Nr. 377
Korridor der Dimensionen In der Gewalt der Krolocs von Hans Kneifel
Nach der Zwischenlandung auf Loors, dem P...
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Nr. 377
Korridor der Dimensionen In der Gewalt der Krolocs von Hans Kneifel
Nach der Zwischenlandung auf Loors, dem Planeten der Brangeln, ist der Konti nent Pthor-Atlantis längst wieder zu einem neuen Flug durch die Dimensionen des Kosmos gestartet. Leider ist es Atlan trotz allergrößtem persönlichen Einsatz nicht gelungen, die Steuerung Pthors in seinem Sinn zu beeinflussen. Der Kurs des Kontinents wird so mit von den mysteriösen Beherrschern der Schwarzen Galaxis bestimmt – und nach allem, was man von ihnen weiß, liegt es auf der Hand, daß die Unbekannten mit Pthor und seinen Bewohnern nichts Gutes im Sinn haben. Die Zukunft sieht also nicht gerade rosig aus für Atlan und seine Mitstreiter. Alles, was sie gegenwärtig tun können, ist, die Lage auf Pthor zu stabilisieren und eine ge wisse Einigkeit unter den verschiedenartigen Clans, Stämmen und Völkern herbeizu führen. Erste Erfolge in dieser Richtung beginnen sich abzuzeichnen, als Atlan sich den Abgesandten aus allen Teilen des Landes als neuer König vorstellt. Doch dabei kommt es zu einem Zwischenfall im KORRIDOR DER DIMENSIONEN …
Korridor der Dimensionen
3
Die Hautpersonen des Romans:
Atlan - Der neue König von Pthor wird gefeiert.
Razamon, Balduur und Fenrir - Zwei Krieger und ein Wolf starten zu einem Erkundungsflug.
Heyzer Cor - Kommandant der Krolocs.
Pona - Eine Eripäerin.
Actic - Ein Schlangenwesen.
1. Eine Stunde lang oder etwas länger mußte Atlan vergessen, daß Pthor nichts anderes war als ein Brocken fliegenden Verderbens auf dem Weg ins Chaos. Ohne Vibrationen und Erschütterungen raste Pthor weiter; das Ziel war die Schwarze Galaxis. Atlan war gezwungen, diese Situation vorübergehend zu verdrängen, denn in kurzer Zeit würde man ihn zum König von Atlantis machen. Der Park war voller Bewohner Pthors. Die Stimmung unter den etwa eineinhalbtau send verschiedenen Wesen war keineswegs feierlich oder euphorisch. Sie waren aus al len Teilen von Atlantis gekommen. Eine kleine Delegation von Beobachtern aus Wolterhaven. Glitzernde, kalt wirkende Robotkörper mit stählernen Armen und Ge lenken. Ihre Sehzellen blinkten unbeteiligt und prüfend. Eine Gruppe phantastisch be waffneter Pygmäen aus dem Blutdschungel. Rund um die Krieger, die nach Fäulnis und rohem Fleisch stanken, standen Dellos mit flachen Gesichtern und unbeteiligten Mie nen. Eine Gruppe aus Aghmonth wartete ne ben Bewohnern von Donkmoon und sah un bewegt hinüber zum großen Portal der Pyra mide. Alle waren sie in die FESTUNG ge kommen; Atlans Boten waren tagelang un terwegs gewesen und hatten sie zusammen gerufen. Eine Gruppe Piraten von den Ufern des Regenflusses hatte sich ebenfalls hierher ge wagt. Die Männer schienen überrascht zu sein, daß sie nicht angegriffen wurden. Atlan stand auf der obersten Stufe. Hinter ihm befand sich die glatte, aufwärtsstreben de Fläche der größten Pyramide. Eine unangenehme und peinliche Sache,
Arkonide? sagte sarkastisch der Logiksektor. So war es. »Du mußt mehr fröhliche Überzeugungs kraft zeigen. Du bist kurz davor, in höhere Würden aufzusteigen, Atlan«, murmelte Razamon dicht neben Atlan. »Und in höhere Verantwortlichkeit.« »Danke. Deine Worte sind ein rechter Trost«, gab der Arkonide zurück. Er ließ sei ne Augen zwischen den Wänden der kleine ren Pyramiden, die in Wirklichkeit Beiboote eines riesigen Raumschiffs waren, hin und her gehen. Die Masse der »Feiernden« starr te mit wenig Begeisterung zurück. »Außerdem ist dieser Augenblick für Pthor und unsere Absichten von entschei dender Wichtigkeit«, erklärte Thalia von der anderen Seite. Dellos gingen durch die Rei hen der Wartenden, verteilten Getränke und Essen. »Das ist allerdings richtig«, sagte Atlan ruhig und dachte an den Energieschirm um die Seele von Atlantis und an das falsche Schaltelement. »Und darüber hinaus«, sagte Razamon drängend, »ist es bei der ungewöhnlichen Mentalität deiner vielen neuen Untertanen von entscheidender Wichtigkeit, mit Macht und Nachdruck aufzutreten.« Sie befanden sich alle in einer Art Vorhof der FESTUNG. Die Erwartung unter den Delegationen stieg; sie ahnten nicht, was der neue Herrscher ihnen zu sagen hatte. Es gab Hunderte verschiedener Gerüchte, die von einer neuen Tyrannenherrschaft bis hin zum anderen Extrem, einer milden Verwaltung, über das gesamte Spektrum der Möglichkei ten reichten. Razamon fluchte lautlos; wieder einmal jagte der Zeitklumpen ihm einen kurzen und heftigen Schmerz durch das Bein. Dann sag
4 te der Atlanter: »Bereit, Atlan? Die Magier machen be reits bedenkliche Gesichter.« Atlan nickte. »Keine Sorge, ich werde nicht stottern!« Razamon lachte rauh. Er gab einen Wink nach hinten. Aus dem Innern der Pyramide marschierten zwei Reihen festlich gekleide ter Dellos. Sie waren martialisch aufgemacht mit blitzenden Halbpanzern, breiten Gürteln und runden Helmen. In ihren Händen trugen sie lange Fackeln. Es gab kaum Wind, daher bildeten die silberfarbenen Rauchfahnen ei ne Art Wall oder Gitter entlang der Treppen stufen. Über die Stufen lag ein weißer Tep pich aus unbekanntem Material. Atlan ging fünf Schritte geradeaus und blieb stehen. Auf einen zweiten Wink begann aus unsicht baren Lautsprechern eine Musik, deren Cha rakter er kannte. Er hatte ähnlich barbarische Rhythmen ebenso auf Arkon wie auch auf Terra und anderen Welten gehört. Fanfaren und Posaunen schrien auf, donnernde Trom melschläge skandierten, klirrende Becken schläge ließen die Wartenden zusammen zucken. Atlan wandte sich halb um, schenkte Raz amon ein kaltes Grinsen und sagte durch den Lärm: »Beeindruckend, Freund Razamon. Die Noten stammen von den Berserkern?« »Nicht alle. Ich habe auch Kulturgut der Erde mit einbauen lassen«, erwiderte der At lanter schlagfertig. Atlan winkte ab. Es mußte wohl sein. Je denfalls bemerkte er in den Gesichtern vieler Besucher so etwas wie Erwartung oder Spannung. Die eingeladenen Abordnungen kamen etwas näher. Es waren fast alle wich tigen Bevölkerungsgruppen dieses erstaunli chen Landes vertreten. Sie würden jedes Wort der Rede bis in den letzten Winkel von Pthor verbreiten, das war sicher. Die Musik und die starr dastehenden Del los, von deren Fackeln Rauchsäulen hoch stiegen, bildeten einen Teil von Razamons Vorbereitungen. Er verstand eine Menge von Massenregie. Nach drei oder vier Minu-
Hans Kneifel ten änderte die Musik ihren Charakter und wurde weicher. Sie schien gleichermaßen Härte und Milde des neuen Herrschers zu versinnbildlichen. Als sie endete, zuckten zwischen den Spitzen der verschiedenen Py ramiden Blitze hin und her. Als totale Stille eingetreten war, nickte Thalia ihrem Freund zu. »Viele von euch kennen mich schon«, sagte Atlan. Er merkte sofort, daß sich der Auffangstrahl eines unsichtbaren Mikro phons auf ihn richtete, denn seine Worte wurden hundertfach verstärkt. »Die meisten haben von mir erfahren. Ich bin Atlan. Odin, der Mächtige, hat mich nach dem Sieg über die furchtbaren Herren der FE STUNG dazu bestimmt, über Pthor zu herr schen. Das werde ich tun, zusammen mit den klügsten Ratgebern, die ich finden konnte. Ganz Pthor ist vor kurzer Zeit aus dem VONTHARA-Schlaf erwacht, aber das Erwachen erfolgte in eine schlimme Zeit hinein. Nach allem, was wir wissen, ist Pthor auf dem Weg zurück in die Schwarze Galaxis.« Atlans Worte hallten durch den Park und über den Vorplatz der FESTUNG. Er beob achtete seine Zuhörer mit brennender Auf merksamkeit; er mußte sich ihrer Hilfe ver sichern, denn sonst würden alle Anstrengun gen vergeblich bleiben. Pthor und Atlan würden jeden einzelnen Kämpfer und alle Anstrengungen brauchen, um gegen die Her ren der Schwarzen Galaxis zu bestehen. Atlan wählte auch die nächsten Sätze mit Bedacht. »Im Augenblick sieht es schlimm aus für uns alle«, rief er aus. »Pthor wird von der Seele aus gesteuert, und die Seele bringt uns direkt in die Schwarze Galaxis. Der Grund gedanke meiner Herrschaft ist es, allen Ge schöpfen zu helfen, in deren Kulturen Pthor seine bösen Spuren hinterlassen hat. Dazu müssen wir die Herrschaft über Steuermann, Seele von Pthor und La'Mghor wieder zu rückbekommen. Ihr wißt, daß aus der Di mensionsschleppe ein falsches Hauptschalt
Korridor der Dimensionen element mitgebracht und eingebaut worden ist.« Er überging geflissentlich, daß er es ge wesen war, der mit dem falschen Schaltele ment getäuscht worden war. »Der Steuermann in den Pyramiden ist dank der unermüdlichen Pflege der schönen Thalia wieder zu sich gekommen und erholt sich zusehends. Ich denke, daß wir auf seine Unterstützung bauen können, meine Freun de.« »Ausgezeichnet!« schrie jemand aus der Menge. Es schien einer der Magier aus der Barriere von Oth gewesen zu sein. »Danke!« gab der Arkonide trocken zu rück. In die tiefgestaffelten Reihen der Gäste kam leichte Bewegung. Sie drängten sich näher an den freien Platz vor der untersten Stufe heran. »Es wird allerdings noch einige Zeit dau ern, bis der Steuermann in die Steuerung von Pthor machtvoll eingreifen kann«, rief Atlan. »Aus diesem Grund haben wir alle uns ausgedacht, daß diese Feierlichkeit nicht zu einer Orgie der Trunkenheit und des Ju bels wird. Aber sie wird euch allen zeigen, daß eine neue Zeit für Pthor angebrochen ist.« Die Dellos, die mit Gläsern, Bechern und gefüllten Krügen zwischen den Gruppen umhergingen, schenkten lautlos ihre Geträn ke aus. Copasallior, der Weltenmagier, be wegte seine sechs Arme wie eine ungeduldi ge Spinne, schob sich näher an Atlan heran und rief laut: »Um deine Herrschaft zu festigen, Atlan, und um dir zu zeigen, daß wir dich verste hen und in deinem Sinn kämpfen werden, haben die Magier dir ein Geschenk ge bracht!« Atlan blickte den Magier mit den basalt farbenen Augen an. Die wallenden Gewän der, in die sich Copasallior kleidete, blähten sich auf, als der Magier an der Seite von Ko ratzo herankam und dicht vor der untersten Stufe stehenblieb. Atlan ging ihnen entge gen; er wußte nur, daß die Magier mit einem schweren Wagen gekommen waren.
5 »Was immer es ist, ich danke euch«, sagte Atlan und fragte sich, welches Geschenk ihm ausgerechnet der Weltenmagier und der Stimmenmagier machen würden. Koratzo drehte sich um und sagte etwas zu einem Helfer. Der Wagen wurde nach vorn geschoben. Jemand riß die Plane zur Seite. Das vage Licht fiel auf eine große Menge von Parra xynth-Bruchstücken. Graues Metall, voller Runen und Zeichen, in allen Formen und Größen, lag in der Höhlung der Ladefläche auf einem dunklen Stück Stoff. Atlan sah in die blauen Augen des Stimmenmagiers. »Ich bin überrascht und dankbar«, sagte Atlan. Die herandrängende Menge sah, worum es sich handelte. Ein lautes Murmeln der Verwunderung breitete sich aus. Atlan griff in den Wagen hinein und hob ein mit telgroßes Bruchstück heraus. Er packte das Stück, ging einige Stufen hinauf und stemm te es hoch. »Seht alle her!« rief der Arkonide. Tausende Augen starrten ihn und das stumpfgraue Stück Metall an. »Das ist nur ein kleiner Teil des Ge schenks aus der Großen Barriere von Oth«, rief Atlan wieder. »Sie brachten einen gan zen Wagen voll davon.« »Wenn du noch mehr davon bekommst und einige Wochen lang Puzzlespiele be treibst«, flüsterte Razamon in Atlans Ohr, »dann wirst du Pthors Geheimnis fast gelöst haben.« »Fast«, gab Atlan mit unbewegtem Ge sicht zurück. »Es fehlen mir noch einige Hunderttausend kleinere und größere Brocken dazu. Wie witzig.« Die Bewohner von Pthor schrien mit mä ßiger Begeisterung, aber es war erkennbar, daß sie dieses Zeichen richtig deuteten. Je mand, der eine solch große Menge Parra xynth-Stücke besaß, war schon allein aus diesem Grund der Mächtigste. Atlan hob das Bruchstück noch ein wenig höher über seinen Kopf hinauf und rief, so laut er konnte: »Ich danke den Magiern für dieses hoch
6 herzige Geschenk. Ich werde jedes Bruch stück aufbewahren und versuchen, es mit anderen zu einem mächtigen Ganzen zusam menzusetzen. Aber, meine Freunde aus allen Teilen von Pthor – eines sage ich euch: Ich will euch nicht anlügen. Pthor ist auf dem Weg in die Schwarze Galaxis. Harte Zeiten brechen für uns an. Die Herrscher dort werden uns zu strafen versuchen. Unse re Aufgabe wird höllisch schwer sein. Jeder von uns wird sein Bestes geben müssen. Übertriebene Angst ist unsinnig, aber Vor sicht ist angebracht. Ich danke euch, daß ihr gekommen seid. Sagt allen, die ihr treffen werdet, was wir hier besprochen haben. Und nun …« Razamons Regie war bestechend. Als At lan sich anschickte, die letzten Worte seiner Ansprache an das immerhin gedämpft begei sterte Publikum zu richten, ertönte wieder eine Taktfolge jener dröhnenden, krachen den und heulenden Musik. Fast gleichzeitig rissen die Rauchschwaden aus den Fackeln ab; meterhohe Flammen kalten Lichts schlu gen in den verhangenen Himmel hinauf. Die Musik schwieg plötzlich. Atlan holte Luft. »Und nun versucht, trotz allem mit Hei terkeit zu feiern. Eßt und trinkt, sprecht mit einander, versucht alle, in den Räumen und den Parks der FESTUNG euch wohl zu füh len. Denn die FESTUNG ist nicht mehr län ger das Zentrum der bösen Macht oder der Sitz des Verderbens. Ich danke euch, meine Freunde.« Als Atlan die Arme senkte, auf den Wa gen zuging und das Parraxynth-Stück vor sichtig zu den anderen zurücklegte, beendete ein letzter Tusch die offiziellen Feierlichkei ten. Aus den Fackeln der aufgereihten Del los kamen wieder Rauchwolken. Atlan ging langsam, flankiert von Thalia und Razamon, die Treppenstufen wieder aufwärts. »Es war ehrlich und überzeugend«, sagte Thalia leise und legte ihre Hand auf Atlans Arm. »Ich habe es immerhin versucht«, gab der Arkonide zurück. »Hoffentlich habe ich den
Hans Kneifel einen oder anderen überzeugt.« Die beiden Magier folgten Razamon, Tha lia und Atlan die Stufen hinauf und ins Inne re des pyramidenförmigen Raumschiffs. Der Weltenmagier blickte den Arkoniden lange aus seinen Basaltaugen an. Dann sagte er nachdrücklich: »Wenn alles wahr ist, was du sagtest, At lan, dann werden wir wohl viel von den an gesprochenen Plänen verwirklichen kön nen.« »Ich habe versucht, so ehrlich wie mög lich zu sein«, murmelte Atlan. »Wenn die stille Heiterkeit ein wenig mehr um sich gegriffen hat, dank des Alko hols«, schaltete sich Thalia ein und dachte daran, daß eigentlich auch ihre Brüder bei dieser Feier hätten anwesend sein müssen, »dann werden wir uns unter die Gäste mi schen.« »Mit Vergnügen«, sagte Atlan. Aus völlig unerklärlichen Gründen fühlte er sich unsi cher; er ahnte kommendes Unheil. Er wußte nicht, warum ihn diese Stimmung gerade jetzt überfiel – es gab keinen Grund dafür. Trotzdem fühlte er den Stachel der Angst und des starken inneren Zweifels. Er dachte kurz an den Mann in der Por quetor-Rüstung, der angeblich seinen Origi nalkörper suchte. Noch ein weiteres Rätsel, das sich irgendwann würde lösen lassen. Als die Gruppe der fünf Personen die oberste Plattform erreicht hatte, glaubte Atlan, unter seinen Sohlen eine kurze Erschütterung zu spüren. Er blieb stehen und fragte alarmiert: »Habt ihr es auch gemerkt?« »Was sollen wir gemerkt …?« murmelte Razamon und unterbrach sich jäh, als ein zweiter, harter Stoß sie alle traf. Hinter ih nen klangen Schreie und Flüche auf. Ein dritter, langanhaltender Rammstoß ließ die Treppenstufen wanken und schüttelte die Stämme und Äste der Bäume. Einige Ptho rer wurden zu Boden geschleudert, andere sprangen erschreckt in die Höhe und rannten wild durcheinander. Atlan klammerte sich am Rahmen der Schleusentür fest und fluchte unterdrückt.
Korridor der Dimensionen Als er den Kopf hob, sah er voller Schrecken, daß sich der Himmel zu verdun keln begann. Die Schwankungen und Stöße blieben, änderten aber ihren Rhythmus. Sie glichen den Erschütterungen, die einen großen, schnellen Raumkörper trafen, wenn er nacheinander mit kleineren Hinder nissen kollidierte. »Es ist nicht die Seele von Pthor! Wir ra sen durch einen Dimensionskorridor«, schrie Razamon zurück. »Wir stoßen auf ein Hin dernis oder so ähnlich.« Im Park war das Chaos ausgebrochen. Bewohner von Pthor rannten in panischer Flucht umher. Die Dellos wurden zur Seite gestoßen, ihre Krüge und Gläser zerbrachen. Die Fackeln schwankten und fielen zu Bo den. Es wurde immer dunkler; ein riesiger Schatten legte sich drohend über das Land. Die Vibrationen hielten an und versetzten selbst die riesige Pyramide in Schwingun gen. Atlan hoffte, daß die Mikrophone noch funktionierten und schrie: »Achtung, Freunde! Lauft auseinander. Pthor wird nicht zerbrechen. Wir sind aber mals auf ein Hindernis gestoßen!« Seine Schreie hallten durch den Park, aber sie vermochten die Panik nicht aufzuhalten. Ihn selbst traf abermals ein wuchtiger Stoß und schleuderte ihn zu Boden. Im Innern der Pyramide erklangen schauerliche Geräusche, als ob Metall auseinandergerissen würde. Schwere Gegenstände krachten zu Boden. Die Bäume und Büsche schüttelten sich. Stoß nach Stoß traf den Weltenkörper, die Dunkelheit verwischte die Konturen aller Gegenstände. Thalia wurde ebenfalls zu Bo den geworfen. Sie rollte über den Belag und stieß mit Atlan und dem verzweifelt um Halt kämpfenden Razamon zusammen. Atlan blieb liegen, breitete die Beine aus und versuchte, auch Thalia festzuhalten. Razamons Fluchen ging in dem allgemeinen Lärm unter. Die Erschütterungen, die Pthor trafen, waren ungeheuer hart. Sie würden bis hinein in die rätselhaften Tiefen Verwüstun gen auslösen.
7 Höchste Gefahr für dich und Atlantis! rief drängend der Logiksektor. Wieder schlug die unsichtbare Kraft zu. Es war, als würden kleine Monde einmal an dieser Ecke, dann wieder an einer anderen Stelle gegen Pthor stoßen. Atlan und Thalia spürten, als sie hilflos über den Boden ge schleudert wurden, daß die Fluggeschwin digkeit des Weltenbrockens innerhalb des Dimensionstunnels offensichtlich abge bremst wurde. Draußen herrschte jetzt tiefe Nacht. Nur das Rumpeln und Poltern der Kollisionen war zu hören. Die Entsetzens schreie hatten aufgehört. Schließlich, nach einer kleinen Ewigkeit, schalteten sich Lampen und Scheinwerfer einer Notanlage ein. Razamon rief abgehackt: »Es war kein einziges Hindernis. Viele kleine Zusammenstöße, Atlan. Sonst wäre Pthor in tausend Fragmente zersplittert.« Abermals ging ein knirschender Ruck durch die Pyramide. Atlantis schien jede Fahrt verloren zu haben. Etwas Unbekann tes, Mächtiges hatte Pthor aufgehalten und zum Stillstand gebracht. Mühsam stand At lan auf und half Thalia in die Höhe. »Hast du eine Ahnung, was das bedeu tet?« fragte er und schüttelte sich. Ein schwacher Stoß traf Pthor und löste eine Reihe langwelliger Erschütterungen aus. Dann kam das Weltenfragment wieder zur Ruhe. »Vielleicht sind wir in Staubmassen hin eingeraten und in einen Schwarm von Ge steinstrümmern. Das würde auch die Dun kelheit und die Bremswirkung erklären«, meinte Thalia und strich sich das zerzauste Haar aus dem Gesicht. »Jedenfalls ist dein Krönungsfest rui niert!« stellte Razamon fest. »Nachhaltig«, bestätigte Atlan. »Aber bei dem Zusammenstoß hast du keine Regie ge führt. Wir sollten schnell handeln, um her auszubekommen, was wirklich geschehen ist.« Ihnen war nichts geschehen. Erst später würde sich das wahre Ausmaß der Schäden
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Hans Kneifel
zeigen. Wenn es noch eines Anstoßes be dürft hätte, den Bewohnern von Atlantis zu zeigen, wie nötig Zusammenhalt und Ge meinsamkeit waren, dann war dieser schreckliche Zwischenfall genau das geeig nete Mittel gewesen. Atlan war froh, daß die seltsamen Krö nungsfeierlichkeiten vorbei waren. Er ging in die Richtung zur Treppe und spähte hin unter. Aus der Dunkelheit schälten sich die Gestalten der beiden Magier. Sie kamen auf ihn zu.
