Ein Land am Wendepunkt seiner Kultur Das Kongogebiet, das heute belgische Kolonie ist, wird das Herz Afrikas genannt. E...
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Ein Land am Wendepunkt seiner Kultur Das Kongogebiet, das heute belgische Kolonie ist, wird das Herz Afrikas genannt. Es ist ein Land der Zukunft, seitdem gegen Ende des vorigen Jahrhunderts ein deutscher Forscher wichtige Metallvorkommen entdeckte. Es war im Süden der Kolonie, im Gebiet des Negerfürsten Katanga, dort, wo die Quellflüsse des Kongos entspringen und das Gras in endlosen Savannen meterhoch wächst. Unter dem Deckmantel der Natur schlummerte der Reichtum: das Kupfer. Dreißig Millionen Tonnen reines Kupfer schätzt man, also mehr als ein Drittel des gesamten bekannten Kupfervorkommens auf der Erde. Später fand man auch noch Manganerz, Uran und Kohle und mit einem Schlag war »Katanga« – wie man das Gebiet fortan nannte – berühmt. Wenn man heute die Bergwerke und Hochöfen sieht, die überall da entstehen, wo der Boden geöffnet wird, muß man unwillkürlich an die Zeit denken, in der niemand so recht etwas Gutes vom Kongogebiet hielt. So mutet es fast unvorstellbar an, daß eine Großmacht wie England einstmals kein
Interesse hatte, den Flecken Erde als Kolonie zu besitzen. Und doch war es so. Der englische Journalist und Afrikaforscher Henry Morton Stanley (wir berichten im nächsten Heft noch ausführlicher über ihn), der nach seiner dreijährigen Durchquerung des Kongogebietes seinem Vaterland dies als Kolonie anbot, fand kein Gehör. Die Küste von Westafrika war damals schon erforscht und in französischem und portugiesischem Besitz, so hatte das riesige Kongogebiet keinen Anschluß an das Meer und war deshalb uninteressant. Zudem herrschte dort ein ungesundes Klima, es war ein fieberverseuchtes Gebiet, und so lehnte England ab. Stanley trat an den belgischen König Leopold heran, der ihn 1885 zurück zum Kongo sandte, damit er dort für ihn einen Staat gründete. 1908, nach König Leopolds Tod, wurde das Kongogebiet dann vom belgischen Staat als Kolonie übernommen. Heute ist es eine der bestorganisierten Kolonien Europas. Es ist noch immer eine Binnenkolonie, wenngleich Belgien einen 37 km breiten Küstenstreifen als Zugang zum Meer erhalten hat. – Der größte Teil der Kongoniederung ist für den Europäer äußerst ungesund, aber bereits im Hochland von Katanga sind die Bedingungen weit günstiger, ebenfalls im östlich gelegenen Seengebiet, das als Reiseziel, von allen Luftfahrtgesellschaften besonders empfohlen wird. Die belgische Regierung hat für ihre Kolonie viele Aufbaupläne, doch leider gibt es nicht genügend Arbeitskräfte. Es leben zwar zwölf Millionen Neger im Kongobecken,
doch erst eine Million sind Arbeiter geworden.
Band 194
von Hans Warren Neues Verlagshaus für Volksliteratur GmbH. Bad Pyrmont, Humboldtstraße 2 M i t g l i e d d e s R e m a g e n e r K r e i s e s e. V.
Nachdruck verboten. Alle Rechte, auch das der Übersetzung, Dramatisierung und Verfilmung, von der Verlagsbuchhandlung vorbehalten. Copyright 1930, 1958 by Neues Verlagshaus für Volksliteratur GmbH. Printed In Germany 1958 Druck: Erich Pabel, Druck- und Verlagshaus, Rastatt (Baden) Auslieferung im Saarland: Zeitschriften-Großvertrieb J. Klein, Saarbrücken, St. Johanner Straße 66 Auslieferung in Österreich: Buch- und Zeitschriftenvertrieb Wilhelm Swoboda, Wien XIV, Penzinger Str. 33 – 37, Stg. IX ,Rolf Torrings Abenteuer« dürfen nicht in Leihbüchereien geführt und nicht zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden.
1. Kapitel Langsam glitt das Nilboot den Kongo abwärts. Wir waren am Abend vorher zum Flusse zurückgekehrt und hatten eine ruhige Nacht verbracht. Unser letztes Erlebnis mit dem Affenkönig (siehe Band 193) hatte uns gezeigt, was wir durch den Weltkrieg verloren hatten und wieviele Existenzen durch ihn »am Rande« vernichtet worden waren. Goliath, unser kleiner Schiffsjunge, hatte sofort nach seiner Rückkehr allen Negern erzählt, welchen Streich er ihren Stammesbrüdern gespielt hatte und wie er gerade im richtigen Augenblick erschienen war, um unsere Lage zu verbessern, ja, sogar alles zum guten Ende zu bringen. Pongo mußte ihm wiederholt bestätigen, daß er die Wahrheit sagte, denn die Bongo-Neger des Nilbootes schüttelten oft zweifelnd die Köpfe, als könnten sie sich einfach nicht vorstellen, daß der Knirps, der kleine Italiener, solchen Mut bewiesen hatte. Am nächsten Morgen lichteten wir die Anker. John Fleet studierte eine große Karte und beschäftigte sich mit der weiteren Fahrtroute. Wir saßen bei ihm und betrachteten die Ufer des Stromes, die noch immer dicht bewaldet waren.
»Wenn wir auf kein Hindernis stoßen, meine Herren«, begann Fleet, »können wir heute abend noch die Stadt Ponthierville erreichen. Dort beginnen die berühmten Stanley-Fälle. Gut, daß von dort bis Stanleyville eine Eisenbahn fährt. Wir brauchen keine Neger anzuwerben, die das Boot um die Fälle herum tragen.« »Der Weg wäre auch ziemlich weit«, warf ich ein. »Von Ponthierville bis Stanleyville sind es, wenn ich die Zahl richtig im Kopfe habe, mehr als 120 Kilometer.« »Auch diese Strecke würden wir mit Hilfe tüchtiger Träger überwunden haben, Mr. Warren, aber so – mit der Eisenbahn – haben wir es ja bequemer. Wenn wir zwei Verbund-Loren bekommen, können wir das Boot auseinandernehmen und verladen. Ich würde Ihnen dann den Vorschlag machen, das Boot vorauszuschicken und zu Fuß die Stanley-Fälle zu besuchen.« Rolf Torring nickte. »Damit wären wir einverstanden. Schade, daß die Flußkarten nicht sehr genau sind. Natürlich muß man bedenken, daß wir noch immer mitten in Afrika sind, aber es wäre schon schöner, wenn alle Sandbänke und Stromschnellen eingetragen wären.« »Dann wäre die Reise gar nicht so spannend
verlaufen, Rolf, wie sie es ist!« warf ich ein. »Schau mal, ich glaube, Masuf hat ein Hindernis entdeckt. Er läßt die Motoren stoppen. Da kommt auch Goliath schon angelaufen, um uns zu holen.« Unser Schiffsjunge winkte schon von weitem und deutete zum Wald hinüber. »Signores«, sprudelte er heraus, »vor großes Nilboot schwimmt kleines Kahn mit Mann darin, der nicht ist bei sich und liegen tut im Kahn, als ob er schläft. Masuf gemeint zu Goliath, Mann sei Weißer. Pongo auch behauptet.« Das war interessant! Wir eilten in den Bug, wo Pongo und Masuf ein kleines Fahrzeug beobachteten, das langsam vor uns hertrieb. In wenigen Minuten mußten wir es erreichen, obwohl Masuf die Motoren hatte abstellen lassen. Tatsächlich lag ein Weißer, anscheinend bewußtlos oder gar tot, in dem Boot. Als wir nahe genug waren, erkannten wir an der Kleidung des Mannes, daß wir einen Missionar vor uns hatten. »Soeben hat er sich bewegt, Massers!« rief Pongo erfreut. »Mann sein nicht tot, nur sein sehr erschöpft.« Auch wir sahen es. Der Mann bewegte sich ab und zu wie unter Schmerzen und versuchte einmal sogar, sich aufzurichten, ohne dabei je-
doch die Augen zu öffnen. Endlich hatten wir das Boot backbord. Rolf stieg in den Kahn über und nahm den Mann vorsichtig auf, um ihn auf das Nilboot zu tragen. Wir griffen hilfreich zu, und Sekunden später lag der Mann gut gebettet auf den Planken unseres Fahrzeuges. Rolf untersuchte ihn, während Pongo das leichte Fahrzeug an Bord zog. Im Boot fand sich eine alte Brieftasche, die Pongo mir reichte. Da ich mich nicht berechtigt fühlte, sie zu öffnen, solange der Weiße lebte, steckte ich sie vorläufig ein. Eben richtete sich Rolf wieder auf und bat Goliath, Wasser und Wein zu holen. Dann wandte er sich zu uns: »Der Mann ist fast verschmachtet, aber wir werden ihn wieder aufpäppeln. Wahrscheinlich ist es ein Missionar, der sich aus einer gefährlichen Situation nur mit knapper Mühe retten konnte. Wenn ich richtig tippe, ist er erst vor kurzer Zeit in seinem Fahrzeug ohnmächtig geworden.« »Wir werden wohl bald erfahren, wer er ist«, meinte Fleet. Goliath kam zurück. Rolf nahm ihm das Wasser ab und benetzte die Stirn des Bewußtlosen. Dann gab er ihm ein par Schlucke Wein zu trinken, die er mechanisch in sich aufnahm.
Ein tiefer Seufzer entrang sich seiner Brust. Plötzlich öffnete er die Augen und blinzelte uerschrockenken an. Rolf, der noch immer neben ihm kniete, nickte ihm aufmunternd zu und sagte begütigend: »Sie befinden sich bei Freunden. Zu befürchten haben Sie nichts. Wollen Sie noch etwas trinken?« Der Weiße nickte zustimmend. Rolf flößte ihm noch etwas Wein ein. Dann richtete Pongo ihn auf einen Wink Rolfs in sitzende Stellung auf und stützte ihn. »Verstehen Sie mich?« fragte Rolf den Mann auf Englisch, in der Sprache also, die auch in dieser Gegend als Verkehrssprache angesehen wird. Wieder nickte der Mann; er machte den Versuch zu sprechen, aber es gelang ihm noch nicht. Erst als Rolf ihm zum dritten Male zu trinken gegeben hatte, erholte er sich soweit, um – wenn auch abgehackt – einige Worte zu sagen. »Haben Sie – Dank, meine Herren! Es war – schrecklich. Sind die Eingeborenen noch – in der Nähe?« »Sorgen Sie sich nicht; momentan ist weit und breit niemand. Vielleicht können wir Ihnen helfen. Ich vermute, daß Sie als Missionar tätig sind.«
»Ja, ich bin – der Missionar Defoe. Geben Sie mir – bitte noch etwas – Wein! Ich fühle mich schon besser, ich habe eine – starke Natur. Könnte ich etwas zu essen haben?« So abgehackt wie zuerst sprach der Missionar schon nicht mehr. Er schien wirklich eine sehr kräftige Natur zu haben. Rolf schickte Goliath noch einmal zu Bird, um für den Missionar etwas zu essen zu holen. Pongo bettete den Oberkörper des Geretteten so, daß er in sitzender Stellung bleiben konnte, ohne noch gestützt zu werden. Ich wunderte mich, daß unser schwarzer Begleiter den Missionar immer wieder scharf ansah, als könnte er sich irgend etwas nicht erklären. Rolf verschonte den Missionar mit Fragen, bis er die von Goliath herbeigeschaffte Stärkung zu sich genommen hatte. Er überwand zusehends seine Erschöpfung und begann von selbst zu sprechen. »Haben Sie sich genau überzeugt, meine Herren, daß keine Eingeborenen in der Nähe sind? Sie müssen mich verfolgt haben! Wenn ich das Kanu nicht entdeckt hätte, wäre ich verloren gewesen.« »Hier keine Wilden sein, Masser«, erklärte Pongo sehr bestimmt. »Pongo sie sonst bemerkt haben müßte.«
Bei den Worten blickte der Riese den Missionar immer noch unverwandt an. Verwundert schaute ich auf Rolf, der mir mit den Augen ein Zeichen gab, jetzt nichts zu äußern. Dann wandte er sich wieder an den Missionar. »Vielleicht haben die Eingeborenen die Verfolgung aufgegeben, weil sie zu Wasser nicht folgen konnten.« »Das könnte sein.« Der Missionar fühlte sich schon wohl genug, einen Gehversuch zu machen. »Stützen Sie mich bitte ein wenig!« meinte er. »Die Bewegung wird mir gut tun. Sie bringt das Blut wieder in die richtige Zirkulation.« Fleet stützte den Missionar, Pongo stand in Hilfsstellung daneben, um jederzeit zuspringen zu können. Langsam führten beide den Missionar zum Heck, wo er sich in einen der bequemen Korbstühle unserer »Veranda« fallen ließ. Als wir neben ihm Platz genommen hatten, stellte Rolf sich und uns vor. Steuermann Masuf hatte inzwischen die Motoren wieder anwerfen lassen. Langsam glitt das Boot den Kongo abwärts. Der Missionar sah es und fragte: »Sie wollen nach Ponthierville, meine Herren?« »Ja. Kennen Sie die Gegend, Mr. Defoe?« fragte der Amerikaner.
