Lass uns neu beginnen, Camille
Lee Damon
Bianca 562 02-2/88
Gescannt von suzi_kay
Korrigiert von claudia-L
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Lass uns neu beginnen, Camille
Lee Damon
Bianca 562 02-2/88
Gescannt von suzi_kay
Korrigiert von claudia-L
1. KAPITEL Eines Tages in einem heißen Juli ... „Vielen Dank. Kommen Sie doch wieder vorbei, wenn Sie einmal in der Gegend sind." Camilles freundliches Lächeln verblasste, als die elegante Dame das Geschäft verließ, und die Tür hinter ihr ins Schloss fiel. Wie konnte jemand bei dieser Hitze nur so makellos gepflegt und kühl aussehen? „Es reicht!" Mit resoluten Schritten verschwand Camille in dem kleinen Büro hinter dem Laden. Dort zog sie den langen Rock ihres Baumwollkleides hoch, das ganz im Kolonialstil gehalten war. Der breite Bund, der die beiden Petticoats zusammenhielt, war verschwitzt. Es dauerte ein paar Sekunden, bis es Camille ge lang, den Verschluss zu öffnen. Mit einem Seufzer der Erleichterung ließ sie die Röcke zu Boden gleiten. „Originalität ist schön und gut", teilte sie dem Kater mit, der sich auf dem Schreibtisch ausgestreckt hatte und sie schläfrig beobachtete. „Aber ich habe keine Lust, deswegen zu ersticken." Sie schüttelte die Petticoats aus und hängte sie an einen Haken an der Wand. Dabei fiel ihr Blick in den langen Spiegel hinter der Tür. Nicht schlecht - solange sie aufrecht stand. Ohne die Petticoats berührte der Säum des Kleides fast den Boden. Wenigstens hatte es kurze Ärmel und einen relativ tiefen Ausschnitt. Da sie nun nur noch einen winzigen BH und ein ebenso winziges Höschen unter dem Kleid trug, würde sie die Hitze vielleicht ertragen können. Das lange braune Haar hatte sie sich auf dem Kopf zu einem Knoten gesteckt. Ein paar Strähnen hatten sich gelöst. Sie steckte sie wieder fest. Dabei musste sie unwillkürlich über sich selbst lachen. Weder das hochgesteckte Haar noch das lange Kleid ließen sie größer wirken als ihre einen Meter fünfundfünfzig. Sie wusste, dass sie mit ihrer zierlichen Figur und den großen Augen um Jahre jünger wirkte als zweiundzwanzig. „Eitelkeit! Nichts als Eitelkeit!" schalt sie ihr Spiegelbild. „Sei zufrieden mit dem, was du hast, Camille Anders, und hör auf, dir über Dinge Gedanken zu machen, die du nicht ändern kannst. Du bist eben nicht von atemberaubender Schönheit. Du hasst es, ,süß' genannt zu werden. Ja, und? Du bist gesund und jung, und du wirst dir nie Gedanken machen müssen, wovon du am nächsten Ersten die Miete zahlst. Du hast ein noch druckfrisches College-Diplom, und das ganze Leben liegt vor dir. Es hängt allein von dir ab, was du daraus machst! Was ist schon dabei, dass du aussiehst, wie eine übergroße Elfe? Sicher gibt es irgendwo einen Mann, der auf Elfen steht. In der Zwischenzeit. Camille nahm den Kater auf den Arm und drehte sich mit ihm im Walzertakt. Er schien wenig erbaut davon zu sein, so unge stüm aus seiner Ruhe gerissen zu werden, aber Camille lachte nur. „In diesem Sommer bleibe ich hier und helfe Tante Sarah und Onkel Phil mit dem Laden. Und im Herbst - wer weiß? Vielleicht fahre ich dann nach Kalifornien* und besuche alte Freunde. Dabei könnte ich mich auch gleich nach einem Job umsehen. Irgend etwas wird es schon geben für jemanden mit einem Diplom in Geschichte. Andererseits: was hältst du von Europa? An sich wäre jetzt der richtige Zeitpunkt, mich dort umzusehen, bevor ich mich in irgendeinem Job vergrabe. Ich könnte herumreisen und mir all das ansehen, was ich bislang nur aus Büchern kenne. Der Herbst ist dafür sicher die beste Jahreszeit - nicht zu viele Touristen, kein Massenbetrieb in den Museen. Ich könnte mir einen Wagen leihen und auch in die entlegeneren Gegenden fahren. Was meinst du dazu, Kater? Klingt das gut?" Dem Kater schien der Sinn nicht nach Reisen zu stehen. Er gähnte herzhaft und zappelte, um seine Freiheit zurückzuerlangen. Camille zeigte Erbarmen mit ihm. Sie setzte ihn wieder auf dem Tisch ab und rollte ihn auf den Rücken, um ihm den Bauch zu kraulen. Für einen Moment glitt ein Schatten über ihre Züge. Sie musste an ihre Eltern denken. Ihnen hatte sie es zu verdanken, dass sie überhaupt in Erwägung ziehen konnte, mehrere
Monate in Europa zu verbringen. Sie waren beide Archäologen gewesen. Bei Ausgrabungen in Chile waren sie durch ein Erdbeben dann beide ums Leben gekommen. Camille war damals gerade siebzehn gewesen. Sie hatten ihr viele schöne Erinnerungen zurückgelassen und eine Lebensversicherung, die sie für den Rest ihres Lebens mit einem bescheidenen Einkommen versorgen würde. Ihr Lieblingsonkel, der Bruder ihres Vaters, Philip Anders, war zu ihrem Vormund ernannt worden. Er und seine Frau Sarah hatten sie zu sich in ihr schönes Haus in den Berkshire Hills in WestMassachusetts geho lt. Camille hörte die Ladenglocke anschlagen. Ein leichtes Lä cheln umspielte ihre Lippen, als sie das Büro verließ, um ihren Kunden zu begrüßen. Das Lächeln galt den Erinnerungen der vergangenen Jahre. Es war eine schöne Zeit gewesen. Ihr Onkel und ihre Tante, hatten ihr ein liebevolles Heim geboten. Es hatte Spaß gemacht, neue Freunde zu finden und die Gegend zu erkunden, die so ganz anders war als Kalifornien, wo sie aufgewachsen war. Dann die Jahre im College. Während der Semesterferien hatte sie immer in dem kleinen Antiquitätengeschäft der Anders in West-Stockbridge ausgeholfen. Der ganze Ort war wie ein altes Yankee-Dorf restauriert worden und zählte seither zu den Touristenattraktiorien der Berkshire Hills. Das einzige Problem war eigentlich nur das Kostüm, das sie auch bei der drückendsten Juli- Hitze zu tragen hatte. Wohl zum tausendsten Male wünschte sie sich eine Klimaanlage im Laden, als sie das leise Surren des Ventilators hörte. Um zwei Uhr zeigte das Thermometer auf der Veranda fast siebenunddreißig Grad an. Camille erwog ernsthaft, den Laden für den Rest des Tages zu schließen. Sie hatte das Gefühl, förmlich dahinzuschmelzen. Schon zum vierten Mal begab sie sich in das kleine Bad und ließ sich kühles Wasser über die Handgelenke laufen. Anschließend rieb sie sich Gesicht und Hals mit einem feuchten Tuch ab. Zurück im Laden, konnte sie der Versuchung nicht widerstehen, sich mit dem Rücken zum Ventilator zu stellen und den Rock anzuheben, um einen kühlen Luftzug an den Beinen zu spüren. Dabei Schloss sie die Augen und stellte sich im Geiste einen kühlen Bach vor, der über Felsbrok-ken dahinplätscherte und schließlich in einen herrlichen klaren See herabfiel... Das Anschlagen der Ladenglocke brachte sie unvermittelt in die Wirklichkeit zurück. Sie blickte auf und sah in die amüsierten grauen Augen eines Wesens, das bei Wahrsagerinnen so beliebt ist: Ein großer, dunkler, gutaussehender Fremder stand ihr gegenüber. Die Situation erinnerte sie überwältigend an die vielen historischen Liebesromane, die sie verschlungen hatte: Die ungestüme junge Heldin wird in einer peinlichen Situation von dem ach so weltgewandten Helden überrascht. Camille musste lachen. Befangen in ihrer Vision * und ermutigt von seinem Lächeln, ließ sie ihr Kleid wieder herunterfallen und trat vor, um in einen formvollendeten Hofknicks zu sinken. „Willkommen in unserer bescheidenen Klause, Mylord." Dem untertänigen Ton widersprach das Lächeln, das in ihren Augen blitzte. Im Geiste sah sie seine große, breitschultrige Gestalt vor sich in auf Hochglanz polierten Reitstiefeln, einer enganliegenden Jacke und einem gestärkten weißen Hemd mit Rüschen. Nicht zu vergessen den breitkrempigen Hut auf dem gewellten dunklen Haar. Zum erstenmal in seinem achtundzwanzigjährigen sorgfältig geplanten und gesteuerten Leben vergaß Nick de Conti, wer er war, und reagierte spontan. Bezaubert von diesem entzückenden Wesen, das einem anderen Jahrhundert entsprungen zu sein schien, trat er vor, nahm ihre Hand und beugte sich darüber. „Das Vergnügen ist ganz meinerseits, Mylady", murmelte er und hauchte einen Kuss auf die Innenfläche ihrer Hand. Ohne sie loszulassen, richtete er sich auf. Ein Blick in ihr lächelndes Gesicht, und er war verloren. Er brauchte Zeit, um sein inneres Gleichgewicht zurückzufinden. Deswegen setzte er das Spiel fort. „Mylady... was?" überlegte er laut und ließ seinen Blick dabei über sie hingleiten. „Soweit ich mich erinnere, gab der Herr seiner Dame oft einen speziellen Namen, um eine Besonderheit hervorzuheben. Was hätten Sie sein können? Hmm... Eine Lady Honey
Pot? Nein. Ich habe das Gefühl, Sie sind nicht immer süß wie Honig. Nicht bei dem energischen kleinen Kinn. Nein, nein, lachen Sie nicht!" tadelte er sie gespielt streng. „Dies ist eine sehr ernste Angelegenheit. Wir müssen den richtigen Namen für Sie finden. Vielleicht ,Lady Sunshine' - für das sonnige Lächeln? Aber nein, das geht auch nicht. ,Lady Sunshine' müsste blond sein, nicht dunkel." „Wie wäre es mit ,Lady Winzig'?" Camille hatte Mühe, ernst zu bleiben. „Oder ,Lady Halbe-Portion'?" „Wie ordinär! Nein, wenn wir Ihre Größe romantisieren wollten, müssten wir schon eine... eine ,Lady Petite Venus' daraus machen, meine ich." Er nahm auch ihre andere Hand und breitete ihre Arme aus, um sie eingehend zu betrachten. „Ja, das wäre möglich", erklärte er nachdenklich. „Zumindest, soweit sich das durch das Kleid hindurch beurteilen lässt. Schlank, aber mit anmutigen Rundungen, nicht zuviel, nicht zuwenig... Erröten Sie etwa, Mylady?" „Sie sind einfach unmöglich!" Camille lachte laut auf. Nick ließ den Blick nicht von ihrem Gesicht. Langsam zog er sie näher. Er schob seine Hand unter ihr Kinn und hob es leicht an, während er sich zu ihr herabbeugte. „Ich weiß den Namen jetzt", sagte er leise. „Es ist das erste, was mir an Ihnen aufgefallen ist: ihre lachenden Augen. Lady Laughing Eyes. Das ist der perfekte Name." Seine warmen Lippen drückten sich für einen Moment auf ihre. Dann hob er den Kopf ein wenig, um ihr in die Augen sehen zu können. „Meine Lady Laughing Eyes", flüsterte er rau, bevor ihre Lippen erneut zu einem Kuss verschmolzen, der gleichzeitig Eroberung und Hingabe besiegelte. Als er den Kopf endlich hob und Camille wieder auf den Boden stellte, hatte sie das Gefühl, es drehe sich alles um sie. Ihre Knie schienen weich. Sie klammerte sich an die Schultern dieses Mannes, da sie das einzig Stabile in ihrer unmittelbaren Umge bung zu sein schienen. Nicht, dass sie noch nie geküsst worden wäre. Ganz im Gegenteil! Aber nicht einmal Andy Larsen, in den sie fast ein Jahr lang während ihrer College-Zeit verliebt gewesen war, hatte eine derartige Wirkung auf sie gehabt. Es war zwischen ihnen nie bis zur letzten Intimität gekommen, obwohl sie ein paarmal kurz davor gewesen waren. Aber auch nicht in den leidenschaftlichsten Momenten hatte er ihren Puls derart zum Rasen, ihr Inneres so zum Schmelzen gebracht wie dieser Mann. Camille öffnete und Schloss die Augen ein paarmal, um wieder einen klaren Kopf zu bekommen. Sie. sah direkt in ein Paar dunkle Augen, in denen ein Ausdruck unverholene n Verlangens mit ungläubigem Staunen rang. „Oh!" entfuhr es ihr erschreckt, als ihr bewusst wurde, dass sie immer noch gegen seinen Körper gedrückt wurde und dass sein Bück nicht der einzige Beweis seiner Erregung war. Sie spürte, dass der Druck seiner Arme um sie sich verstärkte. Sollte sie ihn nicht von sich stoßen? Schließlich kannte sie den Mann doch gar nicht. Sie wusste nicht einmal seinen Namen. Andererseits... Bevor sie noch zu einer Entscheidung kommen konnte, löste das Klingeln des Telefons das Problem. Camille nahm die Hände von den Schultern des Mannes. Sichtlich widerstrebend gab er, sie frei. Sie zwang ihre Füße in Richtung Büro. Die kurze Nachricht der Freundin ihrer Tante drang nur vage in ihr Bewusstsein ein. Fassungslos betrachtete sie im Spiegel ihre geröteten Wangen und die glänzenden Augen. Geistesabwesend verabschiedete sie sich und legte den Hörer auf. Hatte sie sich den Mann und seinen leidenschaftlichen Kuß vielleicht nur eingebildet? Solche Dinge passierten einfach nicht mitten an einem ganz gewöhnlichen Tag im Leben einer ganz gewöhnlichen jungen Frau. Sie passierten hübschen, eleganten, großgewachsenen Damen bei romantischem Kerzenlicht mit dem Klang schluchzender Geigen im Hintergrund. „Es ist die Hitze", sagte sie zu dem schläfrigen Kater. „Ich habe Halluzinationen. Wenn ich jetzt in den Laden gehe, werde ich ihn leer finden, stimmt's?" Tigger blinzelte nur kurz und rollte sich gleich wieder zusammen. Er schien andere
