Kölner Schriften zum Medizinrecht Band 5 Reihenherausgeber Christian Katzenmeier
Johannes Arnade
Kostendruck und Standard Zu den Auswirkungen finanzieller Zwänge auf den Standard sozialversicherungsrechtlicher Leistungen und den haftungsrechtlichen Behandlungsstandard
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Johannes Arnade Berrenrather Straße 315 50937 Köln Deutschland
[email protected]
ISSN 1866-9662 e-ISSN 1866-9670 ISBN 978-3-642-11945-3 e-ISBN 978-3-642-11946-0 DOI 10.1007/978-3-642-11946-0 Springer Heidelberg Dordrecht London New York Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2010 Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes der Bundesrepublik Deutschland vom 9. September 1965 in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechtsgesetzes. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Einbandentwurf: WMXDesign GmbH, Heidelberg Gedruckt auf säurefreiem Papier Springer ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media (www.springer.com)
Meiner Familie
Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Sommersemester 2009 von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität zu Köln als Dissertation angenommen. Für die Veröffentlichung wurde sie auf den Stand von Dezember 2009 gebracht. Mein besonderer Dank gilt zuallererst meinem Doktorvater Herrn Prof. Dr. Christian Katzenmeier. Er hat mich schon früh im Studium begleitet und gefördert, das Thema angeregt und betreut. Durch die Möglichkeit der Mitarbeit an dem von ihm geleiteten Institut für Medizinrecht der Universität zu Köln hat er mir einen Rahmen geschaffen, ohne den die Anfertigung der Arbeit in dieser Form nicht denkbar gewesen wäre. Schließlich danke ich ihm auch für die Aufnahme in die Kölner Schriften zum Medizinrecht. Herrn Prof. Dr. Ulrich Preis danke ich für die umgehende Erstellung des Zweigutachtens. Dank sagen möchte ich zudem den Mitarbeitern des Instituts für Medizinrecht sowie meinen Kommilitonen und Freunden, die immer zu einer Diskussion bereit waren und mir wertvolle Ratschläge geben konnten. Ganz besonders bedanken möchte ich mich bei meinen Eltern für ihre Unterstützung auf meinem bisherigen Lebensweg und dafür, dass sie mir stets freie Hand bei meinen Entscheidungen gelassen haben. Ein besonderer Dank gilt zudem meinen Großeltern, deren Anteilnahme und Interesse mir eine große Motivation waren. Auch mein Bruder sowie mein Cousin, meine Cousinen, Tanten und Onkel aus Hamburg sowie meine Tante und ihr Lebensgefährte aus Berlin haben die Entstehung der Arbeit aufmerksam und interessiert verfolgt und begleitet. Sie alle haben damit einen Anteil an ihrem Gelingen. Die Arbeit ist daher meiner Familie gewidmet. Köln, im Dezember 2009
Johannes Arnade
Inhalt Einleitung ...............................................................................................................1 1. Teil: Ressourcenknappheit und Standard sozialversicherungsrechtlicher Leistungen 1. Kapitel: Knappe Ressourcen, Kostenanstieg und Reaktionen des Gesetzgebers...........................................................................................................9 A. Erscheinungsformen von Ressourcenknappheit..........................................9 B. Der Kostenanstieg im Gesundheitswesen ...................................................9 C. Ursachen für den Kostenanstieg................................................................11 I. Der medizinische Fortschritt ...........................................................11 II. Demographische Entwicklung.........................................................11 III. Defensivmedizin..............................................................................13 D. Die Reaktion des Gesetzgebers: Kostendämpfungsgesetze ......................15 I. Frühphase der Kostendämpfungsgesetzgebung...............................15 II. Gesundheitsreformgesetz ................................................................15 III. Gesundheitsstrukturgesetz...............................................................16 IV. Krankenversicherungsneuordnungsgesetze.....................................18 V. GKV-Gesundheitsreformgesetz 2000 .............................................21 VI. GKV-Modernisierungsgesetz ..........................................................22 VII. Arzneimittelverordnungs-Wirtschaftlichkeitsgesetz .......................27 VIII. GKV-Wettbewerbstärkungsgesetz ..................................................28 IX. GKV-OrgWG ..................................................................................34 X. Zusammenfassung ...........................................................................34 2. Kapitel: Rationalisierung und Rationierung als Reaktionen auf den Kostenanstieg .......................................................................................................37 A. Begriffsbestimmung ..................................................................................38 B. Unterscheidung verschiedener Allokationsebenen....................................43 I. Obere Makroallokationsebene.........................................................43 II. Untere Makroallokationsebene........................................................43 III. Obere Mikroallokationsebene .........................................................43 IV. Untere Mikroallokationsebene ........................................................44 C. Spielarten und Formen von Rationierung..................................................44 I. Primäre und sekundäre Rationierung ..............................................44 II. Direkte und indirekte Rationierung .................................................44 III. Implizite und explizite Rationierung ...............................................45 IV. Harte und weiche Rationierung .......................................................46 D. Beispiele von Rationierung in Deutschland ..............................................46 E. Konfliktpotential und Notwendigkeit übergreifender Regelungen ...........50
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Inhalt
3. Kapitel: Rechtliche Grenzen von Rationierungsmaßnahmen .....................55 A. Generelle Grenzen einer Rationierung im Gesundheitswesen ..................55 I. Das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit, Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG ............................................................................................55 1. Schutzbereich...............................................................................55 2. Ansprüche des Einzelnen auf Gesundheitsleistungen..................56 a) Grundrechte als Abwehrrechte ................................................57 b) Staatliche Schutzpflichten .......................................................57 c) Leistungsrechtliche Dimension der Grundrechte.....................59 d) Bewertung ...............................................................................82 II. Die Eigentumsgarantie, Art. 14 Abs. 1 GG .....................................98 1. Sozialrechtliche Positionen und Schutzbereich des Art. 14 GG ..99 a) Anfängliche Entwicklung der Rechtsprechung und in der Literatur ...................................................................................99 b) Verfassungsgerichtliche Anerkennung der Eigentumsfähigkeit von Rentenpositionen .............................................100 c) Übertragung der Rentenrechtsprechung auf krankenversicherungsrechtliche Ansprüche ............................................102 2. Rechtfertigung eines Eingriffs in den Schutzbereich des Art. 14 GG .................................................................................107 a) Inhalts- und Schrankenbestimmungen...................................108 b) Vertrauensschutz ...................................................................111 3. Zusammenfassung .....................................................................112 III. Die allgemeine Handlungsfreiheit, Art. 2 Abs. 1 GG ....................113 B. Spezielle Grenzen hinsichtlich einzelner Rationierungskriterien............114 I. Die Menschenwürde, Art. 1 Abs. 1 GG ........................................114 1. Art. 1 Abs. 1 GG als Grundrecht ...............................................115 2. Gehalt der Menschenwürdegarantie...........................................116 3. Zusammenfallen von Eingriff und Verstoß................................118 II. Der allgemeine Gleichheitssatz, Art. 3 Abs. 1 GG ........................119 1. Rechtsanwendungs- und Rechtssetzungsgleichheit ...................120 2. Verfassungsrechtliche Überprüfung an Art. 3 Abs. 1 GG .........120 a) Vorliegen einer relevanten Ungleichbehandlung...................121 b) Verfassungsrechtliche Rechtfertigung...................................122 c) Folgen eines Verfassungsverstoßes .......................................127 4. Kapitel: Rationierungskriterien und ihre tatsächliche Umsetzung...........129 A. Einzelne Rationierungskriterien ..............................................................129 I. Alter ...............................................................................................129 1. Die gesundheitsökonomische Diskussion ..................................129 2. Die philosophisch-ethische Diskussion .....................................130 3. Die juristische Diskussion und rechtliche Würdigung...............131 II. QALYs...........................................................................................138 III. Sozialer Wert .................................................................................140 IV. Eigenverantwortung.......................................................................141
Inhalt
XI
B. Bewertung der Rationierungsdiskussion .................................................142 I. Unzulässigkeit expliziter Rationierung einzelner Leistungen für bestimmte Personengruppen ..........................................................143 II. Grund- und Zusatzversorgung .......................................................143 III. Kompetentielle und strukturelle Überlegungen zur Rationierung .146 Zusammenfassung 1. Teil..................................................................................149
2. Teil: Das Spannungsverhältnis von Haftungs und Sozialrecht Einleitung 2. Teil................................................................................................157 1. Kapitel: Relevante Aspekte der zivilrechtlichen Arzthaftung ...................159 A. Rechtsgrundlagen ....................................................................................159 I. Vertragsbeziehungen .....................................................................160 II. Deliktsrecht....................................................................................161 B. Haftungsgründe .......................................................................................163 I. Grundsatz: Therapiefreiheit ...........................................................163 II. Einschränkung: Haftungsrecht.......................................................164 1. Behandlungsfehler .....................................................................164 2. Aufklärungsfehler ......................................................................166 C. Verschulden.............................................................................................167 I. Verschuldensmaßstab des § 276 BGB ...........................................167 II. Behandlungsfehler und Verschulden .............................................169 1. Aufrechterhalten der Unterscheidung ........................................169 2. Gleichsetzung von Behandlungsfehler und Verschulden...........170 3. Einordnung der Streitigkeit und Bewertung ..............................171 2. Kapitel: Der medizinische Standard als zentraler Anknüpfungspunkt der Haftung ........................................................................................................173 A. Der Begriff des medizinische Standards .................................................173 B. Entstehung und Festlegung medizinischer Standards .............................174 I. Stand der naturwissenschaftlichen Erkenntnisse ...........................174 1. Basisstandard .............................................................................175 2. Dynamischer Standard ...............................................................175 II. Erfahrung und praktische Bewährung............................................176 III. Bedeutung von Leitlinien und Richtlinien .....................................177 1. Begriffsbestimmung ..................................................................178 a) Leitlinien................................................................................178 b) Richtlinien .............................................................................180 2. Verhältnis zum medizinischen Standard....................................180 3. Haftungsrechtliche Bedeutung von Leitlinien ...........................182 C. Abstufungen des Standards .....................................................................185 I. Nach Art der Versorgungsstätte.....................................................185 II. Mindeststandard.............................................................................186
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Inhalt
III. IV.
Nach Verkehrskreisen und persönlichen Befähigungen ................186 Übernahmeverschulden .................................................................187
3. Kapitel: Das sozialrechtliche Wirtschaftlichkeitsgebot..............................189 A. Rechtsgrundlagen ....................................................................................189 B. Inhalt .......................................................................................................189 I. Ausreichende Leistungen...............................................................190 II. Zweckmäßige Leistungen ..............................................................190 III. Wirtschaftliche Leistungen ............................................................191 IV. Notwendige Leistungen .................................................................191 4. Kapitel: Spannungen zwischen Wirtschaftlichkeitsgebot und Haftungsrecht ....................................................................................................193 A. Bestehen eines Spannungsverhältnisses ..................................................193 I. Verneinende Stimmen....................................................................193 II. Bejahende Stimmen und Anknüpfungspunkte...............................196 III. Bewertung......................................................................................201 1. „Ausreichende“ Leistungen und unterschiedliche Standards.....201 2. Rechtliche Konsequenzen..........................................................202 3. Tatsächliche Spannungen...........................................................203 a) Die Rolle des G-BA...............................................................204 b) Fehlende oder negative Entscheidung des G-BA ..................204 4. Rechtliche Spannungen..............................................................206 5. Weitere Konfliktfelder zwischen Haftungs- und Sozialrecht.....207 a) Arzneimittelversorgung .........................................................207 b) Budgetierungen .....................................................................209 6. Ausblick.....................................................................................209 B. Angedachte Lösungsansätze in der Literatur...........................................211 I. Erlaubtes Risiko.............................................................................212 II. Berücksichtigung subjektiver Befindlichkeiten des Arztes ...........213 III. Haftung der Krankenkasse für Behandlungsfehler der Vertragsärzte ...............................................................................................214 IV. Informationsbezogene Harmonisierung .........................................215 V. Harmonisierung durch Leitlinien ...................................................217 C. Eigener Ansatz ........................................................................................218 I. Absenken des Sorgfaltsmaßstabs auf das Niveau des SGB V .......218 II. Kompensation durch eine zusätzliche Aufklärungspflicht.............220 III. Rechtliche Einordnung der zusätzlichen Aufklärungspflicht.........222 1. Wirtschaftliche Aspekte.............................................................222 2. Aspekte der Selbstbestimmung..................................................222 IV. „Zwei-Klassen-Medizin“ ...............................................................222 Zusammenfassung und Schlussbetrachtung ...................................................225 Literaturverzeichnis ..........................................................................................229
Abkürzungsverzeichnis a.A. a.a.O. Abl. EG Abs. abw. a.F. AL AMG AMWF AnwK AöR AP Arch Chir Art. ArztR AuK AuW AVWG Az. A/ZusR AZR BA BAG BAGE BÄO Bay. Bd. BeckOK BeckRS Begr. BeitrEntlG Beschl. BfArM BGB BGesBl BGH BGHZ
anderer Ansicht am angegebenen Ort Amtsblatt der Europäischen Union Absatz abweichend alte(r) Fassung Aufbaulieferung Arzneimittelgesetz Arbeitsgemeinschaft der wissenschaftlichen medizinischen Fachgesellschaften Anwaltkommentar Archiv des öffentlichen Rechts (Zeitschrift) Associated Press (Langenbecks) Archiv für Chirurgie (Zeitschrift) Artikel Arztrecht (Zeitschrift) Arzt und Krankenhaus (Zeitschrift) Arzt und Wissenschaft (Zeitschrift) Arzneimittelverordnungs-Wirtschaftlichkeitsgesetz Aktenzeichen Der Arzt/Zahnarzt und sein Recht (Zeitschrift) Arzt, Zahnarzt, Recht (Zeitschrift) Bundesagentur für Arbeit Bundesarbeitsgericht Amtliche Sammlung der Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts Bundesärzteordnung Bayerisches Band Beck’scher Online-Kommentar Beck-Rechtsprechung Begründer Beitragsentlastungsgesetz Beschluss Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesundheitsblatt Bundesgerichtshof Amtliche Sammlung der Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen
XIV
Abkürzungsverzeichnis
BKK BMG BSG BSGE BSHG bspw. BT-Drs. BVerfG BVerfGE BVersG BVerwG BVerwGE bzgl. bzw. CDU Co. CSU DAK DÄT DÄBl. DB Der Chirurg BDC
Die Betriebskrankenkasse (Zeitschrift) Bundesministerium für Gesundheit Bundessozialgericht Amtliche Sammlung der Entscheidungen des Bundessozialgerichts Bundessozialhilfegesetz beispielsweise Bundestagsdruckssache Bundesverfassungsgericht Amtliche Sammlung der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Bundesversorgungsgesetz Bundesverwaltungsgericht Amtliche Sammlung der Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts bezüglich beziehungsweise Christlich Demokratische Union Compagnie Christliche Soziale Union
DRV DStR
Deutsche Angestellten Krankenkasse Deutscher Ärztetag Deutsches Ärzteblatt (Zeitschrift) Der Betrieb (Zeitschrift) Informationen des Bundesverbandes der Deutschen Chirurgen e.V. (Zeitschrift) derselbe Deutsche Forschungsgemeinschaft Deutscher Gewerkschaftsbund dieselbe(n) Deutsche Industrienorm Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung Deutscher Juristentag Deutsche Mark Duchenn’sche Muskeldystrophie Deutsche Medizinische Wochenschrift (Zeitschrift) Deutsche Rentenversicherung (Zeitschrift) Deutsches Steuerrecht (Zeitschrift)
Einf. Einl. EL etc. EuGH
Einführung Einleitung Ergänzungslieferung et cetera Europäischer Gerichtshof
ders. DFG DGB dies. DIN DIW DJT DM DMD DMW
Abkürzungsverzeichnis
EuGRZ EuZA EuZW
XV
Europäische Grundrechte-Zeitschrift (Zeitschrift) Europäische Zeitschrift für Arbeitsrecht (Zeitschrift) Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht (Zeitschrift)
f. FAZ FDP ff. FG FR FS
folgende Frankfurter Allgemeine Zeitung Freie Demokratische Partei fortfolgende Festgabe Frankfurter Rundschau Festschrift
G+G G-BA GesR ggü. GGW GK-SGB V
Gesellschaft und Gesundheit (Zeitschrift) Gemeinsamer Bundesausschuss Gesundheitsrecht (Zeitschrift) gegenüber Beilage Wissenschaft zu G+G (Zeitschrift) Gemeinschaftskommentar zum Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Krankenversicherung Gesetzliche Krankenversicherung GKV-Finanzstärkungsgesetz GKV-Gesundheitsreformgesetz 2000 Krankenversicherungsneuordnungsgesetze Gesetz zur Weiterentwicklung der Organisationsstrukturen in der gesetzlichen Krankenversicherung GKV-Solidaritätsstärkungsgesetz Krankenversicherungsweiterentwicklungsgesetz GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz Gesellschaft mit beschränkter Haftung GKV-Modernisierungsgesetz Gesundheitsreformgesetz Gesundheitsstrukturgesetz
GKV GKVFG GKV-GRG GKV-NOG GKV-OrgWG GKV-SolG GKVWG GKV-WSG GmbH GMG GRG GSG HChE HK-AKM hrsg. Hrsg. IGeL IGSF IMK insb.
Herrenchiemseer Entwurf zum Grundgesetz Heidelberger Kommentar Arztrecht Krankenhausrecht Medizinrecht herausgegeben Herausgeber Individuelle Gesundheitsleitungen Institut für Gesundheits-System-Forschung Institut für Makroökonomik und Konjunkturforschung insbesondere
XVI
Abkürzungsverzeichnis
i.V.m.
in Verbindung mit
JR JuS JZ
Juristische Rundschau (Zeitschrift) Juristische Schulung (Zeitschrift) Juristenzeitung (Zeitschrift)
K Kap. KassKomm KJ KVEG KVKG
Kammer Kapitel Kasseler Kommentar Sozialversicherungsrecht Kritische Justiz (Zeitschrift) Kostendämpfungs-Ergänzungsgesetz Krankenversicherungs-Kostendämpfungsgesetz
LITT LSG LuftSiG
Laserinduzierte Interstitielle Thermotherapie Landessozialgericht Luftsicherheitsgesetz
MBO-Ä
(Muster-) Berufsordnung für die deutschen Ärztinnen und Ärzte Medizinischer Dienst der Krankenkassen Medizinrecht (Zeitschrift) Millionen Münchener Medizinische Wochenschrift Milliarden Multiple Sklerose Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch mit weiteren Nachweisen
MDK MedR Mio. MMW Mrd. MS MüKo-BGB m.w.N. Nachw. Nds. NDV
NZS
Nachweise(n) Niedersachsen Nachrichtendienst des Deutschen Verdienst für öffentliche und private Fürsorge (Zeitschrift) Neue Juristische Wochenschrift (Zeitschrift) Neue Zeitschrift für Versicherung und Recht (Zeitschrift) Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht (Zeitschrift) Neue Zeitschrift für Arbeits(-und Sozial)recht (Zeitschrift) Neue Zeitschrift für Sozialrecht (Zeitschrift)
QALY
quality adjusted life year
RdA RDG
Recht der Arbeit (Zeitschrift) Rechtsdepesche für das Gesundheitswesen (Zeitschrift)
NJW NVersZ NVwZ NZA
Abkürzungsverzeichnis XVII
Rn. RPG Rs. RsDE Rspr. RVO S. s. Schl.-H. SGb SGB V SGB XII Slg. sog. SozFortschr. SozR SozSich st. StBA str. StudZR
Randnummer(n) Recht und Politik im Gesundheitswesen (Zeitschrift) Rechtssache Beiträge zum Recht der sozialen Dienste und Einrichtungen (Zeitschrift) Rechtsprechung Reichsversicherungsordnung Seite / Satz siehe Schleswig Holstein Die Sozialgerichtsbarkeit (Zeitschrift) Fünftes Buch des Sozialgesetzbuches Zwölftes Buch des Sozialgesetzbuches Amtliche Sammlung der Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs so genannte Sozialer Fortschritt (Zeitschrift) Sozialrecht Soziale Sicherheit (Zeitschrift) ständige(r) Statistisches Bundesamt streitig Studentische Zeitschrift für Rechtswissenschaften (Zeitschrift)
TPG
Transplantationsgesetz
u. u.a. Urt. usw.
und unter anderem / und andere Urteil und so weiter
v. verb. VersR VerwArch vgl. Vorb. VSSR VVDStRL
vom / von verbundene Versicherungsrecht (Zeitschrift) Verwaltungsarchiv (Zeitschrift) vergleiche Vorbemerkungen Vierteljahresschrift für Sozialrecht (Zeitschrift) Veröffentlichungen der Vereinigung deutscher Staatsrechtslehrer (Zeitschrift)
WHO WRV
Weltgesundheitsorganisation Weimarer Reichsverfassung
XVIII Abkürzungsverzeichnis
ZaeFQ z.B. ZEFQ ZEKO
ZfA ZfSH/SGB ZIP zit. ZRP ZSR z.T. ZVersWiss
Zeitschrift für ärztliche Fortbildung und Qualität im Gesundheitswesen (Zeitschrift) zum Beispiel Zeitschrift für Evidenz, Fortbildung und Qualität im Gesundheitswesen (Zeitschrift) Zentrale Kommission zur Wahrung ethischer Grundsätze in der Medizin und ihren Grenzgebieten (Zentrale Ethikkommission) bei der Bundesärztekammer Zeitschrift für Arbeitsrecht (Zeitschrift) Zeitschrift für Sozialhilfe und Sozialgesetzbuch (Zeitschrift) Zeitschrift für Wirtschaftsrecht und Insolvenzpraxis (Zeitschrift) zitiert Zeitschrift für Rechtspolitik (Zeitschrift) Zeitschrift für Sozialreform (Zeitschrift) zum Teil Zeitschrift für die gesamte Versicherungswissenschaft (Zeitschrift)
Einleitung Das deutsche Gesundheitssystem verschlingt mittlerweile jährlich einen Betrag, der sich jenseits der Marke von 245 Mrd. Euro bewegt.1 Die Gründe hierfür sind vielfältig, insbesondere der medizinisch-technische Fortschritt erweist sich als kostentreibend.2 Seit Jahrzehnten wird politisch nach Wegen aus der Ausgabenspirale gesucht. Die Bemühungen des Gesetzgebers blieben bislang indes ohne durchschlagenden Erfolg.3 Mit der Herausforderung, der ausufernden Kosten auf dem Gesundheitssektor Herr zu werden, ist aber nicht nur die Bundesrepublik überfordert: Im Wesentlichen sind es die Kosten des Gesundheitswesens, die in keinem Land der Welt wirklich beherrscht werden.4 Vor allem die Industrienationen mit einem hoch entwickelten Gesundheitssystem sind davon betroffen. Ressourcenknappheit und Finanzierungsschwierigkeiten im Bereich der Gesundheitsversorgung sind nicht nur politisch und gesellschaftlich ein Dauerthema von höchster Brisanz, sondern werfen zudem eine ganze Reihe rechtlicher Fragestellungen auf. Die vorliegende Untersuchung möchte zwei zentrale aufgreifen. Die angespannten finanziellen Verhältnisse des öffentlichen Haushalts und die der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV), in der heute ungefähr 90 % der bundesdeutschen Bevölkerung versichert sind,5 haben in den letzten Jahren unter dem Stichwort „Rationierung medizinischer Leistungen“ eine breite und disziplinenübergreifende Diskussion über den Leistungsumfang der Sozialversicherung ausgelöst. Wenn auch der Begriff der Rationierung unterschiedlich definiert wird, so ist er doch in jedem Fall im Zusammenhang mit medizinischen Leistungen negativ besetzt. Deswegen ist Rationierung von Gesundheitsleistungen lange Zeit ein Tabuthema deutscher Politik gewesen.6 Mittlerweile aber wird die wissenschaftliche Diskussion einigermaßen offen und sachlich geführt. Die Arbeit „Kostendruck und Standard“ geht in ihrem ersten Teil der Frage nach, inwieweit die Finanzierungsschwierigkeiten eine Auswirkung auf das Leistungsniveau – also den sozialrechtlichen Standard – haben und aus rechtlicher Sicht haben dürfen. Das erste Kapitel widmet sich zunächst den unterschiedlichen 1
Vgl. zuletzt für das Jahr 2007 StBA, Statistisches Jahrbuch 2009, S. 255. Näher zu den Gesundheitsausgaben in 1. Teil Kap. 1 B., S. 9 ff. 2 Hierzu und zu weiteren Faktoren vgl. 1. Teil Kap. 1 C., S. 11 ff. 3 Zur Kostendämpfungsgesetzgebung vgl. 1. Teil Kap. 1 D., S. 15 ff. 4 Vgl. Steiner, in: Kingreen/Laux, Gesundheit und Medizin im interdisziplinären Diskurs, S. 129, 136, Bezug nehmend auf eine nicht näher bezeichnete weltweite Untersuchung staatlicher Budgetprobleme. 5 Nettesheim, VerwArch 93 (2002), 315, 320; Schlegel, in: Küttner/Röller, Personalbuch 2007, Krankenversicherungsbeiträge Rn. 51. 6 Nettesheim, VerwArch 93 (2002), 315. Auch heute noch wird das Thema insofern tabuisiert, als die jügst aus dem Amt geschiedene ehemalige Gesundheitsministerin Ulla Schmidt auf dem 111. Deutschen Ärztetag 2008 in Ulm bekundet hat, eine Rationierung finde in Deutschland nicht statt, vgl. den Bericht von Glesike/Rabatta im DÄBl. 2008, A1097, A-1098.
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Einleitung
Erscheinungsformen der Ressourcenknappheit und Einzelheiten zum Kostenanstieg im deutschen Gesundheitswesen während der letzten Jahrzehnte. Sodann werden die schon erwähnten vielfältigen Bemühungen des Gesetzgebers zur Kostensenkung näher dargestellt, wobei nur auf die wichtigsten Gesetze und die wesentlichen bzw. für die weitere Untersuchung relevanten Maßnahmen der ausgewählten Gesetze eingegangen werden soll. Das zweite Kapitel befasst sich mit der Rationalisierung und insbesondere der Rationierung medizinischer Leistungen als Reaktion auf den Kostenanstieg. Durch eine Auseinandersetzung mit den einzelnen Definitionsansätzen soll ein für die weitere Bearbeitung geltender Rationierungsbegriff herausgearbeitet werden. Weiterhin werden die unterschiedlichen Ebenen, auf denen Rationierung ansetzen kann, sowie verschiedene Spielarten und Formen der Rationierung vorgestellt, ehe einige Beispiele für bereits vorzufindende Rationierungsmaßnahmen im deutschen Gesundheitswesen Erwähnung finden. Abschließend soll aufgezeigt werden, worin das Konfliktpotential weitgehend fehlender gesetzlicher Regelungen besteht und dass ein Eingreifen des Gesetzgebers notwendig ist. In einem umfassenden dritten Kapitel gilt die Aufmerksamkeit den rechtlichen Grenzen einer Rationierung in der Medizin. Hier sind vor allem verfassungsrechtliche Fragestellungen von Bedeutung. Unterschieden wird in der Bearbeitung zwischen generellen und speziellen rechtlichen Grenzen einer Rationierung. Während erstere das Augenmerk darauf lenken, ob überhaupt Einschnitte im Leistungskatalog der GKV vorgenommen werden dürfen, geht es bei letzteren um die Frage, welche rechtlichen Wertungen für einzelne Kriterien, nach denen eine Rationierung erfolgen könnte, zu beachten sind. In genereller Hinsicht ist zunächst auf Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG einzugehen. Neben der Frage, inwieweit die Gesundheit vom Schutzbereich dieses Grundrechts umfasst ist, ist vor allem interessant, ob und inwieweit sich unmittelbare Leistungsansprüche aus ihm ergeben. Der ehemalige Richter am BVerfG Udo Steiner sieht darin in Anlehnung an die Zahl der gesetzlich Versicherten „die 72 Millionen-Frage unseres Volkes“.7 Um ihr nachgehen zu können, sollen Entwicklungstendenzen im Schrifttum und der bisherigen Rechtsprechung dargestellt werden. Einer Rationierung medizinischer Leistungen könnte auch das Eigentumsgrundrecht des Art. 14 GG generell entgegenstehen, wenn sozialversicherungsrechtliche Positionen in den Schutzbereich der Eigentumsgarantie fallen. Ausgehend von der reichhaltigen Rechtsprechung des BVerfG zu rentenversicherungsrechtlichen Ansprüchen, soll nach deren Darstellung aufgezeigt werden, dass sie auf krankenversicherungsrechtliche Positionen, hinsichtlich deren Einbeziehung es an einer höchstrichterlichen Entscheidung fehlt, übertragbar ist. Dazu muss auf die vom BVerfG aufgestellten Voraussetzungen näher eingegangen werden. Ob sich daraus letztlich ein praktischer Gewinn für den einzelnen Patienten8 ergibt, hängt von der sodann zu untersuchenden Frage ab, inwieweit der Gesetzgeber im 7 Steiner, in: Kingreen/Laux, Gesundheit und Medizin im interdisziplinären Diskurs, S. 129, 137. 8 Hier und im Weiteren sind mit Patienten zugleich auch immer Patientinnen gemeint. Der Einfachheit halber wird jedoch nur die maskuline Form verwendet.
Einleitung
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Wege von Inhalts- und Schrankenbestimmungen Zugriff auf diese Positionen nehmen kann. Als letzte generelle rechtliche Grenze soll noch kurz auf die in Art. 2 Abs. 1 GG verankerte allgemeine Handlungsfreiheit eingegangen werden, ehe sich die Untersuchung den individuellen rechtlichen Grenzen einer Rationierung medizinischer Leistungen zuwendet, namentlich der Menschenwürde aus Art. 1 Abs. 1 GG und dem allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG. Die Darstellung wird sich hier auf allgemeine Grundfragen beschränken. Hinsichtlich der Menschenwürde wird darauf einzugehen sein, welchen Gehalt die Menschenwürde aufweist und dass ein Eingriff immer auch einen Verfassungsverstoß bedeutet. Der allgemeine Gleichheitsgrundsatz soll dergestalt behandelt werden, dass dessen Prüfungsprogramm näher vorgestellt wird, insbesondere die beiden vom BVerfG verwendeten Formeln berücksichtigt werden. Die bei der Befassung mit den speziellen Grenzen einer Rationierung medizinischer Leistungen noch ausgesparte rechtliche Würdigung einzelner Rationierungskriterien ist Gegenstand des den ersten Teil abschließenden vierten Kapitels. Diskutiert werden sollen das Kriterium des Alters, die Rationierung anhand der so genannten QALYs sowie die Kriterien des sozialen Wertes und der Eigenverantwortung. Anschließend soll die gesamte Rationierungsdiskussion einer Bewertung unterzogen und ein Vorschlag für eine Neustrukturierung des Leistungssystems der GKV unterbreitet werden. Nicht nur die staatliche Gewalt muss sich Gedanken über die sinnvolle Verteilung von Gesundheitsleistungen machen. § 1 Abs. 1 BÄO nimmt vielmehr auch den Arzt, der die einzelnen Leistungen letztlich erbringt, in die Pflicht: „Der Arzt dient der Gesundheit des einzelnen Menschen und des gesamten Volkes.“ Diese Vorschrift verdeutlicht den schwierigen Stand der ärztlichen Profession zwischen dem Heilauftrag gegenüber dem Einzelnen und ihrer Verantwortung gegenüber der Gesellschaft. Vorrang hatte in der Vergangenheit stets die Sorge um den einzelnen Patienten.9 Auch heute ist das traditionelle ärztliche Selbstverständnis, das auf die optimale Versorgung des individuellen Patienten konzentriert ist, bestimmend. Dies verdeutlicht die Aussage eines Arztes10 in einer aktuellen qualitativen Interviewstudie zur Situation in deutschen Krankenhäusern: „Ich behandle nicht ganz Deutschland, von daher ist es nicht an mir, die Ressourcen für die restliche Bevölkerung zu rationieren, sondern ich muss meinen Patienten direkt behandeln.“11 In Zeiten immer weiter steigender Gesundheitskosten aber wird der Konflikt zwischen Einzel- und Gemeinschaftsinteressen weiter verschärft, weil hoher Aufwand bei dem einzelnen Patienten oft zwangsläufig die Versorgung anderer beeinträchtigt.12 Ärzte sind immer stärker gefordert, die sozialen Konsequenzen ihrer Entscheidung darüber, wie Ressourcen verwendet werden sollen, zu verant9
Laufs, in: Laufs/Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, § 2 Rn. 8. Hier und im Weiteren sind mit Ärzten zugleich auch immer Ärztinnen gemeint. Der Einfachheit halber wird jedoch nur die maskuline Form verwendet. 11 Vgl. Huster/Strech/Marckmann/Freyer/Börchers/A. Neumann/Wasem/Held, MedR 2007, 703, 705. 12 Katzenmeier, Arzthaftung, S. 289; ders., in: Laufs/Katzenmeier/Lipp, Arztrecht, X. Rn. 28. 10
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Einleitung
worten und den Ressourceneinsatz auf das medizinisch Sinnvolle zu begrenzen.13 In der besagten Interviewstudie deutet sich denn auch an, dass nach und nach ein Umdenken innerhalb der Ärzteschaft stattfindet: „Den guten Arzt zeichnet heute nicht nur seine diagnostische Fähigkeit aus, sondern auch aus den gegebenen Möglichkeiten das auszusuchen, was dem Patienten bestens dient, auf der anderen Seite die Solidargemeinschaft das Wenigste kostet.“ Auch heißt es, die Gratwanderung zwischen ökonomischem Handeln einerseits und humanem Denken andererseits sei die Aufgabe der derzeitigen Ärztegeneration.14 Die Spannungslage zwischen Einzel- und Gesamtinteressen zeigt sich jedoch möglicherweise nicht nur in der einleitenden Vorschrift der Bundesärzteordnung, sondern in einem gravierenden Maße auch in den unterschiedlichen Anforderungen, die einerseits das Zivil- und auf der anderen Seite das Sozialversicherungsrecht an den Arzt stellen. Im Recht der GKV ist die kostenbewusste Leistungserbringung ein tragendes Prinzip, das insbesondere in § 12 SGB V zum Ausdruck kommt, der die Leistungserbringung dem Gebot der Wirtschaftlichkeit unterstellt und anordnet, dass die Leistungen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein müssen, das Maß des Notwendigen nicht übersteigend dürfen. „Der einzelne Kassenpatient erhält also nicht das Optimum des medizinisch Möglichen, sondern ein Leistungspaket, das zwar auf die Schwere der Erkrankung abgestimmt ist, aber eben auch das Kostendämpfungsinteresse der Kasse berücksichtigt.“15 Das Arzthaftungsrecht wiederum kennt keine Einschränkung auf eine besonders günstige Methode. Die rechtliche Bewertung ärztlichen Verhaltens ist hier an der Frage orientiert, ob es den im Zeitpunkt der Behandlung vorherrschenden medizinischen Standard entsprochen hat. Fällt die Antwort negativ aus, liegt ein Behandlungsfehler vor. Durch den Bezug zum medizinischen Standard werden die haftungsrechtlichen Anforderungen auch vom medizinischen Fortschritt mitbestimmt. In einem Gesundheitssystem, in dem eine Begrenzung der finanziellen Ressourcen aber mit strengen Anforderungen an Ausmaß und Qualität der ärztlichen Leistungen, erhöhten Haftungsrisiken und im Lichte des Fortschritts gesteigerten Erwartungen des Patienten an die Medizin einhergeht, wird es für die Behandler immer schwieriger, den individuellen und gesellschaftlichen Heilauftrag sachgerecht zu erfüllen.16 Die sozialversicherungsrechtlichen Zwänge können den Arzt vor die Frage stellen, ob er die vertraglich wie haftpflichtrechtlich begründete höchstmögliche Sorgfalt und beste Vorkehrungen mit ihrem erhöhten Aufwand anwenden darf und soll.17
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Oberender, in: FS für Gitter, S. 701. Vgl. Huster/Strech/Marckmann/Freyer/Börchers/A. Neumann/Wasem/Held, MedR 2007, 703, 705. 15 Wagner, in: MüKo-BGB, § 823 Rn. 750. 16 DGMR, in: Laufs/Dierks/Wienke/Graf-Baumann/Hirsch, Die Entwicklung der Arzthaftung, S. 349, 350. 17 Katzenmeier, Arzthaftung, S. 291; ders., in: Laufs/Katzenmeier/Lipp, Arztrecht, X. Rn. 29; Laufs, in: Laufs/Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, § 99 Rn. 25; Staak/Uhlenbruck, in: FS für Schewe, S. 142, 144; siehe auch Ulsenheimer, MedR 1995, 438. 14
Einleitung
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Das Anliegen des zweiten Teils der Arbeit „Kostendruck und Standard“ ist es daher, das Verhältnis der beiden Teilrechtsgebiete Haftungs- und Sozialrecht vor dem Hintergrund der gegenwärtigen Finanzierungsprobleme und einer immer weiter wachsenden finanziellen Belastung im Gesundheitswesen auf für den Arzt konfliktträchtige Spannungen hin zu untersuchen. Im Zentrum der Ausführungen soll dabei das hier schon kurz angedeutete Spannungsverhältnis zwischen dem Wirtschaftlichkeitsgebot des § 12 SGB V und den haftungsrechtlichen Anforderungen an den einzelnen Arzt stehen. Zunächst sind allerdings einige wesentliche Vorfragen zu klären. So werden im ersten Kapitel des zweiten Teils die Grundzüge der zivilen Arzthaftung dargestellt, wobei nur die für die später zu untersuchende Problematik wesentlichen und für das Grundverständnis der Arzthaftung unverzichtbaren Gesichtspunkte angesprochen werden sollen. Überblicksweise werden die Rechtsgrundlagen der Arzthaftung, die Haftungstatbestände des Behandlungs- und Aufklärungsfehlers und Fragen des Verschuldens behandelt. In einem eigenständigen zweiten Kapitel soll der den Sorgfaltsmaßstab für ärztliches Verhalten bildende medizinische Standard einer gründlichen Untersuchung zugeführt werden, die zahlreiche Einzelaspekte umfasst: Neben einer Begriffsdefinition wird auf die Entstehung und Festlegung medizinischer Standards sowie gewisse von der konkreten Situation abhängige Abstufungen des Standards eingegangen. Ebenfalls zu den Vorüberlegungen zu zählen sind die Struktur und Bedeutung des sozialrechtlichen Wirtschaftlichkeitsgebotes, die sich im dritten Kapitel des zweiten Teils finden. Das vierte und die Arbeit abschließende Kapitel des zweiten Teils führt schließlich beide Komplexe in der Betrachtung zusammen. Zunächst stellt sich die Frage, ob überhaupt und inwieweit ein Spannungsverhältnis zwischen dem Wirtschaftlichkeitsgebot und den Sorgfaltsregeln des Zivilrechts besteht. Hier sind die Ansichten in der Literatur keinesfalls einhellig. Die unterschiedlichen Auffassungen hinsichtlich eines Spannungsverhältnisses werden beschrieben auch die jeweils gewählten Anknüpfungspunkte für das Bestehen von Spannungen herausgearbeitet. Im Anschluss daran wird ein eigener Standpunkt entwickelt und zugleich aufgezeigt, dass eine differenzierte Betrachtungsweise geboten ist. Daraufhin wird sich die Arbeit mit den in der Literatur angedachten Lösungsansätzen und Änderungsvorschlägen befassen, die zu einer Entspannung führen sollen. Schließlich soll unter Bewertung dieser Literaturansichten ein eigener Ansatz zur Lösung des Problems entwickelt und eine Schlussbetrachtung vorgenommen werden.
1. Teil: Ressourcenknappheit und Standard sozialversicherungsrechtlicher Leistungen
1. Kapitel: Knappe Ressourcen, Kostenanstieg und Reaktionen des Gesetzgebers A. Erscheinungsformen von Ressourcenknappheit Die Diskussion um Ressourcenknappheit im Gesundheitswesen konzentriert sich in Deutschland in erster Linie auf den Finanzierungssektor. Es sind aber auch andere Erscheinungsformen von Ressourcenknappheit zu verzeichnen. Etwa der Mangel an Pflegekräften oder an sozialen Diensten in poststationären Versorgungseinrichtungen. Unzureichend ist auch die Möglichkeit, unheilbar Kranke auf Palliativstationen zu begleiten.1 Ein weiteres Beispiel für „naturgegebene“ Knappheit findet sich im Bereich der Organtransplantation, da ein Missverhältnis zwischen Transplantationsbedarf auf der einen und verfügbaren Organen auf der anderen Seite besteht.2 Allerdings sind bis auf die letztgenannte Erscheinungsform alle Knappheitserscheinungen auf fehlende finanzielle Mittel zurückzuführen. Schließlich ließe sich durch die Bereitstellung zusätzlicher finanzieller Mittel mehr Pflegepersonal beschäftigen, mehr soziale Dienste in poststationären Versorgungseinrichtungen schaffen und auch mehr Palliativstationen einrichten.3
B. Der Kostenanstieg im Gesundheitswesen Die Ausgaben im Gesundheitswesen sind in den vergangenen Jahrzehnten nominal stetig angestiegen. Zwischen 1970 und 1985 ist ein Anstieg von 35,6 Mrd. Euro (69,7 Mrd. DM) auf 123,5 Mrd. Euro (241,5 Mrd. DM) zu verzeichnen gewesen.4 Im wiedervereinigten Deutschland stiegen die Gesamtausgaben von 163,2 Mrd. Euro (319,2 Mrd. DM) im Jahre 19925 auf 252,75 Mrd. Euro für das Jahr 2007.6 Der Anteil der Gesundheitsausgaben am Bruttoinlandsprodukt ist dagegen weitgehend konstant. In dem Zeitraum von 1997 bis 2006 wurden bspw. zwischen 1
Ch. Fuchs, MedR 1993, 323. Taupitz, in: Wolter/Riedel/Taupitz, Einwirkungen der Grundrechte auf das Zivilrecht, Öffentliche Recht und Strafrecht, S.113, 116. 3 Vgl. Breyer/Schultheiss, in: Wille, Rationierung im Gesundheitswesen und ihre Alternativen, S. 169, 171; Schöne-Seifert, in: Kirch/Kliemt, Rationierung im Gesundheitswesen, S. 42, 44. 4 Künschner, Wirtschaftlicher Behandlungsverzicht und Patientenauswahl, S. 48. 5 StBA, Statistisches Jahrbuch 2001, S. 458. 6 StBA, Statistisches Jahrbuch 2009, S. 255. Allerdings ist zu beachten, dass das StBA seit 2001 eine neue Gesundheitsausgabenrechnung vornimmt, bei der so genannte Einkommensleistungen (z.B. Zahlung von Krankengeldern oder Entgeltfortzahlungen) nicht mehr mit einfließen, s. hierzu die Erläuterungen in StBA, Statistisches Jahrbuch 2001, S. 432. Vergleichbare Daten liegen zudem erst ab dem Berichtsjahr 1992 vor, vgl. StBA, Statistisches Jahrbuch 2009, S. 239. 2
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1. Kap.: Knappe Ressourcen, Kostenanstieg und Reaktionen des Gesetzgebers
10,2 % und 10,8 % des Bruttoinlandsprodukts für das Gesundheitswesen aufgewendet.7 Deswegen wird in der Literatur vielfach der Begriff der „Kostenexplosion“ als fragwürdig dargestellt.8 Vielmehr liege eine Effizienz- und Leistungsexplosion vor.9 Auch und gerade im Bereich der GKV konnte ein Kostenanstieg nicht verhindert werden. Während sich die Ausgaben im Jahr 1970 noch auf 12,6 Mrd. Euro (24,7 Mrd. DM) beliefen,10 betrugen sie 1992 schon 99 Mrd. Euro (193,6 Mrd. DM)11 und stiegen bis zum Jahr 2007 auf 145,36 Mrd. Euro an.12 Ein wesentliches Problem für die Finanzierung der GKV stellt die anhaltend hohe Arbeitslosigkeit dar. Die GKV versorgt ungefähr 90 % der Bevölkerung als Versicherte oder mitversicherte Familienangehörige mit medizinischen Leistungen.13 Sie finanzieren sich hauptsächlich aus den Beiträgen der Versicherten und der Arbeitgeber,14 welche sich an der Lohnquote orientieren.15 Deswegen leidet die GKV angesichts von aktuell 3.215.000 Arbeitslosen im November 200916 an einer nur begrenzten Mittelzufuhr.17 Somit müssen diejenigen, die Arbeit haben, diese Einnahmeverluste kompensieren.18 Infolge dessen und aufgrund des skizzierten Ausgabenanstiegs wurden die Beitragssätze immer wieder angehoben. Im Jahr 1970 betrug der durchschnittliche Beitragssatz 8,2 % des Bruttoarbeitentgelts, 1992 waren es 12,7 % und 13,95 % im März 2008.19 Zum 1.1.2009 wurde der Beitragssatz durch die Bundesregierung erstmalig einheitlich auf 15,5 % festgelegt, ehe er im Juli 2009 wieder auf 14,9 % abgesenkt wurde.20
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Der niedrigste Anteil stammt aus den Jahren 1997 und 1998, der Höchstwert wurde im Jahr 1988 erreicht, Angaben nach dem StBA, Tabelle abrufbar unter www.destatis.de; vgl. auch Wenner, GesR 2009, 169. 8 So z.B. Künschner, Wirtschaftlicher Behandlungsverzicht und Patientenauswahl, S. 48; Nettesheim, VerwArch 93 (2002), 315, 321 Fn. 29. 9 Krämer, MedR 1998, 1, 2; ders., BKK 2005, 491, 492. 10 StBA, Statistisches Jahrbuch 2001, S. 442. 11 StBA, Statistisches Jahrbuch 2003, S. 458. 12 StBA, Statistisches Jahrbuch 2009, S. 255. 13 Nettesheim, VerwArch 93 (2002), 315, 320; Schlegel, in: Küttner/Röller, Personalbuch 2007, Krankenversicherungsbeiträge Rn. 51. 14 Nettesheim, VerwArch 93 (2002), 315, 320. 15 Schanz, AuW 1999, 112. 16 Der jeweils aktuelle Monatsberichte der BA ist abrufbar im Internet unter www.pub.arbeitsamt.de/hst/services/statistik/000000/html/start/monat/aktuell.pdf 17 Beske/Hallauer/Kern, Rationierung im Gesundheitswesen?, S. 16; Schanz, AuW 1999, 112; Henke/Borchardt/Schreyögg/Farhauer, Journal of Public Health 12/2004, 10; Schriefers, AuK 1999, 143. 18 Schanz, AuW 1999, 112 f. 19 Statistik des BMG, Allgemeiner Beitragssatz 1991 bis 2007, März 2008, S. 1, abrufbar unter www.bmg.bund.de (Abrufdatum 21.12.2009). 20 Vgl. dazu näher 1. Teil Kap. 1 D. VIII., S. 31 f.
C. Ursachen für den Kostenanstieg
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Die Prognosen für die Zukunft sagen einen weiteren Anstieg voraus. Unter Beibehaltung des gegenwärtigen Leistungsumfangs dürfte der Beitragssatz zur GKV im Jahr 2030 bei etwa 25-30 % liegen.21
C. Ursachen für den Kostenanstieg Der Kostenanstieg im Gesundheitswesen lässt sich auf unterschiedliche Ursachen zurückführen.
I. Der medizinische Fortschritt Einen der gewichtigsten Gründe stellt der zunehmende medizinische Fortschritt dar.22 Das anzuwendende medizinische Wissen verdoppelt sich alle fünf Jahre.23 Neue und verbesserte Behandlungsmethoden sind im Vergleich zu herkömmlichen Methoden regelmäßig kostenintensiver.24 Die Angebote der Apparate- und Präparate-Medizin steigern sich fortwährend und wecken neue Ansprüche.25 Krankheiten, die zuvor unbekannt waren, sind diagnostizierbar; früher unheilbare Krankheiten nunmehr behandelbar.26 Hinzu kommt, dass die moderne Medizin mit ihren Technologien dazu beiträgt, dass sich die Zeitspanne vom Beginn einer Krankheit bis zum Tod verlängert, ohne die Krankheit abschließend zu heilen. „Fortschritt = Zusatzkosten“27 lautet die wohl kürzeste der verwendeten Formeln.
II. Demographische Entwicklung Ein mit dem medizinischen Fortschritt unmittelbar verknüpfter Grund für den Kostenanstieg ist die Tatsache, dass die Menschen immer älter werden.28 Die 21
Breyer, ZRP 2003, 300; s. auch eine nach drei Varianten aufgeschlüsselte Prognose mit leicht abweichenden Zahlen bei Breyer/Franz/Homburg/Schnabel/Wille, Reform der sozialen Sicherung, S. 146, die für das Jahr 2050 einen Beitragssatz von bis zu 29,8 % vorhersagt. 22 M. Arnold, in: Häfner, Gesundheit – unser höchstes Gut?, S. 247, 250; Ulsenheimer, MedR 1995, 438; den medizinischen Fortschritt generell als Kostenfaktor erwähnend etwa Schneider, NZS 1997, 267; v. Maydell, ArztR 2005, 88. 23 Dietzel, DÄBl. 2002, A-1417. 24 Kramer, MedR 1993, 345; Uhlenbruck, MedR 1995, 427; Marckmann, in: Kick/Taupitz, Gesundheitswesen zwischen Wirtschaftlichkeit und Menschlichkeit, S. 179, 180; Nettesheim, VerwArch 93 (2002), 315, 321. 25 Laufs, in: Laufs/Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, § 2 Rn. 6. 26 Katzenmeier, Arzthaftung, S. 11; Kopetsch, Zur Rationierung medizinischer Leistungen im Rahmen der Gesetzlichen Krankenversicherung, S. 63; Nettesheim, VerwArch 93 (2002), 315, 321. 27 Oberender, in: Nagel/Ch. Fuchs, Rationalisierung und Rationierung im deutschen Gesundheitswesen, S. 10, 11 f. 28 M. Arnold, in: Häfner, Gesundheit – unser höchstes Gut?, S. 247, 250.
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1. Kap.: Knappe Ressourcen, Kostenanstieg und Reaktionen des Gesetzgebers
durchschnittliche Lebenserwartung hat sich in Deutschland seit dem Jahr 1800 von 35 Jahren auf über 70 Jahre mehr als verdoppelt.29 Im Zeitraum von 1951 (früheres Bundesgebiet ohne West-Berlin und das Saarland) bis 2007 (gesamtes Bundesgebiet) stieg die Lebenserwartung für Neugeborene bei Frauen von 68 Jahren auf 82 Jahre, bei Männern von 65 auf 77 Jahre.30 Für das Jahr 2050 geht eine Schätzung des Statistischen Bundesamtes von einer Lebenserwartung für Neugeborene von 88 Jahren (Frauen) und 83,5 Jahren (Männer) aus. Im Alter von 60 Jahren besteht dieser Schätzung zufolge eine fernere Lebenserwartung von 29,1 Jahren für Frauen und 25,3 Jahren für Männer.31 Mit der Zunahme der Lebenserwartung erhöht sich das Krankheitsvolumen,32 steigt die Zahl der chronisch Kranken und Pflegebedürftigen sowie der multimorbiden Menschen an. Durch das Erreichen eines hohen Alters wird das Gesundheitssystem von immer mehr Menschen länger33 und auch immer häufiger in Anspruch genommen.34 Untersuchungen haben ergeben, dass 70 % der Arzneimittel im Bereich der GKV von Versicherten über 50 Jahren beansprucht werden. Versicherte über 60 Jahren beanspruchen mehr als 50 % aller Krankenhausausgaben der Kassen.35 Die höchsten Ausgaben der Krankenversicherung fallen in den letzten anderthalb Jahren des Lebens an.36 Die Gesundheitsausgaben korrelieren daher nicht primär mit dem Alter, sondern vor allem mit der Nähe zum Tod.37 Gleichwohl gibt es eine altersbedingte Ausgabensteigerung für die mit erheblichem medizinischem Aufwand überlebenden Patienten.38 Auch betragen die Gesundheitskosten eines 90-Jährigen durchschnittlich das über 6-fache der Gesundheitskosten eines 12-jährigen Kindes.39 Außerdem verschiebt sich die demographische Struktur der Gesellschaft weg von einer Alterspyramide hin zu einem Alterspilz.40 Die Geburtenrate geht zurück und die Lebenswartung steigt,41 so dass immer weniger junge Menschen immer mehr Älteren gegenüberstehen. Bei einer Einwohnerzahl von 69,35 Mio. waren in Deutschland im Jahr 1950 nur 6,75 Mio. (9,73 %) älter als 65 Jahre, dafür aber 29
Uhlenbruck, MedR 1995, 427. Gerundete Werte nach StBA, Statistisches Jahrbuch 2009, S. 58. 31 StBA, Bericht über die 11. koordinierte Bevölkerungsvorausentwicklung (2006), S. 17, als PDF-Datei kostenlos abrufbar unter www.destatis.de/shop - Suchbegriff „Bevölkerung2050“ (Abrufdatum: 21.12.2009) 32 Laufs, in: Laufs/Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, § 2 Rn. 5. 33 Oberender, in: Nagel/Ch. Fuchs, Rationalisierung und Rationierung im deutschen Gesundheitswesen S. 12 f. 34 Nettesheim, VerwArch 93 (2002), 315, 321; FAZ v. 4.9.2003, S. 12. 35 Uhlenbruck, MedR 1995, 427. 36 Richter, DStR 2007, 810. 37 Marckmann, in: Schöne-Seifert/Buyx/Ach, Gerecht behandelt?, S. 163, 165. 38 Marckmann, in: Kick/Taupitz, Gesundheitswesen zwischen Wirtschaftlichkeit und Menschlichkeit, S. 179, 181. 39 Dibbern, ZVersWiss 2004, 639, 640. 40 Isensee, in: GS für Heinze, S. 417, 418; V. Neumann, NZS 2003, 113, 119; vgl. auch die anschauliche Grafik des StBA, Statistischen Jahrbuch 2009, S. 37. 41 Dibbern, ZVersWiss 2004, 639, 640. 30
C. Ursachen für den Kostenanstieg
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22,1 Mio. Bundesbürger (31,87 %) jünger als 21. Im Jahr 2007 waren 16,52 Mio. (20,09 %) der 82,22 Mio. Einwohner älter als 65 Jahre, wohingegen 16,91 Mio. (20,57 %) jünger als 21 waren.42 Der prozentuale Anteil der genannten Altersgruppen an der Gesamtbevölkerung hat sich demnach fast bis zur Egalität aufeinander zubewegt. 51,2 Millionen Menschen (62,2 % der Gesamtbevölkerung) befanden sich im Jahr 2000 im erwerbsfähigen Alter. Im Jahr 2050 werden es hingegen nur noch 35,5 Millionen (51,7 %) sein. Gleichzeitig aber steigt die Zahl der nicht mehr Erwerbsfähigen von 13,7 auf 22,9 Millionen (von 16,6 auf 33,3 % der Gesamtbevölkerung).43 „Da viele Innovationen gerade älteren Patienten zugute kommen, wird vor allem die Interaktion von medizinischem Fortschritt und demografischem Wandel die Nachfrage nach Gesundheitsleistungen in die Höhe treiben.“44
III. Defensivmedizin Als ein weiterer zur Kostensteigerung beitragender Faktor wird mitunter die Haftungsjudikatur in Arztsachen und eine von dieser herrührende Verhaltensweise der Ärzteschaft, welche als „Defensivmedizin“ bezeichnet wird, angeführt.45 Darunter versteht man ein Verhalten des Arztes, welches bei der Behandlung seines Patienten nichts mehr wagt oder vor allem die Absicherung gegen eine etwaige eigene Haftung verfolgt,46 sei es als tatsächliche oder nur vermeintlich gebotene Konsequenz der Rechtsprechung zu Behandlungsfehlern.47 Da sich der Haftungsmaßstab der Ärzte vereinfacht gesagt am medizinischen Standard orientiert, der mit fortschreitenden medizinischen Erkenntnis und Möglichkeiten ansteigt, wachsen auch die haftungsrechtlichen Anforderungen an die Ärzteschaft.48 Anstatt sich alleine von ärztlichen Indikationen leiten zu lassen, spielen bei defensiver Medizin auch
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Eigene Berechnung nach StBA, Statistisches Jahrbuch 2009, S. 42. Beske, Rheinisches Ärzteblatt 1/2008, 10. 44 Marckmann, in: Kick/Taupitz, Gesundheitswesen zwischen Wirtschaftlichkeit und Menschlichkeit, S. 179, 181. 45 Broglie, ZaeFQ 1997, 639, 641; Ch. Fuchs, Allokation der Mittel im Gesundheitswesen, S. 2; Katzenmeier, Arzthaftung, S. 294; ders., in: Laufs/Katzenmeier/Lipp, Arztrecht, X. Rn. 36; Künschner, Wirtschaftlicher Behandlungsverzicht und Patientenauswahl, S. 214; Ulsenheimer, MedR 1995, 438, 439; ders., Ausgreifende Arzthaftpflichtjudikatur und Defensivmedizin, S. 23; Sternberg-Lieben, in: FS für Weber, S. 69, 70; a.A. D. Giesen, JZ 1990, 1053, 1064: Die Rechtsprechung zur Arzthaftung könne keine Grundlage für eine Defensivmedizin abgeben. 46 Künschner, Wirtschaftlicher Behandlungsverzicht und Patientenauswahl, S. 214; Ulsenheimer, MedR 1995, 438, 439; ders., Ausgreifende Arzthaftpflichtjudikatur und Defensivmedizin, S. 8 f. 47 Sternberg-Lieben, in: FS für Weber, S. 69, 70. 48 Einzelheiten zu den haftungsrechtlichen Anforderungen an den Arzt und zum medizinischen Standard wird im zweiten Teil der Untersuchung nachgegangen. 43
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1. Kap.: Knappe Ressourcen, Kostenanstieg und Reaktionen des Gesetzgebers
forensische Indikationen eine Rolle.49 Im Extremfall therapiert oder diagnostiziert der Arzt ohne jede medizinische Indikation. Genaue Untersuchungen darüber, wie viele Mittel auf diese Art und Weise verschwendet werden, anstatt an anderer Stelle besser eingesetzt zu werden, existieren nicht. Die ausufernde Haftungsjudikatur zwingt die Ärzte aber zu einem übermäßigen Einsatz der zur Verfügung stehen diagnostischen Verfahren und trägt damit ihrerseits zur Ressourcenknappheit und zu einer Erhöhung der Ausgaben im Gesundheitswesen bei.50 „Noch vor wenigen Jahren glaubten wir, daß Defensivmedizin in unserem Land kaum Bedeutung bekommen kann. Heute ist die Gefahr für eine solche Handlungsweise gegeben, da sich bei größeren, risikoreichen Eingriffen Sorge vor juristischen Folgen und hohe Behandlungskosten summieren“, so der damalige Präsident der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie Rudolf Pichlmayr im Jahre 1996.51 In einer aktuellen Interviewstudie zur Situation in deutschen Krankenhäusern wird das Haftungsrecht zwar kaum als Bedrohung wahrgenommen. Ganz oben stehe die medizinische beeinflusste Entscheidung.52 Ganz anders lautet der Tenor hingegen im „Ulmer Papier“, dem Beschluss des 111. Deutschen Ärztetages. Dort heißt es: „Der Zielkonflikt zwischen ärztlicher Sorgfaltspflicht und Wirtschaftlichkeitsdruck belastet das Patient-Arzt-Verhältnis inzwischen in einem unerträglichen Ausmaß.“53 Auf die zivilrechtliche Haftung des Arztes, auf Einzelheiten zum Begriff des medizinischen Standards sowie auf eine mögliche Konfliktsituation, der sich der Arzt aufgrund der immer höheren Haftungsanforderungen einerseits und dem damit verbundenen finanziellen Mehraufwand andererseits ausgesetzt sehen könnte, wird die Bearbeitung im zweiten Teil zurückkommen.
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Laufs, in: Laufs/Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, § 107 Rn. 7. Zu den konkreten Folgen einer defensiven Haltung vgl. Ulsenheimer, Ausgreifende Arzthaftpflichtjudikatur und Defensivmedizin, S. 9 f. 50 Ulsenheimer, MedR 1995, 438, 439. 51 Zitiert nach Zylka-Menhorn, DÄBl. 1996, A-1087, A-1088; zu der Gefahr einer Defensivmedizin vgl. auch Ulsenheimer, Ausgreifende Arzthaftpflichtjudikatur und Defensivmedizin, S. 9; von Franzki, MedR 1994, 171, 177 hingegen stammt das Zitat: „Es ist ein Mißverständnis, wenn vielfach behauptet wird, die Rechtsprechung zwinge den Arzt zur vorsorglichen Abklärung auch entferntester Risiken und damit zu einer kostenaufwendigen Defensivmedizin.“ 52 Huster/Strech/Marckmann/Freyer/Börchers/A. Neumann/Wasem/Held, MedR 2007, 703, 705. 53 „Ulmer Papier“, Beschluss des 111. DÄT, DÄBl. 2008, A-1189, A-1195.
D. Die Reaktion des Gesetzgebers: Kostendämpfungsgesetze
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D. Die Reaktion des Gesetzgebers: Kostendämpfungsgesetze I. Frühphase der Kostendämpfungsgesetzgebung Nachdem der Gesetzgeber jahrelang mit lediglich selektiven Einzelmaßnahmen auf die zunehmenden Kosten reagierte,54 begann im Jahre 1977 mit dem Krankenversicherungs-Kostendämpfungsgesetz55 eine Phase der Ausgabendämpfung. 1982 folgte das Kostendämpfungs-Ergänzungsgesetz,56 1983 und 1984 jeweils Haushaltsbegleitgesetze.57 Diese Gesetze führten unter anderem zu einer Reihe von Selbstbeteiligungen, beim Zahnersatz, bei Brillen, Arznei- und Heilmitteln aufgrund von Gebühren pro verschriebener Leistung sowie bei Krankenfahrtkosten und Krankenhausaufenthalten. Bagatellarzneimittel wurden aus dem Leistungskatalog der Krankenkassen gestrichen und der Kreis der einbezogenen Einkommen in die Beitragspflicht wurde ausgeweitet.58
II. Gesundheitsreformgesetz Mit dem zum 1.1.1989 in Kraft getretenen Gesundheitsreformgesetz (GRG)59 wurde die bisher in der RVO geregelte GKV im SGB V kodifiziert. Hauptziel des GRG war es, „die seit Jahren ansteigenden Beitragssätze in der gesetzlichen Krankenversicherung zu senken und dauerhaft zu stabilisieren“.60 Eingeführt wurden Festbeträge bei Arznei-, Heil- und Hilfsmitteln. Veränderungen am System der Zuzahlungen wurden in Form der Erhöhung der Selbstbeteiligungen für Zahnersatz, Arznei- und Heilmittel sowie der stationären Behandlung vorgenommen.61 54
Jensen, ZfSH/SGB 1986, 537, 542. Gesetz zur Dämpfung der Ausgabenentwicklung und zur Strukturverbesserung in der gesetzlichen Krankenversicherung (Krankenversicherungs-Kostendämpfungsgesetz – KVKG) v. 27.6.1977, BGBl. I 1977, S. 1069. 56 Gesetz zur Ergänzung und Verbesserung der Wirksamkeit kostendämpfender Maßnahmen in der Krankenversicherung (Kostendämpfungs-Ergänzungsgesetz – KVEG) v. 22.12.1981, BGBl. I 1981, S. 1578. 57 Gesetz zur Wiederbelebung der Wirtschaft und Beschäftigung und zur Entlastung des Bundeshaushaltes (Haushaltsbegleitgesetz 1983) v. 20.12.1981, BGBl. I 1982, S. 1857 u. Gesetz über Maßnahmen zur Entlastung der öffentlichen Haushalte und zur Stabilisierung der Finanzentwicklung in der Rentenversicherung sowie über die Verlängerung der Investitionshilfeabgabe (Haushaltbegleitgesetz 1984) v. 22.12.1983, BGBl. I 1983, S. 1532. 58 Jensen, ZfSH/SGB 1986, 537, 544; dort findet sich auch eine ausführliche Darstellung der einzelnen Maßnahmen der Kostendämpfungsgesetze. 59 Gesetz zur Strukturreform im Gesundheitswesen (Gesundheits-Reformgesetz – GRG) v. 20.12.1988, BGBl. I 1988, S. 2477. 60 Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und FDP, BT-Drs. 11/2237. 61 Krauskopf, in: Laufs/Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, § 23 Rn. 17; Kruse, in: LPK-SGB V, Einf. Rn. 3; Moormann, Rationierung im deutschen Gesundheitswesen?, S. 114. 55
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1. Kap.: Knappe Ressourcen, Kostenanstieg und Reaktionen des Gesetzgebers
Schließlich trugen Leistungskürzungen (beim Sterbegeld, bei den Fahrkosten, den Badekuren, bei Arznei-, Heil- und Hilfsmitteln sowie Brillen und Kontaktlinsen) dazu bei, dass das GRG insgesamt die Kosten primär auf die Patienten abwälzte.62 Nachfolgend soll ein Überblick über die weiteren gesetzgeberischen Schritte zur Kostendämpfung im Gesundheitswesen erbracht werden. Da alleine das SGB V seit dem GRG bis Mitte des Jahres 2007 in rund 120 Gesetzen geändert wurde, was rund sieben ändernde Gesetze pro Jahr bedeutet,63 wird sich die Darstellung auf die wichtigsten Gesetze beschränken. Der teilweise enorme Regelungsumfang von Reformgesetzen im Gesundheitswesen zwingt weiterhin dazu, nur auf die wesentlichen, für die weitere Untersuchung relevanten Maßnahmen der ausgewählten Gesetze einzugehen.
III. Gesundheitsstrukturgesetz Auch die Bemühungen des GRG vermochten der Ausgabendynamik nicht entscheidend entgegenzuwirken. Schnell zeigte sich, dass die Maßnahmen des GRG nur kurzzeitig wirksam waren und die Ausgaben der Krankenkassen den Einnahmen in dramatischer Weise davonliefen.64 Deshalb trat nur vier Jahre später, am 1.1.1993, das Gesundheitsstrukturgesetz (GSG)65 in Kraft. Mit diesem wurde mit verschiedenen Mitteln versucht, den steigenden Beitragssätzen in der gesetzlichen Krankenversicherung entgegenzuwirken.66 Erklärtes Ziel der Bemühungen war es, die Bezahlbarkeit des Gesundheitswesens zu sichern.67 Das GSG wendete sich mit seinen Maßnahmen gegen Unwirtschaftlichkeiten und Verschwendung, gegen Überkapazitäten und fehlgesteuerte Entwicklungen der Vergangenheit.68 Das Gesetz brachte eine Budgetierung in nahezu allen Leistungsbereichen.69 Zu nennen sind etwa ärztliche Honorare,70 Krankenhausausgaben71 und Ausgaben für Arzneimittel.72 Ebenfalls budgetiert wurden die Verwaltungsausgaben der Kran62
Moormann, Rationierung im deutschen Gesundheitswesen?, S. 114 Peters, in: KassKomm, Vor § 1 SGB V Rn. 5. 64 Krauskopf, in: Laufs/Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, § 23 Rn. 21; Moormann, Rationierung im deutschen Gesundheitswesen?, S. 115; Peters, in: KassKomm, Vor § 1 SGB V Rn. 29. 65 Gesetz zur Sicherung und Strukturverbesserung der gesetzlichen Krankenversicherung (Gesundheitsstrukturgesetz) v. 21.12.1992, BGBl. I 1992, S. 2266. 66 Rüfner, NJW 1993, 753. 67 Krauskopf, in: Laufs/Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, § 23 Rn. 22. 68 Krauskopf, in: Laufs/Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, § 23 Rn. 26. 69 Peters, in: KassKomm, vor § 1 SGB V Rn. 31. 70 Ebsen, in: v. Maydell/Ruland/Becker, Sozialrechtshandbuch, § 15 Rn. 20; Krauskopf, in: Laufs/Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, § 23 Rn. 25; Rüfner, NJW 1993, 753. 71 Genzel, MedR 1994, 83, 85; Krauskopf, in: Laufs/Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, § 23 Rn. 25; Moormann, Rationierung im deutschen Gesundheitswesen?, S. 115; Rüfner, NJW 1993, 753, 754. 72 Ebsen, in: v. Maydell/Ruland/Becker, Sozialrechtshandbuch, § 15 Rn. 20; Krauskopf, in: Laufs/Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, § 23 Rn. 25; Moormann, Rationierung im deutschen Gesundheitswesen?, S. 115; Rüfner, NJW 1993, 753, 755. 63
D. Die Reaktion des Gesetzgebers: Kostendämpfungsgesetze
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kenkassen je Mitglied.73 Die Ausgaben dieser Bereiche durften im Zeitraum von 1993 bis 1995 jeweils nicht stärker steigen als das beitragspflichtige Lohneinkommen.74 Das Gesetz zielte auch insgesamt auf eine dauernde Anbindung der Ausgaben an die Grundlohnentwicklung.75 In der Krankenhausfinanzierung wurden stufenweise das Selbstkostendeckungsprinzip aufgehoben und für die Zeit nach dem Auslaufen der Budgetierung leistungsorientierte Fallpauschalen eingeführt.76 Für Arzneimittel sollte vom neu zu gründenden Institut für Arzneimittel in der Krankenversicherung eine Positivliste erstellt werden, die alle verschreibungsfähigen Arzneimittel enthalten sollte.77 Die Regelung wurde allerdings Ende 1995 wieder gestrichen, nachdem das Institut einen ersten Entwurf vorgelegt hatte.78 Für die Patienten wurden die Zuzahlungen für Arzneimittel, Krankenhausaufenthalte und Kuren erhöht79 und die Leistungen für kieferorthopädische Behandlungen für Erwachsene und für Zahnersatz eingeschränkt.80 Für die Jahre 1993 und 1994 wurde eine Preissenkung von fünf Prozent auf verschreibungspflichtige und zwei Prozent auf nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel verfügt, soweit keine Festbeträge festgesetzt wurden.81 Die Zahl der zugelassenen Ärzte wurde begrenzt und im Bereich der Kassenorganisation eine Neuordnung der Selbstverwaltung vorgenommen.82 Das GSG 73
Krauskopf, in: Laufs/Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, § 23 Rn. 25; Rüfner, NJW 1993, 753, 756. 74 Krauskopf, in: Laufs/Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, § 23 Rn. 25, Moormann, Rationierung im deutschen Gesundheitswesen?, S. 115; Wasem, in: Orlowski/Rau/Schermer/Wasem/Zipperer GKV-Kommentar SGB V, Einf. Rn. 16 c. 75 Krauskopf, in: Laufs/Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, § 23 Rn. 22; Rüfner, NJW 1993, 753, 757. Als Grundlohnsumme wird die Summe der beitragspflichtigen Einkommen aller Mitglieder der Krankenkassen in einer Zeitperiode bezeichnet, vgl. Preusker, Lexikon Gesundheitsmarkt, Grundlohnsumme, S. 196. 76 Kopetsch, Zur Rationierung medizinischer Leistungen im Rahmen der Gesetzlichen Krankenversicherung, S. 24; Wasem, in: Orlowski/Rau/Schermer/Wasem/Zipperer GKVKommentar SGB V SGB V, Einf. Rn. 16 d. 77 Kopetsch, Zur Rationierung medizinischer Leistungen im Rahmen der Gesetzlichen Krankenversicherung, S. 24 f., Rüfner, NJW 1993, 753, 755, Wasem, in: Orlowski/Rau/Schermer/Wasem/Zipperer, GKV-Kommentar SGB V, Einf. Rn. 16 h, 214, 401. 78 Kopetsch, Zur Rationierung medizinischer Leistungen im Rahmen der Gesetzlichen Krankenversicherung, S. 25, Wasem, in: Orlowski/Rau/Schermer/Wasem/Zipperer, GKVKommentar SGB V, Einf. Rn. 16 h; wie sich zeigen wird, ist die Einführung oder Streichung einer Positivliste regelmäßig Gegenstand von Reformen. 79 Ebsen, in: v. Maydell/Ruland/Becker, Sozialrechtshandbuch, § 15 Rn. 20; Krauskopf, in: Laufs/Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, § 23 Rn. 25; Rüfner, NJW 1993, 753, 757. 80 Kopetsch, Zur Rationierung medizinischer Leistungen im Rahmen der Gesetzlichen Krankenversicherung, S. 24; Krauskopf, in: Laufs/Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, § 23 Rn. 25; Rüfner, NJW 1993, 753, 754. 81 Moormann, Rationierung im deutschen Gesundheitswesen?, S. 115; Rüfner, NJW 1993, 753, 755; Wasem, in: Orlowski/Rau/Schermer/Wasem/Zipperer, GKV-Kommentar SGB V, Einf. Rn. 16 c. 82 Peters, in: KassKomm, vor § 1 SGB V Rn. 31; Rüfner, NJW 1993, 753, 754, 756.
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1. Kap.: Knappe Ressourcen, Kostenanstieg und Reaktionen des Gesetzgebers
führte außerdem einen kassenübergreifenden Risikostrukturausgleich ein, der dem Abbau extrem hoher Unterschiede bei den Beitragssätzen dienen sollte, die aus dem beitragspflichtigen Einkommen, der Zahl der mitversicherten Angehörigen, dem Alter und dem Geschlecht resultieren. Ab 1996 bestand ein freies Kassenwahlrecht für gesetzlich Krankenversicherte.83 Die mit 10 Mrd. DM angegebenen Einsparungen des GSG wirkten sich nur bis 1994 aus. Schon 1995 wies die GKV wieder ein Defizit von sieben Mrd. DM auf, was Beitragssatzerhöhungen nach sich zog.84
IV. Krankenversicherungsneuordnungsgesetze Als sogenannte dritte Stufe der Gesundheitsreform traten am 1.7.1997 das Erste und das Zweite Krankenversicherungsneuordnungsgesetz (1. und 2. GKV-NOG) in Kraft.85 Da der Bundesrat gegen das ursprünglich zur Fortführung der Reformen vorgesehene Krankenversicherungsweiterentwicklungsgesetz (GKVWG)86 Einspruch einlegte, der Vermittlungsausschuss dem Bundestag die Ablehnung des Gesetzentwurfes empfahl und das Gesetzgebungsverfahren scheiterte,87 stellten die beiden mit der Mehrheit der Regierungskoalition aus CDU/CSU und FDP verabschiedeten Gesetze nur noch Rudimente des ursprünglich weiterreichenden Konzeptes des GKVWG dar.88 Das Hauptanliegen der dritten Reformstufe war wieder einmal die Beitragsstabilität.89 Während das GSG versuchte, hauptsächlich auf der Angebotsseite anzusetzen, fanden sich insbesondere im 2. GKV-NOG auf der Nachfrageseite ansetzende Instrumente.90
83
Ebsen, in: v. Maydell/Ruland/Becker, Sozialrechtshandbuch, § 15 Rn. 20; Kopetsch, Zur Rationierung medizinischer Leistungen im Rahmen der Gesetzlichen Krankenversicherung, S. 24; Krauskopf, in: Laufs/Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, § 23 Rn. 23; Moormann, Rationierung im deutschen Gesundheitswesen?, S. 116; Peters, in: KassKomm, vor § 1 SGB V Rn. 31; Rüfner, NJW 1993, 753, 756; Schlegel, in: Küttner/Röller, Personalbuch 2007, Krankenversicherungsbeiträge Rn. 68; Wasem, in: Orlowski/Rau/Schermer/Wasem/Zipperer, GKV-Kommentar SGB V, Einf. Rn. 16 f, 16 i. 84 Krauskopf, in: Laufs/Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, § 23 Rn. 26. 85 Erstes Gesetz zur Neuordnung von Selbstverwaltung und Eigenverantwortung in der gesetzlichen Krankenversicherung (1. GKV-Neuordnungsgesetz – 1. NOG) v. 23.6.1997, BGBl. I 1997, S. 1518 u. Zweites Gesetz zur Neuordnung von Selbstverwaltung und Eigenverantwortung in der gesetzlichen Krankenversicherung (2. GKV-Neuordnungsgesetz – 2. NOG), v. 23.6.1997, BGBl. I 1997, S. 1520. 86 Entwurf eines Gesetzes zur Weiterentwicklung der Strukturreform in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Weiterentwicklungsgesetz – GKVWG) v. 30.1.1996, BT-Drs. 13/3608. 87 Wasem, in: Orlowski/Rau/Schermer/Wasem/Zipperer, GKV-Kommentar SGB V, Einf. Rn. 16 j. 88 Kruse, in: Kruse/Hänlein, LPK-SGB V, Einl. Rn. 7. 89 Krasney, NJW 1998, 1737, 1738; Kruse, in: Kruse/Hänlein, LPK-SGB V, Einl. Rn. 7. 90 Wasem, in: Orlowski/Rau/Schermer/Wasem/Zipperer, GKV-Kommentar SGB V, Einf. Rn. 16 l.
D. Die Reaktion des Gesetzgebers: Kostendämpfungsgesetze
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Im 1. GKV-NOG wurde eine Koppelung von Beitragssatzerhöhungen einzelner Krankenkassen an Zuzahlungserhöhungen geregelt. Jede Erhöhung des Beitragssatzes um jeweils 0,1 Prozentpunkte zog eine um eine DM bzw. um einen Prozentpunkt höhere Zuzahlung zu Arznei-, Verband- und Heilmitteln sowie zu stationären Vorsorge- und Rehabilitationskosten und zu den Fahrtkosten nach sich. Ausnahmen bestanden nur bei nachweislich durch höhere Verpflichtungen aufgrund des Risikostrukturausgleichs erforderlichen91 und durch das GKVFinanzierungsstärkungsgesetz (GKVFG)92 bedingten Beitragserhöhungen.93 Für den Fall einer Beitragserhöhung wurde sowohl Pflicht- als auch freiwillig Versicherten ein außerordentliches Kündigungsrecht eingeräumt.94 Zugunsten chronisch Kranker wurde in § 62 SGB V eine Härtefallregelung geschaffen, nach der diese, wenn sie wegen derselben Krankheit in Dauerbehandlung sind und ein Jahr lang Zuzahlungen bis zur Belastungsgrenze (zwei Prozent der jährlichen Bruttoeinnahmen zum Lebensunterhalt) aufgebracht haben, nach Ablauf des ersten Jahres für die weitere Dauer der Behandlung nunmehr nur noch ein Prozent der jährlichen Bruttoeinnahmen zum Lebensunterhalt zuzuzahlen haben.95 Neben einer erneuten einmaligen Anhebung der Zuzahlungen um fünf DM bzw. fünf Prozentpunkte96 wurde mit dem 2. GKV-NOG auch neue Zuzahlungen eingeführt97 und eine dynamisierte Erhöhung alle zwei Jahre festgelegt.98 Im Bereich des Zahnersatzes wurden die prozentualen Zuschüsse der Krankenkassen durch Festzuschüsse abgelöst.99 Zunehmend hielten Elemente der privaten Krankenversicherung (PKV) im System der GKV Einzug. Anstelle von Sachleistungen konnten fortan nicht nur die freiwillig Versicherten, sondern alle Mitglieder der GKV Kostenerstattung wäh91
am Orde, SozSich 1997, 241, 243; Krasney, NJW 1998, 1737, 1738; Krauskopf, in: Laufs/Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, § 23 Rn. 36. 92 Gesetz zur Stärkung der Finanzgrundlagen der gesetzlichen Krankenversicherung in den neuen Ländern (GKV-Finanzierungsstärkungsgesetz – GKVFG) v. 24.3.1998, BGBl. I 1998, S. 526. 93 Krasney, NJW 1998, 1737, 1738. 94 Krasney, NJW 1998, 1737, 1738; Krauskopf, in: Laufs/Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, § 23 Rn. 36; am Orde, SozSich 1997, 241, 245; Wasem, in: Orlowski/Rau/Schermer/Wasem/Zipperer, GKV-Kommentar SGB V, Einf. Rn. 249. 95 Krasney, NJW 1998, 1737 f.; am Orde, SozSich 1997, 241, 246. 96 Krauskopf, in: Laufs/Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, § 23 Rn. 37; am Orde, SozSich 1997, 241, 243, 247, eine tabellarische Übersicht der Zuzahlungen findet sich auf S. 244; Wasem, in: Orlowski/Rau/Schermer/Wasem/Zipperer, GKV-Kommentar SGB V, Einf. Rn. 258 f., 261, 267. 97 Für Einlagen, Bandagen und Kompressionstherapie, vgl. die tabellarische Darstellung bei am Orde, SozSich 1997, 241, 244; s. ferner Wasem, in: Orlowski/Rau/Schermer/Wasem/Zipperer, GKV-Kommentar SGB V, Einf. Rn. 260. 98 Wasem, in: Orlowski/Rau/Schermer/Wasem/Zipperer, GKV-Kommentar SGB V, Einf. Rn. 270.; am Orde, SozSich 1997, 241, 243, 247. 99 Krauskopf, in: Laufs/Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, § 23 Rn. 37; am Orde, SozSich 1997, 241, 248.
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1. Kap.: Knappe Ressourcen, Kostenanstieg und Reaktionen des Gesetzgebers
len.100 Für den Bereich des Zahnersatzes wurde die Kostenerstattung zwingend vorgeschrieben,101 der Versicherte also diesbezüglich im Verhältnis zum Zahnarzt Privatpatient.102 Als Satzungsleistungen wurde die Einführung von erhöhten Selbstbehalten, Beitragsrückzahlungen,103 Zuzahlungsdifferenzierungen (mit Beitragsermäßigung) und erweiterte Leistungen104 ermöglicht. Auf dem Krankenhaussektor wurde die Festsetzung neuer und die Fortentwicklung bereits bestehender Fallpauschalen und Sonderentgelte der Selbstverwaltung der Krankenkassen und Krankenhäusern übertragen. Instandhaltungskosten wurden in den Jahren 1997 bis 1999 pauschal mit 1,1 % der für die allgemeinen Krankenhausleistungen vereinbarten Vergütung im Pflegesatz berücksichtigt, solange nicht das zuständige Bundesland diese Kosten trug.105 In demselben Zeitraum hatten Versicherten jährlich als „Notopfer“ 20 DM selbst zu tragen, die ebenfalls für die Instandhaltung von Krankenhäusern gedacht waren.106 Zahlreiche Maßnahmen der beiden GKV-NOG hatten nach dem Regierungswechsel im Jahr 1998 keinen Bestand mehr. Ende 1998 schaffte die neue Bundesregierung, bestehend aus SPD und Bündnis 90 / Die Grünen, mit dem GKVSolidaritätsstärkungsgesetz (GKV-SolG)107 die Koppelung von Beitragssatzerhöhungen an die Erhöhung von Zuzahlungen,108 die dynamische Erhöhung der Zuzahlungen alle zwei Jahre,109 die Festzuschüsse beim Zahnersatz,110 die privatversicherungsrechtlichen Elemente der Wahlmöglichkeit der Kostenerstattung auch
100
Ebsen, in: v. Maydell/Ruland/Becker, Sozialrechtshandbuch, § 15 Rn. 21; Krasney, NJW 1998, 1737, 1738; Krauskopf, in: Laufs/Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, § 23 Rn. 37; am Orde, SozSich 1997, 241, 247. 101 Am Orde, SozSich 1997, 241, 247. 102 Krauskopf, in: Laufs/Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, § 23 Rn. 37, 49. 103 Krasney, NJW 1998, 1737, 1740 f.; Krauskopf, in: Laufs/Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, § 23 Rn. 37, am Orde, SozSich 1997, 241, 247; Wasem, in: Orlowski/Rau/Schermer/Wasem/Zipperer, GKV-Kommentar SGB V, Einf. Rn. 265. 104 Krasney, NJW 1998, 1737, 1741; Krauskopf, in: Laufs/Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, § 23 Rn. 37, Wasem, in: Orlowski/Rau/Schermer/Wasem/Zipperer, GKVKommentar SGB V, Einf. Rn. 265 f. 105 Krasney, NJW 1998, 1737, 1744; Krauskopf, in: Laufs/Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, § 23 Rn. 37. 106 Krasney, NJW 1998, 1737, 1744, der auf die Bezeichnung „Notopfer“ verzichtet; Krauskopf, in: Laufs/Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, § 23 Rn. 37; am Orde, SozSich 1997, 241, 249. 107 Gesetz zur Stärkung der Solidarität in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKVSolidaritätsgesetz – GKV-SolG) v. 19.12.1998, BGBl I 1998, S. 3853; dazu Krasney, NJW 1999, 1745. 108 Wasem, in: Orlowski/Rau/Schermer/Wasem/Zipperer, GKV-Kommentar SGB V, Einf. Rn. 250, 371. 109 Wasem, in: Orlowski/Rau/Schermer/Wasem/Zipperer, GKV-Kommentar SGB V, Einf. Rn. 270. 110 Wasem, in: Orlowski/Rau/Schermer/Wasem/Zipperer, GKV-Kommentar SGB V, Einf. Rn. 257.
D. Die Reaktion des Gesetzgebers: Kostendämpfungsgesetze
21
für Pflichtversicherte, die zwingende Kostenerstattung beim Zahnersatz111 sowie die Möglichkeit der Einführung bestimmter Satzungsleistungen112 wieder ab.
V. GKV-Gesundheitsreformgesetz 2000 Neben der Rückgängigmachung der Maßnahmen der Vorgängerregierung diente das GKV-SolG nach dem Verständnis der Regierung auch als Vorschaltgesetz einer weiteren Stufe der Gesundheitsreform, der „Gesundheitsreform 2000“,113 mit der eine grundlegende Reform des Gesundheitswesens vorgenommen werden sollte.114 Nach massiven Protesten der Interessenverbände und dem Widerstand der Oppositionsmehrheit im Bundesrat, wurde letztlich nur das vom Vermittlungsausschuss am 22.12.1999 beschlossene, zustimmungsfreie GKV-Gesundheitsreformgesetz 2000 (GKV-GRG)115 verabschiedet, welches zum 1.1.2000 in Kraft trat.116 Zur Verbesserung der Qualität und der Wirtschaftlichkeit der Arzneimittelversorgung wurde die Positivliste verschreibungsfähiger Arzneimittel wieder eingeführt,117 wobei für die Aufnahme in diese die nachgewiesene Wirksamkeit entscheidend sein sollte.118 Das von der Regierung geplante und von den Leistungserbringern bekämpfte sektorübergreifende Globalbudget wurde nicht Gesetz. Dafür blieben aber die Einzelbudgets (Honorierung, Arznei- und Heilmittel, Krankenhausleistungen) bestehen119 und wurden dauerhaft ausgebaut.120
111
Krauskopf, in: Laufs/Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, § 23 Rn. 49; Wasem, in: Orlowski/Rau/Schermer/Wasem/Zipperer, GKV-Kommentar SGB V, Einf. Rn. 252, 257. 112 Wasem, in: Orlowski/Rau/Schermer/Wasem/Zipperer, GKV-Kommentar SGB V, Einf. Rn. 266 a. 113 Wasem, in: Orlowski/Rau/Schermer/Wasem/Zipperer, GKV-Kommentar SGB V, Einf. Rn. 16 n. 114 Krauskopf, in: Laufs/Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, § 23 Rn. 41. 115 Gesetz zur Reform der gesetzlichen Krankenversicherung ab dem Jahr 2000 (GKVGesundheitsformgesetz 2000) v. 22.12.1999, BGBl. I 1999, 2626. 116 Krauskopf, in: Laufs/Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, § 23 Rn. 41; Wasem, in: Orlowski/Rau/Schermer/Wasem/Zipperer, GKV-Kommentar SGB V, Einf. Rn. 16 n. 117 Ebsen, in: v. Maydell/Ruland/Becker, Sozialrechtshandbuch, § 15 Rn. 22; Krauskopf, in: Laufs/Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, § 23 Rn. 41; Krasney, NJW 2000, 2697, 2698; Kruse, in: Kruse/Hänlein, LPK-SGB V, Einl. Rn. 33; Wasem, in: Orlowski/Rau/Schermer/Wasem/Zipperer, GKV-Kommentar SGB V, Einf. Rn. 16 o, 401. 118 Kopetsch, Zur Rationierung medizinischer Leistungen im Rahmen der Gesetzlichen Krankenversicherung, S. 28 119 Kopetsch, Zur Rationierung medizinischer Leistungen im Rahmen der Gesetzlichen Krankenversicherung, S. 28; Krauskopf, in: Laufs/Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, § 23 Rn. 41. 120 Wasem, in: Orlowski/Rau/Schermer/Wasem/Zipperer, GKV-Kommentar SGB V, Einf. Rn. 16 o.
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1. Kap.: Knappe Ressourcen, Kostenanstieg und Reaktionen des Gesetzgebers
Die 1996 im Zuge des Beitragsentlastungsgesetzes (BeitrEntlG)121 eingeengten Aufgaben der Krankenkassen im Bereich der Prävention und der Selbsthilfe122 wurden wieder ausgeweitet123 und ein Ausgabenrahmen für diesen Bereich definiert.124 In einem neu eingefügten Abschnitt des SGB V wurden Regelungen über sektorübergreifende integrierte Versorgungsformen geschaffen. Hierüber können die Krankenkassen mit Leistungserbringern Verträge schließen. Die Spitzenverbände der Krankenkassen hatten mit der Kassenärztlichen Bundesvereinigung einen Rahmenvertrag über die integrierte Versorgung abzuschließen125 und konnten dies ebenfalls mit der Deutschen Krankenhausgesellschaft und weiteren Verbänden tun. Auf diese Weise kann das Vertragsrecht des SGB V weitgehend abgedungen werden.126 Ziel der integrierten Versorgung ist es, die einzelnen Versorgungsbereiche, insbesondere den ambulanten und den stationären Bereich, besser mit einander zu verzahnen127 und dadurch eine verschiedene Leistungssektoren übergreifende Versorgung der Versicherten zu ermöglichen, 128 deren Teilnahme daran freiwillig ist.129
VI. GKV-Modernisierungsgesetz Die Beitragssätze stiegen auch nach der Gesundheitsreform 2000 weiter an, so dass an einer weiteren Gesundheitsreform gearbeitet wurde. Die rot-grüne Bundesregierung brachte einen Gesetzentwurf in den Bundestag ein; kurz darauf begannen Konsensgespräche mit CDU/CSU und FDP. Nachdem sich die FDP aus diesen zurückzog, verständigten sich die Regierungs- und Unionsparteien im Juli 2003 auf Eckpunkte für eine gemeinsame Gesundheitsreform.130 Dies führte 121
Gesetz zur Entlastung der Beiträge in der gesetzlichen Krankenversicherung (Beitragsentlastungsgesetz – BeitrEntlG) v. 1.11.1996, BGBl. I 1996, 1631. 122 Wasem, in: Orlowski/Rau/Schermer/Wasem/Zipperer, GKV-Kommentar SGB V, Einf. Rn. 384, 392. 123 Krasney, NJW 2000, 2697, 2698; Krauskopf, in: Laufs/Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, § 23 Rn. 41; Wasem, in: Orlowski/Rau/Schermer/Wasem/Zipperer, GKVKommentar SGB V, Einf. Rn. 384, 392. 124 Krauskopf, in: Laufs/Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, § 23 Rn. 41; Wasem, in: Orlowski/Rau/Schermer/Wasem/Zipperer, GKV-Kommentar SGB V, Einf. Rn. 392. 125 Ebsen, in: v. Maydell/Ruland/Becker, Sozialrechtshandbuch, § 15 Rn. 22; Kruse, in: Kruse/Hänlein, LPK-SGB V, Einl. Rn. 33; Murawski, in: Kruse/Hänlein, Das neue Krankenversicherungsrecht, Rn. 470; Wasem, in: Orlowski/Rau/Schermer/Wasem/Zipperer, GKV-Kommentar SGB V, Einf. Rn. 426. 126 Ebsen, in: v. Maydell/Ruland/Becker, Sozialrechtshandbuch, § 15 Rn. 22; Hiddemann/Muckel, NJW 2004, 4, 8; Wasem, in: Orlowski/Rau/Schermer/Wasem/Zipperer, GKV-Kommentar SGB V, Einf. Rn. 426. 127 Hiddemann/Muckel, NJW 2004, 4, 8. 128 Krasney, NJW 2000, 2697, 2699. 129 Kruse, in: Kruse/Hänlein, LPK-SGB V, Einl. Rn. 33; Krasney, NJW 2000, 2697, 2699. 130 Hiddemann/Muckel, NJW 2004, 7; Kruse, in: Kruse/Hänlein, Das neue Krankenversicherungsrecht, Rn. 7 ff., Orlowski/Wasem, Gesundheitsreform 2004, S. 2; Wasem, in: Or-
D. Die Reaktion des Gesetzgebers: Kostendämpfungsgesetze
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schließlich im November 2003 zur Verabschiedung des GKV-Modernisierungsgesetzes (GMG),131 welches größtenteils zum 1.1.2004 in Kraft trat. Einige der Maßnahmen, die die erste rot-grüne Bundesregierung mit dem GKV-SolG rückgängig gemacht hatte, wurden durch das GMG in der 15. Wahlperiode erneut geltendes Recht. So wurde für Pflichtversicherte das Wahlrecht auf Kostenerstattung wieder eingeführt132 und beim Zahnersatz sollte ab 2005 wieder auf – nunmehr befundbezogene – Festzuschüsse umgestellt werden.133 Für die Krankenkassen wurde wieder die Möglichkeit geschaffen, für freiwillige Mitglieder einen wahlweisen Selbstbehalt und Beitragsrückzahlungen einzuführen.134 Umgekehrt wurde die erst im Jahr 2000 geschaffene Regelung für die Erstellung einer Positivliste wieder aufgehoben.135 Die Versicherten wurden durch das Streichen von Leistungen, höheren Zuzahlungen und die viel diskutierte Einführung einer Praxisgebühr belastet. Der Anspruch auf künstliche Befruchtung wurde eingeschränkt,136 ebenso der bei Sterilisation.137 Der Leistungsanspruch bei Sehhilfen wurde auf Kinder und Jugendliche sowie schwer sehbehinderte Versicherte begrenzt.138 Fahrtkosten werden nur noch
lowski/Rau/Schermer/Wasem/Zipperer, GKV-Kommentar SGB V, Einf. Rn.16 p, wobei fälschlicherweise z.T. das Jahr 2004 angegeben wird. 131 Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Modernisierungsgesetz – GMG) v. 14.11.2003, BGBl. I 2003, S. 2190. 132 Hiddemann/Muckel, NJW 2004, 7, 13; Kruse, in: Kruse/Hänlein, Das neue Krankenversicherungsrecht, Rn. 23, 194; Orlowski/Wasem, Gesundheitsreform 2004, S. 4, 14; Wasem, in: Orlowski/Rau/Schermer/Wasem/Zipperer, GKV-Kommentar SGB V, Einf. Rn. 252, 568. 133 Hiddemann/Muckel, NJW 2004, 7, 12; Kruse, in: Kruse/Hänlein, Das neue Krankenversicherungsrecht, Rn. 200; Orlowski/Wasem, Gesundheitsreform 2004, S. 10, 56; Wasem, in: Orlowski/Rau/Schermer/Wasem/Zipperer, GKV-Kommentar SGB V, Einf. Rn. 16 q, 257, 572. 134 Hiddemann/Muckel, NJW 2004, 7, 13; Orlowski/Wasem, Gesundheitsreform 2004, S. 19; 22 f.; Wasem, in: Orlowski/Rau/Schermer/Wasem/Zipperer, GKV-Kommentar SGB V, Einf. Rn. 16 q, 266 a, 578 f. 135 Kruse, in: Kruse/Hänlein, Das neue Krankenversicherungsrecht, Rn. 281; Wasem, in: Orlowski/Rau/Schermer/Wasem/Zipperer, GKV-Kommentar SGB V, Einf. Rn. 16 q, 401, 574. 136 Adelt, in: Kruse/Hänlein, Das neue Krankenversicherungsrecht, Rn. 358 ff.; Hiddemann/Muckel, NJW 2004, 7, 12, Orlowski/Wasem, Gesundheitsreform 2004, S. 49 f.; Wasem, in: Orlowski/Rau/Schermer/Wasem/Zipperer, GKV-Kommentar SGB V, Einf. Rn. 573. 137 Hänlein, in: Kruse/Hänlein, Das neue Krankenversicherungsrecht, Rn. 68; Orlowski/Wasem, Gesundheitsreform 2004, S. 49; Wasem, in: Orlowski/Rau/Schermer/Wasem/Zipperer, GKV-Kommentar SGB V, Einf. Rn. 571. 138 Hänlein, in: Kruse/Hänlein, Das neue Krankenversicherungsrecht, Rn. 65; Hiddemann/Muckel, NJW 2004, 7, 12, Orlowski/Wasem, Gesundheitsreform 2004, S. 51; Wasem, in: Orlowski/Rau/Schermer/Wasem/Zipperer, GKV-Kommentar SGB V, Einf. Rn. 575.
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1. Kap.: Knappe Ressourcen, Kostenanstieg und Reaktionen des Gesetzgebers
bei zwingenden medizinischen Gründen erstattet.139 Das Sterbegeld wurde gänzlich gestrichen.140 Von der Versorgung ausgeschlossen wurden, von Ausnahmen abgesehen, nicht-verschreibungspflichtige Arzneimittel und die sogenannten Lifestyle-Medikamente, also Arzneien, die vorrangig der Erhöhung der Lebensqualität dienen.141 Das Recht der Zuzahlungen erfuhr eine Neustrukturierung, indem die bisher im SGB V verstreuten Zuzahlungsregelungen zusammengefasst wurden.142 Grundsätzlich muss der Patient 10 % des Abgabepreises als Zuzahlung selbst tragen, wobei dieser Eigenanteil mindestens fünf, maximal zehn Euro je Leistung beträgt. Bei stationären Maßnahmen werden je Kalendertag zehn Euro erhoben. Bei Heilmitteln und der häuslichen Krankenpflege beträgt die Belastung zehn Prozent der Kosten sowie 10 Euro pro Verordnung, wobei die Zuzahlung bei der häuslichen Krankenpflege auf die ersten 28 Tage begrenzt und bei der Krankenhausbehandlung längstens für 28 Tage zu leisten ist.143 Eine besondere und neu geschaffene Form der Zuzahlung ist die so genannte Praxisgebühr. Versicherte haben quartalsmäßig für jede erste Inanspruchnahme eines an der ambulanten ärztlichen, zahnärztlichen oder psychotherapeutischen Behandlung tätigen Leistungserbringers jeweils eine Zuzahlung von zehn Euro zu entrichten. Die Gebühr fällt nicht bei Vorsorgemaßnahmen an.144 Für alle Versicherten gilt für alle Zuzahlungen, auch für die Praxisgebühr, eine Belastungsgrenze in Höhe von zwei Prozent des Bruttoeinkommens, für chronisch Kranke liegt sie bei einem Prozent des Bruttoeinkommens. Gänzlich entfallen ist die vollständige Befreiung chronisch Kranker von Zuzahlungen ab dem zweiten Jahr der
139 Hänlein, in: Kruse/Hänlein, Das neue Krankenversicherungsrecht, Rn. 66; Hiddemann/Muckel, NJW 2004, 7, 12; Wasem, in: Orlowski/Rau/Schermer/Wasem/Zipperer, GKV-Kommentar SGB V, Einf. Rn. 580. 140 Hänlein, in: Kruse/Hänlein, Das neue Krankenversicherungsrecht, Rn. 65; Hiddemann/Muckel, NJW 2004, 7, 12; Orlowski/Wasem, Gesundheitsreform 2004, S. 54; Wasem, in: Orlowski/Rau/Schermer/Wasem/Zipperer, GKV-Kommentar SGB V, Einf. Rn. 567. In dem Ausschluss sämtlicher Arzneimittel, die der Behandlung der erektilen Dysfunktion dienen, sieht das BSG keinen Verstoß gegen Art. 2 GG, vgl. BSGE 94, 302, 310 f. 141 Hänlein, in: Kruse/Hänlein, Das neue Krankenversicherungsrecht, Rn. 65; Hiddemann/Muckel, NJW 2004, 7, 12, Orlowski/Wasem, Gesundheitsreform 2004, S. 7, 52 f.; Wasem, in: Orlowski/Rau/Schermer/Wasem/Zipperer, GKV-Kommentar SGB V, Einf. Rn. 574. 142 Adelt, in: Kruse/Hänlein, Das neue Krankenversicherungsrecht, Rn. 70 f.; Wasem, in: Orlowski/Rau/Schermer/Wasem/Zipperer, GKV-Kommentar SGB V, Einf. Rn. 581. 143 Adelt, in: Kruse/Hänlein, Das neue Krankenversicherungsrecht, Rn. 73, 75, 169, 174, 179, 185; Hiddemann/Muckel, NJW 2004, 7, 12; Orlowski/Wasem, Gesundheitsreform 2004, S. 11, 65; Wasem, in: Orlowski/Rau/Schermer/Wasem/Zipperer, GKV-Kommentar SGB V, Einf. Rn. 581. 144 Adelt, in: Kruse/Hänlein, Das neue Krankenversicherungsrecht Rn. 74, 145, 153; Hiddemann/Muckel, NJW 2004, 7, 12 f.
D. Die Reaktion des Gesetzgebers: Kostendämpfungsgesetze
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Behandlung.145 Diese Härtefallregelung hatte zwischenzeitlich das GKV-SolG enthalten.146 Lediglich Kinder und Jugendliche sind bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres generell von allen Zuzahlungen befreit.147 Zusätzlich wurde durch das GMG die paritätische Finanzierung der GKV durch Arbeitgeber und Arbeitnehmer zulasten der Arbeitnehmer eingeschränkt. Ab 2005 sollte der Zahnersatz aus der paritätischen Finanzierung herausgenommen werden. Vom 1.1.2006 an sollte zur Finanzierung des Krankengeldes ein allein von den Versicherten zu tragender zusätzlicher Beitragssatz von 0,5 % erhoben werden.148 Noch vor dem Wirksamwerden der jeweiligen Regelungen nahm der Gesetzgeber mit dem Gesetz zur Anpassung der Finanzierung von Zahnersatz vom 15.12.2004149 bereits wieder eine Korrektur vor. Der Zahnersatz verblieb im Leistungskatalog der GKV,150 allerdings wurde der ohnehin schon beschlossene zusätzliche Beitragssatz auf die Finanzierung des Zahnersatzes ausgedehnt, dazu um 0,4 % auf insgesamt 0,9 % erhöht und schon ab dem 1.7.2005 erhoben.151 Die Krankenkassen wurden verpflichtet, ihren Versicherten die hausarztzentrierte Versorgung anzubieten.152 Dabei verpflichten sich die Versicherten gegenüber ihrer Krankenkasse, ein Jahr lang andere Vertragsärzte nur auf Überweisung des von ihnen gewählten, und an der hausarztzentrierten Versorgung teilnehmenden Hausarztes in Anspruch zu nehmen. Als Belohnung können die Krankenkassen ihren Versicherten Zuzahlungs- oder Beitragsermäßigungen gewähren.153 Nach dem GKV-GRG hatte es noch im Ermessen der Krankenkassen gestanden, solche Boni in die Satzungen aufzunehmen.154 Bei der Vergütung ärztlicher Leistungen leitete das GMG einen Übergang zu arztgruppen- und morbiditätsbezogenen Regelleistungsvolumina ein. Diese gelten vollumfänglich erstmals seit 2007 und lösten die budgetierte Gesamtvergütung ab. Bis zu einer vereinbarten Obergrenze für das Leistungsvolumen vergüten die Krankenkassen den Kassenärztlichen Vereinigungen die von den Ärzten tatsäch145
Adelt, in: Kruse/Hänlein, Das neue Krankenversicherungsrecht, Rn. 70; Orlowski/Wasem, Gesundheitsreform 2004, S. 11, 66 f.; Wasem, in: Orlowski/ Rau/Schermer/Wasem/Zipperer, GKV-Kommentar SGB V, Einf. Rn. 248, 581. 146 Wasem, in: Orlowski/Rau/Schermer/Wasem/Zipperer, GKV-Kommentar SGB V, Einf. Rn. 248, 355. 147 Adelt, in: Kruse/Hänlein, Das neue Krankenversicherungsrecht, Rn. 77, 152, 155; Hiddemann/Muckel, NJW 2004, 7, 12 f. 148 Hänlein, in: Kruse/Hänlein, Das neue Krankenversicherungsrecht, Rn. 593 f., Hiddemann/Muckel, NJW 2004, 7, 13; Orlowski/Wasem, Gesundheitsreform 2004, S. 55, 60. 149 BGBl. I 2004, S. 3445. 150 Sodan, NJW 2007, 1313, 1320. 151 Ebsen, in: v. Maydell/Ruland/Becker, Sozialrechtshandbuch, § 15 Rn. 23; Peters, in: KassKomm, § 247 Rn. 7. 152 Ebsen, in: v. Maydell/Ruland/Becker, Sozialrechtshandbuch, § 15 Rn. 23; Hiddemann/Muckel, NJW 2004, 7, 9; Wasem, in: Orlowski/Rau/Schermer/Wasem/Zipperer, GKV-Kommentar SGB V, Einf. Rn. 16 q, 589. 153 Auktor, in: Kruse/Hänlein, Das neue Krankenversicherungsrecht, Rn. 411; Hiddemann/Muckel, NJW 2004, 7, 9. 154 Krasney, NJW 2000, 2697, 2698.
