Bernd Eggen · Marina Rupp (Hrsg.) Kinderreiche Familien
Bernd Eggen Marina Rupp (Hrsg.)
Kinderreiche Familien
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Bernd Eggen · Marina Rupp (Hrsg.) Kinderreiche Familien
Bernd Eggen Marina Rupp (Hrsg.)
Kinderreiche Familien
Bibliografische Information Der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
. . 1. Auflage Oktober 2006 Alle Rechte vorbehalten © VS Verlag für Sozialwissenschaften | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2006 Lektorat: Frank Engelhardt Der VS Verlag für Sozialwissenschaften ist ein Unternehmen von Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Druck und buchbinderische Verarbeitung: Krips b.v., Meppel Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in the Netherlands ISBN-10 3-531-15187-8 ISBN-13 978-3-531-15187-8
Fur die Unterstutzung bei der Erstellung der vorliegenden Studie danken wir unseren Kolleginnen und Kollegen: Renate Alber (FaFo), Dr. Kurt Bierschock, (ifb), Andrea Diirnberger (ifb), Brigitte Folker (FaFo), Marco Hiirpfer (Universitat Bamberg), Harald Leschhorn (FaFo), Natascha Kruusi (ifb) und Irene Steigenvald (ifb).
BambergIStuttgart im August 2006 Bernd Eggen
Marina Rupp
Vorwort Erfieulicherweise wird familienpolitischen Themen ein fruher kaum gekanntes Man an Aufmerksamkeit und Interesse zu Teil. In nahezu jeder Zeitungsausgabe finden sich Beitrage zum breiten Feld familienpolitischer Themen. Trotz dieser erfreulichen Tendenz bleiben Themenfelder, die sowohl in der Wissenschaft als auch in den Massenmedien kaum Beachtung finden. Das Thema ,,Kinderreiche Familien" zahlt dazu. Es ist geradezu erstaunlich, wie ,,gerauschlos" sich die Zahl der Familien mit 3 und mehr Kindern in Deutschland halbiert hat. Dabei ist gerade die Zahl kinderreicher Familien ein wichtiger Indikator fur die Familienund Kinderfreundlichkeit in unserem Lande. Die strukturelle Rucksichtslosigkeit gegeniiber Familien, die ,,Kinderentwbhnungx in unserer Gesellschaft, bekommen gerade kinderreiche Familien besonders zu spuren. Das gesellschaftliche Schnittmuster berucksichtigt gerade einmal 2 Kinder. Alles was daruber hinaus geht, fallt aus dem Rahmen. Egal, ob Wohnraumsuche oder Gaststattenbesuch, kinderreiche Familien bekommen oft zu spuren, dass sie nicht der Norm entsprechen. Um so erfreulicher ist es fur mich, wenn die FamilienForschung BadenWurttemberg im Statistischen Landesamt und das Staatsinstitut fur Familienforschung an der Universitat Bamberg das Thema ,,Kinderreiche Familien" gemeinsam aufarbeiten und in den Mittelpunkt rucken. Ich erhoffe mir, dass die Publikation einen Beitrag dazu leistet, Vorurteile gegenuber kinderreichen Familien auszuraumen und Verstandnis fir die Bedeutung und Belange von kinderreichen Familien zu wecken.
Christa Stewens Bayerische Staatsministerin fur Arbeit und Sozialordnung, Familie und Frauen
Der Geburtenriickgang in Deutschland ist wie in den anderen europaischen Landem und in Nordamerika weniger das Ergebnis zunehmender Kinderlosigkeit, sondern im Wesentlichen das Ergebnis eines Ruckganges der Familien mit drei oder mehr Kindem. In Deutschland ist allerdings die Quote an Mehrkinderfamilien heute besonders gering. Zu diesem Ergebnis kommt der 7. Familienbericht fur Deutschland, der im Fruhjahr 2006 der Offentlichkeit vorgestellt worden ist. Die vorliegende Arbeit uber kinderreiche Familien liefert nun zeitgerecht umfassende wissenschaftliche Erkenntnisse uber Strukturen und Befindlichkeiten kinderreicher Familien. Sie greift dabei auf verschiedene Methoden und Datenquellen zuruck. Diese Studie ist deshalb in vielerlei Hinsicht beispielhaft: Sie ist aktuell aufgrund ihrer Daten, aber vor allem aufgrund ihres Themas. Fruhzeitig wurde erkannt, dass kinderreiche Familien ein zentrales Thema in Wissenschaft und Familienpolitik sein sollten. Sie liefert neben den vertieften Einblicken in die Vielfalt der Lebensbedingungen kinderreicher Familien auch, durch den Vergleich mit Familien mit weniger Kindern, eine detaillierte Bestandsaufhahme m r Situation der Familien insgesamt in Deutschland. Sie integriert amtliche Statistik mit Erhebungen der empirischen Sozialforschung. Die differenzierten Ergebnisse belegen die Leistungsfahigkeit der amtlichen Statistik vor allem als Voraussetzung fur weitergehende quantitative und qualitative Analysen. Sie belegt mit ihren Analysen die fruchtbare Zusammenarbeit zweier renommierter wissenschaftlicher Einrichtungen: der FamilienForschung Baden-Wurttemberg des Statistischen Landesamtes und des Bayerischen Staatsinstitutes fur Familienforschung an der Universitat Bamberg. Mein Dank gilt den Autorinnen und Autoren dieser Studie, aber auch den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern beider wissenschaftlicher Einrichtungen. Ich wunsche der Studie, dass sie auf eine breite Resonanz in Wissenschaft, Politik und Offentlichkeit stofit.
Dr. Gisela Meister-Scheufelen Prasidentin des Statistischen Landesamtes Baden-Wiirttemberg
Inhalt 1 Einleitung 1.1 1.2
2 Historische und moderne Rahmenbedingungen 2.1 2.2
49
Wo leben die Mehrkinderfamilien? ..................................................49 Kinderreichtum und Familienformen .................................................. 50 Kinderreichtum und Migrationshintergmnd ....................................... 51 Kinderreichtum und enveiterte Haushaltsformen ..................... . ......52 Kinder in kinderreichen Familien ....................................................... 53
4 Bildung der Eltern und der Kinder 4.1 4.2 4.3
21
Die Entwicklung von Kinderreichtum bis m r Moderne ..................... 21 Kinderreiche Familien in der Moderne ............................................... 37
3 Mehrkinderfamilien heute in Deutschland 3.1 3.2 3.3 3.4 3.5
13
Zum Forschungsdesign der Studie ...................................................... 13 Datenbasis ........................................................................................... 16
55
Bildungsabschliisse: Partnenvahl unter Seinesgleichen ......................55 58 Arm an Bildung .Reich an Kindern? .............................................. Vererbung" sozialer Ungleichheit? .................................................6 1
.
5 Alltagsgestaltung und Erwerbsverhalten 63 63 Den Alltag bewaltigen .................................................................... 5.1 Kinderreichtum und Erwerbstatigkeit der Eltern ................................70 5.2 Die berufliche Entwicklung ............................................................ 75 5.3 6 Einkommenslagen der Familien 6.1 6.2 6.3 6.4 6.5 6.6
7 Wohnen 7.1 7.2 7.3 7.4
85
Einkommen und Wohlstandspositionen ........................................... 86 Einkommensarmut und -reichtum ............. . .....,.........................93 Einkommenslagen aus Sicht der Kinder ............................................. 95 Staatliche Transferleistungen und Einkommenskomponenten ...........96 Die subjektive Bewertung des Lebensstandards ..................... ........ 105 Kinderreichtum, Einkommensarmut und Familienpolitik in der EU 110
113
Kriterien angemessener Wohnverhaltnisse ....................................... 113 GroRe der Wohnung .......................................................................... 114 Eigentum oder Miete ................................... ...................................119 Wohnqualitat und Wohnzufriedenheit .............................................126
Inhalt
12
Entstehung und Entwicklung kinderreicher Familien 129 Herkunftsfamilie und subjektive Praferenzen ................................... 130 Die Partnerschaft ............................................................................. 138 Entwicklungspfade und Entscheidungsmuster ............................145
8.1 8.2 8.3
9 Kinderreichtum mischen Tradition und Moderne
167
10 Literatur
171
11 Tabellenanhang
179
1 Einleitung Bernd Eggenmarina Rupp
Rucklaufige Geburtenzahlen und der Mangel an Nachwuchs sind seit Iangerem Dauerthemen - in den Sozialwissenschaften, der Politik und in der Offentlichkeit. Allenthalben bekannt sind die steigenden Anteile Kinderloser und die geringen Geburtenziffern. Im Vergleich dazu findet der Ruckgang der kinderreichen Familien wenig Beachtung und wird in seiner Bedeutung damit unterschatzt: Demgegenuber identifiziert der 7. Familienbericht nicht die Kinderlosigkeit als das eigentliche demographische Problem in Deutschland, sondern die geringe Quote an Mehrkinderfamilien, welche die Kinderlosigkeit ausgleichen konnte (BMFSFJ 2005b: 40). Der Riickgang der grol3en Familien ist kein Phanomen der letzten vier oder funf Jahrzehnte, sondern hat bereits wesentlich friiher eingesetzt, und zwar spC testens Ende des 18. Jahrhunderts. Gleichzeitig beschrankt er sich keineswegs auf Deutschland. Er ist ein Phanomen, das in Europa, Nordamerika und spatestens seit Ende des 20. Jahrhunderts auch in Asien und Nordafrika auftritt. In Deutschland ist allerdings die Quote an Mehrkinderfamilien heute besonders gering.' Die Griinde hierfur sind weitgehend unbekannt, was auch daran liegt, dass die sozialwissenschaftliche Forschung dem Thema eher wenig Beachtung schenkte. So sind einzelne Aspekte, vor allem die Nachteile - beispielsweise die teils prekaren okonomischen Verhaltnisse kinderreicher Familien - bekannt. Was jedoch fehlt, ist ein ~berblick,eine quantitativ umfassende Analyse, die Einsichten in die Strukturen, aber auch in die Semantik kinderreicher Familien liefert. Die vorliegende Studie unternimmt einen Schritt in diese Richtung. 1.1 Zum Forschungsdesign der Studie
Angesichts der eher durftigen Kenntnisse m m Thema groBe Familien - die vorhandenen Studien beschranken sich auf wenige Eckdaten oder stutzen sich auf sehr kleine Stichproben von 20 bis 30 Familien - wird hier ein sehr breites Spektrum an Fragen eroffnet, das von historischen Aspekten und ihrer theoreti-
'
Die vorliegende Studie venvendet kinderreiche Familien, groBe Familien und Mehrkinderfamilien synonym.
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Einleituna
schen Einbettung bis zu einer empirischen Bestandsaufnahme der Gegenwart reicht. Damit stehen drei Themen im Vordergrund, um tiefer gehende Einsichten in die Lebensformen kinderreicher Familien zu gewinnen. Eingangs wird der historische Ruckgang kinderreicher Familien in Deutschland, in Europa, aber auch in anderen Teilen der Welt vorgestellt. Dies geschieht in engem Zusammenhang mit dem Wandel der Familie in entwickelten Gesellschaften. Den Kern dieser Arbeit bildet dann eine umfassende empirische Bestandsaufnahme der gegenwartigen Lebenssituation kinderreicher Familien, verglichen mit kinderarmen Familien in Deutschland, die fur verschiedene Bereiche sowohl einen aktuellen ~ b e r b l i c k(Querschnitt) als auch - soweit moglich - Entwicklungsstrange (Langsschnitt) aufzeigt. Erganzend werden Aspekte der Entscheidungsverlaufe auf dem Weg zur kinderreichen Familie herausgearbeitet. Wer die Gegenwart begreifen und etwas uber die Zukunft aussagen mochte, muss die Vergangenheit kennen. In diesem Zusammenhang wird die historische Entwicklung familialer Lebensformen dargestellt. Der Blick in die Vergangenheit belegt, dass der Riickgang der Geburten und der Mehrkinderfamilien keine jungere Erscheinung ist. Die Kenntnis der Entwicklung beugt zudem einer Ideologie und Politik vor, welche die Vergangenheit als eine bessere Zukunft beschworen und die Zukunft an der Vergangenheit orientiert sehen mochten. Denn durch eine riickwarts gewandte Perspektive werden aber gerade jene Probleme verschuttet, die es heute so schwierig machen, Familie m leben. Die empirisch bedeutsamen Veranderungen traten in Deutschland zwar verspatet, aber dennoch bereits am Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts ein. Anhand ausgewahlter Quellen l a s t sich der gleichformige Riickgang kinderreicher Familien in Deutschland und Westeuropa trotz regionaler, konfessioneller und schichtspezifischer Unterschiede vor 1900 beschreiben. Im 20. Jahrhundert setzt sich der Trend weltweit und nahezu auf allen Kontinenten, in allen Kulturen und Religionen fort. Wichtige Indikatoren hierfiir sind die zusammengefasste Geburtenrate (Periodenfertilitat), die endgultige Kinderzahl (Kohortenfertilitat) und die FamiIiengroDe. Gemessen an diesen Prozessen gab es zumindest in Deutschland in den letzten Jahrzehnten kaum noch relevante Verkderungen. In empirischen Arbeiten werden f i r den Ruckgang der Geburten und kinderreichen Familien zahlreiche Grunde genannt: Die zunehmende Pluralitat und Wahlfreiheit der Lebensformen, mangelnde Vereinbarkeit von Beruf und Familie, die materiellen und immateriellen Kosten, Zukunftspessimismus und auch Veranderungen im Wert von Kindern sind Beispiele hierfur. Diese Erklarungen sind plausibel und konnen als operationale Leitlinien fur empirische Analysen herangezogen werden. Aber sie sind oft induktiv aus vorliegenden Untersuchungsbefunden gewonnen und nicht etwa deduktiv theoretisch abgeleitet worden. Daher bleibt bei vielen dieser Begrundungen der Bemgsrahmen unklar, und
Zum Forschungsdesign der Studie
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den Erklarungen haftet eine gewisse Beliebigkeit an; sie sind weder uberschneidungsfrei noch vollstandig und daher theoretisch wenig fruchtbar. Um den Ruckgang der Mehrkinderfamilien in den letzten zwei Jahrhunderten und ihre Lebenssituationen in der Gegenwart angemessen beschreiben zu konnen, bedarf es aber eines theoretischen Rahmens. Dieser dient nicht nur dazu, die Vergangenheit besser zu verstehen, sondern auch mogliche Entwicklungen in der Zukunft abschatzen zu konnen. Im Anschluss an die historische Darstellung wird der Riickgang der kinderreichen Familien in entwickelten Gesellschaften systemtheoretisch und entscheidungstheoretisch begrundet, wobei der Wert von Kindern als ausschlaggebende Variable fur die realisierte Kinderzahl erachtet wird. Kinderarmut ist aus dieser Perspektive u.a. eine Folge davon, dass sich der Wert von Kindern fur ihre Eltern verandert hat. Dies ist verschiedenen gesellschaftlichen Entwicklungen geschuldet, die zu einer zunehmenden Individualisierung und Herausbildung der Familie zu einem eigenstandigen und selbstregulierenden Sozialsystem gefiihrt haben. Dies vollzieht sich vor dem Hintergrund eines generellen Differenzierungsprozesses, in dessen Folge sich gesellschaftliche Bereiche wie Wirtschaft, Bildung, Religion, Politik und Familie entstehen, die sich jeweils an eigenen Regeln orientieren, wobei vor allem Familie und Erwerbsleben mehr und mehr gegensatzlichen Logiken folgen. Fiir die alltagliche Herstellung von Partnerschaft und Familie entstehen neue Probleme, die zentral sind f i r den Ruckgang der Geburten: Unter dem Vorzeichen stark individualisierter Lebensverlhfe wird die Herstellung von Gemeinsamkeit schwieriger. Beziehungen werden fragiler und dies lost Unsicherheit aus, was sich schliel3lich auf die Bereitschaft, vielleicht auch auf die Fahigkeit auswirkt, iiberhaupt Bindungen einzugehen. Vor diesem Hintergrund entwickeln sich weitere Entscheidungen wie die Vereinbarkeit von Beruf und Familie, finanzielle Erwagungen oder die Ungewissheit der Zukunft erst zu relevanten Problemen. Kinderreichtum erscheint unter diesen gesellschaftlichen Bedingungen wie ein Gegenmodell zur modernen Gesellschaft: Als Voraussetzungen gefordert werden eine hohe Kohbion und Konsens im Paar sowie die Bereitschaft, langfristige, weitreichende Verpflichtungen einzugehen, die heute nur mehr schwer zu gewahrleisten sind. Damit sind Selbstbindungen verkniipft, die ihrerseits Stabilitat, Ruckhalt und Verbundenheit implizieren. Durch die Entscheidung fur eine grofie Familie werden diese eher traditionalen sozialen Muster verstarkt. Den Kern dieser Analysen bildet eine umfassende Bestandsaufnahme der Lebensverhaltnisse kinderreicher Familien im Vergleich zu Familien mit einem und zwei Kindern. Hierzu werden eingangs zentrale Aspekte ihrer Lebenssituation im Vergleich mit kleineren Familien so differenziert als moglich dargestellt, wodurch letztlich ein aktueller Uberblick uber die wesentlichen Strukturen der
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Einleitung
Familien in Deutschland geliefert wird, Ein wichtiges Thema ist dabei die Bildung der Eltern und Kinder, die vertieft untersucht wird. Hierzu gehoren Fragen zur Bildungshomogamie und -heterogamie sowie zur sozialen Vererbung von Bildung der Eltern an die Kinder. Die Erwerbsbeteiligung der Eltern und die Alltagsbewaltigung von Erwerbstatigkeit und Familie sind neben der Einkommenssituation der Familien weitere Schwerpunkte der Darstellungen. In diesem Kontext werden auch Einkommensarmut und Einkommenswohlstand thematisiert, also in welchem MaBe groDe Familien in Armut leben oder von Armut bedroht sind und vice versa als wohlhabend gelten. Im Hinblick auf die okonomische Lage sind staatliche Transferleistungen wichtig. Hier ist zu prufen, ob und inwieweit solche Zahlungen groRe Familien entlasten. Als wichtige Rahmenbedingung f i r Familien wird auch das Wohnen - inklusive Wohnungsarmut und Wohnumfeld - behandelt. Statt einer Zusammenfassung fragt das abschlieBende Kapitel nach den wichtigsten Einflussen entlang von Herkunftsfamilie, Beruf und Partnerschaft. Beginnend mit einem Blick auf den ,,urspriinglichen" Kindenvunsch vor der Familiengriindung wird dessen Realisierung und der Weg dorthin beleuchtet. AnschlieBend werden Erklarungszusammenhange aus der subjektiven Perspektive der Eltern herausgearbeitet und die Entscheidungsprozesse auf dieser Ebene nachvollzogen. Den Abschluss bildet eine komprimierte Zusammenfassung und Interpretation der Detailergebnisse. 1.2 Datenbasis
Die nachfolgend dargestellten empirischen Daten speisen sich aus vier unterschiedlichen Quellen, die kombiniert werden, um moglichst viele relevante Themen besprechen zu konnen. Dabei werden zugleich vier verschiedene methodische Zugange genutzt: Die zentrale Quelle fur Querschnittsanalysen bilden die Daten des Mikrozensus 2003, die von der FamilienForschung Baden-Wurttemberg (FaFo) ausgewertet wurden. Die groBen Vorteile dieser Datenbasis liegen zum einen in ihrer Reprasentativitat und zum anderen im Stichprobenumfang, der weitgehende Differenzierungen erlaubt. Spezifische Fragen - insbesondere zu Verlaufsaspekten - werden anhand der Daten des Bamberger-Ehepaar-Panels analysiert: Dabei handelt es sich um eine f i r Westdeutschland reprhentative Stichprobe einer EheschlieBungskohorte. Dieser Datensatz hat den Vorteil, einen Iangsschnittlichen
Datenbasis
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~ b e r b l i c kuber die Entwicklung von Ehepaaren wahrend der fertilen Phase zu geben. Vor allem fur die Frage nach der Wirkung staatlicher Interventionen auf die okonomische Situation von Familien und zur Modellierung des ~berganges zum dritten Kind wird auf die reprasentativen Daten des Soziooekonomischen Panels zuriickgegriffen. Erganzt und bereichert werden diese Informationen durch die Ergebnisse einer qualitativen Untersuchung, die das Bayerische Staatsinstitut fur Familienforschung an der Universitat Bamberg (ifb) mit 31 Eltern von drei und mehr Kindern durchgefuhrt hat. Diese Informationsquellen werden im Folgenden kurz erlhtert.
Der Mikrozensus Der Mikrozensus liefert alljahrlich eine reprhentative Statistik uber die Bevolkerung und den Arbeitsmarkt. Er erfasst 1% der Bevolkerung, das sind insgesamt rund 390.000 Haushalte mit 830.000 Personen; darunter etwa 150.000 Personen in rund 72.000 Haushalten in den ostdeutschen Landern und Berlin-Ost. Damit ist der Mikrozensus die groBte kontinuierliche Haushaltsbefragung in Europa. Im fruheren Bundesgebiet gibt es ihn bereits seit 1957, in den ostdeutschen Landern und Berlin-Ost seit 1991. Der Zeitpunkt der Erhebung liegt in der Regel in der letzten feiertagsfreien Woche im April. Die bevolkerungsstatistischen Daten beziehen sich unter anderem auf Geschlecht, Alter, Familienstand, allgemeine und berufliche Ausbildung, Einkommensquellen, personliches Nettoeinkommen, Haushaltsnettoeinkommen sowie Altersvorsorge der Bevolkerung. AuSerdem werden Informationen zu Haushaltskonstellationen, Familienformen sowie zu Nationalitat und Migrationshintergrund erhoben. Die enverbsstatistischen Daten umfassen zusatzlich die Beteiligung der Bevolkerung am Erwerbsleben, zum Beispiel Erwerbstatige nach ausgeiibter Tatigkeit, Art und Stellung im Bemf, Wirtschaftszweig des Betriebes oder der Firma, Lage und Dauer der Wochenarbeitszeit sowie Pendler nach benutzten Verkehrsmitteln und Zeitaufwand fur den Weg zur Arbeitsstatte. Das Erhebungskonzept des Mikrozensus umfasst ein festes Basisprogramm, das ubenviegend mit Auskunftspflicht belegt ist und jahrlich erhoben wird. Daruber hinaus gibt es in vierjahrigem Rhythmus Zusatzbefragungen, die bei der Halfte der Zensus-Stichprobe durchgeftihrt werden, zum Beispiel zur Wohnsituation, Gesundheit oder Altersvorsorge der Bevolkerung.
18
Einleitung
Die Ausschopfungsquote im Mikrozensus betragt regelmabig 97%. D.h, ein sehr kleiner Teil der adressierten Haushalte fallt aus, iibenviegend weil diese nicht erreichbar sind. Diese so genannten ,,bekannten Ausfalle" werden im Mikrozensus durch ein besonderes Verfahren ausgeglichen (Kompensationsverfahren). Bei Fragen mit freiwilliger Auskunftserteilung sind die Quoten der Aussagevenveigerung je nach Inhalt sehr unterschiedlich. Trotz seiner Grobe ist der Mikrozensus nur eine Stichprobe und damit sind typische Fehlerquellen zu berucksichtigen: Ausgewiesene Fallaufkommen von unter 5.000 basieren auf Hochrechnungen, denen weniger als 50 Befragungsfalle zugrunde liegen, und haben damit einen einfachen relativen Standardfehler von mehr als 15%. Solche Ergebnisse haben nur noch einen geringen Aussagewert und werden deshalb in der vorliegenden Untersuchung nicht beriicksichtigt. Wichtig ist auch, darauf hinzuweisen, dass es sich um eine Querschnittserhebung handelt. Letztlich liefert der Mikrozensus eine ,,MomentaufnahmeGder Verhaltnisse in der Berichtswoche.
Das Bamberger-Ehepaar-Panel Das Bamberger-Ehepaar-Panel (BEP) begleitete Paare aus den EheschlieDungsjahren 198711988 uber rund 14 Jahre hinweg. Wahrend der ersten sechs Ehejahre wurden diese Paare in zweijahrigem Abstand befragt. Hauptinteressen dieser Untersuchungen waren der ubergang zur Elternschaft und die Akzeptanz des Erziehungsurlaubes (wie die Mal3nahme damals hieb). Eine abschliebende Erhebung wurde bei diesen Ehepaaren 2002 durchgefihrt mit der Zielsetzung, die gesamte Phase der Familiengriindung und -enveiterung zu erfassen. Da die Teilnehmer der Studie nun am Ende der fertilen Phase angelangt waren, bot sich mit dieser Erhebung die einmalige Moglichkeit, die Familienbiographie in diesem zentralen Abschnitt sozialwissenschaftlich zu untersuchen. Das BEP bietet den groben Vorteil, Verlaufsanalysen zu ermoglichen, kann aber weder unterschiedliche Familienformen (Alleinerziehende, Stieffamilien) noch regionale DifferenZen abbilden. Einen wichtigen Bereich in dieser Studie mit eigenen Fragen bildeten die kinderreichen Familien, bestimmt als Familien mit drei oder mehr Kindern. Sie stellen im Bamberger-Ehepaar-Panel eine Gruppe von 18% aller Ehepaare bzw. 20% aller Paare mit Kind(ern). Bezogen auf die Individuen leben 193 Ehepartner mit mehr als zwei Kindern zusammen. Der Anteil dieser als ,,kinderreich" bezeichneten Familien im Bamberger-Ehepaar-Panel liegt damit etwas uber dem deutschen Durchschnittswert, der 13% aller Familien betragt. Die groBen Familien des Bamberger-Ehepaar-Panels haben zum weitaus grobten Teil drei Kinder,
Datenbasis
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21% haben vier und weniger als 1% funf oder sechs Kinder. Als Vergleichsgruppen stehen in der Stichprobe des Panel 53% der Befragten mit zwei Kindem, 20% der Befragten mit einem Kind und 9% kinderlose Teilnehmer zur Verfigung. Die Auswertung so kleiner Subgruppen wie die der grol3en Familien im BEP kann selbstverstandlich keine reprasentativen Ergebnisse produzieren. Dennoch kann anhand der Paneldaten ein interessanter Einblick in Entstehungszusammenhange und Lebenssituationen groRer Familien gewonnen werden. Der grol3e Vorteil dieser Datenbasis ist, dass die Familienbildung bei nahezu allen Teilnehmern als abgeschlossen betrachtet werden kann. Damit ist die Kategorisierung nach der FamiliengroRe nicht mehr vorlaufiger Natur, sondern beschreibt die Situation der Familien zutreffend. Es sol1 bereits vorab darauf hingewiesen werden, dass in dieser Studie nicht nur eine Selektion zugunsten der dauerhaften Ehen stattgefunden hat, sondem zugleich ein deutlicher ,,Mittelschichtsbias" vorliegt. Aus diesem Grund wird insbesondere bei der Darstellung der okonomischen Variablen auf die aussagekraftigeren Daten des Sozio-oekonomischen Panels zuruckgegriffen. Das Sozio-oekonomische Panel Das Sozio-oekonomische Panel (SOEP) ist die erste grol3e Panelstudie und adressiert rund 22.000 Personen in ca. 12.000 Haushalten in Deutschland. Es ist eine reprasentative Untersuchung, die jahrlich bundesweit durchgefuhrt wird und die soziale Lage der Haushalte und Personen breit erfasst. Dies erlaubt eine differenzierte Darstellung der Lebensverhaltnisse der Familien. Fur die Auswertungen zum Thema Kinderreichtum wurde der Datensatz von 2002 gewahlt. Die Analyse wurde auf Haushalte rnit mindestens einem Kind unter 18 Jahren beschrankt, da dies unserem Thema vorrangig entspricht und Vergleiche mit dem Bamberger-Ehepaar-Panel erleichtert. In der so gebildeten Stichprobe von 2002 befinden sich 1.234 Familien rnit einem, 1.469 Familien rnit zwei und 629 Familien mit drei oder mehr Kindern. Betrachtet werden somit 3.332 Familienhaushalte, denen 7.793 kinderlose Haushalte als Vergleichsgruppe gegenuber stehen. Im Hinblick auf die FamiliengroBe sind die Ergebnisse rechtszensiert, das heiRt: Was wir heute als ,,kleinere Familie" analysieren, kann sich noch zu einer groReren enhvickeln. Zu beachten ist weiterhin, dass auf der Basis des SOEP m a r Ost-West-Unterschiede analysiert werden konnen, f i r eine Auswertung nach Paarkonstellationen und Familienstand ist die Stichprobe jedoch zu klein. Fur die Darstellung der Veranderungen durch eine weitere Geburt wurden alle Daten des SOEP von 1984 bis 2003 ereignisbezogen analysiert. Dabei ist zu
20
Einleitung
beriicksichtigen, dass sich der Ereigniszeitraum auf 20 Jahre erstreckt. Die Datenbasis reduziert sich aufgrund der hohen Voraussetzungen bei dieser Art der Analyse deutlich und wird daher bei den einzelnen Analysen nochmals gesondert ausgewiesen.
Qualitative Befiagung kinderreicher Eltern Standardisierte Daten - selbst Paneldaten - lassen nur eingeschrankt Riickschliisse auf individuelle Motivationen, Bewertungen und Sinnkonstruktionen zu. Aus diesem Grunde wurde eine qualitative Untersuchung kinderreicher Familien durchgefuhrt. Angesichts des thematischen Fokus - der Nachzeichnung der Entscheidungsprozesse - wurden narrative Interviews gewahlt. Der Leitfaden ordnete thematische Bereiche der Lebensverlaufperspektive unter, so dass zu den jeweiligen ~bergangen (Entscheidungen fiir ein weiteres Kind) parallel die Rahmenbedingungen bzw. Veranderungen in anderen wichtigen Lebensbereichen zugleich thematisiert wurden. Demnach wurden nicht nur die Familienentwicklung in chronologischer Abfolge nachvollzogen, sondern implizit auch die Entwicklung der Partnerschaft, der Einkommens- und Wohnsituation sowie die Berufsverlaufe in Abhingigkeit voneinander. Die Anknupfung an die jeweilige Entscheidung fur ein (weiteres) Kind envies sich als giinstig, da diese Phasen sehr gut erinnerbar sind. Die Untersuchung wurde im Sommer 2003 durchgefuhrt und erreichte 23 Mutter und 8 Vater aus unterschiedlichen regionalen Beziigen. Die Gesprache wurden auf Band mitgeschnitten und anschliefiend transkribiert. Die Auswertung erfolgte mit MaxQDA.
2 Historische und moderne Rahmenbedingungen Bernd Eggenmarina R ~ p p
Jede Situation ist relativ und wird vor dem Hintergrund von Vergleichen mit anderen regionalen oder zeitlichen Rahmenbedingungen erst bewert- und verstehbar. Fur das Verstandnis der Zusammenhange zwischen allgemeiner gesellschaftlicher Entwicklung und der Kinderzahl erscheint uns die Kenntnis der historischen Prozesse als auiu8erst hilfreich. Daher werden eingangs die Veranderungen im ~ b e r g a n gzur Moderne beschrieben, ehe auf theoretische Begriindungen der gegenwlirtigen Situation eingegangen wird. 2.1 Die Entwicklung von Kinderreichtum bis zur Moderne Bernd Eggen
Wann ist eine Familie reich an Kindern? Diese Frage wird zu unterschiedlichen Zeiten und Orten ganz verschieden beantwortet. Sieht man heutzutage eine Familie mit drei Kindern als kinderreich und als etwas Besonderes an, so galten um 1900 Familien mit drei bis funf Kindern durchaus nicht als kinderreich, sondern als ,,normalLG im Sinne von durchschnittlich. Ob eine Familie kinderreich ist, hangt also von der jeweiligen Kultur und Epoche ab. Wer allerdings pauschal behauptet: einst reich an Kindern, heute arm an Kindern, dem widerspricht ein genauerer Blick in die Vergangenheit. Qbwohl es hier kaum moglich ist, den ,,Dschungel der Historischen Demographie" (Perrot 1992: 155) mit seiner Komplexitat der Situationen, Fakten und Interpretationen zu durchdringen, kann dennoch festgehalten werden: Familie ist stets eine historisch variierende Wirklichkeit. Struktur, Semantik und Formenvielfalt sind nur im Kontext gesellschaftlicher Entwicklung zu interpretieren. Die Familie hat sich in der Neuzeit, zuerst im England des 18. Jahrhunderts, grundlegend verandert. In Deutschland setzt sich dieser revolutionare Wandel im 19. Jahrhundert und zunachst im Burgertum durch: Es entsteht die moderne Familie. Ein wichtiges Merkmal ist der Wandel von einer primaren AuBenorientierung zu einer verstarkten Innenorientierung der Familie. Segmentbe und stratifikatorische Vorgaben verlieren und die einzelnen Familienmitglieder gewinnen als Personen an Bedeutung fur die Familie. Mit dem Wandel geht der Ruckgang kinderreicher Familien einher.
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Historische und moderne Rahmenbedingungen
Die historische Entwicklung zu beschreiben, ist insofern nicht einfach, als regionale und schichtspezifische Unterschiede zu beobachten sind, wodurch sich uber Iangere Zeitraume hinweg keine einheitliche Linie nachzeichnen Iasst. Damit dieses Nebeneinander verschiedener Entwicklungsstrange nicht zu uniibersichtlich gerat, ist es sinnvoll, verschiedene Phasen zu unterscheiden und getrennt zu erlautern. 2.1.1 Rahmenbedingungen der FamiliengroJe in der Friihen Neuzeit
Schon vor 100 und 200 Jahren gab es Familien mit vielen und mit wenigen Kindern. Die im Allgemeinen berichteten Durchschnittswerte uberdecken dies oftmals. Auch in fruheren Jahrhunderten bemuhten sich manche Eltern erfolgreich, die Zahl ihrer Kinder zu beschranken (Pfister 1994). Dennoch gehorten in der alten Zeit kinderreiche Familien m r Normalitat. Die Bauemfrau im Mittelalter bekam durchschnittlich wohl fiinf bis sechs Kinder (Russel 1983: 38). Im spaten Mittelalter und in der beginnenden Neuzeit vor dem 17. Jahrhundert waren bis zu zwanzig Geburten in der Ehe nicht selten (Weber-Kellermann 1996: 32). Allerdings gilt es zwischen Geburtenzahl und Kinderzahl zu unterscheiden. Es wurden viele Kinder geboren, aber ein Viertel bis ein Drittel starb vor der Mundigkeit, oftmals sogar mehr. Mangelnde Hygiene, Epidemien, Kriege, Schmutz und Enge der Wohnung trugen zu einer sehr hohen Kindersterblichkeit bei, so dass in vielen Familien nur ein bis zwei Kinder uberlebten. Vie1 mehr hatte die Familie auch kaum aufziehen konnen. Ein immenvahrendes Sterben pragte das Leben in der Familie. In der bauerlichen Gesellschaft betrachteten die Eltern ihre Kinder vor allem als Arbeitskrafte und Erben. So war ausreichender Nachwuchs einerseits von NBten, andererseits drohten mit der Geburt eines Kindes todliche Gefahren fur das Leben der Mutter und drangende Nahrungsprobleme fur die gesamte Familie. Angesicht der hohen Kindersterblichkeit wird davon ausgegangen, dass die Einstellung gegenuber Kleinkindern eher fatalistisch gepragt war und nicht zu vie1 emotionale Bindung hergestellt wurde. Der Tod eines Kleinkindes konnte durch die Geburt eines weiteren Kindes quasi ,,wettgemacht" werden (Sieder 1987: 38, 42-43), denn das einzelne Kind besal3 kaum eine eigene, individuelle Personlichkeit in einer Zeit, in der die Identitat des Einzelnen primar uber die soziale Einheit wie die Hausgemeinschaft, die Venvandtschaft oder ahnliches bestimmt wurde. Individuelle Ziele und Wiinsche waren eher irrelevant. Die Iandliche Gesellschaft gab weitgehend vor, welchen Platz der Einzelne, aber auch die Familie auszufullen hatte.
Die Entwicklunrr von Kinderreichtum bis zur Moderne
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~ b e n v i e ~ e nauljenorientiert d waren Familienleben und Erziehung auch in den Handwerkerfamilien, obgleich diese tendenziell weniger Kinder hatten als Bauernfamilien. Bedeutung besaljen Kinder hier weniger als Arbeitskrafte fur die eigene Hauswirtschaft oder den eigenen Handwerksbetrieb, sondem starker fur den Stand des Handwerkers und f i r die stadtisch-burgerliche Gesellschaft im Allgemeinen. Eine komplexe Heirats- und Stellenpolitik der Ziinfte forderte zudem hohe Mobilitat im Hinblick auf ein Leben auljerhalb der Familie (Sieder 1987: 116ff.). Nicht zuletzt aufgrund von Heirats- und Niederlassungsbeschrankungen stieg im Laufe der Zeit das Heiratsalter bei Mannern, aber auch bei Frauen auf Mitte bis Ende Zwanzig. Zusarnmen mit der hohen Sterblichkeit der Ehepartner verkurzte sich die fertile Phase auf 15 bis 20 Jahre, wodurch die Zahl der Geburten begrenzt wurde. Weiterhin war die Anzahl der Kinder im Haushalt zumeist geringer als die Zahl der Kinder, die tatsachlich iiberlebt hatten, denn die Kinder verlieljen die Familie fruh, um eine Lehre oder eine Dienststelle anzutreten. Dabei gilt: Je armer der Haushalt war, desto frtiher begann die Ablosung und desto weniger Kinder verblieben (Nipperdey 1993a: 1 14ff.). Aus diesen Griinden durften in den meisten Familienhaushalten nicht mehr als zwei oder drei Kinder gleichzeitig gelebt haben. Da auch in der Vergangenheit Kinder ein Risiko f i r die Familie bedeuten konnten, stellte sich von je her die Frage nach der Steuerung der Familiengrolje. Es ist davon auszugehen, dass in der Frtihen Neuzeit die bewusste Geburtenkontrolle nicht das dominante Muster war und die meisten Frauen solange Kinder gebaren, wie es biologisch moglich war. Aber auch hier sind breite Varianzen nach Schicht, Religion, Region etc. - zu finden. Schlieljlich ist die Geburtenbeschrankung keine Erfindung der Neuzeit. Die Menschen wissen spatestens seit der Antike von Mitteln und Methoden, die Schwangerschaft zu verhindern oder abzubrechen (Mackenroth 1953). Bauerliche Familien verfugten einerseits nicht unbegrenzt uber Land, andererseits mussten sie angesichts einer sehr hohen Mortalitat genugend Kinder haben, damit der Fortbestand der Familie gesichert war. Somit war zu vermeiden, dass die Zahl der Kinder, die ernahrt werden oder unter welchen der Familienbesitz aufgeteilt werden musste, zu grolj wurde. Ahnliche okonomische Vorgaben trafen auf die stadtischen Handwerksbetriebe zu: Das jeweilige Gewerbe, seine Produktionsweise, vorhandener oder fehlender Hausbesitz konnten regulierend auf die Zahl der Kinder wirken. Wer also seine Familie klein halten wollte, fand Mittel und Wege, dies zu venvirklichen. So wurden in Europa bereits seit dem 16. Jahrhundert mehr oder minder wirksame Methoden der Empfangnisverhutung angewandt. Hierzu gehorten das ganzliche Enthalten vom Geschlechtsverkehr oder das Ausdehnen der Stillzeit fur geborene Kinder. Weitere Wege, die Zahl der Kinder zu begrenzen, waren das Abtreiben, die Totung oder die
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Aussetzung ungewunschter Kinder. Fur Chaunu (1966: 204) war ,,das eigentliche Verhutungsmittel des klassischen Europa" aber das Heiratsalter: Friiher wie heute wirkt sich jedes Jahr, um welches eine EheschlieDung aufgeschoben wird, unmittelbar auf die Kinderzahl aus.' Eltem, die in der Ehe die Kinderzahl bewusst einschrankten, stammten in der Regel nicht aus okonomisch armen Verhaltnissen - im Gegenteil: Als Pioniere einer bewussten Geburtenkontrolle enviesen sich in Westeuropa vor allem das wohlhabende Burgerturn und der englische und franzosische Hochadel (Gestrich et al. 2003). So berichtet Pfister (1985) in seiner Fallstudie uber ausgewahlte Zuricher Familien im 17. und 18. Jahrhundert, dass in der Oberschicht viele Frauen ihre fruchtbare Phase nicht mehr voll ausschopften, wenn sie bereits zwei lebende Sohne jenseits des durch Tod besonders bedrohten fruhen Kindesalters hatten. SchlieRlich galt es, den vorhandenen Kindern ein moglichst umfangreiches Erbe zu erhalten, um den sozialen Status der Familie uber die Generationen hinweg zu sichern. Die Versuche der Geburtenkontrolle standen zugleich fur sich verandernde Moralvorstellungen und Lebensanschauungen in West- und Mitteleuropa. In den wohlhabenden stadtischen Schichten entwickelte sich der Familiensinn und die Abgrenzung der Familie von anderen sozialen Einheiten. Gleichzeitig verbreiteten sich zunehmend Vorstellungen von der Individualitat des Kindes. Die Idee einer kontrollierten Einwirkung auf die kindliche Entwicklung durch Erziehung, deren Spuren sich bis in das 16. Jahrhundert zuriickverfolgen lassen, gewann nun f i r Eltern an Bedeutung (Neumann 1993). Familienplanung lie13 sich fur die Fruhe Neuzeit aber auch f i r andere soziale Gruppen nachweisen, und zwar in einigen franzosischen Dorfern oder im katholischen Bayern ebenso wie in Iandlichen Regionen mit protestantischer Bevolkerung. Dennoch durften insgesamt nur wenige Ehepaare die Geburten beschrankt haben. Die Gro13e und die Struktur der Bevolkerung sind dadurch nicht wesentlich beeinflusst worden. Dies sollte erst ein halbes Jahrhundert spiiter beginnen. Um die Mitte des 18. Jahrhunderts sank zuerst in Frankreich die Fruchtbarkeitsrate merklich. Deutschland und andere europaische Staaten wie beispielsweise England, Schweden, aber auch Italien folgten in einem Abstand von 100 Jahren, etwa ab 1870 (Pounds 1985: 69). Allerdings wirkt die Verzogerung einer Heirat auf die Zahl der Kinder bei einer durchschnittlichen Lebensenvartung von rund 80 Jahren ganz anders als bei einer, die - wie im Zeitraum zwischen 1500 und 1700 - zwischen 20 und 30 Jahren schwankt. In der heutigen Zeit wird es immer geniigend Jahre geben, eine Familie mit zwei oder mehr Kindem zu griinden. Aber in der alten Zeit war mehr als die Halfte der neugeborenen Madchen in Gefahr gewesen, das Heiratsalter gar nicht zu erreichen, und jene, die es erreichten, konnten nur mit einer beschrminkten Dauer ihres Ehelebens rechnen. Unter diesen Umstanden war es schwierig, iiberhaupt mehrere Kinder zu gebaren.
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Exkurs I: Die Geheimnisse der Zeugung
Ende des 18. Jahrhunderts war Frankreich ein Land, in dem das ,,unheilvolle Geheimnis" der Geburtenkontrolle relativ fruh erforscht wurde. Die Kinderzahl wurde zwar noch nicht ,,geplantL' - das erlaubten die verfugbaren Techniken noch nicht - aber sie wurde bereits begrenzt, die Geburtenrate sank bestandig: von 32,9 pro Tausend im Jahre 1800 auf 19 pro Tausend im Jahr 1910. Demographen, die uber diese Entwicklung beunruhigt waren, verwandelten den privaten Akt der Geburt in eine Staatsangelegenheit: die Geburtenziffer. Ob man Kinder haben wollte, war zumindest teilweise eine freiwillige Entscheidung, freilich mit markanten Unterschieden je nach Milieu oder Region. Die Erklarung f i r diese Differenzen lag im Willen der Eltern, der von den jeweiligen Familienstrukturen gefarbt wurde. Sogar ideologische Schwankungen folgten diesen Strukturen. 1861 fielen zwei Gebiete auf, in denen die Geburtenrate eklatant niedrig war: Normandie und Aquitaine. Die niedrige Durchschnittszahl kam jedoch in sehr verschiedener Weise zustande. In der Aquitaine gab es sehr viele Familien mit nur ein bis zwei Kindern; in der Normandie kann man dagegen Extreme beobachten: einerseits eine sehr hohe Zahl von Paaren, die freiwillig kinderlos blieben, andererseits Paare, die den ,,Prix Cognacq" fur neun und mehr Kinder innerhalb von finfundzwanzig Ehejahren erhielten. Man ging so weit, von ,,neurotischen VerhaltensweisenLLzu sprechen. (Perrot 1992: 154-155) 2.1.2 Zur Durchsetzung der modernen Familie im 19. Jahrhundert
Im 19. Jahrhundert setzte sich die Geburtenbeschrankung in der Ehe gewissermaljen als Regelverhalten sukzessive durch. Die Familie wurde insofem ,,modem", als sie sich zunehmend primar an wenigen Personen orientierte. Eine Konstante der alten Zeit war, dass, wer heiraten durfte und konnte, auch Kinder bekam. Nachdem die Ehe allgemein zuganglich geworden war, bestimmten zunehmend die individuellen Vorstellungen und Lebensverhaltnisse der Eltern die Zahl ihrer Kinder (Mackenroth 1953: 408-413). Der ubergang vollzog sich zun h h s t langsam und ungleichmaljig vor dem Hintergrund sich andemder gesellschaftlicher Bedingungen: Die Rechtsordnung loste die Ehe von alten bherlichen und zunftischen Beschrankungen und gab sie frei. Durch die wirtschaftliche Entwicklung entstanden Arbeitsplatze und Wohlstand; die Industrialisierung ermoglichte Einkommen jenseits der alten Einheit von Betrieb und Haus. Damit entstanden die Voraussetzungen fur die Familiengrundung in breiten Bevolkerungskreisen, und es wurde vermehrt und vor allem friih geheiratet. Die Geburten wurden unabhangiger vom Nahrungsspielraum und stiegen leicht an. Mit
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zeitlicher Verzogerung sank die Sterblichkeit insbesondere von Kleinkindern und Jugendlichen. In der Folge wuchs die Bevolkerung in den deutschen Staaten in der ersten Halfte des 19. Jahrhunderts stark. Diese Entwicklung verlief jedoch alles andere als einheitlich: In PreulJen nahm die Bevolkerung deutlich zu, in den osterreichischen Alpenlandern stagnierte sie, und dazwischen lagen die Zuwachsraten beispielsweise Nordwest- und Suddeutschland. Das Bevolkerungswachstum war dort am hochsten, wo die Ehe frei gegeben wurde und bei geringem Heiratsalter geschlossen werden konnte (Nipperdey 1993b: 9-42). Der Durchbruch der modernen Familienplanung in den deutschen Landern vollzog sich in der zweiten Halfte des Jahrhunderts. Doch war dies nicht sofort beobachtbar, da die Bevolkerung weiterhin wuchs - denn die absoluten Geburtenzahlen blieben relativ hoch -, wahrend die Sterblichkeit nun starker abnahm. Dies verdeckte zunachst noch eine Entwicklung von epochaler Bedeutung, den Ruckgang der Geburten in der Ehe, also die Begrenzung der Kinderzahl durch die Ehepartner. Damit begann die msammengefasste Geburtenrate zu sinken, obwohl die Heiratshbfigkeit etwas anstieg und das Heiratsalter leicht sank. Der Ruckgang setzte bei den alteren Frauen und den spateren Geburten zuerst ein: Bei den 40- bis 46-Jahrigen gingen zwischen 1881190 und 1901110 die Zahlen um 25%, bei den 30- bis 34-Jahrigen um 15% zuriick. In Berlin nahm zwischen 1880 und 1900 m a r die Zahl der Erstgeburten noch m , aber die Zahl der Zweitgeburten um 20%, der Drittgeburten um 45% und die der weiteren um fast 60% ab (Nipperdey 1993b: 23). Mit anderen Worten: Bereits die Eltern unserer GroBeltern hatten im Schnitt erheblich weniger Kinder als deren Eltern. Die Vielfalt der Entwicklung Die Entwicklung zeigt groBe regionale, konfessionelle und schichtspezifische Unterschiede, wenngleich die Verbindung zwischen Wohlstand, Bildungsniveau und Geburtenkontrolle bei der stadtischen Bevolkerung unbestritten ist (Perrot 1992: 154-155, Nipperdey 1993b: 25-26). Im nationalen Durchschnitt begann in Deutschland der Ruckgang um 1895, in einzelnen Regionen aber schon um 1880 oder erst um 1915. Zuerst sanken die Zahlen in den Stadten, wahrend sie auf dem Land noch stiegen. In Dienstleistungs- und Venvaltungsstadten war der Ruckgang starker als in Stadten mit Schwerindustrie. Schon vor dem allgemeinen nationalen Ruckgang unterschieden sich die Regionen in den Kinderzahlen drastisch: Verheiratete Frauen gebaren zwischen 4,4 und 8,4 Kinder. In Gebieten mit hohen Kinderzahlen setzte der Ruckgang spater und mit geringerer Intensitat ein.
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Mit Blick auf konfessionelle Unterschiede hatten die Katholiken uberdurchschnittlich viele Kinder. Sie begannen auch spat, zum Beispiel in Niederbayern 1914, und langsamer die Zahl ihrer Kinder zu verringern. In protestantischen Ehen, die schon friiher weniger Kinder hatten, wurde die Kinderzahl starker und effektiver begrenzt, und dies unabhangig von stadtischer oder Iandlicher Herkunft. Bei den Juden, vor allem in guten sozialen Positionen, begann der Riickgang besonders fruh und enhvickelte sich besonders rasch. Obgleich moderne und traditionale Familientypen nebeneinander existierten, ist offensichtlich, dass sich die moderne Familie mit unterschiedlichem Tempo in allen sozialen Schichten durchsetzte. An Bildung und Wohlstand reiche Eltern begannen fruher, die Zahl ihrer Kinder zu verringern als Eltern in wirtschaftlichen Notlagen. Ein Vorreiter der Entwicklung war die in der Stadt lebende burgerliche Familie. Dazu gehorten der neue Mittelstand, Beamte, freie Berufe, Angestellte. Es folgten die selbstandigen Unternehmer, der alte Mittelstand und die Facharbeiter. Gelernte Arbeiter aul3erhalb der Schwerindustrie und zumal des Bergbaus begrenzten die Zahl ihrer Kinder friiher als ungelernte. Die ,,respektable" Arbeiterschaft, geleitet vom burgerlichen Familienideal, betrachtete Kinder nicht mehr als Schicksal und widmete dem einzelnen Kind eine grol3ere Aufmerksamkeit. Die Arbeiterfamilie im Allgemeinen jedoch zog ihre normativen Orientierungen weiterhin aus den traditionellen Moral- und Ordnungsvorstellungen. Ein Beschranken der Zahl der Kinder kam solange nicht Frage, als Kinder mgleich zusatzliche Verdiener waren. Familie bedeutete f i r sie in erster Linie eine Wohn- und Essgemeinschaft in einem uberaus harten Leben; von Erziehung, Bildung und Ausbildung der Kinder konnte kaum die Rede sein. Erst als die Kinderarbeit abgeschafft wurde, galt ,,KindersegenUalles andere als enviinscht, bedeuteten doch Kinder nur einen msatzlichen Kostenfaktor, der das Elend der Familie vergrol3ert. Kurz, die Arbeiterschaft zeichnet sich in ihrem generativen Verhalten durch eine starke Binnendifferenzierung aus. In Deutschland schrankten besonders Beamte und Angestellte schon friih, wenn auch anfangs langsam, die Zahl ihrer Kinder ein. So lag die Zahl in vor 1825 geschlossenen Ehen bei 6,4, in denen vor 1849 bei 5,1, in denen vor 1874 bei 4,4. Unternehmer und Handwerker folgten dem Trend im Abstand von 25 Jahren (Nipperdey 1993a: 109). In Gottingen m m Beispiel sol1 in den Handwerkerfamilien die durchschnittliche Kinderzahl zwischen 1760 und 1860 schon bei zwei bis drei Kindern gelegen haben (Sieder 1987: 110). Bei den Bauern zeigte sich ein langsamer Ruckgang: Zwischen 1750 und 1799 lag die Fertilitat bei 7,11 Kindern, sank fur den Zeitraum von 1800 bis 1849 auf 6,3 und erreichte 1850 bis 1874 den Wert von 5,5 Geburten (Nipperday 1993a: 109). Die Entwicklung beschleunigte sich gegen Ende des Jahrhunderts, blieb aber differenziert: Bei hoheren Beamten, Lehrern und freibemflich Tatigen ka-
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men auf Ehen, die zwischen 1875 und 1890 geschlossen wurden, noch durchschnittlich drei Kinder, aber auf Ehen, die zwischen 1900 und 1914 geschlossen wurden, nur noch 2,5 Kinder (Tabelle I). Ehen der stadtischen Arbeiterschaft dagegen hatten noch 1939 durchschnittlich 4,4 Kinder. Landarbeiter ubertrafen in der gleichen Zeit mit 6,05 Kindern pro Ehe deutlich die selbstandigen Bauern mit 5,4 Kindern. Wesentlich friiher und weitaus fortgeschrittener schrankten in Frankreich selbst auf dem Lande die Eltern die Zahl ihrer Kinder ein. So hatten 1911 Bauerinnen der Gironde oder der Gegend um Bordeaux nur noch 1,93 bzw . 1,86 Kinder im Durchschnitt, und in Paris lagen die Werte mit 1,72 Kindern pro Ehe noch niedriger (Gestrich et al. 2003: 516-517). Tabelle I: Zahl der Kinder in Ehen nach Schichtzugehorigkeit in Deutschland 1850 bis 1914 Ehen nach Schichtzugehorigkeit des Ehemannes
Durchschnittliche Kinderzahlen in Ehen, die zwischen ... und ...geschlossen wurden 1850 bis 1874
1875 bis 1899
1900 bis 1914
Hohere B e a p e und Angestellte )
4,3
29
2,5
GroBere Unternehmer und ~aufleute*)
4,6
4,9
2,9
Mittlere und kleinere Unternehmer und ~aufleute*)
4,3
3,9
2,7
~andwerker*')
2.3
5.2 **
*) Ausgewahlte niedersachsische Ober- und Mittelschichtsfamilien. ) Stichprobe aus Thiiringen; keine Werte fur 1850 bis 1874 vorhanden. Quelle: Nipperdey (1993b: 25).
