SUN KOH-Taschenbuch
Freder van Holk
Kampf um die Sonnenstadt
ERICH PABEL VERLAG KG RASTATT/BADEN
SUN KOH-Taschenb...
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SUN KOH-Taschenbuch
Freder van Holk
Kampf um die Sonnenstadt
ERICH PABEL VERLAG KG RASTATT/BADEN
SUN KOH-Taschenbuch erscheint vierwöchentlich im Erich Pabel Verlag KG, Pabelhaus, 7550 Rastatt Neu bearbeitet von Heinz Reck Copyright © 1978 beim Autor und Erich Pabel Verlag, Rastatt Agentur Transgalaxis Alle Rechte vorbehalten Scan by Brrazo 03/2006 Gesamtherstellung: Clausen & Bosse, Leck Vertrieb: Erich Pabel Verlag KG Verkaufspreis inkl. gesetzl. MwSt. Unsere Romanserien dürfen in Leihbüchereien nicht verliehen und nicht zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden; der Wiederverkauf ist verboten. Alleinvertrieb und Auslieferung in Österreich: Waldbaur-Vertrieb. Franz-Josef-Straße 21, A-5020 Salzburg Bestellungen einzelner Titel dieser Serie nicht möglich NACHDRUCKDIENST: Edith Wöhlbier, Burchardstraße 11, 2000 Hamburg 1, Telefon (0 40) 33 96 16 29, Telex 02.161.024 Printed in Germany April 1978
1. In diesem Teil des Urwaldes von Yukatan herrschte tiefes Schweigen. Nur manchmal brachen Tiere die Stille. Affen lärmten in den Wipfeln der Bäume, und ihr zänkisches Geschrei gellte über die versunkene Stadt. Dichtes Laub und wirrer, tropischer Pflanzenwuchs überwucherte hohe, pyramidenförmige Tempelbauten mit breiten Treppen und Terrassen, gewaltige steinerne Altäre und zahlreiche Säulen mit kunstvollen Bildwerken. Geheimnisvolle Chac-Mol-Tiger überwachten wie versteinerte Geister die Kriegertempel und die Säulengänge aus wuchtigen Quadersteinpfeilern. Riesige Wurzeln hatten eine der Säulen von ihrem Untergrund verschoben, eine andere schwebte frei in der Luft, herausgerissen und getragen von den umklammernden Ästen der Bäume. Andere waren gestürzt und wurden von Schlingpflanzen an den Boden gefesselt. Dort, wo sich die massigen Wände eines Palastes noch fast unbeschädigt zu einem Viereck schlossen, stieg feiner blauer Rauch auf. Ein herkulisch gebauter Neger drehte behutsam Fleisch am Spieß über einem Feuer. Das war Nimba, der Jorube, der auf der Suche nach dem versunkenen Atlantis mit Sun Koh und dem deutschen Ingenieur Peters nach Yukatan gekommen war. Ein Geräusch näherte sich dem Feuerplatz, wie wenn jemand einen Sack durch Gras zieht. Nimba schreckte hoch und fuhr herum. Kam da jemand? Nein, nichts. Vielleicht ein verwitterter Stein, der sich von der Ruine gelöst hatte und heruntergekollert war. Nimba drehte weiter am Spieß. Eine Schlange ringelte sich unter einem Steinblock hervor, ein wahres Ungetüm. Sie war schon drei Meter lang, und noch 6
immer schob sie sich aus dem Versteck heraus. Ihr Leib war mindestens armstark – ein richtiger Würger. Nimba griff vorsichtig nach einem Ast. Die Pistole hatte er im Flugzeug gelassen, von dem er gut fünfzig Meter entfernt war. Die Schlange hatte ihn erspäht. Sie kroch direkt auf ihn zu. Ihr Kopf reckte sich steil auf. Der schillernde Rumpf tänzelte hin und her, die gespaltene Zunge züngelte unter dem furchterregenden, spitzen Giftzahn. Nimba fürchtete sich nicht vor Schlangen, selbst wenn sie so groß wie diese waren. Ruhig beobachtete er sie. Das mochte dem Reptil so passen, das Fleisch vom Spieß herunterzuholen. Jetzt war die Schlange bereits auf drei Meter herangekrochen. Ein schneller Vorstoß konnte ihn bereits treffen. Starr blinkten die winzigen Knopfaugen. Da schoß das Reptil vor. Nimba sprang gelenkig zur Seite. Gleichzeitig führte sein Arm einen wuchtigen Hieb. Der Ast pfiff durch die Luft und traf die Schlange dicht unterhalb des Kopfes. Nimba taumelte unter der Wucht des Schlages und richtete sich bestürzt wieder auf. Sein Schlag hatte keinen Widerstand gefunden. Der Riesenleib schnellte unbeschädigt vor ihm hin und her. Nimba sprang mit einer Verwünschung zurück. Ein Glück, daß das Reptil seinen Fehler nicht ausgenützt hatte. Er suchte nach einem anderen Knüppel. Ein Stein kam ihm unter die Hand, ein wuchtiger Brocken, den ein anderer nicht so leicht hätte werfen können. Nimba jedoch verfügte über Riesenkräfte. Bis vor wenigen Wochen hatte der Jorube als Boxer unter dem Namen Jack Holligan jeden Gegner im Ring besiegt. Der Stein flog auf den Kopf der Schlange, traf ihn –aber der Schlangenkopf wiegte sich unverletzt hin und her, und die kleinen Augen schienen höhnisch zu blinzeln. Der Stein prasselte ins Gebüsch. 7
Nimbas Augen wurden groß und rund vor Schreck und Verblüffung. Doch dann packte ihn die Wut. Das Reptil mußte im letzten Augenblick ausgewichen sein. Oder waren ihm Hand und Auge schon so unsicher geworden? Hastig griff er nach dem nächsten starken Ast, mit dem man leicht einen Menschen hätte erschlagen können. Er holte wuchtig aus und schlug zu – und beobachtete genau die Bahn des Knüppels. Das Holz traf die Schlange wieder unterhalb des Kopfes, fand jedoch abermals keinen Widerstand, sondern fuhr durch den Schlangenleib hindurch, als wäre er gar nicht vorhanden. Nimba ächzte. Er glaubte, daß er träumte oder wahnsinnig geworden sei. Er strich sich den kalten Schweiß von der Stirn und biß sich heftig auf die Lippen. Nein, er war bestimmt völlig wach. Er holte zum zweitenmal aus und schlug zu, aber wieder fuhr der Knüppel glatt durch die Schlange hindurch. Der Knüppel fiel zu Boden. Nimba griff sich mit beiden Händen an die Schläfen. Sein Gesicht war blaß geworden, eisige Schauer flogen über seinen Körper. Er war nicht feige, er war auch nicht abergläubisch. Gesunder Menschenverstand hatte ihn gelehrt, daß es keine Wunder gab, sondern daß sich für alles eine natürliche Erklärung finden ließ. Es gab keine Geister. Allerdings schienen sich die Menschen darüber doch nicht so ganz einig zu sein. Sie trugen Anhänger und Amulette und maßen ihnen die gleiche seltsame Bedeutung zu wie die Eingeborenen des Urwalds. Sie glaubten sogar sterben zu müssen, wenn sie ihr Amulett verloren. Sie hatten ihre Zauberer, von denen sie sich aus der Hand, aus der Schrift, aus den Karten oder aus den Sternen wahrsagen ließen. Sie hielten den Freitag für einen Unglückstag und die Dreizehn für eine schlimme Zahl, sie scheuten die Katzen auf dem Weg und glaubten an den bösen Blick. Sie hielten sogar Versammlungen ab, in denen sie Geister riefen und mit Verstorbenen sprachen. Also ganz so sicher 8
war es doch nicht, ob nicht ein Fünkchen Wahrheit darin war, wenn so viele Menschen an Mystisches glaubten. Die Ruinen, das Feuer, das Gras, der Stein, unter dem die Schlange hervorgekrochen war, ihre mörderischen Zähne, ihr dicker Leib – nein, das war keine Phantasie, sondern Wirklichkeit. Wenn das Reptil trotzdem unverletzt blieb, so gab es nur noch eine Möglichkeit: Die Schlange war ein Geist. Sie stammte aus einer anderen Welt, in der man keinen Körper besitzt und doch einen Körper hat. Geister! Nimba blinzelte vorsichtig zu der Schlange hin. Sie war verschwunden, spurlos weggeweht. Er atmete tief auf, ließ die Hände sinken und wandte sich wieder dem Feuer zu. Doch in der gleichen Sekunde zuckte er zusammen. Am Feuer hockte eine Gestalt. Ein weiter Mantel umhüllte den Körper. Der Mantel war mehrfach geflickt. Er saß so nahe, so greifbar und so deutlich, daß Nimba die Fäden in den Nähten hätte zählen können, wenn er dazu imstande gewesen wäre. Sein Gesicht ließ sich nicht beschreiben, da es sich unaufhörlich veränderte. Nur die wasserhellen Augen blieben unverändert und starrten mit spöttischer Kälte auf den zitternden Schwarzen. Nimba brachte keinen Ton mehr heraus. Dieser Mann lebte. Wenn nicht die Erfahrungen mit der Schlange gewesen wären, hätte er den ungebetenen Gast schnell in Bewegung gebracht. So aber stand er wie festgewachsen. Der Fremde grinste höhnisch. Mit einemmal blieb sein rechter Mundwinkel oben und sein linker senkte sich, so daß es aussah, als wäre der Mund schräg ins Gesicht gesetzt worden. Dann begann das Kinn nach rechts zu wandern, bis es sich fast unter dem Ohr befand und der ganze Kopf gräßlich verzerrt war. Kurz darauf pendelte es ebenso weit nach links. Nun bliesen sich die Backen auf, bis sie auf beiden Seiten wie kleine Luftballons neben den Schläfen standen, dann wurden sie wieder normal, dafür aber traten die Augen aus ihren Höh9
len. Die Augäpfel wurden voll sichtbar. Sie säßen wie auf Stielen, die sich immer mehr streckten. Jetzt waren die Augäpfel über dem Feuer, schnüffelten um das Fleisch herum, zogen sich langsam wieder zurück. Dafür begann die Nase zu wachsen. Sie wurde immer größer, sog mit Behagen die Flammen ein, strich lüstern über den Braten hin und schrumpfte wieder zusammen. Nimbas Atem hätte man vergeblich gesucht. Sein Körper war ein einziger Krampf, sein Blut wie Blei. Sein Gehirn stand an der Grenze des Wahnsinns. Plötzlich schlug der Fremde den Mantel zurück. Darunter war nichts als ein Skelett, ein bleiches, unheimliches Skelett. Eine dürre Knochenhand wuchs ins Riesenhafte, griff nach Nimba… Nein, sie zog sich wieder zurück und griff nach dem Kopf des Fremden. Ein Ruck – in der Knochenhand ruhte der grinsende Kopf mit seinem beweglichen Gesicht. Der Kopf fiel zu Boden und kam wie ein Ball auf Nimba zugerollt. Da war es mit Nimbas Beherrschung vorbei. Er brüllte entsetzt auf. Sein Körper fiel zusammen und schlug dumpf ins Gras. Friedlich knisterte die Flamme. ∗ Sun Koh und Dr. Peters wanderten durch den Gang, dessen Einstieg sie am Tag zuvor entdeckt hatten. Es war eine Expedition ins Ungewisse. Der Gang war kunstvoll mit Steinplatten verkleidet. Er war nicht breit – an manchen Stellen konnten zwei Menschen kaum aneinander vorbei –, aber so hoch, daß man bequem aufrecht gehen konnte. Er führte in die Tiefe, in die Höhe und wieder in die Tiefe, bog bald nach rechts und bald nach links. Eine Stunde lang folgten sie ihm bereits, und es wäre Peters unmöglich gewesen, auch nur annähernd zu sagen, wo sie sich 10
befanden. Sie konnten geradeaus gegangen sein und mitten unter dem Urwald stehen, sie konnten sich aber auch im Kreis gedreht haben. Sie konnten sich unmittelbar unter der Erdoberfläche befinden, aber auch hundert Meter darunter. Der Gang war streckenweise stockdunkel, manchmal von diffusem Licht erhellt, aber weder Sun Koh noch Peters vermochten zu sagen, wo das Licht herkam. Seitengänge zweigten ab und verloren sich im Dunkel. Rätselhaft, woher Sun Koh die Sicherheit nahm, geradewegs vorwärts zu eilen. »Wir sind auf Larsens Spur«, sagte er einmal, und Peters spürte, daß eine tiefe Erregung in ihm arbeitete. Er begriff. Durch diesen Gang waren die beiden Abenteurer Larsen und Garcia∗ gewandert und hatten auf ihrer Suche nach Gold rücksichtslos die geheimnisvollen Ureinwohner, die sich ihnen in den Weg stellten, niedergeschossen. Und dann hatten sie eine Halle voll Gold und Edelsteinen gefunden, in ihr einen Greis, eine Frau und einen kleinen Jungen – Sun Koh. Den Greis hatten sie sofort getötet, die Frau etwas später. In einer Anwandlung von Anständigkeit hatte Larsen den Jungen mitgenommen und in seine Heimat gebracht. Dort war er schon wenige Wochen später von einem Unbekannten abgeholt worden. Erst wenige Tage vor seinem Tod hatte Larsen den zum Mann gereiften Jungen wiedergesehen und ihn nach London gebracht. Peters begriff, daß sich Sun Koh auf dem Boden seiner Heimat fühlte und daß ihn die Sehnsucht zu der Stätte trieb, an der er geboren worden war und wo die sterblichen Reste seiner Mutter ruhten. Der Gang verbreiterte sich schlauchartig in eine Kurve hinein. Als sie um die Ecke bogen, blieben sie überwältigt stehen. Vor ihnen lag eine Höhle, eine riesige, kunstvoll aus dem Felsen herausgemeißelte Halle, deren Wände ungefähr fünf Meter hoch waren und sich zu einer Kreislinie schlossen. ∗
Sun Koh Band 1: »Ein Mann fällt vom Himmel«
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Die Decke spannte sich in schwachem Bogen über eine Weite von mindestens fünfzig Metern. Der Fußboden war mit dichtgefügten, ebenen Steinplatten belegt. An den Wänden befanden sich hier und dort flache Steinbänke. Verschiedene Gänge mündeten in die Halle. In der Mitte breitete sich eine Wasserfläche aus, ein winziger See, nicht mehr als zehn Meter im Durchmesser, ein kreisförmiger Spiegel, der durch eine niedrige Steinbrüstung aus dicken Blöcken eingefaßt wurde. Die Brüstung zeigte Beschädigungen. Eine wohl unbewußte Handbewegung hielt Peters zurück. Sun Koh schritt allein in die Halle hinein. Vor dem spiegelnden Wasser blieb er stehen und senkte den Kopf. So verharrte er lange. Peters wagte kaum zu atmen. Die Großartigkeit dieser Halle hielt ihn ebenso in Bann wie die Andacht Sun Kohs. Endlich winkte Sun Koh Peters heran. Sein Gesicht verriet nichts, aber in seiner Stimme schwang ein eigenartiger Unterton, als er leise sagte: »Hier starb meine Mutter, außer mir die letzte unseres Geschlechts. Ich fühle es. Ich weiß es. So hat Larsen den Ort beschrieben.« »Sie müssen es wissen«, sagte Peters. »Nur – sprach Larsen nicht von einem Brunnen, der mit Goldplatten und Edelsteinen besetzt war?« Sun Koh nickte. »Ja, aber sehen Sie sich die Steine an.« »Sieht aus, als wäre erst kürzlich der Belag entfernt worden. Hier sind offensichtlich Klammern losgebrochen, und hier könnte eine Spitzhacke angesetzt worden sein.« »So ist es«, bestätigte Sun Koh. »Nach Larsen müssen also hier wieder Menschen gewesen sein, die die Höhle geplündert haben. Ich vermute, daß es Garcia war. Das würde seinen Reichtum erklären.« »Genau genommen ist das alles Ihr Eigentum, nicht wahr?« Über Sun Kohs Gesicht ging ein leicht melancholisches Lächeln. 12
»Eigentum ist schon innerhalb von Rechtsstaaten oft genug vom tatsächlichen Besitz und von der Macht abhängig. Wieviel mehr hier im Urwald. Richtig ist natürlich, daß das alles mein Eigentum war und ist, wenn ich der Nachkomme jener Maya bin, die hier ihre letzte Zuflucht fanden, aber…« Sun Koh brach abrupt ab. Irgendwo aus der Wand schien ein höhnisches Kichern zu dringen. Beide hörten es, aber es war so kurz, so leise und vor allem so unwahrscheinlich, daß sie schließlich mit den Schultern zuckten. »Es klang, als ob jemand lachte«, murmelte Peters. »Vielleicht eine Sinnestäuschung«, erwiderte Sun Koh gleichmütig. Peters vergaß den Zwischenfall bald. Erst später wurde ihm bewußt, daß Sun Koh von diesem Augenblick an jederzeit auf einen Zusammenstoß mit einem unbekannten Gegner gefaßt war. Peters bückte sich über den unwahrscheinlich klaren und doch fast schwarzen Spiegel des Wassers. »Wie tief mag es sein?« »Es ist sehr rein und doch so dunkel. Das läßt auf eine große Tiefe schließen.« Sie schritten um das Becken herum und warfen einen Blick in die fortstrebenden Gänge. Sie verloren sich im Dunkel, während es in der Halle verhältnismäßig hell war. Die Ursache vermuteten sie in einigen quadratischen, leicht schimmernden Öffnungen in der Decke. »Haben Sie die Schriftzeichen schon gelesen?« fragte Peters. Die hohen, ringsum laufenden Wände waren mit Hieroglyphen bedeckt, eine an der anderen, viele Quadratmeter vom Ansatz der Decke bis zu den Steinbänken hinunter. Sun Koh ging an der Wand entlang und ließ den Schein der Lampe auf die eingeritzten Zeichen fallen. Er nickte und ging an der Wand entlang bis zu der Öffnung, durch die sie eingetreten waren. »Hier ist der Anfang«, sagte er. 13
»Eine Anweisung zum Schatzsuchen?« »Habgieriger Mensch!« Sun Koh lächelte. »Wir waren uns einig, daß Gold nicht glücklich macht.« Peters nickte vergnügt und unverfroren. »Das schon, aber es ist eine angenehme Begleiterscheinung.« »Dann werden Sie enttäuscht sein«, erwiderte Sun Koh ernster, während er einen Blick über das nächstgelegene Wandstück warf. »Das ist bestimmt keine Anweisung zum Suchen vergrabener Schätze, sondern ein Bericht aus der Urgeschichte meines Volkes.« »Lesen Sie trotzdem vor«, bat Peters. Sun Koh nickte, und während die beiden Männer langsam um die Halle herumschritten, übersetzte er den Sinn der Hieroglyphen. Graue Vorzeit wurde lebendig. Sie klang wie ein Märchen, und doch spürten sie beide, daß es kein Märchen war, sondern die geschichtliche Darstellung einer Menschheitskatastrophe. Was die Sagen der Völker raunten, wurde hier Gestalt. Peters ging wie durch einen Traum. Er hatte einmal die nordischen Sagen gelesen, die Edda und die Völuspá, aber jetzt erst wurde ihm deutlich, was er da gelesen hatte. Die großartige Schau vom himmlischen Chaos aus der Völuspá fand hier ihren Untergrund: Sonne wußte nicht, wo sie Sitz hätte, Mond wußte nicht, was er Macht hätte, die Sterne wußten nicht, wo sie Stätte hätten. Er erinnerte sich an indische Worte aus dem Bundehesh und an persische Worte aus dem Avesta, die von Kämpfen der Himmelskörper berichteten und von Sternschnuppen, die beim See Vourukada auf die Erde stürzten. Er dachte an die Genesis der Bibel und an den Feuerregen über den Städten Sodom und Gomorrha. Es war die Geschichte des Sintbrands, die Sun Koh langsam vorlas, die Geschichte vom einäugigen Greis Botschika, einer jungen Frau gesegneten Leibes und dem kleinen Mädchen Batschue, die in der verbrennenden Welt unter den Wur14
zeln eines mächtigen Baums Zuflucht suchten, die Geschichte von dem neugeborenen Knaben, der von einer zahmgewordenen Jaguarmutter gesäugt wurde, weil seine Mutter starb, die Geschichte von den letzten Überlebenden des großen Sintbrandes, die wie Adam und Eva zu den Stammeltern eines neuen Menschengeschlechtes wurden, das über Jahrtausende hinweg bis zur späteren Sintflut die Erde bevölkerte. Endlich schwieg Sun Koh. Die beiden Männer hatten den Eingang der Halle wieder erreicht. Peters überwand nur schwer seine Ergriffenheit. »Wenn das eine Sage ist«, sagte er leise, »dann ist es die eindrucksstärkste, die ich je hörte.« »Eine Sage?« wiederholte Sun Koh nachdenklich. »Vielleicht, aber eine Sage hat immer einen geschichtlichen Kern und…« Er brach ab und lauschte. »Hören Sie nichts?« Peters spannte seine Sinne an. Da – durch den Felsen kam ein merkwürdiges Geräusch. Es war ein feines Summen und Zischen. Es klang fremdartig in dieser Umgebung und kam ihm doch vertraut vor. Er hielt den Atem an. »Sonderbar«, flüsterte er endlich, »das klingt wie das Arbeiten eines Generators.« Das Geräusch war plötzlich weg. »Ein Generator?« »Na ja, so ungefähr«, murmelte Peters. »Natürlich ist es Unsinn. Wie sollte ein Generator hierher kommen? Aber es klang genauso, und meine Ohren sind für technische Geräusche geschärft.« Sun Koh schwieg. Dann blickte er auf die Uhr an seinem Handgelenk und sagte ruhig: »Wir müssen zurück. Wir waren Stunden unterwegs. Nimba wird sich um sein Mittagessen Gedanken machen.« Peters schloß sich wortlos an, als Sun Koh wieder in den dunklen Gang hineinschritt. Es war wirklich höchste Zeit zurückzukehren. Stumm eilten sie mit schnellen Schritten vorwärts. 15
∗ Der Lagerplatz hatte sich nicht verändert. Dort stand die skulpturengeschmückte Wand des Palastes, daneben das hellschimmernde Flugzeug. Dennoch verhielten die beiden Männer jäh den Schritt, als sie ihr Ziel erreicht hatten. Hier stimmte etwas nicht. Die Feuerstelle… Das Holz war fast niedergebrannt. Nur dann und wann zuckte noch ein blaues Flämmchen aus der Asche heraus. Darüber hing noch das Fleisch am Spieß. Es war an der Unterseite schwarz verkohlt, während es oben hell geblieben war. Und Nimba war nicht zu sehen. Oder doch? Sun Koh wies auf den Schuh, der hinter den Steinen aus dem Gras herausragte. Er eilte mit mächtigen Sätzen hin. Peters folgte hastig. Er fand Sun Koh bereits über den verkrampften Körper Nimbas gebeugt. Nimba rührte sich nicht. In seinem Gesicht lag noch ein erstarrter Ausdruck von Entsetzen, und die Hände waren zu Fäusten geballt. »Ist er tot?« fragte Peters. Sun Koh untersuchte ihn sorgfältig, richtete sich dann auf und sagte mit tonloser Stimme: »Ja, er ist tot. Das Herz schlägt nicht mehr. Die Glieder sind noch gelöst und haben noch nichts von Totenstarre…« Peters spürte, wie seine Knie weich wurden. »Nimba ist tot?« fragte er. »Das – das ist ja unmöglich! Was ist mit ihm geschehen?« Auf Sun Kohs Gesicht lagen düstere Schatten. »Ich kann keine Verletzung an ihm entdecken. Nicht die geringste Gewaltanwendung. Es sieht nach Herzschlag aus. Vielleicht ist er vor Schreck gestorben. Sehen Sie sich sein Gesicht an.« »Vor – vor Schreck?« stotterte Peters. »Aber – aber Nimba war doch nicht schreckhaft. Und was sollte ihn so erschreckt haben am hellen Tag?« 16
»Wir werden es vielleicht eher erfahren, als uns lieb ist«, sagte Sun Koh. »Es gibt hier Dinge, von denen wir uns noch nichts träumen ließen. Und Nimba war wie jeder einfache Mensch tief abergläubisch.« Er näherte sich dem Flugzeug. Peters folgte ihm. Er begriff nichts, verstand jedoch, daß Sun Koh mit Feinden rechnete und eine Beschädigung des Flugzeuges fürchtete. Die Maschine stand völlig unberührt. Alles war so, wie sie es verlassen hatten. Nicht das geringste Zeichen wies darauf hin, daß sich ein Fremder an ihr zu schaffen gemacht hatte. Sun Koh prüfte sehr sorgfältig. Er ging sogar soweit, die Triebwerke anlaufen zu lassen. Erst als sie einwandfrei arbeiteten, atmete er auf. Und doch wurde durch diesen Befund der Tod Nimbas nur noch rätselhafter. Etwas später näherte sich Peters wieder der Stelle, an der Nimba lag. Seine verhältnismäßig weiche Natur hatte sich eine fast kindliche Scheu vor dem toten Körper eines Menschen bewahrt. Eine Leiche war für ihn etwas, an dessen Anblick er sich erst gewöhnen mußte. Und für Nimba, der ihm immerhin ein vertrauter Gefährte geworden war, galt das besonders. Er blieb jäh stehen. Durch seinen Körper fuhr der Schreck wie ein elektrischer Schlag. Seine Augen stierten auf die Stelle, auf der vor Minuten Nimba gelegen hatte. Nimba war verschwunden! Der Fleck hinter den Steinen war leer. Peters sah an den niedergedrückten Gräsern die Form des großen Körpers, aber die Leiche selbst war verschwunden. Er griff sich an den Kopf. Litt er an Sinnestäuschungen? Seine Stimme überschlug sich: »Sun Koh! Um Himmelswillen…« Sun Koh kam herbeigelaufen. Peters wies stumm auf die leere Stelle. Sun Koh zuckte zusammen, als ob ihn eine Peitsche getroffen hätte. Sein bronzefarbenes Gesicht war eine 17
starre Maske. »Ist Ihre Waffe in Ordnung?« Peters holte die Automatic-Pistole aus seiner Tasche. »Was fürchten Sie?« »Einen Angriff. Fremde müssen in der Nähe sein, Nimbas Mörder. Sie haben seinen Leichnam geraubt.« »Aber – aber wie können…« »Ich weiß nicht«, sagte Sun Koh schroff. »Nimbas Körper kann nicht von selbst verschwunden sein. Er war tot. Geister, die einen Leichnam wegtragen, gibt es nicht. Das waren Menschen. Seien Sie wachsam und schießen Sie sofort. Ich möchte Sie nicht ebenfalls verlieren.« »Und Sie?« Sun Koh sagte: »Ich passe auf. Und ich hoffe, diese Menschen in meine Hände zu bekommen. Gehen wir einstweilen zum Flugzeug zurück.« Sie waren bis auf fünf Schritte herangekommen, als Peters plötzlich nach Sun Kohs Arm griff. Sun Koh fuhr halb herum und folgte den schreckgeweiteten Augen seines Begleiters. Halblinks, in der Öffnung eines ehemaligen Portals, stand eine Gestalt. Es war ein Mann, ein Krieger in altertümlicher Tracht mit einer Art Schuppenpanzer und Beinschienen. Auf dem Kopf saß ein Helm, der nach oben spitz auslief. In der rechten Hand hielt er einen Wurfspeer, auf den er sich lässig stützte. Die geringste Kleinigkeit war scharf und deutlich wahrzunehmen, so nahe stand der Mann, und so deutlich lag das Licht auf ihm. Sun Koh griff in die Tasche und ging wie ein Raubtier im Ansprung auf die seltsame Erscheinung zu. Einen Schritt, zwei Schritte… Der Krieger nahm den Speer drohend zurück, wollte werfen… Blitzschnell hatte Sun Koh die Waffe herausgerissen. Ein Schuß krachte. Der Krieger erstarrte zur Reglosigkeit. Sun Koh hatte auf die Hand geschossen und getroffen, wie er genau wußte. Merkwürdigerweise hatte es jedoch geklun18
gen, als wäre die Kugel gegen die darunterliegende Steinwand geschlagen. Sun Koh schoß zum zweitenmal und traf die Stirn genau in der Mitte über der Nasenwurzel. Der Schuß hinterließ keine Spuren, und der Getroffene nahm keine Notiz von ihm. Was in diesen Sekunden in Sun Koh vorging, hat nie ein Mensch erfahren. Jedenfalls steckte er wenige Sekunden, nachdem er die Erfolglosigkeit seines Schusses festgestellt hatte, die Pistole in die Tasche und wandte sich mit unergründlichem Gesichtsausdruck zu Peters um. Peters stand noch immer in der gleichen Haltung. Ewigkeiten lang schien ihm der schwere Schlag des Blutes den Schädel auseinandersprengen zu wollen. Der Vorgang war phantastisch genug, um auch die vernünftige Basis eines prüfenden Technikers zu erschüttern. Erst als sich Sun Koh umwandte, fiel ihm ein Flimmern im Hintergrund auf. Wie eine hauchdünne Glasscheibe, an der erhitzte Luft aufwärts flimmert, stand es hinter dem Bild des Kriegers. Das ließ eine Erinnerung in ihm hochschießen. Die ruhige, fast ausdruckslose Stimme Sun Kohs sagte: »Man führt uns an der Nase herum, Peters. Das ist kein lebender Mensch. Meine Schüsse fahren durch ihn hindurch.« Peters atmete tief auf. Sein Glieder verloren die Starre, sein Gesicht wurde wieder hell. »Sie haben recht. Es sind Bilder. Sehen Sie!« Der Krieger war verschwunden. An seine Stelle war eine Tänzerin getreten. Sie war nur wenig bekleidet, so daß man bei jeder Bewegung das Spiel der Muskeln unter der Haut sehen konnte. Während sie bald langsamer, bald schneller, bald gemessen feierlich und bald aufreizend wild tanzte, beobachteten die beiden Männer das lebendig wirkende Bild. »Ein Kataskop«, sagte Peters halblaut. »Es ist mehr als Kino, mehr als Cinerama und mehr als die modernsten RundumProjektionen, vielleicht noch am ehesten der Holographie vergleichbar. Das Kataskop, das mit einer Gruppe von Hohl19
spiegeln arbeitet, braucht keine verdunkelten Räume. Seine Bilder werden auch bei hellem Tageslicht sichtbar, natürlich auch bei Scheinwerferlicht. Man hat schon vor Jahren an großen Bühnen den Versuch gemacht, die Kulissen durch kataskopische Bilder zu ersetzen, die gegen den leeren Hintergrund geworfen werden. Diese Versuche haben gute Erfolge gezeitigt. Wenn sich das Kataskop trotzdem nicht eingeführt hat, so lag das nicht unmittelbar an ihm, sondern an der Akustik, die natürlich eine Akustik des leeren Raums blieb. Das Kataskop benötigt auch keine Leinwand als Projektionsfläche. Es kann seine Bilder frei in der Luft erzeugen, am besten wohl am Rand verschieden warmer Luftschichten. Ich denke, daß wir es hier mit einem ähnlichen Verfahren zu tun haben.« »Die Bilder wirken unerhört echt«, sagte Sun Koh nachdenklich. »Vielleicht benutzt man ein weiterentwickeltes Verfahren. Das Kataskop erzeugt stereoskopische Bilder, nicht wahr?« Peters nickte. »Ohne das wäre nichts zu machen. Unsere Augen sehen nun einmal infolge des Augenabstandes einen Körper unter zwei verschiedenen Winkeln, und dieser Winkel muß irgendwie wieder produziert werden. Das Hohlspiegelsystem des Kataskops schafft es nicht zuletzt dadurch, körperliche Bilder in beliebiger Vergrößerung naturgetreu bei jeder Helligkeit in die Luft hineinzuprojizieren.« »Unsere Zauberer haben einen schweren Stand gegen das überlegene Wissen eines technischen Gehirns«, sagte Sun Koh. »Sehen Sie, die Tänzerin hat es aufgegeben. Wahrscheinlich sieht sie die Zwecklosigkeit ihrer Bemühungen ein.« Tatsächlich war das Portal jetzt wieder frei. »Aber…« Peters erschrak. »Wenn hier ein Kataskop arbeitet, müssen doch auch Menschen hier sein.« »Daran zweifle ich nicht mehr, seitdem ich in der Halle das Gelächter hörte«, erwiderte Sun Koh. »Ich sagte Ihnen ja schon, daß ich begierig bin, sie unter meine Hände zu bekommen.« 20
Peters blickte ihn beunruhigt an. Erst jetzt wurde ihm bewußt, was das hieß. Hier, mitten im Urwald von Yukatan, in einer Ruinenstadt, die ausnahmsweise seit langem keinen Menschen mehr gesehen hatte, lebten irgendwo verborgene Feinde, die über neue, kaum einem engen Kreis von Fachleuten bekannten Erfindungen verfügten. Daß sie nicht sehr zart besaitet waren, bewiesen Nimbas Tod und Verschwinden, während jetzt aber eher anzunehmen war, daß Nimba aus Schreck über derartige Kataskopbilder einen Herzschlag erlitten hatte. Sie mußten ihm wie Geistererscheinungen vorgekommen sein, da er weder die seelische Festigkeit Sun Kohs noch das technische Wissen des Ingenieurs besaß. Peters äußerte seine Bedenken gegenüber Sun Koh, der ihn jedoch beruhigte. »Gerade weil es Menschen von Fleisch und Blut sind, werden sie sich stellen müssen. Ich baue auf ihre Eitelkeit und auf ihre zahlenmäßige, vielleicht sogar technische Überlegenheit. Warten wir ab.« Peters fühlte sich erleichtert. »Ein Trost, daß Sie so zuversichtlich…« Er brach ab und fuhr gleichzeitig mit Sun Koh herum. »Herr!« hatte es in ihrem Rücken gerufen. Unzweifelhaft die Stimme Nimbas, wenn sie auch matt und kläglich geklungen hatte. Jetzt erklang sie wieder, und gleichzeitig sahen sie aus dem Gestrüpp einen dunklen, muskulösen Arm winken. »Herr!« Sun Koh war mit einigen Sprüngen an der Stelle, an der Nimba verschwunden war. Peters folgte ihm schnell. Das Unglaubliche war Tatsache. Nimba lebte. Dort lag er lang ausgestreckt. Seine Brust hob und senkte sich, sein Gesicht war starrer denn je, und zwischen seinen Augen stand eine scharfe Falte. »Nimba war nur scheintot«, sagte Peters. Sun Koh warf ihm von unten her einen nachdenklichen Blick zu. »Nimba war tot. Ich habe ihn untersucht. Sein Herz 21
schlug nicht mehr. Sein Atem war erloschen. Und jetzt lebt er wieder? Gibt es ein Mittel, mit dem man so etwas bewirken kann?« Peters zuckte stumm mit den Schultern. Er war kein Mediziner. Nimba erholte sich rasch, stützte sich auf die Arme und wollte aufstehen. Sun Koh hielt ihn zurück und untersuchte ihn noch einmal sorgfältig. Schließlich stellte er wie im Selbstgespräch fest: »Er trägt die feine Wunde eines Einstichs über dem Herzen. Sonst ist nichts zu finden. Was hast du erlebt, Nimba?« »Gräßliches, Herr«, seufzte Nimba und begann, seine Erlebnisse zu schildern. Dabei spiegelte sein Gesicht die ganze Folge des Entsetzens, die er erlebt hatte, als er gegen die unverwundbare Schlange kämpfte und dann den unheimlichen Gast am Feuer sah. »Dann wußte ich nichts mehr von mir«, sagte er. »Ich muß wohl umgefallen sein.« »Wir fanden dich und hielten dich für tot. Und dann warst du verschwunden.« »Davon weiß ich nichts«, murmelte Nimba und schüttelte sich. »Verschwunden? Hier gibt es böse Geister. Mir war nur, als wäre ich ganz tief auf dem Grund eines Meeres. Das Wasser drückte wie Blei auf meinen Körper, besonders auf meinen Kopf und auf mein Herz. Und dann war es auf einmal, als ob ich nach oben schoß. Der Druck wurde immer geringer, das Wasser immer grünlicher, immer heller – und dann war es, als ob ich aus dem Wasser herausschoß. Und als ich die Augen aufschlug, da lag ich hier und sah Sie dort stehen.« »Hast du fremde Männer bemerkt?« »Nein, nur den einen, und das war ein Geist.« Peters wollte zu einer Erklärung ansetzen, aber Sun Koh wehrte ab. »Später. Er soll sich erst erholen.« Er zog Nimba hoch, stützte ihn mit seinem Arm und führte ihn zum Flugzeug. Sie erreichten es jedoch nicht. Nimba 22