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1. Kap.: Knappe Ressourcen, Kostenanstieg und Reaktionen des Gesetzgebers
lich erbrachten Leistungen nach Maßgabe eines festen Vergütungspunktwertes. Weitergehende Leistungen können nur vergütet werden, wenn sie sich aus einem nicht vorhersehbaren Anstieg des morbiditätsbezogenen Behandlungsbedarfs der Versicherten ergeben. Dann werden noch zehn Prozent des vereinbarten Punktwerts vergütet.155 Diese Neuregelung führt dazu, dass die Gesamtvergütung, im Gegensatz zur früheren Vergütungspraxis, auch im Nachhinein noch steigen kann.156 Auch die individuelle Verteilung der Vergütung auf die einzelnen Ärzte erfolgt seit 2007 mit arztbezogenen Regelleistungsvolumina, welche den einzelnen Ärzten durch die kassenärztlichen Vereinigungen zugewiesen werden. Sie ersetzen die bisherigen Honorarverteilungsmaßstäbe. Auch hier erfolgt die Vergütung bis zu der festgelegten Obergrenze nach Punktwerten, bei deren Überschreiten der Arzt noch mit zehn Prozent des Regelpunktwertes vergütet wird. Von letzterer Regel kann bei einer außergewöhnlich starken Erhöhung der Zahl der behandelten Versicherten abgewichen werden.157 Somit entfällt ein weiterer Nachteil des alten Vergütungssystems: Der Arzt hat nunmehr eine Kalkulationssicherheit, da er seine Vergütungshöhe im Vorfeld abschätzen kann.158 Seit ihrer Einführung durch das GKV-GRG wurde von der integrierten Versorgung nicht in nennenswertem Umfang Gebrauch gemacht.159 Sie wurde dahingehend geändert, dass der Kreis der potentiellen Vertragspartner erweitert wurde160 und die Verantwortung für die Vereinbarungen nunmehr alleine in der Verantwortung der Vertragspartner liegt. Rahmenvereinbarungen sind nicht mehr erforderlich, so dass die Kassenärztliche Vereinigungen und die Kassenärztliche Bundesvereinigung keinen Einfluss mehr auf die Verträge haben.161 Im Bereich der gemeinsamen Selbstverwaltung von Ärzten und Krankenkassen wurde ein Gemeinsamer Bundesausschuss (G-BA) gegründet, der die bisherigen
155 Auktor, in: Kruse/Hänlein, Das neue Krankenversicherungsrecht, Rn. 432 ff.; Hiddemann/Muckel, NJW 2004, 7, 10; Orlowski/Wasem, Gesundheitsreform 2004, S. 104. 156 Auktor, in: Kruse/Hänlein, Das neue Krankenversicherungsrecht, Rn. 435. Hiddemann/Muckel, NJW 2004, 7, 10 sehen in der Neuregelung insgesamt eine Zuweisung des Morbiditätsrisikos zu den Krankenkassen. Diese Einschätzung erscheint angesichts einer nur noch 10-%igen Vergütung bei Überschreiten der Obergrenze zu weitgehend; zur Risikoverteilung nach alter Rechtslage vgl. Auktor, in: Kruse/Hänlein, Das neue Krankenversicherungsrecht, Rn. 418. 157 Hiddemann/Muckel, NJW 2004, 7, 10 f.; Auktor, in: Kruse/Hänlein, Das neue Krankenversicherungsrecht, Rn. 438 i.V.m. Rn. 428 ff. 158 Hiddemann/Muckel, NJW 2004, 7, 11; Auktor, in: Kruse/Hänlein, Das neue Krankenversicherungsrecht, Rn. 429. 159 Hiddemann/Muckel, NJW 2004, 7, 8. 160 Näher dazu: Hiddemann/Muckel, NJW 2004, 7, 8; Murawski, in: Kruse/Hänlein, Das neue Krankenversicherungsrecht, Rn. 472; Orlowski/Wasem, Gesundheitsreform 2004, S. 92. 161 Hiddemann/Muckel, NJW 2004, 7, 8; Murawski, in: Kruse/Hänlein, Das neue Krankenversicherungsrecht, Rn. 471; Orlowski/Wasem, Gesundheitsreform 2004, S. 91 f.; Wasem, in: Orlowski/Rau/Scher-mer/Wasem/Zipperer, GKV-Kommentar SGB V, Einf. Rn. 619.
D. Die Reaktion des Gesetzgebers: Kostendämpfungsgesetze
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verschiedenen Beschlussgremien ablöste.162 Er besteht aus drei unparteiischen Mitgliedern, von denen einer den Vorsitzenden stellt, sowie aus Vertretern der Vertragsärzteschaft, der Vertragszahnärzteschaft, der gesetzlichen Krankenkassen und der Krankenhäuser.163 Ebenfalls vertreten sind Patienten- und Behindertenverbände, die aber nur ein Antrags- und Mitberatungsrecht, nicht jedoch ein Stimmrecht besitzen.164 Hauptaufgabe des G-BA ist es, Richtlinien zu beschließen, die den Inhalt der Versorgung festlegen.165 Auf derartige Richtlinien wird im weiteren Verlauf der Bearbeitung immer wieder zurückzukommen sein.
VII. Arzneimittelverordnungs-Wirtschaftlichkeitsgesetz Auch nach der vorgezogenen Bundestagswahl 2005 und der Bildung einer großen Koalition war das Gesundheitswesen bald wieder auf der politischen Tagesordnung. Das Gesetz zur Verbesserung der Wirtschaftlichkeit in der Arzneimittelversorgung vom 26.4.2006 (AVWG),166 welches am 1.5.2006 in Kraft trat, zielt auf die Optimierung der Steuerung der Arzneimittelausgaben. Erreicht werden soll dies mit einer Bonus-Malus-Regelung.167 Werden bei der Verordnung von Arzneimitteln die von den Spitzenverbänden der Krankenkassen und der kassenärztlichen Bundesvereinigung in den Arzneimittelvereinbarungen festgelegten Durchschnittskosten je definierter Dosiereinheit überschritten, so haben die betroffenen Ärzte eine Ausgleichszahlung an die Krankenkassen zu leisten.168 Bei einem Überschreitungsbetrag zwischen zehn und 20 % müssen 20 %, bei einem solchen zwischen 20 und 30 % liegenden 30 % und bei einem über 30 % hinausgehenden Überschreitungsbetrag 50 % der Kosten gegenüber der Krankenkasse ausgeglichen werden.169 Sollte die gesamte Ärzteschaft einer Kassenärztlichen Vereinigung die festgelegten Werte hingegen unterschreiten, erhält diese Kassenärztliche Vereinigung einen Bonus, welcher an diejenigen Ärzte verteilt wird, die sich an
162 Auktor, in: Kruse/Hänlein, Das neue Krankenversicherungsrecht, Rn. 524; Ebsen, in: v. Maydell/Ruland/Becker, Sozialrechtshandbuch, § 15 Rn. 23; Hiddemann/Muckel, NJW 2004, 7, 11; Orlowski/Wasem, Gesundheitsreform 2004, S. 133 f.; Wasem, in: Orlowski/Rau/Schermer/Wasem/Zipperer, GKV-Kommentar SGB V, Einf. Rn. 16 q, 585. 163 Hiddemann/Muckel, NJW 2004, 7, 11; Orlowski/Wasem, Gesundheitsreform 2004, S. 134. 164 V. Neumann, NZS 2005, 617, 620. 165 Hiddemann/Muckel, NJW 2004, 7, 11. 166 Gesetz zur Verbesserung der Wirtschaftlichkeit in der Arzneimittelversorgung v. 26.4.2006, BGBl. I 2006, S. 984. 167 Sodan, NJW 2006, 3617; zu verfassungsrechtlichen Fragen der Bonus-Malus-Regelung vgl. Sodan/Schlüter, NZS 2007, 455, 458 ff. 168 Sodan, NJW 2006, 3617, ders./Schüffner, Staatsmedizin auf dem Prüfstand der Verfassung, S. 7 f.; Wasem, in: Orlowski/Rau/Schermer/Wasem/Zipperer, GKV-Kommentar SGB V, Einf. Rn. 761; Wille/Koch, Die Gesundheitsreform 2007, Rn. 173. 169 Sodan/Schlüter, NZS 2007, 455, 457; L. Wiedemann/Willaschek, GesR 2006, 298, 301.
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1. Kap.: Knappe Ressourcen, Kostenanstieg und Reaktionen des Gesetzgebers
die vermeintlich wirtschaftliche Verordnungsweise gehalten haben.170 Haben die Landesverbände der Krankenkassen und die Kassenärztlichen Vereinigungen andere Maßnahmen bestimmt, die gleichermaßen zur Verbesserung der Wirtschaftlichkeit geeignet sind, so findet die Bonus-Malus-Regelung regional keine Anwendung. In jedem Fall von ihr unberührt bleiben Heilmittel.171 Die Ärzte befinden sich somit gegenüber ihren gesetzlich krankenversicherten Patienten in einem für sie kaum lösbaren Dilemma.172 Zwar können sie auf eine finanzielle Belohnung durch einen Bonus hoffen, wenn sie möglichst wenig Arzneimittel verordnen. Andererseits aber laufen sie Gefahr, sich gegenüber den Patienten schadensersatzpflichtig zu machen. Soll das verhindert werden, droht durch die therapeutisch nun einmal notwendigen Arzneimittelverordnungen eine Überschreitung des festgelegte Schwellenwertes, was die beschriebenen Regressforderungen zur Folge hat.173 Die Höhe der Festbeträge für Arzneimittel wurde zum 17.2.2006 herabgesetzt.174 Die Spitzenverbände der Krankenkassen ermächtigt das Gesetz, auf Zuzahlungen für Arzneimittel zu verzichten, wenn deren Verkaufspreis in der Apotheke einschließlich der Mehrwertsteuer 30 % unterhalb des Festbetrags liegt.175 Mit dieser Maßnahme ist es gelungen, die Nachfrage der Patienten nach preiswerten Arzneimitteln zu steigern und für eine Preissenkung seitens der Hersteller zu sorgen.176
VIII. GKV-Wettbewerbstärkungsgesetz Schon bei der Verabschiedung des GMG war dem Gesetzgeber bewusst, dass die eingeleiteten Maßnahmen nur kurz- und mittelfristig ausreichen würden und er stellte fest: „Langfristig werden weitere Weichenstellungen zur nachhaltigen Finanzierung der GKV erfolgen müssen.“177 Nach Inkrafttreten des GMG stellte sich heraus, dass sich Einsparungen nicht in der prognostizierten Höhe erzielen lie-
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Sodan, NJW 2006, 3617, ders./Schüffner, Staatsmedizin auf dem Prüfstand der Verfassung, S. 7 f.; Wasem, in: Orlowski/Rau/Schermer/Wasem/Zipperer, GKV-Kommentar SGB V, Einf. Rn. 761; Wille/Koch, Die Gesundheitsreform 2007, Rn. 173. 171 Wasem, in: Orlowski/Rau/Schermer/Wasem/Zipperer, GKV-Kommentar SGB V, Einf. Rn. 761; L. Wiedemann/Willaschek, GesR 2006, 298, 301. 172 Vgl. dazu auch L. Wiedemann/Willaschek, GesR 2006, 298, 305 f. 173 Sodan, NJW 2006, 3617; ders./Schüffner, Staatsmedizin auf dem Prüfstand der Verfassung, S. 8. 174 Wasem, in: Orlowski/Rau/Schermer/Wasem/Zipperer, GKV-Kommentar SGB V, Einf. Rn. 759, der fälschlicherweise den 15.2.2006 als Datum nennt, richtig ist der 17.2.2006, Art. 3 Abs. 2 AVWG, vgl. BGBl. I 2006, S. 984, 987; L. Wiedemann/Willaschek, GesR 2006, 298. 175 Wasem, in: Orlowski/Rau/Schermer/Wasem/Zipperer, GKV-Kommentar SGB V, Einf. Rn. 755; Wille/Koch, Die Gesundheitsreform 2007, Rn. 173. 176 Wille/Koch, Die Gesundheitsreform 2007, Rn. 174. 177 Orlowski/Wasem, Gesundheitsreform 2007 (GKV-WSG), S. 2.
D. Die Reaktion des Gesetzgebers: Kostendämpfungsgesetze
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ßen.178 2007 folgte eine weitere Gesundheitsreform, deren Kernstück das GKVWettbewerbstärkungsgesetz (GKV-WSG) vom 26.3.2007179 bildete. Der Verabschiedung des Gesetzes war ein monatelanger Streit der Regierungskoalition vorausgegangen.180 Die einzelnen Reforminhalte des GKV-WSG traten stufenweise in Kraft. Zum ersten Mal seit langer Zeit blieben die Versicherten von Leistungskürzungen und Zuzahlungserhöhungen verschont.181 Allerdings sind die Krankenkassen, anders als nach bisher geltendem Recht, nunmehr verpflichtet, bei Krankheiten, die aus einer nicht indizierten medizinischen Maßnahme resultieren, die Versicherten in angemessener Höhe an den Kosten zu beteiligen und das Krankengeld für die Dauer dieser Behandlung ganz oder teilweise zu versagen oder zurückzufordern.182 Aus der in § 52 Abs. 2 SGB V zu findenden zunächst beispielhaften Aufzählung von ästhetischen Operationen, Tätowierungen und Piercings wurde durch eine weitere Änderung der Norm zum 1.7.2008 durch das PflegeWeiterentwicklungsgesetz183 eine abschließende Nennung, die klarstellen soll, dass nur bei Folgeerkrankungen dieser Maßnahmen eine Kostenbeteiligung der Versicherten erfolgen soll.184 Außerdem erhöht sich durch die Regelung in § 62 Abs. 1 Nr. 1 SGB V die Zuzahlungsgrenze für nach dem 1.4.1972 geborene chronisch Kranke, die ab dem 1.1.2008 bestimmte Gesundheitsuntersuchungen vor der Erkrankung nicht regelmäßig in Anspruch genommen haben, auf zwei Prozent der jährlichen Bruttoeinnahmen. Gleiches gilt gemäß § 62 Abs. 1 Nr. 2 SGB V für nach dem 1.4.1987 geborene weibliche und nach dem 1.4.1962 geborene männliche chronisch kranke Versicherte, die an einer Krebsart erkranken, für die eine Früherkennungsuntersuchung besteht, welche ab dem 1.1.2008 vor der Erkrankung nicht in Anspruch genommen wurde.185 Das GKV-WSG erschwert den Wechsel von abhängig Beschäftigten in eine private Krankenversicherung. Sie sind in der GKV nunmehr erst dann versicherungsfrei, wenn ihr regelmäßiges Jahresarbeitsentgelt in drei aufeinander folgenden Jahren, und nicht wie bisher in nur einem Jahr, die Einkommensgrenze über-
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Wille/Koch, Die Gesundheitsreform 2007, Rn. 25. Gesetz zur Stärkung des Wettbewerbes in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Wettbewerbstärkungsgesetz – GKVWSG) v. 26.3.2007, BGBl. I 2007, 378. 180 Sodan, NJW 2007, 1313, 2996; Wille/Koch, Die Gesundheitsreform 2007, Rn. 26. 181 Richter, DStR 2007, 810, 813. 182 Orlowski/Wasem, Gesundheitsreform 2007 (GKV-WSG), S. 21 f.; Richter, DStR 2007, 810, 814, wobei der Autor wohl das Wort „nicht“ vergessen hat; Wille/Koch, Die Gesundheitsreform 2007, Rn. 95 f. 183 Gesetz zur strukturellen Weiterentwicklung der Pflegeversicherung (PflegeWeiterentwicklungsgesetz) v. 28.5.2008, BGBl. I 2008, S. 874. 184 Vgl. den Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drs. 16/7439, S. 96; verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Änderung äußert Bernzen, MedR 2008, 549, 550 f. 185 Orlowski/Wasem, Gesundheitsreform 2007 (GKV-WSG), S. 22; Richter, DStR 2007, 810, 814; Wille/Koch, Die Gesundheitsreform 2007, Rn. 266 ff, 269. 179
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stiegen hat. Damit trägt das Gesetz zur Stärkung des Solidarprinzips in der GKV bei. Stichtag dieser Neuregelung war der 2.2.2007.186 Eines der wichtigsten Ziele des Gesetzes war ein Krankenversicherungsschutz für alle Einwohner.187 Zeitlich versetzt wurde für jeden ein Versicherungsschutz in der GKV oder PKV eingeführt.188 Die Zahl der Personen ohne Krankenversicherungsschutz lag in Deutschland um die 200.000, wobei die Dunkelziffer noch höher anzusiedeln gewesen sein dürfte.189 Ein neuer Versicherungspflichttatbestand erfasst diejenigen als in der GKV versicherungspflichtig, die keine anderweitigen Anspruch auf Absicherung im Krankheitsfall haben190 und unmittelbar vor dieser fehlenden Absicherung in der GKV versichert waren.191 Die Versicherungspflicht greift gleichermaßen bei Personen ein, die bislang noch nie gesetzlich oder privat krankenversichert waren.192 Auch bei Vorliegen der genannten Voraussetzungen tritt bei hauptberuflich selbständig Erwerbstätigen die Versicherungspflicht in der GKV nicht ein. Ebenfalls ausgenommen sind Personen, die in § 6 Abs. 1 und 2 SGB V als versicherungsfrei genannt werden193 und solche, die bei einer beruflichen Tätigkeit im Inland zu dieser Gruppe gehört hätten. Weitere Ausnahmen gelten für diejenigen, die diesen Gruppen unmittelbar vor dem Bezug von Arbeitslosengeld II angehörten, ohne dass sie über einen Krankenversicherungsschutz verfügten, oder wenn sie vor dem Bezug privat krankenversichert waren. Schließlich entfällt eine Versicherungspflicht auch für freiwillig in der GKV Versicherte und im Rahmen der Familienversicherung nach § 10 SGB V beitragsfrei Mitversicherte.194 Die Versicherungspflicht eines Nichtversicherten, der nach diesen Maßgaben der GKV zugeordnet wird, besteht seit dem 1.4.2007.195 Nichtversicherte, die zuletzt in der PKV krankenversichert waren, müssen einen Krankenversicherungsvertrag abschließen.196 Überhaupt werden alle Personen 186 Orlowski/Wasem, Gesundheitsreform 2007 (GKV-WSG), S. 3, 16; Richter, DStR 2007, 810; Wille/Koch, Die Gesundheitsreform 2007, Rn. 35. 187 Richter, DStR 2007, 810, 811; Schlegel, in: Küttner/Röller, Personalbuch 2007, Krankenversicherungsbeiträge Rn. 52. 188 Richter, DStR 2007, 810, 811; Wille/Koch, Die Gesundheitsreform 2007, Rn. 29. 189 Orlowski/Wasem, Gesundheitsreform 2007 (GKV-WSG), S. 9 f.; für das Jahr 2003 vgl. Schlegel, in: Küttner/Röller, Personalbuch 2007, Krankenversicherungsbeiträge Rn. 51. 190 Für anderweitige Ansprüche in diesem Sinne vgl. Sodan, NJW 2007, 1313, 1314; Wille/Koch, Die Gesundheitsreform 2007, Rn. 62. 191 Orloswki/Wasem, Gesundheitsreform 2007 (GKV-WSG), S. 11; Richter, DStR 2007, 810, 811; Schlegel, in: Küttner/Röller, Personalbuch 2007, Krankenversicherungsbeiträge Rn. 54; Sodan, NJW 2007, 1313, 1314; Wille/Koch, Die Gesundheitsreform 2007, Rn. 48. 192 Orlowski/Wasem, Gesundheitsreform 2007 (GKV-WSG), S. 11; Sodan, NJW 2007, 1313, 1314; Wille/Koch, Die Gesundheitsreform 2007, Rn. 48. 193 Orlowski/Wasem, Gesundheitsreform 2007 (GKV-WSG), S. 11. 194 Sodan, NJW 2007, 1313, 1314. 195 Richter, DStR 2007, 810, 811; Sodan, NJW 2007, 1313, 1314. Zu Ausnahmen von dieser Pflicht: Schlegel, in: Küttner/Röller, Personalbuch 2007, Krankenversicherungsbeiträge Rn. 55 f.; Sodan, NJW 2007, 1313, 1314. 196 Sodan, NJW 2007, 1313, 1315.
D. Die Reaktion des Gesetzgebers: Kostendämpfungsgesetze
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mit Wohnsitz im Inland, die nicht explizit in der GKV versichert oder versicherungspflichtig sind oder durch ein anderes Sicherungssystem gegen Krankheitsrisiken abgesichert sind, der PKV zugewiesen und sind verpflichtet, eine Versicherung bei einem privaten Krankenversicherungsunternehmen abzuschließen, die mindestens eine Kostenerstattung für ambulante und stationäre Behandlung umfasst und höchstens einen Selbstbehalt von 5.000 Euro beinhaltet.197 Die Versicherungspflicht in der PKV besteht seit dem 1.1.2009.198 Die privaten Krankenversicherungsunternehmen sind verpflichtet, für Personen mit Wohnsitz in Deutschland, die zuletzt privat krankenversichert waren, einen Basistarif anzubieten.199 Um dieser Pflicht nachzukommen, bietet die private Krankenversicherung einen dem Leistungsumfang der GKV entsprechenden Tarif – ohne Risikozuschläge und ohne Leistungsausschlüsse – mit Kontrahierungszwang zu bezahlbaren Prämien an. Der Basistarif ersetzt den bisherigen Standardtarif.200 Aufgrund des verspäteten Inkrafttretens konnten Nichtversicherte, die der PKV zugeordnet sind, schon ab dem 1.7.2007 von einem Versicherungsunternehmen Versicherungsschutz im Standardtarif verlangen.201 Zum 1.1.2009 wurden die Verträge im Standardtarif dann auf Verträge im Basistarif umgestellt. Zu diesem Zeitpunkt noch nicht versicherte Personen, die der PKV zugeordnet sind, wurden dann im Basistarif versichert, 202 der die Versorgung aller sicherstellen soll.203 Seit dem 1.1.2009 entscheiden nicht mehr die einzelnen Krankenkassen über die Höhe des Beitragssatzes. Dieser wird vielmehr durch Rechtsverordnung von der Bundesregierung bundeseinheitlich für alle Krankenkassen festgelegt204 und enthält bereits den mit dem GMG eingeführten Zusatzbeitrag in Höhe von 0,9 %, der damit zwar formal abgeschafft wird, den der Versicherte allerdings weiterhin alleine zu tragen hat.205 Am 29.10.2008 erfolgte die erste Festsetzung auf 15,5 %.206 Im Rahmen eines umfassenden Maßnahmenpakets gegen die Auswir-
197 Orlowski/Wasem, Gesundheitsreform 2007 (GKV-WSG), S. 13 f.; Sodan, NJW 2007, 1313, 1315, jeweils dort auch zu den anderweitigen Sicherungssystemen. 198 Schlegel, in: Küttner/Röller, Personalbuch 2007, Krankenversicherungsbeiträge Rn. 58, 66; Sodan, NJW 2007, 1313, 1314.; Wille/Koch, Die Gesundheitsreform 2007, Rn. 41. 199 Richter, DStR 2007, 810, 811; Schlegel, in: Küttner/Röller, Personalbuch 2007, Krankenversicherungsbeiträge Rn. 60, 62; Orlowski/Wasem, Gesundheitsreform 2007 (GKVWSG), S. 14. 200 Richter, DStR 2007, 810, 811. 201 Schlegel, in: Küttner/Röller, Personalbuch 2007, Krankenversicherungsbeiträge Rn. 66; Sodan, NJW 2007, 1313, 1315; Wille/Koch, Die Gesundheitsreform 2007, Rn. 29, 37, 51. 202 Sodan, NJW 2007, 1313, 1314 f.; Wille/Koch, Die Gesundheitsreform 2007, Rn. 29. 203 Richter, DStR 2007, 810, 811. 204 Orlowski/Wasem, Gesundheitsreform 2007 (GKV-WSG), S. 37; Richter, DStR 2007, 810, 812; Schlegel, in: Küttner/Röller, Personalbuch 2007, Krankenversicherungsbeiträge Rn. 70; Sodan, NJW 2007, 1313, 1316; Wille/Koch, Die Gesundheitsreform 2007, Rn. 40, 444. 205 Orloswki/Wasem, Gesundheitsreform 2007 (GKV-WSG), S. 39; Richter, DStR 2007, 810, 812, Wille/Koch; Die Gesundheitsreform 2007, Rn. 81. 206 FAZ v. 30.10.2008, S. 15.
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1. Kap.: Knappe Ressourcen, Kostenanstieg und Reaktionen des Gesetzgebers
kungen der weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise207 wurde dieser Beitragssatz zum 1.7.2009 um 0,6 Prozentpunkte auf 14,9 % abgesenkt. Der Arbeitgeberanteil beträgt nun 7,0 Prozentpunkte, der der Arbeitnehmer 7,9 Prozentpunkte. Der einheitliche Beitragssatz sorgt dafür, dass nicht mehr zwischen billigen und teuren Krankenkassen unterschieden werden kann.208 Der Anreiz für einen Wechsel der Krankenkasse aufgrund des Beitragssatzes entfällt.209 Für die Verteilung der Geldmittel an die einzelnen Kassen wurde ein Gesundheitsfonds eingerichtet. Die Krankenkassen erhalten als Zuweisungen aus diesem Fonds zur Deckung ihrer Ausgaben eine Grundpauschale sowie alters-, geschlechts- und risikoadjustierte Zu- und Abschläge zum Ausgleich der unterschiedlichen Risikostrukturen und Zuweisungen für sonstige Aufgaben. Mit den alters-, geschlechts- und risikoadjustierten Zuweisungen wird jährlich ein Risikostrukturausgleich durchgeführt, mit dem die Unterschiede in der Risikoverteilung zwischen den Krankenkassen ausgeglichen werden sollen.210 Der in seiner Einführung heftig umstrittene Gesundheitsfonds speist sich aus den eingezogenen Beiträgen der GKV, den Beiträgen der Rentenzahlungen und den Bundesmitteln, die für die GKV bereitgestellt werden.211 Zusätzlich dazu haben die Krankenkassen die Pflicht, einen individuellen Zusatzbeitrag zu erheben, wenn die Zuweisungen aus dem Fonds nicht ausreichen, um den Finanzbedarf einer Krankenkasse zu decken.212 Der zusätzliche Beitrag ist von den Versicherten alleine zu tragen213 und auf ein Prozent der beitragspflichtigen Einnahmen des Mitglieds beschränkt. Die Begrenzung entfällt in den Fällen, in denen der Betrag monatlich acht Euro nicht übersteigt.214 Auf diese Weise soll der Wettbewerb zwischen den Krankenkassen hergestellt werden.215 Umgekehrt können die Krankenkassen bei einem Überschuss auch Prämien an ihre Mitglieder auszahlen.216 In einem Zeitungsinterview im Juli 2009 prognostizierte der Vorstandsvorsitzende der DAK Herbert Rebscher für das Jahr 2010 flächendeckend 207
Gesetz zur Sicherung von Beschäftigung und Stabilität in Deutschland v. 2.3.2009, BGBl. I 2009, S. 416. 208 Richter, DStR 2007, 810, 812. 209 Schlegel, in: Küttner/Röller, Personalbuch 2007, Krankenversicherungsbeiträge Rn. 67 210 Richter, DStR 2007, 810, 812; Sodan, NJW 2007, 1313, 1316; Wille/Koch, Die Gesundheitsreform 2007, Rn. 874 ff. 211 Wille/Koch, Die Gesundheitsreform 2007, Rn. 884. 212 Ebsen, in: v. Maydell/Ruland/Becker, Sozialrechtshandbuch, § 15 Rn. 24; Orlowski/Wasem, Gesundheitsreform 2007 (GKV-WSG), S. 2; Richter, DStR 2007, 810, 812; Schlegel, in: Küttner/Röller, Personalbuch 2007, Krankenversicherungsbeiträge Rn. 73; Sodan, NJW 2007, 1313, 1317; Wille/Koch, Die Gesundheitsreform 2007, Rn. 893. 213 Richter, DStR 2007, 810, 812. 214 Ebsen, in: v. Maydell/Ruland/Becker, Sozialrechtshandbuch, § 15 Rn. 24; Richter, DStR 2007, 810, 812; Schlegel, in: Küttner/Röller, Personalbuch 2007, Krankenversicherungsbeiträge Rn. 73; Sodan, NJW 2007, 1313, 1317; Wille/Koch, Die Gesundheitsreform 2007, Rn. 893. 215 Richter, DStR 2007, 810, 812. 216 Orlowski/Wasem, Gesundheitsreform 2007 (GKV-WSG), S. 2; Sodan, NJW 2007, 1313, 1317; Wille/Koch, Die Gesundheitsreform 2007, Rn. 893.
D. Die Reaktion des Gesetzgebers: Kostendämpfungsgesetze
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die Erhebung von Zusatzbeiträgen.217 Auch Ende des Jahres 2009 wurde in Kreisen der Krankenkassen davon ausgegangen, dass eine Reihe von Krankenversicherungen recht bald im Jahr 2010 Zusatzbeiträge von ihren Versicherten erheben müssen.218 Rückwirkend zum 1.7.2009 musste die Gemeinsame Betriebskrankenkasse Köln als erste Krankenkasse einen Zusatzbeitrag von acht Euro im Monat erheben.219 Ebenfalls zur Stärkung des Wettbewerbs ist es den Krankenkassen seit dem 1.4.2007 möglich, in ihren Satzungen verschiedene Tarife festzulegen, die sie ihren Versicherten zur Wahl stellen. Zu diesen Wahltarifen gehören etwa Selbstbehalte, bei denen die Mitglieder einen Teil der von der Krankenkasse zu tragenden Kosten selbst übernehmen und dafür eine Prämienzahlung erhalten; Beitragsrückerstattungen, in deren Rahmen der Versicherungsnehmer bis zu einem Zwölftel seines Jahresbeitrages erstattet bekommt, wenn er oder seine Angehörigen ein Jahr lang (von Ausnahmen abgesehen220) keine Leistungen in Anspruch nehmen. Beide Tarife können nunmehr alle Versicherte, deren Beiträge nicht vollständig von Dritten getragen werden, auswählen. Desweiteren muss ein Hausarzttarif, bei dem sich der Versicherte verpflichtet, stets zuerst einen bestimmten Hausarzt aufzusuchen, der für die weitere Versorgung verantwortlich ist, angeboten werden.221 Für die Wahltarife beträgt die Mindestbindungsfrist drei Jahre,222 in den Fällen der besonderen Versorgungsformen (dazu zählt bspw. der Hausarzttarif) nur ein Jahr.223 Für die Prämienzahlungen an Versicherte wurde eine Obergrenze von 20 % der von dem Patienten getragenen Beiträge eingeführt. Die Summe der Prämien darf aber nicht mehr als 600 Euro betragen. Erhebt die Krankenkasse Zusatzbeiträge, so liegt die Grenze bei 30 % oder 900 Euro.224 Von den mit den Wahltarifen verbundenen Entlastungen profitiert nur der versicherte Arbeitnehmer, sie lassen den Arbeitgeberanteil unberührt.225 Im Bereich der Arzneimittel besteht nun die Möglichkeit, dass das vom G-BA nach der Vorgabe des GMG gegründete Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit
217
Rheinische Post v. 21.7.2009, S. 11. FAZ v. 27.11.2009, S. 15. 219 FAZ v. 19.8.2009, S. 1. 220 Schlegel, in: Küttner/Röller, Personalbuch 2007, Krankenversicherungsbeiträge Rn. 80. 221 Orlowski/Wasem, Gesundheitsreform 2007 (GKV-WSG), S. 20 ff.; Richter, DStR 2007, 810, 813; Schlegel, in: Küttner/Röller, Personalbuch 2007, Krankenversicherungsbeiträge Rn. 79 ff.; Sodan, NJW 2007, 1313, 1315 f.; Wille/Koch, Die Gesundheitsreform 2007, Rn. 369 ff. jeweils mit einer Übersicht über weitere Tarife. 222 Orlowski/Wasem, Gesundheitsreform 2007 (GKV-WSG), S. 19; Schlegel, in: Küttner/Röller, Personalbuch 2007, Krankenversicherungsbeiträge Rn.78; Sodan, NJW 2007, 1313, 1316; Wille/Koch, Die Gesundheitsreform 2007, Rn. 397. 223 Schlegel, in: Küttner/Röller, Personalbuch 2007, Krankenversicherungsbeiträge Rn.78; Wille/Koch, Die Gesundheitsreform 2007, Rn. 397. 224 Orlowski/Wasem, Gesundheitsreform 2007 (GKV-WSG), S. 20; Schlegel, in: Küttner/Röller, Personalbuch 2007, Krankenversicherungsbeiträge Rn. 76; Sodan, NJW 2007, 1313, 1316. 225 Richter, DStR 2007, 810, 813. 218
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1. Kap.: Knappe Ressourcen, Kostenanstieg und Reaktionen des Gesetzgebers
im Gesundheitswesen226 beauftragt werden kann, Arzneimittel nicht mehr nur auf ihren Nutzen hin zu untersuchen, sondern auch eine Bewertung des KostenNutzen-Verhältnisses vorzunehmen.227 Auf diese Weise wird ökonomischen Kriterien ein deutlich breiterer Raum als bisher eingeräumt.228 Der G-BA wurde durch das GKV-WSG weiterentwickelt und in seinen Strukturen professionalisiert. Anstatt der bisherigen sechs verschiedenen Gremien wird es nur noch ein einheitliches Beschlussgremium geben. Der G-BA wird in der Regel aus einem unparteiischem Vorsitzenden, zwei weiteren unparteiischen Mitgliedern und Vertretern der Kassenärztlichen Bundesvereinigungen, der Deutschen Krankenhausgesellschaft und des neu gegründeten Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen gebildet. Die Unparteiischen sind zumeist hauptamtlich tätig, nach wie vor ist aber auch eine ehrenamtliche Amtsausübung möglich; die von den beteiligten Institutionen entsandten Mitglieder sind zwingend ehrenamtlich tätig.229 Zahlreiche private Krankenversicherungsunternehmen haben gegen das GKVWSG Verfassungsbeschwerden eingelegt. Am 10.6.2009 hat das BVerfG diese für teilweise unzulässig und insgesamt unbegründet erklärt.230
IX. GKV-OrgWG Wie schon das GKV-WSG nahm auch das in seinen wesentlichen Teilen zum 1.1.2009 in Kraft getretene GKV-OrgWG231 keine weiteren Einschränkungen der Kassenleistungen vor. Es strebt im Kern die Einführung der Insolvenzfähigkeit auch derjenigen gesetzlichen Krankenkassen an, die der Länderaufsicht unterliegen. Bisher waren lediglich die der Aufsicht des BVA unterliegenden Kassen insolvenzfähig.232
X. Zusammenfassung Die beschriebenen Reformgesetze dienten nicht ausschließlich, aber doch vorrangig dazu, die Kostenentwicklung im Gesundheitssystem zu bremsen und Wirt-
226
Hiddemann/Muckel, NJW 2004, 7, 12. Orlowski/Wasem, Gesundheitsreform 2007 (GKV-WSG), S. 7, 26 ff.; Sodan, NJW 2007, 1313, 1315; Wille/Koch, Die Gesundheitsreform 2007, Rn. 175. 228 Sodan, NJW 2007, 1313, 1315. 229 Orlowski/Wasem, Gesundheitsreform 2007 (GKV-WSG), S. 5, 149 ff.; Richter, DStR 2007, 810, 815; Sodan, NJW 2007, 1313, 1316; Wille/Koch, Die Gesundheitsreform 2007, Rn. 837 ff. 230 BVerfG, NJW 2009, 2033. 231 Gesetz zur Weiterentwicklung der Organisationsstrukturen in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-OrgWG) v. 15.12.2008, BGBl. I 2008, S. 2426. 232 Kruse, in Kruse/Hänlein, LPK-SGB V, Einl. Rn. 51; zu Inhalt und Reichweite der Neuregelungen durch das GKV-OrgWG vgl. Knispel, GesR 2009, 236 ff. 227
D. Die Reaktion des Gesetzgebers: Kostendämpfungsgesetze
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schaftlichkeitsreserven zu mobilisieren.233 Betrachtet man die Gesetzgebungstätigkeiten der letzten 30 Jahre, so ist zu bilanzieren, dass der immer wieder bemühte Ausspruch: „Nach der Reform ist vor der Reform“234 durchaus seine Berechtigung hat. In der gerade begonnenen Legislaturperiode wird es unter der Federführung der neuen schwarz-gelben Bundesregierung aller Wahrscheinlichkeit nach zu einer Neuauflage der Bemühungen um das Gesundheitswesen kommen.235 Bisher hat sich der Gesetzgeber jedenfalls noch nicht an einen zukunftsfähigen und nachhaltigen Systemwechsel, der auch die finanzielle Belastbarkeit nachfolgender Generationen im Blick hat, herangewagt.236 Die nächste Gesundheitsreform wird daher den schon im Wahlkampf 2005 geführten Streit zwischen dem Konzept einer Bürgerversicherung auf der einen Seite oder einer Gesundheitsprämie (Kopfpauschale) auf der anderen Seite entscheiden und sich mit einer nachhaltigen Finanzierung, die den demographischen Wandel berücksichtigt, auseinandersetzen müssen.237
233
K. Engelmann, in: Jabornegg/Resch/Seewald, Grenzen der Leistungspflicht für Krankenbehandlung, S. 109, 113. 234 Kruse, in: Kruse/Hänlein, Das neue Krankenversicherungsrecht, Rn. 17; Sodan, NJW 2007, 1313, 1320. 235 So auch schon die Prognose von Richter, DStR 2007, 810. 236 Sodan, NJW 2006, 3617, 3620. 237 Richter, DStR 2007, 810, 815; zu diesen beiden politischen Konzepten s. auch die Nachweise im 1. Teil Kap. 4 B. II., Fn. 84.
2. Kapitel: Rationalisierung und Rationierung als Reaktionen auf den Kostenanstieg Der Fortschritt der Medizin und die damit verbundenen zunehmenden Kosten haben zur Konsequenz, dass die Diskrepanz zwischen dem medizinisch Machbaren und dem tatsächlich Finanzierbaren stetig zunimmt.1 Eine Möglichkeit, auf diesen Missstand zu reagieren, bietet die Rationalisierung. Damit sind Maßnahmen gemeint, die Finanzierungsreserven ausschöpfen und eine Effizienzsteigerung, also höhere Wirtschaftlichkeit, der zum Einsatz kommenden Mittel zum Ziel haben.2 Ein Verlust an Versorgungsqualität geht damit grundsätzlich nicht einher,3 allenfalls ist lediglich eine „leichte Verschlechterung“ derselben in Kauf zu nehmen.4 Eine Studie hat ergeben, dass allein durch den Abbau von Ineffizienzen im deutschen Gesundheitssystem insgesamt 7,5 bis 10 Mrd. Euro pro Jahr eingespart werden könnten. Effizientere Arbeitsabläufe in Krankenhäusern, bei Ärzten und Krankenkassen könnten zu einer Senkung der Krankenkassenbeiträge um 0,7 bis 0,9 Prozentpunkte führen.5 Diese Wirtschaftlichkeitsreserven „zu realisieren ist geradezu eine gesellschaftliche Verpflichtung aller am Gesundheitswesen Beteiligter.“6 Derlei Rationalisierungspotentiale lassen sich allerdings in der Regel nur einmal mobilisieren, haben somit auch nur einen einmaligen senkenden Effekt.7 Mit den dargestellten Kostendämpfungsgesetzen verfolgte der Gesetzgeber insgesamt das Ziel, Überkapazitäten abzubauen und Wirtschaftlichkeitsreserven auszuschöpfen. Somit wurde vornehmlich auf Rationalisierung gesetzt.8 Rationalisierungsmaßnahmen in der beschriebenen Art und Weise können zwar zeitweise ein wirksames Mittel sein, um den Kostenanstieg im Gesundheitswesen in den Griff zu bekommen. Eine dauerhafte Lösung sind sie aber nicht.9 Das bele1
Uhlenbruck, MedR 1995, 427, 429. Beske/Hallauer/Kern, Rationierung im Gesundheitswesen?, S. 21; Dibbern, ZVersWiss 2004, 639, 642; Ch. Fuchs, MedR 1993, 323, 324; Nettesheim, VerwArch 93 (2002), 315, 317; Schöne-Seifert, in: Mohr, Ethik der Gesundheitsökonomie, S. 34 f. 3 Schöne-Seifert, in: Mohr, Ethik der Gesundheitsökonomie, S. 35. 4 Lauterbach, in: Nagel/Ch. Fuchs, Rationalisierung und Rationierung im deutschen Gesundheitswesen, S. 52. 5 Augurzky/Berhanu/Göhlmann/Krolop/Liehr-Griem/C.Schmidt/Tauchmann/Terkatz, Strukturreformen im deutschen Gesundheitswesen, S. 7, 12, 37. 6 Dibbern, ZVersWiss 2004, 639, 642. 7 Dibbern, ZVersWiss 2004, 639, 642; Kopetsch, Zur Rationierung medizinischer Leistungen im Rahmen der Gesetzlichen Krankenversicherung, S. 71; ders., SozFortschr. 2001, 20, 23; zu weiteren Nachteilen der Rationalisierung vgl. Kingreen, in: Kingreen/Laux, Gesundheit und Medizin im interdisziplinären Diskurs, S. 147, 151 f. m.w.N. 8 V. Neumann, NZS 2005, 617. 9 Henke/Borchardt/Schreyögg/Farhauer, Journal of Public Health, 12/2004, 10, 11; Oberender, in: Nagel/Ch. Fuchs, Rationalisierung und Rationierung im deutschen Gesundheitswesen, S. 10, 16; Uhlenbruck, MedR 1995, 427, 430. 2
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2. Kap.: Rationalisierung und Rationierung als Reaktionen auf den Kostenanstieg
gen auch die trotz aller Bemühungen nach wie vor steigenden Ausgaben im Gesundheitswesen. Letztlich reichen auch bei effizientester Verteilung die Ressourcen nicht für alle aus10 und es wird der Zeitpunkt kommen, an dem durch die Mobilisierung von Wirtschaftlichkeitsreserven keine weiteren Einsparungen möglich sind.11 Damit wird der auf Rationalisierungsbemühungen folgende Schritt, namentlich der Vorgang der Rationierung medizinischer Leistungen unausweichlich.12 Was genau unter Rationierung zu verstehen ist, wird nicht einheitlich beurteilt. Daher soll nunmehr im Folgenden eine Begriffsbestimmung vorgenommen werden.
A. Begriffsbestimmung Bemüht man die Brockhaus-Enzyklopädie, so wird dort der Begriff „Rationierung“ als die „behördliche Verteilung von Gütern und Vorräten, besonders Lebensmitteln, die nicht ausreichend vorhanden sind oder erzeugt werden können, definiert. Dadurch soll eine gleichmäßige Versorgung der Verbraucher unter Sicherung des vordringlichen Bedarfs erreicht und Preissteigerungen vermieden werden (…).“13 Bei einer sinnvollen Bestimmung dessen, was Rationierung bedeutet, ist zu berücksichtigen, dass sämtliche Mittel, Güter und Ressourcen naturgemäß begrenzt sind und eine gedrosselte Zuteilung nach bestimmen Kriterien stattfinden muss. Ließe man dies außer Acht, müsste man von zahllosen Gütern – etwa von Luxusartikeln wie Kreutzfahrten und Autos der Luxusklasse – sagen, sie würden rationiert, da sie nicht für jedermann verfügbar sind, sondern vielmehr als Zuteilungskriterien die Zahlungsfähig- und -willigkeit existieren.14 In solchen Fällen erfolgt eine „Zuteilung durch den Marktmechanismus“ oder eine „Preis-Rationierung“. 15 Im System der GKV ist die Nachfrage nach Gesundheitsleistungen jedoch von der Zahlungsfähig- und -willigkeit abgekoppelt, weil jeder Versicherte, unabhängig von seiner Einkommenshöhe und der daraus resultierenden Höhe der zu entrich10
Krämer, MedR 1996, 1, 2. Beske/Hallauer/Kern, Rationierung im Gesundheitswesen?, S. 22. 12 Huster, FAZ v. 17.7.2009, S. 12; Katzenmeier, Arzthaftung, S. 287; ders., in: Laufs/Katzenmeier/Lipp, Arztrecht, X. Rn. 23; Kingreen, in: Kingreen/Laux, Gesundheit und Medizin im interdisziplinären Diskurs, S. 147, 153; Krämer, MedR 1996, 1; ders., BKK 2005, 491; Marckmann, in: Kick/Taupitz, Gesundheitswesen zwischen Wirtschaftlichkeit und Menschlichkeit, S. 179, 190; v. Maydell, ArztR 2005, 88 f.; Oberender, in: Nagel/Ch. Fuchs, Rationalisierung und Rationierung im deutschen Gesundheitswesen, S. 10, 16. 13 Brockhaus Enzyklopädie, Rationierung, S. 85. 14 Ch. Fuchs, in: Nagel/Ch. Fuchs, Rationalisierung und Rationierung im deutschen Gesundheitswesen, S. 42; Kopetsch, Zur Rationierung medizinischer Leistungen im Rahmen der Gesetzlichen Krankenversicherung, S. 73; Schöne-Seifert, in: Kirch/Kliemt, Rationierung im Gesundheitswesen, S. 42, 43. 15 Breyer/Schultheiss, in: Wille, Rationierung im Gesundheitswesen und ihre Alternativen, S. 169, 170. 11
A. Begriffsbestimmung
39
tenden Beitragszahlungen, Zugang zu Gesundheitsleistungen nach dem neuesten Stand des medizinischen Wissens hat.16 Rationierung wird infolgedessen üblicherweise als Kürzel für „Nicht-Preis-Rationierung“ verstanden.17 In Anlehnung an den Brockhaus hat das Institut für Gesundheits-SystemForschung Kiel (IGSF) für den hier interessierenden Bereich des Gesundheitswesens Mitte der neunziger Jahre und damit zu einer Zeit, in der die Diskussion um Rationierung gerade erst begonnen hatte, Rationierung als die Zuteilung lebenswichtiger Güter und Dienstleistungen im Gesundheitswesen bezeichnet.18 Immer dann, wenn bei lebenswichtigen Gütern die Nachfrage das Angebot übersteige und die Verteilung von Ressourcen reglementiert werden müsse, liege Rationierung vor.19 Dies erscheint auf den ersten Blick plausibel, bringen doch viele Menschen Rationierung allgemein mit Katastrophen-, Not- und sogar Kriegszeiten in Verbindung, die zu vorübergehenden Knappheitssituationen führen, welche durch einschneidende Maßnahmen in ihrem potentiell verhängnisvollen Auswirkungen gemildert werden sollen.20 Vor diesem Hintergrund erklärt sich auch die Einschätzung von Schöne-Seifert, dass Rationierung vom üblichen Sprachgebrauch eher für die Bezeichnung einer deutlich negativ bewerteten, einen Ausnahmezustand anzeigenden Drosslung in der Zufuhr elementarer Grundgüter reserviert ist. Die so verstandene Rationierung „geht ans Eingemachte“.21 Die Einschränkung des Begriffs auf die Zuteilung lebenswichtiger Güter hat jedoch Widerspruch erfahren. Für Schultheiss lässt der übliche (allgemeine) Gebrauch des Begriffs gerade keine Einengung dieser Art erkennen.22 Sie vorzunehmen sei einer sachlichen Rationierungsdebatte nicht dienlich.23 Fuchs hält es für nicht zwingend geboten, den Begriff an akute Notsituationen, an Kriege oder Katastrophen zu binden. „Auch geht es zu weit, wenn Rationierung im Gesundheitswesen als Zuteilung von allein lebenswichtigen medizinischen Gütern verstanden wird.“24 Diesen kritischen Stimmen ist beizupflichten, da sich knappheitsbedingte Verteilungsprobleme im Bereich des Gesundheitswesen nicht erst bei lebenswichtigen medizinischen Gü-
16
Kopetsch, Zur Rationierung medizinischer Leistungen im Rahmen der Gesetzlichen Krankenversicherung, S. 73. 17 Breyer/Schultheiss, in: Wille, Rationierung im Gesundheitswesen und ihre Alternativen, S. 169, 170. 18 Beske, in: Nagel/Ch. Fuchs, Rationalisierung und Rationierung im deutschen Gesundheitswesen, S. 71, 73. 19 Beske/Hallauer/Kern, Rationierung im Gesundheitswesen?, S. 15. 20 Rebscher, in: Nagel/Ch. Fuchs, Rationalisierung und Rationierung im deutschen Gesundheitswesen, S. 27, 30; Kliemt, in: Nagel/Ch. Fuchs, Rationalisierung und Rationierung im deutschen Gesundheitswesen, S. 109, 110; ders., in: Mazouz/Werner/Wiesing, Krankheitsbegriff und Mittelverteilung, S. 171, 177; Moormann, Rationierung im deutschen Gesundheitswesen?, S. 15. 21 Schöne-Seifert, in: Kirch/Kliemt, Rationierung im Gesundheitswesen, S. 42, 43. 22 Schultheiss, Zeitschrift für medizinische Ethik 2000, 219, 224. 23 Schultheiss, Ethik in der Medizin 2001, 2, 4. 24 Ch. Fuchs, in: Nagel/Ch. Fuchs, Rationalisierung und Rationierung im deutschen Gesundheitswesen, S. 42, 43.
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2. Kap.: Rationalisierung und Rationierung als Reaktionen auf den Kostenanstieg
tern ergeben können und andere medizinische Maßnahmen bei einer derartigen Eingrenzung des Begriffs einer Rationierungsdebatte entzogen wären. Die Fülle an weiteren in der wissenschaftlichen Diskussion vorhandenen Definitionsversuchen lässt sich – trotz im Einzelfall vorhandenen Unterscheidungen – im Wesentlichen in zwei Gruppen unterteilen: Im Mittelpunkt des ersten Ansatzes steht die Vorenthaltung bestimmter (medizinischer) Leistungen. Die Zentrale Ethikkommisson etwa hält Rationierung für gegeben, „wenn aus medizinischer Sicht notwendige oder zweckmäßige medizinische Maßnahmen aus finanziellen Gründen offen oder verborgen vorenthalten werden“.25 Innerhalb dieses Ansatzes sind teilweise die aus medizinischer Sicht notwendigen Leistungen Gegenstand der Vorenthaltung,26 zum Teil wird aber auch auf vom Patienten gewünschte, erbringbare sowie auf wirksame, mithin sinnvolle Maßnahmen abgestellt.27 Manche Autoren beziehen sich im Bemühen um eine Definition explizit auf den Leistungsumfang der GKV und die Solidargemeinschaft. So ist Rationierung für von Maydell ein gesellschaftlicher Vorgang, bei dem dadurch Einsparungen erzielt werden, dass medizinisch sinnvolle oder vom Patienten gewünschte Maßnahmen nicht mehr zu Lasten der Gemeinschaft (Steuer- oder Versicherungsgemeinschaft) erbracht werden sollen.28 Isensee will unter Rationierung die Einschränkung des umfassenden Leistungsauftrages verstanden wissen.29 Während jede wirksame Rationierung mit einer Streichung der rationierten Leistung für einen bestimmten Personenkreis verbunden sei, stellt für R. Giesen eine völlige Streichung einer Leistung aus dem Katalog der GKV eine Alternative zur Rationierung dar und kann daher nicht als solche verstanden werden.30 Für V. Neumann ist Rationierung „die Vorenthaltung von Leistungen, auf deren Gewährung die Versicherten nach der Grundregel des SGB V einen Rechtsanspruch haben“.31 Gegen ein derartiges Verständnis wendet Kliemt ein, es handele sich nicht um Rationierung, sondern um einen „Rechtsbruch“, wenn Leistungen verweigert würden, auf die der Betroffene einen Anspruch erworben habe.32 25
ZEKO, DÄBl 2000, A-1017. Ch. Fuchs, in: Nagel/Ch. Fuchs, Rationalisierung und Rationierung im deutschen Gesundheitswesen, S. 42, 43; Honecker, ZVersWiss 2004, 623, 630; Krimmel, zitiert bei Beske, in: Nagel/Fuchs, Rationalisierung und Rationierung im deutschen Gesundheitswesen, S. 71, 73; Nettesheim, VerwArch 93 (2002), 315, 317; Raspe, in: Nagel/Ch. Fuchs, Rationalisierung und Rationierung im deutschen Gesundheitswesen, S. 115; SternbergLieben, in: FS für Weber, S. 69. 27 Dibbern, ZVersWiss 2004, 639, 642; Kassel, zitiert bei Beske, in: Nagel/Ch. Fuchs, Rationalisierung und Rationierung im deutschen Gesundheitswesen, S. 71, 73; Kopetsch, SozFortschr. 2001, 20, 23; Rothgang, Journal für Anästhesie und Intensivbehandlung 1999, 134; Schöne-Seifert, in: Mohr, Ethik der Gesundheitsökonomie, S. 34, 35. 28 v. Maydell, ArztR 2005, 88, 89; ähnlich Genzel, MedR 1994, 83, 85. 29 Isensee, in GS für Heinze, S. 417, 422. 30 R. Giesen, ZVersWiss 2004, 557, 574. 31 V. Neumann, NZS 2005, 617, 618. 32 Kliemt, in: Mazouz/Werner/Wiesing, Krankheitsbegriff und Mittelverteilung, S. 171, 177; ders., in: Brinck/Eurich/Hädrich/Langer/Schröder, Gerechtigkeit im Gesundheitswesen, S. 45, 52; ähnlich ders., in: Marckmann, Gesundheitsversorgung im Alter, S. 59, 59 f. 26
A. Begriffsbestimmung
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Bei der zweiten Herleitung des Rationierungsbegriffes wird weniger die Vorenthaltung bestimmter (medizinischer) Leistungen, sondern vielmehr akzentuiert, dass Rationierung immer etwas mit einem zuteilenden Geben unterhalb markträumender Preise zu tun hat.33 Das Wesen der Rationierung bestehe nicht im generellen Ausschluss von Leistungen, die die Einzelnen nicht finanzieren können, sondern in deren umverteilender Zuteilung.34 Rationierungsprobleme entstehen demnach auf der Ebene der staatlichen Gesundheitsvorsorge erst deswegen, weil Leistungen zu subventionierten Preisen vergeben werden.35 Ein solches Angebot medizinischer Leistungen unter dem Marktpreis verursacht einen Nachfrageüberhang.36 Die nunmehr knappen Güter müssen auf die Interessenten unter Anwendung bestimmter Kriterien verteilt werden, Rationierung findet statt.37 Dieses Verständnis beinhaltet sowohl ein zuteilendes als auch ein beschränkendes Element, für das Breyer/Schultheiss eine Definition gefunden haben, nach der Rationierung von Gesundheitsleistungen „die staatliche Bereitstellung von Leistungen zu einem niedrigeren Preis als dem markträumdenden Preis, jedoch in einer geringeren als der Menge, die ein medizinisch wohl informierter Patient zu diesem Preis zu beziehen wünscht“, bedeutet.38 Vermeiden ließen sich Rationierungsprobleme diesem Ansatz zufolge in einem Gesundheitssystem, das rein privatwirtschaftlich ausgerichtet ist, das ohne Steuerfinanzierung oder Pflichtversicherungen gegen Krankheitskosten auskommt und in dem jeder für sich selbst entscheiden kann, welche medizinischen Leistungen er – direkt oder durch Abschluss eines Versicherungsvertrages – nachfragt. In einem solchen System werden Angebot und Nachrage in marktlichen Prozessen zu einem Ausgleich gebracht.39 Als Grundlage für die weitere Bearbeitung vorzugswürdig erscheint eine dem ersten Ansatz entsprechende Definition des Rationierungsbegriffes, die auf das 33
Kliemt, in: Nagel/Ch. Fuchs, Rationalisierung und Rationierung im deutschen Gesundheitswesen, S. 109, 110; ders., in: Marckmann, Gesundheitsversorgung im Alter, S. 59, 60; ders., in: Mazouz/Werner/Wiesing, Krankheitsbegriff und Mittelverteilung, S. 171, 178; Schultheiss, Ethik in der Medizin 2001, 2, 4. 34 Kliemt, in: Oberender, Rationalisierung und Rationierung im Gesundheitswesen, S. 23, 24. 35 Kliemt, in: Nagel/Ch. Fuchs, Rationalisierung und Rationierung im deutschen Gesundheitswesen, S. 109, 110. 36 Kliemt, in: Marckmann, Gesundheitsversorgung im Alter, S. 59, ders., in: Brinck/Eurich/Hädrich/Langer/Schröder, Gerechtigkeit im Gesundheitswesen, S. 45, 52; Nettesheim, VewArch Bd. 93 (2002), 315, 318. 37 Nettesheim, VerwArch 93 (2002), 315, 318. 38 Breyer/Schultheiss, in: Wille, Rationierung im Gesundheitswesen und ihre Alternativen, S. 169, 171; s. auch Schultheiss, Zeitschrift für medizinische Ethik 2000, 219, 222 ders., Ethik in der Medizin 2001, 2, 5; ähnlich auch die Definition von Mack, Ethik in der Medizin 2001, 17, 21. 39 Breyer/Schultheiss, in: Wille, Rationierung im Gesundheitswesen und ihre Alternativen, S. 169, 171; Kliemt, in: Nagel/Ch. Fuchs, Rationalisierung und Rationierung im deutschen Gesundheitswesen, S. 109, 111; Mack, Ethik in der Medizin 2001, 17, 22; Nettesheim, VerwArch 93 (2002), 315, 318.
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2. Kap.: Rationalisierung und Rationierung als Reaktionen auf den Kostenanstieg
Vorenthalten bestimmter medizinischer Leistungen abstellt. Gerade der hier hauptsächlich interessierende juristische Teil der Diskussion um Rationierung befasst sich vor allem mit einschneidenden Maßnahmen, bei denen das vorenthaltende Moment und weniger die Tatsache im Vordergrund steht, dass mit der GKV ein System bereitsteht, das den Bürgern medizinische Leistungen zukommen lässt, für die sie auf dem freien Markt mehr zahlen müssten, als dies durch die Beitragszahlungen geschieht. Die zweite Art der Herleitung verengt sich zu sehr auf das gesetzliche Leistungssystem der GKV. Wie jedoch die später zu nennenden Beispiele zeigen werden, sind im deutschen Gesundheitswesen auch – und dies bisher sogar überwiegend – im außergesetzlichen Bereich Zustände vorzufinden, die im Sinne der auf Vorenthaltung abstellenden Definitionsalternative als Rationierung zu bezeichnen sind. Nach dem letztgenannten Begriffsverständnis bleibt zudem fraglich, worin überhaupt noch der Unterschied zwischen Allokation40 und Rationierung bestehen soll.41 Wenngleich das Hauptaugenmerk dieser Arbeit einer möglichen gesetzlich geregelten expliziten Rationierung gelten soll, bleibt mit einem dem ersten Ansatz entsprechenden Begriffsverständnis auch dieser Bereich einer Diskussion zugänglich. Es ist wenig ratsam, einen so vielfältig auftretenden Begriff wie den der Rationierung allzu eng zu umschreiben. Unter der Berücksichtigung etymologischer Gesichtspunkte wäre indes eigentlich eine Einschränkung im Sinne R. Giesens42 und des zweiten Ansatzes angebracht, da der Begriff der Rationierung stets einen Aspekt des Zuteilens beinhaltet. Wird eine medizinische Leistung grundsätzlich nicht mehr innerhalb der GKV erbracht, so ist es auch nicht mehr erforderlich, sich über Rationierungskriterien Gedanken zu machen. Angesichts der juristischen Diskussion43 und der Loslösung des Begriffes von seinem sprachlichen Ursprung, soll auf eine derartige Einschränkung jedoch verzichtet werden. Nach alledem soll Rationierung hier daher als die Vorenthaltung medizinisch notwendiger oder sinnvoller Maßnahmen verstanden werden. Ungeachtet der unterschiedlichen Definitionen, besteht aber jedenfalls insoweit Einigkeit, dass Rationierung nur das letzte Mittel sein darf und zuvor alle Anstrengungen unternommen werden müssen, Rationalisierungsreserven auszuschöpfen.44
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Prägend für den Allokationsbegriff ist im Gegensatz zur Rationierung nicht die Vorenthaltung gewisser Güter, sondern deren Verteilung, vgl. zum Allokationsbegriff Nationaler Ethikrat, Infobrief 03/06, S. 4. Zu den verschiedenen Allokationsebenen s. sogleich 1. Teil Kap. 2 B., S. 43 f. 41 Diesen Vorwurf ebenfalls erhebend V. Neumann, NZS 2006, 361. 42 Vgl. 1. Teil Kap. 2 A., S. 40. 43 Vgl. etwa den Kontext der Verwendung des Begriffes bei Dettling, GesR 2006, 97, 100, 102; Hess, GGW 4/2006, 7, 10; Nettesheim, VerwArch 93 (2002), 315, 329; V. Neumann, NZS 2005, 617, 618, 621; Wunder, MedR 2007, 21, 24 und auch in der Rspr, s. LSG Nds., NZS 2001, 32, 38. 44 Oberender, in: Nagel/Ch. Fuchs, Rationalisierung und Rationierung im deutschen Gesundheitswesen, S. 10, 16; Rebscher, in: Nagel/Ch. Fuchs, Rationalisierung und Rationierung im deutschen Gesundheitswesen, S. 27, 28; Uhlenbruck, MedR 1995, 427, 429.
B. Unterscheidung verschiedener Allokationsebenen
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B. Unterscheidung verschiedener Allokationsebenen Die Mittelverteilung im Gesundheitswesen und damit auch eine mögliche Rationierung in der Medizin setzen auf verschiedenen Ebenen an, die jeweils voneinander zu unterscheiden sind. Zurückgehend auf ein Modell von Engelhardt45, werden heute überwiegend vier Allokationsstufen voneinander unterschieden,46 die in wechselseitiger Abhängigkeit zueinander stehen.47
I. Obere Makroallokationsebene Auf der obersten Stufe, der oberen Makroallokationsebene, wird über die Gesamtverteilung der öffentlichen Ausgaben auf die einzelnen Haushalts- und Sachgebiete und somit auch auf den Gesundheitsbereich entschieden. Auf dieser Ebene entscheidet sich auch, wie hoch der Anteil der Gesundheitsausgaben am Bruttoinlandsprodukt ist.
II. Untere Makroallokationsebene Die untere Ebene der Makroallokation ist die zweite Stufe. Hier geht es um die Verteilung der auf der oberen Makroallokationsebene verteilten Ausgaben für das Gesundheitswesen auf die verschiedenen Bereiche des Gesundheitssystems (z.B. Prävention, Therapie, Rehabilitation, medizinische Forschung).
III. Obere Mikroallokationsebene Die obere Mikroallokationsebene, die dritte Stufe, ist durch die Einteilung von Bevölkerungs- und Patientengruppen unter dem Aspekt der Ressourcenverteilung gekennzeichnet. Diese erfolgt unter anderem nach sozialen, regionalen, Indikations- oder Altersgesichtspunkten.
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Engelhardt, in: Sass, Ethik und öffentliches Gesundheitswesen, S. 35, 41. Ch. Fuchs, MedR 1993, 323, 324; Taupitz, in: Wolter/Riedel/Taupitz, Einwirkungen der Grundrechte auf das Zivilrecht, Öffentliche Recht und Strafrecht, S. 122 f.; Schöne-Seifert, in: Sass, Ethik und öffentliches Gesundheitswesen, S. 135, 138; Uhlenbruck, MedR 1995, 427, 430. Gelegentlich wird auch nur in drei Ebenen, die Makro-, Meso- und Mikroebene, unterteilt. Dabei wird auf der Meso-Ebene die Ressourcenverteilung auf die verschiedenen Bereiche des Gesundheitssystems vorgenommen, vgl. Beske/Hallauer/Kern, Rationierung im Gesundheitswesen?, S. 13, 34 ff.; Honecker, ZVersWiss 2004, 623, 631 f.; Höfling, in: Feuerstein/Kuhlmann, Rationierung im Gesundheitswesen, S. 143, S. 145; Kingreen, in: Kingreen/Laux, Gesundheit und Medizin im interdisziplinären Diskurs, S. 147, 153; v. Maydell, ArztR 2005, 88, 90. 47 Ch. Fuchs, MedR 1993, 323, 324. 46
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2. Kap.: Rationalisierung und Rationierung als Reaktionen auf den Kostenanstieg
IV. Untere Mikroallokationsebene Auf der letzten Stufe, der unteren Mikroallokationsebene, ist schließlich darüber zu entscheiden, welche Aufwendungen, z.B. Diagnose- und Therapieentscheidungen, dem Einzelpatienten zukommen. Deshalb wird auch von einer Allokation am Krankenbett gesprochen.48
C. Spielarten und Formen von Rationierung Nicht nur der Begriff der Rationierung wird lebhaft diskutiert. In der literarischen Diskussion um Rationierung existieren zudem unterschiedliche Formen und Spielarten von derselben, welche nunmehr untersucht werden sollen.
I. Primäre und sekundäre Rationierung Eine erste Unterteilung, die vorgenommen wird, ist die zwischen primärer und sekundärer Rationierung. Primäre Rationierung liegt danach vor, wenn medizinische Ressourcen derart verknappt werden, dass mit positiver Wahrscheinlichkeit zumindest zeitweise die Nachfrage nicht abgedeckt werden kann. Es geht mithin „nicht um die (gerechte) Verteilung einer gegebenen (und knappen) Menge von Gesundheitsressourcen, sondern um die Bestimmung eben dieser Menge.“49 Bei sekundärer Rationierung wird über die Behandlung konkreter Patienten entschieden, wobei die medizinischen Ressourcen jedoch nicht in dem Maße vorhanden sind, dass alle Patienten gleichermaßen die Güter erhalten können, obwohl sie innerhalb des kollektiv finanzierten Gesundheitsversorgung grundsätzlich angeboten werden. 50
II. Direkte und indirekte Rationierung Ganz ähnlich verhält es sich mit der direkten und der indirekten Rationierung als Gegensatzpaar. Nach dieser Unterscheidung liegt eine direkte Rationierung vor, wenn der Arzt vor Ort und im Einzelfall eine konkrete Entscheidung zu treffen hat, während bei der indirekten Rationierung auf übergeordneter Ebene Rationierungsentscheidungen unter statistischen Gesichtspunkten getroffen werden. Die indirekte Rationierung setzt damit auf der Makroebene an und erfolgt bei der Kapazitätsplanung, direkte Rationierung findet dagegen auf der Mikroebene und somit bei der Kapazitätsvergabe statt.51 Honecker bezeichnet Einschränkungen, 48 Schmidt-Aßmann, Grundrechtspositionen und Legitimationsfragen im öffentlichen Gesundheitswesen, S. 21; Sternberg-Lieben, in: FS für Weber, S. 69, 71. 49 Breyer/Schultheiss, in: Wille: Rationierung im Gesundheitswesen und ihre Alternativen, S. 169, 171 f. 50 Schultheiss, psychoneuro 2004, 221, 222. 51 Ch. Fuchs, in: Nagel/Ch. Fuchs, Rationalisierung und Rationierung im deutschen Gesundheitswesen, S. 42, 44 mit Verweis auf Oberender, in: Nagel/Ch. Fuchs, Rationalisie-
C. Spielarten und Formen von Rationierung
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die an den Strukturen des Gesundheitswesens vorgenommen werden als strukturelle Rationierung und die Beschränkung einzelner Leistungen und Mittel des Gesundheitswesens am einzelnen Patienten als individuelle Rationierung.52 Inhaltlich ergibt sich folglich kein Unterschied.
III. Implizite und explizite Rationierung Für eine weitere Differenzierung werden zwei verschiedene Begriffspaare verwendet. Im Kern geht es jeweils um die Art und Weise, wie Rationierung erfolgt. Auf der einen Seite kann die Vorenthaltung von Ressourcen stattfinden, ohne dass spezifiziert wird, welche medizinischen Leistungen angeboten werden sollen und welche nicht, ohne dass konkretisiert wird, welche Abwägungen getroffen werden bzw. nach welchen Kriterien oder Regeln die Anbieter medizinischer Leistungen ihre Entscheidungen fällen sollen. Auch findet keine vorherige öffentliche Debatte statt.53 Die Rationierungsentscheidung wird an die Ärzte delegiert, so dass die Gesellschaft über keinerlei Kenntnisse verfügt, welche Kriterien letztlich angewandt werden und ob diese so gewollt sind.54 Rationierung dieser Art wird überwiegend als implizite Rationierung klassifiziert,55 jedoch auch als verdeckte Rationierung bezeichnet.56 Andererseits lässt sich Rationierung auch anhand von transparenten Richtlinien vollziehen, die festlegen, unter welchen Voraussetzungen welche Personen medizinische Leistungen beanspruchen können57 und wann eine bestimmte Leistung versagt wird.58 Die entscheidungsrelevanten Kriterien sind dann der Öffentlichkeit
rung und Rationierung im deutschen Gesundheitswesen, S. 10, 18; Kingreen, in: Kingreen/Laux, Gesundheit und Medizin im interdisziplinären Diskurs, S. 147, 153; Nettesheim, VerwArch 93 (2002), 315, 318. 52 Honecker, ZVersWiss 2004, 623 f. 53 Kopetsch, SozFortschr. 2001, 20, 24. 54 Kopetsch, Zur Rationierung medizinischer Leistungen im Rahmen der Gesetzlichen Krankenversicherung, S. 78; ders., SozFortschr. 2001, 20, 24. 55 M. Arnold, Rationierung und zukünftige Reallokation im Gesundheitswesen, S. 11; Breyer/Schultheiss, in: Wille: Rationierung im Gesundheitswesen und ihre Alternativen, S. 169, 174 f.; Kingreen, in: Kingreen/Laux, Gesundheit und Medizin im interdisziplinären Diskurs, S. 147, 154; Kopetsch, SozFortschr. 2001, 20, 24; Mack, Ethik in der Medizin 2001, 17, 27. 56 Ch. Fuchs, in: Nagel/Ch. Fuchs, Rationalisierung und Rationierung im deutschen Gesundheitswesen, S. 42, 44; V. Schmidt/Gutmann, in: Gutmann/V. Schmidt, Rationierung und Allokation im Gesundheitswesen, S. 7, 24, die aber – der wissenschaftlichen Diskussion entsprechend – implizite Rationierung synonym verwenden; Schirmer/Ch. Fuchs, in: Katzenmeier/Bergdolt, Das Bild des Arztes im 21. Jahrhundert, S. 121, 122. 57 Breyer/Schultheiss, in: Wille, Rationierung im Gesundheitswesen und ihre Alternativen, S. 169, 175. 58 Kopetsch, Zur Rationierung medizinischer Leistungen im Rahmen der Gesetzlichen Krankenversicherung, S. 76; ders., SozFortschr. 2001, 20, 24.
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2. Kap.: Rationalisierung und Rationierung als Reaktionen auf den Kostenanstieg
bekannt.59 Als Gegenbegriffe fungieren hier die der expliziten bzw. offenen Rationierung.60
IV. Harte und weiche Rationierung Weitgehende Übereinstimmung besteht bei der Einteilung in harte und weiche Rationierung. Harte Rationierung bedeutet, dass ein Zukauf über die vom gesetzlichen Leistungssystem zugeteilten Leistungen hinaus nicht erlaubt ist, also vorenthaltene Leistungen nicht in finanzieller Eigenverantwortung beschafft werden können. Von weicher Rationierung ist hingegen die Rede, wenn über das Maß der gesetzlichen Leistungen, auf die der Versicherte einen Anspruch hat, hinaus ein legaler Markt für die zusätzliche Mittelbeschaffung besteht.61 Absolut gleichen Zugang zu Gesundheitsleistungen lässt sich nur durch eine harte Rationierung gewährleisten.62 Da in Deutschland neben dem System der GKV ein Markt für private Zusatzversicherungen besteht, auf dem grundsätzlich jeder die Möglichkeit hat, sich über das Maß der Leistungen der beitragsfinanzierten GKV hinaus zusätzlich zu versichern, ist harte Rationierung weitgehend ausgeschlossen. Sie ist in einem freiheitlich organisierten Staat wie der Bundesrepublik auch kaum vorstellbar.63 Eine Ausnahme bildet das Transplantationsrecht, da ein Handel mit Transplantationsorganen gemäß §§ 17 ff. TPG gegen gesetzliche Vorschriften verstößt.
D. Beispiele von Rationierung in Deutschland Bisher war die deutsche Gesundheitspolitik darauf ausgerichtet, jedem gesetzlich Versicherten grundsätzlich alle medizinisch notwendigen Leistungen zur Verfügung zu stellen.64 Daher hat der Gesetzgeber im Bemühen um ein Absenken der Kosten, wie erwähnt, bis dato überwiegend auf Rationalisierung gesetzt. Vereinzelt wurden aber auch schon Rationierungsmaßnahmen vorgenommen.65 Einige von ihnen sollen hier Erwähnung finden. Ebenfalls wird auf außergesetzliche Umstände eingegangen werden, die Rationierungscharakter haben. Diese Beispiele und die Tatsache, dass der Leistungskatalog der GKV trotz der genannten Prämisse einer möglichst umfassenden Versorgung niemals gänzlich unbegrenzt war, 59
Mack, Ethik in der Medizin 2001, 17, 27. Vgl. die jeweiligen Nachweise im 1. Teil Kap. 2 C. III., Fn. 55 f. 61 Breyer/Schultheiss, in: Wille, Rationierung im Gesundheitswesen und ihre Alternativen, S. 169, 173; Ch. Fuchs, in: Nagel/Ch. Fuchs, Rationalisierung und Rationierung im deutschen Gesundheitswesen, S. 42, 44; Kliemt, in: Marckmann, Gesundheitsversorgung im Alter, S. 59, 60; Rothgang, Journal für Anästhesie und Intensivbehandlung 1999, 134; Nettesheim, VerwArch 93 (2002), 315, 329. 62 Rothgang, Journal für Anästhesie und Intensivbehandlung 1999, 134. 63 Vgl. Schulze Ehring/Weber, VersMed 2008, 177, 179. 64 Huster/Strech/Marckmann/Freyer/Börchers/A. Neumann/Wasem/Held, MedR 2007, 703. 65 V. Neumann, NZS 2005, 617, 618. 60
D. Beispiele von Rationierung in Deutschland
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sondern eine Vielzahl von Limitierungen bestehen, zeigen, dass entgegen dem teilweise verbreiteten Eindruck – zu nennen sind etwa Verlautbarungen von Politikern und Krankenkassen – nicht in Frage steht, ob in Deutschland künftig erstmalig rationiert werden sollte, sondern es vielmehr darum geht, ob in Zukunft stärker rationiert werden wird und auf welche Weise dies geschehen sollte.66 Gemäß § 33 Abs. 1 S. 4 und S. 5 SGB V ist der Leistungsanspruch auf Sehhilfen auf Kinder und Jugendliche bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres sowie auf schwer sehbeeinträchtigte Versicherte beschränkt.67 Ebenfalls in Beziehung zum Lebensalter steht die Beschränkung des Anspruchs gemäß § 27a Abs. 3 SGB V auf künstliche Befruchtung für Frauen zwischen dem 25. und 50. Lebensjahr sowie für Männer bis zur Vollendung des 50. Lebensjahres.68 Zu nennen ist auch der in § 28 Abs. 2 S. 6 SGB V gesetzlich fixierte Leistungsausschluss einer kieferorthopädischen Behandlung von Versicherten, die zu Beginn der Behandlung das 18. Lebensjahr vollendet haben. Dieser Ausschluss wird allerdings ein stückweit durch § 29 Abs. 1 SGB V aufgefangen, der Versicherten einen Anspruch auf kieferorthopädische Behandlung in medizinisch begründeten Indikationsgruppen zuspricht, bei denen eine Kiefer- oder Zahnfehlstellung vorliegt, die das Kauen, Beißen, Sprechen oder Atmen erheblich beeinträchtigen oder zu beeinträchtigen drohen. Gleichwohl hat der Versicherte hier nach Maßgabe des § 29 Abs. 2 SGB V Zuzahlungen zu leisten. Nicht verschreibungspflichtige Medikamente sind gemäß § 34 Abs. 1 S. 1 SGB V von der Versorgung ausgeschlossen. Für versicherte Kinder bis zum vollendeten 12. Lebensjahr und versicherte Jugendliche bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres sieht § 34 Abs. 1 S. 6 Nr. 1 und Nr. 2 allerdings eine Ausnahme vor.69 Diese explizite Rationierung hat das BSG jüngst für verfassungskonform gehalten.70 Eingeschränkt ist die Versorgung auch bei den so genannten Bagatellarzneimitteln, wie sie in § 34 Abs. 1 S. 6 Nr. 1-4 aufgeführt sind. Der Ausschluss gilt für Versicherte, die das 18. Lebensjahr vollendet haben.71 66 Breyer, DMW 2005, 349; Hege, zitiert nach Jachertz, DÄBl. 1994, A-2992, A-2993; Wasem, Arbeit und Sozialpolitik 1-2/1997, 12, 14; Kuhlmann, in: Feuerstein/Kuhlmann, Rationierung im Gesundheitswesen, S. 11, 70. Auch Kopetsch, SozFortschr. 2001, 20, 25 hebt hervor, dass im deutschen Gesundheitswesen schon immer rationiert wurde. 67 Dieses Beispiel nennen Dibbern, ZVersWiss 2004, 639, 643; Isensee, in: GS für Heinze, S. 417, 422; V. Neumann, NZS 2005, 617, 618. 68 Dieses Beispiel nennt Isensee, in: GS für Heinze, S. 417, 422. Die für Frauen festgesetzte Altersgrenze ist nach Ansicht des LSG NRW verfassungsgemäß, vgl. LSG NRW, Urt. v. 14.2.2008 – L 5 KR 93/07 verfassungsgemäß; beim BSG ist derzeit unter dem Az. B 3 KR 7/08 R eine Revision anhängig. 69 Dieses Beispielt nennen Dibbern, ZVersWiss 2004, 639, 642; Isensee, in: GS für Heinze, S. 417, 422; V. Neumann, NZS 2005, 617, 618; Wenner, GesR 2009, 169, 170; Wunder, MedR 2007, 21, 24. 70 BSG, NZS 2009, 624. 71 Dieses Beispiel nennen Ebsen, in: Arbeitsgemeinschaft Rechtsanwälte im Medizinrecht, Die Budgetierung des Gesundheitswesens, S. 109, 110; ders., NDV 1997, 71; Nettesheim,
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2. Kap.: Rationalisierung und Rationierung als Reaktionen auf den Kostenanstieg
Als Beispiel für Rationierungsmaßnahmen des Gesetzgebers wird auch die Herausnahme der Lifestyle-Medikamente72 aus der Versorgung gemäß § 34 Abs. 1 S. 7 SGB V genannt.73 § 34 Abs. 1 S. 8 SGB V zeigt, dass der Gesetzgeber insbesondere solche Arzneimittel zu diesen Medikamenten zählt, die überwiegend zur Behandlung der erektilen Dysfunktion und der Anreizung sowie Steigerung der sexuellen Potenz dienen. Die erektile Dysfunktion wird jedoch vom BSG zutreffend als behandlungsbedürftige Krankheit angesehen74 und betrifft damit nicht nur den Bereich der Verbesserung der Lebensqualität jenseits der Gesundheit. Nach dem hier verwendeten Rationierungsbegriff ist eine Herausnahme derartiger Medikamente aus dem Leistungsspektrum der GKV daher auch als rationierend anzusehen. Ein unter Potenzproblemen leidender Mann wird die Einnahme von Viagra sehr wohl als eine für sich sinnvolle medizinische Maßnahme auffassen. Umstritten ist, wie die Budgetierung einzuordnen ist. Sie wird zum Teil als Form der Rationierung genannt,75 ihr andererseits die Rationierungsqualität abgesprochen.76 Hilfreich ist es, sich die Wirkungsweise von Budgets näher anzusehen. Sie geben nur für einen gewissen Zeitraum einen Rahmen für die jeweils budgetierten Bereiche vor, ändern aber nichts daran, dass der Versicherte Anspruch auf eine umfassende ärztliche Heilbehandlung hat,77 wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. So bestimmt es § 27 Abs. 1 SGB V.78 Die Tatsache, dass der Gesetzgeber in vielen Bereichen des Gesundheitswesens Budgets eingeführt hat, besagt per se noch nichts über die Verteilung von möglicherweise knapp werdenden Ressourcen und darüber aus, in welchem konkreten Fall eine Leistung nicht mehr erbracht wird. Vielmehr wird die Verantwortung auf die Leistungserbringer übertragen.79 Richtigerweise sollte man daher die Budgetierung einzelner Bereiche selbst nicht als Rationierung bezeichnen, sondern in ihr eine Maßnahme
VerwArch 93 (2002), 315, 330; V. Neumann, NZS 2005, 617, 618, Wunder, MedR 2007, 21, 24. 72 Vgl. zu diesem Begriff schon 1. Teil Kap. 1 D. VI., S. 24. 73 So V. Neumann, NZS 2005, 617, 618; Wunder, MedR 2007, 21, 24. 74 BSGE 85, 37, 38 ff.; 94, 302, 304 f. 75 So Isensee, in: GS für Heinze, S. 417, 423, Nettesheim, VerwArch 93 (2002), 317, 319, der aber auf S. 339 auch davon spricht, dass das Budgetsystem die Ärzte zur Rationalisierung anhält und dass das Budgetsystem das Potenzial einer Rationierung immer in sich trägt; Vortrag von Sass beim 32. Praktikerseminar des Instituts für Sozialrecht der RuhrUniversität Bochum (1999), zusammengefasst von Frank/Meyer, NZS 2000, 543, 545. 76 So wohl Hart, Jura 2000, 64, der im Zusammenhang mit Problemen der Einschränkung von Kassenleistungen aufgrund von Wirtschaftlichkeitsüberlegungen Budgetierung, Rationalisierung und Rationierung als drei eigenständige Begriffe nennt; V. Neumann, NZS 2005, 617, 619. 77 Heinze, MedR 1996, 252, 255. 78 Vgl. auch R. Giesen, ZVersWiss 2004, 557, 563; V. Neumann, NZS 2005, 617. 79 R. Giesen, ZVersWiss 2004, 557, 573 f.; Nettesheim, VerwArch 93 (2002), 315, 322; ausführlicher zu den damit verbundenen Problemen unter 1. Teil Kap. 2 E., 50 ff.
D. Beispiele von Rationierung in Deutschland
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sehen, die eine implizite Rationierung ermöglicht,80 wenn nicht sogar erzwingt.81 Die eigentliche Rationierungsentscheidung selbst obliegt dann den Leistungserbringern. So sieht es auch die deutsche Ärzteschaft, die in ihrem „Ulmer Papier“, dem Beschluss des 111. Deutschen Ärztetages, ein Ende der Budgetmedizin fordert, weil die völlig unzureichenden Budgets zu Rationierung geführt hätten.82 Nicht unproblematisch ist auch die Beurteilung von Zuzahlungen und Selbstbeteiligungen, die der Gesetzgeber in den letzten Jahren stetig ausgebaut hat. Hier ist insbesondere die Praxisgebühr zu nennen. Isensee führt sie als Beispiel für Rationierung auf.83 Dem ist allerdings entgegenzuhalten, dass Selbstbeteiligungen eine teilweise wirtschaftliche Beschränkung des Versicherungsschutzes bedeuten.84 Zwar trägt der Versicherte ein finanzielles Risiko, wird aber die jeweilige Versicherungsleistung grundsätzlich erbracht.85 Härtefallregelungen sorgen zudem dafür, dass niemand auf die medizinische Leistung verzichten muss.86 Rationierungen sind die Zuzahlungsregelungen daher nicht.87 Jenseits der bisher genannten Beispiele für eine explizite Rationierung seitens des Gesetzgebers finden sich auch im Klinikalltag Umstände, die als – dann implizite – Rationierung anzusehen sind.88 Eine 1996 vom IGSF Kiel durchgeführte Umfrage bei 327 Verbänden des Gesundheitswesens brachte hervor, dass über zwei Drittel der Befragten der Meinung sind, dass generell schon eine Rationierung von Gesundheitsleistungen in Deutschland erfolgt. So würden etwa potentiell „teure“ Patienten nicht mehr aufgenommen.89 Als weitere konkrete Beispiele wurden unter anderem die inhaltliche und zeitliche Verkürzung von Rehaleistungen und die Reduzierung von Hausbesuchen genannt. Wegen „Personalmangels“ wür-
80
In diese Richtung geht V. Neumann, NZS 2005, 617, 619, der mit der Aussage, dass Budgetierungen keine Rationierungen sind, nicht die Möglichkeit bestreiten will, dass diese mal zu Rationierungen führen können. 81 So Kopetsch, Zur Rationierung medizinischer Leistungen im Rahmen der Gesetzlichen Krankenversicherung, S. 141; ders., SozFortschr. 2001, 21, 25, der aber die Budgetierung dennoch als implizite Rationierung bezeichnet; Kuhlmann, in: Feuerstein/Kuhlmann, Rationierung im Gesundheitswesen, S. 11, 70. 82 „Ulmer Papier“, Beschluss des 111. DÄT, DÄBl. 2008, A-1189, A-1194. 83 Isensee, in: GS für Heinze, S. 417, 423. Ebenso anklingend bei Oberender, in: Nagel/Ch. Fuchs, Rationalisierung und Rationierung im deutschen Gesundheitswesen, S. 10, 21. 84 Bossmann, MedR 1996, 456, 457; R. Giesen, ZVersWiss 2004, 557, 575. 85 R. Giesen, ZVersWiss 2004, 557, 575. 86 Bossmann, MedR 1996, 456, 457. 87 So auch Bossmann, MedR 1996, 456, 457; R. Giesen, ZVersWiss 2004, 557, 576, der in der Schaffung von Selbstbeteiligungen eine mit der Rationierung weniger vergleichbare Eingriffsmaßnahme sieht. 88 Zu dem sich daraus ergebenden Konfliktpotential s. unten 1. Teil, Kap. 2 E., S. 50 ff. 89 Vgl. die Dokumentation der Umfrage bei Beske, in: Nagel/Ch. Fuchs, Rationierung und Rationalisierung im deutschen Gesundheitswesen, S. 71, 74 ff. mit dem genannten Beispiel auf S. 83; s. auch die Interviewauswertung von Schultheiss, psychoneuro 2004, 568, 570 f.
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2. Kap.: Rationalisierung und Rationierung als Reaktionen auf den Kostenanstieg
den Betten nicht belegt.90 Ein weiterer Nachweis der Existenz impliziter Rationierung ist die Verschiebung von Operationsterminen.91 Wartelisten und -zeiten werden als ein „sich entwickelndes Problem“92 regelmäßig in Untersuchungen zur impliziten Rationierung genannt.93 Im Extremfall kann das Warten auf eine Operation dazu führen, dass ein Patient „unter den Tisch fällt“, also vor Operationsbeginn verstirbt.94
E. Konfliktpotential und Notwendigkeit übergreifender Regelungen Angesichts nur vereinzelter gesetzlich bestimmter Rationierungsmaßnahmen und -kriterien stehen die Ärzte vor einem echten Problem. Der Entscheidungsdruck bei der Verteilung knapper Ressourcen lastet nahezu vollständig auf den unmittelbaren Akteuren, und dies umso härter, je näher sie den Patienten sind.95 Sie sind oftmals diejenigen, die auf der untersten Allokationsebene darüber zu entscheiden haben, welche Maßnahme im Einzelfall getroffen wird,96 welchem Patienten eine Leistung noch zur Verfügung gestellt wird und welchem sie aufgrund von ökonomischen Erwägungen vorenthalten werden muss.97 Diese Situation kann den Arzt gegenüber seinem Patienten zu „barmherzigen Lügen“ zwingen, was bedeutet, 90
Beske, in: Nagel/Ch. Fuchs, Rationierung und Rationalisierung im deutschen Gesundheitswesen, S. 71, 83. Diesen letztgenannten Umstand beklagte ebenfalls schon 1996 Friedrich-Wilhelm Schildberg, Professor für Chirurgie. 30 % der vorhandenen Intensivbetten könnten mangels des entsprechenden Fachpersonals nicht belegt werden, s. Schildberg, zitiert nach Zylka-Menhorn, DÄBl. 1996, A-1087, A-1088. Auch der damalige Präsident der bayerischen Landesärztekammer Hans Hege nannte auf dem 47. Bayerischen Ärztetag 1994 die aufgrund von Überlastung reduzierte Patientenzuwendung von Ärzten und Pflegepersonal Rationierung, vgl. Hege, zitiert nach Jachertz, DÄBl. 1994, A-2992, A-2993. Für Bossmann, MedR 1996, 456, 457, kommt dieser Umstand einer Rationierung „bedenklich nahe“. Zur Rationierung von Zuwendung und damit auch ärztlicher Leistung aufgrund von ökonomisch bedingtem Personalabbau s. auch Huster/Strech/Marckmann/Freyer/Börchers/A. Neumann/Wasem, MedR 2007, 703, 704. Die fehlenden Belegung von Intensivbetten als verdeckte Form der Rationierung thematisiert auch Ch. Fuchs, in: Nagel/Ch. Fuchs, Rationierung und Rationalisierung im deutschen Gesundheitswesen, S. 42, 49. Zum Problem insgesamt zu knapp bemessener Intensivbetten s. die Auswertung von Schultheiss, psychoneuro 2004, 221, 223 ff. 91 Schildberg, zitiert nach Zylka-Menhorn, DÄBl. 1996, A-1087, A-1088; vgl. dazu auch Schultheiss, psychoneuro 2004, 568 f. 92 So ein befragter Arzt, wiedergegeben bei Schultheiss, psychoneuro 2004, 568, 569. 93 Vgl. auch Beske, in: Nagel/Ch. Fuchs, Rationalisierung und Rationierung im deutschen Gesundheitswesen, S. 71, 83. Außerhalb einer Studie ebenfalls erwähnt bei R. Giesen, ZVersWiss 2004, 557, 562. 94 So ein befragter Arzt, vgl. Schultheiss, psychoneuro 2004, 568, 569. 95 Kuhlmann, in: Feuerstein/Kuhlmann, Rationierung im Gesundheitswesen, S. 11, 14. 96 Uhlenbruck, MedR 1995, 427, 430. 97 Genzel, MedR 1994, 83, 85.
E. Konfliktpotential und Notwendigkeit übergreifender Regelungen
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dass Patienten mit vorgeschobenen medizinischen Gründen Behandlungen verweigert werden, die medizinisch sehr wohl möglich sind,98 obwohl in Wahrheit Knappheitsgründe den Ausschlag geben.99 Das Verhältnis zwischen dem Arzt und seinem Patienten ist von besonderem Vertrauen geprägt. Es besteht die Gefahr, dass dieses Vertrauen Schaden nimmt, wenn der Arzt nicht nur der Anwalt seines Patienten, sondern gleichzeitig auch Rationierungs-Agent des Staates ist.100 Das Budgetsystem birgt darüber hinaus die Gefahr, dass einem medizinisch Bedürftigen eine medizinisch notwendige Leistung vorenthalten wird, weil das Budget erschöpft ist.101 Die entscheidende Frage ist, nach welchen Kriterien knappe Güter zu verteilen sind: nach Zufall, Willkür oder Plan; ob sich die Priorität nach einem Wartelistenplatz richtet, nach dem medizinischen Bedarf oder der medizinischen Prognose, nach dem Lebensalter oder der Bereitschaft zu privater Zuzahlung.102 Fehlt es an festgelegten Kriterien, liegt die Auswahlentscheidung letztlich in der Hand der Ärzte. Jeder Arzt kann aber grundsätzlich andere Selektionskriterien anwenden und die Entscheidung somit variieren. Das kann dazu führen, dass identische Fälle verschieden gehandhabt werden, weil seitens der Leistungserbringer unterschiedliche Präferenzen und Prioritäten gesetzt werden können.103 Bei dieser Rationierung im Einzelfall bleibt es dann weitgehend dem Zufall oder auch der Willkür der einzelnen Entscheidungsträger überlassen, welcher Patient welche Versorgung erhält.104 Dadurch entstehen Gerechtigkeitsbedenken.105 Ist nicht klar ersichtlich, nach welchen Kriterien entschieden wird, so nimmt dies dem Patienten auch die Möglichkeit, sich durch den Abschluss einer Zusatzversicherung auf die Situation einzustellen. Je eher also klargestellt wird, „was der Leistungskatalog der GKV auch in Zukunft leisten und finanzieren kann, 98
Breyer, DMW 2005, 349; Kopetsch, Zur Rationierung medizinischer Leistungen im Rahmen der Gesetzlichen Krankenversicherung, S. 77; ders., SozFortschr. 2001, 20, 24. 99 Schmidt-Aßmann, Grundrechtspositionen und Legitimationsfragen im öffentlichen Gesundheitswesen, S. 42; V. Schmidt/Gutmann, in: Gutmann/V. Schmidt, Rationierung und Allokation im Gesundheitswesen, S. 7, 24. 100 Kopetsch, Zur Rationierung medizinischer Leistungen im Rahmen der Gesetzlichen Krankenversicherung, S. 77; ders., SozFortschr. 2001, 20, 24; ders., RPG 2005, 51, 52; vgl. auch Kingreen, in: Kingreen/Laux, Gesundheit und Medizin im interdisziplinären Diskurs, S. 147, 160. Diese Belastung ist empirisch belegt, vgl. Schultheiss, psychoneuro 2004, 568, 573. 101 Nettesheim, VerwArch 93 (2002), 315, 339. 102 Isensee, in: GS für Heinze, S. 417, 425. 103 Kopetsch, Zur Rationierung medizinischer Leistungen im Rahmen der Gesetzlichen Krankenversicherung, S. 78; ders., SozFortschr. 2001, 20, 24; Schultheiss, psychoneuro 2004, 568, 573. 104 M. Arnold, Zum Umgang mit Knappheit in der medizinischen Versorgung, S. 66; unter Verweis auf M. Arnold (a.a.O.) auch Kopetsch, Zur Rationierung medizinischer Leistungen im Rahmen der Gesetzlichen Krankenversicherung, S. 141; ders., SozFortschr. 2001, 20, 25. 105 Kopetsch, Zur Rationierung medizinischer Leistungen im Rahmen der Gesetzlichen Krankenversicherung, S. 78; ders., SozFortschr. 2001, 20, 24; Schultheiss, psychoneuro 2004, 568, 573.
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2. Kap.: Rationalisierung und Rationierung als Reaktionen auf den Kostenanstieg
desto eher weiß der Versicherte, was in der Gesundheitsversorgung auf ihn zukommt, desto rechtzeitiger kann sich jeder auf das einstellen, was er sich an Gesundheitsversorgung im Alter wünscht“.106 Auch ist er in der jetzigen Situation aufgrund der herrschenden Intransparenz in seinen Rechtsschutzmöglichkeiten beschnitten.107 Lediglich für den Fall der Organknappheit hat der Gesetzgeber Vorgaben für die Allokation getroffen. Gemäß § 12 Abs. 3 S. 1 TPG sind die Organe nach den Regeln, die dem Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft entsprechen, insbesondere nach Erfolgsaussicht und Dringlichkeit für geeignete Patienten zu vermitteln.108 Im Übrigen „weicht der Gesetzgeber der Entscheidung aus, die angesichts des Finanzengpasses notwendig ist, und umgeht den politischen, potentiell wahlentscheidenden Konflikt mit der in Fragen des Gesundheitswesens hochgradig reizbaren Gesellschaft, der sich entzündete, wenn er offen das Leistungsangebot an die Versicherten kürzte oder wenn er die Verteilungsmaßstäbe selber festlegte. Er schiebt die Entscheidungslast den einzelnen Leistungserbringern, im Wesentlichen also den Ärzten, zu und wäscht seine Hände in sozialpolitischer Unschuld“.109 Anstatt den Ärzten die Entscheidung über die Verteilung knapper Ressourcen zu überlassen, sollte sich der Staat auf allgemeine Regeln festlegen und Leistungseinschränkungen vornehmen.110 So ließen sich unter dem Aspekt der Gleichheit im Vergleich zu einer weiterhin der Zufälligkeit des Einzelfalls überlassenen Entscheidung gerechtere Ergebnisse erzielen.111 Auch in der Auffassung der Ärzteschaft zeigt sich die Notwendigkeit eines regulativen Eingriffes seitens des Gesetzgebers. Die Problematik wurde vom Präsidenten der Bundesärztekammer Jörg-Dietrich Hoppe auf den beiden jüngsten Deutschen Ärztetagen aufgegriffen. In seiner Rede auf dem 111. Deutschen Ärzte106
Beske, Rheinisches Ärzteblatt 1/2008, 10, 12. Huster/Strech/Marckmann/Freyer/Börchers/A. Neumann/Wasem/Held, MedR 2007, 703. 108 Diese Kriterien sind in der juristischen Literatur auf massive Kritik gestoßen, vgl. Höfling, JZ 2007, 481, 484 f.; V. Neumann, NZS 2005, 617, 621 m.w.N.; Kingreen, in: Kingreen/Laux, Gesundheit und Medizin im interdisziplinären Diskurs, S. 147, 166 f.; Sternberg-Lieben, in: FS für Weber, S. 68, 73 ff. Haverkate, in: Häfner, Gesundheit – unser höchstes Gut?, S. 119, 125 f., attestiert dem Gesetzgeber, selbst gar keine Regelung über die Verteilung getroffen zu haben. Vielmehr sei nun die gesamte Organisation der Organvermittlung in die Verantwortung der Spitzenverbände der Krankenkassen, der Bundesärztekammer und der Deutschen Krankenhausgesellschaft oder des Bundesverbandes der Krankenhausträger gestellt. Diese Institutionen sind gem. § 12 Abs. 1 S. 1 TGP dazu angehalten, zur Vermittlung der vermittlungspflichtigen Organe eine Vermittlungsstelle zu errichten oder zu beauftragen. Die bisher schon faktische Verteilungsstelle Eurotransplant sei damit jetzt auch formell legitimiert. 109 Isensee, in: GS für Heinze, S. 417, 425; zur Notwendigkeit eines Eingreifens der Politik vgl. auch Beske/Hallauer/Kern, Rationierung im Gesundheitswesen?, S. 16. 110 Breyer/Franz/Homburg/Schnabel/Wille, Reform der sozialen Sicherung, S. 92; Haverkate, in: Häfner, Gesundheit – unser höchstes Gut?, S. 119, 125; Nettesheim, VerwArch 93 (2002), 315, 349. 111 Nettesheim, VerwArch 93 (2002), 315, 349. 107
E. Konfliktpotential und Notwendigkeit übergreifender Regelungen
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tag 2008 in Ulm betonte er: „Wir müssen das zum Wahlkampfthema machen. Ärztinnen und Ärzte erleben seit Jahren eine heimliche Rationierung, wir müssen sie ertragen und vor den Patienten dafür geradestehen. Das aber wollen wir jetzt nicht mehr. Wir müssen den Menschen sagen, wer tatsächlich für die Rationierung verantwortlich ist.“ Die Politik dürfe sich nicht aus der Verantwortung stehlen und so tun, als gebe es diese Rationierung nicht.112 Im „Ulmer Papier“ wird schließlich gefordert, dass der Gesetzgeber, so er nicht gewillt ist, die für eine bedarfsgerechte Gesundheitsversorgung erforderlichen Mittel im Gesundheitswesen zur Verfügung zu stellen und weiterhin auf eine Steuerung der Gesundheitsausgaben durch Budgets setze, sich letztlich zur Rationierung bekennen müsse.113 Im Jahr darauf rief die von Hoppe im Vorfeld des 112. Deutschen Ärztetages in Mainz erhobene Forderung nach einer öffentlich geführten Diskussion darüber, wie man künftig mit begrenzten Ressourcen in der Gesundheitsversorgung umzugehen gewillt ist und der damit verbundene Vorschlag einer für alle transparenten Priorisierung114 von Gesundheitsleistungen, eine Vielzahl kritischer Kommentare hervor.115 Trotz dieser Reaktionen könne aber, so Hoppe, nicht weiter verschwiegen werden, dass die Kluft zwischen dem, was medizinisch notwendig, und dem, was derzeit machbar sei, immer größer werde.116 Schon früher wurde die Verantwortung der Politik für die Kriterien einer Rationierung angemahnt. Die Ärzte seien ethisch und im Hinblick auf eine bestehende Rechtsunsicherheit mit solchen Entscheidungen überfordert.117 Für sehr wünschenswert wird es gehalten, die Entscheidung darüber, wie die Ressourcen eingesetzt werden, nicht dem einzelnen Arzt aufzubürgen, sondern sie letztlich gesellschaftlich vorzugeben.118 Der Hauptgeschäftsführer der Bundesärztekammer 112
Zitiert nach Schumacher, Rheinisches Ärzteblatt 6/2008, 10. „Ulmer Papier“, Beschluss des 111. DÄT, DÄBl. 2008, A-1189, A-1195. 114 Zu einer Priorisierung in der Medizin vgl. ZEKO, DÄBl. 2000, A-1017 ff.; dies, Priorisierung medizinischer Leistungen im System der Gesetzlichen Krankenversicherung; dies., DÄBl. 2007, A-2750 ff.; DFG-FOR 655, Priorisierung in der Medizin; s. auch die Beiträge in ZEFQ 2009, Heft 2, insb. Welti, ZEFQ 2009, 104 ff. zu den rechtlichen Rahmenbedingungen einer Priorisierung in der Gesetzlichen Krankenversicherung. 115 Zum Vorschlag von Hoppe vgl. das Interview in der FR v. 11.5.2009, S. 5; die damalige Gesundheitsministerin Ulla Schmidt wies den Vorstoß als „ziemlich menschenverachtend“ zurück, vgl. Die Welt v. 22.5.2009, S. 4 und erklärte, dass es keinen Prioritätenkatalog für Krankheitsbehandlungen geben werde, vgl. das Interview in der FAZ v. 18.5.2009, S. 13; der Bundesvorsitzende des Deutschen Hausärzteverbandes Ulrich Weigeldt kritisierte, der Vorstoß diene nur der „Vernebelung“, um nicht über fehlerhafte Strukturen im Gesundheitswesen reden zu müssen; der DGB bezeichnete die Debatte über die Streichung medizinischer Leistungen als „maßlos, empörend“ und „eine Beleidigung der anständigen Ärzteschaft“, vgl. FR v. 20.5.2009, S. 1; zu weiteren kritischen Äußerungen vgl. den in der Stuttgarter Zeitung v. 22.5.2009, S. 2 abgedruckten Bericht der AP. 116 Zitiert nach Gerst, DÄBl. 2009, A-1086. 117 So erwähnt bei Uhlenbruck, MedR 1995, 427, 430; die Übernahme von Verantwortung betreffend ähnlich Hege, zitiert nach Jachertz, DÄBl. 1994, A-2992, A-2992. 118 So ein befragter Arzt in der Interviewstudie von Huster/Strech/Marckmann/Feyer/Börchers/A. Neumann/Wasem/Held, MedR 2007, 703, 705. 113
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2. Kap.: Rationalisierung und Rationierung als Reaktionen auf den Kostenanstieg
Christoph Fuchs stellt fest, dass sich Gesetzgeber und Krankenkassen innerhalb der Rationierungsdebatte nicht hinter den Entscheidungen der Ärzte verstecken dürfen, sondern offen und öffentlich zu erkennen geben müssen, nach welchen Kriterien sie Prioritäten und Posterioritäten gesetzt haben.119
119
Ch. Fuchs, MedR 1993, 323, 325; kritisch Taupitz, in: Wolter/Riedel/Taupitz, Einwirkungen der Grundrechte auf das Zivilrecht, Öffentliche Recht und Strafrecht, S. 113, 123, der einen Entlastungseffekt bei Entscheidungen auf oberer Ebene in Frage stellt. Der Einzelfall müsse weiterhin vor Ort entschieden werden; ebenso Sternberg-Lieben, in: FS für Weber, S. 69, 71 f.; gleichfalls skeptisch Laufs, NJW 1999, 1758, 1767.
3. Kapitel: Rechtliche Grenzen von Rationierungsmaßnahmen Rationierungsmaßnahmen haben für den betroffenen Versicherten mitunter einschneidende Wirkung. Bevor in einem weiteren Kapitel näher auf mögliche Rationierungskriterien eingegangen werden soll, ist deswegen nun zunächst zu untersuchen, welche rechtlichen Grenzen für eine Rationierung im Gesundheitswesen bestehen. Hierbei richtet sich die Aufmerksamkeit vorwiegend auf verfassungsrechtliche Vorgaben. Eine Unterteilung der Darstellung erfolgt dergestalt, dass zuerst verfassungsrechtliche Erwägungen vorgenommen werden sollen, die Rationierungsmaßnahmen generell entgegen stehen könnten (A.). Sodann richtet sich das Augenmerk auf rechtlich relevante Grenzen hinsichtlich einzelner Rationierungskriterien (B.).
