Küss mich Weihnachtsengel
Alyssa Dean
Julia Weihnachten 14-3 – 1/01
Gescannt von suzi_kay
Korrigiert von briseis...
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Küss mich Weihnachtsengel
Alyssa Dean
Julia Weihnachten 14-3 – 1/01
Gescannt von suzi_kay
Korrigiert von briseis
1. KAPITEL „Weihnachtselfen!" schnaubte Brandy. Entrüstet marschierte sie in Amandas Apartment und stampfte sich auf der Fußmatte den Schnee von den Stiefeln. „Wer hat denn die geniale Idee gehabt, uns als Weihnachtselfen anzubieten?" Amanda trank einen Schluck Kaffee und dachte über die Frage nach. „Ich dachte, damit würden wir Aufmerksamkeit erregen." Sie nahm einen ihrer Prospekte vom Tisch und las den Text darauf laut vor. „Probleme wegen Weihnachten? Rufen Sie die Weihnachtselfen von A&B Executive Services an. Wir bieten all das, was der viel beschäftigte Manager braucht, um ein frohes Weihnachtsfest zu verleben." „Ich finde, wir müssen ein Dementi herausgeben!" Brandy streifte schwungvoll ihre Stiefel ab und stürmte ins Wohnzimmer, wo sie sich neben Amanda aufs Sofa warf. „Wieso denn, was stimmt denn damit nicht? Es wirkt lebendig und anders. Und irgendwie sehen wir beide doch aus wie Engel, oder?" Immerhin sind wir beide keine Riesen, dachte Amanda. Auch wenn sie fand, dass Brandy mit ihrem lockigen braunen Haar, den grünen Augen und der knuddeligen Figur mehr wie ein Weihnachtsengel aussah als sie selbst mit ihren schulterlangen blonden Haaren und der schlanken Gestalt. Sie musterte Brandys Gesicht. „Allerdings siehst du im Moment eher wie ein kleiner griesgrämiger Kobold aus. Stimmt etwas nicht?" „Mit Mr. Denton stimmt etwas nicht." „Mr. Denton? Der von Denton Accounting?" Brandy zog sich ihre Jacke aus, warf sie über einen Stuhl und zog die Beine unter sich. „Du glaubst nicht, was dieser viel beschäftigte Manager für nötig hielt, damit sein frohes Weihnachtsfest gesichert ist!" „O nein", sagte Amanda. „Er hat doch wohl nicht..." „O doch, er hat." Brandy überlief ein Schauer. „Und zwar genau in seinem Büro. Ich fragte, was er brauchte, damit sein Fest fröhlicher würde, und er ... grapschte nach mir." „Er grapschte nach dir?" Besorgt blickte Amanda ihre Freundin an. „Ist alles okay? Geht's dir gut?" „Ja. Nein." Brandy massierte sich die Stirn. „Ich weiß nicht. Ist noch Kaffee da?" „Klar." Amanda stand auf, ging hinüber in ihre Küche, schenkte Brandy einen Becher Kaffee ein und kehrte damit ins Wohnzimmer zurück. „Und nun erzähl mir, was genau geschehen ist." „Viel gibt es da nicht zu erzählen." Brandy trank vorsichtig ein paar Schluck und lehnte sich dann auf der geblümten Couch zurück. „Ich kam dort an, Mr. Denton bat mich in sein Büro, und dann fing er an, mich anzugrabbeln." „Wie ... entsetzlich!" „Das kannst du laut sagen. Genau das dachte ich auch!" Brandy verzog das Gesicht. „Ich meine, das alles um neun Uhr morgens! Am Nachmittag hätte ich vielleicht damit gerechnet, aber am frühen Morgen? Um die Zeit sind die meisten Männer kaum wach geworden, und dieser eklige kleine Mistkerl vergreift sich an der erstbesten Frau, die ihm über den Weg läuft!" Amanda hätte beinahe losgekichert, ein solch empörtes Gesicht machte Brandy. „Das ist wirklich außergewöhnlich, da hast du Recht", stimmte sie ihr zu. „Erzähl weiter. Wie hast du reagiert?" Brandy verzog die Lippen zu einem schiefen Lächeln. „Nun, eigentlich hatte ich sogar meinen Spaß dabei, Amanda. Mr. Denton ist so kurz und rundlich wie ich. Er grapschte, ich schob ... Ich kam mir vor wie bei einem Sumoringer-Wettbewerb für
Liliputaner!" Bei dieser Vorstellung musste Amanda lächeln, wurde aber gleich wieder ernst. „Und wer hat gewonnen?" „Ich natürlich. Ich habe drei ältere Brüder, die um einiges kräftiger sind als Mr. Denton." Sie hob eine ihrer perfekt gezupften Augenbrauen. „Außerdem, nachdem ich ihm eine klatschte, begriff er endlich und ruderte schnell zurück." Sie seufzte. „Ich möchte ja nicht optimistisch erscheinen, aber ich habe den Eindruck, von Denton Accounting werden wir nicht viele Aufträge bekommen. Besonders nicht, nachdem Mr. Denton Mrs. Denton und all den kleinen Dentons seine Blessuren erklären musste." In ihrer Sorge um Brandy hatte Amanda fast vergessen, was das für ihren Partyservice bedeutete. „Auf solche Kunden können wir verzichten!" erklärte sie dennoch entschieden. „So ist es wohl", meinte Brandy und trank noch einen Schluck Kaffee. „Aber weißt du, was das Erschreckendste an der ganzen Sache ist? Einen Moment lang habe ich tatsächlich überlegt, Mr. Dentons Spielchen mitzumachen!" Amanda blieb der Mund offen stehen. „Was hast du?" fragte sie fassungslos. „Ja, es stimmt." Brandy wurde sogar richtig rot. „Er grapschte nach mir, und in der Sekunde fuhr mir der Gedanke durch den Kopf, vielleicht sollte ich es tun, um unser Geschäft vor dem Ruin zu bewahren." Entsetzt starrte Amanda sie an. „Brandy!" „Dann aber wurde mir bewusst, ich würde mich übergeben müssen, sobald Mr. Denton mich befummelte, und dann würde aus dem Geschäft mit ihm sowieso nichts. So klebte ich ihm eine und ging." „Gut", sagte Amanda. „So schlecht geht es uns nun auch wieder nicht." Brandy hob wieder eine Augenbraue. „Du weißt, wir stehen kurz vor dem Aus. Seit drei Monaten strampeln wir uns ab, und unsere Kunden kannst du an meinem Ringfinger abzählen." Amanda zuckte zusammen. Es traf so ungefähr die Wahrheit, was Brandy sagte. Ihre Geschäfte hatten sich nicht annähernd so entwickelt, wie sie gehofft hatten. „Also, ein wenig mehr war es schon", widersprach sie dennoch. „Schließlich hatten wir die Sache mit der Claire Foundation." „Mehr als unsere Kosten hast du ihnen nicht in Rechnung gestellt! Verdient haben wir daran nicht einen Cent." Wieder zuckte Amanda zusammen. „Es ist eine wohltätige Organisation. Es kam mir nicht richtig vor ..." „Aber wir sind kein gemeinnütziger Verein." Brandy trank noch einen Schluck. „Und dann war da noch die Sache mit Bernard Trucking. Du bist durch die ganze Stadt getobt, um die geeigneten Präsente für seine Firma zu finden, die er verschenken kann - und was kam dabei heraus? Wir mussten sie von unserem eigenen Geld bezahlen!" „Er war ein so netter Mann. Und er konnte es sich einfach nicht leisten ..." „Wir ebenfalls nicht! Und Mr. Bernard mag durchaus ein netter Mann sein, aber sein Sohn war es ganz bestimmt nicht. Wie endete alles? Du gingst mit Eddy Bernard aus, er lieh sich ein paar Hundert Dollar von dir, und seitdem ist Schweigen im Walde!" Amanda senkte betrübt und beschämt den Kopf. An Eddy dachte sie höchst ungern. „Ich bin sicher, er zahlt mir alles zurück, wenn er finanziell erst einmal wieder Boden unter den Füßen hat", murmelte sie, obwohl es sie wirklich überraschen würde. „Und was ist mit Higgins Stainless Steel?" fuhr Brandy fort. „Sie haben uns förmlich angefleht, sie als Kunden zu nehmen, und du hast abgelehnt." „Also, das finde ich immer noch richtig", verteidigte sich Amanda. „Lenny
Higgins ist der letzte Dreckskerl. Wir sollten nicht nur seine Weihnachtsfeier gestalten, sondern ich sollte seiner Geliebten auch noch ein Weihnachtsgeschenk kaufen, damit seine Frau nichts davon mitbekam. Das ist doch nicht richtig, Brandy. Zum einen sollte er keine Geliebte haben. Und zum anderen, wenn er ihr ein Geschenk machen will, dann sollte er es gefälligst selbst aussuchen." „Da hast du wohl Recht", gab Brandy zu. „Aber du musst aufhören, dich in geschäftlichen Dingen persönlich zu engagieren, sonst verdienen wir niemals auch nur einen einzigen Dollar." Sie sank noch tiefer in die weichen Kissen und seufzte. „Vielleicht sind wir fürs Geschäftsleben einfach nicht geeignet. Du bist viel zu weichherzig, und ich scheine nur verrückte Typen anzuziehen." „Das stimmt doch nicht..." „Aber natürlich. Sieh dir doch nur die Aufträge an, die ich hereingeholt habe. Zuerst dieser Bursche, der wollte, dass wir ihm seine Winterwillkommensparty im Park arrangierten." Sie schnaubte. „Erinnerst du dich noch, wie diese kleine Gruppe den Winter willkommen heißen wollte? Wenn wir nicht rechtzeitig angekommen wären, hätte man sie ins Gefängnis gesteckt!" „Das stimmt, aber ..." „Und dann war da noch die Gruppe von Versicherungsfritzen, die sich als Gag für ihre Weihnachtsfeier ausgedacht hatte, ich sollte aus einer Weihnachtstorte auftauchen. Ausgerechnet ich! Kannst du dir vorstellen, wie viel Zuckerguss nötig wäre, um allein mich zu bedecken?" Amanda stellte sich ihre Partnerin mit weißem Zuckerguss bedeckt vor und musste kichern. „Und dann dieser Mr. Denton", fuhr Brandy fort. „Was ist denn schon an mir dran? Männer bevorzugen hoch gewachsene, langbeinige Blondinen, keine kurzen, pummeligen Brünetten, oder?" Amanda musste darüber den Kopf schütteln. Brandy mochte keine Schönheit im klassischen Sinn sein, aber ihr verführerisches Funkeln in den grünen Augen und ihre feminine Figur hatten schon immer die Blicke der Männer auf sich gezogen. „Du magst zwar nicht groß sein, aber pummelig bist du absolut nicht", erklärte sie. „An dir ist etwas Besonderes, finde ich. Männer sehen dich nur an und kommen gleich auf dumme Gedanken." „Das kann man wohl sagen", stöhnte Brandy. „Jeder Mann, den ich kennen lerne, will mich sofort in sein Schlafzimmer schleppen." „Und jeder Mann, den ich kennen lerne, hält mich für ein blondes Dummchen", beklagte sich Amanda. In ihren Beziehungen lief es immer gleich ab. Sie lieh den Männern Geld, wusch ihre Wäsche, ließ sich all ihre Probleme aufladen, und dann stellten sie fest, eigentlich brauchten sie sie gar nicht. Brandy zeigte sofort Mitgefühl. „Du bist kein blondes Dummchen, Amanda. Du bist nur ... Du suchst dir nur die falschen Männer aus und engagierst dich zu schnell, was andere Menschen betrifft. Und für mich ist das eine gute Sache, muss ich sagen. Ich weiß nicht, was ich getan hätte, nachdem Charlie und ich uns getrennt hatten. Die Firmengründung hat mir etwas gegeben, mit dem ich mich beschäftigen konnte", sagte sie und seufzte traurig. „Ich wünschte nur, wir hätten mehr Erfolg." „Der wird ganz bestimmt kommen", erklärte Amanda mit mehr Zuversicht in der Stimme, als sie selbst hatte. „Es muss einfach so sein, Brandy. Ich habe nicht viele Alternativen." „Wir könnten immer noch als reuige Sünderin zu der Zeitarbeitsagentur zurückgehen." Bei diesem Gedanken überlief Amanda ein Frösteln. „Nein, danke. Mir hat es gereicht, meine Tage an Fotokopierern oder mit Aktenablage zu verbringen. Wir beide waren Vollzeitsekretärinnen, ehe die Wirtschaft einknickte. Wir waren großar
tig im Organisieren." „Wir könnten natürlich auch versuchen, wieder eine Dauerstellung zu bekommen." „Dazu hätte ich ebenso wenig Lust", erwiderte Amanda entschlossen. „Selbst wenn wir einen Job fänden, was bei der gegenwärtigen Lage ziemlich zweifelhaft ist, würden wir bei der nächsten Konjunkturflaute wieder auf der Straße landen. Wir sind immer die Ersten. Und das möchte ich nicht noch einmal erleben. Ich will nicht mehr für andere arbeiten. Ich will für mich arbeiten." „Ich auch, aber ich hätte gern dabei ein Einkommen." Brandy schob sich ein paar vorwitzige Strähnen aus dem Gesicht. „Ich hätte nie gedacht, dass wir solch ein Problem bekommen könnten. Schließlich gibt es in Calgary nicht viele, die einen solchen Dienst für Manager anbieten wie wir." „Wahrscheinlich liegt es daran, dass man uns noch nicht kennt", überlegte Amanda laut. „Wenn Leute Bürofeiern und Seminare organisiert haben wollen, denken sie nicht an A&B Executive Services. Wenn wir nur erst einmal den Fuß in der Tür hätten ..." „Nur um irgendeinen Verrückten oder Abstauber auf der anderen Seite zu finden?" fragte Brandy trocken. Amanda runzelte die Stirn. „Nein, das werden wir nicht. Es muss doch irgendwo einen stinknormalen, netten, viel beschäftigten Manager geben, der Probleme hat, mit Weihnachten zurechtzukommen. Wir müssen ihn nur noch finden." Josh Larkland kam auf seine Weise mit Weihnachten zurecht - er ignorierte das Fest schlichtweg. Dummerweise aber ignorierte es ihn nicht in gleicher Weise. „Weihnachten!" knurrte er. Er ließ den Telefonhörer auf die Gabel fallen und musterte ihn düster. Es reichte ihm. Wenn ihm innerhalb der nächsten zehn Jahre noch einmal jemand krumm kam, würde er einen Tobsuchtsanfall bekommen. Er massierte sich die Schläfen und schaute voller Verlangen auf seinen Computer. Genau das würde er heute tun – weiter an seinem Sprachmodul arbeiten. Denn genau das entwickelte seine Firma Larkland Technology Development, und genau das wollte er auch tun. Stattdessen hatte er fast den ganzen Morgen damit verbracht, unwichtige Dinge zu besprechen, die alle mit Weihnachten zusammenhingen! Es hatte mit einem Telefonanruf seiner Tante Mimi um neun Uhr morgens begonnen. „Es ist keine richtige Weihnachtsparty, Josh. Wir haben heute Abend nur ein paar Gäste. Du wirst doch kommen, oder? Die ganze Familie wird hier sein, dazu ein paar Geschäftsfreunde von Onkel Reg und ein paar Nachbarn. Ach ja, Marple Stevens kommt auch. Sie hat eine entzückende Tochter. Du solltest sie wirklich kennen lernen." Als Nächstes ereilte ihn der Anruf seiner Schwester Charmaine. „Du musst zu meinem Weihnachtszirkel kommen. Meine Freundin aus Detroit wird auch hier sein. Du solltest sie wirklich kennen lernen." Dann rief seine Tante Louise an. „Wir haben dich so lange nicht mehr gesehen, Josh. Komm zu uns. Die Cousine einer Freundin von der Frau von Franks Partner wird hier sein. Du solltest sie wirklich kennen lernen." Und wenn nicht gerade seine Verwandten anriefen, dann waren es Geschäftsfreunde - potenzielle Investoren, die ihn auf ihrer Weihnachtsfeier dabeihaben oder von ihm eingeladen werden wollten. Alle hatten ausschließlich eins im Sinn: Weihnachten zu feiern! Am allerschlimmsten war seine Mutter! Er hätte schreien können. Josh überlegte einen Moment, dann beschloss er, es auch zu tun. „Ma-aa-ble!" brüllte er.
Er wartete einen Moment, und als dann niemand auftauchte, rief er noch einmal: „Mable!" Wieder nur Schweigen, gefolgt von einem abgrundtiefen Seufzer und dem Quietschen eines Stuhls. Endlich erschien Mable in der Tür, ihre breite Figur blockierte fast das gesamte Licht, das normalerweise vom Empfangsbereich hereinfiel. „Möchten Sie etwas, oder versuchen Sie nur, mich zu ärgern?" „Ja, ich will etwas. Ich möchte ein Flugticket in den Januar. Ohne Rückflug!" „Natürlich", sagte Mable. Sie schlenderte gelassen näher. „Erster Klasse oder Touristenklasse?" „Meinetwegen auch im Gepäckraum, wenn es nicht anders geht. Und sorgen Sie dafür, dass sich außer mir niemand im Flugzeug befindet. Der Rest der Welt kann gern im Dezember bleiben, anscheinend gefällt es ihnen dort sehr gut." „Na, na", sagte Mable. Sie kam noch weiter herein und pflanzte ihre rundliche Gestalt in den einzigen Sessel für Besucher in seinem Büro. „Dies Jahr sind wir aber in einer super Weihnachtsstimmung!" „Das sind wir absolut nicht." Joshs Augenbrauen sanken wieder nach unten. „Und das liegt nicht daran, dass etwas mit mir nicht stimmt. Ich bin durchaus für Weihnachten. Nur im Moment nicht!" Mable lächelte. „Ich fürchte, Sie müssen damit zurechtkommen. Weihnachten kann man nicht so einfach verlegen." „Warum denn nicht?" Josh nahm einen Kugelschreiber und spielte damit. „Es ist jedes Jahr das Gleiche. Weihnachten steht vor der Tür, und ich kann es ausgerechnet dann überhaupt nicht gebrauchen. Wenn man schon solche Feiertage hat, warum dann nicht zu einem günstigeren Zeitpunkt?" „Das weiß ich nicht. Ich nehme an, sie haben bei der Planung einfach nicht Ihren Terminkalender berücksichtigt." „Garantiert nicht." Josh bemerkte, dass sie leicht spöttisch die Lippen verzog, und das reizte ihn nur noch mehr. „Haben Sie schon einen Saal gefunden, wie ich Sie gebeten habe?" „Es war mehr ein Befehl, und nein, ich habe noch keinen Saal gefunden. Jetzt noch einen Raum für eine Weihnachtsfeier zu finden ist fast ein Ding der Unmöglichkeit! Wir haben heute den ersten Dezember. Seit Monaten ist schon alles ausgebucht." „Na großartig!" Josh warf wütend den Kugelschreiber auf den Schreibtisch. „Hank Turnbull ist der Meinung, ich müsste eine solche Weihnachtsfeier veranstalten. Er meinte, das wäre die ideale Gelegenheit, potenziellen Investoren meine Hardware zu zeigen. Aber wie soll ich das bewerkstelligen, wenn ich keinen Raum dafür habe?" Mable erwiderte fest seinen Blick. „Geben Sie ja nicht mir die Schuld daran, Josh Larkland. Wenn Sie vor einigen Monaten schon daran gedacht hätten, hätte ich ohne Schwierigkeiten einen Saal gefunden." „Vor ein paar Monaten hatte ich viel zu viel zu tun." Josh deutete auf die Papiere, die seinen Schreibtisch bedeckten. „Daran hat sich nichts geändert. Für diesen Weihnachtsfirlefanz habe ich einfach keine Zeit." „So schlimm ist es nun auch wieder nicht. Es ist nur ..." „Richtig, schlimmer als schlimm! Es geht einem schrecklich auf den Geist." Josh streckte die Hand aus und massierte sich den Nacken. „Den ganzen Tag lang rufen einen die Leute an und meinen, man müsste unbedingt noch einmal vor Weih nachten zusammenkommen. In der Post war heute ein ganzer Stapel Einladungen zu irgendwelchen Weihnachtsfeiern. Allein sich Ausreden auszudenken beschäftigt einen den ganzen Tag!" Mables Lächeln wurde breiter. „Warum gehen Sie nicht wenigstens zu einigen von ihnen? Den meisten Menschen macht es Freude ..." Josh überlief bei diesem Gedanken ein Frösteln. „Also, mir nicht. Ich hasse
solche Sachen. Kein Mensch unterhält sich dabei über so interessante Sachen wie Datendurchsatz oder Systemkonfigurationen. Sie sitzen nur herum, lachen, reden, trinken. Manchmal singen sie sogar!" Mable presste die Lippen zusammen, und ihre Schultern zuckten. „Wie bizarr." „Das ist es ganz sicher." Josh verschränkte die Arme vor der Brust und starrte düster vor sich hin. „Außerdem finden die meisten dieser Veranstaltungen bei meinen Verwandten statt." Mable verdrehte die Augen. „Über Ihre Verwandten können Sie sich doch nicht beklagen, Josh. Abgesehen davon, dass es wirklich eine ganze Menge sind, scheinen sie mir allesamt nette Leute zu sein." „Das sind sie wohl auch." Josh erhob sich aus seinem Sessel und wanderte hinüber zu den großen Fenstern, die vom Boden bis zur Decke reichten. Über seine Familie konnte er sich wirklich nicht beklagen, und es war auch nicht so, dass er sie nicht mochte. Ganz im Gegenteil - wenn er sich an ihre Existenz erinnerte. Aber keiner von ihnen hatte den blassesten Schimmer von Elektronik, Telekommunikation, Robotik oder ferngesteuerter Sprachaktivierung. Und das war es, was Josh in erster Linie interessierte. So sah er keinen einzigen Grund, warum er sein Büro früher verlassen sollte, nur um einen ganzen Abend lang so zu tun, als würde er zuhören, während er an andere Dinge dachte. Außerdem hatten sie alle die schlechte Angewohnheit, ihn in unwichtigen Dingen belehren zu wollen. „Sie akzeptieren eben meinen Lebensstil nicht." Mable schnaubte. „Natürlich akzeptieren sie ihn nicht! Ich tue es auch nicht!" Sie machte eine kurze Pause. „Und als Lebensstil würde ich es sowieso nicht bezeichnen wollen." „Jesus!" Josh drehte sich um, warf ihr einen warnenden Blick zu und überlegte, wie schwierig es wohl sein würde, eine neue Sekretärin zu finden. „Nein, nicht Sie auch noch!" „Doch, ich auch noch." Mable hob eine Hand. „Verstehen Sie mich nicht falsch. Wenn Sie sich Mühe geben, können Sie ein bemerkenswert anständiger Mensch sein. Sie achten nur zu wenig auf Ihr Leben." Josh runzelte die Stirn. „Was soll das denn heißen?" „Nun, die meisten Ihrer wachen Stunden verbringen Sie im Labor oder im Büro." Josh sah sich rasch um. Der Raum war genauso, wie er es mochte - in der Ecke ein Sofa, auf dem er ein paar Stunden schlafen konnte, wenn er die ganze Nacht arbeitete, ein Notebook auf dem Schreibtisch und ein großer PC auf dem langen Tisch daneben. „Was stimmt denn mit meinem Büro nicht?" fragte er. „Er ist genauso, wie ich es mag. Wir sind hoch technisiert ..." „Ich weiß, ich weiß. Und es gibt keinen Zweifel daran, dass Sie ein Technikfreak sind. Aber Sie haben einfach kein Privatleben." Mable seufzte schwer. „Zum Beispiel kenne ich keine Frau, mit der Sie länger als auch nur eine Woche ausgingen - und auch das nur, wenn sie ständig anrief!" „Ja ..." Josh rieb sich die müden Augen. Das lag wohl allen am meisten am Herzen. Wenn sie ihn nicht drängten, eine Frau mit nach Haus zu nehmen, schleppten sie Frauen an, die er unbedingt kennen lernen sollte. Manchmal kamen Andeutungen, dass er sich eigentlich allein darum kümmern müsste. Josh verstand die Logik einfach nicht. In seiner Familie gab es doch bereits genügend Frauen. Sie brauchten doch nicht noch mehr. Er brauchte ganz gewiss keine. Klar, er mochte Frauen, und wenn er mit einer zusammen war, amüsierte er sich auch. Aber sie waren nicht so interessant oder wichtig wie die High-TechProdukte, die er versuchte zu entwickeln. „Und dann ist da noch Ihre Familie", fuhr Mable fort. „Sie sehen sie ja auch nicht gerade oft." „Ich verbringe ziemlich viel Zeit mit ihr", wehrte sich Josh, auch wenn er
irgendwie das Gefühl hatte, so ganz stimmte es doch nicht. „Außerdem, wenn ich mit ihnen zusammen bin, bekomme ich immer mehr oder weniger direkt gesagt, was mit mir nicht stimmt. Es ist schon fast eine Familientradition geworden. Wenn wir es so wie die anderen machten und nur Truthahn essen würden, wäre alles gar nicht so schlimm." Er kehrte zu seinem Schreibtischsessel zurück und ließ sich hin einfallen. „Und nun kommen sie mir mit dieser Geschenksache!" Mable sah ihn verwundert an. „Was für eine Geschenksache?" „Sie wissen doch. Weihnachtsgeschenke." „Ach das." Mable zuckte mit den Schultern. „Viel Zeit opfern Sie aber nicht dafür, Josh. Jedes Jahr machen Sie es sich höchst einfach. Sie kaufen einen Karton Parfüm und einen Kasten Brandy. Männer bekommen Brandy. Frauen bekommen Parfüm." Sie neigte den Kopf ein wenig zur Seite und sah Josh an. „Was mich an etwas erinnert. Können Sie mich dieses Jahr auf die Brandyliste setzen? Ich habe noch immer drei Flakons Parfüm." Josh verdrehte die Augen. „Dieses Jahr schenke ich Ihnen kein Parfüm. Und auch keinen Brandy." „Warum denn nicht?" „Ich weiß nicht", erwiderte er gereizt. „Meine Mutter hat mir gerade erklärt, es sei nicht angemessen." „Ihre Mutter?" Mable warf einen Blick aufs Telefon, dann sah sie ihn wieder an. „Stimmt. Sie hat ja gerade eben angerufen, oder?" „Ja." „Und sie hat Ihnen gesagt, sie hielte es nicht für angemessen, dass Sie mir Parfüm schenkten?" „Es geht nicht nur um Sie, sondern um alle. Sie schlug vor, ich sollte mir etwas Persönlicheres einfallen lassen." Eigentlich war es mehr als nur ein Vorschlag gewesen. „Ich möchte mit dir über Weihnachten reden", hatte seine Mutter begonnen. Dann hatte sie ihm einen langen Vortrag über die wahre Bedeutung des Weihnachtsfestes gehalten und ihm erklärt, was angemessen sei und was nicht. Und auch darüber, dass es nicht teuer sein müsse, sondern persönlicher als bisher. Und als er erwiderte, er wisse nicht, wie er das anstellen solle, bekam er die Antwort, dann solle er lieber gar nichts schenken! Es hatte sich fast gut angehört. Allerdings hatte etwas im Ton seiner Mutter ihn davon abgehalten zu sagen: Gut, dann schenke ich eben nichts. Er spürte, darüber hätte sie sich bestimmt aufgeregt. Und das wollte er natürlich nicht, auch wenn sie ihn - ebenso wie der Rest der Verwandtschaft - manchmal fast zum Wahnsinn trieb. „Sie ist der Meinung, es sei nicht sehr aufmerksam, allen Leuten immer das Gleiche zu schenken." „Sicher, da hat sie nicht unbedingt Unrecht", sagte Mable. „Meinen Sie?" Josh starrte sie an. „Und weswegen?" „Nun, es ist einfach ziemlich fantasielos. So, als würde man Weihnachtsgeschenke im Dutzend kaufen." Josh fand nichts daran. „Wieso, was ist denn daran falsch?" „Nun, wenn man jemandem etwas schenkt, sollte es eine besondere Bedeutung haben. Man macht es nicht nur, weil man meint, es sei eine Art Pflicht." „Oh", sagte Josh. Einen Moment lang musterte er ihr Gesicht. Für solche Dinge war Mable sehr wahrscheinlich viel besser geeignet als er - nein, ganz bestimmt. „Nun, da Sie es verstehen, wie wäre es, wenn Sie ..." Mable schüttelte den Kopf. „Auf keinen Fall nehme ich Ihnen diese Weihnachtseinkäufe ab. Zum einen, weil ich keine Zeit habe, und zum anderen aus grundsätzlichen Erwägungen. So etwas tue ich nicht." „Na hören Sie, Mable!“ Josh fuhr sich in gelinder Verzweiflung mit den Fingern
durchs Haar. „Es ist doch nicht so, dass ich Ihnen vorschlage, mir Kinder zu schenken. Ich möchte doch nur, dass Sie mir ein paar Sachen besorgen." „Sie wollen mehr, als dass ich Ihnen ein paar Sachen besorge. Sie wollen, dass ich mir Geschenke ausdenke für -wie viele sind es? - ein paar Dutzend Verwandte. Ich hätte nicht den leisesten Schimmer, was ich da auswählen sollte." „Ich auch nicht", murmelte Josh. Das war ja das Problem. Er hatte keine Ahnung, was seine Verwandten als angemessen persönlich ansehen würden, und zudem wusste er gar nicht, wo er so etwas finden sollte. „Könnten Sie nicht einfach ..." „Nein, ich könnte nicht einfach!" Josh setzte sein bestes Ich-bin-so-schrecklich-hilflos-Gesicht auf, dazu sein charmantestes Lächeln. „Bitte! Ich brauche wirklich Hilfe und ..." „Nein." Mable erhob sich entschlossen aus ihrem Sessel. „Sie können sich Ihren ganzen Charme sparen. Er prallt an mir ab. Ich werde es nicht tun, und das ist mein letztes Wort. Ich bin Ihre Assistentin, aber nicht Santa Claus." „Im Augenblick würde ich mich auch mit einer seiner Elfen zufrieden geben", murmelte Josh. Er sah Mable hoffnungsvoll an. „Was halten Sie davon, mir eine zu besorgen?" „Sicher, warum nicht?" Mable wandte sich zum Gehen. „Gleich nachdem ich einen Saal für Ihre Weihnachtsfeier gefunden und den Flug in den Januar arrangiert habe." Sie lachte leise auf. „Ihnen eine Elfe zu besorgen wird sehr wahr scheinlich um einiges einfacher sein." Wenn Mable eine Elfe finden will, sollte sie sich besser beeilen, dachte Josh ein paar Stunden später. Er saß an seinem Schreibtisch und starrte blicklos auf den Computerbildschirm. Immerhin war der Nachmittag produktiver als der Morgen gewesen. Er hatte Mable die feste Anordnung gegeben, ihn nicht zu stören, und erstaunlicherweise hatte sie sich auch daran gehalten. Das kam nicht oft vor. So hatte er ein paar Stunden ohne Unterbrechungen arbeiten können. Aber eigentlich hatte er nichts geschafft. Dieses Damoklesschwert mit den Weihnachtsgeschenken machte ihm mehr zu schaffen, als er sich eingestehen wollte. Er hatte den sicheren Eindruck, für seine Mutter waren persönliche Geschenke ebenso wichtig wie für alle anderen. Es war eine dieser Sachen, die er sich bemühte zu verstehen, während alle anderen anscheinend damit überhaupt keine Schwierigkeiten hatten. Und wenn er sich gegenüber aufrichtig war, im Grunde genommen hatte er sich keine allzu große Mühe gegeben. Er mochte seine Verwandten, und es gefiel ihm nicht, im Mittelpunkt ihrer Missbilligung zu stehen. Aber er hatte eine Firma zu leiten, Investitionen zu tätigen und Investoren zu interessieren. Sich auch noch wegen dieser Weihnachtsgeschenke den Kopf zu zerbrechen, konnte er sich nicht leisten. Er brauchte jemanden, der ihm all dies abnahm - die Feiern, die Einladungen und das Aussuchen und Einpacken der Geschenke. Er hatte diesen Gedanken kaum zu Ende gedacht, da wurde die Tür geöffnet, und Mable kam herein. „Ich glaube, ich habe die Lösung für eins Ihrer Probleme gefunden", verkündete sie. Josh sah sie misstrauisch an. Ihm gefielen ihr breites Lächeln und der Schalk in den Augen nicht. „Ja?" fragte er. „Ja." Mables Lächeln wurde noch breiter. „Ich habe mit meiner Freundin gesprochen, die mir vorgeschlagen hat, einen Managerservice anzurufen. Und das habe ich getan." „Und?" „Und sie haben gleich jemanden hergeschickt." Sie wandte sich zur Tür um. „Kommen Sie doch herein, meine Liebe. Und lassen Sie sich durch Mr. Larklands
Verhalten nicht abschrecken. Er ist zwar entsetzlich, aber harmlos." Josh öffnete den Mund, um zu protestieren, dann schloss er ihn aber wieder und starrte überrascht auf die Frau, die in sein Büro kam. Sie war ungefähr einen Meter fünfundsechzig groß, mit schulterlangem weißblondem Haar, das ihr Gesicht hübsch umrahmte. Sie trug einen dunkelgrünen Rock, eine lange rote Jacke und hohe schwarze Lederstiefel. „Dies ist Amanda Kringleton", stellte Mable sie vor. Amanda schlenderte hinüber zu Joshs Schreibtisch und reichte ihm ein rotes Blatt Papier. „Ihre Weihnachtselfe."
2. KAPITEL
Wie entsetzlich, dachte Amanda. Diesmal habe ich den verrückten Typen erwischt. Sie stand in der Tür zu Josh Larklands unaufgeräumtem, hoch technisiertem Büro und wünschte, Brandy wäre bei ihr. Aber Brandy war nicht im Büro gewesen, als Larkland Technology Development angerufen hatte. Die Frau am anderen Ende hatte völlig normal geklungen. Amanda war sicher gewesen, sie würde es auch allein schaffen. Nun aber war sie sich gar nicht mehr so sicher. Nicht, dass der Präsident von Larkland Technology Development etwas getan hätte, dass sie annehmen ließ, er sei kein normaler, netter Mensch. Auch gesagt hatte er nichts. Er starrte sie nur an. Und das ganz ungeniert. Er stand gegen seinen Schreibtisch gelehnt da und strich sich geistesabwesend mit der Hand übers Kinn, während er sie von Kopf bis Fuß musterte, als hätte er noch nie eine Frau gesehen. Da er so unhöflich war, fand sie nichts dabei, auch ihn gründlich zu mustern. Josh Larkland war der attraktivste Mann, den sie je gesehen hatte. Er war etwas über einsachtzig groß, mit vollem, lockigem braunem Haar, ausdrucksvollen, tief liegenden dunkelbraunen Augen und hohen Wangenknochen in einem kantigen Gesicht, das geradezu klassisch gut aussah. Die Ärmel seines weißen Hemds mit feinen pinkrosa Streifen hatte er bis zu den Ellbogen aufgerollt. Seine Krawatte lag auf dem Schreibtisch, anstatt ordentlich um seinen Nacken geschlungen zu sein, und seine blaue Anzugjacke war achtlos über die Rückenlehne seines Schreibtischsessels geworfen. Sie würde gewiss Falten bekommen. Okay. Sie hatte es mit einem gut aussehenden, gut gekleideten Verrückten zu tun, dem Äußerlichkeiten egal waren, der Ordnung für ein Fremdwort hielt und der noch nie eine Frau zu Gesicht bekommen hatte. Amanda atmete tief durch. Sie würde es schon schaffen. Sie brauchte einfach nur cool und professionell zu bleiben und ... Ihre Blicke trafen sich. Er blinzelte einige Male, dann verzog er den Mund zu einem solchen Lächeln, dass Amanda völlig ihre Absicht vergaß, cool und professionell zu wirken. „Ich starre Sie an, nicht wahr?" fragte er. „Nun ... äh ... Ja, so ist es wohl", sagte Amanda. „Das dachte ich mir." Er zuckte mit den Schultern. „Ich weiß, es ist eine ganz normale Reaktion. Aber ich habe auch noch nie zuvor eine Elfe gesehen." Es schien ihn ein wenig zu verwundern, warum nicht noch ein Dutzend von Santa Claus' Helferinnen im Raum herumschwirrten. Amanda schaute düster auf den Prospekt in ihrer Hand. Diese verdammten Dinger. Sobald sie dieses Büro verlassen hatte, würde sie alle wieder einsammeln und verbrennen. „Ich bin nicht wirklich eine Elfe, wissen Sie. Ich ..." „Oh, ich weiß. Sie existieren gar nicht, stimmt's?" Seine Augen leuchteten bewundernd. „Aber wenn es sie gäbe, würden sie genauso aussehen wie Sie." In Amandas Bauch flatterten Schmetterlinge auf. Lass dich nicht mit Kunden ein, ermahnte sie sich. Verhalt dich professionell. Dieser Bursche war charmant, aber wer garantierte ihr, dass sich nicht dahinter ein Ekel versteckte, das scharf auf sie war. Sie räusperte sich. „Hören Sie, Mr. Larkland ..." Er unterbrach sie mit einer lässigen Handbewegung. „Nennen Sie mich Josh. Niemand hier nennt mich Mr. Larkland, nicht einmal Mable. Es ist wahrscheinlich ein Zeichen für mangelnden Respekt." Er runzelte die Stirn. „Sie hat Ihnen also gesagt, ich sei schrecklich. Glauben Sie mir, so schrecklich bin ich nun auch wieder nicht. Heute war eine Ausnahme. Und da Sie nun hier sind, bin ich sicher, dass meine Laune sich entscheidend verbessern wird." Amanda verlor sich fast in seinen Augen und seinem Lächeln. Scharf auf sie
war er wohl schon, aber er war kein Ekel. Im Gegenteil... „Dann sollten wir wohl mit dem Geschäftlichen beginnen, oder?" Josh deutete auf den schwarzen Ledersessel vor seinem Schreibtisch, der für Besucher vorgesehen war. Dann schlenderte er hinter den Schreibtisch zu seinem Sessel. „Was müssen Sie denn wissen, um anfangen zu können?" Amanda hatte Mühe, sich zu erinnern, weswegen sie überhaupt hierher gekommen war. „Ich ... äh ..." „Ich nehme an, Sie brauchen eine Liste." Er lehnte sich weit in seinem Sessel zurück, starrte hinauf zur Zimmerdecke und begann Namen aufzuzählen. „Wen haben wir denn alles? Warten Sie ... Da ist natürlich meine Mutter. Edwina Davidson. Sie hat Harold geheiratet, nachdem mein Vater gestorben war. Deswegen haben wir auch verschiedene Nachnamen. Dann sind da meine Schwestern. Shelby, Marilla und Charmaine. Sie sind eigentlich meine Stiefschwestern, da sie Harolds Kinder sind. Ach, und dann meine Tanten - Judith, Francine, Sofia, Louise und Mimi. Francine ist die Schwester meiner Mutter. Sofia ist die Schwester meines Vaters, und Louise und Mimi sind Harolds Schwestern. Judith ist ihre Tante. Dadurch sind sie so etwas wie Stief... nein, ich bekomme es nicht mehr zusammen." Er blickte Amanda an und hörte auf zu sprechen. „Wäre es nicht besser, wenn Sie sich alles aufschrieben?" Amanda hatte in verwundertem Schweigen zugehört, als er die Namen seiner Verwandten auflistete. „Natürlich könnte ich das, aber ..." War ihr irgendetwas entgangen, oder faselte er nur so daher? „Ich hatte den Eindruck, dass wir uns über etwas Geschäftliches unterhalten wollten." Josh sah sie überrascht an. „Etwas Geschäftliches?" „Ja. Ihre Sekretärin sagte, Sie wollten eine Weihnachtsfeier ausrichten ... eine Firmenweihnachtsfeier." „Ach das." Seine Augen wurden groß. „Das können Sie auch?" „Natürlich." Amanda wurde langsam ein wenig benommen im Kopf. „Das ist das Geschäftsgebiet von A&B Executive Services. Wir arrangieren Partys, organisieren Geschäftsseminare ..." „Und kümmern sich auch um Weihnachtsgeschenke? Das ist wirklich beeindruckend." „Weihnachtsgeschenke?" Amanda massierte sich die Stirn, in dem vergeblichen Versuch, etwas zu verstehen. „Nun, also, wir liefern auf Wunsch eine kleine Auswahl von Geschäfts-präsenten. Notizbücher, Visitenkartenetuis ..." „Kaufen Sie sie in großen Mengen?" fragte Josh. „Manchmal. Aber ..." „Dann taugen sie nichts für meine Familie", verkündete Josh im Brustton der Überzeugung. „Ihre Familie?" Amanda starrte ihn fassungslos an. Er wollte doch wohl nicht, dass sie ... „Sie wollen, dass ich Weihnachtsgeschenke für Ihre Familie kaufe?" „Natürlich will ich das. Sind Sie denn nicht deswegen hier?" Nun war Amanda zutiefst von ihm enttäuscht. Er war genauso wie die anderen Manager, die sie kennen gelernt hatte - viel zu sehr mit ihrer Arbeit beschäftigt, um sich um die wirklich wichtigen Dinge des Lebens zu kümmern. „Nein, das ist nicht der Fall. Ich bin hier, um mit Ihnen über Ihre Firmenweihnachtsfeier zu sprechen." „Aber was ist mit den Weihnachtsgeschenken? Das können Sie doch auch übernehmen, oder?" Ein Anflug von Verzweiflung hing in seinen Augen. Amanda zögerte. Er sah so aus, als brauchte er Hilfe. Sie brauchten Aufträge, und schaden konnte es nicht... Ganz bestimmt doch. Brandy würde entsetzt sein. „Nein", sagte Amanda. „Das gehört eigentlich nicht zu den Diensten, die unsere Firma normalerweise anbietet."
