Kind des Universums von HORST HOFFMANN
Die Hauptpersonen des Romans: Cera — Ein Kind des Universums. Skip, Christine u...
6 downloads
406 Views
407KB Size
Report
This content was uploaded by our users and we assume good faith they have the permission to share this book. If you own the copyright to this book and it is wrongfully on our website, we offer a simple DMCA procedure to remove your content from our site. Start by pressing the button below!
Report copyright / DMCA form
Kind des Universums von HORST HOFFMANN
Die Hauptpersonen des Romans: Cera — Ein Kind des Universums. Skip, Christine und Harry Vanderbuilt — Drei Terraner werden in die Vergangenheit gerissen. Christopher Reed — Ein Bewußtsein greift In den „Urkampf“ ein. Terring-Lothor — Kommandant einer caalitischen Wachflotte. Der Alte — Ein Loorde mit einer großen Aufgabe.
Prolog Sie lebten zurückgezogen und gingen den Menschen aus dem Weg. Was sie schon geahnt hatten, bestätigte sich nach der Rückkehr zur Erde: Sie waren anders. Sie gehörten nicht mehr zu den Menschen, die um sie herum ihrem Tagwerk nachgingen und für ihre kleinen und großen Sorgen lebten. Aber der Abschied vom Weltraum sollte endgültig sein. Obwohl in ihnen das stille Verlangen brannte, wieder die Stätten der mysteriösen Ereignisse aufzusuchen, in die es sie hineingerissen hatte, wählten sie die Isolation. Auf der Erde fanden sie nicht die Befriedigung jenes Dranges, der sie erfaßt hatte. Und nach Loord wollten sie nicht, obwohl sie wußten, daß dort ein alter Freund auf sie wartete, der vielleicht den Schlüssel des Geheimnisses kannte. Sie hatten genug von den Abenteuern im Parallelkosmos. Die Entwicklung war ihnen über den Kopf gewachsen, und sie hatten Angst, darin umzukommen. Aber sie betrogen sich selbst. Es gab längst keine Wahl mehr für sie. Es steckte in jedem von ihnen und trieb sie weiter vorwärts, ohne daß sie sich dagegen auflehnen konnten. Die Monate auf der Erde glichen einer trügerischen Ruhe vor dem Sturm. Und diesmal würde es etwas Endgültiges sein, das am Ende stand. Die Entwicklung strebte dem kosmischen Finale entgegen. Sie alle hatten sich verändert: Christine lebte in einem unsterblichen Körper, der, wie die der anderen, nicht ihr eigener war. Ebenso wie Skip fieberte sie der Antwort auf all die Fragen entgegen, die sich vor ihnen aufgetürmt hatten, während die nichtsahnende Menschheit auf der Erde die ersten vorsichtigen Schritteins All tat. Harry Vanderbuilt hatte sich mit einer undurchdringlichen Maske umgeben. Er wollte nicht wahrhaben, daß es auch ihn gepackt hatte. Der vierte der Gruppe lebte eigentlich gar nicht mehr. Christopher Reed existierte nur noch als Impuls in Vanderbuilts Bewußtsein. Die größten Rätsel jedoch gab Cera auf, Christines und Skips Kind. Bisher ahnte niemand auch nur im geringsten, wie weit die unheimlichen Fähigkeiten des Mädchens reichten. Cera war eigentlich nie wirklich gezeugt worden. Christine war schwanger gewesen, als sie aus der Parallelwelt zurückkehrten^ Und Cera war es, die die Weichen für das weitere Schicksal der Gruppe stellte...
1. Der Mann sah nicht gerade aus wie ein Bewohner dieser Gegend. Im Gegenteil, er wirkte wie ein Städter, dem der Marsch durch das Gestrüpp und den kniehohen Schnee zu schaffen machte. Unter der Pelzmütze schaute ein scharf geschnittenes Gesicht hervor, das von
pechschwarzen Haaren umrahmt war. Der Mann blieb stehen, als er die Hütte sah, und atmete schwer. Eine Weile lang sah es so aus, als wüßte er nicht, ob er weitergehen oder umkehren sollte. Der Wald um das Blockhaus herum war gerodet. Wer immer in der Hütte steckte, hatte eine gute Übersicht auf das Land. Außerdem verrieten einige Einrichtungen, daß der Bewohner keinen großen Wert auf Besucher legte. In weitem Bogen hatte er ein Stacheldrahtgitter um sein Anwesen gezogen. Mitten in Alaska! Der Mann mit den schwarzen Haaren stöhnte laut und schüttelte den Kopf. Dann ging er weiter und erreichte ein Gitter. Im nächsten Moment warf er sich hinter einen alleinstehenden Baum. Direkt vor seinen Füßen war eine Ladung Schrot in den Schnee gefahren. Als er vorsichtig den Kopf vorschob, erkannte er die Rauchfahne der Büchse in einem der kleinen Fenster. Sofort krachte es wieder. Der Baum wurde heftig durchgeschüttelt. „Auch das noch“, murmelte der Mann und holte Luft. Dann drehte er sich vorsichtig um, blieb aber in der Deckung. „Harry!“ brüllte er aus Leibeskräften. „Steck die Knarre weg! Ich bin’s, Skip!“ „Das kann jeder sagen!“ kam es aus der Hütte. „Verschwinde, oder ich brenne dir den Baum hinter dem Rücken weg, und dann...“ Aus der Hütte kam hämisches Lachen. Kein Zweifel, durchfuhr es den Mann hinter dem Stamm. Es ist Harry! Aber war er verrückt geworden? Wollte er am Ende mit dem Laser auf ihn losgehen? „Harry, mach keinen Unsinn! Ich muß mit dir reden!“ „Hah!“ rief es wieder. „Das will jeder. Ich kenne euch Brüder! Erst reden, und dann geht’s zur Sache. Ich habe einmal einen ‘reingelassen, das reicht mir!“ Eine neue Garbe krachte in den Baumstamm. „Ich soll dich von Chris grüßen, Harry. Und von Cera!“ Drüben in der Hütte wurde es still. Dann fragte die dunkle Stimme: „Bist du’s wirklich, Skip?“ Der Mann stöhnte. „Wer sonst? Ich bin hier, um dich zu holen!“ Sofort krachte es wieder. Der Mann im Schnee fragte sich, wieviel Treffer der Stamm noch aushalten würde. „Niemals!“ brüllte es aus dem Fenster. „Mich kriegt ihr nicht mehr von hier weg. Weder in die Stadt noch in euer Schiff! Verstanden?“ Der Mann am Baum spähte vorsichtig zur Seite. Etwa dreißig Meter zur Linken war ein Baumstamm auf den Stacheldrahtverhau gestürzt und hatte ihn niedergedrückt. Sicher war Harry noch nicht dazu gekommen, das Gitter zu reparieren. Wenn es ihm gelang, dorthin zu kommen, ohne einen Treffer einzufangen... Er mußte ihn provozieren, damit er den nächsten Schuß abgab. „Zum letzten Mal, Harry: Wenn du nicht aufhörst mit dem kindischen Getue, fahre ich zurück und besuche Miriam. Ihr erzähle ich dann, daß der Angeber, auf den sie immer noch wartet, nichts anderes ist als ein...“ Die Schrotflinte krachte. Der Mann wartete ab, bis die Kugeln im Baum saßen, dann rannte er geduckt auf die Bresche im Zaun zu, sprang in einem gewagten Satz über den umgestürzten Baum und landete im kniehohen Schnee. Sofort war er wieder auf den Beinen und lief hinter das Haus. „Verdammt!“ kam es aus dem Fenster. „Du kommst nicht ‘rein, Skip. Ich habe euch gesagt, daß ich nicht mehr mitmache, basta!“ „Mir kannst du gestohlen bleiben, Harry Vanderbuilt! Ich kann auf dich verzichten, aber es geht um Cera!“ Wieder Schweigen, dann kam die Frage: „Cera? Was ist mir ihr T“ „Sie stirbt, Harry.“ In der Hütte polterte irgend etwas zu Boden. Dann wurde die Vordertür aufgerissen. Eine Gestalt in dickem Rollkragenpulli und. engen Nietenhosen rannte die Holzstufen hinunter und
ums Haus, bis sie den Mann fand. „Wenn du einen Scherz machst, war das dein letzter, Skip!“ „Es ist kein Scherz, Harry. Sie stirbt.“ * Das kleine Privatflugzeug setzte unweit von dem einsam gelegenen Landhaus auf. Skip und Harry stiegen aus und gingen in der glühenden Mittagssonne auf das Haus zu. Nur zwei Autos verrieten, daß jemand hier lebte. Auch Christine und Skip hatten sich von den Menschen zurückgezogen, wenn auch nicht auf so krasse Weise wie Vanderbuilt. Christine erwartete sie im Eingang. Harry schluckte, als er sie sah. Die Frau war immer noch so schön wie bei ihrer ersten Begegnung. Während Skip ein paar Falten mehr im Gesicht bekommen hatte, war die Zeit an ihr spurlos vorübergezogen. Christine war unsterblich. Harry hustete verlegen und versuchte krampfhaft, seine Augen unter Kontrolle zu bringen. Denn in Harrys weiblicher Hülle steckte immer noch ein gestandener Mann. Besser gesagt: zwei. Während des Kampfes mit dem Monstrum aus dem Paralleluniversum hatte das vierte Mitglied des kleinen Teams, Christopher Reed, den Tod gefunden, aber wenig später war er als Impuls in Harrys Bewußtsein aufgetaucht. Seitdem lebte er in ihm, und Harry mußte wohl oder übel mit seinem „Plagegeist“ auskommen. Sie begrüßten sich knapp, aber herzlich, und Harry war froh, als sie endlich im Haus waren. Er schwitzte. „Also... wo ist das Balg?“ Christine zuckte zusammen und stöhnte laut. Skip lachte gezwungen und stieß den Gefährten in einen Flur. „Chris führt dich hin. Ich muß noch etwas in der Küche besorgen.“ „Skip?“ fragte Harry zaghaft. „Wenn du schon auf dem Weg bist...“ „Du wirst nicht verdursten, Harry, ich bin gleich zurück.“ Vanderbuilt sah ihn dankbar an. Dann folgte er Christine. „Sie ißt und trinkt nichts mehr, lacht nicht mehr... Sie hat an nichts mehr Freude, Harry. Wir wissen nicht mehr, was wir tun sollen. Ein Arzt ist bei ihr, ein alter Freund, der den Mund hält.“ Sie betraten das Kinderzimmer. Harry nickte dem alten Mann am Bett kurz zu und versuchte, die verdutzten Blicke des Arztes zu ignorieren. Cera lag still in ihrem Bettchen und zeigte keine Reaktion auf Harrys Erscheinen. Früher hatte sie bereits zu toben angefangen, wenn er auch nur in der Nähe war. „Verdammt...“, flüsterte der Mann mit dem Frauenkörper. „Verstehst du jetzt?“ fragte Christine. Ceras Augen sahen Harry an, aber es war kein Leben mehr in ihnen. Das Gesicht war eingefallen und fahl. Cera wirkte wie eine Fünfjährige, obwohl sie erst ein knappes Jahr alt war. „Seit wann?“ fragte Harry. „Es fing eigentlich schon an, als wir zurückkehrten. Damals dachten wir, es sei ein Ergebnis der Strapazen. Während du dich nach Alaska absetztest, noch bevor sie dich zu Gesicht bekommen konnten, mußten wir das ganze Spektakel hier über uns ergehen lassen. Presse, Regierung, Raumfahrtbehörden... Es war die reinste Hölle, bis sie uns in Ruhe ließen.“ „Wie weit sind sie denn?“ „Sie bereiten eine große Expedition vor, in die Nachbarsysteme. Skip mußte ihnen alles
erklären, bis sie soweit waren, die Technik zu verstehen. Natürlich hat er dafür gesorgt, daß sie keinen Hinweis auf Caalis und Loord finden.“ „Hmm“, machte Vanderbuilt. Dann sah er den Arzt an. „Sagen Sie doch auch mal was, Doc! Was fehlt dem Kind?“ „Er ist immer so“, erklärte Christine schnell, als der alte Mann erschrocken nach Luft schnappte. „Er?“ fragte der Alte mit knarrender Stimme. „Sparen Sie sich ihre Kommentare“, fauchte Vanderbuilt. „Soll ich Ihnen meine Papiere zeigen?“ „Immerhin gibt es heute Mittel und Wege, um sich...“ „Pah!“ Harry winkte ab. „Wenn Sie eine Ahnung hätten, was ich dafür gäbe, meinen alten Körper zurückzubekommen. Oder wenigstens den vorigen. Ich...“ „Den vorigen?“ Der Arzt sah Christine flehend an. „Chris, du hast mir nichts davon gesagt, daß ihr mir einen Verrückten bringt. Dann hätte ich einen Kollegen aus der Stadt anrufen können.“ Im nächsten Moment sah er sich von zwei zierlichen Händen am Kragen gepackt und zur Decke emporgehoben. Die junge Dame, die aussah wie eine dieser aufgeputzten Modepuppen, hatte die Kraft eines Bullen. „Wer ist hier verrückt? Was? Ich gebe Ihnen einen guten Rat, Sie Quacksalber: sehen Sie zu, daß sie das Kind wieder in Ordnung bringen, sonst...“ Harry überlegte kurz, dann grinste er teuflisch. „Sonst heirate ich Sie und nehme Sie mit in mein Blockhaus.“ Von Ceras Bett kam ein Geräusch. „Tante Harry...“ Vanderbuilt fuhr herum und ließ den entsetzten Mann einfach los. Harry achtete nicht auf das Gepolter hinter ihm, als er das Kind sah. „Tante Harry“, kam es wieder über die schlaffen Lippen. Vanderbuilt lief es eiskalt über den Rücken, als er den Blick des Mädchens sah, von dem niemand wußte, wo es eigentlich herkam. „Tante Harry... hilf mir doch...“ * Cera war kein normales Kind. Christine hatte gemerkt, daß sie schwanger war, als sie aus dem Parallelkosmos zurückkehrten. Dabei war das vollkommen unmöglich. Sie und Skips hatten sich lediglich nur gewünscht, ein Kind zu haben. Niemand wußte, welches Geheimnis hinter Cera steckte. Und was fast noch unheimlicher war: Ceras Entwicklung ging unglaublich schnell vonstatten, und das Kind hatte oft schon Kräfte entfaltet, die das menschliche Vorstellungsvermögen übertrafen. Nur einer schien zu wissen, was hinter all dem steckte. Und dieser Betreffende war weit weg, auf Loord. Cera hatte keine Kraft mehr. Sie dämmerte vor sich hin und nahm die Umgebung nur noch schemenhaft wahr. Mam. und Pa kümmerten sich verzweifelt um sie. Cera spürte die Liebe und ihre Sorgen, aber sie genügten nicht, um ihr zu helfen. Irgend etwas in Cera war gestorben, als Mam und Pa und Tante Harry mit ihr zu dieser Welt zurückgekehrt waren, die sie als ihre Heimat ansahen. Aber es war nicht Ceras Zuhause. Cera wußte nicht, wo sie hingehörte. Ein Teil ihrer Heimat war gestorben, als die Welt, die Mam und Pa Caalis nannten, verschwand. Cera wußte nicht, daß sie selbst für dieses Verschwinden verantwortlich war. Sie kannte ihre Kräfte ebensowenig wie die anderen. Irgend etwas fehlte Cera, und sie würde sterben, wenn es nicht zurückkehrte. Es war wie eine Seele, die man aus ihrem kleinen Körper herausgerissen hatte.
Tante Harry war wieder da. Cera bemerkte es, aber sie konnte sich nicht freuen. Tante Harry machte wieder ihre Witze, aber Cera konnte nicht mehr über sie lachen. Aber dann spürte das Kind, wie etwas anderes in Tante Harry wach wurde. Etwas, das Cera vertraut war. Für einen kurzen Moment brach der graue Schleier auf, der über Ceras Gemüt lag. Tante Harry war immer noch doppelt. Früher hatte Cera nie so richtig auf das geachtet, was da noch in ihrem Kopf steckte. Tante Harry war immer die Hauptsache gewesen. Jetzt war das anders. Cera spürte, daß jemand in der Tante steckte, der ebenso verloren war wie sie selbst. Es war fast so, als wollte dieser Jemand mit Cera reden, aber er war zu schwach. Cera spürte einen winzigen Funken von daheim in Tante Harry. Einmal noch versuchte Cera, sich stark zu machen, um dem Freund in Tante Harry zu helfen. Er mußte den anderen sagen können, was sie tun sollten. Cera selbst konnte es nicht, weil sie keine konkreten Vorstellungen davon hatte. Aber dieser Impuls wußte etwas. Tante Harry mußte helfen. * Christopher Reed war getötet worden, als er versucht hatte, die unterirdische Station auf Caalis zu sprengen. Und doch lebte er weiter. Es waren immer nur Sekunden, wenn er in Harry Vanderbuilt, seinem alten Freund aus der Militärzeit, erwachte. Dann erlebte er mit, was um Harry herum geschah, aber nur selten konnte er in die Entwicklung eingreifen, so wie in der Stadt der Gläsernen. Die plötzliche Konfrontation mit Cera hatte Reed aus dem Dämmerschlaf gerissen. Irgend etwas ging von dem Kind aus, und er fand sein Echo in Reeds Bewußtsein. Reed selbst wußte nicht, was mit ihm und dem Kind vorging, aber der Kontakt wurde stärker und schuf eine Rückkopplung zwischen den beiden Polen, die die Intensität schnell hochtrieb und Reed fast zum Wahnsinn peitschte. Eine Kraft, für die es kein Begreifen gab, griff ein. Reed sah ein Ziel vor Augen, aber er fand keine Worte, um es zu formulieren. Seine Impulse übertrugen sich auf seinen Wirt Vanderbuilt. In diesem Moment entschied sich das weitere Schicksal der Gruppe endgültig.
2. „Wir sind verrückt, Skip.“ Christine starrte in die Sterne, die auf dem großen Bildschirm funkelten. Sie hatte sich geschworen, nie mehr an Bord eines Schiffes zu gehen. Ein für allemal hatte sie vergessen wollen, was hinter ihnen lag. Skip stand neben ihr. Sein hageres Gesicht war unbewegt. Dieses Mal hatte der Abschied von der Erde und den Menschen etwas Endgültiges. Irgend etwas trieb sie weiter in den Strudel hinein, in den sie mit der Entführung vor mehr als zwanzig Jahren gerissen worden waren. Die Erde lag weit hinter ihnen. Zum dritten Mal hatten sie den Sprung in die Unendlichkeit gewagt. Ein kurzer Blick auf die Kontrollen der Zielautomatik zeigte an, daß sie sich weiter auf dem Kurs nach Loord bewegten. „Diesmal gibt es kein Zurück, Schatz“, sagte Skip. Christine nickte. Sie hatten es die ganze Zeit über gewußt, auch wenn sie versucht hatten, sich selbst etwas vorzumachen. Sie gehörten nicht mehr zu den Menschen auf der Erde. Irgend
etwas saß in ihnen, das bereits lange ihr Schicksal bestimmt hatte. „Ich habe Angst, Skip.“ Christine sah, wie Skip ungläubig auf die Kurskontrollen starrte. „Was ist los?“ Er schüttelte den Kopf und winkte ab. „Ach, nichts.“ Sie befanden sich auf dem Weg nach Loord, um den Alten zu suchen. Harrys Ausbrüche, die leicht als das Werk Christopher Reeds zu erkennen waren, hatten den Ausschlag gegeben. Außerdem war da plötzlich etwas in ihren Köpfen gewesen. Nur der Alte war in der Lage, Cera zu retten. Er wußte etwas über das Kind, aber bisher hatte er geschwiegen. Zur Erde konnten sie jetzt nicht mehr zurück. Das Schiff, in dem sie sich befanden, war gekapert. Jetzt waren sie auch nach dem Gesetz Ausgestoßene der Menschheit. „Verdammt“, brummte Skip jetzt. „Wir weichen ab!“ Er machte sich an der Kursautomatik zu schaffen, brachte aber keine Korrektur zustande. Immer noch verschoben sich die Zielkoordinaten, als würden sie von einer unsichtbaren Hand in eine andere Richtung getrieben. Skip erkannte als erster, wohin sie die unheimliche Verschiebung führen würde. „Das ist unmöglich! Wir fliegen nach Caalis!“ „Aber der Planet ist weg! Es gibt ihn nicht mehr, Skip.“ Ein Schott fuhr auf, und Vanderbuilt kam in die Zentrale. „Cera“, stammelte er. „Sie... sie lacht!“ * Keiner der Menschen wußte, in welchem Milchstraßensystem sich Loord und das ehemalige Caalis befanden. Nur die Positronik der Schiffe kannte die Position, aber es gab keine Möglichkeit, sie abzurufen. Man konnte das Ziel eingeben, und die Positronik steuerte den Flug. Erst in der Zielgalaxis wurden die relativen Koordinaten ausgewiesen. Die optische Anzeige, die die Menschen jetzt ablesen konnten, besagte, daß der Diskus sich wenige Lichtmonate vor Caalis befand. „Das ist Wahnsinn!“ ereiferte sich Christine. „Absoluter Wahnsinn!“ Skip starrte in das Sternengewimmel. Irgend etwas stimmte nicht. Aber was? „Geh und sieh nach Cera“, sagte er. Christine verschwand, und Harry, in seiner jetzigen Form nicht viel weniger attraktiv, trat an ihre Stelle. „Was ist das?“ fragte er spontan, als Christine draußen war. „Du hast es auch bemerkt?“ Skips Frage war ohne Ironie. „Die Sterne sind anders, Skip.“ Irgendeine Veränderung ging mit dem Weltraum vor. Plötzlich war es, als ob die Kälte des Alls in die Zentrale strömte. Die Männer hatten keine Kontrolle mehr über das Schiff, und sie trieben in etwas hinein, das sie reicht einmal erkennen konnten. Nur das Gefühl des Ungeheuerlichen war da, des Unfaßbaren, gegen das sie sich nicht wehren konnten. „Cera lacht wieder?“ fragte Skip, während er den Blick auf den Weltraum gerichtet hielt. Was, um alles in der Welt, passierte dort draußen? „Sie ist plötzlich aufgesprungen und fing an zu toben“, berichtete Harry. „Dann klatschte sie in die Hände und freute sich wie eine Schneekönigin.“ Wenn Skip etwas zu ahnen begann, sprach er es nicht aus. „Was ist mit Reed?“ „Er ist still geworden, der hinterhältige Kerl. Eine Tages werde ich ihn...“ Skip interessierte nicht, was Harry mit Reed anstellen würde, falls er ihm noch einmal leibhaftig gegenüberstehen würde. Er bemerkte eine Veränderung auf einem der Kontrollmonitoren. „Der Massetaster!“ entfuhr es ihm. „Aber das ist unmöglich! Caalis kommt zurück!“ Die Taster waren auf die Sonne gerichtet, die genau im Zielpunkt der Kurskoordinaten stand. Die Veränderung ließ sich mit bloßem Auge nicht erkennen, aber die Taster konnten nicht lügen. Irgendwo dort vorne tauchte der verschwundene Planet wieder auf.
