In Hollywood soll man nicht träumen
VIOLET WINSPEAR
Es ist gar nicht so einfach, in Hollywood eine glückliche Ehe zu ...
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In Hollywood soll man nicht träumen
VIOLET WINSPEAR
Es ist gar nicht so einfach, in Hollywood eine glückliche Ehe zu führen! Als Fay mit ihrem Mann, dem Regisseur Gary Marsh, in die Filmstadt zieht, muß sie ihre ganze Lebensweise ändern: Sie würde abends lieber gemütlich zu Hause sitzen, aber er sucht nach der aufreibenden Arbeit im Studio Entspannung in Bars. Doch nicht nur darum gibt es Streit bei den Eheleuten. Bittere Erfahrungen haben Gary hart und mißtrauisch gemacht. Es kränkt Fay tief, daß er an ihrer Treue zweifelt. Wie kann sie ihn nur von seiner Eifersucht heilen?
RomanaRomane erscheinen in der KORALLE VERLAG GmbH Berlin – Hamburg. Redaktion und Verlag: 2 Hamburg 36, KaiserWilhelmStraße
6,Telefon:(0 40) 3 47(1).
FS212009korad
Verantwortlich für den Inhalt: The Tauentzien, Hildegard Fäbrega
Anzeigenleitung: Eckard Dems – Vertriebsleitung:Gerhard Bergmann.
Anzeigen nach jeweils gültiger Anzeigenpreisliste.
© byVioletWinspear RomanaRomane dürfen nicht verliehen oder zum erwerbsmäßigen Umtausch verwendet werden.
Führung in Lesezirkeln nur mit ausdrücklicher Genehmigung des Verlages.
Für unangefordert eingesandtes Manuskript übernimmt der Verlag keine Haftung.
Satz: Axel Springer Verlag AG, Hamburg.
Druck: Ernst Klett Druckerei, Stuttgart.
Printed in Western Germany .
1. KAPITEL Fay starrte auf ihren brandneuen Ehering, einen erlesenen, mit kleinen
Diamanten eingefaßten Ring aus Platin: Die Herbstsonne tanzte auf den
kostbaren Steinen, deren funkelnde Schönheit sie jedoch eher mit Unbehagen als
mit Freude erfüllte.
Der Ring besiegelte, daß sie jetzt mit Gary Marsh verheiratet war.
Sie warf ihm einen schüchternen Seitenblick zu, beobachtete, wie er am Steuer
des Wagens saß und das mächtige schwarze Gefährt sicher durch den dichten
Verkehr des kalifornischen Highways lenkte.
Wir sind zu still, dachte sie. Wir haben doch gerade erst geheiratet. Wir müßten
wenigstens lächeln.
„Wann sind wir bei der Hütte, Gary?“ fragte sie. Er hatte den Vorschlag gemacht,
die Flitterwochen in seiner Hütte in den Bergen von Serena zu verbringen, und
sie hatte sich einverstanden erklärt. Jetzt, bei ihrer Frage, lag ihr die Zunge wie
ein Stein im Mund. Sie hatte das Gefühl, seit Wochen kein Wort mehr geäußert
zu haben. Kein einziges Wort, und doch hatte sie erst vor einigen Tagen „ja“
gesagt.
Plötzlich fürchtete sie sich. Ein unbestimmtes Gefühl breitete sich in ihr aus,
durchdrang ihren Körper mit lähmender Kälte. Warum hatte sie ihn geheiratet?
Es war ein Irrtum! Nie würden sie miteinander glücklich werden! Man brauchte
Gary nur anzusehen – wie still er war, wie verschlossen. Plötzlich fühlte sie sich
verzweifelt unglücklich und den Tränen nahe. Warum hatte er sie geheiratet, da
er weder Freude noch Glück – sondern einfach gar nichts zu empfinden schien?
In diesem Augenblick wandte er sich ihr zu und sah sie an.
„Gegen acht sind wir dort“, sagte er. „Du hast keine Lust, auf der Hütte zu
bleiben, nicht wahr? Ich versichere dir, daß es dort nicht von Schlangen wimmelt
und auch nicht feucht und modrig ist.“ Er grinste; es war jenes leicht ironische
Lachen, bei dem sich ein Winkel seines breiten, feingeschnittenen Mundes hob
und seine linke Braue zu einem spöttischen Dreieck wurde. „Es ist ein recht
ansehnliches Haus und hat sogar ein Badezimmer! Freilich) das Badewasser muß
auf einem Ölofen erhitzt werden.“
„Das klingt fein“, sagte Fay.
„Du sagst das, als hätte es schrecklich geklungen“, sagte er vorwurfsvoll. „Was
ist los? Was hast du?“
„Nichts.“
„Fay, irgend etwas stimmt doch nicht! Du siehst wie ein kleines Mädchen aus.
Hast du die Ehe schon satt?“
„Natürlich nicht.“ Sie drehte an ihrem blitzenden Ring. Er fühlte sich fremd an,
und sie wünschte sich nur, nicht gleich weinen zu müssen.
„Ich weiß, was mit dir los ist“, sagte Gary. „Du hast Hunger. Bestimmt hast du
heute noch nicht mehr zu dir genommen als eine Tasse Kaffee.“
„Ich hatte keinen Appetit“, gab sie zu.
„Ich habe es ja geahnt! Beim nächsten Restaurant halten wir an. Sobald du
etwas Anständiges im Magen hast, wirst du dich wieder wohl fühlen, Herzchen.“
Er lächelte sie an und wandte seine Aufmerksamkeit dann wieder der Straße zu.
Fay räkelte sich auf ihrem Sitz zurecht und schob energisch alle Gedanken an
Tränen beiseite. Jetzt konnte sie nicht mehr zurück. Sie war unwiderruflich
verheiratet, und das mit Gary Marsh.
Gary Marsh – ein Name, den man sogar in Europa kannte, denn obwohl er erst
vierunddreißig war, hatte er als Filmregisseur schon große Erfolge errungen.
Gary Marsh, der rasch die unsichere Ruhmesleiter von Hollywood
emporgeklettert war und sie dazu erwählt hatte, ihn auf seinem weiteren Weg zu
begleiten – aber nicht aus Liebe, nicht aus Liebe!
Als er um sie angehalten hatte, hatte er ihr offen gesagt, daß er heiraten wolle,
weil er des Alleinseins müde sei.
„Wird es denn gutgehen, wenn du mich nicht liebst?“ hatte sie gefragt.
„Liebe?“ Er hatte verächtlich gelacht „Soll ich dir mal etwas über die Liebe sagen?
Die Liebe ist ein wunderschönes Wort auf Weihnachtskarten, ein wesentlicher
Bestandteil vieler Volkslieder, im Grunde aber doch nur ein romantischer Hauch,
gegenwärtig in der einen, verweht schon in der nächsten Minute. Baby, erwarte
keine schönen Worte von mir, ich bin nicht der Typ dazu! Nimm, was ich dir
geben kann, meine Bewunderung, meine Zuneigung. Oder sind das in deinen
Augen keine guten und dauerhaften Empfindungen?“
Weil es ihr wie ein Wunder erschienen war, daß er sie überhaupt zur Frau wollte,
hatte sie wie ein scheues Vögelchen aufgepickt, was er ihr hingeworfen hatte:
Seine Bewunderung, an die sie nicht so recht glauben konnte, weil sie keine sehr
attraktive Erscheinung war, seine Zuneigung, was wohl nicht mehr bedeutete, als
daß er ihre Bescheidenheit schätzte. Er konnte sie jederzeit ruhig vergessen,
wenn ihm danach zumute war, da er ja wußte, daß sie ihm keine Vorwürfe
machen und still verschwinden und sich irgendwie auf ihre Weise beschäftigen
würde, bis er sie wieder an seine Seite winkte.
Sie liebte ihn natürlich. Sie hatte ihn von jenem ersten Lächeln an geliebt das er
ihr zugeworfen hatte…
Sie hatten sich im Haus seiner Großmutter kennengelernt, der leicht reizbaren
und sehr reichen Mrs. Marsh, die sie gepflegt hatte.
Fay war nach dem Tod ihrer verwitweten Mutter vor zwei Jahren aus England
nach Amerika gekommen. Sie hatte sich zu einem SchwesternAustausch
gemeldet und war geblieben, nachdem sie das Staatsexamen abgelegt hatte. Die
Arbeit als Privatpflegerin, die sie viel interessanter gefunden hatte als die in
einem Krankenhaus, hatte sie in viele Häuser geführt, und sie hatte eine ganze
Menge Leute kennengelernt; doch vom ersten Tag in Laurel Bay an war sie von
der majestätischen Herrschsucht der alten Mrs. Marsh und der melancholischen
Schönheit ihrer Enkelin Della, die bei ihr lebte, bezaubert und gefesselt gewesen.
Beide waren ungewöhnliche Menschen. Hinzu kam, daß es ein wenig
schmeichelte, daß Mrs. Marsh die reichste Frau von Cosa Röche und Dellas
Bruder ein bekannter Filmregisseur waren.
Eines Nachmittags war er aufgetaucht. Die alte Mrs. Marsh hatte sich geehrt
gefühlt, weil sie annahm, daß er allein wegen ihres Magengeschwürs die Reise
von Hollywood zu ihr unternommen hätte – bis er ihr mitgeteilt hatte, daß
Filmgeschäfte ihn zufällig nach Cosa Röche geführt und er nicht ahnte, daß sie
mit einem Magengeschwür zu Bett lag. Die Gleichgültigkeit, mit der er das in
Fays Anwesenheit von sich gab, hatte ihr gezeigt, daß er für seine Großmutter
kaum Zuneigung empfand, obwohl sie ihn und Della großgezogen hatte.
Der Vater der Kinder war gestorben, als Della zwei und Gary zwölf Jahre alt
gewesen waren. Ihre Mutter, eine ungewöhnlich schöne, aber charakterlose
Sizilianerin, hatte sich unmittelbar nach dem Tode ihres Mannes
wiederverheiratet. Ihr neuer Ehemann hatte sich geweigert, die Verantwortung
für die Kinder zu übernehmen, daher hatte sie sich gewissenlos ihrer entledigt,
indem sie sie der alten Mrs. Marsh, ihrer Schwiegermutter, auf die Schwelle
legte, und danach für immer aus ihrem Leben verschwand.
Fay hatte das von Della erfahren. Sie hatten sich rasch angefreundet. Beide
waren einsam und beide fühlten sich durch den Verlust eines geliebten Menschen
besonders verbunden: Fay hatte ihre Mutter, Della ihren Mann verloren, der drei Monate nach der Hochzeit einem Autounfall zum Opfer gefallen war. Fay und Della hatten während jener langen, warmen Augusttage oft miteinander geplaudert, denn trotz ihrer gelegentlichen Launenhaftigkeit war Mrs. Marsh eine leicht zu behandelnde Patientin; sie schlief sehr viel. Während dieser Stunden hatten Fay und Della Gelegenheit, ihre Freundschaft zu vertiefen. Tatsächlich war es auch Fay gewesen, die Della den Rat gegeben hatte, Will Bronson, den hochgewachsenen, netten jungen Anwalt zu heiraten, dessen Familienbesitz an Laurel Bay grenzte. Er war ein regelmäßiger Gast in Laurel Bay, und Fay entdeckte rasch, daß er die melancholische Della verehrte. „Der Mann ist närrisch“, sagte Della eines Nachmittags zu Fay, als sie in der alten Rosenlaube saßen, im Park von Laurel Bay. „Ich * wünschte, er käme nicht wieder.“ „Damit du weiter so vor dich hinbrüten kannst“, hatte Fay mit einer bestimmten Verwegenheit gesagt, über die sie selbst erstaunt war. Es war sonst nicht ihre Art, sich in die Angelegenheiten anderer zu mischen, doch sie mochte Della und Will und war mit Mrs. Marsh der Meinung, daß Della, wenn sie keinen neuen Lebensinhalt fand, sich zu einer eigenbrötlerischen Einsiedlerin entwickelte, die nur noch in der schmerzlichen Erinnerung an einen Toten leben würde, der wild und unbesonnen gewesen war. „Ich könnte Will nie lieben, wie ich Philip geliebt habe“, hatte Della damals gesagt. „Es wäre in meinen Augen wie – wie ein Betrug.“ „Wenn du so denkst, ist dir Will auch nicht ganz gleichgültig, nicht wahr?“ entgegnete Fay. Darüber mußte Della lachen. „Wie kommt es, daß du so weise bist, du junges Ding? Weißt du, daß du wie gerade sechzehn aussiehst?“ Die alte Mrs. Marsh war damals schon auf dem Wege der Besserung gewesen, und an einem Sonntag hatte die Familie, um die Genesung zu feiern, den Tee auf der Terrasse getrunken. Fay hatte nur ziemlich widerstrebend daran teilgenommen. Mrs. Marsh, stattlich in schwarzer Seide dasitzend, hatte vor der heißen Kanne präsidiert, die beinahe ebenso stattlich war wie sie selbst, und hatte sich diebisch gefreut, weil sie endlich wieder ihren geliebten Tee trinken durfte. Ihre Zunge war ebenso spitz und ihr Witz ebenso beißend wie der ihres Enkelsohnes Gary gewesen, der, in einem dunklen Hemd und grauen Flanellhosen in seinem Sessel lehnend, aussah wie ein braungebrannter Seeräuber auf Urlaub. Er war schon seit zwei Tagen im Haus, und noch immer empfand Fay eine unerklärliche Scheu vor ihm. Wenn er mit ihr sprach, antwortete sie leise und einsilbig. Wenn er sie, eine seiner ewigen Zigaretten zwischen den weißen, blitzenden Zähnen, anlachte, glaubte sie, in seinem Lächeln Spott zu sehen, und dunkle Röte schoß jedesmal in die blasse Haut ihres Gesichtes. Unerklärliche Empfindungen ließen sie nachts nicht schlafen. Bis jetzt waren Männer für sie nur Vorgesetzte gewesen. Ärzte mit dem Stethoskop um den Hals; sie hatte bisher nicht wahrgenommen, daß es auf der Welt auch Männer gab wie ihn. Er sah unverschämt gut aus, bewegte sich wie eine Raubkatze, besaß die Dreistigkeit eines Piraten und trug seinen Zynismus und, wie sie vermutete, seine Gefühllosigkeit mit derselben Selbstverständlichkeit wie seine teuren Anzüge. Er jagte ihr Furcht ein, faszinierte sie jedoch gleichzeitig. Er weckte in ihr den Wunsch, zu ihm zu laufen, gleichzeitig aber auch, ihn zu fliehen. Bis zu jenem Nachmittag auf der Terrasse hatte sie nicht gewußt, daß sie sich, zum erstenmal im Leben, verliebt hatte.
Als sie unter dem Himmel, der so blau und wolkenlos war, daß er die Augen blendete, den Tee tranken, verkündeten Della und Will Bronson ihre Absicht zu heiraten. Della errötete dabei, und der hochgewachsene Will sah aus wie ein Kind, das unerwartet ein Dutzend der schönsten Spielsachen auf einmal bekam. Mrs. Marsh nickte und kicherte sichtlich befriedigt. Fay trank Schluck um Schluck ihren Tee und beobachtete Gary. Sie sah die blauen Augen unter seinem blonden Haar plötzlich übermütig aufblitzen, sah, wie ein spöttisches Lächeln seine Lippen umspielte. „Darauf sollten wir mit Champagner anstoßen!“ Er erhob sich und hielt, das zierliche schmiedeeiserne Terrassentischchen wie ein Turm überragend, der verdutzten Della und dem grinsenden Will seine Teetasse entgegen. „Mein Segen mit euch, und vergeßt bloß nicht, den ersten Sproß eurer Ehe nach mir zu nennen – immer vorausgesetzt, er hat das richtige Geschlecht!“ Schwungvoll setzte er die Teetasse an den Mund, leerte sie in einem Zug und lachte mutwillig und zufrieden, als er einen empörten Blick von seiner Großmutter auffing. „Das ist doch wirklich die Höhe, Gary Marsh!“ fauchte sie. „Geh nach Hollywood zurück, wohin du gehörst und wo solche Töne und Sitten zu Hause sind!“ „Ich gehe, ich gehe, liebe Großmama! Aber erst nach meiner Hochzeitsreise.“ „Nach – nach deiner was?“ „Hochzeitsreise – nachdem ich dann all die hübschen Dinge erlebt haben werde, die Leute erleben, wenn sie heiraten!“ Er schlenderte um den Tisch herum und zog Fay aus ihrem Sessel. „Machen wir einen Spaziergang miteinander?“ sagte er und war mit ihr davonmarschiert, noch bevor Mrs. Marsh Atem holen konnte, um gegen sein Verhalten zu protestieren. Er ging mit Fay unter den Bäumen von Laurel Bay dahin, und Angst und Verwirrung ließen ihr Herz rasen und es gegen ihre Rippen hämmern, als er plötzlich stehen blieb und sie in die Arme nahm. Heiß spürte sie seine Lippen auf den ihren, und sie zitterte, weil sie das Gefühl hatte, sich gegen ihn wehren zu müssen und sich doch nicht wehren wollte. „Das sollten wir nicht tun – das dürfen Sie nicht!“ war alles, was sie zu sagen vermochte. Er lachte. „Ich tu's aber trotzdem! Willst du wirklich, daß ich aufhöre?“ „Ja.“ „Lügnerin!“ Er küßte sie wieder, und – Fay war verloren. Wie ein hilfloser Schmetterling flatterte sie in die dunkle Flamme der Leidenschaft, in die er sie riß. „Heirate mich und komm mit nach Hollywood“, sagte er dann. „Ich bin es müde, allein zu leben.“ Schmeichelnd berührte er ihr weiches rotes Haar, fuhr mit dem Finger die sanfte Kurve ihrer Wange entlang und ließ ihn im Winkel ihres Mundes liegen. Sie war keine aufregende Schönheit, dazu war ihr Gesicht zu still, doch ging ein schwer zu beschreibender Charme von ihr aus. „Aber Sie lieben mich doch nicht, Gary“, sagte sie. „Liebe?“ Er hatte verächtlich gelacht… Sie erreichten die Hütte um acht Uhr, genau wie Gary gesagt hatte. Die Sonne war mit der Herrlichkeit eines glühenden Feuerballs untergegangen, und jetzt war der Himmel mit lavendelfarbenen Streifen durchsetzt. Ein sanfter Herbstwind bewegte die Bäume, und Vögel lärmten in Erwartung der Nacht. Gary sperrte die Hüttentür auf, und sie trugen die großen Tüten mit Lebensmitteln herein, die sie in einer Stadt gekauft hatten, durch die sie am Nachmittag gekommen waren. Fay blieb dicht vor der Tür stehen. Erst jetzt war sie sich ihres Alleinseins mit Gary bewußt – Gary, der ihr Mann, aber auch ein geheimnisvoller Fremder für sie war.
Sie glaubte zu träumen. Sie stand da und atmete schwer wie im Traum. Sie hatte das Gefühl zu entdecken, daß all dies – Gary, ihre Heirat, diese unbeschreiblich friedliche Atmosphäre, unwirklich wäre. Sie sah Gary zu, wie er die Tüten mit den Lebensmitteln auf einem Stuhl abstellte und weit die Läden der beiden Fenster aufriß. Zu beiden Seiten eines riesigen offenen Kamins aus roten Ziegeln standen zwei große Sofas aus feinem Leder und zwischen ihnen ein langer, niedriger Tisch. Auf dem schwarzen Parkettboden lagen cremefarbene Teppiche, und an den Wänden hing eine Sammlung von Indianertrophäen. An einer Wand stand ein antiker Schreibtisch aus dunkelglänzendem Holz und an einer anderen ein mit Büchern vollgestopfter verglaster Schrank. Es war ein hoher, kühler, angenehmer Raum, und Fays Augen begannen zu glänzen, während sie sich langsam um die eigene Achse drehte und alles in sich aufnahm. „Gefällt es dir hier?“ fragte Gary. „Ja, sehr. Es ist schön hier!“ sagte sie. „Keine Schlangen, keine Fäulnis, kein Moder, wie? Komm, ich zeige dir die Küche.“ Die Lebensmitteltüten in der Hand, ging sie mit ihm, und, nachdem sie die saubere, praktische kleine Küche betreten hatten, nahm Gary ihr die Tüten aus der Hand und stellte sie auf den Tisch. Er lächelte, als sie mit offensichtlichem Interesse die weißen Wandschränke, den verchromten Spülstein und den ebenfalls verchromten Ölherd betrachtete. „Wie kommt es, daß alles hier so ordentlich und sauber ist?“ fragte sie. „Eine Frau von einer Farm weiter unten im Tal putzt und lüftet die Hütte regelmäßig“, sagte er. „Ich habe gern alles in Ordnung, weil ich im Sommer gelegentlich heraufkomme.“ „Hm.“ Lächelnd öffnete er einen Vorratsschrank und zeigte auf Regale voller Büchsen, Konservendosen und Gläser mit Lebensmitteln und Obst. „Verhungern können wir nicht, wie du siehst“, sagte er. „In diesem anderen Schrank“, zeigte er ihr, „sind die Kanister mit dem Öl für die Lampen und den Herd. Und hier drin befindet sich die Wäsche. Jetzt“, er nahm ihre Hand und zog sie aus der Küche, „zeige ich dir das Schlafzimmer und das Bad.“ „Das Wort Hütte trifft aber auf diese Räumlichkeit und die schönen Sachen hier kaum zu, Gary“, lächelte sie. „Ich weiß, was du erwartet hast“, sagte er, „irgend so einen verfallenen Schuppen mit einer doppelstöckigen Koje und einer Pumpe hinter dem Haus“, lachte er laut. „Du wirst dich langsam an den Gedanken gewöhnen müssen, daß du nicht gerade einen armen Schlucker geheiratet hast.“ Er drückte ihr die Hand, und als der Ehering sich ihr dabei ins Fleisch preßte, mußte sie plötzlich denken, wieviel der schöne Platinreif mit den Diamanten gekostet haben mochte. Ein kleines Vermögen, dachte sie. Ihre Wangen röteten sich. „Warum wirst du rot?“ Er zog sie an sich. „Was geht jetzt schon wieder in deinem Köpfchen vor?“ „Du hättest mir keinen so teuren Ring kaufen sollen“, platzte sie heraus. „Du hattest es nicht nötig, mich – mich zu kaufen, Gary.“ „Dich kaufen?“ Das Lächeln schwand aus seinen Zügen. „Es ist – ist gemein, so etwas zu sagen!“ Er nahm ihre schmale Rechte und blickte auf den Ring. „Der Ring war in meinen Augen nicht mehr als ein hübsches Spielzeug. Ich dachte, er könnte dir gefallen.“ „Er – er gefällt mir ja auch, nur ist er sicher zu teuer für mich.“
Sie war auf einmal verlegen und wünschte, nichts gesagt zu haben. Er sah ihre Verlegenheit und lachte spöttisch. „Ich habe dich also gekauft, ja? Nun, der Kauf endet nicht mit einem Ehering, das kann ich dir versichern, meine Liebe! Gary Marshs Frau trägt Seide, schöne Kleider, aber keine holländischen Schürzen!“ Damit machte er auf dem Absatz kehrt und ging hinaus, um die Koffer zu holen. Während sie aßen, fiel seine Zurückhaltung wieder ein wenig von ihm ab. Fay war mit dem Abendessen, das sie zubereitet hatte, recht zufrieden. Immerhin hatte sie zum erstenmal auf einem Ölherd gekocht. Dankbar stellte sie fest, daß Gary mit Appetit aß. „Du hast eine glückliche Hand für ein gutes Steak, mein Schatz“, lobte er. „Wer hat dich gelehrt, so zu kochen?“ „Meine Mutter, sie war eine prima Köchin.“ „Du hast deine Mutter geliebt, nicht wahr, Fay?“ Er schenkte sich Wein ein und beobachtete Fay, während er trank. „Meine Mutter war eine harte Frau und selbstsüchtig wie die Hölle. Weißt du, Fay, manche sind der Meinung, ich geriete ihr nach.“ Er ließ sie nicht aus den Augen. Fay biß sich auf die Lippen, als sie den Ausdruck spöttischer Belustigung in seinem Gesicht sah. „Ich wünschte, du sprächest nicht so, Gary“, sagte sie. „Du stellst dich immer als ganz schrecklichen Menschen hin. Das ist vielleicht auch der Grund dafür, daß dich andere Leute für schrecklich halten.“ „Ach, Herzchen!“ Spöttisch zog Gary eine seiner dichten Brauen hoch. „Du glaubst doch nicht im Ernst, ich sei ein Unschuldsknabe, den die Welt mißversteht, nicht wahr?“ „Ich halte dich auf keinen Fall für so schlecht, wie du dich immer hinstellst.“ Sie stand auf, stellte die Teller zusammen und trug sie in die Küche. Sie kam mit dem Nachtisch zurück, einem appetitlich angerichteten Obstsalat mit Sahne. Gary betrachtete sie anerkennend. „Du scheinst viele Tugenden zu besitzen, mein Schatz“, sagte er, „du bist eine hervorragende Köchin, hast immer ein reizendes Lächeln und eine optimistische Wesensart.“ „Wieso bin ich ein optimistisches Wesen?“ fragte Fay sich und schenkte ihm jenes Lächeln, das er soeben reizend genannt hatte. „Du hast gesagt, ich sei deiner Ansicht nach nicht ganz so schrecklich, wie ich tue, nicht wahr?“ „Das habe ich gesagt. Und ich glaube es auch“, sagte sie und biß in einen entkernten Pf irsich. „Siehst du, das ist eben dein Optimismus.“ „Aber wie du das sagst, Gary, so klingt es zynisch“, hielt sie ihm vor. Nachdem sie Kaffee getrunken hatten, spülte sie rasch das Geschirr und kehrte in das Wohnzimmer zurück. Es brannte nur eine Lampe, und der Raum wirkte freundlich und behaglich. Gary hatte das Feuer im Kamin angezündet, und die Scheite krachten und loderten und verbreiteten den aromatischen Geruch von Kiefernholz. „Ich liebe diese Atmosphäre!“ sagte Fay, setzte sich auf eines der großen Ledersofas und schlang die Hände um die Knie. „Und dieses Zimmer hier, weißt du, das ist ein Raum, wie ich ihn mir als Kind schon immer erträumt habe.“ „Und wie steht es mit dem Ehemann, der dazugehört?“ fragte Gary, setzte sich auf das andere Sofa und nahm seine Zigarettenschachtel aus der Tasche. „Ist er auch von der Art Ehemann, die du dir immer erträumt hast?“ Fay lächelte leicht. Dein Aussehen, dachte sie, entspricht durchaus dem Bild
eines Traumehemannes. „Ich habe nie sehr viel über das Heiraten nachgedacht“,
sagte sie allerdings, „ich glaubte immer, ich würde nie heiraten.“
„Herzchen, hast du dich nie genau im Spiegel betrachtet?“ fragte er lässig.
Sie errötete und beobachtete ihn beim Anzünden seiner Zigarette. Er warf das
Streichholz ins Feuer, lehnte sich auf dem Sofa zurück und kreuzte behaglich die
Beine.
„Willst du mir etwa weismachen, daß ich der erste bin, der dir sagt, welch ein
appetitliches kleines Mädchen du bist?“ fragte er gedehnt.
Das Rot in ihren Wangen vertiefte sich, doch sie nickte.
„Unglaublich!“ Er lächelte ihr zu. „Und wenn Olive Hadley dich erst in den Fingern
gehabt hat, wirst du noch hübscher sein.“
„Wer ist Olive Hadley?“ fragte sie.
„Olive Hadley, mein Schatz, ist Besitzerin eines sehr exklusiven Unternehmens in
Hollywood, in dem ungezähmte junge Starlets in elegante junge Damen
verwandelt werden.“
„Bin ich das denn in deinen Augen, Gary? Ein Starlet?“ fragte sie und sah ihn
überrascht an.
„In dir schlummern so charmante Möglichkeiten, mein Schatz, daß ich darauf
brenne, sie voll entwickelt zu sehen. Olive wird dich frisieren und dich modisch
und bei deinem Makeup beraten. Ich darf dir doch sagen, daß du in dieser
Richtung einige gute Ratschläge brauchst, oder? Der Lippenstift, den du heute
trägst, ist viel zu dunkel für deinen Mund.“
„Wirklich?“ Sie berührte ihren Mund. „Ist er das wirklich? Er war sehr teuer. Ich
habe ihn in Casa Röche gekauft. Das Mädchen sagte, er stünde mir.“
„Dann war sie farbenblind.“ Er fegte „das Mädchen“ mit einer geringschätzigen
Geste beiseite, wobei er Zigarettenasche auf den Teppich streute. „Du hast einen
einmalig süßen Mund, Fay, und es gefällt mir nicht, wenn du ihn unter einem
Lippenstift versteckst, der nur zu wasserstoffblonden Karrierefrauen paßt. Er
macht deinen Mund hart und lenkt von deinen schönen Augen ab.“
Ungläubig und erstaunt sah sie ihn an. Ihr Mund süß? Ihre Augen schön?
Er lachte. „Man sieht, daß du es nicht gewöhnt bist, Komplimente zu bekommen.
Du hast einen wunderschönen Mund, hübsche Augen und so herrlich braunrotes
Haar. Warum sollte ich es dir nicht sagen?“
„Oh, ich nehme es dir ja nicht übel!“ lächelte Fay. Sie legte den Kopf in die
weichen Lederpolster zurück, und gelöst gab sie sich dem Wohlgefühl hin, das sie
durchströmte. Es war angenehm, ja erregend für sie, daß sie zu hören bekam,
was für einen schönen Mund und für hübsche Augen sie hätte! Ganz besonders,
weil Gary, dieser blonde Hüne es sagte.
� „ Erzähl e m i r et was von di r, Fay“, sagt e er tr äge. „ Wo hast du al s Ki nd gel ebt ? „In Holloway, einem trüben Stadtteil von London.“ Sie rümpfte die Nase. „Wir hatten eine Zweizimmerwohnung, in der es immer nach Küchendünsten anderer Mietparteien roch, und die immer vom Lärm anderer erfüllt zu sein schien. Meine Mutter arbeitete in einer kleinen Fabrik. Es war ihre Idee, daß ich Krankenschwester werden sollte. Ihr war der Gedanke verhaßt, mich als Fließbandarbeiterin zu sehen. Als sie gestorben war und ich meine Ausbildung beendet hatte, wurde ich Privatpflegerin.“ Sie lächelte. „Ich wollte andere Menschen und Orte kennenlernen und viel von der Welt sehen!“ „Mit Hilfe der Krankenzimmer anderer Leute?“ fragte Gary gedehnt. Seine Augen strahlten in diesem Augenblick sonderbar weich, und Fay war verwirrt, daß er so aussehen konnte. „Das mag – das mag wohl ein bißchen albern klingen“, stotterte sie, „aber als Privatpflegerin erlebt und sieht man sehr viel. Es ist gar kein so übler Beruf,
wenn man sich seinen Lebensunterhalt selbst verdienen muß. Und man kommt ein bißchen herum.“ „Glaubst du, daß du dich in deiner jetzigen Stellung wohl fühlen wirst?“ Er lächelte, als er sich vorbeugte, um die Zigarettenasche über dem Kaminfeuer abzustreifen. Sein Blick glitt über ihre schlanke gelöste Gestalt auf dem Ledersofa und blieb auf ihren bestrumpften Beinen ruhen. „Nun?“ fragte er nachdrücklich. Sie vergrub das Gesicht in den weichen Lederpolstern und mied seinen Blick, der Verlegenheit und Scheu in ihr weckte. „Mir – mir gefällt es in meiner neuen Stellung schon sehr gut“, sagte sie leise, „obwohl ich gestehen muß, daß mein neuer Chef mir ein bißchen Angst einjagt. Er starrt ununterbrochen auf meine Beine.“ Sie hörte ihn lachen. „Grund zum Fürchten“, sagte er, „hättest du erst dann, wenn er aufhörte hinzugucken!“ Es wurde still im Raum, der angenehm nach prasselnden Scheiten und Garys Zigarettenrauch duftete. Die antike Standuhr tickte leise, und von draußen klang das einförmige Zirpen der Grillen herein. Fay fielen die Augen zu. Sie spürte die Wärme des Feuers in ihrem Körper, und empfand die luxuriöse Weichheit der Lederkissen wie eine Umarmung. Sie schmiegte sich tiefer und tiefer in diese Umarmung und schlummerte leicht und mit derselben Natürlichkeit ein wie ein Kind… Als sie wieder erwachte, setzte sie sich verwirrt und beschämt auf. Wie schrecklich, in Garys Gegenwart einzuschlafen! Sie rieb sich die Augen und blickte zu dem anderen Sofa hinüber – doch seine Wikingergestalt war nicht mehr da. Sie erhob sich und ging in die Küche. Aber er war nicht dort. Sie warf einen Blick ins Schlafzimmer, aber es war leer. Und als sie schließlich an die Tür des Badezimmers klopfte, antwortete ihr nur Stille. Die Hand an der Klinke stand sie da, und ihre Augen waren groß geworden vor Angst. Wohin war Gary gegangen? Warum hatte er sie allein gelassen? Hatte sie ihn verärgert, weil sie eingeschlafen war wie ein Kind, das man mit Süßigkeiten unbedacht überfüttert hatte? Sie lief rasch in das Kaminzimmer zurück, ging dann zur Haustür und öffnete sie. Kühle Nachtluft blies ihr entgegen, schwermütige Dunkelheit hauchte sie an. Zuerst hörte sie nichts außer den Grillen, dann öffneten ihre Ohren sich auch anderen Geräuschen. Sie vernahm das tiefe, unheimliche Rufen einer Eule, das Rascheln des Windes im Laub und huschende, unheimliche Geräusche, als fliehe allerlei Nachtgetier durch das Dunkel. Sie fühlte sich unbeschreiblich einsam, als sie so auf der Schwelle der Hütte stand und in die Nacht starrte. Die Mammutbäume, so hoch und breit, waren wie große, drohende Gestalten, die das Haus zu bedrängen schienen. Furcht überfiel sie, die wie mit klammen Fingern nach ihr griff. Sie wich ins Innere des Hauses zurück, warf die Tür zu und schloß die bedrohlich heranbrandende Dunkelheit aus. Mit dem Rücken gegen die Tür gelehnt, stand sie tiefatmend da, und ihr Herz hämmerte. Wo war Gary? Warum hatte er sie allein gelassen? Ängstlich bewegte Fay sich quer durch das Zimmer und suchte die Nähe des ersterbenden Feuers. Sie kauerte sich davor nieder, von einer Stille umgeben, die so aufdringlich war, daß sogar das Rascheln ihres Kleides und ihrer Strümpfe sie störte. Eine Hand fest auf das hämmernde Herz gepreßt, starrte sie in die zusammengesunkenen brennenden Scheite. Nur ganz allmählich wich die Panik von ihr, und während sie ruhiger wurde, rückten auch die Dinge, die sie umgaben, wieder in ihr richtiges Licht.
Unbekümmert darum, daß sie sich gefürchtet hatte, als sie allein aus ihrem kurzen Schlaf wieder erwacht war, würde Gary bald wieder bei ihr sein müssen… Ein gezwungenes Lächeln umspielte ihre Lippen. Ihre Liebe zu Gary hatte sie ja nicht blind gemacht. Sie sah ihn plötzlich als das, was er war: Ein herrischer Mann, ein Pirat, der seinen Kurs steuerte, der sich entschlossen und rücksichtslos nahm, was er wollte, und es – sicherlich – ohne zu zögern fallenließ, wenn es ihn nicht mehr interessierte. Weder ein sanfter noch ein geduldiger Mann. Ein Mann, der ihr mit seinem Temperament die Hölle bereiten würde, wenn sie es jemals weckte. Aber sie liebte ihn, und unter ihrer Furcht wuchs in diesem Augenblick plötzlich die bebende Erregung, das tiefe Glücksgefühl, das sie ihn nun erwarten mußte, daß sie seinen Ring trug und ihm gehörte. Da hörte sie draußen eilige Schritte und Zweige brechen. Sie hörte die Schritte näher kommen und die steinernen Stufen heraufsteigen. Langsam stand sie auf, und die Hand, die auf ihrem Herzen lag, spürte, wie es raste. Sie wandte sich zur Tür, sah, wie die Klinke niedergedrückt wurde, sah, wie die Tür nach innen schwang und – Gary eintrat. Ihr rotbraunes Haar fiel ihr zerzaust in die Stirn und die blaue Seide ihrer Bluse gab ihren Hals frei. Ihr Mund schien verletzlich, dennoch versprach er ihm Liebe. Es war, als flehte sie um Verständnis für die Ängste, die sie um seinetwillen ertragen hatte. Er schloß die Tür und kam auf sie zu. In dem nur noch schwach von dem niedrigen Kaminfeuer erhellten Raum wirkte er wie ein blonder Riese, und Fay stand reglos da, in seinen Blick verstrickt, der sie festhielt, während er die braungebrannten Hände ausstreckte und sie an sich zog. Mit einem leichten Stöhnen ergab sie sich seiner harten, besitzergreifenden Umarmung und drückte das blasse Gesicht an seine gewaltige Brust. „Wo warst du?“ fragte sie. „Alles war plötzlich so still...“ Er nahm ihr Kinn in die Hand, hob es zu sich auf und forschte in ihren Zügen. Ein seltsames Lächeln umspielte seinen Mund. „Ich habe Mrs. Pascoe besucht, das ist die Frau, die das Haus hier in Ordnung hält. Sie und ihr Mann haben eine halbe Meile weiter unten im Tal eine Farm. Du hast dich gefürchtet, Fay? Ich hoffte, du würdest tief schlafen.“ Ihre Hände umklammerten seine Schultern. „Ich wußte nicht, was ich denken sollte. Ich konnte mir nicht vorstellen, wohin du gegangen sein könntest!“ Sein Lächeln vertiefte sich. „Hast du geglaubt, ich sei dir durchgebrannt? Sehe ich wie ein Mann aus, der seiner Braut in den Flitterwochen davonläuft?“ Sein Arm umfing sie fester, und seine Augen, die in die ihren starrten, waren plötzlich sehr dunkel, mit glitzernden Funken in ihren Tiefen. Sie faszinierten Fay, und sie konnte, während Gary sich langsam zu ihr herunterbeugte, keinen Blick von ihm wenden. „Hast du Angst vor mir, Fay?“ fragte er. „Ein bißchen“, gestand sie. „Du brauchst keine Angst zu haben.“ Seine Lippen berührten leicht ihre Wange. Dann hob er sie auf die Arme, und als er sie aus dem Zimmer trug, legte Fay das Gesicht an seinen warmen Hals und spürte sein leises Lachen beben. „Welch ein Federgewicht du bist“, murmelte er, „ich – ich könnte dich glatt im Knopfloch tragen!“ „Wie eine von Dellas Nelken?“ fragte sie lächelnd. Es war Della nicht recht gewesen, daß er immer ihre Nelken gestohlen und getragen hatte. Wie wütend Della dann jedesmal wurde, wenn er wieder eine von ihren Lieblingsblumen in seinem Knopfloch trug. „Au!“ Sein Lachen wurde tiefer, „Schimpf nicht in unseren Flitterwochen mit mir!“
Als Antwort gab ihm Fay einen Kuß.