»Ich bin erst seit drei Wochen hier. Sie können sich denken, wie ich mich über Ihre Bekanntschaft freue. Jetzt erst sehe ich ein, daß ich die Ratschläge meiner Freunde hätte befolgen sollen. Ich wollte nicht glauben, daß es hier noch Zwergneger gäbe, und fühlte mich unter dem Schutz des Priesterkleides sicher.« »Ihr Beruf ist sehr schwer, Mr. Defoe«, führte Fleet die Unterhaltung fort, »aber auch sehr schön. Wenn Sie schon kräftig genug sind, erzählen Sie uns doch bitte, was Ihnen widerfahren ist! Vielleicht können wir Ihnen weiter behilflich sein.« »Herzlichen Dank! In Ponthierville habe ich Bekannte, die mir helfen werden. Aber wenn ich Sie nicht langweile, will ich Ihnen berichten, was ich erlebte. Eigentlich ist es etwas, womit man in meinem Beruf rechnen muß. Vor drei Wochen kam ich in das Gebiet hier. Die letzte Station machte ich in Ponthierville, wo ich bei einem Amtsbruder, dem Missionar Walton, wohnte. Er warnte mich vor der Gefährlichkeit der Zwergneger in dieser Gegend, zumal ich keine Möglichkeit hätte, mich mit ihnen zu verständigen. Ich hörte nicht auf die Warnungen und zog los. Zwar wollte ich gar nicht zu den Zwergen, sondern zu anderen Negerstämmen, im Grunde aber schien es mir gleichgültig, welche Stämme ich zuerst errei-
chen würde. Ich hatte keine Furcht vor den Pygmäen. In anderen Gebieten hatte ich gute Erfolge mit Negern gehabt und glaubte nicht, daß hier meine Arbeit schwerer sein würde, besonders weil ich die hierzulande übliche Negersprache recht gut beherrsche, nur eben nicht die der Zwergvölker. Amtsbruder Walton gab mir einen jungen Neger als Führer mit. Mit ihm fuhr ich den Kongo aufwärts und ging kurz vor der Mündung des Lowa-Stromes an Land, um ins Innere vorzudringen. Mein Begleiter verließ mich hier und brachte das Fahrzeug nach Ponthierville zurück. Allein wanderte ich durch den Urwald weiter. Nach zwei Tagen stieß ich auf ein Negerdorf, das nicht von Pygmäen bewohnt wurde. Die Schwarzen nahmen mich gut auf und schienen in mir so etwas Ähnliches wie einen Heiligen zu sehen. Volle zwei Wochen blieb ich in dem Dorf und machte die Eingeborenen mit dem Christentum ein wenig vertraut. Ich glaubte, bei ihnen doch einen Erfolg erzielt zu haben, denn sie taten willig alles, was ich von ihnen verlangte, ohne unterwürfig zu sein. Als ich einen Ausflug in die Steppe machte, die sich an den Urwald anschloß, umzingelten mich Neger eines ande-
ren Stammes und nahmen mich gefangen. Es waren Zwergneger! Ich versuchte, ganz ruhig zu bleiben, und hoffte, sie zu überzeugen, daß ich als Freund zu ihnen gekommen sei. Aber ich konnte mich nicht mit ihnen verständigen, auch die Zeichensprache funktionierte nur mangelhaft. Ich durchlebte ein paar entsetzliche Tage und sollte zu einem mir unbekannten Fest geopfert werden. Mir blieb nur die Hoffnung, daß der Negerstamm, bei dem ich zu Gast war, mich suchen und befreien würde. Ich hoffte vergeblich. Der Tag, an dem ich geopfert werden sollte, rückte immer näher; durch Zeichensprache hatte man ihn mir eindeutig genannt. Ich überlegte angestrengt, wie ich mich retten könnte. Eines Nachts gelang es mir, meine Fesseln so weit zu lockern, daß ich mich schließlich befreien konnte. Es gelang mir auch, unbemerkt die Niederlassung der Pygmäen zu verlassen. Ich eilte davon und glaubte mich schon in Sicherheit, als ich hinter mir großen Lärm hörte. Die Pygmäen hatten meine Flucht entdeckt. Ich lief um mein Leben. Zwei Tage lang wurde ich verfolgt. Endlich erreichte ich den Kongo. Wenn es mir nicht gelang, auf dem Wasser die Flucht fortzusetzen, mußten mich die Pygmäen hier einholen.
Verzweifelt irrte ich am Ufer umher und hörte bald schon hinter mir die Rufe der Zwerge. Ich glaubte mich verloren und wollte den Versuch wagen, den Kongo zu durchschwimmen, als ich zufällig im dichten Schilf ein Kanu entdeckte. Rasch ließ ich es zu Wasser und sprang hinein. Ich war noch gar nicht weit vom Ufer entfernt, als die Pygmäen erschienen, die vom Uferrand aus Speere nach mir warfen und Pfeile nach mir schossen. Verzweifelt ruderte ich immer weiter, bis ich mich in Sicherheit glaubte. Dann sank ich ermattet im Kanu nieder und ließ mich die ganze Nacht von der Strömung treiben. Entweder bin ich sehr fest eingeschlafen, oder ich habe die Besinnung verloren, denn ich erwachte erst wieder an Bord Ihres Fahrzeuges. Zwei volle Tage habe ich nicht geschlafen und in der ganzen Zeit nichts gegessen.« Als der Missionar seinen Bericht beendet hatte, schwiegen wir lange. Rolf hatte das Kinn in den linken Handteller gestützt und dachte über irgend etwas nach, das sicherlich im Zusammenhang mit dem Erlebnis des Missionars stand. Plötzlich hob er den Kopf und sah den Missionar voll an. »Sie werden jetzt auch noch sehr müde sein,
Mr. Defoe. Sie können sich in Ruhe schlafen legen; ich werde Ihnen ein Lager anweisen lassen. Bis nach Ponthierville haben Sie nichts zu befürchten.« »Ihr Angebot nehme ich dankbar an, Mr. Torring. Wann werden wir in Ponthierville sein?« »Wenn wir unterwegs auf kein Hindernis stoßen, gegen Abend. Da Sie den Kongo stromauf gefahren sind, müssen Sie den Strom ja kennen. Kommen noch Sandbänke oder Klippen?« »Der Strom ist bis Ponthierville frei, Mr. Torring. Sie können glatt durchfahren. Darf ich mir noch die Frage erlauben, meine Herren, wohin Ihre Reise Sie führt? Vielleicht könnte ich einen Teil meiner Dankesschuld an Sie abtragen, indem ich Ihnen einige Ratschläge gebe. Ich kenne den Kongo einigermaßen, da ich meist auf dem Wasserweg gereist bin.« »Das wäre uns sehr lieb«, erklärte Fleet, auf die Landkarte deutend, die auf dem Verandatisch lag. »So läuft unsere Route! Sehen Sie, hier! Wir fahren bis zur Mündung des Rubi, der auch Itimbiri heißt. Was wir dann unternehmen, wissen wir selbst noch nicht.« »Gerade diese Strecke kenne ich genau, meine Herren. Hindernisse haben Sie bis dahin überhaupt nicht mehr zu erwarten. Schade, daß ich Sie nicht begleiten kann. Ich bin nicht weniger Forscher wie Mann der Kirche. Ich
muß hier aber meinem Beruf nachgehen und darf mich um meine Liebhabereien nicht zu sehr kümmern.« Er bedankte sich noch einmal für die Rettung und erhob sich. Fleet führte ihn in seine Kabine und bot ihm sein Lager an. Als er zu uns zurückkam, nickte er vor sich hin und meinte: »Ich möchte kein Missionar sein, meine Herren! Ein schwerer Beruf! Und wie viele haben in Ausübung ihres Berufes schon ihr Leben lassen müssen!« Jetzt erst fiel mir ein, daß ich Defoes Brieftasche noch bei mir trug. Ich zog sie aus der Tasche heraus. Rolf fragte sofort, was es damit für eine Bewandtnis habe. Mit drei Sätzen berichtete ich, wie ich in ihren Besitz gekommen war. Darauf übergab ich sie Rolf, dem sie versehentlich aus der Hand glitt. Die Brieftasche ging auf, einige Schriftstücke fielen heraus. Als ich mich bückte, um sie aufzuheben, sah ich dabei den Ausweis des Missionars, der auf den Namen Defoe ausgestellt war. Daneben lag ein Brief in einem nicht mehr ganz sauberen Umschlag, der die Anschrift Charles Walton, Ponthierville, trug. Das war sicherlich der schon erwähnte Amtsbruder des Missionars. Noch während ich die herausgerutschten Schriftstücke in das große Fach der Brieftasche zu-
rückschob, kam Defoe angelaufen, der sein Eigentum bereits vermißt hatte. Er fragte, ob wir sie gefunden hätten. Als er sie in meinen Händen sah, griff er danach. Das geschah auffällig hastig. Ich erklärte dem Missionar kurz, daß ich seine Brieftasche gefunden und bisher nur vergessen hätte, sie ihm zurückzugeben. Rolf hatte den Mann stumm beobachtet. Als sich der Missionar entfernt hatte, lachte er mich an. »Da wärst du eben beinahe in den Verdacht gekommen, die Brieftasche gestohlen zu haben! Was für Schriftstücke fielen denn heraus?« Ich gab ihm Bescheid, worauf sich Rolf erhob und uns verließ. Fleet folgte ihm, wohl um ihn nach etwas zu fragen. Ich saß allein auf der Veranda und dachte an den Missionar und sein Erlebnis. Dabei fiel mir Pongos Benehmen ein, der den Missionar so eigenartig betrachtet hatte. Wenig später schlenderte Pongo auf mich zu, offensichtlich mit der Absicht, mir etwas mitzuteilen. »Mann nicht gut sein, Masser Warren. Sein auch kein Missionar, sondern haben anderen Beruf. Pongo Masser Warren bitten, es auch Masser Torring zu sagen, da Pongo Masser Torring noch nicht allein sprechen konnte.«
Ehe ich fragen konnte, was ihm an dem Missionar nicht gefallen habe, war er verschwunden. Ich stand auf, um zum Bug des Fahrzeuges zu gehen, wo sich Rolf mit Fleet unterhielt. Beim Aufstehen fiel mir unter dem Tisch der Veranda ein Zettel auf, den ich wohl aufzuheben und in die Brieftasche zurückzustecken vergessen hatte. Ich bückte mich danach und las eine kurze Mitteilung, die mir keinerlei Anteilnahme abgenötigt hätte, wenn der Zettel nicht mit einem sonderbaren Namen unterzeichnet gewesen wäre. Ich las »The black spirit«, was auf deutsch »Der schwarze Geist« bedeutet. Ich las die Mitteilung noch einmal, die mit ungelenker Hand geschrieben war. »Lieferung erfolgt. Wind gut aus Süden. Werden flotte Fahrt haben. Bootsleute besorgen! The black spirit.« Was die Worte bedeuten sollten, wußte ich nicht und konnte mir auch keinen Vers darauf machen. Ich eilte zu Rolf und Fleet, um ihnen den Zettel zu zeigen. Keiner von beiden war überrascht. Sie nickten mir lächelnd zu, als ich ihnen Pongos Warnung berichtete. »Mißtraut ihr dem Missionar auch?« fragte ich. »Ich möchte sagen – ja – , auch Pongo miß-
traut ihm, und er hat eine instinktive, meist überraschend treffsichere Menschenkenntnis. Mit Defoe muß es eine Bewandtnis haben, die wir noch nicht kennen. Seine Geschichte war übrigens reichlich phantastisch.« »Ich wunderte mich, wie rasch er sich nach den paar Schlucken Wein erholte«, bemerkte Fleet. »Und was meinen Sie zu dem Zettel, Mr. Fleet?« fragte Rolf den Amerikaner. »The black spirit – ein eigenartiger Name! Er erinnert mich an eine Geschichte, die ich vor Jahren erlebte, als ich noch ein unbekannter Reporter war. Damals handelte es sich um einen Piraten, der sich ,black pigeon’ – ,schwarze Taube’, nannte.« Wir kannten die Geschichte des Mannes, den Fleet erwähnte. Er wohnte in San Franzisko, galt als ehrbarer, reicher Kaufmann und betrieb nebenbei – oder im Hauptberuf – das einträgliche Geschäft der Seeräuberei. Durch einen Zufall kam die Doppelrolle, die »the black pigeon« gespielt hatte, ans Tageslicht. »Glauben Sie, Mr. Fleet, daß es sich auch bei unserem Gast um einen Piraten oder ähnlichen Gauner handelt?« fragte ich. Fleet zögerte. »Ich nehme jetzt an, daß wir es mit einem Flußpiraten zu tun haben, meine Herren«, er-
klärte Rolf, »wie käme dieser mysteriöse Zettel in die Tasche eines Missionars?« Der Amerikaner erschrak. »Jetzt habe ich dem Mann auch noch meine Kabine, in der sich alle meine Wertsachen befinden, eingeräumt. Kommen Sie bitte mit! Ich möchte mich überzeugen, ob wir wirklich einen Missionar an Bord haben!« »Nicht so eilig, Mr. Fleet!« warnte mein Freund. »Der Mann kann Sie hier nicht bestehlen, weil er das Boot nicht verlassen kann, ohne daß wir es bemerken. Einen Diebstahl würden Sie in Kürze festgestellt haben.« »Pongo beschattet ihn schon« warf ich ein und schlug vor, das Segel zu setzen, damit sich unsere Fahrtgeschwindigkeit noch vergrößerte. Der Wind stand günstig, so daß wir noch am Spätnachmittag in Ponthierville eintreffen mußten. Mein Vorschlag wurde akzeptiert, und Fleet entfernte sich, um die nötigen Anordnungen für das Segelsetzen zu treffen. »Ob der Kongo bis Ponthierville wirklich frei von Sandbänken ist, wie Defoe erzählte?« fragte ich. »Die Bongo-Neger werden die Augen offenhalten müssen«, erwiderte Rolf, »aber auf die Möglichkeit, rascher vorwärtszukommen, möchte ich nicht verzichten.«
»Sprechen wir mit Pongo, Rolf! Er machte mir den Eindruck, nicht nur zu vermuten, sondern eine tatsächliche Feststellung gemacht zu haben.« Langsam schritten wir dem Heck zu, suchten dort aber vergeblich nach unserem schwarzen Begleiter.
