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Seewölfe 108 1
Fred McMason 1.
Ferris Tucker, den hünenhaften Schiffszimmermann der „Isabella“, hatte eine eigenartige Lähmung erfaßt. Total verkrampft blieb er am Rand der Eisfläche stehen und wäre fast noch in das eisige Wasser gestürzt, wenn Edwin Carberry ihn nicht schnell am Arm ergriffen hätte. Der Seewolf und Matt Davies waren fast gleichzeitig unten angelangt und starrten über die See. An den unbekannten Toten in der Eishöhle dachte in diesem Augenblick niemand mehr. „Ich habe es gewußt“, stammelte Tucker entsetzt. „Ich habe es die ganze Zeit geahnt. Die ‚Isabella’ ist weg!“ „Ja, sie ist weg“, murmelte Hasard tonlos. „Sie ist abgedriftet, der Wind hat sie weitergetrieben, aber Ben wird es schon schaffen, er kehrt zurück.“ Der Seewolf versuchte, auf die drei Gefährten beruhigend einzuwirken, aber die hatte alle die gleiche Angst erfaßt wie Ferris Tucker. Die Situation war auch geradezu makaber. Da standen sie, einsam und verlassen auf einem mittelgroßen Eisberg, irgendwo in einem eisigen Meer, und vor ihnen auf der Eisschwarte lag ihr Boot, die Schaluppe, mit der sie von der „Isabella“ zu dieser Eisinsel gepullt waren. Vom Schiff aus hatten sie ein Boot gesehen, eingeschlossen in das treibende Eis, und diese Entdeckung hatte sie vermuten lassen, daß zu dem Boot auch ein Mensch gehörte, der sich hierher verirrt hatte. Deshalb waren sie losgepullt, und etwas später hatten sie einen Mann gefunden. Er hockte hoch über ihnen, in einer Grotte aus Eis, neben angekohlten Holzplanken, die er aus seinem Boot geschlagen hatte, um sich zu wärmen. Doch dieser Mann war seit Ewigkeiten tot. Das Eis hatte seinen Körper für alle Zeiten konserviert. So hockte er stumm vor seinem längst erloschenen Feuer, mit weitaufgerissenen eiserstarrten Augen und einem wilden Bart, der ebenfalls nur noch
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aus Eis bestand. Es war eine grausige Entdeckung gewesen. „Ben wird nicht zurückkehren“, sagte Tucker hart. „Er kann es gar nicht, ohne das Risiko einzugehen, einen Totalverlust der ‚Isabella’ zu riskieren. Sieh dich doch um, Hasard. Ringsherum gibt es immer mehr Eisberge, sie tauchen praktisch aus dem Nichts auf und scheinen sich rasend zu vermehren. Wie soll Ben uns da jemals finden?“ Hasard hatte das schon vorhin bemerkt. Anfangs waren es nur einige kleine treibende Eisfelder gewesen, dann tauchten ganze Eisinseln auf, und jetzt waren sie von etlichen Eisbergen umgeben, die auf einem unbestimmbaren Kurs in irgendeine geheimnisvolle Richtung trieben. „Wir versuchen, auf die andere Seite zu gelangen“, sagte der Seewolf, ohne auf Tucker einzugehen. Der Schiffszimmermann war nervös, Hasard hatte ihn selten so gesehen. Aber auch er selbst war erregt, aufgeputscht und hatte ein banges Gefühl, das gab er vor sich selbst zu. Kehrte die „Isabella“ nicht zurück, dann würden sie zweifellos das erbärmliche Schicksal des toten Mannes teilen, der in seiner Grotte an der Wand lehnte wie ein Verfluchter des Eismeeres. „Wenn wir mit dem Boot aus Leibeskräften pullen, dann müßten wir doch das Schiff finden“, sagte Matt Davies. Carberry lachte unecht auf. „Ha, wie stellst du dir das vor, Mann? Die ‚Isabella’ befand sich vor einer Weile Backbord von uns, jetzt versperren Eisberge die Sicht, diese lausige Insel, auf der wir stehen, dreht sich um sich selbst, und unser Schiff driftet ab. Wir würden uns hoffnungslos verirren, außerdem haben wir keinen Kompaß im Boot, und an Bord haben wir ebenfalls keinen mehr. Hoffentlich geht das in deinen Schädel, Matt!“ „Verflucht“, sagte Matt Davies leise. „Rüber zur anderen Seite, wir nehmen das Boot“. drängte Hasard. „Beeilt euch, jede Minute, die wir hier sinnlos verquatschen,
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verkürzt unsere Aussichten, die ‚Isabella’ zu finden.“ Carberry packte den Anker, den sie aufs Eis gelegt hatten, damit das Boot nicht wegtrieb und legte ihn ins Boot. Sie sprangen hinein, und der Seewolf drückte mit dem eisenbewehrten Haken die Schaluppe von der Eisinsel ab. Dann legten sie sich alle vier in die Riemen und pullten -um den Eisberg, der sich Wie ein atmender Mensch rhythmisch hob und senkte. Die See war immer noch stark bewegt, der Himmel sah aus wie graues dickes Blei, und der Horizont wallte in kleinen weißen Schleiern aus Eisnebeln. Wo er begann, ließ sich nicht feststellen. Es war eine unheimliche Welt, so still und ruhig mitunter, daß einem diese Stille schmerzhaft auf die Nerven ging. Dann wieder erklangen aus dem Eis knisternde und seufzende Geräusche, Risse bildeten sich in den treibenden Inseln, und ab und zu fielen mit Donnergetöse riesige Eisblöcke in sich zusammen. Zum Glück waren die vier Männer dick vermummt, denn die lausige Kälte fraß sich durch alles hindurch, sie biß sich bis ins Knochenmark und ließ die Glieder taub und gefühllos werden. Als sie die Eisinsel mit dem unheimlichen Toten darauf, zur Hälfte umrundet hatten, tauchten neue Hindernisse auf. Kleine Brocken aus Treibeis, mitunter nur faustgroß, schoben sich unmerklich zu großen Flächen zusammen und behinderten das Vorwärtskommen ganz beträchtlich. Von der „Isabella“ war weit und breit nichts zu sehen. Keine Mastspitze zeigte sich, nichts verriet ihren Kurs. Die vielen treibenden Eisklötze versperrten die Sicht, und dazu kam noch eine diesige neblige Masse, die auf dem Wasser lag und wie glimmender Schwefel zu dampfen schien. Die andere Seite „ihrer“ Insel wuchtete steil aufragend vor ihren Blicken annähernd achtzig Yards nach oben. Sie war so glatt, daß niemand sie besteigen konnte. Die höchste Erhebung wurde von einem glatten Buckel aus glänzendem
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weißblauen Eis gekrönt, das gefährlich glitzerte. Hasards Sorge wuchs ganz beträchtlich. Er riß sich zusammen, um ich nichts anmerken zu lassen, denn er sah Tuckers zuckendes Gesicht, sah wie Carberry schluckte und Matt Davies mit großen, erschreckten Augen in die Wasserwüste blickte. Sie hatten schon viel erlebt, doch ein Meer. das sich zusehends vor ihren Augen immer mehr mit Eis bedeckte, in dem riesige große Inseln aus blauweißem Eis trieben, das hatten sie noch nie erblickt. Daher wuchs spürbar die Panik, in dieser absolut fremden Umgebung ganz allein zu sein, einem ungewissen Schicksal ausgesetzt, verhungern, verdursten oder erfrieren zu müssen — wie jener Mann, der vor seinem erloschenen Feuer hockte. Unheimlich und beängstigend war diese Welt des Schweigens, diese tote Einsamkeit, diese von keinem Menschen bewohnte eisigkalte und lebensfeindliche Todeszone. Hier war der Mensch allein, dachte Hasard, hier war er in einem schweigenden Nichts verloren, einer Natur ausgesetzt, die ihn gleichgültig behandelte, die seine Existenz nicht duldete. „Merkt euch die Form dieser Eisinsel gut“, sagte Hasard, „es ist der einzige Anhaltspunkt, den wir in dieser Wüste haben. Ben wird unter allen Umständen versuchen, zurückzu ...“ Der Seewolf schwieg, als er die Blicke sah, die die drei Männer ihm zuwarfen. Tucker entblößte seine Zähne und lachte grollend. Wütend hieb er mit dem Riemen in eine kleine Eisfläche, die sich auf dem Wasser zusammenschob. Es gab knisternde Geräusche. „Gleich lach ich mich tot“, sagte er grollend. „Wir sind keine kleinen Kinder mehr, wenn ich auch vor Angst bald in die Hosen scheiße, das kann ich nicht verschweigen. Aber verschone uns bitte mit liebevoller Fürsprache, Hasard, und mach uns keine Hoffnungen, wo es keine mehr gibt.“
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Ferris’ Panik wurde immer offensichtlicher, dachte der Seewolf bestürzt, er, der sonst immer ruhig und besonnen war, schien den Gefahren dieser trostlosen Einöde nicht gewachsen zu sein. Aber war er selbst das eigentlich, jetzt, seit sie die „Isabella“ aus den Augen verloren hatten? Tucker mußte man anders anpacken, da halfen keine bösen Worte. Den brachte nur noch Spott auf die Beine. „Seit wann bist du unter die Hosenscheißer gegangen, Ferris?“ fragte er höhnisch, „und seit wann wirfst du die Riemen gleich ins Wasser? Bist du nicht der Schiffszimmermann der ‚Isabella’, an dem die meisten anderen sich ein Beispiel nehmen, weil du durch nichts aus der Ruhe zu bringen bist?“ Einen Augenblick glomm es dunkel in Tuckers Augen auf. Er hatte eine heftige Erwiderung auf der Zunge, doch der spöttische Blick des Seewolfs hielt ihn zurück. Sein Gesicht verzog sich zu einer Grimasse, die ein Lächeln andeuten sollte, das aber kläglich mißlang. Erst nach und nach hellten sich seine Züge auf, und dann grinste er schwach. „Ich glaube, jetzt ist es besser“, sagte er. „Natürlich wird Ben alles versuchen, um uns zu finden, ich weiß nicht, wie ich auf diesen blödsinnigen Gedanken verfallen bin.“ „Schon gut, vergiß es.“ Hasard legte den Riemen ins Boot zurück und richtete sich zu voller Größe auf. Angestrengt blickte er auf einen weit entfernten Eisberg von beachtlicher Größe, neben dem zwei kleinere trieben. „Ist etwas?“ fragte Matt. „Siehst du sie?“ „Nein, es war eine Täuschung.“ Wieder verließ sie der Mut. Während sie weiterpullten, hing jeder seinen Gedanken nach und schwieg. Fast eine Stunde lang pullten sie um kleinere Eisberge herum, dann begann es übergangslos zu schneien, die See beruhigte sich noch mehr, und der leichte Wind schlief fast ein.
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Die Sicht wurde immer schlechter und trüber. Bald konnten sie keine zwanzig Yards mehr weit blicken. Jeder begriff, was das bedeutete, aber jeder bemühte sich, sorglos zu erscheinen, denn schon wieder erschien das spöttische Lächeln im Gesicht des Seewolfs, der sie der Reihe nach anblickte und so tat, als wäre alles ganz normal. Sein Blick suchte den Eisberg, den sie verlassen hatten, und seine Augen glitzerten fast wie das Eis, als er ihn nicht gleich fand. Doch etwas später entdeckte er den dunklen Fleck, das im Eis eingeschlossene Boot des Toten. das sich deutlich vor dem weißen Hintergrund hervorhob. „Etwas mehr nach Backbord, wir rudern zu der Eisinsel zurück“, sagte er. „In einer knappen Stunde wird es dunkel, und dann ist es besser, wenn wir ein Dach über dem Kopf haben, auch wenn es nur ein Dach aus Eis ist.“ Der Gedanke, in jener Eisgrotte zusammen mit dem Toten zu übernachten, behagte ihnen ganz und gar nicht. Aber es gab keine andere Möglichkeit. Sie konnten nicht stundenlang umherirren. wenn die Dunkelheit hereinbrach. Dann nämlich würde auch der letzte Rest Hoffnung erlöschen, dann gab es keine Rettung mehr. Sie mußten überleben, auf Biegen und Brechen. Das Schneetreiben nahm zu und wurde dichter, bis man kaum noch die Hand vor Augen sah. Hasard versuchte mit seinen Blicken die dichten Flocken zu durchdringen, die wie ein Vorhang vor ihnen in der Luft schwebten. Die Eisinsel! Wo, zum Teufel, war sie jetzt? Sekundenlang wollte das gleiche Gefühl bei ihm aufflammen wie bei Ferris Tucker, doch gleich darauf sah er undeutlich den grauen Schatten, der aus der See aufragte, und atmete erleichtert auf. Sie hatten es geschafft, obwohl sie sich in einer noch schlimmeren Misere als vorhin befanden. Aber dieses kleine Stückchen Insel aus gefrorenem Wasser vermittelte
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zumindest das Gefühl, etwas Bekanntes wiedergefunden zu haben. Das Boot legte an, die Männer sprangen heraus, und der Profos wollte es ein Stück an „Land“ ziehen. „Laß es im Wasser“, riet Ferris, „es friert noch immer, und später kriegen wir es nicht mehr aus dem Eis. Dann sieht es so aus wie das andere.“ Den Anker legten sie aufs Eis und sicherten ihn zusätzlich mit der langen Leine gegen Abtreiben. „Rauf in die Höhle“, sagte der Seewolf, „da sind wir einigermaßen vor dem Schneetreiben sicher. Nehmt alles aus dem Boot, was sich darin befindet, vergeßt die Fackel nicht, nehmt auch das Segel mit.“ Nur ungern dachten sie daran, daß sie die Nacht zusammen mit einem längst Verstorbenen verbringen mußten, aber was blieb ihnen anderes übrig? „Wir nehmen noch ein paar Planken mit“, murmelte Ferris. Er hob seine riesige Axt und schlug sie in die zersplitterten Planken des Wracks, bis die Holzteile nach allen Seiten davonflogen. Zusehends wurde es jetzt dunkler. Dicke Schneeflocken fielen dicht an dicht vom unsichtbaren Himmel und deckten alles zu, als die vier Männer den gefahrvollen Aufstieg begannen. Im Boot befand sich noch Proviant, Hartbrot und ein kleines Faß Wasser, das steinhart gefroren war. Wenigstens hatten sie für einen Tag oder auch zwei etwas zu beißen. Das Wasser war nicht so wichtig, sie konnten Schnee auffangen und ihn schmelzen, wenn sie ein Feuer in Gang kriegten. Alles, was sie noch besaßen, wurde in die Höhle des Toten geschleppt und auf den Boden gelegt. Als Hasard die Fackel entzündete, fiel ihr zuckender Schein auf den Mann im Eis, den erfrorenen Fremden, der in unveränderter Haltung an seiner eisigen Wand lehnte. Seine eiserstarrten Augen schienen wieder zu leben, sobald das Licht sich in ihnen spiegelte. Tucker überwand das Grauen, das ihn wieder ansprang, und der Profos versuchte
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dem toten Blick der Eisaugen auszuweichen und die Leiche zu ignorieren. Doch das war nicht so einfach. Die anderen hatten ihn schon gesehen, Carberry noch nicht, und so war es für ihn noch unheimlicher. Eine lausige Nacht stand ihnen bevor, die Nacht mit einem Toten, der sich an ihrem Feuer wärmte. 2. Auf der „Isabella VIII.“ hatte man das Manöver von Anfang an beobachtet, wie das Boot zu dem Eisberg hinüberglitt, wie die Männer auf das Eis sprangen und das Wrack untersuchten. „Die haben es gut“, sagte Bob Grey, „unternehmen eine kleine Fahrt und haben Abwechslung. Bei uns geht die Langeweile weiter bis zum Kotzen.“ Erst sehr viel später ging ihm ein Licht auf, und er war froh, daß er doch nicht dabei gewesen war. Ben Brighton, Big Old Shane und Smoky standen im Ruderhaus. Hasards Stellvertreter Ben zog die Stirn in Falten. Smoky sah, daß die Sanduhr, die ihnen noch geblieben war, gerade ablief und drehte sie für die nächste halbe Stunde um, ehe er sie in die kleine Verankerung zurückstellte. „Viel länger wird es wohl nicht dauern“, sagte er dabei. „Bis der Sand durch ist, sind sie wieder an Bord zurück.“ „So richtig gefällt mir das nicht“, sagte Ben und hob unbehaglich die Schultern hoch. „Wir driften zu schnell, eine halbe Stunde kann eine verdammt lange Zeit sein.“ Auch der alte Schmied von Arwenack zog ein besorgtes Gesicht. Sein gewaltiger Brustkasten wölbte sich unter einem tiefen Atemzug, bis ihm die Jacke zu platzen drohte. „Ganz sicher kehren sie gleich zurück“, beruhigte er sich selbst. Er starrte aus zusammengekniffenen Augen .hinüber und versuchte dabei gleichzeitig, die Geschwindigkeit der „Isabella“ ungefähr
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zu schätzen, die rascher durch das Wasser glitt, als er gedacht hatte. Blieben sie wirklich eine halbe Stunde lang weg, so überlegte er, wurde es schwierig, das Schiff einzuholen. Hinzu kamen die verdammten Eisberge, die so überraschend auftauchten, als hätte das Meer sie ausgespien. Denn was sich vormals als Barriere am fernen Horizont dargestellt hatte, war in Wirklichkeit eine ganze Formation dieser Blöcke, die scheinbar wahllos und wild durch die See trieben. „Wir sollten die Sturmsegel backbrassen und danach auf Gegenkurs gehen“, schlug Big Old Shane vor, sah dann aber gleichzeitig ein, daß das kaum möglich war, denn ziemlich achtern erhob sich ein großer Berg im Wasser, der so aussah, als würde er jeden Moment in der See kentern, so bedrohlich schwankte er. Auch an Back- und Steuerbord erschienen diese Dinger jetzt in großer Anzahl. Kleine wechselten mit großen ab, dazwischen lagen die Eisteppiche, die sich auf der Oberfläche gebildet hatten. Ben griff hart ins Ruder, um einem blauweißen Berg auszuweichen, der ihnen beharrlich entgegentrieb. Das Manövrieren begann schwierig zu werden. Es wurde mit jeder Minute, die verging, zu einer ausgesprochenen Gefahr, denn sie hatten gesehen, wie stark dieses Eis war. Wenn ein Schiff mit diesen Eisgiganten kollidierte. zerbarst es zu einem wüsten Trümmerhaufen, ohne daß dem Eisberg auch nur das geringste geschah. Die „Isabella“ verließ daher ihren Kurs und lief in einer anderen Richtung davon, ohne daß die Männer den Kompaßkurs feststellen könnten. Sie wußten nicht, ob sie nach Norden, Süden, Westen oder Osten segelten. Es war eine verteufelte Situation, diese Fahrt ins Ungewisse. Langsam trieben sie an dem Eisberg, auf dem die vier Männer sich befanden, vorbei. Sie sahen einen Teil der anderen Seite, der glatt und unbesteigbar war und oben einen großen Buckel aufwies,
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während der Grat der Vorderseite an eine gewaltige Säge erinnerte. Fast die Hälfte des Sandes war jetzt in dem Glas durchgelaufen, an dem sich die Blicke festsaugten. „Jetzt wird es aber allmählich Zeit“, sagte Ben besorgt, als nur noch ein kleiner Rest in dem Glas stand. Smoky blickte durch das Spektiv, aber vor die „Insel“ hatte sich ein anderer Eisberg geschoben, und von Backbord trieb ein weitaus größerer heran, der alles ihren Blicken entzog. Brighton wurde immer unruhiger. Mit den Fingerspitzen trommelte er auf das große Ruderrad. „Verdammt, wir können doch nicht wenden“, sagte er ärgerlich, „sehen die Burschen das denn nicht! Wir lavieren uns durch diese lausigen Eisklötze schon mühsam genug hindurch. Jeden Augenblick stoßen wir mit einem zusammen, wenn wir nicht aufpassen.“ Sie hatten die betrübliche Erfahrung bereits gemacht, daß die treibenden Berge unter Wasser riesige vorgelagerte Eisfelder vor sich herschoben. Man mußte ihnen schon ausweichen, wenn sie noch weit entfernt waren, um den tückischen Unterwasserriffen zu entgehen, die so scharf wie Korallen waren. Immer weiter entfernten sie sich. Ben wollte zuerst die Segel wegnehmen lassen und vor Topp und Takel weitertreiben, doch auch das erwies sich als unmöglich. Das Ruder hatte dann zu wenig Druck, das Schiff gehorchte dem Steuer nicht mehr und konnte mit einem dieser immer größer werdenden Giganten kollidieren. Passierte das, dann war es aus mit der Seefahrt und zwar endgültig. „Übernimm das Steuer, Shane“, sagte er zu dem Schmied. „Was hast du vor?“ „Ich werde einen der Brandsätze auf diesen Eisberg abfeuern. Das Signal müssen sie sehen, vielleicht treffe ich den Eisblock an der richtigen Stelle. Dann wird es auf dem Eis in allen Farben anfangen zu brennen, und dann werden diese Burschen auch
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kapieren, daß es höchste Zeit ist, an Bord zurückzukehren.“ Während Ben in Hasards Kammer ging und schnell den Affen Arwenack und den Papagei Sir John fütterte. wich Big Old Shane einem weiteren Eisberg aus und lief noch mehr nach Steuerbord ah. Zum Glück war die See ruhiger geworden, aber dafür begann er langsam an seinem eigenen Verstand zu zweifeln. Der Teufel mochte wissen, woher die vielen Eisberge kamen, die man kaum noch voneinander unterscheiden konnte. Und wo war jener jetzt geblieben, auf dem die vier Männer sich befanden? War es der achteraus liegende an Backbord oder der zweite — oder so- gar der kleine mit dem runden Buckel? Shane trat aus dem Ruderhaus und winkte Dan zu, der wieder in den Großmars aufgeentert war. „Siehst du das Ding noch, Dan?“ brüllte er hinauf. Dan O’Flynn streckte seinen Schädel durch die Segeltuchverkleidung und blickte an Deck. Aus dieser gewaltigen Höhe sah Shane wie ein Zwerg aus, der aufgeregt mit den Armen fuchtelte. „Es wird immer diesiger!“ brüllte er zurück. „Ganz hinten beginnt es zu schneien. Ich kann diese lausigen Eisklötze nicht mehr voneinander unterscheiden!“ „Achte auf schwarze Punkte“, rief Shane enttäuscht. „Das Boot wird jeden Augenblick da sein.“ „Verstanden, Big!“ Ben Brighton erschien mit dem Brandsatz an Deck und blickte sich verwirrt um. Himmel! Das gab es doch gar nicht, dachte er bestürzt. Die treibenden Giganten sahen sich alle ähnlich, aber das lag vermutlich an diesem miesen Himmel) durch den keine Sonne schien. Hastig beriet er sich mit Big Shane, doch der war genauso ratlos wie die anderen auch. Sie hatten jegliche Orientierung verloren und fanden sich nicht mehr zurecht. „Der dort achtern muß es sein“, behauptete Ben.
