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Die Spanier haben kapiert, daß sie von nur sieben Engländern aufs Kreuz gelegt wurden. Das geht entschieden gegen die Ehre ihres Capitans. Wild entschlossen, die Scharte auszuwetzen, organisiert er eine Gruppe von vierzig Mann und legt einen Hinterhalt. Drake, Philip Hasard Killigrew und die kleine Mannschaft müssen sich kräftig ihrer Haut wehren. Noch einmal entkommen sie der spanischen Übermacht. Doch am Schluß fehlt Batuti - und Drake trifft eine falsche Entscheidung. Die ›Marygold‹ setzt sich auf eine Sandbank. Es geht nicht mehr vor und nicht zurück - und über den Horizont schieben sich die Mastspitzen der Spanier heran ...
PHILIP HASARD KILLIGREW wurde ›Seewolf‹ genannt, denn er war der Härteste in der Seeräubersippe der Killigrews. Er machte nicht nur die Küste Cornwalls unsicher. Er segelte über alle alle Meere der Welt, als Seemann so perfekt wie als Pirat. Ihm folgten noch viele Generationen der Seewölfe. Sie alle waren Kaperfahrer, Eroberer und Entdecker. P. H. Killigrews große Seeabenteuer begannen 1576 an Bord der ›Marygold‹ - unter dem Kommando von Sir Francis Drake, dem größten Korsaren unter Königin Elisabeth I., der dazu beitrug, daß England zur größten Seemacht der Welt aufstieg.
John Curtis
In der Falle der Spanier
Seewölfe Band 24
DIE AUTHENTISCHEN ERLEBNISSE,
KAPERFAHRTEN UND SEESCHLACHTEN
DES PHILIP HASARD KILLIGREW
1.
Hinter dem Seewolf und seinen Männern schien die Hölle losgebrochen zu sein. Der Donner der Explosion, der die spanische Kriegsgaleone zerrissen hatte, dröhnte ihnen immer noch in den Ohren. Blutroter Feuerschein zuckte über den Blackwater. Er ließ den weißen Kopfverband Kapitän Drakes von Zeit zu Zeit gespenstisch aufleuchten und ve rmischte sich mit dem kalten Licht des Vollmondes, der hoch über ihnen am sternklaren Himmel stand. Auf das Wasser des Blackwaters und den Uferstreifen regneten und prasselten die Trümmer der gesprengten Galeone. Unwillkürlich zogen die Männer ihre Köpfe tiefer zwischen die Schultern, als eine Spiere der Galeone nur wenige Schritte vor ihnen ins Gebüsch krachte. Und dann schrie Ferris Tucker, der riesige Schiffszimmermann der ›Isabella‹, plötzlich auf. Er warf die Arme hoch und stürzte kopfüber in den Sand. Wie der Blitz war der Seewolf heran. Er packte den Hünen und drehte ihn auf den Qücken. »He, Ferris, was ist...« In diesem Moment sah er die Latte, die Ferris Tucker ins Kreuz gekriegt und die ihn von den Füßen geholt hatte. Immerhin war sie an dem breiten Rücken des Schiffszimmermanns zersplittert. Der rothaarige Hüne stöhnte, aber Sekunden später schüttelte er seine Benommenheit ab. Mit schmerzverzerrtem Gesicht rieb er sich den Rücken, und Hasard erklärte ihm, was geschehen war. »Eine Latte, sagst du?« fragte Ferris Tucker wütend. »Nur eine lausige Latte? Ho, Hasard, die Dons müssen dem alten Tucker schon den ganzen Großmast ins Kreuz jagen, wenn sie ihn zur Hölle schicken wollen. Mit so einem Stückchen Holz klappt das nicht!« Er sprang auf und schwang sein Entermesser. Die Männer grinsten. Tucker war ein Kerl nach ihrem Geschmack. Ein
Kämpfer, der nicht nur ungeheure körperliche Kräfte besaß, sondern auch in kritischen Situationen immer einen Rat, einen Trick wußte, der ihnen mit der ›Isabella‹ wieder aus der Klemme half. Hinter ihnen ragte das lichterloh brennende Vorderkastell der spanischen Kriegsgaleone aus dem Blackwater, die Ferris Tucker gesprengt hatte, nachdem sie das Boot zu Wasser gebracht und zuvor die Spanier von Bord gejagt hatten. Deutlich war das Prasseln der Flammen zu hören. Der spanische Captain stand auf dem Hügel über dem Fluß und knirschte vor Zorn mit den Zähnen. »Bei allen Teufeln der Hölle!« stieß er hervor und stierte auf die lodernden Flammen, die das Vorderkastell seiner Kriegsgaleone um tanzten. »Wir haben uns von ein paar Engländern übertölpeln lassen, diese Hunde haben unser Schiff zerstört, den Gefangenen befreit und uns ins Wasser gejagt!« Das Wasser tropfte und rann aus seiner Kleidung und bildete zu seinen Füßen eine Lache. Mehr und mehr seiner Leute versammelten sich um ihn - in ihren Händen blitzten Messer und Enterbeile. Keiner besaß eine Feuerwaffe - alles hatten sie bei ihrer Flucht zurücklassen müssen. Der spanische Captain blickte zum Ufer hinunter. Trotz der Nacht sah er, wie Hasard Killigrew und seine Männer an Land sprangen, wie ihre Waffen im Mondlicht blitzten. Der Captain spürte, wie grenzenlose Wut von ihm Besitz ergriff. Rasch blickte er sich um. Zwanzig oder mehr Männer befanden sich bereits bei ihm, immer weitere stießen zu ihm. Seine Rechte umklammerte den Degen, den einer seiner Leute mit an Land gerettet und ihm überreicht hatte. Er stieß die Waffe hoch. »Mir nach, Männer!« brüllte er. »Wir rechnen jetzt mit diesen Kerlen ab, wir schicken sie zur Hölle!« Ein vielstimmiges Gebrüll antwortete ihm, dann stürmten die Männer hinter dem Captain her, der bereits mit dem Degen in
der Faust die Anhöhe hinunterraste - nur von dem einen Wunsch beseelt, sich für die erlittene Schmach zu rächen. Und flüchtig erschien das Bild jenes großen schwarzhaarigen Mannes vor seinen Augen, der ihn in seiner Kammer überrascht und dann im Waffenduell bezwungen hatte. Überall hinter ihm brachen seine Männer durch das Gebüsch der Anhöhe und brüllten dabei wie eine Horde losgelassener Teufel. Und dann prallten sie auf den Seewolf und seine Männer. Hasard hatte die Gefahr sofort erkannt. Seine scharfen Augen erfaßten die Spanier, die seiner kleinen Gruppe mit geschwungenen Waffen entgegenstürzten. Flüchtig schätzte er ihre Zahl - zwanzig oder dreißig Mann mit Sicherheit. Er machte sich nichts vor - die Lage wurde damit brenzlig für ihn und Drake - zumal er sich ausrechnen konnte, daß bestimmt noch weitere Spanier auftauchen würden. Ein kurzer Blick auf seine Männer zeigte ihm, daß auch sie die Gefahr richtig einschätzten und sich dicht um ihn und Kapitän Drake geschart hatten. Zu weiteren Überlegungen kam Hasard nicht - denn der spanische Captain drang auf ihn ein. Deutlich sah Hasard das Weiße in seinen Augen, die verzerrten Züge, die blitzende Klinge des florettartigen Degens. Er riß sein Entermesser hoch und parierte den ersten, mit großer Wucht geführten Stoß. Neben ihm kreuzte schon Kapitän Drake mit einem anderen Spanier die Klinge. Irgendwo brüllte Matt Davies und schlug seinem Gegner seine Hakenprothese in die Seite - eine wahrhaft fürchterliche Waffe im Nahkampf. Der spanische Captain parierte Hasards Hieb ebenfalls -und er tat es verdammt geschickt. Hasard wußte, daß er einem hervorragenden Fechter gegenüberstand, einem Meister des Degens. Ein neuer, wütender Ausfall des Spaniers - und Hasard hatte
Mühe, wiederum mit seinem breiten, aber viel kürzerem Entermesser zu parieren. Als der Captain abermals zustieß, warf Hasard sich zur Seite, rollte sich ab und stand gleich darauf wieder auf den Füßen. Mit einem wilden Schrei warf er sich auf den Spanier. Das Entermesser blitzte im Mondlicht. Als es auf die Klinge des Degens prallte, stoben die Funken. Der Captain taumelte unter der Wucht des Schlages zurück. Seine Füße verfingen sic h im Wurzelwerk eines Busches und er ging zu Boden. Hasard schnellte auf ihn zu - er mußte diesen Kerl in seine Gewalt bringen, dann, und nur dann, hatten sie eine gute Chance, die Spanier zur Aufgabe zu zwingen und über die Anhöhe zur anderen Seite der Bucht zu gelangen. Aber Hasard kam nicht dazu. Ein Hieb traf ihn in den Rücken und fegte ihn zur Seite. Gleichzeitig drangen drei Spanier auf ihn ein. Steine flogen durch die Luft, einer von ihnen traf Hasard an der Schulter, daß er glaubte, sie sei zerschmettert. Für einen winzigen Moment tanzten bunte Ringe vor den Augen des Seewolfs, und nur wie in Trance parierte er verzweifelt die auf ihn niederprasselnden Hiebe. Um ihn herum schien die Hölle los zu sein, spanische Flüche erschollen, beantwortet von den rauhen Stimmen seiner eigenen Männer. Einmal vernahm er das Gebrüll von Ferris Tucker, und aus den Augenwinkeln registrierte Hasard, wie der rothaarige Hüne sein Entermesser zu einem fürchterlichen Hieb emporschwang und einem seiner Gegner mit einem Schlag den Schädel spaltete. Irgendwo sah er auch Pete Ballie, der zwei der Spanier mit bloßen Fäusten vor sich her trieb, daneben Stenmark, der mit einer langen Eisenstange unter seinen Gegnern wütete. Wahrscheinlich hatte er sie einem der spanischen Soldaten abgenommen - und bei diesem Gedanken erschrak der Seewolf, obwohl er alle Hände voll damit zu tun hatte, die immer heftiger und konzentrierter auf ihn eindringenden
Männer von sich abzuwehren. Keiner der Seesoldaten konnte eine solche Eisenstange vom Schiff mit an Land gebracht haben - also mußte es hier auch noch andere Spanier geben, die die Angreifer jetzt verstärkten. Mit ein paar wilden Schlägen verschaffte sich der Seewolf für einen Moment Luft. Er sah, wie einer seiner Gegner blutüberströmt zu Boden sank. »Zum Boot, Männer! Zurück zum Boot!« schrie er in das Gewirr der Kämpfenden. Suchend blickte er sich nach Francis Drake um - und erkannte ihn an seinem weißen Kopfverband, der im Mondlicht leuchtete. Gary Andrews, der ganz in der Nähe von Drake kämpfte, rief ihm etwas zu, aber Hasard verstand ihn nicht. Irgendwo tauchte für Sekunden Batuti im Gewühl der Kämpfenden auf - er schleuderte einen Spanier wie eine Puppe zwischen seine Landsleute und warf sich mit erhobenem Entermesser auf das am Boden liegende Knäuel von Männern. An den schrillen Todesschreien, die die Spanier ausstießen, merkte Hasard, daß der herkulische Schwarze ganze Arbeit leistete. Ferris Tucker tauchte neben Hasard auf, ihm folgten Francis Drake, Stenmark, Matt Davies, Gary Andrews und etwas später auch Pete Ballie, der über das blutverschmierte Gesicht grinste. Dieser Kampf war eine Aktion nach seinem Geschmack. Aber immer mehr Spanier stürmten auf Hasard und sein Häuflein los und drängten den Seewolf und seine Männer die Böschung hinunter. Den spanischen Captain hatte Hasard aus den Augen verloren, er steckte irgendwo im Gewühl. »Wir müssen zum Boot«, stieß Hasard nochmals hervor. »Wir schaffen den Durchbruch nicht, die Spanier sind in der Übermacht!« Drake nickte und stieß einem Spanier den Degen in die Brust, während Ferris Tucker einen weiteren Gegner mit dem Entermesser umsäbelte. Der spanische Captain, der bei seinem Sturz mit dem Schädel
hart auf einen Stein geprallt war und erst in diesem Moment das Bewußtsein wiedererlangte, erkannte die Absicht des Seewolfs. Stöhnend torkelte er vorwärts, zwei seiner Soldaten, unter ihnen sein Steuermann, stützten ihn. »Sie wollen zum Boot, wir müssen ihnen den Weg abschneiden! Oh - diese englischen Bastarde kämpfen wie die Teufel. Los, beeilt euch! Nehmt jeden Mann, den ihr kriegen könnt, nehmt ihnen das Boot weg oder vernichtet es, dann haben wir sie in der Falle, und keiner von ihnen wird entwischen. Der Steuermann ließ den Captain los. Gleich darauf rief er ein paar Soldaten, die eben an ihnen vorbeieilten, ein paar Befehle zu. Die Soldaten stoppten. Zwei von ihnen wollten den Captain weiter stützen, als der Steuermann nach ein paar hastigen Anweisungen mit den anderen loslief - aber der Captain winkte ab. »Es geht schon«, sagte er schwach, packte seinen Degen fester und stürmte die Böschung hinunter. Die Spanier erreichten das Wasser fast gleichzeitig mit Hasard und seinen Männern. Sofort griffen sie an und versuchten die Engländer vom Boot wegzudrängen. Ein erbittertes Ringen begann. Immer mehr Spanier quollen die Uferböschung hinunter und drängten das Häuflein der Engländer weiter und weiter ins Wasser. Francis Drake und der Seewolf kämpften bis zur Hälfte im Wasser stehend Seite an Seite. Und nun zeigte sich, warum die Spanier Drake auch ›El Draque‹ nannten - den Drachen. Drake kämpfte wie ein Berserker - immer wieder zischte die florettartige Klinge seines Degens vor und traf ihr Ziel. Das Wasser um Hasard und Drake färbte sich rot. Unweit von ihnen wüteten Ferris Tucker und Matt Davies. Für einen Moment sah es so aus, als wollten sich die entnervten Spanier, die solche hartnäckigen Kämpfer noch nie erlebt hatten, zurückziehen, aber dann drangen andere vor und füllten die entstandenen
Lücken. Trotz aller Erfolge wurden Hasard und die Seinen weiter und weiter vom rettenden Boot abgedrängt. Ihre Lage wurde von Minute zu Minute bedrohlicher. Verzweifelt verwünschte Hasard den Einfall, am Ufer zu landen, statt um die Landzunge herumzurudern und so verhältnismäßig unangefochten auf die andere Seite der Landzunge zu gelangen. Aber zu ändern war das nicht mehr.
2. Edwin Carberry schob sein Rammkinn vor. In seinem zernarbten Gesicht zuckte es. »Hoool weg!« dröhnte seine gewaltige Stimme über die Männer im Beiboot, dabei schlug der Profos und derzeitige Kapitän der ›Marygold‹ den Takt mit dem Pistolenkolben gegen die Bordwand. Auf den Gesichtern der Bootsgasten perlte der Schweiß in dicken Tropfen, denn sie pullten gegen den Strom. Ihre Körper schwangen im Takt der Kommandos vor und zurück. Aber Carberry ging das alles noch viel zu langsam. Wieder und wieder drosch er mit dem Pistolenkolben gegen die Bordwand, wieder und wieder erscholl sein: »Hool weg!« Carberry hatte den ungeheuren Krach, mit dem die spanische Kriegsgaleone in die Luft geflogen war, vernommen. Er hatte die gewaltige Stichflamme gesehen, die über dem Blackwater emporschoß, und er hatte nur wenig später das Waffenklirren und die Schreie der kämpfenden Männer gehört. Er wußte, was sich drüben auf der Halbinsel abspielte, wo Hasard Killigrew und seine Männer um ihr Leben kämpften, Mann gegen Mann. Noch immer zuckte der Flammenschein über den Blackwater und brannte das Vorderkastell der gesprengten Galeone. Das silberne Licht des Vollmondes zog eine glitzernde Bahn über
das Wasser. Carberry feuerte seine sechs Männer auf den Duchten unablässig an - und sie gaben ihr Bestes. Aber das war dem Narbengesicht mit dem Rammkinn noch nicht genug, denn jede Minute zählte und konnte über Leben oder Tod entscheiden. Einer der Bootsgasten rutschte mit den Füßen aus, sein Riemen pfiff durch die Luft und krachte gegen den des Mannes vor ihm. Und im Nu war der Teufel los, denn auch die anderen Männer gerieten nun aus dem Takt. Carberry sprang auf. In seinen Augen funkelte die Wut. Mit einem Griff packte er den Unglücksvogel und stauchte ihn auf die Ducht, daß das ganze Boot in seinen Verbänden ächzte. »He, du elender Drecksaffe!« brüllte er. »Dir sollte man die Haut abziehen. Zum Donnerwetter, wollt ihr wohl pullen, ihr lahmarschige Teufelsbrut? Da drüben kämpfen unsere Leute um ihr Leben, und ihr tut so, als wollten wir hier auf den Jüngsten Tag warten!« Carberry ließ sich auf die Achterducht fallen, und dann dröhnten seine Kommandos wieder durch die Nacht. »Wer jetzt noch mal Mist baut, den ersäufe ich persönlich wie eine Ratte!« brüllte er zwischendurch, und die sechs Männer legten sich ins Zeug, daß sich die Riemen bogen. »Klotzt ran, Männer, damit wir den verdammten Dons noch rechtzeitig zeigen können, daß wir sie mit unseren Daumen zerquetschen wie die Kakerlaken. Für jeden, der sich ins Zeug legt, eine Flasche Rum. Und jedem, der jetzt nicht spurt, dem ziehe ich persönlich die Haut von seinem Affenarsch ab!« Die Männer brüllten vor Begeisterung. Bei jedem Schlag der Ruder hob sich der Bug des Bootes hoch aus dem Wasser. Aber auch auf der ›Isabella‹ und der ›Marygold‹ hatte man bemerkt, daß auf der anderen Seite der Bucht der Teufel los war. Ben Brighton, der Bootsmann der ›Isabella‹, war nicht der
Typ, der lange zögerte, wenn es zu handeln galt. »Dan, Smoky - holt das Boot, das drüben am Ufer liegt«, befahl er. »Wir setzen Soldaten über, Hasard braucht Hilfe.« Wieder horchte er auf den mehr und mehr anschwellenden Kampfeslärm, der über die Anhöhe zu ihnen drang. Dan O’Flynns Augen begannen vor Begeisterung zu glühen. Er schwang sich auf das Schanzkleid, und gleich darauf klatschte sein Körper ins Wasser. »He, Ben!« Smoky, der ebenfalls schon auf dem Schanzkleid stand, warf sein Baumwollhemd an Deck, drehte sich dabei aber nochmals zu Brighton um. Der Bootsmann starrte ihn an. »Was ist, verdammt noch mal, auf was wartest du denn noch, Smoky?« fauchte er den Decksältesten der ›Isabella‹ an. »Ben, die ›Marygold‹ hat noch ein Boot. Captain Norris kann mit seinen Soldaten schneller drüben sein als wir. Hasard steckt bestimmt ganz schön im Dreck. Die Dons sind sicherlich von Bord gesprungen, bevor die Galeone in die Luft geblasen wurde, und jetzt hat er sie am Hals. Wir müssen von der anderen Seite über sie herfallen. Captain Norris soll sich beeilen!« Captain ›Black‹ John Norris hatte alles gehört. Und natürlich hatte er auch den Kampfeslärm gehört, der bis zu den beiden auf Rufweite nebeneinander ankernden Galeonen drang. »Bemühen Sie sich nicht, Brighton, meine Leute lassen gerade das Boot zu Wasser. Aber mehr als acht Mann faßt es nicht. Ich habe die Kerls bis an die Zähne bewaffnet, wir werden den verdammten Dons auf die Hühneraugen steigen.« Seine schlanke Gestalt zeichnete sich nur schwach im Mondlicht ab - aber Ben Brighton kannte Captain John Norris als harten, unerschrockenen Kämpfer. Der Captain war ein hervorragender Soldat, traf seine Entscheidungen blitzschnell und war kein Schinder wie der verdammte Isaac Henry Burton, der seine Truppe in einen sinnlosen Tod gehetzt hatte.
»Viel Glück, Sir!« rief er hinüber. »Grüßen Sie Hasard von mir. Ich werde Ihnen so schnell wie möglich Verstärkung schicken.« Smoky war bereits verschwunden - und Ben Brighton ging daran, auf der ›Isabella‹ ebenfalls ein Kommando kampferprobter Männer zusammenzustellen. Es konnte nicht lange dauern, dann würden Dan und Smoky das Beiboot der ›Isabella‹, mit dem Hasard und seine Männer ans Ufer gerudert waren, bringen. * Das Boot mit Carberry und seinen sechs Männern knirschte, als es sich auf das Ufer schob. Carberry und die anderen sprangen an Land. Der Profos der ›Marygold‹ war verstummt. Und genauso hatte er seine Männer instruiert - sie mußten den Feind überraschen, über ihn herfallen und ihn demoralisieren. »Alles fertig?« fragte Carberry leise, und keiner der sechs Männer hätte es je für möglich gehalten, daß Carberry so leise sprechen könnte. Sie grinsten und spannten die Hähne ihrer Musketen. »Also los, aber der Teufel soll euch lotweise holen, wenn einer von euch seine Muskete abdrückt, bevor ich es befehle!« Sie stürmten los. Unter ihren Füßen kollerten Steine die Böschung hinunter, die Männer fetzten die Büsche zur Seite. Und dann hatten sie es geschafft - sie hatten die Anhöhe erreicht. Unwillkürlich blieb Carberry und seine Männer stehen, als sie sahen, was sich da unten, am anderen Ufer der Landzunge abspielte. Hasard und sein kleines Häuflein standen bis über die Hüften im Wasser, eingekreist und von allen Seiten durch die Spanier bedrängt. Blutroter flackernder Flammenschein übergoß die kämpfenden Gestalten und vermischte sich mit dem kalten Licht des Mondes.
Deutlich erkannten sie die große Gestalt des Seewolfs, den rothaarigen Schiffszimmermann der ›Isabella‹, Ferris Tucker, der wie wild mit seinem Entermesser um sich schlug. Gerade rammte er einem der Dons den Griff unter das Kinn, und der Mann verschwand mit einem gurgelnden Schrei in den Fluten. Carberry vergaß alles, was er vorher befohlen hatte. »Los, drauf, Männer, schlagt sie in Stücke!« brüllte er, daß die Luft über dem Blackwater zitterte. Dann sauste er los. In gewaltigen Sprüngen jagte er die andere Seite der Anhöhe hinunter. In der Linken sein Entermesser, in der Rechten die Pistole. Seine Männer folgten ihm, und auch sie brüllten, was ihre Lungen hergaben. »Carberry!« Ferris Tucker hatte den Heranstürmenden erkannt, dann krachten auch schon die Musketen. »Drauf, Leute, jetzt haben wir sie, jetzt werden wir es den Dons besorgen!« Das war Hasard Killigrews Stimme, und er rannte einem Spanier, der ihn in diesem Moment ansprang, die Klinge seines Entermessers in den Leib. Dann holte er aus, packte die Waffe mit beiden Händen und schaffte sich mit wilden Kreuzhieben Luft. Die Spanier, von dem Eingreifen Carberrys verwirrt, stutzten einen Moment. Das genügte dem eisenharten Carberry. Seine Pistole krachte, eine Gegner fiel schreiend zu Boden, gleich darauf hieb der Mann mit dem Rammkinn einem anderen sein Entermesser über den Schädel. Das Ufer verwandelte sich im Handumdrehen in einen Hexenkessel - überall tobte jetzt der Kampf. Aber die Spanier gaben nicht auf, obwohl sie keinerlei Feuerwaffen besaßen, genau wie Hasard und seine Männer. Die Stimme des spanischen Captains übertönte den Lärm. »Kämpft Männer, rettet die Ehre Spaniens, es sind nur ein paar Männer, der Sieg ist unser!« Batuti, dem es als einzigem gelungen war, sich wieder näher
an das Boot heranzukämpfen, hörte das. Er kannte die Stimme des spanischen Captains genau. »Ho, Sieg unser, du dreckiges Bastard - Batuti dich in Stücke schlagen, du aufgeblasenes Don!« radebrechte er in seinem fürchterlichen Englisch und fegte die Männer, die ihn bedrängten, mit ein paar gewaltigen Streichen zur Seite. Und er hatte Glück - es war in diesem Moment niemand mehr da, der den riesigen Schwarzen hätte aufhalten können. Der Captain blickte auf. Er sah den schwarzen Herkules, den riesigen Morgenstern, den er schwang - den er einem seiner Leute abgenommen haben mußte - da packte den Captain das Grauen. Er wich zurück, er spürte, daß gegen diesen Gegner sein Degen nichts ausrichten würde. Was der Captain nie geglaubt hätte, wofür er jeden seiner Männer erbarmungslos hätte hängen lassen: er geriet in Panik und hatte keinen anderen Gedanken mehr als den, zu fliehen, sich von diesem schwarzen Teufel zu retten. Er floh und hörte hinter sich Batutis Stimme. Er verstand zwar kein Wort, aber Batutis Gebrüll bewirkte, daß er voller Entsetzen und Todesangst immer weiter floh. * Die Entscheidung fiel mit dem Eingreifen von Captain Norris und seinen acht bis an die Zähne bewaffneten Soldaten. Als Norris mit seinen Männern die Uferböschung hinunterbrauste wie die wilde Jagd, als sich die ersten Spanier schreiend in ihrem Blut am Boden wälzten oder von einer Kugel tödlich getroffen zu Boden sanken, da packte die übrigen das Entsetzen. Ein Teil von ihnen warf die Waffen weg. Unter dem Donner und von den grellen Mündungsblitzen der unablässig feuernden Musketen gespenstisch beleuchtet, rannten sie davon. »Ihnen nach, Soldaten!« schrie der schwarzhaarige Captain.
»Laßt keinen entwischen, zeigt den verdammten Dons, was es heißt, sich mit Old England anzulegen!« Auch Carberry und seine sechs Männer nahmen die Verfolgung auf, und gemeinsam mit Norris Soldaten trieben sie die völlig demoralisierten Spanier zu Paaren. Wer nicht niedergemäht wurde, der floh voller Entsetzen. Eine knappe halbe Stunde später war der Kampfeslärm in der Bucht und auf der Landzunge verebbt. Nur noch das Prasseln der Flammen am Vorderkastell der gesprengten spanischen Kriegsgaleone durchdrang die Nacht. Nach und nach sammelten sich die Männer. Hasard Killigrew wischte sich den Schweiß von der Stirn, und Kapitän Drake zog seinen Kopf verband wieder zurecht. »Das war knapp, Killigrew«, sagte Francis Drake. »Ohne Carberry und Norris hätten wir keine Chance gehabt, die Spanier befanden sich zu sehr in der Überzahl. Lassen Sie jetzt sammeln, stellen Sie fest, wer von uns fehlt. Anschließend gehen wir wieder an Bord unserer Schiffe, es gibt noch viel zu tun, und diese Nacht ist noch nicht zu Ende.« Der Seewolf nickte. »Alles zu mir, alles sammeln!« rief er in die Dunkelheit. Carberry nahm den Ruf auf, gab ihn mit seiner gewaltigen Stimme weiter. Irgendwo hörten sie auch Captain Norris nach seinen Männern rufen, und nach und nach fanden sich alle am Ufer beim Seewolf und Kapitän Drake wieder ein. Alle?