„Schiffe!“ rief Skip dann. Vanderbuilt sah die winzigen Punkte auf dem Schirm. Mindestens zwanzig zogen schnell über die Projektionsfläche hinweg. Zum ersten Mal begegneten die Menschen einer raumfahrenden Rasse. Und die Schiffe kamen von Caalis/ Skip drückte eine Taste. Eine Anzeige leuchtete auf. Einundzwanzig! Harry wurde aschfahl im Gesicht und starrte Skip an. Der ließ sich in einen Pilotensessel fallen und stöhnte. Sie selbst waren vor knapp acht Monaten mit einundzwanzig Schiffen von Caalis aus zur Erde zurückgeflogen! „Dort!“ rief Vanderbuilt und zeigte auf die Kugel, die sich aus der Schwärze des Alls herausschälte. „Caalis!“ brachte Skip hervor. „Aber sieh die Sterne an! Sie rücken zusammen und verändern sich. Die Schiffe eben... Was ich denke, kann nicht wahr sein!“ Harry verstand. Plötzlich rasten die Sterne durch das All und änderten ihre Konstellationen. Irgendwo in der Zentrale knackten einige Relais, und aus einem Kontrollpult fuhr fauchend eine grelle Stichflamme. Caalis stand nun mitten auf dem Schirm und wurde rasch größer. Aber der Planet veränderte sich! Die Kontinente schienen nach allen Seiten auseinandergerissen zu werden. Meere und Ozeane entstanden, die Polkappen wurden weiß und verschwanden kurz darauf wieder. Ein Schott fuhr auf, und Christine kam in die Zentrale gestürzt. Sie stieß einen heiseren Schrei aus, als sie das Bild auf dem großen Schirm sah. Skip hielt den Atem an. Seine Hände zitterten. Plötzlich schien die Hülle des Schiffes sich aufzulösen und die Menschen dem preiszugeben, was dort draußen vor sich ging. Skip ahnte, was mit ihnen geschah, aber er wollte es nicht wahrhaben. Wir träumen! redete er sich ein. Doch die Gewißheit war stärker. Sie hatten ihre Fahrt über Caalis gestoppt, aber sie reisten weiter. Sie reisten in der Zeit! Panik erfaßte Skip. Er hörte, wie Christine hinter ihm stöhnend zusammensank, aber er achtete nicht darauf. Sein Blick klebte am Bildschirm. Jetzt tauchten erneut Echos auf den Monitoren auf. Und diesmal konnte Skip die Schiffe sehen, wenn auch immer nur für Sekundenbruchteile. Sie tauchten als Reflexe auf und verschwanden, wobei sie einen Streifen auf dem Schirm zurückließen. Über Caalis hing eine Traube von ständig auftauchenden und wieder verschwindenden Schiffsschwärmen. Skip war aufgestanden und starrte reglos auf den Schirm. Plötzlich war der Weltraum in waberndes Feuer getaucht. Schiffe tauchten auf und warfen sich aufeinander, bis sie in chaotischen Explosionen vergingen. Erst nach einiger Zeit wurde Skip undeutlich bewußt, daß er zuerst die Explosionen sah und dann erst die Schiffe. Jetzt schien der Film langsamer abzulaufen. Skip erkannte, daß ihr Flug in die Vergangenheit sich verlangsamte. Er war jedoch außerstande, die Konsequenzen daraus zu ziehen. Schweißgebadet stand er in der Zentrale und verfolgte das, was draußen vorging. Blitze. Helles Leuchten, das sich zusammenzog und verdichtete. Dann Raumschiffe, die wie stählerne Funken auseinanderstoben und am Schirmrand verschwanden. Jetzt hatte die Bewegung auf Caalis aufgehört. Die Formen hatten sich stabilisiert. Ein wahrer Riegel von Raumschiffen umgab die Welt wie eine Kunstschale. Und jetzt sah Skip noch etwas anderes. Seitlich hinter Caalis hing plötzlich ein riesiges Feuerrad im Himmel, das einen Durchmesser von mehreren Lichtjahren haben mußte. Aber Skip hatte keine Zeit, sich Gedanken zu machen. Ein dunkler Schatten brachte ihn in die Wirklichkeit zurück. Es war still in der Zentrale. Skip sah, daß Christine und Harry bewegungslos am Boden lagen. Aber auch für sie hatte er jetzt keine Zeit. Dunkel und drohend hing das riesige fremde Schiff direkt vor ihnen im All und richtete ein halbes Dutzend flammender Projektoren auf den Diskus.
Skip schloß die Augen und wartete auf das Ende.
3. Einige tausend Lichtjahre entfernt und in einer anderen Zeit saß ein alter Mann über einem kleinen Stapel gefalteter Computerdiagramme und grübelte. Das, was er aus den Informationen las, schien ihm nicht sonderlich zuzusagen. Der Mann hätte nach irdischen Maßstäben gute siebzig Jahre alt sein können. Er trug eine praktische, aber trotzdem imposante Kombination, k Der Alte war der letzte Loorde, der letzte Angehörige des Volkes, das erst den Grundstein für die Entwicklung der Menschheit gelegt hatte. Er selbst hatte Jahrmillionen ohne Erinnerung auf der Erde dahinvegetiert, bis die zurückkehrende Saatflotte ihn und die vier Menschen nach Loord brachte. Aber erst auf Caalis hatte der Alte seine Erinnerung wiedergefunden. Jetzt, nach den Abenteuern im Parallelkosmos, war er nach Loord zurückgekehrt, um den Hinweisen nachzugehen, die er während der Gefangenschaft drüben erhalten hatte. Irgendwo im Norden seiner Heimatwelt mußte sich ein Schlüssel zur Vergangenheit befinden. Der Alte wußte noch immer nicht, welche Verbindung zwischen den Loorden und den geheimnisvollen Urvölkern bestand. Diesen Schlüssel zu finden, war seine Auf gäbe. Aber im Moment zerbrach er sich über etwas anderes den Kopf. Er hatte vorausgesehen, daß seine Freunde zurückkehren würden. Schon dieses Kind allein war die Garantie dafür. Der Alte wußte nicht, wie, aber auf eine noch unfaßbare Art und Weise war Cera mit der Vergangenheit verbunden, die im Parallelkosmos bereits wieder wach geworden war. Drüben tobte jetzt der Kampf zwischen dem Monstrum, das aus der verbannten Urmacht hervorgegangen war, und den erwachten Geschöpfen des Parallelkosmos. Der Alte saß in einem riesigen Kontrollraum des Raumhafenkomplexes der größten Stadt auf Loord, die mittlerweile sicher war. Die rebellischen Androiden waren vertrieben und hatten sich in ihre Bastionen im Norden zusammengezogen, von wo aus sie ihre Anschläge ausführten. Hier liefen alle Fäden zusammen. Der Alte kontrollierte nicht nur die Vorgänge auf Loord, sondern auch einen beträchtlichen Teil des Weltraums. Vor wenigen Stunden hatten die Instrumente ihm das Auftauchen eines Schiffes gemeldet, das Loord anflog. Aber dann hatten die Kontrollen verrücktgespielt. Das Schiff hatte seinen Kurs abrupt geändert. Dann war es verschwunden. Die Daten, die jetzt laufend hereinkamen, ergaben keinen rechten Sinn. Der Alte ahnte, daß das unkalkulierbare Element in dem Kind seine Prognosen gesprengt hatte, Cera war noch unberechenbarer, als er gedacht hatte. Er hätte Christine und Skip warnen sollen. Ein schriller Pfeifton riß ihn aus den Gedanken. Alarm! Die Hand des Loorden schoß auf eine Taste zu und drückte sie ins Pult. Ein Monitor flammte auf und zeigte ein Männergesicht. „Sie sind wieder in der Nähe, Paac“, sagte er ohne Übergang. „Du weißt, was zu tun ist.“ Der Mann nickte und schaltete von sich aus die Verbindung ab. Der Alte lächelte trotz der Drohung, die von den Rebellen ausging. Man durfte nicht den Fehler machen, ihre Gefährlichkeit zu unterschätzen. Er konnte sich auf Paac verlassen. Als er mit dem Schiff angekommen war, hatte er ein Chaos vorgefunden und sich nur mit viel Glück in Sicherheit bringen können, bis er eine Gruppe loyaler Androiden aufgespürt und auf seine Seite gezogen hatte. Sie glaubten immer noch,
wirkliche Loorden zu sein, und der Alte hütete sich, ihnen die Wahrheit zu sagen. Für sie war er ein Gott. Und es blieb ihm nichts anderes übrig, als daraus Kapital zu schlagen, obwohl die armen Kerle ihm leid taten. Der Komplex um den Raumhafen und die verfallenen Verwaltungsgebäude herum war durch einen Energieschirm vor den Angriffen der rebellischen Androiden geschützt. Etwa dreißig loyale Kunstgeschöpfe waren bei dem Alten geblieben. Wieder das Geheul! Der Alarm wurde von drei Seiten gleichzeitig gegeben. Das war neu. Jetzt erst wurde der Loorde wirklich unruhig. Der Alte stand auf und überprüfte eine Reihe von Schirmen, die ihm ein Panoramabild der kleinen „Stadt“ verschafften. Nichts. Aber der Alarm blieb. Welche Teufelei hatten sie sich jetzt wieder ausgedacht? Was die Rebellen so gefährlich machte, war die Tatsache, daß ihr eigenes Leben ihnen nichts galt. Der Alte vermutete, daß sie ahnten, was mit ihnen los war, und daß diese Ahnung, sie zu dem grenzenlosen Haß trieb, mit dem sie gegen ihn und die Loyalen kämpften. Immerhin hatten sie vor Jahren die letzten Unsterblichen aus ihren Überlebenskapseln geholt und verjagt. Der Angriff (oder was immer die Burschen vorhatten) paßte dem Alten heute gar nicht. Es war noch nicht lange Tag auf diesem Teil des Planeten, und in wenigen Stunden wollte der Loorde mit Paac aufbrechen, um der Spur nachzugehen, die er mitgebracht hatte. Aber dazu mußte er mitten ins Gebiet der Rebellen im Nordkontinent. In den unübersichtlichen Schluchten dort oben nützte ihm seine technische Überlegenheit wenig. Eine Luke fuhr auf, und Paac erschien. Er verneigte sich und trat mit unbewegtem Gesicht näher. Paac war etwa zehn Zentimeter kleiner als der Alte; auf der Erde hätte man sein Alter auf 4o Jahre geschätzt. Wie alle loyalen Androiden, so trug auch Paac die verschnörkelte gelbe Uniform. Ansonsten wirkte er durchaus menschenähnlich. Zwischen Loorden und Terranern bestand kein auf den ersten Blick sichtbarer Unterschied. „Ortungen?“ Paac schüttelte den Kopf. „Sie haben ihre Taktik geändert, Herr. Anscheinend wollen sie an drei Stellen des Schirmes angreifen. Außerdem besteht die Möglichkeit, daß sie einen Weg ins Innere gefunden haben.“ Der Alte sah auf einen Schirm, der die Kuppelstadt am Rand des Hafens zeigte. Die gelbe Sonne verbreitete ihr helles Licht und warf noch weite Schatten. Der Raumhafen war vollgestopft mit Diskussen und zurückgekehrten Walzen. Dazwischen hatte sich Unkraut ausgebreitet, das im Ernstfall vorzügliche Deckung bot. Paac hatte recht. Es war nicht sicher, daß die Rebellen nicht einen verborgenen Weg ins Innere des Komplexes kannten. Ein Stollen vielleicht, durch den sie den Schirm unterwandern konnten. „Sie stehen an ihren Positionen, Herr.“ „Zur Not müssen sie selbst auf sich aufpassen, Paac. Ich habe nicht die Absicht, unseren Flug ins Gebirge wegen dieser Burschen dort draußen aufzugeben.“ Selbst, wenn ich gewollt hätte! dachte er weiter. Er spürte, daß seine Freunde in großer Gefahr waren, und er glaubte auch zu wissen, was das Verschwinden ihres Schiffes zu bedeuten hatte. Eigentlich hätte er damit rechnen müssen. Aber wenn seine Vermutungen richtig waren, mußte er noch dringender nach Norden. Und kein Rebell konnte ihn daran hindern. Notfalls würde er sein Leben für die vier Menschen opfern, denn er hatte längst erkannt, was hinter ihnen steckte. (Seltsamerweise klammerte er unbewußt Cera aus, wenn er von den „Menschen“ sprach. ) Eine Warnlampe flammte auf und verbreitete ein intensives rotes Flakkern im großen Raum. Der Alte fuhr herum. Ungläubig starrte er auf die Anzeige. „Das ist unmöglich!“ entfuhr es ihm. Aber ein paar Fragen an andere Kontrolleinheiten
bestätigten die Information. „Stell doch endlich die Sirenen ab!“ schrie er Paac an. Sofort tat es ihm leid. Der arme Kerl konnte nichts dafür, daß die Rebellen eingesickert waren. Denn nichts anderes bedeutete die Anzeige. Der Alte wunderte sich selbst über sein plötzliche Nervosität. Das Geheul erstarb. „Es ist die Südkuppel“, meldete Paac. „Sie.. sie glüht!“ Auch der Alte sah es auf seinem Schirm. Eine der großen Kuppeln um den Hafen herum begann von innen heraus rot zu leuchten. Was, um alles in der Welt, ging da vor? „Die Luft erhitzt sich“, stellte Paac fest. Der Alte trat neben den Androiden der an einer. Konsolensäule in der Mitte der Halle stand. In der Tat nahm die Luftaufheizung über der Kuppel bedrohliche Werte an, denn die Hitze fand keinen Abzug nach oben. Sie staute sich unter dem Schirm und breitete sich seitlich aus. „Sie wird explodieren, Herr!“ Wieder der Blick auf den Schirm. Die Stille in der Halle nach dem Abschalten der akustischen Warnanlage verlieh der Situation etwas Gespenstisches. Die Südkuppel begann zu strahlen. An einigen Stellen war sie jetzt orangerot. Was war in der Lage, diese Temperaturen zu erzeugen? Der Alte korrigierte sich. Es gab genügend Energieaggregate innerhalb jedes Kuppelgebäudes, um den ganzen Kontinent in die Luft zu jagen. Die Frage war: Wer konnte die Energien dazu bringen, sich derart zu entfalten. Sie wurden von unzähligen Kontrollen überwacht. „Es muß ein Himmelfahrtskommando sein. Wahrscheinlich lebt schon keiner von ihnen mehr“, kam es von Paac, als habe er die Gedanken seines Herrn erraten. Neben der Kuppel begann eine Walze zu glühen. Das Bild auf dem Schirm verzog sich. Die Hitze mußte ungeheuerlich sein. Plötzlich wußte der Alte, was die Rebellen vorhatten. Und ihm blieb keine andere Wahl, als ihnen den Gefallen zu tun. „Schalte den Schirm ab, Paac!“ befahl er. „Aber...“ Der Androide starrten den Alten an wie einen Verrückten. Ohne Schirm waren sie schutzlos. Und sicher warteten die Rebellen nur auf eine Gelegenheit, um aus der Luft anzugreifen. Eine grelle Stichflamme schoß aus der Kuppel, in der sich ein weißglühender Riß bildete. Das Walzenschiff explodierte. Der Alte stieß Paac barsch aus dem Weg und machte sich selbst an den Apparaturen zu schaffen, mit denen der Energieschirm erzeugt wurde. Schlagartig veränderte sich das einfallende Sonnenlicht. Fauchend löste sich der Hitzestau und fuhr lodernd in die Höhe. Einige der überall am Himmel aufgetauchten silbernen Punkte wurden in rotes Licht getaucht und explodierten. Aber der Rest genügte, um der Bastion des Alten den Garaus zu machen. Der Loorde preßte die Zähne zusammen und versuchte, Paacs vorwurfsvollen Blick zu ignorieren. Er mußte hier heraus, bevor die Hölle losbrach! Ohne ihn waren seine Freunde verloren, wenn es sie tatsächlich über Caalis in die Vergangenheit gerissen hatte. Sie wußten nichts über den Ring der Universen und die Rolle des alten Caalis... Aber auch der Alte wußte noch zu wenig über die Vergangenheit, um ihnen bereits jetzt helfen zu können. Seine Hoffnung lag im Gebirge des Nordkontinents. Dort mußte er hin. Die ersten Strahlbahnen fuhren von oben in die Kuppel und zerschmolzen das ungeschützte Material.
4. Cera lebte wieder! Alles war wie früher, noch viel bunter und schöner sogar. Das würde Cera Tante Harry niemals vergessen! Cera tobte und johlte, als Mam weg war. Mam benahm sich immer so komisch, wenn Cera lustig war. Aber auch auf dieser grauen Welt, auf die sie sie geschleppt hatten, weil Mam und
Pa angeblich dort zu Hause waren, war Mam nur immer mit traurigem Gesicht um sie herumgeschlichen. Wann war sie eigentlich einmal zufrieden? Aber das war jetzt unwichtig. Cera befand sich wieder näher an dem Platz, an den sie gehörte, sie spürte wieder ihre Seele. Träumen wollte sie! Cera sprang ins Bett und legte sich still hin. Sie konnte hören, wie ihr Herz in der Brust klopfte, als sie sich den Korridor vorstellte. Und dann war das Bild schon da. Die Türen. Bisher war immer nur eine offen gewesen, die eine, hinter der dieses scheußliche Ding steckte und - die Glasmenschen. Cera hatte genug von dieser Tür. Sie wollte in die anderen. Und diesmal waren sie offen! Cera glaubte, vor Glück zerspringen zu müssen. Und es waren viel, viel mehr, als sie vorher hatte sehen können. Die Türen wollten kein Ende nehmen, und alle standen für Cera offen. Hinter jeder Tür lag eine neue Welt voll von Licht und Leben. Ohne lange zu überlegen, glitt Cera in die erstbeste Tür hinein. Nur kurz dachte sie an Mam und Pa. Tante Harry würde sie vermissen. Aber sie würde ja wiederkommen. Bisher war Cera ja auch immer zurückgekommen, wenn sie durch die Tür zu den Gläsernen geschlüpft war. Und wie sollte Cera wissen, daß jetzt alles ganz anders war? * Vanderbuilt brummte der Schädel, als er zu sich kam. Er griff sich an die Stirn und zuckte zusammen, als er die langen Locken spürte. Über ein halbes Jahr steckte er jetzt in diesem Jungfrauenkörper, aber er hatte sich immer noch nicht daran gewöhnen können. Das würde er nie! Harry würde nicht eher ruhen, bis er seinen alten Körper zurück hatte. Was hatte dieser Arzt bei Christine gesagt? Es gibt heute Mittel und Wege, um... ? Harry mußte es sich bei Gelegenheit durch den Kopf gehen lassen. Im Notfall blieb ihm wohl wirklich nur noch eine Operation. Aber im Augenblick hatte er dafür keine Zeit. Was machte Skip? Und wer war der Bursche auf dem Bildschirm? Harry Vanderbuilt hatte seltsame Androiden kennengelernt, Leute, die nur aus Glas zu bestehen schienen, und Spinnenwesen. Aber der da vorne setzte allem die Krone auf. Der Bursche füllte den ganzen Bildschirm aus. Harry erinnerte sich daran, Caalis wieder an seiner alten Stelle gesehen zu haben. Allein das war schon unmöglich. Aber die Sterne hatten so komisch ausgesehen. Der Fremde hatte ein fast normales Gesicht, das heißt: Die Haut war grün. Das, was wohl Haare sein sollten, war ein flauschiges Etwas, das seine Stirn umrahmte und als Brauen über den Augen lag. Die Lippen waren schwarz. Aus den Lautsprechern kamen unverständliche Worte. „He!“ rief Vanderbuilt und richtete sich ächzend auf. Skip fuhr herum. „Warum schaltest du die Übersetzer nicht ein? Der Kerl will uns etwas sagen, also los!“ Skip wirkte verstört. Er hatte Angst! Etwa vor dem Fremden auf dem Schirm? „Träumst du?“ fragte Harry. Aber Skip stand nur mit wackligen Knien da und glotzte den Schirm an. Harry trat an die Translationsautomatik und schaltete sie ein. Das Gesicht des Fremden schien Erleichterung auszudrücken. Trotzdem blieb es drohend. „... ist dies die letzte Aufforderung zur Identifizierung. Wenn diese nicht binnen Ablauf der Standardfrist erfolgt, sehen wir uns gezwungen, Ihr Schilf zu vernichten.“ „Was ist los?“ entfuhr es Vanderbuilt. „Wir haben nicht den weiten Weg gemacht, um uns von dem da bedrohen zu lassen.“ Er trat vor den Schirm in den vermuteten Bereich der Aufnahmeoptik. Der Bursche mußte ihn nun seinerseits auf dem Monitor haben. Harry
Vanderbuilt stemmte die Arme in die Hüften. „Sagen Sie mal da drüben, wer sind Sie überhaupt? Weisen Sie sich aus. Ich war lange genug in der Armee, um zu wissen, wer hier was zu tun hat. Außerdem sollten Sie nicht vergessen, daß wir einige nette Kanonen haben, mit denen wir Ihnen schnell die Flötentöne beibringen können. Verstanden?“ Der Fremde wechselte die Gesichtsfarbe und erstrahlte einige Augenblicke lang in dunklem Blau. Dann hatte er sich gefangen. Mit Mühe brachte er ein Lächeln zustande. „Das ist sehr interessant“, kam es wieder aus den mit der Übersetzungsautomatik gekoppelten Empfangslautsprechern. „Wir wußten nicht, daß unter den Rädelsführern der Abtrünnigen auch solch charmante Damen stecken. Aber tun Sie mir den Gefallen, und halten Sie jetzt Ihren Mund. Zum letzten Mal: Identifizieren Sie sich, oder ich gebe Befehl zur Vernichtung Ihres Schiffes. Wir sind im Krieg, und ich kann auch bei Ihren schönen Augen keine Rücksicht. nehmen.“ Vanderbuilt schluckte und lief rot an. Wenigstens haben die Burschen Geschmack! sagte eine lautlose Stimme in ihm. „Halte du deinen Mund, nur du hast uns diese Suppe eingebrockt!“ „Harry“, flüsterte Skip, der der Verzweiflung nahe war. „Harry, laß dir etwas sagen...“ „Was war das eben?“ fragte der Fremde auf dem Schirm. Vanderbuilt winkte ab. „Ich redete nicht mit Ihnen, Sie sind nicht mein Fall. Unter meinem Niveau, verstehen Sie?“ „Harry...“, flehte Skip. Dann, zum Bildschirm gewandt. „Entschuldigen Sie meinen Freund. Er...“ „Er?“ Der Grüngesichtige schien verwirrt. „Das erkläre ich Ihnen später. Wir kommen aus einem anderen Milchstraßensystem und waren auf dem Weg nach Loord, als...“ „Loord?“ fragte der Mann. „Was ist Loord? Es gibt keine Welt mit diesem Namen!“ „Siehst du!“ brüllte Vanderbuilt. „Der Kerl ist zu blöd, um zu begreifen. Laß ihn doch einfach. Krieg! Abtrünnige! Vor acht Monaten gab es hier weit und breit niemand, der einen Krieg vom Zaun brechen wollte.“ Vanderbuilt kniff die Augen zusammen und musterte den Grüngesichtigen scharf. „Aber etwas anderes kann ich Ihnen sagen: Wenn ich mir recht überlege, was während der letzten Stunden passiert ist, muß ich annehmen, daß kein anderer als Sie für unsere... Entführung verantwortlich ist. Also sagen Sie, was Sie von uns wollen, sonst...“ Harry grinste plötzlich, als ihm ein altes Schlagwort einfiel, das Christine einmal geprägt hatte, „sonst bekommen Sie es mit den Wächtern von Caalis zu tun!“ Der Grünhäutige riß den Mund auf. „Was war das eben? Was sagten Sie, junge Frau?“ Vanderbuilt blieb ruhig. Skip stöhnte. Mittlerweile stand auch Christine neben ihnen und musterte den Fremden. „Harry, so hör doch...“ Skip wußte, daß Vanderbuilt keine Ahnung hatte, in welcher Lage sie sich wirklich befanden. Er mußte ja annehmen, in der Gegenwart zu stecken und es mit Raumpiraten zu tun zu haben. Der Fremde wurde beiseite geschoben, und ein anderer Mann tauchte auf dem Schirm auf. Gleichzeitig erweiterte sich der Erfassungsbereich der Optik, und ein kleiner, mit Instrumenten gespickter Raum kam ins Bild. Im Hintergrund liefen einige Dutzend uniformierte Frauen und Männer hektisch durcheinander. Jetzt wurde auch Vanderbuilt unsicher. „Sie da!“ sagte jetzt der Mann auf dem Schirm und sah Vanderbuilt an. „Sie scheinen die Anführerin an Bord zu sein. Teilen Sie Ihren Leuten mit, daß sie keinen Widerstand zu leisten haben. Wir schicken ein Kommando an Bord und bringen Sie auf die Kontrollwelt. Bei Widerstand zögern wir keine Sekunde mehr mit der Vernichtung.“
Der Schirm wurde blaß, dann zeigte er ein Symbol: einen mit Zacken besetzten Kreis, in dessen Mitte sich mehrere Kugeln zu einem Ganzen zusammenballten. Am oberen und unteren Rand des Schirmes standen unbekannte Schriftsymbole. Vanderbuilt war sehr still geworden. Sein Blick war auf einen der kleinen Monitoren einer der vielen Schirmgalerien gefallen, der das Weltall mit Caalis, dem Feuerrad und den Raumschiffen zeigte. „Skip...“, begann er kleinlaut. „Ich glaube, wir sind...“ „Was wir sind und wo wir sind, das kann ich nur ahnen. Aber daß du der größte Esel bist, der jemals das Licht der Welt erblickte, weiß ich genau. Hast du überhaupt eine Ahnung, mit wem du gerade gesprochen hast?“ „Nun, ehrlich gesagt...“ „... hast du keinen Schimmer, wie denn auch? Aber du erinnerst dich an die Legenden von alten Völkern, die wir im Parallelkosmos hörten?“ „Aber sicher, die Legenden vom Urkampf!“ Skip mußte sich beherrschen. Sein hochroter Kopf sagte alles. „Richtig, Harry. Mit diesen alten Völkern haben wir’s zu tun, und wahrscheinlich gleich mit dem wichtigsten. Gratuliere zur Kontaktaufnahme, Harry Vanderbuilt.“ Skip machte auf dem Absatz kehrt und stampfte aus der Zentrale. Christine warf Harry einen wütenden Blick zu und folgte Skip. Harry Vanderbuilt kam sich ungeheuer dumm vor. Er wußte, daß er etwas zerstört hatte, von dem die beiden seit langen geträumt hatten. * All das, was hinter der kleinen Gruppe von Menschen lag, war nur der Auftakt zu dem gewesen, was nun mit ihnen geschah. Bis zu einem bestimmten Punkt hin war ihr Weg vorgezeichnet. Alles, was sie bisher erlebt hatten, war von einer Macht gesteuert worden, die vorerst noch im verborgenen blieb. Nun aber waren sie auf sich gestellt. Die Begegnung mit den Loorden und mit Caalis war ebenso notwendig gewesen wie der Sprung und die Abenteuer im Parallelkosmos, um sie überhaupt erst in die Lage zu versetzen, im Sinne der Kraft, die hinter ihnen stand, in die kosmische Entwicklung einzugreifen. Die Menschen hätten einen Auftrag zu erfüllen, von dem sie bisher nichts geahnt hatten und den sie erst schwer begreifen würden. Das Rüstzeug hatten sie, um ihre Mission erfolgreich auszuführen. Mehr konnte die Macht nicht tun. Keiner von ihnen wußte, was von ihnen erwartet wurde. Sie ahnten lediglich, daß sie am Endpunkt ihrer Abenteuer angelangt waren. Auf unbegreifliche Weise waren sie zum Ausgangspunkt all dessen gelangt, was ihnen in den letzten Jahren in vielfacher Form begegnet war. Irgendeine Entscheidung stand bevor. Von ihnen hing nun ab, was aus ihrem Universum werden würde. Und damit aus ihrer eigenen Zukunft... * Terring-Lothor ließ die Aufzeichnung des Gesprächs (soweit man den ersten Kontakt mit dem plötzlich aufgetauchten Fremdschiff als Gespräch bezeichnen konnte) ein halbes Dutzend Mal in seiner Kabine abfahren. Und immer wieder schüttelte er den Kopf. Terring-Lothor hatte einiges kennengelernt während seiner Laufbahn in der Flotte, trotzdem war er ratlos.