A. Generelle Grenzen einer Rationierung im Gesundheitswesen I. Das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit, Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG Als Grundrecht, welches einer Rationierung Grenzen setzt, wird Art. 2 Abs. 2 S. 1, das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit, angeführt.1 1. Schutzbereich Die Gesundheit wird zwar nicht explizit als zu schützendes Rechtsgut in Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG genannt, es ist aber mittlerweile allgemein anerkannt, dass sie vom Schutzbereich mit umfasst ist.2 Zumindest insoweit, als die Gesundheit im biologisch-physiologischem Sinne gemeint ist.3 Daneben wird der Grundrechtsträger nach der Rechtsprechung des BVerfG durch Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG auch vor psychischen Einwirkungen geschützt, soweit sie „ihrer Wirkung nach körperlichen Eingriffen gleichzusetzen“ sind.4 Deutlich zu weit geht allerdings nach allgemeiner Ansicht5 der Gesundheitsbegriffs der Weltgesundheitsorganisation (WHO). 1
Uhlenbruck, MedR 1995, 427, 429. Schmidt-Aßmann, Grundrechtspositionen und Legitimationsfragen im öffentlichen Gesundheitswesen, S. 15; Uhlenbruck, MedR 1995, 427, 429. 3 Murswiek, in: Sachs, GG, Art. 2 Rn. 148; Wiedemann, in: Umbach/Clemens, GG Bd. I, Art. 2 II Rn. 350; Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG Bd. I, Art. 2 II Rn. 34; Starck, in: v. Mangoldt/F. Klein/Starck, GG, Art. 2 Abs. 2 Rn. 193. 4 BVerfGE 56, 54, 75. 5 Murswiek, in: Sachs, GG, Art. 2 Rn. 150; Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG Bd. I, Art. 2 II Rn. 37; Nettesheim. VerwArch 93 (2002), 315, 335; Starck, in: v. Mangoldt/ 2
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3. Kap.: Rechtliche Grenzen von Rationierungsmaßnahmen
Sie definiert Gesundheit in der Präambel ihrer Satzung als einen „Zustand des vollständigen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlbefindens und nicht nur das Freisein von Krankheit und Gebrechen“.6 Ein solcher Begriffsumfang ließe Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG zu einem Generalgrundrecht werden, das kaum einlösbar wäre.7 Der Bonner Grundgesetzgeber von 1949 verwendete den Begriff der körperlichen Unversehrtheit, obwohl die Definition der WHO – sie stammt aus dem Jahre 1946 – schon bekannt war.8 Ein „Grundrecht auf Gesundheit“9 wurde nicht ins Grundgesetz aufgenommen.10 2. Ansprüche des Einzelnen auf Gesundheitsleistungen Höfling11 kritisiert, dass dem in Art. 2 Abs. 2 S. 1 enthaltenden Grundrecht nicht selten eine weitreichende multifunktionale Dimension im Sinne eines Anspruchs auf medizinische Versorgung zugewiesen werde, ohne dass dies immer in hinreichend dogmatisch fundierter Weise geschehe. Dass „einer Rationierung in der Medizin enge Grenzen gesetzt“ seien,12 bezeichnet er als „lapidare Einschätzung“ eines „prominenten Medizinrechtler[s]“.13 Nachfolgend soll näher untersucht werden, ob und inwieweit sich aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG Ansprüche des Einzelnen auf Gesundheitsleistungen ergeben. In diesem Zusammenhang ist auch auf die Menschenwürdegarantie des Art. 1 Abs. 1 GG und das in Art. 20 Abs. 1 GG verankerte Sozialstaatsprinzip einzugehen. Erst dann, wenn sich derartige Ansprüche herausarbeiten lassen, können sie Rationierungsmaßnahmen im Gesundheitswesen individualrechtliche Grenzen setzen.14
F. Klein/Starck, GG, Art. 2 Abs. 2 Rn. 193; Taupitz, in: Wolter/Riedel/Taupitz, Einwirkungen der Grundrechte auf das Zivilrecht, Öffentliche Recht und Strafrecht, S. 113, 119. 6 Wiedergegeben bei Jung, Das Recht auf Gesundheit, S. 66. 7 Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG Bd. I, Art. 2 II Rn. 37, Wiedemann, in: Umbach/Clemens, GG Bd. I, Art. 2 II Rn. 355. 8 Di Fabio, in: Maunz/Dürig, GG, Art, 2 Abs. 2 Rn. 57; Starck, in: v. Mangoldt/F. Klein/Starck, GG, Art. 2 Abs. 2 Rn. 193. 9 Eine eigene Schrift widmeten diesem Thema Jung, Das Recht auf Gesundheit; Seewald, Zum Verfassungsrecht auf Gesundheit; ders., Gesundheit als Grundrecht. 10 Di Fabio, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 2 Abs. 2 Rn. 51, 57; Hänlein SGb 2003, 301, 304; Isensee, in: GS für Heinze, S. 417, 428; Murswiek, in: Sachs, GG, Art. 2 Rn. 150; Wiedemann, in: Umbach/Clemens, GG Bd. I, Art. 2 II Rn. 355; anders offenbar Vosteen, Rationierung im Gesundheitswesen und Patientenschutz, S. 279 f. 11 Höfling, in: Feuerstein/Kuhlmann, Rationierung im Gesundheitswesen, S. 143, 146. 12 So Uhlenbruck, MedR 1995, 427, 429. 13 Höfling, in: Feuerstein/Kuhlmann, Rationierung im Gesundheitswesen, S. 143, 146. 14 Taupitz, in: Wolter/Riedel/Taupitz, Einwirkungen der Grundrechte auf das Zivilrecht, Öffentliche Recht und Strafrecht, S. 113, 118.
A. Generelle Grenzen einer Rationierung im Gesundheitswesen
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a) Grundrechte als Abwehrrechte Von ihrer grundsätzlichen Konzeption her sind die Grundrechte zunächst Abwehrrechte des Bürgers gegen staatliche Eingriffe,15 sie schützen den „status negativus“.16 Auch Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG gilt mit Blick auf seine Entstehungsgeschichte als klassisches Abwehrrecht, das elementare „Werte der Körperlichkeit“ gegen staatliche Eingriffe schützen soll.17 In dieser ursprünglichen Funktion ist es nicht geeignet, individuelle Ansprüche auf bestimmte Gesundheitsleistungen zu gewähren. Überhaupt berührt die Rationierung in den meisten Fällen nicht das „Grundrecht als Abwehrrecht, da nicht ge- oder verbietend in Positionen des Grundrechtsträgers eingegriffen wird, sondern ihm lediglich Leistungen vorenthalten werden“.18 b) Staatliche Schutzpflichten Das BVerfG hat den Grundrechten über den abwehrrechtlichen Gehalt hinaus die staatliche Pflicht entnommen, den jeweiligen Grundrechtsträger vor Beeinträchtigungen durch Dritte zu bewahren. Diese so genannten Schutzpflichten haben insbesondere für das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit praktische Bedeutung erlangt.19 Das Schrifttum hat die Existenz solcher Schutzpflichten im Grundsatz anerkannt, allerdings bestehen Divergenzen bei ihrer dogmatischen Begründung.20 Das BVerfG zieht dazu den objektiv-rechtlichen Gehalt der einzelnen Grundrechte heran.21 In früherer Zeit stützte sich das Gericht zudem auf Art. 1 Abs. 1 S. 2 GG.22 Während weite Teile der Literatur diesem Begründungsansatz 15
BVerfGE 7, 198, 204; 21, 362, 369; 61, 82, 101; 68, 193, 205; Dreier, in: Dreier, GG Bd. I, Vorb. Rn. 84; Jarass, in: D. Merten/Papier, Handbuch der Grundrechte Bd. II, § 38 Rn. 1, 15 f. 16 Diese Einordnung geht auf die Statuslehre Jellineks zurück, vgl. Jellinek, System der subjektiven öffentlichen Rechte, S. 86 f.; vgl. auch Jarass, in: D. Merten/Papier, Handbuch der Grundrechte Bd. II, § 38 Rn. 16; Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 57. 17 Dürig, nachgewiesen bei Schmidt-Aßmann, Grundrechtspositionen und Legitimationsfragen im öffentlichen Gesundheitswesen, S. 17; s. auch Steiner, in: Kingreen/Laux, Gesundheit und Medizin im interdisziplinären Diskurs, S. 129, 131. 18 Ebsen, in: Arbeitsgemeinschaft Rechtsanwälte im Medizinrecht, Die Budgetierung des Gesundheitswesens, S. 109, 113; ders., NDV 1997, 71, 72. 19 Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Rn. 350; aus der Rechtsprechung: BVerfGE 39, 1, 41 ff.; 46, 160, 164; 49, 24, 53; 49, 89, 142; 53, 30, 57; 56, 54, 73, 78, 80; 77, 170, 214; 77, 381, 402 f.; 79, 170, 201 f.; 88, 203, 251 ff.; BVerfG, NJW 1987, 2287. 20 Calliess, in: D. Merten/Papier, Handbuch der Grundrechte Bd. II, § 44 Rn. 8 m.w.N.; Hermes, Das Grundrecht auf Schutz von Leben und Gesundheit, S. 61 ff. m.w.N.; Pietrzak, JuS 1994, 748. 21 Vgl. die im 1. Teil Kap. 3 A. I. 2. b), Fn. 19 aufgeführte Rspr. sowie E. Klein, NJW 1989, 1633, 1635; Pietrzak, JuS 1994, 748. 22 BVerfGE 39, 1, 41; 46, 160, 164; 49, 24, 53; 49, 89, 142; ein Hinweis auf Art. 1 Abs. 1 S. 2 GG findet sich dann allerdings in BVerfGE 88, 203, 251 wieder, vgl. auch Hermes, Das Grundrecht auf Schutz von Leben und Gesundheit, S. 44 f.; Isensee, in: Isen-
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3. Kap.: Rechtliche Grenzen von Rationierungsmaßnahmen
gefolgt sind,23 blieb er dennoch nicht frei von Kritik. Insbesondere wurde der Umbau des Verfassungsgefüges zugunsten eines verfassungsgerichtlichen Jurisdiktionsstaates auf Kosten der Funktion des Parlaments befürchtet.24 Deswegen wurden auch andere dogmatische Konzeptionen vorgeschlagen.25 Lange Zeit war auch die Frage ungeklärt, inwieweit aus den objektiv-rechtlichen Gehalten auch subjektive Rechte auf Schutz abgeleitet werden können. In seinem „C-WaffenBeschluss“ aus dem Jahre 1987 machte das BVerfG deutlich, dass in einer Schutzpflichtenverletzung gleichzeitig eine Verletzung des Grundrechts liegt, gegen die sich der Betroffene mit Hilfe der Verfassungsbeschwerde zu Wehr setzen kann.26 Mittlerweile lässt sich an der Annahme eines aus den Schutzpflichten folgenden subjektiven Rechts nicht mehr zweifeln.27 Für das Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG formulierte das BVerfG: „Dieses Grundrecht schützt nicht nur als subjektives Abwehrrecht gegen staatliche Eingriffe. Vielmehr folgt darüber hinaus aus seinem objektiv-rechtlichen Gehalt die Pflicht der staatlichen Organe, sich schützend und fördernd vor die darin genannten Rechtsgüter zu stellen und sie insbesondere vor rechtswidrigen Eingriffen von Seiten anderer zu bewahren.“28 Diese Formulierung wurde von zwei Kammerbeschlüsse vom 5.3.1997 aufgegriffen, die beide die Frage nach einem Anspruch auf die Bereitstellung spezieller Gesundheitsleistungen zum Gegenstand haben.29 Es geht also um eine für die Bestimmung verfassungsrechtlicher Grenzen von Rationierung essentielle Frage. Einem solchen Anspruch versagten die Richter mit in beiden Fällen gleich lautender Wortwahl die verfassungsrechtliche Anerkennung. Aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG ergebe sich kein verfassungsrechtlicher Anspruch gegen die Krankenkassen auf Bereitstellung medizinischer Versorgung oder auf Gewährung finanzieller Leistungen hierfür. Ein mit der Verfassungsbeschwerde durchsetzbarer Anspruch auf Bereithaltung spezieller Gesundheitsleistungen könne daraus nicht hergeleitet werden. Aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG folge zwar eine objektiv-rechtliche Pflicht des Staates, sich schützend und fördernd vor das in ihm enthaltene Rechtsgut zu stellen. Der mit einer solchen Schutzpflicht verbundene grundrechtliche Anspruch sei jedoch im Hinblick auf die den zuständigen staatlichen Stellen einzuräumende see/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts Bd. V, § 111 Rn. 80, der süffisant feststellt, das Argument aus Art. 1 Abs. 1 S. 2 GG habe zunächst Geburtshelferdienste geleistet, nun aber seine Schuldigkeit getan; E. Klein, NJW 1989, 1633, 1635; Pietrzak, JuS 1994, 748 f. 23 Vgl. die Nachweise bei J. Dietlein, Die Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 17 und bei Hermes, Das Grundrecht auf Schutz von Leben Gesundheit, S. 63. 24 Zur Kritik insgesamt Calliess, in: D. Merten/Papier, Handbuch der Grundrechte Bd. II, § 44 Rn. 8. 25 Hierzu näher Calliess, in: D. Merten/Papier, Handbuch der Grundrechte Bd. II, § 44 Rn. 12 ff. mit Kritik an diesen Ansätzen in Rn. 14 und einem eigenem Vorschlag in den Rn. 18 ff.; Pietrzak, JuS 1994, 748, 749. 26 BVerfGE 77, 170, 214. 27 So Sachs, in: Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland Band III/2, S. 1771. 28 So die Formulierung in BVerfGE 53, 30, 57. 29 BVerfG [K], NJW 1997, 3085; BVerfG [K], MedR 1997, 318 f.
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weite Gestaltungsfreiheit bei der Erfüllung der Schutzpflichten nur darauf gerichtet, dass die öffentliche Gewalt Vorkehrungen zum Schutz des Grundrechts treffe, die nicht völlig ungeeignet oder unzulänglich seien.30 Diesem Verständnis zufolge erwächst dem Gesetzgeber aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 lediglich die Pflicht, notwendige Vorkehrungen zum Schutze eines hinreichend leistungsfähigen Gesundheitssystems zu treffen.31 Grundrechtsdogmatisch ist zu erinnern, dass die Schutzpflichten in erster Linie die Dreiecksbeziehung zwischen Staat, Störer und Opfer berühren.32 Die Unterscheidung zwischen Schutzpflichten des Staates, die einer Bedrohung geschützter Rechtsgüter durch Dritte vorbeugen, sowie den Pflichten des Staates zur Erbringung sozialer Leistungen, sollte beibehalten werden.33 In einem Beschluss vom 6.12.2005 („Nikolaus-Beschluss“) hat das BVerfG34 diesen restriktiven Standpunkt aufgegeben und eine patientenfreundlichere Tonlage angeschlagen. Als Prüfungsmaßstab für die Verfassungsmäßigkeit des Leistungsrechts der GKV bemüht es u.a. erneut die objektiv-rechtliche Pflicht des Staates, sich schützend und fördernd vor die Rechtsgüter des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG zu stellen. Aufgrund der soeben genannten dogmatischen Erwägungen soll auf den Beschluss erst im Rahmen der Erörterung einer möglichen leistungsrechtlichen Dimension der Grundrechte näher eingegangen werden.35 c) Leistungsrechtliche Dimension der Grundrechte Ungeachtet der dogmatischen Feinheiten zeigt sich, dass Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG mehr als nur ein bloßes Abwehrrecht enthält. Für die Beantwortung der aufgeworfenen Frage rückt nun eine mögliche weitere Ebene der Grundrechtswirkungen, namentlich die leistungsrechtliche Dimension der Grundrechte in das Blickfeld der Überlegungen. Es gilt zu untersuchen, inwieweit der Einzelne aus den Grundrechten subjektive Leistungsansprüche ableiten kann, weil diese den sozialversicherungsrechtlichen Standard determinieren. aa) „Soziale Grundrechte“ Innerhalb dieser Diskussion ist oft auch von den „sozialen Grundrechten“ die Rede.36 Das hängt damit zusammen, dass keineswegs geklärt ist, was sich genau 30 Dabei verweisen die Entscheidungen jeweils auf BVerfGE 77, 170, 215 und 85, 191, 212 f. 31 Nettesheim, VerwArch 93 (2002), 315, 324. 32 Isensee hat für diese Konstellation den Begriff des „Rechts-Dreiecks“ geprägt, vgl. Isensee, Das Grundrecht auf Sicherheit, S. 34 f. 33 So auch Isensee, in: GS für Heinze, S. 417, 428; Heinig, NVwZ 2006, 771, 773; Nettesheim, VerwArch 93 (2002), 315, 324; sehr anschaulich zur Differenz von Schutz- und Leistungspflichten auch Hermes, Das Grundrecht auf Schutz von Leben und Gesundheit, S. 118 f. 34 BVerfGE 115, 25. 35 Näher zum „Nikolaus-Beschluss“ im 1. Teil Kap. 3 A. I. 2. c) bb) (2) (b) (ee), S. 74 ff. 36 So auch die Feststellung von Wipfelder, ZRP 1986, 140, 145 f.
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hinter diesem Begriff verbirgt. Manche Autoren verwenden ihn nämlich für alle grundrechtlich verbürgten sozialen Leistungsansprüche oder sozialen Teilhaberechte,37 was teilweise dadurch erweitert wird, dass nicht nur subjektive Rechte, sondern auch „verfassungsrechtlich verankerte Forderungen nach positivem staatlichen Handeln zur Schaffung der Voraussetzung freier Persönlichkeitsentfaltung“ als „soziale Grundrechte“ angesehen werden.38 Andere wiederum verstehen alle Grundrechte mit einem besonderen inhaltlichen Bezug zum Sozialen als „soziale Grundrechte“, so dass etwa auch die Berufsfreiheit, die Koalitionsfreiheit oder die Eigentumsgarantie, allesamt klassische Freiheitsrechte, den sozialen Grundrechten zugerechnet werden.39 Eine weitere Auffassung geht dahin, das entscheidende Kriterium der „sozialen Grundrechte“ darin zu sehen, dass es sich um dem einzelnen Bürger als Mensch zukommende Rechte handelt, die der Einzelne nur in Verbindung zu anderen Menschen als Mitglied einer Gruppe wahrnehmen kann und die nur verwirklicht werden können, wenn die staatliche Gemeinschaft Leistungen zur Sicherung und Lebensgestaltung des Einzelnen erbringt.40 Einstimmig werden solche Normen als soziale Grundrechte eingeordnet, die ausdrücklich ein Recht auf ein bestimmtes Lebensgut garantieren.41 „Zentrum und Urbild“ ist das Recht auf Arbeit.42 Darüber hinaus gehören auch die Rechte auf Fürsorge, Wohnung, Bildung, soziale Sicherheit, Umweltschutz und auch auf Gesundheit zu diesem klassischen Typ „sozialer Grundrechte“.43 Der Begriff der „sozialen Grundrechte“ soll hier auf den Bereich beschränkt werden, für den Konsens herrscht, also auf die ausdrückliche Normierung als Rechte auf Arbeit usw. Daneben wird in einem weiteren Abschnitt auf soziale Teilhaberechte einzugehen sein, wobei untersucht werden soll, ob sich soziale Leistungsansprüche aus den Freiheitsrechten ableiten lassen.44
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Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 454 f.; v. Münch, Staatsrecht Bd. 2, Rn. 155; zu den Teilhaberechten s. sogleich 1. Teil Kap. 3 A. I. 2. c) bb), S. 62 ff. 38 Lange, in: Böckenförde/Jekewitz/Ramm, Soziale Grundrechte, S. 49; einen ähnlichen Ansatz liefert Ramm, in: Böckenförde/Jekewitz/Ramm, Soziale Grundrechte, S. 17, 23, 30, der eine Unterteilung in soziale Grundrechte im engeren Sinne und solche im weiteren Sinne vornimmt. Erstere bilden einen kleinen Kernbereich absoluter Gebote und Verbote einschließlich von Anspruchsrechten, die garantieren, dass die menschlichen Grundbedürfnisse in einem Mindestumfang befriedigt werden. Letztere bilden einen größeren Bereich, der die Staatszielbestimmungen, die bindenden Festlegungen politischen Handelns, den Ausspruch von Gesetzesaufträgen und die staatliche Verbürgung von Institutionen umfasst. Im diesem Kernbereich könne sich der Einzelne direkt an die Gerichte wenden. 39 Badura, Der Staat 14 (1975), 17, 27, 31. 40 Wipfelder, ZRP 1986, 140. 41 Zum Ganzen auch Murswiek, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts Bd. V, § 112 Rn. 13. 42 So Isensee, Der Staat 19 (1980), 367, 373. 43 Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 454, in dessen beispielhafter Aufzählung die Rechte auf soziale Fürsorge und auf Umweltschutz nicht explizit genannt werden; Isensee, Der Staat 19 (1980), 367, 373. 44 Vgl. dazu 1. Teil Kap. 3 A. I. 2. c) bb) (2), S. 63 ff.
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Weitgreifende Ausführungen zu den in diesem Sinne verstandenen „sozialen Grundrechten“ sind hier allerdings nicht angezeigt, da nach möglichen Ansprüchen des Einzelnen auf Gesundheitsleistungen aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG gefragt ist. „Soziale Grundrechte“ vermögen indes keine unmittelbaren subjektiven Rechte für den einzelnen Bürger zu begründen, sondern bedürfen der Umsetzung, Konkretisierung und näheren Ausgestaltung durch staatliches Recht seitens des einfachen Gesetzgebers.45 Die Formulierung eines Rechts auf Wohnung sagt noch nichts darüber aus, in welche Weise es zu verwirklichen wäre. Ob durch Errichtung und Zuteilung staatlich gebauter und unterhaltener Wohnungen, ob durch eine staatliche Preisbindung für Wohnungen oder im Rahmen des freien Wohnungsmarktes durch die Gewährung von Mietzuschüssen. Unklar wäre auch, welche Größe oder Ausstattung einer Wohnung als angemessen anzusehen wäre und ob die Wohnungsverschaffung allen oder nur minderbemittelten Bürgern zugute kommen soll.46 Es hilft also, anders als bei den Freiheitsgrundrechten, auch eine Interpretation nicht weiter. Außerdem wäre darüber zu befinden, wie die aus einem „sozialen Grundrecht“ resultierenden Leistungen zu finanzieren sind, welche finanziellen Mittel für seine Verwirklichung im Rahmen der staatlichen Haushaltspolitik und ihrer Prioritätensetzung verfügbar gemacht werden könnten. Derartige Entscheidungsaufgaben kommen angesichts der im Grundgesetz vorgesehenen Gewaltenteilung zunächst dem demokratisch unmittelbar legitimierten Gesetzgeber und dann der Verwaltung zu. Übertrüge man es dem Richter, „soziale Grundrechte“ unmittelbar durch Zuerkennung konkreter einklagbarer Rechtsansprüche zur Geltung zu bringen, so befände er sich gleichermaßen in der Rolle des Gesetzgebers und Verwaltungshandelnden.47 Es zeigt sich, dass die Bezeichnung als „soziale Grundrechte“ irreführend, in juristisch-dogmatischer Hinsicht sogar falsch ist. Wesentlich für die Grundrechte im Sinne des Grundgesetzes ist, dass sie unmittelbar für alle Staatsorgane verbindlich sind und der Bürger in der Lage ist, die ihm gewährten Ansprüche gerichtlich zu verfolgen.48 Deswegen handelt es sich bei den sozialen Grundrechten ungeachtet mancher subjektiv-rechtlicher Formulierungen letztlich lediglich um Staatszielbestimmungen in Form der Statuierung von Staatsaufgaben.49 45
Badura, Der Staat 14 (1975), 17, 26; Böckenförde, in: Böckenförde/Jekewitz/Ramm, Soziale Grundrechte, S. 7, 10 ff.; Hesse, EuGRZ 1978, 427, 434; Murswiek, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts Bd. V, § 112 Rn. 43, 50, 52; Rüfner, in: D. Merten/Papier, Handbuch der Grundrechte Bd. II, § 40 Rn. 8. Deswegen werden Grundrechtsbestimmungen, die auf staatliche Leistungen und Teilhabe daran gerichtet sind, auch als leges imperfectae aufgefasst, vgl. Martens, VVDStRL 30 (1972), 7, 30. 46 Böckenförde, in: Böckenförde/Jekewitz/Ramm, Soziale Grundrechte, S. 7, 11 f.; Teilaspekte auch bei v. Münch, Staatsrecht Bd. 2, Rn. 164. 47 Böckenförde, in: Böckenförde/Jekewitz/Ramm, Soziale Grundrechte, S. 7, 11 f. 48 Hesse, EuGRZ 1978, 427, 434; Murswiek, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts Bd. V, § 112 Rn. 53. 49 Dreier, in: Dreier, GG Bd. I, Vorb. Rn. 81; ähnlich Hesse, Grundzüge der Verfassung der Bundesrepublik Deutschland, Rn. 208. Auch wird von Verfassungsaufträgen gesprochen, vgl. Böckenförde, in: Böckenförde/Jekewitz/Ramm, Soziale Grundrechte, S. 7, 14.
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Außerdem ist auf die „sozialen Grundrechte“ deshalb nicht näher einzugehen, weil die Väter des Grundgesetzes bewusst – und anders als die Weimarer Reichsverfassung50 sowie die dem Grundgesetz vorausgegangen Landesverfassungen nach 1945,51 die jeweils noch zahlreiche soziale Verbürgungen enthielten – weitgehend auf die Aufnahme „sozialer Grundrechte“ verzichteten.52 So ist auch ein Recht auf Gesundheit, wie erwähnt, nicht im Grundgesetz enthalten. Lediglich die Garantie des Mutterschutzes (Art. 6 Abs. 4 GG) und ein Gesetzgebungsauftrag zur Gleichstellung unehelicher Kinder (Art. 6 Abs. 5 GG) wurden normiert.53 Mit dieser spärlichen Ausgestaltung grenzt sich die deutsche Verfassung von internationalen Pakten ab, in denen soziale Grundrechte enthalten sind. Zu nennen sind hier der internationale Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte und die Europäische Sozialrechtscharta, denen die Bundesrepublik Deutschland beigetreten ist.54 bb) Teilhaberechte Relevanz für die Fragstellung besitzen allerdings die so genannten Teilhaberechte. Auch dieser Begriff wird jedoch uneinheitlich verwendet,55 so dass für ein präzises Verständnis zunächst eine Begriffsklärung vorzunehmen ist. (1) Begriffsklärung Die Bezeichnung dient vor allem der Abgrenzung von der Abwehrfunktion der Freiheitsrechte. Während die Freiheitsrechte das Freisein von staatlichem Zwang und die Achtung der vorhandenen privaten Freiheitssphäre bezwecken, zielen Teilhaberechte auf die Partizipation am sozialen Ganzen und die Verschaffung von bisher nicht vorhanden Verhaltens- und Seinsmöglichkeiten.56 Dabei muss in 50 Breuer, in: FG 25 Jahre BVerwG, S. 89, 92; Isensee, Der Staat 19 (1980), 367, 369; eingehend zu sozialen Grundrechten in der WRV Lange, in: Böckenförde/Jekewitz/Ramm, Soziale Grundrechte, S. 49, 50 ff. 51 Murswiek, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts Bd. V, § 112 Rn. 45; eingehend zu den sozialen Grundrechten der Landesverfassungen nach 1945 Lange, in: Böckenförde/Jekewitz/Ramm, Soziale Grundrechte, S. 49, 54 ff. 52 Breuer, in: FG 25 Jahre BVerwG, S. 89, 92; Dreier, in: Dreier, GG Bd. I, Vorb. Rn. 81; Friesenhahn, in: Verhandlungen des 50. DJT (1974) Bd. II, G 1, G 16; Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Rn. 208; Isensee, Der Staat 19 (1980), 367, 369, ders., in: GS für Heinze, S. 417, 428; Murswiek, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts Bd. V, § 112 Rn. 46. 53 Friesenhahn, in: Verhandlungen des 50. DJT (1974) Bd. II, G 1, G 16; Isensee, Der Staat 19 (1980), 367, 370; Murswiek, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts Bd. V, § 112 Rn. 46; Rüfner, in: D. Merten/Papier, Handbuch der Grundrechte Bd. II, § 40 Rn. 25. 54 Vgl. die Ausführungen bei Murswiek, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts B. V, § 112 Rn. 41 ff. 55 Dazu näher Murswiek, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts Bd. V, § 112 Rn. 5 f. 56 Murswiek, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts Bd. V, § 112 Rn. 7.
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Teilhabesituationen nicht unbedingt eine Leistung gewährt werden. Auch die Beteiligung an Verfahren und Entscheidungsprozessen – etwa an demokratischen Wahlen – kann als Teilhabe bezeichnet werden.57 Von Interesse sind hier nur Teilhaberechte im engeren Sinne. Diese lassen sich als subjektive Rechte verstehen, die auf Gewährung von Leistungen, die Verbesserung der Situation des Einzelnen gerichtet sind.58 Eine weitere Einengung in der Darstellung findet dahingehend statt, dass im hiesigen Kontext nur originäre Teilhaberechte von Bedeutung sind. Sie unterscheiden sich von den derivativen Teilhaberechten nicht hinsichtlich ihres Inhalts, sondern ihrer Begründung.59 Originäre Teilhaberechte sind unabhängig von vorhandenen, gesetzlich geregelten Leistungssystemen bestehende, unmittelbar aus den Grundrechten folgende Ansprüche auf Teilhabe.60 Derivative Teilhaberechte sind hingegen in ihrem Bestand, ihrem Inhalt und Umfang von einem vorausgehenden leistungsgewährenden, teilhabebegründenden staatlichen Handeln abhängig.61 Originäre wie derivative Teilhaberechte sind dem „status positivus“ zuzuordnen, der den Zustand beschreibt, in dem Einzelne seine Freiheit nicht ohne den Staat haben kann, sondern für die Schaffung und Erhaltung seiner freien Existenz auf staatliche Vorkehrungen angewiesen ist.62 (2) Umdeutung der Freiheitsrechte in Teilhaberechte Ebenso wie es der bundesdeutschen Verfassung an „sozialen Grundrechten“ fehlt, sind ihr insgesamt auch derartige originäre Leistungsansprüche fremd.63 Aus der Berufsfreiheit des Art. 12 GG folgt kein Recht auf einen Arbeitsplatz und die Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 13 GG) vermittelt keinen Anspruch auf die Zuweisung einer Wohnung.64 So kann es passieren, dass die grundrechtlich verbürgte Freiheit für den Einzelnen nicht mehr als eine „leere Formel“65 oder ein „nacktes Recht“ darstellt, sie ohne die tatsächlichen Voraussetzungen der Inan57 Dreier, in: Dreier, GG Bd. I, Vorb. Rn. 89; Murswiek, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts Bd. V, § 112 Rn. 8. 58 Murswiek, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts Bd. V, § 112 Rn. 10, 21. 59 Murswiek, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts Bd. V, § 112 Rn. 11; Redeker, in: FG 25 Jahre BVerwG, S. 511, 515. 60 Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Rn. 289; Martens, VVDStRL 30 (1972), 7, 21; Murswiek, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts Bd. V, § 112 Rn. 11. 61 Martens, VVDStRL 30 (1972), 7, 21; Murswiek, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts Bd. V, § 112 Rn. 6, 11. 62 Ebenfalls zurückgehend auf Jellinek, vgl. Jellinek, System der subjektiven öffentlichen Rechte, S. 86, Martens, VVDStRL 30 (1972), 7, 21; Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 60. 63 Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Rn. 289; Rüfner, in: D. Merten/Papier, Handbuch der Grundrechte Bd. II, § 40 Rn. 2; Sachs, in: Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland Bd. III/1, S. 694. 64 Schmidt-Aßmann, Grundrechtspositionen und Legitimationsfragen im öffentlichen Gesundheitswesen, S. 29. 65 So die Bezeichnung bei Böckenförde, NJW 1974, 1529, 1535; ebenso Murswiek, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts Bd. V, § 112 Rn. 31.
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spruchnahme „wertlos“66 ist. Schließlich nutzt dem Arbeitslosen das Recht auf die Freiheit der Berufswahl genauso wenig wie dem Obdachlosen die Tatsache, dass Art. 13 GG die Unverletzlichkeit der Wohnung schützt.67 Ein Fehlen der tatsächlichen Voraussetzungen der geschützten Freiheit ist bei nahezu allen Grundrechten vorstellbar.68 Die Ausübung der Grundrechte ist also nur demjenigen möglich, der in der Lage ist, sich die notwendigen Voraussetzungen anzueignen und sich somit den faktischen Gegebenheiten der Grundrechtsnutzung anzupassen.69 Angesichts dieser Defizite wurde in der deutschen Staatsrechtslehre eine Umdeutung der Freiheitsrechte in Teilhaberechte70 intensiv thematisiert. Die Diskussion darüber ist in den letzten Jahren abgeebbt71 und hat jedenfalls hinsichtlich einer anspruchsbegründenden Umdeutung eine im Wesentlichen einheitliche Antwort hervorgebracht.72 Diese Entwicklung soll nachfolgend für Schrifttum und Rechtsprechung nachgezeichnet und gleichzeitig die Frage beantwortet werden, welche Standpunkte letztlich speziell hinsichtlich medizinischer Leistungen eingenommen werden. (a) Schrifttum (aa) Meinungsstand bezüglich einer Umdeutung In der Literatur finden sich hinsichtlich einer Umdeutung der Grundrechte in Teilhaberechte sowohl befürwortende73 als auch ablehnende74 Stimmen. Insbesondere Häberle tritt dafür ein, den individualrechtlichen und institutionellen75 „Doppelcharakter“ der Grundrechte um eine „leistungsstaatliche“ und „rechtliche Komponente“ zu erweitern. So entfalteten die Grundrechte neben ihrer Abwehrfunktion über den „status activus“ eine soziale Teilhabeseite.76 66
So Häberle, VVDStRL 30 (1972), 43, 96. J. Ipsen, Staatsrecht II, Rn. 111; Hesse, VVDStRL 30 (1972), 145 – Diskussionsbeitrag. 68 J. Ipsen, Staatsrecht II, Rn. 111. 69 Martens, VVDStRL 30 (1972), 7, 28. 70 Friauf, DVBl. 1979, 674, 677, spricht von einer Ausdehnung des Schutzbereichs. 71 Rüfner, in: D. Merten/Papier, Handbuch der Grundrechte Bd. II, § 40 Rn. 43. 72 Murswiek, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts Bd. V, § 112 Rn. 86. 73 Friauf, DVBl. 1974, 674, 676 f.; Häberle, VVDStRL 30 (1972), 43, 69 ff., 90 ff., 112 ff.; Reuter, DVBl. 1974, 7, 12; speziell für das Recht auf unschädliche Umwelt Rupp, JZ 1971, 401, 402; Willke, Stand und Kritik der neueren Grundrechtstheorie, S. 216 ff, insb. S. 224. 74 H. Klein, Die Grundrechte im demokratischen Staat, S. 65 f.; Martens, VVDStRL 30 (1972), 7, 29 ff.; Murswiek, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts Bd. V, § 112 Rn. 90 ff.; v. Münch, Staatsrecht Bd. 2, Rn. 164 ff. 75 Zu institutionellen Garantien, auch Einrichtungsgarantien genannt, Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Vorb. vor Art. 1, Rn. 4; eingehend Kloepfer, in: D. Merten/Papier, Handbuch der Grundrechte Bd. II, § 43; Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 70 ff.; Starck, in: v. Mangoldt/F. Klein/Starck, GG, Art. 1 Abs. 3 Rn. 174. 76 Häberle, VVDStRL 30 (1972), 43, 112. Häberle möchte die grundrechtliche Statutslehre Jellineks um einen „status activus processualis“, der die verfahrensrechtliche Seite 67
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Die ablehnende Haltung wird damit begründet, dass das Grundgesetz auf die Aufnahme „sozialer Grundrechte“ bewusst verzichtet habe,77 um somit „die Grundrechte aus dem sie zur Weimarer Zeit verdunkelnden Zweifel zwischen unmittelbarer Verbindlichkeit und erst zu realisierendem Programm endgültig zu befreien“.78 Zwar hat es den Anschein, als stünden sich beide Positionen unvereinbar gegenüber, jedoch gibt es jeweils eine Übereinstimmung, was die Gewinnung subjektiv-rechtlicher und vor Gericht durchsetzbarer Ansprüche im Wege der Umdeutung der Abwehrrechte in Teilhaberechte anbelangt. Ein generell aus den Grundrechten ableitbarer verfassungsunmittelbarer Rechtsanspruch auf eine bestimmte Leistung wird im Schrifttum gemeinhin abgelehnt.79 Für diese Haltung spricht eine Vielzahl guter Gründe. Sie sind mit denen, die gegen eine mögliche Gewährleistung sozialer Grundrechte vorgebracht werden, identisch oder ihnen zumindest ähnlich. So tritt auch in diesem Zusammenhang die Schwierigkeit auf, grundrechtlicher Freiheit betrifft, erweitern und sie somit „von ihrem spätabsolutistischen Kopf auf demokratische Füße“ stellen, (S. 80 f.). Die Diskussion um Grundrechte als Teilhaberechte sei zu sehr auf materielle Ansprüche fixiert. „Grundrechte, vor allem als Rechte auf verfahrensmäßige Partizipation am Vorgang der Staatsleistung, als Vehikel materiellrechtlicher Teilhabe verstanden, eröffnen den Weg zu einer differenzierenden Lösung“ (S. 89). Oft forme sich der „status positivus“ erst am Ende eines leistungsstaatlichen Verfahrens. Über den „status activus processualis“ verdichteten sich diffuse Interessen im Laufe des Verfahrens zu materiellen Ansprüchen (S. 81 Fn. 162). Ingesamt zum „status activus processualis“ S. 86 ff. Kritisiert wird, dass mit dem „status activus processualis“ ein breiter Begriff des Teilhaberechts identifiziert werde, der kaum mehr abgrenzbare Konturen kenne, vgl. Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland Bd. III/1, S. 701 Fn. 32; ebenfalls kritisch etwa Rupp, AöR 101 (1976), 161, 183 ff.; zustimmend in Bezug auf die Teilhabe an Entscheidungsprozessen, nicht aber an der Entscheidung selbst Redeker, FG 25 Jahre BVerwG, S. 511, 518 f. 77 Martens, VVDStRL 30 (1972), 7, 30; Murswiek, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts Bd. V, § 112 Rn. 91; v. Münch, Staatsrecht Bd. 2, Rn. 165, vgl. auch die Nachweise im 1. Teil Kap. 3 A. I. 2. c) aa), Fn. 52. 78 H. Klein, Die Grundrechte im demokratischen Staat, S. 66. 79 Bethge, Der Staat 24 (1985), 351, 376 f.; Erichsen, Staatsrecht und Verfassungsgerichtsbarkeit I, S. 71; Häberle, VVDStRL 30 (1972), 43, 112; Murswiek, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts Bd. V, § 112 Rn. 96; Ossenbühl, NJW 1976, 2100, 2105; Martens, VVDStRL 30 (1972), 7, 30 f.; Rupp, VVDStRL 30 (1972), 180, 181 – Diskussionsbeitrag; speziell für das Recht auf unschädliche Umwelt ders., JZ 1971, 401, 402; Rüfner, in: FS für Wannagat, S. 379, 387, 390; ders., in: D. Merten/Papier, Handbuch der Grundrechte Bd. II, § 40 Rn. 54, 70; Scheuner, VVDStRL 30 (1972), 142, 144 – Diskussionsbeitrag; Starck, in: FG 25 Jahre BVerfG Bd. 2, S. 480, 519 f.; Wiegand, DVBl. 1974, 657, 663. Eine Ausnahme macht Häberle für die aus seiner Sicht in Art. 163 Abs. 2 WRV als unmittelbar anspruchsbegründende Grundrechtsbestimmung festgehaltene Sorge für den notwendigen Unterhalt jedes Deutschen. Dieser Anspruch sei nach dem GG aus der Kompetenzbestimmung zur Arbeitslosenunterstützung (Art. 74 Nr. 2 GG) und Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 2 S. 1 und 20 Abs. 1 GG herzuleiten, vgl. Häberle a.a.O., 43, 93. Außerdem erkennt er einen Subventionsanspruch der Privatschulen aus Art. 7 Abs. 4 GG als (begrenzt) positiven grundrechtlichen Leistungsanspruch an, a.a.O., 43, 79 f.
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dass individuelle Ansprüche hinreichend konkretisiert sein müssen.80 Der Gegenstand etwaiger positiver Ansprüche lässt sich den Grundrechten nicht mit hinreichender Sicherheit entnehmen.81 Wiederum stellt sich etwa die Frage, ob der als „Recht auf Wohnung“ interpretierte Art. 13 GG eine Miet- oder Eigentumswohnung, eine Drei- oder Fünfzimmerwohnung für eine vierköpfige Familie garantiert, in welcher Lage und zu welchem Preis.82 Allgemeiner gefasst bedarf die Frage nach dem „Was, Wie, Wieviel“ grundsätzlich der Konkretisierung.83 Diese obliegt aber, und darin liegt weiterhin die kollektive Ablehnung subjektiver Ansprüche begründet, dem parlamentarischen Gesetzgeber, nicht dem Richter.84 Überließe man sie dem jeweiligen Richter, so drängte man diesen in die Rolle des politisch wertenden Akteurs;85 es würde somit in die politischen Kompetenzen des Gesetzgebers eingegriffen, das Prinzip der parlamentarischen Demokratie missachtet und die Gewaltenteilung ausgehebelt.86 Auch müssten unmittelbare Ansprüche in finanzieller Hinsicht stets unter dem „Vorbehalt des Möglichen“ stehen.87 Insgesamt führt der Versuch einer Gewinnung justitiabler Positionen damit nicht sehr weit.88 Daher sehen auch die Befürworter einer Umdeutung in den Grundrechten letztlich lediglich Verfassungsaufträge, die den Gesetzgeber und die vollziehende 80
Hesse, Gründzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Rn. 289. Breuer, in: FG 25 Jahre BVerwG, S. 89, 93; Gusy, JA 1980, 78, 82; Rüfner, in: D. Merten/Papier, Handbuch der Grundrechte Bd. II, § 40 Rn. 53; Starck, in: FG 25 Jahre BVerfG Bd. 2, S. 480, 518 f. 82 Beispiel nach Murswiek, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts Bd. V, § 112 Rn. 93; ähnlich v. Münch, Staatsrecht Bd. 2, Rn. 164. Vgl. auch die Ausführungen zu den sozialen Grundrechten, 1. Teil Kap. 3 A. I. 2. c) aa), S. 61. 83 Hermes, Das Grundrecht auf Schutz von Leben und Gesundheit, S. 117. In dieselbe Richtung tendierend Böckenförde, in: Böckenförde/Jekewitz/Ramm, Soziale Grundrechte, S. 7, 13. Dies ist bei den Grundrechten im herkömmlichen Sinn anders, da hier das Anspruchsobjekt hinreichend klar umschrieben ist, vgl. Starck, in: FG 25 Jahre BVerfG Bd. 2, S. 480, 519; Hermes, a.a.O., S. 117. 84 Friauf, DVBl. 1971, 674, 677; Hermes, Das Grundrecht auf Schutz von Leben und Gesundheit, S. 118. 85 Friauf, DVBl. 1971, 674, 677. 86 Breuer, in: FG 25 Jahre BVerwG, S. 89, 93; ders., Jura 1979, 401, 403; Grabitz, Freiheit und Verfassungsrecht, S. 46; Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Rn. 289; Martens, VVDStRL 30 (1972), 7, 35; v. Mutius, VerwArch 64 (1973), 183, 191. Ebenfalls die Wichtigkeit des politischen Prozesses hervorhebend Haverkate, in: Häfner, Gesundheit – unser höchstes Gut?, S. 119, 121. Auch dieses Problem träte bei einer Normierung sozialer Grundrechte auf, vgl. 1. Teil Kap. 3 A. I. 2. c) aa), S. 61. 87 Gusy, JA 1980, 78, 82; Hermes, Das Grundrecht auf Schutz von Leben und Gesundheit, S. 118; Hofmann, NJW 1989, 3177, 3185; Murswiek, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts Bd. V, § 112 Rn. 94. Auch bei sozialen Grundrechten wird darauf hingewiesen, dass Gewährleistungen stets unter dem „Vorbehalt des Möglichen“ stünden, vgl. etwa Isensee, Der Staat 19 (1980), 367, 381; Murswiek, a.a.O., § 112 Rn. 57 f. 88 Hofmann, NJW 1989, 3177, 3185. 81
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Gewalt nur objektiv als Grundsatznormen binden.89 Damit erreicht die Bindungskraft umgedeuteter Freiheitsrechte äußerstenfalls die Wirkung, welche positiv normierte soziale Grundrechte erlangen könnten.90 Die Aufgabe des Staates, für die Realisierung der Freiheitsrechte zu sorgen – insbesondere durch die Gesetzgebung – ist damit heute weitestgehend anerkannt.91 Teilhaberechte werden so zu „Maßgaberechte“, sie gelten nach Maßgabe des Gesetzes.92 (bb) Konzeption der Minimalgarantie, Existenzminimum Eine Ergänzung der abwehrrechtlichen Funktion der Grundrechte um eine subjektiv-rechtliche Leistungskomponente kann es aufgrund der genannten Bedenken nicht geben. Um den Grundrechten dennoch eine soziale Dimension zukommen zu lassen, hat Breuer93 eine „Kompromißlösung“ vorgeschlagen. Sie sieht die Anerkennung positiver verfassungsrechtlicher Ansprüche vor, „soweit sie zur Erhaltung der grundrechtlichen Freiheit notwendig sind. Ihr Umfang richtet sich somit nicht nach dem Optimalstandard der Verteilungsgerechtigkeit, sondern nach dem Minimalstandard der Notwendigkeit staatlicher Stützung für den Bestand der grundrechtlichen Freiheit“. Voraussetzung sei, dass die grundrechtliche Freiheit notleidend werde und der Einzelne ohne die Hilfe des Staates nicht mehr in der Lage sei, seine Freiheit autonom auszuüben. Eine Fallgruppe einer solchen Minimalgarantie bildet das Existenzminimum, das die Mindestvoraussetzungen für ein menschenwürdiges Dasein sicherstellen soll.94 In dem gleichen Maße, wie die Staatsrechtslehre gegenüber grundrechtlichen Leistungsansprüchen im Allgemeinen Zurückhaltung zeigt, wird andererseits ein unmittelbarer Anspruch hinsichtlich eines Existenzminimums, der auf unterschiedliche Rechtsgrundlagen gestützt wird, überwiegend anerkannt.95 Von dem 89
Böckenförde, NJW 1974, 1529, 1536; Gusy, JA 1980, 78, 81f. Häberle, VVDStRL 30 (1972), 43, 109 ff. Häberle warnt dabei zum einen vor der Zurückstufung zu bloßen Programmsätzen, a.a.O., 43, 107 Fn. 279a, stellt aber auch klar, dass Verfassungsaufträge kein „Tischlein-deck-dich“ für leistungsstaatliche Grundrechtseffektivierung ist (S. 111). 90 Böckenförde, in: Böckenförde/Jekewitz/Ramm, Soziale Grundrechte, S. 7, 12; Rüfner, in: FS für Wannagat, S. 379, 387; ders., in: D. Merten/Papier, Handbuch der Grundrechte Bd. II, § 40 Rn. 54. 91 Murswiek, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts Bd. V, § 112 Rn. 90; Rüfner, in: FS für Wannagat, S. 379, 387; Ossenbühl, NJW 1976, 2100, 2105. 92 Häberle, VVDStRL 30 (1972), 43, 113 ff., 139. 93 Breuer, in: FG 25 Jahre BVerwG, S. 89, 93 f. 94 Weitere Bereiche sind anhand einer an der Rechtsprechung orientierten Analyse zu finden bei Breuer, in: FG 25 Jahre BVerwG, S. 89,, 98 ff.; s. auch Murswiek, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts Bd. V, § 112 Rn. 99. 95 Schon früh Bachof, VVDStRL 12 (1954), 37, 47, 51 f., der sich für eine aus Art. 2 Abs. 2 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG abgeleitete positive Gewährleistung des Existenzminimums ausspricht; für diese Herleitung ebenfalls Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG Bd. I, Art. 2 II Rn. 96. Gestützt auf Art. 2 Abs. 2 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG Wiedemann, in: Umbach/Clemens, GG Bd. I, Art. 2 II Rn. 347; Breuer, in: FG 25 Jahre BVerwG, S. 89, 95 schließlich zieht Art. 1 Abs. 1 S. 2, Art. 2 Abs. 2 S. 1, Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG heran; für eine Ableitung aus Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. 20 Abs. 1 GG ist Ebsen, in:
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3. Kap.: Rechtliche Grenzen von Rationierungsmaßnahmen
zu sichernden Existenzminimum sind auch medizinische Leistungen umfasst.96 Dieses medizinische Existenzminimum wird – ganz im Sinne der genannten Kompromisslösung – nur dem Bedürftigen gewährt, der der Hilfe bedarf, weil er nicht in der Lage ist, sich selbst zu helfen.97 Es kommt nicht sofort als gerichtlich durchsetzbarer Anspruch aus den jeweiligen Verfassungsnormen zum Tragen, vielmehr ist zunächst der Gesetzgeber zu einer Konkretisierung berufen, für die er eine gewisse Gestaltungsfreiheit besitzt.98 Nur dann, wenn der Gesetzgeber keine hinreichenden Regelungen getroffen hat, ein solches Gesetzesdefizit zumindest möglich erscheint oder aber wenn die Konkretisierung eindeutig hinter dem verfassungsrechtlichen Existenzminimum zurückbleibt, kann der Betroffene den subjektiven Anspruch bemühen.99 Die Konkretisierung des Existenzminimums erfolgte mit der Schaffung des BSHG,100 welches später durch das SGB XII101 abgelöst wurde. Somit ist die Frage aufgeworfen, welchen Umfang ein medizinisches Existenzminimum aufweist. Die Festlegung auf eine Mindestsicherung fällt im Bereich des Gesundheitswesens besonders schwer. Die Gesundheit gilt in unserem Kulturkreis als ein besonders hoch bewertetes Grundbedürfnis102 und auch verfassungsArbeitsgemeinschaft Rechtsanwälte im Medizinrecht, Die Budgetierung des Gesundheitswesens, S. 109, 113 f., 117 f.; ders., NDV 1997, 71, 76; ebenso Francke, GesR 2003, 97, 100 u. Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 20 Rn. 124. Nach Enders, VVDStRL 64 (2005), 7, 39 f., folgt die staatliche Pflicht zur Gewährung des Existenzminimums aus Art. 20 Abs. 1 GG, ohne dass dies zu subjektiven Ansprüchen führe. 96 Di Fabio, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 2 Abs. 2 Rn. 94; Ebsen, in: Arbeitsgemeinschaft Rechtsanwälte im Medizinrecht, Die Budgetierung des Gesundheitswesens, S. 109, 117 f.; ders., NDV 1997, 71, 76; Heinig, in: Bahr/Heinig, Menschenwürde in der säkulären Verfassungsordnung, S. 251, 292 f.; Lorenz, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts Bd. VI, § 128 Rn. 52; Nettesheim, VerwArch 93 (2002), 315, 325, 333; V. Neumann, NZS 1998, 401, 410; Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG Bd. I, Art. 2 II Rn. 96; Starck, in: v. Mangoldt/F. Klein/Starck, GG, Art. 2 Abs. 2 Rn. 231; Wiedemann, in: Umbach/Clemens, GG Bd. I, Art. 2 II Rn. 376; ZEKO, Priorisierung medizinischer Leistungen im System der Gesetzlichen Krankenversicherung, S. 16; a.A. Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 2 Rn. 94; Kunig, in: v. Münch/Kunig, GG Bd. 1, Art. 2 Rn. 60, für den jedenfalls Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG hinsichtlich der medizinischen Versorgung subjektiven Ansprüchen keine Grundlage zu geben vermag. Haverkate, in: Häfner, Gesundheit – unser höchstes Gut?, S. 119, 121 lehnt subjektive Ansprüche auf Gesundheitsleistungen ebenfalls gänzlich ab. 97 Ebsen, in: Arbeitsgemeinschaft Rechtsanwälte im Medizinrecht, Die Budgetierung des Gesundheitswesens, S. 109, 119; ders., NDV 1997, 71, 76; V. Neumann, NZS 2006, 393, 394. Ebenfalls den Bezug zur Bedürftigkeit herstellend Francke, GesR 2003, 97, 101. 98 Breuer, in: FG 25 Jahre BVerwG, S. 89, 97; Murswiek, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, Bd. V, § 112 Rn. 108. 99 Breuer, in: FG 25 Jahre BVerwG, S. 89, 97; Murswiek, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts Bd. V, § 112 Rn. 108; V. Neumann, NZS 2006, 393, 394. 100 Bundessozialhilfegesetz (BSHG) v. 30.6.1961, BGBl. I 1961, S. 815. 101 Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialhilfe - (Artikel 1 des Gesetzes vom 27. Dezember 2003), BGBl I 2003, S. 3022. 102 Huster, in: Rauprich/Marckmann/Vollmann, Gleichheit und Gerechtigkeit in der modernen Medizin, S. 187, 198.
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gerichtlich wird immer wieder betont, dass Leben und Gesundheit einen „Höchstwert“ darstellen.103 In medizinischen Fragen ist, anders als etwa in solchen von Ernährung und Wohnung, eine Unterteilung in Grundbedarf und Zusatzversorgung schwierig, da medizinische Leistungen generell ein Grundbedürfnis befriedigen und nicht ohne weiteres als „Luxus“ abqualifiziert werden können.104 Diese Umstände bilden die Grundlage für eine Ansicht zur Bestimmung des medizinischen Existenzminimums. Sie geht dahin, dass sich die Mindestsicherung im Falle der Bedürftigkeit an der Normalversorgung orientiert, so dass es wenige bis gar keine Unterschiede zwischen dem Existenzminimum und dem allgemeinen Versorgungsniveau gibt.105 Dem Hilfebedürftigen soll grundsätzlich ein Leben in der Umgebung von Nichthilfebedürftigen der unteren Einkommensschicht ermöglicht werden, das ihn nicht als solchen erkennen lässt; so soll eine soziale Ausgrenzung vermieden werden.106 Problematisch an diesem Bestimmungsversuch ist, dass er an einer Festlegung auf eine bestimmte Untergrenze, die aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht unterschritten werden darf, mangelt. Schließlich ist es vorstellbar, dass sich allgemeine Versorgungsniveau – bedingt durch Rationierungen – absenkt. Dann stellt sich die Frage, ob eine Orientierung an dem abgesenkten allgemeinen Versorgungsniveau verfassungsrechtlich hinnehmbar ist. Weiterhin wird als existenzielles Minimum ein Mindeststandard medizinischer Versorgung umschrieben, der die Integrität und Funktionalität des menschlichen Körpers derart sicherstellt, dass dem Betroffenen ein nicht-stigmatisierendes Leben unter den Mitmenschen ermöglicht wird.107 Deutlich restriktiver als die beiden bisher genannten Ansätze zur Bestimmung eines medizinischen Existenzminimums108 ist derjenige, der auf eine eng definierte
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Etwa in BVerfGE 39, 1, 42; 49, 24, 53; 115, 118, 139; vgl. auch Schmidt-Aßmann, Grundrechtspositionen und Legitimationsfragen im öffentlichen Gesundheitswesen, S. 29. 104 Huster, in: Rauprich/Marckmann/Vollmann, Gleichheit und Gerechtigkeit in der modernen Medizin, S. 187, 200. 105 Ebsen, in: Arbeitsgemeinschaft Rechtsanwälte im Medizinrecht, Die Budgetierung des Gesundheitswesens, S. 109, 123; ders., NDV 1997, 71, 78; Heinig, in: Bahr/Heinig, Menschenwürde in der säkularen Verfassungsordnung, S. 251, 293; Huster, in: Rauprich/Marckmann/Vollmann, Gleichheit und Gerechtigkeit in der modernen Medizin, S. 187, 201; V. Neumann, NZS 1998, 401, 410; ders. NZS 2006, 393, 395. Ebenfalls in die Richtung einer Normalversorgung tendierend Schmidt-Aßmann, Grundrechtspositionen und Legitimationsfragen im öffentlichen Gesundheitswesen, S. 29. 106 Ebsen, in: Arbeitsgemeinschaft Rechtsanwälte im Medizinrecht, Die Budgetierung des Gesundheitswesens, S. 109, 124; ders., NDV 1997, 71, 78. 107 Taupitz, in: Wolter/Riedel/Taupitz, Einwirkungen der Grundrechte auf das Zivilrecht, das Öffentliche Recht und Strafrecht, S. 113, 121. 108 Die sogleich genannten Autoren beziehen sich allerdings nicht immer ausdrücklich auf medizinische Leistungen; oftmals ist generell vom Existenzminimum die Rede, was dann aufgrund der näheren Bestimmung denktnotwendig auch medizinische Leistungen umfassen muss.
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3. Kap.: Rechtliche Grenzen von Rationierungsmaßnahmen
Minimalversorgung abstellt. Demnach ist nur die „nackte Existenz“109 abgesichert und kommt ein Anspruch auf staatliche Hilfe erst dann in Betracht, wenn die Vorenthaltung lebensnotweniger Güter zum Tode führen würde.110 Immer wieder wird betont, dass ein solches Minimum noch deutlich unterhalb dessen liege, was derzeit in der GKV und damit auch im Bereich der Sozialhilfe111 an Leistungen abgedeckt ist,112 so dass sich eine präzise Bestimmung des Existenzminimums erübrigt.113 Insgesamt fällt im Bereich der Gesundheitsversorgung die Ausdifferenzierung eines medizinischen Existenzminimums sehr schwer.114 Hinzu kommt, dass die Vorstellung über das, was dem Existenzminimum unterfällt, mit dem Verlauf der Zeit Schwankungen ausgesetzt ist, die sowohl von allgemeinen Anschauungen, als auch vom Wandel der Verhältnisse (Leistungsfähigkeit der Volkswirtschaft, all-
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Kunig, in: v. Münch/Kunig, GG Bd. 1, Art. 2 Rn. 60; Murswiek, in: Sachs, GG, Art. 2 Rn. 224; Starck, in: v. Mangoldt/F. Klein/Starck, GG, Art. 2 Abs. 2 Rn. 212 – „nacktes Leben“, Taupitz, in: Wolter/Riedel/Taupitz, Einwirkungen der Grundrechte auf das Zivilrecht, Öffentliche Recht und Strafrecht, S. 113, 119. 110 Kunig, in: v. Münch/Kunig, GG Bd. 1, Art. 2 Rn. 60; Taupitz, in: Wolter/Riedel/Taupitz, Einwirkungen der Grundrechte auf das Zivilrecht, Öffentliche Recht und Strafrecht, S. 113, 119, Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG Bd. I, Art. 2 II Rn. 96; Starck, in: v. Mangoldt/F. Klein/Starck, GG, Art. 2 Abs. 2 Rn. 212. In diesem Sinne auch Lorenz, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts Bd. VI, § 128 Rn. 52. Nicht klar einzuordnen ist die Haltung von Francke, GesR 2003, 97, 101, der „Leistungen mit durchschnittlichem Finanzbedarf, die für den Schutz vor Siechtum und Tod erforderlich sind“, erfasst sieht, andererseits aber für entscheidend hält, „was, bezogen auf das jeweilige nationale Kollektiv, allgemein üblich ist.“ Insofern klingen hier auch Elemente der vorgenannten Ansicht an. 111 Im SGB XII findet sich keine eigenständige Festlegung auf den Umfang eines Existenzminimums für medizinische Leistungen. § 48 Abs. 1 S. 1 SGB XII verweist lediglich auf das Leistungsrecht der GKV in den §§ 27 ff. SGB V. Ein Blick ins einfache Gesetzesrecht hilft bei der Bestimmung des verfassungsrechtlichen Minimums also auch nicht weiter, vielmehr dreht man sich im Kreis, so Huster, in: Mazouz/Werner/Wiesing, Krankheitsbegriff und Mittelversorgung, S. 157, 163. 112 Nettesheim, VerwArch 93 (2002), 315, 336; darstellend Schmidt-Aßmann, Grundrechtspositionen und Legitimationsfragen im öffentlichen Gesundheitswesen, S. 26; Taupitz, in: Wolter/Riedel/Taupitz, Einwirkungen der Grundrechte auf das Zivilrecht, Öffentliche Recht und Strafrecht, S. 113, 120. Allgemeiner auf das System der sozialen Sicherung als Ganzes gesehen Kunig, in: v. Münch/Kunig, GG Bd. 1, Art. 1 Rn. 30. 113 So allgemein zu Mindeststandards Breuer, in: FG 25 Jahre BVerwG, S. 89, 97. 114 Hänlein, SGb 2003, 301, 308, behauptet gar, „dass sich das Recht auf Gesundheit gegen die Ausdifferenzierung eines medizinischen Existenzminimums sperrt“. Etwas abgeschwächter Huster, in: Rauprich/Marckmann/Vollmann, Gleichheit und Gerechtigkeit in der Medizin, S. 187, 201: „Gesundheit ist eben tatsächlich ein Grundbedürfnis, das sich in einem Sozialstaat (…) einer sozialen Differenzierung grundsätzlich sperrt“ (Hervorhebung nicht im Original). Gegenüber Hänlein ebenfalls leicht modifiziert V. Neumann, NZS 2006, 393, 395: „sperrig erweist“.
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gemeiner Wohlstand) herrühren.115 So wird denn auch angeführt, dass die Bestimmung des verfassungsrechtlich Notwendigen einzelfall- und situationsabhängig ist.116 (b) Rechtsprechung Auch die Rechtsprechung sah sich immer wieder der Frage ausgesetzt, inwieweit sich aus den grundrechtlichen Freiheitsgewährleistungen Teilhaberechte gewinnen lassen. (aa) Hinterbliebenenrente I, BVerfGE 1, 97 Bereits frühzeitig hatte sich das BVerfG im Rahmen einer Verfassungsbeschwerde gegen das damalige BVersG117 auf den Standpunkt gestellt, Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG räume dem Einzelnen kein Grundrecht auf eine angemessene Versorgung gegen den Staat ein. Der Grundgesetzgeber habe sich darauf beschränkt, ein Abwehrrecht zu statuieren. Daher könne aus Art. 2 Abs. 2 GG ein Recht auf Zuteilung bestimmter, das allgemeine Maß öffentlicher Fürsorge – der heutigen Sozialhilfe – übersteigender Renten nicht hergeleitet werden.118 Ganz ausschließen wollte das BVerfG einen verfassungsrechtlichen Anspruch auf Fürsorge zwar nicht, hielt diesen aber erst bei dem „Hinzutreten besonderer Umstände“119 für denkbar. Erst dann, wenn der Gesetzgeber seiner verfassungsrechtlichen Pflicht zu sozialer Aktivität willkürlich nicht nachkomme, könne dem Einzelnen möglicherweise ein mit der Verfassungsbeschwerde verfolgbarer Anspruch erwachsen.120 Insofern wird hier schon früh ein Teil des Standpunktes eingenommen, auf den sich später auch weite Teile der Literatur hinsichtlich der Voraussetzungen eines gerichtlich durchsetzbaren Anspruchs auf das medizinische Existenzminimum stellen.121 (bb) Fürsorgepflicht-Entscheidung, BVerwGE 1, 159 Als „Durchbruch zur Anerkennung eines grundrechtlichen Anspruchs auf Sicherung des Existenzminimums“122 und als „Grundlage für die herrschende Konstruk115 Kunig, in: v. Münch/Kunig, GG Bd. 1, Art. 1 Rn. 30; Starck, in: v. Mangoldt/F. Klein/Starck, GG, Art. 1 Abs. 1 Rn. 41. Auch für Huster, in: Rauprich/Marckmann/Vollmann, Gleichheit und Gerechtigkeit in der modernen Medizin, S. 187, 202 ist das, „was insoweit allgemein für angemessen gehalten wird, keine feste Größe, sondern hängt von verschiedenen Faktoren ab, die sich zudem verändern“. 116 Nettesheim, VerwArch 93 (2002), 315, 336. 117 BGBl. I 1950, S. 791. Die Beschwerdeführerin erstrebte als Hinterbliebene eines Kriegsgefallenen eine bessere Versorgung, als sie durch das BVersG vorgesehen war. Das Gericht erwog daher u.a. die Möglichkeit, dass die Verfassungsbeschwerde auf die Nichtigerklärung des BVersG zum Ziel hatte, BVerfGE 1, 97, 101. 118 BVerfGE 1, 97, 104 f. 119 Seewald, Zum Verfassungsrecht auf Gesundheit, S. 74. 120 BVerfGE 1, 97, 105. 121 Vgl. 1. Teil Kap. 3 A. I. 2. c) bb) (2) (a) (bb), S. 68 f. 122 Breuer, in: FG 25 Jahre BVerwG, S. 89, 96.
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tion eines verfassungsrechtlichen Anspruchs des einzelnen auf staatliche Gewährleistung des Existenzminimums“123 wird eine der ersten Entscheidungen des BVerwG124, die so genannten Fürsorgepflicht-Entscheidung, gepriesen. Soweit die damaligen fürsorgerechtlichen Bestimmungen dem Träger der Fürsorge zugunsten des Bedürftigen Pflichten auferlegt hatte, wurden diese Normen im Wege der Auslegung – entgegen hergebrachter sozialethischer Vorstellungen – nunmehr als Grundlage entsprechender Rechtsansprüche angesehen.125 Einen unmittelbaren verfassungsrechtlichen Teilhabeanspruch in Form eines Existenzminimums liegt in ihr aber nicht begründet.126 Das Urteil bemüht die „Leitgedanken des Grundgesetzes“ und bekräftigt, dass der Bürger in der Regel nicht lediglich Gegenstand staatlichen Handelns sein dürfe. Vielmehr werde er als selbständige sittlich verantwortliche Persönlichkeit und deshalb als Träger von Rechten und Pflichten anerkannt. Dies müsse insbesondere dann gelten, wenn es um seine Daseinsmöglichkeiten gehe. Ohne erkennbare Systematik127 nennt das BVerwG in der Folge mit Art. 1, 2, 3 und 19 Abs. 4 sowie Art. 14 Abs. 2, 20, 28 und 79 Abs. 3 GG128 ein Konglomerat an Grundrechtsvorschriften und damit „in einem bunten Reigen so ziemlich alles, was Rang und Namen hat“.129 In ihrer Begründung fällt die Entscheidung damit eher knapp und unpräzise aus.130 Das gefundene Ergebnis eröffnet dem Bedürftigen die Möglichkeit, der objektiv-rechtlichen Verpflichtung des Staates auf dem Klagewege zur Durchsetzung zu verhelfen. Während das Urteil folglich zu einer Erweiterung des Rechtsschutzes führt und diesbezüglich von Bedeutung war, hat es „mit Teilhaberechten (…) kaum etwas zu tun“.131 (cc) „Numerus-clausus“-Urteil, BVerfGE 33, 302 Zwar ohne Bezug zu Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG und zur Gesundheit, dafür aber für die Problematik der Teilhaberechte von besonderer Bedeutung,132 ist die erste „Nume123
Ebsen, in: Arbeitsgemeinschaft Rechtsanwälte im Medizinrecht, Die Budgetierung des Gesundheitswesens, S. 109, 117; ders., NDV 1997, 71, 76. 124 BVerwGE 1, 159. 125 BVerwGE 1, 159, 160 ff. 126 So auch Murswiek, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts Bd. V, § 112 Rn. 99 Fn. 220; Seewald, Zum Verfassungsrecht auf Gesundheit, S. 72. Zumindest missverständlich ist daher die Formulierung von Wiegand, DVBl. 1974, 657, 661, dass das BVerwG „einen gesetzlich nicht normierten Rechtsanspruch auf Fürsorgeleistungen zur Deckung des Existenzminimums anerkannt“ habe. 127 So Breuer, in: FG 25 Jahre BVerwG, S. 89, 96. 128 BVerwGE 1, 159, 161 f. 129 So Sendler, DÖV 1978, 581, 582. 130 Diesbezüglich ebenfalls kritisch Breuer, in: FG 25 Jahre BVerwG, S. 89, 96; Friauf, DVBl. 1971, 674, 676. 131 Sendler, DÖV 1978, 581, 582. Die Bedeutung der Entscheidung dahingehend ebenfalls relativierend Dreier, Die Verwaltung 36 (2003), 105, 116; ders, in: Dreier, GG Bd. I, Vorb. Rn. 89 Fn. 357; Murswiek, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts Bd. V, § 112 Rn. 90 Fn. 220. 132 „Das ausführlichste Dokument des Bundesverfassungsgerichts zur Teilhabelehre“, so Starck, in: FG 25 Jahre BVerfG Bd. 2, S. 480, 522. In der vorhergehenden Rechtsprechung
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rus-clausus“-Entscheidung des BVerfG vom 18.7.1972.133 Sie schaltete sich mitten in die laufende Diskussion um Grundrechte als Teilhaberechte ein.134 In dem Urteil über die Zulässigkeit von Beschränkungen des Hochschulzugangs wird die grundsätzliche Möglichkeit eines Verständnisses der Freiheitsgrundrechte als originäre Teilhaberechte nicht ausgeschlossen.135 Die Verfassungsrichter führten aus: „Je stärker der moderne Staat sich der sozialen Sicherung und kulturellen Förderung der Bürger zuwendet, desto mehr tritt im Verhältnis zwischen Bürger und Staat neben das ursprüngliche Postulat grundrechtlicher Freiheitssicherung vor dem Staat die komplementäre Forderung nach grundrechtlicher Verbürgung der Teilhabe an staatlichen Leistungen.“136 In konjunktivischer Form werden Überlegungen angestellt, „ob aus den grundrechtlichen Werteentscheidungen und der Inanspruchnahme des Ausbildungsmonopols ein objektiver sozialstaatlicher Verfassungsauftrag zur Bereitstellung ausreichender Ausbildungskapazitäten für verschiedene Studienrichtungen folgt“ und ergänzend, „ob sich aus diesem Verfassungsauftrag unter besonderen Voraussetzungen ein einklagbarer Individualanspruch des Staatsbürgers auf die Schaffung von Studienplätzen herleiten ließe“.137 Im konkreten Fall musste sich das Gericht nicht festlegen, weil die genannten Konsequenzen erst bei einer evidenten Verletzung des Verfassungsauftrags in Betracht kämen und diese Schwelle noch nicht erreicht sei.138 Nachdem das Urteil des BVerfG fand sich der Ausdruck „Teilhaberecht“ überhaupt nicht, vgl. Kimminich, JZ 1972, 696. 133 BVerfGE 33, 303. 134 Abelein, in: FS für Raschhofer, S. 11, 17. 135 Hesse, in: Benda/Maihofer/Vogel, Handbuch des Verfassungsrechts, § 5 Rn. 30. 136 BVerfGE 33, 303, 330 f. 137 BVerfGE 33, 303, 333. Das Urteil ist insgesamt auf ein geteiltes Echo gestoßen, vgl. etwa die Stellungnahme von Schultz, MDR 1973, 106 f., sowie die Anmerkungen von Kimminich, JZ 1972, 696 ff. und Plander, NJW 1972, 1941 ff. Vielfach wurde es in der Tagespresse als „salomonisch“ bezeichnet, vgl. die Nachweise bei v. Mutius, VerwArch 64 (1973), 183 Fn. 5. Insbesondere die zitierten Wendungen zu einem möglichen grundrechtsunmittelbaren Anspruch hat Kritik hervorgerufen, s. hierzu die Ausführungen von Friesenhahn, in: Verhandlungen des 50. DJT (1974) Bd. II, G 1, G 29 ff.; Ossenbühl, NJW 1974, 2100, 2104 f.; Rupp, AöR 101 (1976), 161, 179 ff.; Starck, in: FG 25 Jahre BVerfG Bd. 2, S. 480, 522 ff. Begrüßt wird die neue Grundrechtssicht von Hall, JuS 1974, 87, 90. Entgegen der sonst zu erkennenden Tendenz hält er es für einen naheliegenden Schluss, aus dem Recht auf Zulassung auch ein gegebenenfalls einklagbares Recht auf Zurverfügungstellung von Studienplätzen abzuleiten. „Trotz manchen Unbehagens“ hat er gleichwohl Verständnis für die Entscheidung des BVerfG, a.a.O., 87, 92. In ähnlicher Weise äußert Plander in seiner Urteilsanmerkung seine Enttäuschung darüber, dass das BVerfG „der von ihm selbst erkannten Gefahr, dass der ‚verfassungsrechtlich geschützte Zulassungsanspruch weitgehend leerzulaufen droht’, (…) leider nicht überzeugend begegnet“, a.a.O., 1941, 1943. Hierin zeigt sich ebenfalls der Wunsch nach einer Anerkennung eines unmittelbaren Anspruchs. 138 Es hat die Frage nach der Deutung der Grundrechte als originären Teilhaberechten also offen gelassen, vgl. Breuer, in: FG 25 Jahre BVerwG, S. 89, 112; Friesenhahn, in: Verhandlungen des 50. DJT (1974) Bd. II, G 1, G 21 f.; Murswiek, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts Bd. V, § 112 Rn. 89; v. Mutius, VerwArch 64 (1973); 183, 186, 189.
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3. Kap.: Rechtliche Grenzen von Rationierungsmaßnahmen
die prinzipielle Möglichkeit aus den Grundrechten folgender originärer Teilhaberechte erwähnt, hebt es gleich selbst einige der aus den kritischen Stimmen in der Literatur bekannten Einwände, denen eine solche Umdeutung begegnet, hervor.139 Hierdurch gelingt es dem BVerfG, wie bisweilen überspitzt formuliert wurde, die betretene „[abschüssige] Bahn durch gerade noch im letzten Augenblick eingebaute Bremsen nicht hinabzugleiten“.140 In einem späteren die Hochschulzulassung betreffenden Urteil musste es die Frage nach einem originären Teilhaberecht wiederum nicht entscheiden.141 (dd) Kammerbeschlüsse von 1997 Im März des Jahres 1997 ergingen die beiden bereits erwähnten Kammerbeschlüsse des BVerfG, denen zufolge kein verfassungsrechtlicher Anspruch des Einzelnen gegen die GKV auf Bereitstellung spezieller Gesundheitsleistungen besteht. Hierzu sei auf die bereits erfolgten Ausführungen verwiesen.142 (ee) „Nikolaus-Beschluss“, BVerfGE 115, 25 Eine Kehrtwende vollzog das BVerfG in dem ebenfalls bereits erwähnten Beschluss vom 6.12.2005 („Nikolaus-Beschluss“), der die zuvor zu beobachtende „sozialverfassungsrechtliche Zurückhaltung aufgibt“.143 Į) Der Sachverhalt Das Gericht hatte sich mit der Verfassungsbeschwerde eines an Duchenn’scher Muskeldytrophie (DMD) erkrankten Beschwerdeführers auseinanderzusetzen. Bei der Erkrankung handelt es sich um eine so genannte progressive Muskeldystrophie, worunter sehr variable Muskelerkrankungen zusammengefasst werden, die durch einen pathologischen Umbau des Gewebes mit erheblichen Funktionsstörungen gekennzeichnet sind. DMD ist die häufigste Form der Muskeldystrophien, sie tritt ausschließlich beim männlichen Geschlecht auf und manifestiert sich in den ersten Lebensjahren. Ihr prognostizierter Verlauf ist progredient, wobei mit dem Verlust der Gehfähigkeit normalerweise zwischen dem zehnten und zwölften Lebensjahr zu rechnen ist. Es tritt zunehmende Ateminsuffizienz auf. Die Erkrankung äußert sich auch in Wirbelsäulendeformierungen, Funktions- und Bewegungseinschränkungen. Die Lebenserwartung von an DMD erkrankten Männern 139 Hesse, in: Benda/Maihofer/Vogel, Handbuch des Verfassungsrechts, § 5 Rn. 30; Murswiek, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts Bd. V, § 112 Rn. 90; angesprochen wird, dass originäre Teilhaberechte auf den Vorbehalt des Möglichen beschränkt seien und eine Beurteilung dessen, was der Einzelne vernünftigerweise von der Gesellschaft beanspruchen könne, in erster Linie in der eigenen Verantwortung des Gesetzgebers liege, BVerfGE 33, 303, 333. 140 So Ossenbühl, NJW 1976, 2100, 2104, wobei die Verwendung des Wortes „abschlüssig“ in diesem Kontext wohl eher ein Redaktionsversehen darstellt. 141 BVerfGE 43, 291, 325 f. 142 Vgl. 1. Teil Kap. 3 A. I. 2. b), S. 58 f. 143 So Heinig, NVwZ 2006, 771.
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ist stark eingeschränkt. Bisher gibt es keine wissenschaftlich anerkannte Therapie, die die Krankheit zu heilen vermag oder zumindest eine nachhaltige Verzögerung des Krankheitsverlaufs bewirken kann.144 Der Beschwerdeführer ließ sich Anfang der neunziger Jahre einem Facharzt für Allgemeinmedizin behandeln, der dabei auch die so genannte „Bioresonanztherapie“ anwandte. Bei dieser wird mit hochfrequenten Schwingungen gearbeitet. Diese Therapiemethode entsprach jedoch nicht dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse.145 Die für die Behandlung entstandenen Kosten in Höhe von 10.000 DM waren Gegenstand des Rechtsstreits. ȕ) Rechtlicher Gehalt der Entscheidung bzgl. Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG Auch in dieser Entscheidung betont das BVerfG, dass dem Versicherten regelmäßig „kein verfassungsrechtlicher Anspruch gegen die Krankenkassen auf Bereitstellung bestimmter und insbesondere spezieller Gesundheitsleistungen“ zustehe.146 Die die bereits bekannte Schutzpflicht des Staates begründenden Grundrechte könnten aber „in besonders gelagerten Fällen die Gerichte zu einer grundrechtsorientierten Auslegung des Krankenversicherungsrechts verpflichten“.147 Mit Blick auf den zugrunde liegenden Sachverhalt entschieden die Richter, dass in Fällen einer krankheitsbedingten Lebensgefahr, in denen eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Behandlungsmethode nicht existiert, eine Leistungspflicht der GKV für eine nicht schulmedizinische Behandlungsmethode besteht. Voraussetzung sei, dass diese Methode eine auf Indizien gestützte, nicht ganz fern liegende Aussicht auf Heilung oder wenigstens auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf im konkreten Einzelfall verspreche. Die angegriffene Auslegung des BSG sei mit der Schutzpflicht des Staates für das Leben aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG nicht zu vereinbaren.148 Übernehme der Staat mit dem System der gesetzlichen Krankenversicherung Verantwortung für Leben und körperliche Unversehrtheit der Versicherten, so gehöre die Vorsorge in Fällen einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung zum Kernbereich der Leistungspflicht und der von Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG 144
Vgl. zu den medizinischen Aspekten BVerfGE 115, 25, 31, sowie aus der medizinischen Fachliteratur Luetschg, in: Bron/Pongratz, Muskeldystrophie Duchenne in der Praxis, S. 15 ff.; Grimm, in: Bron/Pongratz, Muskeldystrophie Duchenne in der Praxis, S. 28 f. 145 BSGE 81, 54, 66; Höfler, in: KassKomm, § 12 SGB V Rn. 26. Innerhalb des zweiten Teils der Arbeit wird ausführlich auf den sog. medizinischen Standard eingegangen werden, vgl. 2. Teil Kap. 2, S. 173 ff. 146 BVerfGE 115, 25, 44 mit Verweis auf BVerfGE 77, 170, 215; 79, 174, 202; BVerfG [K], NJW 1997, 3085; BVerfG [K], MedR 1997, 318, 319; BVerfG [K], NJW 1998, 1775, 1776. 147 BVerfGE 115, 25, 45 mit Verweis auf BVerfG [K], NJW 1999, 857 f. 148 Neben Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG misst das BVerfG die Entscheidung des BSG auch – und das vorrangig – an Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG. Darauf wird später als eigenständige Grenze von Rationierungsmaßnahmen zurückzukommen sein. Eine eigenständige Betrachtung der beiden Prüfungsmaßstäbe ist deshalb gerechtfertigt, weil jeder für sich genommen die Entscheidung trägt, vgl. Schmidt-De Caluwe, SGb 2006, 619, 620.
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3. Kap.: Rechtliche Grenzen von Rationierungsmaßnahmen
geforderten medizinischen Mindestversorgung. Ob die Anforderungen an die Wirksamkeit der gewählten Behandlung im Einzelfall erfüllt seien, hätten die Sozialgerichte, gegebenenfalls mit sachverständiger Hilfe, zu überprüfen. Aufschluss darüber, ob der geforderte individuelle Wirkungszusammenhang gegeben sei, könne ein Vergleich des Gesundheitszustands des Versicherten mit vergleichbar erkrankten Patienten ergeben, die entweder nicht mit der fraglichen Methode behandelt worden sind oder ebenfalls eine solche Behandlung erfahren haben. Von Bedeutung sei weiterhin die fachliche Einschätzung der Ärzte des Erkrankten. Hinweise könnten sich schließlich auch aus der wissenschaftlichen Diskussion ergeben.149 Das BVerfG verwies die Sache an das BSG zurück, das auf der Grundlage der in der Entscheidung entwickelten Grundsätze neu entscheiden sollte.150 Ȗ) Neuerung gegenüber der früheren BSG-Rechtsprechung Die wesentliche und umzusetzende Neuerung der verfassungsgerichtlichen Entscheidung liegt in den reduzierten Anforderungen an die Aussicht auf die Wirksamkeit der angewandten Methode. Nach der bisherigen Spruchpraxis des BSG darf eine Behandlungsmethode, der es an einer vom Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen – einem der Vorgänger des G-BA151 – in einer Richtlinie nach § 92 Abs. 1 S. 2 Nr. 5 SGB V ausgesprochenen Empfehlung über ihren diagnostischen und therapeutischen Nutzen mangelt, grundsätzlich nicht zu Lasten der Krankenkassen abgerechnet werden und gehört somit auch nicht zum Leistungsumfang der GKV.152 Es besteht somit ein Verbot mit Erlaubnisvorbehalt.153 Obwohl sich die maßgebliche Regelung des § 135 Abs. 1 SGB V über die Bewertung von Untersuchungs- und Behandlungsmethoden im vierten Kapitel des SGB V über die Beziehungen der Krankenkassen zu den Leistungserbringern, dem so genannten Leistungserbringungsrecht,154 befinde, lege sie zugleich auch den von der Krankenkasse gegenüber dem Versicherten geschuldeten Leistungsumfang fest.155 Die im dritten Kapitel normierten Vorschriften, dem so genannten Leis149
BVerfGE 115, 25, 49 f. Der Rechtsstreit wurde vergleichsweise beigelegt, s. den Einstellungsbeschluss des Ersten Senats des BSG, Termin-Bericht Nr. 20/06 v. 27.3.2006 zum Verfahren B 1 KR 28/05 R. 151 Vgl. 1. Teil Kap. 1 D. VI., S 26 f. 152 BSGE 81, 54, 61 ff.; 81, 73, 76; 86, 54, 56; 94, 221, 231; BSG, GesR 2006, 421, 422; SGb 2007, 363, 365. 153 BSGE 81, 54, 59; 93, 236, 244; 94, 221, 224; BSG, GesR 2006, 421, 423 f. Anders stellt sich die Situation im Bereich einer Krankenhausbehandlung dar. Hier reicht es aus, dass eine neue Untersuchungs- oder Behandlungsmethode zum allgemein anerkannten Stand der medizinischen Kenntnisse zu zählen ist. Zwar können über § 137c Abs. 1 SGB V Methoden vom G-BA ausgeschlossen werden, jedoch besteht kein Verbot mit Erlaubnisvorbehalt wie im ambulanten Bereich. Neuartige Verfahren können daher ohne vorherige Zulassung so lange zu Lasten der Krankenversicherung angewendet werden, wie sie der GBA nicht ausgeschlossen hat, vgl. BSGE 90, 289, 292 ff.; Dettling, GesR 2006, 97, 98. 154 Igl/Welti, Sozialrecht, § 14 Rn. 4; Steffen/Pauge, Arzthaftungsrecht, Rn. 48a. 155 BSGE 81, 54, 59; 81, 73, 76 f.; 86, 54, 56; BSG, GesR 2006, 421, 422. 150
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tungsrecht156 zugehörig, gewährten dem Versicherten regelmäßig lediglich ein ausfüllungsbedürftiges Rahmenrecht auf Behandlung durch Ärzte und die Versorgung mit Arznei-, Heil- und Hilfsmitteln.157 Erst indem sich der behandelnde Arzt auf nach seiner Sicht notwendige Maßnahmen zur Heilung einer Krankheit oder Verbesserung des Gesundheitszustands festlege, entstünden dem Patienten durchsetzbare Einzelansprüche.158 Bei dieser fachlich-medizinischen Konkretisierung der Leistungsverpflichtung der Krankenkassen sei er an die geltenden Bestimmungen des Leistungserbringungsrechts und damit auch an die Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen gebunden.159 Diese Rechtsprechung fand durch die Schaffung des § 91 Abs. 6 SGB V, der die Beschlüsse des G-BA als u.a. für die Versicherten verbindlich erklärt, ihre legislative Bestätigung.160 Eine Ausnahme lässt das BSG allerdings dann zu, wenn die fehlende Anerkennung einer neuen Behandlungsmethode darauf zurückzuführen ist, dass das Verfahren vor dem Bundesausschuss trotz Erfüllung der für eine Überprüfung notwendigen formalen und inhaltlichen Voraussetzungen willkürlich oder aus sachfremden Erwägungen nicht oder nicht zeitgerecht durchgeführt wurde (so genanntes Systemversagen).161 Im Falle eines solchen Systemmangels diene der Erlaubnisvorbehalt des § 135 Abs. 1 SGB V nicht mehr der Qualitätssicherung und die daraus entstehende Versorgungslücke müsse zugunsten des Versicherten geschlossen werden.162 Mit dem GKV-WSG hat der Gesetzgeber für den Fall, dass der G-BA in einem Verfahren zur Bewertung einer neuen Behandlungsmethode nach Ablauf von sechs Monaten seit Vorliegen der für die Entscheidung erforderlichen Auswertung der wissenschaftlichen Erkenntnisse noch keinen Beschluss gefasst hat, in § 135 Abs. 1 S. 4 SGB V geregelt, dass die in Satz 1 genannten Antragsberechtigten sowie das BMG innerhalb eines weiteren halben Jahres die Beschlussfassung vom G-BA verlangen können. Liegt nach Ablauf dieser Frist noch immer kein Ergebnis vor, so darf die Methode zu Lasten der GKV erbracht werden. Für das Bestehen einer Leistungspflicht hält die BSG-Rechtsprechung aber auch bei Vorliegen eines solchen Mangels im gesetzlichen Leistungssystem an dem Erfordernis fest, dass die jeweilige Methode dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Kenntnisse zu entsprechen hat.163 Grundsätzlich entscheidend ist daher letztlich, dass die Wirksamkeit der streitbefangenen Behandlungsmethode in einer für die sichere Beurteilung ausreichenden Zahl von Be156
M. Fuchs/Preis, Sozialversicherungsrecht, S. 354. BSGE 78, 154, 155; 81, 54, 61; 81, 73, 78; 82, 158, 161 158 BSGE 78, 154, 155; 81, 54, 61; Schlegel, MedR 2008, 30. 159 BSGE 81, 54, 61; 82, 158, 161; kritisch Schimmelpfeng-Schütte, NZS 1999, 530, 531. 160 Wild/Matschiner, in: Jabornegg/Resch/Seewald, Grenzen der Leistungspflicht für Krankenbehandlung, S. 37, 41, die noch auf die gleichlautende Vorschrift des § 91 Abs. 9 SGB V verweisen. 161 BSGE 81, 54, 65 f.; 88, 51, 61; BSG, GesR 2006, 421, 424; SGb 2007, 363, 366; NJW 2007, 1380, 1387. 162 BSGE 88, 51, 61. 163 BSGE 81, 54, 66. 157
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handlungsfällen aufgrund wissenschaftlich einwandfrei geführter Statistiken belegt werden kann.164 Ist ein Wirksamkeitsnachweis mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden, ist ausnahmsweise zu fragen, ob sich die Methode in der medizinischen Praxis durchgesetzt hat.165 Davon könne nur ausgegangen werden, wenn sie in der medizinischen Fachdiskussion eine breite Resonanz gefunden habe und von einer erheblichen Zahl von Ärzten angewandt werde.166 Nicht entscheidend sind medizinische Kriterien wie die Plausibilität oder der Erfolg im Einzelfall.167 Diese Anforderung hat das BVerfG nunmehr gelockert. Auch wird nicht mehr ausdrücklich auf ein Systemversagen abgestellt.168 Es kommt vielmehr darauf an, dass die Krankheit lebensbedrohlich oder regelmäßig tödlich verlaufend ist, es an einer zu der streitigen Behandlungsmethode fehlenden schulmedizinischen Alternative fehlt und die genannten Wirksamkeitsanforderungen erfüllt sind. Hinsichtlich dieser denkt das BSG zur Umsetzung der verfassungsrechtlichen Vorgaben darüber nach, Abstufungen vorzunehmen. Je schwerwiegender die Erkrankung und hoffnungsloser die Situation, desto geringer sollen die Anforderungen an die ernsthaften Hinweise auf einen nicht ganz entfernt liegenden Behandlungserfolg sein.169 Angehalten durch die Vorgaben des BVerfG, wird sich das BSG ein stückweit wieder seiner alten Rechtsprechung annähern. Zu Zeiten der RVO hatte es Außenseitermethoden, deren generelle Wirksamkeit noch nicht gesichert war, die aber aus wissenschaftlicher Sicht eine Erfolgsaussicht geboten oder im Einzelfall bereits Erfolge gezeitigt haben, dann im Rahmen der kassenärztlichen Versorgung herangezogen, wenn anerkannte Behandlungsmethoden fehlten oder im Einzelfall ungeeignet waren.170 Von der Gesetzesbegründung zu § 2 Abs. 1 SGB V beeinflusst, war das BSG nach der Ablösung der RVO durch das SGB V von dieser Sichtweise abgerückt.171 In dem Entwurf zum GRG heißt es: „Der ‚allgemein anerkannte Stand der medizinischen Kenntnisse’ schließt Leistungen aus, die mit wissenschaftlich nicht anerkannten Methoden erbracht werden. Neue Verfahren, die nicht ausreichend erprobt sind, oder Außenseitermethoden (paramedizinische Verfahren), die zwar bekannt sind, aber sich nicht bewährt haben, lösen keine Leistungspflicht der Krankenkassen aus. Es ist nicht Aufgabe der Krankenkassen, die medizinische Forschung zu finanzieren. Dies gilt auch dann, wenn neue Methoden im Einzelfall zu einer Heilung der Krankheit oder Linderung der Krankenbeschwerden füh164
BSGE 81, 54, 66; 86, 54, 62; so auch schon BSGE 76, 194, 199. BSGE 81, 54, 68 ff., 86, 54, 62. 166 BSGE 81, 54, 70 f. 167 BSGE 81, 54, 68; so auch schon BSGE 76, 194, 198; für einen Vergleich dieser Rspr. mit der des BGH zur Leistungspflicht der PKV s. Katzenmeier, NVersZ 2002, 537 ff. 168 Vgl, auch Schmidt-De Caluwe, SGb 2006, 619, 623. 169 BSG, Termin-Bericht Nr. 20/06 v. 27.3.2006 zum Verfahren B 1 KR 28/05 R; dem zustimmend v. Wulffen, GesR 2006, 385, 389. 170 BSGE 63, 102, 105; 64, 255, 257; BSG, SGb 1992, 322, 324; s. auch Höfler, in: KassKomm, § 12 Rn. 9 ff. 171 Mit ausdrücklichem Hinweis auf Wortlaut und Begründung des Gesetzes BSGE 76, 194, 199; s. auch BSGE 81, 54, 67 f.; 86, 54, 64 f. 165
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ren.“172 Somit steht die Entscheidung des BVerfG in Widerspruch zu dieser Gesetzesbegründung.173 į) Wirkung des „Nikolaus-Beschlusses“ Faktisch ist die sich aus der Entscheidung ergebende Situation mit derjenigen zu vergleichen, die sich mit der Anerkennung eines verfassungsunmittelbaren Anspruchs auf die in Rede stehende Leistung ergäbe. Die streitgegenständliche Behandlungsmethode lag außerhalb der schulmedizinischen Kenntnisse, hatte keine Anerkennung durch den Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen erlangt und war somit nach hergebrachtem Verständnis im ambulanten Bereich nicht vom Leistungsumfang der GKV gedeckt.174 Versucht nun ein Patient, wie im konkreten Fall geschehen, im Klageweg die Kosten für die zunächst selbst bezahlte Behandlung von der Krankenkasse einzufordern und stellt sich dabei heraus, dass es mit dem Grundgesetz unvereinbar ist, dass die GKV diese Leistung nicht erbringt, dann ist im Ergebnis kein Unterschied zu einem originären Teilhaberecht auf diese spezielle Gesundheitsleistung auszumachen. Rechtstechnisch besteht er indes schon. Das BVerfG hat in seiner Entscheidung keinen grundrechtsunmittelbaren Anspruch anerkannt, sondern die relevanten krankenversicherungsrechtlichen Vorschriften, die es für verfassungsgemäß hält,175 mit Rücksicht auf Art. 2 Abs. 2 172
BT-Drs. 11/2237, S. 157. K. Engelmann, MedR 2006, 245, 246. Für Schmidt-De Caluwe, SGb 2006, 619, 622 ist dieser Widerspruch aber aufzulösen, da § 2 Abs. 1 S. 3 SGB V verglichen mit den in der Gesetzesbegründung proklamierten Absichten wesentlich offener formuliert und damit auch offener auszulegen sei. Ulmer, SGb 2007, 585, 586 hingegen meint, dass § 2 Abs. 1 S. 3 SGB V mit Rücksicht auf die Gesetzesbegründung genau so formuliert wurde und dass der der in der Norm genannte „anerkannte Stand der medizinischen Erkenntnisse“ nicht mit erfolgsversprechend gleichgesetzt werden könne. 174 Vgl. die dargestellte Rspr. und die Stellungnahme der Barmer Ersatzkasse in BVerfGE 115, 25, 39. 175 BVerfGE 115, 25, 45 ff., nicht zu beanstanden sei, dass Leistungen nach Maßgabe eines allgemeinen Leistungskatalogs (§ 11 SGB V) nur unter Beachtung des Wirtschaftlichkeitsgebots (§ 12 SGB V) zur Verfügung gestellt werden, soweit sie nicht in die Eigenverantwortung der Versicherten (§ 2 Abs. 1 SGB V) fallen. Verfassungsrechtlich ebenso wenig beanstandet wurde die Entscheidung des Gesetzgebers, die nähere Konkretisierung der durch unbestimmte Gesetzesbegriffe festgelegten Leistungsverpflichtung im Einzelfall im Rahmen der kassenärztlichen Vorgaben, insbesondere der kassenärztlichen Verträge (§§ 82 ff., 87, 125, 127, 131 SGB V), vor allem den an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Ärzten vorzubehalten (vgl. § 15 Abs. 1 S. 1 SGB V, mit Verweis auf BSGE 73, 271). Ausdrücklich offen gelassen wurde die Frage, ob das in § 135 SGB V vorgesehene Verfahren zur Anerkennung neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden durch den G-BA verfassungsrechtlichen Anforderungen genügt. Gleichwohl sei es dem Gesetzgeber nicht von Verfassungs wegen verwehrt, zur Qualitätssicherung und aus weiteren Erwägungen hinaus ein Verfahren vorzusehen, in dem neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden in der vertragsärztlichen Versorgung auf ihren diagnostischen und therapeutischen Nutzen sowie ihre medizinische Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit nach dem jeweiligen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse sachverständig geprüft werden, 173
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3. Kap.: Rechtliche Grenzen von Rationierungsmaßnahmen
S. 1 GG anders ausgelegt, als es dies das BSG in der Vorinstanz getan hat.176 Unter der Hinzunahme anderer sozialversicherungsrechtlicher Vorschriften177 wurde der in § 27 Abs. 1 S. 1 SGB V einfachgesetzlich festgehaltene Anspruch des Versicherten auf eine Krankenbehandlung, die notwenig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern, anders interpretiert und weiter als bisher üblich gefasst. Mit der Gewinnung eines Leistungsanspruchs kraft grundrechtsorientierter Auslegung kommt Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG über den abwehrrechtlichen Gehalt hinaus eine leistungsrechtliche Dimension zu,178 was wiederum die Nähe zu einem originären Teilhaberecht deutlich macht. İ) Anerkennung eines Medizinischen Existenzminimums? Indem das BVerfG in seiner Argumentation auch auf die von Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG geforderte Mindestversorgung eingeht, klingt zudem erstmals die Anerken-
um die Anwendung dieser Methoden zu Lasten der Krankenkassen auf eine fachlichmedizinische Basis zu stellen. Vgl. auch Francke/Hart, MedR 2006, 131, 132; Gödicke, NVwZ 2006, 774, 775; Hauck, NJW 2007, 1320, 1321; Schmidt-De Caluwe, SGb 2006, 619, 620 f.; Ulmer, SGb 2007, 585, 591. Verfassungsrechtlich wurde und wird diese Normsetzungsbefugnis des G-BA ggü. den Versicherten angegriffen. In BSGE 35, 10, 14 u. 63, 163, 166 verneinte das BSG eine Verbindlichkeit von Richtlinien für die Versicherten; seit BSGE 78, 70, 78 f. geht es von einer solchen aus; vgl. weiter BSGE 81, 54; 81, 73 ff. Aus dem umfangreichen Schrifttum vgl. K. Engelmann, NZS 2000, 1 ff.; Axer, VSSR 2002, 215, 232 ff.; Hase, MedR 2005, 391, 395 f.; Kingreen, NJW 2006, 877 ff.; ders., in: Kingreen/Laux, Gesundheit und Medizin im interdisziplinären Diskurs, S. 147, 163 f.; Schrinner, MedR 2005, 397 ff.; Schimmelpfeng-Schütte, NZS 2006, 567 ff.; monographisch zur Normsetzungsbefugnis des G-BA Seeringer, Der Gemeinsame Bundesausschuss nach dem SGB V, S. 76 ff. 176 Das Gericht selbst weist immer wieder darauf hin, dass es sich mit Auslegungsfragen beschäftigt, s. BVerfGE 115, 25, 41, 45, 49. Bekräftigt wird dies an der Stelle, an der die Begründung für die Fragen eines originären Leistungsanspruchs aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG ausdrücklich auf Schmidt-Aßmann, Grundrechtspositionen und Legitimationsfragen im öffentlichen Gesundheitswesen, S. 23 ff. und die dortigen weiteren Nachweise verweist, vgl. BVerfGE 115, 25, 45. S. etwa auch Schmidt-De Caluwe, SGb 2006. 619, 620 f.; anders Huster, JZ 2006, 466, 468, der trotz der schutzpflichtrechtlichen Terminologie der Entscheidung grundrechtsdogmatisch die Konstruktion eines verfassungsunmittelbaren medizinischen Leistungsanspruchs erkennt, die er indes ablehnt; vgl. auch Huster/Penner, in: DFG-FOR 655, Priorisierung in der Medizin, S. 162, 165. Auch Roters, NZS 2007, 176, 179, spricht von einem „verfassungsrechtlich garantierten Anspruch“; Wenner, GesR 2009, 169, 178, von einem „unmittelbar aus dem Grundgesetz abgeleiteten Anspruch auf Behandlung nach nicht allgemein anerkannten Therapieverfahren“. 177 Insgesamt sieht das BVerfG die vom BSG vorgenommene Auslegung der leistungsrechtlichen Vorschriften der §§ 1 S. 1, 2 Abs. 1, 11 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 und eben § 27 Abs. 1 S. 1 SGB V als mit Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 1, Art. 28 Abs. 2 S. 1 sowie mit Art 2 Abs. 2 S. 1 GG unvereinbar an, vgl. BVerfGE 115, 25, 41. 178 Ulmer, SGb 2007, 585, 589.
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nung eines medizinischen Existenzminimums an,179 auch wenn dies freilich noch nicht ausdrücklich geschieht. Dieser Eindruck wird bei der Sichtung der Literaturstellen, auf die sich die Entscheidung an dieser Stelle bezieht, bekräftigt. Sie alle thematisieren die medizinisch-gesundheitliche Komponente eines verfassungsrechtlichen Existenzminimums.180 Der Kontext, in den die Ausführungen des BVerfG eingebettet sind, lässt darauf schließen, dass es hinsichtlich des Umfangs eines solchen Existenzminimums einen restriktiven Standpunkt einnimmt. Schließlich gilt die Aufmerksamkeit lebensbedrohlichen oder tödlich verlaufenden Krankheiten, es geht mithin um die „nackte Existenz“. Weiterhin lässt sich die Begründung so verstehen, dass ein medizinisches Existenzminimum vor allem aufgrund der Tatsache anzuerkennen ist, dass das GKV-System als Pflichtversicherung in seiner konkreten Ausgestaltung als solches besteht.181 Die lediglich knappe Erwähnung der von Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG geforderten Mindestversorgung lässt keinen genauen Schluss darüber zu, ob das BVerfG hier das medizinische Existenzminimum auch als verfassungsunmittelbaren Anspruch ausgestaltet sieht. Beachtlich bleibt jedenfalls auch hier, dass die Entscheidungsfindung insgesamt auf der grundrechtsorientierten Auslegung einfachgesetzlicher Normen beruht. Auf den sich faktisch kaum ergebenden Unterschied in der konkreten Situation sei hier erneut hingewiesen. Schon zuvor hatte sich das BVerfG nicht eindeutig zu einem Existenzminimum in der Form eines verfassungsunmittelbaren Anspruchs bekannt, sondern lediglich stets die Pflicht des Staats zur Sicherung der Mindestvoraussetzungen für ein menschenwürdiges Daseins betont.182 Gelegentlich wurde dies dahingehend interpretiert, dass das Grundgesetz ein Grundrecht auf das Existenzminimum voraussetze183 und das BVerfG einen verfassungsrechtlichen Anspruch auf die staatliche Gewährleistung des Existenzminimums anerkannt habe.184 Es ist zumindest fraglich, ob durch die Bejahung der genannten objektiv-rechtlichen Verpflichtung die Grundrechte dem Einzelnen auch eine versubjektivierte Rechtposition vermitteln sollen.185 Da aber auch die objektiv-rechtlichen Gehalte der Grundrechte in der Lage sind, subjektive Rechte zu vermitteln,186 steht die Annahme eines dieser Pflicht entsprechenden Anspruchs wohl nicht im Widerspruch zur Rechtsprechung
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So auch Katzenmeier/Schmitz-Luhn, in: DFG-FOR 655, Priorisierung in der Medizin, S. 169. 180 Das BVerfG verweist in dieser Reihenfolge auf Wiedemann, in: Umbach/Clemens, GG Bd. I, Art. 2 II Rn. 376; Di Fabio, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 2 Abs. 2 Rn. 94; SchmidtAßmann, NJW 2004, 1689, 1691. Ausdrücklich begrüßt wird diese Bezugnahme auf Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG von Francke/Hart, MedR 2006, 131, 132. 181 Dettling, GesR 2006, 97, 102, 106; Hess, GGW 4/2006, 7, 10. 182 BVerfGE 40, 121, 133; 82, 60, 85. 183 Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 398. 184 Ebsen, in: Arbeitsgemeinschaft Rechtsanwälte im Medizinrecht, Die Budgetierung des Gesundheitswesens, S. 109, 117; ders., NDV 1997, 71, 76. In diesem Sinne ist wohl auch die Schlussfolgerung von Breuer, in: FG 25 Jahre BVerwG, S. 89, 96 f. zu verstehen. 185 Goerlich/Dietrich, Jura 1992, 134, 139. 186 Vgl. 1. Teil Kap. 3 A. I. 2. b), S. 58.