2. Kapitel Verwundert blickten wir einander an, als wir Pongo nirgends entdecken konnten. Ihn zu rufen, wäre falsch gewesen, denn wenn er sich absichtlich irgendwo versteckt hatte, um etwas zu beobachten, hätten wir sein Versteck verraten. So betraten wir unsere Kabine, die neben der Fleets lag. Als wir die Tür öffneten, bot sich uns ein merkwürdiges Bild. Pongo stand an der Wand und blickte durch ein kleines Loch, das er gestochen oder gebohrt hatte, In die Nachbarkabine. Er beobachtete den Missionar und ließ sich auch durch unser Erscheinen in seiner Beschäftigung nicht stören. Wir taten so, als ob wir uns aus der Kabine nur etwas geholt hätten, und verließen sie ein paar Minuten später wieder, Pongo allein zurücklassend. Wenn uns eine Gefahr drohen sollte, würde uns unser Begleiter rechtzeitig warnen. Wir
konnten deshalb ruhig wieder auf der Veranda Platz nehmen, wo wir uns leise unterhielten. Fleet erschien bald darauf und gab uns einen Wink, recht vorsichtig in der Unterhaltung zu sein. Verwundert blickte ich auf, als Rolf plötzlich verhältnismäßig laut sagte: »Wer mag nur dieser ,black spirit’ sein, von dem wir neulich hörten?! Na, vielleicht machen auch wir noch seine Bekanntschaft.« Rolfs Absicht verstand ich sofort, nur Fleet schüttelte noch verwundert den Kopf, bis ich ihm ein heimliches Zeichen gab. Er begriff und sprach deshalb auch laut: »Wir wissen ja noch gar nicht, ob der Mann wirklich existiert. Die Nachricht, die wir erhielten, kann falsch sein. In Ponthierville werden wir wohl Genaueres erfahren können!« »Das hoffe ich, Mr. Fleet! Übrigens können wir den Missionar fragen, ob er den Namen schon einmal gehört hat.« »Seinem Kriegsnamen nach, könnte es ein Mann mit dunklem Haar sein«, meinte ich. Dabei dachte ich an den Missionar, der schwarzes Haar hatte. Ein sonderbarer Gedanke kam mir, den ich jetzt den Kameraden nicht mitteilen konnte. Rolf jedoch schien meine Gedanken zu erraten, denn er lächelte mir zu. Laut aber sagte er:
»Die Nachricht, die wir erhielten, besagt eigentlich gar nichts. Immerhin ist es gut, daß wir noch vor Dunkelwerden in Ponthierville sind. Man kann nie wissen.« Pongo erschien in dem Augenblick. Er gab uns durch Zeichen zu verstehen, daß der Missionar nicht schlafe, sondern in der Kabine auf unser Gespräch höre. Da wußten wir, daß unser Verdacht nicht unbegründet war und beschlossen, von jetzt ab besonders wachsam zu sein. Pongo war wieder zum Bug gegangen. Wir unterhielten uns noch eine Weile über »the black spirit«, dann standen wir auf und schlenderten hinterher, um uns unbelauscht aussprechen zu können. Der Sicherheit halber schickten wir Goliath zum Heck, der ein Auge auf den Missionar haben sollte. »Ich wette mein Nilboot gegen ein schlichtes Kanu«, begann Fleet, »daß der Missionar mehr von ,the black spirit’ weiß, als wir ahnen. Als Missionar hätte er gar keine Veranlassung, unser Gespräch zu belauschen. Auch seine Aufregung, als er seine Brieftasche vermißte, ist bezeichnend. Schade, daß wir sie nicht genau durchsehen konnten!« »Dazu hätten wir keine Berechtigung gehabt, Mr. Fleet!« Masuf machte uns auf ein noch sehr weit ent-
ferntes Fahrzeug aufmerksam, das uns entgegenkam. Wir nahmen die Ferngläser vor die Augen. Pongo hatte mit seinen scharfen Augen schon erkannt, daß es sich um ein Polizeiboot handelte. »Benutzt die Polizei hier große, schnelle Kanus?« fragte ich. »Anscheinend doch!« meinte Fleet. Pongo hatte recht gehabt, bald erkannten wir die Uniformen mit den blanken Knöpfen. Als das Boot noch näher herangekommen war, zählten wir die Insassen: acht Schwarze waren es und ein Weißer. Die Neger trugen die belgische Polizeiuniform und ruderten das leichte Fahrzeug schnell stromauf. Der Weiße bediente das Steuer und hielt das Kanu gerade auf uns zu. Immer näher kam das schnittige Boot. Auf Fleets Anweisung hatte Masuf die Motoren abstellen lassen. Das Segel blieb leicht geschwellt, und der Wind schob uns langsam vorwärts. Die Strömung war nicht stark, denn wir befanden uns nicht in der eigentlichen Fahrrinne in der Mitte des Stromes. Ein paar Minuten später legte das lange Kanu an unserer Bordwand an, und der Weiße fragte höflich, ob er zu uns an Bord kommen dürfe. Als er aufgeentert war, stellte er sich als belgischer Polizeiwachtmeister vor und fragte
uns, ob wir unterwegs ein Fahrzeug mit einem Missionar gesehen hätten. Verblüfft blickte er um sich, als Rolf die Frage bejahte und erklärte, daß sich der bewußte Missionar bei uns an Bord befände. »Ein Mr. Defoe ist es«, fügte Fleet hinzu. »Ist das der Mann, den Sie suchen?« »Ja, ich soll nach seinem Verbleib forschen. Defoe hatte seine Tochter bei sich, er wollte die Reise bis Kindu auf dem Kongo machen, und jetzt erfuhren wir, daß er dort nicht eingetroffen ist.« »Defoe hat seine Tochter nicht bei sich«, erklärte Rolf. »Er erzählte uns eine merkwürdige Geschichte, die er mit Pygmäen erlebt haben wollte. Aber Sie können ja mit ihm selbst sprechen!« »Das wäre mir sehr angenehm, meine Herren. Würden Sie mich bitte zu ihm führen?« »Defoe schläft zwar gerade«, meinte Fleet, »aber er wird sich beim Erwachen sicherlich sehr freuen, gerade Sie zu sehen.« Langsam schritten wir dem Heck zu. Goliath, der hier Wache halten sollte, war nicht zu sehen. Wir gingen erst einmal um das Heckhäuschen herum, um ihn zu suchen, fanden ihn aber nicht. Rolf öffnete die Tür zu unserer Kabine, um nachzusehen, ob er sich darin aufhielt; das war nicht der Fall. So blieb uns
nichts anderes übrig, als sofort zu dem angeblichen Missionar zu gehen. Laut klopfte Rolf an die Kabinentür – keine Antwort! Ein zweiter Versuch verlief ebenso negativ. Kurz entschlossen öffnete mein Freund die Tür und fand die Kabine – leer. Schon wollten wir weitergehen, als wir einen dumpfen Ton vernahmen, der uns aufhorchen ließ. Es hörte sich an, als ob ein geknebelter Mensch sich irgendwie bemerkbar machen wollte. Torring hob einen Vorhang, der eine Ecke der Kabine abtrennte. Dahinter lag – gefesselt und geknebelt – Goliath und schaute uns mit weit aufgerissenen Augen an. Schon während wir ihn von den Stricken befreiten, berichtete er, er hätte hinter dem Heckhäuschen gestanden, als er plötzlich von rückwärts gepackt und geknebelt worden sei. Dann habe ihn jemand in die Höhe gehoben und in Fleets Kabine getragen. Dort erst erkannte er, daß es der Missionar war, der ihn jetzt fesselte. Danach untersuchte Defoe die Kabine genau und steckte verschiedene Gegenstände zu sich. Fleet sprang sofort an den Schreibtisch heran und zog einige Schubfächer heraus. »Ich bin bestohlen worden!« rief er laut. »Aber der Bursche kann ja nicht von Bord! Suchen wir ihn!«
Er wollte eben die Kabine verlassen, als Pongo eintrat. »Massers, Pongo glauben, daß Missionar geflohen sein, weil Kanu von Missionar verschwunden«, berichtete er. Wir hatten das Kanu im letzten Stück des Hecks verstaut und glaubten es dort sicher, weil sich daneben der Verschlag mit den Motoren befand, in dem ständig ein Bongo-Neger saß. Pongos Mitteilung ließ uns rasch nach draußen gehen. Das Kanu war tatsächlich verschwunden, und als wir den Neger im Motorengehäuse fragten, erklärte er, daß er weder etwas gesehen noch gehört habe. Die Motoren machten hier aber auch einen solchen Lärm, daß man in dem Verschlag nichts von dem hören konnte, was draußen vor sich ging. Da fast eine Stunde vergangen war, seitdem wir die Veranda verließen, konnte sich Defoe schon weit entfernt haben. Ihm jetzt zu folgen, hatte keinen Zweck, obwohl Fleet als der Bestohlene große Lust dazu verspürte. Zehntausend Dollar hatte Defoe mitgehen heißen. Fleet hatte sie in einer wenig gesicherten Schublade seines Schreibtisches aufbewahrt. Der Polizei Wachtmeister war über die Flucht Defoes sehr betroffen.
Er hatte ihn und seine Tochter sicher nach Kindu bringen sollen und sich schon gefreut, ihn bei uns angetroffen zu haben. Warum der Mann geflohen war, verstand er einfach nicht »Kennen Sie«, fragte Rolf unvermittelt den Belgier, »einen Mann mit dem Spitznamen ,the black spirit’?« »Und ob! Wer kennt ihn nicht?! ,Der schwarze Geist’ ist der gefürchtetste und verwegenste Flußpirat des Kongo. Eine hohe Prämie zahlt die Regierung dem, der ihn lebendig oder tot nach Ponthierville bringt.« »Ich glaube«, erklärte mein Freund auf die Auskunft, »daß Sie sich die Belohnung – beinahe verdient hätten, Herr Sergeant. ,The black spirit’ war, wie ich vermute, an Bord.« »,The black spirit’?! Bei Ihnen?« »Der Missionar war kein Missionar. Defoe ist kein anderer als der gesuchte Pirat, der sich als Missionar verkleidet hat.« Der Wachtmeister war sprachlos, Rolf aber fuhr fort: »Seine Flucht beweist, daß meine Annahme richtig ist. Ihr Kommen hat ihn vertrieben.« »Dann muß ich ihm gleich folgen, meine Herren! Wer weiß, ob er dem echten Defoe und seiner Tochter nicht etwas angetan hat!« »Wie kommen Sie darauf?« »Weil er die Kleidung des Missionars trägt!
