Jenseits des schwarzen Planeten Von Axel Nord
Der Sirianer stieg aus. Er trug einen roten Wulstpanzer, wie ihn auch di...
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Jenseits des schwarzen Planeten Von Axel Nord
Der Sirianer stieg aus. Er trug einen roten Wulstpanzer, wie ihn auch die Raumflieger jenes fernen Planeten zu verwenden pflegten, der Erde genannt wurde; aber Turran war sicher nicht gewohnt, sich in einem solchen Gebilde zu bewegen. Immerhin, er war eben als erster hier gelandet. Vor ihm dehnte es sich dunkel und endlos. In Fon würde jetzt das silbrige Licht des Zentralgestirns über Kanäle und Gärten fließen, aber dorthin kehrte er wahrscheinlich nie wieder zurück. Turran hatte sich den Wulstpanzer selbst gebaut für diesen Flug zu einer erloschenen Hölle, den vor ihm noch keiner wagte. Keiner. Die berühmtesten Raumflieger der Sirianer nicht. Vor ihm war nun diese Hölle. Sie sprang ihn nicht an, um ihn zu verschlingen, sie begehrte nicht auf, um ihn zu verjagen. Vor undenklichen Sternenzeiten war sie sicher ein rasender Flammenball gewesen wie alle anderen; was von ihr blieb, hatte Turran erreicht. Sein rechter Fuß berührte graues, lockeres Gestein, das gleich zerbrach. Vorsichtig setzte er auch den anderen auf. Wieder überkam ihn das Empfinden, er würde einbrechen. Aber dann stand er still – und unsagbar ergriffen, – faßte sich wieder – und wandte sich dem Raumschiff zu, das groß und halbkugelförmig hinter ihm aufragte. Er stieß mit der rechten Griffklaue energisch gegen die vorstehende Plattform, von der aus er heruntergestiegen war. Sie glitt in die Halbkugel zurück 3
und schloß sie. Gleich darauf sah man eine Gestalt in diese mörderische Dunkelheit und Endlosigkeit hineingehen. Turran begann seinen großen Marsch. * Das Leuchten über Fon verging. Commander Fritz Wernicke – klein wie ein Jockei und waghalsig wie alle tollkühnen Versuchsflieger der Testcorps zusammen, harmlos und jungenhaft, und dabei viel klüger als die meisten annahmen – war noch immer begeistert von der Schönheit der sirianischen Länder und der Süße ihrer Weine. Aber als sie heute in der herabsinkenden Dämmerung über einen der wichtigsten Kanäle glitten, seufzte er herzbewegend auf. Er seufzte auch gleich zum zweitenmal, als Jim Parker nicht reagierte, sondern spielerisch die Hebel des grünen ovalen Bootes bediente. „Ein Paradies zu genießen, wirkt auf die Dauer ermüdend.“ „Weise gesprochen, Knabe!“ „Die schönsten Blumen des Paradieses verschließen sich dem, der sich an ihnen erfreuen will“, fuhr Fritz Wernicke bekümmert fort. „Du tust mir in tiefster Seele leid“, grinste der Kommodore und machte mit dem rechten Arm das Grußzeichen zu einem der Boote hin, die an ihnen vorbeiglitten. Die vier Sirianer, die in ihm saßen, verneigten sich sehr tief und lächelten freundschaftlich. Es waren hohe Beamte des „Sohn des Sirius“; zwei von ihnen hatten eine Stirnhaut, die im Gegensatz zu der ihres Gesichtes, schwarz war. Jim sah ihnen nach. Ihr Boot schien das dunkler werdende Wasser kaum zu berühren. Traumhaft war es, wie sie in den Schatten verschwanden, die vom verdämmernden Himmel herab gesponnen wurden. 4
Sirius! „Du tust mir wirklich leid, Fritz!“ „Wie ich mir selber leid tue, kann ich dir gar nicht sagen!“ „Hm – wie vielen von den schönsten Blumen des Paradieses hast du dich denn genähert?“ „Erwartest du von einem Erfolglosen, daß er Tagebuch führt?“ sagte Wernicke ziemlich kleinlaut und suchte die Falten seines grünen Gewandes ab, das er hier tragen mußte. Wernicke liebte keine Gewänder ohne Taschen, in die man nicht einmal anständige Flaschen stecken konnte. Jim zeigte auf eine Ledermappe, die zwischen ihnen stand. „Vier New Yorker Edelsterne sind noch drin.“ „Das genügt für heute abend“, atmete der geplagte Commander erleichtert auf und nahm hastig die Mappe an sich. „Also, Mondrakete, die Sirianerinnen sind unnahbar, und ich habe die Nase voll.“ „Na ja, in einem Jahr wirst du dir mal wieder was anderes ansehen können.“ „Von mir aus könnten wir morgen bereits starten“, wagte Wernicke einen ersten Vorstoß in Richtung heimatliche Gefilde. „Was hält uns hier eigentlich noch? Sira hat seine alten Rechte wieder erhalten. Wir können auf Ars einen Stützpunkt für die ‚O. A.’ einrichten. Wir beide brauchen doch nicht ewig hierzubleiben.“ Jim steuerte das Boot in einen Kanal hinein, der in die Nähe des Regierungsrunds führte. Wernicke wartete vergebens auf eine Antwort. Um den harten Mund des Kommodores lag ein leichtes Lächeln, aber er konnte es nicht deuten. „Wir sind hier noch nicht fertig, mein Junge!“ Das war alles. Wernicke seufzte wieder, aber er verwahrte seine Sehnsucht still im Busen. „Wo willst du hin?“ „Zu Xa!“ 5
„Natürlich! Wieder stundenlang philosophische Gespräche über die Einheit des Universums und solchen Unsinn. Prost!“ „Prost! Du kannst beruhigt sein! Xa hat mich vorhin rufen lassen!“ Wernicke ließ die Flasche sinken. Sein Jungengesicht wurde sehr ernst und sehr aufmerksam. „Ach, und das erfahre ich so nebenbei?“ „Nimm es mir nicht übel, Fritz. Es ging nicht anders.“ * Der Gelehrte stand vor einer weißen Wand. Nach irdischer Zeitrechnung waren neun Wochen vergangen, seit sie dem großen sirianischen Reich sein rechtmäßiges Staatsoberhaupt zurückgegeben hatten.* Nun konnte er sich wieder seinen geliebten Wissenschaften widmen. Die leuchtenden Scheiben hatte er auf ihren säulenartigen Ständern so gestellt, daß sie die Wand voll anstrahlten. Hoch grenzte sie den Studierraum zum Kanal hin ab, doch sie hatte keine Fenster – sie zeigte die Darstellung des sirianischen Sonnensystems. Welch eine Welt tat sich vor ihm auf! Sirius war eine Doppelsonne, aber nur einer der beiden Feuerbälle, deren Größenunterschied wesentlich bedeutender war, als die Astronomen auf der fernen Erde bisher angenommen hatten, war für die Sirianer wichtig. Er war der Quell des Lebens auf den sirianischen Planeten und bestimmte den Rhythmus ihres ganzen Daseins. Der andere beschrieb eine Bahn, die ihn nur einmal am Himmel über Fon stehen ließ, wenn das große Zentralgestirn zum siebenten Male einen Jahresablauf beschrieb. * siehe UTOPIA-Kleinband Nr. 70 „Die Stadt der Sirianer"
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Sirius! Sechzehn mittlere und große Planeten kreisten in dieser Welt, von denen immer zwei nicht viel weiter voneinander entfernt waren als Erde und Mond. Zwischen ihnen bewegten sich noch ein paar kleinere Weltkörper. Die Ausdehnung des sirianischen Systems war nicht ganz so groß wie die des Systems Sol. Dafür barg es mehr Geheimnisse. Da war ein Doppelplanet, der weit von allen anderen entfernt seine Bahn zog. In ewiger Dämmerung und eingesponnen in Mythen, die schauernde Sirianer um ihn schlangen. Geister sollten auf ihm hausen, körperlose Schattenwesen. Es gab sie. Xa kannte sie, es waren seine Freunde. Vor vielen Sonnenumläufen war er einmal auf einem der beiden Planeten, Schattenplaneten nannte man sie oder auch Planeten der erloschenen Sonne, gewesen, und hatte sich davon überzeugt, daß man sie mit Recht so nannte. Von ihnen aus konnte man weit im All einen Weltkörper beobachten. Eine erloschene Sonne, die nicht zum sirianischen System gehörte, die in sehr großen Zeitabständen aus der Tiefe des interstellaren Raums auftauchte und dann für einige größere Zeitwerte zu sehen war. * Xa nickte. Er verglich noch einmal mit den Zahlen auf seiner Schreibrolle und machte mit der linken Hand eine Geste, die die Erdenmenschen von allen sirianischen am schwersten deuten konnten. Sie gab ein Empfinden zwischen Befriedigung und Skepsis wieder. 7
Dann wandte er sich von der weißen Wand ab, ließ aber die leuchtenden Scheiben in ihrer Stellung und fuhr sich über sein langes, graues Haar, das eine braune, federleichte Schnalle auf dem Rücken zusammenhielt, als eine ältere Sirianerin eintrat. Gleich hinter ihr kreuzten Jim Parker und Fritz Wernicke auf. „Ich grüße euch, meine Freunde“, sagte Xa freundlich und reichte ihnen die Hand, wie er es von den Erdenmenschen gelernt hatte. „Ich warte noch auf Lonn. Habt ihr das ‚Erste Licht’ genossen?“ „Wie alle anderen ‚Ersten Lichte’“, erwiderte Wernicke ziemlich sauer-süß und sah mißtrauisch zur weißen Wand hin. „Euer sirianisches Reich ist bezaubernd, es ist wunderbar, es ist einmalig, es ist voller süßer Säfte und schöner Frauen, oh, großer Freund, wenn …“ Jim Parker stieß ihn verstohlen an und schüttelte Xa die Hand. „Euer Bote sagte mir nichts von Euren Sorgen, Xa.“ „Die erloschene Sonne nähert sich wieder dem schwarzen Planeten. Ihre Blicke trafen sich. In den engbeieinanderstehenden Augen flackerte ein untergründiges Lächeln. „Ich hörte von jener Sonne“, sagte der Kommodore langsam. „Kann man zu ihr gelangen?“ „Warum nicht? In einem eurer Anzüge, in denen man atmen kann.“ „Das wäre noch was, Fritz!“ Wernicke vergaß nicht auf Anhieb, daß er sich mit allen Fasern seines Herzens zur Erde zurücksehnte, aber er hörte doch, daß von einem Weltkörper gesprochen wurde, den anzufliegen sich lohnen würde. Automatisch schnippte er mit den Fingern. „Okay, wann fliegen wir los?“ „Xa?“ „Die erloschene Sonne wird von den Lehrern der Schule für 8
Himmelswissenschaften beobachtet. Ihr wißt, meine Freunde, daß uns ihre Natur völlig unbekannt ist. Ich habe meinen jungen, früheren Schüler Lonn gebeten, mir einen genauen Bericht über die augenblicklichen physischen Verhältnisse auf der Sonne zu geben.“ Und nach einer kurzen Pause: „Wir müssen auch mit den Schattenwesen rechnen.“ Fritz Wernicke stellte sich so, daß Xa ihn nicht sehen konnte. Er hatte wieder einen Durst für drei und sein New Yorker Edelstern war auf zwei Flaschen zusammengesunken. „Die Schattenwesen scheinen mir die Ebenen der schwarzen Sonne am besten zu kennen.“ „Dann nehmen wir sie mit“, sagte Wernicke so nebenbei. „Als Führer oder so.“ Xa sah ihn nachdenklich an. * Jen las es zum drittenmal. Sie stand, sehr schlank und auch für irdische Begriffe sehr schön und rassig, vor einem tischartigen Gestell aus weißen und roten Matten und las etwas von einer Schreibrolle ab. Jen war Helferin in einem der vier großen Spitäler von Fon. Sie liebte Turran, und was er mit dem hellen Farbstift in kleinen kreisförmigen Schriftzeichen auf die Schreibrolle geschrieben hatte, war für Jen so fürchterlich, daß sie es einfach nicht begreifen konnte. „Ihr müßt mich verstehen, Jen“, schrieb Turran. „Sie trauen mir in der Schule für Himmelswissenschaften nicht zu, etwas Außergewöhnliches zu leisten. Ich werde ihnen aber zeigen, wer Turran ist! Denke an die Geheimnisse der erloschenen Sonne!“ Das konnte nur bedeuten … Jen begriff nun schlagartig. Die Schreibrolle fiel aus ihren Händen auf die rotglänzende Platte, die vor ihren Augen krei9
ste. Jen versuchte, sich mit den Händen gegen dieses Kreisen zu stemmen, aber es war sinnlos. Das Entsetzen ließ sie taumeln. Aber dann stand sie wieder regungslos und starrte auf die gelbliche Falttür, durch die Lonn eintrat. Lonn war ein prächtiger Bursche, er war wesentlich breiter als die meisten Sirianer, und auch sein Gesicht war voller und härter. Vielleicht wunderte er sich, daß er das Mädchen in Turrans Wohnung hier im Gemeinschaftshaus der Lehrer antraf, aber schließlich wußte er, wie es um die beiden stand. „Ich soll zu Xa, Jen! Ist Turran schon zurück?“ Sie antwortete nicht; nur ihr Blick glitt wieder zu der Schreibrolle. Lonn stutzte und nahm das leichte Ding auf. Er las es und wurde blaß. Aber seine Hände ließen die Schreibrolle nicht zurückfallen, er warf sie mit einer zornigen Geste auf die rote Matte. „Turran ist ein Narr!“ Jen wollte es nicht glauben. „Aber das Direktorium sagte mir doch, die Schule habe ihn mit einem Beobachtungsflug zum Planeten Ars geschickt.“ Lonn ging um das Mattengestell herum und legte seine Hand auf ihre Schulter. Sie zuckte unter der Berührung zusammen, ohne daß es ihr selbst bewußt wurde. Lonn las es noch einmal durch und schüttelte den Kopf. „Es stimmt auch, Jen, Turran ist seit sechs Lichtdurchgängen unterwegs. Ich kann mir nur denken, daß er von Ars aus mit einem Raumschiff zu diesem unseligen Todesflug gestartet ist; er muß es in aller Stille vorbereitet haben.“ Jen hörte nur ein Wort: Todesflug. „Nein, Lonn, nein, nur das nicht!“ unterbrach sie ihn heftig. „Wenn er wirklich zur schwarzen Sonne geflogen ist, müssen wir ihm helfen.“ 10
Seine Hand glitt von ihrer Schulter. „Ich werde mit Xa reden.“ * Eine Stunde später. Gut 45 Millionen Meilen, immer nach den Maßstäben der Erdenmenschen, von ihnen entfernt, bewegte sich der Doppelplanet Ars um das Zentralgestirn. Ars-Fon hieß seine größte Stadt. In ihrer unmittelbaren Nähe, sie war nicht so lieblich und heiter wie das eigentliche Fon, wurde in einer weiten, von niedrigen Bergen umgebenen Mulde der Stützpunkt der neuen Organisation Jim Parkers, der „Organisation Andromeda“, förmlich aus dem Boden gestampft. 74 Männer von der fernen Erde waren hier an der Arbeit. Sie wohnten noch in Zelten, was bei dem milden Klima der sirianischen Innenplaneten allerdings kein Problem war, hatten aber bereits ein tankartiges, achtzig Meter hohes, rundes Gebäude errichtet, das nichts anderes war als die Befehlszentrale, von der aus der Befehlshaber des Stützpunktes sowohl mit dem „I. Geschwader Andromeda“, das, mit seinen sechs interstellaren Raumschiffen einige Meilen entfernt, in einem sirianischen Raumhafen lag, wie auch mit Jim Parker in Fon verkehren konnte. Captain Magnus Brown war der Befehlshaber. Er stammte aus den Reihen derer, die unter Jim Parker erst Raumflieger von Format wurden und sich ihm dann ganz verschrieben hatten. Brown wurde in den langen TV-Raum gerufen, dessen Stirnseite ein riesiger Bildschirm einnahm. Neben dem Bildschirm war eine senkrechte Skala, auf der zwei rote Quadrate aufleuchteten. Auf dem Bildschirm sah Brown den Kommodore mit Werni11
