feuer der Maschinen auszuweichen. Ein Flammenstrahl fuhr wenige Zentimeter vor seinem Gesicht vorbei. Mit einem zweiten Schuß konnte er die vordere Maschine zur Explosion bringen. Dem zweiten Roboter wurde dadurch für Sekunden die Sicht versperrt. Atlan nutzte diese winzige Zeitspanne, um in dem nächsten Ausgang zu verschwinden. Nun besaß er eine Deckung, aus der er den anderen Roboter unter
Feuer nehmen konnte. Dieser drehte jedoch plötzlich ab und verschwand. Wahrscheinlich wollte er seine Herren informieren. Atlan atmete für einen Moment auf. Er beobachtete weiter die Halle, denn von allen Seiten klangen nun Stimmen und Stiefelgetrappel an seine Ohren. Der Weg zu den Ysteronen war ihm damit praktisch versperrt. Ihm blieb nur der Rückzug durch den Korridor, in dem er nun stand, und der führte wieder zu der Statue hin. Als die Stimme eines Roxharen ganz deutlich wurde, preßte er sich in einen Vorsprung, der im Dunkeln lag. Zwei Bepelzte, die von zwei ebenfalls angeschlagenen Robotern begleitet wurden, stürzten in den kreisförmigen Raum. Atlan erkannte WyltʹRong, der das pulsierende Stück Jenseitsmaterie ausgestreckt in der Hand hielt. Wieder blinkte die grüne Zone in Atlans Richtung. »Dort entlang«, brüllte WyltʹRong und deutete in Richtung des Arkoniden. Atlan konnte nun das gefährliche Objekt erstmals genau sehen. Es handelte sich um einen eiförmigen Körper von der Größe seines Zellaktivators. Plötzlich erhob sich die leuchtende Masse und schwebte durch die Halle auf den Arkoniden zu. »Er muß ganz in der Nähe sein«, schrie der Roxhare begeistert. »Die Jenseitsmaterie hat sich auf seine Spur geheftet.« Das unheimliche Ding kam schnell näher. Atlan justierte den Impulsstrahler auf volle Leistung und drückte ab. Der gleißende Flammenstrahl zischte durch den Raum und traf das leuchtende Objekt, das jedoch nur ein paar Meter zurückgeschleudert wurde. Dann setzte es seinen Flug in Atlans Richtung fort. Dem Arkoniden brach der Schweiß aus. Er hatte, nachdem er das Wort Jenseitsmaterie gehört hatte, zwar schon damit gerechnet, daß es sich um eine hochgefährliche Maschine handeln mußte. Daß er mit dem Strahler dem leuchtenden Ei nichts anhaben konnte,
reduzierte seine Chancen auf null. Er feuerte noch zweimal auf die Jenseitsmaterie, dann mußte er fliehen, denn die Roxharen und ihre Roboter jagten ihre Energien in den Gang. Atlan hetzte über den blanken Metallboden. Im Laufen schoß er die Beleuchtungskörper kaputt. Jede Kleinigkeit erschien ihm jetzt von Bedeutung, um seine Gegner abzuhängen. Er kam an eine Gabelung und rief sich kurz den Lageplan ins Gedächtnis. Der rechte Weg führte in die Nähe der Unterkünfte der Roxharen. Er wählte diesen Korridor. Den Schatten, der sich von oben auf ihn stürzte, bemerkte er fast zu spät. Er konnte einem gewaltigen Schlag nur teilweise ausweichen. Etwas traf ihn am Hinterkopf und ließ ihn torkeln. Dann fühlte er die Hände eines Roxharen vor sich und schlug mit aller Wucht zu. Der Bepelzte taumelte zurück. »Du kannst nicht entkommen«, kreischte der Roxhare wie von Sinnen. Dann stürzte er sich wieder auf den Arkoniden, der nun jede Rücksicht fallenließ. Ein Schlag gegen den Hals seines Gegners streckte diesen, endgültig nieder. Atlan keuchte, als er weiter durch den Gang lief. Ein Sirren in seinem Rücken ließ ihn herumfahren. Zwei Roxharen, die von irgendwoher aufgetaucht waren, sanken zu Boden. Wenige Meter dahinter stand Chart Deccon und steckte seinen Paralysator wieder ein. »Sie werden dich gleich haben«, dröhnte der High Sideryt. »Dann will ich dabei sein.« »Du bist verrückt, Chart«, antwortete der Arkonide nur und lief weiter. Deccon schloß zu ihm auf. An einer Biegung hielten die beiden Männer an. Atlan warf einen Blick durch den über hundert Meter langen Gang zurück, der nun fast vollständig im Dunkeln lag. Am anderen Ende tauchten wieder Roxharen auf. Einer von ihnen, es mußte wohl WyltʹRong sein, hielt das leuchtende Ei wieder in