Probleme zu haben. Camille zuckte die Schultern und öffnete die Tür... Ihre Halluzination war immer noch da und wartete geduldig auf sie. Camille blieb, stehen und starrte den Mann an mit einer Mischung aus Neugier, Erstaunen und einem anderen Gefühl, dessen Charakter sie nicht zu deuten wusste. Ihre Sinne schienen plötzlich geschärft. Einerseits zögerte sie, andererseits verspürte sie eine Erregung, als stehe sie kurz vor einem neuen, großen Abenteuer. Jetzt fielen ihr Details auf, die ihr anfangs entgangen waren: die tiefe Bräune seiner Haut, die ungewöhnliche Form seiner Hände, deren lange schlanke Finger Kraft und Beweglichkeit verrieten. Vor allem aber nahm sie die Aura überwältigender Männlichkeit wahr, gezügelt und beherrscht, aber dennoch den Eindruck vermittelnd, sie könne jeden Moment wie ein Vulkan in einem Feuerwerk von Emotionen ausbrechen. Camille spürte prickelnde Erregung in sich aufsteigen. Noch nie hatte sie einen Mann wie diesen kennengelernt. Sie wusste nicht, was sie jetzt machen, wie sie sich verhalten sollte. Einerseits hätte sie sich liebend gern in seine Arme gestürzt, um zu sehen, ob sich die Gefühle wiederholen ließen, die er zuvor in ihr geweckt hatte. Andererseits drängte sie etwas dazu, zur Hintertür hinauszustürzen und zu fliehen, bevor es zu spät war. Bevor sie sich noch für die eine oder andere Möglichkeit entscheiden konnte, bahnte er sich einen Weg durch die vielen kostbaren Stücke ihres Antiquitätenladens und trat zu ihr. „Ich bin Nick de Conti, achtundzwanzig, bei guter Gesundheit und noch mit eigenen Zähnen und Haaren ausgestattet. Ich suche Sie bereits seit Jahren, Lady Laughing Eyes. In der ganzen Welt, in London, Paris und Rom, in Wien, Bombay, Tokio und Sydney. In allen größeren Städten Nord- und Südamerikas. Wer hätte gedacht, dass ich Sie schließlich in einem kleinen Antiquitätenladen in Berkshire finden würde?" Er zog die verblüffte Camille in die Arme und schmiegte seine Wange an ihr Haar. „Lass uns von hier verschwinden, Cara mia", flüsterte er. „Ich habe so lange auf dich gewartet, aber dennoch widerstrebt es mir, dich beim ersten Mal mitten in einem Ge schäft zu lieben." „Sie... ich,.. Warten Sie! ... Sie können doch nicht... Ich bin nicht..." Seine Worte hatten sie unvermittelt aus ihrer Benommenheit gerissen. Energisch befreite sie sich aus seiner Umarmung und trat einen Schritt zurück. Ihr Atem ging immer noch stoßweise. Automatisch strich sie sich eine Strähne aus der Stirn. Als er mit ausgebreiteten Armen und einem zärtlichen Lächeln auf sie zutrat, packte Camille das Erstbeste, was ihr in die Hand fiel, und hielt es ihm drohend entgegen. „Bleiben Sie, wo Sie sind! Sie sind doch vollkommen verrückt!" „Was haben Sie damit vor?" Er betrachtete interessiert die hölzerne Schöpfkelle, die seiner Nase verdächtig nahe kam, und bemerkte den Zorn, der aus den Augen des entzückenden kleinen Wesens vor ihm sprühte. Wahrscheinlich war er doch eine Spur zu stürmisch gewesen. Unter den Umständen schien ein vorübergehender Rückzug wohl angezeigt, bis er seine Absichten noch einmal ganz klarmachen konnte. Der Rückzug durfte natürlich nicht zu weit gehen. Er ging ein paar Schritte zur Seite und lehnte sich gegen einen alten Sekretär, um mit verschränkten Armen abzuwarten, bis seine Lady Laughing Eyes sich wieder beruhigt hatte. „Willst du mir nicht sagen, wie du heißt?" Er sah keine Veranlassung, wieder zu dem förmlichen Sie überzugehen. „Nicht, dass ich etwas dagegen hätte, dich auch weiterhin Lady Laughing Eyes zu nennen, aber ich fürchte, dass der Name im Standesamt nicht akzeptiert wird, wenn wir das Aufgebot bestellen." Er hatte Mühe , ein Lächeln zu unterdrücken. Es war keine Frage, dass sie auch mit offenem Mund und fassungslosem Blick noch entzückend war. Ihr Temperament gefiel ihm. Zumindest würde er sich mit ihr nie langweilen, auch nicht außerhalb des Bettes. Was das Bett anging, machte er sich keine Sorgen. Er spürte die Leidenschaft in ihr, noch ungeweckt vielleicht, aber zweifellos vorhanden. Er hatte sie gespürt, als er sie in seinen Armen gehalten und sie zum erstenmal geküsst hatte. Sie war die Richtige. Er wusste es. Alles in ihm fühlte sich zu ihr hingezogen. Jetzt musste er ihr nur noch klarmachen, wie
unausweichlich ihre Verbindung war. Endlich erwachte Camille aus ihrer Erstarrung. Sie Schloss den Mund. Ohne die Schöpfkelle aus der Hand zu lassen, musterte sie argwöhnisch den Mann vor sich. Nicht für den Bruchteil einer Sekunde ging sie davon aus, es könne ihm ernst sein. Es war nur eine neue Annäherungsmasche, und er sollte gleich erfahren, dass sie nicht darauf hereinfiel. „Sie sind offensichtlich zu lange in der Sonne gewesen, Mr. de Conti. Wieso entspannen Sie sich nicht ein paar Minuten? Ich bin sicher, dann fühlen Sie sich gleich viel besser." Sie bemühte sich, ihre Stimme beruhigend klingen zu lassen. „Solche Dinge sollten Sie wirklich nicht sagen", fuhr sie fort. „Jemand könnte Sie missverstehen, und..." „Wie kann man einen Heiratsantrag missverstehen? Ich dachte, das sei klar genug. War er vielleicht nicht romantisch genug?" In seinen Augen blitzte der Schalk. „Soll ich es noch einmal richtig machen und dabei vor dir auf die Knie fallen?" „Hören Sie sofort auf!" schrie Camille ihn entgeistert an, als er seinen Vorschlag sofort in die Tat umzusetzen begann. „Das kann doch wohl nicht Ihr Ernst sein! Sie kennen mich doch überhaupt nicht! Ich habe Sie noch nie im Leben gesehen, bevor Sie heute hier hereingekommen sind. Sie können doch einer Fremden nicht so einfach einen Heiratsantrag machen. Es ist..." „Ein wenig ungewöhnlich vielleicht, wenn man normale Umstände bedenkt. Aber ich finde, wir sind alles andere als norma l. Wie schon gesagt, Cara, ich suche bereits mein ganzes Leben lang..." „Unsinn! Wie können Sie nach mir gesucht haben, wenn Sie nicht einmal meinen Namen kennen?" „Und? Wie lautet der Name?" „Camille... Camille Anders. Sie scheinen wirklich vollkommen verrückt. Weiß Ihre Familie, wo Sie sind? Sollte ich vielleicht jemandem anrufen, damit Sie abgeholt werden?" Nicks lautes fachen lenkte Camille lange genug von ihren Gedanken an Abwehr ab, um ihm Gelegenheit zu geben vorzutreten, ihr die Schöpfkelle abzunehmen und seinen Arm um ihre Taille zu legen. Obwohl sie ihre Hände gegen seine Brust stemmte, zog er sie langsam näher. „Pst, mein Darling - nicht so viel Geschrei und Temperament. Es würde mir nicht im Traum einfallen, dir irgendwie weh zu tun. Im Gegenteil: mir liegt nichts mehr am Herzen, als dich zu lieben und deine Liebe zu mir zu wecken." Er fuhr ihr zärtlich mit einer Hand über das Haar und hob ihr Kinn leicht an, um ihr einen Kuss auf die Lippen zu hauchen. „O Camille - wir werden so glücklich Zusammensein." ... und ihr glücklicher Sommer endete mit der ersten Kühle des Herbstes... Camille saß mit überkreuzten Beinen mitten auf dem breiten Bett und beobachtete Nick im Schlaf. Es gab keine Situation, in der sie ihn nicht gern ansah: beim Schlafen, Gehen, Reden, Lachen, Schwimmen, Klavierspielen und besonders dann, wenn er sie liebte. Sie konnte sich nichts vormachen - sie war diesem Mann verfallen. Bedingungslos. Wieso sonst hätte sie eingewilligt, schon sechzehn Tage nach ihrer ersten Begegnung seine Frau zu werden? Camille konnte es immer noch nicht recht glauben, dass sie verheiratet sein sollte, obwohl sie gerade am Vortag das Jubiläum ihrer achtwöchigen Ehe gefeiert hatten. Schon wenige Tage nach ihrer ersten Begegnung war ihr klargeworden, dass das Leben mit Nick der endlosen Fahrt mit einer Achterbahn gleichkommen würde. In einem Moment war er überschwenglich jungenhaft, im nächsten ein sinnlicher Liebhaber,. und schon zwei Minuten später konnte er die ganze Welt um sich vergessen haben, weil er im Geiste irgendein Musikstück analysierte. Und kaum hatte sie angefangen, ihn zu verstehen, als er ihr schon den nächsten Schock versetzte. Sie fand heraus, wer Nick de Conti wirklich war. Camille lächelte versonnen, als sie an den Tag zurückdachte, an dem Nick sie
mitgenommen hatte zu den Proben nach Tanglewood. Sie wusste nur wenig über klassische Musik und die internationale Konzertszene, aber irgendwie hätte sie doch Ver dacht schöpfen sollen, als sie Nick nach seiner Arbeit gefragt und er lakonisch „Klavierspielen" geantwortet hatte. Das Blitzen, das sie dabei in seinen Augen bemerkt hatte, hätte sie warnen sollen. Als er sie einlud, zu den Proben ins Berkshire-MusikCenter, dem Sommersitz des Boston Symphony Orchestras, mitzukommen, hatte sie angenommen, er spiele Klavier zusammen mit dem Orchester. In gewisser Weise stimmte das auch, denn er war der Gast-Solostar, für einige Wochenendkonzerte. - Obwohl ihr Musikverständnis begrenzt war, spürte sie sofort, dass Nick ein Meister seines Fachs war. Aber erst auf der Party nach dem ersten Konzert, als sie die Bemerkungen von Kritikern und Bewunderern hörte, begriff sie, dass Dominic de Conti - ihr Ehemann - als einer der Superstars der internationalen Konzertszene galt. Und noch etwas wurde ihr klar: Die Gäste waren durchweg vermögend, angesehen und einflussreich. Nick unterhielt sich mit ihnen, als kenne er sie bereits sein ganzes Leben lang. Und auf dem Heimweg entdeckte sie, dass dem wirklich so war. Die ersten Strählen der Morgensonne schoben sich über den Horizont und erhellten das Zimmer. Nick vergrub sein Gesicht tiefer in den Kissen. Camille zog die Bettdecke etwas höher über seine Schulter. Dann schmiegte sie sich wieder in seinen Morgenmantel aus weicher Kashmir-Wolle, den sie sich übergeworfen hatte, um sich vor der Kühle des Spätseptember-Morgens zu schützen. Ihr Blick fiel durch die großen Glastüren auf den Balkon. Dahinter sah sie die grüne Wiese, die langsam zum Fluss abfiel. Das Laub der Bäume leuchtete in den herrlichsten Herbstfarben. Wieder einmal wünschte Camille sich sehnlichst, hierbleiben zu können. Der Gedanke war mehrfach in ihr aufgetaucht, seit Nick ihr vor ein paar Tagen gesagt hatte, er wolle am Sonntag mit ihr zu seinem Familiensitz in Connecticut fahren. Seine Familie war vor drei Tagen von der italienischen Riviera zurückgekehrt, wo sie den Sommer verbracht hatte. Wie mochte sie auf die Neuigkeit von seiner Heirat reagiert haben? Auf alle ihre Fragen hatte er nur gesagt: „Sie waren überrascht, um nicht zu sagen schockiert. Aber mach dir deswegen keine Gedanken, Cara. Wie sollten sie dich nicht lieben?" Camille unterdrückte ein Stöhnen, als ihr die lachende Unbekümmertheit einfiel, mit der er auf ihren Hinweis reagiert hatte, seine Familie könne vielleicht nicht ganz so erfreut sein, wie er hoffte. Schließlich war sie so ganz und gar nicht der Typ Frau, den seine Familie sich wahrscheinlich für ihn wünschte. „Ich bin nie auch nur in die Nähe der gesellschaftlichen Kreise gekommen, in denen du verkehrst", hatte sie argumentiert. „Ich wüsste überhaupt nichts anzufangen mit dem Reichtum, den du offensichtlich gewohnt bist, und ich könnte nicht so leben wie du. Ich habe nicht einmal eine Ahnung von deiner Musik!" „Du wirst das alles lernen", hatte er geistesabwesend erklärt, während seine Aufmerksamkeit darauf konzentriert war, den verborgenen Verschluss ihres Gürtels zu finden. Die Diskussion endete dreißig Sekunden später, als der Gürtel zusammen mit ihrem Hausanzug zu Boden glitt und sie sich lachend mit Nick auf dem Sofa wiederfa nd. Seitdem hatte er eine große Geschicklichkeit darin bewiesen, jedem ernsthaften Gespräch über ihre Ängste und Zweifel auszuweichen. Alle Fragen trugen ihr immer wieder dieselbe Antwort ein: „Hör auf, dir Gedanken zu machen, Lady Laughing Eyes. Sei einfach nur du selbst, und du wirst sie alle entzücken. Im Moment möchte ich nur eines: unsere letzten Tage des Alleinseins genießen. Komm, Carissima, ich möchte dich lieben." Camille runzelte die Stirn, als ihr seine Worte wieder einfielen. Was hatte er mit den „letzten Tagen des Alleinseins" gemeint? Das klang ja fast so, als sollten sie in Connecticut kein Privatleben mehr haben. Aber das konnte doch wohl nicht sein. Eine der wenigen Fragen, die er beantwortet hatte, war die nach einer Wohnung für sie gewesen. Sie wusste nun, dass zum Familiensitz ein „Haupthaus" gehörte, wie Nick es nannte, und mehrere kleinere Häuser. Sie und Nick würden Räume im Haupthaus
beziehen. Dort lebten auch seine Eltern und seine jüngste Schwester. Seine beiden verheirateten Brüder und ihre Familien hatten ihre eigenen Häuser auf dem Anwesen, desgleichen seine verheiratete Schwester und ihr Mann. Einige der Hausangestellten der De Pontis lebten ebenfalls in einem der kleineren Häuser. Wenn das Anwesen nicht riesig war, fiel es sicher schwer, unter so vielen Menschen einmal ungestört allein zu sein. Was mochte sich hinter den „separaten Räumen im Haupthaus" verbergen? Ein Apartment? Ein eigener Flügel? Wieso konnten sie nicht ein Haus für sich haben wie die anderen verheirateten Paare? Warum wollte Nick im Haupthaus bleiben? Vielleicht hielt er es für einfacher, da sie ja häufig auf Tournee sein würden. Camille seufzte sehnsüchtig, als ihr Blick erneut über die friedliche Szene glitt, die sich hinter den Fenstern erstreckte. Wie schön wäre es doch, in diesem entlegenen Landhaus bleiben zu können. Hier konnten sie tun, was auch immer sie wollten und wann sie es wollten. Ihre melancholischen Gedanken wurde jäh unterbrochen, als Nick sich auf den Rücken rollte und die Augen aufschlug/ Camille sah ihn lächelnd an. Es war wirklich eine Ungerechtigkeit der Natur, diese herrlichen langen Wimpern an einen Mann zu verschwenden! „Hallo!" sagte sie leise. „Ich habe mich schon gefragt, wann du wohl endlich aufwachst." Er gähnte und reckte sich. Dabei rutschte die Decke herunter und entblößte seine gebräunte Brust mit dem dichten gekräuselten Haar. Camille beugte sich spontan über ihn und ließ ihre Hände darübergleiten. Dabei fiel ihr Morgenmantel ein wenig auseinander. Mit einem Schlag war Nick hellwach, als ihre provokante Haltung und ihr fast unbekleideter Zustand in sein Bewusstsein eindrangen. „Aber, meine kleine Elfe, du hättest dir doch sicher eine interessantere Art, mich zu wecken, einfallen lassen können!" sagte er neckend. Seine Hände glitten mit verführerischer Sinnlichkeit über die zarten Innenseiten ihrer Schenkel. „Nachdem ich deinen Horizont mit so viel Liebe erweitert habe..." Er unterbrach sich, als seine Finger ihr Ziel gefunden hatten und Camille aufstöhnte. „Nick!" „... und deinen Bildungshunger immer noch weiter stille..." Er lachte leise, als sie sich hilflos, halb stöhnend, halb lachend, unter seinen erfahrenen Liebkosungen wand. Schließlich ließ sie sich auf ihn fallen und suchte mit ihren Fingern nach seinen kitzligen Stellen. „O nein! So nicht!" „O doch! Doch! Doch!" „Uiiii! Kleine Hexe!" „Großer Kerl! Hör auf! Nein!" Lachend und völlig außer Atem, rangen sie miteinander, bis Nick schließlich die Übermacht seines Gewichts einsetzte und seine keuchende Frau mit seinem erregten Körper fest in die Kissen drückte. Er sah herab auf ihr erhitztes Gesicht, das halb von dem zerzausten langen Haar verborgen wurde. Ihre Blicke trafen sich. Sein geflüstertes „Gibst du auf?" war nur noch eine Formalität. Er hatte ihre Handgelenke bereits losgelassen und hob sich ein wenig von ihr, um sie nicht zu erdrücken. Zärtlich strich er ihr das Haar aus dem Gesicht. Er drückte seine Lippen leicht auf ihre und ließ die Zungenspitze sinnlich in die wärme Höhle ihres Mundes vorstoßen. „Ich ergebe mich", murmelte sie, aber ihre Augen leuchteten dabei triumphierend, während sie ihn an sich zog. Nicks Kuss wurde härter, leidenschaftlicher. Schließlich gab er dem stummen Drängen ihrer Hände nach. Sie wurden eins... suchten und fanden den ewigen Rhythmus der Liebe... ließen sich hinauftragen von den Wogen ihrer Lust, bis die Welt plötzlich zu explodieren schien...