„Nein?" „Nein", erwiderte sie schlicht. „Außerdem sind Weihnachtsgeschenke etwas, um das sich die Leute selbst kümmern sollten." „Meinen Sie?" Er zwinkerte ein paar Mal, als wäre ihm an dem Konzept etwas unklar. „Aber wenn sie nur gar keine Zeit haben? Könnten Sie ..." Er machte eine vage Geste mit der Hand. „... es nicht doch übernehmen?" Amanda zögerte immer noch. Er wirkte so hilflos. Sie selbst brauchten so verzweifelt dringend einen Auftrag, und ... Und Geschenke für fremde Leute zu kaufen bedeutete nach Brandys Worten, sich zu sehr privat zu engagieren. Amanda schenkte ihm ein kühles, kurzes Lächeln. „Ich denke nicht. Und wenn wir jetzt vielleicht zu den Einzelheiten der Weih nachtsfeier zurückkommen könnten ..." „Meine Weihnachtsfeier." Wieder lehnte sich Josh im Sessel zurück und musterte sie. „Okay, lassen Sie uns darüber reden." Auf einmal fühlte sich Amanda unsicher. In seinen braunen Augen lag nämlich plötzlich ein Glitzern, das sie nervös machte. „Also, Ihre Sekretärin hat mir gesagt, Sie hätten Schwierigkeiten, einen Saal für die Feier zu finden. Damit hat sie Recht. Ich habe auch keinen finden können. Deswegen schlage ich Ihnen vor, sie hier in der Firma stattfinden zu lassen. Mit ein wenig Aufwand werden wir es schaffen, eine festliche Atmosphäre herzustellen. Getränke servieren, Häppchen und dergleichen. Wir könnten für jedes Stockwerk einen bestimmten Themenbereich auswählen, ein Streichquartett besorgen ..." „Das hört sich interessant an." Josh stellte die Fingerspitzen gegeneinander. „Sagen Sie, Amanda ... Ich darf doch Amanda sagen? Oder soll ich Sie Miss Kringleton nennen?" „Amanda ist in Ordnung." „Okay, Amanda. Wie viele solcher Weihnachtsfeiern haben Sie bislang organisiert, wenn ich fragen darf?" „Ich persönlich? Nun, ein paar ... Ich ..." „Ich meinte A&B Executive Services." „Nicht sehr viele", gab Amanda nach einer kurzen Pause zu. „Wir haben unsere Firma erst vor ein paar Wochen eröffnet." „Aha", sagte Josh. „Ich verstehe." Amanda sah ihm ins Gesicht und hatte den sicheren Eindruck, er verstand wirklich. Er mochte mit normalen Managern äußerlich keine große Ähnlichkeit haben. Aber sie erahnte, er war ein Mann, den man nicht unterschätzen sollte. Josh nahm einen Bleistift auf und strich sich geistesabwesend damit über die Lippen. „Es ist schwierig, ins Geschäft zu kommen, nicht wahr, Amanda?" Amanda sah zu, wie der Radiergummi des Bleistifts über seinen Mund glitt, und musste schlucken. „Ja, das kann sein." „Ja, ja. Um richtig ins Geschäft zu kommen, muss man Aufträge vorweisen können, und das kann man nur, wenn man richtig im Geschäft ist. Stimmt's?" Amanda überlegte, ob sie lachen sollte, sah das Glitzern in seinen Augen und tat es nicht. „Ja." „Das Weihnachtsfest unserer Firma zu organisieren könnte durchaus so etwas sein, was Sie benötigen, nicht wahr?" „Hilfreich wäre es sicherlich." „Das denke ich auch." Er schwieg einen Moment und sah sie scharf an. Dann sagte er mit seidenglatter Stimme: „Was halten Sie von einem Handel, Amanda?" Amanda sah ihn misstrauisch an. Sie wusste ziemlich genau, was kommen würde. „Ein Handel?" „Ja." Er ließ den Bleistift fallen und beugte sich vor, stützte sich mit den Armen auf der Schreibtischplatte auf. „Sie übernehmen diese Weihnachtsbesorgungen für
mich und bekommen dafür den Auftrag für die Weihnachtsfeier bei Larkland." Amanda schluckte wieder. „Das hört sich eigentlich nach Erpressung an, Mr. Larkland." „Josh." Er grinste. „Und Erpressung ist es absolut nicht. Ich habe nur so genannte starke Argumente vorgebracht. Wie auch immer, ich befinde mich in einer verzweifelten Situation, und ich habe das Gefühl, Ihnen geht es nicht anders. So kön nen wir jeder dem anderen helfen." Er sah sie unschuldsvoll an. „Und ich verlange schließlich nicht von Ihnen, dass Sie es umsonst tun. Ich bezahle Ihnen natürlich Ihren Zeitaufwand." „Sind Sie sicher, Sie können es sich leisten?" entgegnete Amanda. „Angesichts der Zahl Ihrer Verwandten ..." „Gut, sehr gut", sagte Josh. „Sie haben tatsächlich Sinn für Humor. Ich fing schon an, mich zu fragen ..." Amanda sah, wie sich seine Lippen zu diesem trägen, sexy Lächeln verzogen, und merkte, wie sie innerlich schwach wurde. Das war ein schlechtes Zeichen. Josh Larkland war ein Musterbeispiel für einen arbeitswütigen Manager. Er setzte ihr mehr oder weniger die Pistole auf die Brust - und sie mochte ihn immer noch. „Wegen des Geldes machen Sie sich nur keine Sorgen", fuhr Josh fort. „Ich kann es mir leisten. Und Ihnen bietet sich eine Gelegenheit, die Sie sich nicht entgehen lassen können. Sie können es sich einfach nicht leisten. Auf der Weihnachtsfeier werden eine Menge Leute sein - wichtige Leute, die sicherlich bereit sind, eine Menge Geld auszugeben, wenn sie irgendwelche Feiern arrangieren lassen." Er grinste. „Wenn Sie gute Arbeit leisten, könnte es sein, dass Sie so viele Aufträge einheimsen, dass Sie eine ganze Weile zu tun haben." Recht hatte er damit. Und vielleicht war es gar keine so aufwendige Angelegenheit. Eigentlich waren es nur Weihnachtseinkäufe. Das konnte doch nicht allzu schwer sein, oder? Brandy mochte vielleicht nicht begeistert sein, aber es würde ihr gefallen, dass sie, Amanda, einen Auftrag an Land gezogen hatte - und dass er nichts mit Zuckerguss zu tun hatte. „Also gut", sagte sie. „Ich denke, ich könnte ein paar Sachen einkaufen." „Und sie in Geschenkpapier einwickeln?" „Und sie in Geschenkpapier einwickeln." „Wie ist es mit Weihnachtskarten? Können Sie die auch verschicken?" Amanda hatte das Gefühl, plötzlich im Treibsand zu stehen. „Das ginge wohl..." Josh deutete mit der Hand auf einen Stapel Briefumschläge am Rand seines Schreibtischs. „Und Sie würden auch diese Einladungen durchsehen und einige beantworten müssen. Abschlägig beantworten, und zwar so, dass es nicht klingt, als hätte ich absolut keine Lust." „Oh." Amanda schaute auf den hohen Stapel. „Nun gut, ich denke, ich ..." „Wunderbar." Josh lehnte sich mit zufriedenem Grinsen in seinem Sessel zurück. „Sie haben den Auftrag." „Sie können doch unmöglich mit all diesen Leuten verwandt sein!" Amanda schüttelte den Kopf. In ungläubigem Staunen starrte sie auf die Liste der Schwestern, Tanten, Onkel, Cousins und Cousinen. „Es stehen zwanzig Leute auf der Liste. Unmöglich, dass das alles Ihre Verwandten sind", sagte sie und ließ die Liste in ihren Schoß sinken. Seit einer geschlagenen Stunde saß sie in diesem einzigen und dazu unbequemen Besuchersessel in seinem Büro. Viel hätte sie darum gegeben, einmal aufstehen und sich die Beine vertreten zu können. „Zwanzig?" Josh überlegte einen Moment. „Habe ich Mable erwähnt?" „Nein." „Also, dann sind es einundzwanzig. Und um auf Ihre Frage zurückzukommen -
ich bin mit allen verwandt. Außer mit Mable natürlich." Er runzelte die Stirn. „Es ist eigentlich Mutters Schuld. Sie hat Harold geheiratet, ohne daran zu denken, welche Probleme sie mir dadurch zu Weihnachten bereitet." „Ich kann mir vorstellen, zu der Zeit hatte sie andere Dinge im Kopf", murmelte Amanda und versuchte unauffällig zuerst ein Bein auszustrecken, dann das andere. Ah, das fühlte sich schon viel besser an! „So war es wohl", gab ihr Josh Recht, und Amanda fragte sich, ob er überhaupt eine Idee hatte, was er wem schenken wollte. Nach einer Stunde mit ihm zusammen erschien er ihr als der einfallsloseste Mann, den sie je kennen gelernt hatte - und wohl als der unwiderstehlichste. Die Aura der Hilflosigkeit - zusammen mit seiner körperlichen Attraktivität und seinem unglaublichen Charme - würde jede Frau schaffen. Warum also hatte er keine Frau, die ihm das Einkaufen abnahm? Das geht dich nichts an, schalt Amanda sich. Sie war entschlossen, sich nicht persönlich mit diesem Burschen einzulassen. Dennoch, ihr ging immer wieder diese eine Frage im Kopf herum ... Sie konzentrierte sich erneut auf die Verwandtenliste. „Immerhin sind die meisten von ihnen Frauen. Ich kann einen Geschenkkorb mit Seifen und Parfüm zusammenstellen, und vielleicht..." „Parfüm?" Josh schüttelte den Kopf. „Parfüm ist out." „Warum?" Er zuckte mit den Schultern. „Es ist einfach so, das ist alles. Ich möchte etwas Persönlicheres." „Persönlicheres?" Das hatte Amanda am allerwenigsten erwartet. „Sie möchten, dass ich für diese Personen etwas Persönliches aussuche?" „Genau. Ich dachte, es wäre ein wenig aufmerksamer." „Aufmerksam." Amanda hatte Mühe, nicht loszukichern. „Aufmerksam würde ich es nicht nennen, wenn Sie jemanden dazu bringen, für Sie die Weihnachtsgeschenke einzukaufen." Josh grinste sie an. „He, jemanden unter Druck zu setzen kostet einiges an Überlegung. Besonders wenn man es vorher noch nie getan hat." „Stimmt." Verdammt, war der Kerl nett. Es war fast eine Schande, dass er sich nicht als Ekel erwiesen hatte. Amanda verscheuchte nun diesen Gedanken und versuchte sich auf die anstehende Aufgabe zu konzentrieren. „Also, persönliche Geschenke, hm ... Okay. Am besten erzählen Sie mir etwas über diese Leute." „Zum Beispiel?" „Etwas, das hilfreich ist", erklärte Amanda. „Was sie tun. Was sie mögen." Josh sah sie immer noch ziemlich verständnislos an. „Warum fangen wir nicht mit Ihren Schwestern an? Wie alt sind sie?" „Wie alt?" Josh runzelte die Stirn, während er überlegte. „Das kann ich gar nicht genau sagen. Sie sind eine ganze Reihe von Jahren älter als ich." Amanda war sich nicht sicher, was eine Reihe von Jahren konkret bedeutete. Zwei? Zweiundzwanzig? „Dann sind sie über vierzig?" „Nicht alle." Er starrte auf einen Punkt über ihrem Kopf. „Ich denke, Marilla schon. Im Sommer gab es eine Party, und sie hatte etwas mit vierzig zu tun. Ich denke, es war Manilas Geburtstag ... oder der ihres Manns. Er ist richtig alt. Oder war es Franks und Louises Hochzeitstag?" Wenn das so weiterging, würde sie über vierzig sein, bevor Josh es herausgefunden hatte. Amanda beschloss, die Sache mit dem Alter fallen zu lassen. „Vergessen wir das. Versuchen wir es mit dem, was sie tun." „Was sie tun?" Josh zeigte die gleiche Verwunderung wie bei der Frage nach ihrem Alter. „Beruflich. Womit sie ihre Brötchen verdienen!"
„Nun, also ... Shelby macht irgendetwas mit Kindern." „Ist sie Lehrerin?" versuchte Amanda ihr Glück. „Entweder das oder Friseurin", sagte Josh. „Ich kann mich nicht erinnern. Charmaine arbeitet in einer Bank oder einem Krankenhaus, und Marilla hat etwas mit Tieren zu tun. Sie macht Shows mit ihnen oder trainiert sie oder..." Er schüttelte den Kopf. „Ich bin mir nicht sicher. Ich weiß nur, sie mag Katzen." Immerhin, der erste anständige Hinweis. Amanda schrieb Katzen neben Marillas Namen. Das war kein schlechter Tipp. Es war bestimmt nicht schwer, etwas mit einem Katzenabbild zu finden. „Was ist mit Marillas Ehemann?" Sie schaute in ihrer Liste nach. „Tom?" „Tom? Oh, der mag auch Katzen." Über Marilla und Tom hatte Amanda nun genug erfahren, fand Amanda. „Und was ist mit Ihren anderen Schwestern? Shelby und Charmaine? Was mögen sie?" „Ich habe keine Ahnung", gab Josh offen zu. Niemand wusste derart wenig über seine Familie. „Sie müssen es wissen", beharrte Amanda. „Überlegen Sie einen Moment. Wenn Sie mit ihnen zusammen sind, worüber reden sie?" Josh zuckte mit den Schultern. „Über nichts Bestimmtes. Marilla und Tom ausgenommen. Sie reden immer über Katzen. " Amanda stellte sich die Familie vor, wie sie stumm dasaß, während Tom und Marilla sich wortreich über Katzen ausließen. „Versuchen wir es mit jemand anders." Wieder schaute sie auf ihrer Liste nach. „Wie steht es mit Ihren Tanten, Mimi und Louise? Erzählen Sie mir etwas über sie." „Da gibt es nichts zu erzählen! Es sind meine Tanten, das ist alles. Und ich weiß auch nicht, wie alt sie sind!" Natürlich, wie könnte er auch! Allmählich begann sich Amanda zu fragen, ob er überhaupt wusste, wie seine Anverwandten aussahen. „Was ist mit Ihrer Mutter? Wissen Sie überhaupt etwas über Sie?" Auf Joshs Wangenknochen tauchten rote Flecken auf. „Natürlich weiß ich etwas über sie! Sie ist meine Mutter. Ihr Name ist Edwina Davidson. Sie hat zwei Mal geheiratet. Zuerst meinen Vater, danach Harold." Amanda runzelte die Stirn. „Ich müsste mehr über sie wissen." Sie setzte sich in ihrem unbequemen Sessel aufrechter hin. „Mehr weiß ich nicht!" Amanda verdrehte die Augen, und Josh sah sie gereizt an. „Sie brauchen mich gar nicht so missbilligend anzuschauen. Ich finde, die Menschen sollten gar nicht so viel über ihre Verwandten wissen. Es ist zu ..." „Persönlich?" „Genau!" Amanda blickte auf die Liste auf ihrem Schoß, danach sah sie ihn wieder an. „Ich kann es nicht tun." „Was meinen Sie damit, Sie können es nicht tun?" „Nein, ich kann es nicht! Ich glaube, niemand könnte es. Es ist einfach unmöglich." „Das kann es nicht sein", widersprach Josh. „Eine ganze Menge anderer Leute können es. Und ich verlange ja nun nicht von Ihnen, dass Sie ein sprachorientiertes Subrelais entwickeln sollen. Ich möchte doch nur, dass Sie ein paar Geschenke kaufen." „Persönliche Geschenke", hob Amanda hervor. „Und zwar für Menschen, über die ich nichts weiß und die ich nicht kenne. Großartig, wenn Sie mich fragen!" Sie starrten sich gegenseitig an. „Dann werden Sie sie wohl kennen lernen müssen", sagte Josh schließlich. Amanda traute ihren Ohren nicht. „Wie bitte?" „Sie machen doch diesen Aufstand, dass Sie sie nicht kennen", bemerkte Josh.
„Mir wäre es nur lieb, wenn Sie irgendetwas Persönliches für sie finden würden, ohne sie je getroffen zu haben. Aber da Sie mir solche Schwierigkeiten deswegen machen, wird es wohl das Beste sein, ich arrangiere ein Treffen mit ihnen." Amanda wusste nicht, was er im Schilde führte, aber sie wusste, gefallen würde es ihr nicht. „Nein", sagte sie. „Das werde ich nicht. Ich weigere mich entschieden, zu zwanzig fremden Menschen hinzugehen und sie zu fragen, was sie zu Weihnachten haben wollen. Zum einen bezweifle ich, dass sie es mir erzählen, und zum anderen werden sie mich sehr wahrscheinlich einsperren lassen." „Das glaube ich nicht", sagte Josh. „Elfen werden nicht ins Gefängnis gesteckt. Es würde nur Santa Claus verärgern, und das wird niemand riskieren wollen." Sie starrte ihn düster an, und er hob eine Hand. „Aber ich schlage es Ihnen auch gar nicht vor. Meine Verwandten sollen gar nichts von ihnen wissen. Diese Angelegenheit will ich selbst übernehmen." „Das hatte ich mir schon gedacht", murmelte Amanda leise. Josh ignorierte es. „Notwendig ist, dass Sie sie auf ungezwungene Weise kennen lernen. Dann stellen Sie ihnen allerlei persönliche Fragen, ohne dabei ihren Verdacht zu erregen. So wie eine Art Elfengeheimagent." Er trommelte mit den Fingern auf dem Schreibtisch herum. „Also, wie können wir das arrangieren?" „Wir können es nicht", sagte Amanda. „Vielleicht sollten wir die ganze Sache vergessen. Ich ..." Josh unterbrach sie. „Ich hab's!" rief er, erhob sich schwungvoll aus seinem Sessel und begann auf und ab zu wandern. „Tante Mimi." „Tante Mimi?" „Ja. Sie hat alle zu sich eingeladen. Jeder wird dort sein. Sie können sie dort alle kennen lernen." Er warf ihr einen Blick zu. „Sie haben heute Abend doch frei, oder?" Amanda nickte und fragte sich insgeheim, auf was sie sich da nur einließ. „Großartig. Dann können Sie zu Tante Mimis Party gehen."
3. KAPITEL „Tante Mimis Party?" wiederholte Brandy ungläubig. Sie legte die Hand auf den Mund und kicherte los. „Dieser Kerl erwartet tatsächlich von dir, dass du auf dieses Familienfest gehst und persönliche Informationen aus seinen Verwandten herausquetschst?" „Genau das will er." Amanda saß in ihrer Küche, noch immer ein wenig mitgenommen von ihrem Treffen mit Josh. „Er hat sogar gemeint, ich solle allein hingehen. Er sagte, es wären so viele Leute da, dass niemand auffallen würde, dass mich niemand kennt und er nicht da sei." Brandy schüttelte sich vor Lachen aus. „Und ich dachte schon, ich müsste sie alle kennen lernen! Was hast du ihm geantwortet?" „Ich habe ihm diese hirnrissige Idee ausgeredet!" Amanda war reichlich stolz darauf, dass sie es geschafft hatte. „Schließlich sind es seine Verwandten, nicht meine. Und wenn ich hingehe, dann muss er es ebenfalls." Brandy riss die Augen auf. „Du willst doch nicht wirklich dort auftauchen, oder?" Amanda zuckte mit den Schultern. „Ich muss es. Wenn ich Geschenke für all diese Leute einkaufen soll, muss ich vorher ein wenig über sie erfahren." Sie warf einen Blick auf ihre Armbanduhr. Wenn sie sich beeilte, konnte sie noch schnell duschen und Haare waschen. „Außer ihren Namen scheint Josh nicht viel über sie zu wissen." „Josh?" wiederholte Brandy. Sie folgte Amanda hinaus in den Flur. „Hör zu, Amanda, ich bin nicht sicher, ob das wirklich eine gute Idee ist." „Warum denn nicht?" fragte Amanda. Sie ging ins Schlafzimmer, öffnete ihren Schrank und besah sich den Inhalt. In Bezug auf ihr Outfit heute Abend war Josh absolut keine Hilfe gewesen. „Ich weiß nicht, was sie anhaben werden", hatte er gesagt, als sie sich erkundigte, ob es eine eher förmliche Party werden würde. „Sie sehen einfach immer adrett aus." „Ich weiß es wirklich nicht", beharrte Brandy. Sie ließ sich auf die Bettkante sinken. „Zum einen hört es sich so an, als wäre er der Typ Mann, von dem sich jede Frau mit gesundem Verstand strikt fern hält. Und zum anderen ist er ein Kunde. Heute Morgen hat dich der Gedanke noch entsetzt, ich könnte mich mit irgendeinem Kunden einlassen. Und nun machst du genau das!" „Ich lasse mich nicht mit ihm ein!" wehrte sich Amanda. Nicht, dass sie etwas dagegen hätte. Er sah wirklich ausnehmend gut aus und ... Sie riss sich zusammen. Brandy hatte Recht. Josh gehörte zu den Männern, mit denen eine geistig normale Frau nichts anfing. Außerdem war sie sich nicht sicher, ob er überhaupt wusste, was es bedeutete, sich mit einer Frau einzulassen. Bei diesem Gedanken musste sie kichern und riss ein rotes Strickkleid aus dem Schrank. „Wenn sich hier jemand mit einem Kunden einlässt, dann doch wohl du." „Ich?" „Ja, du." Amanda drehte sich herum. „Auf meinem Küchentisch steht ein Dutzend roter Rosen, zusammen mit einer Karte an dich." „Ach, das meinst du." Brandy verdrehte die Augen. „Die habe ich nicht von jemandem, mit dem ich mich eingelassen habe. Sie sind von Mr. Denton." „Mr. Denton?" „Diesem Typen, der mich an dem Morgen attackiert hat", erklärte Brandy. „Er hat mir die Rosen mit den Worten geschickt, es täte ihm alles schrecklich Leid." „Das war aber nett von ihm." „Ja, nicht wahr?" Brandy zuckte die Achseln. „Er hat wohl Angst, dass ich die Polizei anrufe - oder seine Frau." „Dennoch ist es eine nette Geste." Amanda hielt ihr Kleid hoch. „Was hältst du
davon?" „Gut." Brandy krauste besorgt die Stirn. „Willst du wirklich mit diesem Burschen ausgehen? Wir wissen nichts über ihn. Er könnte ein Psychopath sein oder Ähnliches." „Josh?" Amanda schüttelte den Kopf. „Deswegen brauchst du dir keine Sorgen zu machen. Und eigentlich gehe ich ja auch nicht richtig mit ihm aus. Es ist mehr so, dass ich geschäftlich bedingt an einer Party teilnehme." „Geschäftlich?" Brandy schnaubte abfällig. „Wir bieten die Organisation von Partys und so weiter für überlastete Manager an, keinen Begleitservice." „Das ist keine private Verabredung!" „Dennoch gefällt es mir nicht", erklärte Brandy störrisch. „Vielleicht sollte ich in der Nähe sein und ihn mir einmal unauffällig ansehen." Sie warf einen Blick auf ihre Uhr. „Wann holt er dich ab?" „Überhaupt nicht. Ich treffe ihn dort." „Aha, auch noch ein galanter Gentleman", meinte Brandy trocken. „So ist es doch gar nicht!" Und so war es auch nicht. Josh hatte ihr angeboten, sie abzuholen - nachdem sie zugesagt hatte, ihn zu seiner Tante zu begleiten. Aber sie hatte es abgelehnt. „Es ist eine rein geschäftliche Angelegenheit, Brandy. In solchen Fällen holt man niemanden zu Hause ab. Außerdem ist es so praktischer. Wir beide müssen die Kleidung wechseln und ..." „Und wird er dadurch zu einem menschlichen Wesen?" „Brandy!" „Wir beide kennen doch diese Typen, Amanda. Wir beide sind schon mit solchen Männern ausgegangen. Aber sie wussten wenigstens etwas über ihre Mütter. Dieser Kerl scheint ja kaum zu wissen, dass er eine Mutter hat!" Amanda runzelte die Stirn und blickte Brandy an. „Hör auf, auf mir herumzuhacken, Brandy. Ich habe das getan, wozu du mich aufgefordert hast. Ich habe einen Auftrag an Land gezogen, und ich werde ihn auch behalten. Er zahlt sehr gut." „Für was?" „Nun, auf jeden Fall nicht für mich. An mir ist er in keinster Weise interessiert." Sie erinnerte sich daran, wie er sie angestarrt hatte, als sie sein Büro betrat. Er hatte durchaus interessiert ausgesehen. Aber nur, weil sie für ihn die Weih nachtsgeschenke einkaufen sollte. „Ich bin für ihn nur seine Weihnachtselfe. Er sieht in mir die Lösung all seiner Probleme." „Und er ist der Beginn eines Haufens Probleme für dich", neckte Brandy sie. „Hör zu, Amanda, ich finde wirklich gut, was du versuchst, und ich möchte ebenso gern Aufträge haben wie du. Aber ich möchte nicht, dass du dabei verletzt wirst." „Keine Bange, Brandy. Das wird schon nicht passieren." „Doch - wenn du dich mit jemandem wie ihm einlässt." „Ich lasse mich nicht mit ihm ein. Ich lerne heute Abend seine Familie kennen, das ist alles. Und wir bleiben nicht lange. Ich soll nur kurz reinschauen, einen Haufen persönlicher Fragen stellen und dann wieder ebenso schnell verschwinden. Ich muss es auch schnell machen, denn Josh hasst solche Dinge." Sie machte eine kurze Pause. „Weißt du, er tut mir ein bisschen Leid. Er ist völlig weltfremd. Und es klingt so, als würden ihn seine Verwandten förmlich erdrücken." „Er tut dir also Leid", wiederholte Brandy. Sie seufzte. „O Amanda! Worauf hast du dich da nur eingelassen?" Worauf hatte er sich da nur eingelassen? Josh stand an den Durchgang gelehnt, der das Wohnzimmer seiner Tante mit dem Esszimmer verband, in der Hand einen aufgeschäumten Eierpunsch. Mimi dachte tatsächlich, dieses Gesöff könnte einen anständigen Drink ersetzen. Wie
gewöhnlich hatte seine Tante drei Mal so viele Leute eingeladen, wie Sitzplätze vorhanden waren. Überall drängten sich die Gäste: auf dem Sofa, den Stühlen, selbst vor dem Kamin hatten sich einige auf den Boden gesetzt. Mehr als die Hälfte der Gäste war mit ihm verwandt, neunzig Prozent waren mindestens zehn Jahre älter als er. Und diejenigen, die nicht in eine dieser beiden Kategorien fielen, schienen die Frauen zu sein, mit denen ihn seine Verwandten anscheinend verkup peln wollten. Zum Beispiel eine entschlossene, schmalgesichtige Frau aus Charmaines esoterischem Zirkel, dann eine kesse Rothaarige, die einen Katzensalon führte, wie ihm Marilla bei der Vorstellung erklärte, und noch eine gefährlich aussehende Brünette, die später Klavier spielen sollte. „Damit wir singen können", erklärte ihm Mimi, als man sie ihm vorstellte. Was um alles in der Welt hatte er hier zu suchen? Er trank noch einen kleinen Schluck und analysierte seine eigene Frage. Es gab zwei Gründe für seine Anwesenheit hier - der eine, dass der Rauschgoldengel persönliche Dinge über seine Verwandten herausfand, und der zweite, weil ihm die Unterhaltung von vorhin ein wenig unangenehm war. Als er bekannte, so gut wie nichts über seine Familie zu wissen, hatte er deutlich die Missbilligung auf ihrem Gesicht gesehen. Er war selbst überrascht, wie wenig er wusste. Sein Leben lang war er mit diesen Leuten zusammen gewesen. Sicher, er hatte nicht viel gemein mit ihnen, aber ein paar grundlegende Dinge sollte er eigentlich doch wissen. Zum Beispiel, wie alt sie waren und wovon sie lebten, oder? Eine kräftig gebaute Frau in mittleren Jahren in einem dunkelblauen Kleid unterbrach ihn in seinen Überlegungen. „Hallo, Josh." „Hi, Mom." Er beugte sich vor, um sie auf die Wange zu küssen. Und da wurde ihm klar, er wusste nicht einmal, wie alt seine eigene Mutter war. Er selbst war zweiunddreißig, so musste sie um die ... „Es überrascht mich, dich hier zu sehen", sagte sie. „Besonders nach unserer Unterhaltung heute Morgen. Ich dachte, du wärst vielleicht ein wenig sauer." „Sauer? Ich?" Josh schüttelte den Kopf. „Natürlich nicht." Sie blickte ihm forschend ins Gesicht, und er meinte eine gewisse Unsicherheit in ihren Augen zu sehen. „Dann hast du begriffen, was ich meinte? Ich spreche von den Geschenken." „Sicher", sagte Josh, auch wenn es glatt gelogen war. Er tätschelte ihr die Schulter. „Mach dir keine Gedanken. Ist alles unter Kontrolle." „Wirklich?" Edwina wirkte verwundert, aber bevor sie etwas fragen konnte, tauchte Joshs Tante Mimi neben ihnen auf. „Wie schön, dass du da bist, Josh. Marple Stevens ist gerade gekommen. Sie hat ihre Tochter Freeda mitgebracht." Sie beugte sich vertraulich vor. „Also, sei nett zu dem Mädchen. Ihr gehört eine kleine Boutique in der Neunundfünfzigsten Straße. Sie könnte dir bei deiner Karriere so behilflich sein." Josh warf einen Blick auf die entschlossen wirkende Frau, die gerade den Wohnraum betrat. „Ich entwickle Sprachsysteme, Tante Mimi. Es spielt keine Rolle, wie sie angezogen sind." „Aha", erwiderte Tante Mimi geistesabwesend. „Nun, ich finde, sie hat eine nette Stimme. Sie singt im Chor, weißt du." Bevor Josh eine passende Antwort einfiel oder er sich entscheiden konnte, ob es überhaupt eine gab, eilte Mimi auf die Neuankömmlinge zu. „Marple, Liebling, wie wundervoll, dich zu sehen. Und das muss Freeda sein. Ich habe schon so viel von Ihnen gehört, dass ich ganz gespannt war, Sie endlich kennen zu lernen." Josh stöhnte und drehte sich um, suchte nach einem Fluchtweg - und sah sich seinem Onkel Reggie gegenüber. „Ach, da bist du ja, Josh", brummelte Reggie. „Ich wollte ein paar Worte mit dir
reden." „Tatsächlich?" Ohne große Begeisterung schüttelte Josh ihm die Hand. Er hatte nichts gegen seinen Onkel, verspürte aber eine düstere Ahnung, was gleich kommen würde. „Ja, tatsächlich. Genauer gesagt, deine Tante wollte, dass ich mit dir rede. Sie macht sich große Sorgen um dich, weißt du. Deine Mutter ebenfalls. Und ich kann verstehen ..." Nun folgte ein langer Vortrag über Familie und Verantwortung, der Josh nicht im Geringsten interessierte. Er trank noch einen Schluck. Nun erinnerte er sich auch, warum er bislang mit diesen Leuten nicht viel Zeit verbracht hatte -oder nichts Persönliches über sie wusste. Er gab die Absicht auf, überhaupt etwas über sie zu erfahren - darum würde sich sein Rauschgoldengel kümmern. Hoffentlich kam sie bald, sonst würde er verkünden, es ginge ihm auf einmal fürchterlich schlecht, und sehen, dass er von hier fortkam. Amanda bezahlte den Taxifahrer und ging auf den großen Bungalow zu, der bunt mit einer fast obszönen Menge an Lichtern dekoriert worden war. An der Straße stand eine lange Reihe von Autos, und als sie sich der Haustür näherte, hörte sie Musik und Gelächter und viele Stimmen. Sie hob die Hand, um den Klingelknopf zu drücken, hielt dann aber inne. Warum um alles in der Welt hatte sie eigentlich zugesagt, hierher zu kommen? In Joshs Büro war es ihr noch einigermaßen vernünftig vorgekommen - auftauchen, Fragen stellen, verschwinden. Und nun kam es ihr vor wie eine Episode aus Mission Impossible. Und wenn sie sich gegenüber ganz ehrlich war, hatte sie auch ein wenig Angst vor der Begegnung mit Joshs Verwandten. Sie wusste nämlich nicht so recht, was sie erwartete. Seinen unterschiedlichen Beschreibungen nach mussten sie entweder grauenhafte Exzentriker oder Anwärter auf die Heiligsprechung sein. Und trotz seiner Versicherung, niemand würde bemerken, dass sie gar nicht geladen sei, war es ihr doch irgendwie unangenehm, ungeladen dort aufzukreuzen. Du willst dich hier schließlich nicht bei einer Party einschleichen, sondern es handelt sich um eine geschäftliche Angelegenheit, erinnerte sie sich. Um mehr nicht. Außerdem, wenn der Lärm und die vielen Autos auf die Anzahl der Gäste schließen ließen, würde sie niemandem auffallen. Und selbst wenn, seine Verwandtschaft konnte so grauslich nicht sein, sonst würde sie nicht so viele Freunde haben. Auf der anderen Seite, selbst grausliche Leute hatten wohl Freunde. Amanda atmete tief durch und klingelte. Zu ihrer großen Erleichterung öffnete ein ganz normaler Mensch die Tür. Es war eine hoch gewachsene, gertenschlanke Frau mit grau meliertem Haar und einem freundlichen Lächeln. „Hallo", sagte Amanda. „Ich bin Amanda." „Amanda! Natürlich!" Die Frau riss die Tür weiter auf. „Sie müssen Hemps Tochter sein. Kommen Sie doch herein." Sie lugte über Amandas Schulter. „Ist Ihr Mann nicht mitgekommen, oder sucht er noch einen Parkplatz für den Wagen?" „Nein. Das heißt, ich ..." „Er hat es leider nicht geschafft? Wie schade. Aber wie schön, dass wenigstens Sie gekommen sind. Hemp wird sich freuen. Aber kommen Sie ins Haus, meine Liebe. Es ist draußen so schrecklich kalt, nicht wahr? Und keiner hat damit gerechnet. Hatte man uns nicht noch ein paar Tage warmes Wetter versprochen, bevor der Kälteeinbruch kommen sollte?" „Ich habe so etwas gehört, ja." „Sie wissen es nie genau, stimmt's? Aber geben Sie mir Ihren Mantel. Und lassen Sie einfach Ihre Stiefel hier. Seine Schuhe dann wieder zu finden, wenn man
schließlich geht, gehört doch irgendwie zu einer Weihnachtsparty dazu, oder? Letztes Jahr musste ich in fremden Schuhen nach Haus gehen." Sie runzelte die Stirn. „Es waren Moonboots in Größe fünfundvierzig. Ich möchte wissen, wer meine Schuhe bekommen hat - Größe sechs. Ach übrigens, ich bin Mimi Saunders. Nennen Sie mich aber Mimi. Als Mrs. Saunders komme ich mir immer so alt vor. Jetzt müssen Sie aber wirklich hereinkommen, und dann sehe ich zu, dass ich Hemp finde." „Nein!" stieß Amanda hervor, und Mimi sah sie verwundert an. Rasch fuhr Amanda fort. „Sehen Sie, Mrs. Saunders ... äh, Mimi, ich bin nicht Hemps ..." „Sie sind nicht Hemps Tochter?" Mimi schaute ihr ins Gesicht. „Ich muss zugeben, ich habe mich schon etwas gewundert. Sie sehen ihm oder Margaret so gar nicht ähnlich." „Wohl nicht", gab ihr Amanda Recht. „Ich ..." „Natürlich könnten Sie das Produkt eines Seitensprungs sein." Mimi kicherte, und ihr Gesicht leuchtete auf. „Aber man kann sich nur schwer vorstellen, dass Hemp einen Seitensprung wagt -•- oder jemand mit ihm." Sie drehte sich zu einer anderen Frau um, die in den Flur hineinkam. Sie war ein wenig größer und stattlicher als Mimi gebaut. „Oh, da ist ja Eedee. Eedee, dies ist ... Amanda, stimmt's? Sie ist nicht Hemps Tochter.'' „Natürlich ist sie das nicht", erklärte Eedee forsch. „Das kann man doch sehen." Sie streckte die Hand aus. „Hallo, Amanda. Sind Sie eine von Charmaines Freundinnen?" „Nein", erwiderte Amanda und schüttelte ihr die Hand. „Ich bin..." „Na, Gott sei Dank." Eedee beugte sich vor und senkte die Stimme. „Nicht, dass ich etwas gegen Charmaine oder ihre Freundinnen habe. Aber sie reden und reden unentwegt über diese kosmischen Verbindungen, die sie angeblich haben. Das liegt wohl daran, dass sie alle aus Detroit kommen." „Ich bin noch nie in Detroit gewesen", versicherte ihr Amanda schnell. Neugierig blickte sie sich in der weiten Eingangshalle um. Der hellgrüne Teppich und die pastellfarbenen Wände gefielen ihr. Joshs Verwandte waren nicht nur keine grauslichen Exzentriker, sondern sie hatten auch noch Geschmack. „Ich auch nicht", erklärte Eedee. „Allerdings habe ich eine Weile in Denver gewohnt. Mir hat es dort gut gefallen. Ich bin übrigens Edwina Davidson. Aber alle Welt nennt mich Eedee. Es macht mir auch nichts weiter aus, auch wenn es sich so anhört, als würde man das Alphabet rückwärts aufsagen." „Edwina", wiederholte Amanda. Dann begriff sie. „Sie müssen Joshs Mutter sein." „Ja, ich ..." Edwina hörte auf zu reden und starrte Amanda aus zwei braunen Augen an, die stark denen ihres Sohnes glichen. „Sie kennen Josh!?" „Ja." Amanda merkte, wie sie rot wurde unter dem ungläubigen Blick von Joshs Mutter. „Er hat mich hierher eingeladen." „Josh hat Sie eingeladen", wiederholte Edwina sichtlich fassungslos. Sie wandte sich an ihre Stiefschwester. „Hast du das gehört, Mimi? Josh hat sie hierher eingeladen." Die beiden Frauen starrten Amanda an, als wären ihr plötzlich zwei Köpfe gewachsen. Amanda hatte das Gefühl, sie hatte gerade einen enormen Schnitzer gemacht. „Sehen Sie, er ... Ich ... Das heißt... Er hat mich gefragt, ob ..." Sie merkte, sie brabbelte, und holte tief Luft. „Er hat gesagt, niemand hätte etwas dagegen." „Dagegen?" Edwina strahlte sie förmlich an. „Natürlich haben wir nichts dagegen." Sie hakte sich bei Amanda ein. „Im Gegenteil, wir sind absolut erfreut darüber." „Und dies sind Joshs Schwestern", schloss Edwina. Sie deutete auf eine Gruppe
von drei Frauen, von denen keine eine Reihe von Jahren älter als Josh war. „Dies sind Marilla, Shelby und Charmaine. Mädels, dies hier ist Amanda." Sie machte eine dramatische Pause. „Joshs Freundin Amanda." Einen Moment lang herrschte tiefes Schweigen, dann schnatterten die Frauen aufgeregt los. „Eine Freundin? Josh?" „Wann ist das alles geschehen?" fragte Shelby. Ihr rundliches, intelligentes Gesicht zeigte deutlich ihre Neugier, während die umwerfend schöne Charmaine Amanda voller Begeisterung die Hand hinhielt. „Ich hoffe, ihr überlegt, Weihnachten zu heiraten. Eine Hochzeit zu Weihnachten ist immer so ... kosmisch!" „Wir denken überhaupt nicht an Hochzeit", erwiderte Amanda. „Im Gegenteil..." „Also ehrlich, Charmaine!" unterbrach sie Marilla. „Siehst du denn nicht, dass die beiden noch nicht so weit sind? Wenn du nicht aufpasst, verschreckst du sie noch." Sie bedachte Charmaine mit einem empörten Blick und wandte sich dann mit einem freundlichen Lächeln an Amanda. „Machen Sie sich keine Sorgen, Amanda. Charmaine findet in fast jeder Verabredung etwas Kosmisches." „Jeder Tag ist ein kosmischer Tag", entgegnete Charmaine, anscheinend überhaupt nicht beleidigt. „Ausgenommen die Iden des März. Sie haben wirklich eine schlechte Konnotation. An dem Tag würde ich absolut nicht heiraten." Ihr Lächeln war so freundlich wie das von Marilla. Amanda lächelte zurück. Josh hat mir Unsinn über seine Verwandten erzählt, dachte sie. Sie waren völlig normal, sah man davon ab, dass sie anscheinend zu voreiligen Schlüssen neigten. „Ich denke nicht an ein bestimmtes Datum", erklärte sie Charmaine. „Aber wenn dem so wäre, würde ich nicht die Iden des März wählen. Hören Sie, ich sollte vielleicht einmal erklären ..." „O ja, bitte, tun Sie das", bat Shelby. „Wir sind ja so neugierig. Wie haben Sie Josh kennen gelernt?" „Ich kam einfach in sein Büro. Ich ..." „Aha", sagte Shelby. „Liebe auf den ersten Blick." Sie stieß Marilla mit dem Ellbogen in die Seite. „Hört sich das nicht an wie eine kosmische Konnotation?" „Nicht wirklich", sagte Marilla. „Für mich hört es sich eher romantisch an. Was geschah dann, Amanda? Habt ihr euch einfach nur angestarrt und gewusst, das ist es?" „So würde ich es nicht unbedingt..." „Amanda?" erklang da eine männliche Stimme. Amanda drehte sich um und sah, wie sich Josh durch die Gästemenge in ihre Richtung schob. Er hatte eine dunkle Hose, ein weißes Hemd und einen Pullover mit dunkelbraungrünem Muster an, der seine schokoladenbraunen Augen noch unterstrich. Amanda war noch nie so froh gewesen, jemanden zu sehen. Natürlich nur, weil er das Missverständnis aufklären konnte, redete sie sich ein. Es hatte nichts mit seinem guten Aussehen zu tun. Er kam heran und lächelte sie an. „Ich habe dich gar nicht kommen sehen." „Ich bin gerade eingetroffen", murmelte Amanda, und seine Nähe irritierte sie. Und auch, dass er sie duzte. Aber sehr wahrscheinlich war das die beste Tarnung, damit sie persönliche Informationen aus seinen Verwandten herausholen konnte. Sie beschloss, sein Spiel mitzuspielen. Josh schaute sich in der Gruppe um. „Ich nehme an, du hast meine Mutter und meine Schwestern schon kennen gelernt?" „Ja, ich ..." „Ja, das hat sie", unterbrach Edwina sie. „Und wir sind einfach begeistert, Josh." Sie zwickte ihn in den Arm. „Aber du hättest es uns ruhig schon früher sagen können." Josh zog die Augenbrauen zusammen. Er war offensichtlich verwirrt. „Was hätte
ich euch früher erzählen sollen?" „Von Amanda", erklärte Marilla. „Oder besser gesagt, von dir und Amanda." „Mir und Amanda?" wiederholte er verwundert. „Warum hast du es uns nicht erzählt?" fragte Charmaine. „Hast du Angst gehabt, wir würden sie nicht mögen?" fragte Marilla. „Oder wolltest du uns überraschen?" fragte Shelby. Alle sahen ihn erwartungsvoll an. Josh, der nun Amanda anblickte, wirkte immer noch verwirrt. Amanda räusperte sich. „Also, ich war gerade dabei, deiner Familie unsere Beziehung zu erklären." „Aha. Unsere Beziehung." „Das stimmt." Amanda schaute sich in der Runde um. „Also, Josh und ich ..." „Es ist schon okay, Liebling", unterbrach Josh sie. Seine Augen funkelten, er legte seinen Arm um Amanda und drückte sie leicht. „Sie sind meine Familie. Ich möchte, dass du sie kennen lernst." Er lächelte sie nun liebevoll an. Seine Mutter und seine Stiefschwestern lächelten sie beide liebevoll an. Die Einzige, die nicht lächelte, war Amanda. Sie war gerade stark damit beschäftigt, sich eine langsame, quälende Methode auszudenken, wie sie Josh Larkland umbringen konnte. „Ich persönlich bevorzuge eher die kurzhaarigen Varianten", erklärte Marilla ernsthaft. „Allerdings hatte ich einmal eine Angorakatze, die wirklich süß war." Sie zog die Augenbraue hoch. „Was meinen Sie?" „Ich habe eigentlich nie viel mit Katzen zu tun gehabt, um ehrlich zu sein", stotterte Amanda. „Aber um ehrlich zu sein, ich finde sie faszinierend." „Das sind sie ganz gewiss. Ich wusste, Sie würden so denken", sagte Marilla und strahlte Amanda an. „Wer weiß? Vielleicht ist an diesen kosmischen Verbindungen von Charmaine wirklich etwas dran." Amanda blieb nichts anderes übrig, als das Lächeln zu erwidern. Dies war wirklich das Allerschlimmste - sie mochte diese Leute, und alle schienen sie zu mögen. Der Einzige, den sie nicht leiden mochte, war Josh. „Das ist durchaus möglich", sagte sie. „Würden Sie mich bitte entschuldigen? Ich möchte ein paar Worte mit Josh reden." Marilla nickte verständnisvoll. „Eine Romanze. Ist es nicht wundervoll?" „Einfach herrlich", murmelte Amanda und verdrückte sich. Sie fand Josh in einer Gruppe älterer Männer. Alle sprachen ihrem Eierpunsch fröhlich zu. „Ah, da ist sie ja", sagte er, als sie herankam. Er legte ihr wie selbstverständlich den Arm um die Schulter. „Liebling, kennst du schon Onkel Frank und Tante Louise? Onkel Frank ist Investmentberater." „Stimmt", sagte Frank. Begeistert schüttelte er Amanda die Hand. „Frank Bromwell. Es freut mich außerordentlich, Ihre Bekanntschaft zu machen. Ich hatte gerade Josh vorgeschlagen, sich mit mir im neuen Jahr einmal zusammenzusetzen. Jetzt, da du vorhast, eine Familie zu gründen, solltest du an deine Altersvorsorge denken, Josh." „Eine großartige Idee", heuchelte Amanda, bevor Josh etwas erwidern konnte. „Das solltest du wirklich. Es klingt so faszinierend." Sie hakte sich bei ihm ein. „Würden Sie mich bitte entschuldigen? Ich muss ein paar Worte mit Josh reden." „Geht ihr zwei nur." Louises Augen schimmerten feucht. „Wir erinnern uns noch gut daran, wie es ist, nicht wahr, Frank?" Dann schlenderten die beiden davon, Arm in Arm. Sobald sie außer Hörweite waren, wandte sich Josh an Amanda. „Nun, wie läuft es? Haben Sie schon etwas Persönliches über sie herausgefunden?" „Ja, dass Marilla Katzen mag. Josh, wir müssen etwas unternehmen. Ihre Familie ..."
