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CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek Ulrici, Rolf: Weltraumklipper / Rolf Ulrici. Menden/Sauerland: Kibu Landung in der Falle. - 1982.
ISBN 3-88101-657-0
Inhalt Wo ist Superhirn? • • • 9 Ein Zettel löst sich auf • • • 16 Fünf Jungen, ein Mädchen, ein Hund in der LuftI • • • 23 Auf dem Flugzeugträger • • • 34 Raumschiff „Transmontana" • • • 43 Landung unter Urwaldmonstern • • • 58 Spannungsvolle Stunden • • • 66
Der Autor hat Veranlassung, sich bei deutschen, amerikanischen und britischen See-, Bergungs- und Wetterfliegern zu bedanken. Wissenschaftliche Beratung und Geheimnistabelle: Dr. Walter Baier
Wo ist Superhirn? der pudel hat eine spur • • • gespenster im park • • • prosper fällt ins wasser • • • micha findet eine Brille • • • „Ich mache mir Sorgen um Superhirn", sagte Tatjana (genannt Tati). „Er ist seit. . . " Sie blickte auf ihre Armbanduhr: „ . . . etwa zwanzig Minuten verschwunden!" Das Mädchen, seine Brüder (Henri, der ältere und Micha, der jüngere), sowie Henris Mitschüler Prosper und Gerard hatten ihren Ferienaufenthalt in Lissabon dazu benutzt, mit dem Bus von Lissabon in die Serra da Sintra zu fahren, um dort das phantastische Schloß zu besichtigen. Zu der Gruppe aber gehörte vor allem - außer dem geliebten schwarzen Zwergpudel Loulou - der vermißte spindeldürre Marcel mit der enormen Brille. Marcel hieß bei den anderen wegen seiner außergewöhnlichen Klugheit nur „Superhirn". „Geplatzt wird er nicht sein!" meinte der stämmige Gerard. Zugbrücke, Mauern, Rundtürme, Zinnen, Wehrgänge, Terrassen und Säle waren nicht sein Fall. Gerard sehnte sich in das grandiose Fußballstadion zurück, in dem er am Vorabend den großen Sieg der Mannschaft „Benfica Lissabon" über die Gäste aus Porto (7:2) hatte miterleben dürfen. Am liebsten hätte er gleich anschließend das Rückspiel gesehen. Der zappelige Prosper entrüstete sich:
„D-d-du hast nichts anderes im Ko-Ko-Kopf als einen Fußball! Von Ku-Ku-Kunst keine Ahnung!" Tatis älterer Bruder Henri grinste:
„Und wer", fragte er anzüglich, „hat vorhin eine ,antike' Blumenschale aus Beton geknipst, die erst in diesem Monat aufgestellt wurde? Ha! Da hat sogar der Gärtner gelacht!" „Streitet euch nicht!" rief Micha, der jüngste der Gruppe. „Daß sich Superhirn mal 'ne Weile selber ,abhängt', um Notizen zu machen, ist ja nichts Besonderes. Aber Loulou zerrt wie verrückt an der Leine. Er schnieft so komisch. Und das bedeutet immer ,Gefahr'!" Tati blieb stehen. Ihre Augen wurden groß: „Ja!" raunte sie. „Stimmt! Der Pudel hat was ,in der Nase'. Gewiß nichts Gutes. Los! Wir suchen mal im Park!" Die Gruppe umkreiste mit dem winselnden Pudel Blumenrondelle, Statuetten, gewaltige Korkeichen, eilte einen palmengesäumten Weg entlang und geriet in einen Dschungel voller Farne und Blättergirlanden. Vor einem wassergefüllten Becken, das einem gewaltigen Suppenteller glich, blieb der Pudel stocksteif stehen. „Hat er etwas?" fragte Gerard. „Eine Witterung, meinst du?" entgegnete Micha unschlüssig. „Loulou schnüffelt nicht am Boden. Er reckt die Schnauze in die Luft!" bemerkte Henri stirnrunzelnd. Prosper sog nervös den schweren, bittersüßen Duft der vielen Pflanzen ein: „Ich rieche nichts! Was soll das?" rief er. Tati lachte: „Bist du ein Hund?" Gleich darauf schrie sie: „Autsch!" und faßte sich an die linke Wange. „Seid ihr verrückt? Wer wirft denn da mit Kieselsteinen?"
Die Jungen blickten erstaunt um sich. Dann sahen sie einander an. Bedächtig sagte Henri: „Vielleicht hat dich eine harte kleine Frucht von oben gestreift. Von uns wirft keiner mit Kiesel -" „Au . . .!!!" unterbrach Tati. „Schon wieder!" Diesmal hielt sie sich die rechte Wange. „Verflixt! Das hätte ins Auge gehen können! Da wirft doch jemand mit Steinen! Mit winzigen, spitzen Steinen ..."
„Ach, Gespenster!" redete sich Prosper selber Mut zu. Im selben Moment fiel er vornüber, hielt beide Hände vors Gesicht und tanzte, sich krümmend, am Beckenrand entlang. „Achtung!" gellte Michas Schrei. Zu spät! Es gab einen Riesenplatscher - Prosper lag im Geschlinge der Seerosenstengel und Blätter. Gerard griff bäuchlings über den Rand, packte den Zappelnden eisern am Kragen und zog ihn mit staunenswerter Kraft unter den Achseln heran. „So", keuchte er. „Hopp, hoch . . .!!!" Niemand hatte Zeit, über die schnelle Rettung erleichtert zu sein - oder den triefenden Prosper auszulachen. Der Pudel tat einen Luftsprung, jaulte laut auf und riß sich mitsamt der Leine von Michas Hand. Wie besessen um sich schnappend, hopste er um das Wasserbecken herum. „Kinder seht doch!" rief Henri. „So benehmen sich Tiere, wenn Wespen hinter ihnen her sind. Aber ich sehe keine! Ich sehe nur . . . Au! Autsch! Was ist denn das . . . Was . . . " Er fuhr mit den Armen durchs Leere wie ein Schattenboxer. Dann ging er in die Hocke und bedeckte den Hinterkopf mit den Händen. „Mein Fotoapparat!" heulte Prosper. „Immer habe ich Pech mit dem Ding!" Aber auch er rannte! Er rannte Loulou nach - immer im Kreis um das Becken herum . . . Micha- als wollte er „schuhplatteln" - schloß sich ihm an: Nicht jedoch in der Absicht, den Pudel zu fangen. Jetzt warf er die Hände dauernd nach hinten über die Schulter, wie es irische Seeleute machen, wenn sie auf „Große Fahrt" gehen. Ein alter, frommer Aberglaube: Das soll die bösen Geister abwehren. Micha wehrte aber ganz offensichtlich etwas anderes ab!
Auch . . . „Steine" . . ., von denen Tati gesprochen hatte? Plötzlich brüllte Gerard auf. Und der war doch wirklich „hart im Nehmen"! Er hielt sich die Stirn, die Nase, den Hinterkopf: Ohne Zweifel - er focht ein „Match" besonderer Art aus. Und nun rannten sie alle: Tati, Henri, Micha, Prosper, Gerard . . . und der Pudel. „Superhirn . . ." rief Prosper in den Dschungel der hohen Farne hinein. „Laß das! Womit auch immer du uns ,beharkst', - genug! Du machst den kleinen Hund ganz wild!" „Schlangen!" schrie Tati. „Baumschlangen! Mich hat eine gebissen . . .!!!" Der ältere Bruder riß das Mädchen zu Boden: „Wo? Zeig!" Er saugte wie ein Wilder an der kleinen Wunde. Als er ein paarmal ausgespuckt hatte, sah er sich das Ohrläppchen genauer an: „Das ist kein Schlangenbiß! Es sieht aus wie ein winziger Messerschnitt. Wo sollten hier denn Baumschlangen herkommen? Wir sind doch nicht auf Sri Lanka (Ceylon)!" „Aber guck mal! Mein Blusenärmel hat so komische Löcher!" Gerard schüttelte den Kopf und murmelte: Die Löcher sind an den Rändern angesengt. Hm . . . So, als war' dir einer mit 'ner brennenden Zigarette zu nahe gekommen „Zieh dein nasses Hemd aus. Prosper", sagte Henri. „Ich geb' dir meinen Pulli, ich hab' ja noch was drunter!" „Wenn ich bloß wüßte", schimpfte Micha, „was mit dem Pudel los ist!" Micha hatte das Ende der Leine erwischt,
mußte dem kleinen Hund dauernd nachgeben, so sehr zerrte und zappelte der. „Ich glaube, er hat eine Spur!" Prosper, gerade dabei, sein Hemd auszuwringen, reckte den Hals. Die anderen drehten sich um. „Er sucht zwischen den Sträuchern!" erkannte Gerard. „Laß ihn, Micha! Laß ihn ...!!!" Der Pudel verschwand, den Jüngsten hinter sich herziehend, im Dschungel der Parkgewächse. Man sah die Zweige und Blätter schwanken. „Hilfe, Hilfe . . .", tönte Michas unterdrückter Schrei. „Pfui Teufel, mich umschwirren lauter Viecher! Eben hatte ich eins im Ohr!" Henri und Gerard bahnten sich blindlings einen Weg zwischen den Büschen und den exotischen SchmarotzerGewinden hindurch, die wie grünblaue Haare sagenhafter See-Ungeheuer von schiefen alten Bäumen hingen. Micha drehte sich mit Leine und Hund auf einer kleinen, ziemlich matschigen Lichtung. Mit der freien Hand wehrte er etwas Unsichtbares ab. „Bist du verletzt . . .???" keuchte Henri. „Nein!" rief der Bruder wütend. „Aber ich komme mir wie ein Kasper vor! Hier sind Schwärme von Insekten! Ich nehme an: Libellen! Nur, man sieht sie nicht!" „Quatsch!" brummte Gerard. „Seit wann beißen Libellen? Und wo gibt es unsichtbare Libellen?" „Und wo gibt es so viel Unheimliches wie in Sintra?" konterte Micha. Dreihundert Meter tiefer, im Paco Real, ist Alfons der Vierte achtzig Jahre als Gefangener auf Steinfliesen auf und ab gegangen. Heute sieht man seine Fußspuren
im Boden! Und da gibt es siebenundzwanzig Schwäne: Keiner weiß, was sie bedeuten!" „Acht — nicht achtzig Jahre war König Alfons gefangen!" berichtigte Tati, durch die Blättergirlanden spähend. „Die Schwäne, deren Bedeutung unklar ist, zieren eine holzgeschnitzte Decke. Erst einmal richtig hinhören und hinsehen — und dann bibbern, mein Junge!" Micha wandte sich ganz, ganz langsam um. Die Hundeleine hatte er losgelassen. Mit völlig veränderter Stimme sagte er: „Ich könnte jetzt kichern - über die Belehrung. Wenigstens hab' ich mich eben nicht verguckt. Und ich habe auch richtig hingesehen. Nun bibbert ihr ...!!!" Die anderen Jungen und das Mädchen standen wie erstarrt. Superhirn war verschwunden, ja. Aber das wäre irgendwie zu erklären gewesen, vielmehr: Es hätte sich möglicherweise schon in den nächsten Minuten aufgeklärt. In einer Gruppe von sechs Personen kommt immer einmal jemand für kurze Zeit abhanden. Man sucht den Betreffenden, der Betreffende fahndet nach den anderen: Kurz vor Abfahrt des Busses finden sich dann alle wieder aufgeregt schwatzend zusammen. Superhirn war übrigens durch seine spindeldürre Figur, sein leuchtendes Flachshaar und die Art seiner Bewegungen unverkennbar. Sah man ihn von vorn oder von der Seite - so war gar kein Zweifel möglich. Um sich den Anschein eines harmlosen Stubenhockers zu geben, trug er ein kauziges Brillengestell mit enormen Rundgläsern. Diese Brille war Superhirns „Markenzeichen" (wie Tati es einmal spöttisch genannt hatte). Und nun stand Micha da auf der Lichtung des märchen-
haften Parks - und blinzelte seine Geschwister und die Freunde durch eine Brille an. Durch Superhirns Brille! Micha mußte den Kopf in den Nacken legen, damit das Gestell ihm nicht von der Nase rutschte, doch daß er da nicht irgendeine Brille vom Boden aufgenommen hatte, sondern Superhirns . . . das war auf Anhieb jedem klar!
Ein Zettel löst sich auf zurück ins hotel • • • maultiere und Wasserlinsen • • • zimmer 307 • • • das magische blatt
„Himmel!" japste Tati entgeistert. Sie riß Micha die Brille weg, besah sie kurz und rief: „Die hat im Schmutz gelegen! Da ist Sand dran, feuchte, schwarze Erde! Wo hast du sie aufgenommen, Micha?" Der jüngere Bruder deutete an den Fuß eines verwitterten Steinsockels, der wohl einst eine Blumenschale getragen haben mochte: „Da sah ich sie blinken!" erklärte er. „Ich sah sofort, daß es Superhirns Brille war!" Prospers Adamsapfel zuckte. Er hatte sich Henris Pulli übergestreift. Erregt schwenkte er sein nasses Hemd: „Su-Su-Superhirn hat sich ver-ver-versteckt!" meinte er. Doch sein Gestotter verriet, daß er selber nicht daran glaubte.
Ruhig sagte Gerard: „Hier hat ein Zweikampf stattgefunden. Irgendwo ist ein Brunnenrohr in der Erde undicht, und der Boden ist feucht — teils sogar matschig. Wir stehen auf einer frisch aufgewühlten Stelle." „Und wir haben alle Spuren mit unseren Füßen verwischt!" nickte Henri. „Aber neben dem Sockel ist ein Abdruck - und der gehört zu Superhirns rechtem Schuh!" entdeckte Prosper. Micha bückte sich hastig und haschte nach Loulous Leine. „Stimmt!" stellte er fest. „Der Hund ist mehrmals dorthin gelaufen, aber immer wieder zurückgesprungen. Die Witterung scheint da zu enden!" Neuerlich herrschte Schweigen. Alle sahen einander an. Schließlich begann Henri düster: „Was ich mir für einen Vers darauf mache . . . hm. Ich sage es nicht gern: Vieles deutet darauf hin, daß Superhirn geschnappt worden ist. Entführt - von Feinden Professor Charivaris!" Keiner widersprach. Charivari, der große FRIEDENSTECHNOLOGE, der über geheime Weltraumstationen und eine Flotte ebenso geheimer Raumfahrzeuge (den Riesenklippern) verfügte, war ein väterlicher Freund der Jugendlichen. Noch immer hatte es der Professor geschafft, sich dem persönlichen Zugriff zu entziehen und die Entdekkung seines Reiches im All zu verhindern. Die Jugendlichen gehörten durch Zufall zu seinen Mitwissern: Allen voran Superhirn, der durch seine Fähigkeiten und Kenntnisse dem Genie Charivaris am nächsten stand.
Wenn es einer unbekannten dunklen Macht nicht gelang, den Professor zu fangen, mußte sie sich an Superhirn halten. Das war logisch. Aber gerade das hatten die eingeweihten Jugendlichen ja stets befürchtet, und Charivari hatte alles getan, die Verbindung zwischen sich und der Gruppe zu verwischen. Noch einmal meinte Prosper, jedoch nicht sehr überzeugt: „Ach! Superhirn hat sich bloß versteckt!" „Und dabei seine Brille in den Dreck geworfen?" fragte Tati scharf. „Mir geben die komischen Insekten zu denken, die uns angegriffen haben. Die angeblichen Libellen. Superhirn kann auch in so einen Schwarm geraten sein. Er ist hier herumgetanzt und hat sich mit Händen und Füßen gewehrt. Dabei verlor er die Brille -" „ — und floh wohin . . .???" unterbrach ihr Bruder Henri eindringlich. Ich sehe ringsum keine weiteren Fußspuren!!!"
„Wir machen, daß wir davonkommen!" riet Gerard. „Es besteht ja auch die Möglichkeit, daß Professor Charivari plötzlich aufgetaucht ist und ihn in Sicherheit gebracht hat!" „Dann würden wir eine chiffrierte Nachricht im Hotel vorfinden!" nickte Henri. „Okay! Aber wenn Superhirn von Feinden entführt worden ist?" „Tritt Charivari sofort auf den Plan!" behauptete Micha. Er fügte hinzu: „Übrigens besitzt Superhirn eine Ersatzbrille!" „Also los, zurück nach Lissabon!" entschied Tati . . .