Veranderungen in der Bedeutung der Familie Kennzeichen der Modernisierung der Familie im 19. Jahrhundert waren ihre beginnende Trivialisierung, Intimisierung und Individualisierung. Familie wurde moglich fur jeden, der wollte und konnte. Im Zuge der Trennung des Offentlichen vom Privaten wurde Familie privat; sie begriindete sich auf Gefuhlen, ja Feinfiihligkeit zwischen den Partnern und gegenuber den Kindern. Der Vorrang des Familieninteresses uber den Einzelnen verlor an Einfluss, das einzelne Familienmitglied gewann gegenuber dem Sozialsystem Familie an Gewicht. Ehepartner, Eltern und Kinder sprachen sich jetzt mit ,,Du" an. Das Verhaltnis der Ge-
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schlechter beruhte grundsatzlich auf partnerschaftlicher Liebe und personaler Zuwendung, wenn auch der faktische Entscheidungsvorrang, um nicht zu sagen, das Entscheidungsmonopol beim Mann lag. Theoretisch waren die Geschlechter m a r gleichwertig, aber ungleich, eben anders, worauf sich eine starke Rollendifferenzierung begriindete: Die Frau erhielt ihre Bestimmung als Ehefrau, Hausfrau und Mutter, der Mann als Ehemann, Enverbstatiger und Vater. In diesem Model1 war der Mann in der Welt der Arbeit, der Herrschaft, der Politik zu Hause, die Frau in der der Liebe (Nipperdey 1993b: 47-49). Mit der Individualisierung der Personen und der Intimisierung ihrer Ehe und Familie veranderte sich die Einstellung zu den Kindern und damit deren Nutzen grundlegend. Auch sie erhielten nun eine anerkannte Eigensphare: Kinderspiele, Kinderzimmer, Kinderbucher, Kinderkleider. Die Eltern sahen das Kind starker als Person, die eigene Rechte hatte und der gegenuber sie Verpflichtungen hatten, z.B. in Bezug auf ihre Erziehung. Sie ubernahmen die Erziehung ihrer Kinder mit liebevoller Aufmerksamkeit, aber auch mit Autoritat, Druck und Kontrolle. Damit anderte sich der Wert von Kindern. Sie waren weniger denn je eine okonomische Notwendigkeit, sondern zunehmend ,,Objekte liebevoller Zuwendung und Aufmerksamkeit" und ,,Objekte des Stolzes" der Eltern (Nipperdey 1993b: 55-56). Der Blick in den Dschungel der Historischen Demographie zeigt, dass das moderne Begrenzen der Kinderzahl keine Erscheinung der letzten 30 oder 50 Jahre ist, sondern eine historische Entwicklung, deren mittlenveile starke Wurzeln bis weit in das 17. Jahrhundert reichen. Es mag auch davor schon das Bestreben gegeben haben, die Zahl der Kinder in der Ehe einzuschranken. Dies war vor allem okonomisch bestimmt, etwa weil es an Nahrung mangelte oder weil es galt, das Erbe an Geld, Grund oder Boden zu sichern. Davon unterscheiden sich die modernen Motive fur das Kleinhalten der Familie. Sicherlich spielen dabei okonomische Griinde immer noch eine Rolle. Allerdings kann die Frage nach der Zahl der Kinder heute weniger denn je allein durch okonomische Motive beantwortet werden. Die Entscheidung ist komplexer geworden. Sie hangt mit dem grundlegenden Wandel der Familie zusammen. Die moderne Familie hat sich zu einem eigenstandigen Sozialsystem entwickelt, das sich zunehmend vom AuBen abwendet und nach Innen orientiert, in dem den wenigen Personen Eltern und Kindern - eine uberragende Bedeutung zukommt. Kinder sind gewollt, wenn fur Paare der emotionale Nutzen potenzielle Kosten ubenviegt (Nauck 2001). Hierzu gehoren auch die Opportunitatskosten aus entgangenem Nutzen ehva infolge geringeren Konsums oder beruflicher Einschrankungen. Aber mangeblicher als die wirtschaftlichen Aspekte durften fur die Zahl der Kinder in der Familie die Partnerschaft und der emotionale Nutzen sein, den Eltern durch ihre Kinder erfahren wollen.
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2.1.3 Die Entwicklung im 20. Jahrhundert In der jiingeren Entwicklung sind kleine Familien zur Universalie geworden. Dass dieser Trend vielerorts ahnlich verlhfl, wird durch einen Blick auf ausgewahlte Lander dargestellt. Die deutsche Entwicklung ist damit keine Ausnahme, hat aber doch ihre Besonderheiten. Als zentraler Effekt der historischen Entwicklung ergeben sich neue Motive fur Fertilitatsentscheidungen und neue Ideale. Kinderreichtum im internationalen Vergleich
Weltweit durfte in den letzten Jahrzehnten der Anteil kinderreicher Familien an allen Familien gesunken sein. Ein erster grober Indikator ist die zuruckgehende Geburtenzahl in fast allen ~ t a a t e n Der . ~ deutliche Riickgang ist in Asien vor allem in China, Sudkorea, Thailand und Vietnam zu beobachten. Anfang der 1970er-Jahre bekam eine Frau in diesen Landern durchschnittlich noch vier bis sieben Kinder, drei Jahrzehnte spater liegt die entsprechende Zahl oftmals bei nur einem Kind, selten bei mehr als zwei Kindern, fhnlich haben sich beispielsweise die nordafiikanischen Staaten Tunesien, Marokko und Algerien, aber auch der Iran entwickelt. Die Zahl der Kinder je Frau ist von sechs bis sieben Kinder auf zwei bis drei Kinder gefallen.4 Auch in den entwickelten Landern ist die schon vor Jahrzehnten niedrigere Zahl der Kinder in den Familien noch einma1 deutlich gesunken. In Europa und Japan haben Frauen, die 1930 geboren worden sind, im Schnitt zwei bis drei Kinder, in Nordamerika, Australien und Neuseeland drei bis vier Kinder (Tabelle I im Anhang;). Die heutige Elterngeneration, die 40- bis 45-jahrigen Mutter, hat in der Regel nur noch ein oder zwei Kinder.
Indikator ist die zusammengefasste Geburtenrate bzw. Periodenfertilitat der Frauen im Alter zwischen 15 und 45 Jahren (Population Division of the Department of Economic and Social Affairs of the United Nations Secretariat 2005). Berucksichtigt man auch den Ruckgang der Kindersterblichkeit in den sich entwickelnden Staaten, dann muss ein Riickgang der Geburtenhaufigkeit nicht zwingend zu einem geringeren Anteil der Familien mit drei oder mehr Kindem fuhren. Da mehr Kinder uberleben, sind nicht mehr so viele Geburten notwendig fur eine kinderreiche Familie. Allerdings ist besonders in Asien der Ruckgang der Geburten so stark, dass er auch zu einem entsprechenden Ruckgang kinderreicher Familien gefiihrt haben durfte. In allen arabischen LSindern gibt es offenbar bereits mehr oder weniger ausgepragt den Wunsch und die Moglichkeit, seine Familie klein zu halten; siehe dazu auch Burguiere et al. (1997a: 463) sowie Abbasi-Shavazi (2001).
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Die Entwicklung der Perioden-, aber auch der Kohortenfertilitat gibt den tatsachlichen Ruckgang der Mehrkinderfamilien nur ungenau wieder. Dies zeigt die Entwicklung in Frankreich: Die endgultige Kinderzahl der 1930 geborenen Frauen war mit 2,l genauso hoch wie bei den 1900 geborenen Frauen (Tabelle 2 im Anhang;). Hier uberrascht zunachst, dass der Anteil von Familien mit drei oder mehr Kindern nahezu unverandert ist, ja sogar bei den Frauen des Geburtsjahrganges 1960 um einen Prozentpunkt hoher liegt als bei den Frauen des Geburtsjahrganges 1900. Die jungeren Frauen haben jedoch seltener fiinf oder mehr Kinder und haufiger drei Kinder. Die KohortenfertilitM ist vor allem dadurch stabilisiert worden, dass Frauen seltener kinderlos blieben oder nur ein Kind bekamen. Wesentlich einschneidender stellt sich die Veranderung der Familiengrolje vom Standpunkt der Kinder aus dar. Treten ausschlieljlich Familien in das Blickfeld, dann haben fiinf von zehn Kindern der 1900 und 1930 geborenen Mutter mindestens drei Geschwister. Durchschnittlich lebten also vier bis funf Kinder in der Familie. Mit wesentlich weniger Brudern und Schwestern leben dagegen die Kinder zusammen, deren Miitter 1960 geborenen worden sind: Zwei von zehn Kindern haben noch drei oder mehr Geschwister. Auffallend ist auljerdem die Entwicklung hin m einem Bruder oder einer Schwester oder zu zwei Geschwistern, also m r Familie mit zwei oder drei Kindern (Tabelle 2 im Anhang;). In Osterreich hat sich der Anteil der Frauen mit drei oder mehr Kindern im Beobachtungszeitraum auf weniger als die Halfte reduziert: er fie1 von 42% bei der Frauenkohorte 1935 auf ungefahr 20% bei der Frauenkohorte 1964. Im Vergleich dazu stieg die Kinderlosigkeit bei den jungeren Frauen merst allmahlich, um dann bei den 1964 geborenen Frauen auf ehva 18% zu klettern. Weitgehend stabil ist seit der Kohorte von 1940 der Anteil der Frauen mit nur einem Kind (Tabelle 3 im Anhang;). Etwas anders hat sich die Familiengrolje in den USA verandert (Tabelle 4 im Anhang;). Sechs von zehn Frauen, die in den 1930er-Jahren geboren worden sind, haben mindestens drei Kinder bekommen; zwei von zehn Frauen sogar funf oder mehr Kinder. Jungere Frauen mit Geburtsdatum um 1960 sind erheblich seltener Miitter von sehr vielen Kindern: Nur noch drei von zehn Frauen gebaren mindestens drei Kinder, eine von zehn Frauen vier oder mehr Kinder. Anders als in Frankreich nimmt in den USA die Kinderlosigkeit der Frauen tendenziell m. Zudem ist in den USA die Familie mit drei Kindern seltener und mit einem Kind haufiger (Tabelle 4 im Anhang).
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Die deutsche Entwicklung Deutschland bildet bei der Reduktion der Kinderzahl pro Farnilie keinen Sonderfall. Der Ruckgang der endgiiltigen Kinderzahl hat sich bei Frauen rnit einem Geburtsdatum um die vorletzte Jahrhundertwende bereits weitgehend vollzogen (Tabelle 5 im Anhang). Seitdem bekommen in Deutschland die Frauen im Schnitt selten mehr als ein oder zwei Kinder. So sind von den 1956 bis 1960 geborenen Frauen 25% kinderlos und nur noch 15% haben mehr als zwei Kinder. Die bislang fur einen westdeutschen Geburtsjahrgang niedrigste Kinderzahl wird mit 144 Kindern je 100 Frauen fur die 1968 geborenen Frauen geschatzt. Fur die nachgeborenen Frauen (1969, 1970) werden rnit 146 und 147 Kindern etwas hohere Geburtenhaufigkeiten envartet (Dorbritz 2004). Da es sich hierbei um rechtszensierte Daten handelt, kann nicht abschatzt werden, ob es sich dabei bereits um eine Trendwende handelt. Die GroRe der Familie ist damit vor allem in der ersten Halfie des 20. Jahrhunderts zuruckgegangen. Vor 80 Jahren hatten 21% der Ehepaare mit Kindern mindestens vier Kinder und weitere 17% drei Kinder (Tabelle 6 bis 6b im Anhang). Drei Jahrzehnte spater haben im fruheren Bundesgebiet von den verheirateten Eltern nur noch 8% vier oder mehr Kinder und 14% drei Kinder. Noch einmal ist der Anteil kinderreicher Ehepaare merkbar seit den 1970er Jahren gesunken. 2004 leben nur noch in jeder siebten Familie drei oder mehr Kinder. Betrachten wir alle Familien, neben den Ehepaaren mit Kindern auch die Alleinerziehenden und die nicht ehelichen Paare mit Kindern, dann ist seit 1957 besonders der Ruckgang der kinderreichen Familien mit vier oder mehr Kindern auffallend. Ihr Anteil an allen Familien ist um uber die Halfte gesunken, der Anteil der Familien mit drei Kindern nur um etwas mehr als ein Viertel. Daruber hinaus ist Mitte der 1980er Jahre der Ruckgang zum Stillstand gekommen. Seit nunmehr zwanzig Jahren liegt der Anteil kinderreicher Familien an allen Familien weitgehend unverandert bei rund 13% (friiheres Bundesgebiet) und 12% (Deutschland seit 1991). Die einschneidenden Veranderungen im generativen Verhalten liegen schon Jahrzehnte zuruck: Der Ruckgang der Geburtenhaufigkeit und mit ihm die Verringerung der FamiliengroBe. In den letzten zwei Jahrzehnten hat sich in dieser Hinsicht kaum noch etwas verandert. So sind beispielsweise in Westdeutschland heute Frauen im Alter zwischen 38 und 42 Jahren etwas haufiger kinderlos und kaum seltener kinderreich als gleichaltrige Frauen Mitte der 1980er Jahre (Tabelle 2). Die Altersgruppe der Frauen zwischen 38 und 42 Jahren eignet sich fur Westdeutschland besonders, weil in dieser Altersgruppe sowohl der Auszug von Kindern aus dem Elternhaus als auch eine weitere Geburt am unwahrscheinlichsten sind.
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Tabelle 2: Kinderreichtum und ~inderlosi~keit*) seit 1972 in Westdeutschland
*) Frauen im Alter von 38 bis unter 43 Jahren ohne im Haushalt lebende Kinder bzw, mit 3 oder mehr im Haushalt lebenden Kindern. Rundungsdifferenzen. Quelle: Mikrozensus.
Veranderte Motive und Einstellungen Die Griinde fur den Ruckgang der kinderreichen Familien liegen im Wesentlichen in einer veranderten sozialen Position der Frauen bei gleichzeitig unveranderter Situation der Manner. Heute verfugen die Frauen grundsatzlich uber die gleichen Optionen wie die Manner: Hohere Ausbildung, dauerhafte Berufstatigkeit aul3er Haus, okonomische Selbstiindigkeit sowie soziale Absicherung im Alter durch die gesetzliche Rentenversicherung. Gleichzeitig konnen Frauen durch medizinischen Fortschritt und aufgrund der Moglichkeiten der Empfangnisverhiitung allzu zahlreiche Schwangerschaften vermeiden. Die Frage, ob und wann ein Paar ein Kind bekommt, wird nun nicht mehr allein aus der Berufsperspektive des Mannes entschieden, sondern ebenso aus der der Frau. Nicht zuletzt infolge stadtischer Lebensweisen, wachsendem Wohlstand und Massenkonsum steigen die Opportunitatskosten kinderreicher Familien besonders fur Frauen, aber auch fur Manner. Die Begrenzung der Kinderzahl hat jedoch nichts mit einer nachlassenden Wertschatzung der Familie zu tun. Allerdings hat das ,,Klischee von der glucklichen kinderreichen Familie" (Burguiere et al. 1997b: 242-243) wohl endgultig ausgedient. Ein gluckliches Familienleben stellen sich Manner und Frauen am ehesten nur noch mit zwei Kindern vor. Dennoch Ibst
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sich zumindest seit den 1990er Jahren auch Gegenlaufiges beobachten, etwa an der Anzahl der Geschwister von Kindern im Alter von sechs bis neun ~ahren.'So scheint es, dass diejenigen, die sich f i r Kinder entscheiden, heute im Schnitt zwar weniger Kinder haben als noch vor 20 oder 30 Jahren, aber eher mehr Kinder als vor 10 Jahren. So gibt es heute etwas haufiger Familien mit drei Kindern als noch zu Beginn der 1990er Jahre. Offen bleibt indes, ob es sich um eine nachhaltige Trendumkehr handelt oder nur um eine Episode, die beispielsweise zu Beginn der 1990er Jahre durch die hohe Zuwanderung besonders von Aussiedlern mit eher noch traditionalen Familienleitbildern ausgelost worden ist. Tabelle 3: Kinder nach Anzahl der Geschwister in ~eutschland*)
*)
1972 und 1982 nur Westdeutschland. Rundungsdifferenzen. Quelle: Mikrozensus.
Die geschilderten langfristigen Entwicklungen hin zu kleinen Familien finden ihre Entsprechung auch in den Einstellungen: Vater, Mutter und zwei Kinder gelten seit langerem als die ideale moderne Familie. Diese Vorstellung wird durch empirische Daten belegt: So betrachten 57% der Frauen und Manner im Alter zwischen 18 und 44 Jahren die Familie mit zwei Kindern als ideal, wahrend 13% drei Kinder und lediglich 2% vier oder mehr Kinder fur optimal halten (Institut fur Demoskopie Allensbach 2004). Dieses Ideal deckt sich weitgehend mit dem Kindenvunsch von 20- bis 39-Jahrigen in Deutschland: 53% der Frauen und 41% der Manner wiinschen sich zwei Kinder (Dorbritz et al. 2005: 36). Die zweitgroflte Gruppe bilden dann bereits diejenigen, die keine Kinder haben wollen: 15% der Frauen und 26% der Manner geben in dieser Untersuchung an, (noch) keinen Kindenvunsch zu haben. Geringer ist der Wunsch nach drei oder Die Auswahl dieser Altersgruppe ist methodisch begrundet aufgrund der Grenzen des Mikrozensus, der keine Auskunft iiber die endghltige Zahl der Kinder gibt. Kinder in dieser Altersgruppe durften noch keine Geschwister haben, die den Haushalt der Eltern verlassen haben, und diirften auch eher selten noch Geschwister bekommen.
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mehr Kindern. Knapp 12% der Frauen und 15% der Manner wunschen sich drei Kinder, jeweils 3% der Frauen und Manner vier oder mehr Kinder - sie bilden damit Minderheiten. Somit wollen Frauen im Durchschnitt 1,74 Kinder und Manner 1,57 Kinder. AuDer in Osterreich wiinschen sich in keinem anderen Staat innerhalb der EU-15 die Frauen so wenige Kinder wie in Deutschland. In den anderen Landern wollen die Frauen im Mittel zwei und mehr Kinder, selbst in Landern mit niedrigen Geburtenraten wie Italien, Spanien und Griechenland (Goldstein et al. 2003). Jungere Ergebnisse stellen damit die bisherigen Vorstellungen uber Kindenvunsch und Wirklichkeit in Frage. Bislang ging man in Deutschland davon aus, dass die gewiinschte Kinderzahl deutlich hoher sei als die tatsachlich verwirklichte. Kinderlosigkeit wurde - zumindest teilweise - als ,,verpasste Chance" oder Folge wiederholten Aufschubs gesehen (z.B. Rupp 2005b). Den neueren Daten zufolge ist davon auszugehen, dass sich in den letzten drei Jahrzehnten der Kinderwunsch der realen Geburtenrate angenahert hat. Die in den Jahren 1968 bis 1970 geborenen Frauen haben Schatmngen zufolge durchschnittlich 1,45 Kinder zur Welt gebracht (Dorbritz 2004) und liegen damit m a r unter dem Wunschziel, doch ist der Abstand zu 1,74 nicht allzu groB. Auch bei der realisierten FamiliengroDe stimmen Ideal und Realitat ziemlich gut uberein. In Deutschland dominiert - wie oben gezeigt worden ist - seit langem die Z w e i - ~ i n d - ~ a m i l iGroDere e.~ Familien sind dagegen eher selten. So haben 2004 von den 38- bis 43-jahrigen Frauen in Westdeutschland 36% zwei Kinder und 15% drei oder mehr Kinder. Vor dreiDig Jahren hatten noch 30% der Frauen drei oder mehr Kinder. Diese Gruppe war damit ebenso groD wie die der Zwei-Kind-Familien. Die Entwicklung zeigt deutlich eine abnehmende Bereitschaft jungerer Erwachsener, sich fur Kinder, vor allem f i r mehr als zwei Kinder zu entscheiden. Dies ist umso beachtenswerter, als die Verbreitung kinderreicher Familien von besonderer Bedeutung fur die Bevolkerungsentwicklung ist (Bertram et a1 2006, BMFSFJ 2005a). Der nachhaltige Geburtenriickgang in Deutschland ist weniger das Ergebnis zunehmender Kinderlosigkeit, sondern im Wesentlichen das Ergebnis eines Ruckganges der groDen Familien mit drei oder mehr Kindern. Historisch betrachtet wurde stets ein relativ grol3er Anteil von Kinderlosigkeit durch Kinderreichtum in den Familien ,,kompensiert6'. Somit ist das Sinken der durchschnittlichen Kinderzahl pro Familie eine wichtige demographische GroDe, die jedoch bis heute zu wenig beriicksichtigt wird. Unter diesen Vorzeichen ist eiIn Deutschland liefert keine Statistik genaue Informationen uber die tatsfichlich realisierte FamiliengroBe. In der amtlichen Statistik ist die endgultige FamiliengrbBe nur iiber Umwege darstellbar, z.B, iiber die Anzahl der Kinder von Frauen im Alter zwischen 38 und 43 Jahren oder uber die Anzahl der Geschwister von Kindem im Alter zwischen 6 und 9 Jahren.
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nerseits den Prozessen, die dazu fihren, dass kleine Familien bevorzugt werden, und andererseits den konkreten Lebensbedingungen groBer Familien besondere Aufmerksamkeit zu widmen. Exkurs II: Die Sorge wegen der fehlenden Kinder wahrt seit 250 Jahren
In Frankreich fuhlten sich zahlreiche Zeitzeugen beunruhigt uber die sinkende Geburtenziffer besonders ab der zweiten Halfte des 18. Jahrhunderts. Die Griinde, die sie fur das Begrenzen der Kinderzahl vermuteten, scheinen sich in den letzten zweieinhalb Jahrhunderten kaum geandert zu haben. Der franzosische Historiker Femand Braudel lasst einige dieser Volkswirtschaftler, Geistlichen und ,,Demographen" zu Wort kommen: Der Nationalokonom Ange Goudar (1756) gab dem Luxus der Zeit die Schuld daran, dass ,,die eheliche Verbindung mitnichten Fruchtbarkeit zur Folge hat: Man scheut sie und wirkt direkt oder indirekt darauf hin, ihren Lauf zu hemmen (. . .) der Luxus lasst Kinderreichtum in den Augen der meisten als eine Art Schande erscheinen. Je beguterter einer ist, desto starker ist auch sein Drang, seine Nachkommenschaft zu begrenzen". Das Schlimmste aber ist, dass sich ,,die Ansteckung (durch Luxus) ausbreitet und unmerklich das niedere Volk erfasst, auf dessen Arbeit das ganze Gebaude der zivilen Regierung ruht". 1758 spricht der sudfranzosische Geistliche Jean Novi de Caveirac von jenen Mannern , die ,,ohne Bedauern auf den kostlichen Namen Vater" verzichten, ,,die einen, indem sie ihre Begierden zugeln, die anderen, indem sie die Natur betriigen". 1763 venveist Turmeau de la Morandiere, ein ,,Demograph aus Liebhaberei", auf den Fortschritt der Empfangnisverhutungspraktiken: Die Ehepaare wollten nur noch ein Kind oder uberhaupt keines mehr. Diese Entweihung des Ehesakramentes, ,,diese schandliche Knauserei hat wie eine Seuche immer weiter um sich gegriffen" und, wie die Beichtvater bestatigten, alle Gesellschaftsschichten, Reiche wie Arme erfasst. Einer der ersten franzosischen Demographen Jean-Baptiste Moheau aul3erte sich 1778: ,,Nicht nur die reichen Frauen (. ..) betrachten die Fortpflanzung der Art als Schwindel, auf den sich friiher einmal Narren einliel3en; schon sind diese verderblichen Geheimnisse, die kein Lebewesen auBer den Menschen kennt.. .bis aufs Land gedrungen; selbst in den Dorfern betrugt man die Natur". In der Normandie war 1782 nach Darstellung des Pater FCline ,,das Verbrechen des schandlichen Onan (. . .) unter den Eheleuten ungeheuer verbreitet (...) insonderheit, wenn sie keine groBe Kinderschar wollen, sich aber gleichwohl die Lust, die sie beim Vollzug der Ehe empfinden, nicht versagen mogen, diese unselige Neigung ist bei Reichen und Arrnen gang und gabe. Ihre Beweggriinde unterscheiden sich, ihr Verbrechen ist das gleiche". Der politische Arithmetiker Louis Messance verurteilte 1788 die
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,,Berechnung, die den Menschen veranlasst, nur ei11 oder zwei Kinder haben zu wollen; die falsche Vornehmheit, die ihn treibt (.. .) eine groDe Zahl von Domestiken zu halten und eine grol3e Zahl von Gasten an seiner Tafel zu bewirten, statt seine Kinder um sich zu versammeln; und, der Gipfel der Verderbtheit, seine Saat beim S k n auszutilgen". Gut 100 Jahre spater loste der Geburtenriickgang in Deutschland auch dort eine breite Debatte aus: So behauptete der Statistiker Georg Hansen Ende der 80erJahre des 19. Jahrhunderts, die Stadtbevolkerung und vor allem die Mittelklassefamilie mit gutem Erbgut konnten sich nicht selbst reproduzieren. Der Sozialdanvinist Otto Ammon verscharfte die These: Stadtzuwanderer seien besserer Rasse, aber in der Stadt degenerierten sie und sturben aus. Die sozialbiologische Deutung sah in der GroDstadt die Ursache fur den Geburtenriickgang. Die Stadt verbrauche mehr Menschen als sie produziere. Berlin war f i r den Statistiker Georg Mayer oder den 0konomen Adolf Weber ein typischer Fall. Fur konservativ Gesinnte, und Katholiken gar, war Geburtenkontrolle als Trennung von Sexualitat und Fortpflanmng ein Ausdruck rationalistisch-individualistischer Emanzipation, ein VerstoD gegen naturliche Gegebenheiten. Fur die Nationalisten war sie - man hatte das warnende Beispiel Frankreichs vor Augen - ein Schwund an ,,Volkskraft", die Drohung eines ,,sterbenden Volkes". Fur die ,,Rassenhygienikera und Eugeniker ging es um die generelle Verschlechterung des Erbgutes, weil es die Trager besserer Erbanlagen seien, die verantwortliche Eltemschaft praktizierten, wahrend die weniger Wertvollen sich uberproportional vermehrten. (Braudel 1990: 181-1 83; Nipperdey 1993b: 27-28) 2.2 Kinderreiche Familien in der Moderne Bernd Eggenmarina Rupp
Wie die historischen Ausfuhrungen zeigen, setzt sich der Trend m kleineren Familien fort, trotz vielfaltiger regionaler und zeitlicher Unterschiede in Umfang und Tempo des Ruckgangs. In den gegenwartigen modernen Gesellschaften steht das Thema Kinderreichtum an der Peripherie nicht nur individueller, sondern auch gesellschaftlicher Erwagungen. Im Zentrum der Diskussionen um generative Entscheidungen steht heute eher das Problem, ob man uberhaupt Kinder haben oder lieber ein ,,Single zu zweit" (Luhmann 1987: 73) bleiben will. Auf die grundlegende Frage, warum die Zahl der Kinder insgesamt zuruckgeht, hat die historische Entwicklung eine erste Antwort geliefert: Im Zuge des gesellschaftlichen Wandels der Familie hat sich der Wert von Kindern fur die Eltern so verandert, d a s ~grol3e individuelle Entscheidungsspielraume entstanden sind. Es geht im Folgenden speziell um die Frage der heutigen Rahmenbedingungen und Mo-
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tive fur eine Mehrfach-Elternschaft. Im Folgenden werden daher die wesentlichen gesellschaftlichen und individuellen Voraussetmngen, unter welchen diese Entscheidung getroffen wird, kurz aufgezeigt. Fur diese Betrachtung wird vor dem Hintergrund gesellschaftlicher Modernisierungs- und Differenzienmgsprozesse gezeigt, welche Implikationen die damit einhergehende Individualisierung auf die Fertilitatsentscheidung hat. Zur Modellierung des individuellen Entscheidungsprozesses wird auf den Value-of-Children-Approach (VOC) zuriickgegriffen (Huinink 2002). 2.2.1 Modernisierung, Individualisierung und das Problem verlasslicher Beziehungen
Die historische Entwicklung wird vielfach als Differenzierungsprozess beschrieben, in dessen Folge sich gesellschaftliche Bereiche spezialisieren und eigene systemische Logiken und Funktionen ausbilden. Diese gesellschaftlichen Entwicklungen fuhren zur Herausbildung der Familie als ein eigenstandiges Sozialsystem, das aus heutiger Sicht Aufgaben nach auBen abgegeben und sich auf seine internen Leistungen - Intimitat, Emotionalitat, Vertrauen - spezialisiert hat. Da sich Wirtschaft, Recht, Bildung etc, ihrerseits als eigenstandige, von der Familie abgeloste Bereiche etabliert haben, ist das Individuum in Bezug auf die Teilhabe an der Gesellschaft - anders als friiher - nicht mehr notwendigenveise auf Familie angewiesen. In diesem Kontext hat sich ein Individualisierungsprozess vollzogen, wobei u.a. die Gleichstellung von Frauen und Mannern zentrale Bedeutung erlangt hat, aber nicht vollstandig umgesetzt wurde. In der Konsequenz ergeben sich jedoch Widerspriiche der modernen Gesellschaft in den Strukturen einer ,,halbierten Moderne" (Beck 1986), da Familie und andere gesellschaftliche Teilsysteme unterschiedlich umfassend modernisiert sind. Der Prozess der Individualisierung Iasst sich mit Blick auf die Familie somit wie folgt zusammenfassen: Die Teilhabe des Einzelnen als Person an der Gesellschaft hat sich entscheidend geandert, seine Einbindung erfolgt ad personam und nicht mehr primar uber intermediare Sozialsysteme wie Familie, Schicht, etc., denen der Einzelne qua Geburt oder sozialer Reglements angehort (Luhmann 1989). Damit verbunden ist der universale Anspruch auf Bildung, Rechtsschutz, okonomisches Existenzminimum, Gesundheit, politische Partizipation und Wissen eines jeden - unabhangig vom Geschlecht. Die Integrationskraft der modernen Form der Inklusion ist allerdings wesentlich schwacher als die fiuherer Gesellschaften, in denen Mannern und Frauen ihre Platze, ihr Status und ihre Funktionen in hohem MaBe zugewiesen wurden. In modernen funktional differenzierten Gesellschaften fehlen solch eindeutige Zuweisungen weitgehend, und der
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Einzelne kann fieier wahlen und entscheiden, wie er sein Leben gestaltet. Den vermehrten Wahlmoglichkeiten gegenuber steht nun aber das Erfordernis, eine individuelle Entscheidung zu treffen und zu verantworten (Beck 1986). Vor diesem Hintergrund ergeben sich auch neue Rahmenbedingungen und Restriktionen f i r die Gestaltung von Beziehungen und Familie. Einerseits bestehen vor dem Hintergrund gestiegener Vielfalt und hoher Bedeutung von emotionalen Bindungen mehr Moglichkeiten, intensive personliche Beziehungen einzugehen. Andererseits sind auch die Bereitschaft, die Gelegenheiten und die Notwendigkeit gewachsen, Beziehungen mit nur geringem Bindungs- und Verpflichtungscharakter einzugehen. Damit erschliefit sich ein neues Entscheidungsfeld, in dem die jeweiligen Konsequenzen der Beziehungsgestaltung abgewogen werden mussen, wobei eigene und gesellschaftliche Erwartungen und ihr Verhaltnis zueinander von Bedeutung sind. Personliche Entwicklungen aufierhalb einer Intimbeziehung, wie in Ausbildung und Beruf, riicken dabei zunehmend in den Vordergrund, wodurch sich eine Spannung zwischen den Auflenanforderungen und den Moglichkeiten, eine dauerhafte, intime Beziehung aufzubauen, ergibt. Die Frage, 60b Partnerschaft oder Familie gelingen kann, wird angesichts der jungeren Entwicklung daher skeptischer beantwortet. Dies gilt fir Familie aufgrund ihres besonderen Verpflichtungscharakters in noch hoherem Mafie als fur die Paarbeziehung (Trost 1990). Die Bindungsfrage stellt sich heute fur Manner und Frauen gleichermaflen, zumal immer mehr - besonders jungere - Frauen iiber eine qualifizierte Ausbildung verfugen und auf dem Arbeitsmarkt konkurrieren konnen. Sie haben damit die Moglichkeit, sich aus eigenen Kraften eine Existenz zu sichern. Mit den Moglichkeiten der Empfangnisverhiitung ist es zudem frei entscheidbar, ob und wann und vor allem mit wem die Familiengrundung oder -enveiterung erfolgen soll. Entfallen sind auch verbindliche normative Vorgaben und bindende Verweisungszusammenhange (TyrelliHerlth 1990) zwischen Partnerschaft, Ehe und Familie. So gilt die ~ b e r n a h m evon Elternpflichten nicht mehr als ,,naturlicheU Folge der Eheschlieflung, selbst wenn der ubenviegende Anteil von Heiraten ,,kindorientiertUerfolgt (Nave-Herz 1989). Familie ist aber nicht nur hinsichtlich ihrer Begrundung gestaltbar, sondern auch hinsichtlich ihrer Form: ,,Legitime6' Elternschaft setzt nicht Ianger das verheiratete Paar voraus. Wahrend sich bezuglich Partnerschaft und Familie die gesellschaftlichen Vorgaben weitgehend gelockert haben, ist hinsichtlich der Elternrollen eine gegenlaufige Entwicklung eingetreten: die normativen Anforderungen an sie haben besonders im 20. Jahrhundert zugenommen. Heute wird von Muttern und Vatern eine ,,verantwortete Eltemschaft" gefordert, d.h. es wird envartet, dass sie die Erziehung und Ausbildung ihrer Kinder engagiert wahrnehmen, und dies jenseits der herkommlichen Machtstellung der Eltern, insbesondere des Vaters (Schnei-
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der 2002, Bradfordmawkins 2002). Ausdruck dieser gesteigerten Erwartungen an die Erziehungskompetenz der Eltern sind nicht zuletzt die Klagen uber einen vermeintlichen Erziehungsnotstand in der Familie. Verbunden mit dieser Entwicklung ist eine starke Aufivertung der ElternKind-Beziehung, die sich auch in der Gesetzgebung deutlich abzeichnet. Elternschaft tritt in gewisser Weise in Konkurrenz m r Partnerschaft. Die beiden Beziehungssysteme folgen nun eindeutig unterschiedlichen Logiken, wobei die Elternschaft nicht selten als die bedeutsamere angesehen wird. Wahrend Partnerschaften kiindbar sind, gilt die Eltern-Kind-Beziehung als lebenslangliche Bindung (TyrellMerlth 1990). Kinder konnen somit auch als Risiko fur die Intimbeziehung angesehen werden und nicht mehr nur als sinnstiftende und haltgebende Faktoren. Wenn demnach die Intimbeziehung als eigenstandiges soziales System bereits ausreichend Gluck und Erfullung verspricht, kann damit der Verzicht auf Familie begrundet werden. Die Differenzierungs- und Individualisierungsprozesse verlaufen nicht eindimensional, sondern weisen Venverfungen, Ungleichzeitigkeiten und Bruche auf. Dies zeigt sich gerade im veranderten Verhaltnis von Individuum, Familie und Gesellschaft. Familie bietet durch ihre Spezialisierung dem Einzelnen einen Rahmen, der seine individuelle Entwicklung fordert und zugleich bremst: Einerseits wird das Individuum durch die Familie hervorgehoben und erlangt ganz besonderen Stellenwert. Der Einzelne hat - anders als in den anderen Sozialsystemen einer funktional differenzierten Gesellschaft - in der Familie den Anspruch, als ganze Person mit all seinen Belangen Beachtung zu finden (Luhmann 1990). Er ist nirgendwo weniger austauschbar. Durch diese Orientierung an den einzelnen Familienmitgliedern sind Familien jedoch im hochsten Marje abhangig von den individuellen Dispositionen der Einzelpersonen, von ihren Forderungen und Ressourcen. Auflosende Entscheidungen wie Trennung, Auszug und Scheidung konnen durch Einzelpersonen getroffen und vollzogen werden. Gleichzeitig ist es schwieriger geworden, Gemeinsamkeit herzustellen und das Familiensystem dauerhaft zu erhalten. Wenn jeder einzelne auf seine spezifische Art in gesellschaftliche Funktionssysteme eingebettet ist, wird es zunehmend schwieriger, Familie als eigenes, die Individuen verbindendes System zu etablieren. Die auiuBeren Zugkrafte sind hoch, sehr deutlich wird dies an den gestiegenen Mobilitatsanforderungen z.B, im Berufsleben (Beck 1986). Gesellschaftliche Richtwerte oder gar Zwange zur Familienbildung dagegen sind weitgehend verschwunden, Huinink spricht in diesem Zusammenhang von struktureller und kultureller ,,DeFamilialisierung" (2002: 5 1). Von den ehedem vielfaltigen Vorgaben fiir die Gestaltung von Beziehungen und Familie besitzt am ehesten die geschlechtsspezifische Rollenaufteilung noch Bedeutung, die der Frau typischenveise familieninterne und dem Mann familien-
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externe Angelegenheiten zuordnet. Doch auch die Geschlechtersegregation hat als gesellschaftlicher Zuweisungsmechanismus an Einflusskraft verloren, so dass sich die Partner zunehmend als zwei Personen mit individuellen Auffassungen, Einstellungen und Erwartungen gegenuberstehen. Um zu gemeinsamen Entscheidungen zu gelangen, mussen nun unterschiedliche personliche Sichtweisen und Anspriiche in Einklang gebracht werden. Jenseits geschlechtsspezifischer Rollenkonzepte ist Gemeinsamkeit nicht mehr von auflen vorgegeben, sondern muss erst in der Partnerschaft entworfen werden (Beck-Gernsheim 1994). Partnerschaft fordert vom Einzelnen engagierte ,,Beziehungsarbeit". Unter dem Vorzeichen der Gleichstellung von Frauen und Mannern werden die geschilderten Entwicklungen mitsamt ihrer Komplexitat und ihren Widerspruchen verscharft spurbar. Von Frauen und Mannern wird gleicherrnaflen eine qualifizierte und damit Iangere schulische und berufliche Ausbildung envartet. Der Arbeitsmarkt fordert Flexibilitat bei Arbeitsort, -zeit, -recht und -einkommen, die als unvereinbar mit familialen Verpflichtungen erscheint. Gleichzeitig wird die Absicherung durch den Sozialstaat bruchiger und muss zunehmend durch private Vorsorge erganzt werden. Gefordert wird demnach einerseits das ,,MarktindividuumU,das alleinstehend und nicht ,,partnerschafts- oder familienbehindert" ist (Beck 1986: 191). Auf der anderen Seite wird das Individuum in Bezug auf seine Sicherung und Einbindung immer weniger auf gesellschaftlicher Ebene gestutzt und damit wieder starker auf die Ebene personlicher Beziehungen zuruckvenviesen. Modernisierung wird besonders in Deutschland als eine Entwicklung verstanden, die vor Partnerschaft und Familie in gewisser Weise Halt gemacht hat. Diese sogenannte ,,halbierte Moderne" (Beck 1986, Huinink 2002) zeichnet sich dadurch aus, dass eine individuelle Lebensgestaltung grundsatzlich moglich ist, die gesellschaftlichen Normen und Strukturen ein Familienleben nach dem Prinzip der Chancengleichheit aber erschweren und traditionale geschlechtsspezifische Aufgabenteilungen nahe legen. Dies wird durch institutionelle Rahmenbedingungen wie Ehegattensplitting und die Forderung privater Pflege- und Betreuungsarrangements gestutzt. Damit stehen junge Frauen immer noch vor der Entscheidung ,,Beruf oder Familie", und viele von ihnen, auch junge Manner entscheiden sich zunehmend gegen Kinder und fur den Beruf. Die Folge dieses Vereinbarkeitsproblems sind eine wachsende Kinderlosigkeit und eine niedrige Kinderzahl, aber auch eine zunehmende Instabilitat von Familien; beispielsweise aufgrund von Enttauschungen, weil Berufswunsche nur unzureichend oder uberhaupt nicht venvirklicht werden konnten oder aufgrund der ~berforderungdurch die Doppelbelastung von Beruf und Familie. Letztendlich werden somit gesellschaftliche Widerspriiche in personliche und familiale Konflikte ubersetzt, welche die Entscheidung fur Familie uberhaupt, aber ganz besonders fur eine grofle
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Familie deutlich erschweren. Dies bedeutet auch, dass widerspriichliche Positionen innerhalb des Paares moglich sind, und der Ausgang der Entscheidung letztlich davon abhangt, ob und wie eine ~bereinstimmungerzielt werden kann. In Partnerschaft und Familie kann bei so bedeutsamen Entscheidungen keiner seine Praferenzen ausleben, ohne Riicksicht auf andere zu nehmen. Mit Blick auf Fertilitatsentscheidungen wird - und das ist eindeutig auch empirisch beobachtbar der gemeinsame Nutzen fur das Paar relevant. Denn die Wunschvorstellung ,,Kinder ja, Partner nein" war und ist die Ausnahme. 2.2.2 Individuelle Prayerenzen und der Wert von Kindern Aus entscheidungstheoretischer Perspektive ist es in jeder Epoche und in jeder Kultur das Ziel eines jeden Individuums, seinen subjektiven Nutzen zu optimieren. In Bezug auf Fertilitatsentscheidungen aber gilt es hier zwei Dimensionen zu beriicksichtigen: die individuelle Nutzenbilanz einerseits und die - in der Regel erforderliche - Abstimmung der Partner andererseits. Der speziellen Logik individueller Entscheidungen im Fertilitatsbereich versucht der VOC-Ansatz gerecht zu werden, indem er positive und negative Aspekte des Kinderhabens erfasst und bilanziert (Nauck 2001, Huinink 2002). Er basiert auf einer deduktiv-nomologischen Struktur, welche von der Voraussetzung ausgeht, dass Frauen und Manner ihren individuellen Nutzen maximieren wollen, wobei in modernen Gesellschaften primar emotionale Komponenten und die soziale Anerkennung der potenziellen Eltern zum Tragen kommen. Dies sind demnach die maljgeblichen Entscheidungsparameter im Hinblick auf Elternschaft. Kinder konnen zu dieser Nutzenmaximierung emotional beitragen, indem sie das physische Wohlbefinden undloder die soziale Anerkennung der Eltern steigern. Kinder optimieren das physische Wohlbefinden der Eltern, wenn sie einen Arbeitsnutzen haben. Hierzu gehort die Mitwirkung im elterlichen Familienhaushalt ebenso wie ein Einkommen, das sie selbst durch Erwerbstatigkeit erzielen oder das ihre Eltern etwa aufgrund sozialstaatlicher Anspruche erhalten. Dieser Nutzen ist eher von kurzfristiger Perspektive. Anders verhalt es sich bei Vorteilen, die sich aus der Mitwirkung der Kinder bei der Absicherung gegen die Risiken des Lebens der Eltern ergeben; diese sind langfristiger Natur. Kinder konnen zudem die soziale Anerkennung der Eltern optimieren, indem sie den Status ihrer Eltern erhohen, z.B. indem sie Beziehungen zu Dritten stiften, bestehende Beziehungen intensivieren und ihre Qualitat erweitern. In allen diesen Aspekten verursachen sie moglichenveise auch Kosten. Schlieljlich konnen Kinder selbst ein Statusmerkmal darstellen, durch welches soziale Anerkennung unmittelbar ,,produziertUwird.
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Daruber hinaus konnen Kinder einen emotionalen Nutzen f i r ihre Eltern haben. So konnen Eltern die Interaktion mit ihren Kindern als gewinnbringende Erfahrung bewerten, die zur Entwicklung ihrer eigenen personalen Identitat beitragen, und die besondere Qualitat der Eltern-Kind-Beziehung und der kindlichen Zuwendung wertschatzen. Im Hinblick auf die Nutzenerhohung durch Kinder sind die kulturellen - regional und historisch unterschiedlichen - Rahmenbedingungen ausschlaggebend, denn sie bestimmen daruber, welche Werte den Kindern zugeschrieben werden bzw. aus welchen Aspekten des Kinderhabens Nutzen gezogen werden kann, welche Einschrankungen damit verbunden und welche Alternativen vorhanden sind. Zu den zeitlich und regional variierenden Restriktionen gehoren direkte Kosten, Opportunitatskosten und Hemmnisse wie antizipierte Armut, schlechte Wohnsituation oder Krankheit der Mutter. Den Wert von Kindern mindern gesellschaftliche Einrichtungen, Institutionen und Personen, welche Leistungen ersatzweise erbringen, wie zum Beispiel die gesetzliche Altersicherung fur die soziale Absicherung durch Kinder oder die Partnerschaft fur den emotionalen Nutzen der Kinder. Positiv in die Waagschale fallen unter diesen Vorzeichen vermutlich ausreichende Ressourcen, wie beispielsweise materieller Wohlstand, ausreichender Wohnraum, Unterstiitzungen durch Venvandtschaft oder offentliche Einrichtungen. Auch die Nutzendimensionen variieren mit den gesellschaftlichen Bedingungen. In der vorindustriellen, landwirtschaftlich und kleingewerblich gepragten Zeit waren der Arbeits- und Absicherungsnutzen von Kindern von hoher Bedeutung. Das gilt heute noch in weniger entwickelten Landern mit niedrigem Wohlstandsniveau und fehlenden oder luckenhaften sozialen Sicherungssystemen. In industrialisierten und dienstleistungsorientierten Landern dagegen spielt vor allem der emotionale Nutzen von Kindern eine Rolle. Der okonomische Gesichtspunkt dagegen hat sich eher ins Gegenteil verkehrt: Kinder kosten Geld und schranken tendenziell die Einkommensmoglichkeiten ein. Damit erschweren sie es ihren Eltern, sich gegen die Risiken des Lebens abzusichern. In modernen Gesellschaften entscheiden sich Frauen und Manner also dann fiir Kinder, wenn sie mit der Elternschaft eine Erhohung des emotionalen Nutzens verbinden. Welche potenziellen Gratifikationen aus der Elternschaft abgeleitet werden, hat Implikationen fir die optimale Kinderzahl, mit der eine Nutzensteigerung erreicht wird. In Gesellschaften, in denen der Wert der Kinder vor allem darin liegt, das physische Wohlbefinden der Eltern zu optimieren, ist es eine rationale Strategie, viele Kinder zu bekommen. Weniger eindeutig sind die Entscheidungsparameter in Gesellschaften, in denen der Wert der Kinder vornehmlich darin gesehen wird, den emotionalen Nutzen und die soziale Anerkennung der Eltern zu fordern. Hier ist es nicht erforderlich, viele Kinder zu haben, da diese
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Vorteile nicht in gleicher Weise kumuliert werden konnen wie der Arbeits- und Versicherungsnutzen. Allerdings gibt es unter dem Vorzeichen ,,weicherGLund stark individuell gepragter Nutzendimensionen auch keine eindeutige allgemeingultige Praferenz. Die Entscheidung ist vielmehr in hohem MaBe von den Normen und Bewertungen im individuellen sozialen Kontext abhangig. Entsprechend kann die Nutzenmaximierung sowohl in Kinderlosigkeit, in einer kleinen Familie als auch in Kinderreichtum gesehen werden. Da sich Familie heute ganz wesentlich uber Emotionalitat und Intimitat definiert, wird davon ausgegangen, dass diese Dimensionen auch bei der Fertilitatsentscheidung eine wichtige Rolle spielen. In modernen Gesellschaften konnen Kinder primar einen emotionalen Gewinn bringen. Deshalb entscheiden sich Frauen und Manner fur Kinder. Damit erklart der VOC, warum man sich heute gegen oder fur Kinder entscheidet. Die Erklarung uber die FamiliengroDe bleibt - wie gezeigt werden konnte - nicht eindeutig und beschrankt sich auf situative Aspekte. Doch die Situation ist selten aussagekraftig genug, um unterschiedliches Verhalten im jeweiligen sozialen Kontext zu begreifen. So bleibt der VOC unvollstandig hinsichtlich der Folgen, welche die individuelle Entscheidung fur Kinder tatsachlich hat. Es ist nicht zwingend, dass eine Familie gegrundet wird. Denn wenn sich einer fur Kinder entscheidet, bedeutet das nicht, dass sich auch das Paar fur Kinder entscheidet. Oder anders formuliert: Elternschaft ist in aller Regel eine Entscheidung des Paares. Partnerschaft und Familie werden in dieser Perspektive nicht auf das Handeln ihrer einzelnen Mitglieder reduziert. Der VOC beschrankt sich zunachst auf das individuelle Handeln und erklart nicht, wie eine individuelle in eine gemeinsame Entscheidung uberfuhrt wird, also welche Bedeutung bei Fertilitatsentscheidungen den Abstimmungs- und Aushandlungsprozessen in der Intimbeziehung zukommt. Letztendlich ist diese gemeinsame Herstellungsleistung das konstitutive Element familialen Lebens. Man konnte den Prozess, wie aus individuellen Praferenzen und Wunschen gemeinsam getragene Entscheidungen werden, in einen groReren entscheidungstheoretischen Rahmen stellen und als Aushandlungsprozess begreifen, bei dem schlieljlich im Sinne eines Gesamtnutzens fur das Paar entschieden wird (Becker 1982a). In diesem Kontext ist jedoch zu berucksichtigen, dass es hier vie1 mehr als bei anderen Entscheidungen um die Herstellung von Konsens und Gemeinsamkeit geht, wobei den jeweiligen individuellen Praferenzen der Partner ein hohes Gewicht beigemessen wird. Fehlt diese Basis, stellt dies ein hohes Risiko fur die Beziehung dar (Vaskovics et al. 1997). Die Schwierigkeiten, die sich aus den Unsicherheiten auf individueller Ebene fur eine Entscheidungsfindung ergeben, potenzieren sich gewissermaen, da es gilt, zwei Lebensverlaufe stabil und dauerhaft zu verzahnen. Die biographischen Entscheidungen der Partner mussen stark aufeinander bezogen werden. Dies setzt eine hohe Bereitschaft voraus, sich
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auf langfristige Bindungen einzulassen, bedingt zugleich aber auch eine Starkung der Bindung. SchlieBlich erfolgt zum Beispiel der ubergang zum dritten Kind vor dem Hintergrund gemeinsamer Erfahrungen; er kann daher auch als Resultat erfolgreicher Familienverlaufe gesehen werden. Fur die nachfolgenden Analysen wird von Interesse sein, welche Muster der familialen Arrangements dabei gewahlt werden bnv, sich bewahren. Im Folgenden wird auf die zentralen Dimensionen der Entscheidung fur eine groBe Familie eingegangen.
