Gespenster-
Krimi � Zur Spannung noch die Gänsehaut � Nr.353 � .353
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In den Straßen der � Angst � 2 �
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Gespenster-
Krimi � Zur Spannung noch die Gänsehaut � Nr.353 � .353
Mike Shadow �
In den Straßen der � Angst � 2 �
Der schwarze Opel Diplomat rollte am Straßenrand aus. Kurz leuchteten die Rückleuchten auf, dann stand der Wagen. Die Fahrertür wurde geöffnet, und eine junge Frau stieg aus. Auch auf der anderen Seite wurde der Wagen geöffnet. Ein junger Mann verließ die schwarze Limousine und reckte sich. Sein Blick wanderte zum ein paar hundert Meter entfernten Strand. Er konnte die kleinen Gischtkronen auf den Wellenkämmen erkennen. Das Aufheulen eines Motors vernahmen beide zu spät. Die Straße war leer gewesen. Jetzt aber schoß ein anderer Wagen um die Kurve, die hinter einer kleinen Baumgruppe verschwand. Die Frau stieß einen gellenden Schrei aus. Ein heftiger Ruck ließ den Diplomat erbeben. Ein Körper flog durch die Luft, Metall schrie unter der Wucht der Verformung. Dann raste der dunkelgrüne Mercedes weiter. *** Wie erstarrt sah der Mann ihm nach. Tief brannten sich die Fahrzeugkennzeichen in seinem Gedächtnis ein. Und auch der Anblick des zerschmetterten Mädchenkörpers, der langsam von der Motorhaube des schwarzen Wagens rutschte, auf die er geschleudert worden war. Die Fahrertür lag irgendwo vor dem Wagen auf der Straße, zerschmettert und formiert. Der Mann wußte, daß es kein Unfall gewesen war. Es hatte sich um einen Mordanschlag gehandelt, und der Fahrer war kein Mensch gewesen. Das grausam verzerrte Gesicht eines Dämons hatte Ted Ewigk triumphierend angegrinst! *
Die Sonne stand noch tief. Blutrot hing sie am Horizont und tauchte die am Himmel sich jagenden Wolkenfetzen in lodernden Feuerschein. Langsam rollte der schwarze Opel Diplomat, an dem alle Chromteile vergoldet waren, die Küstenstraße entlang. Wieder einmal. Ted Ewigk kam einfach nicht darüber hinweg. Immer wieder sah er im Traum die von der Motorhaube rutschende, blutende Gestalt des sterbenden Mädchens. Nichts hatte sie retten können. Sie hatte noch ein paar Minuten gelebt und war in seinen Armen gestorben. Warum? fragte er sich immer wieder. Warum, zum Teufel, sie? »Weil sie gefahren ist«, murmelte 3 �
er im Selbstgespräch. »Normalerweise wäre ich links ausgestiegen. Das konnte der Dämon nicht ahnen…« Er hielt den Wagen an. Hier war die Stelle, wo sie gestorben war. Ermordet von einem unheimlichen Wesen aus dem Schattenreich, das sich an Ted Ewigk rächen wollte. Er war jeden Tag hierher gekommen und wußte doch, daß er es nicht wollte. Er mußte die unselige Szene vergessen, verdrängen, und doch riß er die Wunde täglich neu auf. Er stieg aus. Auch heute würde kein dunkelgrüner Mercedes kommen und ihn niederfahren. Die Schwarzblütigen wiederholten ihre Tricks nie, besonders dann nicht, wenn sie fehlgeschlagen waren. »Eva«, murmelte er. Am Wagen war nichts mehr zu sehen. Er hatte eine neue Tür und einen neuen Kotflügel bekommen; die Versicherung hatte gezahlt. Die polizeiliche Fahndung nach dem Todesfahrer lief; der Wagen war bisher nicht aufgefunden worden. Auch der Fahrzeughalter hatte nicht ausfindig gemacht werden können. Die Nummer des Wagens war nirgends registriert, existierte überhaupt nicht. Eine Woche war es jetzt her. Ted schwankte leicht. Es war bodenloser Leichtsinn gewesen,
jetzt, am frühen Morgen herzukommen. Am Abend hatte er sich betrunken, zum erstenmal seit jenem Tag, da er seine erste Jugendsünde beging und sich an einer Wodkaflasche im Getränkeschrank seines Vaters vergriff. Restalkohol kreiste noch in seinen Adern, und ihm war übel. Immer wieder stieg es in ihm hoch. Ein innerlicher Zwang hatte ihn hergeführt, wie an den anderen Tagen auch. Hier war Eva Groote gestorben, das Mädchen, das er geliebt hatte wie nichts anderes auf der Welt. Immer wieder sah er sie und ihr fröhliches Lachen vor sich, ihre blauen Augen, den roten Kußmund, die kleine Stupsnase, das lange, im Wind wehende Blondhaar… und dann die Szene, als sie von dem Wagen auf die Motorhaube geschleudert wurde, während vor ihr krachend die Tür abbrach, zerbarst. Es war vorbei. Eva war tot, für immer verloren. Ted ließ den Wagen stehen und schritt die Böschung hinunter, dem Meer entgegen. Hundert Meter, zweihundert, zweihundertfünfzig Meter war das Wasser an dieser Stelle von der Straße entfernt. Die Flut brachte es bis auf fünfzig Meter an die Straße heran. Sein Gesicht wirkte versteinert. Der ohnehin dünnlippige Mund war 4 �
nur noch ein Strich, seine grauen Augen waren schmal. Der Mann mit der Statur eines auf Raubzug fahrenden Wikingers blieb irgendwo im feuchten Sand stehen. Der Wind fuhr durch das dunkelblonde, bis zum Kragen reichende Haar des sechsundzwanzigjährigen StarReporters und ließ die Strähnen wehen. Das Meer rauschte, und der einsame Mann lauschte der Stimme des Ozeans und den flüsternden Tönen aus unendlichen Fernen. Fast automatisch bewegte sich sein Fuß, seine Schuhspitze zeichnete einen Namen in den nassen Sand. EVA Die Flut würde kommen und den Namen auslöschen. Sie war stärker als alles andere. Ted Ewigks Fäuste waren geballt. Seine grauen Augen starrten in die Ferne, wo der morgendliche Himmel hellrot brannte im Feuer der aufgehenden Sonne. »Verfluchter Dämon«, murmelte Ted Ewigk bitter. »Du hast mir Eva genommen. Ich werde dich finden, und wenn ich ein Leben lang suchen muß. Und dann… werde ich dich vernichten! Mit diesen beiden Händen!« Und er hob seine zu Fäusten geballten Hände empor. »Ich schwöre es!« schrie er. »Bei Evas Blut!« Dann fielen seine Arme wieder herab. Leicht vorgebeugt stand der
große, schlanke Mann einsam am Strand, über den der leichte, kühle Wind strich. Er fühlte sich ausgebrannt, leer. Tot. Mit Eva war ein Teil von ihm gestorben. Sein Schwur war kein leeres Wort. Es wäre nicht der erste Dämon gewesen, den er zur Strecke gebracht hatte. Er wußte, daß es diese Schattenwesen gab – und ihre Helfer und Helfershelfer. Grohmhyrxxa, der Fliegenköpfige, und sein Priester Yago – damit hatte es seinerzeit begonnen (siehe GK 270 »Die Burg des Unheils«). Dann Pandora, das Überbleibsel aus ferner Vergangenheit, und der Minotaurus. Später in der Bretagne der Geisterlord. Und dafür wollten die Dämonen ihn auslöschen. Der Mordanschlag hatte ihm gegolten. Er hatte sterben sollen, weil er sich gegen die Schwarze Familie gestellt hatte. Daß an diesem Morgen Eva den Wagen gelenkt hatte, hatten die Dämonen nicht ahnen können. Langsam kehrte der Einsame zu seinem Wagen zurück, stieg ein und fuhr wieder los. Langsam und vorsichtig, weil er sich selbst nicht traute. Hoffentlich komme ich in keine Kontrolle, dachte er. Doch niemand hielt ihn auf. * Vor dem kleinen Hotel, in dem er � 5 �
untergekommen war, stoppte der Wagen ab. Trotz Evas Tod hatte Ted den Urlaub nicht abgebrochen. Urlaub – den gab es für ihn eigentlich nicht. Ein Reporter hat niemals Urlaub, oder er ist kein Reporter. Und für Ted Ewigk traf dies in besonderem Maße zu. Er hatte eine Blitzkarriere hinter sich. Um seine Berichte und Artikel rissen sich Zeitungen und Rundfunkanstalten. Die Zeit, in der er bei einer Frankfurter Zeitung fest angestellt war, war vorbei. Er hatte den Vertrag gelöst und arbeitete jetzt selbständig. Er suchte sich seine Themen selbst aus, und er diktierte die Preise. Seine älteren Kollegen, die es in langen Jahren nicht annähernd so weit gebracht hatten, beobachteten seine Erfolge neidvoll. Vor ein paar Jahren hatte er in Hamburg Eva Groote kennengelernt. Sie waren zusammengeblieben. Die Entfernung Frankfurt-Hamburg war für Ted ein Katzensprung, und schließlich siedelte Eva nach Frankfurt um. Aber die Heimat lockte, und so hatten sie beschlossen, für zwei Wochen an die Nordseeküste zu fahren. Nicht Hamburg, das war auch Eva zu hektisch geworden. Sie hatten sich im Ammerland eingenistet, ein paar Kilometer von der Küste entfernt in einem kleinen Dorf. Mit Land und Leuten fanden sie schnell Kontakt. Und jetzt war Eva tot.
Ted hatte das Hotelzimmer in Neuenburg behalten. Dabei war er nicht in der Lage, zu erklären, warum er es tat. Ebensowenig, warum er jeden Tag hinausfuhr zur Küste, dorthin, wo Eva gestorben war. Man hatte sie nach Hamburg überführt, wo sie ihren Platz in der Familiengruft ihrer Eltern gefunden hat. Doch seltsamerweise zog es Ted nicht zu dem Grab. Er fühlte sich sogar davon abgestoßen. Ted stellte den Wagen auf dem Parkstreifen ab und stieg aus. Er brauchte das Fahrzeug nicht abzuschließen, hier drohte keine Gefahr. Unschlüssig sah er an der Fassade des kleinen Hotels empor. Genaugenommen war es kein Hotel, sondern eine Gaststätte mit Zimmervermietung. Aber er bezeichnete das Ding Einfachheit halber als Hotel. Er blieb auf dem Gehweg stehen. Kurz sah er auf die Uhr, es war noch früher Vormittag. Was sollte er tun? Etwas ratlos sah er die Straße entlang. Plötzlich erstarrte er. Er hatte einen dunkelgrünen Mercedes gesehen. Der Anblick durchfuhr ihn wie ein Schlag. »Verdammt«, murmelte er. »Sollte das…?« Er riß die Wagentür wieder auf und griff ins Handschuhfach. Darin befand sich eine Waffe, von der es nur äußerst wenige Exemplare gab und die exklusiv zur Ausstattung eines Kasseler Sicherheitsdienstes 6 �
gehörte. Ein guter Freund hatte Ted die Waffe besorgt, um die sich der Bundesnachrichtendienst gerissen hätte, wäre ihm die Existenz bekanntgewesen. Die Waffe verfügte über ein an der Steckdose aufladbares Magazin, mit welchem je nach eingestellter Stärke über kurze Distanz sechs bis sieben ElektroSchocks abgegeben werden konnten, die den Getroffenen für eine gewisse Zeit paralysierten. Ted, der Schußwaffen verabscheute, akzeptierte dieses Gerät dennoch, weil es niemanden zu töten in der Lage war. Er schob die Waffe in die Tasche seines Blousons und ging langsam auf den vor der Apotheke parkenden Mercedes zu. Am Heck glänzte die silberne 500, und das Fahrzeugkennzeichen elektrisierte Ted förmlich, als er es wiedererkannte, Es war der Mord-Wagen! Der Fahrer war nicht zu sehen. Ted blieb neben dem Wagen mit der Nummer, die es nicht gab, stehen. An der Typbezeichnung und den versenkten Scheibenwischern erkannte er, daß es sich um das neueste Modell handelte, das erst seit ein paar Wochen erhältlich war. Warum rufe ich nicht die Polizei an? fragte er sich und bewegte sich nicht von der Stelle. Irgendwann mußte der Fahrer auftauchen, und Ted hatte vor, ihm einige handfeste Fragen zu stellen. Der Mercedes war nicht abge-
schlossen. Ted grinste freudlos. Er wartete weiter ab, bis sich plötzlich die Tür der Apotheke öffnete und ein vollschlanker Mann in grauem Anzug und knallrotem Schlips heraustrat. Seinen rundlichen Kopf zierte ein Kranz weißer Haare, und die buschigen, ebenfalls weißen Brauen berührten sich über der Nasenwurzel fast. Der Mann stutzte kurz, als er Ted neben seinem Wagen stehen sah, dann schritt er rasch an dem Reporter vorbei und zur Fahrerseite des Wagens. Als er die Tür hinter sich zuschlug, reagierte Ted blitzschnell. Er riß die Beifahrertür auf und schwang sich ebenfalls in den Wagen. »So, mein Bester«, sagte er trocken. »Jetzt werden Sie mir ein paar Fragen beantworten.« Überrascht starrte der Weißhaarige ihn an. * Irgendwie fühlte Ted sich enttäuscht. Er hatte eine andere Reaktion erwartet – Abwehr, Angriff, Kampf. Oder eine parapsychische Beeinflussung. Doch er spürte nichts davon. Der Weißhaarige hob befremdet die Brauen. »Verlassen Sie auf der Stelle den Wagen«, forderte er den Reporter auf. »Wer sind Sie überhaupt? Ein Bandit?« 7 �
Ted griff langsam in die Tasche. »Ich werde die Polizei rufen«, sagte der Weißhaarige und machte Anstalten, den Wagen zu verlassen. Ted rührte sich nicht mehr, aber als die Fahrertür aufflog, fragte er halblaut: »Sind Sie sicher, daß das in Ihrem Interesse ist?« Der Weißhaarige erstarrte in der Bewegung. Dann wandte er langsam wieder den Kopf. »Was wollen Sie damit sagen? Wollen Sie mir drohen?« Ted preßte die Lippen zusammen. Die Reaktion des Dämons war sonderbar. Aber er mußte ein Schwarzblütiger sein. Nur zu gut hatte Ted sich die Nummer des Wagens gemerkt – eine Nummer, die es nicht gab! »Zeigen Sie mir den Fahrzeugschein«, verlangte er kalt. »Sie sind verrückt!« stieß der Weißhaarige hervor. »Wer sind Sie überhaupt?« »Sie kennen mich. Sie wollten mich ermorden und haben den falschen erwischt – meine Freundin. Warum? Das will ich von Ihnen wissen. Und wer Sie wirklich sind. Und Ihre Fahrzeugpapiere will ich sehen.« »Sie verlangen ein wenig viel«, brummte der Korpulente. »Haben Sie sich da nicht etwas übernommen?« Der Handkantenschlag kam ansatzlos. Im letzten Moment
erkannte Ted die Bewegung, drehte sich halb und fing den Hieb mit der Schulter ab. Er wurde gegen die Tür geschleudert. Der Weißhaarige sprang aus dem Wagen. Mit leichtem Stöhnen sprang Ted ebenfalls ins Freie. Er zog den Lähmstrahler aus der Tasche und legte an. »Bleiben Sie stehen!« Er wußte, daß die Elektroschocks auch bei Schwarzblütigen Wirkung zeigten. Zwar nicht so stark wie bei Menschen, aber immerhin! Selbst der Monotaurus hatte den Schocks nur wenig Widerstand entgegensetzen können. Als der Weißhaarige nicht reagierte, drückte Ted blitzschnell ab. Er sah den fahlblauen Energiefächer aus der konisch geformten Mündung mit dem kurzen Abstrahlpol schmettern. Die Waffe brummte dumpf. Der Weißhaarige brach zusammen, als habe ihm jemand die Beine weggerissen. Zähneknirschend steckte Ted den Schocker wieder ein und kniete neben dem Gelähmten nieder. Wie ein Dieb sah er sich nach allen Seiten um. Wenn jemand, auch aus einem Fenster heraus, die Szene beobachtet hatte und die Polizei alarmierte, würde Ted es sein, der in Kürze einige unangenehme Fragen zu beantworten hatte. Er packte zu und zerrte den Weißhaarigen zu seinem Mercedes zurück, um ihn auf den Beifahrersitz 8 �
zu verfrachten. Dann zog er den Zündschlüssel ab, ließ das Lenkradschloß einrasten und lief zu seinem eigenen Wagen. Die kurze Distanz legte er in Rekordzeit zurück, stieg ein und fuhr bis kurz vor die Kreuzung, wo vor der Apotheke der grüne Mercedes stand. Der Korpulente rührte sich noch nicht. Ted nahm den Hörer seines Autotelefons ab und wählte den Polizeinotruf. Mit wenigen Worten erinnerte er an die laufende Fahndung nach dem Wagen und beschrieb seinen Standort. Man versprach, einen Einsatzwagen zu entsenden. Ted stieg wieder aus und kehrte zu dem Korpulenten zurück. Er öffnete dessen Jacke und förderte mit sicherem Griff die Brieftasche ans Tageslicht. Neben einigen Geldscheinen und einer Diner’s Club-Karte befanden sich einige Ausweise und zu Teds Erstaunen tatsächlich der Fahrzeugschein darin. Der interessierte Ted vornehmlich. Soweit er es beurteilen konnte, war der Schein echt! Der Wagen war in Jever zugelassen, die Fahrgestellnummer war vermerkt, und auch der Eintrag über die in zwei Jahren stattfindende TÜV-Untersuchung fehlte nicht. Ted prüfte die Fahrgestellnummer nach. Sie stimmte mit der im Schein überein. Der Reporter furchte die Stirn.
Warum zum Teufel war dann der Wagen nicht registriert? Er öffnete einen der Ausweise des Weißhaarigen. Als er die Berufsbezeichnung las, pfiff er leicht durch die Zähne. Mercedesfahrer besaß seinen Doktorhut und war Stationsarzt am Krankenhaus von Varei! »Johannes Schott«, murmelte Ted. »Komischer Name…« Der Arzt bewegte sich immer noch nicht, als ein Polizeiwagen mit Martinshorn und zuckendem Blaulicht heranraste und neben den beiden Wagen stoppte. Die beiden Beamten sprangen heraus, einer hatte seine Waffentasche geöffnet. »Bleiben Sie mal ganz ruhig stehen, junger Mann, und weisen Sie sich aus! Was soll das hier?« fragte er barsch. »Ich glaube, hier läuft einiges quer«, murmelte Ted verdrossen. »Was wollen Sie von mir?« »Wir sind angerufen worden, daß Sie diesen Mann hier«, mit raschem und sicherem Blick hatte der schußbereite Polizist den Weißhaarigen auf dem Beifahrersitz entdeckt, »niedergeschossen haben. Geben Sie mir Ihre Waffe.« Ted grinste jetzt. »Ich habe keine Waffe«, sagte er. »Untersuchen Sie den Mann. Er ist unverletzt. Ich weiß nicht, was mit ihm los ist. Er lief vor mir davon, und dann brach er auf der Straße zusammen.« Der zweite Polizist maß Ted mit 9 �
einem mißtrauischen Blick. »Sie sollen ihn in seinem Wagen überfallen haben.« »Überfallen ist nicht das richtige Wort«, erwiderte Ted ruhig. »Ich wollte ihm ein paar Fragen stellen. Vielleicht sehen Sie sich mal die Nummer des Wagens an. Eh – da kommen Ihre Kollegen, Gleich sehen wir alle klarer.« »Freuen Sie sich nicht zu früh«, meinte der mit der offenen Pistolentasche. Ein zweiter Streifenwagen hielt jetzt an. Es war das Fahrzeug, das auf Teds Anruf hin geschickt worden war. Die beiden aussteigenden Polizisten sahen den gesuchten Mercedes, sahen sich an und dann ihre Kollegen. »Dascha gediegen, neech?« schmunzelte einer im breitesten friesischen Dialekt. »Da haben wir ja man so richtig Jagdglück heute, neech?« »Es ist der Wagen«, sagte Ted. »Ich sah ihn durch Zufall. Sie sind informiert?« Der Fahrer des zweiten Wagens nickte. »Tja. Sicher. Was ist mit dem Mann los?« Ted blieb bei seiner Version. Von der Existenz des Schockers brauchte niemand etwas zu erfahren. »Er ergriff vor mir die Flucht, als er mich erkannte, und brach plötzlich zusammen. Ich schleppte ihn in den Wagen zurück.« Der Uniformierte tastete nach dem
Puls des Weißhaarigen. »Puls normal. Erscheint ohnmächtig zu sein. Vielleicht hat er ein schwaches Herz.« »Stark genug, um andere Menschen zu Tode zu fahren«, sagte Ted grimmig. Seine Hand strich über Kotflügel und Haube des Wagens. »Hier – deutlich zu sehen, die Lackränder. Der beschädigte Wagen ist ausgebeult und beilackiert worden, und das ziemlich stümperhaft.« »In der Tat…« Ted händigte dem Polizisten die Brieftasche Schotts aus. »Das ist er. Ich hatte mir bereits erlaubt, hineinzusehen, um mich über seine Identität zu informieren. Mein Name ist Ewigk.« »Ich weiß…« Der Polizist schlug die Brieftasche auf und blätterte den Ausweis durch, der auch Ted aufgefallen war. »Doktor Johannes Schott, Stationsarzt am Krankenhaus von Varel…« Er warf einen Blick auf den Weißhaarigen. »Tja… den Doktor Schott kenne ich man zufällig, bloß so wie der da sieht er ja gerade nicht aus!« Ted Ewigk atmete tief durch. »Sind Sie sicher?« fragte er erregt. Der Polizist nickte. »So sicher, wie meine Großmutter an den Klabautermann glaubt! Der hier ist nicht Doktor Schott!«
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* � »Wenn er nicht Doktor Schott ist, muß er dessen Ausweis gestohlen haben«, erkannte Ted. »Kennen Sie Schott persönlich?« Der Polizist nickte. »Und ob! Einmal im Monat dreschen wir ‘ne Runde Skat. Da werde ich doch wohl wissen, wie er aussieht…« »Also jemand, der mit falschen Papieren hier herumschleicht – das sind ja völlig neue Aspekte!« sagte der mit der offenen Pistolentasche. Er ging zum Wagen. »Die Zentrale soll mal im Vareler Krankenhaus nach dem Verbleib von Doktor Schott forschen. Vielleicht…« Ted sah ihn aus schmalen Augen an. Hatte der Beamte den selben Verdacht, der in den letzten Sekunden auch in dem jungen Reporter aufgekeimt war? Der Fahrer des zweiten Wagens schüttelte den Kopf. »Was versprichst du dir davon, Hans?« »Ich habe ein komisches Gefühl bei der Sache«, murmelte der andere. »Da soll einer diesen Dicken zusammengeschossen haben, dann ist er unverletzt und nur so zusammengebrochen, und jetzt hat er auch noch die Papiere von Doktor Schott bei sich…« Er setzte sich in den Wagen und bediente das Funkgerät. Ein paar Minuten später kam er kopfschüttelnd wieder zurück. »Und?« fragte der Fahrer.
