Nr. 413
Insel des Neubeginns In der Fabrik der Scuddamoren von H. G. Francis
Als Atlantis-Pthor, der durch die Dimens...
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Nr. 413
Insel des Neubeginns In der Fabrik der Scuddamoren von H. G. Francis
Als Atlantis-Pthor, der durch die Dimensionen fliegende Kontinent, die Peripherie der Schwarzen Galaxis erreicht – also den Ausgangsort all der Schrecken, die der Dimensionsfahrstuhl in unbekanntem Auftrag über viele Sternenvölker gebracht hat –, ergreift Atlan, der neue Herrscher von Atlantis, die Flucht nach vorn. Nicht gewillt, untätig auf die Dinge zu warten, die nun zwangsläufig auf Pthor zu kommen werden, fliegt er zusammen mit Thalia, der Odinstochter, und einer Gruppe von ausgesuchten Dellos die Randbezirke der Schwarzen Galaxis an und erreicht das sogenannte Marantroner-Revier, das von Chirmor Flog, einem Neffen des Dunklen Oheims, beherrscht wird. Dort beginnt für Atlan und seine Gefährten eine Serie von Abenteuern, die beinahe tödlich ausgehen. Stationen des gefahrvollen Weges sind unter anderem Enderleins Tiegel, der Schrottplanet, Xudon, der Marktplanet, und Gooderspall, die Welt der In sektoiden. Nach der Vernichtung des Organschiffs SKEILAS, mit dem sie von der Welt des Meisterträumers flüchten konnten, beschäftigen sich Atlan und Thalia mit dem Ge heimnis der Scuddamoren. Sie lernen die Entstehung der Schergen Chirmor Flogs kennen und verfolgen deren Werdegang auf der INSEL DES NEUBEGINNS …
Insel des Neubeginns
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Die Hautpersonen des Romans:
Atlan und Thalia - Die Pthorer entdecken die Fabrik der Scuddamoren.
Dorkan Moht - Galionsfigur der KNIEGEN.
Altran-Visk - Anführer eines Stammes der Teeken-Arvs.
Masgelhort-Dyrt - Ein Einsiedler.
Dlocht - Ein »unfertiger« Scuddamore.
1. Nachdem wir die Welt ohne Namen ver lassen hatten, schlug ich nicht den Kurs nach Kinster-Hayn ein, sondern folgte einem Or gantransporter. Atlan hatte beobachtet, wie die aus der Metamorphose verschiedener Gefangener hervorgegangenen Scuddamo ren an Bord von solchen Schiffen gebracht worden waren. Dabei war nicht klar gewor den, ob die neuen Scuddamoren bereits im Besitz eines anderen Selbstverständnisses waren, ihre Herkunft vergessen hatten und sich nur noch als Scuddamoren verstanden. Waren sie in dieser Form schon jene Ge schöpfe, die hinter Energieschirmen verbor gen lebten und dem Neffen des Dunklen Oheims, Chirmor Flog, bedingungslos dienten? Atlan glaubte nicht daran, daß die Scud damoren schon fertig präpariert waren. Er war davon überzeugt, daß das an anderer Stelle geschehen würde. Das war der Grund dafür, daß wir einem Organtransporter folg ten und dabei ein erhebliches Risiko eingin gen. Schon bald erreichten wir ein anderes Sonnensystem. Es bestand aus einem blauen Riesenstern mit vierzehn Planeten. Überall bewegten sich Transporter und andere Or ganschiffe. Atlan und Thalia gaben mir zu verstehen, daß sie davon überzeugt waren, daß diese Raumer nur Robotbesatzungen hatten. Auch die KNIEGEN besaß ja ursprünglich eine solche Besatzung. Der Arkonide vermutete, daß höchstens die führenden Scuddamoren das Geheimnis ihrer Herkunft kannten. Daher glaubte er, daß es in diesem System, in dem die Scud
damoren offenbar fertig präpariert wurden, nur Roboter gab, die sich im Auftrag von Chirmor Flog um alles kümmerten. Ich gestehe, daß es mir nicht leichtfiel, seine Gedanken nachzuvollziehen. Sie wa ren bemerkenswert logisch. Es schien, als ob der Arkonide einen Teil seines Gehirns ab schalten könne, um frei von Emotionen nur noch logisch zu denken. Ich hatte mich schon öfter gefragt, ob er über zwei vonein ander unabhängige Gehirne verfügte, diesen Gedanken jedoch wieder verworfen, weil er mir als zu phantastisch erschien. Ich warnte Atlan davor, dem fünften Pla neten des Systems zu nahe zu kommen. Auf ihn schien sich alles zu konzentrieren. Dort hin flogen alle Raumschiffe. Der Arkonide mißachtete meine War nung. »Ich vertraue auf die Engstirnigkeit der Roboter«, erklärte er. »Sie haben keine Möglichkeit, uns von anderen Raumschiffen zu unterschneiden. Und sie haben keinen Grund, sich näher mit uns zu befassen.« »Sie könnten uns anfunken«, antwortete ich. »Für den Fall werden wir uns etwas ein fallen lassen«, versprach er, und damit schi en das Thema für ihn erledigt zu sein. Für mich jedoch nicht. Ich stand unter höchster Nervenanspannung und rechnete in jeder Se kunde mit einem Angriff. Wie konnten wir nur glauben, daß man uns ungeschoren lassen würde? Befanden wir uns nicht an einem der wichtigsten Punkte der Galaxis, falls Atlan recht hatte? Waren wir nicht einem gefährlichen Ge heimnis auf der Spur? Und pflegten die Mächtigen ihre Geheimnisse nicht sorgfältig zu bewahren und zu bewachen? Wir näherten uns dem fünften Planeten
4 und glitten – ebenso wie die vielen anderen Raumschiffe – in einen Orbit. Atlan zweifel te nicht daran, daß die Organtransporter auf dieser Welt ihre lebende Fracht abluden. Ich hielt den Atem an. Um uns herum be wegten sich Tausende von Raumschiffen in der Kreisbahn. Wir mußten doch auffallen! »Ich möchte Bilder von der Planetenober fläche sehen«, sagte der Arkonide. Er war so ruhig, als bestünde nicht die ge ringste Gefahr. Thalia war weniger gefaßt. Ihre Hände waren in ständiger Bewegung. Ich blendete die Bilder ein, während At lan mich über den Planeten befragte. Doch ich konnte ihm keine Auskunft geben. Ich wußte nichts über diese Welt. Zahlreiche kleine Kontinente überzogen die Planetenoberfläche. Sie scharten sich um einen Riesenkontinent, der nahezu ein Vier tel der gesamten Oberfläche einnahm. In diesem Kontinent erstreckte sich ein riesiges Binnenmeer. Es wäre uns nicht weiter aufgefallen, wenn nicht im Inneren dieses Meeres eine große Insel gewesen wäre, die durch sieben Brücken mit dem Festland verbunden war. Auf der Insel erhoben sich eine Reihe von Bauten mit höchst unterschiedlicher Archi tektur. »Die Raumschiffe landen alle auf dem Hauptkontinent«, stellte ich fest. »Von dort aus kommt die lebende Fracht offenbar über die Brücken zur Insel«, fügte Thalia hinzu. »Wir landen«, entschied Atlan. Ich fühlte, daß es mir eiskalt über den Rücken lief. »Mitten zwischen den anderen?« fragte ich entsetzt. »Das kann nicht gutgehen.« »Nicht zwischen den anderen«, entgegne te der Arkonide. »Wir landen hinter dem Felsrücken östlich des Meeres im Wald.« Mir stockte der Atem, so daß ich kaum sprechen konnte. »Mitten im Wald«, sagte ich stammelnd und stotternd. »Kannst du dir nicht vorstel len, daß die anderen Raumschiffe Funkbe-
H. G. Francis fehle erhalten, wenn sie landen sollen? Und kannst du dir nicht denken, daß es Überwa chungsstationen gibt, die dafür sorgen, daß nur diejenigen Raumschiffe landen, denen man eine Landung befohlen hat? Man wird uns abknallen, sobald wir die Kreisbahn ver lassen.« »Das glaube ich nicht«, antwortete er so selbstsicher, als habe er den Tod nicht zu fürchten. »Man hat uns bisher nicht ent deckt, und man wird uns auch bei der Lan dung nicht bemerken. Hier verläuft alles au tomatisch. Niemand kommt auf den Gedan ken, daß ein Fremder es wagen könnte, sich einzuschleichen. Und sollte das dennoch ge schehen, so gibt es sicherlich genügend Kontrollmöglichkeiten, ihn von dem abzu halten, was man verbergen will.« Ich begehrte auf. »Eine Landung kommt nicht in Frage.« »Warum weigerst du dich, Dorkan Moht?« fragte er lächelnd. Ich sah, daß er die große Plejade in den Fingern drehte. »Es muß sein.« »Man wird uns abschießen«, erklärte ich. »Das mag für dich nicht besonders schlimm sein. Thalia und du, ihr könnt aussteigen, ich aber gehe mit dem Schiff zugrunde.« »Niemand wird auf uns schießen. Das ist für mich ganz sicher.« Er sprach so überzeugend und zugleich beruhigend auf mich ein, daß ich endlich nachgab, obwohl ich nicht so recht glauben mochte, daß uns wirklich nichts passieren würde. Doch Atlan behielt recht. Die KNIEGEN senkte sich in der Lufthül le des fünften Planeten und setzte in einer langgestreckten Bahn zur Landung an. Ich wartete auf einen Funkanruf, doch er blieb aus. Ich glaubte, Lichtblitze unter mir zu se hen, die den Abschuß von Raketen anzeig ten, doch ich irrte mich. Ich brachte das Raumschiff ohne Zwischenfall nach unten. Wir landeten in einem ausgedehnten Waldgebiet etwa zweihundert Kilometer vom Ufer des Binnenmeers entfernt. Vor uns erhob sich eine Kette von Bergen, deren
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höchste etwa viertausend Meter hoch waren. Atlan hoffte, daß sie uns ausreichend Or tungsschutz gewährten, denn die KNIEGEN ragte mit ihrem Bug hoch über die Wipfel der Bäume hinaus. »Und jetzt?« fragte ich. »Thalia und ich werden aussteigen«, erwi derte er. Ich hatte es nicht anders erwartet. »Wir werden nach Westen vordringen und uns die Raumhäfen, die Siedlungen, die Brücken und die Anlagen auf der Insel anse hen. Drücke uns die Daumen, daß wir dabei etwas Wesentliches herausfinden.« »Du weißt, daß ich keine Daumen habe«, entgegnete ich unwillig. War es notwendig, daß er mich auf diesen körperlichen Mangel hinwies? »Es ist nur eine Redensart«, erklärte er. »Ich wollte keine Anspielung machen.« Ich glaube ihm nicht ganz und räusperte mich nur, um ihm zu verstehen zu geben, daß ich auch auf Redensarten keinen Wert legte. »Bis später«, sagte Thalia. »Wir melden uns.« »Hoffentlich!« Ich wäre glücklich gewe sen, wenn ich ebenso wie sie die KNIEGEN hätte verlassen können. Aber das war un möglich. Ich war bis an mein Lebensende mit der Organmasse des Raumschiffs ver bunden. Nur der Tod konnte mich von ihr lösen.
* »Ich hoffe, du wirst uns keine Schande machen«, sagte Trekman-Elk. Er war so groß, daß er mit seinem Körper nahezu den ganzen Eingang der Hütte aus füllte. Da er zusätzlich noch sein Federkleid sträubte, fiel kaum noch Licht von außen herein. Altran-Visk richtete sich auf. »Ich habe geahnt, daß du mir damit kom men würdest«, erwiderte er. »Ich weiß schon lange, daß du der dämlichste Nachfolger bist, den man überhaupt finden konnte. Schade nur, daß sich Zischl-Want nicht be
reit gefunden hat.« Trekman-Elk betrat die Hütte. Er umkrei ste Altran-Visk, der am Feuer saß und sein Haar flocht. »In der Stunde deines Todes verlierst du deine Würde«, erwiderte Trekman-Elk ver ächtlich. »Ich habe mir sagen lassen, daß viele Herrscher großsprecherisch sind und ihre Heldentaten nicht genug preisen kön nen, solange der Tag des Turms fern ist, daß sie aber um so kleinlauter werden, je näher der Tag der Wahrheit rückt.« »Bist du nun endlich fertig mit diesem Unsinn?« »Ich bin fertig.« »Dann könntest du eigentlich gehen.« »Hat sich dein Geist schon so verwirrt, Altran-Visk, daß du nicht mehr weißt, wa rum ich hier bin?« »Ich weiß es«, antwortete der Herrscher der Teeken-Arvs. »Allein – ich lehne es ab, mit dir zu gehen.« »Du willst die Götter versuchen?« fragte Trekman-Elk entsetzt. »Durchaus nicht. Ich werde meine Pflicht tun, aber den letzten Weg werde ich ohne dich gehen. Niemand wird mich begleiten.« »Nun gut. Dann geh allein.« Trekman-Elk schlug zornig mit einer Lederpeitsche auf den Boden, die er bis dahin unter seinem Fe derkleid verborgen getragen hatte. Altran-Visk lachte schrill. »Glaubtest du ernsthaft, ich würde dich in dieser Weise ehren?« fragte er. »Nicht nach alldem, was du mir angetan hast.« »Das hast du nicht vergessen?« TrekmanElk war so überrascht, daß er die Tentakel zusammenrollte und sich auf den Boden sin ken ließ. Die Flammen stiegen höher auf und schufen eigenartige Lichtreflexe auf sei nem Federkleid. »Es ist mehr als fünfzehn Jahre her, daß wir jene Auseinandersetzung hatten. Das Mädchen – wie hieß es doch – hat sich für mich entschieden, nicht für dich. Na und?« »Wie hieß es doch!« rief Altran-Visk haß erfüllt. »Du weißt nicht einmal mehr ihren Namen. Mir aber hat sie mehr bedeutet als
6 alles auf der Welt. Für sie hätte ich alles ge tan. Ich hätte mein Leben geopfert für sie.« »Dann hätte sie nichts mehr von dir ge habt«, bemerkte der Nachfolger des Herr schers spöttisch. »Vergiß es«, riet ihm Altran-Visk. »Es sei, als hätten wir nicht darüber gesprochen. Du verstehst es ohnehin nicht. Du hast sie benutzt und mit ihr gespielt. Bedeutet hat sie dir nichts.« »So ist das nun einmal. Tritt einem Weib in dieser Haltung gegenüber, und du hast es leicht, ihm den Kopf zu verdrehen.« »Verlaß die Hütte«, befahl Altran-Visk. »Noch bin ich der Herrscher, und wenn du dich nicht beugst, werde ich dafür sor gen, daß du nicht mein Nachfolger wirst.« Trekman-Elk zuckte erschreckt zusam men. »Verzeih mir«, rief er. »Ich habe mich hinreißen lassen. Dabei wollte ich dich in der Stunde deines Todes nicht beleidigen. Ich bitte dich, gib mir die Ehre und erlaube mir, dich zu begleiten.« »Mein letztes Wort ist gesprochen. Geh.« Trekman-Elk hätte sich gern gegen diesen Befehl aufgelehnt, aber das wagte er nicht. Er wußte sehr wohl, daß Altran-Visk seine Träume noch in letzter Sekunde zerstören konnte. Also erhob er sich und eilte aus der Hütte. Er haßte Altran-Visk für die Entschei dung, die er getroffen hatte, weil er seine Herrschaft nun unter denkbar ungünstigen Bedingungen beginnen mußte. Seit Jahrhun derten war es nicht mehr vorgekommen, daß ein Herrscher seinem Nachfolger den ge meinsamen Weg zum Turm verweigerte. Trekman-Elk blieb neben dem Eingang der Hütte stehen und wartete. Er hoffte, Al tran-Visk auf diese Weise überlisten zu kön nen. Aber er täuschte sich. Der Herrscher dachte nicht daran, die Hütte unmittelbar nach ihm zu verlassen. Er blieb am Feuer, so daß für alle Teeken-Arvs im Dorf deutlich wurde, welche Entscheidung er getroffen hatte. Trekman-Elk sah die Augen der mehr als
H. G. Francis vierhundert Dorfbewohner auf sich gerich tet. Die Männer, Frauen und Kinder kauer ten unter Bäumen und Büschen, um sich nicht entgehen zu lassen, wie ihr Herrscher den letzten Weg antrat. Altran-Visk war, wie Trekman-Elk widerwillig zugab, außeror dentlich beliebt und einer der erfolgreichsten Herrscher der letzten Jahrzehnte gewesen. Er hatte sich nie aufgrund seiner Macht, son dern nur Kraft seiner Überzeugungskunst durchgesetzt. Deshalb hatten die Bewohner des Dorfes ihm auch einen besonders hohen Turm ge baut. Das Gebilde aus Baumstämmen, Ästen und Buschwerk ragte wenigstens hundert Meter in die Höhe und stieß damit weit über die höchsten Wipfel der Bäume hinaus. Es erhob sich in der Mitte des Dorfes und war mit zahllosen Blumen und Tierkadavern ge schmückt. Es war der schönste Todesturm, den Trekman-Elk je gesehen hatte. Er hatte auch nicht davon gehört, daß jemals so ein Kunstwerk für Herrscher errichtet worden war. Dabei war er schon bei vielen Völkern und Stämmen auf Mogteeken-Arv gewesen. Altran-Visk seufzte. Daß es diesen Tag gab, hatte er immer aus seinem Bewußtsein verdrängt. Er erinnerte sich daran, frühere Herrscher seines Stam mes verachtet zu haben, weil sie in der Stun de ihrer Abdankung gezögert hatten, den Turm zu betreten. Jetzt verstand er sie. Dennoch war er entschlossen, niemanden merken zu lassen, wie schwer es ihm fiel, die entscheidenden Schritte zu tun. Entschlossen marschierte er los. Er hob den Kopf hoch aus dem Federkleid und blickte sich stolz um. Ein Raunen ging durch die Reihen der Zuschauer. Einige Männer stießen schrille Schreie aus, um ihm zu be kunden, wie sehr sie ihn verehrten. Er tat, als ob er sie nicht wahrnehme. Trekman-Elk folgte ihm. Er versuchte, näher zu ihm aufzurücken, als es den Regeln entsprach. Ein verweisender Blick AltranVisks trieb ihn jedoch wieder zurück. Der Herrscher der Teeken-Arvs erreichte
Insel des Neubeginns das turmartige Gebilde. Unter den Blumen und dem Blätterwerk war eine primitive Lei ter verborgen, an der er emporsteigen konn te. Altran-Visk richtete die Blicke nach oben und begann zu klettern. Die Männer, Frauen und Kinder des Stammes sangen. Hin und wieder trat ein Mann oder eine Frau nach vorn und pries mit schriller, weithin hörba rer Stimme die Heldentaten, die Altran-Visk in seiner Zeit als Herrscher vollbracht hatte, oder lobte seine staatsmännischen Entschei dungen. Altran-Visk hörte diese Worte gern. Er dachte aber auch darüber nach, wie seltsam es war, daß ein Herrscher der Teeken-Arvs niemals länger als drei Jahre an der Macht bleiben durfte. Vielleicht wäre es richtiger, ihn vier oder gar fünf Jahre im Amt zu be lassen, durchfuhr es ihn, während er sich der Spitze des Turmes aus Holz, Blättern, Blu men und Lianengeflecht näherte. Bis zu diesen Minuten war er sich eigent lich dessen ganz sicher gewesen, daß ein Herrscher, der diesen Weg ging, überwech selte in die Körper jener seltsamen und fremdartigen Wesen, die in den Spitzen der Raumschiffe lebten, die pausenlos auf Mog teeken-Arv landeten und starteten. Er war fest davon überzeugt gewesen, daß es den Seelen der Herrscher vergönnt war, mit die sen Wesen hinauszueilen zu den Sternen, die den Himmel bedeckten, und daß sie damit in das Reich der Götter einziehen würden. Das war für ihn der entscheidende Anreiz gewesen, sich für das Amt des Herrschers zur Verfügung zu stellen. Ohne eine solche Zukunftsperspektive hätte sich wohl niemals jemand bereitgefunden, so etwas zu tun. Als er die Spitze des Turmes erreicht hat te, richtete er sich auf und sah sich um. Er atmete tief ein. Das Land lag weit und in sei ner ganzen Schönheit vor ihm. Es war dicht bewaldet, so weit er sehen konnte. Nur hin und wieder tat sich einmal eine Lichtung auf. Es reichte bis an die Berge, die rot und grau aufstiegen bis zu den Wolken. Schwär me von Vögeln näherten sich von den Ber
7 gen. Altran-Visk erschauerte, als er unter ihnen die mächtigen Todesgeier sah. Er wußte, daß sie ihn bald angreifen würden, und daß sich sein Schicksal dann entscheiden mußte. Der Tod würde ihn ereilen. Das war sicher. Of fen blieb nur noch, in welcher Form. Plötzlich senkte sich ein Raumschiff aus den Wolken herab, die wie dünne Schleier über ihn hinwegzogen. Es sah aus wie eine Halbkugel. Fasziniert beobachtete der Teeken-Arv, wie es etwa zehn Kilometer von ihm ent fernt auf einer Lichtung landete. Das war ein unerhörter Vorgang. Noch niemals in der Geschichte der Tee ken-Arvs war ein Raumschiff in unmittelba rer Nähe des Dorfes gelandet. Für alle Tee ken-Arvs war selbstverständlich, daß Raum schiffe nur auf der anderen Seite der Berge niedergingen. Schon oft hatte man darüber gesprochen, ob man das Dorf nicht verlassen und auf die Ebene jenseits der Berge ziehen sollte, um den Göttern näher zu sein. Doch mit diesen Vorschlägen hatte sich bisher noch kein Priester durchsetzen können, weil ein Umzug allzu unbequem gewesen wäre. Aufgeregt beugte Altran-Visk sich nach vorn, um den Stammesmitgliedern mitzutei len, was geschehen war. Er sah, daß sie es überhaupt nicht bemerkt hatten. Sie hatten so laut gesungen und geschrien, um ihm die letzte Ehre zu erweisen, daß sie die Ge räusche nicht wahrgenommen hatten. Entsetzt sah der Herrscher, daß der untere Teil des Turms bereits in hellen Flammen stand. Rasend schnell fraß sich das Feuer nach oben. Das staubtrockene Holz schien es förmlich anzuziehen. »Hört auf«, wollte er seinem Volk zuru fen, doch die Worte blieben ihm in der Keh le stecken. Nur ein heiseres Krächzen wurde hörbar. Altran-Visk erkannte, daß es zu spät war. Er konnte das Ende nicht mehr aufhalten. Niemand hätte das gekonnt. Wahrscheinlich hätte nicht einmal ein wolkenbruchartiger Regen die Flammen gelöscht.
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Auch die Geier bemerkten die aufsteigen den Flammen. Die einsame Gestalt an der Spitze des Turmbaus entging ihnen nicht. Altran-Visk sank ächzend in den Korb stuhl, der die Spitze des Turms bildete. Sieben Geier jagten auf ihn zu. Er fragte sich, wer Sieger bleiben würde – die Flammen oder die Geier. Wer der Verlierer war, das stand bereits fest. Das war er. Altran-Visk klammerte sich an die Hoff nung, daß das Ende kurz und schmerzlos sein würde, und daß er in der Stunde seines Todes in Körper und Geist eines der Götter wesen im Bug der Raumschiffe übergehen würde. Vielleicht in jenen des Raumschiffs, das in der Nähe des Dorfes gelandet war? Altran-Visk schloß die Augen, ignorierte Flammen und Geier und konzentrierte sich ganz auf das Wesen im Raumschiff.