cke und Xa im Studierraum des Gelehrten in Fon. Ein zweiter Sirianer, den er nicht kannte, stand neben ihnen. Brown trat an ein Mikrophon, meldete sich und stellte auf Gegenempfang. Jim grüßte kurz. „Brown, ich bitte Sie, der Unterhaltung aufmerksam zu folgen, die wir hier jetzt führen werden. Merken Sie sich alle Einzelheiten genau, es geht um die schwarze Sonne! Vielleicht werden Sie in den nächsten Wochen dorthin fliegen müssen!“ Der Captain hatte noch nie von der schwarzen Sonne gehört, er nickte nur. „Okay, Kommodore!“ * „Turran ist also dort?“ Lonn, der zweite Sirianer im Studierraum des Gelehrten, nahm einen herzhaften Schluck von dem New Yorker Edelstern, den Wernicke ihm gereicht hatte, und machte das Zeichen der Bejahung. „Ich nehme an, er ist allein zur schwarzen Sonne geflogen.“ „Mit welchem Raumschiff?“ drängte der Kommodore. „Es gibt auf jedem unserer Planeten Raumschiffe, die den Mitarbeitern der Schulen für Himmelswissenschaften ohne weiteres zur Verfügung stehen.“ „Wenn er nicht zufällig eine ordentliche Funkanlage an Bord hat, finden wir ihn nicht“, warf Wernicke besorgt ein. Auch Jim Parker konnte man ansehen, daß er von Turrans Abenteuerlust nicht hundertprozentig begeistert war. „Der Junge hat Schneid“, gab er zu, „aber man fliegt nicht allein in eine Hölle; verdammt, wenn man das nicht nötig hat.“ Er selber hatte es schon oft nötig gehabt. Xa ließ sich auf die große, braune Matte nieder, die eine andere Wand einnahm. Draußen war es dunkel geworden. Der 12
Himmel war ausgesternt. Aber es war ein fremder Himmel, und die Sternbilder, die er zeigte, waren den Erdenmenschen unbekannt. Jim und Wernicke setzten sich neben ihn. Lonn blieb an der Wand stehen, auf das Planetensystem dargestellt war. Der scharfe Schein der leuchtenden Scheiben fiel voll auf sein Gesicht. Jim Parker mußte immer wieder zu ihm hinsehen, er wurde irgendwie nicht klug aus ihm. „Die schwarze Sonne ist kaum größer als unser Planet“, begann der Gelehrte, und seine Hände spielten mit einer farblosen, geleeartigen Kapsel, die die Sirianer in den Mund zu stecken pflegten, wenn sie physisch erschöpft waren; er spielte aber nur mit ihr. „Sie ist aber, das wird mir Lonn bestätigen, nichts als eine Wüstenei, endlos, unbekannt. Und doch nicht ohne Leben, ohne gespenstisches irreales Leben.“ „Die Schattenwesen?“ „Ich nehme an, daß ihr Schicksal irgendwie mit dem des Sterns zusammenhängt, den wir erforschen wollen. Wie dieser werden auch sie eine Vergangenheit haben, die weit zurückreichen wird. Wenn ich behaupte, sie zu meinen Freunden zählen zu können, so stimmt es, Freund Parker, doch ist diese Freundschaft nie über jene hinausgegangen, die Mensch und Tier zu verbinden pflegt. Ich weiß ebensowenig wie alle anderen Sirianer, wer diese Schattenwesen eigentlich sind; nur, daß ich wohl der einzige bin, der bisher näher an sie herankam.“ Die Kapsel wurde jetzt in den Mund gesteckt. Im Hof flötete plötzlich einer der weißen Nachtvögel, die klein und putzig die Dunkelheit belebten, so laut und so voll auf, daß Wernicke ordentlich zusammenzuckte. Dann hörten sie das Flöten hoch über dem Haus vergehen. Lonn stand noch immer regungslos, aber er hörte aufmerksam zu. 13
„Ich lebte einmal, nachdem ich auf den Schulen mein Wissen formte, für einen großen Sonnenumlauf auf dem roten Wüstenplaneten, den ihr kennt. In einer Morgendämmerung erhielt ich einen Besuch, der mir so unheimlich erschien, daß ich fliehen wollte. Es war gut, daß mein Geist die Reaktion meines Körpers überwand. Meine Besucher taten mir nichts; es waren Wesen, die irgendwann einmal ihre körperliche Gestalt verloren haben mußten, Parker, wir beide, und Sira wissen, wie das ist.“ Jim nickte ernst. „Sie waren nichts als nebelhafte Gebilde. Dreimal kamen sie in meine Nähe. Dann nicht mehr. Später, als ich vor dem großen König fliehen mußte, beschützten sie mich vor seinen fliegenden Riesen. Doch menschlich bin ich ihnen nie nähergekommen – auch nicht, als ich einmal zum schwarzen Planeten hinüberflog und sie auch dort sah.“ Lonn trat vor; er ging an der braunen Matte vorbei, gab die Flasche lächelnd an Wernicke zurück und setzte sich neben ihn. „Wie verhielten sie sich denn?“ „Sie duldeten meine Anwesenheit, doch sie gaben mir zu verstehen, daß ich mich bald entfernen sollte.“ „Auf welche Weise?“ Xa sah wieder auf Wernicke, ging aber nicht darauf ein, sondern wechselte plötzlich das Thema. „Wir müssen also damit rechnen, daß die Schattenwesen auch die schwarze Sonne mehr oder weniger beherrschen und die Anwesenheit von körpergebundenen Wesen nicht gern sehen.“ „Bedauerlich für Turran“, murmelte Wernicke. „Hinzu kommt noch eines“, fuhr die ruhige Stimme des Gelehrten fort, „aber das, meine Freunde, wird euch Lonn auseinandersetzen.“ Lonn nahm nun auch eine der Kapseln. „Ihr habt sicher bereits von dem weisen Xa erfahren, daß es sich bei dem Stern um eine erloschene Sonne handelt, um einen 14
Weltkörper also, der früher einmal wie jeder andere seine Materie in Strahlungsenergie umwandelte und in den Weltraum schleuderte – wir wissen nicht, ob diese Ausbrüche für immer verstummt sind.“ „Es wird dort sehr heiß sein!“ „Stellt euch einen Abstand von unserem Zentralgestirn bis auf eine Entfernung vor, die ihr mit 500 Millionen Meilen bezeichnet.“ „Das wäre zu ertragen“, erwiderte Jim lächelnd. „Ihr nehmt also an, daß mit weiteren Ausbrüchen zu rechnen ist?“ „Die Schule für Himmelswissenschaften hat solche seit hunderten von Sonnenumläufen in unregelmäßigen Abständen beobachtet! Ausbrüche kleinerer und größerer Art. Trotzdem: Wer die Furcht aus seinem Herzen zu bannen weiß, kann es wagen –“ „Xa – wir wagen es!“ „Ich werde euch begleiten“, sagte Lonn rasch. * Lonn verabschiedete sich dann. Er war äußerlich so ruhig, wie man es von einem Kerl seiner Statur erwartete – doch er war es nur äußerlich. Mit seinem Boot fuhr er durch die Nacht, die warm und lau Fon einhüllte und voller leiser Stimmen und dem Seufzen eines leichten Windes war, der von den nahen Hügeln herunterstrich. Lonn tat etwas, was in Fon nicht selten geschah. Er lenkte sein Boot in einen ruhigen Seitenkanal und in das dichte gelbe Schilf in der Böschung. Dann legte er sich lang und schlief gleich ein. Er schlief aber sehr unruhig. Turran, der mutige, der leichtfertige trat aus der Nacht heraus. Sein Gesicht war gezeichnet von großen Strapazen. Wie er so durch die Einsamkeit dieser trostlosen Ebene ging, die plötz15
lich auch um Lonn war, sah man gleich, daß Turran ziemlich fertig war. Aber du hast doch dein Raumschiff, Turran; warum marschierst du nicht wieder zurück und reißt den Kasten hoch? Oder – Turran – hast du kein Raumschiff mehr? Lonn lag auf dem Rücken und schien in das Milliardenheer der Sterne zu blicken, aber er wälzte sich unruhig, und er sah nicht die Sterne, er sah Turran, nur sein Gesicht, dann nur seine Hände, die frei und nackt waren und bluteten. „Turran – Turran – was soll das?“ Turran marschierte? Ach, er stolperte nur. War dann nicht mehr da. Lonn schreckte auf und sah nun wirklich die Sterne. Er schlief aber nach wenigen Herzschlägen wieder ein – und wieder kam Turran – Wirklich – seine Hände bluteten und – Er blieb plötzlich wie angewurzelt stehen, sah sich um und begann dann zu rennen – angestrengt – mit weitaufgerissenen Augen – Nebelhafte Gebilde kamen hinter ihm. Schattenwesen? Turran schrie. Lonn sah es ihm an, aber er konnte es nicht hören. Dann waren wieder die Sterne da. Und das Seufzen der guten und warmen Nacht, in die sich die Getreidefelder zu schmiegen schienen, die rechts von Lonn aufwogten. Er strich sich fiebernd über die Stirn. Taumelte gequält hoch Ohne daß er es recht wußte, tauchten seine Hände in das kühle Wasser. Das tat gut. Turran – wenn du umgekommen bist. Ein Feuer brannte in Lonns Brust auf, aber es war nicht so, daß ihn Turrans Not und sein Entsetzen sehr erschütterten. Er würde das tun, was man von ihm als Lehrer der Schule für Himmelswissenschaften erwartete. Seine Gedanken aber gingen zu Jen. 16
* Turran lebte noch. Er schrie wirklich, und er hatte auch allen Grund dazu, denn was hinter ihm war, geisterte in grotesken, langen Nebelstreifen gegen den schwarzen Himmel, den keine Spur von atembarer Luft verzauberte. Turran wußte nicht, wo er sich befand. In der Hölle war er – das wußte er – Die Nebelstreifen lebten. Sie glitten schemenhaft über das graue, rissige Gestein hinter der rennenden und keuchenden und schreienden Kreatur her, die Turran hieß. Immer weiter entfernte er sich von seinem Raumschiff. Immer weiter – Turran sah sich nicht um, er starrte nur auf den steinigen Boden, der mit unzähligen kleinen Rissen übersät war, der aussah, als wäre er bei einer plötzlichen Abkühlung gesprungen. Mehr sah Turran nicht. Wenn er sich doch noch umgesehen hätte zu den scheußlichen Gebilden, die körperlos waren und doch lebten und ihn wahrnehmen mußten und ihn fangen wollten, wäre ihm vielleicht etwas aufgefallen. Sie hielten immer den gleichen Abstand zu dem Fliehenden. Turran aber sah das nicht. Sein Blut kreiste ihm wild im Schädel und dröhnte und trommelte in den Schläfen. Aus dem Kreisen entstand ein Gesicht, das vor ihm war – es war Jens, nach dem er sich so sehnte. Aber dann war es nicht mehr. Er spürte, daß sich unter ihm der Boden schräg wegneigte, immer steiler abfiel – dann auch nicht mehr war – Turran fiel zehn Meter tief in eine Mulde. Drehte sich im Fallen so, daß er mit dem Rücken auf17
schlug. Wußte dann nichts mehr. Sah auch nicht die Nebelgebilde, die oben am Muldenrand auftauchten, sich unsagbar komisch und unsagbar unheimlich in einem bestimmten Rhythmus vornüberneigten und sich wieder zurückbeugten und sich dann noch einmal vorwärts neigten, als wollten sie sich auf ihn stürzen. Dann zogen sie sich aber doch vom Muldenrand zurück. Turran lag auf dem Boden, der heiß war – er stöhnte – Nach Stunden wachte er auf. Lange lag er so. Konnte an nichts denken als nur daran, daß er durstig war. Dann wälzte er sich schließlich herum. Er begann auf allen Vieren auf den fernen Muldenrand zuzukriechen. * „Hallo, Brown!“ Captain Magnus Brown stand wieder vor dem Bildschirm im langgestreckten TV-Raum von Ars-Fon. Jim Parker sprach mit ihm. Der Kommodore trug bereits seine Wulstkombination. Er hielt eine Skizze in der Hand, die er selber ziemlich roh nach den Angaben von Lonn gezeichnet hatte. Er hielt sie so, daß Brown sie gut sehen konnte. „Hier ungefähr werden wir landen.“ „Ich zeichne ab, Kommodore!“ sagte der Captain und zog einen Block hervor. Flüchtig glitt sein Druckblei über das harte Papier. Die Stelle, die sie zur Landung vorgesehen hatten, markierte er. „Okay! Ich verstehe, Kommodore!“ „Wenn ich Sie über TTC rufe, folgen Sie uns mit drei Raumschiffen!“ „Und – wenn Sie nicht rufen?“ fragte Brown etwas besorgt – die Sache mit der erloschenen Sonne gefiel ihm ganz und gar 18
nicht. Jims helle Augen waren minutenlang nachdenklich auf ihn gerichtet. Dann nickte er. „Machen wir es so, Brown: Wenn ich nicht vorher über TTC durchrufe, folgen Sie in zehn Tagen!“ „Ist die Zeitspanne nicht zu groß, Kommodore? In ihr kann allerhand passieren und …“ „Es bleibt dabei, Brown!“ unterbrach ihn Jim ruhig. Er verabschiedete sich. Brown blieb gleich vor dem Bildschirm, auf dem nach wenigen Minuten zu sehen war, wie ein sirianisches Raumschiff – ein schwerfälliges halbkugeliges Gebilde – über dem Wohnsitz von Xa verhielt, wie fünf Männer – Jim Parker, Fritz Wernicke, Xa, Lonn und ein weiterer Himmelskundiger mit Namen Vrenn – über eine Art Strickleiter an Bord kletterten. Das sah so harmlos aus wie vor dem Beginn eines sonntäglichen Spazierfluges, und es sollte doch durch die Abgründe des Weltalls gehen. Brown sah sich das mit zusammengekniffenen Augen an. Nein – es gefiel ihm ganz und gar nicht. Als das Raumschiff in der Helle des hohen, sonnenerfüllten Tages aus dem fernen Fon lautlos und spielzeughaft aufstieg, schaltete er impulsiv das Bild ab und trank drei anständige Gins. Dann fuhr er hinaus zum Geschwader. Die Offiziere traten an. „In spätestens zehn Tagen, meine Herren …“ * Auch Jen sah das Raumschiff starten. Es war an sich nicht ungewöhnlich, daß ein Sirianer vom Rund aus, auf dem sein Haus lag, eine Reise in das All antrat. Der Gegensatz zwischen dem Leben innerhalb der Atmosphäre und dem freien Weltall war für die Sirianer nicht so kraß wie 19
für die denkenden Geschöpfe anderer Sonnensysteme, und die Raumschiffe der Sirianer – abgesehen von besonders schweren Typen der Militärverbände – brauchten keine großen Startbasen. Jen stand in ihrem Boot und sah in der Ferne die grüne Halbkugel gegen den flimmernden Himmel schweben. Sie hob die Hand und grüßte – ihre Augen glänzten feucht. „Helft ihm! Helft Turran!“ * Lonn sah auf das weite Stadtgebiet hinunter, das sich nach rechts zu immer tiefer drehte. Dann wandte er sich an Vrenn, der mit Xa das Raumschiff steuerte. Sie hielten die eigenartige Steuersäule mit den Ringen, die sie unentwegt drehten und verschoben. „Wenn wir die Schwere unseres Sterns überwunden haben, würde ich große Ellipsen beschreiben – wir hätten so mehr Möglichkeiten, die Oberfläche der schwarzen Sonne vor unserer Landung zu übersehen.“ Xa machte mit der linken Hand das Zeichen, das soviel wie nein bedeutete. „Lonn, das geht nicht – die bessere Übersicht würden wir mit großen Zeitverlusten teuer bezahlen müssen.“ „Wie Ihr meint!“ Lonn sah regungslos auf Xas Hände, die diese Ringe drehten. Wir würden längere Zeit brauchen, um die erloschene Sonne anzufliegen, und Turran wäre dann vielleicht nicht mehr zu helfen. Jen würde weinen – sehr weinen – aber sie ist jung – „Lonn …“ Der Sirianer zuckte zusammen. Jim Parker stand neben ihm in der Enge, die kaum für die fünf ausreichte – Jim redete ihm ruhig und sachlich an, und doch gefiel Lonn der Ton nicht. Er 20
wurde überhaupt nie ein unangenehmes Empfinden los, wenn dieser große, blonde Erdenmensch in seiner Nähe war. Was hatte er eben gedacht? Sie würden Turran dann nicht mehr helfen können! Konnte der Erdenmensch etwa Gedanken lesen? Jim war arglos. Er wunderte sich nur, daß der Sirianer an ihm vorbeisah. „Ihr müßt mit mir noch einmal die Skizze durchsprechen, Lonn.“ Lonn faßte sich und nickte nur. * Das Raumschiff verließ die Atmosphäre. Es stieß in den freien Raum zwischen den sirianischen Planeten vor. Weit unter ihnen ging das Leben weiter wie immer, die stille, heitere Emsigkeit auf den Kanälen von Fon. Jen fuhr in ihrem Boot zum Hospital, in dem sie den Kranken half, wie ihr Glaube es vorschrieb. Die Expedition zur erloschenen Sonne war für das sirianische Reich geradezu sensationell, aber nur Sira als Staatsoberhaupt und das Direktorium der Schule für Himmelswissenschaften wußten darum. Kein anderer Sirianer ahnte etwas. Und doch lief im Andromeda-Stützpunkt Ars-Fon die „Aktion Schwarze Sonne“ an. Captain Magnus Brown hatte nach acht Stunden zum erstenmal Verbindung mit dem sirianischen Raumschiff. „Hallo, Kommodore! Die Aktion ist angelaufen!“ „Danke! Stehen jetzt im Raumquadrat 1184 B! Halten unsere Geschwindigkeit! Wir rechnen mit zwei Tagen für den Anflug!“ „Magnetfeld, Kommodore?“ 21