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Niemand widersprach, weil es niemand besser wußte. Also einigte man sich auf „den dort achtern“. Der Brandsatz wurde ausgerichtet und angezündet. Mit dem üblichen Gekreische und Gejaule flog er funkenstiebend davon, bis er hoch über dem Eisberg in der Luft zerplatzte. Eine riesige Traube grüner und roter Blüten ergoß sich über den Berg. Die roten tanzten auf dem Eis und begannen grell zu lohen, schmolzen Löcher in das Eis und brannten noch eine ganze Weile, während die grünen in sich selbst zerplatzten und einen Feuerregen nach allen Seiten verteilten. Erst allmählich erlosch das Feuer, das hier keine Nahrung fand. Eine Zeitlang warteten die Männer schweigend ab, ob etwas geschah. Doch es rührte sich nichts. Stumm und bedrohlich lag die Welt aus Eis vor ihnen, sie verriet nicht, wo sich noch Leben verborgen hatte. „Scheiße“, sagte der alte O’Flynn wütend und stampfte mit dem Holzbein auf. Er sprach den anderen aus der Seele, denn genau dieses Wort hatten sie alle augenblicklich bereit. „Das war der falsche Eisberg“, sagte Luke Morgan. „Aber das grelle Licht müssen sie trotzdem gesehen haben.“ „Wenn sie in die Grotte gestiegen sind, haben sie es ganz sicher nicht gesehen. So stark leuchtet es jetzt auch wieder nicht.“ Ben feuerte nach einer Weile den nächsten Brandsatz ab. Ein Erfolg trat nicht ein, wieder erfolgte keine Antwort, kein Zeichen, daß man ihn bemerkt hatte. Zu allem Überfluß trat gleich darauf das ein, was Dan schon vorhin aus dem Großmars gemeldet hatte. Die weiße Bank am Horizont rückte näher, und etwas später schüttete sie riesige weiße Flocken über die „Isabella“, die jetzt fast blind dahinsegelte. „Das hat uns noch gefehlt“, stöhnte Smoky. „Weiter brauchen wir nichts. Unsere vier Leute fort und keine Sicht. Wir können ja nicht einmal mehr den Eisbergen ausweichen.“
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Schrecken stand in allen Gesichtern. Der Schiffsjunge Bill drückte sich unbehaglich am Ruderhaus herum. Schneeflocken fielen auf seine schwarzen Haare und blieben dort liegen wie eine kleine weiße Kappe. Auch Dan O’Flynn im Ausguck sah nichts weiter als eine grauweiße Wand, die auf ihn zurückte und alles einhüllte. „Runter mit den Segeln!“ befahl Ben. „Wir treiben weiter, egal was passiert. Wir haben zuviel Fahrt drauf.“ Im Nu wurden die Sturmsegel aufgegeit. Diesmal war keiner dabei, der ihnen versprach, die Haut in Streifen von ihren verdammten Affenärschen zu ziehen, keiner, der Kommandos brüllte oder wilde Drohungen ausstieß. Das Schiff war so gut wie tot ohne den Seewolf, ohne Carberry, Tucker und Matt Davies. Sie waren keine Mannschaft mehr, so spürten es alle überdeutlich. „Drei Mann nach vorn auf die Back!“ rief Ben Brighton. „Dan, aus dem Großmars abentern, ebenfalls nach vorn. Achtet auf den geringsten Schatten, packt die Haken und haltet sie so weit nach vorn wie es geht.“ Viel würde es nicht nutzen, dachte Ben, denn die Bewegungsenergie des Schiffes hielten vier oder fünf Mann nicht plötzlich auf. Aber vielleicht wurde der unvermeidliche Rammstoß auf diese Weise wenigstens etwas abgemildert. Auf dem Achterdeck beriet er sich mit dem Decksältesten Smoky. „Wenn uns einer dieser Giganten zu nahe gerät, Smoky, dann seht zu, daß ihr Enterhaken rüberwerfen könnt. Hängt Leinen an die Haken, vertäut das Schiff, haut Löcher ins Eis, aber haltet den Kahn fest. Wenn wir an einem der Eisberge liegen, besteht die Gefahr eines Zusammenstoßes nicht mehr. Wir treiben dann mit dem Klotz mit und bleiben ungefähr in der Nähe. Sag Al Conroy, er soll eine Culverine abfeuern.“ „Aye, aye“, sagte Smoky, und dann grinste er schief.
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„Manchmal hast du ganz gute Ideen. Ich frage mich, weshalb du es noch nicht zum Kapitän gebracht hast!“ „Hau ab, du lausiger Stint!“ Smoky gab dem Waffen- und Stückmeister Al Conroy Bescheid, daß er eine Culverine abfeuern solle. Vielleicht konnten der Seewolf und die anderen sich danach orientieren. Dann ging er weiter nach vorn zur Back, wo die Männer bereitstanden und das dichte Schneetreiben mit den Blicken zu durchdringen versuchten. „Mann, ist das ein mulmiges Gefühl“, sagte Gary Andrews. „Jeden Moment kann so ein Ding auftauchen und uns rammen.“ „Du sollst nicht quatschen, sondern aufpassen“, sagte Smoky. „Halt die Klüsen offen, da vorn bewegt sich was.“ Was da auf sie zutrieb, war grau und undefinierbar, ein vager Schatten nur, den man kaum sah. Da halfen auch Dans scharfe Augen nicht viel, er sah nicht mehr als die anderen. Die Bugwelle der „Isabella“ hatte sich längst verloren. Sie schob keinen Bart mehr vor sich her, also hatte sie auch nicht mehr viel Fahrt drauf. Das war einigermaßen beruhigend. Der Schatten rückte näher heran, eine treibende Wand, durch nichts aus dem Kurs zu bringen, drohend und unheilvoll rückte sie heran, ein kaum sichtbarer Gigant, der ihnen den Tod bringen konnte, wenn sie nicht aufpaßten. Ein brüllender Abschuß ließ sie zusammenfahren. Keiner war auf den grollenden Donner vorbereitet, der das Schiff erbeben ließ. Al Conroy hatte die Culverine abgefeuert, um den verschwundenen Männern ein Zeichen zu geben. Der Pulverrauch wehte übers Schiff, und der Rückstoß hatte die Culverine zurückgejagt, bis die Brooktaue sie auffingen. „Achtung!“ brüllte Smoky. „Bringt die Haken raus!“ Die Wand war jetzt heran, und im selben Augenblick vernahmen sie deutlich unten am Kiel des Schiffes ein leichtes Schurren.
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Haken wurden ins Eis getrieben, die Seewölfe stemmten sich mit aller Kraft dagegen, bis die „Isabella“ leicht aus dem Kurs schor und längsseits an dem Eisberg vorbeitrieb. Immer noch drückten sie mit aller Kraft, um ein Auflaufen auf die harte Fläche zu verhindern, dann sah es so aus, als hätten sie es geschafft. Spitz zugeschliffene Haken an langen Leinen bohrten sich ins Eis, hakten sich fest und wurden vorsichtig dichtgeholt, damit sie sich nicht wieder losrissen. Immer mehr Haken flogen hinüber. „Gefühlvoll nachfieren!“ schrie der Decksälteste. „Der ahmt den Profos nach“, meinte Andrews, „bloß das Fluchen hat er noch nicht richtig gelernt.“ Etwa zwanzig Yards trieb das Schiff noch zur Längsrichtung des Eisberges, den dichte Schneeflocken einhüllten. Dann erst stoppte die „Isabella“ endgültig. Jeff Bowie und Bob Grey sprangen an Land, vorsichtshalber durch zwei Leinen gesichert, damit sie auf dem glatten Untergrund nicht abrutschten und ins Wasser fielen. Sie nahmen die Leinen und Hämmer entgegen, die man ihnen reichte, und trieben mit wuchtigen Schlägen eiserne Haken ins Eis. In der Zwischenzeit hielten die Seewölfe das Schiff mit den anderen Tampen fest. Danach wurden Taue ausgebracht und dichtgeholt, bis die „Isabella“ fest an dem Eisblock lag, dessen Größe sich bei dem Schneetreiben nicht einmal annähernd schätzen ließ. Ben Brighton war eine große Sorge los. Ihr Schiff konnte nur noch unter äußerst widrigen Umständen mit einem Eisberg kollidieren, eine Möglichkeit, die fast auszuschließen war. Der zweite Trumpf lag ebenfalls klar auf der Hand: Der Eisberg driftete längst nicht so schnell wie das Schiff, er war viel schwerfälliger und unbeweglicher in der See. Das hieß, daß sie sich nicht allzu weit von der Insel entfernen würden, auf der Hasard und die anderen gefangen waren.
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Das waren zwei nicht zu unterschätzende Vorteile. Jetzt konnten sie einigermaßen ruhig die hereinbrechende Nacht abwarten. 3. Mit klammen Händen spaltete Tucker die herausgeschlagenen Planken zu Kleinholz. Einen Teil davon verarbeitete er zu Splittern. Das Holz war nur von außen naß, wie er feststellte, innen war es knochentrocken und würde auch brennen. Während er stumm und verbissen schuftete, warf er immer wieder einen heimlichen Blick auf den Toten, der ihm mit ausdruckslosen Augen bei der Arbeit zusah. Jawohl, zusah, dachte Ferris. Irgendetwas in dem Mann schien zu leben, davon ließ er sich nicht abbringen. Selbst der Profos schien das zu glauben, denn auch er warf immer wieder scheue Blicke auf den Erfrorenen. Draußen senkte sich die Dunkelheit über die trostlose Einöde. Hasard nahm die Fackel in die Hand, hielt sie weit von sich ausgestreckt und leuchtete die Höhle ab. Er gelangte nicht weit. Nach knapp sechs Yards stand er vor einer glatten Eiswand. Schon etwas vorher mußte er sich bücken, denn die Decke begann niedriger zu werden. Oben, unten und an den Seiten glitzerte es grell, wenn das gelbliche Licht auf Wände oder Decken fiel. Der Tote war für ihn ebenfalls keine angenehme Begleitung, liebend gern hätte der Seewolf auf seine Geselligkeit verzichtet, doch er brachte es nicht über sich, den stummen Mann einfach aus der Höhle zu werfen. Sie war sein Grab, und er sollte sie behalten. „Gib mir mal das Segel, Ed“, sagte er zu Carberry. „Wir werden es so vor den Eingang spannen, daß der Wind nicht mehr hereinpfeifen kann. Nur eine kleine Ecke lassen wir offen für den Rauch, den das Feuer entwickelt.“ Selbst diese lausige unbedeutende Arbeit wurde zu einem Problem. Sie hatten nichts,
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womit sie das Segel im Eis befestigen konnten, bis Ferris Tucker die rettende Idee hatte. Mit der Axt schnitt er zwei spitze Pflöcke zurecht und rammte sie vorsichtig in das Eisloch, das Matt Davies mit seiner Hakenprothese ausgekratzt hatte. Wieder rieben sie die klammen Hände aneinander. „Der friert nicht mehr“, sagte Matt, auf den stummen Mann deutend, „der hat alle Probleme längst gelöst.“ „Ich stelle mir eine andere Lösung vor. Wenn wir die Nacht erst hinter uns haben, sieht alles anders aus.“ Er reichte Tucker die Fackel, der ein paar Späne an dem Feuer entzündete und sie unter den aufgestapelten Haufen Holz schob. „Das Holz reicht für die Nacht nicht“, meinte der Profos, „ich werde auch noch die restlichen Planken holen. Gib mir deine Axt mit, Ferris.“ „Du gehst aber nur angeleint“, befahl der Seewolf. „Wir halten dich von hier oben aus fest.“ Gerade als Ed sich abseilen wollte, hörten sie einen dumpfen Knall, dem ein rollendes Echo folgte. Alle vier spitzten augenblicklich die Ohren. Hoffnung überzog ihre Gesichter. Das hörte sich verdammt nach einem Schuß aus der Culverine an“, sagte Matt. „Aber die Richtung läßt sich nicht bestimmen.“ „Sehr weit kann die ‚Isabella’ also nicht sein“, sagte Hasard. „Obwohl der Schall in dieser klaren Luft viel weiter getragen wird als anderswo.“ „Immer vorausgesetzt, es war eine Culverine“, murmelte Ferris. „Als das Eis platzte, hat es sich genauso angehört.“ „Ja, das stimmt“, gab Carberry zu. Angestrengt lauschten sie, ob das Geräusch sich noch einmal wiederholte, aber alles blieb still. Erst nach einer Weile begann es draußen zu knirschen, und Eis polterte mit Getöse ins Wasser, daß es sich so ähnlich anhörte wie der vermeintliche Schuß. Carberry seilte sich ab. Unten fand er sich nur sehr mühsam zurecht und mußte sich
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an das zersplitterte Boot herantasten. Der Schnee stiebte jetzt so dicht, daß er seine eigene Hand nicht mehr vor Augen sah, und so quälte er sich eine halbe Stunde lang ab, bis er etliche Planken herausgebrochen hatte: Am Seil wurden sie nach oben gezogen, etwas später folgte der Profos. In der Mitte brannte jetzt ein schwaches Feuer. Hasard hatte die Fackel gelöscht, man konnte nie wissen, ob sie nicht noch einmal dringend benötigt wurde. Es war eine gedrückte Gesellschaft, die um das Feuer hockte. Die Männer streckten die verfrorenen Hände über das Feuer und rieben sie, bis es juckte, biß und kribbelte und die Lebensgeister allmählich zurückkehrten. Nur einer hockte wie unbeteiligt am Feuer: der Tote. Er schien direkt in die kleinen Flammen zu starren, und wieder huschten diese Reflexe in seinen Augen, die Pupillen schienen zu leben, und Ferris Tucker rückte von der stummen Gestalt etwas ab. Es ließ sich nicht umgehen, sie mußten den Fremden in ihrer Nähe erdulden, weil die Höhle sehr klein war. So hockte er reglos neben Hasard, ein unheimlicher Gesellschafter, dessen bloße Anwesenheit ihnen immer wieder einen Schauer über den Rücken jagte. Nach einer Weile wurde es spürbar wärmer, und Carberry wollte sich der Länge nach ausstrecken, doch Hasard wehrte ab. „Du frierst an, ich warne dich, Ed. Du mußt dich alle paar Minuten kurz bewegen und um eine Handbreite den Platz wechseln, sonst bleibst du am Eis kleben.“ „Dann legen wir uns abwechselnd auf die Planken“, sagte der Profos, „einer kann wachen, die anderen schlafen.“ „Schlafen?“ fragte Tucker entsetzt, „du glaubst doch nicht, daß ich neben einem Toten schlafen kann.“ „Wenn du müde genug bist, ganz sicher. Er tut dir bestimmt nichts mehr, der arme Kerl.“
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Tucker sah wieder den unbekannten Seemann an und erschrak. Mit einer leisen Verwünschung sprang er auf die Beine. „Ich will nichts beschwören“, sagte er hastig, „aber mit dem da stimmt etwas nicht.“ „Wie kommst du darauf?“ fragte Hasard. „Er ist tot, was soll mit ihm nicht stimmen?“ „Er weint“, sagte Tucker, „ich habe eben ganz deutlich Tränen in seinen Augen gesehen.“ Jetzt sprang auch Hasard auf. „Verdammt, Ferris, du kannst einem aber auch ...“ Er sprach nicht weiter, er sah, daß der Schiffszimmermann nicht übertrieben hatte. Fassungslos sah er den Toten an. Carberry und Davies blickten ebenfalls in das erstarrte Gesicht und zuckten vor Schreck zusammen. Zwei dicke Tränen perlten aus den weitoffenen Augen des toten Seemannes, kullerten über seine Wangen und tropften in den Eisbart, in dem sie hängenblieben. „Der - der lebt nicht und ist auch nicht tot!“ schrie Tucker in panischem Entsetzen und sprang bis an die Wand zurück. Abwehrend hob er die Hände. „Verdammt, Ferris, beherrsch dich!“ Hasard hatte selbst alle Mühe und rang um Fassung, während Ed und Matt keinen Ton hervorbrachten. Zu allem Unglück neigte sich auch der Kopf des Mannes noch etwas weiter nach vorn. Hasard fand des Rätsels Lösung etwas später, als sie immer noch fassungslos auf den Toten starrten. „Es ist die Wärme“, sagte er rauh und mit belegter Stimme. „Sie hat zuerst seine eiserstarrten Augen aufgetaut, weil er ziemlich dicht am Feuer sitzt. Die Eistropfen tauen allmählich auf, auch in seinem Bart glitzert es. Wenn das Feuer erloschen ist, wird er wieder genauso starr werden wie vorher. Ihr seht, es gibt für alles eine Erklärung.“ Tucker faßte sich wieder und nahm auf dem kleinen Stück einer Planke Platz.
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„Ja, ich sehe es ein, trotzdem bleibt es unheimlich, und vor dieser Nacht graut mir wirklich.“ „Sei froh, daß wir diese Höhle entdeckt haben. Draußen wären wir schon erfroren wie dieser bedauernswerte Mann hier.“ Zäh verrann die Zeit, sie dehnte sich zu Ewigkeiten aus, die kein Ende nahmen. Und der Tote hockte in ihrem Kreis wie ein Gespenst. Seine starren Schultern sackten allmählich ein, und er beugte sich immer weiter nach vorn, bis er fast ins Feuer fiel. Es kostete den Seewolf Überwindung, die Leiche, die an den Seiten immer noch bretthart gefroren war, wieder aufzurichten und an die kalte Wand zu lehnen. Matt Davies und Carberry hatten sich je eine schmale Planke an die Wand gelehnt und dösten vor sich hin. Niemand sprach ein Wort. Ab und zu legte Tucker ein Stück Holz nach und hob fröstelnd die Schultern. Um nicht dauernd den fremden Seemann ansehen zu müssen, starrte er blicklos in die schwachen Flammen. Etwas später schlief der Profos ein, gleich darauf verkündeten auch Davies’ ruhige Atemzüge, daß er ebenfalls schlief. „Du kannst ruhig, schlafen, Hasard“, flüsterte Ferris, „ich achte auf das Feuer, ich bin nicht müde.“ „Du siehst aber müde aus“, antwortete der Seewolf. „Schließ die Augen und schlafe, morgen werden wir alle unsere Kräfte brauchen.“ Die Wärme, die von dem Feuer ausging, ließ Tucker nach einer Weile doch schläfrig werden. Er lehnte sich zurück, schloß die Augen, öffnete sie wieder. Er wußte nicht, ob er schlief oder wach war, sein Geist jedenfalls schlief nicht, er wanderte in einer Art Halbtraum umher, einer ungewissen Zone zwischen Traum und Wirklichkeit. Er hörte ein fernes leises Winseln, das mit der Zeit zu einem Heulen anschwoll Sturm, der wieder zu toben begann und dessen gleichmäßige Geräusche ihn einlullten.
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Und der tote Seemann blickte ihn aus großen traurigen Augen an und schüttelte dann den Kopf. In seinem Gesicht standen tiefe Sorgenfalten. „Du tust mir unrecht“, sagte er mit zuckenden Lippen, „du kennst mich nicht, du weißt nicht, was ich erlebt habe. Du kannst es nicht nachfühlen.“ „Nein, ich kann es nicht“, sagte Tucker. „Ich bin schon lange hier, viele Jahre, ich kann sie nicht mehr zählen, so viele sind es. Ich habe als einziger überlebt, als unser Schiff unterging. Meine Kameraden sind ertrunken, im kalten Wasser erfroren. Ich zog mich in das Boot, durchnäßt, halbtot. Tagelang trieb ich im Eis, ich hatte nichts zu essen, der Hunger peinigte mich, und nachts fror ich jämmerlich. Dann fand ich diese Höhle und kroch hinein. Ich wußte, daß ich bald sterben würde, ich hatte nur meine Axt, einen Flintstein und den Stahl der Axtschneide, mit dem ich Feuer schlug. Die Planken wollten nicht brennen, sie waren naß. Das Holz kohlte nur, dann war es aus.“ „Du sprichst unsere Sprache“, sagte Tucker. „Ich bin Engländer“, sagte der Seemann, „ich war Steuermann, und ich habe eine Frau und zwei Kinder, die auf mich warten. Ich wünsche mir, du würdest mir das bißchen Feuer gönnen, das ihr entzündet habt. Es wärmt meine kalten Knochen.“ „Oh, ich gönne es dir“, sagte Tucker. „Rück nur näher heran und wärm dich. Dort drüben liegen Schiffszwieback, nimm dir, soviel du willst.“ Das Gesicht des Seemannes verschwamm. es wurde ein Schatten, den flackerndes Feuer kaum noch erhellte. Tucker erwachte stöhnend und sah sich um. Er wußte nicht, wie lange er geschlafen hatte. Alles kam ihm unwirklich und fremd vor. Er sah, daß der Seewolf ihn nachdenklich anblickte. „Ich - ich glaube, ich bin eingenickt“, sagte er leise und warf einen mitleidigen Blick auf den Toten, dessen Haltung sich nicht mehr verändert hatte. „Schlaf ruhig weiter, Ferris!“
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„Ob er Engländer ist?“ fragte Tucker. „Kann sein.“ „Vielleicht war er Steuermann und hatte eine Frau und zwei Kinder in seiner Heimat.“ „Auch das ist möglich“, sagte Hasard. „Hast du das geträumt?“ „Ja, ich glaube, ich weiß es nicht genau, aber ich hatte das Gefühl, als hätte er zu mir gesprochen.“ Wieder schwiegen sie in dieser langen Nacht. Tucker beneidete die beiden anderen, die tief und fest schliefen. Vielleicht träumten sie auch von dem toten Seemann, denn ständig zuckten Carberrys Lippen, und er stöhnte leise. Draußen tobte der Schneesturm immer heftiger. Heulend und eiskalt strich er um die Höhle und pfiff ab und zu wild hinein, bis sich das Segelleinen wild aufblähte. „Stell dir vor, wir wären jetzt mit unserem Boot irgendwo da draußen“, sagte Hasard. „Ohne jeden Schutz Eis, Schnee und Kälte ausgesetzt. Ich glaube nicht, daß wir es überlebt hätten.“ „Ja, das stimmt.“ Tucker erhob sich und drückte das Kreuz durch. Er legte Holz nach, ging an den Ausgang und blickte hindurch, indem er das Segeltuch leicht zur Seite schob. Schneeflocken drängten herein, getrieben von einem wild heulenden Sturm. Schnell zog er das Segel wieder zu. Was mochten sie auf der „Isabella“ jetzt tun? dachte er. Trieben sie immer noch weiter, oder waren sie in dieser Nacht. in der man die Hand vor Augen nicht sah, mit einem Eisberg kollidiert? Er schob diesen Gedanken weit von sich, und gab sich der Hoffnung hin, daß an Bord alles in Ordnung sei. Er sah aber an Hasards besorgtem Gesicht, daß der Seewolf das gleiche dachte. Auch seine Gedanken waren weit draußen bei den Gefährten und dem Schiff, das längst sehr weit weg sein mußte. Abwechselnd schliefen sie jetzt immer eine halbe Stunde, und wenn der Schiffszimmermann wach war und den Toten ansah, empfand er nur noch Mitleid mit dem armen Kerl und seinem Schicksal.
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Angst hatte er schon lange nicht mehr vor ihm. Sehr viel später verklang das wilde Heulen, nur der Schnee fiel immer noch in großen Flocken aus einem unsichtbaren Himmel. Das Holz aus dem Wrack würde noch für ein bis zwei Stunden reichen, überlegte Tucker, dann mußten die Planken herhalten, auf denen sie saßen. An Schlaf war dann nicht mehr zu denken. Aber es mußte bald hell werden, lange konnte es nicht mehr dauern. Noch etwas später hatten sie nur noch eine Planke, die Ferris der Länge nach spaltete. Dann hieb er sie quer durch, so daß jeweils zwei Mann nebeneinander sitzen konnten. Draußen war alles grau in grau, als Carberry einmal hinaussah. Eine fahle Dämmerung war aufgezogen. der Schnee fiel nur noch spärlich, und der Wind kam in kurzen Böen. „Langsam werden wir mit unserer Suche wieder beginnen“, sagte Hasard. Er verteilte Hartbrot, das der Kutscher auf Vorrat gebacken hatte, und das steinhart war. Matt Davies klopfte mit dem Schiffszwieback auf seine Hakenprothese und versuchte ein Grinsen. „Komisch, aber es fallen keine Maden mehr ‘raus“, meinte er. „Die sind bei dieser Kälte längst erfroren“, sagte Carberry. „Die halten sich nicht lange.“ Das Feuer erlosch langsam. Hier, in der Eishöhle, war es doch relativ warm gewesen, so warm jedenfalls, daß die großen Eiszapfen am Eingang geschmolzen und als Rinnsal aus der Höhle gelaufen waren. Draußen waren sie sofort wieder zu Eis erstarrt. Nur ungern verließen sie die Wärme, packten das bißchen Zeug zusammen und vergaßen auch das Segel nicht. Ihr letzter Blick galt dem fremden Seemann, den Hasard wieder an die Wand zurückgelehnt hatte. Einsam blieb er zurück. Vielleicht fand ihn in einigen Jahren durch Zufall jemand, vielleicht aber trieb der Berg in noch kältere Zonen, und es dauerte hundert oder
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tausend Jahre, bis ihn jemand entdeckte. Selbst dann würde er noch unverändert so da hocken, als wäre er erst vor wenigen Stunden gestorben. „Mist, alles voll Schnee“, sagte Ed, als sie wieder bei ihrem Boot waren. „Nehmt die Hände und schaufelt.“ Das Boot war kaum zu sehen, so hatte der Schnee es eingedeckt. Beim Schaufeln mit den bloßen Händen spürten sie die beißende Kälte erst richtig und fröstelten. Richtig ausgeschlafen waren sie auch nicht. Nachdem der Schnee aus dem Boot war, standen sie da und gähnten, bis weiße Wolken vor ihren Lippen standen. „Ich habe selten so einen beschissenen Morgen erlebt“, sagte Matt Davies und reckte sich. Sein Kreuz war steif, sein ganzer Körper fühlte sich an, als hätte ihn jemand stundenlang hart durchgeprügelt. „Beim Pullen geht es dir wieder besser“, sagte Hasard. „Es dürfte einige Stunden dauern, bis wir unsere Galeone eingeholt haben.“ Tucker wollte wieder eine seiner pessimistischen Äußerungen vom Stapel lassen, er unterdrückte sie jedoch rechtzeitig und nickte. Das kleine Segel wurde gesetzt, Hasard stieß das Boot ab, und dann legten sich die Männer in die Riemen und pullten, bis ihnen der Schweiß über die Gesichter lief. Stundenlang umrundeten sie einen Eisberg nach dem anderen, und immer wieder wollte sie der Mut verlassen, als sie keine Spur von der „Isabella“ entdeckten. Hasard gab es vor sich selbst zu: Es war ein aussichtsloses Unternehmen, eine Verzweiflungstat. Theoretisch konnten sie jahrelang das Eismeer absuchen und würden das Schiff doch nicht finden. Es hatte sich in der endlosen Weite verloren. Niedergeschlagen pullten sie weiter. 4. Als die endlose Nacht vorbei war, regte sich auf’ der „Isabella“ wieder das Leben. Zwei Männer hatten im Ruderhaus Wache gehalten und sich jede Stunde abgelöst.