drehte zufällig den Kopf ein Stück herum. In der gleichen Sekunde verkrampfte er sich und stieß einen markerschütternden Schrei aus. Sun Koh und Peters fuhren herum. Hinter ihnen stand, drei Meter hoch, eine übernatürlich große, seltsame Gestalt. Auf lächerlich dürren und kurzen Beinen, die wie ein O geschwungen waren, ruhte ein Bauch, der zwischen der schäbigen Hose und der fleckigen Weste wie eine Kugel herausquoll und wie Gallerte schwabbelte. Darauf saß eine flache Hühnerbrust, ein entsetzlich langer Giraffenhals mit wuchtigem Adamsapfel und darauf der pausbäckige, gutmütige Kopf eines kleinen Spießers. Überlange Arme waren unter dem Bauch gefaltet, als wollten sie ihn halten, und der Kopf pendelte hin und her. Da war es mit Peters’ Beherrschung aus, obgleich er zehnmal wußte, daß man sie nur mit einem Kataskop täuschte. Er stieß einen Wutschrei aus, riß die Pistole heraus und schoß wie ein Wilder drauflos, bis das Magazin geleert war. Sun Koh packte ihn am Arm, nachdem er Nimba hatte zu Boden gleiten lassen. »Wir wollen nicht die Nerven verlieren.« Peters steckte die Waffe weg. Sun Koh hatte recht. Aber im nächsten Augenblick sah er, daß Sun Koh selbst unter ungeheurer Belastung stand. Er hatte sich gebückt, um Nimba wieder aufzunehmen, aber Nimba lag wieder starr und regungslos mit einem Ausdruck des Entsetzens auf seinem Gesicht. Er war zum zweitenmal tot. Sun Koh nahm eine hastige Untersuchung vor. »Tot«, sagte er schließlich. »Kein Zweifel.« Sein Gesicht war noch blasser geworden, und in seinen Augen blitzte ein furchtbarer Zorn. Peters beugte sich ungläubig nieder, prüfte selbst den Herzschlag, horchte auf den Atem, legte ein feines Blättchen auf den halbgeöffneten Mund Nimbas und kniff ihn kräftig in den Arm. 23
Kein Zweifel: Nimba war tot. Zum zweitenmal vom Schreck getötet. Sun Koh hob den schweren Körper auf seine Arme und trug ihn in das Flugzeug hinauf. Dort legte er ihn auf ein Lager. Dann setzten sich die beiden Männer schweigend an die Ruhestätte des Toten. 2. Nach einiger Zeit hob Sun Koh den Kopf und lauschte. Seine Ohren hatten ein feines, schleifendes Geräusch, das von draußen kam, aufgefangen. »Jemand nähert sich.« Ihre Blicke gingen zu den Bullaugen der Maschine. Merkwürdig, von der Landschaft draußen war plötzlich nichts mehr zu sehen. Dichte graue Schwaden lagen vor den Scheiben und versperrten die Sicht. »Nebel um diese Tageszeit?« fragte Peters verwundert. Sun Koh wies auf einen bestimmten Punkt. Peters strengte seine Augen an, konnte aber nichts entdecken als die grauen Schwaden. Sun Koh mußte ihm sagen, was seine schärferen Augen beobachteten. »Vier oder fünf Männer mit einem Apparat, der in ein weites Rohr ausläuft, aus dem offenbar Gas ausströmt.« »Eine Gasspritze?« »Das werden wir ihnen versalzen«, sagte Sun Koh finster. »Nehmen Sie Ihre Waffe und kommen Sie. Ich vermute, daß uns das Gas betäuben oder töten soll. Die Kabine hat uns bisher geschützt. Wir müssen aber damit rechnen, daß wir sehr schnell betäubt sind, wenn wir jetzt die Tür öffnen. Wir müssen versuchen, aus den Schwaden herauszukommen, ohne viel Atem zu holen. Denken Sie daran und folgen Sie so schnell wie möglich. Ich werde mit den Kerlen aufräumen. Schießen Sie, sobald sich eine Waffe gegen Sie richtet. Fertig?« Peters nickte. Sun Koh riß die Tür auf. Sie sprangen hinunter. Hinter ihnen rollte die Tür wieder zu. Sun Koh feuerte los. 24
Er sprang wie ein Panther vorwärts und war im Nu den Augen seines Begleiters entschwunden. Sun Koh huschte in riesigen Sätzen durch den Nebel auf die Gruppe zu. Die Männer bemerkten ihn erst im letzten Augenblick, als er schon fast über ihnen war. Sie stießen Schreie aus und wandten sich zur Flucht. Sun Koh war aus der Gaswolke heraus. Ein tiefer Atemzug füllte seine Lungen mit frischer Luft. Dann begann er zu wüten. Er sprang den ersten mit einem wilden Schrei an, riß ihn um und griff schon nach dem zweiten. Er bekam ihn an den Schultern zu packen, riß ihn hoch und warf ihn hinter dem dritten her, so daß beide übereinander rollten. Da stellten sich die Männer zum Kampf. Es waren Japaner, kleine, aber breite, muskulöse Gestalten, die sich mit der Geschwindigkeit und Geschmeidigkeit von Gummibällen bewegten. Sie stürzten in dem nun folgenden Kampf mehr als einmal, schlugen gegen Steine und Bäume, flogen durch die Luft und stöhnten unter den blitzschnellen Hammerschlägen von Sun Kohs Faust. Trotzdem standen sie immer wieder auf und warfen sich auf ihren Gegner, zäh, fanatisch, verbissen. Sie waren wie wilde Katzen, und sie kämpften mit allen Tücken. Wenn Sun Koh nicht Meister des Judo gewesen wäre und die Tricks seiner Gegner dank seiner scharfen Augen, seiner Schnelligkeit und seiner Kraft nicht schon im Entstehen abgefangen hätte, wäre der Kampf sehr bald zu seinen Ungunsten entschieden gewesen. Die zwei, die etwas abseits gestanden hatten, stießen einen knirschenden Laut aus, als sie ihre Kameraden wie Bälle durch die Luft wirbeln sahen, und schossen wie Tiger auf Sun Koh zu. Sie sprangen nicht, sondern warfen sich im Hechtsprung nach vorn, als ob sie sich den Schädel am Boden einrennen wollten. Dann aber rollten sie sanft über den Rücken, ohne sich dabei weh zu tun, und dabei so schnell, daß niemand Zeit genug gehabt hätte, beiseite zu springen oder ab25
zuwehren, um den doppelten Angriff unschädlich zu machen. Niemand außer Sun Koh. Er sprang dem einen schon entgegen, während dieser noch im Hechtsprung flog. Als die Beine nach oben kamen, ergriff er das eine, riß den Mann daran hoch und schleuderte ihn fort. Doch da kam schon der andere von hinten. Sun Koh fuhr im letzten Augenblick herum. Seine Faust schnellte vor, traf den Mann und ließ den zusammenklappenden Körper fallen. Nun rollte ununterbrochen Angriff auf Angriff gegen ihn an, von rechts und von links, von hinten und von vorn. Drei, vier Gegner waren ständig im Ansturm. Sun Koh kämpfte wie im Rausch, aber mit unerhörter Sicherheit in jeder Bewegung und mit noch größerer Schnelligkeit. Es waren nicht so sehr die Muskeln, sondern die Nerven, die ihn zu diesem Kampf befähigten. Er besaß eine sehr geringe Reaktionszeit. Peters stand atemlos abseits und versuchte vergeblich, den Bewegungen Sun Kohs zu folgen. Was mußte dieser Mann neben seiner geschmeidigen Muskulatur für unerhört gute, schnell reagierende Nerven besitzen. Er wehrte jeden dieser unaufhörlichen Angriffe sicher ab. Es hatte wirklich keinen Sinn, auch noch zu schießen. Diese Männer hatten keine Aussichten. Sie konnten allenfalls versuchen, Sun Koh zu ermüden. Aber vorläufig sah es nicht danach aus, als ob ihnen das gelingen könnte. Sie flogen zwar immer noch wie Gummibälle heran, aber sie flogen ebenso prompt zurück. Etwas Merkwürdiges war dabei. Peters gewann den Eindruck, als mache ihnen dieser Kampf Spaß. Sie kämpften mit zäher Erbitterung, aber nicht haßvoll wie gegen einen Feind, sondern mit verbissenem, sportlichem Ehrgeiz. Sie schossen nicht, sie stachen nicht und warfen auch nicht mit Steinen. Sie maßen ihre eigene Kraft, Schnelligkeit und Gewandtheit mit der Sun Kohs, als ob es sich um ein ehrgeiziges Spiel handelte. Da schrillte ein Pfiff. 26
Die Männer stutzten den Bruchteil einer Sekunde, dann huschten sie wie weggeblasen hinter den mannshohen Stein, in dessen Nähe sich der Kampf abgespielt hatte. Im Nu waren sie verschwunden. Einer blieb jedoch in Sun Kohs Händen hängen. Sun Koh hatte schnell genug auf die Flucht seiner Gegner reagiert. Das Verschwinden der anderen konnte er nicht mehr verhindern. Als er mit seinem Gefangenen, der sich verzweifelt wehrte, hinter den Block sprang, war weit und breit nichts mehr von den anderen zu bemerken. Das Gas hatte sich inzwischen vollständig verzogen. Das Flugzeug war wieder zu sehen. Die beiden Männer gingen zu ihm zurück. Man mußte die Hände wieder frei bekommen, da sich nicht sagen ließ, wann der nächste Angriff erfolgen würde. Sun Koh, dessen Gesicht beim Anblick seines toten Dieners wieder düster geworden war, nahm sich seinen Gefangenen vor. Der Japaner, der einige Spuren des Kampfes an seinem Körper trug, zeigte ihm ein verschlossenes Gesicht. Er antwortete nicht, als Sun Koh ihn auf englisch ansprach. Erst als Sun Koh in seiner eigenen Sprache auf ihn einredete, blitzte es in den geschlitzten Augen überrascht auf, und der Mann wurde zugänglicher. »Sie können auch englisch mit mir sprechen«, sagte er farblos. »Ich werde Ihnen in keiner Sprache Auskunft geben, soweit es mir verboten ist. Was ich Ihnen sagen darf, will ich Ihnen gern sagen, da ich die Ehre hatte, gegen Sie kämpfen zu dürfen.« Er hatte englisch geantwortet, völlig fließend und mit der Sprache eines gebildeten Mannes. »Ihr habt meinen Diener getötet«, sagte Sun Koh und wies auf den toten Nimba. »Er starb an seinem Aberglauben«, erwiderte der Japaner gleichgültig. »Es ist ein Herzschlag.« »Ihr tragt die Schuld daran«, betonte Sun Koh finster. 27
»Wer bist du und wer sind die anderen?« »Wir sind Diener unseres Herrn.« »Und wer ist das?« »Ich weiß es nicht.« »Du willst es nicht wissen.« »Die Sache bleibt die gleiche, nur die Worte sind anders«, gab der Japaner gleichmütig zurück. »Antworte!« herrschte Sun Koh ihn an. Der Mann schüttelte stumm den Kopf. Daraufhin griff ihm Sun Koh in den Nacken. Der Mann stöhnte auf. Sein Gesicht verzerrte sich vor Schmerz. Aber er schwieg. Sun lockerte den Griff und drohte leise: »Willst du jetzt antworten, oder soll ich dich erst dazu zwingen?« Das Gesicht des Japaners war wieder zur glatten Maske geworden. Der Schmerz bebte nur noch in seiner Stimme nach. Trotzdem verriet sie eine stählerne Festigkeit. »Sie können mich zu Tode martern, aber nicht zum Sprechen bringen. Auch der Schmerz hat seine Grenzen. Sind sie erreicht, so nimmt er das Bewußtsein oder schlägt in Lust um. Es wäre nicht das erstemal, daß ich diese Grenzen überschreiten würde. Ich bin darauf trainiert. Versuchen Sie mich zu zwingen, meine Pflichten gegen meinen Herrn zu verletzen, und Sie werden mich lächeln sehen.« Sun Koh trat einen Schritt zurück. Seine Stimme klang jetzt wieder ruhig. »Ich verzichte. Beneidenswert der Herr, der solche Diener hat.« Über das Gesicht des Japaners flog eine Spur von Lächeln. »Beherrschung ist der Ruhm des Herrn wie des Dieners. Die Vorzeichen wechseln nur scheinbar. Ein Lakai hat keinen Herrn.« »Sun!« Peters wies zum Fenster, worauf Sun Koh hinausblickte. »Eine weiße Fahne. Man scheint mit uns verhandeln zu wollen.« Der Gefangene wurde zum erstenmal besorgt. »Bitte, 28
schießen Sie nicht. Es wird mein Herr sein.« Sun Koh wandte sich an Peters. »Halten Sie den Mann mit der Pistole in Schach.« Dann öffnete er die Tür und ließ sich sehen. Gleichzeitig kam hinter dem Steinblock, hinter dem die anderen verschwunden waren, eine Gestalt hervor und näherte sich in lässigem Schlenderschritt. Sun Koh stieß einen Laut der Überraschung aus. Sein Körper straffte sich wie zum Angriff. Garcia! Peters vergaß seinen Gefangenen und blickte auf den Mann, der da so gelassen auf das Flugzeug zukam. Garcia! Das war dieser Mexikaner, von dem ihm Sun Koh erzählt hatte, der Verbrecher, der in London versucht hatte, Miß Martini zu entführen und Sun Koh ein Restchen Pergament für einen ungeheuren Betrag abzukaufen – der Mann, der einst zwischen diesen Ruinen die letzten Maya getötet hatte, unter ihnen die Mutter Sun Kohs. Er war groß und schlank, vollständig in Weiß gekleidet. Der Kopf war von einer seltsamen und unheimlichen Eindringlichkeit. Ein hoher Schädel, wuchtig herausspringende Backenknochen, die mit dem spitzen, harten Kinn ein eigentümliches Dreieck bildeten, schmale, blutleere und dicht aufeinandergepreßte Lippen und ein ebenso schwarzer, kurzer Bart betonten noch die Blässe der Haut. Die Nase sprang mit leichter Hakenkrümmung drohend heraus, und dunkle Augen funkelten mit engen Pupillen unter wimperlosen Lidern. Alles in allem war das ein Gesicht, mit dem einem Satan im Traum erscheinen konnte. Garcia kam bis auf fünf Schritte heran und blieb stehen. »Ich muß Sie sprechen, Mister…« Es klang, als erwarte er, Sun Kohs Namen zu hören. »Kommen Sie herauf.« »Mit Vergnügen. Ich hoffe, Sie werden mich nicht gleich umbringen.« 29
»Gleich nicht.« Sun Koh trat vom Eingang zurück. Der Mexikaner kam gewandt herauf. Sun Koh schloß die Tür hinter ihm. Der Japaner sprang von seinem Stuhl auf und legte die Arme über die Brust, verneigte sich demütig und trat dann in die entfernteste Ecke, in der er bis zum Ende dieser seltsamen Unterredung verharrte. Garcia verneigte sich höflich vor Peters und nannte seinen Namen, worauf sich Peters mechanisch vorstellte. Nach einem flüchtigen Blick auf den toten Nimba wandte sich Garcia zu Sun Koh und nannte abermals seinen Namen. Sun Koh musterte ihn mit deutlicher Verachtung und wies auf einen der Sitze. »Spielen Sie kein Theater, Garcia«, sagte er schroff. »Sie kennen mich.« »Höflichkeit ist eine Zier.« Garcia grinste, während er Platz nahm. »Ich hörte Ihren Namen, da ich eine Ihrer Unterhaltungen belauschte, aber ich muß Ihnen doch wenigstens für mein Gesicht einen Namen geben.« »Kommen wir zur Sache«, sagte Sun Koh. »Sie haben meinen Freund getötet.« Garcia zwinkerte. Die Anklage schien ihn zu belustigen. »Nun – dafür haben Sie einen meiner Leute eingefangen und mich dazu. Was wollen Sie mehr? Im übrigen ist Ihr schwarzes Ungeheuer von allein gestorben.« »Das ist nicht wahr«, widersprach Sun Koh. »Er starb durch Ihre Täuschungsmanöver mit dem Kataskop.« »Das haben Sie herausgefunden?« sagte Garcia bewundernd. »Alle Achtung! Das gefällt mir. Kein Wunder, daß ich Sie nicht verblüffen konnte.« »Am liebsten hätten Sie es wohl gesehen, wenn wir auch einen Herzschlag erlitten hätten wie dieser arme Kerl hier.« Der Mexikaner schien das Ganze für einen Witz zu halten. »Warum nicht? Was kann ich für ein schwaches Herz. Ich will es nicht leugnen – ein Herzschlag für alle drei schien mir 30
eine ganz nette Lösung zu sein.« »Sie sind ein Schwein«, knirschte Peters. »Was wollen Sie?« fragte Garcia unschuldig. »Herzschlag ist doch wirklich nicht so schlimm.« Sun Koh hielt Peters von weiteren Äußerungen durch eine Handbewegung zurück. Er blickte den Mexikaner an und fragte: »Wer sind Sie?« Der Mann stutzte. Die Wendung des Gesprächs verblüffte ihn, freilich nur für Sekunden. »Ich? Komische Frage. Garcia, wie ich Ihnen schon sagte.« »Sie sind nicht Garcia«, stellte Sun Koh fest. Der Mexikaner grinste. »Wollen Sie mir erzählen, daß ich nicht so heiße?« »Sie sind nicht der Mann, den ich als Garcia kennenlernte. Waren Sie vor kurzem in London?« »Nein. Ich wüßte auch nicht, was ich dort zu tun hätte.« »Haben Sie mich dort kennengelernt und betäubt? Haben Sie einen Mann namens Larsen erschossen und versucht, Miß Martini entführen zu lassen?« »Na, da staune ich aber doch.« Garcia lächelte wieder. »Leider kann ich Ihnen nicht dienen.« »Dann haben Sie einen Bruder.« Der Mexikaner zuckte lässig mit den Schultern. »Nun, wenn Sie es schon herausgefunden haben, wird es wohl stimmen. Das nette Brüderchen heißt Juan. In meine Nähe kommt er so bald nicht mehr. Ich heiße Manuel, falls Sie mich mit meinem Vornamen ansprechen wollen.« »Was wünschen Sie von uns?« fragte Sun Koh reserviert. »Meinen Diener.« Diesmal ging über Sun Kohs Gesicht ein Lächeln, das nichts Gutes verhieß. »Sie sind wohl mehr frech als zuversichtlich.« Manuel Garcia setzte zu dem Versuch an, ein harmloses Gesicht zu ziehen, aber er verzog es dann doch wieder zu einer Fratze. 31
»Was finden Sie denn dabei? Ich kann den armen Kerl doch nicht allein in der Weltgeschichte herumlaufen lassen. Das Kind verirrt sich ja. Oder wollten Sie ihn mitnehmen und irgendwo in der Großstadt aussetzen? Nicht doch!« Peters bemühte sich, hinter die Absichten dieses Mannes zu kommen. Sun Kohs Gesicht verriet nicht, was er dachte. »Ihr Gegendienst für die Freilassung?« fragte Sun Koh kühl. Garcia grinste, als ob es sich um einen Witz handelte. »Diener gegen Diener.« »Angenommen«, sagte Sun Koh aufatmend. Manuel Garcia wurde plötzlich ernst und scharf. Es war, als träte plötzlich ein anderer Mensch aus ihm heraus. »Wir sind in Ihrer Hand. Ihr Wort?« »Sie haben es. Eine Stunde vom Verlassen des Flugzeugs an.« Garcia grinste schon wieder. »Drei Minuten genügen. Darf ich jetzt sehen?« Sun Koh nickte, und Garcia erhob sich. Peters starrte beide an. Er begriff nicht das Geringste. Was wußte Sun Koh? Was sollte dieses Hin und Her bedeuten? Manuel Garcia trat an Nimba heran. Seine Hand griff in die Tasche und holte einen Behälter heraus. Eine Injektionsspritze kam zum Vorschein, ferner eine Ampulle. Garcia brach die Spitze ab und zog die Spritze mit der wasserklaren Flüssigkeit auf. Dann beugte er sich nieder, öffnete Nimbas Hemd und horchte am Herzen. Während er weiterhantierte, quasselte er unentwegt. »Mausetot – na, dann wird es höchste Zeit, etwas für ihn zu tun. Nicht das Herz. Das ist ein geduldiges dummes Ding. Das Gehirn ist es. Das verträgt das Totsein so schlecht. Manche Gehirne geben es schon auf, wenn sie zehn Minuten tot sind. Aber so ein schwarzes Ungeheuer nimmt sich mehr Zeit. Das kommt vom langsamen Denken. Wer langsam denkt, lebt am längsten, und wer überhaupt nicht denkt, ist unsterblich.« 32
Er hatte ein zweites Fläschchen aus der Tasche geholt und die Herzgegend Nimbas mit Alkohol abgerieben. Jetzt stach er mit der feinen Nadel der Spritze tief in die Brust hinein und drückte den Kolben langsam hinunter. Die Männer verfolgten gespannt, wie der Inhalt der Ampulle in Nimbas Körper verschwand. Behutsam zog Garcia die Spritze wieder heraus. »Man kann es auch anders machen«, sagte er. »Die Brust aufschneiden und das Herz mit den Händen massieren. Aber manche Leute vertragen das nicht, weil sie kitzlig sind. Und was soll die Braut sagen, wenn da mitten auf der schönen Männerbrust eine Narbe ist? Nanu, er wird uns doch nicht etwa unter den Fingern lebendig werden… So ein Dummkopf! Hatte es eben geschafft – und nun…« Das Wunder geschah. Nimba, der schon eine ganze Weile tot gewesen war, erwachte wieder zum Leben. Die eigentümliche Blässe seiner Haut wich einer gesünderen Farbe, die Wangen schienen sich wieder zu runden, die Lider zitterten, und ganz deutlich hob sich die Brust unter dem ersten Atemzug. Nein, das war keine Täuschung. Der riesige Brustkorb hob und senkte sich immer kräftiger, die starken Schlagadern am Hals begannen zu zucken, die Glieder bewegten sich unruhig, ein Stöhnen, und dann schlug Nimba die Augen auf. Nimba lebte, und der Wunderdoktor stand wie der leibhaftige Satan dabei und grinste. Sun Koh schüttelte den Bann dieses Geschehens von sich ab und trat zu Nimba, der mit verwirrten Augen zu ihm aufblickte. »Ich war schon wieder auf dem Grund des Meeres und wurde mit Gewalt heraufgezogen, als ich dachte, es müßte mir das Herz abdrücken.« »Schon gut, Nimba«, sagte Sun Koh sanft und strich dem Joruben über den Kopf. »Du lebst. Versuche nun zu schlafen.« Er wandte sich jäh zu Garcia um. »Sie haben zum zwei33
tenmal das größte Wunder vollbracht, das einem Menschen möglich ist. Wer Sie auch immer sein mögen – ich danke Ihnen.« Manuel Garcia antwortete mit einem Anflug von Schroffheit: »Das war kein Wunder. Ich bin nur Handlanger einer Naturkraft. Die Spritze kann jeder verabreichen. Adrenalin heißt das Zeug.« »Adrenalin?« wiederholte Peters ungläubig. Garcia drehte sich zu ihm herum und blickte ihn spöttisch an. »Nette Sache, nicht? Man legt sich hin und stirbt ein Stündchen, dann gibt es eine kleine Spritze, und schon ist man wieder auf den Beinen. Sehr zu empfehlen bei chronischer Schlaflosigkeit.« »Ich möchte wissen, was es da zu lachen gibt«, sagte Peters. »Ich bin kein Arzt. Ich weiß nur, daß Adrenalin zur inneren Sekretion gehört, aber ich habe mich bis jetzt noch nicht um Hormone gekümmert.« »Aber von Zuckerkrankheit, von Diabetes haben Sie wohl gehört?« »Natürlich.« »Nun, Zucker ist bekanntlich Brennstoff für den Körper. Ohne Zucker geht es nicht. Aber zuviel Zucker macht das Blut verrückt. Es bildet sich Ozon und was noch alles. Deswegen wird der überschüssige Zucker in der Leber gestapelt. Das mit dem Blutzucker, das ist wie beim Tauziehen. Zwei Gegner streiten sich fortwährend um ihn. Das eine Hormon ist darauf versessen, den Zucker aus dem Blut herauszuschaffen und zu vernichten, das andere will genau das Gegenteil. Insulin und Adrenalin, das sind die beiden Hormone, die am selben Strang, aber in entgegengesetzter Richtung ziehen, begriffen?« Sun Koh mischte sich ein. »Zwei Drüsensäfte regeln sich also in ihrer Wirkung gegenseitig. Die eine verursacht Zuckerkrankheit, das wäre Ad34
renalin. Und Insulin verhütet, daß das Adrenalin unheilvoll wirkt.« »Stimmt.« »Und dieses Adrenalin ist der gleiche Stoff, mit dem Sie das Herz Nimbas wieder zum Schlagen brachten?« »Sagen wir – ein Adrenalinpräparat.« »Nun, es ist völlig gleichgültig, ob das wirkende Präparat Adrenalin oder sonstwie heißt«, sagte Sun Koh. »Ich möchte nun noch einige Fragen an Sie stellen.« »Bitte«, sagte Garcia verbindlich. »Sie halten sich dauernd hier auf?« »Sieht so aus.« »Was tun Sie hier?« »Die angegriffene Gesundheit ausheilen, die Nerven beruhigen oder die verlorene Jugend beweinen – was Ihnen am liebsten ist.« »Lassen Sie Ihre Spaße«, sagte Sun Koh schroff. »Sie wollten uns töten?« Garcia hob entrüstet die Hände. »Davon kann nicht die Rede sein. Sehe ich aus wie ein Mörder?« »Ja, so sehen Sie aus«, sagte Sun Koh kühl. »Was war mit dem Gas?« »Oh, das hatte nichts zu bedeuten. Ich wollte Sie nur ein bißchen betäuben, damit ich Ihren Schwarzen wieder auf die Beine bringen konnte. So menschenfreundlich bin ich. Hätten Sie ihn draußen liegen gelassen, wäre das Gas nicht nötig gewesen.« »Wo haben Sie Ihre Wohnung?« fragte Sun Koh. Garcia grinste. »Das könnte Ihnen so passen, daß ich Ihnen das auf die Nase binde.« »Warum haben Sie sich gerade diesen Ort ausgesucht?« »Mein Bruder machte mich auf die wunderbare Stille aufmerksam. Das ist aber schon lange her.« »Haben Sie die Halle mit dem Brunnen geplündert?« »Sehe ich aus wie ein Dieb?« 35
Sun Koh verzichtete darauf, das Gegenteil zu behaupten. »Hat Ihnen Ihr Bruder erzählt, daß er zusammen mit einem gewissen Larsen hier war und dabei eine Frau tötete, deren Kind Larsen mitnahm?« »Möglich«, erwiderte Garcia vorsichtig. »Das Kind war der letzte Nachkomme der Bewohner dieser Stadt«, sagte Sun Koh. »Na und?« »Und der Erbe! Und dieses Kind war ich!« Garcia zog eine spöttische Fratze. »O Manuel, so habe ich mir’s doch gleich gedacht. Ihre schönen Augen kamen mir gleich so bekannt vor. Wie finden Sie die Stätte Ihrer Kindheit?« »Reichlich übervölkert«, erwiderte Sun Koh kühl. »Ich hoffe, daß Sie das bei der kurzen Dauer Ihres Aufenthalts nicht allzusehr stört«, bemerkte Garcia boshaft. »Wir werden längere Zeit hierbleiben.« »Das kann ja gemütlich werden. Sie laden mich doch wohl dann und wann zu einem Plauderstündchen ein?« Über Sun Kohs Gesicht zog ein maliziöses Lächeln. »Es wäre sicher zuviel verlangt, wenn Sie sich jedesmal Hunderte von Kilometern weit bemühen müßten.« »Was wollen Sie damit sagen?« fragte Garcia mißtrauisch. »Dieses Gebiet ist mit allem, was sich darauf oder darunter befindet, das Erbe meiner Väter. Ich kann mich nicht erinnern, Ihnen ein Nutzungsrecht eingeräumt zu haben.« »Sie wollen mich gewissermaßen hinauswerfen?« fragte Garcia. »Ihre Auffassungsgabe ist bemerkenswert.« »Mich rauswerfen?« Garcia grinste. »Das ist köstlich. Das Gebiet ist herrenlos. Beweisen Sie erst einmal Ihre Ansprüche.« Sun Koh blickte ihn fest an. »Ist es nötig zu beweisen, was Ihnen bereits klar ist? Ich betrachte hier alles als mein Eigentum, und ich werde Ihnen 36
von Fall zu Fall den Beweis dafür liefern.« »Also Kampf bis aufs Messer, wie man so schön sagt«, entgegnete Garcia. »Wenn Sie es so betrachten wollen.« »Ein mutiger junger Mann, was? Kämpft gegen Hölle und Teufel…« »Sie müssen ja wissen, gegen wen ich kämpfe.« Garcias Miene wurde plötzlich finster und drohend. »Hüten Sie Ihre Zunge, Señor. Es könnte sein, daß Sie schneller in der Hölle ankommen, als Sie jetzt annehmen. Lassen Sie sich einen Rat geben: Kurbeln Sie Ihre Maschine an und verschwinden Sie schleunigst von hier. Das ist mein Reich, und wenn Sie nicht freiwillig gehen, werden Sie es bald bereuen. Sie müßten allmählich eine Ahnung davon bekommen haben, daß mir noch ganz andere Mittel zur Verfügung stehen als dieses Kataskop. Wenn ich will, sind Sie innerhalb einer Stunde ein toter Mann. Und wenn Sie zehnmal hier Hausrechte besitzen – verschwinden Sie! Das ist das einzige, was ich Ihnen raten kann.« »Sie reden zuviel«, erwiderte Sun Koh. »Gehen Sie und sehen Sie zu, daß Sie mir nach Ablauf der vereinbarten Frist nicht in die Hände laufen.« »Na schön. Bloß noch eins: Wie wollen Sie es halten, wenn Sie zufällig auf einen meiner Leute stoßen?« »Das wird vom Verhalten Ihrer Leute abhängen. Ich behandle sie natürlich ebenfalls als Eindringlinge.« »Versprechen Sie mir wenigstens, nicht auf sie zu schießen?« »Warum?« »Jeder von ihnen hat einen Eid geleistet, keine Schußwaffe zu gebrauchen. Sie würden also Wehrlose töten. Ich bitte Sie deshalb, notwendige Kämpfe ohne Waffen und vor allem ohne Schußwaffen auszutragen.« Sun Koh hob die Schultern. »Wie gesagt – es hängt vom Verhalten Ihrer Leute ab. Im 37
übrigen können Sie Auseinandersetzungen leicht vermeiden, wenn Sie diese Gegend verlassen.« Garcias Antwort kam schroff und scharf. »Das ist ausgeschlossen. Ich denke nicht daran.« »Dann vergessen Sie nie, daß ich der Hausherr bin und für mich das Recht beanspruche, überall einzudringen.« Garcia grinste höhnisch. »Es dürfte Ihnen schwerfallen, von meiner Behausung etwas zu entdecken. Ich werde Ihnen schon die Tour vermasseln. Aber gut, schließen wir einen Vergleich. Ich habe ein weiches Gemüt. Sie knallen nicht in der Gegend herum, und ich lasse Sie dafür in Ruhe. Gelingt es Ihnen, in einen meiner Bezirke einzudringen, so werde ich ihn freiwillig räumen. Was Sie entdecken, soll Ihnen gehören. Die Räume, die Sie betreten, sollen Ihre Räume sein. Kampflos. Ist das ein Angebot oder nicht?« »Ja«, entschied Sun Koh nach kurzem Zögern zurückhaltend. Er traute diesem Garcia nicht über den Weg, aber das Angebot klang vernünftig. Manuel Garcia kicherte. »Spielen wir also Katze und Maus miteinander. Auf, mein Sohn, laßt uns verschwinden, sonst wird unser verehrter Hauswirt ungemütlich. Wünsche allerseits viel Vergnügen.« Manuel Garcia und der Japaner kletterten hinaus und gingen auf den großen Steinblock zu. Sun Koh und Peters blickten ihnen nach, bis sie hinter dem Steinblock verschwunden waren. 3. Die drei Männer verbrachten die Nacht im Flugzeug. Sie hielten abwechselnd Wache, aber sie hätten auch darauf verzichten können, denn Manuel Garcia und seine Leute tauchten nicht wieder auf. Am nächsten Morgen bastelte Peters lange mit dünnen Drähten, während die beiden anderen den Abmarsch vorberei38
teten. Seine Stimme verriet jedoch trotz der vielen Mühen keine volle Befriedigung, als er endlich sagte: »Garcia wird unangenehm überrascht sein, wenn er sich ohne unsere Erlaubnis am Flugzeug vergreifen will. Besser wäre es freilich, wenn einer von uns als Wache zurückbliebe.« »Es hat wirklich keinen Zweck«, erwiderte Sun Koh. »Wenn sich Garcia ernsthaft der Maschine bemächtigen will, wird ihn auch Nimba nicht davon abhalten können. Denken Sie an das Gas. Ich glaube aber nicht, daß er uns das einzige Mittel nehmen wird, das uns den friedlichen Abschied ermöglicht, denn sonst bleibt ihm nur noch der Kampf bis zu unserer Vernichtung. Ich halte es für besser, wenn Nimba mit uns geht.« Nimba nickte und schwang einen Packen auf seine Schultern. Peters wies auf die Grasfläche hinter dem mächtigen Steinblock. »Wollen wir nicht erst feststellen, wieso Garcia und seine Leute gestern so plötzlich dort verschwinden konnten?« »Ich habe bereits gesucht«, erwiderte Sun Koh, »aber nichts gefunden. Der Stein deckt das Blickfeld so weit ab, daß viele Möglichkeiten bleiben. Garcia konnte sogar ungesehen hinter jene Bäume gelangen. Lassen wir es für später. Brechen wir auf.« »Zur Königshalle?« Sun Koh nickte und schritt voraus. Peters schloß sich ihm an, und Nimba folgte als letzter. Sie wanderten durch uralte Baumhaine, bückten sich unter Schlingpflanzen und wundervollen Orchideen, arbeiteten sich durch dichtes Gestrüpp und kletterten über wirre Trümmer, bewunderten die skulpturengeschmückten Säulengänge ehemaliger Tempel, fühlten Steinplatten unter ihren Füßen und glitten durch die Lücken halbzerfallener Zyklopenmauern. Eine halbe Stunde waren sie schon marschiert, und wenn er nicht den untrüglichen Richtungssinn Sun Kohs gekannt hätte, würde Peters ernsthaft daran gezweifelt haben, den Eingang 39
zu jenem unterirdischen Weg wiederzufinden. Als sie um die Ecke einer ehemaligen Terrasse bogen, blieb Sun Koh stehen und stieß einen warnenden Laut aus. Keine fünf Meter vor ihnen lag ein Jaguar sprungbereit im Sand. Seine Augen glühten die Menschen an, und sein Schwanz peitschte in nervöser, blutgieriger Erregung die Erde. Sun Koh griff nach der Pistole, aber Peters trat völlig unbesorgt neben ihn, und Nimba grinste überlegen. »Garcias Scherze«, sagte Peters. »Darauf fallen wir nicht mehr herein. Er muß sich allmählich etwas anderes aussuchen als das Kataskop, wenn er uns schockieren will.« In diesem Augenblick sprang der Jaguar. Und nun geschah etwas, das für Peters und Nimba gleich überraschend kam, da sie beide der festen Überzeugung gewesen waren, daß Garcia sie wieder zum Narren halten wollte. Sun Koh stieß mit einer schnellen Bewegung seine beiden Begleiter aus der Sprungzone heraus, riß die Pistole hoch und schoß. Er handelte so schnell, daß der Jaguar noch im Sprung eine Reihe von Schüssen in den Leib bekam. Der gestreckte Raubtierkörper prallte schwer wie ein Sack auf die Stelle, an der Sun Koh eben noch gestanden hatte, rollte zur Seite, verkrampfte sich und blieb dann leblos liegen. Sun Koh wandte sich um und half dem entgeisterten Peters auf die Füße. »Netter Scherz. Er hätte einem von uns das Leben kosten können. Hoffentlich haben Sie sich nicht verletzt, als ich Sie beiseite stieß.« Peters sah noch ganz blaß aus. »Das war ein Schreck! Ich habe die Bestie wahrhaftig nicht ernst genommen. Das kommt nur von Garcias Spaßen.« »Wir werden gut daran tun, lieber einmal mehr als zu wenig zu schießen«, sagte Sun Koh. »Vergessen wir nicht, daß wir uns im Urwald befinden. Ich selbst werde nie mehr so lange zögern wie eben jetzt. Garcia hat auch mich irre gemacht.« 40
»Woran erkannten Sie, daß der Jaguar echt war?« Sun Koh lud die Pistole mit einem neuen Magazin. »Ich dachte auch erst an ein Spiegelbild. Aber als der Jaguar sprang, wirbelten seine Hinterballen Sand auf. Das war mir doch zu echt.« Sie marschierten weiter. Nachdem sie die Öffnung des Ganges gefunden hatten, wanderten sie länger als eine Stunde durch den Felsengang, der bald hell und bald dunkel war, in die Tiefe und wieder aufwärts, bald nach rechts und bald nach links führte. Dann traten sie in die Halle mit den hieroglyphenbedeckten Wänden. Unergründlich ruhte in der Mitte der winzige See von kaum zehn Meter Durchmesser, dessen steinerne Umfassung noch vor zwanzig Jahren mit Goldplatten und Edelsteinen verkleidet gewesen war. Die Männer legten ihre Lasten auf die niedrigen Steinbänke, die an den Wänden herumführten. Nimba begann, ein Frühstück zu bereiten. Sun Koh und Peters gingen inzwischen noch einmal an den Wänden entlang und prüften sie, ohne etwas Auffallendes zu finden. Dann traten sie an das Wasser heran. »Diese Halle muß für die letzten Maya von besonderer Bedeutung gewesen sein«, sagte Sun Koh nachdenklich. »Sie haben sie bis zuletzt gegen die Abenteurer verteidigt. Wir werden wohl auch die Gänge untersuchen müssen.« »Die Halle selbst scheint keine Geheimnisse zu haben«, überlegte Peters. »Sie ist ausgeplündert worden, und was jene Schrift bedeutet, wissen wir ja.« Sun blickte zur gewölbten Decke hinauf. »Die Helligkeit?« »Richtig.« Peters erinnerte sich, daß ihm die Helligkeit schon beim ersteh Besuch aufgefallen war. Das diffuse Licht kam aus Öffnungen in der Decke. »Und noch eins wüßte ich gern«, fuhr Sun Koh fort und wies auf die klare, aber sehr dunkle Wasserfläche. »Ist das hier ein Schacht oder eine Quellfassung oder was sonst? Das 41
