Komm zurück zu mir Carole Mortimer Seit drei Jahren lebt die Reporterin Julie von ihrem Mann, dem Verleger Zach, getren...
14 downloads
885 Views
595KB Size
Report
This content was uploaded by our users and we assume good faith they have the permission to share this book. If you own the copyright to this book and it is wrongfully on our website, we offer a simple DMCA procedure to remove your content from our site. Start by pressing the button below!
Report copyright / DMCA form
Komm zurück zu mir Carole Mortimer Seit drei Jahren lebt die Reporterin Julie von ihrem Mann, dem Verleger Zach, getrennt. Seine rasende Eifersucht hatte die kurze Ehe zerstört. Als Julie von einem Auslandsauftrag nach Hause zurückkehren will, wird das Flugzeug von Luftpiraten entführt. Zach setzt Himmel und Hölle in Bewegung, um seine Exfrau freizukaufen. Durch dieses Erlebnis ist ihm schlagartig klar geworden, dass er Julie noch immer liebt. Doch sie weist seine Annäherungsversuche kühl ab. Hat er keine Chance, seine Traumfrau zurückzuerobern?
1. KAPITEL Endlich war das Flugzeug gelandet. Julie konnte es kaum erwarten, nach Hause und ins Bett zu kommen. Die letzten beiden Wochen waren wahrlich aufreibend gewesen und die letzten drei Tage ein einziger Albtraum. »War’s schlimm?« fragte der Mann, der sie mit seinem Auto am Flugplatz abgeholt hatte und jetzt nach Hause fuhr. Julie drehte sich zu Steve Carter um und sah ihn an. Seine ganze Erscheinung, von dem langen schwarzen Haar über die legere Kleidung bis hin zu den strahlend blauen Augen, gaben ihr ein Gefühl der Sicherheit. »Ziemlich«, antwortete sie kaum hörbar. »Ich dachte, sie würden uns alle erschießen.« Steve nahm ihre Hand. »Mir ging’s nicht anders«, gestand er ebenso leise. »Ach Steve!« In der Gegenwart des vertrauten Menschen begann sich ihre Anspannung allmählich zu legen. »Mir geht’s schon wieder ganz gut.« »Wie gern wäre ich bei dir gewesen.« »Damit sie auf dich schießen statt auf Matt?« Julie wusste nicht so recht, ob sie lachen oder weinen sollte. »Weißt du, wie es ihm jetzt geht?« Ein Lächeln huschte über ihr Gesicht. »Als ich ihn das letzte Mal gesehen habe, hat er sich über das Essen beschwert.« »Zum Glück ist er ja auch nur an der Schulter getroffen worden.« »Nur ist gut.« Julie schloss die Augen und durchlebte erneut den Moment, als Matt von einer Kugel getroffen zusammenbrach, wie er sich die verletzte Schulter hielt und ihm das Blut durch die Finger rann. Matt war Fotograf, und Julie war mit ihm in die USA ge-
flogen, um eine Reportage über den Wahlkampf zur Präsidentenwahl zu machen. Sie hatten sich auf einen langen und langweiligen Rückflug eingestellt, als plötzlich die Stimme des Kapitäns aus den Lautsprechern erklang und die Passagiere informierte, dass arabische Terroristen ihn mit vorgehaltener Waffe gezwungen hätten, zurück in die USA zu fliegen, um so die Freilassung einiger Gesinnungsgenossen zu erreichen. Zurück in den Staaten, begannen dreitägige, Nerven aufreibende Verhandlungen mit den Behörden. Unvorsichtigerweise ließ Matt sich dazu hinreißen, einem Mitreisenden gegenüber seine Meinung zu äußern, dass die Regierung der USA nie und nimmer auf die Forderungen eingehen würde, als einer der Entführer direkt hinter ihm stand. Der zögerte nicht lange und drückte ab. Matt wurde vor Schmerzen ohnmächtig, und Julie schrie auf den Entführer ein, weil sie glaubte, dass er Matt umgebracht hätte. Um sie zum Schweigen zu bringen, schlug er ihr mit dem Schaft seines Revolvers ins Gesicht. Die Spuren waren jetzt noch zu sehen. Kurz darauf erwachte Matt aus seiner Ohnmacht. Weil er aber ziemlich viel Blut verloren hatte, erklärten sich die Entführer bereit, ihn freizulassen, damit er im Krankenhaus behandelt werden konnte. Es war jetzt zwei Tage her, dass sie aufgegeben hatten. Wie Matt es vorausgesagt hatte, weigerte sich die amerikanische Regierung hartnäckig, die Gefangenen freizugeben. Routinemäßig wurden alle Passagiere ins Krankenhaus gebracht, und dort hatte Julie Matt wieder gesehen. Wie seine Beschwerde über das Essen bewies, hatte er seinen Humor inzwischen wieder gefunden. Julie beneidete ihn fast darum – sie selbst stand noch immer unter Schock. »Es tut mit Leid, Liebes.« Steve drückte ihre Hand. »Ich wollte nichts verharmlosen. Hast du die Zeitung schon ge-
sehen?« Sobald sie aus dem Krankenhaus entlassen und in einem Hotel untergebracht worden war, hatte sie Doug, den Chefredakteur der Daily Probe, angerufen und ihren Bericht durchgegeben. Vor dem Abflug hatte sie sich die Zeitung gekauft. Über dem »Augenzeugenbericht« prangte ein Foto von Matt und ihr, auf dem sie kaum wieder zu erkennen war – wie auch der Bericht, den sie telefonisch durchgegeben hatte, kaum wieder zu erkennen war, so viel hatte ihr Kollege David Miles dazu erfunden. »Habe ich«, erwiderte sie kühl. »Das klingt ja nicht gerade begeistert.« »David macht aus mir die reinste Heulsuse. Na klar hatte ich Angst. Aber er soll mir ja nicht erzählen, dass es ihm anders ergangen wäre.« Unter ihren grünen Augen lagen dunkle Schatten, und trotz der Bräune wirkte ihr Gesicht blass. »Jedem wäre es so ergangen«, versuchte Steve sie zu beruhigen und drückte ihre Hand noch fester. »Und trotzdem ärgere ich mich, dass wir ausgerechnet diesmal nicht zusammengearbeitet haben.« Denn normalerweise bildeten sie ein Team, und durch die enge Zusammenarbeit waren sie sich näher gekommen. Seit etwa einem halben Jahr trafen sie sich gelegentlich auch außerhalb der Arbeit. Und obwohl sie nichts weiter als gute Freunde waren, war es für Julie mit die schönste Zeit ihres Lebens, weil sie in Steve jemanden hatte, der ihre Interessen teilte. Überdies war er ein attraktiver Mann. »Jetzt ist der Albtraum ja vorbei«, versuchte sie Steve zu beruhigen. »Und ich sehne mich nach nichts weiter als nach einem ganz normalen Leben. Nicht einmal, wenn Doug mich mit irgendeiner langweiligen Recherche beauftragt, werde ich protestieren.« Steve ließ ihre Hand los und strich behutsam über die Schrammen in ihrem Gesicht. »Tut’s noch weh?« fragte er
besorgt. »Nicht wirklich«, log sie. »Warum bist du auch bloß Journalistin geworden? Das ist doch wirklich kein Beruf für Frauen.« Sätze wie diesen kannte Julie nur allzu gut. Schließlich hatte es schon einmal jemanden in ihrem Leben gegeben, der sie mit allen Mitteln von ihrer Karriere hatte abhalten wollen. Mit einundzwanzig Jahren hatte sie den Mann getroffen, mit dem sie, wie sie damals glaubte, für immer zusammenbleiben wollte. Und weil er dasselbe für sie empfand, stand ihrem Glück eigentlich nichts im Weg. Eigentlich… Aber Zack war der Auffassung, eine Frau sei dafür gemacht, für ihren Mann zu sorgen und Kinder zu bekommen, und nicht dafür, zu arbeiten und Karriere zu machen – und schon gar nicht als Journalistin. Er behauptete steif und fest, dass dieser Beruf über kurz oder lang den Charakter einer Frau verderbe. Wie oft hatten sie deswegen miteinander gestritten, aber Zack war nicht bereit, auch nur einen Millimeter von seinem Standpunkt abzurücken. Und nicht zuletzt an dieser Sturheit war schließlich ihre Beziehung gescheitert. Neu war allerdings, dass Steve so etwas sagte. Bislang hatte er sich nicht gerade als Chauvinist hervorgetan. Schließlich akzeptierte er ja auch, dass sie nicht miteinander ins Bett gingen – auch wenn Julie den Eindruck hatte, dass es ihm in letzter Zeit immer schwerer fiel. »Wie du schon gesagt hast: Es hätte jeden erwischen können«, erwiderte sie. »Ja, das habe ich gesagt«, gab Steve widerwillig zu. »Aber du ahnst ja nicht, welche Sorgen ich mir um dich gemacht habe. Du willst dich bestimmt erst mal ein wenig ausruhen. Aber anschließend würde ich dich gern zum Essen einladen. Ich muss dringend etwas mit dir besprechen.« Julie war nicht in der Lage, sich über den weiteren Ver-
lauf des Abends Gedanken zu machen. Sie hatte nur den einen Wunsch, ins Bett zu sinken und wenigstens einige Stunden zu schlafen. Aber ein gutes Abendessen war ja schließlich auch nicht zu verachten. »Klingt verlockend«, sagte sie und nahm Steves Einladung an. Ihre Wohnung sah aus wie immer: sauber und ordentlich und absolut unpersönlich eingerichtet. Und das mit voller Absicht. Julie war so viel unterwegs, dass ihre Londoner Wohnung für sie weniger ein Zuhause als vielmehr so etwas wie ein Stützpunkt war, von dem aus sie ihre Reisen in alle Welt antrat und zu dem sie nur für kurze Zeit zurückkehrte. Aber als sie diesmal die vertraute Umgebung betrat, war sie den Tränen nahe. »Ich habe mir erlaubt, den Kühlschrank aufzufüllen«, sagte Steve mit sanfter Stimme. »Danke schön.« Nachdem Steve ein paar Mal vor der Tür warten musste, weil es bei Julie mal wieder später geworden war als geplant, hatte sie ihm einen Wohnungsschlüssel gegeben. Bisher hatte er ihn kaum benutzt. Jetzt aber war sie froh darüber, denn wenn sie erst einmal einige Stunden geschlafen hätte, würde sich bestimmt auch ihr Appetit wieder einstellen. Auf dem Weg in ihre Wohnung hatte sie den Briefkasten geleert, und jetzt blätterte sie desinteressiert die Umschläge durch. Die meisten Briefe konnten getrost bis morgen warten. Nur den von ihrer Freundin Connie würde sie lesen, sobald sie allein wäre. »Soll ich den Koffer ins Schlafzimmer stellen?« fragte Steve und riss sie aus ihren Gedanken. »Ja, bitte«, antwortete sie und lächelte Steve an. Er erwiderte ihr Lächeln. Für ihn war die Frau, der er gegenüberstand, der Inbegriff weiblicher Schönheit und Eleganz. Ihre großen grünen Augen waren von dunklen Wimpern gekrönt, ihre Nase war klein und gerade, und ihr Mund wirkte selbst dann nicht streng, wenn sie nicht lächelte,
weil die Unterlippe einen Hauch größer war als die Oberlippe. Ihr maßgeschneidertes schwarzes Kostüm betonte ihren perfekten Körper mehr, als dass es ihn verhüllte, und ihre geschmeidigen langen Beine und ihre Größe verliehen ihrer Anmut den letzten Schliff. »Der Koffer kann warten. Ich muss dich jetzt sofort küssen!« Steve ließ das Gepäckstück fallen, umfasste Julie und presste den Mund auf ihren. Er machte nicht einmal den Versuch zu verbergen, wie sehr er sie begehrte. »Ach Julie, du ahnst ja nicht einmal, wie sehr du mir gefehlt hast. Wie sehr ich mir wünsche, dass wir uns endlich lieben!« »Bitte lass das, Steve«, sagte Julie bestimmt und löste sich von ihm. »Du weißt genau, dass ich das nicht will.« »Genau darüber wollte ich mit dir reden, Julie.« »Bitte, Steve, nicht jetzt«, flehte sie fast, und plötzlich war ihr anzusehen, wie sehr die Erlebnisse der vergangenen Tage sie mitgenommen hatten. »Wie du meinst.« Es war mehr als deutlich, welche Mühe es ihm machte, sich zu beherrschen. »Aber nachher reden wir miteinander, ja? Versprichst du mir das?« Der Nachdruck, den Steve seinen Worten verlieh, versprach nichts Gutes – noch weniger tat es der Blick, mit dem er Julie ansah. Aber ihr war klar, dass sie dem Gespräch nicht ewig ausweichen konnte. »Versprochen«, stimmte sie ohne große Begeisterung zu. »Aber jetzt muss ich mich wirklich erst mal ausruhen.« Steve schien spürbar erleichtert. »Ich muss ohnehin wieder in die Redaktion. Doug wollte mich eigentlich gar nicht gehen lassen.« »Das sieht ihm ähnlich«, sagte Julie und ließ sich aufs Bett sinken. »Findest du? Dann habe ich eine Überraschung für dich.« Steve brachte den Koffer ins Schlafzimmer und sah Julie mit großen Augen an. »Er hat dir die ganze Woche freigegeben. Da staunst du, nicht wahr?«
Julie musste unwillkürlich lachen. »Ziemlich großzügig, vor allem, wenn man bedenkt, dass heute schon Donnerstag ist.« Jetzt musste auch Steve lachen. »Doch nicht diese Woche. Die nächste.« »Die ganze Woche?« fragte Julie ungläubig. »Die ganze Woche.« »Warum denn das?« Steve zuckte die Schultern. »Nach allem, was du durchgemacht hast, hast du eine Pause verdient.« »Aber Doug würde doch nie…« »Angesichts der besonderen Umstände…« »Du glaubst doch wohl selbst nicht, dass ich eine Woche lang Däumchen drehen werde«, unterbrach sie ihn. Der Gedanke, eine ganze Woche untätig allein in der Wohnung zu sitzen, war ihr unerträglich. Was sie jetzt brauchte, war kein Urlaub, sondern unter Menschen zu sein. »Ich habe Doug gleich gesagt, dass du dich darauf nicht einlassen wirst«, stellte Steve fest. »Darum habe ihn gebeten, mir auch eine Woche freizugeben. Dann könnten wir gemeinsam etwas unternehmen.« »Und? Wie hat er reagiert?« Steve verzog das Gesicht. »So großzügig ist er nun auch wieder nicht. Im Gegenteil, er hat mir mitgeteilt, dass ich für eine Reportage in Jugoslawien eingeteilt bin.« »Klingt doch nicht schlecht.« »Im Grunde genommen nicht. Aber das bedeutet natürlich, dass ich nicht da bin, falls du mich brauchst.« »Ich brauche jetzt nur eine sinnvolle Beschäftigung«, versuchte Julie, Steves Bedenken zu zerstreuen. »Wenn ich eine Woche hier rumsitze, drehe ich noch durch.« »Wenn du am Montag in der Redaktion auftauchst, schicken sie dich postwendend wieder nach Hause.« Bei dem Gedanken daran konnte Steve sich ein herausforderndes Lächeln nicht verkneifen.
»Ich werde Doug anrufen. Vielleicht kann ich ihn ja umstimmen.« »Keine Chance.« »Das werden wir ja sehen.« »Wie du willst.« Steve beugte sich zu Julie hinunter und küsste sie flüchtig auf den Mund. »Jetzt ruh dich erst mal aus. Um acht Uhr hole ich dich ab, einverstanden?« »Gehen wir zu Mario?« fragte Julie. »Wenn du möchtest.« Mario hieß der Inhaber eines kleinen italienischen Restaurants, das Steve und Julie zufällig entdeckt hatten, als sie das erste Mal zusammen ausgegangen waren. Es lag versteckt in einer kleinen Seitenstraße und war deshalb nicht so überlaufen. Und das obwohl Mario fantastisch kochte und überdies ein freundlicher, zugleich zurückhaltender Gastgeber war. Genau danach stand Julie heute Abend der Sinn. Als Steve gegangen war, telefonierte Julie mit Doug. Aber wie Steve angenommen hatte, biss sie bei ihrem Chef auf Granit. Er verbot ihr regelrecht, im Lauf der kommenden Woche in der Redaktion aufzutauchen. Wohl oder übel musste Julie sich überlegen, was sie mit der vielen Zeit anfangen sollte. Zu dumm, dass Steve ausgerechnet jetzt auf Dienstreise musste. Zu dumm auch, dass Julie genau wusste, dass sie kein Auge zumachen würde, bevor sie nicht Connies Brief gelesen hatte. Einerseits freute sie sich auf Neuigkeiten von ihrer ältesten und besten Freundin, andererseits fürchtete sie sich davor, sie könnte auch auf Zack zu sprechen kommen. Aber nachdem sie geduscht hatte, konnte sie es nicht länger hinauszögern. Also öffnete sie den Umschlag, zog mehrere eng beschriebene Seiten heraus und begann zu lesen. Connie hatte die Gabe, selbst die alltäglichsten Dinge so zu berichten, als wären sie ein Abenteuer, und ein paar
Mal musste Julie laut darüber lachen, was sie über ihren Mann Ben und die Kinder zu erzählen hatte. Nicholas war mittlerweile drei Jahre alt und ein ziemlicher Lausejunge, und obwohl Suzanne nun auch schon ein ganzes Jahr auf der Welt war, hatte Julie sie erst ein einziges Mal gesehen. Nachdem sie mehrmals umgeblättert hatte, hoffte Julie schon, Connie würde Zack gar nicht erwähnen, als sie plötzlich über seinen Namen stolperte. Und was sie dort lesen musste, traf sie mehr, als sie es für möglich gehalten hatte. Allem Anschein nach hatte Zack eine neue Freundin. Sie hieß Teresa und war laut Connie eine reizende Frau. Sogar die Kinder kämen gut mit ihr aus. Zack und sie kannten sich schon ein paar Monate, und es schien tatsächlich etwas Ernstes zu sein. Julie knüllte vor Wut den Brief zusammen und streckte sich auf ihrem Bett aus. Vor mittlerweile drei Jahren hatten Zack und sie sich getrennt, aber noch immer wühlte sie der Gedanke, er könnte eine andere Frau lieben oder gar heiraten wollen, innerlich auf. Dabei passten sie gar nicht zueinander, hatten schon damals nicht zueinander gepasst. Zack war es wahnsinnig schwer gefallen, das zu akzeptieren, aber irgendwann hatte er es eingesehen. Mittlerweile schien er ja über die Trennung hinweg, denn immerhin liebte er jetzt diese Teresa. Und sie, Julie, hatte Steve. Warum machte ihr dann der Gedanke, dass Zack eine neue Partnerin hatte, bloß so zu schaffen? Seit ihrer Trennung hatte sie ihn nicht mehr gesehen. Aber sie erinnerte sich in jedem Detail an den Mann, den sie einmal geliebt hatte. Er war ein gut aussehender, großer und schlanker Mann mit dunklem, mittellangem Haar und kräftigen Brauen über den eisgrauen Augen, einer ganz leichten Hakennase, einem sinnlichen Mund und einer ausgeprägten Kinnpartie. Da er obendrein eine schier grenzenlose Energie besaß und alles, was er anfasste, zum
Erfolg führte, hatte Zachary Reedman so ziemlich alles, was sich eine Frau von einem Mann nur wünschen konnte. Aber obwohl er sich vor Verehrerinnen kaum retten konnte, war er Julie in dem einen Jahr, in dem sie zusammen waren, absolut treu. Zack hatte immer gesagt, dass er bis zu seinem vierzigsten Geburtstag eine Familie gründen wollte. Wenn Julie sich richtig erinnerte, stand dieses Datum ziemlich kurz bevor. Zack wäre bestimmt ein guter Vater, streng, aber liebevoll, und es sah ganz so aus, als sollte Teresa die Mutter seiner Kinder werden. Julie wusste, dass Zack in den letzten drei Jahren immer mal wieder mit anderen Frauen ausgegangen war. Und warum auch nicht, für sie selbst galt ja schließlich das Gleiche, was Männer anbetraf. Aber sie wusste auch, dass da nie etwas Ernsthaftes gewesen war. Bei Teresa war das etwas anderes, das spürte sie genau, sonst hätte Connie sie gar nicht erwähnt. Das Klingeln des Telefons ließ Julie hochschrecken. Wie benommen nahm sie den Hörer ab. »Bist du’s, Julie?« fragte eine Stimme am anderen Ende der Leitung. Sofort erkannte Julie die vertraute Stimme ihrer Freundin. »Was für ein Zufall, Connie! Ich lese gerade deinen Brief.« »Ach, der ist doch schon längst überholt. Sag mir lieber, wie es dir geht. Ich habe heute Morgen dein Bild in der Zeitung gesehen. Das ist ja fürchterlich, was dir passiert ist.« »Na ja, lustig war es wirklich nicht«, versuchte Julie zu scherzen. »Aber mein Chef hat mir eine Woche freigegeben, damit ich mich erholen kann.« »Das trifft sich ja bestens, Julie. Ben und ich wollten dir nämlich anbieten, dass du ein paar Tage zu uns aufs Land kommst.« »Bist du sicher, dass es eine gute Idee ist?«
»Na hör mal, schließlich bist du meine beste Freundin.« »Schon, aber Ben ist Zacks Bruder«, wandte Julie ein. »Du wirst lachen, aber eigentlich war es sogar Bens Idee.« »Wirklich?« Julie konnte ihre Überraschung nicht verbergen. »Jetzt hast du keine Ausrede mehr«, frohlockte Connie. Es sprach tatsächlich nichts dagegen, für einige Tage die Stadt zu verlassen – zumal auch Steve morgen früh abreisen musste. »Du hast gewonnen«, gab Julie ihren Widerstand auf. »Ich komme.« »Wunderbar. Ich freue mich auf dich. Bis morgen.« Während Julie sich für den Abend mit Steve zurechtmachte, fragte sie sich, ob es richtig gewesen war, die Einladung anzunehmen. Connie war zweifellos ihre beste Freundin, und durch Julie hatte sie Ben überhaupt kennen gelernt. Zack und er waren zwar keine Zwillinge, aber ihre Ähnlichkeit war groß genug, dass sie jedes Mal, wenn sie ihn sah, schmerzlich an seinen Bruder erinnert wurde. Sollte sie sich dieser Situation wirklich freiwillig und für mehrere Tage aussetzen? Als sie später in Marios Restaurant saßen, spürte Julie genau, wie bedrückt Steve war. Und je länger sie sich weigerte, mit ihm zu reden, umso wütender wurde er auf sie. Während des Essens sprachen sie kaum ein Wort, und erst als der Ober den Kaffee gebracht hatte, erzählte Julie von ihren Plänen. »Vorhin hat mich eine alte Freundin angerufen und mich eingeladen, für ein paar Tage zu ihr aufs Land zu kommen.« »Aber?« Steve setzte sich aufrecht hin und blickte Julie fragend an. Prompt merkte sie, dass sie errötete. »Kein Aber. Es gibt keinen Grund, nicht zu fahren. Connie Reedman ist eine alte Freundin…« »Ist das nicht die Frau von Ben Reedman, dem Bruder
von Zachary?« »Ja, das ist sie«, antwortete sie, auch wenn das Verhör sie zunehmend verunsicherte. »Jetzt verstehe ich.« Julie geriet von einer Verlegenheit in die nächste. »Was verstehst du jetzt?« »Deine Zurückhaltung in sexuellen Dingen«, erwiderte Steve traurig. »Bedeutet er dir immer noch so viel?« Julie brauchte eine ganze Weile, um den Kloß im Hals herunterzuschlucken. »Ich verstehe wirklich nicht, was du meinst. Zachary Reedman hat mir nie etwas bedeutet.« Enttäuscht ließ Steve den Kopf hängen. »Warum lügst du mich an, Julie? Jeder in unserer Branche weiß, dass ihr vor ein paar Jahren mal ein Verhältnis hattet.« »Jeder in unserer Branche…« wiederholte sie wie benommen. »Na ja, vielleicht nicht jeder, aber jeder, der schon etwas länger im Geschäft ist. So wie ich.« »Und warum hast du nie etwas gesagt?« Steve zuckte die Schultern. »Was hätte ich denn sagen sollen? Du hattest ein Verhältnis mit ihm. Aber das war einmal. Und das, was war, geht mich nichts an.« Ungläubig sah Julie ihn an. »Aber du scheinst doch schon länger vermutet zu haben, dass ich seinetwegen in all den Monaten, die wir uns jetzt kennen, nicht mit dir schlafen…« »Ich will wissen, ob er dir immer noch so viel bedeutet.« »Nein«, antwortete sie mit fester Stimme. »Das klingt, als wärst du dir deiner Sache sicher.« »Das bin ich auch.« »Zachary ist ein mächtiger und einflussreicher Mann.« »Es gibt Wichtigeres im Leben als Macht und Einfluss«, hielt sie Steve entgegen. Julie kannte den Ruf, den Zack in der Zeitungsbranche genoss, selbst am besten. Aber sie wusste auch um die
Schattenseiten der Macht. Hätte sie sonst die Global News verlassen? Und sie hatte das tun müssen, um ihre Karriere als Journalistin fortsetzen zu können – schließlich war Zack der Besitzer. Sie hatte gekündigt und bei der Daily Probe angefangen. Und allem Einfluss, den Zack hatte, zum Trotz – so weit reichte sein langer Arm dann doch nicht. »Es gibt wahrlich Wichtigeres im Leben als Macht und Einfluss«, wiederholte sie bitter. »Ich bin ganz deiner Meinung«, sagte Steve, streckte den Arm aus und nahm Julies Hand. »Und deshalb würde ich jetzt gern über uns sprechen.« Nervös fuhr Julie sich mit der Zunge über die Lippen. Sie wusste, sie konnte dieses Gespräch nicht länger hinauszögern. Und sie wusste auch, dass es das Ende ihrer Freundschaft bedeuten konnte. »Über uns?« versuchte sie, überrascht zu wirken. »Genau.« Steves Stimme klang bestimmt und entschlossen. »Wir sind jetzt seit einem halben Jahr befreundet, Julie, und ich finde, es ist an der Zeit, dass wir überlegen, wie es mit uns weitergehen soll.« »Findest du?« fragte Julie unsicher. »Ja, das finde ich. Schließlich bin ich mit meinen vierunddreißig Jahren nicht mehr der Jüngste, Julie. Und du bist immerhin auch schon sechsundzwanzig…« »Schönen Dank für das Kompliment. Aber ich weiß selbst, dass ich kein junges Mädchen mehr bin«, stellte sie spöttisch fest. »Warum willst du mich nicht verstehen?« fragte Steve verärgert. »Du weißt genau, dass du auch mit sechzig noch begehrenswert sein wirst.« »Hoffentlich nicht«, wandte Julie ein. Nach all dem Ärger, den ihr die Männer bislang eingebrockt hatten, wollte sie die Hoffnung nicht aufgeben, dass wenigstens im Alter damit Schluss sein würde. »Und ob!« beharrte Steve auf seiner Ansicht. »Aber
darum geht es jetzt nicht, sondern darum, dass ich deine Zurückhaltung immer weniger ertrage. Es reicht mir einfach nicht mehr, dich immer nur küssen und streicheln zu dürfen.« »Ich dachte mir, dass du so etwas sagen würdest. Aber ich habe dir von Anfang an gesagt, dass ich keinen Bedarf an einem Verhältnis habe.« »Gebranntes Kind scheut das Feuer«, sagte Steve und nickte wissend. Julie wurde rot. »Das wollte ich nicht damit sagen.« »Umso besser, Julie. Ich bin an einem Verhältnis nämlich genauso wenig interessiert wie du. Weißt du, was ich möchte? Ich möchte, dass du… dass du meine Frau wirst.« »D… Deine Frau?« fragte Julie stockend. »Ja, meine Frau! Überrascht dich mein Antrag so sehr?« Steve lächelte verlegen. »Allerdings«, gab Julie unumwunden zu, denn mit allem hatte sie gerechnet, aber nicht damit. »Das hatte ich befürchtet.« Er seufzte und zog betreten die Hand zurück. »Ich kann mir vorstellen, dass du von deinem zukünftigen Ehemann mehr und anderes erwartest, als ich dir bieten kann. Aber weil wir beruflich so ein gutes Team abgeben, dachte ich, es könnte im Privaten vielleicht auch funktionieren.« Verwundert blickte sie Steve an. »Heißt das, du würdest akzeptieren, dass ich weiterhin arbeite?« »Na klar! Du bist eine verdammt gute Journalistin, Julie«, sagte er aus tiefster Überzeugung. »Warum solltest du also nicht arbeiten? Jedenfalls solange wir keine Kinder haben«, fügte er mit einem Lächeln hinzu. Julie zuckte zusammen. »Kinder?« fragte sie reserviert. »Soll das heißen, dass du Kinder haben möchtest?« »Selbstverständlich wünsche ich mir welche! Wie jeder normale Mensch.« »Dann bin ich eben kein normaler Mensch«, erwiderte
Julie bitter. »Ich wünsche mir nämlich keine.« »Vielleicht später«, versuchte Steve sie zu besänftigen. »Wir haben so viel Zeit.« »Du verstehst mich nicht«, fuhr sie ihn an. »Ich will keine Kinder, jetzt nicht und später auch nicht.« »Aber Julie…« Julie ließ Steve jedoch nicht ausreden. »Die meisten Frauen wünschen sich Kinder, ich weiß. Ich aber nicht. Und damit basta!« »Wer weiß, vielleicht änderst du deine Meinung…« »Nein, Steve. Ich werde meine Meinung nicht ändern.« So, wie sie es sagte, klang es tatsächlich endgültig. »Und weißt du auch, warum? Weil ich an einer Ehe, wie sie dir vorschwebt, nicht das geringste Interesse habe. Ich bin nicht die Frau, die ihre Erfüllung darin findet, am Herd zu stehen und die Kinder zur Schule zu bringen, das Haus zu putzen und das Essen zu servieren, wenn du von der Arbeit kommst. Ich bin es nicht und werde es nie sein.« »Einer Frau wie dir bin ich noch nie begegnet.« Ratlos blickte Steve Julie an. »Du willst nicht heiraten, ein Verhältnis willst du auch nicht. Aber allein kannst und willst du auch nicht sein. Ich blicke da nicht mehr durch.« »Armer Steve«, entgegnete sie und ließ die Fingerspitzen über sein Kinn gleiten. »Mach dich nicht lustig über mich, Julie.« Seine Stimme klang fast wütend. »Es ist mir absolut ernst mit meinem Heiratsantrag.« »Ich weiß«, sagte Julie traurig. »Und trotzdem lautet deine Antwort nein?« fragte Steve niedergeschmettert. »Ich…« »Bitte sag jetzt nichts, Julie«, unterbrach er sie. »Du kannst ja noch einmal darüber nachdenken, während ich in Jugoslawien bin. Und wenn du keine Kinder willst, würde ich auch das akzeptieren. Ich will einfach nur, dass du
meine Frau wirst.« »Steve…« »Bitte, Julie, nicht jetzt. Tu mir den Gefallen. Wer weiß, vielleicht vermisst du mich in den nächsten Tagen sogar ein wenig.« »Darauf kannst du Gift nehmen«, sagte sie, ohne zu zögern. »Das klingt doch schon besser. Und jetzt lass uns von hier verschwinden, damit ich mich wenigstens noch gebührend von dir verabschieden kann.« Als sie in Julies Wohnung angekommen waren, unternahm Julie erneut einen Anlauf, mit Steve zu reden, um ihm endlich reinen Wein einzuschenken. Schließlich würden sie morgen früh beide abreisen, allerdings in verschiedene Richtungen, und sie würden sich eine ganze Woche nicht sehen. Aber Steve hatte kein Interesse daran, zu reden. Und kaum hatte er begonnen, sie zu küssen und zu streicheln, ging es Julie nicht anders. Später lag sie wach im Bett. Natürlich hatte Steve Recht, und natürlich konnte es so nicht weitergehen. Je zärtlicher sie einander küssten und streichelten, umso einsamer waren die Nächte, die jeder in seinem Bett verbrachte – allein. Vor einer halben Stunde war Steve gegangen. Es war ihm schwerer denn je gefallen, und obwohl Julie sich unter die kalte Dusche gestellt hatte, sehnte sie sich übermächtig nach Liebe und Zärtlichkeit. Sie war eine ganz normale Frau mit dem ganz normalen Wunsch, geliebt zu werden. Und Steves Antrag zurückzuweisen fiel ihr nicht leicht. Er wäre bestimmt ein zärtlicher und liebevoller Liebhaber. Aber sie konnte weder mit ihm schlafen, geschweige denn ihn heiraten. Schließlich war sie doch verheiratet! Sie war Zachary Reedmans Frau – und daran änderte auch nichts, dass sie ihren Mann seit drei Jahren nicht gesehen
hatte. Wenn es nach ihr gegangen wäre, hätten sie mit der Heirat noch gewartet. Aber Zack hatte sie so lange bedrängt, bis sie schließlich eingewilligt hatte. Er duldete nun mal keine Widerworte, und mit derselben Hartnäckigkeit, mit der er auf der Heirat bestanden hatte, hatte er von ihr verlangt, dass sie ihren Beruf aufgab. Sie hatte ihn dafür gehasst, und noch heute vermied sie es nach Möglichkeit, allzu häufig an ihn zu denken. Aber als sie sich nun schlaflos in ihrem Bett hin und her wälzte, meinte sie, die starken Arme eines Mannes spüren zu können, der sie tröstete und beschützte und sie endlich zur Ruhe kommen ließ. Und dieser Mann, nach dem sie sich jetzt sehnte, war nicht etwa Steve, sondern Zack. Ganz allein Zack. Als Julie sich am nächsten Mittag auf den Weg nach Hampshire machte, dachte sie nicht mehr an ihn. Stattdessen klappte sie das Verdeck ihres Kabrioletts auf und genoss die Fahrt über Land, durch grüne Wälder und entlang blühender Wiesen. Ganz bewusst hatte sie nicht die Autobahn genommen, sondern sich entschieden, über die Landstraße zu fahren. Ihr Bedarf an Risiko und Gefahr war fürs Erste gedeckt – auf der Straße wie im Leben. Obwohl sie todmüde gewesen war, als sie am Vorabend nach Hause gekommen war, hatte sie die ganze Nacht kein Auge zugemacht. Ein paar Mal war sie eingenickt, aber nur, um nach wenigen Minuten schweißgebadet wieder hochzuschrecken, weil sie geträumt hatte, dass eine Pistole auf sie gerichtet war. Die Anspannung und die Angst der letzten drei Tage waren doch zu groß gewesen, um sie so mir nichts, dir nichts abzuschütteln. Und solange die schützenden Arme nur in ihrer Vorstellung existierten… Entsprechend blass und erschöpft sah sie heute aus. Und obwohl sie sich stärker als sonst geschminkt hatte, war es
ihr anzusehen. Connie würde sofort merken, dass Julie gestern am Telefon gelogen hatte, als sie gesagt hatte, es gehe ihr schon wieder ganz gut. Der Schock steckte ihr noch in den Gliedern – sonst würde sie an diesem warmen Sommertag nicht frieren, und sonst hätte sie auch nicht diese dunklen Ränder unter den grünen Augen. Sogar Steve war besorgt gewesen, als sie ihn zum Flugplatz gebracht hatte. Aber sie hatte nur gelacht und ihn beruhigt, andernfalls hätte er auf der Stelle kehrtgemacht und wäre nicht nach Jugoslawien geflogen. Immerhin schien sie ihn überzeugt zu haben, denn guter Dinge war er ins Flugzeug gestiegen. Julie hatte noch Geschenke für die Kinder besorgt und sich dann auf den Weg gemacht. Nun freute sie sich darauf, Connie, Ben und die Kinder endlich wieder zu sehen und etwas Ruhe und Kraft zu tanken. Das Haus, in dem Connie mit ihrer Familie lebte, war dafür wie geschaffen. Für eine kleine Familie war es eigentlich viel zu groß, aber Connie hatte es verstanden, es so einzurichten, dass man sich darin behaglich wie in einer Puppenstube fühlte. Es lag auf einem großen Grundstück weitab von der Straße, umgeben von einem großen Zaun, so dass die Kinder gefahrlos den ganzen Tag über im Garten spielen konnten. Julie fuhr auf das Grundstück, parkte den Wagen und stieg aus, um das Gepäck aus dem Kofferraum zu holen. Plötzlich kam Lady, der Labrador der Familie, auf sie zugesprungen. Aber noch bevor Julie es mit der Angst zu tun bekommen konnte, leckte ihr der Hund freudig die Hand. Erstaunlich, dachte Julie, immerhin hatte er sie seit einem halben Jahr nicht gesehen. »Da bist du ja endlich«, rief eine Frauenstimme. Julie blickte auf und sah Connie auf sie zukommen. Sie sah wie immer blendend aus mit ihrem glatten, schulterlangen Haar und den blauen Augen, die immer lächelten.