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3. Kap.: Rechtliche Grenzen von Rationierungsmaßnahmen
des BVerfG.187 Diese gelangte jedoch bisher zu der Erkenntnis, dass vielfältige Möglichkeiten bestehen, den gebotenen Schutz zu verwirklichen. Es liege daher grundsätzlich in der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers, den ihm geeignet erscheinenden Weg zu bestimmen.188 Bedeutung erlangt das so verstandene subjektive Recht zudem auch erst dann, wenn der Gesetzgeber seiner Pflicht nicht nachkommt. Neu am „Nikolaus-Beschluss“ ist, verglichen mit der bisherigen Rechtsprechung, die ausdrückliche Einbeziehung medizinischer Leistungen in Überlegungen zu einem Existenzminimum. d) Bewertung Nachdem das Meinungsbild in Literatur und Rechtsprechung hinsichtlich der Umdeutung von Freiheitsrechten in grundrechtsunmittelbare Ansprüche mitsamt ihrer Entwicklung dargestellt wurde, sind die gewonnenen Erkenntnisse nunmehr zusammenzufassen und hinsichtlich ihrer Bedeutung für die rechtlichen Grenzen einer Rationierung zu bewerten. Dabei wird die Übertragbarkeit der Entscheidungsgrundsätze aus dem „Nikolaus-Beschluss“ auf andere Konstellationen eine wichtige Rolle spielen, was wiederum auch die erneute Beschäftigung mit ausgewählter Rechtsprechung des BSG erforderlich macht. aa) Medizinisches Existenzminimum als Begrenzung Folgen mit der Literatur grundrechtsunmittelbare Ansprüche auf Gesundheitsleistungen aus den jeweils herangezogenen normativen Anknüpfungspunkten allenfalls im Rahmen eines Existenzminimums, so hat das für Rationierungsmaßnahmen innerhalb des Systems der GKV zur Folge, dass diese verfassungsrechtlich so lange hinzunehmen sind, bis diese Untergrenze erreicht wird.189 Ob die Behauptung, einer Rationierung werde durch Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG eine enge Grenze gesetzt, zutrifft, hängt damit zunächst maßgeblich davon ab, wie man das Existenzminimum inhaltlich ausgestaltet. Je mehr ein „Verfassungssockel“190 medizinischer Leistungen umfasst, desto enger ist die gesetzte Grenze. Unabhängig davon, wie weit das Minimum letztlich gefasst wird, wäre aus verfassungsrechtlicher Sicht ein System möglich, bei dem die Vorsorge in die Verantwortung des Einzelnen gelegt würde und lediglich die soziale Mindestsicherung in Form eines Fürsorgesystems als Auffangnetz für Bedürftige bereitgestellt wird.191 Das Grundgesetz zwingt mithin nicht zu einem Festhalten an den Strukturen der GKV.192 Aus finanzieller Sicht ist auf folgenden Umstand besonders hinzuweisen: Rationierungen sollen dazu führen, den Kostendruck im Gesundheitswesen zu mil187
Goerlich/Dietrich, Jura 1992, 134, 139. BVerfGE 40, 121, 133. 189 Taupitz, in: Wolter/Riedel/Taupitz, Einwirkungen der Grundrechte auf das Zivilrecht, Öffentliche Recht und Strafrecht, S. 113, 121. 190 Schmidt-Aßmann, Grundrechtspositionen und Legitimationsfragen im öffentlichen Gesundheitswesen, S. 23. 191 Ebsen, NDV 1997, 71, 76; V. Neumann, NZS 2006, 393, 394. 192 BVerfGE 39, 302, 314 f. 188
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dern, also Einsparungen zu erzielen. Ganz gleich, wie die Gesundheitsversorgung letztlich organisiert ist, der Staat wird für die Gewährung des Existenzminimums aufzukommen haben. Was durch Rationierung aus der solidarischen Versicherung herausgenommen und somit eingespart wird, muss der Staat also zu Lasten der Allgemeinheit eventuell zur Existenzsicherung seiner Bürger wieder ausgeben.193 Je umfassender die Leistungen in der GKV rationiert werden, desto eher wird durch erhöhte Eigenleistungen die Schwelle der Bedürftigkeit erreicht.194 bb) Bedeutung des „Nikolaus-Beschlusses“ Auch wenn sich dem „Nikolaus-Beschluss“ des BVerfG kein verfassungsunmittelbarer Anspruch entnehmen lässt, so sind seine Konsequenzen, verglichen mit den bisherigen Feststellungen, noch weitreichender: In Fällen einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlich verlaufenden Erkrankung besteht eine Leistungspflicht der GKV bei dem Fehlen einer allgemein anerkannten Behandlungsmethode auch für außerhalb der Schulmedizin liegende Methoden, wenn sie die vom Gericht aufgestellten Voraussetzungen hinsichtlich ihres positiven Einflusses auf den Krankheitsverlauf erfüllen. Das gilt möglicherweise ausweislich einer später ergangenen Entscheidung des BVerfG auch hinsichtlich solcher Methoden, über deren Zulassung zur Versorgung in der GKV der G-BA bereits negativ entschieden hat.195 Und all dies ganz unabhängig davon, ob der einzelne Patient als Bedürftiger anzusehen ist oder nicht.196 In den zahlreichen Stellungnahmen und Reaktionen zu der Entscheidung in der Literatur197 wird teilweise herausgestellt, dass diese Rechtsprechung einen Kostenfaktor darstellt.198 Die Kosten entstünden für mitunter höchst zweifelhafte Heilverfahren, die so das Solidarsystem belasteten.199 Hier zeigt sich, dass das BVerfG das strukturelle Problem hat, dass es zwar selbst
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Ähnlich Francke, GesR 2003, 97, 101, Schmidt-Aßmann, Grundrechtspositionen und Legitimationsfragen im öffentlichen Gesundheitswesen, S. 23. 194 Francke, GesR 2003, 97, 101. 195 BVerfG, NZS 2008, 365, 368; ablehnend BSGE 97, 190, 198. 196 Wenner, SozSich 2006, 174, 177. 197 Mit dem „Nikolaus-Beschluss“ befassen sich Burkhard, VersMed 2006, 181 ff.; Dettling, GesR 2006, 97 ff.; K. Engelmann, MedR 2006, 245, 258 f.; Francke/Hart, MedR 2006, 131 ff.; Hauck, NJW 2007, 1320 ff.; Heinig, NVwZ 2006, 771 ff.; Hess, GGW 4/2006, 7 ff.; Huster, JZ 2006, 466 ff.; ders./Penner, in: DFG-FOR 655, Priorisierung in der Medizin, S. 162 ff.; Kingreen, NJW 2006, 877 ff.; Padé, NZS 2007, 352 ff.; Platzer, RPG 2006, 59 ff.; Roters, NZS 2007, 176, 179; Rümler, G+G 2/2006, 42 f.; Schlottmann/Haag, NZS 2008, 524 ff.; Schmidt-De Caluwe, SGb 2006, 619 ff.; Schneider, RPG 2006, 67 f.; Ulmer, SGb 2007, 585, 588 ff.; Steiner, in: Kingreen/Laux, Gesundheit und Medizin im interdisziplinären Diskurs, S. 129, 139 ff.; Welti, SGb 2007, 210, 212 f.; Wenner, GesR 2009, 169, 177 f.; v. Wulffen, GesR 2006, 385, 387 ff.; aus ökonomischer Sicht Wasem/Hessel/A. Neumann, GGW 4/2006, 15 ff. 198 Ulmer, SGb 2007, 585, 589; Wenner, SozSich 2006, 174, 177 f. 199 Wenner, SozSich 2006, 174, 178.
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3. Kap.: Rechtliche Grenzen von Rationierungsmaßnahmen
Entscheidungen treffen kann, nicht aber über das Geld verfügt, um die Entscheidungsfolgen in der Sozialversicherung zu finanzieren.200 (1) Lebensbedrohlich oder regelmäßig tödlich verlaufende Krankheit Wie stark sich dieser Kostenfaktor letztlich auswirkt, hängt mit davon ab, wann überhaupt von einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlich verlaufenden Krankheit im Sinne des „Nikolaus-Beschlusses“ ausgegangen werden kann. Das BVerfG hat sich in einem späteren Beschluss dahingehend geäußert, dass „eine Krankheit auch dann als regelmäßig tödlich zu qualifizieren ist, wenn sie ‚erst’ in einigen Jahren zum Tod des Betroffenen führt“.201 Das BSG verfuhr bei der Konkretisierung der verfassungsgerichtlichen Entscheidung deutlich zurückhaltender. Als nicht lebensbedrohlich oder regelmäßig tödlich verlaufend im Sinne des BVerfG wurde eine Erkrankung dann angesehen, wenn eine durchschnittliche Rest-Lebenserwartung für die Erkrankten gegeben sei, die sich deutlich von der im Falle einer Duschenn’schen Muskeldystrophie abhebe. Angesichts einer durchschnittlichen Lebenserwartung von 30-45 oder 3550 Jahren (je nach Studie) bei Patienten, bei denen im Rahmen einer Friedreichsche Ataxie eine Kardiomyopathie (= Zunahme der Wanddicke des Herzmuskels) auftrat, verneinte das BSG das fragliche Kriterium.202 Ebenfalls als nicht ausreichend erachtet wurde seitens des BSG ein Prostatakarzinom im Anfangsstadium ohne Hinweis auf metastatische Absiedlungen.203 Anders entschied es bei einem mindestens bis zum Stadium III gewachsenen Dickdarm-Karzinom.204 Das BSG ist der Auffassung, eine weite Auslegung des verfassungsgerichtlich aufgestellten Kriteriums verbiete sich, weil es ansonsten sinnentleert würde, da „nahezu jede schwere Krankheit ohne therapeutische Einwirkung, irgendwann dann auch lebensbedrohende Konsequenzen nach sich zieht“. Das könne jedoch nach den Ausführungen des BVerfG ersichtlich nicht ausreichen, um das SGB V als unbeachtlich anzusehen.205
200 So Steiner, in: Kingreen/Laux, Gesundheit und Medizin im interdisziplinären Diskurs, S. 129, 138. 201 BVerfG, Beschl. v. 6.2.2007 – 1 BvR 3101/06. 202 BSG, SozR 4-2500 § 31 Nr. 8 Rn. 21. 203 BSG, GesR 2006, 421, 426. Zudem hatte auch noch eine medizinische Standardtherapie neben der begehrten interstitiellen Brachytherapie mit Permanent Seeds existiert. Zu weiteren BSG-Urteilen, die sich mit dem Kriterium der lebensbedrohlich oder regelmäßig tödlich verlaufenden Krankheit befassen vgl. Padé, NZS 2007, 352, 354. 204 BSGE 96, 170, 175. 205 BSG, Urt. v. 28.2.2008 – B 1 KR 15/07 R Rn. 32, insoweit nicht abgedruckt in BSG, GesR 2008, 444; BSG, Beschl. v. 19.6.2006 – B 1 KR 18/06 B; ebenso BSG, SGb 2007, 363, 396, wobei es hier ausschließlich um die Frage ging, ob die Grundsätze des BVerfG auf den Fall der nicht lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlich verlaufenden Erkrankung der Klägerin zu erstrecken waren, weil ihre Krankheit von ihrer Schwere und dem Ausmaß der aus ihr folgenden Beeinträchtigungen mit solchen Krankheiten gleichzustellen war; „weite Auslegung“ ist hier also in diesem Sinne zu verstehen. Auf die Möglichkeiten einer
A. Generelle Grenzen einer Rationierung im Gesundheitswesen
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(2) Übertragbarkeit der Entscheidungsgrundsätze auf andere Konstellationen Der Kostengesichtspunkt nähme noch an Bedeutung zu, wenn man – wie es teilweise in Erwägung gezogen wird – die verfassungsrechtlichen Grundsätze der Entscheidung zusätzlich auch auf sonstige Beeinträchtigungen mit einer der Lebensgefahr vergleichbaren Schwere erstreckte und einen entsprechenden Leistungsanspruch anerkennte.206 Auch kommt eine Einbeziehung der verfassungsrechtlichen Wertungen bei der Arzneimittelversorgung in Betracht. Zu diesen Fragen hat sich das BSG in ersten nach dem Beschluss ergangenen Urteilten bereits äußern können. (a) Beeinträchtigungen mit einer der Lebensgefahr vergleichbaren Schwere (aa) Myopathie, BSGE 96, 153 Im Falle einer Frau,207 bei der ein Muskelleiden, die so genannten Myopathie wegen eines Myoadenylate-Deaminase-Mangels (MAD-Mangel), diagnostiziert wurde, wollte das Gericht mangels einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlich verlaufenden Krankheit nicht die Maßstäbe der Verfassungsgerichtsentscheidung anwenden. Wird der MAD-Mangel symptomatisch, führt er zu belastungsabhängigen, muskelkaterähnlichen Schmerzen, schmerzhaften Muskelversteifungen und sehr selten auch zu einem Untergang von Muskelgewebe (Rhabdomyolyse). Zwar leide die Klägerin, so das BSG, zweifellos an einer nachhaltigen, die Lebensqualität auf Dauer beeinträchtigenden Krankheit und würden Nachhaltigkeit und Schwere der Erkrankung neben der aufgezeigten Symptomatik auch dadurch verdeutlicht, dass sie aus ihrem Beruf als angestellte Tierärztin habe aussteigen müssen, eine Berufsunfähigkeitsrenten beziehe und nur noch geringfügige Schreibarbeiten verrichten könne. Trotz dieser durchaus gravierenden Folgen liege jedoch keine „notstandsähnliche Extremsituation“ vor, die aus verfassungsrechtlichen Gründen eine Modifizierung des Leistungsrechts der GKV gegenüber den allgemein geltenden Regeln nach sich zöge. Deswegen könne die MADMangel-Myopathie nicht mit einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlich
solchen Übertragbarkeit des „Nikolaus-Beschlusses“ wird sogleich zu sprechen kommen sein. 206 So gefordert von Gödicke, NVwZ 2006, 774, 775 f.; Ulmer, SGb 2007, 585, 592. Für Knispel, SGb 2007, 369, 371, kommen für eine Ausweitung Extremfälle wie der akut drohende Verlust von Sinnes- und Körperorganen, möglicherweise auch von Bewegungsorganen in Betracht. Kingreen, NJW 2006, 877, 879, erwägt eine Einbeziehung chronischer Erkrankungen. In die Richtung eines weitergehenden Verständnisses tendierend auch Schmidt-De Caluwe, SGb 2006, 619, 624 f. Für eine Beschränkung auf die im Beschluss genannte Sonderkonstellationen dagegen Hauck, NJW 2007, 1320, 1321; Rümler, G+G 2/2006, 42, 43. 207 BSGE 96, 153.
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3. Kap.: Rechtliche Grenzen von Rationierungsmaßnahmen
verlaufenden Krankheit auf eine Stufe gestellt werden. Diese Gleichstellung sei jedoch für den Fall einer drohenden Erblindung in Erwägung zu ziehen.208 (bb) Subarachnoidalblutung, BSG SGb 2007, 363 In ähnlichen Argumentationsbahnen verläuft eine Entscheidung vom 26.9.2006, mit der die Erstattung der Kosten für 100 Therapieeinheiten einer ambulanten neuropsychologischen Therapie durch einen psychologischen Psychotherapeuten abgelehnt wurde.209 Die Klägerin hatte eine Subarachnoidalblutung erlitten, nach stationärer Krankenhaus- und Rehabilitationsbehandlung blieben Störungen des Gedächtnisses, der Aufmerksamkeit, exekutiver Funktionen hinsichtlich Planungsvermögen und Handlungskontrolle, emotionale Veränderungen sowie Verhaltensauffälligkeiten zurück. Auch hier wurden der nachhaltige und der die Lebensqualität auf Dauer beeinträchtigende Charakter der Erkrankung hervorgehoben. Sie sei aber wiederum nicht lebensbedrohlich oder gar regelmäßig tödlich verlaufend. Nachhaltigkeit und Schwere der Erkrankung würden zwar an den genannten Folgen deutlich. Gleichwohl werde auch hier keine notstandsähnliche Extremsituation herbeigeführt, die eine Gleichstellung im oben genannten Sinne mit den verfassungsrechtlichen Folgen begründen könne.210 Auch in diesem Urteil erwägt das BSG, eine solche Gleichstellung für den Fall einer akut drohenden Erblindung eines Kindes.211 Aufgrund dieser Überlegungen ist es verfehlt, den Ersten Senat des BSG so zu verstehen, dass dieser „eine Erweiterung der Gruppen der Versicherten, die die Übernahme der Kosten für nicht anerkannte Heilverfahren beanspruchen können, über den vom BVerfG explizit genannten Personenkreis hinaus ablehnt“.212 Nach Ansicht des Gerichts besteht aber jedenfalls „kein Anlass, die Rechtsgedanken der Entscheidung des BVerfG auf weitläufigere Bereiche auszudehnen, in denen der Gesetzgeber aus wohl erwogenen Gründen den Leistungsumfang der GKV durch Schaffung besonderer Verfahren und mit besonderem Sachverstand ausgestatteter Institutionen bewusst begrenzt hat“.213 (cc) Konstellation einer notstandsähnlichen Extremsituation In der Sachverhaltskonstellation, die das BSG jeweils für das mögliche Bestehen notstandsähnliche Extremsituation heranzieht, litt ein junges Mädchen an einem angeborenen Aderhautdefekt (so genanntes Kolobom), der für eine später aufgetretene massive Sehverschlechterung eines Auges ursächlich war. Das zuständige LSG hatte festgestellt, dass eine in einer frühen Lebensphase sehr seltene Erkran-
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BSGE 96, 151, 160, mit Verweis auf BSGE 93, 236. So auch vorher schon BSG, Termin-Bericht Nr. 20/06 v. 27.3.2006 zum Verfahren B 1 KR 28/05 R. 209 BSG, SGb 2007, 363. 210 BSG, SGb 2007, 363, 368. 211 BSG, SGb 2007, 363, 368 f., wiederum mit Verweis auf BSGE 93, 236. 212 So aber Wenner, SozSich 2007, 75. 213 BSG, SGb 2007, 363, 369; ähnlich auch BSGE 96, 151, 161.
A. Generelle Grenzen einer Rationierung im Gesundheitswesen
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kung vorliege.214 Auch nach Ansicht des BSG sprach einiges dafür, dass es sich um eine sehr seltene Krankheit handelt, die sich wegen ihrer Seltenheit der systematischen und wissenschaftlichen Untersuchungen entzieht und für die es deshalb keine wissenschaftliche und auf ihre Wirkung hin überprüfbare Behandlungsmethode geben kann.215 In der Konsequenz war das BSG schon vor dem „NikolausBeschluss“ in diesen ganz besonderen Ausnahmefällen von seinen höheren Anforderungen abgerückt und hatte es für das Bestehen einer Leistungspflicht ausreichen lassen, wenn ein Mindestmaß an Arzneimittel- und Behandlungsqualität eingehalten wurde.216 Dieses Mindestmaß sei gewährleistet, wenn die im Zeitpunkt der Behandlung verfügbaren wissenschaftlichen Erkenntnisse die Annahme rechtfertigen, dass der voraussichtliche Nutzen der Maßnahme die möglichen überwiegen wird.217 Insofern hat auch das BSG in diesen Fällen – worauf das BVerfG hinweist218 – eine Einzelfallbetrachtung vorgenommen. In der Literatur wird denn auch für derartige Fälle eine Übertragung der Grundsätze der Entscheidung des BVerfG erwogen.219 Ganz allgemein erwog das BSG, bei einem nicht kompensierbaren Verlust eines wichtigen Sinnesorganes oder einer herausgehobenen Körperfunktion, eine verfassungskonforme Auslegung im Sinne des „Nikolaus-Beschlusses“ vorzunehmen.220 (dd) Entscheidungen unterer Instanzen Anders und damit patientenfreundlicher als das BSG entschieden immer wieder die unteren Instanzen der Sozialgerichtsbarkeit. Das SG Augsburg judizierte zugunsten einer Patientin, die an einem gravierenden, atypischen chronischen Kopfschmerz litt, dass sie im Falle eines Aussetzens der Therapie mit dem Rezepturarzneimittel Dronabinol wegen der dann wieder einsetzenden gravierenden Kopfschmerzsymptomatik, die auch die Gefahr eines sozialen Abgleitens beinhalte, mit erheblichen Funktionsausfällen zu rechnen sei. Deswegen sei der „Nikolaus-Beschluss“ dahingehend fortzuentwickeln, dass auch bei nicht lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlich verlaufenden Krankheitsbildern gravierender Art mit erheblicher Einbuße der Lebensqualität für ein nachweislich wirksames Rezeptur-Arzneimittel eine Leistungspflicht der GKV bestehe, wenn andere Therapiemöglichkeiten nicht existierten.221 Die Entscheidung wurde später allerdings
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Vgl. BSGE 93, 236, 245. BSGE 93, 236, 239, das BSG verwies die Sache zur Überprüfung der Frage der Seltenheit und Unerforschbarkeit an das LSG zurück. 216 BSGE 93, 236, 246. Die Beklagte verlangte die Erstattung für die Kosten einer Therapie, bei der ein nur im Ausland zugelassenes Arzneimittel zur Anwendung gelangte. 217 BSGE 93, 236, 248. 218 BVerfGE 115, 25, 50 f. 219 K. Engelmann, MedR 2006, 245, 258. 220 BSG, SozR 4-2500 § 31 Nr. 8 Rn. 20; BSG, NJW 2009, 874, 878. 221 SG Augsburg, Urt. v. 7.4.2006 – S 10 KR 459/04 Rn. 27. 215
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3. Kap.: Rechtliche Grenzen von Rationierungsmaßnahmen
durch das Bayerische LSG wieder aufgehoben, weil dieses in Einklang mit der BSG-Rechtsprechung in genau diesem Punkt anderer Auffassung war.222 Auch der schon angesprochenen bundessozialgerichtlichen Entscheidung vom 26.9.2006223 lag ein sozialgerichtliches Urteil zugrunde, in dem ebenfalls eine Erstreckung der vom BVerfG aufgestellten Grundsätze auf Fälle einer schweren Beeinträchtigung der Lebensqualität befürwortet worden ist. Das SG Hamburg vertrat den Standpunkt, dass durch die bereits erwähnten Folgen der Subarachnoidalblutung „die Lebensqualität der Klägerin in schwerer Weise beeinträchtigt war und sie deshalb unstreitig geeigneter ärztlicher Behandlung und der Versorgung mit Heilmitteln bedurfte“.224 Das SG Frankfurt wollte „die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts (…) auch auf schwere, nicht lebensbedrohliche Krankheiten“ übertragen, „sofern diese den Versicherten in seiner Lebensführung nicht nur deutlich beeinträchtigen, sondern bei weiterem Fortschreiten des Krankheitsverlaufes zu ganz massiven körperlichen und/oder geistigen Funktionsverlusten führen werden.“ Eine solch gravierende Krankheitsfolge stelle jedenfalls eine drohende Erblindung dar.225 Gegen diese Einschätzung hat – wie gesehen – auch das BSG nichts einzuwenden. In einem Urteil des LSG Schleswig-Holstein wurde die Multiple Sklerose als eine die Lebensdauer nachhaltig beeinträchtigende Krankheit angesehen. Für diese seien die Wertungen des „Nikolaus-Beschlusses“ zu berücksichtigen, weil das BSG „den Anwendungsbereich dieser Rechtsprechung (…) auf sonstige ganz gravierende gesundheitliche Beeinträchtigungen im Wege einer Gleichstellung erweitert“ habe.226 Die Entscheidung hielt einer Überprüfung durch das BSG letztlich nicht stand.227 (b) Arzneimittelversorgung / Off-label-use Die im Beschluss des BVerfG aufgeworfene verfassungsrechtliche Problematik stellt sich unabhängig davon, um welche konkrete Leistungsart des SGB V gestritten wird. Es ist deshalb konsequent, dass sich das BSG dafür ausgesprochen hat, die vom BVerfG entwickelten Grundsätze sinngemäß auch auf den Bereich der Arzneimittelversorgung zu übertragen,228 womit sich der Einflussbereich der Ent-
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Vgl. Bay. LSG, Urt. v. 11.9.2007 – L 5 KR 132/06 Rn. 21 unter Bezugnahme auf BSG, Urt. v. 27.3.2007 – B 1 KR 30/06 R, nur auszugsweise abgedruckt in SGb 2007, 287. 223 Vgl. 1. Teil Kap. 3 A. I. 2. d) bb) (2) (a) (bb), S. 86 f. 224 SG Hamburg, Urt. v. 7.2.2006 – S 48 KR 1620/03 Rn. 32. Die Klage wurde allerdings gleichwohl abgewiesen, weil nach Ansicht des Gerichts eine Standardmethode als Alternative bereitstand. 225 SG Frankfurt, Beschl. v. 22.8.2006 – S 21 KR 444/06 Rn. 25. 226 LSG Schl.-H., Breithaupt 2007, 721, 723. Bezug genommen wurde auf das hier im 1. Teil Kap. 3 A. I. 2. d) bb) (2) (a) (bb), S. 86 f. aufgeführte Urteil des BSG. 227 BSG, Urt. v. 28.2.2008 – B 1 KR 15/07 R; die Ausführungen zur MS als keiner Krankheit mit vergleichbarer Schwere sind nicht abgedruckt in GesR 2008, 444. 228 BSGE 96, 170, 173; 97, 112, 122; BSG, SozR 4-2500 § 31 Nr. 6 Rn. 17. Zuvor auch schon LSG Brandenburg, Urt. v. 28.3.2006 – L 24 KR 39/05 Rn. 73 (aufgehoben durch
A. Generelle Grenzen einer Rationierung im Gesundheitswesen
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scheidung nochmals vergrößert. Von dieser Übertragung ist auch die Rechtsprechung zum so genannten Off-label-use betroffen.229 Off-label-use bezeichnet die Anwendung eines Arzneimittels außerhalb des zugelassenen Anwendungsbereichs.230 Dabei stellen alle „Abweichungen von den Zulassungsangaben, die den Gebrauch des Arzneimittels betreffen, also insbesondere Veränderungen bezüglich der Darreichungsform, Anwendungsgebiete, Dosierung, Dauer der Anwendung, Gegenanzeigen, Warnhinweise, Vorsichtsmaßnahmen, Wechselwirkungen, Anwendung während der Schwangerschaft, Nebenwirkungen, Überdosierung (…) einen off label use oder zulassungsfremden Gebrauch dar“.231 (aa) Entwicklung der BSG-Rechtsprechung Ganz allgemein judiziert das BSG für Fertigarzneimittel, denen es an einer deutschen oder EU-weit geltenden arzneimittelrechtlichen Zulassung232 fehlt, dass sie nicht von der Leistungspflicht der GKV umfasst sein können, weil es ihnen an der Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit (§§ 2 Abs. 1, 12 SGB V) mangelt.233 Das Arzneimittelrecht ist dem Sozialrecht vorgreiflich.234 Das gilt auch für den Bereich des Off-label-use. Nach der Rechtsprechung des BSG haben Versicherte grundsätzlich auch keinen Anspruch auf Versorgung mit Arzneimittel, wenn diese außerhalb der zugelassenen Indikation zur Anwendung gelangen sollen.235 Ausnahmemöglichkeiten wurden zwar vom Achten Senat des BSG, SozR 4-2500 § 31 Nr. 8, weil es nach Auffassung des Gerichts an der erforderlichen Krankheitssituation fehlte, vgl. Rn. 16 ff.; s. auch 1. Teil Kap. 3 A. I. 2. d) bb) (1), S. 84. 229 Ebsen, in: v. Maydell/Ruhland/Becker, Sozialrechtshandbuch, § 15 Rn. 88; Goecke, NZS 2006, 291, 297; Hänlein, SGb 2007, 169, 171; Kuhlen/Kuhlen, AZR 2007, 62; Ulmer, SGb 2007, 585, 591; a.A. Lelgemann/Francke, BGesBl 2008, 509, 517. Schon vor den genannten BSG-Entscheidungen sprachen sich Kuhlen/Kuhlen, A/ZusR 2006, 11, 13, für die Gütigkeit der verfassungsrechtlichen Kriterien für die Verordnungsfähigkeit eines Arzneimittels außerhalb der zugelassenen Indikation aus. 230 BSGE 89, 184, 186; Niemann, NZS 2002, 361; Quaas/Zuck, Medizinrecht, § 53 Rn. 19; Wenner, SozSich 2006, 179. 231 Francke/Hart, SGb 2003, 653, 654; ähnlich Schelling, Der Internist 2008, 322; v. Wulffen, in: FS für Wiegand, S. 161, 162 f.; wohl a.A. Dierks, BGesBl 2003, 458, 460. 232 Einzelheiten zur Zulassung nach dem AMG bei Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 1229 ff.; Quaas/Zuck, Medizinrecht, § 52 Rn. 1 ff.; zur EU-weiten Zulassung mit zentralem und dezentralem Verfahren vgl. BSGE 93, 1, 5 m.w.N.; Hart, in: Rieger/Dahm/Steinhilper, HK-AKM, 320 Rn. 15 ff. 233 BSGE 72, 252, 257; 82, 233, 234; 89, 184, 185; 96, 1, 2, 6; 96, 153, 157; 96, 170, 172; 97, 112, 116 f.; BSG, NZS 1995, 361, 362; SGb 2007, 272, 278; SozR 4-2500 § 31 Nr. 8 Rn. 12; GesR 2008, 444, 446. 234 BSGE, 72, 252, 257; 82, 233, 236; 89, 184, 185 f.; Hart, in: Rieger/Dahm/Steinhilper, HK-AKM, 320 Rn. 19; ders., MedR 2002, 321, 322; der Rspr. offenbar zustimmend J. Becker, SGb 2004, 594, 599; kritisch Wölk, ZMGR 2006, 3, 7. Abw. auch BSGE 67, 36, 38; G. Schroeder-Printzen, MedR 1993, 339 f. 235 So der Achte Senat in BSGE 85, 36, 50 und später auch der Erste Senat in BSGE 89, 184, 186 unter Aufgabe der anders lautenden Rechtsauffassung aus BSGE 76, 194, 196; vgl. zu dieser auch Goecke, NZS 2002, 620, 622 f.; BSGE 97, 112, 116. Der Arzt ist aber
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3. Kap.: Rechtliche Grenzen von Rationierungsmaßnahmen
BSG für „gravierende Fälle“, etwa bei ernsthaften, lebensbedrohlichen Krankheiten und der Nichtverfügbarkeit einer Alternative angedeutet, aber nicht näher konkretisiert.236 Dies änderte sich mit einer Grundsatzentscheidung des Ersten Senats vom 19.3.2002237 (Sandoglobulin-Urteil), die sich mit der sozialrechtlichen Möglichkeit eines Off-label-use bei dem Vorliegen einer schwerwiegenden, also lebensbedrohlichen oder die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigenden Krankheit näher auseinandersetze.238 Wie schon im erwähnten Urteil des Achten Senats angedeutet, verlangt auch der Erste Senat, dass eine andere Therapie nicht zur Verfügung steht. Wenn zudem aufgrund der Datenlage die begründete Aussicht bestehe, dass mit dem betreffenden Präparat ein Behandlungserfolg (kurativ oder palliativ) erzielt werden könne, dürfe eine zulassungsüberschreitende Arzneimittelanwendung zu Lasten der Solidargemeinschaft stattfinden. Für die letztgenannte Voraussetzung müssten Forschungsergebnisse vorliegen, die erwarten ließen, dass das Arzneimittel für die betreffende Indikation zugelassen werden könne. Davon könne ausgegangen werden, wenn die Erweiterung der Zulassung bereits beantragt sei, die Ergebnisse einer kontrollierten klinischen Prüfung der Phase III (gegenüber Standard und Placebo)239 veröffentlicht seien und diese eine klinisch relevante Wirksamkeit respektive einen klinisch relevanten Nutzen bei vertretbaren Risiken belegten. Ausreichend sei es auch, wenn außerhalb eines Zulassungsverfahrens gewonnene Erkenntnisse veröffentlicht seien, die über Qualität und Wirksamkeit des Arzneimittels in dem neuen Anwendungsgebiet zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen zuließen und aufgrund derer in den einschlägigen Fachkreisen Konsens über einen voraussichtlichen Nutzen in dem vorgenannten Sinne bestehe.240 Bei einer gänzlich fehlenden arzneimittelgrds. im Rahmen seiner Therapiefreiheit berechtigt und ggf. sogar verpflichtet (str. – vgl. hierzu 2. Teil Kap. 4 A. III. 5. a) bb), S. 208 f.), ein Arzneimittel abweichend von der Zulassung einzusetzen; er muss dann aber allein die medizinische, standes- und strafrechtliche Verantwortung des Medikamenteneinsatzes und seiner Folgen tragen, vgl. Dahm, in: Rieger/Dahm/Steinhilper, 5090, Rn. 2; Niemann, NZS 2002, 361; Quaas/Zuck, Medizinrecht, § 2 Rn. 52; s. auch BSGE 85, 36, 50; BSGE 89, 184, 188; OLG Köln, VersR 1991, 186 m. Anm. Deutsch; BGH, NJW 1996, 1593, 1579 – insoweit nicht in BGHZ 131, 247; a.A. Hennies, ArztR 1996, 95, 96. Mrozynski, SGb 2003, 106, 107 f. erwägt, den Ärzten in bestimmten Fällen einen Off-label-use ausdrücklich zu untersagen oder an enge Voraussetzungen zu binden. Kritisch zu einer Vorgreiflichkeit des Arzneimittelrechts beim Off-labeluse J. Becker, SGb 2004, 594, 598 f. 236 BSGE 85, 36, 54; Goecke, NZS 2002, 620, 623. 237 BSGE 89, 184. 238 Der an MS erkrankte Kläger war durch die intravenöse Gabe des Arzneimittels Sandoglobulin behandelt worden. Die Zulassung des Präparates erstreckt sich jedoch nicht auf die Therapie der MS. Die begehrte Kostenerstattung wurde letztlich abgelehnt, weil es an einer der in dem Grundsatzurteil aufgestellten Voraussetzungen für einen Off-label-use (dazu sogleich) fehlte. 239 Zu den vier Phasen der klinischen Arzneimittelprüfung s. Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 1304 ff.; Ulsenheimer, in: Laufs/Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, § 148 Rn. 4 ff.; Quaas/Zuck, Medizinrecht, § 52 Rn. 23. 240 BSGE 89, 184, 191 f.
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rechtlichen Zulassung kam eine zulassungsüberschreitende Anwendung aber von vorn herein nicht in Betracht.241 (bb) Reaktionen auf das Sandoglobulin-Urteil des BSG, BSGE 89, 184 Insbesondere die klarstellende Wirkung der Sandoglobulin-Entscheidung des BSG sorgte für eine positive Resonanz in der Literatur.242 Auch wurde betont, das Urteil folge einem dringenden Bedürfnis im medizinischen Alltag.243 Tatsächlich ist ein Off-label-use von Arzneimitteln nicht selten, auf einigen Gebieten eher Regel denn Ausnahme.244 Die aufgestellten Kriterien für einen Off-labe-use blieben allerdings zum Teil unpräzise und bedurften der Konkretisierung.245 Hinsichtlich des Erfordernisses der anderweitig nicht verfügbaren Therapie wurde dafür plädiert, auch solche Situationen darunter zu fassen, in denen zwar eine andere Therapiemöglichkeit prinzipiell besteht, sie für den Patienten aber – etwa aufgrund von zu erwartenden Nebenwirkungen, schlechter Verträglichkeit oder höheren Behandlungsrisiken – keine wirkliche Alternative darstellt.246 Das BSG kam dieser Forderung in seiner Folgerechtsprechung zum „Nikolaus-Beschluss“ nach.247 Wegen der Wesentlichkeit der mit dem Off-label-use verbundenen Rechtsfrage wurde der Gesetzgeber vereinzelt zum Tätigwerden aufgefordert.248 In dem durch das GMG geschaffenen § 35b Abs. 3 SGB V wird denn auch die Anwendung von Arzneimitteln für Indikationen und Indikationsbereiche, für die sie nach dem AMG nicht zugelassen sind, thematisiert.249 Mit dem GKV-WSG wurde in § 35c
241
BSGE 96, 170, 172. C. Engelmann/Meurer/Verhasselt, NZS 2003, 70, 71; Goecke, NZS 2002, 620, 624; J. Schroeder-Printzen/Tadayon, SGb 2002, 664; ebenfalls Zustimmung bei Mrozynski, SGb 2003, 106; Niemann, NZS 2002, 361, 366. 243 Niemann, NZS 2002, 361, 366. 244 Ein Gebiet, auf dem es verstärkt zu einem Off-label-use kommt ist die Pädiatrie, vgl. BSGE 89, 184, 187 f.; v. Wulffen, in: FS für Wiegand, S. 161, 163; Schimmelpfeng-Schütte, MedR 2004, 655, 656; dies., GesR 2004, 361, 364; dies., GesR 2006, 12, 14; vgl. auch die Verordnungsanalyse zum Off-label-use von Arzneimitteln im Kindes- und Jugendalter von Mühlbauer/Janhsen/Pich-ler/Schoettler, DÄBl. 2009, 25 ff.; ein Bedarf für den off-lableuse besteht unbestritten auch in den Fachbereichen der Neurologie, Psychiatrie und Gynäkologie (vgl. Schelling, Der Internist 2008, 322 sowie bei der Behandlung von lebensbedrohlichen Erkrankungen wie Krebs oder Aids, s. BSGE 89, 184, 188; Schelling, a.a.O.; v. Wulffen, in: FS für Wiegand, S. 161, 163; schließlich ist auch bei seltenen Erkrankungen ist ein hoher Prozentsatz an Behandlungen im Off-label-Bereich zu verzeichnen, vgl. Lelgemann/Francke, BGesBl 2008, 509, 510. 245 Vgl. C. Engelmann/Meurer/Verhasselt, NZS 2003, 70, 72 f.; Francke/Hart, SGb 2003, 653, 660 f.; Goecke, NZS 2002, 620, 625 ff.; J. Schroeder-Printzen/Tadayon, SGb 2002, 664 ff. 246 Dierks, BGesBl 2003, 458, 460; Goecke, NZS 2002, 620, 625; Mrozynski, SGb 2003, 106, 107; J. Schroeder-Printzen/Tadayon, SGb 2002, 664, 665; Wölk, ZMGR 2006, 3, 9. 247 S. dazu 1. Teil Kap. 3 A. I. 2. d) bb) (2) (b) (dd), S. 95. 248 Vgl. Mrozynski, SGb 2003, 106, 108. 249 Näher zu dieser Vorschrift im 1. Teil Kap. 3 A. I. 2. d) bb) (2) (b) (cc), S. 93 ff. 242
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3. Kap.: Rechtliche Grenzen von Rationierungsmaßnahmen
SGB V zudem eine Regelung für den Off-label-use im Rahmen klinischer Studien aufgenommen. Scharfe Kritik an dem Urteil äußerte Schimmelpfeng-Schütte, indem sie darauf hinwies, dass eine Vielzahl von Patienten, die auf einen Off-Label-Use angewiesen seien, schlicht unbehandelt bliebe, wenn die Ärzte die höchstrichterliche Rechtsprechung konsequent beachteten. Dies gelte ganz besonders für die Pädiatrie, weil hier Ärzte seit Jahren zahlreiche Arzneimittel anwendeten, ohne dass es hierfür Studien oder veröffentlichte Forschungsergebnisse gebe.250 Auch könne es schlicht an einer schwerwiegenden Krankheit fehlen.251 Aufmerksam machte sie auch auf die möglichen Pflichtenkollisionen zwischen verschiedenen Rechtsgebieten.252 Mit Blick auf zwei dem „Nikolaus-Beschluss“ vorausgehenden Beschlüsse des BVerfG253 mahnt sie eine verfassungskonforme und an Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG orientierte Schließung der im Arzneimittelrecht ihre Ursache findenden Versorgungslücke an.254 Ganz ähnlich argumentiert Goecke, der die Problematik der Entscheidung anhand dreier unterschiedlicher Fallgruppen aufzeigt. Zum einen komme es häufig vor, dass ein Off-label-use seitens der Ärzte für notwendig und richtig gehalten werde, gleichzeitig aber noch keine Studie vorliege, die allen medizinstatistischen Anforderungen an eine klinische Studie standhalte. Die zweite Fallgruppe spricht Behandlungssituationen an, in denen der Erfolg des Einsatzes eines Arzneimittels sicher ermittelbar sei. Zwar sei es richtig, dass es viele Krankheiten gebe, bei denen die Kausalität des Einsatzes eines Arzneimittels für die Heilung oder die Linderung der Krankheit in einem Einzelfall kaum nachweisbar sein dürfte und deswegen Einzelfallerfolge bei solchen Krankheiten zu Recht skeptisch betrachtet würden. Trete aber die sofortige Wirkung im Einzelfall messbar ein, würden der behandelnde Arzt und der Patient die betreffende Therapie bei fehlenden Alternativen durchführen wollen. Und schließlich seien die Fälle problematisch, in denen dem zulassungsüberschreitenden Einsatz von Arzneimitteln nach der Überzeugung der Experten des betreffenden medizinischen Fachgebiets zwar noch Versuchscharakter anhafte, jedoch eine medizinisch begründbare Aussicht auf Heilung oder Linderung verspricht. Befürworte der behandelnde Arzt – und mit ihm die medizinische Praxis in diesem Fachgebiet – diese Behandlung, weil mit diesem Off-label-use der Behandlungserfolg jedenfalls näher liege als sein Ausbleiben und andernfalls jedenfalls die Erkrankung unheilbar fortschreite, würde sich der Patient auch in diesem Fall regelmäßig nach der entsprechend erfolgten Aufklärung für eine derartige Arzneimitteltherapie entscheiden. Wenn man das Urteil des BSG so deute, dass allein klinische Studien, die die höchste Evidenzstufe erreichten, eine Verordnung eines Arzneimittels im Off-label-use zu Lasten der GKV rechtfertige, müsse in allen drei genannten Fallgruppen die Leistungspflicht 250
Schimmelpfeng-Schütte, MedR 2004, 655, 656 f.; dies., GesR 2006, 12, 14. Schimmelpfeng-Schütte, GesR 2006, 12, 14. 252 Schimmelpfeng-Schütte, MedR 2004, 655, 657; dies., GesR 2004, 361, 364; ebenfalls angesprochen von Schelling, Der Internist 2008, 322, 323. 253 BVerfG, NJW 2003, 1236; NJW 2004, 3100. 254 Schimmelpfeng-Schütte, MedR 2004, 655, 657 f.; ähnlich dies., GesR 2006, 12, 14. 251
A. Generelle Grenzen einer Rationierung im Gesundheitswesen
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der Krankenkassen verneint werden.255 Das habe zur Konsequenz, dass der Patient in diesen Fällen entweder selbst zahlen müsse, wenn er nicht mangels zugelassener Therapiemöglichkeiten gänzlich unbehandelt bleiben möchte.256 Goecke spricht sich zudem aus verfassungsrechtlichen Gründen für den Bereich des Offlabel-use in der GKV hinsichtlich der Frage nach der Qualität und der Wirksamkeit des Arzneimittels für eine Einzelfallbetrachtung aus257 und sieht sich durch die jüngste verfassungsgerichtliche Entwicklung bestätigt.258 Wie zu zeigen sein wird, hat sich durch den „Nikolaus-Beschluss“ in der Tat eine neue Situation ergeben, welche die bisher genannten Kritikpunkte teilweise ausräumt.259 Die Erörterung der Auswirkungen des Beschlusses auf das Spannungsverhältnis von Haftungs- und Sozialrecht wird dann im zweiten Teil der Arbeit erfolgen. Ein weiterer in der Literatur angesprochener Kritikpunkt ist die Beschränkung der Möglichkeit eines Off-label-use auf lebensbedrohliche oder die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigende Erkrankungen.260 Fraglich sei die Beschränkung zumindest für die Fälle, in denen ein Off-label-use bereits dem medizinischen Standard entspricht.261 Diesen Bedenken ist zuzustimmen, da eine allgemein anerkannte Methode den Anforderungen des § 2 Abs. 1 S. 3 SGB V entspricht.262 Die Beschränkung stößt auch deshalb auf Kritik, weil insbesondere in der Pädiatrie für eine Vielzahl von Erkrankungen überhaupt keine „On-LabelTherapien“ zur Verfügung steht.263 Bezüglich dieser Kritikpunkte gibt es eine gesetzliche Abhilfemöglichkeit. (cc) Bewertungen durch Expertengruppen Gemäß dem bereits erwähnten § 35b Abs. 3 SGB V beruft das BMG beim BfArM Expertengruppen, die Bewertungen zum Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis über die Anwendung von zugelassenen Arzneimitteln für Indikationen und Indikationsbereiche, für die sie nach dem AMG nicht zugelassen sind, abgeben. Bereits gebildet wurden Expertengruppen für die Fachbereiche der Onkologie, der Infektiologie mit dem Schwerpunkt HIV/AIDS sowie der Neurologie/Psychiatrie.264 Gemäß § 35b Abs. 3 S. 4 sollen die Bewertungen nur mit Zustimmung des pharmazeutischen Unternehmens erstellt werden. Die Bewertungen werden dem G-BA als Empfehlung zur Beschlussfassung nach § 92 Abs. 1 S. 2 Nr. 6 SGB V, also für den Erlass von Arzneimittel-Richtlinien zugeleitet, § 35 Abs. 3 S. 2 i.V.m. Abs. 2 255
Goecke, NZS 2006, 291, 292 f.; ders., in: FS für Raue, S. 27, 32 f. Goecke, NZS 2006, 291, 292. 257 Goecke, NZS 2006, 291, 294 ff.; ders., in: FS für Raue, S. 27, 36 ff. 258 Goecke, NZS 2006, 291, 294 ff. 259 Vgl. hierzu 1. Teil Kap. 3 A. I. 2. d. bb) (2) (b) (dd), S. 95 f. 260 J. Becker, SGb 2004, 594, 599; Wölk, ZMGR 2006, 3, 8. 261 Wölk, ZMGR 2006, 3, 8. 262 Näher zum Verhältnis von § 2 Abs. 1 S. 3 SGB V und dem medizinischen Standard im 2. Teil Kap. 3 B. I., S. 190 u. 2. Teil Kap. 4 A. III. 1., S. 201 f. 263 Schelling, Der Internist 2008, 322, 323. 264 Schelling, Der Internist 2008, 322, 323. 256
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3. Kap.: Rechtliche Grenzen von Rationierungsmaßnahmen
S. 1 SGB V. So sollen die Voraussetzungen für einen Anspruch von Versicherten auf die Anwendung eines Arzneimittels im Off-label-use geschaffen werden, wenn dies den wissenschaftlichen Erkenntnissen entspricht;265 auch soll eine gewisse Kanalisierung erreicht werden.266 Durch eine effektive und effiziente Arbeit der Expertengruppen verlöre die Rechtsprechung zum Off-label-use an Bedeutung, weil der G-BA verstärkt in die Rolle der Arzneimittelbewertungsinstitution einrückte.267 Da § 35b Abs. 3 SGB V keine Beschränkung auf bestimmte Krankheitssituationen und Schweregrade zu entnehmen ist, kann gerade dann, wenn ein Off-label-use dem medizinischen Standard entspricht, eine Kostentragungspflicht der Krankenkassen auch jenseits lebensbedrohlicher oder die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigende Erkrankungen ergeben.268 Kritisch zu bemerken ist aber, dass in § 35b Abs. 3 SGB V keine Voraussetzungen für eine Berufung der Expertengruppen durch das BMG und ferner keine Informationen darüber enthält, ob ein Antragsrecht auf eine solche Berufung sowie eine Beauftragungsbefugnis der einmal berufenen Expertengruppen besteht.269 So bleibt unklar, ob die Expertengruppen von Amts wegen tätig werden oder ob eine Beauftragung analog § 35b Abs. 1 S. 2 erforderlich sein soll.270 Außerdem greift die Vorschrift mit ihrem Bezug zu „Indikationen und Indikationsbereichen“ nur einen sehr engen Bereich des Off-label-use auf. Wie mit weiteren Abweichungen im Sinne der oben genannten weiten Begriffsdefinition umgegangen werden soll, verrät sie nicht.271 Auch wird bemängelt, dass die rechtliche Qualität der Bewertungen zweifelhaft sei, weil eine eigenständige Kompetenz des G-BA für die Bewertung des Off-label-use gerade verneint werde. Daher, so wird geschlussfolgert, hätten sie letztlich keinen normativen Charakter, sondern stellten nur eine Wiedergabe von sachverständigen Bewertungen dar.272 Mit der Aufnahme in eine Arzneimittel-Richtlinie wird jedoch die verbindliche Wirkung der Bewertungsergebnisse begründet. Schließlich ist das Verhältnis des § 35b Abs. 3 SGB V zur arzneimittelrechtlichen Regelung des § 25 Abs. 7a S. 7 AMG273 unklar.274
265
BT-Drs. 15/1525, S. 89; Hess, in: KassKomm, § 35b SGB V Rn. 34; Schwee, Die zulassungsüberschreitende Verordnung von Fertigarzneimitteln (Off-Label-Use), S. 144. 266 Ebsen, in: v. Maydell/Ruland/Becker, Sozialrechtshandbuch, § 15 Rn. 88. 267 Hart, SGb 2005, 649, 652. 268 Außerhalb des Anwendungsbereichs des § 35b Abs. 3 SGB V kann eine Leistungspflicht für den Off-label-use gemäß dem durch den ebenfalls bereits erwähnten § 35c SGB V im Rahmen klinischer Studien bestehen, vgl. Hess, in: KassKomm, § 35c SGB V Rn. 3; Lelgemann/Francke, BGesBl 2008, 509, 517. 269 Schwee, Die zulassungsüberschreitende Verordnung von Fertigarzneimitteln (OffLabel-Use), S. 145. 270 Hess, in: KassKomm, § 35b SGB V Rn. 34; Schwee, Die zulassungsüberschreitende Verordnung von Fertigarzneimitteln (Off-Label-Use), S. 145. 271 Schwee, Die zulassungsüberschreitende Verordnung von Fertigarzneimitteln (OffLabel-Use), S. 146. 272 A. Becker, Die Steuerung der Arzneimittelversorgung im Recht der GKV, S. 184. 273 Eingeführt mit dem Zwölften Gesetz zur Änderung des Arzneimittelgesetztes v. 30.7.2004, BGBl. I 2004, S. 2031.
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Diese Vorschrift ist die erste deutsche Regelung einer Problematik des Offlabel-use.275 Sie bestimmt zunächst in ihrem ersten Satz, dass zur Verbesserung der Arzneimittelsicherheit für Kinder und Jugendliche beim BfArM eine Kommission für Arzneimittel für Kinder und Jugendliche gebildet wird. In Satz 7 heißt es dann, dass die Kommission zu Arzneimitteln, die nicht für die Anwendung bei Kindern oder Jugendlichen zugelassen sind, den anerkannten Stand der Wissenschaft dafür feststellen kann, unter welchen Voraussetzungen diese Arzneimittel bei Kindern oder Jugendlichen angewendet werden können. Hiermit ist aber noch keine Aussage darüber getroffen, wie sich die Feststellungen der Kommission auf den Zulassungsstatus des Arzneimittels auswirken. Dafür hätte es eines deutlicheren Wortlauts bedurft. Vielmehr ist davon auszugehen, dass dieser Teil der Regelung eher einen berufsrechtlichen Zweck hat und deswegen rechtstechnisch falsch platziert ist. „Folglich kann es nur darum gehen, arzneimittelrechtlich den bestimmungsgemäßen Gebrauch und berufs- und haftungsrechtlich den geltenden Standard einer Behandlung festzustellen und damit die Annahme eines Heilversuchs auszuschließen.276 (dd) Neue Situation durch den „Nikolaus-Beschluss“ Mit der Übertragung der Grundsätze des BVerfG kann ein Arzneimittel zu Lasten der GKV auch dann verschrieben werden, wenn es nur im Ausland zugelassen ist277 und sogar dann, wenn es außerhalb seiner ausländischen Zulassung angewandt werden soll.278 Hinsichtlich der erforderlichen Krankheitssituation kommt das BSG den genannten Forderungen in der Literatur nach und stellt Fälle, in denen überhaupt 274
Schwee, Die zulassungsüberschreitende Verordnung von Fertigarzneimitteln (OffLabel-Use), S. 146, s. auch die weiterführende Kritik auf S. 162. 275 Francke/Hart, SGb 2003, 653, 656; Schwee, Die zulassungsüberschreitende Verordnung von Fertigarzneimitteln (Off-Label-Use), S. 144. 276 Francke/Hart, SGb 2003, 653, 656; Schwee, Die zulassungsüberschreitende Verordnung von Fertigarzneimitteln (Off-Label-Use), S. 155. 277 BSGE 96, 170, 175; es sind aber folgende Voraussetzungen einzuhalten: Es darf kein Verstoß gegen das Arzneimittelrecht vorliegen (1), unter Berücksichtigung des Wahrscheinlichkeitsmaßstabes (dazu sogleich) überwiegt bei der vor der Behandlung erforderlichen sowohl abstrakten als auch speziellen auf den Versicherten bezogenen konkreten Analyse und Abwägung von Chancen und Risiken der voraussichtliche wissenschaftliche Nutzen (2), die Behandlung muss auch im Übrigen den Regeln der ärztlichen Kunst entsprechend durchgeführt und ausreichend dokumentiert werden (3) und schließlich muss sichergestellt sein, dass der Versicherte nach der erforderlichen ärztlichen Aufklärung ausdrücklich in die beabsichtigte Behandlung eingewilligt hat (4). Vgl. auch Hänlein, SGb 2007, 169, 171; Kuhlen/Kuhlen, AZR 2007, 62, 63. Schon in BSGE 93, 236, 239, 243 f. hatte das BSG befunden, dass ein nur im Ausland zugelassenes Arzneimittel im Rahmen einer Therapie auch dann zur Leistungspflicht gehört, wenn eine sehr seltene Krankheit vorliegen sollte, die sich wegen ihrer Seltenheit der systematischen Untersuchung entzieht und für die deshalb keine auf ihre wissenschaftliche Wirkung überprüfte Behandlungsmethode zur Verfügung stehen kann. 278 Vgl. BSGE 170, 179 ff.
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3. Kap.: Rechtliche Grenzen von Rationierungsmaßnahmen
keine Behandlungsmethode zur Verfügung steht, jenen gleich, in denen es zwar grundsätzlich eine solche anerkannte Methode gibt, diese aber bei dem konkreten Versicherten wegen des Bestehens gravierender gesundheitlicher Risiken nicht angewandt werden kann. Letzteres sei insbesondere dann der Fall, wenn schwerwiegende Nebenwirkungen aufträten, die eine weitere Anwendung der Standardarzneimitteltherapie ausschlössen und auch die Anwendung eines anderen anerkannten Arzneimittels ausscheide.279 Der dahinter stehende Gedanke gilt ganz allgemein im Bezug auf die Umsetzung des „Nikolaus-Beschlusses“, denn das BSG äußerte sich in gleicher Weise in einem Fall, in dem es keine Arzneimitteltherapie zu bewerten hatte, sondern in dem es um die Behandlung mit der Laserinduzierten Interstitiellen Thermotherapie (LITT) ging. Dabei handelt es sich um ein Verfahren zur Zerstörung von Tumoren oder Metastasen bei Krebskranken. Der vom BVerfG geforderte Bereich einer weiten, verfassungskonformen Auslegung der Vorschriften des SGB V sei auch dann eröffnet, wenn nach allgemeinem Standard anerkannte Behandlungsmethoden im konkreten Einzelfall ausschieden, weil der Versicherte diese nachgewiesenermaßen nicht vertrage.280 Mit der Übertragung der Grundsätze des BVerfG auf den Arzneimittelbereich wurden zudem die hohen Anforderungen an Qualität und Wirksamkeit des Arzneimittels im Off-label-use revidiert.281 Ausreichend ist jetzt auch hier ein ernsthafter Hinweis auf einen individuellen Wirkungszusammenhang, zu dessen Ermittlung dieselben Erwägungen wie bei neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden heranzuziehen sind.282 „Eine positive Auswirkung auf den Krankheitsverlauf ist zu bejahen, wenn zumindest das Fortschreiten der Krankheit aufgehalten oder Komplikationen verhindert werden.“283 Wiederum wird eine Abstufung der Anforderungen je nach Schweregrad der Erkrankung vorgenommen.284 Insgesamt ist zu beobachten, dass das BSG die Umsetzung des „NikolausBeschlusses“ im Bereich des Off-label-use einigermaßen restriktiv handhabt.285
279
BSGE 96, 170, 176. BSGE 97, 190, 196. 281 Kuhlen/Kuhlen, A/ZusR 2006, 130. 282 BSGE 96, 170, 180; Quaas/Zuck, Medizinrecht, § 53 Rn. 20. So auch schon die Erwartung von Kuhlen/Kuhlen, vor der Umsetzung durch das BSG; ähnlich auch schon SG Frankfurt, Beschl. v. 22.12.2005 – S 21 KR 837/05 R Rn. 38: „Vielmehr kann auch ein Wirksamkeitsnachweis durch ärztliche Erfahrung grundsätzlich ausreichen, sofern gewährleistet ist, dass das positive Votum für einen Off-Label-Use auf besonders ausgewiesener ärztlicher Fachkunde beruht“; wortgleich auch SG Frankfurt, Beschl. v. 2.3.2006 – S 18 KR 158/06 ER Rn. 23. 283 BSGE 96, 170, 179. 284 BSGE 96, 170, 178. 285 Vgl. die Rspr.-Auswertung bei Lelgemann/Francke, BGesBl 2008, 509, 513 ff.; s. auch Kuhlen/Kuhlen, AZR 2007, 62, 63 f. 280
A. Generelle Grenzen einer Rationierung im Gesundheitswesen
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(3) Gefahr einer fehlenden Begrenzungsmöglichkeit der Gesundheitskosten Mitunter wird befürchtet, der „Nikolaus-Beschluss“ berge die Gefahr, dass das Gemeinwesen die Gesundheitskosten gar nicht mehr begrenzen könne. Wenn sich aus Art. 2 GG und dem Sozialstaatsprinzip ein Anspruch selbst auf die Finanzierung äußerst umstrittener Behandlungsmethoden ergebe, sei nicht ersichtlich, wie – jedenfalls bei ernsthaften Krankheiten – eine Leistungsbegrenzung in verfassungsrechtlich zulässiger Weise noch erfolgen kann.286 Auch unter Berücksichtigung der von ihr vorgenommenen Einschränkung auf ernsthafte Krankheiten, greift diese Einschätzung in ihrer Konsequenz zu weit.287 Selbst wenn man den Anwendungsbereich der Entscheidung über lebensbedrohlich oder regelmäßig tödlich verlaufenden Krankheit hinaus vorsichtig auf notstandsähnliche Extremsituationen und Krankheiten, die sich wegen ihrer Seltenheit der systematischen und wissenschaftlichen Untersuchung entziehen, erweitert und ihre Grundsätze auf den Arzneimittelsektor überträgt, ist für eine Relevanz der Maßgaben der Entscheidung zusätzlich in jedem Falle erforderlich, dass keine dem medizinische Standard entsprechende Behandlungsmethode zur Verfügung steht.288 Das BVerfG selbst hat die Verfassungsmäßigkeit der den allgemeinen Leistungskatalog beschränkenden Vorschriften hervorgehoben289 und abermals betont, dass die gesetzlichen Krankenkassen von Verfassungs wegen nicht gehalten sind, alles das zu leisten, was an Mitteln zur Erhaltung oder Wiederherstellung der Gesundheit verfügbar ist.290 Gleichwohl ist der Beschluss für die Möglichkeiten einer Kostendämpfung im Gesundheitswesen von einigem Gewicht, gerade „angesichts des Umstandes, dass ein erheblicher Teil der Gesundheitskosten auf die letzten Lebensmonate entfällt und die Intensivmedizin im Bereich der Lebensverlängerung noch enormes Entwicklungspotential besitzt“.291 Zwar ist es so, dass „diese Leistungen mit hoher Sicherheit nur noch ein kurzes Weiterleben mit sehr eingeschränkter Lebensquali-
286 So Huster, JZ 2006, 466, 468; Huster/Penner, in: DFG-FOR 655, Priorisierung in der Medizin, S. 162, 165. 287 In diesem Sinne wohl auch Schmidt-De Caluwe, SGb 2006, 619, 625 mit Fn. 22. 288 Ganz allgemein kritisiert Huster weiterhin, dass „eine Rechtsprechung, die uns unter Berufung auf die Grundrechte zwingt, immer mehr Ressourcen in das Versorgungssystem zu leiten“, irrationale Effekte habe. Eine Rechtsprechung der verfassungsrechtlichen Verfestigung von Versorgungsansprüchen lasse den Vergleich des Grenznutzens unterschiedlicher Maßnahmen leerlaufen, vgl. Huster, JZ 2008, 859, 863. 289 Dies betont auch Steiner, in: Kingreen/Laux, Gesundheit und Medizin im interdisziplinären Diskurs, S. 129, 141 und hält fest, dass kein Anlass zu der Sorge bestehe, dass der „Nikolaus-Beschluss“ das System der gesetzlichen Krankenversicherung finanzwirtschaftlich destabilisiere. 290 BVerfGE 115, 25, 46, mit Verweis auf BVerfG [K], NJW 1997, 3085. 291 Huster, in: Rauprich/Marckmann/Vollmann, Gleichheit und Gerechtigkeit in der modernen Medizin, S. 187, 204.
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3. Kap.: Rechtliche Grenzen von Rationierungsmaßnahmen
tät einbringen“,292 andererseits wurden aber auch die Anforderungen, die eine Methode für das Bestehen einer Leistungspflicht zu erfüllen hat, seitens des BVerfG herabgesetzt. Sie scheinen nicht unerreichbar hoch.293 Es verwundert nicht, dass der Beschluss als Absage an Rationierungsphilosophien gesehen wird.294 Jedenfalls stößt eine Rationierung an verfassungsrechtliche Grenzen.295 Ist der Anwendungsbereich der jüngsten verfassungsgerichtlichen Entscheidung eröffnet, dann sind diese in der Tat als eng anzusehen.296 Der Beschluss hat einen „Antragsboom auf Kostenerstattung für außervertragliche Leistungen ausgelöst“.297 Es wird aber die Erwartung geäußert, dass es keine nennenswerte Ausweitung der gewährten Leistungen geben werde.298 Insgesamt bleibt abzuwarten, inwieweit die angesichts eines „bewegenden Einzelschicksals“299 aufgestellten Grundsätze auf Dauer konsequent berücksichtigt werden oder ob später nicht doch wieder die Finanzierbarkeit des Gesundheitssystems in den Mittelpunkt der verfassungsrechtlichen Überlegungen rückt.
II. Die Eigentumsgarantie, Art. 14 Abs. 1 GG Die Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 kann als eine weitere rechtliche Grenze einer Rationierung medizinischer Leistungen nur dann relevant werden, wenn krankenversicherungsrechtliche Leistungsansprüche in den Schutzbereich dieses Grundrechts einzubeziehen sind.
292
Huster, in: Rauprich/Marckmann/Vollmann, Gleichheit und Gerechtigkeit in der modernen Medizin, S. 187, 204. 293 In diesem Sinne auch Huster, JZ 2006, 466, 467, der vermutet, dass sich, nimmt man das BVerfG beim Wort, kaum noch eine Methode als unwirksam ausschließen lasse. Hess, GGW 4/2006, 7, 14, hält den Nachweis der Unwirksamkeit eines Heilversuches wegen der positiven psychologischen Wirkung für sehr schwer. Wenner, SozSich 2006, 174, 177, hingegen warnt vor hohen Anforderungen an die Sachaufklärung, die an Krankenkassen und Gerichte gestellt werden. 294 So Dettling, GesR 2005, 97, 102, der den Beschluss begrüßt; Welti, SGb 2007, 210, 213 sieht den Beschluss als Positionierung zu gesetzlichen und untergesetzlichen Rationierungen, die in den nächsten Jahren noch bedeutsam werden könne. 295 Hess, GGW 4/2006, 7, 10. 296 So auch Wenner, SozSich 2006, 174, 176. Die zitierte Aussage Uhlenbrucks entstammt jedoch einer anderen Zeit. 297 Burkhard, VersMed 2006, 181, 184. 298 Platzer, RPG 2006, 59, 63. Dies sei auch nicht die Intention der Richter gewesen. Vielmehr hätten diese wohl primär die Neubalance zwischen generalisierender und individueller Entscheidungsfindung zum Ziel gehabt. 299 Heinig, NVwZ 2006, 771.
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1. Sozialrechtliche Positionen und Schutzbereich des Art. 14 GG Die Frage, ob sozialrechtliche Positionen verfassungsrechtlichen Eigentumsschutz genießen, beschäftigt Rechtsprechung und Literatur schon seit geraumer Zeit.300 Zu ihr hat das BVerfG für das Krankenversicherungsrecht und seine Leistungsansprüche als speziellem Teilbereich der Sozialversicherung noch nicht Stellung bezogen. a) Anfängliche Entwicklung der Rechtsprechung und in der Literatur Schon früh wurden reine Fürsorgeansprüche aus dem Schutzbereich des Art. 14 GG ausgeschlossen.301 Ebenso frühzeitig wurde festgestellt, subjektiv-öffentlichen Rechten – zu denen auch sozialrechtliche Ansprüche zu zählen sind302 – könne nur dann Eigentumsschutz gewährt werden, wenn der das jeweilige Recht begründende Sachverhalt seinem Inhaber „eine Rechtsposition verschafft, die derjenigen des Eigentümers so nahe kommt, daß Art. 14 GG Anwendung finden muß“.303 Im Übrigen ließ das BVerfG die Beantwortung der Frage nach der Eigentumsfähigkeit sozialrechtlicher Positionen möglichst offen.304 Dies erscheint nur allzu verständlich, liegt doch mit einer eigentumsrechtlichen Verfestigung solcher Positionen die Gefahr einer Blockade der staatlichen Leistungsgesetzgebung nahe.305 Vor allem, weil der soziale Leistungssektor stetig ausgebaut wurde und der Bürger von Sozialkürzungen überwiegend verschont blieb,306 hielt die Sozialgesetzgebung in den angestrengten Verfahren einer verfassungsrechtlichen Überprüfung lange stand.307 Parallel zu dieser eher zögerlichen Entwicklung der Rechtsprechung des BVerfG308 wurde die Thematik seitens des Schrifttums intensiver und überwiegend mit das Ergebnis betreffenden Festlegungen erörtert.309 300
Katzenstein, in: FS für Simon, S. 847, 854 f.; Michalski, VersR 1996, 265, 268; Philipp, Arzneimittellisten und Grundrechte, S. 186; Schmidt-Aßmann, Grundrechtspositionen und Legitimationsfragen im öffentlichen Gesundheitswesen, S. 34; Stober, SGb 1989, 53; Vosteen, Rationierung im Gesundheitswesen und Patientenschutz, S. 273. Offen gelassen wurde die Frage für den Anspruch auf Krankengeld, vgl. BVerfG [K], NJW 1997, 2444, 2445; BVerfGE 97, 378, 385. 301 BVerfGE 2, 380, 402; 11, 64, 70; 16, 94, 113; 19, 354, 370. 302 Bleckmann, Staatsrecht II, § 35 Rn. 43; Diemer, VSSR 1982, 325, 330. 303 BVerfGE 4, 219; vgl. auch BVerfGE 11, 221, 226; 14, 288, 293; 15, 167, 200; 16, 94, 111 f.; 18, 392, 397; 24, 220, 225 f.; 45, 142, 170; 48, 403, 412. 304 Rüfner, in: Verfassungsrechtlicher Eigentumsschutz sozialer Rechtspositionen, S. 169. Vgl. auch Katzenstein, in: FS für Simon, S. 847, 849. 305 Gitter, NZA 1984, 137, 138; Heinze, in: Verhandlungen des 55. DJT (1984) Bd. I, E 1, E 48. Dass sich die geschilderte Befürchtung als unbegründet erweist, wird sich später herausstellen, vgl. 1. Teil Kap. 3 A. II. 3., S. 112 f. 306 Katzenstein, in: FS für Simon, S. 847 f.; Lenze, Staatsbürgerversicherung und Verfassung, S. 41; Stober, in: Verfassungsrechtlicher Eigentumsschutz sozialer Rechtspositionen, S. 9, 67; 307 Stober, in: Verfassungsrechtlicher Eigentumsschutz sozialer Rechtspositionen, S. 9, 67. 308 Alles andere als zurückhaltend judizierte hingegen der BGH, die Eigentumsgarantie erstrecke sich auf jedes vermögenswerte Recht, gleichgültig, ob es dem bürgerlichen oder
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3. Kap.: Rechtliche Grenzen von Rationierungsmaßnahmen
b) Verfassungsgerichtliche Anerkennung der Eigentumsfähigkeit von Rentenpositionen Vollends in den Vordergrund der verfassungsgerichtlichen Überlegungen rückte die Problematik, als der Gesetzgeber im Jahr 1977 erstmals seit Kriegsende größere Eingriffe im Rentenrecht vornehmen musste,310 die Ausgangspunkt einer seither im Wesentlichen für die Sozialgesetzgebung typischen Entwicklung waren, in welcher drohenden Defiziten einzelner Sozialleistungssysteme seitens des Gesetzgebers entgegengewirkt wurde.311 In diese Phase fielen die Entscheidungen des Verfassungsgerichts, mit welchen es die Eigentumsfähigkeit von rentenversicherungsrechtlichen Ansprüchen und Anwartschaften anerkannte.312 Diese Rechtsprechung des BVerfG stieß auf ein breites Öffentlichkeitsinteresse.313 Diesem „verfassungsrechtlichen Durchbruch“ war im Jahr 1971 ein viel beachtetes Sondervotum der Richterin Rupp-von Brünneck314 vorausgegangen, in dem sie die bishedem öffentlichen Recht angehört, vgl. BGHZ 6, 270, 278. Das BSG bezog Renten der Sozialversicherung in den Schutzbereich des Art. 14 GG mit ein, vgl. BSGE 9, 127, 128. 309 Teilweise konzentrierte sich die Diskussion auf Rentenansprüche und -anwartschaften, einige Autoren befassten sich allgemein mit sozialrechtlichen Positionen. Positiv zu einer Einbeziehung in den verfassungsrechtlichen Eigentumsschutz äußern sich Benda/Kreuzer, ZSR 1974, 1, 16; W. Bogs, ZSR 1962, 189, 191 f.; M. Dietlein, ZSR 1974, 129 ff., welcher die Einbeziehung sozialer Rechtspositionen an das Vorliegen bestimmter Voraussetzungen knüpft (S. 147) aber darauf hinweist, dass eine einheitliche Antwort ob der Vielgestaltigkeit der Spielarten, gesetzlichen Ausformungen und Zwecke der sozialen Sicherung nicht zu finden sei (S. 131). Auch könnten keine fest umgrenzten Rechte, sondern nur ein nach dem jeweiligen sozialen Sicherungszweck näher zu bestimmender Anspruchskern in den Schutz des Art. 14 GG einbezogen werden (S. 141); Dürig, JZ 1954, 4, 9 Fn. 27; ausführlich zu subjektiven öffentlichen Rechten als Eigentum im Sinne des Art. 14 GG ders., in: FS für Apelt, S. 13 ff. (mit spezieller Einbeziehung von Ansprüchen aus der Sozialversicherung auf S. 27 f.; H. P. Ipsen, JZ 1953, 663, 664; für ein breite Einbeziehung Rohwer-Kahlmann, ZSR 1956, 239, 240 ff., 308 ff.; Ule, ZSR 1956, 180, 182 f.; Wannagat, in: FS für Peters, S. 171, 179 ff.; Weber, AöR 91 (1966), 382, 400. Eine ablehnende Haltung nehmen ein v. Altrock, in: FS für W. Bogs, S. 15, 32 f.; H. Bogs, RdA 1973, 26, 28 ff., Papier, VSSR 1973, 33, 46 ff.; gegen eine Einbeziehung jedweder subjektiv öffentlicher Rechte Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht Bd. II, S. 19 f.; skeptisch Meydam, Eigentumsschutz und sozialer Ausgleich in der Sozialversicherung, S. 34, 46 f.; Rüfner, VVDStRL 28 (1970), 187, 199; Zimmer, DÖV 1963, 81, 83, der der Heranziehung des Art. 14 GG allenfalls akademische Bedeutung beimessen will. 310 v. Brünneck, JZ 1990, 992; Lenze, Staatsbürgerversicherung und Verfassung, S. 41. 311 Katzenstein, in: FS für Zeidler, S. 645, 646. Auch im Bereich des Gesundheitswesens setzte die Kostendämpfungsgesetzgebung im Jahre 1977 ein, vgl. die ausführlichen Darstellung im 1. Teil, Kap. 1 D., S. 15 ff. 312 Beginnend mit dem Urteil des Ersten Senats v. 28.2.1980, BVerfGE 53, 257, 289 f.; mittlerweile st. Rspr., vgl. BVerfGE 55, 114, 131; 58, 81, 109; 63, 152, 174; 64, 87, 97 ff.; 66, 234, 247; 69, 272, 298 f.; 70, 101, 110; 71, 1, 12; 72, 141, 153; 75, 78, 96 f.; 76, 256, 293; 80, 297, 308; 97, 271, 283 f. 313 Vgl. die Nachweise aus der Tagespresse bei v. Brünneck, JZ 1990, 992 Fn. 5. 314 BVerfGE 32, 129.
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rige Rechtsprechung für überprüfungsbedürftig erklärte. Die dieser zugrunde liegende Trennung privater und öffentlicher Rechte sei durch die Rechtswirklichkeit überholt und berücksichtige nicht die Veränderung der wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse, insbesondere das ständige Vordringen der staatlichen Daseinsvorsorge in vielen Lebensbereichen. Wenn der Eigentumsschutz ein Stück Freiheitsschutz enthalte,315 insofern er dem Bürger die wirtschaftlichen Voraussetzungen einer eigenverantwortlichen Lebensgestaltung sichere, „so muß er sich auch auf die öffentlich-rechtlichen Berechtigungen erstrecken, auf die der Bürger in seiner wirtschaftlichen Existenz zunehmend angewiesen ist“.316 Erstmals Eingang in die Argumentation des BVerfG fand dieses abweichende Votum im Jahr 1975, wenn auch vorerst nur in einem obiter dictum.317 Dennoch war die weitere Entwicklung derart vorgezeichnet, „daß es nur eine Frage der Zeit schien, wann das Bundesverfassungsgericht entscheiden würde, daß und inwieweit sozialversicherungsrechtliche Positionen an Art. 14 GG geprüft werden könnten“.318 In seiner grundlegenden Entscheidung aus dem Jahre 1980, die angesichts der geschilderten Vorgeschichte dann nicht mehr überraschte,319 sah das BVerfG die Aufgabe der Eigentumsgarantie darin, „dem Träger des Grundrechtes einen Freiheitsraum im vermögensrechtlichen Bereich zu sichern und ihm dadurch eine eigenverantwortliche Gestaltung seines Lebens zu ermöglichen“.320 In der heutigen Gesellschaft erlange die große Mehrzahl der Bürger ihre wirtschaftliche Existenzsicherung weniger durch privates Sachvermögen als durch den Arbeitsertrag und die daran anknüpfende solidarisch getragene Daseinsvorsorge. Anrechte des Einzelnen auf Leistungen der Rentenversicherung seien insoweit an die Stelle privater Vorsorge und Sicherung getreten.321 Wie später ausdrücklich eingeräumt, hat das Gericht damit die Gedanken Rupp-von Brünnecks aufgenommen.322 Gegenüber der genannten Grundsatzentscheidung aus dem Jahre 1980 wurden die für die Eigentumsfähigkeit sozialversicherungsrechtlicher Positionen aufgestellten Kriterien in einem Urteil aus dem Juli 1985, 323 in dem sich das BVerfG offenbar dazu veranlasst sah, nach fünf Jahren eine Zwischenbilanz zu ziehen,324 nicht nur verbal verändert, sondern auch sachlich anders akzentuiert.325 Zusam-
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So BVerfGE 24, 367, 389, 31, 229, 239. BVerfGE 32, 129, 142. 317 BVerfGE 40, 65, 82 ff. 318 Katzenstein, DRV 1983, 345 f. 319 Katzenstein, in: FS für Simon, S. 847, 849. 320 BVerfGE 53, 257, 290. 321 BVerfGE 53, 257, 290. 322 BVerfGE 69, 272, 303; s. auch schon den Verweis in BVerfGE 53, 257, 289. Diese Sondervotum gilt als Paradebeispiel dafür, wie die abweichende Auffassung eines Richters zur Rechtsprechung der Mehrheit werden kann, vgl. v. Brünneck, JZ 1990, 992, 993; Katzenstein, in: FS für Simon, S. 847, 849. 323 BVerfGE 69, 272. 324 Katzenstein, in: FS für Simon, S. 847, 856. Zu den in BVerfGE 53, 257 verwendeten Kriterien s. Ossenbühl, in: FS für Zeidler, S. 625, 626. 325 Ossenbühl, in: FS für Zeidler, S. 625, 627. 316
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3. Kap.: Rechtliche Grenzen von Rationierungsmaßnahmen
menfassend nennt der erste Leitsatz die auch heute noch Gültigkeit beanspruchenden Anforderungen: „Voraussetzung für einen Eigentumsschutz sozialversicherungsrechtlicher Positionen ist eine vermögenswerte Rechtsposition, die nach Art eines Ausschließlichkeitsrechts dem Rechtsträger als privatnützig zugeordnet ist; diese genießt den Schutz der Eigentumsgarantie dann, wenn sie auf nicht unerheblichen Eigenleistungen des Versicherten beruht und zudem der Sicherung seiner Existenz dient.“ Auf dieser Grundlage wurden sukzessive weitere sozialversicherungsrechtliche Positionen dem Schutz des Art. 14 GG unterstellt.326 Die aufgestellten Anforderungen sind also keinesfalls auf den Bereich der Rentenversicherung beschränkt, was sich auch schon aus ihrer allgemein gehaltenen Formulierung und der Auseinandersetzung mit dem „Eigentumsschutz sozialversicherungsrechtlicher Positionen“ als Ganzem ergibt. Somit ist eine Ausweitung auf andere sozialversicherungsrechtlichen Positionen möglich.327 Dass sich das BVerfG zu einzelnen Positionen noch nicht abschließend geäußert hat, ist dabei kein Indiz dafür, dass der fraglichen Position die Eigentumsfähigkeit abzusprechen ist. Schließlich wird die Rechtsprechung nur auf Antrag tätig, auch ist zu berücksichtigen, dass Gerichte nur über Einzelfälle entscheiden, in denen die Eigentumsqualität sozialer Rechtspositionen nicht immer entscheidungserheblich ist, so dass eine Festlegung entbehrlich wird und die Frage offen gelassen werden kann.328 c) Übertragung der Rentenrechtsprechung auf krankenversicherungsrechtliche Ansprüche Nachfolgend soll die genaue Bedeutung der einzelnen Kriterien herausgearbeitet werden. Dies ist erforderlich, um die hier interessierende Frage beantworten zu können, ob die vom BVerfG aufgestellten Voraussetzungen auch von krankenversicherungsrechtlichen Positionen erfüllt werden. aa) Vermögenswerte zugeordnete und privatnützige Rechtsposition Die Aufgabe des Merkmals der „vermögenswerten Rechtsposition, die nach Art eines Ausschließlichkeitsrechts dem Rechtsträger als privatnützig zugeordnet ist“ 326
So die Ansprüche und erfüllten Anwartschaften auf Arbeitslosengeld, BVerfGE 72, 9, 18; Berufs- und Erwerbunfähigkeitsrenten einschließlich der Anwartschaften, BVerfGE 75, 78, 96 sowie Ansprüche auf Unterhaltsgeld und Übergangsgeld, die bereits durch Leistungsbescheid festgestellt worden sind, BVerfGE 76, 220, 235. 327 Das BVerfG selbst spricht aus, dass auch andere sozialversicherungsrechtliche Positionen für die große Mehrzahl der Bevölkerung eine wichtige Grundlage ihrer Daseinssicherung sein können, insbesondere dann, wenn sich eine wesentliche, durch lange Zeiträume gewährte Leistung so verfestigt hat, dass die Versicherten sie zu ihrer existentiellen Versorgung rechnen können. Es führte zu einem mit dem Schutz des Eigentums im sozialen Rechtsstaat schwerlich zu vereinbarenden Funktionsverlust der Eigentumsgarantie, wenn sie – sofern die anderen konstituierenden Merkmale des Eigentums vorliegen – solche vermögensrechtlichen Positionen nicht umfasst seien, vgl. BVerfGE 69, 272, 303, s. auch Michalski, VersR 1996, 265, 268. 328 Stober, in: Verfassungsrechtlicher Eigentumsschutz sozialer Rechtspositionen, S. 9, 44.
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besteht darin, subjektive Rechte von bloßen Chancen, Erwartungen oder Aussichten abzugrenzen, denen die Rechtsordnung keine Eigentumsfähigkeit verleiht.329 Privatnützigkeit umschreibt ein Zu-Eigen-Haben der Position seitens des Berechtigten.330 Es muss sich um „seine“, ihm ausschließlich zustehende Rechtposition handeln;331 notwendig ist demnach eine gesetzlich umrissene Rechtsposition, die nicht mehr der Verfügbarkeit des Leistungsträgers oder eines Dritten unterliegt.332 Da sozialversicherungsrechtliche Positionen durch Gesetz eingeräumt werden und ihnen die Möglichkeit der Änderung immanent ist, dürfen an die privatnützige Zuordnung insgesamt keine überzogenen Anforderungen gestellt werden.333 Vom Schutzbereich des Art. 14 GG ausgenommen sind nach diesem Kriterium Leistungen, die vom Ermessen des Versicherungsträgers abhängen und solche Positionen, nach denen auf eine Leistung lediglich eine gesetzlich begründete Aussicht besteht und die nicht, wie Anwartschaften, allein durch die Erfüllung weiterer Voraussetzungen – etwa dem Ablauf einer Wartezeit oder dem Eintritt des Versicherungsfalls – zum Vollrecht erstarken kann.334 Subsumiert man nun die krankenversicherungsrechtliche Ansprüchen wie sie § 11 SGB V festgehalten sind unter diese Voraussetzung, so erfüllen auch sie die verfassungsgerichtlichen Anforderungen.335 Zwar ist es Wesensmerkmal der im SGB V geregelten Ansprüche, dass sich die Leistungen erst im jeweiligen Einzellfall genau bestimmen lassen. Dies gilt etwa für den in § 27 SGB normierten allgemeinen Anspruch auf Krankenbehandlung, der aufgrund der Konzeption der Leistungsansprüche als Rahmenrechte erst im Krankheitsfalle durch den Arzt näher konkretisiert wird.336 Überhaupt besteht der einzelne Anspruch erst mit Eintritt des Versicherungsfalles.337 Kraft Gesetzes erhält der in der GKV Versicherte aber mehr als eine bloße Aussicht. Der Anspruch als solcher ist im SGB V geregelt und unterliegt nicht der Disposition des Leistungsträgers oder eines Dritten. In dem Stadium vor dem Eintritt des Versicherungsfalles besteht damit für den Versicherten eine Anwartschaft, da lediglich der Versicherungsfall einzutreten hat, um den Anspruch auf Leistung
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Ossenbühl, in: FS für Zeidler, S. 625, 628; Stober, SGb 1989, 53, 54 f. V. Neumann, NZS 1998, 401, 402. 331 BVerfGE 69, 272, 301. 332 Ossenbühl, in: FS für Zeidler, S. 625, 630. 333 V. Neumann, NZS 1998, 401, 402 unter Bezugnahme auf BVerfGE 58, 81, 110. 334 BVerfGE 69, 272, 301; Ossenbühl, in: FS für Zeidler, S. 625, 630; Rüfner, Jura 1986, 473, 475; Schmidt-De Caluwe, JA 1992, 129, 130. 335 So auch, allerdings ohne nähere Begründung, Vosteen, Rationierung im Gesundheitswesen und Patientenschutz, S. 272. Michalski, VersR 1996, 265, 267 stellt nicht auf die Privatnützigkeit, sondern auf die aus der älteren Rspr. stammende Vergleichbarkeit mit privatrechtlichen Ansprüchen ab. Vom Schutzbereich ausgenommen bleiben freilich nach dem soeben Gesagten solche Leistungen, für deren Gewährung den Krankenkassen ein Ermessen eingeräumt ist, z.B. §§ 23 Abs. 4, 24 Abs. 1 S. 1; 33 Abs. 5, 37 Abs. 1 S. 4; 40 Abs. 1 und 2, 41 Abs. 1 S. 1 SGB V, Beispiele nach Igl/Welti, Sozialrecht, § 17 Rn. 19. 336 BSGE 78, 154, 155; 81, 54, 61; vgl. auch die Nachweise im 1. Teil Kap. 3 A. I. 2. c) bb) (2) (b) (ee) Ȗ), Fn. 157. 337 Dettling, GesR 2006, 97, 104. 330
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3. Kap.: Rechtliche Grenzen von Rationierungsmaßnahmen
auszulösen.338 Für den Eigentumsschutz reicht es aus, wenn, wie hier, das vermögenswerte Recht jedenfalls bereits in seinem Kern gewährleistet ist.339 Unschädlich ist dabei, dass innerhalb der GKV das Sachleistungsprinzip vorherrscht und somit grundsätzlich keine Geldleistungsansprüche bestehen.340 bb) Nicht unerhebliche Eigenleistung Der Voraussetzung, dass die sozialversicherungsrechtliche Position auf nicht unerheblichen Eigenleistungen beruhen muss, also „erdient“ ist, wohnt ebenfalls eine Abgrenzungsfunktion inne. An ihr kann die bereits erwähnte Ausgrenzung der staatlichen Fürsorgeansprüche aus dem Schutzbereich des Art. 14 GG festgemacht werden.341 Für die Beurteilung der Eigenleistung sind nicht nur die vom Versicherten selbst gezahlten Beiträge zu berücksichtigen. Der eigentumsrelevanten Eigenleistung sind ferner solche Beiträge zuzurechnen, die zu seinen Gunsten dem Träger der Sozialversicherung zufließen. Hierzu zählt auch der Arbeitgeberanteil in der gesetzlichen Krankenversicherung.342 Der Annahme einer nicht unerheblichen Eigenleistung steht es nicht entgegen, wenn eine sozialversicherungsrechtliche Rechtsposition auch oder sogar überwiegend auf staatlicher Gewährung beruht.343 Das Maß der Eigenleistung und der Umfang der sozialrechtlichen Position müssen einander auch nicht entsprechen.344 Mit dem Kriterium der nicht unerheblichen Eigenleistung wird die in früheren Judikaten geforderte Voraussetzung der Äquivalenz von schützenswerter Position und eigener Leistung345 den Besonder-
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So auch Dettling, GesR 2006, 94, 104; D. Merten, in: Schulin, Handbuch des Sozialversicherungsrechts Bd. 1, § 5 Rn. 67, angedeutet auch von Stober, in: Verfassungsrechtlicher Eigentumsschutz sozialer Rechtspositionen, S. 9, 46, allerdings noch zu Zeiten der RVO; a.A. Krause, Eigentum an subjektiven öffentlichen Rechten, S. 104 ff. (insb. S. 107, die bereits eingetretenen Versicherungsfälle müssten nach altem Recht abgewickelt werden. Der Gesetzgeber, der in sie eingreife, müsse sich mit der Garantie des Art. 14 GG auseinandersetzen. 339 Schenke, in: FS für Lorenz, S. 715, 722. Insgesamt a.A. Schmidt-Aßmann, Grundrechtspositionen und Legitimationsfragen im öffentlichen Gesundheitswesen, S. 34, der das Kriterium einer vermögenswerten Rechtsposition, die nach Art eines Ausschließlichkeitsprinzip dem Rechtsträger als privatnützig zugeordnet ist, als nicht gegeben ansieht. Inwieweit eine Rechtsposition überhaupt entstehe, hänge vom Eintritt des Krankheitsfalls ab. 340 Papier, in: v. Maydell/Ruland/Becker, Sozialrechtshandbuch, § 3 Rn. 58; ders., in: Maunz/Dürig, GG, Art. 14 Rn. 159; Rüfner, in: Verfassungsrechtlicher Eigentumsschutz sozialer Rechtspositionen, S. 169, 174; a.A. Schmidt-Aßmann, Grundrechtspositionen und Legitimationsfragen im öffentlichen Gesundheitswesen, S. 34. Dettling, GesR 2006, 97, 103 sieht in dem Leistungsanspruch auch bei der indirekten Sachleistung vor allem einen (Vor-)Finanzierungs- und Geldleistungsanspruch. 341 V. Neumann, NZS 1998, 401, 403; Ossenbühl, in: FS für Zeidler, S. 625, 631; Papier, in: v. Maydell/Ruhland/Becker, Sozialrechtshandbuch, § 3 Rn. 46. 342 BVerfGE 69, 272, 302. 343 BVerfGE 69, 272, 301. 344 Ossenbühl, in: FS für Zeidler, S. 625, 632. 345 BVerfGE 14, 288, 293 f.; 18, 392, 394; 24, 220, 226.
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heiten des Sozialrechts angepasst.346 Dessen Leistungen sind nicht unbedingt äquivalent zu dem individuell geleisteten Beitrag,347 der Äquivalenzgedanke vermag den Besonderheiten von Versicherungsleistungen daher nicht voll gerecht zu werden.348 Es genügt, wenn zwischen den Versicherungsleistungen des Versicherungsträgeres an die Versichertengemeinschaft und deren Beitragszahlungen eine so genannte Globaläquivalenz besteht.349 Bedeutsam wird der Anteil der eigenen Leistung aber hinsichtlich des Grades des jeweilig zu gewährenden Eigentumsschutzes. Er bestimmt, „inwieweit der Gesetzgeber Inhalt und Schranken einer unter die Eigentumsgarantie fallenden Position regeln kann“.350 Nach Auffassung des BVerfG tritt mit steigendem Anteil der einer sozialversicherungsrechtlichen Position zugrunde liegenden eigenen Leistung der verfassungsrechtlich wesentliche personale Bezug und mit ihm ein tragender Grund des Eigentumsschutzes immer stärker hervor.351 Für die Einordnung krankenversicherungsrechtlicher Ansprüche und Anwartschaften als auf nicht unerheblichen Eigenleistungen beruhend, reicht es somit aus, dass diese nicht zu den Fürsorgeansprüchen zu zählen sind, weil der gesetzlich Krankenversicherte aufgrund der Abführung seiner Beiträge vom Arbeitseinkommen eine eigene Leistung erbringt und somit einer im wesentlichen beitragsfinanzierten Solidargemeinschaft angehörig ist.352 Die Verknüpfung des Eigentumsschutzes sozialversicherungsrechtlicher Positionen mit dem Merkmal der Eigenleistung fand in der Literatur Fürsprecher,353 stieß aber auch immer wieder auf Ablehnung. Da die in Rede stehenden krankenversicherungsrechtlichen Positionen aber den verfassungsgerichtlich gestellten Anforderungen gerecht werden, soll dieser Kritik hier jedoch nicht weiter nachgegangen werden.354
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Schmidt-De Caluwe, JA 1992, 129, 131; Stober, SGb 1989, 53, 55. Stober, SGb 1989, 53, 55. 348 Ossenbühl, in: FS für Zeidler, S. 625, 631. 349 BVerfGE 76, 220, 236, bezogen auf die Arbeitslosenversicherung; vgl. auch BSGE 48, 33, 39 f.; Berkemann, in: Umbach/Clemens, GG Bd. I, Art. 14 Rn. 185; Schenke, in: FS für Lorenz, S. 715, 730; Schmidt-De Caluwe, JA 1992, 129, 131; Stober, SGb 1989, 53, 55. 350 BVerfGE 69, 272, 301. Kritisch zu dieser Verschiebung auf die Ebene der Rechtfertigung eines Eingriffs Schenke, in: FS für Lorenz, S. 715, 727 f. 351 BVerfGE 53, 257, 292; 58, 81, 112. 352 Diemer, VSSR 1982, 325, 340; Schmidt-De Caluwe, JA 1992, 129, 131. Isensee, in: GS für Heinze, S. 417, 429, ist der Auffassung, dass sich die Sach- und Dienstleistungen der Krankenversicherung nicht aus der Beitragsäquivalenz ergeben, sondern aus der Zwangssolidarität der Versichertengemeinschaft. Fürsorgezuwendungen und Umverteilungsgewinne seien eigentums-irrelevant. Letzteres ist zwar richtig, allerdings hat die vorangegangene Analyse des Kriteriums der Eigenleistung gezeigt, dass es auf die Sach- und Dienstleistungen der GKV übertragbar ist, da es unschädlich ist, dass eine Rechtsposition auch auf staatlicher Gewährung beruht und nur eine Globaläquivalenz der Beiträge vorzuliegen hat. 353 Bieback, KJ 1998, 162, 164; Haverkate, ZRP 1984, 217, 219; Papier, in: v. Maydell/Ruland/Becker, Sozialrechtshandbuch, § 3 Rn. 58; Stober, SGb 1989, 53, 55. 354 Zur Kritik an dem Merkmal der Eigenleistung s. etwa Bull, ZSR 1988, 13, 30; Depenheuer, in: v. Mangoldt/F. Klein/Starck, GG, Art. 14 Rn. 70, 74 ff.; Rittstieg, in: Ak-GG, 347
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3. Kap.: Rechtliche Grenzen von Rationierungsmaßnahmen
cc) Existenzsicherungsfunktion Damit einer sozialversicherungsrechtlichen Position eine existenzsichernde Funktion zukommt und sie somit die dritte Vorgabe erfüllt, ist es nicht erforderlich, dass der Einzelne nach seinem Vermögensstand individuell mehr oder weniger auf ihren Bezug angewiesen ist. Es kommt vielmehr auf die objektive Feststellung an, ob eine öffentlich-rechtliche Leistung ihrer Zielsetzung nach der Existenzsicherung der Berechtigten zu dienen bestimmt ist. Die Position muss der großen Mehrzahl der Bürger zur existentiellen Sicherung dienen.355 Eine auf Dauer gewährte soziale Leistung wie die gesetzliche Rente dürfte der existentiellen Sicherung eher zu dienen bestimmt sein als eine nur für kürzere Zeiträume gedachte Leistung.356 In der gesetzlichen Krankenversicherung gibt es solche, auf längere Dauer angelegten Positionen, nicht. Die Beiträge werden für den aktuellen Versicherungsschutz, nicht aber für die Zukunft gezahlt.357 Gleichwohl darf man nicht verkennen, dass der Einzelne mitunter in einem extrem hohen Maße auf die Gesundheitsleistungen der GKV angewiesen ist. Die Kosten im Gesundheitswesen steigen scheinbar unaufhörlich an, während die Reallöhne stagnieren oder sogar zurückgehen.358 Die Versicherung in der GKV dürfte für viele die einzige Absicherung für den Krankheitsfall darstellen. Ein Versicherter kann jahrelang gesund leben und dann urplötzlich eine mit extrem hohem finanziellem Aufwand zu behandelnde Krankheit erleiden. Selbst für häufiger in Anspruch genommene Gesundheitsleistungen werden der Mehrzahl der gesetzlich Krankenversicherten nicht hinreichende finanzielle Mittel für eine Eigenversorgung zur Verfügung stehen.359 Dies gilt umso mehr, wenn man sich vergegenwärtigt, dass in der GKV die unteren Einkommensschichten der Versicherungspflicht unterliegen. Dies spricht dafür, auch krankenversicherungsrechtlichen Ansprüchen eine existentielle Bedeutung zuzusprechen.360 Das Erfordernis der Existenzsicherung ist überwie-
Art. 14/15 Rn. 121; Schmidt-De Caluwe, JA 1992, 129, 133 ff.; Wannagat, in: FS für Peters, S. 171 , 176; Wieland, in: Dreier, GG Bd. I, Art. 14 Rn. 63. 355 BVerfGE 69, 272, 303 f. 356 Katzenstein, in: FS für Zeidler, S. 645, 665. 357 Katzenstein, in: FS für Simon, S. 847, 855; Philipp, Arzneimittellisten und Grundrechte, S. 187; Rüfner, in: Verfassungsrechtlicher Eigentumsschutz sozialer Rechtspositionen, S. 169, 176; ähnlich Schmidt-Aßmann, Grundrechtspositionen und Legitimationsfragen im öffentlichen Gesundheitswesen, S. 34. 358 Zur Reallohnentwicklung in Deutschland Grabka/Frick, DIW Wochenbericht 2008, 101 ff. Im Zeitraum von 1995-2004 lag Deutschland mit einer Reallohnentwicklung von 0,9 % im europäischen Vergleich an letzter Stelle, vgl. Böckler impuls 14/2005, 5, die dort abgebildete Statistik basiert auf Daten der Europäischen Kommission. Auch in der Phase des Aufschwungs ab 2004 entwickelten sich die realen Nettolöhne negativ, vgl. Horn/Logeay/Rudolf, IMK Report Nr. 27, S. 4, Ergebnisse auch veröffentlicht in Böckler impuls 4/2008, 3. 359 Vgl. auch BVerfGE 115, 25, 43 f. 360 So auch Dettling, GesR 2006, 97, 104; Eykmann, Verfassungsrechtliche Anforderungen an die öffentlich-rechtlichen Gewährleistungen im Gesundheitswesen, S. 23; Michalski, VersR 1996, 265, 268; Philipp, Arzneimittellisten und Grundrechte, S. 186; wiederum ohne
A. Generelle Grenzen einer Rationierung im Gesundheitswesen
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gend auf Ablehnung gestoßen.361 Aus denselben Erwägungen wie bei dem Merkmal der Eigenleistung soll auf eine Auseinandersetzung mit den kritischen Stimmen jedoch erneut verzichtet werden. dd) Zwischenergebnis Die genaue Analyse der einzelnen vom BVerfG aufgestellten Voraussetzungen hat gezeigt, dass sie auch bei krankenversicherungsrechtlichen Positionen vorliegen. Daher genießen auch sie grundrechtlichen Eigentumsschutz.362 2. Rechtfertigung eines Eingriffs in den Schutzbereich des Art. 14 GG Es bleibt indes fraglich, welche praktischen Folgen diese Feststellung für den einzelnen Versicherten zeitigt, ist doch mit der abstrakten Unterstellung der krankenversicherungsrechtlichen Positionen unter den Eigentumsschutz wenig gewonnen.363 Für den Versicherten von viel größerer Bedeutung ist, ob und inwieweit er trotz dieses Schutzes einem gesetzgeberischen Zugriff auf seine Positionen ausgesetzt ist.364 Während sich die wissenschaftliche Diskussion intensiv mit den schützenswerten sozialen Rechtspositionen auseinandersetzte, ist hinsichtlich der Frage, welchen Einschränkungen der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung von Inhalt und
nähere Begründung Vosteen, Rationierung im Gesundheitswesen und Patientenschutz, S. 272. 361 Kritisch etwa Bull, ZSR 1988, 13, 30; Depenheuer, in: v. Mangoldt/F. Klein/Starck, GG, Art. 14 Rn. 70 ff.; R. Herzog, NZA 1989, 1, 3 f.; J. Ipsen, Staatsrecht II, Rn. 735; Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 14 Rn. 12.; Lenze, Staatsbürgerversicherung und Verfassung, S. 64; Ossenbühl, in: FS für Zeidler, S. 625, 632 ff.; Rüfner, Jura 1986, 473, 477; Schenke, in: FS für Lorenz, S. 715, 732 ff.; Stober, SGb 1989, 53, 58 f. Die Kritik für nicht überzeugend hält Bieback, KJ 1998, 162, 164. 362 So im Ergebnis auch Dettling, GesR 2006, 97, 103; Ebsen, in: v. Maydell/Ruland/Becker, Sozialrechtshandbuch, § 15 Rn. 43; Goecke, in: FS für Raue, S. 27, 46; Michalski, VersR 1996, 265, 268; Papier, in: v. Maydell/Ruland/Becker, Sozialrechtshandbuch, § 3 Rn. 58; ders., in: Maunz/Dürig, GG, Art. 14 Rn. 159; Schenke, in: FS für Lorenz, S. 715, 736; Vosteen, Rationierung im Gesundheitswesen und Patientenschutz, S. 273; a.A. unter Aufgabe seiner früheren Auffassung Hänlein, SGb 2003, 301, 304. Eykmann, Verfassungsrechtliche Anforderungen an die öffentlich-rechtlichen Gewährleistungen im Gesundheitswesen, S. 23 ff. lehnt wegen der Unterschiede von Renten- und sozialer Krankenversicherung eine Einbeziehung letztlich ab, wenngleich sie selbst nach Analyse der Vorgaben der Rspr. konstatiert, dass „viel dafür [spricht], krankenversicherungsrechtliche Ansprüche dem Schutzbereich des Art. 14 Abs. 1 GG zuzuordnen“ (S. 23). Die krankenversicherungsrechtlichen Besonderheiten sollen hier erst im Rahmen der Inhalts- und Schrankenbestimmungen Berücksichtigung finden (dazu sogleich). An der grundsätzlichen Einbeziehung der fraglichen Ansprüche ändern sie nichts. 363 So allgemein für sozialversicherungsrechtliche Positionen auch Stober, SGb 1989, 55, 59. 364 Katzenstein, in: FS für Simon, S. 847, 857.
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3. Kap.: Rechtliche Grenzen von Rationierungsmaßnahmen
Schranken des Eigentums nach Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG in Bezug auf derartige Positionen unterliegt, merklich Zurückhaltung zu erkennen.365 a) Inhalts- und Schrankenbestimmungen Nach Ansicht des BVerfG sind dem Gesetzgeber „enge Grenzen gezogen, soweit es um die Funktion des Eigentums als Element der Sicherung der persönlichen Freiheit des Einzelnen geht. Dagegen ist die Befugnis des Gesetzgebers zur Inhalts- und Schrankenbestimmung umso weiter, je mehr das Eigentumsobjekt in einem sozialen Bezug und einer sozialen Funktion steht.“366 Für Rentenversicherungsansprüche und -anwartschaften stellten die Verfassungsrichter heraus, dass sie einerseits einen personalen Bezug aufwiesen, aber zugleich auch in einem ausgeprägten sozialen Bezug stünden. So seien sie Bestandteil eines Leistungssystems, dem eine besonders bedeutsame soziale Funktion zukomme. Die Berechtigung des einzelnen „Eigentümers“ lasse sich nicht von den Rechten und Pflichten der anderen lösen. Der soziale Bezug zeige sich zudem darin, dass die Rentenversicherung durch staatliche Zuschüsse, also aus Mitteln der Allgemeinheit, mitfinanziert werde. Die Schlussfolgerung daraus sei es, dass bei der Bestimmung des Inhalts und der Schranken für rentenversicherungsrechtliche Positionen dem Gesetzgeber eine weite Gestaltungsfreiheit zukomme.367 Krankenversicherungsrechtliche Ansprüche besitzen, wie dargelegt, ebenfalls einen personalen Bezug. Auf sie treffen auch die verfassungsgerichtlichen Überlegungen hinsichtlich des sozialen Bezugs zu. Der Anspruch des Einzelnen ist nicht loslösbar von den Rechten und Pflichten der anderen Versicherten, da die Gesamtheit der Beiträge den finanziellen Aufwand deckt. Gemäß § 221 SGB V fließen zudem auch dem System der GKV Mittel des Bundes zu, die der Finanzierung versicherungsfremder Leistungen368 dienen. Berücksichtigenswert sind zudem die bereits angeklungenen Besonderheiten des Krankenversicherungsrechts. Der Anspruch auf Krankenbehandlung besteht vom ersten Tag der Mitgliedschaft in der GKV an und ist somit unabhängig von der Dauer der Beitragszahlung.369 Anders als bei der gesetzlichen Rente ist kein Leistungsanspruch vorgezahlt und deshalb als bestehendes Eigentum verfestigt.370 Zwar kann die Stellung des einzelnen Versicherten während der Mitgliedschaft in 365
Heinze, in: Verhandlungen des 55. DJT (1984), E 1, E 47; Katzenstein, in: FS für Simon, S. 847, 857, der auch darauf hinweist, dass keine Entscheidung des BVerfG für diese Frage eine ähnliche Zusammenfassung der bisherigen Rspr. versucht, wie dies BVerfGE 69, 272 für die Frage des Gegenstands des Eigentumsschutzes vorgenommen hat. 366 BVerfGE 53, 257, 292; 64, 87, 101. 367 BVerfGE 53, 257, 292 f.; kritisch dazu Stober, SGb 1989, 53, 59 f. 368 Als versicherungsfremde Leistungen werden Leistungen und Teile davon bezeichnet, denen keine entsprechenden Beiträge gegenüberstehen, vgl. BSG, NZS 1998, 482, 483. 369
Philipp, Arzneimittellisten und Grundrechte, S. 187; Vosteen, Rationierung im Gesundheitswesen und Patientenschutz, S. 274. 370 Rüfner, in: Verfassungsrechtlicher Eigentumsschutz sozialer Rechtspositionen, S. 169, 176.
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einer der Krankenkassen bezüglich der Leistungsansprüche, wie erwähnt, als Anwartschaft bezeichnet werden, weil lediglich der Versicherungsfall einzutreten hat, damit die jeweilige Leistung auch tatsächlich gewährt wird. Trotz der mitunter langjährigen Zugerhörigkeit eines Versicherten zu einer bestimmten Krankenversicherung, ist das Versicherungsverhältnis aber als ein kurzfristiges angelegt und nicht auf die Zukunft gerichtet.371 Theoretisch denkbar ist es auch, dass mangels Krankheit nur Vorsorgeleistungen in Anspruch genommen werden müssen, obwohl Beiträge für sämtliche Leistungen einbezahlt worden sind, während in der Rentenversicherung sämtliche Leistungen gewährt werden, sofern der Betroffene das Renteneintrittsalter erlebt. War es für die Einbeziehung krankenversicherungsrechtlicher Ansprüche noch unschädlich, dass zwischen dem Leistungsanspruch und der Beitragszahlung kein äquivalentes Verhältnis besteht,372 so wirkt sich nunmehr die fehlende Äquivalenz für die Möglichkeiten der Einschränkbarkeit aus.373 Wenn sich schon die gesetzlichen Renten und Rentenanwartschaften einer weiten Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers ausgesetzt sehen, so ist letztlich die Bedeutung des Art. 14 GG für krankenversicherungsrechtliche Positionen aufgrund dieser Besonderheiten über die ansonsten gemeinsamen Charakteristika hinaus noch geringer.374 Ein weiter Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers ist insbesondere dann gegeben, wenn gesetzliche Regelungen dazu bestimmt sind, die Funktions- und die Leistungsfähigkeit des sozialen Sicherungssystems im Interesse aller zu erhalten, zu verbessern oder veränderten wirtschaftlichen Bedingungen anzupassen. Von Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG ist daher auch die Befugnis umfasst, Leistungen zu beschränken, sofern dies dem Zwecke des Gemeinwohls dient und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt ist.375 Der Zweck von Leistungskürzungen im Krankenversicherungsrecht liegt, wie auch die Gesetzgebungshistorie zeigt, regelmäßig darin, finanzielle Einsparungen zur Entlastung der GKV zu erzielen. Ein solcher Zweck dient auch dem allgemeinen Wohl, schließlich sind die allermeisten Bürger auf ein funktionierendes Krankenversicherungssystem zu bezahlbaren Beitragssätzen angewiesen. Das BVerfG hat denn auch die finanzielle Stabilität der GKV mehrfach zu einem herausragend wichtigen Gemeinschaftsbelang erklärt, welchen der Gesetzgeber nicht nur ver-
371 Vgl. 1. Teil Kap. 3 A. II. 1. c) cc), S. 106. Für Katzenstein, in: FS für Simon, S. 847, 855, ist dies eine mögliche Erklärung dafür, warum die Rspr. noch keine wesentlichen Ausführungen zur Frage des Eigentumsschutzes krankenversicherungsrechtlicher Ansprüche gemacht hat. Die Frage nach dem Eigentumsschutz stelle sich praktisch nicht. 372 Vgl. 1. Teil Kap. 3 A. II. 1. c) bb), S. 105. 373 Diesen Aspekt besonders herausstellend Vosteen, Rationierung im Gesundheitswesen und Patientenschutz, S. 273 f. 374 So auch Schmidt-Aßmann, Grundrechtspositionen und Legitimationsfragen im öffentlichen Gesundheitswesen, S. 34. 375 So für die Rentenversicherung BVerfGE 53, 257, 293. Der Verhältnismäßigkeit kommt somit wesentliche Bedeutung zu, vgl. auch BVerfGE 53, 257, 292; 64, 87, 101; 70, 101, 111; 72, 9, 23; Michalski, VersR 1996, 265, 268.