3. »Wo ist Batuti?« Der Seewolf stellte die Frage mit leiser Stimme, und über seiner Nasenwurzel erschienen zwei scharfe, steile Falten. Ferris Tucker wischte sich das Blut aus dem Gesicht, das aus
einer Fleischwunde in der linken Gesichtshälfte über seine Wange rann. »Batuti - verdammt noch mal, wo steckt der Kerl denn bloß? Er muß doch unser Rufen gehört haben! Ich habe ihn noch gesehen, er kämpfte da drüben - etwas weiter zum Boot hin. Zum Schluß fegte er mit ein paar gewaltigen Streichen ein paar Dons zur Seite und ging auf einen anderen los. Dabei schrie er irgend etwas in seinem vermaledeiten Englisch, aber im Kampfeslärm konnte ich nicht verstehen, was.« »Los, rufen, alle zugleich!« Hasard legte die Hände trichterförmig an den Mund. »Eins - zwei - drei«, zählte er leise. »Batuuuutiii!« scholl der Ruf aus den Kehlen der dreiund zwanzig Männer durch die Nacht. Keine Antwort. Wieder gellte der Ruf durch die Nacht, und noch einmal aber Batuti meldete sich nicht. »Es ist sinnlos, Mister Killigrew«, sagte Kapitän Drake, der wie die anderen mitgerufen hatte. »Wir können froh sein, daß wir so davongekommen sind. Wenn die Spanier besser bewaffnet gewesen wären, dann hätte es auf unserer Seite bestimmt eine Menge Verluste gegeben.« Hasard fuhr herum. Seine eisblauen Augen funkelten Drake an. Er glaubte, nicht richtig gehört zu haben, und in diesem Moment war es ihm völlig gleichgültig, daß der Kapitän sein Vorgesetzter war. »Was soll das heißen, Sir? Was meinen Sie damit, daß wir froh sein könnten, so davongekommen zu sein?« fragte er, und in seiner Stimme war eine solche Schärfe, daß Drake unwillkürlich zusammenzuckte. Er spürte, wie Ärger in ihm emporstieg. Trotzdem beherrschte er sich eisern. »Was ich meine, Mister Killigrew, ist doch ganz leicht zu verstehen«, erwiderte er, aber auch seine Entgegnung war nicht ohne Schärfe. »Wo gekämpft wird, gibt es Verluste. Daß wir«,
er wies auf die Runde, »bis auf ein paar Blessuren so unversehrt alles überstanden haben, grenzt an ein Wunder. Nun ist Batuti verschwunden - vielleicht geriet er in Gefangens chaft, vielleicht geschah ihm Schlimmeres. Wir werden die Landzunge absuchen, Mister Killigrew, mehr können wir nicht tun, denn wir müssen an Bord unserer Schiffe. Vergessen wir nicht, daß wir hier eine Aufgabe zu erfüllen haben und daß sich im Blackwater immer noch mindestens eine spanische Karavelle befindet. Ein Schiff, das Waffen in einem geheimen Versteck deponieren soll, Waffen und Sprengstoff, mit denen die Iren ihren Aufstand gegen die englische Krone fortsetzen können.« Er schwieg einen Moment und sah Hasard durchdringend an. »Es ist unsere Pflicht, das zu verhindern. Ohne Rücksicht auf den einzelnen. Beginnen wir also jetzt mit der Suche nach Batuti. Bleibt sie erfolglos, kehren wir sofort an Bord unserer Schiffe zurück, das ist ein Befehl.« Drake hörte, wie die Männer um Hasard zu murren begannen. Ferris Tucker und Matt Davies, der Mann mit der Hakenprothese, der aus mehreren Wunden blutete, setzten zu einer Entgegnung an, aber Hasard wies sie mit einer Handbewegung zur Ruhe. Seine Augen funkelten bedrohlich, als er sich Kapitän Drake zuwandte. »Das hört sich alles ganz vernünftig an, Sir«, sagte er, und in seiner Stimme war deutlich der Groll zu hören, den er in dieäem Moment empfand. »Nur eins haben Sie vergessen: Batuti gehört mit zu denjenigen, die ihr Leben riskiert haben, um Sie aus spanischer Gefangenschaft zu befreien. Batuti ist einer meiner besten Leute, der sich bei allen Kämpfen bewährt hat, mehr noch, die ser Mann ist nicht mit Gold aufzuwiegen. Ich bin es ihm schuldig, daß ich alles, aber auch alles versuche, um ihn zu finden oder zu befreien, falls er in Gefangenschaft geraten sein sollte. Sie sind zwar mein Vorgesetzter, Sie sind natürlich für das Gesamtunternehmen und für Ihre Majestät,
die Königin Elisabeth von England, wichtiger als Batuti - aber dennoch weigere ich mich, hier mit zweierlei Maß zu messen. Was wir für Batuti tun können, das wird geschehen.« Hinter Hasard ertönte ein zustimmendes Gemurmel. Pete Ballie, der Mann mit den Fäusten wie Ankerklüsen, trat vor. »Und wenn man mich dafür hängen sollte, ich werde Batuti nicht im Stich lassen.« Wieder zustimmendes Gemurmel, und diesmal schloß sich auch Carberry an. Kapitän Drake starrte mit gerunzelter Stirn auf den Seewolf und seine Männer. Er hatte mit derartigem Widerstand nicht gerechnet - das grenzte ja schon an Meuterei! Andererseits wenn er ehrlich gegen sich selber blieb - freute ihn dieses entschiedene Eintreten der Männer für Batuti. Das war genau die Crew, mit der man den Teufel persönlich aus der Hölle holen konnte, wenn es sein mußte. Trotzdem wußte Drake, daß es hier um mehr ging, daß er trotz des Widerstandes von Philip Hasard Killigrew hart durchgreifen mußte, sollte sich das als unumgänglich erweisen. Dieser junge Kapitän, den seine Leute insgeheim den Seewolf nannten, war alles andere als ein bequemer Untergebener - im Gegenteil, er war der geborene Rebell. Noch bevor Drake sich entschlossen hatte, was er den Männern antworten solle, nahm ihm der schwarzhaarige Captain Norris die Entscheidung ab. Er trat hart an Hasard heran, auch seine Augen funkelten. »Mister Killigrew, was Sie und Ihre Männer hier tun, das grenzt an Meuterei. Sie sind Kapitän Ihrer Majestät der Königin von England, Sie haben den Befehlen Ihres Vorgesetzten bedingungslos zu gehorchen. Ganz gleich, welche persönlichen Belange dabei mitspielen. Hier geht es um England, hier geht es darum, einen Aufstand im Keim zu ersticken, der viel Blut kosten und das Ansehen unseres Landes
überall schädigen würde. Was mich betrifft - ich bin Soldat, Mister Killigrew. Wenn nötig, werde ich Kapitän Drake mit meinen Soldaten helfen, seinen Befehlen den notwendigen Nachdruck zu verschaffen. Killigrew - ich schätze Sie als tapferen Mann, als unerschrockenen Kämpfer, als hervorragenden Kapitän. Aber ich mißbillige Ihr Verhalten. Was glauben Sie eigentlich, wie viele Männer ich bereits in den Kämpfen hier verloren habe?« Hasard spürte, wie ihn der Zorn übermannte. Blitzschnell packte er zu und zog den überraschten Captain Norris zu sich heran. »Wer war es denn, Captain, der Sie mitten im allerschlimms ten Kugelhagel zur ›Isabella‹ an der Pier von Dungarvan zurückgeschleppt hat? Das war kein anderer als Batuti. Sie verdanken seinem Mut Ihr Leben, Captain. Aber was tun Sie Sie halten hier lange Reden über soldatische Pflichten, Sie reden von Meuterei und wissen dabei genau, daß meine Männer und ich sich, ohne zu murren, für England in Stücke schießen lassen würden, daß wir für jeden, der hier steht, bedenkenlos unser Leben riskieren würden. Für jeden, ohne Rücksicht darauf, was er ist und wer er ist. Sie schulden Batuti etwas, Captain. Schlimm, daß ich Sie daran erinnern muß!« Er ließ ihn los - und in diesem Moment riß Norris seinen Degen aus dem Gehänge. »Killigrew - Sie sind zu weit gegangen! Sie haben sich eben an einem Offizier Ihrer Majestät vergriffen - ziehen Sie!« »Halt - auseinander!« Drake sprang zwischen die beiden Kampfhähne und trennte sie. Er verfügte über beträchtliche Körperkräfte. »Das ist doch wohl Wahnsinn«, sagte er zornig. »Die Spanier haben es nicht gescha fft, uns Verluste zuzufügen, und jetzt gehen wir uns gegenseitig an die Gurgel!« Ernüchtert ließen der Seewolf und der Captain voneinander ab. Norris hängte seinen Degen wieder ein.
Zu Hasard gewandt sagte Drake, und diesmal in einem Ton, der keinerlei Widerspruch mehr zuließ: »Wir werden jetzt nach Batuti suchen. Captain Norris, seine Männer und ich werden uns die Anhöhe vornehmen und uns dann am Ufer an der anderen Seite wiedertreffen. Sie gehen mit Ihren Männern das Ufer ab und stoßen dann ebenfalls zu uns. Und es bleibt dabei: Finden wir Batuti nicht, kehren wir unverzüglich an Bord unserer Schiffe zurück. Nochmals, Mister Killigrew - das ist ein Befehl. Alles andere, was hier gesagt oder getan worden ist, will ich vergessen.« In diesem Moment wurden auf der Anhöhe einige Gestalten sichtbar - und wenige Augenblicke später stürmten Dan O’Flynn, Smoky und ein paar Soldaten - ebenfalls bis an die Zähne bewaffnet, heran. Deutlich stand die Enttäuschung in Dans Gesicht. Er sah Hasard an. »Wir sind natürlich wieder man zu spät dran. Ihr habt die Spanier ja ganz schön zur Ader gelassen, das werden sich die verdammten Dons wohl für eine Weile merken.« Seine Blicke wanderten über die Gefährten. »Wo ist Batuti?« fragte er dann, »verflixt, die Dons haben ihn doch wohl nicht ...« »Wir werden ihn suchen, Dan«, sagte Hasard nur. Er gab seinen Männern einen Wink und marschierte los. Dan, Smoky und die anderen wollten sich ihm anschließen, aber der Seewolf wies auf die Anhöhe. »Ihr begleitet Kapitän Drake und Captain Norris. Die gesamte Anhöhe muß abgesucht werden, wir nehmen uns das Ufer vor. Betrachtet jeden Toten, quetscht jeden Don aus, den ihr noch lebend antrefft. Wir müssen Batuti finden. Am anderen Ufer, bei eurem Boot treffen wir uns. Du, Carberry, ruderst am besten am Ufer zurück - und nimm auch das Boot von uns mit.« Leise fügte er noch ein paar Worte hinzu, aber so, daß Drake oder Norris es nicht hören konnten. Denn der Seewolf hatte einen Entschluß gefaßt. Er würde Batuti auf keinen Fall
im Stich lassen - Befehl hin, Befehl her. Die beiden Trupps zogen ab. Bald wurden die Rufe der Männer auf der Landzunge laut. Aber sie warteten vergeblich auf eine Antwort Batutis - er war und blieb verschwunden, als habe ihn die Nacht verschluckt. Als sie sich nach einer guten halben Stunde am jenseitigen Ufer der Landzunge trafen, hatte keiner der Männer Batuti gefunden - auch nicht unter den Toten. Drake trat auf den Seewolf zu. »Wir haben getan, was wir konnten, Mister Killigrew. Wir müssen jetzt an Bord. Ich weiß, daß Sie mir deswegen grollen, aber das ist nicht zu ändern. Krieg ist ein grausames, ein blutiges Geschäft, das wird sich niemals ändern, solange Kriege geführt werden. Ich erwarte, daß Sie sich meinen Anordnungen fügen, Mister Killigrew.« Er drehte sich um und wollte zu dem Boot hinübergehen, mit dem Norris und seine acht Soldaten gekommen waren. Aber er blieb noch einmal stehen. »Versetzen Sie sich in meine Lage, Mister Killigrew. Stellen Sie sich eine Situation auf der ›Isabella‹ vor, die ähnlich wäre. Was würden Sie Brighton oder Ihren Männern sagen, sagen müssen? Sie müßten verlangen, daß alle Männer an Bord Ihre Anordnungen bedingungslos respektieren, denn Sie allein tragen für alles, was geschieht, die Verantwortung!« Damit drehte er sich endgültig um und ging zum Boot hinunter. Der Seewolf sah ihm nach - und im stillen mußte er Drake recht, geben. Aber - verdammt noch mal - er konnte und wollte nicht glauben, daß Batuti tot war. Hasard wartete, bis Drake im Boot saß und das Boot ablegte. Dann rief er Matt Davies und Stenmark zu sich heran. »Ihr werdet weiter nach Batuti suchen. Ich lasse euch das Boot der Kriegsgaleone hier, damit pullt ihr zurück, sobald wir mit der ›Isabella‹ an der Landzunge vorbeisegeln. Ihr müßt
Batuti finden, ich spüre es, er steckt irgendwo hier in der Nähe. Also ab mit euch - aber paßt auf, daß ihr den Dons nicht in die Finger lauft.« Matt Davies polierte grinsend seine Hakenprothese. »Ich sehe das anders, Hasard: Die Dons sollen nur aufpassen, daß sie uns nicht in die Finger laufen. Wir sind momentan nicht sonderlich gut auf sie zu sprechen.« Der Seewolf schlug ihm leicht auf die Schulter, dann schifften er und der Rest seiner Männer sich zusammen mit Dan, Smoky und den Seesoldaten ein. Das Boot der ›Isabella‹ war damit bis an seine äußerste Tragfähigkeit beladen, aber es mußte gehen. Dan hatte noch - wie immer bei solchen Gelegenheiten einen Protest versucht und sich darauf berufen, daß er nun mal die schärfsten Augen an Bord der ›Isabella‹ habe, aber Hasard hatte sich nicht erweichen lassen. Das Bürschchen war ihm für ein solches Unternehmen doch noch zu unerfahren und zu ungestüm. Dan schimpfte noch eine Weile vor sich hin, aber dann fügte auch er sich ins Unvermeidliche.
4. Stenmark und Matt Davies pirschten sich die Anhöhe wieder hinauf. Das Feuer auf dem Vorderkastell der spanischen Galeone begann in sich zusammenzusinken - die beiden Männer waren auf das Licht des Vollmondes angewiesen. Stenmark blieb stehen, das Entermesser in der Hand. »Es hat keinen Sinn, Matt«, sagte er, »daß wir hier einfach so aufs Geratewohl durch die Gegend rennen. Überleg mal wohin kann Batuti sein, wenn er sich wirklich noch in der Nähe befindet und ihn die Dons nicht geschnappt haben?« Matt Davies kratzte sich mit der Linken am Schädel. Er bot einen geradezu furchterregenden Anblick. Genau wie bei
Stenmark war sein Körper nackt. Noch immer glänzte auf der Haut jene Schicht von Olivenöl, mit der sich Hasard und alle seine Männer eingerieben hatten, bevor sie aufgebrochen waren, um die spanische Galeone zu entern. Diese Schicht hatte sich bei Matt Davies aber noch mit Blut vermischt seinem eigenen und dem von etlichen Spaniern. »Wenn Batuti nicht gefangen ist, dann hat er irgendeinen der Dons verfolgt. Ich erinnere mich deutlich, daß er mit einem der Kerle beschäftigt war, ihm etwas zugebrüllt hat und dann mit geschwungenem Morgenstern auf ihn losgegangen ist. Und den Morgenstern hat er einem Spanier abgenommen, der ihm vors Messer gelaufen war, auch daran erinnere ich mich genau.« Stenmark nickte. »Ferris Tucker hat vorhin auch so etwas gesagt. Los - wenn Batuti wirklich einem dieser Spanier nachgerannt ist, und zuzutrauen wäre ihm das, dann können sich die beiden nur landeinwärts gewandt haben. Ich weiß, daß dort hinten, ein paar hundert Yards vor der La ndzunge, ein Dorf liegt. Vielleicht gibt es dort noch Dons, und vielleicht hat der Spanier Batuti in eine Falle gelockt!« Stenmark und Matt Davies liefen weiter. Sorgfältig nutzten sie jede Deckung aus, die sich ihnen bot. Sie waren sich bewußt, wie gefähr lich ihr Unternehmen war, aber sie waren entschlossen, Batuti zu finden - so oder so. Stenmark behielt recht - kurz hinter der Landzunge lag ein winziges Dorf. Drei oder vier Häuser insgesamt, ein paar Katen noch, die aber schon so windschief waren, daß sie den Eindruck erweckten, jeden Moment in sich zusammenzufallen. Das Dorf war stockdunkel - aus keinem der Fenster drang ein Lichtschein. »Die Bewohner haben sich verkrümelt«, stellte Matt Davies fest. »Und offenbar hatten auch die Dons nicht die Absicht, sich dort festzusetzen, denen muß die Angst ganz schön im Nacken gesessen haben.«
Die beiden Männer duckten sich hinter einen Zaun und schlichen vorsichtig weiter. Es war tatsächlich so, wie sie vermutet hatten - das Dorf war verlassen. Wieder blieb Stenmark stehen. »Verdammt, Matt«, flüsterte er, »Batuti kann doch nicht meilenweit durch die irische Landschaft rennen, nur um einen Don zu fangen! Was ist dem bloß in den Kopf gekommen?« Matt Davies wollte gerade etwas erwidern, da brach plötzlich vor ihnen, bei einem der Häuser, die Hölle los. »Ho, du dreckiges spanisches Bastard! Jetzt Batuti dich holen, dich aufschlitzen, du Kakerlak!« Seiner dröhnenden Stimme folgte ein Geräusch, das Stenmark und Matt Davies eiskalte Schauer über die Körper trieb. Das Gebrüll wurde noch lauter, Holz splitterte, irgendwo schien eine ganze Ladung von Fässern und Kisten in sich zusammenzustürzen. Dann stand über allem ein hoher, schriller Schrei, so wie ihn nur ein Mensch in allergrößter Todesangst ausstößt. »Komm raus, du stinkiges Ratte, oder Batuti dir schlagen Haus über Kopf zusammen. Komm raus, oder ich dich holen, stückweise, Mister Don!« Wieder einer dieser fürchterlichen Schläge. Wieder Scheppern und Klirren. Irgendwo knallte eine Tür gegen die Wand, ein Tisch und mehrere Stühle flogen in hohem Bogen durch splitternde Fenster. Matt Davies und Stenmark sprangen auf. »Batuti!« brüllten sie. »Laß von dem Dorf noch was übrig, du schwarzer Satan - wir kommen!« Sie stürmten los und schwangen wie wild ihre Entermesser. Die Klingen blitzten im Mondschein. Matt Davies riß seine Hakenprothese hoch. Aber dann blieben sie fast ruckartig stehen. Ihre Augen weiteten sich, und sie glaubten plötzlich, dem Teufel persönlich gegenüberzustehen. Matt Davies ließ langsam seine Prothese sinken.
»Nein«, sagte er dann. »Das kann doch nicht wahr sein ...« * Unterdessen herrschte auf der ›Isabella‹ und der ›Marygold‹ Hochbetrieb. Beide Galeonen machten seeklar. Die Männer enterten die Wanten auf, rutschten rittlings über die Rahen und lösten die Reffbändsel, mit denen die Segel zu den Rahen hin festgezurrt waren. Ein Segel nach dem anderen rollte aus. Kommandos schallten über Deck - auf der ›Isabella‹ stemmten sich Ferris Tucker und ein paar andere Männer in die Spaken des Bratspills. Die dicke Ankertrosse kam steif, dann brach der Anker aus den Grund der Blackwaterbucht. Philip Hasard Killigrew stand auf dem Achterkastell und beobachtete die Arbeit seiner Männer. Hin und wieder warf er einen Blick auf die ›Marygold‹, von der die Stimme Carberrys herüberdröhnte, der seine Leute auf seine Weise antrieb. Hasard war unruhig. Er dachte an Matt Davies und Stenmark, er dachte an den spurlos verschwundenen Batuti. Es wurde höchste Zeit, daß sie wieder auftauchten, denn Drake würde keine Minute länger warten, sondern ankeraufgehen und den Blackwater unter Ansnutzung der Flut aufwärts segeln. Hasard verließ seinen Platz auf dem Achterkastell, turnte aufs Hauptdeck hinunter und wollte gerade zum Vorderkastell, als vom Ufer Rufe laut wurden. Wie der Blitz war der Seewolf am Schanzkleid. Die Männer am Gangspill hielten beim Ankerhieven inne, selbst der riesige Ferris Tucker schob sich durch die Männer an den Taljen und Besan vorbei ans Schanzkleid. Und dann brandete plötzlich ein wüstes Gebrüll über das Deck der ›Isabella‹ - und der Seewolf sah auch sofort, warum. Deutlich erkannte er den riesigen Schwarzen neben Stenmark und Matt Davies. Aber er sah noch etwas: Die drei Männer hielten einen vierten zwischen sich, und Batuti brüllte irgend
etwas aus Leibeskräften, was Hasard aber nicht verstand. Er sah, wie die drei den vierten ins Boot stießen, selber hinterhersprangen und sich in die Riemen legten. Batuti hatte das Ruder mit der einen Hand genommen, die andere hielt den vierten Mann. Auch auf der ›Marygold‹, die ungünstiger lag als die ›Isabella‹ und von der aus man alles nicht so genau beobachten konnte, klang jetzt Gebrüll auf. Hasard atmete auf. Er hatte also recht behalten, Batuti war am Leben. Das kleine Boot näherte sich schnell der ›Isabella‹, dafür sorgten schon Matt Davies und Stenmark. Minuten später scherte es längsseits, und Ben Brighton warf eine Jakobsleiter über die Bordwand, die Batuti sofort ergriff. Anschließend stieß er den vierten Mann - einen Spanier, wie Hasard erkannte - vor sich her, trieb ihn auf die Jakobsleiter, und der Spanier war gezwungen, vor ihm auf zuentern. Aber dann glaubte auch Hasard, seinen Augen nicht zu trauen. Batuti, offenbar wohlauf, war über und über mit Federn bedeckt, die fest an seinem Körper klebten. Außerden sah sein ganzer Körper aus, als wäre er in Blut gebadet worden. Wie sich später herausstellte, hatte ihm der Spanier in seiner Verzweiflung einen Bottich mit roter Farbe über den Kopf geschüttet und ihm ein irisches Federbett, das zuvor durch einen der gewaltigen Streiche Batutis der Länge nach aufgeschlitzt worden war, um die Ohren gehauen. Aber geholfen hatte ihm das auch nichts mehr, denn Batuti, dem die Farbe in den Augen brannte und den die herumschwirrenden Daunen und Federn fast blind machten, hatte die Wut gepackt. Und noch ehe der spanische Captain, der seinen Degen verloren hatte, sich versah, waren ihm die Möbelstücke des Zimmers um die Ohren geflogen. Gleichzeitig hatte Batuti mit seinem Morgenstern wahllos auf alles, was
überhaupt in seine Reichweite geraten war, eingedroschen. Bei dem Versuch, sich durch das Fenster zu retten, hatte ihn der schwarze Herkules dann endgültig erwischt und ihn durchgebeutelt, daß dem Spanier Hören und Sehen verging und er zu glauben begann, es mit dem Teufel persönlich zu tun zu haben. Schließlich hatte ein weiterer Hieb sein Bewußtsein endgültig ausgelöscht. Und als er das Bewußtsein wiedererlangt hatte, da schleppten ihn diese beiden verdammten Engländer zusammen mit dem Schwarzen bereits zur Bucht hinunter. Hasard konnte nicht anders - er starrte abwechselnd den Spanier und Batuti an. Dann brach er in ein dröhnendes Gelächter aus, in das die Crew der ›Isabella‹ mit einstimmte. Batuti war mit einem Satz beim Seewolf. Er packte ihn an der Schulter und schüttelte ihn wie vorher schon den spanischen Captain. »Du nicht lachen, Sir. Batutis Gesicht brennen wie Feuer, Augen kaputt. Das da sein spanisches Captain, feiges Bastard, wollte fliehen. Aber Batuti ihn fangen, er bestimmt wissen, wohin Karavelle gesegelt sein, er Versteck für Waffen kennen, eh?« Damit ließ er den Seewolf wieder los, griff sich den Spanier und stieß ihn zu Hasard hinüber, der längst aufgehört hatte zu lachen, so sehr hatte ihn der Wutausbruch Batutis überrascht. Noch mehr aber das, was Batuti ihm da eben gesagt hatte. Gesagt? Nein, ins Gesicht geschrien, daß ihm jetzt noch die Trommelfelle klirrten. Er sah den Spanier an, seine zerfetzte Uniform, und er erkannte, daß Batuti die Wahrheit gesagt hatte. Er ging auf den Herkules zu, griff nach seiner Hand und schüttelte sie. »Entschuldige, Batuti, aber du solltest dich selber mal sehen, du siehst wirklich zum Fürchten aus. Aber daß du es fertiggebracht hast, den spanischen Captain zu fangen, das, Batuti, werden Kapitän Drake und ich noch zu
belohnen wissen ...« »Zum Teufel, was ist eigentlich bei Ihnen an Bord los, Mister Killigrew?« erschallte in diesem Augenblick die Stimme Drakes von Bord der ›Marygold‹. »Ist Ihr Schiff zum Tollhaus geworden?« Der Seewolf grinste und seine Männer ebenfalls. Dann gab er Ben Brighton und Ferris Tucker einen Wink, auf den Spanier aufzupassen, und trat an das Schanzkleid. »Es wäre gut, Sir, wenn Sie sich an Bord meines Schiffes bemühen würden. Batuti ist wieder aufgetaucht, und er hat eine kleine Überraschung für Sie!« »Überraschung? Was zum Teufel ...« »Einen äußerst wertvollen Gefangenen hat Batuti mitgebracht, der uns ganz sicher etwas über den Verbleib der spanischen Karavelle und auch über das Versteck, in das ihre Besatzung die Waffen bringen soll, sagen kann. Übrigens ein alter Bekannter von Ihnen - es wird eine Freude für Sie sein, ihn wiederzusehen!« Einen Moment herrschte Stille. »Ich komme!« rief Drake dann herüber - und Hasard meinte aus dem Tonfall herauszuhören, daß Drake ahnte, um wen es sich bei dem Gefangenen handelte. Er schlug Batuti, der grinsend neben ihm stand, leicht auf die Schulter. »Der Kutscher wird sich jetzt um dich kümmern, Batuti. Wir müssen wenigstens versuchen, dich in einen Menschen zurückzuverwandeln.« Dann verneigte er sich spöttisch vor dem spanischen Captain. »Und Sie, Senor, werden so freundlich sein, mir jetzt in meine Kammer zu folgen. Ja, Senor, so ändern sich die Zeiten!« Er ging voraus, Ben Brighton griff sich den Captain und dirigierte ihn mit sanfter Gewalt hinter dem Seewolf her zum Achterdeck.
