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Mit voll aufgeblendeten Schein werfern jagte der Ford durch die nächtliche Kleinstadt. Das Aufheu len des Motors und das Quietschen der Reifen muteten in der Dunkel heit unheimlich an. In die leiser werdenden Geräusche des dahinrasenden Wagens mischten sich die Sirenen zweier Patrol Cars. Auch die Polizeiautos gingen an der unbeleuchteten Kreuzung abrupt mit der Geschwindigkeit herunter. Sie beschleunigten anschließend so heftig, daß die Reifen durchdrehten und den Straßenstaub in die laue Abendluft wirbelten. Bremsen kreischten, die Lichtke
gel des Ford hoben ein kleines Fami lienhaus aus der Dunkelheit. Der Fahrer erkannte die Gefährlichkeit der Rechtskurve, ging weiter mit der Geschwindigkeit herunter und pas sierte die yardhoch aus dem Boden ragenden Leitplanken um Haares breite. Die Patrol Cars holten auf. Linkskurve. Erneutes Kreischen der Bremsen. Zu spät. Der verfolgte Ford geriet ins Schleudern, berührte mit dem Heck die Leitplanken, stabilisierte für Sekundenbruchteile die Fahrtrich tung und kam dann endgültig von 3
Rolltreppe aus der Wartehalle auf der Fahrbahn ab. Glasscheiben zerknallten. Blech den Bahnsteig und rief sich die Per ratschte über den Teerbelag der sonenangaben in Erinnerung, die ihm Fahrbahn und schob sich ineinander. Colonel Warner vom COUNTER Der Ford hatte sich überschlagen MOB am Telefon mitgeteilt hatte. COUNTER MOB eine Spezial und lag nach einer mehrere Sekun den dauernden Rutschpartie auf dienststelle des Justice Departments hatte Franco Solo nach Chicago ge dem Dach. Unverletzt sprangen die zwei Ver schickt, um das Leben eines Mannes folgten aus dem brennenden Wagen. zu schützen. Er hieß William C. Ihre Waffen hatten sie in Anschlag Cornwell und arbeitete bis vor eini gen Tagen in seinem eigenen Ge gebracht. schäft als Juwe Jetzt waren die lier. Bis zum 13. Polizisten am Un März, dem Tag, an fallort, sprangen Die Hauptpersonen des Romans: dem sich William mit geübten Sätzen Luigi Parisi — Er plant mit seinen Leu C. Cornwells Le aus ihren Pontiacs ten die Entführung Franco Solos, um damit seine Söhne frei zu bekommen. ben vollkommen und nahmen die Francesco Udine — Er handelt mit Anti verändern sollte. quitäten. Doch diese Geschäfte die Verfolgung der nen nur zur Tarnung. Flüchtenden auf. William C. Cornwell — Der unbeschol Der Juwelier tene Juwelier wird gezwungen, mit der wollte sich nicht Die wenigen Mafia zusammen zu arbeiten. Richard Watermann, Sam Clapton — Sie mehr länger von Häuser, die in die gehören zur Mafia und haben den Auf trag, Franco Solo in ihre Gewalt zu der Mafia, die auch ser Straße standen, bringen. die Finger nach warfen die Deto Franco Solo — Er kann der Mafia wie der unter Einsatz seines Lebens einen dem Goldgeschäft nationen als Echos weiteren schweren Schlag versetzen. ausgestreckt hatte, zurück. bevormunden las Die Männer sen. Er erstattete rannten in eine Anzeige. Noch am selben Tag tauchte Nebenstraße. Für wenige Sekunden er auf den Rat der Polizei hin unter. schwiegen die Waffen. In San Francisco, der Metropole Jetzt endlich hörte Franco Solo das am Pazifik, hatte die Goldmafia ih Piepsen seiner Armbanduhr, das bis ren Hauptsitzt, dort sollte jetzt ein her durch das laute Kampfgesche Prozeß abgewickelt werden. William hen übertönt worden war. C. Cornwell war als Zeuge geladen „Immer wenn es spannend wird", worden. Und Franco Solo hatte den murmelte Franco Solo vor sich hin, Auftrag, ihn sicher dort hinzubrin während er sich aus dem Kinosessel gen. erhob. Nach der Verhandlung würde der „Ruhe!" forderte sein Hintermann. Juwelier mit einer anderen Identität „Aus dem Bild!" Franco Solo kümmerte sich nicht irgendwo neu anfangen. um den Mann, sondern beeilte sich, Von der Rolltreppe aus überblickte das Bahnhofskino zu verlassen. Sein Franco Solo fast den gesamten Ziel war Bahnsteig 8. Er fuhr mit der Bahnsteig. Doch die Gesichter der 4
Menschen waren wegen der Entfer nung nicht genau zu erkennen. Franco Solo schwenkte von der Rolltreppe nach rechts ab und hielt auf das Telefonhäuschen zu. Er stell te seinen schwarzen Lederkoffer vor der Tür ab und klopfte viermal ge gen das Glas. Das vereinbarte Zei chen. Der etwa 40jährige, dunkel blonde Mann mit der Zigarre im Mund wandte sich ihm zu und sagte: „Jetzt habe ich doch glatt meinen Rasierapparat vergessen." „Okay, ich heiße Franco." „Angenehm, William." Als sich die beiden Männer unter hielten, bemerkte Franco, wie einer der wartenden Reisenden seinen überdimensionalen Koffer ergriff und langsam auf die Rolltreppe zu schritt. Die Ablösung, dachte Franco. Pünktlich rollte der „San Francis co Zephyr" in den Bahnhof von Chi cago ein. „Man sieht doch die Auswirkungen der Ölkrise", begann der Juwelier zögernd ein Gespräch. „So viele Men schen habe ich seit den 50er Jahren nicht mehr auf einem Bahnsteig ge sehen. Und alle haben Platzkarten." Mit diesen Worten übergab er Fran co Solo eine Platz- und eine Fahr karte nach San Francisco-Oakland. Franco steckte sie ein und muster te unauffällig den Mann, der den Mut gehabt hatte, sich gegen die Ma fia zu stellen. Ein Ehrenmann, war Francos erster Eindruck, ein Ge schäftsmann, der es stets gewohnt war, sich gegen andere durchzuset zen. Doch die Mafia mit ihren Metho den war nicht zu vergleichen mit nach Gewinn strebenden, anständi gen Kaufleuten.
Inzwischen hatte sich der „San Francisco Zephyr" in voller Länge vor den auf Gleis neun stehenden „Panama Limited" geschoben. Außer diesen beiden Fernzügen sollte ebenfalls um 18.00 Uhr der „Broadway Limited" den Chicagoer Bahnhof verlassen. Züge, die der Öl krise ihr Überleben verdankten. Franco Solo zog die Platzkarte aus der Jackentasche. Im Pulk der Zu steigenden ließen sich die beiden Männer aus der Deckung des Stütz pfeilers heraus zu dem Schlafwagen Nr. 1412 mitführen. Wenig später schlossen sie hinter sich die Tür ihres Zweibettabteils, das für knapp zwei Tage ihre Unterkunft und ihr Unter schlupf zugleich sein sollte. Wenn al les gutging, dachte Franco. Beinahe unmerklich nahm der „San Francisco Zephyr" Fahrt auf und rollte aus dem Bahnhof. Die weiche Federung der fünfzehn Wa gen ließ die Fahrgäste das Passieren der Weichen kaum merken. Viele Reisende, meistens Touristen und jüngere Leute, standen an den Fen stern und genossen die imponierende Sky-Line der Sheraton und Hilton Hotels. Für solche Eindrücke hatten Fran co Solo und sein Begleiter im Mo ment keine Zeit, außerdem zeigte ihr Fenster auf die andere Seite hinaus. „Als kleiner Junge bin ich das letz te Mal mit dem Zug gefahren", erin nerte sich Williams. Er stellte seinen Koffer neben der Tür ab und drehte sich in dem Abteil um. „Zwei Wasch räume, WC, zwei Betten ..." „Zum Glück", unterbrach ihn Franco, „mit einem Mann in einem Bett zu liegen, habe ich nämlich kei 5
ne Lust." Sie lachten und schüttelten sich noch einmal die Hand. Anschließend gab Franco seinem Begleiter einige Verhaltensvorschriften. „Nur zu deinem Vorteil", schloß er, „und zu meinem natürlich auch." Minuten später, als Franco und der Juwelier längst Platz genommen hatten, öffnete der Schaffner die Tür. Er kontrollierte die Platz- und Fahrkarten und verabschiedete sich mit den Worten: „Die nächste Station ist Galesburg, wir werden gegen halb neun dort sein. Sollten Sie irgend welche Wünsche oder Beschwerden haben, wenden Sie sich bitte an mich." Franco Solo gab ihm ein Trinkgeld und bedankte sich. „Darf ich jetzt den Bart und die Pe rücke abnehmen?" fragte der Juwe lier. „Nur wenn du im Waschraum bist oder in der Toilette. Und nur bei ver riegelter Tür", fügte Franco Solo noch hinzu. „Und denke immer dar an; daß sich die Mafia nicht so leicht aus einem Geschäft verdrängen läßt. Deshalb bin ich hier, deshalb be hältst du Perücke und Bart an, und deshalb fahren wir mit dem Zug, weil das sicherer ist. Wir haben hier unsere eigene Bude bis Frisco." Franco fischte aus der Seitenta sche seines Koffers Handschellen. „Willst du mich auf der Toilette fesseln?" fragte Williams mit ge mischten Gefühlen. „Ich will nach Möglichkeit nicht überrascht werden", antwortete Franco auf die nicht ganz ernst ge meinte Frage. Er verkettete den Griff der Abteiltür mit dem Kleider 6
haken, damit niemand ungebeten die Tür öffnen konnte. Zufrieden, weil die Handschellen lang genug waren, setzte er sich mit einem Lächeln auf den Sessel, der zwischen den beiden Betten stand. Nun blieb ihm nichts anderes übrig, als bis zum Zielbahnhof zu warten. Franco Solo liebte solche Passivität überhaupt nicht, aber er konnte sich seine Aufträge nicht immer aussu chen. Franco Solo dachte kurz an Co lonel Warner, der im Justice Depart ment seinen Sessel warm hielt, dafür aber den Kopf voller Sorgen hatte. Franco Solo wäre nicht gern bereit gewesen, mit ihm zu tauschen. Die Zeit flog dahin wie die Orte, die der „San Francisco Zephyr" durchfuhr oder passierte: Joilet, Ot tawa/Illinois, Kewanee. Drei Minuten Aufenthalt in Gales burg. Reisende stiegen ein oder ver ließen mit ihrem Gepäck den Zug. Lautsprechergeräusche, winkende, rufende Menschen, knallende Türen, das satte Brummen der vier schwe ren Dieselloks, die mit Leichtigkeit doppelt so viele Waggons nach We sten gezogen hätten. Das Ausfahrtsignal stand auf Freie Fahrt, und der Zug setzte sich wieder in Bewegung. Als William die Illustrierte zur Sei te legte und es sich auf seinem Bett bequem machte, rollte der Fernzug über die Mississippi-Brücke. „Wie ich das so sehe, vergeudest du deine kostbare Zeit mit mir", sagte er. „Mit Perücke kann ich jedenfalls nicht schlafen. Leg dich auf's Ohr, Franco, die Nacht ist lang!" „Du läßt die Perücke auf ..." „Schon gut, ich will mich mit dir
nicht streiten. Du tust deine Pflicht. Aber du brauchst um William C. Cornwell keine Angst zu haben." „Schlaf endlich oder lies weiter!" „Okay, okay!"
Nach einer halben Stunde war William tatsächlich durch die mono tonen Geräusche der Zugfahrt ein geschlafen. Franco Solo nahm das mit einem Lächeln zur Kenntnis. Er mußte in dieser Nacht auf den Schlaf verzichten. Es machte ihm nichts aus, er hatte sich daran gewöhnt, in seinem Job mit wenig Schlaf auszu kommen. 21 Uhr 19, Ankunft in Burlington, zwei Minuten Aufenthalt, keine Zwischenfälle. Um 2 Uhr 40 erreichten sie mit fünfzehn Minuten Verspätung Oma ha, die legendäre Stadt in Nebraska, Schauplatz zahlreicher Westernfil me. Nur wenige Reisende sah Franco Solo auf dem hell erleuchteten Bahnsteig stehen, während der „San Francisco Zephyr" einrollte. Noch leerer zeigte sich der Bahnhof von Lincoln um 3 Uhr 50. Die Verspätung war fast vollständig aufgeholt wor den. Franco stand am Fenster, das sich nur ein wenig zur Seite schieben ließ. Er beobachtete die beiden Lokfüh rer, die mit ihren dicken Aktenta schen zur Zugspitze gingen. Die ha ben es gut, dachte Franco, drei Stun den arbeiten, Pause, drei Stunden ar beiten, Feierabend. AMTRAK kann ja auf keinen grünen Zweig kommen, wenn die Gewerkschaft den Eisen
bahnern das Arbeiten fast ganz ver bietet. Da kam das abgelöste Lokführer gespann. Sie nahmen keine Rück sicht auf die Pfützen, die auf dem Bahnsteig standen, traten hinein, brachten das scheinbar absichtlich angebrachte Muster der Ölflecke durcheinander, die im hellen Licht der Bahnsteigbeleuchtung schiller ten. Franco starrte hinaus, suchte sich die schlecht zu erkennenden Gesich ter der Fahrgäste einzuprägen. Ausfahrt frei. Der Zug setzte sich wieder in Bewegung. Ab und zu un terbrachen die Laufgeräusche der Zugestiegenen das monotone Fahr geräusch des Zuges. Franco saß wieder in seinem Sessel und wartete die nächste Station ab. Instinktiv tastete er nach seiner Be retta, die er in der Schulterhalfter trug. Unvermittelt bremste der Zug die zügige Fahrt für wenige Augenblik ke ab. Er näherte sich einer langge streckten Linkskurve. Leicht legten sich die Waggons in die Schräge. Ganz ohne Rucken ging das Brems manöver nicht vonstatten, und Wil liams wurde wach. „Mensch, hab ich eine trockene Kehle", meldete sich der Juwelier. „Ich muß unbedingt etwas Flüssiges sehen, sonst verdurste ich." „Sieh nach draußen, es regnet", er widerte Franco. „Ich geh' in den Speisewagen und hole mir aus dem Automaten zwei Flaschen Bier", kündigte William an. „Wenn hier einer geht, dann bin ich das", sagte Franco, schloß die Hand schellen auf und warf Williams die 7
Schlüssel zu. „Sobald ich auf dem Gang bin, schließt du ab. Wenn ich herein will, klopfe ich viermal. Ver standen?" William nickte, und Franco entrie gelte die Abteiltür. Nach wenigen Sekunden fiel die Tür ins Schloß. Francos Schritte waren auf dem dicken Teppichboden nicht zu hören, als er durch einen weiteren Schlaf wagen zum Speisewagen ging. Zum Glück hatte er Kleingeld, denn von dem Personal war niemand zu sehen. Franco zog drei Dosen eisgekühltes amerikanisches Bier und machte sich damit auf dem Rückweg. „Er kommt!" flüsterte jemand. „Er trägt etwas auf dem Arm." „Okay. Jetzt oder nie." Franco konnte die beiden Stimmen nicht hören. Er näherte sich auf lei sen Sohlen seinem Bedroom, dem komfortablen Zweibettabteil, das er mit William teilte. „Stehenbleiben!" rief jemand mit halblauter Stimme hinter Franco her. Franco Solo nickte nur und blieb auf dem schwach beleuchteten Gang des Schlafwagens stehen. „Wie fühlst du dich?" fragte einer der beiden Typen. Franco Solo antwortete nicht. „Wie du dich fühlst, hat dich mein Kumpel gefragt!" wiederholte der andere. Franco konnte die zwei Männer nicht sehen, er stand noch in dem schmalen Gang mit dem Rücken zu ihnen. Statt auf die provokative Frage zu antworten, machte er Anstalten, sich nach den beiden umzudrehen. 8
Sofort unterbanden die beiden sei nen Versuch. „Laß die Mätzchen!" sagte einer der beiden Schattengestalten. „Und hoch mit den Greifern!" „Habe die Hände voll", entgegnete Solo. „Ist dein Bier. Hoch mit den Grei fern, habe ich gesagt." „Sollen wir unsere Bitte schriftlich vortragen?" fragte der zweite Mann, als der Mafiajäger nicht schnell ge nug reagierte. „Du kannst es uns glauben, wir würden dich lieber so fort aus dem Weg schaffen, deinen Spannmann ebenfalls. Nur wollen wir die Reisenden nicht wecken, wä re auch schlecht für uns." „Los, vorwärts marsch in euer Schlafabteil!" hörte Franco eine har te Stimme hinter sich. Dann meldete sich die hellere Stimme wieder. „Wenn wir in eurem Abteil sind, werden wir dir einige Fragen stellen. Ich hoffe, du bist ver nünftig genug und gibst uns Ant wort. Wenn nicht..." Er sprach nicht weiter und gab statt dessen einen Zischlaut von sich. Vor dem Abteil blieben alle drei stehen. „Das Zeichen!" befahl der größere der beiden Mafiosi. Zum ersten Mal konnte Franco den beiden Männern ins Gesicht sehen. Sie waren beide noch recht jung. So um die Dreißig. Doch nie hätte Fran co Solo den Fehler gemacht, die Män ner zu unterschätzen. Aber er mußte sie beide ausschalten, wenn er den Auftrag erledigen wollte. Wie selbstverständlich stellte Franco die Bierdosen auf den Tep pichboden des Ganges, um gegen die
Holztür seines Schlafwagenabteils zu klopfen. Dann schoß er hoch, als ob er aus dem Stand mindestens drei Meter weit springen wollte. Die Waf fen der Mafiosi ignorierte er. Hätten die Männer den Auftrag gehabt, ihn sofort umzulegen, hätten sie sicherlich von ihren Waffen Ge brauch gemacht. Große Diskussio nen wären in diesem Fall überflüssig gewesen. Im Unterbewußtsein vertraute Franco Solo darauf, daß die Gang ster etwas von ihm wollten. Infor mationen, Fakten. Er wußte es nicht, aber er spürte, daß er eine Chance hatte. Der kleinere der Männer, Franco erkannte, daß er einen Krauskopf hatte und Kaugummi kaute, zuckte nach hinten. Reflexartig zielte der Angreifer mit seiner Luger höher, schoß aber nicht. Trotz des Luftsprungs in dem schmalen Gang, legte Solo seine gan ze Schlagkraft in den Hieb. Doch der Lange in der Lederjacke wich in stinktiv zurück. Solos Finger streif ten die Jacke des Mafiosos nur leicht. „Üben", spottete der Krauskopf, während er wieder einen Schritt auf Franco zuging. Franco mußte wirklich zugeben, daß er schon besser gewesen war. Äußerlich war ihm nichts anzuse hen. Er hatte sich voll unter Kontrol le, spielte den souveränen Agenten, der kein Wort mehr verlor, als unbe dingt notwendig war. „An die Wand!" Zur Unterstützung seiner Forderung machte der Kraus kopf eine Kopfbewegung. Die Luger hatte er inzwischen weggesteckt und einen Totschläger aus dem Jackett
gezogen. Franco zollte mit einer Grimasse seinen Respekt und drehte sich mit erhobenen Händen zum Fenster, aber nur, um in dieser Enge den nöti gen Schwung zu holen. Er riß die Hände herunter und schnellte, mit der linken Faust voran, auf die beiden Männer zu. Der Lederjackenkerl bekam den Treffer voll mit. Er ließ die Waffe fallen und neigte sich leicht vorn über. Die Arme hielt er auf die Ma gengegend gedrückt. Der Krauskopf war Francos Rech ter geschickt ausgewichen. Geduckt und breitbeinig stellte er sich zum nächsten Schlagabtausch, während der Lange in der Lederjacke in die Knie ging. „Jetzt bekommst du meine Spezial behandlung", sagte der Krauskopf und schwang den Totschläger dabei durch die Luft. Zuerst sorgte Franco dafür, daß ihn der Kerl in der Leder jacke nicht mehr belästigte, dann griff er den Krauskopf an.
William C. Cornwell, der Juwelier aus Chicago, verfolgte hinter der Tür die Geräusche des Kampfes. Auf was habe ich mich da eingelassen, ging es ihm durch den Kopf. Er befürchtete, daß binnen kürzester Zeit die Tür zu dem Schlafabteil geöffnet werden würde. „Und dann geht es mir an den Kra gen", murmelte er vor sich hin, „oder sind es meine neuen Freunde?" Die Angst machte ihn halb wahn sinnig, ließ ihn in dem geräumigen Schlafwagenabteil herumlaufen. 9
William C. Cornwell kam sich vor wie in einem Gefängnis. Er wollte den Raum verlassen. Doch den einzi gen Ausgang konnte er nicht benut zen. Dahinter war eine Prügelei im Gange, die er nicht sehen, aber hören konnte. Stöhnen. Menschen krachten zu Boden, stolperten gegen die Tür. Das war zuviel für William. Er machte sich an dem Fenster zu schaffen, er kannte aber, daß ihm die Geschwin digkeit des Zuges keine Chance ließ, das Schlafabteil lebend zu verlassen. Wie ein kleines Kind, das ein Ver steck sucht, wenn es etwas angestellt hat, flüchtete sich William auf die Toilette. Schnell verriegelte er die Tür hin ter sich und machte es sich in dem kleinen Raum so bequem wie mög lich. Er wußte, daß sie ihn hier auch entdecken würden, vielleicht zehn Sekunden später, aber er hatte das Gefühl, etwas für seine Sicherheit getan zu haben.