den Händen. »Hau ab!« zischte Chart Deccon. »Ich halte sie auf. Und laß dir etwas einfallen, wie du das leuchtende Ding beseitigst.« Der Strahl des Paralysators zischte durch den langen Korridor und ließ die Roxharen taumeln. Atlan zögerte einen Moment. Er wollte den Solaner nicht allein lassen. Es mußte irgendwie einen Ausweg geben. »Verschwinde endlich, Kosmokratenknecht«, drängte Chart Deccon. »Du wirst noch gebraucht. Ich komme …« Er brach mit einem Aufschrei zusammen. Eine Metallwand hatte sich zur Seite geschoben. Dort stand ein roxharischer Roboter, der gleichzeitig auf Deccon und Atlan feuerte. Der Arkonide machte instinktiv einen Satz zur Seite und schoß sofort zurück. Der Roboter verglühte. Dann hastete er zu Chart Deccon. Der Solaner lag blutend auf dem Boden. Der Schuß des Roboters hatte ihn in der Hüfte getroffen. »Es geht zu Ende, mein Freund.« Deccon versuchte zu grinsen, aber es wurde nur eine schreckliche Grimasse daraus. Atlan zog ihn zur Seite, denn durch den Gang stürmten die Roxharen heran. Dann zog er den Auslöser des Impulsstrahlers ab. Das Feuer verwandelte den Gang in eine Gluthölle. Auf das Leben der unfreiwilligen Helfer der Hidden‐X konnte er nun keine Rücksicht mehr nehmen. So hatte er für einen Moment Ruhe, in dem er Deccon mit schmerzstillenden Mitteln versorgte und die Wunde notdürftig verschloß. »Wir müssen zur Statue«, stöhnte der High Sideryt. »Bitte hilf mir.« Er zog sich an Atlan in die Höhe und stützte sich auf seine Schulter. Mühsam schleppten sich die beiden Männer weiter. Der Arkonide blickte mehrmals zurück. Die Roxharen waren im Augenblick verschwunden. Was das leuchtende Ei machte, konnte
er nicht feststellen. »Zur Statue«, keuchte Chart Deccon wieder. Atlan antwortete ihm nicht, denn in diesem Moment tauchte wenige Meter vor ihm in dem Gang die Jenseitsmaterie auf. Er ließ Deccon einfach fallen und rannte los. Über eine Treppe gelangte er in den unteren Wohnbereich der Roxharen. Zum Innenraum mit der Statue waren es damit auch nur noch wenige Meter. Das leuchtende Ei handelte jetzt, völlig selbstständig. Es bewegte sich zielstrebig, aber nicht schneller, als der Arkonide laufen konnte. Wenn es zu nah kam, warf es Atlan mit einem gezielten Schuß ein paar Meter zurück. Es ist nur eine Frage der Zeit, überlegte er. Dann erwischt es mich. Die Transmitterstation aus dem Lageplan! Atlan fuhr zusammen, als sich sein Extrasinn meldete. Sie ist vielleicht deine letzte Chance. Da er jede Einzelheit in seinem fotografischen Gedächtnis gespeichert hatte, war es kein Problem, den richtigen Weg zu wählen. Einen Roboter, der sich ihm in den Weg stellte, zerstrahlte er mit der Waffe. Dann rannte er auf einen Antigravschacht zu, der ihn in einen Nebenraum der Halle mit den roxharischen Zellen brachte. Das pulsierende Ei schwebte unaufhaltsam wenige Meter hinter ihm her. Atlan tastete nach seinem Zellaktivator. Für einen Augenblick dachte er daran, ihn einfach wegzuwerfen und so sein Leben für ein paar Stunden zu verlängern. Endlich erreichte er den Transmitter, der nach den Angaben in dem Plan zum internen Verkehr in dem Ysterioon geeignet war. Wohin sollte er fliehen? Wo würde ihn sein unheimlicher Verfolger nicht finden? Die Plattform der Transporteinrichtung war etwa vier mal vier Meter groß. Atlan überprüfte die Justierungseinrichtungen, während er gleichzeitig das leuchtende Ei in sicherer Distanz hielt. Er brauchte einige Zeit, um die Bedienungsinstrumente zu
verstehen. So sehr unterschieden sie sich nicht von denen terranischer Transmitter. Endlich hatte er eine Verbindung zu einer Gegenstelle geschaltet, die in einer der äußeren Kugeln des Ysterioons lag. Auf dem Display leuchtete die Anzeige auf, die dies bestätigte. Nun stellte sich Atlan auf die Transportplattform. Das leuchtende Ei aus der Jenseitsmaterie von Hidden‐X war bis auf wenige Meter herangekommen. In diesem Moment gab sein Impulsstrahler ein Signal. Die Energie würde in einer Minute verbraucht sein. Für die endgültige Aktivierung des Transmitters würde Atlan etwas mehr Zeit brauchen. Ein Geistesblitz durchzuckte ihn im letzten Moment, während die Aggregate mit Energie aufgeladen wurden. Als die Waffe leer geschossen war, riß Atlan die Justierungshebel durcheinander. Ein schriller Warnton erfüllte die Luft, denn nun fehlte die Verbindung zur Gegenstelle. Das pulsierende Ei schwebte auf den Arkoniden zu, der auf dem Display die Sekunden bis zur Auslösung des Transmitters verfolgte. Knisternd baute sich der energetische Torbogen auf, der ihn unkontrolliert in den Raum abstrahlen würde. Als die Restzeit mit einer Sekunde angezeigt wurde, war die Jenseitsmaterie bis auf einen Meter an Atlan heran. Er schleuderte die nutzlose Waffe auf das unheimliche Ding und setzte zum Sprung an. Als der Torbogen des Transmitters hell aufleuchtete und der Entzerrungsschmerz aufbrandete, hechtete Atlan aus dem Transportfeld. Noch in der Luft machte er eine Drehung, um zu sehen, was hinter ihm geschah. Das pulsierende Ei blähte sich zur Größe eines Balles auf und wurde von dem Transportfeld weggerissen. Der schrille Warnton verstummte, und die Aggregate liefen aus. Atlan wartete vergeblich darauf, daß sein Verfolger wieder