Es dauerte eine Weile, bis Camille wieder in die Wirklichkeit zurückkehrte. Da Nick jetzt neben ihr lag, spürte sie die Kühle der Luft an ihrer Haut. Rasch zog sie die dünne Decke über sie beide und schmiegte sich in Nicks Arme. „Schnell!" bat sie. „Wärme mich!" „Ich dachte, das hätte ich gerade getan." Er lachte leise. „Aber wie auch immer..." Er ließ seine großen warmen Hände liebe voll über ihren Körper gleiten ich bin gern bereit, es noch ein zweites Mal zu tun. Hier? ... hmm, das ist eine interessante Stelle... ist es hier besser...? Und noch eine... o je, da ist es wirklich kalt geworden... vielleicht sollte ich dich dort küssen und..." Sein Kommentar ging ins Italienische über, eine Sprache, in die er nur verfiel, während er sie liebte. Camille spürte, wie ihr das Blut in die Wangen stieg, als sie einige Worte erkannte, die er ihr einmal lachend übersetzt hatte. „Ist das eine Art, mit deiner Frau zu reden?" schalt sie ihn mit gespielter Empörung und vergrub ihre Hände in seinem dichten Haar, um sanft daran zu ziehen. „Mmm. Du möchtest doch wohl nicht, dass ich es zur Frau eines anderen sage, oder?" murmelte er gegen ihre Brust. „N... nein... oh, jaaa... tu das noch einmal... ja so ...", In diesem Moment war Camille ganz und gar nicht mehr kalt. Nicks warme, feuchte Zunge, die ihre Brüste zärtlich liebkoste, ließ Schauer heißen Verlangens über ihren Körper laufen. Sie wand sich vor Lust unter seinen Berührungen, bis er sich unversehens auf den Rücken rollte und sie auf sich zog. „Oh! Nick! Was machst du denn?" „Warte es nur ab ..." Er richtete sie auf, bis sie rittlings auf ihm saß. Sie ließ ihn nicht aus den Augen, während ihre Finger zärtlich durch das dichte Haar auf seiner Brust glitten. Rau flüsterte er etwas auf italienisch. Camille kam nicht mehr dazu, es zu übersetzen, weil er sie schon leicht angehoben hatte und ihre Körper behutsam vereinte. Sie vergaß ihre paar Brocken Italienisch und fast ihr ganzes Englisch, als sie spürte, wie er langsam in sie eindrang. Spontan begann sie, sich leicht zu bewegen. „Cara, bitte..." Er stöhnte auf, als sie sich seinen drängenden Händen widersetzte und mit ihren Bewegungen fast einhielt. „Schsch, Mr. Ungeduld! Du hast mich hier hingesetzt, also werden wir es jetzt auf meine Art tun." Unter Aufbietung ihres letzten Restes an Selbstbeherrschung beugte sie sich vor und ließ ihr langes Haar herabfallen, so dass es leicht seine Haut berührte. Sie lachte leise, als sie beobachtete, wie sich seine Muskeln zusammenzogen. Unvermittelt hob er sich ihr entgegen. Er legte seine Hände fest um ihre Hüften und bewegte sie in einem immer schneller werdenden Rhythmus, bis sie schließlich gemeinsam ein zweites Mal den Höhepunkt erlebten. Camille brach erschöpft über Nicks Brust zusammen. Zärtlich drückte er sie an sich. Als er ihr eine Haarsträhne aus dem Gesicht strich, spürte er, dass ihre Wange feucht war. „Weinst du, Liebling?" Er hob ihren Kopf ein wenig an, um ihr in die Augen sehen zu können. „Was ist? Habe ich dir weh getan, Camille?" „Nein, nein, das hast du nicht... Es war wunderbar... wirklich. Nick... ich... ich..." Sie barg ihr Gesicht an seiner Schulter und drängte die Tränen zurück. „Bitte Darling, kannst du mir nicht sagen, was los ist?" Nick legte liebevoll seine Arme um sie. „Ich weiß es selbst nicht. Plötzlich hatte ich Angst. Ich bin hier so glücklich mit dir, und es war so herrlich ... Eine Zeit mit viel Lachen und Liebe und... o Nick, ich habe Angst, dass es bald nicht mehr so sein wird. Ich möchte jede Minute, und jede Stunde festhalten und..." „Schsch, mein Liebling", murmelte Nick tröstend. „Es wird schon alles gut werden. Du hast Angst vor dem Treffen mit meiner Familie, aber ich weiß: Sie werden dich
ebenso sehr lieben wie ich. Oder jedenfalls fast so sehr. Vergiss nicht - es ist jetzt auch deine Familie. Meine Brüder werden dich necken, und meine Schwestern werden mit dir einkaufen gehen und mit dir Kaffeeklatsch halten. Das wird dir doch Spaß machen, oder?" „O Nick, ich will... ich will es versuchen, obwohl Einkaufen und Kaffeeklatsch nicht eben zu meinen Lieblingsbeschäftigungen zählen. Was tun sie denn sonst noch gern? Du hast mir so wenig von deiner Familie erzählt..." „Nun ja, Marguerita hat natürlich ihre Familie, und... sie tut alles, was Frauen eben tun", erklärte er vage. „Ich glaube, sie arbeitet bei einigen Wohltätigkeitsorganisationen mit. Zusammen mit Mutter." Sein Ton wurde positiver. „Meine Mutter wird dir gefallen. Sie ist eine wunderbare Frau. So verständnisvoll, so klug in allem. Habe ich dir nicht erzählt, wie umsichtig sie meine Entwicklung geleitet hat, als ich noch sehr jung war? Das ist ja so wichtig. Nur zu leicht kann man einem Kind, das Talent zeigt, zuviel abverlangen, es überfordern und das Talent damit ruinieren. Aber sie hat dafür gesorgt, dass das mit mir nicht geschah. Als ich anfing, Konzerte zu geben, hat sie veranlasst, dass Arthur Rossman mein Manager wurde. Ein guter Manager ist sehr wichtig. Viele hoffnungsvolle Künstler haben nie Erfolg gehabt, weil sie einen schlechten Manager hatten." „Und dein Vater?" „Er hatte zwei Schlaganfälle. Die Ärzte glauben, dass er immer auf den Rollstuhl angewiesen sein wird. Glücklicherweise ist sein Verstand noch wach, und er kann sich gut verständlich machen. Dein ausgefallener Sinn für Humor wird ihm gefallen, Cara, besonders, wenn du die Rolle der Schönen aus dem vergangenen Jahrhundert spielst. Er hatte schon immer ein Faible für Geschichte." „Dann sollten wir gut miteinander auskommen." Camille atmete auf. „Aber deinen Vater zu unterhalten, einkaufen gehen und so etwas dürfte nicht viel von meiner Zeit beanspruchen. Ich hoffe, ich finde etwas Interessantes zu tun. Vielleicht könnte ich in einem Antiquitätengeschäft arbeiten oder..." „Das ist ausgeschlossen. Eines musst du dir merken, Camille." Er hob ihr Kinn leicht an und sah ihr zärtlich in die Augen. „Die De-Conti-Frauen haben es nicht nötig zu arbeiten. Außerdem dürftest du voll damit ausgelastet sein, meine Frau, meine Geliebte, meine Lady Laughing Eyes zu sein, und wahrscheinlich wird es ja auch gar nicht mehr lange dauern, bis du dich um unser Baby kümmern musst. Das wird dir doch sicher gefallen, oder?" „Hmm... ja, aber..." Camille setzte sich auf. Sie runzelte leicht die Stirn, als sie sein zufriedenes Lächeln sah. „Ich hatte eigentlich noch nicht vor, so schnell ein Baby zu bekommen. Wir... wir kennen uns doch erst so kurze Zelt, Nick. Ich dachte, wir warten noch eine Weile, vielleicht ein Jahr oder zwei, damit wir noch ein wenig Zeit ganz für uns haben." „Dummchen! Das ist doch kein Problem. Du wirst ein Kindermädchen nehmen, genau wie meine Schwestern es auch tun. Dann bleibt uns genügend Zeit für uns, wenn ich nicht gerade übe oder auf Tournee bin. Mach dir deswegen keine Gedanken, Cara. Du kannst mir vertrauen. Ich weiß, was richtig ist. Mutter sagte immer, es sei am besten, Kinder zu haben, wenn man noch jung ist. Sie hat in der Hinsicht mehr Erfahrung als du." „Aber, Nick..." „Nicht doch, Liebling. Keine Widerrede! Alles wird gut werden. Wir lieben uns, und das ist letztendlich alles, was zählt, oder?" Beunruhigt von seinem selbstherrlichen Machoverhalten wollte Camille die Diskussion noch fortsetzen. Aber welche Diskussion? Er ließ sich ja auf gar nichts ein und verkündete nur einfach seine Meinung, als sei sie der Weisheit letzter Schluss. Galt ihr Wort denn überhaupt nichts? Bevor sie ihren Protest noch formulieren konnte, setzte Nick sich auf. „Nachdem wir das nun alles geklärt haben - was möchtest du denn heute tun? Komm schon,
Langschläferin. Ich brauche ein gutes Frühstück nach diesen morgendlichen An strengungen." Er gab ihr einen liebevollen Klaps auf den Po. „Wenn du brav bist, gehe ich nachher mit dir nackt baden im Pool. Das ist etwas, was wir zu Hause wirklich nicht tun können." Camille zwang sich zu einem halbwegs fröhlichen Lachen. Sie sprang aus dem Bett und eilte ins Bad. Dennoch ließ es sich nicht leugnen: Sie war bedrückt. Irgendwie war in den letzten Minuten ein Schatten auf ihr junges Eheglück gefallen. Sie hatte ein ungutes Gefühl, wenn sie an die nächsten Tage dachte und die bevorstehende Begegnung mit Nicks Familie. ... aber schließlich, allein und verzweifelt, floh sie... Camille stand am Fenster und warf zum wiederholten Male nervös einen Blick auf die Uhr. Wo blieb nur das Taxi? Es sollte doch um zwei Uhr hier sein! Von jetzt an zählte jede Minute, und es war bereits zehn nach zwei. Erneut blickte sie suchend über die breite Auffahrt, die von der Straße her durch das parkähnliche Gelände in weitem Bogen auf die Villa zuführte. Eine Reihe von Wagen kam heran - meist Luxuslimousinen -, aber kein Taxi. Trotz des Pullovers und des Sonnenscheins, der zum Fenster hereinfiel, fröstelte Camille. Sie warf einen Blick auf das Treiben am Haupteingang. Das Fenster in ihrem Wohnzimmer im ersten Stock bot nicht nur den besten Blick auf Auffahrt und Eingang, sondern verbarg sie durch seine günstige Lage auch vor den Blicken anderer. Nicht, dass sie erwartet hätte, jemand würde sie suchen. Sie hatte deutlich gemacht, dass es nicht ihre Absicht war, an den Aktivitäten des Tages teilzunehmen. Wäre Nick hier gewesen, dann... Nein, sie wollte weder an Nick denken noch an Lucianna. Sie musste sich auf ihre jetzige Situation konzentrieren und erst einmal fortkommen, ohne dass jemand sie aufhielt. Nicht, dass Lucianna dies versuchen würde, ihre Schwiegermutter würde ihr wahrscheinlich sogar noch das Taxigeld nachwerfen. Der Rest der Familie hingegen, vor allem ihr freundlicher, aber einflussloser Schwiegervater und die Wachen würden mit Sicherheit versuchen, ihre Flucht zu verhindern. Dieser Nachmittag war ihre einzige Chance zu entkommen, denn dieser Donnerstag Mitte Oktober war einer der zwei Tage im Jahr, an denen das Haupttor offen stand. Es kamen so viele Wagen an, dass die Wachen nicht jeden kontrollieren konnten. Der alljährlich Mitte Oktober stattfindende Tag der offenen Tür gehörte zu einem Wohltätigkeitser eignis. Höhepunkt der dreitägigen Veranstaltung war die Besichtigung von I Venti di Mare, dem Familiens itz der de Contis an der Atlantikküste. Camille bemerkte, dass noch etliche Gäste die Parkanlagen besichtigten, während sie auf den Beginn der nächsten Führung durch das Haus warteten. Ob jemand von ihnen ahnte, wie kalt diese Räume mit kostbaren Antiquitäten sein konnten, wenn man als unwillkommener Außenseiter hier leben musste? Oder sahen sie alle nur den oberflächlichen Charme und die Schönheit der großen, alten italienischen Villa, die Pietro de Conti bereits 1820 gebaut hatte in Erinnerung an seine Heimat? Von ihrer Suite im Westflügel aus konnte sie die Aktivitäten auf der Ostterrasse weder sehen noch hören, aber sie wusste, dass das Personal im Moment dabei war, das kalte Büffet vorzubereiten, das um drei Uhr eröffnet werden sollte. Sie konnte sich die Szene von den vergangenen Jahren her gut vorstellen, als sie selbst zusammen mit den anderen Familienmitgliedern die zwei- bis dreihundert Gäste begrüßt hatte. Im letzten Jahr hatte es geregnet, und die ganze Gesellschaft hatte sich in den Ballsaal vertagt. Aber an einem sonnigen Tag wie diesem fand das Büffet mit Sicherheit auf der großen Ostterrasse statt; von der sich ein atemberaubender Blick auf Long Island Sound bot. Zu dieser Jahreszeit nahmen sich die dunklen Zedern und weißen Marmorskulpturen vor dem Hintergrund der blühenden Ahornbäume noch dramatischer als gewöhnlich aus. Plötzlich stand ihr jener Oktobertag vor vier Jahren, als Nick sie hierher gebracht hatte, wieder deutlich vor Augen. An dem Tag war ihr voll ins Bewusstsein gedrungen, in
welch fremde Welt sie durch ihre überstürzte Heirat geraten war. Sie Schloss die Augen bei der Erinnerung an Nick. Nick, wie er sich in seinem eleganten, maßgeschneiderten Anzug durch die Menge der offensichtlich wohlhabenden Gäste bewegte, ganz der charma nte, weltgewandte Gastgeber. Und wie gut sah sie noch die Damen in ihren Designer-Kleidern, kleinen Pelzen und diskreten Juwelen vor sich - und den ganz und gar nicht diskreten Blicken, mit denen sie Nick verschlangen. Camille erinnerte sich noch gut an ihre eigene Verwirrung, während sie die Szene betrachtete. Warum hatte Nick ausgerechnet sie geheiratet? Camille unterdrückte energisch die schmerzlichen Erinnerungen und öffnete die Augen. Endlich sah sie das langersehnte Taxi die Auffahrt heraufkommen. Es würde noch ein paar Minuten dauern, bis es den Seiteneingang erreichte. Gerade noch Zeit genug! Hastig verschwand Camille in ihrem Schlafzimmer. Mit geschickten Griffen schlang sie sich das bereitgelegte Seidentuch im Zigeunerstil um den Kopf. Ein prüfender Blick in den Spiegel zeigte ihr, dass das Haar ganz verdeckt war. Dabei mied Camille es, ihre zu großen Augen wahrzunehmen, das bleiche Gesicht oder die verbitterten Linien, die sich um die Mundwinkel gegraben hatten. Sie warf sich die graue Wildlederjacke über und schlug den Kragen hoch, um den langen, dicken Zopf zu verbergen. Anschließend zog sie zwei Briefe aus der Tasche und lehnte sie gegen die Schmuckschatulle, die sie zurückließ. Darauf wandte sie sich ab und wollte schon gehen, zögerte dann aber und warf einen letzten Blick auf den Brief, der an Nick gerichtet war. Sie sah die Ausbuchtung, unter der ihr Ring lag. Einen Moment lang schien alles vor ihren Augen zu verschwimmen. Energisch unterdrückte sie die Tränen. Nein. Sie hatte schon mehr als genug geweint. Es war besser so. Es war vorbei. Minuten später war sie mit zwei Taschen die Hintertreppe hinuntergeschlichen, hatte sich zwischen zwei parkende Wagen hindurchgezwängt und ließ sich aufatmend auf den Rücksitz des Taxis fallen. Sie wies den Fahrer an, wie er fahren musste, um wieder auf die Auffahrt zurückzugelangen. Das Schlimmste lag hinter ihr. Es war ihr gelungen, das Haus unbemerkt zu verlassen. Hastig schob sie sich die große dunkle Sonnenbrille auf die Nase. Blieb zu hoffen, dass der Wächter am Tor inzwischen von den vielen Besuchern so gelangweilt war, dass er keinen Blick ins Wageninnere warf. Und falls er es doch tat, war es wenig wahrscheinlich, dass er in der jungen Frau in verblichenen Jeans und Lederjacke, das Gesicht halb verdeckt von Kopftuch und Sonnenbrille, die immer so elegante Mrs. Dominic de Conti erkannte. Der Fahrer hatte die Hauptauffahrt erreicht. Canaille wusste, dass das Tor gleich hinter der folgenden Biegung lag. Ihre Hände zitterten. Die Finger verkrampften sich um den Lederriemen ihrer Schultertasche. Sie zwang sich, nicht zurückzusehen, nicht mehr nachzudenken. Ihre Entscheidung war gefallen. Dabei musste es bleiben. Sie hatte sich endlos lange damit gequält. Jetzt war es genug. Genug Zweifel. Genug Qual» Sie war so auf ihre Gedanken konzentriert, dass sie das Tor gar nicht wahrnahm. Plötzlich spürte sie, wie der Wagen auf die Straße einbog und das Tempo beschleunigte. Sie waren unterwegs Richtung Stamford. Automatisch drehte sie sich noch einmal um, obwohl sie wusste, dass sie die Villa von hier aus nicht mehr sehen konnte. War das alles Wirklichkeit? Sie hatte das Gefühl, in einem Alptraum befangen zu sein und nicht aufwachen zu können. Wo war nur Nick? Sie brauchte ihn. Ihr ganzes Leben brach auseinander, und er war auf der anderen Seite der Erde. Wieso konnte er nicht bei ihr sein und sagen, dass das alles nicht wahr sei? Sie hatte ihn so sehr geliebt. Hatte sich so sehr bemüht, so zu sein, wie er es sich wünschte. Aber das war nicht mehr die alte Camille. Sie hatte das Gefühl, allmählich den Verstand zu verlieren. Was war los mit ihr? Was war aus ihrer Liebe geworden?