2. Der Weltenmagier sagte mit ernstem Ge sicht: »Ein neues Unheil, Atlan. Aber Pthor scheint der Zerstörung entgangen zu sein. Wie können wir dir die Aufgabe erleich tern?« Inzwischen hatten sich die Dellos wieder gesammelt und durchstreiften den Park auf der Suche nach Verletzten. Diesmal trugen sie statt der Fackeln Scheinwerfer. Atlan schüttelte eine der sechs Hände Co pasalliors und entgegnete ratlos: »Indem du mir sagst, was in Wirklichkeit geschehen ist. Falls Pthor tatsächlich mit ei nem Hindernis zusammengestoßen ist und festsitzt, dann dauert der Flug in die Schwar ze Galaxis länger. Wir haben vielleicht einen Handlungsaufschub erreicht.« »Vielleicht«, murmelte Thalia niederge schlagen. »Ich beginne zu ahnen, daß der Ratschlag einer meiner Brüder von Nutzen sein könnte.« »Was sollten sie uns sagen? Ich glaube, daß es sich um Trümmer oder um Wolken von sehr dickem Staub handelt. Ich glaube ferner«, erklärte Razamon nach längerem Nachdenken, »daß die Dunkelheit und alles andere früher oder später den Untergang von Pthor bedeuten können.« »Du bist tatsächlich dieser Meinung?« fragte erschrocken der Stimmenmagier Ko ratzo. In den letzten Minuten waren keiner lei Stöße oder Erschütterungen mehr aufge-
treten. Aber jeder von ihnen war überzeugt, daß sich Pthor in dem Dimensionskorridor nicht mehr bewegte. »Ja. Ich meine es wirklich so.« Atlan wußte nicht, wie er reagieren sollte. Einerseits war er tatsächlich froh darüber, daß Pthor nicht mehr länger auf die Schwar ze Galaxis zuraste. Wie weit die Strecke war, wie lange der Flug dauern sollte, wußte niemand. Auch nicht, wie lange dieser Auf enthalt dauerte, falls er nicht tatsächlich die Zerstörung Pthors zur Folge hatte. Seit dem ersten Stoß waren keine fünf Minuten ver gangen. Atlan wandte sich an Razamon und fragte: »Ich will mich nicht von diesem Schick salsschlag blockieren lassen. Ist es möglich, durch den Schirm zu fliegen und nachzuse hen, was uns aufgehalten hat?« Thalia deutete auf die Schleuse und sagte hastig: »Der Steuermann hat sich einigermaßen erholt. Ich bin sicher, daß er ein Beiboot freigibt.« »In diesem Fall«, erklärte Razamon fast begeistert, »werde ich an der Expedition teilnehmen.« »Meinst du, Thalia, daß es uns gelingt, ei ne der kleinen Pyramiden starten zu kön nen?« fragte Atlan aufgeregt. »Ganz sicher. Wir müssen feststellen, wo wir sind, und was geschehen ist. Ich werde mit dem Steuermann verhandeln.« »Fabelhaft. Danke!« sagte Atlan. Thalia verließ die kleine Gruppe und eilte davon. Zu Razamon sagte Atlan: »Ich fliege mit dir.« Der Atlanter schüttelte den Kopf. »Kommt nicht in Frage. Du mußt hier blei ben und versuchen, die tausend kleinen Streitigkeiten zwischen den Städten und Gruppen zu beenden. Ich sehe nach, was dort draußen sich Pthor in den Weg gewor fen hat!« Razamon wirkte entschlossen und einsatz bereit wie immer. Die eine oder andere der achtzehn Meter hohen Beiboot-Pyramiden würde sich wohl starten lassen; sie waren
Korridor der Dimensionen dank Thalias Bemerkung sicher. Atlan fiel ihr Vorschlag ein, etwas von der Verantwor tung an einen Odinssohn zurückzugeben. Es mochte nicht die schlechteste Idee sein. Er wandte sich an seinen Freund. »Du also und … beispielsweise Baldu ur?« Razamon war augenblicklich damit ein verstanden. Er zuckte die Schultern. »Balduur ist ein großer Kämpfer. Und da zu noch unser heulender Freund Fenrir.« Atlan winkte einen Dello herbei und be fahl ihm: »Lasse dir einen Zugor geben und fliege, so schnell es geht, die Straße der Mächtigen in Richtung Wolterhaven. Lande bei Baldu ur und berichte ihm, daß wir beschlossen ha ben, den Wölbmantel zu durchfliegen und nachzusehen, warum Pthor in der Dunkel heit steckengeblieben ist. Ich wünsche es. Er soll mit Razamon zusammen starten. Er soll so schnell wie möglich hierher kommen. Verstanden?« »Jawohl, Herr!« stieß der Dello hervor und stob davon. »Ausgezeichnete Idee«, sagte Razamon zufrieden. »Wird ein gutes Gespann. Ich ge he zu Thalia und sehe nach, ob der Steuer mann richtig reagiert.« »Gut.« Mehr und mehr Lichter und Scheinwerfer schalteten sich ein. Die kristallenen Wege des großen Parks begannen wieder zu leuch ten und zu schimmern. Aus der Dunkelheit kamen die erschrockenen Gäste wieder her vor und bildeten kleine Gruppen, in denen das Ereignis aufgeregt diskutiert wurde. Je dermann war völlig ratlos, denn es gab keine Erklärung. Auch Atlan blieb gewissermaßen ratlos, aber dann entschied der Logiksektor: Ihr müßt nachsehen! Niemand kennt den Grund dieser Kollision. Du hast einfach kei ne andere Wahl, Atlan. Atlan und die beiden Magier verließen die riesige Raumschiff-Pyramide und unternah men einen Rundgang durch den Park. Sie wurden ununterbrochen angesprochen und versuchten, die aufgeregten Bewohner von
9 Pthor zu beruhigen. Schließlich sahen sie in einer der Beiboot-Pyramiden Licht und tra fen auf Razamon und Thalia, die den Ein gang verließen. »Wie steht es?« fragte Atlan. »Ich habe mit dem Steuermann Kontakt aufgenommen«, erklärte Thalia mit einem zufriedenen Lächeln. »Er hat zugesichert, ei nes der Beiboote zur Verfügung zu stellen. Wir erhalten Bescheid.« »Bis Balduur und Fenrir eintreffen, haben wir noch genügend Zeit«, stimmte Razamon zu und legte seinen Arm um Atlans Schul tern. »Kopf hoch. Sowohl Pthor als auch je der von uns haben ganz andere Abenteuer überstanden. Auch diese Gefahr ist zu besie gen.« Atlan wunderte sich selbst über sein Zö gern. Er entgegnete leise: »Du hast völlig recht. Trotzdem bleibt das Gefühl, mitten in der größten und tödlichsten Gefahr zu stecken.« Erneut stellte sich heraus, daß Razamon die Krönungsfeierlichkeiten hervorragend organisiert hatte. Eine Stunde nach dem er sten Erdstoß sorgten leise Musik und wohl schmeckende Getränke dafür, daß fast alle eingeladenen Delegationen sich wieder ein fanden. In einem anderen Teil des Parks, umge ben von Büschen mit duftenden Blüten und plätschernden Brunnen, waren lange Tische und Bänke aufgestellt worden. Überall wur de jetzt die Dunkelheit zurückgedrängt; mehr und mehr Lichter aller Arten wurden von den Dellos angebracht und eingeschal tet. Essen wurde aufgetischt. Langsam fing das Fest wieder an. Unermüdliche Helfer be seitigten Scherben und räumten die Folgen der Zerstörungen weg. Atlan blieb am Rand der Lichtung stehen und warf einen langen Blick auf das Treiben. »Allerdings habe ich mir den Antritt mei ner Herrschaft ganz anders vorgestellt«, sag te er und lachte kurz. »Widrige Umstände machen den Reiz ei nes interessanten Lebens aus«, meinte Ko ratzo.
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»Vielleicht solltest du einen Schluck Al kohol versuchen. Er entspannt«, schlug Raz amon vor, winkte einem Dello und reichte Atlan einen Becher. Er selbst nahm auch einen und prostete dem Arkoniden zu. »Du hast recht«, bekannte Atlan und trank. Thalia schmiegte sich an ihn, als wol le sie ihn niemals mehr loslassen. »Leider kann ich dir nicht sagen, was sich außerhalb des Wölbmantels befindet«, mein te der Weltenmagier. »Dazu reichen meine Fähigkeiten im Augenblick nicht aus. Ich bin ausgesprochen indisponiert.« »Verständlich«, sagte Atlan. »Während wir auf Balduur warten, werden wir uns un ter die Gäste mischen und versuchen, gute Beziehungen zu allen und zu jedem anzu knüpfen.« »Ein Vorhaben, das größte Unterstützung verdient«, schloß Koratzo. Atlan entspannte sich ein wenig, während die kleine Gruppe sich unter die Feiernden mischte. Die Probleme wurden zwar nicht gelöst, sondern nur für kurze Zeit verdrängt.
* Atlan fuhr aus tiefem Schlaf auf; etwa acht Stunden waren seit dem Beben vergan gen. Thalia beugte sich über ihn und flüster te eindringlich: »Du mußt aufwachen. Ich hätte dich gern schlafen lassen – aber der Dello hat sich ge meldet. Er steuert die FESTUNG an.« Atlan richtete sich auf. Er streifte die Er innerungen an eine Reihe wirrer Traumsze nen ab, rieb sich schlaftrunken die Augen und gähnte. »Wer steuert?« »Der Dello kommt mit Balduur und Fenr ir. Ich gehe zum Steuermann und bereite den Start vor.« Atlan holte tief Luft. Sein Verstand klärte sich. Dann nickte er und brummte: »Ich verstehe. Ich scheine zu tief in den Becher gestarrt zu haben. Ich bin gleich an Ort und Stelle, um deinen lieben Bruder ge bührend zu begrüßen.«
»Das solltest du tatsächlich tun«, pflichte te sie bei. »Jeder von ihnen ist auf dich eifer süchtig.« »Ich weiß. Sie können gern alle meine Probleme haben«, sagte er und schwang sich unter den Decken hervor. Kurze Zeit später war er angezogen und eilte hinunter zum Eingang. Gerade setzte der Zugor zur letzten Kurve an. Fenrir, der seinen schmalen Schä del über den Rand der Flugscheibe hob, be gann schauerlich zur Begrüßung zu heulen. Atlan erkannte den auffälligen Helm schmuck des Odinssohns und winkte mit beiden Armen. Der Zugor landete neben der Rampe, Atlan eilte darauf zu und rief: »Ich grüße dich, Balduur!« Fenrir warf ihn beinahe um, als er auf sei ne Weise den ehemaligen Kampfgefährten begrüßte. Im Licht einiger Tiefstrahler leuchteten die gelben, gekrümmten Hörner der Helmzier Balduurs auf. Mit tiefer Stim me sagte er knapp: »Du hast mich rufen lassen, König von Atlantis?« Ein milder Spott war nicht zu überhören. Atlan wartete, bis Balduur aus dem Zugor geklettert war und seinen Schild zu Boden gestellt hatte. Dann tauschten die Männer einen kurzen Händedruck aus. »Ich habe dich hierher bitten lassen«, sag te Atlan, »weil ich mir vorstellte, daß dein Leben ein wenig eintönig verläuft. Du hast die Erschütterungen gespürt und gesehen, wie Dunkelheit über Pthor fiel.« »Natürlich. Der Dello sagte mir, daß Raz amon nachsehen will, was draußen vor dem Wölbschild vor sich geht.« »So ist es. Wirst du uns helfen?« »Indem ich euch helfe, helfe ich Pthor«, versicherte Balduur ein wenig pathetisch. »Wer kämpft noch an unserer Seite?« »Nur ihr drei. Razamon, du und Fenrir«, sagte Atlan. Balduur schlang seinen hellroten Umhang um die Schultern und schlug auf den Schwertgriff. »Du hast recht daran getan, mich rufen zu lassen. Habe ich die Reste eines Festes gese
Korridor der Dimensionen hen, als der Zugor über den Park flog?« Atlan nickte und lachte. »Es war kein heiteres Fest. Aber es ging wohl einigermaßen gut vorbei. Es ist schwer, sie alle zu überzeugen, daß nach dem Sturz der FESTUNGs-Herren sich die Zeiten ändern. Sie glauben mir nicht, daß ich Pthor richtig verwalte oder beherrsche.« Mit diesem Geständnis schien er Balduur einigermaßen versöhnt zu haben. Razamon kam aus der nächststehenden kleinen Pyra mide, winkte heftig und rief: »Hierher, Freunde! Mit diesem Beiboot werden wir starten.« Als sich Atlan umsah, bemerkte er, daß es tatsächlich noch Feiernde, Lärmende und Betrunkene gab. Dellos bewegten sich hin und her und versuchten aufzuräumen. Fenrir wiederholte seine Begrüßung bei Razamon, der ihn schließlich zur Seite schob und auf die Schleuse deutete. »Wir können sofort starten«, sagte er halblaut. »Ich grüße dich, Sohn Odins!« Balduur schien tatsächlich seinen Groll vergessen zu haben. Oder vielleicht überwo gen nur die Freude an diesem Einsatz oder seine Kampfeslüsternheit. Jedenfalls ließ er keinerlei Zeichen von Ärger erkennen. Er begrüßte Razamon wie einen Freund. »Wißt ihr mehr als ich?« fragte er dröh nend. Seine Stimme war noch tiefer, als sie Atlan in Erinnerung hatte. »Nicht viel mehr. Razamon hat einige Theorien, die mir richtig erscheinen«, ant wortete Atlan. Während sich Fenrir ein großes Stück Fleisch von einem Tisch schnappte und gierig herunterschlang, gin gen sie auf die bezeichnete kleine Pyramide zu. Sie stand, wie die fünf anderen auch, rund zweihundert Meter von dem Zentrums gebäude entfernt und bildete einen gedach ten Endpunkt eines Sechsecks. Zwischen dem Beiboot und der großen Pyramide be fanden sich andere, kleinere Gebäude. Razamon sagte befriedigt: »Ich sehe, daß der Steuermann uns tat sächlich wohlgesinnt ist. Um deine Frage zu beantworten, Balduur: Wir meinen, daß
11 Pthor auf viele kleine Hindernisse gestoßen ist, dadurch bis zum Stillstand abgebremst wurde und sich jetzt vermutlich in einer rie sigen Staubwolke befindet und dort fest steckt.« »Das ist gut möglich, nach allem, was ich weiß.« Das Beiboot hatte sich vom Boden gelöst und schwebte einige Handbreit darüber. Da seit unendlich langer Zeit der Park auch an den Kanten der Pyramide hochgewachsen war, sah man abgerissene Wurzeln, aufgeris senes Erdreich und die Reste des Bewuchses an den Beibootflanken. Hervorragende Technik! Nach so langer Zeit! sagte der Logiksektor in Atlans Erstau nen hinein. Jetzt standen sie vor der offenen Schleuse. Der Steuermann, oder besser das Frag ment dieses rätselhaften, pflanzenartigen Wesens, war wirklich wieder leistungsfähig. Vor den Augen der drei Männer öffnete und schloß er das Schott, das sich jahrzehntelang nicht bewegt hatte. Knirschende und schar rende Geräusche hallten durch den Park. Sie wurden leiser, je öfter sich die Anlage be wegte. »Es sind Nahrungsmittel, Waffen und Raumanzüge an Bord. Ich habe mich verge wissert beziehungsweise entsprechende Ant worten bekommen«, warf Razamon ein. »Was hält uns noch zurück?« erkundigte sich Balduur. »Und du, König? Drängt es dich nicht, mitzufliegen?« »Eigentlich schon. Aber ich habe hier schwerere Aufgaben. Noch etwas – Balduur und Razamon! Kommt bitte sofort zurück, wenn ihr wißt, was dort draußen vorgeht.« »Versprochen. Wenn es eine größere Ge fahr ist, sind wir ohnehin ohnmächtig, etwas zu tun«, erklärte Razamon zutreffend. »Wir sind vermutlich früher zurück, als wir alle denken.« Fenrir zögerte eine Sekunde lang, dann setzte er mit einem weiten Sprung hinter Balduur her. Razamon schwang sich in die Schleuse des Beiboots. Einige Gordys aus Donkmoon, die schweigend herüberstarrten,
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leere Becher in den Händen, wichen er schrocken unter die tiefhängenden Zweige der Baumriesen zurück. »Viel Glück!« rief Atlan. »Wir werden es brauchen«, gab Razamon zurück. Die äußere Schleusentür rollte fast geräuschlos vor Atlan zu. Langsam trat er zurück und lehnte sich gegen eine steinerne Brunneneinfassung. Die kleine Pyramide startete lautlos. Atlan vermeinte, ein hochfrequentes Summen zu hören, jenseits der normalen Hörgrenze. Aber das Geräusch hörte sofort auf, als er sich darauf konzentrierte. Das Beiboot glitt aus dem Bereich der Scheinwerfer hinaus. Es schwebte fast abso lut senkrecht zum verdunkelten Himmel hin auf, durchstieß ohne die geringsten Leucht erscheinungen den Wölbmantel und verließ das Einflußgebiet von Pthor-Atlantis. Atlan starrte dem kleinen Raumschiff schweigend nach und ging dann zurück zur großen Pyra mide, um nach Thalia zu suchen.
3. Razamon hatte nicht erst in den wenigen Stunden zwischen der ersten Erschütterung und der Ankunft Balduurs versucht, das In nere des Beiboots zu enträtseln. Seit sich der Steuermann zu erholen begann, sah er im mer wieder in die einst versiegelten Räume hinein und trachtete danach, die technischen Einrichtungen zu verstehen. Aber es war keinerlei Energie vorhanden; nichts funktio nierte. Jetzt aber war er überrascht. Sie befanden sich im Steuerraum. Vor ihnen hatten sich große Bildschirme eingeschaltet, die den Eindruck hervorriefen, man könne durch sie wie durch Fenster hinausblicken. »Eine erstaunliche Maschine«, brummte Balduur und nahm seinen wuchtigen Helm ab. Aufmerksam blickte Fenrir, der zwi schen ihnen lag, von einem Bildschirm zum anderen und starrte die bunten Anzeigen und Uhren an. »Können wir sie steuern wie einen Zugor?«
»Das weiß ich noch nicht«, erklärte Raza mon. »Aber die Einrichtungen dafür sind vorhanden.« Türen, Einbauschränke aus Metall, Schot te und Luken hatten sich geöffnet und er staunliche Dinge zum Vorschein kommen lassen. Ein kühler Luftstrom strich durch die Räume. Noch war auf den Schirmen nichts anderes als vollkommene Dunkelheit zu se hen. Razamon bewegte den Sessel und brachte ihn in eine bequeme Stellung. Dann sagte er: »Deine Schwester hat sich liebevoll um den Steuermann gekümmert. Du weißt, daß er in den kleinen Booten und im Raumschiff wächst. Aber er ist noch lange nicht in der Lage, ganz Pthor richtig zu steuern. Es ist auch nur ein Teil von ihm in diesem Bei boot. Für den Steuermann ist es eine Frage der Leistungsfähigkeit.« »Ich glaube, ich verstehe, was du meinst«, sagte Balduur und versuchte, sich in der fremden Technik zurechtzufinden. Sein Schwert hing über die Armlehne des Sessels herab, der wuchtige Schild an einem Hand griff unterhalb der Armaturen. Razamon merkte, daß sich leise summend eine Tür aufschob. Er stand auf und ging ein Stück in den breiten Korridor hinein. Ein Wandschrank hatte sich geöffnet. Mehrere Schutzanzüge hingen dort in wuchtigen Klammern und auf dicken Haltern. Vorsich tig holte er einen davon heraus und hob ihn hoch. »He! Sogar Raumanzüge hatten die Her ren der FESTUNG einst dabei!« rief er. »Hier, Balduur!« »Was? Raumanzüge?« Der Anzug, den Razamon mit ausgebrei teten Armen hochhielt, war dunkelbraun und elastisch. Zwischen dem Halsring und der Bauchgegend verlief ein breiter Streifen mit magnetischen oder selbsthaftenden Säumen. Der Helm war durchsichtig und lag wie eine dicke Krause um den Hals, er war im Nacken dick zusammengerollt. In der Mitte des Rückenteils befand sich eine halbkugel förmige Erhebung, die vermutlich die auto
Korridor der Dimensionen matisch funktionierenden Versorgungsag gregate enthielt. Soweit Razamon erkennen konnte, verfügten die Anzüge weder über schützende Schirmfeldanlagen, noch waren sie flugfähig. Es handelte sich um einfache, aber robuste Raumanzüge. Balduur lachte gutmütig, als Razamon mit der weichen Folie in die Steuerkabine zu rückkam. »Hast du für Fenrir auch einen solchen Anzug?« fragte er und packte das Tier ka meradschaftlich am Hals. »Nein. Er muß an Bord bleiben, falls wir nicht gerade eine Sauerstoffwelt erreichen. Aber eine Landung ist ja nicht unser Ziel.« »Es ist noch immer pechschwarz«, mur melte Balduur und untersuchte flüchtig den Raumanzug. Er hatte weder einen Gürtel noch andere Ausrüstungsgegenstände, schon gar nicht eine integrierte Bewaffnung. »Ich ziehe das Ding am besten teilweise über meine Rüstung«, meinte er und warf den Schutzanzug über die Rückenlehne. »Wir werden nicht lange zu warten ha ben«, sagte Razamon und setzte sich wieder. Das Innere des Beiboots war sauber und schien hervorragend zu funktionieren. Raza mon hatte keinen Grund zu der Annahme, daß sie außerhalb des Wölbmantels schei tern würden. Trotzdem versuchte er weiter hin, das Beiboot unter Kontrolle zu bringen. »Sind wir noch innerhalb des Wölbman tels?« fragte Balduur. Er wirkte nervös und unsicher; er fürchtete sich wohl vor dem Au genblick, an dem das Beiboot sich im freien Weltraum befand. Im gleichen Augenblick tauchten Bilder auf den Schirmen auf. Razamon zuckte zu sammen. Er flüsterte: »Die Korsallophur-Katastrophe!« »Welche Katastrophe?« murmelte Baldu ur und versuchte, Einzelheiten zu erkennen. Im Weltraum vor ihnen herrschte ein diffu ses Licht. Es war unregelmäßig verteilt. An dieser Stelle war es hellgrau, dort, hinter ei nem gigantischen Felsbrocken schaute mil chigweißes Strahlen hervor. Beide Männer wußten nicht, wohin sie zuerst sehen sollten.
