KLEINE
BIBLIOTHEK
DES
WISSENS
LUX-LESEBOGEN NATUR-
UND
KULTURKUNDLICHE
HEFTE
GÖTZ WEIHMANN
Hubschrauber
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KLEINE
BIBLIOTHEK
DES
WISSENS
LUX-LESEBOGEN NATUR-
UND
KULTURKUNDLICHE
HEFTE
GÖTZ WEIHMANN
Hubschrauber
VERLAG MURNAU
SEBASTIAN
-MÜNCHEN
LUX
-INNSBRUCK-ÖLTEN
"So kommen wir nicht weiter, meine H e r r e n ! " Mister Sherwood, Vorsitzender der Tierforschungsanstalt in Onderstepoort in Südafrika, unterbrach mißmutig und enttäuscht die heftige Diskussion seiner Mitarbeiter. „ W a s Sie, meine Herren, bisher vorgeschlagen haben", sagte er, während das Hin und Her der Meinungen langsam zur Ruhe kam, „all das haben wir bereits versucht; aber alles, was wir auch unternommen haben, ist fehlgeschlagen oder hat nur geringen Erfolg gehabt. Die Tsetsefliege, die den Menschen die Schlafkrankheit und den Tieren tödliche Entkräftung bringt, ist aus unseren Freiwildgebieten im Zululand mit den herkömmlichen Mitteln nicht mehr zu vertreiben. Sie erinnern sich an unsere vielen Aktionen zur Vernichtung der Tsetse", fuhr der Gelehrte fort. „ W i r haben die Eingeborenen mit engmaschigen Schmetterlingsnetzen ausgerüstet und sie ermuntert, in Massen Jagd auf die Fliege zu machen, weil wir hofften, das Insekt wegen seiner geringen Fortpflanzungskraft auf diese Weise zum allmählichen Aussterben zu bringen. Wie sie wissen, kamen wir nicht zu dem erwarteten Ergebnis. Wir haben
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dann den Fang mit Hilfe der Harris-Falle mechanisiert. Mit Schrecken werden Sie heute noch an die hohen Kosten denken, die uns diese fast vergebliche Aktion verursacht hat. Denken Sie auch daran, daß wir das Problem durch Abholzen und Ausschlagen der Brutplätze erfolglos zu lösen versucht haben. Selbst das radikalste Mittel, die Ausrottung des gesamten Großwildbestandes in den Reservaten, hat uns nichts eingetragen. Wir haben diese Maßnahme seinerzeit auf Betreiben der Farmer treffen müssen, weil das Vieh in den angrenzenden Weidegebieten durch die herüberschwärmenden Fliegen immer wieder von Erregern befallen wurde: aber der geringe Erfolg hat auch, dieses schmerzliche Opfer nicht gelohnt. Die Tsetsefliege, der wir mit dem Wild die lebensnotwendigen Blutspender entziehen zu können glaubten, war hartnäckiger als wir." Vom anderen Ende des Konferenztisches meldete sich Mister du Toit. „Mister Sherwood! Sind wir nicht mit dem Flugzeug und den DDT-Giften ein gut Stück vorwärtsgekommen? Diese Aktion sollte man ausbauen und weitertreiben, meine ich." „Ich gebe zu, wir haben damit einiges erreicht", erwiderte der Vorsitzende mit einer beifälligen Verbeugung zum Sprecher hinüber. „Es ist allein Ihr Verdienst, Mr. du Toit, die Chemie und das Flugzeug in unsere Bekämpfungsmaßnahmen einbezogen zu haben. Wir haben durch Versprühen einer flüssigen DDT-Lösung aus der Luft in nur neun Flügen das zweihundertfünfzig Quadratkilometer große Mkusi-Reservat von der Tsetse befreit. Ein erfreulicher Erfolg, gewiß! Aber, meine Herren, für unsere beiden anderen Reservate, das Umfulosi- und das Hluhluwe-Gebiet, reicht diese Bekämpfungsmethode auch in Verbindung mit den Bodensprühgeräten nicht aus. Das Gelände ist von Tälern und Einschnitten kreuz und quer durchzogen und viel zu stark gegliedert, als daß ein schnellfliegendes Flugzeug das Abwehrmittel überall hintragen könnte, wo es nötig wäre. Wir müssen neue Wege zu gehen suchen. Lassen Sie es mich kurz machen: Es liegt mir ein Vorschlag vor, statt eines gewöhnlichen Flugzeugs einen Helikopter einzusetzen. Wie Ihnen bekannt ist, vermag ein solcher Hubschrauber nicht nur senkrecht zu starten und zu landen und beliebig langsam zu fliegen, er kann sich auch wie ein Kolibri schwirrend an der Stelle 3
halten. Allein der Hubschrauber scheint mir das Instrument zu sein, DDT-Lösungen auch in die verstecktesten Winkel und die unzugänglichsten Klüfte abzusprühen. Ingenieur Carter hat sich freundlicherweise bereit erklärt, Sie mit den technischen Möglichkeiten dieses neuen Verfahrens bekannt zu machen. Ich bitte ihn, das Wort zu nehmen." Mr. Carter warf einen kurzen Blick in seine Notizen, erhob sich und legte dann in der nüchternen Sprache des Technikers seine Pläne vor. Es empfehle sich, so erklärte er, einen SikorskyHubschrauber zu verwenden, der an beiden Seiten des Rumpfes je einen Behälter mit 150 Liter Inhalt tragen könne. Da sich mit einem Liter etwa 5300 Quadratmeter einnebeln ließen, reiche die gesamte Ladung eines Startes für 1,6 Quadratkilometer aus. Bei einer durchschnittlichen Fluggeschwindigkeit von 80 Stundenkilometer sei diese Fläche in knapp 25 Minuten bestrichen. Ober besonders stark verseuchten Brutstätten könne der Hubschrauber einige Zeit im Schwebeflug verharren und so eine eindringlichere Wirkung erzielen. Durch das waagerecht liegende, rasch kreisende Flügelwerk, den Rotor, werde die Flüssigkeit besonders fein vernebelt und zugleich nach unten gedrückt. Die Anlage von Flugplätzen erspare man sich bei diesem Verfahren, da der Hubschrauber von jeder Stelle aus starten und überall landen könne, solange nur der Boden fest genug sei, das Flugzeug zu tragen. Carter ging dann auf Einzelheiten seines Feldzugs ein. An einer Wandkarte erläuterte er, wie er sich den Einsatz dachte. Er unterbreitete seine Kostenvoranschläge, überzeugte durch Tabellen und Statistiken und sprach dann davon, wie man in Zukunft nicht nur der verheerenden Tsetsefliege, sondern vielleicht auch anderen gefährlichen Massenschädlingen mit Hilfe des Hubschraubers zu Leibe rücken könne. Der Überzeugungskraft Mr. Carters gelang es, die Versammlung für seine Pläne zu gewinnen. Mr. Sherwood wurde beauftragt, zu möglichst günstigem Preis eine Maschine zu chartern; wenige W o chen nach der denkwürdigen Sitzung von Onderstepoort konnte sie zum erstenmal aufsteigen. Der Helikopter der Gesellschaft nahm den Kampf mit dem furchtbaren Gegner auf. über die befallenen Täler und Gründe legten sich nun Tag für Tag die dichten Nebelschichten und senkten sich die Sprühregen, gemischt aus DDT,
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Toluol- und Dieselöl. Bis in die abgelegensten Brutstätten der Tsetse breiteten sich die Giftschwaden und nebelten die Schädlinge auf den Ober- und Unterseiten der Blätter ein und töteten sie. Auf das Wild, auf Vögel und sonstiges Getier hatte der Gifttau keine nachteilige Wirkung. Die weltberühmten Freiwildreservate wurden von der Tsetseplage befreit. Auch die Besitzer der angrenzenden Waldgebiete atmeten auf: ihr Viehbestand war gerettet.