2. KAPITEL
„Wie oft habe ich dir gesagt, dass du nicht auf Stühle klettern sollst? Irgendwann brichst du dir damit noch einmal das Genick!" Camille erstarrte. Die Stimme und die kräftigen Hände, die ihre Taille umfasst hielten, waren ihr nur zu vertraut. Der Schock verschlug ihr für einen Moment den Atem. Nick! Die Sekunden schienen ewig zu dauern, während Camille auf dem alten Küchenstuhl stand, sich mit einer Hand an einem Regal festhielt und mit der anderen nach einer antiken Windlampe griff, die auf dem obersten Regalbrett stand. Blind starrte sie ein rosa Schwein an, das jemand auf einen alten Blechkanister gemalt hatte. Sie musste sich zwingen, wieder klar zu denken. Nick? Hier? In Portland, Maine? Unmöglich! Dies war doch wohl der letzte Ort, wo sie ihn erwarten konnte. So etwas wie Hoffnung keimte trotzdem in ihr auf, Hoffnung, die sie über sieben Monate unterdrückt hatte. Sollte er nach ihr gesucht haben? Waren seine Gefühle für sie stark genug, um ihr bis zu diesem entlegenen Ort nachzuspüren? Und wenn das so wäre, wieso brüllte er sie dann jetzt an? Verdammt! Das bewies doch nur wieder einmal, dass sich nichts geändert hatte. Er behandelte sie immer noch so, als hätte sie keinen Verstand! Zorn stieg in ihr auf. Er gab ihr die Kraft, die Lampe herunterzuholen und sich zu ihrem Mann herumzudrehen. Die Luft zwischen ihnen knisterte förmlich vor Spannung. Die Zeit schien stillzustehen. Wortlos sah Camille in das Gesicht, das sie besser zu kennen glaubte als ihr eigenes. Ihre Augen weiteten sich. Dies war nicht das Gesicht, an das sie sich erinnerte! Ihr Nick hatte nie einen Bart gehabt. Im Gegenteil, er hatte sich immer wenigstens zweimal täglich rasiert, manchmal sogar dreimal, wenn er einen Auftritt hatte oder wenn sie spät zu Bett gingen. Und das Haar! Ihr Nick hatte sein Haar nie so lang getragen. Es fiel ja schon bis über den Hemdkragen herunter. Dem wenigen nach zu urteilen, was sie von seinem Gesicht sah, hatte er Gewicht verloren. Die Wangen schienen ein wenig eingefallen. Die langen, gebogenen Wimpern konnten die harten Linien von der Nase zum Mund nicht verbergen. Die feinen Linien in seinen Augenwinkeln schienen sich vertieft zu haben. Zwischen den Brauen hatte sich eine steile Falte in die Stirn gegraben. Ihre Blicke trafen sich. Camille schluckte. „Sei nicht albern, Nick! Ich steige schon seit Jahren auf Stühle, und habe mir dabei noch nie etwas gebrochen", erklärte Camille kühl. „W ürdest du mich bitte loslassen? Du machst mir noch blaue Flecken, wenn du deinen Griff nicht lockerst und ..." „Wer würde sie denn sehen?" fuhr er sie an. indem er den Druck seiner Hände verstärkte. „Ist das der Grund, der hinter allem steckt? Hast du einen anderen? Kein Wunder, dass du dich heimlich davongemacht hast, ohne ein Wort zu..." „Ich habe mich nicht davongeschlichen!" Camilles Zorn stand seinem in nichts nach. „Ich... o nein, Dominic de Conti! Noch einmal wird es dir nicht gelingen, mich in einen Streit zu verwickeln! Nun tritt bitte zurück und lass mich herunter. Eine Kundin wartet auf diese Lampe." Der Anblick der Frau neben der Kasse hatte sie jäh wieder an ihr Geschäft erinnert. Nick murmelte etwas Unverständliches, während er Camille vom Stuhl herunterhob, um sie mühelos wie eine Puppe vor sich auf den Boden zu stellen. Sie warf ihm einen verdrossenen Blick zu. Einige Dinge schienen sich nie zu ändern. Er hatte immer noch diese schreckliche Angewohnheit, sie einfach hochzuheben -und hinzustellen, wo er sie haben wollte. Das gefiel ihr jetzt so wenig wie früher, und sie wünschte sehnlichst, ein paar Zentimeter größer und ein paar Pfund schwerer zu sein. „Camille, ich möchte..." Sie unterbrach ihn kühl. „Du wirst dich gedulden müssen, Nick. Zuerst einmal muss ich mich um meine Kundin kümmern." Sie entwand sich ihm und eilte zur Kasse.
Camille hätte später nicht mehr zu sagen vermocht, was sie der Kundin erzählt hatte, aber die Frau verließ mit einem zufriedenen Lächeln und schwerer Einkaufstasche das Geschäft. Während des Gesprächs mit ihr wanderte Camilles Blick immer wieder in die Ecke des Ladens, wo Nick auf sie wartete. Es bestürzte sie, wie heftig ihr Körper auf den Anblick seiner muskulösen Gestalt reagierte, die durch die engen Jeans und das blaue Golfhemd ausgesprochen sexy wirkte. Unwillkürlich sah sie ihn im Geiste nackt neben sich im Bett, noch schweißgebadet von ihrem leidenschaftlichen Liebesspiel. Energisch rief Camille sich zur Ordnung. Sie durfte sich jetzt nicht so gehenlassen. Damit war niemandem geholfen. Und dennoch: ein weiterer Blick zu ihm hinüber ließ ihr unwillkürlich einen Schauer prickelnder Erregung über den Körper laufen. Als die Tür sich hinter der Kundin Schloss, redete Camille sich in Zorn gegen ihre verräterischen Sinne. Sie war so überzeugt gewesen, nach diesen vielen Monaten mit ihren Gefühlen für Nick ins reine gekommen zu sein. War überzeugt gewesen, Abstand gewonnen zu haben zu den vier Jahren des emotionalen Chaos, die hinter ihr lagen. Und war sie nun nicht selbstbewusst genug, eine rein physische Reaktion auf einen gutaussehenden, attraktiven Mann unter Kontrolle halten zu können? Verdammt! Ich werde nicht zulassen, dass er mir das noch einmal antut! Camille war wütend auf sich selbst. Ganz gleich, wie sexy der Mann auch sein mochte - als Ehemann war er nach wie vor unmöglich. Herrisch, halsstarrig, überheblich, taub und blind gegen alles, das seinen sorgfältig maßgeschneiderten Le bensstil gefährden konnte. Sie durfte nicht vergessen, dass er diesen umwerfenden italienischen Charme von einer Sekunde zur anderen ablegen und in einen wahren Temperamentsaus bruch verfallen konnte. Seine Mutter mochte diese Ausbrüche für Zeichen von Künstlerlaune halten, aber schließlich richteten sich die Ausbrüche auch nie gegen sie. Zu schade! Wäre es anders gewesen, hätte sie ihm vielleicht als Kind schon einmal eine schallende Ohrfeige dafür versetzt und ihn damit zur Vernunft gebracht. Aber da sie es nicht getan und statt dessen nur liebevoll zu allem gelächelt hatte, war aus ihm nun ein arroganter Chauvinist geworden! Nick kam mit einem geschmeidigen Gang, der sie an eine Katze erinnerte, auf Camille zu. Einen Moment lang wünschte sie, etwas Eleganteres angezogen zu haben als den schlichten Khaki-Wickelrock und das hellblaue T-Shirt. Und wichtiger noch: Sie hätte Clogs anziehen sollen statt der flachen Sandalen. In einer Auseinandersetzung mit Nick war jeder Zentimeter Körpergröße hilfreich. Dieser Gedanke schoss ihr durch den Kopf, als Nick sich auf den Ladentisch stützte und sie herausfordernd ansah. „Nun?" fuhr er sie an. „Ich erwarte deine Erklärung, Camille." So viel also zu seinem italienischen Charme! „Eine Erklärung? Wozu?" Sie lächelte süß. Mit äußerster Willensanstrengung ge lang es ihr, ihr Temperament zu zügeln. „Vielleicht möchtest du mir zuerst einmal erklären, wie du mich hier gefunden hast? Und wieso du dir überhaupt die Mühe gemacht hast, mich zu suchen." „Wieso ich..." Er unterbrach sich und murmelte etwas auf Italienisch vor sich hin. Camille hatte das Gefühl,' froh sein zu können, es nicht verstanden zu haben. „Das ist doch wieder eine deiner typischen dummen Bemerkungen. Man hätte erwarten sollen, dass du diese pubertäre Unreife allmählich überwunden hättest! Und was mein Hiersein betrifft", fuhr er lauter fort, um ihren Protest zu übertönen, „es ist ein Wunder, dass ich dich gefunden habe. Du hast deine Spuren wirklich gut verwischt, das muss ich schon sagen. Es hat mich Monate gekostet und die Hilfe eines sehr teuren Detektivs, dich aufzuspüren. Er hat fast vier Monate mit einer notwendigerweise diskreten Suche in Kalifornien vertan. Natürlich gingen wir davon aus, dass du zu deinen alten Freunden zurückgekehrt seist. Wir wären nie auf die Idee gekommen, dich in Maine zu suchen, bis er deine Freundin aus dem College auftat." Nick holte tief Luft und versuchte sich zu beruhigen. Ihm war nicht entgangen, dass Camilles Miene zunehmend zorniger wurde. Fast im selben Moment fiel ihm etwas
anderes auf, und er explodierte erneut. „Was hast du mit deinem Haar gemacht? Es gefällt mir nicht so. Wie konntest du so etwas Schreckliches tun? Es war kriminell, das wunderschöne lange Haar abzuschneiden für dieses ... Vogelnest! Du hattest..." „Jetzt hör aber auf, Nick de Conti!" Camille atmete einmal tief durch. Ihr Ausruf war nicht viel von einem Kreischen entfernt. Soweit sollte es nicht kommen. Sie wollte um jeden Preis die Würde wahren. Es war einfach unglaublich, was dieser Mann für eine Wirkung auf sie hatte. Vor der Hochzeit mit ihm hatte sie nicht einmal gewusst, was ein Temperamentsausbruch war! „Es ist praktisch und pflegeleicht", erklärte sie mit erstaunlicher Ruhe. „Mir gefällt es. Allen anderen auch. Außerdem ist es meinem Alter angemessener als ein Zopf. Ich bin wohl ein wenig über das Alter hinaus, mit hüftlangem Haar herumzulaufen, findest du nicht? Zu pubertär", setzte sie ausdruckslos hinzu. Was war eigentlich los? Wieso unterhielten sie sich über ihr Haar? Hatte sie Nick nicht unter anderem verlassen, weil er eine andere heiraten wollte? Und nun war das erste, worüber er sich bei ihrem Wiedersehen ausließ, ihre Frisur! „Es sieht grauenvoll aus!" sagte er mit einem verächtlichen Blick auf ihre kurzen Locken. Dabei nahmen seine Gedanken eine Richtung, die der Camilles nicht unähnlich war. Wieso stritten sie sich über ihre Frisur? War sie nicht vor sieben Monaten einfach davongelaufen, ohne irgendeine Erklärung, sah man einmal von diesem nichtssagenden Brief ab? Und hier standen sie nun und stritten über ihr Haar! Himmel, sie sah immer noch so gut aus. Sogar das kurze Haar stand ihr. Sie hatte wieder etwas an Gewicht gewonnen und wirkte viel gesünder als früher. Hatte sie das alles für einen anderen Mann getan? Falls ja, wollte er ihr das Genick brechen. Camille gelang die Andeutung eines Lächelns. „Ich kann auch nicht gerade behaupten, dass dein neuer Haarstil mir gefällt. Und dieses buschige Gestrüpp in deinem Gesicht schon gar nicht." Am Ende des Satzes war ihr Läche ln verflogen. Nick hatte sich noch weiter über den Ladentisch gebeugt. Seine Miene verhieß nichts Gutes. Camille trat vorsichtshalber einen Schritt zurück. Nicht, dass sie wirklich Angst vor ihm gehabt hätte. Sie wusste, es würde ihm nicht im Traum einfallen, sie zu schlagen. Zumindest nahm sie das an, obwohl... Hatte er sie nicht doch einmal geschla gen? Er hatte sie übers Knie gelegt. Es hatte höllisch weh getan, und er war fuchsteufelswild gewesen. Hinterher hatte es ihm dann allerdings leid getan, und er hatte es wieder gutgeküsst. Aber deswegen anzunehmen, er würde es nie wieder tun? Das war doch wohl naiv. Sie brauchte ihn doch nur anzusehen. Dieser alberne Bart bebte ja förmlich vor Zorn. Nick beobachtete aus zusammengekniffenen Augen, wie Camille vor ihm zurückwich. Dabei ließ sie ihn nicht aus den Augen. Das kleine Kinn hatte sie trotzig gehoben. Er bemühte sich verzweifelt, sein Temperament zu zügeln, während sein Blick voller Verlangen über den schlanken, sanft gerundeten Körper seiner Frau glitt. Plötzlich war das alles nicht mehr wichtig - warum sie ihn verlassen hatte, seine lange Suche, dieser dumme Streit. Wichtig war nur noch, dass er sie gefunden hatte und dass er sie in seinen Armen halten und sich in ihr verlieren würde, sobald er sie erst einmal an einem Ort hatte, wo sie ungestört waren. Camille bemerkte die allmähliche Veränderung seines Ausdrucks. Sie spürte instinktiv, Was in ihm vorging. Nicht, dass sein Verlangen beruhigender auf sie wirkte als sein Zorn. In jeder Form aufgewühlter Leidenschaft war Nick zu behandeln wie Nitroglyzerin: mit äußerster Vorsicht und immer darauf gefasst, dass er jede Sekunde in die Luft gehen konnte. Was wollte er überhaupt? Hatte er nicht bekommen, was er haben wollte? Oder hatte Oriana ihn auch verlassen? „Kein Grund zur Panik, Camille." Nicks Stimme klang wieder fast normal. Er richtete sich auf und steckte die Hände tief in den Taschen seiner Jeans. „Was fürchtest du? Dass ich dich wieder übers Knie lege? Auch wenn ich finde, dass du es mehr als verdient hättest, weißt du, dass ich es nicht tun würde. Zumindest solltest du es wissen..."
„Nun, einmal hast du es getan!" fuhr sie ihn an. „Ach, komm schon", meinte er abwiegelnd. „Du musst zugeben, dass ich allen Grund dazu hatte." „Was für einen Grund?" Sie weigerte sich, auch nur einen Zentimeter nachzugeben. „Du hast einen Blumentopf nach mir geworfe n... Oder hast du das schon vergessen?" „Ich habe dich nicht getroffen." „Das lag nur daran, dass du nicht zielen kannst." „Das stimmt nicht! Und außerdem hattest du es verdient. Du hast mich einen Dummkopf genannt." „Weil du dich damals auch wirklich dumm benommen hast. Verdammt, Camille!" Er seufzte gereizt. „Du streitest immer noch wie eine Zehnjährige!" „Oh, du... Wer hat diesen Streit überhaupt angefangen? Du doch wohl! Du bist hierhergekommen, hast mich angebrüllt, hast mein Haar kritisiert und..." Camille brach mitten in ihrer empörten Tirade ab, weil sie aus den Augenwinkeln heraus wahrgenommen hatte, dass zwei Frauen den Laden betreten wollten. Mit einer unterdrückten Verwünschung wandte sie sich ab und begann, ein paar alte Pfannen zurechtzurücken. Ruhig! Ich will ruhig sein! wiederholte sie dabei im stillen immer wieder. Ich werde es nicht zulassen, dass Nick mich wieder dazu bringt, mich auf ein lautes Wortgefecht mit ihm einzulassen. Ich werde nicht zulassen, dass dieser arrogante, überhebliche, unmögliche Mensch sich wieder wie der letzte Chauvinist benimmt. Nie wieder werde ich zulassen, dass er mich wie ein kleines Dummchen behandelt! Ich bin siebenundzwanzig Jahre alt... intelligent... gebildet... ruhig ... würdevoll. „Camille?" murmelte Nicks weicher Bariton hinter ihr. Sie nahm eine lange Grillgabel vom Regal und drehte sich halb um. Nick stand so dicht hinter ihr, dass er ihr den Blick auf den Rest des Ladens versperrte. Sie musterte ihn grimmig. „Wenn du nicht sofort verschwindest", zischte sie ihm zu, „dann spieße ich dich auf, das schwöre ich dir!" „Ich habe mich geirrt", bekannte er mit geheuchelter Zerknirschung. „Du benimmst dich nicht wie eine Zehn-, sondern wie eine Achtjährige." Mit einem geschickten Griff hatte er ihr die Grillgabel entwunden und sie zurück auf das Regal gelegt. Das Lachen in seiner Stimme war nicht zu überhören, als er fortfuhr: „Welche Leidenschaft, Cara! Was ist los? Hast du niemanden mehr, mit dem du dich streiten kannst?" „Sei nicht albern! Du weißt sehr wohl, dass ich Streit schon immer gehasst habe!" Camille versuchte, sich an ihm vorbeizuschieben. „Ich bin mir da nicht so sicher." Er lachte in sich hinein. „Soweit ich mich erinnere, hast du die Versöhnung immer sehr genossen. Ich habe mich oft gefragt..." Ihre empörte Miene ließ ihn laut auflachen. Camille suchte hilflos nach Worten. Oder besser: nach einer Entgegnung, die ihn für immer zum Schweigen gebracht hätte. Dabei wusste sie sehr wohl, dass sich ihr Zorn ebenso gegen sich selbst richtete wie gegen Nick. Er hatte nicht ganz unrecht mit dem, was er gesagt hatte. Nicht, dass sie gern stritt. Das mit Sicherheit nicht. Aber es ließ sich nicht leugnen, dass einige ihrer leidenschaftlichen Liebesakte eben nach heftigen Streits stattge funden hatten. Aber natürlich konnte sie das nicht zugeben. Zumindest nicht, bis sie herausgefunden hatte, warum er wirklich hier war. In der Zwischenzeit... „Lass mich vorbei, Nick. Da kommen Kunden." Ohne lange nachzudenken, legte sie ihre Hände gegen seine Brust, um ihn beiseite zu schieben. Hastig zog sie sie wieder zurück, als sie seinen muskulösen Körper berührte. Sie warf rasch einen Blick nach oben und erkannte an seinem vielsagenden Lächeln, dass er sehr wohl wusste, was in ihr vorging. Prompt errötete sie bis unter die Haarwurzeln. Sie versuchte sich abzuwenden, aber er schob einen Hand unter ihr Kinn und zwang sie, zu ihm aufzusehen. Direkt in seine lachenden Augen.