Der Polizist Hans hatte seine Hand wieder in verdächtiger Nähe der Dienstwaffe. »Hier muß was faul sein«, sagte er. »Das Krankenhaus sagte, Doktor Schott sei heute morgen nach Neuenburg gefahren, um ausgerechnet in dieser Dorfapotheke ein Präparat abzuholen, das er für irgend etwas benötigt. Auch sein Wagen wurde beschrieben. Ein nagelneuer, dunkelgrüner Mercedes. Auch die Nummer stimmt.« »Und die Nummer ist nirgends registriert! Weder in Jever noch sonstwo«, warf Ted ein. »Sie werden das Spielchen doch mitbekommen haben!« Hans sah sich um und erblickte die Apotheke. Dann setzte er sich in Bewegung. Ted folgte ihm. Nacheinander traten sie durch die schmale Tür ein. Ted sah durch das Fenster, wenn man den Kopf ein wenig reckte, konnte man trotz der Gardinen in den kleinen Fenstern das Geschehen an der Straße verfolgen. Es war möglich, daß der Anruf, Ted habe den Mann niedergeschossen, von hier gekommen war. Doch die junge Frau hinter der Eck-Theke verzog keine Miene, als sie den Wikinger-Typ hinter dem Polizisten bemerkte. »Kennen Sie den Mann, der eben hier bei Ihnen im Raum war?« fragte Hans. Ted hatte in seinem Kurzbericht auch erwähnt, daß der Weiß11 �
haarige hier herausgekommen war. »Ja, warum?« fragte die Apothekergehilfin. »Das ist Doktor Schott aus Varel. Er wollte ein seltenes Medikament abholen, das sonst nur nach langen Bestellungen erhältlich ist, wir aber rein zufällig im Lager hatten.« Ted und der Polizist sahen sich an. Dann fragte der Reporter: »Sind Sie sicher, daß das Doktor Schott war? Kennen Sie ihn? Wissen Sie genau, daß er weißhaarig und etwas korpulent war…« Die junge Frau schüttelte energisch den Kopf. »Was erzählen Sie denn da? Doktor Schott ist etwa in Ihrem Alter, junger Mann, ziemlich schlank, und weiße Haare hat er auch nicht… Ich glaube, wir reden von zwei verschiedenen Personen!« »Wir reden von dem Mann, der vor ein paar Minuten hier drin war«, stellte Hans richtig. »Weißhaarig und korpulent.« »Ein korpulenter Weißhaariger ist den ganzen Tag noch nicht hier gewesen!« behauptete die Frau. »Aber Doktor Schott?« fragte Hans. »Ja, zum Teufel! Was wollen Sie eigentlich mit dieser Fragerei?« Ted lächelte entschuldigend. »Wir versuchen nur, Klarheit über die Identität dieses Weißhaarigen zu schaffen. Vielen Dank, gnädige Frau. – Eine Frage noch? Wissen Sie zufällig, welchen Wagen Doktor Schott
fährt?« Sie streckte den Arm aus und deutete zum Fenster. »Den da – großer Himmel, ist etwas mit dem Doc passiert?« Doc, registrierte Ted mit einer ihm selbst seltsam vorkommenden Kälte. Doc hat sie gesagt, und nicht Doktor! Doc, die amerikanisierende und nicht besonders gesellschaftsfähige Abkürzung für Doktor. Wie kam ein norddeutscher Arzt an die AmiBezeichnung? Und daß die Apothekergehilfin diese Bezeichnung benutzt hatte, zeigte, daß sie Doktor Schott gut kennen mußte! Sie war als erste draußen. Ted und der Polizist folgten ihr kopfschüttelnd. Die Frau rannte direkte auf den Wagen zu und verdeckte den beiden Männern die Sicht auf den Doc. Der mußte im gleichen Moment aus seiner Paralyse erwacht sein, weil die Frau einen Schritt zurücktrat und im nächsten der Mann langsam den Wagen verließ. Hans schnappte nach Luft. Ted senkte nur leicht die Brauen, aber seine Hand fuhr in die Blousontasche und umspannte den Griff der Schockwaffe. Ein etwa sechs- bis siebenundzwanzigjähriger Mann mit dichtem, braunen Haar hatte den Wagen verlassen! »Doc, was ist mit Ihnen?« hörte Ted die Frau fragen. 12 �
»Oh… ich glaube, ich bin ein wenig umgekippt. Ich habe in den letzten Tagen zu wenig geschlafen«, erwiderte der Arzt. Ted war wie elektrisiert. Die Stimme! Sie war die des Weißhaarigen! Und der präsentierte sich jetzt in Gestalt eines schlanken, großen Mannes! Keiner der Polizisten neben dem Mercedes fand es merkwürdig. Nur Hans murmelte verblüfft etwas von Sinnestäuschungen. Ted griff nach seinem Arm. »Obermeister, haben Sie nicht vorhin auch einen Weißhaarigen gesehen?« Hans nickte nur. »Hier ist was oberfaul«, murmelte er. »So faul, daß es bis zum Himmel und zurück stinkt…« »Ein kleiner Tip«, murmelte der Reporter leise. »Sagen Sie nichts. Nehmen Sie die Dinge, wie sie kommen. Und wundern Sie sich über nichts. Ich könnte Ihnen die Dinge näher erklären, aber dazu ist hier nicht der richtige Ort und nicht die richtige Zeit. Behalten Sie bei allem im Hinterkopf, daß mit diesem nachweislich stümperhaft ausgebeulten und beilackierten Wagen meine Freundin ermordet wurde. Der Anschlag galt mir! Ich weiß nicht, wer dieser Doktor Schott ist und was er mit dem Mord zu tun hat, aber zu denken sollte auch geben, daß die Fahrzeugnummer in
keiner Datenbank gespeichert ist…« Der Fahrer des zweiten Polizeiwagens hatte die letzten gemurmelten Worte verstanden und blickte auf. »Was erzählen Sie da?« Ted wiederholte seine Worte knapp. Der Polizist schüttelte den Kopf. »Das kann nicht sein. Selbstverständlich ist der Wagen registriert, und zwar in Jever.« »Seit wann?« schnappte Ted. Doch der Doc schob ihn mit einer raschen, ungemein kräftigen Bewegung zur Seite. »Ich muß Ihnen danken, Herr Unbekannt, daß Sie mich nach meinem Zusammenbruch in den Wagen getragen haben, aber ich glaube, Sie kommen jetzt ein wenig ins Fantasieren. Ich muß nach Varel zurück.« Er nickte den Polizisten zu. »Vielen Dank für Ihre Fürsorge, meine Herren.« Er machte Anstalten, einzusteigen. Einer der Beamten hielt ihn zurück. »Ihre Brieftasche, Herr Doktor!« »Ah, ja«, murmelte Schott und nahm die dünne Mappe an sich. Dann kletterte er in den Wagen. Kopfschüttelnd sah Ted zu. Neben ihm raunte jemand. Hans nannte ihm seinen vollständigen Namen und seine Adresse. »Hier stimmt wirklich was nicht«, flüsterte er abschließend. »Wenn Sie heute abend Zeit haben, besuchen Sie mich doch mal. Die Sache interessiert mich, vor allem, warum die lieben 13 �
Kollegen so seltsam reagieren.« Ted nickte ihm zu. Er sah, wie der Mercedes losfuhr. Höhnisch glänzte die »500 SE« am Heck. »Ich melde mich«, sagte Ted und stieg ebenfalls in seinen Wagen. Als er sah, daß keiner der Beamten Anstalten machte, ihn aufzuhalten, startete er ebenfalls und fuhr hinter dem Mercedes her. Er wußte, daß er bis auf Polizeiobermeister Hans Sierk mit den Uniformierten nichts mehr anfangen konnte. Sie waren magisch beeinflußt worden und hatten von den ursprünglichen Geschehnissen keine Ahnung mehr. Jemand – oder etwas – hatte ihr Gedächtnis manipuliert. Jener Verwandlungskünstler, der sich Doktor Schott nannte? Als Neuenburg hinter ihnen lag, holte Ted rasch auf. Schott hatte die Straße nach Varel unter die Räder genommen und fuhr mit hoher Geschwindigkeit, aber Ted, bei dem Autofahren zu einem seiner Hobbies zählte, beherrschte sein Fahrzeug besser und war deshalb in der Lage, noch stärker »aufzudrehen«, auch wenn das stellenweise etwas polizeiwidrig war. Schließlich sah er das Heck des Mercedes wieder vor sich und fuhr dicht auf. Schott fuhr mit Licht; es war diesig geworden, und die ersten Regentropfen spritzten gegen die Windschutzscheibe. Ted schaltete seine Festbeleuchtung ebenfalls ein; der schwarze Wagen war bei widri-
gem Tagesdämmerlicht schlecht zu erkennen. Vor sich sah er Schott am Lenkrad – oder jenen, der vorgab, der Doc zu sein. Ein weißer Haarkranz zog sich um seinen Hinterkopf… * Ted Ewigk war unschlüssig. Er war sich über die Person dieses Doktor Schott nicht völlig im Klaren. War Schott ein Dämon, oder hatte der Dämon lediglich das Aussehen und die Identität des Arztes übernommen? Ted wußte momentan nicht genau, wie er vorgehen sollte. Zum einen brannte heiß der Wunsch in ihm, für Evas Tod den Dämon zu strafen, zum anderen aber wollte er wissen, was dahintersteckte – und ob das, was hier geschah, nur die Spitze eines Eisbergs war. Mit der Vernichtung der Pandora vor etwas über einem Jahr hatten die damaligen Geschehnisse auch, nicht etwa ihr Ende gefunden, sondern waren nur das Vorspiel zum Erscheinen des Minotaurus gewesen. Ted nahm stark an, daß die Vernichtung der Negativ-Kreaturen der griechischen Götter- und Dämonenwelt die Rache-Aktion nach sich zog, der Eva zum Opfer gefallen war. Die Geisterlord-Episode hatte die Schwarze Familie nicht berührt. Also blieb die Frage, in welcher 14 �
Beziehung der Doc zur Schwarzen Familie und zu den Göttern und Dämonen des Altertums stand. Diese Wesenheiten existierten heute noch; sie hatten ihre Existenz nachhaltig unter Beweis gestellt. Ted versuchte weiterhin, sich zu erinnern, wie die dämonische Fratze am Lenkrad des Mercedes ausgesehen hatte. Es gab gewisse Ähnlichkeiten – sowohl mit dem jungen Doktor Schott als auch mit dem Weißhaarigen. Daß das Wesen, das jetzt am Lenkrad saß, über ungeheure magische Kräfte verfügte, bewies die Tatsache, daß die drei Polizisten beeinflußt worden waren. War der Weißhaarige vielleicht die richtige Gestalt des Dämons? Das würde bedeuten, daß er die Identität des wirklichen Schott übernommen hatte! Plötzlich, kurz vor der Brücke über die Autobahn Oldenburg-Wilhelmshaven, die weder nachts noch tagsüber nennenswertes Verkehrsaufkommen besaß und im Grunde ein Witz war, trat der Weißhaarige scharf auf die Bremse. Ted reagierte sofort und fiel blitzschnell zurück. Er legte zwar keinen Wert darauf, von Schott nicht als Verfolger erkannt zu werden, aber man brauchte ja nicht zu aufdringlich zu erscheinen. Wie ein Mercedes-Auspuff von innen aussah, wollte Ted nicht wissen. Im nächsten Moment erkannte er
den Grund für das rasche Bremsmanöver. Der Dämon hatte schon von weitem die Radarfalle erkannt. Jetzt zitterte die Tachonadel um die Achtzig. Der gefürchtete Blitz blieb aus. Hinter der Brücke beschleunigte Schott wieder stark. Ted blieb dran. Auch als der Regen stärker fiel, reduzierte der Dämon seine Geschwindigkeit nicht. Ted vertraute auf seine Reaktionsschnelligkeit und die hervorragende Straßenlage seines Wagens. Schließlich erreichten sie Varel. Der Doc fuhr auf einem Schleichpfad zum Krankenhaus, ohne die Hauptverkehrslidichtbefahrenen nien zu berühren. Dann rollte sein dunkelgrüner Wagen auf den privilegierten Chef-Parkplatz vor dem Gebäude. Ted hielt am gegenüberliegenden Straßenrand. Er hatte durch seine Konzentration auf das Einpark-Manöver, und die gleichzeitig dadurch resultierende größere Distanz nicht mitbekommen, wann und wie es geschehen war, aber als der Doc ausstieg, war der Weißhaarige, der den Wagen gefahren hatte, verschwunden, und an seiner Stelle stieg der schlanke braunhaarige Mann aus. Ted verließ ebenfalls den Wagen und schloß ihn ab. Er sah den Doc an, der sich im gleichen Augenblick umwandte. Ted sah seine Augen. Obwohl rund vierzig Meter zwi15 �
schen ihnen lagen, sah der Reporter das helle Leuchten darin. Es war, als besäße der Mann statt der Pupillen ein Paar starker Magnesiumlampen. Ted schloß sekundenlang die Augen, und als er sie wieder öffnete, war die grelle Erscheinung verschwunden. Der Reporter setzte sich in Bewegung und ging geradewegs auf den Doc zu. Seine Rechte steckte wieder in der Blousontasche und umspannte den Griff des ESchockers. »Was wollen Sie von mir?« fragte Schott, als Ted direkt vor ihm stehenblieb. »Warum verfolgen Sie mich?« Der Regen störte Ted nicht. »Warum haben Sie Eva niedergefahren?« fragte er. Der Doc schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht, wer Sie sind, und ich weiß nicht, wer diese Eva ist. Ich weiß nur, daß Sie allem Anschein nach unter einem Trauma leiden. Verschwinden Sie, lassen Sie mich in Ruhe.« Abrupt wandte der Doc sich um und ging mit raschen Schritten auf den Haupteingang des Krankenhauses zu. »Sie sind ein Dämon, Doktor Schott!« rief Ted und folgte ihm. Die Situation erschien ihm absurd. Vor der Glastür wandte der Doc sich wieder um. »Sie sind verrückt«, behauptete er. »Wenn Sie nicht aufhören, mich zu verfolgen, lasse ich Sie von der Poli-
zei entfernen.« »Mit der haben Sie mir vorhin schon einmal gedroht«, erwiderte Ted kalt und blieb erneut dicht vor dem Arzt stehen. »Sie scheinen eine Fachkraft im Hypnotisieren von Polizisten zu sein. Ich will mit Ihnen reden. Was haben Sie sich von der Aktion versprochen?« »Hypnotisieren von Polizisten?« Die Augen des Arztes weiteten sich, und Ted glaubte schon, erneut das grelle Strahlen wie aus Lasern zu sehen, aber dieser Effekt blieb aus. »Ich glaube, Sie sind wirklich verrückt!« Er trat durch die Tür und knallte sie demonstrativ vor Ted zu. Der Reporter sah ihm nach. Für Augenblicke schimmerte ein weißer Haarkranz durch die dichte, dunkle Haarmähne des Arztes. Dann sah er wieder aus wie der etwa sechsundzwanzigjährige Doktor Schott. Ted überlegte, ob er dem Dämon weiter folgen sollte. Schott konnte nicht den ganzen Tag vor ihm davonlaufen. Aber der Dämon besaß mit Sicherheit auch noch andere Mittel, sich dem Reporter zu entziehen oder ihn vielleicht sogar direkt anzugreifen. Er mußte eine andere Möglichkeit finden, dem Dämon zu begegnen. Langsam ging er wieder zum Wagen zurück. Der Regen durchnäßte ihn fast bis auf die Haut, doch es störte ihn in diesen Augenblicken 16 �
nicht. Er wollte Nägel mit Köpfen machen, wie immer. Er mußte wissen, ob Schotts Mordversuch eine Einzelaktion war oder ob mehr dahintersteckte. Bedächtig startete er und fuhr solange durch Varel, bis er eine Telefonzelle fand. Einen Arzt ohne Telefon in seiner Privatwohnung gab es nicht. Demzufolge mußten Telefonnummer und Wohnung ausfindig zu machen sein. Ted wollte den Dämon nach dessen Dienstschluß in seiner Wohnung empfangen! * Ted hielt den Wagen in unmittelbarer Nähe der Telefonzelle an. Sie war besetzt. Eine Gruppe von drei Schülern hatte sich in das gelbe Glasding gezwängt und versuchte irgendwem über den Fernsprecher irgend etwas begreiflich zu machen. Ted stieg aus und ging langsam auf die Zelle zu. Der Regen hatte nachgelassen. Trotzdem klebte ihm die nasse Kleidung unangenehm auf der Haut. Es wurde Zeit für einen Wechsel, wenn er sich keine Erkältung oder Schlimmeres einfangen wollte. Doch er war in einer geistigen Verfassung, in der ihm selbst eine Lungenentzündung gleichgültig war. Seit Evas Tod lebte er nur noch zur Hälfte. Vor der Zelle blieb er stehen. Die drei Benutzer kümmerten sich nicht darum und zogen das Gespräch in
die Länge. Nach ein paar Minuten klopfte Ted vorsichtig an die Tür. »Eh, da steht einer und will was!« hörte er einen in der Glaskiste laut sagen. Es war offensichtlich, daß dies eine Aufforderung an die beiden anderen war, noch lange nicht Schluß zu machen. Kurzentschlossen riß Ted die Tür auf, schob zwei der drei Boys zur Seite und griff nach der Ablage, auf der das Telefonbuch lag. »Laßt euch nicht stören«, murmelte er und griff sich das Ding. Er schlug im Freien die Rubrik »Varel« auf und suchte nach dem Namen Schott. Der Buchstabe »Sch« war, wie üblich, recht häufig vertreten. Endlich fand er das Gesuchte. »Schott, Johannes«, murmelte er. »Doktor med.«, sonst war nichts angegeben. Ted runzelte die Stirn. Daß die Anschrift fehlte, verdarb ihm sein Konzept. Doktor Schott hatte sich vorzüglich getarnt. Die Eintragung nur des Namens schützte ihn vor unerwünschten Besuchern der Art Ted Ewigks. »Verdammt«, murmelte der Reporter. Der Bursche mußte doch irgendwo wohnen! Er starrte die Eintragung im Telefonbuch an. Doktor Schott, hämmerte es in seinem Unterbewußtsein. Doktor Schott! Plötzlich geschah etwas seltsames. Ted sah ein Haus. Einen flachen, 17 �
weißen Bungalow in einem parkähnlichen Garten. Und im gleichen Moment wußte er, daß dies die Wohnung von Doktor Johannes Schott war. Er wußte auch den Namen der Straße, ohne ihn irgendwo gelesen zu haben. Tief in ihm war etwas, das ihm auf übersinnliche Wege diese Information zuspielte. Es war nicht das erste Mal. Schon des öfteren hatte Ted festgestellt, über Para-Kräfte zu verfügen. Er besaß verschiedene Fähigkeiten, die am Besten mit dem Begriff »Außersinnliche Wahrnehmung« zu erfassen waren. Die Telepathie gehörte unter bestimmten Voraussetzungen ebenso dazu wie Präkognition, Visionen und GedankenRapport. Er vermochte diese Fähigkeiten allerdings nicht bewußt einzusetzen. Nach welchen Voraussetzungen sie sich aktivierten, war ihm allerdings ein Rätsel. Er hatte auch kein Interesse daran, diese Dinge näher zu erforschen. Er nahm sie, wie sie gerade kamen, als willkommene Ergänzung seiner normalen Sinne. Hier mußte es sich um eine Vision handeln. Vielleicht war es sein brennender Wunsch nach Information und Rache, der die Para-Fähigkeit aktiviert hatte. Auf jeden Fall kannte er jetzt das Haus des Doc. Er klappte das Telefonbuch zu und brachte es in die Zelle zurück. Die
drei Jungen sahen ihn verblüfft an, als er ruhig zu seinem Wagen zurückkehrte. Der Regen hatte aufgehört. Ted stieg ein und ließ den Motor an. Es wurde Zeit, daß er zu seinem Zimmer zurückkam und trockene Kleidung anzog. Eine Dusche, so heiß wie möglich, konnte auch nicht schaden. Der schwarze Opel Diplomat setzte sich fast lautlos in Bewegung. Ted schaltete das Cassettengerät ein. Alan Stivell’s »Suite Sudarmoricaine« peitschte in rasendem Rhythmus aus den Lautsprechern und brachte sein Gemüt auf Touren. Erinnerungen an die Bretagne stiegen in ihm auf. Die Bretagne, die er gemeinsam mit Eva kennengelernt hatte und in der sie ihr Zusammentreffen mit den Geisterlords hatten. Wieder sah er Eva als lebensfrohe, strahlende junge Frau vor sich und dann in abrupten Wechsel ihren zerschmetterten, sterbenden Körper am Wagen zu Boden rutschen. Dennoch schaltete er den Recorder nicht aus. Die Musik ging ins Blut, sie überbrückte das Todesbild und weckte die angenehmen Erinnerungen. Ted fuhr wieder etwas schneller als erlaubt. Nach rund zwanzig Minuten hielt der große Wagen vor dem Gasthaus, in dem er sein Zimmer hatte. Ted ging hinauf, duschte und legte trockene Kleidung an. Dann betrat er wieder die Gaststube. Inzwischen war es Mittag. 18 �
Er beschloß zu speisen und seine innere Körpertemperatur mit heißem Kaffee vorher und nachher wieder auf normale Werte zu bringen. Dieser Sommer, überlegte er düster, ist kein Sommer. Das ist ein vorweggenommener Herbst! Dann waren seine Gedanken wieder bei dem Dämon, der Eva kaltblütig gemordet hatte, und er stellte sich vor, wie er diesen seltsamen Doc ausquetschte wie eine Zitrone, um den Dämon anschließend zu vernichten. Das Pfeffersteak, in das er Gabel und Messer stieß, schmeckte ihm vorzüglich. In Gedanken sah er sich schon in Doktor Schotts Bungalow. * Eine halbe Stunde vorher fuhr Doktor Johannes Schott, der »Doc«, wie vom Blitz getroffen zusammen. Sekundenlang flackerte es in seinen Augen hellgelb auf, doch niemand sah dieses Aufflackern. Mit unmenschlichen Sinnen erfaßte der Doc, daß irgend etwas oder irgend jemand sich mit ihm befaßte, und das sehr intensiv. Er spürte einen suchenden Geist, der nach ihm ausgriff, nur konnte er nicht definieren, wer dieser Andere war und was er tatsächlich in Erfahrung zu bringen versuchte. Der Doc war in seinem Arbeits-
zimmer allein. Er brauchte nicht abzuschließen, weil er wußte, daß niemand ihn in den nächsten zehn Minuten stören würde. Das allein war wichtig. Er versank hinter seinem Schreibtisch in Trance und nahm dabei das Aussehen des korpulenten Weißhaarigen an. Er suchte seinerseits nach dem fremden Geist und versuchte, mit diesem in Rapport zu kommen. Doch er stieß ins Leere. Da war nichts mehr. Der Andere hatte sich zurückgezogen. Der Doc kehrte wieder zu sich selbst zurück. Wer konnte dieser Andere sein, der sich so blitzartig wieder zurückgezogen hatte, wie er vorgestoßen war? Ted Ewigk, der Geisterreporter? Aber der Doc hatte bei ihren beiden Begegnungen bei Ted Ewigk keine Para-Kräfte feststellen können, die so stark waren, seine Kreise zu stören! Demnach schied der Reporter aus, der nur durch einen Zufall dem ihm zugedachten Schicksal entgangen war. Doch es würde andere Gelegenheiten geben, ihn aus dem Weg zu räumen. Der Doc verzog das Gesicht und wurde wieder zu dem relativ jungen Stationsarzt, der die chirurgische Abteilung des Krankenhauses leitete. Er würde vorsichtig sein müssen, wenn er am späten Nachmittag in 19 �
sein Haus zurückkehrte. Denn jemand hatte herausgefunden, wo sich dieses Haus befand! Der Doc erhob sich hinter seinem Schreibtisch und verließ das Arbeitszimmer zu einem Kontrollgang durch seine Station. An diesem Tag lagen keine Operationen an, aber es gehörte zu seinen Pflichten, sich ständig über den Gesundheitszustand seiner Patienten zu informieren. Wenn sie wüßten, wer er war… Doch sie wußten es nicht. Sie waren ahnungslos! Ahnungslos wie Ted Ewigk, der nicht wußte, daß der Dämon ihn bereits erwartete…! * Doktor Schotts Bungalow befand sich am Nordrand von Varel, schon fast außerhalb der Stadt. Gegen fünf Uhr hatte Ted sein Quartier verlassen und war nach Varel zurückgekehrt. Von seiner Vision ließ er sich leiten und fand den nicht gerade einfach zu beschreibenden Weg mit geradezu traumwandlerischer Sicherheit. An Doktor Schotts Bungalow fuhr er vorbei. Er sah keinen dunkelgrünen Mercedes 500 vor dem Haus stehen, dessen Garagentür geöffnet war und Einblick in den leeren Raum bot. Demzufolge war der Doc noch nicht aus dem Krankenhaus zurück-
gekehrt. Ted hatte kein Interesse daran, seine Anwesenheit durch sein auffälliges Fahrzeug zu verraten. Schwarzgold rief überall Aufmerksamkeit hervor, und Ted waren nur insgesamt vier Fahrzeuge bekannt, die über eine derartige Lackierung verfügten. Sein Wagen, eine BMW Isetta, ein frisierter VW Golf und ein alter Zwei-Liter-Ford, die alle der gleichen Region entstammten; offenbar hatte sein Diplomat Nachahmer gefunden. Ted verfluchte die mit Bungalows besiedelte Gegend; es gab kaum eine Möglichkeit, den Wagen vor neugierigen Augen von Dämonen zu verbergen. Schließlich stoppte knapp fünfzig Meter hinter dem Haus des Doc ein schwerer Lastzug. Der Fahrer stieg aus, eine Aktentasche in der Hand, aus der eine Thermoskanne hervorlugte. Ted schmunzelte. Der Fahrer wohnte hier, hatte Feierabend gemacht und seinen Truck der Einfachheit halber nicht erst zur Firma gebracht, sondern mit nach Hause genommen. Der junge Reporter setzte zurück, fuhr den Wagen halb auf den Gehsteig und war jetzt gegen direkte Sicht von der Straße und vom Haus Doktor Schotts gedeckt. Der Lastzug war einer der größten Kategorie und glich nahezu einem Gebirge. Irgendeine Erhebung im Gelände, dachte Ted ironisch in Erinnerung 20 �
an einen platten Witz, mußten die Ostfriesen doch haben, wenn sie nicht extra zum Deich laufen wollten, um zu sehen, ob die Flut kam. Bloß war dies hier nicht Ostfriesland, sondern Ammerland. Ted stieg aus und verriegelte den Wagen. Er glaubte zwar nicht daran, daß Autodiebe ausgerechnet diesen auffälligen Wagen aufs Korn nehmen würden, aber sicher war sicher. Langsam schlenderte er an dem riesigen Volvo-Truck vorbei, dessen Motor knackend abkühlte. Nach kurzer Zeit erreichte er die Grundstücksbegrenzung des Doc-Bungalows. Kurzentschlossen betrat er den Vorgarten und ging auf die Haustür zu. Ein Griff in die Jackentasche versicherte ihm, daß der E-Schocker schußbereit war. Ted wollte kein Risiko eingehen. Er ahnte nicht, daß er den Dämon und dessen Fähigkeiten weit unterschätzte und daß ihn nur ein Zufall retten sollte… Vor der gläsernen Eingangstür blieb er stehen. Dahinter befand sich ein großzügig angelegter, fast quadratischer Korridor, von dem aus Türen in fünf Zimmer und eine Treppe ins Dachgeschoß mit der schrägen Wandung führten. Ted verzichtete darauf, das Türschloß zu knacken und auf diese Weise gewaltsam einzudringen, um den Doc in seinen eigenen vier Wänden zu überraschen. Wenn der Bursche es geschickt anpackte und die
Polizei alarmierte, würde Ted wegen Einbruch und Hausfriedensbruch vor dem Kadi stehen müssen. Es reichte, wenn er vor der Tür auf den Doc wartete. Der konnte auch nicht ewig Überstunden machen und mußte bald auftauchen. Ted lehnte sich an die Glastür. Er hatte Zeit und konnte warten. Ein kurzer Blick auf die Uhr – halb sechs. Wenn Schott pünktlich Feierabend machte, mußte er jetzt eintreffen. Wenn er Sonderschicht machte – nun, Ted hatte Zeit. Er konnte warten. Er wollte – mußte – diesen Verwandlungskünstler zur Rede stellen. War Schott nur von einem Dämon besessen – oder war er selbst der Dämon? Irgendwo tief in Ted glomm das wilde Feuer. Evas Tod würde nicht ungesühnt bleiben. Er würde den Dämon zur Rechenschaft ziehen. Irgendwie. Und wenn Ted Ewigk sich einmal etwas in den Kopf gesetzt hatte, führte er es auch durch – koste es, was es wolle. Diese Sturheit hatte ihm auch geholfen, seine Karriere aufzubauen. Es schien, als wolle Schott Überstunden machen. Ted machte sich auf eine lange Wartezeit bereit. Und von einem Moment zum anderen – war der Doc da! *
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Selbst für Ted, der einiges gewöhnt war, kam es überraschend. Er hörte dicht hinter sich Schritte, wirbelte herum und stand dem Doc gegenüber. Der jungen Version des Doc! Unwillkürlich verengten sich Teds Augen. Woher war Schott so überraschend gekommen? War er materialisiert? Das würde eine neue Fähigkeit des Dämons offenbaren. Hinter Schott stand vor der offenen Garage der Mercedes. Der Motor gab ein kaum hörbares Knistern von sich, ein Zeichen, daß er erhitzt war und jetzt bedächtig abzukühlen begann. Demzufolge mußte Schott mit dem Wagen gefahren sein, eine Teleportation schied also aus. Aber er hätte, um zu seiner Garage zu gelangen, durch Teds Gesichtsfeld fahren müssen! Dennoch war er überraschend hinter dem jungen Reporter aufgetaucht! Ted preßte die Lippen zusammen. »Sie sind ja schon wieder da«, knurrte der Doc unfreundlich. »Warum stellen Sie mir pausenlos nach?« »Das wissen Sie nur zu genau, Doc«, erwiderte Ted scharf. Auf unnachahmliche Weise hob Schott eine Braue. »Das kennen Sie auch schon?« Er griff in die Tasche und zog einen Schlüssel hervor, den er in den Spalt des Schließzylinders einführte. Ted entging nicht, daß es sich nicht