2.2.3 Entscheidungsparameter der Familienenveiterung Die bisherigen Ausfuhrungen haben bereits deutlich gemacht, welche Einflussdimensionen fur die Fertilitatsentscheidung relevant sind. Da es sich bei der Entscheidung fur eine groRe Familie allerdings um eine sehr spezifische Situation handelt, sind allgemeine Entscheidungshypothesen nicht einfach ubertragbar. Daher werden im Folgenden einige, konkrete Einflussfaktoren im Hinblick auf diese spezifische Entscheidung expliziert. Pointiert l h s t sich das Problem auf die Frage reduzieren: Welchen Nutzen hat oder welche Griinde sprechen fur ein weiteres Kind? In Bezug auf die okonomische Situation der Familie wurde man im Regelfall durch zusatzlichen Nachwuchs keine Verbesserung erwarten, denn Kinder verursachen Kosten undloder schranken das Erwerbspotenzial ein. Allerdings, so konnte man argumentieren, besteht bei ausreichender materieller Ausstattung hier mmindest kein Hinderungsgrund - sofern andere Aspekte fur die Erweiterung der Familie sprechen. Auch konnten bei sehr geringem Einkommen die envarteten Sozialleistungen die wahrgenommen Mehrkosten iiberwiegen. Kinderreichtum durfte daher eher in wohlhabenden und in sehr deprivierten Familien vorkommen. Eng verbunden mit okonomischen Aspekten steht die Bildung. Je hoher die Bildungsinvestitionen, desto groBer ist die Neigung, davon auch zu profitieren durch eine entsprechende Karriere. Damit gleichen die Erwartungen an Bildungseffekte denen der Erwerbsorientierung. Die Erwerbstatigkeit bzw. Berufsorientierung der Frauen wird generell als Hindernis fur die Elternschaft angefiihrt (Huinink 2002). Die Argumentation lasst sich fur zusatzliche Kinder leicht ubernehmen: Unter den gegebenen sozialen und normativen Bedingungen verlangert jedes Kind die Erwerbspause bnv. den reduzierten Beschaftigungsumfang der Mutter und geht somit mit EinkommenseinbuBen, Qualifikations- und Absicherungsverlusten einher. Fur mehrere Kinder durften sich demnach nur Frauen aussprechen, die geringe Ambitionen bnv. Chancen im Beruf haben oder die es sich leisten konnen und wollen, Kin-
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derbetreuung und Haushalt anderen zu uberlassen. Auch hier durften sich grol3e Familien eher in den unteren und oberen sozialen Milieus finden, weniger im mittleren Bereich. Die rhmlichen Rahmenbedingungen - Wohnen und Wohnumgebung sind fur viele Eltern wichtige Aspekte des Aufwachsens der Kinder, aber auch ihrer eigenen Be- oder Entlastung. Aus dieser Perspektive durften sich wiederum vor allem (sehr) gut situierte Eltern und Familien in familienfreundlichen Quartieren fur eine groflere Kinderzahl entscheiden. Tragfahigkeit der und Vertrauen in die Partnerschaft gelten als zentrale Voraussetzung fur Elternschaft als eine langfiistige Verpflichtung. Mit jedem Kind wird diese Verantwortung grol3er und zeitlich ausgedehnter. Dieses Wagnis durften somit nur Personen eingehen, die eine sehr zufriedenstellende Beziehung haben und diese nicht durch die Elternschaft bedroht sehen. Dies bedeutet, dass beide Partner von der Geburt eines weiteren Kindes Vorteile oder zumindest keine Beeintrbhtigung fur ihre Beziehung erwarten. Die emotionale Gratifikation der Eltern-Kind-Beziehung ist im Hinblick auf die Familiengriindung ein zentrales Motiv. Kinder werden mit Sinnstiftung, Zuneigung und weiteren emotionalen Pluspunkten assoziiert. Ob dieses Argument sich auch fur das dritte oder vierte Kind noch anfiihren Ihst, wird eher skeptisch gesehen. Eher wird envartet, dass hier keine weitere Nutzenakkumulation mehr moglich ist. Ganz so eindimensional verhalt es sich u.E. jedoch nicht: Wurde zum Beispiel gerade die Kleinkindphase, moglicherweise auch die Schwangerschaft, als sehr schone und positive Erfahrung in der Eltern-KindBeziehung erlebt, spricht einiges dafur, dieses Erlebnis zu wiederholen. Auch Eltern, die sich Kinder beiderlei Geschlechts wunschen, aber bislang nicht bekommen haben, konnen dies durchaus als Motiv fur ein weiteres Kind empfinden, weil sie sich davon andere Erfahmngen und Beziehungen erhoffen. Wie diese kurze Darstellung zeigt, kann die Entscheidung fiir eine groBe Familie von sehr verschiedenen Einflussfaktoren bestimmt werden. Wo Barrieren wahrgenommen werden, wie stark Orientierungen auf Familie oder Beruf sind und wo jeweils Grenznutzen liegen, kann individuell stark variieren. Die Kraft dieser Einflusse sol1 im Folgenden sowohl durch reprbentative Querschnittsbetrachtungen wie auch durch selektive Langsschnittanalysen naher beleuchtet werden. Die Entscheidungsprozesse im Paar, die mal3geblichen Einfluss auf die Umsetzungsmoglichkeiten von individuellen Praferenzen haben, werden anschliel3end aus einer qualitativen Perspektive heraus betrachtet.
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2.2.4 GroJe Familien als Gegenmodell zur Moderne? Die bisherigen Ausfuhrungen legen Folgendes nahe: Wer mehr als zwei Kinder hat, lebt in verschiedener Hinsicht gegen den so genannten Mainstream. Grorje Familien entsprechen nicht den gangigen Idealvorstellungen und auch nicht dem Verhalten der Mehrheit oder des Durchschnitts. Vor allem aber scheinen einige Aspekte ihres Familienlebens nicht in das Konzept einer hoch differenzierten, individualisierten und mobilen Gesellschaft zu passen. GroSe Familien erscheinen als immobil, unflexibel und wenig risikofreudig. Ob das tatsachlich zutrifft, bleibt empirisch zu klaren. Auf der Hand liegt jedoch, dass Veranderungen fur sie mit hoherem Aufwand einhergehen und teils auch grorjere Risiken beherbergen: Beispiele hierfur sind Umziige oder ein Wechsel der Arbeitsstelle. Eine grorje Familie zu haben fuhrt - unter den in Deutschland gegebenen Rahmenbedingungen der Geschlechtersegregation - zu unterdurchschnittlicher Ausschopfung der Erwerbspotenziale der Partner. Damit verbunden steigt die Wahrscheinlichkeit, dass fur Iangere Phasen eine traditionale Aufgabenteilung in der Familie praktiziert wird und sich u.U. dauerhaft verfestigt. Hinsichtlich der tendenziell eher traditionalen Lebensweise stellt sich die Frage, inwieweit dies als konstruktive Strategie gesehen wird, mit der sich Eltern zumindest teilweise Marktzwangen widersetzen und eine eigene Realitat leben, oder ob dies als nicht intendierte Konsequenz akzeptiert wird. Die Entscheidung fur mehrere Kinder ist nicht selten eine Entscheidung gegen gesellschaftliche, in der Regel marktvermittelte Gratifikationen und Absicherungen. Dies konnte im Sinne einer spezifischen Wertrationalitat bei grorjen Familien interpretiert werden, in der okonomische Werte nicht an erster Stelle rangieren. Es konnte mdem ein Hinweis darauf sein, dass nicht allein auf externe Sicherungen, z.B. durch Erwerbsarbeit oder Sozialversicherung, gesetzt, sondem verstarkt auf personliche Bindungen vertraut wird. Kinderreichtum bedeutet eine langfristige Bindung der Eltern - und zwar nicht nur in Bemg auf die Eltern-Kind-Beziehungen, sondern auch im Hinblick auf die Partnerschaft. Trennung und Scheidung stellen fur Kinderreiche besondere Probleme und Risiken dar, da die Versorgung der Familie in diesem Falle schwierig wird. Auch diesbeziiglich entscheiden sich die Partner f i r eine ,,weniger moderne" Variante der Beziehungsgestaltung. Ahnliches kann im Hinblick auf die - oben genannte - Hervorhebung des Einzelnen in Erwagung gezogen werden: Je grol3er die Kinderzahl, umso weniger kann jedes Familienmitglied seine individuellen Wiinsche und Neigungen ausleben, umso mehr Anpassung, Riicksicht und Gemeinschaft wird gefordert. Im Kontext der Entscheidungsdimensionen wurde ausgefuhrt, dass Kinderreichtum dort wahrscheinlich ist, wo er mit physischem Nutzen verkniipft wer-
48
Historische und moderne Rahmenbedingungen
den kann, beispielsweise durch staatliche Transferzahlungen. Auch dies ist eine eher traditionale Haltung Kindern gegenuber, wie die historischen Ausfihrungen gezeigt haben. Speziell die Gruppe, die iiber ihre Kinder Einkommen und damit auch gesellschaftliche Integration erreicht, lebt ein Muster, das nicht in das Konzept der Moderne passt, da sie sich in hohem MaBe von ihrer Familienform abhangig macht und uber sie definiert. Angesichts der oben ausgefihrten Hemmnisse bei der Fertilitatsentscheidung stellt sich die Frage, inwieweit kinderreiche Familien ein Gegenmodell zur Moderne bilden, denn diese Familienform fordert und fordert langfristige Bindungen und Verpflichtungen und ist mit vielen Anforderungen der modernen Gesellschaft (Mobilitat, hohes und flexibles Erwerbsengagement) nur schwer zu vereinbaren. Anhand der nun folgenden empirischen Ausfuhrungen sol1 versucht werden, Antworten auf diese Frage zu finden.
3 Mehrkinderfamilien heute in Deutschland Bernd Eggen
Zu Beginn des empirischen Teils geben wir einen Uberblick uber die aktuellen Lebensverhaltnisse von Kinderreichen. Dazu gehoren regionale Aspekte, Familien- und Haushaltsstrukturen sowie Migrationshintergrund. 3.1 Wo leben die Mehrkinderfamilien?
Von den 12,6 Millionen Familien in Deutschland haben 1,2 Millionen drei Kinder, 257.000 vier und 97.000 funf oder mehr (Tabelle 7 im Anhang;). Tatdchlich jedoch diirfte es ehvas mehr als die 1,6 Millionen kinderreichen Familien geben, da bei den vorliegenden Zahlen nur die ledigen minder- und volljahrigen Kinder berucksichtigt werden, die bei ihren Eltern leben. Unberucksichtigt bleiben damit Kinder, die noch nicht geboren worden sind, wie auch Kinder, die bereits das Elternhaus verlassen haben. In Westdeutschland leben mehr als doppelt so haufig Familien mit drei oder mehr Kindern wie in Ostdeutschland (Tabelle 9 im Anhung;). Warum gibt es diesen Unterschied? Eher als im Osten folgt im Westen das generative Verhalten noch dem religiosen Motiv vom Kindersegen und der traditionellen ~ b e r z e u gung von der besonderen Aufgabe der Frau in Haushalt und Familie. Beide Einstellungen spiegeln sich auch in einer Politik wider, die bislang die Frauen wenig ermutigt hat, enverbstatig zu sein und Beruf und Familie zu vereinbaren. Daneben gibt es im Westen okonomische Bedingungen, die das Aufwachsen von drei oder mehr Kindern ermoglichen. Anders ist die Lage im Osten: Hier haben sicherlich die auljergewohnlichen okonomischen Unsicherheiten seit den 1990erJahren die Kinderzahl eingeschrankt. Zudem durfte im Osten eine weniger religios gepragte Tradition wirken, in der viele Kinder gmndsatzlich seltener vorkommen: Zu Zeiten der DDR gab es zwar mehr Geburten als im Westen, allerdings bereits seltener kinderreiche Familien. Ein Grund hierfur ist, dass die Vollzeitenverbstatigkeit der Eltern und besonders die der Frauen in der DDR nicht nur politisch gewollt, sondern auch eine gesellschaftliche Verpflichtung war. Umfassende Kinderbetreuung, ein Jahr Elternurlaub weitgehend ohne Einkommenseinbuljen und die Sicherheit eines Arbeitsplatzes auf einem stark strukturierten und zentral regulierten Arbeitsmarkt ermoglichten die fruhzeitige Famili-
50
Mehrkinderfamilien heute in Deutschland
engriindung und die Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Die Vollzeitenverbstatigkeit der Eltern und wohl auch der eingeschrankte Wohnraum durften aber entscheidend dafur gewesen sein, dass die Frauen im Osten trotz hoherer Geburtenrate seltener mehr als zwei Kinder hatten als die Frauen im Westen. Besonders kinderreich sind in Westdeutschland die Flachenstaaten im Norden und Siiden. Aber auch die Stadtstaaten Bremen und Hamburg sind kaum seltener kinderreich. In den Stadtstaaten durften gerade auslandische Familien den Anteil kinderreicher Familien sttirken. Der besondere Kinderreichtum in Niedersachsen und in Suddeutschland durfte dagegen iibenviegend auf traditionale Vorstellungen unter den deutschen Familien zuriickgehen. Dass Migration vor allem in der Stadt und Tradition vor allem auf dem Land Kinderreichtum bedingen durften, zeigt sich auch daran, dass Familien mit vier oder mehr Kindern in kleinen Gemeinden und in GroBstadten gleichermaflen haufig wohnen (Tabelle 9 im Anhang). 3.2 Kinderreichtum und Familienformen
Verglichen mit anderen europaischen Staaten sind in Deutschland Mehrkinderfamilien eher selten (Tabellen 10 bis l l b im Anhang). Nur die Eltern in Ost- und Sudeuropa entscheiden sich noch seltener f i r mehr als zwei Kinder. Dagegen leben beispielsweise in Skandinavien, Frankreich, im Vereinigten Konigreich und besonders in Irland Eltern haufiger mit drei oder mehr Kindern zusammen. Als entscheidende Ursache f i r die niedrigere Quote gilt die ,,spezifisch deutsche Lebensverlaufsplanung" (BMFSFJ 2005b). So ist in Deutschland der Zeitrahmen, sich f i r Kinder zu entscheiden, besonders eng. Der deutsche Lebensverlauf ist dreigeteilt in Ausbildung, Beruf und Rente. Ein Drittel des Lebens verbringen die Deutschen in der Ausbildung. Dann erfolgt der Berufseinstieg. In anderen europaischen Landern ist es dagegen vie1 leichter moglich, einen ersten Ausbildungsabschluss in jungen Jahren zu machen, um dann, zum Beispiel nach einer Familienphase, eine aufbauende Zusatzausbildung anzuschliel3en. Daruber hinaus zeigt der Vergleich mit Europa: Eher als in anderen europaischen Staaten bedeutet in Deutschland Elternschaft mit vielen Kindern auch, dass die zusammenlebenden Eltern verheiratet sind. AuBerhalb Deutschlands ist in Europa der Zusammenhang von Kinderreichtum und Ehe nicht so selbstverstandlich. In den meisten anderen Staaten haben nicht ehelich zusammenlebende Eltern zum Teil deutlich haufiger drei oder mehr Kinder. Allerdings findet sich der Zusammenhang von Ehe und Kinderreichtum vor allem in Westdeutschland und weniger in Ostdeutschland. So leben in Ostdeutschland 14% der kinderreichen Paare nicht
Kinderreichtum und Migrationshintergrund
51
ehelich zusammen, in Westdeutschland nur 3%. Seltener als zusammenlebende Eltern haben in Europa alleinerziehende Eltern drei oder mehr Kinder. In Deutschland leben die Eltem in Familien mit drei oder mehr Kindern ganz iibenviegend (86%) als verheiratetes Paar zusammen. Den Ergebnissen des Mikrozensus ist jedoch nicht zu entnehmen, ob die Eltem bereits in zweiter oder dritter Ehe verheiratet sind oder ob der Ehepartner zugleich der leibliche Vater b m . die leibliche Mutter aller in der Familie lebenden Kinder ist. In rund 4% der Familien mit drei oder mehr Kindem wohnen die Eltern nicht ehelich zusammen. Hier liegt die Vermutung nahe, dass es sich zum Teil um so genannte Patchwork-Familien oder Fortsetzungsfamilien handelt, also um Familien, in denen Kinder vom Vater undloder der Mutter aus einer vorangegangenen Familie mitgebracht wurden. In etwa 10% der kinderreichen Familien sind die Eltern alleinerziehend, zumeist alleinerziehende Miitter.
3.3 Kinderreichtum und Migrationshintergrund Mitte der 1970er Jahre gebaren die auslandischen Frauen noch fast doppelt so viele Kinder wie die deutschen Frauen. In den folgenden drei Jahrzehnten passten sich die auslandischen Frauen im generativen Verhalten dem der deutschen Frauen an. Vor allem die jungen und jungeren Frauen verzogern und verringem ihre Geburten. Damit steigt das Durchschnittsalter der Mutter bei der Geburt eines Kindes; Familien werden spater und seltener gegriindet. Allerdings zeigen sich die Veranderungen im generativen Verhalten besonders gegen Ende der 1990er Jahre erst spater in der Verteilung der Familiengroben. So sind auslandische Familien auch gegenwartig noch wesentlich haufiger kinderreich als deutsche Familien. In mindestens 11% der Familien sind die Eltern nicht deutscher Staatsangehorigkeit. Mit zunehmender Kinderzahl steigt der Anteil von Familien mit auslandischen Eltern: von 17% bei Familien mit drei Kindern bis auf 33% bei Familien mit funf oder mehr Kindern. Oder anders formuliert: Rund 21% der auslandischen und 13% der deutschen Eltern haben drei oder mehr Kinder (Tabelle 4). Bei der Interpretation der Ergebnisse ist mit Blick auf mogliche Zusammenhange zwischen kulturellen Traditionen und FamiliengroBe von Migranten allerdings das zunehmende Auseinanderfallen von Staatsangehorigkeit und Herkunft zu berucksichtigen. So konnen eingeburgerte Personen oder deutschstammige Aussiedler in der Analyse nicht mehr nach ihrer Herkunft unterschieden werden; sie werden statistisch als Deutsche erfasst. Deshalb durften die Anteile von Familien mit nicht deutscher Herkunft besonders bei den groben Familien tatsbhlich hoher liegen als hier dargestellt.
52
Mehrkinderfamilien heute in Deutschland
Tabelle 4: Familien nach Staatsangehorigkeit der ~ l t e r n *und ) Anzahl der Kinder
*) Fiir die Unterteilung in deutsche und nicht deutsche Familien wird die Staatsangehijrigkeit der Bezugsperson herangezogen. Diese Person ist bei Ehepaaren grundsatzlich der Ehemann und bei Alleinerziehenden die Person selbst. wobei Kinder als Bezulzs~ersonen ausgeschlossen sind. Rundungsdifferenzen. Quelle: Mikrozensus 2003.
-
A
3.4 Kinderreichtum und erweiterte Haushaltsformen Der Blick in die Vergangenheit kann Mythen zerstoren. Dieses Mal den ,,Mythos von der vorindustriellen GroBfamilie" (Mitterauerlsieder 1977: 3 8 - 6 ~ )Im . ~ vorindustriellen Westeuropa lebte der GroBteil der Familien in kernfamilialen Haushalten, d.h. Haushalten, die nur aus Eltern und Kindern bestanden. Erst im 20. Jahrhundert bestand die Moglichkeit auch aufgrund hoherer Lebensenvartungen, dass GroBeltern und Enkelkinder f i r Iangere Zeit zusammenlebten (Hareven 1999: 36). Heute umfassen die Familienhaushalte in Deutschland meist nur zwei Generationen, also Eltern und ihre Kinder. Dies gilt ebenso fur kinderreiche Familien. Lediglich 3% der Familien mit drei oder mehr Kindern wohnen mit venvandten oder familienfremden Personen, davon etwa die Halfte mit den GroBeltern, die andere Halfte ausschlieBlich mit anderen venvandten, verschwk gerten oder familienfremden Personen. Auslandische Familien mit drei oder mehr Kindern fuhren haufiger (4%) einen gemeinsamen Haushalt mit weiteren Personen als deutsche Familien (3%). Als Haushalt zahlt hierbei jede zusammen wohnende und eine wirtschaftliche Einheit bildende Personengemeinschaft. Die Formen des Zusammenlebens und der gegenseitigen Unterstiitzung lassen sich
'
Ein hartnbkiger Mythos, obwohl beispielsweise schon friih Mackenroth (1953: 360-361,431432) und spater Kdnig (1976: 55-56, 68) und Rosenbaum (1982: 488-491) auf eine Majoritat der Zwei-Generationen-Kemfamiliegegeniiber wenigen GroBfamilien in allen Jahrhunderten hingewiesen haben.
Kinder in kinderreichen Familien
53
uber die Bildung eines gemeinsamen Haushaltes jedoch nicht wirklich erfassen, z.B. fuhren GroBeltern, die eine eigene Wohnung im gleichen Haus oder in der Nachbarschaft bewohnen, einen eigenen Haushalt, obgleich sie eng mit ihren Kindern und Enkelkindern zusammenleben. 3.5 Kinder in kinderreichen Familien
Aus Sicht der Kinder sind kinderreiche Familien keine ganz so kleine Minderheit. Rund 25% der Kinder wachsen mit mindestens zwei weiteren Geschwistern heran. Im Einzelnen heiRt das: 17% aller Kinder leben in einer Familie mit drei Kindern, 5% in einer Familie mit vier Kindern und gut 3% oder jedes fiinfunddreiDigste Kind lebt in einer Familie mit fiinf oder mehr Kindern (Tabelle 5). Tabelle 5: ~ i n d e r "in) Familien nach Anzahl aller Kinder in der Familie und Staatsangehorigkeit der Eltern**)
*) Kinder: ledige Personen in der Lebensgerneinschaft ohne Altersbegrenzung. **) Fiir die Unterteilung in deutsche und nicht deutsche Familien wird die Staatsangehorigkeit der Bezugsperson herangezogen. Diese Person ist bei Ehepaaren grundsatzlich der Ehemann und bei Alleinerziehenden die Person selbst, wobei Kinder als Bezugspersonen ausgeschlossen sind. Rundungsdifferenzen. Quelle: Mikrozensus 2003.
Auslandische Kinder wachsen haufiger mit zwei, drei oder mehr Geschwistern auf als deutsche Kinder: 39% gegenuber 22%. Besonders deutlich wird dieser Unterschied in sehr groDen Familien, also Familien mit fiinf und mehr Kindern. Hier ist die Wahrscheinlichkeit, auf ein Kind mit mindestens vier weiteren Geschwistem zu stoBen, bei auslandischen Familien dreimal so groD wie bei deutschen Familien.
4 Bildung der Eltern und der Kinder Bernd Eggen
Trotz Individualisierung mit enveiterten Handlungsmoglichkeiten fur den Einzelnen und Entstrukturierung der Gesellschaft mit offeneren und durchlassigeren sozialen Schichten gilt fur alle europaischen Gesellschaften weiterhin: Der Bildungsabschluss von Frauen und Mannern beeinflusst wohl mehr denn je und in hohem Malje die Entscheidung fur die Ehe, fur Kinder, fur die Berufstatigkeit der Frau, die Ehescheidung, das Heiratsalter und die Kinderzahl. So hat sich wahrend der letzten Jahrzehnte das Verhalten zwischen den einzelnen, vor allem uber den Bildungsabschluss definierten, sozialen Schichten polarisiert (Gestrich et al. 2003: 516f., Wirth 2000). Das familienbezogene Verhalten innerhalb dieser Schichten hat sich dagegen kaum geandert. Die Familie ist damit auch heute ein Ort der Stabilisierung sozialer Ungleichheit. Unterscheiden sich dabei kinderreiche Familien mit Blick auf die Bildung der Eltern und ihrer Kinder von Familien mit weniger Kindern? 4.1 Bildungsabschliisse: Partnemahl unter Gleichen
Heute lassen sich junge Frauen und Manner von ihren Eltern weder empfehlen, geschweige denn vorschreiben, welcher Partner fur sie der richtige ist. Dennoch ist die Wahl des Partners sozial nicht voraussetzungsfrei. Insbesondere der so genannte Heiratsmarkt ist nicht frei und grenzenlos, sondern f i r den Einzelnen sozial selektiv und numerisch begrenzt (Wirth 2000: 698, Blossfeld/Timm 2003). Denn die Aufnahme einer Beziehung hangt zunachst von der Moglichkeit des Kennenlernens ab. Verbrugge (1977) formuliert diesen Sachverhalt pragnant: "who does not meet, does not mate", wobei gilt: "while meeting depends on opportunities, mating depends on both attraction and opportunities". Die Dauer, die junge Menschen in Bildungs- und Ausbildungseinrichtungen verbringen, bedingt wesentlich die Wahl eines Partners: ,,Je friiher die Selektion von Schulern in weiterfiihrende Schulen einsetzt und je rigider die raumliche Trennung zwischen den verschiedenen Bildungswegen ist, desto geringer sind die Kontaktchancen zwischen Angehorigen unterschiedlicher Bildungsgruppen. Diese erste Vorstrukturierung von Kontaktchancen uber den Schulbesuch und die berufliche Ausbildung bewirkt tendenziell eine Homogenisierung von sozialen Verkehrs-
56
Bildunp. der Eltern und der Kinder
kreisen. Mit Eintritt in das Berufsleben ist zwar von einer Erweiterung der sozialen Verkehrskreise auszugehen, aber dann ist auch kein ,,reprasentativerKHeiratsmarkt vorhanden, da man haufig auf Personen mit ahnlichen Bildungs-, Ausbildungs- und Berufskarrieren trifft" (Wirth 2000: 698). Die Bildungshomogamie, die Partnerwahl unter Gleichen, dominiert bei den nicht ehelichen und ehelichen Paaren mit Kindern. Kinderreiche Paare unterscheiden sich darin zunbhst nicht von Paaren mit einem oder zwei Kindern, aber sie unterscheiden sich im Bildungsniveau. Eltern mit drei Kindern verfugen uberdurchschnittlich oft nicht uber eine abgeschlossene Schulausbildung. Bei Eltern mit vier oder mehr Kindern fallt das Bildungsniveau ganz deutlich ab: 15% der Eltern besitzen keine abgeschlossene Schulausbildung (Tabelle 6). Tabelle 6: Verheiratet und nicht ehelich zusammenlebende Eltern nach Anzahl der Kinder und Bildungsabschliissen
FBlle ohne Angabe sind nicht beriicksichtigt. Rundungsdifferenzen. Quelle: Mikrozensus 2003. *)
Wenn Bildung wesentlich bedingt, wer mit wem zusammen lebt, dann kumuliert niedrige Bildung besonders bei kinderreichen Paaren. Bei zwei von drei Paaren mit vier oder mehr Kindern besitzen die Eltern jeweils den gleichen Schulabschluss. Am haufigsten ist der Hauptschulabschluss (30%), mit grolJem Abstand gefolgt von Hochschulreife und Realschulabschluss rnit je 13%. Bei 11% der Paare haben beide Eltern keinen Schulabschluss. Von Bildungsheterogamie spricht man, wenn sich die Eltern in ihren Bildungsabschlussen unterscheiden. Bei 34% der Paare mit vier oder mehr Kindern trifft das zu. Dabei uberwiegen eindeutig die Kombinationen Realschule mit Hauptschule und Hochschulreife
57
Bildungsabschlusse: Partnenvahl unter Gleichen
rnit Realschule. Die meisten heterogamen Paare wahlen also einen Partner auf der nachst hoheren oder nachst niedrigeren Bildungsstufe. Eher selten sind zwei oder drei Bildungsstufen Unterschied zwischen den Partnern (Wirth 1996). Tabelle 7: Eheliche und nicht eheliche Paare nach Anzahl der Kinder und ~ildun~sabschlussen*) Bildungsheterogamie der Eltern
Bildungshomogamie der Eltern
2 oder 3 Beide Beide darunter BlldungsBeide 1 B~ldungsHauptRealstufen Hoch- stufe UnterHochschulschul- schulabUnterschulreife Haupt- reife/Realabschluss schluss schule schule
Anzahl Beide ohne der
Kinder
Schulabschluss
'Yo
1
*)
2
1
30
1
21
1
13
1
28
1
15
1
12
1
6
Flille ohne Angabe nicht beriicksichtigt. Rundungsdifferenzen. Quelle: Mikrozensus
2003.
Bei kinderreichen Familien ist darnit die Neigung der Eltern, einen Partner rnit gleichem Bildungsabschluss zu bevorzugen, im Vergleich zu Paaren mit einem oder zwei Kindern, uberdurchschnittlich hoch auf der niedrigsten Bildungsstufe. Das gilt auch bei den beruflichen Bildungsabschliissen (Tabelle 8). Was sich bei den Paaren beobachten lasst, zeigt sich ahnlich bei den Alleinerziehenden: Eltern mit drei oder mehr Kindern haben am ehesten keinen und vergleichsweise selten den hochsten schulischen und beruflichen Bildungsabschluss (Tabelle 12 im Anhang). Allerdings bedarf diese Aussage einer Erganzung: Bei Paaren mit drei Kindern sind die Bildungsabschlusse u-formig verteilt: Hier haben die Eltern beide uberdurchschnittlich oft enhveder keinen oder den hochsten Bildungsabschluss. Ein Bildungsgefalle tritt markant bei Paaren rnit vier oder mehr Kindern auf.
Bildune der Eltern und der Kinder
58
Tabelle 8: Eheliche und nicht eheliche Paare nach Anzahl der Kinder und beruflichen Bildungsabschlussen ~ildun~sabschliisse*) der Eltern
Anzahl der Kinder
Beide keinen beruflichen Bildungsabschluss
Mindestens einer Lehre
Mindestens einer Meister
Mindestens Beide mit einer Hoch- Hochschulschulabschluss abschluss
'=Yo
1
8
57
16
12
7
2
8
53
17
14
9
3
14
50
13
14
9
4 oder mehr
25
46
11
12
6
Insgesamt
9
54
16
13
8
FBlle ohne Angabe sind nicht beriicksichtigt. Rundungsdifferenzen. Quelle: Mikrozensus 2003. *)
Das Bildungsgefalle zwischen kinderarmen und kinderreichen Eltern ist insofern bedeutsam, als sich das Bildungsniveau der Eltern kumulativ auf die Bildung der Kinder auswirken kann (Engel/Hurrelmann 1989). Die Chancen von Kindern durften sich aber auch innerhalb der kinderreichen Familien sehr deutlich voneinander unterscheiden. 4.2 Arm an Bildung - reich an Kindern?
Wer iiber eine hohere Schul- und Berufsausbildung verfugt, dem offnen sich bessere Chancen f i r eine berufliche Karriere und fur ein hoheres Einkommen. Nicht zuletzt vor dem Hintergrund der bestehenden Schwierigkeiten bei der Vereinbarkeit von Beruf und Familie verzichten deshalb vor allem gut ausgebildete Frauen auf Kinder oder leisten sich weniger Kinder. Dabei geht allerdings die Verringerung der Anzahl der Kinder meist mit einem hoheren Erziehungsanspruch der Eltern gegenuber ihren Kindern einher (Becker 1982b). Umgekehrt schranken fehlende Schul- und Berufsabschlusse die beruflichen und finanziellen Moglichkeiten ein. Als oft einzige Option, die zudem gesellschaftliche Anerken-
59
Arm an Bildunlr - reich an Kindern?
nung verspricht, bleibt die Grundung einer groljen Familie. Oder anders formuliert: Neben der gangigen Behauptung, Kinderreichtum Ghre zu Armut, gibt es auch die Ansicht, dass Armut, hier Bildungsarmut oder geringe Erwerbschancen, zu Kinderreichtum fuhre (Merrick 2002). Diese These wird gestutzt durch die Tatsache, dass verheiratete kinderreiche Mutter und Vater uberdurchschnittlich oft keinen schulischen oder beruflichen Abschluss besitzen (Abbildungen 1 und 2).
Abbildung I :
Verheiratete Frauen nach Anzahl der Kinder und Bildungsabschliissen*)
1 Kind
2 Kinder
3 Kinder
4 oder mehr
Insgesamt
IEohne Schulabschluss Oohne Ben~fsabschlussOmit Hochschulreife Qmit Hochschulahschluss
I
*) FSille ohne Angabe sind nicht beriicksichtigt; Angaben in %, Rundungsdifferenzen. Quelle: Mikrozensus 2003.
Ein Schulabschluss fehlt bei 6% der Frauen mit drei Kindern und bei 17% der Frauen mit vier oder mehr Kindern. Keine abgeschlossene Berufsausbildung besitzen 28% der Frauen mit drei Kindern und sogar 44% der Frauen mit vier oder mehr Kindern. Auch die Vater von drei oder mehr Kindern haben haufiger keine Schul- oder Berufsausbildung als Manner mit einem oder zwei Kindern, allerdings nicht in dem Ausmalje wie Mutter. Ein Grund mag darin liegen, dass Manner mit fehlender Ausbildung mit den entsprechenden beruflichen und finanziellen Einschrankungen von vornherein die geringsten Heiratschancen haben; sie bleiben im Vergleich zu anderen Bildwngsgruppen haufiger ledig (Huinink 1993). Die generelle Tendenz zu hypergamem Verhalten, nach dem Frauen tendenziell eher Partner ,iiber7 als ,unter' und Miinner eher Partnerinnen ,unter' als ,iiber' ihrem Bildungsabschluss heiraten, scheint bei Frauen mit fehlender Ausbildung besonders ausgepragt zu sein. Diese Partnerwahl korrespondiert mit
Bilduna der Eltern und der Kinder
60
einer traditionalen Aufgabenteilung. Wahrend Mannern hierbei vor allem die Rolle des Ernahrers der Familie zukommt, sind Frauen in der Regel auf die Aufgaben der Hausfrau und Mutter beschrankt. In der traditionalen Sichtweise dieser Aufgabenteilung sind daher bei der Partnerwahl die Bildung des Mannes, sein Berufsstatus und seine Einkommensmoglichkeiten wichtig, ,,wahrend bei den Frauen andere Kriterien, wie hausfrauliche Qualitaten, korperliche Attraktivitat etc. im Vordergrund" stehen (Wirth 1996: 375).
Abbildung 2:
Verheiratete Manner nach Anzahl der Kinder und Bildungsabschlussen*)
1 Kind
2 Kinder
3 Kinder
4 oder mehr
Insgesamt
Bohne Schulabschluss Clohne Berufsabschluss Omit Hochschulreife Bmit Hochschulabschluss *) Falle ohne Angabe sind nicht beriicksichtigt. Angaben in %, Rundungsdifferenzen. Quelle: Mikrozensus 2003.
Einerseits gibt es also bei kinderreichen Eltern uberdurchschnittlich viele Mutter und Vater ohne Schul- oder Berufsabschluss. Andererseits verfugen kinderreiche Mutter und Vater zum Teil ahnlich oft wie Eltern mit einem oder zwei Kindern uber eine Hochschulreife beziehungsweise uber einen Hochschulabschluss. Mutter wie Vater mit drei Kindern besitzen sogar iiberdurchschnittlich oft hochste Schul- oder Berufsbildungsabschlusse. Ein Grund fur dieses vergleichsweise hohe Bildungsniveau auch bei kinderreichen Miittern durfte die soziale Herkunft der Eltern sein. So haben im ,,Bamberger-Ehepaar-Panel" Kinderreiche deutlich haufiger Selbstandige und Freiberufler zum Vater als die ubrigen. Ihre Vater sind zudem haufiger in Fuhrungspositionen und entsprechend seltener als ungelernte oder gelernte Arbeiter beschaftigt gewesen (Rupp 2003, Kap. 8).
61
..Vererbune" sozialer Unrrleichheit? 4.3 ,,VererbungGsozialer Ungleichheit?
Nicht erst seit PISA wissen wir, dass der Bildungsstatus der Eltern immer noch und vielleicht sogar in verstarktem Mal3e ausschlaggebend fur den Schulerfolg und -misserfolg der Kinder ist (EngelMurrelmann 1989). Nun ist die Ressource ,,schulische und berufliche Ausbildung" bei kinderreichen Eltern deutlich unterschiedlicher verteilt als bei Eltern mit einem oder zwei Kindem. ijberdurchschnittlich oft konnen dabei Kinder aus kinderreichen Familien nicht auf entsprechende Ressourcen zugreifen, da viele Eltem nur unzureichend ausgebildet sind. Zunachst zeigt sich, dass beispielsweise Kinder im Alter von 15 bis 17 Jahren aus kinderreichen Familien etwas seltener die Klassenstufe 11 bis 13, also das Gymnasium oder die Fachoberschule, besuchen, als Kinder aus Familien mit einem oder zwei Kindern (Tabelle 9). Tabelle 9: 15- bis 17-jahrige Kinder bei ehelichen und nicht ehelichen Paaren nach Anzahl der Kinder in der Familie und besuchter Schulart Anzahl der Kinder in der Familie
3 oder mehr Insgesamt
15- bis 17-jtihrige Kinder Insgesamt
Klassenstufe 5 bis 10
Klassenstufe 11 bis 13
~erufsschule*)
668
65
1.5
17
2.254
62
18
18
*) Berufsschule, Berufsgrundbildungsjahr oder Berufsfachschule, die einen Berufsabschluss vermittelt, 1-jiihrige Schule des Gesundheitswesens, Berufsvorbereitungsjahr, Berufliche Schule, die einen mittleren Abschluss vermittelt, Berufliche Schule, die die Fachhochschul-/Hochschulreifevermittelt, Fachschule, Fach-Berufsakademie, 2- oder 3jahrige Schule des Gesundheitswesens. Die Differenz zu 100% erkl5irt sich durch die Tatsache, dass ein geringer Anteil an Kindern dieser Altersgruppe (unter 1 %) bereits eine Fachhochschule oder Universitat besucht. Fur einen weiteren Anteil an Kindern (rund 3 %) liegen keine Angaben zur Art der besuchten Schule vor bzw. diese Kinder besuchen iiberhaupt keine Schule mehr. Rundungsdifferenzen. Quelle: Mikrozensus 2003.
Zunachst zeigt sich, dass beispielsweise Kinder im Alter von 15 bis 17 Jahren aus kinderreichen Familien etwas seltener die Klassenstufe 11 bis 13, also das
62
Bildunn der Eltern und der Kinder
Gymnasium oder die Fachoberschule, besuchen als Kinder aus Familien mit einem oder zwei Kindern (Tabelle 9). Auch in kinderreichen Familien ist die Ausbildung der Eltern entscheidend fur die Schulbeteiligung der Kinder. Verglichen mit allen Jugendlichen aus kinderreichen Familien haben Schuler der Klassenstufe 11 bis 13 erheblich haufiger Eltern mit Hochschulreife beziehungsweise Hochschulabschluss (Tabelle 10). Entsprechend seltener haben diese Schuler Eltern ohne eine Schul- oder Berufsausbildung. Eltern ,,vererbenU somit soziale Ungleichheit - hier uber Bildungsabschliisse. Aber im Unterschied zu Eltern mit einem oder zwei Kindern haben kinderreiche Eltern haufiger nur eine unzureichende Ausbildung, die sie ,,vererben6'konnen.
Tabelle 10: 15- bis 17jahrige Kinder nach Bildung der Eltern
*) Bildungsabschliisse - niedrig: beide Eltern keinen Schul- bzw. Berufsbildungsabschluss oder nur ein Elternteil Hauptschulabschluss bzw. Lehre und der andere keinen Abschuss; hoch: beide Eltern Hochschulreife bzw. Hochschulabschluss oder nur ein Elternteil Hochschulreife bzw. Hochschulabschluss und der andere sonstige bzw. fehlende Abschliisse. Die Angaben ergeben in der Regel keine loo%, da nur ausgewalte Bildungsabschlusse berucksichtigt werden. Rundungsdifferenzen. Quelle: Mikrozensus 2003.
5 Alltagsgestaltung und Erwerbsverhalten Bernd Eggenmarina Rupp
Tag fur Tag die Anforderungen der Familie rnit denen der eigenen Erwerbstatigkeit ,,unter einen Hut" zu bekommen, ist fur alle Eltern eine groBe Herausforderung. Das Problem der Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist daher ein Dauerthema der Familienpolitik und Familienforschung (BMFSFJ 2005b). Erwerbseinkommen bilden fiir die meisten Familien die Basis ihres Lebensunterhaltes. Der Umfang des beruflichen Engagements der Eltern bestimmt aber zugleich die fur Familientatigkeit verfiigbare Zeit. Da heute Erwerbstatigkeit fur beide Partner selbstverstandlich ist, stellt sich rnit der Familiengriindung die Frage nach der Aufteilung der wachsenden Aufgaben im Alltag. Obwohl Frauen selbst die Verbindung von Beruf und Familie wunschen, sind es fast ausnahms10s die Mutter, welche die Tatigkeiten im Haushalt und die Betreuung und Erziehung der Kinder verantwortlich ubernehmen und dazu auf Erwerbsbeteiligung ganz oder teilweise verzichten. In Westdeutschland dominiert in der Phase nach der Familiengrundung eine traditionale Aufgabenteilung rnit der Konsequenz, dass Einkommenseinburjen und Briiche in den weiblichen BerufsverlLfen auftreten. Folgen Familien rnit mehreren Kindern diesem Muster, so ist rnit besonders deutlichen Auspragungen dieser Nachteile zu rechnen. Vor diesem Hintergrund wird im Folgenden zunachst auf die Alltagsgestaltung in groBen Familien eingegangen. AnschlieBend wird die aktuelle Erwerbssituation der Familien differenziert dargestellt, wobei u.a. auf Armut und Sozialleistungsempfang eingegangen wird. Soweit als moglich wird dabei als Ereignisbezug der ubergang zum dritten Kind herausgearbeitet. 5.1 Den Alltag bewaltigen Marina Rupp
Kinderreiche Familien sind m a r zum groljeren Teil gut auf ihr Leben rnit Kindern vorbereitet gewesen - 62% hatten sich ihre Familientatigkeit in etwa so vorgestellt, wie sie ist - doch immerhin 30% gingen urspriinglich davon aus, dass es leichter sei, das Familienleben zu bewaltigen (BEP 2002). Diese erniichternde Erfahrung macht verstandlich, dass einige sich heute nicht nochmals fur
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Alltagsgestaltung und Erwerbsverhalten
drei oder mehr Kinder entscheiden wurden. Nur ein kleiner Teil von 8% hatte mit wesentlich mehr Schwierigkeiten gerechnet. Wie stellen sich Eltern mit mehreren Kindern den Anforderungen der Eltemrolle? Die meisten sind - wie auch bei den ubrigen Eltern - uberzeugt, dass sie ihre Rolle gut ausf~llen.
Tabelle 11: Selbstwahrnehmung in der Elternrolle
Rundungsdifferenzen. Quelle: Bamberger-Ehepaar-Panel2002
Sie glauben auch nicht, dass sie im Vergleich mit anderen Eltern grol3ere Unsicherheiten aufweisen (73%) oder sich im Umgang mit Kindern nicht sehr geschickt zeigen (89%). Die Eltem in der Stichprobe fuhlen sich - und m a r ohne relevante Unterschiede nach Familiengrolje - relativ sicher und kompetent. Eine kleine Differenz ergibt sich hinsichtlich der Befurchtung, etwas falsch zu machen. Eltern mit einer groljen Familie befirchten einerseits etwas haufiger, Fehler zu machen, zeigen sich andererseits aber auch entschiedener in der Ablehnung dieser ~ b e r l e ~ u n Jede(r) g. zweite dieser Mutter und Vater denkt nicht oft dariiber nach, Erziehungsfehler zu begehen, wahrend je ein Viertel unentschlossen anhvortet b m . solche Sorgen eingesteht. Die iibrigen Familien konnen sich deutlich haufiger nicht f i r eine Position entscheiden und weichen ofimals auf ,,teils/teils" aus (BEP 2002). In der Summe wird das Leben mit Kindem als sehr positiv dargestellt. Bei 35% ubenviegen eher die glucklichen Momente und bei 52% uberwiegen die glucklichen Momente vollkommen. Demnach sehen nur rd. 12% der Kinderreichen in erster Linie Belastungen durch die Familie. Vehemente Klagen, wie die folgende, teilt daher nur eine Minderheit (BEP 2002).
Den Alltag bewaltigen
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,,Wir haben gemerkt, dass unsere Grenze erreicht ist. Wir haben gemerkt, dass wir bloB noch funktionieren (...). Emotionale Bedurfnisse kamen recht kurz." [Vater von drei Kindern, mittlerer Angestellter]
Unterschiede zeigen sich auch im Belastungserleben, wenn man es auf die Kinderzahl bezogen erfragt. Die grorjen Farnilien sehen kaum Restriktionen durch das erste Kind. Einzelkinder werden von ihnen nur zu 8% als deutliche oder erhebliche Belastung angesehen. Etwas starker wird die Beanspruchung schon, wenn ein zweites Kind da ist. Hier sind 29% der Meinung, dass ab dem zweiten Kind eine Belastung in nennenswertem Umfang gegeben ist. Der Umschwung setzt eindeutig beim dritten Kind ein. Nun beurteilen die Eltern die Konsequenzen als spurbar: Dass Eltern durch drei Kinder in erheblichem MaBe in Anspruch genommen werden, sagen von den Kinderreichen 84%, darunter sind 34%, die eine sehr starke Belastung wahrnehmen (BEP 2002). ,,(...) aber es ist schon - was Beziehung angeht - schwieriger als bei den ersten beiden Kindern (...),aber was ganz klar gelitten hat, war die Zeit fur uns beide." [Vater von drei Kindern, Bearnter im hoheren Dienst]
Damit wird klar, dass fiir grol3e Familien erst ab dem dritten Kind relevante Beeintrachtigungen einsetzen, wahrend bei kleineren Familien die Belastung schon mit geringerer Kinderzahl erheblich starker eingeschatzt wird. Aber auch hinsichtlich der Belastung mit mehr als drei Kindern, also ab vier Kindern, sind die Einschatzungen der grorjen Farnilien zuriickhaltender. Sie sehen hier in nicht demselben Mal3e erhebliche Zusatzbelastungen gegeben. Dass die wahrgenommenen und antizipierten Nachteile von Kindern je nach eigener FamiliengrolJe durchaus unterschiedlich eingeschatzt werden, venveist auf einen Zusammenhang zwischen dieser Dimension und der Entscheidung fiir weitere Kinder. Fur grorje Familien sind die Leistungen, die Eltern mit weniger Kindern erbringen, nicht so beanspruchend wie ihr eigener Einsatz fur die Familie. Dies wird auch verstandlich vor dem Hintergrund, dass sie unsere Gesellschaf't eher als kinderfeindlich einschatzen: 58% sind der Meinung, unsere Gesellschaft sei eher oder sogar sehr kinderfeindlich. Sie attestieren unserer Gesellschaft damit in deutlich hoherem Mane Kinderfeindlichkeit als die anderen Familienformen (BEP 2002). Offenbar sehen sich grol3e Familien starker mit gesellschaftlichen Restriktionen konfrontiert. ,,(...) aber im Nachhinein wiirde ich in dieser Gesellschaft keine Kinder mehr auf die Welt bringen. Ich finde die Gesellschaft im Vergleich zu friiher sehr brutal und sehr kinderfeindlich." [Mutter von vier Kindern, mittlere Angestellte]
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Alltagsgestaltung und Erwerbsverhalten
Trotz dieser kritischen ~ufierungensind Familien mit mehreren Kindern uberdurchschnittlich zufrieden mit der offentlichen Kinderbetreuung. Im Gegensatz vor allem zu sehr kleinen Familien kritisiert nur knapp ein Viertel die Ausstattung; 31% weichen auf teilslteils aus, 32% sind eher zufrieden und 14% sehr zufrieden. Die signifikant bessere Bewertung der offentlichen Kinderbetreuung wird unterstutzt dadurch, dass kinderreiche Familien - ahnlich wie Zwei-KindFamilien - haufiger als Eltern von Einzelkindern mit der Anzahl der Krippenplatze zufrieden sind. ~ h n l i c hverhalt es sich mit Kindergartenplatzen. Diese erachten 91% fur ausreichend. Zwar halten 19% die ~ffnungszeitenf i r nicht flexibel genug, aber auch hier liegen sie minimal hinter Zwei-Kind-Familien und deutlich hinter den Ein-Kind-Familien mit dem kritischen Votum. Weitere Einschatzungen von offentlicher Kinderbetreuung betreffen die Kosten. Auch hier sind die kinderreichen Familien - obgleich in hoherem MaRe durch die grodere Kinderzahl betroffen - weniger unzufiieden als die kleineren Familien. Die Kinderreichen empfinden nur zu 15% die Kosten als zu hoch. Neben der relativ guten Einkommenssituation der meisten Eltern bieten die Rabatte fur Geschwister eine Erklarung fur diese Wahrnehmung an. Hinsichtlich der Entfernung und auch der Grolje der Kindergruppen auiul3ern sich die Familienformen kaum unterschiedlich. Die insgesamt gesehen uberproportional gute Benotung der Kinderbetreuungsmoglichkeiten steht sehr wahrscheinlich in Zusammenhang damit, dass die Mutter aus groden Familien weniger engagiert im Beruf sind und haufiger Iangere Berufspausen einplanen (BEP 2002, Kap. 4.3.). Angesichts traditionalerer Familienmodelle ist ihr Bedarf wohl geringer und wird durch die klassischen Angebote institutioneller Kinderbetreuung eher abgedeckt.
5. I . I Aufgabenteilung im Haushalt und bei der Kinderbetreuung Die Alltagsgestaltung in groBen Familien ist stark an klassische Vorstellungen angelehnt: sie ist regelmadiger und eher familienzentriert. Dies entspricht den Erwartungen, dass mit zunehmender Zahl der Familienmitglieder der Abstimmungsbedarf steigt und individuellen Praferenzen weniger Raum gegeben werden kann. GroDe Familien pflegen die Mahlzeiten regelmafiiger gemeinsam einzunehmen. Dies gilt vor allem fur das Fruhstuck und das Mittagsessen. In 42% der groRen Familien friihstucken die Familienmitglieder regelmadig gemeinsam, und in 23% der Familien isst man zusammen zu Mittag. Diese Werte liegen deutlich iiber denen von kleineren Familien. Beim Abendessen gibt es demgegenuber allenfalls geringfiigige Unterschiede. 67% der Partner aus Familien mit mehr als zwei Kindern essen am Abend regelmafiig zusammen (BEP 2002).
Den Alltag bewaltigen
67
Kinderreiche Eltern sind auch in anderer Hinsicht familienzentrierter. Die Partner verbringen seltener Abende auBer Haus als andere Eltern, und sie gehen zudem wesentlich seltener ohne den Partner aus. Die Unterschiede sind vor allem zu Zwei-Kind-Familien markant. Partner, die mehrere Kinder haben, richten ihren Alltag offenbar starker auf die Bedurfnisse der Familie aus. So ist unter den Kinderreichen fast in allen Fallen gewahrleistet, dass die Partner beide taglich nach Hause kommen (94%). Es gibt keinen einzigen Elternteil in dieser Familienform, der pendelt. Der Anteil von Berufstatigen, die nur unregelmaBig zuhause sind, belauft sich auf 5%. Hier unterscheiden sich die grol3en Familien weniger von Zwei-Kind-Familien, aber doch von den Ein-Kind-Familien, bei denen diese Mobilitatsformen etwas haufiger vorkommen (BEP 2002). Die Arbeitsteilung im Haushalt differiert kaum nach der Familiengroae: Tatsache ist, dass die Mutter das Gros der Hausarbeit ubernehmen: Das Kochen erledigen sie zu 57% allein, zu 34% ubenviegend, das Aufraumen zu 49% b m . 30% und die Wasche sogar zu 82% bnv. 10%. Etwas mehr Unterstiitzung gibt es beim Abspulen und beim Einkaufen, welche ,,nur" zu 62% b m . 60% groatenteils durch die Mutter ubernommen werden (BEP 2002). ,,Ich gehe Vollzeit arbeiten und den Haushalt macht groBtenteils meine Frau. Wobei ich auch zwischendurch etwas mache, wie Abdecken, Spiilmaschine ein- oder ausraumen, aber eher Kleinigkeiten. Das empfindet meine Frau trotzdem als positiv, und es ist f i r sie eine Entlastung. Das Finanzielle mache auch alles ich, Versicherungen und so." [Vater von drei Kindern, mittlerer Angestellter]
Umgekehrt sind auch nach 14 Ehejahren Reparaturen und Fahrzeuge ,,Mannersache", und zwar unabhangig von der Kinderzahl. Bei der Zufriedenheit mit diesen Arrangements zeigt sich, dass Eltern aus groBen Familien lediglich mit der Losung des Abwasches etwas zufriedener sind. Beziiglich der ubrigen Aufgaben ergeben sich keine bemerkenswerten Differenzen. Neben den Haushaltstatigkeiten interessiert die Arbeitsteilung bei der Kinderbetreuung und -erziehung. Auch fur diesen Bereich tragen die Mutter die Verantwortung: Ob es sich um Arztbesuche oder Hausaufgabenbetreuung, die Beschaftigung der Kinder mit hauslichen Tatigkeiten, die Forderung sozialer Kontakte oder die Ausrichtung von Kindergeburtstagen handelt, es sind ganz ubenviegend die Mutter zustandig. Etwas mehr Beteiligung der Vater ist bei Fahrdiensten und dem Besuch von Elternabenden zu verzeichnen, obgleich auch dies mehrheitlich von den Munern ubernommen wird. AuBerdem unterscheiden sich verschieden grol3e Familien bei der Erziehung und Betreuung der Kinder noch in folgenden Aspekten:
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Alltagsgestaltung und Erwerbsverhalten Manner mit groBer Familie besuchen Elternabende etwas haufiger als andere Vater. Fahrdienste sind in groljeren Familien eher Frauensache, wahrend sich Eltern von Einzelkindern eher abwechseln. Mutter mit drei und mehr Kindern sind haufiger alleine f i r die Freunde und Kontakte der Kinder zustandig. Familien mit nur einem Kind greifen eher auf dritte Personen zuriick, so vor allem bei der Hausaufgabenbetreuung, der Gestaltung von Kindergeburtstagen, bei Fahrdiensten, der Beaufsichtigung hauslicher Tatigkeiten und der Kontaktpflege. Demgegenuber geben grolje Familien sehr selten bis nie solche Hilfen an.