Josh schüttelte den Kopf. „Das bringt nichts. Sie sind schon immer so gewesen." „Nun, ich aber nicht. Josh, sie glauben, Sie und ich hätten etwas miteinander." „Meinen Sie?" fragte er und trank noch einen Schluck von seinem Eierpunsch. „Wie kommen sie denn darauf?" Amanda kniff die Augen halb zusammen. „Sie wissen sehr gut, warum sie das denken!" Josh unternahm den vergeblichen Versuch, fatalistisch zu erscheinen. „Ich weiß bedauerlicher weise selten einmal, warum sie etwas denken." „Nun, in diesem Fall ist es offensichtlich. Sie ..." Josh legte den Zeigefinger auf ihre Lippen. „Pst. Man wird Sie hören." „Ich will, dass sie mich hören. Ich ..." „Pst!" ermahnte Josh sie nochmals. Er nahm ihre Hand und führte sie durchs Esszimmer in die Küche. „Also, wo liegt das Problem?" fragte er, sobald sie allein waren. Amanda entzog ihm ihre Hand und wich bis zum weißen Küchentresen zurück. „Was meinen Sie denn, was das Problem ist?" fauchte sie. „Das Problem ist, dass diese Leute denken, wir hätten ein Verhältnis miteinander!" Mit erhobener Stimme fuhr sie fort: „Und das denken sie, weil Sie es ihnen erzählt haben!" Er zuckte mit den Schultern. „Ich musste ihnen irgendetwas erzählen." Sie zog die Stirn kraus, und er seufzte. „Nun, was sollte ich denn sagen? Doch wohl kaum, dass Sie meine Weihnachtselfe sind, oder?" „Es besteht ein großer Unterschied zwischen Elfe und ... und dem, was Ihre Familie nun vermutet." „Nicht wirklich." Er legte ihr eine Hand auf die Schulter und schob sie weiter in die Küche hinein. „Auf Ihrem Prospekt steht, dass Sie alles Nötige bereitstellen, damit ich ein schönes Weihnachtsfest verleben kann." Aus tiefstem Herzen begann Amanda ihre Werbekampagne zu verfluchen. „Ja, aber ..." „Nun, im Moment sieht es so aus, als benötigte ich eine Freundin. Sonst werden sie mir eine aufzwingen." „Dann sollte ich Ihnen vielleicht eine wirkliche Freundin suchen!" „Wie bitte? Innerhalb von fünf Minuten?" Josh schüttelte den Kopf. „Es ist nicht nur unmöglich, sondern ich will es auch nicht. Außerdem ist dies die große Chance für Sie, etwas Persönliches über alle herauszufinden. Sehen Sie, wie sie reagieren? Sie überschlagen sich fast, Sie kennen zu lernen, sich mit Ihnen zu unterhalten." „Ja, aber ..." „Dann sollte es für Sie also kein Problem sein, ihnen etwas Persönliches aus der Nase zu ziehen, oder?" Er grinste triumphierend. In diesem Moment hätte Amanda ihn am liebsten mit der allergrößten Freude eigenhändig erwürgt. „Es ist ja nicht so, dass sie glauben, wir würden ab und an zusammen ausgehen, Josh. Nein, sie glauben, es ist etwas Ernstes." „Und?" „Und das stimmt nicht!" Er zuckte mit den Schultern. „Das müssen sie ja nicht erfahren." Amanda starrte ihn an. „Josh Larkland, das ist das Schlimmste, was ich jemals jemanden habe sagen hören. Sie können doch nicht herumlaufen und Ihre Verwandten anlügen, ganz besonders nicht zu Weihnachten." „Ich habe nicht gelogen! Sie haben einfach nur einen falschen Schluss gezogen, das ist alles." „Einen falschen Schluss, den Sie nicht korrigiert haben." „Nein, das habe ich nicht", erwiderte Josh. „Und ich werde es auch nicht tun." Er deutete mit der Hand hinüber zum Wohnraum. „Sie haben gesehen, was dort drüben los ist. Eine ganze Reihe Frauen steht bereit, mich kennen zu lernen."
Amanda dachte an die drei nur zu bereiten Frauen, denen sie vorgestellt worden war. „Einige von ihnen könnten doch sehr nett sein", log sie schamlos. „Ha!" ' „Josh!" „Na, hören Sie, Amanda. Was hätte ich wohl der Besitzerin einer Modeboutique, einer Katzensaioninhaberin oder jemandem zu sagen, der kosmischen Zauber zu beschwören versucht!" Amanda rümpfte die Nase. „Sie sind vielleicht ein wenig exzentrisch, zugegeben. Aber das ist doch noch lange kein Grund..." „Es ist ein sehr guter Grund! Wenn ich nicht mit Ihnen hier wäre, würden sie sich auf mich stürzen, erbarmungslos! Dann würden sie anrufen, wissen wollen, wann wir uns endlich treffen. Marilla, Charmaine, Mimi, meine Mutter und Gott weiß-wer-noch würden mich anrufen, fragen, wann ich sie wieder sehen würde. Ich müsste mir irgendwelche Ausreden ausdenken oder viel Zeit mit Frauen verbringen, die mich nicht im Mindesten interessieren. Aber so bleibt mir all das erspart." Er zuckte mit den Schultern. „Ja, aber ..." „Und was meine Verwandten betrifft - sie haben es nicht anders verdient! Schließlich haben sie den falschen Schluss gezogen, nicht ich!" „Sie hatten einen sehr guten Grund dazu. Sie ..." Josh hob eine Hand. „Okay. Vielleicht habe ich sie ein wenig irregeleitet. Aber sie waren nur allzu gern bereit dazu. Und schließlich tue ich keinem damit weh. Sie sind glücklich! Und sie alle scheinen Sie zu mögen." Das stimmte wohl. Amanda konnte sich so gar nicht daran erinnern, wann sie das letzte Mal mit so vielen Menschen in einem Raum zusammen war, die sie für den nettesten Menschen der Welt hielten. „Ja, im Moment sind sie glücklich. Aber wie glücklich werden sie sein, wenn sie die Wahrheit herausfinden?" Josh sah sie verblüfft an. „Aber wie sollen sie es denn herausfinden? Ich werde es ihnen nicht erzählen." War er wirklich so blöd, oder tat er nur so? „Sie müssen es Ihnen irgendwann sagen", erklärte ihm Amanda sehr langsam. „Das nächste Mal, wenn wieder so etwas nötig ist..." Josh tat es mit einem Achselzucken ab. „Ich habe nicht die Absicht, dass in naher Zukunft wieder so etwas nötig wird. Das ist Teil Ihres Jobs, haben Sie das vergessen? Sie werden sich einen Grund ausdenken, warum ich nicht kann." „Aber ..." „Und wenn Sie fragen, sage ich einfach, wir würden uns nicht mehr sehen. Das würde ja keine Lüge sein." „Nein, das wohl nicht, aber ..." Josh seufzte und lehnte sich gegen den Küchenschrank neben ihr. „Amanda, machen Sie bitte keine große Sache daraus. Es ist doch nur ein Abend. Sie müssen nur das tun, was Sie gerade tun. Und es ist für Sie eine perfekte Gelegenheit, Persönliches über meine Verwandten zu erfahren." In gewisser Weise ergab es schon einen Sinn, was er sagte. Aber nur fast. „Außerdem, was soll ich denn sonst tun?" fragte Josh. „Sie werden diese Leute niemals davon überzeugen, dass Sie nichts mit mir haben. Sie wollen es einfach glauben." „Nun ja..." „Und wer weiß, vielleicht bringt es sogar noch Spaß", fügte er hinzu. „In welcher Weise?" Er strich ihr mit dem Finger über die Wange. Amanda überlief es heiß. „Auf viele Weisen." Sie wich einen Schritt zurück. „Sie waren bestimmt ein schlimmes Kind, nicht
wahr?" „Das allerschlimmste", bestätigte er ihr mit ernstem Gesichtsausdruck. Da drang Mimis laute Stimme zu ihnen herein. „Sie sind in der Küche, Edwina. Und ich glaube, sie küssen sich gerade!" „Sehen Sie", sagte Josh. „Sie haben wirklich keine andere Möglichkeit, finden Sie nicht?" „So viel Spaß habe ich in den letzten zehn Jahren nicht mehr gehabt", verkündete Josh einige Stunden später, als sie in den Wagen stiegen. Er ließ sich in seinen Sitz fallen und legte einen Arm über die Rückenlehne. Sein Schenkel berührte Amandas. „Sobald sie Sie sahen, ließen sie mich zufrieden." Er grinste sie an. „Ich hätte mir schon vor Jahren eine Elfe zulegen sollen!" Damit ließ er den Motor an, legte den Gang ein und fuhr los. „Sie hätten sich schon vor Jahren eine Freundin zulegen sollen", meinte Amanda missmutig. „Haben Sie Ihrer Familie noch nie eine Frau vorgestellt?" Josh überlegte, schüttelte dann den Kopf. „Ich glaube nicht. Zumindest nicht in der letzten Zeit." „Warum denn nicht?" Sie warf ihm einen Seitenblick zu. „Sie gehen doch mit Frauen aus, oder?" „Natürlich gehe ich mit Frauen aus", erwiderte Josh, und zum ersten Mal klang es ein wenig verteidigend. „Aber ich stelle sie nicht gleich das erste Mal meiner Familie vor, wenn ich mit ihnen ausgehe." „Das ist keine schlechte Idee", gab sie ihm Recht. „Aber wenn Sie eine Frau schon einige Monate kennen, dann könnten Sie es doch. Oder gehen Sie mit keiner Frau so lange?" „Nun, normalerweise nicht." „Warum denn nicht?" fragte Amanda und sah ihn dabei weiterhin an. „Ich weiß nicht." Nun begann er sich wirklich zu verteidigen, sein Ton verriet es. „Ich habe viel um die Ohren, und ich tue es eben nicht." Er drehte den Kopf leicht zur Seite, so dass er sie sehen konnte. „Was ist mit Ihnen? Gehen Sie viel aus?" Amanda dachte an die letzten Männer, mit denen sie ausgegangen war. Das heißt, ausgegangen waren sie selten. Sie hatte mehr Zeit damit verbracht, Deans Apartment sauber zu machen, als anderswo hinzugehen. Mit Kyle war sie zwar oft ausgegangen - aber immer nur in einen Schnellimbiss. Er hatte ihr Unmengen Kaffee spendiert, wofür sie sich unendlich lange seine Probleme anhören musste. „Ex und hopp", murmelte sie. „Und haben Sie diese Ex-und-hopp-Männer irgendwann auch einmal Ihrer eigenen Familie vorgestellt?" „Das hätte ich wohl", sagte Amanda. „Aber meine Familie lebt nicht in der Gegend." „Wo lebt sie denn? Am Nordpol?" „Nein", erwiderte sie. „Meine Eltern wohnen in Yellowknife." „Yellowknife? In den Northwest Territories?" Josh schnaubte. „Für mich liegt das nahe am Nordpol." „Manchmal kam es mir auch so vor", gab Amanda zu. „Es ist so weit weg. Ich würde sie gern öfters besuchen, aber das geht leider nicht." Amanda hätte gern ihre Familie in der Nähe. Aber ihre Verwandten waren übers ganze Land verstreut. Ihre Eltern lebten im Norden. Ihr Bruder tief im Osten und ihre Schwester sogar in den USA. Per Telefon hielten sie Kontakt, aber es war nicht dasselbe, als würden sie in derselben Stadt leben. Sie wünschte sich ihre Familie näher, und Josh schien zu wünschen, er hätte überhaupt keine Familie. Josh tätschelte ihr den Arm. „Sie können sich immer noch von Santa Claus auf dem Schlitten mitnehmen lassen. Ich bin sicher, er hat nichts gegen eine Elfe
zwischen seinen Spielzeugen einzuwenden. Und wo wir gerade von Elfen sprechen, wie lief es heute Abend geschäftlich? Haben Sie viel an persönlichen Dingen von den Leuten erfahren können?" „Sehr viel nicht." Amanda lehnte sich im Sitz zurück und schloss die Augen. „Sie wollten sich alle mit mir über mich unterhalten. Oder über Sie." Josh sah sie beunruhigt an. „Über mich? Was haben Sie ihnen denn über mich erzählt?" „Dass Sie zu viel Zeit im Büro verbringen und zu wenig Zeit für die Familie haben." „Oh." Er lachte leise. „Genau so etwas bekomme ich ständig von ihnen zu hören. Ich weiß auch nicht, warum. Ich verbringe wirklich eine Menge Zeit mit ihnen." „Sicher tun Sie das", meinte Amanda trocken. „Deswegen wissen Sie ja auch so viel von ihnen." „Einiges habe ich herausgefunden", wehrte sich Josh. „Ich weiß zum Beispiel, dass Onkel Frank Investmentberater ist." „Wahnsinnig!" „He, Sie haben den ganzen Abend mit ihnen zusammen verbracht, und das Einzige, was Sie anscheinend in Erfahrung bringen konnten, ist mir längst bekannt - dass sie denken, ich verbringe nicht genügend Zeit mit ihnen. Also, sehr persön lich hört sich das für mich nicht an." „Es ist aber auch schwierig, an einem Abend persönliche Dinge über einen Menschen herauszufinden", antwortete Amanda. „Es sind Ihre Verwandten. Wenn jemand etwas Persönliches über sie herausfinden sollte, dann Sie." Sie machte eine kurze Pause. „Außerdem habe ich etwas herausgefunden. Ihre Tante Mimi sammelt Halsones." „Halsones? Was ist das denn?" „Sie sollten Ihnen eigentlich nicht entgangen sein, Josh. Schließlich sind sie übers ganze Haus verteilt. Es sind diese kleinen Plüschkaninchen." „Ach die." Er zwinkerte. „Das ist etwas Persönliches?" „Wenn man sie sammelt, ja. Etwas Persönliches ... und Teures." „Woher wissen Sie das alles?" „Man bekommt sie in vielen Läden." Sie überlegte einen Moment. „Das Clownkaninchen habe ich noch nicht gesehen. Vielleicht wäre das ein gutes Geschenk." „Gut", meinte Josh. „Eins abgehakt. Was ist mit den anderen?" „Ich werde mir darüber ein paar Gedanken machen." Nun, wo sie die Namen mit Gesichtern verbinden konnte, war alles ein wenig einfacher. Josh hielt den Wagen in der Parkzone vor ihrem Apartmenthaus an und brachte sie zur Haustür. Amanda holte den Schlüssel heraus und drehte sich zu ihm herum. „Also, dann gute Nacht. Danke, dass Sie mich hergebracht haben. Es hat mir Spaß gemacht." „Mir auch", sagte Josh. „Ich hoffe nur, sie werden nicht zu sauer sein, wenn sie herausfinden, dass ich überhaupt nicht Ihre Freundin bin." „Aber das waren Sie", meinte Josh. „Zumindest heute Abend." Er legte ihr die Hände auf die Schultern und drehte sie zu sich herum. „Und da Sie es sind, scheint es mir ..." Er würde sie küssen, das wurde Amanda klar, als er den Kopf senkte. Sie hätte ihren Kopf zur Seite wenden oder Josh wegstoßen können. Aber sie tat es nicht. Sie stand ganz still da, als seine Lippen ihre berührten, leicht zuerst, dann fester. Es war ein Kuss, der nicht bedrohte, voller Wärme und Charme, während seine Finger ihre Wange streichelten und seine Zunge ihre Lippen. Als er schließlich den Kopf wieder hob, war sie erregt und rang nach Atem.
„Gute Nacht, Amanda", sagte er, und fort war er. Amanda sah, wie sich die Tür hinter ihm schloss. Eine Geschäftsbeziehung, erinnerte sie sich. Mehr war es nicht. Und sie würde sich sehr darauf konzentrieren, dass es so blieb.
4. KAPITEL „Sie sind heute Morgen aber guter Stimmung", beschuldigte Mable Josh. Sie legte einen Stapel Bedienungsanweisungen auf Joshs Schreibtisch und musterte ihn in einer Mischung aus Misstrauen und Erstaunen. „Nicht ein einziges Mal haben Sie mich angeschrien, haben sich sogar bedankt, und nun höre ich Sie ein Weihnachtslied pfeifen. Was ist los?" „Nichts ist los", erwiderte Josh. Er nahm eine der Bedienungsanleitungen vom Stapel und begann darin herumzublättern. „Oh." Mables ohnehin schon misstrauischer Blick wurde noch misstrauischer. „In dem Fall muss ich davon ausgehen, dass Ihr Körper von den Aliens in Besitz genommen wurde." Josh lachte leise. „Mein Körper ist von nichts übernommen worden. Ich bin einfach nur guter Laune. Schließlich ist Weihnachtszeit. Da sollten die Leute guter Laune sein, oder?" „Sie aber nicht", erklärte sie trocken. „Weihnachten bringt immer Ihre schlechtesten Eigenschaften hervor. Also, gestern wollten Sie noch, dass ich Weihnachten verlege oder Ihnen ein Ticket in den Januar besorge." „Oder eine Weihnachtselfe", erinnerte Josh sie. „Da Sie das geschafft haben, können Sie die anderen Sachen wieder vergessen." „Eine Weihnachtselfe?" Einen Moment lang sah Mable ihn verständnislos an. Dann aber lächelte sie. „Ach ja. Die Frau von dem Managerservice. Die, die die Organisation unserer Weihnachtsfeier übernehmen wollte." „Stimmt. Zusammen mit ein paar anderen Dingen." „Andere Dinge? Was für andere Dinge?" Sie riss überrascht die Augen auf. „O nein! Erzählen Sie mir bloß nicht, dass Sie die junge Frau dazu gebracht haben, die Weihnachtsgeschenke für Sie einzukaufen." „Sie hilft mir dabei." Josh sah die deutliche Missbilligung in Mables Gesicht und zuckte innerlich zusammen. „Gefällt Ihnen daran etwas nicht?" „Und ob! Ihre Mutter hat Sie nicht gebeten, persönliche Geschenke für Ihre Anverwandten zu kaufen, damit Sie dies einer fremden Frau aufhalsen." Die aufkommenden Schuldgefühle drängte Josh sofort entschlossen zurück. „Ich hatte keine andere Wahl. Sie wollten es nicht übernehmen, und ich habe keine Zeit." Er senkte den Kopf, weil er Mables tadelnden Blick nicht mehr ertrug. „Außerdem ist Amanda keine Fremde. Sie hat gestern Abend alle kennen gelernt." „Gestern Abend?" „Ja, gestern Abend. Ich habe sie zu Mimis Party mitgenommen." „Sie sind zu Mimis Party gegangen?" Mable starrte ihn ungläubig an. „Ich dachte immer, Sie würden nur zu Familienfesten gehen, bei denen nicht mehr als vier Ihrer Angehörigen zusammenkommen." „Das stimmt auch. Aber gestern musste ich hingehen, damit Amanda alle kennen lernen und etwas Persönliches über sie erfahren konnte." „Josh!" Mable stemmte entrüstet die Hände in die Hüften und funkelte ihn an. „Das ist ja wohl das Abgefeimteste, was ich je gehört habe. Es sind Ihre Verwandten, falls Sie das vergessen haben sollten. Wenn jemand persönliche Dinge über sie herausfinden muss, dann sollten Sie es sein!" Josh zuckte zusammen. „Ja? Amanda hat sich ähnlich geäußert." „Hat sie das?" fragte Mable. „Ja." Josh überdachte es einen Moment, dann schob er die schwache Besorgnis beiseite. „Aber ich bin sicher, sie schafft es." „Ich denke auch." Nun lächelte Mable sogar. „Wissen Sie, ich habe das Gefühl, ich werde Amanda mögen." „Natürlich werden Sie sie mögen. Jeder mag Elfen." Josh blickte auf. „Aber
erzählen Sie nicht überall herum, was sie ist. Ich möchte nicht, dass andere erfahren, dass ich eine eigene Elfe habe." „Lassen Sie sich deswegen keine grauen Haare wachsen", murmelte Mable. „Das Geheimnis ist bei mir sicher." Sie ging kopfschüttelnd hinaus. Josh sah ihr nach. Dann schaltete er seinen Computer ein. Alles entwickelte sich prächtig. Seine Weihnachtsprobleme waren gelöst. Er konnte alles vergessen und sich wieder auf seine Arbeit konzentrieren. „Einen Moment, bitte", sagte Brandy. „Ich sehe einmal nach, ob sie im Haus ist." Sie legte eine Hand auf den Hörer und hob fragend eine Augenbraue in Amandas Richtung. „Jemand, der Charmaine heißt", verkündete sie mit gesenkter Stimme. Amanda schüttelte den Kopf. Brandy seufzte und nahm den Hörer wieder an ihr Ohr. „Es tut mir Leid, Charmaine, sie kann im Augenblick nicht sprechen. Ja, ich sage ihr, dass Sie angerufen haben." Sie legte auf und wandte sich zu Amanda herum. „Das war Charmaine", sagte sie überflüssigerweise. „Lass mich raten. Sie ist mit Josh Larkland verwandt." „Stimmt", sagte Amanda. „Das hatte ich mir doch gedacht." Brandy ließ sich auf den Küchentisch plumpsen. „Immerhin war es nicht wieder Harvy Denton. Drei Mal hat er heute Morgen angerufen, um sich zu entschuldigen. Allmählich fange ich an zu glauben, es tut ihm wirklich Leid." „Vielleicht stimmt das sogar", überlegte Amanda laut. „Gestern hat er dir Blumen geschickt. Und hat er gestern nicht auch noch gesagt, er hätte wohl zuerst einen falschen Eindruck gehabt?" „Ja, richtig. Und er hat auch gesagt, ich wäre eine tolle Frau, und als ich mich dann hinsetzte und ihn fragte, wie ich ihm das Weihnachtsfest schöner gestalten könne, da hat er gedacht, ich würde ihn anmachen wollen." Amanda stellte sich vor, wie die oft ein wenig mürrisch wirkende Brandy solche Worte sagte. „Ist es vielleicht möglich, dass ..." „Möglich schon", unterbrach Brandy sie. „Aber dennoch wird sein Benehmen dadurch nicht akzeptabler. Er hätte fragen sollen, bevor er mich angrapschte!" Sie verschränkte die Arme vor der Brust. „Das habe ich ihm auch gesagt." „Ja? Und was hat er geantwortet?" erkundigte sich Amanda interessiert. „Er gab mir Recht." Brandys Lippen verzogen sich zu einem Lächeln. „Aber er erklärte mir auch noch, dass er seit seiner Scheidung nicht so viel Erfahrung mehr mit Frauen hätte und er gedacht hatte, heutzutage würde man es so machen. Kannst du dir das vorstellen?" Allmählich begann Harvy Denton Amanda ein wenig Leid zu tun. „Nun", sagte sie, „so etwas kann natürlich möglich sein ..." „Natürlich", meinte Brandy. „Nun möchte er, dass ich noch einmal in sein Büro komme und ihm eine zweite Chance gebe. Drei Mal habe ich ihm schon gesagt, ich würde nicht kommen, aber er akzeptiert es einfach nicht." „Vielleicht solltest du ihm wirklich noch eine Chance geben", meinte Amanda zögernd. „Vielleicht ist er ja doch ein netter Typ. Wenn du willst, könnten wir beide zusammen gehen und..." „Von Ringkämpfen habe ich für einen ganzen Monat genug, glaub mir! Also, vergiss es, Amanda. Ich will mit Harvy absolut nichts zu tun haben. Er ist ein ekliger Kerl. Einmal ein ekliger Kerl, immer ein ekliger Kerl." „Das kann man nie wissen", sagte Amanda. Plötzlich fiel ihr das Telefongespräch ein. „Was hat Charmaine gesagt?" „Das Gleiche wie alle anderen. Sie wollte sich mit dir treffen." Brandy sah sie neugierig an. „Den ganzen Morgen über hat Josh Larklands Verwandtschaft angerufen. Bislang haben wir auf der Liste Judith, die Tee mit dir trinken wollte.
Dann Shelby, die sichergehen wollte, dass du zu ihrer Party kommst. Und nun Charmaine, die mit dir zu irgendeiner Art Kosmetologiekurs gehen wollte." „Kosmikologie", berichtigte Amanda sie. „Und was ist das?" „Es hat irgendetwas mit der Verbindung zum Kosmos zu tun." Sie lehnte sich auf dem Küchenstuhl zurück. „Schade, dass ich mich nicht mit Charmaine treffen kann. So etwas würde mich nämlich interessieren." Und sie hätte auch nichts dagegen, Tee mit Tante Judith zu trinken oder zu Shelbys Party zu gehen. „Und warum machst du es nicht?" „Ich kann nicht, Brandy. Es gibt nur einen einzigen Grund, warum all diese Leute mit mir zusammen sein möchten - weil sie glauben, ich wäre Joshs feste Freundin. Und das bin ich nicht." Sie runzelte die Stirn, als sie auf die Liste schaute, die vor ihr auf dem Tisch lag. Sie wünschte, sie würden mehr Aufträge hereinbringen, damit sie sich einen richtigen Laden mieten konnten und endlich aus ihrer Küche herauskamen. Brandy fuhr sich mit den Fingern durchs Haar. „Wir haben heute Morgen mehr Anrufe bekommen als je zuvor, seit wir mit dem Geschäft begonnen haben. Wenn es sich um mögliche Aufträge gehandelt hätte, wäre ich hellauf begeistert. Aber leider war es nicht so. Entweder war es Mr. Denton für mich oder aber Joshs Verwandte für dich." Sie neigte den Kopf leicht zur Seite und starrte Amanda an. „Was hast du nur mit diesen Leuten angestellt?" „Gar nichts. Ich bin einfach in einen Kaum hineingegangen." Amanda griff sich einen Becher Kaffee, der auf dem Tisch stand. Während sie einen Schluck trank, studierte sie die Liste von Joshs Verwandten vor ihr. „Es war wirklich beein druckend, Brandy. In meinem ganzen Leben habe ich mich noch nie so sozial akzeptiert gefühlt wie dort. Jeder wollte sich mit mir unterhalten. Es war fast so, als wäre ich nach Haus zurückgekehrt." „Niemand wollte vielleicht zufällig eine Party oder eine Firmenfeier organisiert haben?" meinte Brandy trocken. „Leider nicht." Wieder schaute Amanda auf die Liste, dann seufzte sie laut. „Leider wollte auch niemand über Weihnachtsgeschenke reden. Sie wollten sich nur über mich oder Josh unterhalten." „Und alles, worüber du reden willst, ist Josh", beschwerte sich Brandy. „Seit du hier bist, hast du bestimmt schon dreihundert Mal seinen Namen erwähnt." „Nein, das stimmt ja gar nicht", stritt Amanda ab, auch wenn sie sich nicht sicher war, ob es nicht doch vielleicht stimmte. Natürlich waren ihre Gedanken immer wieder zu dem Funkeln in Joshs Augen abgeschweift ... wie seine raue Wange ihre gestreift hatte ... die Wärme seiner Lippen. Amanda schüttelte leicht den Kopf. „Ich versuche gerade, mir passende Geschenke für diese Leute auszudenken." „Daran ist mehr", widersprach Brandy missbilligend und beugte sich vor. „Du bist dabei, dich in Josh Larkland zu verlieben, nicht wahr?" „Nein, das stimmt nicht", erklärte Amanda fest. „Aber er ist ein netter Typ, Brandy. Charmant, wenn er es sein will. Toll aussehend." Und er küsst noch toller. Aber das musste Brandy ja nicht unbedingt wissen. „Und er hat eine wirklich nette Familie." „Die ihm völlig schnurzpiepegal ist", erinnerte Brandy sie. „Ich bin mir nicht sicher, ob das wirklich stimmt", wandte Amanda ein. „Ich glaube sogar, sie sind ihm wichtig. Fast den ganzen Abend über erkundigte er sich, wie alt sie wären und womit sie ihr Geld verdienten." „Etwas, was er eigentlich längst wissen müsste", meinte Brandy trocken und unbeeindruckt. „Und er hat es satt, ständig von ihnen kritisiert zu werden", fuhr Amanda fort,
ignorierte einfach Brandys Missbilligung. „Sie versuchen ständig, ihn mit irgendeiner Frau zu verkuppeln. Du hättest die Frauen sehen müssen, die sie zu Minus Party mitgebracht hatten. Ich glaube, denen ist einfach nicht bewusst, dass manche Männer nicht verkuppelt werden möchten. Um ehrlich zu sein, ich denke, sie verstehen ihn überhaupt nicht." „Dann sind wir ja zu zweit", murmelte Brandy. „Oder besser gesagt, zweiundzwanzig." „So schwer ist er eigentlich nicht zu verstehen. Er ist nur einer dieser Menschen, die völlig in ihrer Arbeit aufgehen." Amanda starrte Löcher in die Luft. „Es liegt schlicht und einfach am Kommunikationsmangel. Er unterhält sich nicht mit seiner Familie - und seine Familie nicht mit ihm. Wenn sie öfters zusammenkämen ..." „Tu es nicht, Amanda", warnte Brandy. „Was soll ich nicht tun?" fragte Amanda und sah sie unschuldsvoll an. „Dich auf etwas einlassen. Du hast einen Managerpartyservice und bist keine Familientherapeutin." „Ich weiß", sagte Amanda leise. „Aber es ist Weihnachten." „Du kannst Leute nicht umkrempeln, nicht einmal zu Weihnachten. Und am allerwenigsten kannst du Männer umkrempeln. Du bekommst das, was du siehst abgerissene Knöpfe und so weiter." „Das will ich doch auch gar nicht." „Aber du denkst daran, es zu wollen. Wir beide haben so etwas schon alles mitgemacht. Wir sind mit Typen ausgegangen, die ganz offensichtlich Verlierer waren - und doch hofften wir, sie ändern zu können. Es funktioniert einfach nicht. Niemals!" Sie zog eine Augenbraue hoch. „Erinnerst du dich an Kyle? Du hast jedes Mal für ihn bezahlt, wenn ihr aus wart, und stundenlang hast du dir seine Probleme angehört. Dann hat er dich sitzen lassen und hat sich mit irgendeiner schlampigen Barmieze aus Vancouver davongemacht." „Nicht aus Vancouver, sie war aus Victoria." „Dann war da noch Dwight", sagte Brandy und erwärmte sich langsam für das Thema. „Du hast ihm Geld geliehen, ihm bei seinem Job geholfen, und sobald er ein paar Kröten beisammenhatte, machte er dir klar, mit einer festen Bindung wäre es auf Dauer nichts." Amanda rutschte unbehaglich auf ihrem Stuhl umher, ihr Gesicht fing an zu glühen. „Also gut", sagte sie resigniert, „es mag ja sein, dass ich einen lausigen Geschmack habe, was Männer betrifft. Aber diesmal ist es etwas anderes." „Aber sicher! Du lässt dich nicht nur mit Josh Larkland ein, sondern gleich auch noch mit seiner ausgedehnten Familie!" „Ich lasse mich mit niemandem ein", widersprach Amanda, aber es kam nicht sehr überzeugend heraus. Brandy hob beide Hände. „Also, für mich hört sich das ganz anders an." Es klang eindeutig skeptisch. „Nun, so ist es aber. Ich bezweifle, dass ich jemanden von seiner Familie wieder sehen werde - außer, ich treffe sie zufällig auf der Straße." Und sie hoffte sehr, dass das nicht der Fall sein würde. Sie würde gar nicht wissen, was sie zu ihnen sagen sollte. „Und Josh werde ich auch nicht wieder sehen", fügte sie dann noch hinzu. „Wirklich nicht?" „Nein, wirklich nicht. Zumindest nicht auf die Weise, wie du es meinst. Ich werde seine Firmenweihnachtsfeier organisieren, auch wenn ich vermute, ich werde mehr Zeit mit seiner Sekretärin verbringen als mit ihm." Brandy wirkte nicht überzeugt. Nicht im Geringsten. „Bist du dir da wirklich sicher?" „Absolut." Das stimmte auch. Trotz des wundervollen Abends und des wahnsinnig
aufregenden Kusses wusste sie sehr gut, dass Josh nicht im Mindesten an ihr interessiert war. Sie war seine Weihnachtselfe, das war alles - die Person, die seine weihnachtlichen Probleme zu lösen hatte. Sie bezweifelte, dass er sich heute Morgen überhaupt noch an ihren Namen erinnerte. Josh hatte keinerlei Problem damit, sich an Amandas Namen zu erinnern - oder an eine ganze Menge anderer Dinge an ihr. Mehr als einmal hatte er unwillkürlich an sie denken müssen - an ihr seidenweiches blondes Haar, daran, wie sie in dem roten Kleid ausgesehen hatte und wie sich ihre Lippen unter seinen angefühlt hatten. Und diese Erinnerungen an Amanda störten erheblich seine Konzentrationsfähigkeit. Mit der Arbeit an der neuen Netzwerkschnittstelle war er einfach nicht weitergekommen, obwohl er es sich vorgenommen hatte. Und wenn seine ungehorsame Erinnerung ihn nicht mit verlockenden Bildern von Amanda drangsalierte, tat es seine Familie. Eine Reihe von ihnen hatte heute Morgen angerufen, um sich enthusiastisch über Amanda auszulassen. „Sie ist einfach ein fantastisches Mädchen, Josh." Und von seiner Tante Judith -aus irgendwelchen obskuren Gründen: „Sie ist faszinierend, Josh. Ich habe gehört, sie hat ein grünes Badezimmer." Es schien, als würde jeder sie mögen - und wollte sie unbedingt wieder sehen. Zuerst gefiel es Josh, dass sie allen gefiel. Aber als dann seine Mutter anrief, empfand er dann doch leise Schuldgefühle. Als sie meinte: „Ich muss gestehen, es gab Momente, wo ich langsam daran zweifelte, ob du dich überhaupt jemals binden wolltest. Oder wenn, stellte ich mir die Frage, was für ein Mädchen es wohl sein würde. Ich bin so erleichtert, dass du nun Amanda gefunden hast." Er hatte versucht, die Sache herunterzuspielen. „Also, als feste Bindung sehen wir beide es eigentlich noch nicht, Mutter." „Ich weiß, mein Junge", sagte Edwina nachsichtig. „Aber du wirst sie doch weiterhin sehen, oder?" „Natürlich werde ich sie weiterhin sehen", murmelte Josh. Aber dann fiel ihm ein, er wusste nicht zu sagen, wann er sie wieder sehen würde. Sie war mit ihrem Elfenjob beschäftigt, und er hatte seine Arbeit zu erledigen. Dann schüttelte er den Kopf. Natürlich würde er sie wieder sehen. Sie war seine Elfe. Abgesehen davon, gab es da auch noch den Kuss. Wieder stieg die Erinnerung an ihre weichen, sinnlichen Lippen in ihm auf, aber die fröhliche Stimme seiner Mutter riss ihn unsanft in die Gegenwart zurück. „Wenn dem so ist, sollte ich sie besser kennen lernen!" erklärte sie entschieden. „Wirklich?" Nur schwer konnte Josh die verlockende Erinnerung an Amandas Kuss vertreiben. „Ja. Ich möchte sie bald einmal zum Essen einladen." „Sicher", murmelte Josh, mit seinen Gedanken ganz woanders. „Wie wäre es mit heute?" schlug sie ihm vor. „Ich ... äh ... bin mir nicht ganz sicher", wand er sich. „Ich muss es zuerst mit Amanda besprechen." „Würdest du das tun, mein Junge? Ich habe schon den ganzen Morgen über versucht sie zu erreichen, aber leider vergeblich. Vielleicht wenn du mit ihr sprichst..." Josh war sich ziemlich sicher, wie Amanda reagieren würde. Aber noch bevor er sich etwas überlegen konnte, den Wunsch seiner Mutter abzuschmettern, verabschiedete sie sich, und die Leitung war getrennt. Josh hatte gerade den Hörer auf die Gabel gelegt, da meldete sich Mable über die Wechselsprechanlage. „Hank Turnbull auf Nummer eins", informierte sie ihn.
Josh schaute auf das blinkende Lämpchen und nahm dann das Gespräch entgegen. „Hi, Hank. Was gibt's?" Hanks dunkler, satter Bariton drang an sein Ohr. „Um ganz ehrlich zu sein, rufe ich wegen eines Gerüchts an. Mich interessiert, ob es wirklich stimmt." „Wegen eines Gerüchts?" wiederholte Josh. „Welches Gerücht?" „Über dich." Hank lachte glucksend. „Ich habe gehört, es gibt eine neue Frau in deinem Leben." Josh starrte verwundert auf das Telefon. Seit über einem Jahr hatte er beruflich mit Hank zu tun. Aber abgesehen davon, dass er einmal kurz seine Frau und Kinder erwähnte und einmal eine Sitzung vor Ende verlassen hatte, weil er an einem Hockeyspiel seines Sohns teilnehmen wollte, hatten weder er noch Josh jemals eine private Bemerkung gemacht. „Ja?" sagte Josh langsam. „Wo hast du das denn gehört?" „Nun ..." Hank lachte wieder leise auf. „Ed Baigley hat sich mit Jon Fieldman unterhalten, der deinen Onkel Reginald kennt. Onkel Reginald hat erwähnt, dass du gestern Abend zum Familientreffen eine Frau mitgebracht hast." Josh hatte keine Ahnung, dass Hank sich für etwas interessieren könnte, das so wenig mit beruflichen Themen zu tun hatte. „Ja ..." „Dann stimmt es also?" „Ja, es stimmt." Josh fand Hanks Interesse beachtenswert. „Aber wieso willst du ..." „Es ist nicht nur reine Neugier", versicherte Hank ihm. „Es hat durchaus einen geschäftlichen Hintergrund." „Geschäftlich?" Josh bemühte sich zu verstehen, wovon Hank sprach. „Richtig. Dies könnte genau das sein, was wir brauchen, um aus potenziellen Investoren wirkliche Investoren zu machen." „Wie meinst du das?" „Es ist eine Frage der Verlässlichkeit", erklärte ihm Hank. „Jeder weiß, wie brillant du bist. Aber eine andere Sache verunsichert die Leute. Ein verheirateter Mann wirkt weniger riskant. Solider. Gereifter." „Ein verheirateter Mann?" wiederholte Josh überrascht. „Aber ich bin doch gar nicht verheiratet." „Nein, das bist du nicht, aber so wie Reginald redete, hörte es sich an, als wärst du nicht mehr weit davon entfernt." Er lachte nochmals. „Wird sie auch auf deiner Weihnachtsfeier erscheinen?" „Das nehme ich an, aber ..." „Hervorragend. Hervorragend. Du musst mich ihr unbedingt vorstellen. Ach ja, willst du sie nicht nächste Woche mitbringen? Wir veranstalten eine ganz zwanglose kleine Party. Rhonda und ich würden uns freuen, sie kennen zu lernen." „Das muss ich noch mit Amanda besprechen", improvisierte Josh. „Ich weiß nicht, ob es terminlich hinhaut." Er verabschiedete sich, legte auf und trommelte mit den Fingern nachdenklich auf der Schreibtischplatte herum. Seine Weihnachtselfe erwies sich langsam als sehr hilfreich - und notwendiger, als er es eigentlich geplant hatte. Es war kurz vor elf Uhr, als Josh anrief. Brandy war außer Haus, versuchte gerade ein paar neue Aufträge hereinzuholen. So war Amanda gezwungen, den Hörer abzunehmen. „Den ganzen Morgen versuchen alle möglichen Leute, Sie zu erreichen", beschwerte er sich nach Amandas zögerndem Hallo. „Wo sind Sie gewesen?" Amanda verlor sich im Klang seiner Stimme. Sie konnte ihn deutlich vor sich sehen, wie er in seinem Büro saß, den Schreibtisch voller Papiere. „Mal hier, mal draußen."