„Es ist schon in Ordnung, süße Elfe", murmelte er. „Ich mag es, wenn du mich berührst." „Nick..." „Ja, ja, du hast wahrscheinlich recht. Dies ist weder der richtige Zeitpunkt noch der richtige Ort, aber später..." „Verdammt, Nick..." „ ... wenn wir allein sind, kannst du mich ..." „Nein!" „ ... wieder kennenlernen, ebenso wie ich meine Erinnerungen an dich auffrischen werde. Es war eine so schöne..." „Wir können doch nicht..." „Nein, nicht hier, Cara. Du hast Kunden. Wieso kümmerst du dich jetzt nicht um sie? Ich sehe mich solange um." Camille starrte ihn wortlos an. Sie war völlig frustriert und musste gleichzeitig gegen das Lachen ankämpfen, das in ihr aufstieg. Der Mann war doch wirklich unmöglich! Irgendwann in den letzten Minuten war ihr klargeworden, dass Nicks Haltung sich völlig verändert hatte. Er war entspannt, vergnügt, neckte sie und zeigte sich gänzlich unaggressiv. Und dennoch: Sie traute ihm nicht. Keinen Zentimeter weit! Nicht, solange sie das Blitzen in seinen Augen sah. Nick beobachtete ihr rasch wechselndes Mienenspiel mit einem amüsierten Lächeln. Dann trat er zurück und verneigte sich galant. „Zuerst das Geschäftliche, Mylady", murmelte er. „Dann werden wir uns um das Vergnügen kümmern." „Arroganter Affe", zischte sie, als sie an ihm vorbeiging. Leider wurde die Wirkung des vernichtenden Blickes, den sie ihm dabei zuwarf, sehr durch ihr nicht mehr zu unterdrückendes Lachen beeinträchtigt. Die Hoffnung, er habe es vielleicht nicht bemerkt, wurde jäh zunichte gemacht, als er ihr mit- einem leisen Lachen nachrief: „Lass dir Zeit, Darling. Ich habe den ganzen Nachmittag frei." Nick begann, im Laden herumzugehen und sich umzusehen. Er wusste bereits aus dem Bericht des Detektivs, dass Camille und ihre Freundin Jean Vernon ihr Geschäft „Großmutters Küche" - vor vier Monaten eröffnet hatten, aber er hatte nicht weiter darüber nachgedacht, was sich hinter dem Namen verbergen mochte. Nun begann er, die verschiedenen Küchenutensilien, die überall ausgestellt waren, zu betrachten und die beigelegten Beschreibungen der Verwendungsmöglichkeiten zu lesen. Es dauerte nicht lange, bis er begriff, womit die beiden handelten. Von einem handgeschriebenen, fast unleserlichen Kochbuch aus dem siebzehnten Jahrhundert bis hin zu einem Dosenöffner von 1946 bot der Laden einen Überblick über dreihundert Jahre amerikanischer Küche. Während er alte Kühlboxen betrachtete und die Verzierungen an einem gusseisernen alten Ofen bewunderte, fragte er sich, wo Camille und ihre Freundin diese Dinge auftreiben mochten. Einige Geräte erinnerten verdächtig an mittelalterliche Folterinstrumente, aber den beigelegten Karten zufolge handelte es sich um Apfelschäler und Kirschentsteiner. Ob heutzutage noch jemand in der Lage war, sie richtig zu benutzen? „Nehmen Sie zwei, und ich mache Ihnen ein Sonderangebot!" Nick fuhr herum, als er Camilles lachende Stimme hinter sich hörte. Ihre Blicke trafen sich. Blieben aneinander hangen. Das Lachen verflog. Nick legte die Hände auf ihre Schultern und wollte sie an sich ziehen, aber Camille wehrte ihn ab. „Oh, Cara, du hast mir so gefehlt. Warum bist du einfach so verschwunden?" „Ich habe es dir doch erklärt. Hast du denn meinen Brief nicht bekommen?" „Das sollte eine Erklärung sein? ,Ich brauche mir das nicht bieten zu lassen. Da dies deine Idee ist, musst du dich auch um die Details kümmern. Wenn du Chateaubriand wolltest, wieso hast du dich dann für amerikanische Hausmannskost entschieden?' Kein
Wort davon ergibt irgendeinen Sinn. Was zum Teufel wolltest du damit sagen?" „Das weißt du sehr wohl. Ich finde allerdings, du hättest es mir selbst sagen sollen, statt alle Erklärungen deiner Mutter zu überlassen. Sie hat es mir nicht sehr schonend beigebracht, aber das ist auch nicht verwunderlich. Sie mochte mich noch nie." „Unsinn! Du hattest immer eine völlig unerklärliche Antipathie gegen meine Mutter, obwohl sie sich von Anfang an alle Mühe gegeben hat, dir zu helfen und dir..." Lautes Lachen und Stimmen an der Tür unterbrachen das zunehmend hitziger werdende Wortgefecht. Camilles nachdrückliches „Unsinn!" war jedoch auch über das Stimmengewirr der Frauen, die gerade den Laden betraten, noch leicht zu hören. „Es ist unmöglich, sich hier vernünftig zu unterhalten!" rief Nick gereizt. „Wann kannst du fort? Kann deine Partnerin denn den Rest des Tages nicht allein fertig werden?" Camille hatte schon zu ihren Kundinnen hinübergehen wollen, sah nun aber, dass die Frauen sich schon allein umblickten und in den Regalen stöberten. Sie unterdrückte ein Lächeln, als sie Nicks ungeduldigen Ausdruck bemerkte. Er hasste es, warten zu müssen. Nun, diesmal hatte er sich nach ihr zu richten, ob es ihm nun ge fiel oder nicht. „Du hast recht, hier können wir nicht miteinander reden. Dein ungezügeltes Temperament..." „Mein...? Mein ungezügeltes Temperament!" „ ... wird mir die Kunden vertreiben. Außerdem sieht es so aus, als würde es ein geschäftiger Nachmittag. Wir würden also ständig unterbrochen. Aber ich kann nicht vor sechs fort, weil..." „Vor sechs!" weil Jean erst am späten Nachmittag zurückkommt. Sie kriecht im Moment gerade in einer alten Scheune herum." Camille unterdrückte ein Lachen, als sie seine verwirrte Miene sah. „Alte Scheunen sind wahre Fundgruben. Jean und ich verbringen viel Zeit damit, sie zu durchforsten. Du würdest es nicht für möglich halten, was einige Leute aufbewahren!" Nick schüttelte ungläubig den Kopf. „Ich kann nicht glauben, dass du ein so schönes Zuhause wie I Venti di Mare verlassen hast, um dich in schmutzigen alten Scheunen herumzutreiben." „Ich bin gegangen, weil..." Camille unterbrach sich, als sie merkte, dass eine der Frauen sich suchend nach Hilfe umsah. „Wir können jetzt nicht darüber reden. Warum siehst du dir jetzt nicht die Stadt an oder vertreibst dir die Zeit sonstwie und holst mich dann um sechs hier ab." „Okay", stimmte er widerstrebend zu. „Wir werden in irgendein ruhiges Restaurant essen gehen, wo wir ungestört sind. Du bist mir ein paar Erklärungen schuldig, Camille." Sie hielt seinem durchdringenden Blick ruhig stand. „Du mir auch, Nick." Ohne ein weiteres Wort ließ sie ihn stehen und wandte sich ihren Kundinnen zu. Um fünf Minuten vor sechs stand Camille immer noch im Waschraum hinter dem Geschäft und zupfte sich das Haar zurecht. Sie unterdrückte ein Stöhnen, als sie die unmissverständliche Vorfreude sah, die aus ihren Augen leuchtete. Es konnte doch wohl nicht wahr sein, dass sie sich darauf freute, Nick wiederzusehen - mit ihm allein zu sein, mit ihm zu reden, die Vergangenheit zu diskutieren oder zu erklären... Was erklären? Was gab es zu erklären? Er wusste doch - ganz gleich, was auch immer er behauptete -, warum sie fortgegangen war. Unter gar keinen Umständen wollte sie sich noch einmal mit diesem unmöglichen Mann einlassen. Schon einmal hätte er sie fast zugrunde gerichtet. Ein zweites Mal sollte ihr das nicht passieren! Mit diesem festen Entschluss verließ sie den Waschraum und griff nach ihrer Tasche. „Fertig, Camille?" Der unerwartete Klang von Nicks Stimme ließ sie erschreckt herumfahren. Dabei stieß sie schmerzhaft mit dem Ellenbogen gegen ein Regal. Sie schrie auf. Der scharfe Schmerz trieb ihr Tränen in die Augen.
„Du... Nun sieh nur, was du angerichtet hast! Oh, das tut weh!" stöhnte sie. „Halt still!" befahl Nick und versuchte, dabei nicht zu lachen. „Lass mich sehen. Komm schon, Camille, hör auf rumzuhüpfen und lass mich reiben." „Das ist überhaupt nicht witzig, du Ekel. Wahrscheinlich habe ich mir den Knochen angebrochen oder gesplittert oder sonst etwas, und du lachst auch noch darüber!" „Niemals!" Er biss sich auf die Unterlippe. Endlich gelang es ihm, ihren schmerzenden Ellenbogen zu massieren. „Hör auf, mich so wütend anzusehen, Cara. Du hast gerade den berühmten .Musikantenknochen' getroffen. Der Schmerz wird gleich nachlassen." „Lass mich los!" fuhr sie ihn an. In ihr rangen die widersprüchlichsten Gefühle Überraschung, Schmerz und die verwirrende Reaktion auf Nicks warme Hände an ihrem Arm. Es fiel ihr schon schwer genug, mit seiner Gegenwart fertig zu werden, ohne dass er sie berührte. Nick machte ihre Bemühungen, sich ihm zu entziehen, sofort zunichte, indem er den Druck seiner Hände verstärkte. Die Spur von Verzweiflung, die aus ihrem Ringen sprach, ließ ihn schließlich aufsehen. Dabei bemerkte er die verräterische Röte, die ihr in die Wangen gestiegen war. Er zwäng sie, ihn anzusehen. Seine Augen verdunkelten sich. Camille versuchte, ihren Blick abzuwenden, aber das Verlangen, mit dem er sie ansah, zog sie in seinen Bann, ließ sie nicht mehr los, weckte das gleiche Verlangen in ihr wie in ihm. Es war, als hätten sie die Zeit zurückgedreht. Die letzte Jahre schienen ausgelöscht. Es war wieder ein Tag jenes ersten Sommers. Sie waren jung und verliebt und fingen gerade an, die endlosen Dimensionen ihrer Leidenschaft für einander zu erkunden. Sie vergaß die Sonne, den Sommerwind, den Duft der Feldblumen. Ihre einzige Wirklichkeit war Nick. Ihre Sinne ergaben sich ganz dem Zauber seiner hungrigen Lippen mit ihren Liebkosungen. Sie spürte beglückt seine Arme um sich, die Zärtlichkeiten seiner Hände, die Erregung seines Körpers. Einige Minuten gab sie sich ganz dem seligen Genießen hin. Sie wusste nicht, was es schließlich war, das sie jäh wieder in die Wirklichkeit zurückholte. Vielleicht waren es seine ungeduldigen Finger, vielleicht auch das Prickeln seines Bartes an ihren Lippen. Was auch immer - mit einem Schlag war sie wieder in der Wirklichkeit und hellwach. Mehrere erschreckende Details wurden ihm auf einmal bewusst: Ihre Finger hatten sich in Nicks Haar vergraben. Ihre Lippen waren hingebungsvoll auf seine gepresst. Sie saß halb auf dem Frisiertisch im Waschraum, sicher gehalten von Nicks starken Armen um ihre Taille. Ihre bloßen Schenkel schmiegten sich fest um seine Hüften. Camilles abrupter Übergang von der hingebungsvollen Geliebten zur wilden Furie traf Nick unvorbereitet. Abrupt stieß sie ihn mit Armen und Beinen von sich und sprang auf die Füße. Ihre Augen blitzten vor Zorn. „Du... du bist widerlich! Du hast kein Recht dazu, mich so zu überfallen. Geh doch und.'.. und amüsier dich mit deinesgleichen!" Nick hob beide Hände in einer Geste der Ergebenheit, und lehnte sich an die Wand. Der Eindruck der zerknirschten Miene wurde jedoch durch sein leises Lachen gleich wieder zunichte gemacht. „Nun komm, du kleiner Vulkan. Beruhige dich und bring dein Äußeres in Ordnung. Ich habe uns einen Tisch für sieben Uhr reservieren lassen. Wir sollten uns bald auf den Weg machen." „Ich werde nicht... Oh, schon gut, aber ich muss mich umziehen." Verdrossen betrachtete sie ihren zerknitterten Rock. „In diesem Zustand kann ich ja wohl nirgends hingehen. Warum machst du dich nicht mit Jean bekannt, während ich mir etwas anderes zum Anziehen suche?" Auf seinen fragenden Blick hin erklärte sie: „Wir haben immer Sachen zum Wechseln hier für Notfälle." Nick verschränkte die Arme vor der Brust. „Wieso bleibe ich nicht einfach hier und unterhalte mich mit dir, während du dich umziehst?" schlug er vor. „Ausgeschlossen." Sie öffnete die Tür und sah ihn auffordernd an. „Bitte geh, Nick! Je länger du hier bleibst, desto mehr werden wir uns verspäten."
„Spielverderberin!" Es klang irritiert, aber er kam ihrer Aufforderung nach. Als sie die Tür hinter ihm Schloss, hörte sie ihn leise singen: „You're a Woman, I'm a Man..." Der Schmelz seines, vollen Baritons würde ihm augenblicklich den Vertrag einer Plattenfir ma eingebracht haben, hätte ihn in diesem Moment einer der Manager gehört. Camille fand ihr inneres Gleichgewicht rasch wieder, als sie erst einmal allein war. Es war, wie sie Jean schon einmal erzählt hatte: Nur Nick konnte sie dazu bringen, die Selbstbeherrschung zu verlieren und ein Temperament an den Tag zu legen, das seinem südländischen in nichts nachstand. Hastig zog sie sich um. Eine weiße Hose, eine gestreifte Seidenbluse und hochhackige Sandalen schienen dem Anlass angemessen. Nachdem sie sich mit der Bürste durch das Haar gefahren war, legte sie noch einmal frischen Lippenstift auf. Dann eilte sie zur Tür. Dabei weigerte sie sich, darüber nachzudenken, wieso sie es so eilig hatte, zu ihrem sehr nervenaufreibenden, sehr verwirrenden Mann zu kommen. Als sie I Venti di Mare verlassen hatte, hatte sie noch einen winzigen Funken Hoffnung gehegt, er könne ihr folgen. Aber als dann mehrere Monate vergingen, ohne dass sie etwas von ihm gehört hatte, erstarb diese Hoffnung allmählich. Und hier war er nun plötzlich - nach sieben Monaten! In der einen Minute wutschnaubend, in der anderen voller Leidenschaft und Verlangen. Dabei tat er so, als wisse er nicht, warum sie fortgegangen war, und beschuldigte sie, einen anderen zu haben. Dieser Mann war ihr wirklich ein Rätsel!