Das Diskusschiff ließ sich m keine Kategorie einordnen. Weder die Abtrünnigen, die ihren Aufstand von langer Hand vorbereitet haben mußten und dabei neue Variationen in ihrer Technologie entwickelt hatten, noch die Flotte des Kontrollplaneten verfügte über solche Schiffe. Von den unzähligen Rassen aus den anderen Teilen des Universums ganz abgesehen. Terring-Lothor war ratlos. Der Computer bestätigte seine Gedanken. In Mikrosekundenschnelle hatte er alle bekannten Schiffstypen mit diesem Diskus verglichen. Das Resultat war negativ. Einen Augenblick dachte der Kommandant der 2. Wachflotte daran, daß eines der Völker der anderen Universen eine Möglichkeit gefunden hatte, eines ihrer Schiffe ohne Neutralisationsblase durch den Ring zu schicken. Aber diesen Gedanken verwarf er sofort. Und dann die drei Wesen an Bord! Sie glichen, abgesehen von Kleinigkeiten, in allem den Caalitern. Also mußte es sich doch um Abgesprengte handeln. Diese Frau! durchfuhr es Terring-Lothor immer wieder. Ihr Verhalten hatte ihn so irritiert, daß er zu zweifeln begonnen hatte. In Kürze würde das fremde Schiff auf einem Hafen der Kontrollwelt Caalis stehen und untersucht werden können. Die Fremden würde man verhören und in Arrest stecken. Es war Krieg. Ein Schachzug der Abgesprengten! Vielleicht hatten sie den Wachflotten einen Köder hingeworfen. Vielleicht warteten sie nur darauf, daß man das Schiff zur Kontrollwelt brachte. Terring-Lothor fühlte den Drang, seinen Leuten den Befehl zu Vernichtung des1 Fremdschiffs zu geben. Er konnte sich keinen Fehler leisten. Niemand konnte das in dieser Lage. Er selbst würde die Fremden auf Schritt und Tritt beobachten, bis er Sicherheit hatte. Außerdem würde er die Wachflotten in erhöhte Alarmbereitschaft setzen lassen. Wenn das Schiff ein Köder der Abtrünnigen war, mußte mit einem baldigen Angriff gerechnet werden. Terring-Lothor kam nicht mehr dazu, persönlich mit dem Kommandanten der Sicherheitstruppen auf der Kontrollwelt zu reden und ihm seine Gedanken mitzuteilen. Mitten in seine Überlegungen hinein schrillte der Alarm. Sein Bildschirm, der in den Arbeitstisch der Kabine eingelassen war, zeigte fünf Schiffe der Abtrünnigen. Ihre Flugbahn ließ keinen Zweifel an ihren Absichten. Sie griffen an! Terring-Lothor flog mit nur drei Schiffen immer noch im Landeorbit um Caalis. Der fremde Diskus befand sich im Schlepptau. Seine Leute mußten bereits an Bord sein. Die Schale der 2. Wachflotte war weit über ihnen. Wie konnten die Abtrünnigen sie durchbrochen haben? Jedenfalls konnte Terring-Lothor keine Hilfe erwarten. Um die Abwehrforts auf Caalis wirksam einzusetzen, waren sie noch zu hoch. Terring-Lothor machte einen Satz auf die Abstrahlscheibe und erschien ohne Zeitverlust in der Zentrale seines Schiffes. Auch die Caaliterschiffe waren diskusförmig, aber viel klobiger gebaut als der flache Fremdraumer. Terring-Lothors Schiff durchmaß gute 200 Meter, auch die beiden flankierenden Raumer waren nicht viel kleiner. „Feuern!“ befahl der Caaliter, als die Feindschiffe in Reichweite der, Geschütze waren. Blaue Strahlbahnen fuhren aus den Kanonen und tauchten den Weltraum über Caalis in ein flackerndes Feuerspiel, wenn sie in die Schirme der Angreifer fuhren. Aber die Schirme hielten stand! Die fünf Raumer der Abtrünnigen waren im Vergleich zu Terring-Lothors Einheiten winzig. Jetzt blitzte es auf den Panoramaschirmen auf, und fassungslos mußte Terring-Lothor mit ansehen, wie eines der beiden Begleitschiffe in einem grellweißen Blitz explodierte. Sekundenlang stand eine Miniatursonne im schwarzen Raum. „Treffer!“ meldete einer der Männer. „Sie durchschlagen unsere Schirme, als ob sie aus Papier wären. Wir können uns nicht halten!“ „Punktfeuer auf ihr Leitschiff!“ befahl Terring-Lothor. Sie wollen die Fremden! fuhr es durch seinen Kopf. „Keine Wirkung! Ihre Schirme halten alles aus!“ Terring-Lothor zögerte nicht mehr. Wenn das Fremdschiff nicht zu den Abgespalteten gehörte, mußte es unerhört wichtig sein, wenn sie dieses Wahnsinnsmanöver dafür riskierten.
Es durfte ihnen nicht in die Hände fallen. „Feuer auf die Fremden“, ordnete er an. „Zerstört das Schiff!“ Noch während er seinen Befehl formulierte, explodierte das zweite Begleitschiff. Dann raste einer der Angreifer wenige hundert Meter an ihnen vorbei und schoß im Flug. Eine gleißende Lichtbahn wurde für einen Sekundenbruchteil sichtbar, dann schlug der Treffer in TerringLothors Raumer ein. Die Zentrale wurde durchgeschüttelt. Eine Feuergarbe fuhr durch eine große Kontrollbank und tötete die Hälfte der Anwesenden. Terring-Lothor wurde von dem Druck gegen eine Wand geschleudert. Bunte Schemen tanzten vor seinen Augen. Dann blitzte es wieder. Zitternd sah Terring-Lothor, wie seine Leute nacheinander umkippten. Ein Riß bildete sich in der Wand und spuckte rote Feuerbahnen in die Zentrale. Da spürte Terring-Lothor das Ziehen im Kopf. Die Gemeinschaft des Lebens rief nach ihm! Der Caaliter wurde jäh nach vorne gepeitscht und schnappte nach Luft. Er starb als letzter seiner Leute. hatten. Das aber bedeutete, daß sie sich Milliarden Jahre vor ihrer Zeit befanden! Waren diese Grüngesichtigen die wahre Urbevölkerung von Caalis? Und welche Rolle spielten sie im Urkampf? Plötzlich flimmerte es in der Zentrale, wo die Rotuniformierten die Menschen zusammengetrieben hatten, und andere Männer tauchten auf. Ohne Warnung schössen sie auf die Caaliter, die kaum Gelegenheit zur Gegenwehr hatten. Bevor sich’s die Terraner versahen, wurden sie von kräftigen Armen gepackt und herumgerissen. Dann war plötzlich alles schwarz. Keiner der Menschen hatte Zeit, sich die Angreifer genau anzusehen, aber jeder von ihnen spürte die Ausstrahlung ihrer Entführer. Es war eine Aura des Grauens, und sie kannten sie. Es waren die gleichen Vibrationen, die sie im Parallelkosmos zu spüren bekommen hatten, als sie in die Falle des Monstrums gegangen waren... * Für die Menschen an Bord ihres auf Loord erbauten Schiffes bot sich das alles von einer anderen Warte dar. Plötzlich waren die rotuniformierten Humanoiden überall im Schiff gewesen und hatten sie zusammengetrieben. Bei dieser Gelegenheit hatte Christine feststellen müssen, daß Cera nicht mehr da war. Die Schirme hatten gezeigt, daß sie Caalis entgegentrieben. Einer der Raumsoldaten hatte Caalis als „Kontrollwelt“ bezeichnet, was die letzte Gewißheit brachte. Sie waren in die Vergangenheit gestürzt. In jene Zeit, von der die Legenden im Parallelkosmos berichtet * Es waren unsichtbare Strömungen, die jeden Teil des Universums ausfüllten. Allgegenwärtige Lebensenergie, die ein Bewußtsein entwickelt hatte. Als die Schöpfung die Energie bis zu einem bestimmten Punkt getragen hatte, begann sie an einigen Stellen, sich zusammenzuziehen und zu sammeln. Aus den Einzelballungen entstand eine Kraft, die sich noch weiter zusammenzog. Gleichzeitig formten sich die Sonnen und ihre Planeten zu stabilen Systemen. Primitive Formen entstanden, und dann kam der Tag, an dem sich die geballte Lebensenergie über die toten Evolutionsprodukte legte, die aus den chemischen Prozessen auf den Planeten hervorgingen. Die Urschöpfung füllte sich mit Leben, mit primitivem Leben zuerst, dann kam die Intelligenz. Rassen traten ihren Aufstieg an, bis sie stark genug waren, einen Rückkopplungsprozeß zu
bewirken. Sie nahmen nicht nur, sie gaben auch ihrerseits neue Impulse. Aus materiellem Leben und reiner Mentalenergie formte sich die GEMEINSCHAFT DES LEBENS. Es gab unzählige Universen, die nebeneinander existierten. In jedem lief der Prozeß des Lebens ab. Und sie befruchteten sich gegenseitig. Durch eine Nabe waren sie miteinander verbunden und tauschten ihre Lebensenergie aus. Das war der RING DER UNIVERSEN. Doch als die Urschöpfung einen Höhepunkt erreicht hatte, der den Völkern und Rassen die Fähigkeit verliehen hatte, die Fesseln ihrer jeweiligen Ursprungswelt zu sprengen und sich frei im Raum zu bewegen, begann ein Teil der GEMEINSCHAFT DES LEBENS, aus dem allumfassenden Verbund auszubrechen. Eine neue, fremdartige Komponente erwachte und spaltete sich von der Urschöpfung ab. Die neue Macht entwickelte sich zum erbitterten Feind des Lebens und hemmte die weitere Entwicklung. Es kam zur Teilung. Der Kampf der Ballungen begann. Aber auch die materiellen Geschöpfe des Universums wurden nicht verschont Sie gerieten in den Strudel der Auseinandersetzung, und Krieg überzog das All. Dort, wo die Nabe zwischen den Universen mündete, bahnte sich die entscheidende Schlacht an. Wo früher das Leben geblüht hatte und kein Schatten das lebensspendende Licht der Sonnen verdunkelte, peitschten die beiden rivalisierenden Kräfte die Völker gegeneinander auf. Die negative Urkraft entriß der GEMEINSCHAFT DES LEBENS immer mehr Geschöpfe und trieb sie gegen ihre Artgenossen. Sie waren leere Wracks ohne eigentliches Leben. Wer in den Fängen der abgespalteten Macht war, hatte aufgehört, zu leben. Wo früher Licht und Freude gesessen hatten, steckte jetzt der Haß. Als das Schiff aus dem Nichts erschien, erkannte die negative Macht sofort die Bedeutung des Phänomens für ihre Pläne. Sie schickte ihre Marionetten aus, um das Schiff in ihre Gewalt zu bringen.
5. „Wir müssen springen!“ Der Alte wußte, daß er ein gewaltiges Risiko einging. Wie alle der alten Loorden beherrschte er bis zu einem gewissen Grade die Teleportation, aber normalerweise machte er wenig Gebrauch davon. Nach jedem Sprung war er erschöpft und benötigte einige Zeit, um sich zu erholen. In aller Schnelle legte er sich einen Plan zurecht, während draußen die Strahlbahnen glühende furchen in das Hafengelände fraßen und Schiffe zur Explosion brachten. Die Androiden konnten nicht teleportieren, er würde also Paac mitnehmen müssen. Das würde noch mehr Kraft kosten. Paac würde ihn zu den Gleitern schleppen müssen, wenn er nach der Teleportation zusammenbrach. Was dann kam, hing in erster Linie von jenem Faktor ab, den man „Glück“ nannte. Sie hatten keine Zeit zu verlieren. Der alte Loorde winkte den Androiden zu sich heran. „Wir müssen in die Berge im Norden“, erklärte er knapp. „Ich teleportiere mit dir zu den Hangars. Egal, was dann passiert - du suchst uns einen Gleiter aus und bringst uns von hier weg, verstanden? Und denke dran: nach Norden!“ Das eigentliche Ziel war schon klarer: Im Parallelkosmos hatte er einen vagen Hinweis darauf erhalten, daß Loord während der letzten Phase des Urkampfs von caalitischen Einheiten
angeflogen und zu einem Stützpunkt ausgebaut worden war. Dieser Stützpunkt hatte in der Nähe des Nordpols gelegen. Der Alte hatte unter Berücksichtigung der Kontinentalverschiebung während der Jahrmilliarden diese ehemalige Station lokalisieren können. Heute lag sie mitten im Hochgebirge des Nordkontinents und war umgeben von feindlichen Stellungen. Sie teleportierten. * Als der Loorde zu sich kam, sah er, daß sie direkt in eine Mauer von vier Raumbooten hineinrasten. Paac steuerte das Fluggerät. „Bist du verrückt?“ stöhnte der Alte. Im nächsten Moment hielt er sich fest, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren, obwohl das unnötig gewesen wäre. Paac hatte an alles gedacht. Der Alte war festgeschnallt. Der erste der Flugkörper raste an ihnen vorbei und schoß eine gleißende Strahlbahn direkt vor ihren Bug. Wo sie in den Boden fuhr, riß sie eine tiefe Narbe in die Planetenkruste. Auch die anderen feuerten. Der Loorde sah Paac mit aufgerissenen Augen an. Was hatte er vor? Wollte er Selbstmord begehen? Jetzt lösten sich die ersten Energiebahnen aus den Mündungen des Gleiters und fraßen sich in den nächsten Angreifer. Das Boot explodierte und riß ein weiteres ins Verderben. „Hinter uns, Paac!“ schrie der Alte, der sich umgedreht hatte. Das Raumboot, das an ihnen vorbeigerast war, drehte bei und kam zurück. Seltsamerweise sah der Loorde nichts mehr von dem Raumhafen. Waren sie bereits durch die Mauer der Aggressoren gebrochen? Wie lange war er ohnmächtig gewesen? Jetzt griffen die beiden Boote von hinten und vorne gleichzeitig an. Der Gleiter aber besaß nur am Bug eine ausreichende Bewaffnung. Es war aus. Niemand konnte es mit beiden Angreifern aufnehmen. Plötzlich fuhr Paacs Hand zum Höhenregler, zog ihn voll zurück und ließ das Boot absinken. Der Alte sah den Boden rasend schnell auf sich zukommen. Paac ist verrückt geworden! durchfuhr es ihn. Doch dann erkannte er die Absicht des Androiden. Die beiden Verfolger stießen fast in der Luft zusammen und hefteten sich an die Fersen des Gleiters, der jetzt, kaum zweihundert Meter über dem Boden, voll beschleunigte. Sie waren hinter ihnen her und auf Dauer dem kleinen Gleiter überlegen. Der Loorde saß ruhig in seinem Sitz, obwohl erinnerlich bebte. Mittlerweile traute er Paac alles zu. Was hatte der Androide vor? Paacs Hand griff an ein Pult und betätigte ein paar Tasten. Eine Klappe im Rumpf des Gleiters fuhr auf, und eine kleine Atombombe löste sich aus ihrer Verankerung. Sie glitt aus dem Gleiter, als dieser nur noch knapp vor seinen Verfolgern war. Im nächsten Augenblick blitzte es hinter der Maschine auf. Die Augen des Alten, der zurückgeblickt hatte, wurden geblendet, aber er hörte die Explosionen. Die verfolgenden Boote waren mitten in die Detonation der Bombe hineingerast. Paacs Gesicht zeigte keinerlei Regung. Er zog den Gleiter höher und raste gen Norden. „Wir haben sie abgeschüttelt, Herr“, meldete er dann. „Ich brauche die Daten.“ „Schon gut“, meinte der Loorde. „Ich übernehme.“ Der Alte hatte die Positionsdaten im Kopf. Die Schwierigkeit war, einen Platz zu finden, wo er den Gleiter unbemerkt landen konnte, um den Weg fortzusetzen. Im Norden mußte es von den rebellischen Androiden wimmeln. Er konnte nur hoffen, daß sie nicht zufällig das gefunden hatten, was er suchte. Sie erreichten das Meer. Der Alte ließ sich von Paac informieren. Tatsächlich hatte der Androide es fertiggebracht, den
gegnerischen Sperrgürtel über dem Raumhafenkomplex zu durchbrechen. Loord bestand zu etwa 60 Prozent aus Wasserflächen. Das Land verteilte sich etwa gleichgewichtig auf drei große Kontinente. Die Städte waren verfallen, und die Androiden hatten das Erbe ihrer Erschaff er verkommen lassen. „In etwa zwei Stunden müßten wir Land sehen“, sagte Paac. „An dieser Stelle ist der Meergürtel relativ schmal.“ „Du hast an alles gedacht, was?“ meinte der Alte lachend. Seine Sympathie für Paac wuchs. Wieder einmal fragte er sich, wo die Grenze zwischen echtem und künstlichem Leben lag. Die Androiden waren so perfekt, daß sie die Jahrmillionen seit dem Aussterben der Loorden durch Anpassung überlebt hatten. Sie konnten sich fortpflanzen wie einst ihre Erzeuger. Sie fühlten und liebten. Wo lag die Grenze? Die Androiden hielten sich für echte Loorden, ihre Konstrukteure waren eben ihre Götter. Durch diese Heraufstufung umgingen sie die Frage ihrer Existenz. Wie immer, endete auch jetzt der Gedankengang des Loorden an diesem Punkt. Auch sie, die wirklichen Loorden, hatten ihre Götter gehabt, wenn diese auch nicht faßbar waren. Sie hatten in die Entwicklung der Menschen auf der Erde eingegriffen, als noch die Saurier den Planeten beherrschten und die Vorfahren der Menschen kleine Säuger waren. Wo lag die Grenze? Der Alte verscheuchte die Gedanken. Sein Blick fiel auf die Energieanzeige. Er stieß einen schrillen Pfiff aus. „Das wird knapp.“ Paac sah betroffen drein. „Ich hatte keine Zeit, darauf zu achten“, versuchte Paac, sich zu rechtfertigen. Der Loorde winkte ab. Paac sollte sich keine Vorwürfe machen. Was er geleistet hatte, war mehr, als der Alte erwartet hatte. Es kam darauf an, das Festland zu erreichen. Sonst hatten sie keine Chance. Paac blieb ruhig. Plötzlich sah er seinen Herrn offen an. „Darf einem Loorden so ein Fehler passieren?“ fragte er unvermittelt. Der Alte hätte fast die Kontrolle über den Gleiter verloren. Er glaubte, nicht recht gehört zu haben. „Mache dir keine Gedanken, Paac. Ohne dich wäre ich tot. Überlege dir lieber schon, wie wir zu einem neuen Gleiter kommen.“ Wenn wir das Festland erreichen! fügte er in Gedanken hinzu. Er war Paacs Frage ausgewichen. Ahnte Paac die Wahrheit? Das Meer war unruhig. Der Alte ließ den Gleiter höher steigen. Jetzt kam Sturm auf. Dunkle Wolken ballten sich in Flugrichtung zusammen. „Es wird brenzlig, Paac!“ Eine Sturmbö riß den Gleiter mit dem Bug nach oben. Dicke Regentropfen prasselten auf die Sichtscheiben. Der Gleiter wurde herumgerissen, und der Alte hatte größte Mühe, ihn auf Kurs zu halten. All das kostete wertvolle Energie! Die braungraue Brühe riß für einen Moment auf. Der Loorde blickte hinab auf das aufgepeitschte Meer, und er sah etwas, das ihm einen Schauer über den Rücken jagte. Riesige, geschuppte Leiber wanden sich in den hochschießenden Wellen und stiegen meterhoch in die Luft. Jetzt ging es nicht mehr um einen Zeitgewinn, sondern um das nackte Leben. Wieder fing der Orkan sie ein und schüttelte das Fluggerät heftig durch. Der Zeiger der Energieanzeige näherte sich dem Nullpunkt. „Wenn dieser verdammte Sturm nicht bald aufhört, brauchen wir uns über die Zukunft keine
Gedanken mehr zu machen“, preßte der Loorde zwischen den Lippen hervor. Paac sah ihn von der Seite her an. Was mochte jetzt in seinem Kopf vorgehen? Der Alte war ein Gott. Wie war es möglich, daß er so redete? Der Regen peitschte gegen die Scheiben und nahm ihnen teilweise die Sicht. Doch dann waren sie durch. „Wie weit noch, Paac?“ fragte der Alte. Der Androide machte ein skeptisches Gesicht. Dann nannte er einen Entfernungswert, der etwa 15 Kilometern entsprach. Der Zeiger für die Energie geriet ins rote Feld. Seine minimalen Ausschläge erreichten bereits die Nullmarke. „Wir müssen es schaffen!“ Sie flogen weiter und legten Kilometer um Kilometer zurück. Erste Steilklippen verrieten, daß die Küste nah war. Dann kam sie in Sicht. Im gleichen Moment bockte der Gleiter, als die Energie ausblieb. Er fing sich wieder, aber jetzt machte er einen Sprung nach dem anderen. Und dann schwiegen die Triebwerke. Der Gleiter war mit Höchstgeschwindigkeit auf die Küste zugerast. Alles hing davon ab, ob die Restfahrt genügte, um sie auch zu erreichen. Vor allem durften sie nicht entscheidend an Höhe verlieren. Dem Alten lief es kalt über den Rücken, als er daran dachte, was dort unten im Meer auf sie warten mochte. Die Küste wurde schnell größer. Sie bestand aus kantigen Klippen und Felsbänken, in die sich das Meer gefressen hatte. Die Brandung krachte schäumend gegen den Fels. Wie sollten sie hier lebend an Land kommen? „Wir verlieren Höhe, Herr“, sagte Paac. Der Alte riß am Höhenruder, aber es war bereits bis zum Anschlag durchgezogen. Sie rasten im Tief f lug auf die Klippen zu. „Wir müssen abspringen, Paac!“ Der Alte machte sich an seiner Schleudervorrichtung zu schaffen. Gleichzeitig ließ er die Haube der Pilotenkanzel seitwärts in den Rumpf fahren. Wie ein Schlag fuhr die Luft in die Gesichter der Männer. Es war eiskalt. Noch wenige hundert Meter bis zu einer schroffen Felswand, die aus scharfen Klippen bestand. „Spring, Paac!“ Auf einen Knopfdruck hin wurde der Alte jäh in die Luft geschleudert und fand sich hoch über den Klippen wieder. Unter ihm blitzte es auf, als die Maschine in die Felsen raste und zerschellte. Der Loorde erreichte den höchsten Punkt der Kurve, die er in der Luft beschrieb, und schaltete den Antigravschirm ein. Es war eine winzige, aber wirkungsvolle Vorrichtung an seiner Kombination, die die Schwerkraft neutralisierte. Er hätte stundenlang in der Luft hängenbleiben und sich langsam an Land treiben lassen können, wenn die Windverhältnisse günstig gewesen wären. Aber genau das Gegenteil war der Fall. Zu allem Überfluß hatten sie beim überstürzten Aufbruch auf ein Flugaggregat verzichten müssen. Entsetzt merkte der Alte, daß es ihn wieder hinaus aufs Meer trieb. Je länger er in der Luft blieb, desto weiter geriet er vom Festland ab. Er mußte den Projektor drosseln, um nach unten zu gelangen. Es half nichts, er mußte hinunter. Hier hatte er eine Chance, über die Klippen an Land zu kommen. Vielleicht konnte er mit gezielten Schwerkraftstößen seinen Sturz so regulieren, daß er eine Felsbrücke erreichte. Jetzt schwebte er knapp 50 Meter über der schäumenden Brandung. Der Blick nach unten nahm ihm für einen Augenblick den Mut. Wo war Paac?