Fast immer, denn als Connie Julie aus der Nähe sah, erschrak sie. »Meine Güte«, sagte sie entgeistert. »Ich weiß, Connie«, sagte Julie und umarmte ihre Freundin. »Ich sehe fürchterlich aus. Aber wenn die Schrammen erst einmal verheilt sind…« »Haben dir das die Entführer eingebrockt?« Julie nickte. »Wie kann man sich nur an einer wehrlosen Frau vergreifen? Na komm, Julie, lass uns ins Haus gehen. Die Kinder halten gerade ihren Mittagsschlaf, und solange können wir in Ruhe Tee trinken und uns unterhalten. Wenn sie wach sind, werden wir keine Gelegenheit dazu haben.« Arm in Arm betraten sie das Haus. »Wo ist Ben?« fragte Julie. »Im Büro. Zack musste beruflich ins Ausland, und jetzt bleibt die ganze Arbeit an Ben hängen.« Benjamin Reedman war nicht nur Zacks Bruder, sondern auch seine rechte Hand. Er kannte die Zeitungsbranche ebenso gut wie sein Bruder, und auch ohne viele Worte zu verlieren, arbeiteten sie sehr gut zusammen. »Ich würde mich gern ein wenig frisch machen, Connie. Einverstanden?« »Aber sicher«, sagte Connie strahlend. »Fühl dich wie zu Hause.« Als Julie die Tür des Bades im Obergeschoss hinter sich geschlossen hatte, setzte sie sich auf den Rand der Badewanne. Die Knie waren ihr weich geworden. Sie hatte ja geahnt, dass es ein Fehler gewesen war, herzukommen. Kaum hatte sie das Haus betreten, schon erzählte Connie von Zack. Sie meinte es ja nicht böse und ahnte nicht einmal, wie sehr es Julie mitnahm. Dabei stand ihr das Schlimmste noch bevor. Gleich würde sie die Kinder begrüßen müssen, und Nicholas war seinem Onkel wie aus dem Gesicht geschnitten. Gut und gern hätte er der Sohn sein können, den Zack sich immer gewünscht hatte.
Als Julie sich wieder gefangen hatte, ging sie zurück ins Wohnzimmer. Connie schenkte ihnen Tee ein. »Wenn mich nicht alles täuscht, kommt Nicholas gerade die Treppe herunter«, sagte sie plötzlich. Julie erschrak. »Ich hoffe, ich habe die Kinder nicht geweckt.« Connie schüttelte den Kopf. »Keine Sorge. Nach den Kindern kannst du die Uhr stellen: Pünktlich um halb drei ist es mit der Ruhe vorbei.« In diesem Moment ging die Tür auf, und Nicholas Reedman betrat das Zimmer. Er war sehr groß für sein Alter, schlank, hatte große graue Augen und widerspenstige dunkle Locken. Je älter er wird, umso ähnlicher wird er Zack, dachte Julie. Bestimmt liebte Zack seinen Neffen und seine Nichte abgöttisch, wie er seine eigenen Kinder abgöttisch lieben würde. Nicholas musterte Julie misstrauisch, während er um den Tisch zu seiner Mutter ging und sich an sie klammerte. »Nicholas, das ist Tante Julie«, erklärte Connie ihrem Sohn. »Julie?« fragte er, und seine Miene hellte sich auf. »Ich habe dir auch ein Geschenk mitgebracht«, versuchte Julie, das Eis endgültig zum Schmelzen zu bringen. »Ein Polizeiauto?« »Das war beim letzten Mal.« Sie lachte gerührt, weil der Junge sich daran erinnern konnte. Überhaupt war die Situation weniger unangenehm, als sie befürchtet hatte. Aber diesen kleinen Kerl musste man auch einfach gern haben. »Diesmal habe ich dir etwas anderes mitgebracht.« »Das ist glatte Bestechung«, schimpfte Connie scherzhaft, als Nicholas den Bauernhof ausgepackt hatte, den Julie für ihn ausgesucht hatte. »Aber es funktioniert.« Julie lächelte, weil der Junge sie vor Freude umarmte. Unterdessen war auch Suzanne im Wohnzimmer ange-
kommen. Mit dem blonden gewellten Haar und den blauen Augen glich sie eher ihrer Mutter. Über den Brummkreisel, den Julie ihr mitgebracht hatte, freute sie sich nicht minder als ihr Bruder über sein Geschenk. »Das hast du dir immer gewünscht, nicht wahr, Connie?« fragte Julie und sah den beiden Kindern zu, die glücklich und zufrieden auf dem Fußboden des Wohnzimmers ihre neuen Spielsachen ausprobierten. »Ehefrau und Mutter zu sein«, erklärte sie auf Connies fragenden Blick hin. Connie nickte. »Ja, das habe ich mir immer gewünscht. Wie du dir immer gewünscht hast, Journalistin zu werden. Macht es dir immer noch so viel Spaß?« »Und ob«, antwortete Julie heftig. Sie ging so sehr in ihrem Beruf auf, dass sie sich nichts anderes vorstellen konnte. Und wenn sie sich nicht in die Arbeit hätte stürzen können, wäre sie nie und nimmer so schnell über den Schock hinweggekommen, den die Trennung von Zack für sie bedeutet hatte. »Selbst jetzt, nachdem…« Connie unterbrach sich. »Entschuldige bitte, Julie.« »Du brauchst dich nicht zu entschuldigen. Aber selbst nach allem, was ich in den letzten Tagen durchgemacht habe, will ich in meinem Beruf weiterarbeiten.« »Ist es das wert?« »Ja, das ist es«, entgegnete Julie aus voller Überzeugung. »Als wir in den Nachrichten gehört haben, dass ein Reporter der Daily Probe angeschossen worden ist, dachten wir natürlich sofort an dich.« »Wir?« fragte Julie und hatte plötzlich das Gefühl, einen Kloß im Hals zu haben. »Na, Ben und ich… und Zack. Ach Julie…« »Ich glaube, ich sollte Nicholas helfen, den Bauernhof aufzubauen.« Julie setzte sich zu dem Jungen auf den Fußboden und begann, das Gatter für die Tiere aufzustellen. »Und kein Wort mehr davon, Connie. Bitte.«
»Wie du meinst«, sagte ihre Freundin liebevoll. Und gemeinsam spielten sie den ganzen Nachmittag mit den Kindern. Gegen halb acht brachte Connie Suzanne ins Bett und steckte Nicholas in die Badewanne. Julie ging hinauf in ihr Zimmer, um sich für das Abendessen umzuziehen. Von dort aus beobachtete sie, wie Ben in seinem Auto auf das Grundstück fuhr und vor dem Haus parkte. Kurze Zeit darauf hörte sie ihn die Treppe heraufkommen und dann Nicholas, der vor Freude kreischte, als sein Vater das Badezimmer betrat. Julie hatte gehofft, es würde ihr gut tun, für einige Tage bei einer intakten Familie zu Gast zu sein, aber jetzt war sie sich da nicht mehr so sicher. Connie und Ben waren ohne Zweifel glücklich miteinander, und das erinnerte Julie daran, was sie alles vermisste. Um das aber zu ändern, brauchte sie ja nur Steve zu heiraten. Und anders als Zack bestand Steve nicht darauf, dass sie ihren Beruf aufgab. Vielleicht liebte sie ihn nicht so, wie sie Zack damals geliebt hatte. Aber sie war sich sicher, dass ihre Ehe harmonisch werden und sie Steve glücklich machen würde. Wenn auch nicht so glücklich, wie er es verdiente. Das, was er sich von ihr erhoffte, würde sie ihm nie geben können – und seien es auch nur die Kinder, die er sich so sehr wünschte. Aber verlieren wollte sie ihn auch nicht, dafür mochte sie ihn viel zu sehr. Die Situation war ziemlich verfahren, aber bis zum nächsten Wochenende musste sie eine Entscheidung treffen. Zu Recht erwartete Steve eine Antwort. Julie verdrängte schnell diese Gedanken und verließ ihr Zimmer. Als sie die Treppe hinunterging, ließ der weiche, fließende Stoff ihres Kleides ihren wohlgeformten Körper mehr erahnen, als dass er ihn betonte, und in den hochhackigen Sandaletten wirkte sie größer als ohnehin schon.
Kaum hatte sie das Wohnzimmer betreten, stand Ben vor ihr. »Hallo, Ben«, begrüßte sie ihn ein wenig nervös und gab sich alle Mühe, sich von seiner Ähnlichkeit mit Zack nicht allzu sehr beeindrucken zu lassen. Ben war groß und kräftig, ganz wie sein Bruder, und wie er hatte er dunkles, gewelltes Haar. Aber seine Konturen waren weicher, und seine warmen blauen Augen erinnerten in nichts an Zacks eisgraue. Immerhin war die Ähnlichkeit groß genug, um Julie zu verunsichern. »Wie geht’s dir, Julie?« fragte Ben, und Julie glaubte, in seinem Blick dasselbe Misstrauen zu beobachten, mit dem sie vorhin sein Sohn gemustert hatte. »Danke, gut«, antwortete sie steif. »Möchtest du einen Aperitif?« Ben ging zu einer Anrichte, auf der eine beeindruckende Anzahl von Flaschen aufgereiht war. »Gern«, nahm Julie die Einladung an und setzte sich an den Tisch. Seit der Trennung von Zack hatte sie Ben nicht mehr gesehen, und das Wiedersehen drohte unangenehmer zu verlaufen, als sie befürchtet hatte. Ben kam auf sie zu und reichte ihr ein Glas. »Bitte schön, ein trockener Sherry.« Julie lächelte nervös. »Dass du dich daran erinnerst!« »Du wirst dich wundern, an was ich mich alles erinnere.« Ben nahm ihr gegenüber Platz. »Ob du es glaubst oder nicht, ich habe in letzter Zeit häufig an dich gedacht.« Julie sah ihn verlegen an. »Aber hoffentlich nicht, weil du böse auf mich warst?« »Im Gegenteil, Julie, du weißt doch, wie ich zu dir stehe. Und unter uns gesagt: Wie könnte ich einer so schönen Frau böse sein?« schmeichelte er ihr. Julie errötete schlagartig. »Danke schön. Aber im Vergleich zu deiner zukünftigen Schwägerin bin ich doch bestimmt hässlich. Wie war doch noch ihr Name? Ach ja, Teresa.«
»Das hat Connie dir erzählt, stimmt’s? Aber ich wüsste nicht, dass die Rede von Heiraten war. Und selbst wenn: Warum zerbrichst du dir den Kopf darüber?« »Das tue ich nicht.« »Mach mir doch nichts vor, Julie. Dafür kenne ich dich viel zu gut. Ich weiß genau, wie sehr dich der Gedanke quält, Zack könnte wieder heiraten.« Julie biss sich auf die Lippe, dann trank sie einen kleinen Schluck aus ihrem Glas. Sie wollte überspielen, wie schwer es ihr fiel, über Zack und seine zukünftige Frau zu sprechen. Aber bestimmt hatte Ben es längst bemerkt. Überhaupt hatte Ben sich in den drei Jahren, die sie sich jetzt kannten, ziemlich verändert, und zwar zu seinem Vorteil. Aus Zacks kleinem Bruder war ein attraktiver und selbstbewusster Mann geworden. Sei es durch die Verantwortung als Familienvater, sei es durch die Verantwortung, die er für den Verlag hatte. Er war mittlerweile ebenso beeindruckend wie sein Bruder. Und ebenso direkt. »Ben, ich…« Plötzlich ging die Tür auf, und Connie betrat das Zimmer. »Alles klar bei euch?« fragte sie strahlend und blickte in die Runde. Sie trug jetzt ein braunes Samtkleid, und Connie und Ben wussten, dass sie sich beim Umziehen bewusst Zeit gelassen hatte, um ihnen die Gelegenheit zu geben, sich auszusprechen. Beide versicherten ihr, dass es keinerlei Probleme gebe – auch wenn das nicht die reine Wahrheit war. Aber schnell stellte sich wieder die alte Vertrautheit zwischen ihnen her. Und da niemand mehr über Zack sprach, verlief das Wochenende überaus harmonisch. Trotzdem war Julie nicht traurig, als Ben am Montagmorgen das Haus verließ, um zur Arbeit zu fahren. Sie genoss es, die Tage mit Connie und den Kindern zu verbringen.
Abends ging sie früh ins Bett. Zum einen, damit Connie und Ben wenigstens einige Minuten ungestört sein konnten, zum anderen, weil sie den Schlaf brauchte, um die Erlebnisse der vergangenen Woche zu verarbeiten. Aus diesem Grunde hatte sie auch wenig Lust gehabt, an ihrem letzten Abend in Hampshire Connie und Ben zu begleiten, die bei Freunden zum Abendessen eingeladen waren. »Komm doch mit, Julie«, hatte Connie gebeten. »Es ist unser letzter gemeinsamer Abend. Und wenigstens einmal sollten wir zusammen ausgehen.« Der Einwand war berechtigt, denn bereits zwei Mal waren sie ohne Julie ausgegangen. Aber an diesem Abend wollte sie unbedingt allein sein, vielleicht noch ein wenig fernsehen und zeitig ins Bett gehen. »Ich würde lieber hier bleiben«, sagte sie. »Schließlich habe ich morgen die Rückfahrt vor mir.« »So weit ist es bis London auch wieder nicht«, meinte Ben abfällig. »Ich fahre die Strecke schließlich jeden Tag hin und zurück!« »Trotzdem würde ich lieber hier bleiben. Zumal ich Kopfschmerzen habe«, suchte Julie nach einer Ausrede und bereute es im selben Moment, weil plötzlich auf dem Gesicht ihrer Freundin Sorgenfalten erschienen. »Warum hast du das nicht gleich gesagt?« reagierte Connie prompt so, wie Julie es befürchtet hatte. »Hast du Tabletten genommen?« »Das wollte ich machen, bevor ich ins Bett gehe.« Julie vermied es, Ben anzusehen. Sein skeptischer Blick verriet, er wusste, dass die Kopfschmerzen nur eine Ausrede waren. Und er hatte ja auch Recht. Der wahre Grund, warum sie nicht mitwollte, war tatsächlich ein anderer. »Bist du dir sicher, dass du nicht mitkommen willst?« fragte Ben spitz. Julie fühlte sich ertappt. »Ganz sicher. Außerdem kann
ich ja auf die Kinder aufpassen.« »Das übernimmt schon die Haushälterin«, ließ er nicht locker. »Ich bleibe trotzdem lieber hier.« Plötzlich mischte sich Connie wieder ins Gespräch. »Dann sollten wir vielleicht auch zu Hause bleiben«, schlug sie Ben vor. »Das ist wirklich nicht nötig«, versuchte Julie, ihrer Freundin diesen Gedanken auszureden, weil sie sich mehr als alles andere wünschte, den Abend allein zu verbringen – gerade diesen Abend. »Außerdem hättet ihr ohnehin nichts von mir. Ich werde früh ins Bett gehen.« Connie blickte Rat suchend ihren Mann an. »Was meinst du, Ben?« »Wir können sie schließlich nicht zwingen.« »Stimmt«, sagte Julie erleichtert. »Macht ihr euch nur einen schönen Abend.« Als Connie und Ben gegangen waren, gab Julie als Erstes der Haushälterin frei, um wirklich allein zu sein. Sie hatte nicht oft Depressionen, aber oft genug, um zu wissen, dass sie sie ernst nehmen sollte. Sie war deswegen sogar schon beim Arzt gewesen, aber der hatte es für eine völlig normale Reaktion auf ihre Trennung gehalten. Er hatte ihr Tabletten verschrieben, die Julie aber nie genommen hatte. Die Ärzte machten es sich leicht. Sie verschrieben ein Beruhigungsmittel, und ehe man sich’s versah, war man davon abhängig. Und genau davor wollte Julie sich hüten. Nie wieder wollte sie von irgendetwas oder irgendjemandem abhängig sein. Schließlich litt sie noch jetzt unter den Entzugserscheinungen. Schon komisch, dass ihr bei dem Gedanken an ihren Ehemann das Wort »Abhängigkeit« einfiel, aber es beschrieb das Verhältnis durchaus treffend. Sie hatte von Anfang an gewusst, dass er nicht der Richtige für sie war, hatte sich
gegen ihre Gefühle zu wehren versucht – vergebens. Nach und nach war sie ihm völlig verfallen, und er hatte sich nicht geniert, das auszunutzen. Natürlich hatte es anfangs auch schöne Zeiten gegeben, aber an die wollte sie sich nicht mehr erinnern. Sie wusste nur, dass sie heute Nacht die Schlaftabletten, die ihr der Hausarzt mitgegeben hatte, nehmen würde, weil sie dann nicht an Zack denken müsste. Bevor sie noch einen Blick ins Kinderzimmer warf, ging sie ins Badezimmer, um heißes Wasser in die Wanne zu lassen. Ein Bad würde ihr sicherlich gut tun und vielleicht die schwärzesten Gedanken vertreiben. Außerdem wusste sie aus Erfahrung, dass es eine Weile dauerte, bis die Tabletten wirkten. Dann aber würde sie mehrere Stunden traumlos schlafen. In ihrer derzeitigen Stimmung ein überaus tröstlicher Gedanke. Die Kinder lagen wie kleine Engel in ihren Betten und schliefen friedlich. Sie erinnerten so gar nicht an die kleinen Quälgeister, die ihre Mutter tagsüber ganz schön tyrannisieren konnten. Connie hatte unendliche Geduld mit ihnen, und Julie bewunderte sie dafür. Aber sosehr sie in der vergangenen Woche die beiden auch lieb gewonnen hatte, so wenig sehnte sie sich nach eigenen Kindern. Nachdem sie gebadet hatte, trocknete sie sich ab und zog sich ihr Nachthemd über. Es reichte ihr kaum bis zu den Knien, und da sie nicht geschminkt war, sah sie wie ein sechzehnjähriges unbekümmertes Mädchen aus. Wenn sie sich doch auch so fühlen würde! Als sie auf den Flur trat, um in ihr Zimmer zu gehen, klingelte es an der Haustür. Wie angewurzelt blieb Julie auf dem Treppenabsatz stehen und blickte starr auf den Schatten, der durch die Glasscheiben der Haustür schemenhaft zu erkennen war, als plötzlich ein Schlüssel ins Schloss gesteckt und langsam die Tür geöffnet wurde. Atemlos und zu Tode erschrocken, erkannte sie, wer der
Eindringling war. Denn wenn er auch älter und noch ein wenig schlanker wirkte, als sie ihn Erinnerung hatte, und wenn die ersten grauen Strähnen in seinen Locken und einige kleine Fältchen in seinem markanten Gesicht zu erkennen waren, gab es keinen Zweifel: Dort unten am Fuß der Treppe stand Zack, der Mann, mit dem sie immer noch verheiratet war.
2. KAPITEL Aber nicht nur ihr, sondern auch Zack verschlug dieses unerwartete Wiedersehen die Sprache. Sie sahen einander ungläubig an, und beide erinnerten sich schlagartig an die Zeit, als sie sich kennen gelernt hatten. Die ersten Erfahrungen als Journalistin hatte Julie bei einer Provinzzeitung in Sleaford gesammelt, der Stadt, in der sie aufgewachsen war. Weil sie ehrgeizig war, hatte sie sich in London bei den Global News beworben und war zu ihrer großen Freude genommen worden. Als sie an einem Montagmorgen vor vier Jahren das erste Mal an ihrem neuen Arbeitsplatz saß, betrat ein großer, schlanker, dunkelhaariger und unverschämt gut aussehender Mann das Büro, um irgendetwas mit Julies direktem Vorgesetzten Frank Black zu besprechen. Genau so hatte sich Julie immer ihren Traummann vorgestellt, und ungläubig beobachtete sie ihn, während er sich mit Frank unterhielt. Als er sich umwandte, um das Büro wieder zu verlassen, schaute er in Julies Richtung, die instinktiv errötete und den Blick senkte. Eigentlich hatte sie geglaubt, mit ihren mittlerweile zweiundzwanzig Jahren würde ihr so etwas nicht mehr passieren. Und bei einem weniger attraktiven Mann wäre es bestimmt auch nicht geschehen.
Wenige Tage später begegnete sie ihm auf dem Korridor wieder. Julie war gerade auf dem Weg zu ihrem Schreibtisch, als der Mann, dessen Namen sie nicht kannte, ihr entgegenkam. Und vielleicht hätten sie sich gar nicht kennen gelernt, wenn sie einfach ganz normal weitergegangen wäre. Aber vor lauter Verlegenheit blätterte sie in den Unterlagen, die sie in Händen hielt, und stieß prompt mit ihm zusammen. Er half ihr, die Papiere aufzulesen, stellte sich als Zacharias Reedman, Inhaber der Global News, vor und lud sie zum Essen ein. Selbstverständlich lehnte sie ab, schließlich konnte er es nicht ernst meinen. Warum sollte der Besitzer einer großen Zeitung ausgerechnet eine seiner Reporterinnen ausführen? Und dann auch noch die jüngste und unerfahrenste! Aber sie unterschätzte Zacks Hartnäckigkeit. Eine Woche lang überhäufte er sie mit Anrufen, und ihre Kollegen begannen sich schon zu wundern. Und irgendwann wurde sie neugierig auf den Mann, der so gar nicht locker ließ, und sie erklärte sich einverstanden, nach Feierabend einen Drink mit ihm zu nehmen. Außerdem war sie sich sicher, dass sein Interesse schnell nachlassen würde, wenn er sie erst einmal näher kennen gelernt hatte. Das Gegenteil war der Fall. Der ersten Verabredung war schnell eine zweite gefolgt, der zweiten eine dritte und so fort, bis sich Julie nach drei Wochen bewusst wurde, dass sie jeden Abend mit Zack verbracht hatte. Darüber erschrak sie so sehr, dass sie unter einem Vorwand seine beiden nächsten Einladungen ausschlug. Aber Zack durchschaute sie und bedrängte sie so lange, bis Julie sich wieder mit ihm traf. Als sie abends beim Essen zusammensaßen, fragte er sie wie aus heiterem Himmel, ob sie seine Frau werden wolle. Einen Moment lang fürchtete Julie, in Ohnmacht zu fallen. Als sie sich wieder gefangen hatte, suchte sie nach Gründen, die gegen eine
Heirat sprachen. Schließlich kannten sie sich doch erst wenige Wochen, und außerdem war er ihr Chef. Aber erneut unterschätzte sie Zacks Entschlossenheit, und eh sie sich’s versah, standen sie vor einem Standesbeamten und gaben sich das Jawort. Julie bestand nur darauf, dass ihre Heirat geheim bleiben sollte. Sie fürchtete, von ihren Kollegen geschnitten zu werden, zumal von den Kolleginnen, die Zack unheimlich sexy fanden und Julie ihre Eroberung bestimmt geneidet hätten. Auch wenn Zack nur widerwillig zustimmte, hielt er sich an die Abmachung, und da es später, erst recht nach ihrer Trennung, keinen Grund gab, die Sache an die große Glocke zu hängen, wussten bis heute nur Connie und Ben davon, die ihre Trauzeugen gewesen waren. Im ersten halben Jahr ihrer Ehe lief scheinbar alles zum Besten. Beide waren zwar beruflich viel unterwegs und deshalb häufig getrennt, wenn sie sich aber in der gemeinsamen Wohnung trafen, war es jedes Mal, als verbrachten sie gerade ihre Flitterwochen. Nachdem Julie jedoch einmal einen ganzen Monat auf Reisen war, konfrontierte Zack sie zum ersten Mal mit der Forderung, sie möge sich entscheiden zwischen ihm und ihrer Karriere. Julie wollte sich nicht erpressen lassen, und so begann ein monatelanger Kleinkrieg darum, wer sich durchsetzen würde. Außerdem war Zack irrsinnig eifersüchtig, und das, obwohl Julie ihm nicht den geringsten Anlass dafür bot. Als sie von einer Reportage aus Südafrika zurückkam, warf er ihr vor, mit dem Fotografen, der sie begleitet hatte, eine Affäre zu haben. Ein haarsträubender Vorwurf, aber als sie Zack das sagte, geriet er außer sich und setzte ihr ein Ultimatum. An das, was dann passierte, dachte Julie heute noch nur ungern zurück. Lieber wollte sie alles vergessen, was damit
zusammenhing. Jedenfalls war ihr klar, dass sie sich von Zack trennen würde und es für sie ausgeschlossen war, unter diesen Umständen länger bei den Global News zu bleiben. Der Gedanke, ihn jeden Tag sehen zu müssen und doch zu wissen, dass es ein für alle Mal aus zwischen ihnen war, schien ihr unerträglich. Also hatte sie gekündigt und zum Glück bei der Daily Probe anfangen können. Zu ihrer Verwunderung hatte Zack nie die Scheidung eingereicht. Und so war sie noch immer seine Ehefrau und trug offiziell den Namen Reedman. Es war ihr allerdings nie in den Sinn gekommen, den Namen zu benutzen, geschweige denn, sich von anderen so nennen zu lassen. Für sie war der Gedanke, ihren Geburtsnamen abzulegen, gleichbedeutend damit, in das Eigentum des Mannes überzugehen, dessen Namen sie stattdessen annahm. Und das Eigentum eines anderen Menschen wollte sie nun wirklich nicht sein. Wohin das führte, hatte sie bei ihrer Mutter erlebt. Sollte sich Zack doch scheiden lassen und diese Teresa heiraten. Dann könnte er auch die Familie haben, die er sich immer gewünscht hatte. Sollte Teresa doch erleben, wie es ist, wenn der Mann das Interesse an seiner Frau verliert, wie es ist, wenn er sich eine junge und hübsche Geliebte nimmt, nachdem seine Frau ihre Gesundheit und ihre Figur ruiniert hat, um seine Kinder zur Welt zu bringen. Nein, Julie hatte wahrlich keinen Bedarf, für so einen Mann den Fußabtreter zu spielen! Zack hatte sich als Erster wieder gefangen. »Bist du auf dem Weg ins Bett, oder ist es jetzt Mode, so rumzulaufen?« fragte er höhnisch und musterte Julie mit seinen eisgrauen Augen von Kopf bis Fuß. Sein Spott kam gerade recht, um Julie daran zu erinnern, dass vor ihr nicht nur der Mann stand, den sie einmal geliebt und geheiratet hatte, sondern vor allem derjenige, den
sie verlassen hatte. In ihrer Erinnerung handelte es sich tatsächlich um zwei völlig verschiedene Menschen, die nichts miteinander zu tun hatten. »Was ist«, höhnte er weiter, »hat dir mein Anblick die Sprache verschlagen?« Das hatte es tatsächlich, aber Julie wollte es ihn nicht merken lassen. Langsam ging sie die Treppe hinunter. »Connie und Ben sind…« »Ausgegangen. Ich weiß«, unterbrach Zack sie und betrachtete die Verletzung in ihrem Gesicht, die unterdessen beinahe verheilt war. »Ist das ein Andenken an die Entführung?« fragte er mit eisiger Stimme. Aber Julie ignorierte seine Bemerkung und antwortete mit einer Gegenfrage. »Wenn du wusstest, dass Connie und Ben nicht hier sind, warum bist du dann gekommen?« »Drei Mal darfst du raten«, antwortete er, als redete er mit einem kleinen Kind. »Weil ich dich sehen wollte. Du wirst eine schöne Narbe behalten.« Dabei streckte er den Arm aus und berührte zärtlich ihre Wange. Julie war die plötzliche Nähe alles andere als angenehm. Außerdem war sie mit ihrem Nachthemd kaum richtig bekleidet, um ein ernsthaftes Gespräch zu führen. Aber so schlechte Erfahrungen sie mit Zack auch gemacht hatte, er war nicht der Typ, der ihre Lage ausnutzen und über sie herfallen würde. Schließlich verachtete er sie genauso sehr, wie sie ihn verachtete. »Es ist nicht die erste Narbe, die ich davongetragen habe«, sagte sie vieldeutig, wandte sich ab und ging ins Wohnzimmer. »Aber nicht jede Narbe kann man sehen. Und jetzt sag mir endlich, warum du gekommen bist.« Zack ging zu einem der Sessel und setzte sich. »Weißt du wirklich nicht, was für ein Tag heute ist?« Julie spürte, wie ihre Hände feucht wurden. »Samstag, wenn ich nicht irre«, versuchte sie, mit einem Scherz ihre
Anspannung zu überspielen. »Stell dich nicht dümmer, als du bist«, erwiderte Zack. »Du weißt genau, was heute für ein Tag ist.« »So?« Julie zog die Augenbrauen hoch. »Du hättest Connie und Ben begleiten sollen. Ich hätte es gar nicht schlecht gefunden, wenn wir unseren Hochzeitstag gemeinsam verbracht hätten. Zum ersten Mal übrigens.« Er klang jetzt richtig wütend. Natürlich wusste sie, dass heute ihr vierter Hochzeitstag war. Schließlich war das der eigentliche Grund dafür, dass sie schon den ganzen Tag unter Depressionen litt. Aber dass sie ihren Hochzeitstag nie zusammen verbracht hatten, stimmte nicht. Nie würde Julie ihren ersten Hochzeitstag vergessen. Da hatte Zack nämlich mal wieder eine Entscheidung von ihr verlangt, als plötzlich das Telefon klingelte und ihr Chefredakteur ihr mitteilte, dass sie noch am selben Abend nach Deutschland fliegen müsse. Und dass sie den Auftrag nicht abgelehnt hatte, hatte das Fass endgültig zum Überlaufen gebracht. Die anderen Hochzeitstage waren nicht weniger fürchterlich gewesen. Und bis heute hatte sie genau zwei Mal in ihrem Leben Schlaftabletten genommen: an ihrem zweiten und dritten Hochzeitstag. »Wussten Connie und Ben, dass du auch dort sein würdest?« »Sie konnten schließlich nicht ahnen, dass du mir nach drei Jahren immer noch nicht ins Gesicht sehen kannst«, antwortete Zack bissig. Julie hätte ihm gern eine passende Antwort gegeben, aber in ihr herrschte ein ziemliches Durcheinander. Außerdem hatte er ja Recht, sie traute sich wirklich nicht, ihn direkt anzusehen. Sie hatte Angst vor der magischen Anziehungskraft, die von diesem Mann ausging und die sie erst vor wenigen Minuten wieder gespürt hatte. Und dass Zack nach wie vor eine beeindruckende Persönlichkeit
war, wusste sie, auch ohne ihn anzusehen. Am liebsten hätte sie sich umgedreht und wäre davongelaufen. Aber den Gefallen wollte sie Zack nicht tun. »Umso mehr freut dich vielleicht, dass ich vorhabe, mich von dir scheiden zu lassen«, sagte Zack frostig. Auch wenn sie von Teresa wusste und sie Ben gegenüber sogar als dessen künftige Schwägerin bezeichnet hatte, traf sie das Wort »Scheidung« wie ein Schock. Julie musste sich setzen. Nach all den Jahren wollte Zack die Trennung also doch noch amtlich machen. Und warum auch nicht? Es war die logische Konsequenz aus dem Fehler, den sie damals gemacht hatten. »Ich hatte eigentlich etwas mehr Begeisterung erwartet«, spottete Zack. Ich….« Aber ehe sie antworten konnte, merkte sie, wie sie die Kontrolle über sich verlor und ihr schwarz vor Augen wurde. Ausgerechnet jetzt mussten die Tabletten wirken! »Julie, ist was?« Wie von weitem hörte sie Zacks Stimme, die auf einmal besorgt klang. »Es tut mir Leid«, murmelte sie und erkannte ihre eigene Stimme nicht wieder. Zack kam zu ihr, fasste sie an den Armen und schüttelte sie. »Julie, sag doch etwas!« »Es tut mir Leid«, wiederholte sie mit letzter Kraft, bevor ihr der Kopf auf die Brust sank und sie in tiefen, bleiernen Schlaf fiel.
3. KAPITEL Die Sonne ging gerade auf, als Julie erwachte. Es dauerte ein wenig, bis sie begriff, wo sie war. Aber daran, wie sie hierher gekommen war, konnte sie sich beim besten
Willen nicht erinnern. Wahrscheinlich hatte Zack sie die Treppe hochgetragen und ins Bett gelegt. Stark genug war er ja. Oder hatte sie nur geträumt, dass Zack am Vorabend hier aufgekreuzt war, um ausgerechnet an ihrem vierten Hochzeitstag ihre Scheidung zu besprechen? Nein, sie hatte es nicht geträumt. Er hatte tatsächlich gesagt, dass er sich scheiden lassen wolle. Warum auch nicht? Sie lebten nun schon so lange getrennt, dass die Scheidung nur konsequent war. Und vielleicht würde es ihr dann gelingen, Zack endlich, wenn schon nicht aus ihrem Gedächtnis, dann doch aus ihrem Leben zu streichen. Bis zum vergangenen Abend hatte sie geglaubt, ihn zu hassen, hatte geglaubt, jedes Wiedersehen würde dieses Gefühl noch verstärken. Aber als sie ihn gestern gesehen und mit ihm gesprochen hatte, hatte sie schlicht gar nichts für ihn empfunden. Er gehörte der Vergangenheit an, auch wenn sie die gemeinsame Vergangenheit noch nicht wirklich verarbeitet hatte. Dafür hatte er sie viel zu sehr verletzt. Bei ihrer Hochzeit hatten sie sich geschworen, einander zu ehren und zu lieben, bis der Tod sie scheide. Und doch hatten sie sich schon ein Jahr später getrennt. Dass auch Zack sich mittlerweile damit abgefunden hatte, bewies sein Wunsch, sich scheiden zu lassen. Er wollte Teresa heiraten und mit ihr gemeinsam Kinder haben. Vielleicht würde ihm dann gelingen, was ihm mit Julie nie vergönnt gewesen war: glücklich zu werden. Sie erschrak fast zu Tode, als sich plötzlich ein Arm um ihre Taille legte und sie in ihrem Rücken den kräftigen, nackten Körper eines Mannes spürte, bis sie begriff, dass Zack neben ihr lag. »Zack«, sagte sie und rüttelte ihn an der Schulter. »Zack, wach auf!« Seine einzige Reaktion war, dass er noch näher zu ihr
heranrückte, seine Hand zum Ausschnitt des Nachthemdes und unter dem Stoff zu ihren Brüsten gleiten ließ. »Entspann dich, Liebling. Es ist noch viel zu früh, um aufzustehen.« Erst als Julie mit den Fäusten auf seine Brust trommelte, öffnete er die Augen und sah sie ungläubig an, als merkte er erst jetzt, dass Julie neben ihm lag. Deren Wut auf ihn wurde noch größer, als sie begriff, dass seine Zärtlichkeiten gar nicht ihr gegolten hatten. »Es tut mit Leid, dich enttäuschen zu müssen«, sagte sie mit so viel Verachtung wie möglich. »Aber es wird Teresa sicherlich ein Vergnügen sein, dich für die entgangenen Freuden zu entschädigen.« Plötzlich war Zack hellwach, und sein Blick und seine Stimme waren eiskalt, als er ihr befahl: »Lass Teresa aus dem Spiel.« Julie warf die Bettdecke zurück und sprang aus dem Bett, um ihren Morgenmantel überzuziehen. »Ist deine neue Freundin ein zu reines Wesen, um sie im selben Atemzug mit mir zu nennen?« höhnte sie, um zu überspielen, wie sehr es sie verletzte, dass Zack Teresa in Schutz nahm. Nackt, wie er war, stieg nun auch Zack aus dem Bett und streckte sich ungeniert, bevor er aufreizend langsam begann, sich den Slip anzuziehen. »Schrei hier nicht so rum«, herrschte er Julie an. »Du weckst ja das ganze Haus!« »Wie konntest du es wagen, dich zu mir ins Bett zu legen?« »Immerhin sind wir verheiratet«, erwiderte er arrogant und steckte sich das Hemd in die Hose. »Nicht mehr lange, hoffentlich.« Bei dem Gedanken an den Schreck, den Zack ihr eingejagt hatte, ballte sie die Hände in den Taschen ihres Morgenmantels zu Fäusten. Oder war es doch deshalb, weil seine Nacktheit mehr lustvolle Erinnerungen in ihr wachrief, als sie sich eingestehen wollte?