2. KAPITEL Sie blieben zwei Wochen in Serena. Sie wanderten in den Bergen, fischten in den Seen, ruderten, schwammen, waren bei den freundlichen Pascoes zum Tee eingeladen und liebten sich, sooft sie es wollten. Fay vergaß, sich Sorgen um die Zukunft zu machen – die Zukunft lag noch in weiter Ferne – , die Gegenwart machte sie glücklich. Fay wußte, daß sie Serena ihr Leben lang nicht vergessen würde. Und als Gary am Ende der zweiten Woche zu ihr sagte: „Morgen fahren wir ab, meine Arbeit wartet auf mich“, flüsterte sie den bewaldeten Hügeln vor den Fenstern ein Wiedersehen zu; ein Wiedersehen dem Frieden und der Zufriedenheit, die ihr hier geschenkt worden waren. Bei dem Gedanken an Hollywood sank ihr der Mut. Hollywood mit seinem metallischen Himmel und seinen langen goldenen Ufern. Hollywood mit seinen eleganten, karrierebesessenen Frauen, mit seiner Rücksichtslosigkeit und seinem Glanz. Funkelndes, schmeichelndes Licht für manche, Qual und Erniedrigung für so viele. Sie mußte den Schritt in den Wirbel wagen. Wenn es ihr nur gelang, mit Gleichmut die sicher neugierig starrenden Blicke, die Kommentare und das Erstaunen hinzunehmen – o ja, das Erstaunen würde groß sein! Das bezweifelte Fay nicht eine Sekunde. Sie reckte tapfer ihr kleines Kinn und lächelte, als Gary ihr die bevorstehende Abreise ankündigte. „Hat es dir hier gefallen, mein Schatz?“ „Es war herrlich“, sagte sie. „Ich habe jede Stunde, jede Sekunde genossen…“ Drei Tage später hielt Garys Wagen auf der kreisrunden Zufahrt des exklusiven Crystal Court, eines Hauses in Hollywood, in dem Gary seine Wohnung hatte. Mit nervöser Scheu betrachtete Fay das weiße Gebäude, und die Unruhe wich auch nicht von ihr, als sie mit ihm durch die weitläufige Vorhalle ging und mit dem Lift in das oberste Stockwerk fuhr. Sie betraten einen mit schweren Teppichen belegten Korridor, an dessen beiden Enden sich große Fenster befanden, durch die das blendende Licht der Nachmittagssonne strömte. Während Gary in der Tasche nach dem Wohnungsschlüssel suchte, trat Fay zu einem der beiden Fenster und blickte auf breite, saubere Avenuen hinunter, wo exotische dickstämmige Palmen wie Schildwachen am Straßenrand in den Himmel hochragten und in abgeschlossenen Gärten, mit schimmernden Kamelienbüschen und Zitronenbäumen, prachtvolle Villen standen. Sie zuckte zusammen, als Gary sie ansprach. Sie wirbelte herum, ging auf ihn zu und ergriff fest seine Hand, die er ihr entgegenstreckte. Das Sonnenlicht folgte ihnen. Es gab ihrem Haar einen hübschen Kupferton und spielte über das Grün ihres schlichten Kleides. Fest umschlossen Garys warme Finger ihre kalte Hand, als er sie in das Appartement zog, das nun ihr Heim sein sollte. Es war geräumig, kühl und sehr modern eingerichtet mit einem schönen, leuchtend blauen Teppich und hellgrauen Wänden in der großen Halle. Exotische Kakteen in gelben Töpfen standen um eine große weiße Couch, auf der scharlachrote Kissen lagen. Ein üppig einladender Raum, wie Fay ihn aus Filmen kannte – vor dem sie sich fürchtete. Sie hatte noch nie auch nur etwas Ähnliches aus der Nähe gesehen, es war fremdartig, elegant und meilenweit entfernt von der kleinen Wohnung, in der sie mit ihrer Mutter gelebt hatte. Wie armselig waren jene traurigen kleinen Räume gewesen! „Na, komm schon“, sagte Gary laut, „du darfst ruhig ein bißchen Begeisterung
zeigen.“ Sie hielt die Augen von ihm abgewandt und sagte überwältigt: „Es ist eine schöne Wohnung, Gary!“ Er beobachtete sie, sah, wie ihre Hände die weiße Handtasche umklammerten, und plötzlich verzog er gereizt und verdrießlich die Lippen. Sie sah beinahe ein bißchen so aus, als fürchtete sie sich. Wovor, zum Teufel, konnte sie sich denn fürchten? Welchen Grund konnte sie dafür haben? Alle anderen Mädchen seiner Bekanntschaft waren beim Anblick seines Appartements in spitze und laute Entzückensschreie ausgebrochen, und die kleinste Andeutung hätte ausgereicht, und jede von ihnen hätte sich mit Vergnügen für immer bei ihm niedergelassen. Er legte seinen Arm um Fays schmale Schultern. „Wovor fürchtest du dich?“ fragte er. „Ich fürchte mich nicht“, leugnete sie. „Und ob du dich fürchtest! Du stellst dir die Wohnung belebt mit meinen Freunden vor und – zitterst vor Angst. Was, zum Teufel, glaubst du, daß sie dir tun werden? Dich fressen?“ Sie hörte auf, ihm etwas vorzumachen. Sie nickte unglücklich. „Sie werden mich in Stücke reißen deine Freunde. Sie werden mich für ein Mädchen aus einem europäischen Provinznest halten…“ „Das werden sie tun, wenn du dich so benimmst“, pflichtete er ihr bei. „Wenn du dich in deinem eigenen Heim wie ein Fremder benimmst, werden sie natürlich kichern und klatschen. Wie könntest du etwas anderes erwarten?“ „Aber – aber es kommt mir alles so schrecklich fremd vor!“ platzte sie heraus. „Ich – ich – .“ Aber sie konnte es ihm nicht sagen. Ich fürchte mich, Gary. Alles hier ist so – so exotisch, so anders als alles, was ich kenne. Du mußt mir Zeit lassen, mich daran zu gewöhnen. Finde dich mit meiner Angst ab, und sie wird bald verschwinden. Sie konnte es nicht sagen, denn er würde sie nicht verstehen. „Ich nehme an, ich werde mich bald an alles gewöhnen“, sagte sie deshalb mit Vorsicht und furchtsamem Herzen. Die Zuversicht auf ihre Zukunft, die sie in Serena empfunden hatte, war fort, verschwunden, wie Rauch. „Hoffen wir's!“ entgegnete er. So fand sich Fay mit gemischten Gefühlen, halb von nervöser Unruhe, halb von freudiger Erregung bewegt, in ihr Eheleben in Hollywood ein. Ein Eheleben, in dem es für ein Mädchen, das seit seinem fünfzehnten Lebensjahr als Krankenschwester gearbeitet hatte, verwirrend viel Freizeit gab. Haushaltsarbeit wurde ihr kaum abverlangt. Um die Reinigung des Appartements kümmerte sich die Hausverwaltung von Crystal Court. Und Beweise ihrer Kochkunst verlangte Gary auch nur am Morgen von ihr, wenn sie das Frühstück bereiten mußte, bevor er ins Studio fuhr. Am Abend fuhren sie regelmäßig zum Dinner in eines der vielen HollywoodRestaurants. Aber gerade das behagte Fay von Tag zu Tag weniger. Es kam ihr unsinnig vor, daß sie allabendlich in lauten und überfüllten Restaurants essen sollten, da sie doch eine gute Köchin war und zu der Wohnung eine funkelnde, mit den neuesten Maschinen ausgerüstete Küche gehörte. Schließlich entschloß sie sich, gegen das allabendliche Ausgehen aufzumucken, und als Gary eines Abends aus den Studios heimkam, war sie gerade dabei, im Wohnzimmer den Tisch zu decken. Sie arrangierte Blumen, Gedecke und zündete rote Kerzen in schönen alten Leuchtern an, die sie eigens für Gary und sich erworben hatte. Als Gary sah, was sie tat, verhielt er den Schritt. „Was ist denn hier los?“ fragte er. „Bekommen wir etwa Besuch?“ Fay wandte sich ihm zu und lächelte; es war ein heiteres Lächeln, mit kaum einer
Spur von Nervosität. „Ich habe mir nur gedacht, es wäre vielleicht ganz nett, wenn wir zur Abwechslung einmal zu Hause bleiben würden“, erwiderte sie. Die Finger in der lustigen Rüsche ihrer Schürze verflochten, kam sie auf ihn zu. „Hast du etwas dagegen?“ Er antwortete ein oder zwei Sekunden nicht, seine Augen glitten funkelnd über die kleine Gestalt in Küchentracht. Sein Mund wurde zu einem Strich. „Du siehst wie ein Dienstmädchen aus!“ sagte er grob. „Zieh diese Schürze aus und hör endlich auf, die süße Jungvermählte aus einer europäischen Vorstadt zu spielen! Wir gehen aus!“ Fay zuckte bei dem gereizten Klang seiner Stimme zusammen, während ihre Augen vorsichtig über sein Gesicht glitten, das schlechte Laune verriet. „Hast du einen schweren Tag hinter dir, Gary?“ fragte sie. „Allerdings.“ Er wandte sich von ihr ab und schenkte sich an der Hausbar einen Drink ein. „Ich habe mich heute genau dreimal fürchterlich gestritten und habe nun das Gefühl, Satan persönlich zu sein.“ Er leerte mit einem einzigen Schluck sein Glas. „Diese verdammten Narren machen mir Schwierigkeiten, weil ich Connie Carr für eine Hauptrolle in dem Film ,Corn in the City' haben möchte. Sie haben sich alle in Sittenapostel verwandelt. Warum? Weil das Mädel vor drei Monaten in eine Scheidung verwickelt war. Aber Connie kann spielen! Wen interessiert schon, was sie in ihrer Freizeit macht? Mich nicht, soviel ist sicher! Sie ist genau die Schauspielerin, die ich für diesen Film brauche, Fay. Sie hat diesen trägen, gedehnten AlabamaAkzent, weizenblondes Haar bis zur Taille und einen Mund, der ganz Sex und Aggressivität ist.“ „Wie ist die Sache weitergegangen, Gary? Ist es dir gelungen, die Leute dazu zu überreden, ihr die Rolle zu geben?“ Plötzlich umspielte ein kleines Lächeln, das sie nicht unterdrücken konnte, ihre Lippen. Sie stellte sich vor, welches Chaos in dem Besetzungsbüro geherrscht haben mochte. Sie begriff auf einmal, daß Gary, ihr Mann, mit der ungezähmten Wildheit eines tobenden Hengstes gegen jedes Hindernis anrannte, und er sehr gefährlich sein konnte, wenn ihn die Laune zu streiten ankam. Er sah sie lächeln und antwortete ihr mit einem gereizten Lachen. „Ich habe sie bekommen, aber ich war nahe daran, Bellamy Taylor in den Müllschlucker zu werfen! Er ist der Bursche, der bestimmt, was über die Stars, die bei uns unter Vertrag stehen, an die Öffentlichkeit gelangen soll und was nicht. Ein fetter kleiner Klumpen mit unruhigen Händen, dieser Bellamy Taylor. Ausgerechnet er wollte auf Connie herumtreten, dabei kenne ich zufällig zwei Mädchen, die größte Mühe hatten, sich der miesen Annäherungsversuche dieses Burschen zur Not zu erwehren. Ich habe deshalb beiläufig ihre Namen erwähnt, und schon hörte der Goldsohn auf, auf Connie herumzutrampeln.“ . Gary sah Fay fragend an, ging auf sie zu und hob ihr Kinn in die Höhe. „Tut mir leid, daß du dir mit den Vorbereitungen für das Abendessen so viel Mühe gemacht hast, aber ich brauche heute abend Musik und Lärm, Lichter und Leben um mich herum, sonst kann ich mich nicht entspannen.“ „Aber Gary, ich – ich habe einen – einen so feinen Braten –!“ protestierte sie leise. Gary blieb ungerührt. „Das ist deine Sorge, mich interessiert das nicht, Herzchen!“ Er wandte sich von ihr ab und ging ins Schlafzimmer. Im Gehen zerrte er schon an seiner Krawatte. Fay lief ihm nach und hielt ihn am Arm fest. „Du bist schrecklich unvernünftig, Gary.“ Flehend hob sie ihm das Gesicht entgegen. „Ist es denn wirklich soviel verlangt, wenn ich dich bitte, heute, an
diesem einen Abend, zu Hause zu bleiben und hier mit mir zu essen?“ „Hör zu.“ Seine Miene wurde arrogant und abweisend. „Ich arbeite den ganzen verdammten Tag über hart und weiß abends zufällig ein wenig Heiterkeit sehr zu schätzen. Es tut mir mächtig leid, wenn das nicht deine Billigung findet, Mrs. Marsh! Aber du wirst dich daran gewöhnen müssen, meinen Zu und Abneigungen nachzugeben und auf sie einzugehen, oder wir werden Abend für Abend diese lästigen Auseinandersetzungen haben. Ich bin nun einmal kein Haustier, meine Liebe, und es wird dir auch nicht gelingen, mich in eins zu verwandeln. Ich habe nie behauptet, häuslich zu sein. Also gib die Versuche auf, den Tiger bewegen zu wollen, sich auf dem Küchenläufer auszustrecken – er tut es nicht!“ Er schüttelte ihre Hand ab und ging ins Bad. Im Hinausgehen warf er Krawatte und Jackett achtlos auf sein Bett. Unentschlossen blieb Fay stehen. Er war schlechter Laune, und es war vermutlich töricht von ihr, darauf zu bestehen, zur Abwechslung einmal daheim zu bleiben. Dabei hatte sie sich mit dem Essen so große Mühe gegeben. Gerade jetzt war der Braten herrlich goldbraun, und im Kühlschrank standen Geleepfirsiche und Eiscreme bereit. „So ein Jammer...“, murmelte sie. Gary warf, ehe er im Bad verschwand, einen Blick auf sie. „Essen wir eben zum Frühstück kalten Braten. Ich bin zu allem bereit“, sagte er gedehnt. „Und kalte Kartoffeln und Spargelspitzen?“ fragte sie rasch. „Gibst du nach?“ Er warf ihr ein Lächeln über die Schultern zu und zog übermütig die linke Braue hoch, ein äußerliches Zeichen seines unabhängigen Temperaments, das durch sein Blut lief. „Hast du Angst, ich könnte mit einer Blondine essen und tanzen, wenn du nicht mitkommst? Du weißt ganz genau, daß ich durchaus imstande bin, das zu tun, nicht wahr?“ Diese Bemerkung, so gleichgültig und gleichzeitig herausfordernd ausgesprochen, stachelte Fay zur Rebellion an. Er war ihrer so sicher! So sicher, daß sie nicht wagte, ihn zu verärgern oder ihm zu widersprechen? Amüsierte es ihn etwa gar, daß sie ihre Ehe behandelte wie ein außerordentlich empfindliches Glas? Mit leidenschaftlicher Würde, die kleine Gestalt gestrafft, blickte sie zu ihm auf und sagte: „Hol dir dein bißchen Fröhlichkeit, Gary, wenn du es unbedingt brauchst. Iß und tanz mit einem halben Dutzend Blondinen oder Schwarzen, wenn du willst. Ich bleibe zu Hause. Dann lege ich mich mit einem Buch auf die Couch und sage kein Wort, wenn du mit blonden oder schwarzen Haaren auf deinem Blazer nach Hause kommst.“ Damit machte sie kehrt und ging, sehr stolz auf sich, in die Küche. Um halb zwei Uhr nachts war ihr Stolz zerschmolzen, nachdem sie, zum viertenmal, ihre Nachttischlampe angeknipst und furchtsam das Zifferblatt der kleinen Uhr betrachtet hatte, die neben ihr tickte. Nervös fuhr sie sich mit der Hand durch das Haar und zog sich die damastene Zudecke bis ans Kinn. Garys Unabhängigkeitsdrang war etwas sehr Verletzliches, eine Hülle, die ihn umgab und durch Liebe weder zerstört noch erweicht werden konnte. Sie war jetzt unglücklich über die abendliche Auseinandersetzung und gab sich daran die Schuld. Es wäre soviel leichter gewesen und weniger schmerzlich, ihm nachzugeben. Was er von ihr verlangte, war schließlich nur, daß er nach einem langen, anstrengenden Arbeitstag an ihrer Seite ein bißchen Ablenkung suchte. Es war ganz sicher ein Fehler, die Hüterin seines Hauses und die Bewahrerin ihrer Ehe spielen zu wollen. War sie denn das? War sie im Grunde nicht nur ein weiteres Schmuckstück, das er seinem Heim hinzugefügt hatte? Ein
Schmuckstück, das er sich genommen hatte, das er bewunderte, weil es ihm Spaß machte – etwas, das er wieder vergessen konnte? Sie lag im Bett und – erstarrte. Plötzlich hörte sie seine Schritte im Wohnzimmer und hörte ihn sorglos einen Schlager pfeifen. Fay lag ganz ruhig da. Sollte er denken, daß sie schliefe! Der Gedanke, er könnte glauben, sie sei noch wach und warte auf ihn, war ihr unangenehm. Er durfte nicht glauben, daß sie wach lag und sich Gedanken machte, sich sorgte oder sich gar nach ihm sehnte. Die Schlafzimmertür öffnete und schloß sich, und pfeifend näherte er sich dem breiten Bett. Die Nachttischlampe tauchte Fay in rosafarbenes Licht. Sie wußte, daß Gary sie jetzt beobachtete und darauf wartete, daß sie sich umdrehte und etwas sagte. „Schlaf st du, Fay?“ sagte er leise. Sie rührte sich nicht, doch er schien instinktiv zu spüren, daß sie noch wach war. Mit einem leisen Lachen setzte er sich auf das Bett, griff nach ihr und zog sie in seine Arme. Seine Lippen verzogen sich spöttisch, als er ihr widerspenstiges Gesicht betrachtete und ihr neckend mit dem Finger über die Wange fuhr. „Nun“, sagte er schleppend, „willst du mich nicht fragen, was ich getan habe und wo ich gewesen bin?“ „Ich weiß nicht, ob ich den Mut dazu habe. Vielleicht ist die Wahrheit unerträglich für mich.“ Trotzig begegneten ihre Augen den seinen. „Wovor fürchtest du dich eigentlich? Vor der Wahrheit oder vor einer Lüge?“ Jetzt lachte er sie ganz offen aus. „Wenn ich es recht überlege, fürchte ich mich vor beidem“, gestand sie. Sie schauderte unter seiner Berührung zusammen und verachtete sich wegen ihrer Schwäche und Nachgiebigkeit. „Willst du nicht nachsehen, ob du blonde oder schwarze Haare auf meinem Blazer findest?“ Sie schüttelte den Kopf, der Spott in seinen Augen schmerzte sie tief. Denn seine Augen sagten ihr offen, daß es für ihn völlig ohne Bedeutung war, wenn sie auf seinem Blazer blonde oder schwarze Haare entdeckte. Der Schmerz durchbohrte sie scharf und spitz wie ein Pfeil. Er blies in das rotbraune Haar, das ihr in die Stirn fiel, und in seinen Augen zeigte sich ein Anflug von Neugier, als er den Blick über ihre zarten Schultern wandern ließ, bis hinunter, wo ihr Busen sich hob und senkte. Sie schien gut zu sein. Aber war sie wirklich gut, dieses kleine Ding, seine zarte Frau, mit dem innigen Mund und dem Herzen, das jetzt unter seiner Hand raste? War sie gut, oder war sie wie alle anderen Frauen, oberflächlich unter der äußeren Schale ihrer Sanftheit und Süße und treulos? Wenn diese gebogenen Wimpern wie eben jetzt ihre Augen verdeckten – welche geheimen Gedanken gingen dann durch diesen Kopf? Gedanken, die er nicht lesen konnte. „Schau mich an, Fay“, befahl er plötzlich. Doch sie preßte das Gesicht fester an seine Brust, und er spürte, wie sie erbebte. „Ich will nicht, daß wir streiten“, flüsterte sie, „laß uns damit aufhören, Gary, bitte!“ „Es tut weh, nicht wahr?“ Er nahm ihr Kinn in die Hand und zwang sie, ihn anzusehen. Hilflos und zart lag sie in seinen Armen. Das rotbraune Haar lag ausgebreitet wie ein Schleier auf seinem dunklen Blazer, und das helle Blau ihres Nachthemdes betonte das zarte Weiß ihrer Haut. Sie sieht aus, dachte Gary, wie ein hilfloser Schmetterling. „Paß auf“, sagte er. „Wenn ein Mann so viel Temperament hat wie ich und den
ganzen Tag eine Horde von Schauspielern und Schauspielerinnen zu zähmen hat, die sich wie Wildkatzen benehmen, will er dasselbe nicht noch in seinen eigenen vier Wänden erleben. Also beherrsch dich – ich kann Szenen nicht brauchen.“ Er legte sie mühelos in die Kissen zurück und zog ihr die Decke bis ans Kinn. „Wie hat dir dein Braten geschmeckt?“ fragte er. „Gräßlich.“ Sie lächelte schüchtern und wollte ihn damit zwingen, zurückzulächeln und ihr ein wenig Zärtlichkeit zu erweisen, und wenn es nur die gleichgültige Zärtlichkeit für ein Spielzeug war. Aber er lächelte nicht, und ihr Herz machte einen Sprung, weil er sie plötzlich so sonderbar musterte und seine Augen forschend und eindringlich über ihr Gesicht glitten. Dann strich er mit einer herrischen Geste das Haar von ihrer Stirn zurück, daß es glatt um ihren Kopf lag, als wollte er die Konturen ihres Gesichtes in allen Einzelheiten studieren. Gary betrachtete eine Minute lang die Wirkung seiner Geste, dann erhob er sich mit einer leichten Verwünschung vom Bettrand und trat an den Toilettentisch, wo er stehenblieb und umständlich seine Manschettenknöpfe ablegte. Fay sah ihm verwirrt zu, und ihre Nerven begannen zu schmerzen, als er die Manschettenknöpfe auf die glatte Marmorplatte scheppern ließ und damit die Stille zerbrach, die über dem Schlafzimmer lag. „Was ist denn jetzt wieder, Gary?“ fragte sie. „Nichts“, entgegnete er, doch Fay sah, wie seine breiten Schultern sich versteiften, als müßte er sich gegen eine plötzliche Last stemmen. „Ich glaube, da ist doch etwas, Gary!?“ Sie richtete sich halb auf, die seidene Decke glitt ihr von den Schultern, und das Licht der Nachttischlampe legte sich wie eine Hand auf ihre weiße Haut. Gary musterte sie durch den Spiegel, und noch während die Pupillen seiner Augen sich weiteten und ihr junger Körper – noch fast fremd und neu in seinem Bett – den Wunsch in ihm weckte, sie ganz zu besitzen, wandte er sich ihr plötzlich schroff zu. „Nun schön, wenn du es unbedingt wissen willst! Du siehst in manchen Augenblicken aus wie jemand, den ich kenne – den ich kannte…“ „Jemand, den du kennst?“ Ihre Augen waren groß und bekümmert. Die unerträgliche Spannung und die Feindseligkeit, die plötzlich zwischen ihr und Gary hingen, fuhren schmerzlich in ihr heftig schlagendes Herz. Diese Last mußte sie auf der Stelle loswerden, oder sie würde daran zerbrechen. Sie warf alle Zurückhaltung ab und ließ der allen Frauen innewohnenden großen Fähigkeit freien Lauf, zu verzeihen, wenn nicht sogar zu vergessen. Sie breitete die Arme nach Gary aus. Es war ihr in diesem Augenblick nicht wichtig zu wissen, wo und mit wem er den Abend verbracht haben mochte. „Gary, ist es ein kleines Gespenst aus deiner Vergangenheit?“ fragte sie nur, und es gelang ihr sogar, ein wenig zu lächeln. Groß, ja beinahe hochmütig stand er vor ihr und betrachtete nachdenklich das Spiel von Licht und Schatten auf ihrem nur leicht verhüllten Körper. Dann beugte er sich mit sorglosem Lachen über sie und spürte im gleichen Augenblick, wie sich ihre Arme weich um seinen Hals legten. „Tja, ein kleines Gespenst aus meiner Vergangenheit“, erwiderte er und küßte sie lange und innig. „Tja, ein kleines Gespenst aus meiner Vergangenheit“, hatte Gary gesagt, und diese Worte verfolgten Fay in den nächsten Tagen mit einer Hartnäckigkeit, der sie nur allzugern entflohen wäre. Sie kamen ihr vor wie eine dunkle, gefährliche Strömung, die unter dem schäumenden Gischt des Wirbels von Hollywood hinfloß.
Sie wußte, daß eine andere Frau damit gemeint war. Und sie spürte, daß diese andere Frau mitgeholfen hatte, Gary zu dem harten, rücksichtslosen Menschen zu machen, der er oft war. Und so begann sie, auf Partys, in Restaurants oder im Kino, nach einem Gesicht Ausschau zu halten, dessen Züge den ihren ähnelten. Doch obwohl es ungezählte Gesichter gab, denen sie zusammen mit Gary begegnete, entdeckte sie nie das eine, nach dem sie suchte. Als sie noch unverheiratet und die ordentliche, manchmal gehetzte, aber immer tüchtige Schwester Fay Bryan war, hatte sie, wie alle anderen Mädchen, versucht, ein wenig Farbe in ihr Leben zu bringen und der ewigen Hast des täglichen Lebens zu entfliehen, indem sie Filmillustrierte und Magazine las, die oft über Hollywood berichteten. Sie hatte von der Heiterkeit gelesen, die das Leben der Stars und Filmgrößen hier beherrschte, von den vielen aufwendigen Partys… Es gab diese Partys – närrische Wirbel, lärmendes Gewoge, ausgelassene Gelage, wo alle Arten von Filmleuten sich zusammenfanden und über alles und jeden redeten, klatschten und tratschten. Diese Partys mochten, dachte Fay oft, für jedermann, der sich auf das Geschäft mit dem Film verstand, so nötig sein wie das tägliche Brot, aber sie fand sie verwirrend und fühlte sich inmitten dieses Gewühls einsam. Sie befand sich außerhalb dieser glitzernden, knisternden und manchmal brutalen Welt und wurde sogar von Gary vergessen, wenn alte Bekannte ihn zur Seite lotsten, wo er oft, in Fachsimpelei vertieft, den ganzen Abend über blieb und ihre Existenz völlig vergaß. Auf einer dieser Gesellschaften lernte Fay eines Tages Cleo Nixon kennen, die ihre erste wirkliche Freundin in Hollywood werden sollte. Cleo war die Frau eines jungen Kameramannes, der in denselben Studios arbeitete wie Gary. Cleo und Fay mochten sich vom ersten Augenblick an. Nach zwei Stunden schon nannten sie sich bei ihren Vornamen und gestanden sich gegenseitig, wie wenig sie diese monströsen Gesellschaften schätzten. „Die reinsten Höllenspektakel sind das doch, nicht wahr?“ rief Cleo, mit einem kleinen spitzen Stäbchen in ihrem Cocktailglas eine Olive jagend. „Ich komme immer nur mit, weil Ted auf dem laufenden bleiben muß. Wenn man ehrgeizig ist, genügt es nicht, zu Hause zu sitzen und zu warten, bis eine Gelegenheit kommt und an die Tür klopft. Auf diesen Partys werden nun einmal die nützlichen und wertvollen Verbindungen hergestellt, meine Liebe. Übrigens – das ist Ted.“ Mit ihrer Hand zeigte sie auf einen ziemlich plumpen, gestikulierenden jungen Mann mit Hornbrille, der in ein ernsthaftes Gespräch mit einem langgesichtigen, wichtig tuenden Typ vertieft war. „Ted kann reden wie ein Buch, wenn er in Stimmung ist“, fuhr Cleo fort, und ihr Blick drückte Zuneigung zu ihm aus. „Sehen Sie doch nur, wie er mit Händen und Füßen redet!“ Sie lachte, und ihr Blick kehrte zu Fay zurück. „Wir sind schon ein Paar, wir zwei, wir reden beide gern. Wir haben auch einen kleinen Sohn, einen ganz ernsthaften Jungen.“ Sie musterte Fay mit aufrichtigem, ein wenig vorwitzigem Interesse. „Sie scheinen von dem Theater hier überwältigt, wenn ich so sagen darf. Sie sind neu in Hollywood, nicht wahr?“ Fay nickte. „Ich komme aus England.“ Cleos kognakfarbene Augen verrieten erhöhtes Interesse. „Gefällt es Ihnen in Hollywood“, fragte sie. „Ich bin mir noch nicht ganz sicher, um die Wahrheit zu sagen.“ Ein schüchternes Lächeln umspielte Fays weichen Mund. Durfte sie dieser jungen Frau sagen, was sie Gary nicht sagen konnte, daß sie sich vor Hollywood mehr und mehr fürchtete? Daß die meisten Leute, die sie auf den Partys kennenlernte,
sie bis ins Mark frieren ließen mit ihrer funkelnden Schlagfertigkeit und ihrem zielstrebigen Ehrgeiz? Ängste, die sie Gary nicht anvertrauen konnte! Vor einer Woche hatten sie an einem Wohltätigkeitsball teilgenommen, einer großen Angelegenheit, auf der es Luftballons regnete und die Sektkorken knallten und die Frauen Flitterkleider trugen, die aussahen, als hielten sie nicht einmal diese eine Nacht Fay konnte nicht vergessen, was Gary zu ihr gesagt hatte, als sie schließlich in den frühen Morgenstunden nach Hause fuhren: „Lieber Himmel, du könntest wenigstens so tun, als amüsiertest du dich, wenn ich mit dir ausgehe, Fay! Heute abend hast du ein Gesicht gemacht wie eine Märtyrerin, die man Löwen zum Fraß vorwerfen will.“ Er hatte dabei gelacht. Doch in seinem Lachen war mehr Ärger als heitere Laune zu spüren gewesen, und Fay hatte begriffen, daß sie mit ihren Ängsten nie zu ihm flüchten konnte. Jetzt hatte sie, während sie Cleo beobachtete, plötzlich den Wunsch, sich ihr anzuvertrauen, doch die Loyalität gegen Gary hielt sie davon zurück. Alles, was sie sagte, war: „Das Klima hier in Hollywood ist allerdings herrlich, nicht wahr? Ich habe in meinem ganzen Leben noch nicht so viel köstliches Obst gegessen.“ „Daher haben Sie wohl auch die schöne Haut?“ erwiderte Cleo und lachte übermütig, weil Fay dunkel errötete. Ihre Augen blieben auf Fays funkelndem Ehering haften. „Sie sind noch nicht lange verheiratet, nicht wahr?“ fragte sie, eine Kirsche aus einem neuen Drink fischend. Sie lächelte Fay zu. „Ihnen sieht man die Jungverheiratete Frau auf den ersten Blick an. Wer ist der Glückliche?“ Fay blickte sich im Raum um und suchte Garys hochgewachsene Gestalt. Sie entdeckte ihn in einem Fenstererker, sehr blond vor dem Hintergrund dunkler Samtvorhänge, eine Zigarette zwischen den Zähnen. Stirnrunzelnd sprach er mit einer hinreißend aussehenden Frau von unbestimmbarem Alter, in der Fay die Schauspielerin Claire Remay erkannte. Es kam ihr irgendwie ehrfurchtgebietend vor, daß ihr Mann eine solche Berühmtheit kannte und sich eingehend mit ihr unterhielt. „Dort ist er“, sagte sie und blinzelte belustigt, während sie auf Cleos Reaktion wartete. Sie wartete auch nicht vergeblich. Cleo riß den Mund auf und stieß einen erschrockenen Pfiff aus. „Sie sind mit Gary Marsh verheiratet?“ sagte sie laut. „Das ist ja – das ist nicht zu fassen!“ Sie starrte Fay an. „Ich möchte Ihnen mein herzlichstes Beileid aussprechen“, fügte sie plötzlich geheimnisvoll flüsternd hinzu. Fay lachte. Cleo war ihr schon viel zu sympathisch, als daß diese Keckheit sie zu kränken vermocht hätte. „Das macht die Zigarette“, entgegnete sie leichthin. „Er sieht immer streng und furchtbar wichtig aus, wenn er so ein Ding zwischen den Lippen hat.“ Cleo starrte noch immer zu Gary hinüber. Über diesen Mann waren viele Geschichten im Umlauf, und ihrer Meinung nach sah er ganz so aus, als sei jede einzelne davon wahr. Es kam ihr ziemlich grimmig vor, daß diese Fay in dem pfirsichfarbenen Kleid, in dem sie keinen Tag älter aussah als sechzehn, an ihn gebunden sein sollte. Er sah so gefährlich aus, so verdammt arrogant, so ganz der Typ: „An jedem Finger zehn.“ Bestimmt nicht so anschmiegsam und leicht zu behandeln wie ihr Ted. „Er sieht aus, als vernaschte er drei Mädchen wie Sie, Fay, allein zum Frühstück“, lachte sie. „Ich sehe ihn beinahe vor mir, wie er Sie mit Brombeergelee bestreicht und zwischen seinen kräftigen weißen Zähnen genußvoll zerkaut.“ Die Grübchen unter Fays zarten Backenknochen kamen und gingen. „Sie reden ziemlich respektlos über einen bekannten und erfolgreichen Hollywood Regisseur“, sagte sie vorwurfsvoll. „Führt er auch in Ihrem Leben Regie?“ Cleo musterte Fay über den Rand ihres
Cocktailglases hinweg, und obwohl sie lächelte, schien in diesem Lächeln etwas wie Mitleid verborgen. „Nein, antworten Sie mir nicht darauf, Schätzchen“, fügte sie plötzlich hinzu, „Sie müssen nicht.“ „Muß ich nicht?“ Fay berührte die funkelnden Steine ihres Eherings, und ihr leicht verlegener Blick schrak vor dem wissenden Ausdruck von Cleos Gesicht zurück und blieb auf Gary liegen. Jetzt hatte sich zu ihm und der Schauspielerin ein großer Mann gesellt, der in einem ziemlich auffälligen Anzug aus pflaumenblauem Cordsamt steckte. Fay lächelte, als sie ihn sah. Sie hatte Bill Symans mit seinen immer ein wenig abwesend blickenden blauen Augen und der leicht altmodischen Höflichkeit, mit der er Frauen behandelte, gern. Er war Schriftsteller, und obwohl er und Gary kaum etwas Gemeinsames zu haben schienen, waren sie doch eng befreundet. Sie fragte Cleo: „Kennen Sie Bill Symans?“ „Wer kennt ihn nicht?“ sagte Cleo mit Wärme. „Wenn es gälte, die beliebteste Persönlichkeit von Hollywood zu wählen, wette ich, daß Bill Symans an der Spitze läge. Er ist nie zu müde oder zu beschäftigt, jemandem zu helfen, der in Schwierigkeiten ist, und so schnell er mit seinen fabelhaften Romanen viel Geld verdient, so schnell gibt er es auch wieder aus.“ „Und doch wird er jung sterben“, murmelte Fay. Cleo warf ihr einen erstaunten Blick zu. „Wie meinen Sie das?“ fragte sie. „Er ist schwer krank. Gary hat es mir mal erzählt.“ „Bill Symans schwer krank!?“ „Er hat einen Herzfehler, der unheilbar ist.“ „Ausgerechnet Bill Symans!“ Cleos sonnengebräunte Hand schloß sich fester um das hohe Cocktailglas. „Kein Wunder, daß in seinen Augen immer ein so merkwürdiger Ausdruck ist, als sähe er bereits in eine andere Welt!“ Dann schüttelte Cleo plötzlich ihre Nachdenklichkeit ab. „Reden wir über meinen kleinen Jungen“, sagte sie. „Erzählen Sie mir nur von ihm, soviel Sie wollen“, sagte Fay. „Ich mag Kinder schrecklich gern. Ist er Ihnen ähnlich?“ „Nicht im geringsten…“
3. KAPITEL Nach dieser Party war Fay häufig mit Cleo Nixon beisammen. Die große Appartementwohnung war tagsüber sehr leer, wenn Gary in den Studios war, und Cleos unterhaltsame Gesellschaft war Fay nur allzu willkommen. Sie bummelten miteinander durch die Läden von Hollywood, und Fay, die von Gary großzügig mit Geld bedacht wurde, entdeckte, daß es wirklich ein Vergnügen war, durch die fabelhaften Geschäfte zu schlendern und sich einen verrückten Hut oder eine Flasche köstlich duftenden teuren Parfüms zu kaufen. Wenn Fay keine Lust hatte, einkaufen zu gehen, zeigte Cleo ihr die Sehenswürdigkeiten der Stadt und die eleganten, in vornehmen Parks stehenden Häuser der großen Stars. Ein Haus – die ehemalige Villa der berühmten Filmschauspielerin Astra James, die jetzt leer und vernachlässigt in einem dicht mit Unkraut und dornigen Hecken bewachsenen Garten stand – interessierte Fay so, daß sie schließlich durch ein Loch in dem eisernen Gartenzaun schlüpften und vorsichtig durch das Unkraut schlichen, um durch die Fenster in das Innere des Hauses zu spähen. Verwahrlost dehnte der Salon sich düster vor ihren Augen. Der riesige Kamin aus Marmor und die gemalte Decke, auf der spärlich bekleidete Nymphen vor stürmisch und lüstern herandonnernden HalbMannhalbPferdUngeheuern flohen, waren die einzigen Überbleibsel vergangener Lust, Pracht und Herrlichkeit in diesem Haus. „Siehst du Astra James nicht direkt vor dir, wie sie malerisch am Kamin lehnt?“ flüsterte Cleo. „Vom Hals bis zu den Fußspitzen in Goldlame gehüllt, die Augen verrückt geschminkt, ein Brandyglas in der Hand?“ Fay nickte. „Was ist eigentlich aus ihr geworden? Sie war zu ihrer Zeit sehr berühmt, nicht wahr?“ „Sie ging pleite, glaube ich. Auf jeden Fall hat sie Hollywood vor vielen Jahren verlassen. Sie hatte von allem zuviel, schätze ich. Zuviel Schönheit, zuviel Männer; dem war sie am Ende nicht mehr gewachsen. Vielleicht hat sie einen ganz jungen, reizenden und zahmen Burschen geheiratet und sich irgendwo in einem hinterwäldlerischen Nest mit ihm niedergelassen.“ „Obwohl sie so berühmt war? Glaubst du wirklich, daß sie das konnte?“ Fay machte ein zweifelndes Gesicht. „Kann man Goldlame in gestreifte Baumwolle eintauschen? Glaubst du das?“ Cleo zuckte die Schultern und zeichnete die Umrisse einer Frau in den Staub, der das Fenster bedeckte. „Die Welt ist recht komisch, Fay, und die Menschen sind recht komische Geschöpfe“, sagte sie nachdenklich. „Man weiß nie, wozu einer imstande ist, der in die Ecke geschoben wird. Vielleicht jammert und wehklagt er, vielleicht stirbt er daran, vielleicht kämpft er leidenschaftlich dagegen an. Vielleicht flieht er aber auch. Das weiß vorher niemand. Meiner Ansicht nach ist Astra James geflohen. Vielleicht hat sie fern von Hollywood und seinem Wahnwitz doch noch ihren Frieden gefunden.“ Fay und Cleo verbrachten häufig viel Zeit am Strand. Gemeinsam mit Cleos kleinem Sohn Eric spielten sie in dem herrlichen Sonnenschein, der noch anhielt, obwohl es schon Oktober war. Eric hatte wirklich nicht die geringste Ähnlichkeit mit seiner Mutter. Er hatte ernste Augen, rotbraunes Haar, und die Leute am Strand neigten dazu, ihn für Fays Sohn zu halten. „Du bist ein mütterlicher Typ, Fay. Die Leute halten dich immer für Erics Mutter. Du müßtest ein Baby haben“, hatte Cleo eines Tages gemeint. Fay errötete. Sie hatte Kinder gern, und Kinder hatten sie gern, doch glaubte sie
nicht, daß Kinder zu Garys Lebensplänen gehörten. Aber Cleo, die belustigt ihr Erröten sah, mißverstand sie. „Sag mir nur nicht, daß du schon eins erwartest?“ sagte sie zwinkernd. Fay schüttelte den Kopf. „Nun ja“, Cleo lehnte sich auf die Ellenbogen zurück und beobachtete Fay, die Eric in die Arme nahm, ihren Kopf zu seinem neigte und ihn fest an sich drückte. „Vielleicht ist das ganz gut so. Dein Gary ist nicht wie mein Ted. Bei Ted weiß man, woran man ist, er ist durchschnittlich und nüchtern, aber Gary Marsh sieht so verflixt gut aus. Hast du nicht manchmal Angst, Fay? Sorgst du dich nicht ununterbrochen um ihn? Ich weiß, daß ich es täte, deshalb danke ich dem lieben Gott, daß er mir Ted geschickt hat. Er wird mir nie Kummer machen – er wird nie einer anderen Frau nachsehen.“ „Ich denke nicht an das, was die Zukunft bringen könnte“, erwiderte Fay vorsichtig, balgte sich mit Eric im Sand und verbarg so ihr hochrotes Gesicht vor der Neugier in Cleos Augen. „Warum hast du ihn geheiratet?“ blieb Cleo hartnäckig bei ihrem Thema. „Ich weiß, er ist verflixt anziehend, und – und – und. Aber ist er nicht auch sehr arrogant und ein ziemlich egoistischer Mann? Während du doch noch ein halbes gutmütiges Kind bist!?“ Sie ließ den schimmernden Sand durch ihre Finger laufen. „Ich glaube, du bist zu anständig, zu harmlos und viel zu gut für ihn – wenn du auf meine Meinung Wert legst“, platzte sie heraus. Fay sah sie an und lächelte leicht. „War – war unsere Heirat für alle hier ein großer Schock?“ Cleo lachte. „Es hieß allgemein, er sei entweder verrückt oder verrückt nach dir. Was ist er nun wirklich?“ „Was glaubst du?“ entgegnete Fay. Cleo betrachtete ihr zartes Gesicht und ihren feingliedrigen Körper, ihre großen Augen, die offen und scheu zugleich blickten, ihren Mund, der leidenschaftlich und sanft war. Vielleicht, dachte Cleo, sprach Fay gerade das Selbstherrliche in Gary Marsh an. Vielleicht brauchte er so etwas Weiches, Unschuldiges, das er mit seinem Charme hypnotisieren und dann zerbrechen konnte. Er war es, allem Anschein nach, überdrüssig geworden, erfahrenen Frauen zu unterliegen. „Fay“, sagte sie plötzlich drängend, „liebe Gary Marsh nur nicht zu sehr!“ Fay starrte sie an. „Warum sagst du das?“ Cleo zuckte die Schultern. „Oh – ich glaube, daß er hart wie ein Stein sein kann, wenn sein Besitzerstolz erst mal befriedigt ist. Ich möchte nicht, daß er dir weh tut – er ist dazu imstande. Männer wie er brauchen Frauen, aber sie lieben sie nicht. Sie empfinden eine Art Verachtung für sie. Ist dir das noch nicht aufgefallen?“ „Vielleicht.“ Fay blickte aufs Meer hinaus, starrte wie gebannt auf das Blau, auf das blendende Funkeln der Sonne. Etwas in Cleos Augen und ihrer Stimme hatte Fays Herz wie eine dumpfe Ahnung kommenden Schmerzes gestreift. Was wußte Cleo wohl über Gary? Was war es, das diesen erschreckenden Ausdruck von Abneigung in ihre Augen brachte? Fay fröstelte, von dem unwiderstehlichen Verlangen bewegt, Cleo zu fragen. Aber dieses drängende Verlangen erschreckte sie zugleich so, daß sie aufsprang und mit Eric an der Hand den Strand hinunter zum Wasser lief. Nein, sie wollte nichts wissen! Sie war den anstürmenden Wellen dankbar, die sie von ihren düsteren Gedanken ablenkten. Die Vergangenheit, in der sie Gary nicht gekannt hatte, war bedeutungslos, mußte bedeutungslos bleiben. Dort lagen für sie offenbar nur Kummer und Herzweh. Lag in dieser Vergangenheit auch jenes Mädchen, das seine Liebe zuerst gewonnen und dann die Liebe in ihm getötet
hatte? Fay hatte Cleo sagen hören: „Ich danke dem lieben Gott für Ted!“ und doch kam sie eines Tages zu Fay, brach in eine Flut von Tränen aus und warf sich zitternd auf die große weiße Couch. Erschrocken fiel Fay neben ihr in die Knie. „Was ist denn, was hast du, Cleo?“ „Ted – Ted will sich scheiden lassen!“ stöhnte Cleo. „Er hat mich um die Scheidung gebeten – gestern abend hat er mich darum gebeten. Ich kann es nicht glauben! Ich habe geglaubt* er liebte mich! Wir haben uns immer so gut verstanden.“ Qualvoll entrang sich das Schluchzen ihrer Kehle, und ihre Hände umkrampften das scharlachrote Kissen auf der Couch und zerrten daran. Fay beobachtete sie mitleidig und entsetzt. Cleo hatte so fest an Teds Liebe geglaubt und war so fest davon überzeugt gewesen, daß er sie nie verletzen würde. „O Cleo!“ flüsterte sie. „Es tut mir so leid, so schrecklich leid!“ „Keine Ahnung hatte ich!“ stöhnte Cleo. „Nicht im Traum wäre mir eingefallen, daß er eine andere haben könnte. Wenn er spät nach Hause kam, glaubte ich, er hätte lange gearbeitet. Ich habe ihm alles geglaubt, was er sagte. Wie konnte er so etwas tun? Wir sind sieben Jahre verheiratet, Fay. Sieben Jahre!“ Sie setzte sich auf und strich sich das dunkle Haar aus dem nassen, verweinten Gesicht. „Muß man denn nicht annehmen, einen Menschen nach sieben Jahren zu kennen? Ich glaubte, Ted zu kennen. Ich war fest davon überzeugt. Nie hat er sich mir gegenüber anders benommen als sonst – dieselben Dinge gesagt, mich wie immer geküßt, mich wie immer geliebt!“ Cleos Stimme wurde schrill. „Männer sind Ungeheuer! Sonst wären sie nicht imstande, uns Frauen so zu betrügen.“ Ihre Stimme brach. „Wie ist es nur möglich, daß wir Frauen uns in diese Männer verlieben? Was verleitet uns dazu?“ „Vielleicht ist das unser Los, vielleicht sind wir dazu geboren – “, sagte Fay. Einen Augenblick lang umschlang sie Cleo leidenschaftlich. „Ich weiß nicht, was ich sonst sagen soll, Cleo.“ Sie blieb noch eine Weile stumm bei ihr sitzen. Dann sagte sie leise: „Ich gehe rasch in die Küche und mache uns einen Kaffee. Er wird dir guttun. Cleo. Kann ich dich allein lassen?“ Cleo nickte und tupfte ihre unaufhörlich strömenden Tränen mit einem spitzenbesetzten Taschentuch ab. Als Fay mit dem Kaffee kam, war Cleo fort. Das scharlachrote Kissen war tränenfeucht, und Cleos Taschentuch lag zusammengeknüllt auf dem Boden. Fay stellte das Kaffeebrett ab und bückte sich, um das Taschentuch aufzuheben. Es duftete zart nach Heliotrop. Arme Cleo! Lachend hatten sie erst unlängst zusammen in einem fröhlichen kleinen Restaurant in der Stadt gesessen, und Cleo hatte ihr begeistert erzählt, Ted denke in nächster Zeit daran, ein neues schickes Auto zu kaufen. In Wirklichkeit hatte Ted Nixon in letzter Zeit aber offenbar an nichts anderes als an die Scheidung von Cleo gedacht. Ein paar Tage später bekam Fay einen Brief von Cleo, einen herzzerreißenden Brief, den Fay niedergeschlagen las. Cleo hatte Hollywood verlassen. Sie und ihr Söhnchen Eric waren in das Heim ihrer Eltern in Newport zurückgekehrt. Sie wolle versuchen, Ted zu vergessen, schrieb sie. „Meine Liebe, die so lebendig war, ist jetzt ein totes Ding, Fay“, schrieb sie. „Aber ich habe noch meinen kleinen Eric, und ich danke Gott, daß ich ihn habe…“ Cleos Schlußsatz lautete: „Männer sind Ungeheuer, vergiß das nicht, Fay!“ Cleos Abreise aus Hollywood bedeutete, daß Fay wieder allein war, und Gary, der merkte, daß sie sehr deprimiert war, kam eines Tages zur Lunchzeit nach Hause und nahm sie mit in die Filmstudios.