Der Alte durfte nicht daran denken, daß der Androide im Gleiter zerschellt sein könnte. In diesem Augenblick setzte der Antigravitationsprojektor aus. Hilflos stürzte der Loorde in das zischende Chaos der anrennenden Brandung. Teleportieren! schoß es ihm durch den Kopf. Aber er wußte, daß dies sinnlos war. Von dem Sprung geschwächt, hätte er keine Kraft, gegen die Fluten zu kämpfen, denn es war nicht sicher, daß er das Festland erreichen würde. Etwa zehn Meter neben einer nadelscharfen Klippe stürzte der Loorde in das eiskalte Wasser. Sekundenlang sah er nur Tausende kleiner Luftblasen um sich herum, dann spürte er, wie er gegen etwas stieß. Ein Felsvorsprung am Grund hatte sich in seinen Rücken gebohrt. Dann trieb es ihn nach oben. Es wurde heller. Der Alte schnappte nach Luft, als er auftauchte. Er mußte wild mit den Armen rudern, um nicht sofort wieder unterzugehen. Verschwommen tauchte die Klippe auf. Wenn er sie erreichte, war er fürs erste sicher. Die Strömung riß ihn herum. Er schaukelte auf den Wellen. Die Klippe! Er mußte es schaffen. Als er noch knapp drei Meter von dem Fels entfernt war, griff etwas nach seinen Beinen. Im gleichen Augenblick tauchten direkt vor ihm drei riesige Fangarme aus dem Wasser auf. Noch zwei Meter bis zum festen Halt! Wie ein Besessener wehrte der Loorde sich gegen das, was ihn langsam, aber unnachgiebig nach unten zog Sein Kopf tauchte unter Wasser. Mit einer letzten Anstrengung gelang es ihm, noch einmal Luft zu schnappen. Ich muß an Land! hämmerte es in seinem Kopf, und dabei dachte er nicht an sich. Alles war verloren, wenn er sein Ziel nicht erreichte. Dann riß es ihn mit einem Ruck in die Tiefe.
6. Skip hatte das Gefühl, aus einem endlosen Alptraum zu erwachen, in dem es von grünen Männern und verschwundenen Planeten wimmelte. Der erste Blick in den fremden Raum aber zeigte ihm, daß der Spuk real war. Von irgendwoher kam spärliches Licht und ließ ihn die Konturen der Zelle erkennen. Der Boden, auf dem Skip lag, war kalt, glatt und etwa vier mal vier Meter groß. Die fensterlosen Wände der Zelle ragten gute zwei Meter in die Höhe. Skip drehte den Kopf. Neben ihm lag Harry Vanderbuilt, anscheinend noch bewußtlos. Wo war Christine? Skip erinnerte sich an das Auftauchen des großen Raumschiffs. Ein klobiger, unförmiger Diskus, wie er ihn auf Loord nie gesehen hatte. Dann die Männer mit den grünen Gesichtern, die Uniformierten im Schiff und der Angriff der zweiten Gruppe! Skip spürte sofort einen tief sitzenden Ekel, als er an die schwarzgekleideten Eindringlinge dachte. Sie hatten den Roten keine Chance gelassen. Wo steckten sie jetzt? Skip ließ seine Hände über den Boden der Zelle gleiten. Keine Vibration. Es schien also, daß sie sich auf einem Planeten befanden. Aber wo? Die Ereignisse vor der Entführung ließen es als unwahrscheinlich erscheinen, daß sie auf Caalis gelandet waren. Was hatte der Mann auf dem Bildschirm gesagt? Es war Krieg? Dann aber mußten ihre Entführer jene „Abgespalteten“ sein, von denen er gesprochen hatte. Skip stöhnte und griff sich an den Kopf. Zuviel stürmte auf ihn ein. Jetzt, wo er zur Untätigkeit verurteilt war, kamen die quälenden Gedanken. Harry rührte sich noch immer nicht. Irgend etwas hatte sie in die Vergangenheit gerissen. Es paßte alles zusammen, aber noch
weigerte Skip sich, die Schlüsse daraus zu ziehen. Die Legenden aus dem Parallelkosmos fielen ihm ein. Der Urkampf! Die alten Völker! Die Bedeutung, die Caalis einstmals gehabt haben sollte. Sie hatten über Caalis gestanden und die Raumflotten gesehen. Es war Krieg. Wenn man die Kontinentalverschiebung als Maßstab nahm, mußten sie sich Milliarden Jahre in der Vergangenheit befinden. Waren sie Zeugen jenes Urkampfes geworden? Erlebten sie jetzt und hier mit, wie sich die beiden Urmächte abspalteten? Die Legenden hatten vage Andeutungen über eine Brücke in andere Universen enthalten. Skip dachte an das gigantische Feuerrad über Caalis. Er schluckte. Irgend etwas oder irgend jemand trieb sie seit ihrer ersten Landung auf Caalis in eine Entwicklung hinein, die ihr Fassungsvermögen überstieg. Andererseits fühlten sie sich selbst als ein Teil dieser Entwicklung, sie hatten sich tragen lassen. Was steckte in ihnen und ließ sie nicht mehr los? Der Loorde war ebenso ein Spielball dieser Macht wie die Menschen. Und Cera? War sie am Ende ein Produkt dieser Kraft? Skip fragte sich, was dieser Jemand von ihnen erwartete. Sie befanden sich irgendwo in der Gewalt dieser Leute, die von den Bewohnern von Caalis als Abtrünnige gejagt wurden. Dabei hatte Skip sich nicht des Eindrucks erwehren können, daß die Aggression nicht von den Caalitern ausging, sondern von diesen Schwarzgekleideten. Cera war verschwunden, Christine befand sich mit Sicherheit in der Gewalt der Entführer, und Harry war noch bewußtlos. Selbst im Parallelkosmos hatte Skip sich nicht so einsam gefühlt wie jetzt. Er begriff nicht mehr, was um sie herum geschah. Das Gefühl, daß alle seine Handlungen und vermeintlichen Entschlüsse von vornherein vorprogrammiert waren, deprimierte ihn. Von irgendwoher kamen Geräusche. Skip stand auf und lehnte sich gegen die Wand, die der Geräuschquelle gegenüberlag. Plötzlich sah er in helles Licht hinein. Nur undeutlich erkannte er drei dunkle Gestalten, die einen schlaffen Körper vor sich herschoben und in die Zelle stießen. Ehe Skip zu einer Reaktion fähig war, war die Öffnung in der Wand wieder verschwunden. „Chris!“ rief er dann, als er die leblose Gestalt am Boden erkannte. Er machte einen Schritt nach vorn und beugte sich über seine Gefährtin. Christine schlug die Augen auf. Skip sprang hoch und wich an die Wand zurück. Kalter Schweiß drang aus seinen Poren, während er aus aufgerissenen Augen auf das starrte, was einmal ein Mensch gewesen war. * Terring-Lothor schlug die Augen auf. Er war noch niemals in diesen Räumen gewesen, aber der Caaliter wußte, wo er sich befand. Die Gemeinschaft des Lebens hatte ihn gerufen, kurz bevor er in den Trümmern des explodierenden Schiffes gestorben war. Terring-Lothor wußte, daß unter gewissen Umständen einem Caaliter von der Gemeinschaft des Lebens ein zweites Leben verliehen werden konnte. Es war also nicht das Neuerwachen, das ihn in Erregung versetzte. Aber Terring-Lothor wußte auch, daß in der Regel eine Neubelebung nur dann erfolgte, wenn wichtige Gründe vorlagen. Der Caaliter dachte sofort an das plötzlich aufgetauchte Fremdschiff. Irgendwo registrierte ein Sensor, daß Terring-Lothor bereit zum Kontakt war. Ein akustisches Signal gab ihm das Zeichen. Terring-Lothor befand sich in einem der drei Kommunikationszentren auf der Kontrollwelt. Die Gemeinschaft des Lebens steckte in jedem lebenden Wesen, von den Abtrünnigen einmal
abgesehen, aber es war für jeden Caaliter der Höhepunkt seines Lebens, einmal der Lebensballung, die über alles wachte, direkt gegenüberzustehen. Nur wenige Caaliter hatten diese Erfahrung bisher machen dürfen. Die Lebensballung stellte die geistige Essenz alles Lebendigen dar. Es hieß, daß aus ihr alles Leben im Universum einst hervorgegangen sei. Auch die Gemeinschaft des Lebens war erst aus ihr geboren worden. Terring-Lothor betrat einen Gang, dessen Wände weiß strahlten und einen beruhigenden Einfluß auf ihn ausübten. Er erreichte einen kreisförmigen Verteiler. Eine leise Stimme in ihm wies ihm den Weg. Dann stand der Caaliter in einer riesigen Kuppelhalle, in deren Mitte sich eine etwa drei Meter durchmessende Kugel befand, die frei in der Luft zu schweben schien. Terring-Lothor spürte das Schlagen seines Herzens, als er näher trat. Ein Gemisch bunter, wunderbar harmonierender Farben und Formen im Innern der Kugel vermittelte dem Caaliter das optische Pendant der gesammelten Lebensenergie. Und dann schlössen sich die beiden Pole, die jeder für eine der Komponenten der Gemeinschaft des Lebens standen, zusammen. Die Ursprünge wurden lebendig. Nach knapp zehn Minuten war der schweigende Informationsaustausch beendet. TerringLothor schlug die Augen auf und drehte sich wortlos >„ um. Die wispernden Stimmen leiteten ihn aus der Kuppel, während er versuchte, das Erlebte zu verarbeiten. Es hieß, daß jemand, der einmal direkten Kontakt zur Lebensballung hatte, nie mehr der gleiche Mensch sein konnte wie vorher. Terring-Lothor verstand jetzt, was damit gemeint war. Aber er hatte wenig Zeit, sich mit dem Wunder zu beschäftigen. Der Caaliter verließ den unwirt- ^ liehen Komplex mit einem genau umrissenen Auftrag. An ihm war es jetzt, eine mögliche Gefahr durch die abgespaltete Kraft zu beseitigen. Weder Terring-Lothor noch sein Auftraggeber konnten ahnen, daß seine Mission genau das war, was diese Negativmacht erwartete. Er wurde zur Figur eines teuflischen Spieles, das den Krieg mit einem Schlag beenden sollte. * Als die Menschen der Ballung zum ersten Mal begegneten, fanden sie schnell eine einfache, aber passende Bezeichnung für sie: Sie nannten sie „das Monstrum“. Dunkel und unbarmherzig hatte sie sich über einen einstmals blühenden Kosmos gelegt und alles Leben versklavt. Das war in der Zukunft, aus der die Terraner gekommen waren. In dieser Zeit jedoch, als sich noch das Feuerrad der Brücke zwischen den Universen über Caalis drehte, war die Ballung eine geschlossene Einheit, die sich von der Urschöpfung abgespalten hatte. Die Urschöpfung hatte mit ihrer Lebensenergie das Universum durchzogen, wie es in vielen anderen Universen ähnlich geschehen war. Das Leben war aufgeblüht, hatte sich entfaltet und eine Blüte erreicht. Dann kam es zu dem Unerklärlichen: Ein Teil der Lebensenergie spaltete sich ab und schlich sich wie eine heimtückische Krankheit in die aufstrebende Entwicklung. Der Teil der Schöpfung, der das Leben positiv vorantrieb, reagierte und wehrte sich. Es kam zur Spaltung. Das Böse trennte sich vom Guten und begann, Teile der materiellen Lebenseinheiten in seinen Bann zu ziehen und in den Kampf zu schicken. Der Krieg fing an. Der Energieaustausch zwischen den Universen stagnierte. Die Bewohner der Parallelwelten hatten Angst bekommen und isolierten sich mehr und mehr. Die negative Urkraft gewann an Stärke und verschaffte sich durch ihre Skrupellosigkeit Vorteile gegenüber der positiven Macht.
Wer in ihrem Dienst stand, hatte keinen Willen mehr. Er gehorchte und tat das, was ihm befohlen wurde. Auf der Suche nach einem Faktor, einer Waffe, die das Ringen um die Vorherrschaft der beiden naturgemäß gleichgewichtigen Kräfte zugunsten einer von ihnen beeinflussen konnte, fand die Negativmacht einen Weg, die destruktive Energie aus den Paralleluniversen anzuzapfen und zu bündeln. Damit potenzierte sie ihr Gewicht. Sie war aber nur wirkungsvoll einzusetzen, wenn sie der feindlichen Urkraft in direkter Konfrontation gegenübergestellt wurde. Und dies war nur möglich auf der Kontrollwelt, dem Bezugspunkt der Urmacht Irgend jemand der Marionetten, der das Vertrauen der Urmacht genoß, mußte sie in die Kontaktzentren tragen. Nur da war die Macht verwundbar. Der Zufall kam dem Monstrum in Form des fremden Schiffes zu Hilfe. In aller Schnelle wurde ein Köder ausgelegt. Und die Lebensmacht reagierte... * Terring-Lothor stand in der Mitte der Zentrale seines neuen Schiffes. An eine Instumentensäule gestützt, betrachtete er das Bild des Weltalls auf dem großen Schirm. Überall saßen seine Leute und arbeiteten hektisch. Sie werteten die neu hereinkommenden Daten aus und korrigierten den Kurs. In wenigen Stunden würden sie den Stützpunkt der Abtrünnigen gefunden haben, zu dem diese das Fremdschiff mit den seltsamen Wesen gebracht hatten. Terring-Lothor registrierte die fieberhafte Betriebsamkeit seiner Leute mit Genugtuung. Sie hatten einen Befehl erhalten, und sie rackerten sich ab, als ginge die Initiative von ihnen selbst aus. Terring-Lothor verachtete sture Befehlsempfänger. Es war überhaupt schlimm genug, daß der Verkehr und das Zusammenleben zwischen den einzelnen durch strikte Bestimmungen geregelt werden mußte, wie seit Ausbruch des Krieges. Terring-Lothor haßte diesen Krieg. Und das um so mehr, nachdem er der Lebensballung direkt gegenübergestanden hatte. Etwas war mit ihm geschehen, für das er selbst keine Erklärung fand. Es war so, als ob sich ihm eine neue, bisher nur geahnte Dimension des Lebens eröffnet hätte. Auch seine Leute schienen das zu spüren. Sie hatten eine merkwürdige Art von Respekt vor ihm. Der Kommandant der 2. Wachflotte der Kontrollwelt wußte jetzt, daß das Leben alles war. Und das wirkliche Leben begann erst dort, wo die Vorstellungskraft der Caaliter. und aller körperlicher Rassen langsam aufhörte. Ihre körperliche Existenzform brachte es mit sich, daß sie nur einen kleinen Teil der Gemeinschaft in sich empfinden konnten. Die zum Leben und Überleben notwenigen Reflexe überlagerten oft die Strömungen, die sie mit der Gemeinschaft, die überall war, verbanden. Terring-Lothor sah eine junge Frau auf sich zukommen. „Die Spur ist zu leicht zu verfolgen“, kommentierte sie die Folien, die sie dem Kommandanten reichte. Der Caaliter betrachtete eine Weile schweigend die Diagramme. „Du denkst an eine Falle, Orty-Coher?“ Die Frau wirkte unsicher. „Es ist alles zu einfach“ sagte sie. „Warte ab, bis wir sie gefunden haben“, meinte Terring-Lothor mit einem Lächeln, „dann fangen die Schwierigkeiten an. Sie hatten mit dem Fremdschiff eine schwere Last zu schleppen und mußten die Sprungimpulse entsprechend verstärken, vergiß das nicht. Außerdem würde die Gemeinschaft nicht den Befehl gegeben haben, wenn sie eine Falle vermutet hätte. Ihre Sinne sind überall, Orty, sie wüßte es.“ Die Frau zuckte zusammen, als er sie nur mit der ersten Namenshälfte anredete. Unter guten Freunden war es üblich, vor dem Krieg hatte man ganz auf die Formalitäten verzichtet. Jetzt allerdings war das anders.
Terring-Lothor bemerkte die Reaktion. Ohne es zu wollen, wurde er wütend. Der Krieg hatte einen Keil in die Gemeinschaft getrieben, nicht nur durch die äußere Bedrohung. Menschen, die einmal eins gewesen waren, standen sich plötzlich wie Fremde gegenüber. Aus der blühenden Lebenseinheit hatte sich ein zerfahrenes System aus Über- und Unterordnung entwickelt. Der Caaliter fragte sich, ob nicht vielleicht durch die Abspaltung etwas fehlte, das für den Zusammenhalt wichtig war. „Es ist in Ordnung, Orty“, sagte er. „Geh wieder an deinen Platz und hör auf, mich für etwas zu halten, das ich nicht bin.“ Sie lächelte dankbar und nickte dem Kommandanten zu. Terring-Lothor war davon überzeugt, daß die Gemeinschaft wußte, was er tat. Wenn sie ihm den Auftrag gegeben hatte, das Fremdschiff aus der Gewalt der Abtrünnigen zu befreien und nach Caalis zu bringen, würde sie alle Risiken in ihr Kalkül einbezogen haben. Was weder Terring-Lothor noch die Gemeinschaft wissen konnten, war, daß jener Faktor, der in diesem Kalkül die wichtigste Rolle spielte, nicht mehr existierte. Jedenfalls nicht in dieser Ebene. „Bereit zum Zielsprung!“ rief einer der Piloten. Natürlich werden sie uns erwarten! dachte der Kommandant. Aber er vertraute darauf, daß die Gemeinschaft sie nicht blind ins Verderben schickte. Er vertraute ihr grenzenlos. „Zielsprung!“ befahl er. * Nicht nur die abgespaltete Macht hatte erkannt, was da aus dem Nichts aufgetaucht war. Die GEMEINSCHAFT DES LEBENS hatte die Impulse gespürt. Es waren verwandte Strömungen gewesen, als wäre ein Teil der GEMEINSCHAFT selbst plötzlich doppelt aufgetaucht. An Bord des Fremdschiffs gab es etwas, das über ein ungeheures Maß an mentaler Kraft verfügte. Die Gemeinschaft erfaßte schnell, daß diese Kraft über den Ausgang des URKAMPFES entscheiden konnte. Sie ahnte nichts von der bevorstehenden Offensive und den Plänen der Abgespalteten. So setzte sie alle Hebel in Bewegung, um das Fremdschiff aus der Gewalt des Gegners zu befreien. Sie baute dabei auf den positiven Einfluß dieses fremden Impulsspenders. Das plötzliche Schweigen dieses Wesens deutete die positive Macht falsch und machte damit jenen fatalen Fehler, der das Schicksal des Universums zu besiegeln schien... * Skip gewann nur langsam die Beherrschung zurück. Er säuberte sich mit einem Tuch und kniete sich neben Christine auf den Boden. Ihre Augen starrten an ihm vorbei ins Leere. Er rüttelte sie immer wieder heftig durch, als könne er dadurch den verlorenen Lebensfunken zurückholen. Aber Christines Blick blieb leer. Einmal hatte Skip das Gefühl, daß sie ihn ansah. Sie versuchte, Worte zu formen, aber brachte nur ein unverständliches Lallen über die Lippen. Skip war verzweifelt. Jetzt erst wurde ihm klar, wie sehr er diese Frau liebte. Der Haß auf jene, die sie zu dem Wrack gemacht hatten, das er jetzt in den Händen hielt, fraß sich in seine Gedanken. Skip kannte in diesen Momenten nur ein Ziel: sich an denen zu rächen, die für Christines Zustand verantwortlich waren. Er ahnte nicht, daß er selbst jetzt einem lange vorgegebenen Programm folgte, das längst
sinnlos geworden war. Harry Vanderbuilt begann sich zu rühren. Kurz darauf wälzte die weibliche Gestalt sich auf dem kalten Boden herum und sah Skip mit verständnislosem Blick an. Erst, als er Christine sah, richtete Harry sich ruckartig auf. „Was ist passiert?“ Skip erklärte es ihm, so gut er konnte. „Diese Verbrecher!“ entfuhr es Vanderbuilt. „Wo ist Cera?“ „Verschwunden. Sie war schon weg, als die Rotgekleideten an Bord kamen. Du warst doch dabei, als Chris von ihrem Verschwinden berichtete.“ Harry blickte versonnen vor sich hin. „Ich hab’s nicht mitbekommen. Ich habe die ganze Zeit auf diese komischen Schwingungen gehört.“ Skip wurde hellhörig. „Was hast du gehört?“ „Gehört nicht direkt. Als die Fremden an Bord kamen, war da auch noch etwas anderes. Es steckte in ihnen. Und auch hier spüre ich es. Allerdings ist mir dies hier weniger sympathisch.“ Skip verstand, was Harry meinte. Er fühlte s auch. „Wie ein Pulsschlag“, murmelte er. Harry nickte. „Die Menschen in dieser Zeit sind irgendwie anders als wir.“ Auch das hatte Skip unterschwellig gespürt. „Dazu ist jetzt keine Zeit. Wir können uns später Gedanken machen. Sie haben Christine fertiggemacht, und sie werden bald wieder hier sein, um sich den nächsten von uns zu holen.“ „Oder beide“, meinte Vanderbuilt. Skip nickte. Er überlegte, wie sie ihre Entführer überrumpeln könnten. Sein ganzes Denken galt nur noch der Rache. Was dann kam, interessierte den Mann im Moment nicht. „Wir werden ihnen den gebührenden Empfang bereiten“, kündigte Harry an. Skip hob eine Hand. „Schritte!“ Sie waren bereits unterwegs zu ihnen. „Lege dich wieder, hin!“ zischte Skip dem Gefährten zu. „Tu so, als wärest du noch bewußtlos. Wenn sie mich greifen wollen, fällst du ihnen in den Rücken.“ Vanderbuilt nickte und machte Anstalten, der Aufforderung nachzukommen. Aber da hatte sich die Wand, hinter der der Gang lag, bereits aufgelöst, und gleißendes Licht drang in die Zelle. Wieder waren es drei Gestalten, die in den engen Raum traten. Bevor Skip sich rühren konnte, wurde er von einem Schuß aus einer der Pistolen der Schwarzgekleideten getroffen. Mitten in der Bewegung versagten ihm die Glieder den Dienst, und er schlug der Länge nach zu Boden. Er konnte keinen Finger bewegen, aber er sah, wie zwei der drei Gestalten sich auf Harry stürzten und ihn packten. Einer von ihnen wurde von einem unverhofften Schwinger der vermeintlichen Frau getroffen und ging zu Boden. Harry kämpfte mit Händen und Füßen und vergaß auch nicht, die speziellen Waffen seines Kunstkörpers einzusetzen. Mit langen Fingernägeln kratzte er dem zweiten Mann fast die Augen aus. Aber die Übermacht war zu groß. Verzweifelt und hilflos sah Skip zu, wie der dritte hinzutrat und Vanderbuilt den Kolben der Pistole in die Magengrube schlug. Harry ächzte und knickte zusammen. Sofort waren die beiden Schwarzen heran und packten ihn an den Armen. Skips Augen hatten sich an das Licht gewöhnt. Er prägte sich jedes der drei Gesichter ein und schwor sich in diesen Augenblicken der Hilflosigkeit, nicht eher zu ruhen, bis er seine Freunde gerächt hatte. In wenigen Minuten wurde Skip endgültig. zu einer Maschine, die auf Vergeltung programmiert war. Er fühlte sich im Stich gelassen, ohne sagen zu können, von wem. Vielleicht ahnte er, daß die
Entwicklung nicht so verlief, wie es die unbekannte Macht gewollt hatte, die sie hierhergeschleudert hatte. Die Männer in den schwarzen Uniformen schleppten Vanderbuilt aus der Zelle. Sofort war die Öffnung in der Wand wieder verschwunden. Skip war allein. Allein mit Christines Hülle. Mich bekommen sie nicht lebend! schwor er sich. Immer waren es drei Männer gewesen, die in der Öffnung erschienen waren. Außerdem hatte Skip festgestellt, daß die Wand stets an der gleichen Stelle verschwunden war. Vielleicht würde sich damit etwas anfangen lassen. Aber das hing unter anderem davon ab, ob er sich bis dahin würde wieder bewegen können. Irgendwann mußte die Lähmung doch nachlassen. * Als die Starre von ihm wich, hatte Skip seinen Plan im Kopf. Das heißt: Von einem „Plan“ im eigentlichen Sinn konnte kaum die Rede sein. Er hatte sich zurechtgelegt, was er tun würde, wenn die Schwarzen wiederkamen. Er würde nicht erst warten, bis sie Harry abgeliefert hatten und dann kamen, um ihn zu holen. Sobald sich die Öffnung in der Wand bildete, wollte er angreifen. Skip hoffte auf den Überraschungseffekt. Die Schwarzgekleideten unterschieden sich in dem, was man von ihrem Körper sah, kaum von den Caalitern in den roten Uniformen. Das gleiche grüne Gesicht, der gleiche Haarflaum und die schwarzen Lippen. Aber ihre Augen waren anders. Sie strahlten etwas aus, was Skip eine Gänsehaut über den Rücken laufen ließ. Das Monstrum im Parallelkosmos hatte die gleichen Impulse verbreitet. Aber das war lange in der Zukunft. Wenn Skip ahnte, wer oder was hinter den Schwarzen steckte, verdrängte er es. Ansonsten hätte er sein wahnwitziges Vorhaben längst aufgegeben. Die Minuten wurden zu Stunden, und dann kamen sie. Skip hatte keine Waffe. Man hatte ihnen nur die Kombinationen gelassen, aber alle Instrumente entfernt. Er huschte hinüber zu jener Wand, die sich, wenn er recht behielt, gleich in der Mitte öffnen würde, und preßte sich dagegen. Die Schritte kamen näher. Das deutlich hörbare Schleifen verriet, daß sie Harry bei sich hatten. Wieder fiel das Licht völlig übergangslos in die Zelle. Die Wand löste sich in der Mitte einfach auf! Lange Schatten fielen in den Raum, dann wurde ein schlanker Körper hineingestoßen. Harry. Skip zögerte nicht. Er hatte neben der Öffnung gekauert und sah nicht, wie viele der Schwarzen sich tatsächlich auf dem Gang befanden. Er handelte blind. Mit einem tiefen Atemzug stieß er sich ab und wirbelte in den Korridor hinein, als gerade einer der Männer in die Zelle treten wollte. Er hatte Glück: Der Uniformierte stolperte über sein Bein und stürzte in die Zelle. Skips Schlag traf den folgenden Mann in den Magen. Skip sah schemenhaft, wie hinter diesem Schwarzen ein weiterer zurücksprang. Der Terraner duckte sich instinktiv und entging dem gebündelten blauen Strahl, der sich in die gegenüberliegende Zellenwand fraß. Skip registrierte in Sekundenbruchteilen, wie sich der gestolperte Angreifer aufrichtete. Auch in den Burschen unter ihm kam Bewegung. Skip sah den Strahler neben ihm am Boden liegen und griff hastig danach. Eine erneute Garbe fuhr über ihn hinweg und verbrannte ihn an der Schulter. Skip feuerte blindlings in den Gang. Ein Aufschrei bestätigte seinen Treffer. In den Gang! durchfuhr es ihn. Skip versetzte dem Mann unter ihm, der sich gerade wieder
aufrichten wollte, mit dem Kolben der Strahlpistole einen Schlag ins Genick. Jetzt hatte er nur noch den in der Kabine gegen sich. Einen langen Moment standen sich Skip und der Schwärzuniformierte gegenüber und starrten sich an. Beide hatten die Waffen im Anschlag. Sie sahen sich in die Augen, und jeder erschrak beim Anblick des anderen. Skip fühlte plötzlich Mitleid mit dem Gegner. Dieser Mann war nicht mehr Herr seiner Sinne! Er war nicht verantwortlich zu machen für das, was er tat. Irgend etwas trieb ihn dazu. Fast hätte der Anflug von Sentimentalität Skip das Leben gekostet. Er sah aus den Augenwinkeln, wie sich die Hand mit der Waffe hob, und drückte ab. Der Strahl fuhr in die Brust des Mannes. Entsetzt sah Skip, wie sich im Sterben sein Gesicht veränderte. Die roboterhafte Starre verschwand aus den Augen. Skip konnte nicht anders. Er hatte sich alles ausgemalt. Wenn es ihm gelang, die Gegner zu überrumpeln, wollte er sofort weiter in den Gang vordringen, um zur Zentrale der Entführer zu gelangen. Als er in die Augen des Sterbenden sah, vergaß er alle Vorsätze. Sogar sein Haß war, für einen Augenblick ausgeschaltet. Er ging auf den Mann zu und kniete neben ihm nieder. Dann nahm er den Kopf des Sterbenden und legte ihn auf sein Knie. Der Todgeweihte starrte Skip verständnislos an. Er öffnete den Mund und redete Worte, die Skip nicht verstand, aber erfühlte den Sinn. Der Mann redete von irgend etwas Grauenhaftem, das ihn zu einem Wrack gemacht hatte, ebenso wie seine Gefährten. Er beschwor Skip, mit aller Kraft dafür zu kämpfen, daß dem Treiben dieser Macht ein Ende gemacht würde. Skip legte schließlich den Toten neben Harry und Christine auf den Boden. Ein schneller Blick bestätigte seine Vermutung. Harry war ein Wrack. Skip nahm den Strahler und trat durch die Öffnung auf den Gang hinaus. Er würde kämpfen müssen. Aber hinter jedem Gegner, der keinen Augenblick zweifeln würde, Skip zu töten, steckte ein verzweifeltes Wesen im Bann einer unheimlichen Macht. Skip drang mit angeschlagener Waffe in den Gang vor.