2. Mir wurde schlecht. Ich hatte das Gefühl, mitten im Feuer zu sitzen. Flammen schienen mich zu umzün geln. Gepeinigt schrie ich auf. »Was ist los, Dorkan Moht?« fragte At lan. »So antworte doch.« »Mir ist so heiß«, erwiderte ich stöhnend. »Ich verbrenne.« »Ist Feuer bei dir ausgebrochen?« »Warte mal.« Ich öffnete die Augen, die ich in meiner Angst vorübergehend ge schlossen hatte. »Nein.« An den nächsten Worten des Arkoniden merkte ich, daß er an meinem Verstand zweifelte. Ich konnte es ihm nicht einmal verübeln. Ich wußte ja selbst nicht mehr, ob ich noch voll zurechnungsfähig war. »Du kannst ganz ruhig sein«, flüsterte ich. »Es ist alles in Ordnung. Das heißt …« Ich verstummte und blickte auf einen der Bildschirme in meiner Flugkanzel. Ich be fand mich so hoch über dem Boden, daß ich zwar den Himmel und die Berge sehen
konnte, nicht aber die Wälder, in denen ich gelandet war. Auf einem der Bildschirme erkannte ich eine Gestalt, die sich auf der Spitze eines brennenden Turmes befand. Sieben riesige Vögel näherten sich ihr. Für mich war klar, in welcher Absicht. Nun bin ich gegen derartige Vögel gera dezu allergisch. Allein ihr Anblick versetzt mich schon in maßlose Wut, und solange ich noch in Freiheit gelebt hatte, hatte ich Vögel gejagt. Ich konnte und wollte nicht dulden, daß einer dieser Vögel ein offenbar intelli gentes Wesen tötete. Blitzschnell richtete ich den Nadel schocker meines Schiffes aus und schoß. Ich traf die Geier, und voller Genugtuung sah ich sie in das Grün des Waldes stürzen. »Was, zum Teufel, treibst du?« fragte der Arkonide. Wortlos schaltete ich um, so daß er den brennenden Turm auch sehen konnte. Zu gleich veränderte ich die Brennweite, so daß das Kugelwesen groß ins Bild rückte. Ich stöhnte auf. Mit allem hatte ich gerechnet, nur nicht damit, daß dieses Wesen eine Ähnlichkeit mit einem Vogel haben könnte. Es hatte einen kugelförmigen Körper, der mit grauen Federn besetzt war. Oben ragte ein Vogel kopf mit einem scharf gebogenen Raubtier schnabel hervor. Das Wesen stand auf einem Gewirr von tentakelähnlichen Beinen, die ich jedoch wegen des aufsteigenden Rauchs und der Flammen nicht genau erkennen konnte. Ich hatte einem Vogelwesen das Leben gerettet! Ich hätte lachen können, und ich fühlte mich, als hätte ich mich selbst in einer nicht mehr zu übertreffenden Weise verhöhnt. »Öffne die Schleuse«, hallte es aus dem Lautsprecher über mir. »Wozu?« fragte ich. Atlan schrie mich an. Meine Antwort ge fiel ihm nicht. »Weil ich nicht zusehen werde, wie dieses Wesen dort verbrennt!«
Insel des Neubeginns Ich wollte mich weigern. Doch dann sah ich auf einem der Bildschirme, wie der Ar konide die große Plejade emporhob. Ich glaubte, die Macht zu spüren, die von ihr ausging. Ein Hauch von Freiheitswillen und Toleranz streifte mich. Ich konnte mich nicht länger gegen Atlan behaupten. »Ich öffne«, erklärte ich. »Eine Antigrav plattform steht dir zur Verfügung.« »Du weißt, daß ich mit meinem Anzug fliegen kann.« »Die Platte ist schneller.« »Also gut.« Sekunden später verfolgte ich, wie der Arkonide, auf der Platte liegend, aus der Schleu se raste. Er beschleunigte mit den höchsten Werten und erreichte das Wesen auf dem brennenden Turm innerhalb weni ger Sekunden. Ich konnte nicht umhin, das Rettungsmanöver zu bewundern. Der Arko nide ging äußerst geschickt vor. Er barg das Wesen und stieg mit ihm in die Höhe. Er nutzte die besonderen Möglichkeiten der Antigravmaschine voll aus und kehrte auf dem günstigsten Kurs zur KNIEGEN zu rück. Ich wäre nicht in der Lage gewesen, die Platte in dieser optimalen Weise zu steu ern. Das Kugelwesen lag regungslos auf der Plattform. Von seinem Federkleid war so gut wie nichts mehr übrig. Eine schwarze Schicht umgab den Körper. Ich glaubte, daß der Fremde bereits tot war. Aber dann spürte ich etwas Eigenartiges. Es war, als ob dieses Vogelgeschöpf, das ich allein aufgrund seines Aussehens haßte, die Fühler nach mir ausstreckte. Ich wehrte mich nicht dagegen. Im Gegenteil. Ich war neugierig und wollte wissen, was es mit die sem Kontaktversuch auf sich hatte. Sekunden darauf verschwamm meine Umgebung. Ich hatte das Gefühl, in die Tie fe zu gleiten. Lichte Wolken umgaben mich. Doch das änderte sich schnell. Es wurde dunkel, und meine Haut begann zu brennen. Immer schwerer fiel es mir, Luft in meine Lungen zu bringen. Ein eiserner Ring schien sich um mich zu schließen. Ich erinnerte
9 mich daran, wie heiß es unmittelbar nach der Landung in meiner Zentrale gewesen war. Hatte ich übersehen, daß ein Feuer ausge brochen war? Hatten mich die Ereignisse um den brennenden Turm derart abgelenkt, daß ich die tödliche Gefahr in meiner unmittel baren Nähe nicht bemerkt hatte?
* Als ich die Augen öffnete, sah ich das Ge sicht Atlans über mir. Ich erschrak so sehr, daß ich die Augen sogleich wieder schloß. Zugleich kämpfte ich mit einem Schwäche anfall. Ich versuchte, das Unfaßliche zu be greifen. Atlan hatte sich über mich gebeugt. Das war unmöglich. Ich konnte nur ge träumt haben. Alles andere war ausgeschlos sen. Ich befand mich in der Kanzel am Bug der KNIEGEN. Niemand konnte sich hier über mich beugen. Also hatte ich geträumt! Ich horchte in mich hinein, um mich zu beruhigen, erreichte damit jedoch das Ge genteil. Mein Herz schlug wild wie selten zuvor. Ich hörte Stimmen. Abermals öffnete ich die Augen, obwohl ich es eigentlich gar nicht wollte. Doch es war etwas in mir, daß mich dazu zwang. »Er kommt zu sich«, sagte jemand mit heller Stimme neben mir. Der Schock warf mich fast um. Das war die Stimme Thalias. Ich drehte den Kopf zur Seite und sah sie neben dem Arkoniden stehen. Zugleich er kannte ich, daß sie keineswegs bei mir in der Flugkanzel waren, sondern in einer medizi nischen Versorgungsstation im Innern des Raumers. Dort aber konnte ich nur sein, wenn sie mich aus der Kanzel geholt hatten. »Warum habt ihr das getan?« fragte ich krächzend. Ich erkannte meine eigene Stimme nicht wieder. Sie klang wie das Kreischen eines
10 Vogels. Sie entsetzte mich dermaßen, daß es vorübergehend dunkel um mich wurde. Bald aber hellte sich meine Umgebung wieder auf. Ich blickte auf das transparente Material der Kuppel, unter der ich mich be fand. Die Wolken zogen hoch über mich hinweg. Sie hatten einen beruhigenden Ein fluß auf mich. Ich blickte an mir herunter. Alles war wie gewohnt. Nichts hatte sich verändert. Erleichtert sagte ich mir, daß ich nur ge träumt hatte. Da ich das Bedürfnis hatte, mich Atlan und Thalia mitzuteilen, schaltete ich die Bildgeräte ein. Ich sah, wie sie sich über den verbrannten Körper des Vogelwesens beugten. Im glei chen Augenblick begriff ich, obwohl die Wahrheit ungeheuerlich war. Ich war vor wenigen Sekunden noch im Körper des Vo gelwesens gewesen, hatte Atlan und Thalia durch seine Augen gesehen und hatte mit seiner Stimme gesprochen »Was ist los mit ihm?« hörte ich Thalia fragen. »Eben war er doch ganz munter.« »Er hat uns gefragt, warum wir etwas ge tan haben«, sagte der Arkonide. »Das war Garva-Guva, wenngleich in primitiver und kaum verständlicher Form.« »Vielleicht ha ben wir uns verhört?« »Bestimmt nicht.« Der Arkonide beugte sich über das We sen, das er von dem brennenden Turm ge holt hatte. »Hörst du mich? Verstehst du mich?« »Alles ist anders«, erwiderte das seltsame Wesen. »Wieso ist alles ganz anders?« Atlan und Thalia verstanden ihn zwar, wußten aber dennoch nicht, was er gemeint hatte. »Wieso ist etwas anders?« forschte der Arkonide. »Was hast du denn erwartet?« »Daß seine Seele in der meinen aufgehen würde«, antwortete ich. »Was hast du da gesagt?« rief Atlan. »Das weiß ich selbst nicht«, erwiderte ich stotternd Ich war grenzenlos verwirrt, denn ich hatte Atlan nicht die Wahrheit gesagt.
H. G. Francis Ich wußte sehr wohl, was das Vogelwesen gemeint hatte. Ich wußte plötzlich sogar sei nen Namen: Altran-Visk. Es war auch mein Name oder doch zumindest ein Teil meines Namens. »Du mußt doch wissen, wovon du re dest«, bemerkte Thalia. Ich erklärte, was ich erlebt hatte, und fuhr dann fort: »Diese Wesen sind davon überzeugt, daß ihre Seelen in die Körper von Galionsfigu ren übergehen, wenn sie sterben. Seit Jahr tausenden genießen ihre Herrscher das Privi leg, nach einer gewissen Regierungszeit auf dem brennenden Turm sterben und dabei ih re Seelen auf Wanderschaft schicken zu dür fen.« »Besten Dank für ein derartiges Privileg«, sagte Thalia. »Willst du damit andeuten, daß diese See lenwanderung tatsächlich funktioniert?« fragte Atlan. »Dir entgeht wirklich nichts«, erwiderte ich. »Genau so ist es. Ich spüre zumindest einen Teil von diesem … diesem AltranVisk in mir.« »Wenn diese Seelenwanderung tatsäch lich geklappt hat«, sagte Atlan, »dann sind diese Wesen wirklich zu bedauern. Sie glau ben vermutlich daran, daß sie mit den Raumschiffen eine Reise in die Freiheit und Unendlichkeit antreten.« »So ist es«, bestätigte ich voller Bewun derung für den Scharfsinn des Freundes. »Sie wurden bitter enttäuscht, denn die Galionsfiguren stehen unter der geistigen Knute des Schwarzen Oheims.« »Von Freiheit keine Spur«, fügte ich hin zu. »Es sei denn, man hat das Glück, in die Nähe der großen Plejade zu kommen.« Ich veränderte den Bildausschnitt. »Wie geht es ihm?« fragte ich. »Er hat es ganz gut überstanden«, entgeg nete Atlan. »Er hat die Augen offen. Die In strumente zeigen an, daß seine inneren Or gane funktionieren. Nach allgemein gültigen medizinischen Grundsätzen müßte die Sau erstoffversorgung ausreichend sein.«
Insel des Neubeginns »Ich frage mich …«, begann ich. Dann er faßte mich ein Schwindel. Etwas Fremdes griff nach mir. »Moment mal!« »Was ist los?« rief Atlan. Ich versuchte zu antworten, doch das ge lang mir nicht. Mir war, als zöge mir jemand den Boden unter den Füßen weg. Ich glitt ins Nichts. Es wurde dunkel und gleich wie der hell, und dann sah ich das Gesicht At lans über mir. Ich war wieder im Körper des Fremden. »Da bin ich wieder«, wollte ich sagen. Ich konnte es nicht. Da war etwas neben mir, das mich verdrängte. Es gelang mir nicht, mich zu äußern. Ich wollte mich so fort wieder zurückziehen, aber auch das war mir nicht möglich. »Nichts«, hörte ich das Wesen sagen, das Altran-Visk hieß und bis vor wenigen Minu ten Herrscher über das Volk der TeekenArvs gewesen war. »Was sollte sein?« Atlan wandte sich ab und tippte den Schalter des Interkoms. Ich sah mich selbst auf einem der Bildschirme. Wie zu Stein er starrt saß mein Körper vor dem Aufnahme gerät. Die Augen waren unnatürlich weit ge öffnet. »Dorkan Moht«, rief der Arkonide. »Du solltest jetzt etwas erklären.« Das hätte ich gern getan. Allein ich konn te es nicht. Ich saß in einer Art Gefängnis, sah durch die Augen des Teeken-Arv und stellte zu allem Überfluß auch noch fest, daß dieser Teeken-Arv sich meiner Anwesenheit offenbar bewußt war – und sich noch dar über amüsierte. Er schien sich einzubilden, daß ihm seine Seelenwanderung gelungen war. Davon konnte natürlich überhaupt kei ne Rede sein. Er lebte noch, und er steckte in seinem Körper. Mochte er ruhig an See lenwanderung glauben. Er täuschte sich ebenso, wie sich sein ganzes Volk täuschte. Durch nichts war bewiesen, daß es je einem ihrer Herrscher gelungen war, in den Körper einer Galionsfigur überzuwechseln. Einer der medizinischen Roboter sprühte eine Flüssigkeit auf die verbrannte Haut Al tran-Visks. Die Behandlung tat diesem sicht
11 lich gut. Ich spürte, daß sich sein Kreislauf stabilisierte. Vermutlich war er am meisten durch einen Schock beeinträchtigt worden, den er im Feuer auf dem Turm und beim Angriff der Riesenvögel erlitten hatte. Jetzt überwand er den Schock allmählich. Und gleichzeitig verbesserte sich sein Gesund heitszustand. »Ich danke euch, Freunde«, sagte er. Da er diese Worte selbst formulierte, kamen sie gut verständlich aus seinem Schnabel. Wenn Atlan überrascht war, so zeigte er es nicht. »Mit wem spreche ich?« fragte er. Altran-Visk gab eigenartig meckernde Geräusche von sich. Er lachte! »Mit Altran-Visk, dem Herrscher der Tee ken-Arvs, des mächtigsten Volkes von Mog teeken-Arv«, erklärte er. »Mit wem sonst?« Er tat, als ob ich nicht da sei. Dabei wußte er genau, daß ich ihm sozusagen über die Schulter sah und jedes seiner Worte hörte. Ich erfaßte ja sogar einen Teil seiner Gedan ken. Ich versuchte, mich ihm mitzuteilen, doch er ignorierte mich. Entweder hörte er mich nicht, oder er wollte mich nicht hören. Das konnte ich nicht feststellen. Ich vermutete jedoch, daß er nur so tat, als nähme er meine Gedanken nicht wahr. Du bist arrogant, rief ich ihm zu. Glaube nur nicht, daß du mit dieser hochnäsigen Art weit kommst. Es hatte keinen Sinn. Ich erreichte damit überhaupt nichts. Er reagierte noch nicht einmal mit einem Gedankenimpuls, der mir angezeigt hätte, daß er meine Gedanken be merkt hatte. »Altran-Visk«, sagte Atlan. »Nun, ich hoffe, du bist damit einverstanden, daß wir dich von dem brennenden Turm geholt ha ben.« »Absolut«, erwiderte der TeekenArv. »Es ist nicht gerade ein Vergnügen, bei lebendi gem Leib verbrannt zu werden. Solange man noch nicht auf dem Turm ist, sieht man na türlich eine Auszeichnung darin, auf den
12 Turm steigen zu dürfen. Wenn aber erst ein mal das Federkleid in Flammen aufgeht, dann ändert man seine Meinung sehr schnell. Das dürfte allen anderen, die vor mir auf dem Turm waren, ebenso ergangen sein. Nur, von denen wurde keiner aus dem Feuer geholt. Also danke ich dir, Atlan.« Der Arkonide war nicht weniger über rascht als ich, daß Altran-Visk seinen Na men wußte. Für mich war jetzt alles klar. Dieses hinterhältige Geschöpf konnte mich gedanklich ausloten und mir alle Informatio nen nehmen, die es haben wollte, während ich so gut wie nichts von ihm erfaßte. Ich hätte mich zerreißen können. Und ihn dazu. Mit aller Kraft konzentrierte ich mich auf die Rückkehr in meinen Körper. Doch das war ein sinnloses Unterfangen. Altran-Visk gab mich nicht frei. Es gefiel ihm offenbar, mit einem Wesen engen Kontakt zu haben, das nicht von dieser Welt stammte, sondern aus der Weite des Universums zu ihm ge kommen war und einen viel größeren Hori zont hatte als er. »Du kennst also meinen Namen«, sagte der Arkonide. »Und ihren auch«, entgegnete AltranVisk und streckte einen seiner Tentakel aus. Er zeigte auf Thalia. Er nannte ihren Namen. »Kann ich davon ausgehen, daß du diese Informationen von Dorkan Moht hast?« fragte Atlan. »Dorkan Moht? Wer ist das?« Ich hätte ihn umbringen können! »Hast du Schmerzen?« fragte Atlan. »Nein. Ich fühle mich wohl. Die Dusche hat mir gutgetan. Kann ich noch eine ha ben?« Atlan betätigte einen Schalter, und der Roboter besprühte den TeekenArv erneut. »Was habt ihr vor?« forschte Altran-Visk danach. »Weshalb seid ihr auf dieser Seite der Berge gelandet? Warum nicht auf der anderen Seite, so wie es die anderen immer machen? Seid ihr in Not? Kann ich euch hel fen?« »Es wird dir schwer gelingen, uns zu hel-
H. G. Francis fen«, bemerkte Thalia. »Du bist doch nicht mehr der Herrscher der Teeken-Arvs, nicht wahr? Dein Volk glaubt doch, daß du tot bist. Was würde es sagen, wenn du zurück kehrst?« »Es wäre verwundert«, erwiderte AltranVisk nachdenklich. »Wahrscheinlich würde es einen neuen Turm bauen und mich noch einmal hinaufschicken. Um mich zu ehren. Selbstverständlich nur aus diesem Grund.« »Selbstverständlich«, sagte Atlan. »Aber du legst keinen großen Wert dar auf, noch einmal in dieser Weise geehrt zu werden«, stellte Thalia fest. »Ich kann nicht leugnen, daß deine Worte einen gewissen Wahrheitsgehalt haben.« Es gestikulierte mit einem Tentakel, um Thalia Respekt zu erweisen. Ich glaube je doch nicht, daß sie den Sinn dieser Geste er faßte. »Wie also kann ich euch helfen?« »Mit Informationen beispielsweise. Wir möchten soviel wie möglich über die Insel wissen, die in dem großen Binnenmeer liegt.« »Du meinst die Insel der sieben Brücken?« Atlan registrierte sichtlich erleichtert, daß der Teeken-Arv die Insel kannte. »Genau diese Insel meine ich. Warst du schon einmal dort?« »Ich nicht, aber ich kenne jemanden, der hier in den Wäldern lebt, der dort gewesen ist. Er ist von dort zu uns geflüchtet. Ich kann euch zu ihm führen, wenn ihr wollt. Er ist jedoch etwas eigenartig. Daher kann ich euch nicht versprechen, daß er eure Fragen beantwortet. Ich werde jedoch alles tun, was in meiner Macht steht, um euch zu helfen.« Er eilte einige Schritte hin und her, hüpfte einige Male auf der Stelle und wirbelte die Tentakel herum, um zu prüfen, ob er seine frühere Beweglichkeit wieder erreicht hatte. Er hatte tatsächlich nur Federn gelassen, war aber sonst nicht zu Schaden gekommen. Schließlich wandte er sich an Thalia: »Du hast recht. Es wäre gut, den Leuten meines Volkes auszuweichen. Sie brauchen
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mich nicht zu sehen. Erstens habe ich keine Federn mehr, und es ist nicht gerade schick lich, so herumzulaufen, und zweitens habe ich keine Lust, noch einmal auf den Turm zu klettern. Ich werde euch begleiten, wenn es euch recht ist, und mir irgendwo jenseits der Berge einen neuen Lebensbereich suchen.« »Wir danken dir«, erwiderte Atlan. »Wann brechen wir auf?« »Das hängt nicht von mir ab. Ich bin ta tendurstig.« »Also fühlst du dich wieder gesund?« »Selbstverständlich.« Ich konnte nur noch staunen. Er krähte herum, als wolle er die ganze Welt erobern. Dabei war es ganz und gar nicht so, als habe er alles schadlos überstanden. Er hatte einige Brandwunden, die äußerlich wohl nicht zu erkennen waren, die aber heftig schmerzten. Und das war es, was mich ärgerte. Er schloß mich von allem ab, ließ mich aber seine Schmerzen spüren. Ich hätte ihn umbringen können. »Kann ich noch eine Dusche haben, bevor wir gehen?« fragte er. »Gern«, erwiderte der Arkonide und betä tigte den Schalter. Wenig später ließen die Schmerzen vor übergehend nach. Mir graute vor den näch sten Stunden. Wenn wir das Raumschiff erst einmal verlassen hatten, gab es keine schmerzlindernden Duschen mehr. Andererseits freute ich mich aber auch, endlich einmal wieder nach draußen zu kommen. Allzu lange war ich schon mit der KNIEGEN verbunden. Wie lange hatte ich schon keine frische Luft mehr geatmet? Wie lange war es her, daß mir der Wind ins Ge sicht wehte? Ich wußte es schon gar nicht mehr.
3. Die Luft war lau und mild, als wir am nächsten Morgen das Raumschiff verließen. Atlan hatte sich dazu entschlossen, später aufzubrechen, als ursprünglich geplant, weil von uns allen unbemerkt die Nacht hereinge
brochen war. Altran-Visk sah ein, daß es vernünftig gewesen war, diese Entscheidung zu treffen. Der Arkonide verzichtete darauf, mit ei ner Antigravplattform zu fliegen. AltranVisk hatte sich dagegen ausgesprochen, weil er befürchtete, daß wir von den riesigen Gei ern angegriffen und von anderen TeekenArvs beobachtet werden würden. Mir war es nur recht, daß Atlan, Thalia und Altran-Visk durch den Wald gingen. Nachdem ich so lange in der KNIEGEN eingeschlossen ge wesen war, wollte ich mich endlich wieder auf natürliche Weise bewegen. Ich genoß es, von den Düften der Bäume, Büsche und Blumen umgeben zu sein. Altran-Visk kann te sich im Wald aus. Er eilte Atlan und Tha lia voran und führte sie über enge Pfade in weitem Bogen um die Siedlung der TeekenArvs herum. Hin und wieder blieb er stehen, wenn ihm Geräusche anzeigten, daß TeekenArvs in der Nähe waren. Er war ängstlich bemüht, ihnen auszuweichen. Nachdem wir etwa eine Stunde lang durch den Wald marschiert waren, teilte AltranVisk Atlan und Thalia mit, daß wir uns nun dem Einsiedler näherten. Er mahnte uns zur Vorsicht. »Ich glaube, er hat Fallen aufgebaut«, sagte er. Ich spürte, daß der Boden unter uns ver sank. Altran-Visk schrie auf. Er fuhr herum. Atlan und Thalia stürzten in die Tiefe. Schlamm spritzte auf. Sie versuchten, sich mit den Händen an den Büschen zu halten. Vergeblich. Sie drohten im Schlamm zu verschwin den. Jetzt bewies Altran-Visk, daß er auf alles vorbereitet war. Unglaublich schnell und ge schmeidig streckte er seine Tentakel aus, auf denen er bisher in fließenden Bewegungen gelaufen war. Er schlang sie um zwei Baum stämme und packte zugleich Atlan und Tha lia, die mittlerweile bis zum Hals im Boden versunken waren. Der Arkonide stieg jedoch schon wieder aus dem Schlammloch hervor, das wir alle
14 vorher nicht bemerkt hatten, da es sich durch nichts von der anderen Umgebung unter schieden hatte. Jetzt war die Pflanzendecke eingebrochen, und brauner Schlamm dehnte sich um Thalia und Atlan aus. Der Arkonide schwebte mit Hilfe seines goldenen Anzugs auf sicheren Boden. Dabei sprach er beruhigend auf Thalia ein, die nun aus Sicherheitsgründen ihren Raumhelm schloß. So konnte sie wenigstens nicht im Schlamm ersticken, falls Altran-Visk sie nicht mehr halten konnte. Zwischen den Büschen tauchte eine selt same Gestalt auf. »Masgelhort-Dyrt«, rief Altran-Visk. »Wir sind Freunde. Du weißt, daß wir Freunde sind. Ich bin Altran-Visk, der dir erlaubt hat, hier in den Wäldern zu leben, und der dich mit Geschenken überhäuft hat.« »Mit Geschenken überhäuft?« entgegnete der Einsiedler. »Du hast mir hin und wieder ein paar Abfälle hingeworfen. Das ist alles. Aber lassen wir das. Ich bin nicht nachtra gend.« Masgelhort-Dyrt war ein Noot. Er war aus dem Entwicklungsstamm der edelsten, schönsten und am höchsten stehenden Ge schöpfe des Universums hervorgegangen. Das machte ihn mir, der ich ebenfalls aus diesem begnadeten Teil der Natur hervorge gangen war, sofort sympathisch. Ich bedauerte nur, daß er mich nicht sehen konnte, denn ich steckte ja in Altran-Visk. Daher konnte er nicht einmal ahnen, daß ich ebenfalls ein Echsenabkömmling war. Ich nahm mir vor, ihm das beizeiten zu verste hen zu geben. Nun war er allerdings nur noch ein Zerr bild eines Noots. Für mich und die anderen war klar, daß er einem Metamorphoseprozeß unterworfen gewesen war. »Ich ziehe das Mädchen jetzt aus dem Schlamm«, kündigte Altran-Visk an. »Ich hoffe, du glaubst nicht, daß es aus feindli cher Absicht geschieht.« »Zieh sie heraus«, entgegnete er, während er sich Atlan neugierig näherte.