Den Weg zur Ortschaft Sintra hinunter fuhren sie in zwei putzigen Maultierwägelchen, die Geschwister mit dem
Pudel in der einen, Gerard und Prosper in der anderen Kutsche. Von Sintra aus benutzten sie den Bus, der sie in Lissabon am Denkmal des Marques de Pombal absetzte. Zu Fuß strebten sie die herrliche dreiteilige Prachtstraße - die Avenida da Liberdade - entlang. Seewärts, an der rechten Seite, lag das Luxushotel „Rivoli". Dort waren sie von einem V-Mann des Professors einquartiert worden, offiziell, weil sie sich um den Schüleraustausch verdient gemacht hatten. Der „Feldmarschall-Portier" vor der blitzenden und blinkenden Drehtür grinste ihnen freundlich entgegen: „Na, unfreiwillig gebadet?" fragte er Prosper auf englisch. Die Schuhe des Jungen und seine Hosen waren noch nicht trocken. Außerdem klebten Wasserlinsen in seinem Haar. Tati lachte so unbefangen wie möglich: „Er wollte im Park von Sintra eine Brunnenfigur spielen: Einen Affen! Dabei ist er ausgerutscht! Übrigens . . . ist. . . Super . . . äh, ich meine — mein Freund Marcel schon da?" „Der mit der komischen Brille? Nein!" erwiderte der Portier. „Nichts anmerken lassen!" zischte Henri. Auch an der Empfangsbox, wo sie ihre Schlüssel zu den Zimmern 305, 306 und 307 entgegennahmen, hatte sich der Freund noch nicht gemeldet. Eine mündliche oder schriftliche Botschaft war nicht hinterlassen worden. Tati und die Jungen fuhren im Lift mit dem Pudel ins dritte Stockwerk. Die neue Einteilung sah vor, daß Tati mit Micha zusammen (und Loulou) Nummer 305 bewohnte, Prosper mit Gerard 306 - und Henri mit Superhirn Zimmer 307. Alle trabten
zunächst nach 307, in der Hoffnung, Superhirn dort zu finden. „Fehlanzeige!" wollte Prosper sagen, als sie durch den Garderobenraum an den leeren Möbeln vorbei zum Balkon spähten. Doch das Wort blieb ihm im Munde stecken. Eben schwirrte ein silbriges Etwas durch die offene Glastür ins Freie. „Wieder so ein Insekt!" schluckte Tati. Der Pudel bellte wie besessen. „Macht die Flurtür zu!" befahl Henri. „Alle rein ins Zimmer . . .!!!" Auf dem schwarzgläsernen Tisch, neben dem wappengeschmückten Aschenbecher, entdeckte Micha ein schneeweißes, etwa briefmarkengroßes Blättchen. Die anderen drängten sich Kopf an Kopf, um ihm über die Schulter zu blicken. „Das Blatt . . . wird . . . größer . . .!!!" staunte Micha. „Und es blendet scheußlich!" rief Tati. „Jetzt . . . jetzt ist es so groß wie eine Oktavseite!" stammelte Prosper. „Din A4!" berichtigte Gerard. „Mensch, nimm den Aschbecher weg, das Blatt entwikkelt sich zu einer Tischdecke!" versuchte Henri zu scherzen. „He! Nun wächst es aber nicht weiter! Dafür erscheint eine S c h r i f t . . . M" „Superhirns Schrift!" betonte Tati. „Aber was soll das denn heißen . . .???" „Es ist mit Blut geschrieben!" meinte Micha. „Quatsch!" brummte Gerard. „Der Text macht eher den Eindruck, als kam' er von meiner Tante!" Auf dem Blatt stand:
„Nehmt ein Bad - oder duscht Euch ausgiebig! Zieht Euch saubere Sportkombinationen an. Eßt etwas Leichtes zu Abend, aber nicht zu viel. Seid um 22 Uhr hier im Zimmer. Laßt die Balkontür auf! Superhirn."
Henri mußte lachen: „Gerard hat recht! Waschen, sauber anziehen, vernünftig essen . . . alles Ratschläge wie von einer Tante!" „Nur nicht: ,Laßt die Balkontür auf!" bemerkte Tati ernst. „Nach allem, was wir erlebt haben, würde ich die Balkontür zuallerletzt offenlassen! Selbst, wenn ich noch längst keine Tante bin!" „Was bleibt uns weiter übrig?" fragte Henri ruhig. „Der MAGISCHE ZETTEL stammt ohne Zweifel von Superhirn. Und alles, was Superhirn tut, ist wohlbedacht!" „Sooo . . .???" zweifelte Tati. „Ist es , wohlbedacht', seine Brille wegzuwerfen? Oder wie erklärst du dir das . . .???" „Wir werden'» früh genug erfahren!" sagte Gerard. „Hauptsache, wir haben eine Nachricht!" „Seht!" rief Prosper. „Das Papier schrumpft! Es . . . es löst sich auf . ..!!!" Micha griff nach dem Rest, doch als er die Hand öffnete, fand er darin . . . nichts! „Na, dann los", seufzte Tati. „Führen wir die Anweisungen aus. Baden, umziehen, essen — das hätten wir sowieso getan. Was das Weitere betrifft, so hoffe ich nur, wir tappen nicht in eine Falle!"
Fünf Jungen, ein Mädchen, ein Hund in der Luft! 22 uhr • • • ein anruf • • • erwachen über see • • • geisterfahrer • • • geisterstifte • • • Kurz vor 22 Uhr versammelten sich die Geschwister mit Loulou und den Freunden Prosper und Gerard wieder im Zimmer 307. Prosper spähte vom Balkon zur Avenida da Liberdade hinüber. Die Baumkronen spiegelten das Silberlicht des Atlantiks, das im Westen über den Dächern lag und aus den Seitenstraßen schimmerte. Aber der Lampenschein des großen Boulevards hob einen Teil der Blätter fahl heraus und ließ sie künstlich erscheinen. Musik klang auf; man hörte das Jubeln einer heranziehenden Menschenmenge. „Die marschieren zur Stierkampf-Arena!" meldete Prosper. „Sie schwenken Tücher mit aufgedruckten Hörnern, und sie tragen Torerohüte!" „Mir egal!" sagte Tati. „Sowas mag ich nicht!" „Aber in Portugal gibt es nur unblutige Stierkämpfe!" wandte Prosper ein. „Trotzdem. Ich tanze lieber", beharrte Tati, „und wenn wir nicht schon wieder mitten in einem Abenteuer stecken würden -" Sie wurde vom Summen des Telefons unterbrochen. Rasch griff Henri nach dem Hörer: „Ja? Hier 307. ..???" „He, hallo!" klang eine muntere Stimme an seinem Ohr. „Hier ist der Unglücksrabe, der im Park seine Brille verloren hat!"
„Superhirn . . .!!!" schrie Henri. „Nicht so laut! Seid ihr bereit?" Tati, Micha, Prosper und Gerard sahen, wie Henris Gesicht länger und länger wurde. Mehrmals fragte er in die Sprechmuschel hinein: „Was sollen wir . . .??? Wie . . .??? Noch einmal . . .!!! Waas . . .???" Schließlich murmelte er: „Okay" und legte den Hörer auf die Gabel. „Wo ist Superhirn? Woher kam der Anruf? Was will er? Wann kommt er her?" bestürmten ihn die anderen. „Wir sollen Loulou an die Leine nehmen, uns im Zimmer in einer Reihe aufstellen . . . und warten!" sagt Henri dumpf. „Sind wir eine Fußballmannschaft?" grollte Gerard. „Oder will er bis fünf zählen lernen? Und bis sechs - mit Hund?" Micha zog den angeleinten Pudel zu sich. „Ich bin dafür, wir gehorchen!" rief er neugierig. „Schnell, — bauen wir uns nebeneinander auf. Henri! Hat Superhirn gesagt: ,Der Größe nach'?" „Wa-Wa-Was sollte das für einen Sinn haben?!" ärgerte sich Prosper. „Womöglich warten wir im Kopfstand, wie?" „Ist da nicht eben wieder so ein komisches Insekt zum Fenster reingeschwirrt?" fragte Tati. Sie standen jetzt alle in einer Reihe am Fußende der beiden Hotelbetten. Micha machte große Augen. „Auf dem Tisch da - wo das Blatt lag, steht ein kleines Flugmodell! Ein Spielzeug!" „Wem soll das gehören?" meinte Gerard, „wenn nicht dir?"
„Hilfe!" rief Tati. „Ich verliere den Boden unter den Füßen ...!!!" Auch die anderen stießen Rufe der Verblüffung aus. Loulou winselte, als sähe er den Mond auf sich herabstürzen. Was sie aber alle gemeinsam spürten, war ein Schwung und ein angenehmes Freiheitsgefühl. Micha sagte später, er hätte den Eindruck gehabt, in ein Schwimmbecken gefallen zu sein. „So. Nun rappelt euch auf, lehnt euch behaglich in die Sessel. Aber schnallt euch an!" hörten sie nach einer Weile Superhirns vergnügte Stimme. „Und dann werft einen letzten Blick auf Lissabon. Ich fliege eine Schleife!" Es war dunkel in der Kabine. Nur von vorn, vom Armaturenbrett, kam ein schwacher Schimmer. „Wir sind . . . in ei-ei-einem Flugzeug . . .!!!" verkündete Prosper aufgeregt. „Zum Teu-Teu-Teufel, ich möchte wissen -" „Laß den Teufel aus dem Spiel und halte dich an das, was du siehst!" unterbrach Superhirn lachend. „Tati, setz dich auf den Copiloten-Platz. Ihr anderen richtet euch dahinter ein. Die Maschine hat genügend Sitze!" „Mensch, wie kommst du denn dazu, diesen Vogel zu fliegen?" fragte Henri. „Ist das nicht eine ,Renault-KaiserDüse'? Das neueste französisch-deutsche Kurierflugzeug?" „Du hast keine Lizenz!" warnte Gerard. „Mach keinen Unsinn, Superhirn! Gleich holen uns Abfangjäger vom Himmel!" „So, wie ich euch aus dem Hotelzimmer geholt habe?" amüsierte sich der spindeldürre Junge auf dem Pilotensitz. Er beugte sich vor und tippte auf ein Kontaktplättchen. Es knackte und rauschte. Dann sprach jemand - sanft,
einschmeichelnd, fast melodisch, aber mit der unverkennbaren Melancholie eines Weisen (und zwar eines ganz bestimmten Weisen) durch das Multiphon-System: „Willkommen an Bord meiner Zubringermaschine ,Charivari IM Wir werden uns auf der neuen Raumstation ,Globalia' wiedersehen. Ein Weltraumklipper steht bereit. Superhirn wird euch zu ihm fliegen. Ende . . . " „Der Professor!" jubelte Micha. „Ich hab mir's gleich gedacht, daß Charivari im Spiel ist! Gleich, nachdem du im Park verschwandest! Hurra! Ein neues Abenteuer! Ein Ausflug mit einem Klipper zur . . . wie hieß die Station?" „,Globalia'!" rief Prosper ebenso begeistert. „Auch ich hab' sowas geahnt!" „Gebt nur nicht so an!" sagte Tati. „Von wegen ,gleich gedacht' oder ,geahnt'! Ihr habt genauso dumme Gesichter gemacht wie der Pudel!" Henri lachte: „Na, nun wissen wir, woran wir sind!" „Hättest du's diesmal nicht 'n bißchen weniger spannend machen können, Superhirn?" fragte Gerard. „Wer hat dich denn da im Park ,auf geklaubt'? Und was waren das für komische Biester, die uns umschwirrten?" „Und seit wann verlierst du deine Brille in einem so wichtigen Moment?" fügte Tati hinzu. „Hattest du keine Zeit mehr, dich zu bücken?" Superhirn erwiderte nur: „Ich habe immer eine Ersatzbrille bei mir. Die Römischen Biester', die euch umschwirrten, sind Charivaris neueste SOUNDIES. Sie haben mich informiert und mir dieses verkleinerungsfähige Flugzeug zugespielt. Ebenso ein
MINIFIZIER-Gerät. Damit konnte ich die Maschine und uns alle verkleinern!" „Das kennen wir ja von früher", sagte Henri. „Aber im Augenblick haben wir wieder die richtigen Größenmaße?" „Exakt!" bestätigte Superhirn. „So. Werft einen Blick auf das beleuchtete Kastell und die Perlenketten da unten: die Straßen, Plätze und Docks im Lichtgeflimmer. Der Himmel bezieht sich. Wir fliegen aufs Meer hinaus . . . " Die gewaltige Brücke über den Tejo-Fluß und die riesige, von vielen Scheinwerfern angestrahlte Christus-Statue blieben kleiner und kleiner hinter der steigenden Maschine zurück. „Kein Radar kann uns erfassen", sagte Superhirn. „Diese Charivari-Maschine ist so wenig ortbar, wie alle seine Flugobjekte." „Mensch, du siehst ja gar nichts mehr!" rief Tati besorgt. Der junge Pilot wies auf die Instrumententafel. Sein schattenhafter Zeigefinger tippte an ein Zifferblatt-Gehäuse: „Die beiden Nadeln bilden eine Senkrechte - vom Mittelpunkt aus. Also fliege ich genau geradeaus. Und hier der Höhenmesser zeigt - von Fuß auf Meter umgerechnet ziemlich genau 890. Das da ist der ,künstliche Horizont'. Er verrät mir, wenn ich keinen tatsächlichen Beziehungspunkt mehr habe, die Lage der Maschine. Sie ist durchaus im Gleichgewicht. Kein Steigen, kein Sinken. Den Kompaß mit der Kursrose ersetzt in diesem Geheimflugzeug ein ,Marschzahl-Gerät', ähnlich wie in manchen Panzern. Die Richtzahl ist vorgegeben: 111, 111, 05. Siehst du die Ziffernfolge auf der Skala?" „Weshalb fehlt die Kompaßrose?" wollte Prosper wissen.
„Aus Vorsichtsgründen, damit ein unerwünschter Fahrgast die Flugrichtung nicht feststellen kann!" „Und wir?" fragte Henri. „Wo liegt für uns die Kontrolle?" „Im Vertrauen zu Professor Charivari!" antwortete Superhirn ernst. So viel ist jedenfalls klar: Wir folgen einer Route etwas unterhalb des 40. Breitengrades westwärts über den Atlantik, denn ich habe als letztes den Cabo da RocaLeuchtturm blinken sehen. Außerdem fing ich eine Warnung vor einem GEISTERFAHRER über die Küstenwache von Cascais auf. Das bestätigt meine Vermutung!" „GEISTERFAHRER . . . ? ? ? " rief Micha. „Was hat denn ein GEISTERFAHRER mit der Küstenwache zu tun .???" „Na, rate mal!" grinste Superhirn. Tati hatte sich ein wenig entspannt. Die Bemerkung über das „Vertrauen zu Professor Charivari" war ein schlagendes Argument; dagegen konnte man schlecht etwas einwenden. Niemals hatte der „Herr der Wissenschaft", dieser mandeläugige gurkenförmige Kahlschädel mit dem lackfarbenen Strippenbart, die Jugendlichen im Stich gelassen . . . „Wenigstens hübsch bequem sitzt man hier drinnen!" grunzte Gerard behaglich. „Schön warm! Und die Maschine schüttelt nur wenig!" „Noch was?" fragte Superhirn amüsiert, während er seine Eulenaugen auf das Schaltbrett gerichtet hielt. „Es ist kein Motorengeräusch zu hören!" erkannte Henri. „Auch kein Brausen des Windes. Die Kabine ist prima isoliert. Mit was für einem Treibstoff fliegen wir eigentlich?"