um einen herkömmlichen Schlüssel handelte, sondern um ein modernes, einbruchsicheres System, in dem der Schlüssel nicht mehr vielfach gezahnt und gerillt war, sondern kreisförmige, mehr oder weniger große und kompliziert verteilte Einbuchtungen besaß. Hier hatten selbst die Allzweck-Bestecke, wie sie von Geheimdiensten und der KriminalPolizei benutzt wurden und die verstellbaren Zahnungen besaßen, zu versagen, weil es einfach keine Zahnung gab, auf die der AllzweckSchlüssel eingestellt werden konnte. Als die Glastür aufschwang, wandte der Doc sich wieder zu Ted um. Ein böses Glitzern trat in seine Augen, und wieder erwartete Ted den Blitz, doch erneut kam dieser nicht. »Bis jetzt habe ich Sie gewarnt, mir nachzustellen«, sagte der Doc. Etwas schwang in seinen Worten mit, das in Ted einen Gefahren-Impuls auslöste. »Ich forderte Sie auf, mich in Ruhe zu lassen«, fuhr der Dämon fort. »Sie haben sich nicht daran gehalten. Also muß ich andere Saiten aufziehen.« Ted war nicht der Typ, der sich gern prügelte. Er verabscheute gewaltsame Auseinandersetzungen. Jetzt aber griff er blitzschnell zu, erwischte den Doc an den Aufschlägen der Sommerjacke und zog ihn zu sich heran. »Und jetzt, mein Freund, verrätst du mir endgültig, 22 �
warum Eva sterben mußte und was dahintersteckt! Wer bist du, Dämon, und was willst du von mir?« Der Doc machte keine Abwehrbewegung. Dennoch schlug er zu, und das auf überraschende Weise. Von einem Moment zum anderen spürte Ted, wie er mental überlappt wurde. Der Dämon übernahm die geistige Kontrolle. Verzweifelt mobilisierte Ted seine Konzentrationsfähigkeit, aber es war zu spät. Die Hypnose wurde bereits wirksam. Der Reporter hatte keine Chance. Innerhalb von ein paar Sekunden stand er im Bann des Dämons. Daran änderten auch seine eigenen Para-Fähigkeiten nichts mehr. Er hatte zu spät reagiert, der Dämon war schneller gewesen. Folge mir! Automatisch setzte Ted sich in Bewegung und betrat hinter dem Doc dessen Bungalow. Die Haustür schloß sich fast geräuschlos. Der Doc ging voraus, öffnete eine der Türen und trat in ein geräumiges Zimmer mit gediegener Einrichtung. Dort warf er achtlos seine Jacke irgendwohin, ließ sich leger in einen der Ledersessel fallen und änderte im nächsten Moment sein Aussehen. Im Sessel hockte der Weißhaarige! Ted nahm es zur Kenntnis. Reglos stand er in der Mitte des Zimmers, sah den Weißhaarigen, den Dämon, starr an und war nicht in der Lage, irgend etwas zu tun, ohne daß der
Doc es befahl. Minutenlang musterte der Dämon seinen unversöhnlichen Gegner, den er mit einfachsten Mitteln zu seiner Marionette gemacht hatte. Einfacher konnte er es nicht mehr haben! Der Doc traf seine Entscheidung. Greife in deine Hosentasche! Mechanisch gehorchte Ted, der immer noch gegen den Hypno-Bann ankämpfte, aber nicht in der Lage war, ihn zu durchbrechen. Der Dämon war zu mächtig. Teds Hand umschloß sein Taschenmesser. Der Doc las seine Gedanken. Hole es heraus! Schweigend, immer noch den Dämon ansehend, in dessen Gesicht es zuckte, zog Ted das Messer aus der Tasche. Er ahnte, was der Doc plante, und alles in ihm sträubte sich dagegen, aber dennoch gab es keine Möglichkeit, sich dem Befehl zu widersetzen. Todesangst durchfuhr den Reporter. Klinge ausklappen! Ted hatte zu gehorchen. Das Taschenmesser war einsatzbereit. Der Doc formulierte seinen nächsten gedanklichen Befehl. Teds Arm kam hoch, die blitzende Klinge in der Hand, die sich unaufhaltsam seinem Hals näherte. Nein! schrie sein Unterbewußtsein in wachsender Verzweiflung. Doch er konnte nichts tun. Der Doc zwang 23 �
ihn per Hypnose zum Selbstmord! Da berührte die Klinge die Haut, die Schlagader. Ein leichter Druck nur, dann… * Polizeiobermeister Hans Sierk hatte Feierabend. Er betrat seine Wohnung im zweiten Stock eines Wohnhauses im Zentrum von Varel, in dessen Erdgeschoß sich eine Apotheke befand, pfefferte seine Dienstmütze auf die Hutablage der Garderobe, zog die grüne Jacke aus und hängte sie ordentlich an den Haken. Dann betrat er die kleine Küche, öffnete den Kühlschrank und holte die Flasche Jever heraus. Sierk war eingefleischter Junggeselle. Er hielt nichts davon, sich fest zu binden und damit abhängig zu machen, außerdem gab es dann keinen, der sich über das Poster mit dem nackten Mädchen an der Tür des Wohnzimmers aufregen konnte. Er köpfte die Flasche, nahm ein Glas und hielt es schräg, um übermäßige Schaumbildung zu vermeiden. Dann nahm er einen kräftigen Schluck, ließ sich in einen Sessel im Wohnzimmer fallen und griff zum Telefonhörer. Er wählte das Gasthaus in Neuenburg an, in dem Ted Ewigk einquartiert war. Die Geschichte mit dem seltsamen Verhalten und der Verwandlung des Doc ging ihm nicht
aus dem Kopf. Dieser Reporter schien mehr zu wissen, als er in Neuenburg gesagt hatte. Die Verbindung kam. Und die Mitteilung, daß Herr Ted Ewigk nicht im Hause sei. »Danke«, murmelte Sierk. Er legte auf und entsann sich der Äußerung seines Kollegen, zuweilen eine Runde Skat mit Schott zu dreschen. Der hatte in dem Weißhaarigen eindeutig Doktor Schott erkannt, der den Aussagen der Frau aus der Apotheke nach nicht weißhaarig und nicht korpulent war. Und dann sah der Mann im Mercedes plötzlich ganz anders aus, und keiner von den lieben Kollegen hatte die Verwandlung bemerkt… Ted Ewigk schien mehr zu wissen. Ted Ewigk war nicht in seinem Hotel. Sollte er den Doc aufgesucht haben? Sierk ahnte nicht, daß er mit seinem spontanen Verdacht recht hatte. Im Grunde war es nicht mehr eine harmlose Idee. Er griff zum Telefonbuch, suchte und fand die Nummer Doktor Schotts. Quatsch, überlegte er. Es ist ziemlich unwahrscheinlich, daß Ewigk bei Schott ist. Dennoch griff er wieder zum Telefon und wählte. Warum, konnte er nicht genau sagen. Das Freizeichen kam. Dann…
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* … schrillte das Telefon. Der Doc fuhr zusammen. Nervtötend drang der grelle Klingelton in sein Bewußtsein. Wieder und wieder. Und nicht nur in seins, sondern auch in das von Ted Ewigk. Störend und schmerzhaft. »Verdammt«, zischte Schott und schnellte sich aus dem Sessel, ehe das Telefon zum viertenmal anschlagen konnte. Mit einem Satz war er am Gerät und riß den Hörer hoch. »Schott!« bellte er. Im gleichen Moment erwachte etwas in Ted Ewigk. Das grelle, fast schmerzhafte Schrillen war der Auslöser gewesen. Der Zwang fiel von ihm ab, und sein auf Hochtouren arbeitendes Unterbewußtsein griff sofort ein. Der Hypnose-Bann schwand, wurde durchbrochen! Verständnislos starrte Ted auf das Messer in seiner Hand, das seine Kehle berührte. Gerade hörte er den Doc sagen: »Ted Ewigk? Bei mir? Hören Sie, wer sind Sie eigentlich? Was wollen Sie? Ich kenne keinen Ted Ewigk…« Er schaltete sofort. Irgend jemand hatte sich nach ihm erkundigt, aber wer konnte zu diesem Zeitpunkt Interesse an seiner Person haben? Wer außer dem Gasthaus-Personal kannte ihn mit Namen?
Hans Sierk! Der einzige Polizist, einzige Zeuge des Vorfalls, der unbeeinflußt geblieben war! Ted klappte das Taschenmesser zu und versenkte es wieder in der Hosentasche. Der Doc hatte ihn hypnotisiert, hatte sich ihm überlegen gezeigt! »Nein, verdammt, ich bin allein! Ich habe keinen Besuch! Was wollen Sie? Ich kenne wirklich keinen Ewigk!« zeterte der Doc wütend. So ist das also, alter Freund, dachte Ted und umklammerte in der Jackentasche den Griff des elektrischen Lähmstrahlers. Der Doc schmetterte den Hörer auf die Gabel und fuhr herum. Seinen telepathischen Befehl Drück doch zu! nahm er wahr, brauchte ihn aber nicht zu befolgen, weil der HypnoBann durchbrochen war. Im gleichen Moment erkannte Schott, was geschehen war. Er wollte die Hypnose erneuern! Du schaffst mich kein zweites Mal, dachte Ted, verzichtete darauf, die Waffe zeitraubend aus der Tasche zu ziehen, und drückte ab. Der flirrende Elektronenstrahl des Paraschockers stach durch den Stoff und erfaßte den Doc. Der zuckte nur zusammen! Ein tiefes Grollen entfuhr seiner Kehle, als er von dem blaßblauen Blitz der wild aufbrummenden Waffe eingehüllt wurde. Ted 25 �
erschrak. Warum kippte der Doc diesmal nicht um? Hatte der Stoff der Jackentasche die Schock-Energie vermindert. Abermals grollte der Dämon und streckte seine Hände aus. Ted duckte sich reflexgesteuert. Ein magischer Blitz fuhr über ihn hinweg. Er löste die Elektro-Waffe nicht noch einmal aus, sondern sprang zur offenen Tür, raste über den Verteiler-Korridor im quadratischem Format und hämmerte die Faust auf den Türgriff. Mit raschem Griff öffnete er sie, schlüpfte hindurch. Wieder flammte ein Blitz über den sich duckenden Reporter hinweg, der den Angriff erahnt hatte. Die Glasscheibe der Tür schmolz. Der Doc machte Ernst! Ted fuhr herum, riß jetzt doch den E-Schocker aus der Tasche und löste aus. Brummend schmetterte der blaßblaue Blitz aus der Waffe, verfehlte den Doc jedoch. Ted lief weiter. Das Abducken des Unheimlichen verschaffte ihm ein paar Sekunden Vorsprung. Er rannte und war sich sicher, den Rekord im Kurzstreckenlauf zu brechen. Hinter der nächsten Straßenecke stand sein Wagen. Er ging jetzt kein Risiko mehr ein. Der Dämon war ihm überlegen. Ted mußte sich eine andere Möglichkeit ausdenken, ihn zu bezwingen. Er sprang in seinen Diplomat, star-
tete und raste los. Der große, schwarze Wagen schoß vorwärts. Ted bog in die Straße ein, jagte davon. Er warf einen Blick in den Rückspiegel. Doktor Johannes Schott stand draußen auf der Straße vor seinem Haus, und nichts an ihm erinnerte mehr an den Weißhaarigen, den Dämon. Der Doc ballte drohend die Faust und schwang sie hinter dem davonrasenden Wagen her. Erleichtert atmete Ted auf. Der Doc verfolgte ihn nicht. Aufs Erste war er dem Dämon entkommen. Für wie lange? Er wußte, daß es für ihn nur eine Möglichkeit gab, zu überleben, denn irgendwann würde der Doc ihn wieder aufspüren. Er mußte den Dämon vernichten! Den Dämon, der ihn töten wollte – und der Eva ermordet hatte! * Glühende Augen starrten dem verschwindenden Wagen nach. Der Dämon ballte die Fäuste. »Dieses Mal bist du mir noch entkommen«, murmelte er. »Aber es wird kein zweites Mal geben. Du wirst mir wieder in die Hände fallen, und dann bist du mein. Ich werde dich sterben lassen, auf meine Weise, und du wirst nichts dagegen tun können.« Der Wagen verschwand aus sei26 �
nem Gesichtskreis. Und doch änderte dies nichts an den beschwörenden Worten, die der Dämon jetzt murmelte. Worte in einer Sprache, die nicht die der Menschen war. Unheil wurde beschworen und geballt, in eine bestimmte Richtung gelenkt. Der Doc zeigte ein diabolisches Grinsen, als er sein Haus wieder betrat, Ted Ewigk war gezeichnet. Er konnte dem Dämon nicht mehr entgehen. Lautlos lachte der Doc in seinem Triumph. Pandora und der Minotaurus – sie waren durch die Hand dieses Menschen gestorben. Die finsteren Wesenheiten der Unterwelt, einst als bösartige, vernichtende Götter gefürchtet, die im Widerstreit mit den Olympiern standen, würden mit der Arbeit des Doc zufrieden sein. Bald schon würde Ted Ewigk ihnen gehören. * Ted fuhr ins Zentrum. Die Adresse Hans Sierks hatte er aus seinem Gedächtnis gekramt und stoppte jetzt am Gehsteig vor dem Haus mit der Apotheke im Erdgeschoß. Er stieg aus, fand den Klingelknopf und lehnte sich mit dem Daumen darauf. Ein paar Sekunden später wurde die Tür elektrisch entriegelt. Ted vernahm das Schnarren, drückte die
Tür auf und trat ein. Oben an der Treppe lehnte der Polizeiobermeister. »Ach Sie«, begrüßte er Ted. »Kommen Sie herein.« Ted betrat die Junggesellenwohnung und ließ sich in einen Sessel fallen. Sierk pflanzte eine weitere Flasche Jever auf dem niedrigen Wohnzimmertisch auf. Ted schüttelte den Kopf. »Danke, nur möchte ich meinen Führerschein noch ein paar Tage behalten…« »Ich hatte vorhin bei Doktor Schott angerufen, in der blödsinnigen Annahme, Sie könnten ihm eventuell einen Besuch abgestattet haben, weil Sie nicht in Neuenburg waren…« bemerkte Sierk beiläufig. »Sie werden lachen«, brummte Ted. »Mit Ihrem Anruf haben Sie mir das Leben gerettet.« Er berichtete in wenigen Worten von dem hypnotischen Mordversuch des Dämons. »Und jetzt«, schlußfolgerte Sierk, »werden Sie wahrscheinlich Strafanzeige erstatten.« Ted lachte bitter auf. »Wenn das ginge… verdammt, es gibt keinen Zeugen für die Aktion, und damit wäre das Problem auch nicht aus der Welt geschafft, daß ich im Doc einen Gegner mit übersinnlichen Kräften habe. Glauben Sie an Dämonen?« Sierk hob die Brauen. »Herr Ewigk, ich glaube an die Dinge, die ich sehe. Als Beamter muß ich das 27 �
einfach. Ich habe allerdings heute einige Dinge gesehen, die recht seltsam sind. Zum Beispiel diese Verwandlung von einem Dicken und Weißhaarigen in einen Mann etwa Ihrer Statur und braunem Haar. Ich weiß im Moment nicht, was ich davon halten soll, und ich wollte mich mit Ihnen ein wenig darüber aussprechen, weil Sie mehr zu wissen scheinen, als Sie am Mittag sagen wollten.« »An Ort und Stelle hätten Ihre Kollegen und Sie mich wahrscheinlich für einen Spinner gehalten«, erwiderte Ted. »Inzwischen hatten Sie wohl den Rest des Tages Zeit für Überlegungen. Es gibt gewisse Dinge, die sich mit normaler Beamtenlogik nicht erklären lassen. Man benötigt etwas Fantasie. Doktor Schott ist ein Dämon oder von einem solchen besessen, genau weiß ich es nicht. Und zu dieser wandlungsfähigen Erscheinung gehört auch sein Wagen, mit dem er Eva ermordet hat. Bloß ist dem Burschen nichts nachzuweisen…« Hans Sierk sah seinen Besucher nachdenklich an. »Da können Sie recht haben«, sagte er bedächtig. »Unsere Justiz ist nun einmal nicht auf Dämonen eingestellt. Vor fünfhundert Jahren wäre Doktor Schott jetzt in den Folterkellern der Inquisition gelandet, aber jetzt… wir brauchen handfeste Beweise, sonst nichts. Bloße Verdächtigungen rei-
chen nicht.« »Wir haben Fakten und Beweise«, versetzte Ted lächelnd, »aber die nützen alle nichts, wenn Schott die Leute, die sich mit ihm befassen, mit seinem dämonischen Para-Können überrumpelt und manipuliert. Sie haben es ja heute selbst erlebt. Plötzlich war jeder davon überzeugt, daß der Wagen in Jever zugelassen ist, obgleich die Computerdaten das Gegenteil besagen.« Sierk nickte. »Und was werden Sie jetzt tun? In einem unbeobachteten Moment hingehen und Schott die Zähne einschlagen?« Ted schüttelte den Kopf. »Nein, es muß eine andere Möglichkeit geben«, erwiderte er. »Ich muß versuchen, den Dämon mit seinen eigenen Waffen zu schlagen, und das, ehe er mich erwischt. Denn daß er mich ermorden will, steht bombenfest.« »Sind Sie zufällig ein Zauberkünstler?« fragte Sierk an. »Oder etwa selbst ein Dämon? Wie wollen Sie ihn sonst mit seinen eigenen Mitteln schlagen?« »Ich finde eine Möglichkeit«, murmelte Ted. »Dabei möchte ich Sie um zwei Dinge bitten.« »Ich lausche«, verriet Sierk. »Das erste ist, daß Sie versuchen, die Polizei aus der Angelegenheit herauszuhalten. Sie und Ihre Kollegen können ohnehin nichts ausrichten, weil Sie jedesmal der Hypnose 28 �
des Dämons unterliegen und daher allenfalls gegen mich vorgehen würden. Ich brauche aber freie Hand.« »Ich bin nicht der Polizeipräsident«, gab Sierk zu bedenken, »und ich bin auch nicht der Dienststellen- und Einsatzleiter, sondern nur ein kleiner POM. Ich weiß nicht, ob mein Einfluß auf die Herren Vorgesetzten so groß ist, Ihnen die erwünschte Handlungsfreiheit zu ermöglichen. Zum anderen ist die Polizei dazu da, die Einhaltung der Gesetze von jedem Bürger zu fordern und regelnd einzugreifen, wenn ein Verstoß erfolgt. Sie können nicht einfach einen Privatkrieg entfesseln. Wir sind nicht in Chicago, Herr Ewigk, und wenn wir von Ihnen oder von Doktor Schott um Beistand gebeten werden, müssen wir in Erscheinung treten. Denken Sie bitte daran.« »Ich habe nicht vor, einen Privatkrieg zu entfesseln«, erwiderte Ted ruhig. »Ich habe mich bisher stets an die Gesetze gehalten und werde es auch hier tun. Ich möchte nur nicht, daß ich übermäßig behindert werde durch einen Polizeiapparat, der nicht an Dämonen glauben darf.« »Und das zweite?« fragte Sierk. »Darf ich Ihr Telefon benutzen? Ich möchte mich für diese Nacht in Neuenburg abmelden. Mir ist eine Idee gekommen, wie ich mit dem Dämon fertigwerden kann. Ich muß nach Frankfurt und etwas aus mei-
ner Wohnung holen. Die Leute im Gasthaus sollen bloß keine Vermißtenmeldung absetzen, weil ich nicht zwischendurch noch einmal vorbeikomme…« Sierk wies auf den Apparat. »Bitte, bedienen Sie sich…« Ted rief an. Als er aufgelegt hatte, sah Sierk ihn fragend an. »Was ist dieses Etwas?« erkundigte er sich. »Irgendwelche Dämonenbanner oder Amulette oder so etwas?« Ted schüttelte langsam den Kopf. »Es ist weder das eine noch das andere. Ich möchte es als die Verkörperung einer kosmischen Urkraft bezeichnen, das kommt der Wahrheit vielleicht am nächsten. Ich weiß nicht, wie viele dieser Dinge es auf der Welt gibt, aber ich glaube, man kann sie an einer Hand abzählen, und deshalb nehme ich an, daß Schott niemals damit rechnet, daß ausgerechnet ich so ein Ding besitze.« »Wenn er es wüßte, könnte er sich also davor schützen«, überlegte der Polizist. »Deshalb werden Sie es mir nicht verraten, damit er es nicht rein zufällig in meinen Gedanken lesen kann, falls ich ihm begegne.« Ted hob die Brauen. »Sie begreifen schnell, über welche mein spezieller Möglichkeiten Freund verfügen könnte«, sagte er. »Aber – das ist unwichtig. Selbst, wenn er es wüßte, könnte er sich nicht dagegen schützen. Vor dieser 29 �
Wunderwaffe gibt es keinen Schutz. Es handelt sich um einen jener legendären Dhyarra-Kristalle!« * Die Autobahn nahm ihn auf. Ted fuhr in die Nacht hinein und konnte voll aufdrehen. Zu dieser Jahreszeit waren die Schnellstraßen nur schwach benutzt, so daß er die Geschwindigkeit seines Wagens fast voll ausspielen konnte. Kilometer um Kilometer jagte er südwärts, Frankfurt entgegen. Der Dhyarra-Kristall! Vor Äonen, als Dämonen und Götter noch leibhaftig auf der Erde wandelten, hatten sie jene blauschimmernden Kristalle als magische Verstärker benutzt. Es gab die Kristalle in verschiedenen Rangstufen. Je höher der Rang, desto größer die verstärkende Energie, desto größer aber auch die Anforderungen, die der Kristall an seinen Benutzer stellte. Dann, als die Götter und Dämonen von der Welt verschwanden – wobei Dämonen nicht im heutigen Sinne verstanden werden durften –, waren einige der Kristalle zurückgeblieben. Zwei davon sollten in geheimnisvolle Zauberschwerter eingeschlossen sein, die bis heute unauffindbar waren. Daß es die Kristalle wirklich gab, bewies die Tatsache, daß Ted einen davon besaß. Doch er wußte nicht, welche
Rangordnung er besaß. Es gab keinen Menschen auf der Erde, der das feststellen konnte. Ted hatte sich damals Literatur besorgt. In ernstzunehmenden Werken wurden die Dhyarra-Kristalle nicht erwähnt, nur ein Outsider des Faches, Gregor Iljuschin, hatte einmal über die Straße der Götter geschrieben und die Legende von Dämon und Byanca und den Dhyarra-Kristallen schriftlich fixiert. Das Eigentümliche an den Kristallen war, daß sie von selbst nicht aktiv werden konnten. Immer mußten parapsychische oder magische Energien einwirken. Dann aber wurden die Kristalle zu geradezu gefährlichen Verstärkern und konnten die Para-Kraft eines Begabten bis ins Unermeßliche steigern. Jemand, der nicht über eigene Kräfte verfügte, konnte mit einem solchen Kristall nicht das Geringste anfangen; für ihn war er nichts mehr als ein blau schimmernder Edelstein von niedrigem Wert. In seiner Funktion unterschied der Kristall dabei nicht wie die gängigen Amulette, Banner und Zaubermittel zwischen schwarzer und weißer Magie, Gut und Böse, sondern half jedem Besitzer, gleich ob er ein Mensch oder ein Monster war. Mehr wußte auch Ted nicht über seinen Kristall. Aber er wollte ihn holen, um ihn gegen den Doc einzusetzen. Ted besaß selbst Para-Eigen30 �
schaften, besaß also die Grundvoraussetzungen, den Kristall steuernd als seinen Verstärker einsetzen zu können. Weiter raste er durch die Nacht. Sanft schnürte die große Acht-Zylindermaschine unter der Haube; das lauteste Geräusch machten die schweren Breitreifen. Hin und wieder glaubte Ted, im Rückspiegel die Scheinwerfer eines Mercedes zu sehen. Doch wenn er dann sein Tempo drosselte, um den anderen zum Überholen zu zwingen, war es zwar zuweilen ein Mercedes-Typ, aber nie der Wagen des Doc. Leide ich an Verfolgungswahn? fragte sich Ted. Gegen zehn Uhr abends erreichte er Frankfurt; die Tachonadel hatte häufig über die 240-Marke hinausgezittert. Jetzt rollte Ted gemütlich über die breite und zu dieser Abendzeit nicht mehr ganz so verstopfte Ausfallstraße den Lichtern der Riesenstadt entgegen. Seine Wohnung lag im Stadtkern; er fädelte sich durch das verwirrende Einbahnstraßensystem vorbei an der Landeszentralbank, die gerade mal nicht überfallen wurde, überquerte die Untermainbrücke und erreichte dann die Walter-Kolb-Straße. Irgendwo fand er eine Parkmöglichkeit für sein Schlachtschiff und verließ den Wagen. Täuschte er sich, oder lehnte ein
paar Häuser weiter eine Gestalt in einem Hauseingang, deren weißer Haarkranz im Mondlicht schimmerte? Als er noch einmal hinsah, war der Hauseingang leer. Ted schloß seinen Wagen ab, nachdem er die Alarmanlage aktiviert hatte. In dieser Gegend konnte man nie wissen, was geschah. Es wurde Zeit, daß er einen Tapetenwechsel vornahm und sich anderswo ansiedelte, wo es ruhiger war. Ein weiterer Grund war, daß ihn in seiner Wohnung so unheimlich viel an Eva erinnerte. Eva… Per Lift fuhr er hinauf in den fünften Stock, in welchem er sich eingerichtet hatte. Von außen sah man dem Gebäude nicht an, was sich in jener Etage für ein Prunkstück von Wohnung befand. Doch Ted hatte kein Interesse daran, den Luxus und die verschiedenen technischen Einrichtungen seiner Räuberhöhle zu genießen. Er stellte sich unter die Dusche, bereitete sich einen Kaffee und tränkte ihn mit einer nicht zu knapp bemessenen Menge Wodka. Dann nippte er an dem heißen und anregenden Getränk. Er lehnte sich im Sessel zurück. Ein Fingertippen auf die Sensorfläche dämmte das Licht ab. Durch die großen Fenster waren jetzt die Sterne zu sehen. Trotz der langen Nachtfahrt fühlte 31 �
Ted sich hellwach und keinesfalls gestreßt. Dennoch war es besser, wenn er sich intensiv ausschlief. Er setzte die leere Tasse ab und trat ans Fenster. Unten huschte eine Gestalt über den Gehsteig. Der Doc? Ted überlegte. Der Mercedes des Dämons war schnell genug, um ihm tatsächlich gefolgt sein zu können. Oder besaß der Bursche die Fähigkeit der Teleportation, der zeitlosen Ortsversetzung über weite Distanzen hinweg? Die Gestalt unten, von der er eigentlich mehr nur den Schatten gesehen hatte, war verschwunden. Ted löste sich vom Fenster und ging zum Telefon. Schotts Nummer hatte sich unauslöschlich in seinem Gedächtnis eingeprägt. Er brauchte nicht zu überlegen, als er den Hörer abnahm und die Tasten niederdrückte. Er ließ es klingeln. Es dauerte eine halbe Minute, bis es klickte und eine verschlafene, leicht verärgerte Stimme sich meldete: »Schott! Was ist denn…« Ted legte auf. Doktor Schott – oder der Dämon, wie auch immer man es betrachten mochte, war also zuhause! Das hieß, daß Ted entweder einer Halluzination unterlag oder daß der Dämon einen Doppelgänger, vielleicht eine Projektion, in Marsch gesetzt hatte. Der Reporter ging in sein Arbeitszimmer. Dort befand sich ein klei-
ner, kompliziert gesicherter Safe. Ted öffnete ihn und nahm den faustgroßen, blaufunkelnden Stein heraus. Dhyarra! Etwas Beruhigendes ging von dem Kristall aus. Ted fühlte sich sofort erleichtert. Das machte ihn aufmerksam. Wirkte tatsächlich ein dämonischer Einfluß auf ihn ein, vor dem ihn der Kristall jetzt schützte, weil Teds eigener Wunsch, einem hypothetischen Einfluß zu entgehen, von Kristall-Energie verstärkt der wurde? Seine Hand umschloß den Dhyarra-Kristall. Welcher Rangstufe mochte er angehören? Iljuschin sprach von sieben Rängen, wobei es zur Beherrschung eines Kristalls siebter Ordnung der Kraft mehrerer Götter oder Dämonen bedurfte, die sich gemeinsam auf den Kristall konzentrierten. War der Benutzer des Kristalls zu schwach, so fraß ihn dessen Energie förmlich auf, übernahm die Kontrolle, vernichtete den Besitzer. Das war die große Gefahr bei den Kristallen. Das war auch das Risiko für Ted, der nicht wußte, ob er mit seinen schwach ausgeprägten ParaFähigkeiten den Kristall beherrschen konnte. Was geschah, wenn er blau funkelnde Stein eine Nummer zu groß für ihn war? Würde er sterben, wenn er ihn einsetzte? Oder würde ihm der Kristall auf 32 �
diese Weise einen Aufschluß über die Stärke seiner eigenen Kräfte geben? Ted hätte viel darum gegeben, wenn ein Experte auf der Erde ihm den Kristall hätte ausloten können. Doch es gab nur wenige Kristalle auf der Welt, und kaum jemand hatte jemals von ihnen gehört. Auf verschlungenen Wegen hatte Ted davon erfahren, daß zwei weitere Kristalle entdeckt worden waren – einer in den USA, wo er in den Besitz eines bekannten Parapsychologen geraten war, einer etwas früher in Norditalien, am Garda-See. Doch dieser Kristall war zerstört worden. Was konnte einen Dhyarra zerstören? Einen Kristall, der praktisch nur aus Magie bestand, aus der Kraft an sich! Ted beschloß, den Kristall jetzt ständig in seiner unmittelbaren Nähe zu belassen. Er betrat sein geräumiges Schlafzimmer mit der kreisrunden, zur Hälfte mit Spiegeln garnierten Spielwiese, streifte den Bademantel ab und ließ sich auf das Rundbett fallen. Er wollte bis kurz vor Mittag schlafen. Er legte den Kristall neben sich. Obgleich er noch hellwach war, gelang es ihm durch autogenes Training rasch, in Dämmerstimmung zu verfallen. Plötzlich klirrte es über ihm.