Franco marschierte vorwärts und wollte dem kräfteraubenden Kampf ein schnelles Ende bereiten. Er be schleunigte plötzlich seine Schritte, machte in gebückter Haltung einen Satz nach vorne. Er hob die Arme hoch, um den Schlag seines Gegners abzulenken. Die rechte Hand des Krauskopfs landete heftig am Holz einer Abtei lungstür. Der Totschläger entfiel sei ner Hand. Franco setzte noch einen Hieb hinterher, und der Kerl ging nur wenige Schritte neben dessen Kumpan zu Boden. 10
„Du brauchst dringend eine Ver schnaufpause", sagte Franco zu dem Geschlagenen. „Kannst dich gerne in meinem Waschraum erholen, bis Frisco hast du Zeit." Gerade setzte Franco Solo dem Krauskopf einen Polizeigriff an, um ihn in sein Abteil zu schaffen, da öff neten sich fast gleichzeitig zwei Ab teiltüren. Verschlafene Gesichter blickten Franco entgegen. „Was macht ihr für einen Höllen lärm hier? Das ist ein Schlafwagen, kein Boxring. Ruhe!" „Ich möchte mich für die beiden Herren entschuldigen", sagte Franco Solo mit einer weltumarmenden Ge ste. „Die drei Bierdosen standen im Weg. Bitte, glauben Sie mir, meine Damen. Wir sind nur gestolpert." Statt Antworten vernahm Franco nur dumpfes Türenschlagen. Mit dem Krauskopf im Griff, setzte er seinen Weg zum Abteil fort. Während Franco an die hölzerne Abteiltür klopfte, drehte er sich nach dem Lederjackenträger um. Der reg te sich noch nicht. Franco hatte von ihm im Moment keine Gefahr zu be fürchten. Dachte er. „Bist du's, Franco?" hörte er eine Stimme hinter der Tür fragen. Sie klang nicht mehr so ruhig wie sonst. „Ja, William, ich bin's. Mach schon auf!" William C. Cornwell, der Juwelier aus Chicago, öffnete die Toilettentür. Er näherte sich mit eiligen Schritten der Abteiltür und drehte den festge steckten Schlüssel herum. Dann hörte Franco ihn an den Handschellen herumarbeiten, mit denen die Tür zusätzlich gesichert war.
Offen. Endlich konnte er eintreten. Sofort wich William einen Schritt zurück, als er den schwer mitgenom menen Gangster sah, dessen Namen er nicht kannte. „Wir setzen ihn in einen der Waschräume", sagte Franco und ging mit seinem Gefangenen auf den lin ken Waschraum zu, setzte den be nommenen Mann auf den Boden und kam heraus. William wandte sich hastig der Abteiltür zu und wollte sie schließen. „Halt!" rief Franco. „Auf dem Gang liegt noch einer." William fuhr der Schock in alle Glieder. Zwei Verbrecher in seiner Nähe, das war zuviel für ihn. Trotz dem lief er auf den Gang und spähte neugierig in beide Richtungen. „Willst du mich etwa auf den Arm nehmen?" fragte er. Franco wußte sofort Bescheid. Der Lederjackenträger hatte sich nur ohnmächtig gestellt und einen gün stigen Moment abgewartet, um sich aus dem Staube zu machen. Hastig wuchtete er den schweren Sessel vor die Waschraumtür und folgte Wil liam auf den Gang. „Geh rein, ich muß den Kerl su chen." „Willst du mich mit dem Kraus kopf allein lassen?" fragte William mit unsicherer Stimme. „Nimm dich zusammen", erwiderte Franco. „Hier hast du zwei Luger. Kannst du damit umgehen?" Der Juwelier nickte. „Okay", meinte Franco. „Wenn er seine Suite verlassen will, schick' ihn wieder zurück. Es ist ein Kinderspiel, er ist unbewaffnet. Oder kette ihn mit den Handschellen ans Waschbek
ken." William konnte sich zu einer Ant wort nicht aufraffen, er nickte nur. „Vergiß nicht, die Tür hinter mir abzuschließen!" rief Franco noch vom Gang aus. Er spürte, daß der Ju welier ihm etwas verheimlichte, denn sein Verhalten war merkwür dig. William ließ sich das nicht zweimal sagen. Franco hörte die Tür zuschlagen und das Schloß zuschnappen. Er hat te sich nach rechts gewandt, die Richtung, in die der Lederjackenträ ger geflohen war. Wäre der Mafioso in die andere Richtung geflüchtet, wäre er an Francos Schlafwagenab teil vorbeigekommen und gesehen worden. Franco bückte sich und untersuch te den Platz, auf dem der Mafioso ge legen hatte. Der Totschläger war nicht mehr da, und Franco war gewarnt. Er würde einem bewaffneten Gegner gegenüberstehen. Doch das war Francos geringste Sorge. Er lebte mit der Gefahr, sie war sein Begleiter im In- und Aus land. Wenn er durch seine Einsätze versuchte, den verbrecherischen Umtrieben der Mafia Einhalt zu ge bieten, konnte er sich auf keine Ge fühlsduseleien einlassen. Um zu überleben, blieb ihm nur, seine Un ternehmungen sorgfältig zu planen und das Risiko, das für ihn auf dem Spiel stand, abzuwägen. Franco Solo rief sich den „Zugbe gleiter" in Erinnerung, den er beim Betreten seines Bedrooms gefunden hatte. In diesem Faltblatt standen al le Annehmlichkeiten, die die Bahn 11
gesellschaft AMTRAK ihren Reisen den bot. Außerdem war darin die Wagenfolge des Zuges angegeben. Das Schlafwagenabteil, in dem sich Franco Solo und sein Begleiter eingemietet hatten, befand sich im viertletzten Wagen des „San Francis co Zephyr". Dahinter folgten noch drei Sitzwagen, wovon der letzte in Ab teile gegliedert war. Die beiden an deren waren Großraumwagen. Jetzt begann für Franco Solo die Suche, denn er wollte den Juwelier Cornwell nicht allzulange mit dem gefährlichen Mafioso allein lassen. Daß er von dem Juwelier hereinge legt worden war, konnte er in diesem Moment noch nicht ahnen. „Zum Glück sind es nur zwei Schlafwagenabteile", murmelte Franco Solo vor sich hin. „Wer weiß, was mich dort erwartet. Aber ich muß ausschließen, daß sich der Ga nove dort einen Unterschlupf ge sucht hat." Hart klopfte Franco Solo gegen die Tür des Roomette. Dreimal. Und kurz darauf noch einmal. Ein verschlafener Mann öffnete die Tür des Einzelabteils. Er wischte sich demonstrativ über die Augen und sah Franco mit festem Blick an. Dann polterte er los. „Was wollen Sie hier mitten in der Nacht?" fragte er barsch. „Der Spei sewagen ist in der anderen Richtung. Aber wie Sie aussehen, haben Sie den Kanal voll. Also, was wollen Sie?" Trotz des Donnerwetters blieb Franco Solo ruhig. „Entschuldigen Sie, mein Herr", sagte er höflich. „Ich suche meinen Sohn. Er ist seit einer halben Stunde verschwunden, und ich mache mir 12
Sorgen um ihn." „Ihr Sohn ist nicht b e i . . . He, was wollen Sie in meinem Abteil? Ich ha be Ihnen doch gesagt, Ihr Bengel ist nicht bei mir. Im übrigen, passen Sie doch besser auf Ihren Lümmel auf." „Schon gut", sagte Franco, „und entschuldigen Sie bitte die Störung." Er ging zurück auf den Gang. Ihm hatten die zwei Sekunden gereicht, das kleine Roomette mit den Augen abzusuchen. Es bestand kein Zweifel, daß der Mann nicht in diesem Abteil war. Franco Solo wartete einige Augen blicke, bis er an der nächsten Tür klopfte. Dann begann das Spiel von neuem. Eine Dame schloß auf und öffnete die Tür einen Spalt weit nach innen. „Ich habe es doch gewußt", sagte sie mit halblauter Stimme. „Komm rein!" Sie machte die Tür ganz auf. „Entschuldigen Sie ..." begann Franco Solo. „Sie brauchen sich nicht zu ent schuldigen", entgegnete die Blondine. Ihre Formen waren unter dem durchsichtigen Neglige nicht zu übersehen. „Ich habe fest damit ge rechnet, daß Sie mich besuchen wür den. Ich..." „Nun hören Sie mir mal zu." Fran co wurde etwas lauter. „Sie gefallen mir..." „Dann ist ja alles in Ordnung." Die Blondine ließ Francos Hand nicht los und versuchte erneut, ihn in ihr Ab teil zu zerren. „Hätten Sie mich ausreden lassen, hätten Sie gehört, daß ich nicht Sie suche, sondern meinen Sohn." „Wenn Sie ihn gefunden haben, kommen Sie dann?"
„Nein, dann muß ich auf ihn auf passen." Endlich gelang es Franco, sich von der Frau mit sanfter Gewalt zu lö sen. Enttäuscht stand sie in der Tür und rief Franco einige Schimpfwörter nach, die aber vom dumpfen Poltern der Räder übertönt wurden. Franco blickte hinaus. Sie durch rasten gerade einen unbeleuchteten Bahnhof. Wenn die Blondine stärker gewesen wäre, hätte ich den Auftrag abschreiben können, dachte er und ging über die Plattform in den näch sten Wagen. Drei Sitzwagen lagen vor ihm. Nur sie hatte der Mafioso als Versteck aufsuchen können.
William C. Cornwell, der Juwelier, den Franco Solo nach San Francisco begleiten sollte, hatte auf seinem Bett Platz genommen. Mit den bei den Luger, die ihm Franco Solo gege ben hatte, fühlte sich der Mann aus Chicago stark. Jedenfalls wollte er bei seinem Beschützer damit den Eindruck erwecken. Cornwells Blicke wechselten von der Waschraumtür zum Fenster, dann überprüfte er die Luger, die er in der Rechten hielt, und tastete nach der anderen Waffe neben sich. William C. Cornwell fühlte sich als Herr der Lage. Er wußte, daß sich der Mafioso nicht so schnell von den Schmerzen erholen würde, und er wußte auch, daß er keinen Aus bruchsversuch starten würde. Au ßerdem war der Mann angekettet und für den Notfall besaß William, der Juwelier aus Chicago, noch seine
beiden Schußwaffen. Nichts konnte schiefgehen. Jetzt fiel dem Juwelier ein, daß er mit der Mafia einen Ver trag geschlossen hatte, seine Tochter gegen Solo. Sein Charakter hatte die Geiselnahme im Unterbewußtsein verdrängt. Fasziniert von dem sich ankündi genden Sonnenaufgang, starrte der Juwelier durch das Fenster seines Schlafwagenabteils. Das Panorama unterdrückte die Sorgen. In Chicago hatte er nie Gelegenheit gehabt, das schillernde Morgenrot zu bewun dern. Wolkenkratzer versperrten ihm die Sicht aus seinem Komfort apartment im achten Stock. Außer dem war in der Industriestadt Chi cago der Himmel nie so strahlend blau und das Morgenrot nie so kräf tig rot wie in diesen von Abgasen und Industriequalm verschonten Gegen den. William C. Cornwell war begeistert von der Natur, die sich ihm hier un verdorben bot. Nach dem geplatzten Prozeß in San Francisco mußte er sich zu sei ner eigenen Sicherheit unter ande rem Namen einen neuen Wohnsitz suchen. Er war fest entschlossen, aufs Land zu ziehen. Sein finanziel les Polster war groß genug, daß er sich nicht mit einer Bretterbude be gnügen mußte. Der Verkauf seines Juweliergeschäfts und seines Apart ments würde darüber hinaus genug abwerfen, daß sich William C. Corn well bis zu seinem Lebensende den Hobbies widmen konnte. Doch wenn alles so laufen sollte, mußte er mit der Mafia erst ins reine kommen. Cornwell war in Gedanken ver sunken. Er war froh, daß er aus dem 13
Kreislauf der Hektik, des Gewinn strebens und des permanenten Stresses herausgerissen wurde, der Grund spielte für ihn keine Rolle. Cornwell hatte zu sich gefunden und seine Liebe zur Natur entdeckt. Andere müssen dafür nach Indien fahren, um sich in der Kunst des Selbsterkennens und des Zufrieden seins unterweisen zu lassen. Ich habe es allein geschafft, dachte er. Fast al lein. Mit seinen Gedanken und Plänen beschäftigt, blickte Cornwell aus dem Abteilfenster, da meldete sich plötzlich der eingesperrte Mafioso. Sofort wurde Cornwell wieder unsi cher. „Laßt mich raus aus diesem Stall, oder ich schlage den ganzen Wagen in Fetzen!" brüllte der Krauskopf. Tritte gegen die Tür waren zu hö ren. Sie sprang auf. Der Polstersessel rutschte eine Handbreit auf William zu und kippte um. Die Tür schlug wieder gegen den Sessel und beförderte ihn aus der Bahn. Sekundenbruchteile später fegte die Tür noch einmal herum und knallte gegen die Abteilwand. Flüche hagelten William C. Corn well entgegen. Schimpfworte der übelsten Sorte trafen ihn und - ein Kaugummi. Der Kaugummiliebha ber, den William nur als Krauskopf kannte, hatte ihm den Gummi ins Gesicht gespuckt. Entsetzt sprang William auf, durchquerte in riesigen Sätzen das Abteil und beförderte die Wasch raumtür mit einem heftigen Tritt zurück ins Schloß. Während eine neue Schimpfkano nade durch die geschlossene Tür auf 14
William hereinbrach, nahm der Ju welier wieder auf seinem Bett Platz. Er konnte sich ein Lächeln nicht ver kneifen, da er momentan in der bes seren Position war. Schlagartig wur de ihm aber der Ernst der Lage be wußt; sie war für Cornwell kompli ziert und beinahe hoffnungslos. Doch er war allein mit seinem Schicksal. Wieder ging die Tür auf. Langsam. Geräuschlos. Der Krauskopf richtete sich auf, nachdem er die Tür dieses Mal auf die normale, einfache Art geöffnet hatte. Unbewußt rutschte William auf seinem Sofa nach hinten bis an die Wand. Jetzt sah er den Krauskopf zum ersten Mal in voller Größe. Sei ne Augen glitten von der AfrolookFrisur, die eigentlich schon wieder aus der Mode war, über das Gesicht des Mannes. Er sah überhaupt nicht aus wie ein Schläger oder ein Krimineller. Doch die braunen Augen, die William an starrten und ihn wie Pfeile durch drangen, verrieten die Entschlossen heit des Eingesperrten. Während der nächsten Sekunden des Schweigens zuckten William zahlreiche Gedanken unkontrolliert durch das Gehirn. Sie waren fast alle der Angst entsprungen, die William trotz der Waffen verspürte. Und sie beschäftigten sich mit dem Fortgang des Geschehens. Wie würde sich der Krauskopf ver halten? War das Waschbecken stabil genug, um die Kräfte des Mannes zu bändigen? Konnte er sich überwin den, im Notfall wirklich auf einen Menschen zu schießen? - Nein, das war ja überhaupt nicht nötig, sie wa
ren doch Partner. Schlechte Partner, dachte Cornwell. William C. Cornwells Gedanken kette wurde unterbrochen. Er hoffte auf eine rasche Beendigung der ma kaberen Situation, rechnete fest mit einem Bahnhof, mit Leuten, die ein steigen, ihn befreien und den Gang ster verhaften würden. Gleichzeitig sollte seine Tochter irgendwo befreit werden. Wunschdenken. Williams Hoffnung erfüllte sich nicht. Der Fernzug hielt zwar, doch er nahm schon nach wenigen Sekun den die Fahrt wieder mit voller Kraft auf. Lokführerwechsel. Arbeitsscheue Kerle. Gewerkschaft. Warten. Wie der gerieten die Gedanken des Juwe liers außer Kontrolle, ließen sich lei ten von Instinkten und dem Willen zu überleben. „So, du Witzfigur", sprach jetzt der Krauskopf den Juwelier an. „Du nimmst mir jetzt die stählerne Acht ab, und zum Dank dafür laß ich dich leben, okay?" Er nickte. „Der Boß legt dich sonst eigenhändig um, da bin ich ganz sicher." William dachte nicht im Traum daran, dieses „Angebot" anzuneh men. „Du machst diese Reise nicht mit, weil du AMTRAK-Fan bist oder dir den mittleren Westen bei Nacht ansehen willst", erwiderte der Juwe lier. Die ersten Worte kamen ihm nur zögernd über die Lippen, dann wur de er aber schneller und wollte es dem Profi-Gangster zeigen. Sie steigerten sich in ihren Wort wechsel hinein, und der Mafioso er kannte, daß sein Gegenüber nicht im Traum daran dachte, ihn zu befreien. Deshalb griff er zu anderen Mitteln.
Er versuchte, den Juwelier zu verun sichern. „Du brauchst gar nicht zu warten, daß dich dein Beschützer hier noch einmal besucht. Der hat die Schnau ze längst gestrichen voll. Mein Freund, verstehst du, der mit der Le derjacke, der ist bärenstark, der macht deinen Freund gerade zu sei nem Schuhputzer, kapiert? Denk lieber an unser Angebot und an deine Tochter!" William lief es bei der Schilderung eiskalt den Rücken hinunter, denn der Umgang mit der Unterwelt ko stete ihn mehr als Nerven. Aber auch jetzt gelang es ihm, die Ruhe zu be wahren, denn er vertraute Franco Solo, dem Mann, den er erst vor we nigen Stunden kennengelernt hatte. Der Krauskopf wurde wütend und riß mit beiden Händen an den Hand schellen - vergeblich. „Deine letzte Chance ist das: Pack zu, oder ich kann auf dich keine Rücksicht nehmen", sagte er dro hend. William klammerte sich im wahr sten Sinne des Wortes an seinen bei den Luger fest, aber er hielt durch. Der Krauskopf konnte das nicht verstehen. „Warum mischt du kleiner Schei ßer dich in unsere Sachen ein?" frag te er. Daß es der Mafioso in der Hauptsa che auf den Juwelier abgesehen hat te, um dessen Aussage vor dem Ge richt in San Francisco zu verhindern, verschwieg er selbstverständlich. Gerade hatte sich William gefan gen, als der Krauskopf in dem Waschraum wie ein Berserker an fing herumzutoben. Sein ganzes Ge 15
wicht setzte er ein und zerrte an den Handschellen. Laut krachte er zu Boden. Für Sekundenbruchteile übertönte er das Warnsignal der führenden Diesellok. Ein unbe schrankter Bahnübergang wurde durchfahren.
Vorsichtig und mit kleinen Schrit ten durchmaß Franco Solo den er sten Großraumwagen. Fast alle der drehbaren Schlafsitze waren in Fahrtrichtung gestellt. Sie waren restlos mit Reisenden belegt. Manche AMTRAK-Kunden hatten im Schlaf ihr Gesicht zur Seite ge dreht. Sie konnte Franco Solo des halb nicht genau erkennen. So orien tierte er sich auch an Kleidungsstük ken oder Frisuren, um Unsicherhei ten auszuschalten. Obwohl das in dem diffusen Licht nur schwer mög lich war. Für den ersten Großraumwagen benötigte Franco Solo eine halbe Mi nute. Kaum länger brauchte er für den folgenden Großraumwagen. Darin waren allerdings zwei Plätze nicht besetzt. Vielleicht ist der Kerl in den Spei sewagen gegangen, überlegte Fran co. Kann aber auch sein, daß sich mein spezieller Freund hier einge mietet hat. Unbehindert erreichte Franco Solo den letzten Wagen des Zuges. Ziel strebig und mit Ausreden, auf die je der Vertreter stolz gewesen wäre, schaffte er es, in jedes Abteil einen Blick zu werfen. Gerade schloß Franco Solo die Tür des letzten Abteils. Hatte er den Ma 16
fioso übersehen? Sich von ihm aus tricksen lassen? Er mochte es nicht glauben, denn er hatte sich jeden Reisenden angesehen. Unwillig drehte er sich um, wollte Williams aus dessen ungewohnter Lage schnellstens befreien. Drei Schritte hatte er zurückge legt, da fiel ihm siedenheiß ein - der Gepäckraum am Ende des Wagens. Zurück. Leise und langsam pirschte sich Franco Solo an. Dann stand er vor dem Gepäck raum, in den die Reisenden ihre Sa chen abstellten, die kein Abteil ge mietet oder einfach zu viele Koffer mitgenommen hatten. Franco verharrte für Sekunden vor dem dunkelroten Leinenvor hang. Dann schob er ihn abrupt zur Seite. Ein mit einem Totschläger bewaff neter Männerarm sauste auf Franco Solo nieder. Reflexartig wich er zur Seite und entging um Haaresbreite dem An griff. Während er auf Distanz tänzel te, baute er seine Deckung auf. Erneuter Angriff. Der Kerl stöhnte durch die Kraftanstrengung, schick te einen kurzen Fluch hinterher und holte mit dem Mordinstrument aus. Franco wich zurück, doch die be grenzten Räumlichkeiten engten sei nen Aktionsradius ein. Während er mit seinen Augen den Totschläger fi xierte, erkannte Franco in seinem Gegenüber den Mann, den er gesucht hatte. Der Lederjackenträger war auf ein rasches Ende des Kampfes aus. Franco konnte die Kraft förmlich se hen, die hinter dem angesetzten Hieb
saß. Er reagierte, wie er es in vielen Trainingsstunden gelernt hatte. Side step. Abwehr des gegnerischen Schlages mit einem hochgestreckten Arm. Wütend stand der Mafioso Franco gegenüber. Er hatte mit einem dumpfen Aufschrei den Totschläger aus der Hand gleiten lassen. Der Auf prall gegen Francos durch unzählige Trainingsstunden gestählten Arm war hart. Doch dem Nachfassen des Agenten hatte er sich durch eine Blitzreaktion entziehen können. Beide Männer schienen in der Kur ve, die der „San Francisco Zephyr" beschrieb, wegen der Fliehkraft die Blance zu verlieren. In der Kurve griff der Lederjak kenträger erneut an. Er nutzte den Schwung aus, baute die Zentrifugal kraft in seinen Angriff mit ein. Statt des Totschlägers, den er gerade im Kampf verloren hatte, hielt er nun ein Stilett in der Rechten und stürm te los. Damit hatte Franco nicht gerech net. Jetzt konnte er sich nicht länger nur auf das Verteidigen beschrän ken. Schließlich wollte er überleben und sich nicht von einem Mafioso ins Jenseits befördern lassen. Franco Solo parierte mit dem lin ken Unterarm, packte im Nachfas sen den Arm des Mannes und holte ihn zu sich heran. Dann zog er den Angreifer in bester Karatemanier auf sein Knie und versetzte ihm mit einem Ellenbogenhieb das Aus. Der Mann hatte keine Chance mehr. Die nächsten Stunden würde er dringend brauchen, um sich von dem Schlagabtausch zu erholen. Franco kämmte sich und wischte
sich den Schweiß von der Stirn. Sein Gegner lag auf dem Boden und stöhnte. „Beklage dich nicht", meinte Fran co in einem Anflug von Galgenhu mor, „die Schmerzen hättest du dir ersparen können." Nach einer kurzen Verschnauf pause hob Franco den Mann auf und legte sich dessen linken Arm um die Schulter. „Packen wir's", meinte er. „William macht sich sonst noch Sorgen um mich." Ein Lächeln huschte über sein Gesicht. Doch er machte sich nichts vor. Seinen Auftrag hatte er noch längst nicht erfüllt. Wie er dem She riff des nächsten Ortes die Sache er klären sollte, wußte er auch noch nicht genau. „Kann ich helfen?" bot sich ein Reisender an, als er das ungleiche Gespann auf dem Gang des Zuges traf. „Nicht nötig", antwortete Solo kurz. „Ihm ist schlecht geworden, er verträgt das Zugfahren nicht", sagte er noch, um den älteren Mann nicht zu schockieren. Einige Augenblicke später stand Franco mit dem Mafioso vor seinem Schlafwagenabteil und gab das ver abredete Zeichen. William C. Cornwell öffnete sofort die Tür. „Hab schon geglaubt, du kämst überhaupt nicht mehr. Was ist denn passiert?" fragte er. „Der Kerl", er zeigte auf den Krauskopf, „hat sich wie ein Wilder aufgeführt." „Schon gut", beruhigte ihn Franco Solo und schleifte den zweiten Mafio so in das Abteil. Er setzte ihn vor die Tür des Waschraums, und einen Au 17
genblick später zog er aus seinem spärlichen Begleitgepäck ein dünnes, starkes Nylonseil. „Jetzt können wir uns für den Rest der Reise nicht mehr waschen", sagte William erschüttert. „Jeder Wasch raum wird von der Mafia bewacht." „Das wird keine große Umstellung für dich sein", entgegnete Franco So lo trocken. „Was?" „Dich eine Weile nicht zu wa schen." Sie lachten beide und beschlossen, im Speisewagen etwas gegen den Durst zu tun, sobald sie den zweiten Mann gefesselt im Waschraum un tergebracht hatten.