Dort übergab er sie einer großen, jungenhaft aussehenden Blondine, die er als Sekretärin, Pat Merryweather, vorstellte. „Zeigen Sie meiner Frau unsere Traumfabrik, Pat“, sagte er. „Führen Sie ihr die Löwen vor. Fay ist ein nettes liebes Kind, also bleiben Sie bei ihr, Pat, ich möchte nicht, daß sie verlorengeht.“ Dann berührte er leicht Fays Wange und ging. Pat lachte und schob die Hand unter Fays Arm. „Betrachten Sie das als eine hohe Ehre“, sagt sie, „Besuche sind hier normalerweise nicht erlaubt, aber Gary hat anscheinend seinen berühmten Charme bei K.'C. spielen lassen.“ „Wer ist K. C?“ fragte Fay. „Für die oberen Zehntausend an der Küste, zu denen ich nicht gehöre, ist er Karl Christbel. Für weniger Begüterte, zu denen ich auf jeden Fall zähle, ist er eine Art Weihnachtsmann!“ lachte Pat. „Er ist der Mann, dem Sie die Butter auf ihren Brötchen verdanken.“ „Garys Boß?“ „Genau.“ Zwei Stunden und länger wanderte Fay mit der freundlichen Pat Merryweather durch die phantastische Welt der schönen Täuschungen aus Zelluloid. Der Lärm und die Aufregungen, die überall herrschten, vertrieben sogar ihre Niedergeschlagenheit. Sie sah Shane Ardath, den größten und jüngsten aller Filmhelden, eine tragische Szene in einem Film aus dem Bürgerkrieg spielen. Sie hörte Silva Copperdane, die schöne kaffeebraune Sängerin aus New Orleans, eine Nummer für ein großes Musical proben. Und beiseitespringend, um einem in Bewegung befindlichen Versatzstück der Dekoration auszuweichen, prallte sie mit einem untersetzten jungen Mann mit einem wilden schwarzen Lockenkopf und lachenden mandelförmigen Augen zusammen. Er hielt sie rasch fest und lachte ihr ins Gesicht. „Meine Güte, Sie sind aber süß!“ Er knurrte, als wolle er sie fressen, und Pat Merryweather begann zu lachen, weil Fays Augen sich vor Schreck weiteten. Dann sagte sie zu dem jungen Mann: „Jerry, das ist die Frau meines Chefs.“ „Gary Marshs Frau?“ Scheinbar entsetzt ließ er Fays Schultern los. „Der Bursche ist zwei Meter lang, ich verschwinde und suche mir ein anderes Stück Zucker!“ Seine mandelförmigen Augen lachten Fay offen an. „Sie sind wirklich so süß wie ein Gänseblümchen mit Tautropfen auf den Blütenblättern, Kleines. Sagen Sie Ihrem Großen, ich hätte das zu Ihnen gesagt, ich, Jerry Kaufmann. Er wird vor Wut an die Decke gehen!“ Damit marschierte er davon, die Hände in den Taschen seines auffallend karierten Jacketts. „Na!“ sagte Fay. „Tja!“ sagte Pat. „Klug wie ein Affe, der Junge, aber leider mit der Moral eines arabischen Ölscheichs. Sie werden ihn wahrscheinlich später in ,Corn in the City' sehen; er ist mit drin. Aber wie wäre es, wenn wir beide jetzt unsere durstigen Seelen in der Kantine mit Kaffee und Doughnuts erfreuten?“ „Ein hübscher Gedanke“, lächelte Fay. Die Kantine war gut besucht, und Fay betrachtete staunend die verschieden kostümierten und stark geschminkten Paare und Gruppen, die an den Tischen saßen. Sie wirkten weder glänzend noch schön, sondern eher bizarr, stellte Fay in Gedanken fest, wie Menschen beim Karneval. Sie sagte zu Pat, als sie sich mit ihren Kaffeetassen und den großen, aufgeblähten Doughnuts niederließen: „Dieser Rummel hier ist eigentlich ziemlich ernüchternd. Diese Leute“, sie wies auf die zunächststehenden Tische, „sehen wie Clowns aus.“ „Nun, das Filmemachen ist mehr oder weniger nichts anderes als die Produktion
irgendeiner Fabrik“, sagte Pat. Sie tauchte ihr Doughnut in den Kaffee, neigte den Kopf und grub ihre weißen, ziemlich auseinanderstehenden Zähne mit offensichtlichem Vergnügen in das Gebäck. Plötzlich warf sie einen Blick über Fays Schulter. Ihre Augen wurden schmal und ihr Gesicht bekam einen grotesken Ausdruck. „Damned!“ knurrte sie. „Da kommt dieses Frauenzimmer Thalia van Deen!“ Fay biß sich auf die Lippen. Thalia van Deen schrieb eine ständige Klatschspalte, und Fay war ihr bei einer Party begegnet. Sie war ihr vom ersten Blick an unsympathisch gewesen. Fay hatte einmal gelesen, daß eine unüberwindliche Abneigung zwischen zwei Menschen häufig auf der Farbe der Haare, Augen und Haut beruht und daß diese Abneigung sogar zu einer Allergie werden kann. Fay war der Meinung, daß sie allergisch gegen rothaarige Menschen war, denn Thalia war die dritte rothaarige Person, die in ihr das heftige Verlangen weckte, aufzuspringen und aus dem Zimmer zu laufen. Sie hatte auch jetzt dieses Gefühl, und ihre Hände umklammerten ihre Kaffeetasse. „Ich dachte, Besucher hätten keinen Zutritt“, sagte sie zu Pat, „ist sie denn kein Besuch?“ „Sie ist Daddy Christmas' kleines ingwerfarbenes Schmeichelkätzchen. Wenn Daddy traurig ist, klettert Thalia schnurrend auf seinen Schoß und spielt mit ihm.“ Fay war schockiert. „Ist das Tatsache?“ Pat grinste und legte die Hand auf ihr Herz. „Ehrenwort.“ Dann klapperten hinter ihnen hohe Absätze, und exotisches Parfüm stieg Fay in die Nase. Ihr Körper versteifte sich, als Thalia in einem Kleid, das dieselbe Farbe hatte wie ihre katzengrünen Augen, und mit einem spöttischen Lächeln, das wie eine offene Beleidigung wirkte, an ihrem Tisch stehenblieb. „Ja, wenn das nicht Gary Marshs junge Frau ist!“ flötete sie. „Wie reizend, Sie wiederzusehen!“ Sie lenkte ihre grünen Blicke auf Pat, die unbeherrscht ein Doughnut in den Kaffee tunkte und ruhig Thalias maliziösen Augen standhielt. „Kein Wunder, daß Sie so zunehmen, Pat Merryweather“, sagte Thalia. „Wenn ich mir vorstelle, ich sollte diese widerlichen Dinger essen!“ Raffiniert sank sie in einen Sessel, schlug die langen Beine übereinander und sah Fay an, während sie ihr Zigarettenetui aus der Handtasche holte. „Ich biete Ihnen eine an“, sagte sie zu Fay, „es sind ägyptische. Sie sind schrecklich stark, man muß sie gewöhnt sein.“ Sie lächelte, und ihre grünen Augen funkelten, als sie sich eine der schmalen gelblichen Zigaretten zwischen die Lippen schob und anzündete. „Wie gefällt es Ihnen in Hollywood?“ „Gut, danke“, versicherte Fay und wich leicht vor dem beißenden Rauch der Zigarette zurück. „Gefällt Ihnen das Eheleben?“ fragte Thalia weiter. „Gut, danke!“ Fay hob ruhig ihre Kaffeetasse und trank. Pat lachte. „Die Frau wäre eine verdammte Närrin, der es nicht gefiele, mit Gary Marsh verheiratet zu sein.“ Thalias schmale Lippen kräuselten sich. „Sie reden immer frei von der Leber weg und nehmen kein Blatt vor den Mund, nicht wahr, Pat? Ist das nur Affektiertheit, oder sind Sie so geboren?“ „Sie wollen wohl damit sagen, daß ich ordinär und gewöhnlich bin, nicht wahr? Aber das bin ich nicht. Ich bin nur aufrichtig“, sagte Pat, lehnte sich in ihrem Sessel zurück und sah Thalia belustigt an. Thalia zuckte die Schultern. „Ich hasse Gewöhnlichkeit. Sie ist ein Zeichen von Pionierblut. Haben Sie Pionierblut in den Adern, Pat?“ „Auf jeden Fall ist es Blut. Kein Gift“, erwiderte Pat.
Thalia starrte sie an, dann schob sie sie mit einem verächtlichen Lächeln gewissermaßen beiseite und wandte sich Fay zu. „Wissen Sie, daß Sie Inez Holden, einer Freundin von mir, erstaunlich ähnlich sehen?“ fragte sie sanft. Pat knurrte leicht, und Fay sah sie fragend an. „Nie im Leben sieht Fay Ihrer Freundin ähnlich!“ sagte Pat laut. „Oh!“ lachte Thalia, „es gibt sogar eine unbestreitbare Ähnlichkeit. Fay sieht nur ein bißchen – bißchen jungfräulicher aus, möchte ich sagen.“ „Inez war schön“, knurrte Pat und lachte Fay an, „damit will ich Sie aber nicht kränken, Fay.“ „Oh, ich weiß daß Inez wunderschön war“, sagte Thalia. „Aber Sie, Fay, haben auch ihre Farben. Und auch die Gesichtsform ist dieselbe.“ „Wer ist Inez Holden?“ fragte Fay. Sie war nicht im geringsten gekränkt darüber, daß jene unbekannte Inez so viel schöner gewesen sein sollte als sie. „Oh, wissende das nicht?“ rief Thalia, und ihre grünen Augen weiteten sich. „Hat Gary sie noch niemals erwähnt?“ „Thalia, warum halten Sie nicht den Mund?“ sagte Pat wütend. Thalia überhörte das. Sie musterte Fay, während der Rauch ihrer Zigarette ihren dünnen grellroten Lippen entwich. Der Ausdruck ihrer Augen hatte in diesem Augenblick Ähnlichkeit mit dem grausamen Blick einer hungrigen Katze, die sich duckt, um eine Maus anzuspringen. „Gary war einmal mit Inez verlobt“, sagte sie schnurrend. „Haben Sie das nicht gewußt? Sie war Schauspielerin. Keine sehr gute, das will ich zugeben, aber sie war so schön, daß es wirklich völlig unwichtig war, ob sie Talent hatte oder nicht. Sie starb, wissen Sie.“ „Zum Teufel, Thalia, wärmen Sie doch die alten Geschichten nicht wieder auf!“ explodierte Pat. „Sie ändern sich wohl nie. Immer müssen Sie im Schmutz herumwühlen.“ „Aber Pat, meine Liebe! Fay sollte über Inez Bescheid wissen. Es wäre mir schrecklich, wenn sie die Geschichte von Leuten zu hören bekäme, die ihr weniger freundlich gesinnt sind.“ „Sie sind Fay doch nicht freundlich gesinnt“, erwiderte Pat mit Entschiedenheit. „Sie wollen nur Unfrieden stiften.“ Fay beobachtete die beiden Frauen und begann sich zu fürchten. Also war das Mädchen gestorben, das Mädchen, dem sie so ähnlich sah – das Mädchen aus Garys Vergangenheit. „Hören Sie“, sagte sie zu Thalia, die Wangen vor Trotz gerötet, „ich will nichts Häßliches über Gary hören. Behalten Sie es, bitte, für sich.“ „Häßlich oder nicht, es ist die Wahrheit!“ blitzte Thalia sie an. „Ich weiß es! Ich war Inez' beste Freundin.“ Plötzlich beugte sie sich über den Tisch und starrte Fay direkt in die Augen. „Das Mädchen ist gestorben, und Gary Marsh war schuld an ihrem Tod. Genauso schuld, als hätte er ihr einen geladenen Revolver ans Herz gehalten und abgedrückt.“ Fay, eine zitternde, erschrockene Maus vor einer grausamen Katze, saß wie versteinert in ihrem Sessel. Sie fühlte ihr Herz plötzlich von einer unerklärlichen Ahnung bedroht. Als Thalia wieder zu sprechen begann, glänzten ihre Augen, vor Bosheit leuchtend, grün unter der Masse ihres auffallend roten Haares. „Inez war schön wie eine Orchidee. Sie endete eines Abends unter den Rädern eines Tankwagens. Sie ist in ihn hineingelaufen, weil Gary Marsh, dieser Schuft, der sich einbildete, ein Filmgott zu sein, sie aus seinem Leben verstoßen hatte. Er sagte, sie hätte ihn betrogen und ausgenutzt, aber das glaube ich nie und nimmer. Sie hat ihn geliebt, sie hatte sich ihm wie ein Teppich unter die Füße gebreitet. Sie hatte es nicht verdient, daß er sie so behandelte, wie er es tat! Er löste ihren Vertrag mit
Karl Christbel und verbreitete, mit ihr zu arbeiten sei pure Zeitverschwendung.“ Thalia lächelte böse, als Fay aufstöhnte. „Ja, meine Liebe, genau das hat er getan! Und so ging sie eines Abends von zu Hause fort und lief einem Tankwagen direkt vor die Räder. Er gab bei der Leichenschau rücksichtslos zu, daß er ihr ,die Tür gewiesen habe', wie er so hübsch sagte. Er wußte, daß er für den Tod dieses reizenden Mädchens verantwortlich war, und verließ den Gerichtssaal dennoch mit einer Gelassenheit, als verließe er ein Restaurant, und – lächelte charmant für die Fotografen.“ Thalia lehnte sich zurück, hob ihre gelbe Zigarette und zog daran. Starr blickte sie Fay in die Augen. „Inez war tot, von einem Tankwagen plattgedrückt – und er lächelte. Er, Gary, konnte noch lächeln!“ Fay schauderte, und als eine warme Hand sie berührte, blickte sie auf und sah Pat, die neben ihr stand. „Kommen Sie, Fay“, sagte Pat ruhig, „machen wir, daß wir hier herauskommen.“ Fay erhob sich und verließ, ohne Thalia auch nur einen einzigen Blick zuzuwerfen, mit Pat die Kantine. Sie war wie betäubt. Das alles war doch bestimmt nicht wahr! Konnte nicht wahr sein! Gary war nicht so gefühllos. Sie sah Pat an, deren bekümmertes Gesicht jetzt lange nicht mehr so jungenhaft wirkte, weil das heitere Lächeln nicht mehr ihren Mund umspielte. „Was sie gesagt hat, stimmt doch nicht?“ Fay fragte es vorsichtig und bedächtig. Sie hoffte noch, Pat würde sagen, Thalias Geschichte sei nicht wahr. Aber Thalias dünne Stimme hatte den unmißverständlichen Klang der Wahrheit gehabt; keine Lüge hätte ihren grünen Augen einen Ausdruck so hämischer Befriedigung zu verleihen vermocht… Pat nicht unglücklich. „Sie waren verlobt, und dann waren sie es plötzlich nicht mehr, und Inez war aus dem Vertrag entlassen. Gary hat nie abgestritten, daß er dafür verantwortlich war. Ich meine, wenn es nicht stimmte, hätte er sich gegen die Geschichte wehren müssen, nicht wahr?“ Fays Herz wurde so kalt wie nie, ihr Schmerz heftiger, die Übelkeit stärker. Als sie in die Halle kamen, in der Gary an einer Szene von „Corn in the City“ arbeitete, starrte Fay durch das Gewirr hoher Kameras und greller Lampen: Sie suchte nur das Gesicht und die Gestalt von Gary: Er stand inmitten der Dekoration – einem billigen, verkommenen Spielzimmer – und zankte sich mit einem kleinen drahtigen Mann herum, dessen lockiges dunkles Harr wirr um seinen Kopf hing und dessen lange, mandelförmige Augen vor Streitlust blitzten. Fay sah nur Gary, so groß, so vital, die Ärmel seines Hemdes aufgerollt bis über die Ellenbogen, das blonde Haar im Licht der Scheinwerfer glänzend, und sie fragte sich, wie er so aussehen konnte, und wie es möglich sein konnte, daß er unter seinem schönen Äußeren vielleicht doch ein Ungeheuer war. Halb betäubt vor Schmerz fragte sie sich, wieso Thalias Enthüllungen ihre Liebe zu ihm nicht auf der Stelle getötet hatten. Aber sie hatten sie nicht getötet. Sogar jetzt spürte sie, während sie Gary beobachtete, das vertraute rasche Ziehen in der Herzgegend, eine Woge ehrlichen Glücks – und sie verachtete sich. Sogar jetzt noch war sie also seine Gefangene, sogar jetzt noch, da sie das Schlimmste erfahren hatte, was man über einen Menschen erfahren konnte. Ihr ganzes Inneres bäumte sich auf gegen ihre eigene Schwäche. Pat sagte mit erzwungener Munterkeit und zeigte auf Gary und die Szene, die er mit Jerry Kaufmann probte: „Ich habe Ihnen gesagt, daß Sie Jerry bald wiedersehen würden.“ Sie lachte leise. „Sie müssen immer miteinander streiten, die beiden. Jerry ist ein verflixt guter Schauspieler, aber er läßt sich nicht gern vorschreiben, was er tun soll. Wegen dieser Szene streiten sie schon seit zwei Tagen. Gary wird nicht ruhen, bis Jerry die Szene spielt, wie er sie sieht, und
Jerry wird Gary an den Rand des Wahnsinns treiben, bevor er nachgibt.“ „Wird er nachgeben?“ fragte Fay ohne großes Interesse. „Am Ende schon“, sagte Pat, „weil Gary im Recht ist und die Szene so gespielt werden muß, wie er sie sieht. Aber Jerry liebt es, Schwierigkeiten zu machen. Vor allem Gary gegenüber.“ Als Gary aufblickte und Fay und Pat entdeckte, schickte er Jerry Kaufmann fort und kam zu ihnen. „Gefällt's dir hier?“ Er lachte auf Fay herunter, hob die Hand und wischte ihr ein Stäubchen Zucker aus dem Mundwinkel. Sie nickte. Es gelang ihr sogar zu lächeln. Aber sie fragte sich, wie es nur möglich war, daß sie sich ihm gegenüber völlig natürlich benahm, da doch jeder Nerv in ihr schmerzte und sie Gary am liebsten ihren Kummer, ihre Enttäuschung und ihr Leid ins Gesicht geschrien hätte. Noch heißer sehnte sie sich jedoch danach, den Mut zu haben, ihm den Rücken zu kehren und einfach davonzulaufen. „Ein Krach ist das hier, wie?“ sagte Gary und machte mit seiner Hand eine Bewegung, die das geschäftige Hin und Her im Studioraum umschloß. „Frage mich nicht, wie es jemals gelingt, Ordnung in dieses Chaos zu bringen, weil ich nur dabei helfe, das Chaos zu machen.“ Er warf Pat einen lachenden Blick zu. „Und wenn Jerry Kaufmann nicht bald seine Primadonnenlaunen aufgibt, werde ich auch ein bißchen Blut vergießen.“ Pat machte ein zuversichtliches Gesicht. „Bleiben Sie fest, Gary, er wird sich schon überzeugen lassen.“ „Er wird es müssen!“ entgegnete Gary und wandte sich wieder an Fay. „Ich bin in einer halben Stunde fertig, Herzchen, dann bringe ich dich heim, auf dem Umweg über Olive Hadleys Laden. Ich habe eine Kleinigkeit mit ihr zu besprechen.“ Seine Augen funkelten erwartungsvoll und belustigt. Aber Fay war viel zu tief in ihrem Jammer vergraben, um es zu bemerken oder sich darüber zu wundern. „In Ordnung“, sagte sie nur. „Übrigens“, wandte er sich an Pat, „haben Sie mit der Agentur Brill wegen der Sängerin telefoniert?“ Pat machte ein bestürztes Gesicht. „Meine Güte, Gary, das habe ich glatt verschwitzt! Ich tu's auf der Stelle!“ Sie nahm Fay bei der Hand. „Sie kommen mit! Sie könnten hier noch zertrampelt werden.“ „Ich bin in einer halben Stunde endgültig fertig“, versprach Gary, und als er in die Dekoration von „Corn in the City“ zurückging, waren Fay und Pat schon auf dem Weg ins Büro. Eine halbe Stunde später ließ Garys Wagen das Einfahrtstor zu den Studios hinter sich und fuhr rasch zum Sunset Boulevard. Er redete ununterbrochen und schien nicht zu bemerken, daß Fay kein Wort sagte. Als sie vor der eleganten Fassade des HadleyHauses vorfuhren, sprang er aus dem Wagen. „Komm“, sagte er zu Fay, und gab ihr die Hand. „Brauchst du mich?“ fragte sie. Er grinste. „Nicht unbedingt, aber du kannst genausogut mitkommen.“ Er zog sie aus dem Wagen und ließ sie auch nicht los, als sie durch die Flügeltür das HadleyHaus betraten. Sie kam sich vor wie ein Kind. „Gary, laß mich los!“ flüsterte sie, als eine der eleganten Empfangsdamen über den seegrünen Teppich auf sie zukam. Er lachte. Zu der Empfangsdame sagte er: „Miss Hadley erwartet uns.“ Er zog Fay an ihr vorbei – die vornehm die Brauen hochzog – und lachte, als sie den Lift bestiegen, unbeherrscht weiter über Fays dunkel errötendes Gesicht. „Du kannst meine Hand loslassen“, sagte sie. „Ich laufe dir nicht fort.“
„Ich halte deine Hand aber gern.“ Er war in einer merkwürdig leichtherzigen Stimmung. „Du hast eine so kleine kühle Hand. Ich könnte sie mit meiner Pranke zerdrücken.“ In dem lautlos nach oben fahrenden Lift hob er ihre Hand und küßte alle fünf Fingerspitzen. Seine Lippen waren warm. Fay blickte auf seinen geneigten Kopf hinab. Jetzt – jetzt macht es ihm Spaß, das zu tun, dachte sie. Jetzt bin ich eine Laune von ihm, sein Spielzeug. Aber wenn er der Laune überdrüssig wird? Wird er mich dann auf den Weg des anderen Mädchens schicken? Der Name Inez ging ihr nicht aus dem Kopf. Sie wollte ihn aussprechen, wollte sehen, wie die Schuld ihn seiner ganzen Selbstsicherheit beraubte. Sie wollte herausschreien, was sie wußte – aber sie duldete nur stumm seinen Kuß. Der Lift hielt, sie stiegen aus, und Gary ging, Fays Hand noch immer gefangenhaltend, schnurstracks auf Olive Hadleys Büro zu.
4. KAPITEL Als Gary und Fay das Büro betraten, saß Olive Hadley hinter ihrem großen Schreibtisch und diktierte. Sie schickte die Sekretärin sofort weg und kam, in ihrem schwarzen Kostüm, mit einer funkelnden Diamantnadel am Revers, überaus elegant, um den Schreibtisch herum. Sie war eine gutaussehende Frau, und die Art, wie sie ihre erlesenen Kleider trug, verhalf ihr, wie die wahre Verkörperung von Eleganz und Selbstsicherheit zu erscheinen. „Hallo, meine Liebe“, sagte sie zu Fay. „Lassen Sie mich sehen, ich muß Ihnen alles Gute zum Geburtstag wünschen, nicht wahr?“ Erschrocken hob Fay die Hand an den Mund. Natürlich! Sie hatte ja heute Geburtstag – und sie hatte ihn völlig vergessen. „Wahrhaftig, wahrhaftig ja“, stammelte sie. Gary lachte. „Her mit dem Mantel, Olive!“ sagte er. „Ich kann es nicht erwarten, Fay darin zu sehen.“ Olive ging quer durch den Raum zu einer Tür. Sie öffnete sie, und Fay hörte sie ins Vorzimmer sagen: „Susan, laufen Sie bitte hinunter und holen Sie den Nerzmantel von Mrs. Marsh.“ Fay drehte sich um und sah Gary an, der an Olives Schreibtisch stand. Seine Augen nahmen einen spöttischen Ausdruck an, als er ihre Verwirrung sah. „Du brauchst nicht so ein Gesicht zu machen, als kaufte ich dir einen Strick, damit du dich daran erhängen sollst“, sagte er schleppend. Doch als die Vorzimmerdame Susan die große lilafarbene Schachtel mit dem Nerzmantel brachte und Olive ihn in seiner ganzen dunklen schimmernden Schönheit herausnahm und Fay hineinhalf, hatte Fay tatsächlich das Gefühl, als steckte ihr Hals in einer Schlinge und sie müßte ersticken. Sie stand still, als Gary hinter sie trat und ihr Bild in dem langen Spiegel betrachtete. Sie spürte seine Hand auf der Schulter, spürte, wie er das herrliche Fell streichelte. Leise drang seine Stimme an ihr Ohr. „ Ich wünsche dir alles, alles Gute, mein Liebes!“ Ihre Augen begegneten sich im Spiegel. Sie empfand eine sonderbare Hilflosigkeit, eine sie beinahe überwältigende Schwäche. Sie war froh, daß sie sich mit dem Rücken an seine Brust lehnen konnte und seine Hände sie hielten. Ohne sie wäre sie auf dem Fußboden zusammengesunken. „Ich danke dir für den Mantel, Gary“, sagte sie leise. „Er ist sehr, sehr schön.“ Doch er runzelte seine Stirn. Er war plötzlich verärgert, weil ihre Stimme, ihre Augen so wenig Begeisterung zeigten. Sah sie denn nicht, was dieser Mantel aus ihr machte? Sah sie nicht, daß ihr Gesicht wie eine blasse Blume in der dunklen Üppigkeit des hochgestellten Pelzkragens ruhte? War Fay überhaupt nicht eitel, dieses komische Kind, das er dem stickigen Plüschparadies von Laurel Bay entführt und aus den privaten Krankenzimmern alter Menschen herausgeholt hatte? „Ich wollte dich ein bißchen glücklicher sehen“, murmelte er. Da wandte sie sich ihm zu. Jetzt sah sie, daß er enttäuscht war, weil sie sein Geschenk so kühl hingenommen hatte, und es drängte sie, ihn zu trösten. „Mir gefällt der Mantel wirklich sehr gut, Gary.“ Schüchtern fuhr sie mit dem Finger über den Ärmel. „Ich bin einfach ein bißchen überwältigt, das ist es.“ „Das ist nur natürlich“, warf Olive Hadley ein. „Jede Frau wäre freudig erschüttert, wenn sie einen solchen Mantel bekäme, Gary.“ Sie sah beide an und dachte, mit einem bei ihr seltenen Anflug von Sentimentalität, daß sie ausgezeichnet zusammenpaßten. Viele Leute waren nicht ihrer Meinung. Sie nannten Fay eine blutlose kleine Engländerin, doch sie
persönlich war der Ansicht, daß Gary Marsh einen Fang gemacht hatte. Fays Gesicht verriet Herz und Mut, und wenn Gary, dieser durch zahlreiche Lebensstürme gegangene Mann, nur einen Funken Verstand besaß, würde er Fay mit allen Mitteln zu halten wissen. Sie würde ihm alles das geben, was er brauchte und haben mußte, ein echtes Zuhause, eine zwar sanfte, aber stetige Liebe – und womöglich Kinder. Fay hielt bestimmt nichts von all dem flatterhaften modernen Unsinn und ihr würde es sicher nie langweilig, einem Mann ein schönes Heim zu bieten. Ihr wäre es nicht wichtiger, ihre Figur zu erhalten und ihr wäre ihre Zeit nicht zu schade, ihrem Mann die Kinder zu schenken, nach denen er möglicherweise natürliches Verlangen hatte. Man korinte nur um ihrer beider willen hoffen, daß Gary ihren Wert erkannte. Wenn er allerdings nur mit ihr spielte, würde er es eines Tages bedauern… Sie beobachtete Fay, die jetzt die Hand ausstreckte und Garys Arm drückte. Sie wunderte sich über den sonderbar erschrockenen Ausdruck ihrer Augen – als hätte sie einen Schock erlitten – aber ein Geschenk wie dieser Nerzmantel, und wenn er noch so teuer war, konnte doch wohl kaum diesen Ausdruck verursacht haben? Gary drehte sich zu Olive um. Er lachte. „Sie sieht irgendwie nett darin aus, wie?“ sagte er. Olive nickte. „Ich muß sagen, daß zu Fays rotbrauner Zartheit Nerz sehr gut paßt. Viele Frauen sehen nur auffallend und teuer darin aus.“ Fay errötete bei dem Kompliment, und Gary wandte sich ihr zu, um sie mit neu erwachtem Interesse zu betrachten; denn Olives Bemerkung hatte seine Phantasie angeregt, und Fay erschrak bei dem bewundernden Verlangen, das plötzlich in den Tiefen seiner Augen auflebte. Sein Blick erregte sie sichtlich und am liebsten hätte sie kehrtgemacht und wäre geflohen. Doch beinahe tödlich und verwirrend war die Ernüchterung über sie hereingebrochen. Entzaubert war Gary von seinem Gipfel gestürzt. Er regierte nicht länger in einsamer Herrlichkeit in ihrem Herzen. Jetzt stand an seiner Seite das Bild des schönen Mädchens, das sterben mußte, weil es töricht genug gewesen war, ihn zu lieben. Fay zog den Mantel aus, und Olive kam mit der Schachtel und legte ihn wieder hinein. „Heute abend wird er eingeweiht“, sagte Gary, legte jungenhaft den Arm um Fay und zog sie an sich. „Ich habe Karten für das Musical ,Ein Stück vom Paradies'!“ „Es ist ein großartiges Stück, Gary.“ Olive lächelte ihm rasch und voll Begeisterung zu. „Ich habe es vor ein paar Tagen gesehen. Die Musik und die Kostüme sind wirklich etwas.“ „Fein.“ Er hob Fays Gesicht auf. „Das wird ein hübscher Abschluß eines hübschen Tages, nicht wahr, Schätzchen?“ Fay gab sich Mühe zu vergessen, was Thalia van Deen gesagt hatte, doch es gelang ihr nicht ganz. Ihr schien alles verdorben. Wenn sie Gary im Restaurant über den Tisch hinweg ansah und sein braungebranntes hübsches Gesicht sich zu einem Lachen verzog oder sich in anregendem Gespräch belebte, empfand sie nicht mehr jenen spontanen Stolz auf sein Aussehen wie bisher. Sie dachte nicht mehr: Dieser Mann, nach dem die Leute sich umdrehen, ist mein Mann… Wenn sie ihn auf einer Party inmitten einer Gruppe von Filmleuten beobachtete, wie er, den Kopf arrogant zurückgeworfen und den feingeschnittenen Mund verächtlich verzogen, mit einer ungeduldigen Bewegung die Asche von seiner Zigarette abstreifte, sah sie ihn beinahe wie einen Fremden. Sogar wenn er sie küßte, mußte sie denken: Einmal hat er Inez Holden geküßt. Einmal hat er sie in den Armen gehalten, ist mit ihr in das große Bett gegangen –
aber er hat sie verlassen – er wird auch mich verlassen. In dieser enttäuschten und verwirrten Stimmung traf sie Jerry Kaufmann wieder. Es war unten am Strand. Sie ging noch verhältnismäßig oft hinunter, wenn sie sich auch immer ein wenig traurig an die glücklichen Stunden erinnerte, die sie dort mit Cleo verbracht hatte. Sie saß da, dachte an Cleo und daran, daß sie häufig den kleinen Eric zu sich geholt hatte, wenn Cleo nach Pasadena zu ihrer Tante gefahren war. Wie oft hatte sie ihn in ihre Appartementwohnung mitgenommen, ihn mit Melonen und Geleefrüchten gefüttert. Sie hatte ihm erlaubt, auf dem Klavier zu klimpern und war mit ihm auf dem Teppich gelegen, genauso in ein Zusammensetzspiel vertieft wie er. Einmal hatte Gary, als er früher von der Arbeit nach Hause gekommen war, die Zigarette im Mund, ihnen Gesellschaft geleistet, und er hatte Eric zugeblinzelt, als der Junge vorsichtig die Steinchen zusammengefügt hatte. Das Ganze stellte eine Gruppe von französischen Legionären dar, die auf angreifende Araber feuerten. Fay seufzte und ließ den Sand durch die Finger rinnen. Ihre melancholischen Augen waren auf das unglaublich blaue Meer gerichtet, das mit Badenden und Wellenreitern betupft war. In der Nähe warfen sich langbeinige Mädchen Bälle in allen Regenbogenfarben zu, und es entging ihr nicht, daß sie an diesem fröhlichen Strand, der von bronzefarbenen Jünglingen und braungebrannten Mädchen nur so wimmelte, verloren und wie ein Fremdkörper wirkte: Sie, Fay, eine einsame schmale Gestalt in einem zitronengelben Badeanzug, der eine nur zarte Brust verhüllte, blasse schlanke Beine und Fußgelenke, die so feinknochig waren, als ob sie zerbrechen müßten, wenn sie sie überanstrengte. Als eine rasche, lustige Stimme hinter ihr sagte: „Haben Sie etwas dagegen, wenn ich Ihnen Gesellschaft leiste?“ fuhr sie auf und wandte dem Sprecher ihr erschrockenes Gesicht zu. Sie erkannte Jerry Kaufmann sofort. Seine dunklen Locken klebten jetzt feucht am Kopf, und seine mandelförmigen, beinahe mädchenhaft lang bewimperten Augen lächelten sie an. Er warf sich neben sie in den Sand und streckte seinen drahtigen, sonnengebräunten Körper aus. Er trug eine Badehose von leuchtendem Grün. „Junge, was für ein Tag!“ rief er. „Wenn nur dieser geschmolzene Himmel sich öffnen und Regen herabschütten wollte!“ Er stützte sich auf die Ellenbogen und lachte freundlich. „Was tun Sie denn hier so ganz allein an einem Samstagnachmittag?“ fragte er. „Ich bin samstags nachmittags immer allein.“ Sie lächelte, „Gary spielt Golf.“ „Das weiß ich.“ Seine mandelförmigen Augen forschten freundlich und warm in ihrem Gesicht. „Haben Sie wirklich nichts dagegen, daß ich mich Ihnen aufdränge?“ „Nicht das geringste.“ Und Fay hatte auch nichts dagegen. Sie entdeckte, daß sie ihn mochte. Seine Haltung, die Selbstbewußtsein verriet, und die offene Freundlichkeit seiner Augen gefielen ihr. „Sie scheinen so schwermütig zu sein, daß ich einfach nicht widerstehen konnte, zu Ihnen zu kommen“, sagte er. „Ich denke immer, allein am Strand zu sein, ist beinahe ebenso schlimm, wie allein an einem Würstchenstand zu stehen.“ Er lachte. Er hatte ein sehr anziehendes Lachen, bei dem er kleine, viereckige Zähne zeigte. „Hollywood kann für einen Fremden sehr einsam sein“, sagte er mitleidig. „Es erinnert mich an einen Dschungel“, sagte sie, durch die freundliche Art und Weise, mit der er sie ansah, zu Offenheit angespornt. Obwohl er ihr völlig fremd war, schien er ihr dennoch vertraut. Er benahm sich so natürlich, daß sie sich in seiner Gegenwart ganz entspannen konnte, sein ehrlicher zuversichtlicher Blick gewann mühelos ihr Vertrauen. „Es ist hier so heiß und schwül und von
fremdartigen Geräuschen erfüllt, und alle Leute haben es so schrecklich eilig. Ich weiß, es ist albern von mir, mich ins Bockshorn jagen zu lassen, aber ich fürchte mich nun einmal vor Hollywood.“ „Dann haben Sie also nicht den Ehrgeiz, sich vom Film entdecken zulassen?“ fragte er. Sie schüttelte den Kopf. „Gary würfe mich vermutlich aus dem Wohnzimmerfenster, wenn ich plötzlich von dem Fieber angesteckt würde, ein Filmstar werden zu wollen“, sagte sie. Jerry grinste. „Das wäre eine drastische Pferdekur. Aber, glauben Sie, könnte er so etwas tun?“ Er sah sie forschend an. „Nun, ich würde selbstverständlich ein entsprechendes, meinem Ehrgeiz angemessenes Temperament entwickeln, nicht wahr“, sagte sie. „Gary zieht mich aber so vor, wie ich bin. Er sagt, er hat den ganzen Tag in den Studios mit den verschiedensten Temperamenten zu tun. Außerdem bin ich kein Filmstartyp.“ „Das stimmt“, pflichtete Jerry ihr bei. „Sie kommen mir irgendwie, sagen wir, zurückhaltend vor.“ „Sie meinen ein bißchen beschränkt und zweitklassig?“ Sie lächelte bedauernd. Sie hatte es sich, seit sie in Hollywood war, angewöhnt, sich mit diesen Ausdrücken zu bezeichnen. Jeder und jede hier schien irgendein riesengroßes Talent oder ungeheure Vitalität oder ein ungewöhnlich gutes Aussehen zu besitzen. Die Leute starrten sie immer an, wenn sie mit Gary gesehen wurde und erfuhren erst später, daß sie seine Frau sei. Fay lernte langsam, aber sicher, dem Unglauben dieser Leute zu begegnen. „Ich finde“, sagte Jerry, „daß Sie in der Flut üppiger Schönheiten, die einem hier überall vor die Augen laufen, wenn man nur den Kopf wendet, eine sehr erfrischende Abwechslung sind. Sie sind kühl wie der Regen. Wissen Sie das?“ Kühl wie Regen und lieblich wie ein Mimosenzweig. Eine zarte, schüchterne Kindfrau, die einen unerwarteten Beschützerinstinkt in ihm weckte. Gleichzeitig regte sich in ihm jedoch ein Widerwille, wenn er sie sich in den mächtigen Armen von Gary Marsh vorstellte, auf Gnade und Ungnade seinem harten, zynischen Mund ausgeliefert. Um den Gedanken zu verscheuchen, sagte er: „Schwimmen Sie?“ „Nicht sehr gut“, gestand sie. Sie wußte, wenn sie ihn nur ansah, daß er im Wasser sehr tüchtig sein würde. Er hatte einen zähen, gut gebauten Körper, und als er aufsprang und sie gleichzeitig hochzog, bewegte er sich leichtfüßig wie ein Tänzer. „Gehen wir schwimmen“, schlug er vor. „Dieser Sand ist so heiß wie ein Grill.“ Er lief mit ihr, heiter und unbekümmert wie ein Junge, den Strand hinunter ins Wasser. Beim Abendessen erzählte Fay Gary, daß sie den Nachmittag mit Jerry Kaufmann verbracht hatte. Sie war neugierig zu erfahren, wie er auf diese Mitteilung reagierte, weil sie spürte, daß er Jerry nicht mochte – aber auf den Zorn, der in seinen Augen aufblitzte, war sie nicht vorbereitet. „Damned!“ fluchte er. „Hat der Schuft mit dir angebändelt?“ „Du redest wirklich nicht nett von ihm“, sagte sie ärgerlich. „Ich finde ihn sehr umgänglich.“ „Jerry Kaufmann!“ Gary lachte. „Ich könnte dir Dinge über den Burschen erzählen, daß dir die Haare zu Berge stehen würden! Ich wünsche nicht, daß du etwas mit ihm zu tun hast, verstehst du?“ Er sah ihr gerade in die Augen. „Ich bitte dich nicht nur darum, Fay. Ich verbiete es dir!“ Sie war über seinen Ton bestürzt, starrte ihn an und erwartete, daß er anfing zu lächeln und ihr sagen würde, daß er scherze. Doch als er das nicht tat, wurde sie