13 Das Beiboot verringerte seine Geschwindig keit und glitt geräuschlos auf einen konden sierenden, spiralig geformten Dunkelnebel zu. »Es sind sehr viele Felsen und Gestein strümmer!« stieß Balduur hervor. »Ich habe es so nicht erwartet«, antworte te Razamon. Hunderte von Planeten mußten durch den Dimensionskorridor geflogen, miteinander kollidiert und zerbrochen sein. Dies war vor langer Zeit geschehen. »Du hast es anders erwartet? Was hast du von der Katastrophe gesagt?« »Eine alte Legende«, murmelte Razamon und stellte fest, daß das Fragment des Steu ermannes das Beiboot behutsam durch die langsam driftenden Trümmer und entlang der dünneren Gaskonzentrationen steuerte. »Ich erinnere mich jetzt wieder daran. Die anderen Berserker sprachen darüber. Sie nannten die zerbrechenden Planeten und Monde des Schwarmes den Stau oder die Korsallophur-Katastrophe.« »Das hier war einmal ein Schwarm von Planeten und Monden?« fragte Balduur un gläubig. »Sie sagen es. Übrigens … ich möchte dieses stolze Raumschiff, wenn du nichts dagegen hast, gern BERSERKER taufen.« »Als Erinnerung an dein altes Volk?« »Richtig. Als Erinnerung. Vielleicht ha ben wir etwas Erfolg, wenn der Steuermann endlich das Boot aus seinem Griff entläßt.« »Er macht es aber sehr gut.« Sie schwiegen und blickten auf die Bild schirme, die im Halbrund an den Wänden der Kabine eingebaut waren. Rund um das Boot und vor ihm breitete sich ein erstaunli ches Panorama aus. Hunderte von verschie denen Lichtinseln ließen riesige Wolken aus lichtschluckendem Staub erkennen. Gestein strümmer in allen Größen und Formen trie ben im Raum. Es waren weder Grenzen noch ein Ende abzusehen. So weit die In strumente reichten, drifteten die Überreste einer gigantischen kosmischen Katastrophe durch das rätselhafte Zwielicht. Es war kei ne einzige direkte Lichtquelle zu erkennen.
14 »Niemand kann sich vorstellen«, flüsterte Razamon gebannt, »welche Ausmaße die Katastrophe gehabt hat. Ich bin sicher, daß es der Korsallophur-Stau ist. Hier sitzt Pthor fest.« »Du hast mir noch immer keine zufrie denstellende Antwort gegeben«, erinnerte ihn der Sohn Odins. »Den Sagen zufolge«, murmelte Razamon und blickte von einem Schirm zum anderen, »die mein altes Volk kennt, durchziehen rie sige Schwärme das Universum. Sie bestehen aus Sonnen, Planeten und Monden. Sie sol len den verschiedenen Teilen des Weltraums die Intelligenz bringen. Ein solcher Schwarm muß in den Korridor geraten sein – das Ergebnis sehen wir.« Wieder schwiegen sie. Zwischen ihnen lag Fenrir und knurrte von Zeit zu Zeit, wenn sich das Boot wieder einem Brocken näherte oder scharfzackige Trümmer auf die BERSERKER zusegelten. Es waren fesselnde Bilder, voll von schweigender Gefahr. Schließlich brach Balduur das Schweigen und sagte dumpf: »Du hast recht, Razamon. Pthor steckt im Korsallophur-Stau fest. Und der Staub frißt das Licht.« »Was ändert der Umstand, daß ich recht habe, an der Tatsache?« »Nichts. Aber Atlan sagt stets, daß mehr Informationen mehr Handlungsfreiheit erge ben.« »Womit er recht hat. Aber noch immer steuert uns der Steuermann. Es ist besser, denke ich, wenn wir die Raumanzüge anle gen.« »In Ordnung.« Razamon versuchte, die Konsequenzen zu erkennen, die sich für Pthor ergaben. Auch in diesem Fall hatte Atlan recht: Pthor lag still innerhalb des Dimensionskorridors, und es würde schwer, wenn nicht unmöglich sein, durch diese Unmenge von kosmischen Trümmern zu steuern. Also gab es eine Art Gnadenfrist vor dem Erreichen der Schwar zen Galaxis. Trotzdem wußten sie noch im mer nicht, wie sie sich würden befreien kön-
Hans Kneifel nen. Er löste den Haltegurt und stand auf. Zusammen mit Balduur legte er den Raum anzug an und half dann dem Sohn Odins, den Anzug anzulegen. Odin zog Teile der Rüstung aus und befestigte sie dann wieder über dem eng anliegenden Gewebe des brau nen Anzugs. »Nun können wir kaum mehr überrascht werden«, sagte der Atlanter. »Jedenfalls werden wir überleben«, ant wortete Balduur und schnallte den Gürtel mit dem Schwert über den Anzug. Die Abstände zwischen den kleinen und großen Trümmern waren schätzungsweise zwischen fünfhundert Metern und dreißig Kilometern groß. Die größten Brocken be wegten sich auf einigermaßen stabilen Bah nen, aber je kleiner die Trümmer wurden, desto unkontrollierbarer wurden die Bahnen. Die kleinsten Bruchstücke schienen dem Beiboot nichts auszumachen; offensichtlich existierte so etwas wie ein unsichtbarer Schutzschirm. Aber jedem größeren Stück wich die BERSERKER aus, während sie sich unaufhaltsam tiefer und tiefer in den Kern der Trümmeransammlung schob. Die Pyramide flog mit der Spitze vor wärts. Der Steuermann nahm den Pthorern das Überlegen und Handeln völlig ab. Sie sahen keine Möglichkeit, selbst die Herrschaft über das Beiboot zu bekommen. Minute um Minute verging, und nach ungefähr einer Stunde befanden sie sich zwar weitaus tiefer in diesem chaotischen Gewimmel – aber grundsätzlich hatte sich nichts geändert. »Was tun wir?« knurrte der Odinssohn und blickte Razamon fragend an. »Das weiß ich ebenso wenig wie du«, lau tete die Antwort. »Aber … dort vorn, vor der leuchtenden Wolke. Was ist das?« Balduur rief wütend: »Woher soll ich das wissen? Es sieht aus wie ein riesiger Zugor!« Razamon war im Lauf der letzten Stunde nicht untätig geblieben. Er hatte jeden Hebel und jeden Schalter einer genauen Überprü fung unterzogen. Viele ließen sich nicht be
Korridor der Dimensionen wegen, andere bewegten sich und riefen kei nerlei erkennbare Veränderungen hervor, und die dritte Kategorie war wohl vom Steu ermann freigegeben worden. Jene Schalter betätigten Schotte und Türen, schalteten die Schirme ein und aus und ließen Vergröße rungen zu, veränderten die Temperatur in nerhalb der Kanzel. Also unwichtige Syste me der untersten Kategorie. Jetzt zog Raza mon einen Regler und erzeugte eine Vergrö ßerung auf demjenigen Bildschirm, der den angeblichen Zugor gezeigt hatte. »Eine Art Raumschiff oder Beiboot, Bal duur!« rief Razamon in heller Aufregung. »In diesem chaotischen Durcheinander von Planetentrümmern scheint es tatsächlich Le ben zu geben!« »Warum nicht? Es gibt auch Leben auf Pthor.« Razamon war sich seiner Gefühle gegen über Balduur – oder der anderen zwei Brü der – keineswegs sicher. Einerseits waren sie gewaltige Kämpfer, die mitgeholfen hat ten, die Vernichtung der verhaßten FESTUNGs-Herren herbeizuführen. Ihr »Ragnarök« war die große Wende auf Pthor gewesen. Andererseits waren sie unfähig ge wesen, Pthor zu regieren und hatten einen Großteil ihrer Energie in psychologisch in teressanten, aber nutzlosen Aktionen gegen Thalia verschwendet. Gegenüber ihm und Atlan verhielt sich zumindest Balduur indif ferent, aber keineswegs ablehnend. Es waren wohl, recht pauschal ausgedrückt, starke Männer mit einem Verstand, der für ihr nor males Leben ausreichte, aber unfähig war, größere Zusammenhänge zu überblicken. Aber jeder, der einen Kämpfer, Saufkum pan, einen Freund mit einer pathetischen Auffassung von Mannesmut und der schlim men Kunst des Kampfes suchte, war mit Balduur oder seinen Brüdern bestens be dient. Also war auch er, Razamon, in guten Händen. Inzwischen war das Bild auf dem Schirm deutlicher geworden. Die herankom mende Scheibe schwebte aus dünnem Staub heraus und kam in den Bereich eines vagen, indirekten Lichts.
15 »Es ist eine Scheibe, auf der offensicht lich die Korsallophur-Raumfahrer kauern. Eine merkwürdige Methode der Raum fahrt«, bemerkte Razamon schließlich. »Ich hätte gute Lust, hinauszugehen und sie zum Kampf zu fordern!« rief Balduur und fuhr mit der Hand an den Schwertgriff. »Das wäre eine ausgesprochen dümmli che Idee«, sagte Razamon hart. »Außerdem kann ich nicht nur einen flachen Zugor, son dern etwa ein Dutzend davon erkennen.« »Du hast abermals recht!« Die scheibenförmigen Flugobjekte waren eindeutig von unterschiedlichem Durchmes ser. Sie schienen aus irgendeinem dunklen Metall oder einer Verbindung mehrerer Ma terialien derselben Farbe zu bestehen. Sie waren völlig flach. Es gab weder blitzende Antennen noch aufleuchtende Scheinwerfer oder glühende Positionslichter. Auf der Oberseite der Scheiben kauerten dick ver mummte Wesen. Man erkannte keine Ein zelheiten. Razamon, mit den Gesetzen der Schwerelosigkeit gut vertraut, stutzte. Er und Balduur saßen so, daß die Bewe gung des Beiboots auf einer unsichtbaren Ebene verlief. Oben und unten, relative Be griffe im schwerelosen Raum, entsprachen der Sitzposition. Seltsamerweise kauerten die Fremden aus dem Stau der Korsallophur-Katastrophe ebenfalls auf der Seite oder derjenigen Ebe ne, die Razamon und Balduur als »oben« de finieren mußten. Ein Zufall? Oder mehr? Jedenfalls näherten sich die zwölf Schei ben der BERSERKER. »Das Beiboot ist«, murmelte Razamon, »über alle Schaltinstrumente und Kontroll geräte nach wie vor mit dem Steuermann fragment verbunden!« »Vorteil oder Nachteil?« wollte der Odinssohn wissen. »Vermutlich beides!« brummte Razamon und erkannte, daß sich die Situation zu än dern begann. Er sah ganz genau hin und glaubte zu wis sen, was dort draußen vor sich ging. Die zwölf Scheiben pflügten durch Staub
16 und Felstrümmer wie Eisbrecher. Sie schie nen einen sehr wirksamen Schirm zu besit zen. Sie waren schneller und wendiger als die BERSERKER. Sie hatten ein Prallfeld vor sich oder um sich herum, das ihnen ge stattete, außerordentlich kühn zu manövrie ren. Ganz ohne Zweifel war die weiße Pyra mide ihr Ziel. Balduur streckte den Arm aus und deutete auf das gefährliche Bild. »Sie sind schneller als wir. Und sie sind hier zu Hause. Ich werde mit ihnen kämpfen und sie in die Flucht jagen!« »Den Teufel wirst du tun. Natürlich sind sie hier zu Hause. Aber wir sind harmlos. Sie werden uns letzten Endes helfen können, Pthor aus dem Stau herauszumanövrieren. Warte ab, Balduur, was sie tun.« Gebannt sahen sie zu, wie die Scheiben näherkamen. Auf der größten Scheibe kauerten unge fähr fünfzehn Wesen. Sie waren in schwarze Raumanzüge gehüllt, die den Eindruck machten, als wären sie viel zu groß und dienten als Schutz gegen die Kälte. Zwar ging von diesen Scheiben und ihren Besat zungen eine undeutliche Bedrohung aus, aber beide Pthorer definierten sie nicht als unmittelbare Gefahr. Bevor er die Pyramide erreichte, teilte sich der Pulk in fünf Zweige und leitete ein schnelles Umkreisungsmanö ver ein. »Früher oder später werden wir erfahren, wer sie sind«, sagte Razamon und konnte seinen Blick nicht von dem bizarren Bild lö sen. »Früher oder später werden wir von ihnen gefangengenommen werden, wenn ich sie nicht mit dem blanken Schwert in die Flucht treibe!« erklärte Balduur aufgebracht. Die Scheiben wichen aus und drehten ab. Sie vermieden einen Zusammenstoß mit der BERSERKER und verteilten sich. Es war völlig unklar, was die Raumfahrer dieses Teils des Kosmos vorhatten. Jedenfalls konnten sich weder Razamon noch Balduur mit ihnen verständigen oder herausfinden, was sie wirklich wollten.
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4. Sinclair Marout Kennon hatte die Schrecken der Kollisionen überwunden. Na türlich half ihm der Besitz des neuen Kör pers dabei; oder vielmehr das Bewußtsein der neuen Stärke. Diese Stärke beschränkte sich nicht allein auf die physischen Aus drucksmittel. Sie erfüllte auch das gesamte Denken und Fühlen Kennons. Er sah wieder hinauf zum Himmel über Pthor. Seit er die FESTUNG in seinem GrizzardKörper verlassen hatte, lebte er hier im Nor den in einer Felshöhle. Es war ein hervorra gender Platz, um allein zu sein und wichti gen Gedanken nachzuhängen. Die Höhle hatte Kennon durch Zufall gefunden. Eine frische Quelle war in der Nähe, ein Wald mit Bäumen voller Früchte und Beeren. Kennon überblickte aus dem Höhleneingang ein ziemlich großes, abwechslungsreiches Gelände. Jetzt stellte er fest, daß sich der Himmel wieder zu verändern begann. Die Schwärze löste sich auf. Von Osten kroch eine vage Helligkeit heran. Schleier und breite Schlieren wanderten langsam über den Himmel und glitten ineinander über. Schließlich war der gesamte Himmel von einer Färbung. Ein Halbdunkel breitete sich aus, eine schattenlose Dämmerung, ein seltsames Licht zwischen Tag und Nacht. Diese Beleuchtung schuf eine melancholi sche, düstere Stimmung, die auch auf Ken non übergriff. »Soll ich zu Atlan zurückgehen und ihm erklären, wer ich in Wirklichkeit bin, und was alles geschehen ist, seit wir uns zuletzt gesehen haben?« fragte er laut. Er lehnte mit dem Rücken gegen ein aus gewaschenes Stück Fels. Jetzt stand Kenn ons neuer Körper auf und reckte seine Mus keln. Zufällig blickte er über die beiden ver krüppelten Bäume und den grotesk schiefen Felsen nach Osten. »Nein! Das ist neu!« stieß er hervor. Ein winziger schwarzer Punkt erschien
Korridor der Dimensionen hoch am Himmel. Er war durch den Wölb mantel gekommen, was Kennon außeror dentlich verblüffte. Angeblich dürfte nichts, das von außerhalb Pthors kam und nicht zu Pthor gehörte, diesen Schutzschirm durch stoßen. Aber Kennon war sicher, richtig ge sehen zu haben. Der Punkt kam näher und wurde größer. Er würde, wenn er seine Flug bahn beibehielt, südlich von Kennons Höhle vorbeifliegen. »Eine Scheibe!« brummte Kennon, nahm den ausgehöhlten Kürbis, der ihm als Was sereimer diente, und ging langsam zur Quel le. Sein Weg führte ihn über ein breites Fels band, über eine Sandfläche und ein Stück verwildertes Grasland mit Beerenranken und Büschen, deren Blüten intensiv rochen. Wieder blieb Kennon-Grizzard stehen und schaute nach oben. Es war tatsächlich eine Scheibe. Sie nä herte sich in derselben Art Flug wie eine dis kusförmige terranische Space-Jet. Kennon bewegte sich nicht und wartete. Das seltsa me Flugobjekt schien ihn gesehen zu haben oder steuerte zumindest genau auf seine Höhle zu. Er schätzte den Durchmesser der flachen Scheibe auf etwa zwanzig Meter. Als sich das Fluggerät lautlos nach unten senkte, kippte es ein wenig nach vorn. Die Scheibe war verhältnismäßig dünn. Genau in der Mitte kauerte ein unförmiger schwarzer Klumpen. Der Gegenstand, wo möglich ein Besatzungsmitglied, wirkte wie ein Bündel Lumpen oder eine teigige Masse, in der sich Löcher und Vorsprünge gebildet hatten. Kennon konnte mit Grizzards schar fen Augen keinerlei Bewegung wahrneh men, obwohl die Scheibe eindeutig ihn an steuerte. Trotzdem blieb er stehen. Er machte keine einzige Bewegung, die als Angriff oder als Geste der Verteidigung gewertet werden konnte. Die Scheibe wurde langsamer, neig te sich noch mehr, und dann begann sie zu leuchten. Die Unterseite war in kaltes, zuckendes Feuer von verschiedenen phosphoreszierenden Farben getaucht. Das Feuer begann in
17 tensiver zu strahlen und näherte sich zun genförmig dem Boden. Als sich die Scheibe direkt über Kennon befand, keine fünfzehn Meter über Grund, hielt sie an. Noch immer hörte er kein einziges Ge räusch. Das kalte, flackernde Licht hüllte Kennon vollständig ein. Er empfand, außer einer leichten Unruhe, absolut nichts dabei. Nicht einmal Wärmestrahlung oder einen fremden Geruch. Einige Sekunden vergingen. Kennon hatte das deutliche Gefühl, daß er untersucht oder beobachtet würde. Der seltsame Insasse der fliegenden Scheibe schien ihn genau zu mu stern; vielleicht las er irgendwelche Meß werte von Instrumenten ab, von denen das Licht ausging. Als der Stumme diesen Ge danken beendete und sich bewegen wollte, stieg die Scheibe senkrecht in die Höhe. Das Licht flammte noch einmal kurz auf und er losch dann. Das Objekt ruckte an, wurde innerhalb ei ner kurzen Zeitspanne beschleunigt und ra ste in geringer Höhe über das Land unter der Dämmerung davon. Es flog in nordwestli cher Richtung davon, näherte sich also der Senke der verlorenen Seelen. Fassungslos, aber nicht erschrocken oder verängstigt blickte Kennon dem seltsamen Fremden nach, bis der Punkt zu klein wurde und mit dem dunklen Horizont verschmolz. »Keine Frage«, murmelte Kennon-Griz zard. »Jemand von außerhalb des Wölbman tels hat mich sehr genau beobachtet. Ich denke, ich werde diese Geschichte Atlan be richten müssen.« Wie fast immer, bereitete er sich sorgfäl tig vor. Er sammelte genügend Früchte und Bee ren, aß und trank sich satt, holte seinen höl zernen Speer und füllte den Kürbis mit fri schem Quellwasser. Dann machte er sich auf den Weg zurück zur FESTUNG. Auf dem einsamen Weg hierher war er kaum einmal in ernsthafte Gefahr geraten. Sicher erreichte er die FESTUNG, ohne an gegriffen oder überfallen zu werden.
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Das seltsame Gefühl, etwas Fremdem, aber nicht unbedingt Gefährlichem begegnet zu sein, blieb, bis er die Spitze der großen Pyramide sah.
* Ein Dello, den er am Eingang des riesigen FESTUNGs-Parks aufhielt, führte ihn zu At lan und Thalia. Der Park trug zwar nicht mehr die Spuren der Kämpfe, aber unverkennbar waren die Überbleibsel des Festes. Die Gäste schienen weitestgehend gegangen zu sein. Der Stum me in Grizzards Körper sah Roboter und Dellos, die schweigend und schnell auf räumten. Eine Unzahl direkter und indirekter Beleuchtungskörper verwandelte den Park in eine Zone trügerischer Helligkeit. Der Dello blieb stehen und deutete auf den Eingang der großen Zentralpyramide. »Dort findest du Atlan, Stummer!« »Danke.« Atlan stand mit Thalia auf einer der unter sten Stufen. Sie redeten leise miteinander. Sie bemerkten den Stummen nicht, der lang sam auf sie zuging und schließlich hinter ih nen stehenblieb. Endlich sah Thalia hoch und schenkte ihm ein flüchtiges Lächeln. »Du bist zurückgekommen, Stummer?« fragte sie neugierig. »Ich bin gekommen, weil ich euch eine interessante Geschichte zu erzählen habe«, sagte Kennon-Grizzard. Noch immer war er versucht, sich Atlan zu offenbaren. Aber er unterdrückte diesen Impuls aus Gründen, die er selbst nicht begriff. »Geschichte? Oder ein Erlebnis.« »Ein seltsames Vorkommnis. Eine Schei be von zwanzig Metern Durchmesser kam durch den Wölbmantel und …« Er berichtete sein Abenteuer und schaute aufmerksam in die Gesichter der hübschen jungen Frau und des Arkoniden. Es war nicht so, daß sie ihm nicht glaubten oder sei ne Geschichte für reine Phantasie hielten. Aber sie blieben skeptisch. Er beteuerte, daß alles die reine Wahrheit sei, keine überhitzte
Schilderung eines Alptraums. Sie schwiegen höflich und hörten ihm zu. Schließlich sagte der Arkonide nachdenklich: »Selbst wenn alles stimmt, wüßte ich nicht, was ich dagegen unternehmen sollte. Wir warten auf Razamon und Balduur, die nachsehen werden, warum und womit wir kollidiert sind, und was diese Änderungen im Tageslicht herbeigeführt hat. Willst du in der FESTUNG bleiben, Stummer?« Grizzards Körper hob beide Schultern. Kennon ließ ihn antworten: »Ich weiß es noch nicht. Vielleicht werde ich wieder Stille und Einsamkeit aufsuchen, um meine schweren Gedanken zu klären.« »Beide Wege stehen dir offen, Stummer«, schloß der Arkonide zurückhaltend und nahm Thalia an der Hand. Es war deutlich, daß er das Gespräch als beendet ansah.