Eine knappe halbe Stunde hatten sich Franco Solo und William C. Cornwell im Speisewagen aufgehal ten, gegessen und getrunken. Ungeduldig rutschte William auf seinem Sessel hin und her und faßte Franco am Arm, der ihm gegenüber saß. „Ich muß zurück und die Perücke lüften, sonst bekomme ich noch Flö he auf den Kopf." Franco nickte, und sie machten sich auf den Weg zurück in ihr Ab teil. Zwei ältere Damen begegneten ih nen auf dem Gang. Franco und Wil liam ließen die beiden aufgeputzten Grazien passieren. Die Frauen sahen aus, als ob sie zum Kaffeekränzchen gehen woll ten. Vielleicht beabsichtigten sie auch nur, die ersten im Speisewagen zu sein, um nicht für eine Tasse Kaf 18
fee anstehen zu müssen. Der Fernzug war zu fünfundneunzig Prozent be setzt, und alle Reisenden wollten auf ihrer Fahrt versorgt werden. Auch den beiden Damen war dieses klar. Wenig später erreichten die beiden Männer ihr Schlafwagenabteil. Wil liam zog den Spezialschlüssel aus dem Jackett und öffnete die Tür. „Schlaf nicht ein", nörgelte Franco Solo. „Ich denke, du hast Kaffee ge trunken, also müßtest du ein wenig frischer sein." „Die Sache reißt doch ziemlich an meinen Nerven", sagte William C. Cornwell. „Da fällt mir ein, ich habe meine Rolex vergessen. Auf dem Frühstückstisch im Speisewagen liegt sie. Ich hole sie schnell." Franco hielt den Mann am Arm zu rück. „Ich habe dir schon einmal gesagt, daß du nicht allein durch den Zug gehen sollst!" sagte er. „Willst du mich arbeitslos machen?" „Du weißt, was eine Rolex kostet. „Ich möchte das teure Ding nicht verlieren." „Verständlich!" antwortete Fran co. „Schließ dich ein. Ich gehe. Ver giß unser Zeichen nicht."
Wie ein vorbeifegender Autoschat ten verschwand William im Abteil und verschloß mit flinken Händen die Tür. „Geschafft", stieß er hervor. „Jetzt geht's los, Männer. In vierzig Minu ten sind wir in Fort Morgan. Dort werden wir erwartet. Habt ihr das Sprechen verlernt?" Cornwell hatte es sich anders überlegt. Seine Toch
ter war ihm wichtiger als alles ande re. Er mußte sie retten. Sam Clapton, der Mafioso mit der Lederjacke, und Richard Water man, der Krauskopf, sagten fast wie im Chor: „Okay, ,Boß'." Sie merkten, daß Cornwell sich jetzt auf ihre Seite geschlagen hatte. Er wirkte erleich tert, einen Entschluß getroffen zu haben. „Los, beeilt euch!" fuhr William die Männer an. „Ihr habt gemerkt, daß dieser Solo Köpfchen und stahlharte Fäuste hat." Clapton und Waterman beeilten sich tatsächlich, drängelten sich in dem engen Waschraum beide zur sel ben Zeit hoch und hielten ihrem „Boß" die eiserne Fessel und das Ny lonseil hin. Der Juwelier fischte mit einer ge schmeidigen Bewegung den Hand schellenschlüssel und ein Messer aus der Tasche. Sekunden später waren die Gangster frei. „Zurück in das Kabuff!" befahl der Juwelier mit harter Stimme. „Und verschlaft das Zeichen nicht. Laßt die Handschellen nicht fallen." „Ja, ja." „Setzt euch wieder hin." „In Ordnung", sagte Sam Clapton lahm. „Ruhe! Er kommt!" Franco Solo klopfte an die Tür. Das verabredete Zeichen. William C. Cornwell öffnete die Tür, als ob nichts gewesen wäre. „Alles klar?" fragte Franco. „Was soll schon sein? Die Unter welt-Könige haben die Nase gestri chen voll. Sieh dir mal ihre verbeul ten Gesichter an." „Die Kerle ekeln mich an", entgeg
nete Franco Solo und sah statt dessen aus dem Fenster. Die triste Nacht war einem strah lendblauen Frühlingstag gewichen. Franco bedauerte es, sich jetzt gera de mit einem Fall beschäftigen zu müssen. Er hätte viel lieber die auf gehende Sonne in einer anderen Ge gend betrachtet, ohne Arbeit im Nak ken. Er mußte sich endlich einmal ei ne längere Pause gönnen. Doch dar an war die nächsten Tage nicht zu denken. Sobald er William in Schutz haft gebracht hatte, sollte er auf dem schnellsten Weg zurück. Es schien, als hätte die Mafia in den letzten Wo chen zu einem Großangriff ange setzt, um weitere Bereiche der Wirt schaft unter ihre Kontrolle zu brin gen. Franco drehte sich um. Seine Blik ke glitten von den beiden Mafiosi zu Cornwell, den er nur als Juwelier kannte. Die Füße auf den Sessel gelegt, saß Cornwell in gönnerhafter Position auf der Couch, eine Luger in der Hand, die andere auf dem Bett. „Du gefällst dir langsam in deiner Rolle", meinte Franco. „Glaub aber nicht, daß dieser Job ein Zucker schlecken ist." Cornwell lächelte weise. „Setz die Perücke wieder auf", sag te Franco Solo mit fordernder Stim me. „Wenn meine Mutter mich mit dier Perücke..." Das war das Zeichen. Wie beim Sommerschlußverkauf die Frauen, stürzten sich Sam Clap ton und Richard Waterman, die Ma fiosi, durch die Tür auf Franco Solo. Sprungbereit hatten sie im Wasch 19
raum des Schlafwagenabteils ge hockt. Und sie ließen Franco keine Chan ce. Richard Waterman, der Kraus kopf, packte Franco Solos Füße und beide Beine. Sam Clapton schoß die gestreckte Gerade vor. Franco sackte sofort zusammen. Er hatte Sekundenbruchteile zuvor die Lage noch richtig einschätzen kön nen und bemerkt, daß William C. Cornwell ebenfalls ein Mitglied der Mafia war oder für sie arbeitete. Alle drei hatten sie ihn hereingelegt. Franco Solo hätte über die Sekun de vor dem Niederschlag ein Buch schreiben können. Oft berichten Menschen, die um Haaresbreite dem Tod entgangen waren, was sie in den letzten Sekunden vor ihrem „Able ben" erlebt hatten. So war es auch jetzt bei Franco. Mit einem kleinen Unterschied. Der Agent Solo sollte nicht getötet werden. Oder jetzt noch nicht. Diese Männer hatten etwas mit ihm vor. Diesen Gedanken fortzudenken, dazu hatte Franco Solo keine Gele genheit mehr gehabt. Besinnungslos lag er auf dem Teppich des luxuriö sen Zweibettabteils. „Ihr Flaschen!" sagte William C. Cornwell. „Um ein Haar hättet ihr alles vermasselt." „Boß, wir ..." „Halte keine Märchenstunde. Sieh lieber nach, ob du bei unserem Su permann noch Waffen findest!" „Okay!" „Und du, Richard, du räumst hier etwas auf." Begeisterungsrufe waren nicht zu 20
hören, aber der Mafioso hielt sich an die Anweisung. Der Juwelier gab den Männern den Fortgang des Unternehmens be kannt. „Ihr helft ihm wie einem Gehbe hinderten aus dem Zug", sagte er. „Auf dem Bahnsteig steht einer mit einem Rollstuhl. Da packt ihr Solo rein." „Wissen wir selbst." In zehn Minuten würde der „San Francisco Zephyr" in den Bahnhof von Fort Morgan einfahren. Franco Solo sah nicht die spärliche Häuserkulisse am Stadtrand, aber er war fest davon überzeugt, daß sie in wenigen Augenblicken die Stadt er reichten. Er lag auf dem Boden, war gerade dem erzwungenen Schlaf entronnen und suchte seine Gedanken zu sam meln. Der Zug setzte seine Geschwindig keit permanent herab. Franco Solo fühlte seine Annahme bestätigt. Sie würden binnen kurzer Zeit anhalten. „Seht ihn euch an", sagte Richard Waterman herablassend. „Er hat sei nen Vormittagsschlaf beendet. Wir können also gleich aussteigen." „Wann wir aussteigen, bestimme ich", meinte William, der Juwelier. „Schon gut, Boß. Ich wollte ja nur..." William C. Cornwell schnitt Wa terman das Wort ab. „Jetzt sitzt du ganz schön in der Tinte, Solo. Dein Arbeitgeber wird nicht mit dir zu frieden sein. Hast dich aufs Glatteis führen lassen, aber meine Tochter ist mir wichtiger als deine Wenigkeit." Seine Stimme strotzte vor Hohn und Schadenfreude. War sie echt?
„Noch ist nicht aller Tage Abend", entgegnete Franco. „Vielleicht wer det ihr mich schon in kürzester Zeit anflehen, ein gutes Wort für euch bei dem Staatsanwalt einzulegen." Während Franco Solo das sagte, machte er Anstalten, aufzustehen. So, als ob nichts geschehen wäre. Wenn die mich hätten umlegen wol len, überlegte er, hätten sie Schall dämpfer vorgeschraubt, und mein Leben wäre zu Ende gewesen. Von diesem Gedanken geleitet, versuchte Franco, sich wie ein Sprin ter vom Boden hochzuschnellen, auf die drei Männer zu. Die polierten Männerschuhe zeig ten ihm die Richtung an, in die er hechten mußte. Franco glaubte leichtes Spiel zu haben, doch die drei Männer waren auf der Hut. Nach einem schweren Körpertref fer, den er von Sam Clapton einstek ken mußte, lag er da, wo er gestartet war, nämlich auf dem Teppich des Schlafwagenabteils. Gelächter ertönte. „Damit alles klar ist", sagte Wil liam. „Dein Leben gegen das meiner Tochter. Sie wollen dich lebend, aber wenn es nicht anders geht - päng. Ich hoffe, du verstehst das." Franco Solo antwortete nicht, stieß aber laut die Luft aus. „Aufstehen!" kam der Befehl. „Du gehst ganz langsam mit uns zusam men zum Ausgang, steigst mit uns aus und fährst mit uns spazieren." Franco Solo erhob sich und tat, wie ihm von seinem Ex-Mitreisenden be fohlen worden war. Ohne seine Beretta fühlte er sich nackt. Aber in den Händen seiner
drei Bewacher wußte er mindestens drei Schußwaffen und den Totschlä ger. Der Zug stand bereits einige Se kunden, und der Ansturm auf die Ausstiege war vorüber, als sich die ungleichen vier auf die Tür zube wegten. Vorneweg Sam Clapton, der Mann mit der Schweinslederjacke, gefolgt von Richard Waterman, dem Krauskopf und leidenschaftlichen Kaugummikauer. Als dritter mar schierte Franco Solo. Den Schluß bil dete William C. Cornwell. Dieser Ju welier, der Franco erzählt hatte, ein Gegner der Mafia zu sein, hatte die rechte Hand in der Jackentasche und wahrscheinlich den Finger am Ab zug. Wenige Augenblicke später stan den die vier Männer auf Bahnsteig zwei. Die Normaluhr zeigte 8 Uhr 44. Der „San Francisco Zephyr" war nur mit wenigen Minuten Verspätung in Fort Morgan, der Stadt in den Great Plains, eingelaufen. Vier Minuten, die für Franco Solo im Moment so unwichtig waren wie vier Regen tropfen mehr oder weniger bei einem Platzregen. Was er brauchte, war eine Chance. Eine Gelegenheit, um sich von den „Gentlemen" grußlos und schnell zu entfernen, bevor sie ihn auf ihre Art zum Reden brachten. „Los, setz dich in den Rollstuhl!" klang Cornwells Stimme hart hinter Solo auf. Franco Solo zögerte. Mit netten Blicken und Gesten, die aber überhaupt keine Freundlich keit bedeuteten, zog sich der Ring um Franco Solo enger. 21
Er hatte den Mafiosi im Moment nichts entgegenzusetzen, und so nahm er auf dem Rollstuhl Platz. Ohne von der Gruppe groß Kennt nis zu nehmen, begrüßten sich Rei sende und Wartende. Sie lachten und riefen und verließen mit ihrem Ge päck den Bahnsteig. Franco hatte gerade eine üppige Blondine fixiert, als einer der Ma fiosi den Rollstuhl in Bewegung brachte. „Schieb die Verabredung mit der süßen Blonden auf!" sagte Solos Chauffeur mit einem spöttischen Un terton in der Stimme. Zügig ging die Fahrt über den Bahnsteig, durch das Bahnhofsge bäude und auf einen Dodge-Liefer wagen zu, der auf dem Bahnhofsvor platz stand, eskortiert von seinen Be gleitern. Dem Mafiajäger fiel ein, daß er den Fahrer des Dodge bereits einmal in einem Fahndungskatalog gesehen hatte. An das Delikt erinnerte er sich nicht mehr. Die Männer, die ihn im Zug hereingelegt und überwältigt hatten, waren ihm bis zum heutigen Tage unbekannt gewesen. Der Fahrer stand neben dem Dod ge und öffnete die Türen. Die Män ner packten an und hoben Franco mit dem Fahrstuhl in den Innen raum des Lieferwagens. Zwei Mafiosi sprangen in den Füh rerraum, die drei anderen scharten sich um Solo. Mit bürgerlicher Fahrweise schob sich der Dodge durch die Straßen. Nicht auffallen, war die Devise. Hinaussehen konnte Franco nicht. Der Lieferwagen hatte keine Fen ster. 22
Fünfzehn Minuten waren sie etwa unterwegs gewesen, bis er auf diesel be Art aus dem Wagen gehoben wur de. Von der geräumigen Garage ging es sofort ins Wohnhaus.
Sie kamen in eine riesige Vorhalle, wie sie Franco Solo aus alten Villen kannte. Marmorfußboden, Porzellanfigu ren und teure Teppiche der verschie densten Herstellungsländer ließen den Reichtum des Hauseigentümers erahnen. Während einer von Francos Be gleitern verhalten an die monströse Eichentür zu Francos Rechten klopf te, nahmen die anderen vier um ihn herum Aufstellung. Keiner hatte eine Pistole oder eine andere Waffe in seinen Händen. Sie blickten ihn stumm an. Desinteres siert, scheinbar müde und unwillig. Doch das Verhalten der Männer war nur ein Ausdruck ihrer Lässigkeit und der Selbstsicherheit. Franco suchte fieberhaft nach ei nem Ausweg. Verteidigungsszenen, die er selbst oft im Training durchge spielt hatte, liefen in seiner Vorstel lung ab. Er war entschlossen, es zu versuchen, soblad er herausbekam, welcher Art die elektronische Türsi cherung war. Was nutzte ihm der siegreiche Kampf gegen die Muskel pakete, wenn er an der verriegelten Tür wertvolle Sekunden verlor. Richard Waterman, den Franco als Krauskopf von ihrer gemeinsamen Zugfahrt kannte, winkte ihm von der Tür zu. „Reinkommen!" Die Gruppe bewegte sich mit ha
stigen Schritten auf die Eichentür zu. „Soll ich jetzt in einer Fahndungs Einer begleitete Franco in das Ar liste nachsehen, ob ich Sie finde?" beitszimmer des Mafiabosses. Die „Können Sie, aber es wird Ihnen übrigen postierten sich vor der Tür. nichts mehr nützen", erwiderte der Während Franco Solo auf dem Sitz Grauhaarige. „Wir haben eine Bitte, gegenüber dem Boß Platz nehmen stellen danach einige höfliche Fra mußte, blieb der Krauskopf hinter gen und hoffen auf ebenso höfliche Antworten. Wenn nicht, lassen Sie ihm stehen. „Sie habe ich mir schon lange ge sich überraschen ..." wünscht", begann der Boß der Mafio Franco Solo hatte ein ungutes Ge si. Seine Stimme brummte wie ein fühl in der Magengegend. Langsam Kontrabaß und hatte scheinbar das drehte er den Kopf nach links und Volumen einer Eintausend-Liter- blickte in einen Revolverlauf. Tonne. „Ist die auch geladen?" fragte er. „Darauf kannst du dich verlassen, „Ebenfalls erfreut, Ihr Schlupf loch, pardon, Ihre Zentrale kennen du Scheißer!" zulernen", erwiderte Franco. Seine „Waterman, halte dich zurück. Wir Stimme klang um keinen Deut weni sind doch Gentlemen", sagte der Boß. ger selbstsicher als die des Mafia Waterman nickte und verzog bei mannes. Er wußte genau, daß es sich seinem Lächeln das Gesicht zu einer bei diesem Sonnenbrillenträger nur Grimasse, die jedem Kind Angst und um einen Unterboß handelte. In der Schrecken eingejagt hätte. Vertretersprache würde man ihn „Ich wollte mich vorhin vorstel Gebietsleiter oder Revierbeauftrag len", sagte der Boß. „Parisi, Luigi Pa ten nennen. risi. Neapolitanischer Hochadel." Der grauhaarige Herrscher dieses „Und der mit der Wasserpistole?" Hauses schien sich trotzdem in dem „Heißt Richard Waterman, ge luxuriösen Bau wie ein kleiner Kö nannt Richi, der Schöne." nig zu fühlen. Er thronte hinter ei „So schön finde ..." nem mächtigen Mahagoni-Schreib „Zur Sache!" unterbrach ihn Luigi tisch, der über und über mit Magazi Parisi. Er ging zum Du über, und sei nen und Akten beladen war. Hinter ne Stimme klang um einen Ton dem Schrank von einem Kerl schärfer. „Du greifst dir jetzt den schmückten Bilder berühmter Maler Hörer und rufst in Frisco an. Die die Seidentapete. Nummer der Staatsanwaltschaft „Echt?" fragte Solo und zeigte mit liegt auf dem Tisch. Lesen kannst du dem linken Daumen auf einen Re selbst." noir. „Und was soll ich denen mitteilen?" „Es ist keine Mitteilung, sondern „Ja, ich hoffe, Sie gönnen mir mein bescheidenes Hobby." Der Grauhaa eine gutgemeinte Warnung. Erzähl rige sah Franco an. „Ich möchte mich ihnen, daß sie meine Jungs sofort aus vorstellen, damit Sie wissen, wem Sie den Zellen freilassen sollen, sonst diese nette Einladung verdanken", werden sie die Beerdigung ihrer An fügte er mit beißendem Hohn hinzu. gehörigen vorbereiten können." 23
„Und was habe ich davon?" fragte Franco Solo. „Eigentlich nichts. Ich lasse dich einige Stunden länger am Leben, ein gutes Abendessen springt außerdem dabei heraus." Franco Solo ahnte nun die Zusam menhänge. Die Mafiosi hatten Corn well, der gegen Parisis inhaftierte Söhne im Prozeß aussagen sollte, er preßt. Mit Cornwells Tochter als Geisel zwangen Sie ihn, Franco zu verraten. Mit ihm als Geisel verlang ten sie die Freilassung der Söhne. Franco winkte ab. „Behaltet euren zusammengeklauten Fraß! Mit sol chen Schweinen, wie ihr es seid, ma che ich keine Geschäfte." „Er hat Schwein gesagt", murmelte Waterman vor sich hin. „Boß, soll ich ihm dafür was in den Nacken schla gen?" „Nein, beim nächsten Mal. Er ist neu bei uns. Laß ihn sich erst an uns gewöhnen." „Lohnt sich das überhaupt für die kurze Zeit?" Waterman ließ nicht locker. Er wirbelte die Waffe um den Finger und tat so, als ob er im näch sten Moment zuschlagen würde. Doch gegen den Befehl seines Bosses zu handeln traute er sich nicht. Zentimeter über Francos Kopf kam die stahlbewehrte Faust zum Stillstand. „Also, wir sind uns einig", sagte Pa risi. „Du rufst die Staatsanwalt schaft an und gibst deine Botschaft ab. Sie haben bis Mitternacht Zeit. Spätenstens dann will ich von mei nen Jungs die Bestätigung hören, daß sie sich auf freiem Fuß befinden. Auf welche Weise meine Jungs den Knast verlassen wollen, ist für die 24
Staatsscheißer ein Befehl. Die wis sen schon, was sie wollen. Es sind meine Jungs. Die haben alle guten Ei genschaften von mir mitbekommen." „Und wenn ich nicht will?" testete Solo die Entschlossenheit seines Ge genübers. „Wäre schade um die Angehörigen der Staatsbediensteten. Du wirst dieses Haus ohnehin nicht lebend verlassen. Aber ich dachte, du wür dest deinen Mitmenschen einen letz ten Dienst erweisen. Wenn nicht, müssen wir uns einen anderen su chen. Es muß ja nicht gleich der Prä sident dieser Erdnußrepublik sein." Franco Solo nickte. Bevor weitere Leben in diesem Konflikt aufs Spiel gesetzt werden sollten, würde er in den sauren Apfel beißen. Noch lebte er. Noch hatte er Zeit, das Blatt zu wenden. Auch wenn er noch nicht wußte, wie er das anstellen sollte. „Den Apparat", sagte er. „Zuerst muß ich meinen Arbeitgeber ver ständigen, damit er in Frisco anruft, um meine Angaben zu bestätigen. Wenn die Staatsanwalt glaubt, ei nem Bluff aufgesessen zu sein, platzt das Unternehmen." „Du hast Handlungsfreiheit in die sem Fall." Luigi Parisi gab sich groß zügig. „Hauptsache, die Angelegen heit geht in Ordnung. Du mußt das verstehen, Solo, ich liebe meine Söh ne." „Colonel Warner", meldete sich die dienstlich klingende Stimme am an deren Ende der Leitung. Mit knappen Sätzen erklärte Fran co seinem Chef vom COUNTER MOB die Situation, in der er sich be fand, und er berichtete von den spe ziellen Wünschen, die der Mafioso
geäußert hatte. Mit keinem Wort er wähnte er die Örtlichkeiten, die Na men der Mafiosi oder andere verrä terische Einzelheiten. Seine Absicht war klar. Unter der Aufsicht der bei den Bewaffneten wollte er sich nicht deren Unwillen zuziehen. Sekunden später war das Ge spräch beendet. Franco Solo hatte von seinem Chef schweren Herzens die Zustimmung zu diesem Unter nehmen erhalten. „Okay! Jetzt die Staatsanwalt schaft in Frisco!" befahl Luigi Parisi seinem Gefangenen. „Die Zeit ist knapp und kostbar." Es schien, als wollte sich kein Be amter der Staatsanwaltschaft zur Entgegennahme des Telefonats be reit erklären. Endlich wurde der Ma fiajäger seine Mitteilung los. Zö gernd nur kam ihm die Mordandro hung über die Lippen. Leichter hör ten sich die Worte an, als er um Ver ständnis für seine Drohung warb. „ . . . ich bin nur deren Werkzeug. Warten Sie bitte auf den Anruf des Justice Department!" Grußlos verabschiedeten sich die Fernsprechteilnehmer. „Was wird nun aus dem Abendes sen?" „Keine Sorge, Solo, ich halte mein Wort, egal was ich auch verspreche. Du wirst mir aber zustimmen, wenn ich am Vormittag noch keinen Kohl dampf, Verzeihung, ich meinte na türlich Appetit, auf ein Abendessen habe. Bring ihn raus." Mit vorgehaltener Waffe begleitete Waterman Franco zur Tür. Auf ein Klingelzeichen des Bosses wurde die Eichentür von außen geöffnet. We nig später geleiteten die Mafiosi ih
ren Gefangenen in eine provisori sche Zelle. Ein umgebautes, nicht ge rade angenehm riechendes Zimmer im Kellergeschoß. Die Tür schlug hinter Franco ins Schloß. Es war eine doppelwandige Eisentür, die als Feuerbarriere Ver wendung findet. Zusätzlich wurde sie mit einem Eisenriegel gesichert. Franco Solo blickte sich beim Schein zweier schwach leuchtender Lampen in dem Verlies um. Keine Fenster. Ein alter, klappriger Leder sessel als Sitzmöglichkeit. Ein Cam pingclo. Gerümpel. Seufzend setzte sich der Gefangene erst einmal auf den knarrenden Ses sel und dachte nach. Seine Situation war nicht gerade hervorragend. Aber ans Aufgeben dachte Franco nicht. Daran hatte er noch nie ernst haft gedacht.