„Magnetfeld O M III!“ „Danke, ich werde vergleichen!“ * Turran wollte hoch. Die Arme machten das Vorwärtsrobben, das für ihn ganz ungewöhnlich war, einfach nicht mehr mit – die Muskulatur zuckte und brannte – Gut drei Meilen hatte er zurückgelegt. Immer mit dem Blick auf den Boden, der wie gesprungene Glasur unter ihm unruhig und im qualvollen Rhythmus seines Robbens wegglitt. Untergetaucht war er in dieser verfluchten Dunkelheit, in dieser Hölle der Verlorenheit – Waren sie noch da? Geisterte es noch hinter ihm her in langen skurrilen Nebelstreifen? Turran sah sich nicht um, er legte noch wenige Meter zurück und konnte dann nicht mehr. „Das ist der Tod“, sagte er laut und traurig, als er kraftlos und fast ohne Atem liegenblieb. Nun konnte nur noch der Tod kommen. Aber Jen kam. Ihr Gesicht war wieder vor ihm in dieser Verlorenheit unter den kalten Sternen. Ihre Augen, die tief waren wie die klaren Seen von Fon, und die er so sehr liebte. Dann ihre Hände – ihre Gestalt. „Ich komme nicht wieder, Jen – ich komme nicht –“ Mit weitaufgerissenen Augen starrte er auf sie, im Liegen streckte er seine Arme aus, aber sie bewegten sich nur auf ein Trugbild zu, das wieder verging. Wieder war Turran allein. Die Mulde war groß, weit vor sich sah er das Gestein in einem seltsam leuchtenden Weiß aufsteigen zum allgemeinen Niveau der Ebene. 22
Er sah aber nicht, daß rechts von ihm der Muldenboden noch einmal abfiel, steil abfiel – daß es dort drei oder vier Meter tief in einen engen Spalt ging. Turran wollte es noch einmal versuchen. Er zog die Knie an. Seine Handflächen preßten sich blutend gegen das rissige Gestein. Mit einem Ruck stemmte er sich hoch. Riß seinen Körper in eine aufrechte Haltung hinein. Drei, vier Schritte ging er – stolperte er schwerfällig und taumelig – Dann sackte er wieder in die Knie und stierte glanzlos und unsagbar blöde auf das, was aus der Vertiefung des Muldenbodens hervorgekrochen kam. Nebel war es. Nebelschwaden, die sich in skurrilen Formen heranschlängelten und langsam festere Gestalt annahmen. Turran handelte instinktiv. Er wollte nicht von solchen Scheusalen überwältigt werden. Wieder riß er sich hoch. * Das weiße Boot glitt rasch vorwärts. Der Sirianer, der es lenkte, nahm eine wohlschmeckende Kapsel aus der Hand seines Begleiters und sah über das grünlich blitzende Wasser des Kanals, der märchenschön in der Helle des Tages durch Felder mit der roten Sonnenbeere dem nächsten Siedlungsrund entgegenlief. „So verschlossen wie heute warst du noch nie“, lächelte der Begleiter. Der Bootsführer zeigte auf ein rotes Boot, das gerade aus einem Seitenkanal hervorkam, vor ihnen einbog und ihnen entgegenfuhr. Der andere schwieg, bis sie sich begegnet waren und das junge schöne Mädchen, das in dem roten Boot saß und die 23
grünweiße Tracht derer trug, die in den Hospitälern den Kranken halfen, mit großer Höflichkeit gegrüßt hatten. Das Mädchen grüßte zurück – es war Jen. Als sie ein Stück weitergefahren waren, sagte der Bootsführer, der Monga hieß, und in Fon ein angesehener Gelehrter war: „Es war Jen – sie hat sich Turran verschrieben –“ „Ich weiß“, lächelte der andere wieder, und zeigte seine weißen Zähne. Er war noch jung und traute sich zu, ein Mädchen wie Jen für sich zu erobern. „Aber Turran wird viel unterwegs sein, wie es sein Beruf fordert. Vielleicht könnte man ihre Standhaftigkeit einmal auf die Probe stellen –“ „Ich würde es lieber nicht tun!“ „Oh – der berühmte Monga wird tugendhaft!“ „Lonn würde es nicht gern sehen, fürchte ich …“ „Lonn, dein Freund?“ Monga nickte nur, und der andere, der seine Vorwitzigkeit dem angesehenen Gelehrten gegenüber bereits bedauerte, war klug genug, nicht nachzufragen. Sie fuhren zu einem Rund, das hauptsächlich von Geistesarbeitern bewohnt wurde. Hier hatte Monga sein Haus. Seine Hausbeschließerin empfing ihn und überreichte ihrem Herrn eine kleine Schreibrolle, die eben ein Bote gebracht hatte und die mit einem weißen Kreis gekennzeichnet war. Monga versorgte seinen jungen Gast mit einem leichten Wein und stellte sich dann in seinem vornehmen Arbeitsraum etwas abseits, um zu lesen, was auf der Schreibrolle stand. Sie war von Lonn. Er hatte sie bereits geschrieben, bevor er mit Xa und Vrenn und den beiden Erdenmenschen zur schwarzen Sonne startete. Mongas langes, hageres Gesicht mit den vier schwarzen Bartstreifen von den Schläfen bis zum Kinn war seltsam ausdruckslos, als er es gelesen hatte. 24
„Ich werde heute nicht mit zu eurem Fest kommen können“, sagte er und steckte die Schreibrolle in sein Gewand. Der andere sah ihn erstaunt an. „Aber, Monga …“ „Es geht nicht, lieber Freund.“ „Ist etwas geschehen?“ „Ich muß in die Schule für Himmelswissenschaften.“ „Armer Monga!“ * „Hallo, Ars-Fon!“ Der Raumfunker im tankähnlichen Zentralgebäude des ersten irdischen Stützpunktes im sirianischen Sonnensystem nahm den Anruf auf. Es war drei Stunden, nachdem Monga die Schreibrolle von Lonn erhielt. „Hallo, Kommodore Parker! Hier Ars-Fon! Wir nehmen auf!“ „Text: Flug zur erloschenen Sonne verläuft weiterhin planmäßig! Nähern …“ „… nähern uns dem schwarzen Doppelplaneten …“ „Werden versuchen, euch regelmäßig zu erreichen! Bleibt auf Station!“ „Bleibt auf Station! Verstanden!“ * Monga ging nicht mit zum Fest. Aber der junge Sirianer, den sie Santi nannten und der dafür bekannt war, daß er solche Feste und schöne Mädchen und gute Weine liebte, vermißte ihn nicht lange. Er traf andere Freunde, die ihr Leben so genossen, wie er es zu tun pflegte. 25
Die Rundgesänge hallten weit über das Wasser der Kanäle dahin. Blütenkränze stiegen an leuchtenden Säulen empor. Der helle, gelbe Wein wurde sogar in rauhen Mengen vertilgt. Santi trank und sang und preßte sein Gesicht zur Liebeserklärung gegen das eines Mädchens, das er nicht erst nach seinem Namen fragte. Dann tanzte und sang er noch mit anderen Mädchen, und als die Dunkelheit sich weich über Fon breitete, war er soweit, daß er zu allen tollen Streichen aufgelegt war. In seinem weinseligen Gehirn tauchte die Erinnerung an ein schönes Mädchen in einem roten Boot auf. Santi trank noch zwei Schalen aus und stieß seinen Nachbarn an. „Mal was von Jen gehört, mein Freund?“ „Jen?“ glotzte der andere. „Es gibt viele Mädchen, die so heißen. Ist sie hübsch?“ „Ich werde es dir bestimmt nicht sagen!“ „Santi! Gnade! Ich liebe auch alles Schöne!“ „Es gibt Vermessene, die glauben, sie hätten ein Anrecht auf Jens Zuneigung“, lächelte Santi geheimnisvoll und erhob sich nicht ganz sicher von der braunen Matte. Sein Nachbar wollte ihn halten. „Santi – du wirst doch noch nicht gehen!“ „Jen soll mir ein Lächeln schenken!“ * Rundgesänge hallten immer mächtiger. Die sirianische Jugend liebte solche Blütenfeste. Wernicke war ebenfalls mit großer Anteilnahme zu ihnen gegangen, denn das Blühen nahm in Fon kein Ende. Sie endeten meist mit sehr viel Wein und sehr viel Leichtsinn, aber das war sicher kein Zeichen einer Verkommenheit der sirianischen Jugend. 26
Die Rundgesänge hallten. Jen hörte sie nicht. Sie hatte Kranke versorgt und getröstet, hatte taufeuchte Blätter auf ihre schmerzenden Glieder gelegt und in feinen glasartigen Röhren Flüssigkeiten verabreicht, die von den besten sirianischen Medizinern zusammengestellt worden waren. Das lag hinter ihr. Mit der sinkenden Dämmerung glitt ihr rotes ovales Boot wieder den Weg zu ihrem Haus in einem der nördlichen Runds von Fon zurück – Jen lenkte ihr Boot, aber sie war bei Turran – ihr Herz suchte seine Nähe – ihre Gedanken – Turran litt. Sie spürte es, wie nur eine Frau es in ihrem Herzen spüren kann, die liebt. Turran schrie, er bäumte sich gegen einen furchtbaren Feind auf – Federte mit letzter Kraft wieder hoch. Seine Fäuste stießen in ein Nebelgebilde hinein. Jen schluchzte auf. * Sie passierten den roten Sternbrocken. Damit stießen sie in jene Räume des sirianischen Systems vor, in denen der Schein und die wärmende Kraft des Zentralgestirns immer schwächer wurden und die Dämmerung wuchs. Der Doppelplanet Zö, auf dem noch über 400 Millionen Sirianer wohnen sollten, glitt backbord in großer Entfernung vorbei – er interessierte sie auch nicht – Aus der Tiefe des Alls rollte ein anderer Doppelplanet auf sie zu. Der schwarze Planet. Jim Parker, Xa und Wernicke hockten in den Knien und sahen durch einen der schmalen Sehschlitze, vor denen sie hochent27
wickelte EO-Seher aus den Raumschiffen des ersten AndromedaGeschwaders montiert hatten. Xa war begeistert von der weiten Sicht, die er im Raumschiff hatte – aber je näher sie dem schwarzen Planeten kamen, desto ernster wurde er, desto ausdrucksloser sein längliches Gesicht mit der schwarzen Stirnhaut. Lonn stand hinter ihnen gebückt neben Vrenn, der die Steuersäule bediente und im Rhythmus der kosmischen Impulse regulierte. Das Raumschiff schoß mit einer Geschwindigkeit dahin, die den meisten Raumfliegern der Erde noch unbekannt war – Immer näher kamen die beiden Weltkörper, die zueinander gehörten. Mit ihnen sollte die Hölle beginnen – oder wenigstens eine Welt, die jenseits des Realen lag. Xa bewegte sich kaum. Seine feingliedrigen Hände lagen leicht auf den Schwenkern des EO-Sehers. Als sie sich dem ersten der beiden Weltkörper bis auf acht Millionen Meilen genähert hatten, sah Jim, daß er tief einatmete und den Atem anhielt. Lonn sprach leise mit Vrenn – aber nun verstummten sie – – „Siehst du etwas, Xa?“ fragte der Kommodore gepreßt, der zu dieser vertraulichen Anrede überging, ohne daß es ihm selber recht bewußt wurde. Xa sah etwas, das war klar – aber er antwortete nicht. Wernicke kroch zum nächsten Sehschlitz und preßte die Augen gegen die Rundoptik des Sehers. Unheimlich und urtierhaft rollte die Weltkugel vor ihm auf – schwarz – matt aufglänzend im schwachen Schein des fernen Zentralgestirns. Lichter flammten auf ihm – Irrlichter – „Xa, was ist?“ drängte neben ihm Jim leise. „Sie geben uns Zeichen“, erwiderte jetzt endlich der Gelehrte, aber seine Stimme klang wie zersprungenes Glas. „Sie warnen uns.“ „Lichtsignale?“ „Du kannst es so nennen, obwohl es etwas anderes ist! Wir sollen umkehren!“ 28
„Das können wir nicht!“ „Nein, Jim – das können wir nicht!“ * Der schwarze Doppelplanet blieb zurück. Wernicke sah noch eine gute halbe Stunde lang, wie es auf seiner Oberfläche geisterte. Lichtsignale? Das waren feurige Schlangen, die sich rasend schnell drehten. Sie beachteten die Warnung der Schattenwesen nicht. In Fon seufzte wieder ein lauer, leichter Wind durch die Halme des gelben Ufergrases. Jen weinte leise vor sich hin, während ihr Boot in einen ruhigen Seitenkanal einbog, auf dem nur wenig Verkehr war. Ich werde ihn nie wiedersehen, dachte sie verzweifelt – und doch flehte sie: Lonn – hol ihn aus der Hölle! Ein weißes Boot folgte ihr. * Die Fäuste schossen vor. Schossen in das Nebelgebilde hinein, das vor Turran tänzelte – in irrsinnigen kurzen Bewegungen – während es langsam eine festere Gestalt annahm. Turran warf sein Herz über die Latte. In diesen Sekunden, da er erkennen konnte, daß vor ihm ein gespenstisches Wesen tänzelte, das nichts Gutes von ihm wollte, wuchs er weit über sich hinaus. Der schreiende, fliehende Turran war nicht mehr. Der Kämpfer Turran warf sich mit Fausthieben gegen dieses furchtbare Etwas, das grau und breit in die Höhe wuchs. Gaukelte es ihm sein fieberheißes Gehirn nur vor? Oder waren es Satansschwingen, die sich vor ihm ausbreite29
ten, wurde aus dem nebelhaften Gebilde einer der fliegenden Riesen, die sie von Fon verjagt hatten? Turran stöhnte unter der Wucht der eigenen Fausthiebe. Wurde selber vorwärtsgerissen, stolperte, fing sich wieder, stolperte noch mal. Nichts. Nur das scheußlich verschwimmende Gewoge blieb und war voller tanzender Bewegungen und wuchs – wuchs – – Breitete sich aus und wogte um den rasenden Sirianer, der verbissen und mutig einen Kampf führte, über den nur einer lachen konnte, der nicht die kalte, feuchte Nähe des Nebelwesens spürte. Wer sie spürte, lachte gewiß nicht. Turran boxte und boxte. Aber von seinem Rückgrat aus begann eine Schwäche durch seinen Körper zu ziehen, die er nie gespürt hatte, die ihn langsam lähmte und seinen Körper in wenigen Herzschlägen willenlos machte. Um ihn schloß sich immer dichter der Nebel. Er verlor wieder allen Mut, als er sah, wie er über den Muldenboden ging – auf eine Vertiefung zu, die sich schwarz und gähnend vor ihm auftat. Er wollte es nicht. Sein Wille stemmte sich dagegen, sein Fluchen und sein Beten – aber der Körper trennte sich von dem, was ihn sonst beherrschte – trennte sich von seiner Seele. Mußte diesen unbekannten Mächten gehorchen. Turran wollte wieder schreien – nicht einmal das konnte er mehr. Das nebelhafte Wesen ließ ihn auf die Versenkung zugehen. Turran gab sich verloren – *
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Die Verlassenheit war grenzenlos. Was war in ihr eine hilflose Kreatur, die Turran hieß? Turran war nicht mehr. Aber die Weite dieser gnadenlosen Ebenen zeigte sich dem Sirianer, der wenige Minuten später in Fon vor einer ovalen, leicht gewölbten und rötlich schimmernden Scheibe saß. Die Scheibe war aus einem Gestein geschliffen, das die Sirianer Taa nannten, den „Stein der weiten Sicht“, durch den man weiter sehen konnte als ein Erdenmensch, der von seinem Planeten aus Einzelheiten auf dem Mond erkennen wollte. Für die Himmelskundigen der Sirianer war dieses Gestein, das sie in felsigen Ebenen fanden, ein Geschenk ihrer Götter, das sie hegten und pflegten. Durch eine raffinierte Bearbeitungsweise hatten sie aus dem Taa regelrechte optische Systeme zusammengefügt, die ausreichten, um über die Grenzen des sirianischen Sonnensystems hinauszusehen, wenn solche Beobachtungen unter gewissen Bedingungen durchgeführt wurden – es mußte sehr kalt, sehr trocken und sehr dunkel sein. Diese Bedingungen hatte man in den engen Beobachtungskammern der „Schulen für Himmelswissenschaften“ – der sirianischen Sternwarten – geschaffen. Die von Fon lag außerhalb des eigentlichen Stadtgebietes. Sie bestand aus einem leichtgebauten Rundgebäude und vier hohen, sehr dünnen Türmen mit engen Mittelschächten, in denen die geschliffenen Taa-Gesteine sich in ausgeklügelter Weise aneinanderfügten. Im Fuß dieser Türme lagen die Beobachtungskammern. Der Sirianer, der in einer von ihnen vor der rötlich schimmernden Taa-Scheibe saß, war Monga. In einer plastischen Vergrößerung, die jeden Astronomen der Erde begeistert hätte, sah er eine Ebene der erloschenen Sonne vor sich. Monga beobachtete angespannt. Seine linke Hand lag an einer Tafel, die neben der Scheibe an der Wand 31