5. Balduur und Razamon konnten nur auf den Bildschirmen verfolgen, was außerhalb des Beiboots geschah. Aber von Sekunde zu Sekunde steigerte sich ihre Unruhe. Die fünf Gruppen der Scheiben verteilten sich aber mals. Sie flogen schnelle, exakte Manöver. Die einzelnen Scheiben und ihre unkenntli chen Mannschaften wirkten wie Teile eines übergeordneten Organismus. Sie kreisten die BERSERKER binnen kurzer Zeit ein und blieben von den vier Flanken und der Basis bestenfalls zehn Meter entfernt. Nicht ein einzigesmal berührte eine Scheibe die Pyra mide. »Ich bin sicher, daß sie uns eskortieren. Sie wissen, woher wir kommen und wer wir sind«, grollte Balduur. »Sie empfangen uns mit allen Ehren!« Razamon stieß ein sarkastisches Lachen aus. »Sie schleppen uns ohne alle Ehren ab, um genau zu sein, Freund Balduur. Wenn du einen Blick auf das Armaturenbrett wirfst …« Der Steuermann-Teil in der Pyramide hat
Korridor der Dimensionen te die Steuerung des Schiffes abgegeben. Deutlich zeigten dies einige aufleuchtende Schriftbänder in technischem Pthora. Aber noch funktionierte der Antrieb. »Bist du sicher?« schrie Balduur. Fenrir stimmte ein schauerliches Geheul an, sein Nackenhaar sträubte sich drohend. »So gut wie sicher. Aber dort, wohin sie uns bringen, werden wir Informationen ein holen können.« Abermals wurden die zwei Atlanter Zeu gen einer verwirrenden Aktion. Die Schei ben dirigierten die BERSERKER schnell und in eleganten Flugbahnen durch die Fel strümmer und die Staubwolken. Jede Raum scheibe und das Beiboot bewegten sich da bei völlig synchron. Dichte und weniger dichte Zonen von Staubansammlungen wur den schnell durchflogen. Kleinere Brocken störten die Flugbahn auch jetzt nicht, und die Ausweichmanöver gegenüber größeren Trümmern waren gekonnt und präzise. Falls es sich um lebende Piloten handelte, dachte Razamon, wäre er nicht überrascht, wenn es alle Telepathen waren – jeder schien zu ah nen, was der andere gerade vorhatte. Es lag eine kalte Perfektion in diesen Manövern. Waren es Roboter, die da auf den Scheiben kauerten? Im Hintergrund tauchte, vage von deutlich hellerem Licht angestrahlt, ein Planet oder der Überrest eines Planeten auf. Es war eine Felsmasse, die einige hundert Kilometer groß war und unregelmäßig oval geformt war. Razamon deutete auf den zentralen Schirm. »Dieser Riese scheint das Ziel unseres Empfangskomitees zu sein.« »Ein Planet, so groß wie Pthor?« »Eher größer, weil er eine größere Ober fläche hat. Warten wir ab.« »Wir haben keine andere Wahl. Aber wenn ich erst einmal draußen bin, werde ich es ihnen zeigen!« »Vermutlich zeigen sie's uns, mein Freund!« Der planetenartige Körper schob sich seit
19 lich aus einem Vorhang aus Staub und klei neren Trümmern hervor. Er wurde von vie len Scheiben umschwirrt wie der Eingang eines Honigkorbs von den Bienen. Hin und wieder erkannten die Männer riesige Raum scheiben, auf denen Dutzende dieser unför mig vermummten Gestalten kauerten. Jetzt sahen sie zugleich mit der zerklüfteten Ober fläche des riesigen Asteroiden auch so etwas wie Eingänge. Verschieden große Höhlen und Grotten, die aussahen, als wären sie na türlich entstanden wie Gasblasen im erkal tenden Magma, waren hell erleuchtet. Sie wirkten erstens deutlich abgesetzt von dem diffusen Außenlicht, zweitens zogen sie den Blick durch den Helligkeitsunterschied ma gisch an. »Wir steuern auf eine Höhle zu«, knurrte Balduur. »Sie scheinen im Innern des Mon des zu hausen.« »Es bietet sich an«, erklärte Razamon und versuchte, auf einer sehr nahe vorbeischwe benden Scheibe mehr Einzelheiten über den Piloten oder sein Aussehen zu erkennen. Er glaubte, viele tentakelähnliche Arme oder Beine zu erkennen, die von einem Anzug umgeben waren, der an zerknitterten schwarzen Stoff erinnerte. Er war stumpf schwarz. Hellere Linien oder die Nähte von Taschen oder Säumen schufen den Ein druck, als ob es in diesen Anzügen Löcher und auseinanderklaffende Risse und Vor sprünge gäbe. Dann raste die Scheibe vorbei und ins Halbdunkel zurück. »Was bietet sich an?« fragte Balduur, der erstaunt mitansah, wie die BERSERKER di rekt auf eine Höhlung zugesteuert wurde. »Die Überlegung, daß die Bewohner des Korsallophur-Staus im Innern dieses oder anderer Planetenreste hausen, bietet sich förmlich an. Die BERSERKER wird sicher lich in eine Luftschleuse gebracht.« »Wahrscheinlich!« Sie waren zur Passivität verurteilt. Bei seinem ersten Rundgang durch das Beiboot hatte Razamon vergeblich nach Waffen ge sucht. Auch das Boot schien keinerlei inte grierte Waffensysteme zu besitzen. Zwar
20 wollten sie keineswegs einen Kampf mit diesem Wesen, aber er selbst würde sich be waffnet ein wenig sicherer fühlen. Balduur würde mit seinem Schwert auch nur mäßige Kampferfolge erzielen. Die Öffnung der grell ausgeleuchteten Höhle war groß genug, um das Beiboot samt den abschleppenden Flugscheiben mühelos hindurchzulassen. Vor dem scharfen Bug des Bootes glitten riesige Torflügel ausein ander und gaben den Blick frei in einen ebenfalls hellen Hangar. Die BERSERKER schwebte plötzlich allein weiter, wurde von unsichtbaren Strahlen oder Feldern weiter gezerrt und um neunzig Grad gedreht. Dann setzte das pyramidenförmige Boot, wie auf Pthor, auf der Grundplatte auf. Die Torflügel schlossen sich. »Da sind die Wesen, die wir niemals rich tig erkannt haben«, stieß Balduur erregt her vor und deutete auf den Bildschirm. »Ich bin bereits dabei, sie genauer zu stu dieren«, schränkte Razamon ein und vergrö ßerte eine Gruppe der Fremden. Es waren eindeutig spinnenartige Wesen. Sie hatten eine Länge von etwa eineinhalb Metern und waren einen Meter groß. Alle trugen die Raumanzüge, die sich locker und faltenreich um vier Gliedmaßen legten, auf denen die Fremden gingen. Ihre Bewegun gen erinnerten auch sehr deutlich an Spin nen. Razamon schloß, daß der Druckaus gleich mit Atemluft noch nicht beendet war. Der Steuermann schaltete selbständig die Außenmikrophone und die Kabinenlautspre cher ein und erhellte im Pult ein Schaltfeld für diese Geräte. Razamon begriff, was es zu bedeuten hatte, denn plötzlich hörten sie das unverkennbare zischende Geräusch herein strömender Luft. Als das Zischen aufhörte, öffneten die meisten Wesen in der Hangar halle ihre Anzüge. »Ekelhaft sind sie«, flüsterte Balduur. »Gedrungene, grauhäutige Kreaturen, die aus der Nacht kommen und in der Dunkel heit leben.« »Keine Überheblichkeit mein Freund«, mahnte Razamon. »Immerhin sind sie viel
Hans Kneifel bessere Raumfahrer als du und ich. Warte ab, vermutlich haben sie eine schöne Seele.« »Du bist sarkastisch«, stellte Balduur grimmig fest. »Richtig. Mitunter hilft diese Betrach tungsweise weiter als wütende Tiraden.« Der Hauptkörper der Spinnenwesen war grau und mit schwarzen Tupfen übersät, die individuelle Muster bildeten. Ein zweiter Körper oder Kopf an der Vorderseite des Körpers hinter einer überaus starken Ein schnürung trug ebenfalls zwei dünne, schwarze und stark behaarte Beine. Sie schienen allerdings als Hände oder Greifer benutzt zu werden. Razamon sah dreifingri ge Klauen an diesen Vorderbeinen. Im gleichen Augenblick, als ihn auf dem vergrößernden Schirm eines der Wesen di rekt ansah, zuckte wieder der Schmerz des Zeitklumpens durch sein Bein. Seine Hand fuhr hinunter und massierte die Stelle. Der Schmerz klang nicht ab, sondern änderte sich – er wurde dumpfer und schien die Ner ven verbrennen zu wollen. Razamon fluchte unterdrückt, aber er nahm den Blick nicht von dem Bild des Spinnenkopfes. »Was du sagst, ist richtig«, brummte Bal duur verdrossen. »Aber schön sind sie wirk lich nicht.« »Zugegeben, Balduur. Aber vermutlich tüchtig.« Aus dem Hangar, verstärkt durch Hall und Echos, ertönten die Stimmen der Kor sallophur-Wesen. Schrille, pfeifende und trillernde Laute gingen hin und her und er zeugten eine nervöse Stimmung. Der Kopf der Fremden war bemerkens wert: Auf einem kugelförmigen Schädel von gelbweißer Färbung saßen unsymmetrisch verteilt acht starr blickende schwarze Au gen. Auf der Unterseite, umsäumt von gel ben, kleinen Warzen, befand sich eine Art Rachen mit einer schaufelartig ausgeprägten Unterlippe. Sie bewegte sich leicht, und der Rachen stand stets offen. Vermutlich waren dort auch die Sprechorgane verborgen. Wie ein Kranz saßen büschelartige Aus wüchse um die Einschnürung zwischen Kör
Korridor der Dimensionen per und Kopf. Es waren sechs dunkelbraune, flaumige Bündel von Sensoren. Viele der Spinnenwesen hatten ihre Anzü ge ausgezogen und behutsam an den Wän den an Gestellen befestigt. Andere trugen die Anzüge nur noch am Körper und den vier Laufbeinen. Es gab eine dritte Gruppe, die »unbekleidet« war, aber in den hochger eckten Armen etwa zwei Meter lange, sehr dünne Waffen trugen. Es waren unverkenn bar Waffen, denn die Spitzen strahlten ein dunkles Glühen aus, und an den anderen En den sahen Balduur und Razamon griffartige Verdickungen. In der Hangarhalle befanden sich schät zungsweise hundertzwanzig dieser Wesen! Razamon stieß ein Stöhnen aus und sagte: »Sie werden uns früher oder später zwin gen, das Beiboot zu verlassen. Vermutlich früher. Andererseits – was sollen wir hier warten? Hier erfahren wir absolut nichts.« Balduur sprang auf und fing an, wütend und unschlüssig in der Kabine hin und her zugehen. Endlich brachte er hervor: »Mir gefällt das alles nicht. Wir haben noch nicht einmal mit ihnen gesprochen, und schon sind wir ihre Gefangenen.« Razamon ahnte, daß die Bewohner dieser ungewöhnlichen kosmischen Gegend ein starkes Interesse haben würden, die Güter einer normalen Welt kennenzulernen. Viel leicht stand Pthor eine Invasion bevor? Nein. Unwahrscheinlich. Die Fremden hat ten einen Eindringling geortet und wollten sich mit ihm unterhalten. »Wir sind vermutlich keine Gefangenen. Aber sie sehen keine Möglichkeiten, mit uns draußen im freien Raum zu sprechen. Sie wollen dasselbe wie wir.« »Und das wäre?« »Möglichst viele Informationen. Denke daran, falls wir mit ihnen sprechen. So we nig wie möglich sagen. Keine Prahlerei, kei ne phantastischen Angaben.« »Schon gut.« Auch Razamon stand auf und hinkte unter starken Schmerzen im Bein an ein anderes Pult. Dort konnte er genau ablesen, daß
21 draußen in der Halle eine mit Pthors Luft identische Atemluft vorhanden war. Die Temperatur war ein wenig geringer, aber keineswegs kalt. Sie konnten also samt Fenrir das Beiboot verlassen, ohne die Raumanzüge schließen zu müssen. »Diese Spinnen haben das alles geschaf fen? Diese Welt ist vermutlich hohl, voller Gänge und Stollen, so wie die Welt unter der Oberfläche von Pthor?« rief Balduur. Auch Fenrir stand auf, riß seinen furchtba ren Rachen auf und schüttelte sich unwillig. Er spürte die Unruhe, die beide Männer er faßt hatte. »Wahrscheinlich hast du recht. Vergiß nicht, daß sie wahrscheinlich unendlich lan ge Zeit an dieser Stelle im KorsallophurStau leben. Wenn sie überleben wollten, dann mußten sie sich einen neuen Lebens raum herstellen.« »Begreiflich, aber keineswegs beruhi gend.« Viele der Fremden verließen den Hangar durch kleinere Schleusentüren. Vor dem Ausstieg der BERSERKER versammelten sich mehr und mehr bewaffnete Spinnenwe sen und richteten die glühenden Spitzen ih rer Stabwaffen auf die Schleusenaußentür. Wieder verstärkte sich das Gefühl, daß die Pthorer es mit Spinnen zu tun hatten: Es bil deten sich unter vielen schrillen Komman dos zwei Blöcke von Belagerern, die zwi schen sich einen breiten Gang freiließen. Genau dort würde sich der Ausstieg heraus klappen. Balduur packte seinen Schild und setzte sich den Helm mit entschlossenen Bewegun gen auf. »Du willst hinaus?« fragte Razamon und suchte die entsprechenden Hebel. »Es ist sinnvoller, dem Feind ins Auge zu blicken als unwürdig zu warten, bis er das Feuer eröffnet.« »In acht Augen, jeweils«, korrigierte Raz amon und fand schließlich die Beschriftun gen und die entsprechenden Schalter. Er tauschte einen Blick des Einverständnisses mit Balduur und drückte den Schalter. Die
22 äußere Schleusentür glitt auf. »In Ordnung. Gehen wir«, sagte er und ging hinter Balduur her, der mit wuchtigen Schritten abwärts stampfte. Vor der inneren Schleusentür blieben sie kurz stehen. Raza mon hatte sich entschlossen, eine weitere Vorsichtsmaßnahme zu ergreifen und stellte einige Zahlen auf einer Wählapparatur ein. »Was tust du da?« »Ich blockiere einige Systeme. Die Frem den sollen so wenig wie möglich von uns und von der Technik erfahren. Der Steuer mann kann die Blockierung, wenn nötig, be seitigen.« »Sehr gut.« »Gesundes Mißtrauen ist meist eine gute Überlebenshilfe«, murmelte Razamon und betätigte schließlich den Öffnungsmechanis mus. Sie gingen in die Schleuse hinein und über das kurze Stück der ausgefahrenen Rampe hinunter in den Hangar. Die Spinnenwesen empfingen sie mit ei ner Flut pfeifender Laute. Die zwei Blöcke aus jeweils rund zwanzig meterhohen Frem den lösten sich auf und bildeten eine neue Formation. Zwei einzelne Krieger rannten herbei und fuchtelten mit ihren Energielan zen vor Balduur und Razamon durch die Luft. Razamon hielt sich am Hals Fenrirs fest und redete beruhigend auf den riesigen Wolf ein. »Sie wollen uns sagen«, dröhnte Balduur, »daß wir der Vorhut der Krieger folgen sol len. Deine Meinung?« »Sie entspricht deiner Auffassung«, ent gegnete Razamon. Er versuchte, jeden neuen Eindruck richtig einzugliedern und womög lich auch richtig zu verarbeiten. Der erste Eindruck hier war, daß es sich bei den Spin nenwesen um hervorragend disziplinierte Asteroidenbewohner handelte. Sie mar schierten zwar nicht im Gleichschritt, was bei vier Beinen nicht einfach gewesen wäre, aber sie bewegten sich ebenso exakt und perfekt wie die Piloten der Flugscheiben. Sie eskortierten mit senkrecht gestellten Strahl waffen die Besucher oder Gefangenen auf einen großen, aber niedrigen Ausgang zu.
Hans Kneifel »Sie haben die Anlagen gebaut, zweifel los«, sagte Balduur nach fünfzig Schritten. Die Wände waren sauber verarbeiteter Fels. Leitungen und Verbindungen lagen exakt an der Oberfläche und waren mathematisch ge nau verlegt und befestigt. »Woran siehst du das?« Das Trillern und Pfeifen hatte fast aufge hört. Nur drei oder vier Spinnenwesen unter hielten sich aufgeregt. »Weil der Ausgang niedrig ist. Etwa zwei Meter, also doppelt so hoch wie die Kleinen hier. Wir hätten höher gebaut.« »Richtige Schlußfolgerung, Balduur. Warte, bis wir mehr sehen.« Instinktiv bückten sie sich unter dem dicken Rahmen der Schleuse. In dem Hangarbauwerk war es kühl, die Luft roch gut und war frei von scharfen Ausdünstun gen, wie es die Instrumente ausgesagt hat ten. Hinter den letzten Fremden schloß sich die Schiebetür. Ein breiter, ebenfalls nur zwei Meter hoher Korridor nahm die Kolon ne auf. Nach dreißig Schritten blieb Raza mon verblüfft stehen und massierte wieder sein Bein. »Sie haben einen sehr stark ausgeprägten Hang zur Selbstdarstellung«, erklärte er. Auf dem Weg bis hierher waren ihm mindestens zehn verschiedene Friese und Reliefs aufge fallen. Sie waren in die Wände des Korri dors eingearbeitet und zeigten jene Spinnen wesen in allen nur denkbaren Beschäftigun gen. Hier, und das war der Grund, weswe gen er stehengeblieben war, stand eine aus drucksstarke Plastik. Sie wirkte wie aus Me tall gegossen. Er registrierte, daß die Wächter offen sichtlich nicht das geringste dagegen hatten, wenn sie stehenblieben und sich umsahen. »Hast du die Friese und Reliefs genau an gesehen?« fragte Razamon laut. »Ziemlich. Sie zeigen die Kleinen hier in allen denkbaren Posen, in Krieg und Frie den. Worauf willst du hinaus?« Die Abbildungen waren außerordentlich kunstvoll, sehr naturalistisch und äußerst fein herausgearbeitet. Jedes Bild zeigte eine
Korridor der Dimensionen andere, phantastische und exotische Land schaft. »Alle Abbildungen zeigen Planetenober flächen, Balduur!« »Richtig. Das bedeutet …« »Daß sie nicht immer in Höhlen, Stollen und Korridoren lebten, sondern daß ihre Rasse auf sonnenbeschienenen Planeten auf gewachsen ist. Jedenfalls entnehme ich dies den Darstellungen.« Einige der Fremden unterhielten sich wie der. Die grellen Laute unterbrachen die Dis kussion der Pthorer. Die Skulptur des großen, noch wuchtiger gebauten Fremden warf das einstrahlende Licht in funkelnden Reflexen zurück. Sie wirkte drohend; es schien ein Herrscher gewesen zu sein. Auf Razamon machte die Gestalt den Eindruck eines Emporkömmlings. Er konnte nicht sa gen, aus welchem Grund er diese Empfin dung hatte, aber so war es. »Wir werden noch mehr davon sehen«, sagte er schließlich und ging weiter. Fenrir und Balduur folgten schweigend. Tatsächlich war der Korridor, der weit in den Asteroiden hineinführte, fast an jeder Stelle verziert. Friese und Malereien, Reliefs und Basreliefs lösten einander ab. Es gab riesige verglaste Schaukästen, die in die Wände eingearbeitet waren. Ab und zu zweigten breite Türen nach rechts und links. Der Korridor neigte sich ein wenig, und die Spinnen marschierten weiter. Eigentlich, sagte sich Razamon und wur de von den ununterbrochen an ihm vor beigleitenden Bildern förmlich überflutet, hätten sie Strukturen wie Spinnennetze er warten müssen. Er wäre nicht überrascht ge wesen, wenn der Asteroid als Ganzes ausge höhlt und mit Fäden aus Metall oder Kunst stoff, vielleicht auch aus verschieden dicken Rohren und Kugeln, in Form eines weiter entwickelten Spinnennetzes ausgefüllt ge wesen wäre. Aber diese Anlage, der sich an bietende Versuch, im Innern eines Felsens zu leben, glich bisher mehr den Gängen von Termiten oder Ameisen. Der Korridor endete in einem würfelför
23 migen Hohlraum. Auch hier war der Hang zur Selbstdarstellung deutlich. An den Wän den, den Rampen und rund um die Eingänge in andere Stollen hatten sich unbekannte Künstler in sämtlichen zweidimensionalen und dreidimensionalen Darstellungsarten förmlich ausgetobt. Skulpturen wuchsen aus gemalten oder in Emailletechnik gestalteten Flächen hervor. Reliefs zogen sich als breite Bänder zwi schen den farbigen Teilen hin. Überall rissen Flutlichter die Bildnisse aus dem Dunkel und schufen durch das Miteinander von be leuchteten Flächen und Schatten verwirren de Eindrücke. Die Fremden marschierten ra schelnd und tappend auf einer spiralig ge krümmten Rampe aufwärts. Langsam folg ten die drei Wesen von Pthor. »Kolossal!« murmelte Razamon. Er war nicht nur beeindruckt, sondern überwältigt. »Und ich sage, daß sie uns wirklich ins Gefängnis bringen!« ächzte Balduur. »Jedenfalls«, grinste Razamon, »wird es mehr ein Museum als eine Zelle sein. Verlaß dich drauf.« Schweigend und hingerissen ging er durch dieses Inferno gestalteter Vergangen heit. Wenn die surrealistischen und phanta stischen Landschaften und Ansichten einer irgendwann vorhandenen Wirklichkeit ent sprachen und nicht nur den Träumen jener troglodytenhaft existierenden Wesen, dann hatten die Fremden einige der schönsten Pla neten des Universums ihr eigen nennen kön nen.
6. Razamon versuchte, sich den Weg von der Hangarschleuse bis hierher genau zu merken. Im Augenblick konnte er sich wie der ohne den Schmerz des Zeitklumpens be wegen, aber er rechnete fest mit weiteren Schmerzen. Er war voller Unruhe, aber er fürchtete sich nicht. Die Fremden zeigten keine Spur von Aggression. Dazu kam, daß man sich miteinander nur durch einfache Gesten verständigen konnte.