Können Sie mir übrigens beschreiben, wie der Mann aussah, der sich bei Ihnen als Missionar Defoe ausgab?« Rolf nickte und kam der Bitte des Sergeanten gern nach. »Der Mann war ,the black spirit’!« rief der Polizist. »Ich irre mich nicht. Fahren Sie getrost nach Ponthierville weiter! Melden Sie bitte dort, was Sie mit dem angeblichen Missionar erlebten! Ich werde alles tun, um ihn einzuholen. Die Geschichte, die er Ihnen erzählte, war ein Märchen!« Der Polizeibeamte hatte es nun sehr eilig, in sein Boot zurückzukommen, wo er seine Mannschaft zu rascher Fahrt anfeuerte. Fleet war über den Diebstahl Defoes sehr ärgerlich; aufgeregt ging er an Deck auf und ab. Rolf und ich suchten für alle Fälle mit den Ferngläsern die Ufer ab. Es wäre nicht der schlechteste Trick gewesen, wenn der angebliche Defoe sich fürs nächste in der Nähe verborgen hätte. Doch konnten wir nichts feststellen. Wohin sich »the black spirit« jetzt gewandt hatte, war natürlich offen. Solange er allein war, hatten wir von ihm nichts zu fürchten. Wenn er aber seine Helfer in der Nähe hatte, konnten für uns recht unangenehme Situationen entstehen. Unser Boot wäre für ihn sicher
eine sehr wertvolle Beute gewesen, besonders auch als Hilfsmittel für weitere Gaunereien. Der Amerikaner ließ die Motoren anwerfen und das Segel straffziehen, um möglichst bald Ponthierville zu erreichen. Verhältnismäßig schnell fuhren wir den Kongo abwärts und hatten uns bald weit von der Stelle entfernt, wo der betrügerische Missionar von Bord gegangen war. Zwei Stunden hielten wir gleichbleibende Geschwindigkeit. Plötzlich wurde der Strom schmaler, die Ufer traten näher, und das Wasser schoß rascher dahin als bisher. Es sah beinahe so aus, als ob wir uns einer Stromschnelle näherten. Rolf wollte Fleet warnen und ihn bitten, die Motoren abstellen zu lassen, weil wir bei der Geschwindigkeit des Bootes unversehens auflaufen konnten. Aber Fleet schüttelte den Kopf und erwiderte, er wolle so schnell wie möglich in Ponthierville sein. In dem Augenbick gab es einen gewaltigen Ruck, durch den wir fast über Bord geworfen worden wären. Das Boot lag still, obwohl die Motoren noch arbeiteten. Auch der Mast war gebrochen. »Wir sind auf eine Sandbank gelaufen, Mr. Fleet«, rief Rolf. »Jetzt wird sich unsere Ankunft in Ponthierville verzögern.« Fleet war wütend. Er eilte zum Bug, wo er Ma-
suf auszankte, weil er den Strom nicht aufmerksam genug beobachtet habe. Ungern ließ er sich von Masufs Unschuld überzeugen. Er hatte die Sandbank nicht sehen können, weil sie vom Wasser überspült wurde. Wir saßen also fest. Pongo wollte mit einigen Bongo-Negern über Bord klettern, um das Boot fortzuschieben, unterließ es aber, als sich vom Ufer her Krokodile näherten. Fleet griff nach der Büchse und feuerte nach der ersten Echse. Er traf sie tödlich und das Tier sank sofort unter. Die anderen Krokodile verließen ebenfalls die Wasseroberfläche, weil sie sich auf den todwunden Artgenossen stürzten, den sie als willkommene Beute betrachteten. Das Blut des zu Stücken gerissenen Tieres lockte noch mehr Panzerechsen, und es dauerte nicht lange, bis wir von allen Seiten von Krokodilen umgeben waren. Sie kamen so nahe an die Bordwand des Bootes heran, daß wir sie fast mit den Händen hätten greifen können. Die Tiere zu erlegen, hatte wenig Sinn, denn dadurch wären nur immer neue herbeigezogen worden, um über die getöteten herzufallen. Der Bug unseres Bootes war weit auf die Bank aufgelaufen und steckte unverrückbar fest. Das ganze Boot lag schräg im Wasser. Vergeb-
lich bemühten sich die Neger unter Pongos Anleitung das Boot freizubekommen, indem sie es mit langen Stangen fortzustaken versuchten. Die Stangen bohrten sich nur tief in den feinen, nassen Sand ein, und das Boot bewegte sich um keinen Zentimeter. Wären die Krokodile nicht gewesen, hätten wir ins Wasser steigen können, um das Boot zu entlasten und anzuschieben. Wir standen ziemlich ratlos und wußten nicht, was wir unternehmen sollten. Mehrmals hatte ein Krokodil sogar versucht, die niedrige Bordwand zu überklettern. Pongo hatte das Tier stets mit einer Stange ins Wasser zurückgeworfen. Jetzt lagen die Echsen träge um uns und warteten auf Beute. Unsere Lage war ernst, denn die Tiere konnten unter Umständen tagelang hier ausharren. Mit der Kraft der Motoren konnten wir nicht freikommen, ebenso nicht durch Einsatz des Segels, wenn Fleet auch inzwischen angeordnet hatte, den Reservemast aufzurichten. Diese Arbeit dauerte länger, als der Amerikaner geschätzt hatte. Fleets Stimmung konnte man nur als »geladen« bezeichnen. Er vermutete, daß uns der angebliche Missionar die Sandbank, die er kennen mußte, absichtlich verschwiegen hatte. Er hoffte wohl, daß wir auflaufen würden, wie es tatsächlich gesche-
hen war. Und es konnte sogar sein, daß uns »the black spirit« hier mit seinen Leuten angreifen wollte. Stunde um Stunde verging. Pongo bemühte sich unverdrossen, das Boot auf irgendeine Weise flott zu bekommen. Alle Versuche verliefen erfolglos. Und noch immer glotzten uns von allen Seiten die Krokodile an. Plötzlich rief Masuf uns etwas zu und deutete den Kongo abwärts. Ein langes Boot war aufgetaucht, bemannt mit Negern und zwei Weißen. Im ganzen zählten sie zehn Köpfe. Das Boot hielt unmittelbar auf uns zu. Rolf wies unsere Leute an, sich verteidigungsbereit zu machen. Zu fürchten hatten wir das Boot nicht, denn wir waren fünfzehn waffenfähige Männer an Bord, aber unangenehm konnte eine feindliche Begegnung doch werden. »Was meinen Sie, Mr. Torring, ob diese Schwarzen mit dem ,schwarzen Geist’ in Verbindung stehen?« fragte Fleet. »Das kann man noch nicht wissen«, antwortete mein Freund. »Vielleicht werden sie uns sogar helfen, unser Boot flottzumachen.« Das lange, schmale Kanu war bis auf Rufnähe herangekommen. Der Weiße am Steuer war aufgestanden und rief uns an. »Hallo, Gentlemen! Können wir Ihnen helfen?«
»Wir kommen nicht frei!« rief Fleet hinüber. »Aber Sie werden uns nicht viel helfen können, denn die Krokodile haben rund um uns eine Sperre gelegt.« »Wenn es weiter nichts ist!« rief der Weiße. »Von den Krokodilen werden wir Sie schnell befreien. In einer Viertelstunde sind die schuppigen Biester alle fort!« »Kaum zu glauben!« murmelte Fleet und setzte laut hinzu: »Herrlich! Dann nur los, Gentlemen!« »Mach ich!« kam es von drüben. »Ist ein alter Trick!« Er nahm ein paar Stücke rohes Fleisch auf, das er griffbereit im Kanu liegen hatte, und warf es nach rechts ins Wasser, daß es klatschte. Sofort wandten einige Krokodile die Köpfe und schwammen nach der Richtung, wo das Fleisch ins Wasser gefallen war. Als die ersten Krokodile tauchten, um das untersinkende Fleisch zu schnappen, warf der Weiße weitere Stücke in den Strom, eins immer weiter hinaus als das andere. So erreichte er es, daß sich in kurzer Zeit alle uns belagernden Krokodile in Bewegung setzten und der Beute nachschwammen. Der Weiße nutzte die Ablenkung der Krokodile und ließ die Neger das Kanu an unser Boot heranrudern. Als es längsseits lag, sprang er
mit dem anderen Weißen zu uns herüber, ohne erst zu fragen, ob es erlaubt sei. »Gestatten Sie, meine Herren«, sagte er, »daß wir uns Ihnen erst einmal vorstellen. Ich heiße James Bullwer und bin – erschrecken Sie bitte nicht! – Polizeiagent. Hier mein Begleiter ist Jack Piels. Wir sind auf der Suche nach dem Missionar Defoe, der oberhalb auf dem Kongo verschwunden ist.« Bei den Worten holte der Mann seinen Ausweis hervor und reichte ihn Fleet als dem Schiffseigentümer, der sich und uns vorgestellt hatte. Fleet sah sich das Papier genau an und gab es an Rolf weiter, der es mir reichte. Beruhigt blickten wir einander an, als wir festgestellt hatten, daß der Ausweis echt war. Wir durften den beiden Weißen trauen. Ich gab Bullwer den Ausweis zurück. Wir schüttelten einander die Hände. Dann besah sich der Polizeiagent den Bootsschaden. Uniform trugen die beiden Männer nicht, sondern schlichte Tropenanzüge. Einigemal nickte Bullwer vor sich hin, dann studierte er den Himmel, wechselte ein paar Worte mit seinem Begleiter und sagte zu uns: »Wir werden Sie freibekommen! Die Krokodile werden sich untereinander noch lange herumzanken, auch wenn längst kein Fleischbrocken mehr vorhanden ist. Später kehren sie
vielleicht hierher zurück, aber auch das ist noch fraglich. Sie haben eingesehen, daß hier nichts zu holen ist. Und schauen Sie nach oben! Der Wind dreht sich! Wenn wir Ihr Beiboot, mit Ihren Ruderern bemannt, und mein Kanu am Heck Ihres Bootes vorspannen, Ihre Motoren laufen lassen und schließlich sogar der Wind in das Segel fährt, muß es möglich sein, die Last von der Sandbank zu ziehen.« »Wann wird der Wind umschlagen?« fragte Fleet. »In einer halben Stunde, schätze ich.« Fleet ließ schon jetzt alle Vorbereitungen treffen. Pongo instruierte die Bongo-Neger, die gleich mit ihm ins Beiboot stiegen, nachdem genügend Stricke und Taue verstaut waren. Noch ehe der Wind seine Richtung geändert hatte, brachten es die Ruderer in beiden Kähnen fertig, das Nilboot so weit zu drehen, daß das Heck wieder schwamm und nur noch der Bug festsaß. Die Arbeit war anstrengend, und Bullwer, der die Aktion leitete, ließ erst eine Atempause einlegen. Die Motoren konnten jederzeit angeworfen werden, und wenn der Wind umschlug, konnte die Hauptarbeit beginnen. Ich paßte inzwischen auf die Krokodile auf. Wenn sie zurückkehren sollten, mußten wir die Arbeit unterbrechen. Aber Bullwer kannte die Tiere genauer als wir. Einige von ihnen wa-
ren schon wieder dem Ufer zugeschwommen, als sie die Aussichtslosigkeit eingesehen hatten, noch einen der ins Wasser geworfenen Fleischbrocken zu erwischen. Zu uns zurückzukehren, hielten sie wohl auch für aussichtslos. So folgten die meisten ihrem Beispiel, und wir wurden nicht mehr belästigt. Es dauerte nicht einmal eine, halbe Stunde, bis sich der Wind tatsächlich drehte. Bullwer beendete die Pause. Alle freien Hände griffen zu, indem man sich mit Stangen bewaffnete und das Boot von der Sandbank zu schieben versuchte. Die Neger in den beiden Booten ruderten aus Leibeskräften. Die Motoren sprangen an, daß das Wasser zu beiden Seiten des Bootes aufrauschte, der Wind füllte das Segel, und langsam, Zentimeter um Zentimeter, bewegte sich unser Boot. Dann gab es einen Ruck, das Boot war frei und schoß in tieferes Wasser hinein. Die Neger in den beiden Kähnen mußten sich beeilen, um nicht gerammt zu werden. Die Krokodile lagen träge am Ufer oder im seichten Wasser und kümmerten sich nicht mehr um uns. Pongo und die Bongo-Neger ruderten das Beiboot heran und stiegen auf unser Boot zurück. Fleet bedankte sich in unser aller Namen herzlich bei dem Polizeiagenten, der uns die
Fahrrinne beschrieb, die sich von hier aus einen Kilometer weit in sanften S-Bögen zwischen den Sandbänken hindurchwand. Letztere, obwohl sie vom Wasser fast alle überspielt wurden, waren zu erkennen, wenn man von ihrem Vorhandensein wußte. Pongo wurde auserwählt, die Arbeit zu übernehmen. Seinen scharfen Augen würde nun keine Sandbank mehr entgehen. Darauf durften wir uns verlassen. Wenn wir die Kette der Sandbänke hinter uns gelassen hatten, war – wie Bullwer erklärte – bis Ponthierville mit keinem Hindernis auf dem Kongo mehr zu rechnen. Kurz, aber herzlich war der Abschied von den beiden Weißen, die ihr Kanu wieder bestiegen und fortruderten, um den vermißten Missionar zu suchen. Wir atmeten erleichtert auf, als wir das Boot durch die Sandbänke hindurchgebracht und nun bis Ponthierville kein Hindernis mehr vor uns hatten. »Wir haben Bullwer gar nicht gesagt, daß wir schon dem belgischen Polizeiboot begegnet sind und Bekanntschaft mit dem falschen Defoe gemacht haben, Rolf, fiel mir plötzlich ein«. »Daß das andere Polizeiboot schon unterwegs war, wird er gewußt haben«, meinte Rolf. »Al-
lerdings hätten wir ihm wegen des angeblichen Missionars Bescheid geben können.« »Eigentümlich ist es doch«, bemerkte Fleet, »daß Bullwer und sein Gehilfe nicht gefragt haben, ob wir ein anderes Boot getroffen hätten. Sie hatten es doch gar nicht so sehr eilig, ihren Auftrag auszuführen.« »Wollen Sie damit einen Verdacht aussprechen, Mr. Fleet?« fragte ich. »Der Ausweis war echt.« »Über die beiden Agenten werden wir sicherlich in Ponthierville mehr erfahren können«, vertröstete uns Rolf auf später. Der Wind legte sich bald wieder, so daß wir nur durch die Kraft der Motoren und die Strömung vorwärtskamen. Fleet wurde fast schon wieder ungeduldig. Wir waren noch in lebhafter Unterhaltung, als auf einmal vom Bug her ein dumpfer Knall ertönte. Wir sahen einige Neger taumeln und hinfallen. Leichter Nebel zog sich über den Bug des Bootes und hüllte die Spitze von Sekunde zu Sekunde mehr ein. Wir waren wie angewurzelt stehengeblieben. Als wir uns endlich aufrafften, um nach vorn zu eilen, knallte es dicht neben uns. Auch bei uns entwickelte sich eine Nebelwolke. Was war geschehen? Ich blickte die Kameraden an, aber keiner von uns schaltete rasch ge-
nug. Ich fühlte plötzlich einen Schwindel im Kopf, der mich wanken ließ. »Giftgas!« ging es mir durch den Kopf. Mehr konnte ich nicht denken, denn im nächsten Augenblick stürzte ich auf die Planken des Decks und sah nur noch, daß es den Kameraden nicht anders erging. Ich glaubte sogar noch einen dritten Knall zu vernehmen, den ich aber nur noch im Unterbewußtsein hörte, bevor mir die Sinne ganz schwanden.
3. Kapitel Ich glaubte zu träumen, als ich erwachte. Auf einer Waldlichtung brannte ein Lagerfeuer, um das drei Weiße und etwa zwanzig Neger saßen. Ich selber lag ein Stück davon entfernt, neben mir sah ich die Kameraden. Vier Neger bewachten uns, obwohl wir alle gefesselt waren. Erstaunt blickte ich um mich. Ich konnte nur Rolf, Fleet, Bird, Pongo und Goliath erkennen; von den Bongo-Negern war keiner zu sehen. Plötzlich hörte ich neben mir Rolfs Stimme, er sagte leise und in deutscher Sprache zu mir: »Da sind wir ganz gehörig hereingefallen! Der angebliche Polizeiagent hat heimlich Gasbomben mit Zeitzündern auf dem Boot versteckt.