„Einkaufen?" fragte er eifrig. Natürlich. Das war der Grund für seinen Anruf. „Ich arbeite daran", erklärte sie. „Gut. Hören Sie, haben Sie Zeit zum Mittagessen?" Ihre Stimmung hob sich. „Wieso? Ja, habe ich ..." „Großartig. Meine Mutter möchte Sie zum Mittagessen einladen." Amanda fiel unsanft aus dem Traumland auf den harten Boden der Tatsachen. „Ihre Mutter?" „Ja. Sie möchte Sie besser kennen lernen." „Na wunderbar", erwiderte Amanda sarkastisch. Das war ja mal eine Abwechslung. Normalerweise mochten Mütter die Freundinnen ihrer Söhne nicht sonderlich. Und diese eine Ausnahme mochte die Freundin ihres Sohns - nur dass sie selbst gar nicht seine Freundin war. „Ich halte das für keine gute Idee." „Nein?" Josh schien so ahnungslos wie immer. „Warum denn nicht?" Das konnte doch nicht wahr sein! „Weil ich nicht will." Gereizt tappte sie mit dem Fuß auf den Boden. „Ich habe Ihnen schon gestern Abend gesagt, dass ich Ihre Familie nicht hinters Licht führen will." „Und Sie haben mir gestern Abend gesagt, Sie hätten so gut wie nichts Persönliches aus ihnen herausholen können." „Das stimmt wohl, aber ..." „Dies wäre eine großartige Gelegenheit mehr, es herauszufinden. Sie könnten meine Mutter ausfragen. Ich bin sicher, sie weiß eine Menge persönliche Dinge über die anderen Familienmitglieder. " Auf ihrer Liste stand noch eine ganze Reihe von Fragezeichen. Edwina würde unbestreitbar eine hervorragende Informationsquelle sein. „Ich könnte wohl, aber ..." Amanda machte eine Pause. „Kommen Sie auch mit?" „Sicher. Ich kann Ihnen behilflich sein bei diesem persönlichen Kram. Außerdem gibt es da etwas, über das ich mit Ihnen sprechen möchte." Amanda wollte schon abwehren, doch dann überlegte sie noch einmal. Gestern Abend hatte sie den Eindruck gewonnnen, Josh hatte schon lange nicht mehr mit seiner Mutter gegessen - oder überhaupt etwas mit ihr gemacht. Edwina würde sich bestimmt sehr darüber freuen. Und sie selbst würde die Gelegenheit bekommen, etwas mehr über seine Verwandten herauszubekommen. Und außerdem hatte sie auch nichts dagegen, ihn wieder zu sehen. „Also gut", sagte sie. „Ich nehme an ..." „Gut", sagte Josh. „Zwölf Uhr bei Charbais. Und kommen Sie bloß nicht zu spät. Mom hasst es, wenn die Leute zu spät kommen." Amanda legte auf und lächelte. Wenigstens wusste Josh eine Sache über seine Mutter. Es war zwei Minuten vor zwölf, als Amanda das Charbais betrat. Edwina saß bereits am Tisch. Josh war nirgendwo zu sehen. Er sollte besser schnellstens auftauchen, dachte sie, als der Oberkellner sie zum Tisch geleitete. Josh mit seiner Mutter zusammenzubringen war der Hauptgrund gewesen, warum sie zugesagt hatte. Sie hatte auch vor, so viel wie möglich über Edwina und die anderen Familienmitglieder herauszufinden. Dann konnte sie einige der Fragezeichen auf ihrer Liste endlich durchstreichen. Und sie war entschlossen, Edwina zu überzeugen, dass ihre Beziehung zu Josh völlig unverbindlich war. Eigentlich sah sie darin keine Schwierigkeit. Schwieriger würde es nur sein, sich selbst davon zu überzeugen, denn irgendetwas in ihr sträubte sich beharrlich dagegen. Und Edwina freute sich so sehr. Das wurde Amanda bewusst, sechs Sekunden nachdem sie sich in dem eleganten Restaurant zu ihr an den Tisch gesetzt hatte. „Ich freue mich riesig, dass Sie kommen konnten", sagte sie zu Amanda, nachdem
der Kellner Amanda die Karte gereicht hatte. „Ich möchte Sie gern besser kennen lernen." Sie griff über den Tisch und drückte Amandas Hand. „Ich möchte, dass wir Freundinnen werden." Amanda bezweifelte, dass sie das noch wollte, wenn sie die Wahrheit erfahren hatte. „Ich auch", sagte sie und trank einen kräftigen Schluck Wasser. „Aber ich sollte vielleicht doch erklären, dass Josh und ich ... also, unsere Beziehung ist ziem lich locker." „Oh, meine Liebe", sagte Edwina schwach. Sie trank auch einen Schluck Wasser. „Ich hatte schon befürchtet, Sie würden so etwas sagen." Amanda starrte sie verblüfft an. „Warum denn das?" „Ja." Edwina zog die Mundwinkel nach unten. „Wir sind es, nicht wahr? Wir haben Sie gestern Abend abgeschreckt." Sie sah so niedergeschlagen aus, dass Amanda sie sofort zu beruhigen versuchte. „O nein, Sie waren alle ganz wundervoll. Es ist nur, dass ..." „Ich weiß, meine Liebe." Edwina streckte den Arm aus und tätschelte ihr die Hand. „Sie müssen es verstehen, Amanda. Wir alle machen uns solche Sorgen um Josh. Er vergräbt sich in seinem Büro und kommt manchmal wochenlang nicht heraus. Und er hat wirklich nichts vom Leben - oder wenn er es hat, erfahren wir nichts davon." „Ich verstehe, aber ..." „Wissen Sie, ich gebe mir selbst die Schuld daran. Schließlich habe ich einen Mann mit drei Töchtern geheiratet. Aber nicht, dass irgendetwas nicht mit ihnen stimmt." Sie runzelte die Stirn. „Charmaine kann zwar manchmal ein wenig seltsam sein, und Marilla übertreibt es mit ihren Katzen. Aber Shelby ist wirklich ein echter Schatz. Und sie meinen es alle so gut." „Das denke ich auch", versicherte ihr Amanda. „Ich mag sie alle. Und ich bin sicher, Ihre Heirat..." Edwina unterbrach sie mit einem Seufzer. „Josh war sieben, als ich wieder heiratete. Die Mädels waren schon sehr viel älter, und sie verwöhnten ihn nach Strich und Faden. Und Mimi und Louise waren auch nicht besser. Sie sind Harolds Schwestern. Leider haben alle keine Kinder, und sie konzentrierten sich auf Josh. Und das war so einfach, selbst damals. Er ist ein einfacher Mensch, finden Sie nicht auch?" „Das ist er ganz gewiss." „Er ist allerdings auch ein wenig egozentrisch und liebt es, wenn es nach seiner Nase geht. Das liegt wohl zum Teil daran, dass er sehr klug ist, und zum anderen an uns." „Ich glaube nicht..." „Doch, das ist er. Aber er kann auch unglaublich aufmerksam und großzügig sein, wenn er es schafft, daran zu denken. Das Dumme ist nur, sehr oft ist das nicht der Fall." Sie lächelte traurig. „Nun, da Sie Teil seines Lebens sind, hoffe ich, er denkt öfters daran. Und vielleicht sehen wir ihn dann in Zukunft auch ein wenig häufiger." Nur zu gern hätte Amanda dieser liebenswerten Frau gesagt, dass es so sein würde. Aber leider war das nicht der Fall. Sie holte tief Luft. „Ich bin nicht wirklich Teil seines ...", begann sie. Aber ihre Worte wurden von Unruhe am Eingang unterbrochen. Amanda blickte auf und sah, dass Josh auf sie zukam. Er trug eine schwarze Jeans, sein Haar hatte er offensichtlich mit den Fingern gekämmt. Seine Turnschuhe waren voller Schnee, und jede Frau im Restaurant starrte ihn an. Er blieb an ihrem Tisch stehen, beugte sich vor und küsste seine Mutter auf die Wange. „Hi, Mom. Tut mir Leid, dass ich zu spät komme." Edwina starrte ihn verdutzt an. „Ich wusste gar nicht, dass du auch kommen
würdest." „Nein?" Er ließ sich auf den Stuhl neben Amanda sinken und lächelte sie an. „Hat sie es dir nicht erzählt?" Edwina warf Amanda einen fragenden Blick zu. „Sie hat es nicht erwähnt." „Sie hat es wohl vergessen." Er nahm Amandas Hand und verschränkte seine Finger mit ihren. „Sie war heute Morgen schon so früh aus dem Haus, dass ich keine Gelegenheit hatte, mit ihr zu reden." „Sie ging früh aus dem Haus?" Edwina schaute von einem zum anderen. „Ihr zwei wohnt zusammen?" Amanda hatte Mühe, sich zu fangen. Seine Finger irritierten sie viel zu sehr. „Wie bitte?" sagte sie. „O nein. Nein, wir ... Ich habe meine eigene Wohnung." „Ja, das hat sie", unterbrach Josh sie. „Sie verbringt nur nicht sehr viel Zeit dort." „Aha", sagte Edwina. „Ich verstehe." „Nein, das tun Sie nicht", sagte Amanda verzweifelt. „So ist es nicht. Ich ..." „Es ist schon in Ordnung, meine Liebe", beruhigte sie Edwina. „Ich verstehe vollkommen, und ich bin in keinster Weise prüde, glauben Sie mir." Sie strahlte beide an, sichtlich glücklich. Josh wirkte sehr zufrieden mit sich. Amanda gab auf und seufzte nur schwer.
5. KAPITEL
„Das war wundervoll", sagte Edwina, als sie das Restaurant verließen. Sie wandte sich zu Amanda. „Vielen Dank, dass Sie gekommen sind, Amanda. Ich hoffe, wir sehen Sie jetzt öfters." Darauf würde ich nicht wetten, dachte Amanda. Sie hatte kaum ein Wort der Unterhaltung am Tisch mitbekommen, weil sie unentwegt überlegte, wie sie aus dieser Situation wieder herauskommen konnte. Sie hatte sogar daran gedacht, Edwina die Wahrheit zu erzählen, konnte sich dann aber doch nicht dazu überwinden. Josh hätte es wohl verdient, nicht aber Edwina. Sie wäre sicherlich sehr verletzt gewesen. Und egal, wie verärgert Amanda über Josh war, sie wollte nicht, dass Edwina sich aufregte. Josh gegenüber empfand sie allerdings ganz anders. Sie hatte sich vorgenommen, ihm deutlich die Meinung zu sagen, sobald sie allein waren. Und ebenso, was er mit seinem Auftrag tun konnte. Und dann müsste er sich überlegen, was er seiner Familie erzählte. Sie traute ihm durchaus zu, dass er ihnen weismachte, sie wäre bei einem Flugzeugunglück zu Tode gekommen oder hätte einen Job in Sibirien angenommen. Vor dem Restaurant umarmte Edwina Josh. „Ich kann mich gar nicht daran erinnern, wann wir das letzte Mal zusammen essen waren. Wir sollten es wirklich bald wiederholen." Sie tätschelte ihm gefühlvoll die Wange. „Und ich hoffe, du hast inzwischen deinen Herd repariert, damit Amanda ihn benutzen kann. Das letzte Mal, als ich bei dir war, musstest du etwas mit dem Fernseher anstellen, um die Gasflammen anzünden zu können, wenn ich mich recht erinnere." Als Edwina schließlich davonging, starrte Amanda ihr nach. Dann drehte sie sich zu Josh um. „Also, Josh Larkland, was soll das alles?" Er sah sie an. „Es ging in Wirklichkeit um die Mikrowelle." „Was?" Josh legte ihr die Hand auf den Rücken, während sie die belebte Straße entlanggingen. „Man muss mit der Mikrowelle reden, damit der Fernseher angeht. Es war ein einfaches Problem, und ich habe es schon vor Monaten gelöst." „Davon habe ich nicht gesprochen. Ich meinte das, was beim Essen passierte", erwiderte Amanda leicht gereizt. „Beim Essen?" Josh sah sie an, als hätte er schon vergessen, dass sie zusammen gegessen hatten. „Ach ja, das Essen. Wie war es? Und haben Sie ein paar persönliche Dinge dabei in Erfahrung bringen können - über irgendeinen?" „Nur über mich selbst", beschwerte sich Amanda. „Nur aus reiner Neugier - wie kommt es, dass wir in weniger als vierundzwanzig Stunden von lockeren Freunden zu einem Paar werden, das zusammenlebt?" Josh blieb neben einem Glöckchen schwingenden Weihnachtsmann stehen und ließ ein paar Münzen in dessen Sammelbüchse fallen. „Wenn ich mich erst einmal zu etwas entschlossen habe, geht alles Weitere ziemlich fix." Er schob seine Hände in die Hosentaschen, zog ein paar Dollarnoten heraus und ließ sie ebenfalls in die Sammelbüchse fallen, bevor er mit Amanda weiterging. „Ich glaube, das Problem mit der Mikrowelle habe ich irgendwann im Herbst in den Griff bekommen." „Wie gut für Sie. Hören Sie, ich ..." „Glauben Sie, dass es wirklich schon so lange her ist, dass meine Mutter zuletzt bei mir zu Haus war?" „Nein. Und Sie sollten sie besser öfter zu sich einladen, finde ich." „Das ist eine gute Idee", meinte Josh. „Wollen Sie das nicht arrangieren?" Sein Vorschlag überraschte Amanda. Ja, warum eigentlich nicht, dachte sie dann. Vielleicht würde ihn dann nicht nur seine Mutter besuchen, sondern die ganze Familie. Die würde sich bestimmt darüber freuen. Amanda wusste allerdings nicht,
wo er wohnte. Sehr wahrscheinlich in einem Apartment in der Innenstadt, wo er in zehn Sekunden in seinem Büro sein konnte. Ausgestattet mit hässlichen Möbeln und voll gestopft mit High-Tech-Ausrüstung. Vielleicht war das doch nicht der richtige Ort für eine Familienzusammenkunft. Andererseits war es seine Familie. Sie hatten ein Recht darauf, zu wissen, wie er lebte. Und nicht mit ihr! Amanda blieb abrupt stehen und blickte Josh an. „Ich? Wieso ausgerechnet ich?" Josh war ebenfalls stehen geblieben und starrte sie mit mildem Erstaunen an. „Aber Sie sagten doch, Dinnerpartys wären Ihre Spezialität." „Firmenfeiern sind meine Spezialität", erwiderte Amanda mit zusammengepressten Zähnen. „Was macht das denn für einen Unterschied? Menschen essen und trinken, egal, ob man mit ihnen arbeitet oder verwandt ist." „Ja, sicher, aber ..." Amanda schüttelte leicht den Kopf. Bei diesem Burschen musste sie wirklich aufpassen. Mit seiner seltsamen Logik schaffte er es fast, ihr alles einzureden. „Darum geht es hier doch gar nicht!" regte sie sich nun auf. „Hier geht es darum, dass wir die Leute nicht über unsere Beziehung täuschen!" „Warum denn nicht?" fragte er nonchalant. „Gestern Abend waren Sie nur zu gern dazu bereit." „Nur zu gern stimmt nicht! Sie haben mich dazu überredet!" Amanda merkte, sie sprach mit erhobener Stimme, und senkte ein wenig die Tonlage. „Außerdem sollte es nur für diesen einen Abend sein. Nun aber glaubt Ihre Mutter, dass wir zusammenleben!" „Na ja ..." Josh räusperte sich. „Hank Turnbull hat heute Morgen angerufen. Er ist der Mann, der Investoren für mich auftreibt." „So?" Amanda starrte ihn an. „O nein! Sagen Sie mir jetzt nicht, dass Sie ihm auch erzählt haben, wir lebten zusammen." „Nicht genau." Auf einmal sah er aus, als wäre ihm unbehaglich zu Mute. „Er hat über Onkel Reggie von uns gehört." „Na wundervoll!" murmelte Amanda. Sie stellte sich kurz all die Leute vor, die sie gestern Abend auf Tante Mimis Party kennen gelernt hatte. Wenn jeder von ihnen es einem Freund erzählte ... „Inzwischen glaubt die gesamte Stadt, dass wir ein Liebespaar sind." Josh klopfte ihr ermutigend auf die Schulter. „Machen Sie sich deswegen keine Gedanken. Sie sind alle hellauf begeistert." „Ich nicht", murmelte Amanda. „Nun, Hank ist es. Es scheint so zu sein, dass Investoren erst ihr Geld investieren, wenn sie glauben, dass ich ein reifer und beständiger Mensch bin. Hank meint, ich brauchte eine Art ... Beziehung, damit sie es glauben." Josh schien verwirrt. „Ich verstehe", sagte Amanda. Sie hatte einen starken Verdacht, wohin dies alles führen würde. „Und ich schätze, Sie wollen, dass ich so tue, als hätten wir diese Beziehung miteinander." „Hm." Er nickte. Amanda schaute sich auf der belebten Straße um. „Haben Sie schon einmal daran gedacht, eine solche Beziehung tatsächlich aufzubauen?" „Nein", gab Josh ohne Umschweife zu. „Aber wenn ich gewusst hätte, wie wichtig so etwas ist, hätte ich es bestimmt getan." Dieser hilflose Blick in seinen Augen könnte den Nordpol schmelzen lassen, dachte Amanda mit ihrem weichen Herzen. Dann aber machte er wieder alles zunichte. „Außerdem brauche ich das ja gar nicht'', sagte er. „Ich habe ja Sie." „Aber ..." „Nun ist es zu spät, sich wieder auszuklinken, Amanda. Meine Familie glaubt, dass Sie es sind, und alle anderen ebenfalls."
Amanda lehnte sich schwer gegen die Hauswand. „O nein..." „Was ist los?" Er sah sie mit großen Augen an. „Da gibt es doch wohl nicht irgendeinen Burschen, dem all dies gar nicht gefallen könnte, oder?" „Nein, das nicht. Aber ..." „Gut." Er lächelte zufrieden. „Ich habe keine Lust auf einen Rambo in Lederweste, der mir die Nase einschlägt." „Wie wäre es mit einer Frau im Businesskostüm?" fragte Amanda und war nahe daran, es in die Tat umzusetzen. Josh grinste. „Ich glaube, eine Elfe schaffe ich noch. Hören Sie, ich verlange von Ihnen doch nichts Unmögliches oder Inakzeptables. Ich meine, Sie sollen ja nicht zu mir ziehen oder Ähnliches." „Wie gut", meinte Amanda spöttisch. „Das hatte ich nämlich auch nicht vor. Ich werde nicht mitmachen, Josh. Es war schon schlimm genug, dass ich Ihre Familie getäuscht habe. Ich ..." „Es ist für einen guten Zweck, Amanda", beschwor er sie. „Welch guten Zweck denn? Ihnen Ihre Familie vom Leib zu halten?" Sie schüttelte den Kopf. „Nein, ich glaube nicht..." Josh ergriff ihren Arm. „Kommen Sie", sagte er. „Da ist etwas, was ich Ihnen zeigen will." Amanda kannte eine Menge Büros mit High-Tech-Ausstattung, aber Joshs Büro schoss in dieser Hinsicht wirklich den Vogel ab. Es war ein enorm großer Raum mit grauem Teppichboden, der sich von Wand zu Wand erstreckte. Die Regale an der Rückwand waren mit elektronischen Geräten bestückt, mit Hunderten von blinkenden Lämpchen, so wie ein überdimensionierter Weihnachtsbaum. Der lange Arbeitstresen war mit Computern, Monitoren und Stapeln Papier bedeckt. Der gesamte Raum war unterteilt in sechs verglaste Abteilungen, und jede enthielt einen Schreibtisch, einen oder zwei Computer, Monitore und weitere technische Ausstattung. In jeder dieser Kabinen befanden sich eine oder zwei klug aussehende Personen, einige in eine angeregte Unterhaltung vertieft. Aber dennoch war es so still, dass Amanda eine Nadel zu Boden hätte fallen hören können. „Was um alles in der Welt ..." begann sie. „Es sind schalldichte Räume", erklärte Josh. „Kommen Sie." Er nahm ihren Arm und führte sie zu dem einzigen leeren Abteil. „Öffnen", sagte er mit normaler Stimme. Als sie näher herankamen, schwang die Glastür automatisch vor ihnen auf. Josh schob Amanda hinein in den Raum. „Licht", sagte er. „Fünfzig Prozent gedämpft." Die Lichter gingen an, um die Hälfte gedämpft. „Wirklich beeindruckend", sagte Amanda. „Ach, das war noch einfach." Er deutete auf den Schreibtisch, auf dem ein Fernseher, ein Videogerät und ein Radio an der Seite standen. „Fernseher", sagte Josh. „Kanal vier. Ton aus." Amanda sah erstaunt zu, wie die Geräte auf seine akustischen Befehle gehorchten. „Es ist Teil eines so genannten Smarthauskonzepts", erklärte ihr Josh. „Ich arbeite mit einem Bauunternehmer zusammen. Irgendwann wird all dies die Standardausrüstung in sämtlichen neuen Häusern sein." Amanda schaute sich im Raum um, starrte mit Ehrfurcht auf das, was sie sah. „Es ist wirklich beeindruckend", sagte sie. „Das sind nicht nur High-Tech-Spielzeuge, Amanda, auch wenn eine Menge Leute sie dafür halten", erklärte er ihr, und seine Augen leuchteten vor Begeisterung. „Aber andere Leute sehen darin weitaus mehr. Zum Beispiel Menschen mit einer Behinderung. Sprachkontrollierte Einheiten würden ihnen das Leben sehr viel
einfacher machen." Und Amanda begriff, er hatte Recht. Für jemanden mit eingeschränkter Bewegungsfähigkeit wäre es wirklich wundervoll, die Geräte im Haus per Stimme bedienen zu können. „Aber ich benötige sehr viel Geld, um über die Prototypen eine richtige Produktion aufbauen zu können. Und um genügend Investoren zusammenzubringen, brauche ich Sie." „Ich weiß nicht, Josh." „Ich erwarte doch nicht von Ihnen, dass Sie es umsonst tun, Amanda." „Nein?" Nun wurde Amanda richtig sauer. Brandy hatte Recht. Er war wirklich ein richtiger Widerling. Im Vergleich zu ihm waren Dwight und Kyle wahre Heilige. „Was schlagen Sie mir vor? Dass Sie mich für ein Date bezahlen? Denn wenn Sie es tun ..." Josh hob eine Hand. „Kein Geld, nein. Das wäre ein wenig geschmacklos, nicht wahr?" „Ja, das wäre es." „Das habe ich mir gedacht. Aber ich habe etwas anderes." Er steckte die Hand in die Hosentasche und holte ein Stück Papier heraus. „Ich habe heute Morgen einige Anrufe getätigt. Freunde von mir. Geschäftsfreunde." Amanda warf einen Blick auf die Liste der Namen auf dem Blatt. „Warum? Damit Sie allen erzählen können, dass wir zusammenleben?" Josh grinste. „Nein. Das sollen sie wie alle anderen über die Gerüchteküche hören. Ich habe nur herausgefunden, welche in der nächsten Zeit Firmenfeiern planen. Feiern, die die Hilfe eines professionellen Catering-Unternehmens brauchen." Er hob eine Augenbraue. „Sie helfen mir. Ich helfe Ihnen." Amanda starrte auf die Liste. Das würde mehr als nur einen Fuß in der Tür zum Erfolg bedeuten. Den ganzen Körper. „Das ist ein weiterer Versuch, mich unter Druck zu setzen, oder?" Er lächelte. „Diesmal ist es wohl mehr eine Erpressung, denke ich." „Eine sehr hübsche Erpressung", gab Amanda zu. „Ja, nicht wahr?" Er wirkte selbstzufrieden. „Und es würde ganz einfach für Sie sein. Sie brauchen einfach nur das zu tun, wozu Sie schon anfangs bereit waren. Kümmern Sie sich um die Weihnachtsgeschenke. Arrangieren Sie meine Firmen weihnachtsfeier. Begleiten Sie mich zu einigen Geschäftsessen oder dergleichen. Und lassen Sie die Leute denken, Sie wären meine feste Freundin." Amanda zögerte, erstaunt, dass sie überhaupt überlegte. „Und wie lange, stellen Sie sich vor, soll das dauern?" „Nicht allzu lange", versicherte er ihr sofort. „Nur bis kurz nach meiner Firmenweihnachtsfeier." „Ihre Firmenweihnachtsfeier? Aber das ist bis zum dreiundzwanzigsten Dezember." „Genau", sagte Josh. „Und danach können Sie an den Nordpol reisen und Santa Claus Heiligabend die Hand schütteln." Amanda musterte ihn. Er stand gegen die Wand gelehnt da, cool und lässig und völlig selbstsicher. Edwina hatte ihr erzählt, er war es zu sehr gewohnt, dass alles nach seiner Nase ging. Und Edwina hatte Recht. Dennoch war es ein Angebot, das sie eigentlich nicht ausschlagen durfte. Es würde ihnen nicht nur geschäftlich helfen, sondern einer ganzen Reihe von Leuten, die wirklich Hilfe brauchten. Und dann war da noch seine Familie zu berück sichtigen. Edwina dachte bereits, dass sie, Amanda, und ihr Josh zusammenlebten. Und es war eigentlich davon auszugehen, dass der Rest der Familie umgehend davon erfuhr. Und abgesehen davon, ihnen allen die Wahrheit zu erzählen, konnte sie nichts
dagegen unternehmen. Außerdem, wenn alle so auf die Nachricht reagierten wie Edwina, wäre jeder begeistert davon. Wäre es denn so schrecklich, ihnen diese Begeisterung noch für eine Weile zu gönnen? Und mehr als bisher sollte sie ja auch nicht tun. Und dazu hatte sie ja eingewilligt. Sie brauchte nur für den restlichen Monat so zu tun, als wäre sie seine feste Freundin, ihn zu ein paar Geschäftsessen zu begleiten, eine Weihnachtsparty zu organisieren und ein paar persönliche Informationen über seine Familienangehörigen herauszufinden - all dies, ohne sich zu sehr mit Josh oder seiner Familie einzulassen. „Also", sagte sie. „Ich kann wohl..." Sie unterbrach sich mitten im Satz. Vielleicht war es der Anflug von Triumph in Joshs Augen - oder aber die Tatsache, dass seine Verwandten sie den ganzen Morgen in ihrer Wohnung festgehalten hatten. Oder es lag an dem Mittagessen mit seiner Mutter. Aber auf einmal kam ihr der Gedanke, sie könnte es erreichen, dass Edwina und der Rest seiner Familie das bekamen, was sie sich wirklich zu Weihnachten wünschten. Ein wenig mehr Zeit mit Josh. Lass dich auf nichts ein, hatte Brandy sie gewarnt. Amanda beschloss, ihre Warnungen in den Wind zu schlagen. „Wenn ich all dies machen soll, brauche ich ein wenig Hilfe dabei." Er sah sie leicht beunruhigt an. „Was für Hilfe?" „Ich brauche noch ein paar mehr Informationen über Ihre Familie, wenn ich anständige Weihnachtsgeschenke für sie finden soll. Ich denke, in dem Bereich können Sie mir helfen." Josh fuhr sich mit der Hand durchs Haar. „Aber wie denn? Ich habe Ihnen schon alles erzählt, was ich über sie weiß." Amanda schürzte die Lippen. „Ich bin sicher, wenn Sie noch ein wenig mehr Zeit mit ihnen verbringen, könnten Sie weitere Einzelheiten erfahren." Josh riss die Augen auf. „Jetzt fühle ich mich erpresst." „Nein", berichtigte sie ihn. „So etwas nennt man eher starke Argumente, glaube ich." Völlig verblüfft starrte Josh sie an. Dann lachte er. „Sie lernen schnell, oder?" „Ja, das stimmt", erwiderte Amanda, selbst ein wenig erstaunt über ihre Schlagfertigkeit. „Wir Elfen sind ein schlauer Haufen." „Ich werde es nicht mehr vergessen." Er grinste. „Na schön. Ich habe es wohl verdient. Auch wenn Sie es nicht nötig haben, mich unter Druck zu setzen, um zu bekommen, was Sie haben wollen. Ich hatte schon einen ähnlichen Gedanken." Nun war Amanda überrascht. „Das hatten Sie tatsächlich?" „Ja. Ich habe ja wirklich einen Haufen Verwandtschaft. Da wäre es unvernünftig, von Ihnen zu erwarten, Sie könnten an einem einzigen Abend ganz allein über alle etwas Persönliches erfahren. Und ich bin sicher, ich kann auch ein paar Sachen herausfinden. Eins weiß ich übrigens schon: Onkel Frank ist Investmentberater." „Ja, das stimmt." Amanda unterdrückte ein Lächeln. „Außerdem sind es meine Verwandten. Da sollte ich wohl etwas über sie wissen, denke ich." „Ganz gewiss sollten Sie das", stimmte Amanda ihm zu. Josh zuckte schuldbewusst zusammen. „Okay, ich sage Ihnen was: Was halten Sie davon, wenn wir zusammen zu ein paar weiteren dieser Familientreffen gehen? Auf diese Weise bekämen wir die Chance, mehr über die anderen zu erfahren." Amandas erstes Triumphgefühl verblasste so schnell, wie es gekommen war. „Wir? Ich hatte nicht gemeint, dass wir zusammen ..." „He, Sie sind hier die Elfe. Wenn ich gehen muss, müssen Sie mit." Er nagte an seiner Unterlippe. „Außerdem, wenn die Leute glauben sollen, dass wir ein Paar sind, müssen wir uns in der Öffentlichkeit auch als Paar sehen lassen. Restaurants
... Partys ..." Das hatte ihr noch gefehlt - sich mit ihm in der Öffentlichkeit sehen zu lassen. Aber andererseits hatte er natürlich Recht. „So ist es wohl", meinte sie zögernd. „Aber ..." „Großartig." Josh ließ sie gar nicht zu Ende reden. „Somit leben wir jetzt offiziell zusammen." „Gut", sagte Amanda. Aber als er auf sie zukam, wich sie einen Schritt zurück. „Aber klar sein muss, dass unsere Beziehung eine reine Geschäftsbeziehung bleibt." „Eine reine Geschäftsbeziehung", wiederholte Josh und blieb stehen. Er sah ihr in die Augen und lächelte - dieses träge, sexy Lächeln. Und obwohl der ganze Raum zwischen ihnen lag, war sich Amanda sicher, sie konnte seine Körperwärme fühlen. „Natürlich. Was sollte es denn sonst sein?" „Ja, was wohl sonst?" murmelte Amanda.
6. KAPITEL „Mir gefällt das nicht", sagte Brandy. Sie saß auf einem der Stühle in Amandas Wohnzimmer und strahlte Missbilligung aus. „Es wäre vielleicht besser gewesen, seinen Vorschlag abzulehnen, ihm einen Tritt in den Allerwertesten zu geben und zu gehen." „Das konnte ich nicht tun", beharrte Amanda, auch wenn sie fast wünschte, sie hätte es getan. „Da waren diese Liste mit seinen Kontakten, dieser Raum mit diesen wundervollen Geräten, die Tausenden von Menschen helfen könnten ... und dazu die perfekte Gelegenheit, Josh dazu zu bringen, mehr Zeit mit seiner Familie zu verbringen. Ich konnte einfach nicht Nein sagen." „Vielleicht hättest du dich mehr bemühen müssen", meinte Brandy. „Für mich hört sich das alles an, als wollte der Kerl dich nur ins Bett bekommen! Überredet dich dazu, so zu tun, als würdest du mit ihm zusammenleben. Also wirklich!" Sie schüttelte den Kopf. „Mich ins Bett zu bekommen, daran denkt Josh am allerwenigsten", versicherte Amanda ihr. „Und ich muss ja auch nicht wirklich mit ihm zusammenleben. Das hat er ganz klar zum Ausdruck gebracht." Aber bei diesem Gedanken fühlte sie sich seltsamerweise in ihrer weiblichen Eitelkeit verletzt. Er hatte nicht einmal versucht, sie dazu zu überreden, mit ihm zusammenzuziehen. Nicht, dass sie es dann auch getan hätte, aber ... „Das war riesig von ihm", brummte Brandy. „Also, Amanda, ich verstehe, warum du das tust. Und ganz gewiss freue ich mich über die Auswirkungen auf unsere Auftragslage. Aber es ist nicht nötig, dass du so weit gehst. Ich habe heute Nachmittag nämlich selbst einen kleinen Auftrag an Land gezogen." „Tatsächlich?" „Ja. Ich ..." Brandy blickte auf einmal verlegen drein. „Ich habe Harvy Denton zugesagt, seine Firmenfeier zu organisieren." Das erstaunte Amanda nun aber doch. „Was hast du?" fragte sie verdutzt. „Er rief nochmals an, als du fort warst, und mir wurde klar, ich würde ihn nur loswerden, wenn ich mich noch einmal mit ihm traf." „Du hättest auf mich warten sollen, Brandy. Ich ..." „Ich war mir eigentlich sicher, ich würde mit ihm allein fertig werden. Und es passierte absolut nichts." Brandy lächelte nun. „Die ganze Zeit blieb seine Empfangsdame mit im Raum. Ich stand an der Tür. Harvy stand am anderen Ende des Zimmers, die Hände vor der Brust verschränkt. Er sah fast so aus, als hätte er Angst, ich würde mich auf ihn stürzen!" Sie zuckte mit den Schultern. „Dann entschuldigte er sich nochmals! Und fragte mich, ob ich die Weihnachtsfeier der Firma organisieren könne." „Und du hast Ja gesagt?" rief Amanda. „Ich dachte, du wolltest mit diesem Kerl nichts mehr zu tun haben." „Das wollte ich auch nicht." Brandy sah sie schuldbewusst an. „Aber er ... tat mir so Leid, Amanda. Und wir brauchen doch Aufträge." „Siehst du, du tust genau das Gleiche wie ich", meinte Amanda. „Das tue ich nicht", widersprach Brandy. „Dies ist eine streng geschäftliche Angelegenheit. Ich lasse mich doch nicht mit dem Burschen ein." „Ich ebenfalls nicht." Amanda dachte unwillkürlich an Joshs verführerisches, sexy Lächeln und musste schlucken. Auf keinen Fall wollte sie sich mit Josh Larkland einlassen, in welcher Form auch immer. Er war zu attraktiv - und er schien die Fähigkeit zu besitzen, sie zu allem überreden zu können. Und er war der Herzensbrecher schlechthin. So weit sie beurteilen konnte, hatte er noch niemals eine echte Beziehung in seinem Leben gehabt. Und sie war wirklich nicht so dumm zu glauben, ausgerechnet mit ihr würde er damit beginnen. Allein aus geschäftlichen
Gründen machte er diese Scharade mit. „Auch diese Angelegenheit ist streng geschäftlich. Wir tun nur so, als hätten wir etwas miteinander. Und nach Weihnachten ist damit auch Schluss." „Sei bloß vorsichtig", warnte Brandy sie. „Bestimmt möchtest du am Weihnachtsmorgen kein gebrochenes Herz in deinem Strumpf finden." Es war kein gebrochenes Herz, das Amanda ein paar Tage später Sorgen machte. Es war ein Stück Kohle. Während sie zwischen Marilla und ihrem Ehemann Tom dahinschritt, fühlte sie sich mit jedem Schritt mieser. Nicht wegen der Katzenschau, auf der sie sich befanden, obwohl sie nach einer Stunde schon genug Katzen gesehen hatte. Nein, es war, weil sie sich so schrecklich schuldig fühlte. Inzwischen ein vertrautes Gefühl. Amanda hatte es in dem Moment empfunden, als sie mit Edwina beim Essen gesessen hatte, und gestern ebenfalls, als sie Tee mit Joshs Tante Judith trank. Und heute war es sogar noch schlimmer. Bei klarem Verstand hätte sie heute Morgen die Einladung zur Katzenschau sofort abgelehnt. „Ich bin sicher, es wird Ihnen gefallen", hatte Marilla ihr versichert. „Außerdem ist es eine wunderbare Gelegenheit, dass wir uns besser kennen lernen." Amanda war einfach keine Ausrede eingefallen, mit der sie die Einladung hätte ablehnen können, ohne unhöflich zu wirken. Und nun wünschte sie, sie hätte sich etwas mehr Mühe gegeben. Sie blieben vor einem Käfig mit zwei silberhaarigen flauschigen Tieren stehen. „Das sind Prachtexemplare von Siamkatzen", erklärte Marilla. „Sehen sie nicht allerliebst aus?" „Ja, wirklich spektakulär", sagte Amanda. Sie schaute sich in der von Menschen erfüllten Halle um. „Ich hatte keine Ahnung, dass es auf der Welt so viele verschiedene Katzenrassen gibt." „Es sind Hunderte", erklärte Marilla und ergriff Amandas Arm. „Ich bin so froh, dass Josh jemanden wie Sie gefunden hat, Amanda." „Wirklich?" Sie selbst war es absolut nicht. Im Gegenteil. Allmählich begann sie es zu bedauern, dass sie diesem Mann überhaupt jemals begegnet war. „Ja. Das haben wir uns alle für Josh gewünscht - dass er jemanden kennen lernt und eine Familie gründet." „Eine Familie gründet?" wiederholte Amanda. Sie schloss die Augen und schickte ein Stoßgebet zum Himmel, dass Marilla nicht Josh einen solchen Vorschlag machte. Dann konnte es nämlich gut sein, dass er erklärte, Nachwuchs sei auf dem Weg, nur um alle glücklich zu machen. Danach würde er von ihr, Amanda, erwarten, schnell ein paar Kinder mit ihm zu machen - und das alles noch vor Weihnachten! „Also, darüber haben wir noch nicht gesprochen", sagte sie schwach. „Ich bin sicher, das Thema wird sich bald ergeben." Marilla drückte Amandas Arm. „Wissen Sie, Amanda, es gibt Momente, wo Tom und ich Josh ein wenig ... einschüchternd finden. Nicht wahr, Tom?" wandte sie sich nun an ihren Mann. „Ja, ganz gewiss", gab Tom ihr Recht. Da Tom bereits den ganzen Nachmittag allem zugestimmt hatte, was Marilla sagte, war Amanda nicht allzu sehr von seiner Antwort überrascht. Aber Marillas Bemerkung überraschte sie ein wenig. Sie selbst empfand Josh nicht als ein schüchternd. Unsensibel, das vielleicht. Aber einschüchternd - nein. „Einschüchternd?" fragte sie deshalb nach. „Manchmal. Er ist so ... klug. Nicht, dass wir nicht klug wären, aber ... also, er ist auf eine andere Art klug. Nicht wahr, Tom?" „Ja, richtig", sagte Tom. „Er ist immer so gewesen", fuhr Marilla fort. „Das heißt aber nicht, dass ich ihn
sehr gut kenne. Wir sind ein paar Jahre auseinander, so sind wir eigentlich nicht zusammen aufgewachsen. Als Dad Edwina heiratete, lebte ich schon nicht mehr zu Hause, sondern machte gerade meine Ausbildung zur Tierarzthelferin." „Ach so." Das also macht sie beruflich, dachte Amanda. „Allerdings musste ich manchmal auf ihn aufpassen. Wenn Dad und Edwina im Urlaub waren, kam er zu mir." Sie lachte leise. „Er liebte ganz besonders eine Sphinxkatze, die ich hatte. Eigentlich war es ein Kater, er hieß Fitzgerald, aber aus irgendeinem Grund nannte Josh ihn Fluffy." Sie schüttelte verwundert den Kopf. „Ich habe nie verstanden, warum, denn diese Katze ist komplett haarlos." „Wirklich?" Amanda unterdrückte ein Lächeln. Sie verstand Joshs seltsamen Humor. „Letztes Jahr verloren wir Fitzgerald. Er zog sich eine schwere Lungenentzündung zu, und wir konnten ihn einfach nicht retten." „Das tut mir schrecklich Leid", erwiderte Amanda schwach. „Es war eine Tragödie", erklärte Marilla traurig. Dann jedoch hellte sich ihre Miene wieder auf. „Aber nun haben wir Algonquin. Ich weiß gar nicht, ob Josh ihn jemals zu Gesicht bekommen hat. Wir sehen ihn leider so selten." Sie tätschelte Amandas Arm. „Aber da Sie jetzt mit ihm zusammen sind, werden wir ihn sicher öfter zu sehen bekommen, da bin ich ganz sicher." Sie waren weitergegangen und blieben nun vor einem anderen Käfig stehen. „Sehen Sie diese Siamkatze. Ist sie nicht atemberaubend schön?" „Ja, das ist sie wirklich", sagte Amanda. In ihrem ganzen Leben hatte sie sich noch nie so mies gefühlt. Als Josh am nächsten Morgen seine Firma betrat, sah er in der einen Ecke des Vorraums einen vollständig geschmückten Weihnachtsbaum stehen, Mables Schreibtisch direkt gegenüber. „Ist er schon immer dort gewesen?" fragte er und blieb stehen, um ihn zu bewundern. „Nein", erwiderte Mable. Sie war gerade dabei, eine der Kugeln daran zurechtzurücken. „Wir haben hier noch nie einen Weihnachtsbaum gehabt. Ich hatte es ja schon einige Male vorgeschlagen. Aber Ihre anrührende und weihnachtli che Antwort lautete immer ungefähr so: Nur über meine Leiche." „Oh ... Also, wenn ich ehrlich bin, habe ich mir nicht vorstellen können, dass es so gut aussieht." Er blickte Mable an. „Haben Sie ihn geschmückt?" „Ich habe mitgeholfen, ihn zu schmücken", erklärte Mable bescheiden. „Das meiste hat Amanda gemacht." „Amanda?" Natürlich, Amanda. Als er aus dem Fahrstuhl gestiegen war, meinte er einen Hauch ihres Parfüms zu riechen. Er lächelte. Eigentlich hätte er sich denken müssen, dass seine Weihnachtselfe für den Tannenbaum verantwortlich war. Er schaute den Flur entlang. „Wo ist sie?" „Sie ist gerade gegangen." Mable kehrte zu ihrem Schreibtisch zurück. „Ich muss sagen, ich bin froh, dass ich ihre Firma angerufen habe. Amanda ist genau das, was uns hier gefehlt hat." Sie sah Josh mit gerunzelter Stirn an. „Das heißt aber nicht, dass mir gefällt, was Sie mit ihr machen." Josh verzog das Gesicht. Er hatte Mable von seiner Abmachung mit Amanda erzählt, falls sich Geschäftsfreunde erkundigten, wer sie sei, auch wenn die Chance dazu nur gering war. Mable hatte diese Abmachung nicht gefallen, und sie hatte auch kein Blatt vor den Mund genommen. „Ich mache doch gar nichts mit ihr. Um die Wahrheit zu sagen, ich sehe sie kaum." Das stimmte. In den letzten Tagen hatte er Amanda kaum einmal zu Gesicht bekommen. Er wusste, sie befasste sich mit Mable mit den Vorbereitungen für die Firmenweihnachtsfeier. Aber sie schien zu kommen und zu gehen, wenn er
gerade nicht in der Nähe oder zu beschäftigt war, es zu bemerken. Ein paar Mal hatte er mit ihr telefoniert. Meist war es um die Weihnachtsgeschenke für seine Familie gegangen. Das war zwar nicht unbedingt nötig, aber es gab ihm Gelegenheit, ihn über ihre Aktivitäten auf dem Laufenden zu halten. „Ich habe gerade mit Amanda Tee getrunken", hatte seine Tante Judith geschwärmt. „Ich mag sie wirklich, Josh. Und ihre Badezimmerhandtücher sind einfach wunderschön." „Amanda war mit uns auf der Katzenschau", hatte ihn am Morgen Marilla informiert. „Sie überlegt jetzt, ob sie sich eine Siamkatze anschafft." Es schien so, als wäre er der einzige Mensch, der Amanda nicht zu sehen bekam. „Sie haben nicht zufällig den Eindruck ... als würde sie mich absichtlich meiden?" fragte er Mable. „Ich habe keine Ahnung", sagte Mable. „Aber verdenken könnte ich es ihr wirklich nicht. Ich an ihrer Stelle würde Sie bestimmt meiden." „Wieso denn das?" Josh verstand es nicht. „Warum?" Mables Blick war voller Ungeduld. „Nun, sehr nett haben Sie sie nicht behandelt, finde ich. Zuerst bringen Sie sie dazu, die Weihnachtsgeschenke für Sie zu kaufen. Dann bringen Sie sie dazu, so zu tun, als wäre sie Ihre feste Freundin. Sehr wahrscheinlich fragt sie sich schon heimlich, zu was Sie sie als Nächstes bringen wollen." Josh strich sich mit der Hand übers Kinn. „Was soll das denn heißen?" „Sie erzählen den Leuten, dass sie beide zusammenleben. Sie könnte überlegen, ob Sie nicht ... die Situation ausnutzen wollen." „Die Situation ausnutzen?" Er starrte Mable verwundert an. „Ich?" Mable lächelte schwach. „Sie kennt Sie nicht sehr gut." „Ganz bestimmt nicht", brummelte er. Und wenn sie ihn weiterhin mied wie die Pest, würde sie ihn auch niemals gut kennen lernen. Er schlenderte hinüber in sein Büro und ließ sich in einen der Sessel fallen. Und da fiel ihm wieder Amandas Bemerkung ein, es handele sich bei ihnen um eine strikt geschäftliche Beziehung. Vielleicht hatte sie ihn warnen wollen, die Situation nicht auszunutzen. Natürlich würde er so etwas niemals tun. Kurz flackerte die Erinnerung an den Kuss durch seinen Kopf. Er hatte aber nichts dagegen, sie nochmals zu küssen ... Mable hatte noch etwas angesprochen, mit dem sie Recht hatte. Er hatte einen ziemlich gemeinen Trick angewandt, Amanda dazu zu bringen, sich wie seine Freundin zu benehmen. Wenn sie deswegen sauer auf ihn war, konnte er es ihr nicht verübeln. Und um es wieder gutzumachen, würde er ihr behilflich sein, Informationen zu sammeln. Er griff zum Telefon. Hatte Shelby nicht von einer Party heut Abend gesprochen? Warum sollte er nicht mit Amanda dorthin gehen? Amanda war am Nachmittag immer noch niedergeschlagen, als Brandy in ihr Apartment stürmte. „Du wirst nicht glauben, was passiert ist", erklärte sie atemlos, während sie ihren Mantel auszog. Besorgt blickte Amanda sie an. „Erzähl mir bloß nicht, es hat wieder ein Mann versucht, sich auf dich zu stürzen!" „Nein", erwiderte Brandy. „Niemand hat es versucht. Ich habe gerade die Assistentin von Harvey McCormicks Chefsekretärin kennen gelernt." „Die Assistentin von Harvey McCormicks Chefsekretärin", wiederholte Amanda. Sie lächelte Brandy geistesabwesend an und wandte sich wieder ihrer Geschenkliste zu. „Wie ... nett." „Es ist nicht nur nett, Amanda. Es ist einfach grandios!"