trotzig. „Du könntest mir auch befehlen, aus dem Fenster zu springen, das bedeutet aber noch lange nicht, daß ich es auch täte.“ Seine Augen wurden schmal, als er sie über den Tisch hinweg ansah. „Was Jerry Kaufmann anbelangt, tätest du zufällig besser daran, aus dem Fenster zu springen, mein Baby. Es ginge schneller.“ „Schneller?“ Sie verstand ihn nicht. „Ich will damit sagen, daß Jerry Kaufmann der reine Mord für dich wäre.“ Er schenkte sich ein Glas Wein ein und lachte ihr über den Rand zu, als er es an die Lippen hob. „Denkst du jetzt, daß ich vielleicht auch kein ganz unschuldiger Engel bin? Nun, das fände ich traurig. Du hattest bisher eine positive Meinung von mir, Fay. Was ist eigentlich los mit dir?“ Sie sah ihm in das braungebrannte Gesicht. Seine Augen blitzten spöttisch. „Ich glaube, es ist mir inzwischen ziemlich gleichgültig geworden, ob du dich als Unschuldsengel fühlst oder nicht“, sagte sie. „Du bist nun einmal so, wie du bist, und ich nehme dich so, wie du bist.“ Er zog die rechte Braue hoch. „Das ist eine doppelsinnige Bemerkung, mein Schätzchen“, sagte er schleppend. „Möchtest du nicht ein wenig deutlicher werden?“ . „Tiger wechseln ihre Streifen nicht.“ Ihr weicher Mund verzog sich. „Früher habe ich mir eingebildet, daß sie es tun, das ist alles. Jetzt bin ich erwachsen. Ich habe meine kindlichen Illusionen abgestreift.“ „Ich verstehe.“ Er musterte sie, ihr entschlossenes Gesicht, ihre trotzigen Augen. „Was ist geschehen, Fay?“ fragte er ruhig. „Was habe ich getan?“ „Nimm keine Notiz von dem, was ich sagte“, murmelte sie. „Ich bin eine Närrin, das ist alles.“ Fragend kletterten seine Brauen wieder in die Höhe. „Warum? Weil du geglaubt hast, die Streifen des Tigers mit Farbe übertünchen zu können?“ Er lächelte, drehte sein Weinglas und beobachtete das goldene Funkeln des Weines durch das Glas. „Und nun hast du entdeckt, daß es nicht so einfach wäre, meine Streifen zu übermalen. Es tut mir leid, wenn dir das weh getan hat, Fay.“ Er leerte das Glas. Dabei fixierte er Fay mit seinen Augen, nachdenklichen, fragenden Augen, deren Blick noch immer imstande war, ihre Knie weich werden zu lassen und ihr Herz mit der wunderlichschmerzlichen Sehnsucht zu erfüllen, ihn zu halten und nie, nie wieder loszulassen. Dann lachte er kurz auf und erhob sich. Er kam um den Tisch herum und zog sie in die Höhe. „Komm, tanzen wir“, sagte er. „Du wirst vergessen, über mich nachzugrübeln, wenn ich dich in die Arme nehme.“ Nach diesem Tag versuchte Fay, Garys Wunsch nachzukommen und sich von Jerry Kaufmann fernzuhalten, doch plötzlich schien Jerry überall da aufzutauchen, wo sie war. Ging sie an den Strand, schloß er sich ihr an. Ging sie in den Park zum Konzert, tauchte er früher oder später hinter ihr auf und hielt ihr eine Tüte Popcorn unter die Nase. Und wenn Gary auf Partys verschwand, um Poker zu spielen oder über Filme zu reden, tauchte unweigerlich Jerry mit Drinks in der Hand oder einer Aufforderung zum Tanz bei ihr auf. Er war immer freundlich, lustig und unterhaltsam, und Fay begriff nicht, warum Gary so schlecht über ihn dachte. Niemand, schien ihr, konnte sie respektvoller behandeln als Jerry. Und wenn sie tanzten, hielt er sie nicht eng an sich gepreßt wie die meisten anderen Männer. Jerry versuchte nie, vertraulich zu werden. Sie begann zu glauben, daß Gary sich von der Tatsache, daß er und Jerry nicht
gut miteinander arbeiten konnten, beeinflussen ließ und er dabei sein Gefühl für Fairneß vergaß. Sie kam zu dem Schluß, daß Jerry viel harmloser war als Gary selbst, und obwohl ihr diese Erkenntnis schmerzlich war, blieb sie dabei. Sie benutzte diese Erkenntnis sogar als Grund dafür zu vergessen, daß Gary ihr befohlen hatte, sich von Jerry fernzuhalten. Sie mochte ihn wirklich gern. Sie ermunterte ihn nie, doch sie wußte, daß die Freude, die sie über seine Anwesenheit empfand, sich in ihrem Blick verraten mußte, wenn sie sich beim Wellenreiten trafen oder an einer Würstchenbude hot dogs aßen und er sie mit den gepfefferten Dingern vollstopfte. Er hatte, wie Fay bald erkannte, in ihrem Leben Cleo Nixons Platz eingenommen. Er war ihr ein Freund geworden, den sie ganz einfach brauchte. Der Gedanke, daß er ihr mehr bedeuten könnte oder gar mehr bedeuten wollte, kam ihr nie. Sie merkte nicht einmal, daß er neben seiner jugendhaften Art auch sehr anziehend war. Sie war auch nicht von der Tatsache beeindruckt, daß er einer der beliebtesten jungen Schauspieler von Hollywood war. Für sie war er einfach Jerry. Sie war so eifrig damit beschäftigt, ihm für seine Freundschaft dankbar zu sein, daß sie nicht einmal die sie musternden Blicke bemerkte, die sie und Jerry bei Partys auf sich zu ziehen begannen. An einem Samstagnachmittag nahm Jerry sie zu einem Baseballspiel mit. Sie hatte noch nie eines gesehen, und obwohl das Ganze ein Buch mit sieben Siegeln für sie war, schrie sie bald ebenso begeistert mit wie Jerry. Sie genoß das Spiel, wie sie schon lange nichts mehr genossen hatte, und als sie sich schließlich inmitten der lärmenden Menge zum Ausgang treiben ließen, sagte Jerry beiläufig: „Wenn Sie Zeit haben, Fay, könnten wir bei mir noch einen Kaffee trinken. Wie wär's?“ „Sehr gern“, stimmte sie zu. Sie war noch nie in Jerrys Appartement gewesen und war erstaunt über die Unordnung, die bohemehafte Atmosphäre und die chaotische Wahllosigkeit, mit der es eingerichtet war. Das Wohnzimmer mit seiner Anhäufung bizarrer Möbel und den großen Fenstern mit dem Ausblick aufs Meer hatte etwas von einem Atelier an sich. Um so mehr, als eine zugedeckte Staffelei vor einem der Fenster stand. „Malen Sie, Jerry?“ fragte sie. Er zuckte die Schultern. „Sagen wir, ich versuche es.“ Er ging zu der Staffelei und zog die Hülle weg. „Wollen Sie die Leiche sezieren?“ fragte er grinsend. Ihre Augen wurden riesig, als sie auf der Leinwand sich selbst entdeckte – es war sie selbst und doch wieder jemand, der sie nicht war: Sie saß auf einer weißen Mauer, über deren Krone rote und gelbe Blüten hingen. Ihre rechte Hand lag auf den Blumen, und ihre nackten Beine baumelten von der Mauer. Den Kopf hatte sie lachend zurückgeworfen. „Nun?“ fragte Jerry. „Ich bin es, und doch“ – sie sah in fragend an – „bin ich es nicht.“ „Vielleicht sehe ich Sie so oder würde Sie gern so sehen“, sagte er. „Wie eine Zigeunerin!“ wandte sie sich wieder dem Bild zu. Die Farben waren kühn und von einer kühnen Hand aufgetragen. Jerry hatte die Farbe ihres Haares leuchtender gemacht, ihren Mund herausfordernder. An ihrem linken Fußgelenk funkelte ein goldenes Kettchen, aber an ihrer linken Hand fehlte der Ehering. Ihr kam die Bedeutung des fehlenden Ringes kaum zu Bewußtsein, so gefesselt war sie von dem Gemälde. Für einen Laien war das Bild ungewöhnlich gut gemalt, das erkannte selbst sie, die von Malerei sehr wenig verstand. „Die Augen sind nicht ganz richtig“, sagte Jerry. „Ich dachte es mir schon. Jetzt,
wo Sie hier sind, kann ich sogar genau sagen, woran es liegt. Sie haben zwar kleine Fältchen um die Augen, wenn Sie lachen, aber die Augen selbst bleiben groß.“ Voller Eifer wandte er sich ihr zu. „Wären Sie, wenn ich Sie mit einem großen Glas CocaCola besteche, geneigt, fünfzehn Minuten hierzubleiben und mir Modell zu stehen, damit ich die Augen in Ordnung bringen kann?“ Sie lachte und errötete leicht. „Aber es muß bei den fünfzehn Minuten bleiben, Jerry. Gary und ich sind heute beim Boß eingeladen, und ich darf nicht zu spät nach Hause kommen.“ „K. C.“ Jerry ließ einen leisen Pfiff hören. „Besuchen Sie ihn in seinem Hause?“ Sie nickte. „Es ist eine Dinnereinladung. Ist er sehr furchterregend, Jerry?“ Jerry grinste, während er in die Küche ging, um ihr die versprochene CocaCola zu holen. „Er ist einfach unbeschreiblich!“ rief er über die Schulter zurück. „Ich möchte nur wissen, ob seine grünäugige Freundin Thalia auch dort sein wird?“ „Unter demselben Dach wie seine Frau?“ stieß Fay hervor. Sie hörte Jerry lachen. Als er mit zwei großen Gläsern CocaCola zurückkam, sagte er: „K. C. ist ein solcher Herrenmensch, daß nicht einmal seine Frau es wagt, sich aufzulehnen, wenn er seine Geliebte zum Dinner mitbringt. Sie ist eine prächtige Wasserstoffblondine von ungefähr fünfzig. Sie wiegt gut hundertfünfundneunzig Pfund und betet ihren pflichtvergessenen Schurken von Ehemann an. Warum er sich mit einer beißenden wilden Bestie wie Thalia abgibt, wenn er eine Frau wie Magda hat, wird mir immer ein Rätsel bleiben.“ „Magda?“ fragte Fay. „Das klingt ausländisch.“ Jerry nickte. „Ich glaube, sie kommt vom Balkan. Beide, glaube ich. Alles, was mit K. C. zusammenhängt, ist ein bißchen geheimnisvoll. Manchmal sagt er Dinge, die einfach kein Mensch versteht, für die man einen eigenen Schlüssel braucht. Er redet richtiges Blech zusammen, und wenn man ihn nicht schon ein halbes Dutzend Jahre kennt, fragt man sich, was zum Kuckuck er eigentlich meint.“ Fay sah leicht besorgt aus. „Ich wette, daß ich Gary auf die Zehen treten werde, bevor der Abend überhaupt richtig anfängt.“ Als Fay nach Hause kam, war es halb sieben. Gary steckte den Kopf zur Badezimmertür heraus und wollte wissen, wo sie gewesen war. „Du bist höllisch spät dran, weißt du das?“ brummte er. Nervös streifte sie den Mantel ab. „Ich – ich war im Kino“, platzte sie abgewandten Gesichtes heraus, damit er ihr nicht ansehen konnte, daß sie log. „Im Columbia läuft ein alter BettyDavisFilm, du weißt, daß ich sie sehr gern sehe.“ „Nun, dann mach aber schnell, Baby“, drängte er. „Du weißt, wir werden um halb acht bei Christbels erwartet.“ Die Tür zum Badezimmer schloß sich, und Fay starrte in den Spiegel auf ihrem Toilettentisch. Sie hatte Gary belogen. Plötzlich wurde ihr klar: Je häufiger sie mit Jerry zusammenkam, desto häufiger würde sie gezwungen sein, ihren Mann zu belügen. Sie hatte Angst, was geschehen würde, wenn er dahinterkam, doch sie klammerte sich entschlossen an ihre Freundschaft mit Jerry. Warum sollte er nicht ihr Freund sein? In seiner Gegenwart war sie gelöster, freier, er weckte in ihr den Wunsch, wieder ein Kind zu sein – doch ein Kind mit einer viel bunteren und fröhlicheren Kindheit, als die ihre gewesen war. Als Gary, sich mit einem Handtuch energisch den nassen Kopf reibend, aus dem Bad kam, warf er ihr einen gereizten Blick zu. „Mach rasch, Herzchen, ich habe das Wasser einlaufen lassen. Wir haben nicht mehr viel Zeit. Ich habe zwei Hände voll von deinem Hibiskusbadesalz hineingetan, ist das genug?“
Sie war gezwungen zu lächeln. „Nach der Größe deiner Hände zu urteilen, mehr als genug!“ Als sie an ihm vorbeiging, fuhr sie ihm mit den Fingerspitzen über den nackten Rücken. Wenn er so war, so frisch nach dem Bad, wenn seine braungebrannte Haut glänzte, seine Rücken und Armmuskeln vor Gesundheit strotzten, schien er ihr einer niedrigen Handlung nicht fähig: Er glich einem germanischen Naturgott. In solchen Augenblicken vermochte sie beinahe zu glauben, daß alles Böse, was die Leute über ihn erzählten, nur ihrer eigenen boshaften Phantasie entsprungen war. Es schien ihr unmöglich zu glauben, daß er absichtlich ein schönes Mädchen ruiniert und in den Tod gejagt haben sollte. Gary war schon lange vor ihr angekleidet und drängte sie wieder, sich zu beeilen. „Dann mach' mir bitte den Reißverschluß zu“, bat sie, und man sah ihr die leichte Erregung an, die sie fühlte. Sie war sich noch nicht klar darüber, ob sie dieses Kleid nun mochte oder nicht. Gary hatte für ihren ersten Besuch bei Christbels etwas Besonderes gewollt und Olive Hadley gesagt, sie solle sich etwas Ungewöhnliches einfallen lassen, etwas, das nur Fay tragen könnte. Es war aus reiner Seide, hauteng bis zu den Hüften und von einem erlesenen lila Farbton. Von den Hüften abwärts wurde die lila Farbe tiefer, der Rock weiter, fiel er in Reihen unzähliger, mit winzigen schimmernden Perlen besetzter Blütenblätter herab. Es war eine merkwürdige, doch unleugbar attraktive Mischung aus Unschuld, aufreizender Körperbetonung und modischer Originalität. Als Fay sich im Spiegel betrachtete, fühlte sie den gleichen heftigen Widerwillen, den das Kleid schon bei der ersten Anprobe in ihr geweckt hatte. Sie spürte Garys Hand am Reißverschluß, und als sie sah, wie sich die lila Seide wie eine zweite Haut um ihren Busen schmiegte, wandte sie sich von ihrem Spiegelbild ab. „Was ist los?“ Gary hielt ihre Ellenbogen fest und blickte ihr forschend in die Augen. „Ich – ich komme mir so nackt vor!“ stieß sie hervor. Er lachte, hob wieder die dichten Brauen und trat zurück, um sie prüfend zu mustern. Seine Augen glitten langsam und erfreut über ihre Gestalt. „Du siehst aus wie ein Bild! Du siehst aus wie die leibhaftige Unschuld, und wie eine gefährliche Schlange zugleich. Ich habe Olive gesagt, sie solle ja nicht mit etwas Jungem und Lieblichem kommen, und sie hat sich wirklich was ausgedacht. Du wirst heute abend ein paar Männern die Köpfe verdrehen, Schätzchen.“ Er zog sie an sich, und seine großen, gutgeformten Hände liebkosten sie. Doch Fay hielt sich steif zurück und wandte den Kopf ab. Warum mußte er ihr immer so offen zeigen, daß es nur ihr Körper war, den er wollte? „Küß mich nicht“, sagte sie. „Du könntest meinen Lippenstift verschmieren.“ „Dazu hätte ich größte Lust!“ stimmte er zu, lachte und ließ sie los. Er ging ins Wohnzimmer, und Fay musterte sich wieder im Spiegel. Sie nahm eine Puderquaste in die Hand und betupfte damit ihre Nase. Sollte sie ihre Augen sehr betont schminken, damit sie zu diesem fatalen Kleid paßten? Sollte sie alle Künste anwenden? Es war offensichtlich, daß Gary mit ihr auffallen wollte. Entschlossen setzte Fay sich auf den Hocker vor dem Toilettentisch und öffnete den großen MakeupKasten, den Gary ihr geschenkt und den sie bis jetzt nur wenig benutzt hatte. Sie nahm Maskara und türkisfarbenen Lidschatten heraus und begann sorgsam und ein wenig trotzig ihre Augen zu schminken. Als Gary wieder ins Zimmer kam, drehte sie sich auf dem Hocker um und erprobte lächelnd ihren Augenaufschlag an ihm. „Ich habe die ,Verruchtheit' ein bißchen betont, Gary“, sagte sie leicht. „Fühlst du dich jetzt weniger nackt?“ Er grinste, als er das sagte. „Ich sehe mich halbnackt, aggressiv und verworfen“, sagte Fay nur.
Noch immer lachend, zog er sie hoch, drehte sie um und legte ihr eine Kette aus Perlen und Diamanten um den Hals. Die Kette warf kleine feurige Blitze, als er Fay wieder umdrehte und ihr zu der Kette passende Diamanttropfen an den winzigen Ohrläppchen befestigte. Ihre Augen, die durch die Lidschatten und die maskaragetönten Wimpern noch blauer schienen, blickten in seine lachenden dunklen. „Warum bringst du mir immer Geschenke mit?“ fragte sie, und ihre Stimme zitterte plötzlich. „Das brauchst du nicht, Gary, ich möchte nicht, daß du mich dauernd beschenkst.“ Zärtlich berührte er ihre Wange, „Vielleicht tue ich's gerade deshalb“, erwiderte er. Er ging zu dem großen Kleiderschrank und nahm ihren Nerz heraus. Als er ihr hineinhalf, stellte er den Kragen auf, so daß ihr zartes Gesicht wie eingerahmt schien. Dann betrachtete er sie eingehend. „Sehe ich teuer genug aus, Gary“, fragte Fay. „Teuer?“ Er schüttelte den Kopf. „Viel mehr als das, mein Schatz, aber mir will das richtige Wort dafür nicht einfallen.“ „Wirklich, Gary?“ Sie stand ganz still unter seinen Händen und ein Lächeln, das ein wenig traurig war, umspielte ihren schönen Mund. „Wie wäre es mit ,männermordendem Vamp', dazu hergerichtet, den Herren auf einer Schüssel serviert zu werden?“ fragte sie. Er warf den Kopf zurück und lachte. „Du wirst schon taugen!“ sagte er. „Komm, gehen wir, Milchgesicht! K. C. hat einen Pünktlichkeitskomplex.“
5. KAPITEL Auf der Fahrt zu Christbels, in der Nähe von Crystal Court, war plötzlich der Tank leer, und Gary mußte zum Tanken fahren. Fay war schon häufiger da gewesen. Während Gary einem Tankwart winkte, sah sie sich nach dem großen, zottigen Hund um, der sich hier meist herumtrieb und sich so gern von ihr streicheln ließ. Als sie ihn tatsächlich entdeckte, pfiff sie, um seine Aufmerksamkeit zu erregen. Er erkannte sie sofort und stellte die Ohren auf. Doch als er über den freien Vorplatz auf sie zulief, bog ein anderer Wagen zur Tankstelle ein, und Fays Entsetzensschreie vermischten sich mit dem schrillen Jaulen des Hundes, den der fremde Wagen erfaßt und zur Seite geschleudert hatte. Fay lief zu dem winselnden Hund, kniete neben ihm nieder und legte den zottigen Kopf auf ihre Knie, ohne auf das Blut zu achten, das ihm aus der Schnauze lief und den Rock ihres Kleides und den Nerzmantel befleckte. Gary war ihr rasch gefolgt, neigte sich über sie und umfaßte ihre Schulter. „Paß auf, Fay!“ sagte er eindringlich. „Wenn du an seine Wunde kommst, fällt er dich an.“ Sie ignorierte ihn, befreite sich mit einem Ruck von seinem Griff und neigte sich tiefer über den Hund. Tränen schossen ihr in die Augen. Doch Garys Hand riß sie hoch, und obwohl sie sich ihr widersetzte, schob er sie entschlossen beiseite. „Bleib hier stehen und sei ruhig“, befahl er, „oder ich – ich schlage dich mitten in dein schönes Gesicht!“ Er kauerte sich neben den Hund, und Fay beobachtete, wie seine starken braunen Hände den zottigen Rücken des Tieres abtasteten. Der Hund begann entsetzlich zu winseln; seine Augen verdrehten sich, er fletschte die Zähne. Gary blickte zu dem Tankwart auf, der herzugelaufen war. „Ist er schwer verletzt? Ist er schwer verletzt?“ fragte der Mann immer wieder, während er mit öligen Fingern Garys Arm umklammerte. „Der arme Kerl hat schreckliche Schmerzen, man sollte ihn töten“, sagte Gary. „Soll – soll ich etwas holen?“ fragte der Tankwart stockend mit Tränen in den Augen. Gary schüttelte den Kopf. Er beugte sich über den Hund, und Fay hob die Hand an ihre bebenden Lippen. Bei dem sonderbaren, knackenden Laut, der folgte, begann sie heftig zu zittern. Sie sah, wie der Hund sich noch einmal aufbäumte, dann still liegen blieb, und Gary sich langsam aufrichtete. Fay wich entsetzt vor ihm zurück, starrte ihn an und floh dann über die Straße. Als Fay floh, stolperte sie in ihren dünnen Abendschuhen, raffte den langen, blutbefleckten Rock ihres Kleides mit der Hand zusammen und stöhnte „Mein Gott, mein Gott!“ Sie war von dem verzweifelten Verlangen besessen, dem Anblick von Garys Hand zu entrinnen, die zum Zerstören geschaffen schien. Doch als sie sich wieder erhob, hatte Gary sie eingeholt und wirbelte sie herum wie eine Puppe. „Wohin, zum Teufel, rennst du eigentlich, du hysterische Närrin?“ fragte er wütend. Sie wehrte sich heftig gegen ihn. Sie haßte ihn plötzlich, haßte seine Gefühllosigkeit, seine Fähigkeit, mit seiner Hand und völlig ausdruckslosem Gesicht einen Hund zu töten. Ja, sie haßte seine Hände, die sie gerade wieder berührten. „Hör zu“, sagte er kurz, „dem Köter hätte nicht mal ein Tierarzt helfen können. Ich habe getan, was getan werden mußte, und je früher du das einsiehst und aufhörst, dich wie ein dummes Schulmädchen zu benehmen, desto lieber ist es
mir. Jetzt reiß dich zusammen. Wir kommen zu spät zu den Christbels.“ „Die Christbels!“ Unvermittelt hörte sie auf, sich gegen ihn zu sträuben und starrte in sein zorniges Gesicht. „Aber ich will nicht zu den Christbels gehen! Ich will nicht! Nicht jetzt! Nicht jetzt!“ Er schüttelte sie wütend. „Manchmal treibst du mich beinahe zum Wahnsinn, Fay! Auf jeden Fall aber: zur Hölle mit deinen Skrupeln!“ Er drehte sie gewaltsam um und führte sie zum Wagen. „Ich bin ganz blutig“, stöhnte sie. „Alles ist voller Blut!“ Als sie beim Wagen angelangt waren, blieb sie vor den Scheinwerfern stehen und zeigte verzweifelt auf den Rock ihres Kleides und den Nerzmantel. Alles war über und über mit Blut verschmiert und verschmutzt. In Garys Gesicht stritten in diesem Augenblick verschiedene Empfindungen: Geduld, die am Zerreißen war, Ärger über Fay, die ihm wie ein ungezogenes Kind vorkam, und widerwilliges Mitgefühl. „Warum, zum Teufel, mußtest du das Tier auch streicheln?“ fragte er. „Du bist wirklich das letzte, Fay! Aber ehrlich! Jetzt müssen wir nach Hause zurück, du mußt dich umziehen. Los, steig ein!“ Er half ihr in den Wagen, und sie beobachtete ihn mit großen ängstlichen Augen, als er um den Wagen herumging, einstieg und die Tür zuwarf. In ihr Appartement zurückgekehrt, folgte Fay ihm niedergeschlagen ins Wohnzimmer und protestierte mit keinem Wort, als er puren Whisky in ein Glas schüttete und sie zwang, es zu leeren. „Gary, zwing mich nicht, mit dir zu gehen!“ Sie klammerte sich an seinen Arm und hob flehend die Augen zu ihm auf. „Bitte, Gary! Es macht doch nichts, wenn ich nicht mitgehe.“ „Wirklich nicht?“ Er preßte eigensinnig den Mund zusammen. „Tut mir leid, aber ich bin anderer Meinung. Los, ziehe das Kleid aus.“ Er zog sie ins Schlafzimmer, nahm ihr den Pelz ab und warf ihn achtlos auf einen Sessel. „Zieh das Kleid aus“, wiederholte Gary kurz, und machte den Schrank auf. Ungeduldig riß er ein Kleid nach dem anderen heraus, bis er auf eine türkisfarbene Kreation mit einem Muster aus rosa Pailletten stieß. Es war ein sehr hübsches Kleid, aber nicht annähernd so gewagt wie das lilafarbene. Er half ihr hinein, ignorierte jedoch halsstarrig ihre bittenden Augen. „K. C. gibt nicht an jedem Tag in der Woche eine Dinnereinladung“, sagte er fest, „und ich will verdammt sein, wenn ich heute abend dort ohne dich erscheine. Er und Magda wollen dich kennenlernen, und sie werden dich kennenlernen! Jetzt wisch dir die zerlaufene Farbe aus den Augen. Und höre auf, mich anzustarren, als hätte ich einen Mord verübt!“ Das Haus von K. C. sah aus wie aus einem Film über den amerikanischen Bürgerkrieg; weiß und anmutig, mit korinthischen Säulen und einem Negerbutler mit silbernem Haar. Er führte Fay und Gary in eine Halle mit herrlichen Proportionen, mit schwarzweißem Mosaikfußboden, einem Goldfischteich als Mittelpunkt und Kronleuchtern, die hoch oben an der mit Fresken bemalten Decke wie Diamanten funkelten. Fay hatte das Gefühl, in eine verrückte Filmdekoration geraten zu sein, und ihr erster Eindruck von Karl Christbel war nicht dazu angetan, dieses Gefühl zu zerstreuen, als sie diesem springlebendigen Mann vorgestellt wurde, dessen hervorstechendste Merkmale eine glänzende Glatze, glänzende Backen und glänzende schwarze Augen waren. Er begrüßte Fay mit ein paar unverständlichen Worten und hüpfte dann zum Goldfischteich, wo er Fischfutter in das durchsichtige Wasser streute. Er sah weder nach dem großen Boss aus, der die weitläufigen Studios beherrschte, in denen Gary
arbeitete, noch nach einem Liebhaber von Thalia van Deen. Aber seine Frau Magda entsprach durchaus Jerrys Beschreibung. Sie trug ein elegantes schwarzes Kleid und viele Diamanten, die in den künstlichen Wellen ihres Haares und beinahe bis an die Ellenbogen ihrer mit Grübchen versehenen Arme funkelten. Sie winkte lachend ab, als Fay sich wegen ihres Zuspätkommens entschuldigte, und sagte mit lauter Stimme und starkem Akzent zu Gary: „Besser später als überhaupt nicht, nicht wahr?“ Sie wandte ihr stark geschminktes Gesicht wieder Fay zu. „Wie kommt es, daß dieser große böse Junge Sie so spät hergebracht hat?“ Sie streckte ihre schwer beringte Hand aus und kniff Fay in die Wange. „War er vielleicht damit beschäftigt, Sie zu küssen?“ Fay errötete, und Magda zwinkerte Gary auffällig zu. „War es so, hm?“ Ihr gewaltiger Busen bebte. „Je nun, die Jugend ist kurz. Sie ist schnell dahin. Eines Tages“, sie nickte in Fays Richtung und fuhr mit ihrer funkelnden Hand an ihrem plumpen Körper herunter, „eines Tages wird sie aussehen wie ich, was werden Sie dann tun, Sie großer böser Junge?“ Gary lachte und musterte Fay, ihre schmale Taille und die zierlichen Hand und Fußgelenke, mit hochgezogenen Brauen. „Was, glaubst du, werde ich dann tun?“ fragte er sie. Fay begegnete seinem Blick und antwortete nüchtern: „Bis dahin hast du längst ein neues Spielzeug gefunden.“ Dann wandte sie sich ab und folgte Magda in den Salon, wo mehrere Leute beisammenstanden, Highballs tranken und den Gong abwarteten. Sie war erleichtert, daß es sich bei der Dinnerparty um eine kleine Angelegenheit handelte und daß Thalia van Deen nicht anwesend war. Von lebhaften Gesprächen begleitet, zog sich das Dinner sehr in die Länge; die Speisen waren üppig und die Auswahl der Weine vorzüglich. Fays Tischnachbarn waren ein kupferhaariges Mädchen, das ohne Begleitung gekommen zu sein schien, und ein Mann mit fröhlichen Augen und einem karierten Dinneranzug, der von nichts anderem sprach als von seinem Magengeschwür und Fay mitteilte, daß dieses Dinner ihn gegen Morgen sicherlich umbringen würde. Plötzlich sagte das kupferhaarige Mädchen zu ihr: „Nach dem Essen werden wir viel Spaß haben. Magda und Karl haben eine echte Wahrsagerin eingeladen, die uns allen die Zukunft deuten wird!“ Sie lächelte. „Ich hoffe, sie verspricht mir ein Geschenk wie mein Gegenüber – ich meine den großen Burschen da, der sich mit Magda unterhält.“ Fay folgte ihrem Blick auf die andere Seite des Tisches, und ein merkwürdiger Zug umspielte ihre Lippen. „Wenn ich den Burschen ansehe“, fuhr die Kupferhaarige fort, „läuft es mir prickelnd das Rückgrat hinunter.“ „Wirklich?“ fragte Fay mit einem seltsamen Ausdruck in den Augen. „Sagen Sie mir nur nicht, daß der Mann Sie kalt läßt!“ antwortete das Mädchen ungläubig. „Oh, ich bin durchaus der Meinung, daß er gut aussieht“, sagte Fay lächelnd. „Mehr als das!“ Das Mädchen bewunderte Gary ganz offen. „Dieser barbarische Brocken gehört nicht in dieses Jahrhundert. Ich sehe ihn mit einem blutbesudelten Säbel über das Deck eines Piratenschiffes stapfen!“ „Oder vielleicht in einem römischen Streitwagen die Via Appia entlangrasen?“ murmelte Fay. Das Mädchen sah Fay mit funkelnden Augen an. „Sie verstehen also, was ich meine? Sie spüren auch, daß er etwas von einem Tyrannen und Patrizier zugleich an sich hat? Der Bursche könnte einem teuflisch weh tun, aber zum Kuckuck, ich
glaube nicht, daß es mir etwas ausmachte.“ „Wirklich nicht?“ fragte Fay neugierig. „Heißt das, daß man ihm, nur weil er ein bißchen aus dem Rahmen fällt, auch ein aus dem Rahmen fallendes Verhalten entschuldigen muß?“ Durch Fays ernsthafte Frage aufmerksam geworden, dachte das Mädchen über die Frage nach. „Ich glaube, neun von zehn Frauen würden ihm viel verzeihen. Die zehnte müßte, meiner Meinung nach, eine ziemlich komische Jungfrau sein.“ Sie lachte. „Erzählen Sie mir nur nicht, daß Sie diesem gut aussehenden Teufel nicht verschiedenes nachsehen würden?“ „Ich tue den ganzen Tag nichts anderes.“ Fay senkte die Lider. „Er ist mein Mann.“ „Ach du meine Güte!“ Die Gabel des Mädchens fiel klirrend auf den Teller zurück. „Und Sie – Sie lassen es zu, daß ich ihnen mein mädchenhaft klopfendes Herz ausschütte?“ Sie lachte und schüttelte den kupferroten Kopf. „Aber ich glaube, Sie sind es gewöhnt, den Seufzern neidischer Frauen zu lauschen, nicht wahr?“ „Meist schnappen sie nur ungläubig nach Luft, wenn ich sage, daß er mein Mann ist“, erwiderte Fay. Das Mädchen sah einen Augenblick verblüfft drein, während sie Fays ernstes Gesicht musterten. Dann kniff sie den Mund zusammen. „Ich bin nicht ungläubig“, sagte sie. „Ich denke, daß Sie für diesen großen, starken Piraten genau das richtige Spielzeug sind und es ihm Spaß macht, Sie mitzuschleppen. Ich beneide Sie, ehrlich!“ „Wirklich?“ Fays Lächeln war eisig. Die Bemerkung der Kupferroten schien nur zu betonen, daß sie Garys Eigentum war. Sein Spielzeug! Seine kleine leichte Piratenbeute! Als nach dem Dinner alle in dem schönen Salon beisammensaßen, verkündete Karl Christbel, daß er eine Wahrsagerin eingeladen habe. Gary blieb davon unbeeindruckt. Er rief Magda zu: „Als ich das letzte Mal hier war, hat eine Jongleuse zu unserer Erbauung beigetragen. Ich hatte auf eine Wiederholung der Vorstellung gehofft, Magda! Allzu geschickt ist das Mädchen mit seinen Bällen ja nicht umgegangen.“ Es wurde gelacht, aber Magda schüttelte vorwurfsvoll den Kopf. „Sie sind wirklich ein böser Junge, Gary. Sie werden sich die Zukunft deuten lassen, und es wird Ihnen gefallen.“ Er wandte sich Fay zu, an deren Sessel er lehnte und streichelte ihren Arm. „Hier ist meine Zukunft, Magda“, sagte er. Er lachte Fay an. „Das bis du doch, nicht wahr, Schatz?“ Ihre Augen trafen sich, und sie hielt seinem besitzergreifenden Blick stand. „Wenn du es sagst, Gary“, erwiderte sie. Die Wahrsagerin war ein Ehrfurcht heischendes Geschöpf, hochgewachsen, hohlwangig und mit glitzernden, pechschwarzen Augen und dunkler Haut. Auf ihrer linken Wange hatte sie eine kleine Tätowierung, um den Hals eine ellenlange Kette aus Goldmünzen, und auf dem Kopf trug sie ein rotes Tuch. Ihre Hände waren groß, die Finger ungewöhnlich lang, und als sie sich an den Tisch setzte, zu dem Karl Christbel sie geführt hatte, mischte sie ein Paket Karten, das zahlreiche Eselsohren zierten. Die meisten der anwesenden Gäste musterte sie respektvoll, aber Gary grinste und ließ seine spöttischen Augen über ihre unheimliche Gestalt wandern. Sie saß da und beobachtete die Karten, die ihr durch die Finger glitten. Dann sah sie plötzlich auf, und ihr Blick blieb auf Gary haften. Seine offensichtliche Belustigung hatte den Zorn der Wahrsagerin erregt, und sie wählte ihn daher zu ihrem ersten Opfer.