hing und viele, kleine, punktartige und linienartige Erhöhungen hatte. Es war eine jener Tafeln, auf die die Himmelskundigen in der Dunkelheit ihre Beobachtungen mit einem Ätzstift warfen. Diese Tafel stammte von Lonn. Die Finger der linken Hand tasteten über die Erhöhungen. Um Mongas schmallippigen Mund spielte ein dünnes, ungutes Lächeln. Lonn, Lonn! Wenn das nur stimmt! Es stimmte. Das Lächeln erfror jäh, ließ das angespannte Gesicht des Sirianers zu einer Grimasse werden, denn nun sah es Monga mit eigenen Augen. Auf der erloschenen Sonne war Leben. So – wie Lonn es behauptet hatte – – * Turran mußte es tun. Das nebelhafte Gebilde, das um ihn war, zwang seinen Körper, sich in die Vertiefung des Muldenbodens fallen zu lassen. Sprechen konnte Turran nicht mehr, aber er konnte noch sehen – und als er fiel, sah er in einen wildgezackten Spalt von Körperbreite, unter dem es rot und unruhig flammte. Feuer war dort – – * „Verdammt unfreundliche Gegend, was?“ „Vergiß deinen Schnapsvorrat nicht, mein Junge!“ „Sehe ich so aus?“ Jim Parker hockte neben Wernicke hinter dem EO-Seher und blickte auf das, was sich tief unter dem sirianischen Raumschiff schwarz und weitflächig herandrehte. 32
Das war sie – die erloschene Sonne. „Vergleich mal, Fritz!“ „Lonn!“ Lonn kam von der Steuersäule her und beugte sich über Wernickes Schulter zu der Skizze hin, die der Commander in den Händen hielt. Er nickte nur. „Wir irren uns nicht!“ „Wir kommen also ungefähr an der Stelle herunter, die Ihr beobachtet habt?“ fragte Wernicke aufmerksam und sah ihn an. Lonn lächelte wieder, lächelte freundschaftlich und ging wieder zu Vrenn hin. Xa schlief – es war, wie es Jim schon öfter bei diesem weisen sirianischen Gelehrten beobachtet hatte: Vor großen Entscheidungen legte er sich auf eine Matte, entspannte seinen Körper und schlief gleich ein. Das Raumschiff verhielt über dem Gebiet, das sie als Landungsstelle ausersehen hatten – und es brauchte keine weitkurvigen Bremsmanöver durchzuführen, wie es bei Raumschiffen der Erde war. Wernicke schüttelte bedenklich den Kopf und sah noch einmal auf die Skizze. „Wenn wir unten sind, sind wir genauso klug“, sagte neben ihm der Kommodore, „aber irgendwo müssen wir runter …“ „Turrans Raumschiff können wir nur durch einen Zufall finden.“ Jim Parker überlegte kurz und zeigte auf das TTC-Gerät. „Gib Brown durch, daß wir absteigen!“ * Xa lag immer noch. Aber er wachte auf, als er merkte, daß sich das Raumschiff der dunklen Ebene entgegenzusenken begann. Fritz Wernicke schob das TTC-Gerät auseinander und rief Ars-Fon, während Jim Parker noch einmal die Kopfhauben der 33
Sirianer überprüfte. Dabei fiel ihm noch etwas ein. Er wandte sich wieder seinem alten Kameraden zu. „Brown soll Verbindung mit den Himmelskundigen in Fon aufnehmen! Wenn sie auf dem Ding dort unten etwas Außergewöhnliches sehen, sollen, sie es uns über Ars-Fon mitteilen.“ „Okay!“ Lonn blickte flüchtig zu ihnen hin, was aber nicht weiter auffiel. Jim sah auf die Ringe an der Steuersäule, die von Vrenn in einem Rhythmus bedient wurden, der ihm unverständlich blieb. Dann half er Xa hoch. „Xa – sieh nach draußen!“ * Das weiße Boot blieb hinter Jen. Sie beachtete es nicht, denn für sie war die Wirklichkeit dieser Abenddämmerung von Fon doch versunken. Jen war bei Turran. Sie wußte nicht, was für eine schreckliche Bestie es war, die mit ihm zu spielen begann, die ihn vor einer unendlich großen, unterirdischen Feuerfläche hin und her laufen ließ, immer an das Feuer heran und wieder zurück und wieder heran. Wieder zurück! Wieder heran! Dann aber direkt in das Feuer hinein! Jen stoppte ihr Boot und sank vornüber. Ihre Augen waren groß und fragend. Sie gab keinen Laut von sich. Das Boot trieb in der schwachen Strömung des Kanals, der erst einige hundert Meter vor ihr in einen der Hauptkanäle mündete. Jen kniete und machte mit großer Willensstärke einige leichte Übungen, um den Spuk aus ihrem Gehirn zu jagen – denn ein Spuk mußte es sein – – Sie träumte – sicher träumte sie nur. Hinter ihr schoß etwas über das Wasser heran. Jen schreck34
te auf und sah sich um. Ein weißes Boot mit einem Mann, dessen rotes, fröhliches Gewand unternehmungslustig geschwenkt wurde. „Jen“, rief er in dem Tonfall eines Angetrunkenen, „schöne Jen, warte doch!“ Jen schaltete rasch. Ihr Boot fuhr wieder an. Sie mußte aus diesem abgelegenen Kanal heraus, aus dieser Einsamkeit der blühenden Getreidefelder. Aber der im roten Festgewand ließ sich nicht von einem erschrockenen jungen Mädchen abschütteln – er blieb neben ihr und sprang dann einfach in ihr Boot über. Jen schrie auf. Seine Arme streckten sich nach ihr aus, ein junger Männermund lachte, und manches andere Mädchen wäre auf diesen fröhlichen Burschen hereingefallen, den die Heiterkeit des Weines zu einem solchen losen Streich trieb – Jen nicht – sie wich vor ihm zurück – „Ich bin Santi, schöne Jen! Ich will nichts, als daß du mir dein Lächeln schenkst – wie Turran und Lonn!“ „Verlaßt sofort mein Boot!“ „Jen …“ „Woher kennt Ihr mich?“ Er langte an ihr vorbei zur Schalttafel, aber Jen war nicht furchtsam, sie wirbelte plötzlich herum und packte seinen rechten Unterarm mit einem Griff, der jeden Judosportler der Erde begeistert hätte. Santi lachte noch, aber er spürte den Griff, und der tat verdammt weh. „Wer kennt dich nicht, Jen – ah, du packst zu wie ein …“ „Ist es Eure Art, Hospitalhelferinnen zu überfallen, wenn Ihr betrunken seid?“ sagte sie verächtlich und beugte sich etwas zurück, als sein Gesicht über ihrem war. und sie seinen Weinatem wahrnahm. Santi hütete sich, auf sie einzudringen. Er war ziemlich wehrlos. Sie konnte ihm den Unterarm brechen, wenn 35
sie wollte. Langsam dämmerte etwas in seinem umnebelten Gehirn. Sein Lachen wurde schwächer. „Verdammt! Ich hätte doch auf Monga hören sollen! Weißt du, was er sagte?“ „Das interessiert mich nicht“, keuchte sie. „Lonn würde es nicht gern sehen, wenn ich – wenn – ach was –“ „Wenn Ihr…?“ Ihre Augen wurden schmal und hart. Das führerlose Boot raste mit großer Geschwindigkeit auf den Hauptkanal zu, auf dem die Leuchtdreiecks vieler anderer Boote durch die warme Nacht glitten. Santi war weit davon entfernt, seinen Rausch zu überwinden, aber er hatte plötzlich genug – er wollte wieder raus – – Sein weißes Boot jagte weit hinter ihnen gegen die Böschung. Santi sah es mit verglasten Augen und schüttelte mürrisch den Kopf. „Schon gut, Jen! Entschuldige! Kehr um und fahr mich zu meinem Boot zurück!“ „Zu den Ordungsmännern fahre ich Euch! Wenn Ihr mir nicht gleich sagt, was Eure Worte bedeuten!“ sagte sie eisig und atemlos. „Lonn hat ein Auge auf deine Schönheit geworfen!“ Jen fuhr zusammen. Lonn? Lonn, der Turran retten wollte, der ihn aus der Hölle der Verlorenheit holen wollte? Sie beherrschte sich. „Woher wißt Ihr es?“ „Von Monga, der dich vorhin so artig grüßte.“ „Wer ist Monga?“ „Du wirst ihn doch kennen! Alle kennen ihn.“ „Ich entsinne mich, seinen Namen gehört zu haben.“ Sie hielt seinen Unterarm mit verbissener Anstrengung. „Wo ist er?“ „In der Schule für Himmelswissenschaften!“ *
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Fritz Wernicke breitete die Arme aus. „Da wären wir!“ rief er aus und zog ein Gesicht, als wolle er vor Glück anfangen zu heulen. In Wirklichkeit war ihm zumute wie immer, wenn sie Boden eines unbekannten Sternes betraten. Er fieberte und mußte sich zusammenreißen, um gerade jetzt kalt und sachlich zu bleiben. Jim Parker stand mit Xa neben Vrenn, dem Steuermann. Vrenn ließ das halbkugelige Gebilde mit leuchtender Außenhaut der dunklen Ebene engegenrasen, die sich wie auf einer gigantischen Drehscheibe immer näher an sie herandrehte. Sie mußten sich festhalten, um nicht seekrank zu werden. Jim Parker nahm von dem braunen Mattenboden, der eher in einen. Tempel als in ein Raumschiff paßte, ein metallglänzendes Gerät hoch, das nichts war als ein schmaler Kasten mit zwei Röhren, die mit Skalen verbunden waren. Er schnallte es sich vor der Brust fest. Dann setzten sie auf – – Es war ein Augenblick, der ihnen den Atem nahm, in dem alles Denken und Fühlen stillstand. Raumflieger erlebten ihn öfter, wenn sie nach einem Flug durch das Weltall landeten, doch was diese fünf erlebten, war so ungeheuerlich, daß sich diese fünf denkenden Geschöpfe vom Sirius und vom System Sol ansahen und nicht wußten, wie sie damit fertig werden sollten. Auch Jim war ergriffen. Noch niemals hatten im Universum Menschen oder wie immer man sie nennen wollte, diese Wesen, denen der Sinn für die Gesetze der Schöpfung gegeben war, einen Fixstern betreten – – Planeten hatten bereits viele Raumschiffe erreicht – nicht nur in diesen beiden Sonnensystemen, gewiß auch in anderen Systemen flogen sie von Planet zu Planet. Aber was sie in diesem Augenblick erreichten, war ein Welt37
körper, der vor undenkbaren Zeiten einmal hochaktiv gewesen war, der seine verwandelte Materie In gigantischen Feuerstößen in das All hinausgejagt hatte – und der jetzt tot war und still – grausig still – – Lonn fand als erster von ihnen seine Gelassenheit wieder, während Xa zitterte und hinter der Sichtscheibe seiner Kopfhaube seine Augen unnatürlich groß und ergriffen blickten. „Wir haben nach alten Aufzeichnungen Vermutungen über die Hitzegrade angestellt, die die äußere Hülle dieses Fixsterns einmal ausstrahlte. „Die Photosphäre“, ergänzte Wernicke automatisch. „Sie muß bei einem Wert gelegen haben, den ihr mit 11 000 Grad bezeichnen würdet.“ „Das wäre fast das Doppelte der Hitze, die die Photosphäre unserer Sonne aufzuweisen hat“, nickte der Kommodore und schaltete an seinem Röhrengerät. „Ich habe schon davon gehört.“ Dann war wieder nur ihr eigenes Atmen um sie – sonst nichts – – „Sollen wir uns hier steife Beine holen?“ grinste Wernicke. Jim winkte Vrenn, der an einem Ring der Steuersäule kurz drehte. Die mannsbreite Klappe, die sich der Halbkugelform des Raumschiffes anpaßte, schwenkte mit der Plattform nach außen. Xa stand neben Jim. Gemeinsam gingen sie auf die Plattform hinaus. Wernicke, Lonn und Vrenn drängten sich hinter sie. So betraten sie die erloschene Sonne. „Wir wollen uns nicht lange aufhalten“, sagte Jim nach einem ersten Rundblick. „Ich bin dafür, daß wir zusammen und alle gleichzeitig in eine Richtung gehen – oder seid ihr anderer Meinung?“ „Das Raumschiff“, gab Wernicke zu bedenken. Die Stimme kam über den KT-Funk, der ihre Wulstpanzer 38
miteinander verband. Vor ihren Ohren knackte es, als Wernicke sprach, und was er sagte, klang seltsam verzerrt und rauh unter der Einsamkeit des klaren Sternenhimmels. Wernicke blickte sich um. „Wir können das Ding hier doch nicht ganz allein lassen“, gab er zu bedenken. „Wenn wir zurückkommen, hat es bestimmt Junge gekriegt.“ „Wir entfernen uns nur bis auf 20 Meilen und kehren dann gemeinsam zurück, um es zu verlegen …“ „Ich verstehe, wie du es meinst“, nickte Xa. „Denn man los!“ * Wieder war Jim Parker der erste, der von der Plattform auf den grau heraufschimmernden Felsboden des Fixsterns sprang. Auch er glaubte, in dem Boden einzubrechen, der unter seinen schweren Füßen morsch und pulverig zerbröckelte. Als zweiter folgte Xa – erstaunlich elastisch. Dann marschierten sie los. Wieder fünf jener vermessenen Geschöpfe, die sich anmaßten, die Verlorenheit dieser Ebenen zu bezwingen. Fünf Männer. Einer hinter dem anderen. Jim voran. Die erloschene Sonne nahm keine Notiz von ihnen. Sie war erhaben und unnahbar wie immer, auch für Monga, der im fernen Fon noch immer vor der ovalen, rötlich schimmernden Scheibe aus Taa saß und sie beobachtete. Monga ließ sich viel Zeit bei seiner Arbeit. Er zuckte zusammen, als rechts von ihm ein kurzer Heulton aufklang. Mit einem kurzen Fluch brach er seine Beobachtungen ab, stand auf, nahm die Tafel von der Wand und wollte sie unter sein Gewand schieben, als die Falttür plötzlich von außen aufgeschoben wurde. Der Himmelskundige Erni, der Vorsteher der Schule, trat ein. 39
Er war nicht allein. Neben ihm leuchtete blau das Koller eines Offiziers der Ordungsmänner, der sirianischen Polizei. Monga starrte sie schweigend an. „Verzeiht, daß wir Eure Arbeit unterbrechen, guter Monga, aber der Offizier hat einige Fragen an Euch zu richten.“ Monga lächelte überheblich. „An mich?“ „Es betrifft Lonn!“ sagte der Offizier höflich. „Lonn ist mit einer Expedition auf der erloschenen Sonne jenseits des schwarzen Planeten“, erwiderte Monga kalt und drehte die Tafel so, daß ihre Zeichen in der Helle nicht zu sehen waren, die von dem Gang hereinflutete. Der Vorsteher aber sah diese kleine Bewegung, und sie ließ ihn irgendwie stutzen. „Ihr führt die Beobachtungen Lonns weiter, guter Monga?“ „Auf seinen Wunsch, mein Freund!“ „Es ist seine Tafel, die Ihr in der Hand habt?“ Monga sah ein, daß es hier nichts mehr zu verbergen gab, und daß es für ihn nur noch darauf ankam, sich aus dieser verdammten Affäre zu ziehen, in die er sich leichtfertig eingelassen hatte. Sein Lachen wurde liebenswürdiger, als er dem Vorsteher Erni die Tafel überreichte. „Ich wollte sie Euch zurückgeben, Erni – Lonn gab sie mir für einen Vergleich.“ Sie verließen die Beobachtungskammer. * Fünf Männer? Ach, die grenzenlose Verlorenheit dieser grauen Wildnis hatten einen Turran in ihre unbarmherzigen Arme genommen, sie würde auch mit den fünf fertig werden. Jim trat die Spur. Sein Füße traten immer zuerst das lockere Gestein ein, das 40
nun schon zwei Stunden lang vor ihnen aus der Dunkelheit auftauchte, die hier lastete, wie er es auf noch keinem anderen Stern wahrgenommen hatte. Jim hielt alle zehn Minuten an. Dann spielte sein Handscheinwerfer und breitete einen gleißenden Halbkreis vor ihnen aus. Wieder hielt er. Die Ebene schien anzusteigen. „Verdammte Geschichte“, fluchte Fritz Wernicke los, daß es gegen die Ohren der anderen bellte. „Kein Berg – kein Markierungspunkt – nichts –“ „Aber es scheint wärmer zu werden“, meldete sich Vrenn, während wieder das weitgestreute Scheinwerferlicht aus der Weite herausschnitt, was sie bereits anzuwidern begann: grauer Felsboden von Horizont zu Horizont. „Wie sollen wir hier den armen Teufel finden?“ murrte Wernicke. Lonn trat neben hin und sah aufmerksam in die Landschaft, die der Scheinwerfer für Sekunden vor ihnen ausbreitete. Er warf den rechten Arm hoch. Seine Stimme kam aufgeregt. „In der Ferne bewegt sich etwas!“ „Alle Scheinwerfer an!“ Fünf harte, strahlende Lichtbalken jagten hinein in die Dunkelheit. Fünf Augenpaare sogen sich an der Ebene fest. Aber, es rührte sich nichts. Wernicke wünschte unwillkürlich, es würde sich vor ihnen wirklich etwas bewegen, und wrenn es Ungeheuer und Schattenwesen waren – nur, um dieser trostlosen Verlassenheit ein Ende zu bereiten. „Ihr müßt Euch geirrt haben, Lonn!“ „Aber es wird wärmer“, beteuerte Vrenn wieder. Die Scheinwerfer erloschen. Wie ein Vorhang fiel die Dunkelheit wieder. Jim prüfte eine Skala des Röhrengeräts. Vielleicht hatte Vrenn recht? Aber die Skala rührte sich nicht. Einige Grad Wärme hatten sie hier bereits, und es war wie eine letzte Ahnung von dem, was hier einmal getobt hatte. 41