Miitter mit drei oder mehr Kindern sind angesichts dieser Aufgabenfulle stark gefordert. Dem entspricht, dass sie von einer erheblichen zeitlichen Belastung durch die Dienste fur ihre Kinder berichten. Tabelle 12: Zeitliche Belastung durch Dienste fur die Kinder
Rundungsdifferenzen. Quelle: Bamberger-Ehepaar-Panel2002. Auch andere Studien, wie der DJI-Familiensurvey 2000, bestatigen den Befbnd, dass die Aufgabenteilung - insbesondere beziiglich der Kinderbetreuung - mit zunehmender Kinderzahl traditionaler wird und diese Frauen deutlich mehr Zeit fur Haushalt und Kinderbetreuung aufwenden als Miitter von einem oder zwei Kindern.
Den Alltag bewaltigen
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Diese umfassende Belastung findet Niederschlag im Wohlbefinden der Mutter. Tendenziell wird der Gesundheitszustand mit zunehmender Kinderzahl negativer eingeschatzt. Die Mutter mit groBen Familien bezeichnen ihn seltener als ,,sehr gut", dafir haufiger nur als ,,zufriedenstellend". Obgleich hier kein gravierender Unterschied besteht, bestatigt sich doch eine Tendenz, die auch bei anderen vie1 beanspruchten Muttem, den Allerziehenden, zu verzeichnen ist (Schneider et al. 2001): Hohe zeitliche Belastung durch Familie und gegebenenfalls Beruf engen die Moglichkeiten der Miitter ein, fur sich selbst gut zu sorgen. [Zum eigenen Gesundheitszustand:] ,,Ich war fertig nach dem sechsten Kind und habe Jahre gebraucht, um wieder zu Kraften zu kommen." [Mutter von acht Kindern, einfache Angestellte]
5.1.2 Zufriedenheit und Veranderungswiinsche Zunachst ist festzuhalten, dass die Eltem mit mehreren Kindem (im BEP) mit der Aufgabenteilung betreffend Beruf, Haushalt, Alltagsorganisation und Kinderbetreuung ein klein wenig zufriedener sind als die Vergleichsgruppen. Nichtsdestotrotz auSert knapp die Halfte der Kinderreichen ~nderungswunsche. Welche Veranderungen werden dabei angesprochen? An erster Stelle steht mehr Zeit fur Familie und Kinder. Ein Viertel wunscht sich weniger Arbeit und mehr Zeit fur Kinder, 22% fanden es schon, wenn beide Elternteile mehr Zeit f i r die Kinder haben konnten und sahen in einer Teilzeitbeschaftigung eine Chance darauf. Betrachtet man nur die Miitter mit drei oder mehr Kindem, so ist die Zufriedenheit mit der Beteiligung der Partner an der Haushaltstatigkeit geringfugig gro13er als bei Frauen aus kleinen Familien; allerdings ist die Abweichung nicht signifikant. Bei den kindbezogenen Aufgaben zeigen sich geschlechtsspezifische Unterschiede abhangig von der Familiengrofle: In Familien mit m e i oder mehr Kindern sind Mutter deutlich unzufriedener als Vater. Wahrend die Vater sich zu vier Funfteln eher bis sehr zufrieden einschatzen, antworten Mutter wesentlich zuriickhaltender. Bei kleinen Farnilien sind die Differenzen nicht so stark, dass sie statistisch gesichert waren. Die geringere Zufriedenheit der kinderreichen Mutter zieht sich dabei durch alle Bereiche hindurch: Die Hausaufgabenbetreuung ist ebenso betroffen wie die selteneren Tatigkeiten Fahrdienste, Arztbesuche oder Elternabende. Auch mit der Zustandigkeit fur die Kindergeburtstage sind die Mutter weniger glucklich als die Vater. Besonders markant wird der Unterschied jedoch bei der Beaufsichtigung hauslicher Tatigkeiten wie Aufraumen.
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Alltagsgestaltung und Erwerbsverhalten
Hier sind die Miitter am wenigsten davon angetan, dass dies ubenviegend in ihrer Verantwortung liegt. Dementsprechend wunschen sich diese Miitter teilweise mehr Entlastung als andere. 41% sind mit der Rollenaufteilung im GroDen und Ganzen mfi-ieden, 56% wunschen sich manchmal mehr Entlastung und 3% wunschen sich sehnlichst mehr Entlastung (BEP 2002). 5.2 Kinderreichtum und Erwerbstatigkeit der Eltern Bernd Eggen
Unter den derzeit geltenden Rahmenbedingungen in Deutschland ist die Verknupfung von Familie und Erwerbsbeteiligung f i r Mutter von ein oder zwei Kindern noch einigermafien realisierbar. Jedes zusatzliche Kind bringt jedoch zusatzliche Erschwernisse, macht eine kontinuierliche Beschaftigung beider Eltern oft unmoglich und erschwert den beruflichen Wiedereinstieg nach familienbedingten Pausen. Mit anderen Worten: Die Entscheidung fur Kinder wirkt sich auf die Teilhabe in diesem Bereich der Gesellschaft besonders stark aus. Die Fursorge fur mehr als zwei Kinder scheint mit einer umfassenderen Erwerbsbeteiligung beider Eltern unvereinbar. Die Konsequenz daraus ist, dass in der Regel die Mutter auf eine Enverbsbeteiligung verzichten. Damit kann fur die Frau die Entscheidung fur eine grofie Familie gleichsam eine Entscheidung gegen eine - zumindest zeitlich umfassendere - Enverbstatigkeit sein. Wahrend Manner ihr Leben mehrheitlich durch ihre Berufsrolle definieren, lassen sich nach dem Model1 von Hakim (2004) drei Wertmuster der Lebensfuhrung bei Frauen unterscheiden: das adaptive Lebensmodell, in dem das berufliche Engagement und die Fursorge f i r Kinder in Abhangigkeit vom Lebensalter der Kinder kombiniert werden, das berufsorientierte Muster, bei dem sich Partnerschaft und Familienleben der beruflichen Entwicklung unterordnen, und schlieljlich das klassische Modell der Hausfrau und Mutter. Dabei scheint es einen Zusammenhang zwischen der Bevorzugung von Privatleben und Familie, der Bereitschaft, auf Berufstatigkeit zu verzichten, einerseits und der Entscheidung f i r eine grolje Familie andererseits zu geben. Trotz der unterschiedlichen Bedingungen und ungeachtet dieser Modellannahmen gehen in relativ vielen kinderreichen Familien beide Eltern einer Erwerbstatigkeit nach. In jeder zweiten Familie mit drei Kindern und in jeder dritten Familie mit vier oder mehr Kindern sind beide Eltern enverbstatig (Tabelle 13). Gleichzeitig sind in uberdurchschnittlich vielen kinderreichen Familien beide Eltern nicht erwerbstatig, das gilt besonders fur Familien mit vier oder mehr Kindern. In den meisten dieser Familien bestimmen Arbeitslosenunterstut-
Kinderreichtum und Erwerbstatiekeit der Eltern
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zung und Sozialhilfe den Lebensunterhalt der Familien. Nur ein kleiner Teil der Eltern lebt von Renten oder Pensionen. Die uberdurchschnittlich hohe Erwerbslosigkeit kinderreicher Eltern unterscheidet diese Familien besonders von Familien mit einem Kind. Fehlende Enverbstatigkeit wird bei diesen Eltern vorwiegend durch Alter oder Krankheit begriindet, so dass ihre wichtigsten Einkommensquellen soziale Transferleistungen bilden. Tabelle 13: Erwerbsbeteiligung zusammen lebender Eltern nach Anzahl der Kinder
Rundungsdifferenzen. Quelle: Mikrozensus 2003.
Bei der Arbeitszeit der Eltern wird deutlich, wie stark geschlechtsspezifische Differenzen bei grol3en Farnilien ausfallen. Die enverbstatigen Vater sind in der Regel Vollzeit beschaftigt, das heifit, ihre Arbeitszeit betragt 35 und mehr Wochenstunden. Demgegenuber sind enverbstatige Mutter, die drei oder mehr Kinder zu versorgen haben ganz ubenviegend in Teilzeit beschaftigt, die meisten von ihnen weniger als 20 Wochenstunden (Tabelle 13 im Anhang;). Der Umfang des Erwerbsverhaltens der Mutter sinkt stark mit der Zahl der Kinder. Fur die Vater hingegen spielt es kaum eine Rolle, wie viele Kinder sie haben; lediglich 4% aller Manner arbeiten in Teilzeit. Festzuhalten bleibt allerdings die hohe Erwerbsquote kinderreicher Miitter. Selbst in Familien, in denen der Mann erwerbstatig ist, gehen sechs von zehn Miittern mit drei Kindern einer Enverbstatigkeit nach (Abbildung 3). Jede achte Mutter von vier oder mehr Kindem ist sogar 35 oder mehr Stunden in der Woche erwerbstatig. Dennoch gilt insgesamt: Je weniger Kinder zu
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Alltagsgestaltung und Enverbsverhalten
betreuen sind, desto eher sind die Mutter Vollzeit enverbstatig, desto seltener uben sie eine Teilzeitbeschaftigung aus oder sind nicht enverbstatig. Dabei fallt auf, dass Miitter von zwei Kindern genauso h h f i g enverbstatig sind wie Mutter von einem Kind; sie sind jedoch deutlich seltener Vollzeit enverbstatig. Sie schranken bereits den Umfang der Enverbstatigkeit ein, was die Mutter mit drei oder mehr Kindern noch deutlicher tun. Mit anderen Worten: Die Entscheidung gegen eine Vollzeitenverbstatigkeit fallt bei vielen Muttern bereits beim ~ b e r gang vom ersten zum zweiten Kind. Die Scheidelinie, uberhaupt enverbstatig zu sein, liegt eher beim ~ b e r g a n gzum dritten Kind.
Abbildung 3:
Enverbsbeteiligung von Frauen nach Anzahl der ~ i n d e r * )
1 Kind
2 Kinder
m 3 5 oder mehr Stunden
unter 20 Stunden
3 Kinder
4 oder mehr
B 2 0 bis unter 35 Stunden
H nicht enverbstSitig
*) Wochenarbeitszeit von Frauen, die ehelich oder nicht ehelich mit dem Partner zusammenleben und deren Partner erwerbstatig ist. Angaben in %, Rundungsdifferenzen. Quelle: Mikrozensus 2003.
Die Entscheidung fur oder gegen eine Enverbstatigkeit und deren Umfang wird mal3geblich vom Alter des jungsten Kindes bestimmt, denn der zeitliche Aufwand f i r die Betreuung und Erziehung ist bei kleinen Kindern am hochsten. Wohl deshalb bleibt die Mehrheit der kinderreichen Mutter zu Hause, solange das jungste Kind noch nicht sechs Jahre alt ist. Bei den enverbstatigen Frauen
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Kinderreichtum und Enverbstatiakeit der Eltern
liegt der eindeutige Schwerpunkt auf einer Teilzeitbeschaftigung unter 20 Wochenstunden. Allerdings sind 12% b m . 9% der kinderreichen Mutter mit kleinen Kindern wenigstens 35 Stunden in der Woche enverbstatig (Tabelle 14).
Tabelle 14: Erwerbsbeteiligung kinderreicher Frauen nach Alter des jungsten Kindes Wochenarbeitszeit von
. .. bis unter ... Stunden
Alter des jungsten Kindes in Jahren
*) Nicht ehelich oder ehelich mit dem Partner zusammenlebende Frauen, deren Partner erwerbstatig ist. Erlauterung: (.) = zu geringer Zahlenwert, 0 = eingeschrankte Aussagefahigkeit. Rundungsdifferenzen. Quelle: Mikrozensus 2003.
Mit mnehmendem Alter der Kinder steigt die Erwerbsbeteiligung ihrer Mutter an. In der Zeit, in der sich das jungste Kind im schulpflichtigen Alter zwischen 6 und 15 Jahren befindet, sind die Frauen vermehrt Teilzeit enverbstatig; bei noch alteren Kindern nimmt der Anteil der Vollzeiterwerbstatigen zu. Alleinerziehende Mutter und Vater konnen nicht auf ein Erwerbseinkommen eines Partners zuruckgreifen. Das eigene Einkommen besitzt fur den Lebensunterhalt der Familie damit einen ganz anderen Stellenwert. Von den kinder-
74
Alltagsgestaltung und Enverbsverhalten
reichen Muttern sind 18% und von den kinderreichen Vatern 52% Vollzeit erwerbstatig mit mindestens 35 Wochenstunden (Tabelle 15). Etwa jede zweite Mutter und jeder dritte Vater geht keinem Enverb nach.
Tabelle 15: Erwerbsbeteiligung alleinerziehender Frauen und Manner nach Anzahl der ~ i n d e r * ) weise geleisteter Wochenarbeitszeit von . ..bis unter ... Stunden
Alleinerziehende Manner 1
(3)
6
52
39
2
(.)
(6)
59
32
3 oder mehr
(.)
(.)
52
(31)
Insgesamt
3
6
54
37
*) Erliiuterung: (.) = Zahlenwert nicht sicher genug; () = eingeschriinkte Aussagefaigkeit. Rundungsdifferenzen. Quelle: Mikrozensus 2003.
Alleinerziehende Vater durften vor allem deshalb haufiger und in grol3erem Umfang enverbstatig sein, weil sie haufiger als alleinerziehende Miitter nur ein Kind haben, das mdem oft schon alter ist. Mit einer Quote von 18% sind alleinerziehende Frauen etwas haufiger Vollzeit enverbstatig als kinderreiche Miitter, die mit einem Partner zusammenleben (14%). Sind alleinerziehende Mutter von drei und mehr Kindern Teilzeit enverbstatig, dann ubenviegt ein hoherer Stundenumfang zwischen 20 und 34 Stunden in der Woche. Frauen mit alteren Kindern sind eher Vollzeit enverbstatig.
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Die berufliche Enhvicklung
Die berichteten Ergebnisse haben gezeigt, dass es in erster Linie die Mutter sind, die ihre Erwerbsbeteiligung an den Bedurfnissen der Familie ausrichten. Von allen Frauen mit Kindern werden als hauptsachlicher Grund f i r die Entscheidung, eine Teilzeittatigkeit zu wahlen, personliche oder familiare Verpflichtungen genannt, wobei dieses Motiv bei kinderreichen Familien ausgepragter ist (Tabelle 16). Je mehr Kinder zu betreuen sind, desto seltener wird die Teilzeitbeschafiigung als eine Notlosung erachtet, weil an sich eine Vollzeittatigkeit gewiinscht wird. Fiir alleinerziehende Mutter ist es mitunter schwieriger, eine Vollzeittatigkeit zu finden, die sich mit den familiaren Belangen in Einklang bringen Iasst. Andere Griinde spielen bei dieser Frage eine eher untergeordnete Rolle.
Tabelle 16: Griinde fur die Teilzeittatigkeit von Frauen nach Anzahl der Kinder
Lebensform der
Mit Partner zusammenlebend
Alleinerziehend
1
18
64
12
2
15
73
8
3 oder mehr
(.>
74
(.>
*) Auswahl, deshalb keine 100%. Fehlende Prozente auf 100% verteilen sich auf andere Griinde: Schulausbildung oder sonstige Ausbildung; Krankheit, Unfallfolge, ohne Angabe des Grundes. Erlauterung: (.) = zu geringer Zahlenwert. Rundungsdifferenzen. Quelle: Mikrozensus 2003.
5.3 Die berufliche Entwicklung Marina Rupp Nachdem im einfuhrenden Kapitel der 1st-Zustand in Deutschland dargestellt wurde, sol1 das Thema Beruf und grol3e Familie nun aus der Lebensverlaufsperspektive heraus analysiert werden, um der Prozesshaftigkeit der Familienent-
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Alltagsgestaltung und Erwerbsverhalten
wicklung und den damit verbundenen Entscheidungen Rechnung zu tragen.' Denn im Kontext der Entscheidung fur Kinder ist die berufliche Biographie in verschiedener Hinsicht von Bedeutung: Hohe Investitionen in die berufliche Bildung wirken sich hemmend auf die Fertilitat aus, was Querschnittsdaten belegen (EngstlerMenning 2003: 76). Dies ist zwei Haupttrends geschuldet: Zum einen verzogern lange Ausbildungszeiten und spate Erreichung beruflicher und sozialer Sicherheit den ubergang zur Elternschaft und senken damit die Wahrscheinlichkeit f i r mehrere Geburten. Zum anderen gehen damit teils auch hohe Ambitionen im Hinblick auf den envunschten beruflichen Status und grol3es berufliches Engagement einher. Gilt die Frage der Vereinbarkeit von Beruf und Familien grundsatzlich als ein zentrales Problem und Hindernis bei der Kinderfrage, so stellt sich dieses fiir hochgebildete Personen mit besonderer Vehemenz. Vor diesem Hintergrund sol1 untersucht werden, inwieweit die Bereitschaft, eine groBere Familie zu haben, mit bestimmten Vorstellungen und konkreten Losungen dieses Problems verbunden ist. 5.3.1 Vorstellungen zur Berujibiographie
Die Daten des Bamberger-Ehepaar-Panels erlauben es, die Vorstellungen der Manner und Frauen vor der Familiengriindung zu analysieren und in Beziehung zur spateren FamiliengroBe zu setzen. Die Ergebnisse zeigen, dass die eingangs geauljerten Vermutungen Bestatigung finden, so dass Kinderreiche tatsachlich schon fruhzeitig traditionelle Konzepte favorisierten. Dass dies vor allem !6ir die Frauen gilt, belegt einmal mehr, dass f i r sie das Vereinbarkeitsproblem stakere Bedeutung besitzt als fur die Manner. ,,Ich finde es gut, wenn man beides, Familie und Beruf, verwirklicht, es ist anstrengend, aber es lohnt sich." [Mutter von vier Kindern, hohere Angestellte]
Im Detail betrachtet, profilieren sich die Partner groBer Familien bereits kurz nach der Eheschlieljung hinsichtlich der antizipierten Aufgabenteilung beziiglich Berufs- und Familientatigkeit im Vergleich zu Personen mit kleinen Familien: Sie erwarten generell weniger Probleme, was die Vereinbarkeit von Kind und Beruf anbetrifft als die Vergleichsgruppen, wenngleich die Unterschiede nicht sehr ausgepragt sind.
Hlerzu wird Im Folgenden auf verschiedene Datenquellen (Kap 1 2) zufickgegr~ffen,d ~ zu e elnem B ~ l dzusammengefugt werden
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Die berufliche Entwicklunrr
,,Ich sehe keinerlei Einschrankungen gleichzeitig Mutter, Hausfrau und Arbeitende zu sein. Fiir mich ist das das Leben, so wie ich es leben wollte, abwechslungsreich und spannend." [Mutter von vier Kindern, mittlere Angestellte]
Die Orientierung an traditionelleren Konzepten m r Aufteilung der Erwerbs- und Familientatigkeit zwischen den Partnern bedeutet konkret, dass viele davon ausgegangen sind, dass die Frau nach der Geburt eines Kindes zu Hause bleiben ~ Partner war damit von Beginn an weitgehend werde. Die ~ b e r e i n s t i m m u nder vorgegeben; sie musste also nicht erst ausgehandelt werden. ,,Es war von Anfang an klar, dass mein Mann den Vortritt bekommt, wenn und weil wir mehrere Kinder wollen." [Mutter von 3 Kindern, einfache Angestellte]
Heute kinderreiche Frauen wollten zu Beginn ihrer Ehe zu 19% auf gar keinen Fall nach der Geburt eines Kindes berufstatig sein. Der Anteil, der unbedingt berufstatig sein wollte, lag dementsprechend unter dem Durchschnitt. Tabelle 17: Geplante Berufstatigkeit der Miitter nach der Geburt eines Kindes urt eines Kindes
Anzahl
110
300
98
508
*) Daten von 1988 fdr damals noch kinderlose Frauen. Rundungsdifferenzen. Quelle: Bamberger-Ehepaar-Panel.
Inwieweit bevorzugen kinderreiche Vater eher eine traditionale Aufgabenteilung in der Familie als Vater mit einem oder zwei Kindern? Die befragten Vater mehrerer Kinder zeigten sich gegeniiber der Familientatigkeit aufgeschlossener. Immerhin 20% von ihnen waren vor dem ~ b e r g a n gmr Vaterschaft der Meinung, dass sie selbst nicht unbedingt weiterhin berufstatig sein miissten. Sie
Alltagsgestaltung und Erwerbsverhalten
78
hatten demnach vor der Familiengrundung eine etwas hohere Bereitschaft, nach der Geburt ihres Kindes auf Erwerbstatigkeit zu verzichten, als Vater mit kleineren Familien (BEP 1988). Diese familienorientierte Haltung der Manner mit groljen Familien wurde von ihren Partnerinnen nicht in allen Fallen unterstiitzt. Die meisten Frauen (insgesamt 93%) meinten, ihre Manner sollten unbedingt die Ernahrerrolle iibernehmen. Das heifit, weniger als die Halfte der Vater, die es in Betracht zogen, eine nicht traditionale Aufgabenteilung zu bewerkstelligen, hatten Partnerinnen, die dieses Model1 als erstrebenswert ansahen P E P 1988). Was die Manner von den Frauen envarteten, entsprach weitgehend den eigenen Vorstellungen und Planen der Frauen, doch die Manner hielten es fur etwas wahrscheinlicher, dass ihre Partnerin auch als junge Mutter berufstatig sein wiirde. ,,Mir war es ein groBes Anliegen, dass meine Frau wieder arbeitet, weil ihr zu Hause die Decke auf den Kopf gefallen ist, und das war nur moglich, weil ich gesagt habe, dafur mache ich eben bestimmte Dinge im Haushalt." [Vater von drei Kindern, Selbstiindiger] Bemerkenswert ist somit, dass die kinderreichen Frauen schon zu Beginn der Ehe tendenziell traditionellere Vorstellungen von der Aufgabenteilung in der Familie hatten als Frauen mit ein oder zwei Kindern - aber auch als ihre Partner. Diese Haltung der Partner kann aber auch implizieren, dass die Frauen Gestaltungsspielraume fur sich wahrnahmen und generell ein groljeres Engagement der Manner in der Familie antizipieren konnten. Dies konnen wichtige Hintergriinde fur die konkrete Familienentwicklung sein.
5.3.2 Realisierte Berufsverlaufe Die Analysen des BEP zeigen, dass in Familien mit Kindern die Aufteilung von Beruf, Kindererziehung und Haushaltstatigkeit auf eher traditionelle Weise gelost wird. In aller Regel bleiben die Frauen nach der Geburt teils oder ganz zuhause, wahrend die Manner den Part des Familienern&rers iibernehmen. Je gro13er die Familie jedoch wird, umso naher orientiert sich die Aufgabenteilung an diesem ,,klassischen" Modell. Die Bereitschaft der Manner, selbst berufliche Auszeiten einmlegen, wurde demnach nicht in die Realitat umgesetzt. Offenbar haben sich die Vorstellungen der Frauen durchgesetzt oder aber sie waren einfacher zu realisieren. Diese Befunde lassen sich auch anhand von Analysen des SOEP belegen, die nachweisen, dass nach der Geburt eines Kindes stets ein Teil der Mutter eine
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Die berufliche Entwicklune
,,AuszeitX im Beruf nimmt. Umfang dieses Teils und Dauer vergrofiem sich jedoch mit steigender Kinderzahl deutlich. Der ubergang m m dritten Kind ist damit von deutlich unterdurchschnittlicher Erwerbsbeteiligung der Mutter gepragt. Abbildung 4:
ErwerbstMigkeit der Mutter beim ~ b e r g a n gzum ... Kind
0 1. Kind
ubenviegend enverbstatig
2. Kind
3 . Kind
durchgehend nicht enverbstatig HAufgabe
Angaben in %, Rundungsdifferenzen. Quelle: SOEP, gepoolte Daten (1984-2003).
Im Hinblick auf die konkrete Entwicklung l a s t sich feststellen, dass ein grofier Teil der Miitter bereits vor der Geburt des dritten Kindes nicht enverbstatig war. Diese Frauen bleiben im Zuge der Familienerweiterung demnach haufig fur Iangere Zeit ohne Berufstatigkeit. Ein anderer Teil gibt die Erwerbstatigkeit nach der Geburt (wiederum) auf, was auf mehrere Wechsel zwischen Familien- und Erwerbstatigkeit schliefien Iasst. Im Jahr nach der Geburt des dritten Kindes beginnt nur ein kleiner Teil der Miitter eine Erwerbstatigkeit. Bemerkenswerterweise steigt auch der Anteil von Berufseinstiegen mit zunehmender Kinderzahl. Bei den grol3en Familien Iasst sich somit eine gewisse Polarisierung erkennen: Der grofiere Teil der Mutter verzichtet durchgehend oder uberwiegend auf die eigene Berufstatigkeit, wahrend eine kleine Gruppe Frauen relativ bald nach der Geburt des dritten Kindes in das Erwerbsleben zuruckkehrt. Verstehbar ist dieses Verhalten der Miitter vor dem Hintergrund, dass Betreuungs- und Haushaltsaufwand mit jedem Kind zunehmen und somit erhohte Prasenz im Haushalt und in der Familie notig erscheint. Zudem ist anzumerken, dass sich vor allem solche Frauen fur eine grofiere Kinderzahl entscheiden, die sehr stark familienorientiert sind, d.h. vice versa auch, dass sie auf die eigene Berufstatigkeit und Eigenstandigkeit nicht so vie1 Wert legen und das Hausfrauendasein positiver bewerten (BEP 2002).
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Alltagsgestaltung und Erwerbsverhalten ,,(...) ich bin gerne daheim geblieben, also das hab ich total gem gemacht. Also man-
che mussten dann ja wieder arbeiten, aber das ist so gar nicht meins, ich bin eher so ein Familienmensch, also ich bin eher eine Glucke, (...), ich sorge mich gerne um meine Kinder, ja das ist so meines, da gehe ich drin auf. Ich habe nie das Arbeiten vermisst." [Mutter von sechs Kindem, einfache Angestellte] Den Gegenpol bildet eine kleine Gruppe kinderreicher Mutter, die beruflich engagiert sind, womoglich vor dem Hintergrund finanzieller Erwagungen. Als Grunde f i r Nichtberufstatigkeit geben kinderreiche Mutter im BEP deutlich haufiger als Miitter kleiner Familien an, dass sie ganz fur die Kinder da sein wollen und etwas haufiger, dass eine Berufstatigkeit deshalb nicht aufgenommen wurde, weil damit gewartet werden sollte, bis die Kinder alter sind. Dies liegt insofern auf der Hand, als die Letztgeborenen im Mittel noch junger sind als die jungsten Kinder in kleineren Familien. Dabei sind die Unterschiede in der Motivation vor allem zu den Ein-Kind-Familien gravierend, weniger zu den Zwei-Kind-Familien. Kinderreiche Familien scheinen mit ihren traditionellen Arrangements uberdurchschnittlich mfrieden zu sein. So wird in deutlicher Abhangigkeit von der FamiliengroDe die jeweilige individuelle Losung bewertet: GroDe Familien zeigen sich wesentlich zufriedener als kleinere. Die ideale Losung bei der Arbeitsteilung hat mehr als jede dritte kinderreiche Familie gefunden. Auch in der Retrospektive wird der Einfluss eines traditionellen Familienkonzeptes deutlich: Fur ein Viertel der Mutter mit mehreren Kindern war es von vornherein klar, dass sie die Familienaufgaben ubernehmen werden. Diese klare Rollenmweisung findet man in kleinen Familien wesentlich seltener. Wahrend die fehlende Berufstatigkeit von Muttern in kleineren Familien auch haufiger damit begrundet wird, dass noch kein Arbeitsplatz oder - was sogar noch wichtiger ist - keine Teilzeitstelle gefunden wurde, sind diese Griinde fur Frauen mit gronen Familien weitaus weniger ausschlaggebend.
5.3.3 Erfahrungen mit der Berufsunterbrechung Im Hinblick auf die Vereinbarkeit von Familie und Beruf wird auch die Frage aufgeworfen, inwieweit Eltern - d.h. wiederum in erster Linie Mutter - als Mitarbeiter geschatzt oder diskriminiert werden, zum Beispiel, indem man ihnen geringere Flexibilitat und weniger Engagement im Beruf unterstellt. In diesem Kontext ist von Interesse, ob und wie sich die Ruckkehr in den Beruf nach einer familienbedingten Auszeit realisieren lasst. Die Betrachtung der bisherigen beruflichen Biographien der Miitter (BEP 1988 bis 2002) zeigt nur schwache, statistisch nicht signifikante Differenzen in Bezug auf die Kinderzahl. Hinsichtlich
Die berufliche Entwicklunrr
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der Ruckkehr in den Beruf nach der Inanspruchnahme der Elternzeit unterscheiden sich Kinderreiche von den ubrigen Muttern dahingehend, dass sie ehvas haufiger von ihren urspriinglichen Planen abweichen. Ein Teil von ihnen kehrt fruher als beabsichtigt in den Beruf zuriick. Einige sind aber auch, und das scheint eine besondere Teilgruppe zu reprasentieren, langer als geplant zu Hause geblieben. Immerhin 47% konnten die Ruckkehr so vornehmen, wie sie es urspriinglich vorhatten. Der Wiedereinstieg in den Beruf vollzieht sich fur einige nicht nur hinsichtlich des Zeitpunktes nicht ganz wunschgemal3. Ein relativ grol3er Teil von Muttern konnte nicht auf seine friihere Stelle bzw. Position zuruck. Dies betrifft die Kinderreichen mit 60% gleichfalls haufiger als andere Mutter. Auch aus diesem Indikator lasst sich auf eine Benachteiligung von kinderreichen Familien schlieDen. Denn dass die Veranderung in Bezug auf die Stelle auf eigenen Wunsch hin erfolgte, sagen nur 19% der betroffenen Miitter. Teils werden deutliche Nachteile aus der Familienentwicklung fiir den Berufsverlauf festgestellt (Hohn et al. 2006): ,,Nach dem zweiten Kind hatte es noch richtig gut laufen konnen mit meiner Anstellung in der Landesbank. Aber wie gesagt, nach knapp sechs Monaten befand ich mich schon wieder im Mutterschutzurlaub mit meinen letztgeborenen Zwillingen. Da war dann der Zeitpunkt zum Abschied nehmen gekommen. Ich habe darnals von mir aus gekundigt, es blieb mir gar nichts anderes ubrig. Teilzeitstellen waren damals wie heute rar." [Mutter von vier Kindern; mittlere Angestellte] [Zu ihren Erfahrungen mit dem Arbeitsamt:] ,,Man ist dort weg vom Fenster mit drei Kindern. (...) jetzt wurde mir deutlich gesagt: Mit drei Kindern haben Sie keine Chance." [Mutter von 3 Kindern, mittlere Angestellte]
Die Grunde dafur, warum die Mutter (zunachst) nicht auf ihre friihere Stelle zuriickkehrten, sind fur die Familientypen relativ ahnlich. Zu Buche schlagen vor allem die envunschte Reduktion der Arbeitszeit und die Unvereinbarkeit von Arbeitszeit mit Familienaufgaben. Im Nachhinein betrachtet hat sich durch die veranderten Beschaftigungsbedingungen nach der beruflichen Pause jedoch fur viele eine Verbesserung der Gesamtsituation ergeben. Diesen subjektiven Eindruck berichten 44% der Kinderreichen. Demgegenuber nimmt jede vierte Mutter Nachteile der neuen beruflichen Situation wahr, die bis m r Diskriminierung reichen. Fur die meisten Mutter war die Ruckkehr in den Beruf nicht mit groDen Problemen verbunden. Zwar beklagen sich Frauen aus grol3en Familien am ehesten, doch ist der Unterschied zu anderen Muttern nicht signifikant. Dies kann dennoch als Hinweis darauf gewertet werden, dass sich die Vereinbarkeit von
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Alltagsgestaltung und Erwerbsverhalten
Berufstatigkeit und Elternschaft etwas leichter erreichen lasst, wenn die Familie kleiner ist. Vor dem Hintergrund der positiv gepragten Schilderungen der Reintegration in das Berufsleben wird verstandlich, dass relativ wenige Miitter Schwierigkeiten in der Vereinbarkeit von Familie und Beruf sehen. Eher und gar keine Probleme nehmen rund 60% wahr. GroBe bis sehr groBe Schwierigkeiten treten bei 23% der kinderreichen Mutter zutage. Damit stonen sie subjektiv deutlich haufiger auf groBere Schwierigkeiten als Mutter mit weniger Kindern. Das Arbeitgeberverhalten wird dennoch uberwiegend positiv bewertet. Relativ wenige Frauen (rund 8%) hatten das Gefihl, ihnen wurden Steine in den Weg gelegt. Das Verhalten der Arbeitgeber wird - wenn nicht als Forderung meist als ,,neutral6' beschrieben. Allerdings gehen die Meinungen uber den Einsatz der Chefs etwas, aber nicht signifikant, auseinander: Wahrend ihn die Halfte der Mutter mit nur einem Kind als sehr unterstutzend beschreibt, auBern sich Frauen in groBeren Familien etwas zuruckhaltender. Auch hier spiegeln sich offenbar die groBeren Schwierigkeiten, den Beruf und eine kinderreiche Familie zu vereinbaren, wider. Obgleich die Absicherung uber den Beruf wie auch verschiedene andere Gratifikationen des Arbeitslebens von kinderreichen Muttern weniger hoch geschatzt werden als von Frauen mit kleineren Familien, zeigen diese Ergebnisse, dass rnit zunehmender Kinderzahl - und damit Iangeren Berufspausen - auch etwas haufiger Benachteiligungen in der beruflichen Entwicklung wahrgenommen werden. Die relativ hohe Zufriedenheit mit der Entwicklung geht vor allem auf geringe berufliche Ambitionen bei hoher Familienorientierung zuruck. 5.3.4 Aktuelle Situation: Riickkehrwiinsche und Zufriedenheit
Nachdem gerade in grol3en Familien ein Teil der Mutter derzeit nicht enverbstb tig ist, hat das BEP auch die Plane dieser Frauen fur ihre weitere berufliche Laufbahn erhoben. Auch in dieser Hinsicht zeigen sich unterschiedliche Praferenzen: Je grofier die Kinderzahl, umso geringer ist die Bereitschaft der Mutter, bald in den Beruf zuriickzukehren. Wahrend von den ubrigen Muttern rund zwei Drittel solche Plane bekunden, sind es bei Muttern mit drei oder mehr Kindern ,,nur" 55%. Falls eine Berufstatigkeit angestrebt wird, so fallt auch ihr Umfang unterdurchschnittlich aus: Keine von den befragten kinderreichen Muttern wunscht sich, kunftig Vollzeit zu arbeiten. Die Mehrheit envagt eher eine Teilzeitbeschaftigung, und eine Minderheit mochte lediglich in geringerem Umfang, also nur fur einige Stunden oder aushilfsweise arbeiten. Ein Viertel hat diesbezuglich noch keine konkreten Vorstellungen. Damit wird deutlich, dass nicht nur
Die berufliche Entwickluncr
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die aktuelle berufliche Situation von Muttern mit mehreren Kindern unterschiedlich ist, da sie weitaus seltener im Beruf stehen, sondern auch ihre Plane vager sind. Zudem kommt eine Vollzeitbeschaftigung in ihrer Familiensituation zumindest absehbar nicht in Frage. Dass es mit der Ruckkehr in den Beruf auch klappt, ist wiederum fur viele kinderreiche Mutter nicht so wichtig (46%). Einem anderen Teil von ihnen (29%) ist es allerdings sehr ernst - und sie stoRen damit nicht in jedem Fall auf die Zustimmung ihrer Umgebung. ,Jum Entsetzen der ganzen Familie (Oma, Opa, mein Mann) erlaubte ich mir zu sagen: ich mochte wieder arbeiten gehen." [Mutter von drei Kindern, Beamtin im mittleren Dienst] Die Grunde, warum die Frauen wieder in eine Berufstatigkeit einsteigen mochten, unterscheiden sich in den meisten Punkten nur geringfugig nach der FamiliengroRe. Deutliche Unterschiede ergeben sich bei dem Argument ,,finanzielle Griinde", allerdings in vielleicht unenvarteter Form: Kinderreiche Mutter wahlen diese Begriindung zu 20% und somit deutlich seltener als die ubrigen nicht erwerbstatigen Miitter. Weiterhin vermissen sie seltener die Kontakte am Arbeitsplatz, und sie fuhlen sich nicht so h h f i g unausgefullt in ihrer Mutterrolle. Wahrend fur einen Teil der Mutter mit weniger Kindern die Ruckkehr in die Berufstatigkeit mit der Erlangung von Unabhangigkeit verbunden wird, spielt dieser Aspekt fur die Mutter in groRen Familien eine nachrangige Rolle. Auch die potenziellen Auswirkungen der beruflichen Pause werden in Abhangigkeit von der FamiliengroRe sehr unterschiedlich eingeschatzt. Mit steigender Kinderzahl werden eher Nachteile fiir die Berufskarriere gesehen; jede dritte kinderreiche Frau auljert solche Befurchtungen. Diese Mutter gehen dementsprechend seltener als die ubrigen Mutter davon aus, dass keine negativen Konsequenzen (44%) eintreten wurden. Sie sind mdem etwas haufiger unentschieden oder glauben, die Folgen fur die berufliche Entwicklung gar nicht beurteilen zu konnen (23%). Kinderreiche Familien sind mit ihren traditionellen Arrangements iiberdurchschnittlich zufrieden. So wird die jeweilige Aufgabenteilung in deutlicher Abhangigkeit von der Familiengrolje bewertet: GroRe Familien zeigen sich wesentlich zufriedener als kleinere. Die ideale Losung hat mehr als jede dritte kinderreiche Familie gefunden. Trotz gewisser Schwierigkeiten bei der Ruckkehr in den Beruf haben die meisten Miitter eine befiiedigende Losung fur die Kinderbetreuung nach dem Wiedereinstieg gefunden. Dies gilt auch fiir 90% der Frauen in Drei-Kind-Familien, die diese Passage bereits hinter sich haben.
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Alltagsgestaltung und Enverbsverhalten
Tabelle 18: Befiiedigende Losung der Kinderbetreuung nach Wiedereinstieg Fiir die Kinderbetreuung wurde eine befriedigende Losung gefunden Nein
Familien mit .. . Kind(ern) -
3 oder mehr
2
1
Insgesamt
YO 7
5
10
6
Ja
93
95
90
94
Anzahl
80
204
63
347
Rundungsdifferenzen. Quelle: Bamberger-Ehepaar-Panel2002. Eine zentrale Rolle spielt dabei sicherlich, dass die Partner den Wiedereinstieg durchwegs unterstiitzten. Diesbeziiglich ergeben sich kaum nennenswerte Unterschiede nach der Familiengrofle, so dass 88% der Partner dafur waren, dass die Mutter die Berufstatigkeit wieder aufnimmt.
-
6 Einkommenssituation groaer Familien Bernd Eggenmarina Rupp
Ein Bereich, der die Lebenssituation von Familien in hohem MaRe pragt, ist deren okonomische Lage. Sie hang in erster Linie von den Erwerbseinkommen der Familienmitglieder ab, weshalb ein entscheidender Einfluss, die Enverbspartizipation der Eltern, bereits besprochen wurde. Angesicht der verminderten Erwerbsbeteiligung kinderreicher Mutter stellt sich die Frage, wie sich dies auf die Haushaltssituation auswirkt, ob und welche Bewaltigungsmuster erkennbar sind. In diesem Kontext wird eingangs wiederum ein ~berblickuber die aktuelle Situation der Familien gegeben, wobei verschiedene Aspekte wie Armut und Armutsbedrohung auf der Basis aktueller Zensusdaten vorgestellt werden. Anschlieaend werden auf der Basis des SOEP die Bedeutung von Transferleistungen im Kontext der Einkommenskomponenten untersucht und die subjektive Zufriedenheit der Familien mit ihren Ressourcen dargestellt. Exkurs III: Nettoeinkommen und Pro-Kopf-Einkommen
Zum monatlichen Nettoeinkommen einer Familie zahlen alle Einkommensarten, also neben den Erwerbseinkommen der Familienmitglieder auch staatliche Unterstutzungen wie Kindergeld, Sozialhilfe oder Arbeitslosengeld sowie Einkunfte aus Vermogen. Abgezogen sind Steuern und Sozialversicherungsleistungen. Das Nettoeinkommen einer Familie entspricht dem Haushaltsnettoeinkommen, wenn keine weiteren verwandten oder nicht venvandten Personen im Haushalt leben. Fur rund 95% der Familien ist das Familiennettoeinkommen identisch mit dem Haushaltsnettoeinkommen. Um die okonomische Situation von Familien und kinderlosen Lebensformen angemessener beurteilen zu konnen, bedarf es des so genannten ,,gewichteten" Pro-Kopf-Einkommens bzw. ~quivalenzeinkommens. Es berucksichtigt starker als das Nettoeinkommen die unterschiedlichen Strukturen der Lebensformen, also Anzahl und Alter ihrer Mitglieder und deren unterschiedlichen Bedarf. Von solchen gewichteten EinkommensgroSen spricht man dann, wenn beispielsweise die Kinder nicht mit dem selben Faktor in die Berechnungen eingehen wie die Erwachsenen, sondern entsprechend ihres geringeren Verbrauches mit einem geringeren Gewicht, das wiederum nach dem Lebensalter des
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Einkommenssituation grofier Familien
Kindes abgestuft sein kann. Den hier berechneten ~~uivalenzeinkommen liegen die Gewichte der modifizierten bzw. neuen OECD-Skala zugrunde. Die durchschnittlichen Netto- und ~quivalenzeinkommender Familien werden anhand des Median beschrieben. Er erlaubt eher als das arithmetische Mittel Aussagen uber die fur die Mehrzahl der Familien typischen Einkommen. 6.1 Einkommen und Wohlstandspositionen Bernd Eggen
Kinder kosten Geld: Sie brauchen Nahrung, Kleidung, Spielzeug; sie benotigen eine qualifizierte Ausbildung, die tendenziell immer langer dauert. Kinder begrenzen zugleich die Einkommenschancen. Wie gezeigt wurde, schrankt oftmals ein Eltemteil - meist die Mutter - zeitweise oder auf Dauer die Emerbstatigkeit ein. Bisherigen Erkenntnissen zufolge sind die meisten kinderreichen Familien wirtschaftlich deutlich schwacher gestellt als kleinere Familien (Eggen 2006). Das Folgende untersucht nun genauer die Einkornmensverhaltnisse der Familien. Dabei spielt auch die Frage eine Rolle, ob und inwieweit es der Familienpolitik in Deutschland gelingt, eine durch Kinder eingeschrankte Erwerbstatigkeit zu beriicksichtigen und zu einem Ausgleich der durch den Kindesunterhalt entstehenden Kosten beizutragen. In unserer Gesellschaft entscheidet das Einkommen wesentlich dariiber, was der Einzelne vermag und uber welche Spielraume die Familie verfiigt. Finanzielle Ressourcen erleichtern den Zugang zu vielen gesellschaftlichen Bereichen, und die individuellen Bediirfnisse konnen eher befriedigt werden. Wer die Gesundheit und die Bildung seiner Kinder sichern und fordern mochte, benotigt das notwendige Geld dam. Fehlende finanzielle Mittel hingegen - die hhfiger in kinderreichen Familien als in kleineren Familien zu beobachten sind - schranken die Moglichkeiten ein, was bis zur gesellschaftlichen Ausgrenzung der Eltern und Kinder fuhren kann. Wenn im Folgenden uber Nettoeinkommen von kinderreichen Familien berichtet wird, so sind damit Ressourcen gemeint, die bereits durch einkommenspolitische Mafinahmen korrigiert worden sind (zur Entstehung dieser Einkommen und Umverteilungseffekte siehe Kap. 6.4). Das monatliche Familiennettoeinkommen von Ehepaaren mit drei oder mehr Kindern betragt durchschnittlich 2.685 Euro, das von kinderreichen nicht ehelichen Paaren liegt mit rund 2.436 Euro etwas darunter (Abbildung 5). Das Familiennettoeinkommen nimmt mit steigender Kinderzahl kaum zu. Kinderreiche Paare haben im Durchschnitt bis zu rund 200 Euro mehr Einkommen als Paare mit einem Kind. Sie miissen also
Einkommen und Wohlstandspositionen
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mit relativ geringen msiitzlichen Ressourcen zwei oder mehr Personen msatzlich versorgen.
Abbildung 5:
~ettoeinkommen*) von Familien
.
1 Kind
I El Ehepaare *)
2 Kinder
3 und mehr Kinder
Anzahl der Kinder
Nicht eheliche Lebensnemeinschaften HAlleinerziehende
I
Durchschnittliche monatliche Einkommen; Median. Quelle: Mikrozensus 2003.
Ungeachtet der Anzahi der Kinder liegen die Einkommen der Familien iiber dem durchschnittlichen Einkommen von 1.684 Euro aller Lebensforrnen. Zu letzteren gehoren neben den Familien auch kinderlose Paare und alleinstehende Frauen und Manner. Erst die gewichtete Verteilung des Familieneinkommens auf die Kopfe der Familie zeigt, dass mit steigender Zahl der Kinder immer weniger Einkommen pro Familienmitglied zur Verfiigung steht und dariiber hinaus, wie stark diese Einkommensschmalerung ausfallt (Abbildung 6). Paare mit einem und sogar mit
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Einkommenssituation arol3er Familien
zwei Kindern besitzen noch eher durchschnittliche bis uberdurchschnittliche ~quivalenzeinkommen.Deutlich niedriger sind die pro-Kopf- inko om men^ kinderreicher Familien (Abbildung 6). Abbildung 6:
pro-~o~f- inko om men*) von Familien
1 Kind
2 Kinder
3 und mehr Kinder
AnzaN der Kinder
I EEhwaare WNicht eheliche Lebensnemeinschaiten BAlle~nerziehende I *) Durchschnittliche Einkommen: Median; Gewichtung der Pro-Kopf-Einkommen nach neuer OECD-Skala: 1. Person = 1, weitere Personen im Alter von 15 Jahren und mehr = 0,5, weitere Personen im Alter unter 15 Jahren = 0,3. Quelle: Mikrozensus 2003.
Ehepaare mit drei oder mehr Kindern verfigen im Mittel uber 350 Euro pro Monat und Familienmitglied weniger als Ehepaare mit einem Kind. Bei einem ~~uivalenzeinkommen von 1.010 Euro bestreitet ein Paar mit drei Kindern unter 15 Jahren mit rund 2.424 Euro netto pro Monat den Lebensunterhalt der Familie. Der Begriff Pro-Kopf-Einkommen wird hier synonym fiir Aquivalenzeinkommen nach der OECD-Skalierung venvendet.
Einkommen und Wohlstands~ositionen
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Paare rnit einem und sogar rnit zwei Kindern besitzen noch eher durchschnittliche bis iiberdurchschnittliche ~ ~ u i v a l e n z e i n k o m m e nDeutlich .'~ niedriger sind die Pro-Kopf-Einkommen kinderreicher Familien. Ehepaare mit drei oder mehr Kindern verfiigen im Mittel uber 350 Euro pro Monat und Familienmitglied weniger als Ehepaare mit einem Kind. Bei einem Aquivalenzeinkommen von 1.010 Euro bestreitet ein Paar mit drei Kindern unter 15 Jahren rnit rund 2.424 Euro netto pro Monat den Lebensunterhalt der Familie. Alleinerziehende gehoren in der Regel den untersten Einkommensklassen an, und dies unabhangig von der Anzahl der Kinder. Alleinerziehende rnit drei oder mehr Kindern verfiigen uber ein Familieneinkommen von durchschnittlich 1.600 Euro und damit uber 200 Euro mehr als Eltern mit einem Kind. Die schwache finanzielle Situation bei kinderreichen Eltern zeigt sich bei den gewichteten Pro-Kopf-Einkommen, Die Halfte der Alleinerziehenden verfugt uber ein ~quivalenzeinkommenvon maximal 722 Euro monatlich. Auf dieser Basis stunde einer Mutter mit drei Kindern unter 15 Jahren umgerechnet ein Familiennettoeinkommen von rund 1.372 Euro im Monat zur Verfiigung. Die relative Wohlstandsposition verdeutlicht anschaulich die Einkommensunterschiede zwischen den Lebensformen (Abbildung 7). Sie beschreibt die Abweichungen der durchschnittlichen Einkommen einzelner Lebensformen vom durchschnittlichen Einkommen aller Lebensformen. Dabei wird das durchschnittliche gewichtete Pro-Kopf-Einkommen aller fur den Vergleich relevanten Lebensformen als BezugsgroBe gleich 100% gesetzt. Kinderreiche Familien nehmen die niedrigsten Wohlstandspositionen unter den hier betrachteten Lebensformen ein. Paare rnit einem, aber auch noch rnit zwei Kindern erreichen in der Regel durchschnittliche bis uberdurchschnittliche Wohlstandspositionen (Abbildung 7). Dies bedeutet zum Beispiel, dass Ehepaare rnit drei oder mehr Kindern pro Kopf uber 85% des durchschnittlichen Einkommens aller Lebensformen verfugen. Im Vergleich zu Familien mit einem Kind mussten sie iiber ein um ein Drittel grofieres Einkommen verfugen, um deren Wohlstandsniveau zu erreichen. Noch grofier sind die Abstande der relativen Wohlstandspositionen zwischen kinderreichen Familien und kinderlosen Lebensformen in dem Alter, in dem die Entscheidung fur die Familiengrundung ansteht. Verheiratete Eltern rnit drei oder mehr Kindern erzielen eine Wohlstandsposition von 85%, fur eine kinderlose Ehefrau im Alter von 35 bis 44 Jahren und ihrem Partner liegt der Wert bei 153%. Mit anderen Worten: Kinderreiche Familien erreichen gerade 56% des Wohlstandsniveaus kinderloser Paare. Uberdurchschnittlich sind auch die Wohlstandspositionen der alleinstehenden Frauen und Manner zwischen 35 'O
Der Begriff Pro-Kopf-Einkommen wird hier synonym fiir Aquivalenzeinkommen nach der OECD-Skaliemng venvendet.
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Einkommenssituation grofier Familien
und 44 Jahren. Diesen Zahlen belegen deutlich, welche Folgen es f i r den okonomischen Wohlstand eines Einzelnen oder eines Paares haben kann, wenn sie sich fur eine (grol3ere) Familie entscheiden (Tabelle 15 im Anhang).
Abbildung 7: Wohlstandspositionen von Familien
1 Kind
2 Kinder
3 und mehr Kinder
Anzahl der Kinder
Quelle: Mikrozensus 2003.