erschien. Er war erst davon überzeugt, diesen Feind ausgeschaltet zu haben, als sich der mentale Druck der Statue bemerkbar machte. Die Worte blieben dem Arkoniden unklar, aber was Hidden‐X empfand, spürte er deutlich. Wut, Ärger … und Panik! Er hatte gesiegt. Die Jenseitsmaterie mußte irgendwo in den Dimensionen verweht sein. Noch taumelnd machte sich Atlan auf den Rückweg. Der Kampf war noch nicht zu Ende, und Chart Deccon lag verletzt in einem der Korridore. Ohne Behinderung kam er an den Ort, wo er den Solaner verlassen hatte. Chart Deccon war jedoch verschwunden. Die Bluttropfen aus seiner notdürftig verbundenen Wunde wiesen Atlan den Weg. Er folgte dieser Spur. Schon nach wenigen Metern merkte er, daß der High Sideryt sich bemüht hatte, in den Innenraum zu gelangen. Vier bewußtlose Roxharen traf Atlan an, die der Verwundete noch überwältigt haben mußte. Atlan nahm einem davon zwei Waffen ab. Die Blutspur wurde immer deutlicher. Es war für Atlan fast unerklärlich, daß Deccon die Kraft aufgebracht hatte, sich so weit zu schleppen. Dann öffnete sich der Gang in den Innenraum der Tabuzone. Direkt am Eingang lag der Solaner am Boden. Er grinste breit, als er Atlan erkannte. »Kosmokratenknecht. Du hast es geschafft.« Atlan schleppte den Verletzten hinter einen Vorsprung, so daß er die nächsten Eingänge im Auge behalten konnte. »Was zieht dich hierher zurück?« fragte er den Solaner. Chart Deccon deutete auf die leuchtende Statue. In diesem Moment kamen Wyltʹ‐Rong und mehrere Roboter aus einem Torbogen in die Halle.
8. Mein Tod Wer alles weiß, macht sich auch Gedanken über sein Ende. Da ich weiß, daß ich endlos bin, gibt es für mich keinen Tod. Oder? Manchmal plagen mich Zweifel. Die vielen Institutionen, die ich im Lauf der Äonen aufgebaut habe, lassen sich nicht restlos überwachen. Einige, die mir unwichtig oder lästig erschienen, habe ich in der jüngsten Vergangenheit weitgehend aus meiner Kontrolle entlassen. Droht mir von dort der Tod? Ist vielleicht ein Volk nach dem Wegfallen der geistigen Fessel so sehr erstarkt, daß es es wagt, gegen mich vorzugehen? Ich fühle nach Roxha. Die Bindung dorthin habe ich so sehr eingeschränkt, daß die Roxharen sie kaum noch spüren. Oder ist sie schon ganz erloschen? Chail – ich mußte diese Welt aufgeben. Und damit die Roxharen. Es war die Schuld der fremden Zwerge, die eine mächtige Bewegung in Szene gesetzt hatten. Nicht daß ich eine Niederlage erlitten hätte! O nein! So kann man das nicht nennen. Es war mein freier Entschluß, mich dort nicht mehr in die lästigen Auseinandersetzungen zu mischen. Droht mir von den Chailiden der Tod? Haben sie erkannt, wie sehr ich sie gelenkt habe? Nein, sie sind kein rachsüchtiges Völkehen. Sie leben in ihren Meditationen. Also doch die Roxharen? Selbst wenn es so sein sollte. Ich könnte sie alle mit einem einzigen Schlag in meine geistige Fessel zwängen. Die Ysteronen sind harmlos. Die Strahlung, die ich in dem umgebenden Metall freigesetzt habe, läßt sie zu willenlosen Knechten werden. Von ein paar Immunen abgesehen, aber die gab es bei den Roxharen ja auch. Mein Tod wird an einer anderen Stelle vorbereitet. Es sind diese Zwerge, die in das Ysterioon eingedrungen sind. Sie befinden sich in der Nähe in einem Raumschiff, das sie SOL nennen. Ein