3. KAPITEL
Camille und Nick waren schon halb die Harborside Lane hinuntergeschlendert, als Camille plötzlich etwas auffiel. „Wieso gehen wir eigentlich zu Fuß? Wo ist Gavin?" erkundigte sie sich erstaunt. Gavin war seit Jahren Nicks Diener, Chauffeur und Leibwächter in einer Person. Sie wusste, dass Nick es vorzog, mit dem Wagen zu fahren, seit er so bekannt geworden war, dass er auf der Straße immer wieder angesprochen wurde. „Wir haben nicht weit zu gehen - nur zum Harbor House." Das war eines von Portlands besten Restaurants. „Weißt du, dies ist..." „Einen Moment einmal! Lenk jetzt bitte nicht vom Thema ab! Was ist mit Gavin? Nun sag nur nicht, er hätte dich allein hierherkommen lassen!" Nick zuckte die Schultern. Ihnen beiden war schon vor langer Zeit klargeworden, dass der erste glückliche Sommer ihrer Ehe sehr viel anders verlaufen wäre, hätte Gavin Nick damals nach Berkshire begleitet. Seine Anwesenheit hätte die Wirbelwindromanze wenn nicht verhindert, so doch erheblich eingeschränkt. Sie hätten dann ihren Gefühlen nicht, wann immer ihnen danach zumute war, nachgeben können. Camille hatte dem Schicksal schön oft gedankt dafür, dass Gavin ausgerechnet in jenem Jahr seinen ersten und letzten Urlaub nahm, um seine Familie in England zu besuchen. Jener Sommer war die glücklichste Zeit ihrer Ehe gewesen - eine Zeit, von der sie in den vier folgenden, schweren Jahren gezehrt hatte. „Nun? Hat er dich allein fahren lassen?" hakte sie nach, als Nick nicht gleich antwortete. „Nicht direkt. Er ist hier. Genauer gesagt, auf Cape Elizabeth, wo wir wohnen. Aber heute bin ich selbst gefahren." „Du? Du bist gefahren?" Camille blieb entgeistert stehen. „Gütiger Himmel!" stöhnte sie. „Hat jemand die Polizei unterrichtet, dass du allein in einem Wagen auf die Menschheit losgelassen wurdest?" „Sehr witzig! So schlecht fahre ich ja nun auch nicht, und..." „O doch, das tust du! Sogar deine Mutter weigert sich, in einen Wagen einzusteigen, wenn du am Steuer sitzt. Ich kann es wirklich nicht glauben, dass Gavin dir den Wagen überlassen hat." - Während sie weitergingen, fragte sie sich, wie es ihm gelungen sein mochte, Gavin auszuschalten. Nick gab offen zu, dass er ein ausgesprochen geistesabwesender Fahrer war. Wenn es tatsächlich einmal vorkam, dass er Lust verspürte, sich selbst hinter das Steuer zu setzen, ließ er sich für gewöhnlich schnell davon abbringen und sich von Gavin oder wem sonst auch immer chauffieren. Nicht, dass die Technik des Wagens ihn überfordert hätte. Wenn er sich konzentrierte, war er ein sehr guter Fahrer. Aber das war eben das Problem: das Fahren langweilte ihn. Schon nach kurzer Zeit begann er,' im Geiste neue Stücke zu komponieren oder sein Repertoire durchzuspielen. Saßen noch andere im Wagen, ging er so in der allgemeinen Unterhaltung auf, dass er Wagen und Verkehr vollkommen vergaß. „Das war kein Problem", erklärte Nick. „Ich habe ihm versprochen, an nichts anderes als an den Verkehr zu denken. Er wusste, dass ich mich nicht verfahren würde, weil er mich selbst gestern hierhergebracht und dafür gesorgt hat, dass ich mir die Strecke einpräge." „Gestern? Was hast du... Heißt das... Hast du mir nachspioniert?" „Nein, nein, natürlich nicht." Vorsichtshalber ergriff er ihre Hand, die sich schon zur Faust geballt hatte. „Ich bin schon seit ein paar Tagen auf Cape Elizabeth. Nachdem ich erst einmal in Maine war, so nah bei dir... O Camille, plötzlich wusste ich nicht mehr, was ich zu dir sagen oder wie ich mich dir nähern sollte. Ich hatte keine Ahnung, warum du fortgegangen bist - abgesehen von diesem verrückten Brief. Was, zum Teufel, haben Chateaubriand und amerikanische Hausmannskost mit uns zu tun?" Bevor sie auch nur den Mund öffnen konnte, um etwas zu sagen, fuhr er schon erregt
fort: „Einerlei. Das kannst du später erklären. Was ich versuche dir zu sagen, ist, dass es ein paar Tage gedauert hat, bis ich soweit war, dich aufzusuchen. Ich wusste nicht, ob ich zu deinem Apartment gehen oder einfach in den Laden kommen sollte. Schließlich entschied ich mich für den Laden und... Nun ja, gestern war ich da... Ich habe durch das Schaufenster hineingesehen, und du warst nicht da. Anschließend bin ich dann eine Weile hier herumspaziert und ..." Er verstummte, als Camille zu lachen begann. „Was ist denn so witzig?" fragte er gekränkt. „Du... du..." Sie konnte sich gar nicht wieder beruhigen. „Ich kann mir einfach nicht vorstellen", antwortete sie immer noch lachend, „dass irgend etwas dich so nervös machen kann." „Nun ja... Es gibt eben immer ein erstes Mal. Und die meisten davon scheinen mir mit dir verbunden zu sein." Nick bemerkte, dass sie die Bücke der Passanten auf sich zogen. „Hier ist nicht der richtige Ort, darüber zu diskutieren", sagte er beim Weitergehen. „Du kannst mir jetzt etwas über diese Gegend erzählen. Einige der alten Häuser hier sind wirklich faszinierend." Obwohl sie viel lieber den Grund für die rätselhafte Schwäche in der üblichen Selbstsicherheit ihres Mannes herausgefunden hätte, kam Camille seiner Bitte widerstrebend nach. Der lebhafte Bürgersteig war in der Tat nicht der richtige Ort für eine solche Analyse. So erzählte sie Nick denn von dem einzigartigen Restaurierungsprojekt, mit dem die Stadt dieses Gebiet wieder zu alter Schönheit herzustellen versuchte. In dem ehemals verkommenen Bezirk hatten inzwischen viele kleine Antiquitätenläden, Boutiquen, Galerien und ähnliches ein neues Zuhause gefunden. Die Gegend war „in" unter den jungen Leuten der Stadt. Nick war fasziniert von den architektonischen Kleinoden, die dabei wieder zutage getreten waren. So sehr Camille ihm grund sätzlich zustimmte, so wenig war sie doch von den originalgetreu gepflasterten Bürgersteigen angetan. Sie mochten zwar die Atmo sphäre des Alten unterstützen, waren aber alles andere als ideal für hohe Absätze. Nick legte seine Hand unter ihren Ellbogen und genoss es, dass sie sich sogar freiwillig auf ihn stützte. Camille hatte zu viel Erfahrung mit dem Lebensstil der de Contis, um überrascht zu sein, als man sie im Restaurant an einen der begehrten Fenstertische führte. Ihre einzige Frage war: „Wann hast du denn das arrangiert?" „Heute nachmittag, als ich herumspazierte, um die Zeit totzuschlagen." Nick ließ seinen Blick durch das Restaurant wandern. , „Nett hier. Ich hoffe, die Küche ist ebenso gut wie ihr Ruf." „Sie ist super!" versicherte Camille ihm. ,,Jean und ich kommen gelegentlich hierher. Ich liebe die Atmosphäre." Die Decke war von alten Eichenbalken abgestützt. Durch geschickt aufgestellte Wandschirme wurde der große Raum in behagliche kleine Nischen unterteilt. Große grüne Pflanzen vervollkommneten das Bild. Zur Wasserseite hin hatte man hohe venezianische Fenster in die Wand eingelassen. „Du könntest leicht dreimal am Tag hier essen, wenn du wolltest", bemerkte Nick. „Sie servieren kein Frühstück", erklärte Camille geistesabwesend. Sie bemerkte die Herausforderung in seinem Blick und wusste sofort, dass er an ihre häufigen Streitgespräche über den großzügig bemessenen monatlichen Betrag dachte, den er ihr gleich nach der Hochzeit ausgesetzt hatte. Die Vorstellung, eine Art Apanage zu erhalten, hatte ihr von Anfang an nicht gefallen. Irgendwie kam sie sich dadurch wie eine ausgehaltene Frau vor. In ihrer Welt warfen Mann und Frau ihre Mittel zusammen und hatten gemeinsame Konten. Sie erinnerte sich noch deutlich an seine Reaktion, als sie ihm den Kompromiss vorschlag machte, diesen Betrag auf eine Höhe zu reduzieren, die der ihres monatlichen Einkommens aus der Lebensversicherung ihrer Eltern entsprach. Das war überhaupt der
Streit gewesen, der schließlich mit fliegenden Blumentöpfen geendet hatte, einem schmerzenden Hinterteil und einer die ganze Nacht andauernden leidenschaftlichen Versöhnung. „Das ist ein höchst interessanter Satz. An was denkst du denn gerade?" Camille spürte, wie ihr das Blut in die Wangen stieg. Sein amüsierter Ton verriet, dass er die Richtung ihrer Gedanken erraten hatte. Auch er schien sich an seine phantasiereichen Bemühungen, ihren Schmerz zu lindern, zu erinnern. Camille starrte aus dem Fenster, nahm das rege Treiben in dem kleinen Hafen jedoch kaum wahr, während sie versuchte, ihr inneres Gleichgewicht wiederzufinden. „Camille?" Sie wandte sich Nick zu mit einem Ausdruck, der, wie sie hoffte, nur freundliches Interesse verriet. Irgend etwas an seinen zuckenden Mundwinkeln verriet ihr, dass die Bemühungen nicht sehr erfolgreich waren. „Okay, Nick. Ich bin sicher, du findest das über alle Maßen amüsant. Zumindest bin ich ehrlich genug zuzugeben, dass das einzige, was in unserer Ehe bis zum Ende in Ordnung blieb, der Sex war. Aber ich habe nicht die Absicht, wie du so zu tun, als wäre grundsätzlich alles in Ordnung, von ein paar kleinen Missverständnissen abgesehen. Diese..." Sie verstummte, als der Ober mit dem Wein kam. Nick kostete und bat dann, einzuschenken. Als der Ober ging, hob er sein Glas. „Ein Toast, Cara?" „Worauf?" Camilles Miene war rebellisch. „Auf uns, natürlich." Er stieß mit ihr an. Er nippte an seinem Weißwein und beobachtete, dass sie zögerte. „Trink aus, mein dickköpfiger Darling", bat er und streckte eine Hand aus, um ihr das Glas an die Lippen zu führen. „Es gibt immer noch ein ,uns', glaub mir. Wäre ich nicht davon überzeugt, wäre ich nicht hier. Dann hätte ich mir die Enttäuschungen und das Grübeln der vergangenen Monate erspart." „Oh...." Mehr konnte Camille darauf nicht sagen. Was meinte er mit seiner Bemerkung? Enttäuschung .war klar. Nick war immer sehr enttäuscht, wenn seine Pläne durchkreuzt oder seine Wünsche missachtet wurden. Grübeln hingegen gehörte nicht zu seiner üblichen Verhaltensweise. Das würde ja bedeuten, er habe irgendwo einen Fehler gemacht, und soweit Camille wusste, war Nick überzeugt, unfehlbar zu sein. Zumindest gestand er, sich seine Fehler nie ein... Gedankenverloren nippte Camille an ihrem Wein und beobachtete dabei, wie Nick dünne Cracker mit dem Käseaufstrich versah, für den das Restaurant berühmt war. Energisch verdrängte sie jeden Gedanken daran, wie hingebungsvoll diese Hände einmal ihren Körper liebkost hatten. Nein, daran durfte sie jetzt nicht denken. Das wäre fatal! „Camille? Möchtest du keine Cracker? Die Creme ist wunderbar. Du weißt sicher nicht, woraus sie besteht, oder?" Sie nahm ihm einen Cracker ab und ließ einen Bissen auf der Zunge zergehen. „Es ist das bestgehütete Geheimnis der Stadt, aber ich habe gehört" - sie beugte sich mit verschwörerischer Miene vor - „dass wenigstens vier Sorten Käse dazugehören und zwei oder drei Arten von Nüssen. Mehr weiß man nicht." Nick lachte leise. „Ich frage mich: Was ist faszinierender - der Geschmack oder sein Geheimnis." „Apropos Geheimnis..." Es war nicht Camilles Art, eine so günstige Gelegenheit ungenutzt verstreichen zu lassen. „Was waren denn das für Enttäuschungen, die du gerade erwähnt hast?" „Was soll denn diese dumme Frage?" Nick schien Mühe zu haben, seine Stimme leise zu halten. „Was glaubst du wohl, wie ich mich gefühlt habe? Ich komme nach einer anstrengenden sechswöchigen Tournee aus Australien und Neuseeland zurück und muss mir sagen lassen, du seist fort! Ohne Erklärung und ohne Hinweis darauf, ob du zurückzukommen gedenkst oder wo du zu finden bist. Und nun komm bitte nicht wieder
mit einem Hinweis auf diesen absurden Brief! Weit mehr als diese paar Ze ilen hat mir die Tatsache verraten, dass alles noch da war, was ich dir einmal geschenkt habe - dein Ring, dein Schmuck und deine Kleider." „Ich..." „Der Brief, den du Mutter hinterlassen hast, verriet ja auch nicht mehr: .Mach dir keine Sorgen. Ich besuche Verwandte.' Ein schöner Besuch! Als ich zurückkam, warst du schon fast vier Wochen fort, und niemand hatte ein Wort von dir gehört. Da die einzigen Verwandten, die ich kenne, dein Onkel und deine Tante sind, rief ich sie an. Nun, sie wussten auch von nichts." „Nick, nach allem, was sie für mich getan haben, konnte ich sie nicht bitten..." „Begreifst du denn nicht, Camille? Es war zwei Tage vor Thanksgivirig - einem großen Familienfest -, und ich hatte nicht die leiseste Ahnung, wo meine Frau war, ob sie irgendwo krank und allein war. Ich wusste ja nicht einmal, ob du überhaupt noch lebst! Nein, unterbrich mich nicht! Jetzt sollst du alles hören. Ich bin sicher, du. meintest einen guten Grund für dein Verhalten zu haben, aber hast du auch nur ein einziges Mal daran gedacht, wie ich mich fühlen musste? Ohne zu wissen, was mit dir ist? Das letzte Mal, als ich dich gesehen hatte, warst du völlig abgemagert, kreidebleich mit dunklen Schatten unter den Augen. Du stecktest gerade in einer tiefen Depression. Während der zwei Monate, in denen ich zu Hause war, wolltest du weder mit mir reden, noch im selben Zimmer mit mir sein. Ich weiß, dass die Fehlgeburt dir sehr zugesetzt hat, zumal es schon die zweite war, und ich beide Male nicht bei dir gewesen bin. Hätte irgend jemand mich angerufen, hätte ich sofort alles abgesagt und wäre nach Hause gekommen, um bei dir zu sein." „Du hättest ein Konzert abgesagt?" „Gütiger Himmel, Camille! Für was hältst du mich? Weißt du denn nicht, dass ich nahe dran war, die ganze To urnee durch Australien abzusagen? Ich wollte dich nicht allein lassen, als du so krank warst, aber Mutter bestand darauf, dass Frauen sich rascher wieder erholten, wenn sie allein seien. Sie sagte, es sei nur natürlich, dass du mir Vorwürfe machtest für das alles, und dass es dir viel besser gehen würde, wenn du mich eine Weile nicht sehen müsstest. Deswegen habe ich die Tournee dann doch durchgestanden und..." „Das hat sie dir gesagt? Und du hast ihr geglaubt? Himmel! Und du nennst mich dumm! Ich brauchte dich, Nick. Ich habe noch nie in meinem ganzen Leben jemanden so gebraucht wie dich zu der Zeit. Ich lag im Krankenhausbett und habe darauf gewartet, dass du zu mir kamst, und... und dann kamst du nicht, und Lucianna... deine Mutter, sagte, dass du... sie sagte, sie habe mit dir geredet, und du seist zu wütend und aufgebracht, um... sie sagte, du wollest nicht mit mir reden, bist du dich wieder beruhigt habest. Sie sagte, du seist sehr enttäuscht von mir. Hättest du von Anfang an gewusst, dass ich keine Kinder haben könnte..." „Nein!" Camille erschrak, als Nick spontan seine Hände auf ihre legte. „Das habe ich niemals gesagt, Camille!" Er beugte sich zu ihr herüber und sah sie mit einer Intensität an, die ihr fast angst machte. Sein Ton verriet schockierten Unglauben, als er fortfuhr: „Wie konnte Mutter dir so etwas sagen... Camille, ich schwöre dir, ich wusste nichts von der Fehlgeburt, bis Gavin mich vom Flughafen abholte und es mir erzählte. Ich war wütend. Ich konnte nicht glauben, dass mir zwei Wochen lang niemand etwas davon gesagt hatte. Ich konnte es nicht erwarten, nach Hause zu kommen, und dann, bevor ich noch die Tür aufgemacht hatte, kam Mutter mir schon entgegen und sagte mir, du seist immer noch sehr schwach und es sei am besten, gar nicht von dem Baby zu sprechen." Hoffnung keimte in Camille auf. Fing er jetzt nicht vielleicht endlich an, ihr zu glauben? Wie oft hatte sie versucht ihm klarzumachen, was seine Mutter von ihr und ihrer Heirat hielt. War er vielleicht auch bereit, die Wahrheit über seinen wunderbaren Manager Arthur Rossman zu hören? Glaubte er ihr, dass der Mann immer wieder