Superhirn räusperte sich. Tati bemerkte, daß er plötzlich nicht mehr amüsiert wirkte. „Das ist der einzige ,Hammer' an der Sache", antwortete er. „Ich muß zugeben: Ich weiß es nicht! Auf der ganzen Tafel finde ich weder einen Kraftstoffanzeiger noch eine Treibstoff-Zufuhrkontrolle. Ebenso fehlen die OeldruckWarnlampen!" „Und was folgerst du daraus?" fragte Henri! „Daß wir mit einer unbekannten Energie fliegen!" sagte Superhirn. „Einer Energie, die den Technologen auf der Erde noch nicht einmal im Traum eingefallen ist!" „Hoffen wir nur, daß sie reicht!" meinte Gerard sarkastisch. „Achtung!" sagte Superhirn. „Die Richtungs-Vorgabeziffern wechseln! ,111, 112, 00'. Ich muß nach Backbord abdrehen!" Schweigend warteten die Gefährten. Das Flugzeug kurvte, bis die Marschzahl im Sichtquadrat mit der veränderten Vorgabe übereinstimmte. Dann ging es wieder geradeaus. „Wer ändert denn diese . . . diese Kurszahlen?" erkundigte sich Micha. „Entweder Charivari selber, der irgendwo über dem Ozean in seinem Raumschiff auf uns wartet - oder der Kurs ist vorher einprogrammiert worden", vermutete Superhirn. „Wenn ich auf die Uhr gucke, nehme ich an, daß wir kurz vor dem Seegebiet zwischen 40 Grad bis 37 Grad nördlicher Breite und 31 Grad bis 25 Grad westlicher Länge waren!" „Was ist denn da?" fragte Prosper mißtrauisch. „Die INSELGRUPPE der AZOREN, wette ich!" lachte
Tati. „Ach, wie gern hätt' ich da mal die Rosenfelder gesehen!" Sie geriet ins Plaudern: „Und die herrlichen Hortensien! Davon hat mir meine Freundin so viel erzählt. Allerdings sind die im Frühjahr am schönsten -" Sie unterbrach sich erschrocken: „Was war das . . .???" Geräuschlos und nur leicht vibrierend schwebte das Flugzeug durch die unsichtige Nacht. Pick-pick . . . machte es an den Fenstern. Pick-pick . . . Alle lauschten reglos. Nur Loulou zappelte und schniefte, Pick-pick-pick . . . Es war, als klopften stählerne Stifte an die dicken Scheiben. „Die Soundies . . . Ja! D-D-Das sind wie-wie-wieder diese ekligen Biester, die uns im Park überfallen haben! Eins hat Tati ein Loch in den Ärmel gebrannt!" rief Prosper mit gedämpfter Stimme. Pick-pick-pick-pick . . . „Laß sie nicht rein, Superhirn!" warnte Micha. Beruhigend sagte der spindeldürre Junge auf dem Pilotensitz: „Keine Bange! Ich muß nur eine Richtungsänderung vornehmen. Die ,Azoren-Schwelle' und das ,Iberische Becken' haben wir wohl hinter uns. Die Vorgabeziffer befiehlt wieder ,rechtsweisenden Kurs'. Aha: Und die Buchstaben im Sichtquadrat 2 laufen alphabetisch abwärts!" „Und . . .???" drängte Tati. „Die Soundies geben mir nur Orientierungshilfe!" erklärte Superhirn. „Seid ihr angeschnallt? Fertigmachen zur Landung!" „Ja, wo denn, im Wasser , . .???" lachte Gerard hohl.
„Na, du hast Humor!" rief Tati ärgerlich. Das Hämmern der Soundies an den Flugzeugfenstern drohte zu einer Nervenzerreißprobe zu werden. „Eins von den Biestern klebt direkt an der Scheibe, ich sehe es!" schrie Micha. „Es ist silbrig, fingerlang, nein, es ist nur so groß wie ein Streichholz . . .!!!" Superhirn blickte nach links, murmelte: „Aha" und drückte das Steuerhorn nach vorne. „Unser silbernes ,Freundchen', der liebe kleine ,sound-man' gibt mir den Neigungswinkel an ..." Er zog die Nase wieder waagerecht und drosselte offenbar die Geschwindigkeit. Dann aber geriet auch er beinahe aus der Fassung: Die Maschine war aus der Wolkenwand herausgestoßen. Schwach erkannte man ringsum das ungemütlich wogende Meer. Aber „rechts voraus" erschien ein gewaltiger Gegenstand, kurz von einem künstlichen Blitz erhellt. „Ein Flugzeugträger!" rief Superhirn. „Herrschaften! Da soll ich landen . . .???" Auch Tati hatte das etwa 350 Meter lange Plattform-Schiff mit dem Schrägdeck und dem hohen Kommandoturm an der einen Bordseite gesehen. „Mach keinen Unsinn!" brüllte Henri. „Das ist ein Irrtum! Zieh die Kiste wieder hoch! Wenn du da in einen der Jäger, Hubschrauber oder in eine Tankmaschine reinhaust, gibt das ein Feuerwerk bis an die Sterne . . .!!!" „Wir haben keinen Fa-Fa-Fanghaken . . .!!!" heulte Prosper auf. Superhirn starrte mit Eulenaugen durch seine Ersatzbrille auf die Instrumente: Da waren jetzt zehn grünleuchtende Punkte erschienen - waagerecht im Sichtglas. Fünf der
Grünpünktchen links, fünf der Grünpünktchen rechts - und in der Mitte bewegte sich ein größerer roter Punkt. Der Junge begriff, daß das Rotlicht „sein" Flugzeug darstellte, die grünen Punkte aber die Deck-Ansteuerung für den Flugzeugträger markierten! Er brauchte den Rotpunkt nur ganz genau zwischen die Grünpunkte zu setzen. Nicht zu hoch, nicht zu tief — und ja nicht seitlich verschoben . . .! „Knopf 3! Scheinwerfer!" tönte eine sanfte Stimme aus dem Lautsprecher.
Superhirn sah die Landebahn. Sie war leer. Offenbar hatte man die Militärflugzeuge mit Lifts unter Deck gebracht oder ordentlich zur Seite geparkt, wie es sich gehörte. Nirgendwo stob Wachpersonal im letzten Moment auseinander, die Maschine mit den Jugendlichen und ihrem Talisman - dem Pudel - konnte landen! Das Aufsetzen merkte man kaum. Superhirn hatte das Tempo so weit wie möglich gedrosselt. Die Ausrollstrecke war erstaunlich kurz. Prosper zeigte sich gleich wieder begeistert: „Mensch, Superhirn! Dafür die Sportpiloten-Schwinge in Gold! Das war eine Traumlandung!"
Auf dem Flugzeugträger 6000 mann verschwunden • • • micha fürchtet ufos donnernder atlantik • • • der sog nach oben • • •
„Abschnallen, Glieder räkeln, Hund an die Leine nehmen!" rief der erfolgreiche Pilot lachend. „Nun wollen wir mal sehen, welche Nachrichten der Kommandant für uns hat! Ich nehme an, die Marine arbeitet wegen einer UFO-Sache mit Charivari zusammen! Was anderes kann's ja wohl nicht sein!" „Komisch, daß keiner kommt, um unsere Maschine festzuzurren!" überlegte Henri. „Die ,Arretierung' oder das Zurseiteschieben gelandeter Flugzeuge ist doch auf Trägern immer gleich das Dringlichste - hab' ich wenigstens gehört!" „Ich auch!" bestätigte Gerard. „Ob man uns nicht sieht?" gab Micha zu bedenken, „Superhirn; wir sind doch nicht ortbar, hast du gesagt!" Der Spindeldürre warf einen Blick auf die Instrumente: „Seit ich den Scheinwerfer einschaltete, sind wir nicht nur für Radar, sondern für das bloße Auge zu erkennen. Ich sehe das an zwei Warnsymbolen!" Er öffnete die Kabinentür an seiner Seite und kletterte hinaus. Die Maschine wackelte jetzt stark. Noch einmal erschien Superhirns Kopf in der Kanzel: „Vorsicht!" schrie er. „Böiger Wind!" Er hatte nicht übertrieben. Die Geschwister und die beiden Freunde wurden auf dem Deck glatt umgeweht. Der Pudel flog ein paar Meter durch die Luft und landete wie
eine Krähe im Scheinwerferlicht. Gerard erwischte noch gerade eben die Leine. Die Gefährten bildeten eine „Kriechkette" und robbten, sich immer für Sekunden aneinanderklammernd, auf die Flugzeug-Abstellzone des Trägers und auf den klotzigen Kommandoturm an Steuerbord zu. „Ich hab' nirgendwo ein Bremskabel, ein Fangnetz oder ein Startkatapult gesehen!" versuchte Henri das Heulen des
Windes zu übertönen. „Wo sind denn die 120 Flugzeuge oder wie viele so ein Kasten an Bord hat!" „Und die 6000 Mann Besatzung!" keuchte Prosper an seinem Ohr. „6000 Mann! Die können doch nicht alle pennen!" „Die Oberdecks sind leer . . . leer . . . leer . . .!!!" hörte man Michas verwehenden Schrei. Was Superhirn sagte, verstand nur Gerard: „Der Flugzeugträger hat keinen Begleitschutz! Nicht den Schatten eines Zerstörers!" Er hätte hinzufügen können, daß es normalerweise für eine nicht gemeldete Privatmaschine unmöglich ist, an einen Flugzeugträger heranzukommen, geschweige denn, auf ihm zu landen! Henri klammerte sich an eine Eisentür des Kommandoturms : „Hier ist ein offenes Schott!" Heftig atmend fanden sich alle im Innern des Turms auf einer Plattform wieder. „Seid mal sti-sti-still. . .!!!" japste Prosper. In dem seltsamen gelben Licht, das sie umgab und völlig „quellenlos" schimmerte, wirkten sie wie Wachsfiguren. „Hört ihr das Singen?" Micha glaubte, Prosper meine einen Seemannschor, etwa ein fröhliches Lied aus hundert rauhen Männerkehlen. Er starrte Prosper an und murmelte: „Jetzt dreht der durch! Er hört Stimmen! Ein Zeichen für Irresein! Es ist totenstill! Nirgends rührt sich was! Das ist ein Geisterfahrer, Superhirn hat vorhin gesagt -" „Quatsch!" unterbrach der Spindeldürre. „Du meinst ein
Geisterscbiff! Das ,Singen', von dem Prosper spricht, ist das Maschinengeräusch. Wir machen Fahrt! Allerdings sind draußen - und oben am Mast - alle vorgeschriebenen Lichter gelöscht. Los, hoch zur Kommandobrücke! Der Kasten muß doch eine Schiffsleitung haben: Einen Commander. Meist fährt auch ein Admiral mit!" Sie tappten über steile Leitern - an einem Labyrinth von Kabelwänden vorbei - in die Befehlszentrale empor. „Achte genau auf Loulous Reaktion!" flüsterte Henri seiner Schwester zu. Tati trug den Pudel. Dieser Talisman oder „Test-Hund" - hatte ihnen schon oft in Gefahrenfällen genutzt. Im abgedunkelten Brückenhaus herrschte Kirchenstille. Die Jugendlichen sahen nichts außer schwach er- oder beleuchteten Geräten, technischen Sockeln, Pulten, Tafeln mit Anweisungen, Kabelsträngen, Feuerlöschern, Wandtelefonen, Lautsprechern und mehreren Apparatur-Komplexen, deren Zusammengehörigkeit durch verschiedene Farben von sehr starker Reflexkraft gekennzeichnet war. „Der Flugzeugträger fährt mit leerer Brücke!" stellte Henri fest. Superhirn hatte sich über einen der Kompasse gebeugt. Seine Eulenaugen hinter den enormen Brillengläsern schillerten unnatürlich. In einer schnellen Eingebung wandte er sich um: „Wo ist der Kommandantenschreibtisch? Es müssen Unterlagen da sein . . . jede Menge! Journal, Logbuch, Code-Texte!" Im gleichen Moment stieß Tati einen unterdrückten Schrei aus. Sie hatte einen Drehsessel mit hoher Rückenlehne herumgeschwenkt. Loulou knurrte. Auf dem Sessel saß ein
Mann in einer olivfarbenen Steppjacke. Er schien zu schlafen . . . doch seine Augen waren geöffnet, und sie verkündeten unzweifelhaft, daß er lebte, obwohl der Lidschlag stockte. Seine Rangabzeichen wiesen ihn als einen „US Kapitän zur See" aus. Ein aufgenähtes Stoffschild unter der linken Brusttasche verkündete: „Commander Jenkins". Das Schiffswappen, ebenfalls an seiner Jacke, gab den Namen des Flugzeugträgers an: MONROE. Gerard versuchte ihn zu wecken:
„Der ist hart wie Holz!", murmelte er. Micha war eine Abteilung höher geklettert. Eilig kam er zurück: „Oben telefoniert ein Admiral . . . das heißt, er sitzt wie angeleimt mit dem Hörer am Kartentisch. Aber er hat die Augen auf und atmet!" „Ich verstehe nur nicht", murmelte Superhirn „warum der Name MONROE überall abgeschabt ist; hier an der Alarmtafel und überall, wo sonst der Schiffsname aufgedruckt oder eingeprägt war ..." „Waaas?" rief Prosper. „Du wunderst dich über 'ne Nebensache? Und die le-le-lebenden Leichen, die . . . sind normal, was . . .???" „Der Flugzeugträger ist von Ufos überfallen worden!" beharrte Micha. „Die haben alle Flugzeuge geraubt, Piloten und Wartungspersonal entführt und die verbliebene Mannschaft hypnotisiert! Hypnotisiert, damit sie nichts verraten kann!" „Das klingt einigermaßen logisch", meinte Superhirn. „Aber das ist nicht die ganze Erklärung! Es fragt sich nämlich, ob dieses Schiff überhaupt Flugzeuge, Piloten und Flugwartungspersonal an Bord hatte! Er griff in ein Pultfach neben dem Kommandosessel: „Papiere!" rief er. „Eine ganze Akte! Ha! Da haben wir die Lösung! Hier: Die MONROE ist kein Flugzeugträger mehr! Sie wurde in Norfolk, USA, außer Dienst gestellt, all ihrer militärischen Funktion benommen und an eine griechische Reederei-Hotelkette verkauft!" Superhirn blätterte wie rasend in dem Ordner, steckte ab und zu die Nase aufmerksamer in den Text und erklärte
Weiteres. Inzwischen blickten Tati und die anderen auf den reglosen Kapitän im Sessel. „Die einstige MONROE wird Sportplattform im Mittelmeer.", verkündete Superhirn. „Ihr neuer Name ist ,Olympia'. Sie fährt mit minimaler Überführungsbesatzung, begleitet von US-Experten, durch die Straße von Gibraltar nach Rhodos! Deshalb also kein Flugzeug an Bord, und darum auch keine 6000 Mann Besatzung mehr!" Ein Wandtelefon im Brückenhaus schrillte. Schnell nahm Superhirn den Hörer ab. Doch die fremde Stimme kam nicht nur aus der Muschel, sondern auch aus einem Lautsprecher: Unverkennbar ein Grieche, der mangelhaft amerikanisch sprach: „He, Captain, was das soll sein? Hier zweiter Ingenieur Niko Gallides! Alle sein müde! So schrecklich müde, daß sie schlafen mit offene Augen! Assistent kniet mit Kaffeebecher an Instrumente . . . und gähnt! Mund geht aber nicht zu! Ist Luftumlauf ausgefallen?" „Okay, okay!" versetzte Superhirn, wobei er so tief wie möglich sprach. „Problem wird behoben!" Er hängte rasch auf, denn Henri hatte bemerkt: „Der Commander regt sich!" „Wir müssen hier w-w-weg . . .!!!" drängte Prosper. „Der Spuk scheint sich zu ver-ver-verfRichtigen!" Tati raste mit Loulou zum Ausgang. Wie die wilde Jagd stoben die Gefährten durch das Treppenlabyrinth hinunter, um die Plattform zu erreichen. „Erst mal wieder rein in unser Flugzeug!" keuchte Gerard. „Ich höre Stimmen! Die Hypnotisierten wachen alle auf. Zu früh!"