Von der ›Marygold‹ löste sich ein Boot. Drake saß auf der Achterducht und blickte zur ›Isabella‹ hinüber. Hasard grinste. Der Fang Batutis gab ihm Oberwasser, und er nahm sich vor, Drake das spüren zu lassen. Er sah zum Hauptdeck hinüber. Dort brüllte Batuti gerade wie am Spieß, bedachte den Kutscher mit ein paar wüsten Flüchen und drohte ihm alle Qualen der Hölle an, wenn er sich nicht mehr in acht nähme. Wieder grinste der Seewolf - denn der riesige Batuti stand pudelnackt auf dem Deck. Der Kutscher, Stenmark und Gary Andrews bearbeiteten seine dunkle Haut nicht gerade sanft mit scharfen Bürsten, Sand und anderen Sachen, um den Körper des Schwarzen wieder von der roten Farbe und den an ihr haftenden Federn zu befreien. Sie beantworteten die Flüche Batutis mit dröhnendem Gelächter und noch intensiveren Bemühungen. Batuti rollte die Augen auf geradezu furchterregende Weise. »Ich bringe dieses Don um, ich ihn hängen oder köpfen! Ich ihn aufschlitzen von oben bis unten!« Er fletschte seine strahlendweißen Zähne. In diesem Moment ging das Boot mit Kapitän Drake längsseits. Drake enterte die Jakobsleiter hoch und blieb wie angewurzelt stehen, als er den nackten Batuti auf dem Hauptdeck erblickte. Er runzelte die Stirn, dann sah er Hasard an. »Wer hat denn Ihren Mann geteert und gefedert?« fragte er und konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. Hasard nutzte die Chance, Drake eins auszuwischen. »Kein anderer als der spanische Captain, dessen Gefangener Sie noch vor Stunden waren. Er hat Batuti bestimmt für den Teufel gehalten und ihm in seiner Angst eine Pütz mit roter Farbe über den Kopf geschüttet. Dann hat er ihm ein Federbett um die Ohren geschlagen, aber genutzt hat es ihm nichts, denn der Captain befindet sich in meiner Kammer. Ben Brighton leistet ihm Gesellschaft, damit er sich nicht einsam fühlt und
auf dumme Gedanken verfällt. Ich bin überzeugt, daß er uns hochinteressante Dinge zu berichten weiß, wenn wir ihn etwas in die Mangel nehmen.« Hasard schwieg ein paar Sekunden. Voller Befriedigung sah er, wie sich die Augen Drakes bei seinen letzten Worten unwillkürlich verengt hatten. Natürlich hatte der Kapitän sofort begriffen, welch einen wichtigen Fang der Schwarze ihm da präsentierte. »Batuti hat schneller geschaltet wie wir alle zusammen. Ich ahnte, als wir sein Fehlen entdeckten, daß irgend etwas Besonderes Batuti veranlaßt haben mußte, so spurlos von der Bildfläche zu verschwinden. In meinem Auftrag haben zwei meiner Männer nach ihm gesucht, nachdem wir uns wieder eingeschifft hatten. Mit bestem Erfolg, wie Sie wohl zugeben werden!« Francis Drake schien aufbrausen zu wollen. Doch dann nickte er. »Sie sind nicht gerade ein bequemer Untergebener, Mister Killigrew. Aber solange Ihnen der Erfolg recht gibt - ich gehöre nicht zu der Sorte von Männern, die eigene Fehler nicht einsehen. Ich hätte da einen üblen Fehler begangen, wahrscheinlich sehr zu unserem Schaden. Gehen wir, ich möchte dem Captain einige Fragen stellen, die Zeit drängt.« Er setzte sich in Bewegung, und der Seewolf folgte ihm. Minuten später befanden sie sich in der Kammer im Achterkastell der ›Isabella‹. Der spanische Captain starrte Drake aus seinen dunklen Augen voller Haß an. Drake ignorierte das und verneigte sich leicht. »Wir haben die Rollen vertauscht, Captain«, begann er. »Sehr zu meiner Freude. Aber ich bin überzeugt, daß Sie ein vernünftiger Mann sind, intelligent genug, um Ihre Lage richtig einzuschätzen und die meine dazu. Um nicht lange herumzureden: Ich brauche einige Informationen von Ihnen, und ich werde sie kriegen, Captain - so oder so. Ich habe keine
andere Möglichkeit und kann es mir daher nicht leisten, in der Art meiner Mittel wählerisch zu sein, wenn Sie nicht freiwillig reden sollten. Es geht um England, und in diesem Punkt verstehe ich keinen Spaß.« Der Captain war blaß ge worden, er hatte begriffen, daß Drake ihm mit der Folter gedroht hatte, falle er sich weigern würde, die verlangten Informationen zu geben. Er ballte die Hände. »Sie werden es nicht wagen, einen Offizier des Königs von Spanien zu foltern. Ihnen geht es um England, das respektiere ich - mir geht es um Spanien, als Ehrenmann und Kapitän der britischen Königin werden Sie auch das respektieren müssen. Von mir erhalten Sie keine Informationen - ich bin kein Verräter!« Er hatte die letzten Sätze auf spanisch hervorgestoßen - aber Drake, des Spanischen mächtig, hatte ihn verstanden. Er informierte Hasard, dann hob er bedauernd die Schultern und trat hart an den Captain heran. »Ich wiederhole mich nicht gern, Captain«, sagte er scharf. »Zu langem Palaver bleibt keine Zeit. Spanien versucht hier in Irland einen Aufstand gegen England vorzubereiten. Meine Pflicht ist es, diesen Aufstand mit allen Mitteln, die mir zur Verfügung stehen, niederzuschlagen. Ich muß von Ihnen wissen, wohin die Karavelle gesegelt ist, die Ihr Schiff vor Stunden schon passiert hat, den Blackwater hinauf. Ich muß von Ihnen ferner wissen, wo sich das Versteck befindet, zu dem Ihre Ladung geschafft werden soll. Also nochmals, Captain, antworten Sie mir freiwillig, und Sie werden an Bord meines Schiffes die Behandlung finden, die einem Offizier angemessen ist. Wenn Sie sich weigern - ich befinde mich in einer üblen Zwangslage, Captain. Spanien und England befinden sich hier im Krieg miteinander, ich kann und darf keinerlei Rücksichten nehmen, die Englands Sache gefährden. Entscheiden Sie sich. Sie haben genau eine Minute.«
Der Captain war noch bleicher geworden. Er funkelte Drake aus seinen dunklen Augen an, aber er schwieg. Nach Ablauf der Frist trat Drake einen Schritt zurück. »Mister Killigrew, la ssen Sie diesen Mann in mein Boot schaffen. Ich nehme ihn mit auf die ›Marygold‹. Der Profos wird sich mit ihm befassen. Sie gehen mit der ›Isabella‹ sofort stromauf. Bis wir an Ort und Stelle sind, werde ich wissen, was ich wissen muß.« Ben Brighton faßte den Spanier an der Schulter und schob ihn vor sich her zur Tür. »Sie können es sich immer noch überlegen, Captain. Aber Sie sollten wissen, daß es mir ernst ist.« Ben Brighton verschwand mit dem Spanier. »Ich tu so etwas nicht gern«, sagte Drake zu Hasard. »Aber ich habe keine Wahl. Der Spanier muß reden. Carberry versteht sich darauf, Leute zum Reden zu bringen. Sobald ich etwas weiß, werde ich Sie informieren. Batuti geben Sie in meinem Namen eine Flasche Scotch - er hat sie verdient.« Drake verließ die Kapitänskammer und eilte hinter Brighton und dem Spanier her. Kurz darauf legte das Boot der ›Marygold‹ ab. Der Seewolf sah ihm nach. Fast verspürte er so etwas wie Mitleid mit dem Spanier, denn er selbst hätte an seiner Stelle auch nicht anders gehandelt. Aber gleichzeitig wußte Hasard, daß Drake den Mann nicht unnötig grausam foltern lassen würde. Er kehrte zum Achterkastell zurück und beugte sich zu Pete Ballie, der am Kolderstock stand, hinunter. »Kurs Nordwest, Pete«, sagte er, während vom Hauptdeck schon die Kommandos Ben Brightons und Smokys ertönten. Die Rahen schwangen herum, im Takt arbeiteten die Männer an den Brassen. Bei raumem südlichen Wind nahm die ›Isabella‹ Fahrt auf. »Wir bleiben in der Mitte des Blackwater, Pete«, sagte Hasard zu dem Rudergänger. »Ich kenne dies Gewässer, Flut
und Ebbe schaffen hier immer neue Sandbänke, man muß höllisch auf der Hut sein, nicht irgendwo aufzulaufen.« Er richtete sich wieder auf, seine Blicke suchten seinen Bootsmann. »Ben!« rief er in die Kommandos hinein. »Sorge dafür, daß immer drei Mann am Buganker sind, wir müssen in der Lage sein, sofort zu ankern. Lotgast auf die Back, Wassertiefen aussingen. Dan, ab mit dir in den Großmars, und halt die Augen auf!« Er sah, wie Dan O’Flynn aufenterte, und wieder staunte er im stillen darüber, wie geschickt und schnell Dan die Wanten emporturnte. Die ›Isabella‹ glitt durch den Blackwater. An ihr vorbei zogen im hellen Licht des Vollmondes die Konturen der Ufer. Die ›Marygold‹ hatte ebenfalls Fahrt aufgenommen. Philip Hasard Killigrew schüttelte den Kopf, denn sie lief steuerbord voraus, während sich die ›Isabella‹ nach Backbord hinter ihr zur Strommitte hin staffelte. »Verdammt, Ben«, sagte Hasard zu Brighton, der inzwischen neben ihm auf dem Achterkastell stand, »die ›Marygold‹ segelt zu dicht unter Land - viel zu dicht. Sind die denn wahnsinnig? Ich habe Drake ausdrücklich davor gewarnt. Wenn das man nicht schiefgeht, der Blackwater ist ein höllisches Fahrwasser. Ich war mit Sir John hier und habe die Tücken dieses Stromes zur Genüge kennengelernt.« Mittlerweile war es zwei Uhr nachts. Batuti - vom Kutscher und Stenmark leidlich wiederhergestellt - befand sich auf der Back bei den drei Männern, die Ferris Tucker zum sofortigen Ankermanöver bereitgestellt hatte. Und auch Ferris Tucker warf der ›Marygold‹ von Zeit zu Zeit einen besorgten Blick zu. Er begriff einfach nicht, daß Drake so unvorsichtig war. Zwar stand auch auf der Back der ›Marygold‹ ein Lotgast, der die Fahrwassertiefe in kurzen Abständen aussang, aber Ferris Tucker war klar, daß das bei einem Gewässer wie dem
Blackwater auch nicht viel half. Dazu bewegte sich die ›Marygold‹ bei dem günstigen Wind und zusätzlich durch das auslaufende Wasser beschleunigt viel zu schnell. Außerdem hatte Drake, dem die Zeit unter den Nägeln brannte, alle Segel setzen lassen. Das Schiff bot einen herrlichen Anblick, als es die breite Bahn des Mondlichts durchschnitt. Und dann passierte es. Von einer Sekunde zur anderen, ganz so, wie Ferris Tucker und der Seewolf es befürchtet hatten. * Edwin Carberry schüttelte den Kopf. Er wirkte nach außen durch sein zernarbtes Gesicht und durch sein Rammkinn hart und brutal - und das konnte er auch sein. Aber Carberry haßte es, einem Menschen durch die Folter fast unerträgliche Schmerzen zufügen zu müssen, obwohl er sich in früheren Jahren eine gewisse Fertigkeit auf dem Gebiet angeeignet hatte. Er schüttelte abermals den Kopf, als er dem spanischen Captain die Daumenschrauben anlegte. »Captain, ein letztes Mal: Reden Sie, Sie tun es ja später doch. Niemand hält diese Folter durch, und zum Schluß sind dann die Knochen kaputt und die Menschen zu Krüppeln geworden. Ich muß Sie zum Reden bringen, und ich werde es tun. Das Leben vieler Menschen und Englands Sicherheit hängen davon ab, daß wir das versteckte Waffenlager finden. Also Captain, reden Sie, noch ist dazu Zeit. Ich hasse es, Menschen durch die Folter zum Reden bringen zu müssen.« Dem Captain stand der Schweiß in dicken Tropfen auf der Stirn. Carberry kannte den Befehl Drakes, mit dem Gefangene n so schonend wie möglich umzugehen, aber das ließ sich der Profos der ›Marygold‹ nicht anmerken. Im Gegenteil - er hatte den Captain mit eisernen Schellen auf einem schweren
Holzstuhl unter Deck gefesselt. Außer ihm fungierte bei dieser makabren Szene noch ein Mann der Besatzung als Gehilfe, dessen wildes Aussehen allein genügt hätte, um Furcht einzuflößen. Über dem linken Auge trug er eine Klappe, sein Unterkörper steckte ihn brandroten Pumphosen. In seinem silberbeschlagenen Gürtel steckte ein breites Krummschwert und ein ebensolcher Dolch. Seine Haut war dunkel, um den Hals trug er ein schweres silbernes Amulett an einer Kette, sein Gesicht wurde von einem wilden schwarzen Bart umrahmt. Die Besatzung der ›Marygold‹ nannte ihn nur den »Türken« - wegen seines Krummschwerts. Auch der Türke kannte den Befehl Drakes aber er hatte weit weniger Hemmungen als der im Grunde genommen gutmütige Carberry. »Ach was, Profos, was soll das ganze Gequassel? Der Kerl will nicht reden, also hat er sich alles andere selbst zuzuschreiben. So, mein Freund, jetzt gleich wirst du alle Teufel in der Hölle tanzen sehen!« Er trat zu dem Captain, griff nach der Daumenschraube und drehte sie an. Der Captain bäumte sich auf, Schweiß lief über sein Gesicht und rann in das total zerfetzte Hemd, das ihm lose um den Oberkörper hing. Ein Stöhnen entrang sich seiner Brust, aber er schwieg. Der Türke wollte abermals zur Daumenschraube greifen, da erschütterte ein heftiger Stoß die ›Marygold‹. Carberry, der auf so etwas nicht gefaßt war, schoß durch das Zwischendeck und prallte mit dem Schädel gegen einen der Stützbalken. Der Türke versuchte, sich am Stuhl, auf dem der Captain saß, festzuklammern und riß ihn dabei um. Zusammen mit dem Captain ging er zu Boden. Und noch im Fallen spürte er, wie sich die ›Marygold‹ weit nach Steuerbord überlegte. An Deck erscholl lautes Gebrüll. Irgend etwas krachte aufs Deck, ein paar Männer schrien auf.
Carberry war schon wieder aufgesprungen. Fluchend hielt er sich den schmerzenden Schädel und torkelte durch das Zwischendeck. »Verdammt, wir sind aufgelaufen«, sagte er und packte den Türken, riß ihn hoch und stellte gleich danach den Stuhl wieder auf die Beine. »Los, an Deck - den Captain können wir uns später vornehmen, wenn der Kahn nicht leckgeschlagen ist und sowieso absäuft.« Was bisher nicht einmal die Anordnung von Foltern bewirkt hatte, diese Bemerkung Carberrys schaffte es. Der Profos konnte nicht ahnen, daß der Captain eine geradezu panische Angst davor hatte, an den Stuhl gekettet mit der ›Marygold‹ untergehen zu müssen. Diese Vorstellung, irgendwann ertrinken zu müssen, gefesselt, völlig hilflos, verfolgte den Captain bereits seit seiner Kindheit. Er hatte es zwar immer vor anderen Menschen zu verbergen gewußt, aber in dieser Situation schwemmte die plötzlich in ihm aufsteigende Panik alle Hemmungen und seine mühsam bewahrte Selbstbeherrschung hinweg. »Halt!« brüllte er mit vor Angst und Qual verzerrter Stimme. »Halt, lassen Sie mich um Christi willen nicht hier unten, schließen Sie mich los. Hören Sie, wenn Sie meine Fesseln lösen, dann werde ich reden, ich schwöre es, bei allem was mir heilig ist, ich werde reden ...« Carberry, der sich schon am Niedergang befand und eben an Deck stürmen wollte, blieb ruckartig stehen. Er begriff zwar die Wandlung nicht, die in dem Captain innerhalb von Sekunden vor sich gegangen sein mußte, aber er erkannte, daß panische Angst die Züge des Spaniers verzerrte. Er warf sich in seinen Fesseln hin und her wie ein Verrückter. »Los, an Deck mit dir!« fauchte er den Türken an. »Ich komme gleich nach!« Carberry sprang die paar Stufen mit einem Satz hinunter und
beugte sich über den Captain. »Los, Mann, rede - oder ich laß dich hier elendiglich ersaufen wie eine Ratte!« Instinktiv hatte er begriffen, vor was der Spanier so unge heuerliche Angst empfand. »Der Landeplatz der Karavelle liegt etwa zwei Meilen nördlich und querab von Clasmore am rechten Flußufer ...« Die Zähne des Captain schlugen wie im Fieber aufeinander, sein Atem ging stoßweise. »Die Fesseln, schließen Sie die Fesseln auf, ich ...« Ein häßliches Knirschen lief durch die ›Marygold‹, wieder legte sich das Schiff nach Steuerbord über. An Deck rannten die Männer der Besatzung hin und her, laute Befehle erschallten. Carberry zögerte nicht länger. Er zog den Schlüssel für Hand- und Fußschellen hervor und schloß sie auf. Dann packte er den Captain. »Sie werden Kapitän Drake jetzt wiederholen, was Sie mir gesagt haben, Captain. Sie werden ihm den Ort auf der Karte zeigen. Sollten Sie auf dumme Gedanken verfallen, sind Sie sofort ein toter Mann. Vorwärts!« Er trieb den Captain vor sich her den Niedergang hoch. Als sie an Deck traten, packte Carberry den Captain am rechten Arm und hielt ihn eisern fest, während er einen Blick auf das Durcheinander warf, das an Deck herrschte. In der Takelage arbeitete ein Teil der Besatzung fieberhaft daran, die Segel zu bergen - denn mittlerweile hatte es aufgebrist, und der Wind stand voll in den Segeln. Eine gefährliche Sache für ein aufgelaufenes Schiff. Vor ihm, auf dem Hauptdeck, lag eine Spiere des Großmastes, neben ihr krümmten sich zwei Männer der Besatzung, die von der niederkrachenden Spiere getroffen worden waren. Carberry stieß den Captain weiter. Er trieb ihn über das Hauptdeck zum Achterkastell, wo er Kapitän Drake vermutete. Drake sah ihn, und für einen Moment verstummten seine Kommandos. Seine Stirn furchte sich.
»Carberry - was soll das? Ich habe jetzt keine Zeit, mich mit dem Captain zu befassen, wir sind ...« Carberry schob den Captain auf Drake zu. »Ich kümmere mich um die ›Marygold‹, Sir. Sie sollten sich mit dem Captain in Ihrer Kammer unterhalten, er hat geredet.« Carberry unterrichtete Drake mit wenigen Worten davon, was sich im Zwischendeck abgespielt hatte. »Unser Glück, Sir, daß dieser Don offenbar eine so entsetzliche Angst vorm Ertrinken hat, ich fürchte, der Folter hätte er ziemlich lange widerstanden.« Drake überlegte. »Gut, Carberry, Sie übernehmen das Kommando, ich werde mich um den Captain kümmern.« Er warf einen raschen Blick zur ›Isabella‹ hinüber, die eben in den Wind drehte, nachdem sie an der ›Marygold‹ vorbeigesegelt war. »Killigrew hat mitgekriegt, daß wir festsitzen, er hilft uns. Ich verdammter Narr, hätte ich bloß auf ihn gehört. Er hat mich davor gewarnt, im Blackwater zu dicht unter Land zu segeln!« Drake bedeutete dem Spanier, vorauszugehen. Er dirigierte ihm zum Niedergang und verschwand mit ihm im Achterkastell. Carberry verschaffte sich mit ein paar Blicken Gewißheit über die Situation der ›Marygold‹. Leckgeschlagen war das Schiff nicht, weil es auf eine Sandbank aufgelaufen war. Bei einer der zahlreichen Felsbarrieren, die sich im Blackwater besonders in der Nähe der Ufer befanden, oft tückisch ein oder zwei Yards unter Wasser verborgen, hätte es ziemlich hoffnungslos für das Schiff ausgesehen. So mußten sie versuchen, die ›Marygold‹ auf irgendeine Weise von der Sandbank wieder herunterzubringen. Er blickte zur ›Isabella‹ hinüber, die von Backbord voraus heranglitt und bereits einen Teil ihrer Segel geborgen hatte. Deutlich erkannte er die hochgewachsene Gestalt des Seewolfs auf dem Achterkastell und den rothaarigen Hünen Ferris
Tucker, der mit ein paar Männern auf der Back klar zum Ankermanöver stand. Als die ›Isabella‹ noch knapp hundert Yards entfernt war, fiel der Buganker. Die Galeone drehte sofort in den Strom des immer noch auflaufenden Wassers. Für einen Moment killten die Segel, die der Seewolf hatte stehenlassen. Dann lag die ›Isabella‹ still. * Hasard, der zusammen mit Ben Brighton auf dem Achterkastell der ›Isabella‹ stand, stieß eine ellenlange Verwünschung aus. »Verflucht noch mal, ich habe Drake davor gewarnt, zu dicht unter Land zu segeln. Jetzt haben wir den Mist. Ben, ich sage dir, die ›Marygold‹ sitzt ganz hübsch fest. Ich zweifle daran, daß es uns gelingen wird, sie wieder flottzukriegen, bevor der Strom kentert und die Ebbe einsetzt. Drake muß der Teufel geritten haben, ich begreife das einfach nicht, er ist doch weiß der Himmel ein erstklassiger Seemann.« Ferris Tucker stieg den Niedergang vom Hauptdeck hoch. Auch in seinen Zügen stand unverhohlener Ärger. »Wir müssen den Heckanker ausbringen, Hasard«, sagte er nach einem kurzen Blick auf die ›Marygold‹. »Uns bleibt nämlich nur eine Möglichkeit, die ›Marygold‹ wieder freizubekommen. Wir müssen eine Trosse auf ihrer Back belegen und anschließend versuchen, die ›Marygold‹ mit unserem Spill von der Sandbank zu ziehen.« Ein paar Männer enterten das Achterkastell, klarierten den Heckanker und brachten ihn aus. »He, ihr Hundesöhne, wollt ihr die Trosse wohl richtig belegen!« fuhr Ferris Tucker dazwischen. Er packte selbst mit zu. »Ich werde mich jetzt um den Buganker kümmern«, sagte er
dann. »Wir müssen auch dort die Ankertrosse belegen, damit wir das Spill freikriegen. Ben, du solltest dich inzwischen darum kümmern, daß ein Boot zu Wasser gelassen wird und eine Trosse zur ›Marygold‹ verbringt. Wenn wir uns nicht höllisch beeilen, hat es keinen Zweck mehr, überhaupt noch anzufangen. In einer halben Stunde haben wir ablaufendes Wasser, und dann sitzt Drake endgültig fest. Ich werde inzwischen ein paar Soldaten zusätzlich anlüften, die Kerle stehen uns sowieso nur im Weg herum. Die Kerls können uns auf der Back helfen.« Ferris Tucker verschwand. Der Seewolf hatte sich nicht eingemischt. Er stimmte den Maßnahmen seines Schiffszimmermanns zu. Das Spill war tatsächlich die einzige Möglichkeit, die ›Marygold‹ von der Sandbank zu ziehen. Ihre eigenen Segel nutzten ihr nichts, das hatte Drake ganz richtig erkannt, denn der Wind trieb das Schiff nur noch weiter auf die Sandbank. Statt dessen hatte Carberry damit begonnen, die gesamte Besatzung von Steuerbord nach Backbord und von dort wieder auf die andere Seite laufen zu lassen. Auf diese Weise geriet die Galeone in Schaukelbewegungen - manchmal ein Mittel, ein Schiff wieder vom Grund zu lösen. Carberrys mächtige Stimme schallte durch die Nacht, es sah gespenstisch aus, wie die ›Marygold‹ im Mondlicht von einer Seite zur anderen krängte, wie die Männer auf dem Schiff hin und her eilten. Aber es half nichts - die Galeone rührte sich nicht. Ihr bauchiger Rumpf war zu heftig aufgebrummt. Carberry stoppte das nutzlose hin und her Gerenne. Hasard registrierte, wie sich auf der ›Marygold‹ für eine Weile lähmende Stille ausbreitete. Das war der Moment, in dem das Boot der ›Isabella‹ die Trosse übernommen hatte und die Männer unter den Hoool weg-Rufen Ferris Tuckers zur ›Marygold‹ hinüberzupullen begannen.
Die Männer arbeiteten wie besessen. Jeder Mann auf der ›Marygold‹ packte mit zu. Captain Norris und seine Soldaten halfen den Seeleuten, wo sie konnten. Trotzdem wurde es fast halb drei, ehe sich die stärksten Männer auf der ›Isabella‹ in die Spaken des Bratspills stemmten. Immer drei Mann pro Spake. Hasard befand sich ebenfalls auf der Back der ›Isabella‹ auch er packte mit zu. Seesoldaten hatten die dicke Trosse gepackt und unterstützten Ferris Tuckers Männer am Spill, indem sie sich wie beim Tauziehen in die Trosse stemmten und zogen. »Hoo-ruck! Hoo-ruck!« schallte es durch die mondhelle Nacht. Auf der ›Marygold‹ waren einige Männer aufgeentert und hingen an den Rahnocken an Steuerbord, um der ›Marygold‹ zusammen mit der übrigen Besatzung, die sich am Steuerbordschanzkleid verteilt hatte, noch mehr Krängung zu verleihen. Ein paarmal knirschte es unter dem Kiel der Galeone, ein paarmal ruckte ihr bauchiger Rumpf, aber sie kam nicht frei, so sehr sich die Männer auf der ›Isabella‹ auch plagten. Kapitän Drake und Carberry beobachteten die Szenerie. »Wir sollten den Buganker ausbringen, und mit unserem eigenen Spill zusätzlich arbeiten«, sagte Drake schließlich. »Aber der Anker muß mit einem Boot nach Backbord voraus verbracht werden, sonst ziehen wir uns immer weiter auf die Sandbank.« Carberry begriff sofort. Und er ging augenblicklich an die Arbeit. Mit dröhnender Stimme rief er seine Befehle über Deck. Während ein paar seiner Leute bereits den schweren Buganker abfierten, ließ Carberry das Boot zu Wasser bringen. Er nahm die stärksten Männer der Besatzung, pla tzierte den Anker im Boot, das unter seinem Gewicht mit dem Bug tief eintauchte, und gleich darauf pullten sie los. Sie gelangten nur langsam voran, denn die dicke Trosse, die
sie hinter sich herschleppten, behinderte sie. Aber schließlich etwa fünfzig Yards von der ›Marygold‹ entfernt, brachten sie den Anker aus. Und dann pullten sie wie vom Teufel besessen zurück. Captain Norris jagte seine Soldaten ans Spill, noch bevor Carberry und die anderen wieder an Bord waren. Die Trosse kam steif, die Männer stemmten sich fluchend in die Spillspaken, im gleichen Takt mit den Kommandos, die von der ›Isabella‹ zu ihnen herüberschallten. Wieder knirschte es unter dem Kiel der Galeone, wieder ruckte sie und rutschte ein paar Zoll über die Sandbank. Aber dann ging plötzlich nichts mehr, obwohl die Männer auf beiden Schiffen zogen und drückten, daß ihnen fast die Adern platzten. »Der Strom ist gekentert - ablaufendes Wasser!« stieß Carberry hervor und rang verzweifelt nach Luft. »Wir müssen bis zur nächsten Flut warten und dann zusätzlich eine Trosse am Topp des Großmastes befestigen, die von uns zur ›Isabella‹ läuft. Wir müssen die ›Marygold‹ mit dieser Trosse soweit krängen, wie sie es gerade noch verträgt, ohne zu kentern. Dann müßte es mit dem Teufel zugehen, wenn wir nicht wieder flott würden.« Captain Norris schaltete sich ein. »Das müssen wir sofort tun, denn wenn wir ...« Carberry richtete sich ruckartig auf und ließ die Spillspake fahren, an der er zusammen mit zwei anderen Männern der Besatzung geschuftet hatte. »Es hat keinen Sinn mehr. Bis wir die Trosse drüben haben, bis der Seewolf und seine Leute eine Möglichkeit geschaffen haben, auch den nötigen Zug auf den Topp auszuüben, ist das Wasser im Blackwater bereits erheblich gefallen. Nein, wir müssen warten, etwas anderes ist sinnlos.« »Carberry hat recht«, entschied Drake. »Es gäbe vielleicht noch eine andere Möglichkeit. Wir könnten die ›Marygold‹
leichtern. Das würde bedeuten, daß alles, was schwer ist, über Bord muß. An erster Stelle unsere Geschütze. Das kann aber nur der allerletzte Ausweg sein.« Er sah Norris an. »Jedermann an Bord mit Außnahmen der Wache n sollen sich jetzt ausruhen. Wir sind alle ausgepumpt, und später werden wir unsere Kräfte brauchen. Nur Carberry und ein paar Leute sollen die Trosse vom Topp des Großmastes zur ›Isabella‹ verbringen, Mister Killigrew wird uns sicherlich behilflich dabei sein. Sobald die Flut wieder einsetzt und wir auflaufendes Wasser haben, geht’s weiter.« Drake nickte den Männern zu, dann ging er in Richtung Achterkastell davon. Auch auf der ›Isabella‹ hatte man die Aussichtslosigkeit der ganzen Plackerei erkannt. Durch die Rufe von Bord zu Bord informierte Carberry den Seewolf über seinen Plan, und Hasard stimmte zu. Es sollte allerdings noch etwas geschehen, womit keiner von ihnen gerechnet hatte.