* Sofort war er wieder hellwach. Das Klirren kam nicht von ungefähr! Gefahr bedrohte ihn! Noch halb im Tran, schnellte er sich zur Seite. Seine Hand umschloß sofort wieder den Kristall. Im gleichen Augenblick regnete es bereits auf die Stelle herab, an der er gerade noch gelegen hatte. Erschrocken hieb er auf die Sensorfläche des Lichtschalters. Die Festbeleuchtung flammte auf und tauchte den Raum in gleißende Helligkeit. Erschrocken sah Ted auf das Rundbett. Er war der Gefahr nur knapp entronnen. Tausende kleiner Glassplitter lagen auf dem Bezug, und dort, wo seine Brust gewesen wäre, steckte senkrecht, wie mit großer Wucht in das Bett gestoßen, eine dolchähnliche große Scherbe. Einer der Spiegel war geborsten! Teds Herz raste. Sein Körper verkraftete den Schock des blitzschnellen Erwachens nur langsam. Förmlich in den Halbschlaf gezwungen, brauchte er ein paar Minuten, um diesen Zustand wieder zu überwinden. Vorsichtig erhob er sich. »So ein Spiegel platzt doch nicht von allein«, murmelte er und betrachtete die große Dolch-Scherbe. Wäre er liegengeblieben, hätte das
Spiegelglas ihn genau im Herzen getroffen. Ein Mordanschlag? Wirkte der Einfluß des Doc tatsächlich bis hierher? Es mußte so sein, denn von selbst platzte kein Spiegel auseinander. Ted sah die große Spiegelfläche an. Sie war nicht in ihrer Gesamtheit geborsten, sondern nur in einem bestimmten Teil. Etwas war herausgebrochen worden. Die Kontur eines Menschen… Eines ziemlich korpulenten Menschen, wie Ted unschwer erkannte, als er auf Abstand ging. Und der Kopf… Es sah aus, als zöge sich ein Haarkranz um einen ansonsten kahlen Schädel. Anders war die Verdickung rechts und links am Schattenriß des Kopfes nicht zu deuten. Soweit sich Ted erinnern konnte, stimmte der Schattenriß des Mannes im geborstenen Spiegel eindeutig mit dem lebenden Objekt überein. Es war der Schatten des Dämons. Den Rest der Nacht verbrachte Ted auf dem Sofa im Wohnzimmer. Dort gab es keine Spiegel, die platzen konnten, auch keine Kronleuchter, die von der Decke herabstürzen konnten. Auch undicht werdende Gasleitungen gab es in Teds Wohnung nicht. Er schlief bis kurz vor Mittag. Kurz vor dem Erwachen träumte er von einem Ungeheuer, das ihn bedrohte.
Es besaß die Körperstatur des Doc, besaß aber einen furchtbaren Reptilschädel. Schweißgebadet wachte der Reporter auf. * Grelles Sonnenlicht strahlte durch die großen Glasflächen der Fenster herein. Ted erhob sich und schüttelte heftig den Kopf. Er versuchte den Alptraum von sich zu schleudern, der ihn in den letzten Minuten im Griff gehabt hatte. Er reckte sich. »Verdammter Dämon«, murmelte er und rätselte plötzlich daran herum, warum er auf dem Körper des Doc in seinem Alptraum einen Echsenschädel gesehen hatte. Wie der Kopf eines Krokodils, mit spitzen Kegelzähnen, und eine rote Zunge hatte unheilvoll geglüht. Er gähnte. Im Gegensatz zum vorhergehenden Abend fühlte er sich jetzt müde. Daran konnte auch eine kalte Dusche und ein zum Zungenverbrennen heißer Kaffee nichts ändern. Bedächtig setzte Ted den Rasierer ein und entfernte seine Bartstoppeln. Und obgleich es nahezu unmöglich ist, sich mit einem elektrischen Rasierer zu schneiden – er schaffte es! Als er die Halspartie in Angriff nahm, riß ihm das Scherblatt die Haut auf. In unmittelbarer Nähe der Schlagader…
Schwach sickerte Blut hervor. Mit einer Verwünschung riß Ted den Stecker aus der Dose und feuerte den Apparat irgendwohin. Im Spiegel betrachtete er die Schnittwunde. Sie war nicht besonders gefährlich, ihm aber wegen der Tiefe unerklärlich. Und ein paar Millimeter weiter rechts – und er hätte die Schlagader erwischt! Noch nie war es ihm passiert, sich mit dem Rasierer zu schneiden. Hier stimmte etwas nicht. Er griff nach dem Kristall, den er für Minuten zur Seite gelegt hatte. Er preßte den Stein gegen den Rasierer und konzentrierte sich darauf, dämonische Einflüsse zu unterdrücken. Dann erst beendete er die Rasur. Anschließend kamen ein paar Tropfen Jod auf die Wunde, und der Fall war vom medizinischen Standpunkt her vergessen. Nicht aber vom magischen. Ted war sich jetzt sicher, daß er selbst hier in Frankfurt vom Einfluß des Doc bedroht wurde. Selbst wenn der Dämon nicht persönlich in Erscheinung trat, so reichte doch seine Macht aus, Ted über die große Entfernung hinweg Schaden zuzufügen. Dies war der zweite Mordanschlag. In anbetracht des urlaubshalber geleerten Kühlschrankes beschloß Ted, auswärts zu frühstücken. Dann entsann er sich des zersplitterten Spiegels und der Scherben auf dem
Bett. Er entfernte sie sorgfältig, nahm den zerstörten Spiegelrest aus der Halterung und stellte ihn vorerst in dem ihm zugewiesenen Keller ab. Für ein Frühstück war es jetzt ohnehin zu spät; Ted beschloß, eben das Mittagessen etwas kräftiger ausfallen zu lassen. Vom Restaurant aus fuhr er sofort wieder auf die Autobahn. Zurück nach Norddeutschland. Er durfte dem Doc keine Chance lassen. Er mußte schneller sein, als der Dämon. Daß er den beiden Mordanschlägen entkommen war, war schon mehr als unverschämtes Glück. Er durfte nicht darauf vertrauen, daß diese Glückssträhne anhielt. Ted trat das Gaspedal voll durch. * Die Rückfahrt dauerte erheblich länger. Ted geriet mehrfach in Staus. Die Hansa-Linie erwies sich zwischen Kamen und Münster speziell und von dort bis Osnabrück allgemein als mittlere Katastrophe. Schleichfahrten mit Tempo 40 und darunter waren nicht ungewöhnlich. Es ist an der Zeit, daß dieser Streckenabschnitt dreispurig ausgebaut wird, überlegte Ted. Kurz vor fünf Uhr nachmittags erreichte er endlich die Autobahnabfahrt Varel und bog nach Neuenburg ab. Mehrfach hatte er auch diesmal das Gefühl gehabt, verfolgt
zu werden, und im Stauverkehr war es einem etwaigen Verfolger mehr als leicht, ungesehen hinter ihm her zu preschen, aber ein erneuter Kontrollanruf von einer Autobahnraststätte aus versicherte ihn der Tatsache, daß Schott im Krankenhaus körperlich anwesend war. Falls er Ted wirklich verfolgte, mußte er schon über die Fähigkeit der Bilokation verfügen. Daran glaubte der Reporter aber nicht. Dafür war der Doc nun doch eine Nummer zu klein. Ted parkte den Wagen vor dem Gasthaus und suchte sein Zimmer auf. In nördlichen Gefilden gingen wieder einmal Regenschauer nieder und verleideten den Urlaubern die Stimmung. Ted ließ sich in einen Sessel fallen und überlegte. Den Dhyarra-Kristall hatte er jetzt und konnte im Grunde dort ansetzen, wo er am Tag zuvor aufgehört hatte. Er hatte Hans Sierk gebeten, sich aus der Sache herauszuhalten, so weit es eben ging. Aber es konnte nicht schaden, den Polizisten zu informieren, daß er wieder im Lande war. Er sah auf die Uhr. Sierk mußte jetzt Feierabend haben. Vielleicht befand er sich bereits in seiner Wohnung. Ted wollte ihn anrufen. Er verließ sein Zimmer. Er erstarrte. Am Fuß der Treppe – stand der Doc! Höhnisch grinsend sah der Dämon
zu Ted hinauf. Der weiße Haarkranz schimmerte hell, und in den Augen des Doc glomm es gefährlich auf. »Na, besser können wir’s ja nicht mehr treffen«, murmelte Ted und zog den Dhyarra-Kristall aus der Tasche. »Jetzt bist du dran, verdammter Dämon«, verkündete er. »Denk an Eva!« * Der Doc sah Ted nur unverwandt und diabolisch grinsend an. In seinen Augen loderte der Tod. Ted hielt den Dhyarra-Kristall, die ultimative magische Waffe, in der Hand. Der Doc reagierte nicht wie erwünscht auf die Drohung und auf den Anblick des blaufunkelnden Steins. Kannte er etwa die Bedeutung des Dhyarra nicht? Und – wie hatte er herausgefunden, wo Ted sich einquartiert hatte? Sei es, wie es sei – da unten stand die Bestie, die Eva auf dem Gewissen hatte und auch Ted morden wollte. Und Ted besaß, die Möglichkeit, diesem Mörder wirksam entgegenzutreten. Erst, als er den ersten Schritt die Treppe hinunter machte, keimte in ihm der Verdacht auf, es in dem Doc mit einer Projektion zu tun zu haben, einer Illusion. Denn jeder, der auch nur ein wenig mit wirklicher Magie zu tun hatte, mußte zumindest von den Dhyarra-Kristal36 �
len gehört haben. Der Doc aber zeigte keine Unsicherheit. Ted machte den zweiten Schritt. Und stürzte plötzlich, als fehle eine Stufe! Er schrie unwillkürlich auf. Im Fallen sah er das Abbild des Doc sich auflösen und wußte jetzt, daß wirklich nur eine Projektion vor ihm gestanden hatte, bloß nutzte ihm das jetzt nichts mehr. Er stürzte die Treppe hinunter! Ted war alles andere als unsportlich und untrainiert, aber der Sturz war so unglücklich, daß er ihn nicht mehr abfangen konnte. Stufe um Stufe rollte er hinab, und jede einzelne rammte seinen Körper mit furchtbarer Härte. Endlich blieb er am Fuß der Treppe liegen. Blut sickerte ihm in die Augen, und sein Bewußtsein schwand. Kraftlos löste sich sein Griff, der Dhyarra-Kristall rollte aus seiner Hand irgendwohin. Bevor er endgültig bewußtlos wurde, glaubte er noch ein höllisches Lachen zu hören. Jetzt bist du mein! * Jemand sah ihn die Treppe hinunterstürzen. Mit ein paar weiten Sprüngen war die junge Frau bei ihm und sah, daß er das Bewußtsein verloren hatte. Sofort begann sie mit ErsteHilfe-Maßnahmen, und als sie ihn in die Seitenlage rollte, erkannte sie die
Kopfverletzung. Inzwischen war auch der Gasthaus-Eigentümer, durch den Lärm auf der Treppe aus seiner beschaulichen Spätnachmittags-Ruhe aufgescheucht, erschienen. Die Zeitung hatte er irgendwohin gefeuert und starrte jetzt bestürzt auf seinen Gast. »Das fehlt uns gerade noch«, murmelte er und eilte zum Telefon. Er rief den Arzt an. Ein paar Minuten erschien dieser. Er war aus seiner Praxis sofort aufgebrochen, trug den obligatorischen schwarzen Koffer bei sich und begann den Bewußtlosen zu untersuchen. »Der muß ins Krankenhaus«, erklärte er. »Rufen Sie bitte in Varel an, daß ein Wagen geschickt wird. Mehrere Knochenbrüche und die Kopfverletzung, das kann ich nicht allein behandeln. Der Mann muß sofort in die Klinik. Höchstwahrscheinlich hat er sich auch noch eine Gehirnerschütterung zugezogen.« »Vor zwanzig Jahren hättest du es gekonnt, mein Lieber«, brummte der Gastwirt und schlurfte zum Telefon. »Das war auch eine ganz andere Zeit«, ereiferte sich der Dorfarzt. »Die kannst du nicht mit heute vergleichen. Was glaubst du, was mir die Versicherung für ein Osterfeuer unter dem Hintern entfesselt, wenn ich nicht…« »Ist mir klar!« winkte der Gastwirt mürrisch ab. »Jetzt halt die Klappe, 37 �
ich telefoniere!« Er rief in Varel an. Eine Viertelstunde später hielt der Notarztwagen mit flackerndem Blaulicht vor dem Haus. Sanitäter verfrachteten Ted sorgfältig auf einer Trage und schoben ihn in den Rettungs-Mercedes. Dann jagte der Wagen wieder los. Der Dämon, der sich hinter dem Aussehen von Doktor Johannes Schott verbarg, rieb sich triumphierend die Hände. Ted Ewigk wurde ihm direkt zugespielt und in Schotts Station eingeliefert. Einfacher konnte der Dämon es nicht haben. Jetzt bist du in meiner Gewalt, und ich garantiere dafür, daß du eine Menge von deinem Tod haben wirst, dachte der Dämon. Ted Ewigk, des Docs neuester Patient, hatte keine Chance mehr! Und irgendwo unter einem niedrigen Schränkchen neben der Treppe des Gasthauses von Varel lag ein blau funkelnder Kristall… * Nur langsam erwachte er wieder. Ein dumpfer, bohrender Schmerz arbeitete in seinem Kopf. Nach einer Weile gelang es ihm, die Augen einen Spalt weit zu öffnen. Mäßige Helligkeit umgab ihn; Kunstlicht aus verdeckten Glühkörpern. Über ihm hing eine weißgekalkte Zimmerdecke.
Das war weder sein Hotelzimmer noch seine Wohnung! Wo befand er sich? Er versuchte sich aufzurichten. Unzweifelhaft lag er in einem weißbezogenen Bett mit Metallrahmen. Er stützte sich auf die Ellenbogen, kam mit dem Oberkörper hoch – und schrie auf. Ein entsetzlicher Schmerz durchraste seinen Kopf und seinen Nacken. Kraftlos sank er wieder in das Kissen zurück. »Verdammt«, murmelte er. »Was war das?« Schwarze Flecken tanzten vor seinen Augen. Im nächsten Moment wurde die Tür des Zimmers aufgerissen, und ein Mädchen in der der Krankenschwestern Tracht stürmte herein. »Herr Ewigk«, rief sie ihn an. »Was haben Sie gemacht?« »Ich könnte eher fragen: Was hat man mit mir gemacht?« murmelte er. Nur ganz langsam ebbte der Schmerz ab. Erneut versuchte Ted sich aufzurichten, diesmal aber erheblich langsamer. In Zeitlupentempo kam er hoch. Diesmal hielt sich der Schmerz in Grenzen. Er hatte das glühende Messer, das ihn zu zerschneiden versuchte, also seiner ruckartigen Bewegung zu verdanken. »Liegenbleiben«, befahl die Krankenschwester energisch. »Sie dürfen sich nicht bewegen.« »Warum nicht?« begehrte er auf, 38 �
als sie ihn sanft wieder zurückdrängte. »Was ist passiert? Wo und warum bin ich hier?« Sie lächelte, aber ihre Augen blieben kühl und nüchtern. Es war ein einstudiertes geschäftsmäßiges, Lächeln, um Patienten zu beruhigen. Keine innerliche Anteilnahme war darin zu erkennen. Für sie war Ted Ewigk Patient Nummer irgendwas, und sonst nichts. »Sie hatten einen Unfall«, sagte sie. »Erinnern Sie sich nicht?« Im gleichen Moment durchzuckte es Ted wie von einem elektrischen Schlag. Abermals stöhnte er auf. Die Erinnerung überfiel ihn schockartig. »Ich bin die Treppe hinuntergestürzt…« murmelte er. »Ich… der Doc…« »Der Doc hat sich Ihrer angenommen«, erklärte die Schwester. »Sie sind in seine Station eingewiesen worden. Äh – kennen Sie ihn?« »Und ob«, murmelte Ted bitter. Er befand sich also im Varel-Krankenhaus in der Gewalt des Doc. Der Dämon hatte erreicht, was er wollte. Ted war jetzt sein Spielzeug, und niemand konnte mehr eingreifen. Hier war der Doc ein kleiner Herrgott. Aber nur ein ganz kleiner… »Seltsam. Er erwähnte nichts davon, daß Sie sich kennen«, plauderte die Schwester weiter. »Er hat auch allen Grund dazu«, sagte Ted. »Er haßt mich.«
»Sie?« Die Schwester lachte auf. Ted hob einen Arm. Im gleichen Moment spürte er die Behinderung. Erschrocken drehte er leicht den Kopf und sah sich die Bescherung an. Aus seinem Unterarm ragte die Kanüle eines Infusionsschlauches, und an einem fahrbaren Gestell hing über ihm die große Flasche eines Tropfs. »Auch das noch«, murmelte er. »Gefangen und gefesselt.« Sein anderer Arm war merkwürdig schwer und schlecht beweglich. Man hatte ihn ihm eingegipst. »Gebrochen«, erklärte die Schwester lakonisch. Ted sah von seinem Gipsarm zu ihr und dann wieder zum Tropf. »Das Ding kommt weg«, forderte er. »Das Ding bleibt dran«, widersprach die Schwester. »In der Nährflüssigkeit befindet sich ein schmerzstillendes Medikament, damit Sie nicht unentwegt brüllen.« Daher die Mattigkeit, unter der er litt, überlegte er. Das Mittel betäubte nicht nur den Schmerz, sondern auch sein Bewußtsein. Es mußte außerordentlich stark sein. »Außerdem haben Sie sich eine Schädelfraktur zugezogen«, fuhr die Schwester fort. »Bleiben Sie ruhig liegen, dann tut auch nichts weh. Ich muß jetzt wieder nach den anderen Patienten sehen. Wenn Sie etwas benötigen, betätigen Sie bitte die Klingel.« Sie deutete auf das in eine 39 �
Kombibuchse gestöpselte Kabel mit dem Druckschalter am Ende. Dann rauschte sie hinaus und ließ ihn in seinem Einzelzimmer allein. Einzelzimmer – wo gab’s die denn noch, wenn nicht gegen sündhafte Sonderbezahlung? Immerhin, Ted war Privatpatient, aber von selbst konnte die Krankenhausverwaltung das auch nicht wissen. Ted nahm an, daß bei der Visite jene Daten, die über die im Personalausweis stehenden hinausgingen, aufgenommen werden würden – falls nicht einer in der Verwaltung so schlau gewesen war, mal kurz eben in Frankfurt nachzuforschen. Sankt Datenschutz, steh mir bei, dachte Ted sarkastisch. Er schloß die Augen und dachte an den Doc. Von diesem Moment an war er seines Lebens nicht mehr sicher. Niemand würde Verdacht schöpfen, wenn der Doc seine dämonischen Fähigkeiten ausspielte und Ted ermordete. Eine Schädelfraktur konnte durchaus zu einer unberechenbaren Angelegenheit werden, wenn sich Knochensplitter ins Gehirn verirrten. Und dem konnte man mit Magie spielend nachhelfen. Ich muß etwas tun, hämmerte es in ihm. Ich muß dem Doc zuvorkommen! Oder er bringt mich um!