„Wahrscheinlich hat Professor Charivari nicht damit gerechnet", schnaufte Henri, „daß wir in den Räumen herumklettern würden! Wir hätten im Flugzeug bleiben und Funkbefehle aus dem All abwarten müssen!" An Deck, auf der schier endlosen Plattform, empfing sie schwärzeste Nacht und tobender Sturm. Man hörte das Donnern der Wellen, die sich am Rumpf des einstigen Trägers brachen. „Unser Flugzeug ist weg . . .!!!" schrie Micha. „Die ,Soundiesc müssen es zerstört haben . . .!!!" „Und oben am Mast brennen die Lichter wieder!" brüllte Henri. „Die Überführungsgruppe ist erwacht. Man wird sich wundern und Kontrollgänge machen! Am Ende werden wir geschnappt!" „Nur Ruhe!" gebot Superhirn. Er hatte nicht laut gesprochen, trotzdem verstanden ihn die anderen. Es war, als stünden sie plötzlich im Windschatten. Doch dann trudelten sie auf einmal in einem heftigen Sog schräg nach oben. „Hi-Hi-Hi-Hilfeee . . .", heulte Prosper. Noch einmal sahen sie die seitliche Kommando-Insel des Schiffskolosses, den Signalmast mit den Spieren für die Navigationsgeräte schattenhaft in den jagenden Wolkenfetzen. Dann umfing sie angenehme, künstliche Helligkeit, wohlige Wärme - und totale Stille. Sie befanden sich in einem Raumschiff . . .!!! Superhirn atmete erleichtert auf. Freudiges Strahlen überzog sein spitzes Gesicht: „Also doch! Herrschaften . . . es ist geschafft! Wir sind in Sicherheit! Geniale Organisation Professor Charivaris, den ausrangierten Flugzeugträger als Treffpunkt und Abflugba-
sis zu wählen! Die Leutchen wurden auf harmlose Weise in ein Nickerchen versetzt, und nach unserer Landung mit dem Spezialflugzeug senkte sich der Transportklipper auf die Plattform!" „Transportklipper?" fragte Micha verständnislos. „Na, sieh dich doch mal um!" grinste Superhirn. „Das ist ein ziemlich kleiner Raumgleiter! Ein Typ der KlipperSpitzensorte könnte auf einem veralteten Flugzeugträger nicht landen!" „Stimmt!" sagte Tati. „Der Kommandoraum ist kaum größer als eins unserer Zimmer in Lissabon!" „Was haben wir jetzt zu tun?" erkundigte sich Henri sachlich. „Schutzanzüge brauchen wir in Charivaris Raumfahrzeugen nicht, denn sie haben alle ihre eigenen AtemluftAggregate. Ebenso Schwerkraftsysteme, so daß wir uns im All bewegen können, als wären wir in einem irdischen Büro. Aber wir werden doch wohl Kurskorrekturen vornehmen müssen?" Gerard und Tati lehnten sich bereits in bequemen Sesseln zurück. Loulou hatte zum Kuscheln ein Doppelsofa gewählt. Micha und Prosper tasteten die Rundwand der Fahrgastkapsel ab. Henri starrte zur Kuppeldecke empor. „Gebt euch keine Mühe!" sagte Superhirn. „Dieser Kurier-Klipper ist zielprogrammiert. Ich wette, er saust jetzt mit unglaublicher Geschwindigkeit dem ,Rand' der Erd-Lufthülle zu! Wir werden noch einmal umsteigen müssen!" Und jetzt machte Henri eine Bemerkung, die Superhirn — erschöpft, wie er war - leider überhörte. Hätte er Henris Worte in ihrer vollen Bedeutung erfaßt, so hätte es sofort in
ihm „geblitzt": Er würde dann den „Goldenen Schlüssel" notwendigen, ja, lebenswichtigen Mißtrauens in der Hand gehalten haben . . . Henri murmelte nämlich vor sich hin: „Noch mal umsteigen?' Reichlich kompliziertes Verfahren! Warum hat er uns nicht gleich von seinen ,Soundies' in ein Mini-Raumschiff katapultieren lassen? Schon anfangs, allesamt . . . im Park von Sintra! Wieso erst noch der Kokolores mit dem Flugzeug, warum der Umweg über den ausrangierten Flugzeugträger? Wieso das Hypnotisieren einer völlig unbeteiligten Schiffsmannschaft. Und weshalb das Zwischenschieben eines ,Fährklippers' . . .???" Doch auch Henri war übermüdet. Sein Gemurmel versiegte in undeutlichem Selbstgespräch. Er warf sich in einen Sessel und schloß die Augen. Und damit war die letzte Chance vertan . . .
Raumschiff „Transmontana" abflug ins all • • • käse auf knäckebrot • • • rätselvolle mängelkette • • • ausgeplünderte labors • • • hier stimmt was nicht • • •
Der satte, volle Ton eines Gongschlags drang durch den Halbschlaf an die Ohren der Gefährten. Über eine Multiphon-Anlage hörten sie die freundliche Stimme Professor Charivaris:
„Ich begrüße euch an Bord meines Weltraumklippers ,Transmontana'!" „Hurra . . .!!!" schrie Micha. Der schwarze Zwergpudel Loulou überschlug sich vor Begeisterung. Auch er hatte es längst begriffen: Allein schon die Stimme Charivaris signalisierte Geborgenheit. Die Wände der Fähre traten zurück. Das Kurierschiff, das die Jugendlichen heraufgebracht hatte, öffnete sich wie eine Tulpe. Die einzelnen „Blätter" bildeten Laufstege, über die sie ins Innere der „Transmontana"-Garage balancieren oder rutschen konnten. Die Einfahrtsröhre und die Hebewerke hatten sie bereits hinter sich. Jetzt wurden ihre Körper mittels einer Bodengleitschicht durch die „Erkennungsschleusen" geschoben. Ein unsichtbarer Datenspeicher prüfte die Identität der Gäste. Ebenso sorgte eine Trockenwaschanlage automatisch für die Säuberung nicht nur der gesamten Bekleidung. Auch Haut und Haare - und das Fell des Pudels - wurden blitzartig „strahlengeschrubbt" und auf Viren, Bakterien und Radioaktivität „abgetastet"! Das ersah man aus den Sichtzeichen in den Wänden. Außerdem waren all diese Vorgänge von früheren Klippervisiten her bekannt. Superhirns wieder hellwache Augen hatten bereits in der Garage eine Informationstafel erspäht. Danach war dieser „Transmontana"-Klipper 400 Meter lang. Die Spannweite der Leitstützen betrug 170 Meter. Auf über 20 Decks war alles untergebracht, was sich friedliche Forscher für einen unbeschränkten Aufenthalt im All nur wünschen konnten: Von der Abteilung für Biomedizin bis zu den verschiedensten Labors für Werkstoff-Erprobung und Fremdstoff-Ana-
lysen. Doch die gespannten, stets kriegsträchtigen Verhältnisse auf dem Erdball ließen Charivari den Mißbrauch seiner Klipper mit all ihren unglaublichen Möglichkeiten befürchten. So hielt er sie nicht nur geheim, sondern verlagerte ihre Stützpunkte weiter und weiter ins All hinaus . . . Mit dem Lift sausten sie zur Vorhalle der Kommandozentrale hinauf. Prospers Adamsapfel zuckte. Kaum hatte er seine Arme und Beine in der Gewalt: „Wie f-f-freu' ich mich auf den Professor!" jubelte er unterdrückt. „Zu früh!" erinnerte Henri ernst. „Auch dieser Riesenklipper ist ja eigentlich nur eine ,Fähre'! Hast du vergessen, daß wir auf der Raumstation ,Globalia' erwartet werden? Dort treffen wir Charivari! Dort - und nicht hier!" Kaum hatte Superhirn bestätigend genickt, als der Lift auch schon hielt. Mit klingendem „Ping" öffnete sich die Fahrstuhltür. Die Gefährten standen im lichtdurchfluteten Oval vor dem Befehlsraum. Das Licht, das mit gleicher Intensität von überall her kam - von den Wänden, der Decke, dem Boden - verstrahlte das typische Verkehrsampel-Grün. „Hier komm' ich mir vor wie ein unreifer Apfel!" murrte Gerard, „wenn ich mir vorstelle, wie sich das auf mein Gesicht auswirkt!" Unhörbar glitten Torflügel links und rechts in die Wände zurück: Im gleichen Moment verblich das Grün. Aus der entstandenen Öffnung flimmerte eisiges Silberblau. „Na, dann - los!" ermunterte Superhirn. Allen voran betrat er die Lenk- und Informationszentrale des gewaltigen
Klippers, die auf den ersten Blick allerdings eher einer hypermodernen Hotelhalle glich. Doch die Gefährten waren schon in größeren CharivariKlippern gewesen. Und sie wußten, daß die Bogenplatte vor der Stirnwand keine Empfangstheke war, sondern der Navigationstisch. Tausende von Funktions-, Kontroll-, Informations- und Warnanzeigern „schlummerten" hinter den trügerisch glatten Wänden. Sie traten erst auf Abruf hervor oder sie meldeten sich bei Gefahr. Loulou schoß an Superhirn vorbei und schnüffelte umher. Er suchte Professor Charivari. Vergebens - wie Henri es Prosper gegenüber schon prophezeit hatte. Superhirn beugte sich über die Befehlsplatte. Der Reflex von zahllosen Farblichtern huschte über sein bleiches Gesicht und spiegelte sich geisterhaft im Brillenglas: „Das Raumschiff ,checkt' sich selber", verkündete er befriedigt. Dann nahm er das Befehlsmikrophon aus der Halterung, drückte auf einen Knopf und gewöhnte die Lenk-Automatik an seine Stimme: „A B C D E F G H 1 2 3 4 5 6 7 8 " In verborgenen Lautsprechern schnarrte es schaurig. Eine gräßlich-unnatürliche Maschinenstimme bellte scheppernd: „Vergleich . . . mit . . . Stimmen-Speicher . . . er-gibt . . . Su-per-hirn . . . " „Na, dann ist's ja gut!" lachte Tati. „Soll sich nicht so wichtig tun, der Automaten-Affe! Sag ihm, er soll schleunigst spuren und uns zum Professor bringen!" Doch der „Automaten-Affe" war stur und beharrte auf Rückversicherung:
„Noch . . . ein-mal. Kein ,Okay' . . . ohne Zweit-kontrolle ..." Superhirn grinste und winkte Henri heran. Sie tuschelten miteinander. Dann führte Superhirn die Wiederholung durch, ließ aber einen Buchstaben von Henri sprechen. Sofort zeterte die Maschinenstimme: „Okay ver-wei-gert . . . Feh-ler . . . al-le Sy-ste-me . . . ver-wei-gern . . . Be-feh-le . . ." „Seid ihr verrückt?" rief Tati. „Solche blöden Witze könnten uns für Lichtjahre im All festhalten! Bis wir alle zu Mondkälbern geworden sind - und länger!" Superhirn präparierte die Lenk-Automatik nun gewissenhaft. Er bekam das plärrende „Okay" der Maschinenstimme. „Achtung!" sagte Henri. „In der Backbordwand erscheint ein Bildschirm!" Die Augen aller richteten sich darauf. Aus einem blitzschnellen Durcheinander von Strichen, Punkten, Quadraten und ungetrennten Farbtönen entstand das Gesicht Professor Charivaris, wie es die Jugendlichen kannten: Die lackschwarzen Brauen unter dem gelben Kahlschädel, der unergründliche, immer fiebrig wirkende Blick, die schmalen, hohlen Wangen und der dünne, wie unters Kinn geklebte Strippenbart! Das Bild auf der Mattscheibe war aber nur sekundenlang klar zu erkennen. Die Farben vermischten sich zu konfusen Werten, die Umrisse verzerrten sich auf groteske Weise, nur die Sprache klang noch verständlich: „Ich hole euch auf meine Raumstation ,Globalia'", ertönte die melodische Stimme des mächtigen großen Freun-
des. „Ihr seid außerhalb der Erdatmosphäre auf Wartebahn. Richtet einen Wachdienst ein und ruht euch umschichtig aus. Weitere Anweisungen folgen später . . ." Das Bild wurde undeutlich und verschwand samt der Mattscheibe in der Bordwand. Charivaris Worte gingen in gurgelnden Geräuschen unter. „Ko-Ko-Kosmische Störungen . . .!!!" vermutete Prosper irritiert.
„Fliegen wir schon?" erkundigte sich Micha hastig. „Seit die Maschinenstimme mich ,akzeptiert' hat, ja!" erwiderte Superhirn, über die Befehlsplatte gebeugt. „Ich sehe das an einem roten Pünktchen auf der Platte. Ich projiziere es jetzt an die Stirnwand!" Er tippte einen Kontakt: Augenblicks glich die riesige Fläche dem Teil eines Planetariums. Man sah Erde, Venus und Mars in ihren astronomisch getreuen Verhältnissen zueinander, vor allem aber zur Sonne — und zwischen den natürlichen Himmelskörpern das grellrote „Phantompünktchen", das den Klipper markierte. Winzige signalgrüne Pfeile bezeichneten sogar den „Wartekurs": Eine Schleife auf der Sonnenbahn! Da das Raumschiff einen VERZÖGERUNGSEFFEKT besaß, konnte keiner der Insassen eine Beschleunigung, Kursänderung oder Abbremsung spüren. Wegen der KÜNSTLICHEN SCHWERKRAFT, die alle Wohnteile immer konstant hielt (wie die Blase in der Wasserwaage, um die sich nur das Gehäuse dreht), bemerkte man auch nicht die geringste Dreh- oder Aufwärtsbewegung. Auch die berüchtigten „Andruck-Wirkungen" unter denen die Astronauten der herkömmlichen Raumfahrt zu leiden haben, blieben aus. Das gewaltige Schiff ragte mit der Spitze längst nach „oben", die Mitfahrer aber standen und saßen hier so ungezwungen, wie auf dem festen, sicheren Boden eines gigantischen Erd-Kraftwerks . . . „Hauptsache, die Leitzentrale des Schiffes hat unsere Stimmen archiviert", meinte Tati. „Das ist ein gutes Zeichen. Wir sehen daran, daß wir ,eingeplant' sind!" Henri nickte ernst: „Und das ,Gesetz des Handelns' bleibt notfalls bei uns!"
„Mich interessiert jetzt eher der Magen!" erklärte Gerard. „Wie sind denn hier die Restaurantverhältnisse?" „Es wird doch wohl ein Bonbonautomat an Bord sein?" rief Micha hoffnungsvoll. „Ich habe nur Durst!" seufzte Prosper. „Durst! Und dann will ich nichts als ein Stündchen schlafen . . . " „An Bord muß doch auch eine Gärtnerei sein". Tati erinnerte sich an andere Charivari-Weltraumklipper, die sie alle kannten. „Eine Botanik-Halle, in der Pflanzen und Bäumchen zu Versuchszwecken auf außerirdischem Boden mitgeführt werden!?" „Ach, so! Da willst du mit Loulou ,Gassi' gehen!" begriff Henri. „In der Schleuse, neben dem Lift, findest du einen Lageplan an der Wand!" „Danke!" Tati schob mit dem unternehmungslustigen Pudel ab. Superhirn hatte die Orientierung-Projektion von der Stirnwand in die Bogenplatte zurückgeschaltet. Zu Prosper, Gerard und Micha sagte er: „Bevor wir an Essen und Schlafen denken, verteilen wir unsere Aufgaben an Bord: Ich denke, ich übernehme die Verantwortung als Flugingenieur. Meine Vertreter sind diesmal Henri, Gerard und Prosper, und zwar gleichberechtigt. Das Innenkommando über alle Räume außerhalb der Zentrale haben Tati und Micha!" „Große Ehre!" maulte Micha. „Das heißt, wir haben nichts zu tun, außer auf Loulou aufzupassen! 'ne Mannschaft gibt's ja nicht!" „Dafür aber eine hunderttausendfache Elektronik in den Wänden!" erklärte Superhirn scharf. „Und die kann verflixt
widerspenstig werden, schlimmer als 'ne Rotte Meuterer auf einem alten Schoner!" Er beugte sich wieder über die Bogenplatte. Kopf an Kopf mit Henri studierte er die tanzenden Lichtpünktchen, die Symbole und Kurven. Beide wußten, daß Professor Charivari seine Raumschiffe so konstruiert hatte, daß keines haargenau dem anderen glich. Das war als Rückversicherung gegen unbefugte Benutzer gedacht. Henri lachte: „Ich sehe hier das internationale Zeichen für ,Speisen- und Getränke-Ausgabe'! Dieser ,Transmontana-Klipper' hat eine ,Kommandantenkantine', also braucht ihr euch vorläufig nicht in ein Bordrestaurant zu bemühen!" Henri tippte auf ein Kontaktplättchen. „Ping . . .", machte es hinter Micha, Gerard und Prosper. Aus der Wand fiel eine stabile Scharnierklappe, begleitet von einem Hebel mit Drucktasten-Auflage. „Ha!" rief Gerard freudig. „Eine Theke, wie? Da lass' ich mich jetzt von den Elektronen-Engeln bedienen, daß die Schwarte knackt! Schweinebraten -" „Aber dazu brauch' ich erst mal eine Speisekarte!" rief Micha ungeduldig. „Wo ist die?" „Na, neben dem Wähler!" grinste Superhirn. „Siehst du die Flimmerschrift nicht? Hinter jedem verzeichneten Gericht oder Getränk steht eine Nummer. Die mußt du dann tippen - wie auf einem Tastentelefon!" „Ich sehe schon!" verkündete Prosper übereifrig. „Ich haha-hab's begriffen! Hier: ,Würstchen mit Senf!' Nummer 2211." Er drückte die entsprechenden Tasten. Doch zu seiner größten Verblüffung ertönte das europäische TelefonBesetztzeichen!