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Aber von Hasard und den anderen hatten sie in dieser Nacht nichts entdeckt. Der Eisberg, an dem sie lagen und festgemacht hatten, war ein Gebirge mit steilen glatten Wänden. Auf der diesseitigen Eiswand gab es allerdings so spitze Zacken, daß man ihn einigermaßen gut erklimmen konnte. Ben trieb die Männer zur Eile an. „Auf, auf, der Tag beginnt“, sagte er, „zwei Mann steigen in die Spitze und feuern Brandsätze ab. Von nun an wird in regelmäßigen Abständen ein Schuß aus der Culverine abgegeben. Fangt an, die Zeit drängt, sonst sehen wir unseren Seewolf nie wieder.“ Jeff Bowie und Sam Roskill enterten unter vielen Mühen auf, bis sie die Spitze erreicht und damit einen guten Überblick hatten. An einer Leine wurden die Brandsätze nach oben gebracht. Jeff Bowie feuerte den ersten ab, der funkenstiebend über das Eismeer jagte, ehe er in bunten Farben zerplatzte. Ein paar Minuten später donnerte eine der Culverinen los. Al Conroy lud sie sofort wieder nach und gab etwas später den nächsten Schuß probeweise auf einen treibenden Eisberg ab. Die siebzehn Pfund schwere Kugel knallte in das Eis, fetzte ein paar winzige Splitter heraus, bog im rechten Winkel nach dem Aufprall ab und klatschte ins Meer. „Das Eis ist härter als Eisen“, sagte er erstaunt zu den umstehenden Männern, die den Flug der Kugel verfolgt hatten und genauso überrascht waren, daß gefrorenes Wasser einer Kugel einen derartigen Widerstand entgegensetzte. Wechselweise wurde ein Brandsatz abgefeuert, dann folgte der Schuß einer Culverine. Der Detonationsknall mußte meilenweit zu hören sein. Oben auf der höchsten Erhebung des Eisberges standen zähneklappernd Jeff Bowie und Sam Roskill. Sie blickten sich die Augen aus, um in der von Eis bedeckten See einen schwarzen Punkt zu erkennen. Aber es gab keinen. Der Seewolf und seine Gefährten waren verschollen
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oder abgetrieben, oder sie hatten sich in dieser Einöde hoffnungslos verirrt. Immer wieder dröhnten die Culverinen, danach flog ein Brandsatz weit übers Wasser und leuchtete grell auf, ehe er verlöschte oder mitunter für kurze Zeit auf dem Eis flackerte. Jeff Bowie war verzweifelt. Er hatte ein Spektiv mitgenommen und suchte so lange die See ab, bis ihm die Augen brannten und er den Kieker absetzen mußte. „Sie können doch nicht derartig weit fort sein“, sagte er. „Die Culverinen hört man bei dieser Stille mindestens zehn Meilen weit, und die Brandsätze sind nicht zu übersehen, es schneit ja nicht, die Luft ist ziemlich klar. Sie werden doch hoffentlich nicht mit dem Boot gekentert sein.“ „Mal bloß nicht den Teufel an die Wand“, erwiderte Sam Roskill betroffen. „Wer hier ins Wasser fällt; der ist erledigt, diese lausige Kälte überlebt keiner.“ „Wie viele Brandsätze haben wir noch?“ „Nur noch zwei, mehr hat Ben nicht rausgerückt, weil die Dinger kostbar sind. Wir können nicht alle verfeuern.“ Auch diese beiden waren bald verschossen, und noch immer hatte sich nichts vom Seewolf und seinen Gefährten gezeigt. An Bord der „Isabella“ setzte sich immer mehr die Annahme durch, daß die Männer nicht mehr am Leben waren. Tiefe Mutlosigkeit befiel die Seewölfe. * „Hört mal auf zu pullen“, sagte der Seewolf. Die schwarzen Haare hingen ihm wirr und verschwitzt in die Stirn. Die Riemen wurden eingezogen. Das Boot trieb nur ein paar Yards weiter, bis die dünne Eisschicht es bremste. Bewegungslos lag es in der See. Aus der Ferne war ein dumpfes Rollen zu hören, allerdings ließ sich die Richtung nicht genau bestimmen. Sie lauschten mit vorgereckten Köpfen. „Das Geräusch habe ich gestern abend schon einmal gehört“, sagte Hasard, „zuerst hielt ich es für einen Eisberg, der
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auseinander kracht, aber jetzt glaube ich fast, daß es doch eine abgefeuerte Culverine ist. Keinen Ton, spitzt die Ohren, damit wir uns orientieren können.“ Neue Hoffnung keimte in ihnen auf, die Gesichter wirkten erleichtert. „Himmel, laß es wahr werden“, murmelte Tucker, „laß uns das Schiff wiederfinden.“ Eisberge, wohin das Auge blickte. Man sah den Horizont nicht mehr, weil sie überall herumtrieben, kleine, mittlere und große, die wie weiße erstarrte Berge aussahen. Eine halbe Ewigkeit verging, dann grollte es wieder wie Gewitter weit entfernt über das Wasser. „Natürlich war das eine Culverine!“ schrie Matt Davies erregt. „Und ich weiß jetzt auch die Richtung. Der Donner ist von da hinten gekommen.“ Mit der Hakenprothese deutete er, nach Backbord zum fernen Horizont, von wo das dumpfe Rollen erklungen war. Die vier Männer waren sich einig. Die Richtung lag ungefähr fest. Ohne Aufforderung legten sie sich wie wild in die Riemen und begannen zu pullen. Nach einer knappen halben Stunde, wie Hasard schätzte, erfolgte das nächste Donnern. Diesmal klang es beträchtlich näher, aber sie mußten ein klein wenig die Richtung korrigieren. Es ertönte von dorther, wo ein ganzes Gebirge aus Eis scheinbar unverrückbar fest im Meer stand wie Land. „Wir finden sie“, sagte Hasard zuversichtlich, „sie sind nicht mehr weit entfernt. Ben läßt in regelmäßigen Abständen feuern, wir können sie also nicht verfehlen.“ Kaum war das Donnern verklungen. da pullten sie wieder los. Etwas später richtete sich Carberry plötzlich im Boot zu voller Größe auf. „Steuerbord!“ schrie er laut. „Seht dort drüben, hinter dem Gebirge aus Eis!“ Rotes Leuchten färbte das Eis für einen kurzen Augenblick. Hinter dem Gebirge flammte es noch einmal kurz auf. „Wir haben sie, wir haben sie!“ brüllte Matt erregt.
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Das Massiv zu umrunden, war schwierig, denn immer mehr Eis trieb jetzt im Wasser. Es ähnelte Schollen, die sich langsam, aber stetig übereinander schoben und eine undurchdringliche Fläche bildeten, die nicht mehr zu überwinden war. . Gigantische Wände ragten vor ihnen auf, eiskalt und glatt, und ab und zu brach vom oberen Teil ein Stück Eis ab, zersplitterte und krachte mit Getöse in die Tiefe. Als sie die himmelhohe Wand umrundet hatten, lag die „Isabella“ zum Greifen nahe vor ihnen, und von der Galeone erscholl ein Gebrüll, das keine Ende mehr nahm, als Hasard das Boot in einem kleinen Bogen an die „Isabella“ steuerte. Sie hatten ihr Schiff wieder, und jedem erschien es, als wäre er neugeboren worden. * Es gab viel zu erzählen, und die anderen hörten gebannt zu, als Hasard von dem toten Seemann berichtete, bei dem sie eine unheimliche Nacht als Gäste verbracht hatten. Danach begannen wieder der Alltag und die Sorge um den alten Segelmacher Will Thorne. Der Kutscher behauptete, er hätte die Krise überwunden, und in ein paar Tagen würde es ihm wieder bessergehen, aber Will Thorne lag immer noch völlig apathisch in seiner Koje, als Hasard nach ihm sah. Aber der Kutscher mußte es ja wissen, er hatte einen besseren Blick dafür. Hasard lobte Ben Brighton und die anderen, die das Schiff an den Eisberg gelegt hatten, damit es nicht abtrieb. „Wir können hier aber nicht liegenbleiben“, sagte er, „sonst frieren wir fest und sind nicht mehr in der Lage, uns von dem Eisberg zu lösen. Wir werden versuchen, weiterzusegeln, heraus aus diesem gefährlichen Meer.“ „Du glaubst, daß wir herauskommen?“ fragte Ben skeptisch. Der Seewolf hob die Schultern.
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„Wir haben es schon oft versucht, und einmal wird es uns sicherlich auch gelingen, davon bin ich überzeugt.“ Etwas später wurden die Leinen gelöst, die Haken aus dem Eis geholt und nur so viel Segel gesetzt, daß die „Isabella“ einigermaßen gut navigieren konnte. Hasard übernahm das Steuer selbst. Mit unendlicher Vorsicht wurden die sich immer dichter und kompakter türmenden Eismassen umsegelt, doch am späten Nachmittag veränderte sich die eintönige Landschaft erneut, und es stand fest,“ daß es nur noch eine Frage der Zeit war, bis sie endgültig steckenblieben. Knisternd und knackend türmten sich Schollen auf. Es gab nicht mehr so viele Eisberge wie am Vormittag, doch dafür schob sich die Galeone schwerfällig durch dichte Schollen, treibende Eisfelder und spitze Brocken. Pausenlos arbeitete das Eis am Holz, schurrte, krachte und prasselte und versperrte den Weg. An Steuerbord gab es noch eine freie Fläche, in der Eisschollen trieben. An Backbord war das Wasser weiß, grobkörnig und ließ sich kaum noch durchfahren. Weit vor ihnen glitzerte es. Da sah das Meer aus, als bestünde es nur noch aus einer einzigen Fläche, einer undurchdringlichen endlosen Masse, die sich fest ineinander verschoben hatte. „Es ist bald zu Ende“, sagte Hasard, „nicht mehr lange, und es geht nicht mehr weiter.“ „Wie im Sargassomeer“, sagte Brighton tonlos, „da waren wir auf der Tanginsel gefangen, aber das war weit angenehmer, als in dieser trostlosen Kälte zu stecken.“ Hasard hatte noch ganz andere Sorgen. Wenn die „Isabella“ festsaß -und das war nur noch eine Frage von wenigen Stunden -, dann konnte es passieren, daß das sich immer höher auftürmende Eis das Schiff zerdrückte. Die Gewalt, die diese Eismassen entwickelten, diese unheimliche Kraft, mit der es pausenlos arbeitete, war unvorstellbar.
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Am Nachmittag schwamm das Schiff in einer geisterhaften Märchenwelt und war in einer Situation, in der sich die meisten Männer an Bord noch nicht zurechtfanden. Klirrende Kälte herrschte, es schien keine Sonne, aber es schneite auch nicht mehr, und der Wind war eingeschlafen. Die blauweißen Klötze weit voraus bildeten ein festes Massiv, und es stand fest, daß es sich einwandfrei um Land handelte, zerklüftetes, eisüberzogenes Land ohne Ende, genauso lebensfeindlich und bedrohend wie das Eis selbst. Aus der Tiefe sprangen immer noch mächtige Eisschollen empor, donnerten an den Rumpf und legten sich um das Schiff wie eine starke Mauer, die unsichtbare Hände eifrig auftürmten, um die Galeone einzuschließen. Die beiden Segel hingen schlaff am Mast, kein Windhauch bewegte sie in dieser geisterhaften Stille des Todes. Höher und höher schob sich die „Isabella“ auf diese Schollen, die zu leben schienen, leise atmeten und sich sanft bewegten. Ein Teil der Seewölfe starrte sprachlos auf die Schollen. Es dauerte nicht lange, da wurde das Eis starr und bewegte sich kaum noch. Die einzelnen Schollen klebten zusammen. Der Bug des Schiffes hatte sich aus dem Wasser gehoben, und das Vorschiff ruhte auf dem weißblauen Untergrund wie festgenagelt. „Geit die Segel auf“, sagte der Profos blinzelnd und rieb sich über die Augen, die durch die glitzernde Fläche geblendet waren und zu schmerzen begannen, wenn man länger auf diese tödliche Schicht blickte. Jeder wußte, daß die Galeone unverrückbar festsaß, sie glitt keinen Yard mehr voran. Sie war in einer riesigen Fläche gefangen, aus der es kein Entrinnen mehr gab, und die sich achtern und vorn unübersehbar weit erstreckte. „Was geschieht jetzt, Profos?“ fragte der Schiffsjunge Bill mit zitternder Stimme. Carberry spuckte über Bord und sah den Bengel an.
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„Gar nichts geschieht“, sagte er, „überhaupt nichts mehr. Wir erholen uns von den Strapazen und bleiben ein paar Jahre hier liegen. Zum Frühstück gibt’s gefrorene Kakerlaken, und wenn wir unsere Vorräte aufgefressen haben, dann nagen wir uns durchs Eis. Wir sind erledigt, Junge, wir können nicht mehr weg!“ Er sah in betroffene Gesichter, die blaurot angelaufen waren. Jeder rieb seine kalten Hände und kroch in sich zusammen vor dieser brutalen, beißenden Kälte, vor dem klirrenden Frost, der sich bis ins Knochenmark fraß und alles taub werden ließ. Sam Roskill brachte eine Rumbuddel, aus der jeder einen tiefen Zug nahm, auch der Bengel trank und sah sich immer wieder um, als gäbe es irgendwo doch noch freies Wasser. Es konnte doch nicht alles so einfach zu Ende sein, dachte er, das gab es doch nicht. Tucker hatte sich einen Haken genommen, beugte sich über das Schanzkleid der Kuhl und stocherte in dem Eis herum. Es gab nicht mehr nach, er schaffte es auch nicht, die Schollen zu bewegen. Alles war wie erstarrt, ohne Leben. Hasard ging in die Kuhl hinunter, band sich eine Leine um die Brust und reichte Carberry das Ende. „Halt mich fest“, sagte er, „ich will prüfen, wie dick das Eis ist.“ „Laß es lieber bleiben“, warnte Ed mißtrauisch. „An manchen Stellen gibt es vielleicht nach, und dann bist du blitzschnell auf Tiefe, Sir!“ Hasard entgegnete nichts, stumm kletterte er über Bord, stieß sich dann, von der Leine gehalten, ab und landete mit einem kurzen Sprung auf dem Eis. Er sank nicht ein, nur ganz träge bewegte sich eine Scholle, ehe sie wieder erstarrte. Auch dicht am Schiff war das Wasser gefroren und bestand aus ineinander verkeilten kompakten Eisschollen. „Gib etwas lose, Ed!“ verlangte er von dem mürrisch und unbehaglich blickenden Profos.
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In einem Abstand von fünf, sechs Yards bewegte sich der Seewolf auf dem Eis, dann kehrte er an der Leine wieder zurück. „Das Schiff hebt sich aus dem Wasser“, sagte er, „es wird nicht mehr lange dauern, bis wir völlig auf dem Eis sitzen.“ „Verdammte Sauerei“, knurrte Carberry. „Im Gegenteil“, sagte Hasard freundlich. „So haben wir wenigstens das Glück, vom Eis nicht zerquetscht zu werden.“ „Glück nennst du das?“ murrte Ed. „Wo wir hier vielleicht Jahrhunderte liegen müssen!“ „So lange wird es kaum dauern. Diese riesige Scholle driftet irgendwohin, und eines Tages bricht das Eis genauso auseinander, wie es sich aufgetürmt hat.“ Auch Tucker ließ sich aufs Eis hinunter und betrachtete das Schiff fachmännisch von allen Seiten. Peinlich genau untersuchte er die Planken, klopfte hier dagegen, stieß mit dem Stiefel an andere Planken und brummte vor sich hin. „Es stimmt“, sagte er, „wir schieben uns auf diese Eisfläche ganz unmerklich hinauf, aber trotzdem müssen wir höllisch aufpassen, daß uns der Kiel nicht zerquetscht wird. Ich schlage vor, wir halten eine kleine Fläche um das Schiff ständig eisfrei, um nicht das geringste Risiko einzugehen.“ „Sehr gut, Ferris. Wir werden uns abwechseln, das hält uns gleichzeitig auch warm.“ Der einzige an Bord, der kein mißmutiges Gesicht zog; war der Kutscher. Anfangs war er auch betroffen, doch er war optimistisch und rang der Situation das Beste ab. Er konnte wieder gefahrlos ein Feuerentzünden und kochen. Das würde die Mannschaft schon ein wenig aufmöbeln, dachte er. Er ging nach vorn, um ein Faß Wasser zu holen, das er der Einfachheit halber in der Kombüse aufstellen wollte. Doch als er den Hahn aufdrehte, rieb er sich verblüfft die Wange. Es kam kein Tropfen heraus, nichts, obwohl das Faß sein volles Gewicht hatte. Erst als er es auf den Boden stellte, bemerkte er, daß die Dauben auf einer
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Seite geplatzt waren und das Faß nur noch aus einem eiserstarrten Block bestand. „Himmel, Arsch und Hölle“, hörten die verwunderten Männer den sonst so zurückhaltenden Kutscher lauthals brüllen. Er stürzte an Deck und fluchte weiter. „Wer Wasser trinken will, muß es erst auftauen“, sagte er, „nur damit ihr Rübenschweine Bescheid wißt. Meldet euch also gefälligst ein paar Stunden vorher an!“ „Was ist denn in den gefahren?“ fragte der Profos. „Dem Kerl ist wohl das viele Eis zu Kopf gestiegen, was, wie?“ „Sogar die Kakerlaken in der Kombüse laufen schon mit Handschuhen rum“, versicherte der Kutscher grimmig. „Daran seht ihr mal, wie lausig kalt es ist.“ Die Männer lachten, als der Kutscher wieder verschwand. Inzwischen musterte Hasard die Umgebung durch das Spektiv. Es dauerte lange, bis er es wieder absetzte. „Es ist tatsächlich Land“, sagte er, „denn diese Form von Eisbergen habe ich noch nie gesehen. Und dort, wo das Land anfängt, scheint etwas im Eis zu liegen, es läßt sich aber nicht erkennen, was es ist. Nun, für uns ist das im Augenblick unwichtig, wir haben genügend andere Sorgen.“ Das Etwas im Eis beschäftigte die Männer aber doch mehr, als sie sich eingestehen wollten. Immer wieder flogen die Blicke zu dem säulenartigen Gebilde hin, das dicke Schneemassen eingehüllt hatten, das aber entfernt an ein Schiff erinnerte, wenn man genügend Phantasie hatte. Weshalb sollte hier nicht auch ein anderes Schiffsliegen, sie hatten ja schon einmal ein Rettungsboot gefunden. Es war mindestens eine Meile entfernt, wie sie schätzten, obwohl man sich in dieser klaren Luft mit den Entfernungen sehr leicht verschätzen konnte. Meist waren die Gegenstände doch viel weiter weg, als sie vermuteten. Die Gedanken an das „Ding“ verschwanden jedoch_ bald, als Hasard Eisklopfen anordnete und der Profos seinen Befehl brüllend wiederholte.
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Äxte, Beile, Schiffshauer und Haken traten in Aktion, und es wurde eine noch größere Schufterei, als sie sich vorgestellt hatten. Die Eisschicht schien zusehends zu wachsen, stündlich wurde sie dicker und kompakter. Ab und zu gähnte es tief unter ihnen in pechschwarzer Finsternis, wenn ein Loch ins Eis gehackt wurde und Wasser zu sehen war. Dann folgte die Dämmerung, und wieder setzte leichter Schneefall ein. Nur der Wind schlief immer noch. Kurz bevor es dunkel wurde, enterte Dan O’Flynn noch einmal zu einem kleinen Rundblick in den Großmars auf. Seinen scharfen Augen entging nicht die Bewegung, wo das felsige Land begann und eisbedeckte Berge in den Himmel wuchteten. Zwei Gestalten standen dort in der Nähe des Ufers, wo es eine kleine eisfreie Fläche gab. Sie liefen hin und her, und etwas später gesellten sich noch ein paar andere hinzu, die aufgeregt mit den Armen fuchtelten. Dan durchführ es wie ein schmerzender Schlag. „Dort drüben sind Menschen!“ schrie er aus Leibeskräften an Deck hinunter. „Sie versammeln sich und scheinen aufgeregt zu sein. Bestimmt haben sie uns entdeckt.“ Menschen – hier in dieser Ecke, wo niemand ohne Hilfsmittel überleben konnte, dachte der Seewolf. Das gab es doch nicht, wo sollten die hergekommen sein? Doch es stimmte, was O’Flynn behauptete, Hasard und auch die anderen sahen sie wie schwarze Punkte. Doch dann wurde es immer dunkler, und die Versammlung am fernen Ufer schien sich aufzulösen. Aber diese Menschen, die auf einem lebensfeindlichen vom Eis umgebenen Kontinent wohnten, ließen die Seewölfe nicht zur Ruhe gelangen. Immer wieder sprachen sie darüber. 5.
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Thorfin Njal betrachtete mißmutig das stolze Schiff, das so aussah, als hätte eine Horde wilder Krieger an Deck gewütet. Im Schanzkleid befand sich immer noch das große Loch, und am Fockmast fehlten zwei Pardunen, die es zerfetzt hatte, als der Druck des Eises zu stark geworden war. Ziemlich schlimm hatte es „Eiliger Drache über den Wassern“ erwischt, seit auch der Besanmast beim Teufel war, den eine schwere See einschließlich des zerfetzten Segels mitgenommen hatte. . Neben dem Wikinger stand mit langem Gesicht der Stör, der sich ebenfalls die Verwüstungen ansah und auf die Kommentare seines Herrn und Meisters wartete, die auch nicht ausblieben. „Die Arbeit wird eine verfluchte Weile dauern“, sagte der Wikinger und kratzte seinen Kupferhelm voller Ingrimm. „Die Arbeit wird eine verfluchte Weile dauern“, quasselte der Stör die Worte nach, was Thorfin immer wieder irritierte. „Das sagte ich doch eben, du Stint!“ knurrte der Wikinger erbost. „Das sagte ich doch auch eben, du Stint!“ meinte der Stör und sah Thorfin verwundert an. Er begriff nicht, weshalb der sich so aufregte, nur weil er etwas gesagt hatte. Thorfin fuchtelte mit den Armen in der Luft herum. Er war nahe daran, laut zu brüllen, aber dann gab er es auf und winkte ab, weil Siri-Tong auf dem Achterdeck erschien. „Es wird immer schlimmer mit dem Eis, Thorfin“, sagte sie kläglich. „Ich habe mich eben einmal gründlich umgesehen. Wir sind von allen Seiten von Eis umgeben, wir schwimmen inmitten einer freien Fläche, aber wir können nicht mehr hinaus.“ „Ich weiß, ich kenne das vom Nordmeer, obwohl es hier natürlich viel schlimmer ist.“ „Viel schlimmer ist“, sagte der Stör und nickte beipflichtend. „Scher dich nach vorn, du lausiger Hering!“ brüllte Thorfin. „Und gib. acht, daß du dabei nicht auf dein Gesicht trittst.“
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Wenn der Stör verständnislos grinste, dann löste das an Bord des schwarzen Seglers wahre Heiterkeitsstürme aus. Sein Gesicht wurde noch länger, die Augen noch größer, und sein ohnehin breiter Mund verzog sich grinsend, weil er wieder einmal nicht kapierte, was Thorfin damit meinte, er solle nicht auf sein Gesicht treten. Als ob man das könnte, dachte er belustigt. Thorfin war schon ein seltsamer Kauz, der sich merkwürdig ausdrückte. Aber er trollte sich grinsend, wobei er immer wieder einen Blick über die Schulter zurückwarf. Keiner von ihnen wußte, daß sie genau derselben Drift folgten, die auch die „Isabella“ in diese Ecke verschlagen hatte, und sie ahnten erst recht nicht, daß sie sich gar nicht so weit voneinander entfernt befanden, denn auch der schwarze Segler konnte keinen anderen Kurs steuern als die „Isabella“. Da fast kein Wind ging, trieben sie in der Mitte der eisfreien Fläche mit der unbekannten Strömung dahin. Ab und zu geriet das Schiff an den Rand des Eises, und dann wurde jedesmal geprüft, wie stark die Schicht war. Das Ergebnis wurde immer niederschmetternder. Man konnte auf den Eisschollen laufen, so dick waren sie, und bei der bitteren Kälte und dem klirrenden Frost fror das Wasser so schnell, daß man es fast sehen konnte. Die Rote Korsarin hatte sich in einen dicken Pelz gehüllt, aus dem nur noch ihr Gesicht hervorsah. Sie fror seit Tagen, sie war diese eisige Kälte nicht gewöhnt wie die meisten anderen auch - mit Ausnahme der fünf Wikinger, Nordmänner, die sich den Teufel um Eis und Kälte scherten wie Thorfin, der in dieser klirrenden Kälte genau dieselben Felle trug wie unlängst am Amazonas. Da hatte ihm die Hitze nichts ausgemacht, obwohl die anderen bei seinem bloßen Anblick schon geschwitzt hatten. „Nicht mehr lange, und wir liegen endgültig in dieser eisigen Wüste fest“, sagte die Korsarin.