»Du hast gegen die Scheidung also nichts einzuwenden?« fragte er und blickte sie hochmütig an. »Nicht im Geringsten«, antwortete Julie bestimmt. »Weil du selbst wieder heiraten willst?« »Wie kommst du denn darauf?« »Weil neulich von einem gewissen Steve Carter die Rede war«, sagte Zack höhnisch. Julie wurde blass vor Schreck. »Du bist ja bestens informiert.« »Jeder in unserer Branche weiß doch, dass du eine Schwäche für Fotografen hast.« »Fang bitte nicht schon wieder damit an«, flehte sie. »Wenn ich dich richtig verstanden habe, willst du diesen Mr. Carter also nicht heiraten.« »Du hast mich völlig richtig verstanden.« Tatsächlich hatte Julie sich im Lauf der Woche entschieden, statt ihrer Vernunft ihrem Herzen zu folgen und Steves Antrag abzulehnen. »Weiß der arme Kerl das schon?« Julie fühlte sich ertappt und biss sich verlegen auf die Lippe. »Noch nicht«, musste sie widerwillig zugeben. »Du wirst es ihm sicherlich schonend beibringen.« Die Ironie in Zacks Stimme war unüberhörbar. »Statt über mein Verhältnis zu Steve nachzudenken, solltest du dir lieber überlegen, wie du Teresa erklärst, wo du heute Nacht warst. Sie hat doch bestimmt auf dich gewartet.« Das hatte gesessen, denn für einen Moment verschlug es Zack tatsächlich die Sprache. »Es tut mir Leid«, sagte er schließlich. »Aber als du auf einmal ohnmächtig wurdest… Ich wollte schon einen Arzt rufen, aber als ich dich in dein Zimmer getragen habe, habe ich gesehen, dass das Fläschchen mit den Schlaftabletten noch fast voll war. Früher hast du doch nie welche genommen.« »Das tue ich auch heute so gut wie nie.«
»Und warum gestern?« »Kannst du dir das nicht denken?« Zack schien tatsächlich blass zu werden – auch wenn man sich, sonnengebräunt, wie er war, nicht ganz sicher sein konnte. »Doch nicht wegen unseres Hochzeitstages?« »Genau deshalb«, antwortete Julie und vermied es, Zack anzusehen. »Wenn ich das gewusst hätte, Julie…« Zack war sichtlich überrascht und kam auf Julie zu, um sie zu umarmen. Julie wich instinktiv zurück. »Rühr mich bloß nicht an!« platzte sie heraus. Aber Zack war viel zu entschlossen, um sich von Julie zurückweisen zu lassen. »Drei Jahre habe ich dich nicht angerührt. Jetzt habe ich dich endlich dort, wo ich dich immer haben wollte. Ganz nah bei mir.« Er zog sie an sich und presste die Lippen auf ihren Mund. Julie war von seiner Heftigkeit viel zu überrascht, um sich gegen seine körperliche Nähe wehren zu können. Doch als Zack plötzlich sanfter wurde und ihren Mund zärtlich umschmeichelte, war ihr Widerstand ohnehin gebrochen. Ihre Lippen öffneten sich und ließen es zu, dass seine Zunge weiter vordrang, während sie die Hände in seine schwarzen Locken schob. Noch fester zog er sie an sich, als sollten ihre Körper miteinander verschmelzen. Julie blieb nicht verborgen, wie erregt er war und wie schwer es ihm fiel, sich zurückzuhalten, um sie nicht seine ungehemmte Leidenschaft spüren zu lassen. Weil sie genau diese Leidenschaft nicht ausschließlich in guter Erinnerung hatte, löste sie sich aus Zacks Umarmung. »Und wie willst du Teresa das erklären?« fragte sie ihn schnippisch, als ihr Atem sich wieder normalisiert hatte. Gelassen zog Zack sich sein Jackett über. »Gar nicht.« »Arme Teresa. Und sie will wirklich deine Frau wer-
den?« »Und ob sie das will«, sagte Zack ungerührt und legte seine goldene Uhr an. »Sie scheint nicht zu wissen, auf was sie sich einlässt.« »Sie liebt mich eben.« »Und du, liebst du sie auch?« »Dich habe ich geliebt. Und? Was hat es mir gebracht? Nichts als Kummer.« Zacks Stimme schwankte zwischen Trauer und Verachtung. »Aber wenn du sie nicht liebst, warum heiratest du sie dann?« »Weil ich sicher bin, dass sie mir anders als du eine gute Ehefrau sein wird«, antwortete er, drehte sich um und ging zur Tür. »Wo willst du hin?« hielt Julie ihn auf. »Frische Luft schnappen.« »Ich fahre gleich nach dem Frühstück nach London zurück«, teilte sie ihm emotionslos mit. »Ich weiß. Ich bin rechtzeitig zurück.« »Wir müssen schließlich noch die Scheidung besprechen.« »Das sollten wir lieber unseren Anwälten überlassen«, wandte Zack ein und zog sich die Manschetten zurecht. »Du hast doch einen Anwalt, oder?« »Bislang habe ich keinen gebraucht,« »Dann wird es Zeit, dass du dir einen suchst.« »Meinst du, dass es nötig ist?« fragte Julie verwundert. »Schließlich bin ich ein vermögender Mann, und da könntest du ja auf die Idee kommen…« »Ich will nichts von dir«, unterbrach sie ihn wütend. »Und schon gar nicht dein Geld. Schließlich habe ich dich auch nicht deswegen geheiratet.« »Wegen des Geldes nicht. Aber auch nicht aus Liebe.« »Und warum habe ich dich deiner Meinung nach geheiratet?« fragte Julie entgeistert. Natürlich hatte sie ihn geliebt,
aber sollte sie sich deshalb zu Hause einsperren lassen? »Weil ich dich so lange bedrängt habe, bis du schließlich Ja gesagt hast.« »Dann bin ich also daran schuld, dass unsere Ehe gescheitert ist?« »Ich glaube nicht, dass es Sinn macht, jetzt noch darüber zu diskutieren«, erwiderte Zack und verließ das Zimmer. Obwohl Julie noch müde war und außerdem Kopfschmerzen hatte, beschloss sie, nicht wieder ins Bett zu gehen. Sie würde ja doch nicht schlafen können, zumal auf dem Kissen noch der Abdruck von Zacks Kopf zu sehen war. Und bestimmt hatte sich der Duft seines Rasierwassers im ganzen Bett verteilt. Es war lange her, dass sie diesen Duft auf ihrer Haut gespürt hatte, und doch hatte sie ihn nicht vergessen. Unwillkürlich musste sie daran denken, wie Zack sie gerade geküsst hatte. Auch Steve küsste leidenschaftlich, aber was sie dabei empfand, war kein Vergleich zu dem Erdbeben, das Zack in ihr auszulösen verstand. Die Nüchternheit, mit der er über sein Verhältnis zu Teresa gesprochen hatte, ließ sie jetzt noch frösteln. Aber sie kannte ihn zu gut, um nicht zu wissen, dass er sie heiraten würde, auch ohne sie zu lieben. Wenn Zack sich einmal entschieden hatte, gab es kein Zurück. Weil sie der Gedanke traurig machte, beschloss Julie nachzusehen, ob die Kinder schon wach waren. Vielleicht können sie mich auf andere Gedanken bringen, dachte sie. Als sie das Kinderzimmer betrat, kam ihr Nicholas in Jeans und T-Shirt entgegen, und Connie zog gerade Suzanne an. Weil Connie sie fragend anblickte, hielt Julie es für angebracht, mit offenen Karten zu spielen. »Nur zu deiner Information, Connie«, sagte sie zu ihrer Freundin. »Ich habe die ganze Nacht wie ein Stein geschlafen, und Zack
hat vor etwa einer Stunde das Haus verlassen.« »Ich weiß«, erwiderte Connie, »ich habe mit ihm gesprochen, bevor er gegangen ist.« »Dann weißt du auch…?« »Dass ihr über die Scheidung gesprochen habt? Ja, das hat er mir erzählt.« Julie kannte Connie viel zu gut, um die unausgesprochene Kritik zu überhören. »Du bist nicht einverstanden, stimmt’s?« »Nicholas, geh doch schon mal runter. Wir kommen gleich hinterher.« Der Junge schien tatsächlich mehr Lust auf ein gutes Frühstück zu haben als darauf, das Gespräch zweier Frauen zu belauschen, von dem er ja doch nichts verstehen würde. Freudestrahlend lief er davon. Connie nahm Suzanne auf den Arm, die ihr mit ihren kleinen Fingern im Gesicht herumfuchtelte. »Ich glaube, dass ihr einen Fehler macht«, sagte sie unverblümt, während sie langsam die Treppe hinuntergingen. »Und als er gesagt hat, er habe die Nacht bei dir verbracht…« »… da hast du gedacht, wir hätten uns ausgesprochen und versöhnt«, unterbrach Julie sie. »Leider muss ich dich enttäuschen, Connie. Zack besteht auf der Scheidung. Und dass er bei mir geblieben ist, lag nur daran, dass er sich Sorgen um mich gemacht hat, weil ich Schlaftabletten genommen hatte.« »Und warum hast du sie genommen?« »Weil gestern… Weil ich gestern einen schlechten Tag hatte«, antwortete Julie und legte sich eine Hand auf die Schläfe, weil sie immer noch Kopfschmerzen hatte. »Doch wohl nicht, weil gestern euer Hochzeitstag war?« fragte Connie ungläubig. »Genau deswegen«, erwiderte Julie bitter. »Das verstehe ich nicht.« »Und ich kann es dir nicht erklären. Nicht einmal dir, Connie, obwohl du meine beste Freundin bist.«
»Ich weiß ja, dass ihr euch an eurem ersten Hochzeitstag gestritten habt, aber…« »Gestritten ist leicht untertrieben«, verbesserte Julie sie. »Aber das spielt jetzt keine Rolle mehr. Und wenn wir erst einmal geschieden sind, kann ich Zack vielleicht auch endlich vergessen.« »Und es macht dir wirklich nichts aus, dass er sich scheiden lassen will?« »Ich habe es nicht anders erwartet.« Julie hatte sogar viel früher damit gerechnet, und es hätte sie nicht gewundert, eines Tages einen Umschlag mit ihrer Scheidungsurkunde aus dem Briefkasten zu ziehen. »Und jetzt, da ich es weiß, würde ich Zack ungern noch mal über den Weg laufen. Wenn es dir recht ist, werde ich jetzt gleich fahren.« Unterdessen waren sie am Fuß der Treppe angekommen, und noch immer trug Connie Suzanne auf dem Arm. »Es ist mir zwar nicht recht, aber aufhalten kann ich dich auch nicht«, sagte sie und drückte, so gut sie konnte, Julies Hand. »Zack wird nicht begeistert sein, wenn du dich einfach so auf und davon machst. Ich bin mir sicher, er hätte dich gern noch einmal gesehen.« »Es ist nicht das erste Mal, dass Zack sich etwas von mir wünscht, das ich ihm nicht erfüllen kann. Außerdem hat er sich in den vergangenen Jahren auch nicht für mich interessiert.« »Da irrst du aber gewaltig.« »So?« »Ich musste ihm zwar versprechen, es dir nicht zu erzählen, aber…« »Vielleicht solltest du es dann lieber für dich behalten«, versuchte Julie, ihre Freundin vor einer Dummheit zu bewahren. Aber Connie war entschlossen, ihr die Wahrheit zu sagen. »Ich glaube, dass du es wissen solltest. Nachdem du ihn verlassen hattest, hat er angefangen zu trinken. Viele Mo-
nate war er nicht imstande, seine Arbeit zu machen. Ben musste für ihn…« »Ich will das nicht hören, Connie«, unterbrach Julie ihre Freundin. »Es geht mich nichts mehr an.« »Aber er ist dein Mann!« »Er war mein Mann.« »Noch ist er es«, verbesserte Connie sie. »Mindestens ein Jahr lang ging es ihm richtig schlecht. Als er sich endlich gefangen hatte, waren wir alle sehr erleichtert.« »Entschuldige, Connie, aber ich weiß wirklich nicht, was mich das angeht.« Julie war dieser Unterhaltung langsam überdrüssig. »Ich habe nicht das geringste Mitleid mit ihm. Und wenn er zum Alkoholiker geworden ist…« »Das habe ich nicht gesagt«, protestierte Connie. »Also gut. Wenn er zu viel getrunken hat, hatte er vielleicht seine Gründe…« »Natürlich hatte er die. Schließlich hast du ihn verlassen!« »Hast du dich eigentlich je gefragt, warum ich das getan habe?« »Das wüssten wir alle gern«, ertönte plötzlich Bens Stimme. Vor Schreck fuhr Julie herum und fragte sich, wie lange Ben wohl schon zugehört hatte. Seinem Blick nach zu urteilen, schon eine ganze Weile. »Geh doch mit Suzanne schon mal in die Küche«, forderte er seine Frau auf. »Ich habe mit Julie noch etwas zu besprechen.« »Aber…« »Bitte, Julie«, sagte er nachdrücklich und öffnete die Tür zu seinem Arbeitszimmer. Sein Gesichtsausdruck wirkte sehr entschlossen, und ohne zu widersprechen, betrat Julie sein Büro. Ben schloss die Tür hinter sich. »Was ich eben gesagt habe, meinte ich durchaus ernst. Ich wüsste tatsächlich
gern, warum du Zack damals verlassen hast.« Julie setzte sich in einen Ledersessel und blickte verunsichert auf die große Bücherwand. Aber Ben setzte sich auf die Tischkante direkt vor ihr, und Julie musste den Kopf zur Seite drehen, um seinem Blick auszuweichen. »Ich verlange eine Antwort, Julie«, sagte er bestimmt. »Ihr Reedmans seid doch alle gleich«, platzte Julie heraus. »Immer müsst ihr euren verdammten Dickkopf durchsetzen.« »Du bist auch eine Reedman«, erinnerte Ben sie unbeeindruckt von ihrem Wutanfall. »Irrtum, Ben. Mein Name ist Julie Slater.« »Slater-Reedman«, verbesserte er sie und nahm ungerührt zur Kenntnis, dass ihr die Tränen in die Augen traten. »Du hast kein Recht, mich auszufragen«, unternahm sie einen letzten Versuch, die unangenehme Situation zu beenden. Aber sie wusste, er würde keine Ruhe geben, bis sie ihm die Wahrheit gesagt hatte. »Ich möchte nur begreifen, was vorgefallen ist.« »Ich warne dich, Ben. Die Wahrheit ist nicht immer angenehm. « »Das Risiko nehme ich in Kauf«, entgegnete Ben ruhig und sah sie mit seinen blauen Augen an. »Selbst wenn es ein schlechtes Licht auf deinen Bruder werfen könnte?« Er nickte. »Selbst dann.« »Und selbst .dann, wenn du dich hinterher bei mir entschuldigen musst, weil ich nicht das schwarze Schaf bin, für das du mich hältst?« »Es soll mir ein Vergnügen sein.« »Wie du willst, Ben. Vielleicht ist es das Beste so. Mit irgendjemandem muss ich schließlich mal darüber reden, sonst ersticke ich noch daran. Aber ich verspreche dir, du wirst diese Stunde verfluchen.« Julie biss sich auf die Lippe, als müsste sie ihre Gedanken
ordnen. Dann atmete sie tief ein. »Zack… Zack ist extrem besitzergreifend und eifersüchtig. Und wahrscheinlich hätten wir nie heiraten dürfen.« Ben sah sie fragend an, als verstünde er kein Wort. »Solange wir nur Freunde waren, waren wir glücklich miteinander. Aber kaum waren wir verheiratet, wollte Zack mich ganz für sich. Am liebsten hätte er mich zu Hause eingesperrt. Aber ich wollte nicht Mutter und Hausfrau sein. Dafür liebe ich meine Arbeit viel zu sehr.« »Und? Hat er dich daran gehindert, weiterzuarbeiten?« »Nicht direkt. Aber jedes Mal, wenn ich beruflich auf Reisen war, hat er mich verdächtigt, ihn mit dem Fotografen, der mich damals normalerweise begleitete, zu betrügen. Durch nichts ließ er sich davon abbringen. Im Gegenteil, seine Eifersucht nahm immer erschreckendere Formen an.« Julie unterbrach sich, weil sie das Gefühl hatte, einen Kloß im Hals zu haben. Nachdem sie einige Male geschluckt hatte, fuhr sie fort: »Am Nachmittag unseres ersten Hochzeitstages rief mich mein Chefredakteur an und teilte mir mit, dass ich noch am selben Abend mit dem besagten Fotografen nach Deutschland fliegen sollte.« »Und Zack hat sich natürlich darüber geärgert, dass du ausgerechnet an eurem Hochzeitstag verreisen musstest«, mischte Ben sich ein. »Geärgert? Als ich den Fotografen auch nur erwähnt habe, wurde er rasend vor Eifersucht. Er hat blindlings auf mich eingeschlagen und mich zu Boden geworfen.« Julie zitterte am ganzen Körper und schlug die Hände vors Gesicht. Jetzt erst wurde sie sich bewusst, wie wenig sie die Vergangenheit verarbeitet hatte. Als sie sich wieder halbwegs gefangen hatte, nahm sie ihre Hände herunter und sah Ben mit Tränen in den Augen an. »Verstehst du nicht? Kannst du mir sagen, wie ich ihn noch lieben soll?«
4. KAPITEL Wie an einem Sonntagmorgen nicht anders zu erwarten, waren die Straßen leer, und Julies Rückfahrt nach London verlief problemlos – abgesehen davon, dass die Kopfschmerzen eher schlimmer geworden waren, weil sie sich unterwegs gezwungen hatte, die Tränen zurückzuhalten. Als sie in ihrer Wohnung angekommen war, setzte sie sich ans Fenster und blickte hinaus. Ihre Gedanken kreisten unaufhörlich um das Gespräch mit Ben. Es war ihm anzusehen gewesen, wie sehr er vom Verhalten seines großen Bruders schockiert war. Vielleicht hätte sie es Ben nicht erzählen dürfen. Schließlich hatte sie sich fest vorgenommen, es niemals irgendjemandem zu erzählen. Aber ein einziges Mal wenigstens wollte sie erklären, warum ihre Ehe mit Zack gescheitert war und warum sie ihn seit jenem Tag nicht mehr gesehen hatte. Bis gestern jedenfalls. Dabei hatte sie Ben nicht einmal die ganze Wahrheit erzählt. Natürlich hatte es Zack anschließend Leid getan, und er hatte sie inständig und glaubhaft um Verzeihung gebeten. Aber nur für das, was er getan hatte, nie für das, was er gesagt hatte. Die Worte, mit denen er sie beschimpft hatte, als er über sie herfiel, klangen ihr heute noch im Ohr. Und bis heute war Zack davon überzeugt, dass sie ihn betrogen hatte. Stürmisches Klingeln riss Julie aus ihren Gedanken. Freudig sprang sie auf und ging zur Tür. Das musste Steve sein. Sie hatte ihn vor ihrer Abfahrt angerufen und ihm gesagt, wann sie wieder zu Hause sein würde. Er war der Einzige, der sie jetzt etwas aufheitern konnte. Aber nicht Steve stand vor der Tür, sondern Zack. »Du kleines Miststück«, fuhr er sie an und drängte sich an ihr
vorbei in die Wohnung. »Du hinterhältiges, kleines Miststück.« Langsam und mit zittrigen Händen schloss Julie die Tür. »Was fällt dir ein, hierher zu kommen? Du hast doch selbst gesagt, dass es besser ist, wenn sich unsere Anwälte um die Scheidung kümmern.« Zacks Augen funkelten bedrohlich. »Ich bin nicht gekommen, um mit dir über die Scheidung zu reden«, sagte er verächtlich. »Obwohl ich zugeben muss, dass ich es kaum abwarten kann, dich endlich aus meinem Leben streichen zu können.« »Das beruht auf Gegenseitigkeit.« »Tatsächlich?« fragte Zack wütend. »Und was hat dich dann veranlasst, mich bei meinem Bruder anzuschwärzen?« Julie wurde aschfahl: »Hat Ben etwa…?« »Und ob er hat!« brüllte Zack. »Mein kleiner Bruder hat mir eben ziemlich deutlich zu verstehen gegeben, was er von mir hält. Du kannst dir vorstellen, dass das nicht gerade positiv für mich ausfiel.« Entsetzt schloss Julie die Augen. Sie konnte sich lebhaft vorstellen, wie sehr Bens Wut Zack verletzt haben musste. Schließlich war er für Ben wie ein Vater gewesen, nachdem die Eltern gestorben waren, und sie wusste auch, wie viel sie einander bedeutet hatten. »Es tut mir Leid…« »Dass ich nicht lache«, höhnte er. »Warum, zum Teufel, hast du es ihm bloß erzählt? Du weißt genau, wie sehr ich mich selbst dafür hasse, was ich getan habe. Auf den Knien habe ich dich um Verzeihung gebeten.« »Und ich habe dir verziehen.« »Du hast eine komische Art, das zu zeigen.« »Ben bestand darauf, zu erfahren, warum ich dich verlassen habe, Zack«, versuchte sie ihm zu erklären. »Und auch wenn er deutlich jünger ist als du, ist er alt genug, um zu verstehen, dass du nicht Herr deiner selbst warst.«
»Und mich dafür zu verachten.« »Er verachtet dich nicht, Zack«, sagte sie besänftigend. »Lass ihm ein wenig Zeit, und er wird von allein darauf kommen, dass er durchaus zu Ähnlichem fähig wäre, wenn er Connie verdächtigen würde, ihn zu betrügen. Wenn du willst, kannst du ihm ruhig sagen, dass dein Verdacht begründet war.« Sein Blick wurde noch kälter. »Also doch!« »Das wollte ich nicht damit sagen.« Ratlos schüttelte Zack den Kopf und wandte sich ab. »In den letzten drei Jahren habe ich mich gezwungen, nicht an dich zu denken, nicht an die Männer, mit denen du dich triffst, mit denen du schläfst. Aber seit ich dich wieder gesehen habe, kommt alles wieder hoch. All die Verdächtigungen, die Eifersucht.« Er drehte sich zu Julie um und sah sie traurig an. »Ich glaube, der einzige Grund für meine Eifersucht war, dass du dich mir nie ganz geöffnet hast. Dein Innerstes hast du immer vor mir verborgen.« »Du täuschst dich.« »Nein, ich täusche mich nicht. Damals war ich blind. Aber heute, mit genügend Abstand, bin ich mir sicher. Ich bin dir näher gekommen als jeder andere, aber selbst mir hast du dich nicht ganz anvertraut. Nicht einmal, wenn wir miteinander geschlafen haben.« »Was das angeht, hatte ich nie Grund, mich zu beklagen.« Zack verzog den Mund. »Aber deine wahren Gefühle hast du mir nicht einmal dann gezeigt. Nicht einmal deinem Ehemann.« »Ich wollte die Heirat nicht. Und das habe ich dir auch gesagt.« »Das hast du«, seufzte er. »Und ich hätte auf dich hören sollen. Wir hätten niemals heiraten dürfen.« Wieder klingelte es an der Tür. Das musste nun wirklich Steve sein.
Weil Julie keinerlei Anstalten machte, die Tür zu öffnen, blickte Zack sie fragend an. »Willst du nicht nachsehen, wer da ist?« Nachdenklich biss sich Julie auf die Lippe. Ein Streit zwischen Zack und Steve war das Letzte, was sie jetzt gebrauchen konnte. »Ich an deiner Stelle würde aufmachen«, sagte Zack, als es erneut klingelte, und setzte sich in einen Sessel. »Sonst ist dein Freund ganz umsonst hergekommen.« »Ich…« »Du sollst öffnen, Julie!« »Zack, du wirst doch nicht…?« Er lächelte herausfordernd. »Ich werde mich zu benehmen wissen, falls du das meinst.« Selbst wenn er sein Versprechen halten sollte, würde es ihr schwer genug fallen, Steve Zacks Anwesenheit zu erklären, zumal Steve bis heute nichts davon wusste, dass sie streng genommen noch immer Zacks Frau war. Bevor sie die Tür öffnete, trocknete sich Julie die schweißnassen Hände, indem sie sich über die Hüften strich. Sie hatte sich darauf gefreut, Steve zu sehen. Aber unter diesen Umständen… Ahnungslos nahm Steve sie in die Arme und küsste sie zärtlich auf den Mund. »Ich habe dich vermisst«, sagte er zärtlich. »Du mich auch?« »Und wie«, antwortete Julie. Ihre Stimme kam ihr fremd und ihr Lächeln gekünstelt vor. »Wie war’s in Jugoslawien?« »Hochinteressant. Und wie war dein Urlaub?« »G… ganz nett«, antwortete sie stockend. »Hast du deine Fotos schon in der Redaktion gezeigt?« »Doug war begeistert. Aber müssen wir das vor der Tür besprechen?« »Entschuldige bitte.« Julie löste sich aus seiner Umarmung. »Komm rein«, forderte sie ihn auf und schloss hinter
ihm die Tür. Während sie ins Wohnzimmer gingen, ließ Steve die Hand über Julies Wange gleiten. Die Wunde war fast gänzlich verheilt. »Das sieht doch schon viel besser aus«, meinte er. »In ein paar Tagen ist nicht mal mehr der geringste Kratzer zu sehen.« »Es wäre auch wirklich schade um das schöne Gesicht«, ertönte plötzlich eine fremde Männerstimme. Erschrocken fuhr Steve herum und blickte starr in die Richtung, aus der die Stimme gekommen war. »Mr. Reedman«, sagte er ungläubig, als er Zack erblickte, der ihn mit finsterer Miene ansah. »Sie müssen Steve Carter sein«, sagte Zack verächtlich. Julie hatte das Unheil kommen sehen. Zack versuchte, Steve einzuschüchtern, und eingebildet, wie er war, konnte kein Zweifel bestehen, dass ihm das gelingen würde. »Steve, ich möchte dir Zachary Reedman vorstellen«, sagte sie förmlich, um die Situation nicht eskalieren zu lassen. »Zack, das ist Steve Carter.« Misstrauisch reichte Steve Zack die Hand. Es war ihm anzusehen, dass er sich fragte, was der Mann hier verloren hatte. »Zu Ihrer Zeitung kann man Ihnen nur gratulieren.« Zack nickte und stand auf. Er war mindestens einen Kopf größer als Steve. »Und ich bewundere Ihre Fotos.« Es war unfassbar. Da standen sich die beiden Rivalen Auge in Auge gegenüber und tauschten Nettigkeiten aus! Aber Julie traute dem Frieden nicht. Zu deutlich spürte sie die Geringschätzung, mit der Zack Steve musterte. Es war nur eine Frage der Zeit, bis er die Selbstbeherrschung verlieren würde. Irgendwie musste sie ihn aus der Wohnung hinauskomplimentieren, bevor es dazu kam. Aber Zack machte keinerlei Anstalten zu gehen. Stattdessen nahm er wieder in dem Sessel Platz. »Wie ich höre, waren Sie geschäftlich in Italien?« fragte Steve interessiert und setzte sich auf das Sofa. Julie nahm
neben ihm Platz und rückte ganz nah an ihn heran. »Sie sind erstaunlich gut informiert. Ich war tatsächlich vor kurzem in Italien. Ich habe vor, den Verlag langfristig auch auf dem europäischen Kontinent zu etablieren. Italien ist da erst der Anfang. Aber ich fürchte, wir langweilen Julie mit unserer Fachsimpelei.« »Keineswegs«, entgegnete Julie, die sich inzwischen eine Taktik überlegt hatte, wie sie Zack loswerden könnte. »Aber ich fürchte, wir müssen jetzt gehen. Steve und ich sind nämlich zum Mittagessen eingeladen.« »Wie schön für euch!« sagte Zack und blieb ungerührt sitzen. Steve hingegen hatte den Wink verstanden und war aufgestanden. Julie hakte sich bei ihm unter. »Wir möchten Steves Mutter nicht warten lassen. Nicht wahr, Liebling?« Sie lächelte ihn an. Steve reagierte souverän. Es gelang ihm sogar, ihr Lächeln zu erwidern. »Meine Mutter hasst Unpünktlichkeit«, sagte er an Zack gerichtet. Zack verzog keine Miene, richtete sich auf und reichte Steve die Hand. »Vielleicht sieht man sich mal wieder.« »Ich glaube kaum«, sagte Julie bestimmt. »Wir gehen nicht so oft aus. Am liebsten sind wir zu Hause. Aber wir müssen jetzt wirklich los«, ermahnte sie Steve. »Also dann: Auf Wiedersehen, Julie«, sagte Zack traurig und nahm ihre Hand. Aber bevor er Julie auf den Mund küssen konnte, drehte sie den Kopf zur Seite, so dass sie seine Lippen auf ihrer Wange spürte. »Leb Wohl, Zack«, antwortete sie leise, weil ihr in Gedanken daran, dass sie sich wohl nie wieder sehen würden, Tränen in die Augen traten. Sofort wurde sein Händedruck kräftiger. »Julie, ich…« »Wir müssen jetzt wirklich los«, wies Julie ihn zurück. »Ich finde allein hinaus«, sagte er barsch, drehte sich um und ging. Wenige Augenblicke später schlug die Woh-
nungstür krachend ins Schloss. »Puh!« Steve atmete erleichtert auf. »Der war ja ganz schön geladen.« »Was meinst du damit?« Steve zuckte die Schultern. »Wenn ich nicht dabei gewesen wäre, hättest du bestimmt ganz schön was zu hören bekommen.« »Bilde dir bloß nichts ein«, erwiderte sie spitz. »Zack ist sehr wohl in der Lage zu sagen, was er denkt, egal, wer dabei ist.« »Liebt er dich immer noch?« »Nein«, antwortete sie bestimmt. »Und was wollte er dann hier?« »Er wollte… Ich habe mein Portemonnaie in Hampshire vergessen, und Zack war so freundlich, es mir zu bringen.« »Warum hast du dir dann den ganzen Unfug mit meiner Mutter und dem Mittagessen ausgedacht?« »Weil… weil ich befürchtete, dass er sonst nicht gehen würde.« »Also liebt er dich doch noch!« »Keine Sorge, Steve, Zack hat mir erzählt, dass er bald heiraten wird.« »Ach ja? Jemanden Bekanntes?« »Sie heißt Teresa«, antwortete Julie arglos, bis sie merkte, worauf Steve hinauswollte. »Schlag dir das bloß aus dem Kopf.« »Aber wenn Zack Reedman heiratet, dann ist das immer ‘ne Story wert.« »Ich habe gesagt, du sollst dir das aus dem Kopf schlagen, Steve.« Natürlich hatte Steve Recht. Eine Story über Zacks Heirat ließe sich sicherlich gut verkaufen – aber das galt genauso für seine Scheidung. Und die sollte möglichst ebenso lautlos über die Bühne gehen wie damals ihre Hochzeit. »Spielverderberin«, lenkte Steve ein. »Aber wie war’s
denn, wenn wir wirklich was essen gehen würden?« »Einverstanden.« »Eine Frage musst du mir vorher aber noch beantworten, Julie.« »Und zwar?« Sie ahnte, was Steve wissen wollte. »Bedeutet er dir noch etwas?« Julie schüttelte heftig den Kopf, als könnte sie so die Erinnerung daran auslöschen, dass sie und Zack sich morgens noch geküsst hatten und sie um ein Haar seinen Verführungskünsten erlegen wäre. »Er bedeutet mir nichts mehr.« »Bist du ganz sicher?« »Ja.« Im Lauf der nächsten Wochen stellte sich endlich wieder der Alltag in Julies Leben ein, auf den sie so lange hatte verzichten müssen. Auch ihre Beziehung zu Steve normalisierte sich wieder. Sie verbrachten viel Zeit miteinander, wenn sie sich beide in London aufhielten, ohne dass Steve den Heiratsantrag, den er ihr gemacht hatte, auch nur mit einem Wort noch einmal erwähnte. Er schien ihre Antwort zu ahnen. Von der Scheidung hatte sie allerdings auch nichts mehr gehört. Aber die Mühlen der Justiz mahlten langsam, und es konnte Monate dauern, bis sie geschieden waren, selbst wenn Zack es eilig hatte, wieder zu heiraten. Und doch wunderte sich Julie, dass sie nicht einmal von Zacks Anwalt einen Brief mit der Nachricht erhielt, dass er die Scheidung eingereicht habe. Um der Sache auf den Grund zu gehen, beschloss sie, Connie anzurufen. Es wurde ohnehin Zeit, sich mal wieder bei ihr zu melden, und vielleicht konnte sie bei der Gelegenheit in Erfahrung bringen, warum sich die Angelegenheit verzögerte. Es konnte ja sein, dass Zack mal wieder in Italien war. Aber nach dem Desaster, das sich unlängst zugetragen hatte, vermied es Connie geflissentlich, Zack auch nur mit
einem Wort zu erwähnen. Stattdessen lud sie Julie und Steve zum Abendessen ein. »Hast du das schon mit Ben besprochen?« fragte Julie überrascht. »Du täuschst dich erneut in ihm«, beruhigte Connie sie. »Es war sogar sein Vorschlag.« Ben hat mir also geglaubt, stellte Julie erleichtert fest. Sonst hätte er sie nicht eingeladen – und schon gar nicht gemeinsam mit Steve. »Und was hörst du von Zack?« fasste sie sich ein Herz zu fragen. »Dem geht’s gut«, antwortete Connie. »Jedenfalls ging es ihm gut, als ich ihn das letzte Mal gesehen habe. Seit dem Wochenende, an dem du hier warst, hat er sich allerdings ziemlich rar gemacht.« Ben schien seiner Frau nichts über den Inhalt ihres Gespräches erzählt zu haben. Das war auch besser so. Connie mochte ihren Schwager sehr gern, und die Wahrheit hätte sie sicherlich sehr verletzt. »War er denn verreist?« »Nicht, dass ich wüsste. Ich nehme an, dass er viel mit Teresa zusammen ist.« »Das wird der Grund sein«, sagte Julie doppeldeutig. »Wann sollen Steve und ich denn kommen?« »Wie war’s mit nächsten Samstag?« »Das passt gut. Am Wochenende haben Steve und ich frei.« »Dann könnt ihr ja sogar über Nacht bleiben.« »Na ja…« »Ihr wurdet uns eine Freude machen«, versuchte Connie, Julie zu überzeugen. »Außerdem könnt ihr sonst nicht einmal ein Glas Wein zum Essen trinken. Und wenn ihr am Sonntag nach dem Mittagessen fahrt, seid ihr immer noch rechtzeitig wieder in London.« »Also gut, Connie«, willigte Julie ein. »Jetzt muss ich nur noch Steve überzeugen.« Aber Steve hatte nichts dagegen. Im Gegenteil, er freute
sich darauf, Benjamin Reedman kennen zu lernen. Aber Julie bat ihn inständig, nicht das ganze Wochenende über die Arbeit zu reden. Sie wusste, dass Steve dazu neigte, wann immer er mit Kollegen zusammen war. In Vorfreude auf das gemeinsame Wochenende gingen sie am Freitagabend zu »Mario«. Das Essen war wie immer fantastisch, die Stimmung ebenso, und Mario kam sogar an ihren Tisch, um sie persönlich zu begrüßen. »Warst du mit Reedman eigentlich mal hier?« fragte Steve unvermittelt. Julie sah ihn verwundert an. Seit Steve Zack in ihrer Wohnung begegnet war, hatte er ihn mit keiner Silbe erwähnt. Entsprechend überrascht war Julie, dass er jetzt plötzlich auf ihn zu sprechen kam. »Was soll die Frage? Natürlich nicht!« protestierte sie. »Es hätte ja sein können.« »Wie kommst du darauf?« »Weil er gerade zur Tür hereingekommen ist«, sagte Steve wie beiläufig. »Was?« Julie verschlug es fast die Sprache. Steve saß so, dass er die Eingangstür sehen konnte. »Zachary Reedman ist gerade in Begleitung einer gut aussehenden Blondine zur Tür hereingekommen«, bestätigte er und trank einen kräftigen Schluck Cognac. Am liebsten wäre Julie aufgesprungen und hätte sich selbst überzeugt. Aber das Kribbeln, das sie im Rücken spürte, konnte ein Zeichen dafür sein, dass Zack in der Nähe war. Vor drei Jahren hatte sie sich von Zack getrennt, und bis jetzt waren sie sich nicht ein einziges Mal zufällig über den Weg gelaufen. Auch nicht bei Mario, und das war seit über einem halben Jahr Steves und ihr Stammlokal. Es passte Julie überhaupt nicht, dass er auf einmal hier auftauchte – und dann auch noch in Begleitung von Teresa. Zu wissen, dass Zack wieder heiraten wollte, war das eine,
aber der Frau zu begegnen, die er heiraten wollte, war etwas ganz anderes. »Ich glaube, er hat uns gesehen«, teilte Steve ihr mit. Julie griff nach ihrer Handtasche. »Vielleicht sollten wir lieber…« »Zu spät«, unterbrach Steve sie, »er ist schon auf dem Weg.« »Doch wohl nicht mit seiner Freundin?« »Nein, er kommt allein. Vielleicht sollte ich mich auch verziehen.« »Du kannst ja schon mal die Rechnung begleichen.« »Das sollte ein Scherz sein«, protestierte Steve. »Bitte, Steve…« »Hallo, Julie!« Plötzlich stand Zack am Tisch. »Guten Tag, Mr. Carter«, grüßte er Steve unterkühlt. »Tag, Mr. Reedman.« Steve gab sich keine Mühe, höflich zu sein, und erhob sich von seinem Platz. »Entschuldigt mich bitte«, sagte er und warf Julie einen düsteren Blick zu, bevor er ging. Zack setzte sich zu Julie. »Ich hoffe, ich komme nicht ungelegen«, höhnte er. In seinem schwarzen Anzug und dem weißen Hemd sah er unverschämt gut aus. »Es geht«, antwortete sie kühl und blickte ihn strafend an. Das schwarze Kleid, das sie trug, ließ ihren roten Lockenkopf noch wilder und feuriger erscheinen. »Ihr könnt euch nachher in eurem gemeinsamen Liebesnest weiterstreiten.« »Wie du weißt, wohnen wir nicht zusammen.« »Warum eigentlich nicht?« »Wir legen beide viel Wert auf unsere Unabhängigkeit.« »Ich hoffe, du kommst trotzdem auf deine Kosten.« Julie wurde knallrot. »Ich kann nicht klagen.« »Bist du immer noch so strikt gegen die Ehe?« Zack war penetrant selbstsicher und blickte Julie unverwandt an, die sich zwang, seinem Blick standzuhalten.