H. G. Francis Der echsenähnliche Körper war noch deutlich zu erkennen, wenngleich er durch die Metamorphose weitgehend verändert worden war. So war der Stummelschwanz völlig verschwunden. Auch das Rauchhorn, das sich sonst bei den Noots von der Schä delmitte erhob, war nicht mehr vorhanden. Er war jedoch auch jetzt noch untersetzt und breitschultrig. Er hatte noch die hellbraune Schuppenhaut. Sein Kopf hatte jedoch nur noch eine entfernte Ähnlichkeit mit dem ei nes Noots. Er war in humanoider Richtung verändert worden und hatte dabei jegliche Schönheit verloren. Altran-Visk befreite Thalia aus dem Schlamm, während Atlan und der Einsiedler sich unterhielten. Ich verlor sie vorüberge hend aus den Augen, weil der Teeken-Arv sich ganz auf das Mädchen konzentrierte. Als er sich Masgelhort-Dyrt wieder zuwand te, stellte ich fest, daß der Arkonide und der Einsiedler sich bereits recht gut miteinander bekannt gemacht hatten. Der Einsiedler schi en gar nicht so seltsam zu sein, wie AltranVisk behauptet hatte. »Ich habe mich strafbar gemacht«, erklär te Masgelhort-Dyrt gerade. »Die Scuddamo ren haben mich festgenommen und nach Kinster-Hayn gebracht.« Er streckte einen Arm aus und gab uns da mit zu verstehen, daß wir einem schmalen Pfad zu seinem Haus folgen sollten. Thalia, Atlan und er selbst gingen voran. AltranVisk folgte ihnen. »Auf Kinster-Hayn begann bei mir, wie bei allen anderen, die dorthin kommen, die Metamorphose. Das Ergebnis könnt ihr se hen. Es ist scheußlich. Gegen Ende dieser Entwicklung wurde ich in die Station auf Kinster-Hayn gebracht. Dort stellte ich fest, daß alle Mitbetroffenen offenbar Intelligenz und Willen verloren hatten.« »Du aber nicht«, bemerkte der Arkonide. »Nein, ich war immer noch ich selbst, während die anderen kaum mehr waren als lebende Puppen ohne jeden Inhalt. Ich habe mich verstellt, so daß die Roboter den Un terschied nicht erkannten, der zwischen mir
Insel des Neubeginns und den anderen bestand. Sie schnallten mir einen Gürtel um und schalteten ihn ein. Ich saß in einem Scuddamoren-Schild. Danach wurde ich mit vielen anderen in einem Or ganschiff hierher, nach Mogteeken-Arv, ge bracht.« »Zu einer Station am Ufer des Lovens?« fragte Altran-Visk, der offenbar ebenfalls nichts über Masgelhort-Dyrt und das Schicksal, das dieser erlitten hatte, wußte. »Zu einer Station am Ufer des Meeres«, bestätigte der Noot. »Ich nutzte das Durch einander bei der Landung und floh.« Der Teeken-Arv blieb stehen, drehte sich um und blickte zurück. Mir wurde bewußt, daß ich nicht auf den Weg geachtet hatte. Ihm gingen vermutlich ähnliche Gedanken wie mir durch den Kopf. Allein würden wir niemals zurückfinden. Masgelhort-Dyrt führte uns durch die Wildnis, und er wußte, daß wir darin verloren waren, wenn er uns nicht half. Ich hatte mich bereits darüber ge wundert, daß er uns so offen gegenüberge treten war. Hatte er nicht befürchten müssen, daß wir Häscher waren, die ihn zu der Stati on am Ufer des Lovens zurückholen woll ten? Jetzt wußte ich, daß er uns durchaus nicht ohne Mißtrauen begegnete. Dadurch, daß er uns in die Wildnis lockte, in der er zahllose tödliche Fallen angelegt haben mochte, wur den wir völlig von ihm abhängig. Freimütig gab er uns weitere Informatio nen. »Ich bin froh, entkommen zu sein«, er klärte er in gut verständlichem Garva-Guva. »Ich habe den Schild abgelegt. Dann habe ich aus der Ferne beobachtet, was mit den vielen Wesen geschah, die mit mir zusam men hierhergebracht worden sind. Die neuen Scuddamoren wurden über die Brücke zur Insel getrieben.« »Weißt du auch, was dort mit ihnen ge schieht?« fragte Thalia. »Natürlich nicht«, antwortete er. »Wie sollte ich? Ich war so weit vom Ufer des Lovens entfernt, daß ich die neuen Scudda moren gerade noch erkennen konnte. Ich
15 sah, daß sie auf die Brücke getrieben wur den, und ich sah sie in der Ferne verschwin den. Lange Zeit habe ich dort in der Nähe der Station gelebt. Ich habe oft Raumschiffe landen gesehen. Ebenso oft habe ich beob achtet, daß die neuen Scuddamoren über die Brücke davonzogen, aber nicht ein einziges Mal ist jemand von dort zurückgekommen.« »Hast du gesehen, ob von der Insel Raum schiffe starten?« fragte Atlan. MasgelhortDyrt schüttelte den Kopf. »Niemals«, erwiderte er. »Die Raumschif fe landen und starten nur an den Ufern des Binnenmeers. Ich glaube, es gibt gar keine Möglichkeit für Raumschiffe, auf der Insel zu landen.« Das war richtig! Wir hatten die Insel be obachtet, als wir mit der KNIEGEN lande ten. Die Insel war so dicht bebaut, daß nir gendwo ein Raumschiff landen konnte. Das konnte also nur bedeuten, daß die Scuddamoren auf der Insel endgültig zu dem wurden, was sie als Gegner Atlans und Tha lias darstellten – gefährliche und hochintelli gente Spezialeinheiten im Dienste Chirmor Flogs. »Auf irgendeine Weise müssen sie die In sel verlassen«, stellte der Arkonide fest. »Sicherlich«, sagte Masgelhort-Dyrt zu stimmend. »Ich weiß jedoch nicht, wie.« »Das wird zu klären sein.« »Ich gehe nie wieder in die Nähe einer Station«, erklärte der Noot entschlossen. »Ich habe mich von dort zurückgezogen, weil Roboter durch die Gegend streiften. Sie hatten offensichtlich die Aufgabe, nach Flüchtigen zu suchen. Offenbar gibt es noch mehr, die aus der Station entkommen sind, obwohl ich niemandem begegnet bin. Ich kam eines Tages von der Suche nach eßba ren Früchten zu der Hütte zurück, die ich mir gebaut hatte. Ein Roboter hatte sie ent deckt und wartete auf mich. Ich bemerkte ihn jedoch, bevor er mich sah, und flüchtete über die Berge hierher. Ich war mehr tot als lebendig, als ich endlich in diesen Wäldern war. Deshalb werde ich nie mehr zurückge hen.«
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»Wir haben ihn damals bei uns aufgenom men, als sei er unser eigener Sohn«, bemerk te Altran-Visk. Masgelhort-Dyrt blieb stehen. Er blickte den Teeken-Arv verwundert an. »Ich wußte nicht, daß ihr eure eigenen Söhne so schlecht behandelt«, entgegnete er. »Allerdings überrascht es mich nicht bei ei nem Volk, das seine Herrscher aus lauter Dankbarkeit am Ende ihrer Regierungszeit verbrennt.«
* Masgelhort-Dyrt bewohnte eine überra schend große Hütte, die er aus geschälten Baumstämmen errichtet hatte. Der Weg dorthin führte durch einen Sumpf. Allein hätten wir ihn niemals gehen können. Der Noot hatte Stämme in den Sumpf ge rammt und so weit hineingetrieben, daß das Ende unter der Oberfläche verschwand. Er wußte genau, wo sie waren. Er sprang mal nach links, mal nach rechts, mal kurz, mal weit. Und jedesmal landete er sicher auf ei nem Stammende, das kaum größer war als sein Fuß. Wir konnten sehen, wohin wir springen mußten, denn im Sumpf bildeten sich dunkle Stellen über den Stämmen. Nur langsam schloß sich die Pflanzendecke wie der darüber. Die Hütte konnten wir schon von weitem sehen. Sie stand auf einer Insel unter einem riesigen Baum mit weit ausladenden Ästen, so daß sie von einem Flugbegleiter oder von einem Raumschiff aus nicht auszumachen war. Ich war froh, als wir sie endlich erreicht hatten, denn der Sumpf war mir unheimlich. »Willst du mir nicht sagen, wo du den Gürtel mit dem Schildprojektor versteckt hast?« fragte der Arkonide, während Mas gelhort-Dyrt einige Früchte aus der Hütte holte und uns vorsetzte. »Nein«, erwiderte er. »Dann willst du ihn eines Tages selbst wieder anlegen?« »Niemals.«
»Ich verstehe dich nicht. Du willst den Schild nicht benutzen, mir willst du ihn aber auch nicht überlassen. Du willst ihn mir noch nicht einmal zeigen.« »Er würde dir nur Unglück bringen.« »Davon bin ich noch nicht überzeugt. Willst du ewig hier als Einsiedler leben? Hast du nicht doch noch eine Hoffnung, daß du eines Tages in deine Heimat zurückkeh ren kannst, wenn die Macht des Oheims ge brochen ist?« »Sieh mich doch an«, erwiderte Masgel hort-Dyrt. »Ich bin ein Krüppel. Die Meta morphose hat mich so verändert, daß ich in meiner Heimat nur Verachtung und Ekel hervorrufen werde.« »Hast du nicht den Wunsch, dich zu rä chen? Willst du zusehen, wie immer mehr intelligente Geschöpfe durch die Fabrik der Scuddamoren gehen, ihr Ich verlieren und zu Sklaven Chirmor Flogs werden?« »Glaubst du, daß du die Macht brechen kannst?« Masgelhort-Dyrt verzehrte eine Frucht. Sein Schmatzen erregte Übelkeit in Altran-Visk. Dieses Gefühl war so ausge prägt, daß mir auch schlecht wurde. »Ich werde es auf jeden Fall versuchen, weil ich keine andere Wahl habe.« »Dann willst du lieber sterben, als Scud damorenSklave sein?« »Darum geht es nicht«, widersprach der Arkonide. »Man darf nicht vor dem Unrecht und der Gewalt resignieren. Wer aufgibt, hat schon verloren. Das ist eben das Charakteri stische an der Masse, daß sie sich nicht ent schlossen genug auflehnt, sondern sich allzu leicht in ihr Schicksal ergibt und das Un recht über sich ergehen läßt.« »Du wirfst mir vor, ein Massengeschöpf ohne herausragende Eigenschaften zu sein? Als Gast bist du nicht gerade rücksichts voll.« »Du lebst hier in der Einöde, und an den Ufern des Lovens geschieht fortwährend Unrecht. Du weißt es, weil du selbst Opfer geworden bist. Du weißt, daß jeden Tag Hunderte oder vielleicht gar Tausende von Chirmor Flog ins Unglück geführt werden,
Insel des Neubeginns aber du sitzt hier auf deiner Insel und be nimmst dich so, als ginge dich das alles nichts an.« »Es geht mich nichts an. Ich will leben. Weiter nichts.« »Man kann nicht ohne Gewissen leben«, behauptete der Arkonide. Ich war überzeugt davon, daß diese Be merkung zuviel des Guten war. Ohnehin fragte ich mich schon, ob der Arkonide den Verstand verloren hatte. Wie kam er dazu, unseren Gastgeber zu beschimpfen? Masgelhort-Dyrt schwieg minutenlang. Atlan und Thalia verhielten sich ebenfalls ruhig. Sie ließen die Worte des Arkoniden wirken. Ich spürte, daß Altran-Visk immer unruhiger wurde. Er kannte den Einsiedler am besten und wußte offenbar, daß dieser solche Worte nicht mochte. Rechnete er mit einem plötzlichen Angriff des Noots? Masgelhort-Dyrt nahm einen Stein auf und schleuderte ihn in den Sumpf. »Du hast recht«, sagte er. »Man kann nicht ohne Gewissen leben. Auch ich nicht. Es quält mich schon lange, daß ich nichts gegen die Barbaren tue. Es ist auch wahr, daß ich leicht resigniere. Als ich sah, wie eu er Raumschiff landete, gab ich mich verlo ren. Ich wollte fliehen, weil ich glaubte, daß die Häscher mich gefunden hatten. Dann aber sagte ich mir, daß eine Flucht sinnlos sei. Ich ging euch entgegen, um mich zu er geben. Ich wollte mein Ich verlieren, weil ich nicht den Mut habe, gegen das zu kämp fen, was auf dieser Welt geschieht, aber auch nicht die Kraft, die mahnende Stimme meines Gewissens zu überhören.« Sieh an, dachte ich. Unter der rauhen Schale lebt ein sensibler Charakter. Altran-Visk hatte sich gründlich in Mas gelhort-Dyrt getäuscht. Ich vermutete, daß er sich im Grunde ge nommen überhaupt nicht um ihn gekümmert hatte. Er hatte ihn in der Nähe seines Dorfes geduldet. Das war aber auch schon alles. »Gib mir den Schild«, bat Atlan. »Das gibt mir die Chance, als Scuddamore aufzu
17 treten.« »Das ist Wahnsinn«, wandte Thalia ein. »Ich will kämpfen. Ich weiß, daß es notwen dig ist. Aber dein Plan kann nicht gutgehen. Du gehst in eine Falle, aus der du nicht ent kommen kannst.« »Wir müssen klären, was auf der Insel ge schieht.« »Du kannst im Goldenen Vlies zur Insel fliegen. Du mußt nicht im ScuddamorenSchild über die Brücke gehen. Das ist viel zu gefährlich.« »Ich kann nicht fliegen, weil man mich orten würde.« Eine heftige Debatte entwickelte sich zwi schen Atlan und Thalia, die sich seinem Plan widersetzte. Währenddessen entfernte sich Masgelhort-Dyrt, ohne daß wir es bemerk ten. Minuten später kehrte er mit einem Gür tel zurück. Schweigend überreichte er ihn Atlan. Der Arkonide nahm ihn entgegen, legte ihn an und schaltete den Projektor ein. Der düstere Scuddamoren-Schild baute sich auf, so daß nicht mehr zu erkennen war, wer darunter steckte.
* Zwei Stunden später waren wir wieder bei der KNIEGEN. Masgelhort-Dyrt begleitete uns. Er war entschlossen, seine Zurückhal tung aufzugeben und uns zumindest bis in die Nähe jener Station am Meer zu führen, aus der er geflohen war. Weiter wollte er auf keinen Fall gehen. Damit meinte er, genug getan zu haben. Ich konnte ihn gut verstehen. Er hatte viel durchgemacht und erlitten. Thalia sollte bei der KNIEGEN bleiben. Sie war nach eini gem Zögern damit einverstanden, da sie ein sah, daß jemand außer mir im Schiff bleiben mußte. Sie glaubten allen Ernstes, daß ich im Schiff war. Sie wunderten sich über mei ne Körperstarre und berieten darüber, was sie tun konnten, um mich daraus zu befreien »Ich gebe dir neun Tage Zeit«, sagte Thalia. »Währenddessen werde ich mich um Dor kan Moht kümmern.«
18 Sie blickte Altran-Visk forschend an. Ich konnte mir vorstellen, daß sie mich in ihm vermutete. Wie gern hätte ich mich bemerk bar gemacht, aber dazu gab mir der TeekenArv keine Gelegenheit. »Mit neun Tagen bin ich einverstanden«, sagte der Arkonide. »Sollte ich bis dahin noch nicht zurück sein, mußt du etwas unter nehmen. Handle auf eigene Faust.« »Du kannst dich auf mich verlassen.« Atlan, Altran-Visk und der Noot verab schiedeten sich von ihr. Sie stiegen auf eine Antigravplattform, von der sich zwei scha lenförmige Sitze erhoben. Wie selbstver ständlich nahmen der Arkonide und der Noot darin Platz. Altran-Visk blieb nichts anderes übrig, als sich hinter den Sitzen auf den blanken Boden sinken zu lassen. Er klammerte sich mit zwei Tentakeln an die Spitze, damit ihn der Fahrtwind nicht von der Plattform drückte. Atlan startete und steuerte das Fluggerät zu den Bergen. Altran-Visk drückte sich ängstlich an die Plattform. Er blickte sich um und bemerkte einige Männer seines Stammes, die hinter einigen Büschen ver steckt waren. Auch sie hatten ihn offenbar gesehen, doch nun brauchte er nichts mehr zu befürchten. Er war zumindest vor ihnen und ihren Achtungsbeweisen in Sicherheit. Als die Plattform höher und höher stieg, wurde es empfindlich kalt. Atlan merkte da von nichts. Das Goldene Vlies schützte ihn. Altran-Visk aber und Masgelhort-Dyrt frö stelten. Es tröstete sie nur wenig, daß der Arkonide ihnen sagte, er hoffe, bald in ei nem Taleinschnitt fliegen zu können. Der Noot glaubte den Weg zu kennen, aber darin täuschte er sich. Er führte den Ar koniden in eine Schlucht, weil er meinte, daß sie die Bergkette durchschneide. Doch sie endete an einer fast viertausend Meter aufsteigenden Steilwand. Der Arkonide fragte den Noot und Altran-Visk, ob er um kehren und einen anderen Weg suchen solle, aber beide entschieden sich dafür, die Kälte in der Höhe für kurze Zeit in Kauf zu neh men und die Berge schnell zu überwinden.
H. G. Francis Die Plattform stieg auf. Der Teeken-Arv schlang einen Tentakel um den Kopf und bedeckte die Augen. Ihn schwindelte. Ich verfluchte die Tatsache, daß ich nun nichts mehr sehen konnte. Erst als Atlan die Steilwand überwunden hatte und die Platt form auf der anderen Seite scharf beschleu nigend abfiel, riskierte Altran-Visk wieder einen Blick. Das Fluggerät glitt in ein weites Tal mit ausgedehnten Grünflächen. Atlan drosselte die Geschwindigkeit und ließ die Plattform weiter absinken, so daß wir oft nur wenige Meter über Felsblöcke oder Baumwipfel hinwegflogen. Mir war klar, daß er das Ortungsrisiko so gering wie nur irgend möglich halten wollte. Einige Male entdeckten wir robotische Maschinen, die das Gelände durchsuchten. Dabei war nicht zu erkennen, zu welchem Zweck das geschah. Ich konnte mir nicht vorstellen, daß den perfektionierten Scudda moren-Fabriken so viele Opfer entkamen, daß sich eine Suche nach ihnen lohnte. Ich war froh, als wir den Bereich der Ber ge endlich verließen. Grün und blühend dehnte sich das Land vor uns. Ich genoß den Anblick. Ein strahlend blauer Himmel wölb te sich über uns. Heiß brannte die Sonne herab. In ihrem Licht hatten sich Millionen von Blüten auf den Wipfeln der Bäume ge öffnet. Das hatte zur Folge, daß eine noch viel größere Zahl von Insekten über den Bäumen schwirrte, doch wir wurden glückli cherweise nicht von ihnen belästigt. Vögel jagten die Insekten. Sie schossen oft so schnell an uns vorbei, daß ich ihre Konturen nicht mehr erkannte. Am Horizont erhoben sich die düsteren Bauten der Station. Dahinter schimmerte das Meer, als ob es aus Silber sei. Deutlich war die Brücke zu sehen, die bei der Station be gann und in die Unendlichkeit zu führen schien. Atlan blieb nun gar nichts anderes übrig, als parallel zu den Bergen zu fliegen, bis er einen Fluß fand, der zum Meer führte. Er ließ den Flugapparat so tief absinken, daß er das Wasser mit der Unterseite fast berührte.
Insel des Neubeginns Jetzt waren wir durch die hoch aufragenden Bäume gegen direkte Sicht und Ortung ge schützt. Der Arkonide nahm einen erhebli chen Zeitverlust in Kauf und folgte den Windungen des Flusses. Stunden um Stun den glitten wir dahin, bis sich der Fluß end lich weitete und uns damit das nahe Meer anzeigte. Vorsichtig ließ Atlan die Plattform anstei gen. Als er sah, daß die Gebäude der Station nur noch etwa drei Kilometer von uns ent fernt waren, landete er auf einer kleinen Lichtung am Ufer des Flusses. »Wir sind am Ziel«, sagte er und dankte dem Noot für seine Hilfe. Diese schätzte ich nun äußerst gering ein. Ich war davon über zeugt, daß Atlan die Station auch ohne die Hinweise Masgelhort-Dyrts gefunden hätte. Der Noot aber tat so, als sei es ausschließ lich ihm zu verdanken, daß wir ungeschoren angekommen waren. Lächelnd ging der Ar konide darüber hinweg. »Wir müssen uns jetzt trennen«, erklärte er. »Wer begleitet mich?« »Ich auf keinen Fall«, antwortete Masgel hort-Dyrt. »Ich habe schon genug gewagt.« »Ich bin dabei«, rief Altran-Visk, ohne mich zu fragen. »Ich will wissen, was ge spielt wird.« »Ich warte hier«, versprach MasgelhortDyrt. »Ich bewache die Plattform, damit ihr im Notfall hierher zurückkommen und mit ihr fliehen könnt.« »Ich danke dir für dieses Angebot«, sagte Atlan. »Bis später.« Er gab Altran-Visk mit einem Handzei chen zu verstehen, daß er sich ihm anschlie ßen sollte, und ging am Flußufer entlang. Der TeekenArv folgte ihm. Als sie sich etwa zweihundert Meter von Masgelhort-Dyrt entfernt hatten, drehte der Arkonide sich um und blickte zurück. »Das habe ich mir gedacht«, sagte er. Altran-Visk fuhr erschrocken herum. Er sah gerade noch, wie der Noot mit der Anti gravplattform über den Bäumen ver schwand. »Verräter«, sagte er verächtlich.