Tür. Diesmal war es eine andere Krankenschwester, die hereinkam. Sie balancierte eine Schnabeltasse und eine Kapsel mit Medikamenten in den Händen. Ted runzelte unwillkürlich die Stirn. »Was ist da drin?« fragte er und versuchte sich aufzurichten. Doch da waren wieder die furchtbaren Schmerzen, die seinen Bewegungsdrang empfindlich hemmten. Er stöhnte. »Sie sollen doch liegenbleiben«, tadelte die Schwester und stellte Schnabeltasse und Kapsel auf dem kleinen Rolltischchen neben dem Bett ab. Ted verzog das Gesicht. Er hob den Arm, in dem die Kanüle des Tropfs steckte. »Wenn Sie mir schon so schön die Tasse bringen, ist das hier ja wohl überflüssig.« Die Schwester schüttelte den Kopf. »Bestimmt nicht. Der Doc will Sie langsam wieder umstellen. In der Tasse befindet sich Tee, und hier sind ein paar zusätzliche Medikamente, die…« Ted grinste. »Für einen gebrochenen Arm und eine Schädelfraktur tausend Medikamente? Ihr seid wohl hier alle vom wilden Affen gebissen? Werfen Sie den Kram ins Klo!« * Naturgemäß war das Mädchen jetzt eingeschnappt. »Erlauben Sie Er mußte eingeschlafen sein, denn er � mal, Herr Ewigk…« erwachte abrupt vom öffnen der � »Erlauben Sie mal, daß ich diese 40 �
Medikamente nicht einnehmen werde. Sie können mich nicht dazu zwingen. Ich verweigere sie.« »Aber der Doc…« wandte sie ein und Ted registrierte trocken, daß der Spitzname offensichtlich auch hier an der Tagesordnung war. »Was der Doc tut oder läßt, ist mir vollkommen egal, solange es nicht mich betrifft. Nehmen Sie die Tabletten und ähnlichen Kram wieder mit. Ich hoffe, daß Ihnen die einschlägigen Gesetze zu diesem Thema bekannt sind? Zwingen Sie mich gegen meinen Willen, die Medikamente zu schlucken, machen Sie sich strafbar, und ich bringe Sie vor’s Gericht.« »Sie sind ein Narr«, erwiderte sie achselzuckend und schob die transparente Kapsel in eine Tasche ihrer Schwesterntracht. »Ich werde dem Doc von Ihrem Verhalten berichten. Wir können keine Verantwortung übernehmen, wenn Sie die Einnahme der Medikamente verweigern…« Ted sah zu, wie sie sich schweigend abwandte und zur Tür ging. Als sie sie öffnete, rief er sie an. »Sie haben noch etwas vergessen, Fräulein Karbol!« Sie fuhr herum, eine steile Falte auf ihrer Stirn. »Die Schnabeltasse«, grinste er. »Darin ist nur harmloser Schwarzer Tee«, sagte sie eingeschnappt. »Ich habe keinen Durst«, sagte er mit freundlichem Lächeln. »Nehmen
Sie sie ruhigen Gewissens wieder mit. Wenn ich etwas benötige, melde ich mich.« Sie schnappte die Tasse, daß der Inhalt fast überschwappte, und rauschte hinaus. Ted war sicher, daß in der Tasse nicht nur Tee gewesen war. Vielleicht wußte es die Schwester nicht einmal. Aber etwas in Ted war erwacht und hatte ihn vor dem Inhalt der Tasse gewarnt. Und bis jetzt hatte er sich auf diese innere Stimme immer verlassen können. Er sah zum Fenster. Er mußte den ganzen Tag über im Dämmerschlaf verbracht haben. Draußen dämmerte es bereits wieder. Heilschlaf – oder gab es in dem Inhalt des Tropfbehälters, der in der Zwischenzeit ein paarmal erneuert worden sein mußte, noch etwas, das ihn müde machte? Es lag durchaus im Bereich des Möglichen, daß der Doc ihn auf diese Weise dahindämmern ließ. Bis in den Tod…? Und wieder schlief Ted Ewigk ein. * Zwischendurch wurde er wieder geweckt. Die Schwester, die er von seinem ersten Erwachen her kannte, sah nach ihm. »Sie haben die Medizin verweigert?« fragte sie geschäftsmäßig. Ted nickte nur. »Ihre Sache«, erwiderte sie, ging zum Fenster und zog die Vorhänge 41 �
vor. Es war draußen fast dunkel geworden. Am Fenster blieb sie stehen. »Warum macht man um einen Armbruch eigentlich ein solches Gedöns?« fragte er. »Sie sind gut«, lachte sie leise auf. »Eine Schädelfraktur, von der wir nicht wissen, ob sich nicht ein Splitter gelöst und auf Wanderschaft in Ihrem Denkkasten gemacht hat…« – Genau wie ich es mir vorgestellt habe, durchfuhr es Ted blitzschnell. Und wenn der Doc mich ermordet oder zum lallenden Idioten macht, war es eben dieser Splitter, und es wird keine Röntgenaufnahmen geben, die das Gegenteil beweisen. Die fälscht er mit Magie! »dazu kommt noch ein an zwei Stellen angebrochener Unterschenkel. Sie müssen ja ganz böse gestürzt sein.« »Aber ich habe es überlebt«, sagte er. Unvermittelt wechselte er das Thema. »Woher hat Doktor Schott eigentlich den Spitznamen ›Doc‹?« »Oh – Doc«, murmelte sie. »Nun, er war für zwei Jahre drüben in den Staaten. Seitdem heißt er einfach ›der Doc‹. Wie Doc Holiday.« Etwas in Ted gab Alarm. »Wo genau?« »Wenn’s Sie so brennend interessiert: In Salem. Sie wissen ja wohl, wo sich das befindet.« *
Salem! Und ob er es wußte. Und er wußte auch um jene unheilvollen Dinge, die sich dort abgespielt hatten. Salem und Hexenverbrennungen – das gehörte zusammen wie Frühstücksei und Salz. Dort war damals in den USA der Hexenwahn noch einmal besonders hoch aufgeflammt, und viele Frauen hatten ihr Leben auf dem Scheiterhaufen lassen müssen. Und die wenigsten von ihnen waren tatsächlich Zauberinnen gewesen. Salem… Sollte es dort zu einer Materialisation gekommen sein? Ted besaß selbst Para-Fähigkeiten, die immer stärker zum Durchbruch kamen, und er war schon verschiedentlich mit magischen Phänomenen konfrontiert worden. Sollte es möglich sein, daß damals, vor langer Zeit, in Salem die Flüche der Verzweifelten und die bösen Wünsche der wenigen wirklichen Hexen zu einer Manifestation des Bösen geführt hatten, daß sie etwas durch die Kraft des Bösen und durch die gesammelten Geisteskräfte aller Beteiligten entstehen ließen, das irgendwann als Dämon zutagetrat? Dem Geist sind keine Schranken auferlegt. Es war durchaus möglich, daß etwas Derartiges geschehen war. Wenn Geisteskräfte in der Lage waren, in die Gedanken anderer Menschen einzudringen, Gegen42 �
stände zu bewegen oder Körper ohne sichtbare Bewegung in kaum meßbaren Mikrosekunden-Abständen zig Kilometer weiter zu transportieren, zum Teil durch feste Materie hindurch, wenn sie sogar in die Zukunft oder Vergangenheit schauen konnten – warum sollte es nicht auch möglich sein, daß durch diese Geisteskräfte etwas geschaffen wurde, das man als Dämon bezeichnen konnte. War jener, der Schott beherrschte, ein solches künstlich geschaffenes Dämon-Ungeheuer? Die Möglichkeit dafür bestand. Und wenn Johannes Schott medial veranlagt war, dann konnte es sein, daß jener Salem-Dämon sich in ihm festgesetzt hatte, als sich der Doc dort aufhielt. Seitdem beherrschte der Unheimliche, geschaffen aus den bösen Gedanken brennender Hexen, den Menschen. So konnte es sein… Abrupt wachte Ted wieder auf. Todesangst umkrallte ihn, und er wußte nicht, warum. Es war, als stände sein Herz still! * Er riß die Augen weit auf und versuchte die Dunkelheit zu durchdringen. Er begriff, daß nicht sein Herz zum Stillstand kam, sondern daß dieses Gefühl nur eine Warnung seines Unterbewußtseins war. Gellende
Alarmimpulse durchrasten ihn. Gefahr! Todesgefahr! Griff der Doc mit seiner teuflischen Macht nach seinem Opfer? Wie blind tastete Ted nach dem Licht-Schalter der kleinen Nachttischlampe. Das Licht flammte auf. Ted sah sich um. Doch da war niemand im Zimmer. Das Gefühl, sich in äußerster Todesnot zu befinden, wurde in ihm immer stärker! Da sah er zum Tropf empor. Die Flasche war leer! Luft befand sich bereits im Infusionsschlauch, in dem vielleicht noch zehn Zentimeter hoch über der Nadelspitze die Flüssigkeit stand. Das Entsetzen packte ihn. Er wußte, was das bedeutete. Geriet die Luft in seinen Blutkreislauf – und – das mußte unweigerlich geschehen, wenn nicht sofort etwas unternommen wurde –, war er erledigt. Eine Embolie würde die Folge sein. Und niemand würde feststellen können, woran er gestorben war! Es hatte schon mehr als einen Mörder gegeben, der seinem Opfer ganz einfach einen halben Kubikzentimeter Luft injiziert hatte, und niemand hatte die Todesursache feststellen können. Das Blut, das mit der Luft in Berührung kommt, gerinnt, bildet einen Pfropf, der an den Herzkammereingängen hängen bleibt und das Zirkulieren des Blutes nachhaltig verhindert. Der Erfolg läßt dann 43 �
nicht lange auf sich warten: Tod durch Embolie. Tiefer und tiefer sank der Flüssigkeitsspiegel im Schlauch. Ted suchte verzweifelt nach der Alarmklingel. Endlich erreichte er den Schalter und betätigte ihn. Draußen auf dem Korridor begann die Glocke zu schrillen. Über der Tür seines Zimmers flackerte das rote Notfall-Licht… * Das Klappern der Schritte klang monoton. Die Nachtschwester schien sich nicht sonderlich zu beeilen. Mit wachsender Ungeduld wartete Ted auf ihr Nahen, das er anhand der Schritte deutlich verfolgen konnte. Wie in allen Krankenhäusern, waren auch hier äußerst harte Sohlen an der Tagesordnung; auf Ruhe der Patienten schien man nicht sonderlich viel Wert zu legen. Die Flüssigkeit stand jetzt noch zwei Zentimeter über dem Kanülenrand. Da trat die Nachtschwester ein. Ihre Hand glitt zum Hauptlichtschalter und aktivierte anschließend den Innen-Summer. Wenn ein anderer Patient jetzt die Alarmglocke betätigte, wurde das Signal nicht auf dem Korridor, sondern in diesem Zimmer hörbar. Sie starrte Ted Ewigk an, und ihre Augen wirkten im Kunstlicht wie
tot. »Der Tropf«, keuchte der Reporter. Alles in ihm zog sich zusammen. Sein linker Arm und die ganze Hand waren eingegipst, er kam damit nicht an den Regler heran, der den Schlauch verschloß und ein Tiefersinken der Flüssigkeit stoppte. »Er ist leer!« Die Krankenschwester sah hinauf, dann wandte sie sich wieder um und öffnete die Zimmertür. »He!« brüllte Ted, ohne Rücksicht auf die Nebenzimmer zu nehmen. »Schon mal was von Embolie gehört? Drehen Sie den Schlauch zu!« Sie wandte im Hinausgehen nur den Kopf. »Doktor Schott sagte mir bereits, daß Sie ein besonders schwieriger Patient sind.« Roboterhaft und unbetont kamen ihre Worte. Da begriff Ted schlagartig. Es war kein Zufall, daß der Tropf leer war und nicht rechtzeitig ausgewechselt wurde. Es war ein Mordanschlag. Und die Nachtschwester stand unter Hypnose. Sie registrierte gar nicht, was wirklich geschah. Sie sah eine völlig andere Situation. Ted stöhnte verzweifelt auf, als sich die Tür schloß. Dann kam er mit einem Ruck hoch. Der stechende Schmerz durchraste ihn und brachte ihn fast um. Gellend 44 �
schrie er, um sich Luft zu machen und glaubte vor Schmerzen wahnsinnig zu werden, aber mit äußerster Anstrengung erreichte er mit dem Mund die Kanüle, hatte sie plötzlich zwischen den Zähnen und zog sie mit einem heftigen Ruck aus dem Unterarm. Sein Schrei ebbte zu einem Wimmern ab, als er zurück in das Kissen sank. Er hatte es gerade noch geschafft, Sekundenbruchteile bevor der letzte Tropfen in die Ader drang und Luft nachfolgen konnte, um unbarmherzig und unabänderlich die Embolie hervorzurufen. Blut sickerte hervor, wo er die Kanüle herausgerissen hatte. Der Tropf an seinem Gestell geriet ins Schwanken und fiel dann krachend und scheppernd um; die Glasflasche zersplitterte in tausend Scherben. Doch Ted nahm es nicht mehr wahr. Er hatte das Bewußtsein verloren. * Unmenschliche Sinne verfolgten den Ablauf des Geschehens. Enttäuschung schwang in dem furchtbaren Wesen, als es erkannte, daß der Versuch fehlgeschlagen war. Ted Ewigk hatte es überlebt. Irgend etwas mußte ihn rechtzeitig auf die drohende Gefahr aufmerksam gemacht haben. Aber was? Besaß er doch Para-Kräfte, obgleich der Dämon sie nicht hatte
feststellen können? Oder spielte da noch etwas anderes mit? Er verfolgte, wie der Lärm des Tropfs die Nachtschwester aus der schwachen Hypnose riß. Sie fuhr auf dem Absatz herum und eilte mit klappernden Sohlen in Teds Zimmer zurück. Entsetzt starrte sie auf das Bild, das sich ihr bot: der zerschellte Glasbehälter, das umgestürzte Gestell und der dünne Blutfaden, der aus Teds Unterarm rann. Sie stillte die Blutung und verpflasterte sie, dann begann sie mit dem Aufräumen. Kopfschüttelnd warf sie immer wieder einen Blick auf den Mann, der bewußtlos war und sich nicht rührte. Warum hatte er das getan? Sie kam nicht einmal auf den richtigen Gedanken, als sie jegliche Flüssigkeit vermißte, die eigentlich beim Zerplatzen der Flasche hätte nach allen Seiten spritzen müssen. Aber alles war trocken, als sei der Tropf leer gewesen. Doch der Bann des Dämons wirkte in dieser Hinsicht noch immer und verhinderte, daß sie zur richtigen Erkenntnis kam. * Gegen Morgen erwachte Ted wieder. Diesmal fühlte er sich besser. Er stellte fest, daß die Nachtschwester aufgeräumt, aber den Tropf nicht ersetzt hatte. Er schrieb sein besseres 45 �
Fühlen dem Fehlen des Tropfs zu. Offenbar hatte man ihm tatsächlich etwas eingeträufelt, das ihn in Denken und Handeln einengte. Er versuchte wieder, sich aufzurichten. Doch in dieser Hinsicht hatte sich nichts geändert. Er durfte sich auch jetzt nur sehr vorsichtig und langsam bewegen. Vorsichtig und langsam schlug er die Decke zurück. Man hatte ihn mangels anderer Kleidung in eines der krankenhauseigenen langen Hemden eigenartigen Zuschnitts gesteckt. Unten ragte ein eingegipstes Bein heraus. Der zweifach angebrochene Schenkel… Warum hatte man den nicht erhöht gelagert? Er glättete die Decke wieder über sich und griff zur Klingel. Er schien an diesem Morgen besser denken zu können und war zu dem Entschluß gekommen, daß die Isolation so total eigentlich gar nicht sein durfte. Die Schwester kam. Wieder ein neues Gesicht. Doc Schotts Station schien personell durchaus akzeptabel bestückt zu sein. »Frühstück in fünfzehn Minuten«, verkündete sie. »Sie brauchen sich nicht darum zu sorgen, daß Sie nichts bekommen.« Ted hob die Brauen. »Keinen Tropf mehr?« fragte er eine Spur zu spöttisch. »Vorläufig nicht«, erwiderte sie. Der Doc würde sich also etwas anderes einfallen lassen. Ted sah
dem Frühstück mit gemischten Gefühlen entgegen. Nur zu gut konnte man da etwas hineinmischen… Langsam stützte er sich auf einen Ellenbogen, ignorierte die Aufforderung, liegenzubleiben und deutete mit dem Kopf in Richtung der Steckkombinationen an der Wandleiste, aus denen ein Stromkabel für die Nachttischlampe und das Kabel mit dem Alarmgeber herausragten. Zwei Buchsen waren noch frei. Eine für Antennen nahezu jeder Art, die andere war einer jener berühmten Schachtelkontakte, wie sie vorzugsweise von der Deutschen Bundespost verwendet wurden. »Ich brauche ein Telefon«, sagte er. »Das geht nicht, Herr Ewigk«, erwiderte die Schwester. »Wenn Sie genau hinsehen«, sagte Ted langsam und deutlich, »erkennen Sie den Schachtelkontakt. Da kann man ein Telefonkabel einstöpseln. Erkennen Sie die Konstruktion?« »Das schon, aber Sie brauchen nicht ironisch zu werden.« Was Ironie ist, hast du auch nie richtig gelernt, dachte Ted grimmig. »Es ist trotzdem nicht möglich. Wir müßten von der Telefonzentrale aus extra eine Nummer freischalten und…« »Ich gebe Ihnen einen guten Rat«, sagte Ted kaltlächelnd. »Irgendwann werde ich dieses Krankenhaus auf meinen beiden Beinen verlassen. 46 �
Und dann wird hier die eiserne Kelle kreisen. Ich benötige das Telefon, ich habe Anspruch darauf, der Anschluß ist da. Also bitte ich mir aus, daß innerhalb der nächsten halben Stunde hier ein Gerät angeschlossen wird. Andernfalls… der Gesundheitsminister ist ein guter Freund von mir. Glauben Sie es oder ersticken Sie daran.« Zehn Minuten später hatte er sein Telefon und war wiederum um die Erfahrung reicher, daß gute Freunde in höchst einflußreichen Stellungen, auch wenn sie erschwindelt waren – die Freunde, nicht die Stellungen –, oftmals sehr von Nutzen waren. Es gab immer wieder Leute, die sich wider besseres Wissen davon nachhaltig beeindrucken ließen. Das Frühstück rührte er nicht an. Er traute dem Braten nicht. Vielleicht versuchte man, ihm das Mittel unterzubuttern, das bisher durch den Tropf geflossen war. Der Service war bestechend; zu dem Telefon hatte man ihm das örtliche Fernsprechbüchlein mitgeliefert. Ted verzichtete auf die Notrufnummer und wählte den Normalanschluß der Polizeiwache. Er verlangte nach POM Hans Sierk. »Sierk ist mit einem Wagen unterwegs. Kann einer von uns Ihnen behilflich sein?« Ted schob das Kinn vor und rieb mit den Zähnen an der Oberlippe. »Ich muß mit Sierk persönlich spre-
chen. Es ist ziemlich dringend. Können Sie ihn nicht erreichen?« »Wir rufen durch, Herr Ewigk. Können wir ihm Ihre Telefonnummer mitteilen, damit er zurückruft?« Ted grinste schwach. »Ich befinde mich im Krankenhaus, und hier… mhm, eine Anschlußnummer ist auf meinem Zimmer-Apparat nicht notiert, aber wenn…« Es klappte doch noch. »Warten Sie, Herr Ewigk, Sierk meldet sich gerade. Er fährt soeben auf den Hof. Gedulden Sie sich eine halbe Minute, dann können Sie ihn haben.« Ted wartete und beglückwünschte sich zu dem Zufall, der Sierk auf seiner Streifenfahrt gerade in diesem Moment wieder an der Polizeiwache vorbeigeführt hatte. Ein paar Minuten später vernahm er Sierks Stimme. »Sie liegen im Krankenhaus, Herr Ewigk? Ja, was ist denn mit Ihnen los? War Ihr Intimfeind eine Nummer zu groß?« »So könnte man es nennen«, erwiderte Ted. »Sie müssen mir einen ganz großen Gefallen tun.« »Wenn es nicht den Rahmen meiner Dienstvorschriften sprengt…« »Hören Sie, Sie wissen, wo ich mich in Neuenburg einquartiert habe. Forschen Sie dort nach einem faustgroßen, blaufunkelnden Kristall und bringen Sie ihn mir. Wenn möglich noch, ehe hier die Visite beginnt.« 47 �
Sierk pfiff durch die Zähne. »Der… wie nannten Sie ihn? Der Dhyarra?« »Ja!« »Ich tue, was ich kann, Herr Ewigk. In welchem Zimmer befinden Sie sich?« Ted entsann sich, die aufgemalte Nummer an der Tür erkannt zu haben, als die Tür nach innen aufschwang. »Dreizehn, Station Doktor Schott…« »Ach du grüne Neune«, murmelte Sierk. »Ich fliege! Brauchen Sie sonst noch etwas?« Ted verneinte und legte auf. Bevor er den Apparat wieder auf den rollbaren Nachttisch stellen wollte, zögerte er. Er versuchte sich an das Geräusch zu erinnern, das beim Abheben des Hörers entstanden war. Er hatte es nur unbewußt wahrgenommen, weil er auf Sierk konzentriert war. Jetzt aber drängte es sich ihm wieder auf. Er machte die Probe aufs Exempel und hob blitzschnell ab. Schwach hörte er das leise Klicken aus der Muschel. Sein Anschluß wurde abgehört. * Sierk hatte schnell gehandelt. Zwanzig Minuten später stoppte der Polizei-Passat in Neuenburg vor dem Gasthaus ab. Sierk war sofort losgefahren. Er hatte auch darauf verzich-
tet, einen Kollegen mitzunehmen. Er betrat den Gastraum, in dessen Hintergrund eine Treppe nach oben führte – jene Treppe, die Ted hinabgestürzt war. Eine Frau in mittleren Jahren tauchte auf. »Ja, Herr Ewigk hat hier ein Zimmer. Er stürzte auf der Treppe und wurde nach Varel gebracht.« »Herr Ewigk schickt mich zu Ihnen«, sagte Sierk und wies sich als Polizist aus. Eine Uniform konnte man sich schließlich im Kostümverleih besorgen, und ein Auto grünweiß zu lackieren war auch keine große Kunst, zumal es auch Rundumleuchten neuerdings in diversen Elektronik-Shops zu kaufen gab. Sierk berichtete von dem faustgroßen, blauen Kristall. »Ach, der… moment, ja, wir haben so ein Ding gefunden. Es war unter den kleinen Schranktisch dort drüben gerollt. Mein Sohn hat ihn gefunden, als er mit dem Staubsauger da unten herumstocherte.« »Und?« fragte Sierk. »Wo befindet er sich nun? Herr Ewigk benötigt ihn dringend.« »Im Krankenhaus?« fragte die Frau mit hochgezogenen Brauen. Sierk nickte nur und wunderte sich, daß sie sich nicht danach erkundigte, ob das Zimmer aufgelöst werden sollte. Aber vielleicht hatte sie schon mit dem Krankenhaus telefoniert. »Ich weiß es nicht, wo der Stein 48 �
ist«, sagte sie. »Ich habe keine Ahnung von solchen Dingen. Mein Sohn hat ihn eingesteckt.« »Und wo ist Ihr Sohn?« fragte Sierk, der Komplikationen befürchtete. »Er ist nach Oldenburg gefahren, um Besorgungen zu machen«, erwiderte die Wirtin. »Er muß aber jeden Moment zurückkommen. Er ist sehr früh gefahren, und er hat im Grunde nur ein Teil zu besorgen.« Sierk sah auf seine Uhr. Die Autobahn nach Oldenburg war äußerst schwach befahren, man konnte voll aufdrehen. Die Strecke war durchaus in einer halben Stunde zu schaffen. »Er hat nicht zufällig Funk im Wagen?« hakte der Polizist nach. Die Wirtin schüttelte den Kopf. »Tut mir leid, aber für solche Spielereien hat er nie viel übrig gehabt. Mit dem CB-Funk, sagt er immer, kann man gerade bis zum Schwanz von Nachbars Katze kommen, wenn man sich an die postalischen Bestimmungen hält, und für Amateurfunk sind ihm die Gebühren zu teuer.« Sierk gestattete sich, stillschweigend anderer Meinung zu sein. Er fuhr in seinem Privatwagen ebenfalls ein CB-Gerät spazieren und hatte auf flachem Land unter günstigen Wetterbedingungen schon fast vierzig Kilometer überbrückt. Ein Bekannter mit seiner Heimstation und Hochantenne kam noch erheb-
lich weiter. »Schön, wenn ich Sie nicht störe, warte ich auf seine Rückkehr«, entschied Sierk sich und machte es sich in einem Sessel gemütlich. Immer wieder schielte er auf die Uhr. Aber schon etwa fünfzehn Minuten später stoppte ein metallicgrüner Commodore vor dem Haus. Ein etwa zwanzig Jahre junger Mann trat ein. »Oh, Polizei?« staunte er. »Bin ich zu schnell gefahren, oder habe ich eine Abschußprämie verdient?« Sierk erhob sich und murmelte seinen Namen. »Abschußprämie?« fragte er dann. Der Gasthaus-Junior schmunzelte. »Kennen Sie die Geschichte nicht? Kommt einer aus der tiefsten Prärie nach Hamburg, hat keine Ahnung, was läuft, und steigt in ein Taxi. Vorne sieht er den Mercedes-Stern auf dem Kühler und fragt den Fahrer, was das ist, weil er nie einen Mercedes gesehen hat. Der Fahrer checkt natürlich sofort, wes Geistes Kind er befördert, und denkt sich: Dem erzähle ich jetzt mal was vom Pferd. ›Tja‹, sagt er, ›wir haben zu viele Rentner auf der Welt. Darum hat das Ministerium jetzt beschlossen, daß jeder Autofahrer, der einen Rentner erlegt, eine Fangprämie erhält. Und das Ding da vorne ist das Visier zum Zielen.‹ Sein Fahrgast, Hein vom Dorf, glaubt das natürlich. Plötzlich will 49 �
ein alter Herr die Straße überqueren. Der Taxifahrer denkt sich: Jetzt zeigen wir’s unserem Experten mal. Tritt aufs Pedal, das Taxi fegt los, direkt auf den Großvater zu. Im letzten Moment reißt der Fahrer das Lenkrad herum, der Mercedes schleudert an dem Alten vorbei. Im nächsten Moment hört der Fahrer einen harten Schlag, einen wilden Schrei und stoppt ab. Da sagt sein Fahrgast ganz gemütlich: ›Wenn ich jetzt nicht so reaktionsschnell die Tür aufgestoßen hätte, wären Sie doch glatt um Ihre Prämie gekommen!‹« »Makaber«, murmelte Sierk schmunzelnd. »Nein, ich wollte Ihnen keine Prämie auszahlen. Sie haben hier einen blauen, faustgroßen Kristall gefunden. Wo ist er jetzt?« »Och, der olle Kiesel«, murmelte der Commodore-Fahrer. »Was ist denn da so besonderes dran? Den habe ich in die Mülltonne geschmissen. Ein Edelstein kann er nicht sein, weil die nie so groß werden, und für blaues Glas habe ich keine Verwendung.« Sierk holte tief Luft und schüttelte den Kopf. »Ein Glück habe ich heute aber auch«, sagte er. »Jetzt fehlt bloß, daß gestern die Müllabfuhr kam und…« Der Junior grinste. »Tja, die kommt erst morgen.« »Gott sei’s gedankt!« stieß Sierk
hervor. »Danken Sie mal nicht zu früh«, brummte der Junior. »Ich kann Ihnen wohl den Mülleimer zeigen, aber ich grabe nicht darin herum. Wenn Sie den Stein haben wollen, müssen Sie sich schon selbst bemühen.« Sierk dachte an seine sauberen Hemdsärmel. »Dieser blaue Stein«, sagte er mit freundlichem Lächeln, »ist Eigentum Ihres Gastes Ewigk. Was halten Sie davon, wenn wir ihn gemeinsam aus dem Müll ausgraben? Schließlich hat Herr Ewigk Sie nicht darum gebeten, den Stein fortzuwerfen.« Der Junge musterte Sierk eindringlich. Dann nickte er. »All right, Chef, Sie haben gewonnen. Wahrscheinlich bekomme ich sonst eine Anzeige wegen Veruntreuung fremden Eigentums oder so, nicht wahr?« Sierk zog lediglich die Brauen hoch. Zehn Minuten später hatten sie den Dhyarra-Kristall ausgegraben. Sierk wog ihn nachdenklich in der Hand. »Man sollte es nicht für möglich halten«, murmelte er, »daß ein so kleiner Kristall über eine derartige Kraft verfügen soll.« Er wischte ihn mit einem Papiertaschentuch sauber und schob ihn dann in die Außentasche seiner Uniformjacke. »Ich danke Ihnen vielmals«, verabschiedete er sich und 50 �
fuhr nach Varel zurück. Er sah auf die Uhr. Es war schon fast Zehn. * Offenbar nahm man es in Doktor Johannes Schotts Station mit den üblichen Gepflogenheiten nicht so ganz genau. Auf die morgendliche Visite wartete Ted jedenfalls bis halb elf vergeblich, wie er auch sich nicht erinnern konnte, am vergangenen Morgen für die Visite wachgerüttelt worden zu sein. Oder war er die einzige Ausnahme, weil der Doc besondere Pläne mit ihm hatte? Daß der Mordanschlag gescheitert war, mußte der Dämon inzwischen wissen. Ted war sicher, daß der Doc sich jetzt eine andere Hinterhältigkeit ausgedacht hatte. Und er begann um Hans Sierk zu fürchten. Das Telefon war abgehört worden; mit ziemlicher Sicherheit wußte der Doc darüber Bescheid, daß Sierk den Dhyarra-Kristall holen sollte. Und selbst wenn der Dämon das Geheimnis des Kristalls und dessen Kraft nicht kennen sollte, würde er sich denken können, daß Ted nicht umsonst die Polizei in Marsch setzte, um einen bestimmten Gegenstand zu besorgen. Außerdem mußte er im Hotel an der Treppe den Kristall in Teds Hand gesehen haben und würde sich seinen Reim darauf machen können.