»Die Vorteile sind nicht zu leugnen.« »Keine Eifersüchteleien, keine Verantwortung für den anderen und vor allem keine langen Gerichtsverfahren, wenn man sich trennen will.« Wie immer, wenn Zack lächelte, tauchte in seinem Kinn ein Grübchen auf. Julie griff das Stichwort dankbar auf. »Wie steht’s denn mit unserer Scheidung?« Zack zuckte die Schultern. »Das kann noch ‘ne Weile dauern.« »Wie bedauerlich für dich!« sagte sie spitz. »Ich habe es nicht eilig.« »Ich dachte, du wolltest Teresa so bald wie möglich heiraten?« »Wenn man wie wir vorhat, den Rest des Lebens zusammenzubleiben, kommt es auf ein paar Wochen auch nicht an«, antwortete Zack sarkastisch. »Weiß sie, dass wir noch verheiratet sind?« »Selbstverständlich«, erwiderte er bestimmt. Dann neigte er den Kopf zur Seite und musterte Julie. »Weiß Carter es mittlerweile auch?« »Ich muss jetzt wirklich gehen.« Erleichtert sah Julie, dass Steve inzwischen bezahlt hatte und am Tresen auf sie wartete. »Schade.« Zack stand auf und kam um den Tisch herum, um sich von Julie zu verabschieden. Dann schlenderte er zurück zu seinem Tisch und setzte sich zu einer zierlichen blonden Frau, die ihn verliebt anstrahlte. Teresa liebte ihn wirklich, das war kaum zu übersehen. Und doch empfand Julie nicht die geringste Freude darüber, dass Zack endlich jemanden gefunden hatte, der ihn so sehr liebte, wie er sie damals geliebt hatte. »Lass uns endlich gehen«, sagte Steve barsch und zog sie zum Auto. Während der Rückfahrt sprach er kein Wort und blickte stur geradeaus in die Nacht. Julie hatte ihn noch nie so erlebt. Sonst war er immer so unbekümmert
und für jeden Spaß zu haben. Aber die Begegnung mit Zack schien ihm gänzlich die Laune verdorben zu haben. »Möchtest du noch eine Tasse Kaffee?« fragte sie Steve, als sie in ihrer Wohnung angekommen waren. »Sag mir lieber, warum Zack Reedman in letzter Zeit dauernd auftaucht«, entgegnete er schroff. »Dauernd? Zwei Mal sind wir ihm begegnet«, verbesserte Julie ihn. »Wir schon. Aber ich frage mich, wie oft du ihn in letzter Zeit getroffen hast, ohne dass ich davon wusste.« »Nicht ein einziges Mal.« »Wenn man euch so sieht, könnte man schon auf den Gedanken kommen, dass zwischen euch was läuft.« »Wundert dich das wirklich? Schließlich war ich mit ihm lange genug zusammen«, erinnerte sie ihn unsanft. »Warst du es, oder bist du es?« »Steve, glaub mir doch endlich.« Um ihn zu beruhigen, fasste Julie ihn am Arm. »Zack will nichts von mir, und ich will nichts von ihm. Er ist aus reiner Höflichkeit an unseren Tisch gekommen.« Steve fuhr sich durchs Haar. »Und worüber habt ihr dann so lange gesprochen?« Julie blickte ihn lächelnd an. »Er hat nach dir gefragt.« »Nach mir? Und was hast du ihm erzählt?« »Was sollte ich ihm in der kurzen Zeit schon erzählen?« »Hast du dich mit ihm verabredet?« »Wie käme ich dazu!« protestierte Julie. »Julie«, sagte Steve ernst, und sein Blick war verzweifelt, »bedeute ich dir überhaupt etwas?« »Aber Steve, du weißt doch…« »Ich weiß überhaupt nichts mehr«, unterbrach er sie. »Bis heute hast du mir keine Antwort auf meinen Heiratsantrag gegeben. Und selbst wenn ich die Hoffnung, du könntest meine Frau werden, schon fast aufgegeben habe, war ich während der letzten Wochen so zuversichtlich, dass sich in
unserer Beziehung trotzdem etwas zum Positiven ändern könnte.« Steve schnappte nach Luft, so sehr hatte er sich in Rage geredet. »Du weißt genau, wie sehr ich dich liebe, Julie. Aber es macht mich auf die Dauer wahnsinnig, dich nicht berühren zu dürfen.« »Steve, ich…« »Bitte sag jetzt nichts.« Zärtlich streichelte er Julies Wange. »Es ist besser, wenn ich jetzt gehe. Dieser Reedman hat mich ganz durcheinander gebracht. Morgen bin ich sicherlich wieder bei Verstand.« Als er schon an der Wohnungstür angekommen war, drehte er sich noch einmal zu Julie um. »Ich hole dich morgen Nachmittag ab, einverstanden?« »Wenn du lieber hier bleiben willst…?« »Ich komme gern mit. Schließlich habe ich nicht allzu oft die Gelegenheit, ein ganzes Wochenende mit dir zu verbringen. Außerdem freue ich mich darauf, deine Freunde kennen zu lernen.« Dass Steve sich mit Connie verstehen würde, bezweifelt Julie nicht – zumal sie ihrer Freundin eingeimpft hatte, kein Wort darüber zu verlieren, dass Zack und sie verheiratet waren. Aber sie war gespannt, wie Ben reagieren würde. Bei ihm konnte man sich nie sicher sein, ob er dichthalten würde. »Du bist so schweigsam«, sagte Steve, als sie am nächsten Tag über die Autobahn fuhren. »Bist du noch sauer auf mich wegen letzter Nacht?« »Schon vergessen. Hauptsache, die Missverständnisse sind jetzt ausgeräumt.« »Was Reedman angeht, ja.« »Umso besser«, erwiderte Julie und überhörte geflissentlich Steves Anspielung, dass das zweite Problem, dessentwegen sie gestern gestritten hatten, längst noch nicht geklärt sei. Die ganze Nacht hatte sie wach gelegen und sich den Kopf zerbrochen, wie es mit ihr und Steve weiter-
gehen sollte. Aber eine Antwort hatte sie auch heute noch nicht. Vielleicht wäre es das Beste, sie würden sich nicht mehr sehen. Dann wäre er frei, um eine Frau zu finden, die ihm die Liebe geben konnte, nach der er sich sehnte. Aber gleichzeitig hatte sie Angst vor diesem Schritt, denn auch wenn sie vielleicht nicht Steves Liebe brauchte, so doch seine Freundschaft. Steve lächelte sie an. »Ich weiß auch nicht, was in mich gefahren war. Natürlich war es ein Zufall, dass Zack gestern Abend auch bei Mario war. Schließlich war seine Verlobte dabei.« »Hast du gesehen, ob sie einen Ring trug?« »Das nicht, aber du hast doch erzählt, dass er heiraten will, und da dachte ich…« »Bestimmt war sie es«, bestätigte Julie. »Und wenn er dir hätte nachstellen wollen, wäre er ja wohl kaum in Begleitung gekommen.« »Wohl kaum.« Aber Julie war nicht so sicher, dass es wirklich ein Zufall gewesen war. Sie hatte das ungute Gefühl, Zack hatte genau gewusst, dass er Steve und sie bei Mario treffen würde. Er hatte überhaupt nicht überrascht gewirkt und war geradewegs an ihren Tisch gekommen. Diesem Mann war einfach alles zuzutrauen. Als sie in Hampshire ankamen, klingelten sie an der Haustür, und Connie höchstpersönlich öffnete ihnen. In dem dunkelblauen Kleid sah sie hinreißend aus. »Wie schön, dass du da bist!« begrüßte sie Julie. »Und Sie müssen Steve Carter sein. Du hast nicht übertrieben, Julie, er ist wirklich ein Prachtexemplar.« »Schönen Dank«, erwiderte Steve geschmeichelt. »Sag ihm das bloß nicht zu oft, Connie, sonst bildet er sich am Ende noch was darauf ein«, ermahnte Julie ihre Freundin scherzhaft. Connie führte sie ins Haus und gab sich alle Mühe, eine
perfekte Gastgeberin zu sein. Sie nahm ihnen die Mäntel ab und sorgte dafür, dass ihr Gepäck nach oben gebracht wurde. Dabei lächelte sie unentwegt, und doch spürte Julie, dass ihre Fröhlichkeit nicht von Herzen kam. Vielleicht hatte Ben seine Meinung geändert und bereute es, dass er sie eingeladen hatte? Aber das hatte Connie ihr sicherlich gesagt. Was mochte sie nur bedrücken? »Stimmt etwas nicht, Connie?« fragte Julie besorgt. Nervös biss sich Connie auf die Lippe. »Ich… wir… überraschenderweise ist noch jemand gekommen«, antwortete sie verlegen. »Ein alter Bekannter«, ertönte es aus dem Hintergrund. Julie spürte, dass Steve vor Schreck erstarrte, als Zack auf sie zukam. Ihr selbst stockte der Atem. Auch wenn Zack wie Steve einen schlichten blauen Anzug trug, sah er doch viel vornehmer und eleganter aus. Und das lag nicht nur daran, dass sein Anzug maßgeschneidert war. »Die Überraschung scheint mir ja gelungen zu sein«, spottete Zack. »Lass uns ins Wohnzimmer gehen«, versuchte Connie, die Situation zu entschärfen. »Gute Idee«, stimmte Zack zu und ging voraus. »Es tut mir ja so Leid«, entschuldigte sich Connie bei Julie und Steve, bevor sie Zack ins Wohnzimmer folgte. »Und mir erst.« Vorwurfsvoll sah Steve Julie an. »Und du hast wirklich nichts davon gewusst?« »Wie sollte ich?« »Vielleicht habt ihr euch gestern ja verabredet!« »Blödsinn«, wehrte sie sich gegen Steves Unterstellung. »Was sollen wir denn jetzt machen? Sollen wir zu den anderen gehen?« »Warum nicht?« Steve bewies Galgenhumor. »Mal sehen, was alles noch so passiert.« Als sie in das Wohnzimmer kamen, erschrak Julie erneut. Auf der Armlehne von Zacks Sessel saß Teresa. Jedenfalls
nahm sie an, dass es Teresa war. Zumindest war es dieselbe Frau wie gestern. Ben und Connie schienen tatsächlich nichts von Zacks und Teresas Besuch geahnt zu haben, denn Ben stand auf und warf ihnen einen deprimierten und entschuldigenden Blick zu. Aber vielleicht war es nicht das Schlechteste, dass Zack nicht allein gekommen war. In Begleitung seiner Verlobten würde er sich vielleicht zu benehmen wissen, und der Abend würde einigermaßen harmonisch verlaufen. Auch wenn sein hämisches Lächeln berechtigte Zweifel aufkommen ließ. Zack stand auf, um sie miteinander bekannt zu machen. »Teresa, darf ich dir Julie und ihren Freund Steve Carter vorstellen? Julie, Steve, das ist Teresa Barr.« Julies flüchtiger Eindruck von gestern bestätigte sich, als Teresa aufstand und sich zärtlich an Zack schmiegte. Sie war eine kleine, zierliche und überaus schöne Frau, hatte langes goldblondes Haar, und ihr schwarzes Kleid betonte ihren sinnlichen Körper. Als Zack den Arm um Teresas schmale Hüften legte, verzog Julie keine Miene. Es war ihr völlig gleichgültig, Zack mit seiner neuen Freundin zu sehen. Teresa blickte Zack fragend an. »Julie?« Ben, Connie und Julie hielten vor Spannung den Atem an. Zack blickte lächelnd zu Teresa herab. Nur Steve hatte nicht die geringste Ahnung, worauf diese harmlos anmutende Frage abzielte. »Dann ist sie…?« »Ganz richtig, Teresa«, kam Zack ihr zuvor. »Julie ist meine Frau.« Am liebsten wäre Julie in Ohnmacht gefallen oder hätte irgendetwas getan, um dem Sprengsatz auszuweichen, den Zack gerade gezündet hatte. Connie und Ben blickten entsetzt zu ihr herüber, und Steve bekam den Mund nicht mehr zu. Selbst Teresa wirkte betroffen. Nur Zack schien völlig
ungerührt und strahlte Julie provozierend an.
5. KAPITEL Der Abend verlief überaus schleppend. Zwar gaben sich Connie und Ben alle Mühe, ein Gespräch in Gang zu halten, aber Julie stand noch wie unter Schock. Steve war eingeschnappt und sprach kaum ein Wort, und Teresa fühlte sich in ihrer Haut ganz offensichtlich nicht wohl. Nur Zack gab sich unbeeindruckt. Er redete munter drauflos und scherte sich nicht darum, dass ihm außer Connie und Ben niemand antwortete. Nach dem Essen wurde es nicht besser. Zack schien die Anspannung um ihn her weiterhin nicht wahrzunehmen. Zunächst gab er eine weitschweifige Einschätzung der politischen Großwetterlage ab, bevor er Steve in ein Gespräch über die europäische Medienlandschaft zu verwickeln versuchte. Armer Steve! Obwohl er sich nach Kräften bemüht hatte, sich nichts anmerken zu lassen, stand ihm das Entsetzen noch immer im Gesicht geschrieben. Er fühlte sich zweifellos in seinem Verdacht bestätigt, dass die Begegnungen mit Zack alles andere als zufällig gewesen waren. Julie fragte sich, warum Zack es darauf abgesehen hatte, zwischen Steve und ihr Unfrieden zu stiften. Und daran, dass er es darauf abgesehen hatte, konnte kein Zweifel bestehen – auch wenn er sich alle Mühe gab, es zu überspielen. Vor lauter Genugtuung trank er zu viel, was Julie bisher nie erlebt hatte und nur aus Connies Erzählungen kannte. Zum Essen hatte er mehrere Gläser Wein getrunken, anschließend einen doppelten Brandy, und jetzt goss er einen Whiskey nach dem anderen in sich hinein. Bald sollte sie
wissen, warum er das tat! »Macht es euch etwas aus, wenn Teresa und ich hier übernachten?« fragte er plötzlich seine Schwägerin. »Ich… weiß nicht so recht…« sagte Connie stockend. »Ich befürchte, ich habe zu viel getrunken, um noch zu fahren« , erklärte er mit einem charmanten Lächeln. »Und Teresa hat keinen Führerschein.« Connie sah peinlich berührt zu Julie und konnte unschwer erkennen, welchen Schreck ihr Zacks Frage eingejagt hatte. »Ihr habt doch genug Platz«, bohrte Zack nach. »Das schon«, bestätigte Connie und blickte verlegen in die Runde. »Meinetwegen«, willigte sie nach kurzem Nachdenken ein. »Ihr seid herzlich willkommen.« »Vielleicht sollten Steve und ich dann lieber fahren«, platzte Julie heraus. Sie konnte sich nichts Schlimmeres vorstellen, als in derselben bedrückenden Atmosphäre am nächsten Tag zu frühstücken und zu Mittag zu essen. »Das kannst du nicht machen, Julie«, protestierte Connie. »Ich habe den Kindern versprochen, dass sie morgen früh mit dir spielen dürfen. Nicholas hat den ganzen Tag von nichts anderem gesprochen.« »Du kannst doch die Kinder nicht enttäuschen«, mischte sich Zack ein. Als Julie den Blick sah, mit dem er sie über den Rand seines Glases hinweg beobachtete, wurde sie rot. Wenn sich hier einer wie ein Kind benahm, dann er! Aber noch hatte sie keine Ahnung, welches Spiel er gerade spielte. »Wenn das so ist, bleiben wir selbstverständlich«, willigte sie ohne große Begeisterung ein. »Aber ich bin müde. Wenn ihr mich bitte entschuldigt.« Connie sprang auf. »Ich begleite dich, Julie. Ich muss ohnehin in den anderen Zimmer die Betten beziehen.« »Kommst du auch mit, Steve?« Besorgt sah Julie ihren Freund an. Auch er hatte zu viel getrunken, aber im Ge-
gensatz zu Zack war es ihm deutlich anzusehen. Seine Wangen glühten, und sein Blick war glasig. »Ich komme gleich hinterher«, nuschelte Steve und trank einen großen Schluck Whiskey. Connie musterte ihn besorgt. »Steve, für dich habe ich das Zimmer neben Julies vorgesehen. Teresa und Zack, für euch bereite ich die beiden Zimmer auf der anderen Seite des Flurs vor.« »Soll ich die Nacht wirklich ganz allein verbringen?« tönte Zack. »Zack, bitte!« ermahnte ihn sein Bruder, während Connie sich entnervt auf die Lippe biss. Die Situation drohte ihr offensichtlich über den Kopf zu wachsen. »Lass uns hochgehen, Julie.« Dankbar folgte Julie ihrer Freundin. Noch lieber wäre es ihr allerdings gewesen, Steve wäre mitgekommen, statt allein in der Höhle des Löwen zu bleiben. Aber Ben und Teresa würden schon auf ihn Acht geben. Überhaupt war Teresa eine sehr sympathische Frau, der trotz ihrer Schüchternheit anzumerken war, wie sehr sie Zack liebte was ganz offensichtlich nicht auf Gegenseitigkeit beruhte. Denn während sie ihn anhimmelte, behandelte er sie ziemlich herablassend. Er schien sie tatsächlich nicht ganz für voll zu nehmen, und Julie wusste genau, dass Zack sich mit dieser Frau über kurz oder lang langweilen würde. Als sie die Tür des Wohnzimmers hinter sich geschlossen hatten, atmete Connie tief durch. »Was für ein Abend! Eine einzige Katastrophe…« »Ich kann dir nicht widersprechen«, erwiderte Julie lächelnd. »Wie sollte ich denn ahnen, dass Zack und Teresa plötzlich vor der Tür stehen?« Connie sah wirklich mitgenommen aus. »Als er morgens anrief, war nicht die Rede davon.« »Hast du ihm denn erzählt, dass ihr Steve und mich
zum Abendessen erwartet?« fragte Julie misstrauisch. »Ich erinnere mich nicht genau. Warum fragst du?« »Weil er irgendetwas im Schilde führt. Wenn ich bloß wüsste, was!« Als sie in Julies Zimmer angekommen waren, setzte sich Connie aufs Bett. »Glaubst du, dass es mit der Scheidung zu tun hat?« Julie zuckte die Schultern. »Mehr als zustimmen kann ich doch nicht.« Mühsam erhob sich Connie wieder. »Ich sollte mal langsam die Betten machen.« »Willst du ihnen wirklich getrennte Zimmer geben?« »Was sie in London machen, geht mich nichts an. Aber unter meinem Dach…« »Du hast es doch früher auch nicht so genau damit genommen«, unterbrach sie ihre Freundin. Nur zu gut erinnerte sie sich daran, dass Connie und Ben manche Nacht in ihrer Wohnung verbracht hatten – im selben Bett und bevor sie verheiratet waren. »Ich habe meine Ansichten eben geändert. Was für ein Abend!« stöhnte Connie, und mit einem gequälten Lächeln verließ sie Julies Zimmer. Was für ein Abend! Und noch war er nicht vorbei. Denn kaum hatte Julie sich gewaschen und ihr seidenes Nachthemd übergezogen, klopfte es an der Tür. »Wer ist da?« fragte sie leise, weil sie vor wenigen Minuten gehört hatte, dass auch die anderen die Treppe heraufgekommen waren, um ins Bett zu gehen. »Ich bin’s. Steve. Lässt du mich rein?« Kaum hatte Julie die Tür geöffnet, drängelte sich Steve auch schon ins Zimmer und schloss die Tür. Er war immer noch wütend, und er hatte ja auch allen Grund dazu. »Wie schön, dass ich auf diesem Wege auch mal davon erfahre!« kam er ohne Umschweife zur Sache. »Steve…«
»Sag mir lieber, ob es wirklich stimmt, dass du mit Zack verheiratet bist?« »Steve, lass dir doch erklären…« »Und ich dachte, du hättest dich schon vor Jahren von ihm getrennt.« »Das stimmt ja auch.« »Warum hast du mir bloß nichts davon erzählt, Julie?« Mit einem Seufzer ließ sich Steve aufs Bett fallen und barg sein Gesicht in den Händen. »Kein Wunder, dass du meinen Antrag abgelehnt hast. Schließlich bist du ja verheiratet!« »Aber nicht mehr lange, Steve. Die Scheidung läuft.« »Kannst du mir mal verraten, was mich das noch angeht?« Er lachte hämisch. »Eigentlich müsste ich Zack dankbar sein, dass er mir die Augen geöffnet hat. Jetzt weiß ich endlich, dass du nie etwas für mich empfunden hast. Sonst hättest du mir nicht die Wahrheit verschwiegen.« »Ich habe dir nie Hoffnung gemacht, dass wir mehr als gute Freunde werden können«, versuchte Julie sich zu wehren. »Weil du Zack immer noch liebst?« »Blödsinn.« »Aber was will er dann noch von dir?« »Wenn ich das bloß wüsste.« Sie seufzte. »Ich dachte, mit meiner Einwilligung in die Scheidung wäre die Sache endlich ausgestanden. « »Weil er dann Teresa heiraten kann?« fragte Steve höhnisch. »Die frisst ihm doch jetzt schon aus der Hand. Glaub mir, Julie, Teresa ist eine schöne Frau, und bestimmt ist sie auch gut im Bett, aber kein Mann, der mal mit dir zusammen war, würde eine solche Frau heiraten.« »Was bildest du dir ein?« ermahnte Julie ihn. »Aber Reedman ist bestimmt auch nicht schlecht, oder?« fuhr Steve unbeirrt fort. »Steve…«
»Mir kannst du es doch sagen, Julie.« »Ich würde vorschlagen, dass du jetzt gehst und deinen Rausch ausschläfst.« Steve erschrak. »Entschuldige, Julie«, brachte er mühsam hervor, als er sich wieder gefangen hatte, »ich habe tatsächlich zu viel getrunken, und morgen früh werde ich einen anständigen Kater haben. Und was immer ich eben gesagt habe, ich möchte dich bitten, es zu vergessen. Ich würde nämlich ungern im Streit von dir scheiden. Aber du wirst sicherlich verstehen, dass ich mich in Zukunft nicht mehr mit dir treffen möchte.« »Das verstehe ich sehr gut«, erwiderte Julie. »Umso besser.« Er nickte und ging zur Tür. »Steve«, rief sie, als er schon halb auf dem Flur stand, ging zu ihm und küsste ihn sachte auf den Mund. Aber als Steve den Kuss leidenschaftlich erwidern wollte, wich sie zurück. »Daran muss ich mich wohl erst noch gewöhnen…« murmelte er entschuldigend, bevor er in seinem Zimmer verschwand. »Wie rührend!« ertönte plötzlich Zacks sonore Stimme. »Habt ihr euch wenigstens für später verabredet, wenn alle anderen schlafen?« Vor Schreck fuhr Julie herum. »Du solltest nicht von dir auf andere schließen«, erwiderte sie heftig. »Ich bin durchaus in der Lage, Connies Wunsch zu respektieren.« »Wie edel von dir!« spottete Julie. »Allerdings bezog sich das mit den getrennten Zimmern auf meine Freundin, nicht auf meine Ehefrau«, fuhr er unbeeindruckt fort und kam ihr bedrohlich näher. So schnell sie konnte, ging Julie in ihr Zimmer, um die Tür hinter sich abzuschließen. »Wohin so eilig?« Im letzten Moment hatte Zack einen Fuß in die Tür bekommen und stemmte sich mit aller
Kraft dagegen. Dann kam er auf Julie zu. »Was hast du vor, Zack?« fragte sie ängstlich. »Hab keine Angst, Julie«, erwiderte er und nahm sie in die Arme. Dann beugte er sich zu ihr hinunter, um sie zu küssen. In Erinnerung an das, was er ihr beim letzten Mal angetan hatte, wich sie instinktiv zurück. Aber Zack dachte nicht daran, sie loszulassen. Stattdessen hob er sie hoch, trug sie zum Bett und legte sich auf sie. Im selben Moment begann er sie zu küssen, so dass Julie der Atem stockte. »O Julie«, flüsterte Zack. Atemlos streifte er die Träger ihres Nachthemdes von den Schultern und ließ seine Lippen dorthin gleiten, wo ihr Herz wild klopfte. Ehe Julie sich’s versah, hatte sie Zacks Hemd aufgeknöpft. Während sie die Hände über seine glühende Haut gleiten ließ, presste er seine Schenkel an sie. Deutlich konnte sie seine pulsierende Lust spüren. »Wie lange habe ich auf diesen Moment gewartet«, stöhnte er. »Ich will dich jetzt sofort.« Er richtete sich kurz auf, um sich auszuziehen. Dann streifte er Julie das Nachthemd über die Hüften. Mit brennenden Augen sah er auf sie herab. Als er sich schließlich über sie beugte und in sie eindrang, stöhnte sie beglückt auf. Sie kannte Zack viel zu gut, um nicht zu wissen, was ihm gefiel und wie sie seine Sehnsucht befriedigen konnte. Kein Gedanke mehr an die Demütigung, die er ihr zugefügt hatte, als er sie das letzte Mal berührt hatte. Sie spürte seinen athletischen männlichen Körper und ließ sich auf den Gipfel der Leidenschaft entführen. Julie klammerte sich an Zack, um von den Wellen der Lust nicht fortgetragen zu werden. Auch Zack erbebte, und nur ganz, ganz langsam fanden sie wieder auf die Erde zurück. Erschöpft ließen sie sich in die Kissen sinken, und Julie
konnte seinen heißen Atem auf ihrer Wange spüren. Dann richtete sich Zack auf und sah sie zärtlich an. »So ein Verlangen habe ich schon lange nicht mehr empfunden. Aber gleich werde ich dich nach allen Regeln der Kunst verwöhnen.« Julie spürte, wie die Lust ihn bereits wieder übermannte. So hatte sie ihn in Erinnerung: Seine Leidenschaft schien tatsächlich grenzenlos und seine Begierde unstillbar zu sein. »Fangen wir doch mit Küssen an«, sagte Zack leise. Und mit den Küssen kam das gegenseitige Begehren zurück. Aber diesmal ließ Zack sich Zeit, um Julie, ganz wie er versprochen hatte, zu verwöhnen. Julie konnte sich an manche Nacht erinnern, in der sie kein Auge zugetan hatten, weil sie nicht davon lassen konnten, sich zu lieben. Nichts von dem, womit er sie glücklich machen konnte, hatte Zack seither vergessen. Zärtlich streichelte und liebkoste er sie, immer intensiver wurden seine Berührungen, immer mehr steigerte sich ihre Lust, bis sie sich schließlich erneut vereinigten. Erst im Morgengrauen schlief Julie ein, ganz erfüllt von Zacks Leidenschaft und doch erschöpft von einer Nacht gegenseitiger Hingabe. Als sie aufwachte, war sie allein. Nur das zerknüllte Kopfkissen neben ihr verriet, dass Zack bei ihr gewesen war. Während sie sich ausgiebig reckte, fragte sie sich, wie es dazu hatte kommen können. Aber wahrscheinlich gab es für das, was geschehen war, keine vernünftige Erklärung. Zack und sie hatten sich ausschließlich von ihren Gefühlen leiten lassen, und keiner von ihnen hatte auch nur einen Moment lang die Konsequenzen bedacht. Aber genau diese Frage stellte sie sich jetzt. Wer weiß, vielleicht würde Zack sie heute schon bitten, mit ihm zu kommen. Was sollte sie ihm antworten? Sie wusste es selbst nicht.
Um wieder klar denken zu können, huschte Julie ins Bad und stellte sich unter die Dusche. Als sie vor dem Spiegel stand und sich die Haare kämmte, fiel ihr Blick auf die Uhr. Schon nach elf! Was sollten die anderen von ihr denken? Und warum hatte sie niemand geweckt? Steve wartete bestimmt schon sehnlichst darauf, dass sie ihn vor Zacks beißendem Sarkasmus in Schutz nahm. Als sie ins Wohnzimmer kam, saßen dort Ben und Steve und unterhielten sich angeregt – natürlich über berufliche Dinge. »Guten Morgen, Julie«, begrüßte Ben sie freundlich. »Connie ist mit den Kindern in der Küche.« Aus den Augenwinkeln konnte Julie erkennen, dass Steve sie misstrauisch musterte. Bestimmt war ihr anzusehen, dass sie eine Nacht ungezügelter Leidenschaft hinter sich hatte. Wer weiß, vielleicht hatte Steve ja sogar etwas gehört. Schließlich hatte er im Zimmer nebenan geschlafen! Verlegen blickte sie zu Boden. »Und wo sind Zack und Teresa?« »Die sind vor einer guten Stunde gefahren.« Fast verschlug es Julie die Sprache. »Warum denn das?« »Weil sie zum Mittagessen bei Teresas Eltern sein wollten.« »Ich verstehe. Dann werde ich mal in die Küche gehen und Connie und den Kindern Guten Morgen sagen.« Eilends verließ Julie das Wohnzimmer, um sich im Flur erst einmal hinzusetzen und sich von dem Schock zu erholen. Zack war zum Alltag übergegangen, als hätte es die vergangene Nacht nicht gegeben. Nicht einmal eine Nachricht hatte er ihr hinterlassen. Stattdessen saß er jetzt in aller Ruhe bei seinen künftigen Schwiegereltern. Mit allem hatte sie gerechnet, aber nicht damit. Noch vor wenigen Minuten hatte sie sich gefragt, wie sie sich verhalten sollte, und jetzt hatte Zack ihr die Entscheidung abgenommen. Ihm schien es nichts bedeutet zu haben –
nicht mehr jedenfalls als eine letzte Nacht mit der eigenen Ehefrau vor der Scheidung. Der Gedanke schmerzte sie mehr, als sie sich eingestehen wollte. Das Beste wäre, sie würde das Ganze so schnell wie möglich vergessen. Als sie sich wieder gefangen hatte, betrat sie die Küche. Nur ihre Blässe deutete darauf hin, dass die Fröhlichkeit, die sie auszustrahlen versuchte, nicht von Herzen kam. Während des Mittagessens unterhielt sie sich angeregt über lauter unwichtige Dinge, auch wenn sie merkte, dass Connie und Ben sie bisweilen besorgt anblickten. Steve hing viel zu sehr seinen Gedanken nach, um zu bemerken, dass sie nur Theater spielte. Armer Steve. Er sah so traurig aus. Und das war ganz allein ihre Schuld. Sie schämte sich dafür, aber noch mehr schämte sie sich, dass sie sich vergangene Nacht so hatte gehen lassen. Bei Zacks erster Berührung war sie schwach geworden und hatte sich ihm willig hingegeben. Bestimmt verachtete er sie dafür. Aber am meisten verachtete sie sich selbst! »War ich gestern Abend eigentlich sehr grob zu dir?« fragte Steve, als sie im Auto saßen und nach London zurückfuhren. »Im Gegenteil«, versuchte Julie ihm die Sorge zu nehmen. »Ich finde, du hast dich großartig verhalten.« »Obwohl ich betrunken war?« Steve begann zu lächeln. »Als mir das zum letzten Mal passiert ist, war ich noch ein Teenager. Ich hoffe, ich habe mich nicht wie einer benommen.« Julie schüttelte den Kopf. »Du warst wütend auf mich – und das aus gutem Grund.« »Ich kann immer noch nicht glauben, dass ihr verheiratet seid.« »Manchmal kann ich es selbst kaum glauben.« Instinktiv musste Julie an ihre Trennung von Zack denken – und dar-
an, was alles damit verbunden war. »Steve, glaubst du, wir können nach dem, was vorgefallen ist, noch gemeinsam arbeiten?« Insgeheim fragte sie sich, ob es nicht besser wäre, zu kündigen. Zack blickte sie vielsagend an. »Du nimmst deinen Beruf viel zu wichtig, Julie.« »Er ist mir nun mal wichtig«, widersprach sie energisch. »Aber deine Arbeit kann dir doch nicht den Partner ersetzen!« »Ich will nun mal keinen Partner.« »Bist du dir da so sicher?« Steve blickte sie ernst an. »Ich glaube, dass du dir nichts sehnlicher wünschst als einen Lebensgefährten! Und vor allem glaube ich, dass du genau weißt, an weh ich dabei denke«, fügte er hinzu. »Ich habe nicht die geringste Ahnung, was du meinst.« Julie fühlte sich ertappt, und um Steves Blick auszuweichen, sah sie stur geradeaus. »Mir kann es ja egal sein«, gab Steve klein bei. »Aber um endlich auf deine Frage zu antworten: Ich sehe keinen Grund, warum wir nicht weiter zusammenarbeiten sollten. Schließlich sind wir erwachsene Menschen, denen klar sein musste, dass es irgendwann so kommen konnte.« Vor Erleichterung hätte Julie am liebsten geweint. »Du bist wirklich ein feiner Kerl, Steve.« »Da sagst du mir nichts Neues«, erwiderte er lächelnd. »Vielleicht ein bisschen zu eingebildet«, spielte Julie das Spiel mit. Schließlich hatte sie jetzt keinen Grund mehr, zu kündigen. Und wer weiß, vielleicht könnten Steve und sie sogar Freunde bleiben – obwohl er zu wissen schien, worüber sie sich selbst gerade erst klar geworden war. Sie liebte Zack immer noch! Und das nach allem, was zwischen ihnen vorgefallen war. Aber sosehr sie sich gegen den Gedanken auch sträubte, Tatsache blieb, dass sie Zack immer noch liebte, auch wenn er sie behandelt hatte wie irgendeine flüchtige Bekannt-
schaft, mit der man für eine Nacht ins Bett stieg.