Exkurs I F Aquivalenzskalen beeinflussen Ergebnisse: Neue und alte OECDSkala im Vergleich Es gibt eine Reihe von ,,~~uivalenzskalen",auf die zuruckgegriffen werden kann. Sie unterscheiden sich hinsichtlich des Faktors, mit dem Kinder und weitere Haushaltsmitglieder in Relation zur so genannten ,,Bezugspersonc' einbezogen werden und somit von Berechnungen, in denen Kinder mit dem gleichen Gewicht eingehen wie Erwachsene. Welche Skala Venvendung findet, beeinflusst damit das errechnete Pro-Kopf-Einkommen: Je geringer der Kinderfaktor, desto weniger stark sinken die Einkommen der Familien gegenuber den Einkommen anderer Lebensformen ab. Die hier berechneten gewichteten Pro-KopfEinkornmen beruhen auf der ,,neuenU bzw, modifizierten OECD-Skala, welche der Bezugsperson den Faktor 1,0, einer Person iiber 15 Jahre den Faktor 0,5 und
Einkommen und Wohlstands~ositionen
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Kindern unter 15 Jahren den Faktor 0,3 zuordnet. Das gewichtete Pro-KopfEinkommen erhalt man, indem das Familiennettoeinkommen durch die Summe der Gewichte aller Haushaltsmitglieder dividiert wird. Das Familiennettoeinkommen beispielsweise eines Ehepaares mit zwei Kindern unter 6 Jahren wird durch 2,1 dividiert, dasjenige eines kinderlosen Ehepaares durch 1,5. Daneben gibt es die alte OECD-Skala. Sie geht von geringeren Einspareffekten fur weitere Personen im Haushalt aus: So werden Personen uber 15 Jahre mit einem Faktor von 0,7 und Person unter 15 Jahren mit 0,5 bewertet. Durch die neue OECD-Skala ergeben sich besonders fur groBe Familien hohere Pro-Kopf-Einkommen als durch die alte OECD-Skala. Zudem verringert sich das Einkommensgefalle zwischen kinderlosen Lebensformen und Familien. Eine weitere Folge der Nutzung der neuen OECD-Skala ist, dass groBere Familien vergleichsweise hohere Wohlstandspositionen einnehmen und niedrigere Armutsquoten aufweisen (Becker 2002). Ehepaare mit drei oder mehr Kindern erreichen eine Wohlstandsposition von 85% mit der neuen OECD-Skala und 72% mit der alten OECD-Skala (Tabelle 19). Die Wahl der neuen OECD-Skala fuhrt auch bei All~instehendenzu erheblichen Veranderungen im Vergleich zu Berechnungen mit der alten OECD-Skala. Alleinstehende weisen deutlich niedrigere Wohlstandspositionen auf und befinden sich im Schnitt wesentlich haufiger unter der 50%-Schwelle fur Niedrigeinkommen. Mit der neuen OECD-Skala erlangen besonders Paare mit einem oder zwei Kindern zum Teil uberdurchschnittliche Wohlstandspositionen. AuBerdem verringern sich insgesamt die Abstande zwischen Familien unterschiedlicher GroBe, zwischen Familien und kinderlosen Paaren. Dennoch bleiben die Unterschiede zwischen den einzelnen Lebensgemeinschaften sichtbar erhalten. Im Vergleich zu den bereits hohen Einspareffekten, die der modifizierten OECD-Skala mgrunde liegen, schatzen Rainwater und Smeeding die Einspareffekte bei jedem zusatzlichen Familienmitglied noch hoher ein. Ihre Ergebnisse beruhen im Wesentlichen auf Selbsteinschatzungen der Familien hinsichtlich ihres notwendigen Bedarfs. Nach der ~quivalenzskalamit den entsprechend deutlich niedrigeren zusatzlichen Gewichtungen leben Kinder m a r etwas seltener in okonomisch prekaren Verhaltnissen, aber Strukturunterschiede etwa zwischen Paar-Familien und Alleinerziehenden bleiben auch hier nahezu unverandert (RainwaterISmeeding 2003: 167ff.).
92
Einkommenssituation aroBer Familien
Tabelle 19: Vergleich der neuen mit der alten OECD-Skala anhand ausgewahlter Lebensformen
Lebensformen
Alleinerziehende mit drei und mehr Kindern
30
44
Alleinstehende
20
9
Quelle: Mikrozensus 2003.
Einkommensarmut und -reichtum
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6.2 Einkommensarmut und -reichtum Bernd Eggen Die relativen Wohlstandspositionen legen es bereits nahe: Das Risiko, in eine wirtschaftlich schwierige Lage zu geraten, ist f i r kinderreiche Familien besonders hoch. In der wissenschaftlichen und sozialpolitischen Diskussion ist es gebrauchlich, Armut und Wohlstand als relativen Abstand zu den in einer Gesellschaft ublichen Lebensbedingungen zu messen (z.B. RainwaterISmeeding 2003, Sell 2002, Hanesch et al. 2000, AndreD 1999). Wirtschaftlich schwierige Lagen sind dabei ein zentraler Aspekt von Armut. Nach der hier venvendeten und weithin verbreiteten Definition verfugen Familien iiber ein Niedrigeinkommen, sofern ihr Einkommen weniger als die Halfte des durchschnittlichen Einkommens aller Lebensformen betragt. Das durchschnittliche Pro-Kopf-Einkommen der Lebensformen in Deutschland liegt 2003 bei rund 1.186 Euro. Daraus ergibt sich ein Schwellenwert fur Niedrigeinkommen von 593 Euro. Dies bedeutet, dass die wirtschaftliche Lage von Familien, denen ein gewichtetes Pro-Kopf-Einkommen von weniger als 593 Euro zur Verfugung steht, als problematisch gilt. Der Schwellenwert von 593 Euro pro Kopf fiihrt nun je nach Anzahl der Mitglieder einer Familie zu unterschiedlichen kritischen Werten fur das Familieneinkommen. Paare ohne Kinder leben in wirtschaftlich schwierigen Verhaltnissen, wenn sie uber ein gemeinsames monatliches Nettoeinkommen von weniger als 890 Euro verfugen (Tabelle 15 im Anhang). Bei Paaren mit Kindern und Alleinerziehenden variiert das monatliche Familiennettoeinkommen, ab dem eine wirtschaftliche Situation als schwierig bezeichnet werden kann, mit Anzahl und Alter der Kinder. Zum Beispiel ist bei Paaren mit einem Kind unter 6 Jahren ab einem monatlichen Familiennettoeinkommen von weniger als 1.067 Euro von einer wirtschaftlich schwierigen Situation auszugehen, bei Paaren mit zwei Kindern zwischen 6 und unter 15 Jahren ab einem Einkommen von weniger als 1.245 Euro und bei Paaren mit drei Kindern, davon eines unter 6 Jahren und zwei zwischen 6 und unter 15 Jahren, ab einem Einkommen von weniger als 1.423 Euro. In neueren Veroffentlichungen von Eurostat, der Europaischen Union und ihren Mitgliedsstaaten wird anstelle der 50%-Schwelle der Median mit einem Schwellenwert von 60% als AnnutsmaD bevorzugt (Europaische Kommission 2003: 149, Munk 2002: 13). Danach erhoht sich der Schwellenwert fur Armut auf 712 Euro pro Kopf. Entsprechend steigen bei unterschiedlich strukturierten Lebensformen die Nettoeinkommen, ab denen die wirtschaftlichen Verhaltnisse als schwierig angesehen werden konnen (Tubelle 15 im Anhang). Da sich jedoch mit Hilfe des Familiennettoeinkommens die okonomischen Lagen von Familien unterschiedlicher GroDe nur bedingt vergleichen lassen, sol1 weiterhin das gewichtete Pro-Kopf-Einkommen betrachtet werden: In Deutsch-
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Einkommenssituation nroBer Familien
land verfugen rund 12% bzw. 16% der Lebensformen uber ein geringeres ProKopf-Einkommen als 593 Euro b m . 712 Euro. Nimmt man einen solchen Anteil als Risiko f i r eine bestimmte Familienform, in eine okonomisch schwierige Lage zu geraten, so ist dieses Risiko fur Ehepaare mit drei oder mehr Kindern mit 13% bzw. 22% uberdurchschnittlich hoch. Noch etwas hoher ist es bei kinderreichen nicht ehelichen Lebensgemeinschaften. Mit dem dritten Kind steigt das Risiko der Einkommensarmut sprunghaft an, wahrend kleinere Familien eher unterdurchschnittlich oft in wirtschaftlich prekaren Verhaltnissen leben. Insgesamt gilt, je mehr Kinder in der Familie leben, desto haufiger besitzen Familien nur ein Niedrigeinkommen (Tabelle 16 im Anhung;). Fuhren die Notwendigkeit oder die Entscheidung, seine Kinder ohne festen Partner zu erziehen, in ein Leben in Armut? Immerhin leben m e i Drittel der alleinerziehenden Eltern mit drei oder mehr Kindern oberhalb der 50%Schwelle; die Halfte erzielt Einkommen uber der 60%-Schwelle (Tabelle 16 im Anhang). Dieser Teil lebt in wirtschaftlichen Verhaltnissen, die grundsatzlich nicht als problematisch angesehen werden. Umgekehrt bedeutet das: Kinderreiche alleinerziehende Eltern verfigen wesentlich haufiger als kinderreiche Paare nur uber ein Niedrigeinkommen. Die Situation der 30% oder 48% alleinerziehender Eltern, die ihre Kinder unter wirtschaftlich schwierigen Bedingungen erziehen, ist von den Spannungen gepragt, die aus der Notwendigkeit entstehen, die Kinder zu betreuen und zu erziehen und gleichzeitig alleine fur den Lebensunterhalt der Familie zu sorgen. Hinzu kommt: Alleinerziehende leben nicht nur uberdurchschnittlich oft in wirtschaftlich prekaren Verhaltnissen, sie venveilen auch uberdurchschnittlich lange in diesen (Biewen 2003, Eggen 2000). Die Wissenschaft kann ahnlich wie bei dem Begriff Armut keine einheitliche Definition von Reichtum liefern. Gebrhchlich ist, Reichtum als relativen Abstand zu den in einer Gesellschaft ublichen Lebensbedingungen zu messen. Hohere Einkommen sind zwar ein zentraler Aspekt von Reichtum, aber es bedarf zusatzlicher Informationen uber weitere Lebensbedingungen und subjektive Bewertungen von betroffenen Personen, um angemessene Aussagen uber Reichtum treffen zu konnen (Weick 2000). Nach der hier venvendeten Definition verfiigen Haushalte uber ein hijheres Einkommen, sofern ihr Einkommen mehr als das Doppelte des durchschnittlichen Einkommens aller Lebensformen betragt. In Deutschland liegt das durchschnittliche gewichtete Pro-KopfEinkommen aller Lebensformen bei rund 1.186 Euro. Daraus ergibt sich ein Schwellenwert fur hohere Einkommen von 2.372 Euro (Tabelle 16 im Anhang). Dieser Schwellenwert von 2.372 Euro pro Kopf entspricht je nach Lebensform unterschiedlich hohen Einkommen. Bei Paaren ohne Kinder gilt ein gemeinsames monatliches Nettoeinkommen von mehr als 3.558 Euro als hoheres Einkommen. Bei Paaren mit Kindern und Alleinerziehenden variieren die Schwel-
Einkommenslaeen aus Sicht der Kinder
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lenwerte fur hohere monatliche Familiennettoeinkommen mit Anzahl und Alter der Kinder. Zum Beispiel beginnt bei Paaren mit einem Kind unter 6 Jahren ein hoheres Einkommen bei uber 4.270 Euro, bei Paaren mit zwei Kindern zwischen 6 und unter 15 Jahren bei uber 4.981 Euro und bei Paaren mit drei Kindern, davon eines unter 6 Jahren und zwei zwischen 6 und unter 15 Jahren, bei uber 5.693 Euro. Betrachtet man nun wiederum das gewichtete Pro-Kopf-Einkommen, so verfugen in Deutschland rund 8% der Lebensformen ein hoheres Pro-KopfEinkommen von mehr als 2.372 Euro (Tabelle 15 im Anhang;). Hierzu gehoren auch kinderreiche Familien. Immerhin 5% der Ehepaare mit drei oder mehr Kindern besitzen ein hoheres Einkommen. Statistisch kaum nachweisbar ist Einkommensreichtum hingegen bei kinderreichen nicht ehelichen Lebensgemeinschaften und bei Alleinerziehenden.
6.3 Einkommenslagen aus Sicht der Kinder Bernd Eggen Die finanzielle Situation, in der Kinder und Jugendliche in Familien leben, ist in der bisherigen Forschung m r Einkommenssituation von Haushalten und Familien in Deutschland nur am Rande gestreift worden. Die meisten Untersuchungen beschreiben die okonomische Situation aus Sicht der Familie und nicht aus Sicht der Kinder. Sie gewichten mit Blick auf die Anzahl betroffener Personen kleine und grof3e Familien gleich und vernachlassigen die Zahl der Kinder, die unter okonomisch gunstigen oder ungunstigen Bedingungen heranwachsen. Eine Ausnahme bilden Jenkins et al. (2002) sowie Rainwater und Smeeding (2003) mit ihrer international vergleichenden Studie uber Kinder in Armut in zwolf westeuropaischen Staaten, einschliel3lich Deutschland, sowie in den USA, Kanada und Australien. Hervorzuheben ist zudem die jungste Studie von UNICEF (2005) uber Kinderarmut in reichen Landern mit einer Teilstudie m r Situation in Deutschland (Corak et al. 2005). Bekannt ist jedoch, dass die finanzielle Lage von Kindern Auswirkungen auf ihre Lebensperspektiven haben kann (Buttenvegge et al. 2005; Palentien 2004, Meier et al. 2003, Huster 2003, Holz 2003, Dangschat 2000). In Familien, in denen das Leben ,,von der Hand in den Mund" zum Alltag gehort, mangelt es uberdurchschnittlich oft an gesundheitlicher Vorsorge der Kinder und an ihrer schulischen wie beruflichen Ausbildung. Kinder, die vor allem in ihren ersten Lebensjahren in finanziell schwierigen Verhaltnissen aufwachsen, konnen durch diese widrigen Umstande in einem solchen MaRe in ihrer Entwicklung beeintrbhtigt werden, dass sich die Armut in ihrem weiteren Leben oftmals fortsetzt.
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Einkommenssituation groljer Familien
Kinder und Jugendliche wachsen in ihren Farnilien in sehr unterschiedlichen Einkommensverhaltnissen heran (Tabelle 18 im Anhang;). Entscheidend sind dabei das eigene Alter, die Familienform der Eltern und die Anzahl der Geschwister. Verheiratete Eltern und keine Geschwister sind am ehesten eine Bedingung f i r einen uberdurchschnittlichen Wohlstand. Kinder oder Jugendliche erreichen dann mit 115% die hochsten Wohlstandspositionen. Je mehr Geschwister ein Kind hat, desto eher sind unterdurchschnittliche Wohlstandspositionen bei den Kindern zu envarten. Leben die Eltern getrennt, verringern sich die Wohlstandspositionen noch einmal. Bei Kindern mit zwei oder mehr Geschwistern und alleinerziehenden Eltern belauft sich die durchschnittliche Wohlstandsposition auf 60% des durchschnittlichen Niveaus aller Personen. Kinder von verheirateten Eltern leben in Deutschland vergleichsweise selten in okonomisch prekaren Verhaltnissen. Allerdings ist die Zahl der Geschwister fur den okonomischen Wohlstand der Familie entscheidend. Ein einzelnes Kind wachst eher selten (5% bei der 50%-Schwelle) unter okonomisch schwierigen Bedingungen auf. Das Gegenteil kommt haufiger vor, denn 9% der ,,Einzelkinder" leben mit ihren Eltern in okonomischem Wohlstand. Bei zwei Kindern sind okonomisch prekare Situationen genauso haufig, seltener hingegen sind okonomisch wohlhabende Verhaltnisse. Leben aber drei und mehr Kinder in der Familie, andert sich das Bild vollig. Sprunghaft steigt der Anteil von Kindern in Familien rnit Niedrigeinkommen auf 14%. Demgegeniiber kommen hohere Familieneinkommen bei Kindern mit mehren Geschwistern noch bei 5% der Kinder vor. Die wirtschaftliche Lage von Kindern in nicht ehelichen Lebensgemeinschaften ist ebenso unterschiedlich. Insgesamt ist das AusmaR okonomisch prekarer Lebenslagen eher haufiger und das hohere Einkommen eher seltener als bei Kindern von Ehepaaren. Die Kinder von alleinerziehenden Muttern weisen in der Regel nicht nur die niedrigsten Wohlstandspositionen auf, sie leben auch vergleichsweise oft in okonomisch prekaren Verhaltnissen: Dies gilt schon fur Kinder rnit einem und vor allem mit mehreren Geschwistern (Tabelle 18 im Anhang;). 6.4 Staatliche Transferleistungen und Einkommenskomponenten Marina Rupp Nachdem in den beiden vorangegangenen Kapiteln gezeigt werden konnte, dass die Einkommen mit zunehmender Kinderzahl eher abnehmen als ansteigen, ist es eine wichtige Frage, ob und inwieweit durch staatliche Umverteilungsmechanismen wie Transferleistungen hier ein Ausgleich geschaffen wird. Dabei wird auch differenzierter auf die Zusammensetzung der Haushaltseinkommen und
Staatliche Transferleistunpen und Einkommenskom~onenten
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Umverteilungseffekte durch staatliche Steuemngsmechanismen eingegangen, was mittels der Daten des Mikrozensus nicht moglich ist. Verzichtet werden muss allerdings auf eine Differenziemng nach Lebensformen, da hierfur zu geringe Fallzahlen vorliegen. Das Sozio-oekonomische Panel bietet dank der profunden Erfassung von Einkommensvariablen eine geeignete Basis fur derart fokussierte Analysen zur Entwicklung der Einkommenssituation. Da es sich bei dieser Datenbasis zwar um eine reprasentative Stichprobe handelt, die Werte jedoch nicht mit denen des Mikrozensus vollig deckungsgleich sind, werden im Folgenden die Einkommen, die von den Familien im SOEP erzielt werden, in ihren wesentlichen Parametem kurz dargestellt. Die Abbildung der Einkommenslage von Familien erfolgt auf der Haushaltsebene, da davon ausgegangen wird, dass Familien Wirtschaftsgemeinschaften darstellen (Schwarze 2003). Fiir die Berechnungen von Aquivalenzeinkommen wurde die neue OECD-Skala zu Grunde gelegt, welche vergleichsweise geringe zusatzliche Bedarfe fiir die weiteren Haushaltsmitglieder ansetzt (Exkurs IV, S.90)
Einkommensquellen und Markteinkommen Um Umverteilungseffekte betrachten zu konnen, ist - anders als in den bisherigen Ausfuhrungen - von den Bruttoeinkommen der Familien auszugehen. Die wichtigste Einkommensquelle der meisten deutschen Haushalte bilden Einkunfte aus Erwerbstatigkeit, die von den (beiden) Elternteilen erzielt werden. Der ubergang zum dritten Kind jedoch ist - wie bereits gezeigt wurde (Kap. 5.2) - von deutlich unterdurchschnittlicher Erwerbsbeteiligung der Miitter gepragt. Der Anteil der kinderreichen Paare, in denen die Frau nicht enverbstatig ist, liegt im Querschnitt bei knapp 60%. Mit dem Fehlen des zusatzlichen weiblichen Einkommens - auch wenn es oft nur ein ,,halbesX ist - reduziert sich die finanzielle Basis der Haushalte spurbar. Da die Erwerbstatigkeit der Manner nicht in dem Malje ausgeweitet werden kann, wie die Frauen auf Berufstatigkeit verzichten, entsteht ein relatives Defizit. Diese Deprivation zeigt sich nicht nur im Vergleich zu kinderlosen Paaren, sondern auch im Vergleich zu kleineren Familien. Neben den Erwerbseinkommen sind Einnahmen aus physischem Vermogen (Miete, Pacht etc.) relevant.
98
Einkommenssituation nrol3er Familien
Tabelle 20: Komponenten des absoluten Markteinkommens nach Familiengrolje
Westdeutschland
Vermogen und Vermietung Sonstige Einkommen
32
7
24
Quelle: SOEP 2003, Daten fur 2002. Betrachtet man das aus diesen Beitragen errechnete Markteinkommen auf Haushaltsebene (brutto), finden sich deutliche Unterschiede zwischen den verschieden groljen Haushalten, wobei grolje Familien sich zwischen Ein-Kind- und den am besten situierten Zwei-Kind-Familien platzieren.
Tabelle 21: Absolutes Markteinkommen nach Familiengrolje Deutschland Familien mit . .. Kind(ern)
Westdeutschland
Ostdeutschland
e
1
3.075
3.291
2.323
2
4.038
4.175
3.333
3 oder mehr
3.923
4.088
2.629
Quelle: SOEP 2003, Daten fur 2002. Bei groljen Familien steht auch in dieser Stichprobe dem groljeren Bedarf durch weitere Haushaltsmitglieder keine Ausweitung der Ressourcen, sondern sogar ein (ehvas) geringeres Haushaltseinkommen gegeniiber. Wechselt man die Perspektive und betrachtet die ~~uivalenzeinkommen, dann werden die Abstande zwischen den Familienformen durch die eingefuhrte Gewichtung noch wesent-
Staatliche Transferleistuneen und Einkommenskom~onenten
99
lich ausgepragter. Die Aquivalenzeinkommen verringern sich mit steigender Kinderzahl deutlich. Ganz geradlinig fallt dieser Trend in Westdeutschland aus. Besonders groB ist dabei die Differenz, die sich zwischen Familien mit zwei und drei oder mehr Kindern ergibt.
Tabelle 22: ~~uivalenzeinkommen (Pre-Government-Einkommen) nach FamiliengroBe Familien mit .. . Kind(ern)
Deutschland
Westdeutschland
Ostdeutschland
e
1
1.782
1.904
1.341
2
1.712
1.755
1.479
3 oder mehr
1.298
1.351
859
Quelle: SOEP 2003, Daten fur 2002.
Fiir Ostdeutschland ergibt sich eine Besonderheit, welche die gesamten folgenden Analysen durchzieht: Wahrend sich Zwei-Kind-Familien auch nach Gewichtung mittels der ~ ~ u i v a l e n z s k a als l a die einkommensstarkste Gruppe auszeichnen, fallen die Ein-Kind-Familien durch relativ schlechte Einkommenspositionen auf. Zwei potenzielle Einflussfaktoren kommen in Betracht: Zum einen der hohere Anteil von Alleinerziehenden mit Einzelkindern, die den bisherigen Ergebnissen mfolge besonders einkommensschwach sind. Zum anderen ist an die teils kritischen wirtschaftlichen Voraussetzungen, z.B, die hohe Arbeitslosigkeit, zu denken. Diese fiihren in Ostdeutschland mijglicherweise zur fruhen Begrenzung der Kinderzahl in solchen Farnilien fuhren, die wenig Chancen auf Verbesserung wahrnehmen. Mit Abstand die geringsten Aquivalenzeinkommen haben jedoch auch in den ostdeutschen Landern die grofien Familien. Hinsichtlich der marktbezogenen Einnahmen zeigt sich demnach, dass die Ressourcen dem zunehmenden Bedarf, der mit hoherer Kinderzahl einhergeht, nicht entsprechend angepasst werden (konnen), woraus sich relative Nachteile fur die Mitglieder grofier Familien ergeben. Damit gelangen wir zur Frage, inwieweit diese Defizite durch staatliche Interventionen aufgefangen werden.
Transfereinkommen Zu den politischen Mafinahmen, welche die Belastungen durch Kinder ausgleichen sollen, gehoren neben dem Steuersystem auch verschiedene Transferleis-
100
Einkommenssituation groDer Familien
tungen. Hierm zahlen insbesondere das Kindergeld, das (bisherige) Erziehungsgeld und die Ausbildungsfdrderung als steuerfinanzierte Leistungen. Daneben gibt es staatliche Hilfen zur Armutspravention, die Familienkomponenten enthalten: So werden Kinder in der Sozialhilfe mit eigenen BedarfsgroDen beriicksichtigt, und die Arbeitslosenhilfe sieht fur Familien einen hoheren Satz vor. Zunachst ist von Interesse, wie sich die Transferleistungen auf die unterschiedlichen Haushalte verteilen, d.h., wie sich die Bedurftigkeitsstruktur mit der Kinderzahl verandert. Aufgrund der Datenstruktur des SOEP ist es schwer moglich, die Effekte zusatzlicher Geburten sauber herauszuarbeiten, da die Ereignisdaten uber einen Zeitraum von maximal 20 Jahren streuen. Dennoch sol1 als erster Indikator f i r den Effekt, den zusatzliche Kinder auf die Familienokonomie haben, der Sozialhilfebezug in Abhangigkeit von (weiteren) Geburten dargestellt werden, indem uberpriift wird, ob im Jahr vor und nach der Geburt Sozialhilfebezug vorhanden war oder einsetzte. Das Ergebnis ist eindeutig: Die Transferleistung wird im Zeitraum um die Geburt des dritten Kindes deutlich haufiger beansprucht als es beim ersten oder zweiten Kind der Fall ist. Da es einem kleinen Teil aber auch gelingt, sich aus der Sozialhilfeabhangigkeit wieder zu befreien, l b s t sich insgesamt feststellen, dass Familien im Zeitraum um die dritte Gebwrt relativ h h f i g mmindest ftir eine kiirzere Zeit in Abhangigkeit von Sozialhilfezuwendungen gelangen. Abbildung 8:
Sozialhilfebezug in der Familie beim ~ b e r g a n gzum
1. Kind
1 ~ s t e t bezogen s
2. Kind
OZugang mnie bezogen
... Kind
3. Kind Abgang
I
Angaben in %, Rundungsdifferenzen, Quelle: SOEP, gepoolte Daten fur 1984-2002.
Dieser Effekt bestatigt sich auch im aktuellen Querschnittsvergleich: Alle Leistungen, die besondere Bedurftigkeit voraussetzen oder einkommensabhangig gewahrt werden, mussen von groDen Familien deutlich haufiger in Anspruch
Staatliche Transferleistungen und Einkommenskomeonenten
101
genommen werden als von kleineren. Wohngeld zum Beispiel erhalt jedes sechste Mitglied in einer westdeutschen Familie mit drei oder mehr Kindern. In den ostdeutschen Landern ist der Anteil sogar doppelt so hoch. Auch Bezieher von Sozialhilfe sind in groljen Familien deutlich haufiger anzutreffen als in kleineren. Das erhohte Risiko der Sozialhilfebediirftigkeit beschrankt sich somit nicht nur auf den Zeitraum um die Geburt. Tabelle 23: Anteil der Bezieher und Umfang von Transferleistungen nach Kinderzahl
Transferleistungen
Sonstige offentliche Transfers
15
20
23
28
17
32
Gesamttransfers in €
266
419
412
48 1
64 1
986
Quelle: SOEP 2003, Daten fur 2002 (Rundungsdifferenzen). Zur Errechnung des Gesamtvolumens offentlicher Transferleistungen werden alle Leistungsarten - inklusive Kindergeld - zusammengenommen. Die mittleren Einkommen aus staatlichen ~ e i s t u n ~ e nsind " wiederum deutlich abhangig von "
Das arithmetische Mittel aller staatlichen Transferleistungen je FamiliengroBe
102
Einkommenssituation groBer Familien
der Kinderzahl, wobei das Kindergeld einen wesentlichen Anteil zum Gesamtvolumen beitragt. Auch in absoluten Zahlen gemessen profitieren grorje Familien am starksten von den staatlichen Hilfen (Tabelle 23), wobei die Familien im Osten in wesentlich hoherem Umfang durch Transferleistungen gestutzt werden als die Vergleichsgruppe im Westen.
Verfugbare Einkommen Nachdem die beiden zentralen Bestimmungsfaktoren fur das Familieneinkommen beschrieben wurden, sol1 nun ihre Bedeutung fiir das Nettoeinkommen herausgearbeitet werden. Relevant ist fiir die Familienmitglieder letztlich, welche Mittel ihnen tatsachlich fur ihre Lebensgestaltung zur Verfugung stehen. Zur Betrachtung dieses Aspektes wird das verfugbare oder Post-GovernmentEinkommen (Schwarze 2003) errechnet. Neben den Einkunften aus staatlichen Unterstutzungen mussten hierfir auch die steuerlichen Abziige sowie die Sozialversicherungsbeitrage berucksichtigt werden. Wahrend jedoch die Steuern eindeutig als ,,Negativpostena gewertet werden konnen, mussen die Sozialversicherungsbeitrage gesondert betrachtet werden, da sie nicht nur Zahlungen in ein allgemeines Sichemngssystem darstellen, sondern im Falle der Rentenversicherungsbeitrage mgleich Investitionen in die mkunftige Versorgung getatigt werden. Sie konnen damit nicht einfach auf die Soll-Seite gebucht werden, fehlen aber dennoch aktuell im verfugbaren Budget. Daher werden sie trotz des daraus resultierenden Vermogensaufbaus bei den folgenden Berechnungen wie Ausgaben behandelt. Betrachtet man zunachst die verfugbaren Einkommen auf der Haushaltsebene, dann fiihren die staatlichen Interventionen zu einer Nivellierung der Unterschiede zwischen den Familien. Da Kinderreiche mit geringeren Markteinkommen starten als Zwei-Kind-Familien, spielen die Leistungen, welche die Familien aus der offentlichen Hand beziehen, eine erhebliche Rolle fur das verfugbare Budget, und sie gewinnen mit mnehmender Kinderzahl an Gewicht. Zugleich tragen grol3e Familien eine geringere Steuerlast. Den Abziigen fiir Steuer- und Sozialversicherungsleistungen stehen in den westdeutschen Landern zumindest annahernd hohe Transferzahlungen gegenuber. In den ostdeutschen Landern bilden die staatlichen Leistungen besonders wichtige Beitrage m r Existenzsicherung kinderreicher Familien.
Staatliche Transferleistunrren und Einkommenskom~onenten
103
Tabelle 24: Komponenten des Post-Government-Haushaltseinkommens nach Kinderzahl
Einkommens-
Quelle: SOEP 2003, Daten fur 2002. Allerdings sagen diese absoluten Werte auf Haushaltsebene noch wenig uber das Verhaltnis der verfigbaren Mittel zum Bedarf aus. Hierfur wird wiederum eine Transformation in personenbezogene Aquivalenzwerte vorgenommen. Obgleich durchaus Umverteilungseffekte mgunsten grol3er Familien feststellbar sind, zeigt die Betrachtung von Aquivalenzeinkommen eine deutliche Reduktion der verfugbaren Ressourcen mit zunehmender Kinderzahl. Zur Ruckbeziehung der Haushaltseinkommen auf die unterschiedlichen Bedarfe wurden wiederum die Aquivalenzwerte auf der Basis der neuen OECD-Skala errechnet. Obwohl diese fur Kinder einen relativ geringen Wert einsetzt, ergeben sich deutliche Unterschiede zwischen ~ ~ u i v a l e n zund - Haushaltseinkommen. Wie schon das Pre- sinkt auch das Post-Government-Einkommen nach dieser Transformation stetig mit zunehmender FamiliengroBe. Eine geringfugige Abweichung von diesem Trend bilden nur die Werte der Zwei-Kind-Familien in den ostdeutschen Landern, die wie bereits envahnt eine Sonderposition einnehmen. (Tabelle 25) In Westdeutschland mussen grol3e Familien mit 78% des verfigbaren Aquivalenzeinkommens von Ein-Kind-Familien wirtschaften. Nimmt man als BezugsgroRe
104
Einkommenssituation nroBer Familien
die Zwei-Kind-Familien, so liegt der Anteil bei 85%. Fur ostdeutsche Familien reduziert sich das Aquivalenzeinkommen ab dem dritten Kind auf drei Viertel des Wertes von Zwei-Kind-Familien. Die Nivellierung, die durch staatliche Intervention bei den absoluten Haushaltseinkommen erreicht wird, reicht demnach nicht aus, um auch fur eine bedarfsproportionale Gleichstellung zu sorgen. ,,Ja, es gab dann zwar mehr Kindergeld, zusammen 150,- DM (...), das Kindergeld hat die finanzielle Belastung [aber] nicht ausgewogen." [Vater von drei Kindern, Leitender Angestellter]
Besonders stark fallt die relativ niedrige Einkommenslage der groRen Familien in Ostdeutschland auf, wahrend sich dort Ein- und Zwei-Kind-Familien nach den gewichteten Pro-Kopf-Einkommen ahnlicher sind. In Westdeutschland wird der Abstand der Wohlstandspositionen mit jedem weiteren Kind groBer. Der Zusammenhang zwischen Kinderzahl und relativer Einkommensdeprivation lasst sich somit fur Deutschland anhand verschiedener Berechungsmodelle eindeutig nachweisen. Sie enveist sich hier - wie auch im internationalen Kontext (Forster 2002) - als ein Effekt der restriktiven Enverbspartizipation der Miitter in grol3en Familien, der zufolge die marktbezogenen Einnahmen mit steigender Kinderzahl sinken, statt dem Bedarf entsprechend enveitert zu werden. Erklart wird die geringere Enverbsbeteiligung der Miitter durch den erhohten Betreuungs- und Haushaltsaufwand, der vor dem Hintergrund relativ traditionaler Einstellungen (Muhling et al. 2006, Kap. 8.1) weit ubenviegend von den Eltern geleistet wird. Als Konsequenz sind groRe Familien haufiger auf soziale Transferleistungen angewiesen. Angesichts der relativen Einkommensschwache bei den Markteinkommen sind fur die Mitglieder dieser Haushalte auch andere staatliche Transfers wie Kindergeld wichtige Einnahmequellen. So speisen sich ihre verfigbaren Einkommen zu einem relevanten Anteil aus Transferleistungen. Durch diese Zuwendungen und die etwas geringere Steuerbelastung wird eine Umverteilung hergestellt, die dafur sorgt, dass die verfiigbaren Haushaltseinkommen der Mehrkinderfamilien absolut betrachtet am gr6Rten sind, wenngleich mit nur mafligem Vorsprung vor den Zwei-Kind-Familien. Die redistributiven Effekte reichen jedoch nicht aus, um auch eine bedarfsorientierte Gleichstellung der Familien zu gewahrleisten. Die Analyse der ~ ~ u i v a l e n z e i n kommen zeigt, dass groRe Familien relative Deprivationen in Kauf nehmen mussen, da jedes weitere Kind die verfligbaren Ressourcen schmalert.
105
Die subjektive Bewertung des Lebensstandards Tabelle 25: Komponenten des durchschnittlichen Post-GovernmentEinkommens nach Kinderzahl Familien mit
2
1 Einkommenskomponenten
Westdeutschland
. . . Kind(ern)
Ostdeutschland
3 oder mehr WestOstdeutsch- deutschland land
Westdeutschland
Ostdeutschland
e Pre-GovernmentEinkommen Offentl. Transfers
1.904
1.341
1.744
1.479
1.351
859
153
229
177
206
217
317
Quelle: SOEP 2003, Daten fur 2002
6.5 Die subjektive Bewertung des Lebensstandards Marina Rupp Nachdem die objektiven Daten klarlegen, welche finanziellen Konsequenzen mit Kindern verbunden sind, interessiert die Wahrnehmung seitens der Betroffenen. Die subjektive Bewertung scheint bei der Frage, inwieweit Kinderreichtum zu sozialer Ausgrenzung ftihrt, besonders relevant. Sicherlich beeinflusst die objektive Deprivation das subjektive Empfinden, doch diirften dabei auch einige weitere Faktoren eine Rolle spielen: Anspruchshaltungen, aber auch das soziale Umfeld als VergleichsmaBstab konnen verschieden sein, und die Familien konnen die okonomischen Nachteile unterschiedlich kompensieren, z.B. durch Eigenproduktion und Kreativitat.
Einkommenssituation ~rol3erFamilien
106
Abbildung 9:
Zufriedenheit mit dem Haushaltseinkommen nach FamiliengroBe
Ostdeutschland 1 Kind 8 2 Kinder
Westdeutschland
3 oder mehr Kinder
Erlauterung: absolute Werte, arithmetisches Mittel; Wertebereich: 0 (= gar nicht) bis 10 (= vollkommen). Quelle: SOEP 2002.
Hinsichtlich der Zufriedenheitswerte ergibt sich ein bemerkenswertes Ergebnis. Dass das Einkommen nicht das gesamte Lebensgefuhl beeinflusst, zeigen die Angaben zur gegenwartigen Lebenszufriedenheit, die keine Abhangigkeit von der Kinderzahl erkennen lassen. Dabei gibt es jedoch deutliche Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland. Befragte aus Ostdeutschland sind deutlich weniger zufrieden und auch weniger optimistisch. Keine nennenswerte Bedeutung hat die FamiliengroBe auch f i r die Erwartung, wie zufrieden die Betroffenen in funf Jahren sein werden, mit einer Ausnahme: Im Osten sind groRe Familien skeptischer als kleinere, ganz besonders im Vergleich zu Zwei-Kind-Familien. Betrachtet man dagegen die Zufriedenheit mit der okonomischen Situation, so zeigen sich teilweise Zusammenhange mit der FamiliengroIJe: Vor allem in den ostdeutschen Landern sind groBe Familien deutlich unzufriedener mit den Haushaltsbudgets als kleinere. Dies entspricht der objektiv schlechteren okonomischen Situation der betreffenden Haushalte. In den westdeutschen Landern ist dieser Effekt nicht ausgepragt, aber als Tendenz sichtbar. Auch die Ergebnisse fur die Bewertung des aktuellen Lebensstandards korrespondieren vor allem in den ostdeutschen Landern mit der okonomischen Situation. Hier folgen die Zufriedenheitswerte der Kurve der Einkommen und groIJe Familien geben die kritischste Beurteilung ab. In den westdeutschen Landern ist der Zusammenhang demgegeniiber kaum mehr wahrnehmbar, und die Unterschiede mischen groBen und kleineren Familien sind sehr gering.
107
Die subiektive Bewertuna des Lebensstandards
Abbildung 10: Zufriedenheit mit dem Lebensstandard nach FamiliengroBe
Ostdeutschland
Westdeutschland
1 Kind 8 2 Kinder [1113 oder mehr Kinder
Erlauterung: absolute Werte, arithmetisches Mittel; Wertebereich: 0 (= gar nicht) bis 10 (= vollkommen). Quelle: SOEP 2002.
Die subjektive Zufriedenheit ist demzufolge nur teilweise durch die relative Schlechterstellung gepragt. Wahrend die Bewertung der okonomischen Lebensverhaltnisse in den ostdeutschen Landern deutlich mit der Einkommenssituation variiert, sind diese Trends in den westdeutschen Landern nicht ausgepragt. Als Erklarung hierfur konnten die Streuung der Einkommen innerhalb der Familienformen wie auch unterschiedliche Anspruchsniveaus in Bezug auf den envarteten Lebensstandard herangezogen werden. Angesichts der unterdurchschnittlichen Pro-Kopf-Einkommen ist verstandlich, dass die Eltern mehrerer Kinder mit ihrer finanziellen Lage etwas unzufriedener sind als kleine Familien. Fiir die Eltern im Bamberger-Ehepaar-Panel ergeben sich auf der Basis einer Querschnittsbetrachtung ahnliche Resultate: Gro13e Familien f ~ h l e nsich hinsichtlich ihres Leistungspotenzials als etwas schlechter gestellt.
108
Einkommenssituation grol3er Familien
Tabelle 26: Zufriedenheit mit der finanziellen Lage Zufriedenheit
escheiden - es reicht fur das chlecht - wir konnen uns viele Vollig unzureichend Anzahl
1
1
2
104
280
92
Rundungsdifferenzen. Quelle: Bamberger-Ehepaar-Panel2002.
Da mit dieser Datenbasis Verlaufsbetrachtungen moglich sind, wird im Folgenden trotz gewisser Mange1 im Hinblick auf die Reprasentativitat naher auf die Entwicklung der Elternpaare eingegangen. In dieser Perspektive ergeben sich moglichenveise aufgrund des Mittelschichtbias der Stichprobe - bemerkenswerte Trends: Zunachst beeindruckt, dass sich die Zufriedenheit im Zuge der Familienentwicklung generell zum Positiven verandert. Dies ist einer iiberdurchschnittlich guten Entwicklung der Einkommen in dieser Stichprobe geschuldet. Bei den grofien Familien wird deutlich, dass es auch unter ihnen Gewinner gibt: Bei 14% ist die Zufriedenheit mit dem Lebensstandard deutlich gewachsen, bei weiteren 16% zumindest in gewissem Mafie. Somit geben Familien mit drei oder mehr Kindern zu 30% heute bessere Bewertungen ab als vor 14 Jahren. Rund die Halfte ist genauso mfrieden wie friiher, und ein Fiinftel ist jetzt unmfiiedener. Kleinere Familien haben dagegen seltener eine so erfreuliche Entwicklung durchlebt: der Anteil von Befragten, deren Zufriedenheit abgenommen hat, fallt deutlich hoher aus.
Die subiektive Bewertung des Lebensstandards
109
Tabelle 27: Zufriedenheit mit dem aktuellen Lebensstandard 2002 und Veranderung seit 1988 Zufriedenheit mit dem Lebensstandard
I
Rundungsdifferenzen. Quelle: Bamberger-Ehepaar-Panel2002. Rund drei von zehn kleinen Familien sind mit ihrem Lebensstandard heute unzufriedener als zu Beginn der Ehe - und das obwohl ihnen pro Haushaltsmitglied mehr Ressourcen zur Verfugung stehen als den Kinderreichen. Moglicherweise spielen unterschiedliche Erwartungshaltungen und die relativen Veranderungen der Ressourcen eine Rolle f i r diese subjektive Einschatzung der eigenen wirtschaftlichen Situation. Der ausgepragte Fortschritt, den groDe Familien in okonomischer Hinsicht iiber langere Zeit hinweg gemacht haben, beeinflusst deren Zufriedenheit wesentlich. Hier wird deutlich, dass es unter den Kinderreichen eine Gruppe gibt, die sich den ,,Luxus" einer grol3en Familie leisten kann.
110
Einkommenssituation grol3er Familien
6.6 Kinderreichtum, Einkommensarmut und Familienpolitik in der EU Bernd Eggen Erganzend zur Darstellung der Situation in Deutschland sei abschliefiend ein Blick uber die nationalen Grenzen gewagt, da in diesem Kontext auch die Frage der Wirkung farnilienpolitischer Mafinahmen andiskutiert werden kann. Es ist schwierig, einen eindeutigen Zusammenhang zwischen Familienpolitik und Geburtenrate herzustellen und die Effekte zu beschreiben, geschweige denn zu erklaren. Weniger schwierig ist hingegen, einen Zusammenhang zwischen Familienpolitik und relativer Einkommensarmut bei Familien und Kindern zu erkennen. Kinderreiche Familien und Alleinerziehende gehoren in Deutschland zu den am stbksten von relativer Einkommensarmut betroffenen Gruppen. Doch ist dieser Zusammenhang weder selbstverstandlich noch zwingend. Es gibt in Europa Staaten, in denen anders als in Deutschland selbst kinderreiche Familien und Alleinerziehende kaum hhfiger in okonomisch prekaren Verhaltnissen leben als der Durchschnitt der Bevolkerung (Eggen 2005). Gleichzeitig weisen diese Staaten uberdurchschnittlich hohe Geburtenraten auf. Es sind Lander, die ahnlich wie Deutschland oder Frankreich einen vergleichsweise hohen Anteil des Bruttoinlandsproduktes ( B P ) fiir familienpolitische Leistungen ausgeben. Dabei handelt es sich ausschliefilich um die skandinavischen Staaten Danemark, Finnland und Schweden, die eine expansive Familienpolitik vor allem durch die Forderung der Kinderbetreuung betreiben. In Finnland gelten 11% der Alleinerziehenden und 5% der kinderreichen Familien als relativ arm, wahrend die Geburtenrate 1,73 Kinder pro Frau betragt. In Danemark zahlen 12% der Alleinerziehenden und 13% der kinderreichen Familien zur Gruppe der Amen; die Geburtenrate betragt 1,77. Demgegenuber sind in Frankreich grofie Familien haufig depriviert. Dort leben 24% der kinderreichen Familien und 35% der Alleinerziehenden in relativer Armut. Allerdings ist die Geburtenrate (1,9) vergleichsweise hoch. In Deutschland sind 21% der kinderreichen Familien und 36% der Alleinerziehenden arm. Gleichzeitig ist die Geburtenrate mit 1,36 Kindern pro Frau sehr niedrig. (Tabelle 19 im Anhang). Zusammenfassend bedeutet das: Eine expansive Familienpolitik allein reicht nicht aus, um das Risiko von Armut bei Familien zu verringern? wenn sie sich ubenviegend auf Barleistungen stiitzt. Das belegen nicht nur Deutschland und Frankreich, sondern auch ~sterreichund zum Teil Belgien. Wen wundert es? Keine an Barleistungen orientierte Familienpolitik vermag es - erst recht unter den gegenwartigen finanziellen Restriktionen offentlicher Haushalte in nahezu allen Staaten der - das zum Teil sehr steile Einkommensgefalle zwischen kinderlosen Lebensformen und Familien auch nur annahernd auszugleichen. Gerade in der Lebensphase, in der Familien gegriindet werden, geht es zurn Bei-
Kinderreichtum. Einkommensarmut und Familien~olitikin der EU
111
spiel in Deutschland beim Einkommensgefalle zwischen kinderlosen Paaren und Paaren mit Kindern nicht um 30 oder 50 Euro, sondern um bis zu 800 Euro pro Kopf und Monat, und m a r netto. Allein eine Erwerbsbeteiligung beider Eltern kann das Einkommensgefalle teilweise oder sogar ganz ausgleichen. Auch die okonomische Situation Alleinerziehender verbessert sich erheblich durch eine angemessene Erwerbstatigkeit der Eltern. Gleichzeitig grenzt die Erwerbsbeteiligung deutlich das AusmaD okonomisch prekker Lebenslagen ein und ermoglicht haufiger okonomischen Wohlstand. Fur alle EU-Staaten, in denen Alleinerziehende und kinderreiche Eltern mit ihren Kindern kaum iiberdurchschnittlich oft in okonomisch prekaren Verhaltnissen leben, gilt: Kleinkinder besuchen haufiger offentlich geforderte Betreuungseinrichtungen und Frauen sind auch mit mehreren Kinder haufiger und umfanglicher erwerbstatig als in Deutschland. Anders als eine expansive Familienpolitik geht eine restriktive Familienpolitik stets einher mit einer hohen Armutsgefahrdung der Familien und Kinder: So in Groobritannien und Irland, aber hauptsachlich in den sudeuropaischen Staaten. Die Niederlande fallen dabei ehvas aus dem Rahmen. Familien mit m e i oder mehr Kindern befinden sich vergleichsweise selten in okonomisch schwierigen Situationen. Das mag daran liegen, dass die Sozialleistungen in den Niederlanden kaum familienpolitische Maonahmen enthalten, dass aber andere sozialpolitische, etwa arbeitsmarktpolitische Maonahmen, in der Regel ein ausreichendes Familieneinkommen gewahrleisten.
7 Wohnen Kurt P. BierschocklBernd Eggen
Wohnen und Umgebung sind wesentliche Lebensbedingungen jeder Familie. Mit ihnen verbinden sich Ressourcen wie auch Stressoren: Zu wenig Raum, unsichere Umgebung oder kinderfeindliche Nachbarschaft belasten Familien, wahrend Platz, sichere Freispielmoglichkeiten und ein kinderfreundliches Milieu den Alltag mit Kindern erleichtern. Diese Erwagungen werden im Folgenden konkreter ausgefuhrt, um zu untersuchen, unter welchen Bedingungen besonders kinderreiche Familien wohnen. 7.1 Kriterien angemessener Wohnverhaltnisse
Um zu uberprufen, ob kinderreiche Familien grol3ere Probleme haben, sich mit adaquatem Wohnraum zu versorgen, werden finf Dimensionen unterschieden: die Wohnflache, die Zahl der Zimmer - und hier besonders die Anzahl der Raume, die nicht gemeinsam von allen Familienmitgliedern genutzt werden -, die Qualitat der Wohnung, die subjektive Zufriedenheit der Bewohner mit der Wohnung, das Wohnumfeld. Leider stehen nicht f i r alle Indikatoren ausreichende Informationen m r Verfugung. Die folgenden Analysen beschranken sich daher auf den verfugbaren Wohnraum, die Eigentumsverhaltnisse und damit verbundenen Kosten sowie die subjektive Beurteilung der Wohnsituation. Bei den Kosten sind finanzielle Belastungen durch Miete oder Finanzierung von Wohneigentum zu beriicksichtigen. Dem gegenuber stehen jedoch auch finanzielle Entlastungen etwa durch das Wohngeld, Vergunstigungen bei Anmietung einer Sozialwohnung oder Steuerersparnisse durch die ~ i ~ e n h e i m z u l a ~ e . "
l2
Zum Ende des Jahres 2005 wurde die Elgenhelmzulage als elne der groRten staatllchen Subventlonen zur Schaffung von selbstgenutztem Wohne~gentumabgeschaffi
114
Wohnen
Die nachfolgenden Ausfiihrungen basieren auf folgenden Primardaten: Als reprhentative Basis wird wiederum der Mikrozensus herangezogen, diesmal jedoch die Erhebung von 2002, in welcher die Wohnsituation der privaten Haushalte differenziert abgebildet wurde. Daneben werden das Bamberger-EhepaarPanel und die qualitative Studie des if%analysiert (Kap. 1.2). Vorab sollte darauf hingewiesen werden, dass Wohnen bei Kinderreichen mit einiger Dynamik verbunden ist. Angesichts wachsender Kinderzahl erscheint es vielen Eltern erforderlich, den Wohnraum entsprechend ,,anzupassenU, d.h. sich eine neue, groRere Wohnung zu suchen. GroBe Familien ziehen daher haufiger um als kleinere Familien. Gut ein Viertel der Kinderreichen hat bereits drei oder gar mehr Umzuge durchgefihrt, 28% sind immerhin zwei Ma1 umgezogen und knapp ein Drittel (31%) konnte oder hat es bei einem Umzug belassen. In der Wohnung, in der die Ehepaare urspriinglich kinderlos lebten, blieben hingegen nur 17% der jetzt kinderreichen Familien (Rupp 2003: 113). Kinderreiche Familien zeichnen sich demnach gerade wegen ihrer Kinderzahl durch eine hohe Wohnungsmobilitat aus. Auch die meisten kinderreichen Mutter und Vater der ifb-Studie blicken auf recht haufige Umziige von einer kleineren in groBere Wohnungen oder in ein Eigenheim zuriick. Bei einigen wenigen Familien kam es sogar bei jedem Kind zu einem Umzug: ,,Unsere Wohnsituation hat sich von Kind zu Kind verbessert. Angefangen von einer engen Ein-Zimmer-Wohnung in L, bis zu unserem Ein-Etagen-Haus heute war es eine natiirliche Entwicklung ohne Riickschritt." [Mutter von vier Kindern, Selbsthdige] Zusammenfassend kann man also sagen, dass entweder immer grol3ere Wohnungen angemietet werden, was teilweise wegen Vorbehalten der Vermieter Kinderreichen gegenuber erst nach langerem Suchen gelingt, oder aber das vorhandene Wohneigentum entsprechend enveitert wird. Es gibt bei Kinderreichen also im grol3eren Umfang als bei Familien mit maximal zwei Kindern ,,Umzugs-" bzw. ,,Anbaukarrieren", um die jeweils knapp werdende Ressource Wohnraum dem familialen Bedarf anzupassen. 7.2 Grofie der Wohnung Betrachtet man als ersten Indikator die aktuell verfugbare Wohnflache, so haben in Deutschland kinderreiche Paare groBere Wohnungen als Paare mit einem oder zwei Kindern (Tabelle 28). Paare mit drei oder mehr Kindern verfugen im Durchschnitt (Median) uber 122 b m . 123 qm Wohnflache. Etwa ein Drittel von
GroDe der Wohnung
115
ihnen lebt in Wohnungen mit mehr als 140 qm, bei einem weiteren Drittel betragt die Wohnflache zwischen 100 und 140 qm. Immerhin 14% bzw. 10% bewohnen weniger als 80 qm. Die absolute Flache der Wohnung nimmt mit der Zahl der Kinder meist zu. Allerdings ist diese Kennziffer wenig aussagefahig, weil der unterschiedliche Bedarf zu berucksichtigen ist.
Tabelle 28: Flache der Wohnung von Familien nach Anzahl der ~ i n d e r * )
*)
Nur eine Lebensgemeinschaft. Rundungsdifferenzen. Quelle: Mikrozensus 2002.
Einer der zentralen Indikatoren zur Messung der Wohnflachenversorgung, der den unterschiedlichen Bedurfhissen je nach FamiliengroBe Rechnung tragt, ist die Relation der Wohnflbhe in Quadratmetern zur Zahl der Familienmitglieder, die im Haushalt leben. Doch genugt es nicht die Flache durch die Zahl der Familienmitglieder zu teilen. Es sind analog zu den Berechnungen von Haushaltseinkommen Einspareffekte, so genannte ,,economies of scale" zu berucksichtigen. Denn der Wohnflachenbedarf steigt in der Regel nicht linear, wenn die GroBe der Familie durch weitere Kinder wachst. Vergroaert sich die Familie urn ein
116
Wohnen
zweites oder drittes Kind, bedarf es keines zusatzlichen Badezimmers oder keiner zusatzlichen Kuche. Es gibt verschiedene Konzepte, um den unterschiedlichen Wohnflachenbedarf einer zusatzlichen Person zu beriicksichtigen. Die hier venvendete ~ ~ u i v a l e n z s k aschreibt la bei gleicher Personenzahl Alleinerziehenden hohere ~ ~ u i v a l e n z ~ e w i czu h t eals beispielsweise kinderlosen Paaren. Denn es wird davon ausgegangen, dass fur kinderlose Paare zwei Raume ausreichen, wahrend bei Ein-Eltern-Familien das gemeinsame Wohnzimmer gleichzeitig als Schlafgelegenheit fur den Elternteil genutzt werden musste, sofern das Kind ein eigenes Zimmer erhalt. Da ein Kinderzimmer zum Spielen und Schlafen als ideal angesehen wird, ergibt sich ein erhohter Raumbedarf fur Alleinerziehende. Tabelle 29: ~quivalenzskalenzur Berechnung der Wohnflachenversorgung
Quelle: Eigene Berechnungen nach Frick (1996).