Das Gas hat uns alle betäubt. So war es später für ihn eine Kleinigkeit, uns zu fangen und das Boot in Besitz zu nehmen. Schau mal richtig zum Feuer hin! Du wirst dich wundern, wer da sitzt!« Ich fuhr erschrocken auf. Also war es doch kein Traum, daß ich auf einer Waldwiese lag. Ich folgte dem Hinweis meines Freundes und richtete mich etwas auf, um nach dem Lagerfeuer hinsehen zu können. Die Männer dort lachten und unterhielten sich, während sie ihr Abendessen verzehrten. Den Polizeiagenten konnte ich trotz des flackernden Lichtes deutlich erkennen, daneben seinen Gehilfen und – Defoe, den angeblichen Missionar, der jetzt ebenfalls einen Tropenanzug trug. »The black spirit«, flüsterte Rolf mir zu. »Er steckte von vorneherein mit den anderen unter einer Decke. Es war unser Pech, daß die Burschen sich einen zweifellos echten Polizeiausweis ergaunert haben.« »Und warum überfielen sie uns?« »Weil sie bei uns Wertgegenstände vermuteten. Zehntausend Dollar, die sie schon haben, sind schließlich kein Pappenstiel! Und auch unser Boot ist bestimmt von großem Wert für sie.« »Sicherlich fordern sie jetzt auch noch ein Lösegeld, Rolf.«
»Das ist anzunehmen! Übrigens weiß ich jetzt, was der Inhalt des Zettels besagte, den du fandest. Lieferung erfolgt hieß, daß der Überfall auf den Missionar geglückt ist. ,Wind gut aus Süden’ bedeutete, daß ein Boot von dort kommt.« »Also wir!« »Natürlich! Wir werden flotte Fahrt haben kann nur heißen, daß sie gute Beute machen werden.« »Und Bootsleute besorgen?« »Daß die Neger und die anderen Weißen aufpassen sollen!« »Du hast recht, Rolf!« rief ich fast zu laut. Die Leute am Feuer achteten glücklicherweise nicht auf uns, ihre Gefangenen, sondern unterhielten sich, als existierten wir gar nicht. Leider konnten wir nicht verstehen, was gesprochen wurde; wir lagen ein wenig zu weit entfernt. Nach einer Stunde ungefähr gab der angebliche Missionar den vier Schwarzen, die in unserer Nähe saßen, einen Wink. Sie erhoben sich und trugen uns nacheinander zum Feuer hin. Nur durch das Feuer getrennt saßen wir den drei Weißen gegenüber. Der »Missionar« lachte uns zur Begrüßung an. »Daß wir uns so schnell wiedersehen würden, hätten Sie nicht gedacht, nicht wahr, meine
Herren? Sie hatten recht mit Ihrer Vermutung, daß Sie auf Ihrer Fahrt ,the black spirit’ treffen würden. Ich bin es!« »Sie sagen uns damit nichts Neues. Als Sie auf unserem Boot waren und wir uns über den berüchtigten Flußpiraten unterhielten, vermuteten wir schon, wer Sie sind«, erwiderte Torring. »Wenn Sie nicht geflohen wären, säßen Sie jetzt noch fest.« »Tja, wenn – darauf kommt es ja stets an im Leben!« lachte »the black spirit«. »Wir wollen uns hier aber nicht in philosophischen Ergüssen über Lebenkunst unterhalten. Ich will Ihnen sagen, worum es sich handelt. Wir fordern von Ihnen ein Lösegeld. Wenn wir es erhalten, lassen wir Sie ein Stück unterhalb am Kongo wieder frei, wenn Sie sich nicht dazu bereitfinden, dann… na, Sie können sich vielleicht denken, was Ihnen dann bevorsteht. Krokodile haben immer Hunger! Wie denken Sie über meinen doch ganz humanen Vorschlag?« »Es kommt darauf an, wieviel Sie fordern«, antwortete Fleet an Rolfs Stelle, »und welche Sicherheit wir haben, freigelassen zu werden.« »The black spirit« wurde ärgerlich, als er antwortete: »Ich halte mein Wort stets!« »Ihre Beteuerung ist für uns kein Beweis. Welche Summe fordern Sie übrigens als Lösegeld?«
»Ich werde es billig machen: jeder Weiße zahlt zehntausend Dollar, der Schwarze hier und die halbe Portion (damit wies er auf Goliath) die Hälfte, insgesamt also runde fünfzigtausend. Innerhalb von vierzehn Tagen will ich das Geld, sonst…« Erwartungsvoll blickte uns der Mann der Reihe nach an. Rolf erwiderte: »Danke für Ihre Einschätzung, Mister…. Sie sollen das Geld haben, wenn Sie uns die Gewißheit geben, daß wir freikommen. Wie können und wollen Sie uns davon überzeugen?« »Ich habe Ihnen mein Wort gegeben.« »Nehmen Sie es nicht übel, aber Ihr Wort ist für uns eine Münze unbekannten Wertes.« »Wenn Sie die Anweisung nicht sofort unterschreiben, schließe ich die Verhandlung!« »Das nützt Ihnen wenig. Wenn wir tot sind, erhalten Sie nicht einen Schilling!« »The black spirit« schwieg und blickte eine Weile in das Feuer. Er hatte bestimmt geglaubt, uns durch die Drohung einschüchtern zu können. Dann zog er flüsternd den falschen Polizeiagenten zu Rate, der endlich zustimmend nickte. »Ich schlage folgendes vor«, begann »the black spirit«. »Sie geben die Anweisung einem Boten, der sie einzulösen berechtigt ist. Er wird mir das Geld aushändigen. Wir werden
Sie einstweilen nach Ponthierville bringen, wo uns ein sicheres Versteck zur Verfügung steht. Wenn ich das Geld in Händen habe, sind Sie frei und können sich wenden, wohin Sie wollen. Sollte jedoch das Geld nicht eintreffen, schaffen wir Sie wieder hinaus auf den Kongo und lassen Sie tauchen! Na, wie ist es? Erklären Sie sich! Ich denke nicht, bis morgen früh mit Ihnen zu verhandeln.« Wir taten so, als überlegten wir eifrig. Als »the black spirit« schon ungeduldig wurde, erwiderte mein Freund: »Wir nehmen Ihren Vorschlag an. In Stanleyville haben wir Bekannte. An diese werden wir Ihnen einen Brief mitgeben, damit Ihnen das Lösegeld ausgezahlt wird. Einen Boten braucht es darin gar nicht.« Die Augen des Piraten leuchteten auf. Die Lösung sagte ihm zu. Er ließ Rolf Schreibmaterial bringen, löste ihm die Fessel des rechten Armes und forderte ihn auf, zu schreiben. Rolf warf mir einen bedeutsamen Blick zu, und begann zu schreiben. Ich konnte mich nicht entsinnen, daß wir in Stanleyville Bekannte hätten; wir waren auch noch nie in dieser Stadt. Also mußte alles ein Trick Rolfs sein, den ich noch nicht durchschaute. Ich war sehr neugierig, wie er unsere Befreiung arrangieren wollte.
Als der Brief geschrieben war, wurde Rolf sofort wieder gefesselt. Daraufhin brachte man uns aus der Nähe des Lagerfeuers fort und legte uns am Rande der Lichtung nieder, wo wieder vier Neger erschienen, um uns zu bewachen. »Sie haben doch in Stanleyville gar keine Bekannten«, meinte Fleet nach einer Weile leise. »,The black spirit’ wird den Schwindel bald bemerken.« »Ich wollte nur ein paar Tage Frist gewinnen, Mr. Fleet, die wir benutzen können, uns zu befreien. Wenn man uns wirklich nach Ponthierville bringt, sieht unsere Lage gar nicht trostlos aus.« Rolf und Fleet mußten die Unterhaltung einstellen; es schien, als wollten die Piraten jetzt aufbrechen. Vielleicht wollten sie noch während der Dunkelheit in Ponthierville sein. Aufmerksam beobachteten wir das Treiben der Männer. Ich mußte an unsere Bongo-Neger denken; was mochten sie mit ihnen angestellt haben? Wir wurden fortgetragen. In noch nicht einer Viertelstunde waren wir am Kongo und sahen unser Boot im Mondschein am Ufer liegen. Zu unserer Freude bemerkten wir sofort unsere Neger, die sämtlich am Leben, aber wie wir gefesselt waren. Hoffentlich konnten wir sie spä-
ter befreien! Man legte uns auf die Decksplanken des Nilbootes. »The black spirit« richtete sich in Fleets Kabine ein, die beiden anderen Weißen in unserer Kajüte. Auch die Neger waren an Bord gekommen; sie mußten die Anker lichten und das Segel setzen. Bald trieb uns ein leichter Wind den Kongo hinab. Ich rechnete mir aus, daß wir lange vor Anbruch des Tages in Ponthierville sein mußten. Da es bis dahin aber noch ein paar Stunden dauern würde, beschloß ich, erst einmal zu schlafen, um möglichst frisch zu sein, sobald wir etwas für unsere Befreiung tun konnten. Ich war schon im Einschlafen, als Rolf mich anstieß. »Ich glaube, ich habe einen Fehler gemacht, als ich den Leuten den Brief aushändigte: sie nehmen an, daß unsere gar nicht existierenden Bekannten ihnen die Summe aushändigen werden. Warum sollte ,the black spirit’ uns jetzt noch schonen?« Rolf hatte zweifellos recht, diese Gefahr bestand; an Schlaf war nicht mehr zu denken. Ich lauschte mißtrauisch auf jedes Geräusch. Sooft Besatzungsmitglieder in meine Nähe kamen, fürchtete ich, es werde zum letzten kommen. Verzweifelt überlegte ich, was wir unternehmen könnten, wenn man uns demnächst den
Krokodilen zum Fraß vorwarf. Schritte näherten sich, die drei Weißen kamen auf uns zu. »The black spirit« betrachtete uns eine Weile schweigend, dann sagte er: »Sie haben mein Wort verschmäht, schreiben Sie es sich selbst zu, meine Herren, wenn Sie für diese sträfliche Beleidigung jetzt mit dem Kongo Bekanntschaft machen.« »Und das Lösegeld?« rief Fleet. »Keine Sorge darum – ich werfe Ihnen Ihren Brief nicht nach. Für Sie aber habe ich verdammt keinen Gebrauch mehr.« Damit gab er zwei Negern einen Wink. Sie packten Fleet und machten Miene, ihn zum Rande des Bootes zu tragen. »Moment«, rief Rolf. »Vergönnen Sie Fleet noch einige Atemzüge, Mr. Spirit.« Der Hohn in Rolfs Stimme veranlaßte den Banditen, mit einem Wink den Abtransport Fleets zu stoppen. »Diesmal war nämlich der ,Spiritus’ bei uns, und Sie haben um Zielbreite danebengeschossen.« ,Mr. Spirit’ zog fragend die Augenbrauen hoch. »Ich rechnete damit, daß Sie uns bereits auf dem Kongo die Freiheit bescheren würden. Deshalb geht der Brief an eine fingierte Adresse. Wenn Sie uns umbringen, werfen Sie auch
Ihr Geld weg. Wie schmeckt das, ,Mr. Spirit’?« Der »Schwarze Geist« schnitt eine Grimasse. Torrings Erklärung war zu einleuchtend, um sie mißachten zu können, auch auf die Gefahr hin, daß sie möglicherweise doch nur ein Trick war. Er gab den Negern, die Fleet noch immer hielten, den Befehl, ihn auf die Planken zu legen. Dann wandte er sich ärgerlich dem Mann zu, der sich früher als Bullwer vorgestellt hatte. Während die beiden miteinander tuschelten, legten die Neger Fleet wieder neben uns. Zum zweiten Male trat »the black spirit« heran und erklärte geschmeidig: »Auch ich traute Ihnen nicht, meine Herren, und wollte nur die Gewißheit haben, ob an dem Brief auch nichts geflunkert ist.« Er zerriß den Brief in kleine Fetzen und ließ sie über Bord flattern. »Jetzt nenne ich Ihnen einen Namen und eine Adresse! An den Mann werden Sie schreiben, auch wenn Sie ihn nicht kennen. Das ist nämlich nicht nötig. Von ihm erhalte ich das Lösegeld auf jeden Fall. Er streckt es Ihnen vor. Es handelt sich um einen vermögenden Mann, der sein Brot als Geldverleiher verdient. Er mag sich mit der Bank, die Ihre Gelder verwaltet, in Verbindung setzen. Das dauert zwar etwas länger, ist aber ein sicheres Geschäft. Sind
Sie bereit, den Brief zu schreiben?« »Nein!« antwortete Torring mit Entschiedenheit. »The black spirit« hatte anscheinend keine andere Antwort erwartet, denn ohne Zögern meinte er: »Ich gebe Ihnen eine halbe Stunde Bedenkzeit. Wenn Sie sich dann noch weigern, verzichte ich auf das Geld und mache mit Ihnen Schluß!« Damit drehte er sich auf dem Absatz um und verließ uns mit den beiden anderen Weißen. »Jetzt wird die Sache ernst«, meinte Fleet, »obwohl es schon kein gutes Gefühl war, als mich die Neger packten. Ich hoffte im Stillen, zu ertrinken, ehe mich die Krokodile witterten.« »Was machen wir jetzt, Rolf?« »Ich halte es für ebenso verkehrt, den Brief zu schreiben, wie ihn nicht zu schreiben.« »Das möchte ich nicht sagen. Er wird sich nur an uns vergreifen, Mr. Torring, wenn er genau weiß, daß ihm das Geld nicht entgeht. Ich schlage vor, ihm keinesfalls etwas Schriftliches zu übergeben.« In dem Augenblick mischte sich Pongo ins Gespräch. »Massers ganz ruhig sein können. Pongo bestimmt glauben, daß Fesseln aufbekommen
werden. Dann Massers schnell befreien. Massers ,schwarzen Geist’ noch etwas hinhalten müssen. Pongo später zu Kahn schleichen und mit Massers entfliehen.« »Dann müssen wir aber unser ganzes Eigentum hier lassen und können nicht einmal unsere Waffen mitnehmen«, erwiderte Fleet, der sein Boot ungern im Stich lassen wollte. »Wir müssen die Chance wahrnehmen, die sich bietet«, entgegnete Rolf. »Und solange wir nicht tot sind, haben wir Aussicht, alles wiederzubekommen. Erst einmal fort! Die meisten Neger schlafen; die beiden Wachen werden wir leicht überwältigen. Es ist gut, daß die Motoren nicht laufen. Sonst würde dort auch noch ein Posten aufgestellt sein, der unsere Flucht bemerken könnte.« Woher ich den Mut zu der Bemerkung nahm, die ich jetzt machte, weiß ich nicht mehr. Jedenfalls schlug ich vor, »rein Schiff zu machen«, das heißt, die drei Weißen gleich mit unschädlich zu machen. Rolf nickte mir zu, er hatte den gleichen Plan schon erwogen, aber doch auch ernsthafte Bedenken. »Wenn nur ein einziger Neger munter wird, haben wir die ganze Meute auf dem Hals.« »Und unsere Neger, Mr. Torring?« fragte Fleet kampflustig. »Die können nichts unter-
nehmen, weil sie nicht bewaffnet sind! Ja, wenn wir wenigstens Waffen hätten!« Da mischte sich Bird ins Gespräch. »Was meinen Sie dazu? Wenn wir keine Fesseln mehr tragen, schleichen wir zum Bug und überwältigen den Steuermann und die Wache. Am Maschinengewehr stehen, wie ich sah, noch die beiden Kisten Munition, die ich hinschaffen ließ. Das Maschinengewehr muß noch schußbereit sein. Mit ihm sind wir sofort die Herren des Bootes.« »Ausgezeichnet! Das läßt sich machen!« rief Fleet. »Was meinen Sie jetzt, Mr. Torring?« »Das sieht schon besser aus. Gleichzeitig aber muß jemand unser Beiboot startklar machen und sichern, sonst gehen uns die Burschen durch die Lappen.« »Am besten ist, das Beiboot zu verstecken! Pongo, das machen wir!« meinte ich. Fleet war einverstanden. Jetzt fehlte nur noch, daß Pongo seine Fesseln abstreifen konnte. Fleet fragte den schwarzen Riesen, wie weit er schon sei. »Pongo Arme und Hände schon freihaben!« flüsterte der Riese. »Pongo nur noch Beinfesseln lösen muß. Dann Massers bald frei sein. Masser Torring vom ,schwarzen Geist’ noch einmal Frist verlangen muß.« Wieder näherten sich die drei Weißen.