Auch blieb die „Wandtheke" leer . . . „Laß mich mal!" forderte Gerard. „Schweinebraten gibt's hier nicht — wie ich sehe. Aber, he: ,Steak mit Pommes frites'!" Und schon tippte er die dahinter angegebene Nummer 3322. Tüt-tüt-tüt-tüt-tüt-tüt-tüt . . . scholl es aus dem Transportschacht hinter der offenen Klapptheke.
Mit mordsdämlichem Gesicht wandte sich Gerard um: „Das Steak ist auch ,besetzt'! ,Leitung belegt'! Da frißt offenbar schon einer . . .!!!" Selten hatten die Freunde Superhirn so lachen sehen. „Da frißt keiner!" japste er. „Statt des ,Besetzt- oder ,Belegt'-Zeichens könnte sich jetzt eine Stimme einschalten: ,Kein Anschluß unter dieser Nummer'! Was soviel hieße wie: ,Sie haben sich verwählt!', aber in diesem Falle auch: ,Teilnehmer existiert nicht mehr!'" ,,,Teilnehmer' . . .???" wiederholte Gerard verständnislos. „Der ,Teilnehmer' ist dein Steak!" erklärte Henri grinsend. „Es ist nicht mehr auf Lager, verstehst du?" „Ich lese hier ,Eisbecher'!" rief Micha entschlossen. „Das war' ja noch schöner, wenn ich kein Eis kriegen würde! Nummer 4367 . . . Wartet ...!!!" Hastig drückte er die Zahlen auf der Tastatur. Es ertönte kein Besetztzeichen. „Haha!" triumphierte Micha. Im nächsten Moment kam statt des erwarteten Eisbechers eine dampfende kakaofarbene Brühe aus der Wand über die Theke gelaufen. Sie strömte auf den Boden der Zentrale und bildete dort einen immer größer werdenden See. Superhirn war das Lachen vergangen. Er sprang zur Kantinenwand - vorbei an den verdutzten Freunden - und blockierte den Strom durch heftiges Betätigen der Taste „Rot". Dann befahl er Henri: „Such das ,Reinigungssymbol' auf der Bogenplatte! Schnell!" „Staubsaugerdüse klar!" erwiderte Henri ruhig.
Im nächsten Moment entstand ein gewaltiger Sog von allen Seiten der Wandbasis des Befehlsraums. Die Pfütze aus geschmolzenem Eis, die zu einer siedenden Brühe geworden war, teilte sich zitternd, bildete Inseln, schrumpfte zu Partikeln und verschwand. Auch im Zulieferschacht hinter der Theke trat der Reiniger in Aktion. Zuletzt sah man auch auf der Bedienungsplatte nicht mehr den winzigsten Fleck. „Probiert es noch einmal", sagte Superhirn. „Tippt irgendwas - ganz egal!" „Käse auf Knäckebrot", murmelte Gerard, „8816!" Schwupp - lag ein Beutel Biskuits auf der Klapptheke. „Besser als gar nichts!" ärgerte sich Gerard. „Das wär' auch gleich was für den Pudel!" „A-A-Aber ich habe Durst . . .!!!" rief Prosper gereizt. Er wählte alle „Getränkenummern, doch immer gab der „ZIG" bekannt: „Tüt-tüt-tüt-tüt-tüt-tüt", und das hieß: „Warten bis du schwarz wirst!" „Hat keinen Zweck. Im ,Lager' dieser Kantinen-Apparatur sitzt ,der Wurm"', meinte Superhirn. „Nehmt die Pfoten weg, ich lass' das Ding wieder in der Wand verschwinden!" Eben kam Tati ahnungslos hereingeschlendert: „Ich war in der Pflanzenhalle", berichtete sie. „Unterwegs bin ich auf einen Milch-Automaten gestoßen. Prima gekühlt, das Zeug. Loulou und ich, wir haben uns gelabt!" „Wooo . . .???" schrien Gerard, Micha und Prosper zugleich. „Nun mal nicht so hastig!" wehrte Tati lachend ab. Sie schwenkte drei Papptüten. „Hab' schon an euch gedacht! Hier, die teilt euch erst mal!"
„Gib sie den dreien, da", sagte Henri. „He, ihr! Laßt Superhirn und mir wenigstens noch je einen Schluck!" Tati setzte den Pudel auf das Sofa und "wandte sich den beiden Jungen am Befehlstisch zu: „Na, was Neues vom Professor? Übrigens, eh' ich's vergesse: Ihr müßt ihm melden, daß die meisten Pflanzen auf dem Vegetationsdeck verdorrt sind. Es liegt nicht nur an der Luft. Die ist so trocken wie in der Wüste. Aber die Wassersprüh-Anlage - die scheint seit Wochen nicht mehr zu funktionieren!" Henri und Superhirn starrten einander an. Dann griff Henri nach einem Halt, als müßte er sich stützen. Und Superhirn schien die Sprache verloren zu haben. „Ist was?" fragte Tati. „Weshalb guckt ihr so komisch?" Geistesgegenwärtig erwiderte der Bruder: „Nichts, nichts, Tati! Sorg dafür, daß wir auch noch einen Schluck Milch kriegen. Dann fahrt ihr vier in den Hoteltrakt hoch und packt euch in die Schlafkammern . . . " Tati, Gerard, Prosper und Micha verließen mit Loulou die Zentrale. Einige Minuten später meldete Tati über Bordtelefon, sie hätten die Gästezimmer 13 bis 16 bezogen. KlipperKleidung sei in den Schränken vorhanden, die Duschen gäben aber nur wenig Wasser her. „Sparen!" befahl Superhirn. „Verschwendet keinen Tropfen, hört ihr? Und nun legt euch aufs Ohr!" Superhirn und Henri waren in der Befehlszentrale allein. „Du siehst einen Zusammenhang in den Funktionsausfällen ,Botanik-Deck', ,Eß-Automat' und ,Gästeduschen'?" fragte Henri. „Du nicht . . .???" gab der Freund zurück. „Das ist eine
Mängelkette, die im Wasserreservoir, im Kühlsystem oder in der Pumpensteuerung ihre Ursache haben kann." „Was schließt du daraus?" „Genau das, was Tati den mitgeführten Pflanzen angesehen hat: Da hat seit Wochen — wenn nicht seit Monaten oder gar Jahren - kein Mensch mehr eingegriffen! Die AusfallAutomatik wird sich kaputt gesummt und geblinkt haben, auch die Reserve-Aggregate sind zusammengebrochen." „Weshalb setzt uns der Professor dann in diesen Klipper?" Superhirn nahm die Brille ab und rieb sich heftig die Augen. Dann sagte er dumpf: „Ich fürchte, Charivari hat uns gar nicht geholt! Ich bin den unheimlichen ,Soundies' auf den Leim gegangen! Wenn ich mir das Ganze überlege: Erst im variablen Spezialflugzeug kam ich richtig zu mir. Ich nahm Befehle über Funk entgegen, die ich für Weisungen Charivaris hielt - und so gelangten wir auf die MONROE, in den Transporter und schließlich in diesen Weltraumklipper hier, der sich ,Transmontana-Klipper' nennt. Die ,Soundies' haben sich dünngemacht, und der Bildkontakt mit Professor Charivari war bisher reichlich mager." Superhirn setzte die Brille wieder auf und beäugte die Kommandoplatte. „Die Werte stimmen", murmelte er. „Wir befinden uns weiterhin auf Abrufbahn." Er zog das Befehlsmikrofon aus der Halterung und sprach hinein: „Außenfunk einschalten. Richtstrahler über vorhandene Kosmos-Relais nach Charivaris Raumstation ,Globalia'! Professor Charivari, bitte kommen!"
„Mensch, du überforderst das Informations-Kraftwerk!" meinte Henri. „Nicht, wenn es darauf eingerichtet ist, die wichtigsten Ansprachen zu ,kapieren'!" erwiderte Superhirn. „Bildschirm in der Backbordwand!" rief Henri erregt. Professor Charivaris unverkennbares Gesicht wurde auf der Mattscheibe sichtbar. Er lächelte ermunternd und sagte: „Ich freue mich sehr auf ein Wiedersehen. Nur Geduld, es gibt da noch ein kleines Problem . . . " Sein Gesicht verschwamm, der Bildschirm erlosch, und wieder waren einige Worte in unverständlichem Gurgeln untergegangen. „Na, wenigstens klappt's mit dem Funkverkehr! Die Klipper-Zentralautomatik befolgt deine Mikrofonbefehle!" rief Henri. Superhirn war dennoch nicht erleichtert. „Ich fahre jetzt mal mit dem Lift von Deck zu Deck und schaue in die Labors!" erklärte er. „Du bleibst am Befehlstisch, ja?" Es dauerte zwei Stunden, bevor Superhirn zurückkam. Henri hatte vor Müdigkeit jedes Zeitgefühl verloren. Doch als er das blasse spitznäsige Gesicht des spindeldürren Freundes sah, riß er die Augen auf: „Du siehst ja aus, als hättest du Eis auf der Brille!" „So? Mir jagt's nur eiskalt den Rücken runter!" versetzte Superhirn mit einem Rest von Humor. Er berichtete leise und rasch: „Der Geräteraum mit den Geländefahrzeugen zur Erforschung fremder Planeten ist leer! Wie ausgeplündert! Sämtliche Labors sind ihrer Funktion beraubt. Es ist, als hätte sie jemand ausgeschlachtet. Das Proviantlager - mit Eß- und Trinkportionen für viele Monate - gibt kaum noch
was her. In den Bordrestaurants, im Sportcenter, auf dem Konferenzdeck fehlen Sessel, Stühle, Fitneßgeräte, VideoApparaturen . . . überhaupt alle Gegenstände von Wert!" „Was mag das bedeuten?" überlegte Henri. „Ich weiß nicht", seufzte Superhirn. Er setzte sich neben den Freund an die Befehlsplatte. „Mein Kopf ist schwer wie ein Stein . . . " Henri bemerkte gerade noch, daß Superhirn die Augen schloß. Dann überwältigte auch ihn die Müdigkeit . . .
Landung unter Urwaldmonstern das schiff ist manipuliert • • • es geht nicht nach globalia • • • professor charivaris letzte Botschaft • • • empfang auf dem fremden planeten • • •
Als die beiden Jungen erwachten, lehnten sie nicht mehr an der Bogenplatte, sondern saßen in den breiten und tiefen Gästesesseln der Klipper-Zentrale. Gerard und Prosper hatten ihre Plätze eingenommen. „Na, ihr Schlafmützen?" grinste Gerard. „Nach meiner Uhr müssen wir zweimal vierundzwanzig Stunden gepennt haben. Ich sehe das am Kalender. Trotzdem waren wir früher hoch als ihr!" Tati und Micha kamen herein. Beide trugen Tabletts. „Tut uns leid!" rief Tati. „Aber wir haben nebenan die ganze Schnellküche abgeklopft, bevor der ,Nahrungsspender' ein paar lumpige Brühwürfel auswarf! Der Heißwasser-
Speicher hat sich auch nicht beeilt, Flüssigkeit für fünf Besucher auszuspucken!" „Hattet ihr wenigstens noch einen Keks für Loulou?" fragte Superhirn. Er ließ sich einen Becher geben und nippte daran. „Zweimal vierundzwanzig Stunden . . .???" wiederholte er. „Dann war der Luftreiniger nicht in Ordnung oder es ist Betriebsgas in den Wohntrakt geströmt! Wie sind die Werte jetzt?" „Okay!" antwortete Gerard. „Klimakontrolle zeigt wieder durchweg ,Grün'. Die Anlage war tatsächlich gestört!" Plötzlich knackte und rauschte es in den Multiphonen. Eine schnarrende Maschinenstimme befahl: „Fertigmachen zur . . . Landung . . .!!!" „Was denn, auf der Sonne . . .???" rief Superhirn. Er warf seinen Becher von sich und sprang zur Befehlsplatte. „Wer ist denn da verrückt geworden . . .???" Die Maschinenstimme ließ sich nicht beirren. „Fertigmachen zur Landung!" plärrte sie wieder und wieder. „Fertigmachen zur Landung . . .!!!" Superhirn riß das Mikrofon vor den Mund: „Hier Chef ,Transmontana'! An alle Bord-Computer! Reaktion auf Außenkommandos einstellen. Fernlenkung von außen abblocken!" Er schob Prosper zur Seite und fuhr mit den Fingern auf der Befehlsplatte umher, als wollte er mit zwei Händen vierhändig Klavier spielen. „Da foppt uns jemand!" meinte er. „Die Bord-Information nimmt unsere Befehle nur zum Schein an! Das Schiff wird in Wahrheit ferngelenkt. Und ich bezweifele, daß wir die ganze Zeit eine ,Parkschleife' fliegen . . .!!!"
„Aus der ,Klammer' muß du raus!" sagte Henri. „ Daran dachte ich längst!" Superhirn projizierte den gegenwärtigen Kurs auf die Stirnwand: „Seht!" rief er. „Der ,Synchronschreiber' lügt uns immer noch die alberne Schleife auf der Sonnenbahn vor!!! Und wo sollen wir da landen . . .???" „Gib eine SOS-Meldung über alle Funksysteme raus!" schrie Prosper. „Du mußt das ganze Weltall ,betrommeln' und ,beknatternc, damit Charivari es hört!" Der Pudel bellte - von Prospers Panik angesteckt. „Der ,Synchronschreiber’ hört nicht auf zu lügen!" stellte Superhirn fest. Er hatte sein Gleichgewicht wiedergefunden und schien plötzlich kaltblütiger denn je. „Ich sende Hilferufe und Notsignale über alle CharivariFrequenzen!" erklärte er. „Es ist nur die Frage, ob die Bordfunk-Zentrale sie rausläßt! Auch sie kann manipuliert worden sein - wie alles in diesem Klipper!" „Manipuliert?" rief Micha. „Das verstehe ich nicht!" „Paß auf", sagte Henri. „Irgendjemand hat unser Schiff fest in einer ,Fernlenk-Zange'. Er hat vorher alle Informationsgeräte auf ,Falschaussage' programmiert." „Aber wir haben doch den Professor auf dem Bildschirm gehabt!?" „Das war er nicht selber!" gab Henri seine Vermutung preis. „Das war eine Aufzeichnung von früher, die man einfach eingeschoben hat. Die Worte und Sätze einer Stimme kann man durch ,Schneiden' zusammenklittern! Das kann ja jedes Kind zu Hause tun. Du kennst es von deinen Tonbändern her!"