„Was meinst du, ist eine Krawatte für einen Mann ein persönliches Geschenk?" „Das hängt von dem jeweiligen Mann ab. Weißt du überhaupt, wer Harvey McCormick ist?" „Nein", sagte Amanda. „Und wenn dieser Mann ein Onkel ist?" „Dann ist eine Krawatte in Ordnung", erwiderte Brandy ungeduldig. „Amanda, Harvey McCormick ist der Präsident von NorthRim Oil and Gas." „Tatsächlich?" Amanda schrieb Krawatte neben Franks Namen. „Das erklärt auch, warum seine Sekretärin eine Assistentin hat. Ich glaube, Joshs Onkel Frank braucht eine neue Krawatte. Die er an dem Abend trug, ist wirklich seit Jahren aus der Mode. Und es war ein ... schreckliches Blau." Sie klopfte nachdenklich mit dem Bleistift auf dem Blatt herum. „Andererseits tragen vielleicht alle Investmentberater altmodische Krawatten. Kennst du welche?" „Nicht absichtlich." Brandy griff über den Tisch und nahm Amanda den Bleistift aus der Hand. „Kannst du mal bitte einen Moment richtig zuhören? Ich habe mich gerade mit der Assistentin der Sekretärin von NorthRim Oil and Gas getroffen. Sie möchte eine kleine Feier für einige der Gesellschafter ausrichten." „Aha", sagte Amanda, mit ihren Gedanken immer noch bei den Geschenken. „Das ist... großartig." „Großartig?" Brandy sah sie entrüstet an. „Es ist ... wahnsinnig, Amanda. Harvey McCormicks Vorstellung von einer kleinen Feier bedeutet mindestens zweihundert Leute." Amanda blickte Brandy aufmerksam an. „Sollen wir die Weihnachtsgeschenke für sie kaufen?" „Nein, das sollen wir nicht! Wir sollen diese Feier nur organisieren!" Sie grinste von einem Ohr zum anderen. „Und das sind nicht nur irgendwelche Leute. Es sind wichtige Leute!" „Sind sie das?" fragte Amanda. „Nun, das ist... großartig." Brandy musterte Amanda scharf. „Täusche ich mich, oder teilst du meine Begeisterung über diesen Auftrag nicht?" „Ich bin begeistert", versicherte ihr Amanda. „Ich bin froh, dass wir endlich ins Geschäft kommen. Aber ... es ist im Augenblick so viel zu tun. Ich habe gerade die Liste der Caterer für Joshs Weihnachtsfeier zusammengestellt. Und ich bin dabei, die Musik und so weiter für das Fest zu besorgen. Dann habe ich die Dekoration bestellt, zusammen mit einem Tannenbaum und dem Weihnachtsbaumschmuck. Dann habe ich in der ganzen Stadt herumtelefoniert wegen dieses HalsonePlüschkaninchens für Tante Mimi, und ich habe mir eine Million Gründe überlegt, warum Josh leider nicht kommen kann." Sie deutete mit dem Kopf auf einen Stapel Einladungen auf dem Tisch und verzog das Gesicht. „Das ist die schlimmste Arbeit. Ich meine, wie viele Formulierungen gibt es schon, um höflich auszudrücken, dass er niemals sein Büro verlässt?" „Ich dachte, er soll sein Büro endlich einmal verlassen?" beschwerte sich Brandy. „Ist das nicht der Sinn des Ganzen?" „Er kann doch nicht überallhin gehen." Selbst wenn er es könnte, bezweifelte Amanda stark, dass er Lust dazu hätte. „Außerdem geht er heute Abend mit mir zu Shelby." Sie war ein wenig überrascht gewesen, als Josh sie angerufen und es vorgeschlagen hatte. Aber sie vermutete, damit wollte er seine Verpflichtung loswerden, ihr beim Einholen von persönlichen Informationen über seine Verwandten zu helfen. „Und bevor du etwas sagst, ich lasse mich auf nichts ein! Absolut nichts. Es ist eine rein geschäftliche Angelegenheit." „Sicher", meinte Brandy lakonisch. „Ja, sicher", beharrte Amanda. Sie blickte Brandy hoffnungsvoll an. „Willst du nicht mit uns kommen? Ich bin sicher, Shelby hätte nichts dagegen. Und ich könnte moralische Unterstützung gut gebrauchen."
„Ich kann nicht. Heute Abend habe ich etwas vor." Sie schaute auf ihre Hände. „Ich ... treffe mich mit Harvy auf ein Glas Wein." „Harvy?" Amanda sah, wie verlegen Brandy auf einmal war. „Harvy Denton?" „Hm." „Ich dachte, du wolltest nichts mehr mit ihm zu tun haben?" „Das will ich auch nicht", versicherte ihr Brandy. „Aber ich habe mich ein paar Mal mit ihm in seinem Büro unterhalten ... und bislang hat er sich gut benommen. Als er mir dann vorschlug, mit ihm ein Glas trinken zu gehen ... na ja, da habe ich zugesagt. Einfach nur, um zu sehen, wie er sich so verhält." Sie zog eine Augenbraue hoch. „Wie auch immer, ich habe vor, ihm sehr deutlich zu machen, dass ich nicht die Absicht habe, in sein Bett zu steigen." Sie seufzte. „Das wird ihn wohl davon überzeugen, mich zufrieden zu lassen." „Hört sich nach einem lustigen Abend an", meinte Amanda. „Zumindest lustiger, als Josh Larkland dazu zu zwingen, mehr aus seinen Verwandten herauszuholen." „Wie meinst du das?" „Lass uns realistisch sein, Brandy. Bestimmt bekomme ich Josh nicht zu mehr als ein, zwei Familienzusammenkünften. Und die Wahrscheinlichkeit, dass er ihnen dabei etwas über ihre Vorlieben aus der Nase zieht, ist gleich null. Wenn er es schafft, zu erfahren, wie alt sie sind und was sie beruflich treiben, werde ich überrascht sein." „Ich auch, aber mir war nicht bewusst, dass du ebenso denkst." „Das war auch vorher nicht so", sagte Amanda. „Ich dachte, ich müsste Josh einfach nur dazu bewegen, ein wenig mehr Zeit mit seiner Familie zu verbringen. Nun aber fange ich an, mich zu fragen, ob ich es überhaupt tun soll." „Ja?" Brandy sah sie erstaunt an. „Wie kommst du darauf?" „Ich war gestern Abend mit Marilla und ihrem Mann Tom auf einer Katzenschau." „Ach ja, Katzenschau." Brandy schnippte mit den Fingern. „Vielleicht hätte ich dich zuerst zu einer solchen Schau schicken sollen, bevor du in Joshs Büro gingst." Amanda ignorierte die ironische Bemerkung. „Marilla hat mir erzählt, als Josh noch ein Junge war, musste sie oft auf ihn aufpassen, wenn ihre Eltern in Urlaub fuhren. Und nun sieht sie ihn so gut wie nie." Sie sah Brandy mit fast verzweifeltem Blick an. „Bis jetzt haben mir alle seine Verwandten das Gleiche gesagt. Sie mögen ihn alle gern, aber er lässt sich einfach nicht bei ihnen blicken. Und jetzt, wo er eine Beziehung hat, hoffen sie so sehr, dass sie ihn von nun an öfters sehen." „Aber?" „Aber er hat keine solche Beziehung! Er hat mich angeheuert, und ich habe ihn mehr oder weniger erpresst, mehr Zeit mit seiner Familie zu verbringen. Wenn es nicht funktioniert, werden sie alle schrecklich enttäuscht sein, und ich werde mich schrecklich fühlen." Sie seufzte. „Ich weiß auch nicht, was in mich gefahren ist, dass ich überhaupt diesen Weihnachtselfenjob angenommen habe." Um fünf Uhr marschierte Mable in Joshs Büro - und blieb wie angewurzelt in der Tür stehen. „Was ist denn hier passiert?" fragte sie entgeistert. Josh schaute sich um. Seine Computer waren heruntergefahren, die Testgeräte weggestellt, und sein Schreibtisch war ordentlich aufgeräumt. „Nichts", sagte er. „Ich will gerade gehen." „Sie wollen gehen?" Mable runzelte die Stirn und warf einen Blick auf ihre Armbanduhr. „Aber es ist doch erst fünf Uhr." „Ich weiß", sagte Josh. „Ich muss aber schon gehen. Wir sind heute Abend bei Shelby, und sie wohnt Meilen von der Stadt entfernt. Vorher muss ich nach Haus fahren, mich umziehen und Amanda abholen. Und mir eine Straßenkarte besorgen." „Shelby?" wiederholte Mable. „Sie sprechen von Ihrer Schwester Shelby? Die, die
an der Universität eine Dozentenstelle hat?" „Ja ..." Er sah sie fragend an. Das also machte Shelby beruflich. Er hatte nur gewusst, es hatte etwas mit Kindern zu tun. Mable runzelte die Stirn. „Wissen Sie eigentlich, Josh, dass es das zweite Mal in einer Woche ist, dass Sie zu einer Familienveranstaltung gehen? Gibt es irgendetwas, was Sie mir nicht erzählt haben, oder versuchen Sie nur, einen persönlichen Weltrekord aufzustellen?" „Nein. Ich helfe Amanda ein wenig dabei... ein paar persönliche Dinge über Leute herauszufinden." „Ach so ..." Mables Mundwinkel zuckten verdächtig. „Das ist... anständig von Ihnen, Josh." Josh zog sich seine Jacke an. „Es sind meine Verwandten, Mable, und es sind eine ganze Menge. Da kann ich doch von Amanda nicht erwarten, dass sie sich ganz allein darum kümmert." „Stimmt", meinte Mable trocken. „Ich finde es klasse, dass Sie sich dafür opfern." Sie ging hinaus und schüttelte dabei den Kopf. Es ist eine rein geschäftliche Angelegenheit, sagte Amanda zu sich selbst. Dennoch, als sie ihre Haustür öffnete und Josh gegenüberstand, fiel es ihr schwer, sich weiterhin daran zu erinnern. Er stand im Eingang und musterte sie von Kopf bis Fuß. „Sie sehen nett aus", sagte er. „Sehr elfenhaft." Amanda wurde rot vor Freude über sein Kompliment. „Sie sehen auch nett aus." Er sah mehr als nur nett aus. Er sah zum Anbeißen aus in seinem langen braunen Parka, den er nicht zugeknöpft hatte, der dunklen Hose und dem weißgrauen Hemd unter dem dunkelblauen Pullover. „Das ist aber ein schicker Pullover." „Finden Sie?" Er zuckte mit den Achseln. „Ich glaube, meine Mutter hat ihn mir geschenkt. Oder eine meiner Schwestern. Oder vielleicht auch eine Tante." Mit offener Neugier schaute er sich in ihrer kleinen Wohnung um. „Also, es sieht hier genauso aus, als würden Elfen hier wohnen, abgesehen davon, dass die Türen normale Größen haben." Amanda warf einen Blick über die Schulter und besah sich den kleinen, quadratischen Wohnraum mit den alten Möbeln, die sie von ihrer Großmutter bekommen hatte. Ein kleiner dunkler Couchtisch aus Eiche, ein weiß-grün gestreiftes Sofa, der winzige Weihnachtsbaum in der einen Ecke. Der Couchtisch war mit Papieren übersät. „Eine unordentliche Elfe", bekannte Amanda. „Wir benutzen meine gesamte Wohnung als Büro, solange wir uns kein richtiges leisten können." Brandy kam aus der Küche. Sie zog sich gerade den Mantel an. Amanda stellte die beiden einander vor. „Dies ist meine Partnerin Brandy Bradford. Brandy, dies ist Josh Larkland." „Hi", sagte Josh. Er schenkte ihr ein charmantes Lächeln und schüttelte ihr die Hand. „Mandy und Brandy. Die Weihnachtselfen. Sie sehen sogar so aus." Brandy musterte ihn düster. „Es ist nicht höflich, Bemerkungen über die Größe von Personen zu machen. Und zu Ihrer Information - ich bin nicht klein. Ich bin eine vertikale Herausforderung!" Sie wandte sich zu Amanda um. „Vergiss nicht, du kannst sie nicht umkrempeln." Sie nickte Josh kühl zu und stürmte ins Wohnzimmer. Josh starrte hinter ihr her. „Habe ich irgendetwas Falsches gesagt?" „Kümmern Sie sich nicht um Brandy", gab Amanda ihm den Rat, als sie ihren Mantel aus dem Schrank holte. „Sie hat nur gerade ... einen schlechten Elfentag." „Oh ..." Josh half Amanda in den Mantel. „Ich hoffe, es ist nicht ansteckend. Sonst könnte es ein sehr langer Abend werden."
Wenn die Fahrt hinaus zu Shelby ein Hinweis war, dann würde es ein extrem langer Abend werden. „Sind Sie sicher, Sie wissen, wo sie wohnt?" fragte Amanda und lugte aus dem Fenster. Die Stadt lag schon ein ganzes Stück hinter ihnen, hier draußen gab es nicht viele Lichter, und Amanda wünschte sich langsam, sie hätte ein anderes Transportmittel gefunden. Und zwar nicht nur wegen der Fahrt. Im Dunkeln mit Josh im Wagen zu sitzen erinnerte sie nur zu sehr daran, wie attraktiv er war. So schaute sie weiterhin aus dem Fenster, um nicht sein Profil anzustarren, seine Hände, die das Steuerrad umklammerten, oder auf seine Schenkel, wenn sie sich beim Bremsen bewegten. „Natürlich weiß ich, wo sie wohnt", sagte Josh. „Ich bin doch schon hier gewesen." „Wirklich?" Amanda musterte sein Gesicht. „Wann war das denn?" „Ich .... So genau weiß ich das auch nicht mehr. Ich glaube, im Herbst. Oder war es im Frühling ...?" Er runzelte die Stirn. „Sehr wahrscheinlich im Frühling vor zwei Jahren", murmelte Amanda sarkastisch. Josh warf ihr einen Blick zu und zog die Stirn in Falten. „Machen Sie sich keine Sorgen. Sie gehen schon nicht verloren." Er streckte die Hand aus und strich ihr kurz übers Haar. „Der Himmel weiß, was Santa Claus mit mir anstellt, wenn ich eine seiner Elfen verliere." Wenn er nicht aufhört, mich zu berühren, weiß ich nicht, was ich gleich tue, dachte Amanda fast panisch. Allein schon das Gefühl seiner Hand auf ihr schickte sie an den Rand eines Schwindelanfalls. „Wohnen Sie mit Brandy zusammen?" erkundigte er sich nach einem Moment. „Nicht mehr", klärte ihn Amanda auf. „Wir sind seit langem Freundinnen. Als sie vor einigen Monaten mit ihrem Freund Schluss machte, zog sie für ein paar Monate zu mir. Aber nun hat sie wieder eine eigene Wohnung." „Ach so ...", meinte Josh. „Es war aber nett von Ihnen, ihr in dieser Situation zu helfen." „Sie ist meine Freundin", sagte Amanda schlicht. „Natürlich wollte ich ihr helfen. Dafür sind Freunde doch da." Sie machte eine kleine Pause und sagte betont: „Und auch die Familie." „Aber sicher", meinte Josh locker. „Und wo wir gerade von Familie sprechen, ich habe gehört, Sie waren gestern mit Marilla und Tom auf einer Katzenschau?" „Wo haben Sie das denn gehört?" „Der Familientratsch funktioniert sehr gut." Er sah zu ihr hinüber. „Und, haben Sie etwas mehr über sie herausgefunden?" „Eigentlich nur, dass sie Katzen sehr gern hat, eine mit dem Namen Fitzgerald besaß und dass sie Sie einschüchternd findet." „Einschüchternd? Mich?" Er lachte leise auf. „Also, so würde ich mich aber nicht einschätzen." Wieder sah er zu ihr hinüber. „Was meinen Sie damit, sie besaß einmal eine Katze mit dem Namen Fitzgerald?" „Es war ein Kater, und er bekam Lungenentzündung." „Fluffy hatte eine Lungenentzündung?" Er riss die Augen auf. „Arme Marilla. Es muss sie schwer getroffen haben." „Ich glaube, sie ist inzwischen darüber hinweg", meinte Amanda. „Schließlich war das im letzten Jahr." „Oh, das wusste ich nicht." Er runzelte die Stirn. „Ich weiß auch nicht, warum mir niemand solche Dinge erzählt." Er hielt vor einem enorm großen Haus, das wie aus dem Nichts aufgetaucht war. „O nein!" stöhnte er dann auf. Amanda schaute sich rasch um, konnte aber nichts Ungewöhnliches erkennen. „Ist es doch nicht das richtige Haus?"
„Doch, das Haus ist es schon." Josh sah sie an und verzog das Gesicht. „Mir ist gerade etwas eingefallen, was ich über Shelby weiß." „Was denn?" fragte Amanda gespannt. „Nun, zum einen ist sie Universitätsprofessorin ..." Er stellte den Motor aus und öffnete die Wagentür. „Und zum zweiten ist sie ... eine lausige Köchin." Leider hatte Josh Recht. Amanda stand in Shelbys Küche und besah sich das Kuchenblech, das Shelby gerade aus dem Backofen holte. „Das sind Krabbenkanapees", erklärte Shelby. „Sie sind nach einem von mir abgeänderten Rezept, das ich vor ein paar Jahren bekam, als ich in Tucson lebte. Ich fand nämlich heraus, dass ein bisschen Tabascosauce und ein paar scharfe Paprikaschoten ihnen erst das richtige Feuer geben." „Sie sehen ... interessant aus", sagte Amanda und fing an, die Kanapees auf einer Platte zu ordnen. „Ihr Haus gefällt mir wirklich, Shelby. Es ist wunderschön. Genau das Richtige, um Kinder großzuziehen." „Wir fühlen uns hier wohl", erwiderte Shelby. „Auch wenn die Fahrt hier hinaus manchmal ein wenig ermüdend ist. Manchmal kommt es mir vor, als hätte ich mein halbes Leben auf dem Highway verbracht." Sie machte eine Pause. „Wissen Sie, ich hatte schon ganz vergessen, dass Sie noch nie hier waren. Es kommt mir so vor, als würden Sie irgendwie zu uns gehören, wenn Sie verstehen, was ich meine." Amanda räusperte sich. „Also ... vielen Dank, aber ... eigentlich bin ich nicht..." „Und ich bin auch so froh darüber", fuhr Shelby fort. „Es ist schön, Josh wieder öfter zu sehen. Er scheint mehr oder weniger im Büro zu wohnen - zumindest nehme ich an, dass er dort ist", meinte sie trocken. „Meine Kinder haben schon vermutet, ihr Onkel Josh könnte Agent sein." „Agent?" „Ein Geheimagent", erklärte Shelby. „Sie meinen, ein Spion?" Amanda biss sich auf die Unterlippe. In der Branche würde er sich nicht länger als einen einzigen Tag halten können. Andererseits, als sie Josh vor einiger Zeit mit Gordon im Wohnraum zurückgelassen hatte, fing er gleich an, seinen Schwager auszuhorchen. „Also, Gordon", hörte sie ihn sagen, „erklär mir doch mal, was du so treibst." „Ja." Shelby schob ein neues Blech in den Ofen. „Natürlich auf unserer Seite." „Natürlich", sagte Amanda. „Ich weiß, es hört sich ein wenig hergeholt an. Aber alles könnte darauf hindeuten. Er ist nie da, niemand weiß genau, was er so treibt, und seine Familie bekommt wenig von ihm zu sehen." Sie fuchtelte mit der Hand herum, die in einem Backofenhandschuh steckte. „Und er benimmt sich auch noch wie ein Spion, oder?" Amanda konzentrierte sich auf die Servierplatte. „So ist es wohl..." „Eine Weile habe ich es sogar selbst geglaubt", fuhr Shelby fort. „Ich denke, ich wollte es einfach. Es war so viel besser als die Wahrheit." „Die Wahrheit?" „Sie wissen doch - dass er nicht sehr an uns interessiert ist." Amanda blickte über die Schulter in Shelbys ernstes Gesicht. „Ich bin sicher, er ist an Ihnen interessiert, Shelby." „Nein, nicht wirklich. Monate vergehen, in denen niemand etwas von ihm hört, und wir sehen ihn so selten. Ich glaube, bei Mimis Party haben wir ihn seit dem Sommer das erste Mal wieder gesehen. Und ich kann mich nicht mehr daran erin nern, wann er das letzte Mal hier draußen bei uns war. Heute hat er mich sogar nach dem Weg gefragt." Amanda kniff die Augen halb zusammen. „Das hat er tatsächlich gemacht?" „Ja, sicher. Und ich weiß nicht, wann ich zuletzt bei ihm zu Haus gewesen bin. Und ich habe keine Ahnung, was er so macht. Wenn ich ihn frage, erzählt er etwas
von Netzwerkdurchflussfaktor. Ich habe keine Ahnung, was das heißt." „Ich auch nicht", bekannte Amanda. „Aber Josh ist schon immer so gewesen", fuhr Shelby fort. „Selbst als er noch jung war, verstand ich zumeist nichts von dem, was er machte." „Wirklich?" Amanda versuchte sich Josh als Jungen vorzustellen und fand es ausgesprochen interessant. „Ja, wirklich. Immer hat er irgendwelche Leitungen miteinander verbunden, und zwar auf die erstaunlichste Weise. Einmal hat er das halbe Haus mit der Fernbedienung für den Fernseher verkabelt. Toast konnte ich danach nur noch machen, wenn ich den Fernseher anschaltete, und zwar den dritten Kanal!" Sie befasste sich mit dem Lachs. „Natürlich kann das alles wegen seines Vaters sein." Amanda konnte nun nicht mehr folgen. „Seines Vaters wegen?" „Ja. Er hatte einen Autounfall, wissen Sie." „Wie traurig", sagte Amanda. „Das wusste ich nicht." „Ich habe ihn natürlich nie kennen gelernt. Er starb, bevor Dad Edwina kennen lernte. Aber soweit ich weiß, trug er bleibende Schäden durch den Autounfall davon. Er konnte sich danach nur noch schwer bewegen." Amanda war noch dabei, diese Neuigkeit zu verarbeiten, da kam Josh in den Raum geschlendert. „Gordon hat mir euren Computer gezeigt", erklärte er. „Ich habe den Speicher neu konfiguriert, die verlorenen Cluster auf der Festplatte repariert und euren Drucker zum Laufen gebracht." Shelby starrte ihn an. „Das hast du alles gemacht? Ein halbes Jahr lang hat es nicht funktioniert." „Das hat Gordon auch gesagt." Josh schüttelte den Kopf. „Ihr hättet es schon längst reparieren sollen, Shel. Schwierig war es nicht." „Ich habe davon nicht die blasseste Ahnung. Und Gordon auch nicht." „Ja, aber ich." Josh wusch sich im Waschbecken die Druckertinte von den Fingern. „Ich weiß auch nicht, warum die Leute mich nicht anrufen, wenn sie solche Probleme haben." „Ich ... wollte dich nicht damit belästigen", stammelte Shelby. „Du hast immer so viel zu tun und ..." „Du bist meine Schwester, Shelby", sagte Josh geduldig. „Ich habe nie so viel zu tun, dass ich dir nicht helfen könnte. Schließlich ist die Familie dafür da." Amanda und er sahen sich über Shelbys Kopf hinweg an, und er lächelte schlau, bevor er auf das Backblech mit den Kanapees in ihrer Hand schaute. Seine Augen wurden groß, und er räusperte sich. „Also ... es war wirklich nett bei euch, aber ... so langsam müs sen wir wieder los." „Aber es ist doch erst zehn Uhr", protestierte Shelby. „Und ihr habt so gut wie nichts gegessen. Ich ..." „Ich weiß", sagte Josh. „Aber wir müssen nach Haus. Amanda hat Kopfschmerzen." „Ach, die Arme ..." Shelby sah hinüber zu Amanda. „Sie hat gar nichts davon gesagt." „Mir auch nicht", sagte Josh. Er legte den Arm um Amanda. „Aber ich brauche sie nur anzusehen, und schon weiß ich, es geht ihr nicht gut." „Sie brauchen mich nur anzusehen, und schon wissen Sie, es geht mir nicht gut?" wiederholte Amanda ungläubig. Sie biss in ihren Hamburger und sah Josh mit gerunzelter Stirn an. „Ich kann es kaum fassen, dass Sie so etwas gesagt haben." Josh sah sie mit amüsiertem Blick an. „Wenn wir als Pärchen zusammen irgendwohin gehen, müssen wir doch ein paar Dinge voneinander wissen, oder? Außerdem hatte ich Hunger bekommen ... und das Zeugs dort wollte ich auf keinen
Fall essen. Habe ich es mir nur eingebildet, oder war in allem Fisch, was sie serviert hat?" „Shelby hat gesagt, Fisch ist gut fürs Denkvermögen." „Das kommt bestimmt auf die Verarbeitung an." Josh legte den Hamburger auf den Teller und trank einen Schluck Cola. Er hatte bei dem ersten Fast-Food-Restaurant angehalten und behauptet, er würde gleich sterben, wenn er nicht endlich etwas zu essen bekäme. „Shelby sollte zu Weihnachten ein Kochbuch geschenkt bekommen." „Das können wir nicht machen!" „Warum denn nicht?" fragte Josh. „Ist das nicht etwas Persönliches?" Amanda zögerte. „Es ist sogar ein wenig zu persönlich." „Oh." Josh überlegte kurz. „Wie wäre es dann, wenn wir es Gordon schenken?" „Nein, in Gordons Fall wäre es wieder zu wenig persönlich." „Mann, ist das kompliziert", beklagte sich Josh. „Plüschkaninchen sind persönlich, Kochbücher zu persönlich oder auch nicht persönlich genug. Wer gibt eigentlich die Regeln für solche Sachen vor?" „Niemand", erwiderte Amanda. „Jeder kennt sie eben." „Ich nicht", sagte Josh. Er lächelte sie an. „Wie gut, dass ich Sie dabeihabe." Amanda senkte den Blick. Wag es ja nicht, mir auf diese Tour zu kommen, Josh Larkland, dachte sie. Es könnte nämlich sein, dass ich darauf hereinfalle ... Und sie wusste, wie es enden würde. Sie würde sich in ihn verknallen, und er würde gar nicht begreifen, was geschehen war. „Shelby könnte gut einen neuen Computer gebrauchen", sagte Josh nach einem Moment. „Ich weiß auch nicht, warum sie nicht angerufen hat, damit ich ihr das System in Ordnung bringe." „Möglicherweise hat sie gedacht, ihre Probleme interessierten Sie nicht", meinte sie offen. Josh sah sie schockiert an. „Aber natürlich interessiert es mich, was sie macht! Sie ist schließlich meine Schwester." „Vielleicht weiß sie das nicht. Für mich hörte es sich so an, als würden Sie sich nicht oft sehen." Josh schlug die Augen nieder. „Manchmal sehen wir uns doch. Aber ... ich habe sehr viel zu tun." Er schwieg einen Moment lang. „Wissen Sie, was ich Shelby gern schenken würde? Eine Festplatte mit zwanzig Gigabyte Speicher, ein paar zusätzliche RAM-Speicher und ein schnelles Faxmodem. Würde das etwas Persönliches sein?" „Das hängt davon ab", sagte Amanda. „Aber ich muss gestehen, ich "habe kein Wort von allem verstanden, was Sie gesagt haben." „Das sind Sachen, damit Shelbys Computer wieder einigermaßen auf dem Stand der Zeit ist." Er lehnte sich auf seinem Stuhl zurück. „Gordon hat mir erzählt, dass Shelby viel Zeit damit verbringt, abends zur Universität zurückzufahren, um dort das Internet zu benutzen. Mit einer besseren Ausstattung kann sie das dann alles von zu Haus aus erledigen. Ich würde sogar zu ihr hinausfahren und alles einbauen und installieren - aber nur in der Zeit zwischen Mittagessen und Abendessen!" „Dazu wären Sie wirklich bereit?" „Aber natürlich. Sie ist doch meine Schwester, Amanda. Ich möchte ihr gern helfen." „Also, in dem Fall würde ich sagen, es wäre etwas sehr Persönliches. Und gut überlegt." „Finden Sie?" Josh wirkte erfreut und überrascht zugleich. „Vielleicht habe ich den Dreh allmählich raus." Amanda sah ihm zu, wie er heißhungrig in seinen Hamburger biss, und bekam unwillkürlich Herzklopfen. Als Josh später vor ihrem Apartmenthaus anhielt, den Motor abstellte und
aussteigen wollte, legte sie ihm die Hand auf dem Arm, um ihn davon abzuhalten. „Danke, dass Sie mich mitgenommen haben", sagte sie. „Aber Sie müssen nicht noch mit aussteigen." Er drehte ihr das Gesicht zu und sah sie verwundert an. „Es handelt sich hier um eine rein geschäftliche Angelegenheit, Josh", erinnerte sie ihn. „Und ich denke, wir sollten es dabei belassen." Als Mable am nächsten Morgen in Joshs Büro kam, saß er tief in Gedanken versunken da. „Na, wie war gestern Abend die Party?" erkundigte sie sich. „Nicht schlecht", sagte Josh. „Haben Sie ... etwas Persönliches über jeden Ihrer Verwandten herausfinden können?" „Ja", erklärte Josh. „Shelby kocht gern Gerichte mit Fisch, hat keine Ahnung von Computern, und Fluffy hatte Lungenentzündung." „Also ... das ist immerhin etwas", meinte Mable. Sie war schon auf dem Weg hinaus, da rief Josh sie zurück. „Sagen Sie mir eins, Mable - halten Sie mich für einschüchternd?" „Einschüchternd?" Mable drehte sich herum und lachte auf. „Nein, das gewiss nicht. Widerborstig vielleicht. Anmaßend. Manchmal streitlustig. Intelligent, sicher, aber ..." Josh starrte sie düster an. „Ich habe nicht um eine Kritik meiner Person gebeten. Meine Frage war, ob ich einschüchternd bin." „In dem Fall lautet die Antwort: nein", erwiderte sie. „Ich halte Sie nicht für sonderlich einschüchternd." Sie sah ihn neugierig an. „Warum fragen Sie?" „Marilla hat Amanda erzählt, dass sie mich einschüchternd findet." „Mm." Mable sah ihn an. „Ich würde sagen, Marilla kennt Sie nicht sehr gut." „Genau das habe ich auch gedacht", murmelte Josh. Er sah Mable hinterher, als sie hinausging. Dann stand er auf und ging hinüber ans Fenster. Gestern Abend hatte er ein paar persönliche Dinge herausgefunden, die meisten aber über sich selbst. Zum einen hatte er nicht erwartet, dass Amanda praktisch aus seinem Wagen sprang, als er sie nach Haus brachte - nachdem sie ihm kühl erklärte, sie sollten ihre Beziehung weiterhin strikt geschäftlich halten. Und ihm war nicht bewusst gewe sen, wie sehr er damit gerechnet hatte, noch einen ihrer aufreizenden Küsse zu bekommen. Aber jetzt, wo er darüber nachdachte, musste er Amanda fast Recht geben. Sie sollten ihre Beziehung wirklich strikt geschäftlich halten. Denn wenn sie es nicht so hielten, bestand die Gefahr, dass sich eine Art Beziehung entwickelte, die er nicht wollte. Er wusste aus eigener Erfahrung, wie sie enden würde. Wenn er mit einer Frau ein paar Mal ausging, erwartete sie sehr schnell, dass er jeden Abend mit ihr loszog, und wurde sauer, wenn er es nicht tat. Er wollte nicht, dass es mit Amanda ebenso lief. Sie war seine Weihnachtselfe, und mehr sollte sie auch nicht für ihn sein. Rasch schob er den nagenden Verdacht beiseite, dass er vielleicht doch nicht so ganz aufrichtig gegen sich selbst war, und konzentrierte sich auf seine Familie. Eine Zeit lang hatte sie sich beschwert, dass sie ihn so selten sah. Er hatte gedacht, sie würde übertreiben, aber allmählich fing er an, sich zu fragen, ob sie nicht Recht hatte. Er konnte sich nicht daran erinnern, wann er das letzte Mal bei Shelby gewesen war. Er hatte nicht einmal gewusst, dass sie einen Computer besaß, noch viel weniger, dass sie Hilfe dabei brauchte. Und sie hatte ihn deswegen auch nicht angerufen. Marilla fand ihn einschüchternd und hatte ihm nicht erzählt, dass Fluffy Lungenentzündung gehabt hatte.
Vielleicht hatte er doch ein wenig den Kontakt zu seinen Verwandten verloren. Aber habe ich nicht auch einen guten Grund dafür? dachte er plötzlich gereizt. Er hatte doch so viel zu tun! Es war doch nicht so, dass sie ihn nicht interessierten oder sie ihm egal wären. Es war einfach ... er hatte zu tun. Aber heute Abend doch nicht, oder? Er überprüfte seinen Terminkalender, dann griff er zum Telefon. Vielleicht war es nicht schlecht, weitere Familienangehörige zu besuchen. Dann könnte er vielleicht noch mehr erfahren. Inzwischen war er sogar fast neugierig, von Dingen zu erfahren, die ihm bisher niemand erzählt hatte. „Wie lief es denn gestern Abend mit Harvy?" wollte Amanda von Brandy wissen. Beide Frauen hatten es sich an jeweils einem Ende von Amandas Couch gemütlich gemacht. „Er hat doch nicht wieder versucht, dich anzumachen, oder?" „Nein, das hat er nicht." Brandy wirkte verwundert. „Er hat sich sogar wie ein echter Gentleman benommen. Ich habe ihm rundheraus gesagt, dass ich nicht mit ihm schlafe, und er schien ... erleichtert." Brandy massierte sich den Nacken, als würde er schmerzen. „Erleichtert?" „Ja", sagte Brandy. „Dann haben wir ein paar Gläser getrunken ... wir unterhielten uns ... und er brachte mich nach Haus. Nicht einmal versucht hat er, mich zu küssen!" „Siehst du", erklärte Amanda. „Vielleicht hast du dich doch in ihm geirrt." „Vielleicht." Brandy schien nicht überzeugt. „Oder er hat einfach nur eine neue Technik an mir probiert." Wieder rieb sie sich den Nacken und sah Amanda mit durchdringendem Blick an. „Wie war denn dein Date?" „Es war kein Date", erwiderte Amanda viel zu schnell. „Es war eine geschäftliche Angelegenheit. Und es lief viel besser, als ich erwartet hatte. Josh hat einiges über Shelby in Erfahrung bringen können." „Ihr Alter und ihren Beruf?" ulkte Brandy. „Nein. Beides hat er bereits gewusst." Amanda erzählte ihr von Shelbys Computerproblemen und von seiner Geschenkidee. „Also, ich finde das großartig, muss ich sagen. Und es ist genau das, was Shelby gebrauchen kann." „Es ist immerhin etwas", musste Brandy eingestehen, wenn auch ungern. „Es ist mehr als nur das", beharrte Amanda. „Er scheint sich wirklich für Shelby zu interessieren, Brandy. Sie scheint ihm wichtig zu sein. Nicht nur das, sondern er rief heute Morgen an und erklärte, er würde gern weitere Familienangehörige besu chen - um mehr über sie zu erfahren." Sie lächelte. „Aber dann hat er mich gebeten, für ihn herauszufinden, was es bei ihnen normalerweise zu essen gibt, bevor ich ihnen sage, dass wir kommen." „Ihr?" betonte Brandy und hob eine Augenbraue. „Du meinst, du willst nochmals mit ihm ausgehen?" „Ich muss es", erklärte Amanda. „Schließlich gelten wir doch für die anderen als Paar." Sie fing Brandys skeptischen Blick auf und seufzte. „Es ist wirklich eine strikt geschäftliche Angelegenheit, Brandy." „Weiß Josh das auch?" „Ja, er weiß es", gab Amanda möglichst leichthin zurück. „Ich habe es ihm gestern Abend sehr deutlich gemacht." Und doch empfand sie Bedauern bei der Erinnerung daran. Zu gern hätte sie sich noch einmal von ihm küssen lassen. „Und was ist mit dir?" fragte Brandy. „Vergisst du keinen Moment, dass es eine strikt geschäftliche Angelegenheit ist?" „Natürlich nicht." Aber Amandas Stimme bebte leise. Sie warf einen schnellen Blick hinüber zu Brandy. Brandy schien nicht überzeugt zu sein. Meine Beziehung zu Josh ist aber doch strikt geschäftlich, versuchte Amanda sich einzureden. Aber
warum bebte dann jedes Mal ihre Stimme, wenn sie seinen Namen aussprach, und warum musste sie immer und immer wieder an seinen Kuss denken?
7. KAPITEL „Wir wollen mal sehen ...", sagte Amanda. Sie saß in Joshs Büro, ihren Kalender auf dem Schoß, zusammen mit ihrer Liste. „Wir haben Franks und Louises Party, Tante Francines Einladung und dann das Grillfest Ihrer Cousine Glenda ..." Sie machte eine Pause. „Veranstaltet Ihre Cousine wirklich ein Grillfest im Dezember?" Josh zuckte mit den Schultern. „Das müssen wir herausfinden. Fahren Sie fort." „Okay." Amanda schaute wieder auf ihren Terminkalender. „Dann hat Ihre Mutter ein paar Gäste zu Besuch, Und wir sind bei den Hemps zu einem Glas Wein eingeladen. Und dann ist da ja auch noch Hank Turnbulls zwanglose Hausparty. Sie sagten, Sie wollten auch dorthin." „Das stimmt." Josh sah sie hoffnungsvoll an. „Sie wissen nicht zufällig, was sie ..." „Nein, das weiß ich nicht zufällig", unterbrach ihn Amanda. „Noch habe ich keine höfliche Weise gefunden, ihnen zu sagen, ich käme gern zu ihrer Party, wenn sie mir vorher sagten, was es zu essen gäbe - und es dürfte auf keinen Fall Fisch sein." „Zu schade." Josh lehnte sich in seinem Schreibtischsessel zurück. „Sie könnten sie nicht einfach danach fragen, oder?" „Absolut nicht", erklärte Amanda mit fester Stimme. „Das wäre wirklich äußerst rüde." „Aber wieso denn? Gibt es denn keine rüden Elfen auf der Welt?" „Keine einzige", sagte Amanda. „Wir sind ein sehr höflicher Haufen." „Verdammt!" fluchte Josh unterdrückt, und er sah dabei wieder so süß aus, dass Amanda vergaß, wobei es eigentlich bei ihrer Unterhaltung ging. Erst ein schneller Blick auf ihre Unterlagen half ihr weiter. Das war kein neues Problem. Es passierte ihr jedes Mal, wenn sie mit Josh zusammen war, und es war ganz allein ihre eigene Schuld. Sie hatte es schaffen wollen, dass er sich wieder seiner Familie zuwandte. Nun, das war inzwischen der Fall, und er nahm sie dabei mit. Josh hatte wirklich Recht, als er behauptete, fix zu sein, wenn er sich erst einmal zu etwas entschlossen hatte. Er hatte sich anscheinend entschlossen, mehr über seine Verwandten herauszufinden. Und nun konnte ihn nichts mehr davon abhalten, seinen Entschluss in die Tat umzusetzen, wie es schien. Seit dem Besuch bei seiner Schwester Shelby waren sie inzwischen bei seiner Tante Sofia gewesen. Dort hatte er herausgefunden, dass sie Frank Sinatra liebte. Anschließend waren sie bei Judith gewesen, wo sie fast den ganzen Abend damit verbracht hatten, alte Familienfotos anzusehen und über Bäder zu sprechen. Und sogar bei Marilla waren sie auf ein Glas vorbeigefahren. Josh hatte ihr einen Blumenstrauß mitgebracht. „Das mit Fluffy tut mir wirklich Leid", hatte er gesagt, als er ihr die Blumen gab. Den Rest des Abends hatte er sich große Mühe gegeben, nicht einschüchternd zu wirken. Und Amanda gab sich alle Mühe, dass ihre Beziehung zu Josh strikt geschäftlich blieb, aber das erwies sich als schwierig. Josh war schwierig. Er rief drei oder vier Mal am Tag an, um ihre Termine abzusprechen, und er bestand darauf, sie zu jeder gesellschaftlichen Veranstaltung mitzuschleppen. „Wir sind für die anderen ein Paar", erinnerte er sie jedes Mal, wenn sie Einwände brachte. „Das heißt, wir tauchen zusammen auf." Manchmal hatte Amanda den Eindruck, er tat es, weil er mit ihr zusammen sein wollte, auch wenn ihr Verstand ihr sagte, er wollte es, damit sie zusammen als Paar gesehen wurden. Und weil er der Meinung war, es gehörte zu ihrem Job. Und er benutzte sie oft als Ausrede, wenn er genug hatte. „Wir müssen jetzt gehen", sagte er dann. „Amanda muss morgen früh arbeiten." Nur für sie bestimmt, fügte er dann leise hinzu: „Elfen
brauchen viel Schlaf." „Wir müssen nicht zu jeder Party und jeder Einladung gehen", meinte sie. „Ein paar könnten wir ruhig auslassen." „Weihnachten ist nicht mehr so weit entfernt ... und wir müssen noch eine ganze Menge Leute besuchen ... meine Mutter eingeschlossen." Er zog die Augenbrauen zusammen. „Ich nehme an, Sie haben bislang noch keine Idee, was wir ihr schenken?" „Im Gegenteil, ich hatte schon eine Menge Ideen für sie", widersprach ihm Amanda. „Aber bislang hat keine einzige Ihnen gefallen." „Ich habe sie einfach nur nicht verstanden. Wieso kann eine Uhr etwas Persönliches sein? Jedermann besitzt eine. Für mich ist es das Gleiche, wie jemandem Parfüm zu schenken." „Das ist es nicht, aber ..." „Und die Spaghettimaschine?" Er runzelte die Stirn und sah sie an. „Ich wusste nicht einmal, was eine Spaghettimaschine ist, bis Sie es mir erklärten. Wenn ich eine sprachgesteuerte bauen würde, dann vielleicht, aber so ..." „Vergessen Sie die Spaghettimaschine", sagte Amanda schnell. „Ich bin sicher, uns fällt noch etwas anderes ein." Sie machte eine kurze Pause. „Wir müssen auch nicht beide zusammen einkaufen gehen. Sie sind allmählich darin wirklich gut. Ich bin sicher, wenn Sie allein gehen ..." „Nein!" unterbrach Josh sie mit störrischem Ausdruck auf dem Gesicht. „Sie sind die Weihnachtselfe. Wenn ich gehe, kommen Sie mit. Außerdem macht es mir mehr Spaß, wenn Sie dabei sind. Fast sogar richtigen Spaß ..." Er sah so aus, als wäre er selbst darüber erstaunt, und Amandas Herz schlug auf einmal schneller. Doch es beruhigte sich sehr schnell wieder, als er nun sagte: „Und ich habe immer eine gute Ausrede, wenn ich gehen möchte." „Aber warnen Sie mich vorher, welche Ausrede Sie benutzen möchten", warnte ihn Amanda. „Das letzte Mal haben Sie behauptet, mir ginge es nicht gut. Als dann am anderen Morgen alle anriefen, um sich zu erkundigen, ob es mir besser ginge, hatte ich überhaupt keine Ahnung, wovon sie sprachen." Besonders unangenehm war es ihr bei Tante Judith gewesen, die dezent andeutete, Amanda sei schwanger. Amanda hatte es natürlich sofort entschieden abgestritten, da sie fürchtete, Josh könne es bestätigen, nur um seine Familie glücklich zu sehen! Und dann würde er in neun Monaten von ihr verlangen, einen Nachkommen hervorzuzaubern. Bei dieser Vorstellung musste sie lächeln, wurde dann aber umgehend wieder ernst. In neun Monaten würde sie Joshs Familie gar nicht mehr sehen. Nicht einmal mehr nach zwei Wochen. Am Heiligabend wäre ihre gemeinsame Aufgabe erledigt. Ein Frösteln überlief sie unerwartet bei dieser Aussicht. Sie blätterte die nächste Seite in ihrem Notizbuch um und wandte ihre Aufmerksamkeit wieder dem Geschäftlichen zu. „In Ordnung. Wir gehen zusammen. Und nun lassen Sie uns über die Weihnachtsfeier sprechen. Ich habe ein Streichorchester organisiert, dazu einen Klavierspieler ..." „Einen Klavierspieler?" Josh starrte sie in gespieltem Entsetzen an. „O nein! Sagen Sie mir nicht, wir müssen etwa auch noch ... singen?" „Da sind die Internethandel-Messe, die Ausstellung über Visuelle Techniken und die Firmenpräsente für die Firma Dawson", berichtete Brandy Amanda später am Nachmittag, als sie eine Pizza herunterschlangen, die sie sich aus einer Piz-zeria geholt hatten. „Ich habe nur noch eine Frage. Wie können wir uns beide klonen?" sagte sie und grinste dabei zufrieden. „Das ist eine gute Frage", stimmte Amanda ihr zu. Überall in ihrer Wohnung stapelten sich Kartons mit Firmengeschenken. Papierstapel häuften sich in jeder Ecke. „Oder noch besser: Wie klonen wir dieses Apartment?" Sie lehnte sich auf
dem Stuhl zurück. „Es ist wahnsinnig. Noch vor ein paar Wochen haben wir uns nach Aufträgen gesehnt. Und nun haben wir fast zu viele davon." „Dank dir, Amanda", sagte Brandy und wischte sich mit einer Serviette die Soße von den Fingern, ehe sie wieder zu ihrer Aufgabenliste griff. „Jeder auf der Liste, die du von Josh erhalten hast, hat uns einen Auftrag gegeben." Sie sah Amanda an. „Weißt du, Amanda, ich habe mich doch wohl in seinem Charakter geirrt. Er hat uns richtig ins Geschäft gebracht. Er bezahlt pünktlich seine Rechnung. Und so wie es aussieht, hat er auch wieder Kontakt zu seiner Familie gefunden." „Das stimmt", gab ihr Amanda Recht. „Er besucht sie regelmäßig. Und er hat wirklich wundervolle Geschenke für sie. Das Computerzubehör für Shelby ist genau das Richtige, denn sie brauchte es wirklich für ihre Arbeit. Und natürlich hat er ihr auch noch ein paar Programme mit Rezepten geschenkt..." Sie lächelte bei der Erinnerung an den Abend bei Shelby. Seinem Onkel Reg hatte er eine Angelausrüstung gekauft, weil er sich erinnerte, dass sein Onkel ihn als Kind zum Angeln mitgenommen hatte. „Allerdings hatte er auch ein paar ziemlich schrille Vorschläge, muss ich sagen", fuhr sie fort. „Seiner Tante Sofia wollte er ein paar Dosen mit Farbspray kaufen, weil er die Farbgebung in ihrem Haus schrecklich fand." Amanda überlief ein Schauer. „Mir haben die Farben auch nicht gefallen, muss ich gestehen. Du hättest sie sehen sollen. Alles war in Kirschrot gehalten, selbst das Klopapier. Das war allerdings ein Geschenk von Tante Judith, wenn ich mich recht erinnere." Sie machte eine Pause und schaute auf die Unterlagen, die vor ihr ausgebreitet lagen. „Das Dumme an der ganzen Angelegenheit ist nur, die meiste Arbeit bleibt an dir hängen. Ich habe ... zu viel zu tun." „Da hast Recht. Du bist ja fast jeden Abend mit dem Burschen unterwegs." „Das sind alles nur geschäftliche Veranstaltungen für mich", erinnerte sie Amanda. „Das sind Veranstaltungen der Familie Larkland", berichtigte Brandy sie. Sie runzelte die Stirn. „Und ich muss sagen, es gibt wirklich eine Menge davon. Wie können dieselben Leute nur zu so vielen Partys gehen?" „Es sind nicht dieselben Leute", erklärte ihr Amanda. „Shelby hat mir alles erklärt. Jeder lädt Freunde und deren Familie zu sich ein. Aber nicht jeder geht überallhin - auch wenn Josh sich alle Mühe gibt, es zu schaffen." Sie musste an seine Augen denken und an seine Hand auf ihrer Schulter und beschloss, über jemand anderen zu reden. „Wie steht es denn mit dir und Harvy Denton? Du scheinst oft mit ihm zusammen zu sein." „Nun ja, das stimmt schon ..." Brandy lächelte. „Wenn man ihn erst einmal etwas besser kennt, ist er ein wirklich interessanter Mensch." Sie verzog das Gesicht. „Obwohl ich sagen muss, allmählich wundere ich mich doch über ihn." „Warum das denn?" „Nun ... wir gehen immer nur essen - und das ist alles." Amanda fand das nicht merkwürdig. Auch mit Josh war sie essen gewesen, auf seinen Vorschlag hin. „Wir beide müssen essen. Und mit leerem Magen gehe ich nirgendwo mehr hin", hatte er gesagt. Sie hatten es sich auch angewöhnt, noch irgendwo einen Kaffee zu trinken, wenn sie von seiner Familie kamen. Zuerst nur, um sich über Geschenkideen auszutauschen - und weil Josh selten einmal das mochte, was es zu essen gab. Aber irgendwann fingen sie dann an, über andere Dinge zu reden. Josh erzählte ihr von seiner Arbeit und seinen Zukunftsplänen. Manchmal verstand Amanda nicht, wovon er sprach, aber sie mochte das begeisterte Funkeln in seinen Augen, wenn er es erklärte. Er mochte nicht viel vom wirklichen Leben wissen, aber was seine Arbeit betraf, war er unglaublich beschlagen.