Sie streckte ihre Hand nach ihm aus und sagte mit tiefer, rauher Stimme: „Sie zweifeln an meiner Fähigkeit, die Zukunft zu lesen, mein Herr? Sie glauben, sie läge hinter einem Schleier verborgen, den kein menschliches Auge durchdringen könnte?“ Er nickte, und seine Augen tanzten vor Vergnügen. „Ihre fragwürdige Kunst beeindruckt mich nicht eine Minute“, anwortete er. „Dann wollen Sie also nicht an meinen Tisch treten und zwei Karten ziehen?“ fragte sie. „Aber ja, warum soll ich Ihnen und den anderen den Spaß verderben?“ Er erhob sich von der Armlehne von Fays Sessel. Die Zigeunerin legte ihre schäbigen Karten auf der Tischplatte aus, und die Münzen um ihren Hals klingelten. Mit einem durchdringenden Blick beobachtete sie Gary, der, eine Zigarette im Mund, gleichgültig vor ihr stand. Als er näher kam, verzerrte ein merkwürdiger Krampf ihr Gesicht; ihre Oberlippe schien sich von den Zähnen zurückzuziehen, und ein spähender, bohrender Ausdruck trat in ihre Augen. Nur für die Dauer einer Sekunde blieb ihr Blick unverhüllt, dann senkten sich ihre dichten schwarzen Wimpern. Als Gary vor ihr stand, wies sie ihn an, zwei Karten umzudrehen, und er tat es achtlos. Ein schwarzer König und ein roter Joker kamen zum Vorschein. „Nun“, sagte Gary gedehnt, „durchdringe den Schleier, enthülle mir die Zukunft, wenn du kannst!“ Die Frau lachte tief und hohl, und wieder begann die lange Münzkette zu klingeln. Mit dem gelben Nagel ihres Zeigefingers schob sie den roten Joker zu dem schwarzen König und sagte: „In Ihrem Fall, mein Herr, ist es besser, wenn wir den Schleier nicht lüften!“ Ihr Blick schweifte wieder quer durch den Raum zu Fay hinüber, die die Szene am Tisch mit großen Augen verfolgte. Der gelbliche Zeigefinger wies auf Fay. „Ich tue es ihretwegen!“ rief sie. Gary streckte die Hand aus, packte die Frau an der Schulter und preßte sie so lange, bis ihr dunkler Kopf sich ihm zuwandte. „Versuche ja nicht, ihr Angst einzujagen!“ sagte er mit einer Stimme, die plötzlich gar nicht belustigt klang. Eine merkwürdige Stille lag über dem Raum, als Gary das sagte; eine lauernde Stille, die den Atem anzuhalten schien. Aller Augen ruhten auf ihm und auf der Zigeunerin, doch Fay hatte den sonderbaren Eindruck, daß die Gedanken aller sich plötzlich auf sie konzentrierten. Sie kauerte sich in ihrem Sessel zusammen und wünschte, die Szene am Tisch hätte ein Ende. „Es liegt nicht in meiner Macht, Ihrer Frau Angst einzujagen“, sagte die Zigeunerin, und ihre Adlernase verlieh ihr etwas Gebieterisches, als sie ihn anstarrte. „Das liegt nur an Ihnen.“ Dann löste sie ihre Schulter mit einem Ruck aus seiner Umklammerung und sammelte die verstreuten Karten ein. Sie begann sie wieder zu mischen und ließ ihre Augen flink durch den Raum schweifen. „Wer ist der nächste?“ fragte sie. Fay sah das kupferrote Mädchen, das ihre Tischnachbarin gewesen war, aufstehen und an den Tisch schlendern… Auf der Heimfahrt war Fay sehr still. Es war ein sonderbarer, alptraumähnlicher Abend gewesen, und jetzt fühlte sie sich bar aller Lebenskraft, innerlich leer, und Furcht hing wie eine dunkle Drohung über ihr. Das Gesicht von Gary abgewandt, lag sie in dem Sitz des Wagens, sah die dunklen Avenuen vorübergleiten und roch den Duft der Orangen, der über hohe weiße Mauern kam. Was hatte die Zigeunerin gemeint? Was lag in der Zukunft verborgen? Fay fröstelte und legte ihre kalte Wange auf das Leder der Polsterung. Sie war plötzlich den Tränen nahe, und das Herz tat ihr weh, weil sie nicht zu Gary sagen konnte: Ich fürchte
mich plötzlich so – vor irgend etwas! Und der Schmerz war um so schwerer zu ertragen, weil sie wußte, daß Jerry Kaufmann für sie Verständnis gehabt hätte. Fay klammerte sich an ihre Freundschaft mit Jerry wie an einen Rettungsring und hatte manchmal das Gefühl, daß sie, wenn sie ihr entglitte, unentrinnbar ertrinken und in dieser fremden, verwirrenden Welt verlorengehen müßte, in die sie sich um eines Mannes willen gewagt hatte, den sie liebte und der ihr immer fremder wurde. In ihrer Unschuld wußte sie nicht, daß die Leute anfingen zu flüstern… und dieses Flüstern erreichte Garys Ohr plötzlich auf einer Party bei Olive Hadley. Jerry war mit Fay auf die Terrasse von Olives Dachwohnung hinausgetreten, und als sie auf das Lichtermeer tief unter sich blickten, sagte er: „Welch eine Nacht für eine Autofahrt! Wie wäre es damit, Fay?“ „Das ist unmöglich!“ sagte sie, doch ihre Augen verrieten Bedauern, denn in den Partyräumen war alles voller Rauch und laut, und der Gedanke an eine Fahrt durch die klare, stille Nacht war unendlich verlockend. „Gary wird Sie nicht vermissen“, drängte Jerry. „Er spielt viel zu intensiv Poker.“ „Wie lange würden wir fortbleiben?“ Sie wurde schwach und wußte es. „Eine halbe Stunde, nicht länger.“ Er lachte. „Kommen Sie, seien Sie einmal keine brave Ehefrau. Die ganze Stadt spricht schon über die Ergebenheit, die Sie Gary gegenüber an den Tag legen.“ „Sie meinen, die Leute lachen, weil ich still im Winkel sitzen bleibe, während Gary über Filme spricht oder Poker spielt?“ sagte sie errötend. „So ist es“, antwortete er. Also ging Fay mit ihm. Doch sie blieben länger als einen halbe Stunde. Jerrys Cadillac fraß die Meilen so unauffällig und ruhig, und es war eine solche Freude, durch die weiche Nacht unter den Sternen dahinzufahren, daß Fay einfach nicht merkte, wie die Zeit verging. Sie nahmen die Straße, die am Ozean entlangführte, und der Wind trug den salzigen Geruch der See mit sich, während der Mond hoch über der schwarzen Fläche segelte. Das Radio spielte leise, und Fay sah zu den Sternen hinauf. „Machen Sie Ihr Haar auf, Fay“, sagte Jerry plötzlich. „Lassen Sie den Wind durchwehen.“ „Soll ich?“ Ihre Augen ruhten auf seinem Gesicht. Dann zog sie die juwelenbesetzten Nadeln aus dem Haarknoten, den sie heute abend trug, und ließ sie in den Schoß fallen. Der Zeiger des Tachometers sprang vor, als Jerry das Gaspedal durchtrat und der weiche Wind Fays Wange streichelte und das Haar wie ein helles Segel hinter ihr herflog. „Schön!“ rief sie. „Es ist, als säße man in einem Triumphwagen und flöge durch den Himmel.“ „Sie komisches Kind!“ murmelte Jerry, und Fay merkte nicht, daß das gewohnte fröhliche Zwinkern aus seinen Augen verschwunden war. Sie wunderte sich nicht einmal über seine ungewöhnliche Schweigsamkeit, als er den Wagen auf einem Hügel zum Stehen brachte und sich in die Polster zurücklehnte. Wie ein dünner blauer Faden zog der Rauch seiner Zigarette zum Himmel. Sie war es zufrieden, genauso schweigen zu können wie er, eingehüllt in die sichere Wärme seiner Freundschaft. Dann, nach einer Weile, begann er zu sprechen, über sich zu sprechen, was bei Jerry auch ganz ungewöhnlich war. „Schon mal was von Bronx gehört, Fay?“ fragte er. „Wenig“, gestand sie. „In Büchern und Filmen.“
„Klar.“ Er grinste. „Die Bronx fasziniert unweigerlich die Autoren und Filmmenschen – nur, ich habe dort gelebt, und ich habe sie nicht faszinierend gefunden. Meine Eltern starben, als ich noch ein Kind war, und ich wurde in einer mit schöner Regelmäßigkeit anwachsenden italienischen Familie herumgestoßen. Die Leute waren nicht schlecht, aber sie hatten selbst nicht viel und konnten es sich eigentlich nicht leisten, mich durchzufüttern, daher schüttelte ich, als ich dreizehn war, den Staub der Bronx von meinen Füßen. Ich ging nach Kalifornien und suchte mir einen Job auf einer Obstfarm. Dann ging die Farm pleite, und ich bekam einen Job in einer Kneipe. Fegte die Böden und schenkte Bier ein – und so ging es weiter, ein schlechter Job folgte dem anderen. Ich aß zuviel billige Mahlzeiten, und meine neidischen Augen folgten den schicken Wagen der Filmstars, die tagein, tagaus an mir vorüberflitzten. Warum nicht ich? dachte ich. Ich hatte Locken und Muskeln, also warum nicht ich?!“ Er verstummte für einen Augenblick und betrachtete das glühende Ende seiner Zigarette. Dann fuhr er fort: „Ich habe es bis zum Filmstar gebracht – ich habe diesen Wagen, aber manchmal glaube ich, ich habe überhaupt nichts. Ich bin zweiunddreißig, Fay. Ich bin ein Mann, der eine Frau und zwei gesunde Kinder haben sollte, aber ich habe nichts.“ „Waren Sie nie verliebt, Jerry?“ fragte Fay leise. „Doch.“ Mit einer brüsken Bewegung warf er die Zigarette aus dem Wagen. „In die Frau eines anderen.“ „O Jerry!“ Er lächelte zynisch. „Es ist eine sehr einseitige Sache, die Frau eines anderen zu lieben.“ So saßen sie und redeten miteinander, und die halbe Stunde, von der Jerry gesprochen hatte, dehnte sich zu zwei Stunden aus – zu zwei Stunden, die vergingen wie der Wind. Als sie auf die Party zurückkamen, waren alle Gäste gegangen – alle, außer Gary. Im Mantel saß er an Olives großem Klavier und klimperte, die unvermeidliche Zigarette im Mund, mit einem Finger einen Schlager. Olive räkelte sich, den roten Rock ihres Taftkleides, um sich ausgebreitet, in einem niedrigen Sessel am Kamin, und ihre Augen ruhten mit offenem Mitleid auf Fay und Jerry. Fays Herz klopfte dumpf, als sie, neben Jerry stehend, zu Gary hinüberblickte, durch diesen Raum, in dem es nach kaltem Rauch roch und in dem unordentlich Cocktailgläser und übervolle Aschenbecher herumstanden. Ihr Zusammensein mit Jerry war ganz harmlos gewesen, doch die Haltung seiner Schultern und die Art, wie Gary die Zigarette zwischen den Zähnen hielt, weckte plötzlich Angst und Schuldbewußtsein in ihr. Dann erhob er sich langsam vom Klavierschemel. „Bist du jetzt soweit, daß wir nach Hause gehen können?“ fragte er, und seine Augen ruhten mit unergründlichem Ausdruck auf ihrem erschrockenen Gesicht, auf ihrem offenen Haar. „Jetzt hören Sie mal, Gary“, fiel Jerry ein, „denken Sie nur nichts Falsches...“ „Etwas Falsches?“ Gary schob ruhig seinen Seidenschal unter seinen Mantelkragen. „Was sollte ich denn Falsches denken?“ „Wir sind einfach nur herumgefahren...“ „Wie ungemein angenehm!“ Gary wandte sich an Olive. „Also, bis bald, Olive. Wiedersehen!“ Er kam herüber, schob die Hand unter Fays Arm und zog sie mit sich hinaus. Er sagte auf der Heimfahrt kein Wort, und Fay, durch seine Ruhe erschreckt, hätte nicht zwei zusammenhängende Worte sagen können. Sie wußte, wie ihr
Verschwinden mit Jerry auf Außenstehende gewirkt haben mußte, und kauerte sich auf ihrem Sitz zusammen… Die belustigten Blicke, die Gary zugeworfen worden waren, als er sie, des Pokerspielens überdrüssig, gesucht hatte und nirgendwo vorfand. Dann hatte jemand es ihm gesagt, lächelnd, weil es ja so ein Spaß war, den arroganten Gary Marsh einmal außer Fassung zu sehen: „Sie ist mit Jerry Kaufmann verschwunden, vor ein paar Stunden schon, mein Lieber!“ Mit Jerry! Den er so haßte! Während der Lift sie ins oberste Stockwerk von Crystal Court hinauftrug, und als Fay den Lift verließ, schauerte sie fröstelnd zusammen. Gary schloß die Tür des Appartements auf, und Fay hob automatisch die Hand zum Lichtschalter. Müde betrat sie das Zimmer und blieb stehen. Dann ging es plötzlich über ihre Kraft, das Schweigen noch länger zu ertragen, das zwischen ihnen aufragte wie eine Wand, und sie sagte: „Los, Gary, tu dir keinen Zwang an, sag mir genau, was du von mir hältst.“ Er antwortete nicht, und sie drehte sich zu ihm um; der blaue Abendmantel, der dieselbe Farbe wie ihre Augen hatte, war ihr halb von der Schulter geglitten. Sie sah ungewöhnlich schön aus, als sie Gary dabei halb ängstlich, halb trotzig anblickte. „Oh, mach schon!“ rief sie. „Ich weiß, daß du auf mich böse bist. Wenn wir streiten müssen, weil ich mit Jerry ganz harmlos ein bißchen spazierengefahren bin, wollen wir's hinter uns bringen.“ „Eine harmlose Spazierfahrt?“ sagte er mit schiefem Mund. „War sie wirklich so harmlos?“ Ihre Augen blitzten. „Wenn du andeuten willst, daß es etwas anderes war, bist du im Unrecht und beleidigst mich.“ „Du bleibst länger als zwei Stunden mit einem Burschen wie Jerry Kaufmann verschwunden und erwartest von mir, daß ich dir glaube, ihr hättet Brüderchen und Schwesterchen gespielt?“ fragte er. „Ja, das tue ich. Wir sind weiter und weiter gefahren. Wir haben nicht einmal viel gesprochen.“ „Oh, daß ihr nicht viel gesprochen habt, glaube ich dir aufs Wort“, sagte Gary schleppend. Als er das sagte, begann Fay zu zittern, aber nicht vor Angst. Plötzlich wurde sie von wildem Zorn gepackt. Sie wandte sich brüsk ab und ging ins Schlafzimmer. Wie konnte er es wagen anzudeuten, daß sie mit Jerry Zärtlichkeiten getauscht hätte? Wie durfte er es wagen! Kannte Gary sie noch immer nicht? Wußte er nicht, daß sie nie die Küsse eines anderen Mannes dulden würde oder könnte? Zwischen Zuneigung und den Zärtlichkeiten eines Mannes bestand ein gewaltiger Unterschied. Und mit keinem Gedanken hatte sie an die Zärtlichkeiten eines anderen Mannes gedacht, geschweige denn, sie herbeigewünscht. Als sie die Nachttischlampe anknipste und sich im Spiegel betrachtete, sah sie, daß sie sehr blaß geworden war. „Wenn es ein anderer gewesen wäre und nicht ausgerechnet Jerry Kaufmann, würde ich dir glauben, Fay“, sagte er. „Aber ich weigere mich anzunehmen, daß dieser Bursche zwei geschlagene Stunden lang seine Hände von dir lassen konnte. Er besitzt weder soviel Selbstbeherrschung, noch ist er so edel.“ Fay fuhr herum. „Du weigerst dich! Du weigerst dich!“ rief sie. „Nun, und ich weigere mich, mich einer Handlung beschuldigen zu lassen, die ich nicht begangen habe!“ Aber Gary lächelte nur spöttisch. „Warum so hitzig, wenn du die Wahrheit sagst?“
Jetzt verlor Fay die Beherrschung. „Du hast nicht das Recht, über meinen oder
über Jerrys Charakter zu urteilen! Schließlich bist du derjenige, der Inez Holden
in den Tod getrieben hat!“ schrie sie ihn an.
Mit zwei Schritten war Gary bei ihr und packte sie so fest bei der Schulter, daß es
weh tat. „Wer hat das behauptet?“ fragte er.
„Thalia van Deen.“ Ohne mit der Wimper zu zucken, hielt Fay seinen bösen
Augen stand. „Vor Wochen schon.“
„Und du hast ihr geglaubt?“
„Nun, es ist die Wahrheit, nicht wahr? Sogar Pat Merryweather hat gesagt, es sei
wahr.“ Sie nahm keine Rücksicht mehr. Voll Bitterkeit sah sie Gary in die Augen,
die dunkel und gefährlich waren. Neben seinem Mund begann plötzlich ein
Muskel zu zucken. „Thalia hat mir gesagt, daß du das arme Mädchen wie Dreck
behandelt hast. Sie sagte, du hättest bei der Identifizierung ihrer Leiche offen
zugegeben, du hättest sie kurz vorher aus deiner Wohnung gejagt!“
„Du hältst mich also für einen kompletten Schweinehund, wie?“ sagte er ruhig,
und seine Augen verloren das drohende Glitzern.
„Ja, Gary, genau dafür halte ich dich“, erwiderte sie, sie wollte ihm weh tun;
hoffte, ihm weh zu tun.
„Und wenn ich behaupte, daß Thalia gelogen hat?“ fragte er.
„Das wäre Zeitverschwendung!“ sagte sie mit blitzenden Augen. „Ich bin nicht
mehr das dumme Mädchen mit den gläubigen Augen, das du nach Hollywood
gebracht hast, Gary. Du kannst mich nicht, mehr zum Narren halten. Ich kenne
dich jetzt.“
„Wirklich?“ Mit völlig ausdrucksloser Miene sah er sie noch einen Augenblick an,
dann ließ er ihre Schulter los. Er wandte sich ab und suchte sich seinen
Schlafanzug, den Morgenrock und die Pantoffeln. „Ich schlafe heute nebenan“,
sagte er. „Es ist dir ohne Zweifel lieber so.“
6. KAPITEL Als die Tür hinter ihm zufiel, stand Fay ganz still, starrte ihm nach und wagte kaum zu glauben, daß er gegangen war – so völlig ruhig noch dazu. Halb betäubt vor Jammer, zog sie sich aus. Sie stand vor dem Toilettentisch und bürstete sich das Haar. Das Gesicht, das ihr aus dem Spiegel entgegenstarrte, war völlig leblos. Gary würde ihr nie vergeben, weil sie das alles gesagt hatte – weil sie alles wußte, dachte sie. Sie legte die Haarbürste weg, warf sich auf das Bett und preßte ihr Gesicht auf die kalte, seidene Bettdecke. Wie merkwürdig seine Augen geblickt hatten, als sie laut den Namen des Mädchens Inez Holden genannt hatte! Zuerst mehr erschrocken als zornig. Er mußte doch gewußt haben, daß sie die Geschichte früher oder später zu hören bekäme? In Hollywood, diesem Treibhaus der Gerüchte, war das für die Klatschmäuler ein Leckerbissen, der ständig die Runde machte. Und hätte sie die Geschichte nicht von Thalia erfahren, hätte sie sie von jemand anderem gehört. Doch wenn sie sich jetzt an seine entsetzten Augen erinnerte, an die Zornesmaske, zu der sein Gesicht geworden war, bedauerte sie plötzlich, daß sie ihm die Sache mit Inez Holden vorgeworfen hatte. Auf dem Gesicht liegend, überlegte sie furchtsam, wie er sich am Morgen ihr gegenüber wohl verhalten würde. Würde er ihr sagen, daß sie miteinander fertig wären? Würde er sie auffordern, aus seinem Leben zu verschwinden? Ihr Herz klopfte rasend. Obwohl er sie oft mit seiner Ungeduld verletzt hatte, mit seiner Unfähigkeit zu verstehen, wieso sie in Gegenwart von Männern, die er offen als Lumpen, und von Frauen, die er verächtlich als ehrgeizige Dirnen bezeichnete, nervös und gehemmt sein konnte, hatte er sich auch ebensooft Mühe gegeben, ihr Freude zu machen. Hatte sie zum Essen in eines jener ruhigen eleganten Restaurants geführt, die sie liebte, wo sie in einem schummrigen Garten unter schaukelnden Laternen, von duftendem Heliotrop und Orangenblüten umgeben, speisten. Er war mit ihr aufs Land hinausgefahren und hatte sie im hohen Gras gejagt, hatte ihr Blüten in den Ausschnitt gesteckt und laut über ihre atemlosen Proteste gelacht. Das Gesicht in den Armen, lag sie reglos und innerlich völlig leer da; sie fühlte nichts mehr. Es war ihr gleichgültig, daß Gary geglaubt hatte, sie hätte die Mondscheinfahrt mit Jerry unternommen, weil sie sich nach fremden Zärtlichkeiten sehnte. Sie wußte nur noch, daß sie, obwohl sie geschworen hatte, Gary zu lieben, ihrer Liebe erlaubt hatte, schwankend zu werden, während Gary, der ihr nie Liebe versprochen hatte, sich an das Ehegelöbnis gehalten hatte. Nicht ein einziges Mal hatte sich sein Interesse anderen Frauen zugewandt, obwohl sie gesehen hatte, wie viele Schönheiten voll sinnlicher Anziehungskraft ihm unverhüllt einladende Blicke zugeworfen hatten. Er hatte ihnen zugelächelt, hatte sich mit hochgezogenen Brauen spöttisch und offen an ihrer Schönheit und über ihren Wunsch, mit ihm zu flirten, gefreut, aber er hatte sie, seine Frau, nicht von seiner Seite gelassen und sie niemals betrogen. Welches Motiv hatte seine merkwürdige Treue? Ihre Ähnlichkeit mit Inez Holden? Ihre Hand krampfte sich um die Bettdecke; ihre Nägel gruben sich in die Seide… Sie schlief unruhig, allein und wie verloren in dem großen Bett, und vermißte Garys warme, harte Arme. Als sie erwachte, war es noch sehr früh. Unruhige Träume hatten sie immer wieder aus dem Schlaf aufschrecken lassen, und jetzt war sie froh, in die Küche gehen und das Frühstück vorbereiten zu können. Als sie den Tisch im Wohnzimmer deckte, musterte sie Gary furchtsam. Er las Zeitung und blickte nicht auf. Als sie ihren Platz an der anderen Seite des Tisches
einnahm, kam sie sich überflüssig und unerwünscht vor. Warum sagte er nichts? Alles war besser als dieses grausame Schweigen. Sie schob ihr unberührtes Frühstück beiseite und stand auf, um in die Küche zu gehen und seinem gleichgültigen Gesicht zu entrinnen. Sie war schon bei der Tür, als er sagte: „Vergiß nicht, wir sind heute abend zur Premiere von Bill Symans Film eingeladen.“ „Willst du denn, daß ich mitkomme?“ fragte sie, ohne sich umzudrehen. Sie hörte seinen Stuhl über den Fußboden scharren, und plötzlich war er hinter ihr und riß sie zu sich herum. Sein dunkles Gesicht verriet Gereiztheit. „Ich habe nicht die Absicht, nur weil wir Streit haben, Bill das bißchen Freude zu verderben, das er noch hat.“ fauchte er sie an. „Der arme Kerl war jetzt ein paar Wochen krank, und der heutige Abend ist sehr wichtig für ihn.“ „In Ordnung, Gary“, sagte sie. „Ich möchte Bill den Abend auch nicht verderben.“ „Ausgezeichnet!“ entgegnete er, verließ das Zimmer und warf krachend die Tür ins Schloß. Das Foyer des großen Filmtheaters, in dem Bill Symans' Film „Der Mond des Jägers“ uraufgeführt werden sollte, war überfüllt. Teurer Schmuck funkelte, die Luft war rauchig und parfümiert, und das erregte Summen vieler Stimmen erhob sich über das sinnliche Rascheln von Seide und Taft. Fay fühlte sich wie betäubt, als sie mit Gary und Bill Symans das Foyer betrat. Sie zuckte zusammen, als eine Blitzlichtlampe direkt vor ihrem Gesicht zu explodieren schien. „Du bist heute abend nervös, mein Schatz“, murmelte Gary. Starr stand sie zwischen Gary und Bill, spürte die Blicke geschminkter Augen auf sich, die an ihren Haaren hängen blieben, die bei Olive Hadley im griechischen Stil frisiert worden waren oder die den weinroten Samt ihres Abendmantels und die Juwelen an ihren Ohren musterten. Als sie den Kopf senkte und sich auf die Lippen biß, schloß sich plötzlich Bills Hand um die ihre. „Versuch dir vorzustellen, daß du im Zoo bist, unter lauter schönen Bestien, die nur deinem Vergnügen dienen sollen. Ich tue das immer, und es hilft mir auch immer. Schau, siehst du dort diese Tigerin in Zitrone und Zobel, gleich wird sie fauchen. Und dort drüben den Urwaldkakadu in Smaragdgrün?“ Fay mußte lachen. „Hinter Gittern wären sie mir lieber“, gestand sie. „Ich fürchte, daß sie mich anspringen und verschlingen könnten.“ Sie lächelte Bill an. Er wirkte sehr müde und erschöpft, und sie empfand sofort Besorgnis. „Geht es dir gut, Bill?“ fragte sie. „Ich fühle mich wieder pudelwohl“, antwortete er, blinzelte ihr jedoch zu und gab ihr damit zu verstehen, daß er wußte, sie nicht täuschen zu können. „Der Mond des Jägers“ war ein psychologischer Thriller, ein schön ausgestatteter, gut gespielter Film, der Fays ungeteiltes Interesse erregt hätte, hätten sich ihre Gedanken nicht beinahe ununterbrochen mit Bill beschäftigt. Seine Augen glänzten wie im Fieber, und als er einmal Fays Arm berührte und eine Bemerkung über den Film machte, brannte seine Haut trocken. Sie beobachtete ihn unauffällig, und als er mitten im Film aufstand und hinausging, wandte sie sich eindringlich an Gary. „Ich glaube, Bill geht es nicht gut“, flüsterte sie. „Er ist eben ins Foyer gegangen.“ Gary erhob sich sofort, und sie gingen beide zu Bill hinaus. Er saß in einem der niedrigen goldenen Sessel, die an den Wänden des Foyers aufgereiht waren, atmete mühsam und sah so geisterhaft bleich aus, daß Gary rasch zu Fay sagte: „Ich hole ein Taxi.“ Er verließ das Filmtheater durch die große Flügeltür und lief an der neugierig starrenden, lärmenden Menge vorüber, die sich versammelt
hatte, um die An und Abfahrt der vielen Stars zu sehen, die dieser Premiere beiwohnten. Neugierige Blicke folgten seiner hochgewachsenen Gestalt. Ein paar Mädchen kicherten und riefen seinen Namen, doch er hörte sie nicht. Er wurde sich nicht einmal ihrer Anwesenheit bewußt. Er sah nur Bill vor sich, der halb ohnmächtig auf dem weinroten Samt von Fays Abendmantel lehnte. Als sie in dem Taxi saßen, sagte Bill bedauernd: „Ich komme mir wie ein richtiger Spielverderber vor. Ihr beide hättet meinetwegen nicht vorzeitig fortzugehen brauchen.“ „Zur Hölle mit dem Film!“ rief Gary und musterte Bill besorgt. In den tiefen Höhlen von Bills Augen glänzte feucht der Schweiß, und seine Nasenflügel waren wachsbleich und gebläht. Belustigung flackerte durch Bills müde Augen, als er Garys besorgtem Blick begegnete. „Du siehst ja ganz aufgeregt aus, Gary, alter Junge“, murmelte er. „Keine Sorge, ich fahre noch nicht ab! Noch nicht jetzt.“ Doch als sie in Bills Wohnung ankamen, ging Gary sofort ans Telefon und rief den Arzt an. Es war nicht nur Bills Aussehen, das ihn bewog, es war auch die Wachsamkeit von Fays Augen: schließlich war sie voll ausgebildete Krankenschwester, das vergaß er nicht. „Du machst aber verdammt viel Zauber, Gary“, protestierte Bill. „Diese Anfälle habe ich oft. Sie vergehen.“ Doch das Lächeln, mit dem er Fay ansah, als sie ihm den Kragen lockerte und die Krawatte abnahm, glückte ihm nicht ganz. „Wo sind die Medikamente, die du nehmen mußt, wenn du einen Anfall hast, Bill?“ fragte Fay. „Im Bad?“ „Schränkchen. Oberstes Fach!“ keuchte er. Sie lief ins Bad und gerade, als sie nach dem Medikamentenfläschchen im obersten Fach griff, wurde sie plötzlich von einem erschreckenden Schwindelgefühl gepackt. Sie lehnte sich gegen die kalten Wandfliesen, kämpfte gegen ihre Schwäche, indem sie tief und langsam durchatmete. Die weißen Wände des Bades verschwammen dunkel vor ihren Augen, und sie wurde von einer Welle heftiger Übelkeit mitgerissen, war in kalten Schweiß gebadet und – fürchtete sich. Es dauerte ein paar Minuten, bevor sie wieder mit vollem Bewußtsein die glatten, kalten Kacheln unter ihren Händen und das nervöse Rasen ihres Herzens spürte. Mit ausgebreiteten Armen stand sie wie zu Stein erstarrt da, und was sie während einiger Wochen nur vermutet hatte, wurde ihr jetzt zur Gewißheit: Sie erwartete ein Baby! Als sie mit Bills Medizin in das Wohnzimmer zurückkam, war sie zwar blaß, aber wieder völlig gefaßt. Sie bereitete die richtige Dosis für ihn, sah zu, wie er sie trank, und strich ihm fürsorglich das helle Haar aus der verschwitzten Stirn. „Geht es dir ein bißchen besser?“ fragte sie. Er nickte. „Hm, so ist es sehr angenehm!“ Er hob die Hand und drückte die ihre fest an seine Stirn. „Du hast eine so wohltuend kühle Hand, Fay. Kühle Hand, warmes Herz, heißt es nicht so?“ Seine grauen Augen sahen sie an. „Gary ist ein verflixt glücklicher Bursche. Weiß er das auch?“ Sie errötete und war erleichtert, als er seinen Blick Gary zuwandte, der sich, ein Whiskyglas in der Hand, in einem Armsessel räkelte. Sein gutes Aussehen, seine dunkle Kraft standen im krassen Gegensatz zu Bills fiebrigem, zerbrechlichem Äußeren, und Bill, dem das aufzufallen schien, lächelte traurig. „Du siehst so gesund aus, daß es beinahe unanständig wirkt, Gary“, sagte er. „In deiner Gegenwart komme ich mir wie eine schwächliche alte Kutschlampe vor.“ Gary erwiderte Bills Lächeln nicht. Statt dessen sagte er rauh: „Der Herrgott liebt sonderbare Späße, wenn er einen Menschen wie dich mit Schmerz und Krankheit
schlägt und einen wie mich vor Gesundheit strotzen läßt. Ich gäbe meine linke Hand dafür, wenn ich das ändern könnte. Wenn es möglich wäre, würde ich sofort mit dir tauschen.“ „Das ist aber wirklich ein dummes und kindisches Geschwätz, Gary, und du weißt es auch genau“, erwiderte Bill. „Wenn ich nicht verbittert bin, dann hast du erst recht nicht das Recht, es zu sein.“ „Verbittert!“ Garys gutgeschnittenes Gesicht war erstarrt. „Ich bin verbittert.“ Er starrte in das Glas, das seine Hand umklammert hielt. „Die Welt muß ja schlecht sein, wenn alles Gute ihr entrissen wird.“ „Das ist eine harte Philosophie, Gary.“ Bill runzelte die Stirn. „Es ist jedem von uns gegeben, gut oder schlecht, schwach oder stark zu sein, und – Gott nimmt von jeder Art. Bei ihm liegt die letzte Entscheidung aller Dinge, und ich lehne es ab, ihm dreinreden zu wollen. Es gibt bestimmt einen Grund für alles, was er uns gibt oder dem er uns unterwirft. Freu dich deiner Kraft, Gary, sei dankbar für die Sonne, die dein Leben erhellt, und habe Geduld mit den Dunkelheiten.“ Doch Gary schüttelte den Kopf, und sein ernster Blick schweifte zu Fay. „Die Sonne bleibt nur auf der Haut liegen, sie dringt nicht in die Poren ein, das habe ich jedenfalls festgestellt“, murmelte er. „Aber vielleicht weiche ich von der Norm ab, hm?“ Als der Arzt kam, zog Gary Fay beiseite und sagte, sie müsse nach Hause gehen. „Du schaust mitgenommen aus“, sagte er. „Ich bleibe hier, bis es Bill ein bißchen besser geht. Hast du genug Geld für das Taxi bei dir?“ Sie nickte. „Dann geh“, sagte er. „Ich komme nicht allzuspät nach Hause.“ Sie ging die Treppen hinunter und trat an den Rand des Gehsteiges, um einem Taxi zu winken, doch plötzlich hielt ein langer, cremefarbener Cadillac vor ihr, und sie blickte in das lächelnde jungenhafte Gesicht von – Jerry Kaufmann „Hallo, Kindchen!“ sagte er. „Wohin darf ich Sie bringen?“ Erschrocken und unbehaglich starrte Fay ihn an. Gestern abend war er ihr bester Freund gewesen, doch nun, da Gary entschlossen schien, diese Freundschaft falsch auszulegen und darin etwas Unerlaubtes zu sehen, hatte auch Fay plötzlich ein schlechtes Gewissen. „Kommen Sie.“ Jerry machte die Wagentür auf. „Wir haben verschiedenes zu besprechen.“ Fay zögerte. „Woher wissen Sie, daß ich hier bin?“ fragte sie. „Ich war bei Bills Premiere und habe Sie und Gary mit Bill Symans fortgehen sehen. Da bin ich Ihnen gefolgt. Seither habe ich hier darauf gewartet, wenigstens einen kurzen Blick auf Sie werfen zu können.“ Seine Stimme nahm einen vertraulicheren Tonfall an. „Ich habe nicht zu hoffen gewagt, mit Ihnen sprechen zu können.“ „Jerry – ich traue mich nicht, mit Ihnen zu fahren!“ platzte sie heraus. Er sah sie an, und sein Lächeln gefror. „Hat Gary Ihnen auch die Hölle heiß gemacht?“ „Wie meinen Sie das?“ „Er hat mir meine Rolle in ,Corn in the City' genommen.“ Ihre Hand fuhr entsetzt an den Mund. „Nein!“ „Er ist schon ein Schatz, nicht wahr? Glauben Sie jetzt noch immer, nicht mit mir fahren zu dürfen?“ „Doch.“ Sie nickte wie betäubt. Er beugte sich zu ihr herüber und zog sie an der Hand in den Wagen. Als er anfuhr, sagte er: „Ich wollte mich von Ihnen fernhalten, Fay, aber dann habe ich Sie heute abend bei der Premiere gesehen, und – weg waren alle guten Vorsätze.“ Er sah sie betrübt an. „Ich liebe Sie,
Mädchen. Ich liebe Sie seit Wochen!“ Ihre Hände klammerten sich um ihre Handtasche. Unglücklich sah sie ihn an. Sie wußte nicht, was sie sagen sollte. „Das braucht Sie nicht zu beunruhigen!“ Er lächelte wieder ganz wie früher. „Das ist eben mal so. Aber ich will Ihnen trotzdem etwas sagen. Ich bin besser als Gary Marsh. Vielleicht denken Sie mal darüber nach.“ Sie biß sich auf die Lippen. „Es – es tut mir so leid wegen ihrer Filmrolle, Jerry. Hoffentlich sind Sie jetzt nicht arbeitslos?“ Er lachte. „Du meine Güte, nein! Aber es war für mich nicht gerade ein Vergnügen, aus dem Film hinausgefeuert zu werden. Es war eine sehr gute Rolle.“ Dann schwiegen sie, bis er den Wagen in die kreisrunde Zufahrt von Crystal Court lenkte. Aber als der Motor aufhörte zu schnurren, berührte Jerry sanft den Samt von Fays weinrotem Abendmantel. „Hören Sie“, sagte er, „sind Sie mit Gary Marsh wirklich glücklich? Sind Sie es, Fay? Ich muß es wissen.“ Sie wandte das Gesicht ab. Sie spürte seine Hand auf dem Mantelärmel, spürte, wie er liebkosend über den glatten Samt strich. Er war nett; er war freundlich und gütig, aber seine Liebeserklärung bedeutete ihr nicht das geringste. „Selbstverständlich bin ich mit Gary glücklich“, sagte sie vorsichtig. „Ich verstehe ihn. Ich weiß, daß er gefühllos und hart sein kann, aber – ich verstehe ihn.“ „Kleine Närrin!“ flüsterte Jerry, und plötzlich nahm er sie in die Arme und zog sie an sich, doch als er versuchte, sie zu küssen, begann sie, sich zu wehren. Sie entwand sich ihm heftig und mit aller ihr zu Gebote stehenden Kraft. „Nicht! Wagen Sie es ja nicht!“ flüsterte sie nüchtern und hastig. „Ich will Sie nicht, Jerry! Wie können Sie sich unterstehen zu glauben, ich liebte Sie?“ Er ließ sie sofort los. Sein Gesicht verriet, wie gekränkt er war. „Es tut mir leid!“ sagte er und sah ihr zu, wie sie sich mühte, die Wagentür aufzubekommen, und ausstieg. Er sah ihr nach, als sie auf das Haus zuging und durch die Flügeltür verschwand. Er seufzte und ließ sich in den Sitz zurückfallen, als die Tür lautlos vorwärts und rückwärts schwang und ihre schlanke Gestalt seinen Blicken entzog. Ein paar endlos erscheinende Minuten saß er reglos da. Einmal zog er sein Zigarettenetui aus der Tasche, dann steckte er es wieder ein. Plötzlich stieß er die Tür des Wagens auf und ging auf die Flügeltür zu. Als er dreimal an der Wohnungstür klingelte, zuckte Fay nervös zusammen. Sie dachte an Bill und daran, daß Gary ihr vielleicht eine Nachricht über Bill schickte. Aber noch während sie zur Tür lief, kam ihr der Gedanke unsinnig vor. Gary würde telefonieren, er würde seine Zeit nicht damit vergeuden, ihr einen Boten zu schicken. Sie öffnete die Tür und starrte Jerry an. Zorn schlug über ihr zusammen. „Was wollen Sie, Jerry? Wollen Sie mich weiter belästigen?“ fragte sie. Er stemmte die Hand gegen die Tür. „Wir – wir haben einander noch nicht alles gesagt, Fay“, stotterte er drängend, und seine mandelförmigen braunen Augen suchten bittend die ihren. „Wir können uns nicht einfach den Rücken zukehren und zu Fremden werden. Bitte, lassen Sie mich mit Ihnen sprechen!“ Seine Hand drückte stärker gegen die Tür, und er drängte sich an ihr vorbei in die Wohnung. Dann machte er die Tür zu und lehnte sich mit dem Rücken dagegen. „Was ist mit uns geschehen?“ fragte er. „Wir waren Freunde. Was hat Gary gesagt, daß Sie sich so plötzlich gegen mich wenden?“ Sie antwortete nicht, zerrte nervös an einem Chiffontaschentuch und spielte
aufgeregt mit ihrem diamantenbesetzten Ehering. „Ich möchte es wissen, Fay. Ich habe ein Recht, es zu erfahren“, sagte er hartnäckig. „Ist es nicht natürlich, daß Gary sich darüber ärgert, daß Sie mir den Hof machen?“ Sie warf den Kopf zurück und sah ihm in die Augen. „Er ist mein Mann.“ Jerrys lebhafter Mund kräuselte sich verächtlich. „Ach, ja. Aber sehen Sie sich doch einmal im Spiegel an. Blickt Ihnen da etwa die verkörperte Seligkeit, die Sie in der Ehe gefunden haben, entgegen? Oder doch nur ein lilienblasses Gesicht und Augen, die vergessen haben, wie man lächelt?“ Aufmerksamtraurig musterte er sie von oben bis unten. Sie trug ein Kleid aus weicher silbergrauer Wolle mit weinroter Stickerei an Taille und Ausschnitt. Kleine Rubine funkelten an ihren Ohren. „Ich weiß noch, wie Sie damals am Strand aussahen.“ Jerry lächelte. „Sie trugen einen zitronengelben Badeanzug, und Ihr Haar war mit einem zitronengelben Band zurückgebunden. Sie sahen wie ein kleines Mädchen aus. Am liebsten hätte ich Sie auf die Arme genommen und Weggetragen. Vielleicht hätte ich es tun sollen. Ich glaube, damals wären Sie mit mir gegangen.“ Als er von jenem Tag sprach, erinnerte sie sich und lächelte in der Erinnerung. „Vielleicht hätte ich es damals getan, Jerry“, gab sie zu. „Und jetzt ist es zu spät?“ fragte er. Sie nickte müde. „Ich habe Gary geheiratet, obwohl er vielleicht nur ein Spielzeug brauchte. Deshalb ist es allein meine Sache, wenn er mich jetzt so behandelt. Aber ein Ehevertrag ist ein Vertrag, und deshalb werde ich bei ihm bleiben, solange er will.“ Jerry trat auf sie zu und ergriff ihre Hand. Sein Gesicht wirkte grimmig. „Fay, Liebling, Sie sind dazu geschaffen, der Stolz und die Freude eines Mannes zu sein. Sie sind dazu geschaffen, mit einem Mann zu lachen. Sie sind aber nicht dazu geschaffen, in einer Appartementwohnung eingesperrt zu werden wie eine Treibhauspflanze. Kind, ich kann Sie das Lachen wieder lehren! Eine Fahrt mit dem Strandsegler, ein Nachmittag bei einem Baseballspiel. Ich verstehe mich noch darauf und – und du verstehst es auch.“ Seine Augen flehten sie an. „Komm mit mir, Fay! Komm jetzt, bevor es zu spät ist! Bevor dieser Mann den letzten Rest deiner Jugend in dir getötet hat.“ „Ich liebe ihn!“ Sie entzog ihm ihre Hände. Merkwürdig gelassen stand sie vor ihm. Ihre Haltung verwirrte ihn. * „Gary hat dich zu seiner Sklavin gemacht!“ sagte er bitter. „Eines Tages wachst du auf, und dann ist es zu spät, genau wie bei Inez. Er hat sie zerbrochen, er wird mit dir das gleiche tun.“ „Diese Geschichte will ich nicht mehr hören!“ sagte sie schroff. „Welches Recht hast du, Gary herabzusetzen? Bist du besser als er?“ Wachsamkeit trat in seinen Blick. „Was meinst du damit?“ fragte er. „Was hat Gary über mich gesagt?“ „Er – er hat angedeutet, daß dein Ruf nicht besser ist als der seine, wenn du es unbedingt wissen willst.“ „Und was glaubst du? Glaubst du, daß wir – er und ich – einander nichts vorzuwerfen haben?“ fragte Jerry. Sie wandte sich müde ab und schüttelte den Kopf. „Wir reden und reden, und es führt zu nichts. Wir tun uns nur gegenseitig weh. Ich kann dich nicht lieben, Jerry. Gary hat seinen Platz in meinem Herzen in guten und in bösen Tagen. Ich kann ihn nicht daraus verstoßen.“ Sie spürte Jerrys Hand auf ihrer Schulter.
„Es ist – ganz so wie du es sagst – nicht leicht, jemanden aus seinem Herzen zu
verstoßen. Es wird mir auch nicht leichtfallen, es mit dir zu tun.“ Seine Stimme
wurde leiser. „Ich dachte, du hättest mich gern, Fay. Beim Tanzen hast du immer
in meinen Armen gelegen, als seist du glücklich, wirklich glücklich, darin zu sein;
als sei ich für dich ein sicherer Hafen inmitten eines aufkommenden Sturmes.“
In rasch aufwallendem Mitleid wandte sie sich ihm zu, und als er sie in die Arme
schloß, legte sie den Kopf an seine Schulter.
„Ich denke, ich hätte dich viel eher kennenlernen sollen, Jerry“, sagte sie.
„Ich wünschte, du hättest es getan!“ Einen Augenblick preßte er sie
leidenschaftlich an sich. „Fay – Fay, Liebling, laß dir von Gary Marsh nicht weh
tun! Ich fürchte, daß er dir weh, sehr weh tun wird.“
„Jerry, er ist kein Ungeheuer!“ Sie lächelte traurig, befreite sich aus seinen
Armen und berührte sanft seine Wange. „Jetzt geh, Lieber. Es wird spät.“
„Aber was wird aus uns?“ fragte er. „Sind flüchtige Blicke auf Premieren, auf
Partys und in Restaurants alles, was ich in Zukunft von dir haben werde?“
„Es tut mir leid, Jerry. Es tut mir wirklich leid“, sagte sie. Sie wußte nicht, was sie
sonst sagen sollte.
„Nun gut.“ Er zuckte die Schultern. Er ging zur Tür. Dort blieb er stehen und sah
sie an.
„Weißt du bestimmt, daß du nicht den Falschen wegschickst?“ fragte er.
Sie nickte.
„Und doch glaube ich, daß du es tust, Fay“, sagte er. Dann verließ er das
Appartement.
Gary kam spät, aber Fay wartete noch auf ihn. Als er hereinkam, seinen Mantel
auszog und einfach hinwarf, machte er ein finsteres Gesicht, als er sie auf der
Couch liegen sah.
„Warum bist du noch nicht im Bett?“ fragte er.
„Ich war nicht müde“, sagte sie. „Wie geht es Bill? Was hat der Arzt gesagt?“
„Er mußte ins Krankenhaus.“ Gary seufzte, als er auf sie zukam und sie
anblickte. „Er überlebt es nicht, Fay. Er wird nicht wieder herauskommen. Er wird
in diesem Krankenhaus sterben. Er ist dreiunddreißig. Bill hat eben erst zu leben
begonnen und kaum die Hälfte dessen getan, was er hätte tun können. Ein so
guter Kerl – warum geschieht das ausgerechnet ihm?“
„Ich weiß nicht, Gary. Als ich noch Krankenschwester war, habe ich solche Fälle
wieder und wieder erlebt, und mein Grauen darüber hat nie nachgelassen. Ich
weiß auch genau, was du empfindest, Gary. Daß man nichts dagegen tun, daß
man es nicht aufhalten kann, ist so niederdrückend. Man ist so schrecklich hilf
und machtlos, nicht wahr?“
Er nickte.
Sie stand auf und berührte seinen Arm. „Willst du noch eine Tasse Kaffee?“
fragte sie.
Er sah sie ruhig an. „Ja, bitte.“
Sie ging in die Küche hinaus, brühte den Kaffee, und als sie das Tablett ins
Wohnzimmer brachte, stand Gary am Fenster und starrte in die Nacht hinaus. Er
sah sehr groß und breit aus.
Fay beobachtete ihn und wunderte sich wieder einmal über seine vielschichtige
Natur. Erst heute abend hatte sie erfahren, daß er aus Bosheit Jerry Kaufmann
die Rolle in „Corn in the City“ weggenommen hatte – und nun stand er da und
war voller Mitleid für Bill.
Er drehte sich um und kam zu ihr, nahm sie in die Arme und warf sich mit ihr auf
die Couch.
„Übrigens“, sagte er, „ich fahre in ein paar Wochen nach England.“
„England?“ Sie starrte ihn an. England! Grüne Felder, auf denen morgens der Nebel lag – gemächlicher Klang der Kirchenglocken am Sonntag – das warme Klirren von Teetassen durch offene Fenster. Aber er hatte gesagt: „Ich fahre nach England.“ Er hatte nicht gesagt: „Wir fahren…“ „Sobald ,Corn in the City' im Kasten ist, fliege ich.“ Er nahm einen Schluck aus der Tasse. „K. C. möchte Shakespeares ,Raub der Lukrezia' verfilmen, und ich muß zugeben, daß ich davon angetan bin. Es ist ein kompliziertes, kunstgeschichtliches Thema, aber wenn wir es richtig anpacken, wird es ein großer Erfolg.“ Seine Augen glänzten. „Ich muß nach StratfordonAvon, wo ich versuchen werde, einen bestimmten englischen Schauspieler zu überreden, den Tarquin zu spielen.“ „Wie steht es mit der Kritik, Gary?“ fragte Fay. „Es ist, wie du schon gesagt hast, eine knifflige Geschichte.“ „Da liegt der Haken“, gestand Gary. „Aber Karl Christbel kann sich den Verlust leisten, wenn der Film sich als Verlustgeschäft erweist. Ich werde dann die künstlerische Genugtuung haben, Regisseur eines teuren finanziellen Mißerfolgs gewesen zu sein. Es ist komisch, aber Shakespeare wirkt sich nie allzugut auf die Kinokassen aus, obwohl die sinnliche Freude bei ihm durchaus nicht zu kurz kommt. Und weißt du warum? Weil die meisten Menschen Narren sind. Weil sie auf ein gutes, ehrliches, sinnliches Wort so empfindlich reagieren wie Mimosen. Wenn die Menschen ehrlich wären, müßten sie zugeben, daß sie genauso empfinden wie Shakespeare, nur, daß sie alles mit dem hochtrabenden Begriff ,Liebe' verbrämen. Sex und sinnlicher Rausch sollen hübsch in alberne Liebeserklärungen verpackt werden. Der große, starke Filmheld muß seine Gespielin zwar in den Busch schleppen, aber wenn er hinterher nicht sagt: ,Ich liebe dich, Liebling', wird die Szene herausgeschnitten. Denn Kritiker und Publikum fallen ja sonst in Ohnmacht. O diese verlogene Welt!“ „Gary, gehört es denn aber nicht zur menschlichen Natur, gerade die Liebe hübsch verpackt zu mögen?“ fragte Fay leise. „Ein Mädchen in Samt und Seide, ein Geburtstagsgeschenk in bunter Schachtel, Wein in geschliffenen Pokalen – das Leben wäre so stumpf wie ein Messerrücken ohne ein bißchen Prunk. Das weißt du doch auch, Gary!“ Er starrte sie an und warf den Kopf zurück. „Direkt aufs Kinn – toll! Du hast vielleicht einen Schlag, Schatz!“ Mitten in sein Lachen fragte sie: „Warum hast du Jerry Kaufmann die Rolle in ,Corn in the City' weggenommen?“ Er hörte sofort auf zu lachen. „Das weißt du also?“ „Ich habe Jerry heute abend gesehen.“ „Und wie lautet seine Version der Geschichte? Daß ich ihn hinausgeworfen habe, weil er hinter dir her ist?“ Röte brannte ihr in den Wangen. „Ich stelle mir vor, du hast es aus purer Bosheit getan!“ „Welch reizende Meinung du von mir hast, Fay! Es wundert mich nur, wie du es erträgst, mit mir in ein und demselben Zimmer zu sitzen.“ Sie wandte das Gesicht ab und biß sich auf die Lippen. „Die Wahrheit ist“, fuhr er fort, „daß Jerry Kaufmann und ich nicht zusammen arbeiten können, es hätte den Film verdorben. Bosheit war dabei nicht im Spiel, Fay, und du kannst mir glauben, daß ich nicht anfangen werde, in meine Kaffeetasse zu weinen, wenn du mir nicht glaubst.“ Er trank seine Tasse leer und genoß dabei den Anblick der zarten Linie ihres Profils. Er sah, wie ihre Brust sich schneller als sonst hob und senkte.