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3. Kap.: Rechtliche Grenzen von Rationierungsmaßnahmen
folgen darf, sondern dem er sich nicht einmal entziehen dürfte.376 Dadurch, so bemerkte unlängst der ehemalige Richter am BVerfG Udo Steiner, habe der Gesetzgeber einen fast unüberspielbaren Trumpf in der Hand: „Greift er in dieses System ein, senkt er die Leistungen, schränkt er sie ein oder gewährt er sie nur gegen Zuzahlungen oder erhöht er die Beiträge, so kann er argumentieren, dies sei notwendig, damit das System der gesetzlichen Krankenversicherung funktionsund leistungsfähig bleibe. Diesem Argument ist verfassungsrechtlich praktisch nicht beizukommen. Es macht den Gesetzgeber gegenüber der verfassungsgerichtlichen Kontrolle fast unbesiegbar.“377 Derart deutliche Worte lassen bereits erahnen, dass die Einbeziehung krankenversicherungsrechtlicher Positionen in den Schutzbereich des Art. 14 GG dem Versicherten im Ergebnis wenig hilft.378 Auch an der Eignung der Kürzungen zur Erreichung dieses Ziels wird es regelmäßig nicht mangeln, wenn sie nicht sogar stets auf der Hand liegt.379 Dem Gesetzgeber kommt bei der Beurteilung der Eignung eine Einschätzungsprärogative zu.380 Bei der Beurteilung, ob es ein gleich geeignetes, aber mildere Mittel zur Erreichung des Zieles gibt, also bei der Überprüfung der Erforderlichkeit der Maßnahme, beschränkt sich das BVerfG auf eine Evidenzkontrolle.381 Eine Beanstandung, dass die Einsparungen auch in anderen als vom jeweiligen Gesetz erfassten Bereichen hätten erfolgen können, bleibt erfolglos.382 Das ist auch richtig, denn „die Ausgestaltung eines Systems der Sozialversicherung ist eine politische Aufgabe von wesentlicher Bedeutung, die nicht aus der Verfassung deduziert werden kann, sondern der Gestaltungsfreiheit des parlamentarischen Gesetzgebers überlassen bleiben muß“.383 Schließlich wird auch das Übermaßverbot einer Leistungsbeschränkung häufig nicht entgegenstehen, da die dringenden Allgemeininteressen in der Abwägung zumeist obsiegen werden.384 Es verbleibt der nach der Rechtsprechung des BVerfG besonders geschützte leistungsäquivalente Kern385 krankenversicherungsrechtlicher Ansprüche. Es fällt indessen nicht leicht, diesen zu bestimmen. Der Leistungsumfang ist schließlich für alle gesetzlich Krankenversicherten gleich, 376
So BVerfGE 68, 193, 218; vgl. auch BVerfGE 70, 1, 29; 82, 209, 230; 103, 172, 185; 113, 167, 215; 115, 25, 46; s. auch V. Neumann, NZS 1998, 401, 404; vertiefend und kritisch zum Verfassungsrang der finanziellen Stabilität der GKV Schaks, Der Grundsatz der finanziellen Stabilität der gesetzlichen Krankenversicherung; ders., VSSR 2008, 31 ff. 377 Steiner, in: Kingreen/Laux, Gesundheit und Medizin im interdisziplinären Diskurs, S. 129, 136. 378 Eine abschließende Bewertung erfolgt später, vgl. 1. Teil Kap. 3 A. II. 3., S. 112. 379 So Bieback, KJ 1998, 162, 167. Etwas weniger deutlich, aber eine Geeignetheit gleichwohl bejahend Michalski, VersR 1996, 265, 269. 380 V. Neumann, NZS 1998, 401, 404. 381 BVerfGE 75, 78, 100; BVerfGE 76, 220, 240. 382 BVerfGE 72, 9, 23; 75, 78, 100; 76, 220, 241. 383 Ossenbühl, in: FS für Zeidler, S. 625, 639. 384 Bieback, KJ 1998, 162, 167. Es bleibt aber stets der spezielle Einzelfall entscheidend, vgl. Katzenstein, in: FS für Zeidler, S. 645, 669. 385 Gitter/Schmitt, Sozialrecht, § 3 Rn. 34; Schirmer/Ch. Fuchs, in: Katzenmeier/Bergdolt, Das Bild des Arztes im 21. Jahrhundert, S. 121, 133.
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während die Beiträge differieren. Wiederum ist zu berücksichtigen, dass die Leistungen auch nicht immer in derselben Häufigkeit vom Einzelnen beansprucht werden und variabel anfallen.386 Dettling schlägt vor: „Entsprechend dem Solidaritätsgedanken und dem Gedanken der Risikogemeinschaft, nach dem die Gesamtheit der Beitragsleistungen aller beitragspflichtigen Versicherten die Gesamtheit der Leistungen für alle Versicherten finanziert und somit eine wechselseitige Zurechnung aller Beitragsleistungen erfolgt, kann zum Zwecke der Angemessenheitsprüfung von den in absoluten Beträgen ausgedrückten, durchschnittlichen Beiträgen aller GKV-Versicherten ausgegangen werden und dieser fiktive Beitrag zum Leistungsumfang der GKV ins Verhältnis gesetzt werden. Aus dem Vergleich mit den durchschnittlichen Beiträgen aller PKV-Versicherten mit dem entsprechenden Leistungsumfang der privaten Krankenversicherung ergibt sich dann ein sehr konkreter und detaillierter Vergleichskatalog als Basis für eine objektivierte wirtschaftliche Beurteilung der Angemessenheit von Beitrag und Leistungsumfang in der GKV.“387 Solange sich also, so lässt sich dieser Ansatz verstehen, Beitrag und Leistung in diesem Sinne in angemessener Weise gegenüberstehen, ist der leistungsäquivalente Kern nicht berührt und ein leistungsbegrenzender Eingriff des Gesetzgebers nicht als unangemessen anzusehen.388 Zudem ist der unantastbare Kernbestand sozialer Leistungspositionen geschützt,389 wobei dessen Gehalt gerade bezogen auf den Leistungsumfang der GKV wiederum nur sehr schwer zu ermitteln sein dürfte. b) Vertrauensschutz Berücksichtigung finden können ferner Vertrauensschutzgesichtspunkte. Der rechtstaatliche Grundsatz des Vertrauensschutzes hat für vermögenswerte Güter im Eigentumsgrundrecht eine eigene Ausprägung und verfassungsgerichtliche Ordnung erfahren.390 Gelangt das BVerfG zu der Überzeugung, dass eine sozialversicherungsrechtliche Position dem Eigentumsschutz unterfällt und stellt es zusätzlich fest, dass der Gesetzgeber unter den Voraussetzungen des Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG zu einer Einschränkung befugt war, beschäftigt es sich zuletzt mit der weiteren Frage, ob bei der zu überprüfenden Norm dem Grundsatz des Vertrauensschutzes genügt worden ist.391 Vertrauensschutz wird aber nur dann gewährt, wenn sich der Einzelne zusätzlich zu dem Vertrauen auf den Fortbestand einer 386
Dettling, GesR 2006, 97, 104. Dettling, GesR 2006, 97, 104. 388 In diesem Sinne Francke, GesR 2003, 97, 99, der sich jedoch nicht auf Art. 14 GG als schützende Norm festlegen will, aber jedenfalls über Art. 2 Abs. 1 GG zu derselben Erkenntnis gelangt; Michalski, VersR 1996, 265, 269; Nettesheim, VerwArch 93 (2002), 315, 330 f. 389 Michalski, VersR 1996, 265, 269; Schmidt-De Caluwe, JA 1992, 129, 136. 390 St. Rspr. seit BVerfGE 31, 275, 293, vgl. BVerfGE 36, 281, 293; 42, 263, 300 f.; 45, 142, 168; 53, 257, 309; 58, 81, 120 f.; 70, 101, 114; 71, 1, 12; 76, 220, 244 f. 391 So der ehemalige Richter am BVerfG Katzenstein, in: FS für Simon, S. 847, 851, der an vielen dieser Entscheidungen selbst beteiligt war. Unklar ist die genaue dogmatische Verortung dieser Prüfung, vgl. Pieroth, JZ 1990, 279, 281 f. m.w.N. 387
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3. Kap.: Rechtliche Grenzen von Rationierungsmaßnahmen
Rechtslage in einer das subjektiv bestehende Vertrauen betätigenden Weise verhält. Der Vertrauensschutz wird als Dispositionsschutz verstanden.392 Ein relevantes Verhalten kann im Bereich der Sozialversicherung auch in dem Unterlassen einer Disposition, dem Verzicht auf eine zusätzliche Absicherung gegen Krankheitsrisiken liegen.393 Setzt sich das BVerfG mit dem Vertrauen des Betroffenen auseinander, so führt dies regelmäßig zu einer Abwägung zwischen dem Ausmaß des Vertrauensschadens für den Betroffenen und der Bedeutung des gesetzlichen Anliegens für das Wohl der Allgemeinheit. Dieselbe Abwägung ist dann vorzunehmen, wenn die überprüfte Position nicht dem Eigentumsschutz unterfällt und daher bei der Prüfung die verfassungsrechtlichen Maßstäbe Anwendung finden, welche die Rechtsprechung des BVerfG zur Beurteilung der Zulässigkeit einer unechten Rückwirkung entwickelt hat.394 Ob nun also Art. 14 GG oder das Rechtsstaatsprinzip den jeweiligen Prüfungsmaßstab darstellt, ist im Ergebnis nicht von Belang.395 Als Mitglied der GKV muss der Einzelne freilich immer mit einem, auch für ihn negativem Eingreifen rechnen, weil die gesetzlichen Sozialversicherungen Solidargemeinschaften auf Dauer sind, die sich im Laufe der Zeit vielfachen Veränderungen anpassen müssen.396 Letztlich entscheidet bei jeder Abwägung der Einzelfall, so dass sie einer allgemeinen berechenbaren Konkretisierung nur schwer zugänglich ist.397 Das BVerfG legt Wert darauf, dass bei Veränderungen von sozialversicherungsrechtlichen Positionen schonende Übergangsregelungen getroffen werden.398 Ein solches Übergangsrecht hält Francke in der GKV für ältere Versicherte für geboten, „die aufgrund von Vorerkrankungen mit dem Abschluss von Versicherungsverträgen in der PKV nicht mehr rechnen oder deren Prämien wegen fehlender individueller kapitaldeckender Rücklagen nicht aufgebracht werden können“ und für die es somit im Gegensatz zu jüngeren Generationen unmöglich sein dürfte, „durch Aufwendung eigener und zusätzlicher Mittel Versicherungsschutz für medizinisch notwendige Leistungen zu angemessenen Konditionen zu bekommen“. So müsse die Differenzierung des heutigen Leistungsspektrums der GKV in eine Grund- und Zusatzversorgung, die auch für ältere Versicherte unverzüglich in Kraft gesetzt würde, für diesen Personenkreis eine steuerfinanzierte Abdeckung der ausgeschlossenen Leistungen vorsehen.399 3. Zusammenfassung Zieht man Bilanz, so stellt sich heraus, dass das Eigentumsgrundrecht des Art. 14 GG, wenn überhaupt, nur in ganz geringem Maße einen Schutz vor Rationie-
392 393 394 395 396 397 398 399
Ossenbühl, in: FS für Zeidler, S. 625, 642. Bull, ZSR 1988, 13, 37; Ossenbühl, in: FS für Zeidler, S. 625, 644. Vgl. hierzu Zippelius/Würtenberger, Deutsches Staatsrecht, S. 108 f. BVerfGE 64, 87, 104; Katzenstein, SGb 1988, 183, 186. BVerfGE 69, 272, 314. Katzenstein, in: FS für Zeidler, S. 645, 670. BVerfGE 58, 356, 363 ff.; 72, 9, 22 ff.; 76, 220, 246. Francke, GesR 2006, 97, 99.
A. Generelle Grenzen einer Rationierung im Gesundheitswesen
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rungsmaßnahmen des Gesetzgebers bietet.400 Es spielt im Zusammenhang mit der gesesetzlichen Krankenversicherung, anders als bei der Rentenversicherung, eine nachgeordnete Rolle.401 Die Sorge, durch die Einbeziehung sozialversicherungsrechtlicher Positionen in den Schutzbereich des Art. 14 GG würde der sozialpolitische Gesetzgeber blockiert, erweist sich jedenfalls als unbegründet.402 Vielmehr ist zu konstatieren, dass der Eigentumsschutz ohne nennenswerte Konsequenzen geblieben ist.403 Es ist ein „relative[s] Leerlaufen“ des Grundrechts des Art. 14 GG für sozialversicherungsrechtliche zu verzeichnen.404 Eine Besitzstandsgarantie für einen Leistungsstandard nach dem gegenwärtigen Leistungskatalog bietet es dem Versicherten jedenfalls nicht.405
III. Die allgemeine Handlungsfreiheit, Art. 2 Abs. 1 GG Ordnet der Gesetzgeber eine Zwangsmitgliedschaft und Beitragspflicht in einem öffentlich-rechtlichen Verband an, ist die in Art. 2 Abs. 1 GG enthaltene allgemeine Handlungsfreiheit tangiert.406 Dies gilt auch für die Begründung der Pflichtmitgliedschaft mit Beitragszwang in der GKV.407 Deshalb bemühte das BVerfG im „Nikolaus-Beschluss“ auch Art. 2 Abs. 1 GG, welcher dem Gericht in Verbindung mit dem in Art. 20 Abs. 1 GG verankerten Sozialstaatsprinzip sogar als vorrangiger Prüfungsmaßstab diente.408 Beide Normen des Grundgesetzes sind daher für die Grenzen etwaiger Rationierungsmaßnahmen im Gesundheitswesen von Bedeutung. Das Recht aus Art. 2 Abs. 1 GG bewahre den beitragspflichtigen Versicherten vor einer Unverhältnismäßigkeit von Beitrag und Leistung.409 Für die 400 So auch Ebsen, in: v. Maydell/Ruland/Becker, Sozialrechtshandbuch, § 15 Rn. 43; Vosteen, Rationierung im Gesundheitswesen und Patientenschutz, S. 277. 401 Schirmer/Ch. Fuchs, in: Katzenmeier/Bergdolt, Das Bild des Arztes im 21. Jahrhundert, S. 121, 132. 402 In diesem Sinne auch BVerfGE 69, 272, 304. 403 Papier, in: v. Maydell/Ruland/Becker, Sozialrechtshandbuch, § 3 Rn. 55; ähnlich v. Brünneck, JZ 1990, 992, 996; Stolleis, in: Verhandlungen des 55. DJT (1984) Bd. II, N 9, N 42. 404 V. Neumann, NZS 1998, 401, 402; vgl. auch Bieback, KJ 1998, 163, 165 ff. 405 Kirchhof, MMW 1998, 200, 202. 406 So das BVerfG in st. Rspr., BVerfGE 10, 89, 102; 38, 281, 298; 78, 320, 329; 89, 365, 376; 97, 271, 286; 109, 96, 109; 115, 25, 42. 407 BVerfGE 115, 25, 42. 408 Dettling, GesR 2006, 97, 103 kritisiert das Gericht dahingehend, nicht Art. 14 GG zum Prüfungsmaßstab erhoben zu haben, weil so der von ihm selbst eröffnete Zugang zu einer differenzierteren, nicht nur an dem objektiven Wert von Leben und körperlicher Unversehrtheit, sondern auch an der Beitragszahlung orientierten Verhältnismäßigkeitsprüfung unnötig verengt sei. Dem ist aber entgegenzuhalten, dass über Art. 2 Abs. 1 GG dieselben Ergebnisse zu erzielen sind. 409 BVerfGE 115, 25, 43. Insofern kommt das BVerfG hier in einem anderen Prüfungsrahmen zu demselben Ergebnis wie die hier vorgenommene Prüfung zu den Inhalts- und Schrankenbestimmungen im Rahmen des Art. 14 GG, vgl. 1. Teil Kap. 3 A. II. 2. a), S. 110 f.
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3. Kap.: Rechtliche Grenzen von Rationierungsmaßnahmen
nähere Bestimmung dieses Schutzes komme dem Sozialstaatsprinzip maßgebliche Bedeutung zu. Die durch den Gesetzgeber vorgenommene Konkretisierung dieses Prinzips zeige, dass dieser davon ausgehe, „dass den Versicherten regelmäßig erhebliche finanzielle Mittel für eine zusätzliche selbständige Versorgung im Krankheitsfall und insbesondere für die Beschaffung von notwendigen Leistungen der Krankenbehandlung außerhalb des Leistungssystems der gesetzlichen Krankenversicherung nicht zur Verfügung“ stünden.410 Mit Art. 2 Abs. 1 i.V.m. dem Sozialstaatsprinzip, so die Verfassungsrichter, sei es nicht vereinbar, dem Einzelnen nach Maßgabe des § 5 SGB V eine Versicherungspflicht in der GKV aufzuerlegen und ihm für seine an seiner wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit orientierten Beiträge gesetzlich die notwendige Krankheitsbehandlung zuzusagen, ihn dann aber, wenn er an einer lebensbedrohlichen oder sogar regelmäßig tödlich verlaufenden Erkrankung leidet, für die keine schulmedizinischen Behandlungsmöglichkeiten existieren, von der Leistung einer bestimmten Behandlungsmethode durch die Krankenkasse auszuschließen und ihn stattdessen auf eine Finanzierung der Behandlung außerhalb der GKV zu verweisen. Hinsichtlich der vom Patienten in dieser Situation gewünschten Behandlungsmethode gelten die bereits im Rahmen des Art. 2 Abs. 2 GG genannten Anforderungen.411
B. Spezielle Grenzen hinsichtlich einzelner Rationierungskriterien Nachdem nunmehr geklärt ist, in welchen Grenzen eine Rationierung generell möglich ist, konzentrieren sich die folgenden Ausführungen auf verfassungsrechtliche Vorgaben für einzelne Rationierungskriterien. Diese werden jedoch vorläufig nur abstrakt dargestellt. Im anschließenden Kapitel soll dann auf die so gewonnen Erkenntnisse bei der Beurteilung der Zulässigkeit einzelner Kriterien zurückgegriffen werden.
I. Die Menschenwürde, Art. 1 Abs. 1 GG Die in Art. 1 Abs. 1 GG verankerte Garantie der Menschenwürde, der oberste aller Verfassungswerte,412 erlangt insbesondere in dem hier zu untersuchenden Bereich 410
BVerfGE 115, 25, 43 f. Als konkretisierende Maßnahmen nennt das Gericht die nicht am individuellen Risiko, sondern an der – regelmäßig durch das Arbeitsentgelt oder die Rente bestimmte – wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Versicherten ausgerichteten Beiträge (§ 226 SGB V), den Grundsatz der Beitragsstabilität (§ 71 SGB V), das Hinwirken auf Beitragssenkungen (§ 220 Abs. 4 SGB V) und das Rücksichtnehmen auf die soziale Situation des Einzelnen (§ 62 SGB V) bei der Ausgestaltung der Verpflichtung zur Erbringung von Zuzahlungen zu gesetzlichen Leistungen (vgl. § 61 SGB V). 411 BVerfGE 115, 25, 49. 412 BVerfGE 6, 32, 41; 30, 1, 6; 30, 173, 193; 32, 98, 108; 45, 187, 227; 72, 105, 115; 109, 279, 311; 115, 118, 152.
B. Spezielle Grenzen hinsichtlich einzelner Rationierungskriterien
115
Bedeutung.413 In Art. 1 Abs. 1 S. 1 GG wird die Würde des Menschen für „unantastbar“ erklärt. 1. Art. 1 Abs. 1 GG als Grundrecht Die Grundrechtsqualität des Art. 1 Abs. 1 GG ist auch heute nicht gänzlich unumstritten, aber doch überwiegend anerkannt.414 Wenngleich in Art. 1 Abs. 3 GG von den „nachfolgenden Grundrechten“ die Rede ist, die alle Staatsgewalt als unmittelbar geltendes Recht binden, so spricht doch mehr für den Grundrechtscharakter der Menschenwürdegarantie. Schon aus Art. 1 Abs. 1 S. 2 GG ergibt sich, dass die Menschenwürdegarantie unmittelbar bindendes Recht darstellt.415 Unter systematischen Gesichtspunkten spricht die Stellung des Art. 1 Abs. 1 GG in dem mit „Die Grundrechte“ überschriebenen ersten Abschnitt der Verfassung für die Grundrechtsqualität.416 Gleiches gilt für den entstehungsgeschichtlichen Hintergrund der Norm.417 Zudem mutete es etwas seltsam an, versagte man ausgerechnet dem obersten Wert der Verfassung den subjektiv-rechtlichen Charakter,418 wohnt doch dem Grundgesetz insgesamt eine anspruchsfreundliche Tendenz inne.419 Auch der Wortlaut des Art. 142 GG streitet für die Annahme eines Grundrechtscharak-
413
Auch bei der Frage nach einem (medizinischen) Existenzminimum gab es freilich schon Berührungspunkte zu Art. 1 Abs. 1 GG, vgl. die Nachweise im 1. Teil Kap. 3 A. I. 2. c) bb) (2) (a) bb), Fn. 95 und die Rspr.-Nachweise zum Existenzminimum, 1. Teil Kap. 3 A. I. 2. c) bb) (2) (b) (ee) İ), Fn. 182. 414 Aus früherer Zeit s. schon Nipperdey, Die Grundrechte Bd. 2, S. 11; aus dem jüngeren Schrifttum Epping, Grundrechte, Rn. 573; Herdegen, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 1 Abs. 1 Rn. 26; Höfling, in: Sachs, GG, Art. 1 Rn. 6 f.; Kunig, in: v. Münch/Kunig, GG Bd. 1, Art. 1 Rn. 4; Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 350; Robbers, in: Umbach/Clemens, GG, Art. 1 Rn. 33; Starck, in: v. Mangoldt/F. Klein/Starck, GG, Art. 1 Abs. 1 Rn. 31; v. Münch, Staatsrecht Bd. 2, Rn. 297; Stern, in: Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland Bd. IV/1, S. 61; Zippelius/Würtenberger, Deutsches Staatsrecht, S. 202. Eine ausführliche Analyse des subjektiv-rechtlichen Charakters der Menschenwürde liefert Enders, Die Menschenwürde in der Verfassungsordnung, S. 101 ff. mit Ablehnung desselben auf S. 117, sie sei vielmehr ein „Recht auf Rechte“ (S. 503); ferner ablehnend Dreier, in: Dreier, GG Bd. I, Art. 1 Rn. 128, „Grundsatz nicht Grundrecht“; Geddert-Steinacher, Menschenwürde als Verfassungsbegriff, S. 172: „kein Grundrecht, sondern Rechtsprinzip“; Isensee, AöR 131 (2006), 173, 191: „Grundlage aller Grundrechte (…), aber selber kein Grundrecht“. Zuck, NJW 2002, 869 verneint die Grundrechtsqualität, erst in Kombination mit anderen Grundrechten entstehe ein subjektives Recht. Aus der älteren Literatur Abendroth, VVDStRL 8 (1950), 161 f. – Diskussionsbeitrag; Apelt, JZ 1951, 353 Fn. 3; Nawiasky, Die Grundgedanken des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland, S. 26. 415 Epping, Grundrechte, Rn. 573. 416 Epping, Grundrechte, Rn. 573. 417 Zu Art. 1 des HChE und seiner Bedeutung für das GG vgl. Nipperdey, in: F. Neumann/Nipper-dey/Scheuner, Die Grundrechte Bd. 2, S. 11. 418 Höfling, JuS 1995, 857, 858; Manssen, Staatsrecht II, Rn. 186. 419 Höfling, in: Sachs, GG, Art. 1 Rn. 6; Starck, in: v. Mangoldt/F. Klein/Starck, GG, Art. 1 Abs. 1 Rn. 29.
116
3. Kap.: Rechtliche Grenzen von Rationierungsmaßnahmen
ters.420 Ohne seinen Standpunkt jemals näher begründet zu haben, geht auch das BVerfG von der Grundrechtsqualität der Menschenwürdegarantie aus.421 2. Gehalt der Menschenwürdegarantie Der Begriff der Menschenwürde, der einen Rechtsbegriff darstellt,422 ist in hohem Maße unbestimmt.423 Eine nähere Bestimmung des Gehalts der Menschenwürde stößt somit auf erhebliche Schwierigkeiten,424 letztlich kann sie nicht gelingen.425 Daher ist man dazu übergegangen, auf eine umfassende positive Begriffsbestimmung zu verzichten und hat sich stattdessen einer negativen Interpretationsmethode bedient. Dabei werden einzelne Verletzungsvorgänge herausgearbeitet, die jedenfalls als würdeverletzend einzustufen sind und demnach einen Eingriff darstellen.426 In diesem Sinne ist auch das BVerfG in einer seiner ersten Entscheidungen verfahren, indem es Erniedrigung, Brandmarkung, Verfolgung und Ächtung von Personen427 sowie später die Kommerzialisierung menschlichen Daseins428 als Beispiele für Verletzungen aufgezählt hat. Zudem hat es betont, dass sich nicht generell ausdrücken lasse, unter welchen Umständen die Menschenwürde verletzt sein könne, sondern „immer nur in Ansehung des konkreten Falles“.429 Für die notwendige Konkretisierung hat die von Dürig entwickelte Objektformel eine wichtige Bedeutung erlangt, die ebenfalls der negativen Interpretationsmethode folgt. Nach ihr ist „die Menschenwürde als solche (…) getroffen, wenn der konkrete Mensch zum Objekt, zu einem bloßen Mittel, zur vertretbaren Größe herabgewürdigt wird“.430 Sie ist in der Literatur431 und von der Rechtsprechung
420
Höfling, NJW 1995, 857, 858. Besonders deutlich BVerfGE 61, 126, 137; 109, 133, 151; vgl. ferner etwa BVerfGE 1, 332, 333, 343, 348; 6, 7, 9; 12, 113, 123; 13, 132, 152; 52, 256, 261; 51, 43, 58; 59, 128, 163; 71, 183, 190, 201; 422 Kunig, in: v. Münch/Kunig, GG Bd. 1, Art. 1 Rn. 18. 423 Epping, Grundrechte, Rn. 582; Kunig, in: v. Münch/Kunig, GG Bd. 1, Art. 1 Rn. 18. 424 Höfling, in: Sachs, GG, Art. 1 Rn. 8. 425 Isensee, AöR 131 (2006), 173, 214; Kunig, in: v. Münch/Kunig, GG Bd. 1, Art. 1 Rn. 22. 426 Vgl. Dreier, in: Dreier, GG Bd. I, Art. 1 I Rn. 51; Höfling, JuS 1995, 857, 859; Kunig, in: v. Münch/Kunig, GG Bd. 1, Art. 1 Rn. 22; Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 358; Vitzhum, JZ 1985, 201, 202, 204. Zu Versuchen, die Gewährleistung des Art. 1 Abs. 1 GG positiv zu bestimmen vgl. Darstellungen und Nachweise bei Herdegen, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 1 Abs. 1 Rn. 31; Pieroth/Schlink, a.a.O., Rn. 354; Stern, in: Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland Bd. IV/1, S. 22. 427 BVerfGE 1, 97, 104; auf diese Entscheidung rekurrieren BVerfGE 96, 375, 400; 102, 347, 367; 107, 275, 284; 109, 279, 312; 115, 118, 153. 428 BVerfGE 96, 375, 400. 429 BVerfGE 30, 1, 25; BVerfG [K], NJW 1993, 3315. 430 Dürig, AöR 81 (1956), 117, 127. Dürig, war ganz offensichtlich inspiriert vom Philosophen Immanuel Kant, vgl. Dreier, in: Dreier, GG Bd. I, Art. 1 I Rn; Starck, in: v. Mangoldt/F. Klein/Starck, GG, Art. 1 Abs. 1 Rn. 17. 421
B. Spezielle Grenzen hinsichtlich einzelner Rationierungskriterien
117
des BVerfG aufgegriffen worden.432 Gleichzeitig wurden aber auch Bedenken geäußert, sie als zu vage433 oder unbestimmt,434 zu grobmaschig für subtilere Verstöße435 und als passepartout für subjektive Wertungen aller Art bezeichnet.436 Das BVerfG selbst zeigte sich in einer Entscheidung dahingehend kritisch, dass die Objektformel lediglich die Richtung andeuten könne, in der Fälle der Verletzung der Menschenwürde gefunden werden könnten. Der Mensch sei nicht selten bloßes Objekt des Rechts, soweit er sich ohne Rücksicht auf seine Interessen fügen müsse. Da darin noch keine Menschenwürdeverletzung gesehen werden könne, sei vielmehr eine „verächtliche Behandlung“ maßgeblich.437 Später ist das BVerfG dann wieder zu der klassischen Objektformel zurückgekehrt, hat seine Vorbehalte in dem Urteil zum Großen Lauschangriff aber auch abermals geäußert.438 Trotz ihrer Schwächen „ist die Objektformel bislang als Versuch einer Deutung der Würdeverletzung in ihrem Vollständigkeitsanspruch von keinem überlegenen Interpretationsansatz verdrängt worden“.439 Zur Präzisierung des Menschenwürdegehalts wird eine – allerdings nicht immer einheitliche – Aufteilung in verschiedene Bereiche vorgenommen, in denen sich die Menschenwürde in besonderer Weise ausprägt. Exemplarisch sei hier die Unterscheidung von Höfling genannt, der die Achtung und den Schutz der körperlichen Integrität, die Sicherung menschengerechter Lebensgrundlagen, die Gewährung elementarer Rechtgleichheit und die Wahrung der personalen Identität und 431
Vgl. Herdegen, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 1 Abs. 1 Rn. 33; Kunig, in: v. Münch/Kunig, GG Bd. 1, Art. 1 Rn. 22; Starck, in: v. Mangoldt/F. Klein/Starck, GG, Art. 1 Abs. 1 Rn. 17; Vitzhum, JZ 1985, 201, 202. 432 Z.B. in BVerfGE 9, 89, 95; 27, 1, 6; 45, 187, 228; 72, 105, 116; 96, 375, 399; 115, 118, 153. 433 Dreier, in: Dreier, GG Bd. I, Art. 1 I Rn. 53. 434 V. Neumann, NZS 2005, 617, 622. 435 Stern, in: Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland Bd. IV/1, S. 19. 436 Vgl. Dreier, in: Dreier, GG Bd. I, Art. 1 I Rn. 53. Ganz ähnlich Höfling, in: Sachs, GG (3. Aufl.), Rn. 14, der attestiert, sie laufe Gefahr, „als beliebig einsetzbare Floskel instrumentalisiert zu werden, zur bloßen Phrase zu verkommen (…)“. Als Leerformel bezeichnet sie Hoerster, JuS 1983, 93, 95. 437 BVerfG 30, 1, 25 f. Die Hinzufügung dieses subjektiven Merkmals ist aber mit der abweichenden Meinung der Richter Geller, v. Schlabrendorff und Rupp abzulehnen, weil dann die Behandlung eines Menschen im Sinne der Objektformel als zulässig anzusehen wäre, solange sie nur in „guter Absicht“ geschieht, vgl. BVerfGE 30, 1, 39 f. So auch die ganz herrschende Meinung, vgl. nur Epping, Grundrechte (2. Aufl.), Rn. 560; Höfling, in: Sachs, GG (3. Aufl.), Art. 1 Rn. 15; Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 360, Robbers, in: Umbach/Clemens, GG Bd. I, Art. 1 Rn. 14; Stern, in: Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland Bd. IV/1, S. 20. 438 BVerfGE 109, 279, 312 f. Nunmehr bekundet wohl auch Höfling, in: Sachs, GG, Art. 1 Rn. 16 mit Fn. 65 Sympathie für diese Einschränkung. v. Münch, Staatsrecht Bd. 2. Rn. 299 hält eine subjektivierte (modifizierte) Objektformel für unverzichtbar, damit es nicht zu einer „massenhaften, unsinnigen Annahme von Verletzungen der Menschenwürde“ komme. 439 Herdegen, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 1 Abs. 1 Rn. 33.
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3. Kap.: Rechtliche Grenzen von Rationierungsmaßnahmen
Integrität als vier wesentliche Problemdimensionen herausstellt.440 Wie sich noch zeigen wird, ist der Bereich der elementaren Rechtsgleichheit für die Beurteilung der Menschenwürde als spezieller Grenze von Rationierungsentscheidungen von Relevanz. Die Würde des Menschen in einem Gemeinwesen bewahrt ihn vor der Zuweisung eines rechtlich abgewerteten Status. Verboten sind nicht nur Sklaverei und rassische Diskriminierungen.441 Mit der Menschenwürde unvereinbar ist ganz allgemein die Herabstufung bestimmter Personengruppen zu Menschen zweiter Klasse.442 Sie hat als Richtschnur für Wertentscheidungen im Bereich der Gesetzgebung zu dienen.443 Generell genießen das menschliche Leben und die menschliche Würde „ohne Rücksicht auf die Dauer der physischen Existenz des einzelnen Menschen gleichen verfassungsrechtlichen Schutz“.444 Menschenwürde besitzt jeder, ohne Rücksicht auf seine Eigenschaften, seine Leistungen und seinen sozialen Status. Sie kann dem Menschen nicht genommen werden. Verletzbar ist aber der Achtungsanspruch, der sich aus ihr ergibt.445 3. Zusammenfallen von Eingriff und Verstoß Während sich andere Grundrechte, die wie Art. 1 Abs. 1 GG nicht mit einem ausdrücklichen Gesetzesvorbehalt versehen sind, noch verfassungsimmanenten Schranken ausgesetzt sehen,446 ist das Grundgesetz bei Art. 1 Abs. 1 GG beim Wort zu nehmen: Nach dem ganz überwiegenden Verständnis des Art. 1 Abs. 1 GG ist jeder Eingriff in den Schutzbereich der Menschenwürdegarantie verfassungswidrig, kann nicht gerechtfertigt werden und ist einer Abwägung nicht zugänglich.447 In jüngerer Zeit wurden jedoch vereinzelt auch Versuche unternom440
Höfling, in: Sachs, GG, Art. 1 Rn. 19; ähnlich Stern, in: Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland Bd. IV/1, S. 23, der als fünfte Ebene das Verbot übermäßiger staatlicher Gewaltanwendung benennt; mit sechs Fallgruppen operiert Epping, Grundrechte, Rn. 584 ff., der zusätzlich noch den Schutz der persönlichen Ehre und den Schutz eines unantastbaren Kernbereichs privater Lebensgestaltung aufführt. Eine Unterteilung in drei Hauptgruppen nimmt Vitzhum, JZ 1985, 201, 204, vor; ebenso Dreier, in: Dreier, GG Bd. I, Art. 1 I Rn. 58 ff., der drei Grundaussagen unterscheidet. Ähnlich wie Dreier auch Hofmann, AöR 118 (1993), 353, 363; Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 361. Auch die zuletzt genannten Autoren mit gröberen Unterteilungen erfassen im Wesentlichen alle Aspekte der breitgefächerteren Aufteilungen. 441 Höfling, in: Sachs, GG, Art. 1 Rn. 33. Zu weiteren Ungleichbehandlungen s. Dreier, in: Dreier, GG Bd. I, Art. 1 I Rn. 59. 442 Jarass, in: Jarass/Pieroth, Art. 1 Rn. 8; Dreier, in: Dreier, GG Bd. I, Rn. 59. 443 Zippelius/Würtenberger, Deutsches Staatsrecht, S. 209. 444 BVerfGE 115, 118, 158. 445 BVerfGE 87, 209, 228; 96, 375, 399; 115, 118, 152. 446 Epping, Grundrechte, Rn. 596; Herdegen, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 1 Abs. 1 Rn. 69. 447 BVerfGE 93, 266, 293; Di Fabio, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 2 Abs. 2 Rn. 80; Dreier, in: Dreier, GG Bd. I, Art. 1 I Rn. 44, 132; Epping, Grundrechte, Rn. 591, 596; GeddertSteinacher, Menschenwürde als Verfassungsbegriff, S. 83; Höfling, in: Sachs, GG, Art. 1 Rn. 11; Kunig, in: v. Münch/Kunig, GG Bd. 1, Art. 1 Rn. 4; Manssen, Staatsrecht II, Rn. 188; J. Merten, JR 2003, 404, 406; Pieroth/Schlink, Rn. 365. Herdegen, in:
B. Spezielle Grenzen hinsichtlich einzelner Rationierungskriterien
119
men, die Menschenwürdegarantie einer Abwägung und somit einer Einschränkbarkeit zuzuführen. Eine tiefgreifendere Auseinandersetzung mit diesen Bestrebungen kann an dieser Stelle nicht erfolgen und ist auch nicht angebracht, da die zugrundeliegenden Lebenssachverhalte die hier untersuchte Thematik nicht berühren.448 Für diese verbleibt es bei der Feststellung, dass jedwede Berührung eines gesetzlichen Differenzierungskriteriums mit der Menschenwürdegarantie gleichzeitig auch die Verfassungswidrigkeit der jeweiligen Vorschrift bedeutete.
II. Der allgemeine Gleichheitssatz, Art. 3 Abs. 1 GG Geht es darum, Kriterien aufzustellen, nach Maßgabe derer dem einzelnen Patienten letztlich bestimmte Gesundheitsleistungen vorenthalten werden sollen, rückt auch der der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG ins Blickfeld.449 Hierbei nun handelt es sich um ein derivatives Teilhaberecht, welches die gerechte Teilhabe an dem System der GKV als einem staatlich eingerichteten System der
Maunz/Dürig, GG, Art. 1 Abs. 1 GG Rn. 69 ist auch gegen eine Einschränkbarkeit, möchte aber bei der der Konkretisierung des Würdeanspruchs im einzelnen Fall – also auf Schutzbereichsebene – Raum für die Berücksichtigung des Schutzes anderer hochrangiger Verfassungsbelange, insbesondere der Würde anderer und damit abwägende Elemente berücksichtigen, vgl. dazu ders., a.a.O., Rn. 44 ff. Kritisch hierzu Dreier, in: Dreier, GG Bd. I, Art. 1 I Rn. 134; Epping, a.a.O., Rn. 597; wie Herdegen aber wohl auch Götz, NJW 2005, 953, 955. 448 So wird über die Möglichkeit einer Abwägung – insbesondere im Zusammenhang mit der „Rettungsfolter“ – von Würde gegen Würde nachgedacht. Eine solche befürworten Brugger, JZ 2000, 165, 169; Starck, in: v. Mangoldt/F. Klein/Starck, GG, Art. 1 Abs. 1 Rn. 35, 79; Wittreck, DÖV 2003, 873, 879 ff, insb. 881. Besonderes Interesse löste der Entführungsfall Jakob v. Metzler und der folgende Strafprozess gegen den damaligen Frankfurter Polizeipräsidenten Wolfgang Daschner aus, auf dessen Veranlassen hin Magnus Gäfgen, dem Entführer und Mörder des Bankierssohns, zur Preisgabe des Verstecks des Entführungsopfers physische Gewalt angedroht wurde. Zum Urteil gegen Daschner im Lichte der Menschenwürdeproblematik vgl. den kritischen Aufsatz von Götz, NJW 2005, 953 ff. Von gleichfalls großem Interesse war die Diskussion über § 14 Abs. 3 LuftSiG (v. 11.1.2005, BGBl. I 2005, S. 78), nach dem die unmittelbare Einwirkung mit Waffengewalt auf und damit der Abschuss von Flugzeugen zulässig ist, wenn nach den Umständen davon auszugehen ist, dass das Flugzeug gegen das Leben von Menschen eingesetzt werden soll und dies das einzige Mittel zur Abwehr dieser gegenwärtigen Gefahr ist. In derartigen Fällen ist aber weniger von einer Würdekollision, sondern vielmehr von einer solchen auszugehen, in der Leben und Leben gegeneinander stehen, aber der durch Art. 2 Abs. 2 S. 3 GG eingeräumte Abwägungsspielraum wegen der gleichfalls betroffenen Menschenwürde der Passagiere äußerst begrenzt ist, vgl. Stern, in: Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland Bd. IV/1, S. 25 f. Das BVerfG hat die Vorschrift für nichtig erklärt, BVerfGE 115, 118, 139 ff., mit Blick auf die Menschenwürde insb. 151 ff.; zustimmend Schenke, NJW 2006, 736, 738; schon vor dem Urteilsspruch zu demselben Ergebnis gelangten Hartleb, NJW 2005, 1397 ff.; Kersten, NVwZ 2005, 661, 662 f.; kritisch aufgenommen wurde das Urteil von Baldus, NVwZ 2006, 532 ff. 449 Ebenso R. Giesen, ZVersWiss 2004, 557, 578.
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3. Kap.: Rechtliche Grenzen von Rationierungsmaßnahmen
Leistungs- und Nutzungsgewährung gewährt.450 Es muss für die Versicherten im Wesentlichen Gleichbehandlung garantieren.451 1. Rechtsanwendungs- und Rechtssetzungsgleichheit Ausgehend vom Wortlaut des Art. 3 Abs. 1 GG, der besagt, dass alle Menschen vor dem Gesetz gleich sind, umfasst der allgemeine Gleichheitssatz nur die Rechtsanwendungsgleichheit durch Verwaltung und Rechtsprechung.452 Es ist aber allgemein anerkannt und auch vom BVerfG Zeit seines Bestehens bejaht worden, dass er aufgrund der in Art. 1 Abs. 3 normierten Bindung aller Staatsgewalt an die Grundrechte auch eine Rechtssetzungsgleichheit gewährleistet.453 Diese stellt sogar den wichtigsten Anwendungsbereich des Art. 3 Abs. 1 GG dar.454 Deshalb und weil sich die Betrachtung auf rationierenden Gesetzgebungsmaßnahmen konzentriert, beschränken sich die nachfolgenden Äußerungen auf die Rechtsanwendungsgleichheit. 2. Verfassungsrechtliche Überprüfung an Art. 3 Abs. 1 GG Anders als bei den Freiheitsrechten ist bei der Überprüfung der Vereinbarkeit eines öffentlichen Aktes mit dem allgemeinen Gleichheitssatz nicht nach einem Schutzbereich, einem Eingriff in diesen und einer Rechtfertigung desselben unter Berücksichtigung von Schranken und Schranken-Schranken zu fragen, sondern ein lediglich zweistufiges Prüfungsprogramm zu absolvieren. Zunächst muss festgestellt werden, ob eine rechtlich relevante Ungleichbehandlung vorliegt. Ist dies der Fall, so ist zu untersuchen, ob diese Ungleichbehandlung verfassungsrechtlich gerechtfertigt ist.455
450
V. Neumann, NZS 2005, 617, 622. Zur Unterscheidung von originären Teilhaberechten vgl. 1. Teil Kap. 3 A. I. 2. c) bb) (1), S. 63. 451 BVerfGE 106, 275, 308 f. 452 Epping, Grundrechte, Rn. 684; Odendahl, JA 2000, 170. 453 BVerfGE 1, 14, 52; Epping, Grundrechte, Rn. 684; Schoch, DVBl. 1988, 863, 868, 873; aus der Literatur statt vieler Gubelt, in: v. Münch/Kunig, GG Bd. 1, Art. 3 Rn. 8; Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Rn. 438; Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 3 Rn. 1a; Manssen, Staatsrecht II, Rn. 750; Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 428; Zippelius, VVDStRL 47 (1989), 7, 11 stützt sich vornehmlich auf die Entstehungsgeschichte des Art. 3 GG. 454 Gubelt, in: v. Münch/Kunig, GG Bd. 1, Art. 3 Rn. 8. 455 Bryde/Kleindiek, Jura 1999, 36, 37, 44; Epping, Grundrechte, Rn. 688; Odendahl, JA 2000, 170; Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 430. Anders Huster, JZ 1994, 541, 547 ff., der sich bei der Herausarbeitung der Dogmatik des Gleichheitssatzes an dem bekannten Modell der Freiheitsrechte orientiert; ausführlich ders., Rechte und Ziele, S. 225 ff.; auch Möckel, DVBl. 2003, 488 ff. differenziert nach Schutzbereich, Eingriff und Rechtfertigung.
B. Spezielle Grenzen hinsichtlich einzelner Rationierungskriterien
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a) Vorliegen einer relevanten Ungleichbehandlung Verfassungsrechtliche Relevanz kommt einer Ungleichbehandlung nur dann zu, wenn „wesentlich Gleiches“ ungleich behandelt wird.456 Nicht jeder Mensch ist genau wie der andere, auch gibt es keine zwei identischen Sachverhalte.457 Eine absolute Übereinstimmung ist mithin ausgeschlossen, sie bedeutete Identität.458 Für das Vorliegen wesentlicher Gleichheit kann es daher nur auf eine Vergleichbarkeit von Personen, Personengruppen oder Situationen ankommen.459 Die unterschiedlich behandelten Personen, Personengruppen oder Sachverhalte müssen sich unter einen gemeinsamen Oberbegriff fassen lassen können.460 Dieser dient als Bezugspunkt für die Frage der Vergleichbarkeit und sollte so eng wie möglich gewählt werden, da nur dann das für eine Ungleichbehandlung wichtige Differenzierungskriterium deutlich sichtbar wird.461 Schon diese Gruppenbildung ist von Wertentscheidungen beeinflusst, weil sich die Frage, was vergleichbar ist und was nicht, nicht streng logisch beantworten lässt.462 Für die Beurteilung möglicher Rationierungskriterien, die dazu führen, dass zwar einigen, aber nicht allen gesetzlich Krankenversicherten medizinische Leistungen vorenthalten werden, ist „Versicherte in der GKV“ 463 der den richtigen Bezugspunkt bildende gemeinsame Oberbegriff. Die Ungleichbehandlung der unter diesen gemeinsamen Oberbegriff fallenden Personen wird anschließend in einem zweiten Schritt unter Zugrundelegung eines Differenzierungskriteriums festgestellt.464 In dem hier zu untersuchenden Zusammenhang bilden die einzelnen in Frage kommenden Rationierungskrite-
456
St. Rspr., z.B. BVerfGE 1, 14, 52; 4, 144, 155; 23, 98, 107; 42, 64, 72; 49, 148, 165; 67, 186, 195; 98, 365, 385; Epping, Grundrechte, Rn. 691; Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 431. 457 Osterloh, in: Sachs, GG, Art. 3 Rn. 1; Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 431. 458 Hesse, in: FS für Lerche, S. 121; s. auch Epping, Grundrechte, Rn. 692; Heun, in: Dreier, GG Bd. I, Art. 3 Rn. 18. 459 Heun, in: Dreier, GG Bd. I, Art. 3 Rn. 18.; Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 431. 460 Epping, Grundrechte, Rn. 696; Heun, in: Dreier, GG Bd. I, Art. 3 Rn. 23; Manssen, Staatsrecht II, Rn. 754; Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 433. 461 Epping, Grundrechte, Rn. 696. 462 Epping, Grundrechte, Rn. 694; Gubelt, in: v. Münch/Künig, GG Bd. 1, Art. 3 Rn. 17; Heun, in: Dreier, GG Bd. I, Art. 3 Rn. 24. Insgesamt kritisch zu einer derartigen Vergleichsgruppenbildung Martini, JuS 1996, 1142 f. 463 Eine ähnliche Vergleichsgruppe bildete das BVerfG in BVerfGE 89, 365, 375 f. aus allen Versicherten, die verschiedenen Krankenkassen angehören und bei gleichem Einkommen und im Wesentlichen gleichen Leistungen der Kasse unterschiedlich hohe Beiträge zu entrichten haben. Die ob dieses Umstandes eingelegte Verfassungsbeschwerde blieb ohne Erfolg. Ähnlich wie hier auch Vosteen, Rationierung im Gesundheitswesen und Patientenschutz, S. 337. 464 Heun, in: Dreier, GG Bd. I, Art. 3 Rn. 23. Die Beispiele bei Epping, Grundrechte, Rn. 696 ff. veranschaulichen, wie sich das jeweilige Differenzierungskriterium herauskristallisiert, wenn man die betroffenen Personen oder Personengruppen dem gemeinsamen Oberbegriff subsumiert.
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3. Kap.: Rechtliche Grenzen von Rationierungsmaßnahmen
rien diese Unterscheidungsmerkmale. Relevant wird eine Ungleichbehandlung ferner nur dann, wenn sie durch dieselbe Rechtsetzungsgewalt erfolgt.465 b) Verfassungsrechtliche Rechtfertigung Auf den ersten Blick scheint eine einmal festgestellte und rechtlich relevante Ungleichbehandlung wegen Art. 3 Abs. 1 GG verfassungswidrig zu sein. Aus der Systematik des Art. 3 GG lässt sich jedoch schließen, dass dem nicht so ist. In seinem dritten Absatz wird ausdrücklich die Benachteiligung nach den dort aufgezählten Kriterien verboten. Diese Aufzählung verlöre ihre Existenzberechtigung, wenn eine Ungleichbehandlung ausnahmslos unzulässig wäre. Deshalb ist eine verfassungsrechtliche Rechtfertigung möglich.466 aa) „Willkürformel“ des BVerfG Hinsichtlich dieser hat das BVerfG unterschiedliche Ansätze verfolgt. Nach der so genannten „Willkürformel“ war der allgemeine Gleichheitssatz zunächst nur dann verletzt, wenn „wesentlich Gleiches willkürlich ungleich“ behandelt wurde.467 Willkür ist dann gegeben, wenn „sich ein vernünftiger, sich aus der Natur der Sache ergebender oder sonst wie sachlich einleuchtender Grund für die Differenzierung (…) nicht finden läßt“.468 Mitunter wird gefordert, die Unsachlichkeit müsse evident sein.469 Insgesamt maßgeblich ist nicht die subjektive Willkür, es kommt vielmehr auf eine objektive Beurteilung an.470 bb) „Neue Formel“ des BVerfG Die Beschränkung auf das reine Willkürverbot wurde im Jahre 1980 durch eine für die Rechtfertigung einer Ungleichbehandlung heranzuziehende – auch heute noch so bezeichnete – „neue Formel“ aufgegeben.471 Nach dieser ist Art. 3 Abs. 1 GG dann verletzt, wenn „eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solchem Gewicht bestehen, daß sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen können“.472 Mit ihr wurde das Willkürverbot aber nicht abge465
Vgl. Epping, Grundrechte, Rn. 704; Odendahl, JA 2000, 170, 171; Osterloh, in: Sachs, GG, Art. 3 Rn. 81 jeweils mit Nachweisen aus der Rspr. des BVerfG. 466 Epping, Grundrechte, Rn. 705; Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 428. 467 St. Rspr, z.B. BVerfGE 1, 14, 52; 4, 144, 155; 23, 98, 107; 42, 64, 72; 49, 148, 165; 51, 295, 300; 78, 104, 121. 468 BVerfGE 1, 14, 52; in der Formulierung mitunter leicht abweichend, aber st. Rspr. vgl. etwa BVerfGE 36, 174, 187; 42, 374, 388; 65, 141, 148; 68, 237, 250; 76, 256, 329; 91, 118, 123. 469 So etwa BVerfGE 12, 326, 333; 52, 277, 281; 55, 70, 90; 95, 267, 317; 99, 367, 389. 470 St. Rspr., vgl. BVerfGE 2, 266, 281; 4, 144, 155; 42, 64, 73; 51, 1, 26 f.; 80, 48, 51. 471 Diese Änderung war möglicherweise beeinflusst durch die Kritik an der bisherigen Rspr., vgl. Gubelt, in: v. Münch/Kunig, GG Bd. 1, Art. 3 Rn. 1, 14. 472 BVerfGE 55, 72, 88, für die Einführung der „neuen Formel“ hatte es nach dem zu entscheidenden Sachverhalt eigentlich keinen Anlass gegeben, vgl. Epping, Grundrechte,
B. Spezielle Grenzen hinsichtlich einzelner Rationierungskriterien
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schafft oder ersetzt, sondern vielmehr ergänzt.473 Ausdrücklich bestätigt sich dies in einer in jüngerer Zeit vom BVerfG verwendeten Beschreibung des anzulegenden Prüfungsmaßstabs: „Aus dem allgemeinen Gleichheitssatz ergeben sich je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen unterschiedliche Grenzen für den Gesetzgeber, die vom bloßen Willkürverbot bis zu einer strengen Bindung an Verhältnismäßigkeitserfordernisse reichen.“474 Seit 1993 existiert in der Spruchpraxis des BVerfG daneben noch eine zweite Variante der „neuen Formel“, nach der eine Ungleichbehandlung dann verfassungsgemäß ist, wenn „Gründe von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die Ungleichbehandlung rechtfertigen können“.475 Damit ist ausdrücklich eine Zweck-MittelRelation angesprochen.476 Augenscheinlich möchte das BVerfG mit beiden Formelvarianten keine inhaltliche Differenzierung vornehmen, obwohl mit „Gründen“ und „Unterschieden“ verschiedenartige Begrifflichkeiten verwendet werden. Entscheidungen, die „Gründe von solcher Art und solchem Gewicht“ für die Rechtfertigungen verlangen, verweisen selbst auf Rechtsprechung, in der die andere Variante bemüht wird.477 (1) Anwendungsbereich beider Formeln Es drängt somit die Frage auf, unter welchen Umständen eine Ungleichbehandlung zu rechtfertigen ist. (a) Abgrenzung des BVerfG Das BVerfG unterscheidet zunächst danach, ob die Ungleichbehandlung personen- oder sachbezogen erfolgt. Der strengeren Bindung nach der „neuen Formel“ soll der Gesetzgeber bei einer unterschiedlichen Behandlung von Personengruppen unterliegen, während er im anderen Falle nur den Anforderungen des WillRn. 707; seither st. Rspr. des Ersten Senats, etwa BVerfGE 60, 329, 346; 66, 66, 75; 74, 9, 24; 79, 106, 121 f.; 81, 156, 205; 82, 126, 146; 84, 348, 359; 85, 360, 383; 87, 234, 255; 88, 5, 12; 95, 39, 45; 100, 59, 90; 102, 41, 54; 107, 205, 214: 112, 50, 67; 117; 316, 325. Der Zweite Senat hat die Formel nur vereinzelt verwendet, s. etwa BVerfGE 65, 377, 384; 92, 377, 318; 105, 73, 110; 113, 167, 214 f. In der Sache gibt es zwischen beiden Senaten aber keine nennenswerten Differenzen, vgl. Epping, Grundrechte (2. Aufl.), Rn. 677 m.w.N. 473 Osterlohn, in: Sachs, GG, Art. 3 Rn. 25. 474 Erstmals in BVerfGE 88, 87, 96; vgl. auch BVerfGE 89, 365, 375; 91, 389, 401; 92, 365, 407; 93, 99, 111; 95, 267, 316; 97, 271, 290; 99, 367, 388; 103, 172, 193; 110, 274, 291; 113, 167, 214; 118, 79, 100. 475 Erstmals in BVerfGE 88, 87, 97, vgl. auch BVerfGE 91, 389, 401; 95, 267, 316; 101, 54, 101; 110, 274, 291; 111, 176, 184; 118, 79, 100. 476 Epping, Grundrechte, Rn. 708. Teilweise wird darauf hingewiesen, dass eine ZweckMittel-Relation dem Gleichheitssatz fremd sei, vgl. Bryde/Kleindiek, Jura 1999, 36, 37 f.; Heun, in: Dreier, GG Bd. I, Art. 3 Rn. 27; Möckel, DVBl. 2003, 488, 490. 477 Beispielhaft genannt seien BVerfGE 88, 87, 97, „Gründe“ mit Verweis auf BVerfGE 82, 126, 146, „Unterschiede“; BVerfGE 111, 176, 184, „Gründe“ mit Verweis auf BVerfGE 109, 96, 123, „Unterschiede“. Vgl. auch Epping, Grundrechte, Rn. 709, der darlegt, dass beide Begriffe häufig synonym verwendet werden.
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3. Kap.: Rechtliche Grenzen von Rationierungsmaßnahmen
kürverbots zu genügen hat.478 Die Bindung soll umso enger sein, je mehr sich die personenbezogenen Merkmale den in Art. 3 Abs. 3 GG genannten absolut untersagten Differenzierungskriterien annähern.479 Die Abgrenzung zwischen beiden Differenzierungsarten erweist sich als schwierig, weil die Grenzen zumeist fließend sind.480 Jede noch so sachbezogene Regelung lässt sich auch personenbezogen formulieren, indem auf die Person abgestellt wird, die ein bestimmtes sachliches Merkmal verwirklicht.481 Daher setzt das BVerfG auch dann den Maßstab der „neuen Formel“ an, wenn eine ungleiche Behandlung von Sachverhalten mittelbar auch eine ungleiche Behandlung von Personen bewirkt.482 Bei einer lediglich verhaltensbezogenen Ungleichbehandlung ist für das Maß der Bindung entscheidend, inwieweit der Betroffene in der Lage ist, durch sein Verhalten die Verwirklichung der Merkmale, nach denen unterschieden wird, zu beeinflussen.483 Schließlich ist bei beiden Differenzierungsarten eine genauere Prüfung auch dann geboten, wenn durch die zu überprüfende Regelung der Schutzbereich eines anderen Grundrechts berührt wird.484 Ob eine durch explizite Rationierung des Gesetzgebers bedingte Differenzierung an personenbezogenen Merkmalen anknüpft, ist jeweils gesondert zu beurteilen. Gleiches gilt für die Frage, inwieweit der von einer verhaltensbezogenen Ungleichbehandlung Betroffene in der Lage ist, durch sein Verhalten die Verwirklichung der Kriterien zu beeinflussen, nach denen unterschieden wird. In jedem Fall ist aber bei den von der Leistung ausgeschlossenen Versicherten der Schutzbereich der Eigentumsgarantie berührt,485 was für die Anwendung der „neuen Formel“ spricht.486 478
BVerfGE 78, 104, 121; 83, 1, 23; 88, 87, 96 f.; 89, 15, 22; 90; 46, 56; 95, 267, 316 f.; 99, 367, 388. 479 BVerfGE 88, 87, 96; 92, 26, 51; 99, 367, 388; 101, 275, 291; 103, 310, 319. Osterloh, in: Sachs, GG, Art. 3 Rn 92 merkt an, dass dieser Umstand bislang wenig konkrete Gestalt gewonnen hat. 480 Hesse, in: FS für Lerche, S. 121, 129; Jarass, NJW 1997, 2545, 2547; Odendahl, JA 2000, 170, 176. 481 Brüning, JZ 2001, 669; Bryde/Kleindiek, Jura 1999, 36, 40; Heun, in: Dreier, GG Bd. I, Art. 3 Rn. 21. 482 BVerfGE 88, 87, 96; 95, 267, 316; 99, 367, 388; 101, 54, 101; 103, 310, 319. 483 BVerfGE 88, 87, 96; 90, 46, 56; 95, 267, 316; 99, 367, 388. 484 BVerfGE 74, 9, 24; 82, 126, 146; 88, 87, 96; 91, 346, 363; 97, 271, 290 f.; 118, 79, 100. 485 Vgl. 1. Teil Kap. 3 A. II. 1., S. 99 ff. und speziell für krankenversicherungsrechtliche Ansprüche 1. Teil Kap. 3 A. II. 1. c), S. 102 ff. 486 Für Odendahl, JA 2000, 170, 175 „sind nicht alle Fälle unmittelbarer oder mittelbarer personenbezogener Ungleichbehandlung sowie solche, die sich auf andere Grundrechte auswirken, gleich zu behandeln. Insbesondere bei sozialpolitischen Regelungen ist ‚weder eine strenge Prüfung der Verhältnismäßigkeit geboten noch eine bloße Willkürkontrolle ausreichend’“. Das eingeschlossene Zitat stammt aus BVerfGE 89, 365, 376, wo aber auf den konkreten Einzelfall, in dem es um eine Ungleichbehandlung von Personengruppen geht, die nicht an personengebundene Merkmale anknüpft, sondern an den Sachverhalt der
B. Spezielle Grenzen hinsichtlich einzelner Rationierungskriterien
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(b) Unterscheidung nach internen und externen Zwecken Einen anderen Weg zur Bestimmung des richtigen Prüfungsmaßstabs geht Huster,487 der zwischen internen und externen Zwecken einer Maßnahme unterscheidet. Ein interner Zweck werde verfolgt, wenn die Ungleichbehandlung aufgrund von bestehenden Unterschieden vorgenommen werde und damit auf Erwägungen der Gerechtigkeit beruhe. In derartigen Konstellationen soll lediglich eine Willkürprüfung vorgenommen werden, weil eine Verhältnismäßigkeitsprüfung kaum möglich sei.488 Externe Zwecke hingegen hätten nichts mit den eigentlichen relevanten Eigenschaften der Vergleichspersonen zu tun. Eine Ungleichbehandlung aufgrund externer Zwecke werde nicht durch Gerechtigkeitsmaßstäbe, sondern durch gesamtgesellschaftliche Nutzen- oder Zweckmäßigkeitserwägungen legitimiert. Externe Zwecke stünden in einem echten Zweck-Mittel-Verhältnis zu der Ungleichbehandlung, die für ihre Verwirklichung in Kauf genommen würden. Es hat demnach eine Verhältnismäßigkeitsprüfung stattzufinden.489 Eine derartige Konzeption ist allerdings schon deshalb abzulehnen, weil der Gesetzgeber regelmäßig sowohl interne und externe Zwecke mit einer Maßnahme verfolgen wird.490 Zudem können Gerechtigkeitsgesichtspunkte ihrerseits Ausdruck externer Ziele sein oder diese zumindest auch verfolgen.491 (2) Genauer Prüfungsmaßstab nach der „neuen Formel“ Einmal für anwendbar erklärt, ist weiterhin klärungsbedürftig, welchen genauen Prüfungsmaßstab die „neue Formel“ einfordert. Ihr Schöpfer und mit ihm weite Teile des Schrifttums sehen in ihr „die Ausdehnung verfassungsrechtlicher Kontrolle auf die Einhaltung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes“.492 Zugehörigkeit zu einer bestimmten Krankenkasse, Bezug genommen wird. Deshalb lässt es sich nicht derart für alle sozialpolitischen Regelungen verallgemeinern. 487 Huster, JZ 1994, 541, 543 f.; ausführlich ders., Rechte und Ziele, S. 164 ff. 488 Als Beispiel für einen internen Zweck wird etwa die unterschiedliche Besteuerung nach Leistungsfähigkeit genannt. 489 Ein Beispiel für die Verfolgung eines externen Zwecks nennt Huster die unterschiedliche steuerliche Behandlung zweier Personen, die zwar beide gleichermaßen leistungsfähig sind, von denen der eine aber Erbauer eines Eigenheims ist und daher die Baukosten steuerlich absetzen kann. Der externe Zweck liegt dann darin, die Baukonjunktur anzukurbeln. 490 So auch Bryde/Kleindiek, Jura 1999, 36, 39; Epping, Grundrechte, Rn. 710 Fn. 45. 491 Gubelt, in: v. Münch/Kunig, GG Bd. 1, Art. 3 Rn. 15; Heun, in: Dreier, GG Bd. I, Art. 3 Rn. 29. Weiterführende Kritik bei Bryde/Kleindiek, Jura 1999, 36, 39. 492 BVerfGE 74, 9, 30 (abweichende Meinung Katzenstein); s. auch die im 1. Teil Kap. 3 B. II. 2. b) bb) (1) (a), Fn. 482 aufgeführten Entscheidungen, die von „Verhältnismäßigkeitserfordernissen“ sprechen. Die literarischen Stellungnahmen sind dabei durchaus nuanciert und variantenreich. Vielfach wurden Anpassungen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes an den Gleichheitssatz erörtert, weil die Übertragung der bei den Freiheitsgrundrechten angewendeten Verhältnismäßigkeitsprüfung als kritisch angesehen wurde, vgl. insgesamt Brüning, JZ 2001, 670, 671 ff.; Gubelt, in: v. Münch/Kunig, GG Bd. 1 Art. 3 Rn. 14, 29 ff.; Heun, in: Dreier, GG Bd. I, Art. 3 Rn. 26 ff.; Jarass, NJW 1997, 2545, 2549; Michael, JuS
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3. Kap.: Rechtliche Grenzen von Rationierungsmaßnahmen
Zunächst ist danach zu fragen, ob die Ungleichbehandlung einen legitimen Zweck verfolgt. Wie bereits angeklungen, dürfte der Zweck von Rationierungsmaßnahmen regelmäßig darin liegen, das System der GKV zu entlasten. Ebenfalls im Rahmen der Auseinandersetzung mit Art. 14 GG hat sich gezeigt, dass die bundesverfassungsgerichtliche Rechtsprechung hierin einen herausragend wichtigen Gemeinschaftsbelang sieht.493 Weiterhin muss die Ungleichbehandlung geeignet sein, den verfolgten Zweck zu erreichen,494 wobei der normative Gehalt dieses Gebots im Ergebnis nicht über eine Willkürprüfung hinausgeht.495 Hieran dürfte hinsichtlich des genannten Zwecks bei Rationierungsmaßen nicht zu zweifeln sein. Dass auch eine Überprüfung hinsichtlich der Erforderlichkeit einer Maßnahme stattzufinden hat, wird gelegentlich angezweifelt.496 Wenn auch das BVerfG nicht immer einem präzisen Prüfungsablauf folgt, so hat es gleichwohl auch schon eine Erforderlichkeitsprüfung angedeutet.497 Damit eine ungleich behandelnde Maßnahme erforderlich ist, darf es kein gleich geeignetes alternatives Mittel geben, das weniger belastend wirkt.498 Im Zusammenhang mit Rationierungsmaßnahmen, die der finanziellen Stabilität der GKV dienen sollen, ist beispielsweise an Zuzahlungen der Versicherten bei der Inanspruchnahme von Leistungen zu denken. An dieser Stelle kommt der Grundsatz Rationalisierung vor Rationierung verfassungsrechtlich zum Tragen. Solange Wirtschaftlichkeitsreserven vorhanden sind, stellt
2001, 148, 153 f.; Odendahl, JA 2000, 170, 172 f., Osterloh, in: Sachs, GG, Art. 3 Rn. 18 ff.; Robbers, DÖV 1988, 749, 751 f.; Schoch, DVBl. 1988, 863, 874 f.; Diskussionsbeitrag von Schuppert, VVDStRL 47 (1989), 97 f.; Wendt, NVwZ 1988, 778, 784 ff.; Zippelius, VVDStRL 47 (1989), 8, 23. Schon vor der Neuorientierung der Rspr. hatte Kloepfer die Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgebots angeregt, vgl. Kloepfer, Gleichheit als Verfassungsfrage, S. 56 ff. Kritisch zu einer Verhältnismäßigkeit beim allgemeinen Gleichheitssatz Vogel, VVDStRL 47 (1989), 64, 66 – Diskussionsbeitrag. Bryde/Kleindiek, Jura 1999, 38, 38, regen an, im Rahmen des allgemeinen Gleichheitssatzes auf den Begriff „Verhältnismäßigkeitsprinzip“ gänzlich zu verzichten. Letztlich kommt es aber weniger auf die Bezeichnung, sondern vielmehr auf die Inhalte der Prüfung an, vgl. Gubelt, in: v. Münch/Kunig, GG Bd. 1, Art. 3 Rn. 15. 493 Vgl. 1. Teil Kap. 3 A. II. 2. a), S. 109 f. 494 Statt vieler Epping, Grundrechte, Rn. 730; Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 440. 495 Gubelt, in: v. Münch/Kunig, GG Bd. 1, Art. 3 Rn. 29; Osterloh, in: Sachs, GG, Art. 3 Rn. 19. 496 Gubelt, in: v. Münch/Kunig, GG Bd. 1, Art. 3 Rn. 29; Michael, JuS 2001, 866, 868; Osterloh, in: Sachs, GG, Art. 3 Rn. 21. 497 BVerfGE 71, 146, 156; 91, 389, 403 f. Im Schrifttum finden Gesichtspunkte der Erforderlichkeit einer Maßnahme überwiegend Berücksichtigung, vgl. Brüning, JZ 2001, 669, 672; Epping, Grundrechte, Rn. 731; Jarass, NJW 1997, 2545, 2549; Manssen, Staatsrecht II, Rn. 780; V. Neumann, NZS 2005, 617, 623; Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 440, 442, die den synonymen Begriff der Notwendigkeit verwenden; Schoch, DVBl. 1988, 863, 874; Wendt, NVwZ 1988, 778, 785; Zippelius, VVDStRL 47 (1989), 8, 23. 498 Manssen, Staatsrecht II, Rn. 780; V. Neumann, NZS 2005, 617, 623. Allgemein zum Begriff der Erforderlichkeit Zippelius/Würtenberger, Deutsches Staatsrecht, S. 111.
B. Spezielle Grenzen hinsichtlich einzelner Rationierungskriterien
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ihre Ausschöpfung ein milderes Mittel dar.499 Eine explizite Rationierung innerhalb der GKV soll hier aber gerade unter dem Blickwinkel näher betrachtet werden, dass alle diese Reserven ausgeschöpft sind.500 Sie können die Beurteilung der Erforderlichkeit daher nicht mehr beeinflussen. Die „neue Formel“ gebietet es insbesondere, eine Angemessenheitsprüfung vorzunehmen.501 Das BVerfG verlangt, dass Ungleichbehandlung und rechtfertigender Grund in einem angemessen Verhältnis zueinander stehen müssen.502 An dieser Stelle ist es nunmehr sinnvoll, nach internen und externen Zwecken im Sinne Husters zu unterscheiden. Auf diese Weise kann die jüngere Variante der „neuen Formel“, die auf „Gründe von solcher Art und solchem Gewicht“ abstellt, sämtliche Konstellationen erfassen. Liegen die Gründe in vorhandenen Unterschieden (interne Zwecke), dann sind Gründe und Unterschiede deckungsgleich.503 Innerhalb der Angemessenheitsprüfung ist dann nach Art und Gewicht der bestehenden Unterschiede zwischen den unterschiedlich behandelten Personengruppen zu fragen. Werden externe Zwecke verfolgt, passt diese Formel-Variante ohnehin und der externe Zweck muss nach seiner Art und seinem Gewicht bewertet werden. Auf Art und Gewicht der Unterschiede kommt es dann nicht an.504 Zu berücksichtigen ist aber auch hier, dass in der Praxis häufig sowohl interne als auch externe Zwecke verfolgt werden.505 Weder bei einer Willkürprüfung noch bei einer solchen nach der „neuen Formel“ wird verlangt, dass die zweckmäßigste, vernünftigste oder gerechteste Lösung getroffen worden ist. Entscheidend ist lediglich, ob der Gesetzgeber die verfassungsrechtlichen Grenzen seiner Gestaltungsfreiheit eingehalten hat.506 c) Folgen eines Verfassungsverstoßes Sollte ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG festgestellt worden sein, so relativiert sich die Schutzwirkung vor Rationierungsentscheidungen des Gesetzgebers freilich dadurch, dass dieser nicht zwingend zur Folge hat, dass die zu Unrecht benachteiligten fortan von der vorteilhaften Regelung profitieren können. Ebenso
499
V. Neumann, NZS 2005, 617, 623. Vgl. 1. Teil Kap. 2, S. 38. 501 Osterloh, in: Sachs, GG, Art. 3 Rn. 22. 502 BVerfGE 82, 126, 146; 99, 165, 178; 102, 68, 87. 503 Epping, Grundrechte, Rn. 712. 504 Epping, Grundrechte, Rn. 732; ähnlich Manssen, Staatsrecht II, Rn. 780. Für Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 440 muss die Ungleichbehandlung in einem angemessen Verhältnis zum Wert des Zwecks stehen. 505 Epping, Grundrechte, Rn. 733. Auch hinsichtlich der Angemessenheitsprüfung gibt es ein durchaus breites Meinungsspektrum, vgl. dazu jeweils die im 1. Teil Kap. 3 B. II. 2. b) bb) (2), Fn. 492 genannten Autoren. 506 Für das Willkürverbot BVerfGE 4, 144, 155; 52, 277, 280 f.; für die „neue Formel“ BVerfGE 68, 287, 301; 81, 108, 117 f.; 83, 395, 401; 84, 348, 359; 118, 79, 100. 500
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3. Kap.: Rechtliche Grenzen von Rationierungsmaßnahmen
denkbar ist es, dass der Gesetzgeber der bisher bevorteilten Gruppe die Privilegien entzieht, anstatt sie auf weitere Gruppen auszudehnen.507
507
BVerfGE 22, 349, 361; Berg, Staatsrecht, Rn. 630; Dreier, in: Dreier, GG Bd. I, Vorb. Rn. 93; Epping, Grundrechte, Rn. 775; Kirchhof, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts Bd. V, § 124 Rn. 274; Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 479.
4. Kapitel: Rationierungskriterien und ihre tatsächliche Umsetzung Nachdem nunmehr die rechtlichen Grenzen für explizite Rationierungsmaßnahmen abgesteckt sind, wird sich die Untersuchung im Folgenden, mit einzelnen Rationierungskriterien auseinanderzusetzen und sie hinsichtlich ihrer Verfassungskonformität zu würdigen. Daran anschließend sollen strukturelle Überlegungen zu einer ausdrücklich gesetzlich geregelten Rationierung angestellt werden. Das vierte Kapitel schließt mit einer abschließenden Bewertung der Rationierungsdiskussion im deutschen Gesundheitswesen.
A. Einzelne Rationierungskriterien Interdisziplinär werden in der wissenschaftlichen Literatur für eine Rationierung im Gesundheitswesen verschiedene Kriterien angedacht. Im Folgenden sollen zunächst die einzelnen Kriterien näher beschrieben und die Diskussion derselben in der jeweiligen Disziplin dargestellt werden. Letztlich fokussiert sich die Betrachtung auf die Diskussion in der Rechtswissenschaft und damit die rechtliche Würdigung der einzelnen Rationierungskriterien. Zum Teil ergeben sich aber auch aus Praktikabilitätserwägungen Bedenken, die es gleichermaßen aufzuzeigen gilt. Untersucht werden sollen die Kriterien Alter, QALYs,1 sozialer Wert und das der Eigenverantwortung.
I. Alter 1. Die gesundheitsökonomische Diskussion In der gesundheitsökonomischen Literatur wird eine Rationierung nach dem Alter teilweise befürwortet. Breyer hält es für den richtigen Weg, dass die GKV zukünftig – etwa von 2020 oder 2030 an – nur bis zu einem bestimmten Alter die Kosten übernimmt, während danach sämtliche Leistungen durch eine Privatversicherung abgedeckt oder mit privaten finanziellen Mitteln bezahlt werden müssen. Dies sei in der Praxis einfach zu handhaben und würde sich auch als Kalkulationsgrundlage eines privaten Versicherungsvertrages eignen, da das Versicherungsunternehmen wisse, dass es ab einem bestimmten Zeitpunkt alle Behandlungen übernehmen müsse.2 Das Lebensalter als Kriterium für Rationierung von Gesundheits1
Es wird sich allerdings zeigen, dass QALYs selbst gar kein Rationierungskriterium sind, vgl. 1. Teil, Kap. 4 A. II, Fn. 57. 2 Breyer, DMW 2005, 349, 350; ders., in: Schöne-Seifert/Buxy/Ach, Gerecht behandelt?, S. 149, 156 f., wobei hier der Leistungskatalog der GKV für Personen oberhalb der festgelegten Altersgrenze auf bestimmte Minimalleistungen begrenzt werden soll. Zu diesen gehören etwa die Notfallversorgung sowie der ganze Bereich der palliativen Medizin. In diesem Sinne auch Breyer/Schultheiss, in: Wille, Rationierung im Gesundheitswesen und
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4. Kap.: Rationierungskriterien und ihre tatsächliche Umsetzung
leistungen sei auch ein gerechtes, weil es nicht diskriminierenden Charakter habe. Jeder, der die betreffende Altersgrenze überschritten und daher die negativen Folgen der Regelung zu tragen habe, habe zuvor eine bestimmte – für alle betroffenen Personen gleich lange – Lebenszeit verbracht, in der er einen vollen Anspruch auf die jeweilige Leistung gehabt habe.3 Stellvertretend für diejenigen Stimmen der gesundheitsökonomischen Literatur, die einer Altersrationierung ablehnend gegenüberstehen, sei die Meinung von Oberender angeführt: Er hält ein Verfahren der Altersrationierung in Deutschland für nicht durchsetzbar, weil diese auf der utilitaristischen Ethik basierende Form der Rationierung mit in den in Deutschland herrschenden Wertvorstellungen unvereinbar sei.4 2. Die philosophisch-ethische Diskussion Von den Befürwortern einer Altersrationierung in der gesundheitsökonomischen Literatur wird die Argumentation des US-amerikanischen Bioethikers Norman Daniels aufgegriffen, der unter Rückgriff auf den Ansatz der „klugen Lebensplanung“ eine altersbezogene Rationierung unter gewissen Voraussetzungen befürwortet. Nach Daniels ist eine politische Regelung dann fair gegenüber verschiedenen Altersgruppen, wenn kluge Planer, die nicht wissen, wie alt sie – und damit mit einem „Schleier des Nichtwissens“5 umgeben – sind, sie wählten, um auf diese Weise einen fairen Anteil an der lebenslangen Gesundheitsversorgung auf die verschiedenen Abschnitte des Lebens zu verteilen. Mit der Altersrationierung und der Rationierung per Losentscheid vergleicht er zwei Modelle miteinander und zeigt auf, dass sich der kluge Planer trotz gleicher durchschnittlicher Lebenserwartung innerhalb des jeweiligen Modells für Altersrationierung entscheiden würde, weil spätere Lebensjahre mit höherer Wahrscheinlichkeit Behinderungen mit sich brächten und frühere Lebensjahre normalerweise wichtiger für die Ausführung zentraler Projekte im Leben seien. Als Bedingung nennt er das Vorherrschen einer tatsächlichen Knappheit von Ressourcen im Gesundheitswesen, das Fehlen klügerer Alternativen, etwa das Freisetzen anderweitig verwendeter oder verschwende-
ihre Alternativen, S. 169, 177 f. In einer weiteren Publikation wird für die altersbezogene Rationierung bestimmter teurer Leistungen plädiert, vgl. Breyer, ZRP 2003, 300. Schon hierzu äußerst kritisch der Präsident der Bundesärztekammer Jörg-Dietrich Hoppe: „Die Einführung von Altersgrenzen für medizinische Behandlung erinnert an Euthanasie unter anderen Vorzeichen“, vgl. Hoppe, ZRP 2003, 300; ablehnend auch Marckmann, DMW 2005, 351 f.; ders., in: Schöne-Seiefert/Buyx/Ach, Gerecht behandelt?, S. 163, 174 f. 3 Breyer/Schultheiss, in: Wille, Rationierung im Gesundheitswesen und ihre Alternativen, S. 169, 178; vgl. auch Breyer, in: Schöne-Seifert/Buyx/Ach, Gerecht behandelt?, S. 154, 158. 4 Oberender, in: Nagel/Ch. Fuchs, Rationalisierung und Rationierung im deutschen Gesundheitswesen, S. 10, 21. 5 Der Begriff geht zurück auf den amerikanischen Philosophen John Rawls und seine Gerechtigkeitstheorie, vgl. Rawls, Eine Theorie der Gerechtigkeit, S. 159 ff.
A. Einzelne Rationierungskriterien
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ter Ressourcen, und schließlich einen der Altersrationierung vorausgehenden demokratischen Meinungsbildungsprozess.6 Daniel Callahan, ebenfalls Bioethiker aus den Vereinigten Staaten, sprach sich bereits in den achtziger Jahren für eine Rationierung lebensverlängernder Maßnahmen nach Altersgesichtspunkten aus. Als Argument dient ihm die „natürliche Lebensspanne“. Der Alterungsprozess solle nicht mehr als etwas begriffen werden, das mit allen medizinischen Mitteln zu verhindern sei, sondern als ein integraler Bestandteil des Lebens akzeptiert und dementsprechend darauf verzichtet werden, teure Technologien einzusetzen, um das Leben zu retten oder zu verlängern. Ist die „natürliche Lebensspanne“ abgelaufen, solle man sich darauf beschränken, das Alter mittels palliativer und pflegerischer Maßnahmen so angenehm wie möglich zu gestalten, während auf lebensverlängernde Maßnahmen verzichtet werden solle.7 Diese beiden Ansätze sind, ebenso wie weitere Positionen zur Rationierung nach dem Alter, nicht unwidersprochen geblieben.8 3. Die juristische Diskussion und rechtliche Würdigung Im juristischen Schrifttum begegnet das Alterskriterium bedeutend größerer Skepsis. Isensee betont, „dass eine Selektion, die über Leben und Tod oder auch nur über Siechtum und Gesundheit entscheidet, den Wertungen des Grundgesetzes widerspricht. Das Alterskriterium ist unvereinbar mit der Gleichheit aller Versicherten. Es wäre grobe Inkonsequenz, wenn das System der Krankenversicherung, das den Einzelnen sein ganzes Leben hindurch gezwungen hat, über den Solidarausgleich die Alterslasten anderer zu finanzieren, ihn fallen ließe, wenn er selbst alt wird, und den Versicherungsschutz versagte, wenn der Versicherungsfall eintritt. Unter den Bedingungen rechtlicher Normalität sind Altersgrenzen für medizinisch notwendige Leistungen nicht zu rechtfertigen“.9 Noch um einiges deutli6
Daniels, in: Marckmann, Gesundheitsversorgung im Alter, S. 151, 152 ff. Der Philosoph Wolfgang Kersting spricht sich mit einer an Daniels orientierten Argumentation für eine Altersrationierung als ultima ratio aus, vgl. Kersting, in: Gutmann/V. Schmidt, Rationierung und Allokation im Gesundheitswesen, S. 41, 45, 81 ff.; mit dem Rückgriff auf die Ethik Kants sieht Lauterbach, RPG 1995, 27, 29, 31 eine Priorität von Gesundheitsleistungen in den frühen und mittleren Lebensabschnitten. Eine derartige Prioritätensetzung ist zwar nicht gleichbedeutend mit einer Rationierung, kann aber Grundlage von Vorenthaltungen sein. Zu diesem Verhältnis von Priorisierung und Rationierung s. auch V. Neumann, NZS 2005, 617, 618; ZEKO, DÄBl. 2000, A-1017. Ausgiebige Kritik an einer Altersrationierung übt Fleischhauer, Jahrbuch für Ethik und Wissenschaft 4 (1999), S. 195, 238 ff. 7 Dargestellt wird die Position Callahans bei Marckmann, in: Schöne-Seifert/Buyx/Ach, Gerecht behandelt, S. 163, 170. Marckmann weist zu Recht kritisch auf die Schwierigkeiten der Bestimmung dessen hin, was als „natürliche Lebensspanne“ anzusehen ist. Callahan selbst will sich in diesem Punkt nicht richtig festlegen („late 70s or early 80s“). 8 Eine Darstellung kritischer Stimmen findet sich bei Fleischhauer, Jahrbuch für Ethik und Wissenschaft 4 (1999), S. 195, 216 ff.; kritisch weiter Marckmann, in: SchöneSeifert/Buyx/Ach, Gerecht behandelt?, S. 163, 170 ff. 9 Isensee, in: GS für Heinze, S. 417, 435. Zu dem Recht der heutigen Alten, „auf Kosten“ der heute noch Jüngeren zu leben, weil sie früher selbst mehr eingezahlt haben, als sie aus
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cher zeigt sich die Ablehnung, wenn gesagt wird, das verfassungsrechtliche Prinzip der Gleichwertigkeit menschlichen Lebens verbiete feste Altersgrenzen für bestimmte Behandlungsformen und Therapiemethoden.10 Sie führten unweigerlich zu einer Abwertung besonders alter oder besonders junger Menschen.11 Gleichwohl lassen sich auch befürwortende Stimmen ausmachen. Grundlegend hat sich Huster der Problematik und mit ihr der philosophischen Diskussion angenommen. Wenn die nicht unwahrscheinliche Situation eintrete, dass die Gesundheitskosten in einem Maße anstiegen, dass die Befriedigung anderer Bedürfnisse massiv behindert werde, müsse das Gemeinwesen die Möglichkeit besitzen, die Kosten für das öffentlich finanzierte Gesundheitswesen politisch zu begrenzen. „Dies verbietet eine Interpretation der Garantie der Menschenwürde, der Grundrechte und des Sozialstaatsprinzips, die diese Normen als absolute individuelle Ansprüche auf alle verfügbaren medizinischen Möglichkeiten versteht; dies gilt auch für lebensnotwendige Maßnahmen.“ Letztlich müsse daher eine Rationierung verfassungsrechtlich möglich sein.12 Über die spezielle Möglichkeit einer Altersrationierung ist damit freilich noch keine rechtlich-wertende Aussage getroffen. Der Befund, dass eine Rationierung grundsätzlich verfassungsrechtlich zulässig ist, entspricht der ganz allgemeinen Meinung, da – wie gesehen – ein verfassungsunmittelbarer Anspruch des Einzelnen auf Gesundheitsleistungen eben nur in den engen Grenzen des medizinischen Existenzminimums und keinesfalls auf alle möglichen Gesundheitsleistungen besteht. Allerdings umfasst die Minimalgarantie gerade die Absicherung der „nackten Existenz“. Sie soll davor bewahren, dass die Vorenthaltung lebensnotwendiger Maßnahmen zum Tode führt.13 Husters Ansicht unterscheidet sich also insoweit, als er auch für lebensbedrohliche Situationen aus der Menschenwürdegarantie und weiteren Grundrechten keinen verfassungsunmittelbaren Anspruch herleiten möchte. Allein damit scheint er eine Altersrationierung auch aus juristischer Sicht zu rechtfertigen. Nach welchen Kriterien die verfassungsrechtlich mögliche Rationierung erfolge, sei eine politische Entscheidung. Vorgegeben sei lediglich, dass die Begrenzung der Mittel für das Gesundheitswesen allgemein sein müsse und nicht lediglich zu Lasten einer bestimmten Gruppe gehen darf. Diese Voraussetzung werde durch das Alterskriterium so gut wie durch kaum ein anderes erfüllt, da es gar kein allgemeineres Kriterium gebe. Die normale Lebensspanne zu erreichen werde gemeinhin für wichtiger erachtet, als
dem System zurückerhalten haben s. auch Taupitz, Inhuman und verfassungswidrig, FAZ v. 12.8.2003, S. 8. 10 So Taupitz, in: Wolter/Riedel/Taupitz, Einwirkungen der Grundrechte auf das Zivilrecht, Öffentliche Recht und Strafrecht, S.113, 128; ders., in: Dietrich/Imhoff/Kliemt, Standardisierung in der Medizin, S. 263, 281 f. Ähnlich Nettesheim, VerwArch 93 (2002), 315, 346; Uhlenbruck, MedR 1995, 427, 433. Besonders deutlich auch Kirchhof, MMW 1998, 200, 201, eine unterschiedliche Zuteilung der für Existenz und Würde eines Menschen notwendigen medizinischen Leistungen nach dem Alter sei „schlechthin ausgeschlossen“. 11 Taupitz, in: Wolter/Riedel/Taupitz, Einwirkungen der Grundrechte auf das Zivilrecht, Öffentliche Recht und Strafrecht, S.113, 128. 12 Huster, in: Alexy, Juristische Grundlagenforschung, S. 202, 215. 13 Vgl. 1. Teil Kap. 3 A. I. 2. c) bb) (2) (a) (bb), S. 69 f.
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die erhöhte Chance, diese Spanne zu überschreiten.14 „Von einer ‚Altersdiskriminierung’, die in menschenunwürdiger Weise den gleichen Achtungsanspruch eines jeden verletzt, kann im Falle einer politisch beschlossenen Altersrationierung jedenfalls keine Rede sein.“15 Eine juristische Auseinandersetzung mit dem zuvor kritisierten „allgegenwärtigen Rückgriff auf die Menschenwürde“16 findet jedoch nicht statt. Die Befürwortung der Altersrationierung lehnt sich vielmehr an die aus der philosophischen Diskussion bekannten Argumente an. Eine Auseinandersetzung mit der Menschenwürdegarantie führt aber dazu, das Alterskriterium als verfassungswidrig, weil als mit Art. 1 Abs. 1 GG unvereinbar anzusehen. Mit starren Altersgrenzen in der GKV, die ohne medizinischen Hintergrund eingeführt würden, um das System finanziell zu sanieren, degradierte der Staat die ausgeschlossene Gruppe von Patienten zu einem bloßen Objekt wirtschaftlichen Kalküls. Genau das aber verbietet die Menschenwürdegarantie.17 Auch fehlte es an einem individuellen Ansehen der Person und ihres Krankheitszustandes im Einzelfall. Die Einführung von Altersgrenzen brächte eine unzulässige Wertung bestimmter Lebensphasen.18 Sie zielte vornehmlich darauf ab, lebenserhaltende Maßnahmen für alte Versicherte aus der solidarischen Finanzierung herauszunehmen. Wie schon erwähnt, verbietet die Menschenwürde zudem die Herabstufung bestimmter Personengruppen zu Menschen zweiter Klasse. Daher ist es bedenklich, wenn Isensee seinem grundsätzlich kritischen Standpunkt zu einer Altersrationierung für den von ihm beschriebenen „Ernstfall“, dass die Krankenversicherung „die Priorität zwischen den Generationen entscheiden muss“, folgendes Schlusswort hinzufügt: „Träte der Ernstfall jedoch, allen Abwehrbemühungen zum Trotz, ein, so hinderten Versicherungsprinzipien, Verfassung und Gerechtigkeitsidee nicht die dann unvermeidbare Entscheidung: dass die Priorität der jüngeren Generation zukommt, damit die Gesellschaft lebensfähig bleibe.“19
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Huster, in: Alexy, Juristische Grundlagenforschung, S. 202, 215 f.; ähnlich hinsichtlich des Vorwurfs der „Altersdiskriminierung“ äußert sich der katholische Sozialethiker Joachim Wiemeyer, der wie Huster eine altersbezogene Rationierung bestimmter teurer medizinischer Leistungen für „gerecht“ hält. In solchen Fällen solle sich eine Behandlung auf die Linderung akuter Schmerzen beschränken, vgl. Wiemeyer, Herder Korrespondenz 56 (2002), 605, 609. 15 Huster, in: Alexy, Juristische Grundlagenforschung, S. 202, 216. 16 Huster, in: Alexy, Juristische Grundlagenforschung, S. 202, 205. 17 ZEKO, Priorisierung medizinischer Leistungen im System der Gesetzlichen Krankenversicherung, S. 16. 18 So auch Gutmann, in: Gutmann/V. Schmidt, Rationierung und Allokation im Gesundheitswesen, S. 179, 202 f.; Taupitz, in: Wolter/Riedel/Taupitz, Einwirkungen der Grundrechte auf das Zivilrecht, Öffentliche Recht und Strafrecht, S. 113, 128; ebenso der Mediziner Fleischhauer, Jahrbuch für Wissenschaft und Ethik 4 (1999), S. 195, 240. 19 Isensee, in: GS für Heinze, S. 417, 435, was letztlich widersprüchlich erscheint, wenn eben dort auch gesagt wird, „dass eine Selektion, die über Leben oder Tod oder auch nur über Siechtum und Gesundheit entscheidet, den Wertungen des Grundgesetzes widerspricht“.
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Dass es bisher im Sozialrecht schon einige Altersgrenzen gibt20 und bisher niemand auf die Idee gekommen ist, sie als Verletzung der Menschenwürde zu werten,21 kann als Begründung dafür, diesen rechtlichen Aspekt für den hier diskutierten Zusammenhang nicht weiter zu verfolgen, jedenfalls nicht ausreichen. Altersgrenzen sind freilich dann unbedenklich, wenn ihnen aus medizinischer Sicht Bedeutung zukommt und der jeweilige Leistungsausschluss nicht mit dem Alter als solchem begründet wird, sondern das Alter ein aus einer anderweitigen Begründung gefolgertes Kriterium ist.22 Solange das BVerfG seine Rechtsprechung zur und sein Verständnis von der Menschenwürdegarantie nicht ändert, bleibt die Einführung von Altersgrenzen in der GKV in jedem Fall ausgeschlossen und rechtlich nicht umsetzbar. Jenseits der Menschenwürdeproblematik wurde in den letzten Jahren eine intensive Debatte um das Verbot der Altersdiskriminierung geführt. Zurückzuführen ist dies auf die von der Bundesrepublik Deutschland umzusetzende Richtlinie 2000/78/EG des Europäischen Rates,23 welche mit einiger zeitlicher Verzögerung letztlich zur Verabschiedung des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG)24 geführt hat. Die einschlägigen Publikationen entstammen ganz überwiegend der arbeitsrechtlichen Literatur.25 In der Diskussion um die Rationierung medizinischer Leistungen und um das Alter als medizinisches Rationierungskriterium haben die Richtlinie und das AGG indes fast keine Rolle gespielt.26 Das ist weder hinsichtlich der Richtlinie noch hinsichtlich des AGG verwunderlich. 20
Vgl. die oben aufgeführten Rationierungsbeispiele, 1. Teil Kap. 2 D., S. 47 f. So V. Neumann, NZS 2005, 617, 622. 22 Taupitz, in: Wolter/Riedel/Taupitz, Einwirkungen der Grundrechte auf das Zivilrecht, Öffentliche Recht und Strafrecht, S. 113, 129; ders., in: Dietrich/Imhoff/Kliemt, Standardisierung in der Medizin, S. 263, 282; Enquete-Kommission Ethik und Recht in der modernen Medizin, BT-Drs. 15/5980, S. 38 Fn. 108. Der BGH hat es etwa rechtlich nicht beanstandet, dass bei nicht ausreichenden Ressourcen die Amniozentese zur Früherkennung einer Trisomie an eine Altersgrenze gebunden wird, von der ab ein erhöhtes Risiko besteht, vgl. BGH, NJW 1987, 2923 f. 23 Richtlinie 2000/78/EG des Europäischen Rates v. 27.11.2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf, ABl. EU Nr. L 303 v. 2.12.2000, S. 16 ff. 24 Verkündet als Art. 1 des Gesetzes zur Umsetzung europäischer Richtlinien zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung v. 14.8.2006, BGBl. I 2006, S. 1897. 25 Vgl. etwa Hennsler/Tillmanns, in: FS für Birk, S. 179 ff.; Korthaus, Das neue Antidiskriminierungsrecht; Preis, in: Verhandlungen des 67. DJT (2008) Bd. I, B 1 ff.; ders., NZA 2008, 922 ff.; Temming, Altersdiskriminierung im Arbeitsleben; Thüsing, Arbeitsrechtlicher Diskriminierungsschutz, Rn. 270 ff., 345 ff., 411 ff.; Schiefer, ZfA 2008, 493, 505 ff.; Waltermann, ZfA 2006, 305 ff.; H. Wiedemann/Thüsing, NZA 2002, 1234 ff. 26 Lediglich die Stellungnahme der ZEKO zur Priorisierung medizinischer Leistungen im System der GKV, in der es heißt, das AGG schließe eine Differenzierung nach dem Alter aus, bringt das Gesetz in die Diskussion ein, vgl. ZEKO, Priorisierung medizinischer Leistungen im System der Gesetzlichen Krankenversicherung, S. 24; dies., DÄBl. 2007, A2750, A-2752. Die Stellungnahme kann, wenn sie sich auch mit der Priorisierung medizinischer Leistungen beschäftigt, als Teil der Rationierungsdebatte in einem weit verstandenen 21
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Schon der Titel der Richtlinie impliziert eine Nichterfassung krankenversicherungsrechtlicher Leistungen. Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie regelt dann einen klar umgrenzten Geltungsbereich, dem die Krankenversicherung nicht unterfällt. Zusätzlich stellt Art. 3 Abs. 3 der Richtlinie ausdrücklich klar, dass sie nicht für Leistungen jeder Art seitens der staatlichen Systeme oder der damit gleichgestellten Systeme einschließlich der staatlichen Systeme der sozialen Sicherheit oder des sozialen Schutzes gilt.27 Das AGG konstituiert in seinem § 2 Abs. 2 eine Bereichsausnahme für Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch. Für diese gelten die §§ 33c S. 1 SGB I und 19a SGB IV, wobei nur letzterer ein Verbot enthält, bei der Gewährung von Leistungen an das Alter anzuknüpfen. Für krankenversicherungsrechtliche Leistungen ist § 19a SGB IV ersichtlich nicht einschlägig, weil er Leistungen auf der Ebene der Berufsberatung, der Berufsbildung, der beruflichen Weiterbildung und der Umschulung regelt.28 Noch stärker in den Blickpunkt rückte die Thematik, als ein gutes Jahr vor Ablauf der Umsetzungsfrist für das in Art. 1 der genannten Richtlinie verankerte sekundärrechtliche Verbot der Altersdiskriminierung29 der EuGH in seiner so genannten Mangold-Entscheidung30 ein neues und spezielles ungeschriebenes primärrechtliches Verbot der Altersdiskriminierung schuf.31 Den Ausgangspunkt für die Herleitung bildet der ebenfalls vom EuGH entwickelte und weithin akzeptierte Grundsatz der Gleichbehandlung als Bestandteil des ungeschriebenen Primärrechts.32 Eine spezielle Ausprägung desselben sah der Sinn angesehen werden. In einer früheren Stellungnahme führt die ZEKO selbst aus, dass eine Priorisierung einer Rationierung vorausgehen könne, vgl. ZEKO, DÄBl. 2000, A1017. 27 Auf Art. 3 Abs. 3 der Richtlinie stellte auch das LSG NRW, Urt. v. 14.12.2008 – L 5 KR 93/07 Rn. 35 ab, als es dem auf die Erstattung der Kosten für eine künstliche Befruchtung klagenden Kläger verwehrte, sich auf eine fehlerhafte Umsetzung der Richtlinie zu berufen. Mit seiner Klage griff der Kläger die in § 27a Abs. 3 S. 1 SGB V enthaltene Altersgrenze von 40 Jahren für Frauen hinsichtlich des Anspruches auf Maßnahmen zur Herbeiführung einer Schwangerschaft an. 28 Vgl. LSG NRW, Urt. v. 14.2.2008 – L 5 KR 93/07 Rn. 34. 29 Grundsätzlich musste die Richtlinie gemäß Art. 18 Abs. 1 bis zum 2.12.2003 umgesetzt werden. Um die Bestimmungen über die Diskriminierung wegen des Alters umzusetzen, sah die Richtlinie in Art. 18 Abs. 2 eine von der Bundesrepublik Deutschland in Anspruch genommene Zusatzfrist von drei Jahren vor. 30 EuGH, Urt. v. 22.11.2005, Rs. C-144/04, Slg. 2005, I-9981 ff. = NJW 2005, 3695 ff. (Werner Mangold). 31 Temming, Altersdiskriminierung im Arbeitsleben, S. 391 f.; s. auch Riesenhuber, in: FS für Adomeit, S. 631, 638. 32 Grundlegend EuGH, Urt. v. 22.6.1972, Rs. 1/72, Slg. 1972, 457 ff., Rn. 19 = DÖV 1973, 412, 413 (Rita Frilli); s. auch EuGH, Urt. v. 19.10.1977, verb. Rs. 117/76 und 16/77, Slg. 1977, 1753 ff., Rn. 7 = EuGRZ 1977, 494, 496 (Albert Ruckdeschel & Co. und HansaLagerhaus Ströh & Co.); EuGH, Urt. v. 19.10.1977, verb. Rs. 124/76 und 20/77, Slg. 1977, 1795 ff., Rn. 14/17 = NJW 1978, 478, 479 (Moulins & Huileries de Pont-à-Mousson und Société coopérative Providence agricole de la Champagne); EuGH, Urt. v. 10.3.1998, verb.
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4. Kap.: Rationierungskriterien und ihre tatsächliche Umsetzung
Gerichtshof in dem Verbot der Diskriminierung wegen des Alters, welches seinen Ursprung in verschiedenen völkerrechtlichen Verträgen und den gemeinsamen Verfassungstraditionen der Mitgliedstaaten habe. Es sei daher als allgemeiner Grundsatz des Gemeinschaftsrechts anzusehen.33 Das Verbot der Altersdiskriminierung wird damit nach der Konzeption des EuGH nicht erst von der Richtlinie 2000/78/EG begründet, sondern dort vorausgesetzt.34 Im arbeitsrechtlichen Schrifttum hat die Entscheidung mehrheitlich Ablehnung hervorgerufen35 und ist nur sehr vereinzelt positiv aufgenommen worden.36 Auch auf das primärrechtliche Verbot der Altersdiskriminierung ist in der Diskussion um die Rationierung medizinischer Leistungen nach dem Alter nicht eingegangen worden. Es darf auch bezweifelt werden, ob es für diese überhaupt fruchtbar gemacht werden kann. Der allgemeine Grundsatz der Gleichbehandlung, aus dem das Verbot der Altersdiskriminierung folgt, ist ein Gemeinschaftsgrundrecht.37 Nationale Maßnahmen können aber nur dann auf einen Einklang mit Gemeinschaftsgrundrechten hin überprüft werden, wenn sie in den „Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechts“ fallen.38 Das bedeutet, dass die nationale Maßnahme wahlweise Gemeinschaftsrecht umsetzen, sich auf eine nach Gemeinschaftsrecht zugelassene Ausnahme berufen oder sonst in den Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechts fallen muss, weil eine spezifische materielle Vorschrift des Gemeinschaftsrechts auf den Sachverhalt anwendbar ist.39 Mit jener Problematik hatte sich der EuGH auf Vorlage des BAG speziell hinsichtlich des primärrechtlichen Verbots der Altersdiskriminierung zu befassen. Rs. C-364/95 u.a., Slg. 1998, I-1023 ff., Rn. 81 = ZIP 1998, 519, 523 (T. Port GmbH & Co. u.a.); EuGH, Urt. v. 14.3.2000, Rs. C-292/97, Slg. 2000, I-2737 ff., Rn. 39 ff = EuGRZ 2000, 524, 527 (Kjell Karlsson); Temming, Altersdiskriminierung im Arbeitsleben, S. 394 m.w.N. in Fn. 1683; Wank, in: Hanau/Steinmeyer/Wank, Handbuch des europäischen Arbeits- und Sozialrechts, § 13 Rn. 63, 68 m.w.N. in Fn. 104 und 108. 33 EuGH, Urt. v. 22.11.2005, Rs. C-144/04, Slg. 2005, I-9981 ff., Rn. 74 ff. = NJW 2005, 3695, 3698 (Werner Mangold). 34 Riesenhuber, in: FS für Adomeit, S. 631, 637. 35 Vgl. etwa Bauer/C. Arnold, NJW 2006, 6, 8 ff.; Koenigs, DB 2006, 49 f.; Preis, NZA 2006, 401, 402 ff.; relativierend, aber gleichwohl kritisch ders., in: Verhandlungen des 67. DJT (2008) Bd. I, B 1, B 34 f.; Reich, EuZW 2006, 20 ff.; Reichold, ZfA 2006, 257, 267; Thüsing, ZIP 2005, 2149 ff. 36 Etwa von Temming, Altersdiskriminierung im Arbeitsleben, S. 381 f., 512, m.w.N. zu positiven Reaktionen im arbeitsrechtlichen Schrifttum in Fn. 1613. Für die Gewinnung seines Urteils führt Temming die Schaffung des primärrechtlichen Verbots der Altersdiskriminierung einer Bewertung zu (S. 393 ff.) und befasst sich eingehend mit dessen dogmatischen Strukturen (S. 419 ff.). 37 Haltern, Europarecht, Rn. 767; Temming, Altersdiskriminierung im Arbeitsleben, S. 416; s. auch BAGE, 118, 340, 347. 38 Grundlegend EuGH, Urt. v. 18.6.1991, Rs. C-260/89, Slg. 1991, I-2925 ff., Rn. 42 = JZ 1992, 682, 685 (ERT). 39 Vgl. die Schlussanträge der Generalanwältin Sharpston in der Rs. C-427/06, NJW 2008, 3417 ff. (Birgit Bartsch) vom 22.5.2008, BeckRS 2008, 70585, Rn. 69 m.w.N. aus der EuGH-Rspr., auch abrufbar unter www.curia.eu.