„Laßt mich durch", sagte Cornwell, der in die Fänge der machthungrigen Mafia geraten war. „Du willst durch, zum Boß? Hast du dir das auch gut überlegt? Meinst du nicht, es wäre besser, du würdest schon einmal deine Angehörigen verständigen. Nur zur Sicherheit." „Ich trete dir ..." „Schon gut", meinte Waterman. „Bevor ich mich von dir anfassen las se, bitte, du wirst schon sehen, was du davon hast." Cornwell stürmte nach dem Öff nen der Tür in das Zimmer Parisis. Die Waffen hatte er sofort nach Beendigung des Unternehmens „San Francisco Zephyr" wieder abgeben müssen. Trotzdem rannte der Juwe 25
lier auf Luigi zu, als liefe er hinter einem Panzer her. Ohne jeden Fun ken Angst. Im Unterbewußtsein voll von seinem Vorhaben überzeugt. Luigi erhob sich aus seinem mäch tigen Sessel. In der Linken die schwarze Brasil, in der Rechten ei nen Smith & Wesson, den er einmal einem FBI-Mann abgenommen hat te. „Na, Kleiner, willst wohl heim zu deinen Uhren..." „Sie haben versprochen, meine Tochter und mich freizulassen, so bald wir Solo aus dem Zug geholt hätten." Cornwell bremste einen Schritt vor dem herrschaftlich aus sehenden Parisi. Die Bleispritze war nicht ohne Wirkung auf seinen Sturmlauf geblieben. „Deine Tochter lassen wir auch laufen, sie hat niemanden von uns gesehen. Aber dich, ich meine, du verlangst etwas zu viel. Überleg mal, welches Risiko wir eingingen." „Ich verrate euch nicht, ich schwö re es euch." „Spar dir deine Schwüre!" „Richard, bitte bring den Schrei hals auf die Toilette. Er muß austre ten." „Okay, Boß." „Ach, Richard, habt ihr den Möbel wagen bestellt? Wir müssen unsere Gäste irgendwie loswerden." „Schon geschehen, Boß." „Ich sehe, ich kann mich auf meine Mitarbeiter verlassen." Richard Waterman, der seit knapp zwei Jahren in Parisis Diensten stand, brachte den schreienden Cornwell hinaus. „Mein Herr, ich zeige Ihnen die schönsten Örtlichkeiten des Hauses", erklärte er. Weniger höflich und zu 26
vorkommend war die Art, in der er den körperlich unterlegenen Corn well abführte. Fünf Minuten später rief Luigi Pa risi seine ganze Truppe zusammen. Er gab sechs Männern Anweisung, was sie im Laufe des Tages zu erledi gen hatten.
„Antiquitäten- und Trödelhänd lern müßte man diese Villa empfeh len", sagte Franco leise vor sich. „Die würden in diesem Gerümpel so man chen Schatz finden." Er bückte sich und sah sich die Gegenstände an, die Reiche als Müll bezeichnen und weg schmeißen. Gerade entrollte er einen Teppich, da fiel ihm ein Abschleppseil ins Au ge. Ein ähnliches lag im Kofferraum seines roten Camaro. Eine todsichere Chance ist das nicht, aber es kann eine werden, wenn die Kerle merken sollten, daß ich sie an der Nase herumgeführt ha be, dachte er. Ohne Rücksicht auf die dicke Staubschicht zu nehmen, schnappte sich Franco das ungefähr fünf Yards lange Nylonseil. Belastbarkeit: acht Zentner, las er. Das muß halten, überlegte er in einem Anflug von Galgenhumor. Außerdem ist es ein deutsches Markenfabrikat, da kann überhaupt nichts schiefgehen. Ohne Zeit zu verlieren, rückte Solo den schweren Ledersessel unter eine der beiden Lampen, kletterte hinauf und legte das Nylonseil über das Ab flußrohr. „Wenn mich das nicht aus hält, muß ich mir den Anzug reinigen lassen."
Mit flinken Fingern band er das Seil an dem Abflußrohr fest und knotete anschließend am anderen Ende eine Schlinge. Sie sah nicht so schön aus wie die Henkerschlingen in manchen Westernfilmen, das brauchten sie aber auch nicht. Solo überprüfte sein Werk, setzte sich anschließend wieder auf den Ledersessel. Jetzt mußte er warten.
Luigi Parisi blickte ruhig auf seine Uhr. Hinter seinem mit Süßigkeiten und Akten überladenen Tisch sah er aus wie ein Jury-Mitglied eines Kon ditorwettstreits. Die süßen Spezialitäten liebte er wie das Geld anderer Leute. Wenn er nicht gerade neue Toffees, Marzi panleckereien oder Schnapspralinen auspackte und in Mengen in sich hineinstopfte, widmete er sich dem Geschäft. Mit seinen zehn Leuten, sechs von ihnen hatte er heute um sich versam melt, gehörte er einem äußerst er tragreichen Geschäftszweig der Ma fia an. Er handelte mit dem glänzen den Metall, das die Damen so sehr lieben, das die Zahnärzte wegen der großen Gewinnspanne so gern ihren gequälten Patienten ins Gebiß ein zementieren. Er handelte mit Gold. „Wo bleibt dieser aufgetakelte Kerl?" fragte Parisi in die Runde. Jeder der versammelten Mafiosi wußte, wer gemeint war. Ihr Boß Pa risi wartete auf Tim Randolph, dem sie den Spitznamen 'Make-up' gege ben hatten. Tim Randolph, der Mann
mit den guten Beziehungen zum Goldschmiedehandwerk. Er war zwar selten pünktlich, aber sonst ein verläßlicher Kerl. Nur ab und zu störte seine Kollegen, daß er seine Beziehungen zu den der Mafia ange schlossenen Goldschmieden allzu sehr pflegte. „Gut, fangen wir ohne unseren Männerheld an." Kaum hatte Parisi die Worte über die Lippen gebracht, stolzierte Ran dolph auf seinen Platz zu. Die Tür hatte er gebieterisch ge öffnet und anschließend auch wieder geschlossen. „Entschuldigt, bitte ..." begann er, „aber ich mußte noch die Haustür überprüfen, wo wir alle hier ..." „Schon gut", unterbrach der Boß seinen schönsten Mitarbeiter. „Ich habe euch heute in mein Haus be stellt, weil wir Besuch haben. Zuerst einmal möchte ich mich bei Clapton und Waterman für ihre fehlerfreie Arbeit bedanken." „Ehrensache, Boß", meinte Sam Clapton. „Möchte wissen, wie dieses Milchgesicht Solo zu seinem Ruf als harter Mann gekommen ist. Hat uns keinerlei Schwierigkeiten bereitet, Boß, war 'ne Kleinigkeit für uns." „Und wie erklärst du dir dein ver beultes Gesicht?" warf Randolph ein. „Du hast ganz schön was abgekriegt. Hat es sehr wehgetan?" Gelächter ließ die harten Männer gesichter etwas freundlicher ausse hen. „Zurück zur Sache", sagte Parisi. „Ihr wißt, daß wir diesen Juwelier erst überreden mußten, mit uns zu sammenzuarbeiten. Als wir seine Tochter dann in unsere Obhut nah 27
men, hat er uns nach anfänglichem Zögern den kleinen Gefallen getan. Mit demselben Dreh möchte ich mei ne Jungs aus dem Knast in Frisco ho len. Sie sind noch jung und nicht so erfahren wie ihr. Bei dem Versuch, die Goldpreise durch Spekulationen in den Griff zu bekommen, hatten sie sich so dumm angestellt, daß sie den Bullen aufgefallen sind. Verzeiht es ihnen. Ihr werdet die liegengelassene Arbeit sicherlich bald aufgeholt ha ben." „Wollten die beiden die Börse in die Luft jagen?" fragte Marcello und in teressierte sich für die genauen Zu sammenhänge, die zur Verhaftung der Männer geführt hatten. „Nein", antwortete der Boß. „So dumm haben sie sich auch wieder nicht benommen. Die haben halt versucht, statt des Köpfchens ein Sti lett einzusetzen." „Und wann beginnt der Prozeß ge gen Ihre Jungs, Mister Luigi?" „Tja, Marcello, der Prozeß gegen meine Süßen wird nie eröffnet wer den, dafür haben wir ja den netten Herrn vom Justice Departement hergebeten. Der Prozeß hätte noch in dieser Woche über die Bühne gehen sollen. Die Verhandlungsdauer war auf wenige Tage beschränkt worden, da die Zeugenaussagen durch nichts umzuwerfen sind. Deshalb meine Gegenmaßnahme." Marcello wollte heute alles genau wissen. „Und was ist aus der Tochter des Goldfingers geworden, Bleiver giftung?" „Nein, war nicht notwendig. Ein al ter College-Freund in Chicago hatte die Sache übernommen und das Girl inzwischen freigesetzt." 28
Make-up-Randolph machte eine abweisende Handbewegung. „Girls ..." Seine Stimme klang wie stöhnendes Entsetzen. „Sobald ich ein Lebenszeichen von meinen Jungs habe, sage ich euch Bescheid. Ich habe einen Möbelwa gen bestellt, mit dem könnt ihr die Kerle abtransportieren und sie an schließend umlegen." „Und warum legen wir die Hunde nicht gleich um? Tack, tack, tack!" „Weil wir die Kerle vielleicht noch brauchen. Es ist noch nicht sicher, daß meine Söhne auf freien Fuß ge setzt werden. Wenn sie binnen einer Stunde nicht bei mir angerufen ha ben und wohlauf sind, wird dieser Solo noch einmal bei der Staatsan waltschaft in Frisco anläuten müs sen." „Boß, ich dachte n u r . . . " Luigi Parisi unterbrach seinen Fahrer. „Mario, überlaß mir das Den ken! Du bist bei mir als Fahrer ange stellt Wir alle schätzen deine Lenk radkünste, aber eben nur diese." „Okay, Boß." „Schon gut." „Und wann geht's los?" „Ich weiß es nicht, aber haltet euch bereit." Dann gab der Boß bekannt, welche Aufgabe er wem zugedacht hatte. Alle waren damit einverstanden, Einsprüche gab es nicht. „Okay", sagte er zum Schluß, „ihr wißt, was auf euch zukommt. Und laßt die Finger von den Whiskyfla schen."
Es fiel Franco nicht leicht, so kon
zentriert viele Stunden lang nach möglichen Laufgeräuschen zu lau schen. Seine Taktik war klar. Nur mußte möglichst bald ein Zusam mentreffen mit den Männern statt finden. Zögerte es sich noch lange hinaus, wurde er müder, unkonzen trierter und durch die fehlende Nah rung auch schwächer. „Mist!" sagte Solo und fluchte, während er die übrigen Jacken- und Hosentaschen nach Streichhölzern oder seinem Feuerzeug abtastete. Vergeblich. In dem Kellerraum herrschte ge spenstische Ruhe, obwohl sich meh rere Leute in der alten Villa aufhiel ten. Doch auch lautes Rufen drang nicht durch die dicken Wände. Nur ab und zu war in dem Kellerraum ein sattes Brummen zu hören. Ausgelöst von Lastern und Straßenkreuzern, die wenige Yards entfernt das Haus passierten. Doch eine Durchgangs straße war es nicht, wie Solo un schwer feststellte. Schritte. Ein dumpfer Knall. Wahrschein lich das Zuschlagen der stabilen Kel lertür. Franco hörte die Schritte näher kommen. Lautere und leisere Schrit te konnte er unterscheiden. Zwei Männer kamen den Gang entlang. Er war ganz sicher. Seine Sinne waren aufs Äußerste gespannt. Langsam erhob er sich. Überlaut erschienen ihm die Ge räusche, obwohl sie nicht lauter wa ren, als wenn jemand ein Buch zu klappt. Während er auf den Ledersessel stieg und sich die vorbereitete Schlinge um den Hals legte, glaubte
er seinen Atem zu hören. Er bildete sich sogar ein, Stimmen zu hören und seinen Herzschlag. Aber er spürte gleichzeitig, daß es Fehlinformationen waren. Sein Ver stand sagte es ihm. Mit dem Gesicht zu der Tür seines Verlieses stand der Mafia Jäger auf dem wuchtigen Sessel. Den Kopf senkte er vorsichtig nach links. Alles, ohne unnötige Bewe gungen zu machen. Er wollte die störanfällige Seilkonstruktion nicht vorzeitig auflösen. Jetzt standen die Mafiosi vor der Tür. Einer hielt einen Topf in der Hand. Hierein hatten sie Überreste des Abendessens gelöffelt. Das Abendes sen, das der Boß dem überlisteten Agenten angekündigt und verspro chen hatte. „Damit er noch einmal satt wird", meinte Waterman zynisch und schubste Clapton an. „Beeil dich, der Topf ist heiß." „Ich kriege die Tür nicht auf", gab Clapton mürrisch zurück, während er mit den beiden Sicherheitsschlös sern herumfuchtelte. Endlich hatte er das erste Schloß geöffnet. Mit dem zweiten kam er nicht klar. Waterman übernahm den Schlüs selbund. „Erst einmal durchs Guck loch sehen, vielleicht ist unser Gast unpäßlich und ..." Sie brachen beide in lautes Lachen aus. Der abfällige Ton war nicht zu überhören. Während sich Clapton in Schläger manier mit seinen Fäusten in der Luft herumfuchtelte, peilte sein Kumpan durch das Guckloch. Es war vor einigen Jahren in die Tür ein 29
gesetzt worden, da der Boß diesen Kellerraum gern als „Besucherzim mer" nutzen wollte, wie er sich da mals ausdrückte. „Ich fresse einen Besen", sagte Wa terman mit langsamer Stimme und ging einen halben Schritt zurück. „Der Supermann hat sich aufge hängt." Clapton spielte den Souveränen und wollte nicht einmal einen Blick durch das Guckloch tun. „Wäre oh nehin bald fällig gewesen, der Junge. Ganz gut so, haben wir Munition gespart. Wird ja auch immer teurer." „Du spinnst", entgegnete Water man, ohne näher darauf einzugehen. Sekunden später hatte er die Kel lertür geöffnet. Sein Taschenmesser in der Hand, stand er neben der an geblichen Leiche. Langsam schlurfte Clapton in den Raum. Gerade wollte er wieder eine geringschätzige Bemerkung über Franco ausstoßen, da explodierte der Mann vom COUNTER MOB. Jetzt oder nie, dachte der Mafia Jä ger. Er reagierte innerhalb eines Sekundenbruchteils und sprang aus dem Stand von dem Ledersessel. Wie von ihm beabsichtigt, zog sich die Schlinge auf. Er spürte keine Schmerzen am Hals trotz des Rucks. Er hatte gute Arbeit geleistet. Doch wie würde sich der Kampf entwik keln? Mit ausgestrecktem Bein flog er auf den sich nähernden Clapton zu. Er erwischte ihn voll. Clapton stürzte zu Boden, warf im Fallen beide Arme zur Seite, dann nach hinten. Somit bremste er instinktiv den Sturz etwas ab. Doch er fiel noch so 30
hart auf den Steinfußboden, daß er besinnungslos liegenblieb. Noch ehe sich Franco durch einen Hechtsprung von dem unterlegenen Gegner lösen konnte, bemerkte er den zweiten Mafioso. Einer gegen einen. Doch der Kerl war bewaffnet. Es würde knapp werden. Franco ließ sein rechtes Bein vor schnellen. Er warf sich in liegender Haltung in Richtung seines Gegners. Zeit, sich aufzurichten, hatte er nicht. Sonst hätte der Mafioso mit Si cherheit Gelegenheit gefunden, die Waffe zu ziehen. Zum zweiten Mal schnellte Fran cos Bein vor. Wieder ging der Tritt vorbei. Clapton war bereits ins Wanken geraten. Sein eigenes Ausweichma növer hatte ihn aus der Balance ge bracht. Er stolperte zwei, drei Schritte in Richtung Wand, konnte sich nicht fangen und fiel zu Boden. Nur wenige Yards lagen die Geg ner jetzt auseinander. Es ging um al les. Das Leben würde der Preis sein, den der Verlierer zahlen mußte. Und entsprechend hart griffen sie an. Franco wollte mit Clapton fertig sein, bis die übrigen Gangster auf den Lärm aufmerksam geworden waren und ebenfalls in den Keller kamen. Das Verhältnis hätte sich für ihn dann verflixt ungünstig entwik kelt. Seit ihrer Auseinandersetzung im „San Francisco Zephyr", kannten sich die Männer. Sie wußten um ihre Schlagkraft und Schnelligkeit. Clap ton sann auf Revanche. Eine weitere Niederlage wollte er unter keinen
Umständen hinnehmen. Zur selben Zeit kamen die beiden Männer hoch und standen sich in ge bückter Haltung gegenüber. Aus den Augenwinkeln heraus sah Franco, daß Waterman bereits lang sam zu sich kam. Franco stürmte auf Clapton zu und schickte die Rechte auf die Reise. Der Schlag zeigte keine große Wir kung. Clapton hatte in bester RingManier den Oberkörper zurückgebo gen. Nun tänzelte er auf Distanz. Er suchte seine Chance. „Du mußt noch üben, Schnüffler", keuchte er. Franco ließ sich nicht auf Be schimpfungen ein. Während er den Schlagabtausch suchte, studierte er das Gesicht seines Gegners. Er regi strierte die in zahlreichen Schläge reien verunstalteten Gesichtszüge des Mannes, sah die Halbglatze, die Gesichtszüge, die die Wut des ande ren verrieten. Franco wollte den Kampf so schnell wie möglich entscheiden. Clapton versuchte Abstand zwi schen sich und den Mann vom COUNTER MOB zu bringen. Er wollte an seine Kanone, brauchte aber mindestens eine Sekunde, um die Waffe aus der Schulterhalfter zu ziehen, weniger Zeit würde seinen Plan nur verraten, die Aktion zum Scheitern bringen. Clapton blieb hinter einem alten Fußhocker stehen und stieß das Holzgestell mit einem wuchtigen Tritt in Francos Richtung. Dann fuhr Claptons Rechte unter das Jackett. Es war eine geschmeidi ge Bewegung, mit der er die Waffe aus der Schulterhalfter riß.