„Das hört sich nett an", beantwortete sie nun Brandys Bemerkung. „Es ist auch nett", sagte Brandy. „Aber findest du es nicht ein wenig ... merkwürdig?" „Wieso ist es merkwürdig, essen zu gehen?" „Wenn es nur dabei bleibt?" „Was meinst du?" Amanda begriff immer noch nicht. „Ich meine, Harvy hat es nicht ein einziges Mal bei mir probiert. Wir unterhalten uns nur immer." Sie wirkte so perplex, dass Amanda lächeln musste. „Ich dachte, du wolltest nicht, dass er dich noch einmal anmacht?" „So war es auch", bekannte Brandy. „Aber langsam gewöhne ich mich an den Gedanken, mich mit ihm einzulassen." Ein träumerischer Ausdruck glitt über ihr Gesicht. „Er scheint überhaupt kein solches Ekel zu sein, wie ich anfangs immer gedacht hatte. Er ist höflich und nett... und behandelt mich besser als jeder andere Mann zuvor. Ich bin mir nur nicht sicher, ob ich ihn wirklich interessiere." „Da bin ich mir ganz sicher." „Ich nicht. Es ist wirklich ein wenig seltsam. Letzte Woche noch fällt er in seinem Büro über mich her. Seitdem war ich drei Mal mit ihm aus, und er hat gerade mal meinen Arm gehalten, als wir die Straße überquerten." Sie verzog das Gesicht. „Richtiger gesagt, ich nahm seinen Arm, als wir die Straße überquerten. Ich dachte, er geht mit mir aus, um mich milder zu stimmen für einen neuen Versuch, aber bislang ist in dieser Hinsicht nichts zu sehen." Sie seufzte. „Was ist mit dir? Hat sich Josh schon an dich herangemacht?" „Ich denke, er weiß gar nicht, was das ist", sagte Amanda. Sie dachte an den schon so lange zurückliegenden Kuss und änderte wieder ihre Meinung. „Okay, er wird wohl schon wissen, wie man es macht. Aber ich bin sicher, er hält sich bei mir zurück." Er behandelte sie mit der gleichen herzlichen Art, wie er Mable behandelte. Sicher, er hatte ihr schon den Arm um die Schultern gelegt oder ihre Hand genommen - aber immer nur, wenn sie unter Leuten waren. „Er behandelt mich in der gleichen Art wie seine Sekretärin", erzählte sie Brandy. Brandy schnaubte abfällig. „Ich habe seine Sekretärin gesehen, Amanda. Ich bezweifle, dass er mit ihr ausgeht." „Er geht nicht mit mir aus", erinnerte Amanda sie. „Du gehst praktisch jeden Abend mit ihm aus." „Aber das sind keine Dates", bestand Amanda auf ihrer Ansicht. Auch wenn es ihr manchmal doch so vorkam ... abgesehen vom Ende des Abends. Und genauso wollte sie es auch. „Wir ... tun nur so, als hätten wir etwas miteinander." „Hast du dir eigentlich mal ernsthaft überlegt, dich mit ihm einzulassen?" „Absolut nicht", erklärte Amanda fest. Sicher, es gab Momente, wo sie sich lustvollen Gedanken mit Josh hingab, aber sie hatte nicht die Absicht, sie Wirklichkeit werden zu lassen. „Ich versuche nur, unsere Weihnachtsgeschenkliste abzuarbeiten." Und wenn das geschehen war, würde sie ihn nicht mehr sehen. Ein deprimierender Gedanke. „Eure Weihnachtsgeschenkliste?" fragte Brandy und runzelte die Stirn. „Joshs Weihnachtsgeschenkliste", sagte Amanda rasch. „Sobald sie erledigt ist, habe ich auch nicht mehr so viel zu tun. Dann habe ich reichlich mehr Zeit." Sie blickte sich nochmals in ihrer Wohnung um und zwang sich zu einem munteren Ton. „Was nur gut ist, angesichts der Arbeit, die wir hier liegen haben." „Stimmt", sagte Brandy. „Vielleicht sollten wir aber bis dahin bei einer Zeitarbeitsvermittlung anrufen und sehen, ob wir jemanden finden, der uns ein wenig unterstützt." „Das ist eine großartige Idee", stimmte Amanda ihr zu. „Wir Weihnachtselfen brauchen eine Menge Helfer, wie du weißt."
Falls Amanda jemals daran gedacht hatte, etwas mit Josh zu beginnen, dann änderte sie ihre Meinung, nachdem sie bei Hank Turnbull gewesen war. Es war die erste Einladung von jemandem, der nicht zur Familie gehörte, und Amanda war ungewöhnlich nervös gewesen. Drei Mal zog sie sich um und entschied sich schließlich für einen dunkelgrünen Rock, einen dazu passenden Blazer und eine weiße Bluse. „Ist das in Ordnung?" erkundigte sie sich, als Josh kam, um sie abzuholen. „Es sieht gut aus", versicherte er ihr. „Sehr elfenhaft." „Das beruhigt mich überhaupt nicht", beschwerte sie sich, als er ihr in den Mantel half. „Sie sollten ein wenig aufpassen, was die Leute zu solchen Einladungen tragen - damit Sie es später wissen, wenn Sie mit einer Frau dorthin gehen." Josh tat ihren Rat mit einem Achselzucken ab. „Gewöhnlich nehme ich zu solchen Einladungen keine Frauen mit. Und ich bin sicher, es spielt keine Rolle, was Sie anhaben. Schließlich sind es ja keine Verwandten von mir, vergessen? Es sind bloß Geschäftsfreunde." Er grinste vergnügt. „Wir müssen nicht einmal persönliche Dinge über sie herausfinden. Wir dürfen uns einfach nur entspannen." „Sie vielleicht", murmelte Amanda. „Aber ich kann mir vorstellen, sie sind neugierig auf mich." Sie hatte Recht. Hank Turnbull und seine Frau waren charmante Menschen, und der Rest der Gäste war ebenso nett. Aber ihre Fragen verrieten, wie gern sie Details über ihre Beziehung zu Josh herausbekommen wollten. Nachdem sie eine Reihe Fragen beantwortet hatte, gelang es Amanda, eine stille Ecke zu finden. Einen Moment lang stand sie da, nippte an ihrem Glas und genoss die Ruhe, doch dann schlenderte eine hoch gewachsene Brünette auf sie zu. Amanda erinnerte sich, dass man sie ihr als Susan Smyth vorgestellt hatte. „Ich muss gestehen, ich bin wirklich neugierig auf Sie", vertraute sie Amanda an. „Ich wollte unbedingt die Frau kennen lernen, die es geschafft hat, Josh Larklands Aufmerksamkeit auf sich zu lenken." Sie lächelte freundlich. „Wie haben Sie es gemacht? Ihm mit dem Vorschlaghammer eins über den Schädel gezogen?" „Nicht ganz so", murmelte Amanda. Sie schaute hinüber zu Josh, der auf der anderen Seite des Raums stand. „Obwohl ich manchmal mit dem Gedanken spiele ..." „Ich weiß, was Sie meinen." Susan lugte über Amandas Schulter. „Ich ... wir sind ein paar Mal zusammen ausgegangen, wissen Sie", plauderte Susan weiter. „Und ich musste ihn fast dazu zwingen, bevor er sich bequemte." Sie sah Amanda mit offener Neugier an. „Ist Ihnen das auch so ergangen?" „Nicht ganz so", murmelte Amanda. Sie hatte Josh erpressen müssen, damit er mit ihr ausging ... und jetzt war er derjenige, der sie ständig drängte. „Und nie hat er von sich aus angerufen", fuhr Susan fort. „Ich meine ... wirklich niemals. Immer habe ich ihn angerufen." „Tatsächlich?" Amanda betrachtete Susans perfekte Figur. Himmel, was hatte sie für einen wundervollen Busen. Und Josh ... hatte vergessen, sie anzurufen? Sie trank noch einen Schluck, mehr denn je davon überzeugt, sich mit Josh Larkland einzulassen war eine ausgesprochen schlechte Idee. Auch wenn Amanda nur so tat, als wäre sie mit Josh liiert, entdeckte sie beim Besuch seiner Cousine Alaina, dass die Grenze zwischen Täuschung und Wirklichkeit ein wenig verschwamm. Alaina war Joshs einzige Verwandte, bei der sie Mühe hatte, sie zu mögen. Sie war eine Frau in mittleren Jahren mit perfekt frisierten Haaren, durchdringenden blauen Augen und einem Benehmen, bei dem Amanda die Zähne zusammenbeißen musste. Als Amanda ihr vorgestellt wurde, sagte sie: „Ich war erstaunt, als ich von
Ihnen und Josh hörte. Wirklich sehr erstaunt." Dabei musterte sie Amanda von oben bis unten. „Man könnte es als das zehnte Weltwunder bezeichnen." Amanda war sich nicht sicher, was Alaina mehr überraschte - die Tatsache, dass Josh sich überhaupt mit einer Frau verabredete, oder die Tatsache, dass sie, Amanda, die Auserwählte war. Auch Josh mochte Alaina nicht. „Ich glaube, eines weiß ich bereits über Alaina", sagte er vorher zu Amanda.' „Sie ist wirklich eine Nervensäge." Unglücklicherweise hatte er Recht. Alainas Haus war perfekt eingerichtet, und Amanda wurde gedrängt, es sich anzusehen, einschließlich einer ausgedehnten Kunstsammlung. Amanda musste ausführliche Erklärungen über sich ergehen lassen. Amanda plante gerade ihre Flucht, als sie einen Blick über Alainas Schulter warf und sah, dass Josh sich angeregt mit einer hoch gewachsenen, wohlproportionierten Rothaarigen unterhielt. Alainas Freundin Samantha, wie Amanda sich erinnerte. Schnell ging sie im Kopf ihre Weihnachtsgeschenkliste durch. Eine gut gebaute Rothaarige stand nicht darauf, da war sie sich sicher. „Und dies ist ein Sudcliff", erläuterte Alaina und deutete auf eins der Bilder an der Wand. „Ist es nicht beeindruckend?" „Wirklich beeindruckend", gab Amanda ihr Recht. Dabei behielt sie die Rothaarige im Auge. Josh hatte jetzt seine Hände in den Hosentaschen. Die Rothaarige beugte sich vor. Amanda versuchte sich darauf zu konzentrieren, was Alaina sagte. „Ich liebe einfach seine primitiven Qualitäten", fuhr Alaina fort. „Sie nicht auch?" „Ja", erwiderte Amanda, mit den Gedanken woanders. Lächelte er die Frau an? Tatsächlich ... dieses träge, sexy Lächeln, das Amanda immer vergessen ließ, worüber sie gerade sprachen. Ein überwältigendes und sehr unweihnachtliches Bedürfnis überkam sie, die Köpfe der beiden Turteltauben aneinander zu schlagen! Amanda konnte es nicht fassen - sie war eifersüchtig! Was völlig irrational war. Schließlich hatten sie und Josh nichts miteinander. Sie hatten geschäftlich miteinander zu tun, das war alles. Und warum fraß sie die Eifersucht fast auf, nur weil er sich mit diesem rothaarigen ... Drachen unterhielt? „Stimmt etwas nicht?" erkundigte sich da Alaina. „Ich dachte, Sie wären fasziniert von Sudcliffs Originalität?" Amanda bemerkte, dass Alaina sie neugierig musterte, und pflanzte ein Lächeln auf ihr Gesicht. „Ich finde ihn ... hoch spannend", log sie. Dennoch, als sie auf dem Heimweg in einem kleinen Caf6 für eine Tasse Kaffee anhielten, war sie immer noch ein wenig verstimmt wegen Josh und seiner Cousine. Als er dann fragte: „Haben Sie etwas über Alaina herausgefunden?" vergriff sie sich sogar im Ton, als sie ihn angiftete: „Nein, das habe ich nicht. Außer der Tatsache, dass sie eine Nervensäge ist." „Das hatte ich Ihnen doch gesagt", meinte Josh, und seine Augen funkelten. „Was halten Sie davon, ihr ein Buch zu kaufen, in dem die Wahrheit über das wirkliche Leben von Angebern beschrieben steht? Oder wäre das zu persönlich?" „Ich denke schon." Amanda wartete einen Moment. „Was ist mit Ihnen? Haben Sie irgendeine brillante Geschenkidee für sie?" Sie kniff die Augen halb zusammen. „Oder hatten Sie zu viel damit zu tun, etwas Persönliches über Samantha heraus zufinden?" „Samantha?" Er sah sie erstaunt an. „Wer ist Samantha?" Amandas Stimmung hob sich augenblicklich. Samantha hatte anscheinend keinen bleibenden Eindruck hinterlassen. „Die Frau, mit der Sie sich unterhalten haben - na ja, die Rothaarige." „Ach, die." Josh zuckte mit den Schultern. „Ich habe mich schon gefragt, wer das war." Er verdrehte die Augen. „Das einzig Persönliche, das ich über sie
herausgefunden habe, ist, dass sie die langweiligste Frau ist, die ich je kennen gelernt habe. Sie ist irgendeine Art Künstlerin. Die ganze Zeit über hat sie mich mit den surrealen Aspekten des Tiefseetauchens und ähnlichen Merkwürdigkeiten überschüttet. Ich habe kaum zugehört." „Gut", murmelte Amanda. Josh stützte sich mit den Ellbogen auf dem Tisch auf und trank einen Schluck Kaffee. „Wissen Sie, ich glaube, das war die Frau, mit der Alaina mich verkuppeln wollte." „Wirklich?" „Ja." Er lächelte Amanda über den Tisch hinweg an. „Gott sei Dank war meine Weihnachtselfe in der Nähe, sonst wäre ich vielleicht doch noch mit ihr ausgegangen." Amanda fühlte sich auf einmal viel besser. Und dann ärgerte sie sich, dass sie sich besser fühlte. Diese Sache mit den Weihnachtselfen würde sie noch in den sicheren Wahnsinn treiben!
8. KAPITEL
„Sagen Sie nichts, lassen Sie mich raten", sagte Mable, als Josh ein paar Tage später an ihrem Schreibtisch vorbeikam. „Sie gehen früher. Schon wieder." „Ja." „Noch ein Familienfest?" „Ja." „Also wissen Sie, für jemanden, der Familienfeste hasst, gehen Sie erstaunlich oft hin." Josh zuckte mit den Achseln. „Ich gehe Amanda nur ein wenig zur Hand." „Wirklich?" Mables Augen funkelten. „Ich weiß nicht, Josh. Mir kommt es langsam so vor, als würden Sie allmählich Gefallen daran finden." „Das könnte durchaus sein", meinte Josh nachdenklich. Er schob die Hände in die Taschen und schlenderte hinaus. Mable hatte Recht. Diese Familienfeste brachten ihm jetzt viel mehr Spaß als früher. Natürlich lag das an Amanda. Er hatte keine Ahnung, wie er jemals ohne sie ausgekommen war. In den letzten Wochen war ihm bewusst geworden, was er an seiner persönlichen Weihnachtselfe hatte. Zum Beispiel seine Ausrede, er müsse es erst mit Amanda besprechen. Es war eine wundervolle Methode, sich einer Sache zu entziehen, zu der er keine Lust hatte, ohne dass jemand sauer auf ihn wurde. Er nutzte diese Möglichkeit oft. Es gefiel ihm nämlich, sich als Teil eines Paars zu fühlen - dass da ein Mensch war, der mit in die Planung seines Alltags außerhalb seiner Arbeit einbezogen war. Und das stimmte tatsächlich. Er sprach alles mit Amanda ab. Sie hatte mit leichter Hand und ohne Schwierigkeiten die Organisation seiner gesellschaftlichen Kontakte übernommen. Sie befasste sich mit seinen Verwandten. Sie kümmerte sich um Einladungen und fand her vorragende Ausreden, sie auszuschlagen. Viele aber sagten sie nicht ab. Lange Zeit war ihm die Welt seiner Verwandten völlig fremd gewesen. Nun aber hatte er das Gefühl, nach und nach selbst wieder ein Teil ihres Lebens zu werden. Er hatte zwischendurch vergessen, wie sehr er sie gemocht hatte, und es faszinierte ihn, immer wieder Neues an ihnen zu entdecken. Aber das war nicht der einzige Grund, warum er gern zu ihnen ging. Der wichtigste war wohl Amanda. Er freute sich immer, mit ihr zusammen zu sein. Mit ihr war es anders als mit anderen Frauen, bei denen es ihm immer Mühe machte, sich mit ihnen zu unterhalten. Gewöhnlich gab er sich interessiert an dem, was sie sagten, obwohl es ihn zumeist langweilte. Bei Amanda war das nie der Fall. Er mochte alles an ihr ... außer der Schnelligkeit, mit der sie aus seinem Wagen sprang, wenn er sie wieder einmal nach Haus gebracht hatte. Es frustrierte ihn jedes Mal wieder. Bislang hatte er sich einzureden versucht, es reichte ihm, mit ihr eine geschäftliche Beziehung zu haben. Aber langsam wurde ihm klar, das war das Letzte, was er von seiner Weihnachtselfe wollte. „Haben wir eigentlich schon ein Geschenk für Tom?" fragte Josh Amanda später auf dem Weg zu Louise und Frank. Amanda überlegte kurz. „Nein, noch nicht. Warum fragen Sie?" „Marilla hat mir den Titel eines Buchs gegeben, das er gern hätte. Es ist von einem ungarischen Philosophen. Ich weiß nicht, ob das etwas Persönliches ist, aber ..." „Das übernehme ich", sagte Amanda. Sie machte eine kurze Pause und fragte dann: „Sie haben Marilla heute gesehen?" „Ja. Ich habe sie vom Büro abgeholt, um sie zum Mittagessen einzuladen."
Amanda starrte ihn an. „Wirklich?" „Ja, wirklich." Die Ampel vor ihnen schaltete auf Rot, und er hielt den Wagen an. „Sie ist meine Schwester, Amanda. Ich sollte doch wissen, wo sie arbeitet." Er schwieg einen Moment lang. „Sie hat mich auch gefragt, was sie Ihnen zu Weihnachten schenken könnte." „O nein", sagte Amanda. Ihr war überhaupt noch nicht der Gedanke gekommen, dass Joshs Familie ihr ebenfalls etwas schenken könnte. „Ich möchte nicht..." „Sie haben mir nie erzählt, dass es auch so geht", unterbrach Josh sie anklagend. „Ich dachte, man müsste so etwas behutsam angehen. Ich wusste gar nicht, dass man jemanden direkt fragen kann, was er sich wünscht!" „Das tut man nicht! Aber man kann jemanden fragen, ob er weiß, was sich ein anderer wünscht." „Okay", sagte Josh. „In dem Fall sagen Sie mir, was Sie sich wünschen, damit ich es den anderen weitersagen kann." „Ich möchte gar nichts haben", erwiderte Amanda. „Sie dürfen nicht zulassen, dass mir Ihre Familie Weihnachtsgeschenke macht. Das dürfen Sie einfach nicht." „Warum denn nicht?" fragte Josh, und wieder einmal beherrschte das vertraute Unverständnis sein Gesicht. „Weil es nicht geht. Nur weil alle glauben, wir wären ein Paar, wollen sie mich zu Weihnachten beschenken. Aber wir haben keine Beziehung miteinander!" „Aber natürlich", meinte Josh ruhig. „Sie sind meine Elfe. Ist das etwa keine Beziehung?" „Aber nicht solch eine, von der ich spreche", erklärte sie. „Und ich meine es wirklich ernst. Ich möchte keine Geschenke von Ihrer Familie haben. Das wäre mir schrecklich unangenehm. Sagen Sie ihnen einfach, ich möchte keine, weil ich meine, ich würde sie noch nicht gut genug kennen." Josh wollte protestieren, aber ein Blick auf ihr Gesicht, und er hob die Hand. „In Ordnung. Ich sage es ihnen. Aber nun sagen Sie mir noch, was Sie sich wünschen ..." „Josh!" „Ich bin doch nur neugierig, das ist alles. Was wünscht sich eine Elfe zu Weihnachten? Außer einem Büro, meine ich." „Ein Büro?" wiederholte Amanda. „Na ja, Sie könnten doch gut eins gebrauchen", erklärte Josh. „Jedes Mal, wenn ich in Ihre Wohnung komme, um Sie abzuholen, wirkt sie kleiner und voller." Amanda war gerührt, dass es ihm aufgefallen war. „Da haben Sie Recht. Als wir noch nicht so viele Aufträge hatten, reichte meine Wohnung als Büro aus. Aber jetzt nicht mehr. Wir mussten zusätzlich ein paar Aushilfen einstellen, so sind ständig irgendwelche Leute da. Manchmal finde ich nicht einmal einen ruhigen Platz zum Umziehen." „Sie können sich bei mir umziehen, wenn Sie wollen." Er grinste sie an. „Schließlich leben wir ja offiziell zusammen." Amanda stellte sich vor, wie sie sich in seiner Wohnung auszog, und ein Schauer überlief sie. Immer langsam, Amanda. Du willst dich doch nicht mit ihm einlassen, hast du das vergessen? „Vielen Dank, aber irgendwie komme ich schon zurecht." „Warum mieten Sie sich nicht ein paar Räume?" fragte Josh nach einem Moment. „Weil wir es uns im Augenblick noch nicht leisten können. Aber irgendwann wird es möglich sein." Amanda schloss die Augen und malte es sich aus. „Irgendwann werde ich ein eigenes Büro mit meinem Namen an der Tür haben." Sie lachte. „Wer einmal erlebt hat, wie es ist, einfach hinausgeworfen zu werden und sich über eine Zeitarbeitsfirma durchschlagen zu müssen, hat seine Lektion gelernt. Deswegen
will ich selbstständig sein. Ich möchte meine eigenen Firmenräume mit meinem eigenen Namen an der Tür haben. Dann bin ich die Einzige, die mich hinauswerfen kann!" Sie zögerte einen Moment lang. „Und ganz gewiss wird auf dem Türschild das Wort ,Elfe' nicht stehen." Es war Joshs Idee, zu einem von Charmaines kosmischen Treffen zu gehen. „Sie ist meine Schwester", erklärte er Amanda. „Ich finde, ich sollte etwas über diese seltsamen Dinge wissen, mit denen sie sich so intensiv beschäftigt." Charmaine freute sich offen, dass sie kamen. Sie führte sie durch ihren in Beige und Grün gehaltenen Wohnraum, stellte sie ihren anderen Gästen vor, die zumeist aus Detroit kamen, wie Amanda amüsiert herausfand. Dann zeigte sie ihnen stolz eine große Kristallpyramide, die mitten auf dem Couchtisch aus dunkler Eiche stand. „Sie ist für die Meditation später", erläuterte sie. Josh riss die Augen auf, und Amanda fürchtete einen Moment lang, er würde wieder ihre Kopfschmerzen vorschieben, um sich aus dem Staub machen zu können. Aber stattdessen brachte er heldenhaft ein Lächeln zu Stande und sagte: „Interessant. Ich freue mich schon darauf, einmal so etwas mitzuerleben." Dann schlenderte er hinüber zum kalten Büfett. Charmaine wandte sich an Amanda. „Ich bin so begeistert euretwegen", vertraute sie ihr an. „Ich kann die Verbindung zwischen euch richtiggehend fühlen." „Das können Sie?" Amanda warf einen Blick durch den Raum hinüber zu Josh, der sich gerade ausgiebig das Büfett besah. Er fing ihren Blick auf, grinste, und sie konnte von seinen Lippen ablesen: „Kein Fisch", bevor er sich abwandte. Da konnte sie die Verbindung zu ihm auch fast fühlen. „Josh und ich hatten diese Verbindung früher auch", fuhr Charmaine fort. „Natürlich nur platonisch. Als wir noch jünger waren, hatten wir eine wirklich enge Beziehung." „So?" Amanda konnte es sich nur schwer vorstellen, wenn sie ehrlich sein sollte. An Joshs großartiger Stiefschwester war etwas so Weltfernes, so Entrücktes, dass Amanda sich nicht vorstellen konnte, dass sie mit Josh etwas gemeinsam haben konnte. „Ja." Charmaines dunkle Augen leuchteten humorvoll auf. „Oft genug bekam ich seinetwegen die allergrößten Schwierigkeiten. Er schaffte es fast immer, mich zu irgendetwas zu überreden. Er hatte die Idee, und ich musste es ausbaden!" „Das kann ich mir gut vorstellen", murmelte Amanda. „O ja, und meine Freunde hatten echte Schwierigkeiten mit ihm. Ich glaube, Josh mochte nicht einen von ihnen. Er manipulierte ihre Wagen so, dass die Hupe nicht aufhörte zu hupen. Und einmal hat er ein System installiert - jedes Mal, wenn mein damaliger Freund mich noch an die Haustür brachte, ertönte eine dumpfe, drohende Stimme: Wenn du sie anfasst, bist du tot!" Sie verdrehte die Augen. „Sie können sich vorstellen, was das für meine Freundschaften bedeutete!" „Ein echtes Plus!" lachte Amanda. Als Charmaine ein paar Gäste begrüßen musste, die gerade eingetroffen waren, unterhielt Amanda sich mit Edwina, Marilla und Shelby. Weitere Verwandte waren nicht da. „Nicht viele von uns verstehen Charmaine", erklärte Shelby taktvoll. „Aber Marilla und ich kommen immer. Schließlich ist sie unsere Schwester. Wenn es für sie wichtig ist, ist es auch für uns so. Ich hoffe, Sie können Josh dazu überreden, zukünftig öfters zu kommen ... als moralische Unterstützung sozusagen." Aber ich werde nicht hier sein, dachte Amanda. Und nicht nur Josh würde ihr fehlen, sondern seine gesamte Familie.
Gerade als ihr dieser deprimierende Gedanke durch den Kopf ging, kam ein glattgesichtiger junger Mann, ganz in Beige gekleidet, auf sie zu. „Hi", sagte er. „Ich bin Maurice. Aus Detroit." Er stützte sich mit dem ausgestreckten Arm gegen die Wand und schaute sie mit offener Bewunderung an. „Ich glaube, ich habe Sie hier noch nie gesehen." „Das glaube ich auch nicht", sagte Amanda. Bildete sie sich etwas ein, oder machte der Bursche sich an sie heran? „Ich bin Amanda", sagte sie. „Vom ... Nordpol." „Vielleicht bin ich Ihnen bei meinen kosmischen Ausflügen schon einmal begegnet", meinte Maurice und sah ihr dabei tief in die Augen. „Meinen Sie nicht, wir haben uns bereits in einem Flugzeug getroffen?" Er ergriff ihre Hand und drückte sie fest. „Wohl kaum", erwiderte Amanda. „Ich ... habe nämlich ein wenig Angst vor dem Fliegen. Deswegen fahre ich möglichst immer mit dem Bus." Sie versuchte ihre Hand zu befreien, aber er hielt sie fest. Sie warf einen Blick über ihre Schulter. Josh war in eine eingehende Unterhaltung mit Charmaine vertieft, und Shelby und Marilla waren ebenfalls dabei. Amanda seufzte stumm. Natürlich wollte sie, dass er sich mit seiner Familie unterhielt. Aber warum ausgerechnet jetzt, wo sie sich wünschte, er würde sich mit ihr unterhalten? Sie blickte wieder Maurice an und lächelte ihn zögernd an. „Also, es war wirklich nett, sich mit Ihnen zu unterhalten, aber ich sollte ..." „Ich finde es auch wundervoll, mich mit Ihnen zu unterhalten", sagte Maurice. „Aber bei zwei verwandten Seelen sind Worte nicht nötig. Empfinden Sie das nicht auch so?" Amanda empfand etwas ganz anderes, behielt es aber höflicherweise für sich. „Sicherlich haben Sie Recht damit", erwiderte sie. „Aber jetzt müssen Sie mich bitte entschuldigen ... Ich muss einmal nach Josh sehen. Ich habe das Gefühl, er hat wieder einmal seine schrecklichen Kopfschmerzen." „Das war ja wirklich ein Erlebnis", meinte Amanda, als sie einige Stunden später Charmaines Party wieder verließen. „Das kann man wohl sagen." Josh verzog das Gesicht. „Und irgendwie hatte ich das Gefühl, nicht ganz mitzukommen. Warum haben wir im Dunkeln gesessen und auf diese Plastikpyramide gestarrt?" „Ich glaube, sie war aus Kristall", meinte Amanda und unterdrückte ein Lächeln. „Wir sollten mit unserem Inneren in Kontakt treten, um eine kosmische Verbindung zum Universum zu schaffen. Mir scheint, bei Ihnen hat es auf Anhieb geklappt." „Überhaupt nicht", brummte Josh. „Ich habe versucht herauszufinden, wie man das Ding verkabeln kann." „Verkabeln?" fragte Amanda irritiert. „Na ja, damit es irgendetwas sagt. Stellen Sie sich doch die Gesichter der Leute vor, wenn diese Pyramide urplötzlich irgendetwas verkündet. Zum Beispiel wie: Josh Larkland, Sie haben Ihre Scheinwerfer angelassen." Er lachte leise auf. „Was meinen Sie, wie schnell der Raum leer gewesen wäre. Und wir hätten endlich gehen können, ohne unhöflich zu wirken." Amanda musste mitlachen. „Es war wohl ein ziemlich bizarres Erlebnis." „Bizarr ist noch untertrieben." Er trat ein wenig zu fest aufs Gas. „Einige dieser Leute waren reichlich schrill. Einer fragte mich ständig, ob es mir gut ginge." „Ach, der." Amanda lachte glucksend. „Der Grund ist, ich habe ihm gesagt, Sie hätten wieder einmal diese schrecklichen Kopfschmerzen. Mir fiel keine andere Ausrede ein, um von ihm loszukommen."
Josh runzelte die Stirn. „Wieso loskommen?" „Ja. Er versuchte eine kosmische Verbindung zu mir herzustellen." „Das hat er versucht?" Joshs Gesicht verdüsterte sich. „Also, das kann er vergessen." Er blieb an der roten Ampel stehen und schaute ihr ins Gesicht. „Wenn jemand eine kosmische Verbindung zu Ihnen herstellt, dann bin ich das!" Sein deutlicher, besitzergreifender Ton ließ Amandas Herz unwillkürlich schneller schlagen. Josh drehte den Kopf wieder zur Straße. „Schließlich sind Sie meine Elfe", setzte er noch hinzu. Richtig, dachte Amanda. Die Elfe, die du angeheuert hast. Einen winzigen Moment dachte sie sogar, er wäre ein wenig eifersüchtig. „Was halten Sie von Charmaines Freund?" fragte sie nach einer Minute. Josh sah sie verwundert von der Seite an. „Freund? Sie meinen, Charmaine geht mit einem dieser Burschen?" „Nun ja, das tut sie." Josh wirkte fassungslos. „Welcher ist es denn?" „Russell." „Was?" Er starrte sie an. „Welcher war denn Russell? Der eine mit der Saturntätowierung auf der Wange oder der mit dem Diamanten im linken Nasenflügel?" „Ich glaube, der mit dem Diamanten." „Oh." Er machte ein düsteres Gesicht. „Also, das gefällt mir nicht. Charmaine sollte nicht mit einem Vierzigjährigen herumlaufen, der keinen anständigen Job hat." Amanda starrte ihn an. „Woher wissen Sie denn so viel über ihn?" „Ich habe ihn gefragt", erklärte Josh. „Es gab sonst nichts zu reden, und ich hatte es satt, nur auf diese Pyramide zu starren. Um die Zeit totzuschlagen, fragte ich ihn nach seinem Alter und womit er seine Brötchen verdiene." Er lächelte flüchtig. „Eine hervorragende Strategie, um ein Gespräch in Gang zu bringen." „Das ... stimmt wohl", gab ihm Amanda Recht und unternahm einen vergeblichen Versuch, nicht zu lachen. „Eine besonders originelle Unterhaltung war das nicht", erzählte Josh weiter. „Er war der Meinung, ein Job sei etwas für Leute, die keine Erfüllung in ihrem Universum fänden! Ich habe den halben Abend gebraucht, um herauszufinden, dass er keinen Job hat." Er runzelte die Stirn. „Eigentlich hätte ich gar nicht erstaunt sein müssen. Charmaine hat schon immer Verlierertypen angezogen wie das Licht die Motten." „Wirklich?" Amanda war erstaunt, dass er sich daran erinnerte. „Ja. Selbst als ich noch Kind war, musste ich solche Typen immer abschrecken." Er lachte leise. „Und was meinen Sie, zu welchen Mitteln ich manchmal greifen musste ..." Einen Moment lang schwieg er, und als er sie dann anblickte, tanzten kleine Teufelchen in seinen Augen. „Wissen Sie was, Amanda? Ich glaube, mir ist gerade das passende Geschenk für Charmaine eingefallen." Misstrauisch beäugte Amanda ihn. „Wenn Sie vorhaben, Charmaines Haus zu verkabeln, damit es zu ihren Freunden spricht, können Sie es vergessen." Sie machte eine Pause. „Auch wenn ich zugeben muss, es ist etwas extrem Persönli ches." „Wegen der Wohnung müssen Sie etwas unternehmen", beschwerte sich Josh ein paar Tage später. Er saß in Amandas Küche, die Füße auf einem Stuhl, und schüttelte den Kopf über die Papierstapel und Kartons im Wohnzimmer. „Man hat ja nicht einmal genug Platz, um eine Katze herumzuwirbeln, geschweige denn eine Elfe."
„Ich weiß", sagte Amanda. „Aber dieser Zustand wird sich bald ändern." Und das stimmte. Es war noch etwas mehr als eine Woche bis Weihnachten. Josh war vorbeigekommen, um sie zu einem Besuch bei seiner Mutter abzuholen, die eine kleine Feier veranstaltete. Er war ein wenig früher gekommen, damit sie sich einen gemeinsamen Überblick über den Stand der Dinge verschafften. „Ich hoffe, ich werde alles rechtzeitig schaffen." Er lehnte sich zurück und schloss die Augen. „Okay, gehen wir die Geschenkliste durch." Gehorsam fing Amanda an, aus ihren Notizen vorzulesen. „Wir haben das Plüschkaninchen für Mimi, die Angelausrüstung für Reg und einen roten Zahnbürstenhalter für Ihre Tante Judith." Sie zögerte. „Sind Sie sicher, sie wünscht sich einen Zahnbürstenhalter?" „Ja", erwiderte Josh, ohne die Augen aufzumachen. „Als ich sechs war, habe ich ihren Zahnbürstenhalter zerbrochen. Ich denke, es ist an der Zeit, ihn ihr zu ersetzen. Aber vielleicht könnten wir ihr auch noch ein paar Fotoalben schenken. Sie braucht dringend neue." Amanda musterte ihn. „Woher wissen Sie das?" „Vor ein paar Tagen habe ich bei ihr vorbeigeschaut, um ihr die Zeitschaltuhr am Videogerät richtig einzustellen, und dabei haben wir uns ein paar Fotos angesehen." Er verdrehte die Augen. „Ich sage Ihnen, Amanda, sobald der Prototyp meines neuen Schaltkreises in Produktion ist, werde ich Judith einen sprachgesteuerten Videorekorder installieren. Sie hat nicht den blassesten Schimmer, wie sie das Gerät bedienen soll." Er deutete mit der Hand auf Amandas Liste. „Machen Sie weiter." „Okay. Sie schenken Marilla einen A-12-pneumatischen Türöffner - was immer das auch sein mag." „Es ist eine Sensorvorrichtung, damit ihre Katzen das Fenster allein öffnen können", erklärte Josh. „Marilla macht sich solche Sorgen, dass ihre Katzen nicht allein aus dem Haus können, wenn sie fort zur Arbeit ist. Mit diesem Gerät können sie es - vorausgesetzt, ich kann es auf ein korrektes Miau programmieren." „Es hört sich ... perfekt an", meinte Amanda. Sie wandte sich wieder der Geschenkliste zu. „Shelby bekommt die Sachen für ihren Computer, aber für Gordon haben wir noch nichts. Ich ..." „Doch, das haben wir", erwiderte Josh. „Ich habe Shelby in der Universität besucht, und sie erwähnte, dass Gordons Hobby der Bau von Modellbooten sei." Er öffnete ein Auge. „Ich weiß nicht, ob es persönlich genug ist, aber ..." „Bestimmt", versicherte ihm Amanda. „Sie haben mit Shelby zu Mittag gegessen?" „Ja. Ich hatte sowieso an der Universität zu tun. Ich musste ein Gerät überprüfen lassen. Sie hat mich herumgeführt und mir alles gezeigt." Er grinste. „Ich verstehe immer noch nicht, was genau sie unterrichtet, aber zumindest weiß ich jetzt, wo sie es tut. Machen wir weiter." „Für Onkel Frank haben wir eine Krawatte. Und eine Spaghettimaschine ..." „Eine Spaghettimaschine?" Josh sah sie mit großen Augen an. „Meiner Mutter werden wir keine Spaghettimaschine schenken. Ich ..." „Ich weiß", unterbrach ihn Amanda. „Ich dachte, wir schenken sie Alaina." Da grinste Josh wieder. „Das perfekte Geschenk." Amanda schaute wieder auf ihre Unterlagen. „Ich glaube, das war's. Wir haben zwar immer noch nichts für Ihre Mutter, aber für Charmaine habe ich einen kristallenen Mondanhänger gefunden." „Ich finde meine Idee viel besser." Josh strich sich geistesabwesend mit dem Finger über die Unterlippe. „Wissen Sie, Amanda, es gefällt mir immer noch nicht, dass sie mit diesen tätowierten Männern herumläuft." „Nein?" Amanda starrte wie gebannt auf seinen Finger, riss sich aber
zusammen und zwang sich, wieder auf ihre Unterlagen zu sehen. Sie musste ein echtes Problem haben, wenn allein der Anblick eines Männerfingers sie zu eroti schen Tagträumen hinriss. Josh schien nicht unter diesem Problem zu leiden. „Am liebsten möchte ich ihr einen anständigen Mann mit einem anständigen Job verschaffen. Jedes Mal, wenn ich an diesen Russell denke, läuft es mir kalt über den Rücken." „Tatsächlich?" Jedes Mal, wenn sie an Josh dachte, lief es ihr über den Rücken aber heiß und aus einem ganz anderen Grund. „Wissen Sie, wen sie kennen lernen sollte? Wendeil!" „Wendeil?" wiederholte Amanda, mit ihren Gedanken ganz woanders. „ Wendell Philmore. Er ist einer der Techniker, die für mich arbeiten. Er ist auch ein wenig sonderbar, aber er ist kein schlechter Kerl. Auf jeden Fall ein sehr viel besserer als Russell. Immerhin hat er in diesem Universum einen Job." Amanda starrte ihn verblüfft an. „Sie denken wirklich daran, Ihre eigene Schwester mit jemandem zu verkuppeln." „Warum denn nicht?" fragte Josh. „Alle aus meiner Familie versuchend bei mir doch auch. Und außerdem ... wer weiß? Vielleicht bringen Charmaine und Wendell eine kosmische Verbindung zu Stande?" Das war natürlich möglich, und außerdem war Amanda begeistert, dass er sich so für seine Schwester verantwortlich fühlte. „Die Chance besteht." „Gut. Wollen wir es dann nicht in die Wege leiten?" „Was in die Wege leiten?" „Na ja, wir laden sie zusammen ein", erklärte Josh. „So machen es alle anderen auch mit mir." „Sie einladen", wiederholte Amanda langsam. „Sie meinen, zu sich?" „Ja. Und nicht nur die beiden. Wir könnten eigentlich alle einladen, für die wir noch kein Geschenk haben. So können wir sie alle aushorchen, ohne sie einzeln besuchen zu müssen. Und ganz bestimmt laden wir meine Mutter ein, sie ist schon seit Ewigkeiten nicht mehr bei mir gewesen." Er klopfte mit den Fingern einen Takt auf seinem Schenkel, offenbar gefiel ihm seine Idee. „Und eigentlich könnten wir auch meine Schwestern noch einladen. Ich hatte irgendwie den Eindruck, dass sie gar nicht genau wissen, was ich so treibe." „Das wissen sie auch nicht, aber ..." „Sie können es bei mir sehen. Die meisten meiner Prototypen habe ich zu Hause. Und ich glaube, Onkel Reg würde es auch interessieren." Er sah Amanda an. „Das können Sie doch arrangieren, oder?" „Nun ... Na ja, ich denke schon." „Gut", sagte Josh. „Wie wäre es mit morgen?"