versucht hatte, Misstrauen und Missverständnisse zwischen ihnen zu schaffen? „Nick?"" „Warte. Lass mich ein wenig über das alles nachdenken. Wir werden noch ein Glas Wein trinken, bevor unser Essen kommt." Er füllte ihre Gläser noch einmal und lehnte sich dann zurück, während er grübelnd an seinem Glas nippte. Langsam ließ er seinen Blick dabei über Camilles feste, hohe Brüste gleiten. Als er aufsah, bemerkte er lächelnd, dass sie unter seiner Betrachtung rot geworden war. „Du hast die meisten Pfunde, die du verloren hattest, wieder, nicht wahr? Du siehst viel besser aus - abgesehen natürlich von der Frisur", setzte er hastig hinzu. Einen Moment lang drohte ein Temperamentsausbruch, aber dann lachte Camille nur. „Du wirst dich daran gewöhnen müs sen." Zärtlich legte er die Hand an ihre Wange. „Deine Augen können wieder lachen", flüsterte er. „Weißt du, wie lange es her ist, seit ich das zum letztenmal gesehen habe? Weißt du noch, wie ich dich bei unserer ersten Begegnung .genannt habe? Lady Laughing Eyes." „O ja", wisperte sie und schmiegte ihre Wange an seine Hand. „Wie könnte ich das je vergessen?" Während sie ihren Erinnerungen nachhingen, keimte in ihnen beiden die Hoffnung, vielleicht doch noch wiedergutmachen zu können, was in ihrer Ehe falsch gelaufen war. „Der erste Sommer in Berkshire war so schön... Wir waren uns so nah... Und dann brachte ich dich nach Hause, und es fiel alles auseinander." Nicks Ton enthielt eine ungewohnte Spur von Unsicherheit. „Ich verstehe immer noch nicht, was..." Er unterbrach sich, weil der Ober den ersten Gang brachte. Als Camille ihn fragend ansah, erklärte er: „Ich habe mir die Speisekarte angesehen, als ich hier war, um die Reservierung zu machen. Ich habe beschlossen, dich mit einem ganz besonderen Menü zu überraschen." „Falls dies so gut ist, wie es aussieht, könnte ich dir den schmerzenden Ellenbogen vielleicht noch einmal verzeihen." Camille lief das Wasser im Mund zusammen, als sie die köstliche Mischung aus Schnecken, Artischocken und Knoblauchbutter betrachtete. „Hmm... Das ist ja unglaublich! Hier, probier mal!" Sie tat etwas auf Nicks Teller. Während sie die Schale betrachtete, die der Ober vor ihn hingestellt hatte, bemerkte sie nicht Nicks Zufriedenheit darüber, dass sie automatisch wieder in ihre alte Angewohnheit verfallen war, alles mit ihm zu teilen. „Und ich nehme an, du möchtest auch etwas hiervon!" Er seufzte gespielt resigniert. „Zugegeben - es sieht sehr faszinierend aus - und so bunt! Was ist es? Grüne Mayonnaise?" „Krabbencocktail. Hier - mach den Mund auf!" Er hielt ihr eine Gabel voll von der exotischen Mischung hin. Sie kam seiner Aufforderung automatisch nach, bis ihr plötzlich die Intimität dessen, was sie da taten, bewusst wurde. Erschreckt sah sie 2x1 ihm auf - und traf auf einen Blick überwältigender Zärtlichkeit. „Es ist alles in Ordnung, Cara", sagte er leise. „Lass uns jetzt einfach das Essen genießen. Wir können den Wirrwarr unserer Probleme später lösen." „O Nick, glaubst du wirklich, dass das möglich ist?" „Natürlich ist es das -, nachdem wir nun endlich angefangen haben, wieder miteinander zu reden." „Das ist nicht fair!" protestierte sie. „Ich habe immer versucht mit dir zu reden. Du hast mir einfach nie zugehört!" „Mit deinem Verschwinden ist es dir gelungen, meine ungeteilte Aufmerksamkeit zu erringen. Jetzt höre ich dir zu." „Das ist nicht der Grund, warum ich..." „Nicht jetzt. Später, nach dem Essen, werden wir uns weiter darüber unterhalten. Ich
glaube, ich fange bereits an, die Situa tion zu begreifen. Aber wie wäre es, wenn du mir jetzt von deinem Geschäft erzählst?" Camille zögerte einen Moment. Im Geiste erlebte sie wieder die unzähligen abgebrochenen Diskussionen, unbeendeten Sätze, hitzigen Streitgespräche. Und dabei Nicks verschlossene Miene und sein ständig wiederholtes: „Ich weiß, was am besten für uns ist, Camille." Sie sah ihn forschend an. Erleichtert bemerkte sie, dass es ihm ernst zu sein schien. „Okay, Nick, wir werden später reden. Was möchtest du jetzt wissen über die Geheimnisse der amerikanischen Küche?" Es wurde schon dunkel, als Camille und Nick Harbor House verließen. Statt moderner Neonbeleuchtung brannten jetzt ganz im Stil der alten Zeit Kopien der alten Gaslaternen. Sie gaben der Straße eine heimelige Atmosphäre. Vom Hafen wehte eine leichte Brise herüber. Der salzige Geruch des Meeres vermischte sich mit den verschiedenen Düften blühender Blumen in Kübeln und Balkonkästen. Ein paar Minuten gingen sie schweigend nebeneinander her. Dann sagte Camille leise: „Weißt du, ich hatte die Hoffnung schon aufgegeben, dass du versuchen würdest, mich zu finden. Es ist so viel Zeit vergangen und ..." „Nein, mein abtrünniger kleiner Liebling. Es war nie außer Frage, dass ich dir folgen würde. Aber zuerst einmal musste ich dich finden - das hat wesentlich länger gedauert als erwartet -, .und dann musste das Wie und Wann arrangiert werden." Nick ließ ihre Hand los und legte einen Arm um ihre Schultern. Er drückte sie zärtlich an sich, als er spürte, wie sie ihren Arm um seine Taille schlang. Ganz automatisch passten sie ihre Schritte einander an. „Bei all unseren Auseinandersetzungen hast du mir immer vorgeworfen, arrogant und selbstsüchtig zu sein und deine Gefühle nicht zu berücksichtigen. Während der vergangenen Mona te hatte ich Zeit genug, darüber nachzudenken - über uns, über dich, darüber, wie es soweit kommen konnte, dass du fortgelaufen bist." Er blieb stehen und sah ihr in die Augen. „Weißt du, was ich festgestellt habe?" „Was?" „Dass vieles von dem, was du gesagt hast, stimmt, und dass ich mir nichts mehr wünsche als eine Chance, alles wiedergutzumachen und dir zu sagen, wie sehr ich dich liebe und wieviel mir daran liegt, dass wir wieder so glücklich miteinander werden wie in unserem ersten Sommer." „O Nick..." Sie schlenderten weiter. „Nachdem ich wusste, wo du bist", fuhr Nick fort, „wurde mir klar, dass ich nicht einfach herkommen und dich wieder nach Hause zerren konnte. Mir wurde klar, dass wir Zeit brauchen. Zeit, um allein zu sein und unsere Probleme zu lösen. Zeit, um wieder zueinander zu finden. Das ist nichts, was man in wenigen Tagen erreicht. Deswegen habe ich mich in Geduld gefasst - so schwer es mir auch gefallen ist, das kannst du mir glauben - und habe vertragsge mäß im Mai noch einige Konzerte gegeben, während Arthur alle anderen Termine für die nächsten drei Monate absagen musste." „Drei Monate! Du hast dir den ganzen Sommer freigenommen?" „Juni, Juli und August. Und wir werden die Zeit hier verbringen." „Hier?" So erstaunt Camille über seine Pläne war, so mochte sie doch nicht glauben, dass er sich derart verändert haben sollte. Dass er bereit war zuzugeben, arrogant gewesen zu sein, bedeutete noch nicht, dass er in Zukunft weniger arrogant sein würde. Sicher war es klüger, sich seine Pläne zuerst einmal zu Ende anzuhören, bevor sie anfing sich zu freuen. „Hier in Maine. Genauer gesagt auf Cape Elizabeth. Die Cattons haben uns ihr Haus zur Verfügung gestellt. Sie verbringen den ganzen Sommer in Europa. Es ist sehr ruhig und friedlich dort, direkt an der Küste, ungefähr fünfundvierzig Minuten von hier entfernt. Sie haben einen privaten Strand und..." „Aber Nick! Ich kann nicht einfach den ganzen Sommer Urlaub machen. Ich...."
„Ja, ja, ich weiß - der Laden und ..." Er unterbrach sich, als ihm bewusst wurde, dass sie eben vor diesem Laden stehengeblieben waren. „Wo ist dein Wagen? Wir werden nach Hause fahren und uns dort in aller Ruhe weiter unterhalten." „Der Wagen steht auf der anderen Straßenseite auf dem kleinen Parkplatz. Nach Hause? Wo soll das sein? Es wird schon spät, Nick, und ich muss morgen früh aufstehen." „Nach Hause zu mir natürlich. Ich bringe dich morgen hierher und hole meinen Wagen ab.' Dann..." „Einen Moment mal, Herr General!" Camille blieb abrupt stehen und zwang ihn, ebenfalls anzuhalten. „Hör auf, mein Leben für mich zu organisieren! Ich habe nicht die Absicht, heute abend noch mit dir zum Cape zu fahren oder die Nacht mit dir zu verbringen. Zumindest noch nicht. Ich meine... Wir haben noch etliches zu klären, bevor wir... Oh, verdammt. Hör zu, Nick, ich will nach Hause - in mein Zuhause - und über all das nachdenken und..." „Gut", stimmte er friedlich zu. „Dann fahre ich dich eben zu dir nach Hause." „Und wie willst du dann nach Cape Elizabeth kommen?" erkundigte sie sich argwöhnisch. „Wo ist dein Wagen? Planst du irgendwelche Hinterhältigkeiten?" „Aber Liebling! Was sollte ich denn planen? Mein Wagen steht im Parkhaus." Er machte eine vage Handbewegung. „Ich werde mir von deiner Wohnung aus ein Taxi rufen." Er sah sich auf dem Parkplatz um. Der einzige Wagen, der dort stand, war ein... „Ein Lieferwagen?" fragte er mit einem Ausdruck ungläubigen Staunens. „Ja, und? Was stört dich dran?" Camille suchte in ihrer Tasche nach den Schlüsseln. „Er ist sehr praktisch, und ich kann ihn als Geschäftswagen von der Steuer absetzen." Nick streckte die Hand nach den Schlüsseln aus, aber sie hielt sie rasch hinter den Rücken. „Kommt gar nicht in Frage!" rief sie lachend. „Ich mag meinen Wagen so, wie er ist ohne Beulen, schief hängende Stoßstangen .oder sonstige Verschönerungen." „So sei es denn." Nick fand sich humorvoll in sein Schicksal. Er ging zur anderen Seite des Wagens und wartete darauf, dass Camille ihm von innen aufmachte. Einen Moment lang fragte Camille sich nicht ohne eine Spur von Gehässigkeit, was wohl Lucianna sagen würde, wenn sie wüsste, dass ihr kostbarer Sohn in einem Lieferwagen Platz nahm. Ihre Vorstellungen von angemessenen Wagen beschränkten sich auf große Limousinen oder italienische Sportwagen in der Preisklasse von vierzigtausend Dollar aufwärts, erstere natürlich nur mit Chauffeur. „Gar nicht schlecht", meinte Nick, nachdem er den Sitz ein wenig zurückgeschoben hatte, um Platz zu schaffen für seine langen Beine. „Schalensitze, Teppich, gepolstertes Armaturenbrett und Kassettenrecorder. Ich wusste gar nicht, dass Lieferwagen so luxuriös ausgestattet sind." Camille warf ihm einen spöttischen Blick zu, während sie den Parkplatz verließ. „Wann hast du je schon einmal einen Lieferwagen von innen gesehen. Die nächsten Minuten vergingen mit Neckereien und Gelächter. Camille entspannte sich. Es tat ihr fast leid, dass die Fahrt so kurz war. Nick sah aufmerksam aus dem Fenster, um sich die Route ganz genau einzuprägen für den Fall, dass er sie allein zurückfahren musste. Gavin hatte ihm die Strecke zwar am Vortag gezeigt, aber bei Nacht sah doch alles anders aus. „Dieses Haus ist wirklich unglaublich", bemerkte er, als Camille auf die Auffahrt eines riesigen Hauses einbog, das noch vom Ende des vergangenen Jahrhunderts stammte. „Es muss von einem schielenden Zimmermann entworfen worden sein, der unter Größenwahn litt. Wie viele Räume hat es? Hast du sie schon gezählt?" Camille stellte den Wagen neben einigen anderen auf einem kleinen Parkplatz hinter dem Haus ab. „Ich weiß nicht genau."
Sie lachte leise, während sie ausstieg. „Komm hier entlang. Ich wohne an der Seeseite. Es hängt davon ab, was du als Zimmer zählst. Zum Beispiel: Du kannst durch eine Falltür unter das Turmdach gelangen: Dort gibt es einen Fenstersitz ganz um den Turm herum. Ist das nun ein Zimmer oder nicht? Zählt ein Vorratsraum, der groß genug ist, darin Walzer zu tanzen, als eigener Raum, oder ist es ein Teil der Küche?" „Ich verstehe", sagte Nick und versuchte, trotz der Dunkelheit einiges von dem Haus zu erkennen. „Wie nennst du eingeglaste Sonnenterrassen, und wie sind große Räume zu zählen, die in kleinere aufgeteilt wurden?" „Du hast es erfasst. Unter den Umständen lautet die Antwort auf deine Frage: zwischen fünfundzwanzig und vierzig, je nach Zählweise." Camille ging ihm voraus einen schmalen Weg entlang, der um das Haus herum zum Seiteneingang führte. Die Brise, die vom Wasser herüberwehte, war stärker geworden. „Was sind denn das für Lichter, Camille? Boote?" „Einige von ihnen sicher. Die anderen dürften zu den Inseln gehören. Komm, wir gehen auf die Turm- Veranda. Von dort hast du einen viel besseren... Was ist?" Sie fuhr herum, als sie einen unterdrückten Fluch hinter sich hörte und gleich darauf lautes Lachen. Nick war stehengeblieben und sah am Haus empor. Ihr fiel ein, wie sie selbst das erstemal auf diesen Anblick reagiert hatte, und sie stimmte in sein Lachen mit ein. „Verrückt, nicht? Unglaublich, wie viele architektonische Spie lereien sie auf diesen zwanzig oder dreißig Metern Hauslänge untergebracht haben!" „Unfassbar!" Kopfschüttelnd betrachtete Nick die diversen runden und eckigen Erker, Vorbauten, Veranden, Giebel und andere phantasievolle Gebilde, die die Seite und das Dach des Gebäudes zierten. Besonders faszinierte ihn ein achteckiger Vorbau, der mit seinem weißen Anstrich im Mondlicht wie aus Zuckerguss wirkte. „Was, um alles in der Welt, ist denn das?" „Das ist mein Turm. Ist er nicht großartig?" Stolz betrachtete Camille das weiße Gitterwerk, das die Veranda umgab, und die zerbrechlich wirkenden, aber stabilen Säulen, die in kleinen Abständen vom halbhohen Geländer aufragten, um das vorstehende Dach abzustützen. „Ich bin überzeugt, du hast von oben einen herrlichen Aus blick", meinte Nick. „Aber besonders vertrauenerweckend wirkt die Konstruktion nicht gerade. Es sieht fast so aus, als könnte ein starker Windstoß alles umblasen." „Unwahrscheinlich. Das Ganze steht schon fast hundert Jahre. Komm mit, ich zeige es dir." Sie nahm ihn bei der Hand und zog ihn mit sich. „Mein ‚Himmelssitz' ist der Grund dafür, dass ich dieses verrückte Apartment überhaupt genommen habe - trotz des merkwürdigen Badezimmers und einer Küche, die für Riesen gedacht scheint." Sie sah ihn an und lachte. „O Nick, das wird dir wirklich die Augen öffnen. Du hast ja keine Vorstellung, wie normale Menschen eigentlich leben." Er deutete auf das Haus. „Das nennst du normal?" „Auf jeden Fall ist es normaler, als in einem Museum mit dreißig Zimmern zu leben und bei jedem Schritt über Wachen und Diener zu stolpern." Nick hielt es für klüger, auf die Bemerkung nicht einzugehen. „Gibt es hier draußen kein Licht?" Er fluchte leise, als er mit dem Zeh gegen einen massiven Schirmständer stieß, den er in der Dunkelheit übersehen hatte. „Schsch! Du weckst die Leute auf!" flüsterte Camille ihm zu. „Viele hier gehen schon früh zu Bett." Er warf einen Blick auf die wenigen Fenster in der Nähe und bemerkte, dass in der Tat nur noch hinter zweien Licht brannte. Als er sich wieder Camille zuwandte, wurde ihm plötzlich bewusst, wie still die Nacht war. Still und dunkel. Er atmete den verführerischen Duft von Camilles Haar ein. Es war einfach zuviel für ihn. Er hatte wirklich die Absicht gehabt, ihren Wunsch zu respektieren und ihr Verhältnis zueinander cool zu halten, bis sie ihre Probleme ausdiskutiert hatten, aber...