19 »Laß ihn«, bat Atlan. »Er hat uns gehol fen. Jetzt hatte er nicht den Mut, uns die Wahrheit zu sagen. Nach dem, was er durch gemacht hat, kann ich es ihm nicht einmal verdenken.« »Aber nun können wir nicht mehr schnell genug fliehen, wenn es notwendig sein soll te«, protestierte Altran-Visk. Atlan lächelte. »Du brauchst nicht bei mir zu bleiben«, sagte er. »Wohin soll ich sonst? Sieh mich doch an. Ich bin nackt und bloß. Nicht eine Feder habe ich an meinem Körper. Unter diesen Umständen kann ich mich nur irgendwo in einer Erdhöhle verkriechen und ein Jahr warten, bis mir wieder Federn wachsen. Da ich keine Lust habe, ein ganzes Jahr zu ver schenken, gehe ich lieber mit dir.« Sie marschierten weiter, nachdem sie so Einigkeit erzielt hatten. Ich hatte meine Be denken. Sollte Altran-Visk schon soweit sein, daß ihm sein Leben nicht mehr wichtig war? Mir gab seine Bemerkung zu denken, daß er keine Lust hatte, ein ganzes Jahr zu verschenken. Dabei konnte ich ihn durchaus verstehen. Mir wurde schon übel bei dem Gedanken, daß ich mit ihm irgendwo in ei nem dunklen Loch hocken müßte, ohne ir gend etwas zu tun. Andererseits graute mir jedoch auch bei der Vorstellung, er könne leichtfertig sein Leben riskieren und meines damit ebenfalls aufs Spiel setzen, ohne daß ich mich dage gen wehren konnte. Nach einiger Zeit wurde die Uferbö schung lichter. Wir sahen das Meer und die kastenförmigen Gebäude der Scuddamoren-Stati on. Ich zählte siebenundzwanzig Gebäude, von denen das höchste etwa zwanzig Meter breit, zehn Meter hoch und fünfzig Meter lang war. Es hatte keinerlei Fenster, so daß von außen nicht zu erkennen war, was drin nen geschah. »Und was jetzt?« fragte Altran-Visk. »Wir beobachten zunächst«, erwiderte der Arkonide. »Da können wir unter Umständen lange
20 warten, bis etwas geschieht. Nein, ich habe einen anderen Vorschlag. Ich werde zu den Bauten gehen und mich dort ein wenig um sehen.« »Das ist gefährlich.« »Überhaupt nicht. Wesen wie mich neh men sie nicht wahr.« Bevor Atlan noch et was darauf antworten konnte, eilte AltranVisk schon davon. Ich versuchte mit aller Gewalt, mich ihm verständlich zu machen, doch er ignorierte mich ebenso, wie er es schon zuvor getan hatte. Obwohl ich wußte, daß so etwas unmög lich war, glaubte ich zu fühlen, daß es mir eiskalt über den Rücken lief. Hatte der Tee ken-Arv den Verstand verloren? Er arbeitete sich entschlossen durch das unwegsame Gelände vor und hielt nur ein mal inne, weil er ein vierbeiniges Tier im Gras entdeckte. Er stürzte sich darauf, tötete es mit einem Schnabelhieb und verzehrte es. Mir wurde schlecht. Ungeheuer! schrie ich ihm gedanklich zu. Er lachte laut und krächzend. Das war für mich der Beweis, daß er mich genau ver standen hatte. Augenblicklich versuchte ich, ein Gespräch mit ihm aufzunehmen. Es war sinnlos. Er ging nicht darauf ein. Dann überwand er einen Grasstreifen und glitt auf die Tür eines der Stationsgebäude zu. Auf seinen Tentakeln bewegte er sich außerordentlich geschmeidig. Als er einen der Tentakel nach dem Tür schalter ausstreckte, griff eine Metallhand von hinten über ihn hinweg, packte den Ten takel und zog ihn zurück. Ich erschrak bis ins Innerste. Altran-Visk aber drehte sich gelassen um. Ein spinnenförmiger Roboter geriet in sein Blickfeld. Wortlos umklammerte die Ma schine einen weiteren Tentakel des TeekenArvs, hob Altran-Visk hoch und trug ihn et wa zwanzig Meter weit bis zu einigen Bü schen. Hier warf er ihn in hohem Bogen weg. Altran-Visk landete in einem Schlamm loch, das jedoch glücklicherweise nicht tief war.
H. G. Francis
4. Da während der nächsten Stunde kein ein ziges Wesen im Scuddamoren-Schild zu se hen war, entschied Atlan, erst in der Dunkel heit in eines der Gebäude einzudringen. »Ich begleite dich«, sagte Altran-Visk, als es dunkel genug war. Atlan schüttelte den Kopf. »Das geht nicht«, entgegnete er. »Du hast keinen Schild.« »Der würde mir ohnehin nichts nützen, da ich zu klein bin. Niemand würde mich für ein Scuddamoren-Wesen halten. Der Vorfall mit dem Roboter hat mir jedoch gezeigt, daß ich ruhig mit dir gehen kann. Man wird mich vielleicht hinausbefördern, mehr wird aber auch nicht geschehen.« »Ich bin nicht damit einverstanden.« »Das ist mir egal. Du vergißt, daß ich ein Teeken-Arv und auf dieser Welt geboren bin. Fremde sind es, die die Station gebaut haben. Sie sind nicht von dieser Welt. Ich habe ein Recht darauf zu erfahren, was auf Mogteeken-Arv, unserem Planeten, ge schieht. Deshalb werde ich mitgehen, auch wenn es dir nicht gefällt.« »Das muß ich wohl akzeptieren«, erwi derte der Arkonide. »Du hast recht. Als Tee ken-Arv geht es dich etwas an, was auf Mogteeken-Arv geschieht.« Ich hätte mich gern dazu geäußert, aber ich steckte in meinem Gefängnis und war zum Schweigen verdammt. Ich war ganz und gar nicht davon überzeugt, daß die Ro boter Altran-Visk ungeschoren lassen wür den, wenn sie ihn innerhalb der Station erwi schten. Ganz im Gegenteil. Ich befürchtete, daß sie ihn trotz seiner geringen Körpermas se als biologisches Grundmaterial für einen neuen. Scuddamoren verwenden würden. Wer konnte denn schon sagen, was in den Gebäuden geschah? Zu sehen und zu hören war überhaupt nichts. Ich hielt es für möglich, daß man die durch die Metamorphose größtenteils umge formten Wesen einem weiteren Umfor
Insel des Neubeginns mungsprozeß unterwarf und sie so in den Körperzustand versetzte, in dem sie dann verbleiben würden. Altran-Visk war bodenlos leichtsinnig. Atlan trug wenigstens den düsteren Scudda moren-Schild. Dieser war eine ausgezeich nete Maske. Der Teeken-Arv hatte nichts als seine versengte, schwarze Haut. Und in die ser steckte er schließlich nicht allein! Als Atlan und er durch die Dunkelheit schlichen und sich einem der Gebäude nä herten, nahm ich alle Kräfte zusammen und schrie auf den Teeken-Arv ein. Ich be schimpfte ihn in übelster Weise und machte ihm anschließend die unglaublichsten Ver sprechungen. Das alles half überhaupt nichts. Er tat so, als ob er mich nicht höre. Ich sehnte mich mit jeder Faser meines Her zens in die KNIEGEN zurück, zumal ich mir denken konnte, daß Thalia sich die größten Sorgen um mich machte. Feigling, signalisierte er mir. Ich war au ßer mir. Er war unverschämt genug, meine Gedanken und Gefühle zu verfolgen und zu beobachten, ohne aber die geringste Rück sicht auf mich zu nehmen oder auf meine fundierten Argumente einzugehen. Mit Feig heit hatte mein Denken und Fühlen nichts zu tun. Ich versuchte, Altran-Visk klarzuma chen, daß ich aus einem tiefen Verantwor tungsgefühl heraus vor seiner Beteiligung an dem Vorstoß warnte, doch er lachte nur. Ich zog mich bestürzt zurück. Atlan und der Teeken-Arv hatten eines der Gebäude erreicht. Sie horchten. Aus dem Innern des Baus tönte das Stampfen von Maschinen. Vor meinem geistigen Auge ent standen technische Einrichtungen, in denen eine biologische Masse zu abscheulich aus sehenden Geschöpfen umgeformt wurde. »Willst du es dir nicht lieber doch noch einmal überlegen, Altran-Visk?« fragte der Arkonide. »Geschenkt«, antwortete der TeekenArv. »Du sprichst mit einem Souverän, und wie ein solcher pflege ich auch meine Entschei dungen zu treffen. Öffne.« Atlan betätigte den Türschalter. Das
21 Schott glitt lautlos zur Seite und gab den Blick frei in eine Halle, in der Hunderte von Scuddamoren standen, saßen und lagen. Sie alle hatten ihre Projektoren eingeschaltet. Atlan trat ein, und Altran-Visk folgte ihm auf den Fersen. Die Tür schloß sich hinter ihnen. Der Arkonide und sein Begleiter blieben in der Nähe des Eingangs stehen. Sie nutzten die Wand als Rückendeckung. In der Halle standen zehn Maschinen, de ren Funktion Atlan nicht erkennen konnte. Altran-Visk blieb ihnen gegenüber erstaun lich gelassen, obwohl er einer Kultur ent stammte, in der Maschinen so gut wie unbe kannt waren. Technisch so hochstehende Leistungen, wie sie sich ihm in dieser Halle präsentierten, hatten noch nicht einmal in seiner Vorstellungswelt existiert. Ich versuchte, etwas von seinen Gedanken zu erfassen, doch das gelang mir nicht. Al tran-Visk ließ sich nicht belauschen. Fast eine Minute verstrich. Atlan und der Teeken-Arv gewöhnten sich nur langsam an das schwache Licht. Niemandem in der Halle schien aufgefal len zu sein, daß wir eingetreten waren. Ich bemerkte einige Roboter, die sich zwischen den Maschinen und den Scuddamoren be wegten, konnte jedoch nicht erkennen, was sie taten. Mir war unfaßbar, daß sie Altran-Visk nicht entdeckten. Ich mußte allerdings zuge ben, daß er sich geschickt verhielt. Er blieb in der Deckung einer Maschine. Wir beobachteten das Geschehen. Einige der Metamorphosewesen gingen zwischen den Maschinen hin und her, ließen sich auf den Boden sinken, richteten sich wieder auf, bückten sich, neigten sich zur Seite oder knieten sich hin. Mir erschienen diese Bewegungen zunächst völlig sinnlos. Erst allmählich ging mir auf, welche Bedeu tung sie hatten. Sie waren Übungen. Die Metamorphosewesen lernten, mit ihren neuen Körpern umzugehen. Offenbar funktionierte das extrapyramida le Nervensystem noch nicht so gut, daß es
22 eine einwandfreie Koordination der Körper bewegungen gewährleistete. Mir graute vor jenen Wesen, die für die Metamorphose verantwortlich waren. Sie hatten nach meinen Eindrücken monströse Wesen aus vorher intelligenten und von der Natur sinnvoll geschaffenen Geschöpfen ge macht. Dabei war ihre Methode nicht per fekt, wie die Übungen der Wesen in der Hal le bewiesen. Atlan löste sich von Altran-Visk. Er hatte den Scuddamoren-Schild eingeschaltet, so daß er sich kaum noch von den anderen We sen im Raum unterschied. Ich erkannte ihn daran, daß er etwas größer war als die ande ren. Er ging mit fließenden Bewegungen an ei ner Maschine vorbei und blieb neben zwei Scuddamoren stehen. Ein Roboter näherte sich ihm, beachtete ihn jedoch nicht mehr und nicht weniger als die anderen Schatten wesen im Raum. Er befahl ihnen etwas, was ich nicht verstand. Augenblicklich begannen Atlan und die beiden anderen Wesen neben ihm damit, Kniebeugen zu machen. Der Ro boter drehte ab und eilte zu anderen Scudda moren, um sie dazu zu veranlassen, auf der Stelle zu hüpfen. Atlan und die beiden Schatten neben ihm beendeten ihre Übungen. Der Roboter kehrte zurück und wiederholte seinen Befehl. Sie machten erneut Kniebeugen, bis er sich eini ge Schritte entfernt und anderen zugewendet hatte. Er befahl einigen Schattenwesen, das Training fortzusetzen, das sie unterbrochen hatten. Eilte zu einer weiteren Gruppe und kehrte dann erneut zu Atlan und den beiden Wesen neben ihm zurück, weil diese mittler weile ihre Übungen abermals eingestellt hat ten. Und so ging es weiter. Ich beobachtete den Automaten, wie er unermüdlich von Gruppe zu Gruppe lief und sich darum bemühte, das Training aufrecht zuerhalten. Dabei zeigte sich immer deutli cher, daß keiner der Scuddamoren in der La ge war, aus eigenem Antrieb zu üben. Der Roboter war nicht allein. Ich zählte
H. G. Francis sieben andere Maschinen, die die gleiche Arbeit bewältigten. Atlan entfernte sich von den beiden Meta morphosewesen, neben denen er gestanden hatte, und drang weiter in die Halle ein. Eisiger Schrecken durchfuhr mich. Al tran-Visk schloß sich dem Arkoniden an. Hätte er nicht bleiben können, wo er war? Von dieser Stelle aus konnte er alles sehen. Wozu mußte er ein unnötiges Risiko einge hen? Ich verfluchte ihn. Altran-Visk schlich an der Wand entlang. Ich muß zugeben, daß er das außerordentlich geschickt machte. Er beobachtete die Robo ter und verließ die Deckung nur dann, wenn er glaubte, daß die Maschinen ihn nicht sa hen. Ich versuchte, Altran-Visk zurückzuhalten und zur Vernunft zu bringen. Wie üblich mißachtete er meine Gedanken jedoch und schlug jede Warnung in den Wind. Er war maßlos neugierig. Die Halle mit ihren Ein richtungen faszinierte ihn derartig, daß die Gefahr keine Rolle mehr spielte, in der er schwebte. Immer wieder blieb er vor einer Maschine stehen und betrachtete sie, wobei er allerdings darauf achtete, in Deckung zu bleiben. Atlan verlor ich bald aus den Augen, und auch Altran-Visk schien nicht mehr zu wis sen, wo er war. Als plötzlich ein Scuddamo re vor uns auftauchte, wandte der TeekenArv sich zur Flucht. Er rannte zu einer Ma schine, hinter der er sich vor Sekunden noch versteckt hatte. Dabei blickte er zurück. Der Scuddamore folgte ihm. Altran-Visk erkannte, daß er einen Fehler gemacht hatte. Er blieb stehen. Der Scudda more lief noch zwei weitere Schritte auf ihn zu, dann verharrte er auf der Stelle. Wer oder was sich unter dem düsteren Schild verbarg, war nicht zu erkennen. Der Teeken-Arv zog sich vorsichtig eini ge Meter weiter zurück. Das Metamorphose wesen folgte ihm abermals, blieb jedoch ste hen, als er seine Flucht unterbrach. Altran-Visk blickte sich um. Die Roboter
Insel des Neubeginns waren noch nicht aufmerksam geworden. Da tauchte ein zweiter Scuddamore neben dem anderen auf. Er blieb zunächst stehen, ging dann an dem anderen vorbei und schien die Hand nach ihm auszustrecken. Bei dem trüben Licht, das in der Halle herrschte, war das nicht genau zu erkennen. Die beiden Scuddamoren drehten sich um und entfern ten sich. Ich beobachtete, daß sie sich kurz darauf trennten. Jetzt schien Altran-Visk begriffen zu ha ben, daß es für ihn zu gefährlich in der Halle war und daß es für ihn im Grunde genom men auch nicht viel zu sehen gab. Er zog sich vorsichtig bis in die Nähe der Eingangstür zurück. Dort wartete er in si cherer Deckung. Er schien ebenso wie ich der Ansicht zu sein, daß Atlan ihm geholfen hatte, indem er den Scuddamoren fortschick te, der ihm gefolgt war. Jetzt wartete er auf den Arkoniden. Doch Atlan ließ sich nicht sehen. Er hatte sich unter die Metamorphosewesen gemischt und wollte die Halle offenbar ganz genau untersuchen. Einige Roboter bewegten sich in unserer Nähe. Allmählich wurde ich nervös. Wieder wandte ich mich an den Teeken-Arv und be schwor ihn, endlich die Halle zu verlassen. Unmittelbar darauf stellte ich erleichtert fest, daß er endlich auf mich hörte. Er wartete einen günstigen Moment ab und eilte zur Tür, als keiner der Roboter in der Nähe war. Er öffnete die Tür und flüch tete in die Nacht hinaus. Ich konnte nicht umhin, ihn zu loben. Er dankte mir nicht dafür, sondern nannte mich einen Feigling, der froh sei, einer Ge fahr entkommen zu sein. Kaum hatte er diesen Gedanken zu Ende gebracht, als plötzlich ein riesiger Roboter vor ihm auftauchte und ihn mit stählernen Krallen packte. Altran-Visk schrie schmerz gepeinigt auf. Er wollte sich aus dem erbar mungslosen Griff befreien, doch das gelang ihm nicht. Der Roboter schleppte ihn durch die Nacht. Ich konnte nichts sehen, weil die Ma
23 schine den TeekenArv so fest an sich preßte, daß Altran-Visk den Kopf nicht bewegen konnte. Panik kam in mir auf. Wieder versuchte ich, aus dem Körper zu fliehen und in meinen eigenen zurückzukeh ren, doch selbst in dieser Situation gab der Teeken-Arv mich nicht frei. Nach endlos erscheinenden Minuten lockerte der Automat den Griff. Altran-Visk flog in hohem Bogen durch die Luft und stürzte ins Wasser. Ich gab mich verloren. Altran-Visk war ein Vogelwesen, und ich war davon überzeugt, daß er nicht schwim men konnte. Aber ich täuschte mich. Der TeekenArv fühlte sich ausgesprochen wohl im Wasser. Ich merkte, daß er sich trotz der Dunkelheit gut orientieren konnte, wenngleich mir unklar blieb, wodurch. Er schlug kräftig mit seinen Tentakeln aus und trieb dadurch voran. Einige Minuten später tauchte er weit von der Stelle entfernt auf, an der der Roboter ihn abgeworfen hatte. Er kroch an Land zurück. Jetzt sah ich, daß er parallel zur Küste geschwommen war. Etwa dreihundert Meter von uns entfernt stand der Roboter am Ufer des Sees. Er war tete darauf, daß Altran-Visk sich wieder zeigte. Als jedoch weitere fünf Minuten ver strichen waren, betrachtete er seine Aufgabe als erledigt und eilte zu den Gebäuden der Station zurück. Du kannst froh sein, daß er dich nicht um gebracht hat, dachte ich. Er gab mir eine Antwort, die mich zutiefst erschreckte. Ich habe mein Leben gelebt. Ich war schon zum Sterben bereit. Ich fürchte den Tod nicht. Deshalb gehe ich der Gefahr nicht aus dem Weg. Und sollte ich darin um kommen, dann war es wenigstens spannend. Ich war so betroffen, daß ich darauf nichts zu entgegnen wußte. Ihm war egal, was mit ihm geschah. Er war bereit, mit seinem Le ben zu spielen, nur um sich nicht zu lang weilen. Mein unfreiwilliger Aufenthalt im Körper
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H. G. Francis
des Teeken-Arvs wurde zum lebensbedro henden Abenteuer.
* Altran-Visk verzichtete auf einen weite ren Versuch, in eines der Gebäude einzu dringen. Er wartete auf den Arkoniden. Mei ne Versuche, sich mit ihm zu verständigen, ignorierte er. Als nahezu vier Stunden verstrichen wa ren, ohne daß sich etwas ereignet hatte, er schien plötzlich ein Scuddamore zwischen den Büschen in unserer Nähe. Altran-Visk wollte sich schon zur Flucht wenden, als der vermeintliche Scuddamore seinen Schild ab schaltete. Darunter trat Atlan hervor. »Ich habe gesehen, daß du aus der Halle geflohen bist«, sagte er zu dem Teeken-Arv. »Das war gut so, denn früher oder später hätte man dich doch entdeckt, und wer weiß, wie die Roboter dann mit dir umgesprungen wären.« »Ein Roboter hat mich hier draußen erwi scht«, berichtete Altran-Visk. »Er hat mich ins Wasser geworfen, ohne zu ahnen, daß ich mich im Wasser wie zu Hause fühle.« »Ich habe dir etwas mitgebracht«, entgeg nete der Arkonide und warf ihm einen Schildgürtel zu. »Damit kannst du dich ge fahrloser unter den Scuddamoren bewegen.« Altran-Visk griff neugierig nach dem Pro jektor. Er versuchte, ihn anzulegen. Sein Kugelkörper war in der Mitte viel zu dick. Der Gürtel paßte nicht. Daher stülpte er ihn sich einfach über den Kopf und schaltete ihn ein. Atlan lächelte. »Du bist nicht gerade der Größte«, sagte er, »aber du hast immerhin einen Schild, und damit bist du besser getarnt.« Eigentlich hätte ich froh darüber sein müssen, daß Atlan dem Teeken-Arv einen Projektor mitgebracht hatte, ich war es je doch nicht. Ich war davon überzeugt, daß Altran-Visk nun noch dreister werden wür de. Ich bedauerte, daß ich Altran-Visk nicht sehen konnte. Er war klein, und sicherlich
machte ihn der schwarze Energieschild nicht viel größer. Vielleicht fiel er in ihm sogar noch mehr auf, als wenn er ohne ihn herum gelaufen wäre. Der TeekenArv wollte etwas sagen, als ein dumpfes Grollen in der Ferne anzeigte, daß sich ein Raumschiff näherte. Kaum zwei Minuten verstrichen, dann senkte sich ein ovaler Raumer herab. Zahllose Positions lampen beleuchteten das Organschiff. Es überragte die Gebäude um mehr als hundert Meter, als es gelandet war. »Wir warten ab«, sagte Atlan. »Wahrscheinlich bringt das Schiff weitere Metamorphosewesen.« »Ich dachte, wir werden aufs Meer hin ausgeweht, als das Schiff landete«, bemerkte Altran-Visk mit stockender Stimme. Der Anblick des herannahenden Raumschiffs hatte ihn maßlos erschreckt. Ich war über zeugt davon, daß er geflüchtet wäre, wenn Atlan nicht an seiner Seite gewesen wäre. »Uns geschieht nichts«, sagte der Arkoni de beruhigend. »Sie haben uns nicht be merkt.« Als etwa fünfzehn Minuten verstrichen waren, öffnete sich ein Schott. Weißes Licht flutete in die Dunkelheit. In der Schleuse wurden Scuddamoren in ihren schwarzen Energieschilden sichtbar. Als ich sie sah, packte mich das Grauen. Ich mußte an stumpfsinniges Vieh denken, das zur Weide getrieben wurde. Die Meta morphosewesen machten eben diesen Ein druck. Teilnahmslos standen sie in der Schleuse. Roboter schalteten einen Energiefeldpro jektor ein, und eine matt leuchtende Kraft feldzunge bildete sich. Sie reichte von der Schleuse bis zum Dach eines Gebäudes. Als sie sich aufgebaut hatte, trieben die Roboter die Scuddamoren zum Dach und in einen Abgang. »Es sind Hunderte«, sagte Atlan. »Das Haus muß bald voll sein«, bemerkte der TeekenArv. »Das könnte bedeuten, daß bald ein Transport über die Brücke geleitet wird. Das ist dann eine Gelegenheit für uns,
Insel des Neubeginns mitzugehen.« Ich gab es auf und versuchte gar nicht erst, gegen diesen Plan zu protestieren, ob wohl mir klar war, daß er nur mit einer Ka tastrophe enden konnte. Wozu sollte ich mich jedoch bemühen? Altran-Visk hätte ja doch nicht auf mich gehört. Inzwischen war mir die Lust am Ausflug von der KNIEGEN restlos vergangen. Wahrscheinlich hielt ich nur noch durch, weil ich den beruhigenden Einfluß der großen Plejade spürte. Als etwa eine halbe Stunde verstrichen war, schien das Gebäude zum Bersten voll zu sein. Eine Tür öffnete sich, und Scudda moren kamen heraus. »Es ist soweit«, sagte der Arkonide. »Das sind nicht die, die mit dem Raumer gekom men sind. Sie bewegen sich anders. Sie kön nen ihre Körper besser kontrollieren.« Die Metamorphosewesen gingen hinter einander, so daß sich eine lange Schlange bildete. Aus den anderen Gebäuden kamen Roboter herbei. Sie bauten sich zu beiden Seiten der Schlange auf, um die Scuddamo ren zu bewachen. »Es kommen immer mehr Roboter«, sagte Atlan. »Schnell. Wir reihen uns ein, bevor so viele Roboter da sind, daß es nicht mehr möglich ist.« Er sprang auf und zog Altran-Visk mit sich. Sie rannten im Schutz einiger Büsche zu dem Gebäude, wobei sie einigen Robo tern auswichen, und schoben sich dann lang sam an die Schlange der Scuddamoren her an. Die Wesen in den düsteren Schilden be wegten sich langsam und träge zur Brücke. »Jetzt«, rief Atlan plötzlich, als sich eine Lücke in der Schlange bildete, weil ein Scuddamore stehenblieb, als er ins Freie ge treten war. Der Arkonide und der TeekenArv legten überraschend schnell die wenigen Meter zu rück, die sie von den Scuddamoren trennten. Sie reihten sich in die Schlange ein, wobei Altran-Visk hinter Atlan blieb. Beide be mühten sich, in dem gleichen Trott zu gehen wie die Metamorphosewesen. Es schien ih
25 nen zu gelingen. Altran-Visk blickte sich forschend um. Offenbar erwartete er, daß ei ner der Roboter etwas bemerkt hatte. Aber das war nicht der Fall. »Es hat geklappt«, sagte Atlan. Er war so gelassen, als bestünde überhaupt keine Ge fahr. »Ich habe es nicht anders erwartet«, erwi derte der Teeken-Arv. Er blickte sich um. Die Lücke in der Schlange hatte sich wieder geschlossen. Lei der konnte ich nicht feststellen, ob der Scud damoren-Schild Altran-Visks ebenso hoch war wie die anderen Schilde, oder ob er sich von den anderen unterschied. Es schien je doch nicht der Fall zu sein, weil keiner der Roboter eingriff, als er an ihnen vorbeiging. Ungehindert erreichten Atlan und der Tee ken-Arv die Brücke. Diese war etwa fünf Meter breit. Sie bestand aus einem hellen Metall und hatte zu beiden Seiten ein Gelän der. Als der Arkonide und Altran-Visk die Brücke betraten, wurde es hell. Der Boden der Brücke dröhnte unter den Füßen der zahllosen Metamorphosewesen.