* Das war im Jahre 1948. Es war einer der ersten und zugleich großartigsten Erfolge, die mit einem Hubschrauber erzielt wurden. Es war ein Erfolg auf einem durch und durch friedlichen, allein dem Wohle der Menschheit dienenden Gebiet. In jenem Jahre 1948 waren Flugzeuge in der Erinnerung von Millionen von Menschen noch immer mit dem Gedanken an das eben erst zu Ende gegangene Kriegsgeschehen verknüpft. Größer, schneller, höher, kampfkräftiger, das waren in den Jahren zuvor die Ziele der Flugzeugingenieure gewesen. Aus der Erfüllung des uralten Menschheitstraumes, es dem Vogel gleichzutun, sich in die Lüfte zu erheben, nur um zu fliegen, war ein Alptraum aller Völker geworden. Nun endlich erinnerte der Bericht von der Ausrottung der Tsetsefliege im Zululand mit Hilfe eines Hubschraubers verstärkt wieder daran, welche segensreichen Aufgaben der Luftfahrt eigentlich gestellt sind. Und das Merkwürdige: die Maschine hatte ihre Leistungen deshalb vollbringen können, weil sie sich langsam und niedrig zu bewegen vermochte. Hier bahnte sich offenbar ein ganz neuer Zweig der Flugtechnik an, der mit der bisherigen Fliegerei fast nichts mehr zu tun hatte und der sich für eine Unzahl von friedlichen Verwendungen zu eignen schien. Die Tsetsebekämpfung in Südafrika war nicht die allererste friedliche Aktion eines Hubschraubers gewesen, und der verwendete Sikorsky-Helikopter auch nicht der erste seiner Art. Wir müssen weit bis in die zwanziger Jahre zurückgehen, wenn wir die Anfänge dieses Flugzeugtyps aufspüren wollen . . . 5
Ein Spanier setzt sich durch An einem Tage im Sommer 1922. Wieder einmal, wie schon so oft, geht der spanische Ingenieur Juan de la Cierva in seinem Arbeitszimmer ruhelos auf und ab. Ein Problem läßt ihm keine Ruhe, aber er kann den passenden Schlüssel zur Lösung nicht finden. Eben ist er vom Flugplatz gekommen, wo er wieder einmal viele Stunden lang den Start- und Landeübungen der Piloten beigewohnt hat. Start und Landung - das sind seit je die kritischen Augenblicke für den Flugzeugführer. Und was für eine Rollbahn braucht man dafür! Zweihundert, dreihundert, ja fünfhundert Meter beträgt in jenen Jahren der Anlauf für einen Flugzeugstart mit langsam sich steigernder Geschwindigkeit, bis endlich, endlich der Auftrieb der Tragflächen das Gewicht der Maschine übersteigt und der Pilot den Steuerknüppel anziehen kann . . . Der Auftrieb - das ist das A und O der ganzen Fliegerei! Juan de la Cierva weiß natürlich: Das Flugzeug fliegt nur deshalb, weil seine Flügel nicht waagerecht am Rumpf befestigt sind, sondern vorn etwas höher stehen als hinten. Dadurch staut sich beim Flug die Luft wie ein Polster unter dem Flügel und drückt ihn hoch; gleichzeitig bildet sich oberhalb des Flügels eine Luftverdünnung, die ihn nach oben zieht. Der Druck unter dem Flügel und der Sog über dem Flügel bilden zusammen den Auftrieb - genau wie beim Spielzeugdrachen, der auch nur fliegt, wenn er vorne höher steht als hinten; andernfalls schießt er zu Boden. Diese Luftkräfte werden aber nur dann geweckt, wenn sich das Flugzeug gegenüber der Luft bewegt. Deshalb eben der lange Anlauf: Der Pilot muß die Rollgeschwindigkeit am Boden so lange steigern, bis Druck und Sog am Flügel ausreichen, die Maschine hochzuheben. Dann gleitet sie wie auf einer schiefen Ebene aufwärts. Schiefe Ebene! Der Konstrukteur Cierva denkt nach: Das Luftpolster unter den Flügeln ist tatsächlich wie eine schiefe Ebene! Langsam gleitet die Maschine darauf empor. Dieser Vorgang will dem Erfinder seit einiger Zeit nicht aus dem Kopf. Ist es doch der Nachteil der schiefen Ebene, daß sie nicht nur ein Aufwärts, sondern auch ein Vorwärts bedeutet - und deshalb eben die Anlaufbahn erzwingt. Man müßte aufwärtskommen o h n e jedes Vor6
wärts, also nicht auf einer schiefen Ebene, sondern auf einer Schraubenbahn! Die Sekunde, in der Juan de la Cierva diese Idee überkommt, ist die wichtigste seines Lebens. Aber er weiß es an jenem Sommertag noch nicht. Die Vorstellung der Schraubenbewegung beschäftigt seitdem den spanischen Ingenieur. Daß sich ein fester Gegenstand in der Luft vorwärtsschrauben kann, das beweist ihm jeder Flugzeugpropeller, der durch seine Drehung nicht nur sich selbst, sondern auch die ganze schwere Maschine vorwärtszieht. Und noch etwas fällt dem Spanier ein: daß schon im Jahre 1901 ein gewisser Hermann Ganswindt, Ostpreuße von Geburt und unglücklicher Erfinder von Beruf, eine Flugmaschine konstruiert hat, bei der ein riesiger Propeller waagerecht über dem Rumpf montiert war. Das Ding soll sich sogar mit zwei Mann Besatzung einige Meter „hochgeschraubt" haben und frei geflogen sein — als allererste Flugmaschine der Welt, noch zwei Monate vor dem Apparat der Gebrüder Wright! Allmählich gewinnen Ciervas Überlegungen Gestalt. Erst sind es Ideen, dann Skizzen, Berechnungen, Entwürfe, schließlich ausgereifte Konstruktionszeichnungen. Zwei Jahre gehen darüber ins Land. Dann ist es soweit: das erste Cierva-Flugzeug steht startbereit auf dem Flugfeld. Ein merkwürdiges Flugzeug! Es hat einen Rumpf wie jedes andere, und auch einen Zugpropeller vorn an der Schnauze: aber statt starrer Tragflügel ist ein waagerecht liegendes, mehrteiliges, breitausladendes Flügelwerk über dem Rumpf montiert. V i a flach gelegte Windmühlenflügel sieht dieses Drehwerk aus — und schon hat die Maschine ihren volkstümlichen Namen: „ W i n d mühlenf lugzeug''. Cierva nimmt im Führersitz Platz, der Motor wird angeworfen. Noch sind die Räder blockiert. Jetzt kuppelt der Pilot das Flügelwerk, den Rotor, ein, der langsam auf Touren kommt. Als eine gewisse Drehzahl des Rotors erreicht ist, schaltet Cierva auf „Zugpropeller" um, die Räder werden freigegeben, das Flugzeug rollt an. Aber es bleibt nur noch wenige Meter dem Boden verhaftet; denn die sich weiterdrehenden Windmühlenflügel entwickeln eine mächtige Schraubkraft nach oben und heben 7
„Windmühlenflugzeug" Ciervas mit vom Wind bewegtem Rotor über dem Rumpf und einem normalen Flugzeugpropeller vorn am Bug
die Maschine vom Boden ab. Cierva fliegt! Ober 12 Kilometer geht dieser erste Flug. Für die Vorwärtsbewegung sorgt in gewohnter Weise der kleine Zugpropeller, den Auftrieb aber erzwingen die sich ohne mechanischen Antrieb, ganz frei im Winde weiterdrehenden großen Rotorflügel, die wie Propeller nach oben wirken. Und das Wichtigste: schon eine Geschwindigkeit von 30 Kilometer in der Stunde reicht aus, die Flügelblätter in Rotation zu halten. Ja, bei späteren Flügen drückt Cierva die Geschwindigkeit bis auf 25 Kilometer in der Stunde herab. Das aber ist die großs Sensation: ein solch langsam fliegendes Flugzeug hat es bis dahin noch nicht gegeben. Ebenso sensationell ist die Landung: Cierva stellt einfach den Zugpropeller ab, und nun senkt sich das Flugzeug fallschirmartig langsam senkrecht zu Boden — der Rotor wie eine Ahornfrucht kreiselnd, die sich vom Zweig gelöst hat. Sanft setzt die Maschine auf . . . Das war im Jahre 1924. Cierva selbst nennt seine Konstruktion „Autogiro", das heißt „Selbstdreher", weil sich eben — abgesehen vom Anwerfen beim Start — der Rotor von selbst im Fahrtwind dreht. Heute sprechen wir vom Tragschrauber.