Wasser ist völlig klar, und das ist ein Zeichen dafür, daß es nicht seit undenklichen Zeiten still darin steht, sondern Zuund Abfluß haben muß. Aber wir können das ja leicht feststellen.« Er nahm ein Stück Papier aus der Tasche, riß einige Schnitzel ab und warf sie auf das Wasser. Sie wurden ganz allmählich an die Umfassungswand getragen. »Also eine schwache Strömung«, stellte Peters fest. »Seltsam ist nur, daß sie überhaupt entstehen kann. Die Felsen gehen doch steil in die Tiefe hinunter.« »Vielleicht hören sie bald auf.« »Sie meinen, daß der Boden dieser Halle nur eine Art Überwölbung darstellt?« Sun Koh hob die Schultern. »Möglich. Nimba, gib mir die Scheinwerferlampe.« Nimba brachte die Lampe. Sun Koh entledigte sich seiner Kleidung. »Wollen Sie etwa hinabtauchen?« fragte Peters verwundert. »Warum nicht? Das ist die einfachste Art, die Frage zu klären. Außerdem könnte unser Leben davon abhängen zu wissen, ob Feinde aus diesem Wasser herauskommen können.« Peters setzte an, um zu protestieren, verzichtete dann aber. Er erinnerte sich plötzlich an das seltsame Motorengeräusch, das gestern durch den Felsen gedrungen war. Sun Koh nahm die Lampe in die Hand, lief auf der Umfassung herum bis zu der Stelle, an der die Papierschnitzel klebten, und sprang gestreckt hinein. Sein Körper schoß senkrecht hinunter. Die beiden Männer, die sich erwartungsvoll über den Rand beugten, konnten ihn gut verfolgen. Das Streulicht des starken Scheinwerfers gab in dem klaren Wasser genug Helligkeit. Ganz deutlich war die Felswand zu sehen, auf der der helle Kreis des Strahlenbündels nach unten glitt. Tatsächlich war es jedoch kein roher Fels, sondern die 42
Wand bestand aus künstlich gefügten Quadern oder Platten. Dazu kam schnell die zweite, nicht weniger erstaunliche Feststellung: Die Umfassungswand hörte in wenigen Metern Tiefe auf. Sun Koh schoß schon wieder herauf, machte einige Schwimmstöße und schwang sich über die Umfassung. »Es handelt sich um einen künstlich angelegten Schacht«, bestätigte er überraschend leise die Beobachtung seiner Begleiter. »Ich sah die Fugen der Steinblöcke. Der Schacht scheint sehr tief zu gehen. Ich selbst war höchstens zehn Meter tief. Drei Meter unter der Oberfläche ist die Wand durch eine ovale Öffnung durchbrochen, wahrscheinlich der Abfluß. Auf der Gegenseite dürfte sich der entsprechende Zufluß befinden.« »Merkwürdige Spielerei«, sagte Peters. »Der Fluß muß mit Gewalt hier in die Tiefe gezwungen worden sein.« »Wieso?« »Der Stromspiegel befindet sich in der Höhe dieser Wasserfläche. Das muß nach dem Gesetz der verbundenen Röhren so sein. Nun stellen Sie sich vor: Die Erbauer dieser Anlage bauten mit ihren geringen technischen Hilfsmitteln ein mächtiges Gewölbe in den Strom hinein, zwängten ihn in eine Art umgekehrte Stromschnelle und ermöglichten dadurch dieses stille Becken mit seiner kaum bemerkbaren Strömung. Aber wozu diese ungeheure Arbeit? Um eine großartige Badewanne zu schaffen?« Sun Koh lächelte. »Warum nicht? Es badet sich hier sehr angenehm, wenn es auch kalt ist. Haben Sie nicht Lust, ebenfalls einmal zu tauchen?« Das sagte er ziemlich laut, und dann setzte er sehr leise, kaum hörbar hinzu: »Links neben der Öffnung sind eine Schlange und ein Jaguar eingehauen. Außerdem Schriftzeichen, die ich mir noch ansehen werde.« Jetzt sprach er wieder lauter. »Doch, das Wasser ist ganz angenehm. Und wenn ich nun schon einmal dabei bin…« 43
Er sprang wieder in das Wasser hinein. Peters begriff, warum Sun Koh so leise gesprochen hatte. Garcia hatte sie gestern hier belauscht, und es war leicht möglich, daß er das auch heute tat. Und Sun Koh wollte ihm nicht alle Karten in die Hand geben. Da tauchte der geschmeidige Körper Sun Kohs schon wieder auf und schwang sich aufs Trockene. Sun Koh nahm das Handtuch, das ihm Nimba bereithielt und rieb sich damit ab. Mit einer Kopfbewegung holte er seine beiden Begleiter dicht an sich heran und berichtete: »Unverkennbar eine Schlange und ein Jaguar. Die Schriftzeichen daneben bedeuten: Wenn die Sonne von Osten kommt, wird Botschika ihr Lehrmeister sein.« »Und was soll das heißen?« »Ich bin noch nicht sicher«, überlegte Sun. »Die Sonne, die von Osten kommt…« »Sind Sie das nicht, Sun Koh?« flüsterte Nimba. »Sie sind doch Sun, die Sonne, und Sie kommen von Osten her.« Sun Koh lächelte. »Von Osten kommt täglich eine viel größere Sonne als ich, Nimba.« »War Botschika nicht der Greis, von dem Sie gestern aus den Hieroglyphen vorlasen?« fragte Peters. Sun Koh nickte. Gleich darauf machte er eine hastige Bewegung. »Ich hab’s. Können Sie sich noch auf die Einzelheiten der Weltkatastrophe besinnen, die ich Ihnen gestern vorgelesen habe? Kommen Sie.« Er trat an die Felswand heran, suchte einen Augenblick und las dann ab: »Da sah der Greis eine lange, glitzernde Natter durch versengtes, welkes Gras sich der Quelle zuschlängeln. Wo die mächtige Eiche ihre dicken, moosbewachsenen Wurzeln in die Erde schlug, zeigte sich eine dunkle Öffnung, ein gähnendes Loch, auf das die Schlange zueilte. Kaum war sie darin verschwunden, da lief ein Jaguar heulend herbei, rannte an den drei Menschen vorüber und scharrte mit seinen Krallen die kleine Öffnung, in die die Schlange gekrochen 44
war auf. Bald war das Loch groß genug, daß der Jaguar ebenfalls hindurchgelangen konnte. Der Greis hatte aufmerksam das Treiben der Schlange und des Jaguars beobachtet. Das Loch mußte der Eingang zu einer unterirdischen Höhle sein, und wenn sie sich dort hinein flüchten könnten, würden sie Schutz vor dem Weltbrand finden. Rasch machte sich der Greis an die Arbeit. Das Loch, das der Jaguar gegraben hatte, war fast groß genug, um einem Menschen Einlaß zu gewähren. Mit den Händen erweiterte er die Öffnung, kroch voran und half der Frau mit dem Kind hinein. Die drei Menschen waren geborgen. Sie befanden sich in einer geräumigen Höhle…« Er brach ab. Peters sagte: »Da haben wir tatsächlich eine Schlange, den Jaguar und den Greis Botschika. Aber wieso soll er Lehrer sein? Was tat er letzten Endes?« »Er folgte der Schlange und dem Jaguar«, sagte Sun Koh. »Das ist der Sinn des Satzes.« »Hm.« Peters überlegte. »Ist die Annahme nicht doch ein bißchen kühn? Sie setzen voraus, daß Sie die beiden Tierzeichen noch irgendwo entdecken.« »Ja«, bestätigte Sun Koh. »Botschika drang durch eine dunkle Öffnung ins Ungewisse und fand eine Höhle. Und ich werde das gleiche tun.« »Sie wollen dem unterirdischen Strom folgen?« »Ja«, sagte Sun Koh. »Die Strömung ist nicht stark. Ich werde nur einen Vorstoß wagen und rechtzeitig wieder umkehren.« »Das sagen Sie, aber wie leicht kann Ihnen die Umkehr unmöglich werden. Nehmen Sie wenigstens ein Seil mit hinunter.« Sun Koh erklärte sich einverstanden, Nimba holte aus seinem Packen ein dünnes Nylonseil, das 25 Meter lang und ungewöhnlich tragfähig war. Sun Koh band das eine Ende zur Seilschlinge und streifte sie über seinen Körper. Dann tauchte er schräg hinab auf die Stelle zu, an der sich die Felswand öffnete. 45
Eine Sekunde, zwei Sekunden – das Seil rollte gleichmäßig ab. Fünf Sekunden, sechs Sekunden – der Zug wurde langsamer, Peters und Nimba starrten auf das Wasser und auf das Seilende, das Nimba in der Hand hielt. Jetzt rutschte die letzte Schlaufe ins Wasser nach. Nimba beugte sich vor, um seinem Herrn noch einen Meter Spielraum zu geben. Da hörte der Zug plötzlich auf. Zehn Sekunden, zwanzig Sekunden. Kam Sun Koh immer noch nicht zurück? Fünfzig Sekunden, sechzig Sekunden! Wo blieb Sun Koh? Nimba blickte ratlos auf Peters. Der wandte sich ab. Auch er war in Sorge. Drei Minuten! Nimba zog behutsam an dem Seil. Es straffte sich, gab aber nicht nach. Hielt Sun Koh es fest, oder hatte es sich irgendwo festgeklemmt, während Sun Koh selbst ein Opfer seiner Tollkühnheit geworden war? Die beiden Männer wagten die Frage nicht zu beantworten. Nimba ließ das Seil wieder locker. Vier Minuten! Fünf Minuten! Jede Sekunde dehnte sich zu einer Ewigkeit voll zerreißender Spannung. Sun Koh befand sich entweder in Sicherheit oder war tot. »Hol ein!« befahl Peters mit heiserer Stimme. Nimba holte das Seil wieder ein. Es straffte sich, hing – nein, jetzt gab es nach. Es kam gespannt, aber ohne viel Widerstand herauf. Das bedeutete… Nimba riß den Strang immer hastiger heraus, seine Hände griffen immer schneller. Jetzt nur noch wenige Meter. Ganz leer konnte das Seil nicht sein. Irgend etwas mußte an ihm hängen. Peters wappnete sich mit verzweifelter Energie darauf, plötzlich einen abgerissenen Arm oder etwas Ähnliches auftauchen zu sehen. 46
Jetzt pendelte das Seil in die Senkrechte. Ein Ruck – das Ende des Seils schleuderte aus dem Wasser heraus und klatschte auf die Steinplatten. Die beiden Männer starrten auf den Gegenstand, den sie aus dem Brunnen gezogen hatten. Es war eine rechteckige Platte, vielleicht zwei Zentimeter stark, dreißig Zentimeter lang und halb so breit. Sie war dicht mit Schriftzeichen bedeckt. Doch das übersahen sie über einer anderen Feststellung, die sie beide fast gleichzeitig machten. Die Platte bestand aus Gold. »Gold?« flüsterten sie beide, während in ihren Augen Freude aufglänzte. Es war aber nicht die Freude der glücklichen Schatzsucher, sondern ausschließlich Freude darüber, daß Sun Koh lebte. Diese Platte war ein Lebenszeichen von ihm. Er mußte sich in Sicherheit befinden, sonst hätte er nicht die Schlinge von sich abgestreift und um diese Platte gelegt. »Gott sei Dank!« Peters atmete tief auf. Er bückte sich nach der seltsamen Platte. Die beiden Männer fuhren wieder herum, dem Wasser zu. Eben schwang sich Sun Koh über die Umfassung. »Gott sei Dank!« sagte Peters. »Wir fürchteten schon, daß Sie ertrunken sein könnten. Nimba wäre Ihnen am liebsten nach drei Sekunden nachgesprungen.« Sun Koh faßte den strahlenden Joruben bei den Schultern, blickte ihn lächelnd an und drehte ihn dann herum. »Du bist ein Angsthase, Nimba. Gib mir bitte das Tuch und meine Sachen.« Nimba beeilte sich. Sun Koh öffnete seine linke Hand und hielt sie Peters hin. Auf der Handfläche lag ein riesiger Edelstein, ein Diamant mit fremdartigem Schliff. Er war fast so groß wie ein Hühnerei. Ein märchenhafter Stein, der leicht seine tausend Karat haben konnte. »Und was sagen Sie dazu?« fragte Sun Koh heiter. »Sie haben doch eine Schwäche für solche Dinge.« Peters nahm ehrfürchtig den Stein zwischen seine Finger. 47
»Donnerwetter! Sind Sie etwa in eine Schatzkammer geraten?« »Genau getroffen«, sagte Sun Koh. »Wir wollen frühstükken, dabei werde ich Ihnen berichten.« ∗ Sun Koh rieb sich trocken, zog sich an und setzte sich mit Peters auf die niedrige Felsbank, auf der Nimba gebratenes Fleisch, Obstkonserven und Toastbrot serviert hatte. Sun Koh steckte den Edelstein ein. Die goldene Platte legte er neben sich. Er begann, im Flüsterton zu berichten. »Die Sorge um mich war wirklich unnötig. Ich sagte ja schon, daß die Strömung nicht stark ist. Soviel stand fest: Die Schlange und der Jaguar besaßen ihre Bedeutung und konnten im Zusammenhang mit dem, was wir gelesen hatten, nur Wegweiser sein. Die Schlange und der Jaguar wiesen dem Greis Botschika den Weg in eine Höhle, die…« Er brach plötzlich ab. Von der anderen Seite der Halle her krächzte eine spöttische Stimme: »Gesegnete Mahlzeit, Herrschaften! Ist’s erlaubt, näher zu treten, oder fürchten Sie, daß es Ihnen dann nicht mehr schmecken könnte?« In der dunklen Öffnung eines Ganges stand Manuel Garcia. Hatte er sie schon länger beobachtet? Wußte er um Sun Kohs Entdeckungen? Oder war er gerade erst aufgetaucht? Sun Koh deckte unauffällig die Goldplatte ab. Der Mexikaner trat ohne Aufforderung näher. Er grinste über sein ganzes Gesicht. »Sie sind nicht übermäßig erfreut. Ich um so mehr. Ich konnte die ganze Nacht vor Ungeduld, Sie wiederzusehen, nicht schlafen. Ich bin wohl gerade in Ihre tiefsinnigen Betrachtungen über die schöne Wandmalerei hineingeplatzt?« »Erraten«, sagte Peters. »Wir unterhielten uns gerade über die Geschichte, die diese Hieroglyphen erzählen.« »Na und?« fragte Garcia. »Hatten Sie auf eine Anweisung 48
zum Schatzgraben gehofft?« Sun Koh fixierte ihn spöttisch. »Wir sind nicht so töricht, dort noch Schätze suchen zu wollen, wo Sie sich schon längere Zeit aufhalten.« Das schien Garcia zu belustigen. »Sie haben ja eine gute Meinung von mir«, sagte er. »Nein, was hier zu finden war, hat mein Bruder schon vor mir herausgeholt. Oder gibt es sonst noch was? Ich bin nicht abgeneigt, von Ihren Kenntnissen zu profitieren. Hier kommt nicht alle Tage einer her, der die Zeichen lesen kann. Ich habe immer geglaubt, daß dort eine Anweisung zum Reichwerden steht. Und dabei lesen Sie bloß alte Märchen vor.« Peters atmete auf. Garcia schien doch nichts davon zu ahnen, welche wichtigen Hinweise dort an der Wand standen. Das machte ihn freundlicher. »Wenn es auch ein Märchen ist, so ist es doch recht bemerkenswert.« »Stimmt«, sagte Garcia beifällig. »Und dabei ist es noch nicht einmal ein Märchen.« »Sondern?« »Geschichtliche Wahrheit, mein Lieber. Das nette kleine Gestirn ist tatsächlich einmal heruntergekommen und hat die Erde verbrannt. Oder dachten Sie, vom Avesta-Bericht bis zu Sodom und Gomorrha handelte es sich um Feuerwerkskörper? Was nützt die ganze Bildung, wenn man keine hat?« »Ihr Spott beweist nicht, daß Sie uns überlegen sind«, gab Peters scharf zurück. »Kläffen kann jeder.« Manuel Garcia fühlte sich nicht im geringsten getroffen. Er zwinkerte belustigt. »Heute morgen sind wir aber sehr bissig, junger Freund. Wer wird denn gleich beleidigt sein. Was zahlen Sie für eine Unterrichtsstunde?« »Gerade genug, daß ich mir Ihr Gerede anhöre«, murrte Peters unfreundlich. »Und ich hatte gehofft, Sie würden mir verraten, wozu Sie 49
die Röhren an dem Flugzeug haben. Wie steht’s? Ich beweise Ihnen dafür, daß dieses Märchen wirklich Geschichte ist.« Peters schüttelte den Kopf, aber Sun Koh griff ein und erklärte ruhig: »Die Röhren zwingen das Flugzeug aus jeder Lage in den Gleitflug. Darüber können Sie sich bei der BAC in London, die jetzt die Lizenz besitzt, ausführlich Auskünfte einholen. Leben Sie schon lange in der Einsamkeit, Señor Garcia?« »Zehn Jahre. Warum fragen Sie?« »Weil Ihnen jedes Wort, das Sie an uns richten können, ein Geschenk ist. Sie müssen lange geschwiegen haben.« Manuel Garcia duckte sich wie unter einem Schlag. Zum erstenmal war er wirklich unsicher. »Sie – Sie sind ein…« »Schon gut«, wehrte Sun Koh ab. »Sie wollten unbedingt unser Wissen bereichern.« In der nächsten Sekunde war Garcia wieder in Ordnung. Sein fahles dreieckiges Gesicht zeigte seine gewohnte Häßlichkeit, und um seine dünnen Lippen unter dem schmalen schwarzen Bartstreifen zuckte der Spott. »Ja, die alte Geschichte. Sie hat sich vor über zwanzigtausend Jahren ereignet und ist doch genauer überliefert worden als die neuere Geschichte. Sie erwähnten Feuer- und Schwefelregen aus der Bibel. Bleiben wir gleich bei diesem erbaulichen Buch. Da ist eine feine Stelle in der Apokalypse: ,Und es fiel ein großer Stern vom Himmel, der brannte wie eine Fakkel und fiel auf das dritte Teil der Wasserströme und über die Wasserbrunnen. Und es ward ein Hagel und Feuer, mit Blut gemengt, und fiel auf die Erde, und das dritte Teil der Bäume und alles grüne Gras verbrannte.’ Klar, nicht wahr?« Peters schüttelte den Kopf. »Durchaus nicht, und auf jeden Fall nicht beweiskräftig. Vor allem ist eins unverständlich: Wenn sich das Ereignis hier in Yukatan vollzog, wie konnte dann Kleinasien Ähnliches erleben? Auch ein solches Ereignis ist ja immerhin eine ört50
lich begrenzte Katastrophe.« »Gründlich, mein Lieber, aber falsch«, sagte Garcia. »Wer sagt Ihnen denn, daß es hier passierte? Nein, die Katastrophe ereignete sich auf dem ehemaligen Erdteil Atlantis, und das steht ja schließlich auch dort. Und warum sollte dabei nicht auch das heutige Europa, Nordafrika und Kleinasien seinen Teil erwischt haben? Und vielleicht sogar Yukatan auf der anderen Seite? Haben Sie Ihren Ovid gebüffelt?« »Was hat das damit zu tun?« »Nun, Ovid erzählt in seinen Metamorphosen von einem gewissen Phaeton, dem Sohn des Sonnengotts, der seinen Vater bettelte, auch einmal den Sonnenwagen lenken zu dürfen. Sein Vater ließ sich breitschlagen. Dazu sind Väter schließlich auch da. Aber, was geschieht? Der junge Mann ist zu schwach auf den Beinen und kann die wilden Rosse nicht im Zaun halten. Sie gehen durch, rasen aus der vorgeschriebenen Bahn heraus, und die glühende Sonne steckt alles in Brand, weil sie der Erde zu nahe kommt.« »Es stimmt«, räumte Peters widerwillig ein. »So erzählt Ovid. Und wenn es auch nur eine Sage ist, so scheint sie in diesem Zusammenhang doch recht beachtenswert zu sein.« »Na also.« Garcia grinste. »Was sagen Sie dazu, daß die alten Ägypter am Tag der Frühlingsgleiche alle Gegenstände, selbst Tiere und Nahrung, mit Rötel bestrichen, weil an jenem Tag einmal der ganze Erdkreis in Flammen aufgegangen sei?« »Ziehen Sie nicht gewaltsam Überlieferungen heran?« gab Sun Koh zu bedenken, aber damit stocherte er Garcia nur an. Er vergaß sogar, seine Fratzen zu schneiden. Er wurde nachdrücklicher und sogar ernst. »Hier gibt es nur zwei Möglichkeiten. Entweder nimmt man an, daß die uralten Sagen und Gebräuche der Völker aus dem Nichts entstanden sind, sinnlos aus der Luft gegriffen und ganz zufällig bei allen Völkern übereinstimmend, oder man unterstellt, daß sie eine tiefere Bedeutung besitzen und auf bestimmte Ereignisse zurückgehen. Ich halte mich an die 51
zweite Möglichkeit. Dann muß man aber auch auf Ereignisse zurückgehen, die sich vor Jahrtausenden abspielten und von derartiger Wucht waren, daß sie nie wieder ganz vergessen wurden.« »Zugestanden«, sagte Sun Koh. »Nehmen Sie eine ganze Kleinigkeit«, fuhr Garcia eifriger fort. »In allen Völkern um den Atlantik herum spielt die Sieben eine besondere Rolle, zum Teil als Unheilszahl, gewöhnlich als Glückszahl. Ein Aberglaube, den man seit Jahrhunderten verlacht und bekämpft. Jahrhunderte der Aufklärung sind über ihn hinweggegangen. Trotzdem stehen die Menschen noch heute der Sieben nicht unbefangen gegenüber. Warum? Weshalb hat die Sieben seit Jahrtausenden für die Menschen eine besondere Bedeutung? Tausende von Sitten und Gebräuchen sind mit ihr verknüpft und weisen ihr eine besondere Stellung zu. Sieben Tage hat die Woche. Warum nicht sechs oder acht? Sieben Planeten stehen am Himmel. Kommt es daher? Aber sieben Kinder zeugte auch das einzige Menschenpaar, das auf Atlantis den Sintbrand überlebte, und aus diesen sieben Kindern erwuchs das Kulturvolk der Atlanter, das für die Wilden der europäischen und amerikanischen Randgebiete eine ähnlich eindrucksvolle Rolle spielte wie etwa in den letzten Jahrhunderten die Engländer für die Zulukaff ern. Ist Ihnen klar, was ich meine?« »Hm, das schon, aber…« »Oh, es gibt Tausende von Erinnerungen an diesen Weltbrand. Die Schlange finden Sie in der Bibel als Begleiterin des ersten Menschenpaares wieder, aber Sie finden sie auch als Drachen, der Feuer speit, in den germanischen Heldensagen. Der Jaguar verwandelt sich bald in eine Hündin, wie in der Kyros-Sage, bald in eine Ziege, wie in der griechischen und germanischen Mythologie. In Rom ist es eine Wölfin, die Romulus und Remus, die Zwillinge der Rhea Silvia, die diese unter großen Zeichen und Wundern gebiert, säugt. Die Wassertaufe der Christen, die den nordischen Völkern wie den 52
Mayas lange vor der Entstehung des Christentums bekannt war, der Jungbrunnen der Märchen, der Teich, aus dem der Storch die kleinen Kinder holt – das geht alles auf die Waschung des neugeborenen Kindes in der Quelle des Eichbaums zurück. Was könnte ich Ihnen alles noch aufzählen! Kennen Sie die Edda? Haben Sie nicht in dem einäugigen Greis mit dem langen Bart und dem blauen Mantel jenen germanischen Odin, den Göttervater, wiedererkannt, der sein Auge im Quell Mimir, dem Urdbrunnen, verlor? Ist Odin nicht auch der griechische Zeus? Und beschrieb Ihnen Ihre Mutter nicht einst, als Sie noch im Kindbett lagen, den wunderbaren lieben Gott als einen alten Mann mit langem weißem Bart, eine Gestalt, die Sie dann im väterlichen Knecht Ruprecht und im schenkenden Weihnachtsmann wiederfanden? Uralte Erinnerungen alles. Der Eichbaum, von dessen Früchten jene geretteten Menschen lebten, taucht überall auf, wenn er auch Gestalt und Namen wechselt. Die Edda spricht von einer Esche Yggdrasil, obgleich Yggdrasil nichts anderes als Eichbaum des Lebens bedeutet. Die Völuspá malt den allnährenden Weltbaum, um den die Glutwirbel wühlen. Was glauben Sie, warum im Mai in so vielen Gegenden die Maibäume vor die Häuser gestellt werden? Das sind ebenfalls Symbole jenes Lebensbaumes. Unter ihm gab Botschika die beiden jungen Menschen zusammen, nachdem sie aufgewachsen waren. Seinen Segen finden Sie in der Genesis wieder: ,Seid fruchtbar und mehret euch und füllet die Erde und macht sie euch Untertan.’ Alles kleine Dinge aus uralter Zeit, aber in ihrer Gesamtheit so beweiskräftig, daß man das, was dort an den Wänden steht, für geschichtliche Wahrheit nehmen kann.« Manuel Garcia schwieg. Peters sagte impulsiv: »Großartig, Señor Garcia. Sie stellen die kleinen, allgemein bekannten und doch nie beachteten Dinge in einen Zusammenhang, in dem sie eine erstaunliche Bedeutung gewinnen. Mir selbst fällt dazu auch noch dies und jenes ein. Aber ich wundere 53
mich, daß Sie um diese Einzelheiten wissen.« Manuel Garcia kräuselte wieder spöttisch die Lippen. »Vielleicht habe ich aus Langeweile im Konversationslexikon nachgelesen.« Peters hatte das Gefühl, von einem kalten Wasserstrahl getroffen zu werden. Er ging gereizt hoch. »Was gibt es denn da schon wieder zu lachen? Können Sie sich nicht ein einziges Mal vernünftig unterhalten? Ich staune über Ihr Wissen, und Sie… Na, schon gut. Vielleicht wissen Sie selbst nicht, was Sie tun. Ich glaube, Sie würden sogar an der Bahre eines Menschen, den Sie liebten, noch lachen.« Manuel Garcia stand auf und trat dicht an Peters heran. Sein bleiches Gesicht war jetzt glatt und ausdruckslos. Seine Augen glühten wie dunkle Totenfackeln. Seine Stimme war spröde, doch klang ein Unterton in ihr, der ebensogut verächtliches Mitleid wie verdeckte Qual ausdrücken konnte. »Wissen Sie überhaupt schon, was Leid ist, junger Mann? Sie wissen es nicht. Ihre Seele ist noch weich. Sie werden Kummer, Sorgen und Schmerzen haben und sich einbilden, Ihren Teil zu tragen. Aber es gibt Leid, das zu groß ist, und Qual, die zu gewaltig ist, als daß sie ein Mensch ertragen kann. Dann hat der Mensch, dem das auferlegt wird, nur zwei Möglichkeiten: Er kann am Leid sterben, oder er kann seine Seele unempfindlich machen, indem er sie mit Hohn durchtränkt und dem Leid einen lästernden Spott entgegenwirft.« Er wandte sich mit einem scharfen Ruck um, schritt davon und verschwand im Dunkel des Gangs, aus dem er herausgekommen war. ∗ Peters starrte ihm benommen nach. Es dauerte eine Weile, bevor er wieder Worte fand. »Was ist das bloß für ein Mensch? Weiser oder Narr, Engel oder Satan?« 54
Sun Koh schüttelte den Kopf. »Wir wollen nicht versuchen, das Rätsel dieses Mannes zu lösen. Es könnte sein, daß wir in ihm den größten Gaukler des Jahrhunderts entdecken. Es gibt auch ohne ihn hier genug seltsame Dinge.« Peters kehrte schnell zur Wirklichkeit zurück. »Ach, richtig, der Schatz. Aber wird Garcia nicht zurückkehren?« »Eigentlich müßte sein Unterhaltungsbedürfnis für heute befriedigt sein. Außerdem können wir uns nicht von ihm abhängig machen.« »Stimmt auch wieder«, gab Peters zu. »Wenn es schon nicht ohne Kampf abgeht, dann bleibt es sich ja gleich, wann er ausgetragen wird. Oder wollen Sie Ihren Fund preisgeben?« Jetzt lachte Sun Koh. »Ich denke nicht daran. Alles, was sich hier befindet, betrachte ich als mein Eigentum.« »Fein, das gefällt mir. Aber Sie wollten gerade erzählen?« Sun Koh schien nicht mehr viel Lust dazu zu spüren. »Sie sehen sich das am besten selbst an. Hier hinter dieser Wand ungefähr befindet sich eine Höhle, in der Milliarden ruhen. Wenn man auf die Schlange und den Jaguar achtet, ist sie leicht zu finden. Man taucht in den Strom, hat ungefähr zwanzig Meter zu schwimmen, und dann öffnet sich an der Decke der Felswölbung ein ähnlicher Brunnen wie hier, aber mit nur zwei Meter Durchmesser. Am besten wird es sein, ich schwimme noch einmal mit dem Seil hinüber und befestige es drüben, so daß Sie und Nimba dann am Seil schwimmen können.« »Na, hoffentlich reicht mein Atem aus«, meinte Peters. »Aber sehen möchte ich die Schatzkammer natürlich.« »Ich helfe schon nach. Nimba, du packst inzwischen die Waffen wasserdicht ein. Peters, halten Sie das Seil.« Er nahm das eine Ende in die Hand und tauchte ab. Fünf 55
Minuten vergingen. Dann geschah etwas Überraschendes. Peters hörte hinter sich ein leises, reibendes Knirschen, und da gleichzeitig Nimba einen Laut ausstieß, drehte er sich schnell um. Ganz dicht über der Steinbank öffnete sich langsam der Felsen. Ein rechteckiges Stück von rund zwei Meter Breite und etwas mehr Höhe klappte wie eine Tür nach innen zurück, und in der immer größer werdenden Öffnung stand Sun Koh im Licht des Scheinwerfers, den er auf seinen Körper gerichtet hielt. »Erschrocken?« Sun Koh lächelte. »Ich hatte schon meine Bedenken, ob Sie nicht schießen würden. Schließ den Mund wieder, Nimba. Das Seil können Sie wieder einziehen, Peters. Wir brauchen es nicht mehr. Hier ist der Weg bequemer.« Die beiden anderen erholten sich erst allmählich von ihrer Überraschung. Nimba rollte mit den Augen. »Ich hätte wirklich bald geschossen. Ich dachte, die Geister wollten wieder umgehen.« Peters wickelte das Seil auf und trat an die Felsöffnung heran, die dunkel in der Wand klaffte. »Das nenne ich eine Panzertür. Wie stark ist die Wand?« Sun Koh ließ das Licht darauf fallen. »Zwei Meter. Die Tür ist keilförmig eingeschnitten, nur unten ist sie flach. Kommt, steigen wir hinein. Die Sachen können liegen bleiben, Nimba.« Sie schritten über die breite Schwelle in eine Schatzkammer, deren Anblick neunzig von hundert Menschen verrückt gemacht hätte. In ihr war es erheblich dunkler als in der großen Halle. Erst der Strahl der Scheinwerferlampe enthüllte nach und nach die Geheimnisse des Raums. Zunächst lag das Licht noch auf der Tür. Sie war, wie Sun Koh schon gesagt hatte, keilförmig eingeschnitten, so daß die schmale Seite nach der Halle zeigte. Ihrer Größe entsprechend hatte sie wohl ein Gewicht von zwanzig Tonnen. Die Last wurde von steinernen Kugeln getragen, aus denen die Schwel56
le bis auf einen schmalen Außenstreifen bestand. Nach innen zu setzte sich das Kugelbett auf einer Art Felsbank fort, so daß die Tür beim Öffnen bis zuletzt über die Kugeln glitt. Die Unterseite der Tür war spiegelglatt geschliffen, eine glasartig überzogene Fläche, auf der die suchenden Finger nicht den geringsten Kratzer spürten. Das größte Wunder aber waren die Kugeln selbst. Sie waren vollkommen rund, eine wie die andere, jede einzelne in einem Quarzmantel schimmernd und jede einzelne ein Wunderwerk an Genauigkeit. Peters, der als Techniker von solchen Dingen gewiß nicht leicht aus der Fassung zu bringen war, kam aus dem Staunen nicht heraus. »Fabelhaft! Phantastisch!« murmelte er. »Wie haben jene Menschen das nur fertiggebracht? Ich glaube nicht, daß ein heutiger Handwerker derartige Arbeit leisten könnte. Und wie genau die Tür gearbeitet ist… Nicht die geringste Fuge von außen.« »Bei der Behandlung des Natursteins waren uns jene Völker überlegen. Ist Ihnen das nicht schon oben aufgefallen? In die Fugen der mächtigen Quaderblöcke kommt man nicht einmal mit dem Fingernagel hinein, so genau sind sie gearbeitet. Aber nun sehen Sie sich einmal den Schatz der Mayas an.« Der Schein der Lampe glitt flüchtig durch die Höhle. Sie war fast ein genaues Abbild der Halle, nur kleiner. Ihr Durchmesser mochte dreißig Meter betragen, eher etwas mehr, ihre Höhe im Scheitel fünf Meter. In der Mitte schimmerte die Wasserfläche auf, aus der Sun Koh herausgetaucht war. Die drei Männer gingen nur langsam herum. Der helle Lichtkreis der Lampe wanderte vor ihnen her. Gleich neben der Tür lagen Goldplatten, von denen Sun Koh bereits eine mitgebracht hatte. In zehn Reihen standen da fünfzig Plattensäulen bis über Mannshöhe, jede Säule schätzungsweise aus achtzig Platten erbaut, also insgesamt rund viertausend Stück. Das waren rund zwanzig Tonnen reines Gold. 57
Daneben standen Tausende von flachen Tellern und Schalen ebenfalls in Stapeln, deren Goldwert nicht geringer sein konnte als der der Tafeln. Dann folgten Gefäße, Krüge in allen Größen und allen Formen, dicht nebeneinander und übereinander, alle im matten Gelb des reinen Goldes aufschimmernd. Nun ruhte der Lichtschein auf goldenen, wundervoll verzierten und mit Edelsteinen geschmückten Kästen und Truhen. Sun Koh schlug einen Deckel zurück. Das Licht brach sich märchenhaft an dem Inhalt. Ein Diamant am anderen, Hunderte von Diamanten, und alle von ausgesuchter Größe, jeder von ihnen sicher Millionen wert. Ein zweiter Kasten enthielt kleinere Diamanten in ungezählter Menge, ein dritter und vierter Edelsteine der verschiedensten Art, die in allen Feuern von tiefstem Purpur bis zum hellsten Gelb aufstrahlten, darunter nicht zuletzt eine Gruppe riesiger, dunkelgrüner Smaragde, deren Wert schwindeln machte. Eine besonders kunstvoll gearbeitete Truhe barg Geschmeide, Spangen, Schließen, Agraffen und Nadeln mit Edelsteinen in Goldfassung, wundervoll zarte und prunkhaft schwere Gebilde hoher Goldschmiedekunst. Neben den Kästen standen Statuen. Die kleinste war fünf Zentimeter hoch, die größte ungefähr zwei Meter. Sie bestanden aus reinem Gold und waren mit kostbarsten Edelsteinen übersät. Wieder kamen Krüge, aber diese waren verschlossen, mit einem Deckel versehen und mit Gold abgedichtet. Die Männer erfuhren erst sehr viel später, daß in ihnen Ambra verborgen war, das wundervollste und kostbarste Gut des Meeres. Ein Stapel kleinerer Kästen erregte die Neugier. Sun Koh hob einen Deckel. Ein Märchentraum von Perlen, Perlen und wieder Perlen. Zwanzig Kästen und in jedem Hunderte von fehlerfreien Perlen, von denen eine einzige in Entzücken versetzen konnte. Und dann kamen Goldbarren zu Tausenden… 58
Peters griff taumelnd nach Sun Kohs Arm und würgte: »Ich muß hinaus – schnell…« Sun Koh griff ohne ein Wort den Wankenden um die Hüfte und trug ihn in die große Halle hinaus, setzte ihn auf die Steinbank und reichte mit einer bezeichnenden Bewegung dem nacheilenden Nimba das Taschentuch. Nimba sprang zum Wasser und tränkte es. Sun Koh rieb damit Peters das Gesicht ab. Der Ingenieur blickte ihn verstört und geistesabwesend an. Sein Gesicht war fahl, nur auf den Backenknochen standen rote Flecke. Die Hände zitterten leise wie im Frost. Nach einigen Minuten hatte er sich leidlich erholt. Er zitterte nicht mehr, und die Farbe kehrte in seine Wangen zurück. »Was war denn?« fragte Sun Koh besorgt. Peters versuchte zu lächeln. »Ich… Eigentlich nichts. Ich schäme mich, weil ich mich so lächerlich benommen habe. Ich weiß nicht, ob Sie das überhaupt verstehen können. Es war das Gold, das mich verwirrte.« »Der Anblick dieser Schätze?« »Ja.« Peters seufzte. »Ich erzählte Ihnen ja, daß ich zeit meines Lebens ein armer Mann war, der mehr hungerte als lebte. Sie stehen über dem Geld und kennen die Gier nicht. In mir steckt noch die volle, ungeschwächte Gier nach Geld und Gold, dem Schlüssel zu aller Herrlichkeit. Sehen Sie, als Junge habe ich manchmal gelesen, wie Goldsucher oder Schatzgräber vom Goldfieber gepackt werden, wie sie in einen Rausch, in einen Taumel geraten und alles vergessen, selbst die Kameradschaft. Das war mir nie recht verständlich. Aber jetzt dort drin – da hat mich das Fieber gepackt und mich wie eine höllische Macht geschüttelt. Mir war, als müßte ich mich wie ein Tier in diese Schätze hineinwühlen und an ihnen sterben.« Sun Koh legte Peters die Hand auf die Schulter und sagte 59