„Sag mal, Fay“, fragte er plötzlich, „hast du eigentlich aufgehört, mich zu lieben?“ Langsam wandte sie ihm den Kopf wieder zu. „Wenn es dir Spaß macht, mir die Flügel zu beschneiden, dann tu's Gary“, murmelte sie. „Ist es Schuldbewußtsein oder Märtyrertum, was dich bewegt, mir dieses seltsame Angebot zu machen?“ fragte er. Sie starrte ihn an. „Ich frage mich nur, warum ich dich liebe“, flüsterte sie. „Du bist so hart, Gary, nicht wahr? So leidenschaftlich und doch ohne Liebe.“ „Wenn du es sagst“, antwortete er. Er packte ihre Hände, und seine Finger umschlossen ihre Gelenke wie Eisenklammern. Mit einem Ruck zog er sie an sich, so daß sie quer über seine Brust fiel. Bevor sie sich ihm entziehen konnte, preßte er sie so fest an sich, daß sie sich ihm wehrlos ergab. „Tut mir leid“, sagte er nach einer Weile, „daß ich nicht der Ritter in schimmernder Rüstung sein kann, den du dir zu wünschen scheinst. Aber ich bin so gut, wie ich eben sein kann.“ Er verzog die Lippen. „Ich bin zu dir netter als – als zu den meisten Leuten.“ Sie blickte ihm in die Augen, über denen sich die dichten Brauen wölbten, und sie spürte den starken Schlag seines Herzens. In diesem Augenblick wurde sie sich wieder bewußt, daß sie ein Kind von ihm trug. Sie fragte sich, wie er reagieren würde, wenn sie es ihm auf der Stelle sagte. Wäre er zärtlich zu ihr, oder geriete er aus der Fassung? „Was denkst du gerade?“ fragte er plötzlich. „Nichts.“ Sie versuchte, sich ihm zu entziehen. „Ich bin müde, Gary. Laß mich zu Bett gehen.“ „Was ist los? Fürchtest du, ich wollte dir meine Leidenschaft noch einmal aufdrängen? Oder – oder sind dir meine Zärtlichkeiten weniger erregend, seit – seit Jerry Kaufmann dich mit den seinen beglückt hat?“ „Du bist abscheulich!“ Weiß im Gesicht, versuchte sie wild, sich aus seinen Armen zu befreien. „Laß mich los!“ „Verdammt will ich sein, wenn ich das tue!“ Plötzlich war sein Gesicht abstoßend, grausam. „Ich habe dir zuerst etwas zu sagen. Solange du dich unter meinem Dach befindest, wirst du dich von Jerry Kaufmann endgültig fernhalten, verstanden? Du bist meine Frau, und du wirst tun, was ich sage. Einmal hast du mich beschuldigt, dich gekauft zu haben. Nun schön, Fay, ich habe dich also gekauft! Ich habe deine Zuneigung gekauft, und solange es mich freut, werde ich diese Zuneigung genießen – aber nur ich allein! Und wann es mir paßt!“ Plötzlich drehte er sie in seinen Armen um und zwang ihren Kopf in die Kissen der Couch. Seine Lippen preßten sich leidenschaftlich auf ihren Hals, und sie lag völlig teilnahmslos da, wie betäubt. „Ist das Unterwerfung oder mangelndes Interesse?“ begehrte er auf. „Wie kannst du glauben, daß – daß ich von Jerry irgendwas will? Wie kannst du das glauben?“ „Ich habe wie du das Recht, zu glauben, was ich will“, antwortete er und zog ihr den Reißverschluß herunter… Am nächsten Tag suchte Fay Dr. Lorrester auf, der ihr bestätigte, daß sie ein Kind erwartete. Der Arzt war ein junger bulliger Mann, der sie über seinen Schreibtisch hinweg mit freundlichen, fragenden Augen ansah. „Was beunruhigt Sie, Mrs. Marsh?“ fragte er mit weicher, bedächtiger Stimme, die mit seiner Gestalt unvereinbar schien. „Kinder können viel Spaß machen, wissen Sie. Ich selbst habe drei.“
„Drei!“ Fay starrte ihn erstaunt an. Er lachte. „Wenn man jung anfängt, wachsen sie mit einem auf“, sagte er. „Es ist die einzige Möglichkeit, daß sie sich nicht eines Tages einbilden, ihre Eltern seien altersschwach und senil, nur weil sie ,Pa' und ,Ma' sagen müssen.“ Er wurde ernst. „Als ich Ihnen vorhin bestätigte, daß Sie in anderen Umständen sind, haben Ihre Augen aufgeleuchtet. Warum sehen Sie jetzt so traurig aus?“ Er stützte seinen Ellenbogen auf den Schreibtisch. „Haben Sie Angst, daß Ihr Mann das Baby nicht haben will? Ich weiß, daß viele Männer so reagieren. Sie fürchten, vernachlässigt zu werden und daß von da an nur noch das Baby gestreichelt und liebkost wird – ist es das, was Ihnen Sorgen macht, Mrs. Marsh?“ Mit den Fingernägeln klopfte sie gegen das Leder ihrer Handtasche. Wenn es so einfach wäre, dachte sie. „Ich glaube, das ist es, was mir Sorgen macht“, murmelte sie. „Nun“, sagte er, „gehen Sie nur heim, und seien Sie so nett zu ihrem Mann, daß er glaubt, er hätte Geburtstag. Und sagen Sie ihm das mit dem Kind. Er wird dann ununterbrochen Kinder von Ihnen wollen.“ Vorsichtig fügte er hinzu: „Ich muß Ihnen allerdings noch etwas sagen, will aber nicht, daß Sie sich einbilden, Sie wären krank, oder daß sonst etwas nicht mit Ihnen in Ordnung ist, Mrs. Marsh. Es ist einfach so, daß es Frauen gibt, die ein Dutzend Kinder zur Welt bringen können, und es ihnen so leicht fällt wie Kuchenbacken. Aber andere – .“ „Sie meinen, daß ich höchstens ein Kind –?“ unterbrach Fay ihn ruhig. „Leider“, gab er zu. „Sie müssen sich in acht nehmen und auf sich aufpassen. Ein vernünftiges Maß an Bewegung, aber übertreiben Sie nicht. Ein bißchen tanzen wird nicht schaden. Aber Bälle, die bis Mitternacht dauern, kommen nicht mehr in Frage, und größere Reisen müssen Sie sich ebenfalls aus dem Kopf schlagen. Viele Frauen können all diese Dinge auch während der Schwangerschaft, aber Sie dürfen es nicht.“ Fay sah ihn bestürzt an. Er lächelte sofort und schüttelte den Kopf. „Sie müssen sich nur ein bißchen vorsehen, besonders während der ersten Monate. Ich möchte, daß Sie mich regelmäßig aufsuchen.“ Fay verließ wie betäubt die Praxis. Vielleicht war es ganz gut, daß Gary sie nicht gebeten hatte, mit ihm nach England zu fliegen – keine weiten, anstrengenden Reisen! Aber tat das Schicksal damit nicht wirklich alles, sie von Gary zu trennen? Drei Wochen später starb Bill Symans. Obwohl Fay und Gary es erwartet hatten, war es ein Schock für sie. Mit Dutzenden anderer Menschen nahmen sie an der Beerdigung teil. Man hatte ihn geliebt, und Fay sah mit Staunen, daß attraktive und reiche Frauen und Männer, die aussahen, als hätten sie keine einzige Träne, zusammenbrachen und weinten, als der Sarg in die Erde gesenkt wurde. Während der Beerdigung blieb Gary ruhig, doch nachdem sie in ihre Wohnung zurückgekehrt waren, zerbrach seine Teilnahmslosigkeit. Er sagte kein Wort zu Fay, er ließ sie allein. Er schloß sich mit einer Flasche Whisky im Gästezimmer ein und trank bis zur Bewußtlosigkeit. Gegen neun Uhr ging sie zu ihm. Er lag quer über dem Bett, das Haar unordentlich, die Krawatte gelockert, sein Jackett auf dem Fußboden zusammengeknüllt. Fay setzte sich auf den Rand des Bettes, hob seinen Kopf und drückte ihn an sich. Sie roch den Whisky in seinem Atem, empfand jedoch keinen Ekel. Als er mit unverständlichem Murmeln das Gesicht an sie preßte und sich an sie
klammerte, legte sie die Wange auf sein Haar und wiegte ihn sanft hin und her.
„Ich weiß, was du empfindest“, flüsterte sie. „Es tut weh, einen Menschen zu
verlieren, den man geliebt hat. Diese Trostlosigkeit – ich weiß, Gary.“
So blieben sie lange. Dann löste er sich mit einem Seufzer von ihr. Seine Augen
waren verquollen und vom Trinken blutunterlaufen.
„Ich werde froh sein, wenn ich von hier fortkomme“, sagte er mit belegter
Stimme. „Ich kann unsere Abreise kaum mehr erwarten.“
Sie starrte zu ihm hinunter. „Du – du willst, daß ich dich begleite?“
„Selbstverständlich kommst du mit. Hast du geglaubt, ich ließe dich ganz allein in
dieser verdammten Stadt? So gemein bin ich nicht.“
„Ach so.“ Fay erhob sich nachdenklich. Dr. Lorrester hatte zu ihr gesagt: keine
weiten Reisen. Aber nun war Gary in großer seelischer Not. Ganz sicher brauchte
er sie jetzt so dringend, daß alle anderen Stimmen schweigen mußten. Zum
erstenmal, seit sie sich kannten, brauchte Gary sie wirklich, glaubte Fay.
Wenn sie ihm allerdings sagte, daß sie ein Kind erwartete?
Aber sie konnte es ihm nicht sagen. Er wollte, daß sie ihn begleitete, und sie
konnte sich nicht weigern.
7. KAPITEL Ein paar Tage vor ihrer Abreise suchte Fay noch einmal Dr. Lorrester auf. Sie teilte ihm mit, daß sie verreisen, wollte. Sie betonte, wie tief der Tod Bill Symans ihren Mann getroffen hätte. „Ich kann ihn nicht allein fahren lassen“, sagte sie. „Sie gefährden Ihr Kind, Mrs. Marsh“, warnte er. „Oh, aber wir werden fliegen.“ Ihre Augen flehten um sein Verständnis. „Es ist doch keine so lange Reise.“ – „Wenn Sie meinen Rat annehmen, bleiben Sie besser zu Hause in Hollywood“, sagte Dr. Lorrester ernst. Aber sie schüttelte den Kopf. „Gary kommt zuerst“, sagte sie. Fay betrachtete die Wasserspiele im Avon. Zu ihrer Linken spiegelte sich das Shakespeare Memorial Theatre im klaren Wasser des Sees. Doch Fay spürte im Augenblick nur den kalten englischen Wind, der am Seeufer entlangstrich, und Blätter um ihre Füße wirbelte. Sie fröstelte, verkroch sich tiefer in ihren Mantel und stellte den Pelzkragen auf. Wie lange blieb Gary nur fort? Als er ihr vorgeschlagen hatte, einen Rundgang durch die Stadt zu machen, statt an seiner Konferenz teilzunehmen, die in einem Hotel stattfand, hatte sie begeistert zugestimmt. Aber die Konferenz, an der verschiedene Fachleute teilnahmen, die sich für den Shakespearefilm interessierten, den K. C. produzieren wollte, dauerte jetzt schon zwei Stunden, und Fay begann zu frieren. Sie nahm ihr Zigarettenetui aus der Tasche und zündete sich eine an. Die Kälteschauer, die im Abstand von Sekunden immer wieder ihren Körper durchrieselten, machten sie nervös. Sie hatte das Gefühl, daß ihre Beine sie nicht mehr tragen und unter ihr nachgeben wollten. Sie nahm einen tiefen Zug und hustete leicht, als der Rauch ihr im Hals kratzte. Es war März. März in England, mit Wolken, die wie weiße Schaumbälle über den launischen Himmel trieben mit scharfer, kalter Luft, die Fay nach den Monaten im warmen Klima von Hollywood viel kälter empfand als früher. Der Wind trieb ihr Strähnen ihres rotbraunen Haares in die Stirn. Sie hörte nicht die leisen Schritte, die sich ihr von hinten näherten: Erst als eine wohlbekannte Stimme ihr zuflüsterte: „Ich kenne eine Teestube ganz in der Nähe, in der die Kuchen Kunstwerke und der Tee purer Nektar sind“, war sie so erschrocken, daß sie sekundenlang nichts anderes als dastehen und in die warmen mandelförmigen Augen von Jerry Kaufmann starren konnte. „Wie ist es, Fay“, fragte er, „gehen wir zusammen hin?“ „Jerry! Du!“ Er machte eine Verbeugung vor ihr. „Kein anderer, meine Königin.“ „O Jerry, du Narr!“ Sie lachte und berührte seinen Arm, als wollte sie sich davon überzeugen, daß er kein Geist wäre. „Was machst du denn hier in England, und was führt dich ausgerechnet hierher?“ Er lachte. „Ich besichtige die Wunder von StratfordonAvon und atme ein wenig seine berühmte, klassische Luft. Warum auch nicht?“ Seine Augen, die auf ihrem Gesicht ruhten, drückten Zuneigung aus. „Himmel, wie gut es mir tut, dich wiederzusehen!“ „O Jerry!“ Sie lachte atemlos. „Ich war eben noch so schrecklich niedergeschlagen – und da tauchst du auf!“ „Wie ein falscher Fünfziger?“ fragte er neckend. „Nein! O nein.“ Sie packte ihn am Arm. „Ich könnte mich über nichts mehr freuen, als daß du hier bist. Aber was tust du in England, Jerry?“ „Komm mit in den Teeraum, dann erzähl' ich's dir“, sagte er.
„Ich – ich weiß nicht, ob ich das so ohne weiteres kann, Jerry. Ich warte auf
Gary.“
„Wo ist er denn?“
„Bei einer Konferenz. Du weißt ja, wenn Gary anfängt, über Filmvorhaben zu
sprechen, verschwinde ich im Hintergrund!“ Sie machte ein leicht bedrücktes
Gesicht. „Ich glaube, er hat vergessen, daß er mich mitgenommen hat.“
„Und du langweilst dich hier und frierst, wie ich sehe?“
Sie nickte.
Da nahm er sehr entschlossen ihren Arm. „Du kommst mit“, sagte er mit einer
Stimme, die keine Widerrede duldete. „Ich werde dich mit einem soliden
Plumpudding und einem echt englischen Roastbeaf bekanntmachen.
Anschließend trinken wir Tee.“
„Aber du hast Kuchen gesagt?“ wandte sie ein.
„Du brauchst erstmal etwas Herzhaftes für den Magen, Kind.“ Er musterte sie
besorgt. „Was denkt sich der Bursche eigentlich, wenn er dich hier hungrig in der
Kälte stehen läßt?“
Sie nahmen einen sehr ausgiebigen Lunch und dann, beim Tee, erzählte er ihr,
warum er nach England gekommen war.
„Ich habe einen recht guten Vertrag mit der SuviaFilm abgeschlossen“, sagte er.
„Es ist eine europäische Firma. Mir gefallen die Filme, die sie machen, und ich
scheine ihnen zu gefallen. Eine Liebesehe sozusagen. In Hollywood fing man an,
mich in eine Schablone zu pressen, ich bekam immer nur die gleiche Art von
Rollen. Bei der Suvia werde ich zeigen können, was ich kann.“ Er lachte sie über
den Rand der Teetasse an. Dann sagte er plötzlich:
„Weißt du, daß du sogar noch hübscher bist, als ich dich in Erinnerung habe?“
Sie ignorierte das Kompliment. „Aber was machst du ausgerechnet in Stratford?“
fragte sie.
„Ich bin hier, um Gary Marsh die Frau zu stehlen“, erwiderte er.
„Du – du bist was?“
„Du hast richtig gehört, liebe Fay!“
„Bist du närrisch? Ich dachte, du hättest diesen ganzen Unsinn längst
aufgegeben, Jerry.“
„Für mich war es kein Unsinn. Ich liebe dich, Fay, und ich bin fest entschlossen,
dich zu bekommen.“
„Was ich dir in Hollywood gesagt habe, hat seine Gültigkeit, Jerry.“ Sie sah ihn
ernst an. „Warum, glaubst du, hätte ich meine Meinung ändern sollen?“
Er zuckte die Schultern. „Eines Tages wirst du es tun. Der falsche Zauber, mit
dem der Bursche dich behext hat, wird eines Tages seine Kraft verlieren. Ich
möchte in der Nähe sein, wenn es soweit ist, deshalb werde ich von Zeit zu Zeit
neben dir auftauchen, weißt du.“ Er lachte.
Als sie zum Memorial Theatre zurückschlenderten, entdeckten sie Gary. Er ging
vor dem See auf und ab, rauchte und machte ein ungeduldiges Gesicht. Als er
sah, in wessen Begleitung Fay sich befand und wer beim Überqueren der Straße
ihren Arm hielt, schoben sich seine dunklen Brauen zusammen, und sein Blick
wurde stechend.
Er ging auf sie zu. „Wo, zum Teufel, bist du gewesen?“ fuhr er Fay an.
Sie lächelte zu ihm auf und kämpfte gegen die Furcht an, die sie empfand. Er sah
wütend aus, sein Mund war dünn wie ein Messerrücken, seine Nasenflügel
verkniffen.
„Mir war kalt, und ich hatte Hunger, und plötzlich tauchte, wie vom Himmel
gefallen, Jerry auf und lud mich zum Lunch ein“, erklärte sie. Ihre Worte
überstürzten sich geradezu, so war sie bestrebt, ihn zu versöhnen.
„Du hättest ins Hotel kommen können, wenn dir kalt war. Du tust gerade so, als vernachlässigte ich dich absichtlich“, sagte er kurz. Und als ihr das Blut in die Wangen schoß, wandte er sich gereizt an Jerry. „Was tun Sie in Stratford? Wollen Sie endlich ein bißchen Kultur annehmen?“ fragte er sarkastisch. Jerry sah ihn gelassen an. „Ich bin auf einer Rundreise“, sagte er leichthin. „Gestern habe ich Warwick Castle besichtigt. Das ist wirklich sehenswert. Ihr solltet auch hinfahren.“ „Ich fürchte, dazu werden wir keine Zeit haben“, antwortete Gary kalt. „Wir fahren heute abend nach London zurück.“ „Oh, wirklich?“ fiel Fay ein und sah ihn fragend an. „Ich dachte, wir blieben noch ein paar Tage.“ „Wir bleiben eben nicht.“ Gary griff nach ihr und zog sie zu sich herüber. „Verabschiede dich von deinem miesen Spielgefährten. Ich muß nämlich ins Hotel zurück, ein paar Leute anrufen.“ Fay biß sich auf die Lippen. Sie sah Jerry an und stellte fest, daß in seinen Augen noch immer jenes optimistische Lächeln stand. „Auf Wiedersehen, Jerry“, sagte sie warm. „Ich hoffe, daß es dir bei der SuviaFilm gefällt.“ „Bestimmt, Kind“, sagte er vertraut. Nachdem er ihr dabei zugeblinzelt und Gary einen letzten übermütigen Blick zugeworfen hatte, schlenderte er davon, die Hände in den Taschen seines Trenchcoats. Ein sonderbar wehmütiger Schmerz durchrann Fay, als sie ihm nachblickte. Verärgert wandte sie sich an Gary. „Warum mußt du nur immer zu Jerry so unhöflich sein?“ „Warum nimmst du mir meine Unhöflichkeit übel?“ konterte er. „Weil – weil er mein Freund ist Spotte nicht gleich wieder, Gary! Nur weil du ihn nicht leiden kannst, muß es mir doch nicht genauso gehen.“ Er nahm ihren Arm und überquerte mit ihr die Straße. „Du fühlst dich nur geschmeichelt, weil er dir schöne Worte und Augen macht.“ „Er tut nichts dergleichen!“ Ihre Entrüstung war vielleicht nur darum so groß, weil in dem, was Gary gesagt hatte, ein Körnchen Wahrheit steckte. „Er fährt hinter dir her, sogar bis nach England“, wiederholte Gary. „Du mußt wirklich Eindruck auf ihn gemacht haben, Schatz!“ Mit spöttischem Blick sah er auf sie herunter. „Nun, er wird schon noch ein bißchen länger warten müssen. Ich bin noch nicht bereit, dich freizugeben.“ Sie errötete und entzog ihm ihren Arm. „Sei nicht so gemein zu mir, nur weil – weil du bei der Konferenz nicht das erreicht hast, was du wolltest!“ sagte sie. Fay sprach damit eine Vermutung aus, die ihr sofort gekommen war, als sie ihn am Seeufer auf und abgehen gesehen hatte. Obwohl er sich natürlich nicht gerade gefreut haben mochte, sie mit Jerry zu sehen, hatte das ungeduldige, tigerartige Auf und Abgehen eine andere Ursache gehabt Sie kannte ihn so schon von früher. Immer hatte es etwas mit seiner Arbeit zu tun gehabt. Wenn es im Studio nicht so geklappt hatte, wie es sollte, pflegte er zu Hause solange nervös hin und her zu gehen, bis sich sein Zorn abgekühlt hatte. Auch jetzt erwies sich ihre Vermutung als richtig. Mit einer brüsken Entschuldigung nahm er wieder ihren Arm und zog sie eng an sich heran. „Tut mir leid, Fay“, sagte er. „Ich glaube, ich bin wirklich sauer. Dieser verdammte englische Schauspieler, dieser Ralph Brewster, will nicht mitmachen.“ Seine Stimme wurde ätzend. „Er sagt, die Schauspielerei langweile ihn, sie hätte ihn immer gelangweilt, und er hätte erst jetzt seinen wahren Beruf gefunden – er will nur noch Bauer sein. Man möchte es nicht glauben. Der Bursche züchtet lieber Kohl! Dabei hat Karl ihm ein kleines Vermögen für die Rolle geboten…“ Als sie am Abend im Mietwagen nach London zurückfuhren, hatte er sich
Brewsters wegen noch immer nicht beruhigt. Außerdem war er es nicht gewohnt, einen Wagen zu fahren, der rechts gesteuert wurde. Jedes Holpern und jedes Stoßen, das der Wagen machte, verursachte aber auch Fay wieder die leichte Übelkeit, die ihr schon den ganzen Tag zu schaffen gemacht hatte. Sie war beunruhigt. Sie hatte sich daran gewöhnt, am Morgen ein leichtes Unbehagen zu spüren, doch das wurde gewöhnlich besser, wenn sie danach eine Stunde lang auf den Beinen war. Heute jedoch war es den ganzen Tag über nicht vergangen, und hinzu kam noch ein merkwürdiger innerer Schmerz und die Schwäche in den Beinen. Sie lehnte sich in ihrem Sitz zurück, zwang sich, sich zu entspannen und Garys ziemlich gefährliche Fahrweise zu ignorieren. „Du redest so, als sei Ralph Brewster ungefähr der einzige Schauspieler, der diese Rolle spielen könnte, Gary“, sagte sie. „Er ist einer der wenigen“, knurrte Gary. „Er ist eine Persönlichkeit, eine stattliche Erscheinung, hat Erfahrung und Talent. Kombiniert man diese Faktoren, steht einem Kassenerfolg nichts mehr im Wege, das kannst du mir glauben.“ „Nun“, sagte Fay gequält lächelnd, „wenn es das ist, dann spiel die Rolle doch selbst. Du wärest ein ehrfurchterregender Tarquin. Du würdest mühelos eine Million Frauenherzen brechen!“ Gary war nicht zum Scherzen aufgelegt. Er konnte sich nicht damit abfinden, daß er bei Brewster eine Niederlage erlitten hatte. Plötzlich sagte er: „Weißt du, ich will verdammt sein, wenn ich aufgebe! Ich habe große Lust, nach Stratford zurückzufahren und dem Burschen noch einmal die Hölle heiß zu machen!“ „Heute abend?“ Sie starrte ihn bestürzt an. Sie war müde, beunruhigt und fühlte sich krank. Den ganzen Tag war ihr die Warnung von Dr. Lorrester nicht aus dem Sinn gegangen. Sie streckte die Hand aus und berührte Garys Arm. „Können wir nicht irgendwo übernachten und morgen zurückfahren?“ Er sah sie stirnrunzelnd an. „Bist du müde?“ fragte er. Sie nickte. „Hör zu“, sagte er, „wir sind gleich in Thame, wie wäre es, wenn du dort in einem Gasthaus übernachtetest? Ich kann allein zurückfahren, wenn du zu müde bist.“ „Aber ist das denn nötig, Gary?“ protestierte sie. „Du kannst doch bis morgen warten?“ Er hatte den Mund eigensinnig zusammengepreßt. „Ich erledige gern sofort, was ich mir in den Kopf gesetzt habe“, sagte er trocken. „Und ich werde ein Nein von dem Burschen nicht akzeptieren! Ich fahre heute zurück! Du kannst in Thame bleiben oder mit mir fahren. Ganz wie du willst.“ Durch das Stoßen und Rütteln des Wagens völlig erschöpft, bat sie Gary, ein Gasthaus in Thame ausfindig zu machen. Nachdem er sie untergebracht hatte und zur Rückfahrt nach Stratford wieder bereit war, sagte er: „Erwarte mich morgen zum Lunch.“ Er lachte. „Ich vergesse schon nicht, daß ich dich hier zurückgelassen habe.“ Wie sie so dastand und zu ihm aufblickte, wirkte sie tatsächlich verlassen. „Bekomme ich denn keinen Kuß?“ fragte sie. „Willst du denn, daß ich dich küsse?“ Seine Augen blickten sie fragend an. Und sie wußte plötzlich, daß er – obwohl ihn das Problem Ralph Brewster den ganzen Nachmittag beschäftigt hatte – Jerry Kaufmanns plötzliches Erscheinen nicht vergessen hatte. Sie sah ihm sein neu erwachtes Mißtrauen an. „Selbstverständlich will ich einen Kuß von dir“, sagte sie leise. „Es ist nicht deine Art, mich darum zu bitten“, erwiderte er. „Weil ich es gewöhnlich nicht zu tun brauche“, sagte sie.
Da zog er sie an sich, nahm sie fest in die Arme, und als er sich über sie neigte,
legte sie die Arme um seinen Hals und schmiegte sich an ihn.
Die Kraft und die Innigkeit des Kusses, den sie in dem altenglischen, düsteren
Zimmer tauschten, verwirrte Fay. Sie legte den Kopf an seine Schulter, und seine
Arme schlossen sich fest um sie.
„Du hast mich geküßt, als müßte ich geradewegs in den Krieg“, murmelte er und
versuchte, leichthin zu sprechen.
Sie trat von ihm zurück und sah, eine sonderbare Furcht im Blick, zu ihm auf. Sie
hätte am liebsten gesagt: „Fahr nicht, Gary! Bleib bei mir.“ Aber sie unterdrückte
ihre Bewegtheit.
„Fehlt dir was, Fay?“ fragte er, weil ihm plötzlich ihre Blässe, ihr erschöpftes
Aussehen auffiel. „Fühlst du dich nicht wohl?“ Er berührte ihre Wange und spürte,
wie kalt sie war.
„Ich bin müde, das ist alles“, versicherte sie. „Fahr du nur ruhig zu deinem
Brewster.“
„Soll ich – wirklich?“ fragte er.
Sie nickte.
„Geh bald zu Bett, Schatz“, sagte er eindringlich, streichelte ihr über das Haar
und ging.
Fay ging in die Gaststube hinunter, um noch etwas zu essen.
Der Wirt zeigte Besorgnis darüber, daß sie allein saß. „Um diese Zeit haben wir
nur sehr wenige Gäste, die über Nacht bleiben.“
„Machen Sie sich meinetwegen keine Gedanken“, sagte sie, „ich bin völlig
zufrieden.“
Doch er ließ sich nicht beschwichtigen. „Wäre es Ihnen recht, in Gesellschaft
eines jungen Herrn aus Amerika zu speisen? Der Gast wird sicherlich gleich
herunterkommen –?“
Fay wurde nervös. „Der – der junge Herr Amerikaner heißt doch nicht etwa Mr.
Kaufmann?“ fragte sie. Und noch bevor der Wirt nicken konnte, wußte Fay, daß
der kein anderer sein konnte als Jerry Kaufmann.
„Sie – Sie kennen den Herrn?“ staunte der Wirt.
„Mr. Kaufmann und ich sind alte Freunde. Wir waren beide in Stratford und
haben die Stadt besichtigt…“
„Es ist dort nicht mehr wie früher“, erwiderte der Wirt. „Der Touristenrummel hat
die Stadt verdorben.“
Fay machte es sich auf der ledergepolsterten Bank in der Nähe des Kamins
bequem, in dem ein helles Feuer prasselte, und blätterte in einer Zeitschrift. Das
Feuer wärmte angenehm ihre Beine, die Stille des Gasthauses wirkte beruhigend
auf ihre Nerven, und sie war nicht mehr so entsetzlich müde, als die Tür
aufgerissen wurde und das Pfeifen auf Jerry Kaufmanns Lippen erstarb.
„Ich bin es, Jerry, wahrhaftig, nicht etwa mein Geist“, sagte sie lächelnd.
„Wo – wo ist Gary?“ fragte er, wobei er sich umblickte, als erwarte er, Gary
hinter einem der großen geschnitzten Stühle oder hinter einem Vorhang
versteckt zu finden.
„Gary hat mich hier abgeladen wie ein Paket und ist nach Stratford
zurückgefahren.“
Jerry starrte sie an. „Was gibt es denn plötzlich so Interessantes in Stratford?“
„Ralph Brewster. Gary möchte ihn unter Vertrag nehmen, aber er will nicht. Und
du weißt, daß Gary keine Ruhe geben wird, bevor er nicht erreicht hat, was er
will.“
„Das ist nur allzuwahr.“ Jerry schien nachzudenken. „Trinken wir etwas?
Tomatensaft, hm?“
„Gern, Jerry“, stimmte sie zu.
Er setzte sich neben sie auf die Bank, und als sie das Glas an die Lippen setzte
und trank, spürte sie, wie er sie musterte. Seine offene Bewunderung machte sie
verlegen, und sie fragte rasch:
„Du hast mir nicht gesagt, wieso du plötzlich hier bist.“
„Ich hatte eine Panne.“ Er lachte sie an. „Ich habe nicht schlecht geflucht, als es
passierte, aber jetzt segne ich die gebrochene Achse.“
Er schien trotzdem nachdenklich. „Reden wir lieber von dir, Fay. Warum bist du
so gar nicht mehr das magere kleine Ding von früher?“
Die Frage nahm ihr den Atem, und dann errötete sie. Gary hatte die Veränderung
ihrer Figur nicht bemerkt. Aber Jerry, der sie ein paar Wochen nicht gesehen
hatte, war sie aufgefallen, und es war typisch für ihn, darüber offen zu sprechen.
Er bemerkte ihr rasches Erröten, sah sie langsam wieder blaß werden und –
schien zu begreifen.
„Ich hab's gleich“, sagte er.
„Ob du richtig rätst?“
„Gary hat, wie mir scheint, Glück auf der ganzen Linie!“ sagte Jerry. „Macht ihn
die Aussicht, Vater zu werden, froh?“
„Er weiß es noch nicht.“
Jerry machte ein erstauntes Gesicht. „Hebst du dir die Neuigkeit für seinen
Geburtstag auf?“
Ihre Augen wichen ihm aus.
„Was ist los, Kind? Stehen die Dinge nicht zum besten?“
Doch statt seine Frage zu beantworten, stellte sie eine andere. „Hast du Inez
Holden gekannt, Jerry?“
Er nickte. „Tja, ich habe Inez gekannt. Warum fragst du?“
Nervös drehte sie ihr Glas zwischen den Händen. „Ich frage mich manchmal, ob
Gary noch an sie denkt.“
„Du glaubst, daß er sie vielleicht auf dem Gewissen hat und ihretwegen keine
Ruhe findet?“ Jerrys Gesicht war plötzlich hart. „Eigentlich müßte es so sein.“
„Erzähle mir, wie das war, Jerry.“ Fay griff nach seinem Arm. „Ich muß genau
wissen, was Gary dem Mädchen angetan hat, daß sie keinen Ausweg mehr
wußte.“
„Du meinst, sie – sie hätte Selbstmord verübt?“
Fay nickte, und ihre Augen wichen nicht von seinem Gesicht.
„Ich habe für Gary Marsh nicht viel übrig“, sagte er, „aber dich habe ich gern,
Fay. Ich habe dich gern genug, um das zu sagen, was ich vor drei Jahren nicht
sagen wollte, als man den Tod von Inez Holden als Selbstmord erklärte.“ Er hielt
ihrem Blick stand. „Inez hat nicht Selbstmord begangen.“
„Woher – woher, mein Gott, weißt du das?“
„Weil ich dabei war, als – als sie starb.“
Er straffte sich und steckte sich eine Zigarette an.
„Inez und ich waren schon befreundet, bevor sie Gary überhaupt kannte.“ Er
sprach ruhig und völlig leidenschaftslos. „Ich war nicht in sie verliebt, aber ich
hatte sie gern. Dann lernte sie Gary bei einer Party kennen. Kurz darauf
verlobten sie sich. Er wollte unbedingt sofort heiraten, doch sie wollte auf jeden
Fall zum Film und sich dort zuerst einen Namen machen.“
Jerry zuckte die Schultern und nahm einen tiefen Zug aus der Zigarette.
„Der Jammer war, daß sie zwar schön, aber keine Schauspielerin war. Gary muß
dennoch vernarrt in sie gewesen sein, denn er überredete Karl Christbel, sie
unter Vertrag zu nehmen. Er gab ihr sogar eine Rolle in einem Film, bei dem er
Regie führte. Er hieß ,Leise, zärtliche Liebe'. Doch von dem Augenblick an, in
dem Inez mit diesem Film zu tun bekam, ging alles drunter und drüber. Sie wirkte wie ein böser Geist. Die weibliche Hauptdarstellerin bekam eine Virusinfektion, eine ganze Spule bereits entwickelten Films mußte neugedreht werden, und ein Projektionsraum und ein Teil der kostspieligen Dekorationen gingen in Flammen auf. Inez hatte es nur Garys Einfluß beim alten Christbel zu verdanken, daß sie nicht hinausgeworfen wurde, denn K. C. ist ein abergläubischer Bursche und hatte sich eingeredet, alles Unheil käme von Inez. Deshalb begann er sie zu hassen. So kam es, daß aus Inez, der schlechten Schauspielerin, eine noch miserablere wurde. Casey Anderson, der die männliche Hauptrolle spielte, sagte Gary, es gäbe nur eine Möglichkeit: Inez oder er. Einer von ihnen müsse gehen, für beide sei kein Platz in diesem Film. Es war nicht so, daß Casey etwas gegen ihr schlechtes Spiel einzuwenden hatte. Er tat es vielmehr, weil Inez seine unanständigen Annäherungsversuche nicht mochte und sie ihm das vor versammelter Mannschaft sagte. Auf Casey aber mußte Rücksicht genommen werden, das wußte Gary. Er füllte damals die Kinokassen.“ Jerry seufzte leicht, während er Fays gespanntes Gesicht musterte, und nahm den Faden seiner Geschichte wieder auf. „Also sagte Gary zu Inez ohne Umschweife, daß sie nie mehr sein würde als ein Stückchen hübscher Dekoration. Ich weiß nicht, warum er es ihr so brutal sagen mußte, doch Gary ist nicht der Mann, der sich lange mit für ihn unangenehmen Dingen abgibt. Er sagte ihr, daß er sich nicht fünf Minuten lang mit ihr abgegeben hätte, wenn sie nicht seinen Ring trüge. Da warf Inez ihm den Ring ins Gesicht und Gary – zertrat ihn mit dem Absatz.“ Jerry zündete sich eine zweite Zigarette an. „Ich erfuhr das am selben Tag, als ich Inez in einer Bar traf. Ihr war alles egal, und sie trank eine ganze Menge. Ich versuchte nicht, sie davon abzuhalten. Sie mußte trinken, sie hatte es nötig. Ich habe es selbst manchmal nötig gehabt. Als wir die Bar verließen, glich sie einer funkensprühenden Fackel. Ich ging mit ihr, als sie mir vorschlug, sie in ihr Appartement zu begleiten.“ Er lächelte Fay an. „Sie war schön. Sie war auch Gary Marshs Mädchen, den ich nicht mochte. Habe ihn nie gemocht, weißt du. Vielleicht, weil ihm alles zufliegt und er alles mühelos erreicht. Ich hasse ihn auch, weil er anderen Leuten rücksichtslos auf die Zehen tritt, ohne sich darum zu scheren. Inez und ich hauten jedenfalls mächtig auf die Pauke, und dann schien sie, ganz plötzlich, wieder zu sich zu kommen. Eines Abends waren wir im Kino, und als wir das Filmtheater verließen, sagte sie impulsiv und auf einmal ganz ernst, sie ginge zu Gary. Sie wollte ihn bitten, sie wieder zurückzunehmen. Das Leben ohne ihn sei für sie die Hölle. Ich fuhr sie zu seiner Wohnung und wartete.“ Jerry blickte Fay in die geweiteten Augen. „Inez weinte, als sie endlich wieder aus dem Haus kam. Ich saß auf der gegenüberliegenden Straßenseite in meinem Wagen. Ich sah genau, was passierte. Sie trat vom Bürgersteig auf die Straße, um zu mir zu kommen – und lief einem Tankwagen vor die Räder. Bei der Leichenschau gab Gary offen zu, Inez hinausgeworfen zu haben. Der Fahrer des Wagens sagte aus, sie sei ihm absichtlich unter die Räder gelaufen, und ich war nicht in der Stimmung, seiner Aussage zuwidersprechen. Ich pflichtete ihm bei.“ „Und man nannte es einen Selbstmord, in den Gary sie getrieben haben soll!“ sagte Fay ruhig. „Warum hast du ihm das angetan, Jerry? Warum?“ „Weil sie ihm ihre Liebe darbrachte und ihren gebrochenen Stolz und er ihr beides vor die Füße warf.“ Fay zitterte, ihre ineinanderverschlungenen Hände waren eiskalt. „Gary ist stolz“,
flüsterte sie.
„Er ist durch und durch verhärtet.“ Jerry berührte leicht ihre Hände. „Wieso liebst
du ihn, Fay? Warum liebst du einen Mann, der nicht einen Funken von Mitgefühl
oder Herzenswärme hat?“
„Ich weiß nicht – ich weiß es nicht, Jerry.“
„Ich – ich, Fay“, sagte er leise, „ich nehme dich auch so – auch jetzt noch, wenn
du mit mir gehen würdest…“
Sie schüttelte den Kopf. „Laß mich allein, Jerry“, bat sie. „Bitte, laß mich allein.“
Er stand auf und warf den Rest seiner Zigarette ins Feuer. „Nun gut, Kind. Ich
gehe vorläufig, aber wir werden uns wiedersehen – es ist uns bestimmt, daß wir
uns wiedersehen.“
„Wirklich, Jerry?“ Sie betrachtete forschend sein Gesicht, als wollte sie sich jede
Einzelheit einprägen.
„Ich danke dir, daß du mir die Wahrheit über Inez Holden erzählt hast, Jerry“,
sagte sie leise.
„Ich würde dir die Welt zu Füßen legen, wenn du – mich lieben könntest, Fay! –
Ich – ich fahre morgen in aller Frühe, also sage ich jetzt auf Wiedersehen, Fay,
liebe Fay!“
„Auf Wiedersehen, Jerry.“
Fay starrte lange in die Flammen des Kamins. Gary glaubte also, er hätte ein
Mädchen in den Tod getrieben – Tag und Nacht lebte er in diesem Bewußtsein.
War es das, was ihn manchmal so besessen machte, dann wieder bedrückte,
beunruhigte, aufbrausen ließ?
Sie sehnte sich nach ihrem Bett, nach Wärme. Als sie aufstand, stieß sie mit dem
Fuß gegen etwas und entdeckte, als sie hinunterblickte, Jerrys schweres
goldenes Zigarettenetui auf dem Fußboden. Sie bückte sich und hob es auf.
8. KAPITEL Am nächsten Morgen erwachte Fay wie zerschlagen, sie fühlte sich krank.
Mühsam schleppte sie sich in den Schankraum und ließ sich von der Wirtin einen
starken Orangentee und Toast auf ihr Zimmer bringen.
Sie legte sich wieder in ihr Bett zurück und starrte zu der schrägen Decke hinauf.