7. Kurz nach dem Erscheinen des fremden Diskusschiffs registrierten einige hochempfindliche Ortungsanlagen auf Caalis einen rätselhaften Energieimpuls überdimensionaler Struktur, der sich von dem Schiff löste und lichtschnell auf den Weltentrichter zutrieb. Der Impuls erreichte das gigantische Feuerrad und verschwand in der Mitte des Trichters. Cera hätte das alles wenig interessiert, ebensowenig wie die Geschehnisse, die durch ihr Auftauchen hervorgerufen worden waren. Sie konnte nicht wissen, in welcher Lage sich Mam, Pa und Tante Harry befanden. Das Kind sah nur die weit geöffneten Türen. Die plötzliche Euphorie brachte alles andere zum Schweigen. Auch die Stimmen, die sich plötzlich in ihr gemeldet hatten und Cera zurückhalten wollten. Die können mich ‘mal! dachte, Cera in wildem Überschwang und produzierte lieber einen von Tante Harrys kernigen Sprüchen. Und dann begann die phantastische Reise. Cera glitt durch ein unsichtbares Tor und war mitten drin in der Welt hinter den Türen. Es war ein Universum, wie Cera es noch nie gesehen hatte. Bunte Sonnen zogen ihre Bahn und wurden von Planeten, umkreist. Lichtfinger fuhren von einem Stern zum anderen und
tauchten den Kosmos in warmes Licht. Überall waren die Stimmen des Alls. Cera hörte das Rufen des Universums, in das sie geraten war, sie fühlte die Ströme, die die Himmelskörper verbanden, und sie sah den bunten Zauber der Farben. Cera schwebte tiefer in diese Wunderwelt hinein und wurde von einem Rausch erfaßt. Wo auch immer ihre Heimat war dies hier war ein weiteres Stück davon. Weiter! drängte es in ihr. Es gab noch viele tausend Türen. Cera wollte in jede hineinsehen. Wechsel. Alles war rot. Cera sah keine eigentlichen Himmelskörper wie Sonnen oder Planeten, nur hier und da spürte sie vereinzelte Ballungen. Die Ballungen lebten. Alles schwamm in dunklem Purpur. Das Kind empfing jetzt die Stimmen dieses Alls. Das Purpur war die Lebensmasse, die zu Cera sprach. Cera lauschte und stieß einen Schrei der Verzückung aus. Dieser Kosmos konnte nie zu Ceras Heimat werden, aber auch er war ein Stück davon. Überall ballte sich das Leben und schickte seine neugierigen Fühler aus, um zu sehen, was da in sein Universum eingedrungen war. Cera fühlte sich fast erinnert an die Welt hinter der ersten Tür, wo die Gläsernen lebten. Nur hatte dort das Chaos geherrscht. Hier war das anders. Ceras Erregung stieg von Sekunde zu Sekunde. Wechsel! Das Kind vollführte einen wilden Tanz im Schnittpunkt des Berührungskreises, der wie eine Nabelschnur die Universen miteinander verband. Hinter jeder neuen Tür fand Cera ein winziges Stück jener Heimat, die Mam und Pa ihr nicht geben konnten. Wechsel! Eine neue Welt. Blaue Schwaden umfingen Cera und rissen sie hinein in ihr Universum. Cera sonnte sich in den Energien und vernahm das Rufen der Lebensstimmen. Überall gab es Leben, und Cera nahm es überall in sich auf. Sie zapfte die Energien der Universen an und speicherte sie in sich auf. Wechsel! Wieder Sterne, die in einem schwarzen All schimmerten und Licht spendeten. Cera fühlte sich an die Welten erinnert, von denen sie gekommen war. Wechsel! Cera hatte sich längst in Ekstase gesteigert. Sie verschlang gierig die neuen Eindrücke und stürzte sich in weitere Welten. Der Kreis hatte kein Ende. Gewaltige Energien stauten sich in ihrem naiven Bewußtsein auf. Früher oder später würden sie Cera in den Wahnsinn treiben. Wer immer Cera geschaffen hatte, hatte einen Fehler gemacht. Cera ließ sich treiben. Die warnenden Stimmen verhallten ungehört. Sie waren nicht mehr in der Lage, das Kind dorthin zu führen, wo es gebraucht wurde. Cera näherte sich dem kritischen Punkt, wo ihr Fassungsvermögen endgültig überlastet sein würde. Am Ende stand die Metamorphose. Aber das war noch nicht geplant. Im Gegenteil, die Kräfte in ihr rechneten damit, daß sie sterben würde, wenn die Grenze erreicht war. Cera tanzte weiter und pendelte von einem neuen Kosmos in den anderen, während dort, von wo sie gekommen war, die Apokalypse vorbereitet wurde. * Skip riß sich zusammen. Wenn es noch eine Rettung für Chris und Harry gab, dann fand er sie dort, wo die Schwarzen ihre Weisungen erhielten. Er mußte das Übel an der Wurzel packen. Skip zweifelte mittlerweile nicht mehr daran, daß sie in die Auseinandersetzung gerissen worden waren, von der die Legenden berichteten. Sie erlebten einen Teil des Urkampfes mit. Das, was ihre Entführer zu willenlosen Puppen gemacht hatte, war das, was später einmal aus diesem Universum verbannt werden würde.
Seltsamerweise zweifelte Skip plötzlich daran. Er hatte sich den Kampf zwischen den beiden Urmächten anders vorgestellt. Dies hier waren Szenen, die gut und gerne in Skips eigener Zeit hätten spielen können. Menschen, die gegen Menschen kämpften. Nur die Lenker des sinnlosen Tötens waren anders. Aber wie weit war die Auseinandersetzung bereits fortgeschritten? Skip hatte keine Ahnung. Er fühlte nur, daß die positive Macht ihrem Gegenspieler beileibe nicht so überlegen war, wie er sich das ausgemalt hatte. Skip hatte sich nie besonders mit der Frage von Zeitexperimenten beschäftigt. Aber er wußte, was ein Zeitparadoxon war. Wie würde sich das, was er tat, auf die Zukunft auswirken? Würde er bei einer möglichen Rückkehr in die eigene Zeit noch die Welt vorfinden, die er kannte? Das plötzliche Gefühl der ungeheuren Verantwortung ließ ihm die Beine weich werden. In was waren sie hineingeraten? Ein Gedanke schoß ihm durch den Kopf: War das das Ziel jener unbekannten Kraft, die ihren Weg bestimmt hatte? Sollten sie eine unerwünschte Zukunft „n der Basis verändern? Ein Geräusch riß ihn aus seinen Gedanken. Skip war wieder in der Wirklichkeit. Er steckte mitten drin in dem ovalen Gang, der gerade zwei Personen nebeneinander Platz geboten hätte. Wie weit er sich von der Zelle entfernt hatte, wußte er nicht. Er hatte die Schritte nicht gezählt. Irgendwann mußte der Gang zu Ende sein. Bisher hatte es keine Abzweigungen gegeben. Skip blieb stehen und lauschte, aber das Geräusch wiederholte sich nicht. Vorsichtig schlich der Terraner weiter. Sie hatten ihnen auch die Schuhe ausgezogen. Das war jetzt von Vorteil. Innerhalb des Ganges herrschte dieses helle, orangerote Licht, das ihn in der Zelle geblendet hatte. Mittlerweile hatten seine Augen sich daran gewöhnt. Er konnte keine Beleuchtungsquellen erkennen. Das Licht mußte direkt aus der Wand kommen. Skip schlich weiter, den Strahler schußbereit in der Hand. Vor ihm war eine Bewegung im diffusen Licht zu sehen. Skip hielt inne. Seine Sinne versuchten zu ertasten, was er vor sich hatte. Aber Skips Augen waren zu schwach. Etwas anderes spürte er: Die Impulse, die ihn in schmerzlicher Weise an den Parallelkosmos erinnerten, waren stärker geworden. Sie kamen von vorne, aber nicht aus dem Gang. Langsam schob Skip sich an der Wand entlang. Das Geräusch ertönte wieder, und jetzt sah er auch den Schatten. Im gleichen Moment, als sich der Schemen aus dem Nebel löste und auf ihn zustürzte, schoß Skip. Der blaue Strahl teilte die Luft und fuhr in den Angreifer hinein. Eine weitere Gestalt erschien. Skips Finger löste sich nicht vom Auslöser der Waffe. Die Gegner starben, ehe sie ihn erreichen konnten. Die Luft im Gang hatte sich erwärmt. Skip mußte weiter. Die Art und Weise, wie sich die Männer postiert hatten, ließ auf eine Barriere schließen. Es waren offensichtlich Posten gewesen, die den Gang bewacht hatten. Skip sprang über die Toten und überzeugte sich davon, daß keine weiteren Wachen in der Nähe waren. Täuschte er sich, oder wurde das rote Licht heller? Das Ende des Gangs tauchte urplötzlich aus dem Farbnebel auf. Skip befand sich auf einem Ringkorridor, der etwa zwei Meter breit sein mochte. Skip hatte keinen Anhaltspunkt, in welche Richtung er gehen sollte. Er zuckte die Schultern und wandte sich nach rechts. Nach einigen Metern mündete ein weiterer Gang von außen in den Ring. Dann ein weiterer. Skip rechnete jedesmal damit, Schwarzuniformierte auftauchen zu sehen und ging mit der nötigen Vorsicht vor. Aber niemand war zu sehen. Trotzdem wurde der Mann das Gefühl nicht los, beobachtet zu werden.
Weiter! drängte es in ihm. Denke an Christine und Harry! Dann stand Skip vor einer Öffnung, die nach innen führte. Der Korridor hatte sich bisher gleichmäßig um das Zentrum gewunden. Wenn Skip davon ausgehen konnte, daß dies so blieb, mußte der Komplex mehr als zwanzig Meter Durchmesser haben. Ich werde beobachtet! Skip wußte es jetzt genau. Er konnte nicht ahnen, daß er nur deshalb bis hierher vordringen konnte, weil ein anderes Ereignis fast die gesamte Besatzung des Stützpunkts in Anspruch nahm: Auf dem Landefeld, hoch über ihm, setzten Terring-Lothors Schiffe auf. Der Raumfahrer betrachtete die Öffnung genauer. Jetzt sah er das leichte Flimmern in dem Oval, das fast genau auf die Körpergröße eines mittleren Mannes zugeschnitten war. Er nickte grimmig und riß sich einen Fetzen aus dem Ärmel der Kombination, dann trat er einige Schritte auf den Korridor zurück und schleuderte das zusammengeknotete Stück Stoff in das Flimmern. Dort, wo es auftraf, flackerte es kurz auf und verdampfte. „Wie ich mir’s gedacht habe“, murmelte Skip bitter. Was jetzt? Skip mußte hinein in diesen Komplex. Der Zufall kam ihm zu Hilfe. Von links hörte Skip ein Geräusch. Er hastete nach rechts und verbarg sich hinter der Biegung. Es war einer der Männer, die Skip überwältigt hatte, als er aus der Zelle geflohen war. Wahrscheinlich kam der Fremde, um seinem Herrn und Meister Bericht zu erstatten. Skip steckte den Kopf aus der Deckung. Der Schwarze hielt sich mit einer Hand den Kopf und taumelte. Vor dem Energievorhang blieb er stehen. Er schien Angst vor dem zu haben, was ihn erwartete. Wenn es einen Mechanismus gibt, der ihnen erlaubt, durch die Öffnung zu gehen, habe ich eine Chance, spekulierte Skip. Es war ein gewaltiges Risiko, aber er hatte nichts zu verlieren. Als der Mann in das Oval trat, erlosch das Flimmern. Skip hechtete aus der Deckung und stieß den überraschten Soldaten in die Öffnung, gleichzeitig sprang er ihm nach. Skip landete hart, aber es hatte funktioniert. Hinter ihm hatte sich der flimmernde Vorhang wieder geschlossen. Aber das registrierte er nur noch am Rande. Skips Denken setzte aus, als er von der vollen Wucht der hereinbrechenden Impulse getroffen wurde. Langsam, als bereitete ihm jede Bewegung Schmerzen, richtete er sich auf. Sein Blick glitt an dem Sockel in der Mitte des großen, runden Raumes empor. Auf dem Sockel saß in etwa einem Meter Höhe eine riesige, schwarze Kugel. Es drang aus ihr heraus und erstickte alles. Skip rang nach Luft und wollte schreien, aber sein Körper gehorchte nicht mehr. Gegen das, was dort aus der Kugel kam, gab es keine Abwehr. Es dauerte keine fünf Sekunden, bis Skip aus leeren Augen auf das schwarze Ding stierte. Lallend kam er auf die Beine und drehte sich wie besessen im Kreis, dann fing er an, irr zu lachen. Skip johlte und tanzte, schnitt Grimassen und heulte, bis er leblos vor der Kugel zusammenbrach. * Terring-Lothor beobachtete die Landemanöver seiner Schiffe. Der Verband umfaßte zehn schwerstbewaffnete Einheiten. Unter normalen Umständen war diese kleine Flotte kaum besiegbar. Wie erwartet, schlug ihnen von dem Stützpunkt der Abtrünnigen kein Widerstand entgegen. Es wäre zwecklos gewesen, das wußten auch die Gegner. Terring-Lothor rechnete damit, daß sie auf eine Gelegenheit warteten, um zu einem für sie
günstigen Zeitpunkt anzugreifen. Darauf basierte seine Taktik. Das Schiff des Kommandanten stand mit weiteren vier Einheiten im Ortungsschutz der roten Sonne, um die der Planet der Abgespalteten kreiste. Es war eine fast vergessene Sauerstoffwelt, die nie eigenes Intelligenzleben getragen hatte. Die rote Sonne befand sich 97 Lichtjahre von Caalis entfernt. Über automatische Kameras an Bord der gelandeten zehn Kampfschiffe verfolgten die Caaliter, was sich auf dem Planeten tat. Sie gewannen ein genaues Bild des Landegeländes und des umliegenden Komplexes. Selbstverständlich lag ein großer Teil des Stützpunkts unter der Oberfläche. Terring-Lothor wartete gespannt an den Schirmen. Noch war es ruhig auf dem Stützpunkt. Niemand griff die Schiffe an. Terring-Lothor war fest davon überzeugt, daß sich das bald ändern würde. Sie mußten wissen, wo die verborgenen Abwehrbatterien des Stützpunkts steckten. Die Ausstiegsluken der Schiffe öffneten sich. Über knapp zehn Lichtminuten Entfernung hinweg wurde das Bild zu den wartenden Schiffen in der Sonnenkorona übertragen. Als sich Bewegungen in den Luken zeigten, erfolgte der Feuerschlag. Das Landefeld schien zu explodieren. Von überall schössen Energiebahnen heran und ließen den Schiffen keine Chance. Der Spuk dauerte keine Minute. Terring-Lothor lächelte und drückte eine Taste. Auf dem Bildschirm erschienen die Gesichter der vier anderen Kommandanten. „Haben Sie die Aufzeichnung?“ fragte Terring-Lothor. Nacheinander bestätigten die Männer. Terring-Lothor gab ihnen weitere Anweisungen und schaltete ab. Er hatte sich nicht getäuscht. Die zehn Schiffe, die im Feuersturm der Feindgeschütze vergangen waren, hatten keinen einzigen Caaliter an Bord gehabt. Die Landung und die anschließenden Manöver waren in die Bordgehirne eingespeichert gewesen. Alles war nach einem eingegebenen Programm abgelaufen. Während die Aufzeichnungen ausgewertet wurden, unterhielt sich der Kommandant mit OrtyCoher. „Es ist jetzt ein Kinderspiel, die Abwehrbatterien außer Kraft zu setzen. Damit ist der Widerstand fürs erste gebrochen“, erklärte Terring-Lothor. „Der Spaß fängt erst an, wenn es drangeht, die Entführten aufzuspüren.“ „Sie machen mir Angst“, sagte die junge Caalitin. „Die Fremden?“ „Ich habe mir die Aufzeichnungen des, Kontakts angesehen“, sagte Orty-Coher. „Sie sind anders als wir... irgendwie leer...“ Terring-Lothor sah sie an. Er dachte an seinen Auftrag. Die Fremden mußten unerhört wichtig für die Gemeinschaft sein. „Wie war es?“ fragte Orty-Coher plötzlich. Sofort verfärbte sich ihre Gesichtshaut. Die Neugier hatte alle Disziplin besiegt. Die Caaliter lebten in enger Gemeinschaft mit der Geistesmacht, die hinter dem Leben im Universum steckte. Aber sie nahmen nur immer einen Teil von ihr wahr. Es war die tiefe Sehnsucht jedes Caaliters, mehr über diese großartige Kraft, die sie erfüllte, zu erfahren. Terring-Lothor griff nach der Hand des Mädchens und lächelte ihr beruhigend zu. „Ich verstehe dich, Orty. Vielleicht kann ich dir eines Tages etwas sagen, vorerst mußt du dich mit deinen Kontaktphasen zufriedengeben. Glaube mir: Die Gemeinschaft steckt in jeder Zelle von uns. Wir sind ein Teil davon, ohne uns gäbe es sie nicht.“ „Was ist, wenn die Abtrünnigen den Krieg gewinnen?“ fragte sie mit bangem Blick. „Wir sind hier, um das zu verhindern“, entgegnete er. Gerne hätte er ihr mehr gesagt. TerringLothor hatte diese junge Frau schon lange in sein Herz geschlossen.