ernst: »Dort drin liegen viele Milliarden, Peters. Bitte, denken Sie einen Augenblick nach und beantworten Sie mir eine Frage: Was würde die Erfüllung Ihres größten und phantastischsten Wunsches, den Sie jemals hatten oder noch haben, ungefähr kosten?« Peters’ Augen gingen nachdenklich in die Ferne. Dann sprang er auf einmal auf und sagte aufatmend: »Sie sind doch ein guter Psychologe, Sun. Ich glaube, damit haben Sie mich geheilt. Ich kann nämlich bei aller Anstrengung nichts finden, was mir eine besondere innere Beteiligung an den Schätzen dort drüben abnötigen könnte. Alles, was ich mir früher so brennend wünschte, sind Kleinigkeiten von ein paar hundert oder ein paar tausend Mark. Meine eine große Sehnsucht, die Welt zu bereisen, geht gerade mit Ihnen in Erfüllung, und andere, nämlich in einem vorbildlichen Labor meinen Phantasien nachhängen und sie verwirklichen zu können, dürften keine Million in Anspruch nehmen. Außerdem sind diese Wünsche wirklich nicht so brennend. Ich würde es ablehnen, wenn Sie mir jetzt eine Million in die Hand drücken und mich nach Hause schicken. Wenn mir jetzt das Zeug dort drüben gehörte – ich wüßte wahrhaftig nichts damit anzufangen.« Nimba nickte so lebhaft, daß Sun Koh heiter fragte: »Nun, was meinst du zu unserer Schatzkammer?« Nimba grinste von einem Ohr zum anderen. »Ich bin schon lange geheilt. Als ich noch Aufwäscher war, habe ich auch von Reichtum geträumt. Und dann wurde ich Jack Holligan, der Boxer. Essen, Trinken, dauernd Gesellschaften und Frauen – das kann auf die Dauer ermüden. Jack Holligan hat auf der Bank ein stattliches Konto – darf ich’s zu dem da legen?« Sun Koh lachte. »Sieh einer diesen Heimlichtuer an! Ist reicher als ich und verdient sich bei mir sein Geld.« »Ist das schlimm?« »Ich werde es ertragen.« Sun Koh wandte sich wieder an Peters. »Wie ist es – können wir es wagen und noch einmal hineingehen?« 60
Peters nickte. Sie betraten zum zweitenmal die Höhle mit den unermeßlichen Schätzen. Diesmal unterhielten sie sich über die Dinge, die dort aufgestapelt waren, und Peters’ Stimme blieb jetzt frei und unbefangen. Er betrachtete die Edelsteine und das Gold wie wertvolle Seltsamkeiten, die ihn persönlich nicht mehr berührten und seine Sinne nicht trübten. Er war Sun Koh dankbar dafür, daß er ihn von dem Krampf befreit hatte. »Was wollen Sie damit anfangen?« fragte er ihn, als sie Schritt für Schritt ihren Rundgang wieder beendet hatten. »Hierlassen. Hier sind sie am besten aufgehoben. Eines Tages werden wir sie vielleicht benötigen. Bis dahin mögen sie weiter ruhen. Nur…« Er öffnete die Truhe mit den großen Diamanten noch einmal und nahm einige heraus. »Wir wollen wenigstens einige Proben mitnehmen – erstens, um sie schätzen zu lassen, und zweitens, weil wir ohnehin in absehbarer Zeit Geld brauchen. Hier, Peters, Sie nehmen zwei Stück, und du ebenfalls, Nimba. Bewahrt sie für mich auf. Wenn einer von uns getrennt werden sollte, kann er die Steine selbstverständlich jederzeit zu Geld machen. Wir können sie unauffällig am Körper tragen, während Gold zu sehr belasten würde.« Seine Begleiter nahmen widerspruchslos die Steine an sich, Nimba dazu Sun Kohs Anteil, weil dieser ja seine Kleidung nicht bei der Hand hatte. Er trug jedoch gleich darauf die Steine hinaus, da ihm Sun Koh Anweisung gab, die einzelne Goldplatte hereinzuholen. Dann verließen Nimba und Peters zusammen die Schatzkammer. Sun Koh wollte sie wieder von innen schließen und dann den Rückweg durch das Wasser nehmen. Sun Koh drückte hinter ihnen die mächtige Felsentür über die glasigen Rollen und legte die einfachen Riegel vor. Dann tauchte er nach einem letzten prüfenden Blick durch die Höhle in das kleine Becken hinab. 61
Sekunden später schoß er am Ziel wieder hoch und schwang sich über die Umfassung. Seine Augen glitten überrascht durch die Halle. Dort lagen seine Sachen, dort die Ausrüstungsgegenstände, aber seine Gefährten waren spurlos verschwunden. 4. Völlige Stille herrschte ringsum. Kein Geräusch verriet dem Lauschenden, wo sich seine Begleiter befinden konnten. Peters und Nimba schienen sich in der Luft aufgelöst zu haben – innerhalb der kurzen Frist, in der er die Schatzkammer verschlossen hatte und durch den Strom getaucht war. Die Lösung des Rätsels lag für ihn nur in dem Namen Garcia. Zwischen seinen Augen stand eine scharfe Falte, während er seine Kleidung wieder anlegte. Hatte sich Garcia der beiden mit Gewalt bemächtigt? Das war unwahrscheinlich, denn sie waren beide bewaffnet und hätten sich zur Wehr gesetzt. Vermutlich hatte er einen unbekannten Trick angewendet. In solchen Dingen kannte er sich ja aus. Sun Koh blickte nachdenklich durch die Halle. Das Wasser schied aus. Es blieben die Gänge oder irgendwelche Felsenöffnungen, die er nicht kannte. Zuerst mußte er wohl den Gang untersuchen, aus dem Garcia herausgetreten war. Er wollte sich ihm gerade nähern, als aus der gewölbten Decke der Halle ein dunkles Etwas herausschoß und mit dumpfem Klatsch in das Wasser hineinsauste. Was war das? War das nicht ein menschlicher Körper gewesen? Sun Koh war im Nu an der Umfassung und beugte sich vor. Da kam der Körper heraufgeschossen – ein Kopf, ein Gesicht, schnaubend, prustend und nach Atem ringend. Sun Koh packte zu, zog den Mann mit einem Griff heraus und stellte ihn auf die Füße. Es war ein Fremder, ein schmächtiges Männchen von un62
gefähr vierzig Jahren mit glattrasiertem Gesicht, in dem zahllose Fältchen um die Augenwinkel saßen, mit dünnen Lippen, spitzer Nase, Sommersprossen und rötlichem Haar, das für gewöhnlich einen tadellosen Scheitel bilden mochte. Augenblicklich klebten die Haare in der Stirn, und die Augen waren blind vom Wasser. Der Anzug des Mannes konnte nur von der Stange gekauft sein, und zwar von einer Stange, die wohl im billigsten Verbrauchermarkt gehangen hatte. Der Halbbetäubte schüttelte sich, wischte sich die Augen aus und nieste. Sun Koh ließ ihn eine Weile gewähren. Erst als er sah, daß der Mann seine Augen – flinke, schlaue Mäuschenaugen – neugierig schweifen ließ, erkundigte er sich: »Wer sind Sie? Wo kommen Sie her?« Der Fremde nieste noch einmal, musterte Sun Koh voll Mißtrauen, wühlte in der Innentasche seines Rocks, brachte eine Brieftasche zum Vorschein und holte eine Karte heraus, die er Sun Koh stumm überreichte. Sun Koh las mit einigem Erstaunen: Elihu Speeker im Hause Safety Service New York Er gab die Karte zurück. »Wollen Sie mir das bitte erklären? Was ist das für eine Firma, die Sie vertreten? Hoffentlich handelt es sich nicht um Staubsauger.« Elihu Speeker trat entrüstet einen Schritt zurück und versuchte, seine rechte Hand zu einer napoleonischen Geste im Ausschnitt seiner Jacke unterzubringen. Es gelang ihm nicht recht, und das schien ihn flüchtig zu verwirren, doch brachte er schmerzliche Empörung zum Ausdruck. »Wieso?« fragte er mit erstaunlich hoher, fisteliger Stimme. »Sie wollen doch nicht etwa sagen, daß Sie die Agentur Safety Service nicht kennen, die Urmutter aller neunundsech63
zig Geheimdienste der Vereinigten Staaten. Ja, lesen Sie denn keine Kriminalromane?« »Ich hatte leider noch keine Gelegenheit, derartige Bücher zu lesen«, bedauerte Sun Koh ernsthaft. »Unglaublich!« sagte Speeker staunend. »Können Sie nicht lesen, oder sind Sie eben erst zur Welt gekommen?« »Vor kurzem erst«, antwortete Sun Koh ebenso ernsthaft. »Und seitdem hatte ich wichtigere Dinge zu erledigen. Sie sind also Detektiv. Wollen Sie mir verraten, wie Sie in dieses Wasser geraten sind?« »Auf einer Rutschbahn«, sagte Speeker mißvergnügt. »Verdammich, ich dachte wahrhaftig, mein letztes Stündchen wäre gekommen. Ich bin ja schließlich nur auf diese alte Pyramide geklettert, um mir die Landschaft von oben anzusehen und einen Überblick zu bekommen. Ich bin in dieser verflossenen Stadt fremd, und ich hatte keine Lust, unnötig im Gestrüpp herumzukriechen und mich von Schlangen beißen zu lassen. Jedenfalls entdeckte ich auf halber Höhe eine Öffnung. Ich wollte sie mir ansehen und kroch hinein. Der Boden fiel schräg ab. Nun, was soll ich Ihnen sagen – er war auch spiegelglatt, so daß ich ins Rutschen kam. Als ich es merkte, war es schon zu spät. Nichts mehr zu wollen. Eine verteufelte Rutschbahn. Lange hat’s freilich nicht gedauert. Ein paar Kurven, und schon sauste ich ins Wasser. Dabei kann ich nicht einmal schwimmen.« Sun Koh schwieg eine Weile. Das klang nach Wahrheit. Demnach stand über der Halle eine Pyramide. Die Rutschbahn konnte einer der Lichtschächte für die Halle sein. »Wie sind Sie in diese Ruinenstadt gekommen?« »Mit dem Flugzeug.« »Und zu welchem Zweck?« »Auch eine Frage«, quengelte Speeker. »Natürlich nur, um Sie zu suchen.« »Mich?« »Sie!« bestätigte Speeker nachdrücklich und wühlte erneut 64
in seiner Brieftasche. »Sind Sie Mr. Sun Koh oder nicht? Sind Sie das Original zu diesem Bild oder nicht?« Sun Koh versteifte sich unwillkürlich. Er war ernstlich bestürzt. »Ich bin es, aber wie kommen Sie zu dieser Aufnahme? Es gibt meines Wissens davon nur einen einzigen Abzug, und der gehört einer jungen Dame.« »Miß Martini meinen Sie«, sagte der Detektiv. »Von ihr habe ich das Bild. Die Firma, die zu vertreten ich die Ehre habe, erhielt dieser Tage ein Schreiben von Miß Martini aus Deutschland mit beiliegendem Bild. Sie teilte mit, daß der dargestellte Mr. Sun Koh zu unbekannten Ruinenstädten auf Yukatan gereist sei. Aus bestimmten Gründen wäre es dringend erforderlich, ihm ein Schreiben, das sich in der Anlage befand, zuzustellen. Kostenpunkt Nebensache. Nun, was soll ich Ihnen sagen – Safety Service weiß alles, Safety Service macht alles. Wir waren bei Empfang dieses Schreibens bereits über Ihre Ankunft in Merida unterrichtet, und ich erhielt den Auftrag, Sie ausfindig zu machen. Man gab mir in Merida, wo man übrigens recht geteilter Meinung über Sie zu sein scheint, die Richtung an. Nach einigem Suchen entdeckten wir von oben Ihr Flugzeug. Bei der Landung verloren wir aber die Orientierung, und deswegen kletterte ich auf die Pyramide. Hier ist der Brief.« Sun Koh trat einige Schritte beiseite und öffnete das Schreiben. Es kam tatsächlich von Joan Martini und enthielt eigentlich nur persönliche Mitteilungen. In den Schlußabsätzen war jedoch einiges, das ihn beunruhigte. »… und warum ich nun eigentlich schreibe? Offen gestanden, ich habe Angst, Sun. Zu meiner Schande muß ich es gestehen. Vielleicht ist Angst auch nicht der richtige Ausdruck. Mir ist, als ob seit kurzem über diesem ruhigen Städtchen der Schatten Garcias liege. Man beobachtet mich. Fremde Männer sind in der Stadt, die mir nachzugehen scheinen. Ich werde unruhig und weiß nicht, ob ich das auf die Dauer ertragen 65
kann. Ich weiß nicht, ob ich nicht lieber vor der Drohung fliehen soll, die ich hier an jeder Ecke und zu jeder Stunde fühle. Ich wollte, ich könnte bei Dir sein. Du würdest mich beschützen. Aber Du hast dort Deine Aufgaben zu erfüllen. Mach Dir aber meinetwegen keine unnötigen Sorgen. Nur – falls ich nicht mehr hier sein sollte, wenn Du zurückkommst, so hole Dir die Nachricht, die ich auf dem hiesigen Postamt auf Deinen Namen hinterlege. Vielleicht flüchte ich mich auch zu Dir…« Sun Koh faltete die Blätter zusammen. Sein Gesicht war düster. Joan fürchtete sich. Doch sie war keine schreckhafte Natur. Sie befand sich in Gefahr. Aber zwischen ihnen lagen Tausende von Kilometern. Wäre es nicht doch richtiger gewesen, sie mitzunehmen? Er wandte sich wieder dem Detektiv zu, der sich nicht gerührt, aber ihn unentwegt beobachtet hatte. »Übernehmen Sie auch den Schutz von Privatpersonen?« »Sicher«, sagte Speeker würdevoll. »Safety Service macht alles.« »Gut. Ich lege Wert darauf, daß die Absenderin dieses Schreibens ständig von einigen zuverlässigen Leuten beschützt wird. Läßt sich das ohne Rücksicht auf Ort und Zeit erledigen?« »Gewiß, wenn Sie dazusetzen, ,ohne Rücksicht auf die Kosten’. Sie verstehen, daß…« »Ohne Rücksicht auf die Kosten. Ich stelle jeden geforderten Betrag zur Verfügung. Mir liegt sehr viel an der Sicherheit von Miß Martini.« Elihu Speeker rieb bedächtig mit Daumen und Zeigefinger der linken Hand seine Nasenspitze. »Hm, ich verstehe. Ich weiß bloß nicht, ob meine Firma in der gleichen Angelegenheit für zwei verschiedene Klienten tätig sein wird. Soweit ich unterrichtet bin, liegt von anderer Seite ein Auftrag vor, Ihren Aufenthalt zu ermitteln.« »Wer ist daran interessiert?« 66
»Nun, ich… Eine gewisse Lady Houston.« »Ah!« »Ja, und da ich nur Angestellter bin…« »Sie weichen aus«, unterbrach ihn Sun Koh widerwillig. »Ich habe keine Lust, Lady Houston auf meinen Fersen zu haben, und ich lege den größten Wert darauf, Miß Martini in Sicherheit zu wissen. Wenn das eine Frage des Preises ist…« »Es ist nicht der Preis«, unterbrach Speeker würdevoll. »Solange ich Angestellter von Safety Service bin, habe ich nur meine Aufträge auszuführen und darüber zu berichten.« Sun Koh blickte ihn forschend an. »Und wenn Sie nicht mehr Angestellter von Safety Service sind, sondern statt dessen – sagen wir einen privaten Sicherheitsdienst übernehmen?« »Nun, dann bin ich selbstverständlich nur meinem privaten Auftraggeber verantwortlich.« »Hm, die Frage ist, ob es Ihnen liegt, eine Gruppe von Männern zu organisieren, die den Schutz Miß Martinis übernehmen?« »Sie kennen meine Firma nicht, nicht wahr? Ich bin nicht besonders ansehnlich geraten, aber Safety Service müßte bald schließen, wenn sie Angsthasen anstellen wollten. Falls es sich also darum handelt – auch ein kleiner Mann hat seine Talente. Es fragt sich nur, wer sie am besten bezahlt.« »Sie erhalten das Doppelte von dem, was Sie bisher verdienten.« »Einverstanden – wenn Sie es schriftlich geben.« Sun Koh sah sich das Männchen noch einmal gründlich an. Elihu Speeker war zweifellos ein Frettchen. Er wußte, wo er sein Futter zu holen hatte. Andererseits gehörte er sicher zu denen, die es mit einem Auftrag verbissen genau nahmen. Es steckte mehr in ihm, als man ihm auf den ersten Blick ansah. Er verstand sich auf sein Handwerk und hatte seinen Ehrgeiz. Eine Viertelstunde später hatte Elihu Speeker einen vorläufigen Vertrag und einen Scheck in der Tasche und ver67
schwand in dem Gang, durch den Sun Koh und seine Begleiter die Halle erreicht hatten. ∗ Sun Koh konnte sich endlich nach Peters und Nimba umsehen. Er schritt mit angespannten Sinnen in den Gang hinein, aus dem vorhin Garcia herausgetreten war. Sorgfältig leuchtete er rechts und links die Felswände ab. Irgendwo mußte sich ein geheimer Zugang befinden. Es war kaum anzunehmen, daß Garcia erst stundenlang gelaufen war, um aufzutauchen und wieder zu verschwinden. Ungefähr fünfzig Meter von der Halle entfernt blieb er stehen. Täuschte ihn sein Ohr, oder hörte er wirklich etwas? Er preßte das Ohr an den Felsen und wagte doch nicht zu entscheiden, ob das, was er hörte, das Rauschen seines Blutes oder der ferne, kaum vernehmbare Lärm streitender Stimmen war. Die Wand zeigte nichts Auffälliges. Und doch spaltete sie sich plötzlich. Ein türähnliches Stück der Felswand wich unmittelbar vor Sun Koh zurück. Blendende Helle schoß in den dunklen Gang hinein, und gleichzeitig waren Geräusche kämpfender Menschen vernehmbar. Sun Koh sah ein Stück eines erleuchteten Raums und eine ganze Horde Japaner, die wie Kletten am Körper des nur noch ohnmächtig um sich schlagenden Nimba hingen und im Begriff waren, ihn auf den Gang hinauszudrängen. Er sah Peters, der eben aus den Fäusten zweier Japaner heraus auf den Gang flog. Er bewahrte ihn mit einem schnellen Zugriff davor, hart gegen die Wand zu schlagen. Dann mischte er sich selbst ein. Mit einem Hechtsprung flog er über den halb am Boden liegenden Nimba hinweg in das Gewühl der Gegner. Schreie gellten auf. Die gelben Gesichter fuhren herum. Die Japaner verharrten einen Augenblick wie erstarrt, dann wandten sie sich zur Flucht. Sie huschten blitzschnell durch eine kleinere 68
Felsenöffnung, die in das Innere des Felsens führte. Dicht hinter dem letzten Mann schloß sich die Wand. Die Japaner waren aus dem Raum gewichen, obgleich Sun Koh nicht einen einzigen von ihnen ernsthaft angegriffen hatte. Die drei Männer standen sich einigermaßen verdutzt gegenüber. »Gott sei Dank!« sagte Sun Koh erleichtert. »Ich war ernsthaft besorgt um euch. Was ist hier vorgefallen?« Peters schluckte und berichtete: »Wir haben einen Fehler begangen. Wir waren kaum in die Halle zurückgekehrt, als wir in diesem Gang plötzlich Musik hörten. Es war ein Schlager. Irgendein Rundfunkgerät oder Schallplatten. Wir blickten in den Gang hinein. Er war erhellt. Wir gingen auf das Licht zu, fanden diese Tür und dahinter diesen Raum. Anstatt nun auf Sie zu warten, drangen wir ein. Die Tür schlug sofort hinter uns zu. Wir waren nicht gerade angenehm überrascht und versuchten, wieder hinauszukommen. Aber da war nichts zu wollen. Kein Schloß, kein Hebel und kaum die Andeutung einer Fuge. Ich weiß jetzt noch nicht, wie man diese Tür öffnet.« Sun Koh nahm den viereckigen Holztisch auf und stellte ihn in die Türöffnung. »Dann wollen wir uns also jetzt lieber sichern.« Peters seufzte. »Eben das hatten wir vergessen. Uns blieb nichts übrig, als abzuwarten. Inzwischen blickten wir uns um. Viel gab es freilich nicht zu sehen.« Damit hatte er recht. Der Raum war eine rechteckige Höhle von der Größe eines mittleren Zimmers. Er war als Wohnraum eingerichtet, wenn auch sehr einfach. Der Tisch, der in der Türöffnung stand, vier Stühle und eine niedrige Ruhestatt bildeten die ganze Einrichtung. Dazu kam noch eine halbkugelige Lampe unmittelbar an der Decke, die ein starkes, leicht bläuliches Licht ausstrahlte, sowie ein viereckiger Kasten auf einem Wandbrett, den man für ein Radiogerät halten konnte. 69
»Nach einiger Zeit hörten wir ein Knirschen«, berichtete Peters weiter, »und dann einen kurzen Ausruf. Wir sahen gerade noch, wie dort, wo die Japaner eben verschwanden, ein Kopf erschien und wieder zurückzuckte. Daraufhin hielten wir die Stelle mit entsicherter Pistole im Auge. Die Japaner kamen nun aber gerade von der anderen Seite, nämlich vom Gang her. Sie waren auf einmal über uns und rissen uns die Waffen aus der Hand, bevor wir noch wußten, was los war. Wir setzten uns trotzdem zur Wehr, da erschien Garcia auf der Bildfläche.« »Also doch einer seiner Tricks.« »In diesem Fall scheint es mehr ein Fehler gewesen zu sein. Er entschuldigte sich nämlich höflich und meinte, die Tür wäre aus Versehen geöffnet worden. Er bat uns, den Raum ohne Widerstand zu verlassen.« »Und warum weigerten Sie sich?« »Wahrscheinlich ärgerte ich mich über seine niederträchtige Miene.« Peters lächelte unsicher. »Jedenfalls wies ich ihn darauf hin, daß er Ihnen zugesagt hat, aus jedem Raum freiwillig zu weichen, den wir entdecken sollten. Er widersprach und sagte, die Abmachung gelte nur für Sie persönlich und nicht für andere Leute, die sich sonst noch hier herumtrieben. Na, Sie kennen ihn ja. Jedenfalls wollte ich ihm nicht die Genugtuung geben. Wir weigerten uns. Darauf gab er seinen Leuten einen Befehl und verschwand. Tja, und dann ging’s los. Sie packten uns und wollten uns hinauswerfen. Nimba hat wie ein Löwe gekämpft. Aber es nützte uns nichts – sie waren in der Übermacht.« Sun Koh berichtete nun seinerseits über Elihu Speeker, dann untersuchten sie den Raum. Sie wußten nun, wo sich die weiter nach innen führende Tür befand, und konnten auch die Ritzen entdecken, aber sie fanden nirgends eine Vorrichtung, um sie zu öffnen. »Lassen wir es«, sagte Sun Koh schließlich. »Wir werden hier nicht weiterkommen. Immerhin haben wir Garcia diesen 70
einen Raum entrissen. Er wird ihn uns wohl für dauernd überlassen müssen.« In diesem Augenblick schrie Nimba auf. »Die Decke!« Die Köpfe ruckten nach oben. Täuschten sie sich? Nein, die steinerne Decke senkte sich tatsächlich langsam nach unten, einen Zentimeter nach dem anderen. Sie starrten gebannt nach oben. Was sollte diese neue Teufelei bedeuten? Über ihnen bewegten sich viele Tonnen Gestein, und selbst den Kräften Sun Kohs würde es unmöglich sein, diese Last aufzuhalten. »Er will uns zerquetschen«, murmelte Peters unsicher. »Das hätte er einfacher haben können, indem er die Decke fallen ließ«, widersprach Sun Koh. »Außerdem steht die Tür offen. Wir können jeden Augenblick hinaus. Und eben das will er erreichen. Wir sollen den Raum verlassen.« »Es wird uns nichts anderes übrigbleiben.« »Nein. Er hat die Tür vergessen.« Richtig, die schwere Felsentür stand ja nach innen geöffnet. An ihrer Oberkante mußte die Decke Halt finden. Es war kaum denkbar, daß die langsame Bewegung genügte, um die Tür zu zerdrücken, selbst wenn die schwebende Last größer war, als sie vermuteten. Immer tiefer senkte sich die Decke. Jetzt war sie höchstens noch zehn Zentimeter über der Türkante, dann nur noch fünf… Hatten sie nicht scharf genug beobachtet oder war es zu schnell geschehen? Der sperrende Tisch löste sich plötzlich in Luft auf, und die steinerne Tür schlug blitzschnell zu, wie von unsichtbarer Hand zugeworfen, ohne Knall und ohne Luftzug. Nur noch eine glatte Wand ohne das geringste Anzeichen einer Öffnung war sichtbar. Die Männer duckten sich unwillkürlich unter der Wucht dieser Feststellung. Jetzt wurde es wirklich ernst. Die unerbittlich näherrückende Felsmasse mußte sie in Minuten auf 71
die Knie zwingen und in weiteren Minuten zerquetschen, wenn sie nicht anhielt oder sich irgendwo ein Ausgang öffnete. Peters und Nimba zogen schon die Köpfe ein. Sun Koh dagegen atmete tief auf und lächelte. »Gauner!« sagte er mit einiger Inbrunst. »Er ist doch wirklich der reinste Kinderschreck.« Er sprang senkrecht in die Höhe. Sein Kopf schmetterte nicht gegen die Felsendecke, sondern fuhr glatt hindurch. Es sah merkwürdig aus, wie einen Augenblick lang seine Beine allein aus dem Stein herauszuragen schienen. Auch Peters und Nimba atmeten auf. Behaglich war ihnen wirklich nicht zumute gewesen. Das Zauberbild verschwand. Die Decke befand sich an ihrer gewohnten Stelle, die Tür war offen, und der Tisch hielt den Ausgang frei. »Man müßte den Kerl für solche Spaße verprügeln«, sagte Peters und trat an den Kasten heran, den sie für einen Radioapparat hielten. »Immer noch besser dieser Spaß als der Ernst, den wir befürchteten«, beschwichtigte Sun Koh. Peters versuchte, in dem Apparat, den er vor sich hatte, einen Sinn zu sehen. Vor allem suchte er nach Leitungsanschlüssen. Er fand nichts davon. Der Kasten besaß weder Kontakte noch Leitungen. Er ließ sich leicht aufheben. An der Vorderseite befanden sich Knöpfe und darüber Skalen mit Zahlen, also eine Armatur, wie man sie bei einem Radio oder einem Steuergerät erwarten kann. Peters drehte an den Knöpfen. Der Kasten blieb jedoch stumm. »Öffnen Sie ihn doch«, schlug Sun Koh vor. »Lieber nicht«, kam überraschend eine Stimme aus dem Kasten. Garcia. Seine höhnische Stimme war nicht zu verkennen. »Das Ding könnte in die Luft gehen. Außerdem ist wirklich nichts drin als ein Lautsprecher.« »Der Teufel soll Sie holen!« brauste Peters auf. 72
Der unsichtbare Sprecher lachte belustigt. »Können Sie uns hören?« fragte Sun Koh. »Jeden Atemzug«, sagte Garcia. »Sehen auch. Meine Augen trinken Ihre Schönheit.« Sun Koh fragte weiter: »Wollen Sie uns diesen Raum weiterhin streitig machen, oder halten Sie sich an Ihre Zusage?« »Können Sie das nicht selbst herausfinden? Sie verderben mir meinen ganzen Spaß. Aber schön, meinetwegen können Sie sich darin begraben lassen. Wo steckt übrigens Ihr Neger?« Sun Koh und Peters drehten sich um. Nimba war verschwunden. Garcia schien gern mit seinem Kataskop zu spielen. Trotzdem rief Sun Koh: »Nimba?« Keine Antwort. »Nimba?« Nichts! Nimba war verschwunden. Da wandte sich Sun Koh drohend dem Apparat zu. »Hören Sie, Garcia, machen Sie keine Scherze, die für uns Ernst sind. Sie können meinetwegen Ihre Theaterkünste vorführen, aber Sie dürfen niemand für dauernd verschwinden lassen. Wo ist Nimba?« Garcia kicherte. »Da kommt Ihr Freund schon.« In diesem Augenblick meldete sich tatsächlich der Verschwundene. Er stand mitten im Raum und schielte verwirrt auf den Boden. »Ich stand hier, und auf einmal sauste diese Platte mit mir hinunter. Ich fiel mindestens drei Meter tief. Ich rutschte oder fiel zur Seite, und schon schoß die Platte wieder nach oben. Ich stand in einem kleinen Raum – einem Waschraum. Wasserspülung und alles, was dazugehört, bloß kein Ausgang. Nach einer Weile kam die Platte wieder herunter, und ich sprang darauf.« »Großartig, nicht wahr?« fragte Garcia belustigt. »Liftbenutzung kostenlos.« Sun Koh schüttelte den Kopf. »Was besitzen Sie doch bloß für ein unglaublich kindliches Gemüt, Garcia. Es hat wohl 73
keinen Zweck, wenn wir auf diesem Weg in Ihr Reich einzudringen versuchen.« »Sie können sich ja mal auf die Platte stellen.« »Lieber nicht«, sagte Sun Koh. »Ich hoffe, daß wir auf anderen Wegen hinter Ihre Geheimnisse kommen werden.« Die Stimme Garcias war voller Hohn. »Na, dazu wünsche ich Ihnen Hals- und Beinbruch. Vernünftiger war’s, Sie würden sich in Ihr Flugzeug setzen und nach Hause fliegen.« »Das könnte Ihnen so in den Plan passen«, meinte Peters spöttisch. »Ah, das Knäblein wird schon wieder laut. Aber macht von mir aus, was euch Spaß macht. Ich drehe nun mein Licht ab, sonst wird die Stromrechnung zu hoch. Ich wünsche gedeihlich zu ruhen. Wenn’s Ihnen zu dunkel wird, nehmen Sie einfach einen Diamanten aus der Tasche. Das Feuer genügt wohl…« Peters zuckte zusammen. »Verdammt, er weiß von dem Schatz!« Das Licht verlöschte. Pechschwarz schloß sich das Grabesdunkel um die drei Männer. Im dumpfen Schweigen der Felswände tief unter der versunkenen Stadt lauerten gespenstische Drohungen. 5. Sun Koh wanderte drei Tage lang mit seinen beiden Begleitern durch die labyrinthischen Felsengänge unter den Ruinen der Sonnenstadt. Er fand viele Anzeichen dafür, daß tatsächlich noch in jüngster Zeit hier die Reste eines alten Kulturvolkes gelebt hatten. Die Worte des sterbenden Larsen waren kein Produkt der Phantasie. Doch nicht der geringste Hinweis deutete an, daß sich außer ihnen noch andere Menschen in diesem Gebiet befanden. Die Felsen schwiegen. Kein Laut verriet, daß Manuel Garcia mit seinen Leuten irgendwo hinter den Wänden wohnte. Gar74
cias höhnisches Satansgesicht ließ sich nicht wieder sehen. Nirgends fand sich eine Öffnung, durch die man in sein Reich hätte eindringen können. Die kleine Felsenkammer war offen geblieben. Garcia hatte sie kampflos geräumt. Das war aber auch alles. Das Licht war erloschen und nicht wieder aufgeflammt, und der Lautsprecher gab keinen Ton mehr von sich, soviel auch Peters an ihm herumbastelte. Sie hielten die große Halle möglichst unter Beobachtung. Hier befand sich der Zugang zum Königsschatz der Mayas, und die drei Männer waren nicht gewillt, diesen preiszugeben. Sun Koh betrachtete ihn als sein Eigentum. Garcia wußte, daß sie Diamanten gefunden hatten, aber es war nicht sicher, ob er den Zugang zur Schatzkammer kannte. Während dieser drei Tage wurde von Garcia und seinen Leuten nicht ein einzigesmal der Versuch gemacht, in die Halle einzudringen. Das konnte bedeuten, daß er die Lage des Schatzes nicht ahnte, aber auch, daß er sich an die Abmachungen hielt, die er Sun Koh selbst vorgeschlagen hatte. Jedenfalls beruhigte es. Peters war bereit, Manuel Garcia alles zu verzeihen, wenn er sich wenigstens in dieser Hinsicht als zuverlässig und anständig erwies. Trotzdem wurde keine Vorsicht außer acht gelassen, als Sun Koh vor ihrer Rückkehr an die Oberwelt noch einmal die Schatzkammer aufsuchte und einige Dutzend der wertvollsten Diamanten herausholte. Er hatte sich entschlossen, wenigstens einen kleinen Teil des Schatzes mitzunehmen. Es war nicht sicher, ob sie den Schatz bei einer späteren Rückkehr noch vorfinden würden. So vertrauenswürdig war Manuel Garcia doch nicht. So kehrten die Männer am vierten Tag schwerbeladen aus dem unterirdischen Labyrinth zurück und stellten erleichtert fest, daß sich das Flugzeug noch unbeschädigt und unberührt an Ort und Stelle befand. Der nächste Morgen war ein Idyll im Urwald. Nimba hatte 75
von allerlei Genüssen gemunkelt und arbeitete eifrig am offenen Feuer. Sun Koh saß auf einem Steinblock und träumte. Peters lag nicht weit von ihm im Gras ausgestreckt und skizzierte phantastische Konstruktionen auf ein Blatt Papier. Die Affen lärmten im Wald, das Feuer knisterte gelegentlich scharf auf, aber alles war friedlich. Peters wälzte sich herum. »Jetzt ist mir die Bleistiftspitze abgebrochen. Haben Sie zufällig Ihr Messer bei sich, Sun?« »Zufällig nicht, aber ich kann es Ihnen holen.« Peters wehrte ab, aber bevor er hochkam, war Sun Koh bereits unterwegs und verschwand hinter dem großen Steinblock, der die Feuerstelle und das Flugzeug abdeckte. Vom Steinblock bis zum Flugzeug waren es nicht mehr als zwanzig Schritte. Sun Koh wechselte ein paar Worte mit Nimba, holte das Messer aus der Kabine und ging wieder zurück. Er war höchstens drei Minuten unterwegs gewesen, als er zu dem Block zurückkam. »Hier haben Sie…« Sun Koh verschlug es die Sprache. Peters lag nicht mehr an der Stelle, an der er ihn verlassen hatte. Er war überhaupt nicht zu sehen. Sollte er sich in der kurzen Zeit so weit entfernt haben? »Peters?« Keine Antwort. Auch der zweite Ruf blieb ohne Widerhall. Jenseits des Steins erhob sich Nimba und blickte Sun Koh fragend an. »Hast du Peters gesehen?« »Nein, er ist aber nicht weggegangen. Er muß sich noch hinter dem Stein befinden.« »Da ist er nicht.« »Wieso nicht?« fragte Peters in seinem Rücken. Er stand da, wo er vorher gelegen hatte, und grinste. »Ich war eben nur ein bißchen in der Versenkung verschwunden. Wissen Sie, was ich entdeckt habe? Den Platz, an dem sich Garcia mit 76
seinen Leuten zurückzog. Passen Sie auf!« Er bückte sich. Plötzlich senkte sich ein rechteckiges Stück des halb sandigen, halb grasigen Bodens und glitt mit ihm in die Tiefe. Kurz darauf kam es wieder ohne ihn herauf und fügte sich der Umgebung so ein, daß das Vorhandensein dieses Fahrstuhls nicht mehr zu bemerken war. Grasbüschel deckten die Ritzen. Einige Sekunden später öffnete sich der Boden abermals, glitt hinunter und brachte Peters wieder nach oben. »Eine hübsche Überraschung, nicht wahr?« Der Ingenieur strahlte nicht ohne Genugtuung. »Ich stocherte mit meinem abgebrochenen Bleistift aus lauter Langeweile herum, und plötzlich ging es nach unten. Natürlich habe ich mir daraufhin die Stelle angesehen. Hier, dieser kleine Brocken, der wie aus Versehen daliegt, deckt einen Kontakt. Drückt man darauf, setzt sich der Fahrstuhl in Bewegung. Ist man oben, geht’s nach unten und umgekehrt. Unten fand ich dann den zweiten Kontakt, mit dem man ihn in Bewegung setzen kann, ohne selbst mitzufahren. Darf ich Sie zur Besichtigung einladen?« Sie fuhren hinunter. Nimba blieb oben am Rand der Öffnung stehen und beugte sich hinunter. Seinem Gesicht war anzusehen, daß er dieser neuen Entdeckung nicht traute und lieber an der Seite Sun Kohs geblieben wäre. Der Fahrstuhlschacht war ungefähr vier Meter tief und bildete den Abschluß eines Felsganges von fünf Meter Breite. Die größere Hälfte der Gangbreite wurde allerdings von einem unterirdischen Fluß eingenommen, der in eine Öffnung in der Rückwand des Schachts hineinströmte. Auffallend war die geringe Höhe des Stollens. Sie betrug kaum anderthalb Meter. Es würde nicht gerade bequem sein, hier vorwärtszukommen. Die geringe Höhe wurde verständlich, als die beiden Männer am Ufer des Stroms einige eiserne Ringe entdeckten. Man lief hier nicht zu Fuß, sondern benutzte Boote. Augenblicklich war allerdings keines vorhanden. Wohl 77