5. Vier Uhr früh. Dan O’Flynn saß schlechtgelaunt im Großmars. Er ärgerte sich über die festsitzende ›Marygold‹ buchstäblich grün. Denn durch diese Panne fiel die geplante nächtliche Aktion ins Wasser. Dan hatte sich einen heißen Kampf versprochen. Er war noch sehr jung, gerade erst an der Schwelle zum Erwachsenen. Ein Versteck, ein heimliches Waffenlager der Iren, möglicherweise eine tiefe Felsenhöhle, in die man eindringen mußte, die vielleicht auch sonst Dinge barg, von denen sie keine Ahnung hatten - so etwas reizte ihn. Und jetzt? Nichts von alledem. Sie lagen hier fest und mußten
auf die nächste Flut warten, weil die Bastarde von der ›Marygold‹ trotz der Warnung Hasards nicht imstande gewesen waren, auf ihr Schiff aufzupassen. Und er, Dan, saß natürlich wieder einmal im Ausguck und stierte sich die Augen aus dem Kopf. Er durfte nicht schlafen und konnte nicht einmal etwas Eßbares aus der Kombüse klauen oder einen Schluck Rum ergattern. Bei dem Gedanken ans Essen knurrte ihm der Magen. Gleichzeitig erinnerte er sich aber auch an die höllische Rizinuskur, die ihm von Hasard verpaßt worden war, als er auf der Fahrt nach Falmouth den Suppenkessel geleichtert und die fehlende Suppe mit Wasser wieder ergänzt hatte. Dan O’Flynn schüttelte es, wenn er nur daran dachte. Vielleicht war die Idee mit der Kombüse doch nicht so gut. Schließlich hatte er von hier oben einen herrlichen Blick über den mondbeschienenen Blackwater. Dan reckte sich und spähte in die Runde. Seine Blicke tasteten die ›Marygold‹ ab. Auf dem Schiff herrschte Ruhe. Nur eine Gruppe von Männern arbeiteten oben im Großmast. Hin und wieder erschallte ein Ruf oder ein Kommando - und Dan wußte, daß das Carberry und seine Männer waren, die die Trosse vorbereiteten, die später zur ›Isabella‹ geschafft werden sollte. Dans Blick glitt weiter. Der Blackwater beschrieb an der Stelle, an der die beiden Galeonen ankerten - ankerten! dachte Dan mit einem neuerlichen Anflug von Ärger - eine Biegung. Der Strom hatte an dieser Stelle eine Breite zwischen achtzig und hundert Yards, aber durch die Biegung war nur ein sehr begrenzter Teil des Blackwater einzusehen. Auch vom Großmast aus - denn die Ufer bildeten zum Teil Anhöhen, die noch dazu bewaldet waren. Dan warf einen Blick zum Deck der ›Isabella‹ hinunter. Auch dort herrschte Ruhe. Nur auf dem Hauptdeck waren Ferris Tucker und einige Männer damit beschäftigt, eine Konstruktion
aus schweren Taljen anzubringen, mit deren Hilfe am nächsten Vormittag die ›Marygold‹ gekrängt werden sollte. Die Männer arbeiteten schweigend, nur hin und wieder gab Ferris Tucker leise seine Anweisungen. An Steuerbord und Backbord patrouillierten die Wachen. Erneut begann sich Dan zu langweilen. Wenigstens war es nicht allzu kalt, dachte er und ließ seine Blicke abermals in die Runde gehen. Plötzlich stutzte Dan. Unwillkürlich reckte er sich. Er kniff die Augen zu, wischte sich mit der Rechten über die Lider aber das Bild blieb. Mastspitzen - kein Zweifel. Und zwar welche, die sich mit hoher Fahrt dem Liegeplatz der beiden Galeonen näherten. Dan riß das Perspektiv, das ihm der Seewolf mit auf seinen Ausguckposten gegeben hatte, aus der Segeltuchjacke, und setzte es an die Augen. Es half - er sah die Mastspitzen jetzt noch wesentlich deutlicher, und er erkannte mit seinen scharfen, kundigen Augen, daß es sich von der Takelung her um eine Karavelle handeln muß te. Damit aber war absolut klar, daß sich ihnen ein feindliches Schiff näherte! Dan beugte sich vor. »Mastspitzen!« schrie er mit sich überschlagender Stimme. »Feindliche Karavelle in Sicht, hat Kurs auf uns. In knapp zehn Minuten wird sie hier sein, läuft hohe Fahrt!« Dan hätte ebensogut eine Bombe an Deck der ›Isabella‹ werfen können, die Wirkung wäre die gleiche gewesen. Ferris Tucker und seine Männer ließen ihre Werkzeuge fallen. Ferris Tucker starrte zum Großmars hoch. »He, Dan, bist du besoffen?« brüllte er mit einer Stimme, die auch die letzten Schläfer auf der ›Isabella‹ weckte und sogar den Seewolf in seiner Kammer im Achterkastell aus der Koje katapultierte. »Besoffen, ich? Wenn du rothaariger Affe mir nicht glaubst,
dann komm doch rauf und überzeuge dich! Es ist eine feindliche Karavelle, und sie segelt verdammt schnell heran. Wenn du noch lange herumbrüllst, statt die Steuerbordkanonen klarzumachen, dann werden sie uns einige Löcher in die Planken schießen!« Der Schiffszimmermann kam nicht mehr dazu, ihm zu antworten. Hasard war bereits zur Stelle. »Warnt die ›Marygold‹!« brüllte er und enterte blitzartig auf. Er brauchte nur Sekunden, um sich von der Richtigkeit der Meldung Dans zu überzeugen. »Bleib hier, Dan. Melde unverzüglich jede Bewegung der Karavelle.« Damit enterte er wieder ab. Er wußte, daß es jetzt um Minuten ging. Die beiden Galeonen befanden sich in einer lausigen Situation. Sie waren unbeweglich und vermochten den Gegner weder auszumanövrieren noch anzugreifen. Sie konnten nur die Rolle schwimmender Batterien übernehmen. Wenn der Gegner jedoch aufpaßte, dann konnte es der ›Isabella‹ und der ›Marygold‹ trotz ihrer überlegenen Feuerkraft schlecht ergehen, denn gerade die spanischen Karavellen waren wendige und gut zu manövrierende Schiffe. Männer liefen auf der ›Isabella‹ über Deck. Auf dem Hauptdeck an Steuerbord herrschte fieberhafte Tätigkeit. Hasard beglückwünschte sich, daß er Ferris Tucker den Auftrag erteilt hatte, Kartuschen aus Segeltuch vorzufertigen. Das vereinfachte und beschleunigte das Laden der Geschütze erheblich. »Bewegt euch, Männer!« feuerten Tucker und Ben Brighton die Männer an. »Bewegt euch, oder die Fische im Blackwater verspeisen euch zum Frühstück. He, du Laus, du verdammte Kakerlake, willst du wohl die Ladung anständig verdämmen? So und so und noch mal drauf - hast du das endlich kapiert, oder soll die Kugel unsere eigene Bordwand treffen?« Ferris Tucker eilte zum nächsten Geschütz und überprüfte die
Ladung. Dann flogen auch schon die Stückpforten hoch. »Die Karave lle läuft am Westufer entlang!« schrie Dan aus dem Großmars. »Wenn sie den Kurs beibehält, läuft sie uns direkt vor die Kanonen! Außerdem«, Dan riß das Perspektiv an die Augen, »liegt in ihrem Kurs eine Felsbarriere! Wenn die Dons nicht aufpassen, dann brummen sie direkt auf die Felsen auf. Ich kann ganz deutlich sehen, wie das Wasser an dieser Stelle Schaumköpfe bildet, das können nur Felsen unter der Wasseroberfläche sein!« Dan verstummte für einen Moment. Hasard stellte sich zum wiederholten Male die stumme Frage, ob man wohl von der feindlichen Karavelle aus die Mastspitzen der beiden englischen Galeonen bemerkt hatte. Wenn ja, dann würde man an Bord des Spaniers wissen, daß es in diesem Teil keine zwei spanischen Galeonen gab. Vielleicht hatte man sogar bei den Dons den Krach gehört, mit dem die spanische Kriegsgaleone in die Luft geflogen war. Auch auf der ›Marygold‹ war man mittlerweile munter geworden. Rufe flogen hin und her, dann aber donnerte Carberrys Stimme dazwischen. »Backbordkanonen klarmachen zum Feuern. Los, beeilt euch, oder ich ziehe euch die Haut von euren Affenärschen in Streifen ab!« Wieder durchschnitt Dans Stimme die Kommandos und die Rufe. »Ich sehe die Karavelle, sie segelt jetzt um die Biegung. Die Dons sind auf der Hut, die Stückpforten sind offen, hinter den Geschützen stehen die Kanoniere mit feuerbereiten Lunten.« Hasard legte die Hände an den Mund. »Was ist mit dem Kurs, was ist mit der Felsbarriere, Dan?« schrie er zum Großmars hinauf. »Kurs ist unverändert - Achtung, jetzt muß sie jeden Moment hinter der Biegung erscheinen - da, da rauscht sie heran unter vollem Zeug!« Dans Stimme überschlug sich bei den letzten
Worten. Hasard sprang ans Schanzkleid - Dan hatte recht. Da brauste sie heran. Und jetzt erblickte auch er die weißen Schaumkronen auf dem Wasser - und die Karavelle raste direkt auf sie zu! Ferris Tucker hatte ebenfalls begriffen. Fieberhaft richteten er und Ben Brighton mit Hilfe der Kanoniere die Geschütze ein, die Seesoldaten standen mit feuerbereiten Musketen am Schanzkleid, während Batuti mit affenartiger Geschwindigkeit zu Dan in den Großmars aufenterte - bei sich seinen großen Bogen und die sorgfältig präparierten Brandpfeile.
An Bord der ›Isabella‹ herrschte atemlose Stille. Die Karavelle rauschte heran - ihre Segel leuchteten im Mondlicht. Und dann wurden plötzlich laute Schreie hörbar. Hasard und seine Männer sahen, wie die Spanier aufgeregt an Deck hin und her liefen, wie ein Mann auf dem Achterkastell wild mit deh Armen zu fuchteln begann. Die Karavelle änderte den Kurs, die Spanier hatten in diesem Moment die drohende Felsbarriere entdeckt - und ebenfalls die beiden Galeonen. Mündungsfeuer blitzte auf - Geschützdonner rollte über den Blackwater, irgendwo klatschte eine Kugel ins Wasser, und dann passierte es. Die Karavelle krachte auf die Felsbarriere. Es war, als hätten Titanenfäuste das Schiff mitten in seiner Fahrt gestoppt. Hoch stieg der Bug aus dem Wasser, der Rumpf zersplitterte, Schreie gellten auf, der Fockmast brach, stürzte an Deck, Spieren vom Großmast schlugen mit laufendem und stehendem Gut
zwischen die Spanier und vergrößerten das allgemeine Chaos. »Feuer!« befahl Philip Hasard Killigrew. Brüllend spuckten die sechs Geschütze ihre todbringende Ladung aus. Die Lafetten rollten zurück, wurden aufgefangen von den dicken Brooktauen - und schon luden die Männer die Geschütze wieder. Nasse Wischer fuhren zischend in die heißen Rohre, Kartuschen wurden hineingestoßen, die Ladungen verdämmt, Stangenkugeln hineingerammt und wieder verdämmt. Hatte schon die erste Breitseite verheerende Folgen gehabt die zweite war geradezu vernichtend. Die Stangenkugeln fetzten über Deck, rissen den Rest der Takelage herunter, zerknickten den Besan und fegten ihn außenbords. Schreie hallten durch die Nacht, einige Spanier sprangen über Bord, suchten ihr Heil in wilder Flucht, wurden von den Musketen der Soldaten getroffen und versanken im Blackwater. Aus dem Großmars schoß Batuti einen Brandpfeil nach dem anderen zur spanischen Karavelle hinüber, Brände loderten auf und griffen auf die am Deck liegenden Segel über. Dann brüllten die Kanonen der ›Marygold‹ auf. Auch ihre Breitseite lag voll im Ziel, zerfetzte die Wasserlinie der Karavelle, ließ das Schanzkleid zersplittern. Die nächste Salve der ›Isabella‹ fauchte hinüber, und dann feuerten die beiden Galeonen Schuß um Schuß aus den Rohren ihrer Geschütze. Immer schneller griffen die Brände an Bord der Karavelle um sich. Schließlich - als die beiden Galeonen bereits das Feuer eingestellt hatten, war das spanische Schiff nur noch ein einziges Flammenmeer. Minuten später erreichte das Feuer die Pulverkammer der Karavelle. Ein Blitz zuckte durch die Nacht. Eine riesige Stichflamme schoß in den Himmel. Geblendet schlossen Hasard und die anderen Männer die Augen. Im Donner einer gewaltigen Explosion wurde die spanische
Karavelle zerrissen. Die Trommelfelle der Männer auf den beiden Galeonen dröhnten noch, als längst die Trümmer um sie herum in den Blackwater regneten. Dann herrschte Stille. Dort, wo eben noch die spanische Karavelle gelegen hatte, leckten lediglich noch ein paar Flammen empor, aber auch sie fielen bald wieder in sich zusammen. Hasard fuhr sich mit der Hand über die schweißnasse Stirn. Das Siegesgebrüll seiner Männer beantwortete er auf die einzig mögliche Weise. »Rum für alle, Kutscher!« rief er in das Durcheinander. »Und dann haut euch hin, Männer! Nach Sonnenaufgang wird euch noch das Wasser im Arsch kochen, verlaßt euch drauf!« Wieder antwortete ihm ein wüstes Gebrüll. Noch bevor der Seewolf zum Achterkastell hinüberging, rief er auch Dan aus dem Großmars an Deck. Es war nicht wahrscheinlich, daß bis zum Morgen noch etwas passieren würde. Trotzdem galt es, vorsichtig zu sein. Und deshalb mußte Gary Andrews die Stelle Dans übernehmen. Als der Seewolf sich endlich in seiner Koje zu einem kurzen Schlaf ausstreckte, kündeten die ersten hellen Streifen am Himmel den nahenden Morgen an.
6. Der spanische Captain zitterte in der kleinen Kammer im Achterkastell der ›Marygold‹, in die man ihn eingesperrt hatte, vor Wut und Scham. Längst hatte er die Folgen seiner krankhaften Vorstellung, irgendwann einmal gefesselt ertrinken zu müssen, abgeschüttelt. Er warf sich auf seinem Lager hin und her, sein Körper war schweißbedeckt. Er hatte Verrat begangen, er hatte sich von diesen verfluchten Engländern ins Bockshorn jagen lassen.
Aber nicht nur das. Sieben Engländer hatten ihm seine kriegsstarke Galeone weggenommen - selbst dort, an Bord seines eigenen Schiffes, war er übertölpelt worden, obwohl er diese paar Gegner leicht mit seinen Männern hätte überwältigen können. Er hatte den von den Spaniern so glühend gehaßten Freibeuter Francis Drake in seiner Gewalt gehabt - jenen Mann, den die Spanier ›El Draque‹ nannten. Und auch der war wieder befreit worden. Doch damit immer noch nicht genug. Die Engländer hatten ihn später an Land wiederum geschlagen. Und dieser verdammte Schwarze, gegen den sein Degen nichts auszurichten vermochte, obwohl er ein hervorragender Fechter war, hatte ihn schließlich gefangengenommen. Auch das wieder unter schmählichen Umständen. Er hatte versagt. Sein Leben war verwirkt - so oder so. Es gab für ihn nur noch eins. Er mußte die Engländer daran hindern, das irische Waffenversteck auszuheben oder gar zu vernichten. Der Captain sprang von seinem Lager auf. Diese Kerle mußten mit dem Teufel im Bund sein, daß es ihnen gelungen war, auch die den Blackwater hinuntersegelnde spanische Karavelle vernichtend zu schlagen, ohne selbst auch nur einen einzigen Treffer zu kassieren. Der Donner der Explosion, in dem die Karave lle vergangen war, hatte ihn fast um den Verstand gebracht. Mit glühenden Augen starrte er in die Dunkelheit. In ihm tobten der Haß und die wilde Entschlossenheit, die Schmach und Schande, die ihm zuteil geworden war, zu tilgen. Es war dunkel in der Kammer - aber der Captain kannte sich auf Schiffen aus. Er war trotz seiner krankhaften Angstvorstellungen ein guter Seemann, der schon viele Schlachten geschlagen und auch gewonnen hatte. Er hatte längst erfaßt, daß seine Kammer an der Außenwand der Galeone liegen mußte, und zwar im Achterkastell, wahrscheinlich an Steuerbord, also an der dem nahegelegenen
Ufer zugewandten Seite. Er war davon überzeugt, daß sich innerhalb der nächsten Stunden niemand um ihn kümmern würde, die Männer an Bord dieses Schiffes wurden von anderen Sorgen geplagt. Sie mußten die ›Marygold‹ von der Sandbank klarkriegen. Das aber konnte erst mit auflaufendem Wasser, also etwa gegen zehn Uhr vormittags, geschehen. Bis dahin blieb ihm Zeit, und der Captain gedachte, sie zu nutzen. Systematisch begann er, seine Kammer zu durchforschen. Man hatte ihn einfach in diesem Raum gestoßen, nachdem ihn Drake ausgefragt hatte. Also konnte diese Kammer im Achterschiff auch nicht sorgfältig für den Zweck, einen Gefangenen zu beherbergen, vorbereitet worden sein. Da Platz auf Schiffen wie der ›Marygold‹ äußerst rar war, rechnete der Captain damit, daß auch diese Kammer als Lagerraum für verschiedene Dinge Verwendung fand. Sicherlich ließ sich da etwas finden, was ihm bei seinem Plan, über den er noch ganz vage Vorstellungen hatte, von Nutzen sein konnte. Immerhin war ihm schon etwas ganz Entscheidendes gelungen: Er hatte es geschafft, sich seiner Fesseln zu entledigen. Der Captain tastete die Wände seiner Kammer ab - und schon nach kurzer Zeit fand er, wonach er suchte. Es gab eine Luke, durch die Licht und Luft in die Kammer gelangte, wenn man sie öffnete. Er tastete die Verriegelung ab, und ein böses Grinsen huschte über seine Lippen. Dieses Schiff befand sich in einem gepflegten Zustand - der Riegel, der die Luke sicherte, ließ sich leicht zurückschieben. Behutsam öffnete der Captain die Luke, eine rechteckige Öffnung im oberen Drittel des Achterkastells - zu klein, um einem Mann Durchlaß zu gewähren, groß genug jedoch, um sich einen Überblick zu verschaffen. Außerdem brauchte er nicht mehr im Dunkeln herumzutasten, seine Suche würde jetzt schneller gehen.
Vorsichtig schob er den Kopf aus der Öffnung - es war, wie er gedacht hatte, seine Kammer befand sich an Steuerbord. Er konnte zwar das nahegelegene Ufer sehen, nicht aber die ›Isabella‹, die an Backbord voraus der ›Marygold‹ ankerte. Er zog die Luke wieder so weit zu, daß er gerade noch genug Licht behielt, um in der Kammer etwas sehen zu können. Sofort ging er daran, die Kammer zu durchsuchen - und dann stutzte er. In einer Seemannskiste lag ein scharfgeschliffenes, mit Blutflecken übersätes Entermesser. Daneben aber, und der Captain konnte seinen Augen kaum glauben, Zunder, eine ganze Menge Werg zum Abdichten kleinerer Lecks, ein Feuerzeug und ein Behälter mit Öl für die Schiffslaternen. Einen Moment stand er wie erstarrt, aber dann kam Leben in ihn. Sein Atem ging keuchend, seine Hände zitterten vor Erregung, als er an die Arbeit ging. Das Entermesser legte er neben sich, während er das Werg mit Öl tränk te und so verteilte, daß es, einmal in Brand gesetzt, sofort die Kammer in eine Flammenhölle verwandeln mußte. Der Captain arbeitete mit fliegender Hast. Die verfluchten Engländer sollten sich wundern. Niemand wußte besser als er, wie gefährlich solche Brände für Schiffe wie die ›Marygold‹ werden konnten. Aber außerdem faßte er noch einen anderen Plan - und der war in der Tat für die beiden Galeonen und ihre Besatzungen gefährlicher als das Feuer. Erst als er alle Vorbereitungen abgeschlossen hatte, befaßte er sich damit, die Verriegelung seiner Kammer zu prüfen. Aber die Bohlentür war fest - sie trotzte zunächst allen seinen Versuchen. * Als die Sonne über dem Blackwater aufging, begann für die Männer der ›Isabella‹ und der ›Marygold‹ die Plackerei aufs
neue. Carberry und seiner Gruppe war es gelungen, eine schwere Trosse zum Topp des Großmastes zu verbringen und dort zu belegen. Ein paar andere hatten das andere Ende der Trosse mit einem Boot zur ›Isabella‹ gepullt - eine Belastung, der das Beiboot kaum standgehalten hatte. Die Trosse hatte das Heck tief ins Wasser gedrückt. Der Ebbstrom, der das Boot immer wieder machtvoll stromab drückte, hatte ein übriges getan. Als die Männer die ›Isabella‹ endlich erreichten, waren sie total ausgepumpt. Dennoch konnten sie sich nicht ausruhen, denn jetzt galt es, die Trosse in jene flaschenzugähnliche Vorrichtung, die aus mehreren untereinander angeordneten Taljen bestand und in einem Bohlengestell auf dem Hauptdeck hing, einzuziehen. Ferris Tucker packte mit zu. »Hooo-ruck!« dröhnte seine Stimme über die ›Isabella‹, und die Männer begannen, die Trosse mittels einer an der Großrah befestigten Talje an Deck zu hieven. Ferris Tucker stemmte sich gegen die Bohlenkonstruktion und führte die Trosse mit geradezu unmenschlicher Kraft in die erste Talje. Andere packten zu, unter ihnen Hasard, der die Arbeit von Ferris Tucker und den anderen vom Achterkastell aus eine Weile beobachtet hatte. Er hatte vor den technischen Fähigkeiten des rothaarigen Hünen einen Heidenrespekt. Er wußte auch genau, was Ferris Tucker mit dieser zusätzlichen Trosse bezweckte. Sobald der Blackwater auflaufendes Wasser hatte und die ›Marygold‹ sich auf der Sandbank wieder hob, würden zwei Dinge zugleich geschehen. Die Mannschaft am Bratspill auf der Back würde sich in die Spaken stemmen - an ihnen standen die stärksten Männer der ›Isabella‹, je drei an einer Spake. Sie würden versuchen, die ›Marygold‹ über den Bug von der Sandbank zu ziehen. Gleichzeitig würde Ferris Tucker mit seiner Spezialtalje auf dem Hauptdeck die ›Marygold‹ stark nach Backbord krängen, wobei der Großmast der ›Marygold‹, an dessen Topp die Trosse belegt war, als
Hebel diente. Durch das starke Überholen nach Backbord mußte die ›Marygold‹ von der Sandbank freikommen, weil er den Tiefgang der Galeone stark verringerte. Den Männern und Hasard lief der Schweiß in Strömen über die nackten Oberkörper. Keiner sprach mehr ein überflüssiges Wort, dazu fehlte ihnen einfach die Kraft und die Luft. Endlich brach die durchhängende Trosse aus dem Wasser und straffte sich. Hasard warf einen Blick zur ›Marygold‹ hinüber - allein unter dem Gewicht der Trosse, die jetzt den Großmast belastete und bereits etwas Zug ausübte, legte sich das Schiff leicht nach Backbord über. »Stopp, Männer!« befahl der Schiffszimmermann und wischte sich den Schweiß von der Stirn. »Es ist noch zu früh, wenn wir jetzt schon anfangen, dann wühlt sich die ›Marygold‹ im Sand nur fest. Aber Vorsicht nachher - die ›Marygold‹ wäre nicht das erste Schiff, das bei derartigen Versuchen kentert!« Abermals fuhr er sich mit dem Handrücken über die Stirn. Sie hinterließ eine blutige Spur, die harte Arbeit an der Trosse hatte die Haut seiner Hände an mehreren Stellen abgeschürft. Ferris Tucker stieß eine Verwünschung aus, als er es bemerkte. »Kutscher!« brüllte er zur Kombüse hinüber. »Bring eine Pütz Salzwasser, aber mische es stark genug an, kapiert?« »Sofort, Ferris!« tönte es zurück. Der Kutscher wußte genausogut wie Tucker, daß Salzwasser eine desinfizierende Wirkung hatte. Auf der offenen See kein Problem - auf einem Fluß wie dem Blackwater mußte man es aber erst anmischen. Minuten später war der Kutscher zur Stelle. Ferris Tucker hockte sich vor die Pütz und tauchte seine beiden Hände ein. »Noch jemand?« fragte er und sah die Männer an. Schweigend hockten sich noch zwei vor die Pütz. Einer von ihnen verzog schmerzlich das Gesicht, riß blitzschnell die Arme aus dem Wasser und bedachte den Kutscher mit einem
gezielten Guß aus den hohlen Händen. Der Kutscher brüllte vor Schreck und Überraschung auf und fuhr sich mit den Händen an die Augen. »Salzwasser solltest du anrühren, du verdammte Ratte. Niemand hat was davon gesagt, daß du unsere Hände einpökeln sollst!« Der Kutscher zog sich blitzartig in Richtung Kombüse zurück. »Warte nur, bis ich dich mal verarzten muß, dann sollst du deine helle Freude an mir haben!« Die drei Männer an der Pütz lachten dröhnend. »Hasard - am besten ist, die Leute ruhen sich jetzt noch aus, bis die Flut einsetzt. Es ist alles fertig. Ich denke, wir werden unsere Kräfte nachher noch brauchen.« Hasard nickte. Der Schiffszimmermann hatte recht. In ein paar Stunden war es soweit - und dann gab es kein Pardon. Die ›Marygold‹ mußte von der Sandbank herunter. Er ging zum Achterkastell hinüber. Sein Blick fiel auf Batuti, der sich neben dem Bratspill auf der Back ausgestreckt hatte. Flüchtig dachte er an den Captain und daran, daß sie jetzt die Lage des geheimen Waffenverstecks kannten. Der Captain mußte sich in einer schlimmen Verfassung befinden, denn er hatte seine eigenen Le ute, die eigene Sache verraten. Hasard verhielt den Schritt. Nachdenklich blickte er zur ›Marygold‹ hinüber. Flüchtig huschten die Szenen in seiner Erinnerung vorbei, die sich an Bord der spanischen Kriegsgaleone und dann später auf der Landzunge abgespielt hatten. Nein, dieser Spanier war alles andere als ein Feigling. Einen Moment erwog er, Drake vor dem Mann zu warnen, aber dann verwarf er diesen Gedanken. Captain Norris und seine Soldaten würden ein wachsames Auge auf diesen Gefangenen haben, da hatte er keinen Zweifel. Hasard ging weiter. Es konnte nicht schaden, wenn er sich auch noch ein wenig aufs Ohr legte. Nach einem letzten Blick
zum Großmars hoch, mit dem er sich davon überzeugte, daß der Ausguck nicht schlief, verschwand er im Achterkastell. Drake hatte sich auf der ›Marygold‹ ebenfalls hingelegt. Seine Kopfverletzung schmerzte, außerdem war er ebenso ausgepumpt wie jeder andere Mann an Bord. Hinzu kam noch die Sorge um sein Schiff, denn die ›Marygold‹ saß gründlich fest. Aber Drake fand keine n Schlaf. Die Blamage, trotz der Warnung des Seewolfs in diese Lage geraten zu sein, ließ ihm keine Ruhe. Es war ihm jetzt, nachdem das Unheil einmal passiert war, unerklärlich, wo er seinen sonst so wachen Verstand gelassen hatte. Und dann noch die Schlappe mit diesem Batuti - auch hier hatte dieser verflixte Killigrew recht behalten! Nicht nur das dieser Schwarze war schlauer und umsichtiger gewesen als sie alle zusammen. Auch Drake dachte an diesem Punkt seiner Überlegungen an den Spanier. Norris selbst hatte ihn nach dem Verhör auf Nummer Sicher gebracht. Trotzdem nahm auch Drake sich vor, später nach dem Gefangenen zu sehen. Als er sich herumwälzte, vernahm er die laute Stimme Carberrys, der immer noch eine Gruppe von Männern antrieb, die letzten Vorbereitungen für den entscheidenden Augenblick zu treffen. Ein unermüdlicher, zuverlässiger Mann, dieser Profos, dachte Drake und duselte ein. Ganz in seiner Nähe, nur knapp zehn Yards von ihm entfernt, lauschte ein Mann hellwach und voll fieberhafter Spannung auf alles, was an Bord der Galeone geschah. Es geschah eine ganze Menge, und zwar haargenau im richtigen Moment. * Zehn Uhr. Der Seewolf, Ben Brighton und Ferris Tucker standen am
Schanzkleid der ›Isabella‹ und starrten in den Strom. »Auflaufendes Wasser, es ist soweit!« Hasard trat einen Schritt zurück. Dann legte er die Hände an den Mund und formte sie zu einem Trichter. »›Marygold‹!« rief er hinüber. »Es geht los, paßt auf euren Kahn auf, daß er nicht kentert, stellt zwei Mann mit Enterbeilen an die Trosse. Los, Bewegung - oder wollt ihr die ›Marygold‹ hier verrotten lassen?« Der Seewolf sprang an die Trosse. Ferris Tucker stieg auf die Back und stellte sich mit an eine der Spillspaken. »Hooo-ruck -zugleich!« kommandierte er, und die Männer stemmten sich in die Spaken. Die Spaken knarrten in den Spakenlöchern, der Spillstamm begann sich quietschend zu drehen. Die Trosse kam steif, und die Männer spürten, wie der Bug der ›Isabella‹ unter dem Zug tiefer eintauchte. Gleichzeitig hatten Hasard und jeder verfügbare andere Mann die Krängungstrosse auf dem Hauptdeck gepackt. Unter den lauten Kommandos des Seewolfs zogen die Männer, ihre nackten Füße rutschten auf dem glatten Deck immer wieder aus. Die Blöcke, aus denen Tucker die Talje zusammengebaut hatte, knirschten. Aber dann kam Zug auf die Trosse, und die ›Marygold‹ begann sich nach Backbord zu neigen. Langsam, widerwillig fast, legte sich die Galeone auf die Seite. Hasard registrierte, wie Drake auf dem Schiff Carberry zu sich heranwinkte, ihm irgendeinen Befehl erteilte, aber der Seewolf und seine Männer legten sich unbeirrt weiter ins Zeug. Denn sie konnten nur Erfolg haben, wenn sie mit den Männern am Bratspill gleichzeitig an der ›Marygold‹ zogen. Hasard hatte leider keine Ahnung, welchen verhängnisvollen Befehl Drake Carberry soeben erteilt hatte - die Folgen sollten sich aber schon wenige Minuten später zeigen. »Lassen Sie den Captain aus der Kammer holen, Carberry,
ich will nicht, daß er dort gefesselt ersäuft wie eine Ratte, falls mit der ›Marygold‹ etwas schief laufen sollte!« Carberry hatte nur genickt. Dann war er den Niedergang vom Achterkastell hinabgestiegen, während die Krängung der ›Marygold‹ bereits spürbar zunahm. Ihm war klar, daß er den Captain von einem Mann sorgfältig bewachen lassen mußte, denn an Bord ihres Schiffes würde für die nächste Zeit kein Mensch einen Gedanken an den gefangenen Spanier verschwenden. Er sah den Türken, der am Großmast stand und zur Trosse hochschaute, während einige Leute bereits auf den Rahnocken an Backbord saßen oder auch hingen, um dem Seewolf und seinen Männern ihre Arbeit zu erleichtern. Carberry mochte den Türken nicht sonderlich, aber er respektierte den Kämpfer. »He, Türke!« brüllte er, daß automatisch die Köpfe der anderen Männer zu ihm herumflogen. Der Türke drehte sich lässig um und blickte ihn fragend aus seinem einen Auge an. »Hol den Captain aus der Kammer. Aber paß auf den Kerl auf, du bist mir für ihn verantwortlich, verstanden? Wenn er entwischt, dann ...« Carberry sprach seine Drohung nicht aus, aber der Türke wußte auch so, was er meinte. »In Ordnung - aber warum lassen wir den Don nicht in der Kammer? Der Mann ist gefesselt und kann nicht raus. Den möchte ich sehen, der mit dieser Bohlentür fertig wird.« Er grinste Carberry an, während er sich vom Großmast abstieß und über das nach Backbord geneigte Deck balancierte. »Tu, Was ich dir sage!« fauchte ihn Carberry an. »Der Mann ist wichtig für uns, wir brauchen ihn noch.« Carberry drehte sich um und stieg wieder die paar Stufen zum Achterkastell hoch. Der Türke schüttelte den Kopf, aber er verschwand gleich
darauf im Innern des Achterschiffs. Sorglos ging er den Gang entlang, der zu der Bohlentür führte. Und ebenso sorglos zog er den schweren Riegel zurück. Der Captain hatte ihn gehört. Als erfahrener Seemann hatte er an der stetig zunehmenden Krängung des Schiffes längst bemerkt, was Drake und seine Männer vorhatten. Er wußte auch, der derartige Versuche bei einem kriegsmäßig ausgerüsteten Schiff keineswegs ungefährlich waren. Da war die Last der schweren Kanonen auf dem Hauptdeck, da war die tückische, unberechenbare Sandbank, da war der andere Zug, der vom Spill her auf die Galeone ausgeübt wurde. Der Captain hörte, wie der Riegel zurückgeschoben wurde. Mit glühenden Augen stand er an der Wand, an der der eintretende Mann vorbei mußte, sobald die Tür aufschwang. Der Captain hielt das Entermesser mit beiden Händen. Zum Zuschlagen war die Kammer zu eng. Die Tür schwang auf. Der Türke trat ein. Er roch das Öl und registrierte, daß das Lager des Gefangenen leer und die Luke an,der Steuerbordseite geöffnet worden war. Das alles registrierte er mit einem Blick, und dann ließ er sich auch schon fallen, um dem tödlichen Stich auszuweichen. Seine Rechte fuhr zum Dolch. Zu spät. Um den Bruchteil einer Sekunde zu spät. Das Entermesser des Spaniers drang ihm in die Seite und durchbohrte seinen Körper. Der Türke war bereits tot, als der Captain das Entermesser mit einem wilden Ruck aus seinem Körper riß. Seine Glieder zuckten noch ein paarmal, dann lag er still, und eine Blutlache breitete sich unter ihm aus. Der Captain verlor keine Zeit. Er ließ das Entermesser fallen, streifte dem Toten die Kleider ab und zog sie über seine zerfetzte Uniform. Auch die Augenklappe vergaß er nicht. Dann - nachdem er in den Gang hinausgehorcht hatte - griff er zum Stahl, schlug Funken und setzte den Zunder in Brand.