Doch die Worte genügten, um sie die Bedeutung ihrer Mission erkennen zu lassen. Vielleicht waren die Fremden tatsächlich der Schlüssel zur Zukunft. Ein Offizier in roter Uniform trat näher und legte Terring-Lothor einige Folien vor. „Es geht los“, sagte der Kommandant der 2. Wachflotte. Kurz darauf verließen die fünf Schiffe seines kleinen Verbandes den Ortungsschutz der Sonne. * Die Schiffe schickten die ersten Strahlbahnen zielgesteuert auf die Abwehrforts hinab, ehe sie in deren Reichweite geraten konnten. Das Verderben blähte sich in Form greller Energiewolken über dem Stützpunkt der Abtrünnigen auf. Atompilze stiegen in die Atmosphäre, wo feindliche Batterien voll getroffen worden waren. Terring-Lothor wußte, daß sein Vorgehen schwache Stellen hatte. Er konnte vorerst nur hoffen, daß die unterirdischen Komplexe von den Verwüstungen an der Oberfläche weitgehend verschont blieben. Wie er dieses Töten haßte! Er wußte, daß jene Frauen und Männer seiner eigenen Rasse, die vor kurzem noch Schwestern und Brüder gewesen waren, willenlose Opfer jener Macht waren, die sie der Gemeinschaft des Lebens entrissen hatte. Aber sie waren zu Mordwerkzeugen geworden. Terring-Lothor kämpfte nicht für sich. Diesen Ehrgeiz hatte er nie gehabt. Es war das Leben im Universum, das auf dem Spiel stand. Terring-Lothors Schiffe landeten im Schutz ihrer Schirme in der ausglühenden Atomhölle. Mehrfach gesicherte Schleusen öffneten sich nach außen und spuckten Frauen und Männer in Schutzanzügen aus, die ebenfalls durch energetische Felder von der Außenwelt isoliert waren. Alles war viele Male abgesprochen und durchsimuliert worden. Die Caaliter hatten anhand der Fernaufnahmen den Aufbau des Komplexes studieren und eine Marschroute festlegen können. Frauen und Männer in roten Uniformen drangen in die Eingänge der Kuppeln ein und brachen den letzten erbitterten Widerstand der Verteidiger. Oft genug brachten es einige Caaliter nicht fertig, auf die überall auftauchenden Gegner zu schießen. Die anderen hatten diese Bedenken nicht. Immer noch strömten Rotuniformierte aus den Luken der Schiffe und verschwanden in den Schächten und Gängen der Kuppeln. Explosionen verrieten, daß weiterhin noch heftig gekämpft wurde. Nach etwa 15 Minuten erreichte Terring-Lothor die Nachricht, daß der Widerstand gebrochen war. Die Caaliter befanden sich auf dem Weg nach unten, ins Zentrum des weitverzweigten Komplexes. Sie würden die Gefangenen finden, sagte sich der Kommandant. Oft schon hatten sie ähnliche Stützpunkte der Abtrünnigen ausgehoben. Sie waren immer nach dem gleichen Prinzip gebaut. Etwas anderes machte ihm Sorgen. Das Schlimmste an derartigen Aktionen war immer, den Schwingungen der abgespalteten Urmacht zu entkommen. In jedem Stützpunkt der Abtrünnigen steckte ein Teil jener negativen Geistesmacht, die sie beherrschte. Hier war sie nicht zu spüren. „Übernehmen Sie die Koordination“, sagte Terring-Lothor zu einem seiner Offiziere und machte Anstalten, das Schiff zu verlassen. „Darf ich mitkommen?“ fragte Orty-Coher. Terring-Lothor nickte. * Terring-Lothor wußte, daß er sich während der Begegnung mit der Gemeinschaft des Lebens
verändert hatte. Ein schlummernder Sinn war geweckt worden. Obwohl er die Zusammenhänge immer noch nicht ganz begriff, wußte er um die Bedeutung der Fremden. Seine Sinne waren geschärft worden. Wenn es hier eine Projektion der gegnerischen Macht gab, hätte er sie erfassen müssen. Aber er spürte nichts. Terring-Lothor fühlte sich unbehaglich. Zusammen mit Orty-Coher erreichte er die unterirdische Plattform, in der alle Fäden zusammenliefen. Hier war die Befehlszentrale der Abtrünnigen. Seine Leute erwarteten ihn. Zwei Männer stützten einen der Fremden. Terring-Lothor sah auf den ersten Blick, daß dem Mann nicht mehr zu helfen war. Aus leeren Augen stierte er an den Caalitern vorbei. Terring-Lothor wurde fast übel, als er an all die Toten dachte, die er auf dem Weg zu dieser Etage gesehen hatte. Auch sie hatten ausgebrannt gewirkt. Aus jedem ihrer Gesichter hatte das Grauen gesprochen, dieses beispiellose Verbrechen, dessen Zeugen sie hier wurden. Der Kommandant teilte kleine Suchtrupps ein und schickte sie durch die überall abzweigenden Gänge. Wenig später kehrte einer von ihnen mit den beiden anderen Fremden zurück. Sie lebten zwar noch, aber sie waren Wracks. „Bringt sie ins Schiff“, ordnete Terring-Lothor an. Orty-Coher stand neben ihm und starrte auf die schwarze Kugel. „Sie ist leer“, sagte Terring-Lothor, der ihre Gedanken erriet. Das Monstrum hatte die Station verlassen, und trotzdem war es schwer, lange in die Kugel zu blicken. Sie symbolisierte etwas Ungeheuerliches. „Was geschieht jetzt mit ihnen?“ fragte die Frau. Terring-Lothor zuckte die Schultern. „Wir bringen sie nach Caalis. Dann wird die Gemeinschaft entscheiden.“ Die beiden Caaliter verließen als letzte den Raum und machten sich auf den Weg nach oben. Terring-Lothors Gedanken waren immer noch bei der Kugel. Er konnte nicht wissen, daß das Monstrum sich gerade in diesem Augenblick auf den Weg zur Kontrollwelt machte, wo allein es seine geheimnisvollen neuen Kräfte wirksam einsetzen konnte. Um die Gemeinschaft des Lebens zu besiegen, bedurfte es der direkten Gegenüberstellung. Terring-Lothor und die Fremden würden bald wieder in einem der drei Kontaktzentren stehen. Die negative Urmacht schlummerte in ihnen und wartete darauf, daß sie sie an ihr Ziel trugen. Die kosmische Bombe tickte in ihnen. Terring-Lothor ahnte davon ‘ nichts. Nach zwei Stunden gab er den Befehl zum Start.
8. Der Alte versuchte verzweifelt, aus der Umklammerung der monströsen Fangarme loszukommen. Aber je mehr er sich wehrte, desto stärker wurde der Druck. Der Loorde konnte durch das aufgepeitschte Wasser nicht erkennen, zu wem die Tentakel gehörten. Gemessen an ihrer Dicke mußte es ein riesiges Wesen sein. Der Alte hatte nicht die leiseste Ahnung, was sich während der Jahrmillionen seiner Abwesenheit auf Loord entwickelt hatte. Er versuchte, einen klaren Gedanken zu fassen, aber die Panik überlagerte alles. Es zog ihn immer tiefer hinab, und immer noch sah er keine Spur von dem Ungeheuer. Dafür schössen wie aus dem Nichts neue Fangarme heran und schlangen sich um seinen Körper. Teleportation war ausgeschlossen, auch für eine schnelle telepathische Sondierung fehlte ihm die Konzentration. Er konnte keine Hilfe erwarten. Langsam schwanden dem Alten die Sinne, Bunte Bilder von nie erlebter Plastizität tauchten vor seinen geschlossenen Augen auf. In
Sekundenschnelle erlebte er noch einmal sein „Erwachen“ auf Caalis, die Odyssee im Parallelkosmos und die Rückkehr nach Loord. Die Legenden wurden lebendig. Überall hatte er sie vernommen, nachdem er der Gefangenschaft des Monstrums entronnen war. Er wußte, was sich einst zugetragen hatte, als der Urkampf tobte. Der Ring der Universen! Sie waren verloren. In den Legenden war immer wieder die Rede von jenen geheimnisvollen Fremden gewesen, die im Urkampf aufgetaucht waren und die Entscheidung zugunsten der Lebensmacht herbeigeführt hatten. Aber der Loorde wußte, daß in dem Spiel, das sich eine auch ihm unbegreifliche Macht zurechtgelegt hatte, ein Faktor nicht stimmte. Er fragte sich, woher dieses Wissen kam, als er bereits die Schatten des Todes heranrücken sah. Aber die Fragen bohrten in seinem Gehirn. Immer wieder endeten seine Überlegungen bei einem zentralen Punkt: Welche Verbindung gab es zwischen seinem Volk und den alten Rassen, die vor Jahrmilliarden als erste Schöpfung das Universum mit Leben erfüllt hatten? Was hatte die Loorden nach Caalis geführt? Irgend etwas geschah, noch während der Loorde das Bewußtsein verlor. Aber er war schon zu schwach, um zu erkennen, worum es sich handelte. Die Tentakel lösten sich von dem Körper des Alten. Sie zuckten heftig durch das Wasser und zitterten. Nur für kurze Zeit spürte der Unsterbliche die elektrischen Schocks, die durch das Wasser weitergeleitet wurden. Sie ließen ihn sich noch einmal aufbäumen, dann entwich die letzte Luft aus seinen Lungen. Die Welt versank im Dunkel. * Als der Alte zu sich kam, lag er auf einer glatten Scheibe. Er richtete sich mit dem Oberkörper auf und spuckte Wasser aus. Eine Antigravplatte! erkannte er sofort. Von hinten legte sich eine Hand auf seine Schulter und drückte ihn wieder hinunter. Der Alte fuhr herum und stellte fest, daß er sich auf einem der auch im Raumhafenbetrieb üblichen Antigravtransporter befand. Um eine nach oben hin offene Halbkugel von mehreren Metern Durchmesser waren sternförmig fünf Lastplatten angeordnet. Sie durchmaßen alle etwa drei Meter. In der Halbkugel im Zentrum saßen zwei Androiden und waren damit beschäftigt, den Transporter durch die Klippen und die tückischen Winde auf festes Land zu steuern. Von Paac war immer noch nichts zu sehen. Der Alte hütete sich, eine entsprechende Frage zu stellen, denn es war unschwer, zu erkennen, wem er da in die Hände gefallen war. Die drei Androiden gehörten zu den Rebellen. „Bleibe liegen, Alter“, sagte der Mann über dem Unsterblichen. Er zog die Hand zurück und kniete neben seiner Beute nieder. Der Alte hatte die gesellschaftliche Struktur im Norden studiert. Er wußte, in welche Art von Leuten er den Burschen einzuordnen hatte. Der Androide würde versuchen, ihn zu einem horrenden Preis an die Führer der Rebellen zu verkaufen. „Ihr habt mich herausgefischt?“ fragte der Alte überflüssigerweise. Langsam spürte er, wie seine Kräfte zurückkehrten. Vielleicht würde er bald stark genug für eine Kurzteleportation sein. Hatten die Androiden eine Ahnung von seinen Fähigkeiten? Ihre Gedanken verrieten nichts. „Wir haben den Schein der Explosion gesehen“, erklärte der Mann auf der Scheibe grinsend. Er sah verkommen aus. „Es war eine ganz schöne Arbeit, dich loszukriegen“, fuhr er fort. „Du warst schon mehr tot
als lebendig, als die Mordpflanze dich losließ.“ „Eine... eine Pflanze?“ fragte der Alte perplex. „Was denkst du? Die ganze Küste ist verseucht von dem Zeug. Wir nennen es Mordgras. Es ist auch wirklich wie Gras, nur sind die Halme rund und fleischig und verdammt beweglich und reichen bis zu zwanzig Metern in die Tiefe. Sie ziehen die Opfer zum Grund hinab und präsentieren sie einer ganz speziellen Art von Fischen, die als Gegenleistung ihre Samensporen...“ „Jaja, schon gut!“ wehrte der Loorde ab. „Wie habt ihr mich herausgeholt?“ „Es ist nicht das erste Mal. Wir haben ein paar Harpunen in den Grund geschossen und unter Strom gesetzt. Das vertragen die Biester nicht.“ Der Alte nickte. Er erinnerte sich an die Elektroschocks. „Und jetzt?“ fragte er. „Ihr wißt natürlich, wer ich bin?“ Wieder grinste der Rebell. Natürlich wußten sie, was sich auf dem Südkontinent abgespielt hatte. „Du kannst fragen, Alter. Wir liefern dich im Hauptquartier ab und kassieren.“ Der Unsterbliche musterte den Androiden. Der war ein Händler, und im Zweifelsfall ging ihm ein gutes Geschäft über die Loyalität zu seinen Führern. Der Händler gehörte zu jener hier und da auftauchenden Gruppe von Androiden, die zwar ihre Schöpfer haßten, aber sich anpaßten und das Beste aus dem Unvermeidlichen machen wollten. „Und wenn ich dir ein besseres Geschäft vorschlage?“ Der Hagere kniff die Augen zusammen. „Ich bin gespannt.“ * Paac hatte mehr Glück gehabt als sein Herr. Der Androide war im allerletzten Augenblick aus dem Gleiter geschleudert und nach vorne katapultiert worden. Mit Hilfe der Antigravprojektoren war er relativ gut auf einem abgeflachten Felsriff gelandet, das mit dem Festland durch einen schmalen Grat verbunden war. Paac erreichte die Küste und begann mit der Suche nach seinem Herrn. Aber es hatte sie zu weit auseinandergetrieben. Paac ahnte nichts von der Gefahr, in der der Loorde geschwebt hatte. Er sah ihn erst wieder, als er auf einer Antigravtransportscheibe über ihm hinwegzog. Paac hatte die drei Männer rechtzeitig entdeckt und sich verborgen. Er erinnerte sich daran, Teile eines Depots zwischen den Felsen hinter der Küste gesehen zu haben, als er durch die Luft geschleudert worden war. Paac sah, daß der Transporter in diese Richtung flog. Er richtete sich auf, als die Scheiben über einem Felskamm verschwunden waren. Paac verließ sein Versteck und machte sich auf den Weg. Er sah noch einmal an sich herab. Alles, was er an Waffen besaß, waren ein kleiner Handstrahler und sein Messer. Er mußte seinem Herrn helfen. Es spielte jetzt auch keine Rolle, daß Paac über seine Identität Bescheid wußte. Das unterschied ihn von den übrigen loyalen Androiden. Aber auch von den Rebellen. Paac suchte seinen eigenen Weg. Loord sollte eines Tages wieder blühen und neues Leben entfalten. Paac spürte, daß das nie geschehen würde, wenn sie nicht die Station in den Bergen fanden, zu der sein Herr wollte. *
Der Alte hatte sich aufgerichtet. Er sah, daß der Transporter abwärts glitt. Er atmete innerlich auf. Die Androiden flogen also nicht direkt zum nächsten Hauptquartier der Rebellen. Irgendwo hier an der Küste mußten sie ein Lager errichtet haben. Vielleicht ergab sich eine Chance zur Flucht. Noch war er zu schwach für eine gezielte Teleportation. Es dauerte lange, bis die psionische Energie für einen Sprung aufgebaut war. Lapsar, wie sich der Mann nannte, mit dem er gesprochen hatte, war noch bei den beiden anderen, Cospol und Danaz, in der Steuerkugel und beriet über sein Angebot. Wer so lange wie der Alte gelebt hatte, so mußte Lapsar sich sagen, hatte eine Menge von der Welt gesehen und kannte Schätze, die möglicherweise die Belohnung für seine Ergreifung um ein Vielfaches überstiegen. Der Alte war sich jedoch ebenso im klaren darüber, daß Lapsars bestes Geschäft darin bestehen würde, beide Verdienstmöglichkeiten zu kombinieren. Lapsar stieg über auf die Scheibe und setzte sich zu dem Loorden. „Und?“ fragte der Alte. „Wir landen bei unserem Depot hier an der Küste“, gab der Androide zu Antwort. „Dann reden wir alle vier über die Sache. Wir wollen nichts überstürzen.“ Der Loorde holte tief Luft und stieß einen Fluch aus. „Lapsar, ich halte dich für einen Halunken, aber für einen, der Grips im Kopf hat. Was ich von euch verlange, ist, daß ihr mich schnellstens dorthin bringt, wo ich eigentlich schon längst sein müßte, verstehst du? Ich habe keine Zeit für langes Gerede. Laß uns bei eurem Lager landen und einen Gleiter nehmen. Ich garantiere dir, daß für euch genug herausspringt, um denen, auf deren Belohnung ihr jetzt scharf seid, die Orden abzukaufen.“ „Redet so einer der legendären Unsterblichen?“ fragte Lapsar mit unüberhörbarem Spott. „Ich habe Leute kennengelernt, die reden noch ganz anders. Die würden nicht so ein Theater machen wie ihr, wenn’s um ein Vermögen geht.“ „Konkret“, forderte der Händler. „Was springt für uns ‘raus?“ „Das Fünffache von dem, was sie im Hauptquartier für mich bezahlen würden.“ „Hört, hört!“ rief Lapsar und pfiff durch die Zähne. „Du weißt ja gar nicht, was sie ausgesetzt haben.“ „Das spielt keine Rolle. Ich garantiere dir das Fünffache! Du weißt doch, wer ich bin, oder? Na also: Ich kann dir verraten, daß es aus unserer Zeit Schätze, Stationen und Erfindungen auf Loord gibt, von denen eure Vorgesetzten keine Ahnung haben. Du bekommst diese Schätze, Lapsar, nur, beeilt euch!“ „Du willst zu einer solchen Station?“ Der Alte nickte. „Zu einer der wichtigsten von allen. Ich muß hinein und etwas finden, das für euch wertlos ist. Alles übrige gehört euch.“ „Welche Garantie habe ich, daß du keine krumme Tour versuchst?“ „Keine“, sagte der Loorde und sah Lapsar voll in die Augen. „Du hast noch die Chance, bald ist es zu spät. Dann kannst du mich meinetwegen abliefern.“ „Das kann ich immer noch, wenn du uns hereinlegen willst.“ Der Antigravtransporter landete. Jetzt sah der Alte das Depot der Händler. „Also gut“, sagte Lapsar. Der Loorde war erleichtert. Wenn sich die Gelegenheit ergab, würde er sich die Burschen vom Hals schaffen. Aber die Hauptsache war, daß er schnellstens zu dieser mysteriösen Station kam. Er spürte, daß seine Freunde Hilfe brauchten. Er hatte keine Ahnung, wie diese aussehen sollte. Aber wenn seine Vermutungen zutrafen, fand er in der Station in den Bergen das Bindeglied zur Vergangenheit. *
Paac erreichte das Depot kurz nach der Landung des Transporters. Anscheinend bildeten die drei Männer die einzige Besatzung des Lagers. Jedenfalls ließen sich keine weiteren Androiden blicken. Paac schlich sich im Schutz von Felsvorsprüngen näher an den Landeplatz des Transporters heran. Etwa fünfzig Meter von der Maschine entfernt, blieb er hocken. Zwei der Rebellen machten sich an einem startbereiten Gleiter zu schaffen. Offensichtlich stand ihr Aufbruch kurz bevor. Der dritte Mann hielt Paacs Herrn in Schach. Eine günstigere Gelegenheit würde so schnell nicht wiederkommen. Paac zog den Strahler aus der Tasche und zielte auf den Bewacher seines Meisters. Leise zischend fuhr der nadelfeine blaue Strahl aus dem Lauf und traf den Androiden in den Kopf. Lautlos fiel der Mann zusammen. Der Alte verstand sofort. Er hob die Waffe des Toten auf und wartete, bis Paac heran war. Paac’s Schritte machten die beiden anderen am Gleiter aufmerksam. Noch während sie sich umdrehten, schoß Paac. Einer der beiden war sofort tot. Der andere reagierte blitzschnell und feuerte auf den Alten, der seinerseits den Strahler im Anschlag hielt. Aber er schoß nicht. Der Strahl fuhr in den rechten Arm des Loorden. Paac riß die Augen weit auf und machte ein verständnisloses Gesicht. Dann erschoß er den Rebellen, bevor dieser noch einmal abdrücken konnte. „Warum?“ fragte Paac. „Warum •haben Sie nicht geschossen, Herr?“ Der Loorde sah den Androiden lange an. Ohnmächtige Wut sprach aus seinem Blick, als er den Toten zu seinen Füßen sah. „Es sind nur Androiden, Herr!“ Der Alte schrie Paac an und schmetterte seine Waffe auf den geglätteten Boden. „Was weißt du schon, du Narr! Sie leben wie wir! Sie fühlen und lieben und hassen! Sie sind Androiden, ja und? Sie sind perfekt und haben das gleiche Recht auf Leben wie wir! Du hast sie kaltblütig ermordet, Paac. Das hätten sie niemals getan!“ „Wer sind ,sie’?“ fragte Paac, sichtlich aus der Fassung gebracht. „Ein paar Leute von einer Welt, die sie Erde nennen. Von ihnen könntest du viel lernen, ihr alle!“ Der Alte beruhigte sich nur langsam. Dann sah er Paac in die Augen. „Du sagtest, sie seien nur Androiden. Du weißt es also?“ „Ja, Herr. Ihr habt uns geschaffen.“ „Und du haßt mich nicht dafür?“ „Nein, denn auch ihr seid geschaffen worden.“ * Es war nicht leicht gewesen, die Position der Station anhand der im Parallelkosmos erhaltenen Informationen zu ermitteln. Daß es überhaupt ermöglicht worden war, lag an den vereinzelten Hinweisen, die der Alte auf Loord selbst gefunden hatte. Es wimmelte tatsächlich überall von Relikten aus jener Zeit, in der die alten Caaliter auf Loord gelandet waren. Inzwischen hatte sich das Gesicht des Planeten verändert. Die geologischen Strukturen waren anders. Die Kontinente, die heute die Welt bedeckten, waren damals gar nicht vorhanden gewesen. Die Daten mußten immer wieder in Zusammenhang mit der planetarischen Entwicklung gebracht werden. Danach ließ sich der ungefähre Standort der Station bestimmen. Wahrscheinlich lag sie mittlerweile tief unter der Oberfläche. Der Alte würde sie also nur durch eine Teleportation erreichen können, wozu wiederum eine genaue Anpeilung mit den
empfindlichen Ortungsgeräten der loordischen Technologie nötig war. Der Gleiter hatte das Gebiet erreicht, in der der Unsterbliche die Station vermutete. Bisher war es zu keinem weiteren Zwischenfall gekommen. Der Alte spürte die steigende Erregung in sich. Wenn er es schaffte, in die Station zu gelangen, würde er vielleicht die brennende Frage beantwortet bekommen, welche Verbindung zwischen der loordischen Kultur vor 75 Millionen Jahren und den alten Völkern bestanden hatte. Das größte Projekt der Loorden fiel dem Alten wieder ein: Er selbst war an Bord eines der vielen Saatschiffe gewesen, die überall im Kosmos den Grundstein für eine neue Blüte des Lebens im Universum legen sollten. Waren die Loorden nur das Instrument einer anderen, viel höheren Macht gewesen? Die Seuche, die seine Rasse hinweggefegt hatte - war sie am Ende von jemandem gesteuert worden, dem diese Pläne nicht paßten? Der Alte zwang sich zur Konzentration. Er ließ die Instrumente nicht aus den Augen. Paac schwieg, als befürchtete er, seinen Herrn zu stören. „Ortung!“ rief der Alte plötzlich erregt aus. Aber die Freude hielt nur einen kurzen Moment an. Dann sah er, daß die Taster nicht die Station angemessen hatten. Eine Staffel von fünf Stratojägern der Rebellen stieß von oben auf den Gleiter herab.
9. Ceras Zustand näherte sich dem kritischen Punkt. Das Kind tanzte wie besessen von. einer Ebene in die andere. Es gab keine Sprache der Welt, die das hätte ausdrücken können, was in diesen Augenblicken mit dem Kind geschah. Jemand, der die Sinne dazu gehabt hätte, hätte vielleicht einen flackernden Energieschemen im Brennpunkt des Feuerrades über Caalis wahrgenommen. Dieser Brennpunkt lag ebensowenig in diesem Universum wie in einem der unzähligen Paralleluniversen. Um ein nicht definierbares Zentrum spannte sich ein endloser Ring von Realebenen. Theoretisch gab es ebenso viele von ihnen, wie es Kombinationen der kleinsten Teilchen gab. Manche der fremden Universen unterschieden sich nur durch eine unbedeutende Anordnung von Atomen, andere wiesen keinerlei Ähnlichkeit miteinander auf. Räumliche und zeitliche Trennungskriterien verschwammen im Brennpunkt aller möglichen Weltenräume. Über allen lag der Atem des Lebens. Es war dieser Hauch, den Cera in immer wieder anderer Form in sich aufsog, bis er ihr Gehirn zu sprengen drohte. Ceras Taumel endete abrupt, als sie den Sog spürte, der das Gleichgewicht zwischen den Welten plötzlich störte. Cera begriff instinktiv, daß es eine Katastrophe unvorstellbaren Ausmaßes geben würde, wenn die Fremdeinwirkung nicht aufhörte. Sie lauschte. Der Sog kam von dort, woher sie selbst gekommen war. Plötzlich waren die Stimmen überlaut. Cera wurde überschüttet von den auf sie einhämmernden Impulsen. Sie saßen in ihr. Das Kind begriff nicht mehr, was um sie herum vorging. Cera taumelte und ließ sich treiben. Sie geriet in den Sog und verlor das Gleichgewicht, das sie bisher im Schnittpunkt der Universen gehalten hatte. Cera hatte plötzlich große Angst. Sie sehnte sich nach Mam, nach Pa und nach Tante Harry. Vielleicht war sie zu früh aufgebrochen. Cera glitt zurück in das Universum, in dem sie geboren worden war. Der Sog wurde stärker. Irgend etwas zapfte den Ring an. Cera hatte keine Ahnung, was da am Werk war, sie wußte nur, daß das Gefüge des Ringes der
Universen in Gefahr war. Cera war zu schwach. Sie sah, wie die Sterne Form annahmen und sich stabilisierten. Dennoch hielt es sie im Bannkreis des Ringes. Cera hatte keine Kraft, aus eigenem Antrieb auf ihr Schiff zurückzukehren. Sie konnte nicht ahnen, daß ihre Eltern und Tante Harry ebenso hilflos einem Ungewissen Schicksal ausgeliefert waren. Sie wußte auch nicht, daß die Macht, die Mam und Pa in ihrer Gewalt hatte, für den Sog verantwortlich war. Cera schwanden die Sinne. Das letzte, was sie wahrnahm, war der Ruf, der sie aus der Unendlichkeit erreichte. * Das Verderben war auf dem Weg nach Caalis. Die schwarze Kugel im Stützpunkt der Abtrünnigen hatte nicht nur, wie sonst, einen Teil der Negativmacht enthalten, sondern die gesamte Substanz des Monstrums. In dem Augenblick, als Terring-Lothor die Station betreten hatte, war sie in ihn übergeflossen. Was mächtig genug war, ein ganzes Universum zu beherrschen, hatte in ihm und den Fremden Platz gefunden. In wenigen Stunden würde Terring-Lothor mit den Fremden eine Kommunikationszentrale betreten und der Lebensmacht gegenüberstehen. Hierauf beruhte der Plan der abgespaltenen Macht. Seit mehreren Stunden flössen die verhängnisvollen Ströme aus unzähligen Paralleluniversen in die Urmacht und potenzierten deren Kraft. Der Gegner würde keine Chance haben. Wie Materie und Antimaterie würden die beiden verfeindeten Urkräfte aufeinanderprallen, und die Lebensmacht würde im direkten Kontakt keine Chance haben. Der Urkampf wäre entschieden. Caalis war die Kontrollwelt. Hier wurde dafür gesorgt, daß die Stabilität des Ringes der Universen erhalten blieb. Hin und wieder kam es zu Störungen, dann mußte durch entsprechende Impulse der Ausgleich geschaffen werden. Normalerweise herrschte reger Verkehr in diesem Sektor des Weltalls. Jetzt aber waren die Wesen, die aus anderen Universen kamen, um zu forschen oder zu handeln, verunsichert durch die Vorgänge über Caalis. Überall in den Paralleluniversen war das Leben aus einer. Urschöpfung hervorgegangen. Und in jeder dieser Urkräfte steckte eine Komponente, die der Negativmacht verwandt war. Das Monstrum hatte eine Möglichkeit gefunden, diese Komponenten anzuzapfen und in sich überfließen zu lassen. Auf Caalis mußte man längst die Instabilität angemessen haben, aber es war unwahrscheinlich, ,daß man die Ursache erkannt und richtig eingeschätzt hatte. Der Ring der Universen würde zusammenbrechen. Aber auch das lag in der Absicht der Negativmacht. Impulse von außen konnten nur eine Gefährdung der eigenen Macht darstellen. Daran, daß in wenigen Stunden der URKAMPF zugunsten der Negativmacht entschieden sein würde, zweifelte sie keinen Augenblick. Niemand konnte daran zweifeln. Das Verderben nahm seinen Lauf... * Terring-Lothor ahnte von alledem nichts. Ansonsten hätte er keinen Augenblick gezögert, seine Schiffe in die nächste Sonne zu steuern. Der Ring stand groß und flammend auf den Schirmen. Der Kommandant erschrak bei dem Anblick. Aber dann sagte er sich, daß er sich täuschte. Der Ring sah anders aus als sonst.