aber brannte Licht in dem Gang. Dicht unter der Decke befanden sich im Abstand von ungefähr dreißig Metern halbkugelige, leuchtende Schalen, die jener Lampe glichen, die in der Felsenkammer ihr bläuliches Licht ausgestrahlt hatte. Die einzelnen Schalen vereinten sich allmählich zu einem leuchtenden Band, das in die Ferne führte. Sonst war nichts Bemerkenswertes festzustellen. »Was sagen Sie dazu?« fragte Peters mit dem ganzen Stolz des Entdeckers. »Ein beachtenswertes Ereignis eines geruhsamen Vormittags«, sagte Sun Koh lächelnd. »Garcia wird sich freuen, wenn wir ihn überrumpeln. Ich schlage vor, diese günstige Gelegenheit auszunützen.« »Das Essen ist gleich fertig«, rief Nimba vorwurfsvoll hinunter. »Schon gut, Nimba«, beruhigte ihn Sun Koh. »Wir laufen schon nicht davon. Natürlich wird erst gegessen. Nach oben, Peters!« Eine Stunde eifriger Beschäftigung folgte. Dann hatten sie gegessen, gepackt, das Flugzeug gesichert, und jeder der Männer war vom Feuerzeug bis zur schußfertigen Waffe ausgerüstet. Bald schloß sich die grasbewachsene Platte mit dumpfem Geräusch über ihren Köpfen, und damit begann abermals ein unterirdischer Marsch. Diesmal befanden sie sich jedoch bereits in Garcias Reich. Jede Minute und jeder Schritt konnte die Entdeckung bringen, jeden Augenblick konnte das höhnische Lachen des Mexikaners aufklingen und vielleicht zum Signal des Todes werden. Manuel Garcia war bestimmt nicht der Mann, der sein mit vieler Mühe geschaffenes unterirdisches Reich gern aufgab. Er verfügte über unerschrockene Diener und über erstaunliche Machtmittel, und sein Charakter war nach wie vor ein siebenfach versiegeltes Buch. ∗ 78
Es erwies sich bald als recht unangenehm, immerfort gebückt zu marschieren. Das Kreuz schmerzte empfindlich, vor allem bei Peters, der von den drei Männern am wenigsten zäh war. Sie atmeten auf, als der Gang sich an einer Ecke endlich nach oben erweiterte, so daß sie aufrecht gehen konnten. Der Gang zog sich weiter schnurgerade hin und bot immer noch das gleiche Bild – links der Strom, der unmittelbar an der Wand entlangfloß, rechts ein zwei Meter breiter Weg, auf dem die Männer zwischen dem Wasser und der einförmigen Felswand entlangschritten. Kein einziger Gang führte vom Wasser weg. Hinter der zweiten Biegung wurde der Gang unübersichtlich. Er krümmte sich fortwährend. Dann tauchte der erste seitwärts führende Stollen auf, später folgten weitere. Alle waren erleuchtet, und mancher schien in die Ferne zu führen. Die Männer kamen überein, zunächst dem Wasser zu folgen. Wenn es von Booten befahren wurde, mußte sich irgendwo ein Ausgangspunkt oder ein Hafen befinden, und es war tausend zu eins zu wetten, daß der im Herzen dieses ausgedehnten unterirdischen Reiches lag. Je weiter sie vordrangen, desto geräuschloser bewegten sich die Männer. Oft blieben sie stehen und lauschten, aber sie konnten nicht mehr hören als das leise Gurgeln des Wassers. Nicht die geringste Spur von Garcia und seinen Leuten. Sun Koh schritt mit angespannten Sinnen voran. Wenn sich in der dunklen Felswand ein neuer Quergang ankündigte, winkte er den beiden anderen zu warten, und ging vorsichtig allein vor. Erst wenn sich zeigte, daß auch dieser Gang leer war, setzten sie den Marsch fort. Hinter einer der zahlreichen Krümmungen verbreiterte sich der Gang zu einer kleinen, langgestreckten Halle. Auch sie war völlig leer. In der vorderen Hälfte zweigte jedoch ein Gang ab, in den man ein Stück hineinsehen konnte – gerade weit genug, um in halber Höhe einen Türgriff zu erkennen. 79
Das war die erste Tür, die sie in der Tiefe zu Gesicht bekamen. Sie zweifelten nicht daran, daß sie viele Stellen passiert hatten, die sich dem Eingeweihten geöffnet hätten. Damit hatten sie gerechnet. Diese erste Tür, die so einladend ihren Griff zeigte, erschreckte sie fast. Sie näherten sich sehr vorsichtig und mit schußbereiten Pistolen und lauschten eine Weile, bevor Sun Koh die Tür aufriß. Vor ihnen lag ein quadratischer Raum, den ein sanftes rötliches Licht füllte. Das Licht schien aus den Wänden herauszustrahlen. Der Raum war leer bis auf eine Art Denkmal, das sich in der Mitte erhob. Dort in der Mitte stand eine Art Thronsessel mit breiten Armlehnen, und in ihm saß aufrecht die Statue eines Mannes in natürlicher Größe. Der Sessel bestand offensichtlich aus Gold, war jedoch sehr schlicht gearbeitet und trug weder Ornamente noch Schmuck. Dem Künstler war es wohl darauf angekommen, alle Wirkung bei der Statue selbst zu lassen. Der Mann, den er dargestellt hatte, war fast nackt. Seine Arme lagen auf den Lehnen, die Füße standen nebeneinander, und der Kopf war leicht zurückgelehnt. Der Bildhauer mußte ein begnadeter Künstler gewesen sein. Der Gesamteindruck war trotz einiger kleiner Schäden überwältigend. Der Körper schien zu leben, so plastisch war er herausgemeißelt worden. Jeder Muskel war aufs liebevollste herausgearbeitet. Die Haut spannte sich greifbar echt darüber, jede Pore schien zu atmen, jedes Haar war einzeln sichtbar, und das Gesicht… Peters erschrak so sehr, daß er zusammenfuhr, als er sich das Gesicht näher ansah. Das war Sun Kohs Gesicht, das ihn dort in Stein gehauen anblickte. So und nicht anders würde Sun Koh dort sitzen, wenn ein begabter Bildhauer die gleiche Statue von ihm geschaffen hätte. Er erschrak noch mehr, als er einen Blick auf den neben ihm stehenden Sun Koh warf. Im Gesicht Sun Kohs war die gleiche Starre wie im Gesicht des Mannes, der dort im Sessel saß. Peters drehte lieber den Kopf zurück und blickte auf die 80
steinerne Hand, die kurz vor ihm auf der Sessellehne lag. Ein Finger fehlte. Irgendwann war er abgebrochen worden. Die Bruchstelle erweckte plötzlich seine höchste Aufmerksamkeit. Was war das eigentlich für ein merkwürdiges Material? Stein? Sicher Stein, aber konnte ein steinerner Finger so abbrechen? Der Bildhauer mußte sich einen Scherz erlaubt oder die Statue aus verschiedenen Massen gegossen haben. An der Bruchstelle des Fingers war deutlich der Knochenstumpf zu sehen, umgeben von einer fleischähnlichen Masse, in der man Aderöffnungen zu erkennen glaubte. Gab es so unerhört genaue Nachbildungen oder täuschte dieses rötliche Licht? Sun Koh spürte wohl Peters’ Unruhe, denn er legte ihm die Hand auf den Arm und sagte leise: »Nein, es ist tatsächlich ein Menschenleib, der zu Stein geworden ist.« »Eine Art Mumie?« »Ja.« »Davon habe ich schon gehört«, flüsterte Nimba. »In London erzählte man mir von der Erfindung eines italienischen Arztes, die sterblichen Überreste eines Menschen durch ein besonderes Verfahren zu versteinern oder zu marmorisieren. Arciervi hieß der Arzt, wenn ich nicht irre. Lord Valborough ließ die Leiche seiner Gattin auf diese Weise konservieren.« Sun Koh beugte sich zu den Schriftzeichen vor, die in die goldene Rückenlehne des Sessels eingegraben waren. »Es ist einer meiner Ahnen, der Gatte der Moo-Koh und König der Maya, der von seinem Bruder Aak getötet wurde.« »Daher die Ähnlichkeit«, murmelte Peters. »Was bedeuten die Striche und Punkte dort?« »Die Jahreszahl des Todes. 2348 Jahre. Ich weiß aber nicht, von welchem Anfangsdatum an gerechnet wurde. Die Punkte sind Einer, die Striche Fünfer, und vier waagerechte Striche geben die Recheneinheit der Maya, die Zwanzig.« »Die Maya rechneten im Zwanzigersystem?« Sun Koh nickte. Er verließ den Raum, gefolgt von den anderen. 81
Sie marschierten weiter. Der Gang neben dem Strom verengte sich allmählich wieder auf seine ursprüngliche Breite. Dann hörte er plötzlich ganz auf. Nur der Strom floß linkerhand in seinem überwölbten Bett weiter. Die Männer betrachteten prüfend die glatte Felswand vor sich. Der letzte Quergang lag mindestens hundert Meter weit zurück. War der Gang hier einfach sinnlos weitergeführt worden – oder standen sie vor einer Tür? Sun Koh wies auf eine feine, kaum sichtbare Ritze, die senkrecht herunterlief. Eine Tür? »Sie wird sich natürlich nicht öffnen«, murrte Peters. »Garcia verschließt seine Türen elektrisch. Irgendein Kontakt müßte eigentlich vorhanden sein, aber ob wir ihn finden…« Sie tasteten den Felsen zentimeterweise ab. Nach einer Weile gaben sie es auf. Nirgends war ein Knopf, ein bewegliches Stück oder eine Kontaktstelle zu entdecken. Sie mußten sich entschließen, umzukehren und durch einen der Quergänge weiter vorzudringen. »Schade«, bedauerte Peters. »Ich hatte mich schon auf das Gesicht Garcias gefreut. Damit ist es nun leider nichts. Wer weiß, in welche Außenbezirke wir nun geraten. Unser vortrefflicher Manuel hat sich gut gegen Eindringlinge gesichert.« Er hatte das letzte Wort noch nicht ausgesprochen, als es vor ihnen knirschte und sich wie von Geisterhänden bewegt eine Felsentür öffnete. Die Männer griffen unwillkürlich nach den Waffen, aber kein menschliches Wesen zeigte sich. »So ist das«, flüsterte Peters. »Der Öffnungsstrom wird durch ein Relais geschaltet, und dieses Relais spricht auf ein Stichwort an. Eine simple elektrotechnische Angelegenheit. Man muß nur das Stichwort kennen. Was sagte ich doch gleich?« »Sie erwähnten den Vornamen Garcias.« Die Tür schloß sich langsam. Nimba wollte dazwischenspringen, aber Sun Koh hielt ihn zurück. 82
»Nicht nötig, Nimba. Die Tür schließt sich offenbar auf Garcia und öffnet sich auf Manuel. Da, sie kommt schon.« Die Felsentür schwenkte feierlich wieder zurück und gab den Durchgang frei. Die Männer traten in den saalartigen Raum ein. Boden und Wände waren vollständig mit blendend weißen Fliesen belegt, nur die Decke zeigte den nackten Felsen. Das Licht mehrerer großer Deckenlampen strahlte grell. In den Boden des Raums waren sechs Maschinen eingelassen, die Peters mühelos als mächtige Generatoren etwas eigentümlicher Bauart identifizierte. Sie befanden sich in Tätigkeit. Leise summend drehten sich die riesigen Anker mit rasender Geschwindigkeit um ihre Achsen, und an den Kollektoren knisterten Funken. Sonst war der Raum bis auf einige Ölkannen und einen weißen Kittel an einem Haken leer. »Garcias Kraftwerk«, flüsterte Peters. »Woher mag er nur die Energie nehmen?« Sie schritten durch die Halle hindurch zur gegenüberliegenden Wand, in der sich auf das gleiche Stichwort hin wieder eine Tür öffnete. Der anschließende Raum war erheblich kleiner und enthielt in der Hauptsache mächtige Schalttafeln, Meßinstrumente, Schaltpulte und eine Anzahl unbekannter Apparaturen, deren Bedeutung selbst Peters nicht kannte. Auch hier waren die Wände und der Boden gefliest. Alles blitzte vor Sauberkeit, als sei es eben erst gereinigt worden, aber kein Anzeichen verriet, daß sich ein Mensch in der Nähe befand. Die Männer waren sich bewußt, daß sie sich jetzt im Herzen von Garcias Reich befanden, im Mittelpunkt seiner Macht. Jeder Augenblick konnte die Entdeckung bringen, jeden Augenblick konnten sie auf Menschen stoßen. Die nächste Tür, die sie fanden, erschloß einen Raum, dessen Anblick wie ein Spuk über sie fiel. Wände, Decken und Boden schimmerten in einem fahlen, giftigen Grau. »Blei!« Peters starrte grübelnd auf mächtige von Röhren 83
durchstoßene Deckel, die wie Kanaldeckel auf dem Boden lagen, auf lange, eigenartig gebauchte Röhren mit seltsamen Auswüchsen in Bleifuttern, auf walzenförmige, mannshohe Tonnen, die aus Quarz zu bestehen schienen, und auf Wandflächen, in die sich dicke Nadeln hineinbohrten. »Das sieht fast nach einem Atomreaktor oder so etwas aus. Atomenergie – das wäre die richtige Kraftquelle für Garcia. Zuzutrauen ist es ihm. Leider verstehe ich nicht viel davon. Wenn wir uns hier für dauernd festsetzen wollen, würde ich vorschlagen, meinen Freund Biedermann herüberzuholen. Er ist Spezialist für solche Dinge.« Sie hatten den Eindruck, daß es nicht gut war, sich hier ohne Schutzvorrichtungen aufzuhalten. Deshalb verließen sie den Raum schnell wieder und gingen zurück. Sie brauchten nicht lange zu suchen. Seitlich sprach eine andere Tür ebenfalls auf ein Stichwort an und gab den Zugang frei. Welcher Gegensatz! Vor ihnen lag ein freundlicher, wohnlicher Raum. Er war einfach ausgestattet, wirkte aber gemütlich. Ruhelager, Tisch, zwei Stühle und ein Schrank bildeten in der Hauptsache die Einrichtung. Ein dicker Teppich, bunte Kissen und ein Wandbehang fehlten nicht. Auch hier befand sich kein Mensch, aber der Raum machte den Eindruck, als wäre er eben erst von seinem Bewohner verlassen worden. Etwas später standen sie jenseits dieser Räume wieder neben dem Strom auf dem Felsengang, der sich hier fortsetzte. Schon nach fünfzig Metern kam eine Biegung, dann verbreiterten sich Strom und Weg. Der Strom wurde zu einem seeartigen Becken, an dessen Ufer mehrere kleine, schnittige Boote lagen. Der Gang erweiterte sich zu einer sichelförmig geschwungenen Terrasse, auf die verschiedene Gänge einmündeten. Jenseits engte sie sich wieder schlauchartig zur Fortsetzung des Ganges ein. Menschen waren noch immer nicht zu sehen. Das war der gesuchte Hafen. Die Männer lauschten. Unbestimmte Geräusche klangen 84
aus den Felsen heraus. Sie ähnelten bald dem dumpfen Summen eines Motors, bald dem Durcheinander flüsternder Stimmen. Die Männer hielten sich dicht an der Wand. Jetzt kam alles darauf an, Garcia und seine Leute zu überraschen und nicht selbst überrascht zu werden. Sie waren bis an den ersten Quergang herangekommen, als aus der jenseitigen Mündung des Hafens ganz deutlich Motoren- und Stimmengeräusch herausdrang. Daraufhin schlüpften sie in den Gang hinein, der kaum zwei Meter breit war, und nahmen Deckung. Sie hielten es für besser, die Ankommenden erst einmal zu beobachten. Vermutlich war es Garcia, der mit einem Trupp seiner Leute von einer Streife zurückkehrte. Das würde auch erklären, warum sie bisher noch nicht entdeckt worden waren. Der Bug eines größeren Motorbootes wurde sichtbar. Mehr sollten die Männer im Augenblick nicht erfahren, denn plötzlich wurde ihre Aufmerksamkeit völlig abgelenkt. Rechts und links von ihnen öffneten sich im Felsen zwei Türen, von deren Vorhandensein sie nichts geahnt hatten. Eine Schar kleiner, stämmiger Japaner flutete heraus, Männer, die fast so breit wie hoch waren, Männer mit stählernen Muskeln und unheimlich flinken, lautlosen Bewegungen. Sie warfen sich von hinten und von der Seite auf Sun Koh und seine beiden Begleiter. Sun Koh selbst stand ganz vorn, unmittelbar an der Ecke, um die herum er zu dem Boot spähte. Peters beugte sich dicht neben ihm vor. Nimba dagegen stand einige Schritte weiter zurück im Hintergrund. Er hatte sofort ein halbes Dutzend Japaner über sich, die ihn so geschickt und eisern umklammerten, daß er auch nicht zu einem einzigen abwehrenden Schlag kam. Er wurde aufgehoben und wie ein Paket in unbekannte Räume hineinbefördert. So rasch kam der Überfall, daß er nur noch einen warnenden Laut ausstoßen konnte. Sun Koh fuhr auf dem Absatz herum, aber es war schon 85
fast zu spät. Ein halbes Dutzend Männer stürzten sich auf ihn, rissen ihm die Waffe aus der Hand und hängten sich an seine Beine, seine Arme und seinen Nacken. Die Entfernung war zu kurz gewesen, um sie noch abzuwehren. Aber einen Vorteil gewann Sun Koh. Er hatte dicht an der Ecke gestanden. Die Japaner konnten nur von hinten angreifen, und ihr Stoß erreichte, daß Sun Koh um die Ecke herumgedrückt wurde und für die Nachkommenden zunächst unerreichbar wurde. Sun Koh nutzte die Chance instinktiv aus. Er wischte vollends um die Ecke herum, schmetterte seinen Rücken gegen die Wand und befreite sich damit von dem Japaner, der ihm wie eine Katze im Rücken saß, und ging dann gegen die anderen an. Er warf die Männer, die an seinen Armen hingen, mit kraftvollen Rucken gegeneinander und schüttelte sie von sich ab. In der Gangöffnung stöhnte Peters. Sie hatten den Ingenieur wohl nicht für voll genommen, denn er hatte es nur mit zwei Gegnern zu tun, die ihn in den Felsen hineinschleppen wollten. Das wäre ihnen sicher bald gelungen, aber vorläufig wehrte sich Peters noch mit Händen und Füßen. Sun Koh sprang zu. Während seine Rechte noch dem Japaner ins Gesicht schmetterte, erwischte die Linke bereits den anderen, der Peters hielt. Bevor die Gegner erneut ansetzen konnten, riß Sun Koh seinen Begleiter hoch, zerrte ihn aus dem Gang heraus und stellte ihn mit dem Rücken an die Felswand. Die Lage blieb bedrohlich genug. Die überaus schnellen, kräftigen Gegner waren gefährlich. Wenn sie einmal in der Halle selbst zum Zug kamen, würde es schwerfallen, sie abzuwehren. Sun Koh änderte deshalb schnell seine Taktik. Er mußte versuchen, sie in den Gang zurückzudrängen. Dort konnten kaum mehr als drei Mann auf einmal angreifen, so daß sie leicht in Schach zu halten waren. So schüttelte er den nächsten Gegner nicht einfach ab, sondern schleuderte ihn mit einer Drehung seines Körpers in den Gang hinein. Die beiden nächsten folgten, dann wieder einer. Die Angriffe der Japaner 86
kamen schnell, aber für Sun Koh doch nicht allzuschnell. Es gelang ihm, vor sich Luft zu schaffen, während an der Mündung des Ganges ein wirrer Knäuel entstand. Da gellte ein durchdringender Pfiff. Die Japaner erstarrten flüchtig, dann stoben sie mit zauberhafter Gewandtheit auseinander. Wie durch ein Wunder schien plötzlich jeder seine Arme und Beine wiederzufinden. Sie rollten, sprangen, taumelten und huschten in die Felsenöffnungen hinein, und dann schlugen die beiden Türen hinter ihnen zu. Einen Augenblick später entdeckte Sun Koh, daß Nimba fehlte. Er sprang in den Gang hinein, kam aber zu spät. Die Türen hatten sich bereits geschlossen. Der Gang war leer und glatt, der Felsen schwieg. Es blieb ihnen keine Zeit, nach Nimba zu suchen. Die Situation wandelte sich. Bis jetzt waren sie damit beschäftigt gewesen, den Angriff abzuwehren. Für die Annäherung des Motorbootes, dessen Bug sie gerade noch gesehen hatten, war kein Blick übriggewesen. Jetzt sahen sie, daß das Boot bereits angelegt hatte. Ein Dutzend Männer war ausgestiegen, die schon bis auf zwanzig Meter herangekommen waren. Es waren mexikanische Gesichter, schmal, fahlbraun, schwarzhaarig, verschlagen und doch irgendwie lässig stolz. Die besten Vertreter ihres Volkes schienen sie aber nicht zu sein. Nach ihren Mienen konnte es sich leicht um eine Verbrecherbande handeln. Und nicht nur nach ihren Mienen zu urteilen. Die Männer waren schwerbewaffnet, und an ihrer Spitze schritt ein Mann, bei dessen Anblick es wie ein Schlag durch Sun Koh und Peters ging. Garcia! Auf Sun Kohs Stirn erschien eine drohende Falte. Der bleiche Mexikaner mit dem dreieckigen Teufelsgesicht, aus dem die engen Pupillen wie Nadeln herausstachen, kam bis auf drei Schritte heran und machte eine spöttisch übertriebene Verbeugung. »Ah, haben mich meine Augen also doch nicht getäuscht. Mr. 87
Sun gibt uns die Ehre. Ich begrüße Sie auf meinem Gebiet.« »Reden Sie kein dummes Zeug!« erwiderte Sun Koh schroff. »Wohin haben Sie meinen Diener schaffen lassen?« Er erkannte seinen Irrtum, kaum daß er gefragt hatte. Die Ähnlichkeit war zu groß. Vor ihm stand nicht Manuel Garcia, sondern sein Bruder Juan Garcia – jener Garcia, der ihn in London betäubt, Larsen ermordet und Joan Martini zu entführen versucht hatte. »Ihren Diener?« fragte Juan Garcia denn auch verwundert. »Kenne ich nicht. In London konnten Sie sich noch keinen leisten. Sie haben Fortschritte gemacht, wie mir scheint. Nein, wenn Sie Ihren Diener suchen, dann wenden Sie sich nur an meinen Bruder. Er hat solche gelben Kerle um sich, wie die, mit denen Sie sich eben herumbalgten. Ein verdammter Witzbold, mein Bruder. Mit meinen Leuten würde ich jedenfalls nicht wie mit Gummibällen umgehen lassen. Meine Leute verstehen zu schießen, und sie tun das lieber einmal zu oft als zu wenig.« Über Sun Kohs Lippen glitt ein verächtliches Lächeln. »Verschwenden Sie Ihren Atem nicht, Garcia. Er könnte Ihnen eines Tages kostbar sein, wenn Sie sich in Ihrem eigenen Netz gefangen haben.« Juan Garcia schlenkerte vielsagend mit der Hand, in der eine schußbereite Pistole lag, und sagte scharf: »Hüten Sie Ihre Zunge. Mit Ihnen mache ich nicht viel Umstände.« »Sie würden dann nicht zum erstenmal zum Mörder werden«, gab Sun Koh kalt zurück. Die Lage war bedrohlich. Leuten vom Schlag Garcias lag der Finger nur zu leicht am Abzug. Und Sun Koh war ebenso unbewaffnet wie Peters. Doch Garcia verlor seine Beherrschung nicht. Er grinste höhnisch. »Na wenn schon. Mein Schlaf wird davon auch nicht unruhiger. Man läuft mir nicht ungestraft über den Weg, vor allem hier nicht. Sie haben ja verdammt schnell hierhergefunden.« 88
»Zu seiner Heimat findet der Mensch sehr schnell«, erwiderte Sun Koh. »Das heißt: Macht, daß ihr hier rauskommt, wie? Der verlorene Sohn hat sein Erbe angetreten.« »Handeln Sie danach.« »Sie sind wohl größenwahnsinnig geworden«, sagte Garcia voll verhaltener Wut. »Wenn hier einer verschwindet, dann sind Sie das – aber anders, als Sie denken. Wen haben Sie denn noch alles bei sich?« »Waschen Sie sich die Augen.« Über das Gesicht Garcias schoß eine schnelle Röte. Die kühle stolze Haltung Sun Kohs verletzte seine Eitelkeit, zumal seine Leute dabeistanden. Er hielt sich jedoch noch zurück und fragte lauernd: »Haben Sie nicht die schöne Joan bei sich? Sie hat sich Ihnen doch an den Hals geworfen, nicht?« Sun Kohs Stimme wurde frostig. »Ich rate Ihnen, nicht in derart beleidigendem Ton von Miß Martini zu sprechen.« Juan Garcia grinste geringschätzig. »Wenn ich das Dämchen wieder in meine Hände bekomme, werde ich keine Zeit verlieren.« Sun Koh beherrschte sich nur mit Mühe. Ein Angriff wäre glatter Selbstmord gewesen, solange nicht Garcia eine bessere Chance bot. Seine Beherrschung nützte ihm jedoch nichts. Peters hatte sich weniger in der Gewalt. »Sie Schwein!« rief er, holte aus und schlug Juan Garcia ins Gesicht. Garcia war einen Augenblick lang starr, duckte sich unter der Wucht der erlittenen Demütigung. Dann schoß der Jähzorn in ihm hoch. Er hob mit schneller Bewegung seine Pistole und schoß aus nächster Nähe auf Peters. Der Ingenieur brach zusammen. Sun Koh hatte das Unglück nicht verhindern können, aber jetzt schnellte er vor. Seine Fäuste bildeten einen mörderischen Keil. Garcia schoß eine Kleinigkeit zu spät und zu un89
genau. Die Fäuste Sun Kohs fuhren wie Dampframmen in seine Magengrube. Er klappte dumpf ächzend zusammen. Seine Begleiter rissen die Waffen aus den Halftern, aber sie waren langsamer als Sun Koh. Er zog im Aufspringen den schlaffen Körper Garcias mit hoch und schleuderte ihn gegen die Angreifer. Die Schüsse knallten, aber die Geschosse gingen ins Leere. Keiner der erschreckten Männer wollte Garcia erschießen. Dafür wurden sie von dem schlaffen Körper getroffen und durcheinandergeworfen. Gleich darauf war Sun Koh über ihnen. Er bewegte sich mit unerhörter Schnelligkeit. Ein Körper flog hoch, schmetterte gegen die Stehenden und nahm ihnen das Ziel, gleich darauf flog der nächste hinterher. Pistolen klirrten zu Boden, Flüche, dazwischen Schmerzensschreie und Stöhnen. Die Männer wollten schießen, aber es war unmöglich, den schnellen Körper Sun Kohs zu treffen. Als die Männer nicht mehr genau wußten, wo ihre Waffen und ihre Glieder waren, begann Sun Koh die Felsenterrasse zu räumen. Einer nach dem anderen wurde hochgerissen, einer nach dem anderen flog im hohen Bogen davon und fiel klatschend ins Wasser hinein oder schlug auf dem Motorboot auf. Einer der Männer kroch mehr tot als lebendig an den Führerstand und warf den Motor an. Das Boot schoß vor, aber es hing am Haltetau. Es krachte hart an den Uferfelsen zurück und drehte sich in die Richtung hinein, aus der es gekommen war. Jetzt ruckte es von neuem gegen das Seil an, bäumte sich auf und zerriß es. Seine Flanke scharrte am Felsen entlang, dann schoß es davon, auf die dunkle Stromhöhle zu. Auf seinem Deck lagen die Leute Garcias. Einige waren eben erst aus dem Wasser aufgetaucht, klammerten sich an die niedrige Reling und fluchten nach jemand, der ihnen aus dem Wasser heraushelfen konnte. Sun Koh holte noch einmal aus und warf ihnen Juan Garcia nach. Er schlug hart auf dem Deck auf, bevor das Boot volle Fahrt aufnahm. 90
Das Boot verschwand wie ein Spuk. Sun Koh blieb allein auf dem Felsengang, neben sich den reglosen Peters. Ein Sieger? 6. Als Sieger fühlte sich Sun Koh nicht. Die wilde Flamme des Kampfes erlosch in der aufsteigenden Trauer. Er beugte sich zu Peters hinunter, der blutüberströmt auf dem Felsen lag. Peters lebte noch. Er atmete, wenn auch schwach, und sein Herz schlug in matten, aber regelmäßigen Stößen. Sun Koh untersuchte die Wunde. Die Kugel war unterhalb des linken Schlüsselbeins eingeschlagen. Sie mußte noch im Körper stecken. Das Herz konnte nicht getroffen sein, wohl aber die Lunge, und wenn die Lunge verletzt war, konnte jede Bewegung zum Tode führen. Peters mußte schleunigst in die Hände eines geschickten Arztes kommen, operiert und gepflegt werden. Mußte! Und sie befanden sich mitten im Urwald, tief unter der Erde und Hunderte von Kilometern von jedem Arzt entfernt. Peters öffnete die Augen. »Garcia?« fragte er leise. »Geflohen«, beruhigte Sun Koh, und dann kam wie selbstverständlich das vertraute Du über seine Lippen. »Sprich nicht, es könnte dir schaden.« »Bin ich verwundet?« »Nicht bewegen. Es ist nicht gefährlich, aber wir müssen vorsichtig sein. Erst einen Verband.« Die Notverbandspäckchen, die sie in ihren Packen mit sich führten, und lange Hemdstreifen ergaben einen leidlichen Verband, der die nicht sehr starke Blutung stoppte. Anschließend säuberte Sun Koh den Körper des Verwundeten vom Blut und band ihm den linken Arm fest an den Leib. 91
»So wird es gehen«, murmelte er. »Ich werde versuchen, dich nach Mexiko in ein Krankenhaus zu bringen. Es ist nötig, überflüssige Bewegungen zu vermeiden. Wenn du kannst, versuche zu schlafen. Bis zum Flugzeug werde ich dich tragen.« Peters hörte es nicht mehr. Er war erneut in tiefe Bewußtlosigkeit gefallen. Sun Koh nahm ihn behutsam auf seine Arme. Ein letzter Blick auf den schweigenden unterirdischen Hafen, dann schritt Sun Koh davon. Er hatte einen Augenblick lang erwogen, eines der Boote zu benutzen und sich dem Strom anzuvertrauen, hatte dann aber darauf verzichtet. Der Strom war ihm unbekannt und konnte Erschütterungen bringen, die das Leben des Verwundeten gefährdeten. Seine Arme würden Peters sanfter tragen als die harten Planken eines Bootes. Und sie trugen ihn sanfter. Kein Kind konnte weicher in den Armen seiner Mutter ruhen als Peters in denen Sun Kohs. Seine Füße glitten über den Felsen wie die weichen Tatzen eines Raubtiers. Fuß und Knöchel fingen den Stoß des Schrittes federnd ab und wandelten ihn zu einem weichen, einschläfernden Wiegen. Auf dem stundenlangen Weg erreichten keine Erschütterungen und keine harte Bewegung den verletzten Körper. Der Ufergang hörte auf. Sun Koh stand vor der unsichtbaren Felsentür. Er sprach gedämpft das Codewort. »Manuel!« Die Tür glitt zurück, aber gleichzeitig klang die Stimme des Mannes auf, der diesen Namen trug. Sie klang ungewöhnlich ruhig und ernst. Der gewohnte Spott blieb im Unterton. »Sie rufen mich? Darf ich Ihnen meine Hilfe anbieten?« Sun Koh hemmte den Schritt. Sein Gesicht wurde hart, und in seiner Stimme klirrte der unterdrückte Zorn. »Manuel Garcia? Sie wagen sehr viel. Das Leben dieses Mannes ist jetzt in Ihrer Hand. Sie töten ihn, wenn Sie mich zwingen, abermals zu kämpfen. Aber Sie töten dann auch sich 92
selbst. Denken Sie an Ihren Bruder.« Garcia antwortete mit unbeteiligter Stimme: »Mir gegenüber sind Ihre Drohungen sinnlos. Ich besitze andere Mittel, wenn ich Sie erledigen will.« »Ich weiß«, erwiderte Sun Koh bitter. »Wollen Sie Ihr unterirdisches Reich für das Leben meiner Begleiter aushandeln?« »Für was halten Sie mich?« fragte Manuel Garcia scharf. »Bin ich ein Erpresser? Sie haben von mir nichts zu befürchten. Ich bot Ihnen meine Hilfe an. Wir haben hier einen leidlichen Arzt, der sich um den Verwundeten kümmern kann. Sichern Sie zu, einstweilen Frieden zu halten, dann können Sie ihn sofort in ein Bett legen.« Sun Koh zögerte. Das Angebot war verlockend. Aber er traute Garcia nicht. Wenn er es annahm, konnte das leicht bedeuten, daß er sich völlig in die Gewalt dieses Mannes gab. »Nein«, lehnte er nach einer Pause ab. »Wenn Sie Ihren guten Willen beweisen wollen, geben Sie Nimba heraus.« »Bedaure«, antwortete Garcia. »Er ist im Augenblick nicht bei Bewußtsein. Meine Leute mußten ihn betäuben, weil er sich wieder freigemacht hatte und um sich schlug.« »Hüten Sie sich, ihm Schaden zuzufügen«, sagte Sun Koh. »Und nun sind genug Worte gewechselt worden.« »Wie Sie wollen«, entgegnete Manuel Garcia kühl. »Ich wünsche Ihrem Freund recht baldige und völlige Genesung.« Sun Koh ging stumm weiter. Es blieb ihm nichts übrig, als abzuwarten, ob Garcia noch einmal angreifen ließ. Aber er schien darauf verzichten zu wollen. Kein Feind brach aus unsichtbaren Öffnungen hervor, kein Schuß knallte und kein Gas legte sich betäubend auf seine Sinne. Leise rauschte der Strom wieder neben dem Felsengang und begleitete den einsamen Wanderer, der unendlich sorgsam den verwundeten Freund trug. Der Weg wurde beschwerlicher, als sich die Decke senkte. Sun Koh mußte gebückt gehen und die Last frei mit den Armen vor sich tragen. Die 93
Füße hatten doppelte Mühe, den Schritt abzufangen. Selbst die unvergleichliche Kraft Sun Kohs spürte die beginnende Zermürbung. Er atmete auf, als er am Ende des Ganges angelangt war und auf den Knopf drücken konnte, der die Platte herunterholte. Sie kam, und gleichzeitig blendete eine schmerzende Flut von Sonnenlicht Sun Kohs Augen. Sun Koh stieg auf die Platte. Sie trug ihn sanft nach oben. Er war voller Zuversicht. Jetzt, im Sonnenlicht, war das schwerste vorüber. Er würde Peters im Flugzeug ein Lager richten, ihn sauber verbinden und dann in wenigen Stunden nach Mexiko bringen. Da traf ihn der nächste Schlag. Als er um den großen Steinblock bog, der die Sicht auf das freie Gelände versperrte, sah er wenige Meter vor sich ein regelrechtes Lager. Vier weiße Zelt standen in einigen Abständen um ein Feuer herum, über dem gekocht wurde. Ein halbes Dutzend Männer stand in einer Gruppe zusammen im Gespräch. Auch diese Männer waren, bis auf einen, Mexikaner, wenn auch von einer besseren Sorte als die Garcias. Sie trugen durchweg gute Kleidung, die noch gar nicht so lange eingekauft sein konnte. Ein Alarmruf lenkte die Blicke der Männer auf Sun Koh. Sie rissen die Waffen heraus und richteten sie auf ihn. »Pfoten hoch!« schrie der Fremde, der nach seinem Tonfall Amerikaner sein mußte und wohl der Führer dieser Leute war. Sun Koh folgte dem Befehl nicht, sondern behielt den bewußtlosen Peters in den Armen und trat an die Gruppe heran. »Ich werde die Hände nicht hochnehmen«, sagte er ruhig. »Wie Sie sehen, trage ich einen Schwerverwundeten. Machen Sie Platz, ich will zu meinem Flugzeug.« Die Männer dachten nicht daran, ihm den Weg freizugeben. Sie schoben sich im Halbkreis um ihn herum. Der Amerikaner hielt weiterhin seine Waffe auf Sun Koh gerichtet. »Gut, halten Sie die Arme meinetwegen weiter so, aber hü94