paar von ihnen sind sogar noch in meiner Nähe. WyltʹRong wird sie vernichten, bevor sie mir zu nahe kommen. Mein Tod, eine Unmöglichkeit! Vielleicht sollte ich den Boten der Kosmokraten besser beachten? Ich strecke sofort meine Fühler aus und sehe, daß er harmlos ist. Seine verschwommenen Gedanken sind von den unsinnigen Attributen Güte, Hilfsbereitschaft, Sehnsucht nach Frieden und Ordnung, sowie Erfüllung eines albernen Auftrags geprägt. Welch ein Narr! Und der andere, der in seiner Nähe ist? Er ist ein Nichts, der vom Tod gekennzeichnet ist. Er wird seine SOL nie wiedersehen. Er weiß das, und das macht ihn harmlos und ungefährlich. Also werde ich mich mehr auf diesen Atlan konzentrieren. Er lebt schon einige Äonen. Aber er ist nichts gegen mich. Seine materielosen Komponenten sind von einer lächerlichen Geringfügigkeit. (Allerdings haftet ihm der Odem der Kosmokraten an.) Wo ist die Gefahr, die ich ahne? WyltʹRong und seine Helfer? Unmöglich! Sie sind fest in meinem Bann. Sie können nicht anders handeln, als ich es will. Sie besitzen keine Erinnerung mehr an ihre Heimat Roxha. Ich habe sie ihnen genommen, damit sie nicht auf dumme Gedanken kommen können. Die Vernichtung der Station auf Pryttar war eigentlich in meinem Sinn. Dieses Ereignis hat aber auch gezeigt, daß ich die Zwerge nicht unterschätzen darf. Sie handeln entschlossen und kühn. Sie besitzen den Mut und die Findigkeit, die ich bei fast allen Hilfsvölkern vermißt habe, die ich im Lauf meines Daseins rekrutiert habe. Pryttar hatte seinen Zweck erfüllt. Die Ysteronen waren fleißig gewesen. Jeden erreichbaren Planeten haben sie genommen, wenn mein Befehl ihre Emotionen weckte. Sie haben die Voraussetzung für das Flekto‐Yn geschaffen. Eigentlich brauche ich sie nicht mehr. Hat das etwas mit meinem Tod zu tun? Warum lenke ich meine
Gedanken immer wieder auf diesen Punkt? Ich erkenne eine seltsame Kette, die in einem Zusammenhang steht. Das Auftauchen dieses Arkoniden Atlan, des Boten der Kosmokraten. Sein Weg führte ihn zielstrebig zu dem Mann, der ihn nach Chail bringen sollte – Akitar. Dann traf er dort auf die Roxharen, auf MEINE Roxharen. Ich erhielt eine erste Warnung, als Chail in den Kern einer Zelle verwandelt wurde, die nicht den Wünschen meines Auftraggebers entspricht. Habe ich diese Warnung falsch eingeschätzt? Ist sie die Ursache meiner Todesahnungen? Der Weg des Boten verlor nichts an seiner Zielstrebigkeit. Er ahnte es wohl selbst nicht, als er am Rand von All‐Mohandot auf die Spuren der Ysteronen stieß. Wieder blieb er konsequent. Er suchte die Macht, die hinter allem agierte. Ersuchte mich! Er fand die Roxharen, die mir hier dienen und helfen. Fand er mich? Ist er es, der meinen Tod will? Ich taste mich unbemerkt in seine Gedanken und ziehe mich auflachend zurück. Er ist ein Narr, denn er empfindet keinen Haß gegen mich. Er will nicht einmal meinen Tod! Er will mich BEFREIEN! Die Kosmokraten müssen wahnsinnig geworden sein, einen solchen Schwächling zu schicken. Ich werde ein leichtes Spiel haben, wenn ich in der Zukunft die Barrieren der Materiequellen überwinde und die Narren aus ihrem kosmischen Versteck locke. Sie behindern sich gegenseitig, Atlan und Chart Deccon. Der waidwunde Solaner ist … Da geschieht etwas, was meiner Aufmerksamkeit zu entgleiten droht. Es ist der Odem der Kosmokraten, der an dem Mann haftet. Das irritiert mich. WyltʹRong! Mach dem Spuk ein Ende! Ich bin es leid! Ich entlade einen Strom psionischer Energien, um die Ruhe in meinem Bereich wieder herzustellen.
Da ist der Tod. Er greift nach Chart Deccon. Gleich wird der Arkonide mit seinem widerwärtigen Odem allein sein. Dann hat WyltʹRong leichtes Spiel. Ich werde ihn belohnen. Er soll erfahren, wo Roxha, der Ort seiner Geburt … LEERE! Alles um mich herum ist plötzlich leer. Die schützende Hülle der Statue! Was ist mit ihr geschehen? Was ist mit mir geschehen? Seth‐Apophis! Hilf mir! Das ist … … mein Tod! * »Nicht schießen!« flüsterte der Solaner eindringlich. Dann zog er zwei Geräte aus seiner zerrissenen Kombination und verband sie mit einem kurzen, dicken Kabel. Schließlich klappte er eine Oberseite auf. Atlan erkannte eine Parabolantenne. »Die Energie reicht für wenige Minuten«, erklärte Deccon stöhnend. »Ich habe den Projektor von der SEARCHER. Paß auf!« Er betätigte einen Sensorknopf. Die Antenne richtete er auf den Oberkörper der Statue. »Du mußt dich so bewegen, als ob du klettern würdest«, verlangte Deccon. Atlan hatte inzwischen die Absicht des Solaners teilweise durchschaut. Er wollte Projektionen ihrer Körper auf der Statue erzeugen. Tatsächlich schälten sich dort zwei Figuren heraus, die Atlan und Deccon vollkommen glichen. Es dauerte, nur Sekunden, bis WyltʹRong sie entdeckt hatte. Sein Feuerbefehl ging an die Roboter. Deren Flammenstrahlen jagten durch die Halle auf die Statue zu. Die Projektionen blieben jedoch unversehrt.