Fast aus dem Stand schnellte Franco in einem Riesensatz nach vorn. Über den Holzhocker weg, der nur als Ablenkungsmanöver diente, auf den Mafioso zu. Im Flug drehte er sich und zeigte sich seinem Gegner nur von der Seite. Kurz entschlossen griff Franco So lo nach der Waffe. Er versuchte, sie dem Mafioso aus der Hand zu dre hen. Gleichzeitig plazierte er sein rechtes Bein hinter dem jetzt wild um sich schlagenden Mann. Clapton spürte die sich anbahnen de Niederlage. Mit diesem Gedanken konnte er sich nicht abfinden. Seine Hand schmerzte fürchterlich. Die Sehnen spannten sich, drohten zu zerreißen. Clapton ließ die Waffe nicht aus den Händen. „Fallenlassen!" forderte Franco Solo im Befehlston. Das Gegenteil war der Fall. Ausgelöst von den Schmerzen, ge riet Sam Clapton in Panik. Er drück te ab, obwohl der Lauf der Waffe auf ihn selbst gerichtet war. Stöhnend brach er zusammen. Franco konnte sich das nur so er klären, daß der Mafioso geglaubt hatte, den Agenten vor der Mündung zu haben. Vielleicht war es eine Be wußtseinstrübung, ausgelöst durch die Schmerzen. Waterman machte sich durch Ge räusche in Solos Rücken bemerkbar. Außerdem hörte er auch bereits ein dumpfes Poltern auf der Keller treppe. Ohne Zeit zu verlieren, wandte sich Franco Waterman zu und schickte ihn mit einem weiteren Hieb zum zweiten Mal zu Boden. Nichts wie weg hier, ehe noch mehr 31
von der Sorte auftauchen, dachte Franco. Er schnappte sich die Waffen der beiden Kerle und verließ den Keller. Eine Sekunde später, und sein Schicksal wäre besiegelt gewesen. Mit zwei schnell aufeinander fol genden Schüssen gelang es ihm, die Anstürmenden für Sekunden auf dem Treppenabsatz zu halten. Der Kellergang war frei. Francos Ziel war die nächste Kellertür. Als er hinuntergeführt wurde, hat te er durch das kleine Türfenster Licht gesehen. Der benachbarte Kel lerraum mußte also ein Kellerfen ster haben. Er hatte sich richtig erinnert. In al ler Eile verriegelte er den Eingang zu seinem neuen Unterschlupf. Holz keile von herumliegendem Bauholz erfüllten ihren Zweck. Allerdings war er nicht glücklich über seine neue Unterkunft. Sie konnte ebenso zu einem Gefängnis für ihn werden wie der danebenlie gende Raum, wenn er jetzt nicht schnell handelte. Das Kellerfenster ließ sich spie lend öffnen. Es reichte aus, um als Fluchtweg zu dienen. Kaum drang frische Abendluft in den Keller, hechtete Solo zu der Tür zurück. Er zertrümmerte mit dem Kolben seiner Waffe das winzige Fenster in der Tür und warf einen Blick hindurch. Seine Befürchtung hatte sich als richtig erwiesen. Die Mafiosi rück ten näher. Sie klebten förmlich an der Wand. Wer in der Dunkelheit nicht so genau hinsah, hätte sie über haupt nicht wahrgenommen. Trotz der herumfliegenden Glas 32
scherben hatten sie keinerlei Reak tion gezeigt. Franco streckte den Arm durch das Türfenster und feuerte blind. Einen Blick in den Gang werfen, war jetzt zu gefährlich. So konnte er sich ent weder informieren oder sich die Männer vom Hals halten. Für Se kunden. Dann würden sie sicherlich angreifen. Gerade zwängte er sich in die Frei heit, da donnerte im Gang erneut ein Schuß auf. Franco Solo bekam nicht mehr mit, daß sich vier Mafiosi seinem ehema ligen Gefängnis näherten. Einer hat te binnen kürzester Zeit eine Schranktür in den Keller geschleppt. Er hielt sie als Deckung vor sich. Und die übrigen Männer des Unterneh mens standen dicht hinter ihm. Es war eine dicke Eichentür von Luigi Parisis Schlafzimmerschrank. Sie war keine hundertprozentige Garantie gegen Bleivergiftung, aber besser als gar nichts. Der Mafia-Unterboß hatte sofort seine Einwilligung gegeben, hatte es aber vorgezogen, in seinem Arbeits zimmer auf den Ausgang der ma kabren Lage zu warten. Inch um Inch rückten die bis an die Zähne bewaffneten Männer vor. Unmut wurde unter ihnen laut. „Wie feige Anfänger benehmen wir uns. Das macht man..." „Halt's Maul!" unterbrach ihn ei ner. „Schon mal ein Loch im Kopf ge habt?" Um nicht allzu früh seine Abwe senheit zu verraten, jagte Franco aus dem Hof einen Schuß in den Keller. Wie beabsichtigt, pfiff die Kugel durch das Kellertürfenster.
Für Sekunden bremsten die Män ner ihren Vormarsch. Make-up-Randolph strich sich durch die Haare. „Wir können un möglich in den Raum eindringen. Der knallt uns über den Haufen wie die Hasen." „Vorschlag?" fragte Mario Martini seinen Hintermann. „Ich dachte an Tränengas. Da kommt der freiweillig angekrochen." „Aber beeil dich", antwortete Ma rio. Make-up-Randolph rannte zur Treppe, sprang die Stufen hoch und erklärte Parisi die Lage. „Wir brauchen Tränengas", sagte er zum Schluß. Mit Parisis Erlaubnis öffnete Make-up-Randolph den Waffen schrank und holte zwei Tränengas bomben heraus. „Die Sache muß ich mir ansehen", sagte Parisi, während er sich mit ei ner zweiten Schußwaffe versorgte. Make-up-Randolph nickte, und sie hasteten durch den mit teuren Tep pichen ausgelegten Flur zur Keller treppe. Fast hätten sie den Sprint in den Keller mit einem Sturz beendet, denn jeder der beiden wollte schein bar der erste am Ort des Geschehens sein. Parisi tobte wie ein aufgebrachter Eishockeyspieler bei einer Schläge rei. „Ihr miesen Stümper! Wenn ich das gewußt hätte, wäre ich natürlich selbst runtergegangen und hätte ihm seinen Fraß gebracht. Ihr seid wirk lich zu nichts zu gebrauchen!" „Boß, wir ..." Parisi duldete keinen Wider spruch. Mit einem Fluch, der einem Zuhälter die Schamröte ins Gesicht
getrieben hätte, unterbrach er seinen Fahrer Martini. Parisi hob sich aus der Schlange von der Wand ab und streckte die Hand aus. „Her mit dem Tränengas, das mache ich selbst, sonst brichst du noch in Tränen aus." Make-up-Randolph traute sich nicht zu widersprechen. „Was steht ihr überhaupt so her um. Wollt ihr in die Wand kriechen? Hat dieser Solo ein MG hinter der Tür aufgebaut?" fragte Luigi Parisi wütend. Mit gezückter Waffe marschierte Luigi Parisi an den Männern vorbei. „Vorsicht, Boß, zwei Tote haben wir schon." Parisi blieb tatsächlich stehen. Ei nen kleinen Taschenspiegel zückte er aus dem Jackett und hielt ihn so, daß er in den Keller hineinsehen konnte. Zuerst glaubte er, den Spiegel un günstig gehalten zu haben, doch we nig später war er sich sicher. „Der Kerl hat die Platte geputzt!" sagte er. „Und ihr steht hier und be wacht einen leeren Keller." Zum En de des Satzes überschlug sich seine Stimme fast.
Obwohl Franco im Moment wirk lich keinen Wert auf gepflegte Klei dung legte, klopfte er sich reflexartig den Staub aus dem Anzug. Mit drei großen Schritten gelangte er auf ei nem Sandweg, der sich durch die Grünanlagen um das Haus herum zog. Sein Ziel war die Eingangstür. Vielleicht wären andere froh ge 33
In dieser Ausgabe unseres Forums wollen wir die Diskussion über ein Thema fortsetzen, das bereits in mehreren Leserbriefen zuvor ange schnitten wurde. Es handelt sich um die tech nische Ausrüstung, derer sich Franco Solo bedienen kann oder soll, sowie auch um die Organisation von COUNTER MOB, seiner Dienststelle. Dazu schrieb uns Herr H H aus Gießen die folgenden Zeilen:
„Ich lese nun schon sehr lange Ihre Fran co-Solo-Romane, und ich verfolge auch sehr genau alle Themen, die im Forum behandelt werden. Übrigens halte ich das Forum für eine hervorragende Einrich tung, die für andere Serien ein Beispiel sein sollte. Der Grund, weshalb ich mich auch einmal zu Wort melden möchte, ist das Forum, das Sie in Band Nummer 198 veröffentlichten. Darin schrieb Herr T P aus Hamburg-Bergedorf als Antwort auf einen anderen Leserbrief von Herrn W H aus Düssel dorf. Soviel nur, damit auch die Leser, die es nicht mitverfolgt haben, Bescheid wis sen. Ich möchte grundsätzlich sagen, daß ich unbedingt dafür bin, daß technische Neue rungen von Franco Solo verwendet wer den sollten, und zwar so oft wie möglich.
Auf solche technische Unterstützung soll te ein Counter-Mob-Agent gar nicht ver zichten müssen, denn als Einzelkämpfer gegen das organisierte Verbrechen ist er ja schließlich besonders gefährdet. Des halb stimme ich auch Herrn P und Herrn H zu, wenn sie sagen, daß diese Dinge bislang in den Romanen zu wenig berücksichtigt wurden. Noch eines möchte ich dazu sagen: Gerade eine Organisation wie Counter Mob braucht doch für ihre Schlagkraft die Mit tel der modernen Technik. Und außerdem hätte eine solche Organisation sicherlich die finanziellen Möglichkeiten, um die entsprechenden Anschaffungen durchzu führen. Im übrigen bin auch ich der Mei nung, daß Counter Mob keine völlig ge heime Dienststelle sein sollte. Ich muß Herrn P darin unterstützen, daß das ein bißchen unglaubwürdig ist." Für Ihren Brief danken wir Ihnen herzlich, lie ber Herr H . Wir würden uns freuen, wenn zu diesem Themenbereich noch weitere Diskussionsbeiträge bei uns eintreffen wür den. Ihre FRANCO-SOLO-Redaktion.
Die Al-Capone-Story (70)
Der Valenstinstag des Jahres 1929 hatte AI Capone dank seines persönlichen Ge schicks von einer Menge „beruflicher" Sorgen entbunden. Die völlig anderen Sor gen, die nun für ihn am Horizont auftauchten, hatte er lange Zeit nicht wahrhaben wollen, doch es ließ sich nun nicht mehr umgehen. In den Bordellen, die einen Teil seines Imperiums bildeten, gab es bisweilen recht ansehnliche Mädchen. Capone unternahm gelegentlich gern Stippvisiten in den Bordellen und gewährte dann den besonders hübschen Mädchen einen gönnerhaf ten Vorzug: Sie durften für eine Weile seinen privaten Zeitvertreib besorgen. Die sen Gespielinnen verschaffte er ein Zimmer in seinem Hotel, und sie hatten nichts weiter zu tun, als besonders nett zu ihm zu sein, wenn er sie besuchte. Eine von Capones Gespielinnen, der er sich im Jahr 1929 widmete, hatte schon seit einiger Zeit über eine geschwulstartige Krankheit geklagt. Capone ließ schließlich seinen Privatarzt kommen, und die niederschmetternde Diagnose lautete auch nichts an deres als Syphilis. Der Aufforderung des Arztes, sich ebenfalls untersuchen zu lassen, leistete AI Ca pone energischen Widerstand. Denn vor nichts hatte er mehr Angst, als sich eine Spritze verpassen zu lassen. Er, der zentnerschwere und bärenstarke Mann, fürch tete die Injektionsnadel mehr als die blauen Bohnen, die ihm im Verlauf seiner Un terweltskarriere dauernd um die Ohren geflogen waren. Die beschwörenden Worte des Arztes fruchteten nichts. Obwohl Capone erfahren mußte, daß er zu jahrelangem Dahinsiechen und geistiger Verwirrung verurteilt war, wenn er sich nicht behandeln ließ, beschloß er, an die böse Geschichte ein fach nicht mehr zu denken.
Nach Planquadraten eingeteilt sind die Straßen in Manhattan, New York. Schachbrettartig verlaufen die Avenues und die Querstraßen. Unser Bild zeigt einen Blick aus dem Hubschrauber auf die be rühmte Fifth Avenue.
wesen, sich endlich aus der Gewalt der Mafiosi befreit zu haben, doch Solo dachte anders. Wäre Franco Solo dieser Auffas sung gewesen, er hätte sicherlich nie den Job beim COUNTER MOB ange nommen. Nachdem er etwa fünfzig Yards zurückgelegt hatte, stand er wieder vor der massiven Eingangstür. Auch wenn sie mit einer Alarmanlage be stückt war, mußte es doch möglich sein, in das Haus einzudringen. Die Fenster mit ihren schmiedeeisernen Streben boten dagegen erheblich größeren Widerstand, der nur mit besonderen Werkzeugen auszu schalten war. Franco brauchte nicht zu befürch ten, draußen von jemandem gesehen zu werden, denn die Sonne war be reits untergegangen. Und das weit entfernte Licht der Straßenlaternen reichte nicht bis herüber auf das Grundstück des Mafiamannes. Im Laufen hatte Solo eine der bei den erbeuteten Waffen gezogen. In schneller Folge jagte er drei Schüsse in das Schloß der Haustür. Damit die Detonationen nicht so laut in der Nachbarschaft zu hören waren, wartete Franco, bis ein Truck am Haus vorbeifuhr. Nur bei genau em konzentrierten Hinhören hätte jemand die Schüsse wahrnehmen können. Das Röhren und Brummen des schweren Lasters verschluckte beinahe alles. Ein kurzer, harter Tritt folgte, und die Tür stand offen. Der Mafiajäger jumpte in den Flur, den er erst vor wenigen Stun den als Gefangener betreten hatte. Ein Markenfabrikat war die 36
Alarmanlage nicht, dachte Franco als diese nicht ansprang. Mit hastigen Schritten durchmaß er den langgestreckten Flur und rannte schnurstracks in das Arbeits zimmer Parisis. Sein Ziel war der als Bücherschrank getarnte Waffen schrank. Kraftvoll, als gelte es, einen Baum aus dem Erdreich zu ziehen, riß er die Bücherwand herum. Zwei- bis dreihundert Bücher ge rieten auf den Regalen durcheinan der. Franco der in seiner knappbe messenen Zeit gern ein gutes Buch las, hätte reiche Auswahl gehabt. Doch zum Lesen war er nicht hier. Waffen besaß er inzwischen selbst; was er brauchte, waren Munition und Tränengas. Er sollte sich nicht getäuscht haben. Das Waffenange bot des Schrankes stand dem Ange bot an Büchern in nichts nach. Ohne lange zu überlegen, stopfte Solo seine Taschen mit Reservemu nition, Nebelpatronen und Tränen gasbomben voll. Gerade schnappte er sich die fun kelnagelneue und ungebrauchte Gasmaske, als der erste der Mafiosi die Kellerstufen zum Flur hinauf hinter sich gebracht hatte. Er fing sofort an, wild daraufloszuballern. Aber da lag der COUNTER-MOBAgent bereits langgestreckt auf dem Boden und rollte hinter einem meh rere Jahrzehnte alten Schuhschrank in Deckung. Seine Luger peitschte auf. Im Gegensatz zur Bleispritze sei nes Gegners hatte sie einen Treffer zu verbuchen. Mario Martini wurde mehrere Yards zurückgeworfen. Mit ausge
breiteten Armen stürzte er rücklings in die Arme seiner Kumpel und hin derte sie somit am Schießen. Einer, es war Marcello Carrara, stolperte die Stufen der Kellertreppe wieder hin unter. Sein Schrei brach abrupt ab. Randolph, der wieder erwachte Waterman und noch ein Mafioso versuchten Deckung zu finden. Solo erkannte in ihm den Mann, der ihn im Rollstuhl herumgefahren hatte. Aus drei verschiedenen Richtun gen wurde er jetzt beschossen. Ran dolph hatte Deckung hinter der her umgeschwungenen Flurtür, die zur Kellertreppe führte, gefunden. Wa terman hockte hinter einem Cock tailsessel, der normalerweise kurz verweilenden Besuchern angeboten wurde. Francos ehemaliger Roll stuhlchauffeur hatte sich den schlechtesten Unterschlupf gesucht. Er lag mit schußbereiter Waffe hin ter einer großen preußischblau schimmernden Bodenvase. Ein Schuß in den gebrannten Ton, und seine Deckung hätte sich in ei nen Haufen Tonscherben verwan delt. Gerade noch dachte Franco an die Vorteile, die ihm seine Deckung bot, da geschah es. Auf ein Zeichen hin, stürmten die drei Männer los. Franco blieb ruhig, trotzdem lief es ihm kalt den Rücken hinunter. Er lag auf der Seite. Den waffenbewehrten Arm hielt er über die knapp ein Yard hohe Holzkonstruktion. Während die Männer auf ihn los stürmten, ging der Mafiajäger in die Hocke und riß die zweite Waffe aus der Tasche. Seine Schnelligkeit und Konzentration entschied über Sein
oder Nichtsein. Die Detonationen ließen die Ein richtungsgegenstände erbeben. Blei garben gruben sich in das Holz der Truhe, pfiffen über sie hinweg. Wie in Zeitlupe erlebte Franco Solo die nächsten Sekunden. Seine Geg ner waren zwar in der Überzahl, aber er lag im Gegensatz zu ihnen in Deckung. Der Rollstuhlchauffeur schrie auf und wurde von dem Einschlag auf die Vase zurückgeworfen, hinter der er kurz zuvor noch gekauert hatte. Das Zersplittern der Vase mischte sich in die nächste Schußfolge. Ton scherben flogen umher. Waterman sah seinen Kumpel ne ben sich zusammenbrechen und wurde von Panik gepackt. Er flüch tete durch die geöffnete Haustür. Franco verzichtete darauf, auf Waterman zu schießen. Er hatte noch nie einem Flüchtenden in den Rük ken geschossen. Es blieb noch ein Gegner. Make-up-Randolph hatte den Spurtlauf auf die Deckung seines Gegenübers zu unverletzt überstan den. Jetzt suchte er eine neue Chan ce, den Mann vom COUNTER MOB zu erledigen. Franco wunderte sich, daß noch keine Schaulustigen durch die Schie ßerei angelockt worden waren. Wahrscheinlich aber war die Entfer nung zu den nächsten Häusern doch zu groß, oder sie glaubten an Schießübungen. Inzwischen kamen Luigi Parisi und Marcello Carrara die Treppe hochgehetzt. Erneut stand es drei zu eins. Die beiden Neuankömmlinge ver 37
harrten auf der Treppe. Make-upRandolph rief ihnen etwas zu. „Waffen weg, oder das große Un wetter bricht über euch herein!" schrie Franco, ohne einen anzuspre chen. Hartes Männergelächter war die Antwort. „Dann nicht!" brüllte der Mafiajä ger und zündete eine Tränengas bombe. Während er sie wenige Yards von sich wegrollte, schob er die Gas maske vor sein Gesicht. Dann griff er nach seinen Waffen. Tränengas strömte aus und mach te es innerhalb kurzer Zeit unmög lich, Atem zu holen. Die Gaswolken wurden größer, verschmolzen schließlich und erfüllten den Raum. Die Mafiosi rissen die Hände und Taschentücher vor die Augen, rühr ten sich aber noch nicht vom Fleck. Sie wollten nicht für Franco Solo das Feld räumen. Make-up-Randolph taumelte ei nen Schritt von der Wand weg. Er fuchtelte mit der Waffe herum, nicht um zu schießen, daran dachte er im Moment nicht. Er wollte atmen, end lich wieder Luft bekommen. Die Tür sah er. Sie war im Moment das Sym bol der Rettung für ihn. Franco spürte unter seiner Maske die Reizstoffe nicht, er konnte unge hindert weiteratmen. Eine Waffe polterte zu Boden. Randolph hatte sie aus der kraftlo sen Hand fallenlassen. Wie ein Be trunkener taumelte er los. Die Rich tung war klar zu erkennen. Franco Solo war fest entschlossen, nicht noch einen zweiten Mann in die Dunkelheit entfliehen zu lassen. Er spurtete hinter seiner Deckung her 38
vor und somit in das Blickfeld Pari sis und Carraras. Bevor er jedoch den Flüchtenden packen konnte, schlugen Revolverkugeln vor ihm in den Boden. Abgefeuert vom Boß der Mafiagruppe und seinem Helfer Carrara. Luigi Parisi und Carrara konnten sich nur abseits des Tränengasnebels halten, weil Durchzug herrschte und frische Luft aus dem Keller in den Flur strömte. Weiter heran trauten sie sich allerdings nicht. Mit beinahe zeitlupenhaften Be wegungen hantierte Make-up-Ran dolph an der Tür und fingerte nach dem Knauf. Zeit genug für Franco, den Fliehenden mit einem zweiten Versuch im Haus zu halten. Da kam Franco eine Idee. Mit zwei Schüssen holte er den Deckenstrah ler von der Decke. Der gläserne Leuchter knallte auf den Teppichfußboden, zersplitterte in unzählige Teile, doch dem Mann gelang die Flucht. Nun ging Solo aufs Ganze. Aus sei ner sicheren Deckung heraus warf er eine zweite Tränengasbombe in den Flur und eine dritte. Dieser immensen Reizstoffaus strömung konnten sich die Männer nicht länger entgegenstellen. Ihre Schritte hallten aus dem Kellerge schoß empor. Und sie liefen in die Falle, denn mit eiligen Schritten hastete Franco die Treppe hinunter hinter ihnen her. Er riß sich die Maske vom Kopf und war frisch wie nach einem Waldlauf. Sei ne Gegner hatten allerdings noch unter den Nachwirkungen des Gases zu leiden. „Stehenbleiben!" rief er. „Und die
Pfoten an die Decke." Nervenaufreibende Sekunden ver gingen. Die Mafiosi verharrten wie angenagelt. Um ihnen den Entschluß leichter zu machen, drückte Franco Solo ab. Ein Warnschuß in die andere Rich tung. „Der nächste geht nicht vor bei." Es wirkte. Nacheinander ließen Parisi und Carrara die Revolver auf den harten Steinfußboden fallen und hoben zö gernd die Arme hoch. „Ohne Tritt, marsch!" sagte der COUNTER-MOB-Agent mit ruhiger Stimme. Eine Stimme, die im Mo ment keinen Widerspruch zu dulden schien. Sie setzten sich in Bewegung. Pari si auf der linken, Carrara auf der rechten Seite. Wie selbstverständlich machten sie an der ersten Tür halt. „Das möchtet ihr wohl", meinte Franco gelassen. „Eine Zelle mit Ausbruchsmöglichkeit. Sozusagen ein Platz an der Sonne. Nein! Für euch habe ich einen besonderen Auf enthaltsraum. Meine Herrschaften, würden Sie sich bitte zum Ende des Ganges weiterbemühen?" Mürrisch stiefelten die Mafiosi los. Franco schob den Riegel herum, nachdem die Männer den Raum be treten hatten. Er hätte auch den Schlüssel für diese Feuertür suchen können, aber der Eisenriegel als Ver schluß kam ihm sicher genug vor. Geschafft! dachte er. In der Höhle des Löwen einen Sieg errungen. Dann blickte er auf die Uhr. Noch ei ne Stunde bis Mitternacht. Jetzt konnte er nur hoffen, daß die
Beamten in San Francisco nicht zu früh Feierabend machten und Luigis mißratene Söhne noch nicht auf frei en Fuß gesetzt hatten. Im Arbeitszimmer des Mafiabosses griff er nach dem Telefon.