Unten rechts auf dem großen Bildschirm in der Zentrale sah Terring-Lothor die Sonne der Kontrollwelt. Caalis war als roter Leuchtpunkt auf den Ortungsinstrumenten zu sehen. Noch eine Stunde! dachte der Caaliter. Orty-Coher stand neben ihm. „Ich habe Angst“, sagte sie. Auch Terring-Lothor spürte eine tiefe, innere Unsicherheit. Etwas stand bevor. „Spruch von der Kontrollwelt!“ rief einer der Männer in den Raum. „Instabilität am Ring! Stufe 7.“ Orty-Coher stieß einen heiseren Schrei aus. Terring-Lothor griff nach ihr und brachte sie mit einer Geste zum Schweigen. Er trat neben den Caaliter und überzeugte sich an den Konsolen selbst von den Stabilitätsschwankungen. „Kurs weiter wie zuvor“, ordnete er an. Dann ging er zurück an seinen Platz. Das Mädchen sah ihn fragend an. „Auf der Kontrollwelt werden sie eine Antwort haben“, sagte er. Caalis war jetzt als kleine Kugel auf den Schirmen sichtbar geworden. Es dauerte nicht mehr lange, bis sie festen Boden unter den Füßen hatten. Plötzlich fuhr ein Schott auf, und eine Gestalt stürmte in die Zentrale. Terring-Lothor riß die Augen auf. Er erkannte die Frau, die anscheinend bei den Fremden das Kommando innehatte. Wie eine Furie schoß sie in die Zentrale. Jetzt sah sie Terring-Lothor. Sie schien ihn wiederzuerkennen. Wie, um alles in der Welt, war sie in die Zentrale gekommen? Man hatte sie in einer Zelle der Abtrünnigen als lallendes Wrack gefunden. Ausgebrannt und ohne Willen. Die Frau (Terring-Lothor konnte nicht wissen, was es mit Harry Vanderbuilts Körper auf sich hatte) kam schwankend auf den Caaliter zu. Der sah jetzt deutlich, wie schwer der Fremden jede Bewegung fiel. Sie wirkte gesteuert, wie ein perfekter Robot. „Weitermachen“, rief Terring-Lothor seinen Leuten zu. „Landung vorbereiten!“ Die Frau hatte den Kommandanten erreicht. Sie keuchte, aber sie gönnte sich keine Rast. Die Worte sprudelten nur so aus ihrem Mund. „Sie... Sie dürfen nicht landen, hören Sie? Sie dürfen dieses Schiff nicht nach Caalis steuern. Machen Sie kehrt. Irgendwohin, aber weg von Caalis!“ Terring-Lothor wartete darauf, daß sein Übersetzer zu arbeiten begann. Das Gerät benötigte einige Grundelemente der fremden Sprache; um die Worte in einen Sinn zu bringen. Jetzt lieferte das Gerät die ersten Bruchstücke. Terring-Lothor erschrak. Mehr noch als das, was er hörte, entsetzte ihn der Gesichtsausdruck der Fremden. Das war nicht mehr die Frau, mit der er kurz geredet hatte. Dies hier war ein Wesen in reiner Todesangst. Terring-Lothor stellte eine entsprechende Frage, die das Gerät in seiner Hand übersetzte. Die Frau starrte ihn an wie einen Geist, dann wiederholte sie ihren Appell, wobei sie wild mit den Armen in der Luft herumfuchtelte. Irgend etwas sagte dem Caaliter, daß er keinen Augenblick zögern durfte, der Aufforderung nachzukommen. Aber da war sein Auftrag, den er von der Gemeinschaft selbst bekommen hatte. Sie mußte wissen, was sie tat. Die Fremde mochte erkennen, was in ihm vorging. Noch einmal beschwor sie ihn und brüllte dabei so laut, daß die Frauen und Männer in der Zentrale abermals ihre Arbeit vergaßen. Dann sprang die Frau plötzlich zurück und riß eine Pistole aus der Kombination. „Weg da!“ rief sie den Caalitern an den Steuerkontrollen zu. Als diese sich nicht rührten, schoß sie mitten in die Konsolenbänke hinein. Die Caaliter sprangen auf und rannten in alle Richtungen davon. Die Fremde schlug einem Mann, der auf sie zugestürmt war, den Kolben der Waffe über den
Schädel und zerschoß die Kontrollbänke. Binnen Sekunden war die Schiffszentrale in Qualm und Blitze getaucht, die Frauen und Männer wurden von Panik ergriffen und stürzten sich in die Lifte, die zu den Decks mit den Rettungsbooten führten. Terring-Lothor hatte den ersten Schrecken überwunden und schrie sich die Lungen aus dem Leib, aber im allgemeinen Chaos ging seine Stimme unter. Ohnmächtige Wut packte den Kommandanten. Sie vernebelte seine Sinne, und er merkte nicht, wie etwas tief in seinem Innern erwachte und Besitz von ihm ergriff. Die Zentrale war leer. Durch die treibenden Schwaden sah Terring-Lothor, daß die Fremde immer noch an der gleichen Stelle stand und auf den Schirm starrte. Caalis war aus dem Erfassungsbereich der Zieloptik geglitten. Sie hatte ihr Ziel erreicht. Orty-Coher war als einziges Mitglied der Besatzung geblieben und packte Terring-Lothor flehend an einem Ärmel. Fluchend stieß er sie zu Boden. Der Kommandant der 2. Wachflotte hatte den Strahler in der Hand und ging auf die Fremde zu. Der Befehl, der aus seinem Innern kam, war eindeutig. Er lautete: töte sie! * Christopher Reed war sich dessen bewußt, daß er der einzige Mensch war, der sich nicht in der Gewalt der abgespalteten Urmacht befand. Reed steckte irgendwo in Harry Vanderbuilts Bewußtsein. Er war gestorben und auf rätselhafte Weise wiedergeboren worden. Reed fühlte noch als Mensch, seine Sinne funktionierten, aber er hatte keine Ahnung, was das war, das von ihm geblieben war. Manchmal schlummerte er hilflos in Vanderbuilt, dann wieder war er wach und fühlte eine rätselhafte Energie in sich. Als die Negativmacht Harry unter ihren Bann gezwungen und sein Gehirn ausgebrannt hatte, war Reed wach gewesen, aber irgend etwas hatte ihn vor dem Grauen abgeschirmt. Er hatte miterleben müssen, wie Harry zum Wrack geworden war. Es waren die schrecklichsten Minuten in seinem Leben gewesen. Auch Christine und Skip waren nicht verschont geblieben. Christopher Reed wußte in jeder Einzelheit, was das Monstrum vorhatte. Es war tatsächlich bereits jene monströse Macht, der sie im Parallelkosmos gegenübergestanden hatten. Die Menschen waren aus der Zukunft hierhergerissen worden, aus einer Zukunft, in der das Monstrum in ein anderes Universum verbannt worden war. Im Urkampf hatte die Lebensmacht gesiegt. Reed wußte, daß in wenigen Stunden der Kampf für das Monstrum entschieden sein würde. Die Caaliter würden landen, eine Kommunikationsstätte aufsuchen und ungewollt das Monstrum mit seiner um ein Vielfaches potenzierten Kraft mit sich schleppen. Einmal in direktem Kontakt mit der Lebensballung, gab es für diese keine. Rettung mehr. Dann aber stimmte die Zukunft nicht.’ Reed wußte jetzt, daß sie nicht aus Zufall hier gelandet waren. Ihre Reise in die Vergangenheit war gesteuert worden. Die Konsequenz war verrückt: Sie sollten die Vergangenheit ändern. Aber damit änderten sie die Zukunft. Das Monstrum war in ihrer Zeit besiegt. Die Steine dieses Puzzles paßten nicht zusammen. Vielleicht gab es ihre Zukunft nur, wenn sie jetzt handelten? Reed wußte, wie phantastisch diese Annahme war. Ich darf nicht zulassen, daß sie landen! durchfuhr es ihn. Was immer mit uns gespielt wird, vielleicht ist alles Bestandteil eines gigantischen Planes. Vielleicht mußten wir in diese Lage kommen, um irgendwann später einmal geboren werden zu können?
Er dachte an Cera. Welche Rolle spielte das Kind? Christopher Reed schwang sich auf. Sie hatten nichts zu verlieren. Wenn es ihm gelang, Harrys Körper zu steuern... Nach mehreren erfolglosen Versuchen schaffte er es, einen Finger des Frauenkörpers zu bewegen. Die Caaliter hatten sie auf Betten gelegt und überwachten sie wahrscheinlich. Dieses Risiko mußte er eingehen. Nach einer Viertelstunde konnte er sich aufrichten. Er spürte nichts von Harry. Reed unterdrückte das aufsteigende Gefühl, das ihm die Kehle zuzuschnüren drohte. Harry war sein Freund gewesen, und nie würde er jene Minuten vergessen, in denen dieses namenlose Grauen ihn zur willenlosen Puppe gemacht hatte. Christopher machte die ersten Gehversuche und gelangte an den Ausgang des kleinen Lazaretts. Es war immer noch ein fremder Körper für ihn. Er mußte sich auf jede Bewegung konzentrieren. Die Tür vor ihm glitt auf, und einer der Grüngesichtigen erschien. Der Caaliter trug nicht die rote Uniform der anderen, sondern eine Art Kittel. Er mußte ein Arzt sein. Reed sah sofort die Spritze in seiner Hand. Er wollte ihn betäuben. Christophers Faust fuhr in die Magengrube des Caaliters. Der Arzt sank zu Boden und blieb reglos liegen. Reed kippte um bei dem Versuch, sich zu bücken und nach der Spritze zu greifen. Nur unter großen Schwierigkeiten brachte er den Körper wieder unter Kontrolle und injizierte die Nadel dem Caaliter. In einer Tasche des Kittels fand er eine Pistole. Staksend trat Reed auf einen Gang hinaus und sah einen Lift. Er hoffte, daß auch die Caaliter, ebenso wie ihre Nachfahren auf Loord, mit Antigravitationskraft arbeiteten. Tatsächlich trug ihn der Lift nach oben. Reed griff nach den Ausstiegsstangen und zog sich hinaus auf das Deck, auf dem der meiste Betrieb zu sein schien. Vielleicht befand sich hier die Zentrale. Reed hatte sein Vorgehen im Kopf. Alles, was er tun konnte, war, eine Landung des Schiffes auf Caalis zu verhindern. Zumindest mußte er Zeit gewinnen. Vielleicht konnte er den Kommandanten zur Umkehr bewegen. Ansonsten mußte er das Schiffflugunfähig machen. Er erreichte ohne Zwischenfall die Zentrale, indem er einer Farbmarkierung folgte, die er von den Loord-Schiffen her kannte. Christopher fand den Burschen, mit dem Harry über Bildfunk gesprochen hatte, als sie erstmals Kontakt gehabt hatten. Er versuchte, ihm, zu erklären, worum es ging, aber es war zwecklos. Schließlich mußte er die Steuerungsinstrumente zerstrahlen. Die Frauen und Männer flohen. Nur noch der Kommandant war übrig. Eine Frau versuchte, ihn zurückzuhalten, aber er stieß sie weg. Der mit Rangabzeichen übersäte Rotuniformierte kam langsam mit angeschlagener Waffe auf Reed zu. Christopher sah den starren Blick des Mannes, und in diesem Moment wußte er, daß das Monstrum von ihm Besitz ergriffen hatte. Christopher Reed blickte sich schnell um, aber er sah keinen Ausweg. Er vergaß die eigene Waffe. Seine Glieder begannen zu zittern. Er war zu schwach, um weiterhin den Körper Vanderbuilts zu kontrollieren. Er stürzte auf den harten Boden zu Terring-Lothors Füßen. Beißender Dampf stieg in seine Augen. Dann fauchte die Energiewaffe auf. * Orty-Coher glaubte, ihren Augen nicht zu trauen.
Terring-Lothor hatte die hilflose Fremde kaltblütig erschossen. Im gleichen Augenblick schlich sich etwas in Orty-Cohers Bewußtsein. Sie wußte, was sie zu tun hatte. Terring-Lothors wahres Gesicht lag offen vor ihr. Sie kannte seine Absichten. „Nimm mich mit“, sagte sie, als sie neben ihm stand. Der Kommandant sah sie nur kurz an. Seine Augen verrieten, daß er nicht mehr sich selbst gehörte. „Komm!“ Orty-Coher folgte Terring-Lothor in die Beiboothangars. Er wird versuchen, direkt zu landen, ohne sich erst an Bord eines anderen Schiffes zu begeben, sagte die Stimme in ihr. Du mußt es verhindern! Wie denn? fragte sie lautlos zurück.
10. Die Enttäuschung und das Gefühl der Hilflosigkeit trieben den Alten in einen Wutausbruch. Selbst wenn sie mit diesen fünf Angreifern fertig wurden, würden neue kommen. Sicher war die Verstärkung schon unterwegs. Wenn er wenigstens eine Ortung von der Station hätte! Irgendwo dort unten im Fels mußte sie liegen. Oder hatte er sich zu sehr auf die Angaben der Wesen im Parallelkosmos verlassen? Wenn es die Station nun gar nicht gab? „Kümmere du dich um sie“, wies der Alte den Androiden an. „Wir brauchen Zeit.“ Er wußte, daß er sich auf Paac verlassen konnte. Während der Gleiter wilde Ausweichmanöver flog, um die Zielautomatiken der Rebellen zu verwirren, arbeitete er weiter mit den Ortungsinstrumenten. Ein einziges Echo konnte über alles entscheiden. Der Loorde spürte, daß er stark genug war, um zu teleportieren. Paac landete einen Treffer. Eins der gegnerischen Boote raste auf ein Felsmassiv zu und explodierte. Aber das konnte nicht darüber hinwegtäuschen, daß sie jetzt keine Chance mehr hatten. Der Impuls stand im gleichen Augenblick auf den Schirmen, als die Energiebahn in den Leib des Gleiters fuhr. Die Reaktion des Alten war spontan. Er nahm die Positionsdaten in sich auf und konzentrierte sich auf den Sprung. Noch bevor die grelle Lichtflut in die Pilotenkanzel drang, löste er sich auf. Paac starb schnell. Er nahm die Gewißheit mit in den Tod, nicht umsonst gelebt zu haben. Frauen und Männer wie er würden eines Tages eine neue Kultur auf Loord errichten und an die Tage ihrer Erbauer anknüpfen. Paac hatte als erster das Trauma der Androiden überwunden. Bald würden andere folgen und Loord zu neuer Blüte führen... * Noch während des Angriffs der Stratojäger hatte der Loorde sich die Atemhaube übergestreift. Das war seine Rettung. In der Halle, in der er sich nach dem Sprung wiederfand, herrschte Vakuum. Ohne Maske hätte es ihm sofort die Luft aus den Lungen gerissen. Die Kraft kehrte relativ schnell zurück. Der Alte sah sich um. Der Boden der Halle war spiegelglatt, die Grundfläche rund.
An den Wänden, die in die kuppelförmig gewölbte Decke übergingen, befanden sich unzählige Instrumente. Sie arbeiteten, aber der Alte hatte das bestimmte Gefühl, daß sie erst durch sein Auftauchen nach einer Ewigkeit zu neuem Leben erwacht waren. Keine Energiequelle der Welt hätte sie ununterbrochen mit Strom versorgen können. Weißblaues Licht lag über der Szene. Aber aller Reiz dieser unbekannten Welt verblaßte gegenüber dem Gebilde in der Mitte der Kuppel. Tausende von schimmernden Kristallen schwebten, offenbar von Fesselfeldern in ihrer ewigen Lage gehalten, zu einer großen Kugel angeordnet etwa einen Meter über dem Boden. Die Kugel durchmaß knapp zwei Meter. Eine grandiose Welt aus Licht und Farben, wie der Loorde sie noch nie gesehen hatte. Sein Blick sog sich in der Kristallkugel fest. Ein Bann legte sich über sein Bewußtsein. Er glaubte zu wissen, daß dort vor ihm die Antwort auf die Fragen der Vergangenheit lag. Der Alte von Loord rührte sich nicht von der Stelle. Er hockte immer noch dort am Boden, wo er rematerialisiert war. Aber es schien ihm, als ob die Kugel sich für ihn öffnete und die Kristalle sich um ihn schließen würden. Irgendwoher erklang eine Melodie, die sich im Spiel der Farben schnell steigerte, bis die Töne jenen Bereich erreicht hatten, in dem normalerweise die Wahrnehmung endete. Aber die Musik schwoll noch weiter an. Plötzlich war es, als sängen die Kristalle. Alle Fragen lagen offen ausgebreitet im Bewußtsein des Alten. Und dann hörte er die Antwort. Aus dem Farbenspiel der Kristalle wurden Bilder... * LOORD... Die Schiffe der Caaliter landeten auf der Urwelt, als der Krieg sich dem Ende zuneigte: Die Besatzungen gehörten zu den vielen Gruppen der Flüchtlinge, die weder der einen noch der anderen Seite angehörten. Sie waren keine Rebellen, aber sie waren durch den URKAMPF aus ihrem inneren Gleichgewicht gerissen worden. Die Negativmacht hatte sie nicht unter ihren Bann bringen können, aber die Bindung an die Lebensmacht war nicht mehr intakt. Der Krieg tobte überall im Universum, in vielen Galaxien, obwohl der Brennpunkt der Auseinandersetzung über Caalis lag. Die Versprengten landeten und errichteten eine Station, in der sie den Ausgang des Krieges zu überleben hofften. Sie hatten keine Ahnung davon, was passieren würde, wenn die Negativmacht siegte. Und es sah zu diesem Zeitpunkt ganz nach diesem Sieg der Abtrünnigen aus. Die Raumfahrer wußten, daß die Negativmacht einen neuen Trumpf im Ärmel hatte. Sie nannten ihre Station Loord. Aber bald schon spürten die Frauen und Männer, daß sie ohne den Kontakt zur LEBENSBALLUNG nicht mehr lange leben würden. So verbrachten sie ihre letzten. Tage damit, sich selbst und ihrem Volk ein ewiges Denkmal zu schaff en. Die Caaliter konstruierten die LOORD-KRISTALLE. In der riesigen Kristallkugel speicherten sie nicht nur die Erinnerungen ihrer Rasse, sondern installierten zugleich ein genetisches Programm, das dann einmal das Leben auf Loord prägen sollte, wenn die Schöpfung dieser Welt reif dafür war. Sie nahmen damit das vorweg, was die Loorden später einmal selbst mit ihrer Saatflotte initiieren ‘ würden. Indirekt schufen, sie den Grundstein für die Entstehung der Menschheit auf der Erde. Die Caaliter erfuhren nicht mehr, wie der Krieg ausgegangen war. Sie starben und ließen ihre Station zurück.
* Der Alte spürte, wie die Bilder verschwammen. Er wußte jetzt, daß seine Vermutungen richtig gewesen waren. Alles, was sein Volk getan hatte, war vorprogrammiert gewesen. Wenn er auch einzelne Zusammenhänge nicht verstand - noch nicht, so war ihm doch klar, daß die Entwicklung der Loorden von einer bestimmten Phase an von den Loord-Kristallen gesteuert worden war. Aber das Bild der Vergangenheit konnte nicht stimmen! Der Loorde wußte genau, daß das Monstrum den Urkampf verloren hatte. Es war verbannt worden. Wie paßte das alles zusammen? Die Kristalle bewegten sich wieder. * CAALIS: Riesige Komplexe, schlanke Türme, die über einem Meer von Kuppeln in den Himmel ragten. Hektischer Betrieb, Schiffe der verschiedensten Völker auf den großen Raumhäfen. Caalis war die KONTROLLWELT DES RINGES DER UNI VERSEN. Von hier aus wurde der Verkehr mit den parallelen Ebenen geregelt und dafür gesorgt, daß keine Instabilitäten entstanden. Caalis war weiterhin jene Welt, auf der die Lebensballung, die hinter dem Leben im Universum stand und überall im Kosmos, bis hin zu den entferntesten Galaxien, zugegen war und halbstofflich mit dem körperlichen Leben in Kontakt stand. Hier fand der Rückkopplungsprozeß statt, der die Evolution weiter nach vorne trieb. Die Caaliter vollzogen den Kontakt und die Kontrollaufgaben stellvertretend für alle Rassen der Lebensgemeinschaft. Der größte Unterschied zu den Wesen, wie sie später einmal entstehen würden, bestand in der noch ursprünglichen Verflechtung des körperlichen Lebens mit der Geistesmacht. Nachdem ein Teil der Lebensballung sich abgespaltet hatte, ging etwas von diesem Fluidum verloren. Fast noch schlimmer war, daß der rege Verkehr zwischen den Universen zum Stocken kam. Die Bewohner der anderen Ebenen fürchteten eine Kettenreaktion. Der RING DER UNIVERSEN war plötzlich ohne Leben. * Als der Alte wieder erwachte, wußte er, daß er nicht mehr erfahren würde. Die Kristalle konnten nur das vermitteln, was ihre Konstrukteure selbst gewußt hatten. Sie waren gestorben, ehe der Krieg endgültig entschieden war. Aber der Loorde war jetzt imstande, die Legenden aus dem Parallelkosmos in einem neuen Licht zu sehen. Es war unmöglich, daß das Monstrum den Krieg gewonnen hatte! Das aber war die Folge der Berichte gewesen, die die Kristalle geliefert hatten. Die Legenden berichteten von den Fremden, die in der letzten Phase des Urkampfs aufgetaucht waren. Sie schwiegen über die Rolle dieser Fremden, aber der Alte wußte plötzlich, daß es nur eine Deutung gab. Seine Freunde waren in die Vergangenheit geschickt worden, um den Ausgang des Kampfes zu korrigieren! Nur sie konnten die Fremden sein, von denen die Mythen sprachen. Der Loorde hatte ihnen gegenüber nichts von dem erwähnt, was er drüben erfahren hatte. Vielleicht war das ein Fehler gewesen. Welche Macht griff in den Ablauf der Zeit ein? War es überhaupt möglich, die Vergangenheit
zu ändern, ohne damit die Zukunft zu zerstören? Welche Zukunft? fragte sie der Alte. Was ist real und was Fiktion? Welche Zukunft steht am Ende der Manipulationen? Hatte die Korrektur bereits stattgefunden? Der Loorde spürte einen leichten Schwindel. Er zwang sich, logisch zu denken. Die Schilderung der versprengten Caaliter entsprach nicht den Legenden aus der Parallelwelt. Es handelte sich um zwei verschiedene Zeitabläufe. Der Ausgangspunkt dieser möglichen Zeitlinien war der Urkampf. Dort wurden die Weichen gestellt. Legte man die reale Zukunft zugrunde, die der Loorde als sein Umfeld kannte, dann hatte die Lebenskraft gesiegt und das Monstrum in den Parallelkosmos verbannt. Erst Milliarden Jahre später waren Skip und seine Gefährten geboren worden. Der Alte ertappte sich bei dem Gedanken, daß auch die Entstehung der Menschheit einem Programm der Caaliter gefolgt war. Wenn die Entwicklung positiv verlaufen war, wieso hatten die Menschen dann in die Vergangenheit reisen müssen? Waren sie der Endpunkt eines sich immer wiederholenden Kreises? Zwei verschiedene Zeitlinien! durchfuhr es den Loorden. Sie fließen über Caalis zusammen. Wie sah die alternative Zukunft aus, jene Zukunft, die dem Sieg des Monstrums gefolgt wäre? Nur in einer solchen Entwicklungslinie konnte überhaupt die Notwendigkeit für eine Änderung der Vergangenheit im Sinne der Lebensmacht entstanden sein. Der Alte spürte, daß er der Lösung nahe war. Plötzlich wußte er, daß es tatsächlich ein Kreis war, der sich mit der Mission der Menschen schloß. Der Anstoß war irgendwo in einer Zukunft gegeben worden, die aus dem Sieg des Monstrums gefolgt war. Aber das war nicht die reale Zukunft, wie er sie kannte. Er lebte bereits in jener Zeitlinie, die auf der Korrektur basierte. Der Alte wußte ebenso plötzlich, was seine Rolle nun war. Seine Aufgabe bestand darin, für die Rückkehr der Freunde zu sorgen. Es würde keine Rückkehr im eigentlichen Sinn sein, denn aus der Vergangenheit gab es keine. Die Legenden besagten nämlich ebenfalls, daß die Fremden allesamt im Urkampf umgekommen seien. Und doch warteten sie auf ihn, irgendwo am Schnittpunkt der Zeitlinien... Der Loorde fragte sich einen Augenblick, ob nicht auch in ihm ein Teil jener Macht steckte, die die Menschen gelenkt hatte. Jener Macht, die CERA hieß... Der Alte ging auf die Kristallkugel zu und rief nach dem Kind. Durch Raum und Zeit eilte ein stummer Impuls und erreichte sein Ziel. * Der Loorde hatte einen Teil von dem erkannt, was sich, Milliarden von Jahren vor seiner Zeit und doch auf phantastische Weise mit der unmittelbaren Gegenwart verbunden, über Caalis abspielte. Was er nicht wissen konnte, war, daß der Plan jener Macht, die die Dinge bisher gesteuert hatte, schon im Ansatz fehlgeschlagen war. Das, was sie als ultimate Waffe in den Kampf geschickt hatte, hatte anders als erwartet reagiert. Die Spontaneität eines Kindes war schuld daran, daß die Zeitlinien jeden Augenblick wechseln konnten. Daß doch noch eine winzige Chance für einen Erfolg bestand, war einem Zufall zu verdanken. Die Entscheidung fiel jetzt über Caalis. „Jetzt“ - das lag eine Ewigkeit zurück.