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Gegenstand der Vorlage war u.a. die Frage, ob das Primärrecht auch dann ein Verbot der Altersdiskriminierung enthält, wenn die möglicherweise diskriminierende Behandlung keinen gemeinschaftsrechtlichen Bezug aufweist.40 Der EuGH verneinte dies.41 Wenn auch vom EuGH bei der Beantwortung der Vorlagefrage mit dem Begriff „Bezug zum Gemeinschaftsrecht“ ein potentiell noch weiterer als der des „Anwendungsbereichs des Gemeinschafsrechts“ gewählt wurde,42 dürfte das primärrechtliche Verbot der Alterdiskriminierung für die Diskussion um die Rationierung medizinischer Leistungen nach dem Kriterium des Alters nicht zu berücksichtigen sein. Wie sich § 152 Abs. 5 EG entnehmen lässt, fällt die Organisation der nationalen Krankenversicherungssysteme in den Zuständigkeitsbereich der Mitgliedstaaten.43 Altersrationierende Veränderungen des Leistungsumfangs der GKV wären eine rein innerstaatliche Maßnahme, bei der keine der genannten Fallkonstellationen des „Anwendungsbereichs des Gemeinschaftsrechts“ einschlägig wäre.44 Selbst wenn man diesbezüglich einen anderen Standpunkt einnähme, hätte das primärrechtliche Verbot der Altersdiskriminierung im Ergebnis keinen entscheidenden Einfluss auf die Diskussion um eine Altersrationierung. Der EuGH hat in seiner Mangold-Entscheidung die Möglichkeit einer Rechtfertigung für Unterscheidungen nach dem Alter eröffnet. Für die Voraussetzungen einer Rechtfertigung stellt er auf Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78/EG ab.45 Es sprechen jedoch gute Gründe dafür, die Rechtfertigung von Ungleichbehandlungen nach dem Alter dem herkömmlichen Prüfungsschema für Gemeinschaftsgrundrechte zu unterziehen.46 Das bedeutet, dass eine solche Ungleichbehandlung nur gerechtfertigt ist, wenn die nationale Maßnahme ein dem Gemeinwohl dienenden Ziel des Mitgliedstaates oder den Schutz der Rechte und Freiheiten anderer verfolgt. Weiterhin 40
BAGE, 118, 340. EuGH, Urt. v. 23.9.2008, Rs. C-427/06, NJW 2008, 3417, 3418 (Birgit Bartsch). Wie schon in anderen auf die Mangold-Entscheidung folgenden Entscheidungen vermied es der EuGH aber erneut, seine Mangold-Rechtsprechung zu konkretisieren, s. hierzu Rolfs, EuZA 2009, 235, 236 m.w.N. 42 Nettesheim, JZ 2008, 1159, 1160. 43 Vgl. auch die Schlussanträge des Generalanwalts Saggio in der Rs. C-368/98, Slg. 2001, I-5363 ff. = NJW 2001, 3397 ff. (Abdon Vanbraekel), Rn. 20, abrufbar unter www.curia.eu. 44 Zu Bereichen, in denen eine Integration gemeinschaftsrechtlicher Vorgaben einen Einfluss auf das Recht der GKV haben vgl. Kingreen, Das Sozialstaatsprinzip im europäischen Verfassungsverbund, S. 481 ff. An dem fehlenden Einfluss auf die Diskussion um eine Altersrationierung ändert sich auch dann nichts, wenn es in Zukunft nach der Ratifizierung des Vertrags von Lissabon ein geschriebenes primärrechtliches Verbot der Altersdiskriminierung geben wird (dazu Temming, Altersdiskriminierung im Arbeitsleben, S. 369, 375, 413, 419), weil auch dann die Voraussetzungen für eine Bindung an das Gemeinschaftsrecht gegeben sein müssen. 45 EuGH, Urt. v. 22.11.2005, Rs. C-144/04, Slg. 2005, I-9981 ff., Rn. 57 ff. = NJW 2005, 3695, 3697 f. (Werner Mangold). 46 Anschaulich Temming, Diskriminierung im Arbeitsleben, S. 460 ff. 41
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4. Kap.: Rationierungskriterien und ihre tatsächliche Umsetzung
muss insbesondere der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit berücksichtigt werden.47 In der Mangold-Entscheidung hat der EuGH eine strenge Prüfung der Verhältnismäßigkeit vorgenommen.48 Auch nach nationalen verfassungsrechtlichen Maßstäben lässt sich eine Ungleichbehandlung nach dem Alter rechtfertigen. Da das Alter nicht als spezielles Kriterium in Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG genannt ist, richtet sich die Bewertung nach den zu Art. 3 Abs. 1 GG entwickelten Grundsätzen. Auch diese sehen eine strenge Verhältnismäßigkeitsprüfung vor, wenn, wie beim Lebensalter, eine Vergleichbarkeit mit den Kriterien des Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG gegeben49 und überdies bei einer Rationierung medizinischer Leistungen in der GKV grundsätzlich der Schutzbereich des Art. 14 Abs. 1 GG berührt ist.50 Diese Grundsätze konsequent angewendet, bestünde kein Unterschied in der Prüfungsintensität zwischen dem Gemeinschaftsrecht und dem deutschen Verfassungsrecht.51 Schließlich ist zu berücksichtigen, dass für den Fall, dass eine Ungleichbehandlung nach den gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben als gerechtfertigt anzusehen wäre, die hinsichtlich der Vereinbarkeit einer Altersrationierung mit der Menschenwürde geäußerten Bedenken bestehen blieben.
II. QALYs Ebenfalls Bedenken ausgesetzt ist auch eine Bewertung medizinischer Leistungen anhand eines aus der Gesundheitsökonomie stammenden Maßstabes „qualitätskorrigierender Lebensjahre“ und eine aus ihr folgende Rationierung. Die Einheit der „quality adjusted life years“ (QALYs) setzt die mit einer Behandlung gewonnene Lebensdauer und Lebensqualität in eine Relation zueinander. Die Lebensqualität wird auf einer Skala von „0“ (gleichbedeutend mit dem Tod) bis „1“ (was für ein Leben bei optimaler Gesundheit steht) angegeben. Ein Jahr in optimaler Lebensqualität entspricht einem QALY.52 Die Multiplikation der Anzahl gewonnener Lebensjahre mit dem festgestellten Nutzwert ergibt dann die Anzahl der einer Behandlung zuzuschreibenden QALYs,53 wobei die Berechnung in der Realität deutlich komplexer darstellt, weil die Lebensqualität nicht über mehrere Jahre konstant bleibt, sondern Schwankungen ausgesetzt ist und in den Monaten vor 47
Temming, Altersdiskriminierung im Arbeitsleben, S. 462; vgl. zur Rechtfertigung von Eingriffen in den Schutzbereich von Gemeinschaftsrechten auch D. Ehlers, in: D. Ehlers, Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, § 14 Rn. 45 ff.; Jarass, EU-Grundrechte, § 6 Rn. 24 ff. 48 Temming, Altersdiskriminierung im Arbeitsleben, S. 474. 49 So auch Temming, Altersdiskriminierung im Arbeitsleben, S. 475. 50 Vgl. auch 1. Teil Kap. 3 A. II. 1. c), S. 102 ff. 51 So auch Temming, Altersdiskriminierung im Arbeitsleben, S. 416. 52 K. Engelmann, in: Jabornegg/Resch/Seewald, Grenzen der Leistungspflicht für Krankenbehandlung, S. 109, 137; Schlander, DÄBl. 2003, A-2140, A-2141; Schwappach/ Boluarte, DMW 2006, 2004, 2009; Wasem, Arbeit und Sozialpolitik 1-2/1997, 12, 14; vertiefend zum QALY-Konzept Schöffski/Greiner, in: Schöffski/Schulenburg, Gesundheitsökonomische Evaluationen, S. 95 ff. 53 Schwappach/Boluarte, DMW 2006, 2004, 2009.
A. Einzelne Rationierungskriterien
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dem Tod kontinuierlich abnehmen kann.54 Für die Bewertung der Lebensqualität wurden unterschiedliche Verfahren entwickelt.55 Letztlich kann mit einem Vergleich der Anzahl der QALYs bei Vornahme oder Unterlassen der medizinischen Maßnahme der Gewinn respektive der Verlust ans QALYs mathematisch ermittelt werden.56 Diese Ermittlung könnte die Grundlage für etwaige Rationierungsmaßnahmen bilden, weiterhin ist aber auch eine Bewertung der jeweils notwendigen Kosten pro hinzu gewonnenem QALY und eine sich danach richtende Rationierung denkbar.57 Beides ist aus rechtlicher Sicht bedenklich. Einmal wird die Anzahl an gewonnenen qualitätsbereinigten Lebensjahren als nicht ausreichend angesehen, auf diese Weise werden Menschen mit einer niedrigeren Lebensqualität benachteiligt und damit letztlich auch so eine grundgesetzwidrige Wertung menschlichen Lebens vorgenommen. Im anderen Fall wird der Zugewinn eines gewissen Maßes an Lebensqualität als für die Gemeinschaft zu teuer angesehen. Das Schicksal des Einzelnen wird jeweils als vertretbare Größe für den Gesamtnutzen der Gesellschaft begriffen, was verfassungsrechtlich nicht tolerabel ist.58 Es wurden zwar einige Verfahren zur Ermittlung der durchschnittlichen Lebensqualität der einbezogenen Probanden entwickelt, dennoch hat jeder einzelne Patient sein ganz subjektives Empfinden. Bei einer Befragung in Finnland haben Pflegeheimbewohner jenseits der 80 es überwiegend abgelehnt, ein von außen betrachtet als wenig qualitätsvoll eingeschätztes Leben gegen ein qualitätvolleres, aber kürzeres Leben einzutauschen.59 Die Lebensqualität lässt sich daher nur schwerlich statistisch ermitteln oder von außen schätzen, sie muss immer vom einzelnen Patienten bewertet werden.60 Deswegen „stieße die öffentliche Gewalt bei dem Versuch einer abstrakt-generellen Festlegung des Maßstabs der ‚QALYS’ auch schnell an praktische Grenzen“.61
54
W. Greiner, in: Hurrelmann/Laaser/Razum, Handbuch Gesundheitswissenschaften, S. 356. 55 Zu den verschiedenen Verfahren vgl. W. Greiner, in: Hurrelmann/Laaser/Razum, Handbuch Gesundheitswissenschaften, S. 370 ff.; Wasem, Arbeit und Sozialpolitik 1-2/1997, 12, 15. 56 Wasem, Arbeit und Sozialpolitik 1-2/1997, 12, 14. 57 Diese Formulierung zeigt, dass es sich bei QALYs selbst gar nicht um ein Rationierungskriterium handelt. Bringt man QALYs mit Rationierung in Verbindung, muss man vielmehr genauer sagen, dass QALYs der Bewertung und dem Vergleich verschiedener Methoden dienen. Erst die hieraus gewonnenen Ergebnisse taugen dann als Rationierungsgrundlage. 58 In diesem Sinne auch Gutmann, in: Gutmann/V. Schmidt, Rationierung und Allokation im Gesundheitswesen, S. 179, 203. 59 Von dieser Umfrage berichtet der finnische Mediziner Risto Pelkonen, wiedergegeben von Preusker, Sparen durch der Warteschlangen: Alle Beispiele zeigen, daß letztlich der Patient betrogen wird, Ärzte-Zeitung v. 16.2.1999, S. 2. 60 C. Schäfer, DÄBl. 2007, A 2848; Vosteen, Rationierung im Gesundheitswesen und Patientenschutz, S. 365. 61 Nettesheim, VerwArch 93 (2002), 315, 345.
140
4. Kap.: Rationierungskriterien und ihre tatsächliche Umsetzung
Wer eine Rationierung nach Altersgesichtspunkten ablehnt, muss weiterhin auch eine Bewertung nach QALYs deshalb ablehnen, weil sie eine indirekte Benachteiligung älterer Menschen mit sich bringt.62 Nach den angelegten Maßstäben wäre bei demselben Krankheitsbild der jüngere Patient vorzugswürdig.63 Der erzielbare Nutzengewinn ist für eine Person mit einer Behinderung geringer, was sie gegenüber Vergleichspersonen ohne Behinderung wegen Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG grundgesetzwidrig diskriminiert.64 Daneben ist die Methode selbst umstritten und weist einige Probleme auf. Noch lange nicht sind alle diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen evaluiert.65 Die unterschiedlichen Ansätze bei der Nutzwertbestimmung haben die Unvergleichbarkeit zweier auf jeweils unterschiedlichen Ansätzen basierender Studien zur Folge. Die Ergebnisse der QALY-Berechnungen sind daher kaum vergleichbar.66 Zudem basieren die in deutschen Studien festegestellten QALYs in der Regel nicht auf in Deutschland gesammelten Erkenntnissen, so dass nicht davon ausgegangen werden kann, dass sie den Nutzen medizinischer Versorgung aus der Sicht deutscher Patienten oder der deutschen Bevölkerung widerspiegelt.67
III. Sozialer Wert Nach den bisher angestellten Überlegungen müsste auch eine Rationierung von Gesundheitsleistungen, die sich am sozialen Wert einer Person orientiert, an Wertungen des Grundgesetztes, wiederum insbesondere der Menschenwürde, scheitern. Erneut würde eine Klassifizierung menschlichen Lebens vorgenommen. In der deutschsprachigen Wissenschaft wird eine solche Vorgehensweise – so weit ersichtlich – nicht vertreten.68
62
Dabrock, in: Brink/Eurich/Hädrich/Langer/Schröder, Gerechtigkeit im Gesundheitswesen, S. 106, 112; C. Schäfer, DÄBl. 2007, A-2848. 63 Esslinger/Franke/Heppner, Das Gesundheitswesen 2007, 11, 15. Dass ältere Patienten weniger QALY-Gewinne zu erwarten haben, sieht auch W. Greiner, in: Hurrelmann/Laaser/Razum, Handbuch Gesundheitswissenschaften, S. 357. 64 Ohne diese normative Verankerung s. auch Lauterbach, RPG 1995, 27, 29; Schlander, DÄBl. 2003, A-2140, A-2141. 65 Wasem, Arbeit und Sozialpolitik 1-2/1997, 12, 18. 66 W. Greiner, in: Hurrelmann/Laaser/Razum, Handbuch Gesundheitswissenschaften, S. 357. Schwappach/Boluarte, DMW 2006, 2004, 2007. 67 Schwappach/Boluarte, DMW 2006, 2004, 2007. 68 Ausdrückliche Ablehnung aus juristischer Sicht bei Gutmann, in: Gutmann/V. Schmidt, Rationierung und Allokation im Gesundheitswesen, S. 179, 203 f.; Nettesheim, VerwArch 92 (2002), 315, 346; Taupitz, in: Wolter/Riedel/Taupitz, Einwirkungen der Grundrechte auf das Zivilrecht, Strafrecht und Öffentliche Recht, S. 113, 129; ders., in: Dietrich/Imhoff/Kliemt, Standardisierung in der Medizin, S. 263, 281. Diskutiert wird das Kriterium des sozialen Werts aber im Ausland, vgl. hierzu die Nachweise bei Gutmann, a.a.O., S. 179, 203 und Taupitz, in: Wolter/Riedel/Taupitz, Einwirkungen der Grundrechte auf das Zivilrecht, Strafrecht und Öffentliche Recht., S. 113, 127 Fn. 75. Sitter-Liver, Freiburger Zeitschrift für Philosophie und Theologie 50 (2003), 438, 457, hält im Zusammenhang mit
A. Einzelne Rationierungskriterien
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Teilweise wird – und das gilt nicht nur für das Kriterium des sozialen Wertes – dem „schnellen Griff zum vermeintlich durchschlagskräftigen Menschenwürdeargument“ mit Skepsis begegnet und stattdessen gefordert, Art. 1 Abs. 1 GG „bei der Bestimmung der Angemessenheit einer Ungleichbehandlung zwar als Element wertender Konkretisierung einfließen zu lassen, dabei allerdings Zurückhaltung und Vorsicht walten zu lassen“. Dann ergebe sich ein durchaus differenziertes Bild, da nämlich der weite Spielraum des Gesetzgebers erst dort ende, wo eine Ungleichbehandlung mit Gründen gerechtfertigt werden soll, die in der verfassungsrechtlichen Ordnung keinen Platz haben. Art. 3 Abs. 1 GG, der dann als vorrangiger Prüfungsmaßstab gelten soll, stehe daher – auch unter Berücksichtigung der Menschenwürdegarantie – bestimmten, nicht aber allen Formen der personenbezogenen Ungleichbehandlung bei der Vergabe medizinischer Leistungen entgegen.69 An den bisherigen Ergebnissen änderte sich freilich nichts, da die einzelnen Kriterien – wie gesehen – ihrerseits nicht mit den sich aus Art. 1 Abs. 1 GG entnommenen Wertungen in Einklang zu bringen sind.70
IV. Eigenverantwortung § 52 Abs. 1 SGB sieht eine Leistungsbeschränkung bei Selbstverschulden für die Fälle vor, in denen sich der Versicherte eine Krankheit vorsätzlich, bei einem von ihm begangenen Verbrechen oder vorsätzlichen Vergehen zugezogen hat. Wenn auf Rechtsfolgenseite die Möglichkeit besteht, dass die Krankenkasse den Versicherten an den Kosten der Leistungen in angemessener Höhe beteiligt und das Krankengeld ganz oder teilweise für die Dauer dieser Krankheit zu versagen oder zurückzufordern, dann kommt so der Gedanke der Eigenverantwortung für eine Krankheit zum Tragen. Weiter ausgebaut wurde er durch die schon angesprochene Aufnahme des § 52 Abs. 2 SGB V,71 der in seiner aktuellen Form durch die abschließende Nennung von Ursachen allerdings verfassungswidrig ist, weil so eine willkürliche Auswahl vorgenommen wird, die den Anforderungen des allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz nicht standhält.72 Generell ist es gleichwohl denkbar, medizinische Leistungen dann nicht mehr solidarisch zu finanzieren, wenn der Betroffene selbst für die Krankheit verantwortlich ist. Es sind aber Zweifel hinsichtlich der Praktikabilität des Kriteriums angebracht. Die Feststellung einer solchen Eigenverantwortung erscheint – über die durch § 52 SGB V bereits erfassten Fälle hinaus – bei Extremsportarten und der Organtransplantation eine junge Mutter mit drei Kindern wegen ihrer existenziellen Beziehungen und familiären Funktionen dem Junggesellen gegenüber für vorzugswürdig. 69 Nettesheim, VerwArch 93 (2002), 315, 344. Für die grundrechtliche Prüfung von Rationierungen auf Grund des Alters hält V. Neumann, NZS 2005, 617, 622, Art. 1 Abs. 1 GG für denkbar ungeeignet und möchte auf Art. 3 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG zurückgreifen. 70 Letztlich hält auch Nettesheim den sozialen Wert als Kriterium für verfassungsrechtlich problematisch, vgl. den Nachweis im 1. Teil Kap. 4 A. III, Fn. 68. 71 Vgl. 1. Teil Kap. 1 D. VIII., S. 29. 72 Zutreffend mit vertiefenden Ausführungen Bernzen, MedR 2008, 549, 550 f.
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4. Kap.: Rationierungskriterien und ihre tatsächliche Umsetzung
aus ihrer Ausübung resultierendem Behandlungsbedarf nach Unfällen noch halbwegs leicht. In der Medizin besteht jedoch die Schwierigkeit, eindeutig die Ursachen von Krankheiten festzustellen. Während dies bei monogenetischen oder durch bestimmte bekannte Erreger verursachten Krankheiten noch möglich ist, fällt bei Krankheiten mit multifaktoriellen Krankheitsgenesen eine Ursachenermittlung schwer.73 Außerdem ist es auch bei den feststellbaren Fällen der Eigenverantwortung fraglich, welche genaue Grenze zu ziehen ist. Regelmäßig setzt sich der Mensch lebens- oder gesundheitsbedrohenden Gefahren aus. Kritische Verhaltensweisen sind etwa die einseitig zu fettreiche Ernährung, Rauchen, Bewegungsmangel sowie Tiefseetauchen, Drachensegeln, Fallschirmspringen, Reiten, Sonnenbaden und nicht zuletzt das Autofahren, das eine der gefährlichsten Tätigkeiten überhaupt darstellt.74 Diese Aufzählung lässt sich durch sozialtypische Freizeitsportarten wie das Skifahren, Tennis- oder Fußballspielen, das Inlineskaten oder letztlich auch das einfache Fortbewegen mit dem Fahrrad ergänzen. Eine Grenzziehung fällt schwer, die Sanktionierung derartiger Verhaltensweisen griffe zudem in das Recht auf die freie Entfaltung der Persönlichkeit ein. Mit einer zu gesundheitsbewussten Lebensweise beraubte sich der Einzelne seiner individuellen Entfaltungsmöglichkeiten. Nicht zuletzt bliebe stets die Frage nach einem Gleichheitsverstoß. Buyx, die sich der Eigenverantwortung als Verteilungskriterium in Gesundheitswesen angenommen hat, schlägt vor, eine Liste von eigenverantwortungsbedingten Krankheiten aufzustellen und bei den auf dieser Liste aufgeführten Erkrankungen nur eine Versorgung mit basaler und evidenzbasierter Diagnostik und Therapie solidarisch für alle und unabhängig vom Verhalten zu finanzieren. Demgegenüber sollten aufwendige oder neue und teure diagnostische Maßnahmen dem Patienten nur dann zur Verfügung stehen, wenn er eine entsprechende private Zusatzversicherung abgeschlossen habe.75 Unter Berücksichtigung der genannten Schwierigkeiten bei der Ermittlung von Ursachen und der nach diesem Ansatz noch vorgesehenen solidarisch finanzierte Leistungen hielte sich das Sparpotenzial wohl in Grenzen. In jedem Falle blieben die rechtlichen Bedenken hinsichtlich der freien Entfaltung des Einzelnen und des allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatzes bei der Umsetzung des Kriteriums der Eigenverantwortung bestehen.
B. Bewertung der Rationierungsdiskussion Die nunmehr gewonnenen Erkenntnisse gilt es im Folgenden zu bewerten und zugleich Möglichkeiten für Veränderungen im System der GKV aufzuzeigen.
73 74 75
Buyx, DMW 2005, 1512, 1513. Kopetsch, RPG 2005, 51. Buyx, DMW 2005, 1512, 1515.
B. Bewertung der Rationierungsdiskussion
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I. Unzulässigkeit expliziter Rationierung einzelner Leistungen für bestimmte Personengruppen Es hat sich gezeigt, dass eine Rationierung in der Form, dass einer bestimmten Gruppe von Versicherten medizinische Leistungen im System der GKV vorenthalten werden, trotz vielfältiger Überlegungen in den verschiedenen Disziplinen verfassungsrechtlichen Grenzen ausgesetzt ist oder auf praktische Probleme bei der Umsetzung stößt.
II. Grund- und Zusatzversorgung Angesichts dieser Schwierigkeiten scheint es dagegen viel eher möglich, die Gesundheitsversorgung in Deutschland in eine Grund- und eine Zusatzversorgung aufzuteilen. Reformvorschläge in diese Richtung hat es immer wieder gegeben.76 In eben jene zielte jüngst auch ein Vorstoß des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft.77 Im Falle einer Verwirklichung einer derart strukturierten Gesundheitsversorgung hätte der Gesetzgeber zunächst einen solidarisch zu finanzierende Leistungen umfassenden Leistungskatalog auszudifferenzieren. Diese Leistungen könnten alle Versicherten gleichermaßen beanspruchen, während die nicht umfassten Leistungen und Risiken im Wege einer privaten Zusatzversicherung abgedeckt oder von den Versicherten selbst getragen werden müssten.78 Der Umfang dieser 76
Breyer/Franz/Homburg/Schnabel/Wille, Reform der sozialen Sicherung, S. 103 ff. und der komplette Reformvorschlag auf S. 115 ff.: Die Grundleistungen könnten auch von PKV-Unternehmen, die Zusatzleistungen auch von solchen der GKV angeboten werden; Vortrag von Preis auf dem Zweiten Kölner Sozialrechtstag am 31.03,2004, zusammengefasst von Roloff, NZS 2004, 476; Schimmelpfeng-Schütte, MedR 2002, 286, 291 f. Vgl, auch die Zusammenfassung einzelner Reformvorschläge von Henke/Borchardt/Schreyögg/Farhauer, Journal of Public Health, 12/2004, 10, 18. Äußerst skeptisch Eberle, Bleibt uns die soziale Krankenversicherung erhalten?, S. 128 ff., die darin einen Ausstieg aus der solidarischen Krankenversicherung sieht. Befürwortet wird ein derartiges Modell auch von Seiten der Ärzteschaft, vgl. Lesinski-Schiedat, MedR 2007, 345, 347 f. 77 Niedergelegt ist er in dem Positionspapier „Soziale Sicherung 2020: Angebote der deutschen Versicherungswirtschaft“, s. dazu FAZ v. 12.6.2008, S. 11 und Reaktionen hierauf FAZ v. 12.6.2008, S. 12. 78 Einen anderen Weg wählt Kopetsch, RPG 2005, 51, 54 ff., der bei seinem Reformvorschlag die Prämisse verfolgt, dass die Versicherten die Möglichkeit haben, den Umfang ihres Versicherungsschutzes und damit den Leistungskatalog der GKV selbst zu bestimmen. Es soll ein für alle erwerbstätigen Versicherten ein allgemeiner und identischer Leistungskatalog gelten, während für Rentner eine Aufgliederung in eine obligatorische Grundund eine freiwillige Zusatzversicherung erfolgen soll. Aufnahme in den Zusatzkatalog sollen alle lebensverlängernden Maßnahmen mit einer relativ geringen Kosteneffektivität bezüglich des Parameters der gewonnenen Lebensjahre finden. Die Zusatzversicherung soll ebenfalls solidarisch finanziert sein, so dass, damit das System funktioniert, eine private Absicherung der Zusatzleistungen verboten werden muss. Die Versicherten müssten bspw. ab dem 30. Lebensjahr einen Zusatztarif wählen oder sich gegen jegliche Zusatzabsiche-
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4. Kap.: Rationierungskriterien und ihre tatsächliche Umsetzung
Grundversorgung müsste dabei mindestens dem entsprechen, was verfassungsrechtlich als medizinisches Existenzminimum anzusehen ist, aus finanziellen Erwägungen aber unterhalb dessen liegen, was heute sozialrechtlicher Standard ist. Der Grundleistungskatalog sollte sich dabei auf solche Leistungen konzentrieren, die der Erhaltung oder Wiederherstellung der Gesundheit dienen, und hingegen solche, die andere sozialpolitische Funktionen erfüllen, nicht mehr umfassen. Hierzu gehören etwa das Sterbegeld, Leistungen bei Schwangerschaft und Mutterschaft oder die Sterilisation.79 Weiterhin denkbar ist auch ein Ausschluss von Kuren.80 Allein diese Maßnahmen dürften aber nicht ausreichen, so dass Ausschlüsse in weiteren Leistungsbereichen in Betracht gezogen werden müssen.81 Die konkrete Ausgestaltung eines Grundleistungskatalogs ist, von den verfassungsrechtlichen Vorgaben in Form des medizinischen Existenzminimums abgesehen, letztlich aber vor allem eine politische Entscheidung, die auch einen politischen Diskurs erfordert. Soll sich eine solche Unterteilung finanziell positiv auswirken, müsste sie zudem unter Beibehaltung des aktuellen Beitragsniveaus stattfinden, so dass der Versicherte letztlich weniger Leistung bei gleichbleibend hohen Beiträgen erhielte.82 Auch wäre der Umfang der Grundversorgung regelmäßig unter Berücksichtigung des medizinischen Fortschrittes neu zu überdenken. Eine stetige Anpassung an neueste Entwicklungen stünde dem Ziel der Kostensenkung entgegen; gleichwohl muss auch die Grundversorgung irgendwann den medizinischen Fortschritt mitvollziehen und kann nicht auf einem fixen und unabänderlichen Leistungsniveau festgeschrieben sein.83 rung im Ruhestand entscheiden. Ein derartiges Modell ruft trotz der Möglichkeit einer solidarisch finanzierten Zusatzversicherung wegen der Unterscheidung im Alter verfassungsrechtliche Bedenken hervor. Auch wird wieder auf die gewonnenen Lebensjahre abgestellt. Kritisch ist zudem, dass sich die Versicherten schon frühzeitig entscheiden müssten, welchen Schutz sie im Alter genießen wollen. Die Ansicht hierüber kann sich im Laufe der Zeit und mit zunehmendem Alter verändern; eine private Absicherung der Zusatzleistungen ist aber später gerade ausgeschlossen. Somit hätte man in einem Stadium über sein Leben zu disponieren, in dem man selbst die Tragweite der Entscheidung mitunter noch nicht einschätzen kann. Ausführlich zu diesem Reformvorschlag ders., Zur Rationierung medizinischer Leistungen im Rahmen der Gesetzlichen Krankenversicherung, S. 162 ff. 79 So auch mit weiteren Beispielen Breyer/Franz/Homburg/Schnabel/Wille, Reform der sozialen Sicherung, S. 134. 80 Francke, GesR 2003. 97, 98. 81 Eine Übersicht konkreter Leistungsgegenstände, die Teil der Ausschlussdebatte sind, ist nachzulesen bei Francke, GesR 2003, 97, 98. 82 Anders Breyer/Franz/Homburg/Schnabel/Wille, Reform der sozialen Sicherung, S. 134, da durch ihren Reformvorschlag die Entlastungen deutlich überwiegten, was eine Senkung des durchschnittlichen Beitrags erlaube. Innerhalb der gesamten GKV-Reformdebatte werden unterschiedlichste Beitragsbemessungsprinzipien vorgeschlagen, vgl. hierzu die tabellarische Darstellung bei Henke/Borchardt/Schreyögg/Farhauer, Journal of Public Health, 12/2004, 10, 16. 83 Ähnlich Breyer/Franz/Homburg/Schnabel/Wille, Reform der sozialen Sicherung, S. 104.
B. Bewertung der Rationierungsdiskussion
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Die Etablierung eines Leistungskataloges, der die Grundversorgung aller Versicherten festlegt, ist nur einer von vielen der Finanzierbarkeit des Systems dienenden strukturellen Veränderungsvorschlägen in der GKV.84 Veränderungen auf der Ausgabenseite, also am Leistungskatalog, erscheinen neben Reformen auf der Finanzierungsseite unabdingbar, wenn die GKV wieder auf ein gesundes Fundament gestellt werden soll.85 Die Aufteilung in eine Grund- und Zusatzversorgung stellt hierfür einen möglichen, weil verfassungsrechtlich gangbaren Weg dar. Auf den möglichen Vorwurf, mit dem Einsschlagen desselben seien Tendenzen hin zu einer „Zwei-Klassen-Medizin“ verbunden, wird im zweiten Teil der Bearbeitung zurückzukommen sein, weil sich dort ähnliche Probleme ergeben.86 Zusätzlich erscheint es sinnvoll, diese Grundversicherung als Pflichtversicherung für alle Bürger auszugestalten, so dass sich alle an der solidarischen Finanzierung des Gesundheitssystems beteiligen.87 An den einkommensabhängigen Beitragszahlungen ist festzuhalten, weil diese gegenüber dem Prämienmodell die finanziellen Verhältnisse des Einzelnen berücksichtigt und dadurch gerechter ist. Bei einer auf einheitlichen Prämien basierenden Finanzierung der Grundversorgung müsste der Staat die Unterschiede in der Leistungsfähigkeit durch Steuermittel ausgleichen. 84
Die meisten von ihnen setzen auf der Finanzierungsebene an, vgl. die systematisierte Darstellung einzelner Reformvorschläge bei Henke/Borchardt/Schreyögg/Farhauer, Journal of Public Health, 12/2004, 10, 11 ff. Auf der Finanzierungsseite wollen auch Breyer/Franz/Homburg/Schnabel/Wille, Reform der sozialen Sicherung, S. 102 f., 115. die gesamte Wohnbevölkerung in den Kreis der Versicherten mit einbeziehen. Dieselbe Absicht verfolgen die insb. im Wahlkampf zur Bundestagswahl 2005 vertretenen Modelle einer Bürgerversicherung, vgl. dazu die Eckpunkte des DGB für eine solidarische Bürgerversicherung, abgedruckt in SozSich 2004, 366, 370; die Eckpunkte von Bündnis 90/Die Grünen für eine grüne Bürgerversicherung, abgedruckt in SozSich 2004, 371, 372 ff.; Eckpunkte der SPD für eine solidarische Bürgerversicherung, abgedruckt in SozSich 2004, 286 ff.; zu einer verfassungsrechtlichen Bewertung der Bürgerversicherung s. Beck, SozSich 2004, 386 ff.; ferner die Zusammenfassung von Anhörungen bei Pfaff/Stapf-Finé, SozSich 2004, 279, 284 f. und die Monographie von Schräder, Bürgerversicherung und Grundgesetz; CDU und CSU warben für das politische Konzept einer solidarischen Gesundheitsprämie, vgl. die Eckpunkte beider Parteien, abgedruckt in SozSich 2004, 375 f.; zu Vorund Nachteilen der jeweiligen Modelle s. Stapf-Finé, SozSich 2004, 377 ff.; Sodan, NJW 2003, 2581, 2584 möchte den entgegen gesetzten Weg einer Bürgerversicherung beschreiten und den Kreis der in der GKV Versicherten auf diejenigen reduzieren, die wirklich schutzbedürftig sind und die GKV auf diese Weise finanzierbarer machen. 85 Preis, Vortrag auf dem Zweiten Kölner Sozialrechtstag am 31.3.2004, zusammengefasst von Roloff, NZS 2004, 476. Kombiniert wird beides in dem von Breyer/Franz/Homburg/Schnabel/Wille, Reform der sozialen Sicherung, S. 115 ff., angestrebten System. 86 Vgl. 2. Teil Kap. 4 C. IV., S. 222 f. 87 Neben dem Aspekt der Unterteilung in eine Grund- und Zusatzversorgung träten also Elemente einer Bürgerversicherung, vgl. hierzu die Nachweise im 1. Teil Kap. 4 B. II., Fn. 84. Gegen eine Bürgerversicherung werden jedoch verfassungsrechtliche Bedenken ins Feld geführt, die es vor einer tatsächlichen Umsetzung auszuräumen gälte. Zu diesen verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten vgl. ebenfalls die Nachweise in der genannten Fn.
146
4. Kap.: Rationierungskriterien und ihre tatsächliche Umsetzung
III. Kompetentielle und strukturelle Überlegungen zur Rationierung Die nähere Ausgestaltung einer Rationierung in der hier vorgeschlagenen Form der Unterteilung medizinischer Leistungen in eine Grund- und Zusatzversorgung ist Sache des Gesetzgebers. Das vom BVerfG entwickelte Wesentlichkeitsprinzip verlangt, dass in grundlegenden Bereichen, insbesondere der Grundrechtsausübung, alle wesentlichen Entscheidungen vom parlamentarischen Gesetzgeber getroffen werden müssen.88 Rationierungsentscheidungen gehören zu den wesentlichen Grundentscheidungen der gesetzlichen Krankenversicherung und sind daher dem Gesetzgeber vorbehalten.89 Dem G-BA fehlt grundsätzlich die demokratische Legitimation für die Anordnung von Rationierungen. Etwas anderes gilt nur dann, wenn er durch ein hinreichend bestimmtes Parlamentsgesetz ausdrücklich dazu ermächtigt wird.90 Der Gesetzgeber müsste daher klar festlegen, welche Leistungsarten Teil der solidarisch finanzierten Grundversorgung sein sollen, was eine Veränderung gegenüber den bisher nur sehr allgemein gehaltenen und konkretisierungsbedürftigen, als Rahmenrechte verstandenen Regelungen des Leistungsrechts des SGB V darstellte. Gleichwohl könnten für Detailfragen weiterhin untergesetzliche Gremien ermächtigt werden,91 wobei eine Regelung durch untergesetzliche Normen problematisch ist, insbesondere im Gesundheitssystem.92 Das abgesenkte
88
BVerfGE 34, 165, 192 f.; 47, 46, 78 f.; 83, 130, 142; 98, 218, 251; Sachs, in: Sachs, GG, Art. 20 Rn. 116 f. 89 LSG Nds., NZS 2001, 32, 38; Jansen, in: HK-AKM, 750, Rn. 19; V. Neumann, NZS 2005, 617, 621; R. Giesen, ZVersWiss 2004, 557, 577; Ihle, Ärztliche Leitlinien, Standards und Sozialrecht, S. 66; Kingreen, in: Kingreen/Laux, Gesundheit und Medizin im interdisziplinären Diskurs, S. 147, 159 f.; Schmidt-Aßmann, Grundrechtspositionen und Legitimationsfragen im öffentlichen Gesundheitswesen, S. 57 f., demzufolge der Umbau von Leistungssystemen im parlamentarischen Gesetz seine Grundlage finden muss. 90 V. Neumann, NZS 2005, 617, 621. Eine Ermächtigung zur Rationierung sieht Kingreen, in: Kingreen/Laux, Gesundheit und Medizin im interdisziplinären Diskurs, S. 147, 161 f. in § 92 Abs. 1 S. 1 Hs. 3 SGB V, nach dem der G-BA die Erbringung und Verordnung von Leistungen oder Maßnahmen einschränken oder ausschließen kann, wenn nach dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse, der diagnostische oder therapeutische Nutzen, die medizinische Notwendigkeit oder die Wirtschaftlichkeit nicht nachgewiesen sind. Daher könne der G-BA auch solche Leistungen ausschließen, die zwar medizinisch notwendig seien, deren Nutzen aber in keinem Verhältnis zu den Kosten stehe. 91 Francke, GesR 2003, 97, 100 beispielhaft für die Konkretisierung eines zuvor gesetzlich beschlossenen Ausschlusses von Trivialerkrankungen, wobei es sich hierbei gerade nicht um eine Detail-/Randfrage handelt; richtigerweise weist Kingreen, in: Kingreen/Laux, Gesundheit und Medizin im interdisziplinären Diskurs, S. 147, 159 darauf hin, dass der Gesetzgeber gerade in dynamischen, dem technischen Wandel unterworfenen Bereich die Detailsteuerung der Exekutive überlassen muss. 92 Zu Legitimation und Grenzen untergesetzlicher Normsetzung im Sozialversicherungsrecht vgl. Axer, Normsetzung der Exekutive in der Sozialversicherung; Hänlein, Rechtsquellen im Sozialversicherungsrecht; Sickor, Normenhierarchie im Arztrecht, S. 193 ff.
B. Bewertung der Rationierungsdiskussion
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Leistungsniveau müsste aber in jedem Fall eine gesetzliche Stütze finden.93 Bezogen auf das Modell der Grund- und Zusatzversorgung bedeutete dies ein stärker konkretisiertes Leistungsrecht im SGB V, so dass sich auch in dieser Hinsicht ein Systemwechsel vollzöge.
93
So auch Ihle, Ärztliche Leitlinien, Standards und Sozialrecht, S. 55.
Zusammenfassung 1. Teil Der erste Teil der Untersuchung hat gezeigt, dass das deutsche Gesundheitswesen von stetig steigenden Kosten geprägt ist, die im ersten Kapitel beleuchtet worden sind. Ursächlich für diesen Anstieg ist vor allem der medizinische Fortschritt, aber auch die demographische Entwicklung und möglicherweise eine zunehmende Defensivmedizin sind mitverantwortlich. Die Übersicht über einige Kostendämpfungsgesetze der vergangnen 30 Jahre ergab, dass die Versuche des Gesetzgebers, das Problem in den Griff zu bekommen, unzureichend gewesen sind. Die überwiegend auf Rationalisierung setzenden Maßnahmen haben es nicht zu verhindern vermocht, dass sich die Diskrepanz zwischen dem theoretisch medizinisch Machbaren und dem tatsächlich Finanzierbaren vergrößert. Daher sind neben den Versuchen, Rationalisierungsreserven zu mobilisieren, auch Rationierungen ein Thema. Dieser vielfältig verwendete Begriff wurde im zweiten Kapitel näher untersucht und letztlich im Einklang mit seinem überwiegenden Verständnis innerhalb der juristischen Diskussion als die Vorenthaltung medizinisch notwendiger oder sinnvoller Maßnahmen definiert. Zudem wurde auch die alle Versicherten gleichermaßen treffende Leistungskürzung als Rationierung bezeichnet, um eine möglichst breit gefächerte Auseinandersetzung mit der Problematik zu ermöglichen. Untersucht wurden verschiedene Spielarten und Formen, wobei sich die Unterscheidung zwischen impliziter und expliziter Rationierung als eine der wichtigsten herausgestellt hat. Entgegen einiger Dementi aus der Gesundheitspolitik sind schon heute Rationierungen, die auf unterschiedlichen Allokationsebenen ansetzen kann, zu erkennen. Einige von ihnen wurden beispielhaft aufgeführt. Dennoch sind gesetzliche Vorgaben für die Verteilung knapper Ressourcen die Ausnahme. Deshalb bringt die gegenwärtige Situation für die Ärzte ein erhebliches Konfliktpotential mit sich, weil sie nicht selten diejenigen sind, die über den Einsatz knapper Ressourcen zu befinden haben. Insgesamt konnte gezeigt werden, dass sich die Notwendigkeit einer übergreifenden Regelung ergibt; Rationierungsentscheidungen sollten daher explizit durch den Gesetzgeber getroffen werden. Die rechtlichen Grenzen, denen sich der Gesetzgeber dabei ausgesetzt sieht, waren Gegenstand des dritten Kapitels. Unterteilt wurde die Darstellung in generelle Grenzen einer Rationierung, die Leistungskürzungen grundsätzlich entgegenstehen können und spezielle Grenzen für bestimmte Rationierungskriterien die zur Folge haben, dass eine bestimmte Personengruppe noch in den Genuss der medizinischen Leistungen kommt, während sie der anderen vorenthalten wird. Für die erstgenannte Gruppe wurde Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG eingehend darauf untersucht, ob und in welchem Umfang er einen verfassungsrechtlichen Anspruch auf bestimmte Gesundheitsleistungen gewährt. Nur dann kann das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit als verfassungsrechtliche Grenze einer Rationierung gelten. Nur kurz wurden in diesem Zusammenhang die letztlich nicht relevanten sozialen Grundrechte erwähnt und die Aspekte, die die Rechtsprechung innerhalb der Berücksichtigung staatlicher Schutzpflichten thematisiert, aus dogmatischen Gründen für die Untersuchung der leistungsrechtlichen Dimension der Grundrechte aufgespart. Für diese rückten die Teilhaberechte, die ebenfalls einer
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Zusammenfassung 1. Teil
Definition zuzuführen waren, in das Blickfeld der Überlegungen. Von besonderem Interesse waren angesichts der aufgeworfenen Frage originäre Teilhaberechte, die aber bis auf wenige Ausnahmen nicht im Grundgesetz existieren. Dies machte es erforderlich, sich mit der Umdeutung von Freiheitsrechten in Teilhaberechte zu befassen. Zu diesem Zwecke wurden Entwicklungstendenzen in Schrifttum und Rechtsprechung dargestellt und analysiert. Die auf den ersten Blick in der Literatur kontrovers geführte Diskussion bezüglich einer Umdeutung der Freiheitsrechte in Teilhaberechte verläuft letztlich insoweit einheitlich, als auch die Befürworter in den umgedeuteten Freiheitsrechten nicht mehr als bloße Staatszielbestimmungen erkennen. Einig ist man sich weitgehend auch darin, dass zur Kompensation einer fehlenden leistungsrechtlichen Ausprägung der Grundrechte, verfassungsunmittelbare Ansprüche in der Form einer Minimalgarantie anzuerkennen sind. Eine solche Garantie bildet das Existenzminimum zur Sicherung eines menschenwürdigen Daseins, welches nach überwiegender Auffassung auch ein medizinisches Existenzminimum umfasst. Dessen nähere Ausgestaltung fällt freilich schwer. Die aus der nachgezeichneten Rechtsprechung wichtigste Entscheidung bezüglich der verfassungsrechtlichen Vorgaben für Leistungsbeschränkungen ist der „Nikolaus-Beschluss“ des BVerfG. Dieser wurde näher vorgestellt und seine Auswirkungen auf die bisherige Rechtsprechung des BSG dargestellt. Wichtigste Neuerung gegenüber dieser sind die geringeren Anforderungen an die Wirksamkeit einer neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethode für den Fall, dass eine lebensbedrohlich oder regelmäßig tödliche Krankheit vorliegt und keine schulmedizinische Alternative zur Behandlung der Krankheit zur Verfügung steht. Wenn in derartigen Fällen die fragliche Methode eine auf Indizien gestützte, nicht ganz fern liegende Aussicht auf Heilung oder wenigstens auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf im konkreten Einzelfall verspricht, gehört sie zur Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenkassen. Rechtstechnisch hat das BVerfG damit jedoch keinen verfassungsunmittelbaren Anspruch kreiert, sondern lediglich Normen des SGB V u.a. im Lichte des Art. 2 Abs. 2 GG ausgelegt. Außerdem klingt in der Entscheidung die Anerkennung eines medizinischen Existenzminimums an, wenn sich das Gericht auch mit der von Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG geforderten Mindestversorgung befasst. Ähnlich wie in früheren zurückhaltenden Äußerungen zum Existenzminimum wird ein medizinisches Existenzminimum nicht in aller Ausdrücklichkeit anerkannt. Der Eindruck, dass es dem BVerfG um ein solches geht, wird aber dadurch bekräftigt, dass es in den fraglichen Passagen Literaturstellen zitiert, die allesamt die medizinisch-gesundheitliche Komponente des verfassungsrechtlichen Existenzminimums thematisieren. Da die Aufmerksamkeit des BVerfG der „nackten Existenz“ gilt, nimmt es hinsichtlich der Bestimmung des Umfangs dieses Minimums einen restriktiven Standpunkt ein. Die gewonnenen Erkenntnisse zu Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG wurden anschließend zusammengefasst und bewertet. Wenn mit der Literatur allenfalls im Rahmen eines medizinischen Existenzminimums ein Anspruch auf Gesundheitsleistungen besteht, ist eine Rationierung so lange unbedenklich, wie der Versorgungsstandard dieses Minimum nicht unterschreitet. In finanzieller Sicht zu beachten ist, dass die Mittel, die im Wege der Rationierung eingespart werden, in Form der Gewährung
Zusammenfassung 1. Teil
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des medizinischen Existenzminimums doch wieder vom Staat aufgebracht werden müssen. Der „Nikolaus-Beschluss“ ist, auch wenn er keinen verfassungsunmittelbaren Anspruch statuiert, doch weitreichend. Schließlich kommt es nicht auf die Bedürftigkeit des Einzelnen an, wenn es darum geht festzustellen, ob eine Leistungspflicht für die neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode besteht. Der Einfluss auf das Gesundheitswesen verstärkt sich noch weiter, wenn – wie von Teilen der Literatur gefordert und vom BSG vorgenommen – der Anwendungsbereich der Entscheidung auf „notstandsähnliche Extremsituationen“ und auf den Arzneimittelsektor übertragen wird. Eingehend untersucht wurden auch die Folgen der Übertragung der verfassungsgerichtlichen Grundsätze auf den Bereich der Arzneimittelversorgung. Hiervon ist auch die Rechtsprechung des BSG zum Offlabel-use betroffen, die es daher zunächst darzustellen galt. Letztlich kann nunmehr ein Arzneimittel auch dann zu Lasten der GKV verordnet werden, wenn es nur über eine Zulassung im Ausland verfügt und sogar dann, wenn es außerhalb seiner im Ausland zugelassenen Indikation zur Anwendung gelangen soll. Generell sind die bei einem Off-label-use bisher vom BSG an einen Wirksamkeitsnachweis gestellten Anforderungen im Sinne „Nikolaus-Beschluss“ herabzusetzen. Auch hier kann nunmehr eine Einzelfallabwägung stattfinden. Die teilweise geäußerte Befürchtung, nach diesem Richterspruch fehle – jedenfalls bei ernsthaften Erkrankungen – jede Möglichkeit, Leistungen verfassungskonform zu beschränken, kann nicht geteilt werden. Dafür ist aufgrund der genannten Voraussetzungen der Anwendungsbereich der Entscheidung zu begrenzt. Als mögliche generelle Grenze war weiterhin die Eigentumsgarantie des Art. 14 GG zu untersuchen. Damit diese in der Rationierungsdiskussion Bedeutung erlangen kann, müssten krankenversicherungsrechtliche Positionen in ihren Schutzbereich einzubeziehen sein. Generell hat sich das BVerfG, wenn möglich, bezüglich der Eigentumsfähigkeit sozialrechtlicher Positionen in Zurückhaltung geübt und sich für das Krankenversicherungsrecht nicht festgelegt. Anders verlief die Entwicklung in Bezug auf Rentenpositionen, für die unter Herausbildung von Voraussetzungen die Eigentumsfähigkeit anerkannt worden ist. Diese Entwicklung der Rechtsprechung mitsamt den herausgebildeten Kriterien galt es zunächst nachzuzeichnen. Anschließend war zu überprüfen, ob diese Judikatur auch auf krankenversicherungsrechtliche Ansprüche übertragbar ist und somit auch diese dem Eigentumsschutz zu unterstellen sind. Dafür muss die jeweilige krankenversicherungsrechtliche Position eine vermögenswerte Rechtsposition darstellen, die nach Art eines Ausschließlichkeitsrechts dem Rechtsträger als privatnützig zugeordnet ist. Sie genießt den Schutz der Eigentumsgarantie dann, wenn sie auf nicht unerheblichen Eigenleistungen des Versicherten beruht und zudem der Sicherung seiner Existenz dient. Nachdem diese Voraussetzungen einer Analyse unterzogen worden sind, lässt sich sagen, dass auch krankenversicherungsrechtliche Positionen sie erfüllen und damit in den Schutzbereich des Art. 14 GG einzubeziehen sind: Die Voraussetzung der vermögenswerten und nach Art eines Ausschließlichkeitsrechts zugeordneten Rechtsposition verlangt lediglich, dass nicht solche Leistungen in Rede stehen, die vom Ermessen des Versicherungsträgers abhängen und es nicht um solche Positionen geht, nach denen auf eine Leistung lediglich eine gesetzlich begründete Aussicht besteht und sie deshalb nicht – wie Anwart-
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Zusammenfassung 1. Teil
schaften – allein durch den Eintritt des Versicherungsfalls zum Vollrecht erstarken kann. Die im SGB V geregelten Ansprüche sind zwar nur, aber eben immerhin auch als Rahmenrechte ausgestaltet, die in dieser grundsätzlichen Form nicht im Ermessen der Versicherungsträgers stehen. Für das Vorliegen der nicht unerheblichen Eigenleistung reicht es aus, wenn zwischen den Versicherungsleistungen des Versicherungsträgeres an die Versichertengemeinschaft und deren Beitragszahlungen eine Globaläquivalenz besteht. Die Existenzsicherungsfunktion ist schließlich schon dann gegeben, die öffentlich-rechtliche Leistung ihrer Zielsetzung nach der Existenzsicherung der Berechtigten zu dienen bestimmt ist. Auf die persönlichen Vermögensverhältnisse des einzelnen Versicherten ist jedoch nicht abzustellen. Da dem Gesetzgeber aber bei der Bestimmung von Inhalt und Schranken des Eigentums ein umso größerer Gestaltungsspielraum zusteht, je mehr das Eigentumsobjekt in einem sozialen Bezug und einer sozialen Funktion steht und aufgrund der zu berücksichtigenden krankenversicherungsrechtlichen Besonderheiten reduziert sich der Schutz des Art. 14 GG, wie herauszustellen war, letztlich auf ein angemessenes Verhältnis von Beitragszahlungen und empfangenen Leistungen. Dieses Ergebnis ließe sich freilich auch mit einem Schutz des Versicherten über Art. 2 Abs. 1 GG erreichen. Weiterhin waren noch Vertrauensschutzgesichtspunkte zu berücksichtigen, die dazu führen, dass bei Veränderungen von sozialversicherungsrechtlichen Positionen schonende Übergangsregelungen zu treffen sind. Solche sind insbesondere für ältere Versicherte einzuführen, die aufgrund von Vorerkrankungen Probleme bekommen könnten, sich privat abzusichern. Gegebenenfalls sind auch Steuermittel zur Unterstützung dieser Gruppe bereitzustellen. Eine Bestandsgarantie für den heutigen Leistungsumfang der GKV bietet Art. 14 GG insgesamt nicht. In der zweiten Gruppe, den speziellen Grenzen einer Rationierung, war als erstes eine Auseinandersetzung mit der Menschenwürdegarantie als dem höchsten aller Verfassungsgüter vonnöten. Der vom BVerfG seit jeher als Grundrecht verstandene Art. 1 Abs. 1 GG bereitet insbesondere bei der Ermittlung seines Gehaltes Schwierigkeiten. Die Menschenwürde ist nach der Objektformel dann getroffen, wenn der konkrete Mensch zum Objekt, zu einem bloßen Mittel, zur vertretbaren Größe herabgewürdigt wird. Zur Präzisierung der Menschenwürde wird eine Einteilung verschiedene Bereiche vorgenommen, in denen sie sich in besonderer Weise ausprägt, wobei der Bereich der elementaren Rechtsgleichheit für die Beurteilung einzelner Rationierungskriterien von Bedeutung ist. Mit der Menschenwürde unvereinbar ist ganz allgemein die Herabstufung bestimmter Personengruppen zu Menschen „zweiter Klasse“. Weil jedes legislative Tangieren des Menschenwürdegehalts zur Verfassungswidrigkeit der jeweiligen Maßnahme führt, stellt Art. 1 Abs. 1 GG eine besonders gewichtige Grenze von Rationierungen auf der Grundlage bestimmter Kriterien dar. Ebenfalls als spezielle Grenze zu berücksichtigen ist der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG, der nicht nur Rechtsanwendungs-, sondern auch eine Rechtssetzungsgleichheit fordert. Für die Rechtfertigung von Ungleichbehandlungen stehen zwei verschiedene Maßstäbe zur Verfügung, die Willkürformel und die „neue Formel“, nach der – wie sich gezeigt hat – eine Verhältnismäßigkeitsprüfung anzustellen ist. Regelmäßig wird aufgrund der Abgrenzungsvorgaben
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des BVerfG bei Rationierungskriterien die „neue Formel“ anzuwenden sein. Die Feststellung einer gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstoßenden Ungleichbehandlung führt aber noch nicht dazu, dass der Benachteiligte fortan von der günstigen Regel profitieren kann. Dem Gesetzgeber steht es ebenso frei, der bevorteilten Gruppe die Vergünstigung zu entziehen. Das abschließende Kapitel des ersten Teils ist einzelnen Rationierungskriterien und der tatsächlichen Umsetzung von Rationierung im Gesundheitssystem gewidmet gewesen. Die interdisziplinär diskutierten Kriterien des Alters, der QALYs, des sozialen Wertes und der Eigenverantwortung wurden vorgestellt und insbesondere beim Alterskriterium die Diskussion innerhalb der jeweiligen Disziplin dargelegt. Gegen das Alterskriterium sprechen gewichtige verfassungsrechtliche Einwände, weil mit ihm eine unzulässige Wertung bestimmter Lebensphasen vorgenommen und die sich jenseits einer Altersgrenze befindlichen Versicherten als bloßes Objekt staatlichen Handels zur finanziellen Sanierung der GKV dienen. Solange das BVerfG seine Rechtsprechung zur und sein Verständnis von der Menschenwürdegarantie nicht grundlegend ändert, ist die Einführung von Altersgrenzen in der GKV, die diesen Anforderungen nicht genügen, rechtlich nicht umsetzbar. Rechtlichen und praktischen Bedenken ist die Rationierung aufgrund von QALYs ausgesetzt, sei es durch die bloße Ermittlung der durch eine medizinische Maßnahme gewonnene Anzahl an QALYs, sei es durch eine Berechnung der Kosten pro gewonnenem QALY. Wiederum nähme eine Rationierung auf dieser Grundlage eine Bewertung menschlichen Lebens vor und bei der Kostenbewertung gelangte der Versicherte erneut in die Rolle des bloßen Objektes staatlichen Handelns, er wäre eine vertretbare Größe. Man stieße bei der Feststellung abstrakt-genereller Grenzen zur Bestimmung der Lebensqualität schnell an praktische Grenzen, auch wenn einige Verfahren zu ihrer Ermittlung erarbeitet worden sind. Indirekt benachteiligt eine derartige Rationierung auch alte Menschen, weil im Einzelfall ein jüngerer Patient als vorzugswürdig anzusehen sein dürfte. Benachteiligt wären auch behinderte Menschen, deren erzielbarer Nutzengewinn geringer sein könnte als der von Vergleichspersonen ohne Behinderung. Dies führte zu einer wegen Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG grundgesetzwidrigen Diskriminierung. In praktischer Hinsicht ist das Kriterium der QALYs fragwürdig, weil der Maßstab als solcher umstritten ist, es an Vergleichbarkeit der verschiedenen Ermittlungen der Nutzwerte fehlt, noch lange nicht alle diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen evaluiert sind und deutsche Studien zumeist nicht auf in Deutschland gewonnene Erkenntnisse zurückgreifen, so dass nicht davon ausgegangen werden kann, dass sie den Nutzen medizinischer Versorgung aus der Sicht deutscher Patienten oder der deutschen Bevölkerung widerspiegeln. Der in der deutschen Wissenschaft letztlich nicht vertretene Bewertungsmaßstab des sozialen Wertes ist ebenfalls als mit der Menschenwürde unvereinbar anzusehen, weil auch er eine grundgesetzwidrige Wertung menschlichen Lebens und des Wertes des Einzelnen vornimmt. Praktischen und rechtlichen Einwänden ist das Kriterium der Eigenverantwortung ausgesetzt. Ursachenzusammenhänge in der Medizin sind nicht selten nur schwer feststellbar. In rechtlicher Hinsicht ergeben sich vor dem Hintergrund der
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Zusammenfassung 1. Teil
verfassungsrechtlich gewährleisteten freien Entfaltung der Persönlichkeit des Einzelnen Abgrenzungsschwierigkeiten. In einem zweiten Schritt wurde die Rationierungsdiskussion einer Bewertung unterzogen. Da sich gezeigt hat, dass die bisher diskutierten Kriterien für eine selektive Vorenthaltung medizinischer Leistungen gegenüber einzelnen Versichertengruppen nur schwerlich mit dem Grundgesetz vereinbar sind und zusätzlich ihre Umsetzung zum Teil nur wenig praktikabel erscheint, wurde die Alternative einer schon häufiger diskutierten Unterteilung der GKV in eine solidarisch finanzierte Grundversorgung und eine private Zusatzversorgung vorgeschlagen. Die Leistungen der Grundversorgung könnten alle Versicherten gleichermaßen beanspruchen. Nicht mehr von ihr abgedeckte Risiken müsste der Einzelne entweder selbst tragen oder zusätzlich privat versichern. Damit sich ein Einsparungseffekt einstellen kann, muss die Grundversorgung zwangsläufig unterhalb des heutigen sozialrechtlichen Leistungsstandards liegen, aus verfassungsrechtlichen Erwägungen heraus aber mindestens das medizinische Existenzminimum umfassen. Ebenfalls finanzpolitischen Zielen geschuldet wäre die notwendige Beibehaltung des heutigen Beitragsniveaus trotz des geringeren Leistungsumfangs. In zeitlichen Abständen müsste die der Leistungskatalog an den medizinischen Fortschritt angepasst werden. Die Ausgestaltung des Leistungsumfangs der Grundversorgung ist letztlich eine politische Aufgabe. Besteht Einigkeit darüber, dass zur Erhaltung der Finanzierbarkeit der GKV auch Leistungen gekürzt werden müssen, so stellt die vorgeschlagene Unterteilung, anders als die erörterten selektiven Rationierungskriterien, einen verfassungskonformen Ansatz dar. Diese Grundversorgung sollte für alle Bürger zur Pflicht werden und mit vom Einkommen abhängigen Beiträgen finanziert werden. Abschließend wurde festgestellt, dass für die Herbeiführung eines solchen Systemwechsel von der prinzipiellen Vollversorgung hin zu einer in Grund- und Zusatzversorgung unterscheidende Krankenversicherung der Gesetzgeber zuständig ist. Aufgrund der Wesentlichkeitstheorie ist er dazu berufen, Entscheidungen bezüglich notwendiger Rationierungen zu treffen. Lediglich für die Klärung von Detailfragen ist die Ermächtigung von untergesetzlichen Gremien möglich. Verglichen mit dem heutigen SGB V, in dem die Ansprüche der Versicherten nur als Rahmenrechte festgehalten sind, verlangte die Etablierung eines Grundleistungskatalogs eine stärkere gesetzliche Konkretisierung der solidarisch finanzierten Leistungen, so dass auch in dieser Hinsicht von einem Systemwechsel zu sprechen ist.
2. Teil: Das Spannungsverhältnis von Haftungsrecht und Sozialrecht
Einleitung 2. Teil Nach der ausführlichen Befassung mit der Frage, inwieweit sich der stetige Kostenanstieg im Gesundheitswesen und die immer knapper werdenden Ressourcen auf sozialversicherungsrechtlichen Versorgungsstandard auswirken und wie mit den daraus erwachsenden Problemen umzugehen ist, gilt die Aufmerksamkeit des zweiten Teils der Arbeit der Frage, welche Auswirkungen sich für die Arzthaftung ergeben. Hierbei handelt es sich um einen überaus wichtigen, von Rechtsprechung und Rechtswissenschaft lange Zeit aber nur mit wenig Aufmerksamkeit bedachten Themenkomplex.1 Im Rahmen der folgenden Ausführungen wird zu untersuchen sein, ob nicht das Wirtschaftlichkeitsgebot des Sozialversicherungsrechts, normiert in § 12 SGB V, in einem Spannungsverhältnis zu den haftungsrechtlichen Anforderungen steht, die das Zivilrecht an die Ärzteschaft stellt. Angesprochen sind hier namentlich die Grundsätze, die für die Haftung wegen eines Behandlungsfehlers entwickelt worden sind und der allgemeine Sorgfaltsmaßstab des § 276 BGB. Darüber hinaus gilt es insgesamt, das Verhältnis zwischen Haftungsund Sozialrecht genauer zu untersuchen, um festzustellen, ob es Situationen geben kann, in denen der Arzt wegen sich widersprechender Anforderungen der verschiedenen Rechtsgebiete schlichtweg nicht rechtmäßig handeln kann. Eine möglicherweise aus den hohen Sorgfaltsanforderungen des Haftungsrechts resultierende Folge könnte in einem übertriebenen Ressourceneinsatz des Arztes bei Diagnostik und Therapie liegen. Aus Angst vor haftungsrechtlichen Konsequenzen trüge der einzelne Arzt auf diese Weise selbst zur Ausgabensteigerung im Gesundheitssystem bei.2
1
Katzenmeier, Arzthaftung, S. 285 Fn. 84, S. 292; ders., in: Laufs/Katzenmeier/Lipp, Arztrecht, X. Rn. 20 Fn. 62; Laufs, in: Berg/Ulsenheimer, Patientensicherheit, Arzthaftung, Praxis- und Krankenhausorganisation, S. 253, 256; Schimmelpfeng-Schütte, MedR 2002, 286, 289. In letzter Zeit mehren sich allerdings die juristischen Abhandlungen zu dem Thema, zu nennen sind: Katzenmeier, in: FS für Müller, S. 237 ff.; ders., Arzthaftung, S. 290 ff.; Müller, in: FS für Hirsch, S. 413 ff.; Arbeitsgemeinschaft Rechtsanwälte im Medizinrecht, Die ärztliche Behandlung im Spannungsfeld zwischen kassenärztlicher Verantwortung und zivilrechtlicher Haftung; Conradi, Verknappung medizinischer Ressourcen und Arzthaftung; Röfer, Zur Berücksichtigung wirtschaftlicher Überlegungen bei der Festlegung arzthaftungsrechtlicher Sorgfaltsanforderungen; Scherer, Stationäre Krankenhausbehandlung im Spannungsverhältnis zwischen Ökonomisierung und Haftungsrecht; A. Schmidt, Wirtschaftliche Erwägungen im Arzthaftungsrecht – eine Bestandsaufnahme; Voß, Kostendruck und Ressourcenknappheit im Arzthaftungsrecht; schon früh auch Goetze, Arzthaftungsrecht und kassenärztliches Wirtschaftlichkeitsgebot. Dass die Problematik mehr und mehr Aufmerksamkeit erfährt, zeigt auch ihre regelmäßige Erwähnung in den Jahresaufsätzen von Laufs und Spickhoff zur Entwicklung des Arzt- bzw. Medizinrechts, vgl. Laufs, NJW 1992, 1529, 1536; 1993, 1497, 1504; 1994, 1562, 1565 f.; 1996, 1571, 1575; 1997, 1609, 1610; 1998, 1750, 1755; 1999; 1758, 1767; 2000, 1757, 1763 f.; Spickhoff, NJW 2002, 1758, 1763 f.; 2003, 1701, 1705; 2004, 1710, 1714; 2008, 1636, 1640. 2 Zum Phänomen der Defensivmedizin vgl. schon 1. Teil Kap. 1 C. III, S. 13 f.
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Einleitung 2. Teil
Um sich auf diesem Problemfeld in angemessener Weise bewegen und sich mit den ergebenden Folgen im Einzelnen auseinander setzen zu können, ist es erforderlich, einige wichtige Vorüberlegungen zu treffen. Daher sollen zunächst in einem ersten Kapitel Grundzüge der zivilen Arzthaftung dargestellt werden, wobei nur die für das zu untersuchende Spannungsverhältnis wesentlichen und für das Grundverständnis der Arzthaftung unverzichtbaren Gesichtspunkte angesprochen werden sollen.3 In einem eigenständigen zweiten Kapitel wird beleuchtet, welchen Sorgfaltsanforderungen Ärzte unterliegen und wie sich Standards herausbilden und festgelegt werden. Das dritte Kapitel widmet sich dem sozialrechtlichen Wirtschaftlichkeitsgebot und seiner Bedeutung im System des SGB V. Schließlich werden im vierten Kapitel beide Bereiche zusammengeführt, auf ein mögliches Spannungsverhältnis hin untersucht, bisherige Äußerungen und der Meinungsstand in der Literatur vorgestellt und nach einer eigenen Bewertung abschließend nach Lösungsmöglichkeiten gesucht.
3
Vertiefende Ausführungen zur Arzthaftung sind insbesondere nachzulesen bei Katzenmeier, Arzthaftung; ders., in: Laufs/Katzenmeier/Lipp, Arztrecht, V. u. X.; ferner bei Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 157 ff. u. 243 ff; Frahm/Nixdorf/Walter, Arzthaftungsrecht; Laufs, in: Laufs/Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, §§ 61 ff. u. §§ 97 ff.; Spickhoff, in: Soergel, BGB, § 823 Anh I; Wagner, in: MüKo-BGB, § 823 K.
1. Kapitel: Relevante Aspekte der zivilrechtlichen Arzthaftung Der Überblick über die relevanten Aspekte der zivilrechtlichen Arzthaftung beginnt mit einer jeweils knappen Darstellung der einzelnen Rechtsgrundlagen (A.). Anschließend gilt die Aufmerksamkeit den beiden haftungsbegründenden ärztlichen Verhaltensweisen Behandlungsfehler und Aufklärungsfehler (B.), wobei Aufklärungspflichten vor allem für Lösungsmöglichkeiten eines Spannungsverhältnisses von Bedeutung sind und daher zunächst nur knapp zur Sprache kommen sollen. Schließlich ist auf Fragen des Verschuldens einzugehen (C.).
A. Rechtsgrundlagen Die zivilrechtliche Arzthaftung hat im deutschen Recht keine einheitliche Regelung gefunden; speziell die Arzthaftung betreffende Vorschriften sind nicht existent.1 Auch im Wege der Schuldrechtsreform des Jahres 2002 wurde das ArztPatienten-Verhältnis nicht geregelt.2 Deshalb bestimmt sich die Verantwortlichkeit für ärztliches Handeln weiterhin nach den allgemeinen Vorschriften des Vertragsund Deliktsrechts.3 Entwickelt wurde die moderne Arzthaftung größtenteils durch die Rechtsprechung.4 Trotz der zweispurigen Arzthaftung finden sich im Vertragsund Deliktsrecht zahlreiche Übereinstimmungen. Die Rechtsprechung ist bemüht, die entscheidenden Fragen in beiden Gebieten weitgehend gleich zu lösen.5 Die sich jeweils ergebenden Anforderungen und Pflichten sind grundsätzlich identisch.6 Wegen der Aufnahme des § 253 Abs. 2 in das Bürgerliche Gesetzbuch und der damit verbundenen Möglichkeit, auch vertraglich Schmerzensgeldansprüche geltend zu machen, sowie aufgrund der Vereinheitlichung der Verjährungsfristen, 1
Katzenmeier, Arzthaftung, S. 76. Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 132; Tamm, Jura 2008, 881, 883. Zum Entwurf einer möglichen Kodifikation des medizinischen Behandlungsvertrages s. das Gutachten Deutsch/Geiger, Medizinischer Behandlungsvertrag, S. 1049 ff.; zu diesem Vorschlag Katzenmeier, Arzthaftung, S. 85 ff., der letztlich zu dem Schluss kommt, dass eine solche Kodifikation nicht dringend geboten ist. 3 D. Giesen, Arzthaftungsrecht, Rn. 2; Laufs, in: Laufs/Katzenmeier/Lipp , Arztrecht, I. Rn. 20. 4 Laufs, in: Laufs/Katzenmeier/Lipp, Arztrecht, I. Rn. 20. 5 Katzenmeier, Arzthaftung, S. 81; Spickhoff, in: Soergel, BGB, § 823 Anh I Rn. 56. 6 BGH, NJW 1989, 767, 768; NJW 1990, 2929, 2930; NJW 1991, 2960, 2960 f.; Bergmann, VersR 1996, 810, 811; Frahm/Nixdorf/Walter, Arzthaftungsrecht, Rn. 75; Gehrlein, Grundriss der Arzthaftpflicht, Rn. B 2; D. Giesen, Arzthaftungsrecht, Rn. 4; Martis/Winkhart, Arzthaftungsrecht, S. 308; Spickhoff, in: Soergel, BGB § 823 Anh I Rn. 56; Spindler, in: Bamberger/Roth, BGB, § 823 Rn. 588; Steffen/Pauge, Arzthaftungsrecht, Rn. 3; Wagner, in: MüKo-BGB, § 823 Rn. 699; Wellner, in: Geigel, Der Haftpflichtprozess, Kap. 14 Rn. 211. 2
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1. Kap.: Relevante Aspekte der zivilrechtlichen Arzthaftung
wurde nach der Schuldrechtsmodernisierung erwartet, dass im Arzthartungsrecht eine Akzentverschiebung vom Vertrags- ins Deliktsrecht stattfinden7 und die ohnehin schon nicht sonderlich große Bedeutung der Unterscheidung beider Bereiche8 weiter abnehmen werde.9 Bis heute ist jedoch keine entsprechende Entwicklung in der Rechtsprechung zu verzeichnen.
I. Vertragsbeziehungen Das Vertragsverhältnis zwischen Arzt und Patient ist bürgerlich-rechtlich ausgestaltet. Das gilt auch dann, soweit bei einem Patienten der GKV die Arzt-PatientBeziehung in ein öffentlich-rechtliches System eingebettet ist.10 Der Behandlungsvertrag ist nach ganz herrschender Meinung als Dienstvertrag gemäß § 611 BGB zu qualifizieren. Der Arzt schuldet keinen Behandlungserfolg, dessen Eintritt er nicht vollständig kontrollieren kann, sondern lediglich ein sorgfältiges Bemühen um Hilfe und Heilung.11 Der Patient kann sich in verschiedene Behandlungsverhältnisse begeben. Zu unterscheiden sind ein unmittelbares Vertragsverhältnis zwischen Arzt und Patient, etwa bei dem Besuch einer Praxis und verschiedene Vertragskonstellationen im Krankenhaus.12 Allen diesen vertraglichen Verhältnissen ist indes gemein, dass im Falle von für den Patienten negativen Störungen § 280 Abs. 1 S. 1 BGB als Anspruchsgrundlage für Schadensersatzfor-
7
Bäune/Dahm, MedR 2004, 645, 652; Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 165; Katzenmeier, VersR 2002, 1066, 1073 f.; Lipp, in: Laufs/Katzenmeier/Lipp, Arztrecht, III. Rn. 56; Spindler/Riekers, JuS 2004, 272, 278; Tamm, Jura 2008, 881, 882. Eike Schmidt, MedR 2007, 693, 702, hat sich jüngst dafür ausgesprochen, den Bereich der Behandlungsfehlerhaftung alleine über das Vertragsrecht abzuwickeln. Dazu kritisch die Erwiderung von Gödicke MedR 2008, 405, 407. 8 Hierzu Katzenmeier, Arzthaftung, S. 82 f. 9 Frahm/Nixdorf/Walter, Arzthaftungsrecht, Rn. 2; Tamm, Jura 2008, 881, 882. 10 BGHZ 142, 126, 130 ff.; Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 79; Katzenmeier, Arzthaftung, S. 96 ff.; Lipp, in: Laufs/Katzenmeier/Lipp, Arztrecht, III. Rn. 1; Martis/Winkhart, Arzthaftungsrecht, S. 71; Spickhoff, in: Soergel, BGB, § 823 Anh I Rn. 9, 31; Spindler, in: Bamberger/Roth, BGB, § 823 Rn. 586; Steffen/Pauge, Arzthaftungsrecht, Rn. 6; Uhlenbruck/Laufs, in: Laufs/Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, § 40 Rn. 31; zur abweichenden Ansicht im Sozialrecht vgl. Katzenmeier, a.a.O., S. 95 f. m.w.N. 11 BGH, NJW 1991, 1540, 1541; Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 108; Lipp, in: Laufs/Ketzenmeier/Lipp, Arztrecht, III. Rn. 26; Martis/Winkhart, Arzthaftungsrecht, S. 307 f.; Uhlenbruck/Laufs, in: Laufs/Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, § 39 Rn. 10; Spickhoff, in: Soergel, BGB, § 823 Anh I Rn. 8; Steffen/Pauge, Arzthaftungsrecht, Rn. 129; Tamm, Jura 2008, 881, 883; Wagner, in: MüKo-BGB, § 823 Rn. 699. Zur mehrheitlichen Auffassung im Sozialrecht, nach der zwischen Arzt und Kassenpatient keine Vertragsbeziehung besteht, vgl. Katzenmeier, Arzthaftung, S. 95 f. m.w.N. 12 Vgl. zu diesen Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 82 ff.; Frahm/Nixdorf/Walter, Arzthaftungsrecht, Rn. 23 ff.; Genzel, in: Laufs/Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, § 93 Rn. 1 ff.; Hart, Jura 2000, 14, 17 f.; Katzenmeier, Arzthaftung, S. 105 ff.; Lipp, in: Laufs/Katzenmeier/Lipp, Arztrecht, III. Rn. 8 ff.
A. Rechtsgrundlagen
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derungen dient.13 Die Anwendbarkeit des § 280 Abs. 1 S. 2 BGB, nach dem das Vertretenmüssen der Pflichtverletzung seitens des Schuldners vermutet wird, ist im Arzthaftungsrecht umstritten. Auch wenn man eine solche Beweislastumkehr für auf das Arzthaftungsrecht anwendbar erklärt,14 hat diese Veränderung gegenüber der alten Rechtslage kaum Bedeutung. In der Rechtsprechung ist es bisher praktisch kaum vorgekommen, dass ein Gericht einen Behandlungsfehler festgestellt, ein Verschulden des Arztes aber als nicht bewiesen angesehen hat.15 Ausweislich einer statistischen Untersuchung beschränken sich Arzthaftungsstreitigkeiten überwiegend darauf, ob ein objektiver Fehler vorliegt. Der Anteil der Fälle, in denen einzig strittig ist, ob der objektive Fehler vom Arzt auch subjektiv zu vertreten ist, liegt unterhalb von einem Prozent.16
II. Deliktsrecht Neben die vertragliche Beziehung zwischen Arzt und Patient kann im Schadensfalle zugleich auch gesetzliches Schuldverhältnis treten. Der Arzt haftet seinem
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Tamm, Jura 2008, 881, 884. So Bäune/Dahm, MedR 2004, 645, 652; Brudermüller, in: FS für Derleder, S. 3, 21 ff.; Ernst, in: MüKo-BGB, § 280 Rn. 158; Grüneberg, in: Palandt, BGB, § 280 Rn. 42; Katzenmeier, VersR 2002, 1066, 1068 f.; Schmidt-Kessel, in: Prütting/Wegen/Weinreich, BGB, § 280 Rn. 21; Spickhoff, NJW 2002, 2530, 2532 Fn. 21, 2535 ff.; ders., NJW 2003, 1701, 1705; Spindler/Riekers, JuS 2004, 272, 274; Stadler, in: Jauernig, BGB, § 280 Rn. 27; Tamm, Jura 2008, 881, 888; Zieglmeier, JuS 2007, 701, 704; a.A. Rehborn, MDR 2002, 1281, 1287 f.; Medicus, Schuldrecht I (17. Aufl.), Rn. 420; Wagner, in: DaunerLieb/Konzen/K. Schmidt, Das neue Schuldrecht in der Praxis, S. 203, 220 f.; Weidinger, VersR 2004, 35, 37; kritisch auch E. Schmidt, MedR 2007, 693, 697. 15 Grüneberg, in: Palandt, BGB, § 280 Rn. 42, ähnlich Rehborn, MDR 2004, 1281, 1288. Vielmehr schließt die Rechtsprechung von der Außerachtlassung der „äußeren Sorgfalt“ (einen Behandlungsfehler begründende Standardunterschreitung) auf die Verletzung der „äußeren Sorgfalt“ (zu diesem Begriffspaar s. auch 2. Teil Kap. 1 C. II. 1., S. 169), vgl. Katzenmeier, VersR 2002, 1066, 1069 mit Nachw. aus der Rspr.; s. auch Brudermüller, in: FS für Derleder, S. 3, 25; Hart, MedR 2003, 603, 608; für Bäune/Dahm, MedR 2004, 645, 653, ist es kaum denkbar, eine ärztliche Vertragspflichtverletzung in Form eines Behandlungsfehlers anzunehmen, das Verschulden des Arztes aber zu verneinen. Ebenso konstatiert Taupitz, in: Arbeitsgemeinschaft Rechtsanwälte im Medizinrecht, Dokumentation und Leitlinienkonkurrenz – die Verschriftlichung der Medizin, S. 101, 107: „Anders als im Strafrecht, wo der Sorgfaltsmaßstab individuell-subjektiv ausgerichtet ist, gibt es im Arzthaftungsprozess praktisch keinen schuldlos begangenen Behandlungsfehler.“ Zu der Frage, ob es im Arzthaftungsrecht überhaupt noch einer Unterscheidung zwischen Behandlungsfehler und Verschulden bedarf, vgl. 2. Teil Kap. 1 C. II., S. 169 ff. 16 Stolz, VersR 1978, 797, 798.; s. auch Martis/Winkhart, Arzthaftungsrecht, S. 385; Tamm, Jura 2008, 881, 889. 14
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1. Kap.: Relevante Aspekte der zivilrechtlichen Arzthaftung
Patienten gegenüber dann nach den allgemeinen Regeln des Deliktsrechts.17 Die zentrale Norm für Schadensersatzansprüche ist § 823 Abs. 1 BGB. Erfährt der Patient eine Behandlung durch einen beamteten Krankenhausarzt, so ist danach zu differenzieren, ob die Behandlung ambulant oder stationär erfolgte. Bei stationärer Behandlung haftet der beamtete Arzt deliktisch nur nach § 839 BGB, da er aus seiner beamtenrechtlichen Dienststellung heraus tätig wird. Die stationäre Behandlung ist eng mit der Institution des Krankenhauses verbunden, so dass das ärztliche Handeln insgesamt als ein „amtliches“ Handeln, also als ein solches „für den Krankenhausträger“ angesehen werden kann.18 Auch dann, wenn er selbst liquidationsberechtigt ist, kann er sich auf das Verweisungsprivileg des § 839 Abs. 1 S. 2 BGB berufen19 und den Geschädigten auf seine Ersatzansprüche gegen den Krankenhausträger gemäß §§ 31, 89, 823, 831, 611, 280 BGB verweisen.20 Eine Befreiungsmöglichkeit von parallel existierenden vertraglichen Ansprüchen besteht nicht.21 Allerdings übt der beamtete Krankenhausarzt keine Hoheitsgewalt aus, so dass die Überleitungsvorschrift des Art. 34 GG nicht eingreift.22 Das Staatshaftungsrecht kommt aber immer dann zum Tragen, wenn etwa ein Amts- oder Schularzt, ein Polizei- oder Truppenarzt auf der Behandlungsseite tätig wird.23 Bei der ambulanten Behandlung richtet sich die deliktische Verantwortlichkeit auch für den beamteten Krankenhausarzt nach § 823 Abs. 1 BGB, weil der Patient nur in rechtliche Beziehungen zu dem behandelnden Arzt tritt, der insoweit nicht „für den Krankenhausträger tätig wird“.24
17
Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 162; Katzenmeier, Arzthaftung, S. 79 f.; Laufs, in: Laufs/Uhlenbruck, § 97 Rn. 9; Spindler, in: Bamberger/Roth, BGB, § 823 Rn. 586; Steffen/Pauge, Arzthaftungsrecht, Rn. 1; Wagner, in: MüKo-BGB, § 823 Rn. 699. 18 Papier, in: MüKo-BGB, § 839 Rn. 166. 19 BGHZ 85, 393, 395 ff.; 89, 263, 274; 120, 376, 380 f.; BGH, VersR 1968, 1206; VersR 1991, 779; Katzenmeier, Arzthaftung, S. 143 f. mit Nachweisen vereinzelt kritischer Stimmen in Fn. 443; Papier, in: MüKo-BGB, § 839 Rn. 166. 20 BGHZ 85, 393, 395 f.; 95, 63, 67; 121, 109, 115; Wagner, in: MüKo-BGB, § 823 Rn. 707. 21 BGHZ 121, 107, 115; BGH, NJW 1988, 2946; Geiß/Greiner, Arzthaftpflichtrecht, Rn. A 75; Gehrlein, Grundriss der Arzthaftpflicht, Rn. A 52; Katzenmeier, Arzthaftung, S. 143; ders., in: Laufs/Katzenmeier/Lipp, Arztrecht, XI. Rn. 39; Sprau, in: Palandt, BGB, § 839 Rn. 55; Steffen/Pauge, Arzthaftungsrecht, Rn. 108. 22 BGHZ 59, 303, 313; 62, 265, 270; Katzenmeier, Arzthaftung, S. 144 f.; Laufs, in: Laufs/Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, § 105 Rn. 1, 11; Wagner, in: MüKo-BGB, § 823 Rn. 709. 23 Frahm/Nixdorf/Walter, Arzthaftungsrecht, Rn. 4; Geiß/Greiner, Arzthaftpflichtrecht, Rn. A 88 f. mit zahlreichen Nachw. aus der Rspr.; Katzenmeier, Arzthaftung, S. 145; Sprau, in: Palandt, BGB, § 839 Rn. 94 ff.; Steffen/Pauge, Arzthaftungsrecht, Rn. 6. 24 BGHZ 120, 376, 381 ff.; Katzenmeier, Arzthaftung, S. 144; Papier, in: MüKo-BGB, § 839 Rn. 167. Vgl. auch Sprau, in: Palandt, BGB, § 839 Rn. 93.
B. Haftungsgründe
163
B. Haftungsgründe I. Grundsatz: Therapiefreiheit Für den Arzt besteht „ein wissenschaftlich-ärztlich gebundener Spielraum bei der Behandlung der Patienten“.25 Dieser ist Ausfluss der nicht nur einfachgesetzlich (§ 1 Abs. 2 BÄO) und kammersatzungsrechtlich (§ 2 Abs. 1 MBO-Ä 1997), sondern auch durch die Verfassung (Art. 12 GG) gewährleisteten Therapiefreiheit,26 welche drei Elemente umfasst: Zum einen hat der Arzt darüber zu befinden, ob überhaupt eine Behandlung stattfinden soll. Weiterhin darf kein Arzt zu einer seinem Gewissen widersprechenden Methode oder zu einer bestimmten Arzneimitteltherapie gezwungen werden. Schließlich bleibt es drittens stets seine Aufgabe, die ihm geeignet erscheinende diagnostische oder therapeutische Methode auszuwählen.27 Die Therapiefreiheit – von Laufs als „Kernstück der ärztlichen Profession“ bezeichnet28 – erlaubt es dem Arzt, unabhängig von der Fessel normierender Vorschriften, nach pflichtgemäßem und gewissenhaftem Ermessen im Einzelfall mit seinen Eigenheiten diejenige medizinische Maßnahmen zu wählen, die nach seiner Überzeugung unter den gegebenen Umständen den größtmöglichen Nutzen für seinen Patienten erwarten lassen.29 Die Therapiefreiheit ist daher nicht als ein Privileg des Arztes, sondern vielmehr als ein fremdnütziges Recht zu verstehen.30 Deshalb gehört zur Freiheit der Methodenwahl auch als unausweichliches Korrelat die Verbindlichkeit von Sorgfaltspflichten, welche die Verfahrensqualität gewährleisten.31 Damit erfährt die Therapiefreiheit nicht nur durch das Recht der gesetzlichen Krankenversicherung,32 sondern auch durch die zivilrechtlichen Haf25
Deutsch, VersR 1998, 261, 262. BVerfGE 102, 26; Laufs, ZaeFQ 1997, 586, 587 f.; ders., in: FS für Deutsch, S. 625; ders., in: Laufs/Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, § 2 Rn. 8; Zuck, NJW 1991, 2933. 27 Katzenmeier, Arzthaftung, S. 305; ders., in: Laufs/Katzenmeier/Lipp, Arztrecht, X. Rn. 62; Laufs, ZaeFQ 1997, 586; ders., in: Laufs/Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, § 3 Rn. 13; Tomassone/Wöffen, StudZR 2005, 61, 62; Zuck, NJW 1991, 2933. 28 Laufs, in: Laufs/Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, § 3 Rn. 13; s. auch ders., NJW 1997, 1609; ders., NJW 2000, 1757, 1758. 29 Buchborn, in: Kleinsorge/Hirsch/Weißauer, Forschung am Menschen, S. 19; Katzenmeier, Arzthaftung, S. 308 f.; ders., in: Laufs/Katzenmeier/Lipp, Arztrecht, X. Rn. 69: Laufs, NJW 1997, 1609; ders., in: FS für Deutsch, S. 625, 626. 30 Buchborn, in: Kleinsorge/Hirsch/Weißauer, Forschung am Menschen, S. 19; Katzenmeier, Arzthaftung, S. 308; ders., in: Laufs/Katzenmeier/Lipp, Arztrecht, X. Rn. 70; Künschner, Wirtschaftlicher Behandlungsverzicht und Patientenauswahl, S. 220; Laufs, in: FS für Deutsch, S. 625, 626; ders., NJW 2000, 1757, 1758; ders., in: Laufs/Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, § 3 Rn. 13. 31 Katzenmeier, Arzthaftung, S. 309; ders., in: Laufs/Katzenmeier/Lipp, Arztrecht, X. Rn. 70; Laufs, in: FS für Deutsch, S. 625, 626; s. auch ders., NJW 1997, 1609; Tomassone/Wöffen, StudZR 2005, 61, 64. 32 Sodan/Schlüter, NZS 2007, 455, 459. Im Rahmen dieser Untersuchung sind bereits etwa die Bonus-Malus-Regelung bei der Verordnung von Arzneimitteln und der Verbot mit 26
164
1. Kap.: Relevante Aspekte der zivilrechtlichen Arzthaftung
tungsvorgaben eine Einschränkung.33 Im Folgenden gilt daher die Aufmerksamkeit den haftungsrechtlichen Anforderungen:
II. Einschränkung: Haftungsrecht Sowohl im Vertrags- als auch im Deliktsrecht bedarf es zur Auslösung der Haftung des Arztes eines Haftungsgrundes. Anknüpfungspunkte für eine Einstandspflicht sind Behandlungsfehler und Aufklärungsfehler. Missachtet der Arzt eine seiner Pflichten, so ist er dem Grunde nach zum Ersatz des daraus entstandenen Schadens nach den bereits genannten Anspruchsgrundlagen verpflichtet. 1. Behandlungsfehler Erster Haftungsgrund der Arzthaftung ist der ärztliche Behandlungsfehler.34 Die Verpflichtung des Arztes ist es, seinen Patienten „nach den Regeln der Medizin gewissenhaft zu behandeln und zu versorgen“;35 ihm also eine gute Behandlung zukommen zu lassen.36 Führt der Arzt die ihm möglichen und zumutbaren Maßnahmen nicht oder nur unzureichend durch, so liegt ein Behandlungsfehler vor.37 Im umfassenden Sinne bezeichnet der Begriff des Behandlungsfehlers das nach dem Stande der Medizin unsachgemäße und schädigende Verhalten des Arztes.38 Dabei sind verschiedene Verhaltensformen denkbar: Ein Tun, ein Unterlassen, die Vornahme einer nicht indizierten oder die Nichtvornahme eines gebotenen Eingriffs, eine Fehlmaßnahme und unrichtige Dispositionen des Arztes vor, bei und nach einer Behandlungsmaßnahme (Operation, Medikation etc.).39 Haftungsauslösende Behandlungsfehler sind dabei nicht nur die „klassischen“ Fehler bei der Behandlung selbst, sondern auch Fehler im Behandlungsumfeld.40 Die Literatur
Erlaubnisvorbehalt für neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden thematisiert worden. Später wird auf das Wirtschaftlichkeitsgebot in § 12 SGB V als weitere Begrenzung eingegangen. 33 Frahm, GesR 2005, 529; Laufs, ZaeFQ 1997, 586, 588; Tomassone/Wöffen, StudZR 2005, 61, 64. 34 Spickhoff, NJW 2004, 1710, 1714. 35 OLG Düsseldorf, MedR 1986, 197, 199; Spickhoff, in: Soergel, BGB, § 823 Anh I Rn. 55. 36 Hart, Jura 2000, 64. 37 Kern, NJW 1996, 1561. 38 Katzenmeier, Arzthaftung, S. 276; ders., in: Laufs/Katzenmeier/Lipp, Arztrecht, X. Rn. 3. 39 D. Giesen, Arzthaftungsrecht, Rn. 99; Katzenmeier, Arzthaftung, S. 276; ders., in: Laufs/Katzenmeier/Lipp, Arztrecht, X. Rn. 3; Kern, NJW 1996, 1561; ders., in: Laufs/Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, § 99 Rn. 5. 40 D. Giesen, Arzthaftungsrecht, Rn. 100 mit einigen Beispielen; Katzenmeier, Arzthaftung, S. 276; ders., in: Laufs/Katzenmeier/Lipp, Arztrecht, X. Rn. 3.
B. Haftungsgründe
165
setzt sich mit dem Behandlungsfehler im Wege einer Fallgruppenbildung auseinander, die einzelne medizinische Fehlleistungen sortiert.41 Um festzustellen, ob im konkreten Fall ein Behandlungsfehler vorliegt, sind die nach den Regeln der Medizin geforderten und tatsächlich durchgeführten Maßnahmen zu vergleichen.42 Maßstab dieser Betrachtung ist der medizinische Standard,43 welchem somit entscheidende Bedeutung in Arzthaftungsfragen zukommt. Hat der Arzt dasjenige geleistet, was von ihm nach Maßgabe dieses Standards gefordert wurde, so kann ihm kein Behandlungsfehlervorwurf gemacht werden. Umgekehrt begründet ein nicht dem medizinischen Standard entsprechendes Verhalten die haftungsrechtliche Verantwortung des Arztes in Form eines Behandlungsfehlers, ganz gleich, ob man ein derartiges Verhalten nun als einen Verstoß gegen den medizinischen Standard,44 als eine Abweichung von diesem,45 als seine Außerachtlassung46 oder aber als seine Verletzung47 bezeichnet. Etwas anderes gilt nur dann, wenn die Behandlungsseite ausreichende Befundtatsachen darlegen und beweisen kann, die eine Abweichung vom Standard gestattet.48 Ist (noch) kein Standard existent, bestimmt sich das Vorliegen eines Behandlungsfehlers anhand der konkreten Behandlungssituation nach den gegebenen Möglichkeiten eines Eingriffs, wobei die körperliche Integrität des Patienten so weit wie möglich zu schonen ist.49
41
Vgl. Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 146 ff.; Frahm/Nixdorf/Walter, Arzthaftungsrecht, Rn. 90 ff.; Geiß/Greiner, Arzthaftpflichtrecht, Rn. B 10 ff.; Kern, in: Laufs/Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, § 154 ff.; Laufs, in: Laufs/Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, § 100; Martis/Winkhart, Arzthaftungsrecht, S. 321 ff.; Spindler, in: Bamberger/Roth, BGB, § 823 Rn. 659 ff; Tamm, Jura 2008, 881, 885 f. 42 Katzenmeier, Arzthaftung, S. 277; ders., in: Laufs/Katzenmeier/Lipp, Arztrecht, X. Rn. 4. 43 Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 160; Hart, Jura 2000, 64; Katzenmeier, Arzthaftung, S. 277 f.; ders., in: Laufs/Katzenmeier/Lipp, Arztrecht, X. Rn. 5; Kern, MedR 2004, 300, 301; Spickhoff, in: Soergel, BGB, § 823 Anh I Rn. 56. 44 BGHZ 107, 222, 225 f.; OLG Frankfurt, VersR 2005, 347; OLG Köln, MedR 2008, 46 Martis/Winkhart, Arzthaftungsrecht, S. 308 45 BGH, Beschl. v. 9.6.2009 – VI ZR 138/09 Rn. 3; Hart, in: Hart, Ärztliche Leitlinien im Medizin- und Gesundheitswesen, S. 97; Kern, MedR 2004, 300, 301; Spickhoff, in: Soergel, BGB, § 823 Anh I Rn. 57. 46 Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 160; Koyuncu, in: Rosenau/Hakeri, Der medizinische Behandlungsfehler, S. 11, 13 ders., AZR 2007, 69, 70. 47 Hart, Jura 2000, 64. 48 BGH, NJW 1999, 1778, 1779; OLG Brandenburg, Urt. v. 29.5.2008 – 12 U 81/06 Rn. 24, insoweit nicht abgedruckt in RDG 2009, 84; Geiß/Greiner, Arzthaftpflichtrecht, Rn. B 200; 49 Katzenmeier, Arzthaftung, S. 279 f.; ders., in: Laufs/Katzenmeier/Lipp, Arztrecht, X. Rn. 8; Schreiber, in: Nagel/Ch. Fuchs, Standards und Leitlinien im Gesundheitswesen, S. 167, 170.
166
1. Kap.: Relevante Aspekte der zivilrechtlichen Arzthaftung
2. Aufklärungsfehler Neben dem Behandlungsfehler kommen ferner die Verletzung einer Aufklärungspflicht und der aus ihr resultierende Aufklärungsfehler als Haftungsgrund in Betracht. Ärztliche Aufklärungspflichten bestehen in unterschiedlichen Ausgestaltungen, die es zu differenzieren gilt. Von zentraler Bedeutung im Arzthaftungsrecht ist die Selbstbestimmungsaufklärung. Da die Rechtsprechung einen vom Heilungswillen getragenen, medizinisch indizierten und kunstgerecht durchgeführten Heileingriff des Arztes seit mehr als 100 Jahren als tatbestandliche Körperverletzung einstuft,50 bedarf ein solcher Eingriff zu seiner Rechtfertigung einer wirksamen Einwilligung seitens des Patienten. Wirksam einwilligen kann dieser aber nur dann, wenn er weiß, worin er einwilligt („informed consent“),51 so dass jeder wirksamen Einwilligung eine ärztliche Selbstbestimmungsaufklärung vorauszugehen hat.52 Für mögliche Spannungen zwischen dem zivilen Arzthaftungsrecht und dem Wirtschaftlichkeitsgebot des Sozialversicherungsrechts hat diese Form der Aufklärung keine grundsätzliche Bedeutung.53 Wichtig wird aber eine spezielle Ausprägung der Selbstbestimmungsaufklärung, namentlich die Aufklärung über Behandlungsalternativen. Die Wahl der richtigen Behandlungsmethode ist primär Sache des Arztes.54 Sind aber mit mehreren Behandlungsmethoden unterschiedliche Belastungen, Risiken und Erfolgsaussichten verbunden, so ist der Patient aus Selbstbestimmungsgesichtspunkten heraus über die Behandlungsalternativen zu informieren.55 Gänzlich ohne Belang für das Thema ist die Pflicht zur therapeuti-
50 Erstmalig RGSt 25, 375; BGHZ 29, 46, 49; BGH, NJW 1989, 1533, 1534 f.; dieser Rechtsprechung ist im Schrifttum mit zum Teil scharfer Kritik begegnet worden, sie hat aber in der zivilrechtlichen Literatur auch Fürsprecher gefunden, vgl. die Nachweise bei Katzenmeier, Arzthaftung, S. 114 Fn. 232. 51 D. Giesen, Arzthaftungsrecht Rn. 204; Katzenmeier, Arzthaftung, S. 324; ders., in: Laufs/Katzenmeier/Lipp, Arztrecht, V. Rn. 5; Steffen/Pauge, Arzthaftungsrecht, Rn. 321; Wellner, in: Geigel, Der Haftpflichtprozess, Kap. 14 Rn. 214. 52 D. Giesen, Arzthaftungsrecht, Rn. 201; Katzenmeier, Arzthaftung S. 324; ders., in: Laufs/Katzenmeier/Lipp, Arztrecht, V. Rn. 5; Laufs, in: Laufs/Uhlen-bruck, Handbuch des Arztrechts, § 63 Rn. 1; Wagner, in: MüKo-BGB, § 823 Rn. 771. 53 Auf die Darstellung weiterer Einzelheiten wird hier daher verzichtet. Zur vertiefenden Auseinandersetzung mit der Selbstbestimmungsaufklärung sei etwa verwiesen auf Frahm/Nixorf, Arzthaftungsrecht, Rn. 167 ff.; Geiß/Greiner, Arzthaftpflichtrecht, Rn. C 4 ff.; Hart, Jura 2000, 64, 66; Katzenmeier, Arzthaftung, S. 322 ff.; ders., in: Laufs/Katzenmeier/Lipp, Arztrecht, V.; Laufs, in: Laufs/Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, § 63; Marits/Winkhart, Arzthaftungsrecht, S. 86 ff. 54 BGHZ 106, 153, 157; BGH, NJW 1982, 2121, 2122; NJW 1988, 1514, 1515; MedR 2005, 599, 600; Gehrlein, Grundriss der Arzthaftpflicht, Rn. C 31; Geiß/Greiner, Arzthaftpflichtrecht, Rn. C 22; Steffen/Pauge, Arzthaftungsrecht, Rn. 375 m.w.N. aus der Rspr.; zur Therapiefreiheit des Arztes s. auch 2. Teil Kap. 1 B. I., 163 f. 55 BGHZ 102, 17, 22; 106, 153, 157; 168, 103, 108; BGH, NJW 1982, 2121, 2122; Gehrlein, Grundriss der Arzthaftpflicht, Rn. C 30; Geiß/Greiner, Arzthaftpflichtrecht, Rn. C 23; Katzenmeier, Arzthaftung, S. 331 f.; ders., in: Laufs/Katzenmeier/Lipp, Arztrecht, V.
C. Verschulden
167
schen Aufklärung (auch: Sicherungsaufklärung), die als Nebenpflicht aus dem Behandlungsvertrag zur Sicherung des Behandlungserfolges und zur Vermeidung von Folgekrankheiten dient. Kommt der Arzt dieser speziellen Aufklärungspflicht nicht nach, so stellt dies einen Behandlungsfehler dar.56 Anders verhält es sich mit der ebenfalls rein vertragsrechtlichen Pflicht, den Patienten über wirtschaftliche Aspekte der Behandlung aufzuklären (so genannte wirtschaftliche Aufklärungspflicht). Der Arzt hat darüber zu informieren, inwieweit die Krankenkasse, Privatversicherung oder die Beihilfe die Kosten einer Behandlung übernimmt.57 Die wirtschaftliche Aufklärungspflicht ist aber nur insoweit anzuerkennen, als der Arzt über einen Informationsvorsprung verfügt, insbesondere die Finanzierungslücke kannte oder hätte erkennen können.58 Auf die wirtschaftliche Aufklärungspflicht wird – in einer Kombination mit der Aufklärung über Behandlungsalternativen – zurückzukommen sein, wenn es darum geht, Lösungsmöglichkeiten für ein Spannungsverhältnis von Haftungs- und Sozialrecht aufzuzeigen.
C. Verschulden Will der geschädigte Patient erfolgreich Schadensersatzansprüche gegen den Arzt geltend machen, ist schließlich auch das Vorliegen eines Verschuldens vonnöten, denn die Arzthaftung ist eine Verschuldenshaftung.59
I. Verschuldensmaßstab des § 276 BGB Den Verschuldensmaßstab für das gesamte zivile Arzthaftungsrecht bildet § 276 BGB; der Arzt hat also Vorsatz und Fahrlässigkeit zu verantworten. Fälle vorsätzlichen Falschbehandelns bilden die absolute Ausnahme.60 Gemäß § 276 Abs. 2 BGB handelt fahrlässig, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt missachtet.
Rn. 26; Martis/Winkhart, Arzthaftungsrecht, S. 155; Steffen/Pauge, Arzthaftungsrecht, Rn. 381. 56 BGHZ 126, 368, 388; 144, 1, 11; OLG Hamm, VersR 2002, 1562, 1563; Katzenmeier, Arzthaftung, S. 326 f.; ders., in: Laufs/Katzenmeier/Lipp, Arztrecht, X. Rn. 16; Martis/Winkhart, Arzthaftungsrecht, S. 611; Spickhoff, in: Soergel, BGB § 823 Anh I Rn. 129; Steffen/Pauge, Arzthaftungsrecht, Rn. 325; Wagner, in: MüKo-BGB, § 823 Rn. 764; Wellner, in: Geigel: Der Haftpflichtprozess, Kap. 14. Rn. 215. 57 BGH NJW 1983, 2630, 2631; BGH NJW 2000, 3429, 2931; Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht Rn. 212; Spickhoff, in: Soergel, BGB § 823 Anh I Rn. 131; Steffen/Pauge, Arzthaftungsrecht, Rn. 328a; Wagner, in MüKo-BGB, § 823 Rn. 770; Wellner, in: Geigel, Der Haftpflichtprozess, Kap.14 Rn. 215; ausführlich zur wirtschaftlichen Aufklärungspflicht Schelling, MedR 2004, 422. 58 Wagner, in MüKo-BGB, § 823 Rn. 770. 59 Deutsch, JZ 2002, 588; Katzenmeier, Arzthaftung, S. 185 f.; Laufs, in: Laufs/Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, § 3 Rn. 21 f., § 97 Rn. 4. 60 Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 184, 186.