WyltʹRong tobte wie ein Wilder und beteiligte sich ebenfalls an dem sinnlosen Versuch. Der Energieschirm der Statue glühte auf. Er warf die abgestrahlten Schüsse auf die vermeintlichen Angreifer zurück. Die Roboter wurden innerhalb weniger Sekunden zerstört. Der Roxhare reagierte viel zu spät. Plötzlich stand er allein da. »Hurra!« brüllte Chart Deccon und machte damit WyltʹRong auf sich aufmerksam. Ein Schuß des Bepelzten zischte durch die Halle und traf den Solaner in die Schulter. Dann hatte Atlan WyltʹRong mit dem Paralysator niedergestreckt. »Verdammt!« schimpfte Deccon und hielt sich die getroffene Schulterpartie. »Das läßt sich alles wieder zusammenflicken«, wollte Atlan den Solaner beruhigen, aber der schüttelte den Kopf. »Ich werde jetzt etwas tun, mein Freund«, keuchte Chart Deccon, »womit du nicht einverstanden sein wirst. Das ist mir aber egal. Ich habe nicht viel Zeit, denn der mentale Druck nimmt wieder zu. Außerdem habe ich nicht mehr lange zu leben. Meine Verwundungen sind so schlimm, daß alles sinnlos ist. Du weißt, daß ich einmal in meinem Leben eine menschliche Tat vollbringen wollte. Vielleicht hilft sie mir, mich bei meinen Solanern zu rehabilitieren.« »Was hast du vor, Chart?« fragte Atlan dumpf. Er beobachtete weiter die Halle, weil er mit neuen Gegnern rechnen mußte. Dadurch entging ihm, daß Chart Deccon ein weiteres Kästchen aus seiner Kombination holte. Er warf es Atlan vor die Füße. Im gleichen Augenblick baute sich ein Energiefeld auf, das den Arkoniden einhüllte. Er konnte sich nur noch wenige Millimeter bewegen. Das Fesselfeld drückte schwer auf seine Brust. »Was soll das, Chart?« »Beruhige dich, Kosmokratenknecht.« Der Verwundete stöhnte auf, als er sich bewegte. »Ich muß dich für eine kurze Zeit
kaltstellen. Du wirst es mir verzeihen. Die Energie des Fesselfelds ist auf etwa zehn Minuten eingestellt. Dann bist du wieder frei.« »Schalte sofort den Kasten ab«, drängte Atlan, aber Deccon gab ihm keine Antwort. Er zog seine Kombination aus und legte sie auf den Boden. Dann nahm er das Kästchen mit der goldenen Kette ab. »Ich zeige dir jetzt, wie man es öffnet«, erklärte der High Sideryt stöhnend vor Schmerzen. »Du wirst es öffnen, wenn du wieder auf der SOL bist.« Er erklärte Atlan den Code, der in den zahlreichen Verzierungen verborgen war. Auf den ständigen Protest des Arkoniden ging er mit keinem Wort ein. »Du wirst auf Probleme stoßen, mein Freund«, fuhr Deccon scheinbar unbekümmert fort. »Es hat sich viel getan auf der SOL, seit du mit der SZ‐2 gestartet bist. Ich habe dir kurz von Order‐7 berichtet. Er ist ein Geschöpf des Teufels oder irgendwelcher negativer Mächte, die dich an der Durchführung deines Auftrags hindern wollen. Befreie meine Solaner von ihm. Du wirst tatkräftige Helfer finden.« »Was hast du vor, Chart?« fragte Atlan noch einmal eindringlich. Jeder Versuch, das energetische Fesselfeld zu entfernen, scheiterte. Die Schalteinheit befand sich außerhalb seiner eingeschränkten Reichweite. Chart Deccon begann sich vollständig zu entkleiden. Atlan sah nun, daß der Mann schwerer verwundet war, als er es zunächst bemerkt hatte. Jede Bewegung des kräftigen Solaners mußte diesem Höllenschmerzen bereiten, aber Deccon verfolgte stur seinen einmal gefaßten Plan. Als er ohne jedes Kleidungsstück neben Atlan auf dem Boden hockte, nahm er drei taubeneigroße Körper aus der Kombination, drückte einen Sensorknopf und verschluckte die kleinen Metalleier. »In drei Minuten gehen sie hoch, mein Freund«, erklärte Chart Deccon. »Du hast gesehen, wie WyltʹRong in die Statue ging. Der
Energieschirm von Hidden‐X reagiert aus irgendwelchen Gründen nicht auf organische Materie. Ich hoffe, daß er nicht merkt, daß ich die Eier verschluckt habe.« »Du bist wahnsinnig geworden, Chart«, stöhnte Atlan. »Durchaus nicht, mein Freund. Ich weiß genau, was ich tue. Hidden‐X hält mich für unwichtig. Er beachtet mich nicht. Das ist mein Vorteil, und den werde ich nutzen. Lebe wohl, Kosmokratenknecht. Und behalte mich in guter Erinnerung.« Atlan schloß die Augen. Er fühlte sich ohnmächtig und wünschte sich, daß alles nur ein böser Traum sei. Als er die Augen wieder öffnete, sah er die nackte Gestalt Deccons an dem Sockel hochklettern. Der Solaner winkte noch einmal zurück. Dann ging er auf die Stelle zu, an der WyltʹRong die Statue betreten hatte. Er durchquerte den Energieschirm, ohne behindert zu werden. Die dunkle Öffnung dahinter verschluckte den Mann. Im gleichen Moment fiel das Fesselfeld zusammen. Atlan stand wie versteinert da. Jede Faser seines Körpers schien zu schmerzen, und seine Gedanken überschlugen sich. Die drei kleinen, runden Körper, die Chart Deccon verschluckt hatte, kannte Atlan unter dem Namen Hyperschockbomben, denn sie legten für Sekundenbruchteile nach der Auslösung Hyperenergien frei, die alle Materie auflösten. Der Einsatz dieser Waffe unterlag besonderen Beschränkungen, weil die Auswirkungen nicht vollständig bekannt waren. Verschwinde aus der Halle! warnte sein Extrasinn. Der Arkonide rannte los. Sein Weg führte ihn zuerst zu dem noch besinnungslosen WyltʹRong. Er warf sich den Roxharen über die Schulter. In dieser Sekunde drohte sein Kopf zu zerspringen. Atlan taumelte zur Seite und ließ den Roxharen wieder fallen. Ein gewaltiger Druck schien ihn zerquetschen zu wollen. Dazu brandete ein tierischer Schrei durch sein Bewußtsein.