Mit wildem Triumph sah er, wie die Flammen hochzüngelten, auf das Werg übergriffen und sich rasch weiterzufressen begannen. Mit einer wilden Bewegung griff er nach dem Behälter mit dem Öl und verspritzte es in der ganzen Kammer. Dann schleuderte er das Gefäß auf den Boden. Er stieß die Luke auf, damit das Feuer Luft erhielt. Er trat hinaus auf den Gang, schloß die Bohlentür und verriegelte sie. Hastig lief er auf die Tür zu, die zum Hauptdeck führte. Er spähte hinaus - und hatte Glück: Die Tür befand sich an Steuerbord, fast alle Männer hingegen an Backbord. Keiner dachte daran, sich umzusehen. Alle, die nicht in der Takelage waren, starrten zur ›Isabella‹ hinüber oder ho rchten angespannt, ob nicht endlich das ersehnte Knirschen unter dem Kiel zu hören war, ob die Galeone sich nicht endlich von der Sandbank lösen wollte. Der Captain überlegte nicht lange. Blitzschnell griff er nach einem aufgeschlossenen Tau, belegte es auf der Nagelbank und ließ sich über Bord gleiten. Die ›Marygold‹ wies bereits eine beträchtliche Krängung auf, der Captain rutschte auf dem bauchigen Rumpf entlang und tauchte ins Wasser. Er konnte schwimmen, er hatte - sein Traum ausgenommen vor Wasser keine Angst. Vorsichtig, jedes überflüssige Geräusch vermeidend, stieß er sich ab. Dann schwamm er auf das nahegelegene Ufer zu. Er überwand die fünfzig Yards in wenigen Minuten. Als er an Land stieg, sich die Kleider des Türken hinter einem Busch vom Leib riß und die Augenklappe mit höhnisch verzerrtem Gesicht ins Wasser schleuderte, da drang der erste schwarze Qualm aus der an Steuerbord gelegenen Luke im Achterkastell. Der Captain ging kein Risiko ein. So gern er auch beobachtet hätte, was weiterhin gescha h - er wußte nur zu gut, daß eine Musketenkugel ihn ohne weiteres zu erreichen vermochte oder
die verfluchten Engländer ihn wieder einfangen konnten, wenn sie seine Flucht zu früh bemerkten. Viele Hunde waren des Hasen Tod. Er ballte in wildem Zorn die Hände. Durch diesen Drake war er zum Verräter geworden - sie sollten sterben, alle. Er würde ihnen eine Falle stellen, aus der es kein Entrinnen mehr gab. Der Captain lief los. Er mußte sich ein Pferd besorgen und so schnell wie möglich nach Youghal! Er war die Uferböschung noch nicht ganz herauf, da hörte er die ersten Schreie auf der ›Marygold‹. »Feuer - Feuer im Schiff!« gellte es hinter ihm her. Wüste Flüche wurden laut, Rufe von der ›Isabella‹, dann verschwand der Captain zwischen den Büschen der Landzunge. * Der Seewolf kniff die Augen zusammen, als er den schwarzen Qualm aus dem Achterkastell der ›Marygold‹ aufsteigen sah. Dann hörte er die wilden Schreie und Flüche der Männer und beobachtete, wie Carberry den Niedergang vom Achterkastell hinunterraste. Ferris Tucker und seine Männer hielten in ihrer Arbeit inne. Auch Ben Brighton und Pete Ballie und neben ihm Matt Davies, der seinen eisernen Haken in die Trosse geschlagen hatte, starrte mit offenem Mund zur ›Marygold‹ hinüber. Feuer! Jeder der Männer auf der ›Isabella‹ kannte die Bedeutung dieses Rufes nur zu gut. Die Galeonen waren Holzschiffe, jedes Feuer fand sofort reichliche Nahrung. Feuer im Schiff! Das war so ziemlich das Schlimmste, was Seeleuten überhaupt passieren konnte. Entsprechend verhielten sich die Männer der ›Marygold‹. Wie die Affen sausten diejenigen, die eben auf den Rahnocken gesessen hatten, an Deck. Von der Back stürmten Männer mit
Segeltucheimern heran. Carberrys Stimme dröhnte selbst aus dem Innern des Achterkastells bis an ihre Ohren. Durch das Gerenne an Deck geriet die ›Marygold‹ in Bewegung. Und Ferris Tucker, der die plötzliche Chance begriff, stemmte sich wie ein Wilder in die Spaken der Spills. »Los, ihr verdammten Hurensöhne, los, ihr Kakerlaken, ich sage, lüftet eure Hintern an, oder der Teufel soll euch lotweise holen!« brüllte er mit Donnerstimme, die fast die von Carberry in diesem Moment noch übertraf. Der Spillstamm ächzte, die Spaken knirschten unter dem Druck, der von den Männern auf sie ausgeübt wurde. »Zieht, Jungs, zieht - hoo-ruck!« Auch Hasard hatte die Chance begriffen. Die ›Marygold‹ legte sich noch weiter über, fast tauchte das Schanzkleid schon ein, ein paar Männer verloren die Balance und rutschten fluchend mitsamt ihren Eimern über Deck. Aber dann plötzlich ging ein Ruck durch die ›Marygold‹, der Bug der ›Isabella‹ hob sich aus dem Wasser, die ›Marygold‹ kam von der Sandbank frei. Sie schoß auf die ›Isabella‹ zu - und je mehr sie sich näherte, desto schneller richtete sie sich aus ihrer Schräglage wieder auf. »Die Trosse los, schnell!« schrie Hasard, weil er die Gefahr erkannt hatte. »Alle Mann nach Backbord, klar bei Enterhaken!« Mit den Enterhaken milderten sie den Aufprall der ›Marygold‹ ab. Ben Brighton sorgte dafür, daß die ›Marygold‹ an der ›Isabella‹ vertäut wurde. Gleich darauf stürmte der Kutscher mit einer Eimerkolonne heran. Ohne ein überflüssiges Wort reihte sich jeder entbehrliche Mann der ›Isabella‹ in die Löschmannschaft ein. Ferris Tucker drang sogar bis zu Carberry in die Kammer vor. Gemeinsam kämpften die beiden in glühender Hitze gegen das Feuer.
Nach einer halben Stunde taumelten sie aus dem Achterkastell an Deck. Ihre rußgeschwärzten Gesichter zuckten vor Erschöpfung. Drake stand bleich neben dem Seewolf auf dem Hauptdeck. »Leute, das war knapp«, sagte Carberry heiser und hustete sich zusammen mit Ferris Tucker fast die Lunge aus dem Hals. Wortlos reichte Drake den beiden eine Flasche Scotch. Dann brachten ein paar Männer die total verkohlte Leiche des Türken an Deck. Drake sah den Toten eine Weile an. »Kommen Sie bitte zusammen mit Captain Norris zu einer Besprechung in meine Kammer ...« Hasard unterbrach ihn. »Ich schlage vor, wir halten die Besprechung auf der ›Isabella‹ ab, Sir. Es wird eine Weile dauern, bis der Rauch und der Gestank wieder aus dem Schiff heraus sind. Der Captain ist weg - das wirft Probleme auf, fürchte ich.« Drake nickte, und wie zufällig blieb sein Blick auf Batuti haften, der zwischen den anderen vor dem Toten stand. Es war ein schwarzer Tag für Drake gewesen. Noch nie zuvor in seinem Leben waren ihm so schwere Fehler hintereinander unterlaufen. Zorn stieg in ihm auf. Er ballte die Hände, ohne daß er es merkte. Nein, jetzt würde er erst recht nicht aufgeben. Die größte Gefahr war gebannt, es galt jetzt, rasch zu handeln. »Carberry«, sagte er, und seine Stimme hatte einen eigenartig metallischen Klang, »lassen Sie sofort Segel setzen. Wir gehen flußaufwärts nach Clashmore. Im Achterkastell wird eine ständige Feuerwache eingerichtet, achten Sie auf Schwelbrände. Ich lasse mich später von der ›Isabella‹ wieder zurückrudern, halten Sie sich also achteraus von der ›Isabella‹.« Er nickte Carberry zu und stieg auf die ›Isabella‹ über.
7.
Die beiden Galeonen segelten bei raumem Wind den Blackwater hoch. Die Segel leuchteten hell in der Vormittagssonne. Ein friedliches Bild - und doch waren die beiden Schiffe Boten des Todes, der Vernichtung. Drake beugte sich über die ausgebreitete Seekarte. »Hier werden wir ankern, Mister Killigrew«, sagte er und tippte mit dem Finger auf einen Punkt querab von Clashmore. »Von dort gehen Norris und ich mit einem Kommando von Soldaten an Land. Wir verstärken Norris Truppe durch Männer der ›Marygold‹, Carberry übernimmt für die Zeit meiner Abwesenheit das Kommando über die ›Marygold‹. Sie, Mister Killigrew, sind mir für den Verband verantwortlich.« Er zog den Finger wieder zurück und sah Hasard und den schwarzhaarigen Captain an. »Wir werden durch die Drum Hills marschieren. Aber die ganze Aktion muß rasch durchgeführt werden, uns bleibt nicht viel Zeit. Mit ablaufendem Wasser segeln wir nach Youghal zurück und gehen von dort sofort wieder aufs offene Meer hinaus.« Er wandte sich an Captain Norris. »Bereiten Sie das Kommando unverzüglich vor. Ich erwarte von Ihnen, daß Sie sich um die Ausrüstung Ihrer Männer persönlich kümmern. Es darf keine Pannen geben. Noch Fragen?« Er blickte den Seewolf stirnrunzelnd an. Aber Hasard schwieg beharrlich. Drake trat einen Schritt auf ihn zu. »Mister Killigrew, ich sehe Ihnen doch an, daß Sie etwas zu sagen haben! Heraus mit der Sprache, nur keine Hemmungen!« Hasard schüttelte den Kopf. »Von Hemmungen kann keine Rede sein, Sir. Aber wenn Sie mich fragen, dann halte ich die von Ihnen geplante Aktion für zu riskant, wenn nicht für undurchführbar.«
Drakes Augen verengten sich unwillkürlich, Ärger huschte über seine Züge, aber er beherrschte sich. »Weiter, Mister Killigrew, warum halten Sie diese Aktion für zu riskant?« Hasard sah Drake voll an, und in seinem Gesicht stand neben echter Sorge auch Trotz. »Aus mehreren Gründen, Sir. Einmal halte ich es nicht für gut, daß Sie sich selbst in diesem Maße der Gefahr aussetzen. Ihre Aufgaben liegen woanders. Diese Aktion könnten auch Captain Norris und ich durchführen. Zum anderen sollten wir nicht vergessen, daß der spanische Captain entwischt ist. Was glauben Sie, was er versuchen wird? Er hat seine eigene Sache - wenn auch wider Willen - verraten. Er wird alles daran setzen, dieses Versagen wieder gutzumachen. Er wird die Iren mobilisieren - hier!« Hasards Rechte schnellte vor, und sein Zeigefinger legte sich auf Clashmore. »Unsere Schiffe werden deutlich zu sehen sein, wenn wir an der von Ihnen bestimmten Stelle ankern. Es wird irische Truppen in Clashmore geben, die er mobilisieren kann.« Er schwieg einen Moment, dann blickte er Captain Norris an. »Ich habe eben mal schnell überschlagen, Captain. Zusammen mit Ihren vierundzwanzig Soldaten, über die Sie noch verfügen, können Sie höchstens insgesamt vierzig Mann mobilisieren. Nehmen Sie mehr Männer von der Besatzung der ›Marygold‹ weg, dann wird das Schiff bewegungsunfähig, an eventuelles Schlechtwetter gar nicht zu denken. Sie müssen mit Ihren Leuten durch die Drum Hills marschieren, und auch hier ist der Feind wieder erheblich im Vorteil, denn er kennt jeden Hügel, jede Schlucht. Die Iren wissen, wo sie uns am besten überfallen können.« Wieder machte er eine Pause, während Norris Züge sich mehr und mehr verfinsterten. Auch Drake sah den Seewolf mit einem undefinierbaren Blick an, in dem sowohl Achtung als auch Unmut lag. Aber Hasard war noch nicht fertig.
»Der Captain hat uns eine kleine Kostprobe seines persönlichen Mutes gegeben. Ich sage Ihnen, dieser Mann wird Himmel und Hölle mobilisieren. Und weiß der Teufel, ihm dürften sich eine Menge von Möglichkeiten bieten, uns irgendwo eine Falle zu bauen. Ich warne Sie, diesen Mann zu unterschätzen. Bisher hatten wir einige Erfolge, ich bezweifle aber sehr, daß unser Kriegsglück unter diesen Umständen andauern wird.« Drake war bei den letzten Worten des Seewolfs nachdenklich geworden. Er fuhr sich mit der Rechten über die Stirn. »Mister Killigrew, ich kenne Sie gar nicht wieder. Wenn ich nicht wüßte, was für ein Draufgänger und mutiger Mann Sie sind, würde ich vielleicht an Ihnen zweifeln. Aber das ist nach allem, was Sie mir bisher an Erfolgen und Initiative bewiesen haben, seit ich Sie zum Kapitän ernannt habe, unmöglich. Trotzdem, Mister Killigrew. Es bleibt bei meiner Entscheidung. Norris und ich heben mit unserer Truppe das Waffenversteck aus. Außerdem haben Sie in Ihren Überlegungen etwas nicht berücksichtigt. Auch der spanische Captain braucht eine Weile, bis es ihm gelingen wird, die Iren oder vielleicht auch eigene Leute zu sammeln. Vergessen Sie nicht, daß wir einen Vorsprung haben, den der Captain nicht mehr aufholen kann. Unsere Chance, die irischen Wachen bei dem Versteck zu überraschen und alles in einem Handstreich auszuheben, ist mehr als gut.« Er drehte sich zu Norris herum. »Ihre Meinung, Captain?« »Ich bin Soldat, Sir. Ich diskutiere Befehle nicht, sondern führe sie aus. Aber wenn Sie mich schon fragen - ich bin völlig Ihrer Ansicht. Wir sollten keine Zeit mehr mit überflüssigen Debatten verlieren, sondern zuschlagen. Ich bitte, jetzt an Bord der ›Marygold‹ zurückkehren zu dürfen, um meine Vorbereitungen treffen zu können.« Drake nickte.
»Wir setzen zusammen über, Captain.« Und zu Hasard gewandt: »Ich weiß es zu schätzen, wenn meine Kapitäne nicht nur Mut, sondern auch Besorgtheit zeigen. Ich weise Ihre Bedenken nicht völlig zurück, aber ich habe den Auftrag, diesen Aufstand im Keim zu ersticken, und genau das werde ich tun. Gleich, wie stark der Gegner ist.« Er versetzte dem Seewolf einen leichten Schlag auf die Schulter, dann verließ er zusammen mit Norris die Kammer. Minuten später legte das Boot der ›Isabella‹, das Ben Brighton längst hatte abfieren lassen, von der Galeone ab, und die Männer pullten der achtern hinten segelnden ›Marygold‹ entgegen. Hasard blickte ihnen nach. Obwohl er sich den Argumenten Drakes nicht verschließen konnte, wurde er das ungute Gefühl, das er bei dieser Sache hatte, nicht los. Er kannte Männer wie den spanischen Captain. Er wußte, daß der Spanier so wenig aufgeben würde, wie Drake es tat. »Ben«, sagte er zu seinem Bootsmann, »laß die Geschütze, auch die Drehbassen vorn und achtern, laden. Erhöhte Alarmbereitschaft für alle. Dan und Gary in den Ausguck. Jeder Mann erhält zusätzlich eine geladene Muskete. Batuti, Smoky, Ferris, Stenmark und Matt Davies an die Geschütze, sobald wir geankert haben.« Ben Brighton blickte den Seewolf fragend an. »Du meinst, die Iren könnten uns vor Clashmore ...« »Ich meine gar nichts. Aber wenn die Dons oder die Iren es noch mal mit uns versuchen sollten, dann soll sie auf der Stelle der Teufel holen. Das ist alles.« Ben Brighton runzelte die Stirn. Er kannte den Seewolf besser als jeder andere Mann der Besatzung. Irgend etwas stimmte nicht. Hasard rechnete mit einer ganz bestimmten Aktion des Feindes - aber mit welcher? Ben fragte jedoch nicht. Wenn Hasard von selber nichts sagte, dann war es besser, seine Befehle ohne überflüssige Fragen auszuführen. Und deshalb
beeilte er sich, den Männern der ›Isabella‹ Feuer unter den Hintern anzuheizen. Dan warf ihm einen giftigen Blick zu und wollte murren, weil er schon wieder in den Ausguck sollte. Aber Ben Brighton ließ sich auf gar nichts ein. Statt dessen zog er ein grimmiges Gesicht und hatte im Nu einen dicken Tampen in der Hand. »Wenn du nicht wie der Blitz verschwindest, dann ziehe ich dir ein paar mit dem Tauende über. Fällig wäre das schon längst. Wenn der Seewolf einen Befehl gibt, dann wird der ohne Fragen und ohne Murren ausgeführt, verstanden?« Ben Brighton schwang den Tampen bedrohlich, und Dan blitzte ihn wütend an. »He, du bemooster Affe, du spinnst wohl!« zischte er, brachte sich aber wohlweislich aus der Reichweite des Bootsmanns. »Paß nur auf, Onkel, daß du dein eigenes Tauende nicht um die Ohren kriegst. Ein bißchen Krieg, ein bißchen Kanonendonner - und schon spielen alle verrückt auf diesem Kahn!« Ben Brighton holte aus, aber Dan sauste bereits über das Hauptdeck auf die Wanten zu und enterte auf. Grinsend sah der Bootsmann ihm nach. Gleich darauf dröhnten seine Kommandos über Deck. Mit Feuereifer gingen die Männer daran, die ›Isabella‹ den Wünschen Hasards entsprechend vorzubereiten. Auch sie spürten, daß etwas in der Luft lag. * Hasard hatte den spanischen Captain richtig eingeschätzt. Der Captain hatte sich keine Verschnaufpause gegönnt, sondern war, so schnell er konnte, über die Landzunge gelaufen. Vorbei an den Toten, die dort immer noch lagen. Nach einer halben Stunde hatte er ein Dorf erreicht, und dort war es ihm gelungen, von den Iren ein Pferd zu erhalten. Er hatte den Dorfältesten rasch über die Vorfälle und auch über die Absichten Drakes informiert.
»Reitet nach Clashmore, legt ihnen einen Hinterhalt, bringt sie alle um, diese Teufel!« hatte er in seinem holprigen Englisch gebrüllt, und sein Gesicht hatte dabei gezuckt, seine dunklen Augen wie Kohlen geglüht, so daß die Iren unwillkürlich vor ihm zurückgewichen waren. Aber sie hatten in Windeseile ein Kommando zusammengestellt und waren ebenfalls losgeritten, während sich der Captain mit dem Pferd übersetzen ließ und nach Youghal ritt. Er holte aus dem Pferd das Letzte heraus. Als er schließlich Youghal erreichte, zitterte das Tier am ganzen Körper, und vor dem Maul hing weißer Schaum in dicken Flocken. Der Captain schwang sich aus dem Sattel und übergab das Tier dem erstbesten Burschen, der sich ihm näherte. Dann lief er los und verschwand gleich darauf in einem der Häuser. Und damit begann für die beide Galeonen, die um diese Zeit die seeartige Erweiterung des Blackwater erreichten, eine verhängnisvolle Entwicklung. Denn das Städtchen Youghal erwachte plötzlich zum Leben. Kommandos irischer Soldaten durchkämmten die Häuser und schleppten jeden verfügbaren Mann auf den kleinen Marktplatz. Ein irischer Offizier übernahm zusammen mit dem Captain den Oberbefehl über die Versammelten. Unterführer teilten die Männer und zum Teil sogar die Frauen, die sich freiwillig zur Verfügung gestellt hatten, in Gruppen ein. Nur wenig später verließ der lange Zug von Menschen die Stadt. Vor ihnen her peitschten Meldereiter zum Blackwater hinunter. In den schwarzen Augen des Captain brannte ein wilder Triumph. »Ihr werdet sterben, alle«, murmelte er. »Keiner von euc h soll meiner Rache entkommen, ›El Draque‹, dieses Mal wird es niemanden geben, der dir hilft!« Die Hände des Captain ballten sich. Er riß sein breites, blutbeflecktes Entermesser aus dem Gürtel und schwang es wild über seinem Kopf.
»Vorwärts!« brüllte er. »Vorwärts, die Stunde der Vergeltung naht! Vorwärts - wir werden sie alle töten!« Hinter dem Captain, der sich wie ein Wahnwitziger gebährdete, bekreuzigten sich ein paar Iren. * Auf der Höhe, wo Clashmore liegt, verbreitert sich der Blackwater seeartig. Der Strom wird zum Waschbecken, das von waldbedeckten und hügeligen Ufern umgeben ist. östlich des Blackwater erstrecken sich die Drum Hills etwa zehn Meilen ins Land. Vor einem schmalen Küstenstreifen, deren südlichster Punkt die Youghal Bay ist, enden sie. Hasard stand auf dem Achterkastell des Galeone und beobachtete argwöhnisch das vor ihnen liegende Ufer. Fischerhütten säumten die Bucht, hinter der Clashmore in den Drum Hills lag. Er registrierte Anlegestege, Boote, die dort vertäut waren - aber sonst zeigte sich keine Menschenseele. Es war, als hätten alle Einwohner ihre Hütten verlassen - und gerade das weckte Hasards Mißtrauen. »Verdammt, Ben, irgendwo müssen die Leute doch stecken«, sagte er schließlich und nahm das Spektiv vom Auge. »Da ist irgendeine Teufelei im Gang. Es ist verflucht leichtsinnig von uns, den Blackwater so weit raufzusegeln. Ganz abgesehen davon, daß wir zurück kreuzen müssen, wenn der Wind nicht dreht.« Wieder setzte er das Spektiv an. Noch sorgfältiger als zuvor musterte er das Ufer. Aber er vermochte niemanden zu entdecken. Keine Frau, kein Kind, das neugierig zu ihnen hinüberstarrte. Kurz entschlossen schob er das Spektiv zusammen, denn mittlerweile bot sich das gesamte Ufer in seinen Einzelheiten auch dem unbewaffneten Auge dar. Er ließ das Spektiv in einer der Taschen seiner Segeltuchjacke verschwinden und blickte
zum Hauptmars hoch, in dem er Dan wußte. »Ben, übernimm das Kommando. Ich entere auf in den Hauptmars, von dort müßte ich Clashmore gut überblicken können. Ich habe so eine dunkle Ahnung, daß sich dort etwas gegen Drake und seine Männer zusammenbrauen könnte. Mal sehen, ob auch Clashmore so ausgestorben ist wie diese Fischerkaten dort.« Er verließ das Achterkastell und enterte in den Wanten zum Großmars auf. Dan blickte ihm schon entgegen, noch ehe er den Mars erreicht hatte. »In Clashmore muß die Pest gehaust haben«, sagte er. »Keine Menschenseele auf der Straße. Da, sieh selbst!« Er deutete auf die Stadt, die sich vom Mars aus ihren Blicken gut überschaubar darbot. Wieder zog Hasard sein Spektiv aus der Tasche und suchte die Straßen ab - dann pfiff er plötzlich durch die Zähne. Er reichte Dan, der Adleraugen hatte, das kleine Fernrohr. »Sieh dir den östlichen Stadtrand genau an und geh dann weiter nach Norden. Los, beeil dich, was siehst du?« Dan zögerte mit der Antwort. Sorgfältig suchte er die Stadt und auch das Gelände vor ihr ab. »Reiter, einen ganzen Pulk von Reitern. Ich kann sie nicht zählen, weil eine Staubwolke über ihnen hängt. Aber die haben es verflixt eilig, die holen das letzte aus ihren Gäulen heraus!« Der Seewolf nickte. Er warf einen Blick auf die Segel, die sich unter ihnen im Wind blähten. Eine Weile nagte er nachdenklich auf seiner Unterlippe. »Der Teufel soll mich lotweise holen, wenn das nicht Drake und seinen Männern gilt«, murmelte er. »Du bleibst hier oben. Ich lasse dir den Kieker da. Du und Gary, ihr behaltet den Blackwater und auch das Ufer im Auge. Ich will über jede Veränderung informiert werden, du wirst ...« Der Seewolf unterbrach sich abrupt. Denn in diesem Moment,
auch für das bloße Auge deutlich sichtbar, preschte ein Reiter von Süden nach Clashmore. Zwischen den Häusern vorlor Hasard ihn aus den Augen, aber das Ziel des Reiters schien der Marktplatz in der Mitte der Stadt zu sein. Hasard, der schon mit einem Bein vom Mars gewesen war, wartete. Doch Pferd und Reiter tauchten nicht wieder auf. Schließlich hob er die Schultern. Bevor er abenterte, sah er Dan noch einmal eindringlich an. »Dan, ich weiß genau, daß du lieber mit Kapitän Drake zum Waffenversteck ziehen würdest. Aber denk daran - von dir und Gary hängt unsere Sicherheit ab.« Ohne auf eine Antwort zu warten, verschwand er. Wenig später tauchte die von dem Captain beschriebene Stelle am östlichen Ufer des Blackwater auf, die der Karavelle als Lande- und Löschplatz gedient haben mußte. Ben Brighton ließ die ›Isabella‹ auf das Ufer zulaufen. Dann gab er das Kommando zum Segelbergen und zum Ankern. Ferris Tucker hatte mit seinen Männern schon auf der Back bereitgestanden. Sekunden nach dem Kommando klatschte der Buganker ins Wasser. Unterdessen lief die ›Marygold‹ an der ›Isabella‹ an Backbord vorbei, drehte in den Wind und schor gleich darauf an einen der Anleger heran. Ben Brighton hatte das Manöver verfolgt. »Donnerwetter!« Er pfiff anerkennend durch die Zähne. »Also das muß man Drake und Carberry lassen - von der Seefahrt verstehen die beiden eine ganze Menge, und die Crew der ›Marygold‹ ist ebenfalls ganz schön im Trimm!« Hasard nickte, aber er hörte nur mit halbem Ohr hin. Denn absichtlich hatte er die Position seiner ›Isabella‹ so gewählt, daß er freies Schußfeld zum Ufer behielt. Doch nichts geschah. Die ›Marygold‹ machte fest, und noch immer ließ sich weit und breit kein Mensch blicken.