Der Stern war noch nicht ganz ausgeglüht. Jim ging auf die Stelle zu, an der Vrenn stand. Der Sirianer trat vor ihm einen Schritt zurück. Nichts – oder – –? Um drei kleinste Werte stieg die Temperatur an. Jim gab ein kurzes Handzeichen und schlug diese Richtung ein. Die anderen folgten. Als letzter jetzt Lonn. Sein Gesicht war hart und böse. * „Was ist das für eine Tafel?“ „Der weise Monga hat sie von Lonn erhalten …“ „Monga ist nicht Mitglied der Schule“, unterbrach einer der leitenden Himmelskundigen von Fon seinen Gehilfen, der vor ihm in einem Raum, in dem die Beobachtungsergebnisse ausgewertet wurden, die Tafel auf ein tischartiges Gestell legte. Sechs sirianische Himmelskundige waren hier tätig. Sie traten neugierig näher. Einer regte sich sogar auf. „Aber das ist doch unglaublich! Seht hier an der unteren Kante – das Zeichen fehlt – – –“ Der Vorsteher dieser Abteilung klatschte leicht in die Hände, was bei einem Sirianer immer ein Zeichen von stärkster Mißbilligung war. „Das ist doch nicht möglich!“ Sie hoben die Tafel auf und betrachteten sie von allen Seiten. Die leuchtenden Scheiben verströmten über ihnen ein bläuliches Licht. Draußen trieben wieder die kleinen weißen Vögel ihr Spiel in der ersten Morgendämmerung. Sie sahen schweigend ihrem Vorsteher nach, der aus einer Lade eine größere Schreibrolle zog und sie hastig entrollte. Dann schüttelte er den Kopf. Er war blaß wie einer, der von einem unehrenhaften Verhalten seines besten Freundes erfährt. „Lonn hat die Tafel für sich geführt! Sie ist nicht eingetragen!“ 42
„Er hat sie also nicht gemeldet“, sagte einer hart. „Sie ist aber voll von Zeichen! Wir sollten sie gleich prüfen!“ Die Sirianer in der Auswertung wußten, wie man das anfing. Sie machten sich mit großer Routine an die Arbeit. Während Monga in einem anderen Raum von dem Offizier der Ordungsmänner einige recht unangenehme Fragen gestellt wurden, entzifferten hier geübte Sirianer zunächst die obere Hälfte der Tafel, die Lonns Ätzstift gezeichnet hatte. Was dabei herauskam, nahm ihnen allerdings fast den Atem. „Lonn hat heimlich die erloschene Sonne beobachtet …“ „Er hat die Tafel unterschlagen.“ Der Vorsteher winkte ab. Seine Gehilfen schwiegen und warteten bis ein Bote mit dem Himmelskundigen Erni zurückkehrte. Der oberste Direktor der Schule sah betreten auf die Tafel und die Schreibrolle, die der Vorsteher der Abteilung ihm hinreckte. Er las es, er las es dreimal. Eine Beobachtungstafel zu unterschlagen war das größte Vergehen, dessen ein Lehrer der Schule sich schuldig machen konnte. „Das Direktorium wird Lonn ausstoßen müssen“, sagte Erni leise. „Er hat uns verschwiegen, daß er auf der erloschenen Sonne Spuren von Leben gesehen hat …“ „Das hat er doch nicht ohne Absicht getan!“ fiel ein anderer erregt ein. „Und nun ist er bei Xa und seiner Expedition …“ „Auf der erloschenen Sonne!“ „Ich werde einen Boten zur Regierung schicken.“ Er reichte die Tafel einem der Auswerter. „Entziffert auch die unteren Reihen …“ Dann winkte er dem Vorsteher. *
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Der Offizier der Ordnungsmänner fuhr zu Jen. Er fand das junge Mädchen im Wohnraum seines Hauses vor. Jen hockte auf ihrem Ruhebett. Sie hatte versucht, zu schlafen, aber wie konnte sie schlafen, da es um Turran ging. Sie sprang auf, als der Offizier Einlaß begehrte. „Ich habe mit Monga gesprochen“, berichtete er. „Monga bedauert, dem Santi gegenüber eine solche Äußerung gemacht zu haben; er will aber tatsächlich gewußt haben, daß Ihr – verzeiht – Lonn nicht gleichgültig seid.“ Jen legte die Rechte auf das Herz. „Aber dieser Santi sagte mir auch von einer Schreibrolle, die Monga von Lonn erhalten haben soll – er will es gesehen haben …“ „Das ist schon geklärt“, nickte der Offizier und lächelte ihr beruhigend zu. „Lonn hat auf eigene Faust Beobachtungen der erloschenen Sonne angestellt und deren Resultate seiner eigenen Schule verschwiegen. In jener Schreibrolle hat er Monga gebeten, diese geheimen Beobachtungen für ihn fortzusetzen, und da der angesehene Gelehrte ohne weiteres Zutritt zur Schule für Himmelswissenschaften hatte, war es für ihn nicht schwer.“ „Ich fürchte. Lonn wird auf der erloschenen Sonne etwas gegen Turran unternehmen, wenn sie – ihn – finden – sollten –“, sagte sie langsam und mußte schlucken. „Soviel ich weiß, wird die Regierung die Expedition des weisen Xa über den Stützpunkt der Erdenmenschen in Ars-Fon warnen – Ihr braucht Euch also keine Sorge zu machen.“ „Warum aber handelte Lonn so?“ „Die Beweggründe seiner Handlungsweise, die ihn sein Amt in der Schule kosten wird, da er schwer gegen die Gesetze seines Berufsstandes verstoßen hat, sind uns noch nicht bekannt. Monga spricht von falschem Ehrgeiz, aber wir werden uns mit ihm darüber noch weiter unterhalten müssen …“ 44
Der Offizier verabschiedete sich von ihr. Jen hörte, wie er vor ihrem Haus zu seinem Boot hinunterging. Es wurde draußen immer heller. Sie aß ein paar Kapseln und ließ einen Boten kommen, den sie zum Hospital mit einer Entschuldigung schickte. Sie konnte heute nicht arbeiten. Jen verzehrte sich in einer Stimmung zwischen Hoffen und untergründiger Bangigkeit. Sie mußte für Turran beten. * Es wurde wärmer. Der Boden unter den schweren Stiefeln der Erdenmenschen und der Sirianer, die schweigend über die Ebene stampften, leitete entweder die Temperatur aus einer warmen oder sogar heißen Zone in tieferen Schichten oder Höhlen an die Oberfläche, oder sie rief selber diese steigende Wärme hervor. „Jedenfalls ist das Ding nicht tot“, meinte Fritz Wernicke auf einmal und nicht ganz zutreffend, aber alle – bis auf Vrenn – verstanden, was er damit sagen wollte. Xa folgte unmittelbar hinter Jim Parker. „Wernicke hat recht“, kam seine Stimme über den KT-Funk. „Wir sind auf einer Sonne, die doch noch ihre Strahlungsenergie an das Weltall abgibt, wenn auch in einem minimalen Ausmaß – aber erloschen scheint sie nicht zu sein.“ „Damit hatten wir ja auch gerechnet.“ „Aber jetzt kann es wenigstens spannend werden“, frohlockte der Commander. „Was meint Ihr, Lonn?“ Lonn meinte nichts! Er war der Schweigsamste unter ihnen, seit sie die Richtung geändert hatten. Wernicke kam es vor, als grübelte er über etwas nach und komme mit sich selber nicht ins reine. Nach einer weiteren Meile meldete sich das TTC-Gerät. 45
Wernicke gab das verabredete Zeichen. Sie stoppten und gruppierten sich im Halbkreis um ihn. Er kniete in seinem schweren Wulstpanzer nieder, nahm das Gerät vom Rücken und setzte es auf das rechte Knie. Dann nahm er die Meldung auf, die aus Ars-Fon kam. Sie schmetterte Lonn nieder. Sie hörten, daß Wernicke laut und tief und zornig atmete und irgend etwas von dem guten New Yorker Edelstern murmelte, den dieser verdammte Bursche ihm ausgetrunken habe. Sie sahen, wie seine Griffklauen das schmale Seidenband mit dem Text abrissen und Jim Parker reichten. Der überflog ihn nur kurz. Warf einen prüfenden Blick auf Lonn, der unruhig hin und her stampfte. Dann las er laut und schneidend vor. „Vorsicht vor Lonn! Lonn hat Beobachtungen der erloschenen Sonne angestellt und sie der Schule verschwiegen. Eine von ihm geführte und nicht angemeldete Tafel wurde sichergestellt! Nach seinen Beobachtungen soll es im Quadrat R III Strich Sieben nach der Skizze zu größeren leuchtenden Erscheinungen gekommen sein …“ „Lonn!“ Xa fuhr herum. Seine Griffklauen packten den gelben Wulstpanzer des Himmelskundigen, und es sah so aus, als wolle er ihn in großer Erregung schütteln. Lonn war blaß. Sie konnten sehen, wie seine Augen hinter der Sichtscheibe unruhig waren und flackerten. „Lonn!“ „Das ist nicht wahr“, stieß Lonn hervor, aber es hörte sich nicht besonders schön an, wie er das sagte. „Ich habe niemals etwas verschwiegen – ich weiß auch nichts von leuchtenden Erscheinungen –“ „Das wird sich herausstellen“, sagte Jim kurz und gab Wernicke verstohlen ein Zeichen. Der Commander stellte sich neben 46
Lonn, er würde auch nicht so bald wieder von seiner Seite weichen, nahm er sich vor, … „Xa, bist du einverstanden, daß wir uns jenes Gebiet ansehen?“ „Es würde uns vielleicht Anhaltspunkte geben“, sagte Xa – noch zitternd vor Aufregung. „Das Raumschiff, Jim – wir können uns nicht zu weit entfernen …“ „Nimm Vrenn mit und hole es rüber.“ „Lonn?“ „Ich passe auf!“ * Nach drei Stunden kamen sie mit dem Raumschiff nach. Lonn hatte inzwischen fünfmal seine Unschuld beteuert, und das immer eindringlicher und entschiedener, aber Xa und Jim hatten ihm fünfmal nicht geantwortet. Jim mußte daran denken, wie der Sirianer in Xas Studierraum vor der weißen Wand mit der Darstellung des sirianischen Sonnensystems gestanden hatte, und wie er schon damals nicht klug aus diesem breiten, starken Gesicht mit den zuckenden Augenbrauen geworden war. Lonn wurde still. Er wehrte sich auch nicht, als er von Jim und Wernicke in die Mitte genommen und wie ein Sträfling zum Raumschiff gebracht wurde, das mit seiner leuchtenden grünen Außenhaut magisch und unwirklich vor ihnen aufragte. Xa schüttelte immer wieder den Kopf. Ihn erschütterte es maßlos, daß sein junger Freund Lonn nicht wahrhaftig sein sollte. Vrenn stieg als letzter ein, ging gleich an die Steuersäule, ließ die Klappe einpendeln und sah Jim fragend an. Sie hätten 47
ihre Kopfhauben hier im Raumschiff abnehmen können, aber sie verzichteten darauf. Jim überflog die Skizze noch einmal und trat mit Xa neben den Steuermann. Lautlos hob sich das Raumschiff. Strich in wenigen hundert Meter Höhe über die Ebene. * In Fon wuchs die Aufregung. Die Auswerter der Schule für Himmelskunde hatten alle Zeichen auf Lonns Tafel entziffert, auch die Punkte der beiden letzten Reihen, die einer Art Chiffre zu entstammen schienen. Der Sirianer, der damit beschäftigt gewesen war, beugte sich vor, als könnte er nicht glauben, was er selber entziffert hatte. „Die Sonne soll aufflammen“, schoß es ihm durch den Kopf, „die Sonne, die tot und erloschen sein sollte – wenn die Dämmerung sechzigmal niedergesunken ist von dem …“ Er sprang auf und rief den Vorsteher der Abteilung. Der kam mit großen Schritten herbei und riß die Schreibrolle mit der Abschrift an sich. Auf der Erde hätte es nun nicht sachlicher zugehen können. Der Vorsteher überflog das, was sein Gehilfe eben entziffert hatte und sah ihn an. „Nach sechzig Dämmerungen – habt Ihr – –?“ „Ich habe bereits nachgerechnet, wann es sein wird.“ „Wann?“ „Wenn Lonn die Feststellung bei seiner Beobachtung getroffen hat, und diese wiederum zu dem Zeitpunkt anstellte, den er hier unten angibt, so müssen wir mit einem großen Ausbruch auf der erloschenen Sonne in fünf bis sechs Dämmerungen rechnen …“ „Bei den Hütern des Unendlichen! Die Expedition!“ „Aber Lonn ist doch selber auf der Sonne!“ Der Gehilfe 48
machte das Zeichen der Ratlosigkeit. „Ich verstehe nicht, daß er an Xas Expedition teilnimmt, wenn er das weiß.“ „Wir müssen davon ausgehen, daß es so ist, wie es Lonn sich hier notiert hat.“ „Dann muß die Regierung mit den Erdenmenschen in ArsFon sprechen.“ * Der Vorsteher beeilte sich. Nach drei Stunden ging auf Ars-Fon eine durch Lichtzeichen der großen Türme im Regierungsrund übermittelte Meldung ein. Captain Brown raste in den TTC-Raum. In dieser Stunde, da auf der erloschenen Sonne das sirianische Raumschiff der kleinen Expedition in dem Gebiet landete, in dem Lonn angeblich leuchtende Erscheinungen gesehen hatte, und in Ars-Fon ein Raumfunker mit seiner Fernpeilung dieses Raumschiff ansteuerte, geschah etwas, was sie alle nicht wahrnahmen. Später sollten sie allerdings die Auswirkungen spüren. Von dem schwarzen Planeten, dem „Schattenplaneten“, löste sich ein weißer, fließender Nebel, der sich rasch außerhalb der Atmosphäre dieser beiden Planeten ausbreitete, und aus dem drachenähnliche Schemen wurden. Sie schossen mit einer unvorstellbaren Geschwindigkeit durch den freien Raum auf die schwarze Sonne zu, die sich groß und drohend dem Wohnplaneten Zö, der nicht weit ab stand, näherte. Zählen konnte man sie nicht. Ungeheuer waren es, die sich auf diese Sonne stürzten, die auf ihr niedergingen und sich über eine Ebene fortbewegten, die von einem Abgrund unterbrochen wurde. Dieser Abgrund war schauerlich. 49
Scharf und zackig schnitt der felsige Boden plötzlich ab und gab den Blick frei in eine Tiefe von einigen tausend Metern, in der glühende Wolken wogten. Der Abgrund war so lang wie eine Linie, die man auf der fernen Erde von Kapstadt bis Oslo zog und knapp hundert Meilen breit. Die Expedition Xas näherte sich ihm, ohne von ihm etwas zu wissen. Sie war nur noch dreihundert Meilen entfernt, als die großen und mächtigen Schatten wie ein phantastischer Spuk über den Abgrund hinwegrasten, dann über die Ebene, die jenseits von ihm wieder begann, und auf einen kleinen, unscheinbaren Punkt zu. Dieser Punkt war ein Raumschiff. Turrans Raumschiff. * Die Expedition flog zweihundert Meter hoch. Sie näherte sich von einer anderen Seite dem Raumschiff, sah es aber erst. als es plötzlich wie eine Fackel aufflammte und schauerlich die Dunkelheit aufriß. In der engen Kabine fuhren sie hoch. Jim Parker kniete hinter einem EO-Seher. Was er erblickte, ließ ihm das Herz schwer und wild schlagen. Was immer sich die Phantasie der Menschen unter Hexen- und Dämonentänzen vorstellen konnte – hier war es Wirklichkeit. Hinter der Fackel tanzte ein riesiges Schattenwesen, das sich in den Himmel zu erheben schien und doch immer mit dem felsigen Boden verbunden blieb. „Was ist das, Jim?“ Xa kroch neben ihn. Durch die vier Sehschlitze, vor denen keine Seher angebracht waren, fiel der rote Feuerschein, und ließ Wernicke in einen Jubel ausbrechen, der so untergründig war, wie man es sonst nicht an ihm kannte – – 50