5. Als sie etwa eine Stunde lang über die Brücke marschiert waren, tauchte am Hori zont ein bizarr geformtes Gebäude auf. »Das kann noch nicht die Insel sein«, sag te Atlan, nachdem Altran-Visk ihn darauf aufmerksam gemacht hatte. »Vielleicht ist es eine Kontrollstation.« Die Aussicht, überprüft zu werden, er schien keineswegs verlockend. Vom Fest land war nur noch ein dunkler Streifen in der Ferne zu sehen. Wind war aufgekommen und peitschte die Wellen gegen die Brücke, so daß der Gischt häufig zu den Scuddamo ren hinaufsprühte. »Vorsicht«, sagte der Arkonide plötzlich. Er blieb stehen. Die Metamorphosewesen vor ihm gingen noch einige Schritte weiter, dann aber stoppte die Kolonne. Altran-Visk sah, daß ein Scuddamore sich
26 wie ein Kreisel drehte. Dabei schrie er im mer wieder auf, als werde er von einem un sichtbaren Gegner gepeinigt. Die anderen Metamorphosewesen beach teten ihn nicht. Teilnahmslos standen sie auf der Brücke und warteten. Einige Minuten verstrichen, in denen der Scuddamore sich gebärdete, als leide er un ter einer Gehirnkrankheit. Er warf sich zu Boden, richtete sich wieder auf, hüpfte krei schend auf der Stelle und drehte sich danach wieder wie ein Spielkreisel. Dann erschien ein kugelförmiger Roboter. Altran-Visk erwartete, daß er den Scudda morenschild ausschalten würde, um danach das Metamorphosewesen zu behandeln. Doch die Maschine versuchte gar nicht erst, der Ursache für das irrwitzige Gebaren des Metamorphosewesens auf den Grund zu kommen, sondern griff in den Schild, packte das Wesen, hob es hoch und schleuderte es von der Brücke. Es stürzte einige Meter ent fernt ins Wasser und versuchte offenbar so fort, zur Brücke zu schwimmen. Die Strö mung war jedoch so stark, daß es augen blicklich weggerissen wurde. Es versank in den Fluten. »Ruhig bleiben«, befahl der Arkonide dem Teeken-Arv. Er spürte, daß dieser sich in seinem Zorn am liebsten auf den Roboter geworfen und diesen ebenfalls ins Wasser befördert hätte. »Weiter«, tönte es aus dem Roboter. »Geht weiter.« Zögernd setzten sich die Metamorphose wesen in Bewegung. Atlan tat, als habe er in der kurzen Pause verlernt, sich richtig zu be wegen. Er lief taumelnd am Roboter vorbei. Erst als er feststellte, daß der Roboter ihn und Altran-Visk nicht beachtete, ging er wieder normal. Altran-Visk blickte immer wieder voller Unbehagen zu der Stelle hinüber, an der das Metamorphosewesen im Wasser verschwun den war. Er fürchtete sich angesichts der un geheuren Strömung vor dem Wasser, weil er glaubte, sich darin nicht behaupten zu kön nen.
H. G. Francis Atlan schien diese Bedenken nicht zu ha ben. Er ging unverdrossen weiter, als könnte ihm nichts geschehen. Als das Gebäude auf der Brücke nur noch etwa zwei Kilometer entfernt war, geriet die Kolonne erneut ins Stocken. Die Metamor phosewesen standen dichtgedrängt auf der Brücke und warteten. Nur zögernd ging es weiter. »Was ist los?« fragte der Teeken-Arv. Atlan trat zur Seite und stieg auf eine Querstrebe des Geländers, so daß er über die Köpfe der anderen hinwegsehen konnte. »Sie müssen alle durch das Gebäude«, er klärte er. »Ich glaube, sie werden kontrol liert.« »Dann müssen wir umkehren«, sagte Al tran-Visk. »Schnell, bevor es zu spät ist.« »Es ist zu spät«, erwiderte der Arkonide. »Überall sind Roboter. Glaubst du, daß sie uns durchlassen?« »Bestimmt nicht.« »Wir gehen weiter. Irgendwie schaffen wir es schon.« Die beiden saßen in der Falle. Für mich war von Anfang an klar gewesen, daß es so kommen mußte. Jetzt war alles vorbei. Sie konnten nicht hoffen, diese Kontrolle zu überwinden. Unendlich langsam rückten wir dem Bau näher. Er unterteilte sich in drei Turmab schnitte. Eigenartige Auswüchse verzierten die Türme und verliehen der Station ein bi zarres Aussehen. Ich hatte das Gefühl, eher einem natürlich gewachsenen Korallenbau gegenüberzustehen als einem von denken den Wesen errichteten Bauwerk. Je näher wir diesem eigenartigen Gebilde kamen, desto unruhiger wurde Altran-Visk. Ich spürte, daß er Angst hatte. Hin und wie der glaubte ich, einen Gedanken von ihm er fassen zu können, und ich gewann den Ein druck, daß er ins Wasser springen wollte. Tatsächlich kletterte er plötzlich durch das Geländer und ließ sich fallen. Dabei klammerte er sich jedoch mit zwei Tenta keln an das Geländer. Ich hatte mich ge täuscht. Er wollte sich nur ansehen, wie die
Insel des Neubeginns Brücke auf ihrer Unterseite konstruiert war. Die stand auf mächtigen Pfeilern, die mit Stahlseilen verbunden waren. Die See ging so hoch, daß sie ständig über diese Seile hin weggischtete. Ich konnte mir nicht vorstel len, daß jemand an ihnen von einem Pfeiler zum anderen klettern konnte. Vor allem war es äußerst schwierig, wenn nicht unmöglich, vom Seil wieder an die Brückenseite und von dort ans Geländer zu kommen. Altran-Visk blickte nach oben. Ich sah eine Hand, die nach einem der Tentakel griff. »Komm zurück«, rief der Arkonide. Altran-Visk gehorchte. Er zog sich hoch und kroch auf die Brücke. Keines der Meta morphosewesen schien bemerkt zu haben, was geschehen war. Keines verhielt sich an ders als zuvor. »Wir schaffen es«, sagte Atlan. »Irgendwie kommen wir durch. Achte dar auf, daß wir nicht getrennt werden.« Altran-Visk rückte näher zu ihm auf. Ich glaube, er hätte sich am liebsten an ihm fest gehalten. Dann öffnete sich auch schon die Tür vor dem Arkoniden. »Komm«, rief er dem Teeken-Arv zu, ob wohl ein Roboter mit bedrohlich aussehenden Waffenarmen kaum zwei Schritte von ihm entfernt war. Atlan und Altran-Visk betraten einen hell erleuchteten Raum, der etwa fünf Meter breit und neun Meter lang war. Zu beiden Seiten eines roten Streifens auf dem Boden erhoben sich kastenförmige Roboter. Es wa ren stationäre Automaten, die jedoch mit Greifarmen versehen waren. An ihrer Front blinkte eine Reihe von farbigen Lichtern. Ei ner der Roboter griff durch den Scuddamo ren-Schild Atlans und schaltete ihn aus. Ein anderer Roboter tat das gleiche bei AltranVisk. »Es geht gut«, sagte der Arkonide leise. »Sie merken nichts.« Er irrte sich gründlich. Alarmsirenen heulten auf. Roboterarme streckten sich ihm und dem Teeken-Arv ent
27 gegen und versuchten, ihn zu halten. Der Arkonide warf sich zur Seite und riß AltranVisk mit. Die beiden sprangen durch die Lücke zwischen zwei Robotern und waren damit außer Reichweite der Stahlarme. Die Roboter hatten auf ihrer Rückseite keine Wahrnehmungssysteme. Hilflos ruderten sie mit ihren Armen in der Luft herum. Atlan deutete schweigend auf die Tür, die auf der Inselseite lag. Altran-Visk verstand. Auch er sagte nichts, um den Robotern nichts zu verraten. Er folgte dem Arkoniden. Dieser entdeckte einen Kontaktschalter an der Tür und betätigte ihn. Die Tür glitt zur Seite. Atlan und Altran-Visk traten ins Freie, begleitet vom Lärmen der Sirenen. Auf der Brücke vor ihnen herrschte ein heilloses Durcheinander. Die Scuddamoren standen dichtgedrängt. Einige Roboter bemühten sich, zum Kontrollgebäude zu kommen. Sie waren jedoch noch so weit entfernt, daß der Teeken-Arv nur einige Metallarme sah, die sich über den Scuddamoren erhoben. »Weiter«, sagte der Arkonide. Altran-Visk zögerte, als Atlan sich unter die schattenhaften Gestalten mischte. Doch dann begriff er, daß sie sich nirgendwo bes ser verstecken konnten als unter ihnen. Er folgte dem Arkoniden. Unmittelbar darauf rasten drei Roboter an ihm vorbei. Ihre Me tallkörper blitzten im Licht der Sonne, die mittlerweile hoch am Himmel stand. Atlan griff nach Altran-Visk und schob sich mit ihm zusammen weiter durch die Reihen der Schatten, um sich so weit wie möglich vom Kontrollgebäude zu entfernen. Er verhielt sich außerordentlich geschickt. Die Roboter hatten nun keine Möglichkeit mehr, ihn und den Teeken-Arv aus der Men ge auszufiltern, es sei denn, daß sie die Kon trollen wiederholten. Danach sah es jedoch zunächst nicht aus. Bald trennten mehr als zweihundert Meter die beiden Flüchtenden vom Kontrollgebäu de. Sie erreichten Scuddamoren, die in Rich tung Insel trotteten. Dann aber heulte eine Alarmpfeife auf. Sie war lauter, und ihr Klang war nervenzerfetzend. Altran-Visk
28 drehte sich um. Ein riesiger Roboter näherte sich ihm. Die Maschine lief auf Rädern, die von der obe ren Kante des Geländers geführt wurden. Sie sah aus wie eine Eidechse, deren Kopf mit einer Reihe von Fühlern besetzt war. Mit ho her Geschwindigkeit raste sie über die Brücke. Dabei prallte sie an der Unterseite mit einigen Metamorphosewesen zusammen und schleuderte sie zu Boden. Atlan ließ sich fallen und zog Altran-Visk wiederum mit sich. Die Maschine rollte über sie hinweg und entfernte sich noch etwa hundert Meter in Richtung Insel. Dann ver harrte sie auf der Stelle. Eine Stahlwand senkte sich aus ihrer Körpermitte auf die Brücke herab und versperrte den Weg zur Insel, die noch so weit entfernt war, daß wir sie nicht sehen konnten. Atlan und der TeekenArv waren einge schlossen. Nun rückte der Roboter langsam gegen die Kontrollstation vor. Er schob die Schat tengestalten vor sich her. Die Absicht war klar. Auf diese Weise wurden alle gezwun gen, die Kontrollstation erneut zu passieren und sich den Robotern zu stellen. Fraglos würden sie dabei auch Atlan und AltranVisk in die Station treiben. »Es geht nicht anders«, rief der ehemalige Herrscher der Teeken-Arvs. »Wir müssen die Brücke verlassen.« Die Metamorphosewesen begriffen zu nächst nicht, was geschah. Sie wichen dem Druck. Dabei entstand ein großes Durchein ander auf der Brücke. Die Schattenwesen drängten sich so eng zusammen, daß Atlan und Altran-Visk sich kaum noch bewegen konnten. »Wir versuchen es«, sagte Atlan zustim mend. »Gegen den Wind und die Strömung springen.« Er gab dem TeekenArv einen Stoß, und Altran-Visk schnellte sich von der Brücke. Er stürzte ins Wasser. Die Strömung packte ihn mit vehementer Wucht und schleuderte ihn unter die Brücke. Er warf drei Tentakel nach oben und schlang sie um das Drahtseil,
H. G. Francis das von Pfeiler zu Pfeiler lief. Kaum hatte er sich auf diese Weise gesichert, als Atlan aus dem Wasser emporstieg und sich am Seil festhielt. Er behauptete sich überraschend leicht gegen Strömung und Wind. »Sieh mal, dort hinten hängt noch je mand«, rief er dem Teeken-Arv zu. Altran-Visk drehte sich um und blickte in Richtung Insel. Etwa fünfzig Meter von ihm entfernt kauerte eine schattenhafte Gestalt auf dem Seil an einem Brückenpfeiler. »Wir versuchen, zu ihm zu gelangen«, sagte der Arkonide und zog sich am Seil ent lang. Er kam gut voran. Der Wind ließ etwas nach, und die Strömung konnte ihm nichts mehr anhaben, da er höchstens mal mit den Füßen ins Wasser geriet. Die Gestalt auf dem Seil bewegte sich nicht, obwohl sie Atlan und den Teeken-Arv längst bemerkt haben mußte. Altran-Visk blickte hin und wieder zur Brücke hoch, während er sich am Seil entlanghangelte. Er erwartete, daß einer der Roboter erscheinen und sie angreifen würde. Für die Maschinen bestand jedoch kein Anlaß mehr, nach ihnen zu suchen – falls sie überhaupt bemerkt hat ten, daß sie von der Brücke gesprungen wa ren. Hier unten hatte niemand eine Überle benschance. Als Altran-Visk sich der schattenhaften Gestalt bis auf wenige Meter genähert hatte, schaltete diese den Energieschirm ab. Ein unglaublich häßliches und abstoßendes We sen wurde sichtbar, das nur noch entfernt Ähnlichkeit mit einem Tamater hatte. Im Grunde genommen war es nicht mehr als ein Klumpen organischer Materie mit einigen Auswüchsen, die man bei einiger Phantasie als Extremitäten ansehen konnte. Dabei sah es so verhungert aus, daß ich mich wunder te, wie es sich auf dem Seil halten konnte. Eigentlich hätte es längst herabgefallen sein müssen. »Tut mir nichts«, rief es uns zu. »Ich bin Dlocht, ein Tamater, wie ihr sicherlich sehen könnt. Ich bin ebenso geflohen wir ihr.« »Natürlich können wir es sehen«, erwi derte der Arkonide freundlich. »Und du hast
Insel des Neubeginns recht. Wir sind von oben geflohen.« »Das war nicht besonders klug. Ihr hättet oben bleiben sollen, denn von unten kehrt keiner mehr nach oben zurück.« Er richtete einen Armstumpf nach oben und zeigte auf den Brückenkörper. Er hatte recht. Die Unterseite der Brücke war glatt. Die äußere Kante war vom Seil mehr als zweieinhalb Meter entfernt. Sie war nicht zu erreichen. Auch der Brückenpfeiler hatte keinerlei Vorsprünge, an denen man nach oben hätte klettern können. Atlan schien ihn nicht gehört zu haben. Er saß mit allen Anzeichen äußerster Gelassen heit auf dem Seil und neigte sich leicht nach vorn, um sich gegen den Wind zu behaup ten. Auch er hatte den düsteren Schild abge schaltet. Altran-Visk tat es jetzt, um sich dem ExTamater zu zeigen. »Wie kommst du hierher?« fragte der Ar konide. »Und warum hast du deine Persön lichkeit nicht verloren?« »Ich weiß auch nicht. Man hat mich ver urteilt, weil ich versäumt habe, einen Brief zu frankieren. Ich kam zur Welt ohne Na men. Was dort im einzelnen geschah, weiß ich nicht mehr. Ich kenne nur das Ergebnis.« Er hob seufzend zwei der Auswüchse. »Als ich wieder zu mir kam, sah ich so aus und befand mich bereits auf dieser Welt. Zunächst ließ ich alles mit mir geschehen und paßte mich an. Dann aber habe ich mich aufgelehnt. Die Roboter haben mich kurzer hand von der Brücke geworfen. Es ist ein Wunder, daß ich noch lebe, aber ich weiß nicht, ob ich über dieses Wunder froh sein soll. Vielleicht wäre es besser gewesen, ich hätte mich ins Wasser gestürzt.« »Das wäre auf keinen Fall besser gewe sen«, widersprach der Arkonide. Ich war nicht ganz seiner Meinung, konn te jedoch nichts sagen, da Altran-Visk es nicht zuließ. »Wir können nicht bleiben und hoffen, daß irgend etwas geschieht«, erklärte Atlan, nachdem er dem früheren Tamater noch ei nige Fragen gestellt hatte, auf die er jedoch nur unbefriedigende Antworten erhielt.
29 »Wir müssen abwarten, bis die Roboter die Suche nach uns eingestellt haben«, be merkte der Teeken-Arv, »sonst werfen die Maschinen uns gleich wieder ins Wasser.« Der Arkonide nickte nur. Für ihn war selbstverständlich, daß sie so verfahren mußten. Mir war völlig unklar, wie er sich die Rückkehr auf die Brücke vorstellte. Doch schon bald zeigte sich, daß AltranVisk die Brückenkante erreichen konnte. Als Atlan ihm ein Zeichen gab, streckte er zwei seiner Tentakel nach oben. Sie wurden län ger und länger, bis ihre Enden die Brücken kante berührten und sich um einen Stahlring schlossen, in dem das Brückengeländer un ten endete. »Klettert an mir hoch«, forderte er Atlan und Dlocht auf, »aber beeilt euch. Allzu lan ge kann ich mich so nicht halten.« Atlan schickte den Tamater voran. Dlocht klammerte sich an Altran-Visk und schob sich langsam nach oben. Der Teeken-Arv protestierte lauthals und trieb ihn zur Eile an, aber Dlocht erklärte jammernd und stöh nend, daß er nicht in der Lage sei, sich schneller zu bewegen. Atlan merkte, daß Altran-Visk nicht lange durchhalten würde. Er richtete sich auf und half Dlocht, so gut es ging. Dennoch waren der Tamater und der Teeken-Arv restlos er schöpft, als Dlocht endlich an der Brücken kante war. »Schalte den Schild ein und zieh dich hoch. Du mußt es allein schaffen.« Atlan stand schwankend auf dem Seil. Er blickte nach oben und erkannte, daß Dlocht zu entkräftet war. Der Tamater drohte ins Wasser zu fallen. Angesichts dieser Gefahr gab der Arkonide alle Vorsichtsmaßnahmen auf. Er löste sich vom Seil und schwebte mit Hilfe des Goldenen Vlieses zu dem Tamater hin. Er umfing ihn, stützte ihn, schaltete den Scuddamorenschild ein und hob ihn hoch, so daß Dlocht sich auf die Brücke ziehen konn te. »Hilf mir auch«, forderte Altran-Visk mit erhobener Stimme. Er war zornig, weil er er kannte, daß der Arkonide fliegen konnte,
30 diese Fähigkeit bisher aber nicht genutzt hat te, obwohl sie vieles erleichtert hätte. Atlan zog den Teeken-Arv hoch. Er hielt sich mit einer Hand an der Brückenkante fest und half Altran-Visk mit der anderen. Rasch kroch der Teeken-Arv durch die Lücken im Geländer, nachdem er den Schild eingeschaltet hatte. Atlan folgte ihm. Alle drei reihten sich in die Kolonne der Metamorphosewesen ein, die in Richtung Insel trotteten. »Ich fühle mich verraten und verkauft«, rief der ehemalige Herrscher der TeekenArvs dem Träger des Goldenen Vlieses zu. »Dazu hast du keinen Grund«, erwiderte dieser. »Und ob«, brüllte Altran-Visk. »Alles wä re viel leichter gewesen, wenn du öfter ge flogen wärst.« »Erstens weißt du schon lange, daß ich fliegen kann«, antwortete der Arkonide ru hig. »Und ich habe dir auch schon einmal gesagt, daß man mich orten kann, wenn ich fliege. Und zweitens hast du keinen Grund, dich aufzuregen, weil du genau weißt, daß ich kein doppeltes Spiel treibe.« Altran-Visk war dennoch nicht beruhigt. Er wollte erneut etwas sagen, als Atlan ihn plötzlich auf einen fliegenden Roboter auf merksam machte, der sich ihnen näherte. Er kam aus der Richtung der Insel und flog par allel zur Brücke. »Meinst du, daß sie uns entdeckt haben?« fragte Dlocht ängstlich. »Noch nicht. Sie haben mich geortet, als ich im Goldenen Vlies flog, aber jetzt kön nen sie mich nicht von den anderen unter scheiden. Der Scuddamorenschild schützt mich.« »Hoffentlich kommen sie nicht auf den Gedanken, allen zu befehlen, die Schilde ab zuschalten«, sagte Altran-Visk. »Das wäre teuflisch«, bemerkte Dlocht. Wieso kann Atlan fliegen? fragte AltranVisk mich. Wieso kann die Maschine flie gen? Froh darüber, daß er mich angesprochen
H. G. Francis hatte, setzte ich zu einer Erklärung an. Dann erinnerte ich mich daran, wie geringschätzig er mich behandelt hatte, und schwieg. Ich sagte mir, daß er die technischen Zusam menhänge ohnehin nicht verstehen würde. Der Roboter schwebte etwa hundert Me ter an uns vorbei. Er hatte fächerförmige Antennen an der Oberseite. Sie waren stän dig in Bewegung. Ich merkte, daß der Arkonide langsamer ging als zuvor. Das war für mich ein deutli ches Zeichen dafür, daß er befürchtete, ent deckt zu werden. Für Atlan war sicher, daß der Roboter nur erschienen war, weil man ihn von der Insel aus geortet hatte. Die Maschine flog vorbei, glitt in die Hö he und kehrte auf der anderen Seite der Brücke zurück. Sie suchte sie sorgfältig ab. Atlan war jedoch durch den Scuddamoren schild ausreichend geschützt. Nach etwa zehn Minuten verschwand der Roboter. Atlan stieg einige Male auf eine Querstre be des Geländers und blickte über die Köpfe der Metamorphosewesen nach vorn. AltranVisk tat es ihm nach. Die Insel tauchte am Horizont auf. Der Teeken-Arv bemerkte aber auch zwei Roboter, die auf der Brücke standen und jeden kontrollierten. Sie schalteten bei jedem den Schild ab und sofort wieder ein, sobald sie gesehen hatten, wer sich darunter ver barg. »Sie sind gefährlicher als die stationären Roboter«, sagte der Arkonide. »Wir müssen sofort angreifen.« »Wie stellst du dir das vor?« fragte Dlocht. »Ich kann kaum noch gehen. Ich bin müde und erschöpft. Ich muß schlafen, und ich muß endlich etwas zu essen haben, oder ich breche zusammen. Du kannst nicht von mir verlangen, daß ich kämpfe.« Ich mußte ihm recht geben. Immer wieder fragte ich mich, wie der Arkonide sich die nächsten Schritte vorstellte. Wir kamen der Insel immer näher. Wieder stand uns eine Kontrolle bevor. Ich war überzeugt davon, daß wir am Ende der Brücke noch einmal kontrolliert werden würden. Die Spezialein