„Fertigmachen zur . . . Landung . . .!!!" plärrte es kalt aus den Multiphonen. „Fertigmachen zur . . . Landung „Kannst du diesen Schreihals nicht abstellen?" rief Tati. „Der bringt mich noch um den Rest meiner Nerven!" „Bi-Bi-Bi-Bild in der Wand ...!!!" meldete Prosper. „Charivari!" jubelte Micha. „Das ist er! Diesmal ist er's im Original!" Es war eine „Wunschbehauptung" des Jüngsten. Doch stellte sich schnell heraus, daß er recht hatte. Charivari - gar nicht sanft und mild, sondern offensichtlich zutiefst entsetzt - fragte hastig: „Superhirn?! Was ist? Wo seid ihr . . .???" „Im Klipper ,Transmontana'!" erwiderte der Spindeldürre über Sprechfunk. „Haben Sie uns nicht da hineingelotst? Sollen wir nicht auf Ihre neue Raumstation , Globalia kommen?" „Bei allen guten Geistern, nein . . .!!! rief der Professor. „Einen Klipper ,Transmontana' gibt es nicht! Auch keine Raumstation ,Globalia'. Ich bin auf dem Mars!" „Die Kurs-Elektronik, der Fahrtenschreiber - überhaupt alles in dieser Kiste - ist manipuliert", berichtete Superhirn. Und er nannte Charivari die Maße des Raumschiffs, wie er sie bei der Ankunft auf der Tafel gelesen hatte. Der Professor verstummte für lange, bange Sekunden. Endlich bemerkte er entgeistert: „Ihr sitzt da in einem Klipper, der seit fast vier Jahren nicht mehr existiert! Er gehörte einer Versuchsreihe an und verschwand in den Weiten des Weltraums. Die letzte Meldung des Ferguson-Teams lautete: ,Schiff löst sich auf! Hört her: Ich versuche, euch ein Lichtmodell unseres Son-
nensystems in die Zentrale zu schießen. Darin müßtet ihr euer Schiff als simuliertes Pünktchen erkennen. Nennt mir das Kennzeichen des entsprechenden Segments!" Tati und die Jungen standen plötzlich inmitten eines gewaltigen milchigen „Ballons", der scheinbar die Grenzen der Zentrale sprengte. Da sie aber alle schon oft in einem Planetarium gewesen waren, erkannten sie die Nachbildung des Planetensystems um unsere „irdische" Sonne: Merkur, Venus, Tellus (Tellus ist die Erde), Mars - und die entfernteren: Jupiter, Saturn, Uranus, Neptun und Pluto. Hier flimmerte eine Reihe von Lichtzahlen. Und Prosper war es, der das wandernde rote Pünktchen entdeckte, das ihren Klipper markierte. „Hören Sie, Professor?" rief Superhirn. „Segment 50 in unserem Sonnensystem, Richtung Alpha!" „Herrgott!" rief Charivari. „Ausgerechnet! Versucht, den Kurs zu ändern! Ihr fliegt ins Verderben. Ich werde alles tun —" Die Mattscheibe verschwand. Der Lichtball war geplatzt. Aus den Lautsprechern tönte es wieder bedrohlich: „Klipper . . . ,Transmontana' . . . auf ,Globalia' gelandet!!!" Die ganze Backbordwand der Zentrale klappte wie eine Fallrampe nach außen. Mildes Sonnenlicht erhellte den Raum. Man erblickte einen Wald: Platanen, Magnolien und Pappeln, nicht jedoch etwa Chaussee-Pappeln oder Parkanlagen, sondern wuchernde Wildnis. „Das ist kei-kei-keine Baumschule . . .!!!" staunte Prosper. In das Innere des geöffneten Raumschiffs drang schwere feuchtigkeitsgesättigte Luft.
„Micha!" warnte Tati, „halt den Pudel fest!" Ein furchtbares Gebrüll erhob sich draußen. Die Bäume schwankten, ihre Stämme knickten wie Streichhölzer, Blätterbündel von nie gesehener Höhe sanken zur Seite. Die urweltliche Natur beantwortete ihre Beschädigung mit explosionsartigem Krachen. Tiere brachen sich Bahn, Mon-
ster, wie sie die Jugendlichen nie gesehen hatten. Wild reckte eins der Ungetüme sein Nashorn, Ein zweites, dessen Schlangenhals die Länge eines Sendemastes hatte, hüpfte mit gebleckten Zähnen wie ein Känguruh durch den Dschungel. Seine Stimme hatte den Klang und die Lautstärke eines Schiffshorns. Das Beängstigendste aber war eine Flugechse mit einem langen Zackenschnabel. Dieser „Schauervogel" warf sich mit ausgebreiteten Drachenflügeln gegen die Öffnung des Klippers, rutschte jedoch immer wieder zurück. „Der hat Appetit auf uns", sagte Gerard grimmig. „Ei, und was ist denn das da . . .???" „Eine Schl-Schl-Schlange . ...!!!" bibberte Prosper. „Mach dem Spuk ein Ende, Superhirn!" schrie Micha. Mit mörderischer Kraft sausten die Pranken eines Dinosauriers auf den linken Tragstutzen des Klippers. Doch das Getrommel endete jäh. Die Monster zogen sich über ihre Trampelpfade in das Innere des Urwalds zurück. Auch die Flugechse erhob sich und rauschte mit schwerfälligem Schlag ihrer Drachenschwingen ab. „Wo ist die Schlange?" fragte Tati heiser. „W-W-Weg . . .", hauchte Prosper erleichtert. Inzwischen wollte Henri von Superhirn wissen: „Der Professor hat doch noch etwas gesagt, als das Bild verschwand? ,Ich werde alles tun . . . ' — , aber hat er den Satz nicht beendet? Ich hab's nur nicht verstanden!" „Aber ich. Du hast recht: Er sagte noch etwas", bestätigte Superhirn düster. „Charivari sprach von einem ,Geisterstern' und von einer WELTRAUMFALTE!" Henri riß die Augen auf.
„Wir sind hinter dem Kosmos gelandet? Außerhalb der astrologischen Welt?" „Schlimmer noch", murmelte Superhirn: „Außerhalb der wissenschaftlichen Erfaßbarkeit. Aber halt den Mund. Die anderen brauchen es nicht gleich zu erfahren!" Vor der Fallrampe schwebte wieder etwas herum. Diesmal aber war es kein Monster. „Ein Luftkissen-Bus!" schrie Micha freudig. „Und darin sitzt ein Mann im Overall! Er hat einen Schutzhelm auf, wie einer von Charivaris Ingenieuren!'" „Ferguson . . .!!!" begriff Superhirn. „Der Metallforscher, der mit diesem Klipper und einem vierköpfigen Team seit Jahren verschollen ist! Vorsicht! Nicht sagen, daß wir Charivari alarmiert haben. Erst hören, was er von uns will!" Der offene Luftkissen-Bus hielt vor der Rampe. „Kommt runter!" rief der Lenker. „Tut mir leid, daß ihr 'ne Bruchlandung gemacht habt. Das war nicht eingeplant!" Die Gefährten sausten mit dem Pudel über die Klappwand nach unten. „Ich bin Doktor Ferguson!" sagte der Mann — womit er Superhirns Eingebung bestätigte. „Willkommen auf dem Planeten ,Unima'! Steigt ein - und habt keine Angst. Wir mußten zu einer kleinen List greifen, denn wir brauchen eure Vermittlung." „Wer . . . wir . . . ? ? ? " fragte Henri. „Nun, äh, ich — und die Ingenieure Matthes, Doktor Janson und Frazer. Wir möchten mit Charivari ein neues Bündnis eingehen, nachdem wir uns auf diesem Planeten ein Großreich aufgebaut haben." „Versöhnung ist immer gut", meinte Tati freundlich.
Der Bus hob vom Boden ab und schwebte über Waldungen und Sümpfe. Ferguson sagte nichts mehr. Offenbar war er der Meinung, daß das, was sich den Blicken seiner unfreiwilligen Gäste bot, überzeugender war als alle Argumente. Sie schwebten jetzt über eine weite wüstenartige Fläche an einer Reihe moderner Städte vorbei: Häufungen von Hochhäusern, Flachbau-Siedlungen nach dem Schachmusterprinzip und anderen Wohn- und Industriegebilden.
Spannungsvolle Stunden doktor fergusons probleme • • • das kraftwerk ist geplatzt • • • schweigende Städte • • • ein geständnis • • • charivaris flotte greift ein • • • der durchbrach • • •
„Halb Kreidezeit, halb drittes Jahrtausend", sagte Henri zu Superhirn. „Dieser Planet - wie heißt er? Ach, ja, ,Unima' der hat ja die gleichen Schwerkraftverhältnisse wie unsere Erde. Ob es unsere Sonne ist, die ihn bescheint? „Nein", erwiderte Superhirn. „Wenn es unsere Sonne wäre, würden wir den Planeten nicht nur auf unseren Himmelskarten eingezeichnet sehen. Wir wären längst mit ihm zusammengestoßen, denn er bewegt sich adäquat. Das siehst du an den Schattenbildungen der Städte!" Ferguson steuerte eine Siedlung an, aus der ein spiralförmiger Bau hervorragte.
„Das Regierungs-Center!" rief er. „Ihr bekommt jetzt einen Staatsempfang. Wundert euch aber nicht!" „Ich würde mich nur wundern, wenn's hier einen Fußballplatz gäbe", brummte Gerard.
„Was warten denn da für Leute . . .???" fragte Tati. Der Schwebebus hielt auf einer Art Piste. Sogleich wurde er von jubelnden Gestalten umringt. Es waren lauter Jugendliche, und sie waren den Ankömmlingen samt und sonders bekannt. Aber gerade das schuf große Verwirrung! „Hallo, Superhirn!" rief ein Mädchen in der Menge. „Hallo, Tati!" schrie ein Junge, der eine Brille mit enormen Gläsern auf der Nase trug. „Hallo, Micha! Hallo, Gerard! Hallo, Prosper! Hallo, Henri!" tönte es von allen Seiten. In das Geschrei mischte sich lebhaftes Bellen. „Kneif mich mal, Tati!" jammerte Prosper. „Ich sehe dich mindestens siebenmal in der Menge!" „Ich dich auch!", gab Tati zurück. „Der ganze ,Bahnhof besteht aus unseren Spiegelbildern! Wir werden von uns selber begrüßt . ..!!!" „Hab' ich wirklich so einen dicken Kugelkopf wie meine doofen Doppelgänger da?" rief Gerard wütend. „Prosper und Micha sind ja recht gut, aber -" „Ich soll gut sein?" erboste sich Micha. „Ich seh' mich wie einen Kindergarten-Zwerg rumhopsen! Und Prosper zappelt da als siebenfacher Hampelmann! Die vielen Henris grinsen blöder, als Henri je im Leben gegrinst hat. Einzig echt ist deine Liga!" (Womit Micha Gerard meinte). „Ich erkenne die spindeldürren Burschen, die mich darstellen, nur an den Augengläsern", sagte Superhirn. „Und Loulou hat gar keine Beziehung zu seinem mehrfachen Selbst!" Das stimmte. Den Pudel irritierte nur der Lärm. Er schien die vervielfachte Menge der Geschwister, ihrer Freunde und
seiner eigenen Hundegestalt nicht zu wittern: Das war für ihn entscheidend! „Was ich da für ein unmodernes Kleid anhabe!" rief Tati verärgert. „Das ist längst nicht mehr wahr! Ich trug es im letzten Sommer!" Superhirn zuckte zusammen: „Klar! Es sind unsere ,Vorjahres-Figuren'! Das sieht man auch an Michas Größe! Er ist inzwischen sehr gewachsen. Hört zu: Diese ,Abbilder' sind plastische Tonfilmgestalten, die man im Trick-Atelier herauskopieren kann! Das ist Charivaris Erfindung! Die haben sie ihm auch geklaut! Aus vergrößerten, mehrdimensional entwickelten Fotos sind die Städte und Industrien entstanden, die wir gesehen haben. Die Geräte hierfür stammen alle aus dem Klipper!" Er schwieg, denn er besann sich, daß Doktor Ferguson, der Kommandant des „verlorenen" Raumschiffs, anwesend war. Doch der Mann saß wie weltentrückt an den Steuerungsknöpfen des haltenden Luftkissen-Fahrzeugs. Offenbar gab es für ihn Wichtigeres zu bedenken. Er hatte überhaupt nicht zugehört . . . Jetzt stieg er schwerfällig aus, zog ein Funkgerät aus der Tasche und „verscheuchte" das Begrüßungsvolk. Die verselbständigten „Ersatzkinder" lösten sich in Nichts auf. Trotz seiner Schwerfälligkeit, seiner bedächtigen Redeweise und seiner unheimlichen Geistesabwesenheit schien Ferguson es eilig zu haben. Sehr eilig, sogar! Während er mit seinen Gästen die Stufen des spiralenförmig in den fremden Himmel ragenden Regierungsgebäudes emporschritt, verriet er mit verblüffender Offenheit seine Probleme:
„Wir fanden hier vor knapp vier Jahren in einer Weltraumfalte einen bewohnbaren Planeten, der Erde sehr ähnlich. Die Schwerkraft, die Luftbedingungen, die Wechsel von Tag und Nacht - und manches mehr - gleichen den uns bekannten Verhältnissen. Nur entspricht die Tierwelt jener, die auf unserer Erde seit 60 Millionen Jahren ausgestorben ist." Er unterbrach sich: „Achtung, jetzt kommt eine Tür. Sie war bis gestern abend automatisch, dann mußten wir sie sprengen, denn das ,Unima'-Kraftwerk existiert nicht mehr!" Gerard packte Michas Arm. Die Gruppe stapfte durch Trümmer von Schutt in eine Halle. „Nicht wundern!" zischte Superhirn. „Zeigt weder Erstaunen, noch Angst! Hört nur geduldig zu, was Ferguson sagt!" Der Gelehrte führte seine Gäste in ein kahles Büro. Die Möbel bestanden aus einem Schreibtisch mit Drehstuhl und einigen Sesseln. Statt „Setzt euch!" forderte Ferguson versehentlich: „Eßt euch!" auf. Doch niemand grinste. Doktor Ferguson - jetzt hinter dem Schreibtisch - fuhr mit müder Stimme fort: „Menschlichen Lebewesen begegneten wir nicht. Dieser ,Unima'-Planet besitzt auch keine Meere und keine größeren Seen - nur Sümpfe, Tümpel, Urwälder, deren Rinnsale nirgends Flüsse oder gar Wasserfälle bilden. Alle Quellen laufen sogleich wieder ins Innere zurück." „Das heißt, es gibt kein Wasserkraftwerk?" fragte Superhirn. Ferguson sah ihn nachdenklich an. Es schien, als wollte er eine längere, ziemlich umständliche Antwort geben. Doch dann sagte er schließlich nur:
„Nein!" Behutsam erkundigte sich Superhirn weiter: „Und weshalb nannten Sie den Planeten ,Unima'?" „Eine Abkürzung für UNIVERSAL-MATERIE", antwortete Ferguson. „Ein großer Teil dieses Himmelskörpers besteht daraus. Es ist eine tote plastilinartige Masse. Man kann sie diamanthart machen, aber auch verflüssigen und zu verschiedenen Werkstoffen und Formen wieder verfestigen. Kabel, Röhren, Gerüste, Bau-Elemente für Brücken und Hochhäuser, Schiffsrümpfe, ja sogar Kleidungsstücke sind daraus herstellbar." Ferguson schwieg und blickte geistesabwesend vor sich hin. Nach einer Weile fragte er: „Wovon sprach ich eben?" „Von der ,Universal-Materie'", sprang Henri höflich ein. „Jaaa . . . Das ist die Chance für euren Professor Charivari. Die große Chance . . . Ich vergaß zu erwähnen: Lebewesen trafen mein Team und ich - Matthes, Janson und Frazer gehörten dazu - nicht an. Dagegen aber ,Projekdlen' aus Meteoritenmasse und Moos, jene ,Soundiesc, die euch seit einem Jahr beschattet haben und mit denen wir in eine Art von Signal-Verständigung traten. Da sie die Abwehr von Charivaris Raumstationen nicht durchbrechen konnten, lenkten wir sie zur Erde, wobei wir sie mit Mini-Geräten aus unserem Klipper ausstatteten. Wir kannten euch nicht. Aber wir haben im Lauf unserer Zeit auf ,Unima' viel von euch gehört. Ich weiß, daß Superhirn Charivaris Nachfolger werden soll. . . " Superhirn wollte protestieren, doch Ferguson warf ihm einen eiskalten Blick zu.