Xas Hände verkrampften sich. „Ein Raumschiff?“ „Es kann Turrans sein“, sagte Jim und atmete tief durch, um ruhig zu bleiben. „Aber ich verstehe das nicht.“ „Wie kann es hier brennen?“ „Das meine ich!“ Jim war nahe daran, den Verstand zu verlieren. Was er hier sah, war nach allen Naturgesetzen, die hier so galten wie auf der Erde, unmöglich: Nicht die Spur einer Atmosphäre lag über dieser Ebene, und doch flammte knapp zehn Meilen vor ihnen ein Raumschiff, flammte in einer mächtigen, offenen Fackel, die breit und dunkelrot gegen die Schwärze stand. Vrenn war ein guter Steuermann – er handelte instinktiv. Sie gingen auf fünfhundert Meter hoch und steuerten in dieser Höhe auf die Fackel zu. Wernicke hockte neben Lonn, der seit ihrem zweiten Start noch kein Wort gesprochen hatte, und verrenkte sich den Hals, um auch einen Blick nach draußen werfen zu können. „Das sind Schattenwesen“, sagte Xa gepreßt. „Fliegende Riesen?“ „Nein, fliegende Riesen sind anders! Ihr dürft diese Geschöpfe nicht miteinander verwechseln!“ fuhr Xa ernst fort und verfolgte genau das Getanze der riesengroßen Wesen. Er wurde ruhiger. „Ich fürchte, wir werden noch mehr erleben, als Freund Wernicke erwartet! Siehst du, wie sie tanzen, Jim?“ Ja! Was bedeutet das?“ „So tanzen sie, wenn sie zu einem Kampf ausziehen!“ Die Fackel des brennenden Raumschiffes schien unter ihnen wegzutauchen, aber dann schoß sie ihnen plötzlich entgegen, und die ganze Szenerie drehte sich schräg heran. „Zu einem Kampf?“ fragte Jim ungläubig. „Du wirst es mir noch glauben, Freund Jim!“ „Aber gegen wen sollten sie kämpfen?“ 51
* Die Fackel wurde kleiner. Die dünne Außenhaut des sirianischen Raumschiffes zerplatzte. Lautlos. Aber die Teile sprangen weit in die Ebene hinein. Das Getanze hörte auf. Wie ein einziger großer Nebel sanken die Ungeheuer um die Fackel zusammen, die das Schiff einhüllte und etwas in die Breite zu gehen schien. In diesem Zusammensinken spielte sich eine absonderliche Metamorphose ab. Die körperlosen Wesen richteten sich wieder auf, aber sie waren jetzt wesentlich kleiner als vorher. Sie wurden zu nebelhaften Wesen, die kaum so groß waren, wie ein mittelgroßer Erdenmensch. Wieder glitten sie weiter. Bewegten sich in einem eigenartigen, fließenden Rhythmus auf die Mulde zu, schwebten zum Spalt hin, auf den Turran sich hatte fallen lassen müssen, und drangen in die Unterwelt dieses merkwürdigen Stern vor, die von einer brandroten Fläche erfüllt war. Schattenwesen! Xa wußte, daß sie einstmals ihren Körper verloren hatten. Es waren aber Wesen, die bewußt handelten und alles wahrnehmen konnten, was um sie geschah. Dadurch unterschieden sie sich auch von den fliegenden Riesen, die angeblich einmal mit ihnen verwandt gewesen sein sollten. Schattenwesen! Sie ließen sich auf das Feuer herab, das in der niedrigen Höhle wogte, die unter dem Spalt lag. Nebel vereinigte sich mit dem Feuer. Wurde aber nicht von ihm aufgelöst. Bewegte sich weiter auf die Verengung der langen Höhle zu, durch die das Feuer in andere Teile dieser Unterwelt überging. 52
Als sie fast an der Verengung heran waren, wurde diese plötzlich von einem anderen Schattenwesen verdunkelt, das massiger und schwerer hinter ihr wuchtete. Aber es verschwand gleich … * Die Fackel der brennenden Halbkugel stieg wieder. Sie warf sich dem Raumschiff entgegen, das mit magisch aufleuchtender Außenhaut aus dem Sternenhimmel herabschoß. Xa stand neben Vrenn und sah aufmerksam zu Jim hin, der noch am EO-Seher hockte und Anweisungen gab. „Turrans Raumschiff?“ fragte Wernicke atemlos. „Scheint so! Weiter nach rechts!“ Xa übertrug leise und schnell. Vrenn ließ zwei Ringe kreisen und drückte einen dritten etwas herab. Das Raumschiff ging hundert Meter von dem brennenden entfernt nieder, das immer mehr auseinandersprang. Es setzte auf. Wernicke wollte hoch, doch Jim winkte ab. „Du bleibst mit Lonn an Bord!“ „Natürlich!“ begehrte der Commander heftig auf. „Natürlich! Ich! Das ist immer so! Wenn schon mal was Neues …“ „Markiere nicht Muttis Trotzköpfchen“, grinste Jim. „Paß lieber auf, daß der Bursche dir keinen Streich spielt…“ Wernicke schnaufte verächtlich. Der Bursche war Lonn. Er sah schweigend und unbeweglich zu, wie Jim, Xa und Vrenn sich vor der Klappe drängten, die mit der Plattform wieder nach außen ausschwenkte, und dann ausstiegen. Wernicke sah das auch, aber er schwieg nicht dabei. Er verfluchte Lonn in allen Tonarten. *
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Jim rannte zu Turrans Raumschiff hin. Er stoppte, als wieder Teilstücke aus der Außenhaut sprangen und ihm wie kleine böse Vögel um den Kopf flogen. Dann war er heran. Diese Fackel war ein unbegreifliches Phänomen. Sie stand geradezu unwahrscheinlich ruhig und plastisch über der oberen Hälfte des Raumschiffes, dessen Klappe geöffnet war. Sie konnten noch in den Innenraum sehen, der aber nur die übliche Steuersäule und grüne Matten zeigte. Immerhin erkannte Xa an den Matten und an der runden Form der kleinen Tafeln, die schuppenartig die Innenwand bedeckten, daß das Raumschiff vom Doppelplaneten Zö stammte. „Also ist Turran von Zö abgeflogen.“ „Das ist möglich“, sagte der Gelehrte und gab das Zeichen der Bejahung, fügte aber gleich darauf ratlos hinzu: „Wie kann es aber geschehen, daß es mit offener Fackel ausbrennt?“ Jim schaltete an seinem Röhrengerät, aber es gab ihm nicht die Antwort, auf die er im stillen gehofft hatte. Draußen zeigte sich nicht die kleinste Spur von Luft. Und hier brannte ein offenes Feuer! Auffällig war daran nur die klare, plastische Form der Fackel. „Wir können das Phantom nicht deuten, Xa! Jetzt noch nicht! Komm, wir müssen uns nach Turran umsehen …“ Sie entdeckten die große Mulde, die vom Raumschiff einige Meilen entfernt lag, und begannen darauflos zu marschieren. Vrenn war es, der plötzlich nach links davonrannten und vor einem kleinen Ding stehenblieb, das auf dem Felsboden lag. Sie rannten hinter ihm her. Was der Sirianer aufhob, war das Stück eines Wulstpanzers, eine Verbindungsschnalle, die eines der Kontrollgeräte festhielt, aber Jim sah gleich, daß es nicht aus dem Material hergestellt worden war, das von ihnen verwendet wurde … 54
„Hier ist Turran gewesen!“ sagte auch schon Xa. „Das läßt verschiedene Möglichkeiten offen …“ „Die Mulde“, drängte Xa und sah sich um. „Vielleicht ist er abgestürzt.“ Jim winkte ab. Er beugte sich herab und sah, daß der graue Felsboden in einen kaum mehr als fußbreiten Pfad zerbröckelt und zertreten war. Sie führte vom Fund weg in Richtung Mulde. Jim Parker stellte noch mehr fest. Das Raumschiff mußte hier gelandet sein. Wie aber kam es dann an einen Punkt, der einige Meilen weiter zurücklag? Sie marschierten los. Die Spur führte in einem weiten Bogen zur Mulde. Aber sie sahen unterwegs, daß Turran nicht nur vor sich hingegangen war. Die Spur verriet mehr. Sie ließ allerhand ahnen, was nichts für schwache Nerven sein mochte. Turran mußte einmal gefallen sein, war dann hin und her gegangen und mußte sich um sich selber gedreht haben – – Sie verfolgten die Spur bis zum Muldenrand. Jim Parker kletterte als erster hinab. Dann sollte Xa folgen. * „He, Lonn …“ Lonn reagierte nicht, als Wernicke mit ihm sprechen wollte. Wahrscheinlich konnte er sich denken, daß Wernicke nicht allzu freundschaftlich gestimmt war. „Lonn, wenn Ihr mir nicht gleich sagt, daß die in Fon Euch einen Streich gespielt haben, und daß Ihr nichts damit zu tun habt, seid Ihr in meinen Augen ein ganz häßlicher Vogel …“ Wieder keine Antwort. Wernicke hatte genug von dieser verdammten Unterhaltung, die nicht zustande kam. Er stand auf, ohne den Sirianer 55
aus den Augen zu lassen, ging an die Steuersäule und drehte den dritten Ring so, wie er es vorhin bei Vrenn beobachtet hatte. Die Klappe des Raumschiffs schloß sich langsam. Der tiefrote Schein der großen Fackel, die nun doch langsam zu ersterben begann, wich aus dem Innenraum. Die kleinen Tafeln an der Innenwand leuchteten auf. Wernicke kroch wieder neben Lonn. „Ihr könnt Eure Kopfhaube abnehmen!“ Lonn reagierte wieder nicht. Fritz war das gleichgültig; er riß seine eigene Kopfhaube herunter und langte sich eine kleine, aber sehr bauchige Flasche mit irgendeinem Feuerwasser aus der Mappe, die neben ihm stand. Er wußte, daß Lonn gern einen mochte und hielt ihm die Flasche hin. Lonn rührte sich nicht und schwieg eisern. Wernicke fand gerade das so verabscheuungswürdig, daß er begann, die Flasche allein auszutrinken. Als er sie halb geleert hatte, summte das TTC-Gerät auf. * Nach Xa folgte Vrenn. Sie brauchten nicht lange nach einer Spur zu suchen, die sie weiterführte. Sie sahen gleich, daß Turran wie ein rasendes Raubtier gekämpft haben mußte, bis dann plötzlich von einer Stelle aus die Spur wieder ganz natürlich und friedlich zu einer zweiten Vertiefung führte und dort endete. In dieser Vertiefung aber gähnte ein Spalt, in dem es wie von einem fernen Feuer aufflammte. „Dort …“ „Sein eigener Wille hat ihn sicher nicht in jene schaurige Hölle getrieben“, sagte Xa schwer und starrte auf den Widerschein des Feuers, der ihm Kunde davon gab, daß der Stern doch noch lebte. 56
Vielleicht intensiver lebte, als sie dachten. Jim Parker zögerte unwillkürlich etwas, aber dann sagte er es doch. „Xa, es tut mir leid, aber wenn wir wenigstens noch versuchen wollen, Turran zu helfen, müssen wir dort hinein – es tut mir leid um euch beide – aber –“ „Was sollte ich fürchten, guter Jim?“ Vrenn sagte auf Sirianisch dasselbe. Wieder setzte sich Jim an die Spitze. Sie hatten Leinen aus einem feinen Kunststoff bei sich, die sie jetzt entrollten und mit Saugklammern am Felsboden befestigten. Diese Saugklammern waren in Orion-City entwickelt worden, trotzdem war der Abstieg mehr als riskant. Jim turnte bis zum Spalt herab, trat auf einen winzigen Felsvorsprung und sah die Unterwelt. Der Spalt führte in die Höhle, in die schon Schattenwesen vorgedrungen waren. Jim konnte bereits erkennen, daß die Höhle nur drei oder vier Meter in die Tiefe ging. Dann sprang er hinein. Steuerte im Herabrollen des Seils einen Abhang an, der unten an eine brennende Fläche heranführte, die wie ein glühender, zuckender See vor ihm lag. Jim löste sich vom Seil, befestigte es auch hier an der felsigen Wand und wartete, bis Xa und Vrenn in die Höhle herabtaumelten. Schweigend standen sie vor diesem schaurigen und schönen Bild. Vrenn zeigte zu der Verengung hin, die in eine andere Höhle führte. Jim nickte nur und blickte besorgt auf Xa. Xa war immerhin ein alter Mann. Und es war alles andere als angenehm, hier zu stehen. Es war heiß, doch das wurde von der Klimaanlage ihrer Wulstpanzer vorläufig noch ausgeglichen. Schlimmer war die Gefahr, die von dem Feuer selber drohte, Jim dachte flüchtig daran, daß er auf dem Mars einmal in eine solche feuerdurchtobte Unterwelt vorgedrungen war – aber das war lange her. 57
„Hier ist Turran nicht, Jim!“ „Wir müssen sehen, was in der nächsten Höhle ist.“ Xa hatte bereits große Felsbrocken entdeckt, die in unregelmäßigen Abständen aus dem Feuermeer herausragten und über die man vielleicht voranspringen konnte. Xa traute sich das ohne weiteres zu, und die Flammen, die von dem Feuer aus aufflammten, waren nicht sehr hoch. „Hier ist nichts! Wir müssen an die Verengung heran!“ „Über die steinernen Blöcke, guter Jim!“ „Bleibt hier! Ich versuche es!“ * „Hallo, Kommodore! Hallo…“ Fritz Wernicke schloß noch das Kabel des TTC-Geräts an das KT-System seines Wulstpanzers, als schon der Anruf kam. Das war Ars-Fon! Die hatten es ja verdammt eilig … „Lonn, verhalte dich hübsch ruhig, du komisches Gespenst!“ Lonn rührte sich nicht. Aber in seinen Augen glommen Haß und Hohn. Das sah Wernicke nicht. Der Commander ging mit fliegenden Händen über das kleine braunglänzende Gerät und ließ das schmale Seidenband los. Der Text kam. „Verlaßt sofort den Stern! Rechnen mit großen Ausbrüchen! Verlaßt sofort den Stern! Rechnen mit großen Ausbrüchen! Verlaßt sofort …“ „Die sind wohl verrückt!“ Und dann: „Starten in drei Stunden mit drei Raumschiffen…“ Lonn machte eine kurze Bewegung, die Wernicke nicht beachtete. Wernicke wurde leichtsinnig. Er sah nur den Text auf dem Seidenband …“ Mit einer kurzen Bewegung riß er seinen Taschensprecher heraus. 58
* Einer im Wulstpanzer sprang. Jim Parker landete auf dem ersten der schwarzglänzenden Felsbrocken, die aus der schwelenden und stellenweise flammenden Glut der Höhle herausragten. Hier irgendwo mußte Turran sein! Er balancierte sich aus. Es waren Herzschläge zwischen Leben und Tod. Wer einmal in dieses Feuermeer fiel, war rettungslos verloren. Selbst die Wulstpanzer würden das nicht aushalten. Als er sicher stand, warf er Xa eine Leine zu. Xa trat an das Feuer heran, bis die äußersten Flammen die schweren grauen Stiefel leckten. Aus dieser Stellung federte er hoch und sprang elastisch auf einen Felsbrocken, der einige Meter rechts von Jim lag. Dann folgte Vrenn. So arbeiteten sie sich auf das Feuermeer hinaus. Xa blieb nach dem dritten Sprung länger stehen, kniete sogar nieder und rief nach dem Röhrengerät. Der Kommodore warf es ihm an einer Leine zu, blickte selber aber stur auf die Verengung, die einige hundert Meter vor ihnen lag. Es paßte ihm nicht, daß Xa sich noch Zeit für wissenschaftliche Untersuchungen ließ. Er dachte nicht an die Wissenschaft in diesen Minuten – er wollte diesen Turran herausholen – er wollte ihn notfalls aus den Klauen der Ungeheuer reißen. Xa aber war glücklich. Er erkannte, daß dieses Feuer aus unvorstellbaren Tiefen, aus Schichten stammte, die sich unter der Erstarrungskruste der Oberfläche – denn es war nur eine ganz, ganz dünne Kruste, auch wenn sie sich bereits mit durch Gasstauungen gebildeten Hohlräumen tiefer schob – in noch gasförmigem Zustand zu ersten Verbindungen fanden. Gewiß – für die Laien war dies ein toter Stern, weil er nicht 59
mehr leuchtete, und es war auch sicher, daß er zu den sterbenden Sonnen gehörte, nur war der Prozeß noch nicht soweit gediehen, wie selbst die Wissenschaftler annahmen. Vielleicht wußte Lonn mehr? Unseliger Lonn, was trieb dich zu einer so ehrenrührigen Handlungsweise? „Xa, wir müssen weiter …“ Der Gelehrte richtete sich auf und spürte zum erstenmal, wie es von unten her warm und ungut aufstieg und ihm den Schweiß über das Gesicht trieb. Sie sprangen weiter. Nach drei weiteren Sprüngen hatten sie sich bis in die Mitte des Feuermeeres vorgearbeitet und konnten durch die Verengung in die Höhle sehen, die sich dieser anschloß. Sie blieben sehr still und sehr steif stehen; denn sie wurden Zeugen eines Geschehens, das unwirklich und grotesk und doch unsagbar erschütternd war. Körperlose Wesen rangen in der nächsten Höhle miteinander. „Ich ahnte, daß einmal so etwas geschehen würde“, kam Xas Stimme flüsternd über den KT-Funk. „Das ist der Entscheidungskampf der Schattenwesen gegen die, die sich zu fliegenden Riesen wandelten.“ Jim verstand ihn nicht. Er sah mit großen und aufmerksamen Augen auf das schweigende Ringen. * Da war eines der Schattenwesen. Nicht größer als die, die sich beim brennenden Raumschiff einer unfaßbaren Metamorphose unterwarfen, und doch dirigierte es den Kampf. Es hielt sich allein. 60