Durch die Berechnung der ~quivalenzflacheder Wohnung konnen Familien mit unterschiedlicher Anzahl an Kindern angemessener miteinander verglichen werden: Nun ergibt sich der gegenteilige Zusammenhang, und die Wohnflache nimmt bei steigender Kinderzahl ab (Tabelle 20 im Anhang). Wichtige Einflussfaktoren sind die Eigentums- und Einkommensverhaltnisse: ~ b e den r meisten Platz verfugen die wohlhabenden Kinderreichen und solche, die ein Haus oder eine Eigentumswohnung besitzen. Deutlich kleiner ist die durchschnittliche Wohnflache bei den ,,Normalverdienern" unter den Kinderreichen, d.h. denjenigen, die keine Transferleistungen fur Mietausgaben beziehen (konnen). Beengter leben groBe Familien, die aufgmnd geringen Einkommens allgemeines Wohngeld (bei eigenem Einkommen) oder besonderen Mietzu-
GroBe der Wohnung
117
schuss (bei Sozialhilfebezug) erhalten. Diese einkommensschwachen kinderreichen Familien verfugen im Mittel nur uber 96 qm Wohnflache (Bezieher von Wohngeld) bzw. 95 qm (Bezieher von Mietzuschuss) (BMAS 2005: 125). Auf den Zusammenhang zwischen geringem Einkommen und beengten Wohnverhaltnissen weist auch der 11. Kinder- und Jugendbericht hin: ,,Insgesamt ist ein deutlicher Zusammenhang zwischen Einkommen und Wohnraumversorgung zu konstatieren. Mit dem Einkommen sinkt die qualitative und quantitative Wohnraumversorgung" (BMAS 2002: 143). Dies fuhrt zu dem Schluss, dass ,,gerade kinderreiche Familien oder Familien auslandischer Nationalitat und Alleinerziehende (...) bei der Wohnungssuche erhebliche Schwierigkeiten (haben), giinstigen Wohnraum zu finden". Damit einhergehend sind sie auch haufig gezwungen, in belasteten Stadtteilen zu wohnen, weshalb stigmatisierende Effekte und die Ausgrenzung der Kinder und Jugendlichen befurchtet werden (Hock/Holz 1999).
7.2.1 Wohnungsarmut und Wohnungswohlstand Auf der Basis der ~quivalenzwerte(siehe oben) lassen sich unterschiedliche Versorgungsniveaus feststellen, worm sich die Frage der relativen Unterversorgung anschlieBt. In Bezug auf die verftigbare Wohnflache lassen sich verschiedene Abstufungen der Unterversorgung definieren: Die Grenzziehung erfolgt bei weniger als 40%, 50% oder 60% der durchschnittlichen Flache der Gesamtbevolkerung. Dem gegenuber lebt eine Familie in Wohnungswohlstand, wenn sie pro Person mehr als 150% oder sogar 200% der durchschnittlichen F l b h e in der Gesamtbeviilkerung zur Verfugung hat. Als relative BezugsgroOe ergibt sich aktuell ftir alle ~ebensformen'~ ein ~ ~ u i v a l e n z w evon r t durchschnittlich 57 qm (Median) verfugbarer Wohnflache. Die Einfuhrung dieser Schwellenwerte zeigt deutlich: Je mehr Kinder in der Familie leben, desto eher sind die Familien mitwohnflache unterversorgt, desto eher leben sie in Wohnungsarrnut (Tabelle 30). Besonders hkiufig betroffen sind wiederum Familien mit vier oder mehr Kindern und ~lleinerziehendemit drei oder mehr Kindern. Allerdings ist die Mehrheit der kinderreichen Familien ausreichend mit Wohnflache versorgt; und einige wenige leben sogar in Wohnungswohlstand.
"
EinschlieBlich der Alleinstehenden und der kinderlosen Paare
118
Wohnen
Tabelle 30: Versorgung mit Wohnraum von Familien nach Anzahl der Kinder *)
*) Nur eine Lebensgemeinschaft im Haushalt. Alle Lebensformen einschlieRlich Alleinstehender und kinderloser Paare bewohnen im Mittel (Median) aquivalente 57 qm. Wohnungsarmut: Weniger als 40, 50 bzw. 60% von der aquivalenten Wohnflache, die allen Lebensformen durchschnittlich (Median) zur Verfugung steht. Wohnungswohlstand: Mehr als 150% bzw. 200% von der aquivalenten Wohnflache, die allen Lebensformen durchschnittlich (Median) zur Verfugung steht. Die Aquivalenzskala zur Messung der Wohnflachenversorgung stiitzt sich auf Frick (1996). Rundungsdifferenzen. Quelle: Mikrozensus 2002, eigene Berechnungen.
7.2.2 Ein eigenes Zimmer fur jedes Kind?
Nimmt man das Bamberger-Ehepaar-Panel als Informationsbasis, so verfugen 93% der kinderreichen Familien iiber funf oder mehr Zimmer, 6% leben in einer Vier-Zimmer-Wohnung und 1% lebt in einer noch kleineren Wohnung. Ersteres bedeutet jedoch nicht, dass jedes Kind sein eigenes Zimmer hat. In grofien Fami-
Eicrentum oder Miete
119
lien ist dies nur bei drei Vierteln (76%) der Fall, d.h. es gibt drei oder mehr Kin derzimmer. In knapp einem Viertel der Familien mussen sich Kinder ein Zimmer teilen. Wenn die Familie hingegen nur zwei Kinder hat, besitzt in 95% der Haushalte jedes Kind sein eigenes Reich. Einzelkinder verfugen dagegen ausnahmslos iiber ein eigenes Zimmer (Rupp 2003 : 113). Kinder in grol3en Familien sind damit gegenuber Kindem, die nur ein oder gar kein Geschwister haben, eher im Nachteil, da ein eigenes Zimmer offenbar eine verbreitete Idealvorstellung ist, welche auch von kinderreichen Familien geteilt wird. Aus unseren Interviews lasst sich das Bemuhen erkennen, trotz mancher meist finanzieller - Widrigkeiten zumindest auf Iangere Sicht jedem Kind ein eigenes Zimmer zu gewahrleisten. Auch bei einer Familie mit acht Kindem lasst sich dieses Bemuhen erkennen, selbst wenn es mit der Umsetzung dauerte: ,,Der Vorteil war, dass die Kellerraume normale Zimmerhohe haben, sonst konnten wir hier nicht wohnen. Kurzlich haben unsere neuen Nachbarn die Erlaubnis gegeben, dass wir anbauen durfen. Dadurch gewinnen wir 60 qm hinzu. Mit dem Anbau sind es dann 240 qm. Jetzt sind die Kinder halt teilweise zusarnmen in Zimmern untergebracht, was mit dem Lernen schwierig ist." [Mutter von acht Kindern, einfache Angestellte]
7.3 Eigentum oder Miete Ein Eigenheim gilt vielen als ideale Umgebung fur das Aufwachsen von Kindern. Die Vorteile liegen in grol3eren Gestaltungsmoglichkeiten, die Nachteile in langfristigen Verbindlichkeiten und vermutlich auch in hohen Kosten. So stellt sich die Frage, ob sich kinderreiche Paare den Wunsch nach den eigenen vier Wanden erfiillen konnen und welche finanziellen Kosten sie f i r den Bereich Wohnen aufwenden. In Deutschland sind die Paare mit drei Kindern ebenso oft Haus- oder Wohnungseigentumer wie Paare mit zwei Kindern (60%) (Tabelle 31). Diese beiden Familienformen haben am haufigsten von allen Haushalten ein Eigenheim. Paare mit mehr als drei Kindern verfugen dagegen wieder weniger oft uber Wohneigentum, und noch seltener gehort den Alleinerziehenden die Wohnung, in der sie mit ihren Kindern leben. Mit dem Wohneigentum ist oft auch ein groBeres Raumangebot gegeben: Mietwohnungen Kinderreicher sind im Durchschnitt erheblich kleiner als die Eigenheime groBer Familien. Wahrend sich kinderreiche Mieter mit knapp 100 qm arrangieren, verfugen kinderreiche Eigentumer im Schnitt uber 147 qm; sie haben also nahezu die Halfte mehr Wohnflache (BMAS 2005).
Wohnen
120
Tabelle 31: Familie bewohnt die Wohnung als ~ i ~ e n t u m e r * ) Anzahl der Kinder
I
*) Nur
eine Lebensgemeinschaft **I Bei Alleinerziehenden. Rundungsdifferenzen. Quelle: Mikrozensus 2002.
Die Schwierigkeit, Wohnraum zu finden, welcher der GroBe der Familie raumlich angemessen und dennoch finanzierbar ist, kann dazu beitragen, dass kinderreiche Familien aus dem Mietwohnungsmarkt ausscheren und sich ein Eigenheim kaufen oder bauen. Im Gegensatz zu Mietern haben die Hauseigentumer den Vorteil, dass sie die Wohnflbhen prinzipiell vergrobern oder die Hauser umbauen konnen. Dies ist - wie in den Interviewzitaten deutlich wird - fur kinderreiche Familien ein wichtiger Pluspunkt fur den Erwerb eines Eigenheims. ,,[Dann haben wir] das Dachgeschoss ausgebaut. Ein Bad und noch zwei Zimmer im Dachgeschoss eingebaut, halt auf einen Dachboden verzichtet. Wir h5itten auch auf das Schlafzimmer verzichtet, ware halt eine kleinere Wohnung gewesen. Das war aber bei uns auch nicht moglich, weil wir ja nur drei Zimmer hatten. Und dann kamen ja noch weitere Kinder dam, und dann haben wir die Kiiche nach unten verlegt, weil in der Zwischenzeit war meine Mama gestorben, und da haben wir das ganze Haus dann umgebaut, dass eben jedes Kind seinen eigenen Bereich hatte. Das ist schon wichtig." [Mutter von drei Kindern, Arbeiterin]
Eine andere Mutter schilderte diesen standigen Erweiterungs- und Ausbauprozess sehr anschaulich:
I
Ei~entumoder Miete
121
,,Genauso, wie wir das vor der Geburt unseres ersten Kindes geplant hatten. Zuerst Sicherheiten schaffen, dann das Haus, anschliefiend die Kinder. Und genauso haben wir es durchgezogen. Seitdem die vier Madchen auf der Welt sind, leben wir in diesem Haus, das wir 1986 - bevor die Preise in die Hohe schossen - gunstig erworben hatten. Wir haben spater das Dachgeschoss und den Keller ausbauen miissen, damit wir alle genug Platz haben. Eigentlich mussten wir weiter ausbauen; wir Wnschen uns zum Beispiel ein Gastezimmer oder noch ein weiteres Biigelzimmer. Wir leben halt ein bisschen beengt, aber die finanzielle Situation Iasst im Moment weitere UmbaumaBnahmen nicht zu." [Mutter von vier Kindern, mittlere Angestellte]
Bei der ,,durchwachsenen" okonomischen Lage vieler grol3er Familien hat die Anschaffung von Wohneigentum allerdings oftmals den Preis erheblicher finanzieller Belastungen auf Jahre, ja Jahrzehnte hinaus. Einerseits mussen die Familien grolje Teile ihres (monatlichen) Einkommens fur die Finanzierung ihres Wohneigentums aufwenden - trotz Fordermaljnahmen und Transferleistungen des Staates. Andererseits aber scheren sie aus dem - vor allem in den Groljstadten oft scharfen - Konkurrenzkampf auf dem freien Wohnungsmarkt aus, bilden Vermogen und Ressourcen f i r sich selbst und ihre Kinder. Eine Mutter von vier Kindern hat den Zusammenhang zwischen der kontinuierlichen VergroSerung der Wohnflache und der Notwendigkeit des Hausenverbes so begrundet: ,,Beim ersten Kind saBen wir noch in einer Zwei-Zimmer-Wohnung; beim zweiten Kind hatten wir bereits ein paar Raume in einem Ein-Familien-Haus angemietet. Beim dritten Kind besal3en wir bereits dieses Haus (...).Ein stetiger Fortschritt also. Als GroSfamilie sollte man sich so schnell wie moglich Hauseigentum anschaffen, am Wohnungsmarkt namlich sehe ich absolut wenige Moglichkeiten, etwas Passendes und halbwegs Bezahlbares zu finden." [Mutter von vier Kindern, Selbstandige]
Die dadurch entstehenden finanziellen Belastungen konnen allerdings erheblich sein: Dies kommt in den qualitativen Interviews wiederholt zum Ausdruck. Als besonders kritisch werden dabei die Zeitabschnitte geschildert, in denen sich die Ruckzahlungsmodalitaten, Kreditriickzahlung und Zinstilgung erheblich zuungunsten der Kreditnehmer veranderten, denn auf Jahre eher moderater Belastung folgen haufig lange Zeitraume mit hohen Ruckzahlungsverpflichtungen. Fur Familien mit eher geringem Familieneinkommen ist dies sehr problematisch. Eine Befiagte fasst ihre Erfahrungen so msammen: ,,Die Zinsen und so, die fressen einen ganz schon auf. Wir haben ja dann [den] Bausparvertrag reingeschmissen, das zweite Auto verkauft, dann lief das gut, dann kamen wir echt aus dem Grobsten raus. Das war schon schlimm. Und dann weiBt du, du hast Kredit zu bezahlen, und du bezahlst und bezahlst, und die Zinsen noch dazu,
122
Wohnen und es tut sich noch nichts, also das Darlehen wird nicht weniger, du hast erst ma1 plus-minus." [Mutter von drei Kindern, Arbeiterin]
Eine Sondersituation, zu Wohneigentum zu gelangen, ist der Riickgriff auf die eigenen Eltern. Haus oder Wohnung der Herkunftsfamilie wurden von immerhin einem Funftel der Befragten als Ausgangsbasis oder Zwischenstation genutzt, meist nach Aus- und Umbauten. Der geringeren finanziellen Belastung kann in diesem Kontext aber eine erhohte soziale Verpflichtung gegenuber stehen. Zwei dieser Befragten berichten, dass sie uber eine Iangere Zeit mit einem gebrechlich oder chronisch krank gewordenen Elternteil nicht nur zusammen wohnten, sondern ihn auch pflegten. Die kinderreichen Mutter gerieten so in eine schwierige Sandwich-Position: einerseits kummerten sie sich um ihre Kinder, andererseits hatten sie den (Schwieger-)Elternteil zu versorgen, in dessen Haus sie wohnten. Damit war eine - zumindest raumliche - Distanzierung vom zweiten ,,Pflegebereich" nicht moglich. In einem der beiden Falle musste die Mutter zwei berufstatige Manner - ihren Ehemann und ihren Vater - ihre chronisch kranke Mutter und drei Kinder versorgen.I4 In beiden Fallen ging jedoch der Besitz des Hauses nach dem Tod der Eltern auf die Familie uber.
7.3.1 Zur Miete wohnen Kinderreiche zahlen pro Quadratmeter Wohnflache nicht mehr Miete als kleinere Familien (Tabelle 32), doch sie bewohnen in der Regel grorjere Wohnungen und verfiigen uber ein Einkommen, das selten linear mit der Zahl der Kinder ansteigt (Kap. 6). Die Konsequenz ist, dass kinderreiche Familien insgesamt mehr Geld fur Miete ausgeben und der Anteil der Kosten fur das Wohnen am verfugbaren Familieneinkommen grorjer ist. Die nicht unerheblichen Mietpreissteigerungen in den 1980er und 1990er Jahren fuhrten gerade fur kinderreiche Familien zu oft recht hohen Mietbelastungen. Folgt man der Festlegung im 2. Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung von 2005, so wird eine Mietbelastung als hoch angesehen, wenn die Bruttokaltmiete mehr als 30% des Familiennettoeinkommens betragt (BMFSFJ 2002: 122). Wahrend 19% der 2002 in Deutschland m r Miete wohnenden Paare mit einem Kind eine hohe Mietbelastung zu tragen hatten, betrug der Anteil bei Paaren mit drei b m . vier oder mehr Kindern 25% bzw. 30% (Tabelle 21 im Anhung). Erheblich hoher sind die Mietbelastungen bei kinderreichen Alleinerziehenden. Allerdings hat sich in den letzten Jahren hier eine gewisse Entlastung l4
Zwei weitere Mutter berichteten, dass sie pflegebedurftige Angehorige, die jedoch nicht bei ihnen wohnten, (mit)betreuten.
E i ~ e n t u moder Miete
123
ergeben, denn 1988 berichteten noch 42% der kinderreichen Mieter iiber hohe ~ietbe1astun~en.I'Dies geht wahrscheinlich auf die Verbesserungen bei den staatlichen Transferleistungen fiir Eltern zuriick.
Tabelle 32: Miete pro Quadratmeter der Wohnung von Familien nach Anzahl der Kinder *) Miete pro Quadratmeter von . . . bis unter Euro ~der ~Unter ~3
~
3h- 4
l 4-5
5-6
6-7
7-8
Kinder
8 oder mehr
Median
€
'Yo
Paare 1
3
8
20
29
20
10
10
6
2
4
9
20
29
19
9
10
6
* ) ~ ueine r Lebensgemeinschaft im Haushalt; Miete: Grundmiete plus kalte Betriebskosten. Rundungsdifferenzen. Quelle: Mikrozensus 2002. Von Interesse ist aber nicht nur der Anteil der Spitzenbelastung durch die Mietzahlungen, sondern auch der mit steigender Kinderzahl zunehmende Anteil, den die Mieten am Haushaltsnettoeinkommen ausmachen. Bei Paaren mit einem Kind oder zwei Kindern betrug sie durchschnittlich (Median) 21%, bei Paaren mit drei Kindern stieg sie geringfugig auf 23%. Familien mit vier oder mehr Kindern mussten ein Viertel des Einkommens fur die Kaltmiete aufbringen. l5
Einen noch hdheren Anteil haben Alleinerziehende: 2002 mussten 56,9% von ihnen eine hohe Mietbelastung (Bruttokaltmiete) von mindestens 30% des Nettoeinkommens tragen (BMAS 2005: 123)
124
Wohnen
Deutlich hoher sind die durchschnittlichen Mietbelastungen bei Alleinerziehenden. Fur besonders einkommensschwache grofle Familien enveist sich jedoch das Transferinstrument Wohngeld als wirksam: In Westdeutschland sinkt der Anteil der Bruttokaltmiete am verfugbaren Einkommen in Haushalten mit funf Personen durch den Wohngeldbezug von 30% auf 19%. ~ h n l i c h e sIasst sich bei noch grofleren Haushalten, d.h, mit sechs oder mehr Haushaltsmitgliedern, feststellen; dort fallt dieser Anteil der Aufwendungen von 30% auf 16,3% (BMAS 2005: 109). Zusatzlich zur Bruttokaltmiete, welche nur bestimmte Betriebskosten einschlieflt, haben die Familien die inmischen erheblichen Energiekosten zu tragen, so dass die reale Belastung des Familienbudgets durch das Grundbediirfnis ,,WohnenG'in aller Regel deutlich hoher ausfallt. So zahlen Paare mit vier oder mehr Kindern pro Monat durchschnittlich 100 Euro mehr als Paare mit einem, zwei, aber auch drei Kindern (Tabelle 22 im Anhang). ~ h n l i c h e sgilt auch f i r kinderreiche Alleinerziehende. 7.3.2 Wohnen rnit Unterstutzung Ein weiterer Aspekt der Versorgung mit Wohnraum sollte nicht auljer Acht gelassen werden: der geforderte Wohnungsmarkt. Grundsatzlich ist zwischen drei Wohnungsmarkttypen zu unterscheiden. Der erste Wohnungsmarkt folgt weitgehend (im Rahmen gewisser bundesgesetzlicher Restriktionen etwa hinsichtlich der Haufigkeit und Rechtmafligkeit von Mieterhohungen und kommunaler Regularien wie dem ,,Mietspiegelb') den Marktgesetzen, wonach die Mietpreise durch das Wechselspiel von Angebot und Nachfrage am Markt bestimmt werden. Es ist anzunehmen, dass grofle Familien, die den ersten Wohnungsmarkt in Anspruch nehmen, entweder eher zu den besser Verdienenden gehoren oder aber einen eher hohen Anteil des Einkommens fiir den Bereich Wohnen aufwenden (mussen). Der zweite Wohnungsmarkt unterliegt starkerer staatlicher, vor allem aber kommunaler Kontrolle und Regulierung, da hier ein Berechtigungsnachweis fur den Bezug von Wohnraum erbracht werden muss - die Rede ist vom gemeinnutzigen Wohnungsbau. Die Wohnungen wurden und werden in der Regel durch kommunale Wohnungs(bau)gesellschafien errichtet und unterliegen fur einen gewissen Zeitraum (bis zu 30 Jahren) der Sozialbindung: Sie werden nur an Personen/Familien vermietet, deren Einkommen bestimmte Grenzen nicht uberschreiten. Das Zuweisungsrecht obliegt den kommunalen Wohnungsamtern, was bedeutet, dass diese die Mieter nach bestimmten wohlfahrtsstaatlichen - sozialen und vor allem sozio-oekonomischen - Kriterien auswahlen. Diese Kriterien sind
Einentum oder Miete
125
im Wesentlichen: Einkommensarmut und Zugehorigkeit zu einer sozial (-okonomisch) marginalisierten Gruppe (Behinderte, Migranten, Alleinerziehende und Kinderreiche). Bei der Errechnung der Einkommensgrenzen wird - ahnlich wie beim Wohngeld - die Kinderzahl berucksichtigt. Insgesamt ist die Anzahl der Sozialwohnungen rucklaufig, weil fur viele Wohnungen die Sozialbindung ausgelaufen ist und der Bestand nicht durch entsprechende neue Wohnungen aufgefullt wurde. Wurden bei der Volks- und Gebaudezahlung von 1987 3,9 Millionen Wohnungen auf dem Gebiet der damaligen Bundesrepublik samt Berlin (West) als Sozialwohnungen erfasst, so unterlagen in Deutschland 2001 nur noch 1,s Millionen Wohnungen der ~0zialbindung.l~ Nach Berechnungen anhand des Sozio-oekonomischen Panels von 2003 ist der Anteil der kinderreichen Familien in sozial gebundenen Wohnungen, also in kommunalen oder genossenschaftlichen Sozialwohnungen mit Mietpreisbindung, bezogen auf alle Wohnungen (Sozialwohnungen und Nicht-Sozialwohnungen), nicht so hoch, wie man aufgrund der okonomischen Situation annehmen konnte (Tabelle 23 im Anhand. Es leben demnach nur etwas mehr kinderreiche Familien (5%) in Sozialwohnungen mit bestehender Sozialbindung als der Durchschnitt der Bevolkerung (4%), wahrend ihr Anteil hinsichtlich der ,,ehemaligenc' Sozialwohnungen dem Bevolkerungsdurchschnitt in etwa entspricht. Die kommunal- und wohnungsbaupolitische Rhetorik, dass (auch) kinderreiche Familien eine besonders wichtige Zielgruppe mit hohem Bedarf an offentlich geforderten Wohnungen seien, entspricht somit nur im geringen MaBe den realen Lebensbedingungen. Fraglich ist dabei, ob dies mit der Struktur dieses Wohnungsangebotes zu tun hat. Den so genannten Dritten Wohnungsmarkt bilden Notwohnungen. Mit ihnen wird versucht, die Wohnungsversorgung fur besonders Bedurftige sicherzustellen. Daher ergeben sich fur die Zuteilung von Wohnraum noch striktere Auswahlkriterien. Not- oder auch Ubergangswohnungen bilden u.U. auch fur manche kinderreiche Familien eine letzte Zufluchtmoglichkeit zur Vermeidung von Obdachlosigkeit (Hock et al. 2000, Jetter 2004). Uber die Gesamtzahl bzw. den Anteil kinderreicher Familien in Notwohnungen in Deutschland liegen keine gesicherten statistischen Angaben vor, da es nach wie vor keine Wohnungsnotfallstatistik auf Bundesebene gibt und die Schatzungen keine Aufschlusselung nach Haushaltsstruktur oder gar Familiengrolje e r m ~ ~ l i c h e nIn. ' einer ~ Vorstudie
l6 l7
http://w.mieterbund.de/politik~maingolitiksozwobau.html <20.12.05>. Folgt man der Schatzung der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungsnothilfe e.V., so waren 2002 180.000 Menschen in Mehrpersonenhaushalten (also einschliefllich der Paare ohne Kinder) wohnungslos. Von der geschatzten Gesamtzahl von 410.000 Wohnungslosen (ohne Aus-
126
Wohnen
zur Etablierung einer solcher Statistik (Busch-GeertsemaJRuhstrat 2003) wird jedoch darauf hingewiesen, dass die Sozial- bzw. Wohnungsamter der dort untersuchten ~tadte"bei Wohnungsnotstanden von Familien inmischen alle Moglichkeiten ausschopfen (z.B. rasche Beschaffung einer Sozialwohnung, ~ b e r nahme von Mietruckstanden), um die Einweisung von Familien in ~bergangswohnungen (Notwohnungen) zu verhindern. 7.4 Wohnqualitat und Wohnzufriedenheit
Die hohen Aufwendungen fur Wohneigentum bzw. Mietzahlungen fuhren bei den wirtschaftlich besser gestellten kinderreichen Familien ubenviegend auch zu einer relativ hohen Wohnqualitat und Zufriedenheit mit der Wohnsituation und dem Wohnumfeld. Nur etwa 13% der im Bamberger-Ehepaar-Panel befragten Kinderreichen sahen hier Nachteile (Rupp 2003). Auch die kinderreichen Familien in der qualitativen Studie zeigen sich in ihrer groflen Mehrheit sehr zufrieden oder zumindest zufrieden mit ihren Wohnverhaltnissen. Lediglich funf Befragte gaben an, dass entweder die Wohnflbhe insgesamt zu gering sei oder monierten, dass die Zimmer zu klein seien. Ein Indiz f i r unzureichenden Wohnraum findet sich dem gegeniiber in einer Regionalstudie, die in Form einer Befragung von Mietern frei finanzierter Wohnungen (N = 2500) in Mittel- und GroBstadten Nordrhein-Westfalens 2003 durchgefiihrt wurde. Dort zeigte sich, dass immerhin 41% der Haushalte mit drei oder mehr Kindern ihre Wohnung fiir zu klein hielten. Kinderreiche hatten somit im Vergleich zu allen Lebens- und Familienformen den hijchsten Anteil von Unzufriedenen (Wfa-Infocenter 2004: 12). Unterstellt man, dass es durchaus Wohngegenden gibt, die in Bezug auf die Einstellungen der Bewohner und der (nur unzureichend vorhandenen) familienbezogenen Infrastruktur als eher ,,familienfeindlich" einzustufen sind, so sind die kinderreichen Familien vor allem in solchen Wohngebieten anzutreffen, die nach deren eigener Einschatzung - durchaus das Gutesiegel ,,kinderfreundlichG' verdienen. In der qualitativen Studie schatzen die Halfte der kinderreichen Eltern ihre eigene Wohngegend als ,,sehr kinderfreundlich" ein und ein weiteres Drittel als ,,eher kinderfreundlich".
18
siedler) waren 55% Manner, 23% Frauen und immerhin 22% Kinder (www.wohnun~snothilfc delfaktcnll .phtml ). Die Fallstudien wurden in Bremen (BR), Duisburg (NW), Pinneberg (SH), Potsdam (BB), Schwerin (MV) und Stuttgart (BW) durchgefuhrt.
Wohnaualitat und Wohnmfriedenheit
127
,,Die Vermieter waren somit sehr kinderfreundlich. Wir hatten auch noch nie eine Beschwerde bezuglich unserer Kinder, darf man ja auch nicht. Wir haben uns auch damals [gemeint ist: damals auch] Hauser angeschaut, auch da hat es niemals negative Worte beziiglich Kinder gegeben." [Mutter von drei Kindem, SelbstandigeiFreiberuflerin1 Kinderreiche scheinen also meist in einer geeigneten Umgebung zu leben. Das Urteil scheint profwnd, denn diese Familien sind in diesem Punkt hoch sensibilisiert: In ihrer Mehrheit schatzen sie die Gesellschaft insgesamt als eher kinderfeindlich ein, wozu sicherlich auch die sehr unterschiedlichen Erfahrungen mit Vermietern bei der Wohnungssuche beitragen. Hier trifft man den Berichten der Befragten zufolge auf auBerst polarisierte Haltungen: entweder lehnen Vermieter es kategorisch ab, Wohnungen bzw. Hauser an grol3e Familien zu vermieten oder sie bevorzugen bei der Mieterauswahl ausdriicklich kinderreiche Familien, wie die nachstehenden auBerungen verdeutlichen: ,,Bevor wir das erste Haus anmieten konnten, waren etwa siebzig Telefonate notig, von denen 90 Prozent Absagen waren, sobald die Frage nach Kindem kam ... Also eher negativ. Nach dem Motto: ,Haustiere ja, Kinder nein'. Die gangigen Argumente lauteten: Kinder machen L h und alles kaputt. Uber unseren Bekanntenkreis fanden wir dann unsere Vermieterin. Ohne Kontakte hatten wir vie1 mehr Schwierigkeiten gehabt, etwas Passendes zu finden." [Mutter von vier Kindern, SelbstandigeiFreiberuflerin1 GroDe Familien auBern sich haufig in dem Sinne, dass ihr gegenwartiges Wohnumfeld gegenuber Kindern recht aufgeschlossen sei. Da Eltern mit vielen Kindern stark ,,kindzentriertGL entscheiden (Rupp 2003: losf.), liegt es nahe, dass sie auch bei der Wohnungs-, Haus- oder Bauplatzsuche eher solche Wohngegenden aussuchen, die ein sehr hohes oder zumindest ausreichendes MaD an kindgerechter Umgebung und familienorientierter Infrastruktur bieten. Eine Befragte formuliert dies in der qualitativen Befragung so: ,,Die Lage [...I ist hervorragend. Sehr gute Fame des regionalen Verkehrsverbundesl-Anbindung, viele kinderreiche Familien in dieser Wohngegend, viele Garten, vie1 Grun an den StraBen, wenig Verkehrslarm. Alles in allem sind wir sehr zufrieden." [Mutter von vier Kindern, mittlere Angestellte] Dieser Auswahleffekt nach dem Kriterium der ,,KinderfreundlichkeitU fuhrt dam, dass in den Quartieren von Kinderreichen andere Mehrkindfamilien haufiger anzutreffen sind, eben weil die erforderlichen Infrastrukturen vorhanden oder zumindest gut erreichbar sind. Damit geht einher, dass sich Unterstutzungsnetzwerke etwa fur eine gelegentliche Kinderbetreuung in der Nachbarschaft entwi-
128
Wohnen
ckeln. In den Interviews wurde von Miittem mehrfach berichtet, dass sich Mehrkinderfamilien im Nahbereich bei Bedarf gegenseitig helfen. Kinderfreundlichkeit wird also auch durch die Kumulation und Interaktion groDerer Familien hergestellt. Als weiterer Aspekt der Versorgung mit Wohnraum sollten Freiflachen nicht aulJer Acht gelassen werden. Diejenigen groRen Familien, die nicht zu den Wohnungs- oder Hauseigentiimern gehoren, sind auf gemieteten Wohnraum angewiesen, wobei der Freiraum fGr die Kinder teils sehr begrenzt ist. Diesen Einschrankungen mochten die Betroffenen gerne mit Hilfe eines Eigenheims mit (grobem) Garten Abhilfe schaffen. ,,Tja, irgendwie traumt man noch vom Hauschen im Griinen mit groljem Garten." [Mutter von drei Kindern, Beamtin im einfachen Dienst]
Ein eigener grol3er Garten ist ein zentraler Punkt im Rahmen der WohnungsprC ferenzen kinderreicher Familien. In den qualitativen Interviews wird von den Hausbesitzern oder -mietern die Bedeutung des Gartens fur die Familie und insbesondere fur das sorglose Herumtollen der Kinder stets hervorgehoben. Auch die zur Miete Wohnenden wiinschen sich fur die Zukunft (ein Haus und) einen Garten.
8 Entstehung und Entwicklung kinderreicher Familien Andrea DiirnbergerIMarina Rupp
Die bisherigen Darstellungen waren dominiert von Querschnittsdaten, so dass nur in einzelnen zentralen Aspekten auch uber Verlaufe und Entwicklungen berichtet wurde. Tatsachlich aber bilden diese Fertilitatsentscheidungen Prozesse, die auf vorangehenden Enhvicklungen aufbauen bzw, reagieren, weshalb Veranderungen zu berucksichtigen sind. Beispielsweise kann die Erfahrung der Erstelternschaft den Wunsch nach weiteren Kindern starken oder hemmen - je nach subjektiver Empfindung. Auch andern sich in der Regel okonomische Voraussetzungen im Zeitablauf, insbesondere nach der Familiengriindung. Es kann also vie1 geschehen, das die Entscheidung fur weitere Kinder beeinflusst. Ein wichtiger Aspekt ist hierbei auch, dass diese Entscheidung von beiden Partnern gemeinsamen getroffen und getragen werden sollte, weshalb die Interaktion im Paar ein wichtige Rolle spielt. Familiale Entscheidungsprozesse sind allgemein vor dem Hintergrund eines jeweiligen Bezugsrahmens (Esser 1999) zu verstehen, der in gewisser Weise den Bewertungskontext absteckt. Zu diesem gehoren Iangerfiistig gultige Praferenzsysteme ebenso wie aktuelle und kontextbezogene soziale Erwartungen, Rollenanforderungen etc. (Muhling et al. 2006). Wenn im Folgenden nach den Entwicklungsprozessen gefragt wird, die zu drei oder mehr Kindern fuhren b m . die mit diesen Familienbildungsprozessen einhergehen, dann sollte vorab ein Blick auf die Rahmenbedingungen geworfen werden. Konkret gemeint sind damit personliche Erfahrungen in der Herkunftsfamilie (Gigerenzer et al. 1999), die als Vorbild - oder auch als das Gegenteil - betrachtet werden kann, im Sozialisationsprozess envorbene Einstellungen und Praferenzen welche die Entscheidungen vorstrukturieren konnen und konkrete individuelle Lebensplane - vor allem in Bezug auf Familien- und Berufsbiographien. Fiir diese sehr bedeutsamen Einflussfaktoren liegen leider keine reprasentativen Langsschnittdaten vor, die eine umfassendere Analyse erlauben wiirden. Daher wird der folgende und abschlienende Beitrag nur teilweise die gewiinschten Erklarungen liefern konnen. Ein wichtiger Teil davon wird sich mit der Benennung der Forschungslucken in diesem Bereich begnugen mussen. Fur die folgenden Ausfuhrungen zu den entwicklungsrelevanten Faktoren wurden vor
130
Entstehung und Entwicklung kinderreicher Familien
allem die Langsschnittsdaten des Bamberger-Ehepaar-Panels (BEP) und die qualitative Studie des if% herangezogen, welche mittels subjektiver Rekonstruktionen der Familienbiographie versuchte, die relevanten Entwicklungsstrange und ihre wechselseitige Verflechtung nachzuvollziehen. 8.1 Herkunftsfamilie und subjektive Praferenzen Marina Rupp Herkunftsmilieu und eigene biographische Erfahrungen spielen bei vielen anderen weichenstellenden Entscheidungen (z.B. Bildungsbiographie, Partnerwahl) eine maljgebliche Rolle (Wolf 1996). Somit liegt es nahe, zu prufen, inwieweit sich aus spezifischen Charakteristika in den Herkunftsfamilien Hinweise auf die spatere Familiengrolje ergeben. Des Weiteren haben sich bestimmte in langerfristigen Sozialisationsprozessen envorbene Einstellungen und Orientierungen als Einflussfaktoren auf die Familienfreundlichkeit erwiesen (Schneewind/Vaskovics 1997). Sie werden daher im Anschluss auch in Bezug auf die FamiliengroBe einer uberpriifung unterzogen.
8.I.1 Die Herkunftsfarnilie Die Sozialisationsbedingungen in der Herkunftsfamilie konnen als wichtige Leitlinien fur die eigene Familiengestaltung fungieren. Dies gilt im Positiven wie im Negativen: Die Herkunftsfamilie kann nachahmenswerte Zuge besessen haben oder als abschreckendes Beispiel erlebt worden sein. Gute Erfahrungen mit Geschwistern und ein harmonisches Familienleben konnen die Einstellungen zu Familie im Allgemeinen positiv pragen und damit auch die Bereitschaft fordern, selbst (mehrere) Kinder zu bekommen. Wichtige Aspekte sind dabei auch der Bildungshintergrund (Kap. 4) und die soziale Schicht. Umgekehrt konnen weniger traditionelle Familienverhaltnisse (z.B. berufstatige Mutter, geringe konfessionelle Bindung) bedingen, dass die Kinder, insbesondere die Tochter, sich verstarkt beruflich orientieren. Dabei konnen einerseits geringere, andererseits verstarkt Probleme in der Vereinbarkeit von Familie mit anderen Lebensbereichen wahrgenommen werden. Angesichts dieser Erwagungen ist es interessant, sich die Hintergriinde von groljen Familien etwas genauer anzusehen. Betrachtet man zunachst die soziale Position der Herkunftsfamilien der Stichprobe des BEP, so zeigen sich durchaus relevante soziale Differenzen. Die
Herkunftsfamilie und subjektive Praferenzen
131
Eltem der Befragten mit mehreren Kindern verfugen uber hohere Bildungsabschlusse - und zwar sowohl die Vater als auch die Mutter. Tabelle 33: Schulabschluss des Vaters (Herkunftsfamilie)
Schulabschluss
Anzahl
213
577
193
983
Rundungsdifferenzen. Quelle: Bamberger-Ehepaar-Panel.
Uberraschend angesichts der Bildungschancen von Frauen in der entsprechenden Generation ist das relativ hohe Bildungsniveau der Mutter in den Herkunftsfamilien kinderreicher Personen. Es liegt deutlich uber dem der beiden Vergleichsgruppen. Mit dem erhohten Bildungsniveau korrespondieren Unterschiede in der Berufstatigkeit der Herkunftsfamilie: Kinderreiche haben deutlich haufiger Selbstandige und Freiberufler zum Vater (20%) als die ubrigen Teilnehmer(innen) (8 und 12%). Ihre Vater waren zudem haufiger in Fuhrungspositionen (8%) und entsprechend seltener als ungelernte oder gelernte Arbeiter beschaftigt (26%). Dagegen kommen vor allem Befragte mit Einzelkindern relativ haufig aus Arbeiterhaushalten (43%). Der Unterschied findet sich - wenngleich nicht so deutlich ausgepragt - auch fur die Mutter der Befragten. Dabei ist zu berucksichtigen, dass mit geringen Schwankungen rund 40% aller Miitter (der Herkunftsfamilien) nicht berufstatig waren. Obgleich dieser Befund aufgrund der spezifischen Stichprobe vorsichtig zu interpretieren ist, Iasst sich ein Zusammenhang zwischen Bildungsniveau und beruflicher Position der Eltem und der Kinderzahl annehmen, zumal dieser in der nachsten Generation (fort)besteht (Kap. 4).
Entstehung und Entwicklung kinderreicher Familien
132
Tabelle 34: Schulabschluss der Mutter (Herkunftsfamilie)
Schulabschluss
*)=
kleiner 1%. Rundungsdifferenzen. Quelle: Bamberger-Ehepaar-Panel 1988.
Damit zeichnen sich die Kinderreichen in der Stichprobe des BEP im Vergleich zu den Mikrozensusdaten (Kap. 1.2) durch eine iiberproportionale Reprasentation von Mitgliedern hoherer Bildungsgmppen aus. Dies ist zu beachten, da dieser Hintergrund nur fur bestimmte Gruppen Kinderreicher zutrifft, wahrend andere aus - teils vollig - anderen sozialen Milieus stammen. Die Entwicklungsverlhufe dieser Gruppen werden hier zu wenig beriicksichtigt. Im Hinblick auf die Bedeutung der eigenen Geschwister fur die Familiengrofie sind die ~uflerungender befragten Eltern im BEP wie auch in den qualitativen Interviews uneinheitlich. W5hrend die Daten des BEP nicht auf diesbeziigliche Einflussfaktoren schlieBen lassen, fiihren manche befragten Eltern in der qualitativen Studie ihre positiven Kindheitserfahrungen mit Geschwistern durchaus als Begriindung fur die eigene FamiliengroBe an: ,,Ich bin mit einem Bruder in einer sehr intakten Familie aufgewachsen. Unter unserem Dach waren zwei Generationen vereint; bei uns lebten sowohl die Mutter meiner Mutter, als auch die meines Vaters. (...) Wir waren eine klassische GroBfamilie mit allen Vor- und Nachteilen. Als Kind habe ich das als sehr positiv empfunden." [Mutter von vier Kindern, Selbstandige] ,,Wed ich auch einen groBen Bruder hatte (....)Ich dachte mir, viele Kinder sind eine richtige Familie, ist lebenswert." [Mutter von drei Kindern, Arbeiterin] ,,Ich stamme selbst aus einer Familie mit drei Kindern und es war schon klar, dies in einem ahnlichen Stil zu praktizieren." [Mutter von drei Kindern, Bearntin]
Herkunftsfamilie und subiektive Praferenzen
133
Die subjektive Bewertung der eigenen Kindheit als glucklich oder weniger glucklich scheint bei der untersuchten Gruppe keinen Effekt zu besitzen: Kinderreiche (aus dem BEP-Sample) blicken auch nicht wesentlich haufiger als Mitglieder anderer Familienformen auf eine sehr gluckliche Kindheit zuruck. Sie bezeichnen diese zwar etwas haufiger als ,,sehr glucklich" (30%), doch die Unterschiede in der Bewertung insgesamt sind nicht signifikant. Damit kann allenfalls eine leichte Neigung zu einer positiveren Einschatzung des eigenen Heranwachsens bei Kinderreichen festgestellt werden. Auch hinsichtlich des Vorbildcharakters des Familienlebens in der Herkunftsfamilie unterscheiden sich die Befragten nur unwesentlich. Befragte mit nur einem Kind mogen das Leben mit ihren eigenen Eltern seltener zum Vorbild nehmen. Dagegen bezeichnen die Vater und Mutter von zwei Kindern ihre Herkunftsfamilien am ehesten als nachahmungswert. Die Kinderreichen liegen mit ihrer Bewegung damischen. Beim groljeren Teil der Befragten haben sich die Eltern zudem gut verstanden, und zwar ohne Effekt auf die spatere eigene Familienenhvicklung. Obgleich die soziale Position der Eltern uberdurchschnittlich war, schatzen die Mitglieder groljer Familien nur zum kleineren Teil die Verhaltnisse in der Herkunftsfamilie - subjektiv - als recht wohlhabend ein (15%). Ehvas mehr bezeichnen ihre okonomischen Lebensumstande in der Kindheit im Nachhinein als eher beschrankt. So bestatigt jede(r) Dritte, dass sich seinelihre Familie fruher einschranken musste. Die Mehrheit jedoch erinnert sich weder an starke Restriktionen noch an besonderen Wohlstand (52%). Auch die Aufgabenteilung der Eltern und ihr jeweiliger Einfluss auf die familialen Entscheidungen liefern kaum Hinweise auf spatere Praferenzen hinsichtlich der Kinderzahl. Weder die Beteiligung der Vater bei der Hausarbeit, noch das AusmaB, in dem die Zustandigkeit fur die Kindererziehung in die Hande der Miitter gelegt wurde, unterscheiden die drei Familienformen. Die Autoritat in der Familie lag bei allen Befragten wahrend ihrer Kindheit ubenviegend bei den Vatem. Selbst die religiose Ausrichtung der Eltern und des Familienlebens in der Kindheit differenziert die Familientypen nicht, obgleich die aktuelle religiose Orientiemng der Befragten eine wichtige Einflusskraft auf die Kinderzahl darstellt (siehe unten). Wir finden damit in den Erfahrungen der Herkunftsfamilie keine eindeutig gerichteten Effekte. Sowohl eine (zu) kleine als auch grolje Geschwisterzahl kann den Wunsch nach einer groljen Familie starken. ~ h n l i c hist es mit glucklichen und schwierigen Erfahrungen. Es ergeben sich somit nur wenige Ansatzpunkte fur eine Bestatigung der These, dass die Familienentwicklung durch Nachahmung der eigenen Erfahrungen gepragt werde. Neben der Sozialisation spielen offenbar weitere Erfahrungen
Entstehung und Entwicklung kinderreicher Familien
134
oder pragende Erlebnisse eine Rolle fur die Haltungen der Einzelnen, vor deren Hintergrund sie ihre familialen Praferenzen ausbilden und diesbeziigliche Entscheidungen treffen. Jungste Analysen haben am Beispiel der Aufgabenteilung gezeigt, dass bei familialen Entscheidungen normative Kontexte zu beriicksichtigen sind (Blossfeld et a]. 2006). Im Folgenden werden daher die personlichen Einstellungen der Studienteilnehmer im Hinblick auf die spatere Familienentwicklung analysiert. 8.1.2 Einstellungen
Nach den Vorstellungen der entscheidungstheoretischen Paradigmen sollte die Entscheidung fiir mehr oder weniger Kinder maogeblich auch von den envarteten Belastungen abhangen. Insoweit sollte sich auch die Einschatzung der gesellschaftlichen Rahmenbedingungen als forderlich oder hinderlich auswirken. Der Blick auf die Wahrnehmung der gesellschaftlichen Situation groljer Familien zeigt allerdings einen anderen Zusammenhang: Die Partner in kinderreichen Familien haben trotz ihrer eher kritischen Wahrnehmung der gesellschaftlichen Rahmenbedingungen fiir Familien diesen Weg beschritten. Deutlich haufiger vor allem als Zwei-Kind-Familien schatzten sie schon vor der Familiengriindung die gesellschaftlichen Bedingungen fur Kinder als eher schlecht bis sehr schlecht ein und sahen ihre Umgebung als eher kinderfeindlich gepragt.
Einstellung zu Kindern Dass sie sich dennoch fur uberdurchschnittlich viele Kinder entschieden haben, ist erklarbar durch die personlichen Einstellungen der Befragten. Personen, die spater mehr Kinder bekommen, waren zu drei Viertel schon kurz nach der Heirat der ~berzeugung,eine eigene Familie und Kinder seien etwas sehr Wichtiges in ihrem Leben. Dies steht einem deutlich geringeren Anteil bei kleineren Familien gegeniiber. Moglichenveise hat also umgekehrt die hohe Relevanz der Familie in der Lebensplanung fruhzeitig eine bewusstere und kritischere Sicht auf deren Realisierungsmoglichkeiten bedingt. Auch in den qualitativen Interviews auoern viele Befragte, der Wunsch nach einer groljen Familie habe sich friihzeitig eingestellt. ,,Ich habe mir immer eine groRe Familie gewiinscht, ganz urspriinglich wollte ich eine halbe FuBballmannschaft." [Mutter von drei Kindem, leitende Angestellte]
Herkunftsfamilie und subjektive Praferenzen
135
Die hohe Bedeutung des Lebensbereiches Familie fur Kinderreiche Iasst auf eine hohe intrinsische Motivation zur Elternschaft schlieBen, wobei nicht unbedingt envartet wird, dass das Familienleben leicht sein werde. Und auch heute steht die Familie bei den Miittern und Vatern mit drei oder mehr Kindern starker im Mittelpunkt des Lebens der Eltern als bei kleinen Familien. Dies wird weniger an der Wertschatmng des Lebensbereiches Familie deutlich, fur die sich nach Abschluss der Familienbildung nur noch graduelle Unterschiede zwischen allen Eltern ergeben, als an der geringeren Bedeutung, die anderen Bereichen aktuell beigemessen wird. Beruf und Freizeit
Galt der Beruf schon vor der Familiengriindung etwas seltener als ein besonders wichtiger Lebensbereich, so verliert er mit zunehmender FamiliengroBe weiter an Bedeutung: Nach 14 Ehejahren und mit drei Kindern ist sein Stellenwert als Alterssicherung geringer und auch die beruflichen Ziele sind weniger bedeutsam: Aufstieg und Vonvartskommen im Beruf spielen fur Eltern mit mehreren Kindern eine nachrangige Rolle. Bei genauerer Betrachtung zeigt sich allerdings, dass nur beziiglich der Aufstiegschancen bei Mutter und Vatern gleichermal3en in Abhangigkeit von der Kinderzahl urteilen und ansonsten geschlechtsspezifische Differenzen zu beobachten sind. Mannern mit groBer Familie ist es deutlich weniger wichtig, beruflich in Zukunft mehr zu erreichen, als den ubrigen Vatern. Bei den Muttern finden sich diesbezuglich keine relevanten Abweichungen. ,,Also meine Berufstatigkeit und meine Familie sind zwei verschiedene Dinge. Moment, nicht ganz: Wenn ich keine Familie hatte, ware ich garantiert nicht mehr hier. Da bin ich mir absolut sicher, da hiitte ich mich schon Iangst umorientiert, in andere Bereiche, die mich mehr interessieren (...). Ich hatte einen enormen Aufstieg beim Bundesinnenministerium machen konnen, h5itte aber nach Berlin umziehen miissen. Meine Frau wollte dann nicht, weil wir gerade in das frisch renovierte Haus ihrer Eltern gezogen waren." [Vater von drei Kindern, Beamter im gehobenen Dienst]
Auf der weiblichen Seite ergeben sich Unterschiede in zwei Aspekten: Fiir Mutter von drei oder mehr Kindern bedeutet der Beruf seltener die Sicherung ihrer finanziellen Unabhangigkeit. Dafur ist es ihnen aber wesentlich wichtiger als anderen Miittern, dass er ihnen genugend Zeit fiir ihre Familie Iasst.
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Entstehung und Entwicklung kinderreicher Familien ,,Venn ich kein Kind bekommen hatte, w l e ich schon in den Beruf gegangen. Auf der anderen Seite war mir von vornherein klar, dass ich, wenn ich Kinder haben wiirde, schon zu Hause sein wollte." [Mutter von vier Kindern, Selbstandige] ,,Und so fing ich an, Privatschiilern Instrumenten-Unterricht zu erteilen. Die ideale Losung, von zu Hause aus zu arbeiten, lag auf der Hand. So war ich immer in der Nahe der Kinder und konnte trotzdem kreativ sein." [Mutter van vier Kindern, Freiberuflerin]
Ahnliche Befunde zeigen sich, und zwar in ausgepragter Form, fur Freizeit und Erholung, Zuhause, Wohnung und Heim sowie fur die Nachbarschaft. Auch an diesen Bereichen lag den Befragten mit drei oder mehr Kindern bereits friih in ihrem Leben nicht (besonders) vie1 und die Unterschiede haben sich in den vergangenen 14 Jahren nicht verloren. Spezifische Einstellungen beziiglich Freizeit, Beruf und Familie bilden offenbar dauerhafte und markante Charakteristika der Kinderreichen. Sehr eindrucksvoll zeigt sich dies am Beispiel der Einschatzung von Freizeit. Sie war und ist fur kinderreiche Eltern deutlich weniger bedeutsam als fiir die Vergleichsgruppe: Freizeit wird nur selten als zentraler Wert im Leben angesehen und auch nicht als der Raum, in dem man sich selbst venvirklicht. Entsprechenden Statements konnen nur jeweils 8% der Befragten mit drei oder mehr Kindern voll zustimmen. Kinderreiche sind auch eher bereit, ihre Freizeit fur Kinder einzuschranken als Eltem mit weniger Kindern (63% zu 56%). Dies scheint auch erforderlich, denn Kinderreiche sehen ehvas haufiger einen Widerspruch zwischen ihren Freizeitinteressen und dem Familienleben und finden signifikant ofter, dass man mit Kindern gar keine Freizeit mehr habe. ,,Ganz viele Freiheiten, autonom Zeit zu verplanen, waren futsch. Das Kind hat uns jetzt die Termine vorgegeben." [Vater von drei Kindern, mittlerer Angestellter]
Keine Unterschiede zu den iibrigen Eltem ergeben sich hinsichtlich der Wahrnehmung, dass Freizeit mit Kindem Sparj mache oder dass sich bei Eltern die Freizeitaktivitaten auf die Kinder konzentrieren. Es ist demnach die relative Wertschatzung des Bereiches Freizeit und die davon abhtingige Bereitschaft in dieser Hinsicht zuriickzustecken, die als Bedingung fur die Grundung einer groBen Familie Relevanz erlangten. Analoge Tendenzen - wenngleich in den Differenzen nicht so stark ausgepragt - lassen sich bei der Bewertung von Wohlstand und Konsum feststellen. Sie werden von den Befragten mit drei oder mehr Kindern durchgangig als weniger relevant eingestuft, was es ihnen erleichtert, zugunsten von Kindern auf Einkommen und Ressourcen zu verzichten.