Im bequemen Sessel des Mafia mannes lehnte sich Franco Solo mit dem Tastentelefon in der Hand, zu rück. Die Nummer der Staatsan waltschaft in San Francisco hatte er sich gemerkt. Er wählte sie und hatte kurz darauf einen Mann vom Kri senstab an der Strippe. „Nein, wir haben die Parisis noch nicht auf freien Fuß gesetzt", ant wortete der Mann. Während der nächsten Minuten berichtete Franco, was sich in der Zwischenzeit ereignet hatte. Er woll te sich in Ruhe mit Cornwell unter halten, kündigte er an. Er wollte prü fen, ob der nicht doch bereit sei, frei willig in dem bevorstehenden Prozeß auszusagen. Anschließend verständigte er auch Colonel Warner, seinen Chef. Und anschließend unterhielt er sich mit einem Mann der City Police. Der Wachhabende wollte die Story „Mafiosi in Fort Morgan" nicht recht glauben, versprach aber, die notwen digen Schritte zu unternehmen. Erleichtert, wieder ein paar Gang ster aus dem Verkehr gezogen zu ha ben, verließ er das Arbeitszimmer. Auf dem Weg zur Toilette sah er zum ersten Mal bewußt die demo lierte Einrichtung des Flurs. Die zerstörte Deckenlampe lag in vielen Teilen auf dem Boden. Eben 39
falls auf dem Teppich verstreut die glasierten Tonstücke der Bodenvase. Um die gezündeten Tränengasbom ben zeichneten sich auf dem sicher lich nicht preiswerten Teppich ein gefärbte Ringe ab. Die Holztäfelung um den Ankleidespiegel in der Gar derobe wies zahlreiche Einschüsse auf. Das Spiegelglas hingegen hatte keinen Treffer abbekommen. Wohin Franco in dem Flur auch blickte, die Spuren des Kampfes wa ren nicht zu übersehen. „Cornwell, ich bin's Solo", rief der Mann vom COUNTER MOB, nach dem er heftig gegen die Toilettentür geklopft hatte. Keine Antwort. Zur Sicherheit überprüfte Solo die geladene Smith & Wesson in der rechten Hand. Die Tür flog herum und knarrte. Beinahe wäre sie aus den Angeln ge rissen worden durch den Schwung. „Nicht schießen!" brüllte William C. Cornwell, der mit hochgestreckten Armen auf dem Klodeckel saß. „Bitte nicht schießen, ich kann dir alles er klären." „Darauf bin ich aber sehr ge spannt", meinte Franco zurückhal tend. „Also, fang an!" „Das war alles nicht meine ..." „Komm erst einmal aus deinem Versteck." Cornwell, der Juwelier, bedankte sich. „So lange habe ich noch nie auf einem Fleck gesessen." „Daran wirst du dich aber gewöh nen müssen." „Wie soll ich das verstehen?" fragte Cornwell mit einem spitzen Unter ton in der Stimme. „So, wie ich es gesagt habe. Du 40
wirst demnächst einsitzen, weil ich Anzeige gegen dich erstatten werde." „Das habe ich befürchtet. Ist sie frei?" fragte der Juwelier auf einmal zusammenhanglos. „Deine Tochter, ja, die ist frei. Das haben jedenfalls die vornehmen Herrschaften verlauten lassen. Habt ihr Streit bekommen?" fragte Fran co. Er wollte die Gründe für den Kurswechsel erfahren. Und William C. Cornwell, der Ju welier aus Chicago, erzählte. Er be richtete von seinem damaligen Ent schluß, gegen die Mafia in einem Prozeß als Zeuge auszusagen. Er kam auf die Geiselnahmen zu spre chen: die seiner Tochter, dann Solos. Alles hatte er knapp zusammenge faßt. Beide Geiselnahmen hatten das selbe Ziel, sie bauten aufeinander auf. Luigi Parisis Söhne, die wegen zahlreicher Delikte, samt und son ders begangen im Goldgeschäft, vor einem Bezirksgericht in San Fran cisco angeklagt waren, sollten frei gepreßt werden. Cornwell bezeichnete sich als wil lenlos den Mafiosi ausgesetzt. Alles, was er tat, hatte er nur getan, um das Leben seiner Tochter zu retten. Er entschuldigte sich nicht einmal bei Franco Solo. „Was hätte ich denn tun sollen?" versuchte er dann sich zu verteidi gen. Es war ein ungeschickter Ver such, ungeübt, aber Franco nahm diese Worte ernst. Er war davon überzeugt, daß der Juwelier die Wahrheit sprach. Diese Auffassung vertrat er auch gegenüber dem Sheriff, der als erster nach etwa zehn Minuten in der Villa
auftauchte und die Ermittlungen aufnahm. „Hoffentlich irren Sie sich nicht", meinte der Uniformierte. Wolver hampton hieß er. „Wir werden erst einmal die Insassen dieses Hauses in ein richtiges Gefängnis verlegen und die Toten abtransportieren. Sicher lich werden wir das eine oder andere Gesicht in unseren dicken Fahn dungsbüchern wiederfinden. Mit den Ermittlungen werden wir voll auf beschäftigt sein. Wenn Sie mir dann noch eine Beschreibung der flüchtigen Personen geben könn ten!" Solo und Cornwell, die sich seit der Ankunft der Uniformierten in Pari sis ehemaligem Arbeitszimmer auf hielten, bemühten sich um genaue Angaben. Und sie stellten zahlreiche Übereinstimmungen fest. „So, wir wollen die Verhandlung nun wirklich nicht versäumen", sag te Franco und machte Anstalten, sich von dem Sheriff zu verabschieden. „Die Staatsanwaltschaft hat Parisis Söhne zum Glück noch nicht laufen lassen. Sonst hätten wir uns die Reise tatsächlich ersparen können." „Dann kann ich Ihnen nur noch viel Erfolg wünschen", sagte der Sheriff. „Das ist schon eine ganze Menge", entgegnete der Mafiajäger. „Wir müssen uns nur noch frisch einklei den. In diesen zerfetzten Klamotten sieht mich ja keine Frau mehr an." Zehn Minuten später hatte sich So lo komplett und Cornwell teilweise umgezogen. „Solch teure Sachen habe ich in meinem Leben noch nie getragen", flüsterte Cornwell Franco zu, wäh
rend sie durch die zerschossene Tür in die Nacht hinaustraten.
Das Taxi, ein nagelneuer Buick, nahm die beiden Männer auf. „Zum Flughafen Denver", sagte Franco mit einer Stimme, die mit ih rer Lässigkeit in keinem Verhältnis zu der Entfernung stand. „Zum Flughafen Denver", wieder holte der kahlköpfige Taxifahrer zur Sicherheit. Er erinnerte Franco an Vietnam-Veteranen. Der Mann war um die Vierzig, sah in seiner Schweinslederjacke aus wie ein rie siger Kleiderschrank. Seine stechen den, mißtrauischen Augen konnte Solo von dem Rücksitz aus mehrmals im Spiegel sehen. Die Freude über die ungefähr Neunzig-Meilen-Fahrt war ihm nicht anzusehen. Die Fahrt verlief ruhig. Die Män ner sprachen nur wenige Worte mit einander. Cornwell, der rechts neben Franco auf dem Rücksitz saß, schlief. Oder er stellte sich schlafend, weil er sich vielleicht schämte, Franco Solo so reingerissen zu haben. Der Mafiajäger hatte ihm zwar ei ne Chance gegeben und ihn nicht der Polizei übergeben, aber er ließ ihn keine Sekunde aus den Augen. Nach eineinhalb Stunden Fahrzeit rollte die Limousine in eine Kurz zeit-Parktasche. Solo zahlte mit ei nem Scheck, den der Taxifahrer peinlich genau wie ein Bankfach mann unter die Lupe nahm. Die Männer stiegen aus und verab schiedeten sich. Gepäck hatten sie keines bei sich. 41
Es fuhr noch im „San Francisco Ze phyr" Richtung Westen. Gegen 16.00 Uhr würde es nach zweitausendvier hundert Meilen in Oakland, dem Bahnhof San Franciscos, einrollen. Mit ein bißchen Organisations glück würde es Franco am Nachmit tag in Empfang nehmen können. Wenn die Mafia nicht noch ein Wort dagegen einzuwenden hatte. Und die Möglichkeit bestand. Ohne ihr Gepäck sahen Franco So lo und Cornwell aus wie zwei Sight seeing-Leute aus der Provinz. Sie schienen sich für den Ausflug zum Flughafen gut angezogen, aber in der Zeit geirrt zu haben. Wer besichtigt schon um halb sechs Uhr morgens einen langsam in Be trieb kommenden Flughafen. Das Frachtgeschäft lief zwar auf vollen Touren, doch davon spürte man in der Abfertigungshalle für Flugrei sende nichts. In ein bis zwei Stunden jedoch würde auch hier Hochbetrieb herrschen. Franco Solo war sich inzwischen sicher. Cornwell würde zur Zusam menarbeit bereit sein. Seine Tochter war freigelassen worden, welchen Grund sollte er haben, ihn ein zwei tes Mal hereinzulegen? Es gab kei nen Grund dafür. Seine schnellen Schritte richtete Solo auf eines der vielen Münztelefo ne. Er zog Cornwell mit sich und wählte einen Apparat, der von dem Gang aus nicht einzusehen war. „Ich - ich muß sie anrufen!" sagte der Juwelier hastig. „Deshalb sind wir hier." Der Juwelier drückte mit zittern den Fingern die Tasten des Fern sprechers. Sekunden später hatte er 42
seine Tochter an der Strippe. Franco Solo erkannte es an Cornwells Ge sichtszügen, die sich entspannten. Cornwell berichtete von der Aus einandersetzung in der Villa, die er nur als Zaungast mitbekommen hat te. Außerdem war er froh, sich mit Franco Solo ausgesprochen zu ha ben, wie er es bezeichnete. Franco bat den Juwelier durch ein Zeichen um Eile. Cornwell verstand, aber er hatte soviel zu erzählen. „Bis bald, mein kleines Mädchen", flüsterte er sanft, nachdem ihn der Mafiajäger zum zweitenmal um Beendigung des Gesprächs gebeten hatte. Erleichtert, mit seiner Tochter ge sprochen zu haben, hängte der Juwe lier ein. Er atmete auf wie einer, der es geschafft hat, mit vierzig in Pen sion zu gehen. Dann griff Franco nach dem Hö rer. Er wollte von der Auskunft die nächste Direktverbindung nach San Francisco erfragen. Geduldig ließ er durchklingeln. Niemand hob ab. Er hängte ein und wählte neu. Viel leicht hatte er aus Versehen einen verkehrten Knopf gedrückt. Wieder nichts. „Verdrück dich in den Wasch raum!" sagte er zu dem Juwelier, während er zum zweitenmal ein hängte. „Ich muß herausbekommen, wann die nächste Maschine geht. Dann besorge ich Tickets." Unwillig stimmte Cornwell mit ei nem Kopfnicken zu. „Aber laß mich nicht zu lange auf der Toilette sitzen", sagte er. „Solche Einrichtungen sind mir zuwider. Der Tag auf dem Mafiaklo hat mir ge
reicht. Außerdem habe ich Hunger." „Du wirst bestimmt noch ein paar Stunden durchhalten", entgegnete Solo, „sieh dir mal deinen Bauch an." Cornwell kam nicht mehr dazu, ei ne Antwort zu geben. Franco war schon in Richtung Informations schalter losmarschiert. Minuten später hatte Franco die Information, die er brauchte: Denver-San Francisco ab 8 Uhr 15 mit Delta-Flug Nr. 3284. Plätze waren noch frei, und er buchte zwei erster Klasse. Cornwell freute sich. „Wann geht's los?" fragte er unge duldig. „In zwei Stunden." „Und was machen wir so lange? Weiter hier herumsitzen und den Duft der weiten Welt einatmen?" „Keine Angst, wir werden uns in der Hotelbar einen schönen Morgen machen." „Bin zwar noch nicht in der Stim mung für tiefe Dekolletes", bemerkte Cornwell, „aber besser als zwei Stun den Stilles Örtchen wird es auf jeden Fall sein." „Dann los!"
Das Flughafen-Hotel in Denver ist vom Terminal nur eine Minute Fuß weg entfernt. Der gut gekennzeich nete Weg dorthin führt am Zoll vor bei, zwei Banken, zahlreichen Ge schäften und mehreren Restaurants. Cornwell und Franco schritten vorbei an diesen Einrichtungen, von denen zahlreiche noch nicht geöff net hatten. „Da reden die von Energiekrise 44
und wollen uns zum Sparen veran lassen", entfuhr es dem Juwelier, „und hier ist überall volle Beleuch tung. Auch auf den Toiletten, kein Mensch da, aber zehntausend Watt werden verpulvert. Stunde für Stun de, Tag für Tag." „Du brauchst es nicht zu bezahlen", sagte Franco Solo beruhigend, „je denfalls nicht auf dem direkten Weg." „Das ist es ja!" Cornwell steigerte sich noch einmal in seine Wut hinein. Dann stieß er einen langgezogenen Pfiff aus und stieß Solo an. Franco Solo hatte das Schild längst gesehen. „Du wirst sehen, wie schnell die Zeit vergeht. Und anschließend bekommst du im Flugzeug etwas zu essen. Bilde dir aber nicht ein, daß ich den Barbesuch von den Spesen bestreiten kann. Also, zück deinen eigenen Beutel!" „Schon gut." Cornwell war Feuer und Flamme. Er las vor: „Besuchen Sie die ,Zeppe lin Bar'. Die schönsten Girls östlich der Rock Mountains bieten Ihnen in ihrer superheißen Show den brand heißen Live-Spaß. Zu Beginn jeder vollen Stunde erleben Sie die drei ,Pussy-cats' aus Hollywood." Der Ju welier strich sich über die Haare. „Hollywood ist sicherlich übertrie ben." „Komm schon!" Solo hatte bereits die Mahagonitür geöffnet und den schweren Windfang zur Seite ge schoben. Beschwingt, wie in seinen besten Tagen, folgte Cornwell dem Agenten. „Bist du jetzt eigentlich im Dienst, oder..." „Du bist nicht nur naiv, du bist
auch nervtötend. Wenn du es genau wissen willst, ich bin dienstlich hier. Zufrieden?" Keine Antwort. Ein Angestellter des Hauses be grüßte die Herrschaften, wie er sie nannte, und nahm ihnen das Ein trittsgeld ab. Zehn Dollar pro Person. Er führte die übernächtigten Män ner an einen freien Tisch und brach te kurz darauf zwei Drinks, die im Preis eingeschlossen waren. „Und nun viel Spaß meine Herrschaften!" Punkt sechs Uhr zeigten sich die Pussy-cats unter der aufheulenden Tonbandmusik auf der Bühne. Cornwell rieb sich die Hände. „Hast wohl vergessen, weshalb wir in dieses Etablissement verschlagen wurden", flüsterte ihm Franco zu. „Spaßverderber!" Zu dem Rolling-Stones-Song tanz ten die Girls wie Disco-Miezen und schrien ins Mikrofon im Chor: „We can't get no satisfaction ..." Nicht schön, aber laut. Als einziger der wenigen Zuschau er klatschte Cornwell begeistert. Er vergaß zu trinken und hatte die Au gen nur an die schlanken, biegsamen Körper der blonden Pussy-cats ge heftet. Wahrscheinlich hatte er nicht nur Hunger, sondern auch Appetit. Cornwell rutschte in seinem Sessel tiefer. In dieser Stellung genoß er auch die übrigen Gesangs- und Tanznummern. Hüllenlos verschwanden die Pus sy-cats nach ihrem letzten Teil der Vorführung. Beifall und Zugabe-Rufe übertön ten die leiser werdende Musik. Winkend tanzten die Girls noch einmal auf die Bühne, verneigten
sich und trippelten auf ihren hoch hackigen Schuhen hinter den Vor hang. Ein Film besonderer Art wurde an gekündigt. Franco nutzte die etwas heller ge wordene Deckenbeleuchtung dazu, einen Blick auf seine Armbanduhr zu werfen. Sie hatten noch über eine Stunde Zeit bis zum Abflug. Den Mann, der in diesem Augen blick den Nachtclub verließ, be merkte er nicht. Es wurde ein ganz mieser Porno film gezeigt, den Solo nur als ge schmacklos bezeichnen konnte. Trotzdem wollte er den Nachtclub bis zum Aufruf der Maschine nicht verlassen. Außerdem fand Cornwell den Streifen spitze. Er hätte den Saal höchstens unter Protest verlassen. Gesprochen wurde in dem Film nicht viel, so fielen die gelegentlichen Lautsprecherdurchsagen störend auf. „Letzter Aufruf für Delta-Flug 3284 nach San Francisco. Die Maschi ne startet ab Flugsteig 17. Mesdames et Messieurs, pour la derniére fois, j e . . ." „Komm endlich hoch!" sagte Fran co und zog den Juwelier hoch, der sich mit seinem Blick nicht von der Leinwand lösen konnte. „Das war der letzte Aufruf. Wenn du zu Fuß gehen möchtest..." Cornwell stand knurrend auf. „Sieh auf die Uhr!" befahl Solo. Schlagartig wurde Cornwell nüch tern. Mit schnellen Schritten verließen sie den sündhaft teuren ZeppelinClub, nachdem sie ein paar Scheine auf den Tisch geworfen hatten. 45
Am Zoll hatten sie keinerlei Schwierigkeiten. Ein kurzer Gang durch die elek tronische Metallsuchanlage war zwar bei Franco Solo positiv ausge fallen. Die Bedenken der Zollbedien steten zerstreute Solo schnell, indem er den Männern seinen Waffen schein und seinen Ausweis vor Au gen hielt. Als letzte nahmen Franco und der Juwelier, den er sicher nach San Francisco bringen sollte, in der Ma schine Platz. Es war eine alte, klapp rige 737. In der ersten Klasse, die Solo ge bucht hatte, war es ja noch einen Hauch von gemütlich. Wie es in der zweiten Klasse auszuhalten war, konnte Solo nur ahnen. Ohne die ganze Länge der Start bahn in Anspruch zu nehmen, hob der Clipper ab. Bereits nach wenigen Minuten Flug glitten sie über die mächtigen und endlos erscheinenden Rocky Mountains ihrem Ziel entgegen.