6. KAPITEL »Das Leben geht weiter«, sagt ein Sprichwort. Und so stürzte sich Julie in die Arbeit, traf sich ab und zu mit Freunden oder telefonierte mit Connie. Ihr Leben ging tatsächlich weiter, aber mit dem, wie es einmal gewesen war, hatte es nicht mehr viel zu tun. Von ihrer Ausgeglichenheit und ihrem Selbstbewusstsein, die sie sich nach der Trennung von Zack so mühsam erarbeitet hatte, war kaum etwas übrig geblieben. Selbst ihrem Chef war nicht verborgen geblieben, dass ihre Konzentration nachgelassen hatte. Eines Morgens kam er zu ihr an den Schreibtisch und sah auf den Bildschirm ihres Computers. »Kannst du mir erklären, warum du in deinem Artikel den Namen des amerikanischen Präsidenten jedes Mal anders schreibst?« »Tut mir Leid«, erwiderte Julie stockend und beeilte sich, die Fehler zu korrigieren. »Ich war mit meinen Gedanken woanders.« »Du brauchst dich nicht zu entschuldigen«, wehrte Doug ab. »Ich habe keinen Grund, mich über deine Arbeit zu beklagen«, machte er ihr ein für seine Verhältnisse sehr direktes Kompliment. »Aber du bist in letzter Zeit nicht mehr so bei der Sache, wie ich es gewohnt bin.« »Ich muss zugeben, ich fühle mich seit einer Weile ziemlich erschöpft.« »Warst du schon mal beim Arzt?« erkundigte sich Doug. »Schließlich waren die letzten Wochen kein Zuckerschlecken.« Was sollte sie beim Arzt? Der konnte auch nicht mehr tun, als ihr zu raten, mehr zu schlafen. Dabei ging sie ja
früh ins Bett, aber sie schlief einfach miserabel. »Ich glaube, ich bekomme eine Grippe«, wehrte sie Dougs Vorschlag ab. »Seit über einem Monat? Das muss aber eine komische Grippe sein.« Unwillkürlich musste Julie lächeln. »Es ist bestimmt nichts Ernstes.« Als sie aber wenige Tage später in der Redaktion zusammenbrach, sah sie ein, dass sie wohl doch besser zum Arzt gehen sollte. »In den ersten Wochen einer Schwangerschaft ist das absolut normal«, erklärte ihr Dr. Frederick, als er von ihren Beschwerden hörte. Dass sie darauf nicht von allein gekommen war! Müdigkeit, Übelkeit und Schwindelgefühle – die Anzeichen waren doch offensichtlich, aber sie hatte sie alle ignoriert, wahrscheinlich, weil sie sich alle Mühe gegeben hatte, die Nacht mit Zack zu vergessen. Sie würde ihm ohnehin nichts von seinem Kind erzählen. Gestern hatte Julie einen Brief von Zacks Anwalt bekommen mit der Nachricht, dass Zack endlich die Scheidung eingereicht habe: Nun hatte sie es schwarz auf weiß, dass er nichts mehr für sie empfand. »Und warum habe ich dann abgenommen?« fragte Julie ihren Arzt. »Das ändert sich schneller, als sie denken«, scherzte er. »Sie brauchen sich wirklich keine Sorgen zu machen«, fuhr er fort und überreichte ihr ein Merkblatt. »Alles, was Sie beachten müssen, damit die Schwangerschaft möglichst unkompliziert verläuft, steht hier drauf.« Jetzt, da sie wusste, dass sie alles andere als krank war, fühlte Julie sich gleich wieder besser. Und wie Dr. Frederick angekündigt hatte, nahm sie auch bald zu, und so schlank sie war, konnte es nicht mehr lange dauern, bis ihr die Schwangerschaft anzusehen wäre.
»Bist du deine Grippe immer noch nicht los?« fragte Connie, die in London einkaufen gewesen war und anschließend Julie besuchte. »Es ist schon viel besser geworden.« Aus Angst, etwas Falsches zu sagen, vermied Julie es, Connie direkt in die Augen zu blicken. Nicht einmal ihrer besten Freundin wollte sie die Wahrheit verraten. »Warst du denn schon beim Arzt?« »Er meint, ich hätte mir einen Virus eingefangen.« »Heißt der zufällig Zack?« »Zack?« Bei der Erwähnung seines Namens schreckte Julie auf. »Was meinst du damit?« »Vielleicht ist es dir ja auf den Magen geschlagen, dass er sich scheiden lassen will?« »Aber ich habe mich doch einverstanden erklärt.« Erleichtert stellte sie fest, dass Connie von ihren wahren Gefühlen für Zack nichts zu ahnen schien. »Ich mache mir Sorgen um ihn. Irgendwie hat er sich in letzter Zeit verändert.« Julie hatte wenig Lust, das Gespräch fortzusetzen. »Es ehrt dich ja, wenn du besorgt um deinen Schwager bist, aber ich wüsste nicht, was mich das angeht.« »Wie kannst du nur so…« »Weil Zack in meinem Leben keine Rolle mehr spielt«, unterbrach sie Connie schroff. »Und Steve?« »Das ist auch vorbei«, gestand sie widerwillig. »Schade, ich hatte den Eindruck, dass er ein feiner Kerl ist.« »Das ist er auch.« »Und warum…?« »Weil ich ihn nicht liebe.« »Als ihr bei uns wart, hat Zack sich alle Mühe gegeben, ihm das Wochenende zu versalzen.« »Das ist ihm ja auch gelungen.«
»Bist du noch wütend auf ihn?« »Nein«, erwiderte Julie kurz angebunden. »Außerdem bin es leid, über ihn zu reden.« »Ich mache mir halt Sorgen.« »Dann sprich mit Ben darüber, schließlich ist er sein Bruder.« »Und du bist seine Frau.« »Nicht mehr lange«, sagte Julie barsch. Connie biss sich auf die Lippe. »Ben hat mir erzählt, dass Zack und Teresa sich gestritten haben. Und wie!« Julie wandte sich abrupt um. Connie sollte nicht merken, wie sehr sie diese Nachricht elektrisierte. »Vielleicht ärgert sie sich darüber, wie lange die Scheidung sich hinzieht. Aber wie gesagt: Ich will von Zack nichts mehr hören.« Schneller als sie dachte, sollte sie die Gelegenheit dazu haben. Denn schon am nächsten Tag kam Doug zu ihrem Schreibtisch. »Du musst zu einer Pressekonferenz.« »Wann und wo?« Reflexartig stand Julie auf und zog sich ihr Jackett über. »In zwanzig Minuten bei den Global News.« »… den Global News? Habe ich richtig gehört?« »Das hast du. Zachary Reedman hat einen italienischen Verlag gekauft und will Einzelheiten bekannt geben.« Julie schluckte. Zu allem Überfluss hatte sie erneut mit ihrer Übelkeit zu kämpfen. »Kannst du nicht jemand anders hinschicken?« »Nein«, erwiderte Doug bestimmt, und sein Tonfall ließ nicht den geringsten Zweifel, dass jede weitere Diskussion sinnlos war. Aber es wäre auch sicherlich nicht klug gewesen, mit ihm zu diskutieren. Denn wie Steve gesagt hatte, wussten ohnehin alle in der Zeitungsbranche, dass sie mit Zack mal ein Verhältnis gehabt hatte. Und Doug war stets einer der ersten, der den neuesten Klatsch erfuhr. In ihrem Zustand sollte Julie die Gerüchteküche besser nicht weiter anhei-
zen. »Kommt Matt mit?« Ihr Kollege hatte sich von der Schussverletzung inzwischen völlig erholt. »Steve wird dich begleiten. Er müsste jeden Moment…« »Da bin ich.« Wie auf Kommando betrat Steve den Raum, die Kamera in der Hand. »Können wir, Julie?« fragte er freundlich. »Ja«, erwiderte sie. Es tröstete sie ein wenig, Steve an ihrer Seite zu wissen, wenn sie in die Höhle des Löwen ging. Trotzdem fühlte sich Julie nicht wohl in ihrer Haut, als sie mit dem Fahrstuhl in die achte Etage der Global News fuhren, wo die Pressekonferenz stattfinden sollte. »Alles in Ordnung?« erkundigte sich Steve und nahm Julie am Arm. »Du siehst aus, als würdest du gleich in Ohnmacht fallen.« So fühlte sie sich auch. »Es geht schon«, versicherte sie. »Aber gib da drin ein bisschen auf mich Acht.« »Versprochen.« Gekleidet in einen schwarzen Nadelstreifenanzug und ein weißes Hemd, saß Zack am Kopf eines langen Tisches. Julie errötete bei dem Gedanken, dass sie ihn nicht mehr gesehen hatte, seit sie in seinen Armen eingeschlafen war. Zack schien sie hingegen nicht bemerkt zu haben. Zwar hatte er in ihre Richtung geblickt, als Steve und sie den Raum betreten hatten, aber der Raum war so voll, dass es keine Kunst war, jemanden zu übersehen. Zack erklärte die Pressekonferenz für eröffnet und berichtete in knappen Worten über die Neuerwerbung in Italien. Nachdem er geendet hatte, forderte er die Vertreter der Presse auf, Fragen zu stellen, die er ruhig und souverän beantwortete, ohne ein einziges Mal auf seine Unterlagen blicken zu müssen. Um ein Foto zu machen, drängelte sich Steve mit Julie ein wenig vor und zog Julie mit sich. Jetzt war sie nur noch
eine Armlänge entfernt von Zack, von dem Mann, den sie noch immer liebte und der der Vater ihres Kindes war. »Bedeutet Ihr Engagement in Italien, dass Sie in Zukunft nicht mehr so oft in London sein werden?« Die Frage war klar formuliert, und doch erschrak Julie über die Angst, die in ihrer Stimme mitgeschwungen hatte. Verwundert blickte Zack sie an. »Leider muss ich Sie enttäuschen, Miss Slater.« Plötzlich war er nicht mehr sachlich, sondern spöttisch. »Ich habe ausgezeichnete Mitarbeiter in Italien, so dass es für mich keinen Grund gibt, London öfter als bisher zu verlassen.« »Wie erfreulich… für Sie«, fügte sie schnell hinzu, als sie bemerkte, dass Zack sie befremdet ansah. »Warum interessiert Sie das, wenn ich fragen darf?« »Wie zu hören war, wollen Sie demnächst heiraten, Mr. Reedman«, antwortete sie kühl. »Und ich habe mich gefragt, ob sich durch Ihre geschäftlichen Unternehmungen daran etwas geändert hat.« Zack wurde ungehalten. »Ich versichere Ihnen, dass meine geschäftlichen Aktivitäten in Italien nicht den geringsten Einfluss auf meine privaten Pläne haben. Und wenn Sie erlauben, Miss Slater, würde ich gern wieder Ihren Kolleginnen und Kollegen Gelegenheit geben, Fragen zu stellen, die zur Sache gehören. « Das hatte gesessen! Plötzlich wurde Julie kreidebleich, der ganze Raum schien sich um sie zu drehen. Ehe sie sich’s versah, fand sie sich in Steves Armen wieder. »Julie!« Zack war aufgesprungen und zu ihr geeilt. Er gab sich nicht die geringste Mühe, seinen Schreck zu verbergen. »Alles in Ordnung«, sagte sie mit schwacher Stimme, und tatsächlich bekam sie langsam wieder Farbe im Gesicht. »Es liegt nur an der schlechten Luft hier drin. Es ist völlig überheizt.« Besorgt fühlte Zack Julies Stirn. »Aber die Klimaanlage
läuft doch auf vollen Touren.« »Es geht ihr schon seit ‘ner ganzen Zeit nicht gut…« »Wenn ich Ihren Rat brauche, werde ich es Sie wissen lassen«, schnitt Zack Steve das Wort ab, bevor er sich wieder an Julie wandte. »Stimmt das, Julie?« »Ich hatte eine Grippe«, antwortete sie und rappelte sich wieder auf die Beine. Um sie her hatte sich eine Traube von Menschen gebildet, die sich wunderten, warum der Besitzer der Global News über den Kreislaufkollaps einer Reporterin der Daily Probe so aus der Fassung geriet und sie, anders als vor wenigen Augenblicken, nicht Miss Slater, sondern plötzlich Julie nannte. »Connie hat mir davon erzählt.« Zack war immer noch besorgt. »Aber das ist doch schon ein paar Wochen her.« »Das sind die Nachwirkungen.« »Aber du siehst tatsächlich krank aus…« »Mir geht’s schon wieder ganz gut«, versuchte Julie, Zack zu beruhigen. »Außerdem sind im Moment die Objektive von zwanzig Fotoapparaten auf uns gerichtet«, warnte sie ihn, weil er noch immer ihre Wange streichelte. Seine Augen blitzten wütend. »Das ist mir völlig egal. Ich muss mit dir sprechen.« »Aber nicht hier, Zack«, erwiderte sie bestimmt und trat einige Schritte zurück. »Wenn Sie mich bitte entschuldigen wollen, Mr. Reedman«, sagte sie so laut, dass jeder im Raum es hören konnte. »Und bitte entschuldigen Sie nochmals die Störung.« »Julie…« »Begleitest du mich bitte, Steve?« Sie ignorierte Zack einfach und verließ mit hoch erhobenem Haupt die Pressekonferenz. »Ich muss so schnell wie möglich in die Redaktion. Doug will meinen Bericht noch heute Abend haben«, sagte sie, als sie im Aufzug standen. »Denkst du eigentlich nie an etwas anderes als an Ar-
beit?« Steve war drauf und dran, die Beherrschung zu verlieren. »Du bist eben ohnmächtig geworden…« »Ich war nicht ohnmächtig«, widersprach sie. »Ich habe doch gesagt, es war bloß die schlechte Luft da oben.« »Mit der Luft hatte das gar nichts zu tun. Die Begegnung mit Reedman hat dich so aufgewühlt, stimmt’s?« Natürlich hatte Steve Recht mit seiner Vermutung, aber Julie dachte nicht daran, es ihm zu sagen. Stattdessen ging sie in die Redaktion und tippte ihren Artikel. Es war schon spät, als sie sich auf den Heimweg machte, und die meisten Kollegen waren längst gegangen. Aber die hatten ja auch jemanden, der auf sie wartete und auf den sie sich freuten. Erst seit sie von ihrer Schwangerschaft erfahren hatte, war ihr bewusst geworden, wie einsam sie im Grunde genommen war. Zu Hause angekommen, ging sie in die Küche, um trotz der späten Stunde noch eine Kleinigkeit zu essen. Auch wenn sie sich zwang, es nicht zu tun, musste sie die ganze Zeit an die Begegnung mit Zack denken. Selbst wenn es in den vergangenen Jahren nie dazu gekommen war, hatte sie immer mit einer zufälligen Begegnung rechnen müssen. Und es konnte jederzeit wieder passieren. Plötzlich klingelte es an der Tür. Julie öffnete und erschrak, als sie sah, wer da vor der Tür stand. »Was willst du?« begrüßte sie Zack wenig freundlich. Zack schien nach der Pressekonferenz nicht zu Hause gewesen zu sein, denn er trug noch immer den Nadelstreifenanzug. »Wo warst du die ganze Zeit, verdammt noch mal? Ich habe den ganzen Abend versucht, dich anzurufen.« »Ich bin eben erst von der Arbeit gekommen.« »Und ich dachte, dir sei was passiert.« Julie versuchte, ihre Nervosität zu überspielen. »Dann hätte ich einen Notarzt gerufen und nicht dich.« »Geht es dir jetzt denn besser?« Zack sah sie besorgt an. »Du bist immer noch ganz blass.«
Julie sah tatsächlich müde und abgespannt aus. Aber nicht nur ihrem Gesicht, auch ihrer Kleidung waren die Spuren eines langen, aufreibenden Arbeitstages anzusehen, was gegenüber Zacks makellosem Aussehen besonders auffiel. »Beunruhigt dich das so sehr?« »Und ob mich das beunruhigt.« »In den letzten drei Jahren hat es dich doch auch nicht interessiert, wie es mir ging. Warum jetzt auf einmal?« »Schließlich bist du vorhin vor meinen Augen in Ohnmacht gefallen. Und jetzt sag mir endlich, was dir fehlt.« »Mir fehlt überhaupt nichts.« Langsam, aber sicher wurden Julie die vielen Fragen lästig. »Du weißt doch, wie das bei uns Frauen ist…« Zack nickte wissend. »Und sonst fehlt dir nichts?« »Gar nichts.« »Dann spricht ja nichts dagegen, dass du mich hereinlässt.« Zack lächelte spöttisch. »Oder sollen wir uns weiter im Treppenhaus unterhalten?« Julie dachte nicht daran, ihn in ihre Wohnung zu bitten. »Nachdem du dich davon überzeugt hast, dass ich nicht hilflos auf dem Fußboden liege, wüsste ich nicht, was es noch zu besprechen gäbe. Außerdem hast du bestimmt noch etwas Besseres zu tun.« »Das kann warten.« Ohne ihre Erlaubnis abzuwarten, drängte sich Zack an Julie vorbei und betrat das Wohnzimmer. »Du hast es gemütlich hier. Beim letzten Mal hatte ich keine Gelegenheit, mir alles in Ruhe anzusehen.« »Weil du zu sehr damit beschäftigt warst, mir Vorhaltungen zu machen.« Misstrauisch beobachtete sie ihn, wie er sich in ihrer Wohnung umsah. »Ich erinnere mich«, sagte Zack und drehte sich zu ihr um. »Und dann kam ja auch schon Carter. Kommt er heute Nacht auch?« »Ich… nein, heute Nacht kommt er nicht.« »Heißt das etwa…? Verdammt«, fluchte er, weil er aus
Versehen gegen Julies Handtasche gestoßen war, deren Inhalt sich über den Fußboden ergoss. Zack bückte sich und begann, die Unordnung zu beseitigen. »Hast du dir immer noch nicht abgewöhnt, alles rumliegen zu lassen?« Julie eilte ihm zu Hilfe. »Hast dir immer noch nicht angewöhnt aufzupassen, wo du hintrittst?« Sie hob eine Packung Tabletten auf und tat sie zurück in die Handtasche. »Schlaftabletten?« fragte Zack vieldeutig. »Nein«, antwortete sie wahrheitsgemäß und verstaute die Eisentabletten, die ihr der Arzt verschrieben hatte, in der Handtasche. »Nur ein Grippemittel.« Zack gab sich mit der kleinen Lüge zufrieden, richtete sich auf und ging nachdenklich im Zimmer auf und ab, die Hände in den Taschen. »Ich glaube, es ist besser, wenn du jetzt gehst, Zack«, forderte Julie ihn auf. »Zumal dein plötzliches Interesse doch ziemlich überraschend kommt, nachdem ich seit… seit Wochen nichts von dir gehört habe.« »Seit dem Wochenende bei Connie und Ben, wolltest du sagen. Genau darüber wollte ich mit dir sprechen, Julie.« »Ach ja?« fragte sie misstrauisch. Zack seufzte, dann gab er sich einen Ruck. »Ich halte es nicht länger aus, Julie. Langsam, aber sicher werde ich verrückt. Ich sehne mich nach dir, und ich will dich in meiner Nähe haben.« Der Blick, mit dem er sie ansah, ließ keinen Zweifel, dass es ihm ernst war. Julie wagte den Gedanken, der ihr instinktiv kam, kaum weiterzudenken. Sollte das heißen, dass es doch noch Hoffnung auf eine gemeinsame Zukunft gab, auf eine Familie…? »Und ich bin gekommen, um dir etwas vorzuschlagen, was du dir, wie ich glaube, ebenso wünschst wie ich.« »Und das wäre?« fragte sie, gespannt auf das, was er sagen würde. »Unsere letzte gemeinsame Nacht hat mir endgültig die
Augen geöffnet, Julie«, fuhr Zack fort. »Wenn wir uns auch noch so viel streiten – im Bett passen wir nach wie vor wunderbar zusammen. Und weil du dich nicht binden willst, möchte ich, dass du meine Geliebte wirst.«
7. KAPITEL »Was hast du gesagt?« Julie konnte nicht glauben, was sie gehört hatte. »Ich möchte, dass du meine Geliebte wirst.« Sie hatte sich also doch nicht verhört. »Wofür hältst du mich eigentlich?« »Ich halte dich für eine begehrenswerte und bildschöne junge Frau.« Vor lauter Verlegenheit wusste Zack nicht, wohin mit seinen Händen. »Seit wir uns an unserem vierten Hochzeitstag wieder begegnet sind, verzehre ich mich nach dir. Ich habe versucht, nicht an dich zu denken, aber immer hatte ich dein Bild vor Augen, egal, wo ich war und was ich gemacht habe.« »Und weiß Teresa…?« »Irgendwie muss sie es geahnt haben. Und als ich eines Nachts im Traum laut deinen Namen gerufen habe, hat sie mich rausgeworfen und gesagt, ich solle mich erst wieder blicken lassen, wenn ich mir meiner Sache vollkommen sicher sei.« »Es würde mir Leid tun, wenn es meinetwegen zwischen euch aus wäre«, sagte Julie betroffen. »Aber das ist noch lange kein Grund, mir Beleidigungen an den Kopf zu werfen.« »Ist es eine Beleidigung, wenn ich dir offen und ehrlich sage, dass ich dich begehre und mit dir schlafen möchte?« »Allerdings«, gab sie empört zurück. »Ich bin ein Mensch, nicht irgendein Gegenstand, über den du verfügen kannst,
wie es dir beliebt.« »So habe ich es doch nicht gemeint«, wandte Zack betreten ein. »Ich hatte gehofft, nach unserer letzten gemeinsamen Nacht würde es mir endlich gelingen, dich zu vergessen. Aber meine Sehnsucht nach dir ist eher noch größer geworden. Ich kann an nichts anderes mehr denken.« »Und deswegen soll ich deine Geliebte werden? Das hast du dir ja schön ausgedacht. Hast du dir auch überlegt, was ich davon habe?« »Mich«, erwiderte Zack und strahlte Julie an. »Dich?« Ungläubig erwiderte sie seinen Blick. »Ja, mich«, wiederholte er. »Schließlich hast du es genauso genossen wie ich.« Julie errötete. »Ich hätte mir denken können, dass du mich dafür verachtest.« »Ich verachte dich nicht, Julie.« Zack hatte seine Selbstsicherheit zurückerlangt. »Im Gegenteil. Aber du wirst nicht abstreiten wollen, dass ich Recht habe.« »Selbst wenn. Noch habe ich nicht einmal den letzen Versuch, mit dir zusammenzuleben, verarbeitet.« »Von Zusammenleben war nicht die Rede.« »Ach, so hast du dir das also gedacht!« Julie wusste nicht, ob sie lachen oder weinen sollte. »Jedes Mal, wenn dich deine Sehnsucht treibt, schneist du hier rein und nimmst dir, was du brauchst.« »Wenn es danach ginge, würde ich gar nicht mehr gehen«, gab Zack unumwunden zu. »Aber wir können uns doch treffen, wenn wir beide Lust dazu haben…« »… und Teresa keine Einwände hat.« »Ich habe dir doch gesagt…« »Aber es spricht doch nichts dagegen, dass du sie heiratest«, höhnte sie. »Schließlich willst du ja nur ab und zu mit mir schlafen!« »Verdammt noch mal, warum machst du es mir bloß so schwer?«
»Wie bitte?« fragte sie wütend. »Ich mache es dir schwer? Was hast du denn erwartet? Dass ich begeistert zustimme?« »Früher hast du dich doch auch nicht so geziert«, erwiderte Zack verächtlich. »Verschone mich bitte mit deiner verdammten Eifersucht. Ich habe dir tausend Mal gesagt, dass an deinen Verdächtigungen nichts dran ist.« »Und was ist mit Carter?« »Ich habe nicht vor, dir von meiner Beziehung zu Steve zu erzählen« , wies sie seine Frage zurück. »Es geht dich nämlich nichts an. Aber du kannst sicher sein, dass wir nie auf die Idee gekommen wären, eine Verabredung darüber zu treffen, wann und wie oft wir miteinander schlafen. So etwas muss sich ergeben, falls du es vergessen haben solltest.« »Und hat es sich oft ergeben?« »So oft, wie uns beiden danach zu Mute war. Mit der Betonung auf beiden.« »Nichts anderes habe ich dir vorgeschlagen.« »Meine Antwortet lautet Nein«, sagte sie bestimmt. »Obwohl du unser letztes Abenteuer genossen hast?« »Ich bin an einer Wiederholung nicht interessiert.« »Wirklich nicht, Julie?« fragte Zack sanft und zog sie an sich. »Bitte hör auf, Zack«, wehrte sie sich. »Ach Julie. Ich weiß selbst nicht, was mit mir los ist. Du raubst mir den letzten Verstand«, sagte er erregt und ließ die Hände über ihren Körper gleiten. Als seine Lippen sich ihrem Mund näherten, stieß sie Zack von sich. »Bitte geh jetzt«, forderte sie ihn mit zittriger Stimme auf. »Und komm nie wieder hierher!« »Das kannst du unmöglich von mir verlangen«, entgegnete Zack traurig. »Ich werde dich nicht wieder über die Schwelle lassen.«
»Dann werde ich im Treppenhaus auf dich warten.« »Und ich werde irgendwo hingehen, wo du mich nicht wieder findest.« »Nur das nicht, Julie. Ich will dich nicht verlieren«, sagte Zack erschrocken. »Vielleicht sollten wir alles noch mal in Ruhe besprechen.« Julie schüttelte den Kopf. »Das ist kein guter Vorschlag.« »Wir könnten morgen zusammen essen gehen.« »Und danach könnte ich dich noch mit in meine Wohnung bitten und anschließend in mein Bett.« Zack stand die nackte Angst im Gesicht geschrieben. »Mach dich nicht über mich lustig, nur weil ich dich begehre, Julie.« »Ich mache mich nicht lustig über dich«, versuchte sie ihn zu beruhigen. »Aber ich möchte, dass du jetzt gehst und mich in Ruhe lässt.« »Hasst du mich so sehr?« »Nein, Zack«, antwortete Julie ruhig. »Du hast mich tief verletzt, aber gehasst habe ich dich nie.« »Dann besteht ja vielleicht noch Hoffnung.« Seine Miene hellte sich wieder etwas auf. »Du weißt, wie hartnäckig ich sein kann.« »Allerdings.« »Glaub ja nicht, dass du mich so einfach los wirst. Ich werde so lange wiederkommen, bis du mich erhörst«, rief er ihr im Hinausgehen zu. Julie blieb ratlos zurück. Wenn Zack seine Ankündigung wahr machen würde, wie sollte sie dann vor ihm verbergen, dass sie ein Kind von ihm erwartete? Es wurde Zeit, dass sie sich etwas überlegte. Natürlich machte Zack seine Ankündigung wahr. Er schien jeden ihrer Schritte im Voraus zu ahnen. Häufig fing er sie sogar nach der Arbeit ab, obwohl sie vorher nie wusste, wann sie Feierabend machen würde. Aber sie fuhr
lieber mit ihrem eigenen Auto nach Hause. Eines Tages musste sie es in die Werkstatt geben. Selbst das schien Zack herausbekommen zu haben. Denn am nächsten Morgen stand er vor ihrem Haus und bot sich an, sie zur Arbeit zu bringen und wieder abzuholen, bis ihr Auto repariert war. Eines Sonnabends holte er Julie ab, um sie bei ihren Einkäufen zu begleiten. »Ich habe nicht vergessen, dass du sonnabends gern auf den Markt gehst«, sagte er strahlend, als sie auf dem Beifahrersitz seines Autos Platz genommen hatte. »So oft habe ich dich ja nicht einmal gesehen, als wir verheiratet waren«, machte sie sich über ihn lustig. »Das ist kein Wunder. Schließlich waren wir in dem einen Jahr, in dem wir zusammengelebt haben, nur an sechsundfünfzig Tagen gleichzeitig in London.« »Hast du sie wirklich gezählt?« »Aber sicher. Ich kann dir sogar jeweils das Datum sagen.« »Bitte verschone mich damit«, bat sie ihn. Konnte das stimmen? sechsundfünfzig Tage nur? Julie hatte das ungute Gefühl, dass Zack Recht haben könnte. Sie war damals viel auf Reisen gewesen, und im Glauben, ihre Beziehung würde durch die Phasen der Trennung noch enger, hatte sie keinen Auftrag abgelehnt. Und dass es jedes Mal, wenn sie zurückkam, war, als verbrachten sie erneut ihre Flitterwochen, schien sie zu bestätigen. »Warum hast du nichts gesagt, wenn es dich gestört hat?« Spöttisch blickte Zack zu ihr hinüber. »Das hätte ich mal wagen sollen. Du hättest mir sofort vorgeworfen, dass ich dich von deiner Karriere abhalten will. Außerdem dachte ich, wenn dir an mir wirklich etwas liegt, wirst du schon von selbst darauf kommen.« »Aber das war ja nicht der Grund…«
»Sondern?« Warum hatte sie nicht den Mund gehalten? Nun war Zack neugierig geworden. Verlegen griff Julie nach ihrer Handtasche. »Kannst du mich an der nächsten Ecke rauslassen? Ich möchte in dem Antiquitätenladen noch ein Geschenk für Connie und Ben kaufen. Sie haben nächste Woche Hochzeitstag.« »Das hätte ich glatt vergessen«, schimpfte Zack mit sich selbst. »Wie war’s, wenn ich irgendwo parke und dich begleite?« »Vielleicht ein anderes Mal«, wies sie seinen Vorschlag zurück. »Danke fürs Mitnehmen.« Betrübt hielt Zack am Straßenrand und ließ Julie aussteigen, um sofort mit quietschenden Reifen davonzubrausen. Außer dass sie mit Zack so wenig wie möglich zu tun haben wollte, gab es noch einen anderen Grund, warum sie ihn nicht dabeihaben wollte. Langsam, aber sicher waren alle Kleider und Hosen zu klein, die sie im Schrank hatte, und sie wollte den freien Tag nutzen, etwas Neues zu kaufen – noch keine ausgesprochene Umstandsmode, sondern einfach Kleidung, die etwas weiter geschnitten war, als sie es sonst so gern trug. Aber wie auch immer: Zack konnte sie dabei nun wirklich nicht gebrauchen. Nachdem sie für Connie und Ben eine wunderschöne alte Lampe ausgesucht hatte, wechselte sie die Straßenseite, nicht ohne sich mehrfach umzublicken und sich zu vergewissern, dass Zack ihr nicht heimlich gefolgt war. Und weil er nirgends zu sehen war, betrat Julie ein Modegeschäft. Mit mehreren Tragetaschen bepackt, machte sie sich auf den Heimweg. Zack lehnte lässig an der Hauswand. Als er sie sah, ging er ihr entgegen und nahm ihr die Taschen ab, die er bis vor ihre Wohnungstür trug. Julie schloss auf und brachte ihre Sachen ins Schlafzimmer. »Ich fürchte, es macht wenig Sinn, wenn ich dich
bitte, jetzt zu gehen, oder?« fragte sie resigniert. Zack hatte sich längst in den Sessel gesetzt. »Nicht den geringsten« , ließ er Julie wissen. »Ich würde gern einen Tee trinken. Möchtest du auch eine Tasse?« bot sie ihm widerwillig an. Zack sprang auf. »Ich kümmere mich darum«, rief er und kam in die Küche geeilt. »Du siehst sehr müde aus.« Kein Wunder, sie war es ja auch. »Aber du kennst dich in meiner Küche doch gar nicht aus.« »Ich finde mich schon zurecht.« Behutsam führte er sie zum Sofa und bückte sich, um ihr die Schuhe auszuziehen. »Am besten legst du die Beine hoch«, riet er ihr. Julie gehorchte, und Zack ging wieder in die Küche, um Tee zu kochen. Es war lange her, dass jemand sie verwöhnt hatte, und im Moment konnte sie es gut gebrauchen. Entspannt lehnte sie sich zurück und schloss die Augen. Kurze Zeit später kam Zack mit einem Tablett in den Händen ins Wohnzimmer, stellte es auf dem Tisch ab und schenkte Tee ein. Sie hatten gerade angefangen zu trinken, als plötzlich das Telefon klingelte. »Bleib liegen, Julie«, sagte Zack und stand auf. »Ich gehe ran.« »Es ist Connie«, teilte er ihr wenige Augenblicke später mit. »Sie hat sich ziemlich gewundert, dass ich am Telefon war. Jetzt ist sie bestimmt neugierig.« »War das wirklich Zack, mit dem ich eben gesprochen habe?« fragte ihre Freundin prompt, nachdem Julie sich gemeldet hatte. »Er kam zufällig vorbei«, antwortete sie und wurde rot, als sie sah, dass Zack zu lachen begann. »Ich wollte dich fragen, ob es am Samstag bei unserer Verabredung bleibt?« kam Connie endlich auf den Anlass ihres Anrufes zu sprechen. »Du meinst euren Hochzeitstag? Aber sicher bleibt es dabei. Wann soll ich denn kommen?« »So gegen sieben, wenn es dir recht ist.«
»Und du bist dir sicher, dass ihr nicht lieber allein feiern möchtet?« »Wir würden uns freuen, wenn Zack und du uns Gesellschaft leistet.« »Zack?« Julie erschrak. »Aber ich…« »Ich freue mich schon darauf«, rief Zack laut, damit auch Connie es hörte. »Umso besser.« Connie schien begeistert. »Ben wird Augen machen, wenn ich ihm erzähle, dass ihr wieder zusammen seid.« »Sind wir aber nicht«, stellte Julie mit Bestimmtheit richtig. »Immerhin redet ihr wieder miteinander. Das ist doch schon mal ein Anfang. Alles andere können wir am Wochenende besprechen. Bis dann, Julie.« »Bis dann, Connie.« Julie legte den Hörer auf und wandte sich zu Zack um. »Hast du wirklich vor, am Wochenende rauszufahren?« »Schließlich bin ich eingeladen.« »Und? Nimmst du die Einladung an?« »Das habe ich vor.« Zack blickte Julie fragend an. »Aber das bedeutet, dass du hier bleibst, stimmt’s?« »Ich kann unmöglich wieder absagen. Schließlich habe ich Connie fest zugesagt.« »Wir können ja zusammen fahren«, schlug Zack vor. »Du bist fest entschlossen?« »Allerdings. Außerdem ist es doch nur für einen Abend. So lange wirst du es mit mir doch wohl noch aushalten.« Im Grunde genommen stimmte es ja, was Zack sagte. Schließlich konnte sie ihm nicht verbieten, seinen eigenen Bruder an dessen Hochzeitstag zu besuchen. Und wenn sie schon beide hinfahren würden, dann könnten sie auch mit einem Auto fahren. Zumal sie sich die weite Fahrt nicht mehr allein zutraute. »Wann holst du mich ab?« fragte sie ohne Umschweife.
