Michael Butterworth
KAMPF UM DIE
ZUKUNFT
Mondstation 1999
Science – Fiction – Roman
Bastei Lübbe
BASTEI-TASCHEN...
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Michael Butterworth
KAMPF UM DIE
ZUKUNFT
Mondstation 1999
Science – Fiction – Roman
Bastei Lübbe
BASTEI-TASCHENBUCH-MONDSTATION 1999
Nr. 25006
Originaltitel: THE EDGE OF THE INFINITE
Ins Deutsche übertragen von Leni Sobez
Copyright by ITC Incorporated Television Company. Ltd.
and Warner Books. Inc.
All rights reserved
Deutsche Lizenzausgabe 1978
Bastei-Verlag Gustav H. Lübbe, Bergisch Gladbach
Printed in Western Germany
Titelbild: ATV
Umschlaggestaltung: Roland Winkler
Satz: Neo-Satz, Hürth
Druck- und Verarbeitung:
Mohndruck. Reinhard Mohn OHG, Gütersloh
ISBN 3-404-00899-5
Das Unmögliche geschieht! Die Alphaner fangen eine Botschaft von der Erde auf! Der Menschheit des 21. Jahrhunderts ist es gelungen, mit einem Materie-Transmitter eine Brücke zu den Verschollenen zu schlagen. Die Transmitter-Verbindung erlaubt die Rückkehr zur Erde, aber sie kann nur für wenige Stunden aufrechterhalten werden. Commander John Koenig, Dr. Helena Russel und Alan Carter wagen als erste den Schritt durch den Transmitter. Doch sie landen auf einer Erde der Vergangenheit. Man schreibt das Jahr 1339, und die Engländer kämpfen gegen die Schotten. Das Schicksal der drei Gestrandeten ist besiegelt, als sie einem schottischen Clan in die Hände fallen, dessen Häuptling in ihnen Todfeinde sieht und entschlossen ist, sie sofort zu töten…
PROLOG
Mondbasis Alpha – Log. – 25. Dezember 2005 ETA
Die Mondbasis Alpha begeht heute, am 25. Dezember 2005, Weihnachten. Es sollte eigentlich ein glückliches Fest sein, doch wir können es nicht feiern… Vor acht Monaten wurden wir durch die Zeitverwerfung geschleudert. Seitdem berichten uns unsere Instrumente, daß wir uns dem Rand der Galaxis nähern. Für uns, die wir auf einer kleinen, ausgerissenen Welt in der Falle sitzen, könnte dies das Ende unseres Lebens sein… Jenseits der Galaxis ist nichts als nur Raum und Leere für Tausende von Lichtjahren. Diese Kluft ist eine Barriere, die wir in unserer Lebensspanne nicht zu überwinden vermögen. Hier gibt es keine Welten, auf denen wir unsere Lebensmittelvorräte ergänzen könnten, keine Landeplätze, um vielleicht eine neue Erde aufzubauen, keine Hoffnung auf Kontakt mit anderen Lebewesen… In unserer Verzweiflung haben wir jede nur denkbare Möglichkeit ausprobiert, unsere Reise ins Unbekannte aufzuhalten oder zu lenken; wir haben nichts gefunden, das den Kurs des Mondes ändern könnte. Unsere letzte Überlebenschance wäre die, in den Orbit eines der wenigen Sterne eingefangen zu werden, die zwischen uns und der unendlichen Raumleere noch liegen, obwohl unsere Geschwindigkeit jetzt vielleicht zu groß ist. Es besteht auch wenig Aussicht, daß wir nahe genug an einem Stern vorbeifliegen, um von dessen Schwerkraft angezogen zu werden. Diese Chance ist geringer als eins zu einer Million.
Uns bleibt nichts anderes übrig, als uns auf das Schlimmste vorzubereiten. Wir haben jede sich bietende Gelegenheit ausgenützt, um uns mit den Rohmaterialien zu versorgen, die uns am Leben erhalten. Eagle Vier, unser Überwachungsschiff, ist nun unterwegs, um eine der letzten verbleibenden Welten zu überprüfen. Und die ist eine unserer allerletzten Hoffnungen… Wir bewegen uns am Rand der Unendlichkeit… Wir reisen dort, wo aller Wahrscheinlichkeit nach niemand uns folgen kann. Wir sind aber entschlossen, so lange am Leben zu bleiben, wie uns dies möglich ist… Dr. H. Russell, Chefärztin, Mondbasis Alpha
I
Eine kochende, brodelnde Kugel brauner Wolken hing im Raum. Die Alphaner beobachteten sie auf dem Sektionsschirm in der Pilotenkanzel des Eagle Vier. Sie schien fast genau auf dem Kurs ihres Mondes zu liegen, doch in Wirklichkeit war sie mehr als eine Million Meilen von jedem Punkt entfernt, an dem der zum Untergang verurteilte Mond vorüberziehen würde. Sterne funkelten durch die braunen fedrigen Wolkenränder. Überall sonst im unendlichen Raum waren die Sterne in ihrer brennenden Pracht nahezu zusammengepfercht, fern, unbekannt und strahlend in ihrer Unzugänglichkeit. Das Licht einer schwachen weißen Sonne fiel auf die Wolke. Immer wieder hoben ihre Strahlen gespenstische graue Flecken einer unbekannten Planetenoberfläche aus den wilden braunen Massen. Dort unten, auf der kahlen, wenig gastfreundlichen Welt hatten Alphas geologische Sensoren einen unerhörten Reichtum an Mineralien entdeckt. »Das ist aber eine Wolke, John«, sagte Alan Carter, der Pilot des Eagle und pfiff leise durch die Zähne. Commander John Koenig saß neben ihm an der Flugkonsole. »Wir sind nahe daran, sie zu streifen…« Der blonde Australier, fast immer fröhlich und optimistisch, lehnte sich über die Unzahl von Instrumentenanzeigern. Er stellte das eine oder andere Instrument eine Spur nach und schwang das Eagle-Schiff langsam herum. Die feuerspeienden Abstiegsdüsen kämpften gegen den starken 2G-Zug der kahlen Welt und reduzierten die
hohe interplanetare Geschwindigkeit so weit, daß das Schiff in einem Schwerkraftfeld manövrierbar blieb. »Ich habe schon fast vergessen, wie Wolken aussehen«, meinte Koenig lächelnd, als er sich gegen den starken Zug stemmte. Er drückte den Kommunikatorknopf zum Laborteil des Schiffes. »Brenndauer plus zehn Sekunden. Voller Schub jeden Moment zu erwarten. Auf den Sitzen bleiben.« Das Schiff zitterte und schüttelte sich unter der Kraft der donnernden Maschinen. Waren die Instrumente genau eingestellt und hatte es sich stabilisiert, konnte sich seine unbändige Kraft voll auswirken. Langsam ging das Tempo zurück und brüllend stieg es ab durch die sengenden Lagen der trüben Planetenatmosphäre. Unter der Wolkendecke glühte der Planet in einem gespenstischen, blassen Zwielicht, das immer wieder in strahlenden Glanz umschlug, wenn es der hellen Sonne gelang, die rollenden Wolken zu durchdringen. Der Boden war grau und verbrannt, pockennarbig von den Kratern zahlreicher riesiger Vulkane der Frühgeschichte des Planeten. Er schien jetzt eine tote, wasserlose Welt zu sein. Der Eagle bekam Bodenberührung und schmolz den Grund mit den Raketen, ehe sich das Schiff auf seinen Landekissen niederließ. Noch einmal schüttelte es sich, dann stand es still, und die Maschinen schweigen. In der intensiven Stille brauchte die Mannschaft ein paar Augenblicke, um sich den Schwerkraftverhältnissen anzupassen. Dann lösten sie ihre Gurte und stemmten sich aus ihrer dick gepolsterten Konturensitzen. Anfangs waren ihre Füße wie Blei, und sie taumelten schwerfällig herum. Jeder kämpfte gegen das Bedürfnis, sich wieder hinzulegen. Maya, das psychomolekulare Phänomen und Wissenschaftlicher Offizier der Mondbasis, kehrte zu ihrer
Instrumentenkonsole im kleinen Labor des ÜberwachungsEagle zurück. Kühl aktivierte sie den Geoscanner und die Lebenssensoren. Der Geologe Dave Reilly beobachtete sie fasziniert, nicht weil er ihre Arbeit überwachen wollte, an der keine Kritik möglich war, sondern weil er zu begreifen versuchte, wieso ein so schönes rothaariges Mädchen sich mit prosaischen Laborgeräten beschäftigen mochte. Er war mager und doch kräftig, ungefähr vierzig Jahre alt und hatte ein wettergegerbtes, stark gefurchtes Gesicht. Er trug keine Uniform, weil er sich weigerte, sie zu tragen, sondern ein khakifarbenes Nylonhemd und ziemlich ausgebeulte, zerknitterte und fleckige Hosen. Um die Taille hatte er einen breiten Gürtel, an dem eine ganze Sammlung von Steinsammelgeräten und Beuteln hing. »Jetzt haben wir Sichtkontakt«, berichtete Maya Tony Verdeschi, dem dunkelhaarigen italienischen Sicherheitschef und seiner Nachbarin Dr. Helena Russell, Medizinischer Offizier der Mondbasis. Beide hatten Bereitschaftsdienst und saßen noch. Sie übersah Reilly ganz betont, der sie begehrlich musterte. »Je näher, desto besser«, meinte der Geologe breit grinsend, worauf Helenas Miene gefror und Verdeschi furchtbar wütend wurde. Die Psychonierin tat so, als habe sie nichts gehört und sagte: »Zu schnell zu nahe könnte gefährlich werden.« »Ganz entschieden«, pflichtete ihr Reilly bei, und sein Lausbubengrinsen wurde zu einem breiten Lachen, als er beide Arme auf die Konsole stemmte und sein grobes, aber durchaus nicht unschönes Gesicht in die unmittelbare Nähe des ihren brachte. Er tat so, als wolle er sie küssen, aber sie drehte schnell den Kopf weg und las die Daten des Lebenssensors ab.
Reilly sah es nicht, daß Helena ihre Hand auf Verdeschis Arm legte, um ihn zu beruhigen. »Sie ist doch ein großes Mädchen, Tony«, erinnerte sie ihn. Er nickte und schaute ziemlich sauer drein. »Aber mit großmäuligen Romeos hat sie keine Erfahrung.« Helena lächelte. »Sie lernt sehr schnell.« Er war sich noch nicht schlüssig darüber, ob er dieser Sache weiter nachhängen sollte, als Koenigs Stimme aus der Pilotenkanzel über den Monitor des Labors kam. Der Commander lächelte gut gelaunt. »Maya, was hast du Schönes für uns?« erkundigte er sich. »Der geophysikalische Scanner bestätigt die Anwesenheit großer Lager Milgonit«, berichtete Maya. »Unsere ursprüngliche spektroskopische Analyse war richtig. Es sieht ganz so aus, als könnten wir jetzt die Teile herstellen, die auf der Mondbasis Alpha allmählich ausgehen.« Koenig nickte, denn diese Bestätigung war sehr erfreulich. Er folgte also seiner Routine weiter. »Lebenszeichen?« Sie besah sich die Ausdrucke, die eben erst ausgespuckt wurden, und runzelte die Brauen. »Eine Art Lebensform ist vorhanden… minimal und nicht zu identifizieren.« »Leben? In dieser Wüste?« Reilly schüttelte ungläubig den Kopf. Er prüfte den Rundschirm des Geoscanners und sah die verschwommenen Umrisse eines weiten Warzenkraters in unmittelbarer Schiffsnähe. »Ich gehe jede Wette ein, daß auf dem ganzen Planeten so gut wie nichts zu finden ist«, sagte er. Koenig sah nun ein weinig unbehaglich drein, doch er fuhr fort: »Atmosphäre?« »Sauerstoff, Stickstoff, inerte Gase, Wasserstoff… atembar«, meldete sie. Koenig schüttelte den Kopf. »Noch rätselhafter.« Sie sahen zu, wie sein Kopf im Schirm verschwand und hörten seine
vorsichtige Frage an Carter. »Wieviel Zeit haben wir, bis Alpha außer Reichweite ist?« Nach einer kurzen Pause kam Carters Stimme: »Drei Stunden… plus ein paar Minuten.« Koenig kam zu einer Blitzentscheidung. »Auf Minimalkraft gehen, um Energie zu sparen.« Sein Gesicht erschien wieder auf dem Schirm. »Bereithalten. Ich komme durch… Wir gehen hinaus.« Der Schirm wurde dunkel. Helena und Verdeschi lösten ihre Gurte und zogen sich in der doppelten Erdenschwerkraft in die Höhe. Reilly war mit ein paar Sätzen an den Schränken und öffnete einen. Innen hatte er seinen Raumanzug und anderes Gerät. Er nahm einen Behälter heraus und einen recht umfangreichen Stetson-Hut, knallte die Tür zu und drehte sich zu den anderen um. Er bemerkte, daß Maya ihn sehr neugierig anschaute. »Mein Glückshut«, erklärte er lachend und stülpte ihn auf den Kopf. »So was hast du wohl noch nie gesehen, was?« Sie schüttelte den Kopf. »Siehst du, das war ja der Nachteil deines Planeten. Ihr habt niemals einen Staat Texas gehabt.« »Oder einen irischen Cowboy«, fügte Verdeschi säuerlich hinzu und ging drohend auf ihn los. Die beiden Männer standen einander gegenüber. Der eine war sehr zornig, der andere tat spöttisch erstaunt über die Reaktion seines Kollegen. Schon wieder war der alte Krieg ausgebrochen, doch damit war gleich wieder Schluß, denn Koenig kam langsam und sehr mühselig herein. Ihm folgte ein ebenso bleierner Carter, der sich auch noch beklagte. »Ungefähr drei Stunden haben wir Zeit«, erklärte ihnen Koenig. »Commander, in drei Stunden können wir genug Milgonit einsammeln, um Alpha für unendliche Zeit damit zu versorgen«, rief Reilly.
Koenig nickte, beachtete jedoch den frechen Geologen nicht, sondern wandte sich an Maya. »Programmiere den Timer für drei Stunden.« Mayas schlanke, manikürte Finger huschten wie der Blitz über eine Tastenreihe vor ihr. Sofort kam ein schrilles elektronisches Piepsignal herein. Dreimal piepte es, dann folgte eine neutrale tonlose Stimme. Es war der Bordcomputer, der schon mit dem Countdown begonnen hatte. »Minus drei Stunden zum Abheben«, meldete er unbewegt. Koenig warf Carter einen Blick zu, dann ging er weiter zur schweren inneren Tür der Luftschleuse. »Worauf warten wir noch? Wir wollen uns doch nach der Lebensform umsehen. Helena, du bleibst hier.« Die Ärztin protestierte. »John, ich sollte wirklich mit dir gehen. Es könnte ja… irgendein Unfall… umgebungsbedingt…« »Jemand muß hier auf den Laden aufpassen«, antwortete er und lächelte sie aufmunternd an. Lautlos schwang die Tür auf, er trat in die Schleuse. Teils enttäuscht, teils ängstlich schaute sie den Alphanern nach, die hintereinander in die Schleuse gingen und ihre Ausrüstung mitzogen.
Unter der dicken Wolkendecke lag die Landschaft dunkel vor ihnen. Die Luft war klar und warm, fast schwül, so daß sie ihre Jacken auszogen und sich nach der Klimaanlage des Schiffes sehnten. Schwerfällig gingen sie in einer losen Gruppe weiter und überprüften das Terrain mit ihren Spezialgeräten nach den kostbaren Mineralien, die sie brauchten. Der Boden war erstaunlich glatt und mit einer dünnen Lage kristallisierten Granulates bedeckt, das ein wenig im unsicheren Licht
schimmerte. Die Wolken über ihnen kochten in braunen, unablässigen Turbulenzen. Sie waren sehr feuchtigkeitsträchtig, doch sie entließen nichts von der kostbaren Flüssigkeit, die das ausgedörrte Land so nötig gebraucht hätte. Immer wieder zeigten sich in der Ferne Streifen gelben Sonnenlichts, und das sah aus, als stakse ein langbeiniger Riese durch das Zwielicht. Ganz kurz riß unmittelbar über ihnen die Wolkendecke auf, und sie badeten in heißem gelbem Licht. Erstaunt stellten sie fest, daß der Boden ja gar nicht grau war, sondern gelb, buttergelb, und die Kristalle blendeten sie mit grellem goldenem Glanz. Und in dieser märchenhaften Beleuchtung bemerkten sie einige große goldene Felsblöcke direkt an der Oberfläche. Reilly blieb stehen, so verblüfft war er. Er hob seinen schweren Hut vom Kopf und wischte sich mit einem großen rotgetupften Taschentuch den Schweiß von der Stirn. »Also… Wir werden ja in Stücke zerblasen!« rief er ungläubig. »Milgonit! Und das ganz offen hier in Blöcken in der Wüste. Wir brauchen überhaupt nichts rauszusprengen…« Schwerfällig ging er darauf zu, doch dann schien er die schmerzenden bleiernen Füße zu vergessen. »Na, ist das nicht eine Schönheit? Sag doch ›hallo‹ zu Big Dave!« Koenig bewegte sich ihm entgegen. »Wenn ich die Liebesgeschichte zwischen dir und den Felsen einmal unterbrechen dürfte…« Reilly lachte ihn gutmütig an. »Commander, die Felsen verstehen mich. Keine von meinen Frauen hat das je getan, aber die Felsen… Ich hab’ schon verstanden.« Er entnahm einem Holster in seinem Gürtel einen sehr kleinen Handscanner, zielte damit auf seinen Arm und drückte den Kontrollhebel. Dann nickte er befriedigt, als er eine klare, konstante Oszillation abgab. Dann richtete er das Gerät auf den
Felsen, der jetzt wieder grau aussah, weil die Wolken sich geschlossen hatten. Der Scanner gab diesmal einen ähnlichen, wenn auch etwas höheren und schrilleren Ton ab. Er nickte wieder. Dann brachte er die Scannermündung an sein Gesicht. Er kniff die Augen zusammen, legte den Schalter auf ›Milgonit‹ um und richtete den Scanner wieder auf den Felsbrocken. »Leute, macht euch bereit zum Goldgraben«, sagte er. Dann drückte er auf den Hebel. Diesmal gab es keine Oszillation. Jetzt war er verblüfft. »Was ist los, Dave?« fragte Maya sehr besorgt. Reilly richtete sich auf. »Kein Milgonit. Aber es muß Milgonit sein…« Er spähte durch das gespenstische Licht zur den Felsen des Kraterrandes hinüber, die nicht weit entfernt waren. »Dieses goldene Glühen… Das muß ganz unbedingt die Quelle der Milgonit-Energie sein…« »Wie war’s, wenn wir ein Muster für eine Computeranalyse in den Eagle brächten?« schlug Koenig vor. »Jaaa…« meinte Reilly zögernd; noch immer war er verwirrt und wurde immer enttäuschter. Er war ja schließlich kein Narr und kannte Milgonit, sobald er es sah. Er spielte mit dem Scanner herum und testete ihn wieder gegen seine Hand. Er funktionierte einwandfrei. Er schüttelte den Kopf und steckte das Gerät wieder ein. Doch nun zog er seinen Laser, zielte auf den Felsen und schoß. Eine dünne Lichtlanze sprang aus der Mündung der Waffe und brannte in den Fels. Die plötzliche Hitze sprengte ein Stück davon ab. Er bückte sich und hob es auf. Dann musterte er es überaus genau. »Da stimmt was nicht«, stellte er nach einer Weile fest, nahm das Stück in die andere Hand und hielt die Finger in die Höhe. Sie waren mit einer dunklen öligen Substanz bedeckt, die aussah, als habe der Stein sie abgegeben.
»Dann stellen wir mal besser fest, was da nicht stimmt«, drängte Koenig besorgt. Er kehrte zum Schiff um. Reilly konnte einen gelegentlich schon aus der Fassung bringen, aber von seiner Geologie verstand er sehr viel. War er der Meinung, daß hier etwas nicht stimmte, dann mußte das Rätsel gelöst werden, ehe sie etwas anderes in Angriff nehmen konnten. Und das mußte sehr schnell geschehen. Erleichtert kehrten sie in die Helligkeit und angenehme Kühle des Eagle zurück. Helena war erstaunt über die frühe Rückkehr. Sie stemmte die Hände in die schlanken Hüften und wollte ihnen das gerade sagen, als sie das Steinmuster in Reillys Hand bemerkte. Eiligst ging sie ihm aus dem Weg, damit er nur ja schnell genug zur Werkbank kam. Instinktiv hätte auch sie auf Milgonit getippt, doch dann bemerkte sie, daß der seltsame Stein viel goldener aussah als Milgoniterz. Er glühte so, als wolle er schmelzen, und nun waren sogar schon die Hände des Geologen mit einer dünnen, leuchtend goldfarbenen Schicht bedeckt. »Schnell unter das Petroskop.« Reilly ließ das Muster auf die Werkbank fallen und sog das Beobachtungsinstrument heraus; er steckte die Kabel in die Computereingabe auf der Konsole und legte das Muster unter den Tubus. Die anderen sahen gespannt zu, als die Analyse begann. Es herrschte fast atemlose Stille, als eine gerade Linie ohne Zacken und Wellen über den Oszilloskopschirm lief. Es wurde also nichts registriert. »Computer negativ…« bemerkte Koenig ungläubig. »Das ist doch unmöglich! Jeder Stein hat irgendeine Wirkungsform.« »Das kaufe ich dem Ding nicht ab«, sagte Reilly und schüttelte den Kopf. Er war unbeschreiblich verblüfft. Als sich noch immer alle wunderten, tat Helena einen Schrei. »Jetzt sind keine Anzeichen für Lebensformen mehr vorhanden.« Sie hatte am Rand der Gruppe an der Werkbank
gestanden und den Lebenssensor an Mayas Konsole nicht aus den Augen gelassen. Er hatte aufgehört, etwas zu registrieren, obwohl er offensichtlich noch in Funktion war; doch er zeigte nichts mehr an. Alle wurden nun von einem spukhaften Gefühl überfallen, und sie kamen zu dem unvermeidbaren Schluß, daß dieser Stein unter dem Petroskop irgendwie lebendig sein müsse. Oder lebendig gewesen sein mußte. Jetzt schien er tot zu sein. Alle hatten das gleiche Gefühl, doch keiner sprach es aus. Nervös drängte sich Verdeschi durch die Gruppe zum Petroskop. »Zurücktreten«, befahl er. Das taten alle, bis auf Reilly, der ja sein Experiment durchführen wollte. »Was willst du denn tun?« fragte er. »Schaut es euch nur an«, rief der Sicherheitschef grimmig. Er bückte sich über das Okular des Instruments, ehe der Geologe ihn daran hindern konnte. Für einen Augenblick sah der Italiener genau wie jede andere Person aus, die eine mikroskopische Prüfung vornimmt. Dann schien aus dem Okular eine orangefarbene Lichtzunge zu lecken. Entsetzt sahen sie zu, wie grelles Licht erst seinen Kopf, dann seinen Körper einschloß. Bald war seine ganze Gestalt von einer pulsierenden orangefarbenen Aura umgeben. Da er das Auge nicht vom Okular nehmen konnte, sah er wie festgefroren aus. Er schrie vor Schmerz, doch niemand konnte ihm helfen, und alle hatten Angst um sich selbst. Die Helligkeit des Lichtes erreichte eine Intensität, die sie zu blenden drohte, doch dann fiel sie schnell ab und das Licht erlosch. Der Italiener wurde aus dieser Lichtfessel entlassen. Er sackte schwer in sich zusammen und fiel zu Boden. »Tony!« rief Koenig und machte einen Satz vorwärts. Helena war sofort neben ihm und kniete nieder, um Verdeschi zu untersuchen. Sie schob seine Augenlider zurück, fühlte zitternd seinen Puls…
Verzweifelt sah sie auf zu den ernsten Gesichtern. »Er ist tot…«
II
In dem plötzlichen erschütterten Schweigen fühlten sie das Gewicht ihrer Körper doppelt. Die tonlose Stimme des Computers erinnerte sie an ihre zeitliche Bedrängnis: »… minus zwei Stunden fünfundvierzig Minuten bis zum Abheben…« Unter dem Petroskop glühte der seltsame Killerfelsen in einem trüben, irgendwie mißmutigen Gelb. »Schmeißt das Zeug hinaus!« explodierte Koenig, als er mithalf, den leblosen Sicherheitschef auf das Notbett zu heben. Carter lief weg, es zu tun, und Helena hängte Verdeschi sofort an den medizinischen Monitor. Vergeblich suchte sie in seinem Körper nach einem Lebenszeichen. Sie schaltete die verschiedenen Stromkreise ein, und dicke Tränen liefen ihr dabei über das Gesicht. Maya half ihr, so gut sie konnte, und hielt den Kopf des leblosen Mannes in ihren Armen. Sie, die sonst so kühl und beherrscht sein konnte, war ganz gebrochen, und sie schämte sich nicht, es zu zeigen. Reilly war sehr blaß und stand zu Tode erschrocken daneben. Er hatte nicht geahnt, wie tief Mayas Gefühl für Verdeschi ging, und jetzt tat es ihm leid, daß er sich vorher so schlecht benommen hatte. »John… ich bekomme Spuren einer Gehirntätigkeit…« Helena hielt den Atem an. Die Monitoren waren flackernd erwacht und zeichneten nun sehr schwache und zarte Lebenszeichen auf. »Die Gehirnwellen… normalisieren sich… Temperatur nur noch ein Grad unter normal…« »Aber du sagtest, er habe nicht mehr geatmet«, wunderte sich Koenig, »und daß er einen Herzstillstand hatte.« Er beugte sich
über das Bett, um zusammen mit ihr die Instrumentenanzeiger zu studieren. »Ja, das war auch richtig.« Sie selbst war auch sehr verblüfft. »Aber… ich finde keine Schädigung innerer Organe… Alle Funktionen sind normal, nur das Herz… Ich verstehe das nicht… Er lebt noch.« Nun handelte sie blitzschnell, verstärkte die Stromzufuhr durch die Stimulationselektroden, die an beiden Seiten von Verdeschis Brust angebracht waren. Plötzlich begann sein Körper zu zittern und sich in nervösen Zuckungen zu bewegen, er bäumte sich auf und fiel dann erschöpft wieder zurück. »Das könnte vielleicht seine Herztätigkeit wieder in Gang bringen«, flüsterte Helena gespannt. »Oder es könnte ihn vollends töten!« rief Koenig entsetzt und trat einen Schritt von dem nun um sich schlagenden Körper zurück. »Das muß ich auch riskieren«, erwiderte Helena hitzig und ließ den Schirm des Herzmonitors nicht aus den Augen. Das glatte weiße Band, das über den Schirm lief, wurde plötzlich von einem Lichtflicker unterbrochen. Sie reduzierte die Stromzufuhr und sah zu, wie das Flickern ein unregelmäßiges Muster auf den Schirm zeichnete. Es stabilisierte sich allmählich und wurde zu einem ganz regelmäßigen Zackenmuster, und auf den Gesichtern zeigte sich wieder Hoffnung. Dann brach das Muster ab, und das glatte weiße Band erschien wieder. Entmutigt wandte sich Helena ab. »Es nützt nichts.« Bekümmert schüttelte sie den Kopf. »Aber er hat doch reagiert!« rief Koenig flehend. »John, ich bin nur eine Ärztin und keine Wundertäterin. Ich kann hoffen und mit dem arbeiten, was ich weiß, aber gegen das Unbekannte sind alle Ärzte machtlos… Noch mehr
Elektroschock kann ich nicht verantworten, und etwas anderes gibt es in diesem Fall nicht!« Maya hatte den Kopf gehoben und musterte aufmerksam die Instrumentenkonsole über Verdeschis Kopf. »Tonys Gehirn funktioniert doch noch, Helena…« Fast sarkastisch nickte die Ärztin. »Eines der Geheimnisse des Lebens, Maya.« »Minus zwei Stunden, dreißig Minuten zum Abheben«, meldete die ausdruckslose Stimme des Computers, und die rief sie nun in die Wirklichkeit zurück. »Ich hab’ dir doch gesagt, du sollst diesen Stein hinauswerfen!« Koenig wirbelte zornig zu Carter herum. Wie jeder andere auch, war der Eagle-Pilot von dem Drama am Bett so gepackt, daß er den Stein vergessen hatte. Helena trat einen Schritt vorwärts. »John, das kannst du doch nicht!« Koenig sah sie entgeistert an. »Aber du hast doch gesehen, was er Tony angetan hat!« »Wenn es eine Heilung gibt, liegt sie in diesem Stein, und das weiß ich«, entgegnete sie. »Wenn es eine Heilung für Tony gibt, dann im Lazarett von Alpha!« »Hier, John, das weiß ich.« Voll Vertrauen näherte sie sich dem Stein. »Nenne es ärztlichen Instinkt.« Koenig sah sie finster an. Er konnte kein Risiko eingehen. Bis jetzt wies alles darauf hin, daß es Gefahr bedeutete, den Stein an Bord zu behalten. Allerdings mußte er zugeben, daß man ihr Urteilsvermögen und Fingerspitzengefühl auch nicht übersehen dürfe. »Okay«, gab er schließlich mit gemischten Gefühlen nach. Er drehte sich zu allen um. »Aber von jetzt an geht keiner mehr zum Petroskop. Niemand rührt es an, niemand schaut es an.«
Reilly lenkte ihn ab, als er seinen Instrumentenkoffer anhob. Er hatte noch immer seinen Rancherhut auf und ging so zur Luftschleuse. »Wo glaubst du hingehen zu können?« fuhr ihn Koenig an. »Hinaus.« Mit einer großartigen Handbewegung umfaßte er die gesamte Planetenoberfläche. »Um dort draußen zu finden, was ich suchen wollte.« »Wir haben jetzt wichtigere Probleme«, erklärte Koenig. »Ich weiß. Ich wollte, ich könnte helfen, aber ich bin ja nicht der Commander; deinen Job kann ich nicht tun. Ich bin der Geologe, und du kannst meinen Job nicht tun.« Er musterte alle ernst. »Alpha braucht dieses Milgonit.« Er streckte den Arm aus, um den Schleusenriegel zu betätigen, doch er drehte sich noch einmal zu den anderen um und sagte zu Maya: »Maya, es tut mir furchtbar leid, daß er tot ist.« Seine Augen in dem groben Gesicht blickten herzlich und waren feucht. Mehr an Emotion konnte er nicht zeigen. Aber nun öffnete er die Luftschleusentür und quetschte sich und sein Köfferchen durch. Koenig schaute ihm mißbilligend nach, nickte aber schließlich doch. Dann wandte er sich wieder zu Verdeschi um. Helena ging um dessen Bett herum und prüfte alle Elektroden nach, um sich davon zu überzeugen, daß sie sicher befestigt waren. »Gibt es denn nicht noch irgendeine Möglichkeit, ihn zu erreichen?« flehte Maya sie an. Sie schien nun sehr verzweifelt zu sein. »Sein Gehirn lebt noch… irgendwie«, erklärte Helena. »Da ist immer noch Hoffnung…« Plötzlich blieb sie stehen und schaute den Stein an. »Wenn es uns nicht erlaubt ist, den Stein zu berühren, können wir nur abwarten, was sich nun entwickelt.«
Für die Psychonierin war das jedoch nicht genug. Ihre Miene zeigte große Entschlossenheit. »Nein! Ich werde nicht darauf warten, daß er stirbt!« erklärte sie bestimmt. »Wenn dieser Stein lebendig ist, werde ich mit ihm sprechen.« Niemand konnte sie zurückhalten, als sie unsicher durch die Luftschleuse taumelte. Der große Felsen, von dem der kleine Stein stammte, schimmerte in einem verirrten Sonnenstrahl hell auf, ehe sich die Wolken wieder schlossen und die Wüste in ein gespenstisches Halbdunkel zurückfiel. Über den glitzernden Sand verstreut entdeckte sie Reillys Geräte. Der lange Stab des Auto-Analysators war noch durch Drahtspiralen mit dem tragbaren Computer verbunden, Schneide- und Meßinstrumente lagen herum. »Verdammtes Zeug«, murmelte der Geologe, als Koenig und Carter zusahen, wie Maya ihre Transformation einleitete. Er war sehr schlechter Laune, denn seine ganze Ausbildung widersprach den Ereignissen auf diesem verdrehten Planeten. Der Fels hatte wie Milgonit ausgesehen, doch der AutoAnalysator meldete Quarz, Orthoklas, Hornblende, Augit, Clivin und Feldspat. Es sah aus und roch wie Milgonit, war aber alles andere als das. Und jetzt wollte eine Frau mit dem Stein reden. Angeblich. Eine Frau, für die er sonst einiges übrig hatte. »Maya, es könnte aber sehr gefährlich sein«, mahnte Koenig sie aus der Dunkelheit heraus. »Warum läßt du sie es dann tun?« fuhr ihn Reilly an. Koenig funkelte den Geologen zornig an. »Weil es keine andere Möglichkeit gibt.« »Aha, weil dir nichts anderes einfällt«, hielt ihm der andere tückisch vor. »Hast du vielleicht Vorschläge zu machen?« fuhr ihn Koenig an.
»Aus dem Ärmel schütteln kann ich sie nicht.« »Warum läßt du dann deinen großen Mund nicht mal ausruhen?« schlug Carter vor. »Schau mal…« begann Reilly und ging auf den Eagle-Piloten zu. Aber der Commander zog ihn zurück. »Diskussion beendet«, bestimmte Koenig energisch. »Maya…?« Er wandte sich nach ihr um. Neben ihnen war während dieses Wortwechsels ein helles Licht aufgeflammt und wieder erloschen. Maya, die ihre Transformation vollzogen hatte, war nun ein Fels. Ihre einfallsreichen Moleküle mit ihrer einzigartigen Fähigkeit des Bio-Mimikri hatte die Felsstruktur bis in die allerletzte Einzelheit kopiert. Wo zuerst ein Felsbrocken gestanden hatte, waren es jetzt zwei, und sie waren absolut identisch.
Im kleinen Eagle-Labor wartete Helena auf ihre Rückkehr. Wieder einmal hatte man sie ganz allein bei ihrem Patienten zurückgelassen. Nun ja, logisch war es, da sie die Ärztin war und bei ihm zu bleiben hatte. Aber dieser Patient lag noch immer bewegungslos und starr unter den Decken, und für ihn gab es keine Behandlung. Sie konnte ihm nicht helfen. Koenig hatte nicht recht gehabt. Verdeschi wäre nirgends für eine Behandlung mehr zu erreichen, auch nicht auf der Mondbasis Alpha. Niemand verstand das. Dann kam ihr plötzlich wieder der Raum mit dem feindseligen Stein zu Bewußtsein, ihre Nähe zu ihm und zu dem Toten – falls er tot war. Eine vernunftmäßig nicht zu erklärende Angst packte sie, und ihr wäre viel lieber gewesen, Koenig wäre zurückgekehrt. Die Lichter im Labor waren sehr hell; plötzlich flackerten sie und schienen noch heller zu werden. Instinktiv wußte sie, daß der Stein zu glühen begonnen hatte. Sie wandte sich zu ihm um
und sah ihn pulsieren, in einer wilden Intensität und in bösartiger, betäubender Helligkeit strahlen. Auf einmal vernahm sie von irgendwoher einen schrillen elektronischen Ton. Sie sah sich um, konnte aber dessen Quelle nicht entdecken. Der Ton wurde immer noch schriller, bis er ihr die Ohren zu zerreißen schien, dann verklang er langsam. Aus den Augenwinkeln heraus bemerkte sie, daß Verdeschi sich bewegte. Atemlos sah sie zu, wie sein noch immer kreideweißer und starrer Körper sich zu einer sitzenden Stellung aufrichtete. Gleichzeitig damit verebbte dieser schrille Ton, der nun seine grausige Arbeit getan hatte. Der wie ein Kadaver aussehende Sicherheitschef verließ das Bett und ging mit hölzernen Bewegungen auf sie zu. Seine Augen starrten sie an und sahen wie Marmor aus. In seinen toten Händen hielt er sein Commlock und seine Laserpistole. »Tony!« rief sie. Steifbeinig stelzte er an ihr vorbei zur Luftschleuse. Das Steinstück flackerte noch immer sehr hell. In diesem merkwürdigen Licht sah sein Gesicht plötzlich aus wie Gold. Wie von Zauberhand berührt öffnete sich vor ihm die Tür, und er ging durch. Dann öffnete sich auch die äußere Tür, und er trat hinaus. »Tony!« schrie sie hinter ihm her, vergaß ihre Angst und dachte nur noch an die Sicherheit Koenigs und der anderen. Ehe sie jedoch die Schleusentür erreichen konnte, schob sie sich zu. Verzweifelt versuchte sie nun, die Schleuse mit ihrem Commlock zu öffnen, doch sie funktionierte nicht. Zornig hämmerte sie auf die Tafel mit den Bedienungsknöpfen. Dann lief sie zurück zur Sprechanlage und drückte auf einige Knöpfe. Der Schirm blieb tot. Die Elektroanlage des Schiffes mußte wohl blockiert sein, oder mindestens ein Teil davon, denn der Computer wurde nun überaktiv.
Verwirrt und hilflos schaltete sie sich mit ihrem Comlock auf Koenigs Wellenlänge. Erleichtert atmete sie auf, als sein Gesicht auf dem winzigen Schirm erschien. Sie sprudelte eine Warnung heraus, während der goldene Stein erneut intensiv zu glühen begann. Das ganze Labor war mit diesem starken goldenen Schein ausgefüllt, und er schien nach ihr zu greifen.