Der Flug im Saal Freilich, genau senkrecht starten oder in der Luft stillestehen kann auch der Tragschrauber nicht. Er braucht ja den Fahr twind, um den Rotor in Schwung zu haltenl Man will aber senkrecht starten und landen und am Ort schweben können. Dann erst ist das Ideal einer wirklich unbehinderten und ungehemmten Beweglichkeit verwirklicht, dann erst wird man mit vollem Recht von der Beherrschung des Luftraumes sprechen können. Mehr als ein Jahrzehnt dauert es, bis dieses Ziel erreicht ist . . . 8
Die Erfindung und Fertigstellung des ersten wirklich gebrauchsfähigen Hubschraubers ist mit dem Namen des Bremer Flugzeugkonstrukteurs Henrich Focke verbunden. Sein „ F A - 6 1 " , der mit einer Geschwindigkeit von 122 km in der Stunde und mit einem Höhenflug auf 3500 Meter im Jahr 1937 zwei Drehflügler-Weltrekorde aufgestellt hat, ist der eigentliche Anstoß für die spätere Hubschrauberbewegung gewesen. Unvergeßlich bleibt Hanna Reitsohs Flug mit der Focke-Maschine in der Deutschlandhalle in Berlin. Tausende erleben damals, im Februar 1938, den ersten Flug in einer geschlossenen Halle, der fast mißlingt, weil durch die vielen Menschen die Luft verbraucht ist und der Motor nicht genug Sauerstoff ansaugen kann. Ein J a h r später hat Focke seinen „FA-223" fertig; das ist bereits eine so solide Konstruktion, daß nach dem Kriege, sechs Jahre später, die Franzosen und die Tschechen ihn mit Vergnügen nachbauen. Der Focke-Hubschrauber von 1937 ist kaum noch mit Ciervas Maschine von 1922 zu vergleichen. Er hat nicht nur einen, sondern zwei seitlich vom Rumpf auf Streben angebrachte waagerecht kreisende Rotoren; dafür — und das ist das zweite auffällige Merkmal — fehlt ihm der Zugpropeller. Offenbar gewinnt er nicht nur seinen Auftrieb aus den beiden Rotoren, sondern auch den Vortrieb, also die nach vorwärts ziehende Kraft. Undf so ist es auch: Der Hubschrauber Fockes wird von den Drehflügeln getragen u n d gezogen. Deshalb müssen sie auch vom Motor ständig angetrieben werden; sie sind also nicht — wie der Rotof in de Ciervas Autogiro — Windmühlenflügel, die der Wind antreibt. Ist es überhaupt möglich, mit waagerecht rotierenden Drehflügeln vorwärts zu fliegen? Die Antwort auf diese Frage scheint auf den ersten Blick nicht schwierig zu sein. Man braucht doch nur den Rotor ein wenig nach vorn zu kippen! Mit einem Teil seiner Kraft müßte er dann heben, mit dem restlichen Teil wie ein normaler Flugzeugpropeller ziehen. Und je mehr man ihn kippt, um so mehr müßte en ziehen. Den Verlust an Auftrieb könnte man ausgleichen, indem man mehr Gas gibt und so die Rotation beschleunigt. Das klingt recht klug und überzeugend — aber so geht es nicht. Wenigstens in dieser einfachen Weise geht es nicht. Wer je einmal das Rad eines Fahrrades an einer durchgesteckten Achse ge9
halten und es dann in Schwung gesetzt hat, weiß, welch a u ß e r ordentlicher Kraftaufwand nötig ist, dieses rotierende Gebilde zu kippen oder zu neigen. Man spricht von der „Kreiselwirkung" und meint damit jene Widerkräfte, die sich automatisch einstellen, sobald man einen rotierenden Gegenstand kippen will. (Nur deshalb fällt ja der mit der Peitsche getriebene Spielkreisel nicht um!) Dennoch haben die Hubschrauberkonstrukteure einen Weg gefunden, während des Fluges das kreisende Flügelwerk ohne sonderlichen Kraftaufwand etwas zum Neigen zu zwingen. Sie haben nämlich die einzelnen Flügelblätter des Rotors — bei manchen Hubschraubern sind das zwei, bei anderen mehr Blätter — an ihrer Drehachse nicht fest, sondern gelenkig anmontiert. Die Blätter spielen dabei nicht frei in diesen Gelenken — dann würden sie ja im Winde flattern —, sondern werden durch ein höchst kompliziertes, im Rotorkopf eingebautes Getriebe zu ganz bestimmten, ausgeklügelten Bewegungen gezwungen: Immer wenn das Rotorblatt bei seiner Drehung von hinten nach vorn kommt, ist es anders verkantet, als wenn es von vorn nach hinten schwingt. Die Blätter des rotierenden Drehflügels verändern laufend ihren „Anstellwinkel", indem sie fortgesetzt Verkantungsbewegungen folgen; es ist ein ständiges Spielen in den Gelenken. Dadurch aber stellt sich das Flügelwerk ganz selbsttätig und ohne jeden Kraftaufwand in eine bestimmte Schräglage ein. Man kann sich dieses Bewegungsspiel der Rotorblätter mit einer kleinen gymnastischen Dbung deutlich machen. Wir strecken den rechten Arm in Schulterhöhe nach vorn, die Handfläche zeigt nach unten: das ist die Lage des Rotorblattes in der Vorwärtsstellung. Jetzt schwenken wir den Arm nach rechts und wenden gleichzeitig die Handfläche etwas nach hinten, etwa wie bei einemi Schwimmstoß: das ist die Lage des Rotorblattes, um dem Hubschrauber Vortrieb zu geben. In der Rückwärtsstellung steht die Handfläche wieder waagerecht (ebenso das Rotorblatt). Beim Vorwärtsschwung — wir lassen den linken Arm ihn ausführen — wird die Handfläche (das Rotorblatt) etwas nach vorn angehoben: So kann das Rotorblatt wie eine Flugzeug-Tragfläche dem Hubschrauber Auftrieb verleihen. Kehrt der Arm vor den Körper zurück, so hat die Handfläche (das Rotorblatt) wieder die waagerechte Lage eingenommen. Diese Bewegung machen die Ro10
torblätter bei jeder Rechtsumdrehung — und es sind rund 300 Umdrehungen in der Minute. Bei Rotoren, die eich im entgegengesetzten Sinne drehen, geht das Verkanten andersherum. Und nun kommt der großartig erdachte Trick: Das Maß und der Rhythmus dieser ständig wechselnden Anstellwinkel-Veränderung können vom Piloten mit einem besonderen Handhebel nach Belieben gesteigert oder verringert werden. Statt also die Drehebene des Rotors mit roher Gewalt in die gewünschte Richtung zu zwingen, veranlaßt er sie durch eine kleine Bewegung am Handhebel, sich freiwillig zu neigen. Will der Pilot vorwärts fliegen und zu diesem Zweck den Rotor etwas nach vorn neigen, so drückt er den Hebel nach vorn. Dadurch stellt er das Getriebe so ein, daß die Rotorblätter beim Vorwärtsschwung fast flach durch die Luft schneiden, beim Rückschwung aber sehr stark nach hinten verkantet sind. Will er rückwärts fliegen, so werden die Blätter jeweils entgegengesetzt stärker verkantet. Und dieses Spielen in den Gelenken wiederholt sich bei jedem Umlauf. Das Ziel ist erreicht: Senkrecht schraubt sich das Flugzeug in die Höhe, vorwärts geht der Flug beim Vordrücken des Knüppels, rückwärts beim Zurückziehen. Ja sogar seitlich kann sich der Hubschrauber bewegen: die Rotorachse braucht nur nach links oder rechts gekippt zu werden. , Der Vogelflug, jene uralte Sehnsucht der Menschen, ist übertroffen. Denn vorwärts fliegen sie alle, die Gefiederten, an der Stelle zu schwirren vermag nur der Kolibri, ein Rückwärtsflug aber ist keinem Vogel möglich.