»Nun, Herrschaften, wie haben Sie sich entschieden?« fragte der Pirat. »Wir sind zu einem Entschluß gekommen und werden uns auf etwas anderes nicht einlassen«, erklärte Torring zweideutig. »Sie haben gezeigt, daß man sich auf Ihre Zusicherungen nicht verlassen kann. Deshalb werden wir den Brief erst im letzten Augenblick schreiben.« »Im letzten Augenblick, was soll das nun wieder heißen?! Wann ist denn der ,letzte Augenblick’?« »Wenn wir in Ponthierville sind!« »The black spirit« wollte aufbrausen, aber Bullwer gab ihm einen Wink. Beide flüsterten, nachdem sie ein Stück zur Seite getreten waren, miteinander. Endlich sagte der »schwarze Geist«: »Schön! Sie sollen Ihren Willen haben! Vor Ponthierville lasse ich Sie in die Kabine bringen – damit man dort über gefesselte Weiße nicht zu sehr staunt.« »Einverstanden!« erwiderte Torring. Damit hatten wir genügend Zeit gewonnen. Die drei Weißen entfernten sich. Ich hätte am liebsten laut aufgejubelt, denn jetzt war ich überzeugt, daß unser Vorhaben glücken würde. Pongo meldete sich: »Pongo sein jetzt frei, Massers. Masser Tor-
ring sich so legen, daß Pongo ihm lösen kann die Stricke.« In kurzer Zeit war Rolf frei, wenig später ich. Gemeinsam befreiten wir die anderen. Rolf und ich trugen in Innentaschen unserer Buschhemden kleine, aber tüchtige Taschenmesser versteckt. Mein Freund gab das seine Pongo, der sich zu den Bongo-Negern schleichen sollte, um sie zu befreien. Augenblicklich waren vier Wachen an Deck: ein Neger bediente das Ruder, einer das Segel, und die beiden anderen hatten dafür zu sorgen, daß nichts Ungewöhnliches geschah. Sie hielten sich – wie gerade jetzt – nicht immer in unserer Nähe auf, so daß Pongo ungestört zu den Bongo-Negern schleichen konnte. Wenige Minuten vergingen, bis der Riese zurückkam. Er hatte die Bongo-Neger angewiesen, liegenzubleiben, bis wir sie nach vorn rufen würden. Alles mußte dann so rasch geschehen, daß die Neger des »schwarzen Geistes« keine Zeit fanden, sich zur Wehr zu setzen. Pongo deutete jetzt auf den Mann am Segel, der uns den Rücken zukehrte. Leise schlich er zu ihm hin und holte zu einem seiner gefürchteten Boxhiebe aus. Der Neger am Segel sank zusammen, ohne einen Laut von sich zu geben. Der Riese ergriff die Segelleine, um sie an der Bordseite festzulegen. Von dem Überfall hatte
niemand etwas bemerkt. Gerade jetzt kam ein zweiter Neger, der die Deckwache hatte. Er glaubte wohl, in Pongo seinen Kameraden vor sich zu haben, und ging unmittelbar auf ihn zu. Auch ihn betäubte unser Begleiter mit einem gezielten Kinnhaken. Jetzt standen nur noch zwei Neger am Bug des Bootes. Die konnten wir auf uns nehmen, während Pongo zum Heck schleichen wollte, um das Beiboot in Sicherheit zu bringen. Leise erhoben wir uns. Ich schlich mit Rolf voraus. Wo mochte »the black spirit« mit seinen beiden Kumpanen sein? Wir hofften sie in Fleets Kabine und damit weit vom Schuß. Als wir um den kleinen Deckaufbau am Bug bogen, sahen wir die beiden Neger am Steuerrad stehen und sich leise unterhalten. Rolf und ich näherten uns ihnen in schlendernder Gangart, wodurch wir den Eindruck erweckten, zur Besatzung zu gehören. Erst als wir so nahe waren, um auch bei Nacht erkannt zu werden, sprangen wir vor und warfen uns auf die Burschen. Fleet und Bird waren uns gefolgt und halfen, die lautlos überwältigten Neger zu fesseln und zu knebeln. Niemand sonst auf dem Schiff schien etwas bemerkt zu haben. Ich übernahm das Ruder und brachte das
leicht ins Schwanken gekommene Fahrzeug wieder ins Gleichgewicht. Fleet und Bird besetzten das Maschinengewehr. Jetzt hätten wir unsere Neger rufen können, aber Rolf wollte sie selber holen, um die Schläfer noch nicht zu wecken. Wie ein Schatten verschwand er in Richtung des Hecks.
4. Kapitel Einzeln trafen die Bongo-Neger bei uns ein. Einige hatten sich schon mit Waffen versorgt, die ihren schlafenden Bewachern entglitten waren. Sie schienen nicht übel Lust zu haben, sich auf die Neger des »schwarzen Geistes« zu stürzen. Rolf hielt sie zurück. Es gab jetzt Wichtigeres als Rachegelüste zu befriedigen. Bird, der auf dem kleinen Podest hinter dem Maschinengewehr stand, meldete, daß ein Weißer eben Fleets Kabine verließ und auf die Stelle zuging, an der wir gelegen hatten. In dem Augenblick schrillte schon sein Alarmruf: »Sie sind frei! Sichert die Boote und durchsucht das Schiff!« Bird hatte das Maschinengewehr gerichtet, das auf Rolfs Wink losknatterte. Der aus dem Schlaf aufgeschreckten Neger bemächtigte sich eine kaum zu beschreibende Verwirrung. Un-
ser Koch hatte übrigens absichtlich zu hoch gehalten, um keinen zu verwunden. Die Wirkung der über die Köpfe der Schwarzen pfeifenden Kugeln genügte. Nach dem Feuerstoß Birds rief Rolf: »Bleibt uns vom Leib – oder wir durchsieben euch!« Nun hörte man »the black spirit« eine Salve von Flüchen abfeuern, die natürlich in keiner Weise mit der Wirkung unseres Maschinengewehrs sich messen konnte. Umsonst beschwor und verfluchte er seine Neger, gegen uns vorzudringen. Lieber hätten sie den Krokodilen im Kongo Gesellschaft geleistet, als gegen den Höllenmund unserer Maschinenwaffe anzustürmen, was man ihnen im Grunde auch nicht übel nehmen konnte. Bird ließ eine zweite Salve über das Deck fegen. Diesmal war sie dem »schwarzen Geist« zugedacht. Als ihm selbst die Kugeln um die Ohren pfiffen, verlor er augenblicklich seine Forschheit und warf sich mit seinen weißen Komplizen blitzartig hinter den Heckaufbau. Zu meiner Freude kam jetzt Pongo mit dem Beiboot angerudert. Nun hatten wir kaum noch etwas zu befürchten. Auch mit den beiden Kanus der Neger, die noch am Heck des Nilbootes lagen, konnten unsere Gegner die Flucht nicht wagen. Unser Maschinengewehr
konnte auch diesen Raum bestreichen. Wenigstens glaubten wir das. So waren wir sicher, »the black spirit« gefangen nach Ponthierville bringen und der Behörde abliefern zu können. Es sollte anders kommen. Plötzlich peitschten vom Heckaufbau Schüsse her, so haarscharf gezielt, daß sie unsere Tropenhelme durchlöcherten. Wir warfen uns zu Boden. Aber Bird hielt unerschrocken seine Stellung. Seine dritte Salve kämmte das Heckhäuschen ab und zerfurchte die Oberfläche seines Daches. Fleet beweinte die Sachbeschädigung. Rolf lachte und sagte: »Besser ein Hütten- als noch mal das Helmdach!« Die Banditen waren wieder in Respekt versetzt und für das nächste drang weder ein Laut aus ihrem Bereich herüber, noch wagten sie, auch nur ein Härchen, das ihre Stellung verraten konnte, über die Deckungen hervorlugen zu lassen. Immerhin wunderten war uns nach einer Weile, daß sich am Heck gar nichts mehr rühren wollte. Die anhaltende Stille kam mir dann doch nicht ganz geheuer vor. Sollten die Banditen so mutig sein, zu einem überraschenden Angriff auf uns vorzubrechen? Irgend etwas mußten sie schließlich unternehmen, wollten sie nicht als hoffnungslos Belagerte in Ponthierville einlaufen und durch »umfassendes«
Vorgehen der Poizei kassiert werden. Wenn doch, dann bedeutete die dauernde Bereitschaft, in der wir bis dahin verharren mußten, eine beachtliche Nervenprobe für uns. Ich wollte deshalb Rolf soeben vorschlagen, unter dem Feuerschutz des Maschinengewehrs zum Heck vorzudringen, als sich überraschend der Wind drehte. Das festgelegte Segel wendete sich, soweit es Raum hatte und füllte sich mit »falschem Wind«, wodurch das Nilboot in eine schiefe Lage geriet. Birds Schußfeld war durch das umgeschlagene Segel maskiert worden. Ein Stellungswechsel des Maschinengewehrs war erforderlich. Kostbare Zeit verging, obwohl wir alle halfen, das Boot der neuen Lage anzupassen. Da rief Goliath, der den Strom beobachtet hatte: »Signores, ,schwarzes Geist’ entflieht in langes Kanu!« Tatsächlich hatten die Piraten den günstigen Augenblick benutzt, zu entkommen. Zwar hatten nicht alle Neger in dem langen Fahrzeug Platz gefunden, aber es waren genug Ruderer, um dem Kanu pfeilschnelle Fahrt zu verleihen. »The black spirit« saß am Steuer, feuerte die Neger wild an und stieß triumphierende Beschimpfungen gegen uns aus.