ten Sie sich vor irgendwelchen Tricks. Ich schieße bei der geringsten verdächtigen Bewegung. Sie bleiben jetzt hier stehen, bis…« Von der Seite her klang eine Frauenstimme voller Überraschung auf. »Was gibt’s? Ah – Mr. Sun!« Lady Houston trat mit schnellen Schritten in die Runde. Sun Koh zog die Brauen zusammen. Diese Frau, die als schön galt und doch wie kalter, unechter Schmuck wirkte – diese Frau hatte ihm gerade noch gefehlt. Lady Houstons Miene verriet Schadenfreude und Genugtuung. »Nun, mein Freund, da sind Sie ja. Sie hatten wohl kaum gehofft, mich hier wiederzusehen. Wen haben Sie da?« »Einen Schwerverletzten«, antwortete Sun Koh. »Er muß dringend in ärztliche Behandlung. Befehlen Sie Ihren Leuten, die Waffen wegzustecken und den Weg freizugeben.« »Ich denke nicht daran«, sagte die Frau. »Glauben Sie, ich lasse Sie zum zweitenmal entwischen?« »Dieser Mann braucht dringend ärztliche Behandlung«, beharrte Sun Koh. »Die geringste Erschütterung kann sein Leben gefährden.« »Und wenn. Ich wüßte nicht, wieso mich das interessieren sollte.« »Sie haben kein Herz in der Brust, sondern einen Eisschrank.« »Ich bin ein Mensch, der nicht so leicht vergißt und der gewöhnt ist, daß seine Wünsche erfüllt werden. Dieser Mann ist mir gleichgültig. Ich habe es nur mit Ihnen zu tun. Und Sie sind mein Gefangener.« »Glauben Sie im Ernst, Sie könnten mich zu Ihrem Sklaven machen?« fragte Sun Koh verächtlich. »Ihre Leute können mich zwingen, diesen Verwundeten aus meinen Armen zu lassen, aber dann gibt es mehr Tote als diesen einen. Für Sie bleibt so und so nichts übrig.« Lady Houston wurde unter seiner Verachtung einen Schein 95
bleicher, beherrschte sich jedoch und wechselte die Taktik. »Das käme auf einen Versuch an«, entgegnete sie sachlicher. »Aber ich will Ihnen zuvor einen anderen Vorschlag machen. Wenn Ihnen sein Leben so viel wert ist, wird es Ihnen ja wohl nicht schwerfallen, es gegen ein paar Stunden in meiner Gesellschaft auszutauschen.« »Das heißt?« »Sie verstehen mich schon richtig. Ich hindere Sie jetzt nicht daran, Ihren Mann in ärztliche Behandlung zu bringen. Dafür geben Sie mir Ihr Wort, daß Sie sich freiwillig wieder bei mir einfinden – sagen wir innerhalb einer Woche in meinem Hause in Miami.« Sun Koh musterte sie mit kalten und ausdruckslosen Augen. Seine Stimme verriet keine Bewegung. »Genügt es Ihnen denn, wenn ich mich dort einfinde?« »Es genügt.« Sie lächelte ironisch. »Ich werde Sie schon festzuhalten wissen. Keine schwere Wahl, nicht wahr? Ein Leben gegen eine angenehme Verpflichtung.« »Ich werde kommen. Sie haben mein Wort.« »Das ist nett von Ihnen«, lobte Lady Houston befriedigt. »Also heute in einer Woche in Miami. Gebt den Weg frei.« Sun Koh ging an ihr vorüber, ohne sie noch eines Blickes zu würdigen. Sie hatte die Situation ausgenutzt, und er mußte froh sein, daß sie sich mit seinem Versprechen zufrieden gegeben hatte. Es hätte bei dem Charakter dieser Frau schlimmer kommen können. Am Flugzeug legte Sun Koh Peters behutsam auf den Boden, beseitigte die elektrischen Sicherungen und trug den Freund in die Kabine hinauf. Eine halbe Stunde später, als eben die Sonne untergehen wollte, stießen die aufheulenden Düsen das Flugzeug in den Himmel hinein. ∗
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Nimba erwachte in einem unbekannten Raum. Er lag auf einem Diwan. Sein Kopf schmerzte, und sein Mund war ausgetrocknet, aber sonst fühlte er sich nicht ernsthaft beschädigt. Er richtete sich auf und ließ seine Augen wandern. Der Raum besaß die Größe eines gewöhnlichen Zimmers und war als Wohnraum eingerichtet. Wände, Fußboden und Decke waren mit Holz verkleidet. Nur die völlige Fensterlosigkeit erinnerte daran, daß er sich unter der Erde befand. An der gegenüberliegenden Wand klaffte eine Tür halboffen. Sie führte in einen Baderaum. Am Kopfende seines Lagers stand eine Lampe, deren Licht durch einen Pergamentschirm gedämpft wurde, neben ihr ein fahrbarer Tisch, auf dem ein Teller mit Sandwiches, Obst, Wasser, Whisky, Wein, Zigarren und Zigaretten ein Stilleben bildete. Gegen diese Verlockung war in Nimba kein Kraut gewachsen. Er hatte Durst und Hunger, viel Hunger. Und vor einer Vergiftung brauchte er sich nicht zu fürchten. Wenn man ihn umbringen wollte, hätte man das schon vorher tun können. Er war noch lange nicht satt, als sich seitlich eine Klappe in der Wand öffnete und die Stimme Manuel Garcias hereindrang. »Schmeckt’s, Nigger? Sie können mehr haben, wenn es nicht reicht.« Nimba blieb sitzen. In der viereckigen Öffnung war unbestimmt das bleiche Gesicht Garcias zu erkennen. »Danke«, sagte er unfreundlich. »Mir reicht’s. Der Appetit wird mir ohnehin vergehen, wenn Sie nicht wieder verschwinden.« Garcia lachte belustigt. »Ah, der Herr spuckt große Töne. Immer nur hübsch friedlich, mein Junge. Ich bin Ihr Freund.« »Kaum zu glauben«, sagte Nimba. »Wo ist Mr. Sun?« »Das wollte ich Ihnen gerade erzählen. Finden Sie nicht, daß es ein bißchen ungemütlich ist, so durch die Klappe zu reden?« 97
»Für mich nicht.« »Aber für mich. Sie erfahren nichts, wenn Sie nicht vernünftig sind.« »Na, dann kommen Sie doch herein«, sagte Nimba, aber jetzt wurde Garcia ärgerlich. »Machen Sie bloß keinen Unsinn. Sie sehen doch, daß ich es gut mit Ihnen meine. Ich könnte Sie leicht erledigen, anstatt meine ganzen Vorräte in Sie hineinzupumpen.« »Ich werde meine Hände festhalten«, versprach Nimba. Garcia verschwand daraufhin. Gleich darauf öffnete sich noch ein Stück weiter seitlich eine Tür, und Garcia trat ein. Er grinste. »Bleiben Sie hübsch brav, und wir werden uns friedlich unterhalten. Mr. Sun hätte besser daran getan, sich auch überrumpeln zu lassen.« Nimba atmete auf. »Hoffentlich hat er Ihren gelben Kerlen richtig gezeigt, was gehauen und gestochen ist.« Garcia lehnte sich gegen die Wand. »Hat er. Schlagball hat er mit ihnen gespielt. Es hat aber keinem geschadet. Sie lieben so etwas. Sport nennen sie es. Sie mußten eben schließlich nur ausreißen.« »Gemeinheiten glücken eben nicht immer. So leicht wird es Ihnen nicht gelingen, Mr. Sun zu fangen.« »Sie haben ein sonniges Gemüt«, sagte Garcia. »Fangen könnte ich ihn jederzeit. Aber ich wollte ihn in Sicherheit bringen.« »Was?« »Natürlich. Jetzt hat er die Bescherung. Peters ist schwer verwundet, und wer weiß, ob er durchkommt. Und euer herrlicher Schlaukopf schleppt ihn durch die Landschaft, als ob es hier nicht genug Betten gäbe. Na schön, jeder nach seinem Geschmack.« »Peters ist verwundet?« fragte Nimba. »Aber – aber…« »Aber – aber… Mein Bruder hat auf ihn geschossen. Ich wußte, daß er kommt, und ich habe euch gewarnt. Was ge98
schehen würde, ließ sich ausrechnen. Der gute Juan hat nicht so ein zartes Gemüt wie ich. Deshalb wollte ich euch alle drei wegfangen und in Sicherheit bringen. Aber ihr wart natürlich gescheiter. Nun ist es passiert.« »Wenn Sie vernünftig mit Mr. Sun gesprochen hätten…« Manuel Garcia hob die Schultern und schwieg. Erst nach einer längeren Pause setzte er wieder an, und diesmal sprach er ganz anders. Er verzichtete auf seine Fratzen und seinen gewohnten Spott. Ganz sachlich und ernst redete er auf Nimba ein. Nimba spürte den Unterschied deutlich genug und verzichtete bald auf seine Vorbehalte. Manuel Garcia unterhielt sich auf diese Weise fast eine Stunde lang mit Nimba, und das Gespräch endete damit, daß sich Nimba tief vor ihm verbeugte, als hätte er einen neuen Herrn gefunden. Und als sich Nimba einige Stunden später von Garcia verabschiedete und ein Motorboot bestieg, fühlte er sich selbst nicht mehr als trotziger, in Gnaden entlassener Feind, sondern als Diener, der mit Aufträgen seines Herrn abreist. ∗ Das Portal des Santa Madlena Hospitals in Mexiko City war hell erleuchtet. Sun Koh befand sich am Ziel. Er schritt die Stufen hinauf, in seinen Armen den verwundeten Peters, der im Fieber phantasierte. Schwestern huschten vorbei. Türen gingen, ein weißer Raum öffnete sich, an der Wand Becken und Glasschränke, in der Mitte eine radgroße, tiefe Operationslampe, darunter ein langgestreckter Operationstisch, neben ihm gläserne Tischchen mit Bestecken. Eine leise Bemerkung leitete den späten Besucher zum Ziel. Sun Koh legte behutsam seine Last nieder. Eine hagere Gestalt im weißen Kittel trat heran. »Gonzales. Ich bin der Chefchirurg. Wir wurden telefo99
nisch benachrichtigt und schickten den Wagen zum Flugplatz.« »Sun Koh. Ich habe ihn lieber hergetragen. Das schien mir sicherer zu sein, um Erschütterungen zu vermeiden.« »Sie haben…« begann der Mediziner staunend, verzichtete dann aber auf das überflüssige. »Was liegt vor?« »Schußwunde in der linken Schulter seit ungefähr sieben Stunden. Ich rechnete mit einer Lungenverletzung und versuchte, entsprechend vorsichtig zu sein.« »Ich werde ihn sofort untersuchen«, erwiderte der Arzt knapp. »Bitte, warten Sie draußen.« Sun Koh nickte und ging an den wartenden Schwestern vorbei hinaus. Nach einer Viertelstunde stand der Arzt wieder vor ihm. »Das Geschoß liegt unmittelbar über der Lunge. Ein Wunder, daß es nicht durchgedrückt ist. Die leiseste Erschütterung hätte das Gewebe zerreißen können. Sind Sie einverstanden, wenn die Operation sofort vorgenommen wird?« Sun Koh nickte. Die Erleichterung überwältigte ihn fast. Wenn die Dinge so standen, konnte Peters gerettet werden. Die Minuten tropften dahin. Die Zeit verging unendlich langsam. Es dauerte eine halbe Stunde, bevor Dr. Gonzales wieder im Türrahmen erschien. »Die Operation ist geglückt«, sagte er. »Sie war nicht besonders schwer. Die Kugel ließ sich leicht fassen. Der Verwundete ist durch den Blutverlust ziemlich geschwächt, aber er besitzt eine gesunde Natur. Ich denke, wir bringen ihn ohne große Mühe wieder auf die Beine. Einige Wochen wird es freilich dauern.« Sun Koh druckte die Hand des Arztes, in seiner Erleichterung wohl zu fest, denn Dr. Gonzales verzog schmerzhaft sein Gesicht. »Danke. Darf ich ihn sehen?« »Heute nicht mehr. Er liegt noch in der Narkose. Kommen Sie morgen wieder. Ich denke, daß Sie dann ein paar Minuten 100
mit ihm sprechen können.« Sun Koh verabschiedete sich, regelte im Aufnahmebüro die Formalitäten und ließ sich in ein Hotel fahren. Es war das erste Haus am Platze. Der Geschäftsführer musterte ihn mißtrauisch und erkundigte sich nach dem Gepäck, aber Sun Koh schnitt alle Erörterungen damit ab, daß er sein Flugzeug erwähnte. Der Geschäftsführer wurde sofort höflicher und wies ihm ein Appartement zu. Besitzer von Privatflugzeugen konnten so zerrauft und gepäcklos ankommen wie sie wollten. ∗ Am nächsten Vormittag fuhr Sun Koh wieder zum Krankenhaus. Peters befand sich außer Gefahr und durfte ihn für einige Minuten empfangen. Sein Gesicht war noch bleich und eingefallen, aber seine Augen blickten bereits wieder lebhaft und fieberfrei. Die beiden Freunde drückten sich herzlich die Hände. Sun Koh berichtete von den Ereignissen, die Peters noch nicht kannte. Er verschwieg jedoch, daß er Lady Houston seinen Besuch hatte zusagen müssen. Selbst das andere genügte jedoch bereits, Peters in eine Erregung zu bringen, die nicht gut für ihn war. Sun Koh verabschiedete sich deshalb bald. Vom Krankenhaus aus fuhr er zum Flugplatz, um sich um seine Maschine zu kümmern. Sie war schon am Abend in einen Hangar gerollt worden. Sun Koh checkte das Flugzeug gründlich, wobei ihm einige Monteure behilflich waren. Sie zeigten sich ebenso wie verschiedene Piloten an dem neuen Typ und nicht zuletzt an dem Röhrenmantel des Rumpfs lebhaft interessiert. Der Rest des Tages verging mit verschiedenen Einkäufen und Nebensächlichkeiten. Am nächsten Tag ging Sun Koh nach seinem Besuch im Krankenhaus zu einem Juwelier, der ihm als der bedeutendste und leistungsfähigste genannt worden war. Der Juwelier be101
mühte sich selbst, nachdem ihn einer seiner Angestellten verständigt hatte. Er war ein grauköpfiger Mann mit Tränensäkken unter den Augen. Sun Koh wartete, bis sie sich allein im Privatbüro des Juweliers befanden, dann legte er einen der riesigen Diamanten auf den Tisch. »Haben Sie die Liebenswürdigkeit, diesen Stein abzuschätzen?« Der Juwelier warf einen Blick auf den Stein, einen zweiten auf das Gesicht seines Besuchers. »Abschätzen?« fragte er höflich, aber mit deutlichem Mißtrauen. »Verzeihen Sie, aber wir befassen uns nicht mit Glassteinen.« »Das dürfte ein Diamant sein.« Der Juwelier warf ihm abermals einen Blick zu. Jetzt war auf seinem Gesicht deutlich zu lesen, daß er mit einem Betrug oder wenigstens mit einem schlechten Scherz rechnete. »Ein Diamant? Aber…« Immerhin beugte er sich vor und sah sich den Stein näher an. Dann nahm er ihn in die Hand. In seinem Gesicht zuckte Überraschung auf. Jetzt hielt er ihn gegen das Licht. Im nächsten Moment legte er den Stein hastig zurück, murmelte eine Entschuldigung und eilte hinaus. Er kam gleich wieder mit einem Kästchen zurück. Aus dem mit Samt ausgeschlagenen Behältnis holte er verschiedene Geräte von der Pinzette bis zu einer zerbrechlichen Waage heraus. Dann begann er zu prüfen. Es dauerte etliche Minuten. Als er endlich fertig war und sich zurücklehnte, standen Schweißtropfen auf seiner Stirn, und seine Augen glänzten wie im Fieber. Seine Stimme klang heiser. »Ein Diamant… Sie hatten recht, Señor, es ist ein Diamant. Der größte Stein, den ich je gesehen habe, und vermutlich der größte, den es überhaupt gibt. Der Schliff ist fremdartig und wurde in einer mir unbekannten Manier hergestellt. Der Stein selbst ist fehlerfrei und klar. Er ist geradezu ein Wunder – ein 102
herrliches, unerhörtes Wunder! Entschuldigen Sie, wenn ich mich so ausdrücke, aber ich bin selbst Liebhaber, und es ist ein ungewöhnliches Erlebnis, einen derartigen Stein.« »Wieviel Karat hat er?« fiel Sun Koh sachlich ein. »Ziemlich genau 960 Karat, Señor.« »Und welchen Preis bedeutet das?« Der Juwelier atmete tief auf, bevor er behutsam antwortete: »Der Preis? Nun, der Stein hat überhaupt keinen Preis. Rechnerisch läßt sich das nicht so einfach feststellen. Ein derartiges Kleinod ist einmalig, ein Rausch für Kenner und Liebhaber, für den man nicht nur Millionen, sondern auch sein gutes Gewissen und sein Leben hergeben könnte. Liebhaberpreise haben kaum Grenzen.« Er legte eine kurze Pause ein, bevor er fortfuhr: »Entschuldigen Sie noch einmal. Ich bin etwas erregt, und mit solchen Angaben wird Ihnen nicht gedient sein. Sie wissen vielleicht, daß der größte bekannte Diamant 605 Karat besitzt. Er befindet sich in Privathand, wird sorgfältig gehütet und kann nur von einem kleinen Personenkreis bewundert werden. Sie fragen mich, welchen Wert dieser Stein besitzt? Nun, ich kann es Ihnen wirklich nicht sagen. Ein Stein über dreihundert Karat geht überhaupt nicht mehr durch den Handel. Wer ihn besitzt, gibt ihn nicht heraus, nicht für hundert Millionen. Ihr Stein ist karatmäßig vielleicht zwei Millionen Dollar wert, als Liebhaberstück jedoch mindestens das Zehnfache. Er kann aber auch noch erheblich mehr einbringen. Wollen Sie ihn verkaufen? Ich kann Ihnen mit geringer Mühe Käufer beschaffen, die zwanzig Millionen zahlen. Es gibt amerikanische Milliardäre, die sich um den größten Diamanten der Welt reißen würden.« Sun Koh wog den Stein spielerisch in der Hand. »Eigentlich erstaunlich, nicht wahr? Für einen einzigen Stein ein derartiger Betrag. Worin steckt der Wert?« Der Juwelier hob die Schultern. »Erstens in der Seltenheit, zweitens in dem eigenartigen Lichterspiel, das für den Kenner ein Genuß ist, und drittens in 103
der menschlichen Eitelkeit. Die Seltenheit entscheidet in erster Linie. Materialwert ist ja kaum vorhanden, der Arbeitsanteil des Schleifers bleibt gering, und irgendwelchen praktischen Nutzen besitzt der Stein auch nicht, sofern es sich nicht um Industriediamanten handelt. Nüchtern besehen ist er ja weiter nichts als ein Stück reiner Kohlenstoff in kristallisierter Form. Würde man ihn verbrennen, so bliebe nicht einmal ein Stäubchen Asche, eben weil er aus reinem Kohlenstoff besteht. Die Seltenheit entscheidet. Das uralte Gesetz von Angebot und Nachfrage wirkt sich hier in überspitzter Form aus. Wenn von einer Ware mehr angeboten wird, als das Publikum verlangt, so sinkt der Preis. Steht jedoch einer starken Nachfrage ein geringes Angebot gegenüber, so steigt er, und zwar um so mehr, je geringer das Angebot ist. Bei den Diamanten haben Sie den Grenzfall. Einem einzigen wirklich bemerkenswerten Exemplar steht gewissermaßen der Kaufwunsch der ganzen Welt gegenüber. Das treibt den Preis bis dahin, wo die finanzielle Leistungsfähigkeit des letzten Liebhabers aufhört.« »Ich verstehe«, sagte Sun Koh. »Trotzdem scheint die menschliche Eitelkeit eine starke Rolle dabei zu spielen.« Der Juwelier lächelte. »Selbstverständlich, Señor. Wenn man auch nie den ästhetischen Wert übersehen darf, so handelt es sich doch zuletzt mit darum zu zeigen, was man sich leisten kann. Glauben Sie etwa, daß die Damen, die sich bei mir Diamanten kaufen lassen, besonders viel davon verstehen? Oder glauben Sie, daß die Besitzerinnen auch nur einen Deut dadurch hübscher werden, daß sie sich einen kostbaren Stein umhängen? Alles nur Eitelkeit, Triumph über die Freundin oder Konkurrentin, die sich eben diesen Stein nicht leisten kann.« »Welches Glück für Sie und für mich«, sagte Sun Koh ironisch. »Ich möchte nämlich den Stein tatsächlich verkaufen. Vielleicht sogar noch einen zweiten. Oder ist es nicht ratsam, mehrere solcher Steine auf einmal auf den Markt zu bringen?« Der Juwelier starrte ihn wieder ungläubig an. 104
»Sie – Sie besitzen mehrere solcher Steine?« Sun Koh nickte und nahm aus der Tasche einen zweiten Stein. Er reichte ihn über den Tisch. »Ja, wenigstens noch diesen da.« Der Juwelier schluckte, dann entzog er sich für Minuten der Welt und seinem Besucher. Er prüfte abermals gründlich. Als er sich aufrichtete, ächzte er geradezu. »1025 Karat, Señor. Ich muß träumen. Zwei Steine von dieser Größe und beide makellos – unfaßbar! Ich – ich darf fragen, woher die Steine stammen?« »Das dürfen Sie nicht«, entgegnete Sun Koh verbindlich. »Übrigens vergaßen Sie, meine Frage zu beantworten. Ist es empfehlenswert, beide Steine zu verkaufen?« Der Juwelier zögerte. »Hm, so eng liegt die Grenze für den Seltenheitswert natürlich nicht. Sie brauchen keine Beeinträchtigung im Preis zu befürchten. Bei den heutigen Kapitalstauungen könnten Sie vermutlich in Amerika einige Dutzend umsetzen, ohne den Preis zu gefährden. Zwei Steine sind gelegentlich sogar vorteilhafter, nämlich dann, wenn es gelingt, einen Käufer zu finden, der sie als Doppel verwenden will. Möchten Sie tatsächlich verkaufen?« »Ja.« »Dann will ich Ihnen einen Vorschlag machen. Ermächtigen Sie mich zu Verhandlungen. Ich bringe Ihnen innerhalb einer Woche einen Käufer. Wenn nicht, schließe ich mich mit einigen anderen Fachleuten zusammen, so daß unsere Vereinigung den Stein erwirbt.« Sun Koh war einverstanden. Er verabschiedete sich eine Viertelstunde später. Tatsächlich übernahm nach Ablauf der Woche der Juwelier die beiden Steine. Er verriet seine Geschäftsgeheimnisse nicht, aber Sun Koh war überzeugt, daß er damit das beste Geschäft seines Lebens machte. Sun Koh genügte es, daß der Juwelier anstandslos einen Betrag von vierzig Millionen Dol105
lar zahlte und ihn prompt auf sein Konto in New York überwies. 7. Wenn nördlich der Alpen die Märzstürme über schmutzige Schneefelder brausen, treibt es den reiselustigen Europäer, sofern er über das nötige Kleingeld verfügt, südwärts in jenen gesegneten Landstrich an der französischen Mittelmeerküste, über dem bereits strahlend die Sonne vom azurblauen Himmel lacht. Aus London und Paris, aus Stockholm und Hamburg jagen Züge und schwere Wagen sternförmig zusammen und tragen müde, abgehetzte Menschen, abenteuerlustige Jugend, Playboys, Hochstapler, Flitterwöchner und Faulenzer in den Frühlingstraum Europas hinein. Die Riviera! Die Amerikaner reisen nicht an die Riviera. Sie besitzen ihre eigene Riviera. Miami auf Florida. Hier finden sie noch besser und noch schöner alles, was den Europäer an die Riviera zieht: Meer, Strand, Sonne, Frühling und Gesellschaft. Vier Wochen in Palm Beach wiegen ein ganzes schweres Jahr auf. Noch vor Jahrzehnten standen dort nur elende Hütten. Heute drängen sich Wolkenkratzer, Riesenhotels bieten jeden erdenklichen Luxus, über glatte asphaltierte Straßen gleiten die neuesten Wagen, Jazzmusik hämmert, Schönheitsköniginnen werden gewählt, lachende Jugend wirft sich übermütig in die Brandung und reitet auf Surfbrettern gegen die Wogen an. Reichtum, Schönheit und Eleganz feiern Triumphe. Hier erholt sich Amerikas Jet-Set, hier kommen Millionäre ihren gesellschaftlichen Verpflichtungen zwanglos nach, hier toben sich alle menschlichen Verrücktheiten aus. Ganze Wälder hat man hier angepflanzt, Palmenhaine und großartige Parkanlagen geschaffen, in denen die weißen Bungalows derer stehen, die sie sich leisten können. Hier regiert das Geld als unumschränkte Macht. Es besitzt seine eigenen Gesetze. 106
In den Bungalows spielen sich die verrücktesten Dinge ab. Mag sich jeder nach seinen Launen austoben. Weit draußen am Strand stand der Bungalow der Lady Houston. Die reiche, schöne Engländerin war der Gesellschaft von Palm Beach gut bekannt. Man erzählte sich genug von ihr, was sich nur flüsternd berichten ließ. Sie hatte sich lange nicht sehen lassen. Jetzt wehte seit wenigen Tagen die Flagge wieder über dem Haus, ein Zeichen, daß die Hausherrin anwesend war. Sun Koh ging gegen elf Uhr am Vormittag auf der nur wenig belebten Strandpromenade entlang auf das Haus der Lady zu. Sein Gesicht drückte alles andere als Freude aus. Er mußte seinem Versprechen nachkommen, aber er sah Schwierigkeiten voraus. Die Lady war hemmungslos. Sie würde versuchen, ihn festzuhalten. Und wahrscheinlich verließ sie sich nicht allein auf ihre Überredungskunst. Er hatte es nicht eilig und ging langsam. Da hörte er Schritte hinter sich. Ein anderer Spaziergänger überholte ihn, ein Mann von ungefähr Mitte Dreißig mit scharfgeschnittenem, ruhigem Gesicht und ruhigen, aufmerksamen Augen. Aus dem Mund spießte angriffslustig eine kurze Tabakspfeife heraus, die Hände steckten lässig in den Hosentaschen. Im Augenblick, als der Fremde überholte, ging ein Ausdruck der Überraschung über sein Gesicht. Die Hände kamen aus der Tasche heraus. Die linke Hand nahm die Pfeife aus dem Mund. »Guten Morgen. Mr. Sun, nicht wahr?« Sun Koh nickte und erwiderte den Gruß zurückhaltend. Er kannte den Mann nicht. Vielleicht ein Zimmernachbar aus dem Hotel? Der Fremde mäßigte seinen Schritt und blieb an Sun Kohs Seite. »Das nenne ich eine Überraschung! Ich hatte nicht damit gerechnet, Sie hier wiederzusehen. Auf die Gefahr hin, daß Sie mich für zudringlich halten – ich würde mich ganz gern 107
Ihrer Strandwanderung anschließen.« Sun Koh sah sich den Fremden genauer an, dann nickte er. »Bitte, ich habe nichts dagegen. Lange werde ich freilich Ihre Gesellschaft nicht genießen können. Ich will einen Besuch abstatten. Haben wir uns schon einmal gesehen?« Der andere steckte seine Pfeife wieder in den Mund. »Einseitig, sehr einseitig. Ich kenne Sie, aber Sie mich nicht. Ich sah Sie im Excelsior in London. Seitdem leide ich an Minderwertigkeitskomplexen. Ein Glück, daß ich nicht beruflich mit Ihnen zu tun habe. Al Brown ist mein Name, Captain mein Titel und Menschenjäger mein Beruf.« »Detektiv?« »So ungefähr. Sie können es so nennen, wenn es auch nicht ganz stimmt. Eigentlich bin ich zur Erholung hier.« »Und uneigentlich?« Brown hob die Schultern. »Vermutlich auch nur, um hinterher einzusehen, daß es verlorene Zeit war. Ich jage einer Chance nach. Auf unserer Erde lebt ein Verbrecher, dessen Konto reichlich belastet ist. Morde, Überfälle, Bankräubereien. Wir wissen, daß er eine weitverzweigte Organisation hinter sich hat. Einige Strohmänner wurden erwischt, aber es waren kleine Leute, die nicht viel wußten. Und diejenigen, die etwas wußten, wurden befreit oder starben, bevor sie zum Reden kamen. Wir tappen also im Dunkeln. Schwere Verbrechen und kein Täter, und doch immer wieder die gleiche Hand. Ich würde viel darum geben, den Mann zu fassen.« »Sie suchen ihn hier?« »Ja und nein. Die Kalkulation ist einfach. Der Mann macht riesige Beute und muß sehr reich sein. Was reich ist, erholt sich zur Zeit hier in Miami. Folglich ist es nicht ausgeschlossen, daß sich hier eine Spur von ihm entdecken läßt. Sie werden das simpel finden, aber wenn es der Zufall will, ist gerade das Simpelste richtig. Haben Sie übrigens diesen Mexikaner Garcia wieder einmal gesehen, mit dem Sie in London zu108
sammengerieten?« Der scheinbare Gedankensprung machte Sun Koh aufmerksam. Der Captain neben ihm plauderte offenbar wohl noch nicht nur, um sich die Zeit zu vertreiben. »Ich bin auf Yukatan wieder mit ihm zusammengestoßen«, antwortete er. »Er wird jetzt vermutlich etwas schonungsbedürftig sein.« »Ah, deshalb sieht er so leidend aus?« »Ist er hier?« »Ja. Wußten Sie das nicht? Seit vorgestern. Mit ihm seine ganze Domestikenschar. Er hat auffallend viele Leute um sich, dieser Mann.« »Sie verdächtigen ihn?« Brown lachte kurz. »Wenn schon, hat das nicht viel zu bedeuten. Ich habe ganz andere Leute wegen dieser Sache in Verdacht gehabt. Er ist reich und niemand weiß, wo er seine Millionen her hat. Er ist durchtrieben und gewissenlos und war da in London in eine böse Sache verwickelt. Das sind genügend Gründe, um sich ihn mal näher anzusehen. Sie haben einen Streit mit ihm gehabt?« Sun Koh nickte. »Er tötete um ein Haar meinen Begleiter.« »Würden Sie mir Einzelheiten darüber erzählen?« Sun Koh blieb stehen. »Gern, aber nicht jetzt. Ich bin am Ziel angelangt und lege Wert darauf, daß man mich nicht allzulange vorher sieht und umfangreiche Vorbereitungen trifft. Kommen Sie heute nachmittag in die Halle des Imperial.« Der Amerikaner warf einen Blick auf den gegenüberliegenden Park, aus dem der weiße Palast herausschimmerte. »Sie wollen zu Lady Houston?« »Ja«, bestätigte Sun Koh einsilbig. »Na, besonders beglückt scheinen Sie nicht gerade zu sein.« Brown grinste. »Sicherlich nur ein kurzer Besuch?« 109
»Hoffen wir es«, erwiderte Sun Koh vieldeutig. »Dann werde ich mich an den Strand legen und auf Sie warten, wenn Sie nichts dagegen haben«, schlug Brown vor. Aber Sun Koh antwortete nicht mehr. Er hatte sich bereits abgewandt und schritt über die Straße hinweg in den Park hinein. ∗ Der Hausmeister der Lady Houston war ein schwerer, massiger Mann, mit auffallend groben Gesichtszügen und buschigen Augenbrauen. Sonderlich angenehm wirkte sein Gesicht nicht, vor allem nicht in diesem Augenblick, wo er zwischen Ehrerbietung und herablassender Unverschämtheit schwankte. Er war sich nicht sicher, ob er den frühen Besucher als Bittsteller oder als Gast behandeln sollte. Zunächst neigte er mehr zum ersteren, aber dann, nachdem ihn ein Blick Sun Kohs getroffen hatte, schien es ihm doch ratsamer, bis auf weiteres vorsichtiger zu sein. Er bat, Platz zu nehmen, und verschwand mit der Zusage, Sun Koh melden zu wollen. Nach fünf Minuten kam er wieder mit der Mitteilung, daß seine Herrin bereit sei, ihren Gast zu empfangen, aber noch um einige Minuten Geduld bitten müsse. Ob er dem Herrn mittlerweile eine Erfrischung anbieten dürfe? Sun Koh verzichtete, der Diener eilte hinaus. In starrer Aufmerksamkeit wartete Sun Koh Minute um Minute. Irgendwo im Haus flutete gedämpfte Erregung. Ein Mann sah für einen Augenblick herein, verschwand sofort mit einer höflichen Entschuldigung. War das nicht der Mann gewesen, der sich auf Yukatan in Begleitung der Lady befunden hatte? Endlich, nach nahezu einer halben Stunde erschien der Diener wieder und bat Sun Koh, ihm zu folgen. Lady Houston streckte dem Gast beide Hände entgegen. 110
»Wie lieb von Ihnen, Mr. Sun, daß Sie mich besuchen.« Sun Koh verbeugte sich voller Zurückhaltung und übersah geflissentlich die ausgestreckten Hände. »Ich bin gekommen, mein Wort einzulösen, Mylady.« Eine Wolke des Unmuts flog über die Stirn der Engländerin, während sie die Hände sinken ließ. Aber sofort war ihr Gesicht wieder heiter, ja strahlend, und ihre Stimme klang frei und unbeschwert, als sie mit leicht ironischem Vorwurf erwiderte: »Aber, mein bester Mr. Sun, ich glaube gar, Sie haben den Zwischenfall in Yukatan ernst genommen? Halten Sie mich für so unmenschlich, daß Sie annehmen, ich hätte Sie im Ernst hindern wollen, Ihren Begleiter in ärztliche Behandlung zu bringen? Ich bitte Sie, das war doch selbstverständlich nur ein Scherz.« Um Sun Kohs Lippen huschte ein winziges Lächeln. Ein wahrhaft durchtriebenes Weib. Spielte die Unschuldige. Nun, wenn es ihr Vergnügen machte… »Es beruhigt mich außerordentlich, daß nur meine mangelnde Begabung für den Humor mich die Lage in einem anderen Licht sehen ließ«, sagte er. »Dann darf ich mich wohl verabschieden.« Sie schüttelte lächelnd den Kopf und wies auf den Sessel, der unmittelbar neben dem kissenbedeckten Ruhelager stand. »Aber das werden Sie mir doch nicht antun. Lassen Sie uns wenigstens einige Minuten freundschaftlich plaudern. Bitte, nehmen Sie Platz.« Sun Koh wollte nicht mit Gewalt beleidigen und setzte sich. Die Lady selbst zog an der Klingelschnur. Während der Diener den Teewagen hereinrollte, fand Sun Koh Muße, sich umzusehen. Das Zimmer war offensichtlich das Wohnzimmer der Lady, nicht besonders groß, aber mit einem riesigen Fenster, das fast die ganze Wandseite einnahm. Die Wände waren ringsum mit Seide bespannt, deren matte Tönung mit der Farbe der zahlreichen Kissen und der gut ausgewählten Möbel ausgezeichnet zusammenklang. Der 111
Raum wirkte vornehm mit einem kleinen Stich ins Üppige. Die Lady selbst, deren höchst eigenartiges, fließendes Gewand wie ein Zwischending von Morgenrock und großem Abendkleid wirkte und mehr aus der Empirezeit als der Gegenwart zu stammen schien, war unbestreitbar eine schöne Frau. Und vor allem eine Frau, die ihre Schönheit vorteilhaft zur Geltung zu bringen wußte. Das fast klassisch geschnittene Gesicht mit der fehlerfreien Haut, den feurigen, dunklen Augen mit dem nachtschwarzen Haar hob sich wirkungsvoll von den Farbtönen der seidenen Kissen ab. »Tee oder Whisky?« erkundigte sie sich, nachdem der Diener wieder verschwunden war. »Danke, keins von beiden«, lehnte Sun Koh ab. Die Augen der Frau funkelten kurz auf, und in ihrem Auflachen lag eine nervöse Schärfe. »Sieh da, ein Enthaltsamer«, spöttelte sie. »Sind Sie schon länger in Palm Beach?« Sie unterhielten sich eine ganze Weile über die gleichgültigsten Dinge. Für den Uneingeweihten mochte es ein harmloses Gespräch zwischen Hausherrin und Gast sein. In Wirklichkeit spielte sich hinter den gleichgültigen Worten ein zäher Kampf ab, der Kampf einer Frau gegen die starre, verächtliche Überlegenheit eines Mannes, der hinter der schönen Maske die abgrundtiefe Verworfenheit dieses Weibes sah. Die Lady strengte sich an, aber es war alles umsonst. Sun Koh betrachtete sie allenfalls mit der Anteilnahme, mit der man sonst die Bewegungen eines Regenwurms beobachtet. Sein Gesicht blieb höflich-verbindlich und doch zugleich abweisend-kühl wie seine Worte. Es blieb ihr diesem Eisblock gegenüber nichts übrig, als einen Angriff zu versuchen. Sie streichelte wie unabsichtlich Sun Kohs Hand, aber ebenso unabsichtlich zog dieser sie weg. Dafür rückte sie immer dichter an ihn heran. Als schließlich die Gefahr bestand, daß sie ihm im nächsten Augenblick um den Hals fallen würde, erhob sich Sun Koh ziemlich unver112