. . . und nun noch der Flugschrauber „Hubschrauber" also nennen wir alle Drehflügel-Flugzeuge, bei denen sowohl die steigenden als auch die waagerechten Bewegungen allein vom Rotor hervorgerufen werden. Von „Helikopter" spricht der Angelsachse — ein Name, der aus den griechischen W ö r t e r n helix = Schraube und pteron = Flügel gebildet wurde. Aber die Entwicklung der Drehflügler ist weitergegangen. Schon seit den Zeiten des Konstrukteurs Focke hat man sich Gedanken über den Wirkungsgrad des Hubschrauberrotors gemacht. Dieses Riesenflügelwerk, das oft einen Durchmesser von 15 oder gar 20 11
Meter hat, erfüllt seine Aufgabe als T r a g f l ü g e l gewiß großartig; aber die gleichzeitig geforderten Eigenschaften eines Z u g propellers erfüllt es doch nur mangelhaft; dafür bleibt es eben doch zu unförmig, zu langsam und strömungstechnisch zu ungünstig geformt, und dadurch zu teuer im Betrieb. Der Nachteil des hohen Brennstoffverbrauchs und der sehr beschränkten Geschwindigkeit fällt bei langen Flügen und großer Belastung sehr ins Gewicht. Was liegt näher, als nun doch wieder getrennte Schrauben für das Heben und Vorwärtsziehen einzubauen? So entstand der Flugschrauber: Ein motorisch angetriebener Rotor hebt das Flugzeug hoch — ohne Anlauf, versteht sichl —, und ein normaler Propeller zieht es vorwärts. Merkwürdigerweise hat sich der Flugschrauber noch immer nicht so recht durchsetzen können. Heute entfällt auf zehn verschiedene Hubschraubertypen kaum ein Flugschrauber. Aber in den Vereinigten Staaten, in England und in Frankreich — das sind die drei Staaten, die sich neben Deutschland seit je des Drehflüglers angenommen haben — wenden sich immer mehr Konstrukteure dem Flugschrauber zu, und es ist die Zeit abzusehen, da der propellerlose Helikopter seine Vorrangstellung an den Flugschrauber abgegeben hat. Möglich ist es auch — und nun schließt sich in seltsamer Weise der Kreis der Entwicklung —, daß dem Flugschrauber-Piloten die Möglichkeit gegeben wird, von einer bestimmten Vorwärtsgeschwindigkeit an den Rotor vom Motor abzukuppeln und ihn frei im Fahrtwind drehen zu lassen: der Flugschrauber wird in diesem Augenblick wieder zum Tragschrauber nach dem Muster Ciervas, zu jenem Drehflüglertyp, den man schon ausgestorben wähnte. Freilich, er bleibt es n u r so lange, als die freie Windmühlenbewegung des Drehflügels — die „Autorotation", wie man das nennt — kräftig genug ist, das Gewicht der Maschine zu tragen. Wird das Flugzeug langsam und noch langsamer, will der Pilot gar an der Stelle schweben, dann muß er den Rotor wieder an den Motor ankuppeln und damit seine Maschine wieder in einen Flugschrauber verwandeln. Ciervas Erfindung weist also wieder in die Zukunft. Aber auch das moderne Flugwesen zehrt noch von ihm, denn bei jedem Hubschrauber hat heute der Pilot die Möglichkeit, aus seiner Ma^ 12
schine ein Windmühlenflugzeug zu machen. Denken wir einmal an den Fall, daß der Motor infolge eines technischen Versagens mitten im Fluge stehenbleibt. Dann würde der Rotor ebenfalls stehenbleiben und die auftriebslos gewordene Maschine wie ein" Stein zu Boden fallen. Wenn aber der Pilot im letzten Moment den sich noch drehenden Flügel auf „Autorotation" schaltet, dann wird er die Maschine wie einen Ciervaschen Tragschrauber fallschirmgleich langsam zu Boden tragen. Der Auskuppelungshebel für den Rotor ist immer in Griffweite des Piloten, denn es kommt im Notfall auf die Sekunde an. Ist der Drehflügel erst einmal zum Stehen gekommen, so gibt es keine Rettung mehr. Man hat deshalb auch schon eine Vorrichtung konstruiert, die das Auskuppeln des Rotors beim Unterschreiten gewisser Drehgeschwindigkeiten selbsttätig besorgt. Dadurch gewähren die Hubschrauber eine größere Sicherheit, als selbst modernste Starrflügel-Flugzeuge sie bieten können. :
Drehflügler - Parade „. . . und laden wir Sie hiermit zur großen Drehflügler-Ausstellung auf unserem Fluggelände herzlich ein. Es werden die wichtigsten heute gebauten Drehflüglertypen vorgeführt." Eine verlockende Einladung, doch - leider - nur ein Wunschtraum! Es hat nämlich noch nie eine Ausstellung dieser Art gegeben. Aber wir könnten uns eine solche Schau ohne Schwierigkeiten vorstellen . . . Da stehen sie versammelt, diese merkwürdigen Riesenlibellen unserer Zeit. Wohl einige fünfzig von mehr als zweihundert Baumustern mögen es sein, .die in lockerer Aufstellung über das Gelände verteilt sind — locker, weil die weit über den Rumpf greifenden Flügelblätter der Rotoren Platz brauchen. Einige Typen sehen wir allerdings, die eng beieinander stehen, weil man ihrci Flügel zusammenklappen kann: der zwölfsitzige „Sikorsky S-55" „mit seinem dreiblättrigen Rotor von 16 Meter Durchmesser, der Fünfsitzer „Bristol 1 7 1 " , der ganz neue „Sikorsky S-56" und , einige andere. ! Hier vor uns, weit ins Feld hinausreichend, hat die große Gruppe der Hubschrauber ihren Platz, rechts das kleine Häuf13
Hubschrauber mit zwei Rotoren, die sich gegenläufig drehen
chen der Flugschrauber. An Tragschraubern ist weit und breit nichts zu sehen. Ciervas Konstruktionsidee war anspornend, aber nicht richtungweisend. Wir wenden uns der Fülle der verschiedenartigsten Hubschrauber zu. Es ist kaum ein geordneter Überblick zu gewinnen! Doch halt — hier erkennen wir eine Gruppierung: Hubschrauber, die mit einem einzigen Flügelwerk ausgestattet sind, viele mit zwei Flügelwerken und einige sogar, dort drüben, mit drei Rotoren. Fokkes erste Hubschrauber mit je zwei Rotoren waren nur eine Möglichkeit von vielen! Bei ihm sa.ßen die beiden Flügel werke links und rechts des Rumpfes auf weit hinausragenden Gerüsten. Das hatte große Nachteile: Der Antrieb der vom Motor weit entfernten beiden Rotoren war sehr umständlich, das Gewicht und der hohe Luftwiderstand der mächtigen Ausleger bildeten eine weitere Beeinträchtigung der Leistung. „Rücken wir die beiden Flügel doch näher zusammen und lassen w)ir sie ineinanderkämmen!" meinte deshalb vor fünfzehn Jahren der Frankfurter Ingenieur Flettner und handelte danach. W i r sehen die FlettnerAnordnung — hinten in unserer erdachten Musterausstellung — bei den Maschinen der amerikanischen Firmen Kaman und Kellet. Wir bemerken, daß die beiden Rotoren etwas gegeneinander geneigt sind. Dadurch konnte man die beiden Achsen bis auf ein Meter und bei einigen Maschinen sogar bis auf 60 Zentimeter aneinanderrücken und den Antrieb vom Motor her sehr verkürzen. Die Flügel der beiden Rotoren werden zwangsläufig so bewegt, d a ß sie sich trotz ihres dichten Beieinanders niemals gegenseitig behindern können. 14
Drehflügler mit „Tandem-Anordnung", zwei ifoitereinanderliegenden Rotoren, die über dem Bug und über dem Heck angebracht sind
Im Weitergeben fällt unser Blick auf Maschinen ganz anderer Art. Wir sehen ein halbes Dutzend Modelle der amerikanischen Firma Piasecki, einen englischen „Bristol 173", einen amerikanischen „Bell 6 1 " und dazu einige Kleinhubschrauber — und sie alle tragen zwei h i n t ereinanderliegende Drehflügelwerke. Nun, die „Tandem-Anordnung" erscheint uns gegenüber dem Nebeneinander der Focke-Hubschrauber recht vernünftig; denn der Rumpf eines Helikopters geht ja nicht in die Breite, sondern in die Länge, und so können die beiden Rotoren viel ungestörter arbeiten, wenn 6ie nicht links und rechts, sondern vorn und hinten untergebracht sind. Ungestörter? Leider stimmt das nur im Hinblick auf den Platzbedarf, nicht hinsichtlich der Luftströmungsverhältnisse. Bei Vorwärtsflug — und das ist ja der normale Flugzustand auch des schwirrenden Drehflüglers — arbeitet nämlich bei diesem Tandem-System der hintere Rotor im abströmenden Luftwirbel des vorderen. Verständlich, daß es da zu strömungstechnisch recht ungünstigen Wirbelbildungen kommt. Piasecki hat versucht, diesem Übel durch die Bananenform des Rumpfes zu begegnen, dessen hinteres Ende mit dem zweiten Rotor stark hochgezogen ist; noch günstiger mag die Form des „Bristol 1 7 3 " sein, bei dem für den rückwärtigen Rotor ein anderthalb Meter hoher Aufbau geschaffen wurde. i Neben den Helikoptern mit nebeneinander- und mit hintereinanderliegenden Rotoren bietet die Ausstellung auch einige Beispiele für übereinander angeordnete Flügelwerke. Dort drüben, rechts auf unserem Gelände, stehen Hubschrauber mit zwei auf einer Achse kreisenden Rotoren: ein französischer „Breguet", 15