Es konnte sein, daß es jetzt ein Wettlauf mit dem Tod wurde. Ted versuchte, sich in die Situation des Dämons zu versetzen. Anstelle des Docs würde er jetzt alles versuchen, seine beiden Gegner – denn auch Sierk gehörte nunmehr dazu – auszuschalten. Hoffentlich schaffte Sierk es. Plötzlich hörte Ted Stimmen auf dem Gang. »Nein, Sie können nicht zu ihm. Der Stationsarzt hat jeden Besuch untersagt. Der Patient ist zu geschwächt, als daß…« »…« Ted konnte nicht verstehen, was der Gesprächspartner sagte, aber eine Ahnung seines para-orientierten Unterbewußtseins verriet ihm, daß die Unterhaltung sich um ihn drehte. »Und wenn Sie hundertmal von der Polizei sind«, vernahm er jetzt wieder die laute Stimme der Krankenschwester, »ich darf Sie nicht hineinlassen! Wollen Sie, daß der Patient sich aufregt und Schaden nimmt? Der Doktor hat…« »Was der Doktor hat oder nicht hat, interessiert mich nicht«, hörte er jetzt auch Sierk laut werden. »Mich interessiert nur, daß Herr Ewigk die Polizei angerufen hat und… jetzt lassen Sie mich endlich vorbei, Himmeldieberge!« »Sie können nicht hinein! Ich sage es Ihnen zum letzten Mal! Wenn Sie 51 �
sich nicht daran halten wollen, muß ich Ihnen Hausverbot erteilen…« Das geht entschieden zu weit, überlegte Ted. Sierk hatte es geschafft, und offensichtlich hatte er den Kristall bei sich. Jetzt versuchte man es so zu drehen, daß man ihm den Besuch aus unerfindlichen Gründen verweigerte. Aber Sierk durfte nicht wieder umkehren! Ted richtete sich vorsichtig auf. Das schmerzhafte Ziehen, das auch den langsamen Bewegungen folgte, ignorierte er. Er schlug die Decke zurück und schwang die Beine aus dem Bett. Nur mit dem gesunden Fuß trat er auf. Verdammt, war er schwach! Als er sich vom Bett lösen wollte, knickte er ein. Die Nachwirkungen des Tropfs! Der Doc mußte ein Teufelszeug hineingetan haben! Ted schrie nicht auf. An Bett und Wand stützte er sich. Vorsichtig humpelte er in Richtung der Tür, das Gesicht verzerrt. Jeder Versuch, einen Humpelschritt zu machen, ließ ihn fast verbrennen. Aber zäh kämpfte er sich vorwärts. Draußen auf dem Korridor hörte er immer noch die streitenden Stimmen. Wenn er Pech hatte, steckte Sierk zu früh auf. Die Schwester konnte in Vertretung des Chefarztes auch einem Polizisten Hausverbot erteilen. Ted konnte nur hoffen, daß Sierk ein dickes Fell besaß.
Nach einer kleinen, schmerzerfüllten Ewigkeit war er soweit, daß er den Türgriff erreichen konnte. Seine gesunde Hand schoß vor, schmetterte auf die Klinge und schlug sie nach unten. Gleichzeitig schlossen sich seine Finger wie Stahlklammern um sie und rissen die Tür auf. Ted taumelte. Es wollte ihm schwarz vor den Augen werden. Schmerzwellen durchrasten ihn. »Hans! Hier…« Was spielte es für eine Rolle, daß er den Polizisten beim Vornamen rief? Sierks Kopf flog herum. Erstaunt starrte er Ted an, der in seinem Krankenhaus-Nachthemd, das knapp über den Knien endete, keine eindrucksvolle Figur machte und dessen Gesicht von den furchtbaren Schmerzen gezeichnet war. »Den Kristall…« keuchte Ted. »Schnell, Hans! Gib ihn mir!« Es war nur eine Ahnung, der er folgte. War es seine Fähigkeit der Präkognition, die ihm verriet, daß nur der Dhyarra ihm helfen konnte? »Sie…« schrie die Schwester auf und fuhr zu Ted herum, fassungslos über sein Aufstehen. »Ich…« Jetzt endlich handelte Sierk. Er schob die Schwester mit einem kräftigen Ruck zur Seite und trat zur Tür. Seine ausgestreckte Hand hielt den Kristall. Ted griff danach, mußte dabei die Tür loslassen. Er taumelte. Jeden Moment mußte er stürzen 52 �
und… Die Schwester schrie auf, doch sie stand zu weit ab, um den Stürzenden auffangen zu können. Sierks Augen weiteten sich vor Erstaunen. Ted Ewigk stürzte nicht. Sein Fall wurde von einer unsichtbaren Faust gestoppt. Im Winkel von fünfundvierzig Grad blieb sein Körper frei in der Luft hängen und versteifte sich. Starr wie ein Brett und dennoch unfähig, endgültig zu Boden zu stürzen, hing Ted Ewigk zwischen Himmel und Erde, die rechte Faust um den Kristall gekrallt, der bläulich aufschimmerte. * Gebannt starrten der Polizist und die Schwester auf das unheimliche Bild, das sich ihnen bot. Was sie sahen, war kaum glaublich. Ein Mensch, der mitten im Sturz in der Luft hängengeblieben war. Sierk sah, wie sich der Mund der Schwester zu einem entsetzten Schrei öffnete. Blitzschnell schoß seine Hand vor und erstickte den Schrei. »Ruhig, ganz ruhig«, murmelte Sierk, der selbst alles andere als ruhig war. Träumte er? Wieso war Ted Ewigks Fall aufgehalten worden? Der Kristall funkelte heller als sonst.
»Kommen Sie«, raunte Sierk. »Fassen Sie mit an. Wir legen ihn wieder auf sein Bett.« Die Schwester schluckte. Aus weitaufgerissenen Augen starrte sie auf den erstarrten Patienten. Sierk wartete einige Augenblicke, dann packte er allein zu. Spielend leicht ließ sich Teds Körper bewegen, als sei er nur ein paar Gramm schwer! Sierk konnte ihn mit einer Hand aus seiner Schräglage heben und auf das Krankenbett tragen. Im gleichen Moment, als Ted die feste Unterlage unter sich hatte, erlosch das Glühen des Kristalls. Er schimmerte wieder so mattblau wie zuvor, als Sierk ihn geholt hatte. »Hol’s der Teufel…« Ruhig lag Ted jetzt da, das Gesicht entspannt, und atmete tief durch. Seine Augen waren geschlossen. Er schien zu schlafen. Sierk war ein genauer Beobachter. Veränderte sich an Ted Ewigk nicht etwas? Wurde seine Hautfarbe nicht frischer? Sah er nicht plötzlich gesünder aus? Hans Sierk ließ den Reporter nicht mehr aus den Augen. Eben noch war Ted blaß gewesen wie ein lebender Toter. Der Krankenhausaufenthalt und die Art der dämonischen Behandlung hatte ihm die unnatürliche Blässe verliehen. Doch jetzt überzog gesunde Bräune seine Haut. Etwas geschah, das mit 53 �
dem menschlichen Verstand nicht zu erklären war, aber war das Unerklärliche in diesem Fall nicht das Normale? Hans Sierk beobachtete wieder. Es geschah nicht alle Tage, daß man einen Dhyarra-Kristall in voller Aktion erlebte! * Der Doc stöhnte auf. Von einem Moment zum anderen wurde der Dämon von rasenden Störimpulsen überfallen und war nicht mehr in der Lage sich zu konzentrieren. In fünf Minuten sollte eine Operation stattfinden! Das Gesicht des Dämons verzerrte sich. Der junge Arzt taumelte, preßte die Hände gegen die Schläfen und stürmte aus dem Vorbereitungsraum. Ein Assistent lief ihm nach. »Doc, Sie… die Operation! Was ist los!« Im Laufen stützte sich der Doc an der Korridorwand ab. Es war, als sei er betrunken. »Verschieben«, lallte er. »Verschieben. Ich kann jetzt nicht operieren, ich…« Er taumelte weiter, erreichte den Lift. Immer noch strömten die Impulse einer gegnerischen Macht auf ihn ein. Weiße Magie wurde wirksam. Und das in einem Maße, wie der Doc es niemals zuvor kennengelernt hatte.
Was war geschehen? Endlich kam der Aufzug. Der Doc ließ sich förmlich hineinfallen, doch das Metall der Kabine konnte die Störschaltung nicht abschirmen. Der Dämon versuchte den Ausgangspunkt zu lokalisieren, aber es gelang ihm nicht. Es waren nicht direkt Schmerzen, die ihn überfielen, doch er konnte nur noch unter größter Anstrengung klar denken. Die weiße Strahlung trübte seinen Verstand, lullte ihn ein. Eine gefährliche Benommenheit überkam ihn. Nie zuvor hatte er sich in einer vergleichbaren Situation befunden. Woher kam diese Strahlung? Wenn sie nicht bald aussetzte, konnte er seine Erscheinung nicht länger stabilisieren. Schon jetzt fühlte er, daß er sich zu verändern begann. Die Strahlung forderte seine Ur-Form als Dämon. Eine Krankenschwester sah eine huschende Gestalt auf dem Korridor, die das Büro des Doc betrat. Ein weißhaariger, korpulenter Mann gesetzten Alters. Doch sie dachte sich nichts dabei. Jemand, der den Doc sprechen wollte… Der Dämon schwankte. Er sah alles nur noch verschleiert. Vor dem kleinen Spiegel über der Waschnische seines Arbeitszimmers blieb er stehen und sah sich an. Er sah die Gestalt des Weißhaarigen. Unwillkürlich erschrak er. Der Schock versuchte noch einmal, den 54 �
Zwang der Strahlung zurückzudrängen. Doch es gelang ihm nicht. Wenn er es schon nicht mehr schaffte, das Aussehen des Doktor Schott aufrechtzuerhalten, würde bald auch die letzte Tarnung fallen! Er flüsterte eine Beschwörungsformel der Schwarzen Magie und erflehte die Hilfe des Kaisers Luzifer. Es war unüblich, und der Dämon wußte, daß er sich dadurch in direkte Abhängigkeit zum Höllenfürsten begab. Aber dankbar – sofern man bei einem Dämon von Dankbarkeit sprechen kann – spürte er einen schwachen Energiestrom, der ihn durchfloß. Plötzlich konnte er den Ausgangspunkt der weißmagischen Strahlung lokalisieren. Das Einzelzimmer, in dem Ted Ewigk lag! Der Dämon stieß einen Fluch über die Lippen des Weißhaarigen. Für Sekunden zeigte sich eine feine Schuppenhaut auf seinem rechten Handrücken. Er bemerkte es nicht einmal. Ted Ewigk! Er mußte eine Wunderwaffe besitzen! Der Dämon spürte sofort, daß er dieser Waffe im Moment nichts entgegenzusetzen hatte. An einer anderen Stelle vielleicht, nicht aber hier. Hier mußte er auf seine Tarnung bedacht sein, die einen Teil seiner Kraft verbrauchte. Er konnte nicht einfach mit allen Mitteln zuschlagen.
Für ihn gab es im Moment nur eine Möglichkeit. Wenn die immer stärker werdende Strahlung ihn nicht seiner Tarnung berauben und ihn vor den Augen der Öffentlichkeit als das entlarven sollte, was er war, mußte er das Krankenhaus vorerst verlassen. Irgendwo draußen konnte er dann versuchen, Ted Ewigk abermals in eine Falle zu locken. Irgendwo, wo er selbst nicht zu befürchten hatte, als Dämon entlarvt zu werden. Er tastete sich benommen zum Schreibtisch, drückte die Taste der Sprechanlage. »Alle angesetzten Operationen absetzen«, ordnete er an. »Auf unbestimmte Zeit verschieben. Ich muß dringend fort.« Seine Stimme zitterte. Der Dämon verfluchte seine Schwäche, die ihm die Tarnung als Mensch aufzwang. Abermals schimmerten Schuppen durch. Dann verließ er stöhnend das Arbeitszimmer. Die weiße Strahlung wurde stärker und zwang ihn trotz seiner Benommenheit zur Eile. * Ted erwachte aus seiner Starre. Es war ein langsames Erwachen, aber er fühlte sich wie neugeboren. Er spürte, wie der Dhyarra-Kristall seine parapsychischen Kräfte ver55 �
stärkte und auf seinen Körper einwirken ließ. Es war ein Prozeß, der nur wenige Minuten in Anspruch nahm. Die genaue Zeit konnte er nicht abschätzen, aber länger als zehn Minuten dauerte es bestimmt nicht. Die Zellen seines Körpers wurden mit rasender Geschwindigkeit regeneriert. Ein Genesungsprozeß setzte ein, der normalerweise Wochen gedauert hätte. Angebrochene und zerschmetterte Knochen fügten sich wie von selbst zusammen, verbanden sich wieder reibungslos und gesundeten. Schon nach kürzester Zeit waren sie wieder voll belastbar, als seien sie nie angekratzt gewesen. Ted öffnete die Augen und drehte den Kopf. Neben sich sah er das besorgte Gesicht Hans Sierks, der sich nicht vorstellen konnte, was in diesen Augenblicken geschehen war, und hinter dem POM die Krankenschwester, die noch weniger begriff. Fassungslos sah sie ihn an. Teds Hand umschloß noch immer den Dhyarra-Kristall. Ruckartig setzte er sich auf dem Bett auf und verspürte dabei nicht den geringsten Schmerz. Ein wildes Lachen brach aus ihm hervor, und seine Augen funkelten, als er Sierk ansprach: »Hans, dafür hast du einen Orden verdient, nur bin ich kein Minister, der ihn dir verleihen kann…« Hans Sierk hatte immer noch nicht
ganz begriffen, was geschehen war, aber seine Augen wurden groß, als Ted mit dem Kristall über die Gipsverbände an Arm und Bein strich und diese plötzlich, von verstärkter Para-Kraft zerstört, auseinanderbröckelten und Ted volle Bewegungsfreiheit zurückgaben. »Das hat auch der Doc nicht geahnt«, lachte Ted wild, sprang aus dem Bett und wunderte sich nur kurz, daß die Krankenschwester nicht in Ohnmacht fiel. Er eilte zum Wandschrank, riß ihn auf und fand seine Kleidung. Ohne Rücksicht darauf zu nehmen, nicht allein im Zimmer zu sein, riß er sich das Krankenhemd herunter und stieg in seine altvertraute Kleidung. Dann tastete er die Taschen ab und überprüfte sie auf ihren Inhalt. »Der Schocker fehlt!« Mit einem Ruck fuhr er auf dem Absatz herum und kam auf die Krankenschwester zu, die jetzt reagierte, die Hände vorm Gesicht zusammenschlug und bis an die Wand zurückwich. »Ich hatte eine Waffe bei mir! Wo ist sie?« fragte er schroff. »In diesem Haus ist Waffenbesitz nicht üblich«, schrillte die Schwester hysterisch, welche am Ende ihrer Nervenkraft war und Ted für den Leibhaftigen hielt. Der zeigte keine Spuren mehr von seinen Verletzungen und war lebendiger, als er es eigentlich sein durfte. »Da müssen 56 �
Sie schon bei der Anmeldung nachfragen, da wird so etwas meistens deponiert…« Ted nickte nur. Den Dhyarra-Kristall schob er in die Jackentasche. Bis auf den E-Schocker war alles vorhanden, aber durch die Bemerkung war Sierk aufmerksam geworden. »Sie besitzen eine Waffe? Davon haben Sie bis jetzt nichts gesagt.« »Weil es keine Waffe im Sinne der gesetzlichen Bestimmungen ist«, konterte Ted kühl. »Mitkommen!« Wie einen Rekruten hatte er den Polizisten angepfiffen und erkannte es im gleichen Moment. »Entschuldigen Sie, Sierk, aber ich bin momentan etwas durcheinander…« Er trat auf den Gang hinaus und sah nicht mehr, wie Sierk hinter ihm abwinkte. »Schon gut, Ewigk…« Er prallte gegen Ted. Der war wie angewurzelt stehengeblieben. »Himmel«, stieß er hervor. »Der will ja auf Tauchstation gehen und…« »Wer?« Sierks Hand lag schwer auf Teds Schulter. »Wer, Ewigk?« »Na, der Dämon!« knurrte Ted. »Der Doc! Der kratzt einfach die Kurve und wir…« Im nächsten Moment war er unter Sierks Hand verschwunden und sprintete wie ein Hochleistungssportler auf den Lift zu. Sierk folgte ihm. Er begriff nur, daß der Doc flüchtig geworden war.
Aber woher Ted Ewigk das wußte, war auch ihm ein unlösbares Rätsel! * Der Dämon konnte sein Aussehen nur mit Mühe unter Kontrolle halten. Das Aussehen Doktor Schotts ließ sich längst nicht mehr stabil halten. Er hatte Mühe, die Gestalt des Weißhaarigen zu kontrollieren. Die Strahlung ließ nicht nach. Wut und Zorn funkelten in den Augen des Dämons, als er schwankend auf das Glasportal zuging. Er stieß sie auf und sah sich draußen um, ignorierte die staunenden Blicke der Frau in der Anmeldung, die keinen Weißhaarigen das Krankenhaus hatte betreten sehen. Dann taumelte der Dämon zu seinem Wagen. Das leichte Flimmern an der Heckpartie des Wagens entging ihm. Er war nicht in der Lage, es wahrzunehmen, hatte genug mit sich selbst zu tun. Das Fahrzeug konnte er nicht auch noch unter Kontrolle halten. Solange der Kristall arbeitete und er seine Tarnung nicht aufgeben durfte, mußte er fliehen. Zorn tobte in ihm. Niemals zuvor hatte er vor einem Menschen fliehen müssen. Er riß die Tür des Mercedes auf, ließ sich hineinfallen und startete. Der Wagen raste los. Fast hätte er sich überschlagen, als der Dämon für Sekunden die Kontrolle verlor 57 �
und gegen die Bordsteinkante raste. Doch er fing ihn mittels Magie wieder ab. Im gleichen Moment mußte er aber die Selbstkontrolle vernachlässigen. Ein Kind, das den Wagen und den Fahrer darin sah, schrie entsetzt auf. Auf das noch formbare Gemüt wirkte der Anblick noch erschütternder. Das Kind schrie immer noch, als es längst zuhause war. Denn der Anblick des Dämons war fast unerträglich… * Nichts an Ted Ewigk wies mehr darauf hin, daß er vor ein paar Minuten noch schwer verletzt im Krankenbett gelegen hatte. Hans Sierk konnte nur noch staunen. Obwohl er ständigem Training unterlag, schaffte er es nur knapp, noch mit in den Lift zu springen, dessen Tür sich bereits schloß. Zu zweit fuhren sie nach unten. »Sie sind ein Zauberer, Ewigk.« Der Reporter, der wie ein Wikinger auf Beutefahrt aussah, erwiderte nichts darauf. Er fühlte sich nicht wie ein Zauberer, sondern nutzte nur die in ihm erwachten ParaFähigkeiten aus. Was war daran Besonderes? Der Lift stoppte. Ted schob sich als erster durch die noch nicht ganz geöffnete Tür und spurtete quer durch die Eingangs-
halle auf die Glastür zu. Doch bevor er sie erreichte, stoppte er schon wieder ab. Er hatte den Wagen des Doc verschwinden gesehen. Der war jetzt auf und davon. Ted kehrte um. Sierk sah ihn überrascht an. »Er ist verschwunden. Mit dem Wagen auf und davon.« »Und Sie?« fragte Sierk verwundert. »Sie geben die Verfolgung auf?« Ted lächelte dünnlippig. »Zu Fuß? Mein Wagen dürfte noch in Neuenburg stehen, und bis hier ein Taxi erscheint… hm.« »Wir hätten meinen Dienstwagen nehmen können«, schlug Sierk vor. Ted lachte. »Sierk, Sie bekommen doch weder vorher noch nachher eine NFA-Genehmigung, nur um auf die Aussage eines spinnerten Reporters hin einen Dämon zu verfolgen! Man lacht Sie höchstens aus, abgesehen davon, daß ich BlaulichtFahrten nicht mag. Und ohne Blaulicht und Einsatzhorn bekommen wir den nie, weil wir uns dann an die Straßenverkehrsordnung halten müssen. Der Dämon tut das mit Sicherheit nicht, wenn er merkt, daß er verfolgt wird, und auch im Stadtverkehr holen Sie mit einem müden Polizei-VW, auch wenn er die 110PS-Maschine hat, keinen Mercedes ein, der voll aufdreht. Der hat das bessere Fahrwerk, Sierk, und kommt 58 �
mit Tempo achtzig um Kurven, in denen Sie nur noch mit den Ohren schlackern können. Der Dämon weiß das, deshalb hat er sich ja auch einen Mercedes ausgedacht…« Sierk stutzte nicht über die ungewöhnliche Formulierung. Er fragte sich, was Ted jetzt unternehmen wollte. Ted Ewigk ging auf den Glaskasten der Anmeldung zu. »Ist bei Ihnen meine Waffe deponiert worden?« Ein Stirnrunzeln war die Antwort. »Wer sind denn Sie überhaupt, junger Mann?« Ted stellte sich vor. »Sie können nicht Ewigk sein, weil der mit mehreren Brüchen in Station Drei liegt und…« Ted lächelte. Er warf einen Blick zu Sierk hinüber. »Muß erst die Polizei für meine Identität bürgen? Rufen Sie in Station Drei an, ob ein Ted Ewigk noch in seinem Zimmer liegt, und dann rücken Sie mein Eigentum heraus, ehe ich ungemütlich werde!« Die Dame hinter der Glasscheibe war pflichtbewußt. Sie rief an! Als sie den Hörer wieder auflegte, trug ihr Gesicht immer noch einen ungnädigen Ausdruck. »Das verstehe, wer will… aber verlassen Sie mit dem Ding sofort das Krankenhaus. Waffen sehen wir hier nicht so gern.«
Sie erhob sich, ging zu einem kleinen Tresor und öffnete ihn, während sie den Schließmechanismus mit ihrem Körper gegen fremde Augen abschirmte. Sie griff hinein, zog den E-Schocker heraus und schloß den Tresor wieder. Bevor sie die Lähmpistole ihrem Besitzer aushändigte, hatte der noch eine Empfangsquittung zu unterschreiben. Ted schob die Waffe in die Jackentasche, ehe der äußerst interessierte Hans Sierk die Finger darauflegen konnte. »Was ist das denn für ein komischer Lauf? Nie gesehen…« »Kein Wunder«, murmelte Ted. »Davon gibt’s auch nur sehr wenige, und in dieser Gegend von Deutschland nicht.« Er ging auf die Glastür zu und trat ins Freie. »Gleich Mittag«, bemerkte er nach einem Blick auf die Armbanduhr. »Wird Zeit, daß ich was Vernünftiges in den Magen bekomme…« Sierk legte ihm die Hand auf die Schulter. »Ewigk, Ihre Dämonengeschichte kommt mir plötzlich wieder unwahrscheinlich vor. Ich glaube eher, daß Sie so etwas wie James Bond sind und der Doc ein ausländischer Spion…« Ted schüttelte den Kopf. »Dann sind Sie nicht nur auf dem Holzweg, Hans, sondern auf dem Knüppelpfad. Können Sie mir hier in der Gegend ein akzeptables Eßlokal empfehlen, in dem man auch etwas anderes als Pommes frites 59 �
Doc ließ den Mercedes am Straßenrand ausrollen. Es war förmlich eine Erholung für seinen unmenschlichen Geist. Er begriff nicht, warum Ted Ewigk die Strahlung gestoppt hatte. Was bezweckte der Mensch damit? Wollte er den Dämon nur aus dem Krankenhaus vertreiben? Aber was hatte er davon? Er war nach wie vor schwer verletzt. Und er mußte wissen, daß der Dämon dann eben draußen auf ihn warten würde. Der Doc wagte es, seine Dämonensinne einzusetzen und nach dem Bewußtsein des Menschen zu suchen. Doch er fand es im Krankenhaus nicht mehr. Er fand auch nichts, was darauf hindeutete, daß jemand einen Schirm aufgebaut hatte. Demnach war es mehr als eine Warnung, eine Vertreibungsaktion gewesen. Ted Ewigk hatte das Krankenhaus verlassen. In seinem Zustand bestimmt nicht! Er mußte einen überraschenden Heilungsprozeß erlebt haben. Es schien mit dem Kristall zusammenzuhängen. Der Dämon ahnte, daß er sich vor diesem Kristall ganz gewaltig in acht nehmen mußte – oder ihn in seinen Besitz bringen… Zunächst aber entschloß er sich, einen anderen Weg einzuschlagen. Ted Ewigk hatte das Krankenhaus * verlassen. Nun, da konnte man ansetzen… Abrupt brach die Strahlung ab. Der � Der Doc wendete den großen
bekommt?« Sierk konnte. »Ich muß langsam zusehen, daß ich wieder meinen normalen Dienst aufnehme«, erklärte er. »Brauchen Sie noch irgendwelche Unterstützung?« Ted verneinte. »Ich melde mich wieder«, sagte er. »Vorerst heißen Dank für den Kristalltransport.« Er klopfte auf die leicht gewölbte Tasche, in der sich der Dhyarra befand. Er sah Sierk nach, der in seinen Dienstwagen stieg und davonrollte. Dann sah er zum Himmel empor. Er war sicher, daß der Doc sich wieder bemerkbar machen würde. Er war vor Ted geflohen. Die Ausstrahlung des arbeitenden Kristalls mußte ihn in die Flucht geschlagen haben. Jetzt war der Kristall wieder passiv. Der Doc würde zurückkommen. Und Ted war sicher, daß es dann zur entscheidenden Auseinandersetzung kommen würde. »Dann, mein lieber Dämon«, murmelte er, »werde ich dir heimzahlen, was du Eva und mir angetan hast…« Langsam setzte er sich in Bewegung, um das Restaurant aufzusuchen, das ihm der POM empfohlen hatte.