9. KAPITEL
Josh wollte gerade seine Sachen zusammenpacken, da kam Mable in sein Büro. „Ich weiß", sagte sie, bevor er den Mund aufmachen konnte. „Sie gehen heute früher." „Richtig. Ich muss gleich nach Haus fahren. Mit meiner Mikrowelle stimmt irgendetwas nicht." Es gefiel ihm, wie sich das anhörte. Oft hatte er erlebt, dass Männer nach Haus gerufen wurden, um irgendetwas zu reparieren. Sie hatten immer die Augen verdreht und gestöhnt, aber dennoch einen irgendwie erfreuten Eindruck gemacht. Bislang hatte Josh es nie verstanden, jetzt aber konnte er es nachvollziehen. Ihm gefiel das Gefühl, dass jemand ihn brauchte, der nichts mit seiner Arbeit zu tun hatte. Mable blickte aufs Telefon, dann wieder Josh an. „Ihr Mikrowellenherd hat Sie angerufen!" Sie schüttelte den Kopf. „Diese High-Tech-Sachen gehen über meinen Horizont!" „Nicht mein Mikrowellenherd hat mich angerufen, auch wenn das eine großartige Idee ist", erklärte Josh. „Amanda hat mich angerufen. Sie hat versucht, die Mikrowelle in Gang zu setzen, aber stattdessen ging der Herd an." „Amanda ist bei Ihnen zu Hause?" „Ja." Bei dieser Vorstellung überrieselte es ihn heiß. „Wir haben heute ein paar Leute zu Besuch." Auch diese Auskunft zu geben gefiel ihm. Genau das machten Pärchen - sie luden Gäste zu sich ein. Und er freute sich sogar darauf. Er wollte seiner Familie zeigen, was er beruflich tat, und er war gespannt darauf, wie sie reagieren würde. Mable sah ihn mit großen Augen an. „Sie?" „Ja, ich." Er runzelte die Stirn. „Ich wollte es eigentlich schon gestern Abend, aber Amanda wollte unbedingt einen Tag Zeit haben, um alles vorbereiten zu können. In manchen Dingen ist sie wirklich eigen." „Wie ... sonderbar." Mable betrachtete ihn misstrauisch. „Es handelt sich doch nicht um eine Weihnachtsparty, oder?" „Nicht richtig", sagte er. Aber wenn er richtig überlegte ... es war schon so eine Art Weihnachtsparty. „Man könnte wohl sagen, wir haben ein paar Leute unter weihnachtlichem ... Aspekt eingeladen." „Du lieber Himmel", sagte Mable schwach. „Wird dort dann auch ... gesungen?" „Ehrlich gesagt, ich hoffe nicht", meinte Josh. „Das ist gut. Es ist sogar beruhigend, dass manche Dinge beim Alten bleiben." Josh bewohnte ein Apartment in einer elitären Gegend von Calgary. Er hatte es aus mehreren Gründen ausgewählt: wegen der Lage, der professionellen Inneneinrichtung, der professionellen Reinigung und weil er, abgesehen vom Schla fen, hier weniger als zehn Stunden in der Woche verbrachte. Er hätte Schwierigkeiten gehabt, sein Apartment zu beschreiben, wenn er sich nicht gerade hier aufhielt. Aber als er um sechs Uhr die Haustür aufschloss, empfing ihn ein unvertrauter Geruch. Es war eine Mischung aus weihnachtlichem Fichtenduft und köstlichen Essensdüften, die aus der Küche herüberstrichen. „Amanda?" rief er laut. Amanda kam aus der Küche. Sie blieb in der Tür stehen und starte ihn sichtlich überrascht an. „Oh", sagte sie dann. „Ich habe Sie noch gar nicht so früh erwartet." Josh sah sie an und hatte das Gefühl, einen kräftigen Schlag in die Magengrube zu bekommen. Sie hatte ein anderes ihrer hellroten Kleider an, ihr lockiges blondes Haar war hinter die Ohren zurückgestrichen, ihr Gesicht war gerötet, und sie hatte keine Schuhe an. Sie sah einfach süß und zum Anbeißen aus, dazu ausgesprochen sexy und
begehrenswert. Allein sie nur so zu sehen, in seiner eigenen Wohnung, schraubte seinen Pulsschlag in die Höhe. „Sie müssen nicht nach Haus gerast kommen, nur weil ich die Mikrowelle nicht in Gang bekomme", fuhr Amanda fort. „Ich wäre für eine Weile auch so zurechtgekommen." Josh räusperte sich. „Ich ... äh ... dachte, es wäre besser, wenn ich gleich komme", erklärte er. Er streifte sich seine Stiefel ab und hängte seinen Mantel in den Schrank. „Außerdem hatte ich sowieso vor, nach Haus zu kommen und Ihnen zu helfen." „Wirklich?" Sie lächelte, und ihre Augen strahlten ihn dankbar an. „Also, das ist aber nett von Ihnen." Sehr nett ist nicht ganz die richtige Bezeichnung, dachte Josh. Entschieden lüstern, das wäre besser. Er schüttelte den Kopf, um wieder klar denken zu können, und schaute sich um. Natürlich war es keine Überraschung für ihn, dass im Wohn zimmer ein geschmückter Weihnachtsbaum stand. Im Kamin brannte ein knisterndes Feuer, die Möbel schimmerten auf Hochglanz poliert, und alles wirkte sauber, frisch und einladend. „Also, so wie es hier aussieht, bin ich anscheinend überflüssig mit meinem Hilfsangebot", meinte er. „Doch, mit der Mikrowelle können Sie mir helfen", erwiderte Amanda. „Sie funktioniert zwar, aber sie ... mischt sich einfach in andere Dinge ein." Sie runzelte die Stirn. „Ich hoffe nur, ich habe nichts kaputtgemacht. Ich bin es nicht gewohnt, mit solchen High-Tech-Einrichtungen zu arbeiten." „Sie können daran nichts kaputtmachen", beruhigte Josh sie schnell. Er legte ihr den Arm um die Schultern, und wieder durchfuhr es ihn heiß. „Kommen Sie, wir sehen es uns einmal an." Amanda stand neben ihm, als er die Mikrowelle überprüfte. Ihr Duft stieg ihm in die Nase, und es fiel ihm schwer, sich zu konzentrieren. So brauchte er länger, die entsprechenden Einstellungen vorzunehmen, als es normal gedauert hätte. „Nun weiß ich auch, warum es nicht viele Elfen in der High-Tech-Industrie gibt", meinte er, als er sich wieder zu Amanda umdrehte. Sie hob den Kopf und blickte ihn verwundert an. „Warum denn nicht?" „Es lenkt einfach zu sehr ab." Er trat einen Schritt auf sie zu. „Licht dämpfen", sagte er. Das Licht wurde gedämpfter. Die Mikrowelle ging nicht an. „Es sieht so aus, als wäre die Reparatur erfolgreich gewesen", meinte Amanda und sah beeindruckt aus. „Es liegt an der Platine. Es ist ein Prototyp, und ich musste improvisieren. Wenn die neuen Häuser gebaut und damit ausgestattet sind, wird es diese Probleme nicht mehr geben." „Oh", sagte Amanda und fuhr sich mit der Zungenspitze über die Unterlippe. „Wollen Sie in eines dieser neuen Häuser einziehen?" Josh machte sich selten Gedanken darüber, wie er jetzt wohnte, noch viel weniger, wo er in Zukunft wohnen könnte. Und im Augenblick war es ihm noch unwichtiger, solange er hier in der Küche sein konnte. „Das könnte durchaus sein", erwiderte er vage. „Oh", sagte sie wieder. Ihre Blicke trafen sich. Ihre Augen hatten auf einmal ein dunkleres Grün, als er es je bei ihr gesehen hatte. Und ihre Wangen waren gerötet. Ihr Atem ging schneller als normal. Lag es daran, weil er so dicht neben ihr stand? Bei dieser Vorstellung wurden plötzlich auch seine Atemzüge hastiger. Er spielte mit dem Gedanken, seine Lippen auf die samtene Haut an ihrem Hals zu drücken, um zu sehen, wie sie reagieren würde. Aber bevor er es in die Tat umsetzen konnte, wich Amanda vorsichtig einen Schritt zurück.
„Wir haben nicht einmal mehr eine Stunde, dann kommen die Gäste", sagte sie munter. „Wenn Sie sich noch duschen wollen, sollten Sie es besser jetzt erledigen." Vielleicht würde sie ihm ja dabei Gesellschaft leisten. Josh überlegte, sie dazu einzuladen, aber irgendetwas in ihren Augen verriet ihm, es war nicht der richtige Zeitpunkt dazu. „Gute Idee", sagte er stattdessen. Er ging langsam die Stufen hinauf ins Bad. Amandas Shampoo und der Föhn lagen auf der Ablage. Die Handtücher waren noch nass, und ihr Duft hing noch daran. Es war eine erregende Vorstellung, sie völlig nackt unter seiner Dusche stehen zu sehen, sogar erregender als der Anblick ihrer nackten Füße. Leider hatte er seine Dusche noch nicht auf den letzten Stand der Technik gebracht. Er hätte gern gewusst, was sie über Amandas nackten Körper gesagt hätte. Nein, das finde ich lieber selbst heraus, dachte er dann. Es gab keinen Zweifel mehr daran. Er wollte etwas von seiner Weihnachtselfe, das nichts mit geschäftlichen Angelegenheiten zu tun hatte ... geschweige denn mit Weihnachten. Eine rein geschäftliche Angelegenheit, rief sich Amanda in Erinnerung, als sie das Büfett musterte. Und dies war eine geschäftliche Feier und Josh Larkland nicht mehr als ihr Auftraggeber in dieser Angelegenheit. Aber als Josh wenige Minuten später aus dem Bad barfuß ins Wohnzimmer kam, vergaß sie auf der Stelle, dass es sich nur um eine rein geschäftliche Angelegenheit handelte. Ihr Kopf war auf einmal wie leer. Josh trug eine dunkelbraune Hose, ein hellgelbes Hemd, und seine Socken hielt er in der rechten Hand. Der Mann hatte sogar sexy Zehen, gar nicht zu sprechen von seiner breiten, muskulösen Brust, die wie alles andere an ihm einfach umwerfend männlich war. „Das sieht ja wahnsinnig aus", lobte er und besah sich das Essen. „Haben Sie das alles allein gemacht?" Saubere Männer, dachte Amanda. Es ist etwas so Ansprechendes an sauberen Männern. Aber, um ehrlich zu sein, selbst schlammbedeckt hätte sie ihn aufregend gefunden. Bei dieser Vorstellung musste sie grinsen, riss sich aber schnell wieder zusammen. „Nur ich, die Caterer, die Putzkolonnen und fast jeder sonst in der Stadt. Das nächste Mal, wenn Sie eine Feier planen, dann bitte mit mindestens achtundvierzig Stunden Vorlauf. Dann wird alles nämlich sehr viel einfacher - und deutlich billiger." „Ich habe nicht vor, noch eine Party zu schmeißen", erklärte er. „Nicht einmal, eine auch nur zu planen." Wieder zeigte sich dieses vertraute Staunen auf seinem Gesicht. „Mir war nicht einmal bewusst, dass es sich um eine Party handelt, bis Mable es mir gesagt hat. Eigentlich wollte ich nur ein paar Leute einladen." Nur Josh konnte in dieser Hinsicht so weltfremd sein. „Wenn Ihre ganze Familie kommt, ist es eine Party! Das Erstaunliche ist wirklich, dass alle kommen, obwohl sie so kurzfristig angesetzt wurde. Mimi hat Theaterkarten zurückgegeben, Francine und Wally können nicht zur Firmenweihnachtsfeier, und Charmaine verzichtet auf ein Neumond-Avizandum, damit sie kommen kann." „Großartig. Charmaine muss ja auch hier sein, damit sie Wendeil kennen lernen kann. Vielleicht bringt sie eine kosmische Verbindung mit ihm zu Stande und vergisst diese anderen komischen Typen." Er musterte den Büfetttisch. „Das reicht ja für hundert Leute, und das Allerbeste daran ist, es gibt keinen Fisch." Dann blickte er Amanda warnend an. „Das ist doch so, oder?" „Nein, natürlich nicht." „Da bin ich aber froh." Er schaute ihr nun direkt ins Gesicht. „Also, was kann ich helfen? Es muss irgendetwas Technisches sein. Mit Messern, beim Tischdecken,
Kochen oder Aufräumen und Saubermachen bin ich nicht so gut." Er lächelte wieder sein sexy Lächeln. „Aber auf anderen Gebieten besitze ich hervorragende Talente." Meinte er das, was sie dachte, was er meinte? Sehr wahrscheinlich nicht. „Gut", sagte sie trocken. „Sie können sie demonstrieren, indem Sie für Musik sorgen. Die Stereoanlage wollte mir nicht gehorchen." Josh lehnte sich gegen die Wand, während er sich seine Socken anzog. „Das liegt daran, dass die Stereoanlage noch nicht auf Sprachbefehle umgerüstet worden ist. Sie brauchen nur den Ein-Knopf zu drücken." „Daran habe ich überhaupt nicht gedacht", gestand Amanda ein und lächelte. Als Josh nun losging mit seinem lockeren, sexy Gang, musste sie sich wieder streng daran erinnern, dass diese Party strikt geschäftlich war. Aber solange Josh so quälend nahe war, war es ihr unmöglich, sich auf geschäftliche Dinge zu konzentrieren. So flüchtete sie sich in die Küche. Gerade als sie das Gemüse aus dem Kühlschrank holen wollte, drang Weihnachtsmusik aus dem Wohnraum zu ihr herüber. Josh kam herein. „Na, wie gefällt es Ihnen?" „Gut. Danke." „Bitte sehr." Er runzelte die Stirn." Aber komisch ... ich wusste gar nicht, dass ich CDs mit Weihnachtsmusik hier liegen hatte." „Das hatten Sie auch nicht", klärte ihn Amanda auf. „Ich habe welche mitgebracht." „Und was ist mit dem Weihnachtsbaum? Haben Sie den auch mitgebracht?" „Nein, den habe ich liefern lassen." Er zog die Stirn kraus. „Ich wusste gar nicht, dass man sich einen Weihnachtsbaum liefern lassen kann - komplett mit Weihnachtsschmuck und Lichterkette." „Man kann sich fast alles anliefern lassen, solange man bereit ist, dafür entsprechend zu zahlen", informierte ihn Amanda. „Diese Party kostet Sie einiges, Josh. Das Essen, die Reinigung, die Caterer ... Ach, und ich musste auch noch den Weihnachtsschmuck kaufen, weil Sie keinen hatten." Josh zuckte mit den Schultern. „Ich habe vorher nie welchen gebraucht." Er betrachtete sie mit geneigtem Kopf. „Sie denken auch an alles, stimmt's?" „Deswegen werden uns Elfen solche üppigen Honorare gezahlt", witzelte Amanda. „Wir müssen eben an alles denken." „Stimmt", sagte Josh. „Darin sind Sie wirklich sehr gut." In seinen Augen stand auf einmal ein Glitzern, das vorher nicht da gewesen war. Amandas Herzschlag beschleunigte sich rapide. Sie senkte den Kopf und befasste sich mit dem Gemüse. „Ich mache es gern. Und es bringt mir auch Spaß, in Ihrer Küche zu arbeiten - das heißt, wenn die Geräte mitspielen." „Wirklich?" Josh zuckte die Achseln. „Das kann ich nicht sagen. Ich koche hier kaum einmal. Nein, richtiger gesagt, hier kocht niemand viel." „Das hatte ich schon aus dem Staub auf dem Herd geschlossen." Amanda warf ihm einen Blick über die Schulter zu. „Bestimmt haben hier doch auch andere Frauen Ihnen etwas gekocht, oder?" „Nein." Er musterte die Weinflaschen auf dem Arbeitstresen. „Soll ich eine öffnen?" „Ja. Sie meinen ... niemals?" „Nein", sagte Josh. „Niemals. Zumindest nicht, dass ich mich daran erinnere." „Warum nicht?" Er zuckte mit den Schultern, als wäre es unwichtig. „Keine Ahnung." Er zog den Korken heraus und kam um den Tresen herum, stand nun hinter ihr. „Aber Sie müssen hier doch ab und an Gäste gehabt haben", beharrte sie. „Nur ein paar Freunde - männliche Freunde." Er stand so dicht, dass sie seinen
Atem im Nacken spüren konnte. „Wissen Sie, ein Haufen von technikverrückten Typen, die Bier trinken und Salzbrezeln in sich hineinstopfen." Als Amanda gerade den Salatteller auf den Tisch stellte, klingelte es an der Haustür. Sie zupfte ihr Kleid zurecht, nahm die Schürze ab und fand ihre Schuhe. „Wie sehe ich aus?" fragte sie und erwartete, er würde sie wieder mit einer Elfe vergleichen. Aber stattdessen sagte er: „Ich glaube, da fehlt noch etwas." Er machte einen Schritt auf sie zu, legte die Arme um sie, und bevor Amanda begriff, was geschah, küsste er sie. Ein harter, heißer Kuss, der damit begann, dass seine Lippen über ihren Mund strichen, dann glitt seine Zungenspitze über ihre Oberlippe, hinunter zur Unterlippe, hinein in ihren Mund. Er presste seinen Körper gegen ihren, und Amanda konnte nicht mehr denken, nur noch, wie wundervoll alles war und wie sehr sie sich wünschte, es würde niemals enden. Aber leider ging das nicht. Wieder wurde an der Tür geklingelt. „Einer von uns macht wohl besser auf", murmelte Josh an ihren Lippen. Er gab sie frei und trat zurück von ihr. Amanda starrte ihn an, immer noch wie benommen von seinem Kuss. „Einen Moment", brachte sie dann heraus, als er sich auf den Weg zur Tür machte. „Du hast Lippenstift..." „Das ist okay." Er grinste. „Nun sehen wir beide aus, als würden wir wirklich zusammenleben." Es war ein Uhr morgens, als Amanda und Josh die letzten Gäste verabschiedeten und anschließend auf dem Sofa zusammensanken. Die begeisterten Kommentare von Joshs Familie klangen ihnen immer noch in den Ohren. Edwina und Harold waren als Letzte gegangen. Edwina hatte Amanda beim Abschied kräftig gedrückt. „Vielen Dank, Amanda", sagte sie, und Amanda wusste, sie dankte ihr nicht nur für den Abend. Josh rieb sich müde die Augen und gähnte herzhaft. „Das ist immer das Problem, wenn man selbst eine Party veranstaltet - man kann nicht gehen, wann man Lust hat", stöhnte er. Was wohl nur gut ist, dachte Amanda. Wären sie nämlich woanders gewesen, hätte sie ihn nach diesem Wahnsinnskuss einfach aus dem Haus geschleppt. Den halben Abend hatte sie versucht, nicht daran zu denken, und die andere Hälfte hatte sie es sowieso getan. Und jedes Mal, wenn er sie anschaute, musste sie wieder daran denken. Sie schaute ihn an. Er hatte den Kopf gegen die Polster gelehnt, und ein zufriedenes Lächeln spielte um seinen Mund. „Du siehst nicht so aus, als wolltest du gehen", beschuldigte sie ihn. „Im Gegenteil, du wirkst wie jemand, dem es ausgezeichnet gefallen hat." Er verzog den Mund. „Ja, so war es wohl. Bis auf den Moment, als Onkel Frank anfing, aus versicherungsmathematischen Tabellen zu zitieren." Er legte ihr wie selbstverständlich den Arm um die Schultern. „Er hatte übrigens dieselbe hässliche blaue Krawatte wie neulich um. Nur gut, dass wir ihm eine neue schenken." „Stimmt." Amanda lehnte den Kopf gegen seine Schulter. „Was ist mit deiner Mutter? Hast du schon eine gute Geschenkidee für sie?" „Nein. "„Er seufzte, dann hellte sich sein Gesicht auf. „Aber für Tante Francine ist mir etwas eingefallen." Amanda blickte hoch. „Ja?" „Ja." Es hörte sich selbstzufrieden an. „Sie wünscht sich einen Akkuschrauber." Amanda versuchte sich die proper aussehende Francine mit einem Akkuschrauber in der Hand vorzustellen, aber es gelang ihr nicht. „Bist du dir wirklich sicher?" „Absolut. Die ganze Zeit über spielte sie mit meinem Akkuschrauber herum. Ich glaube aber, so recht weiß sie nicht, wofür er da ist. Und es sah auch so aus, als
wären Charmaine und Wendell nicht aufeinander geflogen. Sie haben den ganzen Abend kaum ein Wort miteinander gesprochen." „Also, ich hatte einen anderen Eindruck. Ich glaube doch, dass sie eine kosmische Verbindung herstellen konnten. Sie sind schließlich zusammen gegangen." „Das ist gut." Er verzog den Mund zu einem Lächeln. „Hast du Onkel Reg und Tante Mimi gesehen? Den ganzen Abend wanderten sie von einem Zimmer zum anderen und befahlen wie kleine Kinder ständig dem Licht, sich ein- und auszu schalten." „Es hat sie beeindruckt", sagte Amanda. „Deine ganze Familie war beeindruckt, Josh. Du hättest es ihnen schon vor Jahren zeigen sollen." „Es ist mir nie in den Sinn gekommen." Josh drehte sich ihr zu und hob die Hand, um ihr eine Haarsträhne aus der Stirn zu streichen. „Vor allen Dingen hätte ich mir schon vor Jahren eine Weihnachtselfe zulegen sollen!" Er strich zart mit der Handfläche über ihr Gesicht, zeichnete mit dem Daumen ihre Unterlippe nach. Amanda konnte ihren eigenen Herzschlag spüren und hörte, wie sie vor Lust aufkeuchte. Dann ersetzte sein Mund seinen Daumen, heiß und schwer auf ihrem, seine Zunge glitt in ihren Mund, spielte mit ihrer. Benommen dachte sie noch daran, dass es eigentlich ja eine geschäftliche Angelegenheit war. Aber als er dann sanft ihren Rücken streichelte, war jeder Gedanke daran wie fortgeblasen. Josh lehnte sich zurück und zog sie mit sich, bis er mit dem Kopf auf der Armlehne des Sofas lag. Dabei hielt er Amanda fest in den Armen und unterbrach den Kuss nicht für eine Sekunde. Als sie schließlich wieder Luft holen und den ersten klaren Gedanken fassen konnte, fand sie sich lang hingestreckt auf ihm wieder. Die Hitze, die Josh ausstrahlte, stand ihrer in nichts nach, und dass er sie so eindeutig begehrte, fachte ihr Verlangen nur noch an. Amanda hob den Kopf und betrachtete Josh. Er atmete genauso heftig wie sie, und seine dunklen Augen spiegelten ihren verhangenen Blick wider. „Wir sollten das nicht tun", stieß sie atemlos hervor. „Wir haben eine geschäftliche Beziehung, schon vergessen? Ich bin nur die Weihnachtselfe, und..." „Ich weiß", unterbrach Josh sie. „Allerdings habe ich noch nie mit einer Elfe geschlafen." Sanft streichelte er ihren Rücken. „Findest du nicht auch, dass ich mir diese Erfahrung nicht entgehen lassen darf?" Amanda zögerte. Wenn sie sich weigerte, würde er sicher keine große Sache daraus machen. Er würde sagen: Das ist schade. Oder etwas Ähnliches. Und er würde es nie wieder erwähnen. Aber ihre Position erschwerte ihr die Verweigerung. Sie spürte ihn unter sich, seine harten, männlichen Konturen, sah Leidenschaft und Begehren in seinen Augen. Nein, sie wollte sich nicht weigern. Im Gegenteil, sie wollte ihn, und zwar genau jetzt. „Ich finde, du solltest dir diese Chance tatsächlich nicht entgehen lassen", flüsterte sie. „Gut!" sagte Josh und zog ihren Kopf zu sich herab. „Ich konnte den ganzen Abend nämlich an nichts anderes denken." Dann küsste er sie von neuem, hielt ihre Hüften fest an seine gepresst. Obwohl sie beide ihre Kleidung noch anhatten, fühlte es sich betörend erotisch an, so dass Amanda aufstöhnte und zärtlich in seinen Nacken biss. Josh machte sich an ihrem Reißverschluss zu schaffen, hob schließlich den Kopf, um besser sehen zu können, was er tat. „Ich weiß schon, was ich als Nächstes erfinden werde", knurrte er ihr ins Ohr. „Einen sprachgesteuerten Reißverschluss." Sein Atem auf ihrer Haut, die Bestätigung, wie sehr er sie begehrte, erregte Amanda noch mehr. Schließlich hatte er das Kleid geöffnet und schob Amanda so weit von sich, dass er es ihr von den Schultern streifen konnte. Seine Finger zitterten dabei leicht, und als
er sie ihres BHs entledigt hatte, weiteten sich seine Augen, und sein Mund verzog sich zu einem sexy Lächeln. Er nahm in jede Hand eine ihrer Brüste und rieb mit den Daumen über die dunklen Spitzen. Amanda stöhnte auf. „Gefällt dir das?" „Ja", hauchte sie. „Mir auch!" Während er ihre Brüste liebkoste, machte sie sich an seinem Hemd zu schaffen. Als sie die Hände schließlich auf seine breite warme Brust legte, schloss er die Augen, stöhnte und zog sie dichter an sich, bis er eine ihrer Brüste mit den Lippen reizen konnte. Amanda verging fast vor Lust und bekam nur am Rande mit, dass Josh versuchte, auch die restlichen Kleidungsstücke loszuwerden. „Wir müssen umziehen, Amanda", murmelte er. „Ich bin nicht besonders gut darin, jemanden auf dem Sofa auszuziehen." Er richtete sie auf, aber anstatt mit ihr in Richtung Schlafzimmer zu verschwinden, wie sie erwartet hatte, ließ er sich zu Boden gleiten und zog sie mit sich. „Ich will es hier tun, neben dem Weihnachtsbaum", erklärte er. „Es erscheint mir besonders ... passend." Amanda war egal, wo es passierte, Hauptsache, es passierte jetzt auf der Stelle. Sie half ihm beim Ausziehen, lachte, als er sich über ihre Strumpfhose beschwerte: „Ich verstehe nicht, wie ihr Frauen euch solche Dinger anziehen könnt ..." Und dann, als sie nackt war und er sie mit hungrigen Blicken musterte, da verging ihr das Lachen. Zurück blieb pure Lust. Kurz darauf war auch Josh nackt, streckte sich neben ihr aus und schob ein Bein zwischen ihre Schenkel. Er widmete sich wieder ihren Brüsten, und als sie sich ihm fordernd entgegenbog, liebkoste er geschickt ihren intimsten Punkt, bis eine steile Woge sich in ihr aufbaute und sich schließlich mit Macht entlud. Amanda zerfloss, zitternd vor Wonne. Josh drehte sich für einen Moment von ihr fort und holte ein Folienpäckchen aus seiner Hosentasche. „Ich habe nur ein wenig vorausgedacht", erklärte er, als sie ihn erstaunt ansah, und riss das Päckchen mit den Zähnen auf. „Ich sagte dir doch, ich habe schon den ganzen Abend hierauf gewartet." Dann war er so weit, spreizte ihre Beine und kam zu ihr. „Amanda", stöhnte er an ihrem Ohr und nahm sie fest in seine Arme. Zusammen bewegten sie sich im selben Rhythmus, schneller, immer schneller, und katapultierten sich schließlich in paradiesische Höhen. Hinterher kuschelten sie sich auf dem Teppich dicht aneinander, über ihnen die blinkenden Weihnachtsbaumlichter. „Es hat mir gefallen", verkündete Josh, und seine Stimme verriet, wie sehr. „Mir auch", murmelte Amanda. Sie lehnte ihren Kopf gegen seine breite Brust und schloss die Augen. „Das ist gut." Er streichelte ihren Arm. „Lass uns ins Schlafzimmer hinaufgehen und noch mal von vorn anfangen. Und dann könnten wir es auch in der Küche probieren ..." Amanda hob den Kopf und sah ihn an. „Hast du eine Art Marathon vor?" „Warum nicht?" fragte Josh. Er schloss sie in die Arme und lächelte sie an. „Schließlich haben wir die ganze Nacht vor uns." Wir haben noch viel länger Zeit, dachte Amanda. Wir haben Zeit bis Heiligabend.
10. KAPITEL
„Ja, ich weiß", sagte Josh zu Mable, als er drei Tage später sein Büro betrat. „Ich bin ein bisschen spät dran." „Sie sind nicht nur ein bisschen spät dran", schimpfte Mable. „Es ist fast elf Uhr. Erst gehen Sie schon um fünf, und nun kommen Sie nicht vor elf. Was kommt als Nächstes? Werden Sie überhaupt nicht mehr hier auftauchen?" „Ich denke darüber nach", sagte er und lachte leise über ihren verschnupften Ausdruck. „Es ist doch Weihnachten, Mable. Zu Weihnachten haben die Menschen allerhand zu tun." „Zum Beispiel?" Zum Beispiel, Amanda und sich den ganzen Morgen über mit einem ausgedehnten Liebesspiel zu verwöhnen. Fast wäre er damit herausgeplatzt, bis ihm einfiel, dass er Mable nicht unbedingt mit solchen Informationen zu füttern brauchte. „Na ja, man hat eben zu tun", sagte er. „Und heute werde ich noch früher gehen. Falls also in meinem Kalender Termine nach drei Uhr stehen, verschieben Sie sie bitte. Ich gehe nämlich einkaufen." „Einkaufen?" So erstaunt hatte Mable ihn noch nie angesehen. „Sie gehen einkaufen?" „Ja. Ich habe Amanda versprochen, ihr dabei ein wenig zu helfen." Er grinste, als er daran dachte, wie Amandas Augen bei seinem Angebot plötzlich gestrahlt hatten. „Soso, Amanda ...?" Mable räusperte sich. „In der letzten Zeit verbringt ihr zwei viel Zeit miteinander." Josh nickte. Es stimmte, er war viel mit Amanda zusammen gewesen. Seit der Party in seiner Wohnung war sie jede Nacht bei ihm geblieben. Waren sie nicht auf irgendeiner Familie- noder Firmenfeier, verbrachten sie die Abende gemeinsam, sahen sich im Fernsehen einen Film oder eine InformationsSendung an, redeten über ihre Weihnachtseinkäufe, unterhielten und liebten sich. Josh genoss jede einzelne Sekunde davon. Es war alles so ganz anders als mit seinen vorherigen Beziehungen. Er hatte nicht das Gefühl, dazu verpflichtet zu sein, Zeit mit Amanda zu verbringen. Er wollte es selbst. Sie war nie böse auf ihn, weil er eine Verabredung vergessen hatte, denn er vergaß niemals eine Verabredung mit ihr. Fast jeden Tag war er früh vom Büro zurück, weil er sich nach ihr sehnte. Es war einfach wunderschön, nach Haus zu kommen und sie dort vorzufinden, und außerdem aß er auch nicht gern allein. „Mich wundert, dass wir überhaupt noch Arbeit erledigen", meinte Mable anzüglich. Josh, der schon dabei war, sich eine Übersicht über die anfallenden Aufgaben zu verschaffen, sagte geistesabwesend: „Bald ist Weihnachten." Mable blieb in der Tür stehen. „Und was ist dann?" Josh zuckte mit den Schultern. Nach Weihnachten war Schluss mit all den Feiern. Er brauchte sich nicht mehr um Geschenke zu kümmern, musste nicht mehr versuchen, Persönliches über alle möglichen Leute herauszufinden. „Dann kehrt wieder der normale Alltag ein." „Und ... was ist mit Amanda?" hakte Mable nach. „Was ist mit ihr?" Darüber hatte sich Josh noch keine Gedanken gemacht. Es genügte ihm im Moment, dass Amanda bei ihm war. Aber irgendwo in einem Winkel seines Kopfs wusste er, danach würde sie wieder aus seinem Leben verschwinden, so wie alle anderen Frauen auch wieder verschwunden waren. Es war ein seltsam beunruhigender Gedanke, deshalb schob er ihn entschlossen beiseite. Im Augenblick war alles perfekt. Sie hatten ihre Weihnachtsgeschenke fast alle zusammen. Seine Familie war froh über ihn. Und am allerbesten waren die Abende und Nächte mit Amanda.
Eine Weihnachtselfe zu engagieren war wirklich die beste Idee seines Lebens gewesen. „Langsam bekomme ich das Gefühl, dass wir alles im Griff haben", meinte Brandy. „Die Aussteller für die Internet-Messe im nächsten Monat haben wir zusammen. Die Einladungen für die Präsentation Visueller Techniken haben wir hinausgeschickt, und die Firmenpräsente für Dawson's Building Supply haben wir ebenfalls beisammen." Sie warf einen Blick auf die Kartons vor ihr. „Obwohl ich immer noch nicht verstehe, warum ein Baukonzern Bücher über Pferdezucht verschenkt." „Ich auch nicht, um ehrlich zu sein", murmelte Amanda. Sie war mit ihren Gedanken nicht beim Pferdezuchten ... oder überhaupt bei der Arbeit. Die ganze Zeit dachte sie nur an Josh ... zum Beispiel, wie er heute Morgen nach dem Duschen ausgesehen hatte. Sie lächelte. Brandy lehnte sich auf dem Sofa zurück und musterte sie, „In den letzten Tagen haben wir so viel zu tun gehabt, dass es mir vorkommt, ich hätte dich kaum zu sehen bekommen." „Ich war reichlich beschäftigt", erwiderte Amanda. Sie hatte wirklich viel damit zu tun gehabt, Joshs Weihnachtsfeier zu organisieren, die letzten Einkäufe zu erledigen, Geschenke einzupacken ... und wenn sie das nicht tat, war sie mit Josh zusammen gewesen. „Du hast wirklich oft lange gearbeitet", meinte Brandy mit unschuldsvollem Ausdruck im Gesicht. „Obwohl ich fast jeden Tag früher hier war als du." Sie machte eine Pause. „Was eigentlich ganz erstaunlich ist, da du hier ja wohnst." Amanda wurde rot und schaute zur Seite. „Das ist ein weiteres Problem, wenn man seine Wohnung als Büro benutzt. Man hat einfach keinen privaten Winkel mehr für sich." „Ich bin deine beste Freundin. Eigentlich brauchten wir keine privaten Winkel voreinander." Ihre Augen funkelten verschmitzt. „Ich schätze, du und Josh, ihr habt nun keine rein geschäftliche Beziehung mehr zueinander." „Na ja ... nicht mehr so ganz", gab Amanda zu. „Wirklich komisch!" sagte Brandy und wurde ebenfalls rot. „Du und ich am selben Wochenende." Amanda sah die Röte auf Brandys Wangen und das Strahlen in ihren Augen und fragte sich, ob sie wohl genauso aussah. „Du meinst, du und Harvy ..." „Endlich." Brandy seufzte glücklich. „Also, zuerst haben wir uns nur unterhalten. Es kam mir endlos vor, um ehrlich zu sein. Er sprach lange darüber, dass er mir nicht wehtun wolle und was wir einander bedeuteten ... Wirklich süß. Und dann wurde es ... wundervoll. Aber das habe ich natürlich schon vorher gewusst. Harvy ist so ... sexy." „Harvy?" Amanda stellte sich bildlich den kurzen, rundlichen Harvy Denton vor. „Harvy ist sexy?" „Nun, wenn man ihn besser kennen lernt." Brandy wurde dunkelrot im Gesicht. „Er meint es wirklich ernst, Amanda. Er hat mich sogar eingeladen, seine Mutter kennen zu lernen." „Wirklich?" Amanda lächelte. Sie hatte Joshs Mutter bereits kennen gelernt. „Ja." Brandys Gesicht bekam einen träumerischen Ausdruck. „Weißt du, ich glaube, er ist genau der Richtige." Bislang hatte Amanda zu viel um die Ohren gehabt und war zudem zu glücklich gewesen, um sich um die feine, besorgte Stimme in ihrem Hinterkopf zu kümmern. Aber Brandys Worte verstärkten diese Stimme auf einmal. „Ich wollte, ich war mir so sicher", murmelte sie. „Was meinst du? Es muss doch von Bedeutung sein, Amanda. Josh und du, ihr seid die ganze Zeit zusammen - und das fast schon den ganzen Monat lang."
„Ich weiß", sagte Amanda. Sie war sicher, Josh empfand etwas für sie. Bestimmt fand er sie anziehend, so oft wie sie miteinander geschlafen hatten. Und die Gefühle in seinen Augen waren echt, das glaubte sie fest. „Es ist vielleicht dumm", fuhr sie fort, „aber es liegt wohl daran, weil Josh mich noch immer als seine Weihnachtselfe bezeichnet." „Und?" Brandy sah sie verständnislos an. „Und ich habe wohl begonnen, mich ebenfalls so zu sehen. Die ganze Zeit über muss ich immer daran denken, dass ich nach Weihnachten mit Josh nicht mehr einkaufen fahre oder zu irgendwelchen Feiern gehe. Das wird dann alles ein Ende haben. Und nun haben wir fast Heiligabend. Weihnachten ist nur noch ein paar Tage entfernt", erklärte sie. „Joshs Weihnachtseinkaufsliste haben wir fast abgearbeitet. Es fehlt nur noch seine Mutter - wir sehen sie heute Abend bei Francine. Danach kommt noch die Weihnachtsfeier in Joshs Firma, und dann ist Heiligabend. Und was dann?" „Ich finde, du machst dir unnütze Gedanken, Amanda", versuchte Brandy sie zu beruhigen. „Du brichst doch den Kontakt mit Josh nicht ab, nur weil Weihnachten vorbei ist." „Ich hoffe, du hast Recht", sagte Amanda und machte sich dennoch weiterhin Gedanken. „Ich habe nie gewusst, dass Einkaufen so anstrengend sein kann", beklagte sich Josh, als Amanda und er sich am Abend für Francines Party fertig machten. Er kam aus dem Badezimmer und gab Amanda einen Kuss auf die Nase, während er sich das Hemd zuknöpfte. „Was wollten all diese Leute nur dort?" „Sehr wahrscheinlich Weihnachtseinkäufe erledigen", neckte ihn Amanda. „Genau wie wir." „Sie sollten es besser planen", fuhr er fort. „Ihre Weihnachtseinkäufe hätten sie doch schon lange vorher machen können." „Du hast deine doch auch noch nicht zusammen", schmollte Amanda. „Und wenn, du nicht so schwierig wärst, hätten wir nicht den ganzen Tag gebraucht, um zwei Sachen zu finden! Ich habe es dir von Anfang an gesagt - es gibt keine Akkuschrauber mit pinkfarbenen Griffen!" „Tantchen Francine braucht einen Akkuschrauber, und sie hat immer alles in Pink!" „Das spielt keine Rolle", erwiderte Amanda. „Die Leute passen ihr Werkzeug farblich nicht ihrer Garderobe an." „Oh." Er grinste, umarmte sie und gab sie dann wieder frei, damit sie sich zu Ende anziehen konnte. „Das Gute ist, wir sind fast fertig. Wir müssen nur noch für meine Mutter etwas zu Weihnachten finden." Er blickte sie über die Schulter hin weg an. „Du hast nicht irgendeine gute Idee, oder? Abgesehen von einer Spaghettimaschine, meine ich?" „Nein", gab Amanda zu. „Ich auch nicht", musste er eingestehen. „Ich habe mit ihr geredet, habe sie zum Mittagessen eingeladen, und selbst Shelby und Charmaine habe ich nach einer Geschenkidee gefragt." Er schnitt eine Grimasse. „Eine große Hilfe waren sie nicht. Shelby meinte, ich sollte ihr ein Kochbuch schenken, und Charmaine schlug ein Parfüm vor. Was diese persönlichen Dinge betrifft, sind sie anscheinend nicht besser als ich." „Allmählich wird die Zeit knapp", erinnerte Amanda ihn. „Wir sollten sehen, dass wir uns heute Abend noch etwas einfallen lassen." „Das werde ich auch." Josh schaute sie an, und seine Augen leuchteten. „Wir sind sozusagen in die Zielgerade eingelaufen. Dies ist die letzte Weihnachtsfamilienfeier, bei der wir uns blicken lassen müssen. Es fehlt uns nur noch das letzte Geschenk.