Koenig lauschte grimmig ihrer Mitteilung. Für einen Augenblick hoffte er, daß Verdeschi wieder zum Leben erwacht sei, und darüber hätte er sich selbstverständlich sehr gefreut. Dann erfuhr er jedoch, unter welchen Umständen seine Auferstehung erfolgt war, er befahl Reilly und Carter, sie sollten sich in den Sand legen, damit sie nicht sofort gesehen werden konnten. Er selbst legte sich auch platt auf den Boden. Gemeinsam spähten sie durch die Düsternis zum Eagle-Schiff, um den sich nähernden Zombie zu entdecken, ehe sie gesehen wurden. Maya schien sich noch immer mit dem Felsbrocken zu verständigen, denn abwechslungsweise glühte der eine, dann der andere auf; das konnte nur ein Gedankenaustausch sein. Besorgt beobachtete er die beiden Steine und hoffte, sie möchten sich doch beeilen, ehe es zu weiteren Schwierigkeiten käme; in diesem Zustand war Maya ja ziemlich gefährdet. Bald entdeckten sie die torkelnde Gestalt Verdeschis. Er bewegte sich mit sehr ruckhaften Schritten, etwa so, als gelinge es der Kraft, die ihn aufrecht hielt auch nur mit Mühe, sich gegen die doppelte Erdenschwerkraft zu behaupten. Sie hätten natürlich nicht sagen können, ob Verdeschi seine mißliche Lage erkannte oder nicht. Reilly zog einen Laser, doch Koenig bedeutete ihm ärgerlich, er solle ihn wegstecken. Der Zombie kam näher, torkelte
jedoch an ihnen vorbei. Commlock und Laser baumelten an seinen Armen, und die blicklosen Augen starrten vorwärts. Vor den beiden golden aufblitzenden Felsen blieb er stehen. Er stöhnte schmerzlich. Mit einer marionettenhaften Bewegung hob sich sein Arm und richtete den Laser auf den echten Felsen. Ein blendender Blitz schoß aus der Mündung der Waffe, und ein weiterer großer Stein brach aus dem Fels. Er ließ sich auf ein Knie nieder und hob den Steinsplitter auf. Dann stieß er laut den Atem aus und erhob sich. Bestürzt sah er sich um. Er klammerte sich förmlich an den Splitter und torkelte wie blind und stöhnend durch die Dunkelheit zum Schiff zurück. Die wirbelnde Wolkendecke wölbte sich wie wütend nach unten und umschloß sie mit fauliger Feuchte. Das braune Zwielicht wurde nun fast schwarz, und die drei Alphaner erhoben sich verängstigt. Ein dunkler Umriß kam ihnen entgegen. »Maya!« stöhnte Koenig. Die Wolke veränderte sich wieder zu ihrer vorigen Beschaffenheit, und das halbe Licht kehrte zurück. Sie sahen nun, daß nur noch ein Felsen dastand, doch er sah matt und völlig lichtlos aus. Die Psychonierin war wieder sie selbst und stand neben ihnen. Sie blickte sehr ernst. »Es ist freundlich und will uns nichts zuleide tun«, sagte sie. »Aber warum?« fragte Koenig verblüfft. »Selbsterhaltungstrieb. Seit Monaten wird es immer schwächer. Falls es nicht bald eine andere Energiequelle findet, wird es sterben.« »Und was ist die Energiequelle?« »Wasser.« »Es gibt doch hier kein Wasser!« warf Reilly ein. Maya nickte ernst. »Es griff nach uns… des Wassers wegen.«
Koenig sah ziemlich entgeistert drein. »Aber da brauchte es doch nicht unser Schiff einfach mit Beschlag zu belegen! Wir hätten helfen, es zu einem Planeten mit Wasser mitnehmen können…« Erzürnt schaute er den großen Felsen und die kleineren in der Nähe an, aber die konnten ja nicht antworten. Sie sahen unbeweglich und stumm aus wie die toten, anorganischen Minerale, die sie zu sein schienen. Es war absurd. Da fiel ihm Helena ein. Über Commlock rief er sie an. Ihr nachdenkliches Gesicht erschien auf dem Schirm. »Wir folgen Verdeschi«, erklärte er ihr, »und versuchen zu dir zu gelangen, wenn und falls er zum Schiff zurückkehrt.« Er schaltete das Instrument aus und stapfte zum Schiff zurück. Aus zusammengekniffenen Augen hielt er Ausschau nach dem Sicherheitschef. Die hohe Schwerkraft des Planeten machte sich schmerzhaft bemerkbar. Sie schwitzten in der trockenen Luft, und ihre Kehlen waren rauh vor Durst. Obwohl die Wolken über ihnen wirbelten und rasten, herrschte kaum ein Luftzug. Endlich sahen sie vor sich das Schiff. Sie kamen gerade rechtzeitig, um ein gelb leuchtendes Lichtrechteck aus dem Labor entweichen zu sehen, für einen Moment auch die dunklen Umrisse eines Menschen. Dann verschwand das Licht. »Was, zum Teu…« rief Koenig und griff nach dem Commlock. Aber Helena war sich schon darüber klargeworden, daß Verdeschi allein gekommen war und der Kommunikator wie irr piepte, ehe er ihn noch berührt hatte. »Ich weiß«, sagte er zu der verängstigten Helena, als ihr Gesicht auf dem winzigen Schirm erschien. »Er war so langsam. Wie ist es ihm überhaupt gelungen…« »Bitte, nicht, Tony… nicht…« hörte er ihre klagende Stimme, die sich an den Zombie wandte. »John, er ist gar nicht
an mir interessiert. Er hat nur den neuen Stein neben den alten gelegt. Tony, hörst du mich?« »Was tut er jetzt?« fragte Koenig scharf. »Öffne die Tür!« Ihr Gesicht verschwand für einen Moment vom Schirm. »Ich kann nicht«, sagte sie, als sie zurückkam. »Die Elektronik arbeitet nicht… der Stein! Der zweite Stein… der, den Tony mitgebracht hat… er verschmilzt mit… die beiden verschmelzen miteinander…« »Komm ihnen nicht in die Nähe!« warnte Koenig. »Ich versuche jetzt hineinzukommen.« Sie hatten nun die äußere Luftschleusentür erreicht, waren atemlos vor Anstrengung. Ungeschickt trennte Koenig seine Verbindung mit Helena und drückte den Code für die Schleusentür. Das Commlock hielt er auf Armeslänge von sich, als er auf den Auslöser drückte. Erstaunlicherweise schob sich die Tür auf, die Stufen ließen sich auf den Boden herab. Überanstrengt stolperten sie hoch und durch die innere Schleusentür in das hellerleuchtete Schiff. Erleichtert lief ihnen Helena entgegen. Sie sah sehr blaß und erschüttert aus. Im Labor war eigentlich gar nichts verändert. Verdeschi lag wieder, genau wie vorher, auf dem Notbett. Nichts im Raum stand anders da als vorher. Nur der Stein hatte sich verändert; er war gewachsen und nun von doppelter Größe. Er leuchtete auch sehr viel heller. Koenig stapfte wie betäubt zum Bett des bewegungslos liegenden Verdeschi. Er musterte die kalten, blassen Züge und die ausdruckslos zur Decke starrenden Augen. Dann wandte er sich an Helena. »Du sagtest doch, er sei lebendig geworden?« Die Ärztin schien ratlos zu sein. Sie trat ans Bett und prüfte wieder die Befestigung aller Elektroden nach. »Er war es… ist es sogar noch… nur im gleichen Zustand wie vorher.«
Die blitzenden Monitore an der medizinischen Konsole über Verdeschis Kopf hatten sich beruhigt. Die Hirnwellen waren nun wieder normal, die Herzlinie wurde zu einem ausdruckslosen Strich. »Was hältst du davon?« fragte Maya sehr besorgt. Helena schüttelte den Kopf. »Das begreife ich nicht. Tony müßte, nach allem, was ich weiß, tot sein. Aber…« Ihr Gesicht nahm einen seltsamen Ausdruck an. »Es gäbe eine verrückte, nichtmedizinische Erklärung… Es scheint, zwei Tonys seien vorhanden, der eine ist sein Geist, seine innere Essenz, der andere der körperliche Tony… Und beide leben im gleichen Körper…« Der Bordcomputer meldete sich wieder einmal, doch diesmal war es keine Information über den Countdown. »Computermeldung… verlieren Kontrolle über Schiffssysteme«, sagte die metallene Stimme. Nun wurde die Lage aber ernst. Koenig und Carter liefen zur Pilotenkanzel und warfen sich in ihre Sitze, um sofort die Instrumente zu aktivieren. »Nichts«, stellte Carter grimmig fest. »Auf Handbetrieb übergehen.« Sie versuchten es erneut – nichts rührte sich. »Alle Systeme tot.« Koenig schlug mit der Faust auf die lebenswichtigen Kommunikationsknöpfe, die Verbindung mit der Mondbasis Alpha. Nun hätten sie normalerweise auf dem Schirm die freundlichen Gesichter von Yasko und Sahn, Bill Fraser und Sandra Benes sehen müssen, doch der Schirm blieb tot. »Eagle Vier an Mondbasis Alpha – hereinkommen, Mondbasis Alpha, bitte kommen. Eagle Vier an Mondbasis Alpha, bitte kommen… bitte…« Keine Antwort. In die unheimliche Stille piepte der Bordcomputer.
»Minus eine Stunde und fünfundvierzig Minuten zum Abheben…« Nicht einmal mehr zwei Stunden, um die Elektronik wieder zum Funktionieren zu bringen, und danach rast der ausgerissene Mond mit der Basis Alpha und den Möglichkeiten zum Auftanken irgendwohin in eine unerreichbare Ferne…
Der seltsame Stein blitzte und glühte kraftvoll und lebendig. Die merkwürdigen Moleküle summten vor Vitalität, als sei neue Hoffnung in ihnen erstanden und als wogen nun die Verhältnisse ab. Seit vielen hundert Jahren mußte dieser Stein auf einer trockenen, kahlen Materie am Leben geblieben sein, weil er Wasservorräte sorgfältig hütete und bis zum allerletzten Feuchtigkeitsschimmer ausnützte. Der größte Teil der Felsen war zu Staub zerfallen. Die dahinschwindende Lebenskraft konzentrierte sich auf wenige verstreute, aber telepathisch ineinander verschlüsselte Felsen auf der Planetenoberfläche. Verzweifelt klammerten sich diese an das Leben und weigerten sich zu sterben, denn sie hofften noch immer auf eine wenn auch winzige Überlebensmöglichkeit – daß eines Tages die wirbelnden Wolken über ihnen ihre Feuchtigkeit abgeben würde, oder daß Besucher von einer anderen Welt ihnen neue Hoffnung schenken könnten. Wunderbarerweise hatte sich diese Hoffnung bewahrheitet. Auf einen ausgerissenen Mond, der auf einem unwahrscheinlichem Kurs dahinraste, gab es eine fremde Lebensform, die diesen Mond in die unmittelbare Nähe des Planeten gebracht hatte. Es war eine Chance eins zu einer Million. Nun mußten sie nur noch eine Möglichkeit finden, für sich selbst das
Weiterleben zu sichern. Aber die komplizierte und natürlich unbekannte Physiologie war dem Tod nahe und konnte sich nicht den Luxus der Unwirksamkeit oder Sentimentalität leisten. Jeder Schritt mußte Erbarmungslos getan werden, endgültig und unwiderruflich. Maya war mitleidig. Sie war sich über die Schwierigkeiten klar, denn sie hatte mit diesen steinernen Lebewesen in deren eigener Sprache gesprochen. Es waren flüchtige Momente einer Verständigung gewesen, doch sie hatten genügt, die Sehnsucht und den großen Kummer dieser Wesen zu begreifen. Sie wußte aber auch, daß die kalte Strahlung sie alle töten konnte, also durfte sie nicht dorthin überwechseln. »Es hat den Computer gestört und ihn einer Gehirnwäsche dahingehend unterzogen, daß es hier Milgonit gebe«, berichtete sie den besorgten Alphanern, die sich am Bett des Sicherheitschefs versammelt hatten. »Seine Energie übernahm Tonys Geistkörper und benutzte ihn dazu, daß er ein Stück des Ursteines absprengte, um Größe und Kraft des anderen Steines zu verstärken.« »Ich glaube, ich begreife allmählich«, bemerkte Reilly, nahm seinen Hut ab und kratzte sich nachdenklich den Kopf. »Dieser Stein kann vor vielleicht fünfzigtausend Jahren oder mehr bei einem kosmischen Sturm aus dem Raum gestützt sein. Wer weiß? Und er brauchte zum Überleben Wasser. Während vieler Jahrhunderte hat er den Planeten Tropfen für Tropfen leergetrunken. Und wißt ihr was? Ich bin vielleicht wirklich nur ein dummer Geologe, aber so viel weiß ich: wenn wir diesen Stein im Eagle mitnehmen, begehen wir Selbstmord.« Auf morbide Art lächelte er einen nach dem anderen an. »Der menschliche Körper besteht zum überwiegenden Teil aus Wasser…« Es war eine unheimliche Feststellung. Koenig setzte seinen überanstrengten Körper wieder in Bewegung und stapfte
schwer herum. »Habe ich nicht schon gesagt, was dieser Stein uns tun will oder was er von uns verlangt?« wandte er sich an Maya. Die Psychonierin schüttelte den Kopf. »Offensichtlich würde er nicht…« Er biß die zahne zusammen. »Dann ist es aus mit uns. Die Schiffssysteme sind tot… Wir können nichts tun – bis auf eines… Es ist viel zu gefährlich, diesen Stein zu behalten, diese Kreatur in unserem Schiff zu lassen.« Er sah Helena an. »Es tut mir leid, aber wir müssen wirklich irgendwie versuchen, uns mit dem Wesen zu verständigen, um Tony außerhalb des Schiffes zu retten.« Er stapfte zu der glühenden Masse auf der Werkbank. »Nein, John, laß es in Ruhe!« rief Helena und sprang auf, »es könnte dich töten!« Ehe sie noch den zu allem entschlossenen Commander erreichen konnte, schoß aus dem Stein ein intensiver Strahl blauen Lichtes und traf ihn an der Brust. So, wie das orangefarbene Licht Verdeschi eingehüllt hatte, so umgab nun dieses blaue Koenig. Entsetzt sahen sie zu, wie er in die Knie brach, und dann tat er einen lauten Schmerzensschrei. Doch dieser Strahl schlug sein Opfer nicht bewußtlos. Dann erlosch das blaue Licht. »Ich… glaube… ich… bin noch… heil«, keuchte Koenig, und Carter stützte ihn. Er lächelte matt. »Mein… Herz scheint noch… zu schlagen…« Sie halfen ihm auf die Füße, doch er atmete noch immer stoßweise und mühsam. Helena zählte seine Pulsschläge und nickte. Mit dem Handrücken maß sie die Temperatur seiner Wange. »Der Stein hat diesmal mit einem blauen, nicht mit einem orangefarbenen Licht zugeschlagen«, stellte sie fest. »Das
lähmte ihn. Und dann…« Sie überlegte, dann schoß ihr wohl ein Gedanke durch den Kopf. »Aber welche Farbe tötet?« Es blieb ihnen keine Zeit, diese Frage zu beantworten. Als sei der Stein zornig, weil man versucht hatte, ihn zu entfernen, begann er wieder zu glühen und pulste in einer unabschätzbaren Kraft, so daß alle große Angst bekamen. Allmählich wurde ihnen der Grund dafür klar. Er saugte Luft in sich hinein. Mit der telekinetischen Kontrolle über die Schiffssysteme aktivierte er die lebenspendenden Atmosphärepumpen und kehrte den Fluß des Pumpenmechanismus um. Der Stein hatte beschlossen, sie alle zu töten. Keuchend holten sie Atem, und jeder versuchte soviel wie möglich von der kostbaren Luft in sich einzusaugen, ehe sie ganz verschwand. Koenig taumelte zur Schleuse und versuchte sie zu aktivieren. Diesmal schob sich die innere Tür langsam auf, doch es war schon zu spät, diese Tatsache richtig würdigen zu können. Als die anderen wie betrunken in die Schleusenkammer taumelten, versuchte er die Außentür zu öffnen, um Luft von draußen ins Schiff zu holen. Die Tür funktionierte nicht, sie blieb geschlossen. Der Kopf wirbelte ihm, und ehe er in die Bewußtlosigkeit des Sauerstoffmangels fiel, schlug er noch einmal auf die Knöpfe. Die anderen Alphaner wurden ebenfalls ohnmächtig. Helena lag auf dem Boden des Schiffes und konnte sich nicht bewegen. Ihr Gesicht drückte namenloses Entsetzen aus. Eine kalte, schimmernde grüne Lichtfülle hüllte sie ein, die gebieterisch aus dem glühenden Stein schoß und sie davor bewahrte, den anderen zu folgen. Irgendwie war sie allein in der Lage zu atmen. Ihre Sinne waren klar, und aus ihrem grünen Gefängnis heraus beobachtete sie besorgt, wie sich die innere Schleusentür hinter ihren Freunden schloß und sie hoffnungslos abriegelte.
III
Aus der Dunkelheit kamen ein heller Schimmer und das Gefühl des Seins, das ihn ins Bewußtsein zurückbrachte. Koenig wachte in der Luftschleuse auf, in der warmen, trockenen Luft des Planeten. Der Schimmer sickerte durch die offene äußere Tür und erinnerte ihn an die unangenehmen Vorkommnisse der letzten Minuten. Also war die Tür schließlich doch geöffnet worden, und so wurden sie dann gerettet. Aber von wem? Und die innere Tür war verschlossen. Warum? Mühsam kam er auf die Füße. Er stolperte die Stufen zum Wüstenboden hinab. Reilly, Carter und Maya sprangen neben ihm auf den Boden. »Helena? Sie ist drinnen«, hörte er sich selbst sagen. Mühsam kletterte er wieder die Stufen hinauf, um die innere Tür zu öffnen – ohne Erfolg. Er zog seine Laserpistole und schoß einen heißen Lichtstrahl gegen die Metallegierung der Tür. Er wußte jedoch, daß dies kaum etwas nützen würde, denn die Tür mußte ja sowieso den größten Hitzebelastungen standhalten. Bekümmert glaubte er, sie sei nicht in der Lage gewesen, rechtzeitig das Schiff zu verlassen, und nun müsse sie wohl gestorben sein. Aber er drückte dann doch ihren Code auf seinem Commlock. »Helena, kannst du mich hören?« rief er. Es war eine freudige Überraschung, daß Helenas Gesicht auf dem winzigen Schirm erschien, und vor Erleichterung wäre er fast zusammengebrochen. »Ja… ich kann… dich hören, John…«
Sie mußte aber unter einer ungeheuren Belastung stehen. Dann erst bemerkte er, daß sie ganz von grünem Licht eingehüllt war; auf dem Schirm sah es spinnwebenzart aus, doch ihr schien jede Bewegung Mühe zu machen. »Commlock… öffnet nicht… die Tür…« keuchte sie. »Versuchs noch einmal mit dem Computer«, befahl Koenig. »Ich…kann nicht…zu ihm…gelangen…« Sie sah sehr erschöpft aus. »Hast du Schmerzen?« erkundigte er sich besorgt. »Taub… Kann mich nicht… bewegen… kein Gefühl… Das Licht… wird immer… stärker…« Die ganze Entschlossenheit fiel von ihr ab, als sich das grüne Licht in seiner Intensität vertiefte. Der Umriß ihrer Gestalt schien in diesem Strahlen nebelhaft zu zerfließen. »Helena!« Ganz plötzlich war das grüne Licht weg, ihr Bild wieder klar zu sehen. Sie wirkte jetzt entspannter. Ihre Augen sahen ihn jedoch nicht an, sondern blickten irgendwohin abseits vom Schirm; ihr Ausdruck war gleichzeitig der großer Erleichterung und Verwunderung. »Das Licht hat sich von mir weg bewegt. Jetzt untersucht es die Vorratswand.« Nun wurde er sich darüber klar, daß die felsige Lebensform sie alle absichtlich zum Schiff hinausgejagt hatte; also hatte sie nicht die Absicht des Tötens gehabt, doch sie brauchte aus irgendeinem Grund Helena. »Geh zur Pilotenkanzel«, riet er ihr. »Ich… kann nicht… bin… noch immer unbeweglich…« erklärte sie. Und dann: »Jetzt hat es sich… auf den Wasservorrat konzentriert.« Koenig wandte sich erschrocken an die anderen. Alle waren die Stufen wieder hochgestiegen, um nötigenfalls eingreifen zu können und tauschten nun wissende, verzweifelte Blicke.
»John…« Helenas Stimme klang sehr schwach. »Der Stein… hat Wasser… aufgenommen… Jeden Tropfen… Er hat alles einfach… aufgesogen. Das Wasser schoß in einem Strahl… quer durch den Raum in den Stein. Jetzt wird er viel größer…« Bestürzt hörten ihr alle zu. »Helena, wir werden eine Möglichkeit finden, ins Schiff zu gelangen«, versprach ihr Koenig, als er wieder die Stufen hinabstieg. »Wir werden dafür sorgen, daß der Rest dieses Felsbrockens völlig zerblasen wird.« Er stapfte entschlossen in das Dunkel hinein. Die Schwerkraft beanspruchte seine Kräfte bis zur Erschöpfung. Er hielt das Commlock in der einen Hand, zog mit der anderen seine Laserpistole und hielt sie fest. Dann winkte er den anderen, sie sollten ihm folgen. Sie kamen jedoch nicht weit, da hörten sie Helena wieder schreien, und er blickte auf den Schirm. Nun war sie von den gleichen blauen Strahlen umgeben wie vorher er, und jetzt wußte er auch, weshalb sie an Bord des Schiffes zurückgehalten worden war: sie sollten sich nicht rächen können. Der blaue Strahl war zwar schmerzhaft gewesen, doch getötet oder auch nur verletzt hatte er nicht. Nun wurden ihre Schreie immer lauter und ängstlicher, und er konnte nichts für sie tun. Er hielt aber alle an und wandte sich wieder dem Schiff zu, das er nun gehässig anstarrte; nun, nicht eigentlich das Schiff, sondern das hassenswerte Wesen, das dort drinnen war. Plötzlich endete das Schreien, und er hörte Helena im Commlock schluchzen. »John, es tut mir so leid. Ich konnte nicht anders.« »Ist schon in Ordnung«, antwortete er. »Ich konnte es nämlich auch nicht ertragen. Helena, im Moment sieht es so aus, als habe uns dieses Ding überwältigt. Wir können also nur
warten, und wir warten hier. Du mußt aber aufpassen und uns wissen lassen, was weiter vor sich geht.« Sie nickte, und ihr tränenüberströmtes Gesicht wandte sich vom Schirm ab. Einen Moment später war ihre Stimme wieder zu vernehmen, diesmal sehr verblüfft. »Jetzt ist ein gelbes Licht da.« Alle waren nun sehr neugierig, drängten sich an Koenig und beobachteten den kleinen Schirm. »Es erforscht die Pilotenkanzel… bedient sich der spiegelnden Oberflächen, um abzuspringen und um Ecken zu gelangen.« »Stell etwas in die Türöffnung der Pilotenkanzel!« riet er ihr, als ein plötzlicher heller Schimmer seine Augen traf. »Du mußt es hindern, seine Strahlen hineinzuwerfen!« »Ich kann… mich nicht bewegen. Ich versuche ja…« stöhnte sie. Er seufzte schwer. »John, jetzt aktiviert es die Flugkontrollen!« schrie sie. »Ich kann es hören!« »Um Himmels willen, so versuch doch wenigstens, dich zu bewegen!« schrie er sie an. Instinktiv traten alle ein Stück von den Maschinen des Eagle zurück, denn nun konnten sie jeden Moment zu feurigem Leben erwachen und sie zu Zunder verbrennen. Sie waren sich darüber klar, daß der Stein versuchte, ihr Schiff zu stehlen, um nach mehr Wasser suchen zu können. Und es war ihnen auch sofort klar, daß dies eine recht beängstigende Möglichkeit war. Todesangst. Die Angst, für immer von der Mondbasis abgeschnitten zu sein… Es schien keine Möglichkeit zu geben, zum Eagle Vier zurückzukehren. Sie mußten zusehen, wie die Raketen Feuer spien, wie das Schiff vor verhaltener Kraft zitterte und sich dann langsam in die kochende braune Wolkenmasse hob. Ihr
Entsetzen war so ungeheuer, daß ihnen war, als sei diese Szene nur ein ganz besonders häßlicher Alptraum…
Kein Beten, kein Fluchen und kein Wüten brachte das Schiff zurück, und sie konnten nichts anderes tun als zusehen. Es tauchte in die braune Wolkenflut, nur da hörten sie wieder Helenas verzweifelte Schreie. Als sie schon nicht mehr wußten, was sie denken und womit sie rechnen sollten, begann sich das Schiff zu senken. Erst hielten sie es für eine Sinnestäuschung, doch es wurde tatsächlich größer, und es ließ sich nicht mehr daran zweifeln, daß es schon wieder in Bodennähe war. »Es kommt tatsächlich runter«, krächzte Carter in der trockenen Hitze. »Ja«, sagte Koenig fast andächtig. »Und jetzt wird mir noch etwas klar. Dieser Stein kann den Rest von sich selbst nicht zurücklassen.« Alle hatten wieder Hoffnung, und alle fühlten sich, als seien sie von den Toten zurückgekehrt. Sie waren überzeugt, wieder eine Runde im Kampf ums Überleben gewonnen zu haben, und diesmal war es der Kampf mit den felsigen Bewohnern dieser toten Welt, auf der sie gelandet waren. Als das Schiff wieder ruhig auf seinen Landekissen lag und die Staubwolken sich langsam setzten, hob Koenig sein Commlock an die Lippen. »Helena, was ist da drinnen geschehen?« rief er. »Ich weiß es nicht«, erwiderte sie sehr erschüttert. Ihr Gesicht war leichenblaß. »Ich konnte mich überhaupt nicht bewegen. Zum Glück ist es wieder gelandet.« »Vielleicht hat es die Maschinen ausprobiert«, vermutete Carter. »Was ist mit Tony?« wollte Maya wissen.
»Ich sehe ihn kaum, aber es hat sich nichts verändert.« Es gab eine längere Pause, dann kam wieder ihre Stimme. »John, es fängt schon wieder ganz hell zu glühen an«, berichtete sie aufgeregt. »Farbe?« fragte Koenig. »Das gelbe Licht geht wieder von ihm aus.« »Gelb schickt keinen Schmerz aus«, bemerkte Maya. »Es scheint eine Gehirntätigkeit zu bezeichnen.« »Es übernimmt den Computer…« »Und was tut der Computer?« Wieder herrschte eine Weile Schweigen, dann sahen sie, wie Helena aus ihrer sonstigen Lähmung heraus den Hals ein wenig bog, um zu sehen, was vorging. »Verschiedene Sternenkarten erscheinen auf dem Schirm«, meldete sie. Reilly brummte etwas. Dann sagte er: »Hundert zu eins sucht es jetzt einen Platz, wo es Wasser finden kann.« »Ja, und es ist höchste Zeit – genau wie für uns«, erklärte Koenig grimmig. »Du hast leider recht gehabt«, sagte er zu Carter. »Es hat tatsächlich vorher nur die Maschinen getestet.« »Das Problem ist nur, welche Zeit zuerst abläuft…« »Spielt es denn noch eine Rolle?« warf Maya ein. »Es läßt uns ja nicht ins Schiff. Und es muß diesen Planeten sehr schnell verlassen, sonst stirbt es.« »Das Gefühl ist uns ja nicht unbekannt«, steuerte Carter trocken bei. Nach einem Moment berechtigten Selbstbedauerns sprach Koenig wieder mit Helena. »Kommen noch immer Sternenkarten auf dem Schirm?« »Jetzt ist der Schirm leer.« »Helena, dann hör mal genau zu. Es besteht immerhin die Möglichkeit, daß der Stein nicht abheben kann ohne den Rest von hier draußen. Tony könnte vielleicht noch einmal herauskommen müssen, um das übrige einzusammeln.
Geschieht das, dann verständigst du uns in der gleichen Sekunde, wenn er das Schiff verläßt. Klar?« »Klar«, erwiderte sie. »Was…« »Nicht jetzt«, unterbrach Koenig sie und schaute die anderen voll grimmiger Entschlossenheit an. »Schauen wir jetzt mal, was mit den Felsen hier draußen passiert, und warten wir auf Tony. Wenn er kommt…« Die Felsbrocken schimmerten durch die bräunliche Dunkelheit, als sie sich ihnen näherten. Es waren drei große, die ein Stück in das sandige Granulat eingesunken waren. Es konnte sein, daß der Versuch des Felsstückes im Schiff, die Gegenstücke zurückzulassen, sie mit neuer Energie versehen hatte, oder sie glühten aus einem anderen Grund. Sie mußten sehr schwer sein. Sicher wären einige starke Männer nötig gewesen, auch nur einen Block zu bewegen, oder ein Mann mit einem Fahrzeug und Flaschenzug. Koenigs Hoffnungen schwanden, als er sich die Größe dieser Aufgabe ausmalte. Würde der Stein nicht einfach wieder ohne die Felsen hier draußen abheben? Aber da meldete sich Helena. »Er wacht auf… Tony… Er geht zur Luftschleuse…« »Gut…« Koenig war sehr befriedigt. »Dann haben wir ja eine Chance.« Angestrengt lauschte er, als Helena ihm genau erzählte, was Verdeschi tat. »Jetzt ist er außen. Ich denke, er nimmt den Mondkäfer. Ja, ich höre seine Maschinen…« Koenig nickte und wandte sich an Carter. »Hast du’s gehört?« Der Pilot nickte. »Wir fächern uns auf und treten dazwischen, sobald wir genau wissen, was er tut. Der Fels hat anscheinend den Bordcomputer so programmiert, daß er nur auf Tonys Commlock reagiert. So, das ist es also…« Er bedeutete ihnen, sie sollten sich auffächern. Bald sahen sie einander nicht mehr. Alle lagen im Sand und beteten, daß diese sonderbaren Wolken da oben nicht
ausgerechnet im falschen Moment einen Lichtstrahl durchließen. Vielleicht stand Verdeschi unter so starker Kontrolle, daß er nichts sah und hörte, was nicht zu seiner Aufgabe gehörte, doch sie durften kein Risiko eingehen. Es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis sie endlich die batteriegetriebenen Maschinen des Mondkäfers hörten. Die Scheinwerfer waren nicht eingeschaltet, und Koenig war froh darüber, da der Italiener so auch nichts sehen konnte. Die drei Steinbrocken glühten jetzt etwas schwächer. Offensichtlich ließ die Energie nun nach. Der Mondkäfer hielt bei einem an. Das Wesen, das eigentlich Verdeschi war, kletterte ungeschickt heraus und taumelte den Felsen entgegen. In einer ausgestreckten Hand hatte er einen Laser. »Jetzt!« rief Koenig und sprang auf. Carter, Reilly und Maya reagieren blitzschnell, das heißt, so schnell, wie es diese Schwerkraft überhaupt erlaubte. Sie stolperten durch den düsteren Schimmer, kreisten den Mondkäfer ein und bestiegen ihn leise. Dann wußten sie nicht mehr recht, was sie weiter tun sollten. Der Zombie-Verdeschi schaute mit blicklosen Augen über ihre Köpfe, doch irgendein Sinn schien ihn zu leiten und ihm zu sagen, wo sich die anderen befanden. Wortlos kreiste sein Laserarm. Er richtete die Waffe auf Koenig. Der Commander warf sich, unterstützt von der doppelten Erdenschwerkraft, zu Boden, so daß die Lichtlanze über seinem Kopf durch die Finsternis schoß. Ehe Verdeschi wieder schießen konnte, ließen Carter und Reilly ihre Waffen sprechen. Deren Strahlen trafen ihn und explodierten zu einer grellen Lichtkugel. Die Intensität dieses Lichtes ließ sie zurücktaumeln. Sie hatten doch nur einen ganz kurzen Feuerstoß abgegeben, aber nun hatten sie vor sich einen wütenden Energieball.
Aber diese Kugel strömte keine Hitze aus, sondern eine so eisige Kälte, daß sie bis ins innerste Mark froren. »Das ist Endothermie!« keuchte Maya. »Es saugt alle Hitze auf.« »Und ich hatte meine Waffe nur auf Lähmung eingestellt«, sagte Carter verwundert. »Ich auch«, steuerte Reilly bei. Koenig kam mühsam auf die Füße, doch als er stand, war die Lichtkugel verschwunden. Nun lag auf dem Wüstenboden Verdeschis Laser und daneben sein Commlock. Von Verdeschi war nichts zu sehen. Angstvoll torkelten sie weiter. Koenig hob den Laser auf, Reilly das Commlock. Der Geologe, der im Moment sowieso für Verdeschi nichts übrig hatte, schien am klarsten denken zu können. Maya sah nicht mehr so furchtbar deprimiert drein. »Endothermie…« wiederholte sie. »Das heißt, Helena hat recht gehabt. Es war nicht Tony, was wir getötet haben; es ist nicht möglich, daß ein lebender, aktionsfähiger Mensch eine solche Hitze aufsaugen könnte, wenn er zu Atomen zufällt. Das heißt aber, daß dieser angebliche Tony eine Komposition aus Antimaterie gewesen sein muß, eine psychische Projektion. Aber was ist dann mit dem echten Tony geschehen?« Ein Gedanke schoß ihr durch den Kopf, und da jammerte sie laut. »Ich muß Tony finden«, klagte sie und schaute sich um. »John!« Helenas erstaunte Stimme war wieder zu vernehmen. »Etwas ganz Merkwürdiges… Tonys Körper erschien plötzlich wieder da, wo er war… Oh!« Nun erfolgte ein Freudenschrei. »Und ich bin wieder frei! Und Tony hat sich bewegt! Er ist biologisch und medizinisch gesehen am Leben!« »Kommt, kommt«, drängte Koenig. »Der Fels wird schwächer. Wir müssen zum Schiff zurück, ehe…« Ungeschickt drehte er sich um, weil er bemerkte, daß Reilly
verschwunden war. Und wer hatte nun Tonys Commlock? »He!« rief er. »Der Irre hat etwas Dummes vor!« Reilly torkelte durch die dunkelbraune Dämmerung. Da seine Muskeln kräftiger waren als die der anderen, konnte er auch schneller zum Schiff laufen, weil er die mächtige Schwerkraft des Planeten leichter überwand, die den anderen alle Energie entzog. Am Schiff schoß er mit dem Commlock des Sicherheitschefs an die Außentür der Luftschleuse. Glatt und ganz selbstverständlich schob sie sich auf, zuerst nach außen, dann nach unten, als habe die Schwerkraft keinerlei Einfluß auf ihre Hydraulik. »Minus eine Stunde und dreißig Minuten zum Abheben«, meldete der Computer mechanisch, als Reilly in das hellerleuchtete Labor taumelte. Helena stand neben Verdeschi, der noch ziemlich benommen lächelte, aber aufrecht saß. Beide lächelten ihn an, als sie ihn erkannten. Helena ging ihm entgegen. »Ist schon gut«, sagte sie und schaute zu dem Stein auf der Werkbank. »Es scheint zu sterben…« Sie bemerkte sein entschlossenes Gesicht. »Wo ist John mit den anderen?« fragte sie nervös und schaute zur Luftschleuse. Er schien sie nicht gehört zu haben. Er ging zum Stein; nach seiner herkulischen Anstrengung war jetzt jede seiner Bewegungen mühsamer. Mit zitternder Hand zielte er mit dem Laser auf den Stein. »Nein!« riefen Helena und Verdeschi gleichzeitig und liefen ihm entgegen. »Es könnte dich töten!« Reilly lachte nur verächtlich. »Den lieben Dingern hat man bisher schon zuviel Freiheit gelassen. Von Anfang an hätte man sich nicht mit ihnen einlassen sollen. Hättet ihr einen anderen Commander als diesen…«
Da begann der Stein wieder in einem goldenen, geheimnisvollen Licht zu glühen. »Dave, es hat sich nur ausgeruht!« rief Helena eine Warnung. Zu spät, denn ehe der selbstbewußte Geologe den Feuerknopf seines Lasers drücken konnte, schoß ihm ein gelber Lichtstrahl entgegen. Er traf seinen Waffenarm, elektrisierte ihn und schickte die Laserpistole klappernd über den Boden. Dann spielte er über Reillys Gesicht. Entsetzt beobachteten sie, wie der Strahl nach seinem Geist griff und ihn zu seinem Ausgangspunkt führte, zu dem goldenen glühenden Stein auf der Werkbank. Nun war Reilly so machtlos wie ein großes Baby. Seine Finger griffen nach dem schimmernden Stein und legte ihn, wie ihm befohlen war, unter das Petroskop. Dann mußte er um sein Leben kämpfen, als er gezwungen wurde, sich über das Okular zu beugen. Koenig, Carter und Maya kletterten erschöpft ins Schiff, aber sie konnten nicht mehr helfen. Die grelle orangefarbene Lichtzunge, die Verdeschi zu einem seelen- und geistlosen Halbwesen gemacht hatte, brach in mächtiger Flut aus dem Petroskop, umhüllte Reillys Kopf und warf den um sich schlagenden Körper mit aller Wucht auf den Boden.
IV
Die Kommandozentrale der Mondbasis Alpha wirkte recht verlassen. Düstere Gesichter waren hinter den Konsolen, überwachten die Instrumente und suchten verzweifelt nach dem winzigsten Zeichen, das ihnen verriet, daß Commander Koenig, Dr. Russell, Maya, Alan Carter und Dave Reilly noch am Leben waren. Yasko, von Geburt Japanerin, Sandra Benes von London auf einem Planeten, der Erde genannt wurde, und andere. Bill Fraser, Eagle-Pilot, und Dr. Ben Vincent, Helenas medizinischer Berater und engster Mitarbeiter, drängten sich an die Kommandantenkonsole und studierten Computerausdrucke. In ihrer besorgten Enttäuschung erlebten sie eine kleine Freude. Ein winziges, ganz schwaches Signal war von ihnen aufgefangen worden, nicht vom Eagle Vier, sondern aus einem anderen Abschnitt des Universums. Es war ihnen noch nicht klar, woher es kam oder wer es ausgesandt hatte, und es war auch so verwirrend wie geheimnisvoll, denn das Signal schien von der Erde zu stammen. »Ich versteh’s einfach nicht, und ich glaub’ es auch nicht«, erklärte Fraser und schüttelte den Kopf. »Wir sind schon so oft von den unmöglichsten Wesen, die sich als Erdenmenschen ausgaben, an der Nase herumgeführt worden… Und wie kann die Erde sich mit uns in Verbindung setzen, wenn sie Millionen von Lichtjahren von uns entfernt sein muß?« »Ja, es wäre zuviel erwartet, und wir wurden schon so oft enttäuscht«, pflichtete ihm Vincent bei. »Leg mal das Signal
auf den großen Schirm um, damit sich die anderen auch die Köpfe darüber zerbrechen können.« »Das geht jetzt nicht«, erwiderte Fraser. »Mit dem großen Schirm versuchen sie ja den Eagle Vier zu finden.« Vincent zuckte die Achseln. »Es wird nichts ausmachen, wenn sie mal für einen Moment unterbrechen. Und die Suche geht ja weiter, wenn auch nicht gerade mit Sichtkontakt.« »Okay…« Fraser drückte eine Reihe von Knöpfen an der Konsole vor ihm. Der große Schirm, der die ganze Kommandozentrale beherrschte, wurde für einen Augenblick tot, und die Leute protestierten heftig. Das Bild der Sterne, zwischen denen Koenig verschwunden war, wurde von einem anderen Sternenhaufen ersetzt, diesmal von hinter dem Mond, aus der Richtung des bisherigen Kurses. »Die Signale des Commanders wären aber viel wichtiger als schwache Signale von irgendwoher«, erklärte Sandra Benes zornig. Fraser winkte ab. »Lehn dich mal zurück und hör zu. Und dann laß uns wissen, ob du glaubst, sie könnten von der Erde sein.« Alle schwiegen, teils sehr gespannt, teils widerstrebend, als die verstärkten Signale sie über Millionen von Meilen aus dem Raum erreichten. Der Hauptcomputer entzifferte den merkwürdigen Code und übersetzte ihn in eine menschliche Stimme, die knisternd und knackend aus den Lautsprechern kam. Alle wurden, ob sie wollten oder nicht, von der Dramatik dieser Stimme eingefangen und einer ganzen Gefühlsskala ausgeliefert, während sie lauschten. »Das ist eine neutronische Transmission«, rief die ferne Stimme. »Das ist eine neutronische Transmission. Wir rufen die Mondbasis Alpha über neutronische Transmission…rufen die Mondbasis Alpha über neutronische Transmission…«
Es war eine hohle, ausdruckslose Stimme, von der Unendlichkeit des durchquerten Raumes verzerrt. Ein paar begannen zu zittern, andere fröstelten. »Das könnte von der Erde kommen«, sagte Yasko schließlich langsam, und ihr orientalisches Dauerlächeln vertiefte sich zu einem freudigen Strahlen. »Als wir die Erde verließen, war eine neutronische Transmission eine noch weit in der Zukunft liegende Spekulation. Aber die Erde muß jetzt um viele hundert Jahre vorangekommen sein, vielleicht sogar um mehrere tausend. Wer behauptet, sie könnten inzwischen nicht eine Technologie entwickelt haben, die es ihnen ermöglicht, uns zu finden?« »Aber wir wurden schon so oft mit diesem Argument in die Irre geführt«, wandte Sandra ein. Yasko nickte. »Aber wir sind es uns selbst schuldig und natürlich John und Helena, einen Versuch zu machen, dieses Signal zu beantworten.« Alle pflichteten ihr da bei. »Gut, dann fordere die Identifikation«, wies Fraser sie an. Yaskos zierliche Hände huschten über die Konsole und öffneten ein breites Band; den eigenen Transmissionsstrahl richteten sie dorthin, woher das Signal kam. »Hier ist die Mondbasis Alpha, bitte identifiziert euch«, rief sie in ihr Mikrophon. Fast sofort kam die Stimme durch, die behauptet hatte, von der Erde zu sein, und nun klang sie sehr aufgeregt. »Mondbasis Alpha… Ist dort wirklich Mondbasis Alpha? Mondbasis Alpha, wir waren gar nicht so sicher, daß es euch noch gibt. Hier ist Raumstation Eins, Texas City, Planet Erde.« Die Alphaner in der Kommandozentrale waren zutiefst bewegt. Sie wagten sich nicht zu bewegen, als die Stimme von der Erde vergebens den Kontakt fortzusetzen versuchte. »Ich wiederhole… Raumstation Eins, Texas City…«
Die Alphaner, die nun noch saßen, sprangen auf und drängten sich alle um den Schirm. Und alle, außer Yasko, verfielen dieser hypnotischen Stimme. »Planet Erde… bitte warten«, sagte ihnen die Stimme. Sie konnten noch immer nicht antworten. Endlich fand Vincent seine Stimme wieder. »Laßt diesen Kanal offen…« Yasko rief immer wieder diese Stimme, aber nun bekam sie keine Antwort mehr. »Wir haben den Kontakt verloren!« rief sie verzweifelt. »Hol sie doch zurück, das mußt du doch können«, riet ihr Fraser. Die erste große Freude war abgeebbt, und er wandte sich mißtrauisch zu Vincent um. »Was weißt du über neutronische Transmission?« Der Doktor zuckte die Achseln. »Theoretisch kann sie in Sekundenschnelle Millionen von Meilen überbrücken.« »Wie kommt es dann, daß wir uns über ganz gewöhnliche Radiowellen mit ihnen verständigen können? Selbst wenn wir genau wüßten, wo die Erde ist, müßten wir ewig darauf warten, daß unsere Mitteilung sie erreicht.« »Ich weiß es nicht…« Vincent schüttelte den Kopf. »Ich bin ebenso skeptisch wie du. Aber vielleicht haben die Leute, die diese neutronische Transmission erfanden, ein Such-, Findeund Antwortsignal einbauen können, so daß sie unsere Radiotransmission auffangen und in neutronische Transmission umwandeln können. So etwas wie ein Telegramm mit eingebauter Rückantwort…« »Klar«, meinte Fraser sarkastisch dazu. »Mit einem Botenjungen, der draußen im Raum wartet und im Laufschritt zur Erde saust. Und das alles in Sekundenschnelle…« »Na, ja, man kann nie wissen…« Vincent war für jede, auch die unwahrscheinlichste Möglichkeit aufgeschlossen. »Na, schön… Dann könnte es also vielleicht die Erde gewesen sein.«
»Möglich«, antwortete der andere lächelnd, »falls wir es wiederfinden.« »Im Moment schalten wir aber den Schirm ab, damit wir unsere Suche fortsetzen können«, unterbrach Sandra die Diskussion. »Die Suche nach der Erde scheint für den Moment abgeblasen zu sein.« Sie beugte sich über die Kommandantenkonsole und drückte einige Knöpfe. Das unbekannte Sternenmuster auf dem großen Schirm verschwand und wurde wieder von jenen Sternen ersetzt, die den Eagle Vier verschluckt zu haben schienen. Einer der Sterne, größer als die anderen, war mit einem roten Ring markiert und bezeichnete die Stelle, von wo die letzte Nachricht des Kommandanten stammte. Sandra kehrte auf ihren Platz zurück und begann nun mit den anderen, die ebenfalls wieder an ihren Konsolen saßen, die ungeheuer starken Raumkameras auf den ringmarkierten Stern und seine Planeten auszurichten. Sie hatte Erfolg und während sie noch arbeitete, löste sich die bräunliche Planetenmasse langsam in Einzelheiten auf. Es war ein häßlicher, düsterer Planet, und die Beobachter fanden ihn bedrohlich. Irgendwo unter der kochenden, fauligen Wolkendecke lag das Schiff. Intakt oder als Wrack, das wußten sie nicht.