Auch WyltʹRong wurde mit ganzer Wucht erfaßt. Seine Augen starrten voller Unverständnis auf die Statue, die grell aufleuchtete. Der Energieschirm waberte in losen Fetzen durch die Halle, und das blanke Nikkel darunter wurde an mehreren Stellen sichtbar. Risse bildeten sich auf der Oberfläche und weiteten sich rasch zu tiefen Spalten aus. Dahinter glühte eine undefinierbare Masse. Dann folgte eine lautlose Explosion. Die ganze Statue sank im Zeitlupentempo in sich zusammen. Der tierische Schrei verstummte. Noch glühte etwas über dem zerstörten Podest. Es zerflog erst, als der ganze Sockel mit den Trümmern der Statue in die Höhe gerissen wurde. Eine letzte Explosion mit grellen Flammen löschte endgültig alles aus. Brocken aus Nickel flogen durch die Luft, die plötzlich glühend heiß war. Atlan hielt schützend beide Hände vor sein Gesicht. Neben ihm sank WyltʹRong auf die Knie und stürzte dann vornüber auf das Gesicht. Ein Trümmerstück traf Atlan am Kopf und raubte ihm die Besinnung. Als er das Gefühl hatte, in eine unendliche Tiefe zu stürzen, berührte ihn der Hauch eines Gedankens. In seinem Unterbewußtsein entstand das Bild eines lachenden und völlig gesunden Chart Deccon. Dann verflog dieses Bild eines Zufriedenen, und die schützende Bewußtlosigkeit hüllte den Arkoniden ein. Er wußte nicht, wie lange er so gelegen hatte, als er die Augen wieder aufschlug. WyltʹRong beugte sich über ihn. Auch der Roxhare war verwundet. Sachkundig hatte er einen Schnellverband auf Atlans Kopfwunde gelegt. WyltʹRong sagte etwas, aber Atlan merkte, daß sein Translator nicht mehr arbeitete.
Das kleine Gerät lag wenige Schritte neben ihm. Der Roxhare stand starr da und blickte Atlan ernst an. Von seiner Überheblichkeit fehlte jede Spur. »Ich weiß nicht«, sagte Wyltʹ Rong unsicher, »ob du mir und meinen Leuten verzeihen kannst, aber du solltest wissen, daß wir nicht aus eigenem Antrieb so gehandelt haben.« »Ich weiß es, WyltʹRong. Der Kampf ist aus.« »So ist es. Der geistige Faktor ist gegangen. Wir sind wieder frei.« »Auch die Ysteronen sind nun frei. Der Kampf ist zu Ende.« »Ich werde meine überlebenden Leute suchen«, erklärte der Roxhare matt. »Vielleicht können wir noch eine Zelle startklar machen und unsere Heimat Roxha suchen.« Atlan starrte sinnend auf die zerstörte Statue. »Ich habe einen guten Freund verloren, WyltʹRong«, sagte er wie in einem Selbstgespräch. »Er hat sich für uns geopfert, als er gerade mein Freund geworden war.« »Ich bin sicher kein Ersatz für ihn.« WyltʹRong streckte Atlan seine Hand entgegen. 9. Meine Zukunft Ich mußte meine Fühler aus allen Teilen der Materie ziehen. Ich mußte mich selbst vor dem Untergang bewahren. Ich mußte an das denken, was jetzt nur noch zählte, an meine Zukunft. Sie haben mich geschlagen, diese Wichte. Ich sammle die Teile meines körperlosen Ichs weit außerhalb von All‐ Mohandot. Es fehlen viele Komponenten. Sie sind zwischen den Dimensionen verweht. Sie werden nie wieder zu mir finden. Ich bin schwach, aber ich habe eine Zukunft. Es wird nicht allzu lange dauern, bis ich die verlorenen Teile erneuert habe. Das Flekto‐Yn wartet auf mich. Dort werde ich mich regenerieren, vervollkommnen.
Dann werde ich für meine Zukunft sorgen. Ich habe jetzt nur noch einen Baustein, aber der ist so mächtig, daß ich auch ohne meine psionischen Energien meinen Herrschaftsbereich kontrollieren kann. Meine Vergangenheit ist nicht mehr wichtig. Der Schöpfer hat mich vergessen. In meiner schlimmsten Phase hat er mir nicht beigestanden! Ich werde auch ihn vergessen, denn sein Auftrag ist erfüllt. Meine Erfolge, auch sie kann ich vergessen. Es werden neue Erfolge erzielt werden, denen gegenüber sich die vergangenen lächerlich ausmachen werden. Meine Namen? Ich will sie vergessen. Bis auf einen, der mich fortan begleiten wird: HIDDEN‐X. Mein Wissen und meine Träume werden mich ewig begleiten, aber ich werde meine Träume in Wirklichkeit verwandeln. Meine Feinde! Das ist der entscheidende Faktor für mein zukünftiges Handeln. Ich habe Feinde. Ich kenne sie. Es sind Zwerge, aber sie sind mutig. Atlan und seine Solaner. Ich werde den Kosmos in eine Hölle verwandeln, in der ihr Stück für Stück erkennen sollt, wer euch mit mächtiger Faust zerquetscht! Wartet nur, ihr, die ihr es gewagt habt, mich anzugreifen! Noch lebe ich! Es gibt keinen Tod für HIDDEN‐X, nicht jetzt, nicht in der Zukunft. Ich tanke meinen unsichtbaren Körper mit den Energien der Dimensionen auf und warte. Dann weiß ich, daß kein Teil mehr kommen wird. Die Substanz ist zerstört. Die Phase der Regeneration beginnt. Langsam senke ich mich in eine Schicht am Rand der realen Welt, um schnell die Entfernung zu überbrücken, die mich zu meiner Heimstatt bringt. Während ich durch die Zwischenräume der Dimensionen eile, trägt mich nur ein Gedanke. Es ist der Gedanke, der den Grundstein für meine Zukunft setzen wird. Ich werde Atlan und seine Solaner aus diesem Universum fegen!