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1. Kap.: Relevante Aspekte der zivilrechtlichen Arzthaftung
Wann einen Arzt der Fahrlässigkeitsvorwurf trifft, hängt also davon ab, was er zu leisten verpflichtet ist, um die im Verkehr erforderliche Sorgfalt beachtet zu haben. Er muss diejenigen Maßnahmen ergreifen, die von einem gewissenhaften und aufmerksamen Arzt aus berufsfachlicher Sicht seines Fachbereichs vorausgesetzt und erwartet werden.61 Den Sorgfaltsmaßstab ärztlichen Handelns bestimmen die Gerichte jedoch nicht selbst, vielmehr überziehen sich die medizinischen Fachgebiete im Zuge ihres Fortschreitens, ihrer Professionalisierung und Spezialisierung selbst mit einem zunehmend engeren und angespannteren Netzwerk von Sorgfaltsregeln. Diese durch die medizinische Wissenschaft selbst geschaffenen, immer anspruchsvolleren Maßgaben bezeichnen für die Gericht die nach § 276 BGB gebotene Sorgfalt.62 Was rechtlich erforderlich ist, bestimmt sich folglich – wie auch im Bereich des Behandlungsfehlers – danach, was die Medizin für geboten hält,63 bemisst sich also auch hier nach dem medizinischen Standard.64 Der Sorgfaltsmaßstab ist demnach auch im Arzthaftungsrecht ein objektivtypisierter;65 er ist unabhängig von den individuellen Gegebenheiten zu bestim61
BGHZ 144, 296, 305 f.; BGH, NJW 1995, 776, 777; 1999, 1778, 1779; Frahm, GesR 2005, 529, 530; Gehrlein, Grundriss der Arzthaftpflicht, Rn. B 9; Spindler, in: Bamberger/Roth, BGB, § 823 Rn. 591. 62 Katzenmeier, Arzthaftung, S. 190; Laufs, in: Laufs/Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, § 99 Rn. 4; ders., Arztrecht, Rn. 471; vgl. auch Gehrlein, Grundriss der Arzthaftpflicht, Rn. B 9: „Die Anknüpfung an medizinische Maßstäbe birgt im Blick auf den stetigen medizinischen Fortschritt immer höhere Anforderungen an den Arzt.“ 63 BGH, NJW 1995, 776; Steffen, MedR 1995, 190; s. auch Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 184: „Es entscheidet also nicht der juristische, sondern der medizinische Maßstab“; Katzenmeier, Arzthaftung, S. 281: „Wenn es sich auch bei Behandlungsfehler und verkehrserforderlicher Sorgfalt um juristische Begriffe handelt, muß das Recht doch bei deren Beurteilung von den medizinischen Möglichkeiten ausgehen“; ders., in: Laufs/Katzenmeier/Lipp, Arztrecht, X. Rn. 13; Müller, in: FS für Hirsch, S. 413, 414: „Ausschlaggebend für die Anforderungen an den Sorgfaltsmaßstab sind mithin primär die Maßstäbe der Medizin“; Uhlenbruck, ArztR 1989, 233, 238: „Die hierfür anzusetzenden Maßstäbe sind ausschließlich medizinische“; anders D. Giesen, Arzthaftungsrecht, Rn. 107 f.: „Die Begriffe des Behandlungsfehlers und der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt sind damit in erster Linie juristische Maßstäbe, für die die medizinischen Sorgfaltskategorien nur Ausgangspunkte liefern“. 64 Conradi, Verknappung medizinischer Ressourcen und Arzthaftung, S. 63; Gehrlein, Grundriss der Arzthaftpflicht, Rn. 9; Groß, VersR 1996, 657, 663; Laufs, NJW 1990, 1505, 1506; ders., NJW 1998, 1750, 1755; ders., in: Laufs/Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, § 3 Rn. 16; § 61 Rn.12; Müller, in: FS für Hirsch, S. 413, 415; Spindler, in: Bamberger/Roth, BGB, § 823 Rn. 588; Steffen/Pauge, Arzthaftungsrecht, Rn. 134; Taupitz, in: Arbeitsgemeinschaft Rechtsanwälte im Medizinrecht, Dokumentation und Leitlinienkonkurrenz – die Verschriftlichung der Medizin, S. 101, 107; Uhlenbruck, ArztR 1989, 233, 238. Für den Fall, dass noch kein Standard existiert, gilt hier für die Ermittlung der dann gebotenen Sorgfalt das für den Behandlungsfehler Gesagte, vgl. 2. Teil Kap. 1 B. II. 1., S. 165. 65 BGHZ 113, 297, 303; BGH, NJW 2001, 1786; NJW 2003, 2311, 2313; Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 210; Frahm/Nixdorf/Walter, Arzthaftungsrecht, Rn. 77; Gehrlein, Grundriss der Arzthaftpflicht, Rn. B 9; Geiß/Greiner, Arzthaftpflichtrecht, Rn. B 2; D. Giesen, Arzthaftungsrecht, Rn. 72; Jansen, in: Rieger/Dahm/Steinhilper,
C. Verschulden
169
men.66 Differenzierungen werden allerdings unter dem Gesichtspunkt der Gruppenfahrlässigkeit je nach Verkehrskreis vorgenommen.67 Auf sie ist im nächsten Kapitel zurückzukommen.68
II. Behandlungsfehler und Verschulden Der Umstand, dass sowohl bei der Feststellung, ob ein Behandlungsfehler vorliegt als auch im Rahmen des Verschuldens jeweils der medizinische Standard als objektiver Bewertungsmaßstab fungiert, wirft die Frage auf, inwieweit im Arzthaftungsrecht überhaupt noch zwischen Behandlungsfehler und Fahrlässigkeit zu unterscheiden ist. 1. Aufrechterhalten der Unterscheidung Trotz dieser Gemeinsamkeiten wird für die Aufrechterhaltung der Unterscheidung zwischen Fahrlässigkeit und objektiver Pflichtverletzung plädiert. Namentlich Katzenmeier69 erkennt zwar an, dass die „hergebrachte Trennung von objektivem Fehlverhalten und Verschulden bei der Arzthaftung bisweilen schwierig“ ist. Die Unterscheidung zwischen Rechtswidrigkeit und Verschulden bedeute jedoch „einen Gewinn an Rechtsdogmatik, der nicht wegen seiner geringen praktischen Relevanz preisgegeben werden sollte“; sie ermögliche „zwei logisch und teleologisch voneinander unabhängige rechtliche Bewertungen auf verschiedenen Ebenen, jeweils unter Anlegung eines speziellen Wertungsmaßstabes“. Das Urteil, eine Tat sei rechtswidrig, betreffe ausschließlich die Tat als solche, schließe aber noch keinen Vorwurf gegen den Handelnden ein. Unter Nennung der Bezeichnungen „äußere“ und „innere Sorgfalt“70 für die beiden zu unterscheidenden Ebenen, HK-AKM, 750 Rn. 2; Katzenmeier, Arzthaftung, S. 166; Laufs, in: Laufs/Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, § 99 Rn. 11; Tamm, Jura 2008, 881, 888. 66 BGH, NJW 2003, 2311; Geiß/Greiner, Arzthaftpflichtrecht, Rn. B 2; Frahm, GesR 2005, 529, 530; D. Giesen, Arzthaftungsrecht, Rn. 72; Katzenmeier, Arzthaftung, S. 166; Jansen, in: Rieger/Dahm/Steinhilper, AK-HKM, 750 Rn. 2; Laufs, in: Laufs/Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, § 99 Rn. 11; Martis/Winkhart, Arzthaftungsrecht, S. 308 f.; Wagner, in: MüKo-BGB, § 823 Rn. 742. 67 BGHZ 113, 297, 304; Geiß/Greiner, Arzthaftpflicht, Rn. B 2; Jansen, in: Rieger/Dahm/Steinhilper, AK-HKM, 750 Rn. 2: Laufs, in: Laufs/Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, § 99 Rn. 11; Wagner, in: MüKo-BGB, § 823 Rn. 742. 68 Vgl. 2. Teil Kap. 2 C. III, S. 187. 69 Katzenmeier, Arzthaftung, S. 188 f. 70 Die aus der Strafrechtsdogmatik stammende Differenzierung in „äußere“ und „innere“ Sorgfalt ist im zivilrechtlichen Schrifttum nicht unumstritten, grundlegend Deutsch, Fahrlässigkeit und erforderliche Sorgfalt, S. 94 ff.; 183 ff.; vgl. auch ders., Allgemeines Haftungsrecht, Rn. 385 ff; weitere Befürworter etwa sind v. Bar, Verkehrspflichten, S. 171 ff. (einschränkend aber ders., Gemeineuropäisches Deliktsrecht, Bd. I, § 2 Rn. 18 Fn. 44, Bd. II, § 2 Rn. 228 f.; Spickhoff, in: Soergel, BGB, § 823 Anh I Rn. 58; Tamm, Jura 2008, 881, 888; auch die Rspr. hat die Differenzierung aufgegriffen, vgl. etwa BGH, NJW 1986, 2757, 2758; VersR 1988, 516; NJW 1994, 2232, 2233; abgelehnt wird sie z.B. von Brüggemeier,
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1. Kap.: Relevante Aspekte der zivilrechtlichen Arzthaftung
aber ohne sich selbst ausdrücklich zu diesem Begriffspaar zu bekennen, legt er dar, dass der Maßstab der zur Rechtswidrigkeit gehörenden Verhaltenspflichten ein Höchstmaß an Sorgfalt sei, welches generell auf Grund einer ex-post Betrachtung verlangt werde. Der Sorgfaltsmaßstab der Fahrlässigkeit hingegen sei „ausgerichtet an einer situations-, gruppen- und bereichsspezifischen ex-ante Betrachtung“. Er behalte auch bei einer Objektivierung Bedeutung sowohl für die Erkennbarkeit wie für die hinsichtlich der Vermeidbarkeit einer Schadensverursachung zu fordernden Anstrengungen. Sein Plädoyer für die Beibehaltung der Unterscheidung schließt mit einem Blick auf die Rechtsprechung, die die „Unterscheidung zwischen objektiver Pflichtverletzung und Verschulden des Arztes zumindest im Ausgangspunkt stets befolgt“ habe. Wenn sich in der Judikatur konkrete Äußerungen haben finden lassen, dann sei wiederholt festgestellt worden, dass „nicht jeder ärztliche Irrtum, nicht jedes Unterlassen empfohlener Kontrollen, nicht jeder Diagnose- oder Therapiefehler einen Verstoß gegen die im Verkehr erforderliche Sorgfalt bedeutet und zum Schadensersatz verpflichtet“. Daran sei festzuhalten.71 Für Gödicke lässt sich der Unterschied zwischen Pflichtverletzung und Verschulden im Arzthaftungsrecht sogar prägnanter als in vielen anderen Fällen illustrieren: „Denn wo die nach § 276 II BGB im Verkehr geschuldete Sorgfalt so differenziert wird wie in der Medizin – wo für ein und dasselbe Behandlungsgeschehen je nach tätig werdendem Arzt ärztlicher Standard, Facharztstandard, Belegarztoder Chefarztverantwortlichkeit und hinsichtlich der gebotenen Behandlungsmaßnahmen Goldstandard, verbindliche und informelle Leitlinien der Fachgesellschaften usw. unterschieden werden – und Maßstab zudem stets der ‚sorgfältige und auf Weiterbildung bedachte Arzt’ ist, lässt sich sehr wohl zwischen objektiver Verhaltenspflicht und hierauf bezogener Kenntnis, fahrlässiger Unkenntnis und größerem individuellen Leistungsvermögen differenzieren.“72 2. Gleichsetzung von Behandlungsfehler und Verschulden Anderen Stimmen in der Literatur zufolge kommt hingegen dem Verschulden keine eigenständige Bedeutung mehr zu, wenn auf Pflichtenebene ein Behandlungsfehler festgestellt wurde. So bleibt für Eike Schmidt für eine Unterscheidung Haftungsrecht, S. 59, f., 74; Esser/E. Schmidt, Schuldrecht AT, Bd. I/2, S. 71 f.; Fabarius, Äußere und innere Sorgfalt, S 101 f., 139 f., 148; Heidelk, Gesundheitsverletzung und Gesundheitsschaden, S. 121; H.-B. Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, S. 165 f. 71 Vgl. zusätzlich Katzenmeier, Arzthaftung, S. 493: „Bei einer sorgfältigen Differenzierung zwischen (…) Pflichtverletzung einerseits und Verschulden andererseits“; ders., in: Laufs/Katzenmeier/Lipp, Arztrecht, XI. Rn. 126. 72 Gödicke, MedR 2008, 405, 406; einschränkend Spickhoff, NJW 2003, 2530, 2532: „Es steht außer Frage, dass die Pflichtverletzung jedenfalls zum erheblichen Teil identisch ist mit der Verletzung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt, mit welcher § 276 II BGB die Fahrlässigkeit als Verschuldensform nach wie vor normiert“; s. auch ders., NJW 2003, 1701, 1705; Für Einzelheiten zum medizinischen Standard sei nochmals auf das nachfolgende Kapitel verwiesen.
C. Verschulden
171
von Behandlungsfehler und Verschulden kein Raum, weil der Behandlungsfehler, der in der Nichteinhaltung der gebotenen medizinischen Vorgehensweise besteht, zwanglos als artspezifische Version des in § 276 Abs. 2 BGB genannten Sorgfaltsverstoßes verstanden werden könne.73 Nach Hart ist der Behandlungsfehler als medizinische Standardverfehlung identisch mit der (Verkehrs-)Pflichtverletzung, und die Pflichtverletzung von der Pflichtwidrigkeit, also der Fahrlässigkeit nicht zu unterscheiden.74 Eine an der Trennung von Leistungshandlung und Leistungserfolg orientierte Unterscheidung zwischen dem objektiven Element der Pflichtverletzung und dem subjektiven Element der Fahrlässigkeit hält er für zweifelhaft, wenn nicht sogar unmöglich. Eine Unterscheidung zwischen äußerer und innerer Sorgfalt sei im Arzthaftungsrecht nicht tragfähig.75 Als Begründung wird der Standard als objektivierter Maßstab angeführt.76 Auch Gehrlein bezieht sich auf die objektiv zu bestimmenden Sorgfaltsanforderungen, wenn er festhält, dass „eine objektive Sorgfaltspflichtverletzung dem Arzt stets subjektiv vorwerfbar ist“.77 3. Einordnung der Streitigkeit und Bewertung Wenngleich sich so zwei unterschiedliche Standpunkte gegenüberstehen, hat die Streitigkeit doch kaum praktische Auswirkungen. Selbst, wenn man der Auffassung ist, dass Pflichtverletzung und Verschulden nicht gleichzusetzen sind, „fällt in der Praxis der Nachweis eines Behandlungs- oder Aufklärungsfehlers regelmäßig mit der Annahme eines schuldhaften Handelns zusammen“.78 Wie schon bei der Frage, ob § 280 Abs. 1 S. 2 BGB im Arzthaftungsrecht Anwendung findet, fällt auch hier ins Gewicht, dass es „kaum denkbar [ist], einen Behandlungsfehler (…) anzunehmen, das Verschulden des Arztes jedoch zu verneinen“.79 Der Wunsch, einen Gewinn an Rechtsdogmatik nicht allein aufgrund der nur geringen praktischen Relevanz preiszugeben, ist nachvollziehbar. Es muss aber festgehalten werden, dass der Unterscheidung von pflichtwidrigem Verhalten und Verschulden speziell im Arzthaftungsrecht nahezu keine Bedeutung hat. Deswegen lässt sich salomonisch urteilen, dass rechtsdogmatisch beide Ebenen grundsätzlich weiter nebeneinander bestehen bleiben, nur dass im Arzthaftungsrecht gerade keine un73
E. Schmidt, MedR 2007, 693, 697. Hart, in: Hart, Ärztliche Leitlinien im Medizin- und Gesundheitsrecht, S. 57 f., 97.; ders., MedR 2003, 603, 608; ebenso Meinecke, Haftungskriterien für Injektionsschäden, S. 27; Tamm, Jura 2008, 881, 888 f.; zur Stellung des Verschuldens in der Berufshaftung vgl. Hirte, Berufshaftung, S. 141 f., 381 f., 491. 75 Hart, MedR 2003, 603, 608; ebenso Heidelk, Gesundheitsverletzung und Gesundheitsschaden, S. 128. 76 Hart, Jura 2000, 14, 18; ders., MedR 2003, 603, 607. 77 Gehrlein, MDR 2001, 566. 78 Koyuncu, in: Rosenau/Hakeri, Der medizinische Behandlungsfehler, S. 11, 17; ders., AZR 2007, 69, 72. 79 Bäune/Dahm, MedR 2004, 645, 653; s. auch Taupitz, in: Arbeitsgemeinschaft Rechtsanwälte im Medizinrecht, Dokumentation und Leitlinienkonkurrenz – die Verschriftlichung der Medizin, S. 101, 107. 74
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1. Kap.: Relevante Aspekte der zivilrechtlichen Arzthaftung
terschiedlichen Wertungsmaßstäbe angesetzt werden. Ihnen kommt somit keine jeweils gesonderte Bedeutung zu. Sowohl bei der Bestimmung der Pflichtwidrigkeit als auch der Fahrlässigkeit sind situations-, gruppen- und bereichsspezifische Unterschiede zu beachten.80 Es ist richtig, dass „nicht jeder ärztliche Irrtum, nicht jedes Unterlassen empfohlener Kontrollen, nicht jeder Diagnose- oder Therapiefehler einen Verstoß gegen die im Verkehr erforderliche Sorgfalt bedeutet und zum Schadensersatz verpflichtet“.81 Zuzustimmen ist aber Hart, der den objektiven Maßstab des Standards bemüht und somit die Unterscheidung zwischen äußerer und innerer Sorgfalt für den Behandlungsfehler zu Recht als nicht tragfähig bezeichnet: „Es gibt keine subjektiv begründbare Abweichung vom objektiven Standard, sondern nur eine medizinisch-situationsbezogene Standardveränderung. Die Notfallsituation erfordert einen anderen Standard als die ‚Normalsituation’“.82 Hinzuweisen ist generell auf Abstufungen des Standards,83 die sowohl als Maßstab für den Behandlungsfehler als auch für das Verschulden gelten.
80 81 82 83
Heidelk, Gesundheitsverletzung und Gesundheitsschaden, S. 124. So Katzenmeier, Arzthaftung, S. 189. Hart, MedR 2003, 603, 608; s. auch Spickhoff, NJW 2002, 2530, 2536. Näher dazu im folgenden Kapitel, vgl. 2. Teil Kap. 2 C, S. 185 ff.
2. Kapitel: Der medizinische Standard als zentraler Anknüpfungspunkt der Haftung Das vorherige Kapitel hat gezeigt, dass die grundlegende Richtschnur für die haftungsrechtliche Bewertung ärztlichen Verhaltens der medizinische Standard ist. Dieser soll daher im Folgenden eine nähere Betrachtung erfahren. Dabei ist zunächst der Begriff des medizinischen Standards zu definieren (A.). Weiterhin wird darauf einzugehen sein, wie medizinische Standards entstehen oder festgelegt werden (B.). In diesem Rahmen wird zu zeigen sein, dass einmal entstandene Standards nicht auf ewig festgeschrieben sind, der medizinische Standard daher auch eine dynamische Komponente aufweist. Eng mit dieser Dynamik verbunden ist die Frage, inwieweit neue Behandlungsmethoden eingesetzt werden dürfen oder müssen. Untersucht werden muss auch die Bedeutung von medizinischen Leitlinien und von Richtlinien für die Entstehung und Festlegung des medizinischen Standards. Daran anschließend wird die haftungsrechtliche Relevanz medizinischer Leitlinien erörtert. In einem weiteren Teilabschnitt (C.) gilt es aufzuzeigen, inwieweit der Standardbegriff dahingehend Abstufungen zulässt, dass Qualitätsunterschiede in der Behandlung zugelassen werden. Einhergehend mit einer Abstufung ist die Frage nach einem gewissen Mindeststandard. Auch wird auf das so genannte Übernahmeverschulden einzugehen sein.
A. Der Begriff des medizinische Standards Der Standardbegriff ist in der Medizin und in der Rechtswissenschaft verhältnismäßig unbestimmt.1 Die wohl gängigste Definition des Begriffs des medizinischen Standards geht auf den Mediziner Gert Carstensen zurück. Dieser beschrieb ihn „als den jeweiligen Stand der naturwissenschaftlichen Erkenntnisse und der ärztlichen Erfahrung, der zur Erreichung des ärztlichen Behandlungsziels erforderlich ist und sich in der Erprobung bewährt hat“.2 Diese Definition ist von zahlreichen Autoren der arzthaftungsrechtlichen Literatur aufgegriffen worden,3 während
1
Hart, MedR 1998, 8; Katzenmeier, Arzthaftung, S. 278; ders., in: Laufs/Katzenmeier/Lipp, Arztrecht, X. Rn. 6. 2 Carstensen, DÄBl. 1989, B-1736, B-1737; ders., in: Arbeitsgemeinschaft Rechtsanwälte im Medizinrecht, Die Budgetierung des Gesundheitswesens, S. 11, 13. 3 Conradi, Verknappung medizinischer Ressourcen und Arzthaftung, S. 60; A. Ehlers, RGP 2002, 115; Hart, MedR 1998, 8, 9; Jansen, in: Rieger/Dahm/Steinhilper, HK-AKM, 750 Rn. 7; Katzenmeier, Arzthaftung, S. 278 f., 543; ders., in: Laufs/Katzenmeier/Lipp, Arztrecht, X. Rn. 6; Kullmann, VersR 1997, 529; Kreße, MedR 2007, 393, 394; Laufs, in: Laufs/Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, § 3 Rn. 16; Rehborn, MDR 2000, 1101, 1102; Rieger, in: Madea/Winter/Schwonzen/Radermacher, Innere Medizin und Recht, S. 127; Rumler-Detzel, VersR 1998, 546, 547; Steffen, in: FS für Geiß, S. 487, 493; Uhlenbruck/Laufs, in: Laufs/Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, § 39 Rn. 9; ähnlich zuvor
174
2. Kap.: Der medizinische Standard als zentraler Anknüpfungspunkt der Haftung
andere eigene – wenngleich ähnliche – Definitionswege beschritten haben: Dressler bezeichnet den Standard als das, was auf dem betreffenden Fachgebiet dem gesicherten Stand der medizinischen Wissenschaft entspricht und in der medizinischen Praxis zur Behandlung der jeweiligen gesundheitlichen Störungen anerkannt ist.4 Für Groß ist er eine Umschreibung für den gesicherten Stand der medizinischen Wissenschaft auf dem jeweiligen Fachgebiet und die anerkannte medizinische Praxis.5 Jedenfalls führt die wissenschaftliche Erkenntnis, kombiniert mit der ärztlichen Erfahrung und der professionellen Akzeptanz zum Standard.6
B. Entstehung und Festlegung medizinischer Standards Für die Beantwortung der Frage, wie medizinische Standards letztlich entstehen, liefert die Begriffsdefinition erste Hinweise. Wann genau eine Verhaltensweise als standardgemäß anzusehen ist, hängt jedoch maßgeblich davon ab, wie die einzelnen Elemente der Definition, insbesondere aber Erfahrung und Bewährung im Einzelnen aufgefasst werden. Dort, wo es thematisch angezeigt ist, soll auch ein rechtlicher Bezug hergestellt werden.
I. Stand der naturwissenschaftlichen Erkenntnisse Der Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse beschreibt einen komplexen sozialen Prozess der Erarbeitung von Wissen,7 der nach unterschiedlichen Methoden ablaufen kann.8 Der Stand der medizinischen Wissenschaft ist nicht mit dem allgemeinen anerkannten Stand der Wissenschaft gleichzusetzen.9 Der medizinische Standard und mit ihm der Stand der naturwissenschaftlichen Erkenntnisse setzt sich vielmehr aus zwei Komponenten unterschiedlicher Blickrichtung zusammen.
schon Taupitz, NJW 1986, 2851, 2858: „Medizinische Wissenschaft und ärztliche Erfahrungen setzen die Standards.“ 4 Dressler, in: FS für Geiß, S. 379, 380 f. 5 Groß, Ärztlicher Standard, S. 1. 6 Hart, KritV 2005, 154, 158 f.; ders., MedR 1998, 8, 9; Katzenmeier, Arzthaftung, S. 279; ders., in: Laufs/Katzenmeier/Lipp, Arztrecht, X. Rn. 6; Kempter, Medizinische Sorgfaltsstandards, S. 48; Kern, MedR 2004, 300, 301; Kreße, MedR 2007, 393, 394. 7 Kempter, Medizinische Sorgfaltsstandards, S. 49; Velten, Der medizinische Standard im Arzthaftungsprozeß, S. 44. 8 Velten, Der medizinische Standard im Arzthaftungsprozeß, S. 44 ff. befasst sich näher mit dem Induktivismus und dem Falsifikationismus als Beispielen für wissenschaftstheoretische Methoden der Erkenntnisgewinnung, wobei er betont, dass der Standardbildung kein bestimmtes wissenschaftstheoretisches Modell zugrunde liege. 9 Kempter, Medizinische Sorgfaltsstandards, S. 48; Kullmann, VersR 1997, 529.
B. Entstehung und Festlegung medizinischer Standards
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1. Basisstandard Die eine, als Basisstandard bezeichnet, umfasst gesicherte Bereiche, die als abgeschlossen gelten können.10 Sie beinhaltet zudem diejenigen Diagnose- und Therapieverfahren, die allgemeine Anerkennung gefunden haben, deren Anwendung also in vergleichbaren Fällen von der Gesamtheit der Profession oder jedenfalls von der überwiegenden Anzahl der Ärzte gebilligt wird.11 Dieser Aspekt ist statisch und rückwärtsgewandt, die Bildung des Standards geschieht durch eine an der Vergangenheit bisheriger Praxis orientierten Erwartung.12 2. Dynamischer Standard Standardisierung birgt die Gefahr, die Medizin auf ihrem gegenwärtigen Leistungsstand festzuschreiben und damit ihre Entwicklung zu behindern.13 Einer „Erstarrung des Standards“14 wirkt indes die zweite Komponente des medizinischen Standardbegriffs, der dynamische Teil des Standards15 entgegen, dessen Blick in die Zukunft gerichtet ist.16 Er wird dem jeweiligen Stand der medizinischen Wissenschaft und Praxis jeweils angepasst17 und trägt damit der Tatsache Rechnung, dass Fortschritte in der Medizin fast immer den Weg über noch nicht allgemein anerkannte Erkenntnisse nehmen.18 Der dynamische Standard ist damit das Einfallstor für neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden, hat somit auch Einfluss auf die bereits angesprochene Therapiefreiheit des Arztes und kommt dieser zugute.
10 Carstensen, DÄBl. 1989, B-1736, B-1738; ders., in: Arbeitsgemeinschaft Rechtsanwälte im Medizinrecht, Die Budgetierung des Gesundheitswesens, S. 11, 13; Kempter, Medizinische Sorgfaltsstandards, S. 49; Kreße, MedR 2007, 393, 394; s. auch Kullmann, VersR 1997, 529. 11 Kullmann, VersR 1997, 529; Kreße, MedR 2007, 393, 394. 12 Kempter, Medizinische Sorgfaltsstandards, S. 49; Schreiber, Langenbecks Arch Chir 364 (1984), 295, 297. 13 Katzenmeier, Arzthaftung, S. 281; ders., in: Laufs/Katzenmeier/Lipp, Arztrecht, X. Rn.11. 14 Carstensen, DÄBl. 1989, B-1736, B-1738. 15 Carstensen, DÄBl. 1989, B-1736, B-1738; ders., in: Arbeitsgemeinschaft Rechtsanwälte im Medizinrecht, Budgetierung des Gesundheitswesen, S. 11, 13; Kullmann, VersR 1997, 529; Kempter, Medizinische Sorgfaltsstandards, S. 49. Die dynamische Komponente wird in der Lehre immer wieder betont, vgl. etwa Deutsch, Allgemeines Haftungsrecht, Rn. 381; Dressler, in: FS für Geiß, S. 379, 381; Laufs, in: ders/Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, § 99 Rn. 3; Rehborn, MDR 2000, 1101, 1102; Spindler, in: Bamberger/Roth, BGB, § 823 Rn. 592; Ulsenheimer, in: FS für Kohlmann, S. 319, 324; weitere Nachw. bei Katzenmeier, Arzthaftung, S. 281 Fn. 61.; ders., in: Laufs/Katzenmeier/Lipp, Arztrecht, X. Rn. 12 Fn. 38. 16 Kempter, Medizinische Sorgfaltsstandards, S. 49. 17 Carstensen, DÄBl. 1989, B-1736, B-1738; Kreße, MedR 2007, 393, 395; Kullmann, VersR 1997, 529. 18 Kreße, MedR 2007, 393, 395.
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2. Kap.: Der medizinische Standard als zentraler Anknüpfungspunkt der Haftung
Medizinische Wissenschaft und ärztliche Erfahrung befinden sich in einem stetigen Fluss.19 Die Heilbehandelnden sollten stets auf der Höhe des aktuellen medizinischen Wissens sein, um ihre Patienten adäquat zu behandeln. Sie können das Gebotene nur leisten, wenn sie in ihrem Fach die jeweils maßgebenden Standards kennen und beherrschen.20 Deshalb besteht für den Arzt die fortwährende Rechtspflicht zur beruflichen Fortbildung (§ 4 MBO-Ä 1997). Bei seinem Bemühen um eine Fortbildung darf sich der einzelne Arzt auf die Richtigkeit von Fachpublikationen verlassen.21 Allerdings muss er nicht jeder Meinung in der medizinischen Wissenschaft nachgehen,22 sondern nur solche Erkenntnisse und Methoden verfolgen, die in Fachkreisen bereits ernsthaft, also auf einer breiteren Basis, diskutiert werden, auch wenn sie sich noch nicht allgemein durchgesetzt haben.23
II. Erfahrung und praktische Bewährung Es gibt medizinische Gebiete, die einer strengen wissenschaftlichen Forschung nicht zugänglich sind.24 Deswegen bleibt mitunter nur der Rückgriff auf kasuistische Erfahrungswerte.25 Wenn es sich auch um eine unkontrollierte Kasuistik handelt, so ist sie doch unverzichtbar und findest deswegen ebenfalls Niederschlag im Begriff des medizinischen Standards.26 Zudem bedeutete „eine Überbewertung der Methode und eine Unterbewertung der Erfahrungen ein Ausblenden des geistig-psychisch-physischen Gesamtzusammenhangs des menschlichen Organismus, den viele Ärzte für eine sachgemäße Beurteilung von Krankheit und Heilung für ausschlaggebend halten“.27 Eng mit dem Merkmal der ärztlichen Erfahrung verbunden ist das der praktischen Bewährung. Es beschreibt das Verfahren der Überprüfung und gegebenenfalls Bestätigung von Hypothesen in der Praxis28 und wird vereinzelt als Teil des wissenschaftlichen Erkenntnisprozesses begriffen, was zur Folge habe, dass der Bewährung als Merkmal innerhalb der Definition des medizinischen Standards keine eigenständige Bedeutung zukomme.29 Wie bereits eingangs des Kapitels 19
Laufs, in: Laufs/Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, § 99 Rn. 9. Laufs, in: Laufs/Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, § 99 Rn. 10. 21 Laufs, in: Laufs/Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, § 99 Rn. 10. 22 OLG Frankfurt, VersR 1998, 1378, 1379 f.; Steffen/Pauge, Arzthaftungsrecht, Rn. 169a. 23 Steffen/Pauge, Arzthaftungsrecht, Rn. 169a. 24 Bochenski, in Neuhaus, Pluralität in der Medizin, S. 59, 61; Velten, Der medizinische Standard im Arzthaftungsprozeß, S. 47; vgl. auch die bereits erwähnte Entscheidung des BSG in BSGE 93, 236, 239. 25 Velten, Der medizinische Standard im Arzthaftungsprozeß, S. 47. 26 Francke/Hart, Charta der Patientenrechte, S. 26; s. auch Velten, Der medizinische Standard im Arzthaftungsprozeß, S. 47. 27 Kriele, NJW 1976, 355, 357 f.; s. auch Kempter, Medizinische Sorgfaltsstandards, S. 50. 28 Kempter, Medizinische Sorgfaltsstandards, S. 50. 29 Velten, Der medizinische Standard im Arzthaftungsprozeß, S. 48. 20
B. Entstehung und Festlegung medizinischer Standards
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angesprochen, führt der Weg zum Standard auch über die professionelle Akzeptanz. Diese will das Merkmal der praktischen Bewährung sicherstellen.30 Welches Maß an Akzeptanz erreicht sein muss, damit eine ärztliche Vorgehensweise dem medizinischen Standard zugehörig zählt, wird nicht einheitlich bewertet. Manche fordern die allgemeine Anerkennung der Erkenntnisse im Sinne eines gesicherten Standes der medizinischen Wissenschaft und der anerkannten medizinischen Praxis.31 Andere sehen davon ab, eine allgemeine Anerkennung zu fordern,32 was „die Billigung der Gesamtheit oder jedenfalls einer überwiegenden Zahl der fachlich dazu Berufenen, also eine herrschende Auffassung unter den jeweiligen Fachvertretern“33 verlangte. Will man die Unterteilung in einen Basisstandard und einen dynamischen Standard nicht ihrer Grundlage berauben, darf für den Grad der Akzeptanz keine allgemeine Anerkennung eingefordert werden. Zudem gibt es „gerade in der Medizin (…) häufig Anhänger unterschiedlicher Lehren und Behandlungsmethoden, so daß solche Lehren und Methoden zwar von weiten Kreisen, aber nicht ‚allgemein anerkannt’ sind“.34 Wieviel fachlichen Zuspruch Erkenntnisse genau erfahren haben müssen, lässt sich nicht generell bestimmen.35 Einzelne Stimmen können freilich ein Verfahren noch nicht zum Standard erheben,36 ein gewisses Maß an Anerkennung ist daher in jedem Fall zu fordern. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass „die in den medizinischen Standard einfließende wissenschaftliche und praktische Erkenntnis (…) die Summe einzelner Tatsachenbehauptungen [ist]. Der medizinische Standard ist demzufolge eine Sammlung von Erfahrungssätzen und Erfahrungswissen, die als Handlungsanweisung dient“.37
III. Bedeutung von Leitlinien und Richtlinien In den rechtlichen Auseinandersetzungen mit dem medizinischen Standard werden immer wieder auch Leitlinien und Richtlinien thematisiert.
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Kempter, Medizinische Sorgfaltsstandards, S. 50. Buchborn, MedR 1993, 328; Dressler, in: FS für Geiß, S. 379, 380 f.; Groß, Ärztlicher Standard, S. 1.; Michaelis, in: Nagel/Ch. Fuchs, Leitlinien und Standards im Gesundheitswesen, S. 92. 32 Carstensen, DÄBl. 1989, B-1736, B-1738; Hart, MedR 1998, 8, 10 Fn. 17; Kullmann, VersR 1997, 529. 33 Velten, Der medizinische Standard im Arzthaftungsprozeß, S. 42; vgl. auch Kullmann, VersR 1997, 529. 34 Kullmann, VersR 1997, 529. 35 Velten, Der medizinische Standard im Arzthaftungsprozeß, S. 43. 36 Kullmann, VersR 1997, 529. 37 Kempter, Medizinische Sorgfaltsstandards, S. 56. 31
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2. Kap.: Der medizinische Standard als zentraler Anknüpfungspunkt der Haftung
1. Begriffsbestimmung a) Leitlinien Leitlinien sind von ärztlichen Fachgremien – insbesondere von medizinischen Fachgesellschaften38 – für typische medizinische Sachverhalte aufgestellte Regeln guten ärztlichen Handelns, die auf die qualitative Sicherung oder auf die Verbesserung des maßgeblichen Standards diagnostischen oder therapeutischen Vorgehens abzielen.39 Die einzelnen Leitlinien sind hinsichtlich ihrer methodischen Qualität zu unterscheiden. Die Akzeptanz einer Leitlinie hängt maßgeblich von dieser methodischen Qualität ab.40 Eine Unterscheidung findet nach den folgenden Entwicklungsstufen statt:41 aa) Expertengruppen (S1-Leitlinien) Leitlinien der ersten Entwicklungsstufe (so genannte S1-Leitlinien) entstehen durch eine repräsentativ zusammengesetzte Expertengruppe der jeweiligen wissenschaftlich medizinischen Fachgesellschaft. Diese erstellt im informellen Konsens eine Leitlinie, die vom Vorstand der medizinischen Fachgesellschaft verabschiedet wird. bb) Formale Konsensusfindung (S2-Leitlinien) Leitlinien der zweiten Entwicklungsstufe werden entweder aus formal bewerteten Aussagen der Literatur entwickelt oder entstehen, indem vorhandene Leitlinien der ersten Stufe in einem bewährten formalen Konsensusverfahren beraten und schließlich als Leitlinien der Stufe 2 verabschiedet werden. Es stehen mehrere Konsensusverfahren zur Verfügung: (1) Nominaler Gruppenprozess Ein erstes Konsensusverfahren ist der nominale Gruppenprozess. Dieser wird durch die Planung und Festlegung von Zielen, Vorgehensweise, Abstimmungsver38
Derzeit existieren 745 aktuelle Leitlinien (Stand: 21.12.2009) der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) zusammengeschlossenen medizinischen Fachgesellschaften. Abrufbar sind diese im Internet unter www.leitlinien.net. 39 Bergmann, GesR 2006, 337; Diederichsen, in: Hart, Klinische Leitlinien und Recht, S. 105; Dressler, in: FS für Geiß, S. 379; Hart, MedR 1998, 8, 10; Jorzig/Feifel, GesR 2004, 310, 311; Ziegler, GesR 2005, 109; s. auch BÄK/KBV, DÄBl. 1997, A-2154. 40 Ollenschläger, in: Arbeitsgemeinschaft Rechtsanwälte im Medizinrecht, Leitlinien, Richtlinien und Gesetz, S. 47, 53; Tomassone/Wöffen, StudZR 2005, 61, 69. 41 Die folgende Darstellung orientiert sich an AMWF online, Methodische Empfehlungen „Leitlinien für Leitlinien“ (Stand: Dezember 2004), abrufbar im Internet unter www.uniduesseldorf.de/AWMF/ll/ll_metho.htm (Abrufdatum 21.12.2009) sowie Schwenzer, in: Arbeitsgemeinschaft Rechtsanwälte im Medizinrecht, Leitlinien, Richtlinien und Gesetz, S. 81, 82 f.
B. Entstehung und Festlegung medizinischer Standards
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fahren und Tagungsort vorbereitet. Nach einer Einführung der Teilnehmer findet das eigentliche Konsensusverfahren statt. Dabei werden zunächst schweigend Ideen niedergeschrieben. Dadurch sollen eine vorzeitige Fokussierung auf einzelne Ideen verhindert und Dominanzen von Mitgliedern mit hohem Status und aggressivem Verhalten eliminiert werden. Anschließend werden die Ideen auf eine Tafel geschrieben, wobei nicht erkennbar ist, von welchem Teilnehmer die jeweilige Idee stammt. Es folgen eine vorläufige Abstimmung über die Wichtigkeit der einzelnen Punkte und eine Diskussion über dieses vorläufige Abstimmungsergebnis. Hierbei können Zeitlimits als Druckmittel für den Konsens genutzt werden. Schließlich findet eine abschließende Abstimmung statt. (2) Konsensuskonferenz Für die Konsensuskonferenz als weiteres Verfahren ist die Expertengruppe des jeweiligen Gebietes das Steuergremium. Sie hebt den Wert der Leitlinie auf eine höhere Stufe. Dabei werden von der Expertengruppe vorformulierte Fragen an alle Konferenzteilnehmer verschickt, in der Konferenz beraten und mit einem ausgewählten Auditorium (ca. 80-100 Teilnehmer) diskutiert. Das Ergebnis muss am Konferenzende festgeschrieben werden. (3) Delphikonferenz Schließlich bietet die so genannte Delphikonferenz eine Möglichkeit der Qualitätssicherung von Leitlinien. Hierbei verschickt die Expertengruppe des jeweiligen Gebietes vorformulierte Fragen an weitere Experten und andere Anwender (andere Gebietsärzte). Insgesamt werden 50-100 Teilnehmer angeschrieben. Nach Erhalt der Antworten werden die Fragen erneut mit dieser Zusatzinformation an die Teilnehmer verschickt (zweite Runde). In der Delphikonferenz sind damit die Teilnehmer füreinander anonym. Das Ergebnis der zweiten Runde wird dann festgeschrieben. cc) Weitere Elemente systematischer Entwicklung (S3-Leitlinien) Auf der dritten Qualitätsstufe wird die Leitlinienentwicklung der zweiten Stufe um die Komponenten der Logik, des Konsensus, der Entscheidungs- und Outcomeanalyse sowie der evidenzbasierten Medizin erweitert. Letztere stellt ein Konzept dar, welches in den 90er-Jahren in Kanada erarbeitet wurde und mittlerweile auch in Deutschland zunehmend verbreitet ist.42 Unter evidenzbasierter Medizin wird der bewusste, explizite und angemessene Gebrauch der gegenwärtig besten externen Evidenz für Entscheidungen in der medizinischen Versorgung individueller Patienten verstanden. Evidenzbasierte Medizin zu praktizieren bedeutet, die individuelle klinische Erfahrung mit den besten zur Verfügung stehenden externen Nachweisen aus der systematischen Forschung zu integrieren.43 Dabei geht es 42
Windeler, Das Gesundheitswesen 2008, 418. Sackett/Richardson/Rosenberg/Haynes, Evidence-based Medicine, S. 2, zitiert nach der Übersetzung in der deutschsprachigen Ausgabe Sackett/Richardson/Rosenberg/Haynes, Evidenzbasierte Medizin, S. 2; „evidence“ darf im Zusammenhang mit dem Begriff der 43
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2. Kap.: Der medizinische Standard als zentraler Anknüpfungspunkt der Haftung
nicht um die theoretisch bestmögliche, sondern um die momentan bestrealisierte externe Evidenz, wie der Begriff „gegenwärtig“ verdeutlicht.44 Nachdem die evidenzbasierte Medizin zunächst als Analyseinstrument für Einzelentscheidungen eingesetzt wurde, werden inzwischen Leitlinien zunehmend evidenzbasiert erstellt.45 b) Richtlinien Richtlinien werden definiert als Regelungen des Handelns oder des Unterlassens, die von einer gesetzlich, berufsrechtlich, standesrechtlich oder satzungsrechtlich legitimierten Institution konsentiert, schriftlich fixiert und veröffentlicht werden, für den Rechtsraum dieser Institutionen verbindlich sind und deren Nichtbeachtung definierte Sanktionen nach sich ziehen kann.46 Ein prominentes Beispiel sind die im Rahmen dieser Untersuchung bereits erwähnten Richtlinien des G-BA. Richtlinien werden aber auch durch den Wissenschaftlichen Beirat der Bundesärztekammer verfasst.47 2. Verhältnis zum medizinischen Standard Die vorgestellte Definition des medizinischen Standards48 und die näheren Befassung mit den einzelnen Definitionsmerkmalen49 zeigen, dass der medizinische Standard unabhängig von dessen wie auch immer gearteter Fixierung entsteht: „Alles, was bei praktischer Bewährung dem jeweiligen Stand der naturwissenschaftlichen Erkenntnisse und der ärztlichen Erfahrung entspricht, ist ‚Standard’; alles, was dem nicht entspricht, ist nicht ‚Standard’. Es liegt in der Konsequenz dieser Definition, daß jegliche förmliche innermedizinische Normsetzung nur versuchen kann, dem Standard zu entsprechen, daß es ihr aber nicht möglich ist den Standard zu definieren.“50 Für die Leitlinie gilt demnach, dass sie vom Stanevidenzbasierten Medizin nicht im Sinne der deutschen Bedeutung für Evidenz als Offensichtlichkeit, Augenscheinlichkeit verstanden werden, die korrekte Übersetzung von EbM lautet daher „nachweisorientierte Medizin“, vgl. Bilger, in: Comberg/Klimm, Allgemeinmedizin, S. 74. 44 Windeler, Das Gesundheitswesen 2008, 418 f. 45 V. Neumann/Nicklas-Faust, RsDE 60 (2006), 23, 32; ausführlich zu evidenzbasierten Leitlinien und ihrer Entstehung Kopp/Lelgemann/Ollenschläger, in: Kunz/Ollenschläger/Raspe/Jonitz/Donner-Banzhoff, Lehrbuch Evidenz-basierten Medizin in Klinik und Praxis, S. 361 ff. 46 BÄK/KBV, DÄBl. 1997, A-2154; Bergmann, GesR 2006, 337 f. 47 Bergmann, GesR 2006, 337, 338 mit Beispielen. 48 Vgl. 2. Teil Kap. 2 A., S. 173. 49 Vgl. 2. Teil Kap. 2 B., S. 174 ff. 50 Igloffstein, Regelwerke für die humanmedizinische Individualbehandlung, S. 8, kursive Hervorhebungen im Original; vgl. auch Jorzig/Feivel, GesR 2004, 310, 316: Der gebotene medizinische Standard werde nicht entscheidend von der Leitlinie geprägt, sondern sei Ausdruck des Erkenntnisstandes der Wissenschaft zur Zeit der Behandlung; für Richtlinien abweichend Diederichsen, in: Hart, Klinische Leitlinien und Recht, S. 105, 111: Auch wenn sie nur sozialrechtlich verbindlich seien, könnten und würden Richtlinien, die wie-
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dard geleitet wird.51 In der juristischen Diskussion wird ganz in diesem Sinne betont, dass Leitlinien dem medizinischen Standard entsprechen,52 ihn zutreffend beschreiben oder wiedergeben,53 aber auch hinter ihm zurückbleiben können, etwa wenn sie veraltet sind.54 In der Rechtsprechung findet sich ebenfalls die Auffassung, dass Leit- und Richtlinien den Erkenntnisstand der medizinischen Wissenschaft „grundsätzlich deklaratorisch wiedergeben, nicht aber grundsätzlich begründen“ können.55 Gleichwohl nehmen Leit- und Richtlinien mittelbar Einfluss auf die Herausbildung medizinischer Standards. Werden Leitlinien implementiert, indem die in ihnen enthaltenen Handlungsempfehlungen in individuelles Verhalten von Ärzten transferiert werden,56 können sie den Standard verändern.57 Die Implementierung kann in unterschiedlicher Art und Weise erfolgen.58
derum auf der Grundlage ärztlicher Leitlinien erarbeitet würden, den medizinischen Standard beeinflussen. 51 Hart, in: Hart, Ärztliche Leitlinien im Medizin- und Gesundheitsrecht, S. 112. 52 Hart, in: Hart, Ärztliche Leitlinien im Medizin- und Gesundheitsrecht, S. 100. Wenn ders., in: Hart, KritV 2005, 154, 155, die These vertritt, dass die Leitlinie den Standard bestimme, „je weiter der Prozess der Harmonisierung der Verfahren und Kriterien der Leitlinienerstellung voranschreitet und die Praxis dies implementiert“ und die Leitlinie nicht mehr nur den Standard deklaratorisch feststellt, sondern ihn konstitutiv festsetzt, so ist damit wohl eine rechtliche und keine medizinische Wertung gemeint. Denn zuvor (S. 154) heißt es, dass Ausgangspunkt für jedwede Verbindlichkeitswirkung der Leitlinie der medizinische Standard sei und später (S. 159), dass der medizinische Standard das „Fundament für die ärztliche Leitlinie“ sei. 53 Bergmann, GesR 2006, 337, 342; Dressler, in: FS für Geiß, S. 379, 386; Geiß/Greiner, Arzthaftpflichtrecht, Rn. B 9a; Müller, GesR 2004, 257, 260; Tamm, Jura 2008, 881, 885; Tomassone/Wöffen, StudZR 2005, 69, 76. 54 Geiß/Greiner, Arzthaftpflichtrecht, Rn. B 9a; Hart, in: Hart, Ärztliche Leitlinien im Medizin- und Gesundheitsrecht, S. 100; Jorzig/Feifel, GesR 2004, 310, 314; Müller, GesR 2004, 257, 260. 55 OLG Hamm, VersR 2002, 516; bezogen auf Richtlinien auch schon OLG Hamm, NJW 2000, 1801, 1802, wobei dies dann „erst recht“ für Leitlinien gilt. 56 Ollenschläger, in: Arbeitsgemeinschaft Rechtsanwälte im Medizinrecht, Leitlinien, Richtlinien und Gesetz, S. 47, 57. 57 Tomassone/Wöffen, StudZR 2005, 69, 76. 58 Die Verbreitung von Leitlinien findet in Deutschland vorwiegend mittels eher konventioneller Maßnahmen statt, also primär passiv durch Fachzeitschriften, Lehrbuchartikel, über CD-ROMs oder Internet sowie durch Vorträge auf Konferenzen und Seminaren, vgl. Ollenschläger, in: Arbeitsgemeinschaft Rechtsanwälte im Medizinrecht, Leitlinien, Richtlinien und Gesetz, S. 47, 58; siehe auch Hart, in: Hart, Ärztliche Leitlinien im Medizin- und Gesundheitsrecht, S. 50. Da sich jedoch gezeigt hat, dass eine derartige Vermittlung der Leitlinieninhalte weitgehend ineffektiv ist, wird gefordert, Leitlinien mit konkreten Vorschlägen zu ihrer Implementierung zu versehen. Als dafür generell geeignete Mittel werden benannt: Angaben zur Nutzung etablierter Strukturen (etwa Qualitätszirkel, Selbsthilfegruppen, Fachverbände), Veranstaltungen oder Materialien wie Kurzversionen, die Darstellung der wichtigsten Empfehlungen in Form von Algorithmen oder Flowcharts, Arzneimit-
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2. Kap.: Der medizinische Standard als zentraler Anknüpfungspunkt der Haftung
Richtlinien der Ärztekammern entwickeln sich regelmäßig zum medizinischen Standard des Fachgebietes oder geben die übliche und daher von einem großen Kreis der Ärzteschaft als notwendig angesehene Behandlung wieder.59 Auch die Richtlinien des G-BA nehmen wegen ihrer sozialrechtlichen Verbindlichkeit Einfluss auf das Entstehen medizinischer Standards. Eine Behandlungsmethode, die nach Maßgabe einer solchen Richtlinie in der vertragsärztlichen Versorgung nicht oder nur eingeschränkt abgerechnet werden kann, wird sich schwerlich zum Standard ausbilden.60 3. Haftungsrechtliche Bedeutung von Leitlinien Leitlinien sind keine Rechtsnormen.61 Eine Verbindlichkeit im Arzthaftungsrecht können sie daher nur aufgrund rechtlicher Rezeptionsnormen erlangen, welche das Bürgerliche Gesetzbuch in den §§ 276, 280 und 823 BGB bereithält.62 Inwieweit ihnen tatsächlich haftungsrechtliche Relevanz zukommt, ist im Einzelnen umstritten. Das Abweichen von einer Leitlinie wird in der Literatur mitunter als Indiz für einen Behandlungsfehler gewertet.63 Für Hart ist ein Abweichen von der Leitlinie nur dann ein Behandlungsfehler, wenn diese dem Standard entspricht,64 wobei entscheidendes Bewertungskriterium nicht der Widerspruch der Behandlung zur Leitlinie, sondern derjenige zum Standard sei.65 Jede S3-Leitlinie sei im Zeitpunkt ihrer Verabschiedung identisch mit dem Standard und damit haftungsrechtlich verbindlich.66 Bergmann vertritt die Auffassung, dass die Beachtung oder Nichtbeachtung von Leitlinien durch den Arzt im Falle eines Haftpflichtprozesses keinen Automatismus in Ganz setzt und begründet dies damit, dass Leitlinien nur ein Kriterium bei der Feststellung seien, ob die im Verkehr erforderliche Sorgfalt eingehalten wurde. Die Einhaltung von Leitlinien sei nicht automatisch haftungsbefreiend. Mit steigender Akzeptanz einer Leitlinie in Fachkreisen könne der Arzt aber umso eher darauf vertrauen, bei Beachtung der Leitlinie auch richtig gehandelt zu haben. Umgekehrt sei auch die Nichtbeachtung von Leitlinien nicht automatisch haftungsbegründend. Ein derartiges Verhalten müsse der Arzt im Zweifelsfall aber
tellisten oder Übungsmaterialien, die jeweils auf die spezielle Zielgruppe zugeschnitten werden sollen, vgl. Kirchner, Das Deutsche Leitlinien-Clearingverfahren, S. 53 f. 59 Tamm, Jura 2008, 881, 885. 60 Geiß/Greiner, Arzthaftpflichtrecht, Rn. B 9a; zustimmend Müller, in: FS für Hirsch, S. 413, 420 f. 61 V. Neumann/Nicklas-Faust, RsDE 60 (2006), 23, 43. 62 Hart, Problemstellung zu OLG Naumburg, MedR 2002, 471; siehe auch Francke, in: Hart, Ärztliche Leitlinien, S. 171 Fn. 11. 63 Dressler, in: FS für Geiß, S. 379, 382; Frahm, GesR 2005, 529; Wagner, in: MüKoBGB, § 823 Rn. 745. 64 Hart, MedR 1998, 8, 14. 65 Hart, in: Hart, Ärztliche Leitlinie im Medizin- und Gesundheitsrecht, S. 102. 66 Hart, in: Hart, Ärztliche Leitlinien im Medizin- und Gesundheitsrecht, S. 100.
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gegenüber dem medizinischen Sachverständigen und dem Gericht begründen können.67 Ziegler hält Leitlinien für mit DIN-Normen vergleichbar. Leitlinien gäben wie die technischen Regelwerke den Entwicklungsstand wieder, wie er sich ihren sachverständigen Entwicklern aufgrund ihrer besonderen Sachkunde und ihres Erfahrungswissens darstelle.68 Auch für die Einführung der Leitlinien in einen Haftungsprozess müsse daher der Untersuchungsgrundsatz gelten.69 Der Richter dürfe die Leitlinien bei der Festlegung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt nicht ignorieren, sondern müsse sie von Amts wegen berücksichtigen.70 Darüber hinaus seien die Leitlinien auch aus Gründen der Waffengleichheit in den Arzthaftungsprozess einzubeziehen.71 Zutreffend stellt er aber fest, dass sich das von ihm gefundene Ergebnis nicht in der Rechtsprechung widerspiegelt.72 In der gerichtlichen Entscheidungspraxis, haben Leitlinien nämlich bislang noch keine größere Bedeutung erlangt.73 Im Rahmen eines eine Anhörungsrüge nach § 321a ZPO zurückweisenden Beschlusses nahm der BGH jedoch jüngst eindeutig und – soweit ersichtlich – erstmals zum Verhältnis von Leitlinien zum medizinischen Standard und damit auch zu ihrer haftungsrechtlichen Bedeutung Stellung: „Leitlinien von ärztlichen Fachgremien oder Verbänden können (…) nicht unbesehen mit dem zur Beurteilung eines Behandlungsfehlers gebotenen medizinischen Standard gleichgesetzt werden. Sie können kein Sachverständigengutachten ersetzen und nicht unbesehen als Maßstab für den Standard übernommen werden.“ Die Feststellung des Standards obliege letztlich der Würdigung des sachverständig beratenen Tatrichters.74 Die obergerichtliche Rechtsprechung setzt in den wenigen einschlägigen Entscheidungen unterschiedliche Akzente: Das OLG Naumburg verneinte im Jahr 2001 die haftungsrechtliche Relevanz der Leitlinien der AWMF gänzlich, weil diese zum damaligen Zeitpunkt unbeschadet ihrer wissenschaftlichen Fundierung lediglich Informationscharakter für die Ärzte selbst gehabt hätten, was auch ihrer Intention entsprochen habe. Sie seien grundsätzlich auch nicht geeignet, ein auf den individuellen Behandlungsfall gerichtetes Sachverständigengutachten zu ersetzen.75 Nach der Ansicht des OLG Stuttgart ist ein Verstoß gegen in einer Leitlinie niedergelegte Behandlungsstandards nicht zwingend als unverständlicher und 67
Bergmann, in: Arbeitsgemeinschaft Rechtsanwälte im Medizinrecht, Leitlinien, Richtlinien und Gesetz, S. 65, 72 f. 68 Ziegler, VersR 2003, 545, 547. 69 Ziegler, VersR 2003, 545, 548. 70 Ziegler, VersR 2003, 545, 547. 71 Ziegler, VersR 2003, 545, 548. 72 Ziegler, VersR 2003, 545, 549. 73 Diederichsen, in: Hart, Klinische Leitlinien und Recht, S. 105 ff.; Dressler, in: Hart, Ärztliche Leitlinien, S. 161; Frahm, GesR 2005, 529, 532; Rosenberger, in: Hart, Klinische Leitlinien und Recht, S. 113, 116 ff.; Tomassone/Wöffen, StudZR 2005, 61, 75; abweichend Bruns/Pollandt, ArztR 2006, 88. 74 BGH, GesR 2008, 361. 75 OLG Naumburg, MedR 2002, 471, 472.
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2. Kap.: Der medizinische Standard als zentraler Anknüpfungspunkt der Haftung
damit zu einer Beweislastumkehr führender grober Behandlungsfehler zu bewerten. Allein aus der Aufnahme einer Behandlungsregel in eine Leitlinie ergebe sich noch nicht, dass eine Behandlungsmethode zu den elementaren medizinischen Standards gehöre und ein Unterlassen schlechterdings unverständlich sei.76 Für das OLG Hamm stellte ein Verstoß gegen die Leitlinien für Wiederbelebung und Notfallversorgung einen Behandlungsfehler dar. Dem Urteil lag ein Fall zugrunde, in dem ein Zugreisender während der Fahrt entweder einen Vorderwandinfarkt oder – wahrscheinlicher – infolge eines Kammerflimmerns einen Herz-Kreislauf-Stillstand erlitt. Der herbeigerufene beklagte Arzt, ein niedergelassener Internist, untersuchte den Patienten, erklärte ihn für tot und setzte die von den Mitreisenden begonnene Reanimation nicht fort. Der Patient wurde letztlich von einer Notärztin behandelt, ins Krakenhaus gebracht, wo er einen weiteren Herz-Kreislauf-Stillstand erlitt und reanimiert wurde. Seither lag er im Dauerkoma. Das Gericht kam zu der Überzeugung, dass wenn auch die besagten Leitlinien für den nicht am organisierten Notfalldienst beteiligten Beklagten nicht unmittelbar verbindlich gewesen sein mögen, sie doch die überwiegende Überzeugung maßgeblicher ärztlicher Kreise von der Richtigkeit einer Fortsetzung der Reanimation in einem solchen Fall zeigten.77 Ein grober Behandlungsfehler wurde hingegen nicht angenommen, weil es über die Reanimationsgrundsätze eine gewisse Diskussion gebe und es bekannt sei, dass auch bei erfolgreicher Wiederherstellung von Herzfunktion und Kreislauf nach einer gewissen Zeit schwerste Schädigungen des Gehirns mit entsprechenden Funktionseinbußen jedenfalls häufig seien.78 Das OLG Düsseldorf wiederum wertete die Nichtbeachtung der in der Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Traumatologie niedergelegten Hygienebestimmungen im Rahmen einer Punktion als groben Behandlungsfehler.79 Die klare Stellungnahme des BGH, die unterschiedlichen Ergebnisse in der obergerichtlichen Rechtsprechung sowie das aufgezeigte Verhältnis der Leitlinien zum medizinischen Standard zeigen, dass für die haftungsrechtliche Relevanz von Leitlinien letztlich der konkrete Einzelfall entscheidend ist.80 Gibt die Leitlinie den medizinischen Standard wieder, was jeweils genau zu überprüfen ist, stellt ein Verstoß gegen die Leitlinie auch gleichzeitig eine Missachtung desselben dar. Dies kann zu der Annahme eines Behandlungsfehlers führen, der wiederum nicht zwingend als grober Behandlungsfehler zu bewerten sein muss. Zu beachten ist aber auch in einem solchen Falle noch, dass Leitlinien „als für typisierte Problemlagen aufgestellte Regelwerke das zum gesundheitlichen Wohl eines konkreten Patienten in einer bestimmten Situation Gebotene nicht ausschließlich oder abs-
76
OLG Stuttgart, MedR 2002, 650, 652 f. OLG Hamm, VersR 2000, 1373. 78 OLG Hamm, VersR 2000, 1373 f. 79 OLG Düsseldorf, VersR 2000, 1019, 1020. 80 So auch Dressler, in: FS für Geiß, S. 379, 381: Leitlinien könnten eine relevante Erkenntnisquelle für die Ermittlung des Standards sein; es dürfe jedoch keinesfalls unbeachtet bleiben, dass nicht abstrakt formulierte Standards, sondern die konkrete Situation im Einzelfall entscheidend sei. 77
C. Abstufungen des Standards
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trakt bestimmen können.“81 Entscheidend ist daher immer die medizinische Plausibilität der Abweichungsgründe in der konkreten Behandlungssituation.82 Diese Feststellungen ändern nichts an der Rationalisierungsfunktion, die Leitlinien im Arzthaftungsprozess zukommt. Sie erleichtern die Festlegung des medizinischen Standards; der Sachverständige wird beim Erstellen seines Gutachtens auf sie zurückgreifen (müssen); das Gericht schließlich kann anhand der Leitlinie eine gewisse Kontrolle der Plausibilität der Aussagen des Sachverständigen vornehmen.83
C. Abstufungen des Standards Trotz des Bezugs der zivilrechtlichen Verantwortlichkeit zum verobjektivierten Maßstab des medizinischen Standards, sind nicht in jeder Behandlungssituation dieselben Anforderungen an die Stätte der medizinischen Versorgung und die beteiligten Ärzte zu stellen. Das Recht kann nämlich nicht die Augen vor der Wirklichkeit verschließen, sondern muss auf das unter den konkreten Gegebenheiten Erwartbare abstellen.84 Aus diesem Grunde sind, wenn auch der zivilrechtliche Sorgfaltsmaßstab grundsätzlich gegenüber örtlichen Schwächelagen situationsfest sein muss und keine Rücksicht auf die fehlende Ausbildung und Erfahrung eines Arztes, auf personelle oder sachliche Engpässe im konkreten Behandlungsbereich oder die Erschöpfung des Budgets nehmen kann,85 doch in medizinischer wie rechtlicher Hinsicht Abstufungen bei den geforderten Standards anerkannt:
I. Nach Art der Versorgungsstätte Abstufungen werden zunächst hinsichtlich der einzelnen Versorgungsstätten vorgenommen, in die sich der Patient begibt. Der BGH judiziert hierzu: „Der rasche Fortschritt in der medizinischen Technik und die damit einhergehende Gewinnung immer neuer Erfahrungen und Erkenntnisse bringt es mit sich, daß es zwangsläufig zu Qualitätsunterschieden in der Behandlung vom Patienten kommt, je nach dem, ob sie sich etwa in eine größere Universitätsklinik oder eine personell und 81
Laufs, in: Berg/Ulsenheimer, Patientensicherheit, Arzthaftung, Praxis- und Krankenhausorganisation, S. 253, 254. 82 Rumler-Detzel, VersR 1998, 546, 548; Hart MedR 1998, 8, 12 f.; Spickhoff, NJW 2001, 1757, 1764; vgl. auch A. Ehlers, RPG 2002, 115, 117. 83 Hart, MedR 1998, 8, 13; Bergmann, in: Arbeitsgemeinschaft Rechtsanwälte im Medizinrecht, Leitlinien, Richtlinien und Gesetz, S. 65, 67; vgl. auch Dressler, in: FS für Geiß, S. 379, 381. 84 BGH, NJW 1994, 1596; Groß, Ärztlicher Standard, S. 4; Katzenmeier, Arzthaftung, S. 283 f.; ders., in: Laufs/Katzenmeier/Lipp, Arztrecht, X. Rn. 17; Steffen/Pauge, Arzthaftungsrecht, Rn. 138; kritisch Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 212. 85 BGHZ 89, 263, 271; BGHZ 144, 296, 306; Katzenmeier, Arzthaftung, S. 284; ders., in: Laufs/Katzenmeier/Lipp, Arztrecht, X. Rn. 19; Steffen/Pauge, Arzthaftungsrecht, Rn. 133 m.w.N.; Ulsenheimer, MedR 1995, 438, 440.
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2. Kap.: Der medizinische Standard als zentraler Anknüpfungspunkt der Haftung
apparativ besonders gut ausgestattete Spezialklinik oder aber in ein Krankenhaus der Allgemeinversorgung begeben. In Grenzen ist deshalb der zu fordernde medizinische Standard je nach den personellen und sachlichen Möglichkeiten verschieden.“86
II. Mindeststandard Ein gewisses Mindestniveau der medizinischen Versorgung darf allerdings nicht unterschritten werden. Der Patient hat immer Anspruch darauf, dass eine apparative Grundausstattung an medizinischen Geräten vorgehalten wird, die denjenigen Behandlungsstandard sicherstellt, der nach der Größe und der Ausbildung der Klinik vom ihm erwartet werden kann.87 Diese „unverzichtbare Basisschwelle“88 gilt entsprechend auch für Arztpraxen.89 Die genaue Bestimmung einer Standarduntergrenze im Arzthaftungsrecht fällt alles andere als leicht.90
III. Nach Verkehrskreisen und persönlichen Befähigungen Ebenfalls Berücksichtigung finden die unterschiedlichen Befähigungen des behandelnden Personals und der Verkehrskreis, dem es jeweils angehört. „Von einem ausgewiesenen Spezialisten wird mehr verlangt als von einem Facharzt, von diesem mehr als von einem Allgemeinmediziner, und Letzterer muss im Bereich der allgemeinen und konventionellen medizinischen Methoden höheren Ansprü-
86
BGHZ 102, 17, 24; s. auch BGH, NJW 1982, 2121, 2122 f.: Notfallpatient muss die vorgefundenen personellen und technischen Verhältnisse hinnehmen und kann nicht den Standard einer Spezialklinik erwarten, wenn er in ein kleineres Krankenhaus kommt; BGH, NJW 1988, 1511: Berücksichtigung der Verhältnisse in einem Kreiskrankenhaus; aus der Literatur vgl. Bergmann, VersR 1996, 810, 812; Frahm/Nixdorf/Walter, Arzthaftungsrecht, Rn. 87; Franzki, MedR 1994, 171, 174; Groß, Ärztlicher Standard, S. 4 f.; Hart, MedR 1996, 60, 69; Katzenmeier, Arzthaftung, S. 283; ders., in: Laufs/Katzenmeier/Lipp, Arztrecht, X. Rn. 17; Kullmann, VersR 1997, 529, 530; Steffen/Pauge, Arzthaftungsrecht, Rn. 138; Uhlenbruck, MedR 1995, 427, 436; kritisch Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 212. 87 Bergmann, VersR 1996, 810, 812; s. auch Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 415; Geiß/Greiner, Arzthaftpflicht, Rn. B 6; Groß, Ärztlicher Standard, S. 5: Katzenmeier, Arzthaftung, S. 284; ders., in: Laufs/Katzenmeier/Lipp, Arztrecht, X. Rn. 18; Kullmann, VersR 1997, 529, 530 f. 88 Bergmann, VersR 1996, 810, 812; Katzenmeier, Arzthaftung, S. 284; ders., in: Laufs/Katzenmeier/Lipp, Arztrecht, X. Rn. 18; Kullmann, VersR 1997, 529, 531; Künschner, Wirtschaftlicher Behandlungsverzicht und Patientenauswahl, S. 223. 89 Katzenmeier, Arzthaftung, S. 284; ders., in: Laufs/Katzenmeier/Lipp, Arztrecht, X. Rn. 18; s. auch Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 415: niedergelassener Arzt. 90 Deutsch, VersR 1997, 261, 265; Sternberg-Lieben, in: FS für Weber, S. 69, 85 Fn. 120; Uhlenbruck, MedR 1995, 427, 436.
C. Abstufungen des Standards
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chen genügen als etwa ein Heilpraktiker.“91 Je nach ihrem Status haben die Ärzte durchaus unterschiedlichen Ansprüchen zu genügen. Vom Direktor einer Universitätsklinik kann mehr fachliche Kompetenz erwartet werden als von einem Chefarzt eines kleineren Krankenhauses. Es kommt auf die im jeweiligen Verkehrskreis der Allgemein- oder Fachärzte vorausgesetzten Fähigkeiten, die dort zu erwartenden Kenntnisse und Fertigkeiten an, nicht dagegen auf die Möglichkeiten des einzelnen Berufsangehörigen.92 Besondere Fertigkeiten können sich jedoch haftungsverschärfend auswirken, wenn der Arzt über ein Sonderwissen oder Spezialkenntnisse verfügt, die über den medizinischen Standard hinausgehen.93 Der am medizinischen Standard orientierte objektivierte Sorgfaltsmaßstab legt insoweit lediglich die einzuhaltenden Mindestanforderungen fest.94
IV. Übernahmeverschulden Es kann vorkommen, dass der Arzt nicht in der Lage ist, die von dem Patienten gewünschte und erwartete Heilbehandlung in der konkreten Situation zu erbringen. Erleidet der Patient dann einen Schaden, kennt das Arzthaftungsrecht für derartige Konstellationen das Übernahmeverschulden als besondere Verantwortlichkeit für den behandelnden Arzt.95 Ein Übernahmeverschulden liegt vor, wenn der Arzt eine Behandlung übernimmt, obwohl er zu dieser persönlich, nach der apparativen oder pflegerischen und räumlichen Ausstattung nicht in der Lage ist.96 „Schon in der Übernahme einer Tätigkeit, deren ordnungsgemäße Erfüllung man nicht garantieren kann, liegt eine Fahrlässigkeit, die zum Ersatz daraus entstehenden Schadens verpflichtet, sobald das weitere Verhalten fehlerhaft war.“97 In persönlicher Hinsicht muss sich jeder Arzt bei der Übernahme der Behandlung fragen, ob er die notwendigen Fähigkeiten und Kenntnisse für eine dem Standard entsprechende Behandlung
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Wagner, in: MüKo-BGB, § 823 Rn. 742; aus der Rspr. BGHZ 113, 297, 304, wenn und soweit der Heilpraktiker aber invasive Behandlungsmethoden anwende, müssen an ihn bezüglich seines Wissens und seiner Fortbildung die Sorgfaltsanforderungen wie an einen Allgemeinmediziner gestellt werden; vgl. auch Frahm/Nixdorf/Walter, Arzthaftungsrecht, Rn. 85; Franzki, MedR 1994, 171, 174; Geiß/Greiner, Arzthaftpflichtrecht, Rn. B 2; Groß, Ärztlicher Standard, S. 5; Jansen, in: Rieger/Dahm/Steinhilper, HK-AKM 750 Rn. 2; Katzenmeier, Arzthaftung, S. 283; ders., in: Laufs/Katzenmeier/Lipp, Arztrecht, X. Rn. 17. 92 Laufs, in: Laufs/Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, § 99 Rn. 11. 93 BGH, NJW 1987, 1479, 1480; NJW 1997, 3090, 3091; Geiß/Greiner, Arzthaftpflichtrecht, Rn. B 4; Giesen, Arzthaftungsrecht, Rn. 86; Laufs, in: Laufs/Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, § 99 Rn. 15; auch hier kritisch Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 212. 94 Frahm/Nixdorf/Walter, Arzthaftungsrecht, Rn. 86. 95 D. Giesen, Arzthaftungsrecht, Rn. 93. 96 Kern, NJW 1996, 1561, 1562; s. auch Gehrlein, Grundriss der Arzthaftpflicht, Rn. B 31; Jansen, in: Rieger/Dahm/Steinhilper, HK-AKM, 750 Rn. 45; Uhlenbruck/Laufs, in: Laufs/Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, § 43 Rn. 2. 97 Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 208.
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2. Kap.: Der medizinische Standard als zentraler Anknüpfungspunkt der Haftung
besitzt.98 Neben einem unzureichender Erfahrungs- und Wissensstand, der auf mangelnden speziellen Fachkenntnissen beruhen oder darauf zurückzuführen sein kann, dass der Arzt noch als Anfänger agiert oder sich in der Weiterbildung befindet,99 können auch Krankheit, Sucht, Müdigkeit, Altersschwäche oder körperliche Gebrechen des Arztes dazu führen, dass die Therapie nicht zuverlässig durchgeführt werden kann.100 In organisatorischer Hinsicht kann ein Übernahmeverschulden darauf beruhen, dass die hygienischen Verhältnisse nicht für eine ordnungsgemäße Behandlung genügt haben.101 Gleiches gilt für die apparative Ausstattung.102 Der Arzt hat sich zudem jeweils mit der Funktionsweise der Geräte vertraut machen.103 Ist ein Übernahmeverschulden eines behandelnden Arztes gegeben, so ist dieser nicht alleine in der Verantwortung. Vielmehr ist auch der für seinen Einsatz Verantwortliche aus den Gesichtspunkten des Organisationsverschuldens, das normativ in §§ 831 und 823 Abs. 1 BGB verankert ist104 für Schäden des Patienten haftbar.105 98 D. Giesen, Arzthaftungsrecht, Rn. 85; Martis/Winkhart, Arzthaftungsrecht, S. 324; Spindler, in: Bamberger/Roth, BGB, § 823 Rn. 602; Uhlenbruck/Laufs, in: Laufs/ Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, § 43 Rn. 2. 99 BGHZ 88, 248, 252, 257 ff.; BGH, NJW 1994, 3008 f.; Gehrlein, Grundriss der Arzthaftpflicht, Rn. B 31, B 34; Geiß/Greiner, Arzthaftpflichtrecht, Rn. B 11.; Jansen, in: Rieger/Dahm/Steinhilper, HK-AKM, 750 Rn. 45; Kern, NJW 1996, 1561, 1562; Steffen/Pauge, Arzthaftungsrecht, Rn. 156, 165 m.w.N.; Spindler, in: Bahmberger/Roth, BGB, § 823 Rn. 602, 681; Uhlenbruck/Laufs, in: Laufs/Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, § 43 Rn. 2 f. 100 Uhlenbruck/Laufs, in: Laufs/Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, § 43 Rn. 2. 101 OLG Schleswig, VersR 1990, 1121; Spindler, in: Bamberger/Roth, BGB, § 823 Rn. 602; Steffen/Pauge, Arzthaftungsrecht, Rn. 165; Uhlenbruck/Laufs, in: Laufs/ Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, § 43 Rn. 2. 102 BGH, NJW 1989, 2321, 2322; NJW 1992, 754, 755; Gehrlein, Grundriss der Arzthaftpflicht, Rn. B 31, B 35; Geiß/Greiner, Arzthaftpflichtrecht, Rn. B 17; Martis/Winkhart, Arzthaftungsrecht, S. 324; Spindler, in: Bamberger/Roth, BGB, § 823 Rn. 602; Steffen/Pauge, Arzthaftungsrecht, Rn. 156, 165 m.w.N.; Tamm, Jura 2008, 881, 886; Uhlenbruck/Laufs, in: Laufs/Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, § 43 Rn. 2. 103 BGH, NJW 1978, 584, 585; OLG Nürnberg, VersR 1970, 1061; OLG Saarbrücken, VersR 1990, 1289, 1290; Geiß/Greiner, Arzthaftpflichtrecht, Rn. B 12; Spickhoff, in: Soergel, BGB, § 823 Anh I Rn. 71. 104 Zum Organisationsverschulden und generell zu Anforderungen an die Organisation im Medizinbetrieb vgl. Bergmann, VersR 1996, 810 ff.; Brandes, Die Haftung für Organisationspflichtverletzung, S. 56 ff.; Deutsch, NJW 2000, 1745 ff.; Geiß/Greiner, Arzthaftpflichtrecht, Rn. B 18 ff.; Jansen, in: Rieger/Dahm/Steinhilper, HK-AKM, 750 Rn. 20 ff.; Katzenmeier, ZaeFQ 2007, 531 ff.; Kern, MedR 2000, 347 ff.; ders., in: Berg/Ulsenheimer, Patientensicherheit, Arzthaftung, Praxis- und Krankenhausorganisation, S. 59 ff.; Laufs, in: Laufs/Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, § 102; Martis/Winkhart, Arzthaftungsrecht, S. 326 ff.; Matusche-Beckmann, Das Organisationsverschulden, S. 143 ff.; Pflüger, Krankenhaushaftung und Organisationsverschulden; Steffen/Pauge, Arzthaftungsrecht, Rn. 190 ff.; Wagner, in: MüKo-BGB, § 823 Rn. 716 ff. 105 D. Giesen, Arzthaftungsrecht, Rn. 93; Tamm, Jura 2008, 681, 688.
3. Kapitel: Das sozialrechtliche Wirtschaftlichkeitsgebot Die folgenden Ausführungen sind dem sozialrechtlichen Wirtschaftlichkeitsgebot, welches ein grundlegendes Prinzip der GKV darstellt,1 gewidmet. Die Darstellung erfolgt überblicksweise; es sollen vor allem die für einen möglichen Konflikt mit dem Haftungsrecht wesentlichen Aspekte herausgestellt werden.2
A. Rechtsgrundlagen Normiert ist das Wirtschaftlichkeitsgebot in § 12 SGB V. Bereits in § 2 Abs. 1 und Abs. 4 genannt, wird es dort aufgegriffen und näher ausgeführt.3 § 12 SGB V ist eine Grundsatznorm der GKV.4 Die Vorschrift steht am Anfang derjenigen Regelungen, die sich auf die Leistungen beziehen. Diese systematische Stellung macht deutlich, dass das Wirtschaftlichkeitsgebot für jede Leistung der gesetzlichen Krankenkasse zu beachten ist.5 § 70 Abs. 1 S. 2 SGB V wiederholt das Gebot für Vertragsärzte.
B. Inhalt § 12 Abs. 1 S. 1 bestimmt für die GKV: „Die Leistungen müssen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein, sie dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten.“ Jede Leistung hat allen diesen Anforderungen zu genügen.6 Nach § 12 Abs. 1 S. 2 SGB V können Leistungen, die nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind, vom Versicherten nicht beansprucht werden, vom Leistungserbringer nicht bewirkt und von den Krankenkassen nicht bewilligt werden. Die Begriffe ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich stellen jeweils unbestimmte Rechtsbegriffe dar, die den Krankenkassen keinen Beurteilungsspielraum eröffnen. Die Entscheidungen der Krankenkassen sind daher vor Gericht in vollem Umfang nachprüfbar.7 1
Jörg, Das neue Kassenarztrecht, Rn. 414. Umfassend zum Wirtschaftlichkeitsgebot die Monographie von Neugebauer, Das Wirtschaftlichkeitsgebot in der gesetzlichen Krankenversicherung. 3 Joussen, in: BeckOK Sozialrecht, § 12 SGB V vor Rn. 1. 4 Höfler, in: KassKomm, § 12 SGB V Rn. 2; Joussen, in: BeckOK Sozialrecht, § 12 SGB V vor Rn. 1; Ulmer, in: Wannagat, Sozialgesetzbuch, § 12 SGB V Rn. 3; R. Wagner, in: Krauskopf, Soziale Krankenversicherung, Pflegeversicherung, § 12 SGB V Rn. 3. 5 Igl, in: v. Maydell, GK-SGB V, § 12 Rn. 10; R. Wagner, in Krauskopf, Soziale Krankenversicherung, Pflegeversicherung, § 12 SGB V Rn. 3. 6 Joussen, in: BeckOK Sozialrecht § 12 SGB V Rn. 2. 7 So die ganz überwiegende Meinung, vgl. BSGE 17, 79, 84; Höfler, in: KassKomm, § 12 SGB V Rn. 20; Igl, in: v. Maydell, GK-SGB V, § 12 Rn. 13; Joussen, in: BeckOK 2
190
3. Kap.: Das sozialrechtliche Wirtschaftlichkeitsgebot
I. Ausreichende Leistungen Die sozialgesetzliche Vorgabe, dass die Leistungen ausreichend zu sein haben, garantiert zunächst einen Mindeststandard bei der medizinischen Versorgung. Verlangt wird, dass die Leistungen nach Umfang und Qualität eine hinreichende Chance für den Erfolg bieten.8 Gleichzeitig enthält das Kriterium aber auch eine Begrenzung nach oben. Das Ausreichende darf nicht überschritten werden, ist also ein Geringeres bereits ausreichend, darf auch nicht mehr als dies erbracht werden.9 Wann eine Leistung als ausreichend anzusehen ist, lässt sich nicht abstrakt bestimmen, sondern ist vom jeweiligen Einzelfall abhängig.10 § 12 SGB V selbst enthält keine Hinweise für die Bestimmung des rechten Maßes. Als Bezugspunkt ist § 2 Abs. 1 S. 3 SGB V heranzuziehen, der sich seinerseits hinsichtlich der Qualität und der Wirksamkeit der Leistungen auf den „allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse“ bezieht.11
II. Zweckmäßige Leistungen Das Zweckmäßigkeitskriterium ist immer dann erfüllt, wenn die Leistung auf eines der in § 11 Abs. 1, Abs. 2 und § 27 Abs. 1 genannten Ziele objektiv ausgerichtet und hinreichend wirksam ist.12 Die Zweckmäßigkeit setzt somit regelmäßig voraus, dass die zur Anwendung gelangende Behandlungsmethode oder Medikati-
Sozialrecht, § 12 SGB V Rn. 2; R. Wagner, in: Krauskopf, Soziale Krankenversicherung, Pflegeversicherung, § 12 SGB V Rn. 4; a. A. Jörg, Das neue Kassenarztrecht, Rn. 425. 8 Höfler in KassKomm, § 12 SGB V Rn. 22; R. Wagner, in: Krauskopf, Soziale Krankenversicherung, Pflegeversicherung, § 12 SGB V Rn. 5; Igl, in: v. Maydell, GK-SGB V, § 12 Rn. 16; Joussen, in: BeckOK Sozialrecht § 12 SGB V Rn. 4.; Steffen, in: FS für Geiß, S. 487, 494; Ulmer, in Wannagat, Sozialgesetzbuch, § 12 SGB V Rn. 14. Bisweilen wird die qualitative Komponente einzig dem Merkmal der Zweckmäßigkeit zugeschrieben, um eine eigenständige Funktion des Kriteriums ausreichend zu erhalten, vgl. Neugebauer, Das Wirtschaftlichkeitsgebot in der gesetzlichen Krankenversicherung, S. 67. 9 R. Wagner, in Krauskopf, Soziale Krankenversicherung, Pflegeversicherung, § 12 SGB V Rn. 5; Zipperer, in: Orlowski/Rau/Schermer/Wasem/Zipperer, GKV-Kommentar SGB V, § 12 Rn. 2c. 10 Igl, in: GK-SGB V, § 12 Rn. 16; Joussen, in: BeckOK Sozialrecht § 12 SGB V Rn. 4; Ulmer, in: Wannagat, Sozialgesetzbuch § 12 SGB V Rn. 14. 11 Francke, in: Hart, Ärztliche Leitlinien im Medizin- und Gesundheitswesen, S. 190; Igl, in: v. Maydell, GK-SGB V, § 12 Rn. 16; Kruse, in: Kruse/Hänlein, LPK-SGB V, § 12 Rn. 6. 12 Höfler, in: KassKomm, § 12 SGB V Rn. 23; Ulmer, in: Wannagat, Sozialgesetzbuch, § 12 SGB V Rn. 12; R. Wagner, in: Krauskopf, Soziale Krankenversicherung, Pflegeversicherung, § 12 SGB V Rn. 6; Zipperer, in: Orlowski/Rau/Schermer/Wasem/Zipperer, GKVKommentar SGB V, § 12 Rn. 3.
B. Inhalt
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on allgemein anerkannt ist.13 Somit orientiert sich auch das Zweckmäßigkeitskriterium am Maßstab des § 2 Abs. 1 S. 3 SGB V.14
III. Wirtschaftliche Leistungen Das Einzelmerkmal „wirtschaftlich“ umschreibt die Wirtschaftlichkeit im engeren Sinne. Sie ist von der Wirtschaftlichkeit im weiteren Sinne als Oberbegriff für den gesamten § 12 SGB V zu unterscheiden.15 Im engeren Sinne wirtschaftlich ist eine Leistung dann, wenn sie die günstigste Kosten-Nutzen-Relation aufweist. Mit dem geringst möglichen Aufwand soll eine ausreichende und zweckmäßige Leistung erbracht werden. Das Kriterium wird nur relevant, wenn mehrere Behandlungsmöglichkeiten miteinander konkurrieren. Steht nur eine erfolgversprechende Behandlungsmethode zur Verfügung, ist sie auch bei besonders hohem finanziellen Aufwand nicht als unwirtschaftlich anzusehen.16
IV. Notwendige Leistungen Das von § 12 Abs. 1 S. 1 SGB V ebenfalls eingeforderte Maß des Notwendigen entspricht einem Übermaßverbot nach Art und Umfang der Leistung und soll eine Überforderung des Systems vermeiden,17 stellt also wiederum eine Obergrenze dar.18 Das Maß der Leistung muss unvermeidlich sein, um eine Krankheit zu erkennen oder zu heilen, die Verschlimmerung zu verhindern oder die Krankheitsbeschwerden zu lindern.19 Da das Wirtschaftlichkeitsgebot in § 12 SGB V sehr allgemein gehalten ist, hat es an zahlreichen Stellen des SGB V eine Konkretisierung erfahren.20
13
R. Wagner, in: Krauskopf, Soziale Krankenversicherung, Pflegeversicherung, § 12 SGB V Rn. 6. 14 Francke, in: Hart, Ärztliche Leitlinien im Medizin- und Gesundheitsrecht, S. 189; Höfler, in: KassKomm, § 12 SGB V Rn. 28; Neugebauer, Das Wirtschaftlichkeitsgebot in der gesetzlichen Krankenversicherung, S. 65. 15 Francke, in: Hart, Ärztliche Leitlinien im Medizin- und Gesundheitswesen, S. 187. 16 K. Engelmann, in: Jabornegg/Resch/Seewald, Grenzen der Leistungspflicht für Krankenbehandlung, S. 109, 119; Steffen, FS für Geiß, S. 487, 496; Ulmer, in: Wannagat, Sozialgesetzbuch, § 12 SGB V Rn. 16; R. Wagner, in: Krauskopf, Soziale Krankenversicherung, Pflegeversicherung, § 12 SGB V Rn. 8; Wenner, SozSich 2006, 174. 17 R. Wagner, in: Krauskopf, Soziale Krankenversicherung, Pflegeversicherung, § 12 SGB V Rn. 9; Ulmer, in: Wannagat, Sozialgesetzbuch, § 12 SGB V Rn. 13. 18 v. Ziegner, VSSR 2003, 191, 205. 19 BSG, SozR 2200 § 182b RVO Nr. 33; Höfler, in: KassKomm, § 12 SGB V Rn. 39; Ulmer, in: Wannagat, Sozialgesetzbuch, § 12 SGB V Rn. 13. 20 Vgl. dazu näher Neugebauer, Das Wirtschaftlichkeitsgebot in der gesetzlichen Krankenversicherung, S. 145 ff.; Voß, Kostendruck und Ressourcenknappheit im Arzthaftungsrecht, S. 102 ff.
4. Kapitel: Spannungen zwischen Wirtschaftlichkeitsgebot und Haftungsrecht Nach der einzelnen Darstellung des zivilrechtlichen Haftungsmaßstabes und des sozialrechtlichen Wirtschaftlichkeitsgebotes, sollen nunmehr beide Bereiche in der Betrachtung zusammengeführt werden. Dies wirft die Frage auf, ob ein Spannungsverhältnis zwischen Haftungsmaßstab einerseits und Wirtschaftlichkeitsgebot andererseits besteht. Anschließend sollen in einem zweiten Schritt Überlegungen angestellt werden, wie auf Diskrepanzen zwischen den beiden für den ärztlichen Beruf bedeutenden Rechtsgebieten reagiert werden kann und welche Schlussfolgerungen aus etwaigen Spannungen zu ziehen sind.
A. Bestehen eines Spannungsverhältnisses Über das Bestehen eines Spannungsverhältnisses ist die juristische Literatur geteilter Meinung. Zunächst sollen die ein Spannungsverhältnis leugnenden Ansichten benannt werden. Im Anschluss daran sind die bejahenden Stimmen mitsamt ihrer Anknüpfungspunkte für ein Spannungsverhältnis darzustellen, um schließlich in einer ausführlichen Bewertung einen eigenen Standpunkt zu der Problematik zu entwickeln. Erst im Rahmen dieser Bewertung soll dann auch eine inhaltliche Auseinandersetzung mit den zuvor lediglich dargestellten Auffassungen erfolgen.
I. Verneinende Stimmen Clemens hält die Behauptung für überzogen, der Arzt befinde sich dergestalt in einer „Falle“, dass er entweder nur dem Wirtschaftlichkeitsgebot folge leisten könne, dabei aber das haftungsrechtlich Erforderliche nicht erbringen könne oder aber andersherum dem haftungsrechtlich Gebotenen zwar nachkommen könne, dann aber Gefahr laufe, dass seine Behandlungsweise als unwirtschaftlich beanstandet werde.1 Ebenfalls aus der sozialrechtlichen Literatur stammt die Äußerung Igls, das Wirtschaftlichkeitsgebot könne den zivilrechtlichen Sorgfaltsmaßstab nicht herabsetzen, woraus zu folgern sei, dass ein Konflikt zwischen diesem und jenen bei richtiger Auslegung des Wirtschaftlichkeitsgebotes nicht auftreten könne.2 Hans-Jürgen Kretschmer, Richter am BSG, bestreitet eine Inkongruenz zwischen dem zivilrechtlichen Haftungsmaßstab und dem Wirtschaftlichkeitsgebot, indem er zunächst darauf hinweist, dass § 76 Abs. 4 SGB V anordnet, dass der Arzt auch bei der Behandlung von Versicherten der GKV zur Einhaltung der Sorgfalt nach den Vorschriften des bürgerlichen Vertragsrechts verpflichtet ist. 1 2
Clemens, in: Schulin, Handbuch des Sozialversicherungsrechts, Bd. 1, § 35 Rn. 23. Igl, in: v. Maydell, GK-SGB V, § 12 Rn. 7.
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4. Kap.: Spannungen zwischen Wirtschaftlichkeitsgebot und Haftungsrecht
Der an dem medizinischen Standard ausgerichtete Haftungsmaßstab des § 276 Abs. 1 S. 2 BGB (heute § 276 Abs. 2 BGB) verweise letztlich wieder auf das Vertragsarztrecht und die dort geltenden Behandlungsgrundsätze zurück, weil es nach dem Prinzip der Gruppenfahrlässigkeit regelmäßig auf die im Kreis der Allgemein- oder Fachärzte vorausgesetzten Fähigkeiten und zu erwartenden Kenntnisse und Fertigkeiten ankomme. Sofern diese Ärzte Versicherte der GKV behandelten, sei der Rahmen ihres ärztlichen Tätigwerdens mit Wirkung zu Lasten der Krankenkassen als Kostenträger von vornherein durch die insoweit für das Leistungsrecht und für das Leistungserbringungsrecht geltenden Grundsätze begrenzt. Nach einer kurzen Darstellung dieser Grundsätze (angesprochen werden § 28 Abs. 1 S. 1, § 2 Abs. 1, Abs. 4, § 12, § 70 Abs. 1 S. 2, § 72 Abs. 2 und § 135 SGB V) kommt er zu folgendem Schluss: „Wenn das Arzthaftungsrecht an diese Verhältnisse im Rahmen der GKV anknüpft, kann es nach seiner eigenen Systematik von keinem anderen oder höheren Behandlungsstandard ausgehen, als sie nach den für die GKV geltenden Regelungen einschlägig sind.“3 Wegen der in der Literatur vorzufindenden „harmonisierenden Auslegung“ zwischen Haftungs- und Sozialrecht, mit der einem Konflikt des Arzthaftungsrechts mit dem Wirtschaftlichkeitsgebot vorgebeugt werde, hält V. Neumann die Aussage, der Vertragsarzt befinde sich in einer „ausweglosen Situation“ zwischen haftungsrechtlichen Anforderungen und sozialrechtlichen Beschränkungen, für deutlich überzogen.4 Die von V. Neumann angesprochene harmonisierende Auslegung findet sich in Ansätzen in den Ausführungen des Strafrechtlers Günter, der der Auffassung ist, dass medizinischer Aufwand und ärztliche Maßnahmen, die nach den haftungsrechtlichen Regeln des Zivilrechts geboten sind, gleichzeitig als ausreichende und auch im Blick auf das Wirtschaftlichkeitsgebot notwendige Leistungen im Sinne des Sozialversicherungsrechts anzusehen sind. Die anerkannten Regeln der ärztlichen Kunst und die Standards der medizinischen Fachdisziplinen füllten auch den Begriff der Zeckmäßigkeit im Sinne des § 12 SGB V inhaltlich aus. Ein begrifflicher Gegensatz bestehe insoweit nicht.5 Ähnlich äußert sich Oldiges, nach dessen Ansicht das Wirtschaftlichkeitsgebot so konzipiert ist, dass eine als wirtschaftlich anzusehende Behandlung den Arzt immer auch vor einer zivilrechtlichen Haftung bewahre. „Ein Konflikt zwischen Wirtschaftlichkeitsprinzip und zivilrechtlicher Haftung besteht nicht. Handelt der Arzt wirtschaftlich und beachtet die Regeln der ärztlichen Kunst, so trifft ihn keine zivilrechtliche Haftung.“6 Ulsenheimer zufolge steht der Sorgfaltsmaßstab des Zivilrechts nicht im Widerspruch zu den sozialrechtlich gebotenen Leistungen. Dies ergebe sich aus dem Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung, so dass gegenüber sozialversicherten Patienten und selbstzahlenden Patienten dieselben ärztlichen Sorgfaltspflichten 3
Kretschmer, ArztR 2003, 144, 148. V. Neumann, NZS 2005, 617, 621 f. 5 Günter, Der Arzt und sein Recht, 15/1991, 6, 10. 6 Oldiges, in: Arbeitsgemeinschaft Rechtsanwälte im Medizinrecht, Die ärztliche Behandlung im Spannungsfeld zwischen kassenärztlicher Verantwortung und zivilrechtlicher Haftung, S. 49, 55 f. 4
A. Bestehen eines Spannungsverhältnisses
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gelten. Das Wirtschaftlichkeitsgebot legitimiere daher im Ergebnis keinerlei Abstriche am medizinisch vorgesehenen Behandlungsstandard. „Ärztliche Sorgfaltspflicht und Wirtschaftlichkeitsgebot stehen sich nicht im Sinne einer Antithese gegenüber, vielmehr erkennt das Wirtschaftlichkeitsgebot an, daß die ärztlich gebotene Sorgfalt auch rechtlich erfüllt werden darf und muß.“ Die Wirksamkeit einer Maßnahme oder eines Mittels und die medizinische Indikation haben bei der Abwägung Vorrang vor dem Aspekt des Preises und der Wirtschaftlichkeit.7 Für Voß führt das Wirtschaftlichkeitsgebot der GKV nur dann zu dem befürchteten Auseinanderlaufen zivilrechtlicher und sozialrechtlicher Maßstäbe, wenn die Gerichte der Zivil- und Sozialgerichtsbarkeit in einzelnen Rechtsfragen unterschiedliche Auffassungen vertreten oder bei vergleichbaren Sachverhalten voneinander abweichende Wertungen vornähmen. Rechtlich sei ein solcher Konflikt nicht angelegt; auch in tatsächlicher Hinsicht zeichne er sich nicht ab.8 Conradi nimmt bei seiner Bewertung auf den Unterschied zwischen Rationalisierung und Rationierung Bezug. Ein Konflikt zwischen den Anforderungen des sozialversicherungsrechtlichen Wirtschaftlichkeitsgebots und den haftungsrechtlichen Anforderungen erscheint für ihn definitionsgemäß ausgeschlossen. Seine Argumentation stützt sich darauf, dass der Arzt zwar zwischen mehreren möglichen Leistungen diejenige zu wählen hat, welche die geringsten Kosten verursacht, das sozialversicherungsrechtliche Wirtschaftlichkeitsgebot aber nicht im Wege steht, wenn nur eine medizinische Leistung indiziert ist. Das Wirtschaftlichkeitsgebot bedeute nämlich lediglich Rationalisierung, nicht jedoch Rationierung. Zudem sei der medizinische Standard Bestandteil des Wirtschaftlichkeitsgebotes. Nur wenn also der Standard beachtet worden ist, könne eine Leistung als wirtschaftlich bezeichnet werden.9 Etwas anderes könne sich im therapeutischen Bereich aber dann ergeben, wenn von zwei Behandlungsalternativen, die beide das gewünschte Ergebnis erzielen, die eine weniger belastend für den Patienten und/oder schneller, dafür aber auch kostenintensiver als die andere ist. Haftungsrechtlich bestehe die Problematik darin, dass eine Verzögerung der Heilung oder die Aufrechterhaltung eines vermeidbaren Schmerzzustandes als rechtswidrige Körperverletzung zu werten sei. Wähle der Arzt also die kostenintensivere Therapie, sei ihm ein unwirtschaftliches Verhalten vorzuwerfen. Wähle er hingegen die kostengünstigere Alternative, widerspreche dies dem Haftungsrecht.10 Dass sich das Haftpflichtrecht im Gegensatz zum sozialversicherungsrechtlichen Leistungsstandard tendenziell am medizinisch Machbaren, also Optimalen orientiert und ökonomische Erwägungen zunächst zurückstellt, lässt für Scherer prima facie einen Widerspruch zwischen Wirtschaftlichkeitsgebot und Haftungsrecht vermuten. Allerdings müsse diese verallgemeinernde Aussage vor dem Hintergrund der – wenn auch einzelfallbezogenen – Rechtsprechung der Zivilgerichte relativiert werden. Zwar sei im Rahmen des zivilrechtlichen Behandlungsvertrages gegenüber dem Patienten eine Behandlung mit der gebotenen Sorgfalt unter Ein7
Ulsenheimer, MedR 1995, 438, 440. Voß, Kostendruck und Ressourcenknappheit im Arzthaftungsrecht, S. 151 mit Verweis auf die eigenen Ausführungen auf S. 141 ff. Kritisch hierzu Laufs, MedR 2000, 113. 9 Conradi, Verknappung medizinischer Ressourcen und Arzthaftung, S. 109 f. 10 Conradi, Verknappung medizinischer Ressourcen und Arzthaftung, S. 113. 8
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4. Kap.: Spannungen zwischen Wirtschaftlichkeitsgebot und Haftungsrecht
haltung der fachlichen Standards geschuldet. Auch das Haftungsrecht verlange jedoch nicht stets eine unbezahlbare Maximaldiagnostik und Therapie, sondern lasse im Gleichklang mit dem Krankenversicherungsrecht eine Standardbandbreite zu, die sowohl die ärztliche Therapiefreiheit respektiere als auch strukturelle Unterschiede berücksichtige. Das Postulat des SGB V, wonach die Behandlung ausreichend und zweckmäßig sein muss, decke sich mit der haftungsrechtlichen Erfordernis einer im Einzelfall indizierten Behandlung.11 Solange das sozialrechtliche Wirtschaftlichkeitsgebot nicht auf eine Rationierung ziele, verhielten sich das Zivil- und das Krankenversicherungsrecht kongruent zueinander.12 Festzuhalten sei, dass nach dem geltenden Recht keine Widersprüche zwischen dem sozialrechtlichen Wirtschaftlichkeitsgebot und den Anforderungen des Arzthaftungsrechts bestünden. „Die vielfach propagierte Pflichtenschere zwischen § 12 I SGB V und dem haftungsrechtlichen Sorgfaltsmaßstab existiert somit nicht rechtlich sondern faktisch, indem das sozialversicherungsrechtliche Wirtschaftlichkeitsgebot die Leistungserbringer zu einem falsch verstandenen Sparzwang animieren kann.“ Etwas anderes ergäbe sich aber dann, wenn bei der Beurteilung der Wirtschaftlichkeit nach § 12 Abs. 1 SGB V das Feld der Rationierung betreten würde.13 Wie die Ausführungen im ersten Teil der Untersuchung gezeigt haben, kann die Tatsache, dass bereits rationiert wird, nicht mehr bestritten werden,14 so dass die benannte kritische Veränderung tatsächlich bereits stattgefunden hat. Dies richtet den Blick auf die ein Spannungsverhältnis bejahenden Stimmen in der Literatur.
II. Bejahende Stimmen und Anknüpfungspunkte In einer der ersten Äußerungen, die sich mit dem Spannungsverhältnis von Haftungs- und Sozialrecht befassen, konstatierte Kramer im Jahr 1993, dass „die Finanzierung eines hohen medizinischen Standards heute noch als Kassenleistung möglich sein [mag]“. Es zeichne sich jedoch ab, dass ständig optimierte medizinische Standards von der bestehenden sozialen Krankenversicherung nicht mehr bezahlt werden könnten.15 Könne eine medizinische Standardmethode aus Kostengründen nicht mehr von den Krankenkassen zur Verfügung gestellt werden, handle der Arzt, der die Leistung dennoch erbringt, seinen kassenärztlichen Verpflichtungen zuwider. Erbringe er die Leistung aber nicht und erleide der Patient hierdurch einen Schaden, werde der Arzt zivilrechtlich zur Verantwortung gezo-
11
Scherer, Stationäre Krankenhausbehandlung im Spannungsverhältnis zwischen Ökonomisierung und Haftungsrecht, S. 212; so auch Broglie, in: ZaeFQ 1997, 639, 642. 12 Scherer, Stationäre Krankenhausbehandlung im Spannungsverhältnis zwischen Ökonomisierung und Haftungsrecht, S. 212. 13 Scherer, Stationäre Krankenhausbehandlung im Spannungsverhältnis zwischen Ökonomisierung und Haftungsrecht, S. 214; so ja auch schon v. Ziegner, VSSR 2003, 191, 209; ferner Quaas, Das Krankenhaus 1997, 542, 545. 14 Vgl. 1. Teil Kap.2, S. 38 u. 1. Teil Kap. 2 D., S. 46 ff. 15 Kramer, MedR 1993, 345.
A. Bestehen eines Spannungsverhältnisses
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gen. In derartigen Fällen bleibe dem Arzt keine Möglichkeit, sich rechtmäßig zu verhalten.16 Für Schewe zeichnet sich im vertragsärztlichen Wirtschaftlichkeitsgebot ein gewisses Spannungsverhältnis zur ärztlichen Sorgfaltspflicht ab, weil der Versicherte nach dem Wirtschaftlichkeitsgebot zwar einen Anspruch auf eine den Regeln der ärztlichen Kunst entsprechende ausreichende und zweckmäßige Versorgung habe, er aber keine Leistungen beanspruchen könne, die nicht notwendig oder unwirtschaflicht sind. Das „oder“ signalisiere einen Vorrang des Ökonomischen vor dem Notwendigen, was aber durch die „salvatorische Klausel“ (angesprochen ist § 76 Abs. 4 SGB V), der Arzt sei mit der Übernahme der Behandlung zur Sorgfalt nach den Vorschriften des bürgerlichen Vertragsrechts verpflichtet, wieder zurückgenommen werde. Der Gesetzgeber sei also offenbar bemüht, seine Unschuld zu wahren und etwaige Risiken des Wirtschaftlichkeitsgebots letztlich doch dem Arzt zu überbürgen und an der Arzthaftung festzumachen.17 Zugespitzte, rechtlich fassbare Konflikte zwischen Wirtschaftlichkeitsgebot und Sorgfaltsrecht in Zivilprozessen dürften seiner Ansicht nach wegen Schwierigkeiten des Beweisrechts die Ausnahme bleiben.18 Es ist freilich zu berücksichtigen, dass auch dieser Beitrag ein älterer ist und aus dem Jahre 1996 stammt. Entgegen dem mehrheitlich ein Spannungsverhältnis zwischen Wirtschaftlichkeitsgebot und Haftungsregeln verneinenden sozialrechtlichen Schrifttum19 hat sich Broglie geäußert. Ein Vertragsarzt handle pflichtwidrig, wenn er eine medizinische Standardmethode erbringe, die aus Kostengründen von den Krankenkassen nicht finanziert wird. Unterlasse es der Arzt in einem solchen Fall, die Leistung zu erbringen und erleide der Patient dadurch einen Schaden, folgten für den Arzt zivilrechtliche Konsequenzen, so dass ein rechtmäßiges Verhalten für den Arzt nicht ersichtlich sei.20 Da Wirtschaftlichkeitserwägungen künftig verstärkt von der Haftpflichtrechsprechung sowie den Prozessparteien und Sachverständigen zu berücksichtigen seien, bestehe insgesamt eine „Konfliktsituation“.21 Hart greift die Materie nicht allgemein, sondern in einem speziellen Zusammenhang auf, indem er sich auf die Frage konzentriert, wie zu verfahren ist, wenn Richtlinien von den Standard repräsentierenden Leitlinien aus sozialrechtlichen Wirtschaftlichkeitsgründen abweichen – und damit nicht dem Standard entsprechen – sollten. Dann, so gesteht er zu, bestehe für das Haftungsrecht ein Bindungsproblem.22 16
Kramer, MedR 1993, 345. Schewe, Der Arzt und sein Recht 1/1996, 8, 9. 18 Schewe, Der Arzt und sein Recht 1/1996, 8, 10. 19 Zu den ablehnenden Standpunkten vgl. 2. Teil Kap. 4 A. I., S. 193 ff. 20 Broglie, ZaeFQ 1997, 639, 641; so auch schon Kramer, MedR 1993, 345. 21 Broglie, ZaeFQ 1997, 639, 642. 22 Hart, in: Hart, Ärztliche Leitlinien, S. 137, 148 f.; ders., VSSR 2002, 265, 294 gemeinsam mit Francke in Francke/Hart, Charta der Patientenrechte, S. 29 erklärt er den haftungsrechtlichen Standard und die nach dem Wirtschaftlichkeitsgebot des § 12 SGB V gebotene Versorgung für identisch. „Die haftungsrechtlich gebotene ist gleichzeitig die nach dem Leistungsrecht wirtschaftliche Behandlung.“ Dennoch könne es im Bereich von neuen Behandlungen und Behandlungsmethoden zu Diskrepanzen kommen. Hierauf wird im 17
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4. Kap.: Spannungen zwischen Wirtschaftlichkeitsgebot und Haftungsrecht
Für den Bereich der vertragszahnärztlichen Versorgung findet sich in einer Untersuchung v. Ziegners ein vergleichbarer Ansatz, in dem das Wirtschaftlichkeitsgebot aus dem Blickwinkel betrachtet wird, dass eine Leistung zwar ausreichend, zweckmäßig und notwendig, sie allerdings nicht im Leistungskatalog der vertragszahnärztlichen Versorgung enthalten ist, so dass die Durchführung zu Lasten der GKV unwirtschaftlich wäre.23 Danach sind zwei verschiedene Situationen zu unterscheiden: Immer dort, wo das Gebot der Wirtschaftlichkeit auf eine Rationalisierung der Leistungserbringung ziele, bestehe kein Konflikt zwischen Wirtschaftlichkeitsgebot und zivilrechtlichem Haftungsrecht. „Bezweckt jedoch das Wirtschaftlichkeitsgebot, wie es in Bezug auf den gesetzlichen Ausschluss der funktionsanalytischen und -therapeutischen Leistungen der Fall ist, eine Rationierung von Leistungen, d. h. das knappheitsbedingte Vorenthalten von Gesundheitsleistungen, deren Erbringung aus medizinischer Sicht notwendig und somit indiziert ist, so können die haftungsrechtlichen Anforderungen und die sozialrechtlichen Anforderungen nicht mehr kongruent sein.“ In dieser Situation stehe der vertragszahnärztlich zugelassene Zahnarzt in einer Pflichtenkollision zwischen seiner zivilrechtlichen Sorgfaltspflicht aus dem Behandlungsvertrag einerseits und seiner sozialrechtlichen Pflicht andererseits.24 Beim Vorliegen einer Indikation zur Durchführung funktionsanalytischer und funktionstherapeutischer Leistungen müsse davon ausgegangen werden, dass eine Beschränkung der Behandlung auf den sozialgesetzlichen Leistungskatalog die ärztliche Sorgfaltspflicht verletzt.25 Auch an dieser Stelle ist abermals darauf hinzuweisen, dass im deutschen Gesundheitssystem bereits heute rationiert wird. In seinem Aufsatz zum „Spannungsverhältnis von Haftungsrecht und Kassenarztrecht“ hält es Kern für eine „Binsenweisheit, daß ärztlicher Standard und sozialrechtliche Vorgaben in der gesetzlichen Krankenversicherung Diskrepanzen aufweisen können“.26 Aus den in § 12 SGB V verwendeten Adjektiven ausreichend, zweckmäßig und notwendig ergebe sich eine Anbindung an den Standard, wenn auch nur einen Mindeststandard. Dass dieser Standard ein ärztlicher ist, ergebe sich aus § 28 SGB V: „Die ärztliche Behandlung umfasst die Tätigkeit des Arztes, die zur Verhütung, Früherkennung und Behandlung von Krankheiten nach den Regeln der ärztlichen Kunst ausreichend und zweckmäßig ist.“ Das in § 12 SGB V enthaltene Merkmal „wirtschaftlich“ bilde den sozialrechtlichen Gegenpol zum titelgebenden Spannungsverhältnis.27 Zur Verdeutlichung der Problematik wird der dem § 39 Abs. 1 S. 2 SGB V zugrunde liegende Grundsatz „im Zweifel ambulant“ bemüht, der nach medizinischen Gesichtspunkten „im Zweifel statio-
2. Teil Kap. 4 A. III. 3., S. 203 ff. u. 2. Teil Kap. 4 A. III. 4., S. 206 f. noch zurückzukommen sein. 23 v. Ziegner, VSSR 2003, 191, 206. 24 v. Ziegner, VSSR 2003, 191, 209; s. auch Kern, MedR 2004, 300, 302. 25 v. Ziegner, VSSR 2003, 191, 210. 26 Kern, MedR 2004, 300. 27 Kern, MedR 2004, 300, 301.