mittelt und erklärte, nun unbedingt aufbrechen zu müssen. Damit war der Kampf eröffnet. »Werden Sie wenigstens heute abend mein Gast sein?« bat sie. Er schüttelte den Kopf. »Leider unmöglich, Mylady. Ich denke heute abend bereits in New York zu sein.« Sie erhob sich mit einem Ruck. In ihren Augen funkelte jetzt der Zorn, und in ihrer Stimme lag eine schneidende Schärfe. »Sie sind sehr stolz, mein lieber Mr. Sun, und hätten doch allen Anlaß, etwas liebenswürdig zu sein.« Er fühlte die Drohung und beschloß, Lady Houston zu reizen, um ihre Absicht zu erfahren. Deshalb erwiderte er eisig: »Sie verwechseln mich mit Ihrem Personal, Lady Houston.« Sie zuckte zusammen, hieb dann jäh zurück: »Keineswegs, aber vielleicht mit einem – Gefangenen?« Er zeigte Erstaunen. »Ich verstehe Sie nicht…« Sie trat dicht an ihn heran. »Bilden Sie sich im Ernst ein, Sie Narr, daß ich Sie so einfach wieder laufen lasse? Sie werden dieses Haus nicht eher verlassen, als bis Sie genügend Lebensart einer Dame gegenüber gelernt haben.« »Nehmen Sie an, daß die Polizei über meinen Besuch bei Ihnen unterrichtet ist.« Sie lachte verächtlich auf. »Die Polizei! Halten Sie mich für eine Anfängerin? Man wird Sie nicht finden, und wenn man das Haus auf den Kopf stellt.« »Trotzdem werden Sie mich nicht zurückhalten.« Herausfordernd blickte sie ihn an. »Das werden wir sehen, mein Herr. Auch Ihre Stärke wird Ihnen nichts helfen. Ich habe ein Dutzend Leute im Haus, und alle sind bewaffnet. Sie stehen bereit. Ein Druck auf diesen Knopf genügt. Na?« 113
Sun Koh schritt zur Tür. Einen Schritt davor – er streckte die Hand bereits nach der Klinke aus – versank blitzschnell der Boden unter ihm. Die weichende Fläche war zu groß, als daß er sich noch rechtzeitig hätte zur Seite werfen können. Er stürzte mehrere Meter tief hinab, so schnell und unvermutet, daß er gerade noch mit Mühe den Sturz abfedern konnte. Als er wieder nach oben sah, hatte sich die Decke über ihm bereits geschlossen. Der Raum, in dem er sich befand, war völlig dunkel, kein Lichtstreifen verriet die geringste Öffnung, geschweige denn ein Fenster. Das machte Sun Koh allerdings nichts aus. Ganz unvorbereitet war er denn doch nicht zu der Lady gegangen. Ähnliches hatte er schon erwartet und sich entsprechend mit allem versehen, was ihm erforderlich erschienen war. Dazu gehörte in erster Linie eine kleine, aber lichtstarke Taschenlampe. Er holte sie aus der Tasche und knipste sie an. Im fast gleichen Augenblick flammte an der Decke eine einzelne Birne auf. Schulterzuckend steckte Sun Koh seine Lampe wieder ein und begann, den Raum zu besichtigen. Er war kaum halb so groß wie das darüberliegende Zimmer der Lady. Wände, Fußboden und Decke bestanden offensichtlich aus Beton. Ein Fenster war nicht vorhanden, wohl aber eine Tür, nach einer kaum sichtbaren Rechteckritze zu schließen. An der längeren Wand stand ein Ruhelager, davor ein Tisch, ein Stuhl, seitlich einfaches Waschgeschirr und Wassereimer. Das war so ziemlich alles. Eine einfache Schlafstelle in einem hohlen, lichtlosen Betonklotz. Innerhalb weniger Minuten wußte Sun Koh, daß sich hier keine Fluchtmöglichkeiten boten, – es sei denn durch die Tür. Der Fremde am Strand – Al Brown hieß er wohl – würde das Warten lernen, wenn er noch mit seiner baldigen Rückkehr rechnete. Al Brown wartete allerdings noch. Anfänglich hatte er über die Angelegenheit kaum nachgedacht. Er war froh gewesen, diesen seltsamen Sun Koh hier getroffen zu haben. Dieser 114
Mann, der als der königliche Nachkomme eines verschollenen Kulturvolkes galt, war ein Mensch, den man gern als Freund betrachten mochte. Eine halbe Stunde lang hatte der Captain im Sand gelegen und vor sich hin geträumt. Als Sun Koh nicht kam, war ihm das nicht im geringsten verdächtig erschienen. Besuche bei einer Frau dauern oft länger, als man vorher annimmt. Mochte er nur bleiben. Er würde ihn am Nachmittag schon irgendwo sehen. Wäre Captain Brown in dieser Zeit tatsächlich weggegangen, wäre ihm manche erstaunliche Erfahrung erspart geblieben. Er ging jedoch nicht – nicht etwa, weil er weiterhin auf Sun Koh warten wollte, sondern lediglich aus Faulheit. Es war so schön am Strand, und es war großartig, im Sand zu liegen und zu träumen. Eine solche Stunde war in seinem Leben so selten, daß er sie auskostete. Als Brown wieder auf die Uhr blickte, waren fast zwei Stunden vergangen, seitdem sein Begleiter über die Straße geschritten war. Er schnippte überrascht mit den Fingern. Das war eigentlich reichlich viel Zeit für einen kurzen Besuch. Sollte hier etwas nicht stimmen? Von dieser Minute an begann Brown von neuem zu warten. Das berufliche Mißtrauen hatte ihn gepackt. Sun Koh konnte zwar das Gelände durch einen rückwärtigen Parkausgang verlassen haben, aber es sah ihm nicht ähnlich zu vergessen, daß hier jemand auf ihn wartete. Nach drei Stunden erhob sich Brown, klopfte den Sand aus seinen Sachen und ging über die Straße. Der vierschrötige Butler öffnete ihm. Brown merkte sich flüchtig vor, daß nur besondere Gründe eine schöne Frau veranlassen konnten, einen derartig unsympathischen Angestellten im Haus zu behalten. »Sie wünschen?« »Ich erwarte einen Bekannten, Mr. Sun Koh«, gab Brown Auskunft, während er gelassen einen Tabakrest aus seiner 115
Pfeife am Handteller herausklopfte. »Er ist vor drei Stunden hier hereingegangen, um Mrs. Houston zu besuchen. Bitte, erkundigen Sie sich, ob er nicht bald zurückkehrt. Teilen Sie Mr. Sun Koh mit, daß Captain Brown noch immer auf ihn wartet.« Der Butler war zusammengefahren. Er versuchte, seine Reaktion mit einer tiefen Verbeugung zu decken. »Mr. Sun Koh? Einen Augenblick bitte, ich werde nachfragen.« Er kam erst nach Minuten zurück. »Der Herr hielt sich nur kurze Zeit auf und verließ dann das Haus über die rückwärtige Terrasse.« Brown hatte etwas Ähnliches erwartet. Er nickte sarkastisch. »Merkwürdig, daß Sie das jetzt erst erfahren. Sagen Sie Mrs. Houston, daß Captain Brown um eine kurze Unterredung bittet.« »Bedaure«, lehnte der Hausmeister steif ab, »aber Mylady sind gerade…« »Im Bad, bei der Frisöse, in der Abreise begriffen oder mit Kopfschmerzen behaftet«, beendete Brown den Satz trocken. »Sparen Sie sich den Schwindel und melden Sie mich.« Das Gesicht des Butlers lief an. »Sie haben mir nichts zu befehlen«, knurrte er. »Lady Houston ist nicht zu sprechen. Verlassen Sie das Haus.« Brown musterte ihn gelassen. »Ich würde an Ihrer Stelle vorsichtig sein, mein Freund. Irgendwie kommen Sie mir bekannt vor. Sollte ich Sie schon einmal in einem Bilderbuch der Polizei gesehen haben? Es wäre jedenfalls ganz interessant, da einmal nachzugraben.« Der Butler duckte sich, und Brown merkte sich vor, daß es wahrscheinlich doch nützlich sein konnte, das Bild dieses Mannes einmal bei Interpol herumzureichen. »Verzeihung«, murmelte der Butler bedeutend kleinlauter. »Wenn Sie Wert darauf legen – ich kann selbstverständlich 116
noch einmal nachfragen. Vielleicht ist es Mylady doch möglich, Sie zu empfangen. Einen Augenblick bitte.« Einige Minuten später stand Al Brown Lady Houston gegenüber. Sie behandelte ihn herablassend, und als er seinen Vers aufgesagt hatte, musterte sie ihn von oben bis unten mit kühlem Erstaunen und sagte eisig: »Der betreffende Herr war allerdings einige Minuten bei mir, um mich zu begrüßen. Ich verstehe aber nicht, was Sie berechtigt, die Auskunft meines Angestellten in Zweifel zu ziehen und mich mit einer derartigen Nachfrage zu belästigen.« Brown musterte sie nun auch von oben bis unten. Er war nicht der Mann, der sich von einer hochmütigen Frau in die Knie drücken ließ. »Sie wissen nicht, daß Mr. Sun Koh zu mir zurückkommen wollte. Er wußte, daß ich auf ihn warten würde.« »Vermutlich ist es ihm entfallen, denn wie Sie sehen, hat er den anderen Ausgang benutzt.« »Hat er?« »Zweifeln Sie daran?« »Solche Dinge sind gelegentlich eine Gewissensfrage. Ich halte jedenfalls Mr. Sun Koh nicht für einen Mann, der eine gegebene Zusage nicht einhält. War übrigens mein Eindruck richtig, daß ihm das Wiedersehen mit Ihnen kein besonderes Vergnügen bereitet hat?« »Sie werden unverschämt!« fuhr sie ihn an. »Gehen Sie, oder ich lasse Sie hinauswerfen. Belästigen Sie andere Leute mit Ihrem Geschwätz.« Brown ließ sich nicht aus der Fassung bringen. Er verneigte sich und antwortete sehr verbindlich. In seiner Stimme lag freilich ein Unterton, der Lady Houston nicht behagte. »Ich bin schon unterwegs, Mrs. Houston. Ich möchte Sie jedoch darauf aufmerksam machen, daß es sehr bedauerlich für Sie wäre, wenn ich Mr. Sun Koh nicht mehr in Palm Beach finden könnte. Daraus könnten sich immerhin Weiterungen ergeben, die selbst in unserem Land die Richter veran117
lassen könnten, eine schöne Frau mit Unliebsamkeiten zu behelligen. Hoffentlich habe ich mich klar ausgedrückt.« Sie zitterte vor Wut. »Mann, das werden Sie mir büßen. Wer sind Sie eigentlich, daß Sie glauben, sich eine derartige Dreistigkeit erlauben zu dürfen?« Captain Brown lächelte freundlich. »Federal Bureau of Investigation, kurz FBI, falls Sie sich dafür interessieren, Mrs. Houston.« Er verneigte sich noch einmal und ging. Lady Houston war blaß geworden und starrte ihm fassungslos nach. FBI – das war immerhin ein unvorhergesehener und gefährlicher Zwischenfall. ∗ Eine halbe Stunde später ließ sich Captain Brown beim Polizeipräsidenten von Miami melden, einem grauköpfigen Herrn, der vorzüglich zwischen die Luxushotels und weißen Villen paßte, wenn man auch nicht gerade auf den Gedanken gekommen wäre, daß er zur Polizei gehörte. Er nahm es mit den Ausweisen Browns genau, ließ sich den Bericht geben und erklärte schließlich höflich: »Ich stehe selbstverständlich gern zu Ihrer Verfügung, aber ich fürchte, ich muß Sie enttäuschen. Sie erwarten vermutlich von mir, daß ich Ihnen einen Beamten mit einem Hausdurchsuchungsbefehl an die Seite gebe. Das kann ich leider nicht verantworten.« »Warum nicht? Es liegt in Ihrem Interesse, ein Verbrechen zu verhindern.« »Gewiß«, sagte der Präsident zurückhaltend, »aber wer beweist mir, daß Ihre Annahme richtig ist? Mrs. Houston erklärte Ihnen, daß ihr Besucher das Haus durch den rückwärtigen Ausgang verlassen hat. Ihre Angestellten werden das bestätigen. Wenn Sie mir nicht das Gegenteil beweisen können, sehe ich mich außerstande einzugreifen. Meine Leute haben 118
Verbrechen in dieser Stadt zu bekämpfen, aber nicht die angesehensten Einwohner zu belästigen.« »Sie wollen nicht?« »Wollen?« dehnte der Präsident. »Nun, ich will eins nicht, nämlich mir die Finger verbrennen. Was glauben Sie wohl, was es für einen Stunk gibt, wenn wir jetzt bei Mrs. Houston eindringen, ihr Haus auf den Kopf stellen und diesen Herrn nicht finden? Alle diese Leute, die hier wohnen, würden sich im eigensten Interesse hinter Mrs. Houston stellen und die Öffentlichkeit alarmieren. Sie wissen ja über unsere demokratischen Empfindlichkeiten selbst Bescheid. Ich wäre glatt erledigt.« »Hm, mag sein«, räumte Brown ein. »Andererseits befindet sich hier ein Mensch in Gefahr. Wir können ihn nicht gut im Stich lassen. Sie kennen meine Vollmachten. Ich übernehme die Verantwortung.« Der Polizeipräsident zog eine saure Miene. »Reden Sie nicht von Ihren Vollmachten. Sie verpflichten mich, Ihnen jede Hilfe zu leisten, soweit sie zur Entdeckung und Bekämpfung eines unbekannten Verbrechers erforderlich sind. Nun ja, das ändert aber nichts daran, daß das FBI und eine lokale Polizeibehörde zwei verschiedene Dinge sind. Sie brocken mir die Suppe ein, und ich soll sie auslöffeln. Das wäre nicht der erste Fall dieser Art. Überhaupt – zunächst müssen Sie mir erst einmal nachweisen, daß dieser Mr. Sun Koh mit Ihrem Auftrag in Verbindung steht.« »Er ist erst kürzlich mit dem Mann zusammengekommen, in dem ich den Gesuchten vermute. Er kann mir wichtige Auskünfte geben.« »Sagen Sie«, erwiderte der Polizeipräsident sarkastisch, »Sie erwarten doch nicht etwa von mir, daß ich auf solche unbestimmten Dinge hin meine Stellung riskiere oder gar unbescholtene Leute belästige? Nein, tut mir leid. Eine Hausdurchsuchung bei Mrs. Houston ohne handfeste Gründe würde meine Befugnisse erheblich überschreiten. Bringen Sie erst 119
Beweise für Ihren Verdacht und kommen Sie dann wieder.« Dagegen war nichts zu wollen. Brown erhob sich und verabschiedete sich. Der Polizeipräsident wollte seinen Posten nicht gefährden, indem er die ansässigen Millionäre verärgerte. Das war menschlich verständlich und ließ sich formal dekken. Die einzige Möglichkeit war nun doch, auf eigene Faust zu handeln. Brown nahm sich vor, notfalls in der Nacht das Grundstück von Lady Houston näher zu besichtigen, hielt es aber für ratsam, zunächst einmal festzustellen, ob Sun Koh nicht doch aus ihrem Haus zurückgekehrt war. Darüber wußte Brown genau Bescheid, als er am Spätnachmittag in der Halle seines Hotels saß und die Gäste beobachtete. Sun Koh hatte sein Appartement im Imperial nicht aufgegeben, sein Jet befand sich noch im Hangar auf dem Flugplatz, und er selbst war seit dem Vormittag nirgends gesehen worden. Es lag nahe, daß er sich noch immer im Haus dieser Lady Houston befand, und es war so gut wie sicher, daß er sich nicht freiwillig dort aufhielt. Während er überlegte, was er unternehmen könnte, hörte er vom Empfangstisch her den Namen des Mannes, mit dessen Schicksal er sich eben beschäftigte. Er blickte rasch auf. Einer der Angestellten hatte ihn ausgesprochen, und die Auskunft ging an einen hünenhaften Mann, dessen dunkle Haut den Neger verriet. Brown sprang sofort auf und ging hinüber. Es interessierte ihn nicht nur, wer hier nach Sun Koh fragte, sondern er hatte auch den Neger erkannt. Das konnte nur Jack Holligan sein, der Boxer. »Sie suchen Mr. Sun Koh?« Nimba drehte sich zu ihm herum, musterte ihn prüfend und nickte. »Ja. Er befindet sich in Palm Beach, aber ich weiß nicht, in welchem Hotel er wohnt. Können Sie mir Auskunft geben?« »Ja«, bestätigte Brown, worauf sich das Gesicht Nimbas aufhellte. »Es nützt Ihnen aber nichts, wenn ich Ihnen verrate, 120
daß er im Imperial wohnt. Wir müssen uns darüber unterhalten. Kommen Sie und leisten Sie mir Gesellschaft.« Die beiden Männer verließen das Hotel und gingen eine Weile stumm nebeneinander her, bis sie eine ruhige Parkanlage erreicht hatten. Brown wies auf eine der überdachten Bänke. Sie setzten sich. »Ich bin Captain Al Brown vom FBI«, eröffnete Brown das Gespräch. »Ich kann Ihnen zufällig einige Auskünfte über Mr. Sun Koh geben. Vorher möchte ich jedoch gern erfahren, in welcher Beziehung Sie zu ihm stehen.« »Ich bin in seinen Diensten.« »Ach?« sagte Brown. »Sind Sie nicht der Boxer Jack Holligan?« »Das war ich«, bestätigte Nimba. »Seit einiger Zeit bin ich jedoch bei Mr. Sun Koh angestellt. Ich heiße nur noch Nimba.« Brown musterte ihn ehrlich erstaunt. »Toll! Das hätte ich mir nicht träumen lassen. Boxer von Ihrem Schlag sollten eigentlich eine Menge Geld verdienen.« »Sicher.« Nimba grinste. »Geld könnte ich genug verdienen, aber es kommt ja nicht immer nur auf das Geld an. Es gibt auch noch andere Gründe.« »Hm. Und wieso ist dann Mr. Sun Koh allein hier, während Sie erst jetzt auftreten und nicht einmal wissen, wo er wohnt?« »Das ist so eine Geschichte für sich. Darf ich fragen, warum Sie sich dafür interessieren?« »Mißtrauisch?« »Vorsichtig«, berichtigte Nimba. »Bis jetzt habe ich nicht einmal Ihre Papiere gesehen. FBI. Das kann jeder sagen, nicht?« Brown nahm stumm seine Brieftasche heraus und hielt Nimba einen Ausweis vor das Gesicht. »Genügt das?« »Hm, wahrscheinlich. Aber wieso kennen Sie Mr. Sun Koh?« 121
»Ich sah ihn in London im Excelsior mit Ihnen zusammen«, erklärte Brown freundlich, denn er spürte, daß er dem schwarzen Hünen einen Vertrauensvorschuß geben mußte, bevor er ihn zum Sprechen bringen konnte. »Heute vormittag traf ich ihn zufällig am Strand. Wir unterhielten uns eine Weile, dann ging er zu einer Mrs. Houston. Aus deren Haus ist er nicht wieder herausgekommen. Und das hat mich neugierig gemacht.« »Er ist also doch in die Falle gegangen.« Nimba seufzte. Gleich darauf sprang er auf, murmelte eine Entschuldigung und eilte weg. Brown lief schleunigst hinter ihm her und hielt ihn am Arm fest. »Wohin?« »Zu Lady Houston natürlich.« »Sind Sie wahnsinnig?« fragte Brown scharf. »Wenn Sie dort einfach hineinlaufen, bekommen Sie allenfalls eine Kugel. Mrs. Houston wird nicht viel Umstände mit Ihnen machen, und gegen eine Pistole nützt auch Ihr ganzes Lebensgewicht nichts.« »Aber ich kann Mr. Sun Koh nicht…« »Bleiben Sie endlich stehen!« befahl Brown. »Keine Unbesonnenheiten! Wir müssen einen anderen Weg suchen. Die Hauptsache ist ja schließlich seine Befreiung, falls er festgehalten wird.« »Klar, aber…« »Nichts aber«, unterbrach Brown energisch. »Sie werden mir jetzt erst einmal erzählen, was eigentlich gespielt wird. Ich muß die Hintergründe kennen.« Nimba ließ sich mit an den Rand der Straße ziehen. Brown drückte ihn gewissermaßen an den Stamm einer Palme. Dann stellte er sich neben ihn und stopfte seine Pfeife. »Nun?« Nimba entschloß sich zu sprechen. Der Captain machte einen guten Eindruck auf ihn, und er schien ernsthaft entschlossen zu sein zu helfen. Er brauchte ja nicht alles zu wis122
sen, sondern nur das, was ihn verstehen ließ, warum Sun Koh von Lady Houston festgehalten wurde. »Lady Houston ist verrückt«, murmelte er. »Und auf Mr. Sun Koh ist sie besonders verrückt. Sie stellte ihm schon in London nach. Wir flogen dann nach Yukatan, weil – nun, weil sich Mr. Sun Koh für diese alten Ruinenstädte interessierte. Ein Dr. Peters war mit uns. Wir hatten einen Zusammenstoß mit einem gewissen Juan Garcia, der dort unten eine große Rolle spielt. Dabei wurde Peters schwer verwundet. Mr. Sun Koh wollte ihn nach Mexiko in ein Krankenhaus bringen. Er konnte aber nicht an sein Flugzeug heran. Inzwischen war nämlich Lady Houston mit ihren Leuten ebenfalls in diese Ruinenstadt gekommen. Sie gab den Weg erst frei, als Mr. Sun Koh ihr versprach, sie hier in ihrem Haus zu besuchen. Deshalb kam er hierher, nachdem er Peters nach Mexiko gebracht hatte. Ich selbst war nicht dabei, weil – wegen besonderer Umstände, aber so hat es sich abgespielt. Und nun ist er in die Falle gegangen.« Brown schwieg. Er wußte ganz genau, daß Nimba vieles unterschlug, was vielleicht interessant gewesen wäre, aber seine Andeutungen genügten schon, um die Situation zu klären. Diese Mrs. Houston war sicher eitel und reich genug, um sich einen Liebhaber von diesem Format in den Kopf zu setzen und allerlei Verrücktheiten anzustellen. »Wir werden ihn herausholen«, versprach er ruhig. »So leicht wird es Mrs. Houston denn doch nicht fallen, einen Mann gegen seinen Willen festzuhalten. Kennen Sie zufällig den Mann dort drüben?« Er wies mit einer Kopfbewegung auf einen elegant gekleideten Herrn, der soeben das gegenüberliegende Hotel verließ und sich vom Portier Feuer für seine Zigarette geben ließ. Als Nimba verneinte, fuhr er fort: »Ein verdächtiger Bursche. Er war fast immer in der Nähe, wenn die Bande, hinter der ich her bin, etwas anstellte, aber man konnte ihm nie etwas nachweisen. Ich vermute, daß es eine Art Unterführer ist. Offiziell 123
ein Biedermann, aber möglicherweise die rechte Hand seines Chefs. Ich muß hinter ihm her…« »Aber Mr. Sun Koh…« erinnerte Nimba. »So früh am Tag können wir ohnehin nichts unternehmen. Schnell, winken Sie den Wagen dort heran. Ich möchte nicht auffallen. Vor Mitternacht bin ich auf jeden Fall zurück. Sie warten am besten vor dem Biltmore auf mich.« Nimba winkte das Taxi heran. Brown löste sich vom Baum und stieg ein. Während er dem Fahrer das Fahrtziel nannte, öffnete Nimba den Schlag und stieg ebenfallsein. »Ich fahre lieber gleich mit, wenn es Ihnen nichts ausmacht, Captain«, entschuldigte er sich. »Ich habe ohnehin nichts zu tun, und vielleicht ist es besser, wenn Sie jemanden zur Hand haben.« Brown nickte stumm. Es war vielleicht wirklich besser. Er befand sich augenblicklich noch allein auf der Jagd, und er jagte hinter einem Gegner her, der schnell gefährlich werden konnte. ∗ Sun Koh hatte sich nach der gründlichen Untersuchung seines Gefängnisses auf dem Lager ausgestreckt. Er wartete. Sicher lag es nicht in der Absicht Lady Houstons, ihn hier einfach umkommen zu lassen. Der Betonklotz mußte sorgfältig isoliert sein. Kein Laut drang herein, weder von oben noch aus einer anderen Richtung. Keins von den zahlreichen Geräuschen, die in einem bewohnten Haus unvermeidbar sind, wurde hörbar. Die Stunden vergingen, ohne daß sich etwas ereignete. Erst in den Abendstunden öffnete sich die Tür in der Schmalseite des Raums. Der vierschrötige Butler trat ein und stellte einen Korb auf den Tisch. Sun Koh blieb ruhig liegen. Hinter dem Mann waren nicht weniger als vier andere erschienen. Sie blieben in der Türöff124
nung, richteten aber ihre Waffen auf ihn, und sie sahen nicht aus, als ob das nur zum Zeitvertreib geschehe. Der Butler grinste unverschämt zu ihm hin. »Da ist was zum Essen und Trinken. Viel Vergnügen für heute Nacht. Für alle Fälle: Die Leute hinter mir schießen, sobald Sie eine dumme Bewegung machen, und weiter zurück stehen noch einmal vier für den Fall, daß es Ihnen doch gelingt, uns zu überrumpeln und auf den Gang hinauszukommen. Lady Houston scheint Sie für ein Wundertier zu halten. Machen Sie also lieber keine Faxen.« Sun Koh würdigte ihn keiner Antwort. Der Butler wartete auf eine Bemerkung, gab es dann aber auf und verschwand mit seinem Gefolge. Im Korb befanden sich Lebensmittel aller Art, Wein und Rauchwaren. Sun Koh legte alles wieder zurück. Es wäre Torheit gewesen, in diesem chemischen Zeitalter etwas davon zu genießen. Zwei Stunden später kam Lady Houston selbst. Ihre Schutzgarde blieb draußen vor der angelehnten Tür. Sie lächelte spöttisch und siegessicher, als sie eintrat, aber ihr Lächeln verschwand, als sie die unberührten Lebensmittel entdeckte. »Sie haben nichts gegessen?« fragte sie ärgerlich. »Auch nichts getrunken«, ergänzte Sun Koh trocken. »Enttäuscht?« »Unsinn! Wollen Sie Ihre Freilassung durch einen Hungerstreik erzwingen?« »So optimistisch bin ich nicht. Ich lege jedoch keinen Wert darauf, vergiftet zu werden.« Sie zuckte zusammen und blickte ihn finster an. Es kostete sie einige Mühe, leidlich gleichgültig zu sprechen. »Sie können die Sachen unbedenklich nehmen. Glauben Sie etwa… Starren Sie mich nicht so an. Wollen Sie mich etwa hypnotisieren? Aber selbst das würde Ihnen nichts nützen. Meine Leute sind auf alles eingerichtet. Selbst wenn ich 125
ihnen jetzt befehle, Sie freizulassen, werden Sie doch nicht herauskommen.« Sun Koh zeigte sich unbeeindruckt. »Sie sprechen in Rätseln, Lady Houston. Wenn ich diesen Raum verlassen möchte, werde ich es trotz Ihrer Leute tun. Aber vorläufig denke ich nicht daran. Der Raum ist sehr still, und das ist ein unschätzbarer Vorzug in unserer lauten Zeit, falls man schlafen will. Und ich hoffe, heute nacht einmal gründlich auszuschlafen.« Seine Worte zerstörten ihre Beherrschung. Jetzt funkelte sie vor Wut. »Schlafen wollen Sie? Sie werden dazu noch mehr Gelegenheit bekommen, als Sie ahnen. Hoffentlich weckt Sie der Hunger nicht auf.« »Keine Sorge«, sagte Sun Koh, während er sich bequem zurücklehnte. »Ich halte es schon eine Weile aus.« »Wie großmäulig Sie sind!« höhnte sie. »Wir wollen uns in einigen Tagen wieder darüber unterhalten, Sie – Sie…« Sie wechselte plötzlich ihre Taktik. Ihre Stimme wurde einschmeichelnd, beschwörend. »Seien Sie doch vernünftig, Sun. Wozu wollen Sie sich erst Entbehrungen auferlegen. Eines Tages werden Sie ja doch wieder essen und trinken müssen. Ist es so schwer, mir Liebe zu schenken? Ich bin doch nicht häßlich. Ich bin eine einsame Frau, Sun – einsam und verlassen trotz allem Glanz. Mein Herz sehnt sich nach Liebe. Ist das ein Verbrechen?« Sun Koh schwieg. Er blickte zur Decke. Lady Houston warf ihm einen wütenden Blick zu, zwang sich aber noch einmal. »Ist es denn unter Ihrer Würde, mein Mann zu werden? Ich heirate Sie. Schlagen Sie ein, und wir können morgen getraut werden.« Sun Koh antwortete ruhig: »Sie zu heiraten, hieße freiwillig ein unerträgliches Leben auf sich zu nehmen.« »Sie – Sie…« fauchte sie. »Sie wollen nicht? Gut, dann 126
werden Sie müssen. Sie werden es schon noch lernen.« »Ihr Geschwätz wird widerlich«, sagte er. Sie murmelte etwas wie einen Fluch und eilte hinaus. Wieder vergingen Stunden. Sun Koh schlief tief und traumlos, als wäre er von keiner Gefahr bedroht. Doch dann verriet ein feines Geräusch, daß die Tür wieder geöffnet wurde. Sun Koh kam sofort aus dem festen Schlaf heraus und war hellwach. Ein Blick auf die Uhr zeigte ihm, daß es kurz nach Mitternacht war. Er richtete sich auf. Lady Houston trat zum zweitenmal ein. Sie war nicht allein. An ihrer Seite war Juan Garcia. Er sah noch etwas mitgenommen aus, aber sein fahles Gesicht mit den stechenden Augen war um nichts angenehmer als sonst. Ein sauberes Pärchen. »Nun, mein Lieber«, sagte Lady Houston hämisch zu ihrem Begleiter. »Da ist er. Stimmt es, was ich Ihnen sagte?« »Ausgezeichnet!« krächzte Garcia. »Er ist es wirklich. Ein Beweis, daß Frauen doch immer klüger sind als wir Männer. Ich hatte nicht gehofft, den Burschen hier so sicher verwahrt zu finden. Das paßt mir ausgezeichnet.« Er zog eine Pistole aus der Rocktasche und schlug sie an, aber da trat Lady Houston hastig zwischen ihn und Sun Koh. »Lassen Sie das!« befahl sie scharf. »Weg mit der Waffe, wenn Ihnen Ihr Leben lieb ist. Er wurde bisher nicht untersucht und hat sicher eine Waffe zur Hand. Und er schießt schneller als Sie.« »Schade!« sagte Sun Koh. Garcia fuhr erschrocken zurück. »Das wußte ich nicht. Warum haben Sie ihn nicht einfach von der Tür her erledigen lassen?« »Weil er am Leben bleiben soll, bis ich meinen Zweck erreicht habe. Bis dahin halten Sie sich gefälligst zurück. Später können Sie ihn immer noch haben.« Garcia schielte verdrossen. »Es ist ein Fehler, Lady Houston. Solche Burschen muß 127
man umbringen, wie man sie erwischt. Aber schön, wie Sie wünschen. Hoffentlich überlassen Sie ihn mir bald. Ich habe noch eine Rechnung mit ihm zu begleichen.« Lady Houston zuckte mit den Schultern und wandte sich an Sun Koh, der seine Haltung nicht verändert hatte. »Nun, mein Lieber, verschmähen Sie es immer noch, im meinem Haus zu essen und zu trinken?« Sun Koh fixierte sie und erwiderte spöttisch: »Sie haben wirklich Pech. Immer, wenn ich mich gerade zum Essen entschlossen habe, erscheinen Sie – und dann ist mir natürlich der Appetit vergangen.« Sie wurde bleich vor Zorn. »Sie werden bald gelernt haben, in meiner Gegenwart zu essen.« »Geben Sie ihm doch eine Spritze«, schlug Garcia vor. »Warum tun Sie das nicht?« fragte Sun Koh. »Warum halten Sie sich so dicht an der Tür? Unangenehme Erinnerungen? Schade, daß ich meine Gelegenheit nicht ausgenutzt habe.« »Sie werden mir das noch bezahlen«, drohte Garcia gereizt. »Hätte ich Sie nur gleich in London erledigt. Aber ich bekomme Sie schon noch in meine Hände.« »Verpaßte Gelegenheiten kommen selten wieder«, gab Sun Koh kalt zurück. »Hat sich übrigens Ihr Gedächtnis gebessert?« Juan Garcia stutzte und blickte mißtrauisch. »Ach, Sie meinen wegen der Zahlen auf dem Pergament? Sie scheinen mich für dumm zu halten. Ich habe mir schon zusammengereimt, warum Sie so plötzlich nach Yukatan flogen und sich in der Mayastadt niederließen. War wohl eine Enttäuschung für Sie, daß ich das Gold und die Steine bereits vom Brunnenrand weggeholt hatte?« Sun Koh lächelte schwach. »Es war keine Enttäuschung, Garcia. Erstens gab jene Ortsbestimmung einen ganz anderen Ort an, und zweitens haben Sie einige hundert Milliarden liegen gelassen.« 128
»Halten Sie einen anderen zum Narren. Im übrigen gehört das gesamte Gebiet dort mir.« »Ihr Bruder beansprucht es als sein Eigentum.« »Haben Sie ihn denn kennengelernt?« fragte Juan Garcia überrascht. »Ich hatte die Ehre.« »Es war auch eine Ehre«, sagte Garcia grinsend. »Der gute Manuel läßt sich sonst von niemandem sehen. Sogar von meinen Besuchen will er nichts mehr wissen.« »Ein Zeichen, daß er noch über einen Rest von gutem Geschmack verfügt.« Lady Houston lachte belustigt auf. »Geben Sie es auf, Garcia. Sie ziehen ja doch den Kürzeren.« Juan Garcia warf ihr einen stechenden Blick zu, unter dem sie sofort verstummte. In seiner Stimme lag eine klare Drohung. »Weiberquatsch! Sie sollten sich hüten, Ihren Neigungen allzusehr nachzugehen. Der Kerl hat Ihnen den Kopf verdreht. Aber er gehört mir, und ich werde für alle Fälle Ihr Haus von meinen Leuten bewachen lassen.« »Tun Sie es«, riet Sun Koh mit einigem Nachdruck, »aber verschwinden Sie. Ich möchte schlafen.« Garcia verzerrte das Gesicht zu einer Fratze. »Sieh da, der Herr befiehlt! Sie sehen sich wohl schon als König von Atlantis. Ich werde mir den Spaß machen und Sie ins Wasser werfen lassen, dann können Sie König spielen, wenn das Land einmal hochkommt. Vielleicht sehe ich Sie dann wieder.« »Hoffen Sie es nicht«, gab Sun Koh kalt zurück. »Schufte, Verbrecher und Mörder wurden einst auf Atlantis zu Tode gepeitscht.« »Wovon sprechen Sie?« Lady Houston war aufmerksam geworden. »Nichts von Belang«, erwiderte Garcia mürrisch. »Es gibt 129
ein altes Dokument, in dem prophezeit wird, daß der einst im Atlantik versunkene Erdteil Atlantis wieder aufsteigen und dieser Bursche sein König werden wird. Das hat ihn größenwahnsinnig gemacht.« »Existiert ein derartiges Dokument wirklich, oder ist das ein albernes Geschwätz?« »Geschwätz.« »Trotzdem boten Sie viel Geld für eine einzige Zahlenangabe aus diesem Dokument, nicht?« erinnerte Sun Koh. »Ein Mißverständnis«, sagte Garcia. »Jetzt habe ich Ihnen jedenfalls nur noch eine Kugel zu bieten, wenn Sie hier überflüssig werden.« »Halten Sie sich aber lieber außer Reichweite.« »Sicher. Ich werde mich lieber um Miß Martini kümmern.« Sun Koh spannte sich. »Es ist Ihnen schon einmal nicht gut bekommen, den Namen von Miß Martini in Ihren Mund zu nehmen. Seien Sie vorsichtig.« Juan Garcia grinste. »Ach nein! Es paßt Ihnen wohl nicht, wenn ich mich um Miß Martini…« Der Rest ging in einem dumpfen Aufgurgeln unter. Sobald er den Namen wieder aussprach, schnellte Sun Koh aus dem Sitz auf den Mexikaner zu, obgleich dieser einige Meter von ihm entfernt bei der Tür stand. Er flog unter der Kraft seiner Arme mit den Füßen voran gegen Garcia, und seine Füße rammten wuchtig in den Leib Garcias hinein. Das ging so schnell, daß der Mexikaner nicht mehr zum Ausweichen kam. Er flog rückwärts gegen die Tür und brach zusammen. Lady Houston stieß einen gellenden Schrei aus. In der auffliegenden Tür wurden vier Wächter sichtbar, die ihre Pistolen schußbereit vorstreckten und nur noch nicht zu schießen wagten, weil Lady Houston in der Schußlinie stand. Sun Koh erhob sich, ohne sich um die auf ihn gerichteten Waffen zu kümmern. Er wandte ihnen den Rücken zu, stellte 130
sich vor Lady Houston und sagte verächtlich: »Wenn Ihr Kumpan wieder zur Besinnung kommt, so sagen Sie ihm, daß er das nächstemal an dem Namen der jungen Dame ersticken wird. Und sagen Sie ihm noch: Wenn es ihm jemals gelingen sollte, Miß Martini in seine Gewalt zu bekommen, so wird er die Sehnsucht nach dem Tod kennenlernen.« Dann ging er wieder zu seinem Lager und streckte sich aus. Lady Houston folgte ihm mit einem starren, noch entsetzten Blick, doch allmählich flammte in ihren Augen immer stärker rasende Eifersucht auf. »Sie lieben das Mädchen?« fragte sie endlich fast tonlos. »Ich möchte mich auch mit Ihnen nicht über Miß Martini unterhalten«, sagte Sun Koh schroff. Das genügte ihr. Mit einer Stimme, die vor Erregung zitterte, fauchte sie: »Also doch! Sie wird es mir büßen!« Sun Koh fixierte sie drohend. Unter seinem Blick begann sie zu frösteln. Eine Bewegung ihrer Leute an der Tür, die Juan Garcia hinauszogen, löste sie aus ihrem Bann. Sie warf den Kopf zurück und eilte hinaus. Die Tür im Beton schloß sich wieder.