* Atlan stand nachdenklich vor den Bekleidungs‐ und Ausrüstungsgegenständen, die Chart Deccon zurückgelassen hatte. Dann bückte er sich und hob das geheimnisvolle Kästchen des toten High Sideryt auf. Seine Hand strich gedankenverloren über die Verzierungen. »Sein Inhalt ist wichtig für die Zukunft der SOL«, murmelte der Arkonide. »Das war es wohl, was Chart hatte ausdrücken wollen.« Er verstaute den flachen Behälter in seineBrusttasche und sah sich um. Auf der anderen Seite der verwüsteten Halle begann WyltʹRong damit, seine Leute zu sammeln. Etwa ein Dutzend Roxharen hatten sich dort aus der näheren Umgebung eingefunden. Sie wirkten völlig verstört, seit der lenkende Einfluß ihres geistigen Faktors verschwunden war. Wenig später stürmte eine Gruppe Ysteronen in den Raum. An ihrer Spitze eilte Girgeltjoff auf Atlan zu. »Du lebst«, dröhnte seine Stimme begeistert, »und die Statue ist vernichtet.« . »So ist es«, entgegnete Atlan. »Aber Chart Deccon ist tot. Ob die Macht in der Statue wirklich tot ist oder ob sie nur in die Flucht geschlagen wurde, weiß ich nicht. Ich bin mir aber nach allem, was geschehen ist, ziemlich sicher, daß sie nicht mehr an diesen Ort der Niederlage zurückkehren wird.« »Wir haben uns jetzt selbst erkannt«, erklärte ein älterer Ysterone. Atlan erkannte, daß es Yaster‐Yaster war. »Wir werden unser Leben ändern und uns gegen Feinde, wie die Statue es war, wappnen. Unser technisches Potential ist groß. Wir wollen in Frieden mit den anderen Völkern von All‐Mohandot leben. Wir wissen, daß wir viel an Wiedergutmachung zu leisten haben. Das wird uns eine lange Zeit beschäftigen. Unsere Heimatwelt soll wieder entstehen, hier, als Planet, der Kores umkreist. Unsere starken Gravitationsstrahler
können dies alles bewirken. Wir arbeiten auch bereits an einem Plan, wie die vielen zerstörten Planeten in der Randzone von All‐ Mohandot wieder zusammengefügt werden könnten. Unsere Raumstationen mit den Projektoren stehen dort nutzlos und unversehrt herum. Sie sollen unter unseren Händen das wieder entstehen lassen, was sie vernichtet haben.« »Das ist ein guter Plan, Yaster‐Yaster«, antwortete Atlan zufrieden. »Und es ist eine große Aufgabe, die eurem Dasein einen Sinn geben wird. Ich habe den sehnlichsten Wunsch, daß All‐Mohandot eine Region des Friedens wird. Noch weiß ich nicht, wie die Pluuh reagieren werden, aber das wird sich sicher bald zeigen. Ich wünsche euch viel Glück und Erfolg.« Plötzlich gab Atlans Funkgerät einen Signalton von sich. Sekunden später erschien der Kopf von Bjo Breiskoll auf dem kleinen Bildschirm. Der Katzer war hochgradig erregt und wollte wissen, was geschehen ist. Atlan berichtete mit knappen Worten von den jüngsten Ereignissen. Chart Deccons Tod verschwieg er noch, denn er wollte auf der SZ‐2 keine Panik auslösen. »Wir sind tagelang um das Ysterioon gekreist«, antwortete der Mutant. »Das ganze Kugeloktogon war ständig von einem undurchdringlichen Energieschirm eingehüllt gewesen. Wir bekamen weder Funkkontakt, noch konnte ich einen Gedanken aufschnappen. Ich bin mit einer Korvette hier und docke an der Mittelkugel an.« Girgeltjoff und Yaster‐Yaster kümmerten sich sofort darum, daß Breiskoll empfangen und zu Atlan gebracht wurde. Während der Arkonide wartete, kam WyltʹRong zu ihm. Der Roxhare wirkte noch immer benommen und niedergeschlagen. »Es sieht nicht gut aus für uns«, sagte er kleinlaut. »Mit mir sind es 28 Mann, die das Debakel überlebt haben. Unsere Zellen sind ausnahmslos unbrauchbar. Wir können diese Stätte nicht verlassen.« »Ich nehme euch mit«, versprach Atlan. »Und wenn ihr nicht wißt,
wo Roxha liegt, dann werden wir auch das Probelem lösen und eure Heimatwelt finden.« Die Augen des bepelzten Rattenwesens strahlten tiefe Dankbarkeit aus. Eine halbe Stunde später war Atlan mit den Roxharen an Bord der Korvette, die ihn zur SZ‐2 bringen sollte. Das Teilschiff der SOL wartete unter dem Kommando der Magniden Brooklyn und Palo Bow in der Nähe des Trümmerrings. Atlan sprach noch einmal über Funk mit den Ysteronen und sicherte ihnen jede Hilfe zu, wenn es zu Schwierigkeiten kommen würde. Seit der Auflösung von Hidden‐X gab es keine technischen Probleme mehr. Mehrfache Messungen und Überprüfungen zeigten eindeutig, daß alle manipulierenden Strahlungen des Ysterioons verschwunden waren. Als die Korvette in den riesigen Bauch der SZ‐2 schwebte, schaltete Atlan eine Verbindung zur Hauptzentrale, wo man natürlich längst über seine Rückkehr Bescheid wußte. Brooklyn meldete sich. Ihr Gesicht zeigte Spuren der Erleichterung. »Ich habe euch eine wichtige Mitteilung zu machen«, sagte Atlan. »Trommelt die Führungsspitze zusammen.« »Das geht in Ordnung, Atlan«, entgegnete die Magnidin. »Hier sind auch noch ein paar Leute, die dich unbedingt sprechen wollen, nämlich Lyta Kunduran und der Wissenschaftler Hage Nockemann. Der High Sideryt wird dir sicher auch schon einiges berichtet haben.« Sie stutzte plötzlich. »Wo steckt Chart?« fragte sie dann in einer Vorahnung. »Deswegen muß ich die Führungsleute sprechen.« *