Das kleine Bordlabor des Eagle Vier war hell erleuchtet. Koenig, Helena, Maya und Verdeschi standen im grellen Licht gespannt in dessen Mitte. Sie konnten nicht in den Ablauf des Dramas, in den Kampf um Leben und Tod, eingreifen. Dave Reillys Körper lag noch immer auf dem Boden. Er war eindeutig in einem ähnlich spukhaften Zustand, in dem vor kurzem Verdeschi gewesen war, aber er zuckte immer wieder
oder schüttelte sich. Er stöhnte vor Schmerzen, als er versuchte, die tödliche Kontrolle des Steines abzuwehren. Die gelben Strahlen gaben das gebrochene Licht eines sehr großen Topases ab, das immer wieder über die Kontrollen und Konsolen des Schiffes zu spielen schien. Der Stein pulsierte in einem starken, grellen Licht. Die synkopische Untermalung dazu gaben die blinkenden und blitzenden Lichter des Bordcomputers, der sich der Steinkontrolle widersetzte. Und Reilly war zwischen beiden gefangen. Sein Gehirn kämpfte verbissen darum, diese Finger abzuschütteln. Allmählich wurde der Stein schwächer, doch der Kampf um so dramatischer. Er hatte nicht mehr genügend Energie zur Aufrechterhaltung seiner Kontrolle und konnte daher Reilly und den Computer nicht mehr in Schach halten. Während sie zusahen, blinkte aus dem phantastischen Lichtspiel hier ein Licht aus, dort wurde eines schwächer, dann erloschen mehrere. Und das pulsierende Glühen des Steines verblaßte. Koenig nickte den anderen grimmig zu. Einer nach dem anderen zog den Laser heraus. Koenig sah Maya an. »Bist du auch sicher, daß dies wirkt?« Maya nickte. »Die vier gemeinsam abgeschossenen Laserstrahlen erzeugen genug Hitze, ein ganzes Reservoir auszutrocknen.« »Dann ist es doch eine todsichere Sache, den Stein auszutrocknen und ihn damit entscheidend zu schwächen«, warf Carter ein, wenn er auch das Objekt dieses Angriffes wenig überzeugt musterte. »Vielleicht sogar zu töten«, gab Maya fast betrübt zu. »Wenn es sein muß, dann muß es eben sein«, erklärte Koenig bestimmt. »Wir können es nicht zulassen, daß Reilly in diesem Zustand noch mehr Steine von draußen hereinholt, denn das hieße ja, ihm Verstärkungen zuführen.«
Die buttergelben Lichtstrahlen schossen noch immer wild nach allen Instrumenten, doch allmählich wurden sie schwächer. Nun konzentrierte der Stein seine nachlassende Kraft auf den am Boden liegenden Geologen. Fast sofort hörte er sich zu bewegen auf und zuckte. Nach einer Weile erhob er sich so, als sei er aus Holz, auf die Füße. Mit blutunterlaufenen, starren Augen sah er sie an, dann an ihnen vorbei, schließlich die offene Tür. Auf die stakste er zu. »Wir müssen schießen«, drängte Helena, doch Koenig zögerte. War denn der Stein schon schwach genug? Er hatte doch eben seine Kräfte gesammelt. »Okay«, entschied er dann, sah dabei aber recht unglücklich drein. »Feuer!« Alle zusammen hoben sie die Waffenarme, doch ehe sie den Feuerknopf drücken konnten, schoß aus dem Stein eine blendende Strahlenbatterie. Es waren blaue Strahlen, die immobilisierten und schmerzhaft waren. »Oh… ich…« stöhnte Carter, als ihnen die Waffen aus den Händen geschlagen wurden. Vor Schmerzen gingen sie in die Knie und krümmten sich. »Alan!« schrie Maya plötzlich. Von dort aus, wo sie lag, konnte sie den Stein sehen. Und nun schickte er einen anderen Lichtpfeil aus, einen schwarzen, und er traf Carter. Es war ein eigenartiges, glühendes, fast undurchsichtiges Schwarz, fast wie gasförmiges Ebenholz. Während dieses schwarze Licht aus dem Stein schoß, rauchte er. Die goldene Oberfläche glühte rot, als müsse er sich über alle Maßen anstrengen. Carters Körper bedeckte sich rasch mit einer ganzen Reihe schwarzer, warzenähnlicher Flecken. Seine Haut trocknete aus und zog Blasen unter der Wirkung des schwarzen Lichtes. »Das ist das Todeslicht!« schrie Helena. »Schnell, deckt ihn zu!«
Gemeinsam begannen sie den schreienden Eagle-Piloten aus der Reichweite des schwarzen Strahles zu ziehen; sie schafften ihn in den Schatten der Werkbank, auf welcher der Schöpfer dieses schwarzen Strahles stand. »Jetzt sind wir sicher…« keuchte Koenig. Sie lagen alle auf dem Boden und drückten sich fest an die Werkbank. Der schwarze Strahl fand kein Fleisch mehr und schwang sich auf der Suche nach einem Ziel im Raum herum. Helena kümmerte sich um Carter so gut es möglich war. Der Pilot stöhnte heftig und krümmte sich vor Schmerzen. Eine Seite seines Gesichtes und seiner Kleidung hatten ziemlich unter der Wirkung des Strahls gelitten. Zum Glück erholte er sich langsam, nachdem er diesem schrecklichen Licht entzogen war. Seine Haut glättete sich, und die hochroten Flecken verblaßten. »Es war gerade noch rechtzeitig…« bemerkte Helena. Koenig knirschte mit den Zähnen. »Rechtzeitig für unseren Tod! Helena, wir müssen Reilly unbedingt daran hindern, mehr von diesem Stein hereinzuholen.« Fieberhaft suchte er im Labor nach einem Ausweg. Seine Augen folgten dem schwarzen Licht, das von den polierten Metallflächen zurückgeworfen wurde. Einmal traf ihn der Strahl, und da stöhnte er vor Schmerz. »Wir werden hier langsam ausgedörrt!« rief er plötzlich. »Wenn wir bleiben, müssen wir alle sterben, und es wird lange dauern…« Er betastete seine Haut. Sie war stellenweise schon sehr trocken, schälte sich und fiel in Flocken ab. Verzweifelt suchte er nach einer Fluchtmöglichkeit, er quetschte seinen Geist nach einem Ausweg aus. Da fiel ihm etwas ein. »Reflektionen!« rief er. »Warum benutzen wir nicht einen verdammten Spiegel!« Mühsam kroch er den engen Raum an der Werkbank entlang. An ihrem Ende schlossen Schränke an. Am ersten Schrank
hielt er an. Der Handgriff lag ein Stück über seinem Kopf, und wollte er ihn erreichen, mußte er riskieren, sich dem Strahl auszusetzen. Ein Moment der Unentschlossenheit dehnte sich zu einer Ewigkeit. Die Lichter blitzten und flackerten. Fast unbemerkt meldete der Computer den Stand des Countdown. Sie hatten noch dreißig Minuten Zeit, aus ihrer mißlichen Lage herauszufinden. Koenig zuckte zusammen. Er wartete, bis der schwarze Todesstrahl anderswo nach einem Ziel suchte. Dann tat er einen Satz, packte den Handgriff und zog sich in die Höhe. Voll sichtbar für den Stein riß er den Schrank auf und zog einen Feuerschutzanzug heraus. Der Anzug hatte eine oberste Lage spiegelblanken silbrigen Metalls, und als er ihn herauszog, funkelten die Instrumentenlichter des Labors wie Millionen bunter Sterne in der facettenartigen Oberfläche. Erleichtert bedeckte er sich damit und ließ sich zurückfallen. Sekunden später traf der tödliche Strahl den offenen Schrank. Helena half ihm, den Anzug anzuziehen. Der Helm bestand aus dem gleichen silbrigen, spiegelnden Metall, und nur der Sichtschild würde den Strahl durchlassen. Er mußte also, wenn er nicht durch den Sichtschild getötet werden wollte, den Kopf abwenden und so den Laser abschießen. Mühsam kam er auf die Beine. Fast sofort griff der schwarze Strahl nach ihm aus. Er fühlte, wie er in seinen Rücken brannte, doch es war so, wie er gehofft hatte – viel Schaden konnte er nicht anrichten. »Zwanzig Minuten bis zum Abheben«, meldete der Computer unbewegt. Eingehüllt in das schwarze Licht tappte Koenig zum Waffenhalter neben der Luftschleuse. Er wählte ein Lasergewehr und zog es an sich heran. Es war länger und viermal so wirksam als die Handwaffen, die sie normalerweise
immer mit sich herumtrugen. Aber jetzt entstand das Problem, mit dieser Waffe zu zielen und zu schießen, ohne daß er sein Ziel anschaute. Als fühle der Stein, daß er in einer Klemme steckte, verstärkte er seinen verzweifelten Angriff. Er nahm alle Kraft zusammen, um Strahlen in allen Farben auszuschicken – brennendrote, giftgrüne, schwefelgelbe, grellblaue –, alle trafen ihn in einem irren Versuch, ihn zu erledigen. Aber die verderbenbringenden Strahlen wurden von seinem Anzug zurückgeworfen zu ihrem Erzeuger. Der Stein flammte noch einmal auf und verblaßte dann fast völlig. Plötzlich bemerkte er sein Bild in der polierten Oberfläche einer Konsole. Langsam zog er sich dorthin zurück und hob das Gewehr in Sichthöhe. Dann wirbelte er herum und drückte gleichzeitig auf den Feuerknopf. Ihm blieb nur ein Sekundenbruchteil, wenn er die tödlichen Strahlen vermeiden wollte. Da fühlte er in seinen Augen einen ungeheuren Schmerz. Eine Welle roten Feuers wuchs über ihn weg, doch er klammerte sich erbittert an sein Bewußtsein und behielt den Finger auf dem Knopf. Endlich hörte der betäubende Schmerz auf. Sein Blickfeld klärte sich. Er schien aus einem bösen Traum zu erwachen, und er stand noch immer da und schoß auf den Stein. Der Laser löste ihn praktisch auf. Er hatte zu kämpfen aufgehört, die Strahlen waren erloschen. Er schrumpfte zusammen unter der Hitze des Lasers, und diese Hitze brachte den in ihm enthaltenen Wasservorrat des Schiffes zum Kochen. Der aus dem Stein entweichende Dampf war dick wie ein aufgeplustertes Kissen. Aber er schoß weiter, bis es auch keinen Dampf mehr gab, dann erst ließ er seinen Finger vom Feuerknopf gleiten. Er war ganz taub vom Drücken.
Helena, Maya, Verdeschi und Carter erhoben sich langsam aus ihren bequemen unbequemen Stellungen am Boden. »…minus zehn Minuten zum Abheben«, sagte blechern der Computer. Nun bekamen sie alle Angst. Sie versuchten ihm aus dem Anzug zu helfen, doch er winkte ab. Er selbst nahm den Helm ab und warf ihn zu Boden. »Schmeiß das Ding raus!« schrie er Carter an und deutete auf den rauchenden Stein. Dann wandte er sich zu Verdeschi um. »Hol Reilly zurück… Helena, Maya, ihr schnallt euch sofort an.« Er selbst ging schwerfällig zu seinem Sitz in der Pilotenkanzel. Seine Muskeln schmerzten so, daß er sich kaum aufrecht halten konnte. Er hatte jetzt nur einen Wunsch: ausruhen, im gewichtslosen Raum treiben, diese höllische Welt weit hinter sich lassen… Er war wirklich nicht hellwach, als er die Instrumente durchtestete. Sie waren alle wieder normal; alles war so, wie es sein sollte. Er wartete nur noch auf Carters und Verdeschis Rückkehr, damit er die Türen der Luftschleuse schließen konnte. Die Sekunden tickten viel zu schnell vorbei. Noch fünf Minuten, dann wäre der ganze Kampf umsonst gewesen… Er bekam die Kommandozentrale auf den Konsolenschirm. »John!« Das besorgte, vertraute Gesicht Vincents war etwas verschwommen. »John, Gott sei Dank, wir haben euch gefunden…« »Heb dir das Gott-sei-Dank für später auf«, nuschelte er übermüdet. Carter erschien neben ihm und warf sich in den Pilotensitz. Die Tür der Luftschleuse war geschlossen. Der Eagle-Pilot aktivierte sofort die Schiffsmaschinen, um den Eagle in die Höhe zu nehmen.
Als sie nach oben drängten, versuchte der Planet sie zurückzuhalten, und der Zug war so stark, daß die kurze Ohnmacht eine Wohltat war.
»Mondbasis Alpha an Eagle Vier… Mondbasis Alpha an Eagle Vier…« Die klagende, flehende Stimmen holte sie endlich aus ihrer schweren Erschöpfung zurück. »Hereinkommen, Eagle Vier… bitte kommen…« Koenig stöhnte. Jetzt erinnerte er sich wieder, wo er war, und sprach in den Kommunikator. »Eagle Vier an Mondbasis Alpha… hier spricht John Koenig… Alles in Ordnung. Wiederhole: alles in Ordnung.« Die Gesichter der Leute in der Kommandozentrale erschienen wieder auf dem Schirm. Er brauchte einige Zeit, bis ihm klarwurde, daß sie vor Freude lachten. »Diesmal lassen wir uns aber nicht mehr von eurer Spur abschütteln«, kündigte ihm Fraser lachend an, nachdem sie Mitteilungen und Grüße ausgetauscht hatten. »Es wird sehr schön sein, wieder von der Erde zu hören – falls es die Erde wirklich ist«, meinte Carter, der noch nicht recht überzeugt fröhlich sein konnte. Auch Koenig ließ sich nicht zu einem Freudentaumel hinreißen. »Uns interessiert jetzt gar nichts als nur das Schlafen«, erklärte ihnen Koenig. Er drückte noch ein paar Knöpfe, und nun erschien auf dem Schirm über ihren Köpfen die massive Kugel eines braunen Planeten, die nahezu den ganzen Schirm ausfüllte. Die Wolken wälzten sich dick und kochend wie nie zuvor. Allen wurde übel; alle hatten das Bedürfnis, sich würgend zu übergeben. »Der Fels stirbt«, rief Verdeschi über Intercom aus dem Labor.
»Wenn er kein Wasser bekommt, ist er in wenigen Sekunden tot«, ergänzte Reilly. Dann kam nach einer Pause Mayas Stimme. Sie klang ein bißchen traurig. »Es wollte doch nur überleben, aber es hatte nicht die Absicht, uns zu schaden. Wenn nur diese Wolken endlich ihr Wasser abgeben würden.« Reilly schniefte. »Der Stein hat uns zu töten versucht. Aber wenn du diese Dinger wirklich retten willst – nukleoide aktive Kristalle müßten eigentlich etwas ausrichten können«, fügte er etwas sanfter hinzu. »Du meinst also, wenn man die Wolken mit Iodin besät, dann regnen sie ab?« rief Maya glücklich. Koenig runzelt die Brauen, schüttelte den Kopf und konnte nicht glauben, was er hörte. Aber er wußte, daß Maya recht hatte. Sie hatten keine Veranlassung und auch kein Recht, irgendeine fremde Lebensform einfach sterben zu lassen, wenn sie es verhindern konnten. Die Felsen waren jetzt kein Risiko mehr für sie. »Okay, dann laßt ein paar Pfunde von diesen Kristallen abregnen«, befahl er. »Wird gemacht«, antwortete Maya eifrig. Koenig nickte Carter zu. Der Eagle-Pilot lachte breit und nahm das Schiff in eine lange Schleife über den kochenden Wolken. Als sie nur ein paar hundert Meilen über den Wolken dahinfegten, säten sie viele hunderttausend purpurschimmernde Iodinkristalle in diese wirbelnden Massen und fügten so den Felsen und ihrem Lichterspiel noch eine weitere Farbe hinzu. Dann rasten sie weg; die Schubraketen zogen einen langen Feuerschweif hinter sich her, und sie kehrten heim zur Basis.
V
Sechs Jahre und vier Tage waren sie nun im Raum. Sechs Jahre und vier Tage zu lange, dachte Koenig sarkastisch, als er den großen Schirm musterte. Er saß wieder einmal sicher und gemütlich in seinem Kommandantensessel der Mondbasis. Im Jahre 1999 hatte eine ungeschickte und daher unglückliche Menschheit ein bißchen zuviel ihres schmutzigen Spülwassers aus den Abwaschbecken laufen lassen und damit den Mond aus seiner Umlaufbahn gesprengt. Nur Gott wußte, was mit ihrem Mutterplaneten geschehen war, nachdem sie ihn so plötzlich verlassen hatten. Heftige Stürme mußten über ihn hinweggerast sein, bis sich das Wettergeschehen allmählich wieder beruhigte. Riesige Sturmfluten mußten die Hälfte aller großen Städte in Sümpfe verwandelt haben. Der Mond, der doch ein notwendiger Teil der Erde und ihrer Lebensformen gewesen war, wurde ganz einfach weggerissen. Die Menschheit schien jedoch überlebt zu haben, wenn auch nur knapp. Und er hatte auf dem Mond überlebt, wenn sie auch in der gigantischen Kettenreaktion nach der Explosion einer Atomdeponie auf der Nachtseite des Mondes auf einen ganz neuen, selbständigen Kurs in den Raum geschleudert wurden. Und offensichtlich hatte er auch irgendwie auf der Erde überlebt. »Gentlemen, Sie sind sich doch des Warp-Effektes bewußt«, sagte ihnen die Stimme von Dr. Charles Logan. »Wir auf der Erde stehen auf der Schwelle eines phantastischen Experimentes – der Entdeckung unserer eigenen lebenden Vorfahren.«
Er war ein Kahlkopf von etwa Mitte fünfzig und trug eine silberfarbene Tunika. Sein Gesicht war asketisch und hager wie ein Totenschädel, doch seine Augen waren um so lebendiger. Zwar sprach er seine Assistentin an, eine sehr schöne Erdendame namens Carla, doch die Alphaner durften mithören. Die Szene spielte im zweiundzwanzigsten Jahrhundert, fast eineinhalb Jahrhunderte nachdem die Mondbasis Alpha auf ihren schicksalhaften Weg geschleudert worden war. Das mußte unglaublich erscheinen, und Koenig glaubte auch eher an Halluzinationen oder an einen Traum. Aber weder das eine noch das andere traf zu. Und er war so sicher, wie das überhaupt nur möglich war, daß Dr. Charles Logan der war, der zu sein er behauptete. Als Eagle Vier in den Hangar zurückgekehrt war und sie ein paar Stunden lang ausgeruht hatten, machten sie erst ein paar Tests mit dem futuristischen Doktor, ob er ihnen auch die Wahrheit gesagt hatte. Er hatte sie alle bestanden. Es war unglaublich und wundervoll, daß sich endlich all ihre Hoffnungen erfüllen sollten, daß ihr Aufenthalt auf dem toten Mond zu Ende ging. Sechs Jahre und vier Tage waren eine lange Zeit, doch sie hatten sie nicht vergeblich durchgestanden. Er wartete voll zitternder Erregung. Natürlich gestattete er sich nicht den Luxus, sie auch zu zeigen. Hundertprozentig sicher konnten sie niemals sein. Hundertprozentig sicher, daß Dr. Logan all das tat, was er zu tun versprach – sie über einen Materietransmitter zur Erde zurückzubringen. Carla, seine schöne Assistentin, wandte sich an ihren Chef. Sie sah besorgt drein. »Aber wir haben doch ein Erziehungsprogramm in den nächsten…« Sie schaute vom Schirm weg, offensichtlich auf eine Uhr. »Ja, in den nächsten sechzig Stunden läuft es. Diese Leute von Alpha müssen erst auf die Veränderungen vorbereitet werden, die seit dem Jahr
1999 auf der Erde stattgefunden haben.« Sie hielt einen ganzen Packen Papier in die Höhe. »Ich habe eine Reihe von Fotos ausgesucht…« Die anderen Erdenwissenschaftler, die sich in diesem futuristischen Labor versammelt hatten, schienen in einem lebhaften Meinungsaustausch begriffen zu sein, denn im Hintergrund waren angeregte Stimmen zu vernehmen. Logan hob die Hände. »Ich weiß… Sie können die Alphaner auch sofort unterrichten.« Er drehte sich zur Kamera um, so daß er wieder mit der Mondbasis sprach. Er lächelte breit. »Fertig?« Die Alphaner drängten sich in der Kommandozentrale zusammen und warteten begeistert auf das, was nun kommen sollte. Der Schirm wurde dunkel. Die ersten Fotos erschienen. Ein paar atmeten heftig. Sie sahen eine felsige Wüstenwelt mit einem dunklen, düsteren Himmel. Von der Erde stiegen spiralige Dämpfe auf. Im Mittelpunkt des Bildes, genau zwischen zwei wild aussehenden Bergen, erhoben sich drei riesige Kuppeln, die sich über das atemberaubende Panorama einer Stadt wölbten. Es war eine ungeheuer große Stadt, viel größer als irgendeine auf der Erde gewesen war, als sie ihren Heimatplaneten verlassen hatten. »Texas City, wo unser Labor steht, ist einer von mehreren Metropolitankomplexen, die nun das bewohnte Gebiet dessen umfassen, was Sie als Vereinigte Staaten gekannt haben«, erklärte Carla von außerhalb des Schirmes. »Sie könnten vielleicht noch ein paar andere sehen wollen.« Ein paar weitere riesige Stadtanlagen mit Schutzkuppeln darüber erschienen in schneller Folge auf dem Schirm. Immer war das umgebende Land verbrannt, kahl und verwüstet, unbeschreiblich und nicht wieder gutzumachen. »Pacific City… und…«
Nun erschien die größte und eindrucksvollste aller Städte auf dem Schirm. Massierte gläserne Türme reichten fast bis an die Kuppelwölbung. Ganz vage erinnerte diese Stadt an das alte New York mit seiner atemberaubenden Skyline. Straßen mit lebhaftem Verkehr verbanden die einzelnen Türme miteinander. Wie winzige Insekten schossen kleine Düsenluftfahrzeuge in der Luft herum, als wollten sie einen ungeheuer großen Garten mit funkelnden geometrisch angelegten Blumenbeeten befruchten. »Grand Metropolis… das, was Sie als Boston, New York, New Jersey und die gesamte Ostküste gekannt haben. Sie sehen also, was wir alles inzwischen geschaffen haben.« In der Kommandozentrale herrschte benommenes Schweigen. Die Stimme der Erdendame klang richtig stolz auf sich selbst, auf die Errungenschaften der künftigen Menschheit, doch damit waren viele Alphaner nicht einverstanden. Sandra Benes sprach es aus: »Die Städte sind ja wirklich phantastisch, aber was ist mit dem Land dazwischen?« Carla tat das ganz einfach ab. »Dort lebt heute sowieso niemand mehr. Auf jeden Fall kann unser persönliches tele sensuelles System die Illusion des Frühlings in den Rocky Mountains, des Herbstes im Guten Alten England – oder auch im Neuen England – durch einen einfachen Knopfdruck hervorrufen.« »Aber warum?« fragte Sandra, die sich mit dieser Antwort nicht zufriedengab. »Warum geht man dann nicht im Frühling in die Rockys oder im Herbst nach England?« Nun herrschte beklommenes Schweigen; die Transmission durch die unendliche Raumweite war für ein paar Augenblicke durch irgendeine ferne Interferenz unterbrochen, und der Schirm wurde dunkel. Doch es dauerte nicht lange, dann
erhellte er sich wieder mit einem noch aufregenderen – und entsetzlicheren Bild als vorher. Sie sahen eine Wüste aus Ruinen und Abfall. Eine endlose See erstreckte sich bis zu einer fernen, felsigen Küste. Die Oberfläche war absolut glatt, schwarz und düster, und darüber hing ein schmutzig-rosafarbener Dunst. »Die Luftverseuchung des einundzwanzigsten Jahrhunderts hat alles vernichtet…« erklärte Carla. »Das und die Tatsache, daß der Mond aus der Erdenlaufbahn gerissen worden war.« Während sie noch sprach, begann eine neue Serie mit ausgetrockneten Flußbetten voll Müll und Abfall, andere die von Chemikalien schäumten, Bilder von blattlosen, knorrigen, ausgetrockneten und verkümmerten Bäumen, von Staubstürmen und fernen Explosionen. »Diese beiden Faktoren haben alles vernichtet – Ernten, Bäume und Flüsse. Deshalb haben wir die Metropolkomplexe gebaut und uns dorthin zurückgezogen. Nun, natürlich… wer braucht deshalb heute noch Natur?« »Wer braucht eine Zukunft?« rief eine erschütternde Mitarbeiterin der Kommandozentrale. Endlich hörten die deprimierenden Bildwiedergaben auf, und der Schirm wurde dunkel. Der Unterricht war vorüber. Koenig stemmte sich aus seinem Sitz und schüttelte grimmig den Kopf. »Die Frage ist nun die: Wollen wir überhaupt zur Erde zurückkehren?« Diese Frage tat ihren Herzen weh. Sie waren alle sehr niedergeschlagen. So lange hatten sie sich danach gesehnt, zur Erde zurückzukehren, – das war ihr Traum bei Tag und Nacht gewesen. Immer hatten sie an die Erde so gedacht, wie sie sie zuletzt gesehen hatten – grün und blau und gelb, nicht kahl, unfruchtbar schwarz und weiß und leblos. Die Wahrheit war
viel zu hart, um sie ertragen zu können. Einige brachen weinend zusammen.
Während die etwa zweihundertfünfzig Menschen der Mondkolonie ihr Los beweinten und berieten, welchen Kurs sie in Zukunft einschlagen sollten, arbeiteten Helena, Maya und etliche Ingenieure und Techniker fleißig im Forschungsbau auf der Mondoberfläche. Sie folgten den Instruktionen von Dr. Logan zum Bau der Transferkuppel, die sie, sobald sie fertig war, materiell zur Erde zurückbringen würde. Einmal hatten sie eine kurze Pause eingelegt, um den traurigen Umweltbericht über die jetzige Erde mit anzuhören, aber nun arbeiteten sie weiter. Sie hatten keine Zeit, sich über etwas aufzuregen, so daß sie zweckmäßigerweise ihre Gefühle zurückstellten. Zwischen der Erde, die nun unendlich weit von ihnen entfernt war, und der Mondbasis lag eine weite Raumkluft, in der es nur wenige Sterne gab. Diese zwei Orte befanden sich in zwei verschiedenen Galaxien, aber jeweils an den am weitesten voneinander entfernten Rändern. Beide blickten in eine unendliche Leere hinaus, die zu durchqueren Millionen von Lichtjahren erforderte. Dieses ›Tal‹ des Universums sollte bald von einer neuen Konstellation von Sternen, einer dritten Galaxis, ›besiedelt‹ werden, die sich zwischen die beiden Galaxien drängte. In etwa fünfunddreißig Stunden Mondzeit würde die Masse dieser Galaxis den Kontakt mit der Erde für länger als ein Jahrhundert unterbrechen. Nicht einmal der Neutronenstrahl, so wunderbar er auch war, konnte dann mehr durchdringen. Wenn ein ähnlicher Kontakt wieder möglich wäre, müßten die meisten der jetzt auf Alpha lebenden Menschen längst tot sein. Wahrscheinlich gab es dann überhaupt keinen Mond und daher keine Mondbasis mehr. Sie
mußten sich also entscheiden: jetzt oder nie. Mit dieser Tatsache vor Augen arbeiteten sie weiter, egal wie ihre Gefühle für eine vergiftete, verseuchte Erde auch sein mochten. »Eure Erde ist jedenfalls größer als der Mond, und ist sie auch noch so verseucht«, sagte Maya zu Helena, als sie an die Endstruktur gingen. »Und stabiler ist sie auch. Und hat eine Sonne. Die Städte sahen eigentlich recht gut aus, viel besser als die auf Psychon in den letzten Tagen. Ich weiß es, weil Psychon ja mein Planet war. Und ihr wißt, wie schlecht wir ihn werden ließen.« Sie seufzte. »Eure Erde ist jedem Psychon und jedem kahlen alten Mond vorzuziehen, über den ihr ja doch keine Kontrolle habt.« Helena nickte betrübt. »Ich weiß es… Und kann mir absolut vorstellen, wie den Leuten jetzt zumute ist. Das vergessen sie aber alles, wenn es soweit ist. Du hast recht, die Erde ist unbedingt vorzuziehen. Es ist nur alles so furchtbar schnell passiert, Maya. Niemand konnte es doch glauben. Wir müssen nun mit diesem zweiten Schock fertig werden.« Sie lächelte matt. »Du mußt dir darüber klar sein, Maya, daß wir armen Erdlinge nicht so robust gebaut sind wie ihr Psychonier.« Maya lachte. »Du machst Witze. Ich war so entsetzlich verstört, als… mein Vater Mentor starb und Psychon vernichtet wurde…« Sie war mit ihren Gedanken sehr weit weg, doch bald lächelte sie wieder. »Es ging alles so schnell. Vor ein paar Stunden haben wir uns noch mit diesem elenden Stein herumgeschlagen.« Beide lachten, und damit reagierten sie ihre Spannung ab. »Und du hast noch geholfen, damit er leben konnte!« rief Helena. »Aber ich bin froh, daß du das getan hast.« »Und das alles in einem einzigen Tag der Mondbasis Alpha«, meinte Maya ein wenig spöttelnd.
Dann traten sie zurück und musterten stolz ihr Werk. Die Kuppel und die sehr komplizierten Instrumente waren fertig. Sechsunddreißig Stunden lang hatten sie unermüdlich geschuftet. Und da wurden sie plötzlich ganz nüchtern. »Und jetzt müssen wir die Instrumente testen, die du vorbereitet hast«, erklärte die Psychonierin. Helena nickte einem der Techniker zu, der einen Wagen heranfuhr. Er war mit Instrumenten beladen und sah aus wie eine selbstgestrickte Zeitbombe. Die Techniker luden ab, und die beiden Frauen halfen den Männern, die Geräte nach innen zu tragen. Es war eine geodätische Kuppel aus Aluminium. Ein hoher Kamin aus dem gleichen Metall durchbrach das Dach und diente als Transmitterantenne. Sie richtete die empfindlichen Kuppelinstrumente nach der unendlichen Sternennacht aus. Auf dem Dach waren zahllose Empfänger und Reflektoren installiert, die eine ihnen noch unbekannte seltsame Umformungsenergie von den wissenschaftlichen Labors der Erde auffingen. Im Mittelpunkt der Kuppel stand ein von weiteren Instrumenten umgebener Würfel, eine Art Zelle. Auf den ersten Blick schien es, als sei er nur von einem Drahtgewirr gestützt. Innen befanden sich drei Sitze. Die Decke dieser Zelle bildete einen offenen Kegel, so daß die Köpfe der zu transmittierenden Leute der offenen Röhre der Antenne ausgesetzt waren, sobald sie auf ihren Plätzen saßen. Für die Übertragung war ein starkes Kraftfeld nötig. Sobald es eingeschaltet war, blieben die Leute vor dem Vakuum geschützt. Die Körpermoleküle und Atome wurden dann aufgelöst und in eine sehr komplizierte biologische Botschaft umgesetzt, die durch die unendliche Raumleere zur Erde ›gefunkt‹ wurde.
Die Transferkuppel war also ein Materietransmitter. Sie hatten ihn nach den übermittelten Instruktionen gebaut, da dieser Apparat die technischen Fähigkeiten der Alphaner überstieg. Daran war ja, als sie noch auf der Erde waren, noch nicht einmal gedacht worden. Nur Maya wußte, wie so etwas arbeitete. Ihr wacher psychonischer Geist hatte sich das genau vorgestellt, und ihr Vater hatte ihr, ehe er starb, alle Grundlagen der psychonischen Technologie beigebracht. Vorsichtig stellte Helena den Instrumentenbehälter auf einen der Sitze. Das Kraftfeld summte und blitzte. Schnell kehrte sie zur Konsole vor der Zelle zurück und las die Daten ab. »Die Sensoren in der Testantenne sind dazu bestimmt, metabolische Funktionen zu simulieren«, erklärte sie Maya. »Sie sind in jeder Beziehung – bis auf das Leben – menschlich.« Sie winkte einen der Techniker heran, der sie mit Dr. Logan verband. Er wartete am anderen Operationsende schon darauf.
Die Transfereinrichtung war fertig. Der Instrumentenbehälter war sicher und erfolgreich übermittelt, alle Blut- und Gehirnwerte waren während des Durchgangs als normal bezeichnet worden. Nun mußte die erste Versuchsperson getestet werden. Für Helena, Carter und den Commander selbst wurde es Zeit zur Transmitterprobe. Koenig zögerte vor der Kuppel. Er fühlte sich unsicher und unbehaglich. Nach der anfänglichen Enttäuschung über den Zustand der Erde hatten sich alle Alphaner, bis auf ein paar Übervorsichtige bereit erklärt, sich zu den Erdenstädten transmittieren zu lassen. Eine ganze neue und ungewohnte Stimmung herrschte in der Mondbasis. Sogar die paar Vorsichtigen wurden sich bald darüber klar, daß sie ganz allein auf sich gestellt wären, und so stimmten sie dem
Massenexodus zu. Die ganze Kolonie war also dafür. Und doch… Es war nichts Greifbares. Die Idee war bestechend, und doch mußte irgend etwas irgendwie nicht stimmen. Für Koenig sah das alles ein wenig zu einfach aus. Helena und Carter hatten die Kuppel betreten und saßen nun sehr zuversichtlich in der Zelle, um auf ihn zu warten. Die Techniker und Ingenieure drängten sich wiederholt um die Zelle. Hinter ihnen standen die anderen, und die Schlange reichte bis in den Korridor. Alle warteten darauf, zur Erde zurückkehren zu dürfen. Niemand hatte sich die Mühe des Packens gemacht. Eine lächerliche Idee, sagte er zu sich selbst. Schiefgehen konnte jetzt nur noch etwas bei der Transmission. Er war aber überzeugt, daß Logan durchaus in Ordnung war, oder etwa nicht? Vincent und Dr. Mathias, die zusammen mit Maya die Operation überwachen sollten, führten ihn zur Zelle. Nun ja, Mißtrauen konnte eine recht gute Sache sein, und er war mißtrauisch. Man setzte ihn neben Helena. Sie lächelte ihn aufmunternd an und tätschelte ihm das Knie. »Schau nicht gar so… zögernd«, flüsterte sie ihm zu, legte ihren Arm hinter seinen Kopf und zog ihn ein wenig näher an sich heran. Ihre grünen Augen spiegelten ihre ganze Zuneigung. »Vergiß nicht«, sagte sie, »daß ich beim Bau dieser Anlage geholfen habe.« »Okay, okay«, meinte er und rückte ein wenig von ihr ab. »Dann fangen wir an.« Die Techniker an der Konsole warteten schon auf sein Zeichen. Auf einem eigens für diesen Zweck aufgebauten großen Schirm war Logans Kahlkopf zu sehen. Er schaute auch ein wenig gespannt drein, ja sogar ängstlich.
»Danke, Commander.« Seine Stimme klang in der Kuppel ungewöhnlich laut. »Keine dreißig Stunden mehr, und Sie zögern die Sache hinaus.« Koenig sah finster drein. »Würden sie sich an seiner Stelle anders verhalten?« fragte Carla, die neben Logan stand, ihren Vorgesetzten. Sie drehte sich der Kamera zu und winkte. Logan gab keine Antwort, sondern erteilte den Technikern in der Transferkuppel Instruktionen. »Transferverfahren grün.« Einer der Techniker drückte auf einen Knopf. »Neutronenfaktor grün«, antwortete er. »Alle Verbindungen grün«, meldete ein weiterer Techniker und studierte die Skalen und Instrumentenanzeiger. »Bereithalten für Halationscountdown… jetzt«, sagte Carla. Sie sahen zu, wie sie auf ihrer Empfangskonsole einen Knopf drückte. »Sechzig…neunundfünfzig…achtundfünfzig…siebenundfünf zig…« »Empfangszone«, rief Logan Carla zu. Sie drückte einen anderen Knopf, und ein Schirm an ihrer Konsole wurde hell. Er zeigte das Innere einer kleinen geodätischen Kammer. Koenigs Haut prickelte. Die Empfangszone war wohl der Raum, in den sie übertragen werden sollten. Er hoffe nur, daß dies auch tatsächlich geschah. »Puls normal…« rief Mathias. »Herztätigkeit normal… Körpertemperatur normal…« »Halation beginnt«, kündigte Carla sehr dramatisch an, als der Countdown abgelaufen war. »Gut.« Logan sah sehr selbstzufrieden drein. »Nun müssen Sie mit einem kleinen Temperaturabfall rechnen, wenn der Prozeß beginnt«, sagte er. »Herz und Puls müßten normal bleiben, wie es auch bei Ihrem Pack der Fall war, Dr. Russell.«
Die Wände der Zelle, in der Koenig, Helena und Carter saßen, begannen zu schimmern. Elektrisch-blaues Licht hinderte sie daran, das zu sehen, was draußen vorging. Ein eisiges Frösteln befiel sie. Instinktiv schauten sie auf und fingen einen Entsetzen einflößenden Blick auf das Sternenpanorama auf. Die Kälte nahm noch zu. Der Kopf wirbelte ihnen, und dann begannen sich ihre Körper aufzulösen; sie spürten das so, als nehme man sie auseinander. Die Sterne schienen sie aufzusaugen, und dann verloren sie das Bewußtsein.