24 Die »Gesandtschaft« von Pthor verfügte noch über einen Vorteil, der ihre Sicherheit betraf: In der BERSERKER lebte noch ein Wesen, das den Flug hierher mitgemacht hatte und so gut wie unsichtbar war. Das Steuermann-Fragment bildete sozusagen einen Teil der Einrichtung. Ebensowenig wie Razamon in den Schiffen der Fremden oder in ihrem Asteroiden einen solchen Fremdkörper würde identifizieren können, konnten die Fremden damit etwas anfangen. Dieser Umstand besserte die Laune des At lanters. »He«, wandte er sich an einen Strahllan zenträger neben ihm. »Wohin bringt ihr uns?« Von der pfeifenden und schrillen Antwort verstand er natürlich nichts. Aber der Spin nenartige deutete nach vorn. »Ich verstehe.« Ein kleiner Saal öffnete sich vor ihnen. In den Wänden erkannte man technische Anla gen aller Art. Zwischen ihnen befanden sich ebenfalls Friese und Reliefs. Hinter zahlrei chen runden Ausgängen leuchtete verschie denfarbiges Licht. Der glatte Felsboden war von kleinen Schaltpulten übersät; sie ent sprachen der geringeren Körpergröße der Fremden. Balduur hielt Fenrir fest, der da vonrennen wollte. »Hiergeblieben. Du wirst uns vielleicht zurückbringen müssen, Fenrir!« Der Wolf heulte leise. Man brachte sie in einen kurzen Korridor, der blau ausgeleuchtet war. Eine breite Tür glitt auf. Die Spinnenwesen bedeuteten den drei Wesen, durch die Tür zu gehen. Als sie sich in einem runden Raum befanden, von dem viele offene Türen ausgingen, schloß sich die schwere Tür wieder. »Also doch ein Gefängnis!« sagte Baldu ur grimmig. »Ich habe immer recht mit sol chen Ahnungen.« Fenrir heulte schaurig auf und sprang, sich losreißend, durch eine offene Tür in ei ne der Zellen hinein. Mit drei Riesenschrit ten holte Balduur ihn ein. »Bist du wahnsinnig, du Untier?« schrie
Hans Kneifel er. Razamon spähte in jeden der Räume hin ein. Sie waren bis auf einen leer und schie nen tatsächlich Gefängniszellen zu sein. Al lerdings war die spärliche Einrichtung höchst fremdartig und machte stellenweise einen skurrilen Eindruck. In einer der mittle ren Zellen befanden sich drei Wesen: Baldu ur, Fenrir und ein augenscheinlich weibli ches Geschöpf. Die kleine, zierliche und zar te Person war angstvoll bis an die Wand zu rückgewichen und schien sich vor Fenrir zu fürchten. »Wer ist denn das?« wunderte sich Raza mon. Das Wesen vor ihm war nicht größer als eineinhalb Meter und starrte sie aus großen, hellen Augen an. Mit einer schrof fen Handbewegung scheuchte Balduur Fenr ir aus dem Raum; der Wolf gehorchte au genblicklich. »Keine Ahnung. Sie war schon hier und ist tödlich erschrocken. Dabei wollte Fenrir ihr nur die Hände ablecken, als Zeichen sei ner Sympathie.« Mit einer verblüffend festen und rauhen Stimme sagte die Kleine, mit einem Finger auf ihre Brust deutend: »Pona!« »Das ist wohl ihr Name. Pona? Ich bin Razamon«, sagte halblaut der Atlanter. Pona machte Zeichen, die schwer zu verstehen waren. Schließlich brummte der Mann mit dem furchterregenden Helm: »Und ich bin Balduur, der Sohn Odins. Wir kommen von Pthor und sind auch wohl nichts anderes als Gefangene.« Razamon lächelte Pona zu. »Sie meint mit ihren Zeichen, wir sollten uns unterhalten. Dann würde sie unsere Sprache schneller verstehen.« »Bist ein kluger Kerl, Razamon.« »Sie sagen es allerorten«, murmelte Raza mon, setzte sich auf etwas, das wie ein stei nerner Sitz in Form eines modifizierten Ameisenkopfs aussah und betrachtete in al ler Ruhe das Mädchen. Die Haut war fast transparent; man sah die Adern und die Muskeln in ungewöhnli
Korridor der Dimensionen cher Deutlichkeit. Das Geschöpf machte einen außerordentlich zerbrechlichen Ein druck und trug fremdartig geschnittene, wal lende Kleider. Der Schädel war schmal und durchaus menschlich, aber völlig haarlos. Auch unter der Kopfhaut sah man die pul sierenden Blutgefäße. Die Finger bewegten sich ununterbrochen und schienen die bei den Pthorer aufzufordern, nicht mit dem Re den aufzuhören. »Offensichtlich ist Pona auch eine Gefan gene wie wir«, sagte Razamon. »Da sie uns auffordert, miteinander zu reden, werden wir dies tun. Vielleicht erfahren wir von ihr, wo wir uns befinden, und sicher auch, wie sie hierher gekommen ist.« »Das ist auch wahrscheinlich. Worüber sprechen wir?« »Über alles, was uns einfällt. Mir fällt im Augenblick ein, daß alle diese schönen und künstlerisch wertvollen Einrichtungsgegen stände unserer Gefängniszellen für winzige Gefangene gebaut wurden. Ich und vor al lem du werden gewisse Schwierigkeiten be kommen, wenn wir uns länger aufhalten sollten.« »Das dachte ich auch schon …« Sie hat ten begriffen, daß Pona nur dann ihre Spra che relativ schnell lernen konnte, wenn sie langsam und deutlich sprachen und ihren mehr oder weniger sinnvollen Dialog mit entsprechenden Gesten begleiteten. Wäh rend sie sich darüber unterhielten, wo sie waren, und welche Chancen sie hatten, wel che Gefahren Pthor von den Ameisenwesen oder Spinnenähnlichen drohen konnten, was wohl dieses merkwürdig zarte Mädchen hier sollte und ob sie auch eine Gefangene war – kam Fenrir wieder herein und legte sich still neben Razamon zu Boden und blickte Pona aufmerksam an. »Ich Pona Gefangene von Krolocs«, sagte plötzlich mit ihrer charakteristischen Stim me das Mädchen und deutete zur Decke. »Fabelhaft!« sagte Razamon. Das Pthora war verblüffend gut. »Gefangene!« stöhnte Balduur auf. »Die Krolocs sind kleine Kämpfer. Wie
25 Ameisen oder Spinnen. Krolocs herrschen über Korsallophur-Stau. Ich bin geraubt aus Lichtung.« Razamon versuchte zu begreifen. Korsal lophur-Stau! »Du hast gesagt, diese verrückte kosmi sche Gegend hier nennt sich KorsallophurStau?« fragte Balduur aufgeregt. »Razamon! Deine alten Sagen scheinen richtig gewesen zu sein!« »Halt!« sagte Razamon. »Eines nach dem anderen. Wenn ich die Fragen stelle, Pona, hilft es dir weiter?« »Ich lerne schnell. Frage tausendmal.« »Nicht ganz so häufig. Also … das Gebiet voller Trümmer und Staubansammlungen nennt sich Korsallophur-Stau?« »Es sind die Überreste der KorsallophurKatastrophe. Niemand weiß, wann sie statt gefunden hat. Sehr lange Zeit zurück.« »Was ist oder bedeutet die ›Lichtung‹?« »Die Lichtung ist hell. Eine kleine Sonne steht dort. Der Strahlungsdruck hat den Staub weggeblasen. Dort gibt es viele freie Planeten. Das ist die Lichtung. Die Krolocs haben mich … weggeraubt.« »Krolocs, das sind die kleinen, spinnen beinigen Raumfahrer auf den schwarzen Scheiben und mit den glühenden Strahlen lanzen?« »Das sind die Krolocs. Ich wissen, sie wa ren vor der Katastrophe unbedeutende – ich weiß nicht das Wort. So wie Schädlinge, nicht so schlimm …« »Parasiten paßt, glaube ich.« »Du sagst richtig. Ein Volk von Parasiten. Lebten im Untergrund der Städte. Nach der Katastrophe wurden sie zu grausamen, har ten Herrschern. Sie leben in den Felsentrüm mern. Sie fliegen hin und her, rauben und versklaven.« »Sie haben dich aus der Lichtung ge raubt?« »Die Krolocs kamen mit Scheiben, dran gen in die Randzone ein und überfielen ein Schiff. Ich bin Gefangene. Ich bin gut mit der Sprache, mit allen Sprachen. Ich muß ih nen helfen, andere Gefangene zu verhören.
26 Ich lerne sehr schnell.« »Das haben wir festgestellt. Was sagst du zu dieser Geschichte, Balduur?« erkundigte sich Razamon trocken. »Die schlimmsten Ahnungen des Odinssohns hatten sich also bewahrheitet.« »Was soll ich sagen? Ich wußte es. Wir müssen hier heraus und Atlan warnen. Sie werden Pthor entdecken und auch dort eine Invasion versuchen.« »Das ist durchaus möglich«, knurrte Raz amon. Wieder fuhr der Schmerz des ver dammten Zeitklumpens durch seinen Ober schenkel, bis weit hinauf in den Rücken und in die Schulter. Der Stich war derart scharf, daß er aufstöhnte. »Darf ich fragen?« erkundigte sich Pona jetzt. »Bitte«, ächzte Razamon. Sie waren in der Falle und mußten sehen, wie die Gefahr einzuschränken war. An Flucht war im Au genblick nicht zu denken, denn sie waren nicht nur unbewaffnet, sondern auch desori entiert. »Woher kommt ihr?« Razamon deutete auf Balduur. Der Atlan ter erklärte Pona, was Pthor war, daß das Weltenfragment von den Trümmern abge bremst und sein Firmament vom Staub ver finstert worden war. Balduur hielt sich an Razamons Vorhaltungen; er sprach nur von den wichtigsten und unverfänglichen Einzel heiten. Pona hörte mit deutlicher Konzentra tion zu und stellte, wenn sie den einen oder anderen Ausdruck nicht verstand, ausge sprochen intelligente Zwischenfragen. Sie schien eine kluge und erfahrene Frau zu sein. Ihre Stimme entsprach wohl ihrem wahren Charakter; mit dem hilflosen und zerbrechlichen Eindruck gelang es ihr wahr scheinlich, die Krolocs erfolgreich zu täu schen. Razamon mußte grinsen. Pona gefiel ihm irgendwie. Außerdem hörte der Schmerz langsam auf. Er würde wiederkom men – die Zeit, in der Razamon ohne Be schwernisse gelebt hatte, schien wieder ein mal vorbei zu sein. »Jetzt weißt du alles«, beendete Balduur
Hans Kneifel seinen Bericht. »Du kannst die Sprache der Krolocs verstehen?« »Ja. Ich verstehe sie gut. Aber ich habe Schwierigkeiten, sie richtig zu gebrauchen. Dieses Pfeifen und Trillern …« Sie versuchte, etwas auf krolocisch zu sa gen, aber sie schaffte es deutlich unvollkom men. »Danke. Uns genügt es, wenn wir einige wichtige Begriffe verstehen können«, sagte Razamon. »Die Krolocs ernähren sich also sozusagen von Raubzügen!« »Nicht ganz. Aber sie können alles brau chen, was sie finden. Sie sind nicht eigent lich grausam, sondern gefühlskalt und wie … wie einfache, staatenbildende Tiere.« »Alles klar«, sagte Balduur entschlossen. »Kaum einige Stunden hier, schon wissen wir eine ganze Menge. Wie groß schätzt du die Gefahr ein, Freund Razamon?« »Ziemlich groß. Wir werden weitersehen. Sie haben mit Sicherheit auch ihre schwa chen Stellen. Wir müssen sie herausfinden. Was weißt du, Pona, über diese geradezu er staunliche Sucht zur Selbstdarstellung?« »Sie sind stolz darauf, keine Herren zu haben. Sie sind ihre eigenen Herrscher. Des halb haben sie ihren Weg aus der Gosse ver herrlicht. Alles Lüge. Alles Erfindung. Oder fast alles. Sie sind ungeheuer fleißig und ar beitsam.« Balduur und Razamon nickten gleichzei tig. »Genau diesen Eindruck hatten wir auch«, erklärte der Odinssohn. »Und was tun wir jetzt?« »Warten!« empfahl die sprachengewandte junge Frau. »Sie werden bald kommen und euch verhören. Ich kann absichtlich etwas mißverstehen, aber sie werden mir nicht alle Fehler glauben.« Razamon ergriff ihre schmale, kindliche Hand und sagte leise: »Wir werden uns schon gut zurechtfinden, Schwester. Mit kämpferischen Empor kömmlingen haben wir sehr viele Erfahrun gen, nicht wahr, Sohn Odins?« »Wahr gesprochen! Ein starkes Wort!«
Korridor der Dimensionen schloß Balduur. »Wir warten. Vielleicht er klärt uns Pona noch etwas von der Technik, über die unsere spinnenartigen Freunde ver fügen.« »Ich weiß nicht viel. Aber was ich weiß, sage ich euch gern.« »Wir bitten darum«, sagte Razamon. Fenrir riß gähnend seinen Rachen auf und entblößte seine schauerlichen Fangzähne.
* Nach einer Weile sagte Balduur über gangslos: »Ich fürchte wirklich, daß die Krolocs Pthor erobern werden. Oder es wenigstens versuchen werden.« Balduur hatte sich auf den Boden gesetzt und gegen die Wand gelehnt. Das Schwert in der Scheide lag quer über seinen Schen keln. In dem Raumanzug, über dem er sei nen auffallenden Schultermantel trug, bot er einen phantastischen Anblick. »Sie werden es sicher versuchen«, sagte Razamon. Pona warf ein: »Die Kroloc-Scouts sind innerhalb des Staus bekannt. Sie schwärmen ständig um her. Hyrconia ist nicht die einzige Station.« »Hyrconia?« »Wir sind in Hyrconia. So nennen sie den ausgehöhlten Asteroiden. Es gibt rund fünf zig kleinere und größere Monde, Planeten fragmente oder Asteroiden innerhalb des Korsallophur-Staus.« »Weißt du, wie zahlreich die Krolocs sind?« Nach längerem Vergleichen und Rechnen stellten sie fest, daß es rund zwanzig Millio nen der Spinnenwesen sein mußten. Diese Anzahl erschütterte Balduur und Razamon – Pthor würde einer Invasion nichts entgegen zusetzen haben. Mit dem schwachen Ver such, sich selbst zu beruhigen, sagte er: »Pthor hat einen schützenden Wölbman tel. Nichts, das nicht aus Pthor selbst ist, kann von außerhalb durchdringen und auf Pthor landen, Pona.«
27 Pona von der Lichtung bewegte vernei nend ihre schlanken Finger und entgegnete: »Du irrst, Razamon. Die Krolocs besitzen hervorragende Durchdringungsenergien. Da mit manövrieren sie in den Materiewolken des Staus. Sie werden auch ohne Schwierig keiten den Wölbmantel damit durchstoßen. Pthor ist für sie die richtige Beute – falls die Scouts eure Heimat bereits entdeckt haben.« Razamon beobachtete sie nachdenklich. Schließlich erkundigte er sich zögernd: »Habe ich recht mit der Vermutung, daß es dir gesundheitlich nicht besonders gut geht? Du machst auf mich einen erschöpften und niedergeschlagenen Eindruck. Aller dings kenne ich dich nicht, ich weiß nicht, wie du sonst bist. Aber dieser Eindruck drängt sich mir auf. Nicht wahr, Balduur?« Der andere Mann nickte ernst. »Ich bin vom Stamm der Eripäer. Die Eripäer wohnen in der sonnendurchfluteten Lichtung. Hier, in diesen lichtlosen Räumen, in Gefangenschaft und mit dem schlechten und unverträglichen Essen der Krolocs wer de ich sterben müssen. Ich glaube, es wird nicht mehr lange dau ern.« Balduur sprang auf, riß das Schwert aus der Scheide und rammte es krachend bis zum Heft zurück. Er stieß schwer mit dem Fuß auf und stoppte Fenrir, der leise grol lend aufgestanden war. »Wir werden dich befreien, und zwar bald. Wir kämpfen uns einen Weg frei in un sere BERSERKER!« schrie er. »Du hoffnungsloser Optimist«, murmelte Razamon. »Warte ab, bis die Krolocs kom men. Du wirst doch nicht gegen Kunstwerke und den massiven Fels kämpfen? Ich bin si cher, daß sie uns in kurzer Zeit verhören werden.« »Sie werden euch nicht lange warten las sen«, versprach Pona. »Ihr müßt wissen, sie hassen uns.« »Uns? Wer ist ›uns?‹«, fragte Balduur er staunt. Er war wütend; trotz seiner Ahnungs losigkeit war er tatsächlich bereit, sein kämpferisches Geschick und notfalls sein
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Hans Kneifel
Leben für die schmächtige Gefangene einzu setzen. »Ich kann es euch sagen, weil ihr auch ge fangen seid. Aber verratet mich nicht an die Krolocs. Bisher habe ich es geheimhalten können: Ich bin die Enkelin des Lichtfürsten Nurcrahn von der Lichtung.« Razamon lehnte sich gegen die kühle Wand und sagte: »Du hast Angst, daß die Krolocs versu chen, durch dich die Bewohner der Lichtung zu erpressen?« »Du hast es erraten.« Sie waren ratlos und hungrig. Seit dem Start aus der FESTUNG waren bestenfalls vier Stunden vergangen. Sie hatten hier in der künstlerisch ausgestalteten Gefängnis zelle kaum etwas anderes zu tun, als gegen seitig Informationen auszutauschen. Genau das taten sie, und es gelang den Pthorern, ei nige wesentliche Kraftausdrücke und Kom mandos der Krolocs zu lernen.
7. Der Raum war etwa vier Meter hoch und ziemlich groß. Er sah in einigen Teilen wie ein Museum aus, wie eine Glypthothek. Auf Sockeln, die aus dem Felsboden kantenlos und in bizarren Mustern herausgearbeitet waren, standen geduckt und aufrecht, mit gedrehten und verrenkten Körpern, mit allen möglichen Werkzeugen und Waffen die ei sernen Körper von Krolocs. An der Stirnsei te, vor einem steinernen Fries, stand ein niedriger Tisch, eine Felsplatte auf zwei Stahlblöcken aus Meteoriteneisen. Dahinter ruhte ein Kroloc, der etwas größer war und anders aussah als seine Geschlechtsgenos sen. Sein Körper war von silbernen Linien gezeichnet, der Kopf mit den acht großen, starren Augen hob sich hoch über die Fels platte, die mit unbekannten, phantastisch aussehenden Gegenständen übersät war. Ein silberner Reifen umspannte den Kopf in Hö he der zwei Armgelenke. Razamon und Balduur, der noch immer sein Schwert und seinen Schild besaß, stan-
den vor dem Tisch. Rechts neben ihnen, sich auf Fenrir stützend, stand Pona von der Lichtung. Ein doppelter Halbkreis von bewaffneten Krolocs umgab den Tisch und die Gefange nen. Die scharfen Spitzen der Energielanzen glühten drohend. Sämtliche Lanzen deuteten auf Fenrir und die Rücken der drei Gefange nen. Der Kroloc, durch die silbernen Linien und den Reifen als Vorgesetzter gekenn zeichnet, richtete das Wort an Pona von der Lichtung. Der Raum widerhallte von den grellen, pfeifenden Lauten. Tatsächlich kamen die zwitschernden und trillernden Geräusche aus der Höhlung vor dem herunterhängenden Kiefer. Der Kopf mit allen acht Augen zeigte nicht den ge ringsten Ausdruck; selbst mit viel Phantasie konnten sich weder Razamon noch Balduur vorstellen, ob der Kroloc böse, gelassen oder gar heiter war. Es war eine gespenstische Form der Kom munikation. »Woher kommen diese drei verschieden artigen Krieger?« Pona reagierte ausgesprochen raffiniert. Sie hatte in den wenigen Stunden sehr gut Pthora gelernt. Leise und schnell übersetzte sie die wichtigsten Fragen aus dem Kroloci schen in die Sprache der Atlanter. Zwi schendurch übersetzte sie die Antworten zö gernd und stockend, und auf diese Weise er fuhren die Männer, daß auch Fenrir als »Krieger« betrachtet wurde. Darüber hinaus stellten sie fest, daß es möglich war, nur das Wichtigste auszusagen. Was war Pthor? Wie groß war der Kontinent? Welche We sen wohnten darauf? Wie zahlreich war die Bevölkerung? Bewegte sich Pthor aus eigener Kraft durch den Kosmos? Wieviel Raumschiffe gab es auf Pthor? Heyzer Cor wollte später die Gefangenen sehen und sie selbst befragen. Mit welchen Bedingungen rechneten die Gefangenen, falls sie mit den Krolocs zu sammenarbeiteten?
Korridor der Dimensionen Pona hielt ihr Wort. Sie übersetzte genau das, was Razamon und Balduur als Antwort gaben. Der silbergestreifte Kroloc und seine schweigenden Krieger wußten nach etwa eineinhalb Stunden wirklich nur das Unum gänglichste über Pthor. Allerdings hatten sie ganz andere Angaben über die Anzahl und Schlagkraft der Raumschiffe gemacht, und die unbarmherzige Kampfeslust der Boden truppen war mehrmals ins Gespräch ge bracht worden. Hin und wieder fragte Pona die beiden Männer direkt und übersetzte dann stockend. Als alle Fragen gestellt wa ren und beantwortet zu sein schienen, brummte Balduur zornig: »Das war ein Verhör. Aber sie wissen nicht viel von Pthor!« Unbewegten Gesichts sagte Razamon, der noch immer nach einer Fluchtmöglichkeit Ausschau hielt: »Genau das haben wir beabsichtigt. Unse re Freundin weiß überdies genau, daß wir ih re einzige Rettungsmöglichkeit sind.« »Allerdings keine sonderlich schlagkräfti ge Truppe, fürchte ich!« »Leider nicht. Aber es gibt immer böse und gute Momente.« Balduur fluchte leise und schloß: »Das je denfalls ist ein schlechter Moment.« Ein heller Pfeifton schrillte vom Eingang der Halle her. Der linke Kopffühler oder Arm des Anführers fuhr auf den Tisch nie der und betätigte mit der Klaue einen Schal ter. Razamon drehte sich herum und sah, daß zwei Krolocs hereintappten. Nur ihre Köpfe und die zitternden Arme waren außer halb der zerknitterten Hüllen der Raumanzü ge. Pona sagte leise: »Scouts.« Die Pthorer warteten schweigend. In dem Halbkreis der Wachen öffnete sich ein Durchgang. Die Scouts kamen in höchster Eile heran, huschten zwischen Razamon und Balduur hindurch und streckten ihre Ener gielanzen senkrecht in die Höhe, als sie die vordere Tischkante erreicht hatten. Dann pfiffen und kreischten sie abwechselnd eine
29 längere Meldung in die Richtung des Vorge setzten. Pona flüsterte drängend: »Es geht um mich. Meine Identität ist be kannt geworden. Sie sind wieder in den Rand der Lichtung vorgestoßen. Sie wissen, wer ich bin.« Es war schwierig, ihre hastig hervorgesto ßenen Worte zwischen dem kreischenden Gespräch verstehen zu können. Aber Baldu ur und Razamon wußten, worum es ging. Pona sprach weiter. Sie wirkte gehetzt und noch niedergeschlagener. »Sie werden Nurcrahn erpressen. Sie ha ben Spione eingesetzt. Nicht nur ich, auch die Bewohner der Lichtung … gefährdet. Wir müssen fliehen!« Balduur erwiderte: »Keine Angst, mein Kleines. Wir werden es ihnen zeigen. Warte nur ein paar Stunden, dann machen wir die Ameisenknechte rei henweise nieder.« »Du Prahlhans«, brummte Razamon. »Trotzdem hast du recht. Wir müssen flüch ten. Aber – wohin und vor allem: wie?« Die Scouts hatten ihre Meldungen abge geben. Der Anführer stand von dem Hocker auf, er hatte mit dem Bauch oder Unterkör per darauf gelegen. Seine zitternden Kopfar me deuteten auf die Gefangenen. Er gab einen schrillen Befehl, lauter und erregter als sonst. »Zurück ins Gefängnis«, murmelte Baldu ur. »Das sagte er eben«, erklärte Pona. Sie befand sich in heller Aufregung. Sie gehörte zu jenen Wesen, mit denen man besonders leicht und schnell Mitleid bekommt, dachte Razamon. Darüber hinaus wußte er, daß sie sich tatsächlich etwas einfallen lassen muß ten. Daß die Scouts auch inzwischen Pthor recht genau ansteuerten und wahrscheinlich durch den Wölbmantel hindurchstießen, das war ihm inzwischen klargeworden. Man brachte sie auf demselben Weg zu rück in die Zellen, auf dem sie hierher es kortiert worden waren.