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Wagen und rollte ins Stadtzentrum zurück. Sein Ziel war die Polizeiwache… * Ted ahnte nicht, was der Dämon beabsichtigte. Und selbst, wenn er es gewußt hätte, wäre er nicht schnell genug gewesen, es zu verhindern. Denn noch während der Reporter zu Fuß unterwegs war, um das Restaurant aufzusuchen, stoppte der dunkelgrüne Mercedes bereits vor der Polizeiwache. Der Dämon zeigte sich wieder als Doktor Schott. Er betrat das Gebäude und sprach beim Dienststellenleiter vor. Der hatte für den Arzt Zeit, von dem nur zwei Personen wußten, es mit einem Dämon zu tun zu haben. Dem Doc machte es nichts aus, das Blaue vom Himmel zu lügen. Er behauptete, daß Ted sich als Patient in seiner Station befunden habe und sich verpfuscht fühle. Aus diesem Grunde wolle der rachsüchtige Patient, der vorzeitig aus der Klinik entwichen sei, jetzt dem Doc ans Leder, obgleich alles, was jener Ted Ewigk behaupte, völlig aus der Luft gegriffen sei. Der Dämon ging sogar soweit, um Polizeischutz zu bitten, da er befürchte, daß der Reporter gewalttätig werde. Der Polizeichef saß zurückgelehnt hinter seinem Schreibtisch und
beschäftigte sich angelegentlich damit, einen Kugelschreiber abwechselnd zu zerlegen und wieder zusammenzubauen. »Tja, Doktor Schott, viel können wir natürlich nicht tun, da bis jetzt auch alles, was Sie erzählen, nur Vermutungen sind. Aber wir können Ihre Wohnung bewachen lassen. Sie wohnen allein?« »Ja…« »Gut«, nickte der Polizeichef, der sich längst im Bann des Doc befand. Aber der Dämon hatte erkennen müssen, daß der Dienststellenleiter sich nicht einfach über bestehende Vorschriften hinwegsetzen konnte. Was er tat, war alles, was momentan möglich war. Immerhin… vielleicht genug. Denn der Dämon vermutete, daß Ted seinen Bungalow ein weiteres Mal besuchen würde. »Vielleicht können Sie ihn auch suchen lassen… immerhin ist er vorzeitig aus der Klinik entwichen. Er dürfte leicht zu entdecken sein. Fährt einen äußerst auffälligen Wagen. Ein schwarzer Opel mit goldenen Stoßstangen und Grill.« »Das, Doktor, ist nicht unser Problem«, erwiderte der Polizei-Chef. »Wir können ihn, wenn wir ihn finden, wohl darauf hinweisen, daß er zur Fortsetzung der Behandlung ins Krankenhaus zurückkehren soll, da er sonst seinen Versicherungsschutz verliert…« »… Privatpatient…« 61 �
»… auch egal. Und daß er seine Rachegedanken begraben soll. Mehr können wir nicht tun, ehe wir ihn nicht bei einer Straftat erwischen. Eine Festnahme, wie es Ihnen wohl vorschwebt, sitzt momentan noch nicht drin.« Der Dämon las in seinen Gedanken und erkannte, daß der Chef gegen die Dienstvorschriften verstoßen würde, wenn er jetzt eine Festnahme anordnete. Das konnte weitreichende Folgen haben, die dem Dämon zwar oberflächlich egal sein konnten, aber man würde sich vielleicht fragen, aus welchem Grund der Chef gegen die Vorschriften verstieß. Dann würde das Gespräch mit Schott ans Tageslicht kommen und der Wahrheitsgehalt nachgeprüft werden… der Dämon befürchtete, daß er bei der Anzahl der damit befaßten Personen die Beeinflussungs-Kontrolle verlieren würde. »Schön, tun Sie, was Sie können. Ich danke Ihnen«, erklärte er und erhob sich. Der Dienststellenleiter sah dem Doc sinnend nach. Er fühlte sich, als sei er in diesem Moment aus einem tiefen Traum erwacht. Was war ihm an den stechenden Augen des Arztes aufgefallen? Er kam nicht darauf. Bedächtig gab er die Anordnung, zwei Beamte zur Absicherung des Arzt-Bungalows abzustellen und auf
einen schwarzen Opel zu achten, um dessen Fahrer auf gewisse Dinge aufmerksam zu machen. Aber irgend etwas hatte doch mit dem Doc nicht gestimmt! * Ted hatte ausgiebig gespeist. Zum erstenmal seit Tagen begann er sich wieder wohler zu fühlen. Höchstwahrscheinlich trug die beruhigende Sicherheit des Kristalls dazu maßgeblich bei. Er hatte die Kraft, die dieser blaufunkelnde Stein besaß, jetzt am eigenen Leibe erfahren und wußte, daß er ihn beherrschen konnte. Demzufolge war der Dhyarra entweder ein Kristall niederer Ordnung – oder Teds ParaFähigkeiten entsprechend stark ausgeprägt. Aber daran glaubte er nicht. Eher schon gehörte der Kristall zu den leistungsschwächeren. Ted verließ das Restaurant wieder. Er versuchte sich in den Doc und dessen Lage zu versetzen. Was würde der Dämon tun? Ted in eine Falle locken! Oder beabsichtigte er, den Kampf mit anderen Mitteln auszutragen? Immerhin war er vor der Ausstrahlung des Kristalls geflohen. Es konnte sein, daß er nunmehr menschliche Mittel einsetzte, um Ted in seine Gewalt oder unter die Erde zu bringen. Vielleicht würde er auch versuchen, Ted den Kristall zu 62 �
entwenden. Er würde sich von jetzt an also vor Taschendieben hüten müssen. Ted begann nach einem Taxi Ausschau zu halten. Nach einer Viertelstunde erreichte er das Bahnhofsgebiet und konnte einen Wagen stoppen, der ihn nach Neuenburg brachte. Ted suchte sein Zimmer auf, das erfreulicherweise noch nicht anderweitig belegt worden war – so, als habe die Gastwirtin geahnt, daß Teds Krankenhausaufenthalt trotz der schweren Verletzungen nicht lange dauern würde –, ließ sich in den Sessel fallen und zog den Kristall aus der Tasche. Er wollte versuchen, seine Fähigkeiten kontrolliert einzusetzen. Bis jetzt hatten sie sich immer nur spontan bemerkbar gemacht. Doch jetzt wollte er sie steuern. Vielleicht gelang es ihm, eine Vision zu erzeugen, die ihm zeigte, was der Dämon plante. Ted entspannte sich. In seinen Händen hielt er den blaufunkelnden Kristall und konzentrierte sich auf das, was er beabsichtigte. Es war, als fiele er in einen leichten Dämmerschlaf. Er sah verschwommene Konturen eines unglaublichen Wesens, das niemals ein Mensch gewesen war. Und er sah eine Landschaft, die einem Friedhof glich. Der Nichtmenschliche schritt zwischen den Gräbern entlang, und vor einer
Familiengruft blieb er stehen. Etwas geschah, doch Ted konnte nicht mehr erkennen, um was es sich handelte, denn im gleichen Moment schob sich etwas anderes vor das Bild. Das Gesicht eines weißbärtigen, alten Mannes, streng und ernst blickend. Überschätze deine Kräfte nicht! Der Bärtige verschwand in einem grellen Aufblitzen. Ted fuhr mit einem Schrei hoch. Es war, als greife eine eiskalte Hand nach seinem Herzen und presse es zusammen. Bewußtlos brach er neben dem Sessel zusammen. * Beim Verlassen der Polizeiwache begegnete der Doc einem Mann in der Uniform eines Polizeiobermeisters. Es war Zufall, daß sie sich in der engen Durchgangstür leicht berührten – ein verhängnisvoller Zufall. Sierk, der seinen Wagen gerade wieder auf dem Hof abgestellt hatte, erkannte den Doc zu spät, weil er in Gedanken immer noch bei Ted Ewigk war. Im Moment der Berührung geschah etwas, das Sierk nicht einmal bemerkte. Es war eine Instinktreaktion des Dämons, der blitzschnell nach den Gedanken und dem Unterbewußtsein Sierks ausgriff. Die Berührung gab ihm die Möglichkeit, den Rapport unauffäl63 �
lig durchzuführen. Im gleichen Moment wußte der Dämon, daß Sierk mit Ewigk in Kontakt stand. Daß beide sich mit ihm, dem Doc, beschäftigten. Der Dämon übernahm das gesamte Wissen Hans Sierks, wenngleich es auch noch äußerst wenig war. Da waren sie aneinander vorbei, und in Sierk hatte sich die Erkenntnis gebildet, soeben an den Doc gerempelt zu sein. Zögernd wandte er sich um. »Doktor Schott…?« Auch der Doc blieb stehen. Sein nichtmenschliches Gehirn arbeitete in wenigen Sekunden mehrere Möglichkeiten durch, die sich ihm jetzt anboten, und er entschied sich für die einfachste. Sierk sah ihm in die Augen, und das war sein Fehler. Eine Zehntelsekunde später war Sierk eine willenlose Marionette des Dämons. Blitzartig hatte der Dämon die Kontrolle übernommen. Halte dich nach Dienstschluß für einen Befehl bereit, den du bedingungslos ausführen wirst! Telepathisch hatte der Doc seiner Marionette die Anweisung zugespielt, sah befriedigt, wie Sierk sich jetzt wieder umwandte und seinen Weg fortsetzte, als sei nichts geschehen, und ging zu seinem Wagen. Innerlich triumphierte er. Mit der Übernahme Sierks war ihm ein großer Schlag gegen Ted Ewigk gelungen, der in Sierk seinen
Freund und Helfer sah. Und wenn ein kleiner POM verrückte Dinge tat, war das nicht so auffällig, als wenn der Dienststellenleiter dem Doc zu Willen war. Sierk bewegte sich einige Ebenen tiefer und würde mit seinen Aktionen nicht so viel Staub aufwirbeln. Das konnte dem Doc nur recht sein. Der Doc hatte seinen Plan abermals geändert. Die Falle, die er Ted stellen wollte, stand ihm bereits konkret vor Augen, und Sierk würde sein Helfer sein. Schott stieg in seinen Mercedes und fuhr los. Er mußte nach Hamburg! * Erstaunt bemerkte Ted, daß er auf dem Teppichboden seines Zimmers lag. Neben seiner Hand, aus welcher er beim Sturz gerollt sein mußte, lag der Dhyarra-Kristall. Nur daß er gestürzt war, daran konnte Ted sich nicht erinnern. Langsam richtete er sich auf. Er versuchte sich zu erinnern, was geschehen war. Er hatte versucht, über den Kristall als Verstärker zu sehen. Er hatte einen Friedhof gesehen und ein unglaubliches Wesen, eine Bestie… was bedeutete das? Welchen Zusammenhang hatte es mit dem, was er angestrebt hatte? Der Friedhof und das Ungeheuer 64 �
darauf… wer oder was war diese Bestie, und um welchen Friedhof handelte es sich? Welche Bedeutung hatte das gesamte Geschehen? Er wußte es nicht, wurde aus dem Bild nicht schlau. Irgendeine Bedeutung verbarg sich dahinter, eine Gefahr, doch er war nicht in der Lage, sie klar und deutlich zu erkennen. Ein Rätsel… Und dann war der Alte aufgetaucht! Seine Warnung brannte wie Feuer in Ted. Überschätze deine Kräfte nicht! hatte der Weißbärtige ihm zugerufen, und dann war mit einem grellen Blitz das Ende gekommen. Überschätze deine Kräfte nicht! Bedeutete das, daß der Doc ihm schließlich überlegen sein würde? Daß er stärker war als der Mensch Ted Ewigk, der bereit war, mit Weißer Magie den Dämon zu bekämpfen? Nein! Der Warner hatte den DhyarraKristall gemeint, dessen war Ted sich sicher. War der Kristall doch ranghöher, als Ted angenommen hatte? War er auf die Dauer zu stark, um kontrolliert zu werden? Ted hätte viel darum gegeben, wenn er genau gewußt hätte, wie stark der Kristall war. Er mußte die Warnung ernst nehmen. Denn er hatte den Alten erkannt, der ihn angerufen hatte. Er entsann sich der Geschehnisse in
und um Kassel. Pandora… der Minotaurus… Zeus, der Göttervater, hatte Ted Ewigk gewarnt! * Es war noch heller Tag, und doch krochen die Nebel über den Friedhof. Ein dunkelgrüner Mercedes 500 stoppte in der Nähe des Hauptportals, und ein weißhaariger, korpulenter Mann stieg aus. Die wenigen Menschen, die sich noch auf dem Friedhof aufhielten, fröstelten. Die weißen Schwaden krochen über die Gräber und verdichteten sich. Die Menschen fürchteten den Nebel und wichen ihm aus, verließen die Grabstätten. Etwas schritt durch die Gräberreihen. Eine unheimliche Gestalt, vom Nebel vor jeder Sicht durch Menschenaugen bewahrt. Dem Wesen wäre es normalerweise egal gewesen, ob man ihn sah oder nicht. Doch sein Anblick war unerträglich, und es hätte Aufsehen gegeben. Lautlos schritt er über die Gänge, umwogt von den weißen, dichten Schleiern. Vor einer Familiengruft blieb er stehen. Seine seltsam geformten Hände erhoben sich, und er schrie Wörter in einer Sprache, die älter war als die Sonne. Der Nebel schluckte seine Worte. Der Ungeheuerliche strahlte eine bösartige, magische Energie 65 �
aus, die einen Menschen, hätte er sich in seiner Nähe befunden, sofort zerschmolzen hätte. Etwas veränderte sich. Erde brach auf. Holzsplitter flogen empor, Erdklumpen rasten durch die Luft. Es war, als zerfetze eine Explosion das Grab von innen heraus. Dann erschien eine schmale Hand, suchend, tastend. Bedeckt von Leichenflecken und blaß. Eine Gestalt erhob sich aus dem Grab, schwebte dann schließlich empor und blieb neben dem Ungeheuerlichen stehen. Der benutzte wieder Magie, um das aufgerissene Grab zu verschließen. Es war, als sei nichts geschehen. Und die Nebelschwaden glitten zurück, krochen über dem Boden zum Friedhofsportal und hindurch, in sich zwei Wesen verbergend, wie sie furchtbarer niemals hätten sein können. Aus dem Nebel glitt ein Mercedes hervor, an dessen Lenkrad ein weißhaariger, älterer Mann saß. Und neben ihm eine totenblasse junge Frau mit langem blonden Haar. Hin und wieder bewegte sie sich während der Fahrt, erprobte ihre Beweglichkeit in dem ehemals weißen, jetzt erdverschmutzten Totenhemd, doch ihre Augen waren stumpf und leer. Über die Autobahn raste der Dämon zurück.
* � Gegen Einbruch der Dämmerung erreichte der Doc seinen Bungalow. Schon von weitem erkannte er die beiden Polizeibeamten, die in einem zivilen Wagen saßen und das Haus und die nähere Umgebung nicht aus den Augen ließen. Der Doc beschloß, sie ebenso zu überrumpeln wie vor Tagen Ted Ewigk. Er setzte seine magischen Kräfte ein. Von einem Moment zum anderen stand der Wagen vor der Garage. Der Doc und seine stumme Begleiterin jedoch befanden sich nicht mehr darin, auch nicht draußen vor dem Bungalow. Sie standen von einem Augenblick zum anderen im geräumigen Wohnzimmer des Doc. Draußen rieben sich zwei Polizisten verwirrt die Augen, weil sie sich nicht erklären konnten, wieso ihnen die Ankunft des Wagens entgangen war. Sie hatten das Grundstück keine Sekunde lang aus den Augen gelassen. Es war auch nicht zu kontrollieren, ob der Doc tatsächlich im Haus war oder nicht. Keine Rolladen brauchten herabgelassen zu werden; die Fensterscheiben bestanden aus Einweg-Glas, durch das wohl Licht nach innen, nicht aber nach außen fallen konnte. Lediglich die Glastür des Eingangs bildete die Ausnahme, aber die Innentüren waren dicht ver66 �
schlossen. Im großen Wohnzimmer stand der Doc vor der jungen Frau, die er aus dem Grab geholt hatte. Ihr Aussehen war normal – normal für eine Leiche, die schon einige Zeit, zwei Wochen etwa, unter der Erde gelegen hat. Stumpfe, tote Augen blickten ins Nichts. Das Gehirn arbeitete schon lange nicht mehr und würde auch nie wieder zu eigenständigem Leben erwachen. Der Doc hatte den Körper erweckt, nicht aber die Seele. Jene entzog sich seiner Macht und seinem Können. Er löste das Totenhemd. Bläuliche Nebel glitten über den Körper und umflossen ihn. Magische Energien erneuerten abgestorbene, zerfallende Körperzellen, regenerierten etwas, das nach menschlichem Ermessen nicht mehr regeneriert werden konnte. Die Hautfarbe veränderte sich, die Leichenflecke schwanden. Zerfallenes Gewebe wurde erneuert, straffte sich. Nach ein paar Minuten sah die Frau aus, als lebe sie wieder, als wäre sie niemals tot gewesen. Nur ihre Augen bewiesen das Gegenteil. Der Dämon kicherte. Ein Blick auf die Uhr verriet ihm, daß Sierk, seine Marionette, längst Dienstschluß haben mußte. Jetzt, mein Freund, bist du an der Reihe! Die Hand des Dämons griff zum
Telefon. Er wählte Sierk an und erteilte ihm den Befehl. Polizeiobermeister Hans Sierk mußte gehorchen. * Das Schrillen des Telefons war unnatürlich laut. Ted fuhr förmlich zusammen. Er hatte sich unten in der Gaststube niedergelassen und sein Abendessen zu sich genommen, nachdem er den Nachmittag mit Grübeln verbracht hatte, wie dem Dämon am besten beizukommen war. Er durfte nicht noch einmal die Gelegenheit bekommen, Ted zu überraschen wie vor ein paar Tagen an der Treppe, und er durfte auch nicht noch einmal entkommen wie im Krankenhaus von Varel. Ted ahnte, daß die Sache langsam zu einer Art Nervenkrieg wurde. Er war entschlossen, den Ablauf der Dinge zu beschleunigen. Es fehlte ihm lediglich ein Ansatzpunkt zum Handeln. Er beobachtete, während er den letzten Bissen des Nachtisches verzehrte, wie die Wirtin zum Telefon ging und abhob. Erleichtert atmete er auf. Das monotone Schrillen hatte an seinen Nerven gezerrt. »Herr Ewigk…? Ja, der ist gerade hier unten«, hörte er sie sagen, worauf sie ihre Stimme zu einem hohen Trällern erhob. »Herr Ewigk, der Anruf ist für Sie!« 67 �
Sierk, schoß es Ted durch den Kopf. Das kann nur Sierk sein! Er erhob sich von dem kleinen Tisch und eilte zum Tresen der Gaststube. Die Wirtin hielt ihm den Apparat an der langen Schnur entgegen. »Ja?« meldete Ted sich. »Sierk«, klang es ihm entgegen. »Können Sie kommen?« »Wohin?« fragte Ted. Eine Alarmglocke schlug in ihm an. Etwas mußte sich ereignet haben, das nicht in den normalen Programmablauf paßte. »Ich warte auf Sie. Holen Sie mich ab«, verlangte Sierk. »Es geht um jemanden, den Sie sehr gut kennen!« »Werden Sie deutlicher, Sierk!« drängte Ted. Doch es klickte nur in der Leitung. »Verdammt«, murmelte der Reporter. Was konnte geschehen sein? Jemand, den er gut kannte? Der Doc schied aus. Sierk hätte seinen Namen erwähnt. Wer aber konnte es dann sein? Befand sich Sierk vielleicht in einer Zwangslage, die ihm nicht erlaubte, am Telefon mehr zu verraten? Ted eilte nach oben, streifte sich die Jacke über und vergewisserte sich, daß das Magazin seines Lähmstrahlers wieder aufgeladen war. Dann schob er die Elektro-Pistole entsichert in die Tasche. »Ich fahre nach Varel«, rief er der Wirtin zu. Irgend jemand sollte wenigstens wissen, wohin er sich
gewandt hatte, falls etwas Unvorhergesehenes geschah. Unterwegs versuchte er über das Funktelefon seines Wagens Sierk anzuwählen, doch die Verbindung kam nicht zustande. Sierk meldete sich nicht. Tiefe Unruhe hatte Ted erfaßt. Etwas stimmte nicht. Er spürte die Gefahr, die auf ihn lauerte, fast körperlich. Vielleicht… war das die Falle, die der Doc ihm stellte? * Ted näherte sich dem Haus, in dem Sierk wohnte, nur mit äußerster Vorsicht. In der linken Hand den Dhyarra-Kristall, wartete er nur darauf, daß etwas geschah. Die Straße war schlecht beleuchtet, der schwarze Diplomat verschmolz fast mit der Dunkelheit. Ted hatte die Lichter ausgeschaltet und war in den ersten Gang hinuntergegangen. Im Schrittempo tastete er sich heran, bereit, jederzeit das Gaspedal voll durchzutreten. Es war gefährlich, abgedunkelt zu fahren, besonders in dieser düsteren Straße. Zu leicht konnte jemand mit ihm kollidieren, der nicht damit rechnete, daß der Wagen nicht geparkt war, sondern sich bewegte. Aber Ted hielt die Gefahr durch den Dämon für weitaus größer. Meter für Meter kroch der riesige 68 �
Wagen auf das Haus zu. Nichts geschah, doch als Ted das Gebäude fast erreicht hatte, löste sich ein Schatten aus der Tür. Er war dunkel gekleidet und jagte mit langen Schritten auf den Wagen zu. Sierk! Ted entriegelte die Tür. Sierk ließ sich in den Beifahrersitz fallen, zog die Tür hinter sich zu und griff nach dem Gurt, um sich anzuschnallen. »Fahren Sie los«, verlangte er. »Und Licht an, Sie Narr!« Ted trat aufs Gaspedal, verzichtete aber immer noch auf die Scheinwerfer. Der Motor summte kaum hörbar auf, als der Diplomat davonschoß. Erst kurz vor der nächsten Kreuzung schaltete Ted die Beleuchtung ein. »Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste, sprach der Elefant, als es um ihn herum zu klirren begann«, erklärte Ted. »Eigentlich bin ich enttäuscht. Ich hatte fest damit gerechnet, in eine Falle des Doc zu fahren.« Sierk war unnatürlich blaß. »Und deshalb fahren Sie wie ein Selbstmörder abgedunkelt? Sie sind wohl mal in Chicago gewesen, da mag das üblich sein. Meinen Sie nicht, daß der Dämon Sie auch so erkannt hätte?« »Vielleicht«, murmelte Ted und schob den Kristall wieder in die Jackentasche, um die linke Hand freizubekommen. »Wohin soll’s gehen?«
»Fahren Sie dorthin, wo sich der Mordanschlag ereignete«, verlangte der Polizist. »Die Straße am Strand. Dort wartet jemand auf Sie.« Ted sah zur Seite. »Geheimniskrämer«, murrte er. »Können Sie mir nicht einmal konkret sagen, um wen es sich handelt?« »Lassen Sie sich überraschen«, murmelte der blasse Sierk und verfiel in dumpfes Brüten. Etwas stimmte mit dem Mann nicht, durchfuhr es Ted. Hier ist etwas faul! Und wieder glaubte er die dröhnende Stimme zu hören, mit der Zeus, der Blitzeschleuderer, ihm zubrüllte: Überschätze deine Kräfte nicht! * So unbemerkt, wie er gekommen war, verließ der Dämon die Wohnung Doktor Schotts wieder. Die lebende Tote nahm er mit sich. Von einem Moment zum anderen war der grüne Mercedes vor der Garage wieder verschwunden. »Verdammt, Kuddel«, tobte Jens Blendsen im Polizeiwagen erbost. »Das geht doch nicht mit rechten Dingen zu! Licht an – Wagen da, Licht aus – Wagen weg! Ja, wie zum Teufel hat er das denn geschafft? Wir sind doch nicht blind!« Sein Kollege hielt ihm die Hand 69 �
auf die Schulter. »Beruhige dich erstmal, vielleicht haben wir beide ein wenig geträumt…« »Daran glaubst du?« Jens griff zum Funkgerät, schaltete es ein und führte das Mikrofon an die Lippen. »Was soll das?« fragte Kuddel Willers. Jens verzog das Gesicht. »Ich gebe jetzt durch, daß es hier spukt«, kündigte er an. »Daß der Doc kommt und geht, ohne daß einer etwas bemerkt!« »Das bringt uns bloß ‘nen Rüffel ein, Jens…« »Oder auch nicht«, wurde Jens Blendsen zum Propheten und machte seine Meldung. »Das ist ein bißchen reichlich seltsam«, kam es von der Zentrale zurück, »und ich würd’s nicht glauben, wenn hier nicht eine Anweisung vorläge, besonders auf Auffälligkeiten zu achten. Der Alte selbst hat mir den Zettel hierhingelegt und unterschrieben. Mit Schott stimmt irgend etwas nicht, aber ich weiß nicht, was, hat er hinzugefügt.« »Und ob mit dem was nicht stimmt«, knurrte Jens ins Mikrofon. »Vielleicht ist er unter die Zauberer gegangen, dann würde mir manches erklärlicher…« »All right, Blendsen, beobachten Sie weiter. Vielleicht taucht auch dieser Ewigk zwischenzeitlich auf, und Sie können ihn beim Einbruch überraschen.« »Sollte mich nicht wundern, wenn
der auf einem Besen angeritten käme. Langsam glaube ich an den Osterhasen! Ende…« Die Funkverbindung brach zusammen. Niemand ahnte, daß sich der Wagen des Doc längst woanders befand, daß der Dämon damit begann, seine Falle aufzustellen. Dort, wo sein erster Mordanschlag die falsche Person getroffen hatte… * Während der Fahrt war Hans Sierk zusehends nervöser geworden. Ted fragte sich, was der Mann vor ihm verbergen wollte. Wer war diese geheimnisvolle Person, auf die er anspielte? Was wußte Sierk? Und warum die zunehmende Nervosität? Ted versuchte, seine telepathischen Fähigkeiten zu aktivieren, doch es gelang ihm nicht. Wieder einmal ließen sie sich nicht bewußt steuern. Vielleicht sollte er einmal intensiv trainieren. Nach einiger Zeit erreichten sie die Straße, auf der alles seinen Anfang genommen hatte. Die beiden Lichtkegel der Halogenstrahler fraßen sich durch die Nacht. »Wir sind bald da«, informierte Ted seinen Mitfahrer. Hans Sierk zuckte förmlich zusammen, doch im nächsten Moment fiel die Nervosität von ihm ab. 70 �
Ted Ewigk wurde noch aufmerksamer. Er traute dem Polizisten plötzlich nicht mehr über den Weg. War der dem Bann des Bösen verfallen und fungierte lediglich als Köder, als Lockvogel? Sollte er Ted hierher in die nächtliche Einsamkeit locken, wo es keine Zeugen für einen Mord geben konnte? Ted fuhr langsamer. Plötzlich verfiel er wieder ins Du wie in jenen Momenten im Krankenhaus, als Sierk mit dem Kristall erschienen war und zu seinem Retter wurde. »Hans, wenn du dir von der Zusammenarbeit mit dem Dämon etwas versprichst, muß ich dir sagen, daß noch nie einer von dieser Sippe sein Wort gehalten hat. An einer Zusammenarbeit mit ihm wirst du zugrundegehen!« Heftig kam Sierks Antwort. »Ich arbeite nicht mit ihm zusammen!« »Und das soll ich dir glauben?« Ted stoppte den Wagen endgültig ab. Er hatte die Stelle erreicht, an der er mit Eva gehalten hatte, als der Mörder aus der Schattenwelt auftauchte. Schott, der Killer! Er war nachher so oft hier gewesen, daß er die Stelle auch im Dunkeln wiedererkannte. Es war nicht dunkel! Grell strahlte der Vollmond vom Himmel herab und erleuchtete die Szene. Ted schaltete wieder die Scheinwerfer ab. Leise summte der Motor
im Leerlauf. Der Reporter zog die Handbremse an, um den Wagen zu sichern. Fragend sah er Sierk an. »Was ist nun?« Statt einer Antwort löste Sierk den Gurt und stieg aus. Ted folgte seinem Beispiel. Immer wieder sah er mißtrauisch zu Hans Sierk, der jetzt um den Wagen herumkam und dicht neben Ted stehenblieb. »Sie müssen gleich kommen…« Wer? fragte sich Ted. Wer würde gleich auftauchen? Sie? Mehrere? Er sah zum Meer. Die Flut kam. Von fern kam das Rauschen, und aus der Nähe das seltsame Glucksen, das niemand vergessen konnte, der es jemals gehört hatte und das das Nahen des Wassers verriet. Der Wind kam vom Meer und brachte frischen Salzgeruch mit sich. Tief atmete Ted durch. Und da hörte er das Startgeräusch eines Wagens! * Ted reagierte rein reflexartig. Er erinnerte sich an jene Szene, mit der alles begonnen hatte. Damals war es Tag, jetzt Nacht; damals war Eva in seiner Begleitung gewesen, jetzt Sierk. Das waren die einzigen Unterschiede. Er stieß Sierk zur Seite. Der Polizist schrie überrascht auf. Ted selbst stieß sich in die andere Richtung ab, quer über die Straße. Da erfaßte ihn 71 �
der Lichtkegel eines voll aufgeblendeten Scheinwerfers. Ted kam neben der Straße auf und rollte sich ab. Der Wagen, der herangefegt kam, stoppte diesmal jedoch ab. Diesmal führte er keinen Rammstoß durch! Aber Ted erkannte den dunkelgrünen Mercedes im Mondlicht sofort wieder. Am Steuer saß der Weißhaarige. Der Dämon! Er mußte hinter der Wegbiegung gelauert haben. Als er Teds Annäherung und Abstoppen bemerkte, hatte er den Mercedes gestartet und war herangekommen. So mußte es sein. Das aufgeschaltete Fernlicht des Mercedes beleuchtete Ted immer noch. Langsam kam der Reporter auf die Knie. Er starrte den Mercedes an. Also doch eine Falle! Also doch eine Begegnung mit dem Dämon, hier in der Einsamkeit, wo es keine Zeugen gab. Sierk war ein Werkzeug des Bösen geworden, hatte ihn in die Falle gelockt! »He, was sollte das?« protestierte jetzt Sierk und erhob sich. Nach Teds Stoß war er in der Deckung des Diplomat gelandet. Jetzt stand er wieder auf beiden Beinen. »Sorry«, murmelte der Reporter. »Ich dachte, unser Freund wiederholt sein Spielchen, nur daß er diesmal uns beide erwischt hätte.« Sierk schwieg. Er blieb neben Teds Wagen stehen.