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Thorfin nickte gleichmütig, als hätte er nichts anderes erwartet. „Wir haben genügend Proviant an Boni“, sagte er, „wir werden ihn nachher einteilen und rationieren. Das Eis wird uns ein paar Tage lang festhalten, dann bricht es meistens, und wir finden -wieder einen Weg hinaus.“ „Vergiß bitte nicht, daß du hier nicht im Nordmeer bist, Thorfin“, sagte die Korsarin scharf. „Deine Gleichgültigkeit geht mir auf die Nerven, hier unten gelten andere Gesetze als in deinem Nordmeer.“ „Eis ist Eis“, brummte der Wikinger. „Für Eis gelten überall auf der Welt dieselben Gesetze. Wird es kalt, gefriert das Wasser, wird es warm, taut es wieder auf.“ „Himmel, bist du ein sturer Klotz“, empörte sich Siri-Tong. „Hier unten kann alles anders sein, hier gibt es Eis, das hundert Jahre alt sein kann.“ „Gibt es nicht“, behauptete Thorfin gleichmütig. „Du siehst es doch selbst!“ schrie SiriTong. Die beiden waren wieder einmal nahe daran, sich in die Haare zugeraten, was dann meist mit einer Niederlage für den Wikinger endete, denn die Korsarin gab nicht nach. Sie hatte zwar ein zierliches Köpfchen im Verhältnis zu dem dicken großen Schädel des Wikingers, aber das kleine Köpfchen war offensichtlich härter und erwies sich als zäher. Aber Thorfin wollte nicht streiten. Natürlich begann er auch, sich über dieses lausig kalte Meer mächtig zu sorgen, über das viele Eis, das hier trieb, und über die Ungewißheit, wo sie sich eigentlich befanden. Für ihn war das jedoch noch lange kein Grund zur Panik. Sie waren ins Packeis geraten, und sie würden auch wieder aus dem Packeis herausfinden, so dachte er. „Wir passen einfach nicht hierher“, sagte Siri-Tong. „Leute wie wir gehören in die Karibik, den Pazifischen Ozean oder an Orte, wo es wärmer ist, wo man segeln kann und die Weite der Meere vor sich hat, wo man auch wieder einen Piraten oder Spanier vor den Degen kriegt.“
Im Packeis gefangen
„Ich passe überall hin“, sagte Thorfin zum maßlosen Ärger der Roten Korsarin. Mit dem Kerl war heute einfach nicht zu reden. „Das hier ist auch die Weite des Meeres, nur daß es eben mal vorübergehend mit Eis bedeckt ist, daß es schneit und daß mal Wind, mal keiner weht. Sonst fühle ich mich ganz wohl.“ „Das wird dir bald vergehen, du nordischer Dickschädel!“ rief sie ärgerlich. „Du wirst noch darum betteln, nach der Insel Moche segeln zu dürfen, wenn dir die Knochen klappern, und - und wenn dir dein verdammter Helm erst am Schädel anfriert. Aber du hast ja keine Sorgen, ach was!“ „Jedenfalls nicht viel“, brummte Thorfin eingeschüchtert durch den aggressiven Ton, den das Mädchen wieder einmal anschlug. Klar, sie hatte Angst, in dieser Eiswüste für alle Zeiten gefangen zu sein, doch mußte man immer gleich das Schlimmste annehmen? Thorfin sah wieder auf das Meer hinaus, und dann kriegte er doch einen Schreck, denn jetzt war das Wasserloch, in dem der schwarze Segler trieb, nicht mehr viel größer als das Schiff. Von allen Seiten schob sich das Eis heran, es türmte sich auf und wurde immer dichter. Sie waren in einem Meer gefangen, das einem bizarren Traum glich, so unwirklich sah es aus. Überall wuchsen blauweiße Riesensäulen in den Himmel wie Paläste aus Kristall, die ein verrückter Bauherr ersonnen hatte. Früher oder später würden diese scharfen Säulen, Schollen und Berge das Schiff aufschlitzen. Schon jetzt schickten sie sich an, ihr grausiges Werk zu beginnen, in dem sie sich immer dichter zusammenschoben. Siri-Tong fröstelte wieder, aber diesmal lag es nicht nur allein an der Kälte. Es war die Ungewißheit vor der Zukunft. 6. Der neue Morgen brachte wieder Sturm, einen beißenden, durch alles durchgehenden Sturm, der mit einem
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sanften Heulen anfing und sich dann gleichmäßig steigerte und immer wilder wurde. Hasards Blick galt dem fernen Land, von dem der heulende Sturm eiskalten Pulverschnee hochwirbelte und in langen Schleiern bis zur „Isabella“ trieb. Von den Leuten, die gestern erschienen waren, ließ sich keiner mehr blicken, aber bei diesem tobenden Orkan war das auch kein Wunder. der wehte alles um. Immer stärker heulte der Wind, er fuhr durch die Wanten, ließ die Pardunen klingen und rüttelte fauchend und brüllend an den Masten des Schiffes. Die Galeone lag völlig ruhig da, ohne jede Bewegung, nur unter ihr knackte und prasselte es, da schoben sich die Eisschollen unter den Kiel und hoben das Schiff langsam in die Höhe. Der eisige Wind fuhr Hasard ins Gesicht, biß sich fest und ließ ihn vor Kälte fast erstarren. Auf dem Eis waren bereits Tucker, Andrews und Blacky damit beschäftigt, den schmalen Wasserstreifen offenzuhalten. Das wurde jetzt immer schwieriger. Sie schlugen mit den Äxten das Eis aus, einer schaufelte es- heraus und warf es auf die Schollen. War die schmale Rinne sichtbar, dann drang neues Eis von unten nach, oder das Wasser gefror innerhalb kürzester Zeit. Nicht mehr lange, so überlegte der Seewolf, dann war es zwecklos, weiterhin Eis zu schlagen. Die Galeone lag nicht mehr zwischen den Schollen, sondern fast obendrauf. Hasard ging nach vorn zum Kutscher und ließ sich eine Muck Rum mit heißem Wasser geben. In der Kombüse war es angenehm warm, der Herd verströmte Wärme, die bis nach unten in die Mannschaftsräume drang, wo die meisten anderen noch schliefen. Während Hasard seine klammen Hände an der heißen. Muck Rumwasser wärmte, erzählte der Kutscher freudestrahlend, daß Will Thorne zum erstenmal seit langer Zeit etwas gegessen habe. Danach war er gleich wieder eingeschlafen.
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„Wenigstens eine gute Nachricht, Kutscher. Wie lange, denkst du, reichen unsere Vorräte noch?“ „Ich habe alles noch einmal genau durchgerechnet“, sagte der Kutscher. „Wenn wir nicht rationieren, dann langt es einschließlich der Maismehlvorräte und des Salzfleischs noch genau neun Tage. Vorausgesetzt, an den Rationen ändert sich nichts.“ „Dann wird sich ab sofort etwas daran ändern. Wir müssen unsere Vorräte strecken, solange es geht. Ich überlasse es dir, irgendwie mußt du aus den neun Tagen das doppelte herausholen. Die Männer werden das verstehen, sie sind vernünftig und einsichtig, denn sie alle wissen, was uns bevorsteht, wenn der Hunger einsetzt.“ Der Kutscher zwinkerte, und da wußte Hasard, daß der geriebene Kerl noch eine eiserne Ration hatte, mit der sie sich notfalls noch ein paar Tage länger halten konnten. Ungemein erleichtert verließ er die Kombüse und schickte Ferris Tucker, Gary Andrews und Blacky in die Kombüse, damit sie etwas Warmes in den Hals kriegten. Dann stand der Seewolf wieder an Deck und fühlte sich wie ein Gefangener, wie einer, den man zeitlebens in diese weiße Hölle verbannt hat, ein Ausgestoßener. Wieder saugten sich seine Blicke an dem Gegenstand fest, der dort aus dem Eis ragte, schneeüberweht, irgendwie den Konturen eines Schiffes ähnelnd und doch so fremd. Schnee trieb in langen Bahnen über das Eismeer, wehte immer wieder darüber hin und wurde mitunter so dicht, daß er nichts mehr sah. Den Seewolf ließ dieses Gebilde nicht mehr los. Dabei dachte er immer noch an die Menschen, die sie am Ufer gesehen hatten. Bestand da vielleicht ein Zusammenhang? Waren es Seeleute, die sich an Land geflüchtet hatten, nachdem ihr Schiff hoffnungslos vom Eis festgekeilt worden war? Als Ferris Tucker wieder an Deck erschien, trat er zu Hasard und folgte seinem Blick.
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„Sieht es nicht wie ein Schiff aus, Ferris?“ fragte er. „Den Umrissen nach schon, aber es kann auch ein besonders großer Eisblock sein, den die anderen Schollen nach oben getrieben haben. Wenn es Mästen hätte — ja, dann!“ „Die Masten können abgeknickt sein, oder der Sturm hat sie über Bord gefegt. Man sollte sich das Ding einmal ansehen.“ Tucker nickte interessiert. „Wir haben ohnehin nicht viel zu tun“, sagte er. „Ein paar kleinere Arbeiten, die größeren müssen wir uns für später aufheben, beispielsweise das Loch im Fockmast, da kann ich im Moment nicht viel tun.“ „Das ist auch jetzt nicht nötig. Wir werden auch bald die Eishackerei aufgeben, wenn wir nicht mehr zwischen den Eisschollen, sondern oben draufsitzen. Aber das sollst du entscheiden, du bist der Zimmermann.“ „Ich werde stündlich danach sehen.“ „Gut, laß ein paar Schaufeln ausgeben. Gegen Mittag werde ich mit ein paar Leuten dort hingehen und mich umsehen. Vielleicht erreichen wir sogar das Land.“ „Da sieht es noch trostloser aus als hier.“ „Du vergißt die Leute, die wir gesehen haben. Es ist möglich, daß sie sich an Land Hütten gebaut haben, daß sie schiffbrüchig sind oder daß es sich tatsächlich um Eingeborene handelt, die hier leben, auch wenn man das kaum glauben kann.“ Tucker schüttelte den Kopf. „Das kann ich mir nicht vorstellen“, sagte er, „wovon sollten diese Leute leben? Hier wächst kein Baum, kein Strauch, nicht einmal Gras gibt es hier.“ „Und doch leben hier Menschen!“ Der Sturm heulte weiter, trieb kalten, pulverigen Schnee auf die „Isabella“ und türmte ihn zu hohen Lagen auf. Hasard sah das mit wachsender Sorge. Wenn das so weiterging, würde die „Isabella“ bald wie eine riesige Schneewehe aussehen, in der Form jener vergleichbar, die man von hier aus sah. *
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Gegen Mittag ließ es ihm keine Ruhe mehr. Die Herumhockerei auf dem Schiff ging dem Seewolf auf die Nerven. Es wurde langweilig und trostlos, ein Zustand, dem er durch irgendeine Tätigkeit abhelfen wollte. Ein paar Männer schaufelten den pulverigen Schnee über Bord, der fast die gesamte Kuhl bedeckte, doch es nutzte nicht viel, der Sturm brachte neue Massen heran, die von Land auf sie zugetrieben wurden. Brighton, Carberry, Pan O’Flynn und der Schiffsjunge Bill begleiteten den Seewolf bei seiner Erkundung über das Eis. Sein Ziel war das schiffsähnliche Gebilde. Der Bengel freute sich am meisten, das war wieder ganz nach seinem Geschmack, da störte ihn auch nicht der eisige Wind oder der Schnee, der heranpfiff und die Gesichter blau verfärbte. „Vorsichtig über das Eis gehen“, sagte Hasard. „Es kann trügerische Stellen geben, wo es dünn ist. Bill, du nimmst noch zusätzlich eine Leine mit.“ „Aye, aye, Sir. Glauben Sie, das ist ein Schiff?“ fragte er neugierig und mit leuchtenden Augen. „Das wollen wir ja gerade feststellen.“ Die anderen Männer blieben zurück und erledigten die kleineren Arbeiten, die getan werden mußten. Tucker wollte nur abwarten, bis der Sturm vorüber war, dann würden sie versuchen, am Schiff auszubessern, was unbedingt nötig war. Das Eis war dick und kompakt, es gab überhaupt nicht nach, auch als die Männer dicht nebeneinander standen, verspürten sie nur einen steinharten Untergrund, der sich nicht rührte. Es war fast so, als ginge man über Katzenköpfe, genau die gleichen kleinen Buckel wies die Eisfläche auf. Vor ihnen dehnte sich in endloser Weite verharschter Schnee, vermischt mit pulverigen, kleinen Eisbrocken und glatten Stellen. Der im Eis aufragende Hügel rückte nicht näher. Die dick vermummten Männer gingen und gingen, und doch glaubten sie, den Hügel nie zu erreichen.
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„In den Entfernungen kann man sich gewaltig verschätzen“, sagte Dan O’Flynn. „Es muß weit mehr als eine Meile entfernt sein. Vielleicht zwei oder drei.“ Die anderen gaben keine Antwort. Sie kämpften sich weiter durch den heulenden Wind, Schaufeln und Äxte unter den Armen, dicht an den Körper gepreßt. Langsam wurde der Hügel größer, von dem immer noch in langen Bahnen der Schnee staubte. Die verwehten Umrisse ließen sich jetzt besser erkennen. Hasard blieb stehen und wartete, bis der Junge aufgeschlossen hatte. Sein Gesicht war blaurot angelaufen, doch seine Augen strahlten immer noch. „Es ist tatsächlich ein Schiff. Ein Wrack, dessen Kiel vermutlich vom Eis zerquetscht worden ist. Wer weiß, wie lange es schon hier liegt.“ „Sicher hat es einen Kompaß an Bord“, sagte Ben, „das wäre ein Geschenk des Himmels für uns.“ „Vor allem, wenn wir wieder frei sind“, schränkte der Profos mit sarkastischer Stimme ein. Keine hundert Yards war es jetzt entfernt. Weit dahinter sahen sie die wilden Bergzacken einer trostlosen Landschaft immer deutlicher. Dort tobten Schneestürme, da blies der Wind noch weitaus heftiger als hier. Nur von den Bewohnern dieses seltsamen Kontinents war immer noch keine Spur zu entdecken. Kannten sie keine Neugier, fragte sich Hasard. Oder hatten sie Angst vor ihnen? Sie umgingen das Wrack einmal, das so fest im Eis saß. Auf der anderen Seite traten die Formen etwas deutlicher hervor. An manchen Stellen schimmerte schwach das Holz durch. Wind, Schnee und Hagel hatten es glatt geschliffen, als wäre .es mit Schmirgel bearbeitet worden. „Eine Galeone“, sagte der Seewolf, „etwas kleiner als unsere, der Form nach ein Spanier, den es hierher verschlagen hat. Der Teufel mag wissen, wie lange es hier schon liegt.“ Carberry schwang die Schaufel und stieß sie in den Schnee.
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Bis zum Schanzkleid des Schiffes mußten sie sich mühsam vorarbeiten, sie konnten nicht einfach aufentern. Auf der Oberfläche war der Schnee pulverig, darunter folgte eine verharschte Schicht, die mit kleinen Eisbrocken durchsetzt war, darunter befand sich wieder pulveriger Schnee, in den man einsank. Was sie wegschaufelten, trieb der Wind heulend davon und verteilte es in Richtung der „Isabella“. Carberrys Schaufel stieß auf Holz, es gab einen dumpfen Ton, der sich durch das ganze Wrack fortsetzte. Hasard enterte mühsam auf und stand bis zur Hüfte im Schnee, als er an Deck war. Dann zog er Carberry herauf, Dan und schließlich den Schiffsjungen. Ben Brighton erklomm ebenfalls das Wrack. Alles war zugeweht. Die Kuhl schloß fast gradlinig mit dem schräg geneigten Achterkastell ab. Im Vordeck befand sich ein Maststumpf, der bizarr in die Höhe wies. „Wo sehen wir zuerst nach?“ fragte Ed. „Vorn oder achtern?“ Hasard, der an den Kompaß dachte, den das Schiff vermutlich hatte, deutete nach achtern. „Dort schaufeln wir einen kleinen Gang“, sagte er, „nur so schmal, daß man darin laufen kann. Das werden Ben und ich tun, ihr anderen übernehmt das Vorschiff.“ Schnee flog über Bord. Mitunter war er zu Eis gefroren und ließ sich kaum entfernen. Sie begännen in der Kuhl. Während Ben und der Seewolf sich nach achtern freischaufelten, wühlten Carberry, Dan und der Moses in der Kuhl im Schnee, um einen schmalen Gang nach vorn zu treiben. Ab und zu knackte es laut und vernehmlich im Schiff. Das Holz arbeitete immer noch unter der starken Spannung, der es ständig ausgesetzt war. Stieß die Schaufel oder die Axt auf die Planken, so war deutlich zu erkennen, wie sich das Deck teilweise nach oben gewölbt und durchgebogen hatte. Einige der Planken stachen spitz nach oben und waren gebrochen.
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Vor lauter Eifer und Arbeit spürten sie auch die Kälte nicht. Ihre Gesichter waren rot angelaufen und prickelten. Hasard und Ben hatten den Niedergang der Kuhl zum Achterdeck freigeschaufelt. Von dort aus ging es, wie auch bei der „Isabella“ in die Kapitänskammer. Hasard stieß mit der Schaufel gegen das Schott. Eine ganze Lawine polterte von oben herab. Die Tür gab jedoch nicht nach. „Sie ist zugefroren“, sagte Ben. ..Das Holz klebt wie festgeleimt aneinander.“ Der Seewolf nahm die Axt und schlug leicht dagegen. Das Schott gab etwas nach, bis ein winziger Spalt entstand, in den Hasard die Schneide der Axt zwängte und dann mit aller Kraft dagegen drückte. Zwischen Schott und Rahmen erschien blankes Eis in einer dünnen Schicht. Es splitterte und knackte, dann flog ein ellenlanger Holzspan davon. „Wenn es hier noch Lebensmittel gibt, was ich kaum glaube“, sagte der Seewolf, „dann sind sie bestimmt noch in einwandfreiem Zustand, selbst wenn das Schiff schon jahrelang hier liegt. Diese lausige Kälte scheint alles für ewige Zeiten zu konservieren.“ „Ich halte jede Wette, daß wir nichts finden“, entgegnete Ben. „Wenn die Dons ihr Schiff verlassen haben, dann haben sie auch alles an Vorräten mitgenommen, was es gab.“ Hasard schlug noch einmal gegen das Schott, das sich jetzt laut knarrend immer weiter öffnete. Ein weiterer Hieb ließ die Tür mit einem Ruck herausfliegen. Vor ihnen lag ein vier Yards langer Gang, der Boden war mit feinem Schneestaub bedeckt. An den Wänden glitzerte Reift der sich hier niedergeschlagen hätte. Als Ben zögerte, drehte der Seewolf sich um. „Was ist, willst du nicht mit?“‘ „Doch, aber ich habe so ein komisches Gefühl. Dieses Wrack erscheint mir nicht geheuer.“ „Was erwartest du — Geister?“ fragte Hasard spöttisch.
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„Du weißt, daß ich nicht daran glaube. Es ist nur, nun, die Galeone erscheint mir wie ein riesiger Sarg.“ „Die Mannschaft hat sich längst in Sicherheit gebracht. An Bord befindet sich niemand mehr.“ Eine weitere Tür knarrte laut und mißtönend, ehe sie dem Druck nachgab und polternd nach innen fiel. Das Holz war hart wie Glas, und wenn man hart dagegenstieß, dann zersplitterte es. Sie blickten in die Kapitänskammer. Unwillkürlich sprang Hasard mit einem Satz zurück, so daß er gegen Ben prallte. „Was ist?“ stotterte Brighton. Hasard deutete schweigend in den Raum, bis Ben einen Blick hineinwerfen konnte. „Du hast recht gehabt“, sagte der Seewolf mit brüchiger Stimme. Es gab nichts, was dieses unheimliche Bild übertreffen konnte, das sich ihren Blicken bot, dachte Ben benommen. Er schluckte hart und wich ebenfalls ein paar Schritte zurück. Vier Spanier saßen um einen dunklen Tisch gruppiert. Einer von ihnen, der Uniform nach der Capitan, hatte die Arme auf den Tisch gebreitet und das Kinn darauf gestützt. Die drei anderen saßen in abwartender Haltung da. Während einer aus weit offenen Augen zur Tür blickte, sahen die beiden anderen den Capitan an. In ihren frisch und lebendig wirkenden Gesichtern wucherten Stoppelbärte, in denen Eisperlen festgefroren waren. Es war eine makabre Gesellschaft, zum Schweigen verurteilt, unverrückbar fest in ihren Stühlen angefroren. Sie erinnerten Hasard an den Mann in der Höhle. Der Boden unter ihnen war aufgewölbt, unter den hochlehnigen Holzstühlen stachen spitze Planken hervor. Überhaupt schienen die ganzen Dimensionen des Schiffes nicht zu stimmen. Die Wände wirkten verzerrt und verschoben, sie hatten eine unmögliche Perspektive. Nur die vier Leichen saßen da, als würden sie leben und jemand hätte sie in ihrer Unterhaltung gestört.
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Ein Spanier hatte den Mund leicht geöffnet, als sei er über die Eindringlinge überrascht. In der Mundhöhle glitzerte Eis, und Eis glitzerte auch in den toten Augen. Die stoppelbärtigen Gesichter waren asketisch eingefallen und abgemagert. Hier waren sie zu einer letzten Beratung zusammengetroffen, und dabei hatte sie der Tod ereilt. Er mußte schnell über sie hergefallen sein, so schnell und eisig, daß die geschwächten Männer ihre Positionen nicht mehr hatten verändern können. Vorsichtig traten sie weiter in den Raum, in dem ein düsteres Zwielicht herrschte. Zwei der Bleiglasscheiben waren gesprungen. Der pulverige Schnee hatte sich auch hier einen Weg ins Innere gebahnt und den Eishauch des Todes zurückgelassen. Hasard blickte in die Koje am Ende der Kammer. Ein toter Hund lag darin, als schliefe er. „Anscheinend hat niemand überlebt“, sagte Hasard. „Dann sind im Vorschiff bestimmt auch noch Tote.“ „Das ist anzunehmen.“ Ihre Worte hallten laut und gespenstisch von den verbogenen Wänden wider. Es schien, als würden die toten Spanier die Sprache der Lebenden als Belästigung empfinden und ihr Eindringen als eine Beleidigung auffassen. Dieser Eindruck verstärkte sich bei Ben immer mehr, zumal der eine Tote ihn genau ansah. Daher wechselte er unbehaglich die Position und zog sich etwas weiter nach links zurück. Eiseskälte herrschte in der Gruft. Diese gnadenlose Kälte hatte die Leichen konserviert und erhalten. Immer noch wurden die beiden Männer das unangenehme Gefühl nicht los, daß sich gleich eine der Gestalten lautlos erheben würde. „Ich glaube, wir denken beide das gleiche“, sagte Ben in die Stille hinein, die ihnen auf die Nerven ging. Man hörte draußen kaum noch den Sturm heulen. Hasard untersuchte den Raum, während Brighton mit verzogenem Gesicht an der Wand stand und den toten Hund in der
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Koje ansah, Er war bretthart gefroren und hatte in der Koje wohl instinktiv Schutz gegen die bittere Kälte gesucht. Vielleicht war er der letzte an Bord gewesen, der den Tod gefunden hatte. Hasard rüttelte an vereisten Schubladen, die nach einem harten Griff laut knallend aufsprangen. Andere hatten sich so verzogen, daß sie nicht mehr zu öffnen waren. Ein eingebauter Wandschrank erregte Bens Aufmerksamkeit. Vielleicht enthielt er Hinweise, Papiere oder Aufzeichnungen, aus denen irgendetwas hervorging, Seekarten, die vielleicht genaueren Aufschluß über diesen eisigen Kontinent gaben. Er riß und zerrte an der Tür, die sich nicht öffnen ließ. Hasard sah es und packte ebenfalls an. Mit einem regelrechten Detonationsknall flog die Tür auf, die Angeln zerplatzten, und sie hatten das Ding in der Hand. Dann zuckten die beiden Männer wie unter einem Peitschenhieb zusammen. Hinter ihren Rücken polterte es dumpf, und als sie herumfuhren, fiel eine der Leichen vom Stuhl und knallte auf den Boden. Von unsagbarem Grauen geschüttelt, sahen Hasard und Ben, wie der Leichnam in mehrere Teile zerbrach, als bestünde der Körper aus zerbrechlichem Glas. „Das wird ja immer schlimmer“, stöhnte Ben, dem der Schrecken so in die Knochen gefahren war, daß er sich nicht rühren konnte. „Das war die Vibration“, murmelte Hasard. „Sie pflanzt sich durch das ganze Schiff fort, und die Schranktür hat sie ausgelöst. Komm, sehen wir einmal nach.“ „Ich bin bedient“, sagte Ben keuchend. „Das hält ja kein normaler Mensch aus.“ Der Seewolf sah dennoch in dem Schrank nach, weil er sich einen Hinweis erhoffte. Er fand ihn nicht, es gab keine Aufzeichnungen, die toten Männer hatten andere Sorgen gehabt, bei ihnen war es ums nackte Überleben gegangen. Da war der Gedanke auch schon wieder, der den Seewolf nicht mehr losließ. Das nackte Überleben!