Fleet und Bird waren äußerst ärgerlich. Natürlich hätten wir dem Kanu eine Maschinengewehrsalve hinterherpeitschen können, aber wir befanden uns nicht mehr in Notwehr und hatten somit kein Recht, zu töten. Nach meiner Schätzung mußten sich an Bord unseres Bootes noch etwa fünfzehn Neger befinden. Mit ihnen hatten wir keine Schwierigkeiten. Fleet trat unbewaffnet an sie heran und forderte sie auf, die Waffen abzulegen. Sie ergaben sich, ihres Führers beraubt, gutwillig in ihr Schicksal. Unsere Bongo-Neger fesselten die Neger des »schwarzen Geistes« und legten sie auf die Decksplanken. Fleet hatte inzwischen das Segel einziehen und die Motoren anwerfen lassen. Als wir wieder flotte Fahrt machten, begaben wir uns in Fleets Kabine und fanden zu unserer Freude auf dem Tisch unser Eigentum, einschließlich der Waffen ausgebreitet. Vielleicht hatten die drei Weißen es gerade untereinander verteilen wollen, als sich die günstige Chance für sie einstellte und schleunigst benützt werden mußte. Nur Fleets zehntausend Dollar fehlten; die trug »the black spirit« wohl bei sich. Sicher hatte er den »Erwerb« verschwiegen und seine Komplizen um ihren Anteil geprellt. Die Flußpiraten jetzt zu verfolgen, hatte we-
nig Zweck. Hätten wir sie tatsächlich einholen können, würden sie Zuflucht auf dem Land gesucht haben. Uns jetzt auf ein Landabenteuer einzulassen und bei gleichzeitiger Bewachung des Bootes unsere Kräfte zu verzetteln, war allzu riskant. Kurz vor Tagesanbruch erreichten wir Ponthierville. Die Stadt schien noch zu schlafen. Ein kleiner, älterer Mann war an der Landungsstelle, der uns höflich grüßte. Es war ein Deutscher, der sich nach dem Kriege hier niedergelassen hatte. Er lud uns ein, bei ihm Quartier zu nehmen, auch unser Boot wollte er auf seinem Grund und Boden, zu dem eine Art Hafen in Miniaturformat gehörte, unterbringen. Wir nahmen die Einladung dankend an und fuhren zu seinem Grundstück. Der Deutsche wollte gerade zum Fischen auf den Strom fahren und hatte deshalb sein Boot schon flottgemacht. Als er uns kommen sah, war er zum Landeplatz geeilt, um zu beobachten, wer da so früh eintraf. Bald saßen wir in seinem Hause und ließen uns ein schnell bereitetes Frühstück schmecken. Rolf und Fleet erkundigten sich über die Polizeibehörden der Stadt. Wir waren etwas verwundert, zu hören, daß es hier einen Polizeiagenten namens Bullwer gab. Nun, also verwunderlich war es nicht – wenn man einen Po-
lizeiagenten spielen will, wählt man nicht den Namen eines Verbrechers. Auch ein Charles Walton lebte in Ponthierville und betrieb ein gutgehendes Großhandelsgeschäft. Hier allerdings schienen wir uns auf der richtigen Spur zu befinden. Er hatte sich, als er in Ponthierville auftauchte, als Missionar ausgegeben und war nunmehr ständig auf dem Kongo unterwegs. Der Verdacht wurde Gewißheit, als wir uns sein Äußeres beschreiben ließen. Unzweifelhaft war Walton niemand anderes als – »the black spirit«, der Flußpirat in der Maske des ehrbaren Kaufmannes. Wir brachen sofort auf, um uns zu Major Klemper, dem Leiter der Polizeidienststelle, zu begeben. Dieser Flußpirat war möglicherweise verwegen genug, sich einmal wenigstens noch nach Ponthierville zu wagen, nämlich in sein Haus, um belastende Papiere, Dokumente und Wertsachen in Sicherheit zu bringen. Und wenn er es wagte, so konnte er es nicht früh genug tun. Sein Haus mußte sofort in eine Polizeifalle verwandelt werden, eine Falle, in der es auch für diesen aalglatten Banditen kein Entkommen mehr gab. Rolf, Fleet und ich machten uns auf den Weg. Plötzlich blieb Rolf stehen und starrte entgeistert auf einen Passanten. Dieser öffnete eben eine gegenüberliegende Gitterpforte, die
zu einem stattlichen Anwesen führte. Beim Schließen und Versperren der Tür von innen, mußte er sich zwangsläufig uns zuwenden. Es war der Flußpirat, offenbar hatte er uns noch nicht bemerkt. Rolf zupfte mich am Ärmel und sagte hastig: »Sofort in den Hausgang – bevor er uns sieht!« Wir traten – ohne uns dabei auffallend zu benehmen – in die nächste Haustüre. Während wir den Hinterausgang suchten, kam uns ein Mädchen mit einer Einkaufstasche entgegen. Ich fragte, wem das stattliche Haus gegenüber gehöre. Das Mädchen sagte verwundert: »Das Haus da drüben? – Aber das gehört doch dem Großkaufmann Walton! Ach so, Sie sind wohl fremd hier?« Der Hinterausgang führte auf eine Parallelstraße. Wir schlugen einen Haken und hetzten zurück zur Hauptstraße, denn das Polizeiamt lag unweit Waltons Haus. Der Pirat saß schon in der Falle, sie mußte nur noch verschlossen werden. Ob Walton ahnte, daß es gewissermaßen seine Gefängnistür war, die er selbst hinter sich abgeschlossen hatte? Kurz vor dem Einbiegen in die Hauptstraße mäßigten wir unser Tempo, um ja kein Aufsehen zu erregen. Auf dem Polizeiamt ließen wir
uns in dringender Sache bei Major Klemper melden. Man führte uns in ein Empfangszimmer und teilte uns zu unserer Freude mit, daß Major Klemper heute ausnahmsweise schon zu so früher Stunde im Hause sei und uns sofort empfangen wolle. Indessen stimmte die Vorstellung des Majors über den Begriff »sofort« offenbar wenig mit der Dringlichkeit der Sache überein. Nachdem wir zehn Minuten in größter Ungeduld zugebracht hatten, erhob sich Rolf, um nach dem diensttuenden Beamten zu rufen. Die Tür war verschlossen. Nunmehr musterten wir die Tür genauer, sie hatte eine Klappe, wie die üblichen Türen für Gefängniszellen. Unsere Blicke fielen fast gleichzeitig auf das breite Fenster. Es war mit einem engmaschigen, äußerst stabilen Gitter versehen. Wir befanden uns in einer geräumigen Gemeinschaftszelle. Wir waren in einer Falle – die gefällige, wie für Besuchszwecke gedachte Einrichtung hatte uns getäuscht. Kurz darauf wurde die Türklappe geöffnet und das uns nur zu bekannte Gesicht jenes Banditen, der sich als Polizeiagent Bullwer ausgegeben hatte, erschien. Sein Gesicht verzog sich zu einem höhnischen Grinsen. »Na, da hat man euch ja endlich, ihr – Flußpi-
raten! War ’ne Überraschung, was?« Wir wußten im Moment nichts zu sagen. »Wollen Sie sich etwa beschweren? Die Beschwerdestelle bin nämlich ich!« lachte Bullwer. Wir begriffen sofort, daß Bullwer tatsächlich der Polizeiagent Bullwer war, daß also der schwarzhaarige Flußpirat Walton mit einem einflußreichen Polizeibeamten unter einer Decke steckte. Rolf, den ich noch nie seine Fassung verlieren sah, sagte kalt: »Sie haben uns prima in der Falle, Bullwer. Viel Glück zu den fünf Minuten Vorsprung, die Sie sich und Ihrem Komplicen Walton ergaunert haben. Ziehen Sie Ihr Banditengesicht zurück, oder lassen Sie es besser am Platz für das Trommelfeuer, das jetzt einen überaus schläfrigen Major erwachen lassen wird.« Zugleich zog Rolf seine Pistole und richtete sie auf die Tür. Bullwer starrte einen Moment entgeistert, verstand aber plötzlich sehr rasch und sprang so heftig zurück, daß er nicht einmal mehr die Klappe zu schließen vermochte. Was, wie sich später herausstellte, für uns von großem Vorteil war. Rolfs Entscheidung war vollkommen richtig
gewesen. Hier konnten nur mehr rüdeste Gewaltmittel abhelfen, oder das Piratennnest ging uns geschlossen durch die Lappen. Sekunden nach Rolfs Revolver donnerten die unseren gegen die Tür. Das Zimmer füllte sich mit ohrenbetäubendem Krach und dichtem Pulverrauch. Rolf winkte, das Feuer einzustellen. Wir hörten, wie das Polizeiamt sich in einen trampelnden Tanzsaal verwandelte. Dann kam auf dem Flur eine erregte Diskussion in Gang. Sie brach plötzlich ab und setzte sich in dem dienstlichen Tonfall eines einzigen Sprechers fort. Offenbar war Major Klemper auf dem Schauplatz erschienen. Verstehen konnten wir trotz der offenen Klappe nichts, anscheinend standen die Leute hinter einer Biegung des Ganges. Rolf rief mit hinaus: »Major Klemper, wir wünschen nichts als eine Unterredung mit Ihnen.« Einen Moment herrschte Stille, dann näherten sich Schritte. Eine Stimme, offenbar die Bullwers, rief: »Herr Major, ich beschwöre Sie, die Burschen sind zu gefährlich!« Zu seinem Mißgeschick schien es sich bei dem Major nicht nur um einen mutigen, sondern auch um einen schlüssig denkenden Mann zu handeln. Denn wären wir tatsächlich Banditen
gewesen, was hätte es uns genützt, den Major zu töten. Doch weniger als nichts! Ein hageres, gebräuntes, recht sympathisches Gesicht mit einem sportlich wirkenden kurzen Schnurrbart erschien in der Klappenöffnung. »Was macht ihr denn für einen dummen Radau, ihr Galgenvögel« sagte der Major, uns mit Schärfe musternd. »Herr Major«, lachte Rolf, »würde man Sie etwa als Mädchenhändler festsetzen, machten Sie wohl keinen geringeren Krawall. Wir sind zwar nicht höhere belgische Offiziere, aber immerhin europäische Touristen und obendrein von einer Art, die nicht gerne mit sich spaßen läßt!« »Du bist mir aber ein Flußpirat mit Phantasie, Freundchen«, schmunzelte der Major. »Man sieht das schon an deinem schmucken Kriegsnamen.« »Sie meinen wohl ,the black spirit’?« erwiderte Rolf. »Genau«, sagte der Major trocken. »Du weißt also noch nicht, daß dein Coup auf Walton mißglückt ist. Walton gelang es inzwischen zu fliehen und ist vor einigen Stunden in der Stadt eingetroffen. Wäre ein fetter Happen gewesen, was?« »Machen wir es kurz«, schlug Rolf vor, »sonst geht Ihnen der Happen ins Wasser. Was sagen
Sie dazu, daß Walton und Ihr Beamter Bullwer die schwarzen Geister sind, die den Kongo abgrasen?« »Das beweist immerhin wieder eine bemerkenswerte Dichtkunst«, lachte der Major. »Na, gib mal deinen Reisepaß, du Hochtourist!« »Mit Vergnügen, Herr Major!« Rolf griff in die Tasche und reichte den Paß. »Nehmen Sie den Paß nicht, Herr Major!« rief die hastige Stimme Bullwers aus dem Hintergrund. »Sehen Sie sich ja vor!« Der Major aber hatte schon zugegriffen und wandte sich nun ziemlich erstaunt seinen Beamten zu. Durch die Klappentür sah man eine fremde Hand nach dem Dokument greifen, sich aber verlegen wieder zurückziehen, dann verschwand der Paß in der Tasche des Majors. Bullwer hatte sich offenbar zu dem Fehler hinreißen lassen, dem Major das Dokument wegnehmen zu wollen. Nun erschien das Gesicht des Majors wieder in der Öffnung, es war ziemlich ernst geworden. »Ich werde mir das mal ansehen«, sagte er kurz, »und vielleicht könnten Sie sich bis dahin etwas ruhiger verhalten als vorhin.« Dann warf er die Klappe zu. Torring rieb sich zufrieden die Hände. »Wenn der nicht auch mit dem Walton unter der Decke steckt – und danach sieht er mir gar
nicht aus – wird dem Bullwer jetzt der Boden anständig heiß sein.« Natürlich hatte Rolf recht. Der Paß mit seinen vielen Stempeln und Aufenthaltsbescheinigungen mußte den heftigsten Zweifler überzeugen, daß wir unmöglich die gesuchten Kongopiratengeister sein konnten. Schon nach zwanzig Minuten öffnete sich die Klappe wieder und ein Polizist blickte herein. »Ich soll Sie zum Herrn Major führen. Aber Sie sollen vorher die Waffen ablegen, meine Herren. Der Herr Major duldet grundsätzlich keine Vernehmung bewaffneter Personen.« Fragend sahen wir einander an. Eine solche Prinzipienreiterei konnte man zweifellos einem alten Kommißkopf zutrauen. Aber wir hatten schon zu viele Überraschungen erlebt.
5. Kapitel Wir einigten uns dahin, Fleet bei unseren Waffen in der Zelle zurückzulassen, während Rolf und ich unbewaffnet zum Major gehen wollten. Der Polizist war zunächst nicht einverstanden, willigte aber ein, als wir darauf entschieden beharrten. Während wir unsere Pistolen Fleet übergaben, bemerkte ich, daß Rolf heimlich seine
zweite Pistole in die Brusttasche schob. Den Trick gedachte ich zu verbessern. Ich schob meine kleinkalibrige Pistole in den Ärmel, von wo ich sie jederzeit in die Hand gleiten lassen konnte. Der Polizist schloß auf und winkte uns. Auf dem Gang standen acht schwarze Soldaten, die jede unserer Bewegungen genau verfolgten. Die Sache gefiel uns nicht mehr. Der Polizist führte uns den Gang entlang, die Soldaten folgten. Wir wurden in ein Zimmer geführt, hielten aber vergeblich nach dem Major Ausschau. Rolf warf mir einen bedeutsamen Blick zu. Der Polizist trat ab. Die Tür hatte sich noch nicht ganz geschlossen, als sie sich wieder öffnete – Bullwer stand mit gezogener Pistole in ihr. Er versperrte die Tür, deren Schlüssel von innen steckte, ohne sich umzuwenden und hieß uns Platz nehmen. Aber Rolf lächelte kalt und wir blieben stehen. »Hier bin immer noch ich der Herr!« sagte Bullwer böse, »und euren Komplizen werde ich auch noch bekommen, wenn er auch ein ganzes Waffenarsenal bei sich hat.« »Um Ihre Nerven könnte man Sie fast beneiden«, spottete Rolf, »aber ich glaube, das ist schon Dummheit. – Wo haben Sie übrigens den Major hinterlegt?« Rolf zog doch immer mit unglaublicher Ge-
schwindigkeit die richtigen Schlüsse. Natürlich hatte Bullwer den Major außer Gefecht gesetzt. Ein Stöhnen aus einer Ecke mit einem großen Schrank verriet uns jetzt den vermutlichen Aufenthalt des Majors. »Halten Sie den Mund!« fauchte Bullwer. »Keine Zeit für dumme Witze.« »Na, dann lassen Sie doch Ihre Idee vom Stapel«, sagte Torring höhnisch. »Ist uns interessant, wie Sie sich die Lösung denken.« »Sie haben 15.000 Dollar hier auf der Bank. Schreiben Sie eine Anweisung aus und Sie sind in einer halben Stunde frei.« »Schon wieder?« spöttelte Torring. »Woher wollen Sie das überhaupt wissen?« »Walton weiß es. Fleet hat es hinterlegt und Ihre und Warrens Unterschrift zur Abhebung berechtigt.« »Und wenn ich es nicht tue?« »Fahren Sie mit einem Polizeiboot, das mit meinen Männern bemannt ist, auf den Kongo hinaus. Dann sind wir nicht unter Zeitdruck und es kostet mehr als fünfzehn!« »Das wäre mir wirklich peinlich«, lächelte Rolf. »Außerdem ziehe ich diese Gelegenheit vor, hier können Sie uns wenigstens zur abschließenden Belohnung nicht verschwinden lassen.« »Sie kommen zu Verstand«, grinste Bullwer.