8.
»Fertig Männer - mir nach!« sagte Captain Norris und schritt die breite Bohle hinunter, die Carberry vom Hauptdeck der ›Marygold‹ zum Anleger ausgebracht hatte. Gleich hinter Norris betrat Drake das Ostufer des Blackwater. Ihnen folgten die vierzig schwerbewaffneten Soldaten und Seeleute. Das Lederzeug der Soldaten blitzte in der Sonne, die vom Himmel herabbrannte. Nur die stetige Brise aus Südost verschaffte etwas Kühlung. Norris und Drake ließen die Männer an sich vorbeiziehen, der Captain unterzog jeden einzelnen nochmals einer strengen Musterung, aber auch sein scharfes Auge fand nichts, was zur Beanstandung und zu Tadel hätte Anlaß geben können. Drake nickte Norris zu, dann wandte er sich um und setzte sich an die Spitze des Zuges. Auch ihm und dem Captain kam die Stille, die in diesem Teil des Blackwater herrschte, unheimlich vor. Drake warf im Gehen einen Blick auf die nach den Angaben des Captain selbst verfertigte Karte. Sie würden eine gute Stunde durch die Drum Hills marschieren müssen, ehe sie in die Gegend gelangten, in der sich das geheime Waffenversteck der Iren befand. Flüchtig ließ sich Drake noch einmal die Warnungen des Seewolfs durch den Kopf gehen. Wenn er ehrlich war, dann hatte dieser junge Kapitän gar nicht so unrecht gehabt. Es war ein immenses Risiko, auf das sie sich hier einließen - es war geradezu eine Provokation den Iren gegenüber. Doch Drake verdrängte seine Bedenken. Seine bisherigen Erfolge hatte er nicht durch Zaudern, sondern durch kühnes Zupacken errungen. »Norris«, wandte er sich an den neben ihm marschierenden Captain, »veranlassen Sie, daß Sergeant Maxwell die Flankensicherung mit seinen Leuten übernimmt. Ebenfalls soll
der Sergeant eine Nachhut gruppieren - das Gelände ist verdammt unübersichtlich.« Captain Norris nickte grimmig. »Bereits veranlaßt, Sir. Meine Männer sind feuerbereit, dem Gegner wird jeder Angriff blutige Köpfe einbringen.« Drake nickte. Er wußte, daß er sich auf Norris verlassen konnte, war aber überrascht, wie umsichtig dieser Mann handelte. Schweigend marschierten sie weiter. Noch war der Boden steinig und hart. Nur hier und da verrieten ein paar geknickte Zweige, ein paar von schweren Holzrädern zermalmte Steine, daß hier vor kurzem noch ein Zug von Transportkarren entlanggezogen war. Doch dann wurde der Boden weicher und ging eine Viertelstunde später in tiefen Sand über, in dem sich nun deutlich die tiefen Spuren der Karren abzeichneten. Drake stoppte die Kolonne durch Handzeichen. Die Männer blieben stehen. Zusammen mit Norris studierte er die tiefen Karrenspuren, die Hufabdrücke der Pferde, die Fußspuren jener Männer, die hier gegangen waren. Schweigend betrachteten Drake und Norris die Spuren. Der Captain hockte sich neben einer der Karrenspuren nieder und tastete die Ränder der Spur mit den Fingern ab. Dann erhob er sich wieder und sah Drake an. »Ihre Meinung?« fragte Drake knapp. »Die Spuren stammen aus der ersten Hälfte der vergangenen Nacht. Zu dieser Zeit wurde die Karavelle entladen.« »Was schätzen Sie, wie viele Männer hier entlanggezogen sind?« Norris schüttelte den Kopf. »Das läßt sich aus den Spuren nicht ersehen. Zumal sich auch ein Teil von ihnen auf den Karren befunden haben könnte. Aber allzu viele waren es nicht.« Drake nickte.
»Gut, marschieren wir weiter!« Er gab das Zeichen mit der Hand, und der Zug setzte sich wieder in Bewegung. Die Füße der Männer wirbelten den Sand auf, und bald hing über den Engländern eine gelbliche Staubwolke. Norris sah das und stieß eine Verwünschung aus. Diese verdammte Staubwolke konnte sie einem aufmerksamen Gegner schon von weitem verraten. Aber sie ließ sich in diesem Gelände nicht vermeiden. Die Sonne stieg höher, und damit nahm trotz der späten Jahreszeit auch die Wärme zu. Außerdem fehlte in den Drum Hills die erfrischende Brise so gut wie ganz, der Wind wurde von den Hügeln, die höher und höher wurden, je weiter Drake und Norris mit ihren Männern in ihr Gebiet vordrangen, abgehalten. Die erste Stunde verging - und noch immer führten die Karrenspuren vor ihnen durch die Drum Hills. Drake wurde unruhig. Der Karte und den Angaben des Captains zufolge mußten sie sich bereits in der näheren Umgebung des Verstecks befinden. Und immer noch hatten sich weder Iren noch Spanier blicken lassen. Abermals gab Drake das Handzeichen zum Halt. Die Männer blieben murrend stehen. Die Musketen und die übrige Ausrüstung drückten sie. Schweiß und Staub hatten sich auf ihren Gesichtern vermischt und ihnen eine graugelbe Farbe verliehen. Besonders die Seeleute der ›Marygold‹ fluchten vor sich hin, sie waren derartige Exkursionen am allerwenigsten gewöhnt. Drake studierte abermals die Karte. »Captain - wir müßten bereits beim Versteck angelangt sein. Irgend etwas stimmt hier nicht, vielleicht hat der Captain uns in die Irre geführt. Vielleicht handelt es sich bei den Karrenspuren um einen ganz anderen Transportweg der Iren, und dieser verflixte Don hat das gewußt.« Norris schüttelte energisch den Kopf.
»Nein, glaube ich nicht. Der Captain kann sich in der Entfernung geirrt haben. Wer in einer solchen Todesangst aussagt, wie dieser Mann, der lügt nicht mehr. Ich kenne mich da aus. Vielleicht hatte er selbst nur ungenügende Informationen, schließlich sollte nicht seine Kriegsgaleone die Waffen landen.« Norris schwieg einen Moment und dachte nach. »Ich schlage folgendes vor«, sagte er dann. »Sie beziehen hier mit den Männern Stellung - rechts und links der Spuren in den Hügeln, so daß Sie das Gelände überblicken können. Ich nehme mir die zehn besten Leute und kämme die Gegend durch. Sollten wir Feindberührung kriegen und in einen Kampf verwickelt werden, hören Sie das am Musketenfeuer. Finde ich das Versteck, werde ich sofort einen Melder zu Ihnen schickten.« Drake nickte. »Gut, so ähnlich hatte ich mir die Sache auch gedacht. Einzige Änderung: Ich gehe mit Ihnen, Maxwell übernimmt hier das Kommando. Irgendwelche Bedenken? Maxwell ist einer Ihrer erfahrensten Männer.« Norris schüttelte den Kopf, dann winkte er den Sergeant zu sich heran. Er gab ihm die notwendigen Anweisungen und informierte ihn über sein Vorhaben. »Die zehn besten Männer, Maxwell. Beeilung, wir haben schon Zeit genug verloren!« Der Sergeant sauste los. Innerhalb von wenigen Minuten stand der kleine Trupp abmarschbereit auf dem Karrenweg, während der Sergeant die übrigen zu beiden Seiten des Weges in den Hügeln postierte. Drake und Norris marschierten los. Aber dann teilten sie ihre Männer auf und schwärmten aus. Der eine nach rechts, der andere nach links. Das war genau der Moment, in dem eine irische Stimme eine wüste Verwünschung ausstieß. Denn dies Verhalten Dra-kes
paßte dem Mann überhaupt nicht in den Kram. Er beobachtete die beiden Trupps noch eine Weile. Hasard hatte von der ›Isabella‹ aus den Abzug der Männer beobachtet. Er hatte sie in den Drum Hills verschwinden sehen, und noch immer hatte er ein ungutes Gefühl. Diese schon fast gespenstische Stille um sie herum gefiel ihm nicht, das war einfach unnatürlich. Denn Hasard wußte, daß dieses Gebiet zu den dicht besiedelten Gegenden am Blackwater gehörte. Er stand auf dem Achterkastell und überlegte fieberhaft, ob er nicht irgend etwas tun könnte, um sich Gewißheit zu verschaffen und Drake und Norris davor zu bewahren, in eine Falle zu geraten. Er gelangte nicht weit mit seinen Überlegungen. Denn etwa eine halbe Stunde nach dem Abmarsch des Kommandos zerschnitt die gellende Stimme Dans aus dem Großmars die Stille. »Hasard, bei Clashmore tut sich was. Da ist plötzlich der Teufel los - das ganze Ufer wimmelt von Männern, sie springen in die Boote und jetzt, jetzt legen die ersten ab!« Gary Andrews, der seinen Beobachtungsposten im Vortopp hatte, bestätigte die Meldung Dans Sekunden später. »Dan hat recht. Ich kann das mit bloßem Auge zwar nicht so sicher erkennen wie er mit dem Kieker - aber Boote werden in den Blackwater hinausgepullt und setzen Segel.« Hasard und Ben Brighton wechselten nur einen kurzen Blick miteinander, während schon ein Teil der Besatzung in die Wanten aufenterte. Ferris Tuckers Stimme dröhnte über das Hauptdeck. »Verdammt, ihr lausigen Seebullen, wollt ihr wohl an die Geschütze! Her mit euch, oder ich lasse euch allesamt kielholen, ihr Hammel!« Ferris griff sich ein paar der Männer und bugsierte sie ziemlich unsanft auf ihre Posten zurück. Unterdessen enterten Ben Brighton und Hasard zum Großmars auf. Noch bevor sie
den Mars erreichten, sahen sie die Bescherung. Alle Boote, die noch vor einer knappen Stunde in der Bucht von Clashmore an ihren Stegen gelegen hatten, befanden sich auf dem Strom. Die meisten hatten bereits Segel gesetzt, andere wurden noch in den Strom hinausgerudert. Hasard überlegte. Es war unmöglich, die Boote noch einzuholen oder gar unter Feuer zu nehmen. Sie waren zu weit entfernt und bewegten sich rasch nach Süden in Richtung auf die Mündung des Blackwater. »Hölle und Teufel, Ben, was hat das zu bedeuten? So viel Angst können die Kerle doch vor unseren beiden Galeonen nicht haben«, sagte der Seewolf. »Sie wissen genau, daß wir der Stadt nichts anhaben können, dazu liegt sie viel zu tief in den Hügeln. Und auch ihre Boote brauchten sie vor uns nicht in Sicherheit zu bringen, denn auch sie sind sicher vor uns. Was, zum Henker, soll das also?« Ben Brighton schwieg. Auch er dachte nach. Er zählte die Boote flüchtig durch und kam bald auf fünfzig Stück. Jedes Boot aber war mit mehreren Männern besetzt - Clashmore konnte jetzt fast nur noch von Alten, Frauen und Kindern bevölkert sein. Schließlich schüttelte Brighton den Kopf. »Verstehe ich nicht«, brummte er. »Statt abzuhauen, hätten diese Männer doch mit Leichtigkeit Drake, Norris und ihre vierzig Mann auslöschen können. Aber darum scheint es ihnen gar nicht zu gehen. Mann, Mann - wenn das nicht noch eine böse Überraschung für uns gibt, lasse ich mich glatt kielholen.« Der Seewolf nickte. Aber er kam einfach nicht darauf, welche Gefahr ihnen allen drohte. Fest stand für Hasard nur eins: er durfte hier nicht länger untätig herumlungern, er mußte etwas unternehmen. »Ben, wenn alle Männer aus Clashmore verschwinden, oder fast alle, dann kann das nur eins bedeuten: Sie sind nicht nötig, um Drakes Truppe zu vernichten und das Versteck zu
verteidigen. Man hat Norris und Drake eine Falle gestellt.« Hasard bemerkte nicht, wie Dan ihn aus offenem Munde anstarrte und jedes Wort von seinen Lippen ablas, noch bevor er es ausgesprochen hatte. Aber Dan spürte die Erregung, die den Seewolf gepackt hatte, er spürte, daß der Seewolf zu einem entscheidenden Entschluß gelangt war. Auch Ben Brighton ahnte bereits, was Hasard vorhatte. Und der Seewolf ließ ihn auch nicht länger im unklaren. »Ben, ich nehme fünf unserer Leute. Ich kenne mich in dieser Gegend ein wenig aus, außerdem habe ich die Karte im Kopf, die Drake nach den Angaben des Captains angefertigt hat. Ich muß Drake und den anderen helfen. Du und Ferris - ihr übernehmt die ›Isabella‹. Und paßt auf, Ben! Die Iren planen eine Teufelei!« Hasard schwang sich schon über den Rand des Großmarses, da war Dan heran und krallte sich einfach an ihm fest. Hasard ließ ihn gar nicht erst zu Wort kommen. »Wenn du mitwillst, Dan, dann mußt du vor mir auf dem Hauptdeck sein. Los!« Der Seewolf konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen, er wollte Dan noch einen freundschaftlichen Klaps auf die Kehrseite verpassen, aber er schaffte er nicht mehr, denn Dan sauste bereits mit einem Freudenschrei an ihm vorbei in die Tiefe. Hasard schüttelte nur den Kopf. Nicht einmal ein Affe hätte fixer sein können als dieses Bürschchen! Dann stand er auf dem Hauptdeck. »Batuti, Matt, Pete, Smoky!« rief er. Die Gerufenen stürzten heran. Hasard hielt sich nicht mit langen Erklärungen auf, sondern sagte ihnen nur, was sie mitnehmen sollten. Gern hätte er auch noch Ferris Tucker, den rothaarigen Schiffszimmermann der ›Isabella‹ mitgenommen, aber er wagte es einfach nicht, auch ihn noch von der restlichen Crew abzuziehen.
»Dan, besorge für alle Fälle ein langes Seil, wir ...« »Ein Seil?« vergewisserte sich Dan und blickte den Seewolf fragend an. »Ja, verdammt noch mal, ein Seil, habe ich gesagt. Beeil dich lieber, statt hier dusselige Fragen zu stellen. Es kann für Kapitän Drake und die anderen um Minuten gehen!« Dan sauste los. Als er mit dem Seil zurückkehrte, stiegen Hasard und seine vier Männer gerade über das Schanzkleid und enterten in das Beiboot ab. Dan folgte ihnen. Vier Minuten später waren sie an Land. »Laufschritt, hundert Yards Laufschritt!« befahl Hasard und legte sofort ein mächtiges Tempo vor. Nach hundert Yards verfiel er wieder in Schritt, danach liefen sie abermals die gleiche Strecke, und so ging es weiter. Die Sonne strahlte vom Himmel, Staub und Wärme taten ein übriges. Die Männer begannen zu keuchen, Schweiß rann über ihre Gesichter und Körper. Aber sie gelangten auf diese Weise schnell vorwärts. Sie bewegten sich auf den Spuren entlang, die Norris’ Soldaten hinterlassen hatten. Der Seewolf vergewisserte sich, daß seine doppelschüssige sächsische Radschloßpistole fest im Gürtel steckte. Dann näherten sie sich der Stelle, an der Drake und Norris den Sergeanten mit dreißig Mann zurückgelassen hatten. * Der Ire McDonald duckte sich tiefer in die Felsen. »Nimm gefälligst deine dämliche Rübe weg!« fauchte er seinen Nebenmann an, der neben ihm hinter den Felsen in der Vertief ung lag. »Sie kommen - verdammt, aber nicht alle! Wo sind die anderen? Und wo ist dieser schwarzhaarige Teufel, der Kapitän der ›Isabella‹?« zischte er McDonald zu. In diesem Moment entstand hinter ihnen eine Bewegung. Ein
Mann schob sich an die beiden Anführer der Iren heran. »Patty ist zurück«, flüsterte er. »Die Hunde haben sich geteilt. Dreißig Mann stecken in den Hügeln, eine halbe Stunde von hier. Die anderen, zwölf Mann mit diesem Drake und dem englischen Captain, haben zwei Gruppen gebildet und arbeiten sich genau an das Versteck heran. Sie sind verflixt vorsichtig, als wüßten sie, daß wir ihnen eine Falle gestellt haben.« McDonald, ein Riese von fast sieben Fuß, schob sich behutsam hinter den Felsen hervor. Eine Weile beobachtete er die Gruppe von Engländern, unter ihnen auch Captain Norris, wie sie sich behutsam über das felsige Terrain durch Büsche gedeckt an die Höhle heranarbeitete. »Sechs Mann«, flüsterte er. »Wo sind die anderen, und wo ist dieser Drake?« Der Mann, der soeben zu ihnen gestoßen war, trat näher. »Drake arbeitet sich von der anderen Seite an die Höhle heran. Ich denke, daß er sich mit der anderen Gruppe sofort vereinigen wird, sobald sie den Höhleneingang entdeckt haben.« McDonald nickte grimmig. »Alles bleibt in Deckung. Keiner rührt sich von der Stelle. Steckt eure Nasen in den Dreck. Daß sich niemand vor den Engländern blicken läßt. Erst wenn sie alle in der Höhle verschwunden sind, geht der Zauber los, klar?« »Alle? Auch die anderen, die noch da hinten zwischen den Hügeln liegen?« fragte der andere leise zurück. McDonald kroch zurück. Dann drehte er sich um, und sein kantiges Gesicht verzerrte sich vor Zorn. »Ein Mensch allein kann gar nicht so blöd sein wie du«, sagte er. »Glaubst du Holzkopf, ich warte, bis Drake und dieser Captain die Höhle untersucht haben und dann seelenruhig wieder herausspazieren, um ihre Kumpane zu holen? Wir sind acht Figuren - und diese Burschen da verstehen zu kämpfen, das solltest du von Dungarvan noch wissen.«
Er kroch noch weiter zurück. »Sag den anderen Bescheid. Wenn’s losgeht, gebe ich das verabredete Zeichen. Und daß ihr euch dann beeilt - dieser Drake ist ein gefährlicher Bursche. Haben wir ihn erst mal in der Falle, dann sind die anderen auch nicht mehr viel wert. Ausgenommen vielleicht dieser Satan von der ›Isabella‹. Ab jetzt, und der Teufel hole euch, wenn auch nur der geringste Fehler passiert!« McDonald schob sich wieder nach vorn. Er sah gerade noch, wie Captain Norris den Arm hob und dem knapp hundert Yards entfernten Drake zuwinkte. Ein zufriedenes Grinsen huschte über die Züge des Iren. »Recht so«, murmelte er. »Nur weiter so, einmal geht jeder Fuchs dem Jäger in die Falle.« Er grinste seinen Unterführer an, der hinter dem Felsen neben ihm lag. Der hob die Rechte, spreizte den Daumen ab und drehte ihn nach unten - auf die gleiche Weise, in der einst die römischen Kaiser über Leben und Tod der unterlegenen Gladiatoren entschieden hatten. McDonald nickte. Und damit war für die beiden das Schicksal der Männer, die sich vorsichtig dem Eingang der Höhle näherten, besiegelt. * Drake blickte in die Richtung, in die Captain Norris wies. Deutlich sah er den dunkel gähnenden Eingang der Höhle, nach der sie so fieberhaft gesucht hatten. »Ohne jeden Zweifel, das ist sie, Norris«, flüsterte er und konnte die Erregung in seiner Stimme nicht unterdrücken. Der Captain nickte. »Räuchern wir das Nest aus, je schneller desto besser!« stieß er hervor. »Wir haben ohnehin nicht mehr viel Zeit, wenn wir mit ablaufendem Wasser nach Youghal segeln wollen. Neben
Waffen werden dort mit Sicherheit auch Pulvervorräte lagern, wir sprengen die Höhle, genau wie bei Dungarvan.« »Es müssen Wachen da sein«, sagte Drake. Sein Mißtrauen wurde von Sekunde zu Sekunde größer. »Kein Mensch läßt ein Waffenversteck allein, die Iren, für die von Waffen und Material alles abhängt, schon gar nicht. Wo also sind diese Männer? Es müßte schon am Eingang ein Posten stehen!« Norris, den das Jagdfieber gepackt hatte, schüttelte den Kopf. »Das ist irisches Gebiet. Hier mißtraut keiner dem anderen, die Iren halten Fremden gegenüber zusammen wie Pech und Schwefel. Wir waren schneller, die Warnungen erfolgten zu spät. Oder die Kerle sind ganz einfach nachlässig, sitzen in der Höhle und spielen Karten oder haben sich betrunken.« Drake war nicht überzeugt, aber Norris hatte recht, die Zeit drängte. Sie mußten in die Höhle. »Zwei Wachen bleiben am Eingang zurück, alle anderen mir nach«, befahl er und lief los. Im Laufen zog er seinen Degen. Zusammen mit dem Captain drang er in die Höhle ein. Nach ein paar Schritten blieb Drake stehen. »Zündet Fackeln an!« befahl er. Einige der Soldaten schlugen Feuer, dann loderten die ersten Fackeln auf. Und wieder war Drake überrascht. Er starrte sich fast die Augen aus, aber außer ihnen und ihren Männern befand sich kein Mensch in der Höhle. Im flackernden Schein der Fackeln, von denen immer mehr angebrannt wurden, erkannten sie Kisten, Pulverfässer, Waffen, die an der Hinterwand der Höhle säuberlich aufgestapelt worden waren. Drake und Norris drangen tiefer in die Höhle ein - einen Felsendom, dessen Höhe sie auf gut zwanzig Fuß schätzten. Über die Länge konnten sie sich kein Urteil bilden, dazu reichte das Licht der Fackeln nicht aus. Drake beugte sich über die Waffen, über eins der Pulverfäs
ser, und begann, die Fässer zu zählen. Er gelangte bis zweiundzwanzig - dann geschah es. Vom Eingang der Höhle her ertönten zwei gräßliche Schreie. Gleich darauf flogen die Körper der beiden Wachen ins Innere der Höhle, überschlugen sich ein paar Mal und rollten die Steigung hinunter, die zum Ausgang der Höhle führte. Drake und Norris wirbelten herum, ebenso ein Teil der Männer. »Überfall!« gellte die Stimme des Captain durch die Höhle, brach sich an den Wänden und rollte als gespenstisches Echo durch den Felsendom. »Zu den Waffen, kämpft, Männer!« schrie Drake nun ebenfalls und stürmte dem Ausgang entgegen. Er hatte die Riesengefahr dieser Falle erkannt. Drake wußte, daß sie verloren waren, wenn es ihnen nicht gelang, den Ausgang zu gewinnen und sich freizukämpfen. Er war noch nicht weit gekommen - als wiederum etwas geschah. »Fahrt zur Hölle, ihr Hunde! Rache für Dungarvan!« brüllte eine Stimme, gegen die selbst Carberrys Organ nur das reinste Säuseln war. Eine Lunte flammte auf, bläuliche Funken krochen in Windeseile über den Boden, wurden zur Flamme, und dann raste die gelbrote Stichflamme einer gewaltigen Explosion durch den Felsendom. Die Druckwelle fegte die Männer über den glatten und feuchten Felsenboden. Drake spürte noch, wie ihn eine Titanenfaust gegen irgendeine Felswand preßte. Er hörte Norris brüllen, das Geschrei der Männer, und gleich darauf polterten Felsenmassen in die Höhle. Der Eingang verdunkelte sich, ätzender Pulverqualm wälzte sich durch die Höhle. Drake verlor das Bewußtsein. Sein letzter Gedanke war: der Seewolf hatte mich gewarnt - und er hat wieder recht gehabt ...
9.