Die anderen bildeten eine Kette, die mit kraftvollen, gleitenden Bewegungen gegen die Riesen vorging, die noch tiefer in der Höhle plastischer und körperlicher aufragten und versuchten, den Angriff der Schattenwesen mit ihren Schwingen abzuwehren. Jim Parker schaltete das Außenmikrofon ein, doch es fing keinen Laut auf, obwohl in der Höhle Luft vorhanden sein mußte. Die Kette der Schattenwesen erreichte die Riesen. Der Erdenmensch und die Sirianer warteten mit angespanntem Atem auf das, was nun geschehen würde. Aber dann entwickelte sich eigentlich alles schneller und undramatischer, als sie es erwarteten: Die fliegenden Riesen wichen zurück, wichen weiter in die Höhle, deren Ausmaße sie von hier aus nicht übersehen konnten. Die Schattenwesen folgten ihnen. „Xa“, rief Jim fast verzweifelt. „Xa, ich begreife das nicht!“ Xa gab keine Antwort. In seinem Gehirn jagten sich die Gedanken, fieberheiß, quälend. Er hatte einmal gehört, daß der Schicksalsrhythmus der Schattenwesen und der fliegenden Riesen mit dem der erloschenen Sonne übereinstimmte. „Wir müssen weiter, guter Jim“, stieß er drängend hervor. „Ich fürchte, wir haben nicht viel Zeit …“ * Die Sonne flammte auf … Es war soweit. Schneller noch, als Lonn erwartete, erfolgte in diesen Augenblicken, da die Schattenwesen begannen, die fliegenden Riesen vor sich herzutreiben, der große Ausbruch. Auf der anderen Hemisphäre des Weltkörpers ergoß sich ein Strom von rasenden, flammenden Gasen gegen die Erstarrungskruste. 61
Xa sprang schon wieder über die Felsbrocken auf die Verengung zu. Er ahnte plötzlich mit dem überfeinerten Instinkt des Gelehrten, der viel allein gewesen war und viel gegrübelt hatte, daß etwas Ungeheuerliches unmittelbar bevorstand – doch nicht das Ausmaß dessen, was nun losbrach – – Eine sterbende Sonne begehrte noch einmal auf. Der rasende, heulende Gasstrom brach die Kruste auf und wirbelte, von der eigenen Gewalt gepeitscht, in gigantischen Spiralen hoch. Gleichzeitig bildete sich am Herd des Ausbruchs ein zweiter Gasstrom, bahnte sich einen anderen Weg und schoß aus einer Tiefe von dreihundert Meilen auf den Abgrund zu, von dem die Expedition nicht weit entfernt war – – Noch spürten die drei nichts. Aber schon erzitterten weite Gebiete, schon lief der titanenhaften Gewalt des Urstroms ein Beben voraus, das die Kruste in weite Schwingungen versetzte. Der Tod raste den fünf entgegen. Er würde über sie herfallen mit einer Schauerlichkeit, die ihre Sinne gleich lähmte – er würde sie von den flammenden Gasen schlucken lassen, und die Substanz ihrer Körper würde sich in wenigen Sekunden auflösen. In der Ferne flammte der Himmel in allen Farben. Auf Zö sahen sie bereits den Ausbruch. * Noch war es in den Höhlen ruhig. Nur in der großen Höhle, die sich jenseits der Verengung fast endlos zu dehnen schien, verschwand gespenstisch das wirbelnde Ringen der körperlosen Wesen. Wieder sprangen sie vorwärts. Erreichten die Verengung. Jim Parker hielt sich an der Fels62
wand fest, die sich hier wie ein mächtiger Vorhang fast völlig schloß. Seine Arme, die sich dagegenstemmten, zitterten. Er atmete tief. Ein Gedanke fieberte in ihm auf. Waren das wirklich seine Arme, die zitterten? In diesem Augenblick schrie Vrenn auf, daß es vor ihren Ohren unerträglich schrillte. Er schrie etwas auf Sirianisch. Turran, verstand Jim, Turran. Hinter der Verengung schloß sich ein schmaler, steiniger Streifen an, auf dem gerade ein Mann gehen konnte, ohne in die Glut zu fallen. Jim wagte den Sprung. Seine Füße setzten auf, und im Ausbalancieren sah er, warum Vrenn so schrie… Eine menschliche Gestalt im roten Wulstpanzer hing an der Wand, hatte sich mit dem linken Arm, den sie hochreckte, an einem Vorsprung festgehakt. Vielleicht hatten die fliegenden Riesen sie so hingestellt. Jim konnte es nicht erkennen. Es war auch unwichtig, das zu wissen. Jim arbeitete sich langsam heran, er fluchte und wußte nicht, wie er den armen Teufel hier aus der unmittelbaren Nähe des Feuers bringen sollte. Verdammt, er mußte ihn an das Seil haben. Wieder riß er einen Reißverschluß an seinem Wulstpanzer auf und ließ ein Seil herausrollen. Während er es um den unförmigen Leib des Bewegungslosen schwang, der nur noch schwach zu atmen schien, vernahm er das Zittern wieder. Heilige Mondsichel, das waren nicht seine eigenen Arme! Xas Stimme kam aufgeregt und alarmierend. „Jim! Beeile dich! Das ist ein Ausbruch – und er ist nicht weit – –“ Er wollte heran, aber Jim schrie zurück, er solle bei allen Teufeln vor der Verengung bleiben. Das Zittern in der Erstarrungskruste blieb und wurde langsam zu einem Beben. Ohne Rücksicht auf das, was geschehen konnte, riß er den Mann an sich ran, warf sich mit ihm in einem federnden Sprung herum, sah Feuer unter sich, eine rote, leckende Mordglut, dann die Verengung, fing sich… 63
Xas Arme waren da. Und Vrenns. Sie halfen ihm. Es war Turran. Er lag über Jims Schultern, als sie sich zurückarbeiteten. Der Gasstrom jagte heran … * Auch in Ars-Fon sahen sie es. Die erste fallende Dämmerung gab den unendlich fernen, magischen Schein frei, der den ausdunkelnden Himmel verzauberte und schön war für den, der es von hier aus sehen durfte. Von Fon trafen ununterbrochen Meldungen ein. Die Sirianer jagten Boten zum Stützpunkt der „Organisation Andromeda“. Captain Magnus Brown pfiff auf die Schönheit des weltenfernen Scheins, der in der ganzen Stadt unzählige Sirianer auf die Kanäle lockte. Die Sonne – das war sie – die verdammte Sonne – – Er befahl die größte Beschleunigung der Startvorbereitungen. „Okay, Captain!“ antwortete der Mann in der Raumflugbasis aufreizend phlegmatisch. Magnus Brown raste zur Basis hinaus. Mit ihm 24 Raumflieger verschiedener Dienstgrade. 83 Minuten später kreiselten drei irdische Raumschiffe vom interstellaren Typ hoch. * Wernicke sah Jim und die beiden anderen kommen. Er stand wieder auf, ließ die Klappe ausschwenken und atmete erst einmal tief und befreit durch. Jim Parker hob Turran auf die Plattform. „Abnehmen …“ 64
„Und ihr?“ schnappte Wernicke irgendwie beunruhigt zurück und zeigte auf den flammenden Osthimmel, der zerrissen wurde von den Garben des fernen Ausbruchs, der nichts war als ein Inferno, das rot und blau und weiß zuckte und wirbelte. Jim atmete schwer und sah zu, wie Wernicke den regungslosen Turran in das Innere der Halbkugel trug. Dann wandte er sich plötzlich um und schrie zornig auf. Xa entfernte sich. Bei allen Göttern und allen Teufeln! Der Gelehrte trug sein Röhrengerät und rannte damit in die Ebene hinein. Vrenn verstand die Erdenmenschen nicht gut, aber er begriff doch, daß der Kommodore ihm zurief, er solle beim Raumschiff bleiben. Dann war auch Jim Parker schon wieder unterwegs. „Xa! Hallo, Xa!“ brüllte er über KT dem Davonrennenden nach. „Bist du von Sinnen?“ Xa achtete nicht auf ihn. Er rannte in eine Richtung, aus der das Beben kam, das in immer stärkeren Stößen heranrollte. Ich muß die Werte haben, hämmerte ihn der Ehrgeiz des Wissenschaftlers voran, ich bin der erste, der das aus nächster Nähe miterleben darf. Er dachte nicht mehr an sich – an sein Leben – an die anderen. Im Dahinjagen spürte Jim Parker zu seinem Entsetzen, daß sieh der leichte Felsboden hob und senkte und wieder hob. Er wandte sich im Laufen um und sah zu dem Raumschiff zurück. Hob den rechten Arm. Schrie wieder über KT. „Starten, Wernicke! Hoch und nachkommen!“ * Der heulende Gasstrom warf alles beiseite. Wenn er nach oben schoß und die Kruste durchstieß, brach die Hölle auch über dieses Gebiet herein. Auf der anderen Hemisphäre tobte sie bereits – – 65
Die flammenden Wirbel waren greller als der Schein des Zentralgestirns. Noch nie hatten die Sirianer so etwas erlebt. In Fon sahen sie die Naturerscheinung später als auf ArsFon, denn hier dauerte es vier kleinere Zeitwerte länger, bis die Dämmerung kam, und auch in dem großen „Herz der Fruchtbarkeit“ die Sirianer auf die Kanäle und die Plätze der Runds trieb und staunend und doch voll untergründiger Angst zum Himmel aufsehen ließ. Jen stand auf irgendeinem Platz neben Sirianern, die sie nicht kannte. Keiner achtete auf sie. Ihre Augen waren groß. Ihre blasses Gesicht zeigte, wie hilflos und verzweifelt sie war. Ihr Hüter des Unendlichen – gebt Turran aus der Hölle frei – – Der weltenferne Schein, der magisch diesen Abend verzauberte, gab keine Antwort – er flammte in drei großen Strahlenbündeln im Norden auf – Auch Monga sah ihn. Monga, der große und anerkannte Gelehrte war Gast des Direktoriums der Ordnungsmänner. Man hatte diese höfliche Formulierung gefunden, denn es war auch für Sirianer eine heikle Sache, einen großen und anerkannten Gelehrten in Untersuchungshaft zu halten. Er saß in einem blühenden Garten auf einer Bank aus hartlackierten Matten und genoß das Schauspiel am Nordhimmel mit dem kühlen Interesse des abgebrühten Wissenschaftlers. Der hohe Offizier, der neben ihm saß und sich ab und zu mit einer wissenschaftlichen Frage an ihn wandte, sah nicht den harten Glanz in seinen Augen und ahnte nicht seine Gedanken. Lonn, dachte er – schlag zu – bleibe jetzt kaltblütig – – Und dann raus mit dem Raumschiff, Lonn! *
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Xa blieb stehen. Seine langen Beine wollten nicht mehr, aber er hatte immerhin einige hundert Meter zurückgelegt und einen Standpunkt erreicht, von dem aus er die Intensität eines seltsamen, schwachroten Flammenbündels relativ gut messen konnte. Das schwachrote Flammenbündel wischte in regelmäßigen Abständen – Xa hatte bereits im Heranlaufen sechs kleinste Zeitwerte gezählt – hoch und fuhr über den ganzen Höllenspuk hin – – Xa achtete nicht auf das Beben vor ihm und unter ihm, das immer stärker wurde. Er verlor überhaupt jede sachliche Überlegung, als er das Röhrengerät mit zitternden Armen niedersetzte und schaltete, wie er es bei Parker gesehen hatte. Xa war nicht Monga. Xa fieberte, wenn die Natur fieberte … Aber er kam nicht dazu, seine Messungen vorzunehmen. Weiß vor Zorn jagte der Kommodore aus der angstgeduckten Ebene heran und warf sich fast auf ihn – rüttelte ihn – – „Xa! Hoch! Nimm doch Vernunft an!“ Xa schüttelte den Kopf, als wollte er die Störung zurückweisen. Nur seine Hände waren wichtig, denn sie schalteten, sie stellten den Grundwert, auf den er die Messungen abstimmen mußte. „Xa!“ Die tastenden Hände stockten, die Augen, die in das vielfarbige Flammen und Kreiseln und Tanzen am Osthimmel sahen, rissen sich davon los wie unter einer großen Entzauberung. Xa wandte Jim sein Gesicht zu. Stand auf. Zögernd. Schweigend. „Komm, Xa! Wir müssen runter von diesem verdammten Stern.“ „Ich hatte schon vorhin ein seltsames, schwachrotes Flammenbündel beobachtet, Jim“, sagte der alte Sirianer fast demütig, daß es Jim irgendwie beschämte. „Wir müssen an Turran denken“, sagte er rauh, „darum …“ „Nun …“ 67
Er kam auch nicht dazu, noch eine Bitte auszusprechen. Seine Augen blickten an Jim vorbei in die Ebene zurück, erfaßten das Raumschiff und sahen die menschliche Gestalt, die von dort aus in langen Schritten auf die Mulde zurannte. Sie trug eine andere auf den Schultern, die sich nicht rührte. Jim erkannte sein Entsetzen und wirbelte herum. „Damned …“ * „Sie geben uns Nachricht!“ Captain Magnus Brown stand im Befehlsraum des interstellaren Raumschiffes „Centaur“. Neben ihm Person, sein Erster, und ein Sirianer, den er als Spezialisten für sirianische Nachrichtenübermittlung mitgenommen hatte. Der Verband stand in dem Augenblick, da Xa und Jim sahen, daß bei ihrem Raumschiff etwas nicht stimmte, an der Grenze des sirianischen Magnetfeldes O M III, das ihn in zwei Tagen an die tobende Sonne heranführen würde. Brown war entschlossen, in die Hölle hineinzuhauen. „Nachricht von Zö?“ Der Sirianer trat von dem EO-Seher zurück. Er hatte mächtige Lichtzeichen beobachtet, die von dem Planeten Zö kamen. „Sie teilen uns mit, daß bei ihnen der Schein von der Sonne so stark ist, daß er die Helligkeit ihres ‚Ersten Lichts’ überwindet. Sie verfolgen unsern Flug …“ „Kann ich mir denken!“ Magnus Brown wandte sich an seinen Ersten. „Person! Parker anrufen! Wir müssen wissen, was wir tun können! Wir können doch nicht mitansehen, wie sie mit dem Ding dort vorn hochgehen“ „Hoffentlich kriegen wir noch Verbindung mit Parker! Die Empfänger sind außer Rand und Band!“ „Kein Wunder! Versuchen Sie es trotzdem!“ 68
* Die Gestalt sprang in die Mulde. Der Boden duckte sich noch einmal und brach dann auf. Einige Meter vor ihnen war plötzlich ein breiter Riß im grauen, unruhigen Gestein. Die Titanenfaust des Ausbruchs schüttelte sie zum erstenmal so, daß sie taumelten und sich kaum auf den Beinen halten konnten. „Damned!“ fluchte Jim Parker wieder los. „Jetzt zaubert der uns noch was vor!“ Als er das letzte Wort aussprach, rannte er bereits wieder zurück. Xa achtete nicht mehr auf das Röhrengerät und die wischenden Flammenbündel im Osten – er folgte Jim – Jim rannte nicht zur Mulde hin, sondern zum Raumschiff. Der erste, den er sah, war Vrenn. Vrenn lag auf dem Felsboden, langgestreckt, aber er zuckte und begann sich zu krümmen. Jim sprang über ihn weg und riß die Plattform hoch. Im Innern lag Fritz Wernicke, richtete sich aber benommen wieder auf. „Diese Esel!“, schrie Jim, „diese traurigen Esel … .“ „Ergieße bitte deinen Zorn über andere“, antwortete die Stimme des Commanders, und sie hatte schon selbstbewußter geklungen. „So ein hinterlistiger Bursche …“ „Auf hinterlistige Burschen paßt man auf“, sagte Jim hart und sah sich um. Auf dem Podest neben der Steuersäule brannte wie immer ein sirianisches Kraut, nur daß sehr viel Rauch darüber stand … Fritz Wernicke sprang auf. „Ich habe auf ihn aufgepaßt, bei allen Mondscheiben! Aber er hat was in diesen verdammten Lufterzeuger getan, und wir hatten beide schon die Außenatmung miteingeschaltet!“ Er zeigte auf den Podest, der in keinem sirianischen Raumschiff 69