Herkunftsfamilie und subjektive Praferenzen
137
Religion und Kirche Wichtige Einflussfaktoren fur die Kinderzahl bilden weiterhin auch Religion und Kirche. Fur die groRen Familien waren und sind diese wesentlich wichtiger, was das nachstehende Zitat in prononcierter Weise ausdruckt. ,,Durch unseren Glauben hatten wir nach der schwierigen Schwangerschaft mit dem dritten Kind den Mut, trotzdem weiter zu machen. Wir haben auch erlebt, dass Kinder in Liebe aufwachsen konnen, dass es einen anderen Weg gibt als das, was wir in unseren Herkunftsfamilien erlebt haben, und das hat uns ermutigt." [Mutter von acht Kindern, einfache Angestellte]
Die diesbeziiglichen Einstellungen sind sehr fruhzeitig angelegt und verandern sich eher geringfugig. Der hoheren Praferenz von Religion und Kirche als Lebensbereich entspricht auch eine etwas hohere Bedeutung religioser Werte fur die Lebensgestaltung. Dieser Faktor grenzt bei der ersten Befragung vor allem Ein-Kind-Familien von den groReren Familien ab, er wird aber immer profilierter im Zuge der Familienentwicklung (Tabelle 35). Zwei- und Mehrkinderfamilien rekrutieren sich haufiger aus Personen, die sich der Kirche stark verbunden fuhlen. Ahnlich wie zu Beginn der Ehe unterscheiden ihre religiosen Einstellungen die Eltern mit mehreren Kindern auch heute noch von anderen. Sie raumen Kirche und Glauben mehr Bedeutung als Lebensbereich, aber auch mehr Einfluss auf ihr alltagliches Leben ein. Wahrend f i r 43% der Eltern in groRen Familien diese Werte auch heute noch eine grorJe oder sogar sehr groRe Rolle spielen, trifft dies bei den Ein-Kind-Familien nur mehr auf 24% zu (ohne Tabelle). Es lasst sich somit als klarer und im Lebenslauf stabiler Trend feststellen, dass mit abnehmender Bedeutung religioser ~berzeugungenauch die Kinderzahl zuruckgeht.
138
Entstehung und Entwicklung kinderreicher Familien
Tabelle 35: Bedeutung religioser Werte f i r die eigene Lebensgestaltung 1988
Rundungsdifferenzen. Quelle: Bamberger-Ehepaar-Panel 1988.
8.2 Die Partnerschaft Marina Rupp
Tragfahigkeit und Verlasslichkeit der Partnerschaft sind auch heute noch zentrale Bedingungen fur die Familiengrundung (Allensbach 2004, Schneewindi Vaskovics 1997). Es ist anzunehmen, dass auch die Entscheidung fur weitere Kinder von der Zufriedenheit mit der Partnerschaft und ihrer Entwicklung abhangt. Daher wird im Folgenden untersucht, inwieweit die Eltern mit mehreren Kindern besonders gunstige Voraussetzungen mitbrachten und ob sich ihre Familiensituation zufriedenstellender entwickelt als bei anderen Paaren. Dies geschieht wiederum vonviegend anhand der Daten des BEP, erganzt durch Aspekte der qualitativen Studie. Auf der Basis dieser Informationen wird in einem m e i ten Schritt versucht, unterschiedliche Entwicklungstrends in den Beziehungen naher zu beschreiben und zu erklaren. Die These, dass sich eine tragfahige und befriedigende Partnerschaft positiv auf die Familienentwicklung auswirkt, lasst sich anhand der Daten des BEP bestatigen: Die Ehe der Paare, die mehr als zwei Kinder bekommen haben, wurde bereits zu Beginn als aul3ergewohnlich zufriedenstellend bewertet. 41% fuhlten sich vollkommen glucklich. Nur ein Zehntel wahlt die ,,nur" Kategorie ,,glucklich". Die Unterschiede sind signifikant, wobei sich die kleineren Familien untereinander weniger unterscheiden.
Die Partnerschaft
139
Tabelle 36: Gluck zu Beginn der Ehe
Subjektives Gluck zu
Rundungsdifferenzen. Quelle: Barnberger-Ehepaar-Panel 1988 - 2002.
Eine Analyse von kinderlosen Paaren aus dem Panel (Rupp 2003) zeigte, dass das Fehlen von Kindern offenbar mit einer starkeren Konzentration auf den Partner einhergeht. Die Partnerschaft nimmt bei diesen Paaren mehr Raum und Bedeutung im Leben ein. ,,Wir haben viele Bekannte, die ein Kind oder keine Kinder haben. Und jedes Mal, wenn wir von da heim kommen, sind wir beide der Ansicht: Gott sei Dank haben wir drei Kinder. Die Themen sind bei solchen Leuten so eingeschrankt: es geht nur iiber Krankheiten oder uber Urlaube - und sonst uber nichts. Ihr Leben ist eigentlich sehr einseitig, wenig abwechslungsreich, ohne Hohepunkte." [Mutter von drei Kindern, Beamtin im mittleren Dienst] ,,Ich kenne das von Paaren, die keine Kinder haben oder nur eines, dass sich da Vieles im Kreis dreht und dass Ecken und Kanten am Partner vie1 dramatischer wahrgenommen werden. Das belastet dann letztlich die Beziehung, was einfach mit Kindern so gar nicht stattfinden kann." [Mutter von drei Kindern, Selbstandige]
Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob und inwieweit FamiliengroBe und Erwartungen an die Partnerschaft einerseits und die Beziehungsqualitat andererseits miteinander in Verbindung stehen. Dies kann f i r die Vorstellungen von einer guten Partnerschaft verneint werden. Die Ansicht daruber, ob man sich uber moglichst viele Dinge unterhalten konnen, ob man ob man ausreichend Anerkennung durch den Partner oder genugend Zeit fureinander haben sollte, ob die Partnerschaft verlbslich und die Sexualitat befriedigend sein sollte, variiert nicht mit der Kinderzahl. Ebenso verhalt es sich mit der Bedeutung von ~ b e r e i n s t i m m u nund ~ Harmonie und ausreichen-
140
Entstehune und Entwicklunn kinderreicher Familien
dem Verstandnis fur einander. All diese Aspekte werden gleichermal3en hoch geschatzt und es gibt keine nennenswerten Unterschiede nach der FamiliengroBe. Alle, die eine Familie gegriindet haben, sind nur zu einem Viertel der Meinung, dass der eigene Freiraum besonders bedeutsam sei. Darf es Streit geben in der Familie? Ja, durchaus. Streiten gehort wohl dazu, und wird mit zunehmender FamiliengroBe immer selbstverstandlicher. Der weitaus groBte Teil in allen Familienformen bezeichnet es als unwichtig oder eher unwichtig, dass es keinen Streit gibt. Etwas wichtiger ist die Absenz von Streit bei kleinen Familien. In den groBen Familien ist es dagegen nur fur 19% wichtig oder besonders wichtig, keine Auseinandersetmngen zu fuhren. Je groRer die Familie, umso klarer ist es offenbar, dass es auch Differenzen zwischen den Familienmitgliedern gibt.
Tabelle 37: Zufriedenheit mit der Partnerschaft ,,... ich bin mit meiner Partnerschaft ..."
Rundungsdifferenzen. Quelle: Barnberger-Ehepaar-Panel2002.
Ein weiterer wichtiger Befund ist, dass die Zufiiedenheit mit der Partnerschaft in der heutigen Familiensituation nur minimale Unterschiede aufiveist. Allerdings ergibt sich diesbeziiglich eine interessante Konstellation. Betrachtet man nur die sehr Zufiiedenen, so sind Kinderreiche iiberproportional vertreten: Diese sind zu 59% sehr zufiieden mit der Qualitat ihrer Ehe. Damit scheinen Ehepaare, die mit mehreren Kindern leben, etwas mfiiedener als die Partner in kleineren Familien. ,,Die Kinder haben uns total zusammen gebracht. Als wenn man so ein Lebensteam wiirde, dass man durch Dick und Diinn geht, insbesondere in Momenten, wenn du dir Sorgen machst, wie alles weitergehen soll. Ich habe das Gefuhl, dass meine Gefuhle, vielleicht auch durch die Kinder ausgelost, sicht total vertieft haben in der Beziehung." [Mutter von drei Kindern, Freiberuflerin]
Die Partnerschaft
141
Der Unterschied in der Bewertung der Ehe wird signifikant bei der Beurteilung, wie glucklich man damit ist. 70% der Kinderreichen schatzen sich sehr oder sogar ,,vollkommen gliicklich". Wenngleich auch im ,,kritischen Bereich" der weniger gliicklichen Personen etwas haufiger Partner aus groBen Familien zu finden sind, sind diese insgesamt doch in weitaus hoherem MaDe vom Gelingen ihrer Ehe uberzeugt als die Paare der Vergleichsgruppen.
Tabelle 38: Subjektives Gliicksempfinden in der Partnerschaft Aktuelles Gliicksempfinden in der Partnerschaft
Anzahl
215
1
580
1
193
1
1086
1
Rundungsdifferenzen. Quelle: Barnberger-Ehepaar-Panel2002.
Wer mit seiner Beziehung so zufrieden ist, wurde auch gerne mehr Zeit mit dem Partner verbringen. Allerdings ist dies sicherlich nicht der Hauptgrund, weshalb die Zeit, die man mit dem Partner gemeinsam verbringt, mit steigender Kinderzahl immer haufiger als ungenugend erscheint. Diese Einschatzung ist wohl auch objektiven Faktoren geschuldet, die aus den alltaglichen Anforderungen im Leben mit mehreren Kindern resultieren und das Zeitbudget stark einschranken. Ausreichend gemeinsame Stunden haben nur 36% der Kinderreichen. Mit zunehmender Kinderzahl vermindert sich offenbar die Zeit, welche die Partner miteinander verbringen konnen, und die Unzufriedenheit mit diesem Umstand steigt entsprechend. ,,Es ist schon schwierig, eine grol3e Familie zu haben, weil man wenig Zeit fur sich selber hat. Ein oder zwei Kinder sind eben immer da. Man muss ganz bewusst schauen, dass man auch einmal etwas nur fur sich als Paar unternimmt." [Mutter von vier Kindern, mittlere Angestellte]
142
Entstehung und Entwicklung kinderreicher Familien ,,Die parherschaftlichen Gesprache haben sich massiv reduziert. Es ist vie1 Organisatorisches zu besprechen (...), d.h. es bleibt wenig Zeit fur eigene Gesprache." [Mutter von drei Kindern, Selbstandige]
Die Entwicklung der Paarbeziehung wird von den Partnern in groBeren Familien nuchterner gesehen. ,,Unsere Beziehung hat, wie jede andere auch, ihre Auf und Abs. Wir haben trotz mancher Krisen immer zusammen gehalten und uns gegenseitig Vertrauen geschenkt. Natiirlich ebbt mit der Zeit die grofite Liebe ab, was bleibt ist Freundschaft und darauf kann man doch immer bauen, oder?" [Mutter von vier Kindern, mittlere Angestellte] Dies zeigt sich auch an der Bewertung der Frage, ob die Partnerschaft im Verlauf inniger oder enger geworden sei. Dem pflichten die Kinderreichen ,,nurU zu einem Drittel mit positiven Wertungen bei. Sie liegen damit deutlich hinter den Anteilen bei kleineren Familien. Kinder werden meist als stabilisierender Faktor der Ehe angesehen, dies gilt fur alle Familien. Von den groBen Familien ist jeder zweite Elternteil dieser Meinung. Sie stimmen dieser ~ u l 3 e r n ndamit ~ etwas seltener zu als die ubrigen Befragten, wobei der Unterschied nicht signifikant ist. ,,Ich denke, je mehr Kinder, umso geringer das Scheidungsrisiko." [Vater von drei Kindern, Beamter im hoheren Dienst] 8.2.1 Kindenvunsch und der Weg in die grofle Familie
Es wurde eingangs darauf hingewiesen, dass sich insgesamt gesehen - auf der Basis von Querschnittsdaten - gewiinschte und realisierte Kinderzahl angenahert haben, aber die erreichte FamiliengrijlJe noch immer unter den geauflerten Wunschvorstellungen liegt. Bisherige Auswertungen des BEP (Rost 2005) zeigten, dass dies auch fur diese Befragten tendenziell gilt. Allerdings zeigt die differenzierte Erfassung der Wunsche und ihre Analyse im Langsschnitt, dass Abweichungen in beide Richtungen vorkommen. Es gibt also auch Paare, die mehr Kinder bekommen als urspriinglich gewollt. Dabei ist u.a. von Bedeutung, dass Vorstellungen bei manchen lange im Vagen bleiben und sich erst wahrend des Eheverlaufes konkretisieren, d.h. fur manche klaren sich diese Fragen relativ spat in ihrem Lebenslauf. Weiterhin spielen eigene Erfahrungen mit der Elternschaft sicherlich eine Rolle fur die Familienentwicklung. Im Folgenden sol1 daher auf der Basis der BEP-Daten ein erster Eindruck iiber den Zusammenhang zwischen
Die Partnerschaft
143
Kinderwunschen und der Bildung einer groBen Familie hergestellt werden, beispielsweise ob die Entscheidungen fruhzeitig klar waren und inwieweit es sich um ,,WunschkinderbChandelt. Diese Ausfuhrungen dienen gleichzeitig als Hintergrund fur die anschliefiende Typologisierung von Entwicklungsverlaufen hin zum Kinderreichtum. Fiir die Vermutung, dass Kinderreichtum u.a. auf dem Nahrboden friihzeitiger und hoher Familienorientierung gedeiht, finden sich relevante Anhaltspunkte: Im Vergleich zu Befragten mit einem oder zwei Kindern zeigen die Eltern in grol3en Familien schon zu Beginn der Ehe einen hoheren Kindenvunsch und zeitlich konkretere Plane. Fur mehr als die Halfte der groBen Familien im BEP war schon zu Beginn der Ehe die Option ,,groBe Familie" offen: 40% sagten damals, sie wunschten sich zwei bis drei Kinder und 22% hatten sich auf drei oder mehr Kinder eingestellt. Damit unterschieden sie sich schon damals deutlich von den kleineren Familien, die wesentlich seltener solche Vorstellungen teilten und eine niedrige Kinderzahl bevorzugten. Demgegenuber wollten nur 17% der Eltern mit heute drei oder mehr Kindern zu Beginn der Ehe nur zwei Kinder, 11% ein bis zwei und lediglich 1% praferierte ein Einzelkind. Der direkte Vergleich von Kinderwunsch zu Beginn der Ehe und realisierter FamiliengroBe zeigt, dass fur die Mehrheit die letztlich realisierte FamiliengroBe im GroBen und Ganzen den Vorstellungen entspricht - zumal bei der venvendeten Kategorisierung Spielraume gelassen wurden. Diese Passung ist in der subjektiven Einschatzung aus heutiger Perspektive noch groRer: Retrospektiv betrachtet verlief die Familienentwicklung beim weit iibenviegenden Teil der Kinderreichen wunschgerecht (71%). Nur 29% sagen, dass ihre Familienbiographie eigentlich nicht ihren Wiinschen entsprache. Davon wurde allerdings der grBBere Teil heute nicht mehr so viele Kinder bekommen. Insgesamt sind es 19% aller Kinderreichen, die eine kleinere Familie bevorzugen wurden. Dabei handelt es sich vonviegend um Eltern, die ungeplant zu einer groBeren Kinderzahl gekommen sind, also solche, bei denen eine groDe Familie ihren ursprunglichen Vorstellungen nicht entspricht. Der GroDteil der Kinderreichen im BEP jedoch ist mit der Situation zufrieden. Zu den ,,UnzufriedenenU zahlt aber auch eine sehr kleine Gruppe (8% bzw. n = 15), die heute gerne ein weiteres Kind bekommen wurden.
144
Entstehung und Entwicklung kinderreicher Familien
Tabelle 39: Alter bei der Geburt des ersten Kindes nach FamiliengroBe
I
I
Mittleres Alter bei der ersten Geburt in Jahren
/
Familien mit
\
2
1
I
... Kind(ern) ,
3 oder mehr
I
1
Insgesamt
Miitter
30,3
28,O
27,O
28,3
Vater
32,7
30,4
30,O
30,s
-
Quelle: Bamberger-Ehepaar-Panel2002.
Kinderreiche haben sich nicht nur fi-uhzeitiger fur eine Familie ausgesprochen, sie haben ihre Familie auch fruher gegrundet: Das Alter der Mutter bei der Geburt des ersten Kindes liegt bei groBen Familien im Durchschnitt um mehr als drei Jahre niedriger als bei Muttern von Einzelkindern. Bei den Vatern ist der Unterschied weniger ausgepragt, aber noch immer signifikant. ,,Mein Mann und ich, wir haben uns kennen gelernt, da war ich erst 16. Ich war in der Schule, er hat studiert. Was ich wollte, war jung heiraten, da meine Eltern sehr spat geheiratet haben. Ich hatte auch die Vorstellung, jung Mutter zu werden." [Mutter von drei Kindern, ohne Berufsangabe]
Es handelt sich hierbei moglichenveise um die Verschrankung zweier Effekte: Zum einen bedingt der friihzeitige Kindenvunsch eine baldige Realisierung, zum anderen haben Eltern, die ihre Familien in jungen Jahren grunden auch mehr Spielraum in ihrer Biographie fur die Familienenveiterung. Dem Erstgeburtsalter der Mutter entsprechend differiert auch das Alter des Nachwuchses, d.h. die Kinder in groBen Familien sind alter: Die Erstgeborenen sind bei groBen Familien zum Zeitpunkt der Befragung zwolf Jahre, bei ZweiKind-Familien erst etwas uber elf Jahre und bei Ein-Kind-Familien knapp zehn Jahre alt. Die Zweitgeborenen haben ein Alter von heute 8,2 Jahren bei ZweiKind- bzw. 9,7 Jahren in grol3en Familien. Kurz vor der Einschulung stehen Drittgeborene heute mit 5 , s Jahren. Eingebettet ist dieser Trend in geringere subjektive Restriktionen fur die Familiengrundung: Kinderreiche Paare standen bereits kurz nach der Heirat der Familiengrundung offener gegenuber und nahmen seltener Aufschubgriinde und Hindernisse wahr. Wenn Aufschubmotive genannt wurden, dann hatten sie einen anderen Charakter als bei den Vergleichsgruppen. Fur die heute Kinderreichen bedeutete damals weder die sichere finanzielle Basis noch die groBere Wohnung und schon gar nicht das ,,etwas vom Leben gehabt zu haben" einen so relevanten
Entwicklungspfade und Entscheidungsmuster
145
Grund, mit der Familiengriindung noch zu warten, wie es fur kleinere Familien der Fall war. Trotz dieser Tendenzen sind auch die Kinderreichen unterschiedlich und haben ihre groDen Familien auf verschiedenen Wegen realisiert. Zu unterscheiden sind Paare, die sich viele Kinder gewunscht haben und solche, die ursprunglich keine oder nur ein bis zwei Kinder wollten, also ungewollt Kinderreiche. Diese beiden Gruppen finden sich auch bei den Auswertungen der qualitativen Studie wieder, so dass sich eine Typologie von Entwicklungsmustern herausarbeiten lbst, die im folgenden Abschnitt vorgestellt wird. 8.3 Entwicklungspfade und Entscheidungsmuster Marina RuppIAndrea Durnberger
Im Folgenden sollen verschiedene Verlaufsmuster auf dem Weg zur grol3en Familie vorgestellt werden. Um die subjektiven Bezuge zentraler Lebensbereiche wie Partnerschaft, Beruf, Familie zueinander und ihre Einflusskraft auf die Entscheidungsprozesse darzustellen, wird hierzu auf die Infonnationen aus der qualitativen Studie zuriickgegriffen. Durch die Rekonstruktion der Sinnzusammenhange und Entscheidungsmotive auf der subjektiven Ebene ist es moglich, inhaltliche Begrundungszusammenhange aufzuzeigen und zu unterscheiden. Dabei soll verdeutlicht werden, wie die Entwicklungen in der Familienplanung, der Partnerschaft sowie der weiblichen Erwerbstatigkeit zueinander in Beziehung stehen, von welchen Voraussetzungen und Entwicklungen die Entscheidung fur eine groRe Familie abhangig gemacht wird und welche Hintergrunde und Konsequenzen ungewiinschte Elternschaft hat. Hierbei wird von einem sehr weitgefassten Entscheidungsbegriff ausgegangen (Burkart 1994, Esser 2004), in dem auch Einstellungsdimensionen und Rahmenbedingungen (als sogenannte frames) Beriicksichtigung finden. Es muss darauf hingewiesen werden, dass aufgrund der geringen Fallzahl (3 1) der qualitativen Interviews eine Verallgemeinerung der Ergebnisse auf die Gesamtheit aller kinderreichen Familien nicht moglich ist. Hier konnen und sollen vor allem Tendenzen und Auffalligkeiten in der Familienentwicklung aufgezeigt werden. Des Weiteren soll bereits an dieser Stelle darauf hingewiesen werden, dass hier nur bestimmte Verlaufsmuster abgebildet werden konnen, wahrend die reprasentativen Daten nahe legen, dass auch vollig andere existieren diirften. So finden sich keine Familien mit Migrationshintergrund in diesem Sample, die sicherlich andere Entwicklungsverlaufe der Familienerweiterung reprasentieren. Anhand der Daten zeichnen sich folgende Dimensionen im Entscheidungsverlauf ab: die Erwunschtheit der Kinder in Bezug auf die Anzahl
146
Entstehune. und Entwicklung kinderreicher Familien
oder auch den Zeitpunkt, also die Frage ob die Familienentwicklung wunschgemaB verlauft (siehe oben). Diese ist eng verknupft mit dem zweiten Aspekt, dem Planungs- und Entscheidungsverhalten. Auch hier lassen sich zwei Hauptformen identifizieren: Paare, die sich eine grorje Familie wunschen und sich mehr oder minder bewusst und abwkend an die Umsetzung ihrer Vorstellungen machen und solche, die sich an nicht intendierte Entwicklungen anpassen. ~bersicht:Kindenvunsch und Umsetzungsweise GroRe Familie gewiinscht Strikt geplant
Einstieg geplant
Keine (groRe) Familie gewiinscht Familiengriindung ungeplant
FamiliengroRe ungeplant
Die unterschiedlichen Dynamiken in der Familienentwicklung gehen einher mit unterschiedlichen Erfahrungen und Bewaltigungsmustern. Vor allem bei ungeplantem Kindersegen ist zu envarten, dass die Anpassungsleistungen und Verzichtserfahrungen tendenziell hoch sind. Wichtig ist es im Folgenden aber vor allem, auch die Entscheidungen pro Kind im gegebenen Kontext sowie die subjektiven Begrundungszusammenhange abzubilden. Weiterhin gilt - wie bereits mehrfach thematisiert - die Vereinbarkeit von Familie und Erwerbstatigkeit als eine zentrale Weichenstellung fur Fertilitatsentscheidungen. Daher werden die Verlaufstypen im Hinblick auf die Gestaltung und Hintergrunde der weiblichen Berufsbiographie nochmals genauer betrachtet. 8.3.1 Kinderreichtum enviinscht
Eltern, die sich vorstellen konnen, etwas ,,mehr" Familie zu haben, setzen ihre Vorstellungen auf unterschiedliche Weisen um. Es lasst sich ein Typ identifizieren, der eher rational abwagend vorgeht: Der Kindenvunsch steht fruhzeitig fest, die entsprechenden Entscheidungen werden bewusst getroffen und die Konsequenzen abgewogen. Im Extremfall wird iiber jede Geburt neu entschieden. Bei der anderen Subgruppe geplanter Kinderreicher ist klar, dass sie sich eine grorje Familie wunschen und unter welchen Voraussetzungen die Familiengriindung erfolgen soll. Vor diesem Bezugsrahmen ist der Eintritt in die Familienphase das zentrale Ereignis, dessen Zeitpunkt geplant und reflektiert wird. Diese beiden Formen stellen Idealtypen dar, mit mehr oder weniger klarer Abgrenzung, da sich oftmals Unterschiede nach der Rangzahl der Kinder ergeben. So gibt es auch Paare, die das erste Kind planen, beim zweiten kaum nachdenken, aber den Zeitpunkt des Dritten sehr bewusst bestimmen. Beide Entscheidungsmuster wer-
Entwicklungspfade und Entscheidungsmuster
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den mnachst hinsichtlich ihrer Familienplanung vorgestellt, im Weiteren jedoch gemeinsam besprochen, da sich eine stringente Abgrenmng nicht vollig einhalten l b s t . Die Befragten, die zum Typ der kalkulierenden und abwagenden Familienplanung zahlen, zeichnen sich meist dadurch aus, dass sie die Geburt der Kinder bewusst und zeitlich s o geplant hatten. E s wurde bereits vor der Schwangerschaft ein Konsens zwischen den Partnern erzielt. Dieses Verhalten entspricht demnach dem ,,Pianungsmodell" (Geller 1997: 181): Die Familienplanung wird ,,von beiden Ehepartnern abgesprochen und der Zeitpunkt des Ereignisses von beiden bestimmt" (Geller 1997: 175). Entscheidungen, die eher dem Planungsmodell entsprechen, werden beispielsweise s o dargestellt: ,,Wir wollten auf jeden Fall ein drittes Kind, urspriinglich sogar vier Kinder. Aber der Altersabstand zwischen den ersten heiden war kurz, das war recht anstrengend. Deshalb hahen wir bis zum dritten etwas langer gewaket. Als das dritte da war, haben wir gesagt, dabei belassen wir es. Wir wollen die Familie nicht weiter vergroBern. Das wtire namlich wegen der auBeren Faktoren (Wohnung, Auto) zu schwierig geworden." [Vater von drei Kindern, mittlerer Angestellter] ,,Also, wir hahen selber gute Erfahrungen mit mehreren Geschwistern gemacht. Allerdings war es dann so, man wird realistischer; nach jedem Kind haben wir gesagt, na schauen wir mal, wie es weitergeht." [Mutter von drei Kindern, Bearntin im einfachen Dienst] ,,Mein Mann wollte immer zwolf Kinder, ich fand das eine unmogliche Zahl. Dann haben wir uns geeinigt auf funf, das war unser erkliirtes Ziel und zwar mit groden Abstiinden. Ich liebe Kinder sehr und Kinder lieben mich, so sah ich da kein Problem." [Mutter von drei Kindern, ohne Berufsangabe] Demgegeniiber wird im Rahmen des ,,Akzeptanzmodells" (Geller 1997: 183) bei gmndsatzlicher Bereitschaft, eine groJ3ere Familien zu haben, der Zeitpunkt weniger bewusst gesteuert oder dem Zufall iiberlassen. ,,Es war nicht konkret geplant, dass wir jetzt anfangen wollen, Kinder zu hekommen. Sondern wir hahen festgestellt: Jetzt ist der Zeitpunkt da, wo es von den auBeren UmstSinden her moglich ist, dass es uns eben in die Planung reinpasst. Dann haben wir es mit der Verhutung nicht mehr so genau genommen, sondern es darauf ankommen lassen. So hat es sich ergeben, dass dann irgendwann das erste Kind kam." [Vater von drei Kindern, mittlerer Angestellter] ,,Dann haben wir mit einem Kind angefangen. Da haben wir es darauf ankommen lassen. Es war nicht wirklich geplant. Im Grunde habe ich es offen gelassen und
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Entstehun~und Entwicklunn kinderreicher Familien es war dann immer so: als ich aufhorte zu stillen, oder weniger gestillt habe - so nach 1 ?A Jahren - wurde ich halt wieder schwanger." [Mutter von drei Kindern, Selbstandige] ,,Ja, ich wollte auf jeden Fall mindestens drei Kinder. Drei Kinder, das war so meines." [Mutter von sechs Kindern, einfache Angestellte]
In die Erwagungen fur die Geburt eines (weiteren) Kindes kSnnen jeweils verschiedene Aspekte einfliel3en. Besonders wichtig ist die Entscheidung fiir das erste Kind. Die Planung begann bei vielen Paaren erst dann, als ,,die Beziehung zwischen den Partnern als tragfahig erlebt" (Geller 1997: 273) wurde. Die Familiengriindung wurde erst vollzogen, als sich die Befragten reif genug fur eine eigene Familie fiihlten und die Partnerschaft bereits von mehr Vertrauen gepragt war. Durch die Herkunftsfamilien beider Partner wurde vor allem die Planung fur den Beginn der Elternschaft sowie die generelle Einstellung gegenuber einer eigenen Familiengrundung beeinflusst. ,,Ich selber komme aus sehr schwierigen Familienverhaltnissen; ich hatte einen alkoholabhangigen Vater und habe das als sehr traumatisch erlebt. Durch eine Glaubenserfahrung habe ich den Wunsch gehabt, eine gesunde Familie zu bekommen und eine groRe Familie zu griinden. Mein Mann kommt auch aus schwierigem Hintergrund, weil seine Mutter ab seiner Geburt schwer psychisch krank war, dann Iange Zeit in der geschlossenen Klinik war und dort letztlich auch verstorben ist. Als wir uns kennen gelernt haben, haben wir beschlossen, eine groRe Familie zu griinden." [Mutter von acht Kindern, einfache Angestellte]
Bereiche, die fur den ubergang m r Elternschaft eine besondere Rolle spielen sind - wie bei anderen Paaren - auch die berufliche Situation beider Partner, die finanzielle Lage und die aktuelle Wohnsituation. Es geht hier also um die Absicherung der eigenen Familie und die Stabilisierung der Lebensumstande. ,,Wir hatten bewusst die Sache hinausgezogert, um unseren Kindern eine sichere Existenz bieten zu konnen." [Mutter von vier Kindern, Selbstiindige] ,,Im Grunde genommen war das ganz klassisch, also ich hatte meine erste Stelle bekommen, war damit eigentlich auch im hohen MaRe abgesichert als Lehrer mit Aussicht auf Lebenszeitverbeamtung (...) Ich will nicht sagen typisch, aber der Sicherheitsaspekt war eigentlich immer gegeben. Es gab keine offene berufliche Situation, es gab keine offene Partnersituation - insofern also schon stabile Rahrnenbedingungen." [Vater von drei Kindern, Beamter im hoheren Dienst]
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,,Zuerst einmal war mir wichtig, mein Studium abzuschlieBen und anschlieRend eine Wohnung oder ein Haus zu haben, bevor das erste Kind zur Welt kam." [Mutter von vier Kindern, mittlere Angestellte]
Aber auch bei spateren Geburten werden die beruflichen Konsequenzen und die finanziellen Spielraume abgewogen. In einigen Fallen wurden auch die Wiedereintrittschancen der Frau in den Arbeitsmarkt beriicksichtigt und die Planung eines weiteren Kindes von eventuellen Beschaftigungschancen abhangig gemacht. ,,Dass wir ein drittes Kind haben wollten, war uns von vomherein klar gewesen, jedoch hat mein Mann nach dem zweiten Kind bei jedem weiteren anfangs gezogert, aber nur aufgrund finanzieller Bedenken." [Mutter von vier Kindem, Selbsthdige] ,,Beim dritten Kind hat die Entscheidung etwas Ianger gedauert. Die P. hatte ma1 ein besonderes Angebot, jobmaig, ein Jahr vor der Geburt von F, bei einer interessanten Firma und wenn sie den bekommen hatte, ware natiirlich die Frage gewesen, ob das dritte Kind noch gekommen wiire. Vielleicht ware das fur sie die Chance gewesen, richtig in ihren Beruf einzusteigen." [Vater von drei Kindern, Beamter im hoheren Dienst]
Aufgrund der hoheren Inanspruchnahme durch die Kinder wurde vor allem von den Muttern der zeitliche Abstand zu den bereits geborenen Kindern beriicksichtigt. Ein Teil von ihnen achtete darauf, den Abstand zum vorherigen Kind moglichst grolJ zu lassen, um nicht durch zwei Kleinkinder uberbelastet zu werden. Dem gegenuber stehen Paare, die angaben, dass der Abstand moglichst gering sein sollte, damit ein gemeinsames Aufwachsen der Kinder gewahrleistet werden konnte. Ein zusatzlicher Anreiz fur ein weiteres Kind war das Geschlecht der bereits geborenen Kinder. Haufig entschieden sich die Partner fur ein weiteres Kind, da sie sich zu ihren bereits geborenen Madchen noch einen Sohn wunschten oder umgekehrt. ,,Der Vater wollte auch noch ein Zweites, hat aber im Hintergedanken gehoffi, also er h5itte gerne ein Madchen gehabt." [Mutter von drei Kindern, Arbeiterin] ,,Die Rahmenbedingungen waren noch in etwa die gleichen. Allerdings war es so, dass ich mir nach den zwei Madchen noch einen Jungen gewiinscht habe, wahrend mein Mann auf keinen Fall noch ein drittes Kind wollte." [Mutter von vier Kindern, mittlere Angestellte]
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,,Wir wollten nicht, dass der Junge der Jiingste ist unter lauter Madchen, sondern dass er noch einen Bruder hat. Deshalb haben wir uns zu einem sechsten Kind entschlossen." [Mutter von acht Kindern, einfache Angestellte] Auffallend war, dass viele Paare die verschiedenen Faktoren verstbkt nach dern zweiten Kind gegeneinander abwogen. Der ~ b e r g a n gzum dritten Kind schien bei den meisten ein entscheidender Schritt zu sein. Ofimals wurde mit dern dritten Kind der Wohnraum knapp oder das vorhandene Auto z u klein. Auch die Betreuung der Kinder wurde von den meisten Paaren als zunehmend belastend fur den Alltag und die Beziehung wahrgenommen. Mit steigender Anzahl konnten die Kinder nicht mehr so einfach abgegeben werden. Sogar engeren Familienangehorigen, wie den GroDeltern der Kinder, wollten es die Paare nicht zumuten, drei oder mehr Kinder zu beaufsichtigen oder gar fur einen Iangeren Zeitraum zu betreuen (Geller 1997: 226). Mit steigender Kinderzahl schlagt auch die Belastung durch bereits in der Familie lebende Kinder zu Buche. ,,Ein paar Jahre nach dern dritten Kind hat unsere groRe Tochter eine Essstorung enhvickelt (mit neun Jahren). Als sie zehn war, haben wir uns durchgerungen, eine Beratungsstelle aufzusuchen; auf jeden Fall karn da raus: wir haben sie ein Stiick weit vernachlassigt. Die Essstorung war wohl eine Nachwirkung von Nichtbeachtung und Uberforder~n~. Wir waren eben sehr mit den beiden Kleinen beschaftigt. Die Essstorung unserer Tochter hat uns noch einrnal verdeutlicht, dass mit 3 Kindern auf jeden Fall unsere Grenzen erreicht sind." [Vater von drei Kindern, Angestellter] ,,Wir iiberlegten ziemlich lange hin und her, ob wir wirklich noch ein viertes Kind bekommen sollten, obgleich ich von Anfang an vier wollte. Zu diesem Zeitpunkt besuchte meine alteste Tochter bereits die Lernbehinderten-Klasse in der Montessori-Schule. Man sah viele behinderte Kinder und dementsprechend wuchs die Angst, moglicherweise noch ein behindertes Kind zu bekommen." [Mutter von vier Kindern, SelbstSindige]
Weibliche Berufsverlaufe Hinsichtlich der Berufstatigkeit der Mutter zeigen sich gleichfalls unterschiedliche Strategien, die weitgehend mit den Entscheidungstypen ubereinstimmen: Ein Teil der Frauen gibt bereits nach der Geburt des ersten Kindes ihren Beruf vollstandig auf - dies sind vor allem Mutter, die eine grol3e Familie wunschen und dies dann planend und abwagend umsetzen. Tendenziell entschieden sie sich nach dern Abwagen von Vor- und Nachteilen und dern ijberprufen der finanziellen und beruflichen Situation ganz bewusst f ~ i eine r grol3ere Familie und setzen
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diesen Entschluss auch mit aller Konsequenz um. Es liegt nahe, dass diese Gruppe erst mit der aktiven Familienplanung beginnt, als sie auf das Gehalt eines Partners verzichten kann, damit sich ein Eltemteil - in der Regel die Frau - ausschliel3lich um die Betreuung der Kinder kummern kann. ,,Mein Mann hat damals sehr gut verdient, ich habe auch gut verdient. Es war kein Problem, dass mein Verdienst wegfiel." [Mutter von drei Kindern, Selbstihdige]
Dabei hangen Berufsaufgabe, Beginn der Familiengrundung und die ~ b e r n a h m e der Versorgung der Familie des Haushalts eng zusammen (Babka von Gostomski 1998: 166). Die meisten Mutter verlassen den Beruf nicht wirklich gerne, aber es ist fur sie ,,in Ordnung", die eigene Berufstatigkeit hintanm stellen. Nur eine Frau aus dieser Gruppe sagte explizit, dass sie nicht zu Hause bleiben wollte, da sie sich ohne ihre Berufstatigkeit dem Partner gegeniiber benachteiligt und zu wenig gefordert fuhlte. Der grol3te Teil der Frauen dagegen akzeptierte es, die Rolle der Hausfrau und Mutter m ubernehmen. Dies geht zum einen auf normative Vorgaben zur Aufgabenteilung und zum anderen auf (okonomische) Vorteile der mannlichen Erwerbstatigkeit zuriick. Das Vergleichen der verschiedenen Alternativen ftihrt oftmals zu dem Schluss, dass die Beendigung der ErwerbstB tigkeit der Frau die einfachste und finanziell gunstigste Losung darstelle. Vor allem die bessere berufliche Situation des Mannes wird oft als Argument fiir den beruflichen Ausstieg der Partnerin angefuhrt. Aber auch weil diese Aufgabenteilung sehr vie1 Selbstverstandlichkeit besitzt, wahlen diese Paare das traditionelle ,,male breadwinnertt-Modell. Manche Frauen gaben an, es hatte nie zur Debatte gestanden, dem Mann die Erziehungszeit zu uberlassen. ,,Die Entscheidung, wer nicht mehr arbeitet, wurde gemeinsam getragen. Es stand nicht im Raum, dass mein Mann aufhort zu arbeiten. Es hat mir am Anfang gefehlt, aber es war auch schon." [Mutter von drei Kindern, Arbeiterin]
Bemerkenswert ist die Gruppe von Frauen, die mit ihrem Partner vor jedem Kind immer wieder neu die Rahmenbedingungen prufen. Sie zeichnen sich dadurch aus, dass sie haufig wieder in den Beruf einsteigen, als die Kinder noch ziemlich klein sind, nachdem sie die Moglichkeiten und Grenzen fur den Weidereinstieg abgewogen hatten. Auffallig ist, dass ein groSer Teil dieser Frauen als Selbstandige oder Freiberuflerin ins Berufsleben zuruckkehrt - sei es nun durch die Eroffnung einer Privatpraxis oder uber das Angebot privater Musikstunden. ,,Ich habe es kompensiert mit meiner Heilpraktikerausbildung. Ich sagte mir, ich setze mich wenigstens abends hin (...). Das hat mir einen Halt neben den Kindern gegeben. Als die S. zwei war, habe ich die Praxis aufgemacht, die jetzt drei Jahre lauft
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Entstehuna und Entwicklunp: kinderreicher Familien und habe dort stundenweise gearbeitet. Ich habe es so organisiert, dass mein Mann auf die Kinder aufpassen konnte. Ich habe mit meiner Kollegin zusammen gearbeitet, die auch kleine Kinder hatte, und so haben wir uns gegenseitig unterstiitzt. Es hat uns beiden gut getan, obwohl ich manchmal ganz schon fertig war." [Mutter von drei Kindern, Selbstbdige] ,,Ich muss sagen, mit der Zeit hatte ich mich seelisch soweit wieder gefangen, dass ich anfing, wieder mehr an mich selbst zu denken - vorher war ich nur auf die Kinder fixiert. Jetzt erwachte der Wunsch in mir, auch einmal etwas ganz personlich fiir mich zu tun. Und so fing ich an, Privatschulern Instrumentenunterricht zu erteilen (...). Nach sechs Jahren beruflicher Untatigkeit tat es sehr gut, sich eine kleine Insel zu schaffen, auf der man beruflich tatig sein konnte. Die ideale Losung von zu Hause aus zu arbeiten lag auf der Hand. So war ich immer in der NSihe der Kinder und konnte trotzdem kreativ sein. Das hat mir sehr gut getan. Daneben habe ich auch italienisch gelernt, um mich geistig fit zu halten. (...)Nach dem zweiten Kind konnte ich die Anzahl meiner Privatschuler sogar erhohen, da ich eine sehr nette Babysitterin hatte, die sich in den zwei Nachmittagen um meine Kinder kummerte. Mir war klar, dass ich das Geld, das ich verdiente, meiner Babysitterin geben musste, aber der Unterricht war fur mich personlich sehr wichtig."[Mutter von vier Kindern, Selbstandige]
Wie die Beispiele zeigten, verbessert die Alternative der Selbstandigkeit die Chancen auf einen beruflichen Wiedereinstieg enorm. Sie bietet vor allem dann fur Eltern grofie Vorteile, wenn sie nicht gezwungen sind, den Familienunterhalt davon zu bestreiten: Die ,,ZeitautonomieU,die Moglichkeit, eine ,,innerfamiliale rotierende Arbeitsteilung" zu praktizieren, sowie die Option, ,,die Arbeit selbst zu organisieren" (Geller 1997: 9.9, fiihren zu einer leichteren Vereinbarkeit von Familienpflichten und Berufsleben.
Befragte, die sich schon immer eine gro13ere Familie geplant hatten, bewerten den Verlauf und den Zustand ihrer Partnerschaft iiberdurchschnittlich haufig positiv. Die Partner fuhlen sich durch das gemeinsame ,,Projekt KindercLstarker aneinander gebunden, wodurch sich die Beziehung stabilisierte und festigte. ,,Mir gibt es eine gewisse Sicherheit. Natiirlich hat man ein groBes gemeinsames Interesse, das sind die Kinder. Das ist ein tolles Gefuhl, die Kinder gemeinsam aufwachsen zu sehen. Einfach auch als gemeinsame Aufgabe." [Mutter von drei Kindern, ohne Berufsangabe]
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,,Wir haben viele Bekannte, die ein Kind oder keine Kinder haben. Und jedes Mal, wenn wir von daheim kommen, sind wir beide der Ansicht: Gott sei Dank haben wir drei Kinder. Die Themen sind bei solchen Leuten so eingeschrankt: es geht nur uber Krankheiten oder iiber Urlaube - und sonst uber nichts. Ihr Leben ist eigentlich sehr einseitig, wenig abwechslungsreich, ohne Hohepunkte. Mit Kindern bleibt man jung, man lernt vie1 dazu." [Mutter von drei Kindern, Beamtin im mittleren Dienst] ,,Ich kenne das von Paaren, die keine Kinder haben oder nur eines, dass sich da vieles im Kreis dreht und dass Ecken und Kanten am Partner vie1 dramatischer wahrgenommen werden. Das belastet dann letztendlich die Beziehung, was einfach mit Kindern so gar nicht stattfinden kann." [Vater von drei Kindern, Selbstandiger]
Zu vermuten ist auljerdem, dass Personen, die schon zu Ehebeginn eine GroBfamilie geplanten, sich zu diesem Zeitpunkt bereits in einer stabilen Beziehung befanden b m . diese als gefestigt genug erachteten, um den Belastungen und Anforderungen durch eine groljere Kinderzahl Stand zu halten (Geller 1997: 273). Eine sich positiv entwickelnde Partnerschaft wird von den Befragten meist mit den Worten ,,Zusammenwachsen" oder ,,IntensivierungUumschrieben. Durch zahlreiche Schwierigkeiten, die gegenseitige Abhangigkeit und die gemeinsame Verantwortung fur die Kinder fuhlen sich die Partner einander naher gebracht. ,,[Die Beziehung] ist auch fester geworden, weil jeder von dem anderen abhiingig war." [Vater von drei Kindern, Facharbeiter] ,,Kinder sind immer bindend, weil es eine gemeinsame Verantwortung ist." [Mutter von drei Kindern, Beamtin im gehobenen Dienst]
Auljerdem werden als Faktoren die eigene Reifung und Entwicklung durch das Familienleben genannt, die sich letztlich auch auf die Beziehung fdrderlich auswirken. ,,Als Mensch gewinnt man enorm, weil man unentwegt gefordert und in Frage gestellt wird. AuRerdem denkt man unenhvegt daruber nach, ob man 'es' richtig gemacht hat oder nicht." [Mutter von vier Kindern, Selbstandige] ,,Wir sind an den Kindern gereift; iiber manches, wo wir uns friiher gestritten haben, haben wir uns jetzt schneller geeinigt." [Mutter von drei Kindern, Beamtin im einfachen Dienst] ,,Es erweitert auch den Horizont, drei Kinder zu haben. Man lernt durch die Kinder Sachen furs Leben. Man entdeckt Sachen an sich, die man in den Kindern sieht." [Vater von drei Kindern, mittlerer Angestellter]
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Ein grolJer Teil dieser Befragten betrachte die mangelnde Flexibilitat durch die Kinder sowie den Mangel an Zeit %r Zweisamkeit lediglich als ubergang und baut darauf, die Partnerschaft wieder mehr in den Vordergrund riicken zu konnen, sobald die Kinder alter sein wurden. Und tatsachlich eroffnet sich mit dem Eintritt der Kinder in Kindergarten und Schule fur die Eltern ein neuer zeitlicher Spielraum. Die Betreuungseinrichtungen ermoglichen es vor allem den Muttern, ihren Tag zu gliedern, eine gewisse Routine zu entwickeln und dadurch Zeit fur Partnerschaft oder Erwerbstatigkeit zu schaffen (Geller 1997: 255). GroBe Familien, die gewunscht und mehr oder weniger geplant sind, zeichnen ubenviegend das Bild eines zufriedenstellenden Familienlebens dank einer Lebensgestaltung, die der eigenen Familie einen zentralen Platz einraumt und einer Partnerschaft, die diese als gemeinsames Projekt betrachtet. Vor diesem Hintergrund erscheinen Belastungen bewaltigbar und werden nicht zu Krisenherden. Damit sind sowohl Kinderreiche, die sich fur ein traditionelles Model1 der Aufgabenteilung entscheiden, als auch solche, in denen die Frau Familie mit bemflichem Engagement verbindet, zufrieden rnit ihrem Lebensverlauf. Ausschlaggebend scheint, dass beide das Modell und ihre Familienform akzeptieren. Etwas anders verlauft die Entwicklung wenn die Familiengrundung oder -erweiterung nicht den eigenen Vorstellungen entspricht. 8.3.2 Ungeplante Elternschaft
Im Gegensatz zu den eben geschilderten, von Abwagungen gepragten Familienentwicklungen gibt es auch andere Wege in die grol3e Familie: Sie sind dadurch gepragt, dass die Geburt (mindestens) eines Kindes nicht geplant ist, so dass auch keine vorherige Abwagung und Verstandigung der Partner erfolgen konnte. Die Entscheidungssituation ist damit eine vollig andere als bei der ersten Gruppe, da die Betroffenen auf bereits vorliegende Veranderungen reagieren und ihre Handlungsoptionen sehr begrenzt sind. Fur manche besteht gar keine Entscheidungsalternative. Unterschiede ergeben sich beziiglich des Zeitpunktes zu dem das unerwunschte Ereignis eintritt, das die Lebensgestaltung durcheinander bringt: Teils ist die Familiengrundung ungeplant und daher auch mit erhohten Anpassungsleistungen verbunden. Hier ist von Interesse, dass trotz gewisser ,,Startschwierigkeiten" die Familie letztlich uberdurchschnittlich groB wird. Teils ergibt sich aber auch die dritte oder vierte Schwangerschaft als ungewolltes Ereignis, mit dessen Konsequenzen die Paare fertig werden miissen. Ein Teil dieser Gruppe wollte ursprunglich gar keine Familie grunden. Ursachen fur eine ablehnende Haltung gegeniiber Kindern sind die Perzeption ge-
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sellschaftlicher Nachteile im Ansehen und im Lebensstandard. Die Paare antizipieren oder beobachten starke Einschrankungen im Alltag und Diskrimierung aus ihrem sozialen Umfeld f i r Familien. Der Wunsch, die eigene Freiheit und Flexibilitat auszuleben, wird als weiterer Grund fir die ursprungliche Entscheidung gegen Kinder genannt. Nauck (1995: 147) sieht in der Option des ,,freeriders" eine verlockende Option fur viele, da sie die Partner vor der lebenslangen Verantwortung fur eigene Kinder bewahrt. Wenn das erste Kind ungewunscht oder zu fruh kommt, wird dies als schwieriger Start ins Familienleben gesehen. Dies steht vor dem Hintergrund, dass die berufliche oder die finanzielle Situation bei Eintritt der ersten Schwangerschaft als unsicher angesehen wird. Die berufliche Ausbildung war noch nicht beendet, das Haus noch nicht gebaut. Ein Teil der Paare wollte zunachst noch die Freiheit und Unabhangigkeit genieBen, viele fuhlten sich noch nicht reif fur eine Familiengriindung. ,,Wir haben schon jung geheiratet und wir wollten auf jeden Fall Kinder haben, aber wir wollten erst einrnal finanziell uns absichern, also haben wir erst beide gearbeitet und ein Haus gebaut und dann wollten wir mit dem Kinderkriegen anfangen." [Mutter von drei Kindern, einfache Angestellte] ,,Ich hatte nur vielleicht, ja, am Anfang nicht gleich Kinder haben sollen." [Mutter von vier Kindern, einfache Angestellte] ,,Mein Mann und ich waren einer Meinung beim Thema Familiengriindung. Erst einmal finanzielle Sicherheit schaffen und dann Kinder bekommen." [Mutter von vier Kindern, mittlere Angestellte]
Auffallig ist dabei, dass das Pladoyer dafur, das Kind zu bekommen, nicht selten vom Mann ubemommen wurde. Dass die Frauen die Realisierung ihrer Lebensplane durch die Geburt eines Kindes in hoherem MaBe gefahrdet sehen als ihre Ehemanner, scheint eine plausible Erklarung hierfiir zu sein. Fur die Manner bedeutet ein Kind keinen derartigen Einschnitt, da sie in Erwartung der klassischen Rollenverteilung im Gegensatz zu ihren Frauen keine groBen Veranderungen hinsichtlich ihres Alltags zu befurchten haben. Die Frauen dagegen sehen sich neben der Frage der Berufstatigkeit (siehe unten) mit einer enormen Veranderung ihres Tagesablaufs und einem hohen MaB an Unsicherheit im Umgang mit dem Kind konfrontiert. Geller erklart diese Unsicherheit mit der ,,Unkenntnis von Deutungsschemata" (Geller 1997: 161), d.h. rnit dem Mange1 an Wissen iiber den richtigen Umgang rnit einem Neugeborenen. Viele Befragte sind nach der Geburt aufgrund ihrer mangelnden Erfahrung unsicher, wie sie die Eltemschaft bewaltigen werden. Erst nach und nach stellt sich bei den Miittem eine
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gewisse Routine ein, und die Unsicherheit reduziert sich. Bei den folgenden Kindern nehmen die Frauen diese Empfindungen nicht mehr oder in geringerem MaBe wahr, da sie bereits Erfahrung mit ,,adaquaten Problemlosungen" (Geller 1997: 166) fur verschiedene Situationen gesammelt haben. Das Gefuhl der Verunsicherung sowie die damit einhergehenden psychischen und physischen Belastungen durch das Kind fuhren somit vor allem bei den Frauen zu Beginn der ungeplanten Elternschaft zu erhohtem Stress. Der ungeplante, verfruhte Start in die eigene Familie ist mit recht grorjen Schwierigkeiten behaftet, weil vor der Familiengrundung urspriinglich noch andere Lebensziele venvirklicht werden sollten. ,,Das erste Kind war ein sehr groRer Einschnitt in der Beziehung. Ganz viele Freiheiten, autonom Zeit zu verplanen, waren futsch. Mit dem ersten Kind hat eine ganz andere Zeitplanungsphase angefangen. Das Kind hat uns jetzt die Termine vorgegeben." [Vater von drei Kindern, mittlerer Angestellter] Wahrend die einen zunachst ihre beruflichen Ziele realisieren wollten, strebten andere danach, Freiheit und Unabhangigkeit zu geniesen. Viele hatten vor, noch einige Jahre lang gemeinsame Urlaube mit dem Partner zu erleben, andere wollten zuerst ihre finanzielle Situation festigen. Die ungeplante Schwangerschaft stellt sie vor einen enormen Entscheidungsdruck, den sie schlierjlich zugunsten der Familie losen. Damit verbunden ist oftmals das Gefuhl der Benachteiligung oder die Angst, ,,etwas verpasst zu haben", wodurch auch die Partnerschaft belastet wird. Unterschiedliche Positionen im Paar verschcfen die Situation zusatzlich. Obgleich keiner der Befragten explizit die fruhe Familiengriindung als Krisenherd fur die Beziehung bezeichnet, zeigen die Schilderungen zum ~ b e r gang, dass jede(r) zweite aus dieser Gruppe das erste Kind als grijrjten Einschnitt f i r die Beziehung und die gemeinsame Alltagsgestaltung wahmimmt. Vor allem die Mutter erleben eine verstarkte Belastung, welche durch die Unsicherheit im Umgang mit ihrem ersten Baby verstarkt wird (Geller 1997: 161). Dass es schlierjlich doch zur Familiengrundung kommt und es sogar mindestens drei Kinder werden, liegt haufig an dem starken Kindenvunsch eines der Partner. Vor dem Hintergrund mangelnder ~ b e r e i n s t i m m u nder ~ Lebensplane, versucht der familienorientierte Partner den anderen - oftmals in langwierigen Diskussionen von den Vorzugen einer eigenen Familie zu iiberzeugen. ,,Also die Ansichten waren unterschiedliche. Ich war eher als Student noch der Ansicht, es ist ein Verbrechen, Kinder in die Welt zu setzen. Meine Frau war da ganz anderer Meinung, es war ein jahrelanger Kampf, also ein jahrelanges Diskussionsthema, bis wir uns dann dafur entschieden haben, und wenn 'ja', dann wird es nicht bei einem Kind bleiben." [Vater von drei Kindern, Beamter im gehobenen Dienst]
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,,Meine Frau wollte nie Kinder. Das war fur sie von Anfang an ein Grauen, Kinder zu haben. Sie hatte von sich aus nie ein nachstes Kind gewollt. Das Engagement fur ein neues Kind ging immer von meiner Seite aus. Ich habe die Augenblickeneiten genutzt, von denen ich wusste, dass ihr ein Nein schwer fallt." [Vater von vier Kindern, Selbstandiger] E s gibt eine Gruppe von Frauen, die grundsatzlich mehr als ein Kind wollten, deren Ziel aber nicht von Beginn an die Grundung einer Mehrkinderfamilie war. Sie geben im Interview durchweg an, dass sie keinesfalls ein Einzelkind erziehen wollten, da diesem dann die schone Erfahrung eines Geschwisterkindes fehlen wiirde und viele Kompetenzen, insbesondere sozialer Art, nicht erlernt werden konnten. ,,Ich wollte auf gar keinen Fall, dass meine alteste Tochter als Einzelkind aufwuchs. Ich muss zugeben, durch die innige Betreuung meiner Eltern war sie schon richtig verhatschelt und eine kleine 'Prinzessin'. Ich stand der Entwicklung meiner Tochter ein wenig skeptisch gegeniiber. Meiner Meinung nach miissen Kinder schnell lernen ZLI teilen und Riicksicht zu nehmen; fur mich zwei sehr wichtige Dinge." [Mutter von vier Kindern, mittlere Angestellte] ,,Aber wir wollten auf gar keinen Fall ein Einzelkind haben. Weil das Kind dann immer alleine den Erwachsenen gegeniiber steht. Das Eihrt zu einem gewissen Ohnmachtigkeitsgefihl bei dem Kind, konnte ich mir vorstellen. Andererseits sind die Eltern dann standig darauf angewiesen, 'Programm' zu bieten." [Mutter von vier Kindern, Selbstandige] Die Griinde dafur, dass es schliefilich doch drei oder mehr Kinder werden, sind vielfaltig: Ein sehr hoher Anteil gibt an, dass das dritte Kind eigentlich nicht mehr geplant gewesen sei. Nicht selten hoffen die Eltern zweier Jungen auf die Geburt eines Madchens bzw, umgekehrt. Auch der starke Wunsch des Partners nach einem weiteren Kind wird als Motivation fur ein drittes Kind genannt. D a haufig das dritte oder vierte Kind von einem Elternteil nicht gewollt war, kam es anlbslich dieser Schwangerschaften zu Streitigkeiten. S o tragen die DiskrepanZen in der Einstellung zur Familienplanung in erheblichem Mafie zur Belastung der Partnerschaft bei.