Etwa 30 Menschen waren in dem Versammlungsraum neben der Hauptzentrale versammelt. Atlan hatte auch WyltʹRong mitgebracht. Die Begrüßung mit seinen Freunden fiel in Anbetracht der Umstände sehr kurz aus. »Solaner«, begann der Arkonide. »Chart Deccon, euer High Sideryt, ist tot. Er hat sich geopfert, um uns und die Ysteronen und sicher noch andere Völker von der grausamen Macht eines Wesens zu befreien, das geistiger Faktor oder Hidden‐X genannt wurde. Bevor er starb, wurde er mein Freund. Die Einzelheiten berichte ich euch später.« Keiner der Anwesenden sagte ein Wort. Nur die Magniden schauten sich gegenseitig durchdringend an. »Wie ihr wißt, wird gemäß einer alten Tradition der Name des Nachfolgers von dem jeweiligen High Sideryt in einem Spezialspeicher von SENECA festgehalten. SENECA können wir jetzt nicht befragen. Er ist auf einem anderen Teil der SOL, wo eine Imitation Deccons dessen Rolle übernommen hat. Chart hat mir aber vor seinem Tod etwas übereben.« Atlan zog das Kästchen aus seiner Brusttasche. »Es war sein Wille, daß ich es öffne, wenn ich wieder an Bord der SOL bin. Die SZ‐2 ist ein Teil der SOL. Ich glaube, daß ich in Charts Sinn handle, wenn ich das Geheimnis des Inhalts hier vor euer aller Augen lüfte.« Atlans Hände glitten über die verborgenen Sensoren in den Ornamenten, so wie es ihm Chart Deccon gezeigt hatte. Eine Schmalseite des Kästchens öffnete sich mit einem Klicken. Der Arkonide zog ein vergilbtes Bild heraus und betrachtete es. Dann legte er es auf einen Projektor, der eine Vergrößerung an eine freie Wand warf. Auf dem Bild war eine Frau von etwa dreißig Jahren zu erkennen, die einen kleinen Jungen im Arm hielt. Darunter stand in der Handschrift Deccons der Satz: Mein Nachfolger als High Sideryt!
Die Schrift war so angebracht, daß man sofort erkennen konnte, daß der kleine Junge damit gemeint war. Gemurmel kam in dem Raum auf. Schließlich machte sich Brooklyn zur Sprecherin der Anwesenden. »Wir kennen diese Personen nicht. Die Frau besitzt eine gewisse Ähnlichkeit mit Tineidbha Daraw, die Deccons Vorgängerin war. Palo meint, daß sie eine jüngere Schwester gehabt hatte, die aber schon vor vielen Jahren gestorben ist. Eventuell ist das diese Frau, die Schwester von Deccons Vorgängerin.« »Und wer ist der kleine Junge?« fragte Atlan. Die Gesichtszüge des Knaben kamen ihm irgendwie vertraut vor. Sein fotografisches Gedächtnis versagte hier jedoch, denn es mußten viele Jahre zwischen dieser Aufnahme und dem jetzigen Tag liegen. »Dann müssen wir wohl abwarten«, meinte Palo Bow mürrisch, »bis wir wieder mit der restlichen SOL vereinigt sind.« »Das kann Monate dauern, Palo.« Auch Brooklyn war irgendwie enttäuscht. Sie drehte sich den Versammelten zu und rief laut: »Ist denn wirklich niemand hier, der diesen Jungen kennt oder sich an ihn erinnert?« Eine Welle des Schweigens schlug der Magnidin entgegen. Keiner rührte sich von der Stelle, denn die Bedeutung des Amtes, um das es hier ging, war jedem bewußt. Schließlich drängte sich ein Mann aus den hinteren Reihen nach vorn. Sein Gesicht wirkte viel älter, als er mit seinen 42 Jahren aussah. Die Mundwinkel zuckten nervös. »Der Weg nach Varnhagher‐Ghynnst ist noch weit, Atlan«, sagte er zu dem Arkoniden. »Aber es sieht so aus, als ob wir ihn gemeinsam gehen werden.« Er zog ein zerfleddertes Bild aus seiner Tasche und reichte es Atlan. Der warf nur einen kurzen Blick darauf und erkannte, daß es dem
aus Chart Deccons Kästchen vollkommen glich. »Der Junge auf dem Bild bin ich«, erklärte Breckcrown Hayes leise. ENDE Hidden‐X hat im Entscheidungskampf, bei dem Chart Deccon den Tod fand, eine empfindliche Niederlage erlitten. Doch Atlan, dessen Freund und Helfer Breckcrown Hayes zu Deccons Nachfolger bestimmt ist, hat keinen Grund, ob der neuen Entwicklung zufrieden zu sein – dazu türmen sich zuviele neue Schwierigkeiten auf. Mehr zu diesem Thema berichtet Peter Griese im Atlan‐ Band der nächsten Woche. Der Roman trägt den Titel: DER NEUE HIGH SIDERYT