Dr. Logan sah wieder gespannt und noch etwas unsicherer drein als vorher. Er schien ein Instrument zu studieren, das vor ihm stand, das aber Mathias und Vincent nicht sehen konnten. Maya arbeitete mit einigen Technikern und hatte nicht auf den Schirm geschaut. Verdeschi hatte es aber gesehen und kam auf die beiden Ärzte zu, um mit ihnen zu reden. »Was ist denn nicht in Ordnung?« flüsterte er und deutete auf Logan. Nervös musterte er die Transferkammer. Die war nun eine wirbelnde Säule aus bläulichem Licht, das für sie undurchsichtig blieb. »Pech, unglaubliches Pech.« Logan schaute auf. Er hatte verstanden, was der Sicherheitschef geflüstert hatte. Jetzt sah er ungemein besorgt aus, obwohl er noch immer einen aufrichtigen Eindruck machte. »Was ist los?« schnappte Verdeschi. Plötzlich schwiegen alle, die sich um die Kuppel herum versammelt hatten, denn allmählich wurde es den Leuten klar, daß etwas nicht recht funktionierte. »Ungewöhnliche Stürme?« fragte Carla, die ebenfalls aufgeregt und vor allem sehr bestürzt war.
»Schlimmer«, erwiderte Logan unglücklich. »Mr. Verdeschi, wir haben seismische Berichte über kleine Beben im Golf von Mexiko hereinbekommen.« Maya wirbelte herum, als sie das hörte. »Das kann die Kalkulationen über den Haufen werfen«, sagte sie. Logan nickte. »Falls sie schlimmer werden – ja, natürlich.« »Dann verschieben Sie doch den Transfer!« rief Verdeschi. Logan schüttelte den Kopf. »Das geht nicht. Es ist zu spät.« Verdeschi war ratlos. »Was können wir dann tun?« »Nichts; wir können nur mit der Halation weitermachen und hoffen, daß es nicht schlimmer wird.« Hilflos wandte sich Verdeschi an Maya. Sie schüttelte den Kopf und sah ihn besorgt an. »Er hat recht. Wir können ihn jetzt nicht aufhalten. Wenn die Erdbeben stärker werden, beeinträchtigen Sie das Gleichgewicht der Übertragungsapparaturen und der Erdstrahlanlage.« Plötzlich wurde Logans Gesicht kalkweiß. »S-sie w-wer-den st-stärker«, stotterte er. »Die B-beben n-nehmen zu.« Wieder schüttelte er den Kopf und wandte sich vom Schirm ab, um seine Instrumente nachzusehen. »Tut m-mir leid, m-meine Instr-trumente s-sind gestört. Wir können jetzt nur noch auf eine M-Menge Glück rechnen und h-hoffen, daß sie g-gut durchkommen.« »Heilige Mutter Maria!« schrie Verdeschi in entsetzter Wut. »Wir müssen sie unbedingt herausholen…« Er hielt Logan nun für einen ausgemachten Narren, und in dieser Überzeugung wandte er sich der Transferzelle zu. Es war zu spät. Sie war in grellblaues Licht gehüllt, und das kaminartige Rohr, das zur Kuppelspitze führte, wellte sich. Auf dem Schirm ließ sich erkennen, daß Logans Labor durchgeschüttelt wurde. Die Konsolen lösten sich von den Wänden. Sie blitzten und funkten, und Staubwolken kamen von oben herab. Es war ein furchtbares Durcheinander. Logan
und Carla torkelten herum und hielten sich an Gegenständen fest, die selbst keinen Halt mehr hatten, nur um auf den Beinen zu bleiben.
VI
»Stromleitung sofort wieder anschließen! Carla, die Kalibrierung nachprüfen, ob sie noch funktioniert…« Das Beben hörte auf, und Logans magere, etwas gebückte Gestalt rannte im zerstörten Labor herum, um hier und dort wieder ein wenig Ordnung zu schaffen und eine Verbindung mit den drei Alphanern herzustellen. Verdeschis blasses, besorgtes Gesicht starrte ihn vom Neutronen-Trasmissionsschirm an und beobachtete jede seiner Bewegungen. »Doktor, was ist da unten los?« fragte der Sicherheitschef. »Lassen Sie uns ein wenig Zeit«, murmelte Logan besorgt, als er eine Konsole wieder an ihren Platz schob. »Zeit?« explodierte Verdeschi. »Zeit wofür? Was ist mit ihnen geschehen? Hier oben sind sie nicht, aber unten angekommen sind sie auch nicht. Ich will genau wissen, was da passiert ist.« Dr. Mathias lenkte seine Aufmerksamkeit auf sich. »Wir haben Daten!« rief der junge Arzt aufgeregt. »Dr. Russell: Herz, Puls, Temperatur – normal. Commander Koenig: Herz, Puls, Temperatur – normal…« »Tony, wir haben Daten!« rief nun auch Maya. »Sie leben, wo immer sie jetzt auch sind.« Verdeschi schaute wieder zum Schirm und sah die Verwüstung im Labor von Texas City. Die Nachrichten hatten ihn etwas beschäftigt, doch seine Stimme klang noch immer recht barsch. Das war Dr. Logan furchtbar unangenehm. »Logan, wir haben Daten bekommen. Sie sind irgendwo im Raum – und Sie müssen sie finden.«
Es roch schwach, aber ganz deutlich nach Wald und Unterholz. Sie seufzte tief und zufrieden, als sie aus dem Nebel der Bewußtlosigkeit auftauchte. Sie spürte weichen, kühlen, elastischen Boden unter sich. Allmählich wurde sie sich des Rascheins von Laubwerk bewußt, und dann verspürte sie einen kalten, böigen Wind. Das war kein Traum, uns sie lebte. Und sie war nicht mehr auf dem Mond. Sie öffnete die Augen und schaute in einen bedeckten Himmel hinauf. Es nieselte ein wenig, und sie fröstelte. Dr. Logan fiel ihr ein, die Materietransferkuppel – und die Erde. Sie glaubte, sie seien nun tatsächlich auf der Erde angekommen. »Es regnet also«, bemerkte sie und lächelte ein wenig angestrengt. Dann setzte sie sich auf. Sie schaute sich um. Koenig und Carter waren ein Stück den Hang hinabgerollt und in der Dunkelheit kaum sichtbar. Über ihnen fegte ein Sturm dunkle Wolken über den erdenähnlichen Sternenhimmel. Am Fuß des Hügels standen dunkle Bäume. Das war also ein Wald. Dahinter lag ein mit Lichtern gefülltes Tal; die Lichter schienen Lagerfeuer zu sein. Und hinter diesen Lichtern standen rauhe, zerklüftete Berge von atemberaubender Schönheit. Es waren nicht die wilden, kahlen, toten Berge des Mondes, sondern Berge, deren Fuß in hohem Moorlandgras stand, die weiter oben mit einzelnen Bäumen bestanden waren und auf deren Bergwiesen dicke Felsbrocken hockten. »Helena!« Koenigs besorgte Stimme schien ganz aus der Nähe zu kommen. Er und Carter waren ein Stück den Hügel heraufgeklettert. Sie froren, und ihre Gesichter glühten vom Wind und vom Regen. »Helena, alles in Ordnung?« fragte er, legte einen Arm um sie und drückte sie fest an sich. Sie nickte an seiner Schulter. »Ja, aber… wo sind wir?« Sie trat einen Schritt zurück und blickte sich um.
Alle drei sahen einander an, ein wenig ängstlich, ein bißchen ehrfürchtig, auch eine Spur froh. »Regen und Bäume«, murmelte Carter fast verehrungsvoll, und seine Worte gingen nahezu im Fauchen der Windstöße unter. »Wenigstens ist es eine Atmosphäre, die wir atmen können.« »Aber alles zwischen den Städten soll doch eine Wüste sein nach den Fotos, die uns Carla gezeigt hat«, erinnerte sich Helena plötzlich. »Lauter Wüste.« Koenig nickte, und über sein Gesicht liefen Regentropfen, um an seiner Tunika zu versickern. »Wir sind also, wo immer wir sein mögen, nicht auf der Erde.« »Sag das nicht.« Helena schüttelte sich. »Es war so hübsch, sich vorzustellen, daß wir…« Plötzlich begann sie so zu zittern, daß Koenig seine Jacke abnahm und Helena um die Schultern legte. Sie protestierte. »Die brauchst du doch selbst.« »Wir werden es bald sehr warm haben«, erwiderte Koenig. »Auf! Wir machen dort bei den Bäumen ein Feuer«, sagte er zu Carter. Sie machten sich auf den Weg hügelabwärts. Koenig ging voran und stolperte immer wieder über dicke Graspolster. Bald erreichten sie den Wald. Sehr gemütlich schien es dort auch nicht zu sein, denn die Bäume wurden vom Wind heftig durchgeschüttelt, standen weit auseinander, waren sehr hoch und lehnten sich hangabwärts in den Wind. Aber zwischen den Stämmen sahen sie die Lichter im Tal. Sehnsüchtig schauten sie dorthin. »Wir wissen ja nicht, ob die Leute dort freundlich sind und ob wir Kontakt mit ihnen aufnehmen können«, meinte Koenig. Viel Hoffnung machte er sich in dieser Beziehung wohl nicht, denn er sah sich nach einer Stelle um, wo man ein Lager aufschlagen konnte. Ihnen voraus ging er durch den Wald und rief sie zu sich. Er stand zwischen zwei großen Felsblöcken,
die wahrscheinlich einmal den Berg herabgestürzt waren, lange ehe dort ein Baum gewachsen war. »Wir werden unsere Jacken über diese Felsen spannen und hier lagern, bis der Regen aufhört«, schlug er vor. »Alan, du sammelst Holz, damit wir Feuer bekommen.« Helena hielt nach passenden Ästen Ausschau, über die sie die Jacken hängen konnten. Sie fand einen passenden Ast und zog ihn hinter sich her. Koenig half ihr, ihn über die Felsblöcke zu legen. Während sie arbeiteten, stellten sie Überlegungen an, wo sie wohl sein mochten. »Wenn wir nicht auf der Erde sind, wo sind wir dann?« fragte sie. Koenig schüttelte den Kopf. »Wir können irgendwo im Universum sein.« »Dann besteht keine Möglichkeit, wieder zurückzukehren?« »Wir kehren zurück«, erklärte der Commander bestimmt. »Ich weiß noch nicht, wie, aber wir werden es tun… Was würdest du tun, wenn du Logan wärst?« Helena überlegte. »Die Bedingungen schaffen, die den Fehler zur Folge hatten.« »Genau. Und damit unseren Ort feststellen. Also müssen wir nur hier warten.« Carter erschien mit einem Arm voll nassen, toten Holzes. »Diese Eklipse mit der Konstellation findet aber in weniger als vierundzwanzig Stunden statt«, sagte er. »Deshalb würde er sich besser damit sputen.« Er ließ das Holz vor dem Eingang zu ihrer Unterkunft auf den Boden fallen und zog seinen Laser. »Ein bißchen Zeit hat er ja noch, aber nicht viel«, meinte er und schoß in den Holzhaufen. Ein weißer Strahl zuckte hinab auf das nasse Holz und verwandelte es in eine angenehm wärmende Glut. Holzrauch stieg in die Luft. Schnell steckte er seine Waffe wieder ein und
ging weg, noch mehr Holz zu suchen, um das Feuer in Gang zu halten. Bald war das Feuer so kräftig, daß Wind und Regen es nicht mehr auslöschen konnten. Es war so heiß, daß sie ihre Jacken auszogen und über das ›Dach‹ legten. Im Schutz der Felsen drängten sie sich eng aneinander, um soviel Wärme wie möglich zu finden. Der Wind heulte und pfiff durch die winterlichen Bäume. Ab und zu fegte ein Windstoß gegen ihren Rücken; das war ungemütlich. Immer wieder vernahmen sie andere, scharfe Geräusche, die lauter waren als der Wind. Das schienen schreiende, kreischende Stimmen zu sein, vielleicht auch war es das Krachen trockener Zweige, über die viele Füße trampelten. Während sie auf dieser fremden, unbekannten Welt warteten, fühlten sie sich von tausend Augen bewacht, die sie hinter Baumstämmen belauerten. Stand aber einer der Männer auf, um neues Holz zu sammeln, so waren da nur die Bäume, der Wind und der Regen.
Die ganze unbeschreibliche Freude über die bevorstehende Rückkehr zur Erde war nun fast völlig verschwunden. Das war eine Ironie, daß dies nach so vielen falschen Alarmen der Vergangenheit ausgerechnet jetzt geschah; daß es diese Möglichkeit gab, glaubten sie, doch daß eine Pfuscherei oder Unfähigkeit am Mißlingen schuld war, setzte ihnen sehr zu. Verdeschi kochte innerlich. Er war zur Kommandozentrale zurückgekehrt, um die Suche nach den verschwundenen Alphanern zu organisieren. Die Leute waren an ihre Konsolen gegangen und hatten viel Arbeit nachzuholen. Auch die Zuschauer, die sich erwartungsvoll im Forschungsblock eingestellt hatten, gingen wieder ihren üblichen Arbeiten nach. Dr. Mathias stand vor ihm und hielt ihm Computerausdrucke
entgegen, die ziehharmonikaförmig gefaltet waren. Verdeschi nahm und studierte sie und folgte Mathias’ erklärendem Finger über Kurven und Zacken. »Puls, Herz, Temperatur – alles normal, siehst du? Moment… Normal bei den beiden anderen, für Dr. Russell liegt die Kurve darüber und steigt an.« »Bist du sicher, daß sie ansteigt?« Verdeschi überlegte. »Das könnte uns vielleicht einen Hinweis geben.« Er schaute zum großen Schirm, auf dem noch immer Logans Labor zu sehen war. Man hatte es nun wieder in Ordnung gebracht, und Wissenschaftler in weißen Mänteln arbeiteten ruhig an ihren Konsolen. Auch Logan war da. Verzweifelt versuchte er Koenig und die anderen zu lokalisieren, und Carla half ihm dabei, seinen Irrtum zu berichtigen. Er lehnte sich über seine Konsole und kündigte über die Sprechanlage an: »Dr. Logan an alle Such- und Rettungsabschnitte. Das ganze Gebiet um Texas City ist von unseren Sensoren gründlich abzusuchen. Jeder Fußbreit Boden dieser Wüste ist zu überprüfen.« Dann wandte er sich an Carla. »Wie steht es mit dieser Rückrechnung?« Sie schüttelte den Kopf. »Zu viele Variablen.« »Aber halten Sie sich dran«, befahl er. Er ging zu einer anderen Konsole und sprach mit dessen Operator. »Ich brauche eine seismische Einheit, um das letzte Beben zu simulieren.« Verdeschi sah und hörte mit steinernem Gesicht zu. Schließlich schaltete er sich über den Neutronenkommunikator ein. Logan sah ihn fragend an. Verdeschi berichtete ihm die aufgefangenen Daten. »Temperaturanstieg?« Er hob die Brauen und sah skeptisch drein. »Das könnte vieles bedeuten.« Verdeschi nickte.
»Ich tue von hier aus alles, was überhaupt möglich ist«, fuhr der unglückliche Mann fort. »Ich habe Suchtrupps beauftragt, die ganze Wüste zu überwachen.« »Aber die Wüsten der Erde sind doch unbewohnt«, sagte Maya. »Diese verseuchte Luft können sie nicht atmen. Sie wären dann schon tot.« »Natürlich haben Sie damit recht«, erwiderte Logan vorsichtig. »Also können sie nicht auf der Erde sein.« Er hob wie flehend die Hände, und dabei rutschte ihm die Brille zur Nasenspitze. »Aber alle unsere Rückrechnungen weisen darauf hin, daß sie auf der Erde sein müssen.«
Der wütende Winterwind fraß die Wärme der tanzenden orangefarbenen Flammen. Helena fror immer mehr, und sie konnte das Zittern nicht mehr unterdrücken. Wie die anderen war sie ein solches Wetter nicht mehr gewöhnt, und alle litten darunter. Aber Helena kämpfte auch noch mit einer Erkältung. Die letzte hatte sie vor etwa zwanzig Jahren gehabt, ehe man im Jahr 1985 auf der Erde Vakzine dagegen entwickelt hatte. Sie nieste heftig. Koenig und Carter rückten ein wenig näher an sie heran, um sie so gut wie möglich vor dem beißenden Wind zu schützen. »John, halte dich ein wenig fern von mir«, schnüffelte sie. »Wir haben keine Widerstandskraft nach der bazillenfreien Luft auf Alpha. Eine ganz gewöhnliche Erkältung kann unter diesen Umständen ebenso fatal ausgehen wie Cholera oder die Pest.« Eiligst rückten sie ein wenig von ihr ab. »Du bist ja schließlich der Doktor«, sagte Koenig. »Eine unmittelbare Gefahr besteht ja nicht«, erwiderte sie ein wenig gekränkt. »Aber Lungenentzündung ist immerhin eine
Möglichkeit.« Sie fühlte sich ein wenig benommen. Unwillkürlich drückte sie die Hand auf die Stirn. Koenig musterte sie besorgt. »Logan wird die Rückrechnung inzwischen schon in Angriff genommen haben«, meinte er hoffnungsvoll. »Ehe es soweit kommt, sind wir längst auf der Erde.« Doch nun bemerkte er, wie blaß sie geworden war. Sie sah hager und eingefallen aus. Ihre Augen glänzten unnatürlich, ihre Pupillen waren stark erweitert. Und noch immer zitterte sie heftig. Voll Angst wandte er sich an Carter. »Wir müssen unsere Pläne noch mal überdenken. Sie braucht sofortige medizinische Hilfe, ob sie’s nun zugibt oder nicht.« Er stand auf und spähte durch die Bäume zu den fernen Feuern hinüber. Carter nickte. »Ja, du hast recht. Wir müssen wohl Kontakt mit ihnen aufnehmen.« Er sah auf die Uhr. »Noch dreiundzwanzig Stunden. Theoretisch können wir ins Tal gelangen, Hilfe organisieren und wieder hierher zurückkommen – alles in ein paar Stunden.« »Theoretisch, ja«, erwiderte Koenig grimmig. »Nein!« schrie Helena und versuchte aufzustehen. »Ich bin… Mir geht es gut.« Sie taumelte und wäre um ein Haar ins Feuer gefallen, wenn Carter sie nicht aufgefangen hätte. »Tut mir leid«, sagte er. »Aber eine andere Möglichkeit gibt es nicht. Also los.« Er half ihr auf die Füße. Koenig entnahm seiner Jacke eine kleine Flasche mit medizinischem Alkohol. »Hier, nimm mal ein Schlückchen«, befahl er. Dankbar nahm sie einen Schluck, und dann ließ sie sich willig durch die Bäume wegführen, auch weg vom Feuer. Der Alkohol und der scharfe Wind brachten sie für kurze Zeit wieder voll zur Besinnung, so daß sie ziemlich schnell voran kamen. Aber plötzlich stand vor ihnen eine Bande sehr abgerissener Männer.
Sie kamen hinter den Bäumen hervor, hatten langes, wirres Haar und wilde Bärte. Sie trugen Kleider, die Schottenkilts ähnelten, aber sehr schmutzig waren. Um die Füße und die Unterschenkel hatten sie mit Stricken Felle und Stoffstücke gewickelt. Instinktiv blieben die Alphaner stehen und zogen ihre Laser. Die Briganten vor ihnen hatten Schwerter, die recht unfreundlich wirkten, und schützten sich mit Schilden. Schreiend und die häßlichen Schwerter über ihren Köpfen schwingend drängten sie näher, und ihre Augen funkelten sehr blutrünstig. Ehe Koenig und Carter noch von ihren Waffen Gebrauch machen konnten, griffen starke Arme von rückwärts nach ihnen, und kalter Stahl drückte sich in ihre Rücken. Bald waren sie völlig umzingelt und wehrlos. Es blieb ihnen nichts anderes übrig, als ihre Laser fallen zu lassen.
Im ersten Labor für Materieübertragung tickten die Sekunden dahin. Nur Logan, Carla und ein Erdbebenspezialist waren noch im Raum. »Ich habe alles Personal weggeschickt, Doktor«, berichtete ihm der Wissenschaftler. »Müssen Sie und Miß Cross denn wirklich bleiben?« »Aber natürlich«, erwiderte Logan etwas pikiert. »Wenn wir nicht dabei sind, hat doch das alles gar keinen Sinn.« Der Wissenschaftler nickte. »Die Sprengungen werden Ihnen ein Beta-Null-Beben bescheren. Aber ich kann Ihnen nicht dafür garantieren, wie die Gebäude das aufnehmen.« »Das verstehen wir recht gut«, erwiderte der Doktor. Ziemlich gereizt wandte er sich an Carla. »Na schön, Carla. Gehen Sie auf Ihre Station.«
Die schöne Assistentin begab sich an ihre Konsole und setzte sich. Sie legte die Hände vor sich und war bereit. Kopfschüttelnd ging der Wissenschaftler. Logan sah ihm nach. Dann herrschte Schweigen, das erste, das er seit vielen Tagen erlebte. Für ihn war es jedoch eine Stille, die ihm auch keine Ruhe vermittelte. Er konnte gar keine Ruhe finden, solange die drei Alphaner nicht gefunden waren. Entschlossen schob er den Unterkiefer vor. Natürlich hatte er ein Gewissen, aber auch einen Ruf, den er verteidigen mußte. Man hatte ihm freie Hand für die Materietransmission gegeben, eine Unsumme Geldes war ausgegeben worden, und um erst einmal so weit zu kommen, mußte ungeheuer viel Arbeit geleistet werden. Er selbst hatte den Wissenschaftlichen Rat lange gedrängt, daß dieses Projekt schnell durchgeführt werden müsse. Er war es vor allem gewesen, der immer wieder darauf hingewiesen hatte, daß die frühen Vorfahren auf dem Mond in der Falle waren und gerettet werden müßten, und dabei konnte man ja sein Instrumentarium ausprobieren. Stürben die Mondmenschen jetzt bei diesem Test, dann wäre das sehr schlecht für ihn. Wenn er die Leute nicht abholen konnte, ehe der Kommunikationskorridor blockiert war, dann war jeder Kontakt wieder verloren. Er drückte auf einen Knopf, und sofort erschien Verdeschis Gesicht auf seinem Neutronenschirm. »Mondbasis Alpha, bitte bereithalten. Wir sind dabei, das Erdbeben zu simulieren.« Verdeschi schniefte. »Ich hoffe, daß Sie damit nicht alles noch verschlimmern.« »Und wenn«, erwiderte der andere eisig, »dann sind Sie der erste, der’s erfährt.« In den letzten Stunden hatten sich die Beziehungen zwischen dem Sicherheitschef der Mondbasis Alpha und Logan drastisch verschlechtert, und nun wünschte er sich, daß der wütende
Italiener an Koenigs Stelle gewesen wäre, mit dem er viel besser zurechtgekommen war. »Alpha, geben Sie mir die letzten Daten«, bat er. Mathias’ Gesicht erschien auf dem Schirm. »Dr. Russells Temperatur steigt weiter«, meldete er besorgt. »Sie muß jetzt schon schwer krank sein, wo immer sie auch ist. Im übrigen ist alles ziemlich normal.« Sandra Benes’ Stimme war nun zu hören. »Doktor«, sagte sie zu Mathias, »wie lange haben sie noch Zeit?« Grimmig wandte sich Mathias um. »In achtzehn Stunden wird die Eklipse alle Verbindungen blockieren.« »Und eine weitere Chance gibt es nicht? Für sie oder für uns?« »Nicht, solange wir leben«, erwiderte Mathias ernst. Es herrschte ein langes, emotionsgeladenes Schweigen. Endlich wandte sich Logan an Carla. »Fertig?« fragte er steif. Sie nickte. Er beugte sich vorwärts und sprach mit seinen Ingenieuren. »Seismischen Schock simulieren«, befahl er. Alle warteten. Dann vernahmen sie einen fernen, donnernden, rumpelnden Laut, und der Raum begann unter der Wirkung einer massiven Sprengladung zu zittern. Staub kam in Wolken von der Decke herab, die Konsolen ratterten an ihren Befestigungen. Logan und Carla hielten sich fest. »Jetzt!« brüllte Logan und überschrie den ganzen Lärm. Fieberhaft begannen sie zu arbeiten; sie aktivierten ganze Kontrollbanken. Weitere Explosionen und Schockwellen folgten und schüttelten das Labor durch. Das Arbeiten wurde fast zur Unmöglichkeit, doch sie blieben dabei und ließen sich nicht aus der Fassung bringen, als sie die funkensprühenden Instrumente durch dicke Staubwolken beobachteten. »Etwas kommt herein!« schrie Carla aufgeregt. »Ich habe eine Ortung!«
»Was ist es denn?« schrie Logan zurück. »Ich kann nichts bekommen.« »Ich kalibriere jetzt.« Sie drückte eine Reihe von Knöpfen in schneller Folge. Lichter blitzten und blinkten an der sich noch immer schüttelnden Konsole. Die Zeiger der Kalkulatoren spielten verrückt, und dann schien die ganze Instrumentenbank, an der sie arbeitete, in Rauch und Flammen aufzugehen. Eine Rolle graphischen Papiers tuckerte aus dem Schlitz. Schnell bückte sie sich, riß sie ab und begann zu lesen. Logan verließ seine Konsole und lief zu ihr. »Wo sind sie?« Er war überaus ungeduldig. »Nach diesen Daten… sind sie… irgendwo auf der Erde. Auf der Erde?« Verblüfft starrten sie einander an. »Aber das ist doch unmöglich!« platzte er heraus. »Wenn sie wirklich auf der Erde sind, dann sind sie schon tot«, bemerkte Carla erschüttert. Die Explosionen hörten auf, dann auch das Zittern des Nachbebens. Tödliche Stille senkte sich auf die neuen Verwüstungen, und Logan rang verzweifelt die Hände. »Wäre es möglich, daß diese Luftverseuchung nicht überall auf eurer Erde stattgefunden hat?« fragte Verdeschi. »Daß vielleicht in irgendeinem versteckten Tal… so was wie eine Luftblase… Wo sie noch atmen können?« Logan schüttelte verzweifelt seinen kahlen Kopf. »Nicht möglich. Wir haben die gesamte Erdoberfläche überprüft nach einem solchen Ort – für Experimente, wissen Sie. Wahrscheinlich sind sie auf einem anderen Planeten gelandet. Auf der Erde können sie nicht sein. Wir können jetzt nichts anderes tun, als unsere Suche fortsetzen und hoffen, sie rechtzeitig zu finden.«
Die gutturalen Laute einer gut entwickelten und halbvertrauten Sprache klangen durch die Nacht, als Helena, Koenig und Carter durch den lichten Wald gestoßen und geschoben wurden; er reichte bis an den Rand eines Dorfes. Verblüfft stellten sie fest, daß sie unter dem Kriegsgeschrei und den wilden Flüchen auch ein paar englische Worte verstanden. Es blieb ihnen für Überlegungen jedoch keine Zeit. Man hatte ihnen Stricke um den Hals gelegt und diese Stricke miteinander verknotet, und so zerrte man sie vorwärts, so daß sie ständig in Gefahr waren, erwürgt zu werden. Der Bandenboß war ein riesiger Bursche mit haarigen Beinen, der einen etwas besseren und weniger schmutzigen Kilt trug als die anderen. Triumphierend stampften die Bandenmitglieder, die diese Leute gefangen hatten, neben ihnen her. Das Geklirr ihrer Waffen war wohl eine herrliche Musik für ihre Ohren. Die Häuser des Dorfes waren wackelige, ärmliche und verkommene Bauwerke, und die Zelte bestanden aus Tierhäuten. Diese Ansammlung von Wohnstätten war entweder ein vorübergehendes Lager oder ein Elendsviertel. Als die Alphaner durch die verwahrloste Gasse gezogen wurden, kamen immer mehr zerlumpte Leute heran oder schauten durch die Zeltklappen. Auf hohen Pfählen steckten blakende Fackeln, und riesige, offene Feuer warfen gespenstische Schatten. Die Zelte und windschiefen Hütten endeten an einer hohen Steinmauer mit einem Torbogen. Durch diesen Bogen zerrte man sie in ein weiteres Dorf, in dem die Zelte noch näher nebeneinander standen, wo es noch mehr Menschen und Feuer gab. Ein steinernes, turmähnliches, windschiefes Gebäude war das Ziel des Anführers, der mit zwei Männern seiner Gruppe die Alphaner nach innen führte. Sie wurden durch eine Reihe dunkler Räume mit nacktem, festgestampftem Boden geschoben, bis sie zu einer Tür aus rohen Bohlen kamen. Die
machte der Anführer auf und warf wenig zeremoniell die drei hinein. Die Tür wurde zugeschmettert, man schob hölzerne Riegel vor, und nun entfernten sich die Schritte der Männer. Dann war Stille.
Mühsam befreiten sie sich von den Stricken, um ihr Gefängnis zu inspizieren. Es war ein großes, kaltes und feuchtes Verlies. Eine einzige in eine Mauerritze geklemmte Fackel gab dürftiges Licht. Nur die eine Wand, in der die Tür war, über welcher die Fackel brannte, war gemauert, die anderen Wände bestanden aus nacktem Fels. Der festgestampfte Boden war dünn mit Stroh bedeckt. In einer Ecke ragten einige Felsbrocken aus der Erde. »Wenigstens haben sie uns nicht umgebracht«, sagte Carter schließlich. Seine Stimme klang in diesem Verlies merkwürdig hohl. Er ging die Wände entlang, um sie genauer in Augenschein zu nehmen. Helena stöhnte, und Koenig lief schnell zu ihr. Benommen fiel sie gegen ihn und zitterte heftig. Er führte sie zu den Felsen und setzte sie in eine natürliche Mulde. Dann hielt er ihr die kleine Flasche an den Mund. »Hast du was gefunden?« fragte er Carter. Der Eagle-Pilot beklopfte die Wände mit dem Griff seines Taschenmessers. Dann schüttelte er den Kopf. »Diese Mauern sind ja ungefähr zwei Meter dick«, sagte er. »Sieh mal bei der Tür nach«, riet ihm Koenig. Carter tat es, und er besah sich Helena voll großer Sorge. Ihr Zustand hatte sich sehr verschlechtert, ihr Atem war jetzt flach und viel zu schnell. Und die Stirn war fiebrig heiß. Aber sie lächelte ihn tapfer an. »Ich weiß, in diesem Licht muß ich wie ein Dämon aussehen«, sagte sie verlegen. »John und Alan, ihr solltet auch eure Temperatur überprüfen.«
Sie hob matt eine Hand. Am Handgelenk hatte sie ein uhrenähnliches Instrument. Das war ein Indikator, mit dem Temperatur und andere Körperfunktionen überprüft wurden. Sie drehte an einer winzigen Wählscheibe, und sofort erschienen auf dem Miniaturzifferblatt bunte Lichtpunkte. »In diesem Licht siehst du großartig aus«, sagte Koenig zärtlich. Sie nickte, als gehe sie auf sein Spiel ein. »Für andere Dämonen. Was wird hier angezeigt?« Er studierte es. »Neununddreißig-acht«, las er ab. Dann schaute er auf seinen eigenen Indikator. »Siebenunddreißig sechs. Was hast du, Alan?« »Normal«, antwortete der Pilot und stemmte sich mit seinem ganzen Gewicht gegen die Tür – vergeblich. »Alan, du mußt den Wachen irgendwie beibringen, daß wir Hilfe brauchen!« rief Koenig verzweifelt und setzte sich neben Helena, um sie warm zu halten. Carter hämmerte mit beiden Fäusten an die Tür und schrie, was seine Lungen hergaben. Es nützte nichts. Dann kam er zu Helena und Koenig in die Ecke. »Wir müssen eben tun, was wir können.« »Wenn wir nur die Temperatur herunterbekommen könnten«, klagte Koenig. Sie schüttelte den Kopf. »Das würde auf die Dauer auch nicht helfen.« »Ich rede ja von jetzt, von der nächsten Stunde, nicht von der nächsten Woche.« »Ich auch«, entgegnete sie matt. »Ich glaube, das ist eine Virus-Lungenentzündung.« »Oh, je, eine Lungenentzündung? Was kann man dagegen tun?«
Sie lächelte. »Auf Alpha wäre es ganz einfach. Aber hier…« Sie schüttelte den Kopf. Doch dann starrte sie den nackten Stein an. »Was ist? Was hast du?« fragte er, und Carter war das nervöse Echo. »Diese Pilze… An der Wand… Kratzt etwas davon ab…« Der Pilot stand auf und ging zu jener Stelle, auf die sie gedeutet hatte. Im trüben Licht konnte er nur kleine Flecken grünlich-weißer keulenförmiger Pilze erkennen. Ihre geübten, von der Krankheit noch geschärften Augen hatten sie sofort entdeckt. Vorsichtig schabte er sie mit dem Messer ab und bekam einige Klümpchen, die er ihr brachte. Sie setzte sich, zerrieb die Pilze mit der Handfläche, um sie mit der Zungenspitze zu prüfen und daran zu riechen. »Es könnte sein«, meinte sie geheimnisvoll. »Was könnte sein?« fragte Koenig. »Fungoide sind der Grundstoff der Barmycingruppe in Drogen, die erst kurze Zeit vor unserem Abflug von der Erde entdeckt wurden. Für eine Virus-Lungenentzündung sind sie die einzige bekannte Medizin.« Koenig runzelte nachdenklich die Brauen, denn ihm gefiel das nicht ganz. »Angenommen, es ist eine Variante dieses Pilzes – wie willst du aber die Droge herstellen?« »Hitze«, antwortete sie. Und nun begann sie keuchend zu atmen. Auf ihrer Stirn erschienen Schweißperlen. Das Sprechen strengte sie sehr an. »Irgendeine Pflanzenfaser… und der Fungus. Ist nur… rudimentär… könnte aber genügen, bis…Dr. Logan seinen Irrtum…berichtigen kann.« Sie war nun nahe daran, das Bewußtsein zu verlieren. In ihrem Kopf tobte der Schmerz, und die Wände des Verlieses drehten sich wie irr um sie. Erschöpft fiel sie zurück. »Hitze!« rief Koenig. »Also müssen wir hier heraus und für Feuer sorgen.« Er schüttelte sie ein wenig, um sie ins
Bewußtsein zurückzuholen. »Okay, Helena, du bist der Doktor. Wie lange hast du noch Zeit?« »Willst du… wissen? Ohne Behandlung… paar Stunden… tot…« »Wie viele Stunden?« fragte er sehr besorgt. »Sechs… acht… John… Und wenn du… hier nicht… rauskommst, bist du auch… tot.« Dann wurde sie ohnmächtig. Er nahm ihren Kopf in seine Hände und drückte ihr einen Kuß auf den Mund. O mein Gott, betete er, und Tränen strömten ihm über die Wangen. O mein Gott… Und dabei hatte er schon so lange nicht mehr an Gott geglaubt…
VII
Der dunkle, feuchte Raum erinnerte eher an eine Höhle als an eine zivilisierte Wohnung und drückte allmählich sehr auf sie. Das grabähnliche Schweigen und das Fehlen jeden Lebens – bis auf das müde Flackern der Fackel – legten sich auf ihre Nerven. Drei Stunden vergingen, und sie hatten keine Ahnung, ob es schon Tag oder noch immer Nacht war. Wirklich, man hätte sie schon herausholen können, und sei es nur zu einem Verhör gewesen. Sie ahnten aber nicht einmal, ob außer ihnen noch jemand in diesem Gebäude war, oder ob man sich ihrer Anwesenheit überhaupt erinnerte. Helena sank immer tiefer in ihre Krankheit, kam für immer kürzer werdende Zeitabschnitte wieder zu sich, und Koenigs Bedrücktheit und Kummer wandelten sich allmählich zu Zorn und Wut. Wichtig war nun, daß sie entkommen und wieder den Hügel hochsteigen konnten, wo sie, hoffentlich, Logan in die Zivilisation zurückholte. Er und Carter hämmerten wieder mit aller Kraft an die Tür. Sie traten dagegen und schlugen mit Steinen daran. Endlich hörten sie, daß jemand draußen die Riegel zurückschob, und sie traten von der Tür weg. Zwei zornige, struppige Wächter mit blitzenden Schwertern erschienen unter der Tür. Der eine, älter und kompakter aussehend als der andere, schob sich hinein, Koenig entgegen. »Hört endlich mit dem verdammten Krach auf«, begann er in klar verständlichem Englisch mit starkem gallischem Akzent. Er hob sein Schwert, als wolle er Koenig zeigen, was er tun würde, wenn sie seinem Befehl nicht entsprächen. Dann schien er einen Trick zu spüren und drehte sich langsam um. Ehe er
aber sehen konnte, wo Carter stand, hob Koenig seinen Arm, so daß sein Handindikator zu sehen war. Die bunten Lichter spielten über sein und des Wächters Gesicht. Für den Zottelmann war dies eine bedrohliche Zauberei, die Koenig in seinen Augen zu einem Dämon werden ließ. Die beiden wichen zurück, da sie vor dem Unbekannten Angst hatten. Carter sah seine Chance und trat vorwärts. Geschickt versetzte er einem einen Handkantenschlag gegen die Schulter, traf dabei einen wichtigen Nerv und sah befriedigt zu, wie der Mann in einem Durcheinander aus Kilt, Schwert und sonstigem Eisenzeug zu Boden ging. Koenig tat einen Satz auf den unglücklichen Kameraden zu und verpaßte auch diesem einen betäubenden Schlag. Nicht einmal einen Warnschrei konnte er abgeben. Schnell rannte Koenig in die Verliesecke und hob Helena auf. »Der Fungus!« rief er Carter zu, als er die schlaffe Gestalt zur Tür trug. Der Pilot kratzte schnell noch soviel von diesem Pilzzeug von der Wand, wie er konnte, und schob alles in seine Tasche. Dann liefen sie eiligst hinaus, machten gewissenhaft die Tür zu und verriegelten sie, ließen sich aber weiter nicht mehr aufhalten. »Unser Lager erreichen wir nie«, fürchtete Carter, als sie durch die düsteren Räume und Gänge eilten. »Dann müssen wir einen Platz suchen, an dem sie uns nicht suchen«, erwiderte Koenig keuchend, denn mit der Zeit wurde auch die leichte Helena ein schweres Gewicht. »Wir müssen Zeit gewinnen, um Helena zu retten.« »Zu spät, ihr englischen Flüchtlinge!« rief ihnen eine stolze, tiefe Schottenstimme entgegen. Sie blieben wie angewurzelt in dem großen Raum mit dem Steinfußboden stehen; die Stimme hatte sie eindeutig überrascht, und nun war ihnen der Fluchtweg abgeschnitten.
Einen Augenblick später verschlug es ihnen völlig den Atem, als sie im flackernden Licht etlicher Fackeln den hochgewachsenen und prächtig gekleideten Hochländer aus dem Schatten treten sahen. Er war ein Häuptling und hatte etwa ein Dutzend schäbig gekleideter Soldaten als Hofstaat hinter sich. Von diesen wurden die Alphaner sehr schnell eingekreist.