Insel des Neubeginns heiten und die Roboter Chirmor Flogs gin gen kein Risiko ein. Sie ließen uns nicht so ohne weiteres passieren. Und wie wollte At lan zum Festland zurückkommen? Ich sah nur, daß die Metamorphosewesen vom Festland zur Insel getrieben wurden, den umgekehrten Weg ging keiner. Wie konnte der Arkonide glauben, daß er allein und unbemerkt über die Brücke zum Fest land zurückkehren konnte? Wie wollte er Verbindung mit Thalia aufnehmen? Ich glaubte, daß er dieses Mal zu weit gegangen war. Er hatte zuviel riskiert. Sein Weg führte in eine Sackgasse. Er mußte auf der Insel enden – falls ihn nicht schon vorher Kon trollroboter faßten und umbrachten oder ei nem Metamorphoseprozeß unterwarfen. »Dlocht bleibt hinter uns«, entschied der Arkonide und schob sich an dem Tamater vorbei. Altran-Visk folgte seinem Beispiel. »Wir versuchen, die Roboter über das Ge länder zu werfen. Du den rechten. Ich neh me den linken.« Altran-Visk war einverstanden. Ich wäre überrascht gewesen, wenn er sich zu einem ernst gemeinten Protest aufgerafft hätte. Abermals versuchte ich, die Stimme der Vernunft zur Geltung zu bringen. Halt's Maul! fuhr der Teeken-Arv mich an. Um deine Haut geht es nicht. Ich war so empört über seine Antwort, daß mir die Worte für eine geharnischte Ent gegnung fehlten. Während ich noch überleg te, was ich sagen sollte, tauchten die beiden Roboter vor uns auf. Die Maschinen erkann ten die Gefahr erst, als Atlan und AltranVisk angriffen. Überraschenderweise reagierten sie über haupt nicht. Ich hatte erwartet, daß sie sich am Brückengeländer festhalten oder sich wehren würden. Doch sie verhielten sich völlig still. Atlan und Altran-Visk hoben sie hoch und schleuderten sie über das Gelän der. Die Maschinen stürzten ins Wasser und verschwanden in der Tiefe. »Darauf hat man sie nicht vorbereitet«, bemerkte Atlan lachend. »In ihrer Program mierung gibt es keinen Angriffsfall. Um so
31 besser für uns.« »Ein Alarmsignal haben sie bestimmt ab gestrahlt«, bemerkte Dlocht. »Und wenn schon«, entgegnete der Arko nide. »Wir sind vorbei.« Tatsächlich scho ben sich die Metamorphosewesen weiter, als sei nichts geschehen. Als zwei fliegende Ro boter herbeieilten, waren Atlan, Altran-Visk und Dlocht schon mehr als zweihundert Me ter von der Stelle entfernt, an der die Robo ter ins Wasser gestürzt waren. Wenig später hielten die Roboter die Kolonne weit hinter ihnen an, so daß sie nicht gefährdet waren. Die Insel rückte näher. Die Sonne ging unter. Die Roboter stoppten den Vormarsch der Metamorphosewesen und befahlen ih nen, sich auf die Brücke zu setzen. Atlan be obachtete, daß die Scuddamoren weit hinter ihnen untersucht wurden. »Sie suchen am falschen Ende«, sagte er. »Mir ist egal, wo sie suchen«, bemerkte Dlocht. »Wenn ich nicht bald etwas zu essen bekomme, sterbe ich.« »Du brauchst dir keine Sorgen zu ma chen«, erwiderte der Arkonide. »Verpflegung ist bereits unterwegs.« Er zeigte in Richtung Insel. Ein großer, kastenförmiger Roboter näherte sich ihnen. Er bewegte sich mit weit gespreizten Beinen auf der oberen Kante des Brückengeländers voran wie auf Schienen. Aus seiner Unter seite ragten mehrere Rohre hervor, deren Enden in die Scuddamoren-Schilde tauch ten, für einige Sekunden darin verweilten und sich dann in die nächsten Schilde senk ten. »Glaubst du, daß sie uns etwas zu essen bringen?« »Davon bin ich überzeugt.« »Hoffentlich schmeckt das Zeug«, sagte Altran-Visk. »Mir ist völlig egal, wie es schmeckt«, er klärte Dlocht. »Ich weiß schon gar nicht mehr, wann ich zum letzten Mal etwas ge gessen habe.« »Du kannst meine Portion haben«, sagte der Arkonide. »Versuche, den Schlauch zweimal zu erwischen.«
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H. G. Francis
»Danke. Das vergesse ich dir nie. Dafür verspreche ich dir mein Leben«, erwiderte Dlocht voller Dankbarkeit. »Du kannst dich blind auf mich verlassen. Ich werde immer für dich dasein.« Atlan lachte leise. »Wiederhole es, falls du es ehrlich meinst, wenn du satt bist«, bat er. »Dann ist ein sol ches Versprechen mehr wert.« Die Maschine war heran. Dlocht stöhnte voller Ungeduld, bis sich das Schlauchende in seinen Schild senkte. Ein geradezu bestia lischer Gestank verbreitete sich. Atlan wandte sich ab. »Davon nehme ich nichts«, sagte er zu Altran-Visk. »Ich auch nicht«, erklärte dieser mit schwankender Stimme. Ihm wurde übel. »Das ist das reinste Gift.« Dlocht schmatzte und schlürfte. Er griff nach den Schlauchenden, die Atlan und dem Teeken-Arv zugedacht waren, und holte sich dadurch zwei zusätzliche Portionen. Der Roboter rollte über Atlan und AltranVisk hinweg, um die anderen Metamorpho sewesen zu bedienen. Dlocht seufzte behag lich. »Ich bin zum Platzen voll«, verkündete er. »Hoffentlich wird mein Magen damit fer tig.« »Du wirst es schon schaffen«, sagte At lan. »Ich warte«, bemerkte Altran-Visk. »Worauf?« fragte Dlocht. »Auf dein Treuegelöbnis.« »Ach ja. Ich bleibe natürlich bei meinem Wort. Ihr habt soviel für mich getan. Ihr habt mich gerettet. Ohne euch wäre ich jetzt vielleicht schon tot. Dafür schulde ich euch mein Leben. Ihr könnt euch darauf verlas sen, daß ich Wort halte.«
6. Als die Sonne aufging, ertönte ein schril ler Pfiff. Ein kugelförmiger Roboter rollte über die Brücke, und eine Stimme hallte auf die Metamorphosewesen herab und trieb sie
hoch. Ich schreckte auf. Altran-Visk hatte ge schlafen, und ich mit ihm. Ich benötigte ei nige Zeit, bis ich das begriff, und es dauerte mehrere Minuten, bis ich mich wieder an al les erinnerte, was geschehen war, und ich mir über den Ernst meiner Situation klar wurde. Atlan und Dlocht standen bereits. AltranVisk erhob sich nur langsam. Er fühlte sich müde und zerschlagen, und er bereute, daß er nichts gegessen hatte. Offenbar hatte er völlig vergessen, wie abscheulich der Brei gerochen hatte. Die Kolonne der Metamorphosewesen rückte weiter. Mehr denn je machten die Ge schöpfe unter den düsteren Schilden den Eindruck von Schlachtvieh auf mich, das bar jeder Intelligenz war. Die Gebäude der Insel glänzten und schimmerten rot im Licht der aufgehenden Sonne. Ich konnte mir ihren Sinn nicht erklären. Einige Bauten waren turmartig, andere kugelförmig oder kasten förmig und wiederum andere waren so ei genartig konstruiert, daß ich sie mit nichts vergleichen konnte, was ich je gesehen hat te. Die Scuddamoren rückten schnell vor. Roboter, die sich weit hinter uns auf der Brücke befanden, trieben sie voran. Aus Lautsprechern auf der Insel hallten Befehle. »Wie viele Opfer mögen es sein, die sie zur Insel treiben?« fragte Dlocht. »Schwer zu sagen«, erwiderte Atlan. »Über tausend sind es bestimmt.« »Wann hat man dich von der Brücke ge worfen?« fragte Altran-Visk. »Ich glaube, es war vor zehn Tagen«, ant wortete der Tamater. »Beim letzten Trans port, der über die Brücke ging. Damals wa ren nur wenige dabei. Kaum hundert.« Plötzlich bemerkte Atlan, daß die Scudda moren-Schilde vor ihm für Sekundenbruch teile erloschen und sich danach sofort wie der aufbauten. Bevor er darauf reagieren konnte, schoben ihn die nachdrängenden Scuddamorenwesen an im Brückengeländer versteckten Sensoren vorbei. Sein Schild er
Insel des Neubeginns losch. Er wollte sich nach vorn werfen und griff zum Schalter, um den Energieschirm wieder aufzubauen. Aus dem Boden der Brücke hoben sich ihm Metallarme entgegen und packten ihn. Sie schleuderten ihn über das Brückengeländer. Alles ging so schnell, daß dem Arkoniden keine Abwehrmöglich keit mehr blieb. Altran-Visk und Dlocht erging es nicht anders. Auch sie flogen von der Brücke und stürzten etwa zehn Meter tief ins Wasser. Glücklicherweise gab es hier keine Strö mung, doch in der kabbeligen See war es nicht leicht, sich über Wasser zu halten. At lan und Altran-Visk halfen Dlocht, der nicht schwimmen konnte. Der Teeken-Arv fluch te. »Die Kontrolle hat mich völlig über rascht«, schrie er. »Damit habe ich einfach nicht mehr gerechnet.« »Wieso haben sie mich aussortiert?« frag te der Tamater, als sie das Seil erreicht hat ten, das den letzten Brückenpfeiler mit der Insel verband. »Die Metamorphose ist nicht abgeschlos sen«, entgegnete Atlan. »Nur das kann der Grund sein.« »Und was tun wir jetzt?« fragte AltranVisk. »Wir sind erledigt. Wir schaffen es nie, auf die Insel zu kommen.« Atlan blickte zur Insel hinüber, die nun nur noch etwa dreißig Meter entfernt war. Ihr Ufer bestand aus senkrechten, mit Algen bewachsenen Stahlplatten, die etwa zwanzig Meter in die Höhe ragten. Diese Wände wa ren unbezwingbar. Ausgeschlossen war aber auch, daß wir noch einmal versuchten, auf die Brücke zu klettern. Die Kontrollen wa ren hier so scharf, daß es unmöglich war, sich unentdeckt unter die schattenhaften Ge stalten auf der Brücke zu mischen. Ich war davon überzeugt, daß wir am En de waren. Alles wäre anders gewesen, wenn Atlan mit seinem Goldenen Vlies hätte flie gen dürfen. Das durfte er jedoch wegen der Ortungsgefahr nicht riskieren. »Wir müssen um die Insel schwimmen«, sagte er. »Vielleicht finden wir irgendwo
33 einen Einstieg.« »Etwas anderes bleibt uns gar nicht üb rig«, entgegnete Dlocht, der sich ohne die Hilfe des Arkoniden nicht über Wasser ge halten hätte. Sie schwammen von der Brücke weg. Al tran-Visk folgte ihnen. Er drehte sich immer wieder um und blickte zu den Robotern und den schattenhaften Gestalten hoch. Er fürch tete, von der Brücke aus beschossen zu wer den. Doch die Roboter beobachteten nur das Geschehen auf der Brücke. Sie ließen alles andere unbeachtet. Als Atlan, Dlocht und der Teeken-Arv et wa hundert Meter von der Brücke entfernt waren, warfen die Roboter zwei schattenhaf te Gestalten ins Meer. Mit den Augen Al tran-Visks sah ich, daß die Opfer hilflos in den Fluten versanken. Ein Ruf Atlans ließ ihn herumfahren. Der Arkonide zeigte aufs offene Meer hinaus. Aus dem Wasser ragte eine dünne Säule her vor. Sie durchschnitt die Wellen und näherte sich uns schnell. »Keine Angst«, rief Altran-Visk und schloß zu dem Arkoniden auf. »Das ist kein gefährliches Tier. Es ist ein Pflanzenfresser. Es ist nur neugierig.« Gleich darauf erreichte uns das Tier, das einen langen, schlauchförmigen Körper hat te. Es umkreiste uns einige Male und ver schwand dann wieder. Wir glitten an der steil aufsteigenden Stahlwand entlang. Atlan schien sicher zu sein, daß er die Insel betreten konnte, bevor uns die Kräfte verließen. Altran-Visk glaub te nicht daran. Ich merkte, daß er mit dem Gedanken spielte, sich abzusetzen und zum Festland zurückzuschwimmen. Du bleibst! schrie ich ihm zu. Es ist sinnlos geworden, antwortete er. Je der Narr muß einsehen, daß unser Weg hier zu Ende ist. Du bleibst! wiederholte ich. Ach, nein. Ausgerechnet du forderst das? fragte er spöttelnd. Dir müßte es doch ei gentlich recht sein, wenn ich mich in Sicher heit bringe.
34 Ich bin so weit gekommen, erwiderte ich, jetzt will ich auch den Rest wissen. Ich will wissen, was hier auf der Insel geschieht. Daraus wird nichts, weil wir die Insel nämlich gar nicht betreten werden. Ich verlasse mich auf Atlan. Der bringt uns auch nicht mehr weiter. Dann tu du doch etwas. Ich war froh, mich endlich mit ihm ver ständigen zu können, und ich war über rascht, daß er auf mich einging. Er schob zwei Tentakel an der Stahlwand hoch und versuchte, irgendwo Halt zu finden. Doch vergeblich. Die Wand war zu glatt. Atlan und Dlocht waren weitergeschwom men. Sie forderten Altran-Visk auf, zu ihnen zu kommen. Als er sich ihnen näherte, sah ich durch seine Augen, daß sie ein Ausfluß rohr entdeckt hatten, durch das eine trübe Flüssigkeit ins Meer geführt wurde. Es hatte einen Durchmesser von fast zwei Metern und lag etwa anderthalb Meter über dem Wasserspiegel. Altran-Visk zog sich mühelos aus dem Wasser und half Atlan und dem Tamater, ebenfalls ins Rohr zu kriechen. »Es stinkt erbärmlich«, sagte Dlocht, »aber hier ist es immer noch besser als im Wasser.« Altran-Visk drang in die Röhre ein. Schon nach wenigen Metern entdeckte er ein Gitter an der oberen Rundung. Er schob die Enden seiner Tentakel hindurch und rüttelte an den Stäben. »Es bewegt sich«, rief er dem Arkoniden und Dlocht zu, die zu ihm aufgeschlossen hatten. »Hebe es heraus«, bat Atlan. Der Teeken-Arv stemmte sich gegen das Gitter und wuchtete es nach oben. Dann schob er es zur Seite und zog sich hoch. Er blickte durch die Öffnung in einen kleinen Raum, in dem eine Maschine arbeitete, die Abfälle vernichtete. »Niemand da«, berichtete Altran-Visk und stieg durch die Öffnung nach oben. »Wie ich schon sagte: Irgendwie wird es schon klappen. Man soll eben nie aufge-
H. G. Francis ben.« Atlan lächelte nur. Er sprang in die Höhe und zog sich ebenfalls durch die Öffnung. Dann reichte er Dlocht die Hand, weil der Tamater es aus eigener Kraft nicht geschafft hätte, die Röhre zu verlassen. Altran-Visk legte das Gitter wieder an seinen Platz. Wir waren auf der Insel.
* »Bleibt hier«, bat der Arkonide, als etwa eine Stunde verstrichen war. In dieser Zeit hatten Altran-Visk und der Tamater sich ein wenig von den überstandenen Strapazen er holt. »Ich gehe mit«, erklärte der ehemalige Herrscher der Teeken-Arvs. »Glaubst du, ich habe den langen Weg gemacht, um dann hier zu sitzen und nichts zu tun?« »Ich bleibe«, erklärte der Tamater er schöpft. »Ich möchte schlafen, und wenn es nur eine Stunde ist. Holt mich später.« »Laß dich nicht erwischen«, bat Atlan. Dlocht erhob sich und kroch in den äußer sten Winkel des Raumes, wo er sich hinter einigen Metallkästen versteckte. Unmittelbar darauf zeigten uns seine regelmäßigen Atemzüge an, daß er eingeschlafen war. Atlan öffnete die Tür und verließ den Raum. Altran-Visk blieb ihm auf den Fer sen. Er wollte sich nichts entgehen lassen, hatte zugleich aber auch Angst davor, von dem Arkoniden getrennt zu werden. Der Arkonide blieb stehen, als sich die Tür hinter ihm geschlossen hatte. »Was ist los?« fragte Altran-Visk beunru higt. »Sei still«, befahl der Arkonide und ging weiter. Sie befanden sich in einer Halle, die sie jedoch nicht übersehen konnten, weil sich vor ihnen eine Schrankwand erhob, die über zwei Meter hoch war. Vielfältige Geräusche zeigten an, daß sich hinter dieser Wand Scuddamoren befanden. Altran-Visk sah einige Metamorphosewe sen, die sich ihnen näherten und an ihnen
Insel des Neubeginns vorbeigingen, ohne sie zu beachten. »Sie sind ganz anders als die auf der Brücke«, sagte er, als er glaubte, daß sie au ßer Hörweite waren. »Du hast recht«, erwiderte der Arkonide. Er blickte zu den Scuddamoren hinüber, die sich von ihnen entfernten. Obwohl er auch von ihnen nicht mehr sah als den düsteren Schild, war unverkennbar, daß sie nichts Automatenhaftes an sich hatten. »Sie sind frei«, erklärte Atlan, während sie den Scuddamoren folgten. »Es sind intel ligente Wesen. Bei ihnen ist die Behandlung offensichtlich abgeschlossen.« Drei Scuddamoren kamen ihnen entge gen. »Weitergehen«, flüsterte Atlan seinem Begleiter zu. Ich spürte, daß sich alles in Altran-Visk verkrampfte. »Sei ruhig«, wisperte der Arkonide. »Sie erkennen dich nicht.« Ich wollte mich zu Wort melden, verzich tete jedoch darauf, weil ich merkte, daß Al tran-Visk sich in einem panikartigen Zu stand befand, in dem er doch nicht auf mich gehört hätte. Die Scuddamoren gingen an uns vorbei. Sie sprachen miteinander über technische Dinge, von denen ich nichts ver stand. Ich hörte ihre Stimmen und erkannte mühelos, daß diese Scuddamoren fertige Ge schöpfe waren. Der Umformungsprozeß war sowohl in körperlicher wie in geistiger Hin sicht abgeschlossen. Altran-Visk blickte ih nen nach. Fast hätte ich die Nerven verloren, verriet er mir. Erstaunt stellte ich fest, daß er gera dezu freundschaftliche Gefühle für mich zu entwickeln begann. Ich versuchte, ihm etwas mitzuteilen, aber er war noch nicht soweit, das zu akzeptieren. »Weiter«, sagte der Arkonide. »Nur nicht stehenbleiben.« Altran-Visk schloß sich ihm an. Sie gin gen bis zum Ende der Schrankwand. AltranVisk hoffte, nun endlich einen Blick auf wichtige Anlagen werfen zu können und da mit dem Geheimnis auf die Spur zu kom
35 men. Er wurde jedoch enttäuscht. In dem Raum befanden sich einige Computerbänke. Ein Scuddamore überwachte sie. Atlan ging an ihm vorbei zu einer Tür. Diese öffnete sich selbsttätig vor ihm. Der Teeken-Arv folgte dem Arkoniden in eine halbkreisförmige Halle, in der auf Regalen Teile von Robotern lagerten. Der Tür gegen über befand sich ein großes Fenster, durch das man auf eine Art Hof sehen konnte. Neugierig ging Altran-Visk zum Fenster und blickte hinaus. Der Hof war leer. Er wurde von einigen Türmen begrenzt. An diesen vorbei sah der Teeken-Arv – und ich mit ihm – einen Teil der Brücke. Von dort kamen Schattenwesen. Roboter führten sie an einigen kuppelförmigen Bauten zu einem trapezförmigen Gebäude. Sie verschwanden darin. Das Gebäude war etwa vierhundert Meter von uns entfernt. »Das ist unser Ziel«, sagte Atlan, der un bemerkt herangekommen war. »Wir müssen wissen, was in der Halle geschieht.« »Wollen wir gleich gehen, oder warten wir, bis es dunkel geworden ist?« »Das spielt keine Rolle. Wir haben die Schilde und können uns damit frei bewegen. Keiner der Scuddamoren kann uns erken nen.« Altran-Visk eilte wortlos zu einer Tür, durch die er glaubte, den Raum verlassen zu können. Neben der Tür leuchteten sieben Leuchtplättchen. Der Teeken-Arv streckte die Tentakel nach ihnen aus. Vorsicht! signalisierte ich ihm. Du darfst sie nicht so einfach berühren. Sie müssen in einer bestimmten Reihenfolge gedrückt wer den. Sei still, erwiderte er ärgerlich. Ich brau che deine Ratschläge nicht. Du hast von diesen Dingen keine Ahnung, stellte ich sachlich fest. Du kannst vielleicht eine Waldeule schießen und ausweiden, aber von Technik verstehst du nichts. Du bist ein Wilder. Ich wußte, daß ich übertrieb. Altran-Visk war intelligent und in technischen Dingen nicht ganz unbedarft.