Hasard und seine Männer hörten die Explosion. Wie angewurzelt blieben sie stehen. Die Luft um sie herum schien unter dem Schlag zu erzittern, von irgendwo scholl wüstes Gebrüll zu ihnen herüber. »Drake hat die Höhle gesprengt, Hasard, die Iren haben wieder eine ...« Der Seewolf griff nach dem Bürschchen. »Verflucht, Dan, brüll hier nicht so in der Gegend herum. Ruhe, Männer!« zischte er. Und dann hörten sie es ganz deutlich - irische Stimmen brüllten sich fast heiser. Immer wieder klang der Ruf auf: »Rache für Dungarvan!« Hasard stand wie erstarrt, als er die folgenschwere Bedeutung dieser Worte begriff. »Drake und Norris sind mit ihren Leuten in eine Falle geraten!« stieß er schließlich hervor. Er spürte, wie ihn der Zorn übermannte. »Vorwärts, Männer, Rache für Drake!« brüllte er. Dann fegte er los. Die namenlose Wut beflügelte seine Schritte. Seine langen schwarzen Haare flatterten hinter ihm her, seine eisblauen Augen versprühten Blitze. So sahen ihn die Männer des Sergeanten Maxwell, die in diesem Moment ebenfalls aus ihren Deckungen hervorbrachen. Der Sergeant bekreuzigte sich - er hatte vom Seewolf schon viel gehört, aber was seine eigenen Augen nun erblickten, überstieg jede Vorstellung. Wie ein Orkan raste Hasard auf die Stelle zu, an der jetzt ein schwarzer Rauchpilz in den Himmel quoll. Hinter ihm her -wie die wilde Jagd - Matt Davies, der seinen scharf geschliffenen Eisenhaken schwang und ein schreckliches Gebrüll ausstieß. Ihm folgte Dan, ein langes, blitzendes Entermesser in der Faust, Pete Ballie, der Mann mit Fäusten wie Ankerklüsen, Batuti, der schwarze Herkules, der einen riesigen Morgenstern
schwenkte, und schließlich Smoky, der ebenfalls unter wüstem Geschrei eine langstielige Axt mit beiden Händen gepackt hielt. Der Sergeant löste sich aus seiner Erstarrung. »Ihnen nach - laßt die Iren nicht entwischen!« Die Männer rissen ihre Musketen hoch und begannen ebenfalls zu laufen. Aber sie waren wesentlich langsamer als Hasard und seine Crew. Hasard erreichte den Höhleneingang in Rekordzeit. Viel schneller jedenfalls, als McDonald, der sieben Fuß große Anführer der Iren, es sich hätte träumen lassen. Er starrte Hasard an, sah sein blitzendes Entermesser und wußte im selben Moment, daß an eine Flucht nicht mehr zu denken war. »Ho, Seewolf, du verdammter Bastard!« schrie er und riß ein breites Schwert aus seinem Gürtel. »Du fehlst mir noch in meiner Sammlung. Deinen Kadaver werde ich zu den anderen in die Höhle werfen, wenn ich mit dir fertig bin!« Er sprang den Seewolf an und führte gleichzeitig einen sausenden Schlag nach seinem Kopf. Hasard riß sein Entermesser hoch, blockte den Schlag ab, ging aber unter der Wucht dieses mit voller Kraft geführten Streichs in die Knie. Sofort war der irische Hüne heran. Wieder zuckte sein Schwert hoch und fuhr mit furchtbarer Gewalt auf Hasard nieder. Abermals gelang es dem Seewolf, den Schlag mit dem Entermesser abzublocken, aber die unheimliche Kraft, mit der der Ire zuschlug, warf ihn zu Boden. Hasard rollte sich blitzartig zur Seite, neben ihm schlug die Klinge des Schwertes auf den Felsen, Funken stoben auf. Der Ire brüllte vor Wut und Enttäuschung. Er wirbelte herum, aber Hasard rollte sich abermals zur Seite und sprang auf. Mit beiden Händen packte er sein Entermesser und drang mit
wilden Hieben auf den Iren ein. Hasard schlug von links nach rechts, fintierte, stach plötzlich zu, sprang zurück und schwang gleichzeitig seine Waffe wieder hoch. Doch der Ire parierte die Schläge, die Klingen krachten klirrend zusammen, Funken stoben aus dem Metall. Der Ire wich für einen Moment zurück. Mit vorgestreckter Klinge umkreiste er Hasard. Seine kleinen Augen unter der hohen Stirn verengten sich tückisch. »Ich habe schon viel von dir gehört, du Hund. Dein Pech, daß du an mich geraten bist, denn jetzt ist es aus mit dir!« Beim letzten Wort rammte er plötzlich sein Schwert vor. Hasard, der mit einem Ausfall des Iren gerechnet hatte, vollführte eine blitzartige Drehung. Dabei hielt er den Griff seines Entermessers mit beiden Händen. Das Schwert des Iren zuckte hautnah an ihm vorbei, aber dann traf die Schneide seiner Waffe die Hüfte des Iren. Hasard hatte diesen Schlag schon oft im Zweikampf angewandt, er kannte die Wirkung genau. Das Entermesser, scharf wie ein Rasiermesser, durchschnitt das Lederwams des irischen Hünen und drang tief in dessen Hüfte ein. McDonald brüllte auf, vor Schmerz und Schreck. Aber er hatte noch die Kraft, sein Schwert abermals zum tödlichen Streich hochzureißen. Hasard mußte sich zur Seite werfen, der tödliche Hieb zischte an seinem Kopf vorbei, der Ire stolperte nach vorn. Hasard hätte ihn in diesem Augenblick töten können, aber er brachte es nicht fertig, seinen Gegner von hinten abzustechen wie ein Stück Vieh. Deshalb hob er sein Entermesser und schlug mit der flachen Klinge zu. Der Schlag traf McDonald am Kopf. Der Ire ging zu Boden. Ein paar Minuten zuckte sein Körper noch, dann lag er still. Hasard sah sich um, und ein Grinsen huschte über seine Züge. Dan rammte soeben einem dicken Iren den Schädel in den
Bauch, daß der Mann rücklings in ein Gebüsch flog und dort schreiend liegenblieb. »Dir werde ich helfen, du irischer Bastard, du denkst wohl, wenn Donegal O’Flynn kein Messer mehr hat, kannst du ihn einfach abknallen wie einen tollen Hund!« Dan machte einen Hechtsatz ins Gebüsch, in dem der dicke Ire gelandet war und begann ihn mit seinen Fäusten zu bearbeiten. Batuti streckte soeben einen seiner Gegner mit dem Morgenstern nieder. »He, du nicht kennen Batuti? Gut, gut, ich dich einbläuen, wer sein Batuti von ›Isabella‹! Da, da!« Und bei jedem »da« schlug er zu. Der Mann wurde regelrecht zwischen die Felsen katapultiert. Dabei rollte der Schwarze in geradezu furchterregender Weise seine Augen. Matt Davies hatte es mit zwei Gegner zugleich zu tun. Wie wild schlug er mit seinem Haken um sich, und Smoky kam ihm zu Hilfe. In diesem Moment merkten die Iren, daß ihr Anführer blutend auf dem Boden lag. Außerdem sahen sie, wie Sergeant Maxwell mit seinen Männern heranstürmte. Dröhnend entluden sich einige der Musketen. Ihre Mündungen stießen lange, gelbrote Flammenzungen aus. Einer der Iren riß die Arme hoch und brach schreiend zusammen. Das war zuviel - die zwei Iren, die noch auf den Füßen standen, gaben Fersengeld. Noch bevor Hasard oder einer der anderen es verhindern konnte, verschwanden sie zwischen den Büschen. Batuti und Matt Davies wollten ihnen nach, aber Hasard hielt sie zurück. »Halt, laßt sie. Wir haben Wichtigeres zu tun. Fehlt jemand von uns?« fragte er dann. Aber alle meldeten sic h. Dan zerrte den dicken Iren aus dem Gebüsch. Das Bürschchen blutete aus mehreren Wunden. Alles harmlose Kratzer, wie der besorgte
Batuti sofort feststellte. Auch Smokys Hemd war blutig, ein Messer hatte ihm einen langen Schnitt über die rechte Körperseite gezogen. Pete Ballie rieb sich die Fäuste, auch seine Knöchel waren blutig. »Diese Bastarde haben ihre Wämser mit Kupferplatten verstärkt. Aber genutzt hat ihnen das auch nicht viel.« Er grinste, und wischte sich die Knöchel an seinem Hemd ab. Hasard kniete unterdessen neben dem Anführer der Iren. Er untersuchte die Wunde, die er seinem Gegner geschlagen hatte. Sie war schwer, aber nicht tödlich für einen solchen Bär von Mann. So gut es ging, verband er ihn, dann drehte er ihn auf den Rücken. Anschließend erhob er sich und lief zum Eingang der Höhle, vor dem bereits der Sergeant mit seinen Männern stand. Unter der Wucht der Explosion war der größte Teil der Felsen heruntergebrochen und hatte den Eingang verschüttet. »Sieht böse aus, Sir«, sagte Maxwell, während Hasard begann, die übereinandergetürmten Felsbrocken abzutasten. »Außerdem weiß man nicht, wie sich die Explosion im Innern der Höhle ausgewirkt hat. Es steht schlecht um Kapitän Drake und Captain Norris.« Hasard wandte sich um. »Sie haben wahrscheinlich recht, Sergeant. Aber reden hilft hier nicht weiter. Los, her mit Ihren Leuten, wir müssen versuchen, ein Stück des Eingangs wieder freizulegen. Aber Vorsicht, Leute, sonst erschlägt das Zeug uns noch selber.« Der Seewolf begann damit, die ersten losen Steine beiseite zu räumen. Aber dann stieß er auf immer dickere Brocken. »Wir brauchen Stangen, Stemmhölzer, so geht es einfach nicht«, sagte er schließlich. »Einer muß zum Schiff und Ferris holen, er ist der richtige Mann.« Der Blick des Seewolfs traf Dan, doch bevor er seinen Befehl gab, stutzte er plötzlich. Er erinnerte sich in diesem Moment an
etwas, was der Anführer der Iren ihm zugebrüllt hatte, als sie miteinander kämpften. ...deinen Kadaver werde ich zu den anderen in die Höhle werfen, wenn ich mit dir fertig bin ... »Warte, Dan, mir fällt gerade etwas ein. Ruft mal nach Drake und Norris. Vielleicht hören sie uns und melden sich.« Der Seewolf erhob sich und ging zu McDonald hinüber, der sich eben stöhnend wieder zu rühren begann. Bei dem Hünen kniete er nieder. Dann wartete er, bis der Riese zu sich kam. * Als Drake das Bewußtsein wiedererlangte, kniete Captain Norris neben ihm. Im Fackelschein erkannte er das Gesicht des Captains. »Gott sei Dank, Sir! Ich hatte schon gedacht, daß es Sie erwischt hätte.« Er stieß ein quälendes Husten hervor, denn noch immer füllte ätzender Pulverqualm die Höhle. Seine Ohren dröhnten noch von der gewaltigen Explosion, und sein Schädel schmerzte, als ob ihm jemand einen Belegnagel über den Kopf geschlagen hätte. Aber er lebte - die meisten seiner Männer lebten. Außer den beiden Wachen hatte es nur noch einen Toten gegeben, der von einem Felsbrocken erschlagen worden war. Verletzt waren zwar weitere fünf, aber keinesfalls lebensgefährlich. Drake richtete sich auf. Jedes einzelne Glied seines Körpers schien zu schmerzen, doch gebrochen hatte er nichts, Hände, Arme und Beine gehorchten ihm. Benommen blickte er einen Moment um sich, dann war die volle Erinnerung plötzlich wieder da. »Verdammt, Captain, wir alle haben uns benommen wie die Narren. Wir sind den Iren in die Falle gestolpert wie eine Herde Ochsen. Ich begreife das nicht, wie konnte mir so etwas nur passieren?«
Er rieb sich stöhnend den Kopf, aber dann stand er plötzlich ruckartig auf. »Hat schon jemand den Eingang untersucht? Die übrige Höhle? Wie lange war ich bewußtlos? Gibt es einen zweiten Ausgang? Das hat man oft. Auf, Männer, wir müssen uns jetzt die Höhle genau ansehen, eine andere Möglichkeit haben wir nicht.« »Es gäbe vielleicht noch eine andere Möglichkeit. Wir haben hier genügend Pulverfässer. So wie die Iren den Eingang zugesprengt haben, können wir ihn auch wieder aufsprengen.« Drake hörte aufmerksam zu, doch dann schüttelte er den Kopf. »Das kann nur der allerletzte Ausweg sein. Viel zu gefährlich, Captain. Wer garantiert uns, daß nicht die ganze Höhle unter der nächsten Explosion zusammenstürzt? Wer sagt uns, ob nicht bei einer neuen Explosion noch viel mehr Felsmassen nachrutschen? Und wo sollen wir in Deckung vor den umherfliegenden Felstrümmern finden?« Er schüttelte abermals den Kopf. »Nein, das riskiere ich nur, wenn mir klar ist, daß wir hier alle miteinander verhungern, verdursten oder ersticken. An die Arbeit, Männer, sehen wir uns dieses Loch erst einmal an, ehe wir die Köpfe hängen lassen.« In diesem Moment hörten sie vom Eingang her dünne, unendlich fern klingende Stimmen. Unwillkürlich verstummten außen Drake und Norris auch die übrigen Eingeschlossenen. »Drake, Norris - melden Sie sich, wenn Sie noch am Leben sind!« vernahmen sie eine Stimme. Dann - erheblich lauter einen ganzen Chor, der dieselben Worte wiederholte. Drake wartete ab, bis der Ruf sich abermals wiederholte, dann legte er die Hände trichterförmig an den Mund. »Wir sind hier, bis auf drei Mann leben wir alle. Holt uns raus!« Keiner der Männer hätte Drake eine so laute Stimme
zugetraut, aber es ließ ihnen keine Zeit, sich darüber lange zu wundern. »Alle jetzt!« kommandierte er. »Eins - zwei - drei, jetzt!« Die Mariner wiederholten seine Worte im Chor, und die Felsen verstärkten ihre Stimmen noch. Sie riefen wieder und wieder, und dann endlich hörten sie auch die Antwort. »Verhaltet euch ruhig, wir holen euch raus!« Auch dieser Ruf wurde mehrfach wiederholt, bis Drake »Verstanden - wir warten auf euch!« antworten ließ. Dann blickte er Captain Norris an. »Das war dieser Satansbraten Killigrew, Captain. Der schafft es - Männer, wir sind gerettet!« Die Männer brüllten vor Begeisterung, aber dann herrschte Ruhe in der Höhle. Lediglich Drake, Captain Norris und ein Mann der Besatzung machten sich daran, die Höhle zu untersuchen. Trotz der Fackeln war das eine mühselige Arbeit, und anfangs sah es so aus, als bliebe ihnen der Erfolg versagt. * McDonald blickte Hasard aus schmerzverzerrtem Gesicht an. Grenzenloses Erstaunen lag in seine n Zügen. »Du hättest mich umbringen können, Seewolf«, sagte er. »Mit dieser verdammten Wunde hätte ich gegen einen Mann wie dich keine Chance mehr gehabt. Warum hast du mich nicht getötet, so wie ich es bestimmt mit dir getan hätte?« »Ich habe noch nie einen Wehrlosen getötet, das ist nicht meine Art. Aber ihr habt unsere Leute in die Höhle gelockt und dort eingeschlossen. Den Eingang kriegen wir nicht wieder auf, der ganze Fels ist durch die Explosion in sich zusammengestürzt.« Der Ire nickte. In seinen Augen glitzerte plötzlich wieder
Triumph. »Nein, niemand kriegt die Höhle wieder auf, wenn ich es nicht will.« »Es gibt aber noch einen zweiten Ausgang«, versetzte der Seewolf eiskalt. Am Zusammenzucken des Iren sah er, daß er richtig vermutet hatte. McDonald warf sich herum, gleichzeitig verzerrte sich sein Gesicht vor Schmerz. Hasard drückte ihn nieder. »Bleib ruhig liegen, oder du verblutest. Die Wunde ist tief genug, um einen weniger starken Mann als dich auf der Stelle umzubringen.« Der Riese lag still, Schweiß bedeckte seine Stirn. »Woher willst du wissen, daß es einen zweiten Eingang gibt?« stöhnte er schließlich. »Sag, woher du das wissen willst!« »Du selbst hast es mir gesagt, als wir miteinander kämpften. Erinnerst du dich nicht? Du drohtest mir, meinen Kadaver in die Höhle zu den anderen zu werfen, wenn du mit mir fertig wärst. Wie hättest du das tun sollen, wenn es nicht noch einen Zugang gäbe?« »Gut«, sagte er dann plötzlich, »du bist ein schlauer Patron, Seewolf. Ich mache dir ein Angebot. Unsere Sache ist verloren, es hat keinen Zweck mehr zu kämpfen. Meine Freiheit gegen die deiner Leute, einverstanden?« Er streckte Hasard die Rechte hin. Hasard überlegte nicht lange. Er konnte sich ausrechnen, daß der zweite Zugang zur Höhle mit Sicherheit gut getarnt war, es würde mühselig und zeitraubend sein, ihn überhaupt zu finden. Zeit aber hatten sie nicht - im Gegenteil. Er ergriff die Hand des irischen Anführers. »Gut, einverstanden, dein Leben gegen das der unseren. Also, wo ist der Zugang?« McDonals schloß für einen Moment die Augen. Dann begann er zu sprechen.
»Ihr müßt auf die Anhöhe. Auf der anderen Seite, dort wo der Abhang beginnt, werdet ihr einen Felsblock finden. Wälzt ihn zur Seite, dann stoßt ihr auf einen Schacht, der ins Innere der Höhle führt.« Erschöpft schloß er die Augen, und wenige Sekunden später war er wieder ohne Bewußtsein. Hasard richtete sich auf. »Ihr habt es gehört«, sagte er. »Sergeant, Sie riegeln das Gelände um die Höhle ab und sorgen dafür, daß es keine unangenehmen Überraschungen gibt. Ich steige mit meinen Leuten die Anhöhe hinauf und sehe nach, ob der Ire die Wahrheit gesagt hat. Aber passen Sie auf, Sergeant. Eine weitere Panne können wir uns nicht mehr leisten.« Er winkte die Männer aus der Isabella-Crew zu sich heran. »Dan, das Seil«, forderte er, und Dan gab es ihm. Das Bürschchen starrte ihn aus großen Augen an. »Seit wann bist du Hellseher?« fragte er. »Wieso konntest du wissen, daß wir ein Seil brauchen würden?« Der Seewolf lächelte. »Mitunter muß man seinen Grips auc h mal zum Nachdenken gebrauchen, Dan. Immer wenn es ums Eindringen in Höhlen geht, ist es nie verkehrt, ein Seil bei sich zu haben. Im übrigen, damit du mich nicht für klüger hältst, als ich bin: Ich kenne diese Gegend. Als Junge war ich hier mit Sir John in mancher Höhle. So, ab jetzt.« Sie stiegen die Anhöhe hinauf und fanden auch den Felsblock, von dem McDonald gesprochen hatte. Aber damit begann das Problem. Wie sollten sie ihn dort wegbekommen? Der Felsblock wog mit Sicherheit viele Tonnen, mit Mensche nkraft allein war da nichts zu machen. Hasard entschloß sich schnell. »Dan, hol Ferris her. Sag ihm, was passiert ist, dann wird Ferris alles mitbringen, was er braucht. Beeil dich. Batuti wird dich sicherheitshalber begleiten.«
Dan wollte aufmucken, aber Hasard winkte ab. Batuti und Dan liefen los. Sie waren beide ausdauernde Läufer und erreichten den Anleger in einer knappen halben Stunde. Auf ein Boot zum Übersetzen warteten sie gar nicht erst, sondern stürzten sich sofort vom Hauptdeck der ›Marygold‹ aus ins Wasser, nachdem sie die dringendsten Fragen Carberrys beantwortet hatten. Ferris Tucker hörte sich Dans Schilderung aufmerksam an. Hin und wieder stellte er eine Frage, dann nickte er einmal kurz und verschwand unter Deck. Innerhalb einer Viertelstunde tauchte er wieder auf und schleppte ein paar Kanthölzer mit. »Dan, hol aus der Pulverkammer eins der kleinen Fässer, genügend Lunte und ein paar dicke Taue.« Dan flitzte los, und Ben Brighton half ihm, das Richtige zu finden. Sie machten an Bord der ›Isabella‹ nicht viel Worte, der Seewolf hatte recht: die Zeit drängte. Keinem von ihnen ging aber die Sache mit den Booten aus dem Kopf. Der Teufel mochte wissen, was die Iren da wieder für eine Sache ausgeheckt hatten. Eine gute halbe Stunde später keuchten sie die Anhöhe hinauf. Ferris Tucker, Batuti, Dan, der Kutscher, der die Verletzten verarzten sollte, Blacky und Stenmark. Jeder schwer beladen. * Der Schiffszimmermann sagte nicht viel. Er sah sich den Felsblock von allen Seiten an, fuhr mit einem eisernen Spieß unter ihm durch und probierte eine Weile. Dann blickte er auf. »Der Ire hat nicht gelogen, unter dem Block scheint ein Schacht zu sein. Wenn wir diesen Brocken wegkriegen wollen, dann müssen wir folgendes tun ...« Er erklärte Hasard und den anderen, was er zu tun gedachte.
Anschließend begann er sofort mit der Arbeit. Von oben, also von der Anhöhe her, trieben Tucker und seine Gehilfen die Kanthölzer, die der rothaarige Hüne zuvor mit seiner Axt angespitzt hatte, unter den Felsblock. Der Schweiß lief ihnen in Strömen über die Körper. Zoll um Zoll bohrte sich die Kanthölzer durch den Boden, glitten am Felsblock entlang, bis sie endgültig nicht mehr weitergingen. Ferris Tucker prüfte ihren Sitz. Wie wild stemmten sich Hasard und die anderen gegen die Kanthölzer und versuchten, sie emporzuwuchten. Nicht ganz ohne Erfolg, denn einmal bewegte sich der Koloß. Es war, als ob er unschlüssig für einen Moment hin und her schwankte. Doch die Kraft der Männer reichte nicht aus, um ihn endgültig aus seinem Sitz über dem Schacht zu drängen. Ferris Tucker wischte sich den Schweiß aus Stirn und Nacken, und auch der Seewolf lehnte keuchend an einem der Kanthölzer. Gierig pumpte er wieder Luft in die Lungen. »Hat keinen Zweck, wir schaffen es so nicht, Ferris!« stieß er schließlich hervor. Der Schiffszimmermann der ›Isabella‹ nickte. Dann griff er statt einer Antwort nach dem Pulverfäßchen, das Blacky hergeschleppt hatte. Er trieb es unter die Kanthölzer, über die er dann schwere Bohlen nagelte. Mit wuchtigen Schlägen trieb er die dicken Zimmermannsnägel ins Holz. »Steine jetzt, dann Erde. Das Faß muß richtig verdämmt werden, oder die ganze Wirkung verpufft zur falschen Seite!« Die Männer liefen los. Einige brachten Steine, andere Buschwerk, wieder andere Erde. Unterdessen versah Tucker das Faß mit einer kurzen Lunte, die etwa zwei Minuten brennen würde. Ferris Tucker verdämmte das Faß nach allen Regeln der Kunst. Auch über den Kanthölzern errichtete er einen Wall aus Steinen und Erde. Alles fügte und fugte er sorgsam ineinander.
»Wasser!« verlangte er zuletzt und streckte die Arme aus. Dan schleppte das Wasserfaß heran, Batuti griff zu, als er merkte, daß es dem total erschöpften Jungen zu entgleiten drohte. Ferris Tucker durchnäßte die Erde, stampfte sie fest und fügte neue hinzu, wo das nötig schien. Dann endlich war es soweit. »Lunte!« kommandierte er. »Weg mit euch anderen, das gibt einen ganz schönen Knall. Los, ihr verdammten Seebullen - die Anhöhe hinauf, und nehmt eure Rüben weg. Achtung - jetzt!« Er setzte die Zü ndschnur in Brand, wartete einen Moment noch, bis sie Feuer gefangen hatte, dann sauste er davon und warf sich in hundert Yard hinter einen dicken Felsen. Es dauerte nur Sekunden, bis ein schmetternder Schlag die Stille zerriß. Die Kanthölzer wurden samt Erde, Sand und Bohlen von der Explosion nach oben gepreßt. Holz splitterte, ein gewaltiger Hebel drückte die Kanthölzer gegen den Felsblock, rissen ihn aus seiner Bettung und katapultierten ihn den Abhang hinunter. Donnernd brach sich der Gigant Bahn, walzte Bäume und Büsche nieder, zerschmetterte andere Felsbrocken, die ihm im Wege waren. Eine riesige Staubwolke wallte auf, breitete sich rasch aus und stieg in den Himmel empor. Die Isabella-Crew brüllte vor Begeisterung. Dann rannten die Männer zum Schacht hinüber und starrten in die dunkel gähnende Öffnung, die nahezu kreisrund war und einen Durchmesser von etwa zwei Yards auf wies. Hasard drängte die Männer zurück. Er warf Ferris Tucker das eine Ende des Seils zu, an dem anderen knüpfte er eine Schlinge, in die er ein Bein schob. »Laßt mich hinunter, ich will mich da unten umsehen. Wenn ich am Seil ziehe, holt es wieder auf. Uns bleibt nichts anderes übrig, als Drake und seine Männer einzeln heraufzuziehen.« Außer Ferris Tucker griffen Pete Ballie und Batuti zu.