Zehn Stunden blieben ihnen noch. Verdeschi lief wie ein gefangener Löwe in der Kommandozentrale auf und ab, während Maya sich ein bißchen taktvoller mit Logans Gesicht auf dem Schirm unterhielt. »Doktor, besehen Sie sich das Problem noch einmal von allen Seiten«, schlug sie nachdrücklich vor. »Sie haben Ihr Erdbeben rekonstruiert. Auf dieser Basis haben Sie alles immer wieder nachgerechnet…« »Und jedesmal ist das Ergebnis dasselbe!« wurde sie von Logan unterbrochen. Er schien ungeheuer enttäuscht und verlegen zu sein. Er seufzte schwer und schüttelte den Kopf. »Aber es ist einfach unmöglich!« »Weil sie noch immer am Leben sind?« warf Verdeschi ein. »Genau«, erwiderte der andere. Verdeschi warf Maya einen fragenden Blick zu. Die Psychonierin drehte sich wieder zum Schirm um. »Die Möglichkeit, daß sie auf einem Planeten mit atembarer Luft gelandet sind, ist eins zu einer Million. Die Möglichkeit, daß sie anderswo leben, ist überhaupt unannehmbar.« Mayas unschlagbare Logik trug maßgeblich zu Logans verlegener Enttäuschung bei. Er war einfach nicht in der Lage, mit ihr gleichzuziehen. Er fühlte sich zutiefst gedemütigt, um so mehr als er annahm, sie sei eine von seinen eigenen
Vorfahren, und er müßte deshalb eigentlich doch seine Sache besser machen können. Er schwieg, weil er nichts mehr zu sagen hatte. Dann fragte Verdeschi Maya: »Warum kann Logan sie nicht finden?« Da schrumpfte er förmlich zusammen. »Vielleicht«, erwiderte sie langsam, sah erst Logan und dann den Italiener an, »weil er in der falschen Zeit sucht.« »Unmöglich!« platzte Logan heraus. »Das kann ich nicht akzeptieren. Ich habe meine Geräte so eingestellt, daß sie in die Gegenwart zurückgebracht werden. Carla und ich haben die Instrumente hundertmal überprüft.« Aber Verdeschi ließ nicht locker. »Sie wissen, daß sie unter den gegenwärtigen Bedingungen nicht auf der Erdoberfläche leben können. Nun, aber wir wissen, daß sie leben. Also bitte, überdenken Sie noch einmal Ihre chronologischen Kalkulationen.« »Und vergessen Sie nicht, Dr. Logan, daß wir nur noch zehn Stunden haben«, mahnte ihn Maya kühl. Logan hob verzweifelt seine buschigen Brauen. »Na, schön. Aber wenn Sie nicht recht haben…« Drohend sah er Maya an. »Für weitere Neuberechnungen ist dann keine Zeit mehr.« »Dieses Risiko müssen wir eingehen«, erklärte Verdeschi barsch und ging zu Mathias zurück, der an Helenas Konsole arbeitete. Man hatte sie in die Neutrino-Kette eingeschlossen, und der Doktor drückte immer wieder auf einen Kommunikationsknopf, um Signale für die drei verlorenen Alphaner auszusenden, leider vergebens. »Mach weiter«, befahl ihm Verdeschi trotzdem. »Was nützt es schon?« fragte Mathias. »Wie können sie uns sagen, wo sie gelandet sind? Und in welcher Zeit?« »Egal. Du schickst nur immer wieder die Signale aus. Er soll wissen, daß wir suchen. Und wenn sie ein Signal auffangen,
denn sie haben ja ihre Handindikatoren bei sich, dann weiß Koenig schon, wie er uns ein Signal schicken kann.«
Die Banketthalle im Steinhaus war angefüllt mit dem Jaulen der Dudelsäcke, dem Duft gebratenen Fleisches und mit sehr vielen Schwerttänzern im Kilt. Viele Fackeln brannten an den Wänden. In der Mitte stand ein langer Bankettisch mit einer Unmenge appetitlich duftenden Essens. Eine Anzahl fast so gut gekleideter Leute wie ihr Häuptling saßen dort und stopften sich hungrig mit den guten Sachen voll. Viele Fußsoldaten bedienten sie, und an den Wänden standen aufgereiht die Pfeifer. An einem Ende brannte auf einer Herdstelle ein prasselndes Feuer, und darüber drehte sich langsam ein ganzer Ochse am Spieß. Die Halle war wesentlich freundlicher und angenehmer als das Verlies. Sogar Helena fühlte sich wieder lebendiger, und die drei Alphaner vermochten kaum zu glauben, was ihre Sinne ihnen sagten, vor allem ihre Geschmacksknospen, die es nicht fassen konnten, daß es so schmackhafte Dinge gab, die ihnen mehr als sechs Jahre lang vorenthalten worden waren. Sie saßen am Kopfende des Tisches neben ihrem eindrucksvollen Eroberer MacDonald vom MacDonald-Clan. Er aß herzhaft, riß große Fleischbrocken aus einem gebratenen Huhn und stopfte sie in den Mund. Nach jedem Bissen tat er einen Zug aus einem riesigen Bierhumpen. Er war ein liebenswürdiger, wenn auch etwas heftiger Herr. Nachdem er sie wieder eingefangen hatte, dreht er sie durch eine Vernehmungsmühle, doch das brachte ihn auch nicht weiter, weil er das nicht begriff, was ihm diese Leute sagten. Er nahm deshalb kurzerhand an, sie seien Flüchtlinge vor den Engländern. Dieser Gedanke erstaunte die drei Alphaner, vor allem die Tatsache, daß sie doch auf der Erde gelandet waren,
wenn auch in einer fernen Vergangenheit, genau gesagt, in der Zeit der schottischen Kriege mit den Engländern. Das war eine Ungeheuerlichkeit, doch sie konnten dem nichts entgegensetzen. Die Beweise waren zu unerschütterlich. Der Häuptling der Hochländer bewunderte Helenas Schönheit, und er hatte sofort bemerkt, wie krank sie war. Deshalb hatte er ihnen erlaubt, die Pilze aufzubereiten, um sie zu heilen. Dann hatte er sie in diese eindrucksvolle Halle gebracht. All das hatte ungefähr acht Stunden ihrer kostbaren Zeit verschluckt. Nun lehnte sich der Häuptling über seinen Teller, so daß sein schwarzer Bart direkt vor Helenas Gesicht stand. In seinen braunen Augen blitzte es mutwillig. »Das ist klar, ihr seid vornehme Leute«, sagte er. »Und für einen großen Lord in England einen schönen Penny wert. Aber etwas verstehe ich nicht recht…« Koenig war zornig, weil sich dieser Schotte Helena gegenüber Freiheiten herausnahm, und so flüsterte er ihr etwas zu, während der Bärtige mit ihr sprach. Sie war wieder blasser geworden, und deshalb fragte er sie, wie es ihr gehe. »Scheußlich«, erwiderte sie aus dem Mundwinkel heraus. »Temperatur steigt schon wieder.« »… verstehe nicht, daß ihr drei Engländer in Schottland ohne bewaffnete Begleiter reisen könnt. Ihr müßt doch wissen, daß ihr für jeden schottischen Clan wunderbare Geiseln seid.« Er lehnte sich laut lachend in seinen Stuhl zurück, denn er hielt Helena für sehr schüchtern. »Ja, erkläre das mal, Alan«, sagte Koenig zu Carter. Carter warf ihm einen zornigen Blick zu und wandte sich an MacDonald. »Würdest du’s glauben, wenn wir sagen, daß wir uns verirrt haben?«
»Nein, meine Freunde.« Der Häuptling klatschte ihm kräftig auf den Rücken. »Ich glaube eher, einer von euch zweien ist mit der Frau von einem großen englischen Lord durchgebrannt.« Begehrlich musterte er Helena. »Und dieser Lord würde viel bezahlen, wenn er sie zurückbekäme.« Carter schüttelte den Kopf, als er zu erklären versuchte, daß dies nicht zuträfe, doch Koenig versetzte ihm unter dem Tisch einen warnenden Tritt gegen das Schienbein. »Er soll das doch glauben«, flüsterte er ihm zu. MacDonald schob geräuschvoll seinen Stuhl zurück und stand auf. Die Sanduhr zeigte eine späte Stunde an. Er hob deshalb seinen Humpen. Die anderen standen ebenfalls auf und folgten seinem Beispiel. »Mit diesen wenigen Sandkörnern rinnt das alte Jahr davon«, verkündete MacDonalds laute Stimme. »Wir wollen darauf trinken, daß das neue Jahr besser werden möge! Ich trinke auf das Neue Jahr!« Streng blickte er auf die drei sitzenden Alphaner hinab. »Hebt eure Humpen und trinkt auf Robert von Bruce und Bannockburn!« Sie beeilten sich, der Aufforderung zu folgen. »Bannockburn«, flüsterte Koenig in Carters Ohr. »Wann war die Schlacht?« »John, es ist schon lange her, daß ich die Schulbank drückte«, flüsterte der Eagle-Pilot zurück. »Ich hab’s vergessen.« »Wir wissen, daß es der Neujahrstag ist, fünfundzwanzig Jahre nach der Schlacht.« Koenig warf nun Helena einen hoffnungsvollen Blick zu. MacDonald hatte schon früher von dieser Schlacht gesprochen, und später einmal hatte sie nach dem Datum gefragt, doch er hatte nur geheimnisvoll lächelnd geantwortet, es sei ein Vierteljahrhundert nach der Schlacht von Bannockburn. »Wenn wir Maya diese Angabe übermitteln könnten«, meinte Koenig, »würde Logans Computer die genaue Zeit feststellen.«
»Aber zuerst müssen wir von der Mondbasis Gewißheit bekommen«, warf Helena ein. »Sie können uns doch nicht so weit durch Zeit und Raum funken.« »Nein, aber mit dem Neutrinostrahl können sie’s tun«, erwiderte Koenig. »Falls sie genug Vernunft aufbringen, es zu versuchen.« Tröstend legte er ihr einen Arm um die Schultern. »Das ist unsere einzige Hoffnung.« Während er noch sprach, brach Helena wieder zusammen, und ihr Bierkrug krachte auf den Tisch. Besorgt setzte er Helena in ihren Sessel. Die Toasts waren ausgebracht, und nun bemerkte MacDonald Helenas Zustand. Er wollte schon etwas sagen. Doch dann befiel ihn tiefes Mißtrauen. »Ist denn die Dame noch immer krank?« fragte er. »Sie war es«, erwiderte Koenig, denn er ahnte, was der Schotte dachte, »wenn sie nur schlafen könnte…« MacDonald knallte zornig seinen Humpen auf den Tisch. »Ich habe gefragt, ob die Dame krank ist!« schrie er Koenig an. Koenig legte schützend seine Arme um Helena. »Gebt uns ein Obdach, wo wir ausruhen können. Stellt Wachen auf, wenn ihr wollt.« Der Schotte fluchte lange und ausführlich. Er zog sein Schwert aus der Scheide, richtete sich zu voller Größe auf und legte die Spitze unter Koenigs Kinn. Seine Augen drückten Angst aus. »Jetzt verstehe ich«, sagte er in einem Ton, der den Alphanern alle Hoffnung rauben mußte. Dann senkte er sein Schwert, zog sich eiligst zurück und stieß dabei seinen Stuhl um. »Die Pest«, sagte er zu seinen Getreuen. »Diese Frau hat die Pest. Deshalb wandern sie allein im Wald herum. Ein großer Herr hat sie hinausgeworfen – zum Sterben!« Entsetzt musterte er sich selbst. »Wir könnten uns schon alle angesteckt haben.«
Die ganze Versammlung brach in Angstschreie aus. Dann wurden noch mehr Schwerter aus den Scheiden gezogen, und ein gälischer Rachegesang ertönte aus rauhen Männerkehlen. »Verbrennt sie! Verbrennt sie! Verbrennt die Ausgestoßenen!«
Logan schwitzte bei der Arbeit an seiner Konsole. Auf dem dunklen Schirm vor ihm tanzten Ziffern: 30-27…30-26… 30 25… Das war eine Zeitangabe. Er schlug mit der Faust auf den Neutronenkommunikationsknopf, so daß Mayas Gesicht wieder auf dem Schirm erschien. »Mondbasis Alpha…«, keuchte er. »Dreißig Minuten vor Beginn der Eklipse. Ich denke, wir alle müssen nun akzeptieren, daß wir keine Hoffnung mehr haben können, sie zu finden.« Er sah wie ein völlig verzweifelter und ruinierter Mann aus. Maya rührte das nicht. »Nein, Doktor«, erklärte sie. »Wir akzeptieren gar nichts – bis zur Eklipse.« »Ich dachte, vielleicht möchten die Leute von der Mondbasis diese letzten Minuten dazu benützen, Botschaften an ihre Abkömmlinge auf der Erde zu richten.« Verdeschis Gesicht erschien nun auf dem Schirm, und es war ein sehr hartes Gesicht. »Persönliche Botschaften gibt es nicht. Wir bestehen darauf, daß Sie die Suche bis zum allerletzten Moment fortsetzen.« Bis zum allerletzten Moment… der auch der allerletzte Moment seiner Karriere sein würde. Dr. Logan setzte seine Suche fort, wenn auch ohne jede Hoffnung auf Erfolg.
Koenigs Handgelenke bluteten und schmerzten, denn sie waren an die Wand einer Holzhütte gefesselt. Es roch nach frischem, noch feuchtem Fichtenholz. Vor ihren Füßen lagen Heuballen und ein Haufen Reisig und Kleinholz. Die Wachsoldaten hielten eine respektvolle Entfernung zu ihren Gefangenen ein. Man hatte sie aus der Banketthalle hinausgezerrt und über offenes Land gejagt. Schwertspitzen halfen nach. MacDonald war nicht davon zu überzeugen gewesen, daß Helena nicht die Pest hatte. Es dämmerte schon, doch es war noch immer dunkel, als sie endlich diese winzige Hütte erreichten. Das Wetter hatte umgeschlagen. Der eisige Wind hatte die Regenwolken davongeblasen, und der Himmel war mit Millionen strahlender Sterne bestickt. Noch immer hing hier der gute alte Mond hoch über ihnen, und die Krater und Gebirge ließen sich deutlich erkennen. Das war ein herzbewegender Anblick, diesen Mond in strahlender Schönheit zu sehen – zu einer Zeit, da an ihre schicksalhafte Reise noch lange nicht gedacht werden konnte. Einer der Soldaten hatte Koenig ziemlich grob eine Fackel ›gereicht‹, und Koenig hatte versucht, ihn mit der Schulter anzurempeln. Leider gelang es nicht wegen der Ketten. MacDonald stand irgendwo vor der Hütte. Dem schrie er zu: »Es ist aber nicht die Pest, und sie kann geheilt werden!« »Hä… Geheilt? Für die Pest gibt es keine Heilung oder nur eine. Raus, Soldaten!« Die Männer zogen sich aus der Holzhütte zurück, und die Alphaner hörten, daß außen immer weitere Heuballen aufgeschichtet wurden. Man hatte einige brennende Fackeln zurückgelassen, und in ihrem Licht beugte sich Koenig über die wieder zusammengebrochene Helena. Sie war kaum mehr bei Bewußtsein. Aber ganz plötzlich begannen ihre Indikatoren heftig zu blinken. »Die Mondbasis!« rief Koenig. »Sie signalisieren…«
Verzweifelt versuchte sich Koenig zu befreien, doch die Handfesseln schnitten nur noch tiefer in sein Fleisch. Er mußte aufgeben. Aber vielleicht war es doch möglich… »Streck dich so weit zu mir herüber, wie es nur möglich ist«, befahl er Carter und erklärte ihm, was er damit erreichen wollte. Koenigs Indikator konnte fast von Carters Fingerspitzen berührt werden. Nun kam von draußen ein blutrünstiges Heulen und das Knistern brennenden Reisigs war zu vernehmen. Über den heiseren Stimmen der johlenden Soldaten vernahmen sie deutlich MacDonalds laute, zugegebenermaßen ein wenig traurige Stimme: »Ein schönes Lösegeld hätten wir für sie bekommen…« Beißender Rauch erfüllte bald die kleine Hütte. Endlich gelang es Koenig und Carter, einander zu berühren. Carters Zeigefinger konnte auf den Sendeknopf auf Koenigs Indikator drücken. »Jetzt… Drück drauf, wenn ich’s sage, und wir wollen hoffen, daß jemand sich der alten Ausbildung erinnert…«
Rein zufällig hatte man entdeckt, daß ein Stromkreis im Innern des Indikators, der eigentlich nur als medizinisches Hilfsinstrument gedacht war, auch als etwas primitiver, jedoch wirksamer Sender und Empfänger benutzt werden konnte. Raffinierte Bilder und Worte konnten damit nicht übermittelt werden, aber Signale, die sich aus einzelnen Impulsen zusammensetzten. An der Konsole in der Kommandozentrale nahmen sie Impulse auf, die nur aus einer Quelle stammen konnten. Mathias war aufgeregt, und sein Herz schlug schneller. Ungläubig rief er Verdeschi herbei. »Wir bekommen etwas von den Indikatoren!«
Sofort versammelten sich alle um die Konsole. Blitze zuckten über den Schirm, lange Blitze und kurze. Verdeschi schaute verwundert – und verzweifelt drein. Er wandte sich zu Sandra Benes um. »Sag mal, kannst du was draus machen?« Sie schüttelte den Kopf. »Irgendein Code muß das ein.« »Sonst jemand?« Verdeschi schaute von einem zum andern. »Versteht das jemand?« Tom Jackson, ein Techniker, schnippte plötzlich mit den Fingern. »Moment mal! Das ist doch der alte Morsecode!« »Morsecode?« Maya stand vor einem Rätsel. »Natürlich. Das ist eine alte Signalform. Wir haben sie gelernt, als wir Kadetten auf der Astronautenschule waren.« »Klar!« schrie nun auch Verdeschi. »Maya, schnell, den Computer!« Maya rannte zu ihrer Konsole, eine ganze Gruppe folgte ihr. Sofort bekam sie über Helenas Konsole die Signale herein, und der Computer übersetzte sie in Buchstaben. Bald hatten sie alle Informationen, die sie brauchten. Verdeschi rief sofort Logan an. »Schottland?« fragte der verdutzte Doktor. Er wandte sich zu Carla um. »Schnell. Rekalibrieren. Schottland… Wo und wann?« fragte er Verdeschi. »Neujahr, Bannockburn plus fünfundzwanzig Jahre. Aber da bin ich nicht ganz sicher.« »Jetzt brauchen Sie sich keine Sorgen mehr zu machen«, versicherte ihm Logan strahlend. »Da kenne ich mich aus, denn ich bin von Geburt Schotte. Wenn Ihre Freunde noch ein paar Sekunden länger am Leben bleiben können, holen wir sie zurück.« Wieder wandte er sich an Carla, kratzte den Kopf, um leichter das Datum errechnen zu können und sagte ihr: »Plus fünfundzwanzig. Schottland. 1339. Jawohl, Carla. 1339.«
Carla arbeitete mit eindrucksvoller Schnelligkeit. »Transferprozedur grün!« rief sie triumphierend. Sie sah auf ihre Digitaluhr, die nun anzeigte, daß nur noch fünf Minuten bis zur Eklipse blieben. »Halation positiv«, meldete sie ihrem Vorgesetzten ruhig.
Dichte Rauchwolken füllten das Innere der Hütte. Durch den grauen, wirbelnden Qualm konnten sie züngelnde Flammen vor der Hütte erkennen. Die Hitze setzte ihnen schon zu, aber sie wußten, daß sie eher ersticken als verbrennen würden. Das war eine sehr grausame Art von Barmherzigkeit. Hustend und keuchend und mit tränenden Augen fuhr Carter fort, Morsesignale an Koenigs Handgelenk zu tippen. Jetzt kannte er den Code schon auswendig. Reden konnten sie schon längst nicht mehr, weil sie ständig husten mußten. Dann hörten sie, weil sie schon halb tot waren, auch zu husten auf. Die Augen quollen ihnen fast aus dem Kopf vor Luftmangel.
Als Carter aufwachte, nahm vor seinen Augen allmählich eine geodätische Kuppel Gestalt an. Sofort schloß er die Augen wieder. Langsam begriff er, was geschehen war. Ehe er sich bewegte, tat er einen aus tiefstem Herzen kommenden Seufzer der Erleichterung. Er blieb ganz still sitzen und ließ seine Zellen das neue Leben trinken, das ihm geschenkt worden war. Dann machte er die Augen wieder auf und schnallte sich los. Er half auch Koenig, die Gurte zu öffnen, dann stand er auf und ging mit zitternden Beinen aus der Transferkammer mit ihrer Ansammlung von Instrumenten und Kabeln hinaus. In der Luft hing ein starker Geruch nach Ozon, den er dem brennenden Fichtenholzes bei weitem vorzog.
Die Transferkuppel und die Konsole darin waren verlassen. Wie betrunken schaute er sich um. Koenig versuchte Helena aus dem Stuhl zu heben, also kehrte er um. Die arme Ärztin war noch immer bewußtlos. Als er mit Helena und Koenig wieder herauskam, war die Kuppel mit glücklichen Alphanern angefüllt. Zuerst waren sie von der Kommandozentrale gelaufen gekommen, um die Rücklieferung zu beobachten und zu beurteilen, ob sie so sicher und reibungslos ablief, wie die Instrumente dies anzeigten. »Es ist gelungen!« schrie Verdeschi. Er und Maya rannten den anderen voraus und waren die ersten, die Rückkehrer zu begrüßen; Mathias und Vincent folgten. Die beiden Ärzte kümmerten sich sofort um Helena. »Wir haben sie bald wieder auf den Beinen«, versicherte ihnen Vincent, als er wußte, was geschehen war. »Auf der Erde unten sind sie ja sehr zurückgeblieben, aber hier auf der Mondbasis Alpha sind wir ja fortschrittlich.« »Wenn ich daran denke«, sagte Koenig und lächelte mühsam, als endlich die erste Begrüßungswelle abgeebbt war, »daß wir ausgerechnet im Schottland von 1339 gelandet waren. Was hätten wir dort jetzt alles erleben können!« »Klar, wir hätten die Bartholomäusnacht, die spanische Inquisition, den Rückzug über die Beresina, den Untergang der Titanic oder den Londoner Blitz ebensogut miterleben können«, zählte Carter lachend auf. Er war stolz auf seine Geschichtskenntnisse. Maya schüttelte verständnislos den Kopf. »Und mit einem solchen Wissen könnt ihr überhaupt wünschen, zur Erde zurückzukehren?« Die Prozession zog zur Kommandozentrale. In Mayas Frage schwang bittere Ironie mit. Nein, es war gar nicht mehr so
wichtig, zu einer Erde zurückzukehren, deren Land von Insektiziden vergiftet zu einer unfruchtbaren Wüste geworden war. Oh, doch, sie wollten natürlich zur Erde zurückkehren, aber zu jener, derer sie sich erinnerten. Zu der, die sie liebten, deren Andenken sie hüteten wie einen kostbaren Schatz. Die Sehnsucht war so groß, daß ihre Herzen schmerzten. Logan, dieser ungeschickte Wissenschaftler voll guter Absichten, hatte sie an ihren Traum erinnert und dreien von ihnen einen schlagenden Beweis geliefert. Aber die kurze Zeit des Kontaktes war unwiederbringlich dahin.
VIII
Die kurzen Stunden des Kontakts waren nun verloren, wahrscheinlich für immer. Auf seiner irren Reise durch den Raum war der Mond nun am Rand der Galaxis angekommen. Oder fast. Die Millionen funkelnder Sterne verdünnten sich zu einem gelegentlichen Lichtpunkt hier und da. Vor ihnen lag die unendliche Tiefe des Universums, die unergründliche, ewige See des Nichts zwischen großen Galaxien. Der Mond schlug seinen letzten, endgültigen Kurs ein. Verschiedene kurz aufeinanderfolgende Zeitverwerfungen hatten den Mond von einer Galaxis in eine andere Geworfen, aber die riesige intergalaktische Kluft hatten sie nie auch nur entfernt berührt. Noch niemals waren menschliche Ausgestoßene oder Irrläufer gezwungen gewesen, auf einer Welt ohne Nachbarn zu leben, die hilfreich oder hinderlich sein konnten. Immer waren sie mit anderen Zivilisationen in Verbindung gekommen. Immer hatten die Alphaner begründete Hoffnung gehabt, einmal den Rückweg zur Erde zu finden oder auch eine neue Heimat. Jetzt hatten sie auch die letzte Möglichkeit verloren. Auf lange Sicht waren ihre Überlebenschancen recht gering. Grimmig musterte Koenig die letzten paar Sterne, die auf dem Schirm der Kommandozentrale verloren auf dem Schirm funkelten. Früher war dies ein Glitzern und Gleißen gewesen, und jetzt… Die letzte Zeitverwerfung hatte sie an den Rand der Galaxis M 31 geworfen, und da waren sie nun. Es war eine Ironie, daß M 31 der heimischen Milchstraße so ähnlich war. Sie hatte fast die gleiche Größe, auch eine ähnliche Form, und
sie war der Nachbar der Milchstraße. Aber die trennenden Entfernungen waren so ungeheuer, daß die Alphaner hundertmal hätten leben und sterben können, ehe sie diese neue Galaxis erreichten. Für den Rest ihres Lebens würden sie nach den paar letzten Vorposten keinen Stern mehr sehen, und damit gab es keine Überlebenschance mehr. Aber in diesem Raumsektor der vorgeschobenen Sterne hatten die Sensoren der Mondbasis ein geheimnisvolles Objekt ausgemacht, das ihnen entgegenraste. Es war klein und sehr schnell, noch viele Millionen Meilen entfernt und schien vom Galaxisrand zu kommen. Es strahlte ein Kraftfeld aus, hatte irgendeine aktive Energiequelle, gab aber keine Lebensformsignale ab. Freund oder Feind- oder Neutraler –, jedenfalls war dieses Objekt vermutlich der letzte mögliche Kontakt mit einer anderen Rasse. Dieses Ufo raste ihnen entgegen und lag genau auf dem Mondkurs. Was konnte das sein? Was hatte es in dieser abgelegenen Raumgegend zu suchen? »Sensordaten kommen herein«, meldete Maya und beugte sich über die neuen Ausdrucke. Sie runzelte die Brauen. »Kohlenstoff, Wasserstoff, Argon, Rebillium, Sauerstoff, Schwefel…« Sie las noch ein paar weitere Elemente ab; viele davon waren gasförmig. »Rohmaterialien?« fragte Koenig. »Mehr als genug, aber in einer Art Gaswolke.« Sie war ziemlich verblüfft. »Wie kommt es, daß…« »… daß es von einer Energiequelle angetrieben wird und ein Kraftfeld hat? Richtig.« Koenig nickte. »Das würde ich auch gerne wissen.« Seine Haltung hatte sich von der vorsichtiger und etwas melancholischer Neugier zu der deutlicher Sorge gewandelt. Andere Alphaner, die über ihr Schicksal nachgedacht hatten, wurden aufmerksam.
»Dehnt sich aus und festigt sich«, rief Verdeschi an seiner Konsole. »Alan, Dichte und Volumen?« fragte Koenig. Der Australier arbeitete an der Konsole unmittelbar vor der seinen. Er legte Schalter um und drückte Knöpfe. »Es ist ein großes Ding«, meldete Alan. »John, ungefähr einen Kubikkilometer groß.« »Es wird wohl ein Raumschiff sein«, vermutete Verdeschi. Auf dem Schirm war das Ufo nun schon recht deutlich zu sehen. »Reine Materie. Anders ist das Ding wohl nicht zu erklären.« Schweigend beobachteten sie weiter den Schirm. Das Ufo wuchs allmählich zu Fußballgröße an. »Vergrößern!« befahl Koenig. Nun füllte das Ufo den ganzen Schirm aus, und sie erkannten deutlich die Massen farbiger Gase, aus denen es bestand. Diese Gase schienen in welligen, ineinanderlaufenden Lagen zu fliegen. Sie glühten unheimlich und in bunten, schillernden Farben, als seien sie ionisiert. Allmählich verwischten sich die Umrisse und Farben, schrumpften in der Ausdehnung und lösten sich in die Umrisse eines sehr großen Schiffes auf. Es raste ihnen mit immer gleicher Geschwindigkeit entgegen. »Auf Anhieb richtig«, bestätigte Koenig dem Sicherheitschef. »Sahn, Kontakt bitte.« Er stand auf und ging zu Verdeschi. Der Italiener arbeitete fieberhaft und analysierte die neue Information, die seine Sensoren aufgenommen hatten. »Keine feindseligen Bewegungen«, stellte er fest und riß einen Ausdruck ab. »Ein Mesonenkonverter. Das dachte ich mir doch.« Koenig nickte ernst. »Eine Vorrichtung, um Materie in Energie und wieder zurück in Materie zu verwandeln.« »Und den Raumstandort fast augenblicklich zu verändern.«
»Jetzt haben wir ein Lebensformsignal!« rief Maya. »Sahn, haben wir Kontakt?« Koenig wirbelte zu ihr herum. »Nein, noch nicht, John«, antwortete sie und drückte Kommunikatorknöpfe an ihrer Konsole. »Wer immer sie sind – sie antworten nicht.« Das fremde Schiff wurde immer größer. Es sah aus wie ein schwarzer, schwanzloser Sperrballon oder wie ein riesiger, düsterer Raumwal. Koenig lief zu seiner Konsole zurück und drückte den Knopf für die Waffenabteilung. »Strahlungsschirme aktivieren«, befahl er. Verdeschi war sehr blaß. »Es verändert den Kurs nicht. Bei dieser Reisegeschwindigkeit dauert es nur noch eine Minute bis zur Kollision.« »Aber es muß uns doch gesehen haben!« rief Carter. »Roter Alarm!« Koenig schlug mit der flachen Hand auf den roten Alarmknopf. Sofort wurde die Mondbasis zu einem Durcheinander rennender Gestalten, weil jeder auf den zugewiesenen Platz mußte. »Verteidigungsgruppen in Stellung… falls ihr noch Zeit habt«, fügt er leise hinzu. »Eagles auf der Oberfläche in Untergrundhangars…« Carter gab diese Weisung, um die Schiffe von den Rampen zurückzuziehen und sie in Sicherheit zu bringen. Falls das ankommende Schiff mit dem Mond zusammenstieß, mußten die Schäden sehr groß sein. »Alles nichtaktive Personal in die Schutzräume und in Bereitschaft bleiben«, befahl Koenig. »Zehn Sekunden…«, zählte Verdeschi. »Fünf… – Es ist durch unsere Schirme gegangen!« »Warte mal…«, begann Koenig, doch die ganze Kommandozentrale wurde plötzlich in grellweißes Licht gehüllt.
Die Magnesiumhelligkeit schien von irgendwoher zu kommen, obwohl sie um Mayas Konsole herum besonders grell zu sein schien. Sie legten schützende Arme über ihre Augen, doch sie sahen die sich windende Gestalt. Maya stöhnte vor Angst und Schmerzen. Dann wurde das Licht um sie herum noch greller und beschoß sie mit unbeschreiblich scharfen Strahlen, so daß sie vorwärts auf ihre Konsole stürzte. Dann rollte sie zuckend, schreiend und weinend seitlich auf den Boden. Das Licht folgte ihr, doch plötzlich war es verschwunden. Verdeschi und Carter liefen zu ihr, doch die Netzhaut ihrer Augen litt noch unter den Nachwirkungen des scharfen Lichtes. Koenig schickte einen Eilruf nach Helena aus und vergaß ganz, daß der Zusammenstoß sich ja nicht ereignet hatte. Er schien nun mehr an dem interessiert zu sein, was Maya schrie. Ein Wort schrie die Psychonierin, und das wiederholte sie immer wieder. Aus ihrem vor Angst und Schmerz verzerrten Gesicht war zu schließen, daß es eine Warnung sein sollte. »Dorkoner! Dorkoner!«
IX
Der große Lord der Dorkoner saß schmal, zerbrechlich und sehr alt in der ganzen Pracht der Kabine des fremden Raumfahrzeuges da. Er war weißhaarig und vermittelte den Eindruck großer Weisheit. Er hieß Archo, und sein kleiner, nußartiger Körper war in den Falten seiner reichen Kleidung und prunkvoll bestickten Decken kaum zu erkennen. Die Aura der Macht, die ihn umgab, war nicht zu übersehen. Schon das Heben eines Fingers oder einer Braue, oder auch die Andeutung eines spöttisch keckernden Gelächters waren Ausdruck dieser Macht. Neben ihm auf der königlichen Estrade stand ein junger, schöner Mann – Malik, Archons ehrgeiziger Neffe. Um Mund und Augen hatte er einen Ausdruck von Grausamkeit, und die Augen huschten ruhelos von einem Gegenstand zum anderen. Die ihm vorzeitig zugefallene Macht schien eine zu schwere Bürde zu sein; wahrscheinlich wäre er lieber noch nicht ganz erwachsen gewesen. Den beiden gegenüber stand eine große, sehr anmutige Frau, deren Schönheit auf ganz Dorkon berühmt war. Sie war vermutlich die schönste Frau im Dienst des alten Archon. Archon liebte es, sich mit schönen Frauen zu umgeben, vielleicht um sich seiner eigenen Jugend zu erinnern, denn jetzt war er gänzlich impotent. Malik war voll Bitterkeit und Haß. Er wirbelte zu seinem Onkel herum. »Übersieh sie, Onkel! Gib den Befehl zur Invasion!«
»Und wenn sie Widerstand leisten?« Varda, die schöne Frau, stellte diese Frage, ehe sich der alte Archon der Verrücktheit seines Neffen beugen konnte. »Dann werden sie selbstverständlich vernichtet«, erklärte Malik überheblich. »Aber wir brauchen ihre Hilfe«, wandte sie leise ein. »Du willst dich diesen Primitiven ausliefern?« schrie der junge Mann und wurde zornrot. Varda schob das Kinn aggressiv vor. »Ich werde diese Operation so führen, wie ich es für gut halte.« »Aber ich habe das Schiffskommando!« brüllte der junge Mann. Die Falten von Archons altem Gesicht ordneten sich zu einem Ausdruck großer Müdigkeit und Vorsicht. Er hob eine juwelenglänzende Hand, dann wandte er sich an Malik. »Konsul Varda befiehlt dir, wie ich ihr befehle. Dein Rat ist zurückgewiesen, Neffe.« Eine Weile herrschte gespanntes Schweigen, während der junge Schiffskommandant über die Auswirkungen dieser Worte nachdachte; über die Auswirkungen nicht auf ihn, sondern auf das, was er für seinen Onkel und die Frau geplant hatte. Seine Augen blitzten drohend, sein Gesicht erstarrte in unterdrückten Gefühlen. Ohne ein weiteres Wort oder die übliche Gehorsamsgeste für seinen Herrscher drehte er sich auf dem Absatz um und verließ den Raum. Archons Augen kehrten zu Varda zurück. »Mach’ es so, wie du es willst und mußt. Aber hole diese Psychonierin.« Archon brauchte Ruhe, und sie war zufrieden damit, daß der labile Malik auf seinen Platz verwiesen war; deshalb beugte sie den Kopf und ging. Aber sie hatte Angst um sich selbst, als sie den langen Schiffskorridor entlanglief. Sie wußte, daß Malik und die unter seinem Kommando stehenden Männer doch früher oder später nach ihrem eigenen Willen handeln würden.
Der Herrscher war schwach und unfähig, und so war eine grundlegende Veränderung nur eine Frage kurzer Zeit. Der Schmerz hatte nachgelassen, doch Maya fühlte sich restlos ausgepumpt und leer. Verdeschi half ihr auf die Füße und führte sie zu ihrem Sessel. »Jetzt geht es schon wieder, danke, Tony«, sagte sie und schob eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Sie lächelte tapfer. Verdeschi wollte schon fragen, was sie über dieses fremde Schiff wisse, als Sahn ankündigte, daß der Kontakt hergestellt war. Varda, die makellose Schönheit, erschien auf dem großen Schirm, und alle sahen sie voll Bewunderung an. Sie sah absolut menschlich aus, strahlte jedoch eine unglaubliche Überlegenheit aus. Aber sie schien freundlich zu sein, fast herablassend. »Ich grüße Euch, Commander«, sagte sie herzlich. »Ich bin Konsul Varda.« »Wir haben die halbe Galaxis durchmessen, um Euch zu treffen.« »Wir fühlen uns außerordentlich geschmeichelt, Konsul Varda«, erwiderte er vorsichtig. »Dürfen wir den Grund dafür wissen?« »Wir brauchen Ihre Hilfe, Commander«, antwortete sie lächelnd. »An einer friedlichen Zusammenarbeit sind wir immer interessiert«, versicherte ihr Koenig. Sie verstand seinen Vorbehalt genau, ihr Lächeln verschwand und sie versteifte sich. »Ich vertrete den Kaiserlichen Archon, den Obersten Führer der Föderierten Welten von Dorkon.« Maya beugte sich vor, damit ihr nur ja kein Wort entging. »Dorkoner!« rief sie voll Zorn und Verachtung, denn sie wußte ja, wer diese Besucher waren.
»Das ist richtig«, bestätigte Varda kühl und ziemlich abweisend. Koenig war nun sehr gespannt. »Wie können wir helfen, Konsul?« erkundigte er sich vorsichtig. »Unsere Scanner haben eine fremde Frau unter Ihren Leuten entdeckt, eine Psychonierin.« Sie sprach dieses Wort voll Ekel aus. »Ist das richtig?« »Was wollen Sie von ihr?« fragte Verdeschi hitzig. »Wir müssen bitten, daß sie uns übergeben wird.« »Wir tun nichts dergleichen«, erklärte Koenig entschieden. Nach einer Pause lächelte die Frau wieder sehr gewinnend. »Commander, wir haben Ihre Basis überprüft. Ihre Leute bedürfen technischer Hilfe. Wir können helfen.« Das klang sehr überzeugend. »Nichts zu machen!« rief Verdeschi sofort. Koenig nickte dazu, und alle anderen protestierten gegen diesen würdelosen Vorschlag der Konsulin. Varda wurde nun zornig. »Sie weigern sich? Gut, dann holen wir sie gewaltsam ab.« »Vergessen Sie nicht, Sie sagten, Sie seien in Frieden gekommen«, erinnerte Koenig sie und wandte sich zu Verdeschi um. »Oberflächenlaser aktivieren.« Und zu Carter sagte er: »Alarm für die Kampf-Eagles!« Die beiden machten sich an die Ausführung der Befehle, Varda kritisierte seine Entscheidung. »Dumme, primitive Menschen! Sie haben Ihre Leute zum Tode verurteilt.« »Leben Sie wohl, Konsul«, sagte Koenig und streckte die Hand aus, um den Knopf zu drücken. Da schrie Maya: »Nein, John! Sie wird es tun! Die Dorkoner können und werden Alpha vernichten!« »Hört doch auf sie, Commander«, zischte Varda. »Hört doch auf ihren Rat.«
Aber Koenig wollte nicht. Er kannte seine Pflichten. Und er war klug genug, nicht auf einen Bluff hereinzufallen. Die Dorkoner hatten versucht, ihn mit dramatischen Taktiken einzuschüchtern. Selbst wenn sie in der Kriegführung überlegen wären, wie Maya ihm versichert hatte, so würde er sich doch niemals von ihren Worten einschüchtern lassen. Er drückte also auf den Knopf, so daß das Bild der schönen Frau vom Schirm verschwand. Er setzte seine Vorbereitungen für den Roten Alarm fort. »Einen Angriff auf breiter Basis können wir ausschließen«, erklärte Maya. Sie hatte sich wieder erholt und arbeitete intensiv an ihrer Konsole. Daß er zu ihr hielt, hatte ihr den Rücken gestärkt. »John, sie brauchen mich lebendig«, sagte sie. »Dann müssen sie selbst kommen und dich holen«, erwiderte er grimmig. Aber warum brauchten sie Maya? »Weshalb bist du so sicher, daß sie kommen?« »Würdest du das nicht auch tun, wenn der Preis die Unsterblichkeit wäre?« Koenig musterte sie verständnislos. »Sie brauchen den psychonischen Gehirnstamm.« »Gehirnstamm?« Er und Verdeschi schauten einander verständnislos an. »Ja, den meinen«, fuhr sie voll Bitterkeit fort. »Wird er nämlich auf ein dorkonisches Gehirn gepfropft, ist das Ergebnis die Unsterblichkeit. Psychon und Dorkon lagen fast ständig im Krieg miteinander. Als unsere Gesellschaft noch stark war, haben sie viele von uns gejagt und getötet. Ich glaubte ehrlich, das hätten sie nun aufgegeben, weil ich die einzige noch lebende Psychonierin bin – natürlich außer Dorzak.« Sie schüttelte sich, als sie an den despotischen Dorzak dachte, der in seinem tyrannischen Ehrgeiz fast die Mondbasis zerstört hätte. Als sie ihn unschädlich gemacht hatten, war er von den Crotonern eingesperrt worden.