zwei amerikanische „Bendix", zwei amerikanische „GyrodyneGCA-Typen" und der brasilianische „ P B - 6 1 " . Die beiden Rotoren drehen sich gegenläufig: der eine rechts herum, der anderö mit Linkskurs. Damit die Rotorblätter bei der wirbelnden Drehung nicht ins Flattern kommen und sich dann berühren, müsßen sie ziemlich dick und schwer gebaut werden. Die Rotorblätter von Helikoptern sind, wie wir erst aus der Nähe erkennen, gar nicht so einfache Gebilde. An ihre Festigkeit werden hohe Anforderungen gestellt. Am stärksten werden / S
sie übrigens nicht dann beansprucht, wenn sie in Betrieb sind, sondern wenn die Maschine am Boden abgestellt ist. Dann fällt nämlich die Fliehkraft weg, die beim Drehen die Blattspitzen nach außen zieht und so die langen, schmalen Blätter streckt und strafft. Wenn gar der Helikopter auf holprigem Landefeld von einer Zugmaschine oder einem Kraftwagen geschleppt wird, dann wippen die Rotorblätter durch wie die Balancierstangen von Seiltänzern. Wenn sie dabei nicht knicken und brechen, so sorgt dafür ihre wahrhaft meisterliche Konstruktion: entweder bestehen sie aus geschmiedetem Dural (einer leichten Aluminiumlegicrung)
Einer der am meisten gebauten Hubschrauber in gläserner Durchsicht
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oder aus einem Stahlrohr als Kern, der mit Sperrholzrippen oder Titanblechen versteift ist, oder aus Holz, das teilweise hohl und innen fachwerkartig verrippt ist. Gewöhnlich sind die Blätter achtmal so breit wie dick. Nehmen wir einen Hubschrauber von zwölf Meter Rotordurchmesser: seine Blätter sind 40 Zentimeter breit und dementsprechend 5 Zentimeter dick. Beim Umherwandern zwischen all diesen zweirotorigen Hubschraubern gehen uns die Vor- oder Nachteile der verschiedenen Systeme nicht aus dem Sinn. Und wir fragen uns: W a r u m überhaupt zwei Flügelwerke an einem einzigen Helikopter? Nun selbstverständlich: zwei Rotoren tragen mehr als einer. Aber bitte, hier am anderen Ende des Mittelfeldes stehen die einrotorigen Maschinen — und es sind nicht wenige, es sind sogar mehr als die zweirotorigen. Der Drehflügel sitzt direkt auf dem Kabinendach, im Schwerpunkt der Maschine. Aber da ist bei vielen Modellen noch etwas, dessen Zweck uns — wenn einmal solch eine Maschine über unsere Städte flog — unverständlich war: der kleine, senkrecht stehende Propeller hinten seitlich am Schwänzende des Rumpfes. Dem Vortrieb und dem Auftrieb kann dieser Propeller keinesfalls dienen, denn dieses surrende Etwas hätte dann ja eine falsche Richtung. Eigentlich müßte dieser Propeller, wenn wir es recht bedenken, den Rumpf hinten nach der Seite wegdrücken. — Und genau das tut er auch! Wenn ein Ein-Rotor-Hubschrauber diesen Heckpropeller nicht hätte, dann würde der Flugzeugrumpf entgegen der Rotor-Drehrichtung zu kreiseln beginnen. Der Rotor befindet sich nämlich in der Lage eines Menschen, der auf einer Drehscheibe steht und zu laufen beginnt: unter seinen sich abstoßenden Füßen wird sich die Scheibe in Bewegung setzen, natürlich entgegen der Marschierrichtung. Das nennt man „Gegendrehmoment". Im Falle Drehscheibe kann man dem abhelfen, indem man sie irgendwie am Boden festmacht. Im Falle Helikopter geht das nicht; denn wo in der Luft sollte man den Rumpf verankern? Nein, man hält ihn nicht fest, sondern man drückt ihn zurück — eben mit dem kleinen Heckpropeller. Dieser „Drehmoment-Ausgleich" m u ß mit der Rotorgeschwindigkeit genau übereinstimmen: nur dann bleibt der Rumpf in der gesteuerten und gewünsch-, ten Flugrichtung. Wer mag schon in einem kreiselnden Flugzeug 18
sitzen? Aber der Heckpropeller macht nicht nur einen sehr langen Wellenantrieb längs durch den ganzen Rumpf nötig und ein zugehöriges Getriebe, sondern erschwert auch die Bedienung solch eines Hubschraubers. — Bei zweirotorigen Maschinen fällt diese Sorge weg; denn bei ihnen drehen sich die beiden Rotoren immer gegenläufig, so daß sich ihre „Drehmomente" aufheben.
Wir haben bei unserem Rundgang die rechte Ecke der Drehflüglerschau erreicht und bleiben erneut verwundert stehen; denn hier ist eine ganze Anzahl einmotoriger Helikopter aufgestellt, die keinen Heckpropeller haben. Wie steht's denn da um den Drehmoment-Ausgleich? Es ist die Gruppe der Düsenhubschrauber. Der Rotor wird hier nicht durch einen Motor oder — wie bei einigen Versuchsmodellen — durch eine Turbine mechanisch angetrieben, sondern durch den Rückstoß von Gasen. Durch eine kleine Pumpe wird flüssiger Brennstoff aus einem Tank bis an die äußersten Rotorenden befördert und hier in Düsen eingespritzt und entzündet. Die entstehenden Verbrennungsgase fauchen nach hinten .zu den Düsen hinaus. Der Rotor dreht sich also ähnlich wie sich ein Rasen-
Einer aus der Gruppe der Düsenhubschrauber, deren Hotoren durch den Rückstoß von Verbrennungsgascn bewegt werden
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Sprenger dreht: der Rückdruck des austretenden Strahls hält die Flügel in Rotation. Weil dabei aber alle drehenden und r ü c k drückenden Kräfte erst an ,den Blattspitzen, nicht schon im Rumpf wirksam werden und sie sich so allein gegen den Rotor ausstoßen, deshalb bleibt der Rumpf von einem Gegendrehmoment verschont. Man braucht beim Düsenhubschrauber keinen Heckpropeller. Die Kräfte, die in den Düsen frei werden, können wir aus dem „Fliegenden K r a n " des Mister Hughes ermessen. Diese einrotorige Riesenlibelle „ X H - 1 7 " , mit der man schon seit längerem Versuche anstellt, hat ein Fluggewicht von fast 480 Zentner und einen Rotordurchmesser von 37 Meter! Sie ist der größte bisher gebaute Hubschrauber. Auf dem Papier steht jedoch ein englischer Westland-Riesenhubschrauber mit einem Fluggewicht von 1870 Zentner an der Spitze; er soll einmal 450 Personen über eine Entfernung von 800 Kilometer transportieren. Sein Rotor mißt querdurch die Kleinigkeit von 61 Meter. Brenndüsen-Antriebe haben zwei Nachteile: sie brauchen viel Kraftstoff, und sie machen 'einen fürchterlichen Lärm. Beiden Nachteilen ist die französische staatliche Gesellschaft SNCA mit Erfolg zu Leibe gerückt: die Rotoren ihres „SO-1220 Djinn" werden mit Preßluft bewegt; der Hubschraubermotor treibt einen Kompressor an, der ganz gewöhnliche Luft komprimiert und an die Flügelspitzen der Rotorblätter drückt, wo sie aus der Düse ausströmt und so den Rotor in Drehung versetzt. Das Geräusch, das beim Einspritzen und Verbrennen eines Treibstoffes entsteht, ist bei Preßluft nicht vorhanden. .Und noch etwas kommt hinzu: bei einem Verbrauch von 100 Liter billigem Petroleum kostet die Betriebsstunde unseres „ D j i n n " 150 bis 200 Mark gegenüber 350 bis 500 Mark bei einem gleichgroßen Hubschrauber normaler Bauart. Auch das ist ein entscheidender Gewinn. , Und die Flugschrauber, die Helikopter mit Propellerantrieb und Rotoren? Nicht viele sehen wir in unserem Schaugelände, aber wais sich uns darbietet, sind modernste Konstruktionen. Da ist der dreisitzige „McDonell X V - 1 " . Sein dreiblättriger Rotor ist düsengetrieben, für den Vorwärtsflug sorgt eine Druckschraube hinter dem Motorgehäuse. Außerdem hat dieses Modell — und das ist das besondere — zwei kleine starre Tragflächen von knapp 20
8 Meter Spannweitel Mit diesen Stummelflügeln hat die Maschine eine ganz besonders hohe Gleichgewichtssicherheit. Die Tragflächen können zudem das Flugzeug von ein,er bestimmten Geschwindigkeit an allein tragen, so daß dann die Brennzufuhr zu den Rotordüsen abgestellt werden kann. Ein anderes bemerkenswertes Flugschraubermodell ist der französische „SO-1310 Farfadei". Er hat zwei Triebwerke; das eine treibt den Zugpropeller vorn an der Schnauze der Maschine, das andere pumpt Preßluft in die Düsen an den drei Blattspitzen. Seine Stummelflügel haben eine Spannweite von nur 6,3 Meter.
* Der lehrreiche Spaziergang durch unsere Hubschrauber-Ausstellung hat mit diesen neuesten Maschinen sein Ende und in gewisser Weise seinen Höhepunkt gefunden. Doppeltes Triebwerk,) Preßluft als Treibmittel: das ist wirklich das Modernste vom Modernen. Dieser Querschnitt zeigt aber auch, wie vielfältig das Ge-
Tandem-Hubschrauber mit Landeschläuchen iür Sumpfgelände
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biet des Drehflüglers ist. Es gibt in der Tat für den begabten und einfallsreichen Konstrukteur auf dem Gebiet der Verkehrstechnik kaum wieder ein Betätigungsfeld, das so fruchtbar wäre wie dieses.