30
Hans Kneifel
* Einige Sekunden, nachdem die schwere Metalltür sich wieder mit einem endgültigen Geräusch zugeschoben hatte, begann Raza mon systematisch mit der Suche nach einer Fluchtmöglichkeit. Er untersuchte schnell, aber mit der Gründlichkeit langer Erfahrung, die einzelnen Zellen. Es gab keine Fenster, das hatte er auch nicht erwartet; nur Bild schirme, die von einem anderen Raum ge schaltet wurden. Die Klimaanlagen waren hinter massiven Metallblenden versteckt. Mit Balduurs Schwert stemmte er eine Ver kleidung mit beträchtlicher Mühe auf. Ent täuscht ließ er die Waffe sinken – der Schacht war viel zu klein, um als Fluchtweg dienen zu können. Die Umgebung der massiven Haupttür, schon fast ein Druckschott, war ebenfalls unergiebig. Der granitähnliche Fels war bis an die Kanten herausgemeißelt oder heraus gebrannt worden. Es gab weder einen An satzpunkt noch einen Schalter oder irgend welche Scharniere oder Angeln. Mit hängendem Kopf kam Razamon in die Mittelzelle zurück und sagte leise: »Mit unseren Mitteln kommen wir hier nicht heraus. Hoffnungslos. Was ist los, Fenrir?« Der Wolf war aufgesprungen und stellte seine Ohren nach vorn. Über der Schnauze bildeten sich scharfeingeschnittene Falten. Ein Zeichen, daß das kluge Tier auf irgend etwas aufmerksam geworden war. Aus dem aufgerissenen Rachen kam ein dumpfes Grollen. Langsam und steifbeinig stelzte Fenrir an den Männern und an der zitternden Pona vorbei und ging zum Haupteingang. »Jemand kommt. Wir werden wohl zu Heyzer Cor gebracht«, sagte Pona und ver flocht ihre Finger miteinander. »Er meldete sich nicht, als die Krolocs ka men«, sagte Pona. Balduur und Razamon liefen hinaus. Jen seits der schweren Tür waren undeutliche Geräusche zu hören. Ein scharfes Zischen
ertönte. Razamons Verdacht bewahrheitete sich, als er auf der rechten Seite der Platte die Hand auf das Metall legte. Es war stark erwärmt, fast heiß. Er drehte sich grinsend um und sagte: »Wir scheinen die Aufmerksamkeit einer Widerstandsgruppe erregt zu haben. Es ist unüblich, eine Gefängnistür mit Energie auf zuschweißen, anstatt normal zu öffnen. Zu rück, Freunde!« »Tatsächlich!« Sie hatten schätzungsweise zwanzig Mi nuten hier verbracht. Knirschende Ge räusche bewiesen, daß sich jemand an der Mechanik der Tür zu schaffen machte. Bal duur zog langsam sein Schwert und hob den Schild vor Brust und Hals. Zwischen dem Fels, der jetzt zu rauchen und zu knistern be gann, und der aufglühenden Metalltür zisch ten lange Funken hindurch. Ab und zu peitschte ein Strahlschuß durch das sich ständig vergrößernde Loch. Pona schrie be geistert in neuer Hoffnung: »Jemand befreit uns!« »So sieht es aus«, gab Balduur zurück. »Wenn es aber die Krolocs sind …« Er hob drohend sein Schwert. Fenrir blieb unruhig und lief vor ihnen hin und her, aber er heulte oder jaulte nicht. Irgendwelche Mechanismen klackten und knirschten in der Tür oder im Felsen. Dann rollte die Tür leise in einigen Schüben zurück und wurde ange halten, als ein etwa zwei Meter breiter Spalt entstanden war. Draußen erkannten die Ge fangenen vier merkwürdige Gestalten. Ihre Körper waren stumpfschwarz, und die Ge lenke blitzten chromfarben. »Ich werde verrückt!« sagte Razamon ehrlich erschüttert. »Es sind Roboter.« »Krolocische Roboter«, korrigierte Pona ebenso verblüfft. Ein Roboter schob sich durch den Spalt und wurde voll sichtbar. Er ging auf sechs Beinen. Die Beine hatten ein Gelenk mehr und trugen am untersten Ende kleine, elasti sche Kugeln. Aber damit waren die Ähnlich keiten mit den Krolocs auch schon fast er schöpft. Jeder Robot trug zwei Energielan
Korridor der Dimensionen zen. Mit pfeifender Stimme sagte der erste Robot: »Ich bin vom Steuermann manipuliert worden. Ich bin ein krolocischer Robot. Ich und drei andere Robots sind von Organfrag menten in Besitz genommen worden. Wir sind programmiert, euch zu helfen. Folgt uns. Wir haben Waffen für euch.« Ein eckiger Kopf voller deutlich abgesetz ter Sinnesorgane befand sich nicht an der Kante des Spinnenkörpers, sondern auf dem Rückenteil und fast in der Mitte. Der gesam te Apparat war schwarz lackiert und unge mein beweglich. Der erste Robot gab Baldu ur eine Strahlenlanze und sagte: »Der Auslöser ist hier. Die Bündelung wird hier eingestellt. Folgt uns.« Er drehte sich schnell auf der Stelle und tappte wieder hinaus. Eine zweite Maschine, ebenfalls eine Karikatur ihrer Erbauer, kam herein, übergab Razamon eine Waffe und richtete einen Satz verschieden großer Linsen mit unterschiedlichem Durchmesser auf Pona. »Schnell! Ich, der Steuermann, habe die Informationen dieser vier Maschinen ver wertet. Sie werden euch in die richtigen Fluchtanlagen führen.« Razamon und Balduur folgten entlang der schwelenden Teile aus dem Zellentrakt hin aus. Der dritte Robot gab Pona die Waffe und sagte: »Roboter versuchten, die BERSERKER zu untersuchen und kamen in meinen Ein flußbereich. Ich programmierte sie um. Die Organfragmente zog ich zurück. Nach Been digung der Operation werden sich die Ro bots selbst zerstören. Folgt mir.« Der vierte Robot wartete draußen. Er hat te nichts zu erklären. Balduur stieß ein geradezu herausfordernd fröhliches Lachen aus und stürmte hinter dem Robot mit dem fragmentartig konstru ierten Schädel her. Dieses Exemplar hatte drei verschieden lange, mit verschiedenen Werkzeugen besetzte Arme, mit denen es auf merkwürdige Weise herumfuchtelte. Die Robots bildeten eine Kette und rann ten so schnell, daß weder Balduur noch Raz
31 amon Schritt halten konnten. Pona blieb nach zwanzig Schritten zurück; Razamon machte kehrt und nahm sie bei der Hand. Den Schluß bildete eine Maschine mit einem Scheinwerfer auf dem oberen Teil ihres aus Kopf und Armen zusammengesetzten Ober körpers. Dieser Robot drehte seinen Halbkörper und richtete die Mündung der Strahlwaffe nach hinten. Der Korridor war leer; die Flüchtenden rannten in eine Richtung, die ihnen neu war. Der Gang wurde nach etwa hundert Metern, die sie in rasendem Tempo zurücklegten, schmaler und krümmte sich stark nach links. Sie waren außer Sicht eines Wächters, der vor dem Gefängnis stehen würde. Razamon rief seinem Robot zu: »Wohin bringt ihr uns?« Es war irritierend, diese schrille Stimme Pthora sprechen zu hören. »Nach Gossanya-Tal, eine Zone stärkster Verseuchung.« »Welcher Art ist die Verseuchung?« woll te Razamon wissen. »Unbekannt. Es steht nicht fest, ob sie wirklich existiert. Aber in meinen Speichern ist Gossanya-Tal als verseucht klassifiziert.« »Besser ungewiß verseucht als mit Ge wißheit gefangen«, dröhnte Balduur. »Wie weit ist es?« »Vier Ebenen und sieben Verbindungs korridore. Gossanya-Tal liegt dicht unter der Kruste von Hyrconia.« Sie stolperten eine spiralig gewendelte Rampe abwärts. Die letzten zweihundert Meter waren die Wände und die Räume zwi schen den Türen und Durchgängen noch un verändert mit den verschiedenen Darstellun gen der Krolocs geschmückt gewesen. Hier schienen sich die Künstler gefürchtet zu ha ben; die Beleuchtung wurde spärlicher, und viele angefangene und nicht vollendete Skulpturen und Friese unterbrachen die Felswände. Auch der Fels schien nur flüch tig bearbeitet worden zu sein. Ausgerechnet der Steuermann! Er hatte völlig richtig reagiert. Razamon und auch
32 Thalia hatten die Tätigkeit dieses seltsamen Pthor-Wesens eindeutig unterschätzt. Die Umprogrammierung von vier Kroloc-Ro botern war ein Beweis dafür, daß sich dieses Geschöpf regeneriert hatte und nicht mehr an Flucht von Pthor dachte. Darüber hinaus half der Steuermann den Pthorern. Es war verblüffend. »Wir kommen tatsächlich in fremdes und leeres Gebiet!« rief Razamon. Als neben ihm Pona stolperte, griff er nach ihr, hob im Laufen den leichten Körper hoch und versuchte, Pona so wenig rauh wie möglich auf seine Schulter zu stemmen. Sie half mit und hielt sich an seinem Hals fest. »Danke. Ich bin nicht stark«, flüsterte sie keuchend. Wieder, ging es nach einem Zick zacklauf durch verschiedene Gänge und eine lange Rampe abwärts. »Warum eigentlich abwärts? Vom Zen trum müßten alle Gänge geradeaus, radial zum Außenbereich führen!« rief Balduur un terdrückt. Die elastischen Laufflächen der Roboterbeine erzeugten ein dumpfes, schnelles Trommeln. »Keine Ahnung.« Einer der Roboter kreischte mit überkip pender Stimme: »Gossynya-Tal ist ein ural ter Teil von Hyrconia. Es gelten andere Maßstäbe. Schneller!« Sie folgten dem metallenen Anführer, der unbeirrbar durch die leeren und dunklen Gänge rannte. Hin und wieder blendete der Scheinwerfer des hintersten Robots auf und beleuchtete für die vier Wesen den Weg. Plötzlich bewies Fenrir wieder seine Intel ligenz. Er blieb stehen, stellte sich vor Razamon auf und machte merkwürdige Bewegungen. Der Atlanter fragte keuchend und schweiß überströmt: »Soll das heißen, daß du Pona tragen willst?« Fenrir kauerte sich zu Boden, und Raza mon setzte seine Last auf die Schultern des Wolfes. Pona fürchtete sich, aber schließ lich, als Fenrir sehr vorsichtig aufstand, krallte sie sich in die Nackenhaare und ver-
Hans Kneifel suchte ein schüchternes Lächeln. Die seltsa me Karawane rannte weiter und kam schließlich in einen kurzen, geraden Stollen. Er war wie eine Röhre geformt und bestand aus roh bearbeitetem Felsen. »Wir sind unmittelbar vor dem Labyrinth von Gossanya-Tal«, erklärte pfeifend ein Robot. Als der Korridor endete, sahen sie, daß die Maschine eine exakte Auskunft gegeben hatte. Vor ihnen erstreckte sich eine rätsel hafte, surrealistische Felsformation voller Löcher, vorspringender Kanzeln und schma ler Stege. Nur ein einziger schmaler Felssteg führte vom Ende des Stollens etwa dreißig Meter weit auf eine terrassenähnliche Fläche. Zwi schen dem Stollenende und der riesigen, durchlöcherten Felswand gähnte ein dunkler Abgrund. Der erste Robot lief geschickt über den viel zu schmalen Steg und blieb am gegen überliegenden Ende stehen. Er schrie laut: »Wir sind entsprechend programmiert worden. Unsere Aufgabe ist beendet!« »Halt!« schrie Balduur. Seine Stimme er zeugte zwar ein lautes Echo, bewirkte aber nichts. Der Robot sprang mit einer einzigen Bewegung vom Steg und explodierte fast lautlos in der Luft. Nach mehr als sechs Se kunden ertönte das Geräusch des ersten An pralls der Trümmer gegen die Felsen. Balduur, der hinter dem Robot hergerannt war, blieb mitten auf dem Steg stehen und sah sich verwirrt um. »Verrücktes Ding«, rief er. »Der Steuer mann ist übervorsichtig.« Der zweite Robot legte seine eigene Waf fe auf den Steg, schnellte sich nach links und löste sich ebenfalls in einer Serie von Detonationen auf. Razamon und Balduur spähten nach unten und sahen in dem flackernden, weißen Licht, wie tief dieser rund dreißig Meter breite Abgrund wirklich war. Der Steuermann hatte tatsächlich hervor ragend programmiert. Zwei Robots hatten sich schnell und präzise desintegriert. Die
Korridor der Dimensionen Spuren, die eventuell auf den schweigenden Gast im fremden Raumschiff deuten konn ten, waren nachhaltig ausgelöscht worden. Razamon zweifelte nicht daran, daß auch die beiden anderen Maschinen denselben Weg gehen würden. Der Wolf mit Pona auf den Schultern lief genau in der Mitte des Fels bandes auf die gegenüberliegende Öffnung zu. Nur Razamon stand noch im Bereich des Tunnels und nahm die Strahlenlanze des dritten Robots entgegen. Die Maschine rannte geradeaus, warf sich in den Abgrund und löste sich auf. Razamon sprang zur Seite, als der letzte Robot an ihm vorbeirannte und ebenfalls die letzten Bytes seiner Programmierung verarbeitete, um sich zu desintegrieren. Das letzte Krachen erscholl aus der Tiefe. Razamon, mit zwei Strahlenlanzen bewaff net, ging einige Schritte auf den Steg hinaus und blieb stehen. In dem schwachen Licht, das aus vielen jener unregelmäßigen Öff nungen schien, betrachtete er die Fläche vor ihm. Sie war größer als hundertsiebzig zu hun dertsiebzig Meter und wirkte entfernt wie die Fassade eines Hauses. Viele kleinere und größere Terrassen sprangen wie Zungen aus der Linie des Felsens hervor. Dahinter wa ren Öffnungen wie Fenster oder Türen, auf merkwürdige Weise aus den zerklüfteten Steinmassen herausgesprengt. Niemand war zu sehen, es gab auch keine erkennbaren Spuren von Verseuchung. Keine Terrasse und keine Öffnung war der anderen gleich. »Los! Komm mit uns!« rief Balduur. Er befand sich bereits innerhalb der Wand und winkte herüber. »Sofort!« Dies also war der einzige halbwegs siche re Zufluchtsort für alle in Hyrconia, die von den Krolocs verfolgt wurden. Aus welchem Grund ausgerechnet diese Mauer als Laby rinth bezeichnet wurde, war Razamon nicht klar. Er begriff es auch nicht, als er vorsich tig über den Steg ging und schließlich neben seinen Freunden stehenblieb. »Wir müssen tiefer hinein. Hier sind wir
33 für jeden zu sehen.« »Meinetwegen.« Langsam bewegten sie sich geradeaus weiter. Vor ihnen wurde es heller, aber das Licht änderte seine Farbe. Links oben gab es eine blauweiße Insel der Helligkeit, schräg rechts von ihnen brannte ein düsteres Rot. Es gab alle denkbaren Farben, größere oder kleinere Nester und Ballungen in allen Tei len des dunklen Raumes. Nur zögernd ge wöhnten sich ihre Augen an das ungewöhn liche Bild. Razamon sagte, vorsichtig weitergehend: »Wir sind wirklich in einem Labyrinth, Freunde!« An die durchlöcherte Wand schloß sich ein riesenhafter Bezirk an. Er war ausgefüllt von waagrechten und senkrechten Platten. Sie ergaben von hier aus gesehen tatsächlich das Bild eines ineinandergeschachtelten Sy stems von offenen Kästen aller Größen. Ein wahnsinniges Gehirn mußte diesen Bauplan gezeichnet haben. Auf den waagrechten Flä chen schienen sich Gestalten zu bewegen. Die vielen Terrassen oder Balkone waren miteinander durch haarsträubend kühne Rampen, Treppen und Stege verbunden. Es war ein eigenartiger Höhlenkosmos, düster und seltsam riechend. »Was sollen wir hier eigentlich«, sagte Balduur und feuerte einen kurzen Schuß aus der Lanze ab. Der Strahl zuckte röhrend nach oben und zerplatzte am Fels. Ein Fun kenregen erhellte kurz die Umgebung. »Wir sind erst einmal den Krolocs ent kommen. Du denkst, daß eine Flucht immer nur eine Stunde dauert?« fragte Razamon sarkastisch zurück. »Das nicht. Aber ich ahne schon, daß wir hier niemanden finden, der uns schnell zum Erfolg weiterhilft. Sonst wären sie vermut lich selbst geflüchtet.« »Daran ist etwas Wahres«, stimmte Raza mon zu. »Sehen wir weiter.« Auch jetzt waren Fels und glatter Stein unter ihren Sohlen. Balduur führte, die ande ren folgten. Je tiefer sie in diesen Wirrwarr eindrangen, desto stechender wurde der Ge
34 ruch. Die Lichtinseln zeigten ihnen schatten hafte Gestalten, die sich langsam bewegten. Sie standen da und starrten die Neuankömm linge schweigend an. Die riesige Höhlung breitete sich in alle Richtungen aus. Mindestens zweihundert verschiedene Flächen, jeweils auf andere Art und durch eine andere Lichtfarbe genau ab gegrenzt, schwebten überall. Es gab keine sichtbaren Wände, nur unendlich viele Flä chen. Man würde tagelang auf den Rampen hinauf, hin und her und abwärts steigen müssen, um jede Plattform zu sehen. Raza mon schauerte, als ihn wieder ein Luftstrom traf, der entsetzliche Gerüche mit sich schleppte. Er kam von oben und wehte Staub auf. »Vermutlich sind die Insassen dieses stin kenden Asyls ebenfalls Gefangene wie wir. Sie werden uns Tips geben können«, sagte Balduur und drehte suchend den Kopf. »Wenn sie wollen und uns verstehen«, meinte Pona. Sie hatte sich erholt, aber sie saß noch immer auf Fenrirs Rücken. Die Umgebung machte sie alle unsicher, sie wußten nicht, was sie davon zu halten hat ten. Sie blickten hierhin, dorthin, und schließlich, wie auf Kommando, blieben sie stehen und starrten sich gegenseitig an. »Wir sind bewaffnet. Die Krolocs und ih re Roboter werden uns jetzt schon suchen. Sie sind überdies in der Mehrzahl. Vermut lich werden wir hier bleiben müssen«, sagte Razamon nachdenklich. »Mir fällt nichts da zu ein.« »Mir auch nicht. Die Roboter sind ver glüht, und wir haben noch das Problem mit der Verseuchung. Wir sollten uns direkt an Heyzer Cor wenden.« »Du bist verrückt«, entfuhr es Pona von der Lichtung. »Ausgerechnet an den Kom mandanten von Hyrconia! Meinst du, er schenkt uns eine seiner Flugscheiben?« »Schwerlich«, murmelte Razamon. »Trotzdem ist das die einzige Idee, die ich habe.« Pona schüttelte verzweifelt den Kopf. Von rechts ertönte ein langanhaltendes Ge-
Hans Kneifel räusch, das wie ein zischendes Gelächter klang. Sie fuhren herum, Fenrir hätte beina he Pona von seinem Rücken geschleudert. Von einer Plattform schräg über ihnen, rund fünfzehn Meter entfernt, hoben sich ein langer Schlangenkopf und ein noch längerer Hals. Das Wesen stützte sich mit zwei Rep tilienpranken auf und bewegte Kopf und Hals wie suchend hin und her. Wieder stieß dieses Wesen ein Zischen aus und gurgelte laut. »Ihr wollt zu Cor?« Das Wesen sprach ein keuchendes Krolo cisch. Pona übersetzte und fragte zurück: »Wer bist du?« »Ich bin Actic. Seit viel zu vielen Jahren hier gefangen. Von den Krolocs irgendwo erbeutet. Ich kenne Gossanya-Tal sehr gut.« Wieder übersetzte Pona. Je länger sie sprach, desto größere Pausen machte sie zwischen den Worten. Sie fragte: »Und die anderen hier?« Es war eine längere Antwort. Das schlan genähnliche Wesen sprang von der Platt form und federte neben ihnen zu Boden. Es ringelte seinen Körper zusammen, benützte einen langen Reptilienschwanz wie eine Spi ralfeder und stemmte sich wieder hoch. Auf der Terrasse, von der er heruntergesprungen war, bauten sich ein Dutzend seiner Artge nossen auf. Sie schrien im Chor: »Wir sind seine Freunde. Wir sind Raum fahrer! Wir wollen auch fliehen!« »Es wird immer dramatischer«, knurrte Razamon. Balduurs Arm lag auf dem Nacken des Fenriswolfs. Er betrachtete die seltsame Gruppe mit äußerstem Mißtrauen. »Du kennst also Gossanya-Tal sehr gut?« »Richtig.« »Warum ist dieses Gebiet verseucht?« »Ich kenne nur die Sagen. Gossanya-Tal ist dicht unter der Kruste des Asteroiden. Es führen Gänge und Schächte hinaus, natürlich verschlossen. Vor undenkbarer Zeit hat man hier mit Kernenergie die Räume geschaffen. Mag sein, daß man sich in der Halbwertzeit geirrt hat. Jedenfalls haben die Krolocs Angst, hier aufzutauchen. Sie schicken im
Korridor der Dimensionen mer ihre Roboter, aber die Maschinen sind zu dumm für diesen Irrgarten. Und es gibt auch geheime Stollen, die bis zum Bezirk Heyzer Cors führen.« Stockend übersetzte Pona. Es war deutlich zu merken, daß sie über dieses Thema höchst ungern sprach. Der Versuch, den Kroloc-Anführer als Geisel zu nehmen und zu fliehen, erschien ihr als geplanter Selbst mord. Razamon wartete, bis alles übersetzt war, und hörte dann den Chor der Schlan genwesen schreien: »Wir helfen euch. Ihr habt Initiative und seid mutig. Wir zeigen euch alles. Wir hel fen auch gegen die neidischen Satalas dort oben. Die rote Plattform. Es sind lauter dumme Gefangene.« Razamon hob die Arme und sagte mit Entschiedenheit: »Schon allein deshalb, weil wir dieses Ir renhaus hier verlassen können, sollten wir den Versuch wagen. Allerdings ohne Pona.« »Ihr seid wirklich verrückt!« rief Pona mit rauher Stimme aus. »Die anderen Gefange nen haben solche verzweifelten Aktionen si cher auch schon geplant.« Actic fauchte und gurgelte: »Geplant, aber niemals ausgeführt. Nur wir sind schlau. Die anderen sind alle blöde.« »Es scheint wenig Liebe oder Gemein samkeit hier zu herrschen«, sagte Balduur schroff. »Komm, Partner«, erwiderte Razamon. »Gehen wir, um die Dinge in Bewegung zu setzen. Vielleicht kämpfen die anderen mit, wenn wir Erfolg haben.« »Wahnsinnige!« rief Pona. »Wir werden alle sterben.« Actic stimmte sein grausiges Gelächter an und sprang vor den vier Gefangenen in selt samen Sprüngen auf und nieder. Er schien voller Begeisterung über den unverhofften Besuch zu sein. Und über die bevorstehende Unterbrechung des eintönigen Einerlei der langen Jahre.
8.