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Himmel, bisher hatten sie noch keinen einzigen Überlebenden in dieser Eiswüste getroffen - bis auf die unbekannten Gestalten am Ufer, die rasch wieder verschwunden waren. Hier konnte nichts und niemand überleben, der sich hier lange auf - hielt, der zum Aufenthalt gezwungen war. Früher oder später mußten sie elend umkommen, soviel war mit Sicherheit anzunehmen, es sei denn, es geschah ein Wunder, dachte der Seewolf betäubt. Der Seemann im Boot hatte es nicht überlebt, diese Männer hier waren den ewigen Strapazen der Eiswüste auch nicht gewachsen gewesen, und im Vorschiff befanden sich sicherlich noch mehr Tote. Und wie würde es bei ihnen enden? Im Geist sah Hasard eine grauenhafte Vision vor sich. Eiserstarrte Gestalten, seit Ewigkeiten tot, so hockten oder lagen sie an Bord der „Isabella“ herum, bis sie nach Jahrzehnten vielleicht jemand durch Zufall fand, dem es dann auch nicht besser ergehen würde als allen anderen. Der Gedanke war niederschmetternd und drückte aufs Gemüt. Hasard versuchte so schnell wie möglich davon loszukommen. Er sah Bens Gesicht und wußte, daß der Freund genau das gleiche dachte wie er auch. „Nichts, kein Hinweis“, sagte er abschließend und drehte sich um. Dabei bemühte er sich, nicht auf den zersplitterten Körper des Toten zu blicken. Hastig zwängten sie sich durch das zerstörte Schott nach draußen, wo sie erst einmal tief Luft holten. „Wir werfen einen Blick nach vorn“, sagte Hasard, „sie haben das meiste schon freigelegt.“ Carberry sah die beiden und hörte auf zu schaufeln. „Verdammt, ist das eine Plackerei“, sagte er stöhnend und wischte sich die Schweißperlen von der Stirn. „Wir sind jetzt direkt am Schott, man kann schon das Holz - eh, was ist denn mit euch los?“ fragte er beklommen. „In der Kapitänskammer sitzen vier tote Männer um den Tisch“, sagte Hasard leise.
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„Ich wollte euch nur darauf vorbereiten, daß uns hier vorn etwas Ähnliches erwarten kann.“ Der Profos schluckte und sog scharf die Luft in die Lungen. „Vier tote Männer?“ ächzte er. „Alle erfroren?“ „Ja, alle sind erfroren, sie sehen genauso aus wie jener Seemann in der Höhle, so frisch, als würden sie schlafen.“ Der Moses wechselte die Farbe, warf einen scheuen Blick auf das Schott und trat vorsichtshalber ein paar Schritte zurück. Er hatte Angst vor dem, was sie vielleicht zu sehen kriegten. „Sollen wir trotzdem das Schott öffnen, Hasard?“ fragte Ed. „Ja, natürlich öffnen wir es. Möglich, daß wir etwas finden, das uns weiterhilft. Nach dem Kompaß haben wir auch noch nicht gesucht, aber das holen wir noch nach.“ Während Dan und Ed weiterschaufelten, hielt sie der Moses kleinlaut zurück. Immer wieder warf er furchtsam einen Blick nach achtern, als würde dort etwas auf - tauchen. Hasard ergriff seinen Oberarm und spürte, wie der Bengel angstvoll zusammenzuckte. „Keine Angst, Junge, die Toten tun dir nichts. Aber für dein Gemüt wäre es wohl besser, du würdest dir den Anblick ersparen. Es ist wirklich nichts für dich.“ „Aye, Sir“, stammelte der schmächtige Junge verstört. Carberry und Dan O’Flynn räumten jetzt gerade den letzten Schnee weg, bis das verklemmte Schott vor ihnen lag. Sie sahen sich an und nickten sich verstört zu. „Na, dann wollen wir mal“, sagte der Profos laut, um das Unbehagen zu verbergen, das auch ihn genauso wie alle anderen erfaßt hatte. Einen Moment dachte er an die Wracks, die sie damals in der Sargassosee gefunden hatten, Leichen, die skelettiert und verwest waren, und er dachte auch daran, wie sie sich damals vor Angst geschüttelt hatten. Jetzt erschien ihm das nicht mehr so schlimm, weil es schon lange zurücklag und er es aus seiner Erinnerung verdrängt hatte. Aber das, was jetzt vor ihnen lag, war unbekannt und neu.
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Auch dieses Schott ließ sich nur sehr mühsam und erst dann öffnen, als der Profos die Axt zu Hilfe genommen hatte. Dann sprang es mit einem Knall auf und zersplitterte von oben bis unten. Es ging vier Holzstufen hinunter in absolutes Dunkel. Hier gab es keine Bleiverglasungen und kein Fenster. Nur das Licht von Deck fiel schwach auf die Stufen, weiter reichte es nicht. Carberry sah sich hilflos um. „Äh - eine Fackel haben wir nicht zufällig, wie?“ fragte er. „Nein, wir haben keine mitgenommen.“ „Tja, dann ...” Ed rieb sich die klammen Hände, schaute auf die Holzstufen, sah den Seewolf an und murmelte etwas von „verdammter Sturm, lausiger Kälte Und beschissener Welt“. „Mit euch ist es immer das gleiche“, .sagte Hasard. „Angeblich glaubt keiner an Geister und weist jede Art von Spökenkiekerei weit von sich. Aber um ein paar arme erfrorene Kerle, da schlagt ihr alle einen großen Bogen.“ Betretene Gesichter sahen ihn an, als er voranging. Der junge O’Flynn folgte dem Seewolf, ohne zu zögern, aber sie kamen nur die Stufen hinunter, dann versperrten ihnen spitze aus der Wand ragende aufgesplitterte Bohlen den Weg. Scharfe Lanzen stachen ihnen entgegen, die den Weg in das eisige Innere verwehrten. „Gib mir mal die Axt, Ed!“ Carberry reichte die Axt hinunter, bückte sich und starrte in das Dunkel. „Nimm die andere Axt und schlage an Deck eine der Planken entzwei“, sagte Hasard. „Ja, genau die, die über uns liegt. Dann haben wir wenigstens etwas Licht.“ Starke Schläge erschütterten das Schiff. Überall krachte und knackte es. In der Kuhl sprangen zwei zersplitterte Planken plötzlich senkrecht in die Höhe und schnell ten bis zum Schanzkleid. Carberry schaffte es mit ein paar wuchtigen Schlägen. Das glasharte Holz flog nach allen Seiten auseinander wie das Glas einer Flasche, so hart war es gefroren.
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Fahles Licht fiel durch den entstandenen Spalt, es drang nur ganz schwach nach unten, aber zur Orientierung genügte es. Auch die wie Lanzenspitzen vorstehenden Planken und Bohlen zerbarsten nach ein paar Schlägen wie Glas. Der Weg war frei, sie zwängten sich hindurch, Hasard voran. Die Stufen führten in einen schmalen Gang. Oben an der Decke hing an einem groben Tampen eine Lampe. Rechts befand sich die Kombüse, die Tür hing lose in den Angeln. Hasard trat ein. Der Raum war wie leergefegt, die weitaufgerissenen eingebauten Schränke gähnten ihm leer entgegen. „Da ist nichts mehr, aber auch gar nichts“, sagte Dan. „Keine Krume Brot, nicht mal ein Stück Holzkohle, sogar das Fett aus den Pfannen haben sie abgeleckt.“ „Sie werden verhungert sein, die armen Kerle. Mit knurrenden Mägen haben sie sich hingelegt und sich nicht mehr erholt. Dann hat die Kälte sie überrascht.“ Es ging drei weitere Holztreppen hinunter in einen großen dunklen Raum. Die Augen mußten sich erst an das schwach einfallende Licht gewöhnen, ehe sie etwas erblickten. Stumm standen die beiden Männer da und rührten sich nicht. Nur ihre Blicke wanderten von einer Ecke in die andere. Eisbedeckte und vom Reif überzogene Gestalten lagen in provisorischen Kojen, die roh zusammengezimmert waren. Drei Männer kauerten zusammengekrümmt an der Wand, zwei andere lagen mit dem Gesicht auf dem Boden. Stumm und erschüttert nahmen sie das Bild in sich auf und stellten sich in Gedanken das Drama vor, das sich hier vor längerer Zeit abgespielt haben mußte. „Gehen wir“, sagte Hasard rauh, „lassen wir ihnen den Frieden und die Ruhe.“ An Deck sahen die anderen schon an Hasards Gesicht und Dans verkniffenen Lippen, daß auch hier weitere Tote lagen. „Zwölf Tote liegen da unten“, sagte der Seewolf. „Mit den vier Männern in der Achterkammer sind es sechzehn. Eine komplette Besatzung also für die Größe
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des Schiffes. Hier ist niemand von Bord gegangen, sie haben ihren Tod auf dem Schiff erwartet und Schutz vor der Kälte gesucht. Damit steht also fest, daß die Leute, die wir gestern an Land gesehen haben, nicht von dieser Galeone stammen.“ „Dann finde ich es merkwürdig, daß diese Fremden der Galeone immer noch keinen Besuch abgestattet haben“, sagte Ben. „Die Türen und Schotten waren unversehrt, niemand hat sie erbrochen, wir waren die ersten.“ „Ja, das ist eigenartig“, gab Hasard zu. „Dafür habe ich auch keine Erklärung, es sei denn; diese Leute haben ganz einfach Angst und trauen sich nicht heran, Angst vor den Geistern der Toten vielleicht.“ Hasard kehrte zum Achterkastell zurück, gefolgt von den anderen, die seltsam still und ruhig waren. Eine beklemmende Atmosphäre lag über diesem Totenschiff. Die Seewölfe traten ganz unbewußt leise auf, um die Ruhe der erstarrten Männer nicht zu stören, die in ihren eisigen Grüften der Ewigkeit entgegendämmerten. „Wir schaufeln das Achterkastell bis zum Kolderstock frei“, sagte der Seewolf. „Wenn ihnen der Kompaß nicht ebenfalls über Bord gegangen ist, dann werden wir ihn hier irgendwo finden.“ Schweigend wurde gearbeitet. Jeder hing seinen eigenen Gedanken nach, und doch waren es die gleichen, denn sie drehten sich ausschließlich um die Toten und um die bange Frage, wie lange es noch dauern würde, bis sie selbst das traurige Schicksal dieser toten Mannschaft teilten. Verbissen schaufelten sie den Schnee über Bord, bis sich ein breiter Gang gebildet hatte. Nach einer knappen Viertelstunde stieß die Schaufel auf Widerstand, und es gab einen dumpfen Ton. „Vorsichtig“, sagte Hasard, „da ist ein Sockel, beschädigt ihn nicht, langsam weiterschaufeln.“ Der Sockel wurde gleich darauf freigelegt, es war eine aus Bohlen und Brettern zusammengefügte große Kiste, die dicht vor dem Kolderstock stand.
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Mit den Händen scharrte der Seewolf den Schnee beiseite. „Wir haben ihn!“ schrie Bill, der insgeheim der Ansicht war, mit dem gefundenen Kompaß auch gleich den Weg aus dem Eismeer heraus entdeckt zu haben. Behutsam wurde das kostbare Instrument freigelegt. Die obere Bleiglasscheibe zur Abdeckung war zerbrochen, aber der Kompaß funktionierte einwandfrei, wie Hasard sofort sah. „Jetzt sind wir gerettet“, sagte der Schiffsjunge erregt, doch die anderen schienen seine Freude nicht zu teilen und bedachten ihn mit einem nachdenklichen Blick. Hasard hob den schweren Kompaß heraus und legte ihn an Deck. Alle starrten gebannt auf die Nadel, die leicht zitterte. Jetzt kannten sie die Himmelsrichtungen genau, obwohl ihnen das augenblicklich nicht viel nutzte, aber es war doch ein Grund zur Freude, das sahen die Männer jetzt ein. Mit der gleichen Vorsicht wurde der Kompaß vom Schiff getragen. Dann ging es zurück an Bord. Ferris Tucker würde das unersetzliche Gerät noch heute so einbauen, daß es nicht mehr verlorengehen konnte. 7. Old O’Flynn lauschte der Erzählung mit schiefgeneigtem Kopf. Sein Gesicht, wie aus Granit gemeißelt und von unzähligen kleinen Falten durchzogen, hatte sich anfangs umwölkt, als die Sprache auf die toten Seeleute gekommen war, aber jetzt hellte es sich merklich auf, und der Alte nickte mehrmals, als sei ihm das Licht der Erkenntnis aufgegangen. Die Stimme des alten Rauhbeins O’Flynn klang wie immer beschwörend und wissend, wenn er zu erzählen begann. „Habt ihr es schon gemerkt?“ raunte er. „Sechzehn tote Seeleute an Bord des Geisterschiffes. Na, fällt euch nichts auf?“ Niemandem fiel etwas Besonderes auf, und das sagten sie dem Alten auch.
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„Denkt doch mal nach“, sagte er eindringlich. „Erinnert ihr euch an die Leute vom Land, die so plötzlich auftauchten und ebenso schnell verschwanden. Ich habe nachgedacht, da gibt es nur eine einzige Möglichkeit: Diese Leute existieren gar nicht wirklich.“ „He, wir haben sie aber gesehen“, protestierte Luke Morgan. „Alle haben sie gesehen.“ „Natürlich“, sagte der Alte. „Aber sie haben uns gewarnt, diese Leute, indem sie sich einmal zeigten.“ „Das versteht doch kein Mensch, Donegal“, schimpfte Carberry, „drück dich gefälligst etwas klarer aus, Mann!“ „Diese Leute“, sagte der Alte mit Grabesstimme, „waren die Geister jener Toten, die auf dem Schiff liegen. Sie haben sich an Land zurückgezogen, um zu beobachten, ob wir nicht die Ruhe ihrer Körper stören.“ „Meinst du das wirklich?“ fragte Roskill. „Na klar doch. Sie irren ruhelos umher, diese armen Seelen, sie beneiden uns um unser Schiff und die Wärme, glaubt es mir. Und ab und zu zeigen sie sich, um uns einzuschüchtern. Wir hatten das mal auf der ,Empress of Sea`, glaube ich, da waren ...“ „ … dreizehn Geister, die den alten Daddy so eingeschüchtert haben, daß er noch heute davon faselt“, fiel Dan seinem Vater respektlos ins Wort. „Was, du wagst es, du lausiger Bock!“ schrie der Alte. „Ach, halt die Luft an, Dad“, erklärte Dan. „Du machst doch nur alle verrückt mit deinen Geschichten. Hasard hat gesagt, wenn er noch mehr von dem Geistergefasel hört, dann wird es hier bald einen Mann weniger an Bord geben.“ Der Alte schwieg bestürzt und musterte seinen Sohn, ob der ihm auch nicht wieder was vorgeflunkert hatte. Aber Dans Gesicht blieb völlig ernst. „So, hat er das, na, ist ja auch nicht so wichtig“, sagte Old O’Flynn sauer. „Vielleicht sind es gar keine Geister, vielleicht sind es nur die Seelen
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Ertrunkener, ich will ja nichts behauptet haben.“ Danach schwieg er verbiestert und warf seinem Sohn ab und zu einen giftigen Blick zu. Etwas später schlich er an Deck und suchte den Seewolf. Er mußte es sich einfach von der Seele reden. Er fand ihn ans Schanzkleid gelehnt, wie er durch das Spektiv zu der kleinen eisfreien Stelle vor dem Land hinüberblickte. „Weißt du, Hasard“, begann der Alte vorsichtig, „das mit den Geistern war natürlich nicht so gemeint.“ „Wovon sprichst du überhaupt?“ „Nun, äh, ich meine, ich finde das nicht, gerade nett von dir, mich einfach auszusetzen, auf einer Insel oder so.“ Hasard setzte das Spektiv ab und sah den Alten an. „Ist dir die Kälte zu Kopf gestiegen, Donegal?“ fragte er. „Dann stimmt es also nicht, daß du mich von Bord werfen läßt, weil ich Geistergeschichten erzählt habe?“ „Das ist doch nichts als Spinnerei, meinetwegen kannst du soviel erzählen, wie du willst. Wer hat das denn gesägt?“ „Dann hat diese lausige Rotznase mich also angelogen!“ schrie der Alte plötzlich voller Wut. „Na warte, diesem elenden Bürschchen werde ich es schon zeigen!“ Ehe Hasard begriff, was der Alte eigentlich wollte, war Old O’Flynn schon auf seinem Holzbein davongehumpelt und stürzte wutentbrannt nach achtern, wo es einen Gemeinschaftsraum, eine kleine Messe, für die Seewölfe gab. Und es war noch keine Minute vergangen, da ertönte ein wüstes Gebrüll. Der alte und der junge O’Flynn schrien sich gegenseitig in aller Lautstärke an. Dazwischen ertönte das laute Lachen der anderen Männer. Laß sie brüllen, schreien und toben, wie sie wollen, dachte der Seewolf, vielleicht half es ihnen über die trostlose Lage hinweg, in der sie sich befanden. Er blickte wieder durch das Spektiv und rief dann Ferris Tucker, weil ihm etwas eingefallen war, das ihn ganz einfach als Versuch reizte.
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„Angenommen, Ferris“, sagte er, „du würdest ein paar Kufen unter das Beiboot nageln. Kufen, wie sie ein Schlitten hat, mit dem Kinder fahren. Und angenommen, wir setzen das Segel, und es bläst ein kräftiger Wind. Was, glaubst du, würde dann passieren?“ Tucker dachte nach, dann zog ein Grinsen über sein Gesicht. „Hä, man könnte theoretisch auf dem Eis segeln“, sagte er, total verblüfft. „Praktisch auch. Man könnte sich schneller auf dieser glatten Fläche bewegen als auf dem Wasser. Fang an, Junge, auf was wartest du noch?“ Tucker grinste noch breiter. „Ideen hast du“, sagte er bewundernd. „Da wird die Crew aber staunen, Sir. Das müßte wirklich funktionieren.“ Er rief Carberry und teilte dem verblüfften Profos mit, das Beiboot abfieren zu lassen. Zuerst kratzte Ed sich verlegen den Schädel, doch dann nickte er und sah Hasard an. „Erwartest du, daß das Eis aufbricht, Sir?“ „Nein, das erwarte ich nicht.“ „Hm, ich auch nicht. Ist irgendwas mit dem Boot nicht in Ordnung, Sir?“ fragte der Profos lauernd weiter. Hasard verkniff sich das Grinsen, er hätte etwas darum gegeben, jetzt Carberrys geheime Gedanken zu erfahren. „Es ist bestimmt in Ordnung“, sagte Hasard. „Aber ich möchte eine kleine Fahrt unternehmen.“ „Mit dem Boot?“ „Ja, allerdings ohne die Riemen.“ „Hm“, brummte Ed unbehaglich, „bist du ganz sicher, Sir, daß du — äh —eine Fahrt ...“ „Hältst du mich vielleicht für verrückt, Mister Carberry!“ schnauzte Hasard den verdutzten Profos an. „Wenn ich sage, ich will eine kleine Fahrt unternehmen, dann brauchst du nicht daran zu zweifeln, ist das klar?” Der arme Ed versank bald in den Planken, so verdutzt war er. Aber dann riß er sich zusammen.
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„Aye, aye, Sir!“ brüllte er überlaut. Und um sich abzureagieren, pfiff er wieder die Leute an, die an Deck erschienen waren. „Fiert das Beiboot weg!“ brüllte er mit rotem Schädel. „Der Kapitän möchte eine kleine Fahrt unternehmen.“ So was heizt die Gemüter mächtig an, dachte der Seewolf, solche kleinen Scherze sind ganz nach dem Geschmack der Kerle. Er selbst amüsierte sich über die ratlosen Gesichter, die sie zogen. Ihre Blicke besagten mehr als alle Worte. Irgendetwas schien mit dem Seewolf nicht zu stimmen, der ausgerechnet jetzt mit dem Boot eine kleine Fahrt unternehmen wollte. Während sie voller verdächtigem Eifer das Boot wegfierten, sahen sie immer wieder den Seewolf an. Aber dessen Gesicht blieb völlig ausdruckslos, und jetzt wußte erst recht keiner mehr, was denn eigentlich los war. „Ein einfacher Eisenhaken zum Steuern müßte eigentlich ausreichen“, überlegte der Seewolf. „Je nachdem, wie man ihn aufs Eis hält, legt sich das Boot auf einen anderen Kurs. Das ist nur eine Annahme, versuchen werden wir es in jedem Fall.“ Für die Kufen brauchte Tucker nicht lange. Einfache Balken genügten, die an beiden Enden leicht abgerundet wurden. Das war eine Sache von einer knappen halben Stunde. Die „Seewölfe sahen zu, niemand begriff, was das geben sollte, und als Hasard ins Boot stieg und die Riemen nach oben reichte, war die Verblüffung vollkommen. „Was ist denn mit ihm los?“ fragte Blacky diskret den Profos. „Er wird doch nicht krank sein?“ Carberrys Rammkinn war weit vorgeschoben. „Frag mich lieber nicht“, sagte er grollend, „sonst müßte ich dir nämlich eine saudumme Antwort geben.“ „Man sollte Hasard sagen, daß er auf dem Eis mit dem Boot nicht fahren kann“, murmelte Smoky. „Aber ich trau mich nicht, sonst meint er, ich halte ihn für verrückt.“ Das Gewisper entging dem Seewolf nicht, ebenso wenig wie die vorsichtigen Blicke,
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die sie in seine Richtung warfen. Was mochten sie nur von ihm denken? Der Profos warf die abgerundeten Kufen aufs Eis, als Tucker ihn darum bat. Ben Brighton hatte schmale Augen, anscheinend merkte er etwas, aber die anderen .rätselten immer noch verzweifelt. „Möchte jemand mit Hasard fahren?“ fragte Tucker ernst. Er sah sie an, diese elenden Bastarde, und jeder hatte eine andere Ausrede zur Hand. Sie mußten Schnee schippen, Eis klopfen, und kleine Reparaturen vornehmen, wie sie eifrig versicherten. Mit wollte außer Bill keiner, denn die anderen stellten sich vor, daß sie mit dümmlichen Gesichtern auf dem Eis im Boot hockten und die anderen sie auslachen würden. „Gut, Bill und ich fahren mit“, sagte Tucker. „Ihr anderen geht aufs Eis und helft mir.“ Er nahm den Haken und warf ihn hinunter, als die ganze Meute der Seewölfe aufs Eis ging. „Acht Mann heben das Boot an Backbord hoch“, befahl Tucker, „und glotzt mich nicht so dämlich an, ihr Hammel. Los, hoch mit der Backbordseite. Halt, das genügt.“ Smoky hielt die Kufe fest, während Ferris ein paar zollstarke Nägel durch die Planke donnerte. „Absetzen!“ rief er. „Jetzt die andere Seite hoch!“ Die nächste Kufe wurde angenagelt. Das Boot wackelte etwas, aber die Eisfläche war, auch nicht ganz eben. Hasard, Tucker und der Moses stiegen ein und grinsten die anderen hinterhältig an, die immer noch ratlos herumstanden. „Vergeßt nicht, Schnee zu schaufeln und Eis zu klopfen“, erinnerte Hasard die Männer. „Nach der Probefahrt sind wir wieder zurück.“ Alle grinsten pflichtschuldigst, als hätten sie einen guten Witz gehört, aber der blieb ihnen im Hals stecken, als Hasard das Segel im Boot blitzschnell hochzog. „Ihr müßtet mal eure blöden Gesichter sehen“, sagte Ferris und brüllte vor
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Lachen, als das Boot ruckhaft Fahrt aufnahm, der Wind in das Segel fuhr und es blitzartig lostrieb. Die anderen blieben belämmert zurück und starrten dem davonflitzenden Boot ungläubig nach. „Jetzt brat mir aber einer ‘nen Albatros“, stöhnte der Profos erschüttert. „Wo gibt’s denn so was, wie? Und ihr Rübenschweine habt darüber noch dämlich gegrinst. Ist das nicht ganz natürlich, daß ein Boot auf dem Eis segeln kann? Jeder Blödmann kann sich das an fünf Fingern abzählen.“ „Jeder Blödmann schon, aber nicht jeder Vollidiot“, sagte Smoky gelassen. „Das gilt auch für dich, Ed, du brauchst dich gar nicht darum herumzumogeln, denn du warst der erste, der dauernd gegrinst hat.“ Der Profos wurde unsachlich, weil Smoky ihn durchschaut hatte. „Was steht ihr noch herum?“ brüllte er. „Habt ihr nicht gesagt, ihr wolltet Schnee schaufeln, Eis klopfen, arbeiten, was, wie? An die Arbeit, ihr Schellfische, und wenn euch in fünf Minuten nicht das Wasser im Arsch kocht, dann will ich nicht mehr Carberry heißen. Willig, willig!“ In dem Ton ging es weiter, und damit war reichlich für Abwechslung gesorgt. Und doch standen sie am Schanzkleid herum und starrten dem Boot nach, das mit geblähtem Segel beängstigend schnell dahinflitzte. Hasard, Tucker und der Bengel wußten gar nicht, wie ihnen geschah. Der Seewolf hatte sich mit dem Gedanken schon eine ganze Weile beschäftigt, aber daß er sich so schnell in die Tat hatte umsetzen lassen, wunderte ihn immer noch. Sie segelten dreimal so schnell wie die „Isabella“ unter Vollzeug. Nur fiel das Steuern schwer, denn der Eisenhaken hoppelte wild über die Eisbrocken und glitt Hasard ständig aus der Hand. Außerdem segelten sie in eine Richtung, in die sie gar nicht wollten, aber das mußte erst die Erfahrung bringen. Hasard holte das Segel ein. Dabei mußte er sich festhalten, denn das Boot vollführte Sprünge wie ein wild bockender Esel. Nach einer Weile blieb es stehen.