8. Al Brown betrat kurz nach dem Unbekannten mit dem schwammigen Gesicht die Florida-Bar. Alberto Perez, wie Brown den Unbekannten nannte, nahm in einer der kleinen Logen Platz, seine beiden Verfolger dicht nebenan. Der Kellner kam und ging, und dann ereignete sich fünf Minuten lang nichts. Brown hielt die kleine Wanze an das dünne Holz gepreßt, fing aber weiter nichts ein als gelegentlich Bewegungen des anderen. Endlich trat drüben ein zweiter Mann ein. Ein kurzes, rasches Gespräch folgte, das in kaum gedämpftem Ton geführt wurde. Kurze, unwesentliche Worte der Begrüßung, dann: 131
»Hier sind die Anweisungen. Fünf Minuten vor elf singt Gioletti. Punkt elf gebe ich das Zeichen. Die Leute der Lady sind eingeweiht. Trotzdem auf die Sekunde arbeiten. Du gehst gleich wieder!« »Bin schon dabei. Gute Nacht.« Schritte, dann Stille. Nimba blickte hinaus, ein Unbekannter zeigte ihm den Rücken. Zwei Minuten später verließ Perez das Lokal, seine Verfolger auf den Fersen. Er schien keine Beobachtung zu fürchten und fuhr direkt zum Pennsylvania. Dort legte er sich seelenruhig schlafen, wie Brown hinterher unter einigen Schwierigkeiten feststellte. Brown wußte nicht, ob er enttäuscht oder erfreut sein sollte. Er dachte rasch und sicher, und einige Telefonanrufe bestärkten ihn in seinen Annahmen. Die wenigen aufgefangenen Worte hatten ihm allerlei gesagt, so harmlos sie für den Außenstehenden auch klingen mußten. Gioletti war ein beliebter italienischer Tenor, der sich zur Zeit in Palm Beach aufhielt. Ladys gab es hier eine ganze Masse, aber nur eine, die für einen der nächsten Tage den Sänger verpflichtet hatte. Das war Lady Houston. Der Tenor sollte am kommenden Abend singen, und zwar gegen elf Uhr. Das genügte Brown. Irgendeine Teufelei war im Gange, und es verwunderte ihn nicht besonders, daß die Leute der Lady, beziehungsweise sie selbst ihre Hände mit im Spiel haben sollte. Ärgerlich war nur, daß der Name des Mannes hinter den Kulissen nicht gefallen war. Das gab einen üblen Zwiespalt. Einesteils mußte man die Gäste der Lady vor einem Verbrecher schützen, andernteils verjagte man dadurch wieder den Hauptmacher. Kein Wunder, daß Brown nicht zur Ruhe kam. Trotz der Aussicht, den Gangstern eins auf die Finger geben zu können, war seine Laune nicht rosig. Sie wurde sogar schlecht, als er endlich an den Polizeipräsidenten herangekommen war und dieser seinen Bericht und 132
seinen Verdacht mit einem mehr als zweifelnden Lächeln hinnahm und unlustig meinte: »Aber mein bester Captain, Sie kommen mir schon wieder mit einer derartig unbestimmten Sache, daß ich Sie gar nicht verstehe. Diese Äußerung kann harmlos sein. Ich glaube, Ihr berufliches Mißtrauen ist zu groß. Selbst wenn die angegebenen Worte auf den morgigen Abend bei Lady Houston Bezug haben sollten, so brauchen sie sich doch zum Beispiel nur auf eine nette Überraschung zu beziehen, die etwa die Lady ihren Gästen bereiten will.« »Eine nette Überraschung, in der Tat«, warf der Detektiv bissig ein. Der andere überhörte es absichtlich und meinte begütigend: »Ich werde morgen selbst dort Gast sein und für alle Fälle meine Augen offen halten. Aber ich finde es sonderbar, daß Sie die Dame beschuldigen, in Verbindung mit einer Verbrecherbande zu stehen.« Brown beherrschte sich. »Ich habe Ihnen pflichtgemäß Meldung gemacht und keinen Verdacht geäußert, der nicht in der Sache begründet wäre.« »Na schon, aber damit kann ich nichts anfangen. Bringen Sie stichhaltige Unterlagen!« Da brach Brown los: »Verdammt, sind Sie Polizeipräsident oder Statistiker? Ihre Aufgabe ist es, Verbrechen zu verhüten, nicht, sie hinterher zu verzeichnen. Mit Wenn und Aber fängt man keine Bande!« Der Präsident war aufgesprungen und rief zornrot: »Captain, ich verbitte mir diesen Ton!« Der Detektiv machte eine wegwischende Handbewegung. »Sie können sich verbitten, was Sie wollen. Beschweren Sie sich, wenn Sie wollen. Ich jage hinter der verdammtesten Bande her, die jemals die Welt unsicher gemacht hat, und Sie sperren sich wie eine schüchterne Jungfer, weil Sie Ihrer hochvornehmen Gesellschaft nicht auf die Hühneraugen treten wollen. Machen Sie, was Sie wollen. Aber das sage ich Ihnen: Wenn hier morgen abend der Teufel los ist, erfährt 133
ganz Amerika von unserem Gespräch, und Sie fliegen übermorgen – dafür werde ich sorgen.« Der andere war blaß geworden und stammelte: »Sir, Sie – Sie führen eine Sprache, für die Sie die Verantwortung übernehmen. Warum rufen Sie nicht einfach bei der Lady an und vergewissern sich, ob sie etwa bei ihren Leuten etwas Verdächtiges bemerkt hat?« Brown sah ihn verächtlich an. »Halten Sie mich für verrückt, daß ich die Bande auch noch selbst warne? Der Teufel soll Sie holen, wenn Sie etwas Derartiges unternehmen!« »Gut«, sagte der Polizeichef, »was schlagen Sie vor?« »Belustigen Sie sich bei der Lady und versuchen Sie, sich nichts anmerken zu lassen«, versetzte der Captain scharf. »Das ist das, was ich von Ihnen persönlich verlange. Darüber hinaus stellen Sie mir einen brauchbaren Inspektor und drei Dutzend Leute zur Verfügung.« Der andere hob die Schultern, wagte aber keinen Widerspruch mehr. »Sie sollen die Leute haben. Wahrscheinlich legen Sie Wert darauf, uns gleich im Großen bloßzustellen. Ich werde mittlerweile den Bericht an Ihre Vorgesetzten fertig machen.« »Tun Sie das, dann sieht man in der Zentrale wenigstens, mit was für – na und so weiter. Gute Nacht!« Sprach’s, schritt mit langen Schritten hinaus und knallte die Tür hinter sich zu. ∗ Stunden später schlich er mit Nimba zusammen durch den Park der Villa Houston zu. Die Nacht war verhältnismäßig dunkel, man konnte sich leicht und schnell heranpirschen. Die Kellerfenster waren vergittert. Ein Fenster des Erdgeschosses klirrte nur ganz leicht, als es am Schmiertuch in Stücke ging. Kein Alarmsignal, tiefste Ruhe. Lautlos huschten 134
die Männer hinein, links die Blendlaterne mit dem Nadelkegel, rechts der Browning. Türen und Gänge, Gänge und Türen. Wo in diesem Palast sollte man den Gefangenen suchen? Dort der große Saal, die Halle. Völlige Stille. Nur das leise Atmen der Männer strich durch die Gänge. Alles dunkel. Ein harmloses Privathaus im tiefsten Schlaf. Nichts Verdächtiges. Doch, endlich. Aus dem Parkett schien leises Murmeln heraufzudringen. Steckte er unten im Keller? Lange dauerte es, bis man einen Weg fand. Unverschlossene Türen? Höchst verdächtig. Vorsichtig ertastete das nadelspitze Licht den Weg über zementierten Boden. Nichts, nichts. Wein, Koks, Vorräte, Konserven – sollte man sich doch getäuscht haben? Doch da, ein Lichtstreif, eine schmale Tür, nur angelehnt, dahinter ein matt erhellter Gang. Die Brownings schmiegten sich fester in die Handteller. Stimmen von der Mitte des Ganges her, wo eine eiserne Tür sich von der grauen Wand abhob. Dort schien ein Raum zu liegen, in dem sich Menschen aufhielten. Eine Wache? Der Captain bedeutete dem Neger, sichernd zurückzubleiben. Der verstand, wollte selbst vor, fügte sich dann aber. Behutsam bewegte sich Brown vorwärts. Wenn er einmal an der Tür war, würde das Schlimmste überwunden sein. Man konnte die Leute dann zur Not einschließen. Unangenehm war nur, wenn jetzt gerade einer herauslief. Er hatte Glück, kam unangefochten hinein, lauschte. Drei oder vier Männer mußten es sein. Millimeterweise drehte er den Schlüssel. Wehe, wenn er rieb. So, das genügte, die Falle war zu. Ein Wink, Nimba folgte. Der Gang endete bald. Die Mühe war zwecklos, vielleicht saß der Gefangene jenseits der Wachstube. Sollte man einen schnellen Überfall wagen? Es blieb eine gewagte Sache, da der erste Schuß vielleicht das 135
Haus weckte und man sich dann selbst gefangengesetzt hatte. Trotzdem. Nimba faßte den Arm des Captains, ein Hauch der Überraschung, der Finger zeigte zur gegenüberliegenden Wand. Eine Tür? Sie war grau wie der Beton ringsum, aber die feinen Ritzen waren nun nicht mehr zu übersehen, wenn man einmal aufmerksam geworden war. Eine Tür. Nimba bebte vor Erregung. Er fühlte die Nähe Sun Kohs. »He, was soll denn das?« Ein dumpfer Laut hinter der eisernen Tür. Die Klinke schlug hart auf und nieder. Aha, man hatte wohl gemerkt, daß man eingeschlossen war. Hoffentlich machten die Kerle nicht zuviel Krach – und hoffentlich hatten sie keine Alarmanlage. Kamen da nicht Schritte und Stimmen durch den Keller? Im Nu waren die Männer mit wenigen Schritten wieder vorn an der Mündung des Ganges. Himmel, das fehlte gerade noch! Durch den breiteren Hauptgang kamen vier Männer, kaum fünf, sechs Meter entfernt. Unangenehme Gesichter und sicher keiner ohne Waffe. Ein Verbergen war unmöglich, man war in der Sackgasse und konnte einfach abgeknallt werden. Sekunden zögerten die beiden. Dann hauchte Brown: »Entwaffnen.« Nimba nickte, wie der Captain davon überzeugt, daß die vier schon im ersten Schreck die Hände heben würden, daß man sie fesseln und dann die Untersuchung fortsetzen konnte. Diese Annahme war ein Verhängnis. Sie wußten nicht, daß einer der Männer den Kopf bemerkt hatte, der für einen Sekundenbruchteil im Hauptgang sichtbar geworden war. Ein Wink hatte den anderen genügt, um ihnen die Lage klar zu machen. Sie waren durch eine gute Schule gegangen. Im Nu lagen die Brownings zum Schuß bereit. Brown und Nimba sprangen mit einem Satz vor. »Hände hoch!« Vier Schüsse peitschten auf, aber die Geschosse trafen schlecht, da die Männer mehr auf die Mündung des Ganges 136
gehalten hatten, als in die Mitte. Brown fühlte glühendes Eisen dicht am Kopf vorbeizischen, und Nimba erhielt einen Streifschuß am linken Oberarm. Die beiden Männer reagierten schnell auf die veränderte Lage. Kurz nach den ersten Schüssen knallte vor der zweiten Salve ihre Antwort, und einer der Männer griff sich mit einem Fluch an die Brust. Schon sprang Nimba mitten hinein, feuerte blindlings. Ziellos klatschten einige Kugeln gegen die Wände, dann blieb für die Waffen kein Platz mehr. Körper stand gegen Körper. Aber nicht lange. Drei oder vier wuchtige Schläge des Riesen, ein gut gezielter Haken Browns, und der Kampf war entschieden. Die vier Mann lagen am Boden. Und doch hatten die Sieger verloren. Dumpfe Geräusche kamen von oben her. Man hatte den Kampflärm gehört, das Haus war alarmiert. Da war nichts mehr zu machen. Mit schnellen Sätzen ging es hinauf. Noch war der Ausgang frei. Minuten später konnte man wie Ratten in der Falle sitzen. Oben prallten die beiden Männer mit zwei anderen zusammen, als sie um die Ecke bogen. Die Waffen kamen nicht mehr in Tätigkeit. Nimbas geübtes Boxerauge meisterte die Überraschung am schnellsten. Seine Faust hieb zu. Eine Minute später eilten sie durch den Park. Hinter ihnen tobte eine entfesselte Hölle. ∗ Party bei Lady Houston. Rund hundert Personen hatte die Engländerin geladen. Jeder einzelne Gast war, abgesehen von wenigen Ausnahmen, nicht unter zehn Millionen schwer. Alberto Perez schätzte mit stillem Vergnügen, daß hier Dutzende von Millionen darauf warteten, abgeholt zu werden. Zehn Minuten vor elf. Hinter die Bäume rechts und links von der Auffahrt stellten sich schweigende Männer, preßten sich dicht an und blinzel137
ten in das grelle Licht der Lampen am Portal. Ihre Hände umspannten die Dienstpistole. Ganz vorn hockten hinter einem Gebüsch Brown und Nimba. Der Captain war etwas unruhig. »Hoffentlich haben sich die Leute nicht abschrecken lassen. Ich wäre schön hereingefallen. Noch zehn Minuten. Wir müssen sie natürlich erst an die Arbeit lassen, aber dann werden wir ihnen die Suppe versalzen.« Nimba flüsterte zurück: »Ich werde mich um das Haus herumschleichen und eindringen. Vielleicht kann ich jetzt Sun Koh befreien. Man hat heute sicher weiter keine Wachen gestellt. Die Leute werden ja hier oben gebraucht.« »Lieber wäre es mir schon, Sie warteten noch«, sagte Brown. »Wir werden ja dem Weib nichts nachweisen können, aber ich wollte nachher, gewissermaßen in der Hitze des Gefechts, gleich noch eine gründliche Hausdurchsuchung vornehmen lassen, ob sie nun zetert oder nicht.« »Sie vergessen, daß der Polizeipräsident selbst im Haus ist«, erinnerte Nimba. »Und nach dem, was Sie mir sagten, ist es immerhin möglich, daß er seine Leute zurückpfeift.« »Richtig«, gab der Captain ärgerlich zu. »Also gehen Sie schon, aber größte Vorsicht!« Nimba verschwand geräuschlos. Fünf Minuten vor elf Uhr. Die Gäste gruppierten sich um das Podium, das die Dame des Hauses mit einem beleibten Herrn betrat. Lady Houston bat um Aufmerksamkeit für den berühmtesten Tenor der Welt. Nach einem letzten Aufraunen wurde es still. Gioletti räusperte sich ausgiebig, tauschte mit einem Pianisten einige höchst unbedeutende Bemerkungen aus, brachte seine kurzbeinige Gestalt in eine Haltung, die er vor seinem Spiegel als besonders eindrucksvoll empfunden hatte, und begann zu singen. Elf Uhr. Eine Hand zog ein weißes Tuch und wischte sich von einer fahlen Stirn Schweißtropfen, die nicht vorhanden waren. 138
Acht Herren im Smoking traten einige Schritte zurück. Sie hatten geschickt verteilt am Rand der Zuhörerschar gestanden und bildeten nun einen weitmaschigen Halbkreis um ihre Opfer. »Hände hoch, Ladys und Gentlemen! Wer eine verdächtige Bewegung macht, wird erschossen!« Höflich, aber eiskalt drang die Stimme durch den Saal. Der berühmte Sänger brach jäh ab, die Gäste fuhren ungläubig herum. Sie blickten in drohende Revolvermündungen und in dunkle Masken. Hysterische Schreie gellten auf, die Außenstehenden warfen die Arme nach oben, in der Mitte des Haufens zögerte man. Ein Schuß peitschte, dann noch einer. Schmerzhaftes Aufbrüllen folgte. Sämtliche Hände angelten nach der Decke. »Wir beabsichtigen nicht, Ihnen Schaden zuzufügen«, erklärte der Sprecher, »wir müssen Sie aber bitten, sich unseren Anordnungen widerspruchslos zu fügen. Ferner darf ich Sie wohl zur Beschleunigung bitten, sämtliche Schmuckstücke, Geld und sonstige Wertsachen bereitzuhalten.« Die acht Männer trieben den Haufen zu einem spitzen Keil zusammen. Wie von selbst drängten sich die Vordersten in das schmale Ende hinein. Dort standen zwei Männer gegenüber. Statt der Waffen hielten sie jetzt Säckchen in den Händen. »Bitte, wollen Sie hintereinander zur anderen Saalhälfte gehen, aber ohne zu drängen«, ordnete der Sprecher an. Einer nach dem andern ging durch die schmale Sperre und lieferte seine Habe ab, unwillig, zögernd und doch erleichtert, daß es nicht ans Leben gehen sollte. Diademe, Ringe, Ketten, Ohrgehänge, Armbänder, Brieftaschen und Geldbörsen wanderten in die Säckchen, die sich im Nu füllten und ebenso schnell wieder durch neue ersetzt wurden. Nach fünf Minuten hatte sich die eine Saalhälfte geleert, die Gäste drängten sich wie gejagte Hammel auf der anderen Seite zusammen und blickten finster oder ängstlich auf die 139
dreiste Bande. Die maskierten Männer wurden jedoch nicht im geringsten davon berührt. Auf einen kurzen Zuruf bemächtigten sie sich der Säckchen und zogen sich zur Saaltür zurück. Flüchtig wunderte sich der eine oder andere der Ausgeplünderten, warum das Personal der Lady eigentlich nichts von sich hatte sehen lassen. Und ebenso flüchtig stellte man fest, daß die Lady selbst nicht im Saal war, nachdem sie den Sänger vorgestellt hatte. Die Bande verließ ruhig den Saal. Nur einer hielt noch bis zuletzt die Waffe auf die Schar gerichtet. Er sagte drohend: »Ich empfehle Ihnen dringend, erst mal bis fünfzig zu zählen, bevor Sie sich von der Stelle rühren. Lassen Sie sich vorher draußen sehen, bekommen Sie eine Kugel!« Damit verschwand auch er. Der Saal blieb in lähmendem Schweigen zurück. Man sah, wie sich einige Lippen zählend bewegten. Doch es gab auch mutige Männer unter den Gästen. Sie rafften sich bereits nach Sekunden zusammen, begannen zu fluchen und lösten damit die Erregung der Masse aus. Menschen stürzten zur Tür, riefen, schrien, gellten und weinten – und erstarrten wieder. Draußen bellten Schüsse, einzelne, dann ganze Salven. Pfiffe und Rufe, heulendes Aufdonnern von Motoren und wieder Schüsse. Al Brown konnte ein Gefühl des Triumphes nicht unterdrücken, als es drinnen mit einem Schlag totenstill wurde und dann der Knall der zwei Schüsse matt herausdrang. Er hatte sich also doch nicht getäuscht. Leise Kommandos raunten über den Vorplatz, die Kette zog sich dichter zusammen. Minuten vergingen. Jetzt wurden wohl drinnen die Schätze eingeheimst. Auf der Straße näherte sich Autogeräusch. Zwei starke Wagen bogen gemächlich in die Auffahrt ein. Dann flog das Portal auf. Acht Männer stürzten heraus, in der linken Hand die schweren Säckchen, in der rechten die Pistole. 140
»Hände hoch, Polizei! Ihr seid umstellt…« Brown schrie es der Bande entgegen, während er und gleichzeitig seine Leute hervortraten. Ein achtstimmiger Fluch antwortete, zugleich fielen acht Schüsse. Polizisten schossen verbissen, aber die Gangster blieben ihnen nichts schuldig. Ein wahrer Hagel von Kugeln fegte über die Auffahrt, surrte durch Bäume und Sträucher, schrillte gegen die Steinfassade, schlug dumpf in Fleisch und Knochen. Und dann jagten die beiden Wagen davon, rutschten auf zwei Rädern um die Kurve und verschwanden in der Nacht. Wutschreie brüllten hinter ihnen her. Nur Brown lächelte unmerklich und lauschte. Da – jetzt! Kreischen, Krachen, Splittern kam aus der Entfernung. Nur Brown wußte, was es bedeutete. Er hatte von vornherein damit gerechnet, daß es wenigstens einem Teil der Gangster gelingen würde, sich mit schnellen Wagen durchzuschlagen. Deshalb hatte er heimlich zwei Gruppen von je vier Mann postiert. Sie lauerten hundert Meter entfernt neben der Autostraße. Und als bei der Villa die Schüsse knallten, als Scheinwerfer aufflammten und sich in die rettende Ferne hineinfressen wollten, da traten sie in Aktion. Schwere Lastwagen rollten quer über die Straße und sperrten sie – früh genug, um die Fahrer abspringen zu lassen, aber zu spät für die Gangster, um noch ihre Wagen zum Halten zu bringen. In Sekunden bildeten die Fahrzeuge ein wirres Chaos von zersplittertem Holz, verbogenem Metall und verkrampften Menschenleibern. Die drei Verbrecher, die noch lebend herausgeschleudert wurden, waren im Nu gefesselt. Brown hoffte später von ihnen den Namen ihres Anführers zu erfahren. Daß sie ihn nicht wußten, war seine größte Enttäuschung in dieser Sache. Während er noch auf die ferne Katastrophe lauschte, 141
strömten die ersten Gäste heraus, starrten scheu entsetzt auf die Leiche des Verbrechers, die vor der Tür lag. Bevor Brown noch beruhigende Worte sprechen konnte, hatte sich der Polizeipräsident vorgedrängt und ließ sich kurz von dem FBI-Captain berichten. Dann wandte er sich an die verstörten Gäste und erklärte ebenso dreist überlegen wie weltmännisch höflich: »Ladys und Gentlemen, die Gang ist vollständig in unserer Hand. Sie werden Ihre sämtlichen Wertsachen zurückerhalten. Ich sah nämlich einen derartigen Überfall voraus und traf, wie Sie sehen, geeignete Maßnahmen, um den dreisten Gangstern das Handwerk zu legen.« Anerkennendes, bewunderndes Murmeln belohnte seine Worte. Brown war einen Augenblick sprachlos, aber dann zuckte er mit den Schultern. Es war ja nebensächlich, wer hier die Lorbeeren erntete. Wichtiger waren andere Dinge. Er zog den Polizeichef etwas abseits. »Ich werde jetzt mit den Leuten in das Haus eindringen und die Lady samt Personal festnehmen. Vielleicht ist es gut, wenn Sie die Herrschaften von der Notwendigkeit verständigen und sie bitten, sich etwas zu entfernen. Es könnte noch zu einer Schießerei kommen.« »Sind Sie verrückt?« fuhr ihn der andere an. »Was hat Lady Houston mit der Sache zu tun?« »Ich bin nicht bereit, mich jetzt mit Ihnen darüber zu unterhalten«, erwiderte Brown eisig. »Und ich verbiete Ihnen, in das Haus einzudringen. Die Leute stehen unter meinem Befehl…« Der Captain ließ ihn einfach stehen. Mit diesem Beamten war nichts anzufangen. Voller Grimm schlenderte Brown nach der Rückseite des Hauses. ∗ Sun Koh war fast vierundzwanzig Stunden allein geblieben. 142
Weder ein Wächter noch die Lady hatte sich sehen lassen. Man wollte ihn erst mürbe werden lassen. Aber der Eßkorb stand noch unberührt auf dem Tisch. Elf Uhr nachts. Ganz plötzlich öffnete sich die Decke des Gefängnisses, der Fußboden im Zimmer der Lady, durch den er herabgestürzt war. Das Gesicht der Lady beugte sich über den Rand der Öffnung. »Nun, mein Lieber«, fragte sie mit einem Spott, hinter dem sich leidenschaftliche Ungeduld verbarg, »immer noch im Hungerstreik?« Sun Koh erhob sich langsam von seinem Lager. Die offene Decke befand sich nur vier Meter über ihm. War hier die ersehnte Aussicht? »Sie sind von einer rührenden Fürsorge«, antwortete er. »Wie geht es Ihrem Kumpan?« Die Lady lachte gefühllos. »Oh, der erholt sich noch. Seine Geschäfte leiden ja nicht darunter. Haben Sie sich noch immer nicht eines Besseren besonnen?« Sun Koh wußte, was er wissen wollte. Die Lady war offensichtlich allein. Deswegen waren seine nächsten Worte auch fast heiter. »Ihre Zuversicht ist bewundernswürdig, Gnädigste. Wenn Sie es nicht gerade wären, würde ich mich möglicherweise von soviel Liebe rühren lassen.« Voller Gehässigkeit beantwortete sie die Beleidigung. »Wenn ich Joan Martini hieße, würden Sie sich mir schnell an den Hals werfen.« »Kann auch so geschehen…« Eine blitzschnelle Kniebeuge, dann schoß Sun Koh fast senkrecht nach oben. Ganz flüchtig nur berührten seine Finger die Kante des Parketts, dann stand er oben, dicht neben der völlig überraschten Lady. Bevor sie noch einen Schrei ausstoßen konnte, umschlang er sie mit dem einen Arm und hielt ihr 143
mit der freien Hand den Mund zu. Kurz darauf lag sie auf ihrem Ruhebett und würgte an dem Tuch, das ihr Sun Koh als Knebel in den Mund gesteckt hatte. Sie wollte strampeln, aber Sun Koh hielt sie eisern fest zwischen seinen Knien, während er die Diwandecke in lange Streifen riß und ihr damit Hände und Füße band. Die Fesselung war nicht viel wert, aber immerhin würde sie für einige Zeit ausreichen. »Sehen Sie, Gnädigste«, sagte er mit leisem Spott, als er fertig war, »nun geht es Ihnen wie der törichten Jungfrau im Märchen. Ihr Wunsch ist erfüllt, und Sie möchten, daß Sie ihn nicht ausgesprochen hätten.« Ihre Augen blitzten ihn haßerfüllt an. Vor dem Haus knallten Schüsse, wilder Lärm hallte herein. Sun Koh stutzte, wollte eine Frage stellen, aber dann verzichtete er. Die Zeit war kostbar. Er verließ den Raum, huschte durch den erleuchteten Gang, die Treppe hinunter. In der Halle wirrten Menschen und Stimmen. Freund oder Feind? Auf jeden Fall war es besser, sich nicht sehen zu lassen. Sun Koh eilte durch den Quergang. Dort war ein Fenster als Abschluß. Er öffnete es. Zwei Meter unter ihm lag der weiche Boden des Parks. Ein kleiner Sprung, die Füße federten auf. »Hände hoch!« Die Situation hätte verzweifelt werden können, wenn der Rufer mit der Waffe so schnell gewesen wäre wie mit dem Mund, und Sun Koh weniger entschlossen. Aber die Hand war noch halb in der Tasche, als der Ruf erklang. Ein kurzer, streifender Schlag, die Waffe flog davon. Sun Koh wirbelte weiter herum, um im nächsten Augenblick einen schweren Schlag zu landen, da verhielt er. »Sie?« »Sie?« kam es ebenso erstaunt zurück. Sun Koh und Al Brown schüttelten sich erfreut die Hände. »Ich wollte gerade versuchen, hier einzudringen, um Sie 144
herauszuholen«, sagte der Captain. Sun Koh berichtete kurz von seinen Erlebnissen. »Ich habe mir gleich gedacht, daß die Lady gefährlich ist«, meinte Brown, nachdem er alles gehört hatte. »Aber die Geschichte wird ihr übel bekommen. Wenn es ihr leider auch nicht an den Kragen geht, so reichen doch Freiheitsberaubung und Nötigung für einige Monate. Sie müssen Ihre Geschichte dem Polizeichef erzählen, dann muß er wohl oder übel seine Samthandschuhe ausziehen.« Sie gingen wieder zur Auffahrt, an der noch immer beträchtliches Leben herrschte. Ein großer Teil der Gäste war bereits aufgebrochen, der Rest stand in Gruppen und stieg nach und nach in die vorfahrenden Wagen. Der Polizeichef war ebenfalls noch anwesend und nahm Glückwünsche entgegen, eine Beschäftigung, zu der er sich zweifellos vorzüglich eignete. Er sah nicht übermäßig erfreut aus, als Brown ihn am Ärmel zupfte. »Was ist?« Der Captain wies auf seinen Begleiter. »Dies ist der Mann, von dem ich Ihnen gestern berichtete. Er ist von Lady Houston in diesem Haus gegen seinen Willen gefangen gehalten worden. Bitte, hören Sie ihn selbst.« Sun Koh stellte sich kurz vor und teilte dann in knappen Zügen, ohne auf die Zusammenhänge einzugehen, die Ereignisse der letzten Tage mit. »Sie sehen«, nahm ihm der Detektiv das Wort wieder ab, »daß die Lady doch nicht ganz so harmlos ist, wie Sie anzunehmen beliebten. Wollen Sie jetzt Ihren Leuten den Befehl zur Hausdurchsuchung und zur Verhaftung geben?« Der Polizeichef war sichtlich befangen. »Hm – eine Verhaftung kommt natürlich keineswegs in Frage, dazu ist das Vergehen doch wohl nicht erheblich genug. Und da der Herr nun frei ist, hat wohl eine Durchsuchung des Hauses keinen Zweck mehr.« 145
Brown entgegnete gereizt: »Das ist unerhört! Ich werde an geeigneter Stelle über Sie berichten. Sie haben unbedingt die Beweismittel sicherzustellen und in Augenschein zu nehmen, zum Beispiel das Gefängnis unter dem Zimmer der Lady. Was wissen Sie denn, ob Mr. Sun Koh das erste und letzte Opfer dieses Weibes ist? Und außerdem…« Er unterbrach sich und fuhr zu Sun Koh gewandt fort: »Nimba hätte ich bald vergessen. Er muß doch noch im Haus sein, hat sich bei mir noch nicht zurückgemeldet. Hoffentlich haben sie ihn nicht erwischt.« »Nimba ist hier?« fragte Sun Koh ungläubig. Der Captain nickte lebhaft. »Gewiß, er ist schon lange hinter Ihnen her, konnte Sie aber in Mexiko nicht mehr erreichen. Ah, da kommt er ja!« Nimba begrüßte Sun Koh freudestrahlend, berichtete ihm jedoch erst später, als er ihm im Hotel gegenüber saß. Sun Koh sann lange nachdenklich. Dann schloß er halblaut ab: »Manuel Garcia will also die Vereinbarung halten und die Sonnenstadt abtreten, soweit ich sie kenne. Aber er warnt vor seinem Bruder und dessen Gang. Was sagte er von seinen Japanern?« Nimba hob die Schultern. »Sie wissen ja, man kann nie sagen, wie man bei ihm dran ist. Jedenfalls hat er gegrinst wie ein Faun und hat wörtlich gemeint: ,Wenn sich Sun Koh einbildet, daß ich ihm meine schöne Wohnung räume und ihm dazu auch noch die Bewachung stelle, hat er sich gründlich geschnitten. Er mag sich seine Gehilfen selber suchen – beispielsweise in Deutschland.’ Das hat er wörtlich gesagt. War es eine Frechheit?« Sun Koh lächelte noch immer nachdenklich. »Im Gegenteil. Wir fahren bald.« »Wohin?« »Gehilfen suchen. Aber zuvor wollen wir noch einmal zurück nach Mexiko und nach Yukatan.«
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∗ Einen Tag später saß Sun Koh wieder am Bett seines verwundeten Freundes. Dr. Peters erfuhr erst jetzt von dem wahren Zweck der Reise und war nachträglich darüber tief bestürzt. »Hätte sich das nicht vermeiden lassen?« fragte er leise. »Es ist zwar alles gut ausgegangen, aber…« Sun Koh erwiderte ruhig: »Die Auseinandersetzung mit Lady Houston wäre nicht ausgeblieben, so wenig wie die mit den beiden Garcias. Sie mußten wohl alle drei erst begreifen, daß ich meinen Weg ohne sie zu gehen wünsche und selbst gegen sie gehen werde. Jetzt sind sie alle drei mehr oder weniger mißvergnügt zurückgewichen. Weder die Lady noch Juan Garcia werden es so leicht wagen, wieder in der Sonnenstadt aufzutauchen. Und Manuel Garcia räumt höchst freiwillig den Platz.« »Er gibt wirklich auf?« »Er überläßt uns alles, was wir bereits kennengelernt haben. Das bedeutet aber, daß uns unter den Ruinen der Sonnenstadt eine ganze Flucht fester, gut eingerichteter Räume mit Licht, Kraftwerk, Wasserstraßen und allem möglichen Zubehör zur Verfügung steht.« »Wozu?« Sun Koh lächelte. »Nun, es ließen sich dort zum Beispiel Arbeits- und Versuchsräume für einen gewissen Dr. Peters einrichten.« Peters stützte sich etwas hoch. »Das – das wäre nicht übel. Das wäre sogar wundervoll und hätte zahllose Vorteile.« Sun Koh nickte. »Ja, das wäre nicht schlecht. Du erzähltest mir einmal von deinen Freunden in Deutschland. Wie viele sind es?« »Nun – wir waren eine ganze Clique, die auf Gedeih und Verderb zusammenhielt. Aber…« Sun Koh ließ ihn nicht aussprechen. »Also Wissenschaftler, nicht wahr?« 147
»Angehende, aber solche, von denen einst die Welt sprechen wird. Es waren erstaunliche Köpfe darunter. Aber…« »Gute Freunde?« »Und ob«, entgegnete Peters. »Prachtvolle Burschen.« »Wird man sie dazu bringen können, nach Yukatan überzusiedeln?« »Einige wohl, vielleicht sogar alle, soweit sie nicht durch Familienverhältnisse oder übernommene Pflichten gebunden sind. Du bist dank des gefundenen Schatzes außergewöhnlich reich. Wenn du ihnen ein dankbares Arbeitsgebiet gibst und dich auf mich berufst, werden sie wohl kommen. Vor allem aber wirst du mit ihnen selbst sprechen müssen. Es sind nämlich alles Menschen, die ein Ideal und einen Schuß Begeisterung höher werten als Bezahlung. Aber – willst du mir nicht sagen, was du planst?« Sun Koh sah sinnend vor sich hin. »Atlantis«, sagte er leise. »Ich ahne, welche großen Pläne dich bewegen«, sagte Peters mit leuchtenden Augen. »Auf mich kannst du rechnen. Ich glaube, meine Freunde werden dir begeistert folgen.« Sun Koh hob den Kopf. »Du bist bereit, zur Sonnenstadt zu gehen?« »Natürlich!« »Du sollst dort frei nach deinen Wünschen und wissenschaftlichen Neigungen leben können. Ich stelle dir alle Mittel zur Verfügung. Das gleiche gilt für deine Freunde. Jeder soll sich auf seinem ureigensten Spezialgebiet entfalten können. Atlantis ist nicht mehr als ein Rahmen, der keine Bindung bedeuten soll. Was ihr schafft, ist euer Eigentum. Mir genügt es einstweilen, daß ihr die Sonnenstadt für mich besetzt und vielleicht auch jene Schätze bewacht. Später können wir verbindlicher über zukünftige Dinge sprechen.« Peters reckte die gesunde Hand hin. Sun Koh drückte sie warm. Dieser Handschlag besiegelte einen Vertrag, der über die Zukunft eines Erdteils entschied, obwohl weder Sun Koh 148
noch Peters es in dieser Stunde ahnten. ENDE Bitte beachten Sie die Vorschau auf der nächsten Seite.
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Als SUN KOH-Taschenbuch Band 3 erscheint:
Freder van Holk
Die schwebende Burg Ein irrer Professor will Nimba kaufen, Joan Martini wird entführt und Hal Mervin taucht als Dritter im Bunde auf. Hopi raunen von Atlantis, Juan Garcia verteidigt seine Beute auf der Mesa mit Bomben und Banditen, aber Sun Koh dringt trotzdem in die schwebende Burg ein. Die Felsen bersten, doch Sun Koh und seine beiden Getreuen bleiben unerschüttert. Juan Garcia nimmt furchtbare Rache. Giftgas über der Sonnenstadt! Manuel Garcia greift ein, Gegner und Freund zugleich. Und unter den Ruinen beginnt bereits die Arbeit für die Zukunft.
Die SUN KOH-Taschenbücher erscheinen vierwöchentlich und sind überall im Zeitschriften- und Bahnhofsbuchhandel erhältlich.