Die Fahrertür des Mercedes öffnete sich. Auch der Doc ließ den Motor laufen. Langsam stieg er aus. Ted sah die Augen des Weißhaarigen in verzehrendem Feuer lodern. Er richtete sich jetzt endgültig auf und starrte dem Doc entgegen. »Was willst du, verdammter Dämon?« fragte er. Der Doc lachte leise. Es war ein böses Lachen, das Ted einen Schauer über den Rücken trieb. »Ahnst du es nicht, Ted Ewigk?« fragte der Doc. Er blieb neben dem Wagen stehen. »Ich werde dich töten«, knurrte Ted. »Aber nicht doch«, kicherte der Weißhaarige. »Du glaubst, deine Freundin sei tot? Laß dich eines Besseren belehren. Ich schenke ihr das Leben – wenn du auf meine Bedingung eingehst!« Ted zerbiß einen Fluch zwischen den Zähnen. Der Dämon hob die Hand. Die Beifahrertür seines Wagens öffnete sich. Teds Kopf flog herum. Jemand stieg aus. Hans Sierk hatte recht behalten. Es war jemand, den Ted sehr gut kannte. Viel zu gut! Die Gestalt einer jungen Frau entstieg dem Wagen. Im gleichen Moment drehte Ted sich etwas, um in die richtige Position zu kommen, und durch die 72 �
Tasche seiner Jacke löste er den Paraschocker aus. * Der Dämon stieß ein wütendes Brüllen aus. Ted lachte hart auf. »Glaubst du, ich hätte nicht erkannt, daß Sierk deine Marionette geworden ist?« fragte er laut. Er sah auf den Polizisten hinab, der lautlos im bläulichen Energiefächer der aufsummenden Lähmwaffe zusammengebrochen war. In ein paar Stunden würde er erwachen und keine Nachwirkungen spüren. Der Elektroschock hatte ihn vorübergehend außer Gefecht gesetzt. »Jetzt, Dämon, stehst du mir ohne Helfer gegenüber«, sagte Ted kalt. »Bist du jetzt immer noch stark?« Kurz ging sein Blick zurück zu der jungen Frau, die dem Mercedes entstiegen war. Oh, wie gut er sie kannte! Eva Groote! Nackt stand sie da und sah ihn an. Aber selbst in der Dunkelheit sah Ted die toten Augen. Und selbst, wenn er diesen stumpfsinnigen Blick nicht bemerkt hätte, wäre er sicher gewesen, daß Eva nicht lebte und nicht Herrin ihrer Sinne war. Der Doc hatte einen Fehler begangen. Er hätte die Untote einkleiden sollen. Eva war alles andere als prüde gewesen, aber in dieser Situation hätte sie sich einem Fremden, wie
der Doc es war, niemals völlig nackt gezeigt. Der Dämon hatte lediglich das Totenhemd entfernt und ihr ein lebendiges Aussehen gegeben, doch die Augen und ihren Charakter hatte er nicht ändern können. Das war nicht mehr Eva Groote. Eva war tot, von dem Dämon ermordet. Hier stand nur eine leere Hülle, die sich auf den Befehl des Unheimlichen bewegte wie ein seelenloser Roboter. Der Köder konnte Ted Ewigk nicht mehr reizen. Er verabscheute den Dämon nur noch um so mehr, daß er ihn der Qual aussetzte, die Tote noch einmal zu sehen. Namenlose Wut stieg in Ted auf. Wut auf dieses Ungeheuer in Menschengestalt, das so grausam war, wie er es sich niemals hatte vorstellen können – obwohl er durch den Minotaurus und durch Pandora oder den Geisterlord einiges gewöhnt war. »Ich mache dir ein Angebot«, sagte der Dämon schrill. »Du liebst diese Frau.« »Nein!« Ted schüttelte energisch den Kopf. »Du irrst, Dämon. Ich liebte Eva Groote. Das hier ist eine leere, seelenlose Hülle, die du mir präsentierst. Ich kann keine Tote lieben!« »Sie braucht nicht tot zu bleiben«, lockte der Dämon. »Ich werde dir eine Bedingung stellen. Wenn du darauf eingehst – wird sie wieder 73 �
leben. Ich weiß, lese aus deinem Bewußtsein, daß sie dir alles bedeutet. Du würdest alles für sie tun. Ich kann ihr das wirkliche Leben zurückgeben. Ihre Seele wird in ihren Körper zurückkehren, wenn du meine Bedingung erfüllst.« Abermals schüttelte Ted den Kopf. Er hatte die E-Pistole aus der Tasche gezogen. Noch zeigte ihr Lauf auf den Boden. Fünf Ladungen befanden sich noch im Magazin, und in seiner Tasche das Reservemagazin mit abermals sechs Schock-Ladungen. Mehr als genug, um, alle elf Schocks auf einen Körper abgefeuert, den Tod herbeizuführen. Zuviel hatte der Dämon Eva und ihm angetan. Nicht allein, daß er sie ermordet hatte – er ließ ihr nicht einmal im Grab die Ruhe, riß sie aus ihrem ewigen Schlaf, um Ted abermals zu quälen! »Dämon, wie auch immer dein Name sein mag – du weißt so gut wie ich, daß du lügst. Nie wirst du ihr die Seele zurückgeben können. Denn sie ist tot.« »Oder – hältst du dich für – GOTT?« Ein schrilles, fast hysterisches Kreischen erklang. Täuschte Ted sich, oder drohte das Gesicht des Weißhaarigen tatsächlich zu zerfließen, etwas anderem, Grauenhaften Platz zu machen? »Nie wieder«, heulte der Dämon schrill. »Sprich diesen Namen nie
wieder aus!« Ted lächelte kalt. Genau diese Reaktion hatte er erwartet. Der Dämon unterschied sich in nichts von seinen Artgenossen. Auch er reagierte höchst allergisch auf den Namen des Schöpfers. »Du glaubst mir nicht?« schrie der Doc. »Ich kann ihr ihre Seele zurückgeben!« Ted ging langsam auf den Doc zu. Er hatte plötzlich jede Furcht vor dem Dämon verloren. Kraft und Stärke breiteten sich beruhigend in ihm aus, und er wußte, daß er gewinnen mußte. Sein Glaube an den Sieg des Guten gab ihm die Kraft. Dicht vor dem Dämon blieb er stehen. »Du kannst es nicht, ich weiß es. Dein Köder ist zwecklos. Du hättest ihr besser die ewige Ruhe gelassen!« Die Augen des Dämons flammten. Ted sah zu Hans Sierk. Der Polizist lag immer noch unter der Energie der Lähmpistole. Er konnte als Schotts Marionette dem Reporter nicht mehr gefährlich werden. Und Eva… Wie zu ihren Lebzeiten stand sie da, doch die Augen waren so tot – so unsagbar tot! Und da hob die Tote die Arme, streckte sie nach Ted aus und bewegte die Lippen. Wollte sie seinen Namen rufen? Schott steuerte sie! Der Doc hatte sie zu seinem Robot 74 �
gemacht, den er fernsteuerte! Er war es in Wirklichkeit, der Eva zum Sprechen zwang! Teds Hand mit dem Schocker kam hoch, und zum zweitenmal an diesem Abend löste er die Waffe aus. Dumpfes Brummen erklang, als der fahle Blitz hinüberschmetterte, ausfächerte und Eva Groote einhüllte. Und der Doc brüllte wie ein Irrsinniger! * Es war, als stürbe sie ein zweitesmal und Ted habe sie ermordet! Er sah, wie die elektrische Schockenergie sie traf und ihren Körper erbeben ließ. Langsam sank sie in die Knie, und im gleichen Moment ging eine erschreckende Verwandlung mit ihr vor. Das, was der Doc an ihr präpariert hatte, um ihr das Aussehen einer Lebenden zu verleihen, erwies sich als das, was es war – teuflisches Blendwerk! »Nein«, flüsterte er erschüttert. »Nein… nicht… nicht das!« Er wich zurück, Schritt um Schritt. Obwohl er wußte, daß er nur eine Tote in ihren »Normalzustand« zurückversetzt hatte, schrie etwas in ihm und klagte ihn an. Für ihn war Eva in diesen Augenblicken zum zweitenmal gestorben! Nur langsam drang es in sein
Wachbewußtsein vor, daß auch der Doc auf den Lähmschuß reagierte. Er hatte seine Sinne ausgestreckt, um den seelenlosen Robot Eva zu steuern, und Ted war zu schnell gewesen, als daß er sich rechtzeitig hätte zurückziehen können. Auf diese Weise bekam der Doc einen Teil der Entladung mit. Daß er auf Schocks reagierte, hatte Ted ja schon in Neuenburg feststellen können. Tobend und brüllend geiferte der Doc, der plötzlich sein menschliches Aussehen verlor. Noch schneller aber veränderte sich der Mercedes. Ted glaubte zu träumen, weil die Scheinwerfer plötzlich keine Scheinwerfer mehr waren, sondern riesige Augen, aus denen ein superhelles Leuchten hervordrang, und dann verformte sich der gesamte Wagen. Nur die Farbe, das Dunkelgrün, das in der Vollmondnacht schwarz wirkte, blieb! Dann richtete sich der Drache steil empor, und Ted Ewigk dachte an den Recken Siegfried, der auch einmal einer solchen Bestie gegenübergestanden hatte, bloß hatte Siegfried ein Schwert besessen. Ted hatte nur den Schocker. Er feuerte ihn ab! Der Drache dachte nicht daran, ihm einen Gefallen zu tun und umzukippen. Sein wildes Röhren hallte durch die Nacht, als er sich 75 �
hoch aufrichtete, beide Tatzen hob und damit zuschlug, um Ted zwischen seinen Krallen zu zermalmen. Der Reporter machte einen Sprung rückwärts. Haarscharf verfehlten ihn die spitzen Klauen. Es knirschte, als sie gegeneinanderrieben. Ted sah, daß er mit der Elektro-Pistole keine Chance gegen das Ungeheuer besaß. Abermals schnappte es nach ihm. Und der Doc tanzte langsamer. Er begann sich von den Wirkungen des Stromschocks zu erholen. Freu dich nicht zu früh, dachte Ted und hatte in einer Ausweichbewegung Zeit, die Waffe auf den Doc zu richten und den Kontakt zu betätigen, welcher keine Ähnlichkeit mit einem Pistolenabzug besaß, sondern lediglich Schalterfunktion besaß. Im blaßblauen Fächerblitz sah Ted den Dämon lautlos zusammenbrechen. Doch der Drache, der einmal das Aussehen eines Fahrzeuges besessen hatte, kümmerte sich nicht darum, daß sein Herr und Meister ausgeschaltet worden war. Auch wenn der Doc ihm die Energie zur Tarnung verliehen hatte, war der Drache dennoch ein eigenständiges Lebewesen. Und ein blutgieriges! Ted lief. Er floh vor der Bestie, die er mit seinen Mitteln nicht besiegen konnte. Er verließ die Straße, hastete die niedrige Böschung hinunter und befand ich plötzlich auf dem Strand,
auf dem Anfang des Watts, in welches die Flut einlief! Die Gefahr, die Flut hieß, sah er nicht einmal, sondern rannte weiter, während der Schlick sich an seinen Sohlen festsetzte und ihn mehrmals gefährlich rutschen ließ. Irgendwo im Watt erhoben sich die ersten Quallen, die halb vergraben die Flut abgewartet hatten. Der Drache folgte Ted Ewigk! Weiter und weiter hinaus! Bald schon fünfzig Meter weit von der Straße entfernt, und das Glucksen des nahenden Wassers wurde immer lauter. Jetzt drang es auch in Teds Bewußtsein. Der Drache hatte mit Schwierigkeiten zu kämpfen. Schnaubend und dampfend schlidderte er näher, fand keinen Halt im Schlick und rutschte hin und her. Dennoch kam er jetzt immer näher heran. Ließ sich das Biest denn nicht stoppen? Plötzlich dachte Ted an die Gefahr, die die Flut bedeutete. Die konnte ihn blitzschnell und unerwartet vom Land abschneiden und mit einer Unterströmung ins Meer hinausreißen. Ihn – aber auch den Drachen! Überschätze deine Kräfte nicht! Zeus’ Warnung hallte wieder in dem Reporter auf, der sich plötzlich daran erinnerte, daß der DhyarraKristall magische Energien verstärkte. Warum war ihm diese Mög76 �
lichkeit nicht eher eingefallen? Aber vielleicht war es gut so, denn hier, im Watt, waren seine Möglichkeiten noch größer geworden. Ted Ewigk, die Landratte, machte die Gezeiten zur Waffe! Und die Illusion! Überschätze deine Kräfte nicht! Er brauchte sie nicht voll auszuschöpfen. Es reichte auch so. Im Gehirn des Drachen, in jenem Ganglienknoten in einer Ausbuchtung am Rücken, die diese Bestie wie alle Saurier besaß, entstand ein Bild, das Ted Ewigk zeigte, wie er weiter und weiter auf das Meer zurannte. Und der Drache, von dem Ted nicht einmal ahnen konnte, auf welche Weise ihn der Doc über die letzte Eiszeit hinweg gerettet hatte, war nicht in der Lage, zu unterscheiden. Seine Denkkapazität reichte nicht aus. Die Bestie rannte an Ted vorbei, rutschte und schlidderte davon. Und die Flut kam! Die Tide kam und wurde zur Waffe, die mächtiger war als alles andere. Die Flut riß das Ungeheuer mit sich und bereitete ihm ein kühles und nasses Grab. * Langsam und müde, mit hängenden Schultern, kehrte Ted zur Straße zurück, in seiner Hand den blaufunkelnden Kristall, und hinter ihm
kam die Tide, die zu seiner Waffe geworden war. Eine letzte Schlacht blieb noch zu schlagen. Denn der Doc war nur vorübergehend ausgeschaltet. Besiegt war er noch nicht. Dazu bedurfte es größerer Kräfte als der lähmenden Energie einer elektrischen Waffe. Ted fand den Doc dort, wo ihn der Strahl gefällt hatte. Der Dämon war dabei, das Bewußtsein zurückzuerlangen. Er sah nicht mehr aus wie ein Mensch. Etwas anderes lag dort, das niemals ein Mensch hatte sein können, und entsetzt starrte Ted auf das Furchtbare, das sich ihm darbot. Er begriff die Zusammenhänge. Er wußte jetzt alles – fast alles! Grünschuppig und echsenhaft war die Kreatur, die sich am Boden wand und die letzten Wirkungen der Lähmung abschüttelte. Aber das Echsenhafte war noch nicht das Schlimmste. Der Kopf… Ted keuchte auf. Er versuchte die Augen zu schließen, doch es ging nicht mehr. Etwas in ihm begann zu knistern. Er fühlte, wie er begann zu versteinern… * Es war sein eigener Entsetzens77 �
schrei, der ihn aus seiner beginnenden Erstarrung riß, und instinktiv setzte er im gleichen Moment den Dhyarra-Kristall ein, um mit dessen Kraft seinen eigenen Verzweiflungsversuch, die fremde Energie abzuwehren, zu verstärken. Er begriff im gleichen Moment, daß der Doc nicht einmal verhindern konnte, daß seine Kraft freigesetzt wurde. Er hatte durch diesen letzten E-Schock die Kontrolle über sich und sein Aussehen verloren. Und das Aussehen bedingte den Einsatz der Kraft! »Gorgo!« flüsterte Ted bestürzt und hatte plötzlich durch den Dhyarra die Kraft, der furchtbaren Versteinerungs-Strahlung zu widerstehen. »Gorgo! Ein Gorgone!« Er konnte den Dämon jetzt sehen, ohne versteinern zu müssen. Scheußlich der Reptilschädel auf einem menschenähnlichen, aber grünschuppigen Körper mit Klauenhänden, aber noch furchtbarer der Anblick der sich windenden Schlangen, die aus dem Schädel des Echsendämons herausragten. Ein Gorgone wie die legendäre Medusa! Die Bestie mit dem Schlangenhaar! Aber waren Gorgonen nicht immer als weiblich geschildert worden? Brüllendes Gelächter ließ ihn zusammenfahren, und erst nach einer Weile erkannte er, daß dieses homerische Gelächter nur in seinen Gedanken entstanden war. Ein letz-
tes Mal meldete sich Zeus telepathisch bei ihm, der listige alte Olympier: Dämonen wie dieser Gorgo haben sich niemals von menschlichen Vorstellungen beeinflussen lassen! Warum muß ein Schlangenhaariger unbedingt weiblich sein wie Medusa? Abermals brüllte Zeus sein Lachen. Hat mich der Alte die ganze Zeit über unter Kontrolle gehabt? fragte sich Ted, der den Göttern der ollen Griechen nicht über den Weg traute. Zu zwiespältig hatte er sie kennengelernt, und daß Apoll sein Freund sein wollte, hatte er noch nie glauben können. Zeus gehörte auch zu denen, die sich Freund nannten, aber… Der Gorgone bewegte sich! Der Dämon, der Rache nehmen wollte für die Vernichtung der Pandora und des Minotaurus! Der Dämon stand plötzlich wieder auf beiden Echsenbeinen. Der Doc, der in Salem gewesen war und… »Ja!« schnob der Gorgone. »Ja, Ted Ewigk, mit deinen Vermutungen liegst du genau richtig! Raum und Zeit sind für Wesen meiner Art niemals von Belang gewesen, und darum konnte ich nach Salem gehen und unter Zuhilfenahme der angestauten Energie Hunderter Verbrannter diesen Körper übernehmen und in die Identität des Johannes Schott schlüpfen…« 78 �
»Ich ahnte es«, flüsterte Ted, der seinen furchtbaren Gegner mit der Kraft, Menschen allein durch die bloße Anwesenheit versteinern zu lassen, nicht mehr aus den Augen ließ. Der Dhyarra-Kristall schützte ihn. Der Dämon erkannte es in diesem Augenblick, daß seine natürliche Waffe stumpf geworden war. Er wandte sein letztes Mittel an. Er riß sein Echsenmaul auf und eine Feuerlanze stieß Ted Ewigk entgegen. Der Doc spie Feuer! Höllenfeuer, das den Reporter verbrennen sollte, aber noch stärker war der DhyarraKristall, der als Reflektor arbeitete. Das Höllenfeuer erreichte Ted nie, sondern schlug zurück. Erfaßte den Gorgonen, dessen entsetzte Schreie bald verhallten. Nur ein Häufchen verkohlter Asche blieb zurück. Er hatte sich selbst vernichtet. Und Ted blieb vor der Asche ste-
hen und sah auf sie hinab. Eine grenzenlose Leere war in ihm, jetzt, da der Mörder vernichtet war, die Bestie, die skrupellos und unmenschlich gewesen war. Es war nichts mehr da, für das es sich zu kämpfen lohnte. Eva war tot, und der Dämon vernichtet. Es gab kein Ziel mehr. Keins? Das Rauschen der Tide drang an sein Ohr, die nahende Flut, die jetzt schon so unsagbar nah war. Das Wasser kam, der Ozean, aus dem vor Jahrmillionen das Leben gekrochen war. Und Ted sah über die endlose Wasserfläche hinweg, die der Mond beleuchtete. Das Meer war das Leben. Endlos lang breitete es sich vor ihm aus. Und da wußte er, daß er irgendwann über Evas Tod hinwegkommen würde, aber niemals wieder würde sein Leben so werden, wie es früher einmal war.
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