fehlte. Blickte sich um. Immer wilder und verzweifelter. Stieß den Kommodore beiseite und sprang aus dem Raumschiff. Stieß fast mit Xa zusammen. Mußte sich ausbalancieren in einem neuen Ausbruch der Erstarrungskruste. „Ich hole ihn“, heulte er in sein KT-Mikrophon hinein. Die kleine Gestalt reckte sich in einer maßlosen Wut dem Himmel und dem ganzen verdammten Beben entgegen. Jim Parker warf sich herum, deute Xa, sich um Vrenn zu kümmern und rannte hinterher. Xa beugte sich zu Vrenn herab und sah ihnen nach. Lange. Voller Sorge – – * Aber auch Vrenn kam zu sich. Während er sich benommen auf dem Arm des Gelehrten stützte, der gleich erkannte, mit welcher Infamie Lonn sich dieses Attentat ausgedacht und es ausgeführt hatte, löste sich weit im Innern der Sonne von dem Herd des Ausbruchs ein dritter Strom, ging steil nach oben und durchstieß 1200 Meilen von ihnen entfernt die Erstarrungskruste. An Bord des „Centaur“ und auf den beiden anderen herankreiselnden Raumschiffen beobachteten sie es. Captain Magnus Brown hieb seine Faust auf den Kontrollstand, als über der großen Halbkugel, die ihnen scheinbar von unten her urtierhaft und furchteinflößend entgegenrollte, eine grünlich flammende Spirale aufwirbelte, und sich in rasenden Drehungen selbst in das Weltall hinausschleuderte. „Dantes Hölle“, sagte er schwer zu Person. „Wissen Sie jetzt, wie das ist?“ „Wir können nicht vor dreißig Stunden da sein“, murrte der Erste düster und fuhr sich über die Gurgel. „Das ist die Schweinerei!“ 70
Aber die drei Raumschiffe stoppten nicht. Sie warfen sich dem Verderben entgegen. * Wernicke sah nichts mehr – – Er sprang einfach in die Mulde hinein, stemmte sich instinktiv dem hochschießenden Boden entgegen und rollte sich aus. Weit im Süden von ihnen wuchs die Spirale. Von einer gläsernen grünen Helle war sie, aber sie wechselte sekundenschnell in ein schneidendes und blendendes Weiß. Eine Spirale? Ach, ein Schwert der großen Schöpfung schnitt in den Himmel – – Wer dort hineinsah würde nie mehr sehen. Wernicke spürte eine unbekannte und unheimliche Kraft im Rücken. An ihm vorbei ergoß sich die weiße Helle des Ausbruchs über das Felsenland, das sich duckte und hob und duckte … Der KT-Funk funktionierte noch. „Du Idiot!“ schrie Jim Parker, der ihm folgte und ebenfalls den waghalsigen Sprung wagte. Er bekam Wernicke noch zu fassen, der besinnungslos vor Wut war und sich in den Abgrund stürzen wollte. Er riß ihn zurück. „Wir müssen uns anseilen, Fritz“, sagte er rasch, „so geht das nicht.“ „Aber Lonn …“ „Lonn wußte wahrscheinlich mehr, als wir dachten“, keuchte hinter ihnen einer. Xa. Er glitt an dem Seil herunter, das sich noch am Muldenabhang spannte. Xa. Er wollte verzweifeln, aber er ließ seine Freunde nicht im Stich. „Seile, Jim! Wir müssen …“ „Ich habe schon!“ Fritz Wernicke erkannte, was sie wollten. Er warf sich lang 71
hin, preßte eine Saugklammer gegen den Boden und rollte sich dann an dem Seil, das aus seinem Wulstpanzer drang, auf den Spalt zu, unter dem es immer noch rot lockte und zuckte … „Wenn Turran noch bewußtlos ist, kriegen wir die beiden nicht raus!“ Xa schloß die Augen, und sein Körper war feinnervig genug, um das Nahen der Katastrophe zu spüren – bald – es würde nicht mehr lange dauern – – Diesmal sprang Xa als zweiter. * Die Gasspirale wuchs und tobte. Über Zö sank die Abenddämmerung, doch es blieb trotzdem taghell, in Ars-Fon – schon weiter entfernt – waren die ersten Stunden des „Ersten Lichts“, das dort gerade anbrach, von einer unwahrscheinlichen und schmerzenden Helle erfüllt, die das Denken und das Arbeiten schwermachte. In Fon selbst wurde die Nacht kurz nach ihrer Wende zum Tag. Die Himmelskundigen der „Schule für Himmelswissenschaften“ saßen in den Beobachtungskammern der schlanken Türme hinter den Taa-Scheiben. Sie machten ernste Gesichter. „Der „Sohn des Sirius“ schickte drei hohe Beamte zu Erni. „Kann sich die Expedition roch retten?“ „Sie muß unverzüglich zum Rückflug starten, sonst ist sie verloren! Wir mußten feststellen, daß der zweite Ausbruch von einem Beben begleitet ist, das sich in Richtung auf das Gebiet zubewegt, in dem sich die Expedition aufhält – und das deutet darauf hin, daß dort in wenigen kleinen Zeitwerten ebenfalls ein Gasstrom durchbrechen wird!“ „Ihr könnt Euch nicht irren?“ „Bei den Hütern des Unendlichen – nein!“ 72
* Die Himmelskundigen irrten sich nicht. Der Gasstrom durchschoß den Abgrund, riß die glühenden Wolken auf und ließ sie in der ganzen Breite des Abgrunds zu einer phantastisch wirbelnden Mauer aufsteigen. Dann raste er in die Höhlenkette hinein, die direkt auf die große Mulde zuführte. Ein flammender Strom – aus der Urkraft der Schöpfung geboren. Die Höhlenkette dehnte sich endlos und wurde in ihrer ganzen Ausdehnung von dem Feuermeer bedeckt Doch sie war nicht ohne Leben. Die fliegenden Riesen erfüllten sie. Die Schattenwesen hatten sie so weit zurückgedrängt. Die fliegenden Riesen flohen, als das Beben der Erstarrungskruste so stark wurde, daß es das Nahen des Gasstroms meldete. Sie flohen auf die Vorhöhle und den Spalt zu. * Lonn blieb stehen. Die Schultern schmerzten ihm, daß er es nicht mehr aushalten konnte. Unter dem „Wulstpanzer war sein ganzer Körper mit Schweiß bedeckt. Lonn flog an allen Gliedern. Er hatte plötzlich Furcht, aber er durfte nicht ohne das zurückkehren, was er Monga versprochen hatte. Und Turran? Lonn sah das Feuer und spürte das Beben. Die Furcht wuchs in ihm mit jedem Herzschlag. Er wollte zurück, aber er konnte es nicht mehr. Hier mußte es sein, hier war die Höhlenkette, von der er gehört hatte. Dort drüben an der Verengung, die sich vorhangartig zusammenschob… 73
Lonn biß die Zähne zusammen. Zuerst mußte Turran verschwinden. Er bückte sich etwas und ließ den Mann, der sich nicht rührte und sich nicht wehren konnte, von der Schulter gleiten. Aber es blieb bei dieser Bewegung. Wernicke war da. Er ließ sich am Seil in die Höhle hinabgleiten. Er hatte noch nicht den Abhang erreicht, als Xa und der Kommodore fast gleichzeitig folgten. Lonn sah es. Er hielt Turran in den ausgestreckten Armen. Mein Gott, fieberte Jim, während er verzweifelt Wernicke etwas zuschrie, wenn er ihn in das Feuer wirft. Aber Lonn wagte es nicht. Turran schlug hart vor dem auslaufenden Wernicke auf. Wernicke stolperte über ihn und schlug lang hin. Mit dem Kopf zum Feuersee. Unter der Brust die harten, schmerzenden Stöße des Bebens. In diesem Augenblick erbrach sich der Gasstrahl voll in die Höhlen. Lonn wartete nicht ab, bis Jim Parker an ihn heran war. Ich muß hier raus, hämmerte es in seinen Schläfen. Ich muß hier raus, aber ich darf nicht ohne. Bevor der zuspringende Kommodore ihn erreicht hatte, sprang er schon auf einen Felsbrocken zu, die aus dem Feuermeer ragten. Er wollte sich so an die Verengung heranarbeiten. Es war gut gedacht, und er landete auch auf dem Felsbrocken. Aber der Grund bebte und war voller Unruhe und heimtückischer Bewegungen. Lonns Füße faßten den Felsen. Glitten ab. Er wollte sich ausbalancieren. Stierte benommen und verzweifelt und schluchzend auf das Feuermeer, das sich um ihn drehte. Herzschläge dauerte es – einige Herzschläge lang. *
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Er selber stand ganz ruhig vor dem Schattenwesen, die Arme leicht vom Wulstpanzer abhebend und doch mit den Griffklauen nach unten. Dann sprach er wieder. Jim Parker strengte sich an, um zu verstehen, was er sagte, aber Xa sprach in einer Singsangsprache, die sich unendlich traurig anhörte, und die weder Jim noch Wernicke je gehört hatten. Jim wußte, lange hielt er das nicht mehr aus … Das Beben wurde zu einem Donnern und Stampfen und ließ sie taumeln, ließ sie taumeln wie kleine Puppen … „Verdammt, Jim …“ „Sei ruhig, Mensch!“ Der Kommodore sah angespannt zu dem Silberstreifen hin, der unendlich langsam wuchs, in die Breite ging, der seine Farbe wechselte, zu einer gigantischen Brandung wurde, die Kaskaden von roten, weißen und gelben Schaumfetzen vor sich hinwarf. Aber dann war es nicht mehr. Jim Parker taumelte, so packte ihn, was in den nächsten Sekunden geschah. Eine Woge von schwarzfließendem Nebel legte sich vor den heranjagenden Tod und floß durch die Verengung in die Höhle – auf sie zu – – Schattenwesen! Keine fliegenden Riesen, das erkannte Jim gleich, aber unzählige der kleinen, körperlosen Wesen. Xa brach in seiner Singsangsprache ab und bewegte sich wieder. „Hebt Turran auf!“ befahl er. Gehorsam bückten sich Jim und Wernicke. Sie nahmen den Sirianer hoch, der ausgerechnet in diesen Augenblicken zu sich zu kommen schien. „Ich nehme ihn, Fritz! Auf die Schulter, wie vorhin!“ Zum drittenmal in einer Stunde wurde Turran so gebettet. Jim wandte sich mit ihm zu Xa, vor dem noch immer das 75
Schattenwesen stand. Er sah ein, daß sie sich nicht mehr allein helfen konnten. Es konnte nur noch Minuten dauern … Das dröhnende Beben war die schaurige Fanfare des Untergangs. Er schrie nach Lonn, verwünschte ihn und klagte um ihn und wollte mit ihm in diesem Wirbel untergehen. Aber es war nur ein Aufflackern fiebergepeitschter Sinne. Als er drinnen war, fiel er gegen die matt leuchtende Wand und rutschte in sich zusammen. Als letzter sprang Jim. Er winkte Vrenn zu. Die Klappe schloß sich. Die Spirale aus roten und grünen Gasen schoß unter ihnen weg. In den Höhlen aber wütete der Gasstrom, radierte sie aus, schluckte das Feuermeer und ließ nicht ein Körnchen der Felswände übrig. Die fliegenden Riesen. Lonn. Sie waren nicht mehr. * Von den bewohnten Doppelplaneten aus sahen sie das Raumschiff. Es stieß aus der flammenschreienden Hölle der sterbenden Sonne hervor, stieß weit in das Weltall hinein, um loszukommen von ihr. Jim Parker hockte neben Vrenn. Wernicke lag lang. Xa war auf seine Matte gekrochen und machte Übungen, um wieder Gewalt über sich zu bekommen. Der TTC-Empfänger bellte und knatterte auf. Brown! Das war Magnus Brown, der sie ebenfalls sah und sie anrief. Jim nahm das Gerät, riß sich erst einmal die verdammte Kopfhaube ab, dann mit wenigen Handgriffen den Wulstpanzer vom Leibe und glaubte vor Erlösung und Befreiung zusammenbrechen zu müssen. Dann rief er die „Centaur“ und die beiden anderen Raumschiffe an. 76
Sie sollten ihnen entgegenfliegen. Nach vier Stunden waren Xa und Wernicke soweit, daß sie sich mit kühlenden Kapseln erfrischen konnten. Wernicke brach dann gleich einer Flasche das Genick, die nicht gerade Selterswasser enthielt. Er atmete tief und mit aufgeplusterten Backen, lehnte sich zurück und sah Xa an. „Noch immer Langeweile, guter Freund?“ lächelte der Gelehrte. Wernicke wurde etwas verlegen. „Danke! Für die nächsten drei Tage reicht es erst einmal! Das habe ich noch nie erlebt, daß eine Welt untergeht …“ „Wir haben es nur den Schattenwesen zu verdanken, daß wir noch leben“, sagte der Gelehrte ernst, und als sie ihn alle voller Spannung ansahen, winkte er ab. „Liebe Freunde, mein Wissen um diese Wesen und um das, was sich in den Höhlen abspielte, ist nicht sehr groß. Die Schattenwesen sind vor undenkbaren Zeiten aus einem anderen untergegangenen Sonnensystem zu unseren schwarzen Planeten vorgedrungen. Ich nehme an, daß der Untergang ihrer Heimatwelt ihnen ihre physische Existenz nahm, ohne jedoch ihren Geist zerstören zu können. Vielleicht sind sie glücklich, vielleicht auch nicht, wir werden es nie erfahren. Sie werden wieder zum schwarzen Planeten zurückkehren.“ „Und die fliegenden Riesen?“ „Alle, die in jener untergegangenen Welt dem Bösen und den Untugenden verfallen waren, wurden zu Dämonen, und aus diesen wurden vor vielen großen Sonnenumläufen die fliegenden Riesen. Ich glaube, einmal auf dem schwarzen Planeten gehört zu haben, daß es zu einem Entscheidungskampf auf der Sonne kommen würde, die zu ihrer Welt gehörte, und daß die Unterliegenden mit dieser Sonne sterben würden. Wir wurden Zeuge dieses Kampfes …“ Sie fragten nicht weiter. Es gab Dinge, die jenseits dessen 77
lagen, was denkende Wesen aus Fleisch und Blut erfassen konnten – die aber doch zu der Natur gehörten – zu der großen Schöpfung – – Durch die EO-Seher sahen sie den Glutball der Sonne immer gigantischer aufflammen. In einigen Wochen aber würde er sich verzehrt haben. Nach 18 Stunden trafen sie die drei Raumschiffe der „Organisation Andromeda“. Captain Magnus Brown gab ihnen über TTC eine wichtige Nachricht durch. „Der Gelehrte Monga hat gestanden, daß Lonn in seiner Schuld stand und sich erboten hatte, auf der Sonne nach edlen Steinen zu suchen, die angeblich aus einem untergegangenen Sonnensystem stammen sollten. Lonn hatte davon erfahren, als er mit einem alten privaten Himmelskundigen sprach, der inzwischen starb.“ „Diese Narren!“ sagte Xa leise und blickte nachdenklich durch einen der Sehschlitze auf die kreiselnden Gebilde der irdischen Raumschiffe, die sich ihnen anschlossen. „Ich kenne diesen Himmelskundigen – er war ein armseliger Phantast …“ Als sie sich den beiden Fon-Planeten genähert hatten, daß sie schon deutlich das Siedlungsgebiet der sirianischen Hauptstadt ausmachen konnten, richtete sich Turran zum erstenmal auf. Seine Augen nahmen den milden Schein ihres Zentralgestirns auf, der in das Raumschiff fiel, und dann sagte er laut und klar und schon wieder ganz kräftig: „Jen!“ Xa ging zu ihm und hockte sich bei ihm nieder. Seine Hand fuhr über das helle Haar des jungen Sirianers. „Ihr werdet euch wiedersehen, Turran.“ Turran lächelte glücklich. Ende
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Axel Nord:
Sonne für Großer Bär heißt der nächste UTOPIA-Kleinband, der die spannenden Abenteuer Jim Parkers im Sternenreich fortsetzt. Wird es auch diesmal Jim Parker gelingen, unterstützt von seinen tapferen Freunden, rettend einzugreifen und die drohende Gefahr in letzter Minute zu bannen? Jim Parkers Abenteuer in den UTOPIA-Kleinbänden – interessante und belehrende Jugendlektüre. Denken Sie bitte daran: Demnächst erscheint UTOPIA-Kleinband 72, ein großes Sternenabenteuer.
UTOPIA – Kleinbände erscheinen vierzehntäglich, Preis 50 Pf. Im UTOPIA-Großband Nr. 40 lesen Sie:
Das gläserne Sterben von Jimmy Guieu Wird es Jean Kariven und seinem amerikanischen Kollegen, Professor Harrington, gelingen, der Invasion aus dem Kosmos Einhalt zu gebieten? Welche Waffe kann die ungeheuerliche blaue Lichtwolke vernichten, die aus der Leere des Alls auf die Erde niedersinkt? Der spannungsgeladene Zukunftsroman „Das gläserne Sterben“ schildert den verzweifelten Kampf der irdischen Wissenschaftler gegen die geheimnisvollen Mächte des Weltalls.
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