Nicht billig und nicht einfach Ein beliebter und immer wieder dankbar aufgegriffener Stoff für technische Träumer und Karikaturenzeichner ist der Volkshubschrauber. Da sieht man, wie die Leute — groß und klein — rucksackähnliche Gebilde umgeschnallt haben und durch die Kraft eines über oder unter ihnen kreiselnden Rotors munter durchi die Gegend schwirren. Der Luftverkehr wird durch Polizisten geregelt, die irgendwo im Luftraum an der Stelle schweben. Man hüpft besuchsweise von Hausdach zu Hausdach, schnallt an Ort und Stelle den Rucksack ab, legt den Rotor zusammen wie ein Taschenmesser und verschwindet in seiner Behausung. Das ist sehr nett ausgedacht und sehr lustig in der gedanklichen Vorstellung, aber — von der Wirklichkeit weiter entfernt als Atomauto und Weltraumflug. Ein Hubschrauber ist außerordentlich teuer! Gewiß gibt es Modelle, die äußerlich 1 der Vorstellung eines „Flugapparates für den kleinen Mann", einem „Taschen-" oder „Rucksack-Hubschrauber" nicht ganz unähnlich sind, aber das sind höchst unvollkommene und gar nicht billige Versuchsmaschinen. Heute kostet ein normaler Kleinhubschrauber rund 200 000 Mark, ein mittelgroßer bis zu 800000 Mark, ein Großhubschrauber weit über eine Million. Hinzu kommt, daß auch die Betriebskosten, auf den Kilometer umgerechnet, bei einem Drehflügler ungleich höher sind als bei einem Starrflügler. Das liegt am hohen Brennstoffverbrauch und an den höheren Pflege- und Wartungskosten. Wenn sieh der Hubschrauber trotzdem in wenigen Jahren bereits un-. entbehrlich gemacht hat, so liegt das an seinen erstaunlichen Flugeigenschaften. i Doch ist der Umgang mit einem Drehflügler weit schwieriger als der mit einem Starrflügel-Flugzeug. Selbst die gewandtesten Piloten, die ihr Können in langen Jahren fliegerischer Betätigung bewiesen haben, sind am Steuer eines Hubschraubers zunächst völ22
lig hilflos. Das hat einen einfachen Grund: Starrflügel-Flugzeuge haben zwei Bewegungsrichtungen, zwei „Freiheitsgrade", nämlich Höhe und Seite; beim Drehflügler kommt als dritter die Drehung hinzu. Der Hubschrauberpilot hat also drei Steuerorgane zu überwachen; und entsprechend vielfältig sind die Handgriffe, die er auszuführen und aufeinander abzustimmen hat. Anschaulich schildert das der bekannte und erfahrene Flieger Wolfgang Wagner, der Gelegenheit hatte, sich in der Hubschrauber-Fliegerschule. Yeovil in England zum ersten Male an das Steuer eines Helikopters zu setzen: „John S. Fay, der Leiter der Schule", so erzählt uns Wolfgang Wagner, „lädt mich zu einem Flug am Doppelsteuer mit einem ,Westland-Sikorsky S-51' ein. Wir gehen auf den Flugplatz und beobachten eine Weile die Schüler, die gerade Dbungsflüge unternehmen. Wie anders ist doch diese Art der Ausbildung! Während die Schulung beim Starrflügelflugzeug mit einem ständigen Starten und Landen verbunden ist, stehen die Hubschrauberschüler mit ihren Drehflüglern, die einen ohrenbetäubenden Lärm erzeugen und riesigen Insekten gleichen, in geringer Höhe fast (Unbeweglich auf einem Fleck. Den Hubschrauber genau in gleicher .Höhe über einer bestimmten Stelle zu hajten, also in der Luft zu stehen, das ist die erste schwierige Aufgabe für einen Anfänger. , Mister Fay winkt einen Schüler herunter, und ganz langsam setzt er sich vor uns auf den Boden. Dann nimmt John Fay auf dem vorderen Sitz und ich nehme auf dem hinteren Sitz Platz. Scharf beobachte ich zuerst einmal alle Bewegungen am Doppelsteuer. Fay steigert die Drehzahl und tritt zum Ausgleich des stark anwachsenden Drehmomentes etwas ins Seitensteuer. Der Knüppel steht gerade. Und nun wird der Blattverstellhebel, der den Winkel der Rotorblätter reguliert, etwas angezogen. Die Blätter erhalten eine größere Einstellung, ; und schon heben wir langsam ab. Fay drückt den Steuerknüppel leicht an; die ganze Rotorebene ; neigt sioh nach vorn, und nun geht es auch vorwärts weiter. , , Dann läßt der Pilot alle Ruder los zum Zeichen, daß ich .versuchen soll, den ,S-51' zu fliegen. Vertraut scheint mir zuerst nur 23
der Steuerknüppel. Kaum habe ich das Steuer übernommen, ,so beginnen wir auch schon zu tanzen. Es geht hin und her, als ob der Hubschrauber umkippen wollte. Ich konzentriere mich mit aller Kraft auf den Knüppel, doch die Tanzerei wird immer stärker. Eben neigt sich der Rumpf nach links, ich gehe behutsam mit dem Knüppel nach rechts, doch noch weiter neigt er sich nach links! Also noch mehr Gegenruder! Jetzt endlich richtet sich der Drehflügler auf, überdreht aber gleich nach rechts. Das geht so eine Zeitlang in wildem Tanz, wobei man gleichzeitig auf Fahrt und Höhe achten muß. Ich merke, daß der Hubschrauber in seinen Steuerausschlägen nachhinkt. Also bei einer Schaukelbewegung blitzartig nach links oder rechts mit dem Knüppel, und zwar nur in kleinen Ausschlägen! So gelingt es mir endlich, den Widerspenstigen einigermaßen zur Ruhe zu bringen. Nun versuche ich, mit Hilfe der Pedale Richtung zu halten. Kaum habe ich mich damit etwas vertraut gemacht, tänzeln wir wieder hin und her, weil ich in meiner Konzentration auf den Knüppel abgelenkt worden bin. Leichter dagegen erscheint mir die Bedienung des Verstellhebels für die Rotorblätter. Nun übernimmt John Fay wieder das Steuer, fliegt eine Platzrunde und geht ganz nahe an den Boden heran. Wieder übergibt er mir das Steuer und meint: ,Hier stehen bleiben!' Aber schon tanzen wir wieder. Die Bodennähe ist ungewohnt, und sehr bald habe ich mich, ohne es eigentlich zu wollen, auf 50 Meter hinauf gemogelt. Mit der Höhe wächst der Mut, und langsam kehrt wieder Ruhe ein. Dafür geht es aber seitlich weg. Mr. Fay greift sofort ein, und bald hat uns die Erde wieder. ,Gut drei Stunden werden Sie bis zum Alleinflug brauchen', meint der Pilot, ,das heißt, bis Sie in ein bis zwei Meter Höhe allein schweben können; und danach sind noch weitere 17 Stunden nötig bis zur einfachen privaten Hubschrauber-Zulassung. Für eine gewerbliche Genehmigung zur Beförderung von Reisenden werden zusätzlich noch 30 Stunden verlangt.' Die Flugstunde kostet 600 Mark. Allein die Zulassung als Privatflieger würde 12000 Mark kosten, vorausgesetzt, daß man schon auf Starrflügelflugzeugen über gute Erfahrungen verfügt. Der Flug mit der , , S - 5 1 " , so schließt Wagner seinen Beriebt, „zeigte mir deutlich, wie schwer es ist, einen Hubschrauber zu 24
beherrschen. Schon das Stehen mit dem Drehflügler erfordert größte Aufmerksamkeit. Nun ändert sich beim Kurven oder bei jedem Richtungswechsel, ja bei jeglichem Betätigen eines Steuers stets auch die Motorleistung. Man muß also neben dem zusätzlichen Blattverstellhebel auch noch ständig die Gasdrossel betätigen, weil die Rotordrehzahl in einem engen Bereich beständig bleiben soll. Dazu kommen die Instrumente, die zu beobachten sind, und beim Überlandflug noch das Franzen, die Orientierung. Es gehört sehr viel Übung dazu, sich an diese vielseitige Tätigkeit zu gewöhnen."