„Ihr seid alle - mehr oder weniger zufällig - in Dinge eingeweiht, die sogar ich nicht kenne", redete der Gelehrte weiter. Jetzt faßte sich Superhirn ein Herz und wagte es, den Herrscher von ,Unima' zu unterbrechen: „Wir sollen zwischen Professor Charivari und Ihnen vermitteln? Sie bieten dafür diesen Planeten mit seiner neuartigen Materie? Gibt es noch andere, wichtige Bodenschätze? Öl? Kohle? Gold? Buntmetalle? Uran?" Mit gleichbleibend eisigem Blick entgegnete Ferguson: „Nichts davon! Die ,Universal-Materie' muß genügen. Wir hatten aus einigen Quellen dieses Planeten Wasser destilliert, besonderes Wasser, ,brennendes Wasser', von immenser Explosionskraft. Es gelang uns, Wasser zu ,boilern', zu kanalisieren und in Energie für unsere Industrie umzusetzen. Es war unsere einzige, allerdings enorme Energie! Diese Energie wäre mein Trumpf in der Verhandlung mit Charivari gewesen. Sie existiert nicht mehr. Gestern abend haben alle ,Soundiesc gemeutert. Auch die, die euch auf den Weg hierher gebracht hatten und euch vorausgeflogen waren. Sie griffen das Kraftwerk an und zerstörten es. Was sie dazu bewog, ist unklar. In der gewaltigen Explosion kamen sie allesamt um. Und eine Energiezentrale gibt es auf ,Unima' nicht mehr ..." Prosper sperrte den Mund auf, doch Superhirn warf ihm einen warnenden Blick zu. Es war auf „Unima" kein Großkraftwerk mehr vorhanden, das die Städte und Industrien mit Elektrizität, Gas, Trink- und Kühlwasser versorgen konnte! Aber in den Städten mußte doch jemand wohnen . . .!!! In den Fabriken und Entwicklungsstätten gab es
zweifellos Arbeiter und Ingenieure . . .!!! Wenn die „Soundies" auch die Energiezentrale vernichtet hatten und dabei selber hochgeflogen waren, die Einwohnerschaft des Planeten „Unima" konnte doch unmöglich nur aus dem winzigen „Eroberer-Team" Ferguson, Matthes, Janson und Frazer bestehen . . .!!! Wo waren die drei anderen überhaupt? Doktor Ferguson traf keine Anstalten, sie herbeizurufen! Rätsel über Rätsel!!!
Hier mußte weit Schlimmeres geschehen sein, als der „Unima-Herrscher" zugeben wollte . . .!!! Superhirn stand auf: „Gut", sagte er entschlossen. „Wir vermitteln. Es stimmt, daß Charivari uns ganz besonders vertraut. Aber wie kommen wir von hier weg? Der Klipper mit dem Decknamen ,Transmontana' hat eine Bruchlandung gemacht. Und wenn uns die Bordinformationen auch fortwährend in die Irre führten: Eins ist sicher, der Brennstoff-Anzeiger für die Triebwerke stand auf ,leer'!" „Es gibt noch Kurierschiffe", erwiderte Ferguson. „Überdies haben wir eine Menge Trockenbatterien. Geht jetzt in das technische Büro - einen Stock höher - und vertieft euch in die Unterlagen über die ,Unima-Materie'. Bis morgen früh habt ihr Zeit. . . " Ferguson blieb am Schreibtisch sitzen und überließ es den Gästen, das genannte Büro zu suchen. „Das war eine Rolltreppe", murmelte Superhirn, als sie nach oben gingen. „Wieso ,war'?" fragte Gerard. „Na, weil sie stillsteht", sagte Henri. „Hast du das nicht kapiert? Das Zentralkraftwerk von ,Unima' ist geplatzt! Es liefert keinen Strom mehr!" Die Jugendlichen erblickten eine Tür, an der „HQ" stand. „Was bedeutet das?" wollte Micha wissen. „,Hauptquartier"', erklärte Superhirn. „Es ist sicher das Büro, das Ferguson meinte!" Sie traten ein und standen einen Moment wie geblendet. Der Raum glich einem hypermodernen Schaltwerk. In den Wänden rasten Lichterketten in unerklärlichen Folgen und
Kurven, Leuchtquadrate versandten stechende Signale, eine ganze „Bibliothek" von Kassetten stand exakt in regalartigen Vertiefungen. Der Arbeitstisch bestand aus einer O-förmigen geschlossenen Rampenplatte. Um ihn herum glitten Schienenstühle in sehr, sehr langsamer Fahrt. An der Stirnseite des „Schah-Studios" standen auf Konsolen verschiedene Globen: Eine Erdkugel, eine des Planeten „Unima", ein sogenannter „Himmelsglobus"(wie er auf der Erde in Schulen verwendet wurde) - sowie ein Spezialglobus des „Unima"-Sonnensystems. Die lange O-förmige Rampenplatte war mit Informations- und Befehls-Monitoren, Überwachungsschirmen, Telefonen, Mikrofonen, Video-Encodern und Decodern bedeckt. „So hab' ich mir das gedacht!" sagte Superhirn hart. „Die haben den Klipper regelrecht ausgeschaltet! Alle Ersatz- und Labor-Spezialgeräte, die zur Erforschung fremder ,Landestellen' im All an Bord waren, hat man als Instrumente hier installiert!" Henri nickte: „Und die Molekül-Manipulatoren, die Minifiziergeräte, mit denen man die ,Soundies' ausstattete, um uns zu holen, stammen auch aus Charivaris ,Küche'! Ha! Das FergusonTeam hat unseren Professor ganz schön betrogen!" „A-A-A-ber die ,Soundies' haben den Bu-Bu-Burschen einen Strich durch die Rechnung gemacht", bemerkte Prosper lebhaft. „Wenn sie das Kraftwerk angegriffen haben und selber dabei vernichtet worden sind, dann sind wahrscheinlich die Verkleinerungsgeräte und die Molekül-Manipulatoren auch futsch!"
Superhirn blickte auf: „Mensch, Prosper, du bist Klasse . . .!!! Damit wäre für uns die allergrößte Gefahr gebannt! Wenn wir überhaupt von hier wegkommen wollen, müssen wir unsere normale Größe behalten! Als sechs Ameisen mit einem noch kleineren Pudel könnten wir gar nichts machen!" Tati ging mit gefurchter Stirn um die O-förmige Platte. Während sie Gerät für Gerät studierte, sagte sie: „Wenn ich nicht irre, will Ferguson, daß wir Informationen über die Mehrzweck-Materie dieses Planeten zusammenstellen, um Professor Charivari für einen Friedensschluß mit den abtrünnigen Gelehrten zu bewegen." „Ferguson, Janson, Matthes und Frazer", nannte Micha die Namen des treulosen Teams. „Das wissen wir ja nun", brummte Gerard. „Und wir wissen auch, wie fraglich unsere Rückkehr ist. Der alte Klipper fällt nach der verpatzten Landung aus. Wie weit wir ohne Fernlenkung mit einem Kurier-Raumschiff kommen, steht wahrhaftig in den Sternen!" „Trotzdem machen wir das, was Tati meint", entschied Superhirn. „Hier sehe ich den ,Unima-Computerc! Aus dem holen wir uns alle eingespeisten Daten!" Er fügte hinzu: „Daß wir uns beeilen müssen, ist keine Frage! Wenn das Kraftwerk zerstört ist, arbeiten die in diesem Raum mit einem Notstrom-Aggregat. Und wer weiß, wie lange das noch funktioniert. . . " Während der Pudel auf leisen Pfoten umherschlich, um irgendeinen natürlichen Reiz für seine Hundenase zu finden, gruppierten sich die Jugendlichen um den O-förmigen Tisch
und horteten Informationsfolien, die von den verschiedenen Geräten „ausgespuckt" wurden. Superhirn entdeckte in der Wand Telefontasten, mehrere Tastenblöcke sogar, die mit Klarschrift gekennzeichnet waren: „Ferguson-City", „Matthesburg", „Frazerville", „Jansontown". Aha! Die Namen der künstlichen Hauptstädte des Planeten. Die interessierten ihn an meisten, nahm er doch an, daß Fergusons Kollegen - die noch keiner gesehen hatte - in den nach ihnen benannten Orten saßen! Kurz entschlossen zog er einen Hörer aus der Wand und tippte im Tastenblock „Matthesburg" das rote Quadrat mit der winzigen Aufschrift: „Governor/Gouverneur". „Jaaa . . .???" meldete sich eine matte Stimme. „Hallo, Governor Matthes!" rief Superhirn mit gespielter Fröhlichkeit. „Schön, daß ich Sie an der Strippe habe! Hier sind Ihre Gäste! Wann sehen wir Ihr Team denn mal zusammen? Vielleicht heute abend, beim Essen?" „Matthes ist tot", erwiderte die Stimme. „Und ich mach's auch nicht mehr lange, wenn ihr mir keinen Strom schickt. Wir sind nur noch ein paar Mann. Die übrige Stadt ist ausgestorben . . . " Superhirn schob den Hörer so schnell in die Wand zurück, als hätte er sich verbrannt. Im gleichen Moment schrillte das grüne Telefon auf dem O-Tisch. ‚Laßt mich mal ran!“ rief Superhirn. Mit zwei schnellen Sprüngen war er an der Platte. ‚Ja?’ meldete er sich. „Hier Studiengruppe ‚Superhirn’?“ „Hier Ferguson“, kam es kalt zurück. „Weshalb sprichst du mit anderen Städten?“
„Ein Versehen!" beteuerte Superhirn. „Wir wollten nur etwas zu trinken haben, wissen Sie? Ich habe auch das Abendessen erwähnt. . . " „Ich alarmiere die Küche", erklärte Ferguson. „Der Koch liegt zwar in Ohnmacht, aber sein Gehilfe schickt euch per Aufzug etwas hinauf!" Superhirn hatte kaum Zeit, den Gefährten das Gehörte weiterzugeben, als Loulou wie verrückt zu bellen begann. Der Hund hopste in die Nische neben der Eingangstür, hockte sich hin und blickte erwartungsvoll an der Wand hoch. Gerard folgte ihm: „Dahinter rumort es. Ich rieche auch irgendwas Gebratenes. Ach so, hier ist der Küchenschacht!" Gerard rieb sich die Hände: „Drei, vier gegrillte Hähnchen könnt' ich schon vertragen!" In der Wand schnellte eine Schiebeklappe zur Seite, und man sah auf Boden und Zwischenfächern einige Servierplatten mit Eßportionen, dazu typische Fruchtsaft-Behälter und unbestimmbare Beilagen. Gerard, Prosper, Henri und Micha nahmen die Portionen heraus. Superhirn und Tati griffen nach den GetränkeTüten. Ein paar zerbröckelte Kekse - offenbar für Loulou lagen lose in einem der Fächer. „Ich will nur Saft", sagte Tati heiser. „Mir ist der Appetit vergangen. Was ist mit dem Koch los? Und aus welchem Grund sollen wir nicht mit anderen Städten telefonieren . . .???" „Keine Panik!" warnte Superhirn leise. „Ich will dir was sagen: Ferguson und sein Team sind nicht erst seit gestern
abend am Ende. Sie waren es schon, als sie nach uns fahndeten! Der Ausfall des Zentral-Kraftwerks gibt ihnen nur noch den Rest. Wenn ich nur wüßte." „Iii, Pfui Teufel!" schrie Micha. „Ich löffle hier aus einer Büchse - und denke, es ist Eiskrem, Schokoladenkrem! Dabei ist es Schuhputz!" Prosper lachte über die Verwechslung: „Mein Schnitzel schmeckt aber prima!" triumphierte er.
Henri sah ihn merkwürdig an: „Kalbs- oder Schweineschnitzel, Prosper?" Prospers Augen wurden groß: „Du mei-mei-meinst doch nicht etwa, das ist Fleisch von den Urviechern? Von Di-Di-Dinosauriern . . .???" „Wenn schon . . .!!!" schmatzte Gerard ungerührt. „Hunger ist Hunger - und Fleisch ist Fleisch!" „Es ist aber kein Fleisch . . .!!!" betonte Henri. „Ich gebe zu, es ist gut gebraten und vorzüglich gewürzt. Aber -" „Aaaaber . . .???" fragte Prosper ahnungsvoll. „Gebratene ,Universal-Materie'", erklärte Henri. „Du — als Hobbykoch — müßtest das als erster begriffen haben!" Sprachlos betrachtete Tati das „Fleisch". „Stimmt", sagte sie tonlos. „Ich sehe es an der Struktur! Das ist nie im Leben Fleisch. Das ist sowas wie eßbare ,Knete'. Erwähnte Ferguson nicht Plastilin?" „Sie brauchen uns, also werden sie uns nicht umbringen", beruhigte Superhirn die Gefährten. „Was du da hast, Micha, ist aber wirklich Schuhputz. Da mag ein Küchenautomat irgendwelche Büchsen verwechselt haben. Der Fruchtsaft ist jedenfalls ,okay', der stammt aus dem Klipper-Tiefkühlsystem. So. Nun wieder an die Geräte! Vergeßt nicht, wir müssen ,Unima£-Daten sammeln!" Die Planetenuhr an der Wand zeigte längst „Mitternacht". Eine ganze Menge von Folien mit Videotexten hatten die Freunde schon beisammen. Doch Ferguson meldete sich nicht. Superhirn entdeckte jenseits des Flurs eine „Wachstube" mit acht Liegen. Sie machte einen seltsam unberührten Eindruck. Auch Waschraum und Klo — daneben — schienen kaum je benutzt worden zu sein. Superhirn befahl
Tati, Micha, Prosper und Gerard, ein paar Stunden in der Wachstube zu ruhen. Er selbst blieb mit Henri im Büro des Hauptquartiers. „Doktor Ferguson hat uns eine Frist bis zum Morgen gesetzt", sagte er. „Dann will er sicherlich ,testen', ob uns sein Friedensangebot überzeugt und ob wir als ehrliche Vermittler zu Charivari reisen würden." „Reisen . . .???" rief Henri. „Aber womit. . .??? Meinst du, er hat einen rundum intakten Kurier-Klipper in Reserve?" „Möglich", erwiderte Superhirn. Er schwieg und äugte durch seine runden Brillengläser unentwegt auf einen Bildschirm. Das Gerät stand vor ihm auf der O-Platte, nicht größer als eine Schreibmaschine. Es unterschied sich von den anderen Apparaten durch das fortwährende grellrote Aufleuchten seines Rahmens. „Wenn ich nur wüßte, was das ist", murmelte er. „Sieht aus wie ein Wetter-Radarschirm an der amerikanischen Ostküste oder auf den Bahama-Inseln, wenn sich ein Hurrikan zusammenbraut. Mein Vater hat mir mal so ein Schema gezeigt!" Henri horchte auf: „Ein Sturmplanet scheint ,Unima' aber nicht zu sein", meinte er. „Das dachte ich auch", sagte der spindeldürre Junge. „Trotzdem. Ich gehe nicht davon ab: Der Bildschirm signalisiert einen Wetterschlag . . ." Superhirn nickte über der Mattscheibe ein. Die Überanstrengung war zu stark gewesen. Sein Wille mußte sich beugen, bevor er sich dessen klar wurde. Auch Henri
begann zu dösen. Als Tati den Bruder an der Schulter rüttelte, war der Raum vom Schein der „Unima"-Sonne erhellt. „Was ist. . .???" fragte Henri verwirrt. „Kinder, ihr hockt hier im Dunkeln", schalt Tati. „Nichts funktioniert mehr, kein Knopf, kein Schalter, keine Kontaktplatte. Ich hab' die Jalousie mit Körperkraft hochgekurbelt. Jetzt kann man wenigstens aus dem Fenster gucken." Superhirn fuhr hoch. Er war sogleich voll da. „Fenster?" fragte er erstaunt. „Ach, ja! Wahrscheinlich sind die Rollos gewöhnlich heruntergelassen, damit man nicht von der Arbeit abgelenkt wird. Bei Kunstlicht sieht man auch die Bildschirme und die Kontrollampen besser!" „Kunstlicht?!" rief Tati. „Ich sagte doch, es war stockdunkel! Und wo flimmert jetzt noch irgendein Bildschirm? In der Wand sind alle Hinweise verschwunden, die gestern abend noch geleuchtet haben!" Prosper, Gerard, Micha (und der Pudel) kamen eher geschlichen, als gegangen. „Ich wollte einen Lift benutzen, um in den Turm des Gebäudes hochzufahren", berichtete Micha. „Alle Fahrstühle sind kaputt!" Superhirn griff nach dem Hörer des grünen Telefons: „Hallo, Doktor Ferguson . . .???" Ein Krächzen antwortete. „Ferguson!" wiederholte Superhirn dringlich. „Der Morgen ist da, wir haben uns informiert: Wir werden mit Professor Charivari verhandeln und in Ihrem Namen Frieden mit ihm schließen!" Er legte den Hörer auf und sagte zu den anderen:
„Ferguson erwartet uns in seinem Büro!" In diesem Augenblick zersprang mit einem Knall der letzte Bildschirm. Es war der rätselhafte „Wetter-Apparat" . . . Tati nahm den Pudel hoch - und noch niemals hatte sie in einer schlimmeren Lage einen Scherz versucht: „Ich glaube", sagte sie, „auf ein Frühstück legt keiner von uns Wert! Kommt, gehen wir zu Ferguson!" Der schwerfällige Mann saß wieder (oder noch immer) hinter seinem Schreibtisch. Aber was stand da für ein Bursche hinter ihm . . .??? Ein kahlköpfiger Kerl in grauem Arbeitskittel! Er schien den Herrscher von ,Unima' zu massieren! Auch in dieses Büro drang die fremde Sonne, doch die Jalousien hingen auf halber Höhe, als sei die Kraft versiegt, sie vollends zu heben. „Es ist gut", sagte Ferguson zu dem seltsamen „Masseur". „Laß mich mit den Gästen allein!" Der graue Kahlkopf verschwand hinter einer Seitentür. „Setzt euch!" lud Ferguson mit plötzlicher Lebhaftigkeit ein. „Mir ist eben nur die Rückenbatterie ausgewechselt worden." „Haha . . .", begann Micha zu lachen. Doch das nächste „Haha" erstarb auf seinen Lippen. Er hatte Superhirns Gesicht gesehen. Alle Gefährten sahen Superhirns Gesicht und zogen es vor, zu schweigen. Doktor Ferguson plauderte munter weiter: „Die Wahrheit ist", sagte er, „daß wir seit einem Jahr Probleme mit dem Kraftwerk hatten. Die Pumpe fiel dauernd aus: Übrigens eine der Ersatzpumpen aus dem Klipper.