Verdeschi schlug mit der flachen Hand auf die Konsole. »Das ist ja unglaublich!« »Eine ziemlich einfache«, ergänzte sie. »Eine chirurgische Verpflanzung.« »Jetzt genügt es aber!« rief Verdeschi. Maya schien sich um ihre Freunde, die Alphaner, echte Sorgen zu machen und wandte sich daher wieder an Koenig. »Laß mich gehen, John. Für euch ist dann noch Zeit genug.« Verdeschi packte sie heftig an der Schulter. »Halt den Mund, Maya!« Koenig versuchte seinen Sicherheitschef zu beruhigen. »Tony, nicht aufregen. Sie geht nirgendwohin.« Maya schüttelte den Kopf. »Dann bereitet euch aber aufs Sterben vor. Das meine ich ernst. Ihr alle.« Tränen standen in ihren Augen.
»Sie haben sich geweigert?« fragte Archon trocken. Er schien sich gar nicht aufzuregen. »Ich wußte es!« explodierte Malik. Varda überhörte die Bemerkung des Schiffskommandanten. »Sie sind sehr loyal ihrer Psychonierin gegenüber.« »Oh, wie edel!« spottete Malik giftig. »Du hast versprochen, daß wir sie bekommen, Varda«, murmelte Archon, aber mit so drohender Stimme, daß Varda innerlich zusammenschrumpfte. »Wir werden sie auch bekommen«, versicherte sie eiligst. »Aber ich brauche Zeit, Archon.« »Zeit? Zum Zeitverschwenden?« höhnte Malik. Archons faltiges Gesicht sah aus, als sei er eben gestorben. »Konsul Varda«, sagte er so, daß sie zusammenfuhr, »bist du dir darüber klar, daß wir die Macht haben, sie zu vernichten?« »Ja, Archon, aber…«
»Dann zeig ihnen doch, daß wir diese Macht auch zu gebrauchen wissen!« Seine Stimme war immer kräftiger geworden. Seit Monaten hatte er nicht mehr so laut gesprochen, und Varda zitterte angstvoll, als sie sich verbeugte und rückwärts gehend seinen geheiligten Raum verließ.
Maya starrte grimmig die Indikatoren an ihrer Konsole an. Sie blitzten warnend. »John! Energie baut sich auf.« Der Angriff hatte also begonnen. »Quelle?« fragte Koenig, obwohl es doch klar war. »Das Dorkon-Schiff.« Das große schwarze Schiff war nun wieder auf dem Schirm. Es hatte nach dem Bombardement mit dem weißen Todeslicht etwa hundert Meilen von der Mondoberfläche entfernt angehalten, und nun schien es wie durch Zauber der Anziehungskraft des Mondes zu widerstehen. Als Maya ihre Instrumente ablas, begann die schwarze Masse des Schiffes drohend zu glühen. »Das ist es jetzt«, bemerkte Verdeschi. Koenig drückte auf einen Knopf und erteilte einen letzten Befehl. »Rettungsmannschaften – in Bereitschaft halten!« eine Gruppe Alphaner mit einer Ausrüstung zur Brandbekämpfung und in feuerfesten Anzügen nahm Posten in den Korridoren ein. Sie waren bereit. Auf der Mondoberfläche standen Batterien tödlicher Laserkanonen bereit, Eagle-Kriegsschiffe waren zum Abheben ausgefahren, Sanitäts- und andere Notfallgruppen waren einsatzbereit. »Nichtkämpfer bis auf weiteres in den Schutzräumen bleiben«, befahl Koenig. Damit waren die meisten der etwa zweihundertfünfzig Alphaner angesprochen. Nun schossen aus
den Kampföffnungen des schwarzen Dorkonschiffes in schneller Folge Energiepfeile, die natürlich sofort trafen und ein schwaches Beben verursachten. Auf der Diagrammkarte der Basis blinkte ein Licht, und das hieß, daß ein von der Basis ziemlich weit entferntes Lagergebäude auf der Mondoberfläche getroffen und zerstört worden war. »Wir werden angegriffen, zahlt es ihnen heim!« befahl Koenig. Carter war an der Waffenkonsole, und er handelte sofort. Voll Befriedigung beobachteten sie, wie ein dickes Bündel aus zahlreichen starken Laserstrahlen aus den Oberflächenkanonen schoß. Es waren die mächtigsten Laser, die jemals von Menschen gebaut worden waren, und wenn sie trafen, blieb höchstens noch ein bißchen Dampf zurück. Aber die starken Strahlen wurden von dem monströsen Rumpf des fremden Schiffes zurückgeworfen. In der Kommandozentrale staunten alle, die es beobachteten, ungläubig und schrien voll Angst, als eine weitere Salve von Energiepfeilen eine Laserbatterie zerstörte. Eine dritte Salve vernichtete eine zweite, und dann noch eine dritte Batterie. »Laser erledigt!« schrie Carter. »Perimeterzonen Vier, Neun und Sechs zerstört«, meldete Verdeschi. Koenig war blaß geworden. »Alan, laß die Eagles los.« Eines nach dem anderen von den stolzen Schiffen stieg auf einem Feuerkissen auf, um den Feind aus dem Himmel zu blasen. Und Koenig war der Überzeugung, das müsse ihm auch gelingen. Aber da irrte er. Das Führungsschiff hatte kaum eine Möglichkeit, über die zerklüftete Mondoberfläche zu den wilden Bergen am Mondhorizont zu gelangen. Im Nu war es eine lodernde Feuerkugel.
Ein zweites Schiff kam näher an das Dorkon-Schiff heran und schoß mit Laserkanonen auf dessen Bauch, doch die Laserstrahlen prallten ab. Sie waren also gezwungen, ihren Mißerfolg zuzugeben und ihre Wunden zu lecken. Die tapfere Flotte zog sich zurück, doch auch im Rückzug wurden noch ein paar Schiffe abgeschossen. Trotzdem zögerte Koenig, den Sieg der anderen zuzugeben, denn das hätte geheißen, daß man Maya übergeben mußte. »Noteinsatz Perimeter Sechs sofort…« »Sanitätstruppe zu Perimeter Neun…« »Feuerwehr zu Perimeter Zwei…« Aber der Regen der Dorkon-Energiepfeile ließ nicht nach, und die Mondbasis sah sich der Zerstörung nahe. »Sie zerlegen uns in Trümmer!« schrie Verdeschi. Die Lage in der Kommandozentrale war verzweifelt, und einige der Leute forderten von Koenig, er solle Maya ausliefern. »Sie bleibt!« brüllte Verdeschi. Koenig überlegte. »Sahn, nimm Kontakt mit dem Schiff auf«, befahl er. Schluchzend holte sie die Konsulin auf den Schirm zurück. Ihr schönes Bild flackerte unter der Wirkung der zerstörerischen Energiepfeile, die ununterbrochen auf die Mondbasis abgeschossen wurden. Aber den triumphierenden Ausdruck konnte man auch auf einem Flackerbild leicht erkennen. »Ihr übergebt uns die Psychonierin?« fragte sie. »Wir wollen verhandeln«, erklärte Koenig. »Stellen Sie den Angriff ein.« »Verhandeln?« fragte Verdeschi verwundert. »Konsul, ich sagte, stellen Sie den Angriff ein!«
»Commander, ihr kennt die Bedingungen. Es gibt keine Verhandlungen.« Koenig sprang auf und packte Maya, um sie vor den Schirm zu bringen. »Gut, da habt ihr sie. Schauen Sie sie an, Varda. Sie ist die letzte lebende Psychonierin.« Er zog seinen Handlaser. »Sofort den Angriff einstellen – oder ich erschieße sie.« Der Ausdruck des Triumphes verschwand aus Vardas Gesicht. Die Zerstörung draußen ging weiter, und die Mondbasis bebte und rumpelte. Koenig sah verzweifelt drein, und sie sah, wie er den Lauf seiner Laserpistole dem Kopf der Psychonierin näherte. Sie warf einen Blick zur Seite und sagte: »Hört mit den Angriffen auf.« Nach ein paar sehr langen Momenten kehrte wieder Ruhe ein.
X
»Die Psychonierin töten?« Archons trockene, zitternde Lippen wisperten nur noch. Purpurne Flecken verbreiteten sich wie Masern über seine faltigen Wangen. »Halten die uns etwa für Narren?« »Sie sind verzweifelt, Archon«, erklärte Varda und verbeugte sich tief vor ihrem wütenden Tyrannen. »Das ist unerträglich!« fauchte Archon und starb fast an einem Schlaganfall. Malik beobachtete seinen Onkel und hoffte auf die drohende Herzattacke, die ihn dahinraffen würde, ehe die Psychonierin geholt werden konnte. Mutig trat er vorwärts. »Onkel, laß mich mit ihnen verhandeln«, forderte er. »Schweig!« rasselte Archon. »Es ist ja nur mein Wunsch, dir zu dienen, Onkel«, drängte Malik. »Du willst nur meinen Tod, Junge«, berichtigte ihn Archon und gewann sogar seine Haltung wieder zurück. »Aber ich werde noch nicht sterben. Nicht wahr, Konsul?« »Du hast deine Unsterblichkeit verdient, Archon«, versicherte ihm Varda diplomatisch. »Dann holt die Psychonierin her – oder ihr habt euer Leben verspielt!« Der Herrscher drückte sich also sehr klar aus. Seine Knochenhände rupften plötzlich an den Deckenfalten um sein Herz, und sein Gesicht verzerrte sich vor Schmerz. Verda verbeugte sich und ging. Diesmal folgte ihr Malik. »Konsul Varda«, rief er ihr nach, »mein Onkel ist ein schwieriger Mann und nicht leicht zufriedenzustellen.«
»Er ist der Archon«, bemerkte Varda, denn sie ahnte, was er damit vorschlagen wollte. »Und ich bin der Thronerbe«, hielt er ihr vor. »Und der wirst du wohl auch bleiben, scheint mir.« »Genau. Hältst du das für richtig, Konsul?« Sie blieb stehen und wandte sich zu ihm um. »Der Archon hat unserem Volk Frieden und Stabilität gebracht.« »Ich verspreche ihm Größe«, entgegnete er, und seine Augen blitzten vor egoistischem Idealismus. »Falls du Archon wirst…« »Sobald ich Archon werde.« »Malik, das ist Verrat. Damit will ich nichts zu tun haben.« Er nickte und lächelte geheimnisvoll. »Wie du meinst. Und Verrat… Es kommt ganz darauf an, wer Archon ist – er oder ich.« Arrogant drehte er sich herum und marschierte davon. Eine namenlose Angst hatte sich langsam in ihr angesammelt, und die zeigte nun ihren rasiermesserscharfen Verstand. Malik war kein jugendlicher Anfänger mehr. Er sah sich seinem Ziel nahe, der höchsten Macht, einer unumschränkten Macht. Und wenn er an die Macht käme, dann wäre sie, Varda, sehr bald ausgeschaltet; nicht nur das, sondern vernichtet. Steif aufgerichtet betrat sie die Operationsabteilung, wo zwei der Schiffstechniker am Mesonenkonverter arbeiteten. »Aktivieren«, befahl sie. Die Techniker gehorchten ihr. Die runde, durchscheinende Maschine, die den Raum beherrschte, begann zu glühen und zu pulsieren. »Genau auf das Gebiet einstellen, wo sich die Psychonierin aufhält.« Ein elektronisches Signal an der Konsole, an der sie arbeiteten, piepte heftig. »Gefunden«, rief einer von den beiden. »In den Konverter verschlüsseln.«
»Ist verschlüsselt.« »Kommandogruppe Eins für unmittelbaren Einsatz bereitstellen. Ich werde hier auf sie warten.« Aggressiv schob sie ihr Kinn vor. Diesmal würde sie dafür sorgen, daß sie das bekam, was sie wollte.
Die Toten und Verletzten und die Zerstörungen forderten von Koenig einen schweren Zoll. Er war aschgrau und hörte wie betäubt zu, als Verdeschi, Carter und Maya die letzten Informationen an ihn weitergaben. Es war ein trauriges Bild, das sie zeichneten: die Mondbasis war verkrüppelt, die Waffen ließen sich so schnell nicht wieder einsetzen, wenn überhaupt. Die Menschen waren mutlos. Am schwersten zu schlucken war die Tatsache, daß die Dorkoner eigentlich nur eine Schau abgezogen hatten. Sie wußten, wenn sie ernstlich den Krieg wollten, gäbe es bald überhaupt keine Mondbasis mehr. Nur Mayas Gegenwart hatte sie noch gerettet; von einem anderen Standpunkt aus gesehen war es natürlich Mayas Anwesenheit, die sie in diese aussichtslose Lage gebracht hatte. Und sie hatten geglaubt, die letzten paar Tage in der Galaxis würden langweilig und ereignislos sein. Dabei waren sie zu einem Alptraum geworden. Wenn sie auch nun zu ihrem endgültigen Schicksal unterwegs waren, so hatte die Pest der marodierenden Lebensformen sie nicht nur auf ihrer ganzen Reise verfolgt, sie würde es wahrscheinlich bis zu ihrer letzten Stunde tun. »Wir haben alle Ausgänge versiegelt und besetzt, falls sie bei uns eindringen wollen«, sagte Verdeschi von seiner Konsole her. »Dorkoner, Tony, lassen sich durch versiegelte Türen nicht aufhalten«, erinnerte ihn Koenig. »Du hast ja selbst den
Mesonkonverter entdeckt.« Verwirrt wandte er sich an Maya. »Ich verstehe nur nicht, weshalb sie sich nicht schon längst zu uns heruntertransportiert haben.« Sie schwieg und sah reuevoll drein. Verdeschi musterte sie ängstlich, als erwarte er eine nicht zu akzeptierende Antwort. »Sie haben Angst, John«, erklärte sie schließlich. »Sie müssen vorsichtig spielen, denn es könnte sein, daß sie mich nicht mehr rechtzeitig bekommen.« Sie seufzte. »Meine Leute haben es nie zugelassen, daß sie lebend in ihre Hände fielen.« »Nein!« rief Verdeschi und sprang auf. »Das nehme ich nicht hin!« Er legte seine Arme um sie. »Liebling, das darfst du nicht sagen.« »Tony, das muß ich aber sagen«, begann sie, denn sie wollte ihm erklären, wie wichtig ihr Rassenstolz sei, doch die Rückkehr des grellweißen Lichtes hinderte sie daran. Drohend hing es in der Mitte des Raumes, und alle mußten zu arbeiten aufhören. Es sprang von einer Konsole zur anderen und blieb schließlich neben der Koenigs stehen. Hier hing es bewegungslos und blendend in der Luft. Maya spannte sich wie ein wildes Tier, sprang auf, schob Verdeschis schützende Arme weg und rief: »Sie sind gekommen, mich zu holen. Ich muß…« Dann griff sie Verdeschi an und versuchte ihm die Laserpistole wegzunehmen. »Ich muß die Waffe haben!« rief sie, denn sie war nun ein verzweifeltes Lebewesen, das in einer hoffnungslosen Falle saß. »Nein, du wirst nicht…«, erklärte ihr Verdeschi entschieden und wehrte sie gleichzeitig ab. Die Lichtkugel hatte den Augenblick abgewartet, wurde nun größer, greller und füllte den Raum mit einer schmerzhaften Helligkeit. Als die Helligkeit nachließ, waren vier Gestalten zu erkennen, die sich aus diesem merkwürdigen Licht materialisierten. Die Alphaner
erkannten die schöne Varda, die in Fleisch und Blut noch viel begehrenswerter aussah, und neben ihr standen drei bewaffnete Posten, die sich instinktiv zu einer Gruppe zusammenschlossen und ihre Waffen bereithielten. Die ganze Kommandozentrale schien zu gefrieren. Koenig war dabei, von seinem Sitz aufzuspringen, und seine Miene war feindselig und erstaunt. Maya und Verdeschi glichen zwei grotesk ringenden Statuen. Varda ging lächelnd auf Maya zu und bedeutete ihren Begleitern, ihr zu folgen. »Kommander, Ihr habt kapituliert«, sagte sie mit samtener Stimme, ohne Koenig jedoch anzusehen. »Und du, Psychonierin, du gehörst mir.« Mit einer raschen Bewegung riß sie eine fackelähnliche Waffe aus dem Gürtel, die sie auf Maya richtete; in diesem Moment kam jedoch ein Posten der Alphaner in die Kommandozentrale und hatte sein Lasergewehr schußbereit auf der Schulter liegen. Er schoß, ehe die Dorkoner noch reagieren konnten und verbrannte einen der Posten zu einem Häufchen schwarzer Asche. Ehe er die beiden anderen ebenso behandeln konnte, erwiderten sie das Feuer, und er brach mit einem Schmerzensschrei zusammen. »Befehlt Euren Leuten, Commander, nichts weiter zu versuchen, sonst befehle ich meinen Garden, alle in diesem Raum zu töten«, erklärte Varda kalt, drehte aber Koenig dabei noch immer den Rücken zu. Koenig ließ sich langsam auf seinen Sessel zurückfallen, die übrigen im Raum taten dasselbe. Im Moment konnten sie auch gar nichts anderes tun. Varda hatte Maya nie aus den Augen gelassen, und nun hob sie ihre Waffenhand. Aber der irre Ausdruck in Mayas Augen wurde nun intensiver. Mit einer Kraft, die Verdeschi an ihr noch nie verspürt hatte, schüttelte sie ihn ab und entriß ihm
seine Waffe. Seinen Körper benutzte sie als Deckung; sie stellte den Laser auf ›Töten‹ und hob ihn an die Stirn. »MAYA!« brüllte Koenig, tat einen Satz auf sie zu, wurde aber von den Garden aufgehalten. »Maya, solange wir leben, gibt es noch Hoffnung«, flehte er. »Wirf die Waffe weg.« Irgend etwas in seiner Stimme, war es Sorge oder Liebe, drang durch ihre verzweifelte Entschlossenheit zum Selbstmord. Alle warteten gespannt, und schließlich ließ sie langsam die Waffe sinken und zu Boden fallen. Varda, die ihre Beute schon verloren geglaubt hatte, tat einen Seufzer der Erleichterung. Sie lächelte sogar. »Danke, Commander. Ihr habt uns einen sehr wertvollen Dienst erwiesen. Wir haben, was wir wollen. Jetzt könnt Ihr mit Euren Leuten in Frieden abziehen.« Sie bedeutete den Wachen, die Psychonierin zu ergreifen. Verdeschi stand mit wutverzerrtem Gesicht, die Hände zu Fäusten geballt, da. Ehe noch etwas schiefgehen konnte, griff Varda an ein Instrument an ihrem Gürtel. Die ganze Gruppe schimmerte, als das Mesonlicht um sie zu strahlen begann. Es wurde immer greller und formte sich wieder zu der gleißenden Kugel, pulsierte kurz und verschwand. Zurück blieben nur die verkohlten Reste des Dorkoners. Die Alphaner in der Kommandozentrale wurden sich nicht sofort darüber klar, daß der Sitz ihres Kommandanten leer und er selbst nirgends zu sehen war.
»Commander!« schrie Varda entsetzt, als Koenig neben ihr und ihrer Gruppe in der Operationszone des Schiffes stand. Grimmig tat Koenig einen Satz und schoß auf einen der Posten, der betäubt und gelähmt umfiel. Der andere Posten ließ
Maya los, wirbelte herum und traf Koenig mit einem Schuß aus seiner Waffe vor der Brust. Auch er stürzte zu Boden. »John!« rief Maya, kniete neben ihm nieder und untersuchte ihn schnell nach Lebenszeichen. »Ergreift sie!« befahl Varda ihrem letzten Gardisten. Er trat vor, riß Maya in die Höhe und drückte ihr seine Waffe in den Rücken. »Konsul Varda!« Eine alte, singende Stimme war zu vernehmen. Varda sah auf. Archon stand lächelnd da und nickte anerkennend. »Ist das die Psychonierin?« Varda nickte. Er tappte mühsam zu Maya und besichtigte sie wie ein Schlachter seine Tiere mustern würde. »Ich bin sehr erfreut, wirklich sehr erfreut.« Er wandte sich an den verbliebenen Gardisten und befahl kalt: »Sofort alles für die Übertragung vorbereiten.« Der Gardist zerrte Maya mit sich, und Archon wandte sich wieder an Varda: »Den fremden Kommandanten – töten.« Varda nickte. »Das werde ich tun, Archon. Sobald der Konverter wieder aufgeladen ist.«
Maya lag in einem See violetten, kalten, grellen Lichtes. Man hatte sie wie ein Insekt gelähmt und mit den unsichtbaren Gewichten einer Droge an den Operationstisch gefesselt. Ihr Geist blieb aktiv, doch körperlich war sie wehrlos. Das violette Licht war, wie sie wußte, ein Sterilisierungsstrahl, und die irren Gestalten, die sich über sie beugten, sollten die Operation vornehmen. Sie wußte, welchen Triumph sie nun erlebten. Seit Jahren hatten sie sich voll peinlicher Genauigkeit auf diese Stunde vorbereitet. Schon oft vorher hatten sie versucht, einen Psychonier einzufangen, und nie war es ihnen gelungen. Nur in einem Fall, und der lag lange vor ihrer Geburt, hatten sie einen
in die Hände bekommen, doch die Operation hatten sie an ihm nicht vornehmen können. Und nun schauten ihre zornigen, vorwurfsvollen Augen diese Leute an. Wie sehr wünschte Maya, sie hätte sich doch töten können! Sie hatte das Gefühl, sie habe ihre ganze Rasse im Stich gelassen. »Mach dir keine Sorgen, Psychonierin«, sagte Varda ungewöhnlich sanft. Sie wandte sich an die Ärzte. »Seid ihr auch sicher, daß ihr die Operation ausführen könnt, ehe sie einer Transformation fähig ist?« »Während die Lähmungsdroge wirkt, ist keine Transformation möglich«, versicherte man ihr. »Ihr sagt es mir, wenn die Übertragung vorgenommen werden kann.« »Ja, Konsul«, antworteten sie gehorsam. Als sie den Raum verließ, aktivierten die Chirurgen den Apparat, den sie benutzen wollten, und Maya beobachtete voll Angst, wie sich eine große, durchsichtige Haube langsam über ihren Kopf senkte. Sie spürte einen kleinen Schmerz, als dünne Strahlen farbigen Lichtes aus den Elektroden in ihrem Innern sprangen, und wurde ohnmächtig.
Die Umrisse des riesigen Mesontransporters schwammen in Koenigs Bewußtsein, als er nach der betäubenden Wirkung der dorkonischen Lähmungswaffe wieder zu sich kam. Vor ihm stand der Gardist, den er nicht mehr hatte erschießen können. Zwischen ihm und diesem Posten befand sich so etwas wie ein Fenster. Es war eine Zelle, in der er gefangen war. Soviel wurde ihm klar. Der Gardist bemerkte, daß er wach geworden war, und hob seine Waffe, um Koenig zu zeigen, daß er sie auch benutzen würde, wenn es notwendig wäre. Koenig verstand.
Langsam ließ er seinen Kopf in die Hände fallen, um seine Verzweiflung nicht zu zeigen. Er wartete. Nach einer halben Ewigkeit kam Varda herein. Koenig sprang in seinem Gefängnis auf. Varda nickte. Der Gardist öffnete eine Tür und ließ ihn hinaus. »Wo ist sie, Varda?« »Commander, vergeßt die Psychonierin«, riet sie ihm barsch und, wie ihm schien, ein bißchen schuldbewußt. »Was haben Sie ihr getan?« fragte er. »Die Übertragung verlangt gewisse Vorbereitungen…« »Sie lebt noch?« »Ja.« Es schien ihr aber gleichgültig zu sein. »Sie sind doch ein zivilisiertes Wesen«, hielt er ihr vor. »Wie konnten Sie eine solche Schlächterei erlauben?« »Sie wird nicht leiden…«, versprach sie, schien sich aber sehr unbehaglich zu fühlen. Wahrscheinlich wollte sie nur sich selbst überzeugen. Ein Techniker, der am Transporter gearbeitet hatte, rief ihr zu: »Konsul, wir sind fast bereit für den Transport.« »Commander, Eure Zeit ist um«, sagte Varda. »Wir schicken Euch zu Euren Leuten zurück.« Er zerquälte sich den Kopf, wie er den Transport verzögern könne, doch er fand keine Möglichkeit. Varda erklärte ihm: »Die Transportenergie war verbraucht, weil wir in Eure Basis eindringen mußten.« Er hörte ihr geistesabwesend zu und sagte dann die ersten Worte, die ihm einfielen, um den Transport hinauszuschieben. »Ein Mesonkonverter… Eine Maschine, die Materie transportiert. Ich bin außerordentlich beeindruckt, Konsul.« Ein Lichtstrahl formte sich, während er sprach, über der Maschine.
»Antimaterie-Spulen aufgeladen«, meldete ein Techniker. »Sechzig Sekunden bis zur vollen Transportenergie.« Der Gardist schob ihn der Maschine entgegen. »Antimaterie?« fragte Koenig. Er war jetzt wirklich sehr interessiert und ungeheuer beeindruckt. »Der Dämon der Natur ist gebändigt und im Käfig«, erklärte Varda. »Ungebändigt könnte er sogar den Raum in Stücke reißen.« Ein Konsolenmonitor piepte, und das maskierte Gesicht eines Chirurgen erschien auf dem Schirm. Das Unvermeidliche wurde angekündigt. »Wir sind für die Übertragung bereit, Konsul.« »Ausgezeichnet…« Varda zögerte kurz, denn sie wollte lieber vorher noch Koenig loswerden. Ihr war ja befohlen worden, ihn zu töten, doch sie hatte den Befehl des alten Archon für unvernünftig gehalten. Allmählich machte sie sich doch Gedanken um die Realität und die Moralität dessen, was sie tat. Ein Mord war genug. Sie wandte sich an den Gardisten. »Du bleibst hier und siehst zu, daß er zurückkehrt, sobald der Strahl funktionsfähig ist.« Und zu Koenig sagte sie: »Lebt wohl, Commander.« Dann verließ sie den Raum. »Fertig zum Transport!« meldete der Techniker im nächsten Moment, und der Gardist bedeutete Koenig, er solle zur Maschine gehen. Wie eine Marionette bewegte er sich langsam, Schritt für Schritt, und dabei suchte er immer noch fieberhaft nach einem Ausweg. Kaum hatte er den Eingang zur Transmitterkabine erreicht, als hinter ihm ein Schmerzensschrei ertönte, und dann folgte ein dumpfer Laut. Koenig drehte sich um – und starrte verständnislos Malik an, der ihm winkte, er solle zur Seite treten.
»Ihr seid frei, Fremder«, sagte der junge Dorkoner, den Koenig nicht erkannte. Deshalb zögerte er und witterte einen Betrug. »Ich sagte, Ihr seid frei, also geht!« rief der Dorkoner zornig. Koenig ging vorsichtig zur Tür, dann rannte er in den Korridor hinaus, und der junge Malik sah ihm merkwürdig lächelnd nach.
XI
»Archon…« Eine weiche, drängende Stimme drang durch seinen Schlaf. Sein müder Geist protestierte. Sein leidendes Fleisch sehnte sich danach, wieder in die Heiligkeit des Schlafes zurücksinken zu dürfen. »Es ist Zeit…« Eine sanfte Hand schüttelte ihn. »Ich träume eines alten Mannes Todestraum…«, wisperte er, denn er wußte, daß dies Vardas Stimme war. »Und nun bist du da, um meine Unsterblichkeit in die Wege zu leiten.« Er öffnete die Augen und bemühte sich aufzustehen. Sie stützte ihn, half ihm von der Estrade herab und führte ihn zu einem kleinen motorisierten Wagen. Schnell bewegten sie sich den Korridor entlang zu den Operationsräumen. Maya war ohne Bewußtsein und lag in einem See farbigen Lichtes. Ihre Haut war blaß und glatt wie im Tod. Archons gebrechlicher Körper wurde neben sie auf ein eigenes Bett gelegt. Er hatte wieder die Augen geschlossen. Endlich fühlte er den Frieden, der das Ende seiner Kämpfe mit diesem wertlosen Körper war; alle Demütigungen waren vorüber. Ein neues Leben wurde ihm geschenkt, damit auch neue Macht. Die Tür wurde aufgerissen, ein Gardist kam hereingestürmt und schrie: »Konsul, der fremde Commander ist entwischt!« Er stöhnte, und sein Körper spannte sich. Konnte er diese neue Anstrengung noch ertragen? »Such ihn«, befahl er Varda keuchend. »Meine medizinischen Offiziere tun hier schon, was nötig ist.« Vardas Gesicht war totenblaß, und sie zitterte sehr. »Komm mit«, befahl sie dem wartenden Gardisten.
Koenig lief den Korridor entlang. Er ahnte nicht, was der Dorkoner vorhatte, und die Zeit, den Grund seiner Befreiung herauszufinden, konnte er sich jetzt nicht nehmen. Das Schiff war viel größer, als er vermutet hatte. Bis jetzt hatte er es verstanden, sich vor Wächtern und anderen Dorkonern zu verstecken, hier in einem leeren Raum, dort in einer Nische. Aber plötzlich erschienen mehrere Gardisten, die anscheinend alle nach ihm suchten. Jemand hatte Alarm geschlagen. Plötzlich war er in einer Falle, als er das blinde Ende eines Korridors erreicht hatte. Verzweifelt schaute er sich um, und da entdeckte er im Plafond einen Ventilationsschacht. Er war mit einem kräftig aussehenden Gitter verschlossen, das er jedoch erreichen konnte. Er schob die Finger durch die Löcher, und die Angst, doch noch entdeckt zu werden, verlieh ihm Riesenkräfte. Zwar waren seine Hände blutig und sehr verschrammt, aber er hatte schließlich das Gitter gelockert und diagonal in die Öffnung geschoben. Nun sprang er hinauf und schob sich hinein. Von innen setzte er dann wieder das Gitter ein. Das war ihm gerade noch gelungen, als unten Varda mit etlichen Gardisten erschien. Blitzschnell zog er sich ein Stück zurück, um nicht gesehen zu werden. Hier war der Schacht ziemlich geräumig. Ein Stück weiter beschrieb er einen Bogen. Koenig überlegte sich, daß der Schacht viel sicherer wäre als jeder Korridor, und da er sowieso keine Ahnung von der Anlage dieses Schiffes hatte, war es egal, auf welcher Schiffsebene er sich bewegte. Wichtig war nur, daß er Maya noch rechtzeitig fand. Auf allen vieren kroch er weiter. Warmer Wind schlug ihm entgegen.
Malik freute sich diebisch über die allgemeine Verwirrung, und er strahlte unbeschreiblich, als er die Operationsräume erreichte. An der Tür standen zwei Posten. Als sie ihn sahen, verstellten sie ihm den Weg und hoben ihre Waffen. »Verzeihung, Exzellenz«, sagte der eine. »Ihr verweigert mir, eurem Kommandanten, den Zutritt zum Archon?« fragte er in gespielter Wut. »Befehl von Konsul Varda, Exzellenz.« Da er sein Spiel fortsetzen mußte, wirbelte er wütend herum, als wolle er davonstürmen. Aber das tat er nicht, sondern er riß seine Waffe aus den Kleidern und schoß auf sie. Beide sackten zusammen. Nun konnte er eintreten. Im Operationssaal herrschte Stille. Gestalten in langen Operationsmänteln, darunter Archons Leibarzt, standen um die beiden Tische, auf denen die beiden wie tot wirkenden Patienten lagen. »Ist die Verpflanzung schon durchgeführt?« fragte er leise. »Noch nicht, Exzellenz«, antwortete ihm der Leibarzt. »Danke.« Malik lächelte geheimnisvoll. Er tat ein paar Schritte vorwärts und zog wieder seine Waffe. Ehe der Mann noch etwas sagen konnte, war er niedergeschossen. Mit den übrigen machte er es ähnlich. Dann stand er neben den beiden Bewußtlosen. »Es ist alles vorüber, Onkel«, flüsterte er, und er war so aufgeregt, daß er die Worte kaum herausbrachte. »Für dich… Für mich ist es der Anfang.« Er hatte erst daran gedacht, den alten Regenten aufzuwecken, ehe er ihn tötete, um die Befriedigung zu haben, daß der alte Mann auch wußte, wie er übertölpelt worden war. Aber dafür hatte er jetzt keine Zeit mehr. Geschickt griff er nach dem Apparat, der den Archon am Leben hielt, und drückte auf einen
Knopf, so daß die Lichter zu blinken aufhörten – und damit auch die flachen Atemzüge des alten Mannes. Nun gehörten Dorkon und die ganze Föderation mit allen Völkern ihm. Seine Aufmerksamkeit galt nun Maya. Die mußte gut behütet werden bis zu jener Zeit, da er bereit war, ihren Gehirnstamm zu empfangen. Er mußte sie vom Gerät abschalten und an einen geheimen Ort bringen. Das wollte er gerade tun, als hinter ihm ein lauter Krach ertönte. Er drehte sich um. Das Gitter des Luftschachtes war herausgebrochen, und davor stand der Commander von Alpha, dem er die Flucht ermöglicht hatte, da sie zu seinem Plan gehörte. Wütend über sich selbst und seine Dummheit, weil er nicht dafür gesorgt hatte, daß dieser Mann beobachtet wurde, zog er seine Waffe, doch ehe es ihm gelang, hatte ihn Koenig schon angesprungen. Ein kräftiger Schlag landete an seinem Hals. Er wurde quer durch den ganzen Raum geschleudert, verlor dabei seine Waffe und krachte in einen Schrank mit den größten Staatsschätzen, die klappernd und klirrend herumkollerten. Er konnte nicht mehr ganz deutlich sehen, doch er wurde sich dessen bewußt, daß der zu allem entschlossene Commander ihm entgegenrannte. Dann löschte ein zweiter Schlag sein schon getrübtes Bewußtsein aus. Als er wieder aufwachte, waren sowohl die Psychonierin, als auch der Alphaner verschwunden. Und um ihn herum roch es nach Tod. Benommen kam er auf die Füße und taumelte zum Kommunikator. Sein Stolz schrie nach Rache, doch sein Kopf spielte noch nicht recht mit. Aber er schlug auf einen Knopf und stotterte seine Ankündigung in das Sprechgerät. »Dorkoner… Achtung… Der Archon… ist tot… Ermordet von dem Fremden und seiner Komplizin, der Psychonierin.
Ich, Malik, bin der Thronerbe und übernehme daher das Kommando… Sucht sie. Beide sind bei Sicht zu töten! Lang lebe der Archon!« Hohl klangen die Worte des wahnsinnigen, mörderischen Rebellen durch die Korridore, als Koenig und Maya um ihr Leben rannten. »Lang lebe Malik!« hörten sie hinter sich die Garden rufen, die ihre Jagd aufnahmen. »Der Transporter«, keuchte Koenig. »Wir müssen ihn finden. Wo mag er nur sein?« »Ich glaube, das weiß ich«, antwortete Maya, die unter der Wirkung der Lähmungsdroge ebenfalls recht kurzatmig war. Ihr war übel, und sie fühlte sich erschöpft. Ihre Haut war noch ganz gefühllos. Vage entsann sie sich des Weges, den sie die Wachen zum Operationsraum geführt hatten. In den Korridoren drängten sich eine Unmenge von Wächtern und Soldaten, so daß sie sich kaum bewegen konnten. Wo immer es nötig war, die roboterähnlichen Gestalten zu erschießen, besorgten sie das mit Maliks Waffe. Endlich sahen sie vor sich die Tür zum Transmitterraum. Als sie hineinrannten, sahen sie sich plötzlich Varda und zwei Gardisten gegenüber; letztere waren mit einer Art Flinte bewaffnet, und die zielten direkt auf sie, als seien sie schon erwartet worden. Vardas Gesicht sah gar nicht mehr gesund und auch nicht mehr so schön aus, und vor allem lächelte sie nicht mehr. »Wegwerfen«, befahl sie Koenig, als dieser seine Waffe auf sie richtete. Koenig zögerte.
»Wegwerfen!« schrie sie und versteifte sich vor Wut und Angst. Koenig mußte also die Waffe wegwerfen. »Ihr elendes, mörderisches Gesindel!« schrie sie. »Da irren Sie sich aber«, begann Koenig, doch sie schrie ihn an, er solle schweigen. Der Mesontransporter glühte nun in einer Aura goldenen Lichtes. Also war er voll aufgeladen. Varda und die beiden Gardisten standen davor und schnitten den Fluchtweg der Alphaner ab. Koenig tat einen kühnen Schritt vorwärts. »Varda, Sie haben nicht recht!« »Ihr lügt!« schrie sie zitternd. »Konsul, mach doch weiter…« Eine weiche, leise Stimme kam von der Tür hinter ihnen. Sie war wie Öl, so weich und so schlüpfrig. Koenig wußte sofort, wer es war. Es gab eine unbehagliche Pause. Vardas Gardisten standen stramm, und Varda schwieg. Dann trat der andere vorwärts und sagte zu den Gardisten: »Tötet sie. Euer Archon befiehlt es.« »Varda, fragen Sie Malik!« rief Koenig. Varda schien mit sich selbst zu kämpfen. »Fragen Sie ihn, wer den alten Archon getötet hat!« Maliks glatte, allzu glatte Oberfläche bröckelte. »Konsul«, schnarrte er »auf Ungehorsam steht der Tod…« »Er hat den Archon getötet!« rief Koenig, um Varda zu überzeugen. Vorsichtig trat sie einen Schritt zurück. Ihre Augen blitzten vorwurfsvoll. »Malik…« Aber Malik war nun vor Wut schon außer sich. An seinem Hals schwollen die Adern zu dicken Strängen an. Er schrie die Gardisten an, sie sollten seinen Befehl endlich ausführen.
»Du Idiot!« schrie nun auch Varda, die erkannte, daß seine Weigerung, sich zu verteidigen, ein Schuldeingeständnis war. »Was hast du getan?« Sie sprang ihn an. Er schüttelte sie ab. Seine Augen waren die eines Besessenen, den ein Dämon oder eine Giftschlange angegriffen hatte. »Entwaffnet sie!« brüllte er die Gardisten an, und Schaum stand um seinen Mund. Nachdem die Gardisten erfolglos mit sich gekämpft hatten, nahmen sie endlich Varda die Waffe ab. »Ihr seid ja wahnsinnig!« schrie sie hysterisch. Nun nahm Malik einem Gardisten die Handwaffe ab, hob sie, um sie und die Alphaner zu lähmen. Aber Varda wirbelte herum und rannte zur Transporterkonsole. Malik schoß hinter ihr her, doch sie hatte schon die Schalter umgelegt. Es war der rote Schalter, und er unterschied sich deutlich von den anderen. »Der Schild!« stöhnte Malik, als ihm dämmerte, was sie getan hatte. Der Mesonenschild, der die Energiequelle des Transporters, die tödliche Antimaterie, abschirmte, war gehoben worden. Varda, der Konsul, mußte sich das alles vorher sorgfältig zurechtgelegt haben, vielleicht deshalb, weil sie mit seinem Verrat gerechnet hatte. »Du verdammte Loyalistin«, platzte er heraus, aber das waren leere Worte, denn sein Geist zerkrümelte. Die Decks seines Schiffes hoben und wölbten sich und warfen ihn zu Boden. Die Gardisten kamen wieder auf die Füße und rannten in wilder Flucht davon. Malik versuchte die Konsole zu erreichen, doch es war zu spät. Das Glühen um den Transporter hatte sich auf bedrohliche Art verstärkt. Ein gespenstisch wimmernder Ton ging von ihm aus, und das ganze Schiff kämpfte um die Herrschaft über die Kräfte der negativen Materie.