Torring stichelte: »Hoffentlich haben Sie jetzt auch so gute Nerven, nicht zu schießen, wenn ich mein Scheckbuch aus der Tasche ziehe.« »Machen Sie es nur hübsch langsam, sonst knallt es«, warnte Bullwer. Ich wußte, daß Rolf nun schießen wollte. Ich wußte auch, mit welcher unheimlichen Behendigkeit mein Rolf derartige Situationen zu meistern pflegte. Aber diesmal schien mir die Sache doch allzu riskant, weshalb ich mich zu eigenem Handeln entschloß. Rolf griff in die Brusttasche. Während Bullwer seine Hantierung mit Falkenaugen verfolgte, ließ ich meine Pistole aus dem Ärmel in die Hand gleiten und schoß, ehe noch Torring die Hand aus der Tasche zog. Bullwer brüllte auf und ließ den Revolver fallen. Es war nur die winzige Kugel einer winzigen Pistole, aber sie hatte doch Bullwer entwaffnet und würde ihm sicherlich ein bis zwei steife Finger bescheren. Bullwer war ein harter Knochen. Obwohl er maßlos überrascht war, griff er sofort mit der linken in die Hosentasche, zweifellos, um eine Reservewaffe zu ziehen. Torring zog ihm den Revolverlauf über den Kopf und Bullwer brach stöhnend zusammen. Als ich sah, daß die Sache bestens geordnet war, stürzte ich wie ein Panther auf den Eck-
schrank los. Ich betete zum Himmel, Major Klemper möchte tatsächlich in ihm stecken. Denn die schwarzen Soldaten, die uns eskortiert hatten, donnerten ihre Gewehrkolben gegen die Tür. Wenn es ihnen gelang einzudringen, bevor wir ihren Major als rettenden Engel präsentieren konnten, machten sie uns beim Anblick des übel zugerichteten Bullwer vermutlich zu Frikassee. Ich riß den Schrank auf – und erblickte tatsächlich den gefesselten und geknebelten Major, der wild seine Augen rollte. Inzwischen war auch Rolf herbeigeeilt. Während die Tür vor den Kolben der wütenden Soldaten auseinanderkrachte, entledigten wir unseren Schutzengel aller Fesseln und halfen ihm auf die Füße. Die Soldaten drangen herein – der Major gab ihnen einen gebieterischen Wink, worauf sie verdutzt und zögernd das Feld wieder räumten. Der Major keuchte sein erstes Wort heraus, es lautete – »Whisky!« Rolf goß ihm lächelnd aus einer am Schreibtisch stehenden Flasche ein. Der Major stürzte das Glas hinunter und stellte es auf den Tisch zurück. Seine Augen suchten Bullwer, der noch am Boden lag, aber immerhin schon so bei Sinnen
war, daß er seinen Oberkörper aufgerichtet hatte und sich am Fuß des Diplomatenschreibtisches stützte. Der Major sagte bitter: »Bullwer, wenn ich ein so minderwertiges Subjekt wäre wie Sie, würde ich Sie jetzt anspucken!« Er wandte sich an uns: »Gentlemen, nehmen Sie den Dank eines alten Soldaten, den Sie vor der größten Schande bewahrt haben, die einem Polizeichef passieren kann, nämlich von den Verbrechern, die er seit Jahren suchte, in seinem eigenen Hause hoffnungslos übertölpelt zu werden. Ich hoffe, Sie sind großzügig genug, diese Affäre zu vergessen.« Der Major wartete unsere Zusage gar nicht ab und fuhr fort: »Hier sehen Sie den ehrenwerten Kriminalbeamten Bullwer, die rechte Hand des Polizeichefs dieser Stadt. So zuverlässig, so gewandt und vor allem so verständnisvoll für das Steckenpferd eines alten Soldaten, daß er ihn nach allen Richtungen entlastete, um ihm die ausgedehnteste Pflege seiner Jagdleidenschaft zu ermöglichen!« Er trat einige Schritte auf die zertrümmerte Tür zu und rief hinaus: »Ordonnanzen!« Zwei Beamten schnellten herein und nahmen Haltung an. »Dupont«, wandte er sich an den einen. »Ein Sanitäter, drei Sergeanten hierher!«
Während Dupont eilig abtrat, schnauzte er den anderen an: »Alarm für Großeinsatz!« Auch die zweite Ordonnanz raste ab, und der forsche alte Bursche wandte sich wieder uns zu. »Diese Schlange machte einen großen Fehler, als er nach Ihrem Paß griff. Und ich alter Fuchs auch – ich ließ mir meinen Verdacht anmerken. Deshalb gab er mir hinterrücks eine auf den Kopf. Nun, Gentlemen, werden wir uns den Großkaufmann Walton etwas ansehen. – Sie sind doch wohl mit von der Partie?« Während wir unsere begeisterte Zustimmung ausdrückten und das Gebäude sich mit dem Lärm der zum Appellplatz eilenden Polizeimannschaften erfüllte, traten vier Mann, nämlich die Sergeanten und der Sanitäter ein. »Verbinden Sie den Burschen«, wies er letzteren kurz an. »Sergeanten«, wandte er sich an die anderen, »Bullwer ist wegen Konspiration mit den Flußpiraten verhaftet. Er bezieht die Zelle, die er diesen Herren zugedacht hatte. Einer weist den dritten Gentleman in den Hof und bringt dorthin das Zubehör der Herren. Etoile, Sie schließen sich mit Bullwer ein und halten ständig eine Pistole in Anschlag. Die zwei anderen besetzen Fenster und Zellentür. Ab!« »Meine Herren, auf zum Halali!« forderte der
Major uns auf und schritt schon auf die Tür zu, um sich zum Einsatzkommando zu begeben. Wir folgten langsamer. Durch eine halb offenstehende Tür, sah ich den Sanitäter ein Telefon bedienen. Ein Verdacht durchzuckte mich. Der Sanitäter hatte Bullwer nur sehr flüchtig verbunden und war dann aus dem Zimmer geeilt. Ich hatte die unvollkommene Behandlung einer Abneigung des Mannes gegenüber dem entlarvten Verräter zugeschrieben. Nun kam mir die Sache doch spanisch vor. Ob der telefonierende Sanitäter etwa mit Bullwer zusammenarbeitete und jetzt Walton warnte? Rolf stimmte mir zu. Wir eilten statt in den Hof, wo der Major eben den Einsatzbefehl gab, auf die Straße und blickten in Richtung auf Waltons Haus. Ein Mann, zu weit entfernt, um ihn genau zu erkennen, verschloß eben wieder die Tür und warf sich in einen wartenden Kraftwagen. »Der Flußpirat flieht!« sagte ich grimmig. Rolf eilte schon im Laufschritt voran. An Aufholen oder Distanzhalten war nicht zu denken, immerhin sicherte unser Spurt einen wichtigen Hinweis. Wir sahen den Wagen Richtung Hafengelände abbiegen. »Der Pirat flüchtet in sein Element!« keuchte Rolf, in Schritt fallend.
In der Nähe des Hafens erkundigten wir uns nach Waltons Bootshaus. Er hatte deren mehrere, größere und kleinere, aber zum Glück alle aneinander benachbart. Auch waren wir der Verlegenheit einer Wahl enthoben, vor einer kleineren Hütte stand ja der Kraftwagen, dessen Motor noch lief. Wir traten heran – die Türen waren offen, ebenso die Verschlüsse einiger Behältnisse, woraus wir schlossen, daß Walton eben beschäftigt gewesen war, in Eile zusammengeraffte Wertsachen in seinem Motorboot unterzubringen. Ein gleichmäßiges Rauschen kam im Schuppen auf – der Motor war soeben angeworfen worden. »Ich vorn – du hinten«, entschied Rolf und eilte schon um den Schuppen herum. Ich kannte meinen Rolf gut genug, um zu wissen, warum er für sich den Angriff von vorne gewählt hatte. Schlimmstenfalls wollte er auf das ausfahrende Motorboot aufspringen. Mit meiner Miniaturpistole war ich zu leicht bewaffnet, aber immerhin hatte sie heute schon glänzende Dienste geleistet. Ich drückte entschlossen auf die Klinke – zu meinem Erstaunen war die Tür unversperrt. Vorsichtig öffnete ich sie. Zwanzig Meter voraus stieg Walton eben in das Boot. »Hände hoch, Blacky!« rief ich triumphierend und schlug die Pistole auf ihn an.
Walton blickte nicht sehr überrascht her, hob die Hände und grinste unverschämt frech, als ich auf ihn zutrat. Das ließ mich auf der Hut sein und ihn scharf beobachten. Sicher hoffte er, noch mit einem Trick zu entrinnen. Dann ratterte es, ich erhielt einen Schlag auf den Kopf und stürzte halb bewußtlos zu Boden. In meinem Zustand erfaßte ich nicht, was geschehen war, stellte es aber später fest. Eine der Dielen, die ich betrat, setzte einen Mechanismus in Bewegung und löste ein Fallgatter hinter mir aus, das die ganze Breite des Schuppens hermetisch nach außen abschloß. An dem Fallgatter war ein weit in den Raum hineinragendes waagerechtes Brett angebracht, so daß jeder Eintretende nicht nur eingesperrt, sondern auch zu Boden geschlagen wurde, vorausgesetzt, daß der Mechanismus entsichert war. Ich fühlte mich von Walton gefesselt und ins Boot geschleppt, das sich nun bereits in Bewegung setzte. Wieder war ich in der Gewalt des Piraten! Immer noch ziemlich betäubt, vermochte ich mich doch an der Bordwand aufzurichten, um nach Rolf Ausschau zu halten. Das Boot glitt aus dem Schuppen, etwa zwei Meter von dem in das Wasser hineingebauten langen Laufsteg entfernt.
Von Rolf keine Spur! Plötzlich fühlte ich eine Schlinge über meinen die Bordwand überragenden Körper fallen. Sie straffte sich zu einem furchtbaren Ruck, weil die Drift des in schnelle Fahrt übergehenden Bootes und ein Zug von Menschenhand an der Leine im gleichen Sinne wirkte. Instinktiv kam ich dem Vorgang zu Hilfe, indem ich mich mit den Füßen so kräftig wie möglich hochschnellte. Ich wurde mit unheimlicher Wucht aus dem Boot gerissen und platschte mit einer Art Gleitflug ins Wasser. Die Leine wurde eingeholt, wodurch ich an den Laufsteg herangezogen wurde. In einer Verstrebung der Pfähle des Steges saß mein Rolf und griente auf mich herab. »Wenn du nicht der hübscheste Fisch bist, den ich je angelte«, sagte Rolf, »will ich dem ,black spirit’ Whisky-Brandy kaufen und selbst Spiritus, trinken.« Immer noch betäubt, gefesselt und im Wasser, war mir nicht sehr zum Scherzen zumute, aber das wurde besser, sobald ich mich in Waltons Schuppen mit dort vorgefundenen neuen Kleidern versehen hatte. Der Rest der Geschichte ist schnell erzählt. Rolf wollte, wie gesagt, auf das Boot springen. Als er auf dem Laufsteg die Leine sah, änderte
er seinen Entschluß. Er entdeckte mich zu seiner Überraschung im Boot. Nun wollte er lieber mich befreien, als den Piraten gefangennehmen. Da ja Walton nicht gefesselt war, konnte er der Schlinge möglicherweise entgehen, und dann wäre auch meine Befreiung mißglückt gewesen. »The black spirit« entkam und wurde in der Gegend nicht mehr gesehen. Einen Missionar Defoe, dessen Namen der Pirat mißbraucht hatte, gab es wirklich, Walton hielt ihn, wie Bullwer gestand, bei einem Negerstamm gefangen, um Lösegeld zu erpressen. Der Major ergriff die Gelegenheit und startete dorthin eine große – Jagdexpedition, an der wir teilnahmen. Der Missionar ließ sich übrigens gar nicht befreien, er blieb dort, weil er den Negerstamm mit Erfolg zu bekehren begonnen hatte. Einige Tage nach der Rückkehr brachen wir, wie vorgesehen, zu den Stanley-Fällen auf. Der Major warnte uns zwar vor einem Racheakt des »black spirit«. Aber das ließ uns kalt, vielmehr hätten wir ein Wiedersehen nur begrüßt. Es fand auch später statt, wie ihr noch hören werdet. Am letzten Abend lud uns unser famoser Major zu einer internen Herrenpartie. »Wissen Sie, Gentlemen«, sagte Rolf dabei ge-
legentlich, »was das Schönste an dem ganzen Abenteuer war? – Das Gesicht des Flußpiraten, als Freund Warren wie ein Delphin aus seinem Boot schnellte.« *
Bevor wir erneut auf »the black spirit« trafen, erlebten wir noch einige interessante und nicht ungefährliche Abenteuer; das nächste habe ich betitelt:
Für die vielen Leser, die Abenteuer von Hans Warren aus dem Taschenbuchformat her kennen, ist die neue Gestaltung der Hefte ein langersehnter Wunsch, der nun endlich in Erfüllung gegangen ist. So, wie für die älteren Leser die Gestalten von Rolf Torring, Hans Warren und dem schwarzen Begleiter Pongo ein Begriff geworden sind, wird auch der Leser, der eines dieser Hefte zum erstenmal in die Hand bekommt, sehr bald zum Freundeskreis der Weltenbummler gehören. Es sind verwegene Männer, die keine Gefahr scheuen, wenn es gilt, anderen Menschen zu helfen, die in Not sind. Dabei lernen sie andere Völker, ihre Sitten und Gebräuche kennen, und es ergibt sich daraus eine Fülle spannender Erlebnisse, die nie eintönig werden. Durch ihre Reisen von Kontinent zu Kontinent entstehen immer neue Eindrücke von der fernen Tier- und Pflanzenwelt, die interessant und eindrucksvoll zugleich sind. Tausende von Lesern sind von den ersten 193 Heften begeistert, wie uns die täglich eingehende Briefpost immer wieder bestätigt. So werden auch die folgenden Hefte den Leser in ihren Bann ziehen.
Der Verlag
Afrika, der Schwarze Erdteil, ist für uns noch immer verlockend und voller Geheimnisse, wenngleich es nur noch wenige unerforschte Gebiete gibt. Aber wenn auch die Flüsse, Städte und Landschaften auf den Kurten verzeich-
net sind, so ist doch unser Wissen über diesen Kontinent und seine Menschen noch verhältnismäßig gering. Durch dieses Land nun zieht sich die Reiseroute von Rolf Torring und seinen Begleitern. Auf ihrer Fahrt geraten sie immer wieder in die tollsten Abenteuer, Doch nicht nur Spannung bergen diese Hefte, immer wieder fängt Hans Warren skizzenhaft etwas von der Atmosphäre ein, die der Landschaft zu eigen ist, in der die Handlung spielt,