Wir waren uns bereits vor Monaten klar, daß nur Professor Charivari uns helfen könne. Er besitzt die neuesten Schiffe, gewaltige technische Reserven und die besten Experten. Meine Kollegen Matthew, Janson und Frazer konnten sich jedoch erst allzu spät einigen. Wir wählten den Weg einer Vermittlung über euch ..." „Wie spricht der denn . . .???" wisperte Tati. „Eingelernt!" gab Henri flüsternd zurück. „Um Himmels willen, er scheint nicht zu wissen, was er redet - auch wenn das Ganze einen Sinn hat. . .!!!" „Der Pudel zittert wie Espenlaub", raunte Micha. „Halt ihn fest, Tati!" Superhirn erhob sich langsam aus seinem Sessel. Kalt sagte er: „Sie ließen uns dann durch die ,Soundies' in Ihre brüchige ,Fähre' verfrachten. Doch als wir landeten, waren die ,Soundies' längst hier - und es ist zwischen Ihnen, Matthew, Frazer und Janson zu einem Kampf mit den ,Soundies' gekommen, zu einem Kampf um die letzten Energiereserven. Dabei sind alle hochgeflogen. Stimmt das?" „Es stimmt!" bestätigte Ferguson. „Auch ich wurde dabei getötet!" Er seufzte und starrte aus glasigen Augen vor sich hin. Prosper fuhr hoch, als hätte er sich das Hinterteil verbrannt. Sein Adamsapfel zuckte: „Sie wu-wu-wurden getötet? Sie . . .???" stammelte er. „Wa-wa-wa-was soll das heißen . . .???" Eine donnernde Stimme ertönte vom Eingang her. Ihr Klang riß auch Tati, Gerard, Henri und Micha aus den Sesseln.
„Es soll heißen, daß der Mann am Schreibtisch nicht Ferguson ist, sondern ein ROBOTER!" fuhr die dröhnende Stimme fort. Die Gefährten standen wie gelähmt. Das Wort ,Roboter' traf sie wie ein Keulenschlag, und sie brauchten ein paar Sekunden, um zu begreifen, wer der Ankömmling war. Nur der Pudel stieß einen Freudenlaut aus. Er riß sich los und sprang auf den hochgewachsenen hageren Mann am Eingang zu. Erst dann kapierten die anderen.
„Professor Charivari. . .!!!" jubelte Micha. Der Gelehrte mit dem armlangen lackschwarzen Strippenbart, der wie angeklebt von seinem Kinn herunterhing, lächelte flüchtig. Die Augen unter dem gelblichen Birnenschädel blickten freundlich auf die Gefährten. Und seine Stimme klang sanft, fast einschmeichelnd, wie eh und je: „Was mich betrifft, so habt ihr euch nicht verguckt", sagte er. In seinem weißen Befehlsanzug, an dem jeder Knopf, jede Litze, jede Tasche „Impulsgeber" und „Signalempfänger" enthielt, wirkte er eher wie der väterliche Trainer eines Jugend-Sportclubs. Er war seine eigene, „wandelnde Befehlszentrale". Aber er verfügte auch über unerhörte Willensenergien: „Nun schnell!" faßte er zusammen. „Was ich gehört habe, genügt mir. Das Zentralkraftwerk ist mit allen vier der abtrünnigen Männer hochgegangen. Zurückgeblieben ist Fergusons programmierter ,Maschinendoppelgänger'. Von diesen Robotern existieren zahlreiche Gruppen, die sie für verschiedene Arbeitsbereiche vorgesehen hatten. Aber kommt jetzt! Die Zeit drängt. . .!!!" Die Freunde eilten mit Charivari ins Freie, eifrig umsprungen von Loulou. Charivari hob die Hand mit seinem Ring, der in Wahrheit ein Strahlgerät war. „Ich enttarne meine Flotte", sagte er. Schlagartig glich die weite Ebene vor der hufeisenförmigen ,Unima'-Regierungsstadt einem Flughafen! Einem Fluggelände mit acht Raumschiffen. Raumschiffen, wie sie das Auge eines Astronauten der Erde jedoch noch niemals erblickt hatte. Das größte, Charivaris neuer „Mammut-
Klipper", war länger und breiter als jeder Tanker-Riese auf den Globus-Meeren. „Rasch, in meinen Schwebebus!" rief Charivari. Die Gefährten vernahmen ein markerschütterndes Gebrüll. „Was ist das . . .???", schrie Micha. Unförmige Tiere mit turmhohen Hälsen und winzigen Köpfen sprangen zwischen den parkenden Klippern umher. Und über ihren Köpfen kurvte eine Flug-Echse mit offenem Schnabel und schauderhaft entblößten Zähnen. „Das sind keine Roboter . . .!!!" rief der Professor. „Das sind Dinosaurier und Reptilien aus dem Urzeit-Urwald dieses Planeten. Sie ahnen ihren Untergang . . . " Der Schwebebus erreichte die Einfahrtsrampe des HauptKlippers, die sich gerade noch rechtzeitig hinter ihm schloß. Gerard wischte sich den Schweiß von der Stirn. „Ich habe Menschen gesehen!" keuchte er. „Menschen, auf die sich die Krokodilmonster jetzt stürzen! Die können Sie doch nicht im Stich lassen!" „Das sind keine Menschen", erwiderte Charivari. Er stieg mit den Gefährten in den Bordlift und fuhr mit ihnen zum Kommandoraum des Klippers empor. „Ich habe ein Spürgerät am Handgelenk. Dieses Gerät vibriert beim Wahrnehmen menschenähnlicher Lebewesen. Es hat sich nicht gerührt. Auf diesem Planeten gibt es nur noch Roboter, die sich gegenseitig Trockenbatterien in den Rücken montieren. Aber das sind - wie ich schon sagte - programmierte Maschinen." Er eilte an die Befehlsplatte und erteilte seiner Flotte Startbefehl „nach Plan".
„Wir sind in der Luft!" stellte er nach einer Weile fest. Er meinte die Atmosphäre von ,Unima'. Während die Geschwister und Prosper und Gerard erleichtert in die Sessel sanken, stand Superhirn neben dem Kommandanten. Er gab ihm kurz und bündig alle noch nötigen Informationen. Plötzlich weiteten sich seine Augen hinter den Brillengläsern. Er starrte auf einen Bildschirm in der Bogenplatte. „Das Wettergerät!" rief er. „Das gleiche Ding sah ich im „HQ" der ,Unima'-Regierung!" „Das ist ein Bildschirm, der Veränderungen im All anzeigt", erklärte Charivari. „Erinnere dich: Als wir den letzten und einzigen Funkkontakt miteinander hatten,
sprach ich von einer ,Weltraumfalte'! Hast du das noch mitgekriegt?" Superhirn nickte. „Die Falte schließt sich", sagte Charivari. „Nicht nur das ,Unima'-Kraftwerk war das Problem für die vier Männer, die vor Jahren mit ihrem Klipper hier verschwanden, auch das Engerwerden des Zugangs in den übrigen Weltraum machte ihnen Sorgen. Schon deshalb wollten sie eure Vermittlung und meine Hilfe haben. Sie ahnten nicht, wie kurz die Schlußphase sein würde!" Henri kam eilig an den Kommandotisch:
„Können wir denn da noch durch?" fragte er entsetzt. „Der Bildschirm zeigt eine kosmische Wand", murmelte Charivari. „Schiff zwo der Flotte an Chef!" dröhnte es aus einem Lautsprecher. „Captain Stamper meldet Fahrtverringerung. Es ist, als führen wir in rasch dicker werdende Watte!" „Hier Chefklipper!" sprach Professor Charivari ins Mikrofon. „Setzen Sie sich hinter mich. Befehl an alle: Kiellinie einhalten. Ich spiele ,Eisbrecher'. Ende!" „Was heißt ,Ende' . . .???" fragte Tati. „Ist das doppeldeutig .. .???" „Der Bildschirm platzt!" schluckte Henri. „Nein. Nur der Schleier auf der Mattscheibe", bemerkte Superhirn. Und schon gab Charivari weiter: „Chefklipper ist durch. Erwarte Meldung der Flotte!" Es dauerte zehn bange Minuten. Dann riefen die Kommandanten der übrigen Raumschiffe nacheinander über Funk: „Schiff zwo . . . durch!" „Schiff drei. . . durch . . .!" So ging es weiter. Endlich war vom Nachzügler zu hören: „Schiff acht. . . durch...!" „Hurra . . .!!!" schrien die Gefährten. Der Pudel bellte freudig, als wüßte auch er, welcher Falle sie im letzten Moment entronnen waren. Professor Charivari atmete auf: „Das ,Unima'-System ist damit aus dem Weltraum ausgeschieden. Und das ist gut so. Ferguson und seine Leute hätten sich früher besinnen sollen. Mit dem Kosmos spielt
man nicht. Dinosaurier braucht man auch nicht in die Gegenwart zurückzuholen, auch kann unsere Erde auf Ufos wie ,Soundies' verzichten. Wir haben da unten Probleme genug . . . " „Und wohin bringen Sie uns jetzt?" erkundigte sich Prosper neugierig. „Auf meine Weltraum-Erholungsstation", antwortete Charivari. „Da gibt's Schwimmbäder, Solarien, Tennisplätze -" „Auch Fußballplätze?" fragte Gerard. „Du hättest dir aus der Universal-Materie ein paar Fußbälle kneten sollen", meinte Tati. „Ich will endlich mal wieder was Vernünftiges essen!" seufzte Micha. „So!" grinste Superhirn. „Ich dachte, die Schuhcreme hätte dir geschmeckt!" „Ich schmier' euch mal welche aufs Brot!" ärgerte sich der Jüngste. „Aber mir, bitte, schwarze . . .!!!" rief Henri. „Ein leckeres Essen könnt ihr gleich haben", schlug der Professor vor. „Na, wie war's?" „Waff!" gab der Pudel sein Einverständnis. Und er guckte dumm, als die anderen herzlich lachten . . .
Klipper-Geheimnistabelle Ein Zettel löst sich auf: FRIEDENSTECHNOLOGE:
Ein Mann, der alle seine Erfindungen in den Dienst des Friedens stellt.
MINIFIZIERGERÄT:
Ein „Verkleinerungsgerät", mit dem die „Soundies" das Flugzeug und sogar die Jugendlichen beliebig „verkleinern" und wieder in ihre normale Größe zurückversetzen können. Das - wie auch die Tarnkappe - gehört ins Reich der uralten Träume der Menschheit.
MAGISCHER ZETTEL:
GEISTERFAHRER AUF SEE:
„Magie" kommt aus dem Griechischen und heißt soviel wie „Zauberkraft". Spätestens seit dem Mittelalter haben sich unredliche Menschen immer wieder bemüht, Verträge durch verblassende Tinten unwirksam zumachen. Spionagedienste moderner Länder arbeiten längst mit papierähnlicher „Auflösungsmaterie" .
Die gibt es! Hand aufs Herz, hättest du das geglaubt? Es handelt sich, wie bei den Geisterfahrern auf der Autobahn, um Falschfahrer — hier allerdings um Schiffe, deren Führung die Ausweichregeln oder Seezeichen nicht beachten. Sehr häufig besonders im Englischen Kanal! INSELGRUPPE DER AZOREN:
Fünf Jungen, ein Mädchen, ein Hund in der Luft: SOUNDIES: „Sound" (aus dem Englischen) hat — in versch. Zusammenhängen - unwahrscheinlich viele Bedeutungen. „Ton", „Laut", „Schall", „medizinische Sonde", „loten", „abhorchen". Hier sind „technische Halblebewesen aus Sternenmaterie" gemeint, die in Sondenform auftreten und mit denen der Mensch „Verständigungssignale" austauschen kann. Solche „Soundies" gibt es nicht. Wohl aber haben die Amerikaner „Verständigungssonden" in den Weltraum geschickt, die Signale ausstrahlen, Tonbänder und Abbilder vom Menschen mitführen, um etwaigen Lebewesen im All die Existenz der Erdbewohner zu verkünden.
Im Atlantik, zu Portugal gehörend. Acores (spr.: „ADDSORRSCH"). Acores sind Habichte. Man hielt dort häufig vorgefundene Vögel anfangs für Habichte. Deshalb „Habichts-Inseln". An der Besiedlung waren sehr viele Flamen beteiligt. Auf dem Flugzeugträger: UFOs: Darunter versteht man nicht nur (erdachte) Lebewesen aus dem All, sondern überhaupt jedes „Unbekannte FlugObjekt", das der Erkennungsdienst nicht (gleich) einordnen kann. MONROE: Name eines amerikanischen Präsidenten.
Raumschiff „ Transmontana ":
Spannungsvolle Stunden:
VERZÖGERUNGSEFFEKT:
UNIVERSAL-MATERIE (danach ist der fremde Planet benannt:
damit die Besatzung keine Bewegung des Raumschiffs spürt, gibt es nicht. Undenkbar!
Unima"): „Universal" (aus dem Lateinischen) bedeutet: „allgemein", „allseitig". Die Universal-Materie ist ein allgemein verwertbarer Stoff. Ein solcher Stoff ist zum Beispiel das Wasser! Man kann es trinken, man kann Dampfmaschinen damit betreiben, Waren darauf befördern und sich selber darin tummeln!
KÜNSTLICHE SCHWERKRAFT:
dagegen liegt im Bereich des Möglichen. Leider viel zu aufwendig, also zu teuer.
ROBOTER:
Landung unter Urwaldmonstern: ZIG: Zentraler Impulsgeber: Selbstwählsystem beim Telefonieren. Ist sozusagen ein „alter Hut"!
WELTRAUMFALTE:
Sterne, so hat die Wissenschaft festgestellt, stehen nicht still, sondern bewegen sich (auf lange, lange Zeiträume gesehen) als Wanderer im All. Doch geschieht das nach strenger Gesetzmäßigkeit. Die Weltraumfalte in diesem Buch beruht auf der Annahme, daß der fremde Planet und dessen Sonnensystem eine zu große „Masse" bilden, wodurch sie sich aus dem Weltraum „ausschließen". Sie verursachen eine „Beule", die sich hinter ihnen wieder zusammenzieht, als verschwände ein Stein im Meer.
Computergesteuerte Maschinen mit Greifarmen gibt es längst, u. a. Zum Automobilschweißen. Roboter, deren Inneres und Äußeres dem Menschenkörper nachgebildet sind, werden in der Medizin und zu vielen Testversuchen verwendet.