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„Mann“, sagte der Bengel bewundernd, „das glaubt uns keiner, wenn wir das mal erzählen.“ Ferris Tucker lachte. Anfangs hatten sie vor dem rasenden Tempo alle etwas Bammel gehabt, aber jetzt bereitete es Spaß, es war ein Erlebnis, so schnell über das Eis zu flitzen. Tucker nahm eine kleine Änderung vor, so daß der Eisenhaken nicht mehr wegrutschen konnte und das Boot sich besser steuern ließ. „Wir segeln dort hinüber“, sagte Hasard und zeigte auf die Stelle eisfreien Wassers, wo sie die Leute gesehen hatten. Da gab es im Eis eine Art Bucht, die himmelhohe Eismassen versperrten und in die man nicht hineinblicken konnte. Sie wechselten das Segel und schlugen ein kleineres an, um das Boot besser steuern zu können. Alles war eine Sache der Erfahrung, und diesmal ging es schon viel besser und kontrollierter. Wieder nahm es ziemlich rasch Fahrt auf. Innerhalb kürzester Zeit hatten sie die Stelle passiert, an der das Wrack lag und sausten daran vorbei. „Diese Eissegelei kann unser Leben retten“, sagte Hasard. „Wenn wir wirklich im Eis eingeschlossen bleiben, haben wir jederzeit die Möglichkeit, weite Fahrten zu unternehmen, bis wir wieder offenes Meer erreichen.“ „Daran habe ich noch gar nicht gedacht“, gab Tucker zu. „Doch es stimmt. Unsere Reichweite ist praktisch unbegrenzt, selbst wenn wir ins Wasser stürzen, kann nichts passieren.“ Bill grinste noch immer. In seinem ganzen Leben hatte er sich noch nie in diesem rasenden Tempo bewegt. Sein Herz klopfte wild, er war aufgeregt, und das äußerte sich in einem Grinsen, das kein Ende nahm, so stolz war er. Sie hielten jetzt auf die riesengroße Fläche zu und segelten wieder etwas schneller. Hasard drückte den Eisenhaken mit der langen Stange daran mal nach Backbord, mal nach Steuerbord, und sofort folgte das Boot dem leichten Druck.
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Etwas später gab es einen Knall, das Boot sprang wild in die Höhe und donnerte zurück auf den harten Untergrund. Fast hätte es die Männer hinausgeschleudert. Hinter ihnen verschwand die „Isabella“ als kleiner schwarzer Hügel in der Einsamkeit. Sie rasten jetzt auf die steil aufragenden Eismassen zu, in die Nähe des eisfreien Wassers. Unter ihnen knackte und knisterte es gefährlich, je mehr sie sich der Stelle näherten. „Vorsicht“, warnte Tucker, „das Eis wird dünner. Wenn wir ins Wasser rasen, werden wir schlagartig abgebremst.“ Hasard verkleinerte wiederum die Segelfläche etwas, bis das Boot langsamer lief. Jetzt schob es sich an dem Eismassiv von links vorbei, bis sie einen Einblick in die Bucht hatten. Was sie sahen, versetzte ihnen einen regelrechten Schlag. Jenseits der eisfreien Fläche, dort, wo wieder die eisbedeckten Berge begannen, hatten sich mehrere hundert Personen am Ufer versammelt. Eine aufgeregte Meute rannte aufgescheucht davon, als das Boot heranraste. Hasard stoppte sofort, um sie nicht in Panik zu versetzen. Einige von ihnen, in seltsam schwarzweiße Gewänder gehüllt, blieben stehen und sahen dem Boot neugierig entgegen. Die anderen, die davongerannt waren, blieben jetzt auch stehen, einige kehrten langsam wieder zurück. „Das sind ja Zwerge“, sagte Bill erstaunt. „Die sind höchstens halb so groß wie wir.“ Noch waren die zwergenhaften Leute weit entfernt. Der Seewolf kniff die Augen zusammen, um sie besser erkennen zu können. Es stimmte, sie waren klein, etwa einen Yard groß, mit dunklen Köpfen, gedrungenen Hälsen, um die sie einen gelben Schal geschlungen hatten, und unwahrscheinlich kurzen Beinen. Hasard sah entsetzt, wie sich ein paar von ihnen bei dieser lausigen Kälte todesmutig ins Wasser stürzten. „Sie tragen Felle gegen die Kälte“, sagte Bill, „wie der Wikinger. Vorn ist das Fell
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weiß und hinten schwarz. Aber ihre Gesichter sind so komisch.“ Plötzlich begann der Seewolf schallend zu lachen. Tucker und der Bengel sahen ihn verstört an. „Eure Zwerge sind eine Art Vögel“, sagte er, immer noch lachend, „seht mal genauer hin, sie haben einen langen Schnabel, und das sind keine Arme an der Seite, sondern kurze Flügel, die sie zum Schwimmen gebrauchen.“ „Keine Leute?“ fragte Tucker. „Aber die sehen doch genauso aus wie kleine Menschen.“ „Von weitem schon, wir segeln etwas näher heran, dann wirst du staunen, wenn sie nicht vorher die Flucht ergreifen.“ Die Meute bevölkerte den ganzen Uferstreifen, und sie standen- auch noch dort, wo bereits die ersten Ausläufer der Berge begannen. Sie rannten auch nicht mehr fort, als das Boot sich ihnen ganz langsam näherte, sie wurden lediglich unruhig, und benahmen sich wie Menschen, die sich gestört fühlten oder etwas Fremdem gegenüberstanden. „Tatsächlich, das sind große Vögel“, sagte Ferris, als das Boot stoppte und das Segel eingeholt worden war. „Sie scheinen vor uns keine Angst zu haben.“ Deutlich drang jetzt aufgeregtes Geschnatter herüber. Die kleinen Gestalten watschelten durcheinander, als unterhielten sie sich. Ihre Stummelflügel schlugen aufgeregt und immer wieder stießen ihre langen Schnäbel nach vorn. Hasard lief bis dorthin, wo die Eisdecke verdächtig zu knistern begann. Tucker und der Junge folgten zögernd und sahen voller Staunen auf die Kolonie seltsamer Vögel, die ihnen wie eine Armee gegenüberstand. Ziemlich dicht kamen sie heran, bis wieder das Geschnatter einsetzte, lauter als vorhin, und ein paar von ihnen drohende Haltung annahmen. „Oha, die brüten bei dieser Kälte Eier aus!“ schrie Bill aufgeregt. „Wenn die ausschlüpfen, können die doch gar nicht überleben!“ Einer der befrackten Vögel sprang mit einem wilden Satz ins Wasser, tauchte so
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lange, bis sie glaubten, er wäre ersoffen, und erschien dann nicht weit vor ihnen wieder. Wie selbstverständlich watschelte er auf das Eis, bis er in einer Entfernung von höchstens drei, vier Yards vor den staunenden Männern stehenblieb und sie neugierig beäugte. Hasard nahm sich Zeit, das seltsame Tier gründlich zu studieren, das keine Scheu vor ihnen zeigte, sobald sie sich nur sehr langsam bewegten. „Das also sind die Seelen von O’Flynns Ertrunkenen“, sagte er leise, seht ihr mal wieder, was an dem ganzen Gefasel wahr ist. Harmlose Vögel sind es.“ Der neugierige Vogel rückte Hasard auf die Pelle, bis er ganz dicht vor ihm stand. Der Seewolf rührte sich nicht, starr blieb er stehen,. bis der watschelnde Vogel sich umdrehte und auf Bill zuging, der ängstlich ein paar Schritte zurückwich. Sein Schnabel klapperte, und er schnatterte, als wolle er sich mit dem Jungen unterhalten, der immer blasser wurde. „Er tut dir nichts“, sagte Hasard. Bill streckte ganz vorsichtig die Hand aus. Der lange Schnabel klopfte auffordernd dagegen, dann hackte er nach dem Hosenbein des Jungen, aber es war eine gutmütige Geste. Vielleicht wollte auch er herausfinden, was das für merkwürdige Zweibeiner waren, die da in ihrem Revier herumstanden. „Ähnliche Vögel haben wir schon einmal gesehen“, entsann sich Hasard. „Zwar nur aus der Ferne, aber die waren noch kleiner als dieser hier, und sie verschwanden auch sofort. Ich glaube, das war damals bei der ersten Durchquerung der Magellanstraße.“ Er sah zu den anderen hinüber. Viele von ihnen hatten ein großes Ei auf ihren Füßen liegen, das sie immer wieder mit dem langen Schnabel zurechtschoben und es unter einer Bauchfalte verbargen. Dann harrten sie weiter aus, eisigem Wind, großer Kälte und schlechtem Wetter ausgesetzt, das sie nicht zu stören schien. Nachdem der watschelnde Vogel auch noch den erstarrt dastehenden Ferris Tucker lange beäugt hätte, verlor er das
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Interesse. Gemächlich watschelte er davon, glitt von der Eisfläche in das freie Wasser und sauste in die eisige Tiefe. Sie konnten ihn in dem klaren Wasser eine ganze Weile lang verfolgen. Er schwamm nicht wie ein Fisch, sondern bewegte sich pfeilschnell, fast fliegend wie ein großer Vogel durch das nasse Element. Für die drei Männer war es ein beeindruckendes Erlebnis, als der kleine Bursche drüben wieder herauskletterte, sich das kalte Wasser vom Körper schüttelte und zu seinen Artgenossen marschierte. Drüben hob wieder ein pausenloses Geschnatter an. Hasard stieg ins Boot, fasziniert von dem Anblick dieser Kolonie im ewigen Eis, von den Vögeln, die hier in absolut lebensfeindlicher Umwelt ihre Eier ausbrüteten und ihre Jungen großzogen, allen tödlichen Witterungen trotzend. Nachdenklich kehrten sie zur „Isabella“ zurück, wo die Seewölfe sie mit lautem Gebrüll begrüßten. Jetzt wollte ohne Ausnahme jeder einmal „Boot fahren“, und von verstecktem Grinsen war schon längst nichts mehr zu sehen. „Ein tolles Ding“, sagte Carberry begeistert. „Mann, ihr seid losgeflitzt, daß ich glaubte, euch müßten die Lungen platzen. Hält man das Tempo überhaupt körperlich aus?“ „Bis jetzt sind wir noch ganz gesund“, sagte Hasard und sah auf den Bengel, der über das ganze Gesicht grinste und stolzgeschwellt die magere Brust herausreckte. Nur der alte O’Flynn hatte Bedenken. „Ein Teufelsschlitten“, sagte er. „Ihr kriegt so viel Tempo drauf, daß ihr euch damit in den Himmel erheben werdet. Denkt an meine Worte, das kann nicht gut gehen! Der Teufel persönlich hat das Ding geschoben.“ Hasard sah den Alten kopfschüttelnd an. „Der Wind hat das Boot geschoben, Donegal, genau wie er die ‚Isabella’ schiebt, nur kann die sich im Wasser nicht so schnell bewegen, sie ist zu träge, weil das Wasser zuviel Widerstand entgegensetzt. Aber in einem Fall hast du
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recht gehabt. Wir haben die Geister gesehen, sie stehen hinter der Eisbarriere.“ „Siehst du!“ triumphierte O’Flynn. „Ich hab’s ja gesagt, aber ihr lacht mich ja dauernd aus. Es sind die Seelen Ertrunkener, wie ich schon sagte. Sie stammen ...“ „Es sind recht lebendige Vögel, die nicht fliegen können“, unterbrach Hasard den Wortschwall. „Einige hundert von ihnen stehen hinter der Barriere und brüten große Eier aus.“ „Das kann nicht sein“, sagte O’Flynn und fuchtelte mit den Armen in der Luft herum, „hier kann kein Vogel überleben, nicht bei dieser Kälte.“ „Dann komm mit und sieh sie dir an, frag die anderen. Setz dich ins Boot, wir segeln hinüber.“ Doch der Alte wollte nicht. „In das Teufelsding?“ schrie er. „Da kriegt mich niemand hinein, nicht ums Verrecken. Ich sage euch, das Boot erhebt sich noch einmal in die Lüfte, und dann verschwindet ihr mit einem Höllentempo irgendwo in den Wolken. Zauberei ist das, Zauberei“, murmelte er eigensinnig. „Da war es früher ganz anders, da gab es diesen neumodischen Kram noch nicht.“ Vor sich hin grummelnd, humpelte er davon und wollte es nicht wahrhaben, daß die anderen über ihn lachten. 8. Zwei Tage vergingen, zwei eisige Tage, in denen nichts geschah, außer, daß Hasard ab und zu eine kleine Erkundungsfahrt über das Eis unternahm. Manchmal entfernten sie sich so weit, daß die „Isabella“ nicht mehr zu sehen war. Das aufgetürmte Eis war zu einer riesigen Scholle geworden, die der Wind glattschliff und bearbeitete. Von Horizont zu Horizont erstreckte es sich glitzernd ohne Ende. Tucker hatte jeden Tag ein paarmal das Schiff inspiziert, aus Sorge darum, ob die Eismassen den Kiel zerdrückten. Doch die Galeone lag über dem Eis und war leicht nach Backbord gekrängt, so daß
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das Laufen an Deck schwerfiel. Zwei mächtige Schollen hatten das Schiff gehoben und auf ihren Rücken gesetzt. Dort lag es fest, wie es schien für alle Zeiten. Die Zeit verging kaum, es gab nicht viel Abwechslung. Bis auf den alten O’Flynn hatte jetzt auch jeder die merkwürdigen watschelnden Vögel ganz aus der Nähe gesehen. Eine angesetzte Erkundung zu den fernen Bergen hatte Hasard wieder abgebrochen. Sie versprach nicht den geringsten Erfolg, die glatten Berge ließen sich nicht ersteigen. Nach dem ersten Versuch gaben sie es auf. Eine andere Sorge war ihnen genommen: Der alte Segelmacher Will Thorne saß jetzt aufrecht in seiner Koje und hörte gebannt den Männern zu, wenn sie erzählten, wie es draußen aussah und was alles passiert war. Seine Lebensgeister waren zurückgekehrt, sein Gesicht nahm allmählich wieder eine gesunde Farbe an. Es war nur noch eine Frage von ein bis zwei Wochen, bis er wieder aufstehen konnte. Schon jetzt verschlang er heißhungrig das Essen, das der Kutscher ihm brachte. An diesem Morgen war der größte Teil der Seewölfe in der Messe versammelt. Ihre Gesichter waren ernst, als Hasard sprach. „Nicht mehr lange“, sagte er, „und unsere Vorräte sind aufgebraucht, das wißt ihr alle. Gut, sie reichen. noch einige Tage, aber ich glaube nicht, daß wir bis dahin aus diesem Eis heraus sind. Es bläst nur noch ein schwacher Wind, aber der ist so kalt, daß das Wasser unter uns jeden Tag weiter gefriert. Deshalb habe ich beschlossen, daß wir mit dem Beiboot so weit übers Eis segeln, bis wir freies Wasser entdecken oder Land, das flacher ist als diese bergige Küste.“ „Alle zusammen?“ fragte Matt Davies. „Nein, nur ein paar Mann, die anderen bleiben an Bord. Für die, die mitfahren, werden es harte Tage werden, das kann ich euch jetzt schon sagen. Wir nehmen Proviant mit, gefrorenes Wasser und Holz, mit dem wir Feuer entzünden können.“
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„Aber wie finden wir wieder zurück?“ wandte Matt Davies ein. „Sobald wir die ‚Isabella’ aus den Augen verloren haben, gibt es für uns -keinen Anhaltspunkt mehr, hier sieht alles gleich aus.“ „Ich weiß“, sagte der Seewolf, „das ist unser größtes Problem. Wir lösen es, indem wir Spieren oder lange Holzplanken mitnehmen, die wir im Eis eingraben und an einer Stelle kennzeichnen, die uns die Richtung angibt. Sobald die ‚Isabella’ nur noch als schwacher Punkt zu erkennen ist, wird eine Planke eingegraben. Die nächste setzen wir ins Eis, sobald wir die andere noch gerade erkennen können. Auf diese Art und Weise werden wir immer eine Orientierungshilfe haben. Selbst die Schneestürme werden die Planken nicht herausreißen können. Um das Boot selbst bauen wir eine Verkleidung, die uns vor Wind und Wetter schützt. Wer geht freiwillig mit?“ Diesmal meldete sich sogar der alte O’Flynn, der auch unbedingt seinen Beitrag leisten wollte, sich überwand und dem Teufelskarren anzuvertrauen gedachte. Alle anderen meldeten sich ebenso spontan. Hasard suchte die widerstandsfähigsten Leute aus. „Ben übernimmt das Kommando“, sagte er, „Bill bleibt ebenfalls an Bord genau wie der Kutscher oder Batuti, dem die Kälte wesentlich mehr zusetzt als uns. Außerdem will ich das Boot nicht überladen, es wird ohnehin knapp werden, denn wir müssen darin ja auch übernachten. Carberry und Dan O’Flynn junior gehen mit. Drei Mann müssen genügen.“ Die anderen protestierten, aber als der Seewolf ihnen noch einmal auseinandersetzte, daß jeder weitere Mann überflüssig war, waren .sie einverstanden. Einige konnte er beim besten’ Willen nicht mitnehmen. Das waren Big Old Shane, Gary Andrews, Jeff Bowie, Bob Grey und Sam Roskill. Sie hatten Beulen am ganzen Körper, durch Kälteeinwirkung entstandene Hautschwellungen und Flecken, wie der
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Kutscher sagte, der daran herumdokterte und noch keinen Erfolg erzielt hatte. Diese Beulen wurden zu Blasen und Geschwüren und juckten ganz erbärmlich; Frostblasen hatte der Kutscher sie getauft. Noch am frühen Morgen begann die Arbeit an dem Boot, und weil alle mithalfen, wurde es schnell fertig. Wie es jetzt da auf dem Eis lag, erkannten sie es kaum wieder. Es hatte eine Segeltuchbespannung, durch die der Mast ragte, und Ferris Tucker hatte ein besseres „Ruder“ konstruiert und im Heck fest verankert. Das Boot gehorchte dem auf dem Eis schleifenden Hartholzknüppel zwar nicht sofort, aber das war auch nicht nötig. Sie hatten Platz genug und konnten Hindernissen immer noch rechtzeitig genug ausweichen. Die Vorräte wurden verstaut, gefrorenes Wasser, Proviant, Holzkohle, gepökeltes Fleisch, Bohnen, dann die Planken und Werkzeug. Damit waren sie unabhängig, und Hasard vergaß auch Waffen, Pulver, Munition, Lunten, Fackeln und Flintsteine nicht. Noch einmal wurde alles durchgesehen, ob nichts vergessen worden war und alles seine Richtigkeit hatte. Als sie ins Boot stiegen, hatten die anderen Gefährten ernste Gesichter. Das hier war keine Spazierfahrt, jeder wußte es, es würde ein Kampf ums nackte Überleben werden, diese Suche nach freiem Wasser, und wenn sie etwas gefunden hatten, bestand die Möglichkeit, daß sie später ihr geliebtes Schiff, die „Isabella“, aufgeben mußten. Der Himmel war immer noch fahl und grau verhangen, sie hatten die Sonne kein einziges Mal gesehen, seit sie hier waren, und es sah auch nicht so aus, als würde sie jemals wieder scheinen. Der Seewolf beabsichtigte, in einem langen Bogen in nördlicher Richtung zu segeln, um dann nach drei Tagen, wenn sie nichts gefunden hatten, wieder zurückzukehren. Aber seiner Meinung nach gab es dort irgendwo freies Wasser. Die Richtung kannte er nach dem Kompaß, den sie auf dem Wrack gefunden hatten.