»Schnell, Transport!« rief Koenig Maya zu; die Wände bauchten sich aus, die Decks wölbten sich, in der Ferne rumpelten Explosionen. Er half ihr, hineinzuklettern. Zum Glück war die Transportkammer offen, denn sie sollte ja vorher Koenig zur Mondbasis zurückschaffen. Wenn sie Glück hatten, erfolgte der Transport noch, bevor das Schiff in Atome zerbarst.
Sie wirbelten einen irren, spiralförmigen Lichtkorridor entlang. Ihre Körper pflügten durch Raum und Zeit, durch Planeten und Sterne. Allmählich hörte das Gefühl des Stürzens auf, und sie befanden sich auf einer harten, festen Fläche. Das gleißende Licht verblaßte, und ihre schmerzenden Augen erfaßten Umrisse und Gestalten… Sie waren in der Kommandozentrale gelandet. »John, Maya!« Verdeschi tat einen Schrei und rannte ihnen entgegen. Helena und andere folgten ihm. Sie hatten bis jetzt das riesige Dorkon-Schiff auf dem großen Schirm beobachtet und waren vor Angst und Enttäuschung fast versteinert gewesen, als es sich aufzulösen begann. Und jetzt waren sie überglücklich; sie hatten höchstens mit Koenig gerechnet, aber daß auch Maya dabei war, fanden sie einfach herrlich. Die beiden standen dann wieder auf eigenen Füßen, zwar noch ein wenig schwach und benommen, doch sie erholten sich zusehends. Sofort wandten sie sich dem Schirm zu, denn was sich dort abspielte, war ein Drama. Im Rumpf des Dorkon-Schiffes erschienen Risse und zerklüftete Löcher. Da und dort flog ein Stück Verkleidung davon. Das Schiff sah aus wie eine riesige Krebsgeschwulst im letzten Stadium, wenn sie die Wucherung in Fetzen abstößt. Eine Aura hüllte das Wrack ein, das nun im gleichen Magnesiumlicht gleißte, an das sie sich schon fast gewöhnt
hatten. In ehrfürchtigem Schweigen starrte Koenig das Schiff an, das einen wahnsinnigen Diktator an Bord hatte. »Malik hat das bekommen, was er wollte«, bemerkte Maya, die seine Gedanken las. »Und es ging ihm mitten ins Gesicht.« Er wollte nicht länger mehr zuschauen und wandte sich ab. Müde ging er zu seinem Kommandosessel und stützte den Kopf in die Hände. Er hätte dringend Ruhe gebraucht, doch gerade jetzt war sie ihm nicht vergönnt. Sie rasten ja immer weiter auf ihrem direkten Kurs ins Verderben. Helena trat zu ihm. Lächelnd sah er zu ihr auf. Tröstend legte sie einen Arm um ihn. »Nun, vielleicht gibt es auch einmal eine gute Nachricht«, flüsterte sie ihm ins Ohr. »Endlich…« »Was sind das für Nachrichten?« »Nun, die eine, daß du wieder zurück bist. Ich dachte schon, ich hätte dich jetzt endgültig verloren. Und die andere – dieser Stern, den Carter beobachten sollte, der letzte in der Galaxis… Unsere Computer melden, daß wir ziemlich nahe an ihn herankommen. Es besteht also die schwache Möglichkeit, daß wir in eine Umlaufbahn gezogen werden. Und dann…« – zärtlich knabberte sie an seinem Ohr – »… wenn dieser Stern einen anständigen Planeten bei sich hat, könnten wir endlich diesen traurigen Felsbrocken verlassen.« Lächelnd schüttelte er den Kopf. »Nein, Helena. Du träumst immer von solchen Dingen. So etwas war uns noch nie beschieden. Es wird uns auch jetzt nicht passieren.« »Aber das weißt du doch nicht! Du mußt ein wenig Glauben haben. Was nützt es, zu leben, wenn du diesen Glauben nicht hast?« »Oh, ich glaube schon«, versicherte er ihr, »aber nur an mich selbst, an meine eigene Fähigkeit zu überleben.« Er sah ihr tief in die Augen. »Aber an Wunder glaube ich nicht.«
Sie wandte sich ab. Diese letzte Bemerkung schmerzte sie ein wenig. Er zog sie wieder an sich. »Aber ich glaube an Optimismus. Du hast recht. Wir müssen hoffen.« Innerlich fühlte er zwar Verzweiflung, aber er fügte hinzu: »Diese Daten, die Carter bekommen hat. Besorgst du sie mir?« »Mit dem größten Vergnügen.« Sie stand auf, und er folgte ihr nachdenklich.
XII
Es war echtes, richtiges warmes Sonnenlicht, und sie standen auf einer kleinen Lichtung vor einer Höhle, wo sie ihr erstes Lager einrichten wollten. Hier gab es keine braunen, undurchdringlichen Wolken und keine lähmende Schwerkraft; keinen Winterhimmel und keine wilden Stämme, die sie verschleppten. Es war eine Ironie, daß ausgerechnet eine einsame Welt ganz am Rand der Galaxis so sehr ihren Wünschen entsprach, daß sie hier leben wollten. Seltsam fanden sie nur, daß sie noch unbewohnt war. Aber ihre Instrumente hatten westlich von ihrem Landeplatz eine Art Gebäude ausgemacht. Koenig, Carter und Yuri Salkov, der bullige Pionieroffizier, schlugen sich einen Weg durch die üppige Vegetation, als sie von ihrem Basislager aufgebrochen waren, um das Rätsel zu lösen. Sie fanden auch, was sie suchten, ein großes Bauwerk von der Form eines Golfballes mit zahlreichen Facetten, das sich hoch über sie erhob. Wie ein riesiges Urei lag es zwischen Moos und Rankengewächsen. Koenig klopfte versuchsweise an eine Wand. »Yuri, untersuch das Ding auf Lebenszeichen«, befahl er. Carter untersuchte noch immer eine Wandfläche. »Das sieht aus wie eine Solarzelle zum Auffangen von Sonnenlicht; vielleicht eine Art Konvektor.« Salkov setzte seinen Instrumententräger ab und bückte sich, ihn zu öffnen. Er nahm einen kleinen Lebensformsensor heraus, den er aktivierte. Aufmerksam beobachtete er die Skalen. Er runzelte die Brauen.
»Commander, die molekulare Vernetzung ist sehr kompliziert. Die Sensorstrahlen werden doch glatt zurückgeworfen.« Sie gingen um den großen Golf ball herum und suchten nach einem Eingang, fanden aber keinen. »Es muß doch einen geben«, sagte Koenig und wischte sich den Schweiß ab, der ihm in dicken Tropfen über das Gesicht lief. »Wir können einfach keinen Stützpunkt einrichten in der unmittelbaren Nähe dieses… Dings, wenn wir nicht wissen, was es ist.« Sie waren wieder dort angekommen, wo sie ihren Weg um die Kugel begonnen hatten. Er beschloß, sich im Lager zurückzumelden. Er rief Verdeschi und Joe Lustig über Commlock; die beiden hatten sich kurz von ihnen getrennt, um die Umgebung nach Gefahren zu untersuchen. »Tony…«, begann er, wurde aber sofort von einem begeisterten Verdeschi unterbrochen. »Eben wollte ich dich anrufen, John. Du solltest das hier sehen. Ein Tal! Für uns wie geschaffen.« »Ich unterbreche dich ja nicht gerne, aber hier haben wir Anzeichen einer Zivilisation entdeckt«, berichtete ihm Koenig. »Scheint eine Wohngegend zu sein. Tony, komm sofort zurück. Ich möchte, daß alle in der Nähe sind, bis wir die Sache überprüft haben.« »Natürlich«, erwiderte Verdeschi nun wieder nüchterner, aber das klang doch ein bißchen enttäuscht. »Sonst noch etwas?« Koenig wandte sich zu Salkov um, der sich inzwischen weiterhin bemüht hatte, den Golfball zu untersuchen. »Noch nichts. Wir müssen weitermachen. Vielleicht einen Weg hineinschneiden.« Koenig nickte. Ganz glücklich war er darüber nicht.
Die erste Phase des Kolonisationsprogramm war komplett. Man hatte Unterkünfte errichtet, Lebensmittel und Instrumente mit dem Träger-Eagle und dem Überwachungsschiff heruntergeholt; die beiden Schiffe hatte man natürlich vorausgeschickt in der Hoffnung, daß die Überwachungstruppe die Erlaubnis zur zweiten Phase geben würde, sobald sich Planet und Mond einander entsprechend genähert hätten. Diese zweite Phase sah die Evakuierung des größten Teils der Ausrüstung von Alpha vor; die Leute konnte man jedoch erst dann holen, wenn Koenig und Helena vollkommen von der Sicherheit des Planeten überzeugt waren. Auf dem Mond sollte dann nur noch eine kleine Gruppe zurückbleiben, die, falls sich Gefahren ergeben sollten, alles wieder an Bord zurückholten. Die letzte Phase war dann die völlige und endgültige Aufgabe der Mondbasis. Die schob man natürlich so lange wie möglich hinaus, also bis kurz vor dem Punkt, wo das Eagle-Schiff die Restbesatzung aufnehmen mußte, bevor der gute Mond außer Reichweite geriet. Die erste Phase des Programms war in der Vergangenheit schon so oft durchgespielt worden, daß sie glatt ablief. Selten noch hatte sich eine Gelegenheit ergeben, mit der zweiten zu beginnen, von der dritten Phase ganz zu schweigen. Zur Kolonisierung war es bis jetzt noch nie gekommen. »Nahrungsmittel… Wasser… Mineralien – dieser Planet ist wundervoll!« rief Maya, als sie die Datensignale übersetzte, die in rascher Folge auf dem telemetrischen Scanner hereinkamen. »Das sind rohe Daten, Maya«, bemerkte Helena vorsichtig. »Wir warten sonst immer, bis der Computer sie verarbeitet hat.« »Der Computer arbeitet viel zu langsam«, beklagte sich Maya. »Für psychonische Köpfe«, erwiderte Helena.
Maya warf einen sehnsüchtigen Blick auf den Schirm, wo zu sehen war, wie das Basislager errichtet wurde. Sie sah den Höhleneingang und die glücklichen Alphaner, die dort ihren Geschäften nachgingen. »Ich wollte, ich könnte auch bei ihnen sein«, flüsterte sie. »Und wie, meinst du, geht es mir?« fragte Helena. »Ich hatte ja von Anfang an dieses Gefühl für den Planeten. Es ist nicht fair, daß die Männer den ganzen Spaß haben sollen. Aber warte nur, denn ich habe so allerlei Ahnungen. Vergiß es nicht, was ich dir sage: wir schaffen uns hier selbst ein neues Heim.«
Hohe, seltsame Bäume mit knorrigen Rinden und blühenden Wipfeln umgaben Verdeschi und Lustig, als sie aus dem Tal zurückkehrten, das sie von den Klippen aus gesehen hatten. Sie kamen gut durch das Unterholz am Fuß der Bäume; Verdeschi führte und bemerkte nicht sofort, daß Lustig stehenblieb und auf etwas horchte. »He, Tony!« rief der Ingenieur, doch Verdeschi hörte ihn nicht. In der Luft hing ein leises Summen; es klang ganz so wie das zorniger Bienen, und das war seltsam, denn bisher hatten sie keine Insekten oder anderen Tiere entdeckt. Das Geräusch schien aus einem buschigen Dickicht zu kommen. Die Büsche trugen große, rote, saftig aussehende Beeren, und Lustig ging darauf zu. Er schob die Zweige weg und stand wenig später auf einer kleinen Lichtung, über die quer ein blühender Baum gestürzt war. Hier war dieses Summen am lautesten, doch er sah dessen Quelle nicht. Nervös schaute er sich nach Verdeschi um, doch er konnte ihn nicht finden. Plötzlich bekam er Angst und riß heftig an den Büschen, um wieder zu ihm zurückzukehren. Aber nun wurde das Summen noch lauter. Dessen Vibrationen
schienen sich lähmend auf seinen Geist auszuwirken. Er vermochte sich kaum mehr dagegen zu wehren, daß ihn eine geheimnisvolle Kraft dieses Waldlandes in ihren Bann zog. Ein Entsetzensschrei machte Verdeschi frösteln. Besorgt schaute er sich um und entdeckte, daß er den kleinen Ingenieur verloren hatte. Er lief den Weg zurück, den er gekommen war, um ihn zu finden. Der Schrei war aus einer Richtung gekommen, die etwas abseits von seinem Weg lag, und nun watete er durch hüfthohes Buschwerk mit roten Beeren. Und da hörte auch er das Summen. Er brach zur Lichtung durch und sah Lustig schwanken. Sein Gesicht war schweißüberströmt und vor Angst verzerrt. Was ihm aber Entsetzen einflößte, war eine Kugel aus wirbelnden Farben, die neben Lustig in der Luft hing. Sie schien ihn irgendwie zu beherrschen. Als Lustig ihn sah, hob er einen Arm und richtete seine Laserpistole auf ihn. »Joe!« schrie Verdeschi, tat einen Satz und packte den Arm, ehe der anscheinend verrückt gewordene Ingenieur noch hatte schießen können. Der Ingenieur fiel nach rückwärts um und schlug mit dem Kopf an den Stamm des gestürzten Baumes. Irgendwie kam er aber wieder auf die Füße. Wieder hob er die Waffe, doch diesmal war Verdeschi darauf gefaßt. Er nahm ihn in eine Zange, aus der er nicht ausbrechen konnte. Aber nun sah er die hervorquellenden, wie gläsern wirkenden Augen Lustigs und wußte, daß er verrückt geworden war, und diese Verrücktheit verlieh dem kleinen Mann übermenschliche Kräfte. Er entriß sich Verdeschis Griff und setzte ihm die Waffe an den Kopf. »Joe!« schrie Verdeschi entsetzt. Plötzlich wurden beide von einem grellgrünen Lichtblitz eingehüllt, der aus der tanzenden Farbkugel kam.
Lustigs Kraft ließ nach, und der Mann schaute verängstigt drein. Dann glitt er langsam zu Boden. Der grüne Lichtblitz zuckte in die Kugel zurück. Verdutzt griff Verdeschi nach seinem Commlock und drückte den Knopf, doch das Summen wurde so laut, daß es sein Gehirn betäubte und sich seines Körpers bemächtigte. Als seine Gedanken aus seinem Kopf herausgezogen wurden, erhaschte er einen kurzen geistigen Blick auf eine mächtige Kraft, die von ihm Besitz ergriff. Dann konnte sich sein Geist an nichts mehr erinnern. Das Summen hörte auf. Verdeschis Gestalt zitterte und versteifte sich dann, als sie sich auf den neuen Geist einstellte, der von ihr Besitz ergriffen hatte. Und dann rannte er von der Lichtung weg. »Tony…«, Koenigs Stimme klang besorgt aus dem Commlock im Gürtel der Gestalt. Sie nahm es heraus und starrte das besorgte Gesicht auf dem winzigen Schirm an. »Was hält dich denn auf?« fragte Koenig. Verständnislos hielt die Gestalt den Kommunikator vor das schweißüberströmte Gesicht. »Tony!« rief die Stimme verzweifelt. »Ich kann dich sehen. Du bist…« Eine Kraft quoll aus der Gestalt, sie war begleitet von einem starken Gefühl des Wohlbehagens. Die Gestalt fühlte sich glücklich, doch sie wollte die neue Kraft auch benutzen. Neugierig wie ein kleines Kind musterte sie das piepsende Instrument. Es wurde ihr langweilig, und sie nahm es fest in die Hand. Das Plastikgehäuse zersplitterte in tausend Stücke und dann flogen die vielen Einzelteile zu Boden. Die Gestalt lachte irr in einem Gefühl neugefundener Freiheit; sie rannte zwischen die Bäume.
XIII
Dr. Ben Vincent, der Arzt des Landetrupps, besah sich grimmig Lustigs verbrannten Körper. »Laserwunden? Aber das ergibt doch keinen Sinn!« erklärte Koenig. »Ich würde sagen, es war ein ganz dummer Unfall«, meinte der Arzt. »Eine Meinungsverschiedenheit, eine Waffe wurde gezogen…« »Warum sollte Tony so etwas tun?« Vincent zuckte die Achseln. »Aber er hat einen Mann getötet.« Jemand kam herangerannt. Ein Posten der Alphaner erschien und hatte einen kleinen Gegenstand in der Hand. Atemlos kam er an. Es war der traurige Rest von Verdeschis Commlock. »Hab’s einen halben Kilometer westlich von hier gefunden, Sir«, meldete er. »Westlich?« Das wurde ja immer rätselhafter! Er glaubte nicht daran, daß sein Sicherheitschef jemanden töten würde. »Also vom Basislager weg?« »Vielleicht weiß er in seinem Zustand gar nicht, wohin er läuft«, warf der Arzt ein. »Ich habe Helena gebeten, seine mentalen Unterlagen nachzuprüfen.« Koenig sah ihn finster an. »Kümmert euch um Lustig. Ich versuche ihn zu finden.« Er winkte dem Posten zu, ihm den Weg zu zeigen, und wenig später verschwanden die beiden in der dichten Vegetation.
Ein dünner Strahl intensiven Lichtes zuckte an der Facettenkugel entlang. Yuri Salkov ließ den Laser darüberspielen, doch das blieb wirkungslos. Er schüttelte den Kopf. Er legte den Laser zu den übrigen Schneidewerkzeugen und sonstigen Gegenständen in seiner Werkzeugtasche, die er alle durchprobiert hatte – vergeblich. »Das ist mal sicher, daß wir mit Gewalt nicht hineinkommen«, stellte er fest. »Aber was ist mit Tony?« Carter sah auf. »Ja, was ist mit ihm?« Der Bärtige sah ihn an. »Vor mir brauchst du’s doch nicht zu verbergen, daß er durchgedreht hat.« Der Pilot runzelte gereizt die Brauen, doch er wußte nicht, woher der Pionierchef das erfahren hatte. Man war übereingekommen, diese Tatsache zu verschweigen, um eine Panik zu vermeiden, und man mußte ja auch erst mehr darüber erfahren. »Frag lieber den Doktor, nicht mich«, raunzte Carter den anderen an. »Falls sie ihn finden, und falls er noch am Leben ist…« Erst jetzt wurde ihm richtig klar, wie besorgt er selbst war. Und er sah, daß er seinen Kameraden gekränkt hatte. »Gehen wir wieder an die Arbeit«, schlug er vor, nachdem er sich entschuldigt hatte. »Wir nehmen uns diesen komischen Golfball noch mal vor, aber diesmal halten wir nach einer haargenau eingepaßten Tür Ausschau.« Die flachen geodätischen Facetten der Kugel waren optisch sehr störend, wenn man sie aus der Nähe betrachtete, und Salkov meinte, daß sie aus diesem Grund vielleicht eine Öffnung übersehen hatten. Noch einmal machten sie die Runde auf dem bereits ausgetretenem Pfad um den Bau. Diesmal wurden sie belohnt. »Ich hab’s!« rief Carter, und Salkov lief zu ihm, um sich das anzusehen, worauf der Eagle-Pilot deutete. Seine Finger zogen die Umrisse einer sternförmigen Luke nach. Die Oberfläche
dieser Tür war mit einer Unzahl Sonnenzellen bedeckt, und zu erkennen war sie nur deshalb, weil der Türrand nicht genau mit den Zellenrändern übereinstimmte. Daneben bemerkten sie einen kleinen viereckigen Gegenstand, der am unteren Rand befestigt war. »Der Eingangsmechanismus?« Salkov bückte sich und öffnete das Kästchen. Seine geschickten Finger fanden zwei Knöpfe. Erst drückte er den einen, dann den anderen, schließlich beide gleichzeitig, doch ohne Erfolg. »Keine Energie…« Enttäuscht sah er Carter an. Doch dann erhellte sich sein Gesicht. »Die Solarzellen…« Er stand auf und ließ seine Augen über den Golfball huschen. Ein großer Teil der Oberfläche war mit altem Laub bedeckt, so daß an diesen Stellen das kräftige Sonnenlicht nicht aufgenommen werden konnte. Carter nahm sein Commlock heraus und stellte die Verbindung mit Koenig her. »John, ich glaube, wir haben einen Eingang zu diesem merkwürdigen Bau gefunden«, meldete er. »Gut«. Koenigs Stimme klang nicht besonders interessiert. »Sie scheint mit Sonnenenergie betrieben zu werden, diese Kugel. Haben wir recht, und sind die Zellen aufgeladen, sind wir auch gleich drin.« »Okay. Das soll Yuri machen. Wir haben Tony gefunden.« Carter lachte breit. »Das ist aber eine feine Nachricht.« Er machte Salkov ein Zeichen. »Aber wir haben ihn noch nicht«, schränkte Koenig ein. »Oh… Dann kennt ihr auch seinen Zustand nicht?« »Wir werden bald soweit sein«, erwiderte Koenig ernst und sehr besorgt. Carter vergaß zu lächeln. Wie mochte es dem Italiener gehen? »Alan«, fügte Koenig hinzu, »du kommst mit Vincent. Ihr holt uns ab. Ich denke, wir werden euch brauchen.«
Carter nickte bedrückt und schaltete sein Gerät ab. Er zuckte die Achseln, warf Salkov einen hilflosen Blick zu und stapfte davon. Aus Koenigs Ton und Instruktionen schloß er, daß er wohl Tony mit einem Eagle abholen mußte, und das hieß, daß der Sicherheitschef in sehr ernster Verfassung war. Er rannte zurück zum Basislager. Vincent war mit Lustigs Leiche angekommen. In einem Durcheinander aus Tischen, Ausrüstungsgegenständen und Leuten fand er Les Johnson, einen Medizinaltechniker, der nach einigen Früchten griff, die er analysieren sollte; er wollte sie essen. Seit Maya und Verdeschi damals auf dem Planeten Luton den unbarmherzigen Richtern, den Regenten dieses Planeten, ausgeliefert waren, die beide dazu verurteilten, gegen unbekannte Lebensformen zu kämpfen, wenn sie ihre Freiheit wiedergewinnen wollten, war es streng verboten gewesen, irgendein planetares Gewächs zu essen, ehe es genau untersucht und analysiert war, und vor allem mußte man dessen Ursprung kennen. Er kochte vor Zorn, konnte aber im Vorbeilaufen dem Mann nur eine Warnung zuschreien, denn er mußte ja Vincent finden. Den entdeckte er dann zwischen den Zelten, und sie rannten zum abgestellten Eagle.
Die Spur zu Verdeschi führte über eine offene Strecke steinigen Landes, das mit niedrigen, kümmerlichen Büschen durchsetzt war. An Dornen hatten sie Fetzen seiner blauen Tunika gefunden, und endlich sahen sie ihn auch rennen. Er machte einen sehr verwirrten Eindruck. Einmal knallte er gegen einen hohen Baum, dann schoß er vor Zorn seinen Laser darauf ab und verbrannte ihn zu einem
rauchenden Stumpf. Daraus schloß Koenig, daß sein Laser auf ›Töten‹ und nicht auf ›Lähmen‹ eingestellt war. Dann hatte Verdeschi seine Verfolger gesehen und sich anscheinend ängstlich von dem Stumpf zurückgezogen. In einem Dickicht hoher Büsche tauchte er schließlich unter. »Halt!« rief Koenig den begleitenden Posten zu, die ihm sofort nachrannten. »Ihr beide bleibt hier. Ich hole ihn mir schon. Ihr paßt auf, daß er nicht wieder entwischt.« »Aber er ist bewaffnet, Commander«, wandte einer der Männer ein. »Ja, aber auf mich wird er nicht schießen«, rief Koenig zurück und lief weiter ins Dickicht. Dahinter gelangte er auf einen steinigen Landstreifen, fand aber eine Blutspur und folgte ihr. In der Ferne hörte er das Röhren der Eagle-Raketen. Er hoffte, Carter möge noch rechtzeitig kommen, um Verdeschi retten zu können. Oder vielleicht brauchte er selbst Hilfe, überlegte er grimmig. Doch seine Ängste bewiesen sich nicht. Ein paar Augenblicke später fand er Verdeschi. Er war erschöpft über einem großen Stein zusammengebrochen. Seine Tunika bestand nur noch aus Fetzen. Am ganzen Körper zuckte er krampfhaft. Als er Tony umdrehte, sah er, daß sein Gesicht schweißüberströmt, von Dornen aufgerissen und schrecklich zerschunden war. Seine Augen starrten wild zum Himmel empor und wirkten gläsern.
Je weiter der Tag fortschritt, desto heißer wurde die Sonne. Bald war sie ein sengender Feuerball. Die üppige Vegetation um die Kugel herum dampfte in der Hitze. Für Salkov war die Sonne jedoch ein Segen. Je greller sie schien, desto besser war es.
Die beiden Techniker, die ihm halfen, das Pflanzengewirr an den Wänden des Gebäudes zu entfernen, waren endlich mit ihrer Arbeit fertig und tranken durstig das Wasser, das sie aus einem kühlen, kristallklaren Bach ganz in der Nähe geholt hatten. »In ein paar Stunden müßten wir soweit sein«, sagte er zu den beiden. »Aber ihr sollt doch kein Wasser trinken, bevor es getestet ist.« Sie zuckten die Achseln und tranken weiter. Er schüttelte mißbilligend den Kopf und beschäftigte sich wieder mit der großen Kugel. Seit der Entfernung des Buschwerkes waren die unzähligen Solarzellen zu einem riesigen, lautlosen Generator geworden, der sauber und unermüdlich kostenlose Energie lieferte. Immer wieder lief er zur Luke, um nachzusehen, ob sie sich schon öffnen ließ. Er war sehr neugierig darauf, was er im Innern dieses Gebäudes finden würde, und darüber dachte er gerade nach, als er zwei scharfe Schreie und dann zwei dumpfe Laute hörte. Die beiden Techniker waren umgekippt und lagen still zwischen all dem Grünzeug. Ihre Krüge hatten sie neben sich liegen. Den einen drehte er um, fühlte seinen Puls und entdeckte zu seinem Entsetzen, daß er tot war. Der Eagle senkte sich aus dem stahlfarbenen Himmel. Koenig hatte seine Begleiter herbeigerufen, und gemeinsam trugen sie Verdeschi an Bord des Schiffes. Vincent wartete schon an der offenen Luke. Er sah ziemlich düster drein, noch sorgenvoller aber, als er den Sicherheitschef genauer sah. Er hatte schon ein Notbett vorbereitet, auf das Verdeschi gelegt wurde. Während Carter das Schiff startete, begann Vincent mit seiner Untersuchung. »Können wir etwas tun?« fragte Koenig nervös, der ständig um das Bett herumstrich.
»Er sinkt in ein tiefes Koma«, erklärte ihm Vincent kopfschüttelnd. »Ich habe ihm schon eine Injektion gegeben, aber mehr kann ich jetzt ohne medizinische Überwachungsgeräte nicht riskieren, weil ich sonst einen Gehirnschaden befürchten muß.« »Dann müssen wir ihn sofort nach Alpha zurückbringen.« Koenig nahm sein Commlock heraus, um den Mond zu verständigen. Maya hatte eben versucht, zu ihm durchzukommen. Sie schien recht bedrückt zu sein, doch Koenig führte das auf Verdeschis Zustand zurück. »John, eben hat Yuri Salkov gemeldet, er versuche schon seit einiger Zeit, dich zu erreichen, aber auf deiner Frequenz gelang es ihm nicht. Bei dieser Kugel ist etwas passiert.« Die Verbindung war schlecht, die Statik störte sehr, und Koenig war überdies gereizt. Dann brach die Verbindung ganz ab, sein Commlock begann zu rauchen und spie schließlich Flammen. Bestürzt ließ er es zu Boden fallen. Von der Kontrolltafel kam Alarm, und ein rotes Licht blinkte in schneller Folge. Das Schiff, das schon bereit war, in eine Umlaufbahn zu gehen, schüttelte sich heftig. »Stabilisator ausgefallen!« rief Koenig und rannte zu den Instrumenten. »Was, zum Teufel, ist da los?« fragte er Carter. »Es hält noch«, keuchte Carter. »Hoffen wir, daß wir noch nach Alpha kommen, sonst ist es aus.« Koenig drückte den Kommunikatorknopf und rief wieder Maya an. »Wir haben Schwierigkeiten mit dem Überwachungsschiff. Panne…«, meldete er. »Könnt ihr etwas ausgleichen?« fragte sie besorgt. »Versuchen werden wir’s, und wenn es nicht geht, kehren wir um zum Basislager und nehmen Eagle Eins.« Ehe er zu sprechen aufhörte, stiegen Rauchspiralen aus der
Kontrollkonsole, gleichzeitig verschwand Mayas Gesicht, und der Schirm war tot. Koenig und Carter starrten einander entgeistert an.
»Mondbasis an Überwachungs-Eagle«, rief Maya verzweifelt. »Bitte kommen, bitte kommen…« Sie wandte sich zu Helena um. »Jetzt haben wir den Kontakt schon wieder verloren, nicht nur mit John, sondern auch mit dem Basislager.« »Wenn sie Tony nicht zu uns ins Lazarett bringen können… Nun, hoffentlich gelingt es ihnen sehr bald.« Absichtlich schwächte Helena damit ihre Worte ab, weil sie sah, wie bedrückt Maya war. Sie selbst war sehr aufgeregt, nicht nur weil sie um Koenigs Wohlergehen fürchtete, sondern hauptsächlich deshalb, weil sie zu dieser Expedition gedrängt hatte. Nun mußte sie zugeben, daß alles allmählich wie ein ganz großer Mißerfolg aussah. Koenigs Einstellung war schon richtig gewesen. Über Mayas Monitor kam ein plötzlicher Strom telemetrischer Blitze herein. »Schnell, volle Computerüberwachung für den Planeten!« rief Sandra Benes zu. »Und sieh zu, daß die Verbindung zum Überwachungsschiff funktioniert.« Hilflos wandte sie sich an Helena. »Etwas ist mit diesem Planeten geschehen, Helena. Die atmosphärischen Daten haben sich grundlegend verändert…« Das Eagle-Schiff löste sich langsam auf. Erst sagte ein wichtiger Teil den Dienst auf, dann ein anderer. Oder richtiger: sie lösten sich heraus. Die Stromkreise schienen zu schmelzen, die elektrische Energie fand überall den kürzesten Weg zum Verschwinden und erzeugte dabei Hitze. Carter navigierte, so gut er konnte, und Koenig untersuchte die wichtigsten Stromkreise des Schiffes. Sie waren in
Kassettenform angeordnet, die wiederum in einer Wandnische untergebracht waren. Eine Kassette nach der anderen zog er heraus und untersuchte sie. Alle zeigten schlimme Korrosionsschäden, manche waren ganz verdorben. Auch die Kassetten für die Hilfs- und Notgeräte sahen schlimm aus. Zufällig fiel sein Blick auf ein Metallinstrument, das vor ihm stand. Es sah matt und angelaufen aus. Er kratzte mit einem Fingernagel daran – eine Oxidationsschicht lockerte sich. »Alle Metalle scheinen zu rosten, Alan! Sofort zum Basislager zurückkehren. Schnell!« befahl Koenig. Carter arbeitete an den warmen Instrumenten, nahm den Schub weg und ließ das Schiff zurückfallen. Aber es dauerte nicht lange, da schüttelte es sich wieder, als die Hilfsstabilisatoren den Dienst aufsagten. Unter seinen Händen lösten sich die Handgriffe und Hebel von den Instrumenten, und das Schiff rollte, schlingerte und schaukelte wie irr. Dann tauchte es mit der Nase voran nach unten. Im letzten Moment gelang es dem Piloten, die vorderen Raketen zu zünden, um in einen Gleitflug überzugehen, sonst wären sie abgestützt. Ehe alle Instrumente ausfielen, erreichte er eine verhältnismäßig sichere Höhe, doch dann fielen rauchende Stücke ab, schließlich brennende Trümmer, der Eagle streifte die Wipfel eines Waldes und pflügte eine breite Schneise in den Boden. Er rutschte noch ein Stück weiter über Büsche, Steine und ebenes Land und kam endlich vor einer Gruppe hoher Felsbrocken und einem einzelnen Baum zum Stehen.
»Sie haben es nicht geschafft«, stöhnte Maya. »Ehe sie Planetenberührung hatten, löste sich das ganze Schiff auf.« Sie drückte verschiedene Knöpfe, konnte aber weder vom Basislager noch vom Eagle eine Antwort bekommen.
Verzweifelt versuchten sie und Helena ihre Commlocks zu aktivieren – auch sie versagten. Es war so, als sei dieser ganze tödliche Planet nicht mehr da. Aber auf dem großen Schirm sahen sie ihn noch. Langsam, gemütlich und schön drehte er sich um seine eigene Achse und sah so wunderbar und einladend aus wie ihr Heimatplanet Erde.
XIV
Koenig wachte auf. Er war in einer Steinhöhle; ihm fiel ein, daß es die Höhle beim Basislager war. Jemand beugte sich über ihn und rief nach Carter. Es war Sahn. Ihr dunkles, lächelndes Gesicht sah aus wie von einer anderen Welt. Carter und Vincent tauchten neben ihr auf. Vincent fühlte ihm den Puls. »Das war aber eine Landung…« Koenig lächelte mühsam, denn als er sprach, begann es in seinem Kopf zu toben. Aus dem Schmerz schloß er, daß er am Kopf verletzt war. Carter hielt in der Hand einen offensichtlich intakten Gashebel. »Zugegeben, es war nicht meine glatteste Landung«, sagte er. »Tony…« Plötzlich erinnerte sich Koenig. »Er lebt«, sagte Vincent. »Direkt neben dir.« Er stemmte sich auf einen Ellbogen, wenn auch sein Kopf heftig dagegen protestierte. Verdeschi lag sehr blaß neben ihm auf einem zweiten Feldbett. Er rührte sich nicht. »Wir müssen ihn sofort…« »Nur langsam John«, Vincent drückte ihn zurück. »Niemand geht irgendwohin. Wir sind gestrandet.« »Gestrandet?« Koenig wehrte sich gegen Vincents Griff. »Aber Eagle Eins?« Jetzt lächelte Carter nicht mehr. »Den kannst du vergessen, John. Der würde sofort auseinanderfallen, wenn wir nur einzusteigen versuchten.« Zum Beweis dafür brach er den Gashebel auseinander und warf die Stücke auf Koenigs Bett. »Alles Material auf diesem Planeten ist verrostet.« Verblüfft untersuchte Koenig die Metallstücke.
»Und noch was«, fuhr Carter fort. »Drei der Überwachungsgruppe sind tot. Vergiftet. Zwei haben Wasser aus einem Bach getrunken, der andere aß eine Frucht von einem Baum… Und dabei waren vorher Früchte und Wasser als unbedenklich erklärt worden.« Plötzlich fiel ihm ein, daß er ja an Les Johnson vorbeigelaufen war und ihn gewarnt hatte, die Früchte zu essen, die er untersuchen sollte. »Ja, das hat ihn umgebracht«, schloß er seinen Bericht. »Und was ist mit Tony?« fragte der Commander. Ihm war als sei dies alles ein böser Traum. Vincent kam eben von Verdeschi zurück. »Er hat etliche Schrammen, vielleicht ein Ergebnis seines Kampfes mit Lustig. Aber der konnte sich doch wirklich nicht so auf ihn auswirken.« »Etwas muß ihn aber doch ausgeflippt haben«, beharrte Koenig. »Ich habe Lustig untersucht«, berichtete Vincent. »Der Laserstrahl hat ihn getötet, aber ich fand Beweise für eine Ausdehnung von Gehirnzellen; ein solcher Druck kann einen Menschen erst wahnsinnig machen, und dann töten.« »Und die Ursache dieses Druckes?« »Das weiß ich noch nicht«, gab Vincent nachdenklich zu. »Aber Tony kann doch unter dem gleichen Druck gelitten haben?« Vincent nickte zögernd. »Ich habe eine Ahnung, das wir das finden könnten, wenn wir weiter untersuchen.« »Und wenn – kannst du ihm helfen?« »Das weiß ich auch nicht.« Der Arzt seufzte schwer. »Ich wollte, wir hätten ihn auf Alpha.« Koenig schüttelte bekümmert den Kopf. Zuviel schien in zu kurzer Zeit passiert zu sein. Er sah Carter an. »Alpha muß doch wissen, daß wir in Schwierigkeiten sind. Sie werden
Hilfe schicken…« Aber dann fiel ihm ein, daß auch das Rettungsschiff auseinanderfallen würde. Das war ein gewaltiger Schock für ihn. »Wir müssen aber etwas tun, ganz schnell sogar. Über Radio…« Carter sah recht verzweifelt drein. »Das geht nicht. Alles mit Metall ist völlig nutzlos, und das schließt alle Kommunikatoren ein.«
Helena lief nervös in der Kommandozentrale auf und ab. Maya saß an ihrer Konsole, war sehr blaß und arbeitete. »Maya«, fragte Helena, »wie nahe waren sie, als ihre Instrumente versagten?« Diese Frage hatte sie schon ein paarmal gestellt. Diesmal hörte sie Maya. »Nahe«, antwortete sie. »Nahe genug, um den Aufschlag überleben zu können?« »So genau kann ich das nicht sagen.« Helena rang verzweifelt die Hände. »Du kannst doch auch etwas vorhersagen, oder nicht?« »Ich kann nur sagen, was wir beide hören wollen.« Maya schaute auf. Ihr Gesicht war naß von Tränen. »Eine Chance gibt es schon.« »Liegen die Ergebnisse der Computeruntersuchung schon vor?« »Ich analysiere eben die Daten…« Sie überflog die Ausdrucke mit ihrem geschulten Auge, und da versteifte sie sich. Helena lief heran. »Der Planet… ist ein ökologisches Monster!« rief Maya zornig. »Der Computer registriert den massiven Aufbau giftiger Elemente…« »Aber das ist doch nicht möglich!« Helena war sehr erschüttert. »Wir haben doch mehrfach alles überprüft, ehe unsere Leute nach unten gingen.«
»Ich weiß, das er sicher war«, pflichtete ihr Maya bei und konnte selbst nicht glauben, was der Computer meldete. »Die Veränderung begann ja erst nachdem unsere Leute unten ankamen.« »Du meinst, ihre Ankunft sei die Ursache dieser Veränderungen?« »Ja, falls der Computer recht hat. Und genau das meine ich auch.« Sie sprach langsam und nachdenklich, als sei sie sich erst jetzt über diese Tatsache klargeworden. Angstvoll schauten die beiden Frauen einander an.
In der Eagle Eins war es warm und feucht. Die Klimaanlage war zusammengebrochen wie alle elektrischen Anlagen und metallenen Instrumente an Bord. Koenig überprüfte das nutzlose Kommunikationsgerät. Er hatte den Kopf noch verbunden, und weh tat er auch. Carter bestätigte ihm, daß nichts mehr davon zu gebrauchen war. »Nur Plastikmaterial hält noch«, stellte Koenig fest und zeigte Carter ein Stück. »Aber einen Kommunikator können wir aus Plastik nicht bauen«, wandte Carter ironisch ein. Doch ein Gedanke zuckte durch Koenigs schmerzenden Kopf. »Moment mal…« Er stand auf und ging zum Waffenhalter, nahm eine Raketenbüchse und öffnete die Kammer. Die Büchse zerfiel praktisch in seiner Hand, aber als er fertig war, hielt er ein kleines Plastikrohr in die Höhe. »Metalline Fasern?« fragte Carter. »Ja.« Koenig riß das Röhrchen auf und zeigte ihm einen Strang sehr dünnen, farbigen Materials, das er mit den Fingern testete. »Nicht schlecht. Plastik, und einer unserer besten Energieleiter, die es gibt.«
Carter nickte, als der Commander aufgeregt die Fasern auseinandernahm. »Sie transportieren Energie – falls wir Energie zum Transportieren finden.« »Die Solarzellen«, sagte Koenig. »Dieser seltsame Bau. Mach doch was draus, ja? Ich hab’ kein Talent zum Radiobau.«
Ein schwaches Signal piepste an Mayas Konsole. In der Kommandozentrale wurde es plötzlich lebendig. »Ein Signal vom Planeten!« rief Maya. »Aber sehr schwach…« Helena lief sofort herbei und hörte gerade noch Koenigs schwache und sehr ferne Stimme. »John Koenig an Mondbasis Alpha…« »John, wir hören dich!« rief sie zitternd. »Wie geht es Tony?« erkundigte sich Maya, ehe er noch antworten konnte, und da fiel ihr ein, daß er es auch wirklich nicht konnte. »Wir können senden, aber nicht empfangen«, erklärte er. »Unsere Lage ist sehr ernst. Wir haben kein Schiff und keine Ausrüstung mehr.« Seine Stimme wurde immer schwächer, doch aus einigen Wortfetzen konnten sie sich ein Bild dessen machen, was geschehen war. Es war grauenhaft. »Wir wissen jetzt, daß dieser Planet voll Feindseligkeit ist uns gegenüber. Natürlich bemühen wir uns um Gegenmaßnahmen. Bis es uns gelingt, die Lage zu stabilisieren, verbiete ich strikt alle Rettungsversuche. Kein Schiff darf nach unten kommen. Das Metall würde sich bei der Berührung mit der Atmosphäre des Planeten sofort auflösen. Dieser Umstand hat den Absturz von…« Prasselnde Statik schnitt die Verbindung ab. Als sie aufhörte, war die Verbindung tot.