36 Wenn du frech wirst, werfe ich dich hin aus. Ach, das kannst du also? Mühelos. Dann schicke mich endlich zurück. Ich habe es satt, mit dir leben zu müssen. Ich denke gar nicht daran. Noch brauche ich dich. Plötzlich erkannte ich die Wahrheit. Al tran-Visk war weitaus raffinierter, als ich gedacht hatte. Er hatte mich aus der KNIE GEN gerissen und mich Teil seiner Persön lichkeit werden lassen, weil er sich ohne meine Hilfe nicht zurechtgefunden hätte. Er war in der Tat kaum mehr als ein Barbar. Ich hatte mich geirrt, als ich glaubte, daß er et was von Technik verstünde. Alles, was er in dieser Hinsicht wußte, hatte er von mir. Sämtliche Informationen dieser Art hatte er mir entzogen, ohne daß ich es gemerkt hatte. Er lachte meckernd, als er meine Gedan ken erfaßte. Dummkopf, signalisierte er mir. Es hat lange gedauert, bis dir dieses Licht endlich aufgegangen ist. Ich war außer mir vor Zorn! Und ich machte einen entscheidenden Fehler. In meiner Wut kämpfte ich darum, seinen Körper zu verlassen. Dabei achtete ich nur auf mich und nicht auf ihn. Altran-Visk berührte die Leuchtplättchen. Seit meiner Warnung waren nur Sekunden vergangen. Atlan war noch mehrere Schritte entfernt. »Nicht«, rief er. »Warte.« Doch es war schon zu spät. Die Tür öffnete sich nicht. »Wir könnten einen Alarm ausgelöst ha ben«, sagte der Arkonide. »Schnell. Wir ver stecken uns hinter den Regalen. Dann war ten wir und beobachten. Wenn jemand kommt und die Tür öffnet, werden wir uns die Kombination merken.« Er trieb den Teeken-Arv hinter ein Regal. Im gleichen Augenblick öffnete sich die Tür, durch die wir hereingekommen waren. Ein Scuddamore trat ein. Ich glaubte, erken nen zu können, daß er eine Waffe trug. Er
H. G. Francis hielt sie schußbereit. Hoffentlich siehst du deinen Fehler jetzt ein. Wenn du dich nicht in kläglichster Weise mit deinen eigenen beschäftigt hättest, wäre das nicht passiert. Ich schwieg, weil es sinnlos war, mit ihm zu diskutieren. Der Scuddamore hatte uns noch nicht ge sehen. Vorsichtig kam er näher. Er blieb et wa fünf Meter von uns entfernt stehen und drehte sich langsam um sich selbst. Deutli cher konnte er nicht zeigen, daß er jenen suchte, der den Alarm ausgelöst hatte. Atlan streckte die Hand aus und ergriff den Arm eines Roboters, der im Regal lager te. Der Scuddamore kam näher. Der TeekenArv sah sich um. Wir befanden uns zwi schen zwei Regalen in einer Sackgasse, aus der wir nicht ungesehen entkommen konn ten. Für mich war sicher, daß der Scudda more uns entdecken würde. Das hatte auch Atlan erkannt. Er trat vor. Der Scuddamore fuhr herum. Ich glaubte sehen zu können, daß er die Waffe auf den Arkoniden richtete. Atlan schleuderte den Roboterarm wuch tig auf den Scuddamoren. Das Wurfgeschoß verschwand im Schattenschild. Dann blitzte es auf. Der Scuddamore schrie auf und stürzte zu Boden. Atlan beugte sich über ihn, griff in den Schild und schaltete ihn aus. Der Scuddamore war tot. Er hatte sich selbst erschossen, als der Roboterarm ihm die Hand hochgeschlagen hatte. Atlan nahm ihm die Waffe ab. Es war ein leichter Energiestrahler. »Wir müssen den Toten verstecken«, sag te er. »Am besten werfen wir ihn in das Abfluß rohr«, schlug Altran-Visk vor. »Da findet ihn niemand.« »Eine ausgezeichnete Idee.« Der Arkonide hob den Scuddamoren hoch und trug ihn davon. Altran-Visk folgte ihm. Die Tür schloß sich automatisch hinter uns,
Insel des Neubeginns als wir den Computerraum betreten hatten. Sekunden später waren wir wieder bei Dlocht, der entsetzt aufschrie, als er uns sah. Atlan beruhigte ihn, indem er seinen Schild ausschaltete. Er berichtete, was geschehen war. »Habt ihr etwas zu essen gefunden?« fragte der Tamater. »Leider nicht«, antwortete Altran-Visk. »Wir haben nicht danach gesucht.« »Ich habe Durst«, erklärte Dlocht. »Ich muß etwas trinken, oder es ist aus mit mir.« »So schnell ist es mit niemandem aus«, erwiderte Atlan. »Der Brei war zu salzig. Ich habe das Ge fühl, innerlich zu verbrennen. Ich muß etwas trinken.« »Wir werden uns darum kümmern«, ver sprach der Arkonide. »Zunächst aber müs sen wir den Toten verschwinden lassen.« Er öffnete das Gitter und ließ den Toten in das Abflußrohr hinab. Dann sprang er selbst hinein. Als er kurz darauf zurückkehrte, be richtete er, daß er den Scuddamoren bis ans Ende des Rohrs gebracht, aber nicht ins Wasser geworfen hatte. »Zweifellos wird man ihn vermissen«, sagte er. »Wir müssen also damit rechnen, daß man ihn sucht. Dar auf müssen wir uns vorbereiten.« »Ich muß etwas trinken«, sagte Dlocht jammernd. »Der Durst bringt mich um.« »Ich besorge dir etwas«, versprach Atlan und befahl dem Teeken-Arv, bei dem Tama ter zu bleiben. Offensichtlich fürchtete er, daß Dlocht in seiner Not den Raum verlas sen und sich den Scuddamoren verraten würde. Der Arkonide eilte hinaus. Fast eine Stunde verging, bis er zurück kehrte. In dieser Zeit quälte Dlocht AltranVisk ununterbrochen mit seinem wehleidi gen Gerede. Immer wieder klagte er über seinen Durst und schließlich auch über Hun ger. Der Teeken-Arv versuchte, ihn zur Ru he zu bringen, erreichte jedoch nichts. Dlocht stellte seine Klagen auch nicht ein, als Altran-Visk ihn wütend anbrüllte und ihm drohte, ihn an die Scuddamoren auszu
37 liefern. Dlocht schrie auf, als Atlan eintrat und ihm eine große Flasche mit einer aroma tischen Flüssigkeit reichte. Er öffnete sie mit bebenden Händen und trank sie halb aus. Ich staunte nur, daß er so viel zu sich nehmen konnte. Er mußte tatsächlich ungewöhnlich unter Durst gelitten haben. »Du könntest Atlan wenigstens danken«, sagte Altran-Visk, als der Tamater sich stöh nend auf den Boden sinken ließ. Dlocht hob schweigend einen Armstumpf und winkte dem Arkoniden damit zu. »Es war schwierig«, berichtete Atlan. »überall sind Scuddamoren. Einmal hätten sie mich beinahe erwischt. Sie untersuchen das Gebäude. Wir sollten vorsichtshalber für einige Zeit nach unten in das Rohr gehen.« Altran-Visk und Dlocht waren sofort ein verstanden. Sie kletterten nach unten. Atlan folgte ihnen. Kaum hatte er das Gitter ge schlossen, als einige Scuddamoren den Raum betraten. Sie durchsuchten den Raum, fanden nichts Verdächtiges und verschwan den wieder. Atlan wartete etwa eine Stunde. Dann kehrte er nach oben zurück. Dlocht und Altran-Visk folgten ihm. Sie blieben auch bei ihm, als er in den Computerraum ging. Ein Scuddamore arbeitete an den Geräten. Er beachtete sie nicht, als sie in den Raum überwechselten, in dem die Robotteile lager ten. Es schien keine Schwierigkeiten mehr zu geben. »Wir verstecken uns zwischen den Rega len«, sagte Atlan. »Dann warten wir, bis je mand kommt und die Tür dort mit den Leuchtplättchen öffnet.« Allen war klar, daß sie keine andere Mög lichkeit hatten, wenn sie nicht erneut Alarm auslösen wollten. Keiner ahnte, daß sie auf eine harte Ge duldsprobe gestellt werden würden. Die Stunden verstrichen, ohne daß etwas gesch ah. Es dunkelte, doch der Scuddamore im Computerraum arbeitete weiter. Niemand erschien, um ihn abzulösen. »Wir müssen es riskieren«, sagte AltranVisk ungeduldig. »Wir kommen sonst nicht
38 weiter.« »Wir haben Zeit«, erwiderte der Arkonide gelassen. Die Nacht verging, ohne daß etwas gesch ah. Altran-Visk und Dlocht kehrten entnervt in das Versteck über dem Abflußrohr zu rück. Atlan blieb auf seinem Beobachtungs posten. Er schien nicht müde zu werden. Al tran-Visk und der Tamater schliefen. Als der Teeken-Arv erwachte, war Atlan im Raum. »Es hat sich nichts getan«, sagte er. »Dann muß es noch einen weiteren Aus gang geben«, entgegnete der ehemalige Herrscher der Teeken-Arvs. »Danach habe ich gesucht«, berichtete der Arkonide. »Ich habe keinen gefunden.« »Ich übernehme die nächste Wache.« »Nein. Ich traue dir zu, daß du aus Unge duld doch wieder an den Plättchen spielst, und ich will auf keinen Fall noch einen Alarm.« »Du hast recht. Ich gebe es zu. Also beob achten wir zusammen.« »Das ist die einzige Möglichkeit.« Sie verließen das Versteck und kehrten in die halbkreisförmige Halle zurück. Sie ka men gerade noch rechtzeitig, um zu sehen, daß sich die Tür hinter drei Schattengestal ten schloß. Altran-Visk fluchte ungehalten. »Das ist Pech«, sagte Atlan, der ruhig und gelassen blieb, »aber nicht zu ändern.« Ein weiterer Tag verstrich, ohne daß et was geschah. Dann aber verließ der Scuddamore, der im Computerraum Dienst gehabt hatte, die Halle. Die Sonne war gerade aufgegangen. Ihr Licht fiel durch das Fenster auf die Tür, so daß Atlan genau sehen konnte, wie der Scuddamore die Schalter betätigte. »Alles klar«, sagte er wenig später. »Hole Dlocht.« Altran-Visk eilte zum Versteck zurück. »Dlocht, alter Freund«, sagte er, als er den Raum betrat. »Du kannst kommen.« Er blieb stehen und blickte sich bestürzt im Raum um. Dlocht war nicht mehr da. Er
H. G. Francis rannte zu Atlan zurück und teilte ihm mit, daß der Tamater verschwunden war. Ge meinsam begannen sie, nach ihm zu suchen. Sie fanden ihn nicht. »Das verstehe ich nicht«, sagte der Arko nide. »Er kann sich nicht in Luft aufgelöst haben, und es gibt nur einen Ausgang. Den haben wir ständig überwacht.« Altran-Visk schwieg. Er war ebenso ratlos wie Atlan.
7. »Vorsicht«, rief Atlan, als sich die Tür öffnete, durch die der Teeken-Arv und er den Raum verlassen wollten. Er zog AltranVisk hinter ein Regal mit Robotteilen. Zwei Scuddamoren betraten den Raum. Sie er schienen Atlan besonders groß. Aus ihren düsteren Schilden sprühte ein weißlicher Nebel, der sich zu ihren Füßen auf dem Bo den niederschlug. Er machte die Fußab drücke sichtbar, die der Arkonide und der TeekenArv hinterlassen hatten. Sie zeichne ten sich rot und scharf auf dem Boden ab. Atlan hob seinen Energiestrahler. Mit den Augen des Teeken-Arvs konnte ich es er kennen. Ich zweifelte nicht daran, daß die beiden Scuddamoren uns entdecken würden. Alles deutete darauf hin. Sie schritten langsam durch den Raum, wobei sie den Boden fortwährend besprüh ten. Die Abdrücke, die Altran-Visk mit sei nen Tentakeln hinterlassen hatte, verwirrten sie. Ich hörte, daß sie darüber diskutierten. Sie gingen schneller voran, da für sie klar war, daß die Spuren zur gegenüberliegenden Tür führten. Sie verzichteten sogar darauf, den Boden bis dahin zu besprühen und ver paßten dadurch die zu uns weisenden Spu ren. Kaum waren sie durch die Tür ver schwunden, als Atlan auch schon zu der an deren Tür lief. Er betätigte den Leuchtschal ter. Die Tür glitt zur Seite, ohne Alarm aus zulösen, über eine Treppe ging es zu einer gläsernen Tür ins Freie.
Insel des Neubeginns »Ganz ruhig«, sagte der Arkonide. »Niemand kann uns von den Scuddamoren unterscheiden, solange man uns nicht zwingt, den Schild auszuschalten.« »Ich dachte, daß sie uns erwischen«, ent gegnete Altran-Visk. »Dlocht hat uns verra ten. Wahrscheinlich hat ihn der Durst über mannt.« »Das glaube ich nicht.« Atlan ging direkt auf das Gebäude zu, in dem die über die Brücke kommenden Metamorphosewesen verschwunden waren. »Wenn er das getan hätte, hätten sie nicht nach Spuren zu suchen brauchen. Dann wären sie direkt zu uns ge kommen.« Der Teeken-Arv mußte zugeben, daß die se Überlegung richtig war. Dennoch gefiel sie ihm nicht, weil sie ihm nicht erklärte, was mit Dlocht geschehen war. Einige Scuddamoren kamen uns entge gen. Ich spürte, daß der ehemalige Herrscher der Teeken-Arvs nervös wurde. Sie erkennen dich nicht! rief ich ihm zu. Altran-Visk beruhigte sich nicht. Er zitter te am ganzen Körper. Plötzlich war alle Zu versicht verflogen. Er hatte das Gefühl, ei nem übermächtigen Gegner gegenüberzuste hen. Ich konzentrierte mich mit aller Kraft auf ihn, um ihm zu helfen. Als er sich abwenden und fliehen wollte, konnte ich das gerade noch verhindern. Dann waren die Schatten gestalten auch schon an uns vorbei. Siehst du. Es ist nichts passiert. Ich erkannte, daß es Dlochts Verschwin den war, was ihn derart verunsicherte. Er hielt den Tamater für einen ausgemachten Feigling, der bereit war, sie des geringsten Vorteils wegen zu verraten. Atlan bemerkte die Veränderung. Beruhigend sprach er auf Altran-Visk ein und erläuterte ihm einige Dinge, die er sah. Er glaubte, daß die Unsi cherheit des Teeken-Arvs hauptsächlich dar auf zurückzuführen war, daß dieser bisher praktisch nur im Urwald und ohne Kontakt mit einer Zivilisation gelebt hatte. »Du kannst es dir überlegen, ob du mit kommen willst«, sagte der Arkonide, als sie
39 das Gebäude erreicht hatten, in dem die Me tamorphosewesen verschwunden waren. »Ich bleibe bei dir«, erwiderte AltranVisk, »wenngleich ich der Meinung bin, daß wir bald umkehren sollten.« Atlan wollte das Gebäude betreten, stellte aber fest, daß der Eingang durch Roboter gesichert wurde. Er führte den Teeken-Arv kreuz und quer über die Insel, bis er schließlich einen ande ren Eingang zu dem vielleicht wichtigsten Gebäude der Anlage fand. Die Tür ließ sich mühelos öffnen, und nirgendwo war ein Ro boter zu sehen. Altran-Visk zupfte Atlan am Ärmel seines Goldenen Vlieses. »Sieh mal da drüben«, sagte er. Er zeigte zu dem Bau hinüber, aus dem sie gekommen waren. Von dort näherten sich zehn schattenhafte Gestalten. Einer der Scuddamoren sprühte etwas auf den Boden, und trotz der großen Entfernung konnte At lan sehen, daß sich darauf rote Abdrücke ab zeichneten. »Sie suchen uns«, stellte der TeekenArv fest. »Ich glaube nicht mehr daran, daß wir irgend etwas klären können, bevor sie uns erreichen. Wir sollten sofort von der Insel verschwinden.« Jetzt verstand der Arkonide. »Das ist es also, was dich nervös macht. Du glaubst nicht, daß wir mit heiler Haut da vonkommen.« »Nein. Nicht mehr.« »Wir könnten uns trennen.« »Auch das ist nicht gut.« »Dann komm mit.« Der Arkonide betrat das Gebäude. Er schritt über einen Gang zu einer gläsernen Tür, durch die er in eine Halle blicken konn te. Altran-Visk folgte ihm. »Wenn wir uns schnell genug bewegen, uns unter andere Scuddamoren mischen und uns nicht allzu auffällig benehmen, verlieren sie unsere Spur.« Er öffnete die Tür. In seltsam geformten Gestellen hingen Tausende von Scuddamoren-Neulingen. Ihre Schilde waren eingeschaltet, so daß nicht zu sehen war, was innerhalb der Energiefelder
40 geschah. Unübersehbar aber waren viele Ka bel, die in die düstere Aura ragten. Zwischen den Anlagen, in denen die halb fertigen Metamorphosewesen behandelt wurden, bewegten sich einige andere Scud damoren. Sie waren offensichtlich intelli gent. Bei ihnen konnte es sich nur um Ein geweihte handeln oder um solche, die nur vorübergehend hier eingesetzt waren und die nicht genau wußten, was eigentlich geschah. Ich beobachtete mit Altran-Visks Augen, daß aus einigen Schilden Metallhauben em porglitten. Unmittelbar darauf raste ein Ro boter mit einem Karren herbei, packte die Scuddamoren, die von den Hauben befreit waren, und legte sie in den Karren. Dabei ging er nicht besonders rücksichtsvoll vor. »Sie sind ohne Bewußtsein«, bemerkte der TeekenArv. »Was hat das zu bedeuten? Was geschieht mit ihnen?« »Ich glaube, daß hier die neue Bewußt seins und Willensbildung abgeschlossen wird«, erwiderte der Arkonide. »Heißt das, daß sie so intelligent sind wie jene, die uns verfolgen, wenn sie aufwa chen?« »Wahrscheinlich. Und jeder von ihnen hat seine eigene Persönlichkeit. Er dürfte ver gessen haben, wer er jemals zuvor war.« Atlan führte Altran-Visk quer durch die Halle. Überall bot sich uns das gleiche Bild. Scuddamoren wurden in Gestellen behandelt und danach von Robotern weggekarrt. Plötzlich trat uns eine Schattengestalt ent gegen. Altran-Visk blieb stehen, während Atlan so ruhig weiterging, als bestehe nicht der geringste Grund zur Beunruhigung. Der vermeintliche Scuddamore schaltete den Schild für einen kurzen Moment aus. »Dlocht«, rief Altran-Visk überrascht. »Wir haben dich überall gesucht.« Er schaltete seinen Schild ebenfalls aus und sofort wieder an, um sich zu erkennen zu geben. »Und das ist Atlan?« fragte der Tamater. »Natürlich«, sagte Altran-Visk übereifrig. »Was dachtest du?« Eine Sirene heulte auf. Aus allen Richtun-
H. G. Francis gen näherten sich Scuddamoren. Ihnen folg te ein Schwarm von Robotern. »Das habt ihr nicht gedacht, wie?« fragte Dlocht höhnisch. »Ihr sitzt in der Falle, Freunde, und dieses Mal wird man euch nicht einfach nur ins Wasser werfen. Jetzt geht es um euren Kopf.« »Was ist los mit dir?« fragte Atlan, der auch jetzt gelassen blieb. »Wieso bist du auf der anderen Seite?« »Ich war ein wenig zu neugierig«, erwi derte der ExTamater. »Ich habe das Ver steck verlassen und mich einigen Scudda moren angeschlossen. Euch habe ich nicht gesehen. Wahrscheinlich habt ihr gerade nach mir gesucht. Auf Umwegen bin ich in diese Halle gekommen, und hier habe ich mich in eines dieser Gestelle gehängt.« »Du wolltest in möglichst kurzer Zeit möglichst viel erfahren.« »Du bist ein kluger Junge«, spöttelte Dlocht. »Als erstes habe ich erfahren, daß es eine tödliche Dummheit ist, sich gegen Chirmor Flog aufzulehnen.« »Du hast es getan, aber du lebst noch.« »Ich bin inzwischen behandelt worden. Ich bin nicht mehr Dlocht. Ich bin Lärkon.« Die anderen Scuddamoren und die Robo ter rückten näher. Ihnen blieb nicht verbor gen, was Dlocht-Lärkon sagte. Altran-Visk blickte Atlan an, der seinen ScuddamorenSchild nun ausschaltete. Er sah keinen Grund mehr, sich dahinter zu verstecken. Obwohl er somit eindeutig zu identifizie ren war, gingen zwei Scuddamoren zu ihm, wobei sie den Boden besprühten, so daß die roten Abdrücke seiner Füße sichtbar wur den. Ich glaubte zu wissen, was der Arkonide dachte. Dlocht-Lärkon tat ihm leid. Der frühere Tamater glaubte offensichtlich, daß die Scuddamoren ihn leben lassen würden. Da von war ich nicht überzeugt. Er war kein ge lungenes Exemplar, sondern ein Zwischen ding, das seine Eigenpersönlichkeit nicht verloren hatte. Er erinnerte sich daran, Dlocht gewesen zu sein. Er hatte eine Eigen
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intelligenz und einen eigenen Willen behal ten. Damit war er für Chirmor Flog untaug lich. Die Scuddamoren oder die Roboter wür den ihn eliminieren wie ein mißglücktes in dustrielles Produkt. »Schade«, sagte der Arkonide. »Du hät test in deinem Versteck bleiben sollen, dann wäre es dir besser ergangen.« Dlocht-Lärkon lachte. »Noch besser? Mir geht es ausgezeichnet. Ich bin aller Sorgen ledig. Ich habe euch ge fangen, was allen anderen nicht gelungen ist. Damit habe ich mir meine Sporen verdient und Treue bewiesen.« »Die du uns schuldig gewesen wärst«, sagte Altran-Visk, der seinen Schild eben falls abgeschaltet hatte. Dlocht-Lärkon lachte erneut. Ein Roboter fuhr auf Walzen lautlos an ihn heran und packte ihn mit stählernen Klauen. Der ExTamater schrie auf. »Was soll das?« rief er. »Laß mich sofort wieder runter.« Der Roboter hob ihn über sich hinweg und warf ihn in einen Karren. Stahlzangen legten sich ihm um die Hüften. »Atlan, hilf mir«, schrie er. »Du kannst doch nicht zusehen, wenn sie so etwas mit mir machen. Du mußt mir helfen.« Er schrie und brüllte voller Angst und Verzweiflung. Vergeblich versuchte er, sich aus der Umklammerung zu befreien. Atlan blickte ihm nach, bis sich die Tür hinter ihm schloß. Dann nahm er den Energiestrahler und überreichte ihn einem der Schattenge stalten. »Führt sie ab«, ertönte eine Stimme. Es war nicht auszumachen, woher sie kam. Altran-Visk drehte sich um. Er wollte wissen, wer gesprochen hatte, doch durch nichts war zu erkennen, ob einer der Scud damoren oder einer der Roboter den Befehl erteilt hatte.
* Diese Entwicklung hatte ich von Anfang
an gesehen, aber meine Einwände hatte ja niemand beachtet. Jetzt war unsere Situation aussichtslos geworden. Die Roboter brachten uns in ein anderes Gebäude, wo sie uns in einen gut gesicher ten Raum sperrten. »Wie kommen wir hier wieder heraus?« fragte Altran-Visk, als sei nichts Ungewöhn liches geschehen. Er hatte grenzenloses Ver trauen und glaubte, Atlan werde mit allen nur denkbaren Schwierigkeiten fertig. »Aus eigener Kraft wohl kaum«, erwider te der Arkonide. Der Teeken-Arv war überrascht. Er schien eine andere Antwort erwartet zu haben. Be vor er weitere Fragen stellen konnte, erschi en ein Roboter und holte Atlan. Der Arkoni de wehrte sich vergeblich. Die stählernen Arme der Maschine waren stärker als er. Sie zerrten ihn hinaus. Fast zwei Stunden verstrichen. Ich glaub te, daß Atlan bereits tot war. Da öffnete sich die Tür wieder, und der Roboter stieß den Arkoniden herein. Er sah arg zerschunden aus. Fraglos hatte man ihn gefoltert. Doch er erholte sich erstaunlich schnell. Er setzte sich auf den Boden und lehnte sich mit dem Rücken an die Wand. Ich mochte ihn kaum ansehen, weil die Spuren der Fol ter allzu deutlich waren. Atlan blieb etwa eine halbe Stunde lang stumm. Während dieser Zeit stellte ich fest, daß die Hautrötungen, Schwellungen und Abschürfungen zurückgingen. Es schien, als könnte ich den Heilungs prozeß beobachten. »Sie haben mich verhört«, berichtete der Arkonide. »Sie wollten wissen, wer ich bin, wie ich nach Mogteeken-Arv und in die Sta tion an der Küste gekommen bin, wie ich es geschafft habe, die Kontrollen auf der Brücke zu überwinden, und was ich hier überhaupt will.« »Ach, und von mir spricht keiner, wie?« fragte Altran-Visk sichtlich beleidigt. »Oh, doch«, antwortete der Arkonide. Ich war überzeugt davon, daß er schwindelte, um dem Teeken-Arv eine kleine Freude zu
42 machen. »Sie sprachen sogar sehr viel von dir und wollten alles mögliche wissen. Ich hatte den Eindruck, daß sie sich vor dir fürchten und es deshalb vorzogen, mit mir zu reden.« Das schmeichelte dem Teeken-Arv unge mein. Ich spürte, daß sein Herz einen Sprung machte. »Das genügt«, rief er. »Mehr wollte ich gar nicht wissen.« Er glaubte, was Atlan gesagt hatte, und er entwickelte bereits Pläne, mit denen er Ro boter und Scuddamoren ausschalten wollte. »Wenn sich die Tür wieder öffnet, müs sen wir zuschlagen«, sagte er. »Ganz gleich, ob Roboter oder Scuddamoren kommen, wir müssen sie angreifen. Ich habe keine Lust, verhört zu werden. Schließlich geht es bei mir um mehr als bei dir.« »Tatsächlich?« »Darüber solltest du dir längst klar sein«, erklärte er ernsthaft. »Wenn man mich ver hört und erfährt, daß ich von dieser Welt stamme und Herrscher eines außerordentlich intelligenten Volkes war, dann muß ich be fürchten, daß sie die Teeken-Arvs als biolo gisches Grundmaterial für neue Scuddamo ren verwenden.« »Da muß ich dir recht geben«, sagte der Arkonide. »Diese Gefahr besteht. Und das wäre eine Katastrophe für dein Volk. Was können wir tun? Hast du eine Idee?« »Ich stecke voller Ideen«, behauptete Al tran-Visk, obwohl er wußte, daß ich mithör te und daß er mich nicht belügen konnte. »Aber du hast sicherlich auch Vorschläge zu machen. Oder irre ich mich?« Atlan lächelte. Er erhob sich. »Du weißt, daß ich im Goldenen Vlies fliegen kann«, erwiderte er und schwebte sanft in die Höhe. »Ich werde über der Tür warten, bis jemand kommt. Dann greife ich von oben an.« »Genau das wollte ich dir auch vorschla gen«, rief Altran-Visk. Die Tür öffnete sich, bevor Atlan sie er reicht hatte. Ein Metallarm schoß herein und packte Altran-Visk. Dieser schrie auf und
H. G. Francis wehrte sich nach Leibeskräften. Atlan ver suchte, ihm zu Hilfe zu kommen, erreichte jedoch ebensowenig wie Altran-Visk selbst. Der Roboter riß den Teeken-Arv durch die Tür. Ein zweiter Arm zuckte an ihm vor bei und stieß den Arkoniden zurück. Dann schloß sich das Schott. Was haben sie mit mir vor? fragte AltranVisk in panischer Angst. Ich weiß es nicht, antwortete ich. Der Roboter rollte einen langen Gang ent lang. Er trug den Teeken-Arv. Dieser beru higte sich überraschend schnell. Verstehst du? Ich habe nur Angst um mein Volk. Wenn sie mich töten, ist das nicht weiter schlimm. Dieses Ende war mir ja schon vor Tagen bestimmt. Jetzt meinte er es ehrlich. Er dachte tat sächlich nur an die Männer, Frauen und Kin der seines Stammes und daran, was mit ih nen geschehen würde, wenn sie einer Zwangsmetamorphose unterworfen würden. Ich glaubte, die Kälte des Todes spüren zu können. Wollte Altran-Visk seinem Leben selbst ein Ende setzen, damit die Roboter und die Scuddamoren ihm keine Informationen ent locken konnten? Was würde dann aus mir werden? Das ist mir egal So geht es nicht, AltranVisk. Ich bin nicht freiwillig in dir. Du hast mich entführt. Benimm dich wie ein Erwachsener, riet er mir. Wenn es sein muß, werden wir gemein sam sterben. Wir haben gemeinsam gelebt, wir werden gemeinsam enden. Das ist doch Wahnsinn und völlig unnötig, widersprach ich. Hast du denn ver gessen, daß wir zwei Körper haben? Was macht es schon, wenn einer von ihnen getö tet wird? Wenn dein Körper sterben sollte, haben wir immer noch die Möglichkeit, in meinen Körper überzuwechseln. Niemand könnte das verhindern, und diese verdamm ten Roboter schon gar nicht. Die Idee faszinierte ihn. Er machte eine Reihe von spöttischen und abfälligen Be merkungen, mit denen er erreichen wollte,
Insel des Neubeginns daß ich mir auf meinen Vorschlag nichts einbildete. Das tat ich jedoch ohnehin nicht. Ich hatte ihm das Angebot, mit ihm gemein sam in meinen Körper zu flüchten, keines wegs aus überschwenglicher Sympathie her aus gemacht oder weil ich mich so an ihn gewöhnt hatte, daß ich nicht mehr von ihm getrennt werden wollte. Ganz und gar nicht. Ich sah nur die letzte Möglichkeit zur Flucht in einem solchen gemeinsamen Un ternehmen. Ohne seine Hilfe konnte ich nicht entkommen. Wir werden es versuchen, signalisierte er. Damit überraschen wir sie. Natürlich wer den sie mich verhören. Sie werden mich fol tern. Viel härter und grausamer als Atlan. Das ist nur logisch, denn ich bin der Wichti gere von uns beiden. Von mir erwarten sie mehr Informationen als von ihm. Tatsächlich? Natürlich. Ich bin der Herrscher der Tee ken-Arvs. Er ist der König von Atlantis. Was ist das schon gegen das Reich der Teeken-Arvs! Seine Arroganz war unerträglich. Schlimm war dabei nur, daß Altran-Visk wirklich überzeugt war, um so viel wertvol ler zu sein als Atlan. Ich fürchtete, daß es ein grausames Erwachen für ihn geben wür de. Und ich behielt recht. Der Roboter trug ihn bis ans Ende des Ganges. Eine Luke öffnete sich vor ihm. Er schleuderte Altran-Visk hinein. Was soll das? fragte dieser, als sich die Luke hinter ihm geschlossen hatte und er über eine Schräge in die Tiefe rutschte. Ich antwortete nicht, denn ich ahnte, was kommen würde. Altran-Visk rutschte immer schneller in die Tiefe. Sie foltern mich. Auf diese Weise versu chen sie, mich zu zerbrechen. Aber das wer den sie nicht schaffen. Aus mir holen sie kei ne Informationen heraus. Ein weiteres Schott öffnete sich vor ihm.