Drehflügler - Mädchen für alles Das Drehflügelflugzeug ist teuer in der Anschaffung und teuer im Betrieb; es hat wegen seines hohen Treibstoffverbrauchs keine allzu große Reichweite; es steuert sich schwer, und es macht einen schrecklichen Lärm . . . Warum ist es trotzdem so beliebt? Was leisten diese Riesenlibellen? Was nützen sie dem Menschen? Das ist es eben: Für den Drehflügler haben sich in den wenigen Jahren seit Kriegsende so viele friedliche Verwendungsmöglichkeiten gefunden, daß er auf dem besten Wege ist, ein „Mädchen für alles" zu werden. Zwei Eigenschaften sind es, die den Hubund den Flugschrauber so wertvoll machen: daß sie für Start und Landung keine Rollbahn, sondern nur eine winzige ebene Fläche brauchen, und daß sie beliebig langsam fliegen und 6ogar in der Luft stillstehen können — beides Eigenschaften, die detn herkömmlichen Starrflügler völlig abgehen. Die Sache begann in Los Angeles im Jahre 1947. Los Angeles, die kalifornische Großstadt, hat viele weitab liegenden Stadtteile und eingemeindete Vororte. Aber nicht das allein machte den dortigen Postbehörden die Arbeit recht schwer; es kam hinzu, daß Los Angeles eine der autoreichsten Städte der Welt ist: Jeder zweite Mensch hat dort seinen Wagen. Verständlich, daß die Straßen — auch die zu den Vororten — ständig verstopft waren. Und die Lage wurde mit jedem Jahre schlimmer für die Postleute. Wie sollte man bei solchen Verkehrsverhältnissen die auf dem Zentralflughafen eintreffenden Postsäcke rasch genug zur Hauptpost transportieren und von dort nach der Sortierung zu den 25
Zweigpostämtern in den verschiedenen Stadtteilen bringen? Eines Tages hatte jemand die rettende Idee: „ W i r machen das mit Helikoptern!" Zunächst verstärkte man das Dach des Hauptpostamtes im Zentrum der Stadt. Dann kaufte man eine Portion Beil-Hubschrauber vom Typ 47. Und schließlich stellte man einen Minutenfahrplan auf: Täglich 16 Transportflüge vom Flughafen zum Zentralamt, auf dessen Dach gelandet und gestartet wurde: im Zentralamt Sortierung der Post: Abtransport der einzelnen Säcke mit Helikopter in einem wohldurchdachten Rundflug zu den 24 Bezirkspostämtern; Landung und Start daselbst auf eingezäunten Feldern von etwa 4 0 x 6 0 Meter. Mochten sich in Zukunft die Autos in den Straßen noch mehr zusammenballen und die Engpässe verstopfen — die Helikopter hüpften über die ganze Misere hinweg und brachten die Postsäcke pünktlich ans Ziel. , Der Gedanke wurde von anderen amerikanischen Städten übernommen — und nicht nur von amerikanischen. Seit dem Jahre 1950 betreibt die belgische Luftverkehrsgesellschaft SABENA einen Helikopter-Postverkehr auf der Strecke Brüssel—Libramont— Liege—Tongeren—Hasselt—Beringen—Tournhout—Herental—Antwerpen. Noch früher, in der Zeit vom 1. Juni bis zum 25. September 1948, hat die englische Gesellschaft BEA einen Versuchsdienst auf der Rundstrecke von Petersborough über Great Yarmouth—Norwich—Dereham—Great Yarmouth zurück nach Petersborough eingerichtet, wobei insgesamt 13000 Kilo Post befördert wurden. Später hat man dann auf anderen ßtrecken regelmäßige Dienste eröffnet. Nicht vergessen sei schließlich Schweden, das neben Belgien das unternehmungsfreudigste Hubschrauberland auf dem europäischen Festland ist. Auch hier hat man verschiedene Postbeförderungskurse eingerichtet. Das teilweise recht zerklüftete Küstenland und di& vorgelagerten zahllosen Schären boten dazu besonderen Anreiz. Wo man Postsäcke einlädt, kann man auch Passagiere Platz nehmen lassen! Und hier eröffnet sich nun dem Drehflügler ein weiteres Feld nützlicher Betätigung. Der heutige Luftverkehr ruft geradezu nach der Mithilfe der Hubschrauber. Um den steigenden Ansprüchen der Reisenden gerecht zu werden und um sich gegen die Konkurrenz auf dem Boden 26
Hubschrauber inspiziert eine Eberlandleitung
— Auto, Eisenbahn und Schiff — zu behaupten, haben im Laufe der Zeit die Starrflügler an Größe und Geschwindigkeit immer mehr zugenommen. Große und schnelle Maschinen brauchen aber lange und allseits freiliegende Start- und Landebahnen. Dadurch ist die ganze Verkehrsfliegerei eine Flugplatzfrage geworden. Für eine kleine Klemm genügt eine Wiese, für eine 28sitzige „Douglas D C - 3 " braucht man eine Betonrollbahn; und für eine Super-Constellation gibt es in der ganzen Bundesrepublik überhaupt nur sieben Flughäfen mit ausreichender Landebahn! Das alles bedeutet: Von München nach Stuttgart zu fliegen — eine Strecke von rund 200 Kilometer — ist nahezu sinnlos. Der Zeitverlust für den Anmarsch von der Münchner Stadtmitte bis zum Flughafen draußen in Riem und für den Weg vom Stuttgarter Flughafen Echterdingen bis zum Schloßplatz in der Innenstadt — 27
Strecken, die mit dem Auto zurückgelegt werden müssen — kann durch die höhere Reisegeschwindigkeit des Flugzeugs kaum mehr aufgeholt werden. Das Starrflügelflugzeug mit seiner Bindung an den abseits gelegenen Großflughafen ist kein Nahstrecken-Verkehrsmittel mehr. Das Nahstreckenflugzeug der Zukunft ist der Hubschrauber. Mit ihm kann man jede beliebige Ortschaft an das Luftverkehrsnetz anschließen, kann man einen engmaschigen Von-Stadt-zu-StadtVerkehr einrichten, kann man ohne große Kosten auch einmal Nebenlinien eröffnen, denn die Anlage der Landeflächen ist ein verhältnismäßig billiges Vergnügen. Amerika vor allem darf mit interessanten Beispielen aufwarten. Rund um New York .gibt es drei große Flugplätze, die 35 bis 50 Kilometer voneinander entfernt sind: La Guardia, Newark und International. Wer von Europa kommt, landet auf dem Flugplatz International. Will man weiter nach Chikago oder sonst einer amerikanischen Stadt fliegen, muß man quer durch New York hinüber zum Flughafen La Guardia oder Newark. Was das bedeutet, kann sich einer, der die Weltstadt nicht kennt, kaum vorstellen. Heute nun wechselt man per Helikopter von Flugplatz zu Flugplatz, und zwar zum Preise eines Omnibusfahrscheins! — Ein anderes Beispiel: Die Hubschraubergesellschaft Los Angeles berechnet im Umkreis von 100 Kilometer rund um Los Angeles Flugpreise, die unter den Fahrpreisen für Autotaxis liegen! Nach all den Versuchen in Belgien, Schweden, England, aber auch in Frankreich, Luxemburg, der Schweiz, Holland und Dänemark wird es vermutlich schon in einigen Jahren in Europa mehrere neue Helikopter-Nahverkehrslinien geben, wobei unter „ n a h " Entfernungen bis zu 400 Kilometer zu verstehen sind. Da die Kosten für eine Zwischenlandung mit einem Hubschrauber viel geringer sind als die Landung mit einem Starrflügler, und da man für eine Zwischenlandung nicht mehr als drei Minuten braucht, wird man einen fast eisenbahnähnlichen Reisebetrieb einrichten können. Voraussetzung ist, daß bis dahin der geplante 40sitzige Hubschrauber, der „Omnibus der Luft", für die Serienherstellung durchkonstruiert ist. Wer übrigens Lust dazu hat, kann es auch in Deutschland schon mit einem Hubschrauberflug probieren! Die SABENA befliegt seit 28