Hilflos sahen sie einander an. »Sie haben keine Zeit für wirksame Gegenmaßnahmen«, sagte sie düster und sprach damit aus, was alle dachten. »Bald wird die Atmosphäre nicht mehr atembar sein.« »Ich muß aber unbedingt nach unten kommen, Maya«, wandte Helena ein. »Aber wie? Die Eagles können wir nicht benutzen…« Wenn sie gingen, konnten sie nicht mehr zurückkehren, und Maya war sich darüber völlig klar. Trotzdem mußte sie eine andere Transportmethode finden, und die bot sich förmlich an. »Ein Gleiter…«, sagte sie laut vor sich hin. Helena horchte interessiert auf. »Ein Gleiter?« »Ja. Ein Segler. Ohne Antrieb, ohne bewegliche Teile. So etwas könnte man aus Plastik machen.« Alle hörten atemlos zu. Maya und Helena fanden ein makabres Vergnügen an dieser Idee, denn sie liebten eben diese beiden Männer. »Und unsere Raumanzüge…Wir könnten die Metallteile ersetzen… Aber, Maya, es ist eine Einwegangelegenheit«, warnte sie. Maya nickte. »Und für nur zwei Passagiere.«
Die Täler und Wälder, die Luft und die Blumen, die die Alphaner mit ihrer Schönheit so betrogen hatten, waren nun unberührbar geworden. Tödlich. Alles erschien noch immer so harmlos und lud förmlich zum Sammeln ein. Salkov wartete nervös vor der Kugel auf den nächsten Angriff. Aus welcher Richtung würde der kommen? Einige Stunden waren vergangen, und die Sonne brannte noch immer heiß herab. Die Solarzellen wurden aufgeladen. In diesem merkwürdigen Gebäude lagen einige Antworten auf ihre vielen Fragen nach dem Grund ihrer Schwierigkeiten. Soviel war
sicher. Aber das Problem war, wann würde genug Energie vorhanden sein, um diese Luke zu öffnen? Immer wieder schaute er, während ihm solche Gedanken durch den Kopf gingen, diese weiße Kugel an. Ihm schien, sie strahlte noch greller als vorher. Erst tat er das als Einbildung ab, doch dann wurde er sich einwandfrei dessen bewußt, daß sie pulsierte. Das ganze Gebäude, nicht nur das Lukenschloß, lud sich mit Energie auf. Er lief zur Luke, kniete nieder und drückte vorsichtig auf einen der Knöpfe. Leise summend schob sich die sternförmige Tür nach innen. Doch er hatte unmenschliche Angst. Statt also diesen Bau zu betreten, rannte er zum Basislager zurück. Wenig später kam er mit Koenig und Carter zurück. Die Luke stand nun weit offen. Das Innere des Gebäudes sah angenehm kühl aus, und vorsichtig stiegen sie hinein. Die Luft war feucht und reizte die Kehlen zum Husten. Es war fast so, als seien sie in einem riesigen Rundzelt, durch dessen Material die Sonne schien. Die Wände waren mit Plastikformen und Kabeln bedeckt. Im Mittelpunkt des Raumes stand eine kleine Konsole, vor der eine hagere, düstere Gestalt saß. Diese Gestalt wandte den Eintretenden den Rücken zu und schien sich bewegungslos über Instrumente zu beugen. Nervös näherte sich ihr Koenig und legte vorsichtig eine Hand auf die Schulter, zog sie aber eiligst zurück, als er unter dem Stoff nur harte Knochen fühlte. Langsam drehte sich der Stuhl, und nun sahen sie die Gestalt von vorne. Es war wenig mehr als ein Skelett. Hinter einer Art Sichtschild starrten leere Augenhöhlen. Am schlimmsten sahen die Hände aus, die auf dem Tisch lagen und einen langen Plastikzylinder festhielten. Mit einer gespenstischen Geste
schien die Gestalt den Zylinder den Eindringlingen zuzuschieben. Einen Augenblick lang standen sie erschüttert da. Wie lange war es schon her, daß sich dieses grausige Drama abgespielt hatte? Doch dann rissen sie sich zusammen und untersuchten den Rest der Kuppel. Erschüttert stellten sie fest, daß der unglückliche Bewohner dieses Gebäudes die üblen Eigenschaften dieses Planeten gekannt haben mußte, denn die ganze Ausstattung und alles, was an den Wänden hing, bestand ausschließlich aus Plastik. »Die Kuppel muß irgendwie als Überlebensunterkunft gedient haben«, bemerkte Carter schließlich. »Aber wie hat dann der arme Teufel doch nicht überlebt?« Koenig runzelte nachdenklich die Brauen, kehrte zur Konsole zurück und besah sich den Arm, der dieses Plastikrohr hielt. Zögernd und mit den Fingerspitzen griff er danach. Ein Deckel fiel ab, und innen entdeckte er etliche kleine Plastikscheiben, die mit unzähligen winzigen Symbolen beschrieben waren. »Was macht ihr daraus?« fragte Salkov bestürzt und verwirrt. Auch Koenig war sich nicht klar. »Irgendeine Informationsbank, aber…« Er wandte sich zu Carter um. »Was nützen die schönsten Daten, wenn wir kein Metall für Stromkreise haben, um sie übermitteln zu können? Es muß hier noch eine andere Form geben…« Seine Augen blieben an einem runden Schlitz vor dem Stuhl des Skeletts hängen. Er kniete nieder und stellte fest, daß dieser Schlitz eine Scheibe ähnlich denen enthielt, die sie in der Hand hatten. »Ah, ich hab’s!« rief er. »Aber wo sind die Kontrollen?« Er sah keine an der Konsole, und so versuchte er sein Glück an der im Schlitz steckenden Scheibe, die er wie einen Knopf drückte. Sofort klickte etwas laut und scharf, dann folgte ein leises Summen, das aus der Wand kam, die dem Skelett gegenüberlag.
Erst jetzt bemerkten sie, daß vor den Wandflächen eine sehr dünne Folie transparenten Materials hing. Sie war fast quadratisch und mit einem Netz haardünner Linien bedeckt. Während sie zusahen, wurde sie hell und undurchsichtig. Die Züge einer menschenähnlichen Person zeigten sich. Sie erkannten sofort, daß diese Gestalt eine lebende Version des Skelettes war, denn sie trug den gleichen Helm und die Uniform wie das Skelett an der Konsole, nur war das Bild seitenverkehrt wie ein Spiegelbild. Das Leben sah den Tod an. »Das Ende ist gekommen«, sprach die Person aus einer anderen Zeit. »Nur ich, Zoran, Führer dieser Expedition, bin noch am Leben, und auch ich werde bald tot sein.« Sein menschliches Gesicht wirkte resigniert, fast verzweifelt. »Euch, die ihr kamt, wie wir kamen, um das Gelobte Land zu finden, rate ich: gebt euren Kampf auf. Aus dieser erbarmungslosen Welt gibt es nur eine Flucht – den Tod.« Damit schien sich ein Vorhang über sein Gesicht zu senken, der Schirm war tot.
XV
Die unzähligen Sterne der sich zurückziehenden Galaxis schienen auf Helena und Maya auf dem Eagle Drei herab, als er sich vom Mond abhob. Die beiden Frauen saßen im Cockpit des Seglers und trugen Raumanzüge. Das Cockpit war transparent, so daß sie den Himmel in seiner ganzen Pracht beobachten konnten. Unter ihnen, im Schiff, saß Fraser an den Instrumenten und trug sie durch den Raum zu ihrer selbstmörderischen Planetenreise. Der Gleiter war vollgeladen mit Lebensmitteln, Decken und zwei medizinischen Kisten, die Drogen und nichtmetallische Instrumente enthielten. Mit ihrem Körpergewicht und der Nutzlast reichte die Gesamtbelastung gerade aus, um ihren Gleiter in jener Atmosphäre sicher in der Luft zu halten, die von ihren Instrumenten in der Kommandozentrale errechnet worden war. »Hoffen wir, daß wir unsere Position für das Abheben richtig erarbeitet haben«, sagte Helena und musterte die große, erdähnliche, grünschimmernde Kugel, die vor ihnen hing. In dieser Richtung gab es nur wenige Sterne, teils deshalb, weil links von ihnen die sehr grelle Sonne leuchtete, teils darum, weil sie ja am Rand der Galaxis waren, wo sie von unglaublich weit entfernten Nachbargalaxien nur einen schwachen Schimmer erkennen konnten. »Ich habe versucht, alle Faktoren zusammenzutragen, die irgendwie mit hereinspielen«, bemerkte Maya. »Aber ein Gleiter ist natürlich kein sehr genaues Instrument.« »Es ist vor allem ein großer Planet, Maya. Ein kleiner Irrtum, und wir landen Hunderte von Meilen vom Basislager entfernt.«
»Dann lernen wir die Segnungen des Spazierengehens kennen«, antwortete Maya lachend. Beide fühlten sich sehr angeregt und trotzdem völlig ruhig. Es war so, als sei in ihnen die Angst abgeschaltet worden, so daß nur noch die eher gefühlsbedingten Teile ihres Geistes funktionierten. Sie fühlten sich sehr nüchtern und waren von ihrer guten körperlichen Verfassung überzeugt. Das, was sie taten, mußten sie tun, denn es war natürlich. Sie sahen gar keine andere Möglichkeit, als die, wie Brieftauben in ihren Heimatschlag zurückzukehren. Deshalb spielte Angst keine Rolle. Sie war längst kein Überlebensfaktor mehr. Sie ließen den Mond hinter sich, und der Planet wurde immer größer. Land und Meere wurden deutlich erkennbar; unter ihnen gab es ein riesiges Plateau. Allmählich bildeten sich über dem vorgesehenen Zielgebiet hellgraue Kumuluswolken, und nun tauschten sie besorgte Blicke aus. »Wir nähern uns den obersten Schichten der Atmosphäre«, meldete Fraser aus dem Schiff. »Bereithalten zum Abwurf.« »Sind bereit«, meldete Maya. Nun spürten sie die ersten Anzeichen großer Spannung, doch sie weigerten sich, diesem Gefühl nachzugeben. Dafür hatten sie weder Zeit noch Raum. »Computeranzeige Abwurf in zehn Sekunden… fünf Sekunden…« Sie lauschten seinem Countdown und erwarteten, in den freien Fall buchstäblich geworfen zu werden. Wichtig war natürlich, daß der Gleiter im richtigen Winkel in die Atmosphäre tauchte, sonst würde er zerbrechen, und sie schossen dann als Miniatursterne mit den Trümmern zu Boden. »Vier… drei… zwei… eins… null…« Die Verbindung wurde gelöst, sie wurden in die Höhe geworfen. Der Eagle tauchte unter ihnen weg. Die tröstlichen Vibrationen des großen Mutterkörpers hatten aufgehört, und
nun glitten sie allein abwärts, wie ein Riesenvogel, der sich den Luftströmungen und Winden ausliefert. »So, Mädchen, jetzt steht ihr auf eigenen Füßen. Hals- und Beinbruch.« Das waren Frasers Abschiedsworte. Sie bedankten sich bei ihm und schalteten ihre Radios ab. Bald würden sie sowieso von der Atmosphäre zerfressen sein, und dann waren sie ganz allein auf sich gestellt, auf ihren Einfallsreichtum und ihr Können.
Koenig fühlte sich unglaublich deprimiert, als Zorans Mitteilung zu Ende war. Jetzt hatten sie aber endlich etwas oder jemanden gefunden, der über die Grausamkeit des Planeten Bescheid wußte, obwohl ihr Freund schon sehr lange tot war. Sie nahmen die codierte Scheibe heraus und legten eine andere ein. Wieder erschien Zorans Bild, und er begann zu sprechen. Diese Scheibe mußte ein wenig älter sein als die vorige und erinnerte sie an die eigenen Anfangsschwierigkeiten. »Überwachungsberichte meldeten, daß dieser Planet ideal ist«, begann er und saß da wie vorher. »Unsere Leute freuten sich über das Glück, das sie zu diesem Planeten gebracht hatte. Aber bis jetzt konnten wir unsere Minengruppe nicht finden. Unsere Lage kompliziert sich weiter durch den unerklärlichen Zusammenbruch unserer wichtigsten Ausrüstungsgegenstände…« Etwas, das außerhalb des Schirmes lag, lenkte ihn ab, dann drückte er rasch einen Knopf an der Konsole, und der Schirm wurde dunkel. Koenig legte eine weitere Scheibe ein. Diesmal sah Zoran sehr erschüttert drein, als er zu sprechen begann. »Die natürlichen Hilfsquellen des Planeten wurden alle giftig. Die Hälfte unserer Leute kam um. Unsere eigenen Vorräte gehen
zur Neige. Wir sehen uns einem großen Unglück gegenüber…« Eine weitere Scheibe zeigte ihn sehr hager, unendlich und hoffnungslos traurig. »Gestern fanden wir die Überlebenden der Minengruppe. Sie lagen in tiefem Koma und litten unter einer mysteriösen Form einer Gehirnschädigung… Wir halfen ihnen, so gut wir konnten, doch retten konnten wir sie nicht. Kurz vor ihrem Tod kamen sie noch einmal zu Bewußtsein und konnten sogar noch beschreiben, was geschah.« Sie suchten nach weiteren Scheiben und drückten wieder eine in die Öffnung. »Wir werden von einer unsterblichen Kreatur von unbeschreiblicher Kraft und Macht vernichtet«, berichtete Zoran. »Ein einmaliges, einsames Wesen, das sich nach Kontakten mit anderen intelligenten Lebensformen sehnt… Es hat unsere Minengruppe nicht absichtlich vernichtet, es wollte sich nur mit ihr in Verbindung setzen, mit ihr sprechen, die Freude zum Ausdruck bringen, die es fühlte, als es andere intelligente Lebensformen entdeckte. Aber die von diesem Wesen eingesetzten Mittel brachten nur Wahnsinn und gewaltsamen Tod.« Vor tiefer Bewegung vermochte Zoran eine Weilen nicht zu sprechen. »Aber wir müssen einen Weg finden, uns mit diesem Wesen zu verständigen. Wir müssen… versuchen, es ihm… verständlich zu machen…« Der Schirm wurde dunkel. »John!« Plötzlich hörte er hinter sich Vincents aufgeregte Stimme. Der Doktor kam herangelaufen, doch als er das gespenstische Skelett vor der Konsole sah, blieb er unvermittelt stehen. »Tony ist wieder bei sich«, sagte er ziemlich kleinlaut. Er wollte doch nur gute Nachrichten bringen, und nun sah er nichts als grimmige, bedrückte Gesichter. Das verstand er nicht. Er ahnte ja nicht, was Zoran von der Minengruppe
gesagt hatte, denn wenn das richtig war, dann stand Verdeschis Tod unmittelbar bevor. »Alan, geh noch mal alles durch«, befahl ihm Koenig. »Vielleicht ist uns etwas entgangen.« Dann wandte er sich an Vincent. »Und wir müssen uns sehr beeilen…«
Unter dem einsamen Gleiter bildeten sich Sturmwolken. Er pflügte in sie hinein, in eine furchterregende Welt aus Feuer und Dampf. Es war fast so, als wolle der Planet sie an der Erreichung ihres Zieles hindern, als sei er irgendwie lebendig. War er das nicht, so hatten sie unglaubliches Pech. Aber jetzt konnten sie ihre Helme abnehmen und ihre Meinungen direkt austauschen. »Eine Schweinerei, dieses Wetter«, stellte Helena fest, als sie sich an den von den Ingenieuren der Mondbasis eingebauten Steuerknüppeln klammerte. Der wütende Wind rüttelte sie gründlich durch, hob sie in die Höhe und schleuderte sie nach unten. Der leichte Gleiter krachte gefährlich, und beide wußten sie, daß nicht viel nötig wäre, um sie… Doch entmutigen ließen sie sich nicht. »Ich hoffe, unsere Männer wissen auch zu schätzen, was wir für sie tun«, rief Helena über das Rumpeln und Röhren Maya zu. Sie saß hinter Maya und klammerte sich an den Pilotensessel. Zwischen den Knien hatte sie die beiden medizinischen Kisten. Der Rest war in einer kleinen Kabine hinter ihr verstaut. Nebelfetzen fegten an ihnen vorbei, teilten sich an der Cockpitnase und strömten am Bauch des Seglers entlang, als sie nach unten tauchten. Blitze zuckten, der Donner krachte. Als es dann schien, daß der steile Sturzflug nur in einem Absturz enden könne, brachen sie plötzlich durch
die Wolkendecke und sahen unter sich eine düstere, sturmgepeitschte Landschaft. »Zwanzigtausend Fuß, würde ich schätzen«, rief Maya. »Und sieht aus wie der Landeplatz.« Sie waren schon dabei, einander zu gratulieren, als ein plötzlicher sehr heftiger Windstoß sie packte und wieder nach oben trieb. Dann wurden sie wie irr herumgewirbelt, stürzten von einem Luftloch ins andere und jagten wieder, vom Sturm getragen, nach oben. Trotzdem gelang es Maya allmählich, den Gleiter wieder unter Kontrolle zu bekommen, wenn auch der Sturm ein Stück von der linken Schwinge abgerissen hatte. »Wir müssen aus diesen Turbulenzen herauszukommen versuchen«, schrie Maya über den heulenden Sturm Helena zu. »Das ist unsere einzige Chance.« »Aber dann verlieren wir das Basislager aus den Augen.« »Stimmt schon, aber…« Maya versuchte den Gleiter so gut wie möglich zu manövrieren, denn sie wollte in einen Streifen Sonnenlicht kommen, der ein Stück weiter vorne die Wolken aufriß. Aber da zerrte der Sturm ein Stück der Plastikverkleidung der intakten Schwinge ab, so daß die Verstrebungen zum Vorschein kamen. »Wir haben jetzt zuviel Ballast!« rief Maya. »Wirf alles heraus.« Sie verloren nun sehr schnell an Höhe und stießen, die Nase voran, auf einen dichten Wald herab. Helena öffnete das Cockpitschloß und warf die Plastikhaube ab. Sie flog davon, aber nun waren sie schutzlos dem Sturm ausgeliefert. Dann warf Helena eine der sorgfältig gepackten Kisten und Ballen nach der anderen hinaus, die Lebensmittel, die Decken, das Gerät. Maya klammerte sich an ihren Steuerknüppel und zog ihn so weit wie möglich zurück, um wieder etwas Höhe zu gewinnen, damit eine relativ sichere Landung möglich wurde. Das gelang
ihr auch, und sie stieß einen Seufzer der Erleichterung aus. Jetzt hatten sie wieder eine kleine Chance. Der beschädigte Segler kam den sturmgepeitschten Baumwipfeln gefährlich nahe. Es war wie ein Wunder, daß sie darüber hinwegfegten und vor sich relativ glattes, freies Land hatten, auf dem sie landen konnten.
»John?« Verdeschi sah mit fiebrigen Augen zu Koenig hinauf und erkannte ihn. Sein Gesicht war trotz der hohen Temperatur kalkweiß und tief gefurcht wie das eines alten Mannes. Sein Geist schien klar zu sein, doch sein Körper war dem Tod näher als dem Leben. »Hallo, Tony«, antwortete Koenig und zwang sich ein Lächeln ab. »Wie kommen wir voran?« fragte der Sicherheitschef. »Ist noch ein weiter Weg nach Hause«, antwortete Koenig lächelnd. »Lustig…« Ein Erinnerungsfunke glomm in seinen Augen, und er versuchte sich aufzusetzen. »Nur Ruhe, Tony.« Vincent drückte ihn aufs Bett zurück. »John, ich habe Lustig nicht getötet…« »Darüber sprechen wir später.« Koenig wollte ihn nicht unnötig anstrengen. »Nein, jetzt. Wir wurden getrennt. Ich hörte einen Schrei und rannte zurück. Er war verrückt, wollte mich umbringen…« »Du hast versucht, ihn zu entwaffnen«, erklärte ihm Koenig. »Da ging der Laser los… Und was dann?« »Ich wollte euch rufen… Da hörte ich einen seltsamen Lärm…« Es kostete ihn eine ungeheure Anstrengung, doch er berichtete von der seltsamen farbigen Lichtkugel und der
kurzen, scharfen Erinnerung an den Anderen Geist, den er gesehen hatte, dann trieb er in einen fiebrigen Schlaf. Ehe sich Koenig noch einen Reim darauf machen konnte, hörte er von draußen laute Begrüßungsschreie. Es war Mayas Stimme. Und es mußte Maya sein, denn Sahn, das einzige Mädchen im Basislager, stand neben ihm. Alle drehten sich um und sahen nicht nur die Psychonierin, sondern auch Helena. Lachend standen die beiden ziemlich zerzausten Frauen vor ihnen. »Wie, zum Teufel…« begann Koenig. »Mit einem Gleiter«, erklärte Helena kurz und streckte die Arme nach ihm aus. Er lief auf sie zu und drückte sie fest an sich. Maya ging ängstlich weiter. »Tony?« Vincent war ungeheuer froh über ihr Kommen und führte sie zu Verdeschis Bett. Koenig und Helena folgten ihr. Helena kniete neben dem Patienten nieder und sah natürlich sofort, in welch schlechtem Zustand Tony war. Sie untersuchte ihn so gründlich wie es unter diesen Umständen möglich war. »Schwerer Schock«, stellte sie fest, »doch das Gehirn scheint nicht geschädigt zu sein… Aber es ist fast so, als sei sein Lebenswille gebrochen.« Ratlos sah sie in die grauen Gesichter. Vincent und Koenig erklärten ihr, was sie wußten, und Koenig bat sie, doch alles zu tun, was ihr nur möglich sei. Sie wurden wieder unterbrochen, diesmal von Salkov, der ihnen triumphierend eine Scheibe entgegenhielt. »Ich muß jetzt gehen«, sagte Koenig und schaute Maya an. »Tony wird sich sehr freuen, dich zu sehen. Das wäre wahrscheinlich der Unterschied zwischen… Leben und Tod.«
Die dunklen Gewitterwolken verzogen sich wieder, und der wütende Sturm flaute ab. Zum Glück hatte es nicht geregnet, denn daran hätten sie alle sterben können, weil die Haut das Gift der Atmosphäre mit dem Regen aufgenommen hätte, und es wäre auch eingeatmet worden. Carter wartete in der Kuppel auf sie. Salkov legte die Scheibe ein, und Koenig berichtete Carter von der riskanten Tat der beiden Frauen. Zorans Gesicht erschien wieder auf dem Schirm, und dann sprach er. »Mein Versuch, mich mit dem Wesen zu verständigen, erwies sich als fatal. Gestern stand ich ihm endlich gegenüber. Ich wurde von einem Anzug geschützt, der besonders dazu bestimmt war, mich vor seinen zerstörenden Kräften zu schützen, aber der Anzug hatte einen Fehler, eine Kleinigkeit nur im Bereich der Augen. Ich war verloren und wurde wahnsinnig. Und nun folge ich dem Pfad der anderen. Ich bin jetzt ganz klar… kann die Einzelheiten aufnehmen… weiß aber, daß ich bald sterben werde.« Zum letztenmal verschwand Zoran vom Schirm. Sie hatten einen ungeheuren Respekt vor der Tapferkeit dieses Mannes, und die Informationen, die er ihnen hinterlassen hatte, mußten von größtem Wert sein. Zusammen mit denen von Verdeschi konnten sie nun wahrscheinlich einen Plan ausarbeiten, wie sie dieser gefährlichen Kreatur, die diesen Planeten bewohnte, entgegentreten konnten. Carter hatte die Kuppel und ihren ganzen Inhalt gründlich durchgekämmt, ging zu einem Schrank und nahm einen Anzug heraus. Er hielt ihn so vor sich, daß die anderen ihn genau ansehen konnten. Es war ein merkwürdiges, sehr umfangreiches Ding aus dickem, glänzendem schwarzem Plastikmaterial und so geschnitten, daß es den ganzen Körper und auch den Kopf bedeckte. Der Helmteil war am dicksten, mit einem Mikrofon
und zwei Hörgeräten ausgerüstet. Ungewöhnlich und ein wenig erschreckend war die Tatsache, daß es keinen Sichtschirm hatte. Wo die Augenlöcher hätten sein müssen, war es dick gepolstert, um die gefährliche Strahlung abzuhalten, die dieses Wesen aussenden mußte. Koenig legte einen Schalter um, den er außen am Helm entdeckt hatte. Sofort flammte ein kleines orangefarbenes Licht auf. »Es ist aktiviert«, sagte er. »Und dies auch«, rief Carter und hielt ein winziges, würfelförmiges Sende- und Empfangsgerät in die Höhe. Auch hier blitzte sofort ein orangefarbenes Licht auf. »Wenn wir den Schutz um die Augen herum verbessern, können wir vielleicht Erfolg haben, wo Zoran keinen hatte«, überlegte Salkov laut. Koenig nickte. »Genau das, was ich auch dachte… Es ist die einzige Chance für Tony.« »Und die unsere«, fügte der Eagle-Pilot hinzu. Sie suchten nach weiterem des ihnen unbekannten Polstermaterials, mit dem der ganze Anzug abgefüttert war, besonders der Helm. Sie wußten nicht, was es war und wie es wirkte, aber sie konnten annehmen, daß Zoran und seine Wissenschaftler gründlich gearbeitet hatten und das Material auch wirklich abschirmte. Sie fanden etwas im Schrank, wo der Anzug gewesen war, und legten es doppelt aufeinander. Damit polsterten sie den Helm weiter aus. Carter erklärte sich zu einem Versuch bereit, doch Koenig wehrte ab. »Das liegt in meiner Verantwortung, ebenso wie es die Zorans war. Und ich werde auch mit diesem Wesen sprechen.« Nachdem sie noch das Helmradio getestet hatten, waren sie aufbruchbereit. Schnell liefen sie hinaus und zu der Lichtung, wo sie Lustig gefunden hatten. Als sie sich den Büschen mit
den roten Beeren näherten, begann sofort das merkwürdige Summen. Alle, die dabeiwaren, hörten es zum erstenmal, und sie blieben sofort stehen, um aufmerksam zu lauschen. »Wenn ich Glück habe«, sagte Koenig grimmig, »kann ich mit dem Wesen Kontakt aufnehmen.« »Aber geh kein Risiko ein«, mahnte Carter. »Sei vorsichtig. Nimm den Helm nicht ab, egal was passiert.«
Er trat in eine tiefe, undurchdringliche Schwärze. Wenn er nicht vorsichtig war, würde dies die Schwärze des Wahnsinns und des Todes werden. Carters und Salkovs Hände befestigten den Anzug an ihm. Er hörte ihre beruhigenden Stimmen noch ein paar Augenblicke lang, dann nichts mehr. Er mußte nun blindlings dahintappen, erst in die eine, dann in die andere Richtung, die ihm die anderen angaben. »Jetzt bist du genau vor den Büschen«, berichtete ihm Carter. »Dieses Summen… ist jetzt sehr intensiv… Wir mußten jetzt weiter weggehen, aber wir sehen dich genau. Eine Spur nach links jetzt, nun eine Kleinigkeit nach rechts. Jetzt! Geradeaus weiter, John. Du bist genau auf der Lichtung.« Er streckte die Arme aus, ertastete den umgestürzten Baumstamm und wartete. Hören konnte er nichts. Doch dann… ganz schwach erst… Das Geräusch wurde lauter, die übrigen Alphaner mußten die Flucht ergreifen, und nun hörte er es laut. Ein Licht durchdrang die Dunkelheit. Schien es durch ihn hindurch? Kam dieses Geräusch von draußen, oder geschah das alles nur in seinem Kopf? Nun wurde das Summen unerträglich, er schrie vor Angst und Schmerz und packte seinen Kopf, als wolle er ihn abreißen.
Der Lärm ließ nach, doch dann wurde er sich darüber klar, daß er Worte bildete, die seine Worte nachmachten. »Nein, nein!« schrie der seltsame Lärm. Benommen torkelte Koenig herum und fiel schließlich auf die Knie. Da es leichter war, sich hinzulegen, blieb er, wo er war. »Wer bist du?« schrie er von Schmerz geschüttelt. »Wer bist du?« kam die Stimme zurück. Sie kreischte in seinen Ohren. Diesmal klang sie aber eher wie seine eigene Stimme. »Helena!« rief er als Test. »Helena!« rief auch die Stimme. »Verdammt noch mal… Das ist doch unheimlich…«, beklagte er sich, und im Basislager konnten alle hören, was er sagte. Doch die Kreatur imitierte ihn wieder. »Verdammt noch mal, das ist doch unheimlich.« Er versuchte es mit einer anderen Frage. »Was bist du?« »Was bist du?… Nein… Nein… Helena… Aufhören… Es ist unheimlich…« Die Stimme war nun fast genau wie seine eigene. Dieses Wesen mußte also ganz bewußt auf diese Ähnlichkeit abzielen, mußte ihn zu erreichen versuchen, um sich auf seine Ebene zu begeben. »Das ist unheimlich… aufhören…« Das hatte nun einen verzweifelten Unterton. Ganz plötzlich veränderte sich der Ton und schmerzte nun weniger. »Du! Bist du’s?« »Ja…«, antwortete Koenig. »Ich habe den Schlüssel gefunden…«, sagte die Stimme triumphierend. »Wir sind in Verbindung.« »Wer bist du?« fragte Koenig wieder. »Ich bin ich«, antwortete die Stimme, und der Commander hielt die Antwort für etwas naiv. »Hast du keinen Namen?« fragte er verwirrt. »Name? Was ist Name?«
»Ein Name ist so etwas wie Sonne, Baum oder Gras.« »Das ist kein Name. Das bin ich. Das ist das, was ich bin. Was bist du?« »Ein Mensch. John Koenig.« »Du bist eine Stimme«, stellte die Stimme nachdrücklich fest. »Ich bin ein Lebewesen, genau wie du!« rief Koenig. »Es gibt nichts wie mich, und ich bin ich!« »Nein, du bist eines unter vielen«, antwortete Koenig und konnte kaum glauben, was er hörte; er dachte, das Wesen wolle ihn nur übertölpeln. Doch die Stimme klang echt. Es folgte eine Pause, und die Kreatur schien nachzudenken. »Du bist John Koenig?« fragte sie schließlich. »Ja.« »Du bist also mehr als eine Stimme?« »Ja.« »Zeig mir das, was John Koenig ist.« »Warum?« fragte er. »Damit ich weiß, was mehr ist als eine Stimme«, antwortete die Kreatur sehnsüchtig. »Was ist mit den anderen, die du gesehen hast?« fragte er vorwurfsvoll. »Andere?« Die Stimme klang unsicher. »Ja, die anderen, die du zum Wahnsinn getrieben hast.« Die Kreatur schwieg wieder. Vielleicht überlegte sie sich nun zum erstenmal in ihrer Existenz, daß sie, wenn auch ohne Absicht, die Ursache von Leiden und Tod war. Mit sanfter Stimme bat sie: »Vertrau mir, John Koenig. Zeig mir das, was du bist.« »Das ist verrückt!« schrie Carter angstvoll. »Nein, nein, John, tu’s nicht!« rief Helena. Sie mußte unendliche Angst ausstehen. »Bitte, John, nimm den Helm nicht ab«, drängte Maya.
Aber auch die Stimme der Kreatur drängte. Der ganze Lärm brachte Koenig zu dem Entschluß, das zu tun, was er für richtig hielt – und den Helm abzunehmen. Er entdeckte in dieser Kreatur eine Wärme und ein Gefühl, von dem die anderen keine Ahnung haben konnten. Und er war sich auch darüber klar, daß die Kreatur endlich begriffen hatte, wie sich ihre früheren Versuche, mit anderen Lebensformen Verbindung aufzunehmen, unheilvoll für deren Systeme ausgewirkt hatten. Aber das war nicht die Schuld der Kreatur. Da es keine Verständigungsmöglichkeit gab, konnte sie auch nicht wissen, ob ihre Versuche gut oder schlecht ausgegangen waren. Und da bisher auch noch kein anderes Wesen Worte mit ihr getauscht hatte, mußte sie logischerweise annehmen, daß nur sie selbst lebte, daß es außer ihr kein Lebewesen gab. »Ich vertraue dir«, sagte Koenig. Er wußte genau, wie ängstlich, besorgt und erschüttert alle im Basislager sein mußten, doch er hob die Hände an seinen Helm und nahm ihn langsam ab. Warmes, helles Sonnenlicht grüßte ihn. Er stand auf einer Lichtung, die grün und frisch war, auf der Blumen blühten. Ob das nun die Folge der vorigen Dunkelheit war, oder die der Anwesenheit der Kreatur – die Welt erschien ihm heller und strahlender als vorher, auch wärmer und gleichzeitig sanfter. Langsam wurde er sich darüber klar, daß er von einem zarten weißen Strahlen umgeben war. Ein paar Farbnebel aus einer durchscheinenden, luftigen Substanz umtanzten ihn. Er dachte, das müsse etwas vom Energiekörper der Kreatur sein. »Es gibt wirklich noch mehr als mich«, sagte die Stimme in einem so weichen, zarten Ton, daß seine Ohren nicht mehr schmerzten. Und die Stimme klang ungeheuer beeindruckt, fast verehrungsvoll. »Ja«, sagte Koenig so sanft, als spräche er zu einem Kind. »Du bist ein Wesen von vielen. Darf ich dir das zeigen?«
»Ja, ja, ja!« bat die Kreatur begeistert, denn nun endlich hatte sie eine Verbindung zu Freunden aufgenommen. Koenig rief den anderen zu, sie sollten kommen. Als sie überzeugt sein konnten, daß Koenig tatsächlich mit dem fremden Wesen Kontakt aufgenommen hatte, ohne einen Schaden davonzutragen, kamen sie aus ihren Verstecken heraus und näherten sich langsam der Lichtung. Die Kreatur schien fassungslos zu sein – vor Glück. Koenig spürte eine Welle starken Gefühls, die von ihrem halb sichtbaren Körper ausging. »Aber, John Koenig, wenn ich nicht ich bin, was bin ich dann?« »Das müßten wir erst noch entdecken.« »Und wie kann das geschehen, John Koenig?« Der Commander zuckte lächelnd die Achseln. »Ich kann nur für mich selbst sprechen, obwohl ich einer von vielen bin. Wenn wir andere verstehen, werden wir mit der Zeit auch uns selbst verstehen…« Während er noch sprach, griffen zarte Farbfinger aus dem weißen Schimmer nach dem nächsten Alphaner aus. Nacheinander wurden alle so abgetastet. Danach zog sich das Wesen wieder zurück und schien nachzudenken. Schließlich erschien es sehr aufgeregt. »Ich spüre Tod!« rief es voll Trauer. »Was ist Tod?« »Die Zerstörung der kostbarsten Gabe, die wir gemeinsam haben – des Lebens«, antwortete Helena. Sie hatte keine Angst gezeigt, als die Lichtfinger der Kreatur sie berührten. Ein Schluchzen war zu vernehmen. »Und ich habe diese Gabe zerstört?« »Ja«, antwortete Maya. »Viele sind gestorben, weil du dir des Lebens nicht bewußt warst.« »Es war unser innigster Wunsch, die Schönheit zu teilen, die du hier geschaffen hast«, sagte Helena, und ohne es zu wollen,
fühlte sich das Wesen noch schuldbewußter. Hätten sie geahnt, was die Kreatur nun tun würde, um sich selbst dafür zu bestrafen, was sie getan hatte, wären sie in der Wahl ihrer Worte wohl vorsichtiger gewesen. Das Wesen begann zu weinen. Der ganze Wald war von einem bitteren Schluchzen erfüllt. Wieder spürte Koenig eine Welle starken Gefühls. Er war unendlich traurig, zutiefst unglücklich. »Was ich durch unendliche Zeiten am meisten suchte, habt ihr mir gebracht, und euer Lohn war der Tod. Ich kann die Trauer nicht ausdrücken, die ich fühle…« »Willst du uns helfen?« fragte Koenig, denn er war tief bewegt. »Ja. Alles wird jetzt gut werden. Ich verstehe, was ich Böses getan habe.« Die Welt schien viel heller zu sein, viel wärmer, viel freundlicher. Und alle hatten das Gefühl, tief in ihrem Innern von all den Leiden erlöst zu werden, die sie hatten durchmachen müssen. Dann fegte ein kalter, winterlicher Hauch über die Lichtung. Es war ein gehässig wispernder Wind, der an ihren Herzen riß und Koenig daran erinnerte, welche Trauer er noch vor wenigen Augenblicken empfunden hatte, als die Kreatur ihre Fehler erkannte. Gleichzeitig wurde ihm auch bewußt, daß die Gefahr, in der sie schwebten, noch nicht gebannt war. Die ihn umgebende Aura verblaßte. »Ich, der ich bin, bin nicht mehr…«, rief die riesige Kreatur. »Doch ich will versuchen, euch zu helfen… Die Welt, ich kann sie nicht mehr verändern… Doch ihr sollt hier nicht umkommen… Ich werde euch die Flucht ermöglichen…« »Nein!« rief Koenig, als ihm klarwurde, was die Kreatur tat. »Nein, tu’s nicht! Wir können doch versuchen…«
Aber es war zu spät. Vor ihnen, vor ihren Augen hörte die Kreatur auf zu existieren. Dieses Wesen, das vielleicht das mächtigste, schrecklichste und unbekannteste war, das je gelebt hatte; jene Kreatur, die vielleicht in der Lage gewesen wäre, jedem Lebewesen die Güte zu bringen; sie war ein Opfer ihrer eigenen ungeschickten Liebe geworden. Der kalte Wind erhob sich zu einem Sturm, die Sonne, die zaghaft hinter den Wolkenbergen hervorgetreten war, verblaßte wieder. Die Alphaner mußten wieder zurückkehren zu ihrem Mond, zu ihrer Heimat, die dem Untergang geweiht war. Sie standen niedergeschlagen am Höhleneingang und sahen Fraser entgegen, der sich aus dem geparkten Eagle Drei schwang und zu ihnen vorkämpfte. Er winkte aufgeregt. Er war gekommen, um sie nach Alpha zurückzuholen. Vom Sturm aufgewirbelte Staubschleier verhüllten zeitweise seine Gestalt. Koenig gab den anderen ein Zeichen. Es hatte wirklich keinen Zweck, auf dieser Welt Fuß zu fassen. Denn sie war immer noch dem Menschen feindlich gesinnt. Die Kräfte der Kreatur hatten nicht ausgereicht, sie wieder in ihren paradiesischen Zustand zurückzuverwandeln. Doch etwas hatten ihre Anstrengungen bewirkt. Das Schiff war intakt. Das Metall zeigte keinen Rost, keinen Zerfall, keine vorzeitigen Ermüdungserscheinungen. Die Kreatur hatte ihnen noch eine Chance geben wollen, ohne zu ahnen, daß Alpha kurz vor dem Untergang stand. Mit gesenkten Häuptern setzten Koenig und die anderen sich zum Schiff in Bewegung. Es war ein Weg ohne Wiederkehr. Unaufhaltsam wanderte Alpha auf den Rand der Galaxis zu. Nur ein Wunder konnte die Station und ihre Mannschaft noch retten…