35 Irgendwie schienen Actic und seine Art genossen Kollektivwesen zu sein. Actic hob seinen Körper in die Höhe und lief auf vier Beinen. Der lange Schwanz, der mit schil lernden Schuppen besetzt war, war eine Art Gleichgewichts- und Balanceorgan. Actic hatte vier Beinpaare; er nahm sich eine Energielanze von Pona und sagte in seiner eigenartigen Sprechweise: »Wir, das tollkühne Dutzend, werden Schwanz an Schwanz mit euch kämpfen. Wir leiten euch sicher durch die Fährnisse des Irrgartens.« Nacheinander sprangen die elf anderen Schlangenwesen von der Plattform. Raza mon, den Text der pathetischen Rede über setzt im Ohr, sah fassungslos und zwischen Verzweiflung und Gelächter schwankend zu und zählte. Jedes Wesen federte sich vom Boden hoch, entblößte einen Krokodilrachen und nannte seinen Namen. »Ectic!« »Nactic!« »Zactic!« Und so weiter. Auch ihre Bewegungen waren ziemlich synchron. Sie schienen alle ein mißgünstiges, aber gesprächiges, irgendwie laszives Völkchen zu sein. Aber im Hin blick auf eine geglückte Flucht hätten sich Balduur und Razamon auch mit Fledermäu sen, Stinktieren oder bissigen Katzen ver bündet. Die Nectics und Vectics formierten sich zu zwei Reihen und tänzelten neben den Fremden von Pthor dahin und Actic hinter her. Er schien genau zu wissen, wohin es ging, denn er führte sie in beträchtlicher Ge schwindigkeit einen Mittelgang entlang, mehrere Rampen aufwärts und dann auf ei nem Steg quer hinüber zur anderen Seite. Mit höflichem Gurgeln sagte er zu Pona von der Lichtung: »Schönste Freundin! Wir werden dich bei den sanftmütigen und mit Nahrung reich versehenen Haarelfen lassen. Sie sorgen für dich, bis die kühnen Kämpfer narbenbe deckt, aber erfolgreich wieder zurückkehren und dich vor der Wut der Krolocs schützen
36 können.« Razamon wartete, bis Pona übersetzt hat te, und antwortete dann: »Wenn unser Vorhaben so glatt geht wie dir der Text von den Lippen, dann müssen wir Erfolg haben, Actic!« »Was sagte ich anderes?« Die sanftmütigen Haarelfen kauerten, mit einander verschlungen, auf einer Plattform voller kissenähnlicher Gegenstände. Einige Leuchtkörper, tief im Felsen versenkt, ver breiteten grünes Licht. Die Haarelfen waren winzige Geschöpfe mit silbrig schimmerndem Pelz. Sie sahen schutzbedürftig und krank aus, aber der Eindruck täuschte wohl. Actic baute sich vor ihnen auf, stieß sein zi schendes Gelächter aus und bat sie, auf Pona achtzugeben und sie zu füttern. Das Kom mandounternehmen, sagte er, würde in Kür ze wieder zurück sein. Eine der Elfen, nicht größer als ein Meter, sagte mit kindlicher Stimme: »Wir haben gehört, daß in Gossanya-Tal ein Fluchtfahrzeug vorhanden ist. Aber es kann auch ein Gerücht sein.« Pona versprach: »Wir werden versuchen, dem Gerücht nachzugehen. Ihr wollt tatsächlich zu Hey zer Cor vordringen?« Razamon erwiderte nachdenklich: »Wir sind keine Selbstmörder. Aber wir rechnen uns gute Chancen aus, mit Cor als Geisel fliehen zu können, um Pthor vor einer Invasion zu retten. Das ist unser Ziel. Rich tig, Balduur?« »Ich bin deiner Meinung. Los, Actic, ge hen wir.« Die Schlangenwesen begleiteten sie bis ins tiefste, unterste Innere des Irrgartens. Sie sahen auf diesem Weg erstaunliche Bilder. Viele verschiedene Wesen waren von den Krolocs geraubt oder gefangengenommen worden. Sie hatten es alle, einzeln oder in Gruppen, geschafft, sich nach Gossanya-Tal durchzukämpfen. Hier warteten sie in qual voller Dunkelheit. Wie sie es schafften, Nahrung und Flüssigkeit zu finden, war Razamon schleierhaft. Aber je tiefer sie hin-
Hans Kneifel eingerieten, desto mehr Reste technischer Anlagen waren zu sehen. Zweifellos hatten die Krolocs dieses Gebiet innerhalb ihres Stützpunkts aufgegeben. Aber – aus wel chem Grund? Razamons linkes Bein begann wieder zu schmerzen. Er versuchte, diese Belastung so gut wie möglich zu ignorieren; mit Balduur, der es ohnehin nicht verstanden und als Schwäche aufgenommen hätte, sprach er nicht darüber. Tropfende Rohre, dicke Energiekabel, technisch aussehende Beleuchtungskörper und Unmengen von festgetretenem und festgebackenem Unrat kennzeichneten diesen Bereich. Balduur rief von vorn: »Vielleicht war Gossanya-Tal ein erster Versuch, das Innere eines Asteroiden als Wohnbezirk zu gestalten. Diese Anordnung entspricht der Auffassung von Ameisen oder Termiten.« »Du magst recht haben«, sagte Razamon. »Und in einem Ameisenbau gibt es Hunder te von Gängen, Notstollen und ähnliche Ein richtungen.« Nach einem langen Irrweg abseits des be lebten Gebiets kamen Fenrir, Actic, Raza mon und Balduur, bewaffnet mit insgesamt fünf Strahlenlanzen, an ein rostiges Schott. Der schmale Gang endete blind vor diesem Verschluß. Wortlos machten sich Razamon und Balduur an der wuchtigen Verriegelung zu schaffen. Sie vermochten die Riegel erst dann zu lösen, als sie das Metall mit Energiestrahlen stark erhitzt hatten. Mehrere wuchtige Hiebe von Balduurs Schwert bewegten die Hand griffe. Mißtönend kreischend schwang das Schott auf, als Balduurs gewaltige Kräfte an der Metallplatte rissen. Der Tunnel ins Un bekannte war offen. Der Vorstoß ins Haupt quartier konnte stattfinden.
* Schweigend tappten sie durch die stinken den, lichtlosen Gänge, Treppen und Stollen. Meistens waren die glimmenden Spitzen der Energielanzen die einzigen Lichtquellen.
Korridor der Dimensionen Razamon hinkte an letzter Stelle, vor ihm lief Fenrir. Razamon überlegte, wieviele hundert Kilometer er im Lauf seines Lebens schon durch derartige Gänge zurückgelegt hatte. Es ergab sicherlich eine ungeheure Strecke. Er grinste kurz und sah weit vor sich undeutliche Helligkeit. Als sie das Ende des Ganges erreicht hat ten, blieb Actic stehen und sagte langsam in dem Versuch, genau verstanden zu werden: »Ich hier warten. Alles vorbereiten. Ihr immer geradeaus. Nectic und Haptic auch helfen. Versteht?« »Verstanden«, sagten Balduur und Raza mon gleichzeitig. »Wir werden es schon schaffen.« Weiter, schneller, immer wieder über Rampen und durch enge Durchlässe hin durch, vorbei an uralten technischen Instal lationen und durch offenstehende Schotte. Sie merkten sich den Weg. Sie konnten si cher sein, daß auch Fenrir mit seinem un glaublichen Spürsinn sie auf den richtigen Weg zurückbringen würde. Jetzt änderte sich das Aussehen der Gänge wieder. Ange fangene Plastiken, mehr Beleuchtungskör per, sorgfältiger bearbeitete Wände und ein glatter Boden ohne Abfallspuren ließen dar auf schließen, daß man sich der bewohnten Zone schnell näherte. »Hör zu«, flüsterte Balduur eindringlich in die nervös zuckenden Ohren des Wolfes, »du mußt uns auf dem schnellsten und kür zesten Weg dorthin führen, wo wir verhört wurden. Zu Heyzer Cor. Wir müssen ihn finden.« Fenrir jaulte leise und stieß ein heiseres Knurren aus. »Versuche, den wichtigsten Punkt zu fin den, Fenrir!« murmelte Balduur. »Wir ver lassen uns auf dich. Wir brauchen dich!« Wieder knurrte der Wolf. Nach einigen Schritten gelangten sie an ein System von Kammern und Türen aus Stahl. Die Anlage war gepflegt und voller Darstellungen der Krolocs. Die Beleuchtungskörper in den Decken strahlten mildes Licht ab. Balduur senkte seine beiden Lanzen, die er in seiner
37 rechten Hand hielt. »Riskieren wir es?« »Meinetwegen.« Das letzte Schott schwang auf und wurde sofort wieder geschlossen. Ein blitzschneller Rundblick zeigte, daß die anschließenden Hohlräume leer waren. Aber von irgendwo her kamen Lärm und Geräusche, die mögli cherweise Musik bedeuteten. Fenrir zeigte, daß er begriffen hatte. Er spurtete geräusch los davon. Die Atlanter folgten und sicher ten während des Rennens nach allen Seiten. Wieder begleiteten die bekannten Darstel lungen ihren Weg: Friese, Statuen, Figuren und Reliefs aller Art. Hier allerdings schie nen sie nicht aus Stein, sondern aus Metall zu sein. Die Pthorer kümmerten sich nicht darum, sondern rannten weiter. Sie konnten nicht mehr zurück und wollten es auch nicht. Die Erregung darüber, daß sie vermutlich kurz vor der geglückten Flucht standen, hat te sie ergriffen. Aus einem Korridor heraus gelangten sie, während Musik und Lärmen lauter und eindringlicher wurden, auf eine Rampe. Die Rampe führte hinaus auf einen Wendelgang, der nur einer von vielen war. Die terrassenförmig ansteigenden Balustra den umschlossen eine tiefgelegene Platt form; die Anordnung wirkte wie ein Amphi theater. Auf den verschiedenen Ebenen unter den Pthorern wimmelte es von Krolocs. Sie wa ren nicht bewaffnet, aber sie schienen ir gendwelche Szenen vorzuführen. Die Balu strade vor den Eindringlingen war leer, und im Laufen warfen sie ab und zu einen Blick nach unten. Eindeutig fanden Feierlichkeiten statt. Ein unsichtbares Orchester spielte Mu sik, deren Klänge in den Ohren schmerzten und deren wilde Rhythmen die Männer stol pern ließen. Die Krolocs trugen seltsame Masken und Dinge, die an Feldzeichen erin nerten. Sie bildeten Reihen und Muster, sie schienen zu der Musik zu tanzen. »Vermutlich«, keuchte Razamon, der mit schmerzendem Bein hinter Fenrir einher hinkte, so schnell er konnte, »sind es Dar stellungen aus vorkrolocischer Zeit. Der lan
38 ge Weg der Parasiten zur Macht.« »Wir sind an einem Feiertag hier einge drungen«, brummte Balduur und stürmte weiter. Der Riesenwolf rannte bis an das Ende der Balustrade und blieb rutschend vor einer Metallplatte stehen. Sie war mit der gleichen Art von silbernen Linien verziert wie der Körper jenes Vorgesetzten, der sie verhört hatte. »Hinein. Du gibst mir Feuerschutz, Raza mon!« stieß Balduur hervor und griff mit der linken Hand nach dem tief unten angebrach ten Knauf. Den Schild hatte er auf den lin ken Oberarm hinaufgeschoben. »Los!« Die Tür schwang auf und krachte gegen die Wand. Fenrir sprang hinein und hetzte mit riesigen Sätzen auf den Tisch im Hinter grund des niedrigen Raumes zu. Razamon feuerte einen kurzen Strahlschuß quer durch den Raum und dicht über den hochgerisse nen Armen des Kommandanten in die Rück wand. Dann wirbelte er herum und schlug die Tür zu. Balduur rannte geradeaus und zielte mit der Doppellanze auf den einzelnen Kroloc. Der Kroloc griff nach einer reich verzierten Energielanze, die quer über seinem Tisch lag. Balduur ließ seine Waffen fallen, riß das Schwert heraus und schlug mit der Breitseite einmal wuchtig zu. Die beiden Kopfarme des Wesens wurden zur Seite geschleudert, und der Kroloc begann schrill zu pfeifen. Razamon feuerte vor ihm auf die Tisch platte und setzte unbekannte Gegenstände in Flammen. Fenrir stand neben dem Komman danten und hielt einen Kopfarm im Rachen, aber er biß nicht zu. »Du Gefangener. Mitkommen. Schnell. Sonst tot«, sagte Razamon in gebrochenem Krolocisch. Langsam stemmte sich der Kommandant hoch. Sein Körper war ebenfalls von vielen silbernen Linien verziert, aber im Gegensatz zu dem anderen Anführer glänzten an den Kreuzungspunkten große Klumpen, die an schlecht geschliffene Edelsteine erinnerten.
Hans Kneifel Der Kommandant kam, halb von Fenrir ge zogen, hinter dem Tisch hervor. Balduur hob die Waffen auf und berührte mit den Spitzen den Körper des Kommandanten. Heyzer Cor machte einen weiten, erschreckten Satz. Er schrie die drei Fremden an. Nur einzelne Worte wurden verstanden. »… verrückt … schnell … Rache … un möglich … Verfolgung …« »Schon gut«, sagte Razamon. »Die Zeit drängt. Mitkommen!« Sie zerrten Heyzer Cor mit sich. Immer, wenn er sich loszureißen versuchte, biß Fenrir zu, und Balduur rammte ihm die Waf fe in den Körper. Die Umgebung sah aus, als wäre sie nicht die administrative, sondern die private Sphäre des Kommandanten. Raz amon öffnete die Tür und spähte hinaus. Der geschwungene Korridor war noch immer leer; er verlief dicht unter der künstlerisch gestalteten Decke des Theaters oder Ver sammlungsraums. »Es geht. Schnell, Balduur!« rief er unter drückt und riß die Tür weit auf. Diesmal führte er an. Fenrir warf seinen Körper herum, renkte dem Kommandanten fast einen Kopfarm aus, und Balduur bildete die Nachhut. Sie rannten, so schnell sie konnten, den Weg zurück. Noch immer tob te unten die Musik, noch immer versuchten die Krolocs, ihr Schauspiel zu gestalten. Aber es war klar, daß eine gewisse Unord nung in die Szenen gekommen war. »Weiter. Nicht aufhalten!« Sie hatten etwa zwei Drittel der frei ein sehbaren Strecke hinter sich gebracht. Hey zer Cor schien begriffen zu haben, daß sie es ernst meinten. Er verhielt sich schweigend und versuchte nicht mehr, sich loszureißen. Plötzlich hörte die Musik auf. Ein gewalti ges, schrilles Lärmen erhob sich. Dann, eini ge Sekunden später, schwiegen die Hunder te, oder Tausende Krolocs. Eine scharfe, grelle Stimme ertönte und rief Befehle. Wie der begann das Lärmen von vielen Stimmen. Die Krolocs schienen ihre Masken und zere moniellen Ausrüstungsgegenstände wegzu werfen und aufzubrechen.
Korridor der Dimensionen »Sie sind hinter uns her«, sagte Razamon scharf. »Gleich sind wir in unserem Ge heimsystem.« Er prallte förmlich auf das Schott und riß es mit bebenden Fingern auf. Sie stießen Heyzer Cor durch die Öffnung, und als er sich gegen den Rahmen stemmte, biß Fenrir zu. Balduur riß die Schleusentür zu und feu erte aus sicherem Abstand auf die Riegel. Er schmolz sie zusammen – es würde ihnen je denfalls einen gewissen Zeitaufschub geben. Am Ausgang der Kammern und Schleusen stießen sie auf Actic und Nectic. Die Schlan genwesen hielten die restlichen Strahlenlan zen in ihren Klauen und zielten auf die Decke. »Wir helfen. Aha. Kommandant. Heyzer Cor … schön.« Er deutete mit den Krallen ins Innere der Gänge. Als Razamon vorbei war, feuerten die Schlangenwesen in die Decke und ver suchten, die schweren Platten auseinander zutrennen. In den Ecken und den Haltepunk ten schmolz knirschend und rauchend das Gestein. Einige Brocken lösten sich und pol terten krachend herunter. Schritt um Schritt zogen sich die beiden Wesen zurück. Eine Platte löste sich und zerschellte in den Trümmern. Hinter der Verzierung brach eine gewaltige Menge loses Gestein hervor, hüll te alles in eine ätzende Staubwolke und riß die Leitungen ab. Grelle Blitze hämmerten durch den Staub. Wieder sackte ein anderer Teil herunter, löste sich auf und kippte ins Innere der Kammer. Die Schlangenwesen verschlossen das nächste Schott, ver schweißten die Riegel und wiederholten ihr Zerstörungswerk in der nächsten Schleuse. Es würde schwer sein, durch die Geröll massen durchzustoßen. Dann hasteten Actic und Nectic den ande ren nach.
* Etwa nach einem Drittel der Strecke hielt Actic an und hob die Energielanze. Er wand te sich an seinen Artgenossen und fragte
39 Skeptisch: »Du meinst, daß die Krolocs diesen Schlag hinnehmen?« Über ihnen hing ein riesiger Felsblock aus der Wand. Der Stollen führte darunter vor bei, einige lose Leitungen hingen bündel weise herunter. »Keinesfalls. Aber der Kommandant als Faustpfand kann uns allen nützen. Die Fremden haben die Dinge in Bewegung ge bracht.« »Zugestimmt. Wir unterstützen sie also weiter?« »Selbstverständlich, Actic.« Actic rannte weiter, hob die Lanze und feuerte in die Basis des Felsbrockens. Kurz darauf brannte sich der zweite Strahl zi schend ins Gestein. Wieder hallte das schau erliche Knirschen der Felsmassen durch die Gänge. In einer Wolke aus Rauch, glühenden Spritzern und Gesteinstrümmern brach der gewaltige Brocken zu Boden und ver keilte sich zwischen den Wänden. »Ein Hindernis mehr. Auf diesem Weg werden sie Gossanya-Tal nicht betreten.« »Wenn sie sich tatsächlich in diese Zone hereinwagen. Glaubst du daran, daß bei uns ein Fluchtfahrzeug versteckt ist?« »Es ist durchaus möglich. Keiner in Gos sanya kennt die anderen Gruppen wirklich.« Sie hasteten weiter und kamen schließlich an die Stelle, an der die Geheimgänge in das Wirrwarr des Irrgartens überleiteten. Actic und Nectic waren verwundert, als ihnen ein ungeheurer Lärm entgegenschlug. Gossanya-Tal war im Aufruhr. Schreie er tönten, die vielen Lichter flackerten, Schüs se aus Strahlwaffen peitschten durch das ge waltige Gewölbe. Aufgeregt eilten Actic und Nectic weiter und trafen auf einem der brei teren Korridore die anderen Mitglieder ihrer Gruppe. »Was ist los?« »Die Krolocs greifen an. Sie kämpfen sich über den Steg und scheinen zu wissen, wo die Gegner sind.« »Wo sind sie?« »In der Nähe des Eingangs. Die fremden
40 Krieger kämpfen bereits gegen sie.« Plötzlich drängte sich ein merkwürdiges Wesen zwischen sie. Es war ein Satala, einer aus einer Gruppe von schätzungsweise vier zig Individuen. Er sagte in einigermaßen verständlichen Krolocisch: »Ist es richtig, daß Pona die Enkelin des Lichtfürsten Nurcrahn von der Lichtung ist?« Actic, der die Satalas keineswegs schätz te, bezwang sich und erwiderte langsam: »Es mag sein. Ich habe keine entspre chende Information. Pona ist bei den Haarel fen gut aufgehoben.« Der Satala wirkte wie ein Würfel. Eine Unzahl von kleinen Beinen unterhalb des kantigen Körpers bewegte das Wesen, das durch die Gänge huschte wie ein schwebendes Fahrzeug. Der Körper war in schreien den Farben wild gemustert. Um die Mitte lief ein schwarzes Band, das von Sinnesor ganen in willkürlicher und völlig asymmetri scher Anordnung unterbrochen war. Auf der obersten Fläche wuchs ein dickes Büschel drahtartiger Haare oder Federn hervor, das dem Satala ein irreführendes heiteres Ausse hen verlieh. Die Haare spreizten sich und fielen nach allen Seiten. An jeder Kante des Würfels, der etwa eineinhalb Meter hoch war, gab es einen Arm, dessen Endglieder in einer anderen Form ausgeprägt waren. Auch diese unvernünftige Asymmetrie ärgerte die Schlangenwesen und verhinderte bisher einen Dialog mit den Satalas. Aber jetzt wa ren andere Dinge wichtig; für kleinlichen Streit war keine Zeit. »Die Haarelfen gaben diese Information weiter. Wir haben ein Fluchtfahrzeug gefun den!« »Wie?« »Ein Zufall. Ein Erzeugnis der Krolocs. Aber nur ein einziges Wesen kann darin Platz finden. Wir wissen zudem nicht, ob das Ding funktioniert. Es sieht aus wie ein Torpedo.« Nectic rief laut: »Wir befragen Pona von der Lichtung. Wenn sie wirklich mit dem Lichtfürsten ver-
Hans Kneifel wandt ist, wird sie uns helfen, wenn sie frei ist. Außerdem sollte sie schleunigst hier ver schwinden, denn die Krolocs werden sie brutal benutzen. Kümmert ihr euch darum, Satala?« »Nicht euretwegen, sondern wegen der gemeinsamen Sache«, versprach das Wür felwesen. Sie alle oder fast alle waren Raumfahrer, aus diesem Grund waren sie an bestimmte Verhaltensregeln gewöhnt. »Gut. Wir vertrauen euch kurzfristig. Wir kämpfen an der Seite der drei Fremden ge gen die Krolocs!« »Viel Glück. Schlagt sie zurück.« Actic und seine Artgenossen stürmten weiter, rasten die Rampen hinunter und hin auf und sahen ihre schlimmsten Befürchtun gen bestätigt. Überall rannten die geflüchteten Gefange nen umher. Aber überraschend viele von ih nen brachten seltsam aussehende Waffen zum Vorschein und rannten instinktiv hinter Actic und seinen Leuten her. Der Kampf erreichte gerade dort, wo der Steg in das Labyrinth mündete, seinen ersten Höhepunkt. Fenrir und eine Anzahl anderer Gefange ner hielten den Kommandanten fest. Sie fes selten ihn mit Stricken oder Bändern, die sie fanden. Razamon kauerte in einer ausge zeichneten Deckung und schoß mit der Strahlenlanze auf die Gegner. Es gab eine unübersehbar große Menge davon. Eine Roboterarmee der Krolocs, alle stumpfschwarz und mit blitzenden Gelen ken, viele davon mit integrierten Waffen, rückte aus den Korridoren und Gängen ge gen Gossanya-Tal vor. Nur der Steg, der höchstens zwei von ih nen gleichzeitig gestattete, vorzudringen, verhinderte im Moment eine Katastrophe.