43 Dahinter loderte weiße Glut. Altran-Visk stürzte direkt ins Feuer einer Müllverbren nungsanlage. Wir müssen fliehen! schrie ich ihm zu, während ich mich mit aller Kraft darauf konzentrierte, in meinen Körper zurückzu kehren, der in der KNIEGEN weilte. Ich spürte die entsetzlichen Schmerzen, die den Körper des Teeken-Arvs überflutete. Doch jetzt war es seltsamerweise mit der Angst und der Panik Altran-Visks vorbei. Ich erinnerte ihn daran, daß wir versuchen wollten, gemeinsam zu fliehen. Ich spürte, daß er mir mit einem gelasse nen Lächeln antwortete. Ich war ziemlich töricht, teilte er mir mit. Dieser Tod war mir bestimmt. So endet die Herrschaft eines Teeken-Arvs. Eine Flucht gibt es nicht. Ich habe es gewußt, und ich bin doch geflüchtet. Verzeih mir. Die Hitze löste seinen Körper auf. Sie fraß sich mit rasender Geschwindigkeit an sein Gehirn heran. Gib mich frei! In der Sekunde seines Todes lachte er. Warum eigentlich nicht? Es war amüsant mit dir.
8. Ich schrie. Mein Körper brannte. Uner trägliche Glut umgab mich. Ich konnte nicht atmen. Ich wagte nicht, den Mund zu öffnen, weil ich fürchtete, daß die Hitze meine Keh le verdorren würde. »Dorkan Moht? Was ist los mit dir?« hall te eine bekannte Stimme auf mich herab. Ich riskierte es, für den Bruchteil einer Sekunde die Augen zu öffnen. Ich befand mich in der Transparentkuppel der KNIEGEN. Von Feuer war nichts zu se hen. Einige Sekunden waren verstrichen, bis ich endlich begriff, daß ich mich nicht in der Hitze eines Müllverbrenners befand. Ich war in meinen Körper zurückgekehrt. Ich hatte mich von Altran-Visk getrennt. Hastig schaltete ich die Klimaanlage um
44 und ließ die Temperaturen bis in einen Be reich absinken, in dem meine körperlichen Aktivitäten zu erlahmen drohten. Immerhin war ich Kaltblüter. Meine Nerven beruhigten sich, und ich schaltete die Klimaanlage wieder hoch. Ich wollte nicht schlafen. »Es ist alles in Ordnung«, sagte ich. »Du brauchst dir keine Sorgen zu machen, Tha lia.« »Du machst mir Spaß«, erwiderte sie. »Seit acht Tagen versuche ich, dich aus dei ner Starre zu wecken. Es ist mir nicht gelun gen. Und jetzt brüllst du plötzlich, als ob ein Feuer unter deiner Sitzfläche ausgebrochen wäre.« »Du hast es erfaßt«, sagte ich. »Genauso war es. Ich wäre fast verbrannt.« »Rede keinen Unsinn«, bat sie. Sie war sichtlich genervt. »Was war mit dir los?« Ich spürte, daß sich die große Plejade nicht in der Nähe befand. Das hatte Auswir kungen. Mühelos erkannte ich, daß ich nicht lange frei bleiben würde, wenn ich nicht bald wieder dem Einfluß der großen Plejade ausgesetzt wurde. Mit aller Kraft kämpfte ich gegen die Macht an, die mich wieder versklaven wollte. Ich wußte, daß es niemals wichtiger gewesen war als gerade jetzt, sich gegen sie zu behaupten. »Ich habe dir eine unglaubliche Geschich te zu erzählen«, berichtete ich. »Hoffentlich glaubst du sie mir.« »Ich werde es versuchen.« »Du mußt mir glauben, denn davon hängt das Leben Atlans ab.« »Komm zur Sache«, bat sie. »Ich möchte endlich wissen, was passiert ist.« Ich berichtete. Sie hörte zu, ohne Fragen zu stellen. Ich konnte sie beobachten, wie sie in einem Sessel weiter hinten in der KNIEGEN saß und ins Leere blickte. Ich war froh, daß es mir gelungen war, in die KNIEGEN zurückzukehren, und ich be dauerte ein wenig, daß Altran-Visk nicht mitgekommen war. Vielleicht wäre es ganz reizvoll gewesen, mit ihm zusammenzule ben.
H. G. Francis Als ich schilderte, wie wir Atlan verlassen hatten, richtete Thalia sich auf. »Ich konnte nichts tun«, sagte ich, aber ich spürte, daß sie mir dennoch einen Vor wurf machte. Vielleicht glaubte sie, ich hätte mich noch energischer für Atlan einsetzen müssen. Ich setzte zu einer Verteidigung an, doch sie unterbrach mich sogleich wieder. »Wir müssen starten«, schlug ich vor und ließ sie ebenfalls nicht zu Wort kommen. »Wir müssen die Insel angreifen.« »Du hast recht. Das ist die einzige Mög lichkeit. Starte, Dorkan Moht – oder soll ich jetzt Altran-Visk zu dir sagen?« »Nein, Altran-Visk ist tot. Ich bin Dorkan Moht, und daran wird sich auch nichts mehr ändern.« »Das glaube ich erst, wenn wir von hier verschwunden sind«, bemerkte Thalia. »Ich glaube nämlich, daß die Teeken-Arvs schon wieder einen Turm bauen.« »Unmöglich«, rief ich. »Der Nachfolger von Altran-Visk ist noch nicht lange genug im Amt. Warum sollten sie ihn jetzt schon, nach nur acht Tagen Herrschaft, verbren nen?« »Vielleicht sind sie nicht mit ihm zufrie den? Wir werden uns nicht um die TeekenArvs kümmern. Wir starten, sonst vereinigt sich womöglich noch eine Persönlichkeit mit dir.« »Nur das nicht!« Ich bereitete den Start vor und prüfte die Systeme. Alles war in Ordnung. Thalias Bemerkung stachelte mich zu höchster Eile an, denn ich wollte auf keinen Fall noch einmal etwas mit einem TeekenArv zu tun haben. Dennoch ließ ich mich nicht dazu verleiten, irgend etwas überhastet zu tun. Ich dachte an Atlan. Für mich stand außer Frage, daß man mit ihm ebenso verfahren würde wie mit dem Teeken-Arv. Man würde ihn aus dem Ge fangenenraum holen und in die Müllver brennungsanlage stürzen. So war es auch Dlocht ergangen. Für uns kam es darauf an, bei der Insel zu sein, bevor man den Arkoni
Insel des Neubeginns den zur Verbrennungsanlage führte. »Hast du eine Idee, wie wir Atlan befreien können?« fragte Thalia. Ich blickte auf den Bildschirm vor mir. »Leider nicht«, erwiderte ich, während ich gegen die Macht Chirmor Flogs an kämpfte, die die befreiende Wirkung der großen Plejade aufheben wollte. »Hast du Verteidigungsanlagen auf der Insel gesehen? Gibt es Raketenwerfer oder Energiestrahlprojektoren?« »Ich habe nicht darauf geachtet.« »Du bist ein Trottel.« »Du tust mir unrecht, Thalia. Vergiß nicht, daß ich nur durch die Augen von Al tran-Visk sehen konnte. Ich nahm nur das wahr, was in seinem Blickfeld lag. Er inter essierte sich für solche Anlagen überhaupt nicht. Sie existierten noch nicht einmal in seiner Vorstellungswelt, und ich konnte ihn weder veranlassen, daran zu denken, noch sich nach ihnen umzusehen. Es war, als ob man einen Film sieht. Man erfaßt nur, was auf der Projektionswand erscheint. Oft wünscht man sich, etwas zu betrachten, was seitlich davon ist oder darüber, aber es ge lingt nicht, wenn sich die Kamera nicht dort hin wendet.« »Verzeih mir«, entgegnete sie. »Du hast recht. Außerdem hast du zu diesem Zeit punkt wahrscheinlich noch gar nicht daran gedacht, daß wir die Insel angreifen könn ten.« »Bestimmt nicht. Ich glaubte immer noch, daß Atlan einen anderen Weg zurück zum Festland kannte.« »Starte«, befahl sie. »Wir müssen es ver suchen. Ich werde nachdenken. Vielleicht fällt mir etwas ein, bis wir über der Insel sind.« Ich gehorchte. Knapp zwei Minuten spä ter hob die KNIEGEN ab. Auf einem der Bildschirme sah ich die Spitze eines Turmes aus Zweigen, Blättern und Blumen. Sie ragte über die Wipfel der Bäume hinaus. Rauch stieg aus dem Wald auf. Ich zweifelte nicht daran, daß der Nachfolger von Altran-Visk auf dem Weg zur Turmspitze war. Die Hitze
45 des Feuers trieb ihn nach oben. Ich beschleunigte, um mich so weit wie möglich von der Kultstätte der Teeken-Arvs zu entfernen. »Wir sollten Altran-Visk dankbar sein«, sagte Thalia. »Dankbar? Er hat mich ganz schön ge quält. Seine Arroganz war teilweise nicht zu ertragen.« »Dennoch sollten wir ihm dankbar sein. Wenn er dein Ich nicht an sich gerissen hät te, dann hätte ich nicht erfahren, daß Atlan auf der Insel ist.« »Was spielt das für eine Rolle?« fragte ich. »Das müßte dir doch klar sein. Wo hätte ich denn angreifen sollen? Woher hätte ich wissen sollen, wo ich Atlan suchen muß?« »Auf der Insel.« »Das wäre nur eine Vermutung gewesen. Jetzt ist er auf der Insel, und wir fliegen dorthin, weil wir das wissen. Er hätte aber ebensogut noch auf dem Festland oder ir gendwo auf der Brücke sein können.« Ich mußte ihr recht geben. Alles wäre dem blinden Zufall überlassen gewesen, wenn ich Atlan nicht auf so seltsame Weise so lange begleitet hätte. »Hoffen wir, daß wir noch rechtzeitig kommen«, sagte Thalia. Ich beschleunigte die KNIEGEN, denn plötzlich hatte ich das Gefühl, daß es auf Bruchteile von Sekunden ankam.
* Atlan machte sich keine Illusionen. Als der Teeken-Arv den Raum verlassen hatte, wußte er, daß Altran-Visk sterben würde. Und er war davon überzeugt, daß es ihm selbst nicht anders ergehen würde. Vergeblich suchte er nach einem Ausweg. Selbst das Goldene Vlies konnte ihm unter den gegebenen Umständen nichts mehr hel fen. Er sah nur noch eine winzige Möglich keit, den Robotern und Scuddamoren zu ent gehen. Er wollte versuchen, ins Freie zu
46 kommen, wenn man ihn zur Hinrichtung holte, und dann mit Hilfe des Goldenen Vlieses so hoch zu fliegen, daß die Roboter ihn mit ihren Armen nicht mehr erreichen konnten, und so niedrig, daß die Ortungs und Abwehranlagen, von deren Existenz er überzeugt war, ihn nicht erfaßten. Dabei war er sich darüber klar, daß die Chance, ins Freie zu kommen, äußerst gering war. Er wartete. Etwa fünf Minuten verstri chen. Dann öffnete sich die Tür erneut. At lan schwebte seitlich neben der Tür. Er war tete darauf, daß ein Roboter hereinkommen würde. Er wollte sich auf ihn stürzen. Doch dazu gab ihm der Automat keine Gelegen heit. »Komm heraus«, befahl die Maschine. »Ich denke gar nicht daran.« »Dann hole ich dich.« »Das steht dir frei.« Der Roboter kam herein. Es war eine ku gelförmige Maschine mit sechs vielgelenki gen Armen. Atlan stürzte sich auf sie und versuchte, sie umzukippen. Ein zweiter Ro boter packte ihn von hinten und riß ihn durch die Tür auf den Gang hinaus. Seine Versuche, sich aus den stählernen Klauen zu befreien, scheiterten. »Wohin bringt ihr mich?« fragte er keu chend. »Dorthin, wo dein Begleiter schon ist.« »Und wo ist das?« Atlan gab die Gegenwehr auf, während der Roboter ihn über einen langen Flur trug. »Die Müllverbrennungsanlage«, antwor tete die Maschine. Der Arkonide machte alle in ihm wohnen den Kräfte mobil. Wild und ungestüm kämpfte er gegen den Roboter. Er zweifelte nicht daran, daß dieser die Wahrheit gesagt hatte. Er warf sich in den Armen des Robots hin und her – und erreichte doch nichts. Die Maschine rollte aus. Eine Luke öffne te sich in der Wand. Die Vibrationen eines Hochleistungsbrenners wurden hörbar. Der Automat hob den Arkoniden hoch. Dieser spreizte die Beine und stemmte sie zu bei den Seiten der Luke gegen die Wand.
H. G. Francis Der andere Roboter glitt heran. »Gib auf«, befahl er. »Du kannst das En de nun nicht mehr abwenden.« Atlans Füße wichen nicht. Seine Muskeln spannten sich. Er kämpfte, obwohl er spürte, daß er nicht lange durchhalten würde. Da griff die zweite Maschine nach seinen Beinen und preßte sie zusammen. Atlan konnte nun nicht mehr verhindern, daß man ihn in die Öffnung schleuderte. Krachend schloß sich die Luke hinter ihm. Doch er stürzte nicht. Mit Hilfe des Goldenen Vlie ses hielt er sich. Glühend heiße Luft stieg ihm entgegen. Atlan glaubte bereits, eine winzige Über lebenschance zu haben, als sich stählerne Arme aus den Wänden hoben und sich um ihn legten. Mit unwiderstehlicher Gewalt schoben sie ihn in Richtung des Feuers.
* Die Insel kam in Sicht. »Kannst du andere Raumschiffe orten?« fragte Thalia. Ich beobachtete die Instrumente. »Nichts«, antwortete ich. »Noch reagiert man nicht auf uns.« Die KNIEGEN flog in einer Höhe von noch nicht einmal zweitausend Metern. Ra send schnell näherte sie sich der Insel. Ich erkannte bereits das Gebäude, in dem die Neu-Scuddamoren ihre Persönlichkeit er hielten. »Wo ist Atlan?« fragte Thalia, die weit unter mir im Schiff ebenfalls vor den Bild schirmen saß. »In welchem Gebäude ist er?« »Es muß jener grüne Bau sein, der wie ein senkrecht durchgeschnittenes Ei aussieht«, erwiderte ich. »Das dürfen wir auf keinen Fall angrei fen. Konzentriere dich auf den großen Ka sten rechts davon. Warte nicht. Schieß!« Ihre Stimme überschlug sich vor Erre gung. Die Tochter Odins wußte, wie gering unsere Chancen waren, Atlan herauszuho len. Ganz anders wäre es gewesen, wenn wir ein Landekommando gehabt hätten. So
Insel des Neubeginns konnten wir nicht mehr tun, als auf einige der Bauten zu schießen. Alles andere blieb dem Zufall überlassen. Dabei standen wir auch noch unter Zeit druck. Ich löste einen der Energiestrahler aus. Das hochenergetische Lichtbündel schoß so schnell aus dem Projektor ins Ziel, daß ich noch nicht einmal einen Blitz sah. Im näch sten Moment zerriß eine Explosion das Ge bäude. Während ich die KNIEGEN stoppte und über der Insel schweben ließ, stieg Feu er aus der Explosionsstelle. Blitze schlugen auf andere Bauten über und zerrissen sie. Ich zielte auf die Kuppelspitze des Gebäudes, in dem ich Atlan vermutete. Es war jener Bau, in dem Altran-Visk verbrannt worden war. Ich ging davon aus, daß dem Arkoniden das gleiche Schicksal bestimmt war. Die Spitze des Gebäudes platzte förmlich auseinander. Ein Riß bildete sich, der bis in die Grund mauern herabreichte. »Sei vorsichtig«, rief Thalia. »Du darfst ihn nicht umbringen.« »Ich muß eingreifen«, erklärte ich. »Wir haben keine andere Wahl. Was hilft es At lan, wenn wir Ziele treffen, die weit von ihm entfernt sind? Er hat nur eine Chance, wenn wir sein Gefängnis sprengen.« Sie schwieg. Daraus schloß ich, daß sie mir recht gab. Ich schoß noch einmal und erzielte einen Volltreffer. Ein Energieaggregat explodierte, und das seltsam geformte Haus sank in Trümmer. Ich hielt den Atem an. Das hatte ich nicht erreichen wollen. Jetzt bestand die Gefahr, daß der Arkonide unter den Trümmern begraben wurde. »Gibt es Ortungen?« fragte Thalia mit stockender Stimme. Siedendheiß wurde mir bewußt, daß ich die Ortungsschirme schon lange nicht mehr beobachtet hatte. Ich wandte mich ihnen zu. »Sieben«, erwiderte ich bestürzt. »Sieben Raumschiffe nähern sich uns. Sie befinden sich im Orbit, aber ihr Kurs ist eindeutig. Sie werden in wenigen Minuten hier sein.«
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* Eine krachende Explosion erschütterte die Röhre, in der sich Atlan befand. Die Stahlar me kamen zum Stillstand. Glühend heiße Luft strich über ihn hin weg. Er warf sich ruckartig zur Seite. Einer der Arme löste sich, während der andere sich noch tiefer in das Goldene Vlies grub. Atlan schob eine Hand über die Schulter und zerrte an dem Haken, bis dieser ihn frei gab. Er schob sich an den Metallarmen vorbei. Dann raste er in der Röhre nach oben. Er kreuzte die Arme über dem Kopf und prallte wuchtig gegen die Verschlußluke. Er hatte das Gefühl, daß etwas in ihm zerbrach. Ein Fremdkörper schien sich ihm in die Wirbel säule zu bohren. Dann plötzlich gab die Lu ke nach und sprang auf. Atlan zog sich durch die Öffnung. Er at mete die kühle Luft ein. Wenige Meter von ihm entfernt befand sich ein Fenster. Durch dieses sah er ein Raumschiff, das über der Insel schwebte. Im gleichen Augenblick, als er erkannte, daß es die KNIEGEN war, blitzte es bei dem Raumschiff auf. Ein Energiestrahl bohrte sich hoch über ihm in das Gebäude. Eine Explosion riß die Decke auf. Instinktiv schnellte sich der Arkonide zur Seite. Er be schleunigte und raste auf ein anderes Fenster zu, daß etwa zwanzig Meter von ihm ent fernt war. Während er sich diesem näherte, zerbarst das andere, durch das er die KNIEGEN ge sehen hatte, und die Decke stürzte ein. Er blickte zurück und erkannte, daß er rettungs los verloren gewesen wäre, wenn er an die ser Stelle geblieben wäre. Er warf sich gegen das Fenster. Es zer brach unter der Wucht des Aufpralls. Atlan rettete sich ins Freie. Er wandte sich um und sah, daß das Ge bäude in sich zusammenstürzte. »Du bist ein wenig zu eifrig gewesen,
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H. G. Francis
Dorkan Moht«, sagte er erschrocken. Er flüchtete vor den herabfallenden Trüm mern. Noch zögerte er, in die Höhe zu steigen, weil er fürchtete, von den Robotern beschos sen zu werden, die überall aus den Gebäuden kamen. Dann aber entdeckte er mehrere dunkle Punkte am Himmel, die sich der KNIEGEN rasch näherten. Er begriff, daß er keine Sekunde zu ver schenken hatte. Stark beschleunigend stieg er auf. Er hoffte, daß Dorkan Moht oder Thalia ihn bemerkten. Als er sich dem Raumschiff bis auf etwa fünfzig Meter genähert hatte, beobachtete er, daß sich eine Schleuse öffnete. Er beschleu nigte, und Sekunden darauf schloß sich ein Schott hinter ihm. »Das wird aber auch Zeit«, hallte die Stimme Dorkan Mohts aus den Lautspre chern. »Sieben schwere Einheiten befinden sich im Anflug auf uns. Länger hätten wir nicht warten dürfen.« Das Innenschott glitt zur Seite. Der Arko nide sah Thalia, die erleichtert lächelnd auf ihn wartete. »Dieses Mal habe ich gedacht, du schaffst es nicht«, sagte sie. Er legte den Arm um sie und eilte mit ihr zurück in die Zentrale. Hier sahen sie die an greifenden Organschiffe Chirmor Flogs auf den Bild und Ortungsschirmen. »Mir ist unbegreiflich, wie ihr mich habt finden können«, sagte der Unsterbliche, während die KNIEGEN sich mit schnell
wachsender Geschwindigkeit von der Insel entfernte. Dorkan Moht legte einen geradezu toll kühnen Kurs an. Er floh nicht vor den an greifenden Raumschiffen her, sondern raste ihnen entgegen. Damit hatten die Besatzun gen der Angreifer nicht gerechnet. Sie feuer ten überhastet und verfehlten die KNIE GEN. Diese schoß an ihnen vorbei und ent fernte sich so rasch von ihnen, daß sie längst außer Reichweite war, als die nächsten Schüsse fielen. »Sie müßten begriffen haben, daß sie uns nicht mehr einholen können«, sagte Atlan, als Dorkan Moht die Entfernungszahlen ein blendete. »Sie sollten aufgeben.« Die KNIEGEN erreichte den Weltraum und entfernte sich von Mogteeken-Arv. »Mir hat noch immer keiner gesagt, wie ihr mich gefunden habt«, bemerkte der Ar konide und blickte Thalia forschend an. »Das kann doch nicht alles Zufall gewesen sein.« »War es auch nicht«, erwiderte sie lä chelnd. »Dorkan Moht hat die KNIEGEN verlassen und dich begleitet. Du willst doch wohl nicht behaupten, daß du das nicht be merkt hast?« Sie lachte silberhell auf, als sie das Ge sicht Atlans sah. Noch nie zuvor hatte sie ihn so verblüfft erlebt.
ENDE
Weiter geht es in Atlan Band 414 von König von Atlantis mit: Ruf der höheren Welten von Horst Hoffmann