Zack blickte verwundert. »Hast du es dir doch noch anders überlegt?« »Wenn du es dir nicht anders überlegt hast?« »Warum sollte ich?« Er sah zufrieden aus. »Darf ich dich zur Feier des Tages zum Essen einladen?« fragte er unvermittelt und griff nach Julies Hand. Julie biss sich auf die Lippe. Als sie Doug ihre Kündigung überreicht hatte, war er erst aus allen Wolken gefallen und hatte dann versucht, sie zum Bleiben zu überreden. Vergeblich – Julie hatte sich entschieden. In wenigen Wochen würde sie London für immer verlassen und Zack wahrscheinlich nie wieder sehen. Warum sollte sie also nicht noch ein letztes Mal mit ihm ausgehen? Ihr fiel nichts ein, was dagegen sprach. »Meinetwegen«, stimmte sie zu. »Ist das dein Ernst?« fragte Zack überrascht. »Mein voller Ernst.« »Ich hole dich um halb acht ab«, sagte er immer noch ungläubig und machte sich auf den Weg nach Hause. Nicht einmal den Tee hatte er ausgetrunken. Kaum war Zack gegangen, da begann Julie sich zu fragen, ob es wirklich klug gewesen war, seine Einladung anzunehmen. Sie tröstete sich mit dem Gedanken, dass sie später genug Zeit haben würde, ihren Entschluss zu bereuen. Dieser Abend sollte nur ihnen beiden gehören, bevor sie Zack für immer den Rücken kehren würde. Sie beschloss, eines ihrer neuen Kleider anzuziehen, und entschied sich für ein dunkelgrünes fließendes Crepe-Kleid, das ihre Augen dunkler wirken ließ und ihr rotes Haar zum Leuchten brachte. Es passte gut zu ihrem Typ, und als sie Zack die Tür öffnete, konnte sie ihm ansehen, dass er der gleichen Meinung war. »Für Sie, junge Frau«, begrüßte er sie und überreichte ihr eine Rose. Sofort errötete Julie, denn zu ihrer aller ersten Verab-
redung hatte Zack auch eine solche Rose mitgebracht. »Danke«, sagte sie verlegen und kämpfte gegen die ersten Tränen an. »Lass uns aufbrechen«, sagte er, sah Julie unternehmungslustig an, und gemeinsam gingen sie zu seinem Wagen. Er führte sie in dasselbe Restaurant, in dem sie auch bei ihrem ersten Rendezvous gewesen waren. Die vertraute Umgebung erinnerte Julie schmerzlich an die vielen Abende, die sie hier verbracht hatten, als sie noch ein Paar und glücklich miteinander gewesen waren. »Stimmt etwas nicht?« fragte Zack besorgt, weil Julie traurig und stumm vor sich hin blickte. »Warum mussten wir ausgerechnet hierher gehen, Zack?« machte sie aus ihrem Herzen keine Mördergrube. »Erst die Rose, jetzt das Lokal. Warum das alles?« Er beugte sich ein wenig vor und nahm ihre Hand. »Ich wollte die alten Zeiten wieder aufleben lassen. Hätte ich das nicht tun sollen?« Julie entzog ihm ihre Hand. »Darauf kommt es jetzt auch nicht mehr an.« Natürlich war es ein Fehler gewesen, die Einladung anzunehmen. Zu unterschiedlich waren die Erwartungen, die sie mit dem Abend verbanden. Für Zack bedeutete er die Hoffnung, dass sie doch noch seine Geliebte werden würde, und für Julie bedeutete er den Abschied von einer Hoffnung, die unmöglich in Erfüllung gehen konnte. »Ich dachte…« »Ich würde gern etwas zu essen bestellen«, wehrte sie seinen Versuch ab, sich zu erklären. Zack musste sich zusammenreißen. »Selbstverständlich«, sagte er trocken und winkte dem Ober. Der Abend war ruiniert. Und Zack war nicht verborgen geblieben, wie enttäuscht Julie war. Sobald sie gegessen hatten, drängte Zack zum Aufbruch. Er ließ es sich aller-
dings nicht nehmen, Julie nach Hause zu fahren und sie bis zur Wohnungstür zu begleiten. Dort angekommen, sah er sie lange an. Dann nahm er sie unvermittelt in die Arme und begann sie leidenschaftlich zu küssen. »Soll ich nicht noch mit reinkommen, Julie? Ich möchte dir zeigen, wie schön es mit uns beiden sein könnte.« Energisch befreite sie sich aus seiner Umarmung. »Ist es bei dir üblich, dass du mit einer Frau schlafen willst, sobald du einmal mit ihr aus warst?« Selbst im dunklen Treppenhaus konnte sie sehen, wie er zusammenzuckte. »Aber du bist meine Frau, Julie.« »Noch«, musste sie zugeben. »Aber das gibt dir nicht das Recht, von mir zu verlangen, mit dir das Bett zu teilen.« »Julie…« »Bis Sonnabend, Zack.« Sie ignorierte seinen flehenden Blick, ging in die Wohnung und verschloss die Tür. Wie konnte sie nur so dumm sein? Wie hatte sie nur hoffen können, die Zeit zurückdrehen zu können. Niemand vermochte das. Und niemand war in der Lage, eine Liebe wieder zum Leben zu erwecken, die erkaltet und abgestorben war. Zu Julies großer Verwunderung ließ sich Zack in den nächsten Tagen nicht bei ihr blicken. Einerseits war sie ganz froh darüber, ihn nicht sehen zu müssen, aber andererseits war sie doch ein wenig enttäuscht. Aber wie verabredet stand er am Sonnabend pünktlich um halb sechs vor der Tür, um sie abzuholen. »Gut siehst du aus«, begrüßte er Julie. »Viel besser als noch vor einer Woche.« Sie sah wirklich blendend aus, und mehr als das ärmellose schwarze Kleid, das sie trug, war dafür verantwortlich, dass sie sich seit langer Zeit endlich auch wieder gut fühlte. Die Müdigkeit und morgendliche Übelkeit waren allmählich verflogen, ihre Haut hatte wieder eine gesunde
Farbe und ihr Haar das leuchtende Rot von früher. »Startklar?« Zack machte keinerlei Anstalten, die Wohnung zu betreten. Er schien nicht vergessen zu haben, wie energisch sie ihn beim letzten Mal daran gehindert hatte. Julie zog sich eine Jacke über und nahm das Geschenk. »Startklar«, erwiderte sie, und gemeinsam gingen sie hinunter. »Ich habe eine Jadefigur gekauft«, erklärte Zack, weil sie interessiert auf das Päckchen blickte, das auf dem Rücksitz seines Wagens lag. »Da wird sich Connie sicherlich freuen«, sagte Julie förmlich. Irgendwie war ihr Zacks Nähe unheimlich. Allem Anschein nach hatte er ihr ihr Verhalten vor einer Woche noch nicht verziehen. »Wie war deine Woche?« versuchte sie, eine Unterhaltung in Gang zu bringen, als Zack auf die Autobahn Richtung Hampshire bog. »Ziemlich aufreibend. Ich musste dringend nach Italien.« »Gab’s Probleme?« erkundigte sie sich interessiert. Zack sah sie spöttisch an. »Fragst du als meine Ehefrau oder als meine Kollegin?« »Weder noch«, gab sie zurück. Beides war sie die längste Zeit gewesen. Nur konnte Zack das noch nicht wissen. Zack zuckte die Schultern. »Es gab tatsächlich Probleme. Aber zum Glück konnte ich sie ausräumen. Hast du mich wenigstens vermisst?« »Dafür hatte ich keine Zeit«, entgegnete Julie schroff. »Hast du dich mit Carter getroffen?« »Wir sind nach wie vor befreundet«, wich sie der Frage aus. »Obwohl er ein Trottel ist?« Julie zog es vor, auf diese Beleidigung nichts zu erwidern, und so schwiegen sie sich den Rest der Fahrt an. Als sie in Hampshire angekommen waren, übergaben sie Connie die Geschenke. Und sosehr sie sich freute, noch mehr freute sie sich darüber, dass Zack und Julie gemein-
sam gekommen waren. Ben hatte in einem kleinen Restaurant in der Nähe einen Tisch reserviert. Als sie die Getränke bestellten, wunderte sich Zack, dass Julie keinen Wein trinken wollte. »Seit wann bist du Abstinenzlerin?« »Ich hatte heute Mittag ziemliche Kopfschmerzen und musste Medikamente nehmen«, log sie und wich seinem Blick aus. »Und die vertragen sich nun mal nicht mit Alkohol.« »Haben die Tabletten wenigstens geholfen?« Zack schien ernsthaft besorgt zu sein. »Danke der Nachfrage«, antwortete Julie ausweichend, und um das Thema zu wechseln, wandte sie sich an Connie. »Wie geht es denn euren Kindern?« »Wie immer gut. Obwohl Nicholas ziemlich traurig war, dass er nicht aufbleiben durfte, um Tante Julie und Onkel Zack noch zusehen.« Julie gefiel es gar nicht, dass Connie von Zack und ihr sprach, als wären sie wieder liiert. Schließlich war nichts ausgeschlossener als das. »Er hat sich aber auch nach Tante Teresa erkundigt«, mischte Ben sich ein. »Ben!« wies Connie ihren Mann zurecht, der unbeirrt seinen Bruder weiter ausfragte. »Wo steckt sie eigentlich?« »Soviel ich weiß, macht sie derzeit Urlaub in den USA«, antwortete Zack gelassen. Nun war Julie an der Reihe. »Und Onkel Steve?« »Er wird zu Hause sein.« Julie errötete. »Schließlich war er dieses Mal nicht eingeladen.« »Wollt ihr uns nicht endlich reinen Wein einschenken?« »Worüber?« Julie wusste wirklich nicht, was Ben meinen könnte. »Seid ihr nun wieder zusammen oder nicht? Connie hält es vor Neugier kaum mehr aus.«
»Wir…« »Es ist noch zu früh, um dazu etwas zu sagen«, unterbrach Zack sie, um zu verhindern, dass sie etwas Falsches sagte. Empört zog Julie ihre Hand zurück, nach der Zack gegriffen hatte. »Ich werde die Stadt bald für einige Zeit verlassen«, ließ sie die Bombe platzen. »Willst du verreisen?« fragte Zack ahnungslos. »Nein«, entgegnete sie ruhig, »ich ziehe weg.« Zack fiel aus allen Wolken. »Warum denn das?« »Weil mir danach ist.« »Und dein Job?« Zack konnte es noch immer nicht glauben. »Den habe ich gekündigt.« »Und warum hast du mir nichts davon erzählt?« Zacks Stimme überschlug sich fast. Julie zuckte die Schultern. »Ich hielt es für besser so.« »Das kommt überhaupt nicht infrage!« protestierte Zack vehement. »Ich werde das nicht zulassen.« »Mein Entschluss ist unwiderruflich.« »Das werden wir ja sehen!« platzte er heraus. »Zack…« »Misch dich da nicht ein, Ben«, fuhr er seinen Bruder an. »Schließlich ist Julie meine Frau.« »Nicht mehr lange«, erinnerte sie ihn wenig feinfühlig. »Egal. Noch bist du es. Und ich verbiete dir, aus London wegzuziehen.« »Aber Zack, du kannst doch nicht…« »Ich habe dir gesagt, du sollst dich nicht einmischen«, drohte er Ben. »Julie weiß ganz genau, dass ich sie nicht gehen lassen werde. Weder jetzt noch später.« »Du wirst mich nicht davon abhalten.« »Bis du dir da so sicher?« Der drohende Ton in Zacks Stimme jagte Julie Angst ein. Aber er würde sich zu beherrschen wissen. »Es tut mir
Leid, dass ich euren Hochzeitstag damit belastet habe«, entschuldigte sie sich bei Connie und Ben. »Aber würdest du mich bitte nach Hause bringen, Zack?« Während der Rückfahrt sprach keiner von ihnen ein Wort. »Ich komme noch mit rauf«, sagte Zack bestimmt, als sie vor Julies Haus angekommen waren. Obwohl ihr die Hände leicht zitterten, als sie die Wohnungstür auf schloss, nahm sie sich vor, sich von seiner Verärgerung nicht beeindrucken zu lassen. »Mit Weglaufen erreichst du gar nichts«, sagte er unvermittelt. »Ich laufe nicht weg…« »Du brauchst gar nicht zu versuchen, mir was vorzumachen«, wies Zack sie zurecht. »Freiwillig würdest du nie aus London wegziehen. Natürlich läufst du davon. Und zwar vor mir.« Trotzig hob Julie den Kopf. »Und wenn es so wäre?« »Dann hätte ich noch weniger Grund, dich gehen zu lassen, Julie«, entgegnete er und umfasste ihre Schultern. »Seit unserer Nacht in Hampshire ist nichts mehr, wie es war. Und wenn du ehrlich bist, musst du dir eingestehen, dass sich auch für dich alles geändert hat.« Natürlich hatte sich seither alles geändert. Schließlich war sie in jener Nacht schwanger geworden. »Und ich weiß genau, dass du dich insgeheim genauso danach zurücksehnst wie ich.« Um Zacks Blick auszuweichen, schloss Julie die Augen. Umso intensiver spürte sie seine Nähe. Schon wollte sie sich instinktiv an ihn schmiegen, als ihr bewusst wurde, worauf sie sich gerade einließ. »Du scheinst dir deiner Sache ja ziemlich sicher zu sein, Zack.« »Absolut sicher«, erwiderte er und beugte sich über sie, um sie zu küssen. Er weiß ja nicht, wie Recht er hat, dachte Julie. Und was sprach eigentlich dagegen, ein letztes Mal seine ganze Lei-
denschaftlichkeit zu erleben und sich so zum Abschied selbst ein Geschenk zu machen, an das sie in den nächsten Jahren, die sie ohne ihn verbringen würde, zurückdenken könnte? Sie öffnete die Lippen, legte ihm die Hände um den Nacken und presste sich an ihn. Wie schön es war, ihn wieder spüren zu dürfen! Als Zack merkte, dass Julie ihren Widerstand aufgegeben hatte, ließ er die Hände zärtlich, aber doch bestimmt, über ihren Hals zu ihren Brüsten gleiten. Durch den dünnen Stoff ihres Kleides tastete er nach den Brustspitzen, die augenblicklich hart und fest wurden. »Diesmal darfst du mich nicht zurückweisen«, flüsterte er ihr ins Ohr. »Das habe ich auch nicht vor.« Ungläubig sah er sie an. »Habe ich richtig gehört?« »Du hast vollkommen richtig gehört, Zack.« Julie lachte und strahlte ihn an. »Aber…« Sie legte ihm einen Finger auf den Mund. »Frag nicht so dumm. Fang lieber endlich an.« Das ließ Zack sich nicht zwei Mal sagen. »Wo ist das Schlafzimmer?« »Hier entlang.« Julie nahm seine Hand und zog ihn mit sich. Als sie um den Wohnzimmertisch herumgingen, stolperte Zack über Julies Handtasche. »Nicht schon wieder«, schimpfte er und wollte die Utensilien aufheben. »Dass kann warten«, wies Julie ihn ungeduldig zurecht. »Wo du Recht hast, hast du Recht«, stimmte er zu. Im selben Moment verriet ein lautes Knacken, dass er auf irgendetwas getreten war. Als er den Fuß anhob, waren die Scherben eines Tablettenröhrchens zu erkennen, dessen Inhalt über den Boden kullerte. Zu ihrem Schrecken sah Julie, dass Zack sich bückte, um
die Pillen einzusammeln. Und das Herz blieb ihr fast stehen, als er das Etikett genauer betrachtete. »Eisentabletten?« stellte er verwundert fest. »Ich denke, du bist nicht mehr krank.« »Bin ich auch nicht.« Neben den Scherben erblickte Zack ein Blatt Papier, das er an sich nahm und durchlas. Dann richtete er sich ganz langsam wieder auf und sah Julie überrascht an. »Und was ist das?« fragte er verwirrt. »Das ist…« Julie war wie gelähmt, sonst wäre sie so schnell wie irgend möglich aus der Wohnung gerannt, um Zacks vorwurfsvollen Blick nicht ertragen zu müssen. »In welchem Monat bist du?« fragte er und hielt Julie das Merkblatt für Schwangere vor die Nase, das der Arzt ihr gegeben hatte. War das alles ein schlechter Traum? Zack hatte es nie erfahren sollen, und wenn sie sich nicht so hätte gehen lassen, hätte er es auch nie erfahren. »Ich habe dich gefragt, in welchem Monat du bist.« Julies Mund war plötzlich wie ausgetrocknet. Vielleicht sollte sie Zack einfach anlügen. Wenn sie ihn in dem Glauben ließe, dass Steve der Vater sei, würde er sie bestimmt ein für alle Mal in Ruhe lassen. »Muss ich erst den Arzt anrufen?« drängte Zack. »Die Telefonnummer steht hier ja.« »Schon mal was von ärztlicher Schweigepflicht gehört?« »Vergiss nicht, dass ich dein Mann bin.« Es hatte ja doch keinen Sinn, ihm etwas vorzulügen. »Im dritten Monat«, gestand sie. »In der zehnten Woche, um genau zu sein.« Zack runzelte die Stirn und dachte angestrengt nach. »Willst du damit sagen, dass ich…?« »Hast du etwas anderes ausgerechnet?« Er packte sie am Arm und zwang sie, ihn anzusehen. »Schließlich gibt es da noch Carter…«
»Steve ist nicht der Vater«, unterbrach Julie ihn. »Wie kannst du dir da so sicher sein?« Julie wandte sich ab. »Weil ich mit Steve nie geschlafen habe.« »Und das soll ich dir glauben?« »Das musst du schon selbst entscheiden.« »Dann ist das Kind also von mir?« »Die Antwort kennst du doch selbst«, sagte sie mit rauer Stimme und barg den Kopf in den Händen. »Und jetzt geh bitte.« »Jetzt, da ich weiß, dass ich Vater werde, soll ich gehen?« protestierte Zack. »Wie käme ich dazu?« Sie nahm die Hände herunter und blickte ihn mit schmerzerfülltem Gesicht an. »Ich bitte dich darum.« »Ab sofort werde ich dich nicht mehr aus den Augen lassen.« »Aber du kannst unmöglich hier bleiben.« »Hast du einen besseren Vorschlag?« »Dass du endlich gehst«, flehte Julie. Wortlos drehte sich Zack um und ging in Julies Schlafzimmer. Dort öffnete er den Schrank, griff wahllos einige Kleidungsstücke und warf sie achtlos auf das Bett. Julie war ihm hinterhergegangen und sah ihm bestürzt zu. Als Zack den Koffer aus dem Schrank zog, fiel sie ihm in den Arm. »Was machst du da?« »Ich packe dir ein paar Sachen ein«, antwortete er. »Wozu?« Zack begann, alles zu verstauen. »Ab sofort wohnst du bei mir«, sagte er bestimmt. »Ich werde dich nicht mehr aus den Augen lassen. Sonst verschwindest du mir noch in einer von diesen Kliniken, in denen man sein Kind loswerden kann.« Als Julie bewusst wurde, was Zack gerade gesagt hatte, wurde sie aschfahl. »Loswerden…?« wiederholte sie wie benommen.
»Schließlich hast du mir oft genug erzählt, dass du keine Kinder willst.« »Glaubst du wirklich, ich könnte unser Kind…?« »Es würde mich nicht wundern. Warum wolltest du sonst London verlassen?« Er schloss den Koffer. »Also los. Wenn du noch was brauchst, können wir es morgen holen.« Julie stand viel zu sehr unter Schock, um zu protestieren. Zack schien tatsächlich zu glauben, dass sie das Kind, das sie unter ihrem Herzen trug, nicht wollte!
8. KAPITEL Schweigend und nachdenklich lenkte Zack den Wagen durch den abendlichen Straßenverkehr. Nicht einmal andeutungsweise hatte er zu erkennen gegeben, was die Nachricht, dass er Vater wurde, für ihn bedeutete. Er hatte nur unmissverständlich klargemacht, dass er Julie nicht zutraute, dem Kind eine gute Mutter zu sein. Alle möglichen Reaktionen hatte sie erwartet, Freude, Wut, aber nicht dieses abgrundtiefe Misstrauen. Dabei hatte sie keine Sekunde eine Abtreibung auch nur in Erwägung gezogen. Was immer Zack auch denken, was immer er im Schilde führen mochte, Julie war fest entschlossen, das Kind zu bekommen. »Zack…« »Nicht jetzt, Julie«, würgte er ihren Versuch ab, sich zu erklären. »Ich fürchte, ich könnte ausfallend werden.« »Es gibt keinen Grund…« »Wenn ich nicht zufällig dahintergekommen wäre, hättest du mein Kind getötet!« Er umklammerte das Lenkrad so fest, dass die Knöchel seiner Hände weiß hervortraten. »Das werde ich dir nie verzeihen, Julie. Niemals.«
»Aber ich wollte doch gar nicht…« »Warum wolltest du die Stadt denn sonst verlassen?« »Um das Kind zu bekommen, nicht um es abzutreiben.« Julie war der Verzweiflung nah. Warum wollte Zack ihr nicht glauben? »Und dann? Es zur Adoption freigeben?« Entgeistert blickte er Julie an, seine Augen glühten vor Wut und Ohnmacht. »Wie kommst du bloß darauf?« Julie war fassungslos. Wie konnte Zack ihr so etwas nur zutrauen? »Es ist doch mein Kind, Zack. Ich bin seine Mutter. Begreif das doch endlich!« »Und ich bin sein Vater«, entgegnete er schroff. »Vielleicht begreifst du das mal endlich.« Nervös wischte sie sich die Schweißperlen von der Stirn. »Was willst du damit sagen?« »Dass ich die Scheidung zurückziehen werde und unsere Ehe weiterzuführen gedenke.« »Was den ersten Punkt angeht, musst du tun, was du für richtig hältst.« Dass Zack unter den gegebenen Umständen nicht mehr an Scheidung dachte, überraschte Julie nicht. »Aber was den zweiten Punkt angeht, habe ich auch noch ein Wörtchen mitzureden. Und nichts liegt mir ferner, als unsere Ehe weiterzuführen. Und schon gar nicht so, wie sie früher einmal war.« »Das bedeutet?« »Das bedeutet, dass ich um des Kindes willen bereit bin, mit dir zusammenzuleben. Aber alles andere kannst du dir aus dem Kopf schlagen.« Zack blickte sie verstohlen an. »Und wenn ein anderer Mann…?« »Es wird keinen anderen Mann geben«, kam Julie seiner Frage zuvor. »Aber nicht, weil du es so willst, sondern weil ich es so will. Und was du machst, ist ganz allein deine Entscheidung.«
»Und du hast keine Einwände?« Er lächelte hämisch. »Solange du mich in Ruhe lässt, kannst du machen, was du willst.« Es war ihr völlig ernst damit. Was hatte sie diesem Mann nicht alles verziehen? Aber die Unterstellungen und Verdächtigungen, die Zack ihr eben an den Kopf geworfen hatte, waren schlicht unverzeihlich. Nach ihrer Trennung war Zack umgezogen, aber seine neue Wohnung war ähnlich eingerichtet wie die alte – und ähnlich luxuriös. An der Wohnungstür wurden sie von einer Haushälterin empfangen, die neugierig auf den Koffer blickte, den Zack in der Diele abstellte. »Miss Barr hat aus New York angerufen«, teilte sie Zack mit. »Hat Sie eine Nachricht hinterlassen?« »Sie bittet um Ihren Rückruf. Die Nummer, unter der Sie sie erreichen können, habe ich auf Ihren Schreibtisch gelegt.« »Danke, Mrs. Humphries. Ich möchte Sie bitten, Mrs. Reedman das Gästezimmer zu zeigen.« »Mrs. Reedman…?« wiederholte die Haushälterin ungläubig. »Meine Frau«, erklärte er ihr kurz angebunden. »Wenn Sie mich brauchen, finden Sie mich in meinem Arbeitszimmer.« Er drehte sich um und ging den Flur entlang. Wenige Augenblicke später konnte man eine Tür knallen hören. Julie war die Situation ziemlich unangenehm. Außerdem fühlte sie sich müde und erschöpft und musste sich dringend ausruhen. »Wo ist denn das Gästezimmer?« fragte sie freundlich. Mrs. Humphries ging ihr voraus und führte sie in ein geräumiges und gemütliches Zimmer. Auf dem Fußboden lag ein großer dunkelroter Perserteppich, der sich von den Pas-
telltönen der Tagesdecke, die auf dem Doppelbett lag, und der Gardinen abhob. Für ein Gefängnis nicht schlecht, dachte Julie. Wie eine Gefangene fühlte sie sich jedenfalls in ihrer Situation, die sie an einen Mann kettete, der sie verachtete. Aber ihrem Kind sollte es gleichwohl an nichts fehlen, vor allem nicht an liebenden Eltern – auch wenn die sich gegenseitig nicht liebten. Zack telefonierte bestimmt gerade mit Teresa und versuchte ihr zu erklären, warum er sich nicht scheiden lassen würde und seine Frau wieder bei ihm eingezogen war. Würde Teresa Verständnis für seine Situation aufbringen? Würde sie ihm vielleicht sogar verzeihen? So, wie sie Teresa kennen gelernt hatte, konnte Julie sich das kaum vorstellen. Aber Zack würde ihr nicht lange nachtrauem. Ihm hatte es noch nie an Verehrerinnen gemangelt, und bei seinem Aussehen und seinem Wohlstand würde es nicht lange dauern, bis er eine neue Freundin gefunden hätte. »Herein!« rief sie, als es an der Tür klopfte, in der Erwartung, dass Mrs. Humphries den Tee bringen würde, den sie eigens für sie kochen wollte. Aber als die Tür aufging, stand Zack vor ihr. Erschrocken stellte Julie fest, wie fremd er ihr in den letzten Stunden geworden war. Zu ihrer Beruhigung ließ Zack die Tür offen stehen. »Gefällt dir das Zimmer?« »Ich kann nicht klagen«, antwortete sie reserviert. »Hast du irgendwelche besonderen Wünsche?« »Wie darf ich das verstehen?« Julie hatte nicht die geringste Ahnung, worauf Zack hinauswollte. »Was das Essen betrifft, meinte ich. Ich erinnere mich daran, dass Connie während ihrer Schwangerschaft geradezu allergisch auf Tomaten reagiert hat.« »Ach so«, sagte Julie erleichtert. »Nein, bislang vertrage ich alles.«
»Und hast du besondere Vorlieben?« Zack benahm sich wie der Empfangschef eines Nobelhotels. »Ich bin süchtig nach Schokolade«, gab sie zu. »Obwohl der Arzt mir geraten hat, der Sucht nicht allzu oft zu erliegen.« »Sicherlich ist er um deine Figur besorgt«, spottete Zack. »Wie hat Teresa denn reagiert?« konterte Julie. »Sie hat sich doch bestimmt nicht träumen lassen, dass du Vater wirst und sie nicht die Mutter ist?« »Was soll sie schon gesagt haben?« Zack zuckte die Schultern. »Sie war natürlich wütend.« »So, wie du sie behandelt hast, ist das sicher maßlos untertrieben.« Seine Augen blitzten wütend. »Wie habe ich sie denn behandelt? Und selbst wenn – von dir muss ich mir das nicht sagen lassen. Außerdem möchte ich, dass du ihren Namen nie wieder erwähnst.« »Ich soll mich also um meine eigenen Angelegenheiten kümmern, soll das bestimmt heißen.« »Ganz genau.« Plötzlich stand die Haushälterin mit einem Tablett in den Händen an der Tür. »Gut, dass ich Sie sehe, Mrs. Humphries. Ich wollte Sie bitten, gleich noch mal in mein Arbeitszimmer zu kommen. Gute Nacht, Julie«, verabschiedete er sich kühl. »Ihr Tee, Mrs. Reedman«, sagte Mrs. Humphries freundlich und lächelte Julie an. »Möchten Sie Ihr Frühstück ans Bett?« Julie hatte völlig vergessen, wie es war, mit einem wohlhabenden Mann verheiratet zu sein. Seit Jahren hatte ihr niemand mehr Frühstück ans Bett gebracht. »Aber nur ausnahmsweise«, nahm sie das Angebot an. »Sonst gewöhne ich mich noch daran.« »Was darf ich Ihnen denn bringen? Etwas Toast vielleicht und dazu Kaffee?« »Das grenzt ja an Zauberei, Mrs. Humphries. Woher wis-
sen Sie das?« fragte Julie überrascht. Es hatte nämlich eine ganze Weile gedauert, bis sie herausgefunden hatte, was am besten gegen die morgendliche Übelkeit half. Die ältere Dame lächelte warmherzig. »Ihre Augen haben mir sofort verraten, dass Sie schwanger sind. Schließlich habe ich selbst drei Kinder.« Julie erwiderte das Lächeln, weil sie spürte, dass sie sich mit der Haushälterin gut verstehen würde. »Wäre Ihnen halb acht recht?« »Sehr gern, Mrs. Reedman.« »Wo bleiben Sie denn, Mrs. Humphries?« Zack war unbemerkt zurückgekommen. »Soll ich die ganze Nacht auf Sie warten?« fuhr er seine Haushälterin an. Mrs. Humphries schien diesen Ton nicht gewohnt zu sein, denn Julie sah, wie sie vor Schreck zusammenzuckte. Normalerweise behandelte Zack seine Angestellten durchaus freundlich, und bis heute hatte sie bestimmt nicht erlebt, wie garstig er sein konnte, wenn etwas nicht so lief, wie er sich das vorstellte. Kleinlaut und geknickt verließ sie Julies Zimmer. »Bis morgen«, sagte Zack wütend und schlug die Tür zu. Am nächsten Morgen wachte Julie nach einer traumlosen Nacht ausgeruht und gut gelaunt auf. »Sie sehen heute Morgen schon viel besser aus«, sagte die Haushälterin, als sie ihr das Frühstück brachte, und stellte das Tablett aufs Bett. Julie lehnte sich zurück und genoss es, sich bedienen zu lassen. Was immer Zack seiner Haushälterin gestern gesagt haben mochte, Mrs. Humphries machte Julie nicht dafür verantwortlich. »Gestern wirkten Sie ziemlich müde und mitgenommen.« Julie trank einen Schluck Kaffee. »Ist mein Mann schon…?« »Der müsste jeden Moment wiederkommen.« »Wo wollte er denn so früh am Morgen schon hin?« fragte
Julie erstaunt und biss vom Toast ab, um das Gefühl der Übelkeit zu bekämpfen. Er wollte noch das eine oder andere aus Ihrer Wohnung holen«, erklärte ihr Mrs. Humphries. »Und warum so früh? Es ist doch erst halb acht?« »Mr. Reedman ist bereits um sechs Uhr aufgestanden.« Mrs. Humphries schien sich nicht im Geringsten zu wundern, dass Julie nicht einmal wusste, wann ihr eigener Ehemann aufgestanden war, und dass sie in getrennten Zimmern schliefen. Vielleicht hatte Zack ihr das auch gestern Abend noch erklärt. Als Zack zurückkam, saß Julie im Wohnzimmer, hörte Radio und blätterte in einer Illustrierten. Zacks Wut schien sich nicht gelegt zu haben. Er brachte zwei Koffer, die er aus Julies Wohnung geholt hatte, in ihr Zimmer, bevor er sich zu ihr setzte. »Die habe ich dir mitgebracht.« Er hielt ihr das Fläschchen mit dem Medikament hin. Julie bedankte sich und nahm die Tabletten an sich. Ungeduldig sah Zack sie an. »Ich glaube, wir sollten uns mal in Ruhe unterhalten.« Julie bemühte sich, seinen besorgten Gesichtsausdruck zu ignorieren. »Worüber?« »Über… deinen Zustand.« »Ich glaube kaum, dass das der treffende Ausdruck für eine Schwangerschaft ist.« »Leg doch nicht jedes Wort auf die Goldwaage«, reagierte er eingeschnappt. »Du weißt genau, was ich meine. Ich finde, wir haben uns lange genug bekämpft. Du kannst doch auch nicht wollen, dass das bis ans Ende unserer Tage so weitergeht.« Er hatte tatsächlich »bis ans Ende unserer Tage« gesagt. Wie komisch das klang – fast wie eine Drohung! »Dann sollten wir uns schleunigst wieder vertragen.« »Leichter gesagt als getan«, entgegnete Zack mürrisch.
»Was willst du eigentlich, Zack?« Julies Gelassenheit war dahin. »Ich bin doch schon zu dir gezogen, damit du bei deinem Kind sein kannst. Was soll ich denn noch tun?« »Du könntest mir zum Beispiel sagen, dass ich mich gestern geirrt habe«, antwortete er gequält. »Das habe ich dir doch schon gesagt«, erwiderte sie empört. »Und wenn du mir nicht glaubst, dann ist das einzig und allein dein Problem.« »Aber es kann dir doch nicht egal sein, was ich denke.« »Ist es aber.« Natürlich war es ihr nicht egal. Sonst wäre sie nicht so traurig darüber gewesen, dass er ihr so etwas überhaupt zutraute. »Wenn das so ist, dann ziehe ich es vor, dir zu glauben«, sagte Zack. »Wirklich?« Julie konnte ihre Überraschung nicht verbergen. »Mir bleibt ja wohl nichts anderes übrig.« Zack blickte immer noch finster drein. »Es ist die einzige Chance für uns zwei.« »Ich bezweifle, dass wir diese Chance wirklich haben, Zack. Schließlich hat es seine Gründe, dass wir uns damals getrennt haben.« »Vielleicht hast du Recht«, musste er eingestehen. »Aber wir sollten trotzdem versuchen, das Beste aus der Situation zu machen. Wie wäre es, wenn wir gleich heute damit anfangen? Sollen wir nicht einen kleinen Sonntagsausflug unternehmen?« »Ich würde mich lieber etwas ausruhen.« »Geht es dir nicht gut?« fragte Zack besorgt. »Doch, doch, es geht mir gut. Ich bin nur ein bisschen müde«, versuchte Julie, ihn zu beruhigen. »Und ich muss mir wirklich keine Sorgen machen?« »Wirklich nicht.« »Trotzdem würde ich dich gern begleiten, wenn du das nächste Mal zum Arzt gehst.«
Sie sah ihn skeptisch an. »Traust du mir etwa nicht?« »Julie, bitte.« »Meinetwegen«, gab sie nach. »Wann hast du den nächsten Termin?« »Am Mittwoch.« »Was? Erst am Mittwoch?« Die Enttäuschung, noch drei Tage warten zu müssen, stand Zack im Gesicht geschrieben. Mit Müh und Not konnte Julie ihn davon abhalten, den Arzt anzurufen und um einen früheren Termin zu bitten. So lange musste er sich wohl oder übel noch gedulden. Julie hatte sich in Mrs. Humphries nicht geirrt. Sie kümmerte sich wirklich liebevoll um sie, und schon nach wenigen Tagen hatten sie sich angefreundet. »Sie wissen doch genau, dass ich kein Lammfleisch mag, Mrs. Humphries«, beschwerte sich Zack, als sie am Dienstag zu Tisch saßen. »Ihre Frau hat es sich gewünscht«, erwiderte die Haushälterin unbeeindruckt und entschwand wieder in die Küche. »Das kann ja heiter werden. Wenn das so weitergeht, habe ich bald gar nichts mehr zu sagen.« »Jedenfalls ist sie um Klassen besser als die Haushälterin, die wir damals hatten. Die hat mich nämlich nach Möglichkeit ignoriert«, erinnerte sie Zack und ließ es sich schmecken. Zack hingegen stocherte ziemlich lustlos in seinem Essen herum. Aber immerhin beschwerte er sich auch nicht mehr. »Connie und Ben lassen dich grüßen«, richtete er Julie aus, als sie im Wohnzimmer saßen und Kaffee tranken. Zu Julies Überraschung hatten sie sich seit ihrem Gespräch am Sonntag nicht mehr gestritten, und manchmal konnte man fast den Eindruck haben, als würden sie sich richtig gut verstehen. Zumindest waren seit ein paar Tagen Zacks Wutanfälle ausgeblieben. »Connie hat sich schon Sorgen gemacht, weil sie dich zu
Hause nie erreicht hat. Da hat sie Ben gebeten, mich anzurufen und zu fragen, ob ich etwas von dir gehört habe.« Julie schnitt ein Gesicht. »Und du hattest natürlich nichts Besseres zu tun, als ihm brühwarm zu erzählen, dass ich jetzt bei dir wohne.« »Was hätte ich denn sonst sagen sollen?« verteidigte sich Zack. »Hast du ihm etwa auch von unserem Kind erzählt?« »Ja, habe ich. Ich dachte, es wäre besser, wenn er es von mir erfährt.« »Und, wie hat er reagiert?« erkundigte sie sich verlegen. »Er hat sich gefreut wie ein Schneekönig und sofort Connie Bescheid gesagt. Hat sie dich noch nicht angerufen?« »Ich war den ganzen Nachmittag unterwegs – Babysachen kaufen«, fügte sie schnell hinzu, weil Zack sie entgeistert anblickte. »Soll ich sie dir zeigen?« Zack war sichtlich gerührt. »Wenn es dir nicht zu viel wird?« »Na hör mal, schließlich ist es doch auch dein Kind.« »Julie…?« »Ich hole schnell die Sachen.« Plötzlich hatte Julie es eilig, aus dem Zimmer zu kommen. Sie traute dem sehnsüchtigen Blick nicht, mit dem Zack sie ansah. Es wurde Zeit, dass er begriff, dass sie ihn zwar als Vater ihres Kindes akzeptierte, nicht aber als ihren Ehemann. Als sie zurück ins Wohnzimmer kam, blickte Zack nachdenklich ins Leere. Julie breitete die bunten Strampler, die sie gekauft hatte, auf dem Tisch aus. »Das Kind kommt im März zur Welt. Da ist es noch kalt«, erläuterte sie, warum sie sich gegen Flanell und für Wolle entschieden hatte. »Dass du daran gedacht hast.« Zack musterte die winzigen Kleidungsstücke. »Sie gefallen mir sehr gut, Julie«, sagte er sanft. Sie setzte sich ihm gegenüber. »Da ist noch etwas, was ich
gern mit dir besprechen würde. Wir brauchen ja noch ein Kinderzimmer. Zur Not ließe sich einer der anderen Räume umfunktionieren, aber ich befürchte, dann wird es ziemlich eng in der Wohnung.« »Was hältst du davon, wenn wir ein Haus auf dem Land kaufen?« fragte Zack betont gleichgültig. Julie sah ihn ungläubig an. »Was willst du? Davon war doch bisher nie die Rede.« »Eine Wohnung wie diese ist nicht das Richtige für Kinder. Und London schon gar nicht.« Julie war derselben Meinung, und bislang hatte sie vergeblich nach einer Lösung für dieses Problem gesucht. »Du willst wirklich aus London wegziehen?« »Ich dachte eher an uns«, verbesserte er sie. »Aber du hast doch früher immer gesagt, du würdest nie freiwillig die Stadt verlassen.« »Früher musste ich ja auch nicht an meine Familie denken. Außerdem dachte ich, nicht nur das Kind würde sich auf dem Land wohl fühlen, sondern du auch. Wir könnten beispielsweise in die Nähe von Connie und Ben ziehen.« Julies Miene hellte sich schlagartig auf. »Das wäre natürlich wunderbar, aber…« »Kein Aber. Ich habe schon einen Makler beauftragt, etwas Passendes zu suchen.« »Ohne mich vorher zu fragen?« »Noch habe ich ja nichts gekauft.« Julie war wütend, und sie wusste selbst nicht genau, warum. Natürlich wäre es schön, wenn das Kind auf dem Land aufwachsen könnte. Und es wäre auch schön, Connie und Ben und die Kinder öfter zu sehen. Vielleicht ärgerte sie sich einfach darüber, dass Zack sie nicht gefragt hatte, bevor er etwas unternommen hatte. »Wenn du entschieden hast, wo wir in Zukunft leben werden, dann lass es mich doch bitte wissen«, erwiderte sie gekränkt.