* Neun der »dummen« Satalas, jeder von ihnen mit einer hell strahlenden Lampe, ra sten die Rampe hoch, überquerten einen schmalen Verbindungssteg und näherten
Korridor der Dimensionen sich der Plattform der Haarelfen. Ihre Bewe gungen waren seltsam; sie schienen zwei oder drei Handbreit über dem Boden zu schweben. Die Lampen bildeten helle Punk te in dem Chaos der aufgeregten Flüchtlin ge. Ihr Versteck war entdeckt worden, die Gefahr kam direkt auf sie zu. Auf der Platt form der Elfen hielten die Satalas an. »Du bist Pona von der Lichtung?« Pona richtete sich auf und sagte müde: »Ja. Das trifft zu.« »Dein Onkel ist der Lichtfürst Nur crahn?« Sie richtete vorwurfsvolle Blicke auf die Elfen, die sich umeinander ringelten und einen einzigen Knäuel bildeten. »Ihr habt es verraten – ja, auch das stimmt.« »Dann kommst du sofort mit uns. Wir können dich retten.« »Das ist unmöglich! Sie werden gleich hier sein und uns alle töten.« Aus der Mitte des Würfels, aus einer wei ßen Membran, knarrte die Stimme des Sata la: »Es ist ein Geschäft. Wir retten dich oder sorgen dafür, daß du flüchten kannst. Du hilfst uns, wenn es dir gelingt. Ein fairer Vorschlag?« Pona begann zu zittern, aber sie erwiderte trotzdem: »Fair. Das ist die Wahrheit?« »Ja. Aber das Vehikel ist alt. Wir sind Raumfahrer. Fünf von uns kümmern sich bereits darum. Die Zeit drängt. Los!« »Ich komme«, sagte sie und ließ sich von den Würfelwesen mitziehen. Sie eilten auf den Rampen und Stegen in irgendeinen Winkel, der weit oberhalb lag, hinter zahllo sen Ebenen und Wänden verborgen. Dort, abermals nur im Licht der Handlampen, blieben sie vor einem seltsamen Gefährt ste hen. Es sah aus wie ein Fisch mit vielen dreieckigen Flossen und glänzte an einigen Stellen, an den meisten anderen war der Flugkörper stark verrostet und von Öl- und Schmutzspuren bedeckt. Ein Satala rief:
41 »Ich habe die Tunnelsysteme reparieren können. Sie haben damals funktioniert. Sie sind in Ordnung, meine ich.« Der Flugkörper, etwa zehn Meter lang, steckte mit der spitzen Schnauze in einem runden Schacht. Einfache Gleitlager berühr ten rostige Führungsschienen, die im Schacht verschwanden. Die Öffnung stand offen, und gerade zwängte sich ein Satala daraus hervor. Er knarrte: »Sieht ganz gut aus. Wir brauchen nur das Ziel richtig zu programmieren.« Ein anderer wandte sich an Pona. »Du mußt in die Flugkapsel. Sie wird ro botisch gesteuert. Aber wir brauchen das ge naue Ziel. Sonst kommst du nicht weit, Pona.« »Ich verrate den Standort der Lichtung nicht.« »Du weißt, daß die Krolocs die Lichtung kennen«, sagte derjenige, der sich in dem Flugkörper aufgehalten hatte. »Außerdem sind sie in Kürze hier. Entscheide dich, Pona. Und das möglichst schnell.« »Ich habe mich bereits entschieden. Ich danke euch. Wie kann ich dieses Gerät pro grammieren?« »Kennst du die Koordinaten?« »Ja.« »Sage sie mir. Und wenn dich die Flug scheiben festhalten, mußt du das Programm löschen. Ich zeige dir, wie man das macht.« Sie brauchten etwa eine halbe Stunde. Dann schlüpfte Pona in den staubigen, stickigen Liegesessel und ließ sich anschnal len. Vor ihrem Kopf befand sich ein winzi ger Bildschirm. Der Eingang schloß sich und wurde von außen verriegelt; Pona drückte einige Sicherungshebel herunter. Sie wußte nicht, was sie erwartete. Trotzdem hoffte sie, daß dieses uralte Gefährt funktio nieren möge. Die Flugkapsel bewegte sich. Sie wurde in den Schacht hineingeschoben. Ein Klirren war zu hören, sehr gedämpft und außerhalb der Kapsel. Dann traf ein harter Stoß das Fluggerät. Es schoß mit ständig zu nehmender Geschwindigkeit durch den Tun nel. Die uralten Führungsaggregate heulten
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und kreischten, dann durchbrach die Nase des robotischen Geräts eine Folie und raste in den Weltraum hinaus. Ohne daß Pona etwas tun konnte, baute sich ein kleines Durchdringungsfeld auf. Der Flugkörper wurde schneller und schneller und zog eine scharfe Bahn durch die Staub massen, jagte die kleineren Gerölltrümmer vor sich auseinander und wich schnell und ohne großen energetischen Aufwand den großen Bruchstücken aus. Pona und alle anderen in Gossanya-Tal hofften, daß dies ein Start in die Freiheit ge wesen war. Aber der Weg bis zur Lichtung war weit und gefahrvoll. Der Korsallophur-Stau wim melte von Flugscheiben der Krolocs. In der Tat war völlig offen, ob Pona Hilfe herbeiru fen konnte, und wann, falls überhaupt, diese in Hyrconia eintreffen würde.
9. Es war eine Schlacht, die immer mehr ausartete. Die Verteidiger von Gossanya-Tal kämpften mit allem, was sich als Waffe ver wenden ließ. Zwei Schlangenwesen, Baldu ur und Razamon und ein Satala kauerten in der Nähe des Haupteingangs und versuch ten, das weitere Vordringen der Roboter zu verhindern. Wieder rannten gleichzeitig nebeneinan der zwei Roboter auf den Steg hinaus. Hin ter ihnen lauerten unübersehbare Mengen dieser flinken Kreaturen. Die Robots feuer ten teils gezielt, teilweise versuchten sie, ihr Vordringen durch eine Feuersperre zu er leichtern. Balduur und Razamon blickten sich kurz an, nickten und feuerten. Die Strahlen zischten durch die Öffnung hinaus und trafen die Köpfe der Maschinen. Ein Robot blieb stehen, aber seine Waffe spuckte ununterbrochen Feuer. Der Strahl heulte durch eine der vielen Öffnungen und schmolz eine riesige Felsplatte zusammen. Eine dritte Maschine kam herangetappt und wurde von einem geschleuderten Fels brocken getroffen.
Von der gegenüberliegenden Seite des Steges eröffneten ein halbes Dutzend Ma schinen das Feuer. Ihre Schüsse trafen nie manden, aber die Wirkung war dennoch ver heerend. Im Hintergrund des Irrgartens wur den Rampen und Stege getroffen und bra chen rauchend auseinander. Ein ständiger Hagel von Gesteinstrümmern ging auf die Gefangenen nieder. Die verschiedenartigen Flüchtlinge rann ten aufwärts zu den anderen Ausgängen und wehrten sich. Felsen sausten herunter und zerschmetter ten Robots. Die bewegungsunfähigen Ma schinen blieben an allen Stellen des Stegs liegen. Andere kletterten darüber oder ver suchten es. Wenn einer den Eingang erreich te, wurde er von den Energiewaffen vernich tet. Bald häuften sich die zerfetzten Teile der Maschinen. Sie bildeten eine Barriere vor dem Ein gang und genau darin. Und sie lagen von vorn bis hinten auf dem Steg. Es war im Moment unmöglich für die Maschinen, das Labyrinth zu erobern. Aber das war nur der Anfang. Razamon hob seine heiße, an der Spitze glühende Waffe und rief: »Aufhören! Spart eure Kräfte für den nächsten Angriff!« »Richtig. Sie werden mit verstärkten Kräften wiederkommen«, donnerte Balduur. »Was wißt ihr von Pona?« Aus dem Hintergrund schrie eine knarren de Stimme: »Sie ist weg. Mit einem Fluggerät. Viel leicht kommt sie mit Verstärkung wieder. Wir haben ihr geholfen.« »Ausgezeichnet!« Der Kommandant lag bewegungslos ge fesselt auf einer Plattform. Auf die letzten Worte des Satala hatte sich ein vielstimmi ger, lauter Jubel erhoben. Die Wesen in dem Versteck des Asteroiden hatten etwas, wor auf sie hoffen konnten. Aber sofort änderte sich wieder das Ge schehen. Die Krolocs reagierten so, wie es zu er
Korridor der Dimensionen warten gewesen war. Die Roboter wichen vom Anfang des Stegs zurück. Eine Maschi ne schob sich nach vorn; ein kleiner Projek tor war an ihr befestigt und erzeugte ein star kes Abwehrfeld. Das Summen deutete dar auf hin, daß die Kraft des Geräts ungewöhn lich groß war. Die Maschine schwebte auf den Steg hinaus und schob die Wracks zu erst vor sich her, dann, als sich der Schrott staute und übereinanderschob, kippten die zerstörten Roboter rechts und links in den Abgrund. »Der nächste Angriff!« schrie Razamon. »Geht sparsam mit der Energie um!« Einige Verteidiger schleuderten Stein brocken. Andere schossen aus einfachen bal listischen Waffen, wieder andere hatten klei ne Energiewaffen oder solche, die Projektile verschossen. Ein Hagel von Strahlen und Objekten ergoß sich auf die Maschine und den Strom der folgenden Roboter. Aber der Abwehrschirm hielt fast allen Angriffen stand. Immer wieder knirschten die Metallteile und kippten langsam nach rechts und links. Der Steg wurde meterweise abgeräumt. Aus dem Abgrund ertönte unun terbrochen Krachen, Klirren und Scheppern. Balduur rief zu Razamon: »Jetzt zeigen sie's uns. Wir werden es ver dammt hart haben, Partner!« »Jedenfalls ist Pona in Sicherheit.« Ver mutlich hatte Heyzer Cor verstanden, daß seine wertvolle Gefangene geflohen war. Möglicherweise war diese Information aber auch im Wirrwarr des Kampfes verlorenge gangen. Razamon zielte scharf am Rand des Abwehrschirms vorbei und traf einen Robo ter mitten in die Kopfkonstruktion. Der Robot blieb stehen und wurde von seinem Nebenmann und dem darauffolgen den vom Steg gestürzt. Die Maschine hatte inzwischen die Öffnung im Irrgarten erreicht und berührte mit dem Schirm den Wall der aufgetürmten Maschinenwracks. »Wir schaffen es nicht!« rief Actic und versuchte, mit Dauerfeuer den Schirm zu durchschlagen und den Projektor zu treffen. Aber die Energie aus seiner Waffe floß nach
43 allen Seiten ab und waberte in breiten Farb bahnen und in Funkenströmen über den halbkugeligen Schirm. »Nur Mut. Wir überleben es.« »Da bin ich nicht sicher«, gab Actic zu rück. »Redet nicht! Kämpft!« donnerte Balduur und schoß aus zwei Energielanzen auf das summende Monstrum, das sich Meter um Meter ins Innere vorkämpfte und die Masse der Wracks nach zwei Seiten auseinander schob. Zwar führten die Wesen im Versteck einen erbitterten Kampf gegen die unaufhör lich nachdrückenden Roboter, aber sie rich teten nicht sehr viel aus. Für jeden zerstörten oder vernichteten Robot kamen zwei oder drei andere und drangen mit unveränderter Kraft vor. Auch die Versuche, das schwebende An griffsgerät von anderen Punkten aus zu zer stören, schlugen fehl. Razamon, Actic und Balduur beschränkten sich darauf, die nach quellenden Roboter unter Feuer zu nehmen. Die Schüsse saßen hervorragend und zer störten jedesmal einen Robot. Aber drei Schützen waren zu wenig, um die Über macht aufzuhalten. Die Roboter, jeweils zwei nebeneinander, verteilten sich. Die Schützen zogen sich, verfolgt von den Feu erstrahlen der Maschinen, in vorsichtigen Sprüngen zurück. Sie wurden verfolgt, war fen sich nieder und schossen zurück. Die Maschinen wurden zahlreicher, und sie wa ren auf Vernichtung programmiert. Jeder Kroloc-Robot, der nicht unmittelbar angegriffen wurde und sich wehren mußte, benutzte seine Kampfstrahlen dazu, das La byrinth zu zerstören. Rampen wurden ge sprengt, Plattformen sackten ab, viele We sen starben oder wurden verletzt. Wieder flüchteten die Schützen mit den erbeuteten Kroloc-Waffen hinter noch un versehrte Wände. »Der Sieg dieser verdammten Maschinen ist nicht aufzuhalten«, rief Balduur und warf eine leergeschossene Lanze nach einem Ro bot. Die Maschine erfaßte das Ziel noch in der Luft und zerstörte das Gerät, bevor es
44 auftraf. »Aufzuhalten schon, aber nicht zu verhin dern. Wir tun unser Bestes.« Die Rammaschine blieb stehen. Hinter ihr quollen jetzt, fast ungehindert, die Roboter kommandos über den Steg und ins Labyrinth hinein. Die Gegenwehr erstarb stückweise, die Flüchtlinge versuchten, in den hinteren oder tiefsten Teil des Irrgartens zu entkom men. Das Lärmen und Dröhnen von Hunder ten gleichzeitig abgegebenen Schüssen und von den Projektoren erfüllte den riesigen Raum. Dazwischen waren die Schreie der Ver wundeten und der flüchtenden Wesen zu hö ren. Immer wieder donnerten Felsplatten herunter. Wände brachen zusammen, Qua dern stürzten herunter und erschlugen die Flüchtenden. Es war ein unvorstellbares Chaos voller Rauch, Flammen und Lärm. Dieses Chaos wurde durchzuckt von den gleißenden Energiestrahlen. Razamon, Bal duur und Fenrir blieben zusammen und hetz ten auf halbzerstörten Pfaden schräg nach unten. Die erste Gruppe der Roboter erreich te jetzt die Plattform, auf der zwischen rau chenden Trümmern und losgerissenen Brocken der Kommandant Heyzer Cor in unwürdig verrenkter Haltung lag, durch dicke Bündel von Fesseln bewegungsunfä hig gemacht. Eine Serie schriller Befehle tobte den Ma schinen entgegen. Einige von ihnen machten sich blitz schnell daran, die Fesseln aufzuschneiden. Heyzer Cor kam auf die Füße. Sein Kopf hob sich, sein Unterkiefer zitterte in höch ster Erregung. Die Schmuckmineralien auf seinem Körper leuchteten und flackerten, als er schrie: »Ich will die drei Fremden lebend. Sie sind dort hinten. Verfolgt und stellt sie, aber krümmt ihnen keinen Tentakel!« Eine zweite Gruppe Maschinen rannte heran. Sie bildete einen Schutzgürtel um den Anführer. Er war als oberster Kommandant von Hyrconia eindeutig identifizierbar und wurde sofort als Befehlshaber akzeptiert.
Hans Kneifel Ein dritter Strom von Maschinen, leicht modifiziert ausgestattet, schaltete mächtige Scheinwerfer an, die das Dunkel durch schnitten und sich einen Weg zwischen Staubwolken und Rauch suchten. Das Licht erfaßte viele dahinrasende Flüchtende, aber keiner der drei Gesuchten tauchte auf. Ein Teil des falschen Gewölbes krachte herunter, verfehlte Heyzer Cor um einen Meter und zerschmetterte fünf Roboter, die von den Trümmern begraben wurden. Die übrigen Maschinen hoben Heyzer Cor hoch und rannten, Orientierungsschreie aussto ßend, zwischen den eindringenden Kom mandos geradeaus auf den Eingang zu. Der Kommandant schenkte dem Wirrwarr und dem gewaltigen Durcheinander, das er passierte, keinen Blick. Er mußte zurück in sein Büro und die nächsten Schritte organisieren. Kurz bevor er entführt worden war, hatten sich eine Rei he von selbständig operierenden Scouts an gesagt. Sie brachten neue Nachrichten; ihr Fund schien nichts weniger als sensationell für den Fortbestand der Millionen Krolocs und für die mögliche Ausweitung ihres Rei ches zu sein.
* Heyzer Cor war Traditionalist. Er kannte aus Tausenden von geschichtlichen Quellen den Weg seines Volkes aus der unbedeuten den Situation von Sklaven bis hinauf zu den Beherrschern der Asteroiden. Er war weder bösartig noch machtlüstern. Er war pragmatisch, wenn es darum ging, das Volk der Krolocs in jeder Hinsicht zu fördern. Da er sich für die Krolocs verant wortlich fühlte und die Macht über Hyrconia fast uneingeschränkt besaß, hatte er sich auch um jede neue Chance zu kümmern. Der seltsame Körper, der sein Erscheinen durch Stoßwellen angekündigt hatte, war eine sol che Chance. Er würde sie voll wahrnehmen. Die Fremden forderten sein Interesse heraus; sie waren ebenso entschlossen und schnell wie er und seine besten Leute. Vermutlich
Korridor der Dimensionen waren sie nicht gewillt, zu kooperieren. Es gab also Schwierigkeiten. Dank der Überset zerin, die sie in ihre Gewalt gebracht hatten, war es auch möglich, mit diesen Fremden zu sprechen. Deshalb brauchte er sie lebend und mög lichst unverletzt.
* Razamon stützte sich schwer auf Fenrirs Schultern und keuchte. Dann hustete er. Die Luft war voll von stinkendem Staub und ät zendem Rauch. »Wir können uns nicht einmal mehr weh ren«, sagte er stockend. »Und die Maschinen kommen immer näher.« Fenrir stand mit gesträubtem Fell und ent blößten Zähnen da und suchte ein Opfer. Aber auch das Tier war erschöpft. »Aber sie schießen weniger, Razamon.« Sie waren gehetzt worden, hatten sich aber selbst in eine aussichtslose Lage ge bracht. Ihre Flucht, zuletzt ohne Actic, hatte sie kreuz und quer durch den Irrgarten ge führt. Jetzt standen sie verschmutzt und waf fenlos vor einer aufragenden Wand, die an beiden Seiten von hochstrebenden Seiten wänden begrenzt wurde. Ein Ausweichen war außerdem durch rauchende Barrieren von Gestein unmöglich gemacht. »Sie haben keine Ziele mehr«, sagte Raz amon und versuchte, zur Ruhe zu kommen. »Worauf sollten sie feuern?« Scheinwerferstrahlen bewegten sich su chend durch den Rauch. Die Roboter waren leise und schnell. Ihre weichen Klauen fan den hervorragenden Halt auf den Trümmern. Nur hin und wieder, wenn Maschinen oder ihre metallenen Glieder aneinanderstießen, gab es harte Geräusche. Hin und wieder gellten Schmerzensschreie durch die halb zerstörte Höhle. Der Rauch wurde langsam nach oben abgesogen, und ebenso langsam klärte sich die Sicht. Dann erfaßte ein greller Lichtkegel die drei von Pthor. »Schluß!« sagte Balduur und senkte den Schildarm. »Ich habe selbst mit dem
45 Schwert keine Chance mehr. Ich wünschte, dies wäre ein Kampf auf Pthor gewesen.« »Ich wünschte, es wäre gar keiner gewe sen. Und wir waren schon so erfolgreich«, murmelte Razamon niedergeschlagen. Der Scheinwerfer ließ sie nicht mehr los. Von drei Seiten strömten die spinnenähn lichen Roboter mit ihren leuchtenden techni schen Sinnesorganen auf sie zu. Fenrir rö chelte heiser vor Wut. Razamon versuchte, das Tier zu beruhigen und brummte be schwichtigende Worte in die Wolfsohren. Aus der Masse der Roboter löste sich ein einzelnes Exemplar und schrillte: »Nicht töten. Kommen. Leben. Heyzer Cor sprechen. Nicht kämpfen.« Offensichtlich, dachte Razamon, hatten die Krolocs mit den Kenntnissen der letzten Unterhaltungen Übersetzungsmaschinen ge füttert. Diese standen mit den Robotern oder wenigstens mit diesem Exemplar in Verbin dung. Er hörte sich sagen: »Wir kommen.« »Tragen. Schneller.« Balduur verstand und hob die Hand. So fort richteten sich mit leisem Knacken min destens zwanzig Waffenläufe und spindel förmige Projektoren auf die Flüchtenden. »Unsinn. Ich sage, daß dieser Kämpfer, der unsere Sprache versteht, aber nicht spricht, nicht getragen wird. Er ist unser le bender Roboter.« »Verstehen«, pfiff die Maschine nach zwei Sekunden. »Kommen.« Die Männer wurden aufgehoben. Mühelos schleppte jeweils ein Robot einen Pthorer, der hinter dem Kopf auf dem Rücken saß und von den Kopfarmen nachdrücklich, aber nicht schmerzhaft gehalten wurde. Binnen kurzer Zeit rannten die Maschinen mit ihnen durch Gossanya-Tals Ruinen, auf den leeren Steg hinaus und in die Richtung auf Heyzer Cors Quartier. In gemächlichem Trab folgte Fenrir. Er griff keine Maschine an; er hatte eingesehen, daß es keine leben den Gegner waren. Vor der bekannten Tür setzten die Robots ihre Gefangenen ab. Die Tür rollte auf, der Robot sagte:
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Hans Kneifel
»Gehen. Heyzer Cor sprechen.« Razamon nickte und ging mit hängenden Schultern auf den Tisch zu. Hinter der Platte saß der Kommandant. Das Funkeln seiner Schmucksteine hatte nachgelassen. Auch jetzt wieder konnten die Pthorer keinerlei Gemütsbewegung feststellen. Aber inzwi schen hingen von der Decke vor ihnen Mi krophone und Lautsprecher herunter. Die Lautsprecher gaben ein schwaches Zischen von sich. Übergangslos sprach Heyzer Cor in ein Mikrophon an seinem Tisch. »Ich suche Pona von der Lichtung! Wo ist sie?« Langsam übersetzten die Geräte, und das Pthora, das sie wiedergaben, war fast ebenso hilflos wie das des Robots. Dieser Umstand erhärtete Razamons Verdacht. »Vermutlich ist sie von deinen Robotern getötet worden«, sagte Balduur. »Ihr Schick sal war schlimmer als deines, denn wir hät ten dich töten können.« Aus den Translatoren kamen schrille Lau te. Als die Übersetzung fertig war, sprang der Kommandant erregt hoch. Seine Beine streckten sich und wurden steif. Er schrie: »Ich werde euch töten lassen. Meine Scouts haben den Asteroiden besucht, auf dem ihr lebt. Warum lebt ihr nicht darin?« »Weil wir es so wollen. Wir ziehen das Tageslicht allen anderen Lichtquellen vor. Und wenn die Krolocs versuchen, Pthor zu erobern, dann werden sich ihnen Millionen von Kämpfern wie wir entgegenwerfen. Wir waren ohne Waffen und haben Unmengen Robots vernichtet. Vermagst du dir vorzu stellen, was geschieht, wenn wir unsere Waffen tragen? Wir sind nicht als Eroberer
in deinen Asteroiden gekommen, sondern als Besucher. Und du hast uns herausgefor dert.« Eine Weile lang schwieg der Komman dant, nachdem er die Antwort verstanden hatte. Er schien ein wenig nachdenklicher, als er antwortete: »Ich werde über euch beschließen, wenn ich weiß, was meine Scouts von dem furcht baren Asteroiden der tödlichen Kämpfer ge sehen haben. Sie sind schon unterwegs.« Balduur rief grollend: »Du wirst zittern, wenn du erfährst, was sie gesehen haben. Du wirst dir wünschen, daß das Volk der Krolocs niemals auf uns gestoßen wäre.« Mit einer gewissen Überlegenheit entgeg nete Heyzer Cor: »Das bezweifle ich. Immerhin lebt ihr noch. Wo Leben ist, ist Hoffnung. So hält es unsere Rasse.« »Ein weiser Spruch«, sagte Razamon, »und bei uns sagt man: Wo kein Kampf ist, ist kein Leben.« Er wußte, daß Worte wenig ausrichten konnten. Wenn die Scouts einigermaßen klug und scharfäugig waren, würden sie oh ne große Schwierigkeiten die Verletzbarkeit Pthors in dieser Phase feststellen können. Und seit langer Zeit war Pthor sehr leicht zu verletzen; das gerade war das Kernproblem. Sie waren einmal wieder am Anfang ange langt und mußten versuchen, das Beste aus dieser hoffnungslosen Lage zu machen.
E N D E
ENDE