Langsam ließen sie den Seewolf hinunter. * Drake und Norris waren am Ende der Höhle angelangt. Im Schein der Fackeln suchten sie zusammen mit ihrem dritten Mann die Wände ab. Bis zur Decke reichte das Licht nicht -sie verbarg sich nach wie vor im Dunkel der Höhle. Plötzlich blieb Drake stehen. »Halt, leuchten Sie mal - da, ja, so ist’s recht!« Der Kapitän starrte zur Decke hoch. Irgendwo da oben schimmerte Licht - wurde für einen winzigen Moment etwas heller, gleichzeitig rieselten Sand und Steine vo n der Decke herab und schlugen dicht vor ihren Füßen auf den Boden. »Verflixt, da war doch etwas, da ist doch ein Schacht oder so etwas Ähnliches. Warten Sie mal, Captain, wir sollten uns das genauer ansehen.« Einmal meinte er auch dumpfe Schläge zu hören, tat das dann aber als Sinnestäuschung wieder ab. Sie strengten ihre Augen an, leuchteten in der Höhle herum und plötzlich zerriß eine gewaltige Detonation die Stille in der Höhle. Der grelle Blitz blendete ihre Augen, eine Druckwelle fuhr in den Schacht, fegte die drei Männer einfach zur Seite und danach wurde es plötzlich hell über ihnen. Ein Regen von Sand, Erde und Steinen regnete auf sie herab, so daß sie unwillkürlich zurücksprangen. Dann vernahm Drake Stimmen über sich - sah eine große Gestalt, langes, flatterndes schwarzes Haar. Und die Gestalt schwebte nach unten. Da konnte Drake sich nicht mehr halten. »Killigrew!« schrie er in den Schacht hinauf. »Killigrew, hierher! Sie sind ein Teufelskerl - sprengt dieser Mensch doch glatt die ganze Höhle in die Luft, um uns wieder herauszuholen!« Wenig später stand der Seewolf ihm gegenüber - und im
Dämmerlicht des Schachtes sah Drake, wie seine weißen Zähne blitzten, als er lachte. * Die Bergung der Eingeschlossenen nahm zwar Zeit in Anspruch, aber sie ging reibungslos vonstatten. Der Kutscher versorgte die Verletzten, und Dan half ihm dabei. Die beiden Toten, die der Felszusammensturz gefordert hatte, lagen tief unter den Gesteinsmassen. Niemand konnte an ihre sterblichen Überreste heran. Der dritte Tote, den ein Felsbrocken in der Höhle erschlagen hatte, wurde zusammen mit den toten Iren in den Drum Hills bestattet. Drake verhielt sich schweigsam. Seit sie im Blackwater waren, verfolgte ihn eine Pechsträhne nach der anderen. Noch während die Höhle geräumt wurde, berichtet ihm Hasard von dem rätselhaften Verschwinden der Fischerboote in Richtung Youghal. Drake und Norris diskutierten dieses Problem mit Hasard, und Ferris Tucker, der sich auf einen Wink Hasards zu ihnen gesellt hatte, wiegte bedächtig den Kopf. »Ich weiß auch nicht, was die Iren oder die Dons mit dieser Aktion im Schulde führen. Aber soviel ist gewiß - wir müssen auf alles gefaßt sein. Auf eine ganze Flotte von Brandern, auf einen massierten Überfall an irgendeiner Stelle des Blackwater, vielleicht sind sogar spanische Kriegsgaleonen zur Verstärkung eingetroffen und lauern nun auf uns.« Keiner wußte eine Antwort. Drake erhob sich. »Wir sollten diesen Teufelsfluß so schnell wie möglich verlassen. Nach der Sprengung dieser Höhle sind unsere Aufgaben erfüllt. Captain Norris wird mit ein paar Leuten jetzt noch einmal hinuntersteigen und alles zur Sprengung vorbereiten. Sie, Hasard, kehren mit Ihren Leuten und einem
Teil der Soldaten sofort zur ›Isabella‹ ...« Hasard war an Drake herangetreten. »Verze ihung, Sir«, unterbrach er Drake. »Die Sprengung übernehmen Tucker und ich. Wir sind mit allem versehen, was wir dazu benötigen, Captain Norris ist nicht unerheblich verletzt ...« Der Captain wollte dazwischenfahren, aber Hasard bedeutete ihm energisch, zu schweigen. »Captain, Ihre Männer sind abgekämpft, Sie haben eine ganze Anzahl von Verletzten bei sich. Der Rückmarsch zur ›Marygold‹ wird mehr Zeit in Anspruch nehmen, als uns lieb sein kann. Meine Männer und ich holen Sie leicht wieder ein, lassen Sie uns die Sache erledigen, gehen Sie jetzt mit Ihren Männern zurück.« Norris gab sich geschlagen. Er fühlte sich plötzlich müde und entnervt, so eisenhart dieser Mann sonst auch war. »Gut, ich füge mich. Sie werden das schon erledigen. Also los, Männer - vorwärts, marsch!« Die Soldaten setzten sich in Bewegung. Doch Norris drehte sich noch einmal um und trat auf Hasard zu. »Was geschieht mit diesem Iren, den der Kutscher vorhin verbunden hat? Der Kerl ist ein Rebell, wir sollten ihn mitnehmen. Er gehört vor ein englisches Gericht.« »Nein, Captain. Ich habe ihm die Freiheit versprochen. Seine Freiheit gegen das Leben der Eingeschlossenen, so lautete unsere Vereinbarung, und ich werde sie halten. Wir nehmen den Iren mit uns und lassen ihn am Anleger zurück. Dort wird man ihn finden, er selbst hat es so bestimmt.« Norris zuckte mit den Schultern. »Ich halte das für falsch. Der Kerl weiß bestimmt, was seine Kumpane gegen uns im Schilde führen. Wir könnten ihn ausquetschen. Vielleicht könnten wir auf diese Weise die beiden Schiffe und unser aller Leben retten. Nicht, weil ich Angst vor dem Sterben hätte, sondern weil wir England,
unserem Land gegenüber die Verpflichtung haben, zurückzukehren, um weiter zu kämpfen.« Der Seewolf erkannte die Stichhaltigkeit von Norris Argumenten sofort. Norris war durch und durch Soldat. Für ihn existierte nur eins - bedingungslose Pflichterfüllung seinem Land und seiner Königin gegenüber. Aber da war Hasards Wort. Das Versprechen, daß er dem Iren gegeben und mit Handschlag besiegelt hatte. Er konnte und wollte es nicht brechen. »Tut mir leid, Captain«, erwiderte er. »Ich stehe dem Iren gegenüber zu meinem Wort. Ich habe mein Wort noch nie gebrochen, dem Freund nicht und dem Feind auch nicht.« Damit drehte Hasard sich um und ging zum Schacht hinüber, wo die Männer der ›Isabella‹ bereits auf ihn warteten. »Ferris und Dan sind bereits unten«, empfing ihn Pete Ballie. »Ferris bereitet alles zur Sprengung vor, ist aber der Meinung, daß wir ein paar der Pulverfässer mitnehmen sollten, für alle Fälle. Ebenso einige der Musketen, falls sich dort unten welche befinden. Es braucht schließlich nicht alles in die Luft zu fliegen. Und wer weiß, wie dankbar wir noch für jedes Pulverfäßchen an Bord unserer guten alten ›Isabella‹ sein werden.« Pete Ballie grinste über beide Ohren, und Matt Davies, Smoky und Batuti stimmten ihm zu. »Gut, ich sehe selber noch mal nach dem Rechten. Laßt mich runter. Sobald wir wieder oben sind, kümmern sich Pete und Batuti um den Iren. Ich hoffe, der Kutscher ist noch bei ihm, oder?« Die Männer nickten. Dann seilten sie Hasard ab. * Ferris Tucker und Dan hatten inzwischen schon ganze Arbeit geleistet. Die Pulverfässer waren aufeinandergeschichtet. Vier Fässer standen abseits, die wollte der Schiffszimmermann mit
an Bord der ›Isabella‹ nehmen. Er ging zu ihnen hinüber und deutete auf eine Beschriftung. »Ganz hervorragende Qualität. Pulver, von dem wir bisher höchstens träumen konnten. Die anderen da«, er deutete zu den aufgestapelten Fässern hinüber, »sind von mieser Beschaffenheit. Gerade gut genug, um dieses Rattenloch in die Luft zu jagen.« Er gab Dan ein Zeichen. »Los, hoch mit den Fässern. Und hoch mit dir, Dan. Ich lege jetzt die Zündschnur. Sie ist lang genug, sie reicht bis hinten zum Schacht. Auf diese Weise bleibt auch demjenigen, der sie anzündet, genügend Zeit, nach oben zu gelangen und die Anhöhe zu verlassen. Ich fürchte nämlich, daß dieser Bums den gesamten Felsendom zum Einsturz bringen wird!« Tucker ging an die Arbeit, und Hasard half ihm dabei. Schweigend arbeiteten sie. Sorgfältig achteten sie darauf, daß die Zündschnur beim Verlegen nicht beschädigt wurde. Als sie schließlich unter der Schachtmündung standen, sah Hasard den Schiffszimmermann an. »He, Ferris, was ist mit den Musketen? Da standen doch eine ganze Menge herum. Wir könnten noch welche brauchen ...« Der rothaarige Hüne winkte ab. »Vergiß sie, Hasard. Dreckszeug, mit dem sich ein Christenmensch höchstens selber umbringt, aber keinem Feind ein Härchen krümmen kann. Ich habe sie mir angesehen.« Ferris Tucker zog am Seil und hielt es dann dem Seewolf hin. »Sieh jetzt zu, daß du hochgehievt wirst. Sobald das Seil wieder unten ist, setze ich die Zündschnur in Brand.« Hasard verschwand im Schacht. Einige Minuten später war das Seil mit der Schlinge am Ende wieder da. Ferris bückte sich, hielt die brennende Fackel an die Zündschnur, und sofort begann ihr Ende zu zischen und zu sprühen. Rasend schnell fraß sich die Flamme tiefer in das Höhleninnere. Sekundenlang verfolgte Tucker noch das Sprühen und
Zischen, um ganz sicherzugehen, dann zog er am Seil. Pete Ballie, Batuti, Smoky und Hasard rissen ihn nach oben. Grinsend zog Tucker sein Bein aus der Schlinge und schloß das Seil auf. »Na, dann woll’n wir mal. Ich glaube, es wird höchste Zeit, unter uns ist in ein paar Minuten die Hölle los. Ich glaube, daran würde nicht einmal der Teufel seinen Spaß haben.« Die Männer liefen los. Sie hatten gerade die Anhöhe verlassen und sich notdürftig hinter Felsen in Deckung geworfen, als auch schon das Inferno ausbrach. Erst hörte es sich an wie ein fernes Donnergrollen. Dann sprang eine gigantische Stichflamme aus dem Schacht hoch. Der Felsen knirschte und begann sich nach oben zu wölben. Die Erde brach auf, eine gewaltige Explosion zerfetzte die Anhöhe, wirbelte Bäume, Felsbrocken und Buschwerk umher. Sand stürzte in prasselnden Kaskaden auf die Männer hinter ihren Deckungen. Danach herrschte plötzlich Stille. Schwarzer Qualm breitete sich aus, ätzender Pulverschmauch verfinsterte die Sonne. Der Felsendom war in sich zusammengestürzt - zurück blieb ein lodernder, schwarzen Qualm ausstoßender Krater. Hasard erhob sich. Er schüttelte und klopfte sich den Sand aus seiner Kleidung. »Das war’s dann wohl«, sagte er und schlug Tucker auf die Schulter. Danach gingen sie los. Eine Viertels tunde später trafen sie auf Dan, der zusammen mit Stenmark in sicherer Entfernung bei den Pulverfässern gewartet hatte. »Mann«. Dan grinste den Seewolf an, »das war vielleicht ein Feuerwerk! Ich könnte glatt jeden Tag so eine Höhle in die Luft jagen!« Die Männer lachten. Batuti und Pete packten mit zu, die Pulverfässer waren ziemlich groß und von beträchtlichem Gewicht. »Wo ist der Ire?« fragte Hasard plötzlich und blickte sich
suchend um. »Der Kutscher hat ihn zusammen mit den Verletzten abtransportiert. Er wird dafür sorgen, daß der Ire am Anleger zurückbleibt - wie du es ihm versprochen hast. Du kennst ja den Kutscher, ich würde keinem raten, sich mit ihm anzulegen, wenn es darum geht, dein Wort einzulösen.« Das stimmte, der Kutscher, den sie nur so nannten, weil er tatsächlich in einem hochherrschaftlichen Haus diese Position bekleidet hatte, bevor er von der Preßgang der ›Marygold‹ in Plymouth erwischt worden war, war absolut kein Feigling. Er verstand sich vorzüglich zu schlagen, wenn es sein mußte. Hasard war beruhigt. »Also ab!« befahl er. Er selbst packte bei den Fässern mit an, er wollte so rasch wie möglich zur ›Isabella‹ zurück. Denn wieder beschlich ihn jenes ungute Gefühl, das ihn nicht verlassen hatte, solange sie sich nun schon in diesem Teil des Blackwater befanden. Sie erreichten unangefochten den Anleger. Die ›Marygold‹ lag noch vertäut an der Pier, aber schon schallten erste Kommandos über Deck, die Hasard wie Musik in den Ohren klangen. Die ›Marygold‹ machte seeklar. Er sah Drake auf dem Achterkastell stehen, und Drake winkte ihm zu. »Mister Killigrew, wir gehen unverzüglich ankerauf. Ablaufendes Wasser. Sie segeln voraus, wir folgen dichtauf.« Der Seewolf nickte Drake zu und gab mit den Armen das Zeichen für verstanden. Er hatte keine Lust, gegen den Wind anzubrüllen. Suchend blickte er sich um. Dann sah er den Iren. Rasch ging er zu ihm hinüber. »Alles in Ordnung?« fragte er. McDonald nickte. Der Kutscher hatte ihn auf einer der Tragen gebettet und mit Segeltuch zugedeckt. Hasard sah sich abermals um. »Wer soll dich hier abholen, du irischer Bär?« fragte er, denn noch immer zeigte sich nirgendwo eine Menschenseele.
»Kommen - später. Alles in Ordnung. Viel Glück, Seewolf, du wirst es brauchen«, sagte der Ire. Dann schloß McDonald die Augen und drehte sich zur Seite zum Zeichen, daß er nicht mehr sprechen würde. Hasard sah ihn nachdenklich an. Dann ging er zum Boot der ›Isabella‹ hinüber, das bereits am Anleger vor der ›Marygold‹ auf ihn wartete. Gleich darauf pullten ihn die Männer seiner Besatzung zur ›Isabella‹, auf der bereits der Anker gehievt wurde und in deren Rigg die Männer dabei waren, die Segel zu setzen. Es war Nachmittag. Der Ebbstrom hatte bereits stark eingesetzt.
10. Die beiden Galeonen segelten in nur geringem Abstand fast in Kiellinie den Blackwater hinunter. Der Seewolf hatte die Ausgucks mit den besten Leuten besetzen lassen. Dan befand sich diesmal im Vortopp und starrte sich die Augen aus dem Kopf. Er hatte nicht den geringsten Protest versucht, als Ben Brighton ihn nach oben schickte. Er war diesmal sogar stolz darauf, daß das Wohl und Wehe der beiden Galeonen möglicherweise von seinen scharfen Augen abhing. Der Wind hatte gedreht. Er wehte jetzt aus Ost, das ersparte Drake und dem Seewolf das mühsame Kreuzen in dem verhältnismäßig engen Fahrwasser. Sie glitten an der Bucht vor Clashmore vorbei. Die Boote waren nach wie vor verschwunden. Lediglich auf dem Ufer lagen ein paar - wahrscheinlich reparaturbedürftige. Hasards Blicke glitten weiter. Auf dem Hauptdeck, an den Geschützen, standen Ferris Tucker und seine Crew in Bereitschaft. Hasard verließ seinen Platz auf dem Achterkastell, turnte den Niedergang hinunter und stieg zum Vorkastell hoch. „He, Dan - was ist in Clashmore los?”
Die Antwort erfolgte prompt. »Nichts, absolut nichts. Ein paar Kinder und einige alte Weiber auf dem Marktplatz, das ist alles, was ich sehe.« Der Seewolf stieß einen Fluch aus. Flüchtig untersuchte er die Drehbasse auf dem Vorkastell. Stenmark grinste ihn an. »Geladen und feuerbereit. Von mir aus können die Iren oder die Dons ruhig kommen, sie werden sich wieder blutige Köpfe holerf.« Hasard nickte, dann verließ er das Vorderkastell. Einen Moment beugte er sich über das Schanzkleid auf dem Hauptdeck. Die ›Isabella‹ lief gute Fahrt. Wenn der Wind beständig blieb, konnten sie am frühen Abend Youghal passieren. Ferris Tucker vertrat ihm den Weg. »Ich habe ein paar der Kanonen mit Stangenkugeln laden lassen. Die Dinger entwickeln eine fürchterliche Wirkung.« »Genügend Kartuschen, Ferris?« fragte der Seewolf und kannte die Antwort im voraus. »Klar, die können ruhig von allen Seiten zugleich angreifen.« Der Seewolf grinste, aber auch dies Grinsen vermochte seine Nervosität nicht zu verdecken. Auf dem Quarterdeck blieb er stehen und prüfte mit ein paar Griffen die Zurrings vom Beiboot. Dann warf er einen Blick in die Takelage. Im Großmars hatte Gary Andrews Ausguckposten bezogen neben Dan ein sehr gewissenhafter und ausdauernder Beobachter. Der Wind stand gut in den Segeln, die ›Isabella‹ lag leicht nach Steuerbord über. Unter sich beobachtete er Batuti auf dem Hauptdeck, wie er seinen großen Bogen und die Brandpfeile überprüfte. Der herkulisch gebaute Schwarze grinste zu Hasard hoch, und der Seewolf winkte ihm zu. Am Schanzkleid an Backbord lehnten Matt Davies und Smoky, auch sie wirkten irgendwie gespannt. Selbst der Kutscher, den man nur selten außerhalb seiner Kombüse sah, saß auf einer
Kiste und schliff voller Hingabe seine langen Messer. Hasard schlug mit der Rechten leicht gegen das Beiboot, an dem er lehnte und das sie extra für den Fall eines Kampfes auf das nach achtern gelegene Quarterdeck verbracht hatten, weil es auf dem Hauptdeck zu sehr behinderte. Langsam schlenderte er zum Achterkastell zurück. Dabei beobachtete er die etwas kleinere ›Marygold‹, die in ihrem Kielwasser segelte. Auch dort herrschte Geschäftigkeit. Wahrscheinlich erging es Drake nicht anders als ihm. Die Galeonen passierten in diesem Moment jene Stelle, an der die ›Marygold‹ auf die Sandbank gelaufen war. Jetzt allerdings hielt sie sich hübsch in der Mitte des Blackwater. Unwillkürlich grinste Hasard bei diesem Gedanken. Ben Brighton gab ein paar Ruderkommandos. Dann jagte er die Männer an die Brassen, denn die Rahen mußten schärfer mittschiffs gebraßt werden, weil der Blackwater an dieser Stelle einer scharfen Biegung nach Ostsüdost folgte. Die ›Isabella‹ lag jetzt hoch am Wind und krängte noch weiter nach Steuerbord, aber sie verlor kaum Fahrt. Hasard kannte das Fahrwasser, nach knapp zwei Meilen erweiterte sich der Blackwater zu einem Becken, das schon den oberen Teil seiner Mündung darstellte. Dann folgte noch die Landzunge, fast genau gegenüber von Youghal. Dort verengte sich der Blackwater noch einmal, bevor er endgültig in die offene See mündete ... Hasard stutzte plötzlich. Die Landenge! Verdammt, das war die gefährlichste Stelle des gesamten Blackwater! Wenn die Iren oder die Spanier oder beide zusammen eine Teufelei planten, dann dort und nirgendwo anders! Die ›Isabella‹ hatte auch die zwei Meilen der Strombiegung hinter sich gebracht. Hasard warf einen Blick zur ›Marygold‹ hinüber, es schien ihm, als sei sie noch dichter aufgesegelt. Wieder gab Ben Brighton die notwendigen Kommandos für Pete Ballie am Kolderstock und für die Männer an den
Brassen. Abermals änderte die ›Isabella‹ ihren Kurs und lief bei östlichem Wind fast nach Süd. Von der Landenge trennten sie noph etwa drei Meilen. Aber noch zeigte sich nichts, was zur Besorgnis hätte Anlaß geben können. * Die Minuten verrannen. Gleichmäßig glitt die ›Isabella‹ durchs dunkle Wasser. Der weiße Gischt der Bugwelle sprühte am Rumpf des Schiffes hoch. Dan hockte im Vormars. Er sah die Landenge, die vorspringende Landzunge und die ihr gegenüberliegende Stadt Youghal. Aber dann entdeckte er noch etwas. Über das dunkle Wasser des Flusses zog sich ein heller Streifen. Der Ebbstrom bildete dort Schaumköpfe - wie ein weißer Streifen zogen sie sich über das Wasser. Er riß den Kieker des Seewolfs ans Auge, und dann stockte ihm fast der Atem. Er war so entsetzt, daß ihm der Warnruf, den er soeben hatte ausstoßen wollen, glatt im Halse steckenblieb. Statt dessen entrang sich seiner Kehle nur ein heiseres Krächzen, das an Deck niemand hörte. Dan holte tief Luft, während er immer noch auf den weißen Gischtstreifen starrte - und dann funktionierte seine Stimme wieder. »Warschau, Isabella!« schrie er mit sich überschlagender Stimme. »Buganker ‘raus, beeilt euch, oder wir brummen auf die Unterwassersperre, die diese Hunde da vor uns angelegt haben. Himmel, so beeilt euch doch ...« Dan schrie und zeterte immer noch, als Ferris Tucker und Hasard längst mit ein paar Männern auf die Back stürmten, die Ankertrosse und das Bratspill aus ihrer Arretierung lösten und den Anker in die Tiefe rauschen ließen. Klatschend schlug er auf die Wasseroberfläche, sackte tiefer und erreichte den
Grund. Die Ankertrosse zerrte ihn über den Grund des Blackwater, eine seiner Flunken drang in den Boden ein, faßte und bremste dann das schwere Schiff beinah ruckartig ab, weil Ferris Tucker und Hasard das Spill wieder arretiert hatten. Die ›Isabella‹ tauchte mit dem Bug ein, kam wieder hoch und noch immer stand der Wind in den scharf gebraßten Segeln. Kommandos erschallten, die Männer stürzten an die Brassen, Pete Ballie stemmte sich gegen das Ruder und spürte, wie der Druck auf dem Ruderblatt nachließ und dann ganz aufhörte. Unterdessen rauschte die ›Marygold‹ an der ›Isabella‹ vorbei. Auch Drake hatte inzwischen erkannt, welche Gefahr den beiden Galeonen durch die über die ganze Strombreite versenkten und mit Steinen beschwerten Boote drohte. Leichter, Fischereifahrzeuge, Lastkähne. Aber Drake und Carberry hatte die Gefahr zu spät erkannt, denn erst das geradezu wahnwitzige Ankermanöver der ›Isabella‹ hatte sie aufmerken lassen. Carberry rannte brüllend zum Ankerspill auf der Back. Aber so schnell er auch war - die Sperre schien auf die ›Marygold‹ zuzuschießen. Schon erkannte Carberry und die Männer, die eben voller Hast den Anker ausbrachten und die Ankertrosse durch die Ankerklüse rauschen ließen, die Umrisse der einzelnen versenkten Schiffe. Deutlich zeichneten sie sich durch die über ihnen im Strom stehenden Gischtstreifen an der Wasseroberfläche ab. Der Anker der ›Marygold‹ packte, die Ankertrosse kam steif, und schon tauchte auch bei der ›Marygold‹ der Bug nach unten weg. Die Männer stürzten an die Brassen, langsam schwang die ›Marygold‹ herum. Schließlich hing sie - genau wie die ›Isabella‹ - schief am Anker. Der Ebbstrom drückte sie nach Süden, auf die Unterwasserbarriere zu, der aus Ost wehende Wind nach
Westen. Es war eine groteske Situation für die beiden Galeonen - Drake, Carberry und dem inzwischen ebenfalls zur Back geeilten Captain Norris standen buchstäblich die Haare zu Berge. Die ›Marygold‹ trennten von der tödlichen Barriere höchstens noch zehn Yards. Die Männer auf den beiden Galeonen erhielten jedoch keine Gelegenheit, sich von diesem Schrecken zu erholen. Noch ehe sie ihre Lage völlig überblickten, ertönte an beiden Ufern ein wüstes Wutgebrüll. Aus den Büschen, mit denen die Ufer an dieser Stelle des Blackwater bestanden waren, schossen überall Boote hervor, besetzt mit Iren und Spaniern. Musketen knatterten, Brandpfeile zischten von beiden Ufern zu den Galeonen herüber. »Klarschiff zum Gefecht!« brüllte Hasard in das Durcheinander. »Backbordgeschütze Feuer! Steuerbordgeschütze Feuer!« Die ›Isabella‹ verwandelte sich von einer Sekunde zur anderen in eine feuerspeiende Festung. Ihre Breitseiten hatten eine verheerende Wirkung. Die Stangenkugeln zerschmetterten die heranpullenden Boote, Holzsplitter floge n herum, Menschen schrien, versanken sterbend mit zerfetzten Leibern in den dunklen Fluten des Blackwater, wurden gegen die Unterwasserbarriere getrieben, blieben in ihr hängen oder wurden darüber weggeschwemmt. Batuti und ein Kommando von Männern, unter ihnen Dan, der längst vom Vortopp an Deck geentert war, jagten unablässig über die Decks der ›Isabella‹ und schlugen die Brandpfeile aus. Oder sie hingen wie die Affen in der Takelage und besprühten die Segel mit Wasser. Wieder und wieder brüllten die Geschütze der beiden Galeonen auf, die Drehbassen auf den Vor- und Achterkastellen spien ihre tödlichen Ladungen aus Eisen und gehacktem Blei den Angreifern entgegen. Wo es jedoch einem der Boote gelang, an eine der beiden Galeonen heranzukommen, wo auch nur ein Ire
oder ein Spanier seinen Kopf über das Schanzkleid streckte, wurde er sofort niedergemacht. Der erste Angriff der Iren und Spanier brach nach einer Stunde härtesten Kampfes in sich zusammen. Nach einer letzten Breitseite der ›Isabella‹ flohen Iren und Spanier völlig entnervt und kopflos dem Ufer entgegen und verschwanden dort hinter dichtem Gebüsch. Andere sprangen einfach über Bord und schwammen auf das Ufer zu, hinter dem die Stadt Youghal sich erstreckte. * Der Seewolf atmete auf. Sein Gesicht war von Pulverdampf geschwärzt, durch den der Schweiß seine Spuren gezogen hatte. Aber er gab sich keinen Moment der Illusion hin, daß dies schon der endgültige Sieg sei. Er wußte, die Iren und Spanier würden sich sammeln und einen neuen Angriff unternehmen. »Kutscher!« dröhnte seine Stimme über Deck. »Rum für alle. Und dann wieder an die Arbeit. Ladet die Musketen, legt Kartuschen und Stangenkugeln bereit, sucht das Schiff nach Brandpfeilen ab, spannt Enternetze an Back- und Steuerbord. Die Dons und die Iren sollen sich an uns ihre Dickschädel einrennen!« »Darauf kannst du dich verlassen!« schrie Ferris Tucker. »Wir sind auf offener See schon mit fünf Karavellen fertig geworden, dann werden wir ja wohl diese paar Fischerkähne auch noch in den Grund bohren könne n. Ho - das wäre ja gelacht!« Grölend fielen die Männer ein, und der Schiffszimmermann setzte die Rumflasche an den Mund und nahm einen gewaltigen Schluck. Die Stimmung an Bord der ›Isabella‹ stieg. Die Männer schufteten zwar wie die Besessenen, aber das machte ihnen
nichts aus. Sie waren in ihrem Element. »Dan - zu mir aufs Achterkastell. Du übernimmst zusammen mit mir die beiden Drehbassen. Achtung, der Tanz geht wieder los, sie greifen an. Laßt sie dicht genug heran, bevor ihr schießt.« Dan flitzte zum Achterkastell hoch. Mit blitzenden Augen stand er an einer der Drehbassen, Hasard an der anderen. »Nur ruhig Blut, Dan. Noch sind sie zu weit weg, erst feuern, wenn ich es dir sage.« Die Iren und Spanier pullten heran. Jetzt wußte Hasard, woher sie die vielen Boote hatten. Offenbar hatten sie diese Falle in aller Heimlichkeit vorbereitet, nachdem die beiden Galeonen weiter den Blackwater hinaufgesegelt waren. Dann dachte er wieder an den spanischen Captain, an seine fanatisch glühenden Augen. Unwillkürlich hielt er Ausschau nach ihm, aber wie sollte er diesen Mann in dem Getümmel von Booten und Leibern entdecken? Vielleicht hatte schon beim ersten Angriff eine Kanonenkugel den Spanier zerrissen und er hing nun mit den anderen Toten in der Barriere vor den Galeonen. Hasard verlor über seinen Grübeleien die heranpullenden Feinde keinen Moment aus den Augen. »Feuer, Dan!« kommandierte er plötzlich, und die beiden Drehbassen entluden sich krachend. Jede der Ladung lag voll im Ziel, unter ihrem Blei- und Eisenhagel zersplitterten zwei der Boote, schreiend versanken die Gegner im Wasser. Eilig luden sie die Drehbassen nach, während auf der ›Isabella‹ und der ›Marygold‹ die Breitseiten dröhnten, das ganze Schiff in seinen Verbänden erzittern ließen, die Lafetten der Geschütze vom Rückschlag der starken Ladungen in die Brooktaue geworfen wurden. Immer wieder rannten die Bedienungsmannschaften die Rohre aus, immer wieder zuckten lange, gelbrote Flammenzungen aus den Stückpforten, immer wieder
erreichten die Ladungen ihr Ziele. Auf der ›Marygold‹ war es ein paar Spaniern gelungen, zu entern. Sofort versuchten sie, einen Teil des Schanzkleides unter ihre Kontrolle zu bekommen, um auch den nachfolgenden Männern das Entern zu ermöglichen. Drake erkannte die tödliche Gefahr. Zusammen mit Carberry drang er auf die Spanier ein. »El Draque!« Der Ruf wurde laut, dann sank auch schon einer der Gegner zu Boden. Andere Männer stießen zu Drake und Carberry und rollten die Spanier von beiden Seiten her auf. Der letzte von ihnen - ein junger Mann, der seinen Helm verloren hatte - sprang voller Grauen und Todesangst über Bord. Es war einer der härtesten Kämpfe, die der Seewolf und seine Männer je erlebt hatten. Immer wieder griffen die Iren und Spanier an, aber die Männer der ›Isabella‹ und der ›Marygold‹ waren auf der Hut. Sie schlugen die Angriffe zurück, Tote trieben den Blackwater hinunter, stellenweise hatte sich das dunkle Wasser rot gefärbt vom Blut. Nach zwei Stunden unglaublicher Selbstaufopferung gaben die Iren und Spanier auf. Ihre Verluste standen in krassem Mißverhältnis zu ihren Erfolgen. Es hatte ihnen weder an Mut noch an Kampfgeist gefehlt, aber die beiden Galeonen erwiesen sich für sie als uneinnehmbare, Tod und Verderben speiende Festungen. Ihr Plan, auf den sie ihren weiteren Aktionen aufgebaut hatten, die beiden Galeonen auf die Unterwassersperre auflau fen zu lassen, war gescheitert. * Es wurde dunkel über dem Blackwater. Auf der ›Isabella‹ und der ›Marygold‹ lagen die Männer erschöpft an Deck. Nur
die verstärkten Wachen gingen ihre Runden. Der Seewolf stand auf dem Achterkastell. Sein Gesicht zeigte Spuren des Kampfes, tiefe Linien hatten sich in sein Gesicht gegraben. Sie hatten gesiegt, sie hatten es sogar geschafft, ihre Schiffe noch vor der tödlichen Falle zu stoppen. Aber dennoch waren sie gefangen, die Unterwasserbarriere stellte auch für sie ein unüberwindliches Hindernis dar. Der Ostwind pfiff leise in der Takelage, das Wasser umspülte glucksend den Rumpf der ›Isabella‹. Was sollte nun werden? Wie sollten sie aus dieser mörderischen Falle entkommen? Der Seewolf hob die Schultern und schüttelte müde den Kopf. Da hörte er hinter sich Schritte und wandte sich um. Ben Brighton trat aus dem Dunkel auf ihn zu. Eine Weile sah er den Seewolf an, stumm blickten die beiden Männer einander in die Augen. »Hasard«, sagte Ben Brighton schließlich, »ich weiß nicht, wie wir es schaffen werden. Aber wir schaffen es, verlaß dich drauf. Leg dich jetzt hin, ich werde deine Wache übernehmen.« Hasard nickte. Für einen winzigen Moment berührte er mit seiner Rechten die Schulter seines Bootsmanns. »Danke, Ben!« Mehr sagte er nicht. Müde stieg er den Niedergang zum Hauptdeck hinunter. * Keiner der beiden Männer ahnte, daß um dieselbe Zeit ein spanischer Captain am Ufer des Blackwater lag. Er spürte, wie aus der tiefen Wunde, die ihm eine Kugel beigebracht hatte, sein Leben in das taufeuchte Gras verrann. Seine dunklen Augen flackerten, als er den Kopf noch einmal hob und zu den beiden ankernden Galeonen hinüberstarrte. Er konnte es nicht fassen, daß diese Teufel ihm wieder entkommen waren. In einem letzten, jähen Aufbäumen schlug
er mit seinen Fäusten in blinder Wut auf den Boden ein. Dann krallten sich seine Finger ins Erdreich und zogen lange Furchen durch das Gras. Seine Bewegungen wurden schwächer - in einem letzten Krampf streckte sich sein Körper. Dann lag der Captain still, und die Nacht deckte ihn zu ...
In 14 Tagen erscheint SEEWÖLFE Band 25
Die letzte Fahrt der ›Isabella‹ von William Garnett Die beiden Galeonen mit Francis Drake und Philip Hasard Killigrew gleichen schwimmenden Festungen. Hinter den Schanzkleidern lauern Besatzungen und Soldaten, bewaffnet mit Musketen und Pistolen. Auch die Kanonen sind besetzt. Gespannt warten die Männer auf einen weiteren Angriff der Iren und Spanier. Um Mitternacht, bei Niedrigwasser, wird ein Teil der Sperre sichtbar sein. Der Seewolf beginnt mit dem Beschuß der Sperre. Und dann starten die Iren zu einem Unternehmen, das heller Wahnsinn ist.