»Aber…« »Ich bring nur schnell die Sachen zurück«, unterbrach sie ihn, stand auf und lief aus dem Zimmer. Stellte sich Zack ihr Zusammenleben wirklich so vor, dass er ihr alle Entscheidungen abnahm und sie vor vollendete Tatsachen stellte? Das hatte sie sich schon einmal nicht lange bieten lassen, und auch diesmal würde sie es nicht akzeptieren. Ihr Instinkt sagte ihr, dass Zack ihr heimlich gefolgt war. Noch bevor er etwas sagen konnte, drehte sie sich zu ihm um. »Was ist?« Seine Ratlosigkeit stand ihm im Gesicht geschrieben. »Glaubst du wirklich, ich würde eine solche Entscheidung treffen, ohne dich vorher zu fragen?« »Allerdings glaube ich das, Zack«, antwortete sie ungerührt. »Und wenn du nichts dagegen hast, würde ich jetzt gern ins Bett gehen.« »Fehlt dir auch nichts?« fragte er. »Keine Sorge, Zack, dem Kind geht es gut.« »Ich wollte eigentlich wissen, wie es dir geht.« »Ach so?« Hatte sie ihn vielleicht doch falsch eingeschätzt? »Ich… mir…« Es klopfte an der Tür. »Telefon für Sie, Mrs. Reedman!« rief die Haushälterin. »Das wird Connie sein«, vermutete Zack. Julie ging ins Wohnzimmer und meldete sich. Natürlich war Connie am anderen Ende der Leitung. Sie war gar nicht zu bremsen, so sehr freute sie sich darüber, dass Julie und Zack wieder zusammen waren und sogar ein Kind erwarteten. Julie brachte es nicht übers Herz, ihrer Freundin zu sagen, dass sie nur deshalb zu Zack zurückgekehrt war, weil sie ein Kind bekam. Als sie den Hörer wieder auflegte, war Zack in seinem Arbeitszimmer verschwunden. Also ging Julie zurück in ihr Zimmer und legte sich ins Bett. Zehn Minuten später, noch
war sie nicht eingeschlafen, ging ganz leise die Tür auf. Als Julie spürte, dass Zack neben ihr Bett trat und sie ansah, stellte sie sich schlafend. Plötzlich begann er, ihr zärtlich über die Wange zu streichen. Aus Angst, die Kontrolle über sich zu verlieren, drehte sich Julie unvermittelt auf die andere Seite, als hätte sie einen schlechten Traum. Gleichzeitig zwang sie sich, die Tränen zurückzuhalten. »Gute Nacht, mein Liebling«, flüsterte Zack wenig später und verließ das Zimmer so leise, wie er es betreten hatte. Julie setzte sich auf und fragte sich, ob sie geträumt hatte. Aber sie hatte weder geträumt, noch bildete sie sich ein, dass Zack vor wenigen Sekunden an ihrem Bett gestanden und sie gestreichelt hatte. Die Frage war nur, warum er das getan hatte? Und warum hatte er sie »Liebling« genannt? Von Dr. Frederick bekam Zack ziemlich genau das zu hören, was Julie ihm schon gesagt hatte: dass es Mutter und Kind gut gehe und er sich keine Sorgen zu machen brauche. »Ich wünschte, alle werdenden Mütter wären so verantwortungsbewusst wie Ihre Frau«, erklärte der Arzt strahlend. »Julie achtet sehr auf ihre Gesundheit…« »Vor allem auf die des Kindes«, verbesserte ihn der Arzt. »Ihre Frau hat sich genau an die Anweisungen gehalten, die ich ihr mit auf den Weg gegeben habe. Und ich halte es für ratsam, wenn Sie Ihre Frau in ein paar Wochen zur Schwangerschaftsgymnastik begleiten.« »Bedeutet das, die Schwangerschaft verläuft normal?« »Absolut normal«, beruhigte ihn Dr. Frederick. »Ich verstehe ja, dass Sie sich Sorgen machen…« »Vielen Dank, dass Sie sich so viel Zeit für uns genommen haben.« Julie stand auf, um zu gehen. »Ich bin sicher, mein Mann ist jetzt beruhigt.« Mit Blicken versuchte sie,
Zack zum Aufstehen zu bewegen. »Nicht wahr, Zack?« Zack schien begriffen zu haben, denn er stand auf und reichte dem Arzt die Hand. »Und es gibt nichts, was Julie tun könnte, damit… damit… auch wirklich nichts schief geht?« Verständnisvoll sah Dr. Frederick Zack an. »Glauben Sie mir, Ihre Frau ist bei mir in guten Händen. Und das Einzige, was jetzt hilft, ist Geduld.« Als sie im Auto saßen und nach Hause fuhren, war Zack immer noch sehr nachdenklich – und das, obwohl der Arzt sich alle erdenkliche Mühe gegeben hatte, ihn zu beruhigen. Instinktiv spürte Julie, was in Zack vor sich ging. »Du glaubst mir immer noch nicht, habe ich Recht?« »Ich…« »Du glaubst immer noch, ich wollte mich heimlich davonstehlen, um irgendwo mein Kind abtreiben zu lassen. Und dann? Was hätte ich deiner Meinung nach dann getan?« Julies Stimme war voller Bitterkeit. »Lass mich raten. Ich wäre in aller Seelenruhe nach London zurückgekehrt und hätte weitergemacht, als wäre nichts geschehen. Das glaubst du doch, oder?« »Beruhige dich, Julie…« »Das hätte ich ja fast vergessen. Ich darf mich ja nicht aufregen. Das Kind könnte sonst Schaden nehmen. Glaubst du eigentlich, dass es ein Junge wird oder ein Mädchen? Aber letztlich ist das auch egal.« Vor Rage überschlug sich ihre Stimme fast. »Wenn es ein Junge wird, dann wird es bestimmt so ein Mistkerl wie sein Vater. Und wenn es ein Mädchen wird, dann ein Flittchen wie seine Mutter…« »Es reicht, Julie«, platzte er heraus. »Ich lasse nicht zu, dass du so etwas sagst. Wahrscheinlich hast du Recht, und ich bin tatsächlich ein Mistkerl. Aber du bist doch kein Flittchen. Selbst wenn ich dich damals so genannt habe. Ich hatte völlig den Verstand verloren.« Er fuhr sich
durchs Haar. »Aber doch nur, weil ich mich so nach dir verzehrt habe, Julie. Und das tue ich noch heute.« Bei dem, was Zack über seine Gefühle zu ihr gesagt hatte, war Julie unwillkürlich zusammengezuckt. Er konnte es ja doch nicht ernst meinen. Aber der Blick, den er ihr zuwarf, ließ nicht den geringsten Zweifel daran, wie ernst es ihm war. »Bitte, Zack, fang nicht wieder damit an«, wehrte sich Julie heftig. »Es hat ja keinen Zweck. Dafür ist einfach viel zu viel geschehen. Ab sofort werde ich einfach nicht mehr hinhören, wenn du davon anfängst.« Sein Blick verdüsterte sich schlagartig. »Du empfindest nichts mehr für mich?« Julie wagte es nicht, Zack anzusehen. »Nicht das Geringste.« Sollte Mrs. Humphries überhaupt etwas von der Spannung zwischen ihnen bemerkt haben, konnte sie es geschickt verbergen. Sie ließ sich absolut nichts anmerken, sondern kümmerte sich nach wie vor liebevoll um Julie und kochte weiterhin das, wovon sie überzeugt war, dass es einer werdenden Mutter gut tun würde, auch auf die Gefahr hin, dass es Zack so gar nicht schmecken wollte. »Manchmal fühle ich mich in meiner eigenen Wohnung wie ein Fremder«, beklagte er sich bei Connie und Ben, die sie eines Abends zum Essen eingeladen hatten. »Aber Mrs. Humphries meint es doch nur gut«, besänftigte Julie ihn. »Ich weiß, Liebling.« Zack setzte sich neben sie aufs Sofa und legte ihr den Arm um die Schultern. In den letzten drei Tagen, seit ihrem Streit im Auto, hatten sie jede Berührung strikt vermieden. Dass er ausgerechnet jetzt, da sein Bruder und dessen Frau dabei waren, wieder damit anfing, gefiel ihr gar nicht. »Im Grunde genommen bin ich ja froh, dass ihr euch so gut versteht. Manchmal beneide ich euch richtiggehend.«
Bestimmt ist das wieder einer seiner sarkastischen Spitzen, dachte Julie. Aber sein Gesichtsausdruck verriet ihr, dass er es völlig aufrichtig meinte. Zack schienen all die Vorwürfe und Verletzungen, die er ihr in letzter Zeit zugefügt hatte, wirklich zu bereuen, und Julie bezweifelte, dass sie stark genug wäre, seinen kleinen Aufmerksamkeiten und Zärtlichkeiten auf die Dauer zu widerstehen. Schließlich meinte er mit Liebe etwas völlig anderes als sie. Schon einmal hatte sie geglaubt, den Zwängen, die eine Partnerschaft unweigerlich mit sich brachte, ein für alle Mal entkommen zu sein. Drei Jahre war das nun her, aber dadurch, dass sie ein Kind erwartete, hatte alles von vorn begonnen. Und diesmal könnte sie sich nicht so leicht von ihm trennen, sondern würde ohnmächtig mit ansehen müssen, wie Zacks Liebe, allen Beteuerungen zum Trotz, nach und nach in Routine und dann in Langeweile umschlagen würde, bis er sich schließlich eine andere suchen würde. Julie hatte es doch am eigenen Leibe erlebt. In den ersten zehn Jahren ihres Lebens hatte sie ihren Vater so selten gesehen, dass sie ihn irgendwann für einen entfernten Verwandten gehalten hatte. Und mit jeder neuen Freundin, die er sich suchte, hatte er ein Stück des Lebenswillens ihrer Mutter zerstört. Aber sooft er auch fremdging, und was immer er seiner Frau auch an den Kopf warf, alles hatte ihre Mutter ihm verziehen und ihn jedes Mal mit offenen Armen empfangen. Damals hatte sich Julie geschworen, dass sie sich nie so erniedrigen lassen würde. Und deshalb hatte sie nie Kinder haben wollen. Sie hatte ihnen ähnlich traumatische Erfahrungen, wie sie sie gemacht hatte, ersparen wollen. Und nun war sie in dieselbe Falle geraten wie einst ihre Mutter. Sie liebte Zack so sehr, dass sie ihm jeden Seitensprung verzeihen würde. Und selbst wenn sie die Kraft aufbringen würde, sich von ihm zu trennen – anders als ihr Vater würde Zack es niemals zulassen, dass sein Kind oh-
ne ihn aufwuchs. Und da ihr selbst der Gedanke, sich von ihrem eigenen Kind zu trennen, undenkbar war, würde sie es wohl oder übel mit Zack aushalten müssen. Kein Zweifel, aus Liebe zu Zack und ihrem gemeinsamen Kind hatte sie sich in eine Sackgasse manövriert. Es würde ihr genauso ergehen wie damals ihrer Mutter. Die war gestorben, als Julie elf Jahre alt gewesen war, ein Jahr, nachdem ihr Vater die Familie endgültig im Stich gelassen hatte. Als Todesursache hatte der Arzt eine Lungenentzündung festgestellt, aber Julie wusste es besser. Ihr Vater hatte sich scheiden lassen wollen, um eine andere Frau zu heiraten, mit der er schon eine ganze Weile ein Verhältnis hatte. Und als sich ihre Mutter darüber klar geworden war, dass sie ihn endgültig verloren hatte, hatte sie nicht mehr weiterleben wollen. Als Julie Zack kennen lernte und bevor sie sich darüber bewusst geworden war, welchen Stellenwert er in ihrem Leben einnehmen würde, hatte sie ihm wahrheitsgemäß erzählt, dass sie bei ihren Großeltern aufgewachsen sei. Als Grund hatte sie ihm aber genannt, dass sie Vollwaise sei. Und das war ja auch nur teilweise gelogen, denn rein gefühlsmäßig war ihr Vater für sie tatsächlich gestorben. Aber nach allem, was sie wusste, lebte er noch, und sicherlich hatte er längst eine neue Familie. Julie hatte nie das geringste Interesse verspürt, nach ihm zu suchen, und umgekehrt schien es nicht anders zu sein. Jedenfalls hatte sie nie wieder etwas von ihm gehört oder gesehen. Später hatte sie es versäumt, Zack die Wahrheit zu sagen. Und möglicherweise rächte sich das jetzt. Vielleicht würde es ihm dann leichter fallen, zu verstehen, warum sie so viel Wert auf ihre Unabhängigkeit legte. Solange sie denken konnte, lebte sie in dem Bewusstsein, dass die Liebe nicht nur ein Versprechen, sondern immer auch eine Bedrohung war, und dass die Ehe jederzeit in einer Katastrophe münden konnte – erst recht mit einem Kind.
»Julie?« Zack riss sie aus ihren Gedanken. »Entschuldigt bitte, ich glaube, ich bin keine sehr aufmerksame Gastgeberin.« »Habt ihr euch eigentlich schon einen Namen für das Kind überlegt?« wollte Connie wissen. Wie hätten sie? Zack und sie unterhielten sich in letzter Zeit kaum noch, geschweige denn über solch wichtige Dinge. »Dafür bleibt noch genug Zeit.« »Connie hatte schon Namen für die Kinder ausgesucht, als sie noch gar nicht schwanger war«, spottete Ben. »Mich hat sie gar nicht erst gefragt.« Spielerisch boxte seine Frau ihn in die Seite. »Du konntest dich ja sowieso nicht entscheiden. Wenn es nach dir gegangen wäre, hätten unsere Kinder bis heute noch keine Namen.« »Da könntest du allerdings Recht haben«, musste Ben zugeben. »Wenn es ein Mädchen wird, würde ich es gern Emily nennen«, schlug Zack vor. Julie fuhr herum und sah ihn verwundert an. »So hieß meine Mutter.« »Eben drum…« »Das ist lieb von dir«, sagte sie verlegen. »Komm jetzt bloß nicht auf die Idee, den Namen unseres Vaters vorzuschlagen, falls es ein Junge wird«, warnte Ben lachend. »Wieso, wie hieß euer Vater denn?« fragte sie neugierig. »Cedric«, platzte Ben heraus. »Ein fürchterlicher Name, findest du nicht?« »Na ja…« »Ich schon«, mischte sich Zack ein. »Na, dann hat sich das wohl erledigt«, beendete Julie die Diskussion. »Das war doch ein netter Abend«, sagte Zack, nachdem sich Connie und Ben verabschiedet hatten und sie allein im
Wohnzimmer saßen. »Das war es wirklich«, pflichtete Julie ihm bei. »Aber jetzt muss ich schleunigst ins Bett.« »Bleib doch noch einen Moment«, bat Zack. »Lass uns noch einen Drink nehmen.« Sie vermied es, Zack anzusehen, und blickte stattdessen argwöhnisch auf seine Hand, die er ihr locker um den Arm gelegt hatte, um sie im Falle des Falles daran zu hindern, sich umzudrehen und in ihr Zimmer zu gehen. »Ich glaube, für heute habe ich genug«, lehnte sie Zacks Vorschlag ab. »Möchtest du lieber eine Tasse Kaffee?« Er ließ nicht locker. »Mrs. Humphries ist doch schon längst im Bett.« »Ich bin durchaus in der Lage, meiner Frau eine Tasse Kaffee zu kochen«, versuchte er es mit einem Scherz. »Bitte, Julie«, bat er mit sanfter Stimme, als er merkte, dass sie sich immer noch sträubte, »wir sehen uns doch nur beim Abendessen. Tagsüber bin ich im Verlag, und gleich nach dem Essen verschwindest du in deinem Zimmer.« »Der Arzt hat mir geraten, viel zu schlafen.« »Ich war ja selbst dabei. Aber wenn es ausnahmsweise mal ein bisschen später wird, haut dich das schon nicht um. Bitte, Julie.« Er hatte ja Recht, so häufig gab sie ihm nicht die Gelegenheit, sich mit ihr zu unterhalten. Aber je weniger Zeit sie mit ihm verbrachte, umso weniger lief sie Gefahr, dass er bemerkte, wie sehr sie ihn noch immer liebte – und zwar mit jedem Tag mehr. »Mach es dir doch bequem«, forderte er sie auf. »Ich bin gleich wieder da.« Julie setzte sich auf das Sofa und legte die Beine hoch. Erst jetzt merkte sie, wie müde sie tatsächlich war. Es konnte nur noch Sekunden dauern, bis sie eingeschlafen war. Als Zack zurückkam, war sie plötzlich wieder hellwach. Es
war ihr unangenehm, ausgestreckt dazuliegen und sich Zacks Blick preiszugeben. »Ich sollte lieber ins Bett gehen«, sagte sie und richtete sich auf. »Jetzt habe ich dir extra einen Kaffee gekocht«, protestierte Zack. »Was ist denn bloß los mit dir heute? Vorhin warst du schon wie abwesend.« »Es war nichts…« »Wirklich nicht?« Julie nahm die Kaffeekanne und schenkte sich ein. »Möchtest du auch einen Schluck?« fragte sie Zack, weil er zwei Tassen hingestellt hatte. »Gern.« Er nickte zustimmend. »Julie, ich…« »Es ist schon spät, Zack«, unterbrach sie ihn, weil ihr nicht der Sinn danach stand, jetzt noch tief schürf ende Gespräche zu führen. »Warum verachtest du mich?« fragte er unvermittelt. Mit Schrecken sah Julie die verzweifelte Entschlossenheit in Zacks Gesicht. »Aber ich verachte dich doch nicht.« »Warum behandeltst du mich dann wie einen Fremden?« Er kniete sich neben sie und umfasste ihre Hände. »Sind wir uns denn nicht fremd, Zack? Wenn wir ehrlich sind, müssen wir doch zugeben, dass wir kaum etwas voneinander wissen. Oder glaubst du wirklich, mich zu kennen?« Er erschrak über ihre Heftigkeit. »Was soll die Frage? Immerhin sind wir verheiratet.« »Trotzdem Zack: Wie gut glaubst du mich zu kennen? Als wir geheiratet haben, kannten wir uns doch erst ein paar Wochen. Und wie du selbst ausgerechnet hast, haben wir im Lauf unserer Ehe genau sechsundfünfzig Tage gemeinsam verbracht.« »Genug Zeit, um mir darüber klar zu werden, wie sehr ich dich liebe, Julie.«
»Aber du kannst doch nicht behaupten, jemanden zu lieben, den du gar nicht richtig kennst?« »Ich kannte dich damals gut genug, um sagen zu können, dass ich dich liebe, und ich kenne dich heute gut genug, um es wieder zu sagen.« Mit einer Hand hob er ihr Kinn an und zwang sie, ihn anzusehen. »Und noch eines weiß ich, Julie. So wie jetzt kann ich nicht weiterleben. Ich will dich des Nachts neben mir spüren, dich umarmen, dich festhalten, dich lieben…« »Lass mich.« Julie löste sich von ihm und stand auf. Als sie sich umdrehte, um in ihr Zimmer zu gehen, stolperte sie über den Teppich und prallte direkt gegen den Esstisch aus Eiche, bevor sie sich benommen auf dem Fußboden wiederfand. »Julie!« rief Zack entsetzt. »Sag doch was, Julie!« »Bring mich ins Krankenhaus«, bat sie ihn kraftlos und schloss die Augen. »Bitte nicht noch einmal«, flehte sie. »Nicht noch einmal.« »Ich verstehe kein Wort, Julie. Was meinst du damit?« Aber Julie war zu schwach, um zu antworten. Immer dunkler wurde es um sie, bis sie schließlich das Bewusstsein verlor.
9. KAPITEL »Da haben wir ja noch einmal Glück gehabt«, versicherte ihr der Arzt im Krankenhaus. Zack hatte Julie in die Notaufnahme gebracht, wo der Arzt sie umgehend untersucht hatte. »Nur eine Kreislauf schwäche.« »Und das Kind?« fragte sie mit angsterfüllter Stimme. »Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen«, antwortete der Arzt und tätschelte beruhigend Julie die Hand. »Dem geht es bestens. Aber zur Sicherheit werde ich Sie ein paar
Tage hier behalten.« »Aber Sie haben doch gesagt, dass alles in Ordnung sei!« Mühsam richtete sich Julie in ihrem Bett auf. »Sagen Sie mir endlich die Wahrheit!« »Glauben Sie mir bitte, Ihrem Kind ist wirklich nichts passiert«, versuchte er ihre Befürchtungen zu zerstreuen. »Aber ein paar Tage Ruhe unter ärztlicher Aufsicht können trotzdem nicht schaden. Und jetzt hole ich Ihren Mann. Der hält es vor Ungeduld ohnehin kaum mehr aus.« Nun stand ihr das nächste Unglück bevor. Julie konnte sich beim besten Willen nicht erinnern, was sie gesagt und wie viel sie Zack verraten hatte, bevor sie in Ohnmacht gefallen war. Als er gemeinsam mit dem Arzt das Zimmer betrat, reichte ein Blick in sein Gesicht aus, um sie wissen zu lassen, dass sie, was immer sie auch gesagt haben mochte, zu viel verraten hatte. »Wie ich höre, geht es euch beiden gut«, begrüßte Zack sie frostig. »Das tut es zum Glück«, erwiderte sie mit einem flauen Gefühl. »Ein paar Tage Ruhe, und dann können Sie Ihre Frau nach Hause holen«, informierte der Arzt Zack und füllte das Krankenblatt aus. »Sie hat einen Schock erlitten, als sie gefallen ist. Und unter den gegebenen Umständen haben Sie sicherlich Verständnis dafür, wenn ich sie noch ein paar Tage hier behalten möchte.« Zack schien gar nicht richtig zugehört zu haben. »Selbstverständlich«, stimmte er dem Vorschlag geistesabwesend zu. »Wie gesagt, es handelt sich dabei um eine reine Vorsichtsmaßnahme. Es besteht wirklich nicht der geringste Anlass, sich Sorgen zu machen. Und jetzt lasse ich Sie noch einen Moment mit Ihrer Frau allein, bevor sie auf die Station verlegt wird«, verabschiedete sich der Arzt. Julie graute vor den nächsten Minuten. Zack würde nicht
eher Ruhe geben, bis sie die Andeutungen, die sie gemacht hatte, befriedigend erklärt hatte. »Zack, ich möchte…« »Habe ich dich vorhin richtig verstanden? Du warst schon einmal schwanger?« Er schien gar nicht gemerkt zu haben, dass Julie bereits zu einer Erklärung angesetzt hatte. »Du hast mich richtig verstanden«, musste sie schweren Herzens zugeben. »Wann?« Julie drehte den Kopf zur Seite und blickte starr die Wand an. »Kurz nachdem ich dich verlassen habe.« »Und was ist mit dem Kind…?« »Ich hatte eine Fehlgeburt.« »Warum hast du mir nie etwas davon erzählt?« Die Stimme wollte ihm versagen. »Findest du nicht, dass mich das auch etwas angeht? Oder war das Kind nicht von mir?« Mit weit geöffneten Augen blickte sie ihn an. »Wie kannst du so etwas auch nur denken? Wie kannst du…?« »Warum hättest du es mir denn sonst verheimlichen sollen?« Er packte Julie an den Armen und sah sie kalt an. »Doch nur deshalb, weil ich nicht der Vater war.« Er hatte völlig die Kontrolle über sich verloren und versuchte nicht, sein Misstrauen zu verbergen. Julie verabscheute ihn dafür. Noch vor einer knappen Stunde hatte er ihr auf Knien seine Liebe geschworen, und jetzt genierte er sich nicht, sie mit Vorwürfen zu überhäufen und sie solcher Ungeheuerlichkeiten zu bezichtigen. »Du hast völlig Recht, Zack«, sagte sie verächtlich. Um keinen Preis der Welt wollte sie ihm zeigen, wie tief er sie verletzt hatte. »Das Kind war nicht von dir.« Zack schien am Boden zerstört zu sein. »Was ist los, Zack?« höhnte Julie. »Wundert dich das etwa? Genau das wolltest du doch hören, oder?« »Du weißt genau, dass es nicht stimmt!« Unvermittelt
ließ er sie los. »Sagst du das nur, um mir wehzutun? Oder ist das die Wahrheit?« »Nein, Zack, ich habe dich angelogen«, gestand sie reumütig. »Das Kind, das ich verloren habe, war von dir.« »Warum sagst du das denn nicht gleich?« »Wundert dich das wirklich? Du bist so verdammt schnell mit Verdächtigungen und Schuldzuweisungen zur Hand. Aber über das, was du möglicherweise falsch gemacht hast, denkst du nicht eine Sekunde nach.« »Machst du mich etwa dafür verantwortlich, dass du unser Kind verloren hast?« Niedergeschlagen schüttelte sie den Kopf. »Dafür ist niemand verantwortlich, Zack.« »Warum hast du dich nie jemandem anvertraut, Julie? Wusste Connie wenigstens…?« »Nicht einmal Connie habe ich eingeweiht«, nahm sie ihre Freundin in Schutz. »Das Erschreckende ist, dass es so wahnsinnig schnell geht, ein Kind zu verlieren. Fast wie beiläufig. Und am nächsten Tag geht man wieder zur Arbeit, als wäre nichts geschehen. Aber wie es in dir drinnen aussieht, kann man niemandem erklären. Die quälenden Gedanken und ständigen Vorwürfe, die man sich macht, nimmt einem keiner ab. Bis heute verfolgen sie mich, Zack. Glaub mir, ich habe mir dieses Kind von ganzem Herzen gewünscht.« Sie sah Zack längst schon nicht mehr an, und wahrscheinlich redete sie mehr mit sich selbst als mit ihm. Vielleicht wurde ihr jetzt, da sie es zum ersten Mal aussprach, erst richtig bewusst, wie sehr sie sich damals auf das Kind gefreut hatte – und wie erleichtert sie war, dass das Kind, das sie jetzt erwartete, den Sturz allem Anschein nach unverletzt überstanden hatte. »Julie…« »Kein Wort mehr darüber, Zack«, herrschte sie ihn an. Julie hatte sich wieder gefangen und war entschlossen, nicht klein beizugeben. »Damit ändern wir auch nichts
mehr. Tatsache ist, dass ich unser Kind damals verloren habe. Tatsache ist aber auch, dass ich es diesmal bekommen werde. Selbst wenn ich es dafür mit dir aushalten muss«, fügte sie bissig hinzu. Zack war aschfahl. »Verachtest du mich wirklich so sehr?« »Was erwartest du denn?« Sie ließ ihrer Verbitterung freien Lauf. »Nach allem, was du dir allein in den letzten drei Monaten erlaubt hast. Erst umgarnst du mich, säuselst von Liebe und schläfst mit mir, um dich anschließend ohne ein Wort aus dem Staub zu machen. Dann hast du die Stirn, mir vorzuschlagen, ich solle deine Geliebte werden, während du gleichzeitig die Hochzeit mit Teresa vorbereitest. Und schließlich zwingst du mich, mit dir zusammenzuleben. Soll ich dich dafür etwa lieben, Zack?« »Das wäre vielleicht wirklich etwas zu viel verlangt«, antwortete Zack deprimiert. »Ich sage jetzt der Schwester Bescheid, dass sie dich auf dein Zimmer bringen kann. Bis morgen, Julie.« Als Julie nach wenigen Tagen aus dem Krankenhaus entlassen wurde, war Zack nicht mehr wieder zu erkennen. In nichts erinnerte er an den Mann, der sie noch vor kurzem wütend beschimpft und ihr Vorwürfe gemacht hatte – und vor allem bedrängte er sie nicht mehr, sondern benahm sich wie ein guter Freund. Zunächst mochte Julie dem Frieden nicht so recht trauen. Aber je mehr Zeit ins Land ging und je länger Zack sich tadellos verhielt, umso größer wurde das gegenseitige Vertrauen. In diese Zeit fiel auch ihr Umzug in das neue Haus. Nach langem Suchen hatten sie endlich etwas Passendes gefunden. Nachdem die Malerarbeiten abgeschlossen waren, begannen sie, das Haus nach ihren Vorstellungen einzurichten. Und weil sie nur wenige Kilometer entfernt wohnten, kam Connie mit den Rindern fast täglich vorbei.
Wie andere Außenstehende auch, musste Connie den Eindruck gewinnen, dass Zack und Julies Ehe nicht nur auf dem Papier bestand, sondern dass sie sich tatsächlich wieder miteinander ausgesöhnt hatten, so rührend kümmerte sich Zack um Julie. Selbst die Tatsache, dass sie weiterhin in getrennten Zimmern schliefen, hätte sich damit erklären lassen, dass Julie inzwischen hochschwanger war und einen Krankenhausaufenthalt hinter sich hatte. Nur Mrs. Humphries wusste, wie es wirklich um sie stand. Tatsächlich war Julie äußerst unzufrieden, und sosehr Zack sich bemühte, es sich nicht anmerken zu lassen, wusste Julie, dass es ihm nicht viel anders ging. Wenn er abends von der Arbeit kam, erzählte er seiner Frau, wie Tausende andere Ehemänner auch, was er tagsüber erlebt hatte. Nein, weder mit seinen Worten noch mit seinen Taten verriet er, wie sehr ihn die Situation bedrückte. Allein an den Blicken, die er ihr sehnsüchtig zuwarf, wenn er sich unbeobachtet glaubte, konnte Julie es erkennen. Sollte er sich mit Teresa oder einer anderen Frau treffen, um seine Bedürfnisse auszuleben, dann machte er das sehr geschickt. Denn tagsüber war er im Büro, und jeden Abend und jedes Wochenende verbrachte er zu Hause. Wenn es also überhaupt eine andere Frau geben sollte, konnte er sie nur sehr selten sehen. Gegen Ende des achten Schwangerschaftsmonats begann Julie damit, das Kinderzimmer einzurichten. Um das Schicksal nicht herauszufordern, hatte sie es bewusst so lange aufgeschoben. Aber nun suchte sie gemeinsam mit Mrs. Humphries Tapeten und Vorhänge, Möbel und Kleidung aus. Zack weigerte sich strikt, sich daran zu beteiligen. Immer häufiger zog er sich abends in sein Arbeitszimmer zurück. Eines Tages fasste sich Julie ein Herz und setzte sich zu ihm an den Schreibtisch. »Die Fahrerei jeden Tag ins Büro und zurück ist bestimmt ziemlich anstrengend, nicht
wahr?« »Wie bitte?« Geistesabwesend blickte er von der Zeitung auf, die aufgeschlagen vor ihm lag. Julie erschrak, als sie die tiefen Sorgenfalten in seinem Gesicht sah, die ihr bislang nie aufgefallen waren. Hatte sie sie übersehen, oder waren sie wirklich erst in letzter Zeit entstanden? »Du bist in letzter Zeit so verschlossen.« »Mir geht’s aber gut.« »Und die weite Fahrt jeden Morgen…« »Das macht mir nichts aus«, wehrte er ab. »Wird dir die Arbeit vielleicht zu viel?« »Die ist wie immer.« »Was ist denn dann los mit dir?« Zack blickte sie an, als wäre ihm noch nie eine so abwegige Frage gestellt worden. »Was soll mit mir los sein?« »Irgendetwas bedrückt dich doch.« Julie richtete sich mühsam auf. So kurz vor der Geburt ihres Kindes fiel es ihr nicht mehr so leicht. »Seit einigen Wochen sprichst du kaum noch mit mir.« »In letzter Zeit hatte ich ziemlich viel zu tun…« »Aber eben gerade hast du noch das Gegenteil behauptet.« »Ist das hier ein Verhör, Julie?« fragte Zack gereizt. Sein Tonfall ließ Julie zusammenzucken. »Ich mache mir bloß Sorgen um dich.« »Warum?« »Einfach so.« Langsam und sorgfältig faltete er die Zeitung zusammen und legte sie auf den Schreibtisch. »Also schön. Ich habe mit dir nicht gesprochen, weil ich mir so verlogen vorkomme. Meiner Familie, meinen Freunden, der ganzen Welt da draußen spiele ich den glücklichen und zufriedenen Ehemann vor.« Betrübt senkte Julie den Blick. »Und warum bedrückt dich das so?«
»Weil ich dieses Theater nicht länger aushalte. Ich habe nicht mehr die Kraft, so zu tun, als ob zwischen uns alles in bester Ordnung wäre. Ach Julie. Manchmal wünschte ich, ich wäre dir nie begegnet.« Noch während er das sagte, stand Zack auf und eilte aus dem Zimmer. Julie folgte ihm, so schnell sie konnte. »Zack!« rief sie, als er schon auf halber Treppe angekommen war. Er blieb stehen und drehte sich nach ihr um. »Was ist?« Nervös befeuchtete sie sich die Lippen. »Ich… wo willst du hin?« »Ins Bett.« »Jetzt schon? Es ist doch erst halb zehn.« »Wie dir nicht entgangen sein wird, bin ich heute Abend ein ziemlich lausiger Gesprächspartner«, erwiderte Zack seufzend. »Kann ich dir irgendetwas Gutes tun?« »Das könntest du, Julie. Aber ich werde dir lieber nicht sagen, was das wäre.« Erst mit etwas Verzögerung begriff sie, was Zack gemeint hatte. »Wie dir nicht entgangen sein wird, bin ich derzeit nicht in der richtigen Verfassung dazu«, machte sie sich über Zack lustig, um ihre Verlegenheit zu überspielen. »Von Sex war bisher nicht die Rede«, entgegnete Zack. »Weißt du, Julie, manchmal wache ich mitten in der Nacht auf, weil ich mir so sehr wünsche, dich in meinen Armen halten zu dürfen und auch endlich zu erleben, wie sich unser Kind in dir bewegt. Manchmal… manchmal halte ich es einfach nicht mehr aus.« Ohne Julie noch einmal anzusehen, rannte er die Treppe hinauf und verschwand in seinem Schlafzimmer. Im selben Moment kam Mrs. Humphries aus der Küche. »Stimmt etwas nicht? Ich habe laute Stimmen gehört.« »Mein Mann hat mir nur etwas von oben zugerufen.« Julie rang sich ein Lächeln ab. »Wir gehen heute früh ins Bett. Würden Sie so gut sein und die Haustür abschließen?«
»Aber gern, Mrs. Reedman. Gute Nacht.« »Gute Nacht, Mrs. Humphries.« Langsam machte sich Julie auf den Weg in ihr Zimmer. Mit jedem Tag fiel es ihr schwerer, die Treppe hinaufzusteigen. Während sie sich für die Nacht fertig machte, gingen ihr Zacks Worte nicht aus dem Kopf. Im Grunde genommen hatte er nur ausgesprochen, was sie selbst empfand zumal jetzt, da die Geburt unaufhaltsam näher rückte. Julie war sich nicht sicher, ob sie allein die Stärke und das nötige Selbstvertrauen aufbringen würde. Wie oft hatte sie sich in letzter Zeit danach gesehnt, in Zacks starken Armen Geborgenheit zu finden. Das Wissen, dass er genauso empfand, machte ihre Sehnsucht nur noch größer. Warum sollten sie auch nicht in einem Bett schlafen? Immerhin waren sie verheiratet. Und wie sie ihm ja schon gesagt hatte, war an mehr als den Austausch von Zärtlichkeiten ohnehin nicht zu denken. Sie schlich über den Flur zu Zacks Schlafzimmer und lauschte an der Tür. Kein Laut war zu hören. Vielleicht schlief er ja schon, und sie wollte ihn auf keinen Fall wecken. Vorsichtig öffnete sie die Tür. Im Zimmer war es stockdunkel. Nur die Umrisse unter der Bettdecke verrieten, dass Zack in seinem Bett lag. Lautlos wandte sich Julie um und ging zurück zur Tür. »Julie…?« Zack saß aufrecht und mit bloßem Oberkörper im Bett und blickte sie ungläubig an. »Ich…«, brachte sie stockend hervor, »ich habe mich gefragt, ob du etwas dagegen hast, wenn ich dir heute Nacht Gesellschaft leiste.« Was redete sie nur für einen Unsinn? Schließlich war sie doch kein Teenager mehr. Zack schaltete die Nachttischlampe ein. »Kannst du nicht schlafen?« »Ich habe es noch nicht versucht«, gestand sie ihm unumwunden.