Der Grofiteil der Personen, die nie ein Kind wollten oder im Nachhinein kein Kind mehr bekommen wiirden, beschreibt auch die Entwicklung der Beziehung als ubenviegend negativ.
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Entstehung und Entwicklung kinderreicher Familien ,,Man merkt plotzlich, dass man nicht mehr unabhangig ist und dass man eine groBe Verantwortung hat, die bis ans Lebensende bleibt. Am Anfang hat uns die neue Situation schon belastet." [Mutter von vier Kindern, Selbsttindige]
Belastungseffekte f i r die Partnerschaft ergeben sich aus verschiedenen Aspekten, wobei m e i Dimensionen unterschieden werden konnen: Zum einen ist dies die (zu diesem Zeitpunkt) nicht erwunschte Familiengrundung bzw. Geburt eines weiteren Kindes. Zum anderen handelt es sich um nicht den Erwartungen und Vorstellungen entsprechende Veranderungen in der Lebensplanung und Alltagsgestaltung - hier insbesondere der Aufgabenteilung. Anhand der vorliegenden Berichte zeigt sich, dass eine Abstimmung beider Lebensplane fur das Gelingen der Partnerschaft unabdingbar ist (Geller 1997: 167ff.). Das Synchronisieren und gegebenenfalls auch das ~ n d e r nder ursprunglichen Ziele war bei Paaren mit mehreren Kindern haufiger zu finden (Geller 1997: 201). Die Ehepartner in kinderreichen Familien erscheinen hinsichtlich ihrer Lebensfuhrung kompromissbereiter und flexibler. Trotzdem fuhrten die Anpassungsleistungen vor allem bei Personen, die ursprunglich keine Kinder wollten, zu Beeintrachtigungen in der Partnerschaft. Auffallig bei der Auswertung der entsprechenden Interviews ist auch, dass in Einzelfallen wegen des ungeplanten Nachwuchses beschlossen wurde zu heiraten, und damit urspriingliche Plane, aber auch ~bergangsphasen(wie nicht verheiratetes Zusammenleben) und -rituale (groBes Fest) nicht stattfinden konnten. Ein traditionelles Verstandnis von Ehe und Familie zeigt sich bei diesen Personen darin, dass der Entschluss zur Heirat oft unmittelbar nach dem Eintritt der Schwangerschaft fallt. ,,Wir haben uns damals im Januar kennen gelernt und im Miirz darauf bin ich schwanger geworden, also 14 Monate spater. Dann haben wir halt geheiratet, wie es halt so war.'' [Mutter von drei Kindern, Arbeiterin]
Dies kiinnte ein weiterer Grund f i r Unzufriedenheit und Belastungserleben in der Partnerschaft sein. Im Alltag der wachsenden Familien ergeben sich gewisse Anpassungsprobleme. Teils sind diese nicht typisch fur grol3e Familien, da der Ubergang zur Elternschafi jede Beziehung vor neue Anforderungen stellt, teils resultieren diese aber doch aus der FamiliengroBe. Zu wenig Aufmerksamkeit und Zeit fureinander ist fur viele junge Eltern ein Thema. Eine zunehmende Vernachlassigung seitens der Partnerin aufgrund der erhohten Beanspruchung durch die Kinder wird vor allem von den mannlichen Befragten wahrgenommen. Sie fuhlen sich durch die Kinder zuriickgesetzt, was die Beziehung zu ihren Frauen sehr belastet.
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,,Das erste Kind war fur mich - obwohl ich es wollte - eine Krhkung, weil ich jetzt die Aufmerksarnkeit meiner Frau teilen musste mit dieser Tochter. Da habe ich mir sehr schwer getan. Es war ein komplettes Umstellen, mich zuriickzunehmen, mit meinen Bedurfnissen wahrgenommen zu werden, Aufmerksarnkeit zu bekommen, zu jeder Zeit reden zu konnen. (...) Diese Umstellung hat Jahre gebraucht." [Vater von drei Kindern, mittlerer Angestellter]
Die Partnerinnen dagegen nehmen eine ~berbelastungwahr, da sie sich zum einen sehr stark mit den Interessen ihrer Kinder identifizieren und ein hohes Ma13 an Zeit fur sie aufivenden und m m anderen den Anforderungen innerhalb einer Partnerschaft gerecht werden miissen (Geller 1997: 86f.). ,,Da hat es anfangs in unserer Partnerschaft gekriselt. Meinen Mann hatte es gestort, dass meine Tochter Vorrang hatte und dass ich nicht sthdig verfigbar war." [Mutter von vier Kindern, Selbstandige]
Die Frauen fuhlen sich durch die bloBe Reduzierung auf die Mutterrolle nicht ausreichend wertgeschatzt. ,,Die [Krisensituationen] kommen dann schon auf, weil Du denkst, der nimmt Dich als Frau ja gar nicht mehr wahr, Du bist nur noch Hausfrau und Mutter und das sind schon kritische Situationen. Man mochte wieder ma1 anders wahrgenommen werden." [Mutter von vier Kindern, mittlere Angestellte]
Am haufigsten wurde jedoch die mangelnde Zeit f i r Zweisamkeit durch die starke Beanspruchung durch die Kinder genannt. Abendliche Unternehmungen entfallen, die Nachtruhe ist gestort oder die Bewaltigung des Alltags kostet zu vie1 Kraft, um noch Zeit fur den Partner aufwenden zu konnen. ,,Nachdem unsere zweite Tochter auf der Welt war, flachte unsere Beziehung ab. Mit so vielen Verpflichtungen um die Ohren, der Versorgung zweier Kinder, dem Haushalt und samtlichen Erledigungen, die anstanden, stumpfie man irgendwie mit der Zeit ab. Da blieb, wenn mein Mann abends von der Arbeit kam, wenig Zeit fur Zweisamkeit oder langere Gesprache. Unsere Beziehung litt schon darunter. Ich hatte schon uber unsere nachgedacht, aber irgendwie war das kein groBes Thema fur meinen Mann und mich. Das Leben lief einfach so weiter. Im Grunde genommen war ich ja sehr zufrieden mit meinen beiden Kindern; ich glaube eher, dass mein Mann sich damals unverstanden gefuhlt hatte, das kann ich mir schon vorstellen." [Mutter von vier Kindern, mittlere Angestellte] ,,Manchmal redet man auch bis zum Erbrechen nur iiber Kinder. Ich kann's dann nicht mehr horen, schon wieder uber Kinder zu reden. Manchmal miissen wir sogar Regeln und Tabus einfuhren, dass wir dann sagen 'Reden wir uber alles Mogliche,
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Entstehung und Entwicklung kinderreicher Familien es gibt auch kein Tabu, bis auf eins: Kinder.'" [Vater von drei Kindern, Beamter im gehobenen Dienst]
Vor allem die Frauen beklagen auflerdem die zu geringe Beteiligung ihrer Partner am Familienleben und der Familientiitigkeit. Dabei wird der erhohte Zeitaufwand fur den Beruf von den Frauen nicht so sehr kritisiert, wie die Tatsache, dass der Mann eigenen Hobbys nachgeht, von denen die iibrige Familie ausgeschlossen bleibt. Daran wird deutlich, dass eine ahnliche Beurteilung der Bedeutsamkeit von Familie und Freizeit durch beide Partner sehr wichtig ist, um die Zufriedenheit in einer Beziehung zu gewahrleisten (Berger 1984: 3 15). ,,Mein Mann hat seinen Lebensstil kaum geandert und seine Hobbys weiter gepflegt. Ich bin mir benachteiligt vorgekommen. Mein Mann ist in seinen Ansichten bezuglich Familie ein Mann der alteren Generation." [Mutter von vier Kindern, mittlere Angestellte] ,,Ich hatte mir eigentlich gewiinscht, dass sich mein Mann mehr um die Kinder, jeweils einzeln, kiimmert." [Mutter von vier Kindern, mittlere Angestellte] ,,Ich wiirde sagen, er hat es immer ziemlich gut gefunden das Leben wie es war. Erst als ich so um den zehnten Hochzeitstag angefangen hab, immer ungliicklicher zu werden, und ihn gefragt habe, ob er mich iiberhaupt noch liebt, ob er unsere Ehe uberhaupt noch will, da hat ihn die Frage so ge&rgert, dass er gesagt hat, das muss er sich jetzt erst ma1 uberlegen und dann wurde er immer meckriger. Er sagte, er habe ja nie seine Ruhe, da seien ja immer die Kinder und da ware ja immer ich. Ihrn ging es immer um seine Ruhe, natiirlich hat man die weniger bei drei Kindern, wobei wir sehr liebe und sehr ruhige Kinder hatten." [Mutter von drei Kindem, ohne Angabe zur beruflichen Position]
Um eine Partnerschaft zu gestalten, die fur beide befriedigend ist, ist es wichtig, dass die Partner somit darauf achten, die ,,Balance zwischen den eigenen, den partnerschaftlichen und den Familieninteressen zu finden" (Geller 1997: 222). Neben dem Mange1 an Engagement von Seiten des Mannes liefern die durch die Kinder verursachten alltaglichen Probleme, Sorgen und Entscheidungszwange (Erziehungsfragen, Schulprobleme) fur zusatzliches Konfliktpotenzial und tragen dazu bei, dass diese Balance nur schwer zu finden ist. ,,Obwohl, damals gab es etwas Reibereien beziiglich der Kinderbetreuung. Wenn ich abends nach Hause karn, war ich mude, wollte erst ma1 meine Ruhe haben. Aber natiirlich wollte die Frau dann die Kinder erst ma1 bei mir abladen. Anfangs habe ich das iiber mich ergehen lassen, bis ich dann Protest angemeldet habe." [Vater von drei Kindern, leitender Angestellter]
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Diese familiale Entwicklung fihrt bei den Muttern nicht selten zu einer allgemeinen Unzufriedenheit und unterstutzt eine negative Stimmung innerhalb der Partnerschaft. ,, (...) aber es ist fur mich unbefriedigend, den ganzen Tag Haushalt und Kinderbetreuung zu machen. Man gerat ja auch immer mehr in so eine Position, wo man nur noch fur die Bedurfnisbefriedigung der Kinder zustandig ist." wutter von drei Kindern, einfache Angestellte]
Eine Auffalligkeit, die sich in diesem Bereich zeigt, ist die Korrelation von friihzeitiger Berufsaufgabe der Frauen (bereits nach der Geburt des ersten oder zweiten Kindes) und einer Verschlechterung der Partnerschaft. Zwei Frauen nannten explizit ihren Ausstieg aus dem Berufsleben als Grund f i r die zunehmende Belastung der Partnerschaft. ,,Im Vergleich mit meinem Mann stand ich in der Beziehung nicht so gut da, weil mir der berufliche Bereich und die darnit verbundene Anerkennung und der Ausgleich fehlten." [Mutter von vier Kindern, mittlere Angestellte]
Die genannten Belastungseffekte und Unzufriedenheiten mit Partnerschaft und Alltagsgestaltung sind an sich bekannt und keine Besonderheit. Markant ist jedoch, dass die Belastungen durch das erste und zweite Kind als weitaus weniger schlimm eingeschazt werden, wahrend sich die Probleme ab dem dritten Kind massiv verstarken. Interessant daran ist, dass ein Teil der Elternpaare trotz der Beeintrachtigungea die Familie enveitert und die Beziehung fortgesetzt hat. Dies ist u.a. darauf zuriickmfiihren, dass Mange1 als etwas Phasenbezogenes erachtet wurden oder aber, dass die Partner bereit waren, Mal3nahmen gegen den negativen Verlauf der Beziehung zu ergreifen. Einige von ihnen nahmen eine Partnerschaftsberatung in Anspruch, andere pflegten verstarkt gemeinsame Freundschaften oder bemuhten sich, Unternehmungen oder Kurzurlaube zu zweit zu venvirklichen. ,,Dam irgendwann haben wir gesagt 'Nein, das mussen wir andern', und das haben wir dann auch geiindert, dass wir dann auch ma1 eine Auszeit genommen haben, die Oma und der Opa iibernachtet haben und sich um die Kinder gekiimmert, so dass man zumindest ma1 ein Wochenende weggehen, wegfahren und ausspannen konnte." [Vater von drei Kindern, Beamter im gehobenen Dienst] ,,Es ist schon schwierig, eine groRe Farnilie zu haben, weil man wenig Zeit fur sich selber hat. Ein oder zwei Kinder sind eben immer da. Man muss ganz bewusst schauen, dass man auch einmal etwas nur f i r sich als Paar unternimmt. Zur Zeit ma-
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Entstehung und Entwicklung kinderreicher Familicn chen wir zwei Ma1 in der Woche einen Tanzkurs; das tut uns gut. (...) Also man muss ganz bewusst auf die Partnerschaft achten." [Mutter von vier Kindern, mittlere Angestellte]
Berufsverlauf der Mutter
Die Vereinbarkeit von Kind und Beruf gilt generell als ein mafigeblicher Faktor fur die Entscheidung zur Elternschaft - insbesondere fur Frauen. Dabei spielen Erwartungen an die Unabhangigkeit, der Wunsch nach Selbstvenvirklichung, Freude an der Arbeit wie auch die Nachteile einer Unterbrechung der ErwerbstC tigkeit eine zentrale Rolle. Ein markanter Entwicklungsstrang zeigt sich bei der Betrachtung der Frauen, die ursprunglich keine Kinder bekommen wollten: Fur einzelne steht ihre berufliche Orientierung dem Kindenvunsch anfangs deutlich entgegen. ,,lch wollte also Beruf und keine Kinder und er war auch derjenige, der sich nicht so bindet." [Mutter von drei Kindern, Selbstandige]
Frauen, die zunachst ungewollt in eine eigene Familie ,,geschlittert6' sind, neigen dam, an der Erwerbstatigkeit festzuhalten. Diese Miitter geben ihren Beruf iiberdurchschnittlich haufig erst nach der Geburt des dritten Kindes auf, Warum diese Frauen untypisch lange im Erwerbsleben verbleiben, hat verschiedene Griinde, doch zeigt die qualitative Studie, dass viele sich in ihrer Lebensplanung (noch) nicht auf ein Kind eingestellt und sich deshalb auch nicht mit der Alternative der Berufsaufgabe auseinander gesetzt hatten. Sie hielten nach der Geburt des ersten Kindes an ihrer Erwerbstatigkeit fest, da sie ihre beruflichen Ziele noch nicht in befiiedigender Weise venvirklicht hatten oder aber weil die Familie auf den Verdienst beider Partner angewiesen war. Auch weil diese Frauen nicht von vornherein mehrere Kinder haben wollten, wurde zunachst die Vereinbarkeit von Beruf und Familie bewusst angestrebt. ,,Ich habe mir immer eine grol3e Familie gewiinscht, eine Familie mit mehreren Kindern, wobei ich mich nicht auf die Zahl festgelegt habe. Ich wollte es immer vereinbaren mit dem Berufl" [Mutter von vier Kindern, hohere Angestellte]
Aber spatestens beim dritten Kind lasst sich dies nicht mehr realisieren: Die Belastung durch die steigenden Familienaufgaben wird m grol3. Dennoch, nicht immer fallt es den Frauen leicht, aus dem Beruf auszusteigen:
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,,Nach dem zweiten Kind hatte es noch richtig gut laufen konnen mit meiner Anstellung in der Landesbank. Aber wie gesagt, nach knapp sechs Monaten befand ich mich schon wieder im Mutterschutzurlaub mit meinen letztgeborenen Zwillingen. Da war dann der Zeitpunlct zum Abschied nehmen gekommen. Ich habe damals von mir aus gekundigt, es blieb mir gar nichts anderes ubrig. Teilzeitstellen waren damals wie heute rar. Ich stand damals auf der Warteliste, jedoch ziemlich weit unten und hatte aber nie gehort, dass etwas frei wiirde. Das habe ich damals eher negativ bewertet." [Mutter von vier Kindern, mittlere Angestellte] D e m gegenuber gibt es aber auch Frauen, die sich mit der Entwicklung anfreundeten, ja, erst mit dem dritten Kind das Mutter-Sein genossen, d a sie sich nach der Aufgabe ihres Berufes erst richtig auf diese Rolle einlassen konnten. ,,Ich konnte die Erziehungszeiten zum ersten Mal genieBen und das fand ich sehr schon. (...) Bei den ersten beiden Kindern ging das nicht. Dafur habe ich das dritte Kind wahrscheinlich gebraucht." [Mutter von drei Kindern, mittlere Angestellte] Dennoch bleibt festzuhalten, dass Mutter, die ungeplant in die Elternschaft eingetreten sind, haufiger eine durchgangige Berufstatigkeit umsetzen wollten und dies auch erreichen. ,,Ich finde es gut, wenn man beides verwirklicht, es ist anstrengend, aber es lohnt sich. Auch anders herum konnte ich es mir nicht vorstellen: nur Beruf und Karriere, da geht einem auch etliches verloren." [Mutter von vier Kindem, hohere Angestelltel Diese Entwicklung l b s t sich ebenfalls mit der Vermutung vereinbaren, dass die Mutter ihre beruflichen Ziele und Wunsche noch nicht erreicht hatten und eine Berufsaufgabe deshalb fur sie nicht in Frage kam. Die Vermutung, dass die Einstellung der Erwerbstatigkeit nach dem ersten oder zweiten Kind ursachlich fur die negative Enhvicklung der Partnerschaft ist, kann a u f Grundlage der Interviews nicht bestatigt werden. D e r Anteil der Frauen, die g e m e den Beruf aufgaben, ist in etwa s o grol3 wie der Anteil derer, die ung e m auf ihre Arbeit verzichteten. Doch ist auffallig, dass einige Frauen g e m e wieder in den Beruf zuruckgekehrt waren, dieser Plan aber durch eine erneute Schwangerschaft verhindert wurde. ,,Beruflich ware ein Wiedereinstieg meiner Frau moglich gewesen. Dieser scheiterte dann an dem dritten Kind. Meine Frau musste also noch einmal aussetzen. (...) Fiir meine Frau war das damals iiberhaupt nicht angenehm, noch Iiinger beruflich aussetZen zu mussen. Es war auch klar: sobald es irgendwie geht, fangt sie wieder an zu arbeiten. Daheim ist ihr die Decke auf den Kopf gefallen. Es hat fast ein Jahr gedau-
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Entstehung und Entwicklung kinderreicher Familien ert, bis das Kind zu einer Selbstverstandlichkeit geworden war. Ich will nicht sagen, dass die Kleinkindjahre mit dem dritten Kind verlorene Jahre waren (beruflich), aber da hat meine Frau sehr vie1 mehr mitmachen mussen als ich." [Vater von drei Kindern, Selbstihdiger] ,,Das Dritte war nicht zeitlich geplant. Ich war gerade am Uberlegen, wieder in den Beruf einzusteigen, was dann nicht praktiziert wurde." [Mutter von drei Kindern, Beamtin im gehobenen Dienst]
S o zeichnet sich ab, dass ein nicht unerheblicher Teil der Frauen eher notgedrungen die Berufstatigkeit aufgibt und mit ihren familialen Aufgaben nicht zufrieden ist. Als Griinde fur die Unzufriedenheit mit der Rolle der Hausfrau und Mutter werden die mangelnde Anerkennung, das Fehlen eines wichtigen Betatigungsfeldes sowie die erhohte Abhangigkeit vom Partner angefuhrt. ,,Ich hatte den Eindruck, dass ich ins Hintertreffen kam. Ich hatte ja kein Einkommen mehr. Ich war in groRerem MaI3 abhagig von meinem Mann." [Mutter von vier Kindern, mittlere Angestellte]
,,Im Vergleich mit meinem Mann stand ich in der Beziehung nicht so gut da, weil mir der berufliche Bereich und die damit verbundene Anerkennung und der Ausgleich fehlten." [Mutter von vier Kindern, mittlere Angestellte] ,,Ich glaube, mein Mann hatte es leichter gehabt, weil er seinen ,,WegC'weiterging, wahrend ich mit dem Kind den Weg nicht weiter gehen konnte und schauen musste, wie ich mich vor allem seelisch wieder fange. Mir wurde klar, dass ich mit den Pflichten rund um das Kind gebunden war; dennoch blieb mir vie1 Zeit zum nachdenken, da ich geistig nicht gefordert war. Dieser Zustand fuhrte bei mir von Zeit zu Zeit zur Melancholie." [Mutter von vier Kindern, Selbstandige] ,,Die Rolle meiner Frau hat sich geihdert. Ihr hat dann ein ganz wichtiges Betatigungsfeld, auch Anerkennung, gefehlt; das bekommst du ja nicht von einem kleinen Kind, und vom Ehemann natiirlich auch nicht. Also, das war fur meine Frau ein enormer Einschnitt." [Vater von drei Kindern, Selbstandiger] Die meisten Miitter sehen ihre beruflichen Chancen auf dem Arbeitsmarkt auch fur die Zukunft als stark gemindert an, d a sie aufgrund der Erziehungszeiten langere berufliche Ausfallzeiten im Lebenslauf m verbuchen haben. ,,Ursprunglich wollte ich Karriere im Orchester machen. Dafur muss man aber knallhart uben. Mir war nach der Geburt meiner behinderten Tochter klar, dass die Sache damit endgultig gelaufen war. Es gab schon Momente der Enttauschung, vor allem wenn ich die Entwicklung mancher Mitstudierender von mir mitbekam. Aber
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letztendlich hatte ich meine Entscheidung fur Kinder nie bereut." [Mutter von vier Kindern, Selbstiindige] Ein erklartes Ziel von vielen ist jedoch, wieder in den Beruf zuriickzukehren, sobald die familiare Situation dies zulasst. 8.3.3 Fazzt und Grenzen der Verlaufsbeschreibung
Entscheidungsverlaufe und Familienentwicklung sind eng miteinander verknupft. Dabei lassen sich stark geplante und ungeplante Entwicklungen recht klar unterscheiden. Dazwischen liegen Eltern, die vor dem Hintergmnd einer grundsatzlichen Entscheidung fur eine grolje Familie die Familiengriindung planen, jedoch beziiglich der weiteren Kinder weniger steuernd verfahren. Mit diesen Entscheidungsprozessen verschrankt sind die Berufsverlaufe der Mutter: Wie in kleinen Familien auch, nimmt ein Groljteil der Miitter die Elternzeit in Anspmch, allerdings oft fur langere Zeit. Einem Teil der Mutter, die sich klar fur eine groljere Familie entschieden haben, gelingt es, eine Erwerbsbeteiligung durch Selbstandigkeit herzustellen, ein anderer Teil wahlt die Rolle der Hausfrau und Mutter - oftmals nach der Geburt des zweiten Kindes. 1st dagegen der Kinderreichtum ungewollt, werden objektiv und subjektiv groBere Anpassungen und mehr Bewaltigung gefordert, die sich auch auf die Beziehung auswirken. Dies resultiert unter anderem auch aus unterschiedlichen Vorstellungen zur FamiliengroBe, wenn also Kinder oder so viele Kinder nur von einem Partner gewiinscht sind. Sowohl der ungewollte Start in die Familie wie auch unbeabsichtigte Familienerweiterung gehen mit anderen Lebensplanen nicht konfonn und wirken damit als Stressoren, die hohe Anpassung erfordern. Die Folge ist, dass die Familienentwicklung oft kritisch eingeschatzt wird. Ein Problem ist die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, die mit einem Kind noch eher zu realisieren ist, mit zunehmender Kinderzahl aber immer schwieriger wird. Die Losung erfolgt aus nachvollziehbaren Grunden zumeist zu Lasten der Bemfstatigkeit der Mutter. Doch vor allem Frauen, die sich in die traditionale Rolle gedrangt fihlen und damit verbunden eher notgedrungen auf Berufstatigkeit verzichten, auljern sich unzufrieden. Kinder verbinden die Eltern, wenn die Familie als gemeinsames Projekt angesehen wird, in der jeder seinen Part ubernimmt - und m a r relativ unabhangig von der Aufgabenteilung. Schwierigkeiten und Belastungen gehoren dazu, werden aber nicht als dauerhaft, sondern als bewaltigbar angesehen. Eine befriedigende Entwicklung als grolje Familie hangt somit mafigeblich davon ab, ob sich beide Partner einig sind und auf dieses Projekt einlassen. Dies kann in Form von
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sehr bewussten Abwagungs- und Entscheidungsprozessen geschehen, in denen jeweils gepriift wird, ob und wie sich eine Familienenveiterung in die aktuelle Lebenssituation einfugen lasst. Es kann aber ebenso mit der Wahl eines traditionalen Familienmodells verbunden werden, wobei die Rollenaufteilung Iangerfristig klar ist und nur der Zeitpunkt der Familiengriindung sorgfaltig abgewogen werden muss. Die vorgestellte Typologie grenzt aufgrund der Selektivitat in der Stichprobe des BEP, die durch die qualitative Studie nicht ausgeglichen werden kann, bestimmte Gruppen von Kinderlosen zu Beginn der ersten Befragung und deren Entwicklungszusammenhange im Laufe der 14 Jahre aus. Reprasentiert werden hier vor allem Personen mit mittlerem bis hohem Bildungsniveau, mit mittlerer bis hoher Ressourcenausstattung, mit eher traditionalem Hintergrund, was Einstellungen und Orientierungen betrifft, mit deutscher Nationalitat, die bereits die Ehe geschlossen haben. Bereits bei diesen Gruppen konnten unterschiedliche Verlaufs- und Gestaltungsmuster bezuglich der Familienbiographie festgestellt werden. Wie vie1 starker aber mussen sich die Wege in die kinderreiche Familie erst unterscheiden, wenn auch Personen mit Migrationshintergrund berucksichtigt werden, deren kultureller Hintergrund moglichenveise ganz andere Vorstellungen favorisiert als die hier thematisierten bezuglich FamiliengroRe, Alter bei der Familiengrundung, erforderlicher Voraussetzungen und der Aufgabenteilung zwischen den Partnern. Sehr unterschiedlich durften auch die Familienbildungsprozesse von Personen verlaufen, die wenig bis keine Chancen haben, sich im beruflichen Bereich zu etablieren und fiir welche die Familie daher der zentrale Lebensinhalt und auch -unterhalt wird. Fur diese durften Fragen nach Vorbedingungen, Vereinbarkeit mit dem Beruf etc. allenfalls eine nachrangige Rolle spielen. Nicht beriicksichtigt wurden aber auch weniger traditionale Familienkonzepte, in denen Kinderbetreuung und -erziehung stiirker externalisiert werden, weshalb sich bestimmte Fragen der Vereinbarkeit - vor allem hinsichtlich der Familien und der weiblichen Erwerbsbiographie - auf vollig andere Weise stellen als hier diskutiert. Schliefilich dominiert in den vorgetragenen Erklarungen das Muster der privaten Familienkindheit die Uberlegungen in hohem MaRe.
9 Kinderreichtum zwischen Tradition und Moderne Bernd EggenIMarina Rupp
Der Ruckgang der Kinderzahl und damit auch der kinderreichen Familien steht vor dem Hintergrund weitreichender gesellschaftlicher Veranderungen, die auch die Familie selbst nicht ausgenommen haben. Als wesentliche Einflussfaktoren treten veranderte Wertorientierungen zu Tage, welche zu Verschiebungen in den Entscheidungsfaktoren gefuhrt haben. Welchen Nutzen Kinder fur ihre Eltern besitzen und welchen Aufwand Eltern in Bezug auf die Erziehung und Betreuung ihrer Kinder leisten mussen, wird heute anders beantwortet als noch vor funfzig oder hundert Jahren. Die Erwartungen an emotionale, soziale wie okonomische Unterstiitzung und Fursorge durch die Eltern sind hoch. Auf der Nutzenseite dagegen stehen heute emotionale Aspekte, wie die Besonderheit der Eltern-Kind-Beziehung, im Vordergrund der Familienorientierung. Der Blick auf die historische Entwicklung offenbart ein Paradoxon: War es fruher schwer, die Familie den eigenen Wunschen gemafi zu gestalten, weil nicht jede(r) eine Familie grunden durfte und weil die Familienplanung weitaus unsicherer war, so ist dies heute frei entscheidbar und recht gut steuerbar. Gleichzeitig aber haben sich neue Hinderungsgrunde und Hurden herausgebildet, so dass Kinder ein Luxus zu sein scheinen, den sich immer weniger Frauen und Manner leisten wollen oder konnen. Angesichts der durch diese Studie belegten Hemmnisse bei der Fertilitatsentscheidung stellt sich die Frage, inwieweit kinderreiche Familien ein Gegenmodell der Modeme bilden, denn diese Familienform fordert und fordert langfristige Bindungen und Verpflichtungen und ist mit vielen Anforderungen der modernen Gesellschaft (Mobilitat, hohes und flexibles Erwerbsengagement) nur schwer zu vereinbaren. Die vorgestellte Entscheidungstypologie zeigt, dass diesbeziiglich verschiedene Entwicklungsmuster existieren, die mit unterschiedlichem Belastungsempfinden der Eltern einhergehen. Fiir ein befriedigendes Leben mit vielen Kindern ist die ~bereinstimmungund Kooperation der Partner von besonderer Bedeutung. Kinderreiche Familien bilden keine homogene Gruppe. Nach diesem ersten Blick auf die Familien mit drei oder mehr Kindern lassen sich drei unterschiedliche Familientypen beschreiben: Das sind zum einen die grol3en Familien mit durchschnittlicher bis sehr guter okonomischer Ausstattung, in denen beide Eltern zumeist uber einen
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Kinderreichtum zwischen Tradition und Moderne hoheren schulischen und beruflichen Ausbildungsabschluss verfiigen. Bei ihnen folgt die Aufgabenteilung zumeist traditionalen geschlechtsspezifischen Vorgaben. Als Einflussfaktoren fur die FamiliengroBe lassen sich die Erfahrungen in den Herkunftsfamilien, aber vor allem Religion und Einbindung in eher landliche Strukturen identifizieren. Diese Eltern schatzen den Wert von Kindern als sehr hoch ein; vor allem die emotionale Zuwendung, die sie durch die Kinder erfahren. Daneben gibt es Familien, die fast das Gegenteil zum ersten Typ darstellen: Sie leben in prekaren wirtschaftlichen Verhaltnissen, was u.a, auf unzureichende oder fehlende schulische und berufliche Ausbildung der Eltern zuriickgeht. Somit wird der Lebensunterhalt der Familien uberwiegend mit staatlichen Hilfen bestritten, es fehlt an alternativen Optionen finanzieller und beruflicher Art. Einkommen und soziale Anerkennung erzielen die Eltern fast ausschliel3lich iiber ihre Elternrolle. Dies funktioniert vor dem Hintergrund einer Gesellschaft, welche die Wertschatzung von Kindem dadurch ausdriickt, dass sie staatliche Zahlungen an die Anzahl der Kinder bindet. Fur diese Eltern steht deshalb der Einkommens- und Statusnutzen der Kinder im Vordergrund. SchlieDlich sind als dritter Typ die kinderreichen Familien mit Migrationshintergrund zu nennen, mit ihrer starken Orientierung an Religion, Herkunftsfamilie und klarer, eher traditionaler Rollendifferenzierung der Geschlechter. Hier dominieren kulturell verankerte familienfreundliche Einstellungen die Fertilitatsentscheidungen.
Kinderreiche Familien konnen trotz ihrer Differenziertheit insofern als ein Gegenmodell zur Moderne gelten, als sie in pointierter Form bestimmten Modernisierungstrends trotzen. Auf der Werteebene betrifft dies den hohen emotionalen Nutzen von Kindern und Familie fur den Einzelnen und das Paar. Vor diesem Hintergrund steht die Bereitschaft, sich langfristig in besonders hohe Verpflichtungs- und Abhangigkeitsverhaltnisse zu begeben. Die Herstellung von Gemeinsamkeit im Paar wird den Kinderreichen oftmals erleichtert durch ubereinstimmende Einstellungen der Partner, die sich starker an Religion, Verwandtschaft und Familie orientieren, wodurch anderen Optionen weniger Bedeutung beigemessen wird. Wichtig fur den Entscheidungsprozess ist demnach, dass sich die Partner in ihren individuellen Vorstellungen, Anspriichen und Erwartungen in Bezug auf ein Familienleben gleichen oder erganzen. In der Konsequenz werden die familienbezogenen Entscheidungen weniger zwischen den Partnern ausgehandelt, sondern sind weitgehend durch die Einstellungen vorgezeichnet. Die (sub)kulturelle Rahmung der Familienorientierung durfte schon im Vorfeld, bei
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der Partnenvahl in die entsprechende Richtung gewirkt haben. Damit ist die Inklusionskraft der Beziehungen und der Familie bei Kinderreichen, anders als dies in der Moderne ublich ist, vergleichsweise hoch. Eine weitere Dimension, auf der Kinderreiche aus der gewohnlichen Entscheidungslogik ausscheren, ist das Geld. Kinder kosten Geld und schranken zugleich die Einkommensmoglichkeiten der Eltern (bislang vor allem der Mutter) ein. Dennoch scheinen finanzielle Erwagungen keine besonders wichtigen Einflussfaktoren zu bilden - allerdings aus verschiedenen Griinden: Bei einem Teil spielen sie keine grol3e Rolle, weil ausreichend Geld verfugbar ist, bei einem anderen, weil ohnehin Geldmangel herrscht und Kinder den Schlussel fur Unterstiitzungsleistungen bilden. Gerade kinderreiche Familien scheinen somit weiterhin stark in der sozialen Schichtung verankert zu sein. Dabei zeigt sich eine u-formige Verteilung: die einen eher wohlhabend, die anderen eher arm, vor allem an Bildung und Einkommen. Neben der Langfristigkeit der Bindungen - an Partner und Kinder - leben kinderreiche Familien noch aufgrund eines anderen Aspektes eher ein Gegenmodell zur Moderne. Dies ist ihr Umgang mit der knappen Ressource Zeit, denn Kinder kosten Zeit, die fur andere Aktivitaten, wie personliche Interessen, Partnerschaft und Beruf, letztlich fehlt. Die Frage der Vereinbarkeit von Beruf und Familie und der diesbeziiglichen Aufgabenteilung zwischen den Partnern beantworten Kinderreiche tendenziell mit der Wahl traditionaler Modelle: Zur Losung des Zeitproblems wird demnach meist auf die Gleichstellung von Frau und Mann verzichtet. Kinderreiche Eltern nutzen - oder benotigen - demnach den Vorteil zeitlicher Elastizitat, der sich durch die Trennung des Zeitbudgets von Haushalt und Beruf entlang der traditionalen Rollendifferenzierung zwischen Frau und Mann ergibt. Im Hinblick auf die genannten sozialen, sachlichen und zeitlichen Aspekte konnen kinderreiche Familien als ein Gegenmodell der Moderne verstanden werden, das in gewisser Weise vergangenheitsorientiert ist: Individualisierungstendenzen wie individuelle Mobilitat und Gleichstellung der Geschlechter haben nur bedingte Relevanz. Tendenziell ,,funktioniertG'das Leben in der groBen Familie vor allem da, wo traditionale Einstellungen dominieren und es begiinstigen, dass individuelle Interessen gegenuber familialen letztlich nachrangig sind. Dies geschieht wie gezeigt wurde zumeist durch eine traditionale Aufgabenteilung zwischen den Partnern in Bezug auf Familie und Beruf. Gefordert wird dies nicht allein durch die individuellen Einstellungen und Orientierungen, sondern auch durch die strukturellen Rahmenbedingungen. Bekanntlich setzt bei allen Paaren mit dem ~ b e r g a n gzur Elternschaft ein Traditionalisierungsschub bei der Aufgabenteilung ein, der letztlich dem westdeutschen Konzept von Elternschaft geschuldet wird: Die Mutter ubernimmt nach der Geburt die Betreuung des Kindes
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- und des Haushaltes gleich mit - und verzichtet hierzu fur eine gewisse Zeit
ganz oder teilweise auf die Berufstatigkeit. Diese Aufgabenteilung verfestigt sich mit zunehmender Zeit und mit jedem weiteren Kind, denn die beruflichen Chancen der Frauen sinken, wahrend die familialen Aufgaben wachsen. AbschlieBend stellt sich die Frage, ob Kinderreichtum auch vorstellbar ist, wenn die Merkmale der Moderne umgesetzt wurden, also Individualisierung und Gleichstellung von Frauen und Mannern durchgesetzt werden und Entscheidungen sich an personlichen Interessen und weniger selbstverstandlich an religiosen, verwandtschaftlichen und regionalen Vorgaben orientieren. Ein solches Modell ware im Zeitalter der Individualisierung zukunftsorientiert. Hinweise darauf, dass ein solches Modell bereits gelebt wird, gibt es: Dabei handelt es sich um Familien, in denen beide Eltern uberdurchschnittlich ausgebildet sind und beide einer Erwerbstatigkeit nachgehen. Dank erfolgreicher Erwerbstatigkeit verdienen sie genug Geld, urn sich Unterstutzung bei der Kinderbetreuung und im Haushalt hinzu zu kaufen. Die Geschlechterdifferenz bei der Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist weitestgehend, wenn nicht vollstandig aufgehoben. Beide Partner beteiligen sich gleichermaflen an Familie und Beruf und sind damit wohl sehr mfrieden. Allerdings findet sich dieser Typus unter den jetzigen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen nur selten. Dass eine gelingende Verbindung von Kinderreichtum und anderen Lebensbereichen insgesamt wahrscheinlicher wird und nicht nur den Besserverdienenden vorbehalten bleibt, konnte durch verschiedene gesellschaftliche Bedingungen unterstutzt werden. Hierzu gehoren wohlfahrtsstaatliche Mafinahmen, welche die Verbreitung von staatlich finanzierten Kinderbetreuungseinrichtungen sowie die Bildungs- und Arbeitsmarktbeteiligung von Frauen und Mannern erhohen. Das Ziel dieser Maflnahmen ware dann nicht Ianger die Familie, sondern das Individuum - ungeachtet seines Geschlechtes. Denn obgleich das Individuum von der Familie unabhangiger ist, wird die Entscheidung fur Kinder erleichtert. Gerade weil Risiken uber andere gesellschaftliche Bereiche abgesichert werden, ist die Verantwortung leichter zu tragen. In Gesellschaften, in denen entsprechende Maljnahmen eingerichtet wurden, stiegen in den letzten Jahren die Kinderzahlen an (Skandinavien), dort, wo sie nicht getroffen worden sind, sank die Fertilitat (Sudeuropa) (EspingAndersen 1998, Alich 2004). Es mag paradox klingen, doch je unabhangiger Frauen und Manner in ihren Lebensentwurfen von der Institution Familie sind, je geringer also die Opportunitatskosten etwa bei der Bildungs- und Arbeitsmarktbeteiligung sind, desto eher sind sie bereit, eine grol3e Familie zu grunden und sich damit langfristig an Familie zu binden.
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Tabellenanhang Tabelle I: Endgiiltige Kinderzahl von 100 Frauen ausgewahlter Geburtsjahrgange von 1930 bis 1965 in ausgewahlten Staaten
Quellen: Council of Europe (2005), Sardon (2004), European Demographic Observatory (EDO).
180
Tabellenanhang
Tabelle 2: Frauen nach Anzahl der Kinder und Kinder nach GroDe der Geschwistergruppen fur drei Geburtsjahrgange von Frauen in Frankreich
*) Anzahl der Briider und Schwestem einschlieBlich Bezugskind. Quelle: Toulemon (2001).
Tabelle 3: Endgiiltige Kinderzahl von Frauen ausgewahlter Geburtsjahrgange von 1910 bis 1964 in Ostemeich
Quelle: Sobotka (2005)
Tabellenanhang
181
Tabelle 4: Endgiiltige Kinderzahl von Frauen ausgewahlter Geburtsjahrgange von 193211936 bis 195811960 in den USA
Quelle: U.S. Census Bureau (2003).
182
Tabellenanhang
Tabelle 5: Endgultige Kinderzahl von 100 Frauen der Geburtsjahrgange urn 1865 bis 1970 in Deutschland
*) 1845-1926130 Deutsches Reich, ab 1930 Deutschland. **) Schfltzungen nach Dorbritz (2004). Quelle: Schwarz (1997), Council of Europe (2005), Dorbritz (2004).
Tabellenanhang
183
Tabelle 6: Familien mit Kindern in der Familie nach Zahl der ledigen Kinder
*) Led~geKinder ohne Altersbegrenzung. Quelle: Statistisches Reichsamt (1930), Statistisches Bundesamt (2005).
Tabellenanhane
185
Tabelle 6b: Alleinerziehende mit Kindem in der Familie nach Zahl der ledigen ~inder*)
*)Ah Alleinerziehende zahlen auch diejenigen, die Partnerlin in einer nicht ehelichen Lebensgemeinschaft sind. **) Ledige Kinder ohne Altersbegrenzung. Quelle: Statistisches Reichsamt (1930), Statistisches Bundesamt (2005).
186
Tabellenanhang
Tabelle 7: ~amilien*) nach Anzahl der Kinder und ~taatsangehorigkeit**)
*) Familien: nicht eheliche Lebensgemeinschaften und Ehepaare mit Kindern, Alleinerziehende. **) Fiir die Unterteilung in deutsche und nicht deutsche Familien wird die Staatsangehorigkeit der Bezugsperson herangezogen. Diese Person ist bei Ehepaaren gmndstitzlich der Ehemann und bei Alleinerziehenden die Person selbst, wobei Kinder als Bezugsperson ausgeschlossen sind. Quelle: Mikrozensus 2003.
Tabelle 8: Familien nach GroDe der Gemeinden
*) Familien: nicht eheliche Lebensgemeinschaften und Ehepaare mit Kindern, Alleinerziehende. Erlauterung: () = eingeschrmkte Aussagefahigkeit. Quelle: Mikrozensus 2003.
Tabellenanhang
187
Tabelle 9: Familien nach Landern
*) Familien: nicht eheliche Lebensgemeinschaften und Ehepaare mit Kindern, Alleinerziehende. Erltiuterung: () = eingeschrtinkte Aussagefahigkeit. Quelle: Mikrozensus 2003.
Tabelle 10: Familien nach Zahl der Kinder in der Familie in ausgewahlten europCschen Staaten 200 1, insgesamt
1 Schweiz
41
1
42
1
13
*) Familien mit drei oder mehr Kindem. Quelle: New Cronos (2005).
1
Tabellenanhang
Tabelle 10 a: Familien nach Zahl der Kinder in der Familie in ausgewahlten europaischen Staaten 200 1, Ehepaare
*) Familien mit drei oder mehr Kindem. Quelle: New Cronos (2005).
189
190
Tabellenanhang
Tabelle 1I: Familien nach Zahl der Kinder in der Familie in ausgewahlten europaischen Staaten 200 1, nicht eheliche Lebensgemeinschaften
*) Familien mit drei oder mehr Kindem. Quelle: New Cronos (2005).
Tabellenanhana Tabelle 1la: Familien nach Zahl der Kinder in der Familie in ausgewahlten europaischen Staaten 2001, Alleinerziehende Frauen
*) Familien mit drei oder mehr Kindem. Quelle: New Cronos (2005).
191
Tabellenanhane
192
Tabelle 1lb: Familien nach Zahl der Kinder in der Familie in ausgewahlten europaischen Staaten 200 1, alleinerziehende Manner
1Schweiz
58
1
33
1
*) Unter 0,s Prozent. **) Familien mit drei oder mehr Kindem. Quelle: New Cronos (2005)
Tabellenanhang
193
Tabelle 12: Alleinerziehende nach Anzahl der Kinder und Bildungsabschliissen Anzahl der Kinder
Bild~n~sabschliisse') Schulischer Abschluss Beruflicher Abschluss HochHauptRealKeiner Keiner rchulLehre Meister schule schule reife
%$;
9'0
1 2 3 oder mehr Insgesamt
3 5 11
44 38 41
34 37 32
18 20 16
25 23 34
50 52 47
8 8 5
9 10 7
4
43
35
19
25
51
8
9
*) Falle ohne Angaben sind nicht berucksichtigt. Erlautenmg: Realschulabschluss = Mittlere Reife; jeweils inklusive gleichwertiger Abschlusse der ehemaligen DDR. Quelle: Mikrozensus 2003.
Tabelle 13: Arbeitszeit zusammenlebender Eltern nach Anzahl der Kinder
unter ... Stunden
Nicht enverbstatig
1
Erlauterung: ( ) = eingeschrakte Aussagefahigkeit. Quelle: Mikrozensus 2003.
Tabellenanhang
194
Tabelle 14: Erwerbsbeteiligung kinderreicher alleinerziehender Frauen nach Alter des jiingsten Kindes
Erlauterung: (.)= Zahlenwert nicht sicher genug; () = eingeschrankte Aussagefahigkeit. Quelle: Mikrozensus 2003.
Tabelle 15: Wohnstandspositionen kinderloser Lebensformen Kinderlose Lebensformen
Wohlstandsposition Yo
Nichteheliche Lebensgemeinschaft, Frauen im Alter von 35 bis 44 Jahren Ehepaar, Frauen im Alter von 35 bis 44 Jahren Alleinstehende Manner im Alter von 35 bis 44 Jahren Alleinstehende Frauen im Alter von 35 bis 44 Jahren Quelle: Mikrozensus 2003
158 153 113 108
Tabellenanhang
195
Tabelle 16: Monatliche Nettoeinkommen ausgewahlter Lebensformen als Schwellenwerte zur Bestimmung von niedrigen und hoheren Einkommen
davon 1 Kind unter 6 Jahren und 2 *) Produkt aus der Multiplikation des gewichteten Pro-Kopf-Einkommens in Hohe von 593 €, das den Schwellenwert fiir niedrige Einkommen darstellt, mit der Summe der Bedarfsgewichte der Haushaltsmitglieder analog der modifizierten OECD-Skala: 1,O f i r die Bezugsperson; 0,5 fiir weitere Personen ab 15 Jahren und 0,3 fur Kinder unter 15 Jahren. Das Familiennettoeinkommen von Ehepaaren ohne Kinder bspw. ergibt sich folglich aus der Multiplikation von 593 € mit dem Faktor 13; das fur Ehepaare mit einem Kind unter 6 Jahren durch Multiplikation mit dem Faktor 1,8. Analog werden die Schwellenwerte fiir hohere Einkommen auf der Grundlage des gewichteten Pro-KopfE~nkommensin Hohe von 2.372 € berechnet. Quelle: Mikrozensus 2003.
Tabelle 17: ~ b e r s i c h iiber t Einkommensparameter nach Lebensform und Kinderzahl
1
1
1 E:i:ty 1
Pro-Kopf-
inko om men*)
Lebensformen I
I
e
% Lebensformen insgesamt
12
kommen*) I
16
8
1.186
1.684
Ehepaare
Darunter: Anzahl der Kinder
1
5
9
9
1.360
2.540
2
5
10
7
1.193
2.725
13
22
5
1.010
2.685
3 oder mehr
Nichteheliche Lebensgemeinschaften
Anzahl der Kinder
1
8
14
7
1.188
2.241
2 3 oder
9
16
(4)***)
1.088
2.396
(14)***)
26
(.)****)
892
2.436
mehr
I 1 Anzahl der Kinder
I
Alleinerziehende
13
25
3
946
1.401
19
34
2
87 1
1.532
30
48
1
722
1.599
3 oder mehr
*) Durchschnittliche Einkommen: Median; Gewichtung der Pro-Kopf-Einkommen nach neuer
OECD-Skala: 1. Person = 1, weitere Personen im Alter 15 Jahre und mehr = 0,5, weitere Personen im Alter unter 15 Jahren = 0,3. **) Lebensformen: Paare mit Kindem, Alleinerziehende, Paare ohne Kinder, Alleinstehende. ***) Aussagewert eingeschrankt, da der Zahlenwert statistisch relativ unsicher ist. ****) Keine Angaben, da Zahlenwert nicht sicher genug ist. Quelle: Mikrozensus 2002.
Tabellenanhang
197
Tabelle 18: Einkommenslagen von Kindern
*) Wohlstandspositionen aufgrund gewichteter durchschnittlicher (Median) Pro-Kopf-Einkommen; Gewichtung der Pro-Kopf-Einkommen nach modifizierter OECD-Skala: 1. Person = 1, weitere Personen im Alter 15 Jahre und mehr = 0,5, weitere Personen im Alter unter 15 Jahren = 0,3. **) Anzahl der im Haushalt lebenden ledigen Kinder ***) Keine Angaben, da Zahlenwert nicht sicher genug ist. Quelle: Mikrozensus 2003.
198
Tabellenanhang
Tabelle 19: Sach- und Barleistungen fiir Familien, zusammengefasste Geburtenrate und Armut in der EU
*) Bei der Armutsgef&rdungsquote: ewopaischer bevolkerungsgewichteter Durchschnitt. **) Geringer Stichprobenumfang oder viele fehlende Angaben. Quelle: Eurostat 2000.
Tabelle 20: Aquivalenzflache der Wohnung von Familien nach Anzahl der Kinder
der Wohnung von . .. bis unter . .. qm
*) Nur eine Lebensgemeinschaft im Haushalt; Aquivalenzskala nach Frick (1996). Quelle: Mikrozensus 2002.
200
Tabellenanhane
Tabelle 21: Mietbelastung von Familien nach Anzahl der Kinder
bis unter
... Pro-
**) Nur eine Lebensgemeinschafi im Haushalt; Miete: Grundmiete plus kalte Betriebskosten; Mietbelastung: Miete/monatliches Nettoeinkommen der Familie. Erlauterung: (.) = Zahlenwert nicht sicher genug; () = eingeschrankte Aussagefahigkeit. Quelle: Mikrozensus 2002.
Tabellenanhang
20 1
Tabelle 22: Mietpreis der Wohnung von Familien nach Anzahl der Kinder Miete der Woh-
*) Nur eine Lebensgemeinschaft im Haushalt; Miete: Grundmiete plus kalte und warme Betriebskosten. Quelle: M~krozensus2002.
202
Tabelle 23: Sozialwohnungen vs. Nicht-Sozialwohnungen (inkl. Wohneigentum) nach FamiliengroBe
Quelle: SOEP 2003 (Berechnungen: Tanja Miihling, ifb).
Tabellenanhang