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Bis auf Will Thorne winkten ihnen alle zu, als Hasard das Segel setzte und das kleine Boot Fahrt aufnahm. * Der stetig wehende Wind blies sie über das Eis nach Norden, bis die Galeone als winziger Punkt am Horizont verschwand. Hasard holte das Segel ein. Sie nahmen eine der markierten Planken heraus und hackten ein Loch ins Eis. Carberry hörte nach einem halben Yard auf, stellte die Planke ins Eis, in dem sich noch kein Wasser zeigte, und scharrte Eisklumpen darum herum, bis sie fest und sicher stand. Die Eisbrocken klebten gleich darauf wieder fest zusammen und froren an. Hasard verglich die Markierung noch einmal. „Stimmt“, sagte er, „wir sehen das Schiff und befinden uns auch weiterhin auf Nordkurs. Diese Planke finden wir wieder, da bin ich ganz sicher.“ Carberry kratzte sein Stoppelkinn, sah zum Horizont und nickte dann zufrieden. „Wir segeln wie ein richtiges Schiff im Wasser“, sagte er. „Wir können anluven, mit dem Wind segeln, hart am Wind und sogar backbrassen, wenn es nötig wird. Einfach toll.“ Er schlug seine eiskalten Hände an den Körper und hüpfte auf dem Eis auf und ab. „Gib mal die Buddel raus, Dan, es ist lausig kalt, mein Magen ist ein einziger Eisklotz.“ Jeder nahm einen kräftigen Zug aus der Rumbuddel, dann wurde sie wieder verstaut, und die Fahrt ging weiter. Dans scharfe Augen wanderten über die Eisfläche, und ab und zu warnte er den Seewolf. „Da vorn ist eine Scholle“, sagte er, „gib acht, daß wir die nicht rammen!“ Immer wieder wurde das Boot durch harte Schläge erschüttert und sprang in die Höhe. Dann rumpelte es, und alles wurde wild durchgeschüttelt. Der Seewolf umfuhr die Hindernisse, so gut es ging. Nicht alles war glatt, was glatt
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aussah. Unter der anscheinend glatten Fläche verbargen sich Spalten und Risse, kopfgroße Eisbrocken, die jedesmal krachend zersplitterten, wenn die glattgeschliffenen Holzkufen darüber hinwegdröhnten. Weiter ging die Fahrt, -ab und zu blickte der Seewolf nach achtern und sah nach der Planke, bis sie immer kleiner wurde und nur noch als kaum sichtbarer Gegenstand aus dem Eis ragte. „Hier schlagen wir die zweite Planke ein“, sagte er, als das Boot stoppte. „Die ‚Isabella’ ist nicht mehr zu sehen“, sagte Dan, der diesmal das Eis aufhackte. „Es ist ein verdammt beschissenes Gefühl, hier herumzukreuzen. Man meint, die ganze Welt bestünde nur noch aus diesem lausigen Eis.“ „Trostlos und verloren“, murmelte Ed. Er richtete die Planke aus, ließ sie von Hasard korrigieren und peilte selbst noch einmal die Fluchtrichtung, ehe er sie eingrub. „Verdammt, ich glaube, hier kann man mehrere Yards tief hacken, bis man Wasser sieht“, sagte er beklommen. „Das Eis kann doch nicht so schnell wachsen.“ „Anscheinend doch, denn unter das Eis schieben sich immer wieder andere Schollen und türmen es auf.“ Eisberge waren jetzt nur noch in nordöstlicher Richtung zu sehen, aber auch sie schwammen nicht im Wasser, sondern waren von einem dicken Packeisgürtel umgeben, der sie festhielt. Wohin sie auf der riesigen Scholle drifteten, ließ sich nicht feststellen, das Eis bewegte sich zu langsam, und außerdem hatten sie keine Vergleichsmöglichkeiten, um das zu untersuchen. Bei der dritten Planke wurde ein kleines Feuer entzündet, an dem sie sich die klammen Hände wärmten. Trotz der Segeltuchumspannung waren sie bis auf die Knochen durchgefroren. Das Feuer war eine Wohltat. In einem kleinen Kessel erhitzte der Profos mitgebrachtes Eis, tat einen kleinen Schuß Rum hinein und gab jedem eine Muck voll. Jetzt waren sie etwa vier Stunden unterwegs, und ein Ende der riesigen
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Eisfläche war immer noch nicht abzusehen. Trostloser denn je dehnte sich vor ihnen die kalte Wüste, in der es kaum Leben gab und alles erstarrt war. Eine halbe Stunde rasteten sie, sahen nach, ob die Planke im Eis festgefroren war, und glitten auf den Kufen weiter. Als sie auch diese Planke fast aus den Augen verloren, fielen vom Himmel wieder kleine Schneeflocken und trübten die Sicht. „Mistwetter“, fluchte Carberry. „Wenn es richtig schneit, können wir nicht weiter.“ Bis jetzt bildeten die Planken eine fast gerade Linie, aber der Schnee verhinderte die Sicht. Es blieb ihnen nichts anderes übrig, als abzuwarten. „Wir setzen die Planke später“, sagte Hasard, „sonst wird sie ungenau, und wir verlieren die Richtung. Richtet euch also häuslich im Boot ein, vielleicht ist das Schneetreiben in kurzer Zeit wieder vorbei.“ Es dauerte dann aber doch fast vier Stunden, bis der Schnee nur noch ganz schwach fiel. Jetzt war es bereits später Nachmittag, und es war fraglich, ob sie die nächste Station noch vor Einbruch der Dunkelheit erreichten. Die Planke wurde gesetzt und ausgerichtet, peinlich genau nach der anderen, die nur noch schwach zu sehen war. Immer noch wehte der Wind aus derselben Richtung. Sein Heulen schwoll unmerklich an. „Wir bleiben hier“, entschied der Seewolf nach kurzer Überlegung, „es hat keinen Zweck, weiterzusegeln.“ „Wäre es nicht besser, das Boot leicht anzuheben und ein Tau darunter’ zu legen?“ fragte Ed. „Sonst frieren uns die Kufen an, und morgen sitzen wir dann selbst so fest wie die Planken.“ Das war ein guter Gedanke, dachte Hasard. Sie wuchteten das Boot hoch und legten Taue unter die Kufen, überprüften die Segeltuchverspannung und zurrten sie noch etwas fester, denn das Heulen des Sturmes nahm zu.
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So verbrachten sie die erste Nacht auf dem Eis, drei Männer, die sich hoffnungslos in der eisigen Weite verloren. * „Eis, wohin man sieht“, sagte Dan am anderen Morgen. „Auf der ganzen Welt gibt es nichts anderes mehr als Eis.“ Sie waren durchfroren und klamm aus dem Boot gekrochen und standen jetzt müde und frierend vor der Planke, die sie ins Eis gerammt hatten. Das Schneetreiben hatte aufgehört, nur der Sturm heulte noch immer in unverminderter Stärke. Neun Planken hatten sie noch. Wenn die letzte gesetzt war und sie immer noch kein offenes Wasser gefunden hatten, mußten sie umkehren - und damit gab es keine Hoffnung mehr. Wieder wurden tückische Spalten im Eis umsegelt, die Dan meist noch vor den anderen sah. An der verwaschen wirkenden Kimm tauchten wieder Eisberge auf, aber zwischen ihnen gab es eine klaffende Lücke, durch die sie segelten. Dann, gegen Mittag, gab es einen lauten Knall, und das Boot legte sich auf die Seite, drehte sich einmal um seine Achse und fuhr dann wild schlingernd weiter, bis der Seewolf das Segel wegnahm und das Boot stehenblieb. „Verdammt“, murrte der Profos, „das hat uns noch gefehlt. Da hinten liegt die Kufe.“ Eine aus Eis und Schnee unsichtbar herausragende Scholle hatte die Steuerbordkufe schlagartig abgerissen. Carberry ging fluchend zurück, lud sich das Holzding auf die Schulter und schleppte es heran. „Zum Glück ist sie nicht gebrochen“, sagte er. „Versuchen wir, das Boot hochzustemmen.“ Mit vereinten Kräften gelang das schließlich, bis Dan immer mehr Planken darunter legen konnte. Carberry nagelte sie wieder an, trieb noch ein paar zusätzliche Nägel hinein und
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probierte, ob sie festsaß. Die Kufe war unheimlich glattgeschmirgelt, wie er feststellte, aber sie würde halten, wenn nicht wieder so ein großes Hindernis im Weg lag. Nach mehr als einer Stunde setzten sie die Fahrt ins Nichts fort. Später wurde die nächste Planke gesetzt und die Männer verschnauften. Mittags kochten sie Bohnen, aßen Salzfleisch dazu und tranken heißen Rum mit Wasser verdünnt. Dann blickten sie in die Richtung, in der die „Isabella“ liegen mußte. Selbst die Berge waren schon seit langem nicht mehr zu sehen. Hasard stellte Überlegungen an. „Wir müssen auf Wasser stoßen“, sagte er. „Ich kann mir nicht vorstellen, daß wir in Nordrichtung immer weiter ins Eis hineingeraten. Irgendwo hört es auf. Wir sind bei unserer Ankunft vermutlich zwischen riesige treibende Schollen geraten, ohne es zu merken, und die haben sich schließlich wieder zu einer gigantischen Fläche vereinigt.“ „Im Süden geht es nicht weiter“, meinte Dan, „da ist Land, nach Westen und Osten dehnt sich die Fläche gleichermaßen aus. Also müssen wir im Norden Wasser finden, wie du schon sagtest.“ „Aber die Strecke kann doch nicht so verdammt lang sein“, brummte Carberry. „Wir segeln zehnmal so schnell wie die ‚Isabella’, und trotzdem haben wir immer noch Eis vor der Nase. Ich kapier das nicht.“ Das war etwas, das Hasard auch noch nicht ganz begriff, diese endlose Ausdehnung, wo vorher nur Wasser gewesen war. Wo waren die vielen Eisberge geblieben, wo die freien Wasserflächen und wo die kopfgroßen Brocken, die im Wasser trieben? Sollte sich das alles innerhalb von Tagen zu einer geschlossenen Decke aus Eis vereinigt haben? Auch an diesem Tag ereignete sich nichts. Nie sahen sie einen Vogel oder ein anderes Tier, nie stießen sie auf Spuren anderer Schiffe, die im Eis festsaßen. Es war zum Verzweifeln.
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Erst am frühen Morgen des dritten Tages geschah etwas. Wieder war es Dan, dessen scharfe Augen etwas weit hinten an, der Kimm entdeckten. . „Das könnten fast Mastspitzen sein“, sagte er nachdenklich. „Seht mal, genau voraus, da ist, etwas Schwarzes zu erkennen, und da sieht es auch so aus, als gäbe es Wasser.“ Hasard und Ed blickten ungläubig in die von Dan angegebene Richtung. Sie hielten genau darauf zu, aber immer, wenn sie den Gegenstand fixierten, taten ihnen die Augen weh, und sie mußten sie geblendet wieder schließen. Dann, eine Viertelstunde später, als der Sturm sie wie ein Blitz über das Eis vor sich her jagte, erkannten es auch die anderen. Was da weit voraus im Eis lag, war ein Schiff, das jetzt langsam größer wurde und dessen Konturen sich immer deutlicher herausschälten. Die Männer sahen sich an, ungläubig, voller Staunen, als könnten sie es nicht begreifen. Freude spiegelte sich auf ihren Gesichtern, eine tiefe Freude, wie sie sie lange nicht mehr gekannt hatten. Hasard richtete sich auf, und als er sprach, klang seine Stimme heiser. „Der schwarze Segler“, sagte er andächtig. „Wir haben das schwarze Schiff gefunden.“ Ein Leuchten stand in seinen Augen. Dan und Ed grinsten erwartungsvoll. Das war mehr als Glück, dachten sie erschüttert, es war ein wunderbarer Zufall. 9. Thorfin Njals rechte Hand zuckte hoch, fuhr an den Helm und begann ihn andächtig zu kratzen. Das tat er meist, wenn etwas nicht stimmte oder wenn ihn etwas in Erstaunen versetzte. Diesmal war er wirklich erstaunt, denn er begriff nicht, was es mit dem winzigen schwarzen Punkt auf sich hatte, der in der Eiswüste aufgetaucht war und sich vom Horizont her mit rasender Geschwindigkeit näherte.
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Er kniff die Augen zusammen, traktierte seinen Helm wieder und glaubte zu träumen. „He, Boston-Mann!“ rief er nach achtern. „Ruf den Kapitän an Deck, und dann sage mir, was das für ein verdammtes Ding ist. Ein Tier etwa?“ Der Boston-Mann rief nach Siri-Tong, die auch gleich darauf, vermummt in dicke Pelze, an Deck erschien. Da sich anscheinend etwas Besonderes zusammenbraute, war im Nu die ganze Mannschaft versammelt. Jetzt lümmelten sie am Schanzkleid herum und starrten auf das Eis. Der Boston-Mann schüttelte verständnislos den Kopf. „Entweder träume ich, oder das Ding ist ein kleines Schiff“, sagte er fassungslos. „Ein Ungeheuer“, sagte Mißjöh Buveur angstvoll. Auch die Rote Korsarin verstand nicht, Was da mit affenartiger Geschwindigkeit auf sie zuraste. „Bei Odin, das ist ein Segelschiff!“ schrie der Wikinger. „Der Teufel persönlich hockt darin, denn kein normaler Mensch kann übers Eis segeln, das gibt es nicht.“ Überraschungsrufe wurden laut, jeder hatte eine andere Vermutung über dieses seltsame Gefährt, das nicht auf dem Wasser segelte und auch nicht auf dem Eis fuhr, das so aussah, als würde es ganz dicht darüber schweben. Und es hatte ein Tempo drauf, daß den Männern vor Angst schlecht wurde. Das konnte wirklich nur der Teufel persönlich sein, der da auf einem Ungeheuer heranfegte. „Wenn ich nur einen Schluck Rum hätte“, jammerte Mißjöh Buveur, „dann wäre ich stark und würde es mit diesen Teufeln ganz allein aufnehmen.“ Er hatte aber keinen Rum, und deshalb war er auch nicht stark und verzog sich angstvoll auf die andere Seite. „Ladet die Kanonen“, stieß der Wikinger mit rauher Stimme hervor. „Los, beeilt euch!“
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In fieberhafter Hast wurden zwei Kanonen geladen, und aus der Kombüse wieselte das Köchlein mit einer Lunte heran. „Nicht feuern“, sagte die Rote Korsarin in die angstvolle Stille hinein. „Wartet noch, bis es dichter heran ist.“ „Dann kann es zu spät sein!“ schrie der Wikinger. „Dem Teufel muß man vorher eins auf den Pelz brennen.“ „Ich habe gesagt, es wird noch nicht gefeuert.“ Siri-Tongs Stimme klang so kalt wie das ewige Eis. Unwillkürlich zuckten die Männer zusammen. Die Rote Korsarin blickte durch das Spektiv und stieß unwillkürlich einen leisen Schrei aus. „Es ist das Beiboot der ‚Isabella“, sagte sie leise. Einige Männer bekreuzigten sich hastig. „Dann ist es ein Geisterschiff“, hauchte der Bootsmann Juan. „Ja, ein Geisterschiff“, sagten auch die anderen angstvoll. Aus dem seltsamen und immer noch mit hoher Geschwindigkeit heranjagenden Boot ragte nur der Mast mit einem Segel hervor, das der Wind stark blähte. Alles andere war mit Segeltuchleinen verkleidet, und daher entstand bei den abergläubischen Männern der Eindruck, als würde das Boot ohne Besatzung über das Eis segeln. Folglich konnte es ihrer Meinung nach nur ein Geisterschiff sein. Mittschiffs raste es auf den schwarzen Segler zu. „Es rammt uns!“ brüllte der Wikinger. „Wir hätten auf das Ding schießen sollen!“ Juan schnappte sich die Lunte und stürzte damit an die nächste Kanone, um einen der riesigen Zwanzigpfünder auf die Reise zu schicken. Doch noch bevor seine Hand nach unten zuckte, schlug Siri-Tong ihm die Lunte blitzschnell aus der Hand. „Scher dich weg, und wage es nicht noch einmal, Juan!“ Der Bootsmann kuschte sofort. Die Männer stöhnten entsetzt, als das Boot näher heranschoß und ein Unsichtbarer das
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Segel einholte. Wie erstarrt standen sie da, unfähig sich zu rühren. Ein paar Yards vor „Eiliger Drache über den Wassern“ blieb das Gefährt des Teufels wild schlingernd stehen und drehte sich halb um seine Achse. Dem Wikinger sträubten sich die Haare, daß sie fast seinen Helm hochhoben, als die Plane zur Seite geschlagen wurde und der Seewolf, Carberry und Donegal Daniel O’Flynn herausstiegen. Mit offenen Mündern und vor Schreck weitgeöffneten Augen starrte die Crew die drei Seewölfe wie eine Geistererscheinung an. Niemand glaubte, was er sah, und als dann noch Carberrys Donnerstimme erklang, war das Maß voll, und sie zuckten zusammen. „He, ist das ein Empfang? Euch Affenärschen hat’s wohl die Sprache verschlagen, was, wie?“ Das war der Profos, wie er leibte und lebte, und jetzt schlich das erste zaghafte Grinsen über die Gesichter. „Hasard!“ rief die Korsarin ungläubig. Der Seewolf lächelte verwegen, in seinem immer noch gebräunten Gesicht blitzten weiße Zähne. „Ist es gestattet, an Bord zu entern?“ fragte er. Da wich die Erstarrung von den Männern, und der Wikinger warf persönlich die Jakobsleiter über Bord. Ein brüllendes Hallo erklang, als die Seewölfe an Deck erschienen. Sie wurden betastet, geknufft, in die Rippen gestoßen und vor Freude angebrüllt. In den ersten fünf Minuten schrie alles durcheinander. Die Freude rührte sie fast zu Tränen, und Siri-Tong hatte alle Mühe, sich den Männern zu nähern. Stumm legte sie dem Seewolf die Arme um den Hals, der sie fest an sich preßte. Danach kugelte Thorfin Njal dem Seewolf fast das Schultergelenk aus. „Erzähle, erzähle, wie es euch ergangen ist“, sagte er immer wieder, „und wie ihr uns gefunden habt.“ „Aber nicht in dieser Kälte an Deck“, sagte Siri-Tong, „wir gehen in meine Kammer.“
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Es dauerte immer noch eine ganze Weile, ehe die drei sich aus der Crew lösen konnten. „Eine doppelte Portion für euch alle“, sagte der Wikinger .und jeder wußte, daß damit Rum gemeint war. Mißjöh Buveur rollten Tränen über die Wangen. „Diese Freude“, stammelte er verstört, „nein, diese Freude, die bringt mich noch um. Eine doppelte Ration! Jetzt kann das Eis mir gestohlen bleiben, Mißjöh. Wo ist der Rum?“ Es dauerte lange, bis sich die allgemeine Wiedersehensfreude legte. In der achteren Kapitänskammer unterhielten sich die Seewölfe mit der Roten Korsarin und dem Wikinger. Auch den Boston-Mann hatte Siri-Tong eingeladen. Nach einer weiteren halben Stunde wußte jeder, wie es den anderen inzwischen ergangen war. „Ihr sitzt also hoffnungslos fest“, sagte Siri-Tong, „und daran wird sich in den kommenden Tagen auch nicht viel ändern, wenn nicht ein Witterungsumsturz bevorsteht. Wir dagegen haben weit hinter uns offenes Wasser, doch danach gibt es wieder Eis.“ „Offenes Wasser?“ fragte Hasard. „Wie groß ist die Stelle? Wir haben es nicht gesehen.“ „Es befindet sich ein oder zwei Meilen hinter dem Schiff. Ab und zu bricht dort das Eis auf, aber ebenso schnell friert es auch wieder zu. Die Stelle ist nicht groß.“ „Wir schätzen, daß wir uns inmitten zweier treibender Eisfelder befinden“, sagte der Wikinger. „Während das eine Feld unendlich groß ist, scheint das andere wesentlich kleiner zu sein.“ „Habt ihr eine Drift festgestellt?“ „Nein, wir nehmen nur an, daß wir uns bewegen. Wenn wir auf den Gedanken mit dem segelnden Boot gekommen wären, dann hätten wir vielleicht mehr erfahren.“ „Euer Schiff ist schwer beschädigt“, sagte Hasard. „Wenn wir noch länger im Eis bleiben, könnte ich euch Ferris Tucker
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schicken, dann habt ihr es leichter, wenn wir eines Tages wieder frei vom Eis sind.“ „Das wäre wirklich sehr gut“, sagte SiriTong. „Ich denke ständig an eine Möglichkeit, die beiden Schiffe näher aneinander heranzubringen, dann könnten wir später zusammen segeln.“ „Unser Ziel ist die Insel Mocha“, er- klärte Hasard, „aber das haben wir schon besprochen. Wenn wir uns wieder aus den Augen verlieren, was ich ganz bestimmt glaube, dann wartet derjenige, der zuerst dort ist, so lange, bis der andere erscheint. Habt ihr die Insel auf den Karten?“ Der Wikinger holte die Karte und breitete sie umständlich aus. Sein breiter Daumen fuhr an der südamerikanischen Küste entlang, bis er auf einem Punkt verharrte. „Kein Problem, dorthin zu segeln“, meinte er, „sobald wir ungefähr wissen, wo wir sind, segeln wir in nördlicher Richtung weiter, nur müssen wir zuerst die Spitze des südamerikanischen Kontinents finden und die lausigen Stürme hinter uns haben.“ „Das ist auch unser Problem. Langsam wird unser Proviant knapp, und dann sieht es düster aus, dann ergeht es uns so wie jenem anderen Schiff, das wir fanden.“ Siri-Tong schüttelte sich, wenn sie an Hasards Erzählung dachte. Eines Tages würden sie vielleicht alle so dahocken wie die fremden Seeleute: tot, erfroren oder verhungert, für alle Zeiten in der trostlosen Eiswüste gefangen. „Würdest du mich auf die ‚Isabella’ mitnehmen, Hasard?“ fragte sie plötzlich. Der Wikinger hob mißtrauisch den Kopf. „Mädchen“, sagte er, noch bevor der Seewolf antworten konnte, „du hast doch gehört, daß sie mehr als zwei Tagesreisen mit dem schnellen Segler entfernt liegt. Du könntest vor Ablauf einer Woche kaum zurück sein. Außerdem könntet ihr euch in dieser Wüste verirren und nie wieder zurückfinden.“ „Wir haben die Stellen markiert“, sagte Hasard. „Im Eis befinden sich Pfähle, die nach Norden ausgerichtet sind, sonst würden wir selbst ja auch nicht mehr zurückfinden. Wenn du willst, ich nehme dich gern mit.“
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„Das ist doch Blödsinn“, ereiferte sich der Wikinger. „Du kannst nicht allein ...“ „Der Boston-Mann wird mich begleiten“, sagte Siri-Tong. „Zudem nehmen wir noch Proviant mit für die Seewölfe. Unsere Vorräte sind etwas größer nach allem, was ich gehört habe. Und in ein paar Tagen bin ich wieder zurück.“ „Ein Schiff ohne Kapitän“, murrte der Wikinger, „das ist wie Wasser ohne Rum.“ „Wenn ich nicht da bin, bist du der Kapitän. Himmel, ihr werdet doch ein paar Tage ohne mich auskommen. Ich möchte mir nur einen Überblick verschaffen, wir müssen gemeinsam eine Lösung finden, wie wir jemals wieder aus dem Eis herausfinden. Es muß einen Weg geben, und wenn wir uns den Weg ins Wasser mit Pulver freisprengen. Lange halten wir nicht mehr durch!“ „Du verstehst es immer wieder, einem deine Flausen begreiflich zu machen. Was ist, wenn du weg bist, und wir segeln uns frei? Oder der Wind treibt das Eis auseinander? Was dann?“ „Das wird kaum passieren, Thorfin. So viel Glück auf einmal gibt es gar nicht. Es grenzt schon an ein Wunder, daß wir Hasard wiedergefunden haben.“ „Er hat uns gefunden.“ „Ändert das etwas an den Tatsachen, du nordischer Dickschädel? Jedenfalls haben wir uns gefunden, und das ist wichtig.“ Hasard grinste belustigt vor sich hin. Der Wikinger glänzte mit Einfällen und Argumenten, die von der Roten Korsarin sofort abgeschwächt wurden. Schließlich gab er widerwillig nach. „Hasard hat noch gar nicht gesagt, ob er damit einverstanden ist“, war sein letztes Argument, das ohnehin nicht stimmte. Aber das zog erst recht nicht. „Natürlich kann sie mit, und der BostonMann selbstverständlich auch“, sagte Hasard. „Was meint ihr dazu?“ wandte er sich an Carberry und Dan. „Die ganze Crew würde sich freuen, endlich mal wieder ein vertrautes Gesicht zu sehen“, sagte der Profos und betrachtete die Korsarin mit einem wohlwollenden Blick. „Eine Frau in dieser Eiswüste kann
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nur belebend auf die Gemüter wirken. Das gibt den Kerlen neue Hoffnung, dann hocken sie nicht so stumpfsinnig herum.“ Damit war der Wikinger überstimmt, was er grollend zur Kenntnis nahm. „Vertrau dich nur diesem Teufelsgefährt an“, brummte er, „dir wird bei der rasenden Fahrt schlecht werden, du wirst Krämpfe kriegen und am Ende halbtot sein.“ „So wie wir“, sagte Dan O’Flynn lachend, „wir können uns vor Krämpfen kaum halten, und wir sind alle drei halbtot.“ Thorfin trank einen großen Schluck Rum und wischte sich mit der Hand über den Bart. Und als eine kleine Pause eintrat, hob er den gekrümmten Zeigefinger und kratzte wieder an seinem Helm, was der Profos stirnrunzelnd zur Kenntnis nahm. Als das Kratzen nicht aufhörte, hielt der Profos es nicht mehr aus. „Sag mal, Thorfin“, sagte er grübelnd, „warum, zum Teufel, kratzt du dauernd deinen verdammten Helm, he?“ „Weil es mich am Kopf juckt, selbstverständlich“, war die verblüffende Antwort. Jetzt war der Profos genauso schlau wie vorher, und die Antwort ärgerte ihn maßlos. Er wollte noch etwas fragen, aber dann winkte er resigniert ab, denn der Wikinger würde ohnehin wieder, mit einer dämlichen Antwort aufwarten. Fragte er etwa: Und warum kratzt du dann nicht deinen Schädel? würde dieser behelmte Nordpolaffe vielleicht antworten: Weil es mich doch am Helm juckt! Oder etwas Ähnliches. Etwas später inspizierten sie das Schiff, das der Sturm genauso schwer mitgenommen hatte wie die „Isabella“. Die groben Schäden waren teilweise ausgebessert worden, aber da war kein Fachmann am Werk gewesen, wie Hasard feststellte. Die Arbeit war stümperhaft ausgeführt worden. Ferris Tucker wäre dafür der richtige Mann gewesen, dachte er. Der Wind fiel jetzt zum erstenmal böartig ein, es gab eine kleine Pause, dann brach er