Und die Firmenweihnachtsfeier steht auch vor der Tür." Ein kalter Schauer lief Amanda über den Rücken, und sie schimpfte deswegen stumm mit sich. Ja und? Lass Weihnachten doch kommen! Dann bleibst du weiterhin hier mit Josh zusammen ... Dennoch konnte sie sich die Frage nicht verkneifen: „Was geschieht danach?" Josh zuckte mit den Schultern. „Der normale Alltag, denke ich." Er band sich fachmännisch den Knoten seiner Krawatte. „Es wird auch Zeit, finde ich. Die Arbeit stapelt sich inzwischen förmlich auf meinem Schreibtisch." Für Amanda war die Antwort alles andere als beruhigend. Eine schreckliche Vorstellung, dass diese wundervolle Zeit mit Josh enden könnte ... und dabei war es sehr wahrscheinlich. Und es schien ihr noch wahrscheinlicher, als sie später bei Francine waren. „Es ist eine Art Familientradition", erklärte Edwina Amanda. „Mimi beginnt als Erste in der Weihnachtszeit mit einer Feier. Francine lädt zur letzten Feier vor dem Heiligabend ein. Und am Weihnachtstag kommen dann alle zu mir." Sie lächelte Amanda an. „Sie kommen doch auch, nicht wahr? Oder feiern Sie zusammen mit Ihrer eigenen Familie?" Amanda hätte nur zu gern Weihnachten mit ihrer Familie gefeiert, aber sie hatte im Augenblick so viel zu tun, dass sie beschlossen hatte, in Calgary zu bleiben. Sie hatte vorgehabt, den Tag zusammen mit Brandys Familie zu verbringen, auch wenn sie eigentlich mit Edwinas Einladung gerechnet hatte. Sie öffnete den Mund, um zuzusagen, da überlegte sie es sich noch einmal anders. „Ich weiß noch nicht so recht, was ich tue", sagte sie stattdessen. „Sie sind bei uns jederzeit willkommen", sagte Edwina. Sie blickte sich im Raum um. Josh unterhielt sich gerade angeregt mit seinen Schwestern. „Josh ist so anders geworden, seit er Sie kennt." Alle sagten Ähnliches. „Es ist erstaunlich, wie Josh sich verändert hat, seit er Sie kennen gelernt hat." „Josh macht einen glücklichen Eindruck, seit er mit Ihnen zusammen ist." „Josh hat ein echtes Verständnis für kosmische Zusammenhänge entwickelt, seit Sie zu seinem Leben gehören." „Ich glaube, Josh überlegt ernsthaft, ob er sich eine Katze anschafft", meinte Marilla. „Und all das nur, weil Sie mit ihm zusammen sind." Amanda sah zu, wie Josh sich mit seiner Mutter unterhielt, die inzwischen hinübergegangen war. Ich gehöre doch zu seinem Leben, oder? fragte sie sich verunsichert. Oder war sie einfach nur seine Weihnachtselfe, die so tat, als gehörte sie dazu? Josh fing ihren Blick auf, löste sich von der Gruppe und kam zu ihr herüber. Er lächelte sie fröhlich an. „Ich habe es", flüsterte er ihr ins Ohr. „Ein Weihnachtsgeschenk für meine Mutter." „Was denn?" fragte sie neugierig. „Ein Perlenhalsband. Mutter erwähnte, dass die Perlenkette kaputtgegangen ist, die sie damals von meinem Vater bekommen hat. Ich möchte ihr eine neue schenken." Er sah Amanda ins Gesicht. „Das ist doch etwas Persönliches, oder?" „Es ist perfekt." Amanda drückte ihn. Es rührte sie, dass er sich so viele Gedanken um seine Mutter machte. „Gut, dann ist das auch erledigt. Das letzte Geschenk." Er grinste erleichtert. „Wir haben es geschafft, Amanda. Nun haben wir nichts mehr zu erledigen." Er hörte sich so glücklich an. Amanda hingegen fror innerlich. „So, ich glaube, wir haben jetzt alles so weit fertig", meinte Amanda zwei Tage vor der Larkland-Weihnachtsfeier. Sie schaute sich noch einmal prüfend in der Eingangshalle von Larkland
Technology Development um. „Am Tag der Feier werde ich noch ein paar Dekorationen hinzufügen, aber mehr ist auch nicht zu tun. Die Caterer haben alles vorbereitet, für Musik ist gesorgt ... ohne Gesang. Und ich habe von fast allen eine positive Resonanz bekommen, die ich befragt habe." „Sie haben großartige Arbeit geleistet", lobte Mable sie. „Es wird bestimmt eine ganz tolle Weihnachtsfeier." „Das hoffe ich doch", sagte Amanda. „Josh will alle beeindrucken, die er eingeladen hat." Sie lehnte sich in ihrem Sessel zurück, der neben Mables Schreibtisch stand. „Ein wenig hat mich doch das Datum der Feier überrascht, muss ich sagen. Der dreiundzwanzigste Dezember ist nicht gerade der idealste Tag für eine Firmenweihnachtsfeier." „Alle kommen Joshs wegen", erklärte Mable. „Egal, was er auch macht, die Menschen mögen ihn. Selbst ich mag ihn, und das will schon etwas heißen, wo es so schwer ist, für ihn zu arbeiten." Sie machte eine Pause. „Aber seit Sie da sind, ist er viel umgänglicher bei der Arbeit geworden." Amanda wurde rot bei diesem Kompliment. „Ich denke nicht, ich ..." „Doch, das ist Ihr Einfluss. Sie haben ihn aus dem Büro gezerrt, hinein in die wirkliche Welt. Das war gut für ihn. Und Sie haben es auch geschafft, dass er wieder Kontakt zu seiner Familie hat. Das ist auch gut für ihn - und für seine Familie. Aber ich bin nicht so sicher, ob es gut für Sie ist." Verunsichert sah Amanda sie an. „Was meinen Sie damit, Mable?" Mables blaue Augen sahen sie warm und weise an. „Sie haben sich in ihn verliebt, nicht wahr?" Amanda wollte schon protestieren, doch dann schloss sie den Mund wieder und nickte. „Das dachte ich mir." Mable seufzte tief auf. „Er mag Sie auch, Amanda. Ich weiß es genau. Und er braucht Sie - nicht nur im Moment." Sie krauste die Stirn. „Aber ich bin mir nicht so sicher, was sein wird, wenn Weihnachten vorüber ist." Amanda schluckte ein paar Mal. „Was meinen Sie?" „Ich möchte Ihnen nicht Ihre Illusionen zerstören und möchte auch nicht als jemand gelten, der sich in anderer Leute Angelegenheiten einmischt. Aber ich kenne Josh schon sehr lange. Und noch nie hat er sich so benommen wie jetzt. Aber es ist Weihnachtszeit. Und um die Weihnachtszeit herum hat Josh sich schon immer seltsam benommen." Sie lächelte schwach. „Natürlich ist das schwer einzuschätzen, da er sich zumeist etwas sonderbar benimmt." „Mable ..." Mable beugte sich vor und ergriff Amandas Hand. „Ich versuche Ihnen nur zu sagen, dass dieser Josh - der Josh, der an Ihnen interessiert ist und mit Ihnen zusammen sein will - nicht derjenige ist, den ich kenne. Derjenige, der die meiste seiner Zeit mit Arbeit verbringt und nichts anderes im Kopf hat." Amanda musste an Susans schönes Gesicht denken, als diese ihr das Gleiche über Josh erzählte. Er hatte Susan einfach vergessen ... Mable sah sie quer über den Schreibtisch hinweg an. „Ich wollte es Ihnen nur sagen, damit Sie vorbereitet sind ... für den Fall, dass es passiert. Ich will aber nicht sagen, dass Josh ein schlechter Mensch ist. Absichtlich verletzt er niemanden und hat es auch nie getan. Er bemerkt einfach nur nicht, dass er es tut." „Ich weiß", sagte Amanda und lächelte Mable kurz an. „Machen Sie sich deswegen keine Sorgen. Ich bin eine Weihnachtselfe, haben Sie das vergessen? Wir Elfen können gut auf uns selbst Acht geben." „Das hoffe ich", sagte Mable. „Ach ja - falls es Ihnen Ihre Aufgabe mit den Geschenken einfacher macht, über eine Flasche Brandy zu Weihnachten würde ich mich sehr freuen."
An diesem Abend war Amanda müde und niedergeschlagen, als sie zu Josh fuhr. Sie hatte vorgehabt, den Abend zusammen bei ihm zu verbringen, aber als sie hineinging, hatte Josh immer noch seinen Mantel an. Er küsste sie, und Amanda umarmte ihn besonders innig. Er gab sie frei und drückte ihr mit dem Zeigefinger sanft das Kinn hoch, so dass sie ihm ins Gesicht sehen musste. „Was ist los?" erkundigte er sich. „Du siehst mitgenommen aus." Es rührte sie, dass er es bemerkte, und gleichzeitig ärgerte sie sich darüber, dass sie deswegen gerührt war. „Ich bin nur müde", sagte sie. „Die Lauferei. Sich den Kopf zerbrechen wegen der Weihnachtsgeschenke. Das Besorgen der Weihnachtsgeschenke. Feiern organisieren. Auf Partys gehen. Und du solltest einmal mein Apartment sehen. Ich kann kaum noch zwei Schritte darin machen." Sie legte ihren Kopf gegen seine Brust. „Manchmal schafft mich Weihnachten richtiggehend." „Mich auch", sagte er mitfühlend. „Aber Kopf hoch. Schon bald ist alles vorbei, und das normale Leben beginnt wieder." „Ein aufmunternder Gedanke", murmelte Amanda. Sie schaute ihn an. „Ich dachte, wir würden heute Abend zu Hause bleiben?" „Das geht leider nicht", sagte Josh. „Da ist eine ... geschäftliche Angelegenheit, die wir nicht verpassen sollten." Darauf hatte Amanda am allerwenigsten Lust. „Muss es wirklich sein?" fragte sie müde. „Ja, wir sollten wirklich hingehen." Er tätschelte ihre Schulter. „Komm. Es ist die letzte Weihnachtsveranstaltung, zu der du gehen musst." Sollte das ihre Stimmung bessern? „Schrecklich", murmelte sie. „Ich hätte im Moment nichts dagegen, zum Nordpol zu fliegen." „Wir fliegen aber nicht zum Nordpol. Komm, beeil dich. Zieh dich um. Wir wollen los." Er strahlte so viel kaum verhüllte Aufregung aus, dass sie sich ihm am liebsten vor die Füße geworfen und ihn angefleht hätte, ihr zu versichern, dass Mable sich irrte. Als Josh einige Zeit später den Wagen anhielt, grübelte sie immer noch über Mables Warnung nach. Die ganze Fahrt war sie so in Gedanken versunken gewesen, dass sie gar nicht mitbekommen hatte, in welche Richtung sie gefahren waren. So hatte sie keine Ahnung, wo sie sich befanden. Dann sah sie, dass sie vor einem Bürogebäude parkten. Sie warf Josh einen Blick zu. „Sind wir hier auch richtig?" fragte sie zweifelnd. „Ja, das sind wir." Er grinste sie an. Noch immer funkelten seine Augen. „Komm mit." Amanda zögerte. Das Gebäude wirkte ziemlich verlassen. „Aber ..." Er ignorierte ihre Einwände, führte sie in den Fahrstuhl und drückte den Knopf für das zweite Stockwerk. „Bist du sicher, wir sind hier richtig?" fragte sie nochmals, als der Fahrstuhl mit kaum merklichem Ruck anfuhr. „Absolut", versicherte er ihr. Der Fahrstuhl hielt an, und die Türen schoben sich auseinander. Ein Flur tat sich vor ihnen auf. Josh legte Amanda die Hand auf den Rücken und blieb dann mit ihr vor einer Glastür stehen. A&B Executive Services stand in großen, dicken Buchstaben daran. Amanda drehte sich zu Josh um. „Was ist das denn?" „Dein Weihnachtsgeschenk", erklärte er ihr. „Ich hätte es auch eingepackt, aber es ist etwas schwierig, ein ganzes Büro einzupacken." „Ein Büro?" wiederholte Amanda fassungslos und blickte ihn wieder an. „Du hast mir ein Büro besorgt?" „Mm." Er grinste sie an. „Es hat sogar ein Schloss mit Spracherkennung. Es ist auf
deine und Brandys Stimme kodiert." Er deutete mit dem Kopf auf die Tür. „Mach. Öffne sie." „Ich fasse es nicht", flüsterte Amanda, zugleich erstaunt und erfreut. Sie schaute von ihm zur Tür. „Öffne", sagte sie. Die Tür schwang auf. „Es ist keine große Sache", sagte Josh, als er sie durch den Eingang in den Empfangsbereich führte. „Aber um einiges größer als deine Wohnung." Es war nicht riesig, sondern hatte genau die richtige Größe. Es gab vorn ein kleines Foyer, hinten einen kleinen Lagerraum, einen großen Arbeitsraum und zwei separate Büros. Alles war komplett möbliert, und die Schränke waren mit Büromaterial gefüllt. „Das ist alles von meiner Familie", erklärte er ihr, als er ihr den Inhalt zeigte. Er hob eine Hand. „Ich weiß, du hast gesagt, du wolltest nichts haben, aber ich konnte es ihnen nicht ausreden. So gab ich schließlich nach und meinte, ihr könntet sehr gut Büromaterial gebrauchen. Sie folgten meinem Rat." Er runzelte kurz die Stirn. „Bis auf Tante Judith. Sie schenkt dir einen Jahresbedarf an Klopapier!" „Das ist so lieb von ihnen", sagte Amanda, und ihre Stimme zitterte leicht dabei. „He, noch hast du das Beste nicht gesehen." Josh führte sie nun zu einem der separaten Büros und deutete auf die Holztür. Dort stand ihr Name, Amanda Kringleton, in großen, deutlichen Buchstaben. „Das hast du doch gewollt, wenn ich mich richtig erinnere, oder?" meinte Josh. „Ein Büro mit deinem Namen an der Tür. Natürlich, wenn du je wieder aus diesem Büro ausziehen solltest, musst du die Buchstaben alle mitnehmen." „O Josh ..." Sie war so gerührt, dass sie kaum sprechen konnte. „All das hast du in ... etwas über einer Woche geschafft?" „Du weißt doch, wenn ich mich erst einmal zu etwas entschlossen habe, bin ich sehr fix!" „Das bist du wirklich", hauchte Amanda. Sie drehte sich um und warf sich ihm an den Hals. „Vielen, vielen Dank. Ich kann ... ich weiß nicht... Ich ..." Josh lachte leise auf und lehnte sich gegen die Wand, zog sie mit sich. „Also, ich habe den Eindruck, es gefällt dir. Oder?" „Ob es mir gefällt?" Sie umfasste sein Gesicht mit beiden Händen und küsste ihn heiß. „Es ist einfach wahnsinnig!" Sie drängte sich an ihn, ließ ihre Hände über seinen Körper gleiten, fühlte, dass es ihn erregte. „Gut." Er hob seinen Kopf. „Aber ist es auch etwas ... Persönliches?" „Ganz gewiss ist es das." Am nächsten Tag fuhr sie mit Brandy zum neuen Büro, um ihr ihr neues Domizil zu zeigen. „Die Miete ist für ein halbes Jahr im Voraus bezahlt", erklärte sie, was sie von Josh erfahren hatte. „Wenn das Geschäft weiterhin so gut läuft, sollten wir die Miete danach ohne Schwierigkeiten aufbringen können." „Es ist wirklich ... toll", sagte Brandy, während sie herumwanderte, Tische berührte und auf die Büroartikel in den Schränken starrte. „Ich hoffe nur, du hast für Josh auch ein wirklich gutes Weihnachtsgeschenk." „Das habe ich." Amanda lächelte zufrieden. „Ich schenke ihm ein Foto von der ganzen Familie. Es ist zwar keine richtige Überraschung, da ich sie alle zusammentrommeln musste, um das Bild machen zu können." Sie verdrehte die Augen. „Das war ein richtiges Abenteuer. Alaina rief mich vier Mal an, was die anderen anziehen würden. Francine beharrte darauf, in Pink aufzutauchen. Judith wollte unbedingt etwas Rotes tragen, deswegen durfte sie nicht neben Francine ste hen. Marilla wollte all ihre Katzen mitbringen. Gott sei Dank war wenigstens Josh kooperativ." „Wir müssen zugeben, wir haben uns in ihm geirrt", sagte Brandy. „Genauso wie ich mich in Harvy geirrt habe."
„Ich bin mir nicht ganz sicher", sagte Amanda langsam. Brandy sah sie scharf an. „O nein. Du machst dir doch nicht noch immer Gedanken wegen dieser Weihnachtselfenangelegenheit, oder?" Amanda setzte sich auf ihren Schreibtischstuhl. „Um ehrlich zu sein, ja." „Also, dazu besteht kein Grund. Ich bin sicher, Josh empfindet etwas für dich. Ihr seid immer zusammen. Er hat dir dieses Büro geschenkt..." „Oh, sicherlich empfindet er etwas für mich", gab ihr Amanda Recht. „Zumindest jetzt noch. Aber ich bin mir nicht sicher, ob es auch anhält. Er spricht immer wieder davon, dass er es kaum erwarten kann, dass diese Angelegenheit abge schlossen ist. Ich schwöre dir, wenn er mich noch ein einziges Mal Weihnachtselfe nennt, klebe ich ihm eine!" „Warum denn? Oft sagen Leute ..." „Ich bin nicht als seine Freundin engagiert worden, sondern um einen Job zu erledigen", erinnerte Amanda sie. „Ja, wir finden uns gegenseitig anziehend, und ja, im Moment ist es wirklich super miteinander. Aber nach Weihnachten wird er mich nicht mehr brauchen. Was dann?" „Amanda ..." „Ich will nicht noch einmal abgelegt werden wie ein altes Hemd", sagte Amanda. „Es war schon schlimm genug, dass Dwight und Kyle der Meinung waren, sie brauchten mich nicht mehr. Ich habe keine Lust, darauf zu warten, dass auch Josh mich nicht mehr braucht." „Woher willst du denn wissen, dass so etwas passiert?" meinte Brandy, aber ein unsicherer Ausdruck lag auf ihrem Gesicht. „Ich weiß es. Und vielleicht bin ich dumm. Aber ich möchte vorbereitet sein." Die nächsten zwei Tage verbrachte Amanda damit, Joshs Weihnachtsfeier vorzubereiten, Brandy mit zwei weiteren Festen zu helfen, ins neue Büro einzuziehen, die letzten Einkäufe zu erledigen und sich ständig zu sagen, alles sei wundervoll zwischen ihr und Josh. Und doch, jedes Mal, wenn Josh sie spaßeshalber Weihnachtselfe nannte, zuckte sie zusammen. Und auf seiner Firmenweihnachtsfeier traf sie endlich ihre Entscheidung. Es war nicht so, dass irgendetwas schief lief. Im Gegenteil, es war wohl eine der besten Feiern, die Amanda jemals organisiert hatte. Selbst einige aus Joshs Familie kamen, mischten sich unter die Geschäftsfreunde und waren überwältigt wegen all der Technik. Charmaine kam mit Wendell. „Es ist alles verbunden mit dem Kosmos", rief sie aus, hielt sich dabei an Wendells Arm fest und blickte ihn an. „Natürlich in einer realitätsbezogenen Weise." „Es ist alles so unglaublich modern", sagte Mimi, während Judith die Badezimmer bewunderte. Seine Mutter bewunderte einfach alles. „Dein Vater wäre so stolz auf dich", sagte sie mit Tränen in den Augen zu Josh. Selbst Josh schien sich zu amüsieren. Er ging herum und erklärte ruhig allen Interessierten die technischen Details. Und allen Leuten stellte er Amanda vor. „Dies ist die Person, die für all dies verantwortlich ist", sagte er. „Amanda Kringleton. Meine ganz persönliche Weihnachtselfe." Als alles vorüber war, war er hellauf begeistert. „Wir haben es geschafft", sagte er, als sie wieder bei ihm zu Haus waren. „Hank sagt, die Leute hätten ihm ihr Geld fast mit Gewalt aufgedrängt." Er setzte sich mit ihr aufs Sofa und zog sie an sich. „Es ist einfach hervorragend gelaufen", rief er und starrte auf den Weihnachtsbaum. „Die Investoren stehen Schlange. Und die Geschenke für sie waren einfach klasse!" Er lachte leise. „Weißt du, seit meiner Kindheit war ich wegen Weihnachten nicht mehr so aufgeregt. Ich kann es kaum
erwarten, dass alle ihre Geschenke öffnen. Ich hoffe nur, sie gefallen ihnen." „Ganz bestimmt", sagte Amanda. „Und das Beste daran ist, dass du von allein auf die meisten der Geschenke gekommen bist." Josh wirkte erfreut. „Das ist wohl so ..." Er drückte ihre Schulter. „Aber ich hätte all dies nicht ohne meine Weihnachtselfe geschafft." Amanda musterte sein Gesicht. „So siehst du mich? Als deine Weihnachtselfe?" „Aber sicher." Er verstand ihre Frage anscheinend nicht. „Meine persönliche Weihnachtselfe." Na großartig! dachte Amanda. Sie erhob sich und wusste, jetzt war der entscheidende Moment gekommen. „Und wo wir gerade von Elfen sprechen, es ist an der Zeit, dass diese wieder geht." „Geht?" Josh sah sie verwirrt an. „Wohin gehst du?" „Zum Nordpol", erinnerte Amanda ihn. „So war es doch abgemacht, vergessen? Nach Weihnachten kehre ich an den Nordpol zurück." Josh starrte sie verdutzt an. „Ja, aber ..." „Es ist nach Mitternacht, Josh. Es ist Heiligabend. Und am Heiligabend muss ich zum Nordpol zurückkehren." „Ich weiß, aber ..." Er fuhr sich mit den Fingern durchs Haar. „Ich hatte nicht gemeint ... das heißt, ich hatte nicht wirklich erwartet, dass du ..." „Was hast du denn erwartet?" fragte Amanda. „Ich habe alles erledigt, was vereinbart war", fuhr sie fort. „Wir haben Geschenke gekauft. Sie alle eingepackt und mit den Namen versehen. Wir haben die Weihnachtsfeier hinter uns. Ich habe die Rolle deiner festen Freundin gespielt." Sie legte die Hand auf den Bauch, weil sie auf einmal Magendrücken hatte. „Dazu hast du mich doch engagiert, oder?" Josh starrte sie immer noch an. „Ja, das stimmt. Aber ..." „Dann brauchst du doch keine Weihnachtselfe mehr, oder?" Er sah ihr in die Augen. Dann senkte er den Blick. „Du hast wohl Recht", sagte er langsam. Amandas Enttäuschung schlug über ihr zusammen. Sie hatte zwar nicht mit einer anderen Reaktion von ihm gerechnet, aber gehofft hatte sie doch ... Sie atmete tief durch. „Nun, dann vielen Dank für alles", sagte sie so ruhig wie möglich. „Das Büro ist wirklich wunderschön. Und du hast uns auch viel mit den Aufträgen geholfen ... Und ich freue mich aufrichtig, dass ich deine Familie kennen gelernt habe." „Ja", sagte Josh. „Das gilt auch für mich." Er sah aus wie jemand, der gerade vor einen Lastwagen gelaufen war und nicht ganz begriff, was geschehen war. Genau das Gleiche empfand Amanda. Sie gab ihm einen Kuss auf die Wange, nahm ihren Mantel und marschierte zur Tür hinaus. „Ich fasse es einfach nicht!" rief Brandy. Sie drückte Amanda eine Tasse Tee in die Hand, setzte sich auf einen der Küchenstühle und starrte Amanda an, als hätte sie den Verstand verloren. „Du hast mit ihm Schluss gemacht, weil es Heiligabend war?" „Wir haben nicht richtig Schluss gemacht", erwiderte Amanda. „Es ist einfach nur zu Ende, das ist alles." Sie trank einen Schluck. „Es war nur ein Job, und dieser Job endete Heiligabend." „Es war nicht nur ein Job! Du hast praktisch mit dem Burschen zusammengelebt!" „Ich weiß." „Und für mich hört es sich nicht so an, als wolle er Schluss machen." Amanda rief sich seinen fassungslosen Ausdruck in Erinnerung zurück, als sie hinausging. „Das mag stimmen." „Dann wollte er es auch nicht. Du wolltest es nicht." Brandy runzelte die Stirn.
„Und warum hast du es dann getan?" „Ich musste es einfach", sagte Amanda. „Es wäre sowieso zu Ende gegangen." Sie holte tief Luft. „Und weißt du, wie es geendet hätte, Brandy? Er hätte einfach aufgehört anzurufen. Er hätte sich wieder in seine Arbeit vergraben und mich ver gessen. Und dann wäre er am Wochenende in seine Wohnung gekommen, höchst erstaunt, mich dort zu sehen. Er würde mir nicht wehtun wollen, aber er würde es." „Und dies tut nicht weh? Für mich sieht es aber stark danach aus." „Es ist besser als die Alternative." Amanda wischte sich die Tränen aus dem Gesicht, die ihr wieder über die Wangen rollten. „Ich konnte einfach nicht dastehen und zusehen, wie ihm langsam klar wird, dass er mich nicht mehr braucht." „Du weißt doch gar nicht, ob so etwas geschehen würde." „Doch, das weiß ich." Amanda trank noch einen Schluck Tee. „Und du weißt es auch. Du selbst hast doch behauptet, kein Mensch würde sich wirklich ändern." „Da könnte ich mich geirrt haben", meinte Brandy langsam. „Bei Harvy habe ich mich geirrt." „Aber nicht bei Josh", sagte Amanda. Sie trank noch einen Schluck Tee, aber er wärmte sie nicht. Innerlich war ihr schrecklich kalt, so kalt, als wäre sie am Nordpol.
11. KAPITEL
„Am Samstag?" sagte Josh ins Telefon. „Ich weiß nicht, ob es am Samstag geht, Mom. Erst muss ich ..." Das Bild einer zierlichen blonden Frau schoss ihm durch den Kopf. Nein, er musste es mit keinem mehr absprechen. „Doch, es geht", sagte er. „Samstag ist okay." „Und was ist mit Amanda?" erkundigte sich Edwina. „Meinst du, sie kommt auch mit?" „Nein", erwiderte Josh. „Amanda wird nicht mitkommen." Ein langes Schweigen war die Antwort am anderen Ende der Leitung. Als Edwina endlich sprach, schwangen Besorgnis und Fragen in ihrer Stimme mit. „Seit Weihnachten haben wir von Amanda nicht viel zu sehen bekommen. Heute ist der fünfte Januar. Ist sie zu ihrer Familie gefahren?" „Ich ... ich glaube nicht", murmelte Josh. Edwina räusperte sich. „Ihr zwei habt doch nicht miteinander ... Schluss gemacht, oder?" „Nicht genau", murmelte Josh. Schluss gemacht hatten sie nicht miteinander. Mit einem Job war Schluss gewesen, das war alles. „Ich ... wir sehen uns einfach nicht mehr." „Warum?" fragte Edwina in scharfem Ton. „Du hast sie doch wohl nicht mit einer anderen Frau betrogen, oder?" „Lieber Himmel, nein", sagte Josh. Er konnte sich gar nicht vorstellen, mit einer anderen Frau zusammen zu sein. „Was dann?" „Ich kann jetzt nicht weiter darüber reden", unterbrach Josh seine Mutter. „Ich muss weiterarbeiten." Er legte auf und musterte düster das Telefon. Was war nur los mit seiner Familie? Sie hatten gewollt, dass er eine Beziehung begann, und er hatte eine gehabt. Na gut, eine richtige Beziehung war es eigentlich nicht gewesen, aber das wussten sie ja nicht. Warum konnten sie sich nicht einfach freuen, dass er eine gehabt hatte, und es wieder vergessen? Dann könnte er es vielleicht auch wieder vergessen! Und genau das wollte er. Er hoffte, dass es so sein würde. Er hatte auch alle anderen Beziehungen wieder vergessen können, für eine Zeit sogar die zu seiner Familie. Aber es sah so aus, als könne er seine Weihnachtselfe nicht vergessen ... Zwei Wochen lang hatte er Amanda nicht mehr gesehen, und es waren die bislang schlimmsten Wochen seines Lebens gewesen. Wachte er morgens auf, dachte er zuerst an sie, und sein erster Gedanke war, sie anzurufen. Aber er hatte einfach nicht gewusst, was er ihr sagen sollte. Sie hatte Recht. Ein Job war zu Ende gewesen. Es gab keine Geschenke mehr auszuwählen, keine Partys oder Feiern zu planen. Er benötigte keine Weihnachtselfe mehr. Weihnachten war er wie im Nebel herumgelaufen, hatte zugesehen, wie seine Verwandten ihre Geschenke öffneten, und sich ihren Dank und ihre Begeisterung angehört, Natürlich hatten sich alle nach Amanda erkundigt. Er hatte ihnen erzählt, sie sei verreist. Er brachte es nicht übers Herz, ihnen zu sagen, dass sie sich nicht mehr sahen. Er hatte gedacht, Weihnachten würde es ihm gelingen, nicht mehr ständig an Amanda denken zu müssen. Das war leider nicht der Fall gewesen. Also hatte er sich in seine Arbeit gestürzt. Auch das half nichts. Nichts schien zu helfen. Er nahm die Fotografie zur Hand, die auf seinem Schreibtisch stand. Es war Amandas Weihnachtsgeschenk an ihn. Ein Bild seiner Familie. Er strich mit dem Finger über die glatte Oberfläche, ließ ihn auf seinem eigenen Gesicht liegen. Der einzige Mensch, der darauf fehlte, war Amanda. Abrupt stellte er das Bild wieder beiseite, zornig auf alles und jeden auf der Welt,
und brüllte: „Mable!" Mable erschien umgehend. „Was ...", begann sie, aber er ließ sie gar nicht zu Ende reden. „Haben Sie diese technischen Unterlagen, um die ich Sie gebeten hatte?" knurrte er. „Nein, natürlich noch nicht. Sie haben mich erst vor zehn Minuten darum gebeten." Josh funkelte sie an. „Ich brauche sie sofort!" „Sie brauchen etwas sofort, aber das sind keine technischen Unterlagen", warf ihm Mable an den Kopf. „Und wenn Sie mich noch einmal anschnauzen, bekommen Sie meine Brandyflasche an den Schädel." Sie kam ein paar Schritte näher. „Was ist eigentlich mit Ihnen los? Seit Weihnachten haben Sie schlechte Laune. Was ist geschehen? Ich dachte, Ihrer Familie hätten die Geschenke gefallen?" „Das haben sie auch." Josh lächelte kurz bei der Erinnerung an die begeisterten Ausrufe. Aber dann verblasste sein Lächeln wieder. Natürlich mussten sie ihnen gefallen. Sie waren ja von einer Weihnachtselfe ausgesucht worden. „Aber welche Laus ist Ihnen dann über die Leber gelaufen?" wollte Mable wissen. „Überhaupt keine", knurrte er, obwohl er den Grund für seine schlechte Laune sehr wohl kannte. „Es ist kalt draußen. Viel zu viel Schnee. Und ... ich mag den Januar einfach nicht." „Wirklich?" Mable zog eine Augenbraue hoch. „Was soll ich dagegen unternehmen? Ihnen vielleicht ein Ticket in den Februar besorgen?" „Nein!" knurrte Josh. Der Februar würde ihm wohl ebenso wenig gefallen wie der Januar. „Okay - welchen Monat mögen Sie?" Wie wäre es mit Dezember? dachte Josh. Der Dezember hat mir gefallen. „Das weiß ich nicht, aber auf keinen Fall dieser Monat." „Vielleicht war es der Dezember", schlug ihm Mable mit sanfter Stimme vor. Josh fuhr sich mit den Fingern durchs Haar. „Der Dezember war nicht schlecht", gestand er ein. „Na, kommen Sie, Josh", rief Mable. „Im Dezember waren Sie glücklicher als seit Jahren. Es ging Ihnen erst schlechter, als Weihnachten heranrückte ... und Sie sich von Amanda trennten." „Wir haben uns nicht getrennt", fuhr Josh sie an. „Es war ein Job, mehr nicht. Und er endete so, wie abgemacht war - am Heiligabend." „Mehr war Amanda für Sie nicht? Nur jemand, den Sie für eine begrenzte Aufgabe engagierten? „Doch, natürlich", erwiderte Josh. „Amanda war mehr als nur das ... sie war etwas ... Besonderes." „Und ich glaube, das bedeuteten Sie für sie auch", erklärte Mable. „Und aus Gründen, die ich nicht nachvollziehen kann, würde ich sagen, hat Amanda sich in Sie verliebt." „Wirklich?" Ein Hochgefühl erfüllte ihn auf einmal, das aber ebenso schnell wieder erstarb. „Aber wenn sie so für mich empfindet, warum hat sie mich dann verlassen?" „Weil sie glaubt, dass Sie nicht so wie sie empfinden." „Aber natürlich empfinde ich ebenso wie sie", sagte Josh, ohne zu überlegen. „Haben Sie es ihr denn jemals gesagt?" „Nein, natürlich nicht", antwortete Josh. „Wie hätte ich es denn tun können? Ich wusste doch nicht, was sie empfand!" „Nun, jetzt wissen Sie es", sagte Mable. „Und was werden Sie nun unternehmen?" Da griff er zum Telefon. „Zuerst rufe ich meine Mutter an. Ich glaube, sie hat es verdient, die ganze Geschichte zu erfahren." Er grinste, plötzlich wieder voller
Hoffnung. „Und dann besorge ich ein sehr persönliches Geschenk für Amanda." Er atmete tief durch. „Ich hoffe nur, es wird ihr auch gefallen." „Das Geschäft boomt", berichtete Brandy. „Dieses Büro können wir ohne Probleme bis an unser Lebensende mieten - und uns zugleich noch ein anständiges Gehalt zahlen!" „Wie schön", sagte Amanda mit trübsinniger Miene. Sie war sich nicht sicher, ob sie ihr Büro überhaupt noch mochte. Jedes Mal, wenn sie sich umschaute, musste sie an Josh denken. Alles erinnerte sie an Josh - vom Schnee auf der Fensterbank bis hin zu Brandys Gesicht. Sie schüttelte den Kopf. Sie hatte sich bei ihren Eltern ausgeheult, und sie hatte sich bei Brandy ausgeweint. Nun war es Zeit, dass das Leben weiterging. Brandy stieß einen abgrundtiefen Seufzer aus. „Warum gehst du nicht nach Hause, Amanda?" Weil es dort genauso schlimm ist wie hier, dachte Amanda. Eigentlich sogar noch schlimmer. Ohne all die Kartons und Geschenke kam es ihr dort fürchterlich leer vor, und Joshs Verwandte hinterließen ständig Nachrichten auf ihrem Anruf beantworter. Amanda hatte keinen einzigen ihrer Anrufe beantwortet. Josh war der Einzige, der nicht angerufen hatte. Amanda hatte es eigentlich auch nicht erwartet, sich aber dennoch heimlich Hoffnungen gemacht. Sie fuhr trotzdem nach Hause. Als sie gerade dabei war, sich einen Tee zu kochen, klingelte es an der Haustür. Als sie öffnete, stand Josh da. Sein Mantel war offen, er hatte keine Krawatte umgebunden, und seine Haare sahen aus, als hätten der Wind und seine Finger sie durcheinander gebracht. Allein schon Joshs Anblick ließ Amandas Herz wie verrückt hämmern. Einen Moment lang standen beide stumm da. Amanda brachte kein Wort heraus, und er starrte sie mit demselben Blick an, mit dem er sie das erste Mal angesehen hatte. Dann räusperte er sich und lächelte schwach. „Ich starre dich an, nicht wahr?" sagte er. „So ... ungefähr", stammelte Amanda. Dann erst sah sie über seine Schulter hinweg, dass er seine gesamte Familie dabeizuhaben schien. „Was ...?" „Ich bin gekommen, um dir ein Weihnachtsgeschenk zu bringen." Er lächelte flüchtig. „Ich weiß, es kommt etwas spät, aber ich hoffe wirklich, es gefällt dir." „Oh ... Du hast deine Familie mit hergebracht, damit du mir ein Weihnachtsgeschenk machen kannst?" „Das musste sein", erklärte Josh. „Sie haben mir alle geholfen, es auszusuchen." Er hob eine Hand. „Ich hatte nicht vor, alle dafür einzuspannen, aber ... also, ich erzählte Mom die ganze Story, und sie rief Shelby an, und Shelby rief Louise und Charmaine an und ..." Er zuckte mit den Schultern. „Und dann hockten wir plötzlich alle zusammen." „Oh ...", sagte Amanda noch einmal. Sie hatte wohl gewollt, dass er mehr Zeit mit seiner Familie zusammen verbrachte. Aber sie war sich nicht mehr sicher, ob sie dieses Ausmaß gemeint hatte. Sie öffnete die Tür weiter. „Wollt ... ihr nicht hereinkommen?" „Nein, das wollen sie nicht", erwiderte Josh. Er kam allein herein und schloss fest die Tür hinter sich. „Ich komme herein. Die anderen werden in dem Cafe auf der anderen Seite der Straße warten. Es gibt ein paar Dinge, die ein Mann ohne Publikum erledigen muss, und dies ist eins davon. Wir holen sie später." Mit einem unsicheren Ausdruck im Gesicht zögerte er einen Moment. „Es hängt allerdings davon ab, wie dies hier abläuft." Amanda versuchte einen Moment lang, ihr rasendes Herz zu beruhigen, allerdings vergeblich. Josh schob beide Hände tief in die Taschen. „Ich sollte dir sagen, dass meine
Familie über alles Bescheid weiß." „Alles über mich?" fragte sie schwach. „Ja. Ich habe ihnen die ganze Geschichte erzählt." „Wirklich?" „Ja ..." Er zuckte zusammen. „Sehr erfreut waren sie nicht darüber. Meine Mutter hat mir ordentlich die Leviten gelesen. Shelbys Bezeichnung für mich war nicht sonderlich schmeichelhaft. Sie nannte mich einen Trottel. Marilla meinte, wie gut, dass ich keine Katze hätte, denn ich sei zu dämlich, richtig für sie zu sorgen. Und Charmaine warf mir vor, ich sei der Mensch mit der geringsten Sensibilität für kosmische Verbindungen, den sie je kennen gelernt hätte." Er seufzte auf und senkte den Kopf. „Und das war nur der Anfang." „Du lieber Himmel." Warum hatte er all dies auf sich genommen? Und warum erzählte er es ihr? Josh hob wieder den Kopf und lächelte sie leicht an. „Ich glaube, ich habe es wohl verdient. Schließlich engagiert wohl nur ein Blödmann jemanden dafür, persönliche Informationen über die eigenen Familienmitglieder in Erfahrung zu bringen. Und denjenigen dann auch noch zu erpressen, so zu tun, als hätte er etwas mit ihm, ist noch schlimmer." „Eigentlich waren es ja nur starke Argumente", korrigierte ihn Amanda. „Und eigentlich habe ich dieselbe Methode bei dir angewandt." Mit besorgtem Blick schaute sie zur Tür. „Ist deine Familie deswegen hier? Damit sie mir auch den Kopf waschen kann?" Sie würde es ihr nicht übel nehmen können, aber Lust darauf hatte sie absolut nicht. „Natürlich nicht!" versicherte ihr Josh. „Es war alles meine Schuld, habe ich ihnen erzählt. Und das stimmt auch. Ich habe dich in gewisser Weise gezwungen mitzumachen - auch wenn du vielleicht hättest Nein sagen können. Ich wollte sowieso anbieten, mitzuhelfen." „Das ... das stimmt", stotterte Amanda. „Aber versteht denn deine Familie ..." „Mach dir deswegen keine Sorgen. Sie sind nicht sauer auf dich, in keinster Weise." Er schaute sie an. „Sie sind sogar nicht einmal mehr auf mich sauer. Ich habe ihnen erklärt, dass ich sie nur glücklich machen wollte, ihnen das geben wollte, was sie sich wünschten. Das schien zu helfen." Amanda war nicht überrascht. Josh konnte mit seinem Charme jeden um den Finger wickeln. Er holte tief Luft, schaute einen Moment lang auf seine Hände, hob dann den Kopf und blickte Amanda wieder an. „Hast du mich deswegen verlassen, Amanda? Weil du mich auch für einen Trottel hältst?" Wie konnte er nur so etwas denken? Sie war verrückt nach ihm! „Genau genommen habe ich dich nicht verlassen, Josh. Der Job war zu Ende, das war alles. Ich war deine Weihnachtselfe, und du hast gesagt, du würdest nach Weihnachten keine mehr benötigen." „Das waren eigentlich deine Worte", sagte Josh. „Und ich dachte, du hättest Recht. In fast allem anderen hattest du Recht..." Er runzelte die Stirn. „Nun, praktisch in allem." „Vielleicht nicht, aber ..." „In einem aber hattest du nicht Recht", erklärte er. „Ich brauche dich. Du weißt nicht, wie miserabel es mir gegangen ist ohne dich. Sogar Weihnachten ging es mir dreckig, obwohl alle von ihren Geschenken begeistert waren." „Wirklich?" „Ja. Aber das sollten sie eigentlich auch. Schließlich hat eine Weihnachtselfe mir bei der Auswahl geholfen." Da war er wieder ... dieser Name! „Josh, ich ..."
„Ich habe sehr viel darüber nachgedacht", fuhr Josh aber fort. „Und dann wurde mir irgendwann klar, ich brauchte nicht nur zu Weihnachten eine Weihnachtselfe. Ich brauchte sie das ganze Jahr hindurch. Für immer und ewig." Er griff in seine Manteltasche, zog ein rot eingepacktes Schächtelchen heraus und reichte es ihr. „Wenn ich dir sage, dass ich dich haben will, dich brauche und dich liebe und versuchen werde, in Zukunft nicht mehr ein solcher Trottel zu sein - wirst du dir dann vielleicht überlegen, den Job anzunehmen?" Amanda war zu verdutzt, um zu begreifen, was er sagte. Sie starrte ihn an und dann auf das Geschenk. Es war klein und rechteckig und hatte genau die richtige Größe und ... Fragend blickte sie ihn an. „Ich denke, du solltest es erst aufmachen, bevor du dich entscheidest", sagte Josh sanft. Träumte sie? Du solltest bei Josh Larkland nicht zu voreilig irgendwelche Schlüsse ziehen, ermahnte Amanda sich ein wenig hysterisch. Wer weiß, vielleicht schenkte er ihr nun eine Spaghettimaschine und nicht das, was sie hoffte, er würde es ihr schenken. Sie entfernte das Weihnachtspapier, öffnete das Schächtelchen und starrte auf den funkelnden Diamanten. „O Josh", hauchte sie entzückt. „Er ist ... ist ... ich weiß nicht, was ich sagen soll, ich ... ich ..." „Nun, dann sag doch einfach Ja, verdammt noch mal", unterbrach Josh sie. „Ich verliere noch den Verstand. Sag Ja, Nein oder Verschwinde hier, du Trottel, aber steh nicht nur einfach da, denn ich kann nicht mehr ..." „Ja", sagte Amanda da rasch. Sie strahlte ihn an. „Obwohl ich glaube, die korrekte Antwort heißt: Ja, ich danke dir, nur zu gern werde ich dein Eheweib ..." „Super", unterbrach Josh sie. „Nun sind wir wohl offiziell miteinander verlobt. Und diesmal richtig." Er zog sie in die Arme und presste sie an sich. „Ich bin froh, dass wir das geregelt haben. Ich dachte schon, ich müsste auf den Knien vor dir liegen." Seine Lippen strichen über ihren Mund, und dann wurde sein Kuss leidenschaftlich. Amanda erwiderte seinen Kuss mit der gleichen Leidenschaft, hielt sich an ihm fest, genoss es, wieder seinen vertrauten Körper zu spüren, seine Lippen, alles an ihm. „O Josh, ich liebe dich so sehr", flüsterte sie. „Ich liebe dich auch, Amanda", murmelte er. Sie fing an, ihm das Hemd aufzuknöpfen, dann aber hörte sie auf, nahm seine Hand und zog ihn den Flur mit sich entlang. „Komm, ich will dir zeigen, wie Elfen Verlobung feiern." Sie waren schon den halben Flur entlanggegangen, eng aneinander geschmiegt, als Josh stehen blieb. „Was ist mit meiner Familie?" fragte er. „Sie werden auf uns .warten. Meinst du, wir sollten ..." „Absolut nicht", erwiderte Amanda fest. Es gab Zeiten, die man der Familie widmen sollte. Aber nicht jetzt.
-ENDE -