»Aber warum…? Ich verstehe nicht recht…« Zack schien tatsächlich immer noch nicht zu begreifen. »Du bist nicht der Einzige, der sich manchmal einsam und allein fühlt, Zack«, half Julie ihm auf die Sprünge. »Insbesondere des Nachts.« Es dauerte eine kleine Ewigkeit, bis Zack endlich begriffen hatte und die Bettdecke zurückwarf. »Dann leiste mir doch Gesellschaft«, lud er sie in sein Bett ein. Ohne zu zögern, legte sich Julie zu ihm und schmiegte sich an ihn. Zack deckte sie zu, schaltete das Licht aus und legte den Arm um sie. Auch wenn Julie nicht längst gewusst hätte, dass Zack gewöhnlich nackt schlief – spätestens jetzt hätte sie es bemerkt. »Himmlisch«, sagte er. Das war es, aber zugleich litt Julie Höllenqualen. Denn so ein Bauch, wie sie ihn derzeit hatte, brachte auch erhebliche Unannehmlichkeiten mit sich. Zum Beispiel die, dass es gar nicht so einfach war, sich eng aneinander zu schmiegen. Bisher war ihr das einzig und allein deshalb nicht aufgefallen, weil es Monate her war, dass sie zum letzten Mal mit Zack in einem Bett gelegen hatte. »Jetzt verstehe ich, was du vorhin gemeint hast.« Auch Zack war inzwischen aufgegangen, dass das Liebesleben einer Frau im achten Monat der Schwangerschaft gewissen Einschränkungen unterlag. »Willst du dich nicht auf die andere Seite drehen?« schlug er vor. »Ehrlich gesagt, hast du mit deiner Einschätzung gar nicht so falsch gelegen. Und wer weiß, vielleicht fällt mir ja noch etwas ein, wie ich dich verwöhnen kann.« All die Ängste, die sie in Gedanken an das Unbekannte, das ihr bevorstand, in Gedanken an die Entbindung ausgestanden hatte, schienen sich mit einem Mal in Luft aufzulösen. Mit Zacks Hilfe und Unterstützung würde sie es schon schaffen. Und daran, dass er für sie sorgen würde, zweifelte Julie jetzt nicht mehr.
Im Morgengrauen schlug sie für einen Moment die Augen auf. An dem gleichmäßigen Atmen neben sich konnte sie hören, dass Zack noch tief und fest schlief. In den letzten Wochen war sie mehrfach davon aufgewacht, dass er nachts ruhelos durchs Haus gegangen war. Beruhigt schlief sie wieder ein. Als sie am späten Vormittag aufwachte, war sie allein im Bett allerdings ohne Zacks Verschwinden als Ausdruck der Missachtung zu empfinden wie noch nach der letzten gemeinsamen Nacht. Beschwingt und fröhlich stand sie auf, und ein Gefühl der Zufriedenheit begleitete sie den ganzen Tag. Als Zack von der Arbeit kam, begrüßte sie ihn herzlich, auch wenn es sie ein wenig verlegen machte, dass er ihr Blumen mitgebracht hatte. Zum ersten Mal seit langer Zeit unterhielten sie sich den ganzen Abend angeregt, ohne ein einziges Mal zu streiten. Und so erschien es ihnen selbstverständlich, dass sie sich beide in Zacks Schlafzimmer wiederfanden, als es Zeit wurde, ins Bett zu gehen. Als wäre es nie anders gewesen, verlor keiner von ihnen auch nur ein Wort darüber. Und dabei blieb es, bis zwei Wochen später ihr Kind beschloss, dass es Zeit wurde, das Licht der Welt zu erblicken. Zack lag neben Julie und schlief, sein Atem ging ruhig, sein Arm ruhte auf ihrer Hüfte. »Zack«, sagte Julie leise, um ihn nicht allzu unsanft zu wecken. »Zack«, wiederholte sie etwas lauter, weil er keinerlei Anstalten machte aufzuwachen, sondern sich noch enger an sie schmiegte. Erschrocken fuhr er hoch und richtete sich benommen auf. »Was ist?« »Das Kind.« Schlaftrunken sah er sie an. »Du hast mich doch wohl nicht geweckt, nur um mir zu sagen, dass das Kind sich bewegt hat?«
»Zack, bitte, wach endlich auf!« Julie spürte ein Ziehen im ganzen Körper. »Ich glaube, es geht los. Langsam, aber sicher, sollten wir im Krankenhaus anrufen.« Blitzartig war Zack hellwach. Er sprang aus dem Bett und zog wahllos irgendwelche Kleidungsstücke aus dem Schrank. »Was treibst du denn da?« fragte Julie, weil er sich vergeblich mühte, die Schuhe anzuziehen. »Merkst du denn gar nicht, dass die nicht zusammenpassen?« »Wieso?« Er blickte an sich hinunter und tauschte schnell einen der beiden Schuhe aus. »Ich habe keine Ahnung, was ich hier treibe«, grummelte er, weil er nun auch noch das Hemd falsch zugeköpft hatte. »Was gibt’s denn da zu lachen, Julie?« Plötzlich kam ihm ein Gedanke. »Du hast mich doch wohl nicht zum Narren gehalten?« »Nein, Zack. Es geht wirklich los.« »Dann bekommen wir jetzt endlich unser Kind?« »Ja, Zack, jetzt bekommen wir endlich unser Kind.« »Und worüber lachst du dann die ganze Zeit?« Julie konnte sich gar nicht wieder beruhigen. »Über dich. Ich habe immer gedacht, du würdest ruhig und sachlich reagieren, wenn es so weit ist. Stattdessen führst du dich auf wie ein nervöses Rennpferd kurz vor dem Start.« »Schließlich werde ich ja auch zum ersten Mal Vater.« »Das merkt man.« »Julie… schon wieder eine Wehe?« Er klang plötzlich besorgt, als er sah, wie Julie sich vor Schmerzen krümmte. »Da brauchen wir gar nicht mehr im Krankenhaus anzurufen. Am besten fahre ich dich gleich hin.« Wenn man bedachte, welcher Betrieb tagsüber in einem Krankenhaus normalerweise herrschte, dann war die Stille mitten in der Nacht fast unheimlich. Als Julie von der Notaufnahme zum Kreißsaal gebracht wurde, hallten Zacks Schritte laut vernehmlich durch die Gänge. »Darf ich Sie bitten, hier draußen zu warten, Mr. Reed-
man?« »Ich bleibe bei meiner Frau«, erwiderte Zack bestimmt, weil die Hebamme ihn nicht auf die Entbindungsstation lassen wollte. »Aber Mr. Reedman…« »Was meinst du, Julie?« Es war Zack anzusehen, wie sehr er sich wünschte, bei der Geburt seines ersten Kindes dabei sein zu dürfen. »Mein Mann bleibt bei mir«, ordnete Julie an. Während der nächsten neun Stunden wich er nicht von ihrer Seite und half ihr, so gut er eben konnte – sei es dadurch, dass er beruhigende Worte fand, sei es dadurch, dass er sich klaglos gefallen ließ, wenn Julie ihm während der Wehen fast die Hände zerquetschte. In diesen Stunden wurde sich Julie endgültig darüber klar, dass das Band zwischen ihnen nie mehr reißen würde und dass sie untrennbar zusammengehörten, und vor allem, dass das Kind ihre Liebe zu Zack nicht bedrohen, sondern im Gegenteil bereichern würde. Genauso sicher wusste sie, dass Zack in diesen Stunden dasselbe empfand. Stolz und glücklich hielt Zack schließlich seine schreiende Tochter in den Armen, bevor er sie wieder zu ihrer Mutter legte. Zu Tränen gerührt, schauten Zack und Julie sich gegenseitig und dann wieder ihr Kind an. Selbst der Arzt freute sich mit ihnen. »Herzlichen Glückwunsch, Mrs. Reedman. Ich freue mich von Herzen mit Ihnen. Und zum Glück gab es ja nicht die geringsten Komplikationen.« Vom ersten Tag an hatte Julie instinktiv gespürt, dass diesmal nichts schief gehen konnte. Die Schwangerschaft war völlig problemlos verlaufen, außerdem hatte sie die Anordnungen des Arztes penibel befolgt. Das Resultat war überwältigend. Die kleine Emily würde sie über den Schmerz hinwegtrösten, den der Verlust ihres ersten Kindes ihr noch immer bereitete.
Als das Kind eingeschlafen war, machte sich Zack auf den Heimweg. Er sah ungefähr so müde aus, wie Julie sich fühlte. Aber trotzdem wollte er noch am selben Abend wiederkommen. Aufgeregt, wie er war, fragte sich Julie insgeheim, ob er überhaupt ein Auge zumachen würde. Julie hatte damit nicht das geringste Problem, und kaum hatte Zack das Zimmer verlassen, war sie eingeschlafen. Als sie aufwachte, fand sie auf ihrem Nachttisch zwei große Blumensträuße und mehrere Telegramme vor. Emily lag in ihrer Wiege neben Julies Bett und schlief friedlich. Auch sie schien sich von den Strapazen der Geburt erst einmal erholen zu müssen. Fasziniert blickte Julie auf das kleine Wesen, dem sie das Leben geschenkt hatte: der rote Haarflaum, die rosige Haut und die winzigen Hände, die zu Fäusten geballt waren, als wollte Emily demjenigen einen kräftigen Kinnhaken verpassen, der sie aus der dunklen und warmen Geborgenheit in eine Welt gezerrt hatte, die nur aus Licht und Lärm zu bestehen schien. Ein wenig unsicher legte sich Julie Emily zum ersten Mal an die Brust. Das Gefühl des saugenden Mundes war zwar ein wenig unheimlich, aber zugleich überwältigend. Nur dass Zack ausgerechnet in diesem Moment ins Zimmer kommen musste, passte ihr nicht so richtig. Verlegen senkte sie den Blick und betrachtete das Kind. »Die Kleine muss sich ganz schön anstrengen.« »Sie wird es schon lernen«, versicherte er Julie und kam an ihr Bett. »Zur Not kann ich es ihr ja auch vormachen.« »Sie scheint aber satt geworden zu sein.« Sie ignorierte die kleine Anzüglichkeit und legte sich das Kind auf den Bauch, um ihr Nachthemd wieder zuzuknöpfen. »Gib sie mir solange.« Zack streckte Julie die Arme entgegen, um ihr seine Tochter abzunehmen. Behutsam legte sie ihm Emily in die Arme und beobachtete gerührt, wie zärtlich er sein Kind behandelte. »Ich soll dich ganz lieb von Connie grüßen. Sie will dich
morgen besuchen.« »Vielen Dank. Hast du wenigstens ein bisschen geschlafen?« »Ein paar Stunden schon. Aber an Schlafmangel werden wir uns wohl gewöhnen müssen.« »Das nehme ich auch an«, stimmte sie zu und nahm befriedigt zur Kenntnis, dass Zack seine Sache als Vater wirklich gut machte. »Ist unsere kleine Emily nicht wunderschön, Julie?« Sie freute sich, dass er das sagte. »Findest du das wirklich?« »Du etwa nicht?« »Ich… ich war mir nicht ganz sicher.« »Damit eins klar ist, Julie«, sagte Zack mit fester Stimme, »Emily ist das schönste Baby der Welt. Kein Wunder, bei der Mutter.« »Vielen Dank für das Kompliment.« »Ich glaube, jetzt ist sie eingeschlafen«, flüsterte er. »Dann leg sie doch in die Wiege.« Behutsam legte Zack seine Tochter hin. Dann begann er, die Tasche auszupacken, die er mitgebracht hatte. »Zeitschriften und Bücher, Schokolade, etwas zu trinken«, zählte er die einzelnen Dinge auf, während er sie im Nachttisch verstaute. »Die Blumen sind übrigens wunderbar«, bedankte sich Julie etwas verspätet, als ihr Blick auf den Strauß roter Kosen fiel. »Sie sind herrlich.« »Ich muss dir noch etwas beichten, Julie«, sagte Zack plötzlich. »Jetzt, da wir glückliche Eltern sind, habe ich mir gedacht, dass wir eigentlich auch ein gemeinsames Schlafzimmer haben sollten. Und deshalb habe ich damit angefangen, meine Sachen in dein Zimmer zu bringen. Ich hoffe, du bist mir nicht böse«, fügte er hinzu und machte ein Gesicht, als erwartete er ein ziemliches Donnerwetter. Das Gegenteil war der Fall. »Ist im Schrank denn noch
genug Platz?« »Du hast also nichts dagegen?« »Warum sollte ich?« erwiderte sie. »Die Vorteile sind doch nicht zu leugnen. Erstens können wir so die Nächte gemeinsam verbringen, und zweitens ist das Kinderzimmer gleich nebenan, und wir können Emily hören, wenn sie aufwacht.« »Julie, ich…« »Mr. Reedman«, unterbrach ihn der Arzt, der plötzlich an der Tür stand, »wenn Sie möchten, stehe ich Ihnen jetzt für eine Unterredung zur Verfügung.« »Ich bin in zwei Minuten bei Ihnen«, antwortete Zack. »Was willst du denn mit dem Arzt besprechen?« fragte Julie verwundert. »Er hat doch gesagt, mit Emily sei alles in Ordnung…« »Das ist es auch, Julie«, beruhigte er sie. »Ich will ihn nur kurz fragen, ob mit dir auch alles in Ordnung ist. Nur um absolut sicherzugehen, Liebling. In ein paar Minuten bin ich zurück.« Die Minuten verstrichen, und Zack war immer noch nicht zurück. Selbst nach einer Stunde noch nicht. Aber da konnte Julie noch nicht wissen, dass Zack überhaupt nicht mehr wiederkommen würde.
10. KAPITEL Julies erster Gedanke war, dass sich das Gespräch zwischen Zack und dem Arzt länger hingezogen hatte als vorgesehen. Aber die Kinderschwester, die ins Zimmer kam, um Emily zu wickeln, machte diese Hoffnung zunichte. »Ihr Mann ist vor einer Viertelstunde gegangen, Mrs. Reedman«, sagte sie fröhlich. Sie konnte ja nicht ahnen, was sie damit anrichtete.
Denn damit hatte Julie wahrlich nicht gerechnet. Zack hatte ihr doch fest versprochen, gleich wiederzukommen. Und jetzt sollte er einfach so gegangen sein, ohne sich von seiner Frau und von seiner Tochter zu verabschieden? Aber je länger er sich nicht blicken ließ, umso schmerzlicher wurde sie sich bewusst, dass die Schwester Recht haben musste und Zack nicht mehr kommen würde. Schließlich griff Julie zum Telefon und rief zu Hause an. Am anderen Ende der Leitung meldete sich Mrs. Humphries. »Ist mein Mann zu Hause?« fragte Julie besorgt. »Selbstverständlich, Mrs. Reedman.« Die Haushälterin schien über diese Frage mehr als verwundert. »Ich möchte gern mit ihm sprechen.« »Einen Moment, bitte. Ich hole ihn ans Telefon. Und bevor ich es vergesse: Herzlichen Glückwunsch zur Geburt Ihrer Tochter, Mrs. Reedman.« »Danke«, erwiderte Julie geistesabwesend. Sie hatte jetzt wahrlich andere Sorgen, als Glückwünsche entgegenzunehmen. Ungeduldig wartete sie darauf, dass Zack sich endlich melden und sie mit ihm sprechen konnte. Immerhin schien es ihm gut zu gehen. In ihrer Fantasie hatte Julie sich schon ausgemalt, was ihm alles passiert sein konnte. Aber auch das hätte nicht erklärt, warum er so überstürzt das Krankenhaus verlassen hatte. »Kann ich… Ihrem Mann etwas ausrichten?« Die Haushälterin meldete sich erneut. Julie erschrak. »Aber Sie sagten doch, mein Mann sei zu Hause?« »Das ist er auch, Mrs. Reedman.« »Dann geben Sie ihn mir doch endlich.« »Das würde ich ja gern, Mrs. Reedman, aber…« »Ist ihm etwas passiert?« fragte Julie erschrocken. »Nein. Es ist nur so, dass…« »Nun reden Sie doch endlich!« forderte Julie die Frau
nachdrücklich auf. »Er hat sich in seinem Arbeitszimmer eingeschlossen.« Mrs. Humphries klang überaus nervös. »Und er lässt Ihnen ausrichten, dass er nicht mit Ihnen sprechen will«, fügte sie hinzu, und ihrer Stimme war anzuhören, wie schockiert sie über das Verhalten ihres Arbeitgebers war. »Er will nicht mit mir sprechen?« wiederholte Julie ungläubig. »Es tut mir aufrichtig Leid, Mrs. Reedman. Ich habe alles versucht, um ihn zur Vernunft zu bringen.« Das erklärte auch, warum Julie so lange hatte warten müssen. »Aber er hat sich geweigert, die Tür aufzuschließen. Ich befürchte, er hat getrunken.« Julies Verwirrung war komplett. Was, um Himmels willen, war bloß in Zack gefahren? »Danke, Mrs. Humphries«, verabschiedete sie sich und legte den Hörer auf. Warum war Zack ohne ein Wort gegangen? Was hatte sie ihm angetan, dass er nicht einmal am Telefon mit ihr sprechen wollte? Und warum betrank er sich jetzt? Als einzige Erklärung fiel Julie ein, dass er irgendwie die Wahrheit erfahren haben musste. Julie drückte auf die Klingel und rief die Schwester. »Was ist passiert?« fragte diese besorgt, nachdem sie die Tür geöffnet hatte, denn Julie stand die Verzweiflung im Gesicht geschrieben. »Ist Dr. Bessell noch im Haus?« »Vor ein paar Minuten habe ich ihn noch gesehen.« »Bitte richten Sie ihm aus, er möchte umgehend zu mir kommen.« »Geht es Ihnen nicht gut?« »Bitte tun Sie, um was ich Sie gebeten habe«, erwiderte Julie barsch. Die Schwester machte auf dem Absatz kehrt und lief aus dem Zimmer. Aber schon nach kurzer Zeit kam sie mit hängenden Schultern zurück. »Es tut mir wirklich Leid,
Mrs. Reedman, aber Dr. Bessell ist schon nach Hause gefahren.« »Genau das werde ich jetzt auch tun.« Julie warf die Bettdecke zurück und stieg aus dem Bett. »Aber Mrs. Reedman!« Aufgeregt kam die Schwester auf sie zu, um sie von ihrem Vorhaben abzuhalten. »Sie dürfen noch nicht aufstehen.« »Ich muss sofort mit meinem Mann sprechen.« »Ist es denn wirklich so dringend?« Die Schwester versuchte, Julie zu besänftigen. »Ihr Mann wird Sie doch sicherlich gleich morgen früh besuchen. Hat es nicht bis dahin Zeit?« Wenn Julies Befürchtungen sich bewahrheiteten, würde Zack sie weder morgen noch sonst irgendwann besuchen. Aller Wahrscheinlichkeit nach würde sie ihn nie wieder sehen. Aber trotzdem hatte die Schwester Recht. Sie, Julie, war wirklich noch zu schwach. Vor ihren Augen begann sich schon jetzt alles zu drehen. Erschöpft ließ sie sich zurück aufs Bett sinken. »Versuchen Sie zu schlafen, Mrs. Reedman.« Die Krankenschwester deckte Julie wieder zu. »Morgen sieht die Welt schon wieder ganz anders aus. Ich werde Dr. Bessell sagen, dass er als aller erstes zu Ihnen kommt.« Julie war von der Entbindung und der Aufregung des Tages so erschöpft, dass sie zu ihrer eigenen Überraschung tatsächlich bald einschlief. In aller Frühe wurde sie durch ein Geräusch geweckt, das sie zunächst nicht so recht einordnen konnte, bis sie merkte, dass Emily aufgewacht war und ganz leise zu weinen angefangen hatte. Sie holte die Kleine in ihr Bett und legte sie sich an die Brust. Diesmal klappte das Trinken schon viel besser, und nach wenigen Minuten neigte Emily ihr kleines Köpfchen zur Seite und schlief friedlich weiter. Als Julie sie wieder in die Wiege gelegt hatte, betrat der Arzt das Zimmer und setzte sich an Julies Bett.
»Schwester Margaret hat mir ausgerichtet, dass Sie mich unbedingt sprechen wollen. Was gibt’s denn so Wichtiges?« Nervös biss sich Julie auf die Lippe. »Mein Mann war doch gestern bei Ihnen. Worüber haben Sie mit ihm gesprochen?« Dr. Bessell schien sich über die Frage zu wundern. »Über Sie natürlich, das wissen Sie doch.« »Geht es nicht etwas genauer?« Er zuckte die Schultern. »Ihr Mann wollte wissen, wie Sie die Geburt verkraftet haben.« »Und was haben Sie ihm geantwortet?« »Dass es Ihnen ausgezeichnet geht, natürlich.« »Und was haben Sie ihm noch gesagt?« »Nichts weiter, Mrs. Reedman. Aber ich verstehe nicht, warum Sie das alles fragen…« »Bitte, Dr. Bessell«, bat sie ihn inständig, »ich muss genau wissen, was Sie meinem Mann erzählt haben.« »Hoffentlich bekomme ich das noch zusammen. Als Erstes haben wir uns über die Geburt unterhalten, wie gut alles lief und dass nichts gegen eine erneute Schwangerschaft spricht. Auf seine Nachfrage hin habe ich ihm klarzumachen versucht, dass die Fehlgeburt, die Sie damals erlitten haben, ein einmaliges Missgeschick war.« »Und weiter?« Jetzt war der entscheidende Punkt gekommen. »Nichts weiter…« »Haben Sie meinem Mann Details über dieses Missgeschick erzählt, wie Sie es genannt haben?« Vor Spannung hielt Julie es kaum mehr aus. Was wusste Zack? »Wie käme ich dazu?« protestierte Dr. Bessell. »Er hat mich zwar gefragt, ob er die Krankenakte sehen könne. Aber das habe ich natürlich abgelehnt. Stattdessen habe ich ihm versichert, dass es mehr als unwahrscheinlich ist, dass so etwas noch einmal passiert. Schließlich sind Sie
organisch völlig gesund, und es ist mir bis heute ein Rätsel, was die Fehlgeburt ausgelöst haben könnte.« »Vielen Dank, Dr. Bessell, Sie haben mir sehr geholfen.« Nun war ihr alles klar. Zack wusste Bescheid. Obwohl sie alles darangesetzt hatte, es zu vermeiden, hatte Zack die Wahrheit herausgefunden. Und deshalb hatte er gestern fluchtartig das Krankenhaus verlassen und Trost im Alkohol gesucht. Was sollte sie bloß tun? Mit ihm reden, was sonst? Und zwar sofort. Am Telefon meldete sich erneut nur Mrs. Humphries. »Ich habe Ihren Mann heute noch nicht gesehen«, teilte sie ihr mit. »Ich glaube, er hat das Haus schon verlassen.« »Woher wissen Sie das, wenn Sie ihn noch nicht gesehen haben?« fragte Julie. »Weil sein Bett unbenutzt ist.« »Vielleicht ist er noch in seinem Arbeitszimmer. Haben Sie dort schon nachgesehen?« Die Haushälterin legte den Hörer beiseite, und nach wenigen Augenblicken meldete sie sich aufgeregt. »Sie hatten Recht, Mrs. Reedman. Ihr Mann ist in seinem Arbeitszimmer. Er ist am Schreibtisch eingeschlafen. Er sieht gar nicht gut aus. Er hat nicht mal reagiert, als ich ihn an der Schulter gerüttelt habe.« »Unternehmen Sie nichts, Mrs. Humphries.« Julie wusste, was sie zu tun hatte. »Ich kümmere mich darum.« Sie musste sofort zu ihm, diesmal wirklich. »Ich habe Ihnen doch gesagt, dass Sie im Bett bleiben sollen«, schimpfte Schwester Margaret, als sie ins Zimmer kam und Julie in Straßenkleidung vor ihr stand. So ganz sicher auf den Beinen war Julie immer noch nicht. Aber sie musste sofort zu Zack, musste mit ihm reden, ihm erklären… »Mrs. Reedman, hören Sie nicht?« »Ich bleibe nicht lange«, versprach Julie.
»Ich hole den Arzt. Der wird ihnen die Flausen schon aus dem Kopf treiben.« Julie konnte es kaum erwarten, bis Dr. Bessell seine Standpauke beendet hatte. »Sie haben ja völlig Recht, Doktor, aber ich muss unbedingt mit meinem Mann sprechen.« »Dann rufen Sie ihn doch an.« »Das habe ich ja schon versucht. Aber er geht nicht ans Telefon. Ich muss nach Hause!« Zweifellos war ihr anzusehen, wie ernst es ihr damit war. »Also gut.« Dr. Bessell gab sich geschlagen. »Ich bringe Sie hin.« »Aber…« »Da Mrs. Reedman anscheinend nicht davon abzubringen ist, ist das die beste Lösung«, erklärte er der Schwester. »So ist sie wenigstens unter ärztlicher Aufsicht.« »Können Sie solange auf Emily aufpassen?« bat Julie Schwester Margaret. »Wenn ich richtig verstanden habe, hat ihr Wunsch, ihren Mann zu sehen, mit unserem gestrigen Gespräch zu tun«, vergewisserte sich Dr. Bessell, als Julie und er in seinem Auto saßen. »Das stimmt.« Julie hatte den Blick stur auf die Straße vor ihnen gerichtet. Warum dauerte die Fahrt nur so lange? »Ich hoffe, ich habe nichts Falsches gesagt.« Julie schüttelte den Kopf. »Es ist einzig und allein meine Schuld. Es gibt da etwas, worüber ich mit Zack längst hätte sprechen müssen.« Als sie das Haus betraten, fiel Mrs. Humphries aus allen Wolken. »Ist mein Mann noch in seinem Arbeitszimmer?« wollte Julie von ihr wissen. »Ja, aber…« »In der Zwischenzeit bieten Sie Dr. Bessell bitte eine
Tasse Kaffee an«, gab sie der Haushälterin Anordnung. Mit einem unguten Gefühl öffnete sie die Tür zum Arbeitszimmer. Zack saß schlafend in seinem Bürostuhl, den Oberkörper auf den Schreibtisch gelegt. Jegliche Farbe war aus seinem Gesicht gewichen. Julie konnte sich nicht erinnern, ihn je so blass gesehen zu haben. Sie beugte sich zu ihm hinunter und rüttelte ihn an der Schulter. »Zack? Zack, Schatz, bitte wach auf.« Er schlug die Augen auf und blinzelte Julie ungläubig an. »Julie?« fragte er benommen. »Wie kommst du denn hierher?« Mühsam richtete er sich in seinem Stuhl auf. »Warum bist du nicht im Krankenhaus?« »Ich musste dich unbedingt sehen. Und da ich davon ausgehen musste, dass du mich heute nicht besuchen kommst…« Zacks Miene verdüsterte sich schlagartig. »Du weißt selbst am besten, warum«, sagte er bitter. Julie legte ihm die Hand auf den Arm, um ihn zu besänftigen, aber Zack riss sich von ihr los, sprang auf und ging rastlos im Zimmer auf und ab. »Warum bist du gekommen, Julie?« fragte er schließlich. »Wie kannst du nach allem, was ich dir angetan habe, meinen Anblick noch ertragen? Ich hätte es wissen müssen. Und du hast nie etwas gesagt, egal, was für Beleidigungen ich dir an den Kopf geworfen habe. Dabei habe ich unser Kind getötet!« Verzweifelt schlug er die Hände vors Gesicht. »Aber das stimmt doch nicht, Zack…« »Und ob es stimmt!« Tränen liefen ihm über die Wangen. »Du brauchst mich nicht länger in Schutz zu nehmen, Julie. Ich weiß jetzt, wie es wirklich gewesen ist. In derselben Nacht, in der ich dich geschlagen habe, hast du unser Kind verloren.« Es war ihm anzusehen, welche Überwindung es ihn kostete, die Wahrheit auszusprechen. »An unserem ersten Hochzeitstag bin ich zum Mörder an meinem eigenen Kind geworden.«
Nun war tatsächlich eingetreten, was Julie immer befürchtet hatte: Zack hatte die schmerzliche Wahrheit herausgefunden. Aber warum jetzt, warum ausgerechnet jetzt, da sie endlich das Glück miteinander finden sollten, das ihnen früher versagt geblieben war? Unwillkürlich musste Julie an die Zeit vor drei Jahren zurückdenken. Sie hatte Zack absichtlich nichts von der Schwangerschaft erzählt. An ihrem ersten Hochzeitstag wollte sie ihn damit überraschen. Was würde er für Augen machen! Und dann kam der Anruf mit der Nachricht, dass sie noch am selben Abend nach Deutschland müsse, gefolgt von Zacks Wutausbruch. Sie versuchte alles, ihn zur Vernunft zu bringen. Zwar hatte er erreicht, dass sie nicht nach Deutschland geflogen war, aber dafür hatte sie ihr Kind verloren – und für viele Jahre auch ihren Mann. Julie war, als könnte sie jetzt endlich nachholen, was ihr damals nicht möglich gewesen war. Sie weinte bitterlich, weinte um ihre Liebe zu Zack und um das Kind, das sich über die kleine Schwester bestimmt gefreut hätte. »Du musst mich doch hassen!« Zacks heisere Stimme riss sie aus ihren Gedanken. Auch er weinte und zitterte am ganzen Körper. »Ich liebe dich, Zack!« platzte Julie heraus. »Versteh das doch endlich. Ich habe dich immer geliebt, und ich werde dich immer lieben.« Sie schmiegte sich an ihn und legte ihm den Arm um die Hüfte. »Und seit wenigen Stunden gibt es ein kleines Wesen, das genauso empfindet wie ich.« Die Erwähnung seiner Tochter schien Zack wieder zur Besinnung zu bringen. »Emüy… Wo ist sie eigentlich?« »Sie ist in guten Händen«, beruhigte sie ihn und streichelte seine Wange. »Gleich fahren wir zu ihr. Aber vorher noch eins. Was damals geschehen ist, war eine Laune der Natur, für die wir beide nichts können. Es stimmt zwar, dass ich unser Kind in jener Nacht verloren habe. Aber das
heißt doch nicht, dass es deine Schuld war. Der Arzt hatte mich von Anfang an gewarnt, dass die Gefahr einer Fehlgeburt ziemlich groß sei. Also hör endlich auf, dir Vorwürfe zu machen.« »Ist das auch wirklich wahr, Julie?« fragte Zack ungläubig. »So wahr ich hier stehe.« Er wischte sich die Tränen aus dem Gesicht. »Habe ich… habe ich eben eigentlich richtig gehört? Hast du wirklich gesagt, dass du mich liebst?« »Und ob ich das gesagt habe! Und ich wiederhole es auch gern noch einmal. Ich liebe dich, Zack! Vielleicht wäre uns manches erspart geblieben, wenn wir damals den Mut gehabt hätten, es uns öfter zu sagen. Aber in Zukunft soll uns das eine Lehre sein.« »Was heißt hier in Zukunft?« Zack schien es tatsächlich nicht zu begreifen. »Das heißt, Emily und ich freuen uns auf unser Zuhause«, erklärte Julie ihm. »Und vor allem auf dich.« »Willst du es wirklich noch einmal mit mir versuchen?« »Nicht nur versuchen! Und sobald ich aus dem Krankenhaus entlassen bin, werde ich dir zeigen, wie sehr ich dich liebe.« »Aber Julie…« »Wie oft muss ich es denn noch sagen, bis du mir endlich glaubst?« Insgeheim überraschte sie Zacks Skepsis allerdings nicht. Sie selbst verstand erst jetzt, was er seinerzeit mit seinem Vorwurf gemeint hatte, dass sie ihr Innerstes vor ihm verberge. Sie hatte das sichere Gefühl, dass diese Schranke durch die Erlebnisse der letzten Stunden eingerissen worden war und sie zum ersten Mal eine Liebe für Zack empfand, die diesen Namen wirklich verdiente: vorbehaltlos und ohne Hintertürchen, durch das man im Fall des Falles entwischen konnte. »Julie…?« Zack sah sie an wie ein Kind, das sich nicht
traut, nach der Süßigkeit auf dem Schrank zu langen, aus Angst, dafür bestraft zu werden. »Begreif doch endlich, dass ich dich liebe, Dummerchen.« Sie lachte ihn an und küsste ihn zärtlich auf den Hals. »Und ich liebe dich.« Endlich war der Bann gebrochen. Zack nahm Julie in die Arme. »Ich habe dich immer geliebt. Aber ich hatte immer auch Angst davor, dich zu sehr zu lieben, weil du dich mir nie ganz anvertraut hast.« Jetzt brach es nur so aus Julie heraus. Atemlos holte sie nach, was sie schon vor Jahren hätte machen sollen, und sie erzählte Zack über ihre Angst, sich in ihrer Liebe zu ihm zu verlieren, über die gescheiterte Ehe ihrer Eltern, über ihren Vater, der seine Frau betrogen und schließlich verlassen hatte und ihre Mutter damit in die Verzweiflung und letztlich ins Grab getrieben hatte. Als sie geendet hatte, war Zack noch blasser als zuvor. »Und du hattest Angst, dass ich dir das Gleiche antun würde?« »Ich wollte dir gar nicht erst die Gelegenheit dazu geben. Deshalb habe ich mich nicht fallen lassen«, gestand sie ihm erleichtert. »Aber das alles ist Vergangenheit, Zack. Und ich freue mich auf die Zukunft mit dir. Mit dir und Emily.« »In guten wie in schlechten Zeiten will ich zu dir halten, Julie. Ganz so, wie ich es damals geschworen habe. Und diesen Schwur habe ich nie gebrochen. Was immer auch gewesen sein mag, für mich gab es niemanden außer dir.« »Und Teresa?« »Ach Julie. Ich will ja nichts Schlechtes über Teresa sagen, aber selbst in den langen Jahren unserer Trennung gab es immer nur dich.« »Wir werden uns nie wieder trennen, Zack. Nie, nie wieder!« Zack strich ihr eine Haarsträhne aus dem Gesicht. »Weißt du, wann ich gemerkt habe, dass ich dich immer noch liebe
– und nur dich?« »Erzähl es mir«, forderte sie ihn gespannt auf. »Als ich von der Flugzeugentführung gehört habe.« Die Erinnerung daran ließ ihn den Mund verziehen. »Bis dahin lief alles darauf hinaus, dass ich mich von dir scheiden lassen und Teresa heiraten würde. Und dann habe ich erfahren, dass du eine der Geiseln warst. In jenen Tagen habe ich die Hölle durchlebt. Als du endlich wieder zurück in London warst, musste ich dich unbedingt sehen. Deshalb habe ich Connie und Ben eingespannt und an unserem vierten Hochzeitstag dieses Abendessen arrangiert. Und weil du nicht mitgekommen bist, bin ich zu dir gefahren. Ich hatte mich so auf ein Wiedersehen gefreut. Aber ein Blick hat gereicht, um mir klarzumachen, wie sehr du mich verachtet hast.« »Aber das stimmt doch nicht, Zack«, versuchte Julie ihm zu widersprechen. »Und ob das stimmt«, wehrte er ihren Einwand ab. »Aber trotzdem kam ich nicht von dir los. Die Scheidung habe ich dann nur noch als Druckmittel eingesetzt. Ich dachte, du würdest es dir vielleicht noch einmal überlegen und zu mir zurückkommen, wenn es so aussieht, als wäre es mir ernst damit. Aber das konnte ja nicht funktionieren.« »Und was sollte dieses merkwürdige Angebot, deine Geliebte zu werden?« »Ich wusste doch nicht, was ich tun sollte, Julie«, entschuldigte sich Zack. »Ich wollte einfach nur bei dir sein. Und weil du immer gesagt hast, dass du dich nie wieder fest binden willst, habe ich gedacht…« Er sprach den Satz nicht zu Ende. »Inzwischen weiß ich selbst, wie ungeheuerlich der Vorschlag war. Aber schließlich war da ja auch noch Steve, und ich hatte doch keine Ahnung, was du für ihn…« »Mit Steve ist nie etwas gewesen«, sagte sie ehrlich. »Mit Steve nicht und mit niemandem sonst. Auch für mich gab es
immer nur einen einzigen Menschen, Zack. Dich!« Mit einem Kuss schnitt er ihr das Wort ab. Doch da klopfte es plötzlich laut und vernehmlich an der Tür. »Mrs. Reedman?« Dr. Bessell traute sich kaum über die Schwelle. »Ich störe nur ungern, aber als Ihr Arzt muss ich darauf bestehen, dass wir jetzt zurück zum Krankenhaus fahren.« »Das hätte ich fast vergessen!« scherzte Zack. »Ich habe es ja mit einer Patientin zu tun. Wie ist Ihr wertes Befinden?« »Danke der Nachfrage«, erwiderte Julie amüsiert. »Ausgezeichnet.« »Mrs. Reedman?« meldete sich erneut der Arzt. »Wir sollten lieber auf ihn hören«, mahnte Zack. »Schließlich haben wir noch das ganze Leben vor uns. Du und ich – und Emily. Und wer weiß, ob sie sich eines Tages nicht noch einen kleinen Bruder wünscht…« »So lange wollte ich eigentlich nicht warten«, flüsterte Julie ihm ins Ohr und folgte Dr. Bessell zu seinem Auto.
-ENDE-