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wieder heulend los und begann leicht zu schralen. Wieder jaulten Böen heran. Hasard hatte eigentlich beabsichtigt, zusammen mit dem Profos und Dan an Bord des schwarzen Seglers zu übernachten und erst am anderen Tag aufzubrechen, aber als jetzt der Wind schralte, Böen einfielen und er aus einer anderen Richtung wehte, überlegte er es sich anders. „Es ist noch nicht einmal Mittag“, sagte er, „ich denke, wir sollten die günstige Gelegenheit ausnutzen und gleich wieder aufbrechen, das spart uns fast einen ganzen Tag.“ „Auf was warten wir noch?“ fragte SiriTong, die schon minutenlang auf das seltsame Gefährt sah, das sie am Schiff verankert hatten. Ihr konnte es anscheinend nicht schnell genug gehen, sie war aufgeregt, seit sie den Seewolf in ihrer Nähe wußte, und jetzt brannte sie darauf, in das Boot zu steigen und zur „Isabella“ zu segeln. Sie veranlaßte, daß noch Proviant an Bord geschafft wurde, doch als Hasard abwehrte und protestierte, wurde die hübsche, mandeläugige Korsarin sofort energisch. „Der Proviant wird ins Boot geladen“, sagte sie bestimmt. „Wir haben mehr als ihr, also werden wir ehrlich teilen. Ihr hättet es doch genauso getan!“ „Das schon“, gab Hasard zu, „aber ...“ „Kein Aber“, schnitt sie ihm das Wort ab, und als den Seewolf ein heißer glutvoller Blick traf, nickte er nur. „Ich rate dir, lieber hier zu bleiben“, nahm Thorfin Njal einen letzten Anlauf. „Sieh dir den Himmel an, da braut sich etwas zusammen. Auch dir, Seewolf, würde ich raten, diesen Tag und die Nacht bei uns zu verbringen. Mit dem Wetter stimmt etwas nicht, solange wir hier sind, hat noch nie der Wind geschralt. Ich kenne das aus dem Nordmeer.“ „Das ist gut gemeint, Thorfin, aber je eher wir segeln, desto eher sind wir auch wieder zurück. In ein paar Tagen sind wir wieder da und bessern das Schiff aus. Ich werde Ferris Tucker dann mitbringen.“
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„Du mußt es wissen“, brummte Thorfin, „aber ich habe euch gewarnt.“ Der kleine Drecksack Muddi und Mißjöh Buveur umstanden den Seewolf und lobten das Segelboot und die Idee. Buveur hatte wieder glänzende Augen und schwankte leicht. Er hatte den anderen wieder einmal trickreich die Hälfte ihrer Rationen abgeluchst und hatte ihnen dafür alles mögliche versprochen. Siri-Tong lud die Männer noch zum Essen ein und packte das Notwendigste von ihren Sachen ins Boot. Cookie hatte einen Braten gezaubert, in dem nicht eine einzige Kakerlake zu finden war. Wahrscheinlich waren sie ebenfalls alle an Bord des schwarzen Schiffes erfroren. Das Fleisch war saftig und gut gewürzt. Hasard war von den Kochkünsten des Mannes sehr angetan und lobte ihn, was die Korsarin lächelnd zur Kenntnis nahm. Sie hatte Cookie nur gesagt, daß sie ihm mit dem Degen auch noch die andere Wange aufschlitzen würde, wenn er nicht etwas ganz Besonderes auf die Back brachte. Daraufhin hatte das schmierige Köchlein sich selbst übertroffen, weil er sich vorstellte, daß er mit zwei aufgeschlitzten Wangen bestimmt nicht sehr gut aussehen würde. Etwas später brachen sie auf und segelten mit fast achterlichem heulenden Wind knirschend über das Eis. Thorfin Njal sah ihnen lange nach, und in seinen Augen lag wieder ein eigentümlicher Glanz, als er zum Himmel blickte. Er hatte allerschwerste Bedenken. 10. Dan hielt Ausguck. Siri-Tong hatte sich im Boot ein Lager aus mitgebrachten Fellen errichtet und sah unverwandt den Seewolf an, der das Boot segelte. Nach knapp zwei Stunden erreich- ten sie die Markierung, und von da an begann es. Der Himmel begann in einem fahlen Gelb zu leuchten, einer Farbe, die sie hier noch nie gesehen hatten. Hasard spürte das
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nahende Unheil bis in die Knochen und bedauerte jetzt doch insgeheim, nicht Thorfins Rat gefolgt zu sein. Er mußte die Segelfläche verkleinern, weil der tobende Sturm sie mit beängstigender Geschwindigkeit über das Eis jagte, weil das Boot mit mächtigen Sätzen über alle Hindernisse hinwegdonnerte, aufgebrochene Schollen mit Gewalt davon fegte und die Kufen überbeansprucht wurden, bis sie knackten und zu splittern drohten. Sie segelten so lange, bis die Dunkelheit hereinbrach und schwere Hagelkörner aus dem Himmel prasselten, die einen unaufhörlichen Trommelwirbel auf dem Segelleinen verursachten. Es wurde eine schlimme Nacht, in der das Eis knackte, der Sturm heulte, große Hagelkörner gegen das Boot prasselten und der Eissegler vom Sturm hin und her getrieben wurde. Erst als sie den Buganker im Eis vergruben, lag das Schiff ruhiger. Der nächste Morgen brachte eine Überraschung nach der anderen. Zum ersten Mal sahen sie in der Ferne Wasser, es war nur ein schmaler Streifen, aber der Anblick ließ sie Hoffnung schöpfen. „Vielleicht bricht es auf“, sagte Carberry, „der Wind ist wärmer geworden, scheint mir, hoffentlich treibt er die Schollen wieder auseinander.“ Auch auf Backbord war ein ganz schmaler Wasserstreifen zu erkennen und am Horizont ein weiterer. „Sollen wir umkehren, Siri-Tong?“ fragte Hasard. „Es sieht ganz nach einem Wetterumsturz aus.“ Er brauchte ihr „Nein“ nicht abzuwarten, denn er sah gleich darauf selbst, daß an eine Umkehr nicht mehr zu denken war. Der Wind fiel hart von achtern ein, so hart, daß er das Boot auch ohne Segel vor sich herschob, nachdem der Anker an Bord genommen war. „Teufel, Teufel“, brummte Dan, „da werden wir noch gehörig eins abkriegen. Da vorn zieht sich ein Riß durch die Eisdecke, gib acht, Hasard!“
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Das Boot raste los, als wären tausend Teufel hinter ihm her. Fast überschlug es sich, so sehr blies der Sturm. Dann kam der offene Streifen, der annähernd dreißig Yards breit war und pechschwarz glänzte. Es nutzte Hasard nichts mehr, daß er das Segel wegnahm. Das Boot schlitterte weiter über das Eis, das unter ihm knackte, und sauste auf die offene Stelle zu. Instinktiv klammerten sie sich fest. Das Boot fegte mit glühenden Kufen in das Wasser, das hoch aufspritzte und wurde hart abgebremst. Dann begann es zu dümpeln, stieß gegen eine treibende Scholle und geriet aus dem Kurs. In dem schmalen Streifen gab es viele Schollen. Manche waren zu dicken Schichten aufgetürmt, andere sahen dünn und zerbrechlich aus, dazwischen schwamm wieder körniges Eis. „Festhalten!“ rief Hasard. „Gleich werden uns die Kufen um die Ohren fliegen!“ Er sah den Boston-Mann grinsen, dem die rasende Fahrt offenbar ganz besonders gefiel, aber das Grinsen verging ihm, als Hasard das Segel hochzog und das Boot wie ein gereiztes wildes Tier dem Eisrand zustrebte, der unter dem anstürmenden Gewicht zerbrach und in Trümmer ging. Poltern, Bersten und Krachen begleiteten sie, als das Boot wieder auf die Eisfläche geriet, ohne die Kufen zu verlieren. Unwillkürlich zogen sie die Köpfe ein. Weiter, immer weiter ging die rasende Fahrt. Hasard schätzte, daß der steife Wind ihnen fast die doppelte Geschwindigkeit verlieh wie auf der Herfahrt. Deshalb passierten sie auch unheimlich schnell die Planken. Einmal fehlte eine, sie war umgeknickt, eine hochkant stehende Eisscholle hätte sie zerschmettert. Aber es war kein Problem, die zweite zu finden, wenn sie genau die Richtung einhielten. Diese Richtung schrieb ihnen der Wind vor, der sie nicht zur Ruhe kommen ließ. „Wir erreichen die ‚Isabella’ noch heute“, sägte Carberry fassungslos, „wir haben nur
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noch drei Markierungen zu passieren, dann sind wir da“ Im Eis krachte es jetzt fast pausenlos, und ab und zu schoben sich Hindernisse in der Form dicker Schollen nach oben, die nur sehr schwierig zu umsegeln waren. Das Eis arbeitete. So wie es sich geschlossen so löste es sich auch wieder, allerdings war das kaum zu merken. Aber von Horizont zu Horizont teilten sich meilenlange Flächen, mitunter stießen sie auch wieder zusammen. Später vernahmen sie dumpfe Explosionen. Gleichmäßige Zeitabstände waren es, zwischen denen man das Donnern und Grollen hörte. Niemand hatte eine Erklärung, auch Hasard nicht. Culverinen waren es nicht, die da ballerten, aber das konnte täuschen, denn der Wind brachte Nebengeräusche mit sich, das Eis krachte, und die dumpfen Töne wummerten durch den Untergrund und wurden meilenweit übertragen. Es dauerte noch knapp zwei Stunden, als sich am Horizont die Berge abhoben und etwas später auch: die „Isabella“ als dunkler Schatten zu sehen war. Rauchsäulen stiegen aus dem Eis hervor, ab und zu sahen sie einen Blitz aufleuchten, und dann folgte das dumpfe Wummern. „Sie sprengen Löcher in das Eis“, sagte Hasard. „Das heißt also, daß Ben sich etwas davon erhofft; daß das Eis an manchen Stellen gebrochen ist. Himmel, wenn diese lahme Krücke doch nur etwas schneller laufen würde“, murmelte der Seewolf dann. Deutlich waren die Männer jetzt zu erkennen. Bis auf den fast gesunden Segelmacher standen sie auf dem Eis, hackten, gruben, steckten die von Conroy und Tucker gefertigten Flaschen in- den harten Untergrund und ließen sie mit der Pulverladung hochgehen. Sie hörten erst dann mit der Arbeit auf, ah das Boot dicht vor ihnen stehenblieb. Als Siri-Tong herauskletterte, glaubten alle an eine Erscheinung, und als der BostonMann folgte, setzte genau das gleiche lautstarke Gebrüll ein wie auf dem
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schwarzen Segler, als die Seewölfe so unvermutet aufgetaucht waren. Die Korsarin wurde in die Arme genommen und rauh, aber herzlich begrüßt, als sei sie von den Toten auferstanden. Ebenso erging es dem grinsenden Boston-Mann. Bis alle neugierigen Fragen beantwortet waren, verging mehr als eine halbe Stunde. Hasard brachte Siri-Tong wie selbstverständlich in der Kapitänskammer unter, der Boston-Mann erhielt den kleinen Raum daneben, aber er erschien sofort wieder an Deck, um mitzuhelfen. Hasard sah, daß das Heck der „Isabella“ zum größten Teil frei im Wasser lag. Das Schiff war auch nicht mehr gekrängt. „Wir haben schon gestern das Knacken und Prasseln vernommen“, erklärte Ben, „und wir waren sehr in Sorge um euch. Wir konnten ja nicht wissen, daß ihr den schwarzen Segler gefunden habt. Ich ließ das Eis aufhacken und den Rumpf freisprengen. Hast du das Land da hinten schon gesehen?“ Hasard hatte es noch nicht gesehen, aber jetzt erstaunte ihn der breite Wassergürtel doch mächtig. Die ganze Riesenscholle, auf der sie saßen, hatte sich vom fernen Ufer gelöst und trieb in unbekannter Richtung davon. Tucker rannte hin und her, überwachte zusammen mit Al Conroy die Sprengungen und paßte auf, daß die Brocken nicht den Rumpf trafen, wenn sie davonflogen. Sie mußten sich gegen den heulenden undjaulenden Sturm anstemmen, der immer wieder einen von den Beinen riß und der Länge nach aufs Eis schleuderte. „Das wird eine verdammte Nacht werden!“ schrie Hasard, der sich nur noch durch lautes Gebrüll verständigen konnte. „Aber vielleicht gibt das Eis uns frei!“ schrie Ben zurück. „Deshalb müssen wir die Chance nutzen, damit wir Bewegung kriegen, wenn es soweit ist.“ „Siri-Tong und der Boston-Mann können jetzt nicht mehr an Bord des schwarzen Seglers zurück!“ rief Hasard. „Selbst wenn wir frei sind, können wir nicht in die Nähe
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segeln, dazu ist der Wind zu stark. Der Wikinger wird sich selber helfen müssen.“ Bis zur Dunkelheit wurde geschuftet. Die Männer fielen todmüde in ihre Kojen und vergaßen an diesem Abend vor lauter Erschöpfung sogar das Essen. Aber es hatte sich gelohnt. Die „Isabella“ hing nicht mehr total im Eis fest, sie hatte leichte Bewegungsfreiheit, mehr nicht. An eine Weiterfahrt war vorerst noch nicht zu denken. Immer noch schrillte und heulte der Wind am anderen Morgen, zerrte wie wild an der Galeone, riß riesige Eisflächen auseinander, holte Schollen von beachtlicher Größe aus dem Meer und türmte sie an anderen Stellen wieder zu riesigen Packeishaufen aufeinander. Das Eismeer geriet in immer lebhaftere Bewegung, der Wind ließ es nicht zur Ruhe gelangen, dieser Wind, der eine Menge von seinem eisigen Schrecken verloren hatte, denn jetzt war er noch wärmer als gestern, obwohl seine Heftigkeit nach wie vor bestand. Am fernen Horizont geisterten Eisberge gemächlich vorbei. Der Wind trieb sie weiter, irgendwohin, vielleicht in wärmeres Gewässer, wo sie dann später schmolzen, vielleicht auch noch weiter nach Süden, wo sie sich wieder zusammenschoben. Immer noch war der Himmel fahlgelb, als die Arbeit auf dem Eis erneut begann. Etwas später erschien aus dem Fahlgelb ein kleiner leuchtender Körper, der jedoch keinerlei Wärme abstrahlte. „Zum ersten Mal seit Wochen scheint wieder die Sonne“, sagte Smoky andächtig zum Seewolf. „Aber der Ofen verstrahlt überhaupt keine Hitze. Oder ist das der Mond?“ „Nein, das ist die Sonne“, erwiderte Hasard. „Sozusagen der erste Licht blick, den wir haben. Das muß ganz einfach ein gutes Zeichen sein.“ „Sollen wir versuchen, die Fläche abzusprengen?“ fragte Ferris Tucker und wies auf einen langen: Riß, der sich meilenweit durch die Eismassen zog. Dahinter begann wieder pechschwarzes
Im Packeis gefangen
Wasser auf einer Länge von fast einer Meile. „Wenn es uns gelingt, das abzusprengen, befinden wir uns auf einer Insel, Hasard.” „Ja, das ist richtig“, sagte der Seewolf. „Haben wir noch genügend Flaschen?“ „Sie reichen noch eine Weile. Zwanzig bis dreißig Ladungen werden wahrscheinlich ausreichen, dehn haben wir uns von dem anderen großen Teil gelöst.“ „Gut, wir fangen an“, entschied Hasard. „Möglich, daß es uns dann in die Richtung der Eisberge treibt, wo offenes Wasser zu sehen ist.“ Mit Feuereifer gingen die Seewölfe an die Arbeit. „Die Flaschen in Abständen von etwa hundert Yards verteilen“, sagte Hasard zu Conroy. „Bring die Lunten so an, Al, daß wir nach Möglichkeit alle gleichzeitig hochjagen können. Die Männer sollen sich dann mit kurzen Luntenstücken bereit halten.“ „Aye, aye, Sir! Was bin ich froh, wenn wir aus diesem lausigen Packeis heraus sind.“ „Noch haben wir es nicht geschafft, Al“, dämpfte Hasard den Freudentaumel seines Waffen- und. Stückmeisters. „Selbst wenn wir mit dieser riesigen Fläche hinaustreiben, wissen wir immer noch nicht genau, wo wir sind und ob es überhaupt weitergeht. Freut euch also nicht zu früh!“ Die Löcher wurden ins Eis gehackt, die Seewölfe hatten sieh in einer langen Kette hintereinander verteilt und hackten drauflos. Unter ihren kraftvollen Hieben zersplitterte das etwas mürber gewordene an manchen Stellen war es bis zu zwei Yards dick, an anderen bis zu einem halben Yard, wo sich keine unter Wasser treibenden Schollen daruntergeschoben hatten. Ferris Tucker und Al Conroy setzten die Flaschen ins Eis, schoben Eisbrocken darüber, bis nur noch die Lunten heraussahen. Die Flaschen waren zu mehr als zwei Dritteln mit Pulver gefüllt und hatten sich als äußerst wirkungsvoll erwiesen.
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Fünfundzwanzig Flaschen steckten jetzt in ihren Löchern. „Fertig zum Zünden!“ rief der Seewolf. „Wenn die Lunten glimmen, dann lauft zum Schiff zurück, so schnell ihr könnt. Wir wissen nicht, ob des Eis an dem Riß aufreißt, genauso kann es auch woanders auseinanderfliegen.“ „Runter mit den Lunten!“ Acht der Lunten waren etwas länger als die anderen. Dan rannte los und steckte sie an. Bei den anderen Flaschen stand jeweils ein Mann der „Isabella“. Auch der Moses hatte seine Aufgabe und hielt die Lunte nach unten. Funken stoben hoch, die der Wind blitzschnell entfachte. Auf einigen Lunten erschienen kleine Flammen, die gleich darauf wieder verlöschten. Die Seewölfe rannten zurück und schlitterten über das Eis, bis sie das Schiff erreichten. Eine grollende Explosion ertönte. Durch die kompakte Eisdecke lief eine wellenförmige Bewegung, als .die Pulverflaschen auseinanderflogen und das Eis zerrissen. Grauweiße Brocken flogen zum Himmel und regneten wieder auf die Eisfläche zurück, in einem prasselnden Schauer, der kein Ende zu nehmen schien. Schwarzgrau trieb der Pulverqualm über das Eis. Als der Rauch sich verzogen hatte, riß Tucker die Arme hoch. „Geschafft!“ schrie er, außer sich vor Freude. „Wir haben die Scholle abgetrennt.“ Es stimmte. Dort, wo die Scholle mit dem jenseitigen Festland noch immer verbunden war, hatte sich der Riß verbreitert. Man sah das dunkle Wasser, einen schmalen Spalt, der sich nur sehr zögernd vergrößerte, in den jetzt der Wind hineinpfiff, der daran zerrte und die Scholle unaufhörlich vorantrieb. „Das kostet dich einen Besan-Schot-an, Sir!“ schrie der Profos und wandte sich den Männern zu, nachdem Hasard genickt hatte und den Bengel an Bord schickte, um zwei Flaschen zu holen.
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„Das ist das erste Mal in eurem Leben, daß ihr triefäugigen Kakerlaken etwas geleistet habt“, sagte Carberry zu den grinsenden Seewölfen. „Bei Gott, wenn wir das nicht geschafft hätten, dann hätte ich euch einen nach dem anderen die Haut in Streifen von euren Affenärschen abgezogen.“ „Da hättest du aber viel zu tun gehabt“, sagte Luke Morgan. „Krieg ich auch einen Schluck?“ fragte der Bengel. „Schließlich habe ich auch meinen Teil dazu beigetragen.“ „Nun seht euch dieses Würstchen an“, sagte Carberry, während er die Flasche entkorkte und mit dem ersten langen Zug prüfte, ob man das Zeug auch trinken konnte. Man konnte. Es lief runter wie Öl, für Carberry ein Grund, es gleich noch einmal zu versuchen. Dann reichte er die Flasche dem Moses, der seinen mageren Brustkorb gewaltig aufblähte und ebenfalls einen langen Zug nahm. Anschließend begann er zu krächzen, kriegte riesengroße Augen und spitze Lippen. „Oh, oh, verdammt“, stammelte er und rollte wild mit den Augen. „Und das versaut ihr morgens noch mit heißem Wasser?“ Er stand auf dem Eis und rülpste laut, dann war das Zeug unten, und aus seinen Augen kullerten zwei dicke Tränen. „Geh nicht so nah an ihn ‘ran, Ed“, sagte Ferris, „der Bengel kann jeden Augenblick in die Luft fliegen.“ Das war kein Lachen mehr, das dem Bengel da in den Ohren dröhnte, das waren Gäule, die wieherten, als hätten sie zum ersten Mal in ihrem Leben Gras gefressen, dachte er. Inmitten der ausgelassenen Meute tauchte die Rote Korsarin auf. Ihr Gesicht war ernst, als sie über das Eis blickte. „Wir können nicht mehr an Bord zurück, Hasard“, sagte sie leise, „mit dem Boot nicht, auch wenn es Kufen hat wie ein Schlitten. Wir werden bei euch bleiben müssen.“ „Fällt dir das so schwer?“ fragte Hasard.
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„Nein, im Gegenteil. Aber Thorfin wird den ganzen Tag lang meckern und Sorgen haben.“ „Er weiß, daß ihr bei uns seid, auch er wird sich freisegeln und nach Mocha gelangen. Seine Ausgangsposition ist sogar noch besser als unsere.“ „Ja, das stimmt“, sagte sie nachdenklich. Ihr Blick war auf das Eis gerichtet; das der Sturm nach Norden blies. „Eiliger Drache über den Wassern“ würde sein Ziel erreichen, und vielleicht konnten sie ihm sogar ein Stück entgegensegeln oder auf ihn warten, falls der Wind wieder drehte. Aber der Wind drehte nicht mehr. Noch in derselben Nacht blies er mit einer nie erlebten Heftigkeit. Mit maßloser Gewalt drückte er die „Isabella“ gegen das Eis und schob die knisternde und knackende Fläche mit elementarer Gewalt vor sich her. Sie drifteten nur sehr langsam, Hasard sah es an dem Land, das scheinbar vor ihnen zurückwich. Die riesengroße Scholle, in der sie trieben, zerbrach in dieser Nacht mit polternden Geräuschen, und aus der See stieg ein dumpfes Grollen, als das Eis sich verkantete, in die Tiefe sank und dann wieder mit Urgewalten hochschoß. Das Schiff wurde gedrängt, geschoben, der Wind rüttelte an ihm, und gegen Morgen befand es sich wieder in hohen Wellenbergen, in denen Treibeisfelder schwammen. Auch die riesengroßen Eisberge gingen auf die Reise nach Norden, und das Navigieren wurde wieder zu einem echten Problem für die Seewölfe. Einen Tag später, die Küste war schon längst nicht mehr zu sehen, schlugen die ersten Brecher über Deck. Das Schiff hob und senkte sich unter den von achtern auflaufenden Seen, die immer gewaltiger und mächtiger wurden. Die „Isabella“ fuhr wieder ein Sturmsegel, sauste in tiefe Täler hinunter, wurde überrollt und holte so stark über, daß Will Thorne in seiner Koje pausenlos fluchte und den Kutscher fragte, was denn mit diesem lausigen Eis los sei.
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„Eis?“ sagte der Kutscher. „Was ist das denn? Haben wir doch längst vergessen, Mann! Ab und zu taucht noch mal so ein kleines Klötzchen auf, wir befinden uns in einem Sturm, der uns bald absaufen läßt.“ „Da bin ich aber froh“, sagte Will, „lieber absaufen, als für alle Zeiten auf diesem weißen Mist zu kleben. Aber du könntest mir mal einen kräftigen Schluck aus der Buddel bringen, Kutscher. Oder soll ich ihn mir selber holen?“ „Untersteh dich, noch bist du krank!“ „Quatsch, du willst mich bloß verhätscheln!“ Mit Nordkurs lief das Schiff weiter. Sie konnten nicht auf den schwarzen Segler warten, der mindestens fünf Tagesreisen hinter ihnen war und dem die See genauso zusetzte wie der „Isabella“. Auf dieser Reise nach Norden kriegte sie noch einiges ab. Ein Mast brach, ein Teil des Ruderhauses zersplitterte und am Schanzkleid auf Backbord klaffte über dem Speigatt ein Loch. Doch das konnte die Seewölfe nicht erschüttern. Sie hatten die härtesten Stürme abgeritten, und sie würden diesen hier auch noch schaffen und dem Teufel ein Ohr absegeln, wenn es erforderlich war. Sie segelten mit dem Sturm nach Norden, und das allein zählte. Eines Tages würden sie den südamerikanischen Kontinent wiederfinden und in Richtung der Insel Mocha weitersegeln. Der Seewolf rieb sich verlegen das Kinn, wenn er an Siri-Tong dachte, die er an Bord hatte. Auf Mocha lebte Arkana, die Schlangenpriesterin, und das würde der Roten Korsarin verdammt wenig gefallen, dachte er. Frauen konnten da mitunter sehr merkwürdig sein. Seine schwarzen Haare flatterten wild im Wind, der ihm Seewasser über den Körper sprühte und ihn durchnäßte, als er am Ruder stand. Und als die Rote Korsarin an Deck erschien, um nach ihm zu sehen, hörte sie ihn leise lachen. Er ist schon ein eigenartiger Kerl, dachte sie. Wild und verwegen stand er am Ruder und lachte über die wilde See und über den
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heulenden Sturm, als könnten ihm die Elemente nicht das geringste anhaben.
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Er ist eben ein richtiger wilder Seewolf, fand sie.
ENDE