11. Terring-Lothor raste seinem Ziel entgegen. Die vier Begleitschiffe waren längst außer Sichtweite. Terring-Lothor hatte ihnen erklärt, daß die plötzlichen Umstände es nicht zuließen, daß sie auf der Kontrollwelt landeten. Sie sollten bei dem flugunfähigen Wrack seines Schiffes bleiben und auf weitere Befehle warten. Mit dem kleinen Beiboot näherte sich die geballte Kraft des Monstrums, der abgespalteten Urmacht, dem Planeten. Immer noch flössen die Energien aus dem Ring in das über, was von Terring-Lothor Besitz ergriffen hatte. Der Caaliter speicherte diese Energien. Er war wütend darüber, daß ihm keine Zeit geblieben war, um die Fremden an Bord zu nehmen, die alle einen Teil der Negativmacht in sich getragen hatten. Jetzt lastete alles auf ihm. Das Vorgehen war klar. Sofort nach der Landung würde er sein Kommunikationszentrum aufsuchen, um Bericht zu erstatten. Niemand würde es wagen, Terring-Lothor aufzuhalten. Die Lebensballung war ahnungslos. Das, was vor der Abspaltung einmal zu ihr gehört hatte, war vollkommen isoliert in Terring-Lothors Bewußtsein. Die einzige Aktivität bestand darin, den Caaliter zu steuern. Erst in der Kommunikationszentrale würde das Monstrum sich explosionsartig entfalten. Terring-Lothor (vielmehr das, was aus ihm geworden war) blickte hinüber zum Kopilotensitz. Orty-Coher bedeutete keine Gefahr. Im Gegenteil, sie konnte von großem Nutzen sein, wenn es darum ging, die Bodenkontrollen zu beschäftigen. Das Beiboot war nun bis auf wenig Lichtsekunden an den Planeten heran. Das Schicksal von Caalis schien besiegelt. * Orty-Coher versuchte, das, was auf sie einströmte, zu verarbeiten. Terring-Lothors Verhalten beseitigte nun auch den letzten Zweifel über das, was diese Stimme in ihr verkündet hatte. Der Mann, zu dem sie sich hingezogen gefühlt hatte wie zu keinem anderen Caaliter, war nicht mehr er selbst. Etwas Furchtbares hatte von ihm Besitz ergriffen. Etwas, das ihn zwang, das Verderben zur Kontrollwelt und zur Gemeinschaft zu tragen. Du mußt ihn daran hindern, drängte es wieder in ihr. Verhindere die Landung! Wie denn? Ich kann doch nicht einfach... Du mußt! Du mußt den Kurs ändern, sobald ich den Impuls gebe! Den Impuls? fragte Orty-Coher still in sich hinein. Wir müssen ein für allemal Schluß mit dem Krieg machen. Ohne uns ist die Gemeinschaft verloren, Orty-Coher. Alles liegt jetzt in deiner Hand! Orty-Coher verstand nicht, was die Worte des Fremden zu bedeuten hatten. Du mußt mir vertrauen! * Christopher Reed wußte jetzt, wozu die immer noch unbekannte Macht die Menschen in die Vergangenheit geschickt hatte. Alle Zusammenhänge lagen offen vor ihm, wenn er auch nicht verstand, wie die Ursache-Wirkung-Kette im einzelnen funktionieren konnte, ohne chaotische Paradoxa herbeizuführen.. Reed spürte, daß er keine Zeit mehr hatte, darüber nachzudenken.
Es war ihm in letzter Sekunde gelungen, von Harrys Körper in die junge Caalitin umzuwechseln. Bereits einmal, im Parallelkosmos, hatte er seinen eigentlichen Wirtskörper für kurze Zeit verlassen können, um den unentschlossenen Cas’Cahoon in die Kristallkuppel zu führen. Damals war er in Harrys Kunstkörper zurückgekehrt. Jetzt war das anders. Christopher Reed wußte seit Harrys Tod, daß der Abschied diesmal endgültig sein würde. Auch Christine und Skip würden nie mehr das sein, was sie vor der Begegnung mit dem Monstrum gewesen waren. Monstrum! dachte der Mann bitter. Eine simple Bezeichnung für eine Macht, die am Anfang allen Seins gestanden hatte. Vieles, was Reed und seine Gefährten in den letzten Monaten erlebt hatten, war unfaßbar und scheinbar ohne Sinn. Es paßte gut in diesen Rahmen, daß dieses Monstrum nun in einem einzigen Mann auf sein letztes Ziel zuraste. Ebensowenig begriff Reed, daß das Ding in Terring-Lothor seine Anwesenheit in Orty-Coher nicht wahrnahm. Irgendein Faktor mußte ihn isolieren, sonst wäre er längst ebenso ausgebrannt worden wie Christine, Skip und Harry. Aber er lebte. Und er konnte denken. Schräg über Caalis stand der gigantische rote Ring im Weltall. Reed wußte, daß er jetzt an einem Schlüsselpunkt angelangt war. Von den nächsten Minuten hing die Zukunft ab. Wenn es ihm nicht gelang, über Orty-Coher das Monstrum in TerringLothor zu stoppen, würde es niemals eine Menschheit geben. Jedenfalls keine, wie er sie kannte. Die Instabilität des Ringes... Verbannung... Aus Einzelsteinen setzte sich ein Bild zusammen. Reed gab Orty-Coher die Anweisung, die sein Todesurteil bedeutete... * Jetzt! befahl die Stimme. Orty-Coher griff in die Steuerkontrollen. Ehe Terring-Lothor reagieren konnte, schoß das Boot aus dem Orbit hinaus ins freie All. Terring-Lothor riß die Augen auf und starrte die Frau an. „Bist du verrückt geworden?“ schrie er sie an und schlug ihr ins Gesicht. Orty-Coher starrte ihn erschrocken an. Die Kontrollen, Orty! Sie nickte automatisch. Bevor Terring-Lothor reagieren konnte, riß sie ihm den Strahler aus dem Gürtel und zerstrahlte die Bedienungselemente der Steuerung. Von jetzt an war eine Einflußnahme auf den Kurs nicht mehr möglich. Terring-Lothor stieß einen heiseren Laut aus, als er begriff, was sie getan hatte. Er sah abwechselnd von ihr zu dem Gebilde, das jetzt genau in der Mitte der Frontsichtscheibe stand. Auch Orty-Coher schluckte.. Sie rasten mitten in den Ring hinein, und nichts konnte den Kurs mehr ändern! Es ist gut so, Orty! Es muß sein, um die Zukunft zu retten! „Was hast du getan?“ brüllte Terring-Lothor außer sich. Mehrere Dinge geschahen gleichzeitig: Die Empfangsautomatik des Bordfunkgeräts sprach gleich mehrmals an, ein halbes Dutzend Schiffe der Wachflotte tauchte zu beiden Seiten des Bootes auf, und Terring-Lothor bäumte sich ruckartig auf. Ein heftiges Zittern lief durch seinen gequälten Körper, dann sank er leblos in sich zusammen. Orty-Coher glaubte, die Besinnung zu verlieren, als sie die Augen sah, aus denen Terring sie im Tod noch ansah. Die Besessenheit war aus ihnen gewichen. Der Tod hatte den Mann aus der Umklammerung des Monstrums gerissen.
Die akustischen Signale des Funkempfängers bohrten sich schrill in den Kopf der Frau. Immer noch starrte sie fassungslos auf den Toten im Pilotensitz. Weiter, Orty! Du darfst nicht aufgeben! In den Ring! Orty-Coher zwang sich dazu, die Wachschiffe und die Anrufe zu ignorieren. Als sie den Blick hob, erschrak sie. Jetzt war die Instabilität im Ring auch mit bloßem Auge sichtbar. Das Licht im Zentrum des gigantischen Feuerrades flackerte wie bei einer abgebrannten Kerze. Der rote Rand zuckte und schien sich auszudehnen. Schneller, Orty! Sie drückte den Beschleunigungshebel voll durch und löste ihre Augen nicht von dem flammenden Gebilde, das jetzt die Frontscheibe ganz ausfüllte. Orty-Coher hatte jenen Punkt erreicht, an dem ihr alles gleichgültig war. Sie ließ sich treiben. Aber plötzlich schlich sich die Angst in ihr Gehirn. Noch nie war ihr zu Bewußtsein gekommen, wie ungeheuerlich dieses Gebilde war, das sie zu kennen geglaubt hatte wie ihre Sonne. Der Hauch der Welten jenseits des Ringes schlug in die Pilotenkanzel des Bootes hinein. Immer wieder die monotone Stimme: Weiter! Und da war jetzt etwas anderes, das den Weg in ihr Bewußtsein suchte. Die Caalitin schrie schrill auf, als sie begriff, daß das Monstrum, die komprimierte Negativmacht, Terrings toten Körper verließ, um sie zu übernehmen. Unbewußt nahm die Frau wahr, wie ein Bündel von Strahlschüssen vor dem Bug des Gleiters vorbeizischte. Die letzte Warnung der Wachschiffe, die ihr Vorhaben erkannt hatten, obwohl sie die Zusammenhänge noch nicht ahnen konnten. Der fremde Impuls in ihr schien in Panik zu geraten. Bis zum Ring waren es noch Lichtmonate. Überlicht, Orty! Ein heißer Schauer floß durch ihren Körper, als sie die Hand ausstreckte, um den entsprechenden Impuls zu geben. Die Negativmacht unternahm einen letzten verzweifelten Versuch, die Niederlage abzuwenden. Die Waffe, die sie gegen die Lebensballung einzusetzen beabsichtigt hatte, griff nun nach ihr selbst. Die Energien flössen immer noch aus dem Ring und zerrissen das hyperphysikalische Gefüge des Weltentrichters. Es gab keinen Bezugspunkt mehr für das Monstrum. Orty-Cohers Hand erreichte die Taste, die den Überlichtantrieb aktivierte. Ein Druck, und nichts konnte den Sturz in den Ring mehr aufhalten. Überlicht, Orty! kam es immer wieder von dem Fremden. Die Impulse waren jetzt schwächer. Das Fremde hatte den Kampf gegen das Monstrum aufgenommen. Einen Kampf, den es nie gewinnen konnte. Der Finger des Mädchens berührte die Taste, aber etwas lahmte ihre Hand. Mit aller Kraft schob sie ihren ganzen Körper vor und konzentrierte sich nur noch auf den entscheidenden Druck. Eine Strahlbahn fuhr direkt über die transparente Kanzel hinweg und fraß ein Loch in die Hülle des Beiboots. Gleichzeitig tauchte ein riesiges Diskusschiff direkt vor dem Gleiter auf. Kollision! durchfuhr es Orty. Der Schrecken nahm den Bann für jenen kurzen Moment von ihr, der ihr genügte, um instinktiv die Überlichttaste einzudrücken. Der Weltraum mit seinen tausend Sternen, mit Caalis und den Schiffen verschwand. Es blieb lediglich ein riesiges, waberndes Gebilde direkt in Flugrichtung. Rasend schnell schoß der Gleiter darauf zu. Etwas explodierte in Orty-Coher. Die beiden unbegreiflichen Kräfte in ihr waren aufeinandergeprallt wie Materie und Antimaterie. Orty-Coher starb ohne Schmerzen. Der wabernde Ring schob sich über das Boot und verschlang den Körper. Im gleichen
Moment wurden alle von der Negativmacht aufgespeicherten Energien aus vielen Fremduniversen freigesetzt und in das Hyperenergetische Nullfeld geworfen. Der Ring der Universen blähte sich auf und verschwand scheinbar übergangslos aus dem Universum. Er hatte aufgehört, zu existieren. Mit ihm war der abgespaltete Teil der Urmacht aus dem Universum der Caaliter verschwunden. Später einmal würde man von einer Verbannung sprechen. Die Schiffe der Caaliter flohen in hellem Entsetzen und sammelten sich über Caalis. Erst lange Zeit später stabilisierte sich das System erneut. Die Rassen des Universums begriffen, daß der Krieg vorbei war. Sie sollten erst später erfahren, um welchen Preis das geschehen war. Die beiden Fremden, die sich noch an Bord von Terring-Lothors Schiff befunden hatten, konnten der Gemeinschaft des Lebens keine Hinweise mehr geben. Sie waren wenige Stunden nach Terrings Flucht gestorben. Während das Leben im Caalts-Universum langsam, aber sicher stagnierte, weil es keine Impulse aus dem Ring mehr erhielt, brach in jenem Kosmos, in den das Beiboot mit dem Monstrum geschleudert worden war, als der Ring der Universen sich auflöste, die ewige Nacht an. Auch davon ahnte man nichts. Ein Kreis hatte sich geschlossen. Nur ein Mensch hatte vage begriffen, daß er und seine Gefährten sterben mußten, um einmal leben zu können. Sie hatten ihre Aufgabe erfüllt. Christopher Reed war in dem gleichen Augenblick wie Orty-Coher gestorben. Trotz der Panik glaubte er, kurz vor dem Tod noch etwas Vertrautes wahrgenommen zu haben. Ein Schemen, der an ihm vorübergejagt war. Es war nur ein Gefühl gewesen, das ihn an Cera denken ließ...
12. Cera war so übel wie nie in ihrem kurzen Leben. Immer wieder kam sie kurz zu sich. Sie spürte den Sog, der alles zerstörte. In einer Art Trance sah sie, wie sich die Türen wieder schlössen. Eine nach der anderen fiel zu. Mit jeder Tür verschwand etwas von der Wärme, die sie bisher umfangen hatte. Es wurde kalt und leer. Von irgendwoher wurde Cera gerufen. Aber der Sog hielt sie fest. Er konnte sie nicht aus dem Korridor herausreißen, auf dem die Türen lagen. Cera glaubte, jetzt sterben zu müssen. Wieder der Ruf! Das Kind riß alle Kraft zusammen und konzentrierte sich. Nun sah sie deutlich ein Gesicht vor sich. Sie kannte es. Ein Lebensfunke durchfuhr das Kind. Das Gesicht erinnerte sie an Mam und Pa. Und an Tante Harry. Etwas kam auf den Korridor zu. Etwas Furchtbares! Cera wollte zu der Stimme, aber sie war so weit weg von ihr. Das Etwas kam näher. Es würde den ganzen Korridor sprengen. Cera spürte ihren imaginären Herzschlag. Noch einmal hörte sie den Ruf aus Raum und Zeit. Wie eine schützende Hand legte er sich um Cera. Cera wollte weinen, aber sie hatte keine Tränen, die sie vergießen konnte. Niemand würde sie hören oder sehen können. Noch nie hatte sich Cera so allein und verlassen gefühlt.
In wenigen Sekunden war das Furchtbare heran. Dann erkannte das Kind die Impulse. Der Schrecken peitschte ihre letzten Kraftreserven an die Oberfläche. Sie hörte den Ruf und stieß sich ab. Der Korridor verschwand, als sich die letzten Türen schlössen. Nur eine blieb offen. Cera kannte sie. Dort lebten die Gläsernen...
13. Der Alte wußte nicht, wie lange er gewartet hatte, als er den schwachen Schemen neben den Kristallen entstehen sah. Er war einige Meter zurückgetreten. Dennoch spürte er, daß sie als Medium wirkten. Nur über sie konnte er in jenes Kontinuum vordringen, in dem Cera sich befand. Die Luft flimmerte jetzt stärker. Etwa drei Meter neben den Kristallen entstanden für ein paar Sekunden die Umrisse eines kleinen Körpers. Der Alte hielt den Atem an. Was er nicht wirklich geglaubt hatte, war eingetreten. Wenige Meter vor ihm versuchte Cera, zu materialisieren. Aber die Formen verblaßten wieder. Die Nerven des Alten waren zum Zerreißen gespannt. Cera hatte seinen Ruf empfangen, und sie wollte zurück. Aber irgend etwas hielt sie fest. Erneut flimmerte es neben der Kristallkugel. Und diesmal blieb der Kinderkörper stabil. Cera hatte es geschafft. „Cera!“ rief der Loorde und eilte auf das Mädchen zu. Er erreichte das Kind gerade noch rechtzeitig, um es aufzufangen. Cera kippte ohnmächtig in seine Arme. * Cera schlug die Augen auf. Der Alte hatte rings um die große Halle weitere Räume, darunter ehemalige Aufenthaltsräume der Erbauer, gefunden. Er hatte Cera auf eine weiche Liege gelegt und mehr als fünf Stunden Wache bei ihr gehalten. Fünf lange und schreckliche Stunden, in denen er immer wieder daran gezweifelt hatte, daß das Kind jemals wieder aufwachen würde. Die ganze Widersinnigkeit der Ereignisse, in die es sie alle hineingerissen hatte, war ihm bewußt geworden, als er das schlafende Mädchen betrachtet hatte. Ein zartes Kind, kaum älter als ein Jahr, mit dem Äußeren einer Fünfjährigen. Cera hatte sich noch mehr verändert. Der Loorde, der länger gelebt hatte als je ein menschliches Wesen vor ihm, kam sich winzig und kümmerlich vor, als er jetzt in ihre Augen sah. „Mam“, flüsterte Cera. „Mam, Pa...“ Sie sah auf und erkannte offensichtlich den Loorden. „Mam und Pa...“, begann sie erneut, „Tante Harry... wo sind sie?“ Der Alte schluckte betroffen. Im stillen hatte er gehofft, von Cera zu erfahren, was mit seinen Freunden von der Erde geschehen war. Er redete beruhigend auf das Kind ein. Cera sah ihn an. Ihre Augen leuchteten eigenartig. Irgend etwas Fremdes verbarg sich in ihnen, das bisher nicht an die Oberfläche gelangt war. Wieder fühlte der Loorde die Gewißheit, daß er nur eine Hülle sah. Eine Gänsehaut lief ihm über den Rücken, als er sich vorzustellen versuchte, was er wirklich vor sich hatte. Er wußte nicht, wie er sich Cera gegenüber verhalten sollte. Einmal sah er das hilflose, leidende Kind, das in Ereignisse gerissen worden war, die es nicht verstand, dann glaubte er zu wissen, daß Cera von Anfang an nur ein konstruierter Träger dieser Macht gewesen war. Er dachte daran, daß Cera nie wirklich gezeugt worden war.
Irgend etwas ließ ihn seine Aufmerksamkeit auf Ceras Gesicht lenken. Sie schien zu lauschen. Jetzt drehte sie den Kopf und sah hinaus auf den Gang. Cera stand auf und verließ das Lager. Der Alte wollte sie daran hindern, aber wieder spürte er, wie etwas seine Bewegungen hemmte. Cera trat auf den Gang, der die große Halle ringförmig umgab. Sie erreichte einen der vielen Durchstiege. Langsam folgte ihr der Loorde. Er sah, wie das Mädchen mit federleichten Bewegungen in die Halle trat. Wie von unsichtbarer Hand gelenkt, setzte sie einen Schritt vor den anderen. Vor der aus Tausenden von Kristallen bestehenden Kugel blieb sie stehen. Plötzlich begannen die Kristalle in allen Farben zu schillern und vollführten einen wahren Tanz untereinander. Ein feines Klirren wie von tausend kleinen Glocken erfüllte die Halle. Der Alte wagte nicht, die Halle zu betreten und Cera zu stören. Irgend etwas geschah in diesen langen Minuten. Als Cera sich abrupt umdrehte, wurde es totenstill, und die Loord-Kristalle glitten wieder in ihre alte Form. Erst jetzt spürte der Alte, daß er schweißüberströmt war und am ganzen Körper zitterte. Er, der unsterblich war und ganze Menschengeschlechter kommen und gehen gesehen hatte! Und dann berichtete das Kind. Der Alte erfuhr vom Sturz in die Vergangenheit und der Rolle der Menschen in der Auseinandersetzung der von den Urkräften gesteuerten alten Rassen Er hörte, daß Skip, Christine, Harry und Reed tot waren. Aber er hörte auch, daß sie ihre Aufgabe erfüllt hatten, wenn auch anders, als dies von jener Kraft, die alles bestimmte, geplant worden war. Sie hatte Cera dazu ausersehen gehabt, den Kampf zu entscheiden, aber nicht mit der Spontaneität des Kindes gerechnet. Nur ein Zufall hatte das Chaos verhindert: Christopher Reed. Cera ließ den Alten nicht zur Ruhe kommen. Er sah eine letzte Aufgabe vor sich, und plötzlich wußte er, daß noch eine winzige Chance bestand, seine Freunde zu retten. Cera berichtete von Dingen, die er nicht verstand. Sie redete von Zeitlinien, die sich irgendwo zusammenfanden. Irgend etwas ging von Cera aus, das ihn keinen Augenblick an ihren Worten zweifeln ließ, obwohl er die letzten Zusammenhänge nicht begriff. Er vertraute ihr. Mehr noch: Er wußte plötzlich, daß am Ende die Erklärung für all das stand, das jetzt noch unbegreiflich für ihn war. Er zögerte, dann nahm er das Mädchen bei der Hand. Sie war nicht mehr das lustige, verspielte kleine Kind, das erst lernen mußte, seine Kräfte zu gebrauchen. Cera war erwachsen. Das, was in ihr steckte, hatte sich mit ihr vereinigt. Und am Ende, das wußte der Alte jetzt, würde es sich zeigen. Gemeinsam gingen sie in den Schlafraum. Sie brauchten viel Kraft, wenn sie ein letztes Mal aufbrachen... * Der Kreis der Zeit hatte sich geschlossen. Durch einen Milliarden Jahre im voraus geplanten Eingriff hatte sich die Zukunft selbst stabilisiert. Irgendwo am Schnittpunkt der Zeitlinien trieb über einer verschwundenen Welt ein Raumschiff. Es wirkte wie ein totes Stück Metall auf seiner ewigen Bahn im schweigenden All. Aber es gab Leben innerhalb der trostlosen Hülle, wenn auch eine seltsame Art von Leben. Es bedurfte eines Eingriffs von außen, um aus den vier Menschen wieder das zu machen, was sie einmal waren, bevor sie den Schnittpunkt erreicht hatten. Dann, wenn alle Fragen ihre Antwort fänden...
ENDE