Francesco Udine, der erfahrene und erfolgreiche Mafiamann, re gierte seit vielen Jahren sein Imperi um San Francisco. Er beschränkte sich nicht nur auf einen Wirtschafts zweig, den Edelmetallhandel, das erschien ihm zu unsicher. Sein Vater hatte ihn gelehrt, auf vielen Beinen zu stehen. So hatte Francesco nach dem Tode seines Vaters machthung rig und geldgierig die Fänge nach weiteren Ertragsquellen ausge streckt. Der Mafiaboß mischte im 46
Rauschgiftgeschäft mit, kontrollier te den Immobilienmarkt in Frisco und hatte die Aufsicht über eine Nachtclubkette. Verbunden mit dem letzten war der Glücksspielsektor. Ein Gebiet, das die Leidenschaft und die Dummheit der Spieler in bare Münze umsetzte. Sollte eines der Ertragsgebiete zu sammenbrechen, wie der Alkohol handel nach Aufhebung des Prohibi tionsgesetzes 1933, bedeutete das noch lange nicht das Aus für den mächtigen Mafioso. Nach dem Frühstück studierte Francesco Udine sorgfältig die Ta geszeitung und einige Illustrierte. Die warme Morgenluft wehte durch die offenen Fenster seines rie sigen Apartments. Udine hatte sei nen Schreibtischsessel zum Fenster gedreht und warf gelegentlich einen Blick aus dem zehnten Stock des Bü rohauses in der Golden Gate Avenue. Hier in der Nähe des Golden Gate Park war für Großstadtverhältnis se ein relativ ruhiges Wohnen. Doch darauf kam es Udine nicht in erster Linie an. Er brauchte die Anonymi tät eines Wolkenkratzers, um nicht unnötig aufzufallen. Weil er nie seine wahren Einkünfte dem Finanzamt und anderen Bun desbehörden preisgeben wollte, hatte er sich zur Tarnung eine Alibi-Firma aufgebaut. Er hatte sein Hobby zum Nebenjob erhoben. Francesco Udine handelte mit Kunstwerken. Er kaufte Bilder, Pla stiken und vor allem antike Schmuckstücke und Edelsteine durch seine Mittelsmänner auf der ganzen Welt auf. Alles geschah legal, um nicht den Hauch seiner Unseriö
sität aufkommen zu lassen. Ebenso der Verkauf auf Versteigerungen und bei Exklusivgeschäften war ab solut legal. Nur nicht auffallen, war Udines Parole, und er hatte bis heute damit Erfolg gehabt. „Boß", sagte einer seiner beiden Leibwächter, die mit ihm in dem Bü rohaus wohnten. „Boß, in Denver ist der Teufel los!" „Wie oft habe ich dir schon gesagt, daß du dich einer gepflegten Sprache bedienen sollst", entgegnete der 58jährige, der sich auf Festlichkeiten gern als 49jährig ausgab. „Aber bei dir sind Hopfen und Malz verloren!" „Entschuldigung, Boß, ich wollte nur..." „Komm bitte zur Sache!" forderte Udine ihn gebieterisch auf. „Ja, Boß. Parisi sitzt im Knast." „Er ist zur Zeit verhindert, heißt das." „Ja, Boß." „Und weshalb?" fragte Francesco mit scheinbar unbeteiligter Stimme. Mason Somerton berichtete, was ihm Richard Waterman am Telefon gesagt hatte. Er las die Tatsachen ab, die er sich während des Fernge sprächs auf einen Zettel notiert hat te. „Und nun sitzt Richard Waterman im Flugzeug und kommt nach Frisco. Und der Gag bei der Sache: Dieser Solo und der Juwelier, den er hier herbringen sollte, sind mit an Bord." „Ich hatte von dem bevorstehen den Prozeß gehört", kommentierte Udine. „In der Zeitung wurde schon zum zweitenmal darüber berichtet. Ein Geheimnis ist es also nicht mehr. Du brauchst jedoch keine Angst um deinen Job zu haben, Mason. Der
große Francesco Udine hat Anwei sung gegeben, doppelte Vorsicht bei unseren Aktionen walten zu lassen. Jedes Risiko soll vermieden werden." „Boß, eine Frage." „Ja, was gibt's noch?" „Warum legt dieser Waterman die beiden nicht um?" „Weil er nicht so dumm ist wie du. Solche Aktionen erfordern genaue Planung. Aber du kannst ja nur bal lern. Zugegeben, sehr gut." „Boß, ich wollte nur ..." „Hör auf und hol Canterbury her. Dann sage ich euch, was ihr zu tun habt." Der Leibwächter zog ab, um den Mann zu holen, mit dem er sich in der Bewachung ihres Bosses abwechsel te. Kurz darauf kamen die zwei Leib wächter zurück und setzten sich auf den Wink ihres Arbeitgebers hin in die modischen Ledersessel. Somerton hatte außer seinem Leibwächterkollegen zwei weitere Männer mitgebracht. Tim, das Mäd chen für alles, und den bulligen Mar ty, der offiziell als Buchhalter einge stellt war und die wenigen buchhal terischen Arbeiten auch fehlerfrei ausführte. Normalerweise kam Francesco Udine mit seinen beiden Leibwäch tern aus. Sicherheit und Tarnung be deuteten ihm viel. Mit Massenan sammlungen auslösenden Schieße reien hatte er nichts im Sinn. Seine „Firma" hätte sonst längst vor der Zwangsauflösung durch die Behör den gestanden. Doch in diesem zur Diskussion an stehenden Fall wollte er die Schie ßer einsetzen. 47
„Männer", begann er erklärend, „euer Job und meine Existenz sind in Gefahr. Es gibt da in Washington ei nen Mann, der meint, sein Leben ris kieren zu müssen. Er hatte bereits ei nige Erfolge gegen unsere Vereini gung erzielt", wertete Udine Solos Verdienste im Kampf gegen die Ma fia ab, „aber diesmal hat er sich über nommen. Der zweite Mann will vor Gericht die große Show als Zeuge ge gen uns abziehen." „Boß, das verstehe ich nicht", warf Somerton ein. „Die haben sich übernommen, weil ihr mit eurer Feuerkraft deren Le benslicht ausblasen werdet." „Boß ..." „Was gibt's? Einwände?" „Boß, gegen uns haben die keine Chance, wir machen das schon." „Gratulationen und Ovationen hinterher", sagte Udine. „Ihr dürft diesem Franco Solo um keinen Preis den Rücken zudrehen, bildlich ge sprochen." Die vier Männer nickten. Udine berichtete vor versammel ter Mannschaft von Somertons Tele fongespräch mit Waterman, dem Pa risi-Mitarbeiter aus Fort Morgan. Er erklärte ihnen seinen Plan, wieder holte die Verbote, die er in einem Co dex zusammengefaßt hatte, und er mahnte die Männer, sich an die Richtlinien zu halten. Eine geschlagene halbe Stunde dauerte es, bis Udine mit seinen Aus führungen zu Ende kam. Die Männer waren bereits unge duldig geworden. Sie tasteten nach ihren Waffen und zogen überlegene Gesichter. Fremde hätten wegen der zur 48
Schau gestellten Souveränität ge glaubt, es gelte, einen unbewachten Geldtransport zu überfallen. „Parisi sitzt hinter Schwedischen Gardinen, deshalb brauchen wir auf ihn keine Rücksicht zu nehmen, auf seine dämlichen Söhne erst recht nicht. Sie hatten alle nicht das nötige Format. Ich habe es immer geahnt." Udines Stimme wurde leiser. Der Buchhalter stand langsam auf und machte Anstalten, den Saal zu ver lassen. Er brannte darauf, sich in dem Fall zu profilieren, seine negati ven Qualitäten unter Beweis zu stel len. Udine hob das Treffen auf. „Viel Erfolg, Männer! Und vergeßt nicht, sofort zurückzukommen. Im Notfall erhaltet ihr ein Alibi." Die Leibwächter Somerton und Canterbury schritten mit ihren bei den Hilfskräften zum Aufzug, wäh rend ihr Boß nachdenklich in seinem Sessel sitzenblieb und den Männern nachblickte.
Einzeln, wie sie den Weg nach un ten mit verschiedenen Aufzügen an getreten hatten, so marschierten sie in ihrer Maskerade auch getrennt auf der Golden Gate Avenue in Rich tung Van Ness Avenue. Immer auf der Suche nach Taxis. Tim, das Mädchen für alles, hatte als erster Glück. Auf seinen Wink steuerte ein Fahrer sein verbeultes Yellow Cab an den Straßenrand. Der dunkelblonde Mann in den besten Jahren schwang sich mit einem ele ganten Satz in den Oldsmobile. „Flughafen, bitte."
Von seinem Rücksitz aus blickte Tim unauffällig nach hinten. Zwei seiner Kumpane sah er noch. Doch Taxis waren an diesem Vormittag si cherlich nicht knapp. Und so würden Mason, Marty und Canterbury eben falls rechtzeitig zur Ankunft der Ma schine am International Airport von San Francisco eintreffen. Für die knapp zwanzig Meilen brauchte ein Personenwagen zu die ser relativ verkehrsarmen Zeit etwa zwanzig Minuten. So würden sie bis zur Ankunft der Delta-Maschine um 10 Uhr 20 noch etwa eine Viertel stunde Zeit haben, sich mit den not wendigen fahrbaren Untersätzen für die Rückfahrt in Richtung Stadt zentrum auszurüsten. Beruhigt lehnte sich Tim in die ab gewetzten Polster der Limousine und strich sich das Jackett glatt. Es mußte nicht jeder gleich sehen, daß die eine Stelle darunter ein wenig ausgebeult war. Falls es wirklich je mand bemerkt hätte, nun ja, es gab auch Kapitalisten, die mit dicken Brieftaschen unterwegs waren, ent gegen aller guten Ratschläge der Po lizei. Als Tim an die Institution Polizei dachte, mußte er lächeln. Noch nie hatte er mit ihr etwas zu tun gehabt. Nicht einmal einen Bußgeldbescheid wegen Falschparkens hatte er in sei ner achtjährigen Verbrecherkarrie re einstecken müssen. Stolz auf seine „Arbeit" und seine Zuverlässigkeit blickte der Maßanzugträger Tim aus dem Fenster. Der Taxifahrer schien sich nicht besonders gut in San Francisco aus zukennen. Vielleicht war er eine Aushilfe. Oder ein anderer Jobber,
der sich schnell ein paar Dollar dazu verdienen wollte, um seiner Angebe teten etwas bieten zu können. Statt an der Van Vess Avenue nach rechts abzubiegen, steuerte der schlaksige, junge Mann den Achtzy linder weiter geradeaus in Richtung Polk Street. Tim meldete sich sofort. „Junger Freund, ich bat, zum Flughafen ge fahren zu werden, ohne Umwege versteht sich." Die letzten Worte be tonte er besonders, gab ihnen einen unfreundlichen, zumindest einen fordernden Ton. „Pardon, Sir, ich ..." Tim merkte, wie der Jüngling nach einer Ausrede suchte, „der Umweg wird Ihnen selbstverständlich nicht berech net ..." „Schon gut, das ist nicht so wichtig, nur die Zeit läuft mir davon. Ich muß zum Airport. Meine Frau kann ich nicht warten lassen", sagte er und log mit der leidgeprüften Stimme eines langjährig verheirateten Eheman nes. Der Dreiviertelstarke bremste vor der Kreuzung so hart wie in einer Notsituation. Die Schnauze des Straßenkreuzers schien sich in den Teer bohren zu wollen. Ungeschickt versuchte der Nach wuchstaxifahrer sich in den rechten Fahrstreifen einzureihen. Er hatte die Absicht, den Orientierungsfehler wiedergutzumachen und die nächste sich bietende Möglichkeit zu nutzen, den Freeway, die Durchgangsstraße zum Flughafen, einzuschlagen. Von dort wären die übrigen achtzehn Meilen in zügigem Tempo zurückzu legen gewesen. Der Fahrgast hätte 49
die Ankunft seiner Frau nicht ver paßt Der Driver blinkte. Hastig zog er gleichzeitig den Wagen auf die rechte Spur der Einbahnstraße. Es war sein Pechtag. Hupen ertönten. Melodische Si gnale mit harmonischem, sanftem Klang. Bremsen quietschten. Gummimassen rutschten über den Teer, hinterließen schwarze, mehre re Hände breite Streifen. Nichts schien den jungen Mann zu beeindrucken. Ihm war keine Reak tion anzusehen. Vielleicht war es ihm peinlich, nicht wie ein Könner die Situation gemeistert zu haben. Seine Augen hafteten an der Ampel. Sie zeigte grün. Nur das zählte für ihn. Vielleicht ging alles gut. Die wenigen Sekunden kamen ihm wie Minuten vor. Er hätte genug Zeit gehabt, rechtzeitig zu stoppen, zu warten, bis eine Lücke auf der rech ten Fahrspur entstand. Er hätte die Karambolage verhindern können, wenn er gewollt hätte. Aber er war stur. Dachte nicht daran, sich vor dem Fahrgast noch eine zweite Blöße zu geben ... Blech knallte. Bohrte sich in Blech eines anderen Straßenkreuzers. Scheiben zerplatzten, flogen in un zählbar vielen Teilen auf den von Benzinrückständen matt glänzenden Teer. Ein weiterer Verkehrsteilnehmer konnte sich nicht rechtzeitig auf die neue Verkehrsituation einstellen und ließ seine Blechkarosse auf die zusammenklebenden demolierten Fahrzeuge rollen. 50
Zum Glück entwickelte sich der Verkehrsunfall nicht zu einer Mas senkarambolage. Dafür spielte zu ei nem Teil die niedrige zulässige Höchstgeschwindigkeit eine Rolle, zum andern das Fahrvermögen der nachfolgenden Verkehrsteilnehmer. Wie es der Zufall gewollt hatte, wa ren alle Ampelfarben in den Unfall verwickelt. Ein gelbes Oldsmobile Taxi, ein feuerroter Plymouth Fury und ein lindgrüner Chevrolet Capri ce. Zusammen sechshundertvier undfünzig PS. Gaffer standen plötzlich herum, blieben passiv, schrien, gestikulier ten, schimpften. Tim, der dunkelblonde Mafioso, saß eingeklemmt und blutend zwi schen hereinragenden Blechteilen und verbogenen Plastikteilen. Er murmelte wütend vor sich hin, machte Anstalten, sich aus der miß lichen Lage zu befreien, wirkte ir gendwie betäubt. Der Driver rührte sich nicht, gab auch keine Laute von sich. Zusam mengesunken kauerte er auf dem Fahrerplatz. Tim war das alles egal. Er bot seine gesamten Kräfte auf, um sich aus seinem Gefängnis zu befreien. Schließlich warteten seine Kumpel auf ihn. Sie waren auf seine Unter stützung angewiesen. Polizei traf ein. Während eine Zweiermannschaft aus ihrem Patrol Car sprang, fiel der Heulton in sich zusammen. Das Rot licht zuckte aber weiterhin über die Köpfe der Gaffer hinweg. Ein Rettungswagen parkte wenige Yards von den ineinandergekeilten Autos.
Weißgekleidete Sanitäter spurte ten zu der Unglücksstelle. Ihre erste Handlung war es, den verletzten Taxifahrer zu bergen. Sobald der Fahrersitz frei war, sprang einer der Polizeibeamten in das Taxi und setzte den Oldsmobile ein Stück vor. Weitere Streifenwagen trafen ein. Nun konnten die Beamten den ein geklemmten Tim befreien, den die eingefahrene Tür arg verletzt hatte. Tim war nicht ganz bei Sinnen. Er brüllte, war nicht bereit, sich helfen zu lassen. Sein Unterbewußtsein kam durch, nachdem er in einen Dämmerzu stand verfallen war. Seine Wut und Abneigung spiegelten sich in seinem Verhalten gegenüber den Beamten wider. „Einen Arzt!" schrie der Beamte ei nem seiner Kollegen zu. Nach einer Beruhigungsspritze wurde der Mafioso in ein Kranken haus eingeliefert.
Sie lümmelten sich in den Plastik sesseln. Mason Somerton, Jack Can terbury und Marty, dessen Familien name nur wenige wirkliche Freunde wußten. Am Flugsteig waren sie Wartende unter Wartenden. Menschen, die in der Anonymität der Masse nicht auf fielen, die sich beinahe in ihrer Mas kerade selbst nicht erkannten. Sie scherzten und lästerten über den noch nicht eingetroffenen Tim in ihrer eigenen, nur ihnen verständli chen Sprache, die mit Zweideutig keiten, Zynismen und Gags vollge 52
stopft war. Wahrscheinlich wäre es ihnen aber doch lieber gewesen, voll ständig gegen Franco Solo und sei nen Begleiter antreten zu können. Noch hofften sie. Die Maschine würde um 10 Uhr 20, also in knapp zehn Minuten, landen. Tim hatte sich noch nie bei einem Auftrag verspä tet, warum hätte er es heute tun sol len? Doch auch ohne ihn fühlten sie sich stark genug, um ihren Auftrag auszufüllen. Und sie würden ganze Arbeit leisten. Ihre Gesichter wurden länger. Von Tim war noch kein Hemdzipfel zu sehen gewesen, während der DeltaFlug 3284, mit dem die beiden Ange kündigten aus Fort Morgan eintref fen sollten, bereits aufgerufen wor den war. Ohne ein weiteres Wort zu verlie ren, erhob sich Mason und ging auf den Ausgang zu. Draußen parkte der Porsche 928 mit laufendem Motor, den er Minu ten zuvor vom Dauerparkplatz ge stohlen hatte. Ein spurtschneller Wagen. Es hatte ihn nur fünf Dollar gekostet, und die vierzig Dollar Parkgebühren natürlich. Die fünf Dollar waren notwendig gewesen, um den Parkwächter an der Aus fahrt davon zu überzeugen, daß er, Mason, nur seinen Parkschein verlo ren hatte. Mason schloß die Wagentür auf und zwängte sich in den Flitzer. Er ließ den Wagen näher an den Aus gang des Flugsteigs zehn heranrol len. Daß er im Halteverbot auf sei nen Auftritt wartete, störte ihn nicht. Für eventuelle Notfälle hatte er aber einen Schein in die rechte Jackettasche gesteckt.
Ebenfalls im Halteverbot wartete ein mokkabrauner Chrysler Cordoba auf seinen Einsatz. Marty, der Gelegenheitsbuchhal ter im Dienst der Mafia, hatte den schnittigen Zweitürer aufgebrochen und würde ihn nach einer kürzeren Fahrt in das Stadtzentrum San Franciscos fahren, auf einen Park platz, einer Straße - er wußte es noch nicht. Marty verzichtete darauf, den Wa gen früh kurzzuschalten, er hätte ihn ebenfalls mit laufendem Motor vor dem Eingang zum Flugsteig stehen lassen müssen. Und zwei Nobelka rossen mit laufendem Motor vor dem Eingang, das wäre sicherlich jeman dem aufgefallen. Wie gebannt starrte Mason aus sei nem 928er in Richtung Eingang. Die grünlich getönten Scheiben des roten Keils, der für zweihundert fünfzig Kilometer in der Stunde gut war, ließen keinen Blick in den In nenraum des Porsche zu. Mason Somerton fühlte sich unbe obachtet, sicher. Unauffällig stieß der Sonnenbril lenträger Canterbury den Buchhal ter an. Mit seiner spitzen Nase zeigte er auf die Rolltreppe. Die Nasenflü gel zitterten ein wenig dabei, denn der ungewohnte Oberlippenbart kit zelte ihn. Marty, der Buchhalter, sah sich die Augen aus. Vergeblich. Endlich er kannte er Solo, der in Mafiakreisen bekannt war, auch wenn kein Mafio so in Gegenwart eines anderen dem Mann vom COUNTER MOB etwas zutraute. Dann mußte der Dicke, der neben Solo auf der Rolltreppe stand und
versuchte, eine Zigarette anzuzün den, dieser Juwelier aus Chicago sein. Marty hatte seine Sommermütze in die Stirn gezogen und ließ sich mit dem Strom der Reisenden bis in die Nähe des Ausgangs treiben. Canterbury hatte noch Sichtkon takt zu Marty. Nach weiteren Se kunden des Beobachtens war er sich völlig sicher, die beiden Rolltreppen fahrer gehörten zusammen. Sie mußten es sein: Solo und Cornwell. Canterburys Adlerblick war bei seinem Boß geschätzt. Aber es ge hörte auch ein gewisses Quentchen Glück dazu, sich nicht an die Fersen eines „Doppelgängers" zu heften. Und, was noch schlimmer war, nicht den Verkehrten umzulegen. Der Dunkelblonde tastete nach seinem Smith & Wesson. Canterbury war bereit, seinen Auftrag zu erledi gen. Niemand beachtete ihn, ge schweige denn beobachtete ihn. Im Geiste ging er noch einmal den Plan durch, der freilich nicht bis in alle Einzelheiten durchdacht war. Keiner konnte im voraus wissen, was die zwei Flugreisenden unternehmen würden, sobald sie in San Francisco von Bord gingen. Auch Marty und Mason überleg ten. Sie hatten vergeblich auf Tim, ihren Kollegen, gewartet. Jetzt fehlte er ihnen. Sollten sie den Plan ändern und Solo und Cornwell gleich auf dem Flughafen beseitigen? Sie wa ren sich nicht im klaren darüber. Da ihr Boß ihnen aber unmißverständ lich erklärt hatte, wie sie vorzugehen hatten, klammerten sie sich an des sen Befehl. Menschen wurden die Rolltreppen 53
hinunterbefördert. Am Ende der Treppen strömten sie auseinander. Menschen stellten sich an dem Ge päckband an und suchten ihre Kof fer, um sie dem Zoll zu präsentieren. Marty und Canterbury hatten für die umherwimmelnden Leute keine Blicke. Sie mußten Solo und Corn well in einem Moment allein gegen überstehen, ohne Zeugen.
Cornwell stiefelte neben Franco her, ständig mit gesenktem Kopf, so, als schämte er sich wegen irgend et was. Beide hatten sie kein Gepäck bei sich, hatten es im „San Francisco Ze phyr" zurücklassen müssen. Gegen 16.00 Uhr würde es in Oakland, dem Bahnhof von San Francisco eintref fen. „Hier lang!" flüsterte Franco sei nem Zögling zu. „Du bleibst jetzt hinter mir. Keine Fragen, kein Kom mentar." Ein Nicken war die Antwort. Cornwell gab keine Widerrede, weil er insgeheim froh war, über die Chance, die ihm Franco Solo bot. Nach dem langen Hickhack, das er dem Mann vom COUNTER MOB zu gemutet hatte, war es eigentlich eine Sensation. Jedenfalls empfand es Cornwell so. Da gab es einen Mann, der ihm vertraute, obwohl er ihn in allerhöchste Lebensgefahr gebracht hatte. Doch Franco Solo war kein Wasch weib, daß er dem Juwelier dessen er zwungene Willensänderung nach träglich verübelte. Nein. Er war der festen Überzeugung, ihm drohe von 54
dem Mann aus Chicago, der nur so gehandelt hatte, weil Verbrecher sei ne Tochter als Geisel genommen hat ten, keine Gefahr. Das nicht wegzuleugnende Restri siko mußte Franco in Kauf nehmen, und er hatte es getan, denn der Nut zen, den die Sache für ihn und die Mitmenschen brachte, war ihm der Versuch wert. Sein Ziel war und blieb die Ausschaltung jeder Mafia elemente. Sie zerstörten eine wohl funktionierende Gesellschaft, ver schoben das Gleichgewicht, säten Haß und Angst und ließen die Be troffenen gleichgültig werden und gegen die Gewalt der Mafia verzwei feln. Die USA mußten von dem Bazillus Mafia befreit werden. Er war bereit, seinen Anteil dazu beizutragen. Menschenmassen hasteten durch die Flughafengebäude. Urlauber, Geschäftsreisende, Flughafenange stellte. Franco lenkte seine Schritte in Richtung Ladenstraße. Mit Cornwell im Schlepptau schritt er eilig an den Geschäften vorbei. Der Agent hatte seine Augen über all. Er versuchte, einen möglichen Verfolger zu verwirren, ihm zu ent kommen. Vor den Shops war weniger los als in den überfüllten Hallen, in welchen sich die Menschen drängelten. Mit Sicherheit aber wäre mancher Geschäftsmann eines Vorortes trotz dem glücklich gewesen, so viele Kunden an einem Tag bedienen zu dürfen. Leider ist meistens nur noch diesen kleinen Geschäftsleuten die Berufseinstellung eigen, die Kunden bedienen dürfen. Sie glauben im Un
terbewußtsein, daß die Kunden für sie da sind. Die beiden Männer bekamen Wortfetzen zahlreicher Gespräche mit, überhörten sie. Wurden mit In formationen aus Dutzenden von Lautsprechern versorgt, mit denen sie im Moment nichts anzufangen wußten, die sie nicht einmal beachte ten. Und immer blieb ihnen Canterbu ry auf den Fersen. Er ließ sich durch die Menschenmassen nicht aufhal ten. Der Sichtkontakt brach ab, bis Solo und Cornwell in einer Bank verschwanden. Canterbury zögerte einen Augen blick. Unentschlossen verharrte er vor der Panzerglastür des Geldinsti tutes. Er fluchte und schimpfte leise über Tim, diesen Colatrinker, den er noch nie hatte leiden können. Dieser Tim hatte ihnen die Tour vermasselt. Unbewußt suchte Canterbury schon nach Entschuldigungsgrün den, die er seinem Boß darlegen wollte, sollte das generalstabsmäßig geplante Unternehmen in die Hose gehen. Jimmy Carter, dieser Unglücks präsident, fiel ihm ein, der auch so oft Pech gehabt hatte. Daß Canter bury im Moment Grundsätzliches verwechselte und gleichstellte, wur de ihm als Straftäter nicht bewußt. Zwei Geldschalter, überlegte er, höchstens zwanzig Leute, ich falle auf, wenn ich nur blöd herumstehe. Sekunden vergingen. Er verlagerte das Gewicht von einem Fuß auf den anderen. Endlich zückte er in seiner aufge brachten Stimmung die Brieftasche und beabsichtigte, sich an einer der
beiden Schlangen anzustellen. Viel leicht um Geld zu tauschen, auf alle Fälle, um zu sehen . . . Seine Befürchtungen waren einge troffen. Er stand in der Bank, die Glastür schloß lautlos den Eingang. Die Männer hatten die Fliege ge macht. Canterbury fühlte sich wie aus ei ner Ohnmacht erwacht, gelähmt, mit langsamen Bewegungen, verzöger ten Reaktionen Weitere Sekunden verstrichen, oh ne daß er sich zu seinem letzten Mit tel durchzuringen traute. Er schlurfte durch den Nebenaus gang, durch den Solo und Cornwell verschwunden waren, zog niederge schlagen das Minisprechfunkgerät aus der Tasche, gab ein Funksignal und wartete die Antwort ab. „Abgehauen, die beiden, Richtung Freeway", meldete er mit einer Stimme, als ob er seine Informatio nen selbst nicht glaubte. Beschimpfungen blieben aus. Was hätte es genutzt, sich gegenseitig fer tigzumachen, statt den Auftrag aus zuführen. Mason startete den Motor und roll te mit dem überschweren Porsche 928 über die Betonpiste. Marty hüpfte wie ein durchtrai nierter Jogger aus dem entwendeten Chrysler und spurtete in die gemel dete Richtung. Schon nach wenigen Schritten mußte er allerdings seinen Gang langsamer schalten. Die Pfun de zu bewegen, strengte bei seinem dicken Bauch ganz schön an.