Sie atmete langsam und tief, um gegen ihre Übelkeit anzukämpfen. Sie sehnte
sich nach Gary, in seinen Armen zu liegen und bei ihm Erleichterung zu finden…
Zahlreiche schwankende Bilder zogen durch den sonderbaren Traum, den sie
hatte. Vorherrschend war die breite und ernste Gestalt von Dr. Lorrester. Sie
hörte seine bedächtige und entschiedene Stimme deutlich sagen: „Befürchten
Sie, das Baby könnte ihm unerwünscht sein? Ist das Ihr Kummer?“ Dann: „Sie
bringen Ihr Kind in Gefahr! Sie bringen Ihr Kind in Gefahr!“
Unruhig drehte sie sich um, versuchte, diese Stimme, diese Worte loszuwerden.
Worüber sprach er denn? Wer wollte ihr Baby nicht? Sie versuchte, sich zu
erinnern – sie wollte sich um jeden Preis erinnern. Jemand mußte es ihr sagen!
Wer würde es ihr sagen können? Sie lief durch einen weißen Flur, in dem – hinter
einer Tür – Stimmen zu hören waren.
Sie versuchte, sie aufzustoßen, doch sie gab nicht nach, sie öffnete sich nicht.
Sie hämmerte und klopfte an die Tür. Sie schrie: „Laßt mich hinein! Ich will nicht
hier draußen bleiben! Ich fürchte mich! Ich habe Angst. Laßt mich hinein! Bitte,
laßt mich hinein!“
Aber die Tür blieb verschlossen, fest und unbeweglich, und als ihr Kopf gegen die
Tür fiel, brachen die Stimmen dahinter in spöttisches Gelächter aus. Sie zitterte
am ganzen Körper, sie hielt sich die Ohren zu. „Laßt mich hinein!“ flehte sie.
„Laßt mich hinein, bevor es zu spät ist!“ Aber die Tür blieb verschlossen…
Der Traum verblaßte, ihr Schlaf wurde ruhiger. Als sie endlich erwachte, sah sie
Garys dunkles Gesicht über sich geneigt.
Er musterte sie prüfend. Dann schob er das Federbett von ihrem Körper.
Verblüfft sah sie ihn an.
„Was hast du, Gary? Bist du böse?“
Sein Mund wurde schmal, während er sie mit den Augen vom Kopf bis zu den
Füßen abtastete. „Ich bin nicht von gestern!“ sagte er. „Angenommen, das Kind
ist von mir, warum erfahre ich erst von einer wildfremden Wirtin, wie es um dich
steht?“
„Angenommen?“ Fay starrte ihn an. Sie sah, wie er etwas von dem
Nachttischchen aufnahm und damit zu spielen begann. Es war das Zigarettenetui,
das sie am vergangenen Abend dorthin gelegt hatte, das goldene Etui mit dem
eingravierten Monogramm J. K.
„Jerrys Etui!“ sagte sie leise. Eine Erklärung fiel ihr nicht ein.
„Ist es ein Trost für dich, meine Liebe? Bringt es dir zärtliche Erinnerungen
zurück, weil du es bei dir haben mußt, wenn du schläfst?“ erkundigte Gary sich,
und seine Stimme klang drohend.
Nervös, bestürzt erwiderte sie seinen Blick. Sie begriff einfach nicht, wovon er
sprach. „Ich verstehe dich nicht, Gary“, sagte sie. „Was ist denn los?“ Schüchtern
legte sie ihm die Hand auf den Arm, doch er schüttelte sie ab.
„Ich frage dich, was dieses verdammte Zigarettenetui von Jerry Kaufmann hier
zu suchen hat?“ Seine Worte schnitten wie Messer in ihr Fleisch, und sie zuckte
zusammen.
„Er hat es verloren – gestern abend...“
„Er hat was?“
„Er war hier.“ Sie sprach ruhig, wollte ihm alles erklären. „Sein Wagen hatte eine
Panne, und er mußte hier übernachten...“ „Den Teufel mußte er!“ Gary stand auf, wie ein Turm ragte er vor ihr, die halbnackt auf dem Bettlaken lag. „Was du doch für ein Glück hast, meine Liebe!“ höhnte er. „Hast du es denn auch richtig genossen?“ Tränen schossen ihr in die Augen. Sie wandte den Kopf ab. „Was sagst du da? Weißt du überhaupt, was du da sagst?“ flüsterte sie. Als Antwort schleuderte er das goldene Zigarettenetui neben sie auf das Bett. „Hier ist dein Talisman, Schatz“, sagte er. „Heb ihn auf, los! Er wird dich trösten und deine Tränen trocknen.“ Sie zitterte heftig. Was machte Gary so grausam? Wie war es möglich, daß sie diesen Mann liebte, der glaubte, ein anderer Mann hätte sein Spielzeug an sich genommen. Er liebte sie nicht, und doch schien er von Eifersucht zerfressen. Plötzlich war sie voll Haß gegen ihn. „Glaub, was du willst, Gary!“ sagte sie leise. Tief in ihrem Herzen verwundet tastete sie sich aus dem Bett – und fiel – fiel in einen tödlichen Abgrund, fiel und fiel, und kam doch auf dem Grund des schwarzen Schachtes nie an. Kräftige Hände fingen sie auf, hoben sie hoch, und alles in ihr erstarb. Am selben Nachmittag verlor Fay im „Cottage Hospital“, in der Nähe von Thame, ihr Kind. Und in einer Qual, wie er sie nie vorher erlebt hatte, schritt Gary im Wartezimmer auf und ab und verfluchte sich und sein Temperament, das ihn dazu getrieben hatte, Fay so entsetzliche Dinge zu sagen. Wie hatte er nur andeuten können, daß Jerry Kaufmann – ihm wurde übel, wenn er daran dachte. Tief erschüttert starrte er das rote Linoleum auf dem Fußboden an, bis es in seinem Gehirn zu tanzen schien und es mit rotem Nebel überflutete – in das sich Fays jammervolle Hilflosigkeit in jenem trübseligen Gasthauszimmer wie mit einem Meißel eingegraben hatte. Sie schien zu sterben, als er sie aufgefangen hatte – die letzte Spur von Farbe war aus ihrem Gesicht gewichen, die letzte Spur von Wärme aus ihrem Körper. Er hatte geglaubt, sie sei tot. „Fünfzehn Minuten, mehr nicht“, sagte die junge Schwester, die plötzlich vor ihm stand und die Tür öffnete, hinter der Fay, nur Augen und Backenknochen, mit in der Decke verkrampften Händen still lag. Sie sah ihn an und wunderte sich, warum ihr Herz nicht, wie früher, raste, warum sein Anblick nicht ihren Puls beschleunigte und ihre Augen erfreute. Sie wunderte sich, weil sie das Gefühl hatte, innerlich tot zu sein. Es war, als wäre alles Gefühl aus ihr herausgeflossen wie aus einer Wunde, als wäre ihr Herz mit dem Kind gestorben. „Es tut mir leid“, sagte er leise. „Warum sollte es dir leid tun?“ fragte sie mit einer Stimme, die ebenso gefühllos war wie sie selbst. „Das Baby hat mir allein gehört, nicht wahr? Ich weiß nicht, wie ich allein dazu gekommen bin, aber es muß so gewesen sein, denn auf keinen Fall bin ich so dazu gekommen, wie du es gestern gesagt hast.“ Er zuckte zusammen und umklammerte mit beiden Händen das Bett. „Du kannst mich nicht mehr verachten, als ich mich selbst verachte, Fay“, sagte er beinahe leidenschaftlich. Ihr Gesicht war müde und uninteressiert. „Ich wünschte, ich könnte dich verachten, Gary“, sagte sie. „Alles wäre besser als diese entsetzliche Leere in mir, weil ich für dich nichts mehr empfinden kann.“ „Wie meinst du das?“ Seine Hände umklammerten das Stahlrohr des Bettes noch fester, und seine Augen blickten starr in die ihren. „Was sagst du da, Fay?“
„Ich sehe dich an und empfinde nichts, Gary, gar nichts“, erwiderte sie ruhig. Er kam zu ihr herum, setzte sich in den Sessel, der neben ihrem Bettstand, und nahm ihre Linke, die so still auf der Decke lag, in die seine. Sie fühlte sich sehr klein und feinknochig an. „Ich kann verstehen, daß du verbittert bist, Fay“, sagte er. „Aber eine Kugel im Herzen könnte mich nicht mehr schmerzen, als dich sagen zu hören, daß du mich nicht mehr liebst.“ „Aber Gary, was ist schon Liebe?“ wiederholte sie mit einem halben Lächeln seine eigenen Worte. „Dumme Sentimentalität, nicht wahr? Ein Windstoß, der in der einen Minute hier, in der nächsten verweht ist. Du hast so recht gehabt, als du das sagtest. Ich habe dich von der ersten Stunde an geliebt, aber eine einzige Minute hat genügt, meine Liebe zu töten.“ Sie hörte auf zu sprechen, und er bewegte ihre Hand hin und her und betrachtete den Ehering, der an ihrem Finger sprühte und glänzte. „Fay“, er umklammerte ihre Hand fester, „ich will dich nicht verlieren!“ Sie hörte ihn. Sie fragte sich, warum sie ungerührt blieb. Sie hatte oft darum gebetet, ihn diese Worte einmal sagen zu hören. Jetzt, da er sie ausgesprochen hatte, empfand sie nichts. Keine Freude. Kein Glück. „Fay“, seine Augen flehten sie an, „ich werde es nicht zulassen, daß Jerry Kaufmann die Ursache einer Verstimmung zwischen uns ist.“ Müde schüttelte sie den Kopf. „Das hat nichts mit Jerry zu tun – obwohl er derjenige war, der sagte, du müßtest mich verzaubert haben. Jetzt ist der Zauber gebrochen. Ich bin frei. Ich möchte frei bleiben.“ Jetzt stiegen ihr Tränen in die Augen. „Laß mich gehen! Laß mich gehen!“ flüsterte sie. „Wohin denn?“ Er dreht ihr Gesicht wieder sanft herum. „Du kannst doch nicht meinen, daß du von mir fort willst – das kannst du doch nicht, mein Herz?“ „O ja – o ja! Ich – ich hätte diese Reise gar nicht machen sollen. Der Arzt hatte abgeraten. Er hatte mich gewarnt. Ich hätte auf ihn hören sollen – wenn ich auf ihn gehört hätte, hätte ich wenigstens mein Kind behalten.“ „Ich kann nur nicht begreifen, warum du mir nichts von dem Baby gesagt hast, Fay. Hatte ich nicht das Recht, es zu erfahren?“ „Ich – ich glaubte, du wolltest es nicht haben.“ Völlig gefühllos und zu müde, sich darum zu kümmern, ob sie ihm weh tat oder nicht, sprach sie die trostlose Wahrheit aus. Gary war verletzt. „Besten Dank!“ sagte er. „Du mußt ja eine ziemlich miserable Meinung von mir haben, Fay!“ Er sprach mit Schmerz in der Stimme, der sie – gestern noch – ohne Zweifel dazu bewogen hätte, in seine Arme zurückzukehren. Gestern, gestern hatte sie ihn noch geliebt… „Es ist besser, wenn Sie jetzt gehen, Mr. Marsh“, sagte die hereintretende Schwester ruhig. „Ihre Frau ist noch immer schwach. Sie braucht Ruhe.“ Er nickte und sah Fay mit offenen Augen an. Die Dinge, die sie ihm gesagt hatte, schmerzten, doch die Art, wie sie ihn ansah, als wäre er ein Fremder, schmerzte noch mehr. Er beugte sich über sie, küßte sie auf die Wange und spürte ihre Tränen auf den Lippen. „Wir sprechen morgen weiter“, sagte er, „morgen wird alles wieder besser sein.“ Sie antwortete nicht auf seinen Abschiedsgruß. Als er am nächsten Morgen wiederkam, war sie ruhiger geworden. Sie lächelte ihn sogar, wenn auch zurückhaltend, an, als er das Zimmer betrat, sich an ihr Bett setzte und ihre leblose Hand in die seine nahm.
„Hör mir zu“, sagte er. „Nun, da Brewster eingewilligt hat, die Rolle zu spielen –
ich habe ihn dazu überredet, weißt du – , werden wir mit der Produktion beginnen. Mit Außenaufnahmen in Spanien. Willst du mit nach Spanien kommen?“ Sie schüttelte den Kopf. Er sah sie bestürzt an. „Ich verstehe dich nicht“, sagte er barsch. „Spanien ist ein sonniges, schönes Land, aufregend, romantisch – es wird dir gefallen. Was willst du allein in England oder Amerika machen?“ „Ich werde wieder als Krankenschwester arbeiten“, antwortete sie. Sein Mund wurde schmal. „Benimmst du dich so kindisch, weil ich etwas im Zorn zu dir gesagt habe? Nun, ich habe mich dafür entschuldigt. Was muß ich noch tun? Auf den Knien zu dir gekrochen kommen?“ „Nein, Gary“, sagte sie. Ihre Stimme klang ruhig und fest. Sie sah ganz ruhig aus und schien zu wissen, was sie wollte, und – warum sie es wollte. „Ich will dir keine Lehre erteilen oder mich kindisch benehmen, Gary. Ich habe meinen Stolz wiedergefunden, das ist alles. Ich kann – ich will nicht mehr Spielzeug deiner Launen sein, nicht mehr deine kleine Ankleidepuppe. Ich will mich nicht mehr zu einem Spaziergang in den Park schicken oder mir sagen lassen, was ich anziehen soll. Ich will nicht mehr gelaufen kommen, wenn du mit den Fingern schnippst.“ Ihre Augen ruhten fest auf seinem Gesicht, in ihnen war keine Spur von Trotz. „Ich fahre nicht mit dir nach Spanien, Gary.“ Und dann tat sie etwas, was ihm zeigte, wie vollständig sie sich von ihm gelöst hatte. Sie entzog ihm die Hand, nahm den Ehering vom Finger und hielt ihn ihm hin. Er saß da und starrte sie an, sein Gesicht war dunkel vor Zorn, seine Miene hart wie Granit. Sie erwiderte seinen Blick ganz ohne Bestürzung. Sie nahm seine Hand, drehte sie mit der Fläche nach oben, ließ den Ring hineinfallen und schloß seine Finger über dem teuren Funkeln und der Bedeutungslosigkeit, zu der es herabgesunken war. Ihre Augen verrieten nicht den Jubel, den sie empfand, doch er rann warm und üppig durch ihr Blut. Sie hatte Gary aus ihrem Herzen verstoßen, hatte ihm die Tür ihres Herzens verschlossen – ihm, dem Eindringling. „Hast du keine Angst, daß ich dich zwingen könnte, mich nach Spanien zu begleiten?“ fragte er ruhig. „Du bist noch meine Frau, vergiß das nicht.“ „Das bin ich, Gary, aber du kannst mich nicht mehr vorführen wie bisher“, entgegnete sie. „Du kannst mich nicht zwingen, irgendwohin zu gehen, wohin ich gar nicht will. Du kannst mich nicht an den Haaren zerren“, lächelte sie. „Aber ich weiß einen anderen Weg.“ Sein Blick war plötzlich unverschämt. Er neigte sich über sie und küßte sie unmißverständlich besitzergreifend auf den leicht entblößten Busen. Sie spürte die Wärme und Festigkeit seiner Lippen, sie roch sein Haarwasser, den aromatischen Duft seiner Zigaretten, der ihm anhaftete – doch sein Kuß ließ sie kalt. Als er den Kopf hob, sah sie ihm an, daß die Kälte und Gefühllosigkeit, mit der sie seinen Kuß hingenommen hatte, ihn erschütterte. Er betrachtete forschend ihr Gesicht in den Kissen. „Liebe ist wankelmütig wie ein Mädchen, nicht wahr?“ sagte er zynisch. „Oder habe ich einfach Pech bei der Wahl meiner Frauen?“ „Einfach Pech, schätze ich, Gary.“ Dann klopfte sie ihm auf die Hand, auf jene, die ihren Ehering hielt. „Übrigens – Inez Holden hat nicht Selbstmord verübt, Gary. Hast du das gewußt?“ „Ja, ich habe es gewußt.“ Er lächelte. „Sie war zu selbstsüchtig, um ihre Schönheit absichtlich unter einen Tankwagen zu werfen.“ Fay zuckte bei diesen Worten zusammen. Gary sah es, stand unvermittelt auf
und steckte ihren Ehering in die Tasche. „Gut, Fay“, sagte er, „da du es willst, daß ich aus deinem Leben verschwinde, gehe ich.“ Fay ließ ihn ungerührt gehen. Sie weinte nicht mehr, nicht einmal mehr um das Kind, das sie ihm geopfert hatte. Ihr war, als hätte sie mit der Vergangenheit nichts mehr gemein; nichts mehr gemein mit jenen Gefühlen, die sie einmal bewegt hatten: als Schmerz sich mit Lust gepaart hatten, als Haß und Liebe Hand in Hand gegangen waren. Gary hatte ihr eine Wohnung in London gemietet, doch sie bewohnte sie kaum drei Wochen, nachdem er nach Spanien abgereist war. Ihr kam die Idee, Dr. Lorrester mitzuteilen, daß sie ihr Kind verloren hätte. Sie hatte den Arzt gemocht. Er war warmherzig, freundlich und mitfühlend gewesen, und sie befand sich jetzt in dem Stadium der Rekonvaleszenz, in dem sie den Wunsch hatte, mit einem Menschen zu sprechen, wenn es auch nur durch das unpersönliche Medium eines Briefwechsels war. Sie schrieb ihm, daß sie wieder als Krankenschwester arbeiten wollte. Und Dr. Lorrester schrieb zurück: „Ich denke, es könnte Ihnen Freude machen, im AnitaHillHospital – hier nahe Hollywood – zu arbeiten. Sie kennen das Krankenhaus, soviel ich weiß, denn Sie haben mir einmal erzählt, daß ein Freund Ihres Mannes dort gestorben ist. Vielleicht ist es kein kluger Entschluß, wenn Sie traurige Erinnerungen mit dem Haus verbinden, doch andererseits habe ich das Gefühl, daß Ihr schweres persönliches Problem gerade an dem Ort zu einer zufriedenstellenden Lösung kommen kann. Hier in Hollywood haben Sie Ihre Ehe geführt, nicht in England, deshalb ist hier auch der richtige Ort, um Ihr Herz zu erforschen und herauszufinden, ob Sie nicht etwas wegwerfen, was sie in Wirklichkeit haben möchten.“ Unruhig drehte Fay sich in dieser Nacht von einer Seite auf die andere. Hatte Dr. Lorrester recht? Sie legte die Arme über die Augen und versuchte sich zu erinnern: das AnitaHill Hospital, aus weißem Stein erbaut, mit Terrassen und Orangenbäumen in peinlich gepflegten Gärten und einem modernen Schwesternheim, das nicht weiter als zehn Minuten von den Krankengebäuden entfernt war, das Haus, in dem Bill Symans in aller Stille gestorben war… „Bieten Sie dem Gespenst Ihrer Vergangenheit die Stirne“, hatte Dr. Lorrester geschrieben, „kommen Sie zurück, und erforschen Sie Ihr Herz.“ So kehrte Fay nach Hollywood zurück, wo Dr. Max Lorrester seinen Einfluß darauf verwandte, ihr eine Stellung im „AnitaHill“ zu verschaffen. Fay nahm am gesellschaftlichen Leben des Krankenhauses nur wenig teil, blieb uninteressiert, wenn junge Ärzte, die gern mit ihr ausgegangen wären, ihr den Vorschlag machten, sich mit ihnen zu treffen. Sie wußten, daß sie, obwohl verheiratet, zur Zeit getrennt von ihrem Mann lebte. Sie war in jenen Tagen mit ihrer eigenen Gesellschaft zufrieden, unternahm in ihrer Freizeit lange Spaziergänge und ging gelegentlich zu einer Tasse Kaffee zu Mimi Lorrester, der Frau des Arztes. Dann sah sie eines Tages die Ankündigung eines Filmes von Jerry Kaufmann und sah sich ihn an. Sie saß in der parfümierten Dunkelheit des Kinos, starrte auf die helle, lärmende Leinwand, auf der ein Jerry, den sie nicht kannte, einen entsetzlich fluchenden GI spielte. Er führte Krieg in einem dampfenden Dschungel und starb auf der Bajonettspitze eines grinsenden japanischen Soldaten einen grotesken Tod. Ein Stück großartiger Schauspielkunst, dachte sie wie betäubt – aber es war nicht der heitere, warmherzige Jerry, den sie kannte, Jerry, mit dem sie auf dem warmen silbernen Sand am Strand des Stillen Ozeans viel Spaß gehabt hatte. Jerry – wo mochte er jetzt sein? Der Mai ging in den Juni über, und Anfang Juli
gab es dann eine Periode schwülen, ermüdenden Wetters, mit langen, beinahe tropischen Regentagen, und bald war das Krankenhaus überfüllt. Fay hatte daher ungewöhnlich viel zu tun, ihr blieb keine Zeit zum Schreiben oder zu erforschen, wie ihr Herz zu Gary stand, dieses Herz, das er beinahe gebrochen hatte, und bestürzt erkannte sie eines Morgens, daß es August geworden war. Einer Schwester fiel auf, wie aufmerksam Fay den Kalender studierte. „Wie rasch dieses Jahr vergeht!“ sagte sie. „Im vergangenen Jahr war ich um diese Zeit auf Urlaub. Mein Freund und ich flogen nach Honolulu; wir hatten eine herrliche Zeit.“ Sie lächelte Fay an. „Denken Sie auch an Ihren Urlaub?“ „Ich war nicht im Urlaub.“ Fay lächelte flüchtig. „Ich habe damals eine reiche alte Dame gepflegt, drüben in Casa Röche. Eine Mrs. Laura Marsh, majestätisch und energisch – eine Persönlichkeit, wissen Sie.“ „Mrs. Laura Marsh – in Casa Röche?“ Das Mädchen starrte Fay an. „Komisch.“ Sie nahm die Morgenzeitung zur Hand. „Lesen Sie das“, sagte sie. „Ist das Ihre alte Dame?“ Schnell überflog Fay den Artikel, und eine kalte Hand schien ihr Herz zu umklammern: Das war die alte Mrs. Marsh mit ihrer schroffen Stimme, dem raschen Blick, ihrer großen Liebe zu Della und der Gefühllosigkeit gegen Gary – und sie war tot, war nach einem Herzanfall von Della aufgefunden worden. Fays Haut fühlte sich kalt und gespannt an. Della! Della, dieses hübsche Geschöpf, das von der Liebe der autokratischen alten Dame so abhängig gewesen war. Fays Hand krampfte sich um die Zeitung. Dann eilte sie zum Büro der Oberin. „Sie bitten um Urlaub, obwohl wir so viel zu tun haben?“ Die Oberin blickte ernst. „Drei Tage, Frau Oberin. Es ist ziemlich wichtig.“ „Gut, Sie können vier Tage haben“, sagte die Oberin. „Ich nehme an, es handelt sich um eine Familienangelegenheit?“ „Ja.“ Ihre Hand griff gerade nach der Klingel, als sich die Tür öffnete und die hochgewachsene, rothaarige Gestalt von Will Bronson vor ihr stand. „Ich habe dich vom Fenster aus gesehen, Fay, lieb von dir, daß du gekommen bist.“ Er führte sie in die Halle. „Gary ist hier. Er ist heute früh angekommen.“ „Gary?“ Fay starrte Will an. „Ist – ist er schon wieder in Amerika?“ „Paß auf, Fay“, sagte er, „falls du mit Gary in ehelichen Schwierigkeiten steckst, sage Della nichts davon. Gary hat es nicht getan. Als Della wissen wollte, warum du nicht mit ihm gekommen seist, sagte er, du seist an Grippe erkrankt und könntest nicht reisen. Della ist zur Zeit ziemlich durcheinander. Sie erwartet ein Baby…“ „Ein Baby!“ Fay griff nach Bills Hand und drückte sie. „Wie schön für euch.“ Das Lachen, mit dem er sie ansah, war jungenhaft. „Della hofft, daß das Baby ein Junge wird; ich bin toleranter, ich nehme was kommt.“ „Dann freut Della sich also?“ „Sie war glücklich wie eine Lerche, nur der Tod der alten Mrs. Marsh hat selbstverständlich einen Dämpfer auf alles gesetzt. Sie haben sehr aneinander gehangen.“ Er stieß die Tür zum Salon auf, und Fay betrat den Raum. Gary erhob sich aus einem tiefen Lehnstuhl und sah erschrocken zu ihr herüber. „Fay!“ sagte er. „Fay!“ sagte Della. Es war Della, zu der Fay ging; vor der niedrigen Couch, auf der sie saß, kniete sie hin und legte den Arm um sie. „6 Fay!“ Della schmiegte sich an sie. Dann begann Della zu weinen. Sie weinte
mit der Unbeherrschtheit eines Kindes. „Ich habe sie gefunden, Fay. Sie saß tot
in ihrem Sessel. Ich dachte, sie sei eingeschlafen. Ich habe sie so geliebt… ich
habe sie so geliebt!“
Gary war aufgestanden. Durch die Rauchfahne seiner Zigarette starrte er Fay an.
9. KAPITEL „Wo ist dein Ehering, Fay?“ fragte Della am nächsten Tag bei einem Spaziergang
im Park.
„Mein Ehering?“ Fay biß sich auf die Lippen. „Nun, ich...“
„Du brauchst es nicht zu sagen“, fiel Della ihr ins Wort. „Kein Wort brauchst du
mir zu sagen.“
„Wirklich nicht?“ Fay entzog Della die Hand und wandte sich beinahe verlegen ab,
um von einem in der Nähe stehenden Busch eine Blüte zu pflücken. „Ich hätte
Gary nie heiraten dürfen“, sagte sie. „Aber ich fühlte mich geschmeichelt, weil –
weil er mich haben wollte.“
„Und jetzt“, fragte Della, „was empfindest du jetzt?“
„Ich empfinde gar nichts. Der Zauber ist fort, ich kann jetzt mit Gelassenheit an
ihn denken. Er war für mich der Zauberer, und dann starb der Zauber und – und
mir blieb nichts.“
„Nichts?“ wiederholte Della.
Fay drehte sich zu Della um und ergriff deren Hand.
„Della, du darfst dir wegen Gary und mir keine Sorgen machen. Es ist das beste,
wenn wir getrennt leben.“
„Gary war schon als Kind ein wilder Bursche“, sagte Della. „Unsere alte Grandma
hat ihn nie richtig verstanden. Sie hatte mich lieber, weil ich jünger war und mich
ihr besser anpassen konnte. Hast du gewußt, daß Gary unsere Mutter förmlich
angebetet hat?“
„Nein!“ Fays Augen weiteten sich. „Das habe ich nicht gewußt. Ich hatte den
Eindruck, daß er sie haßte.“
„Das hat er getan, als sie zum zweiten Male heiratete und uns im Stich ließ. Er
war damals zwölf und damit in einem Alter, in dem einen Jungen so etwas tief
verletzt. Es hat ihn verhärtet, sein Vertrauen in alle Frauen getötet und ihn für
alle Zeiten mißtrauisch gemacht. Ich weiß, daß er dir weh getan haben muß, Fay.
Aber – hasse ihn nicht!“
„Ich hasse ihn nicht“, erwiderte Fay.
Am selben Abend sagte Gary während des Diners zu Fay: „Della hat mir gesagt,
daß du am Donnerstag ins Krankenhaus zurück mußt. Ich habe in Hollywood zu
tun, dann könnten wir doch zusammen fahren.“
Aber bevor Fay ihm antworten konnte, mischte Della sich ein: „Laß das
Krankenhaus sein, Fay, und bleib für immer hier! Bitte, Fay!“
Fay lächelte. Sie hatte keinen Einwand gegen seinen Vorschlag, mit ihm zu
fahren. Sie hatte keine Angst mehr vor ihm; sie fand ihn äußerlich kaum
verändert, aber seine Augen blickten ruhiger, es fehlte ihnen der Ausdruck von
Rücksichtslosigkeit. Er hat sich geändert, dachte sie, er hat erkannt, daß sie nicht
mehr sein Eigentum war.
„Mir gefällt die Arbeit im AnitaHill“, sagte Fay. Dann sah sie Gary an. „Mußt du
wirklich am Donnerstag fahren? Ich möchte nicht, daß du es meinetwegen tust,
weißt du.“
„Du meine Güte, nein!“
Als Fay, von Gary begleitet, Abschied von Laurel Bay nahm, hing ein leichter
Dunst über dem Haus, und verwischte seine freundlichen Lichter, als das Taxi
über die Ausfahrt schoß.
„Wirst du zu einer bestimmten Zeit in Hollywood erwartet, Gary?“ fragte Fay.
„Es ist nichts, was sich nicht verschieben ließe. Außer vorbereitenden Arbeiten
für die europäische Erstaufführung von ‚Lukrezia', weiß du.“
„Lukrezia?“ Fay lächelte.
Gary erwiderte dieses Lächeln. „Karl Christbel hat den vollen Titel für ein bißchen
zu lang gehalten, also haben wir ihn gekürzt.“
„Ist es ein guter Film geworden?“
„Ich glaube. Die Außenaufnahmen sind großartig.“
„Gary, was hast du eigentlich mit Jerry Kaufmanns Zigarettenetui gemacht? Es
wäre mir nicht recht, wenn es verlorengegangen wäre.“
„Hast du Jerry denn seither nicht gesehen?“ fragte er.
„Nein.“ Sie setzte sich und zog die Handschuhe aus. „Nein, ich habe Jerry nicht
mehr gesehen.“ Dann lächelte sie. „Das heißt, ich habe vor einiger Zeit einen
Film mit ihm gesehen, aber gesprochen habe ich ihn nicht mehr.“
„Ich habe sein Etui beim Wirt gelassen“, sagte er kurz. „Ich hatte keine Lust, mir
ein Bein auszureißen, um ihm sein Eigentum zurückzugeben.“
„Der Streit, den wir wegen des Zigarettenetuis hatten, war ziemlich unglücklich,
nicht war, Gary?“ Fay blickte ihm kurz in die Augen.
„Unglücklich, meine Liebe?“ sagte Gary und zog ihren Blick wieder auf sein
Gesicht, das von der Sonne Spaniens noch dunkler geworden war.
„Ungeheuerlich ist ein besseres Wort, denke ich. Du hast allen Grund, mich zu
hassen. Ich – ich habe nicht vergessen, daß ich – daß ich dein Kind mit meinen
brutalen Worten getötet habe.“
Sie streckte die Hand aus, als wollte sie seine Worte abwehren. „Nicht, Gary! Das
ist vorbei. Sprechen wir nicht über – über das Baby.“
„Vielleicht hast du recht.“ Er lehnte den Kopf gegen den dunklen Plüsch der
Sitzbank; die Bewegung wirkte sonderbar melancholisch und müde. „Wie gefällt
es dir im Beruf, Fay? Bist du im AnitaHill glücklich?“
„Sehr glücklich“, sagte sie.
„Darüber bin ich froh. Ich möchte, daß du glücklich bist.“
„Ich hatte die Absicht, dir zu schreiben, daß ich wieder in Hollywood bin, aber wir
hatten im Krankenhaus soviel zu tun.“ Sie zuckte die Schultern.
„Ich verstehe schon, Fay.“ Seine Lippen verschoben sich zu einem spöttischen
Lächeln. „Es war dir nicht wichtig genug.“
„Es schien keinen Sinn zu haben, Gary.“ Sie begegnete seinem Blick offen und
ohne Zurückhaltung. „Wir hatten uns alles gesagt – was hätte ich hinzufügen
können?“
„Glaubst du wirklich, daß wir uns alles gesagt haben? Wie soll es zum Beispiel
zwischen uns weitergehen, Fay? Willst du dich von mir scheiden lassen?“
„Nein!“ Ihre Augen blitzten. „Keine Scheidung! Du willst es doch nicht, oder?“
„Überraschenderweise möchte ich das, was du willst“, erwiderte er ruhig. Dann
fügte er hinzu: „Ich vermute, es soll alles so bleiben, wie es jetzt ist. Wir sollen
uns weiterhin als höfliche Fremde begegnen?“
„Ist das nicht der beste Weg?“
„Du bist wirklich glücklich?“ fragte er, statt ihr zu antworten. „Du fühlst dich in
Hollywood nicht einsam?“
Sie schüttelte den Kopf. „Ich habe zwei nette Freunde, Mimi und Max Lorrester.
Du brauchst dir keine Sorgen zu machen oder etwa das Gefühl zu haben, daß du
für mich verantwortlich bist – das möchte ich nicht.“
„Weder das, noch – mich! Nun, ich kann es dir nicht übelnehmen.“
„Gary“, ihre Augen waren sehr ernst, „eines wollen wir zumindest zwischen uns
klären: Ich hasse dich nicht, weil ich dich nicht mehr – nun, ich hasse dich
wirklich nicht. Wirklich nicht!“
„Ich glaube, du behauptest das mit allzu großem Nachdruck“, unterbrach er sie.
„Gary, irgendwie muß es mir gelingen, mich dir verständlich zu machen.“ Sie
fuhr sich mit einer nervösen Geste über das glänzende Haar. „Die Liebe hat mich
zu einem Geschöpf ohne schützende Hülle gemacht. Ich war unsagbar leicht verletzlich. Die Liebe hat mir alles genommen – meine Unabhängigkeit, meine Selbstachtung, mein Selbstvertrauen. Seit ich frei von der Liebe bin, habe ich alles wiedergewonnen. Mir ist eine neue Haut gewachsen.“ Sie hob das Kinn, ihre Augen verrieten Entschlossenheit. „Ich bin jetzt in – in Sicherheit und glücklich.“ Fay, die keine Liebe mehr wollte, die vor der Liebe zurückschreckte, sie, die für die Liebe geschaffen war? Blindlings erhob er sich. „Ich rauche im Gang eine Zigarette.“ Er sprach hastig, rauh, war beinahe schon an der Tür. „Hast du etwas dagegen?“ Sie schüttelte den Kopf und sah ihm nach, als er in den Gang hinaustrat. Gary rauchte und starrte in die neblige Dunkelheit seiner Gedanken. Sollte die trostlose Leere der vergangenen Monate fortdauern, weil er tief genug gesunken war zu glauben, daß Fay ihn betrügen konnte, wie – wie Inez Holden ihn betrogen hatte? Inez – er hatte sie an jenem Abend beinahe erwürgt, als sie zu ihm gekommen war und behauptet hatte, sie liebte ihn noch immer. Seine zornigen Hände hatten ihre Kehle umklammert, doch als er ihr ins Gesicht gesehen hatte, in dieses makellose schöne Gesicht, das für ihn nur noch eine verlogene Maske sein konnte, hatte müder Ekel seinen Zorn verdrängt. Seine Finger hätten sich in den Perlen an ihrem Hals verfangen, jenen Perlen, die er ihr zur Verlobung geschenkt hatte. Als die Kette zerrissen war und die schimmernden Kugeln wie Tränen auf den Teppich niedergeregnet waren, hatte er Inez zur Tür gebracht und aus seinem Leben verstoßen. Er hatte die Tür zugeworfen und sich geschworen, nie wieder auf zwei schöne Frauenaugen hereinzufallen – nie wieder sollte eine Frau für ihn mehr sein als ein Spielzeug. Er hatte sich dieses Versprechen gehalten – hatte es so gut gehalten, daß er das Beste verlor, das je in sein Leben getreten war – Fays Liebe. Fays Liebe, die er getötet hatte; die er mit der Unterstellung, Jerry Kaufmann könnte der Vater ihres Kindes sein, gemordet hatte. Als er zwanzig Minuten später wieder zu Fay hineinging, saß sie noch immer still in ihrer Ecke und blickte aus dem Fenster. Und dann schien sich plötzlich – wie ein Herz, das einen Schlag lang aussetzt – der Rhythmus des Zuges zu verändern. Ein bebendes Erschauern griff unter die Räder, erfaßte dann den ganzen Zugkörper und war schließlich über ihren Köpfen gegenwärtig. Es kam wie ein Blitz, und Fay, die in dieser Sekunde aufblickte, sah Gary – in dem der Instinkt für eine nahe Gefahr genauso primitiv und lebendig war wie sein Jähzorn und seine Leidenschaft – durch das Abteil auf sich zuspringen und die Arme nach ihr ausstrecken. Er deckte ihren Körper mit dem seinen, als in diesem Augenblick der Zug aus den Schienen sprang und die ganze Welt zu einem langen, gräßlichen Schrei berstenden Metalls, brechenden Holzes und splitternden, niederhagelnden Glases wurde. Dunkelheit senkte sich mit schwarzen Schwingen herab; eine wirbelnde, kreisende Ewigkeit aus Dunkelheit, durch die, scheinbar endlos, das hohe und schreckliche Stöhnen von Menschen drang, von Menschen in Schmerz und Entsetzen. Sie konnte nichts sehen. Sie konnte nur fühlen – ungläubig, ohne zu begreifen. In ihrem Kopf schrie unaufhörlich in panischer Angst eine Stimme. „Das war ein Zusammenstoß! Ich muß mich frei machen – ich muß – ich muß! Das war ein Zusammenstoß! Das war ein Zusammenstoß!“ Sie stemmte sich mit den Händen gegen das Gewicht, das so schwer auf ihr lag und sie empfindungslos machte und erdrückte. Sie spürte, daß das Gewicht ein
wenig nachgab, und ihre Hände spürten den Stoff von Garys Jackett. Sie erinnerte sich wieder – durchlebte noch einmal den Augenblick, als sie ihn, aufblickend, auf sich zuspringen sah, das dunkle Gesicht entschlossen in dieser tödlichen Sekunde des Begreifens, daß der Zug in eine Katastrophe hineingerast war. Sie lag zwischen zertrümmertem Holz und Glas, keuchend vor Anstrengung. Ihr Hals war trocken und rauh vom Staub und dem heißen, metallischen Geruch nach Rauch, der über allem zu liegen schien. Nachdem sie ein wenig zu Atem gekommen war, tastete sie sich wieder an Gary heran. Sie hörte seinen heiseren, hohl klingenden, ziehenden Atem, und als sie ihn betastete, betete sie um einen Schimmer von Licht in dieser Dunkelheit, damit sie sehen konnte, wie schwer er verletzt war. Und dann loderte plötzlich irgendwo in dieser Dunkelheit eine Flamme auf und tauchte die Trümmer, die einmal ihr Abteil gewesen waren, in rotes, flackerndes Licht. Fay kniete bei Gary, zerrte an den Trümmern, die auf ihm lagen, schob sie von seinem Rücken weg – und als sie seine linke Seite berührte, war ihre Hand plötzlich naß. In dem hohen tanzenden Licht des Feuers sah sie, daß er merkwürdig verkrümmt dalag. Blut durchweichte den Stoff seines Jacketts, überflutete die Trümmer, auf denen er lag, und sie wandte sich mit einem Mal ganz ruhig der Aufgabe zu, diesen schrecklichen Blutstrom zu stillen. Sie riß den Saum ihres Unterkleides ab, um damit die rote Flut zum Stillstand zu bringen. Fay hielt ihn liebevoll umfangen, strich ihm das schwarze Haar von der Stirn zurück, die mit kaltem Schweiß bedeckt war. Obwohl ihre Beine von Holz und Glassplittern zerschnitten waren, ihr Kleid mit Blut besudelt, und ihr Kopf hämmerte, hätte sie ihn bis in alle Ewigkeit so festgehalten. Er hatte sich schützend auf sie geworfen, um sie vor dem berstenden Metall zu bewahren. Er hatte seinen Körper wie ein Schild über sie gehalten, und in seinen Augen war der Wunsch zu lesen gewesen, sie entweder zu retten oder mit ihr zu sterben. Die Krankenträger kamen, und Gary wurde vorsichtig aus den Trümmern geholt, auf eine Bahre gelegt und zu einem Notarztwagen getragen, wo ein junger Arzt Garys Arm sofort amputierte. Der Krankenwagen hielt vor dem rückwärtigen Eingang des Krankenhauses, und die Männer kamen um den Wagen herum, um Garys Trage herauszuheben. Die Reaktion setzte jetzt ein, und schwankend stand Fay in der keimfreien Helligkeit des Aufnahmeraumes. Der Geruch von Medikamenten stieg ihr in die Nase, und das Murmeln vieler Stimmen drang ihr wie dumpfer Singsang in ihre Ohren. Sie kämpfte gegen die Schwäche, raffte ihre letzte Kraft und Selbstbeherrschung zusammen, als sie auf die Schwester zuging, die sich über Gary beugte, dessen Kraft verstümmelt worden war! Sie stand neben der Trage, als einer der Krankenträger der Schwester einen raschen Bericht von der Amputation gab. Sie hörte den Namen Dr. Ransome und begriff unklar, daß der Mann von jenem ruhigen jungen Arzt sprach, der Garys Arm entfernt, den Stumpf rasch verbunden und sie, als alles vorüber gewesen war, kurz und tröstend angesehen hatte. Als der Krankenträger seinen Bericht beendet hatte, drehte die Schwester sich sofort zum Telefon um. Fay hörte, daß sie die chirurgische Männerabteilung verlangte. „Ich habe eine Amputation in der Aufnahme“, sagte sie rasch, und ihre mitleidigen Augen ruhten auf Fay. „Linker Arm“, sagte die Schwester, „ich schicke ihn sofort hinauf.“
Fay wandte sich müde ab und begab sich ans andere Ende des Raumes, wo noch ein paar Stühle unbesetzt waren. Sie sank auf einen nieder und verschlang fest die Hände ineinander, um sie vom Zittern abzuhalten. „Lieber Gott“, betete sie, „laß Gary nicht sterben! Bitte, laß es nicht zu! Er hat heute genug durchgemacht; nimm ihm nicht seine wunderbare Kraft! Bitte – bitte!“ „Hallo!“ sagte eine ruhige Stimme. Sie blickte auf und sah vor sich das schmale, ernste Gesicht, die ruhigen Augen von Dr. Ransome, der eben mit einem der Krankenwagen eingetroffen war. Sie versuchte zu lächeln, verzog jedoch nur leicht den Mund. „Machen Sie sich nicht krank vor Sorgen“, sagte er eindringlich. „Der junge Mann ist kräftig wie ein Baum. Er wird sich durchbeißen.“ „Es ist mein Mann.“ Der Ausdruck ihrer Augen war in diesem Augenblick unendlich tragisch. Sie erinnerte sich, daß sie Gary eine halbe Stunde vor dem Unglück mitgeteilt hatte, daß sie in der Freiheit von der Liebe das Glück gefunden hätte – in der Freiheit von der Liebe zu ihm. „Er ist mein Mann“, wiederholte sie. Plötzlich nahm der Arzt an ihrer Seite Platz. „Sie wissen nicht, wohin Sie heute gehen sollen, nicht wahr?“ Seine Augen ruhten fest auf ihrem blassen Gesicht. „Ich könnte Sie bei meiner Schwester unterbringen. Sie wohnt nur ein paar Häuserblocks von hier entfernt. Sie wird Sie gern bei sich aufnehmen.“ „Ich will hierbleiben!“ Sie sah ihn wild an. „Ich – er könnte sterben!“ „Er wird nicht sterben.“ Dr. Ransome nahm ihre bebenden Hände in die seinen und versuchte, etwas von seiner Ruhe auf sie zu übertragen. „Wo ist denn all Ihr herrlicher Mut geblieben?“ fragte er. „Sie haben in dem Zugwrack die Schlacht für Ihren Mann gewonnen, wir werden hier den Rest tun. Wir lassen ihn nicht sterben.“ „Aber ich muß bleiben, bis ich es weiß!“ beharrte sie. Er nahm ein Notizbuch aus der Tasche, kritzelte die Anschrift auf ein Blatt, riß es heraus und reichte es ihr. „Ich hoffe, Sie können meine Schrift lesen. Und ich versichere Ihnen, daß Kate, meine Schwester, Sie sehr gern aufnehmen wird. Sie ist es gewöhnt, daß ich ihr gelegentlich jemanden wie Sie schicke. Sie ist ein feiner Kerl.“ Fay hielt das Papier zwischen den Fingern, und es flatterte leicht, weil ihre Hand zitterte. „Sie – Sie sind auch ein feiner Kerl, Doktor“, sagte sie dankbar. „Bei Kate sind Sie gut untergebracht, besser, als wenn Sie die ganze Nacht hier herumsäßen.“ Sie nickte. Zwei Stunden später stieg Fay vor Kate Ransomes Haus aus einem Taxi und drückte schüchtern auf die Klingel. Kate Ransome nahm ihre unerwartete Ankunft völlig gelassen hin, und das half Fay, ihr ungezwungener entgegenzutreten. Sie sah ihrem Bruder sehr ähnlich. Sie war ein bißchen älter, hatte aber das gleiche ernste Gesicht, das ein wenig melancholisch wirkte. Die Art, wie sie Fay in die Diele zog und nur ruhig nickte, bewies; daß sie es gewöhnt war, die „Obdachlosen“ ihres Bruders aufzunehmen. Sie musterte Fay mit einem umfassenden Blick, sah ihre zerrissene Kleidung und sagte: „Sie waren bei dem Zugunglück von Farmers Corner dabei, wie ich sehe. Ich dachte mir schon, daß David den einen oder anderen armen Teufel zu mir schicken würde.“ Sie lächelte. „Ich vermute, Sie könnten ein Bad brauchen, nicht wahr?“ „Oh, das könnte ich!“ sagte Fay dankbar. „Ich fühle mich schrecklich schmutzig.“ Während sie die Treppe zum Bad hinaufstiegen, sagte Kate Ransome: „Haben Sie jemanden im Krankenhaus?“
„Meinen Mann“, sagte Fay ruhig. „Es geht ihm sehr schlecht, aber er wird es schaffen.“ Sie lehnte sich gegen das Geländer, ließ sich plötzlich gehen und weinte. Der Schmerz, der sie packte, war so heftig, daß nicht einmal das Tränenvergießen sie erleichterte. „Ich – ich sollte nicht weinen“, schluchzte sie. „Ich sollte es wirklich nicht tun. Gary wird gesund werden, also sollte ich nicht weinen.“ Warm und mitleidig legte Kate Ransome ihr den Arm um die Schultern. „Weinen Sie nur, soviel Sie wollen“, sagte sie mit fester Stimme. „Wozu hat uns der liebe Gott denn die Tränen gegeben? Sie sind in uns, um bei Gelegenheit vergossen zu werden. Weinen Sie nur ruhig weiter, meine Liebe!“ Wochen später saß Gary, eine Decke über den Knien, auf der Veranda des Krankenhauses, und ein belustigtes Lächeln umspielte seine Lippen, weil die schlanke Schwester Joyce wieder einmal einen Vorwand gefunden hatte, zu ihm zu kommen. Diesmal hatte sie ihm ein Glas geeisten Orangensaft gebracht. „Sind Sie auch bestimmt nicht zu lange in der Sonne?“ fragte sie, strich seine Decke glatt und sah ihn so liebevoll und besorgt an, daß er am liebsten in ein herzliches Lachen ausgebrochen wäre. Er tat es jedoch nicht, denn trotz der großen Leidenschaft, in die sie zu ihm ganz offensichtlich entbrannt war, war sie ein reizendes Mädchen und eine großartige Pflegerin. Sie waren alle großartig, diese Schwestern, obwohl sie ihm Anlaß gaben, sich mitunter wie ein Scheich mit einem besonders liebevollen Harem vorzukommen. „Wissen Sie was“, sagte er, „Sie können mir eine Haarbürste bringen.“ Er grinste sie an. „Ich möchte hübsch sein, wenn meine Frau kommt!“ Sie war auf Fay schrecklich eifersüchtig. Sie brachte es nie übers Herz, Fay mit großer Begeisterung zu begrüßen, und sie tat es auch jetzt nicht, als sie hinter sich im Raum ihre raschen, leichten Schritte hörte und sie auf die Veranda treten sah. „Guten Tag, Mrs. Marsh“, sagte sie steif. Fay mußte unwillkürlich lächeln, als sie auf Gary zuging. „Mir tut das arme Ding leid“, sagte sie. „Es hat sie wirklich schlimm erwischt. Du bist eine öffentliche Gefahr, Gary. Es war schon schlimm, als du noch beide Arme hattest, aber seit du nur einen hast, ist es noch schlimmer geworden.“ Schlank, in einem kühlen marineblauen Kostüm mit einem frischen weißen Kragen, lehnte sie an der Balustrade. Auf ihrem Hinterkopf saß ein kleiner marineblauer Hut, und ihre Füße steckten in Schuhen aus marineblauem Wildleder. „Du siehst jetzt schon viel besser aus, Gary“, sagte sie. Es stimmte auch. Obwohl sein Gesicht noch von den Spuren kaum überstandener Krankheit gezeichnet war, war es unter der Sonnenbräune nicht mehr so erschreckend bleich, verschwunden war außerdem der Ausdruck von Erschöpfung um seine Augen. Er hatte sich von der schweren Verletzung mit bemerkenswerter Schnelligkeit erholt, fand sie. Ihre Augen blieben an seinem festgesteckten Ärmel haften, und wieder spürte sie den nun schon vertrauten Stich in der Herzgegend. Er hatte den Verlust seines Armes viel kühler aufgenommen als sie… In einem Kleid, das sie sich von Kate Ransome geliehen hatte, war sie an seinem Bett gesessen und hatte darauf gewartet, daß er erwachte. Die ersten Worte, die er an sie gerichtet hatte, als er langsam aus der Betäubung erwachte, die ihn lange Stunden umfangen hatte, waren bezeichnend für ihn gewesen: „Ich habe ein verdammt komisches Gefühl – als befände ich mich auf einem Floß.“ Seine Augen, von Medikamenten verschleiert, hatten die ihren
gesucht. „Bist du in Ordnung?“ hatte er gefragt. Sie hatte genickt. Sie hatte nicht sprechen können, die Kehle war ihr wie zugeschnürt. Am liebsten wäre sie neben seinem Bett auf die Knie gefallen, hätte das Gesicht in die Kissen vergraben und geheult wie ein Kind. „Warum bin ich hier?“ hatte er gefragt. „Was, zum Teufel, habe ich hier zu suchen?“ Er hatte die Augen durch den Raum schweifen lassen. Sie hatten Bestürzung verraten, er hatte versucht, sich zu erinnern, hatte sich angestrengt, den Nebel zu durchdringen, den die zahlreichen Drogen in seinem Hirn erzeugt hatten. Langsam wandte er die Augen nach links, wo der Schmerz saß, den er spürte, ein leichter, aber vorhandener Schmerz, unwirklich und doch wirklich. In diesem Augenblick erinnerte er sich, erkannte er Fay – der Nebel war dünner geworden. Seine Augen wären zu ihrem Gesicht zurückgekehrt, aus dem alle Farbe gewichen war. Fragend hatten sie sich in die ihren gesenkt und dort die schreckliche Wahrheit gelesen: „Sie haben dir den Arm abgenommen!“ Er hatte gestöhnt. Dann war er dagelegen und hatte die traurige Tatsache zu verarbeiten begonnen. Sie hatte gewartet, ihn beobachtet, hatte gesehen, wie seine Lippen sich bewegten und hatte sich über ihn gebeugt, um zu hören, was er sagte: „Es – es hätte mein Kopf sein können!“ Dann waren ihm die dunklen Augen zugefallen, und er war wieder in den Schlaf der Erschöpfung gesunken.