dem 1. September 1953 täglich mit Helikoptern die Linie Bonn— Köln — Maastricht — Lüttich — Brüssel. Flugpreis für die ganze Strecke: 90 Mark. Hubschrauber haben sich als fliegende Postautos, als fliegende Taxis und Omnibusse längst bewährt, aber auch als fliegende Lastautos. Als es vor Jahren galt, in Südfrankreich eine neue 60000Volt-Fernleitung über einen tausend Meter hohen Gebirgsrücken zu verlegen, wählte man als Transportmittel einen Bell-47-Hubschrauber, eine der bis dahin meistgebauten und erfolgreichsten Typen. Er beförderte das Baumaterial ohne Schwierigkeiten und ohne einen Zwischenfall selbst an die entlegensten Baustellen. Manchmal war der für die Errichtung der Masten vorgesehene Platz so klein, daß sich nicht einmal der kleine Bell darauf niederlassen konnte; so ließ man das Material aus ein bis zwei Meter Höhe niederfallen. Ähnlich verfuhr man in anderen Ländern bei der Versorgung eingeschneiter Bergdörfer und Hütten mit Lebensmitteln, Arzneien und Viehfutter. In Nordschottland konnte die Bevölkerung mehrerer völlig zugeschneiter Dörfer durch Helikoptertransporte vor dem Verhungern bewahrt werden. Die Fähigkeit, beliebig langsam zu fliegen, hat den HelikopterFluggesellschaften schon die merkwürdigsten Aufträge eingebracht: Fertige Überlandleitungen und auch Ölfernleitungen werden in Amerika heute von diesen Langsam-Flugzeugen aus überwacht; in der schwedischen Stadt Avesta hat man im vergangenen Oktober das 4,50 Meter lange und 160 Kilo schwere Kreuz für eine Kirchturmspitze in einem Hubschrauber an seinen Platz gebracht. Auch das Fernsehen und der Rundfunk haben das fliegende „Mädchen für alles" bereits in ihre Dienste gestellt. Als es darum ging, festzustellen, welche Höhe die im Schwarzwald und Harz zu errichtenden Rundfunk- und Fernsehmasten haben mußten, um ein bestimmtes Empfangsgebiet zu versorgen, rief man Helikopter zu Hilfe. Zu niedrige Sendemaste können nachträglich nicht einfach verlängert werden, weil es die Fundamente nicht erlauben; baut man aber vorsichtshalber zu hoch, so wirft man überflüssigerweise Geld hinaus. So baute man in einen „Sikorsky S - 5 1 " einen 800-Watt-Fernsehsender ein, hängte unten an den Rumpf eine Sendeantenne und ließ die Maschine senkrecht hochsteigen. Der elektrische Strom für den Sender wurde durch ein Kabel zugeführt, 29
das der Hubschrauber hinter sich herzog. Die Maschine blieb in einer bestimmten Höhe stehen und begann zu senden. Sieben Meßwagen, die in allen Sichtungen in 50 bis 150 Kilometer Entfernung verteilt waren, nahmen die Sendung auf und kontrollierten die Empfangsstärke. Dann wurde die Schwebehöhe des Helikopters verändert, so lange, bis die günstigste Höhe ermittelt war. Mit langsam senkrecht hochsteigenden Drehflüglern hat man wetterkundliche Untersuchungen in den verschiedenen Höhenlagen der Atmosphäre gemacht; mit Helikoptern hat man bei hochgehender See Leuchtturmwächter abgelöst, die früher in ähnlicher Lage oft Tage auf den Ersatzmann warten mußten; aus beliebig hinund herschwebenden Maschinen hat man Filmaufnahmen gedreht, wie sie sonst nie hätten entstehen können. In Paris, einer der verkehrsreichsten Städte Europas, gelang es der Polizei, den Verkehr an den Brennpunkten mit Hubschraubern aus der Luft in geordnete Bahnen zu leiten; der Beobachter gab seine Meldungen und Anweisungen über den Sprechfunk an die Zentrale und die umherfahrenden Streifenkommandos. In New York überwacht die Polizei das weit ausgedehnte Hafengelände aus dem Hubschrauber. Auch Aufmärsche, Sportveranstaltungen und ähnliche Massenansammlungen von Menschen werden heute drüben vom „fliegenden Kommandostand" aus gelenkt. Besonders bewährt haben sich die stählernen Riesenlibellen bei der Bekämpfung von Waldbränden, bei denen es früher kaum möglich war, die Verhältnisse im Zentrum des Brandherdes zu erkunden; ja, oftmals konnte man nicht einmal die Ausdehnung der Brandfläche feststellen. Hubschrauber wurden mit Schaumlöschgeräten ausgerüstet, um sie als „fliegende Feuerwehr" einzusetzen. Landvermessung und Flurbereinigung, Erkundungsflüge in den sonst unzugänglichen Packeisregionen der Polargebiete, Reklameflüge — das sind weitere Möglichkeiten der Verwendung von Drehflüglern. Was sie für die Bodenbewirtschaftung zu leisten vermögen, das zeigt die am Anfang unserer Betrachtung geschilderte Ausrottung der die Schlafkrankheit übertragenden Tsetsefliege in weiten Gebieten des Zululandes. Es ist ein einziges Beispiel von vielen! Nehmen wir ein anderes, das uns näher liegt: Vor einiger Zeit hat man in deutschen Westgebieten eine große Maikäfer-Bekämpfungsaktion durchgeführt. Die beiden Sprühbehälter an den Seiten des
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Hubschraubers enthielten je 100 Liter des Vertilgungsmittels Gamma-HCH, teilweise in Mischung mit dem bekannten DDT. Der besprühte Streifen war 15 bis 20 Meter breit, je Hektar wurden 50 Liter Flüssigkeit verspritzt. Der. Erfolg war erstaunlich. I.i ähnlicher Weise ging man anderwärts gegen den Kartoffelkäfer vor, gegen Heuschreckeninvasionen, gegen Moskitos, gegen die als Malariaüberträgerin berüchtigte Anophelesmücke. Man hat aus Hubschraubern auch Kunstdünger über Felder verbreitet, die wegen des aufgeweichten Bodens oder wegen der schon aufgegangenen Saat von der Düngemaschine nicht mehr befahren werden konnten.
Hubschrauber als Lebensretter Vielfältig und nützlich sind die Verwendungsmöglichkeiten des Drehflügelflugzeuges. Ober allem aber steht der Hubschrauber als Rettungshelfer in höchster Lebensnot. Wieviele Menschen sind schon durch eines dieser Fluginstrumente vor dem sicheren Tod bewahrt worden — Tausende, Zehntausende? Sie sind nicht mehr zu zählen. Immer dann, wenn die Ungunst des Geländes oder des Wettergeschehens den Menschen auf dem Erdboden an die Unglücksstelle nicht herankommen läßt, ist der Hubschrauber rettender Engel —• von den Betroffenen im wahren Sinne des Wortes als herabschwebender „Engel" begrüßt. Vor wenigen Jahren entrissen einige Sikorsky-Maschinen 140 Menschen den Hochwasserfluten des Parana-River. Hunderte waren es, die bei der großen Überschwemmungskatastrophe in Oberitalien im November 1951 durch Helikopter gerettet wurden — 130 allein im Räume Ferrara. In New York holte ein Beil-Hubschrauber einen Dachdecker vom Vordach der St. Johns-Kathedrale, auf das er vom Hauptdach heruntergestürzt war. Man fischte Menschen aus dem Niagara und aus den gefährlichen Wittamette-Fällen bei Oregon-City. Kürzlich wurde in Amerika ein Kaminprüfer nach sechs Stunden Wartens vom Rand eines 50 Meter hohen Kamins geholt, den er wegen eines ausgebrochenen Tritthakens auf normalem Wege nicht mehr verlassen konnte. Man rettete Menschen von sinkenden Schiffen, aus unzugänglichen Dschungelgebieten, von Treibeisschollen, aus Bergnot. . . Kaum ist des Aufzählens ein Ende. 31
Ist es nicht gut, zu wissen, daß sich die Menschen in den Zeiten des Überschalljägers, des ferngesteuerten. Raketengeschosses und der Atombombe auch ein solches, in erster Linie für friedliche und segensreiche Zwecke verwendbares Fluginstrument geschaffen haben?
* Hubschrauber - Weltrekorde: Geschwindigkeitsweltrekord: 251 km/h ( a m 26. 8. 54 mit einem Sikorsky S-59) Höhenweltrekord: 7467 m (am 17. 10. 54 mit einem Sikorsky S-59) Streckenweltrekord: 1959 km (am 17. 9. 52 mit einem Bell 47-D 1) Dauerweltrekord: 13 Stunden, 56 Minuten, 54 Sekunden (am 2. 7. 53 mit einem SNCA SE-3120).
Bemerkenswerte Flugleistungen: erste Überquerung des Ärmelkanals: Sommer 1945 (Gerstenhauer-Deutschland mit einem Focke-Achgelis-223, der an England abgeliefert werden mußte) / erster Flug über 1000 km: 14. «11. 46 durch Jensen-USA mit einem Sikorsky S-51 erste überquerung der Alpen: 23. 9. 50 (Bellinva-Schweiz mit einem Bell 47-D 1) erste Überquerung des Nordatlantik: 15. 7. bis 4. 8. 52 (MeGovern-USA und Moore-USA mit zwei Sikorsky S-55 im Etappenflug auf folgender Route: Westover, USA—Labrador—Grönland—Island—Schottland—Holland—Wiesbaden) erster Looping (Überschlag des Flugzeugs): mit einem Piasecki Retriever PV-14, der im Jahre 1946 konstruiert worden war. Der erste tägliche Passagierdienst der Welt: seit 11. 6. 51 auf den Strecken Cardiff—Liverpool und London—Birmingham. Die erste internationale Verkehrsverbindung der Welt: seit 1. 9. 53 zwischen Belgien und Holland und zwischen Belgien und Deutschland.
Umschlaggestaltung: Karlheinz Dobsky Bild auf der 2. Umschlagseite: New Yorker Hubschrauber auf Polizeistreife; Bild auf Textseke 2: Großhubschrauber „Fairey Rotodyne"
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