Ungehindert erreichten Solo und 55
Cornwell die Bushaltestelle, die die Strecke Flughafen - San Francisco bediente. Gerade als ein Taxi auffordernd an der Gruppe vorbeirollte, sprang Solo an den Straßenrand. „Taxi!" Cornwell verstand sofort und schwang sich hinter ihm auf den rechten Rücksitz. Sie nahmen Fahrt auf. „Wohin?" Eine stereotype Frage. „Holiday Inn", antwortete Franco Solo. „Welches Holiday Inn? Es gibt vier", sagte der Driver. Seine Stim me dröhnte wie ein Kontrabaß. Vom Beifahrersitz erwiderte Franco: „Van Ness Avenue." Daß in der Nähe des Holiday Inn ein Mafiaboß seine Zentrale hatte, wußte Solo zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Auch Colonel Warner, Franco Solos Chef, der seinem Mitar beiter dieses Haus empfohlen hatte, hatte einige Tage zuvor ebenfalls nichts davon gewußt. Der Driver nickte und wiederholte die Anschrift. Cornwell taute auf. Seit Stunden war von ihm nur wenig zu hören ge wesen. „Schönes Wetter in San Francisco", begann er wie Milliarden Menschen vor ihm ein Gespräch, das nur die Bereitschaft, sich zu unterhalten, te sten sollte. „Ja, schönes Wetter", wiederholte Franco. „Ich hätte nie gedacht, daß wir so gut durchkommen würden, ich mei ne, daß wir in dieser kurzen Zeit..." Franco Solo drehte sich um. Mit ei nem ernsten Blick beabsichtigte er, 56
seinen Hintermann zum Schweigen zu bringen. Ihm fiel zwar der rote Porsche 928 ins Auge, aber Solo dach te sich nichts dabei. Gerade wollte er sich wieder nach vorn wenden, da wurde ihm Unge wöhnliches bewußt. In einem Zwei sitzer drängelten sich drei Männer. Franco Solo behielt die Sache für sich. Permanent haftete sein Blick in dem Rückspiegel, der, wie bei teuren Autos üblich, auch an der rechten Seite des Fahrzeugs angebracht war. Der Porsche fiel zurück. Hatte er sich getäuscht? Sekundenlang war er im Ungewis sen. Der Porsche rückte erneut auf. Vielleicht vierzig Yards lagen zwi schen den beiden Fahrzeugen. Franco ließ den Renner nicht aus den Augen. Da sah er auf der rechten Seite ei nen Arm aus dem Fenster winken. Die Perspektive täuschte, es hatte niemand gewunken. Eine Waffe war auf das Taxi gerichtet. „Finger weg!" schrie Franco den verdutzten Taxifahrer an. Im selben Moment hatte er das Lenkrad unter Kontrolle und drehte es nach links. Glück gehabt, dachte der Mafiajä ger, der als einziger in dem Taxi wußte, daß sie verfolgt wurden. Das Geschoß des Revolvers zischte an der rechten Fensterfront des Ta xis vorbei. Ohne Detonation, denn die Gang ster feuerten mit Schalldämpfer aus dem Revolver. Der Driver verlangte die Kontrolle über das Fahrzeug zurück. „Spinnen Sie?" fuhr er Franco an. Ohne auf die provokative Frage
einzugehen, brüllte der Mann vom COUNTER MOB den Taxifahrer zu. „Vollgas! Wir werden verfolgt!" „Ich sag ja, Sie spinnen", kommen tierte der Fahrer und machte keiner lei Anstalten, die Geschwindigkeit zu erhöhen. „Drehen Sie sich um!" befahl Solo. „Wenn Sie mir nicht glauben, bitte, drehen Sie sich um." Die Augen des Mittfünfzigers wei teten sich, als er die dunklen Gestal ten in dem Zweisitzer erkannte. „Warum sagen Sie das nicht gleich?" „Idiot!" entfuhr es Solo. Ein Stahlmantelgeschoß ratschte über den Teer. Sirrend übertönte es den schnurrenden Achtzylinder. „Die schießen auf die Reifen!" sag te der biedere Familienvater. Die Furcht in Gestalt der bewaffneten Männer saß ihm im Nacken. Bleich hockte er hinter dem Lenkrad. „Rein in die City!" brüllte Franco den wie betäubt dasitzenden Mann an. „Dort sind wir einigermaßen si cher." Scheinbar hatte der Fahrer die Sa che falsch verstanden, oder er war, ausgelöst durch die Angst, nicht Herr seiner Sinne. Jedenfalls riß er das Fahrzeug an der nächsten Rechts kurve so hastig herum, daß der auf den Rücksitzen liegende Juwelier sich den Kopf an der Tür anstieß. Der Taxifahrer hatte genau das Verkehrte getan. Statt in der Stadt die Sicherheit zu suchen, bog dieser Mensch nach rechts ab, auf die Ne benstraße der Nebenstraßen. Eine kleine, zweispurig geteerte Straße, die als Bedarfsumleitung zum Bade ort Santa Cruz führte. Nur ein alter Campingbus klap
perte über die Feld-Wald-und-Wie sen-Straße. Plötzlich schien dem bleichen Fah rer die Situation bewußt zu werden. Wahrscheinlich erinnerte er sich an sein altes Hobby, als er aus dem mü den Buick die schlafenden Pferde wachkitzelte. Früher, bis vor etwa fünfzehn Jah ren, hatte er sich ein paar Extra-Dol lar gelegentlich als „Crash-Fahrer" verdient. Diese alte Leidenschaft, die Grenzen einer Blechkiste aufzuzei gen, kam ihm ins Gedächtnis. Er trat das Gaspedal jetzt ganz durch, kuppelte blitzschnell und warf den fünften Gang ein. Doch er wußte, daß er gegen den roten Flitzer im Beschleunigen keine Chance hatte und sich deshalb etwas anderes einfallen lassen mußte. Er zog die Blechkiste, die er ohne hin bald abstoßen wollte, auf die Sandwüste. Sand und Steine, die es in der Coast Range so zahlreich gab wie Wasser tropfen im Ozean, wurden von den durchdrehenden Reifen in die Luft geschleudert. Der 928er ließ sich nicht abschüt teln, hier ebensowenig wie an der Abfahrt vom Freeway. Auch in die ser Nobelkarosse für Sportliebhaber saß ein Könner am Lenkrad. Franco hatte sich inzwischen auf den Sitz gekniet, und die Fenster scheibe heruntergekurbelt. Den Re volver hielt er in der Faust. „Achtung!" kündigte der Driver ein weiteres Kunststück an. Vollgas. Handbremse. Einschla gen. Vollgas. Die Fliehkraft drückte Franco in die rechte vordere Ecke des Fahr 57
zeugs. Ehe sich die Verfolger auf die neue Situation einzustellen vermochten, raste ihnen der Ex-Crasher entge gen. In einer Sand- und Staubwolke hatte er den Buick gewendet, so wie es Interessierte beim Schleudertrai ning erlernen können. Und er jagte der roten Gefahr entgegen. Ein Ausweichmanöver des Por schefahrers erfolgte. Mit mäßigem Erfolg. Der Buick rammte nicht, wie beab sichtigt, die Längsseite des Gegners im Parallelfahren, sondern riß aus dem Fließheck des Porsche ein Stück heraus. Geschosse durchschlugen die Ka rosserie des Buick, verletzten aller dings niemanden. Auch Franco durfte sich nicht län ger zurückhalten, wollte er das Le ben seines Zeugen und des Taxifah rers und nicht zuletzt sein eigenes retten. Die stark beschädigten Wagen ent fernten sich in Schlingerbewegun gen. Es waren bei dieser Schlitterpartie nur Karosserieteile in Mitleiden schaft gezogen worden, die sich in keiner Weise auf die Verkehrstaug lichkeit der Autos auswirkten. Ein potentieller Käufer hätte aber si cherlich versucht, einen saftigen Ra batt wegen der Blechschäden her auszuschinden. Wie auf Kommando fegten die Fahrzeuge in spitzen Kurven durch das wüstenähnliche Gelände unweit der Nebenstraße und jagten erneut aufeinander los. Scheinbar um sich Mut zu machen, betätigte der Fahrer des Porsche das 58
Horn. Vielleicht sollte dieses weiche Signal, das mit seinem melodischen Klang überhaupt nicht zu der hekti schen Auseinandersetzung paßte, nur die immer schneller näher kom menden Gegner irritieren. Keiner der beiden Fahrer machte einen Rückzieher. Noch blieb ein Augenblick Zeit, den drohenden Frontalzusammen stoß zu verhindern. Es wäre der letz te Knall in diesem privaten CrashTurnier gewesen. Weder Fahrzeuge noch Insassen, die überhaupt nicht angeschnallt waren, hätten die Katastrophe über lebt. Franco machte in der Sandwolke das Aufblitzen mehrerer Feuerlan zen aus. Bruchteile von Sekunden später fetzten die Stahlmantelgeschosse in die Karosserie, arbeiteten sich be drohlich nahe an der Frontscheibe hoch. Die allerletzte Chance. Der Taxi-Buick schleuderte her um. Die Geschosse der Gegner behark ten die Längsseite des Buick. Wieder hatte Franco keine Gele genheit, von seinem Beifahrersitz auf der rechten Seite des Taxis den nach links an ihnen vorbeisausenden Porsche zu beschießen. Der Chauffeur wirkte wie die Ru he selbst. Den Fuß auf dem Gaspedal, die Linke am Steuerrad, die Rechte auf der Handbremse, so lag der Mann auf dem zu einem Liegesitz umge bauten Fahrersitz. In dieser Lage bot er seinen Gegnern die geringste An griffsfläche. Stumm hatte sich Cornwell seinem
Schicksal ergeben. Er hätte ohnehin nicht, auf dem Rücksitz liegend, ir gendwie den Ausgang der Auseinan dersetzung beeinflussen können. Der erste Kontakt mit der linken Hinter tür bereitete ihm noch immer starke Schmerzen, deshalb hielt er die Hän de um den Kopf, um die nächsten Zu sammenstöße weniger hart ausfal len zu lassen. Mit dem gleichen Karacho wie zu vor rasten die beiden Fahrzeuge auf einander zu. Ellentiefe Sandfurchen hinterlie ßen sie an den Stellen, an denen der Sand locker aufgehäuft war. Zwischendurch faßten die Reifen besser. Kleine und größere Steine waren für die bessere Bodenhaftung verantwortlich. Die Fahrer gewöhnten sich schnell an das in unregelmäßigen Abstän den auftretende Rucken. Wieder ein mal zeigte sich, daß der Mensch ein „Gewohnheitstier" ist, daß er schnell lernt, auch mit den ungewöhnlich sten Situationen fertig zu werden. Die Mafiosi heiterten sich während der kurzen Wendepause durch hefti ge Sprüche auf, sonst herrschte in dem Porsche eine gespannte Atmo sphäre, die für sich sprach. In dem Taxi-Buick wurde fast überhaupt nicht gesprochen. Corn well, der Juwelier, hockte auf dem Rücksitz. Der Taxifahrer, dem Franco beim Antritt der Fahrt nicht sonderlich sympathisch war, ver stand sich nun mit dem Mann vom COUNTER MOB. Wäre es eine rein sportliche Ange legenheit gewesen, und hätte nicht das Leben mehrerer Menschen auf dem Spiel gestanden, hätte ihm das 60
Chrash-Fahren richtig Spaß ge macht, wie in alten Zeiten. Für Bruchteile von Sekunden überlegte Franco, ob er sich auf den Rücksitz schwingen und von der lin ken Fahrzeugseite aus feuern sollte. Wichen die Wagen erneut in Rechts kurven auseinander, würde wieder keine Entscheidung fallen. Es sei denn, der Porschefahrer beging ei nen Fehler. Aber von der rechten Beifahrerseite einen links vorbeira senden Wagen zu treffen, war so gut wie unmöglich. Franco nickte, deutete mit der waffenbewehrten Hand nach links. Der Driver verstand. Und nun überschlugen sich die Er eignisse. Von einem Moment zum anderen verwandelte sich die Frontscheibe in ein Meer kleiner und kleinster Schei ben. Und ein faustgroßes Loch klaff te in den Trümmern der Verbund glasscheibe. Wie gebannt starrte Solo für einen Augenblick auf die matten Glas trümmer. Dann fiel sein Blick auf den Taxichauffeur. Hilflos lag der Mann in dem Liege sitz. Ein größerer werdender Blut fleck zeichnete sich auf seiner leich ten Strickjacke ab. Den rechten Fuß hielt er im Reflex auf das Gaspedal gepreßt, und der Buick raste führer los in die Sandwüste. Cornwell zuckte hoch. Die leiser werdende Maschine des passieren den Porsche bedeutete für ihn soviel wie Entwarnung. Fassungslos kau erte er auf der Bank. Solo hatte es im verstellten Rückspiegel gesehen. In mörderischem Tempo jagte der Buick weiter.
Bis es Mason Somerton, der Por schefahrer, schaffte, hinter dem Buick herzurasen, mußte er erst einmal seinen Wagen abbremsen und wen den. Das geschah mit einer Hektik und einer Brutalität, wie sie kein Autoliebhaber zu entwickeln im stande ist. Während Somerton seine beiden Kumpane und sich selbst in der Kur ve, die über zahlreiche Steine führte, durchschüttelte, bereitete Franco Solo den Gegenangriff vor. Mit einem Schubs hatte er den rechten Fuß des ohnmächtigen Taxi fahrers vom Gaspedal befördert. Nun schob er den Mittfünfziger über die schrägstehende Rückenlehne nach hinten. Bei dieser Aktion half ihm Cornwell tatkräftig. Der Buick rollte langsamer. Die Mafiosi rauschten geräuschlos näher. Da drohte der Motor des Buick zu streiken. Franco war es zwar gelun gen, den Bleifuß vom Gaspedal zu holen, nicht aber auszukuppeln. Während sich Cornwell neben den stoßweise atmenden Taxifahrer kauerte, gelang es dem Mafiajäger zuerst einen Fuß, dann den zweiten hinüberzusetzen. Anschließend wuchtete er sich ganz auf den Fah rersitz. Auskuppeln. Bremsen. Wenden. Routiniert brachte er den Wagen auf Touren. „Ein Verletzter ist schon zuviel", murmelte Franco vor sich hin. Er schien mit dem Buick ausweichen zu wollen, den Männern zu entkommen, doch er brauchte nur einige Sekun den. „772 an Zentrale", meldete er sich.
„Schießerei Nähe Freeway. Neben straße nach Santa Cruz ..." „Langsam, langsam!" ertönte die Stimme einer schnippischen Tele fonfrau. Aber Franco verschaffte sich Ge hör. Wiederholte seine Angaben und forderte gleichzeitig einen Kranken wagen an. Jetzt hielt er wieder auf den Por sche zu. Das Fenster auf, den Revol ver in der Hand. Lautlose Schüsse, krachende Ein schläge waren die Begrüßung in der neuen Runde. Im Gegenzug antwor tete Franco Solo mit drei kurz hin tereinander abgefeuerten Detona tionen. Ein Geschoß versank im Sand, das zweite aber zerfetzte den Breitstrei fen des Porsche. Vorne links. Der Mafiajäger drehte ab und be obachtete aus dem Rückspiegel das Geschehen. Der Porsche schlingerte, hopste über einen tischgroßen Stein und überschlug sich. Der Blickwinkel änderte sich, da Franco einer Steinbarriere auswei chen mußte, und so sah der Agent nicht mehr, wie sich der feuerrote Porsche sich in Richtung Straße um die Längsachse überschlug. Die teure Blechkiste fing Feuer und blieb auf dem Dach liegen. Zu Cornwells Entsetzen raste Franco zu der Unglücksstelle, stopp te den Buick in angemessenem Ab stand und schwang sich aus dem Wa gen. „Der Renner explodiert!" versuch te Cornwell den Agenten zurückzu halten, doch der schenkte dieser Warnung kein Gehör. 61
Noch einmal schrie der Juwelier dem davonspurtenden Agenten hin terher. Diesesmal hätte Franco kein Wort verstanden, auch wenn er es gewollt hätte. Die Distanz war schon zu groß. Ohne auf sein eigenes Leben Rück sicht zu nehmen, riß er die Fahrertür auf. Unter Aufbietung aller Kräfte zog er den schwer verletzten Mason Somerton aus dem brennenden Wrack. Der dicke Marty konnte sich selbst retten. So schnell ihn seine kurzen Beine trugen, flüchtete er auf das schmale Teerband der Nebenstraße ohne nach rechts oder links zu blik ken. Ein schwerer Truck, der nie und nimmer diese Nebenstraße hätte be nutzen dürfen, erwischte den Buch halter. Mit quietschenden Reifen ver suchte der Trucker, den Laster zum Stillstand zu bringen. Dort konnte Solo nicht mehr hel fen. Dem Porschefahrer hingegen ret tete er das Leben. Noch kümmerte sich Franco um den Mafioso, da zer riß eine Explosion die dumpfe Ge räuschkulisse. Jack Canterbury starb in den Flammen. Ein Heulton wurde schnell lauter. Franco wurde an den Film erinnert, den er sich vor der Bahnfahrt ange sehen hatte. Er erkannte den Kran kenwagen und die Taxis, die ihn be gleiteten und überholten. „U - Udine, die - dieses Schwein", stotterte Mason Somerton in den Ar men seines Retters. „Wer ist dieser Mann?" fragte Solo. 62
Doch es kam keine Antwort. Ma son Somerton, dessen Namen Franco nicht kannte, starb, ohne noch weite re Informationen geliefert zu haben. Der Krankenwagen, mehrere Ta xifahrer und ein Motorradfahrer der City Police trafen in kurzen Abstän den ein. Schon drohte Panik unter den Ta xifahrern auszubrechen, als sie ihren schwerverletzten Kollegen sahen, da sorgte der Uniformierte für Diszi plin. Er nahm ein Protokoll auf. Nach einer Viertelstunde Ver handlung stimmte Franco Solo zu, den Zeugen Cornwell bis zum Pro zeßbeginn unter Polizeischutz zu stellen. Auch Cornwell war einverstanden. In den letzten Tagen hatte er so viel Aufregendes und Nervendes erlebt wie in vielen Jahren zuvor nicht. Mit dem nächsten Streifenwagen wurde Cornwell in Schutzhaft ge bracht. Solo hatte den Namen Udine, die einzige Information des sterbenden Somerton in das Protokoll schreiben lassen. „Ist als Mafioso bekannt", kom mentierte der Uniformierte mit ru higer Stimme, „nur überführen ha ben wir ihn noch nicht können. Viel leicht klappt es dieses Mal." Zwei Stunden später, die Untersu chungen am Ort des Geschehens wa ren abgeschlossen, fuhren zwei Be amte mit Franco im Streifenwagen nach Oakland. Sie holten das Gepäck aus dem „San Francisco Zephyr". Nach einem halben Tag, den Solo noch auf dem Revier verbringen mußte, konnte er den Rückweg nach
Washington antreten. Seine Anga ben hatten sich als wahr erwiesen. Tim dagegen, der durch einen Zu fall einen Besuch auf dem Präsidium abstatten mußte, wurde festgehal-
ten.
Für Solo war das Unternehmen ein
voller Erfolg. Wieder einmal hatte er der Mafia eine entscheidende Nie derlage beigebracht.
ENDE
ex libris
KAPTAIN STELZBEIN 2010
Nächste Woche erscheint: FRANCO SOLO Band 204
Die Todessteine aus Sri Lanka Als Franco der Edelsteingang auf die Spur kam, hetzte ihre Killergarde ihn quer durch den Dschungel von Ceylon . . . Vergessen Sie nicht, sich diesen spannenden FRANCO SOLO zu besorgen. Dieser knallharte Krimi, der Ihnen zeigt, wie mächtig und skrupellos die größte Gangsterorganisation der Welt, die Mafia, wirklich ist. Lesen Sie:
FRANCO SOLO
Die Todessteine aus Sri Lanka Schon nächste Woche bei Ihrem Zeitschriftenhändler und im gesamten Bahn hofsbuchhandel.
Oktober 1980
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