A. Bestehen eines Spannungsverhältnisses
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när“ heißen müsse.28 Weiterhin wird auch hier auf von der GKV nicht getragene zahnärztliche Leistungen Bezug genommen.29 Den Blick in die Zukunft gerichtet befürchtet Angela Diederichsen, Mitglied des für das Arzthaftungsrecht zuständigen VI. Zivilsenats des BGH, dass das Haftungsrecht zu entscheiden hat, „ob der Arzt unter Berücksichtigung seiner haftungsrechtlich gegebenen Verantwortung für das Wohl des Patienten bei absoluter vitaler Indikation einer Behandlungsmethode trotz fehlender Kostendeckung durch die gesetzlichen Krankenversicherung (…) und ohne mögliche wirtschaftliche Eigenbeteiligung der Patienten (…) auf die erforderliche Therapie aus Kostengründen verzichten darf oder ob er ohne Rücksicht auf die Kosten zur Behandlung verpflichtet ist.“ Sie äußert gleichwohl die Hoffnung, dass man sich mit diesem Problem niemals wird befassen müssen.30 Besonders dezidiert hat der ehemalige Vorsitzende VI. Zivilsenats des BGH Erich Steffen in einem Festschriftbeitrag mit dem Verhältnis von Haftungs- und Sozialrecht befasst und Überlegungen zu einer Harmonisierung angestellt.31 Beide Rechtsgebiete müssten sich um einen Gleichklang bemühen und „auf dem Boden der derzeitigen gesetzlichen Vorgaben des SGB V kann die Arzthaftungsrechtsprechung dies auch, ohne im Haftungsmaßstab für die ärztliche Behandlung zwischen Kassen- und Privatpatienten differenzieren zu müssen“.32 Nach einer genaueren Befassung mit den einzelnen Vorgaben des SGB V und den korrespondierenden Anforderungen des Arzthaftungsrechts kommt Steffen zu dem Ergebnis, dass das Haftungsrecht dem Wirtschaftlichkeitsbegriff des SGB V nicht im Wege stehe.33 Zwar werden so aktuell Spannungen zwischen Haftungsrecht und Wirtschaftlichkeitsgebot verneint, der Ausgangspunkt verdeutlicht aber, dass auch Steffen grundsätzlich von einem Spannungsverhältnis ausgeht, weil ansonsten Harmonisierungsüberlegungen gar nicht erst erforderlich wären. Zudem hält er Konflikte für die Zukunft nicht ausgeschlossen: „Ein Verständnis von ausreichender, zweckmäßiger, wirtschaftlicher Krankenversorgung, das unter dem Diktat budgetärer Vorgaben oder statistischer Wirtschaftlichkeitskontrollen am ärztlichen Behandlungsauftrag vorbei sich über das für das Behandlungsziel Indizierte hinwegsetzte, könnte das Haftungsrecht auch für die Versorgung des Kassenpatienten nicht akzeptieren.“34 Nur wenig später wird aber einschränkend hinzugefügt, dass auch der Versorgungsauftrag des SGB V an GKV und Leistungserbringer, solange er an den Zielen der ärztlichen Aufgabe festgemacht bleibe, es nicht gestatte, eine zur Erfüllung dieser Aufgaben wirklich indizierte, von der Medizin für diese Behandlungssituation als notwendig anerkannte Maßnahme als unzweckmäßig oder
28 Kern, MedR 2004, 301, 302; so auch Scherer, Stationäre Krankenhausbehandlung im Spannungsverhältnis zwischen Ökonomisierung und Haftungsrecht, S. 214 f. 29 Kern, MedR 2004, 301, 302. 30 Diederichsen, in: Hart, Klinische Leitlinien und Recht, S. 105, 112. 31 Steffen, in: FS für Geiß, S. 487, 494 ff. 32 Steffen, in: FS für Geiß, S. 487, 494. 33 Steffen, in: FS für Geiß, S. 487, 496. 34 Steffen, in: FS für Geiß, S. 487, 497.
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4. Kap.: Spannungen zwischen Wirtschaftlichkeitsgebot und Haftungsrecht
unwirtschaftlich abzulehnen, solange für diesen Patienten in der speziellen Situation keine echte Alternative zur Verfügung stehe.35 Hingewiesen wird von Steffen auch darauf, dass der Sorgfaltsmaßstab des § 276 BGB primär an den Katalog der durch den Behandlungsauftrag übernommenen Behandlungspflicht anknüpfe. Erst sekundär bestimme er einen Mindestumfang von Behandlungspflichten mit. „Wie weit Diagnostik zu treiben ist, ob eine angenehmere Therapie, ein billigeres, aber langsamer wirkendes Medikament zu verschreiben ist, darüber bestimmt zunächst der der Behandlung zugrunde gelegte Leistungsrahmen, erst in zweiter Linie der Maßstab der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt.“ Letzterer ordne nur an, dass das vereinbarte Leistungsziel sorgfältig verfolgt werde und das übernommene Leistungsprogramm ordentlich erbracht werde. Nur unter diesem Aspekt gestalte er am Programmsockel mit.36 Schließlich widmet sich Steffen den in Richtlinien festgehaltenen Beschlüssen der Bundesausschüsse (jetzt zusammengefasst im G-BA): Weil und solange diese sich an einer ausreichenden, sich nach Qualität und Wirksamkeit am allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse und am medizinischen Fortschritt orientierenden Krankenversorgung ausrichteten, könne einem Arzt im Haftungsprozess kein Fehlervorwurf gemacht werden, wenn er eine mit dem Negativattest der Bundesausschüsse belegte Methode nicht angewendet oder ein abqualifiziertes Heilmitteln nicht verordnet habe.37 Sofern ein Spannungsverhältnis darüber hinaus in der juristischen Literatur thematisiert und als existent betrachtet worden ist, wurde es nahezu einheitlich an zwei bestimmten Merkmalen zweier konfligierender Normen festgemacht. Katzenmeier etwa formuliert: „Zwischen dem Haftpflicht- und dem Sozialversicherungsrecht besteht ein Spannungsverhältnis, angelegt in den Begriffen der ‚erforderlichen’ Sorgfalt des § 276 BGB, die eine Grenze markiert, welche nicht unterschritten werden darf, und der ‚ausreichenden’ Versorgung in § 12 SGB V, die eine Obergrenze bildet.“38 Wenn sich das Haftpflichtrecht weiterhin an dem medizinisch Machbaren orientiere und damit tendenziell das Optimale fordere, wohingegen nach dem Sozialversicherungsrecht Leistungen nicht erbracht werden dürfen, die nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind, dann drohe ein Auseinan35
Steffen, in: FS für Geiß, S. 487, 498. Steffen, in: FS für Geiß, S. 487, 492; auch hier ähnlich Herb, Die Verteilungsgerechtigkeit in der Medizin, S. 208. 37 Steffen, in: FS für Geiß, S. 487, 500. 38 Katzenmeier, Arzthaftung, S. 291; ders., in: Laufs/Katzenmeier/Lipp, Arztrecht, X. Rn. 30; s. auch Goetze, Arzthaftungsrecht und kassenärztliches Wirtschaftlichkeitsgebot, S. 187 f., noch zu § 368e RVO; Herb, Die Verteilungsgerechtigkeit in der Medizin, S. 207; Kempter, Medizinische Sorgfaltsstandards, S. 182; Rosenau/Kifmann, in: Möllers, Standardisierung durch Markt und Recht, S. 49, 67; Scholz, Arzthaftpflicht, S. 31 f.; ganz ähnlich Schimmelpfeng-Schütte, MedR 2002, 286, 290, hier bildet die Notwendigkeit die Obergrenze. Allgemeiner Bruns, ArztR 2000, 184, 185: „Der zunehmende Widerspruch zwischen dem entsprechend den medizinischen Möglichkeiten festgelegten und damit haftungsrechtlich gebotenen Behandlungsstandard einerseits und den in der Praxis fehlenden Finanzierungsmöglichkeiten andererseits [kann] faktisch dazu führen, dass der Arzt für fehlende Ressourcen haftbar gemacht wird.“ 36
A. Bestehen eines Spannungsverhältnisses
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derdriften beider Teilrechtsgebiete.39 Träfe dieser Befund zu, hätte dies weitreichende Folgen für den behandelnden Arzt, befände er sich doch in einer Situation, in der er einerseits haftungsrechtlich verpflichtet wäre, eine bestimmte Behandlung durchzuführen, sie gleichzeitig aber sozialversicherungsrechtlich nicht abrechnen könnte.
III. Bewertung Angesichts dieser unterschiedlichen Auffassungen soll nachfolgend das von Teilen des Schrifttums angenommene Spannungsverhältnis zwischen § 276 BGB und § 12 SGB V näher begutachtet werden. Es wird zu zeigen sein, dass eine durchaus differenzierende Sichtweise angebracht ist. 1. „Ausreichende“ Leistungen und unterschiedliche Standards Es wurde bereits dargelegt, dass das Kriterium der „ausreichenden“ Leistungen sowohl eine Unter- als auch eine Obergrenze für die medizinische Versorgung darstellt, dass zur Bestimmung dessen, was als „ausreichend“ im Sinne des § 12 Abs. 1 S. 1 SGB V anzusehen ist, auf § 2 Abs. 1 S. 3 SGB V zurückgegriffen werden muss und dass sich dieser wiederum hinsichtlich der Qualität und der Wirksamkeit der Leistungen auf den „allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse“ bezieht.40 Während der zivilrechtliche Standard, mittels dessen die Anforderungen an die gemäß § 276 Abs. 2 BGB im Verkehr erforderliche Sorgfalt bestimmt werden, gänzlich an den medizinischen Standard anschließt, rezipiert § 2 Abs. 1 S. 3 mit seinem Bezug auf den „allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse“ lediglich den Basisstandard.41 Wegen des zweiten Halbsatzes des § 2 Abs. 1 S. 3 SGB V, wonach auch „der medizinische Fortschritt zu berücksichtigten“ ist, ließe sich vermuten, der dynamische Teil des medizinischen Standards sei ebenfalls mit umfasst.42 Der medizinische Fortschritt findet jedoch erst dann Beachtung, wenn er allgemein anerkannt ist,43 aus ihm erwachsende Erkenntnisse und Methoden also ihrerseits zum Basisstandard geworden sind.44 So kann der medizi39
Katzenmeier, Arzthaftung, S. 291; ders., in: Laufs/Katzenmeier/Lipp, Arztrecht, X. Rn. 30; zu dieser Gefahr auch Francke/Hart, Charta der Patientenrechte, S. 29; Kern, NJW 1996, 1561, 1562; Laufs, NJW 1997, 1609, 1612; Reiling, MedR 1995, 443, 444; Steffen/Pauge, Arzthaftungsrecht, Rn. 134. 40 Vgl. 2. Teil Kap. 3 B. I., S. 192. 41 Kern, MedR 2004, 300, 301; Kreße, MedR 2007, 393, 397. 42 So Kreße MedR 2007, 393, 397. Zur Unterscheidung von Basisstandard und dynamischem Standard s. 2. Teil Kap. 2 B. I., S. 174 ff. 43 Günter, Der Arzt und sein Recht 15/1991, 6, 8; Wollenschläger, in Wannagat, Sozialgesetzbuch, § 2 SGB V Rn. 12; abweichend Kullmann, VersR 1997, 529, 531; kritisch auch Hart, MedR 1996, 60, 66, 68; Katzenmeier, Arzthaftung, S. 317; ders., NVersZ 2002, 537, 539. 44 Die Verschiedenheit der Standards wird auch angedeutet bei Francke/Hart, Charta der Patientenrechte, S. 29; von Hart stammt auch die Aussage, dass das Haftungsrecht für die
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4. Kap.: Spannungen zwischen Wirtschaftlichkeitsgebot und Haftungsrecht
nische Fortschritt, wie vom Gesetzgeber beabsichtigt, in den Leistungsumfang der GKV integriert werden.45 2. Rechtliche Konsequenzen Wenn das SGB V dem gesetzlich Krankenversicherten eine „ausreichende“ Leistung zusagt, soll ihm also in jedem Falle eine dem medizinischen Standard entsprechende Leistung zuteil werden. Unter mehreren dem medizinischen Standard entsprechenden Methoden kann der Arzt ohne haftungsrechtliche Konsequenzen frei wählen, auch wenn eine der Methoden als optimal zu bewerten ist.46 Dass die ärztliche Vorgehensweise dem medizinischen Standard zu entsprechen hat, heißt nicht, dass stets das neueste Therapiekonzept geschuldet ist.47 Solange der Arzt seinem Patienten eine immerhin dem Basisstandard entsprechende Behandlung zukommen lässt, kann ihm grundsätzlich kein Behandlungsfehlervorwurf gemacht werden.48 Insofern ist der genannten Auffassung von Clemens49 beizupflichten, Behandlung und Versorgung von Kassenpatienten im Einzelfall einen höheren Standard verlangen kann als das Sozialrecht, weil für das Haftungsrecht der jeweilige Stand, für das Sozialrecht dagegen der allgemein anerkannte Stand der medizinischen Erkenntnisse und ärztlichen Erfahrung maßgeblich ist (zitiert nach Laum, DÄBl. 2001, A-3176, A-3178; s. auch schon Hart, MedR 1996, 60, 60: haftungsrechtlich sei im Gegensatz zum Recht der GKV die Kenntnis des jeweiligen Standes und nicht des anerkannten Standes der medizinischen Erkenntnisse vom Arzt gefordert; auf einen gemeinsamen Ausgangspunkt beider Standardbegriffe, den medizinischen Standard, und die Möglichkeit, dass sich beide auseinander bewegen können wird hingewiesen bei Francke/Hart, ZaeFQ 2001, 732, 733; sowohl Francke in: Hart, Klinische Leitlinien und Recht, S. 123, 126 f., als auch Hart, in: Hart, Ärztliche Leitlinien im Medizin- und Gesundheitswesen, S. 63, vertreten aber auch einen Gleichlauf des Standards im Vertragsarztrechts und des zivilrechtlichen Maßstabs. Dies entspricht der ganz üblichen Sichtweise, vgl. nur Herb, Die Verteilungsgerechtigkeit in der Medizin, S. 211; 215; Jansen, in: Rieger/Dahm/Steinhilper, HK-AKM, 750 Rn. 15; Kretschmer ArztR 2003, 144, 148; Kullmann, VersR 1997, 529, 532; Rieger, MedR 1996, 147; Scherer, Stationäre Krankenhausbehandlung im Spannungsverhältnis zwischen Ökonomisierung und Haftungsrecht, S. 212 ff.; Schreiber, ZaeFQ 2000, 846; Steffen, MedR 1995, 190; Kifmann/Rosenau, in: Möllers, Standardisierung durch Markt und Recht, S. 49, 66. 45 Vgl. Hart MedR 1996, 60, 66 f.; ähnlich Péntek, Die Leistungspflicht der Gesetzlichen Krankenversicherung bei der Anwendung von Außenseitermethoden in der Medizin, S. 104 f. 46 BGH NJW 1994, 1596, 1597 f.; Hart, MedR 1996, 60, 69; Kern MedR 2004, 300, 301; Koyuncu, in: Rosenau/Hakeri, Der medizinische Behandlungsfehler, 2008, S. 11, 15; ders., AZR 2007, 69, 71. 47 BGHZ 102, 17, 24; BGH, NJW 1992, 754, 755; Müller, GesR 2004, 257, 259; Steffen/Pauge, Arzthaftungsrecht, Rn. 161. 48 Vgl. v. Ziegner VSSR 2003, 191, 207 f.; s. auch Conradi, Verknappung medizinischer Ressourcen und Arzthaftung, S. 133 sowie Stöhr, in: FS für Hirsch, S. 431, 440: „Solange und soweit der Versorgungsauftrag in der Gesetzlichen Krankenversicherung und dessen Konkretisierung durch Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses trotz der erforderlichen Kostendämpfungsmaßnahmen dem medizinisch Ausreichenden verpflichtet bleibt,
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dass der Arzt sich noch nicht in der „Falle“ befindet, aufgrund der Maßgaben des SGB V nur entweder dem haftungsrechtlich Erforderlichen nicht nachkommen zu können oder aber Gefahr zu laufen, dass seine Behandlungsweise als unwirtschaftlich beanstandet wird. In Übereinstimmung mit Scherer50 lässt sich festhalten, dass eine Pflichtenschere zwischen § 12 Abs. 1 SGB V und dem haftungsrechtlichen Sorgfaltsmaßstab rechtlich somit nicht existiert. An diesem Befund vermögen auch die weiteren Teilbegriffe „wirtschaftlich“ und „notwendig“ nichts zu ändern. Für das Wirtschaftlichkeitskriterium wurde gezeigt, dass im Falle nur einer erfolgversprechenden Behandlungsmethode keine Berücksichtigung der Kosten stattfindet.51 Selbst wenn bei konkurrierenden Behandlungsmöglichkeiten eine nach einer Abwägung als unwirtschaftlich ausscheidet, erhält der Versicherte wegen des Zusammenspiels mit den Erfordernissen „ausreichend“ und „zweckmäßig“ eine dem medizinischen Standard entsprechende Versorgung. Die verlangte Wirtschaftlichkeit darf wegen des Ineinandergreifens der einzelnen Merkmale des Wirtschaftlichkeitsgebotes ebenso wenig wie die Anforderung der Notwendigkeit52 dazu führen, dass das Leistungsniveau der GKV den medizinischen Standard unterschreitet. 3. Tatsächliche Spannungen Damit ist die These vom Spannungsverhältnis zwischen § 12 Abs. 1 SGB V und § 276 Abs. 2 BGB freilich nicht widerlegt. Das Recht trifft zwar nicht ausdrücklich zwei konfligierende Anordnungen, wohl aber bereitet die Ausfüllung der Begriffe der erforderlichen Sorgfalt und der Wirtschaftlichkeit Probleme. Zudem bestehen auch in tatsächlicher Hinsicht Spannungen.53 Der Arzt will seinem Patienten stets die beste medizinische Versorgung zukommen lassen. Der Fortschritt in der Medizin bringt aber fortwährend neue und bessere, zumeist auch teurere Untersuchungs- und Behandlungsmethoden hervor. Kaum eine Neuerung findet jedoch sofort die allgemeine Anerkennung, vielmehr durchläuft jede einen Entwicklungsprozess, bis sie Teil des Basisstandards geworden sind. Auf diesem Weg vollzieht sich auch der Schritt von der Neulandmethode hin zu einer solchen, die schon teilweise Fürsprecher gefunden und Anerkennung erfahren hat, mithin dem dynamischen Teil des Standards angehört. Die Übergänge sind dabei fließend.54
wird also das Spannungsverhältnis zwischen dem Sozialrecht und dem Haftungsrecht im Sinne eines Gleichklangs lösbar sein.“ 49 Vgl. 2. Teil Kap. 4 A. I., S. 193. 50 Vgl. 2. Teil Kap. 4 A. I., S. 195. 51 Vgl. 2. Teil Kap. 3 B. III., S. 193. 52 Zu dieser vgl. 2. Teil Kap. 3 B. IV., S. 193. 53 In diese Richtung tendierend auch die bereits zitierte Aussage von Scherer, vgl. 2. Teil Kap. 4 A. I., S. S. 196. 54 Brüggemeier, Haftungsrecht S. 477; ähnlich für das Verhältnis von Außenseitermethode und Schulmedizin Tag, Der Körperverletzungstatbestand im Spannungsfeld zwischen Patientenautonomie und Lex artis, S. 213.
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4. Kap.: Spannungen zwischen Wirtschaftlichkeitsgebot und Haftungsrecht
a) Die Rolle des G-BA Ob neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden55 zum Leistungsumfang der gesetzlichen Krankenversicherung gehören, ist nicht anhand einer Einzelfallprüfung nach den Kriterien des § 12 Abs. 1 SGB V zu entscheiden.56 Vielmehr dürfen sie gemäß § 135 Abs. 1 SGB V nur dann zu Lasten der Krankenkassen erbracht werden, wenn der G-BA in einer Richtlinie nach § 92 Abs. 1 S. 2 Nr. 5 SGB eine Empfehlung über die Anerkennung des diagnostischen und therapeutischen Nutzens der neuen Methode sowie derer medizinischen Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit – auch im Vergleich zu bereits zu Lasten der Krankenkassen erbrachte Methoden – nach dem jeweiligen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse in der jeweiligen Therapierichtung abgegeben hat. § 92 Abs. 1 S. 1 SGB wiederum sieht allgemein vor, dass der G-BA die zur Sicherung der ärztlichen Versorgung erforderlichen Richtlinien über die Gewähr für eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Versorgung der Versicherten beschließt. Es werden also explizit drei der Merkmale des Wirtschaftlichkeitsgebots aufgegriffen, welches u.a. in dieser Norm seine Umsetzung findet.57 Sämtliche Richtlinien des G-BA entfalten den Patienten gegenüber verbindliche Wirkung (§ 91 Abs. 6 SGB V).58 b) Fehlende oder negative Entscheidung des G-BA Hat der G-BA noch nicht oder negativ über eine neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode entschieden und zählt ein behandelnder Arzt selbst zu den Befürwortern dieser Methode, so ist er vor die Frage gestellt, ob er sie bei seinem Patienten anwenden soll oder nicht. Dies bringt ihn in eine psychologisch schwie55
Neu ist eine Methode für die folgenden Überlegungen, wenn sie bisher noch nicht zur vertragsärztlichen Versorgung gehört hat, vgl. BSGE 81, 54, 57; Hess, in: KassKomm, § 135 SGB V Rn. 4. 56 Höfler, in: KassKomm, § 12 SGB V Rn. 19. Dies gilt jedoch nur für den ambulanten Bereich. Für die Krankenhausbehandlung stellen sich wegen § 137c SGB V die im Folgenden dargestellten Probleme nicht, solange eine Methode nicht durch eine Richtlinie des GBA von der Versorgung ausgeschlossen ist. 57 K. Engelmann, in: Jabornegg/Resch/Seewald, Grenzen der Leistungspflicht für Krankenbehandlung, S. 109, 114 f. 58 Für Schimmelpfeng-Schütte, NZS 2006, 567 hat der Gesetzgeber bei dieser Norm seinen Gestaltungsspielraum überschritten, die Norm sei daher verfassungswidrig. Verfassungsrechtlich wurde und wird diese Normsetzungsbefugnis des G-BA ggü. den Versicherten angegriffen, zuletzt offen gelassen von BVerfGE 115, 25, 47. In BSGE 35, 10, 14 u. 63, 163, 166 verneinte das BSG eine Verbindlichkeit von Richtlinien für die Versicherten; seit BSGE 78, 70, 78 f. geht es von einer solchen aus; vgl. weiter BSGE 81, 54; 81, 73 ff. Aus dem umfangreichen Schrifttum vgl. K. Engelmann, NZS 2000, 1 ff.; Axer, VSSR 2002, 215, 232 ff.; Hase, MedR 2005, 391, 395 f.; Kingreen, NJW 2006, 877 ff.; ders., in: Kingreen/Laux, Gesundheit und Medizin im interdisziplinären Diskurs, S. 147, 163 f.; Schrinner, MedR 2005, 397 ff.; Schimmelpfeng-Schütte a.a.O.; monographisch zur Normsetzungsbefugnis des G-BA Seeringer, Der Gemeinsame Bundesausschuss nach dem SGB V, S. 76 ff.
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rige Situation. Nach seinem ärztlichen Selbstverständnis müsste er die Methode anwenden. Der Umstand, dass sie (noch) nicht zu Lasten der Krankenkasse erbracht werden kann, schließt nicht per se aus, dass die Methode in die Bandbreite standardgemäßen Verhaltens fällt.59 Entscheidet sich der Arzt nun vor dem Hintergrund der sozialrechtlichen Vorgaben gegen die fragliche Methode und behandelt seinen Patienten stattdessen mit einer allgemein anerkannten Behandlungsmethode, dürfte ihm haftungsrechtlich, wie schon erläutert, eigentlich kein Vorwurf gemacht werden. Ein bestimmtes Verhalten ist nämlich erst dann nicht mehr als standardgemäß anzusehen, wenn die neue Methode risikoärmer oder für den Patienten weniger belastend ist und/oder bessere Heilungschancen verspricht und zudem in der medizinischen Wissenschaft im Wesentlichen unumstritten ist.60 In einer Übergangsphase sind daher beide Behandlungsalternativen auch haftungsrechtlich nebeneinander anwendbar.61 Bei einer erfolglosen Behandlung oder auftretenden Komplikationen und einem hieraus resultierenden Haftpflichtprozess können sich für den Arzt gleichwohl Ungewissheiten und Risiken ergeben. Welches Maß an Sorgfalt im Einzelfall erforderlich war, wird mangels eigener Fachkenntnis nicht allein durch die Richter bestimmt. Vielmehr bedienen sie sich bei der Ermittlung der Sorgfaltsanforderungen sachverständiger Hilfe.62 Als Mediziner kennt der Sachverständige die jeweiligen Möglichkeiten seines Fachs und mag sich eher an den Chancen des Patienten auf Heilung orientieren, als dass er auf sozialversicherungsrechtliche Abrechnungsfragen achtet. Womöglich ist er selbst von der fraglichen Methode überzeugt und kommt letztlich zu dem Schluss, dass nur diese als standardgemäß anzusehen war.63 Das beschriebene Risiko wird noch deutlicher, wenn man sich vergegenwärtigt, dass ärztliche Gutachten oftmals aus dem Bereich der universitären Spitzenmedizin stammen.64 Bereits vor mehr als 15 Jahren hat der BGH allerdings „mit Nachdruck“65 klargestellt, dass sich deren Anforderungen „nicht unbesehen an den Möglichkeiten von Universitätskliniken 59 Beachtenswert ist jedoch der Hinweis von Greiner, dass eine Behandlung, die nach einer Richtlinie nicht oder nur eingeschränkt abgerechnet werden darf, sich nur schwerlich zum Standard ausbilden werde, vgl. Geiß/Greiner, Arzthaftpflichtrecht, Rn. B 9a; zustimmend Müller, in: FS für Hirsch, S. 413, 420 f.; s. auch schon 2. Teil Kap. 2 B. III. 2., S. 182. 60 BGHZ 102, 17, 24; BGH NJW 1992, 754, 755; GesR 2008, 361; OLG Düsseldorf, GesR 2007, 110, 111. Selbst wenn diese Voraussetzungen erfüllt sind, kann eine Karenzzeit für die Erprobung der Methode und die Anschaffung der Geräte zu tolerieren sein, vgl. Steffen/Pauge Arzthaftungsrecht, Rn. 147. 61 Kaiser, in: Ratzel/Luxenburger, Handbuch Medizinrecht, § 12 Rn. 8; Kreße, MedR 2007, 393, 395. 62 BGH, NJW 1995, 776; 1997, 798; 2001, 2791; 2001, 2792, 2793; 2008, 1381, 1383; Katzenmeier, Arzthaftung, S. 395; ders., in: Laufs/Katzenmeier/Lipp, Arztrecht, XII. Rn. 3. 63 Weißauer, Der Chirurg BDC 1992, 229, 232 beklagt, dass Sachverständige zu häufig ihre persönliche Auffassung erheben würden und dass dann das Gericht, das über keine eigene Sachkunde verfügt, seinem Urteil diese einseitige Auffassung zugrunde lege. 64 Ch. Fuchs, in: Nagel/Ch. Fuchs, Leitlinien und Standards im Gesundheitswesen, S. 19; Uhlenbruck, MedR 1995, 427, 435. 65 Ulsenheimer, Der Gynäkologe 2005, 78.
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4. Kap.: Spannungen zwischen Wirtschaftlichkeitsgebot und Haftungsrecht
und Spezialkrankenhäusern orientieren dürfen“ und stets die Verhältnisse zum Zeitpunkt der Behandlung zugrunde zu legen sind.66 4. Rechtliche Spannungen Eine Zuspitzung erfährt diese Lage, wenn die neue Methode ohne ein positives Votum des G-BA schon allgemeine Anerkennung gefunden hat, somit zum Basisstandard zählt und keine alternative Methode zur Verfügung steht.67 Um dem Behandlungsfehlervorwurf zu entgehen, muss der Arzt sie dann anwenden, kann die Leistung aber nicht abrechnen.68 In derartigen Konstellationen wirkt sich das Spannungsverhältnis mithin auch schon rechtlich aus und der Widerstreit arzthaftungsrechtlicher- und sozialrechtlicher Vorgaben tritt offen zu Tage. Gemäß § 92 Abs. 1 S. 1 SGB V kommt dem G-BA nicht nur bei neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden, sondern ganz allgemein für nahezu alle Bereiche der GKV die Aufgabe zu, den Umfang der von den Versicherten beanspruchbaren Leistungen festzulegen.69 Der G-BA stößt damit in eine Lücke des Regelungssystems des SGB V, das die Ansprüche auf ärztliche Leistungen im Wesentlichen nur dem Grunde nach enthält. Somit hat die vermeintlich harmlos klingende Anordnung des § 92 Abs. 1 S. 1 SGB V eine große Auswirkung, die in der gesundheitspolitischen Diskussion praktisch überhaupt nicht wahrgenommen wird.70 In der juristischen Literatur wird jedoch der G-BA gelegentlich als „kleiner“71 oder „eigentliche[r] Gesetzgeber“72 bezeichnet.73 So kann ein weiterer rechtlicher Konflikt hervortreten: Folgt der Arzt einer im Zeichen der Finanznot vom G-BA erlassenen Richtlinie, die derart Restriktionen gebietet, dass er bei der Behandlung den medizinischen Fachstandard nicht voll erfüllen kann,74 ist es ihm wiederum nahezu unmöglich, sich den Anforderungen beider Rechtsgebiete entsprechend zu verhalten.75 66
BGH, NJW 1994, 1596, 1597. Hart, MedR 2002, 321, 325; Kempter, Medizinische Sorgfaltsstandards, S. 182; Kreße, MedR 2007, 393, 399. 68 Francke/Hart ZaeFQ 2001, 732, 733; a.A. Steffen, in: FS für Geiß, S. 487, 500: „Im Haftungsprozeß kann dem Arzt deshalb grundsätzlich kein Vorwurf gemacht werden, wenn er eine mit dem Negativattest der Bundesausschüsse belegte Methode nicht angewendet, ein abqualifiziertes Heilmittel nicht verordnet hat.“ 69 Schimmelpfeng-Schütte, in: Schnapp/Wigge, Handbuch des Vertragsarztrechts, § 7 Rn. 30, die folgerichtig den G-BA als das „Machtzentrum der GKV“ bezeichnet. 70 Kingreen, in: Kingreen/Laux, Gesundheit und Medizin im interdisziplinären Diskurs, S. 147, 161. 71 Noch für die Bundesausschüsse nach altem Recht Schmidt-Aßmann, NJW 2004, 1689, 1693; Schneider-Danwitz/Glaeske, MedR 1999, 164; Taupitz, MedR 2003, 7, 11. 72 Schimmelpfeng-Schütte, in: Schnapp/Wigge, Handbuch des Vertragsarztrechts, § 7 Rn. 30. 73 Kingreen, in: Kingreen/Laux, Gesundheit und Medizin im interdisziplinären Diskurs, S. 147, 162 hält derartige Beschreibungen noch für eine Verniedlichung. 74 Beispiele benennt Laum, DÄBl. 2001, A-3176, A-3178; zu dieser Konstellation Laufs, in: Berg/Ulsenheimer, Patientensicherheit, Arzthaftung, Praxis- und Krankenhausorganisation, S. 253, 256, s. auch DGMR MedR 2003, 711; dies., ZaeFQ 2004, 240, 241; Hart, 67
A. Bestehen eines Spannungsverhältnisses
207
Schließlich ist die Möglichkeit zu bedenken, dass die von der Solidargemeinschaft getragene Methode bei einem Patienten nicht anwendbar ist – etwa weil Unverträglichkeiten bestehen oder zu erwarten sind, oder weil sie keinen Erfolg zu zeitigen verspricht – und somit nur die ausgeschlossene Alternative übrig bleibt. Fällt diese in die Bandbreite eines standardgemäßen Verhaltens, wird man dem Arzt, der sie nicht anwendet, einen Behandlungsfehler vorwerfen müssen.76 Dasselbe Schicksal ereilt einen Arzt, der gegen sein Wissen und gegen seinen Willen zum Sparen gezwungen ist, weil der Medizinische Dienst der Krankenversicherung (MDK) in einem Gutachten ein bestimmtes Therapieverfahren ablehnt und dieses somit nicht zum Leistungsumfang der Krankenkasse zählt. Auch hier kann es passieren, dass dem Arzt die Anwendung von Standardwissen aus sozialversicherungsrechtlicher Sicht untersagt wird, während es haftungsrechtlich nach wie vor geboten ist.77 5. Weitere Konfliktfelder zwischen Haftungs- und Sozialrecht Während es zwischen dem § 12 Abs. 1 S. 1 SGB V und der in § 276 Abs. 2 BGB normierten erforderlichen Sorgfalt also grundsätzlich keinen rechtlich angelegten Konflikt gibt, gleichwohl aber faktische Spannungen existieren, denen in bestimmten Konstellationen auch eine rechtlich relevante Dimension zukommen kann, bestehen abseits davon weitere konfliktträchtige Bereiche zwischen dem Arzthaftungs- und dem Sozialversicherungsrecht. a) Arzneimittelversorgung Dies ist insbesondere hinsichtlich der Versorgung der Versicherten mit Arzneimitteln der Fall. aa) Bonus-Malus-Regelung Durch die bereits im ersten Teil der Untersuchung beschriebene Bonus-MalusRegelung in der Arzneimittelversorgung78 befinden sich die Ärzte gegenüber ihren gesetzlichkrankenversicherten Patienten in einem für sie kaum lösbaren Dilemma:79 Zwar können sie auf eine finanzielle Belohnung durch einen Bonus hoffen, wenn sie möglichst wenig Arzneimittel verordnen. Andererseits aber laufen sie Gefahr, sich gegenüber den Patienten schadensersatzpflichtig zu machen. Soll das MedR 2002, 321, 322; Kempter, Medizinische Sorgfaltsstandards, S. 182 f.; Stöhr, in: FS für Hirsch, S. 431, 440 f. 75 Kreße, MedR 2007, 393, 398 geht allerdings davon aus, dass es aufgrund der vom GBA angewendeten Methodik nicht dazu kommen kann, dass die Leistungen der GKV unter das Niveau des medizinischen Basisstandards sinken; s. auch Hart, VSSR 2002, 265, 283. 76 v. Ziegner, VSSR 2003, 191, 208, mit Blick auf die Zahnmedizin und dem Leistungsumfang bei den funktionsanalytischen und funktionstherapeutischen Leistungen. 77 Vgl. Lesinski-Schiedat, MedR 2007, 345, 346, mit dem Beispiel der vom MDK abgelehnten Versorgung mit einer elektrischen Hörprothese, dem sog. Cochlea-Implantat. 78 Vgl. 1. Teil Kap. 1 D. VII., S. 27 f. 79 Vgl. dazu auch L. Wiedemann/Willaschek, GesR 2006, 298, 305 f.
208
4. Kap.: Spannungen zwischen Wirtschaftlichkeitsgebot und Haftungsrecht
verhindert werden, droht durch die therapeutisch nun einmal notwendigen Arzneimittelverordnungen eine Überschreitung des festgelegte Schwellenwertes, was die aufgezeigten Regressforderungen80 zur Folge hat.81 bb) Fehlende Arzneimittelzulassung / Off-label-use Inkongruenzen zwischen dem Haftungs- und Sozialrecht können sich weiterhin dann ergeben, wenn ein Arzneimittel für eine bestimmte Indikation nicht zugelassen ist. Gerade im Bereich des Off-label-use ist häufig überhaupt kein anderer Behandlungsansatz als der Einsatz eines Arzneimittels außerhalb seines zugelassenen Anwendungsbereiches denkbar. Jedenfalls werden in der medizinischen Praxis zahlreiche Arzneimittel außerhalb ihres Zulassungsgebiet eingesetzt.82 Spannungen können deshalb auftreten, weil ein Off-label-use dem medizinischen Standard entsprechen kann83 und somit zivilrechtlich geboten ist,84 während die Verordnung des entsprechenden Arzneimittels zu Lasten der GKV wegen der grundsätzlichen Vorgreiflichkeit des Arzneimittelrechts nicht möglich ist.85 Es drohen Regressforderungen und sogar Disziplinarmaßnahmen. Der jeweilige Arzt befindet sich folglich in einer „Zwickmühle“.86 Dass aus haftungsrechtlicher Sicht eine Pflicht zum Einsatz eines Medikamentes im Off-label-use bestehen kann, hat das OLG Köln in seiner Acicvlovir-Entscheidung vom 30.5.199087 klargestellt. Sie betraf die Behandlung einer Herpes-Enzephalitis mit dem für diese Indikation nicht zugelassenen Arzneimittel Aciclovir. Im Behandlungszeitpunkt war dessen Einsatz gegen die Herpes-Enzephalitis eine klinisch gängige Praxis. Für die haftungsrechtliche Beurteilung komme es nicht darauf an, dass das Medikament gegen diese Erkrankung noch nicht zugelassen war. Die Ärzte hatten Aciclovir zwar letztlich verabreicht, die Richter befanden jedoch, dass der Einsatz zu spät erfolgte.88 Deckungsgleich konnten Haftungs- und Sozialrecht beim Einsatz eines Medikamentes im Off-label-use nur dann verlaufen, wenn nach den vom BSG aufgestellten Grundsätzen ein Off-label-use sozialrechtlich möglich war.89 Mit der Übertragung der im vom BVerfG im „Nikolaus-Beschluss“ aufgestellten verfassungsrechtlichen Erwägungen auf den Bereich der Arzneimittelversorgung und
80
S. auch hierzu 1. Teil Kap. 1 D. VII, S. 27. Sodan, NJW 2006, 3617; ders./Schüffner, Staatsmedizin auf dem Prüfstand der Verfassung, S. 8. 82 C. Engelmann/Meurer/Verhasselt, NZS 2003, 70, 71. 83 Francke/Hart, SGb 2003, 653, 661; Kullmann, VersR 1997, 529, 530; Schelling, Der Internist 2008, 322; Wölk, ZMGR 2006, 3, 4. 84 Schelling, Der Internist 2008, 322; Schroeder-Printzen/Tadayon, SGb 2002, 664, 667. 85 Vgl. die Ausführungen im 1. Teil Kap. 3 A. I. 2. d) bb) (2) (b) (aa), S. 89. 86 Schimmelpfeng-Schütte, MedR 2004, 655, 657; Schelling, Der Internist 2008, 322: „Dilemma“. 87 OLG Köln, VersR 1991, 186 ff. m. Anm. Deutsch. 88 OLG Köln, VersR 1991, 186, 188. 89 Vgl. 1. Teil Kap. 3 A. I. 2. d) bb) (2) (b) (aa), S. 89 ff. 81
A. Bestehen eines Spannungsverhältnisses
209
den Off-label-use90 sind Spannungen noch weitgehender vermeidbar. Es verbleiben jedoch die Konstellationen, in denen der Anwendungsbereich des „NikolausBeschlusses“ nicht berührt ist. Vornehmlich also Fälle außerhalb einer Lebensgefahr oder extremer Schwere der zu behandelnden Krankheit. Zudem stellt sich, auch wenn höchstrichterliche Entscheidungen zur Leistungspflicht der GKV einen Gleichlauf der von haftungs- und sozialrechtlicher Seite an den Arzt gestellten Anforderungen möglich erscheinen lassen, ein praktisches Problem: Bis zur Klärung des Vorliegens der höchstrichterlichen Voraussetzungen besteht Ungewissheit darüber, ob das Medikament letztlich tatsächlich als Kassenleistung anzusehen ist.91 b) Budgetierungen Generell lastet durch die vielfältigen Budgetierungen ein hoher Druck auf den Ärzten. Im „Ulmer Papier“, dem Beschluss des 111. Deutschen Ärztetages, wird beklagt, dass im Fall der Budgeterschöpfung die nach wie vor unveränderten Sorgfaltsanforderungen des Zivilrechts in einem Widerspruch zu den Anforderungen des Sozialrechts stünden. Den Vorgaben beider Teilrechtsgebiete sei dann nur schwerlich gleichermaßen gerecht zu werden.92 Dennoch führen die Budgetierungen nicht dazu, den Sorgfaltsmaßstab abzusenken: Die Versicherten haben vielmehr nach wie vor einen Anspruch auf eine Heilbehandlung nach dem jeweiligen medizinischen Standard.93 Diese Sichtweise beruht auch darauf, dass die Vorstellung, der sein Budget überziehende Arzt arbeite ab einem bestimmten Zeitpunkt im Quartal umsonst, verfehlt ist.94 Es verringert sich nur rein rechnerisch die Vergütung eines jeden Einzelfalls.95 „Betroffene Vertragsärzte empfinden die sich einstellende Wirkung dagegen gleichwohl oft eher so, dass ihre jenseits des Erreichens der Budgetgrenzen erfolgenden Tätigkeiten letztlich gar nicht mehr honoriert werden.“96 6. Ausblick Die Spannungen zwischen dem Haftungs- und Sozialrecht werden sich weiter verschärfen, wenn einerseits die schon stattfindende und unumgängliche Rationierung weiter umgesetzt wird, der Leistungsumfang der GKV weiter begrenzt wird 90
Vgl. 1. Teil Kap. 3 A. I. 2. d) bb) (2) (b), S. 88 ff. So mit Blick auf das Sandoglobulin-Urteil Bruns/Herz, BGesBl 2003, 477, 480. 92 Vgl. „Ulmer Papier“, Beschluss des 111. DÄT, DÄBl. 2008, A-1189, A-1195. Zur Stellung des Arztes zwischen Budget und Haftung vgl. auch H. Herzog, GesR 2007, 8, 9 ff. 93 Francke/Hart, Charta der Patientenrechte, S. 186 f.; Hart, MedR 1999, 47, 49; Heinze, MedR 1996, 252, 255; Isensee, in: GS für Heinze, S. 417, 424; Kullmann, VersR 1997, 529, 532; Kreße, MedR 2007, 393, 397; Schreiber, ZaeFQ 2000, 846, 848 ff.; Spickhoff, in: Soergel, BGB, § 823 Anh I Rn. 59; Ulsenheimer, MedR 1995, 438, 440; Wagner, in: MüKo-BGB, § 823 Rn. 752. 94 Spickhoff, in: Soergel, BGB, § 823 Anh I Rn. 59; Wagner in MüKo-BGB § 823 Rn. 752; Wenner, GesR 2009, 169, 171. 95 BSGE 88, 126, 130. 96 Kretschmer ArztR 2003, 144, 146. 91
210
4. Kap.: Spannungen zwischen Wirtschaftlichkeitsgebot und Haftungsrecht
und der medizinische Fortschritt nicht mehr bezahlbar ist, sich das Haftungsrecht andererseits aber weiterhin am medizinischen Standard orientiert. Dann ist es begründet, von einer Gefahr des Auseinanderdriftens beider Teilrechtsgebiete auszugehen.97 Der Deutsche Ärztetag beklagte in seinen 2008 verfassten gesundheitspolitischen Leitsätzen: „Der Zielkonflikt zwischen ärztlicher Sorgfaltspflicht und Wirtschaftlichkeitsdruck belastet das Patient-Arzt-Verhältnis inzwischen in einem unerträglichen Ausmaß.“98 In einem anlässlich des 112. Deutschen Ärztetages 2009 in Mainz verabschiedeten Entschließungsantrag findet sich die Klarstellung, dass das ärztliche Haftungsrecht künftig nicht missbraucht werden dürfe, um staatlich bedingte Versorgungsdefizite zu kaschieren.99 Rechtspraxis und Rechtswissenschaft sind daher aufgerufen, Lösungen zu erarbeiten. Bisher haben die Gerichte ökonomischen Gesichtspunkten kaum Bedeutung zugemessen, eine Differenzierung hinsichtlich der Behandlungspflichten danach, ob die Maßnahmen viel oder wenig Kosten verursachen, findet nicht statt. Entscheidend ist einzig und allein, ob sie medizinisch indiziert sind oder nicht.100 Seiner ehemaligen Vorsitzenden Gerda Müller zufolge, hatte der VI. Zivilsenat des BGH „bisher keinen Anlass, zum Spannungsverhältnis zwischen Wirtschaftlichkeitsgebot und Haftungsregeln und insbesondere zu der Frage Stellung zu nehmen, ob echte Sparzwänge dem ärztlichen Handeln auch einmal Grenzen setzen können“.101 Offen ist, ob der „Nikolaus-Beschluss“ des BVerfG, in dem die Höhe der Behandlungskosten ebenfalls keine Rolle spielte, auch haftungsrechtliche Konsequenzen dergestalt nach sich ziehen wird, dass der VI. Zivilsenat angesichts des Leistungsanspruchs auf sozialversicherungsrechtlicher Seite die Behandlung mit der Außenseitermethode in der jeweiligen Situation auch haftungsrechtlich vom Arzt einfordern wird.102 „Dies erscheint eher unwahrscheinlich, würde damit doch der zivilrechtliche vom medizinischen Standard nicht nur abgekoppelt, sondern ginge er entgegen allen sozialrechtlichen Eingrenzungsbemühungen an dieser Stelle über diesen gar hinaus gehen.“103 Zudem erscheint es bedenklich, den Arzt haftungsrechtlich zu einer Maßnahme zu verpflichten, die in seiner eigenen Fachwelt nicht anerkannt ist und dem Patienten damit möglicherweise mehr Schaden zufügt als sie ihm nutzt.104
97
Vgl. 2. Teil Kap. 4 A. II., S. 200. „Ulmer Papier“, Beschluss des 111. DÄT, DÄBl. 2008, A-1189, A-1195. 99 Vgl. den Bericht von Gerst, DÄBl. 2009, A-1086, A-1087. 100 Vgl. Katzenmeier, Arzthaftung, S. 292 mit einer Auswertung der Rspr. in Fn. 123; ders., in: Laufs/Katzenmeier/Lipp, Arztrecht, X. Rn. 31; s. auch Hart, MedR 1996, 60, 68. 101 Müller, in: Katzenmeier/Bergdolt, Das Bild des Arztes im 21. Jahrhundert, S. 75, 82; dies., GesR 2004, 257, 264. 102 Dezidiert zu den (möglichen) Folgen des „Nikolaus-Beschlusses“ für das Arzthaftungsrecht vgl. Katzenmeier/Schmitz-Luhn, in: DFG-FOR 655, Priorisierung in der Medizin, S. 167 ff. 103 Katzenmeier, in: FS für Müller, S. 237, 246; s. auch ders./Schmitz-Luhn, in: DFG-FOR 655, Priorisierung in der Medizin, S. 170 f. 104 Katzenmeier/Schmitz-Luhn, in: DFG-FOR 655, Priorisierung in der Medizin, S. 171. 98
B. Angedachte Lösungsansätze in der Literatur
211
Unabhängig davon hat die verfassungsgerichtliche Entscheidung jedoch keinen Einfluss auf das Spannungsverhältnis von Haftungs- und Sozialrecht, weil die in den fraglichen Konstellationen jeweils in Rede stehenden Behandlungsmöglichkeiten gerade nicht dem medizinischen Standard entsprechen. Dem Beschluss kann keine harmonisierende Wirkung zukommen, weil Außenseitermethoden zumindest bisher haftungsrechtlich vom Arzt nicht eingefordert werden.105 Hin und wieder findet sich in der Rechtsprechung dann aber doch der Hinweis, dass der Sorgfaltsmaßstab „die allgemeinen Grenzen im System der Krankenversorgung einschließlich der Grenzen der Finanzierbarkeit und der Wirtschaftlichkeit nicht völlig außer acht lassen darf“.106
B. Angedachte Lösungsansätze in der Literatur Der Gedanke, dass der Sorgfaltsmaßstab die allgemeinen Grenzen im System der Krankenversorgung einschließlich der Grenzen der Finanzierbarkeit und der Wirtschaftlichkeit nicht völlig außer Acht lassen darf, findet auch in der Literatur weithin Zuspruch.107 Vielfache Beachtung und Zustimmung erfuhr der ehemalige Vorsitzende des VI. Zivilsenats des BGH Erich Steffen für die folgende Einlassung zum Thema: „Ärztlicher Auftrag und zivilrechtlicher Haftungsmaßstab werden bestimmt und begrenzt nicht nur durch die Befindlichkeit des Patienten, sondern auch durch die Befindlichkeit der Gesellschaft, in die Arzt und Patient eingebunden sind. Beide hängen auch ab von den verfügbaren Ressourcen und davon, wieviel und mit welchen Präferenzen die Gesellschaft für ihre medizinische Versorgung auszugeben bereit ist. Allgemeine Grenzen der Finanzierbarkeit unter dem Postulat der Beitragsstabilität ebenso wie allgemeine Grenzen der Ressourcen werden, wo sie die ärztliche Behandlungsaufgabe beschränken, auch an den zivilrechtlichen Haftungsmaßstab weitergegeben. Sie eignen sich ebensowenig wie das Krankheitsrisiko zur Abwälzung von dem Patienten auf den Arzt.“108 Insgesamt erscheint bis dato jedoch kaum geklärt, wie die gesetzlichen Haftungsregeln und das gesetzliche Wirtschaftlichkeitsgebot harmonisiert werden
105
Steffen, in: FS für Geiß, S. 487, 497. OLG Oldenburg, VersR 1995, 49; ganz ähnlich OLG Köln, VersR 1993, 52 f. 107 Deutsch, VersR 1998, 261, 264; Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 220; Dahm, in: Rieger/Dahm/Steinhilper, HK-AKM, 5090 Rn. 9; Kempter, Medizinische Sorgfaltsstandards, S. 168; Kifmann/Rosenau, in: Möllers Standardisierung durch Markt und Recht, S. 49, 70; Rieger, MedR 1996, 147. 108 Steffen, MedR 1995, 190; s. auch ders., in: FS für Geiß, S. 487, 493; Zustimmung etwa durch Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 220; Diederichsen, in: Hart, Klinische Leitlinien und Recht, S. 105, 110; Ihle, Ärztliche Leitlinien, Standards und Sozialrecht, S. 68; Kempter, Medizinische Sorgfaltsstandards, S. 189; Kifmann/Rosenau, in: Möllers, Standardisierung durch Markt und Recht, S. 49, 69; Müller, in: FS für Hirsch, S. 413, 420; Rieger MedR 1996, 147; Taupitz, in: Dietrich/Imhoff/Kliemt, Standardisierung in der Medizin, S. 263, 286; Spickhoff, in: Soergel, BGB, § 823 Anh I Rn. 59. 106
212
4. Kap.: Spannungen zwischen Wirtschaftlichkeitsgebot und Haftungsrecht
können.109 In der Literatur sind bereits einige Lösungsmöglichkeiten angedeutet und diskutiert worden.
I. Erlaubtes Risiko In seiner Untersuchung, die sich erstmalig systematisch mit der Bedeutung des sozialrechtlichen Wirtschaftlichkeitsgebotes für die Arzthaftung befasste,110 hat Goetze im Bemühen um eine Harmonisierung von Haftungsgrundsätzen und dem Wirtschaftlichkeitsgebot auf die aus der Strafrechtsdogmatik stammende Rechtsfigur des erlaubten Risikos111 zurückgegriffen.112 Sie soll zur Berücksichtigung des Wirtschaftlichkeitsgebotes bei der Auslegung des Haftungsrechts herangezogen werden. Nach der Darstellung Goetzes werden bestimmte gefährliche Verhaltensweisen als sozialadäquates Verhalten unter dem Gesichtspunkt des erlaubten Risikos hingenommen, weil ihr sozialer Nutzen das mit ihnen einhergehende Gefährdungspotential übersteigt. Bei der Einhaltung des erlaubten Risikos findet eine Einschränkung der objektiven Zurechnung statt, die zum Tatbestandsausschluss führt.113 Wegen der vom Gesetz verlangten Pflicht des Kassenarztes zu wirtschaftlichem Verhalten, handele es sich bei den vom Wirtschaftlichkeitsgebot gedeckten Risiken um erlaubte Risiken in der besonders starken Form des gebotenen Risikos. Auf die Frage nach dem Umfang erlaubter Risiken bleibt Goetze bewusst eine eindeutige und unmittelbare Antwort schuldig, weil ihm eine solche nicht möglich erscheint. Dafür gibt er dem Leser Kriterien an die Hand, die in ihrem Zusammenwirken im Einzelfall die Höhe des erlaubten Risikos ergeben: Ein Faktor sei die Größe der abzuwendenden Gefahr, welche wiederum durch deren Schwere und die Wahrscheinlichkeit ihres Eintritts bestimmt werde. Hinzu trete der Kostenaspekt, hinter dem legitime und durch das Gesetz ausdrücklich anerkannte Interessen der Solidargemeinschaft der Versicherten stünden.114
109
Katzenmeier, Arzthaftung, S. 291; ders., in: Laufs/Katzenmeier/Lipp, Arztrecht, X. Rn. 30; Laufs, in: Laufs/Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, § 99 Rn. 25 f.; ders., NJW 2000, 1757, 1763. 110 Geleitwort von Hans-Ludwig Schreiber, in: Goetze, Arzthaftungsrecht und kassenärztliches Wirtschaftlichkeitsgebot. 111 Vgl. aus der strafrechtlichen Literatur Cramer/Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, StGB, § 15 Rn. 144 ff.; Jescheck/Weigend, Lehrbuch des Strafrechts. Allgemeiner Teil, § 36; Kindhäuser, Strafrecht AT, § 33 Rn. 26 ff.; Kühl, Strafrecht AT, § 4 Rn. 43 f. 48; Roxin, Strafrecht AT, Bd. 1, § 11 Rn. 65 ff. 112 Goetze, Arzthaftungsrecht und kassenärztliches Wirtschaftlichkeitsgebot, S. 201 f. 113 Goetze, Arzthaftungsrecht und kassenärztliches Wirtschaftlichkeitsgebot, S. 21 mit Fn. 119. 114 Goetze, Arzthaftungsrecht und kassenärztliches Wirtschaftlichkeitsgebot, S. 202; das Gewicht der einzelnen Faktoren wird anhand zweier Beispiele aufgezeigt.
B. Angedachte Lösungsansätze in der Literatur
213
Die Berücksichtigung ökonomischer Zwänge als erlaubtes Risiko im Haftungstatbestand der Arzthaftung hat in der Literatur Fürsprecher gefunden,115 ist zuletzt aber auch angegriffen worden.116
II. Berücksichtigung subjektiver Befindlichkeiten des Arztes Mit Werner Groß hat ein weiterer ehemaliger Vorsitzender des VI. Zivilsenats des BGH das Thema aufgegriffen und einen aus seiner Sicht beschreitbaren Lösungsweg aufgezeigt: An den von Medizinern festgelegten und situationsbedingt unterschiedlichen ärztlichen Qualitätsstandards dürften aus wirtschaftlichen Erwägungen keine Abstriche gemacht werden, die sie unter den Mindeststandard drückten. Erwägenswert sei aber, „ob bei der individuellen Verletzung von Sorgfaltspflichten, die nach diesen Standards zu fordern sind, im Rahmen der Verschuldensprüfung nicht – über den Gesichtspunkt der Gruppenfahrlässigkeit hinaus – subjektive Befindlichkeiten des behandelnden Arztes oder des Krankenhausträgers verstärkt in Betracht zu ziehen, und zwar unter erweitender Anerkennung ärztlicher Entscheidungsfreiräume für Diagnostik und Therapie“.117 Damit widerstreitet er „dem allgemeinen Trend einer immer weitergehenden Abstrahierung, Entindividualisierung, Objektivierung und ethischen Neutralisierung der Verschuldenshaftung“.118 Der medizinische Standard als Sorgfaltsmaßstab hat aber – im Gegensatz zum Strafrecht – gerade keine persönliche Schuld zu ahnden, sondern Qualitätsmängel anzumelden.119 Die Ausrichtung der Haftung am medizinischen Standard, die von Groß nicht angetastet wird, verbietet eine Berücksichtigung subjektiver Elemente.120 Außerdem bedeutete diese Berücksichtigung eine unterschiedliche haftungsrechtliche Bewertung zweier Fälle bei gleichen ökonomischen Bedingungen.121
115
Clemens, in: Schulin, Handbuch des Sozialversicherungsrechts, Bd. 1, § 35 Rn. 19; DGMR, MedR 2006, 127, 129; Laufs, in: Laufs/Katzenmeier/Lipp, Arztrecht, Rn. 36; Ulsenheimer, MedR 1995, 438, 440 f.; mit Bezug zum Strafrecht auch Künschner, Wirtschaftlicher Behandlungsverzicht und Patientenauswahl, S. 217. 116 Conradi, Verknappung medizinischer Ressourcen und Arzthaftung, S. 130 f.; Scherer, Stationäre Krankenhausbehandlung im Spannungsverhältnis zwischen Ökonomisierung und Haftungsrecht, S. 205 ff. 117 Groß, Ärztlicher Standard, S. 11. Eine Rücksichtnahme auf örtliche Schwächelagen ist damit nicht gemeint, vgl. Katzenmeier, Arzthaftung, S. 293; ders., in: Laufs/Katzenmeier/Lipp, Arztrecht, X. Rn. 35. 118 So Katzenmeier, Arzthaftung, S. 293 f. 119 Steffen/Pauge, Arzthaftungsrecht, Rn. 133; vgl. auch Kleinwefers, VersR 1992, 1425, 1429. 120 Vgl. auch 2 .Teil Kap. 1 C. I., S. 168 f. 121 So Scherer, Stationäre Krankenhausbehandlung im Spannungsverhältnis zwischen Ökonomisierung und Haftungsrecht, S. 191.
214
4. Kap.: Spannungen zwischen Wirtschaftlichkeitsgebot und Haftungsrecht
Der Vorschlag von Groß ist, soweit ersichtlich, ohne nennenswerte Resonanz geblieben und hat sich somit letztlich nicht durchsetzen können.122
III. Haftung der Krankenkasse für Behandlungsfehler der Vertragsärzte Weiterhin wird darüber nachgedacht, einen Amtshaftungsanspruch des Patienten gegenüber dem Sozialversicherungsträger gemäß § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG oder einen Schadensersatzanspruch analog § 280 Abs. 1 BGB zu bemühen, um angesichts der wirtschaftlichen Zwänge das Haftungsrisiko für den Arzt zu minimieren.123 Ein Teil der Versicherungsbeiträge soll diesem Ansatz zufolge in einen Fonds fließen, aus dem die Aufwendungen der Haftungsfälle bestritten werden könnten.124 Es kann an dieser Stelle darauf verzichtet werden, zu untersuchen, ob die genannten Ansprüche sich überhaupt begründen lassen,125 da sich der gesamte Lösungsansatz nicht als tragfähig erweist: Er lässt den Haftungsmaßstab unberührt, verlagert die Haftungsfragen und damit das Problem allenfalls auf die Ebene der Sozialversicherung. Zudem haftete weiterhin auch der den Behandlungsfehler begehende Arzt als Schuldner neben der direkt in Anspruch genommenen Krankenkasse, so dass er im Wege des Innenausgleichs unter Gesamtschuldnern von dieser seinerseits in Anspruch genommen werde könnte. Es wäre also nicht einmal sicher geklärt, dass das Haftungsrisiko der Ärzte tatsächlich minimiert würde. In keinem Fall kann der Vorschlag dazu beitragen, die Probleme des Kostendrucks im Arzthaftungsrecht zu beseitigen, wenn auch die angesprochene Verlagerung der Haftung gerechter erscheinen mag. Die wirtschaftlichen Vorgaben, die den Arzt überhaupt erst in eine Zwangslage bringen können, haben ihren Uhrsprung im Recht der GKV. Mit der Verlagerung der Haftung für Behandlungsfehler, die gerade wegen dieser Vorgaben überhaupt erst auftreten, dreht man sich daher im Kreis, ohne jedoch dem Problem insgesamt Herr zu werden.
122
Explizite Ablehnung durch Scherer, Stationäre Krankenhausbehandlung im Spannungsverhältnis zwischen Ökonomisierung und Haftungsrecht, S. 192. Der Vorschlag sei abzulehnen, weil er „deutlich über den zivilrechtlich anerkannten abstrakt-generellen Haftungsmaßstab hinaus“ gehe (S. 192); auch Steffen, in: FS für Geiß, S. 487, 498 weist darauf hin, dass „das Verschuldenserfordernis nicht von der Haftung freistellen kann“; der Arzt habe, wenn er die Behandlung übernimmt, das Wissen um die medizinische Bedeutung der Indikation für seinen Patienten und ein Behandeln nach diesem Wissen zu gewährleisten. 123 Rabe, Ärzte zwischen Heilauftrag und Kostendruck, S. 153 ff. 124 Rabe, Ärzte zwischen Heilauftrag und Kostendruck, S. 167. 125 Vgl. dazu näher Mohr, Die Haftung der Krankenkassen und Vertragsärzte für Behandlungsfehler, S. 103 ff. (zu § 280 Abs. 1 BGB) u. S. 335 ff. (§ 839 BGB i.V.m Art. 34 GG); Rabe, Ärzte zwischen Heilauftrag und Kostendruck, S. 157 ff. (zu § 280 Abs. 1 BGB analog i.V.m. dem Sozialversicherungsverhältnis) u. S. 155 ff. (zu § 839 BGB i.V.m Art. 34 GG).
B. Angedachte Lösungsansätze in der Literatur
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IV. Informationsbezogene Harmonisierung Immer größeren Zuspruch erfährt ein Lösungsansatz, der die Einheit der Rechtsordnung durch einen Gleichlauf der Standards des Zivil- und Sozialversicherungsrechts sicherstellen will. Zentraler Bestandteil dieses Lösungsansatzes ist die Statuierung einer dem Schutz des Patienten dienenden und kompensierend wirkenden Aufklärungspflicht. Diese soll dem Patienten die Möglichkeit zu einer selbstbestimmten Entscheidung über den weiteren Behandlungsverlauf und eine eventuelle privatfinanzierte Behandlung nach dem medizinischen Standard eröffnen.126 Innerhalb dieses informationsbezogenen Harmonisierungsansatzes sind Differenzierungen auszumachen, die sich auf den Gegenstand der Kompensation beziehen. Zum einen wird vertreten, dass im Fall eines (partiellen) gesetzlichen Leistungsausschlusses das Haftungsrecht keinen anderen Standard fordern und einen Behandlungsfehler konstatieren dürfe. Insofern kompensiere die Aufklärungspflicht in derartigen Fällen der Reduzierung der Versorgungsqualität auf der Informationsebene den auf der Behandlungsfehlerebene reduzierten Patientenschutz.127 Kompensiert werden soll also ein herabgesetzter Haftungsmaßstab.128 Andererseits wird von einer Anpassung des Haftungsmaßstabes abgesehen. Nach Ansicht von Ihle dürfe sich das Haftungsrecht eine Verkürzung gegenüber dem medizinischen Standard nicht erlauben. Gleichwohl werde der Arzt damit nicht gezwungen, eine vom Standard der Versorgung129 nicht umfasste Leistung 126 Damm, JZ 1998, 926, 930; Francke/Hart, Charta der Patientenrechte, S. 187 f.; Hart, MedR 1999, 47, 50; ders., VSSR 2002, 265, 294; Kramer, MedR 1993, 345; Laufs, in: Berg/Ulsenheimer, Patientensicherheit, Arzthaftung, Praxis- und Krankenhausorganisation, S. 253, 257; Scherer, Stationäre Krankenhausbehandlung im Spannungsverhältnis zwischen Ökonomisierung und Haftungsrecht, S. 224; Wagner, in: MüKo-BGB, § 823 Rn. 752; mit Blick auf die wachsende Differenzierung zwischen Maximal-, Normal- und Minimalversorgung auch Taupitz, in: Wolter/Riedel/Taupitz, Einwirkung der Grundrechte auf das Zivilrecht, Öffentliche Recht und Strafrecht, S. 113, 131 f.; aus strafrechtlicher Perspektive Sternberg-Lieben, in: FS für Weber, S. 69, 86; einschränkend Steffen, in: FS für Geiß, S. 487, 502, der solange keine Notwendigkeit für eine solche Aufklärungspflicht sieht, wie der Versorgungsauftrag in der GKV trotz Kostendämpfungsmaßnahmen dem medizinisch Ausreichenden verpflichtet bleibt. Eine Pflicht bestehe aber dann, wenn die Versorgung des Kranken in dem konkreten Zustand, in dem er sich befindet, mit den Möglichkeiten, die die GKV eröffnet, nach dem modernen Stand der Medizin nicht mehr gewährleistet ist. Um eben ein solches Szenario geht es hier, so dass Steffen ebenfalls zu den Befürwortern zu zählen ist; kritisch aber Voß, Kostendruck und Ressourcenknappheit im Arzthaftungsrecht, S. 218. 127 Francke/Hart, Charta der Patientenrechte, S. 188; Hart, MedR 1999, 47, 50; ders., VSSR 2002, 265, 294. 128 Ebenfalls auf diesen Bezugspunkt abstellend Damm, JZ 1998, 926, 930; Scherer, Stationäre Krankenhausbehandlung im Spannungsverhältnis zwischen Ökonomisierung und Haftungsrecht, S. 224. 129 Unter Standard der Versorgung versteht sie einen Standard, der sowohl den sozialrechtlichen Standard als Ausdruck von § 2 Abs. 1 S. 3 SGB V als auch das Wirtschaftlichkeits-
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4. Kap.: Spannungen zwischen Wirtschaftlichkeitsgebot und Haftungsrecht
zu erbringen. Ein uneingeschränktes Haftungsrecht stelle aber sicher, dass der Arzt den Patienten über die Situation aufkläre und damit den Patienten in die Lage versetze, eine eigene Entscheidung zu treffen. „Mag diese auch von wirtschaftlichen Zwängen geprägt sein, ist eine derartige Konstellation nicht mit der originären Absenkung des Haftungsmaßstabs zu vergleichen, die dem Patienten von vornherein jede Entscheidungsbefugnis abspricht.“130 Bei dieser Sichtweise wird demnach im Wege der Aufklärung kompensiert, dass ein hinter dem medizinischen Standard zurückbleibendes und damit den Anforderungen des nach wie vor strengen Haftungsrecht eigentlich nicht gerecht werdendes Verhalten im Ergebnis letztlich nicht als haftungsbegründend angesehen wird. Auch Kern möchte den Haftungsmaßstab unangetastet lassen und spricht sich im Konfliktfall für eine Aufklärungspflicht des Arztes aus: Könne der behandelnde Arzt eine konkrete Behandlungsmaßnahme nicht durchführen, weil er sie von der Krankenkasse nicht vergütet bekommt, so habe er den Patienten darüber und über die Möglichkeit zu informieren, durch Zuzahlung den Standard zu erreichen. Für den Fall, dass der Patient nicht zu einer eigenständigen Finanzierung des Standardniveaus bereit sei, habe der Arzt die Behandlungsmaßnahme zu verweigern, weil er nicht wissentlich einen Behandlungsfehler begehen dürfe.131 Damit kommt der Aufklärungspflicht letztlich keine kompensierende Wirkung zu, sondern hat rein informierenden Charakter. Eine Behandlung unterhalb des Standardniveaus ist nach dieser Konzeption gerade nicht vorgesehen, weil der Arzt gar nicht erst tätig werden soll, wenn der Patient nicht zur privaten Finanzierung bereit ist. Den einer informationsbezogenen Harmonisierung entgegen gesetzten Weg hat Uhlenbruck vorgeschlagen: „Mein Petitum an den Gesetzgeber wäre eine Angleichung der versicherungsrechtlichen Regelung an die haftungsrechtlichen Grundsätze, die die höchstrichterliche Rechtsprechung für den Arzt aufgestellt hat. Dies heißt letztlich nichts anderes, als daß immer auf den Standard abzustellen ist.“132 In einer späteren Veröffentlichung heißt es, der Standard sei zwar den jeweiligen Gegebenheiten und finanziellen Möglichkeiten anzupassen und den Ärzten die Angst vor einer Nichteinhaltung der Standards zu nehmen, der Sorgfaltsmaßstab solle aber nicht herabgesetzt werden.133 Richtigerweise stellt aber Ulsenheimer fest, dass dann, wenn die wirtschaftlichen Ressourcen nicht ausreichend sind, „Anpassung“ zwangsläufig Reduktion des Standards bedeutet. Diese Absenkung sei auf der infolge seiner dynamischen Komponente gleitenden Skala des Standards eine neue Erfahrung, aber ebenso möglich, wie die bislang nur gewohnte Alternative der Steigerung zu jeweils neuen Höhen.134 Selbstverständlich, und gebot nach § 12 Abs. 1 SGB umfasst, vgl. Ihle, Ärztliche Leitlinien, Standards und Sozialrecht, S. 65. Einfacher wäre es, von einem sozialrechtlichen Versorgungsstandard zu sprechen und ohne eine Trennung sofort § 2 Abs. 1 S. 3 und § 12 Abs. 1 SGB V mit zu berücksichtigen. 130 Ihle, Ärztliche Leitlinien, Standards und Sozialrecht, S. 68. 131 Kern, MedR 2004, 300, 302 f. 132 Uhlenbruck, ArztR 1989, 233, 238. 133 Uhlenbruck, MedR 1995, 427, 436. 134 Ulsenheimer, in: FS für Kohlmann, S. 319, 331, ders., Der Anaesthesist 2004, 607, 611. Damit weicht Ulsenheimer von seiner früheren Auffassung ab, nach der „dasjenige, was im
B. Angedachte Lösungsansätze in der Literatur
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damit liegt auch Ulsenheimer auf der Linie der informationsbezogenen Harmonisierung, müsse der Patient über dieses „Minus“ bei Behandlungsbeginn oder -fortsetzung ebenso aufgeklärt werden, wie er auf die eventuell mögliche „private Liquidation“ für bessere Bedingungen hingewiesen werden müsse.135
V. Harmonisierung durch Leitlinien Noch nicht näher diskutiert worden sind Möglichkeiten einer Harmonisierung von Haftungs- und Sozialversicherungsrecht durch Leitlinien. Eine solche wäre denkbar, wenn Leitlinien neben medizinischen auch ökonomische Erwägungen beinhalteten, also kostensensibel wären. Bisher wurden kostensensible Leitlinien in der Wissenschaft überwiegend unter dem Aspekt der Leistungsbegrenzung und weniger aus zivilrechtlicher Sicht betrachtet.136 Befreite man den behandelnden Arzt bei Einhaltung einer derartig kostensensiblen Leitlinie von dem Verdikt eines Behandlungsfehlers, so hielten auf diesem Wege ökonomische Aspekte in die haftungsrechtliche Bewertung Einzug und würde so den knappen Ressourcen im Gesundheitswesen haftungsrechtlich Rechnung getragen. Eine solche haftungsrechtliche Wertung wäre jedoch nicht unproblematisch, weil sie in Konflikt mit dem bislang für die Haftung des Arztes maßgeblichen medizinischen Standard geriete. Wie sich gezeigt hat, sind Leitlinien auch nicht ohne weiteres haftungsrechtlich verbindlich, vielmehr ist der Einzelfall entscheidend. Zudem ist zu berücksichtigen, dass nach Angaben von Experten die Leitlinien nur für die Dauer von zwei Jahren inhaltlich als aktuell anzusehen sind.137 Nicht nur die Erstellung, sondern auch die deshalb erforderliche ständige Aktualisierung der kostensensiblen Leitlinien nähme finanzielle Ressourcen in Anspruch.138 Bisher liegen noch keine Studien zu der Frage vor, ob sich ein derarSinne des Haftungsrechts erforderlich, d.h. medizinisch indiziert ist, auch als ‚notwendig’ im Sinne des Wirtschaftlichkeitsgebots qualifiziert werden muß“, vgl. Ulsenheimer, MedR 1995, 441. Allgemein zu judikativen Modifikationen des Standardbegriffs Steffen ZVersWiss 1993, 13, 21 f.: „Es ist auch keineswegs so, daß wir durch neue Standards die Pflichten immer höher schrauben. Im Gegenteil setzen wir, auch hier in durch die Rücksicht auf die Rechtssicherheit gebotenen behutsamen Schritten, durchaus den Standard dort herab, wo uns die Anforderungen früherer Richtergenerationen zu streng erscheinen (…). Jedenfalls setzen wir heute die Standards verstärkt zur Haftungsbegrenzung ein.“ 135 Ulsenheimer, in: FS für Kohlmann, S. 319, 331 f.; ders., Der Anaesthesist 2004, 607, 611. 136 Vgl. den Bericht von Gerst zum Abschlusssymposium des interdisziplinären Forschungsverbundes „Allokation“, DÄBl. 2009, A-2362; sowie Publikationen des Forschungsprojektes zum Thema von Strech/Börchers/Freyer/A. Neumann/Wasem/Marckmann Ethik in der Medizin 2008, 94, 96, 106, 108; Strech/Freyer/Börchers/A. Neumann/Wasem/Krukemeyer/Marckmann, Gesundheitsökonomie & Qualitätsmanagement 2009, 38 ff. 137 Bergmann, in: Arbeitsgemeinschaft Rechtsanwälte im Medizinrecht, Leitlinien, Richtlinien und Gesetz, S. 65, 68 mit Verweis auf Clade, DÄBl. 2001, A-288, A-290. 138 Vgl. zum Kostenaspekt bei der Erstellung von Leitlinien Schwenzer, in: Arbeitsgemeinschaft Rechtsanwälte im Medizinrecht, Leitlinien, Richtlinien und Gesetz, S. 81, 84: Für die
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4. Kap.: Spannungen zwischen Wirtschaftlichkeitsgebot und Haftungsrecht
tiger Aufwand mit Blick auf das verfolgte Ziel überhaupt lohnt, ob sich also kostensensible Leitlinien letztlich als wirtschaftlich sinnvoll erweisen. Weitere rechtliche Schwierigkeiten ergeben sich bei der Umsetzung von kostensensiblen Leitlinien im Sozialversicherungsrecht.139 Eine Umsetzung sowohl im Haftungs- als auch im Sozialversicherungsrecht, welche derzeit nicht gewährleistet ist, wäre aber Voraussetzung für eine wirkliche Harmonisierung.
C. Eigener Ansatz Abschließend soll mit den nachfolgenden Ausführungen ein eigener Standpunkt entwickelt werden, der sich im Wesentlichen an dem bereits dargestellten informationsbezogenen Lösungsansatz orientiert. Es hat sich gezeigt, dass der medizinisch determinierte Haftungsmaßstab der Ausgangspunkt des zu lösenden Spannungsverhältnisses ist. Gleichwohl ist festzuhalten, dass für die rechtliche Bewertung ärztlichen Verhaltens auch in Zukunft von einem medizinischen geleiteten Sorgfaltsmaßstab auszugehen ist, weil es zu einem solchen keine sinnvolle Alternative gibt. Es stellt sich somit die Frage, wie ein zwar modifizierter, aber nach wie vor medizinisch determinierter Haftungsmaßstab zukünftig auszusehen hat, wenn er dazu beitragen soll, Spannungen zwischen Haftungs- und Sozialrecht zu lösen oder gar nicht erst aufkommen zu lassen.
I. Absenken des Sorgfaltsmaßstabs auf das Niveau des SGB V Auf Inkongruenzen zwischen dem Haftungs- und Sozialrecht sollte zukünftig reagiert werden, indem der zivilrechtliche Maßstab für die Ermittlung eines Behandlungsfehlers und die Bestimmung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt niedriger als bisher angesetzt wird. Ein zivilrechtlicher Maßstab, der sich nicht mehr am jeweils aktuellen medizinischen Standard orientiert, sondern auf die sozialversicherungsrechtlichen Gegebenheiten Rücksicht nimmt und diesen angepasst ist, böte die Chance für eine dauerhafte Harmonisierung beider Rechtsgebiete. Das hieße, dass vom Arzt haftungsrechtlich nur noch das verlangt werden könnte, was auch tatsächlich als Leistung innerhalb der GKV erbringbar ist.140 Abstriche vom medizinischen Standard – etwa durch explizite Leistungsbegrenzungen durch Richtlinien des G-BA oder die Abkoppelung des sozialrechtlichen Leistungsrahmens vom medizinischen Fortschritt – würden dann an das Haftungs-
Entwicklung einer Leitlinie bis zur Qualitätsstufe 3 werden Kosten zwischen 100.000 und 200.000 Euro genannt. 139 Vgl. den Bericht von Gerst zum Abschlusssymposium des interdisziplinären Forschungsverbundes „Allokation“, DÄBl. 2009, A-2362. 140 So auch schon Franzki, MedR 1994, 171; Schewe, Der Arzt und sein Recht, 1/1996, 8, 10; s. auch Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 220.
C. Eigener Ansatz
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recht weitergegeben.141 Damit ist nicht gesagt, dass sich der Haftungsmaßstab jederzeit unterhalb des Niveaus des medizinischen Standards bewegt; ein Gleichlauf ist nach wie vor denkbar. Gegen eine Absenkung der von zivilrechtlicher Seite an den Arzt zu stellenden Anforderungen wendet Uhlenbruck verfassungsrechtliche Bedenken ein: „Wegen des verfassungsrechtlich garantierten Rechts auf Gesundheit und Wiederherstellung der Gesundheit wird es in Deutschland niemals einen Unterschied zwischen den Standards der kassenärztlichen Leistungen und den allgemeinmedizinischen Standards geben.“142 Dagegen143 lässt sich allerdings einwenden, dass die Gesundheit vom Schutzbereich des Grundrechts auf Leben und körperliche Unversehrtheit zwar in einem gewissen Maße mit umfasst ist, ein eigenständiges Grundrecht auf Gesundheit hingegen nicht ins Grundgesetz aufgenommen worden ist.144 Für Dressler wäre mit Blick auf die durch Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG mit hohem Verfassungsrang versehenen Rechtsgüter Leben, Körper und Gesundheit für das zivile Haftungsrecht eine Rationierung nicht hinnehmbar, durch die dem Patienten eine für sein Leiden ernsthaft in Betracht kommende Heilungs- oder Besserungschance dadurch vorenthalten wird, dass auf eine nach dem durch die medizinische Wissenschaft und praktische ärztliche Erfahrung bestimmen Behandlungsstandard indizierte und gebotene (und nicht durch wirtschaftlich günstigere Vorgehen substituierbare) Maßnahme ersatzlos verzichtet würde.145 Zu diesen Bedenken ist zu sagen, dass sich auf der Ebene des von den Krankenkassen zu gewährleistenden Leistungsstandards nach Ansicht des BVerfG aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG kein verfassungsrechtlicher Anspruch gegen die Krankenkassen auf Bereitstellung medizinischer Versorgung oder auf Gewährung finanzieller Leistungen hierfür ergibt.146 Im Schrifttum werden verfassungsunmittelbare Ansprüche auf Gesundheitsleistungen allenfalls im Rahmen eines zu gewährleistenden medizinischen Existenzminimums diskutiert,147 dessen Anerkennung zuletzt auch durch das BVerfG angedeutet wurde.148 Ein Recht auf Wiederherstellung der Gesundheit, das in seiner Funktion über die des klassischen Abwehrrechts hinaus geht, ist nur in diesen engen Grenzen garantiert. Für den ärztlichen Behandlungsstandard gewinnt – geht man mit der im Zivilrecht vorherrschenden Ansicht von dem Bestehen eines Arztvertrages zwischen Kassenpatient und Vertragsarzt aus149 – Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG als staatliche Schutzpflicht Bedeu-
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Kritisch zur Bildung eines vom medizinischen Standard abweichenden sozialrechtlichen Standards Conradi, Verknappung medizinischer Ressourcen und Arzthaftung, S. 134. 142 Uhlenbruck, MedR 1995, 427, 435. 143 Eine ähnliche Argumentation wie die folgende findet sich bei Scherer, Stationäre Krankenhausbehandlung im Spannungsverhältnis zwischen Ökonomisierung und Haftungsrecht, S. 220 f. 144 Vgl. 1. Teil Kap. 3 A. I. 1., S. 56. 145 Dressler, in: FS für Geiß, S. 379, 387. 146 Vgl. 1. Teil Kap. 3 A. I. 2. b), S. 58. 147 Vgl. 1. Teil Kap. 3 A. I. 2. c) bb) (2) (a) (bb), S. 67 ff. 148 Vgl. 1. Teil Kap. 3 A. I. 2. c) bb) (2) (b) (ee) İ), S. 80 f. 149 Vgl. 2. Teil Kap. 1 A. I., S. 160.
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4. Kap.: Spannungen zwischen Wirtschaftlichkeitsgebot und Haftungsrecht
tung,150 die bei der Auslegung zivilrechtlicher Normen zu berücksichtigen ist.151 Der zivilrechtliche Haftungsmaßstab darf daher die Gesundheit des Einzelnen nicht ignorieren; ein – im Einzelfall schwer zu definierender – Mindeststandard darf nicht unterschritten werden.152 Ansonsten gelten jedoch auch für den ärztlichen Behandlungsstandard keine anderen als die genannten verfassungsrechtlichen Wertungen, so dass das Grundgesetz einem Abweichen vom allgemeinmedizinischem Standard nicht entgegensteht.153 Zustimmung verdienen die auf die Zukunft gerichteten Worte von Steffen: „Im Bemühen um einen Gleichklang mit dem Sozialrecht wird sich die Haftungsrechtsprechung in Zukunft genauer mit dem Leistungsrahmen der GKV befassen müssen und mit den Einflüssen des Leistungserbringungsrechts des SGB V hierauf, insbesondere mit den Konkretisierungen durch Rechtsverordnungen, Richtlinien, Kollektivverträge der Verbände der Krankenkassen mit den Kassenärztlichen Vereinigungen; kurzum mit der Materie der Sozialgerichte.“154 Ein Herabsetzen des Haftungsmaßstabs auf das Niveau des sozialversicherungsrechtlichen Versorgungsstandards entspräche auch dem Willen der Ärzteschaft, die in ihrem Beschluss anlässlich des 111. Deutschen Ärztetages 2008 angesichts divergierender Vorgaben von Haftungs- und Sozialrecht eine Anpassung des Haftungsrecht forderte.155
II. Kompensation durch eine zusätzliche Aufklärungspflicht Den Arzt aus seiner misslichen Lage zwischen den Anforderungen zweier Rechtsgebiete durch die Harmonisierung der Standards zu befreien, kann nicht gänzlich zu Lasten der betroffenen Patienten erfolgen. Daher sollte die Angleichung von der Statuierung einer kompensatorischen Aufklärungspflicht begleitet werden.
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Zu dieser Grundrechtsdimension vgl. 1. Teil Kap. 3 A. I. 2. b), S. 57 ff. Zur (mittelbaren) Drittwirkung der Grundrechte vgl. Guckelberger, JuS 2003, 1151 ff.; Grüneberg, in: Palandt, BGB, § 242 Rn. 7; Olzen, in: Staudinger, BGB, Einl. zu § 241 ff. Rn. 263 ff.; Hohloch, in: Erman, BGB, § 242 Rn. 30; Looschelders, in: AnwK-BGB, § 134 Rn. 26 ff. jeweils m.w.N. 152 Vgl. 1. Teil Kap. 3 A. I. 2. bb) (2) (a) (bb), S. 69 ff. für die genaue Bestimmung des medizinischen Existenzminimums und ferner 2. Teil Kap. 2 C. II., S. 186 hinsichtlich einer Standarduntergrenze. 153 Uhlenbruck MedR 1995, 427, 435, schränkt seine eigene Aussage selbst ein, wenn er sagt: „Die Gerichte müssen (...) im Rahmen der Haftpflicht lernen, in den Begriff des medizinischen Standards auch die durch das Budget gesetzten Grenzen einzubeziehen.“ Eine Herabsetzung des Sorgfaltsmaßstabs, der von einem Arzt verlangt werden muss ist aber nicht gewollt. Vielmehr gehe es darum, den Standard den jeweiligen Gegebenheiten und finanziellen Möglichkeiten anzupassen und den Ärzten die Angst zu vor einer Nichteinhaltung der klinischen Standards zu nehmen (S. 436). 154 Steffen, in: FS für Geiß, S. 487, 498. 155 „Ulmer Papier“, Beschluss des 111. DÄT, DÄBl. 2008, A-1189, A-1195. 151
C. Eigener Ansatz
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Immer dann, wenn sich für den Arzt abzeichnet, dass eine Behandlung nach dem medizinischen Standard zu einem Konflikt mit den Bedingungen in der GKV führen kann, hat er seinen Patienten darüber aufzuklären, dass eine Behandlung nach dem medizinischen Standard nur bei einer finanzieller Eigenbeteiligung zu erreichen ist. Dabei hat er die Vorteile der privat finanzierten Methode gegenüber der durch das Sozialversicherungssystem abgedeckten Behandlung aufzuzeigen. Entscheidet sich der Patient für einen Zukauf, schuldet er die Sorgfalt nach dem dann privat finanzierten medizinischen Standard. Ist der Patient hingegen nicht zu einer eigenen Beteiligung bereit, verbleibt dem Behandler die Möglichkeit, dem Patienten nach dessen Entschluss eine Behandlung auf dem Niveau des SGB V vorzunehmen. Für eine nach herkömmlichem Verständnis einen Behandlungsfehler begründende Unterschreitung des medizinischen Standards hat er dann jedoch haftungsrechtlich nicht mehr einzustehen. Insoweit weicht die hier vertretene Auffassung von der geschilderten Ansicht Kerns ab.156 Eine Herabsetzung des zivilrechtlichen Haftungsmaßstabs im konkreten Fall ist demnach möglich und sogar gewollt, um das Spannungsverhältnis zwischen Haftungs- und Sozialrecht zu einer Auflösung zu bringen. Daher ist der Arzt in der konkreten Situation nicht verpflichtet, die Behandlung abzubrechen, wenn der Patient die zwar indizierte, aber nicht vom Leistungsumfang der GKV umfasste Methode (aus Kostengründen) ablehnt. Ist der Patient von seinem Arzt umfassend und sorgfältig über die in Rede stehende Alternative aufgeklärt, so kommt sein Selbstbestimmungsrecht am Besten zur Geltung, wenn er über den weiteren Behandlungsverlauf entscheidet und es dem Arzt wiederum nicht untersagt ist, auf dem sozialversicherungsrechtlichen Niveau weiterzuarbeiten. Außerdem ist zu berücksichtigen, dass die sozialversicherten Patienten oftmals nicht zur Eigenfinanzierung in der Lage sind. In einem solchen Fall führte ein aus haftungsrechtlichen Erwägungen resultierendes Behandlungsverbot dazu, dass sie gänzlich unbehandelt blieben, was nicht gewollt sein kann.157 Es soll nicht verschwiegen werden, dass der hier vertretene Lösungsansatz Probleme in sich birgt. Eine beständige Aufklärung des Patienten über all diejenigen Maßnahmen, die medizinisch möglich sind, aber von der GKV nicht finanziert werden, kann das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient schwer belasten. Sicherlich ist die Erwartung verfehlt, dass die Umsetzung des hier unterbreiteten Vorschlags sofort auf große Akzeptanz stieße. Es bleibt aber zu hoffen, dass sich auch unter diesen geänderten Vorzeichen langfristig ein vertrauensvolles Verhältnis zwischen Arzt und Patient entwickeln kann. Die Gesellschaft muss sich der von Ressourcenknappheit und Rationierung geprägten veränderten Bedingungen im Gesundheitswesen bewusst werden. Damit geht auch ein wachsendes Verständnis dafür einher, dass nicht mehr jeder Fortschritt bezahlbar ist und der Patient nach seinen Möglichkeiten privat vorsorgen muss. Hierbei kann es sich um einen langwierigen Prozess handeln. Mit seinem Fortschreiten dürften sich die Gefahren für das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient verringern, weil beide offen miteinander reden können und mit den Umständen vertraut sind. Des156 157
Vgl. 2. Teil Kap. 4 B. IV., S. 218. Vgl. auch v. Ziegner, VSSR 2003, 191, 213.
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4. Kap.: Spannungen zwischen Wirtschaftlichkeitsgebot und Haftungsrecht
wegen ist der hier verfolgte Ansatz insgesamt als ein langfristiger Lösungsweg anzusehen.
III. Rechtliche Einordnung der zusätzlichen Aufklärungspflicht Will man die zusätzliche Aufklärungspflicht rechtlich richtig einordnen, gilt es, sich ihren einzelnen Gehalten zuzuwenden und diese zu analysieren. 1. Wirtschaftliche Aspekte Zum einen ist sie wirtschaftlich motiviert, weil es dem Patienten aufzuzeigen gilt, ab wann ein bestimmtes Behandlungsverhalten nicht mehr vom Leistungsumfang der GKV gedeckt ist. Der Versicherte soll in die Lage versetzt werden, darüber zu befinden, ob er bereit ist, die nicht umfasste Behandlung selbst zu finanzieren. 2. Aspekte der Selbstbestimmung Bedeutender sind freilich die Aspekte der Selbstbestimmung, die einer kompensierenden Aufklärungspflicht im hier dargestellten Sinne innewohnen. Neben den monetären Fragen geht es nämlich in erster Linie darum, dem Patienten die Entscheidung darüber zu überlassen, welcher Behandlung er sich aussetzen möchte. Schließlich kann die außerhalb des gesetzlichen Leistungsrahmens liegende Behandlungsalternative einen schnelleren, weniger massiven und risikoärmeren Weg zur Heilung versprechen. Die Aufklärung verschafft ihm Klarheit darüber, auf welche Behandlung er sich einlässt, wenn er auf eine Privatfinanzierung verzichtet oder umgekehrt, worin die Vorteile der selbst zu finanzierenden Leistungen liegen. Die Aufklärungspflicht ist daher insgesamt als eine Form der Selbstbestimmungsaufklärung anzusehen.158 Beide Aspekte vermischen sich, wenn der Versicherte durch die Aufklärung für sich eine Einschätzung darüber treffen kann, welchen Mehrwert die Behandlungsalternative für ihn persönlich aufweist. Wird die Aufklärung versäumt, hat der Arzt für Schäden des Patienten trotz der Absenkung des zivilrechtlichen Haftungsmaßstabs haftungsrechtlich einzustehen. Die hier vorgeschlagene Lösung nimmt also auch ihn mit in die Verantwortung.
IV. „Zwei-Klassen-Medizin“ Gegen den hier vertretenen Standpunkt – und das gilt gleichermaßen für die im ersten Teil der Bearbeitung befürwortete Unterteilung der GKV-Leistungen in
158 Wie hier auch Diederichsen, in: Hart, Klinische Leitlinien und Recht, S. 105, 111 f.; Francke/Hart, ZaeFQ 2001, 732, 733; Hart, MedR 1999, 47, 50; Scherer, Stationäre Krankenhausbehandlung im Spannungsverhältnis zwischen Ökonomisierung und Haftungsrecht, S. 224; Steffen, in: FS für Geiß, S. 487, 501; v. Ziegner, VSSR 2003, 191, 212.
C. Eigener Ansatz
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eine Grund- und Zusatzversorgung159 – ließe sich ins Feld führen, dass er einer „Zwei-Klassen-Medizin“ Vorschub leiste. Schließlich beschränkte sich der Haftungsmaßstab für Ärzte bei der Behandlung von Kassenpatienten auf das mit dem SGB V festgelegten Niveau des sozialversicherungsrechtlichen Versorgungsstandards, während eine derartige Einschränkung für Privatpatienten naturgemäß fehlte. Eine „Zwei-Klassen-Medizin“ ist, wenn man bei dem Begriff auf eine medizinische Leistungs- und Qualitätsdifferenzierung abstellt, im Deutschen Gesundheitswesen allerdings bereits längst Realität. Und das nicht nur, was einen Vergleich von gesetzlich und privat krankenversicherten Patienten anbelangt, sondern auch im Verhältnis der Kassenpatienten untereinander. Schließlich gibt es auch hier Besserverdienende, die sich zusätzliche Gesundheitsleistungen leisten können, wie die Liste der individuellen Gesundheitsleistungen (IGeL)160 belegt.161 Durch die schon heute existierende Möglichkeit der privaten Zusatzversicherung in vielerlei Bereichen162 entsteht ein weiteres Gefälle. Wollte man diese Form der „Zwei-Klassen-Medizin“ gänzlich beseitigen, bedürfte es eines Verbots des Zukaufs anderer Gesundheitsleistungen. Ein solches ist, das hat sich schon im Rahmen der Rationierungsdebatte gezeigt,163 in einem freiheitlich organisierten Staat wie der Bundesrepublik nicht durchsetzbar.164 Versteht man das Schlagwort der „Zwei-Klassen-Medizin“ allerdings so, dass für ihre Existenz nicht nur eine Leistungs- und Qualitätsdifferenzierung in der Gesundheitsversorgung stattfinden muss, sondern sich diese auch zu Lasten der Versorgung Dritter auswirkt,165 kann im hiesigen Kontext wie überhaupt im deutschen Gesundheitswesen kaum von einer „Zwei-Klassen-Medizin“ gesprochen werden.166
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Vgl. 1. Teil Kap. 4 B. II., S. 143 ff. Die IGeL-Liste fasst Leistungen zusammen, die nicht vom Leistungskatalog der GKV umfasst sind. Sie ist 1998 von der KBV und den freien ärztlichen Verbänden vorgestellt worden. Sofern Leistungen aus der IGeL-Liste in Anspruch genommen werden sollen, muss der Versicherte sie privat bezahlen. Die Liste wird ständig erweitert. Mittlerweile gibt es einige private Zusatzversicherungen, die Leistungen aus der IGeL-Liste erstatten, vgl. Preusker, Lexikon Gesundheitsmarkt, IGeL, S. 205. 161 Schimmelpfeng-Schütte, MedR 2002, 286, 292. 162 Schulze Ehring/Weber, VersMed 2008, 177, 180. Besonders verbreitet und damit als weitläufig akzeptiert anzusehen sind Zusatzversicherungen im zahnärztlichen Bereich. Bis 2007 wurden insgesamt 10,8 Millionen Zahnzusatzversicherungen von gesetzlich versicherten Personen abgeschlossen, vgl. Schulze Ehring/Weber, a.a.O, 177, 186 f. 163 Vgl. 1. Teil Kap. 2 C. IV., S. 46. 164 Schulze Ehring/Weber, VersMed 2008, 177, 179 mit weiteren Vorbehalten. 165 So Schulze Ehring/Weber, VersMed 2008, 177, 181. 166 Vgl. die Analyse von Schulze Ehring/Weber, VersMed 2008, 177, 181 ff. Dort (S. 184) heißt es pointiert: „Selbst wenn alle Privatpatienten auf einen Schlag auswandern würden, für die gesetzlich Versicherten würde sich nichts ändern.“ 160
Zusammenfassung und Schlussbetrachtung Das untersuchte und vielfach propagierte Spannungsverhältnis zwischen Haftungs- und Sozialrecht1 ist durchaus differenziert zu bewerten. Die Auslegung der gesetzlich in § 12 SGB V bestimmten Merkmale der ausreichenden, zweckmäßigen, wirtschaftlichen und das Maß des Notwendigen nicht überschreitenden Leistungen stehen nicht in einem direkten Widerspruch zu dem im Zivilrecht einzuhaltenden Sorgfaltsmaßstab. Der Leistungsumfang der GKV hält stets eine Methode bereit, die dem Basisstandard und damit den Anforderungen des Haftungsrechts entspricht. Daher ist es zunächst auch unerheblich, dass der sozialrechtliche Standard vom zivilrechtlichen Standard insofern abweicht, als Ersterer nur dasjenige umfasst, was allgemein anerkannt ist, während Letzterer auch die dynamische Komponente des medizinischen Standards aufgreift.2 Eine Gefahr, dass der behandelnde Arzt sich in der konkreten Situation nicht rechtmäßig verhalten kann, ist insgesamt rechtlich grundsätzlich nicht angelegt. In tatsächlicher Hinsicht tut sich gleichwohl ein Konfliktfeld auf, wenn es um die Erbringung neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden geht. Die Abrechnungsfähigkeit zu Lasten der GKV hängt im ambulanten Bereich davon ab, ob die neue Methode in einer Richtlinie durch den G-BA anerkannt ist; 135 Abs. 1 SGB V. Hat sich der G-BA noch nicht oder negativ zu einer neuen Behandlungsmethode geäußert, zählt ein Arzt selbst jedoch zu den Befürwortern der in Rede stehenden Methode, befindet er sich in einem echten Dilemma, weil seine eigene ärztliche Überzeugung auf die fehlende Leistungspflicht der Sozialversicherung trifft. Die Entscheidung gegen die Anwendung der fraglichen Methode darf sich für den Arzt haftungsrechtlich nicht negativ auswirken, wenn stattdessen eine allgemein anerkannte Methode zur Anwendung gelangt. Im Schadensfalle können dennoch Ungewissheiten und Risiken bestehen, die sich aus der besonderen Konstellation in Arzthaftungsprozessen ergeben, dass bei der Ermittlung der jeweils geschuldeten Sorgfalt das Gericht durch den medizinischen Sachverständigen beraten wird. Die Gefahr resultiert nun daraus, dass sich dieser womöglich eher an den Chancen des Patienten auf Heilung orientiert, als dass er auf sozialversicherungsrechtliche Abrechnungsfragen achtet. Nicht unbedeutend ist auch, dass die Sachverständigen aus dem Bereich der universitären Spitzenmedizin stammen, wobei der BGH darauf hinzuwirken versucht hat, dass nicht zu hohe Anforderungen gestellt werden. Konflikte auch im Rechtssinne treten dann auf, wenn die nicht durch den G-BA anerkannte Behandlungsmethode die einzige der Wahl ist und schon zum haftungsrechtlich relevanten medizinischen Standard zu zählen ist. Weitere rechtliche Spannungen sind möglich, weil der G-BA nicht nur über neue Behandlungsmethoden zu befinden hat, sondern gemäß § 92 Abs. 1 S. 1 SGB V generell den Um1
Zu den unterschiedlichen – auch ablehnenden – Äußerungen in der Literatur vgl. 2. Teil Kap. 4 A., S. 195 ff. 2 Vgl. zum Ganzen 2. Teil Kap. 4 A. III., S 203. ff. Zu der Unterscheidung von Basisstandard und dynamischem Standard vgl. 2. Teil Kap. 2 B. I., S. 175 f.
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Zusammenfassung und Schlussbetrachtung
fang der Leistungen für die gesetzlich Krankenversicherten festschreibt. Eine im Zeichen der Finanznot erlassene Richtlinie, die dazu führt, dass der geforderte medizinische Standard nicht voll erbracht werden kann, birgt wiederum Gefahren für den Arzt und erschwert ihm ein gänzlich als rechtmäßig anzusehendes Verhalten. Problematisch ist es schließlich auch, wenn der MDK gutachterlich ein Therapieverfahren ablehnt und dieses dann nicht Gegenstand der GKV-Leistungen sein kann. Wiederum kann dann vom Arzt haftungsrechtlich gefordert werden, was ihm sozialrechtlich untersagt ist. Nicht nur zwischen § 12 SGB V und den Haftungsregeln besteht ein Spannungsverhältnis. Durch die Bonus-Malus-Regelung des Arzneimittelrechts kann der Arzt für eine übermäßige Verordnung von Arzneimitteln sanktioniert werden, wenn auch der Einsatz notwendig gewesen sein mag, um sich standardgemäß zu verhalten und den Patienten bestens zu versorgen. Inkongruenzen zwischen Haftungs- und Sozialrecht bestehen auch im Bereich der Arzneimittel-Versorgung beim Off-label-use. Dieser kann dem medizinischen Standard entsprechen und damit haftungsrechtlich vom Arzt eingefordert werden, während er sozialversicherungsrechtlich grundsätzlich nicht möglich ist. Es besteht eine echte „Zwickmühle“. Vermieden wird eine solche Situation nur dann, wenn die vom BSG aufgestellten Grundsätze oder aber die Voraussetzungen des „Nikolaus-Beschlusses“ vorliegen. Gleichwohl verbleiben für den Arzt konfliktträchtige Situationen, insbesondere bei nicht vorliegender Lebensgefahr oder extremer Schwere der zu behandelnden Krankheit. Zur Auflösung der beschriebenen Spannungen ist der „Nikolaus-Beschluss“ insgesamt nicht geeignet, weil die in den fraglichen Konstellationen jeweils in Rede stehenden Behandlungsmöglichkeiten gerade nicht dem medizinischen Standard entsprechen und somit dem Beschluss keine harmonisierende Wirkung zukommen kann. Auch in der Haftungsrechtsprechung findet sich kaum ein Hinweis darauf, wie in Spannungslagen zu verfahren ist.3 Insbesondere mit Blick auf sich zukünftig noch ausweitende Konflikte ist deshalb die Literatur aufgefordert, Lösungswege zu erarbeiten und hat dies auch ansatzweise getan.4 Die vorliegende Arbeit war ebenfalls bestrebt, einen Lösungsansatz aufzuzeigen. Nach der hier vertretenen Auffassung erscheint es angemessen und auch einzig praktikabel, einen informationsbezogenen Ansatz zu wählen. Danach wird der haftungsrechtlich zu fordernde Maßstab auf das Niveau des sozialversicherungsrechtlichen Standards herabgesetzt, diesem mithin angepasst. Die zum medizinischen Standard entstehende Lücke ist dadurch zu schließen, dass es dem Arzt auferlegt wird, seinen Patienten über bessere (also dem medizinischen Standard entsprechende) Behandlungsalternativen auf Selbstzahlungsbasis aufzuklären. Einer derartigen Aufklärungspflicht wohnen zwar auch wirtschaftliche Aspekte inne, sie ist aber in erster Linie eine Form der Selbstbestimmungsaufklärung. Lehnt der aufgeklärte Patient eine privat zu bezahlende Behandlung nach dem medizinischen Standard ab, so haftet der Arzt dann auch nur noch auf dem sozialversicherungsrechtlichen 3
Vgl. 2. Teil Kap. 4 A. III. 6., S. 212. Zu den verschiedenen Lösungsansätzen aus dem Schrifttum s. 2. Teil Kap. 4 B., S. 213 ff.
4
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Niveau. Eine Standardunterschreitung kann ihm dann nicht mehr vorgeworfen werden. Eine finale Gegenüberstellung der Ergebnisse des ersten und des zweiten Teils der Arbeit weist einige Gemeinsamkeiten auf: Aufgrund der zahlreichen rechtlichen Probleme wurde im ersten Teil der Arbeit eine Unterteilung des Leistungsumfangs der GKV in eine Grund- und Zusatzversorgung befürwortet. Die Grundsicherung kommt dabei allen versicherten Patienten zugute, während darüber hinausgehende Leistungen der Privatfinanzierung des Einzelnen vorbehalten bleiben. Gleiches ergibt sich nach dem hier vertretenen Ansatz letztlich auch für das Arzthaftungsrecht: Bei dem hier favorisierten Lösungsweg lässt sich haftungsrechtlich von einem Grund- und einem Zusatzhaftungsmaßstab sprechen. In den Genuss des ersteren kommen wiederum alle Versicherte, letzterer ist den Selbstzahlern vorbehalten. Diese Übereinstimmung ergibt sich logischerweise deshalb, weil Ausgangspunkt aller Überlegungen zur Spannungslage zwischen Haftungsund Zivilrecht die durch die Ressourcenknappheit im Gesundheitswesen bedingten Restriktionen des Sozialversicherungsrechts sind.
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