10. KAPITEL Er hatte den Verlust seines Armes mit derselben unerschütterlichen Kühle aufgenommen, mit der er den Sprung getan hatte, durch den er ihn verlor. Als nach ungefähr einer Woche seine Kraft und sein bissiger Humor wiederzukehren begannen, scherzte er mit den Schwestern darüber. Und sie verliebten sich, eine wie die andere, in sein gutes Aussehen und in die Haltung, mit der er es trug, verstümmelt zu sein. Sie hatten es sich angewöhnt, täglich ein paarmal bei ihm hineinzuschauen und mit ihm zu scherzen und zu lachen. Sie nannten ihn den „Piraten“ und beneideten Fay offen. Sie kam jeden Tag. Kate Ransome hatte darauf bestanden, sie bei sich zu behalten, und Fay war dankbar und froh auf den Vorschlag eingegangen. Die Nachricht, daß Gary Marsh bei dem Zugunglück schwer verletzt worden war, hatte rasch die Runde durch alle Zeitungen gemacht, und Fay fand sich plötzlich damit beschäftigt, die Anrufe zu beantworten, für Telegramme „… mit den besten Genesungswünschen“ zu danken, und sie tat es mit einer ruhigen Selbstsicherheit, die sie überraschte. Ein Ferngespräch war von Thalia van Deen gekommen, und Fay hatte sich an Gary gewandt und gefragt, was sie auf Thalias Bitte um ein paar Worte für ihre Kolumne sagen sollte. „Sag ihr, sie soll sich meinetwegen im Grand Canyon verirren“, erwiderte er lässig, „oder, noch besser, sie soll zur Hölle gehen!“ „Thalia“, hatte Fay ins Telefon gesagt und über den Ausdruck des Widerwillens auf Garys Gesicht gelächelt, „Gary sagt, es sei sehr nett von Ihnen, anzurufen. Es geht ihm schon viel besser. Was er dazu sagt? Oh, er hat gesagt, es hätte sein Kopf sein können…“ Als sie endlich aufgelegt hatte, hatte Gary gesagt: „Warum mußt du nur immer so liebenswürdig zu allen Leuten sein, besonders zu jemandem wie ihr?“ „Es kostet nichts, Gary“, war ihre Antwort gewesen. Er hatte sie forschend angesehen. „Du bist viel zu gut für diese Welt“, hatte er entgegnet. Das war während der ganzen Wochen im Krankenhaus die einzige persönliche Bemerkung, die er ihr gegenüber gemacht hatte. Jetzt sagte sie, während sie sich bückte und einen Fussel von ihrem marineblauen Wildlederschuh wegnahm: „Ich wette, du kannst es bis zum Samstag nicht mehr erwarten, nicht wahr, Gary? Ich habe mich riesig gefreut, als Doktor Ransome sagte, du würdest entlassen.“ „Sicher freue ich mich“, sagte er, runzelte jedoch plötzlich die Brauen und blickte von ihr fort hinaus in den Krankenhausgarten, wo Schwestern in weißen Kitteln im Sonnenschein spazierengingen. „Ich weiß, es wird dir leid tun, deinen Harem verlassen zu müssen“, lachte sie. Dann legte sie ihm die Hand auf die Schulter. „Was gibt es, Gary?“ fragte sie. „Oh, nichts“, sagte er. „Ich vermute, ich bin einfach ein bißchen – nun, sie werden alle so verdammt viel Aufhebens machen. Ich denke, daß ich vielleicht für eine Zeit nach Toledo zurückgehe. Das ist eine faszinierende Stadt.“ Er lehnte den Kopf gegen die hohe Rückenlehne und schirmte die Augen gegen die Sonne ab. „Toledo im September muß herrlich sein. Vielleicht miete ich ein kleines Haus – bleibe bis Weihnachten und komme dann nach Hause, um bei Dellas Baby den Onkel zu spielen.“ Fay durchstöberte mit einer Hand, die leicht zitterte, ihre Handtasche. „Ich habe heute früh einen Brief von Della bekommen. Ihrem Kind geht es gut. Della schreibt, der kleine Bursche habe Anlagen zürn Schwerenöter.“ Sie las laut: „Sag
Gary, sein kleiner Namensvetter habe von ihm die Neigung zum Flirten geerbt. Er lächelt alle Frauen an und brummelt ungnädig über jedes Lebewesen in Hosen. Seine Haut ist überall braun, er hat große braune Augen, ist blond – ein echter Marsh! Ein richtiger kleiner Schatz! Aber jetzt ernsthaft, Fay. Dir würde mein süßer kleiner Kerl gefallen; er hat so sprechende Augen. Also komm mit Gary zu uns, sobald es ihm gut genug geht…“ Fay brach ab. Rasche Röte der Verwirrung schoß ihr in die Wangen. Sie wich Garys Augen aus, als sie den Brief wieder in die Tasche steckte. „Della, fürchte ich“, sagte Gary, „neigt dazu, zu vergessen, daß ich nur ein Pirat bin, während ihr Will ein zuverlässiger Kapitän ist.“ Es schmerzte Fay, ihm zuzuhören, und sie wandte sich ab, damit er ihren Schmerz nicht in ihren Augen lesen konnte. „Mach dir um mich keine Sorgen, Fay“, sagte er gleichgültig. „Ich habe dich schon viel zulange an mein verdammtes Bett gefesselt, ich möchte, daß du jetzt davonfliegst – in die Sonne!“ „In die Sonne?“ Sie verstand ihn nicht, ihre Augen ruhten auf seinem Gesicht. „In die Sonne, Liebling. Deine Flügel ausbreitest und weit fort fliegst, damit du das dunkle Netz vergißt, das ich um dich gesponnen habe. Vergiß mich – vergiß mich ganz schnell; du tust dir damit nur einen Gefallen.“ „Gary – nicht!“ entrang es sich Fay. „Sprich nicht so! Ich komme mit dir und werde so lange dein zweiter Arm sein, bis du sicher geworden bist – und wenn du mir noch einmal sagst, daß du weiterhin weder mein Mitleid noch meine Zeit beanspruchen willst, dann – dann schlage ich dir diese Handtasche um den Kopf!“ Er mußte wider Willen lächeln. „Ich glaube, du würdest es wirklich tun“, sagte er. „Ich würde es tun!“ Sie schwang ihre Tasche. „Aber ich möchte nach Toledo“, sagte er schmollend wie ein Junge, der das Spielzeug nicht bekam, das er sich wünschte. „Sei nicht albern!“ Sie schüttelte leicht seine Schulter. „In einer Weile wirst du wieder ganz gesund sein und hinfahren können, wohin du willst, aber im Augenblick bist du noch immer recht hilflos, und das weißt du selber auch.“ Bei diesen Worten umspielte ein Lächeln seine Mundwinkel. „Du sprichst wie Schwester Joyce“, spottete er. „Ich hoffe, du wirst mich so verhätscheln wie sie.“ „Dann bist du hoffentlich auch so vernünftig und fährst Samstag mit mir nach Hause?“ „Ja, Schwester!“ Fay lächelte erleichtert. Dann begann irgendwo im Krankenhaus eine helle Glocke zu läuten: die öffentliche Besuchszeit war zu Ende. Fay zog ihre Handschuhe an. „Ich gehe am besten, sonst – sonst bekomme ich es mit deiner hübschen Schwester Joyce zu tun. Morgen komme ich wieder.“ „Danke, Fay.“ Er sah ihr nach – starrte noch immer die Tür an, durch die sie verschwunden war, als Dr. Ransome auf ihn zukam. Auf dem schmalen olivbraunen Gesicht des jungen Arztes lag ein sympathisches Lächeln. „Ich bin eben Ihrer Frau begegnet, Mr. Marsh“, sagte er. „Sie ist ein sehr schneidiges Mädchen.“ Gary sah in fragend an. „Schneidig? Warum? Weil sie mich geheiratet hat?“ Der Arzt machte ein überraschtes Gesicht. „Nein“, sagte er, „ich spreche davon, daß sie Ihnen am Abend des Eisenbahnunglücks das Leben gerettet hat. Sie hat an jenem Abend um Ihr Leben gekämpft wie zehn große Männer zusammen.“ Garys Gesicht war plötzlich in sich gekehrt, und in seinen Augen war ein so intensives Leuchten, daß der Arzt ihn unwillkürlich bei der Schulter packte. „Was
ist denn, Mann? Was ist los?“ „Warum, glauben Sie, hat sie – das alles getan?“ murmelte Gary heiser. „Sie täte es wohl für jeden“, erklärte der Doktor. „Sie scheint der Typ dafür zu sein.“ „Natürlich.“ Gary nickte. Er sank in seinen Sessel zurück und sah sie vor sich, sah sie um sein Leben kämpfen, fest entschlossen, dem Tode zu trotzen. Weil sie ihn einmal geliebt hatte? Weil es für sie selbstverständlich war, einem Leidenden zu helfen? Genauso selbstverständlich wie das Atmen? Als Fay und Gary am Abend ihrer Rückkehr nach Hollywood durch das stille Foyer von Crystal Court gingen, sagte Gary beiläufig: „Wohin gehen wir zum Dinner? Hast du irgendeinen besonderen Wunsch?“ „Ich bin bei den Lorresters eingeladen, Gary. Ich habe Mimi geschrieben, daß ich sofort nach meiner Rückkehr zu ihnen käme. Wahrscheinlich werde ich auch bei ihnen essen.“ „Max Lorrester ist dein DoktorFreund?“ Sie nickte. „Er und Mimi sind sehr nett. Ich habe mich mit ihnen angefreundet, während ich im „AnitaHill“ arbeitete. Sie haben die drei reizendsten Kinder.“ Als sie in den Lift stiegen, ruhten seine Augen auf Fays rotbraunem Haar. Aber er hatte das Recht verwirkt, sie zu berühren, obwohl sie jetzt mit ihm in diesem Lift stand, der sie zu dem Appartement hinauftrug, das sie so vertraut miteinander geteilt hatten. Er verzog den Mund. Sie war nur hier, weil er eine Hilfe brauchte, jemanden, der ihm die Krawatte und die Schnürsenkel band und ihm die Speisen klein schnitt. Er mußte rasch lernen, das alles allein zu tun, dann würde sie gehen. Sobald er sich einigermaßen daran gewöhnt hatte, mit einem Arm zu leben, würde sie ihm Lebewohl sagen. Der Lift blieb stehen, sie stiegen aus. Während Gary die Tür aufschloß, stand Fay – wie es auch früher ihre Gewohnheit gewesen war – beim Flurfenster und blickte
auf die abendlichen Straßen hinunter, auf die funkelnden Lichterketten der hohen
Häuser. Gary beobachtete sie eine Weile, dann rief er:
„Los, du Träumerin! Du kommst sonst zu spät zu deinen Freunden!“
Als sie sich ihm zuwandte, trübte eine gewisse Melancholie seine Augen.
„Wäre es dir lieber, wenn – wenn ich mit dir ausginge?“ fragte sie.
Er schüttelte den Kopf. „Um keinen Preis der Welt. Ich will dir deinen Abend nicht
verderben.“
Er knipste das Licht an. Als er seinen Koffer abstellte und zusehen mußte, wie
Fay den ihren hereintrug, verging ihm das Lächeln. „Fay, ich finde es schrecklich,
daß du dich mit deinem Gepäck abschleppen mußt!“
Sie lachte, „Sei nicht albern! Ich bin nicht so zerbrechlich wie ich aussehe.“ Sie
stellte den Koffer ab und berührte seinen Arm. „Gary – würdest du wohl mit mir
zu den Lorresters kommen?“
Sie trat ein paar Schritte von ihm zurück. Sein Schweigen verwirrte sie. „Es sind
wirklich nette Leute – ich dachte mir nur – ich dachte mir eben nur, daß du
vielleicht mitkämst!“
„Ich komme gern“, sagte er endlich. „Es ist lieb von dir, mich mitzunehmen,
Fay.“
„Oh – gut!“ Sie war atemlos vor Erleichterung.
Sie nahm ihren Koffer auf. „Ich schlafe im Gästezimmer, wenn wir
zurückkommen, Gary.“
„Natürlich.“ Er lächelte müde. „Es ist lieb von dir, mir auf diese Weise helfen zu
wollen.“
„Ich mache mich schnell ein bißchen frisch, bevor wir zu den Lorresters
aufbrechen“, sagte sie und ging auf die Tür des Gästezimmers zu. An der Tür drehte sie sich noch einmal um und sagte ernst: „Vergiß auch sonst nicht, mich zu rufen, wenn du mich brauchst. Dazu bin ich da. Du wirst daran denken, nicht wahr, Gary.“ „Ehrenwort!“ versprach er. Doch als sie in dem Zimmer verschwunden war und die Tür hinter ihr zufiel, verblich sein Lächeln und machte einem Ausdruck der Verlorenheit Platz. Er ging zur Anrichte und schenkte sich einen Whisky ein. Er schüttelte sich, weil der Alkohol ihm so heftig in der Kehle brannte. Warum hatte er sich damit einverstanden erklärt, sie zu den Lorresters zu begleiten? Weil er mit Fay zusammen sein wollte. Das war die einfache Wahrheit! Er spürte, wie sein Herz hämmerte. Er hatte nicht geglaubt, eines solchen Gefühls fähig zu sein. Er sehnte sich nach ihr, doch ihr Mitleid genügte ihm nicht. Der Himmel mochte ihn vor Mitleid bewahren! Er verachtete Mitleid – er wollte Fays Liebe, die Liebe, die er mit seinen selbstherrlichen Worten brutal zerfetzt hatte. Er warf einen Blick auf seinen leeren Ärmel, und ein bitteres Lächeln umspielte seinen Mund. Fay lächelte Gary zu, als sie in der erleuchteten Vorhalle des LorresterHauses standen, und drückte dann auf die Türklingel. Da ging die Tür auf. Als Dr. Max Lorresters Gary erblickte, trat ein Ausdruck der Überraschung in sein Gesicht. „Ich hoffe, ich verderbe Ihnen nicht den Abend?“ sagte Gary und folgte Fay ins Haus. Er reichte Max die Hand. „Ich bin Gary Marsh.“ Max Lorrester fiel sofort der festgesteckte linke Ärmel auf, der unter Garys leichtem Mantel hervorkam. Er begegnete dem offenen, ruhigen Lächeln, mit dem Gary ihn ansah, und kam rasch zu einem anderen Urteil. Er war fest entschlossen gewesen, ihn von ganzem Herzen zu verabscheuen, falls er ihn je kennenlernen sollte. Ein Mann, der Fay weh tun konnte, mußte ein ziemlich gemeiner Bursche sein. Doch als er jetzt den leeren Ärmel sah, erinnerte er sich des ganauen Berichts, den Fay seiner Frau Mimi in einem Brief über das Zugunglück gegeben hatte. Dieser Teufel Gary Marsh konnte nicht durch und durch gemein sein. Die tiefe Liebe, die Fay ihm einmal entgegengebracht hatte, bewies das. Mindestens bis zu einem gewissen Grad. „Kommen Sie, ich möchte Sie mit meiner Frau bekannt machen“, sagte Dr. Max Lorrester. Mimi Lorrester, die die Stimme des Fremden gehört hatte, erhob sich, als sie zu dritt das Wohnzimmer betraten, mit fragender Miene. Fay lächelte. „Ich habe Gary mitgebracht“, sagte sie. „Ich hoffe, es ist dir recht?“ „Selbstverständlich.“ Der große, dunkle Mann neben Fay schüchterte Mimi ein. „Sind Sie jetzt wieder ganz gesund, Mr. Marsh?“ fragte sie. „Alles in bester Ordnung“, erwiderte er, und seine Augen, die eine hübsche Frau bewundern mußten, wo sie sie sahen, zeigten ihr offen, daß er sie hübsch fand. Das Blut stieg Mimi in die Wangen, und sie verstand jetzt, warum Fay einmal gesagt hatte, sie habe Gary Marshs Charme ebensowenig widerstehen können wie ein Kätzchen einem Wollknäuel. „Geben Sie mir Ihren Mantel“, sagte Dr. Max Lorrester, und Gary zog ihn aus. Seine Augen entdeckten einen Teddybär, der rittlings auf dem Radio saß. „Fay hat mir erzählt, daß sie, Mrs. Lorrester, drei Buben haben“, sagte er. „Drei geballte Bündel Übermut“, erklärte Mimi. „Jetzt stecken sie alle im Bett und schlafen den unschuldigen Schlaf der Gerechten.“ Sie zeigte auf einen Sessel. „Bitte, setzen Sie sich! Was trinken Sie?“ „Tomatensaft“, sagte Fay von der anderen Seite des Zimmers herüber.
Gary lehnte sich in seinem Sessel zurück und musterte Fay, die sich langsam aus ihrem Mantel schälte. Sie trug ein korallenfarbenes Leinenkleid, in dem sie so schmal wirkte wie ein Knabe. „Überhören Sie das, Mrs. Lorrester“, sagte Gary. „Sie gehört zu jenen Menschen, die schon von Orangensaft einen Schwips bekommen. Man muß sie bedauern.“ Mimi lachte beim Mixen der Drinks. „Ich gebe Ihnen eine von Max Lorresters medizinischen Mischungen“, sagte sie. „Und nennen Sie mich bitte Mimi.“ „Recht haben Sie!“ sagte Gary sofort und lächelte Fay zu, die quer durch das Zimmer auf ihn zukam. Sie setzte sich auf die Armlehne seines Sessels und zupfte seine Krawatte gerade. „Ein sehr guter Kammerdiener bin ich leider nicht, Gary.“ „Aber allzu schlecht machst du dich auch nicht“, lächelte er, und sein Blick ruhte auf ihrem geneigten Kopf. Gary nahm einen Drink, kostete und nickte. „Hm, ziemlich stark.“ Mit funkelnden Augen sah er Mimi an. „Wollen Sie Fay mit demselben Gebräu in Versuchung führen?“ fragte er. „Das tut Mimi nicht“, sagte Fay und nahm ihren Drink entgegen, der ganz offensichtlich aus reinem Fruchtsaft bestand. Das Dinner war hervorragend, und hinterher saßen sie beisammen, plauderten vergnügt und entspannt. Gary war erstaunt, daß er sich so ausgezeichnet unterhielt. Ihm gefiel dieses Zimmer, mit seinen tiefen Lehnstühlen, den Bleistiftkritzeleien im unteren Drittel einer der Wände, dem komischen Teddy, der auf dem Radio ritt; ihm gefiel, wie Fay und Mimi mit der Ungezwungenheit von Kindern Pralinen knabberten. In diesem freundlichen, behaglichen Haus enthüllte sich Fays Charakter ihm zum erstenmal ganz – und die neue Fay, die er auf diese Weise kennenlernte, war völlig ohne Scheu, völlig ungezwungen, und als sie einmal eines der Kinder im Kinderzimmer weinen hörte, bat sie, zu ihnen hinaufgehen zu dürfen. „Es ist Rolli, nicht wahr?“ sagte sie. „Laß mich hinaufgehen, Mimi. Ich bringe ihn wieder zum Einschlafen.“ Mimi Lorrester lachte. „Geh nur, da es Rolli ist. Ich weiß, daß du heimlich von ihm träumst.“ Fay eilte aus dem Zimmer, und Dr. Lorrester sagte, als er Gary Feuer für seine Zigarette gab: „Macht Ihnen Ihr Armstumpf Schwierigkeiten?“ Gary überlegte. „Ich habe manchmal“, sagte er, „das ganz merkwürdige Gefühl, daß ich noch eine linke Hand habe. Ich will sie sogar benutzen. Ich habe sogar das Gefühl, meine Finger bewegen zu können. Unheimlich, nicht wahr?“ „Sie werden dieses Gefühl nach und nach verlieren“, sagte Max Lorrester. „Es ist noch zu früh nach der Operation. Werden Sie später eine Prothese benutzen?“ „Nein!“ Gary lachte. „Ich möchte nichts Künstliches an mir haben. Ich werde auch so zurechtkommen.“ Max Lorrester nickte. „Ich würde es genauso machen“, gestand er. Fay kam aus dem Kinderzimmer zurück. „Kein Wunder, daß Rollo nicht schlafen konnte“, erklärte sie. „Er hatte eine Dampfmaschine im Bett!“ Fay durchquerte das Zimmer und nahm wieder ihren Platz auf der Armlehne von Garys Sessel ein. „Ich mußte ihm eine sentimentale Hundegeschichte erzählen. Selbstverständlich“, ihre Grübchen kamen deutlich zum Vorschein, „hat er kein Wort davon geglaubt. Ihr kennt ja Rollo!“ Max Lorrester sah sie an: „Und wie ich Rollo kenne!“ Er blickte auf Gary. „Er gerät seiner Mutter nach, der Strolch. Besitzt nicht einen Pfennig Sentimentalität!“ „Das ist nicht wahr!“ protestierte Mimi. „Weißt du nicht mehr, wie ich geweint
habe, als wir vorige Woche im Kino waren?“ „Was für ein Film war es?“ fragte Gary interessiert. „Ein ziemlich alter“, sagte Mimi. „Eine Wiederaufführung, glaube ich. Er hieß ‚Irene Abott’.“ Fay wandte sich lächelnd an Gary. „Das ist doch einer von deinen Filmen, Gary. Du hast ihn einmal erwähnt! Ich habe ihn auch gesehen, in Casa Röche, als ich deine Großmutter pflegte. Ich habe dir damals erzählt, wie gut er mir gefallen hat, und du sagtest damals, du hättest Regie geführt.“ „Ich habe Regie geführt, Liebling.“ Seine Augen lächelten in ihre, die so offen und ehrlich waren und deren rotbraune Wimpern sich glänzend nach oben bogen. Dann wandte er sich an Mimi. „Ich muß gestehen, daß es mich noch immer freut, wenn jemand sagt, ihm habe dieser Film gefallen. Er ist immer noch einer meiner erfolgreichsten.“ „Mir hat der Schluß gefallen“, sagte Mimi. „Die Art, wie der Regen herabfiel, wie ein Tuch, als die Hauptfigur Irene über die Zufahrt dieses schrecklichen Hauses floh. Und der letzte Augenblick auf dem Rand der Klippe.“ Mimi schauderte noch in der Erinnerung. „Aber warum mußte sie unbedingt sterben? Warum konnte ihr Mann nicht rechtzeitig bei ihr sein?“ „Weil – weil ich mir dadurch eine der besten Szenen des ganzen Films verdorben hätte“, erklärte Gary. „Ich konnte einfach nicht widerstehen, ich mußte Irene in diesem strömenden Regen von der Klippe springen lassen.“ „Du bist kaltblütig, Gary!“ protestierte Fay. „Ich kann ja sagen, daß die Versuchung, den Ehemann Irene in den Tod folgen zu lassen, für mich sehr groß war.“ „Dazu hat er sie nicht genug geliebt“, stellte Fay fest. „Das stimmt“, pflichtete Mimi ihr bei. „Er hat sie nicht genug geliebt, um mit ihr zu sterben.“ „Bleibt nur die Frage“, warf Dr. Lorrester, die Pfeife aus dem Mund nehmend und damit seinen Worten Nachdruck verleihend, ein, „würde ein Mann an der Schwelle des Todes denken: ,Ich muß ihr folgen, weil ich sie liebe!'? Wäre das eine natürliche Reaktion? Vielleicht würde er automatisch die Hände ausstrecken, um die Frau zu retten, doch würde er – wenn ihm das nicht gelänge – wirklich den Wunsch haben, ihr in den Tod zu folgen?“ „Eine spontane Handlung ist immer unüberlegt“, sagte Gary ruhig. „Ihre eigentlichen Motive sind entweder der Wunsch, sich selbst zu beschützen oder – sich zu opfern. Eine solche Handlung würde dann nicht unbedingt durch Liebe motiviert. Selbst ein Mann, der leidenschaftlich liebt, könnte davor zurückschrecken, mit seiner Gefährtin zu sterben, könnte sich in einem Augenblick tödlicher Gefahr dabei ertappen, daß er zuerst an sich denkt und – die Frau opfert. Ich glaube aufrichtig, daß es eine rein primitive, instinktive Reaktion ist. Ein Mann könnte, ohne darüber nachzudenken, sein Leben einsetzen, um einen ihm völlig fremden Menschen zu retten.“ „Möglich“, murmelte Max Lorrester. „Doch das würde davon abhängen, ob ein Mann genug Interesse für seine Mitmenschen aufbringt, um sein Leben für ihre Rettung einzusetzen – oder mit ihnen zu sterben. Nicht jeder Mann besitzt eine so überwältigende Menschenliebe. Und die müßte er auf jeden Fall besitzen, um das Leben eines ihm völlig fremden Menschen zu retten, nicht wahr?“ Gary musterte Max, seine Augen blickten müde. Der Doktor versuchte, ihn in eine Ecke zu treiben und ihm zu entlocken, warum er, ohne zu überlegen, auf Fay zugesprungen war, um sie zu retten oder – um mit ihr zu sterben. Es war keine „Liebe zur Menschheit“ gewesen! Es war der einfache Wunsch gewesen, in diesem Augenblick der Vernichtung bei ihr zu sein. Mehr hatte er nicht gewollt.
Und er hatte das gewußt, als er auf sie zugesprungen war. Jetzt sagte er: „Wenn wir alle unsere Handlungen prüfen und motivieren wollten, müßten wir unser halbes Leben auf der Couch des Psychiaters verbringen.“ Er lächelte. Als Fay und Gary gegangen waren und Max Lorrester ins Wohnzimmer zurückkehrte, drehte sich Mimi, die eben die Gläser zusammenstellte, zu ihm um. Ihre Augen waren voll auf ihn gerichtet. „Glaubst du, Max, daß sie beisammenbleiben?“ Max Lorrester zuckte die Schultern und lehnte sich gegen den Kamin. „Fay wird es möglicherweise nicht übers Herz bringen, ihn zu verlassen. Hat sie gesagt, daß sie es tun will?“ „Sie sagte, sie bliebe so lange bei ihm, wie es ihm Schwierigkeiten bereite, mit einem Arm zurechtzukommen…“ Mimi kam zu ihrem Mann und legte, mit einer Geste völligen Vertrauens in seine Liebe, den Kopf an seine breite Brust. „War er dir sympathisch, Max?“ fragte sie. Er berührte ihr weiches, dunkles Haar. „Liebling, ich glaube schon. Er hat eine kleine private Hölle durchlebt und sich die Ecken abgeschliffen. Er ist einfühlsamer geworden.“ „Das dachte ich mir.“ Mimi Lorrester seufzte leicht auf. „Oh, ich hoffe, daß sie beisammenbleiben! Er muß sie schrecklich gern haben, nicht wahr – er hat ihr einen Arm geopfert!“ Dann erinnerte sie sich, wie weich und zärtlich er Fays geneigten Kopf betrachtet hatte, als sie ihm den Krawattenknoten zurechtrückte. „Weißt du, was ich glaube?“ erklärte sie. „Ich glaube, dieser schwierige Bursche ist in Fay leidenschaftlich verliebt.“ Sie hörte ihren Mann lachen und blickte zu ihm auf. „Ich glaube es wirklich, Max“, versicherte sie. „Liebling, ich streite ja nicht mit dir“, sagte er. Im Taxi sagte Fay zu Gary: „Die Lorresters haben dir gefallen, nicht wahr?“ Sie lächelte. „Du hast so überrascht ausgesehen. Was hast du denn erwartet?“ Sie beobachtete sein Gesicht im vorüberhuschenden Licht der Straßenlaternen, sah seine verlegene Miene. „Sie sind weder blasiert noch glattzüngig. Sie sind einfach nett. Zwei der nettesten Leute, denen ich je begegnet bin.“ „Menschen deiner Art, eh?“ sagte er, weil sie Max und Mimi Lorrester mit so viel Energie verteidigte. „Kein Glamour. Kein blasierter Witz. Kein bösartiger Ehrgeiz.“ Sie lachte und lehnte den Kopf gegen die Lederpolster des Taxis. „Einfach ungezwungen und ohne Winkelzüge. Menschen von meiner Art, wie du gesagt hast.“ Dann gähnte sie leicht und legte, um Entschuldigung bittend, die Hand auf den Mund. „Ich glaube, ich bin ein bißchen müde“, sagte sie. „Du nicht, Gary? Schließlich bist du heute den ersten Tag abends außer Bett.“ Er schüttelte den Kopf. „Ich habe in den letzten Wochen so lange und ausgiebig im Bett gelegen, daß ich dankbar dafür bin, wieder auf eigenen Füßen stehen zu können.“ „Der Harem hat ziemlich trist ausgesehen, als wir abfuhren“, bemerkte Fay lächelnd. „Ich habe nicht bemerkt, daß Doktor Ransome einen Begeisterungstanz aufgeführt hätte“, erwiderte Gary. „Als du ihm die Hand schütteltest, hatte ich Angst, er könnte in Tränen ausbrechen.“ Er sah sie forschend an, während er sprach. Es faszinierte ihn, daß sie sich ihrer Persönlichkeit so gar nicht bewußt war. Sie kannte keine Tricks, versuchte nicht zu flirten. Plötzlich war er seiner selbst nicht mehr sicher. Wie würde er es fertigbringen,
sich von ihr fernzuhalten, da er sich doch so nach ihr sehnte? Schon verlangte es ihn danach, sie zu berühren, und er zweifelte daran, daß er dieses Verlangen für immer zu unterdrücken vermochte. Und – es würde nicht leicht sein, sie immer um sich zu haben, wenn sie die Krankenschwester spielte, die höfliche kleine Freundin, es würde alles andere als leicht sein. „Ich habe Doktor Ransome gemocht“, flüsterte Fay. „Er ist ein aufrichtiger Mensch.“ „Würde es dich überraschen zu erfahren, daß ich ihn auch gern mochte?“ Gary lachte. „Ich wollte ihm nicht gleich den Hals umdrehen, wenn er dich ansah. Bei Jerry Kaufmann hatte ich immer den Wunsch…“ „Den Hals umdrehen? Doktor Ransome den Hals umdrehen?“ sprudelte es überrascht von Fays Lippen. „Aber ich bedeute dir doch nichts, Gary, warum solltest du ihm den Hals umdrehen wollen?“ „Du bist für mich die ganze Welt und jede Sekunde, die ich in der Ewigkeit verbringen werde.“ Er fuhr starr in die Höhe, weil ihm klar wurde, was er gesagt hatte. „Vergiß das, Fay“, sagte er barsch, „das – das war nichts als eine billige Textstelle aus einem Film.“ „Billig?“ Sie umklammerte plötzlich seinen Arm. „Nicht billig, wenn du es ernst gemeint hast.“ Schweigen folgte ihren Worten. Dann griff Gary nach ihr, und in dem Augenblick, in dem er sie berührte, war sein Entschluß, seine Liebe vor ihr zu verbergen, wie weggeblasener Rauch. „Ich – ich hätte dein Mitleid nicht ertragen“, flüsterte er. „Aber – aber wenn du mir etwas anderes schenken willst – komme ich auf Knien zu dir!“ „Gary!“ In ungläubigem Entzücken nahm sie sein Gesicht in beide Hände. „Du – du brauchst nicht zu kriechen!“ Sie legte ihm fest und innig die Arme um den Hals. „Mein lieber ‚Pirat', es wäre schrecklich, dich kriechen zu sehen.“ Sie lachte bebend. „Es – es paßte so gar nicht zu dir!“ Sie streichelte sein blondes, lockiges Haar, zärtlich und liebevoll. Verschwunden war der „Fremde“, dem sie in England Lebewohl gesagt hatte. Dieser hier, der ihr sagte, daß er sie liebte, war ein anderer. „Nichts, was früher geschehen ist, hat noch Bedeutung“, flüsterte sie. „Wichtig allein ist die Liebe, die – die wir gefunden haben.“ „Aber du hast gesagt, du könntest mit mir nicht glücklich sein? Nur ich will, daß du glücklich bist, Fay!“ Er drückte das Gesicht gegen das ihre, atmete ihr Parfüm ein, spürte ihr Herz rasen. „Du – wie – wie könnte ich dich gehen lassen?“ „Ich will nicht, daß du mich gehen läßt!“ Sie lachte rauh. „Ich war sehr töricht, als ich sagte, ich – ich könnte mit dir nicht glücklich sein. Ich – ich lebe nicht, ich – ich fühle nichts, wenn ich nicht bei dir bin! Ich brauche dich einfach!“ sagte sie.
Da küßte er sie. Als er endlich von ihr abließ, sagte er: „Weißt du, Fay, was ich
dir kaufen werde?“
„Du und deine Geschenke!“ Sie lachte. „Ich will kein Geschenk.“
„Das wirst du wollen!“ Seine Lippen lagen auf ihrer Stirn. „Ich werde dir ein Haus
kaufen. Ein freundliches Haus, wie das der Lorresters. Mit einem riesigen Garten.
Was sagst du dazu?“
Einen Augenblick war sie zu erschüttert, um etwas zu sagen. Dann wußte sie,
daß er sie wirklich liebte. Jetzt kannte er ihr Herz und ihre Wünsche. Jetzt wußte
sie, daß keine dunklen Wolken über dem Haus lasten würden, daß für sie immer
die Sonne scheinen würde. Sehr zärtlich küßte sie ihn.
„Ich werde dich bei mir wohnen und – leben lassen, wenn du willst, Lieber“,
sagte sie.
ENDE