„Carissima", flüsterte er und vergrub sein Gesicht in ihren Locken, während er sie fest an sich zog. Camille war so überrascht, dass sie nicht mehr dazu kam, an Abwehr zu denken. Wie von selbst legten sich ihre Arme um seinen Nacken. Das vertraute italienische Liebesgeflüster ging ihr durch und durch. Gleich darauf spürte sie das leichte Prickeln seines Bartes an ihren Lippen. Die Berührung weckte in ihnen beiden eine Leidenschaft, die viel zu lange unterdrückt geblieben war. Die Zeit schien stillzustehen, als sie so engumschlungen vor der Tür standen und die Welt über ihrem Kuss vergaßen. Erst Nicks unterdrückter Fluch, als er versuchte, ihre Schultertasche beiseite zu schieben, holte Camille jäh in die Wirklichkeit zurück. Spontan legte sie ihre Hände gegen seine Brust und schob ihn energisch von sich. „Nein!" flüsterte sie heftig. „Du weißt genau, wohin das führt! Zuerst einmal müssen wir uns unterhalten. Lange und ausführlich." „Wieso können wir uns nicht im Bett unterhalten?" protestierte Nick. „Hinterher könnten wir..." „Nein, niemals." Camille suchte in der Tasche nach den Wohnungsschlüsseln. Gleichzeitig bemühte sie sich, ihren Atem wie der unter Kontrolle zu bekommen. Ihr nachdrückliches Nein galt ebenso ihr selbst wie Nick. Ihre Hände zitterten^ ihre Knie schienen weich. Sie spürte prickelnde Schauer der Erregung über ihren Körper laufen. Es kostete sie die Aufbietung ihrer ganzen Willenskraft, sich nicht wieder in Nicks Arme zu schmiegen. „Du hast es versprochen, Nick", beharrte sie. Endlich gelang es ihr, die Tür zu öffnen. Sie trat ein. Nachdem sie das Licht in der Diele eingeschaltet hatte, ließ sie ihre Tasche auf den kleinen Tisch neben der Tür fallen. „Hmm. Habe ich das?" Nick war ihr gefolgt. Er konnte der Versuchung nicht widerstehen und legte seine Arme erneut um sie. „Nun ist es genug!" Sie entwand sich ihm. Dann nahm sie ihn bei der Hand und zog ihn hinter sich her zur Treppe. „Komm mit, du verhinderter Romeo! Sieh dir die Aussicht vom Turm an. Vielleicht lässt die Meeresbrise dich ein wenig abkühlen." „Darauf würde ich nicht wetten." Mit einem leisen Lachen folgte er ihr.
4. KAPITEL
„Oh, du mein Himmel!... ich glaube nicht, dass wir es... schon einmal so gemacht haben..." stöhnte Camille, während sie versuchte, wieder zu Atem zu kommen. Die Wirklichkeit kehrte mit unwillkommener Schnelligkeit und Klarheit zurück. Plötzlich wurde sie sich bewusst, dass Nicks Körper eng an ihren gepresst war, festgehalten von ihren bloßen Beinen, die sich um seine Hüften geschlungen hatten, und von ihren Armen, die ihn umklammert hielten. Beschämt vergrub sie ihr Gesicht an seiner Brust, als ihre Nervenenden ihr weitere bestürzende Informationen übermittelten. Bluse und BH waren offen und zur Seite geschoben. Abgesehen davon war sie nackt. Und mehr noch: Nick stand nicht nur dicht vor ihr... Er war in sie eingedrungen. Die Muskeln seiner Beine waren angespannt. Er hatte sichtlich Mühe, sich gegen das Geländer zu stützen, um sie beide aufrecht zu halten. Dabei hielten seine großen warmen Hände sie unterhalb der Hüften fest... „Oh, gütiger Himmel!" entfuhr es Camille. „Lass mich herunter, Nick! Nick! Sofort! Jeder könnte hier heraufsehen und ... Ohh!" Sie war den Tränen nahe. „Wie sollte ich das meiner Vermieterin erklären? Oder sonst jemandem? Was..." „Beruhige dich, Cara", bat Nick mit einem mühsam unterdrückten Lachen in der Stimme. Er drückte seine Wange gegen ihr Haar und warf einen Blick über ihre Schulter hinunter. „Kein Mensch kann etwas sehen, auch nicht, wenn jemand hier heraufsehen sollte. Und wieso sollte er? Es ist dunkel und..." Camille hob den Kopf und schoss ihm einen vernichtenden Blick zu. „Mein nackter Po leuchtet wahrscheinlich wie ein aufgehender Mond, und du..." „Und ich habe ihn mit meinen Händen bedeckt. Pass auf! Lehn dich nicht zurück, sonst fallen wir beide herunter! Was machst du denn?" Camille brachte endlich Geistesgegenwart genug auf, ihre Beine von Nicks Hüften zu lösen, aber da er nicht zurücktrat, konnte sie immer noch nicht von dem Geländer herunter. Sie stemmte ihre Hände gegen seine Hüften und versuchte, ihn von sich zu schieben, aber vergebens. Und ebenso vergebens versuchte sie, nicht daran zu denken, was hier gerade geschehen war. „Dominic de Conti! Würdest du bitte die Güte haben, mich hier herunterzulassen? Ich... wir... Oh, verdammt!" „Wie sich doch alles verändert hat!" Nick seufzte dramatisch. „Früher bist du anschließend gern noch in meinen Armen geblieben und hast... Okay, okay! Hör auf zu zappeln! Ich lasse dich ja schon herunter." Er umfasste ihre Taille und hob sie von dem Geländer. Sobald ihre Füße den Boden berührten, sprang sie zurück in die Tiefe der Veranda, damit niemand sie mehr sehen konnte, außer vielleicht einem neugierigen Vogel. Der Halbmond spendete genügend Licht, um mehr zu erkennen, als ihr lieb war. Ihre Sachen und Nicks Hemd lagen auf dem Boden verstreut, nahe am Geländer. Er trug noch seine Schuhe. Widerstrebend hob sie den Blick, um ihn ganz anzusehen. „Himmel!" entfuhr es ihr. „Sieh uns nur an! Wir sehen aus, als wären wir gerade einem Porno entsprungen!" Nick warf den Kopf zurück und lachte laut auf. Sie versuchte, den Blick von seinem fast nackten Körper abzuwenden, konnte es aber nicht. Wenn er sich doch nur die Jeans wieder hochziehen würde und nicht so dastehen... Oh, nein! Nicht schon wieder! Nicht hier! Zum Teufel mit ihm! Es war nicht ihre Absicht gewesen, es soweit kommen zu lassen. Sie hatten noch nichts gelöst, hatten noch nicht einmal über ihre Probleme gespro chen ... „Nick, ich warne dich! Bleib, wo du bist, und zieh dir endlich die Hosen hoch! Wir haben einiges zu bereden, bevor wir... Ohh, das tut weh! Au!" „Was ist los?" Nick zog sich rasch an und trat dann zu ihr. Er packte sie bei den Schultern. „Was ist los, Camille?"
„Splitter!" jammerte sie und ließ ihre Finger dabei vorsichtig über ihren schmerzenden verlängerten Rücken gleiten. „Das Geländer war voller Splitter! Ich habe sie erst bemerkt, als ich versuchte, mich zu bewegen." „Steh still" Nick hatte Mühe, ein Lachen zu unterdrücken, obwohl die Situation ,doch wirklich nicht zum Lachen war. Wahrscheinlich sogar sehr schmerzhaft... aber es war doch wieder einmal typisch Camille, einen Moment intensiver Leidenschaft zur Farce werden zu lassen! „Ich kann nicht still stehen", klagte sie. „Es tut weh! Und wie soll ich mich anziehen und die Treppe hinunterkommen? O Gott!" Sie packte seine Arme und starrte ihn entsetzt an. „Wie soll ich sie wieder herausbekommen? O Nick! Ich kann doch nicht einfach beim ärztlichen Notdienst erscheinen und erklären, ich hätte den Po voller Splitter! Wie soll ich denn das erklären? Die würden sich doch totlachen! Sie würden..." „Camille! Cara, beruhige dich! Du brauchst niemandem irgend etwas zu erklären. Ich nehme sie heraus." „Du? Aber..." „Ja, ich. Ich bin nicht so hilflos, wie du zu glauben scheinst. Was ist denn schon dabei, ein paar Splitter herauszuziehen?" „Ein paar! Ich habe das Gefühl, es sind Hunderte. Es ist schrecklich peinlich! Ich werde Jean anrufen und..." „Sei nicht albern!" wies er sie zurecht. „Du kannst Jean nicht zu dieser Zeit anrufen. Vergiss nicht, wie gut ich deinen bezaubernden Po kenne. Obwohl ich zugeben muss, voller Splitter habe ich ihn noch nie erlebt." „Hör auf, über mich zu lachen, du... du Höhlenmensch! Hättest du nicht die Selbstbeherrschung verloren..." „Ha! Wer hat sich denn an mir emporgehangelt wie eine hungrige Katze, die einem kleinen Vogel nachstellt? Wer hat mein Hemd ausgezogen? Wer hat über meinen Bart geschimpft, weil er meinen Mund bedeckt? Wer..." „Ich möchte nicht mehr darüber sprechen." Würdevoll zog Camille ihre Bluse um sich und versuchte, nicht daran zu denken, dass sie von der Taille abwärts nackt war. „Du hast recht. Wir haben genug diskutiert. Es wird Zeit, dich zu entsplittern." Bevor sie seine Absicht erkannte, hatte Nick sie sich über die Schulter geworfen. Ohne auf ihren wütenden Protest zu achten, trug er sie die Treppe hinunter. „Camille? Bist du wach?" „Mmm... Mehr oder weniger." „Wie fühlst du dich jetzt?" „Als ob ich auf einem Nagelbett säße. Bist du sicher, dass du den ... den Bereich ordentlich desinfiziert hast?" „Ja, aber ich bin mir nicht sicher, ob du nicht eine Spritze oder so etwas bekommen solltest, um jeder Entzündungsgefahr vorzubeugen." „Das ist nicht nötig. Da wir soviel mit verrostetem Metall zu tun haben und viel Zeit in schmutzigen alten Scheunen verbringen, achten Jean und ich darauf, uns regelmäßig gegen Tetanus impfen zu lassen." „Was ist mit..." „Es geht mir gut, Nick. Schlaf jetzt." „Camille?" „Was jetzt noch?" „Wo hast du dieses Bett her? War es schon in der Wohnung?" „Nein, ich habe es gekauft. Wieso? Was ist damit?" „Nichts, Cara, gar nichts." „Gut. Dürfte ich dann jetzt wohl bitte schlafen?" „Es ist nicht sehr groß, nicht?" „Es ist ein Standard-Doppelbett." „Oh." „Für mich ist es groß genug." „Nun ja, du bist eben sehr klein. Für einen normalen Menschen ist es doch etwas eng
hier." „Nick, glaub mir, Tausende - nein, Millionen - von Paaren schlafen jede Nacht in einem Bett dieser Größe und haben keine Probleme damit." „Kein Wunder, dass es so viele Scheidungen gibt, wenn all diese Ehepaare so gekrümmt schlafen müssen." „Was murmelst du da vor dich hin?" „Nichts, Cara. Wieso schläfst du nicht?" „Das versuche ich ja bereits seit..." „Wenn du zu mir herüberrückst, massiere ich dir den Rücken." „Mir steht nicht der Sinn nach deinen Massagen. Du weißt doch, wohin das wieder führt." „Mmm. Meine' Lady Laughing Eyes, sieben Monate sind eben eine lange Zeit. Und auch davor war es ja,..." „Schluss jetzt, Nick! Zuerst einmal haben wir ein paar Missverständnisse auszuräumen und zu beschließen ..." „Vor ein paar Minuten hattest du doch auch nichts dagegen. Ganz im Gegenteil..." „Du hast mich überrumpelt, das ist alles. Dazu der romantische Mondschein und die sanfte Brise vo m Meer. Außerdem habe ich ja nie behauptet, wir seien nicht wie Dynamit zusammen. Als du anfingst, mich zu küssen ... Nun ja ... Aber es gehört mehr zu einer Ehe als nur Sex." „Glaub nur nicht..." „Ich glaube, wir haben zuviel Zeit damit vertan, uns entweder anzubrüllen oder miteinander zu schlafen - und zuwenig Zeit, wirklich miteinander zu reden. Damit meine ich diskutieren, planen, Gedanken austauschen und Übereinstimmungen finden." „Okay, dann lass uns reden. Nein, Liebling, bleib hier. Lass mich wenigstens deine Hand halten. Deine Position scheint nicht sehr bequem, so zusammengerollt wie du da liegst." „Ganz recht, es ist nicht sehr bequem - aber was bleibt mir anderes übrig, wenn du Dreiviertel des Bettes für dich beanspruchst." „Ich kann mich nicht anders ausstrecken. Komm, leg dich neben mich..." „Aber..." „Komm schon, Camille. Oder gibt es ein Gesetz, dass du nur in einer Richtung liegen darfst? So, ist das nicht besser? Und so werden wir uns nun unterhalten." „Wirst du mir diesmal wirklich zuhören, Nick?" „Ja, Cara, das verspreche ich dir." „Und wirst du mir glauben?" „Ich werde dir glauben." „Auch wenn es deine Mutter betrifft?" „Ja. Offensichtlich hat Mutter sich eingemischt." „Milde ausgedrückt, ja. Und Rossman?" „Arthur? Was hat er denn damit zu tun?" „O Nick, wie blind du doch bist! Deine Mutter und Arthur Rossman haben gleich an dem Tag, als du mich nach I Venti di Mare gebracht hast, angefangen, ihren kleinen Plan auszukochen." „Einen Moment mal! Ich war doch dabei. Meine Mütter hat dich herzlich willkommen geheißen und ..." „Richtig. Sie war nett, solange du da warst. Aber dann warst du stundenlang auf Proben oder Besprechungen mit Rossman, und du hattest keine Ahnung, was deine Mutter und deine Schwester in der Zwischenzeit zu mir gesagt haben. Sie haben keine Zeit verschwendet, mir mehr als deutlich zu machen, wie ungeeignet ich als Frau eines de Conti sei. Meine Kleidung war falsch, meine Frisur war falsch, mein Akzent und auch mein Benehmen. Meine Einstellung war Mittelklasse, meine Moral naiv, mein Geschmack auf dem Niveau einer Neandertalerin."
„Camille!" „Es ist kein Witz. Dir ist gar nicht klar, wieviel man mit einer leicht emporgezogenen Braue oder mit einem gereizten Blick andeuten kann." „Bist du sicher, dass du dir das nicht nur eingebildet hast, weil das alles neu war für dich? Schließlich war es ja doch ein ziemlicher Gegensatz zu deinem früheren Leben und ..." „Nein, Nick, ich habe mir nichts von alledem eingebildet. Es waren ja nicht nur Blicke und Anspielungen. Vor allem deine Mutter hat ihre Meinung sehr klar in Worte gefasst. Und ich war durchaus nicht unsicher, zumindest nicht am Anfang. Sicher war es ein anderer Lebensstil, mit dem ich keinerlei Erfahrung hatte. Aber ich hatte schon immer eine schnelle Auffassungsgabe, Und ich ging davon aus, du würdest mir den Rücken stärken." „Aber ich habe doch versucht, dir zu helfen, Cara." „O ja - indem du mir den Rat gabst, auf deine Mutter und deine Schwester zu hören. Was ist mit den unzähligen Malen, als ich versucht habe, dir zu sagen, dass deine Familie mich ablehne und dass deine Mutter entschlossen sei, uns auseinanderzubringen? Du wolltest kein Wort gegen sie hören, aber du hast alles Negative geglaubt, was sie dir über mich erzählt haben." „Ich habe es nicht als negativ empfunden. Meiner Ansicht nach wies sie nur auf deine Eingewöhnungsprobleme hin." „Ich hätte dir meine Probleme selbst erklären können, hättest du mir eine Chance dazu gegeben. Aber du warst immer unterwegs oder im Musikzimmer beim Üben." „Hattest du etwas gegen meine Musik?" „Nein! Niemals! Das war ein weiterer von Luciannas Giftpfeilen. O Nick, wie kann ich dir nur klarmachen, wie unerträglich die Situation für mich war? Jede dieser Bemerkungen, für sich genommen, war unwesentlich, aber alle zusammen ergaben eine ganze Mauer von Missverständnissen. Begreifst du denn nicht? Deine Mutter und Rossman haben dich mit einem unablässigen Strom von Andeutungen, Anspielungen und direkten Lügen versorgt." „Warum hast du dann nicht..." „Mit dir gesprochen? Ich habe es versucht, Nick. Aber wann waren wir denn je allein außer nachts im Bett? Nun sag nur, du seist dort bereit gewesen, mir zuzuhören. Sag es! Du weißt doch selbst..." „Schon gut, Carla. Ich gebe zu, ich hatte nachts keine Lust, mit dir über deine Probleme mit..." .... „Wie viele Nächte hat es denn überhaupt gegeben? Ich habe es vor kurzem einmal nachgerechnet. In den vier Jahren warst du im Durchschnitt weniger als vier Monate pro Jahr zu Hause. Den Rest der Zeit warst du entweder auf Tournee oder hast irgendwo in Meisterklassen unterrichtet. Wie sollte ich unter diesen Umständen mit dir reden können?" „Ich habe dich doch unzählige Male von überall her angerufen, aber du warst fast nie zu Hause. Nach allem, was Mutter sagte, warst du ständig beschäftigt und ..." „Deine Mutter hat gelogen, Nick. Ja, gelogen! Fast jedesmal, wenn sie behauptete, ich sei nicht da, war ich sehr wohl erreichbar. Ich war irgendwo im Haus, aber sie hat mich nicht ans Telefon gerufen. Wenn ich sie nach dem Grund fragte, behauptete sie immer, du habest es eilig gehabt und nicht auf mich warten wollen." „Das hast du mir nie ..." „O doch, das habe ich. Aber du warst so sehr damit beschäftigt, mir Vorwurfe zu machen, dass du mir gar nicht zugehört hast, wenn ich dir etwas erklären wollte. Was glaubst du wohl, warum ich ein eigenes Telefon in unserem Wohnzimmer haben wollte?" „Mutter sagte..." „Ich will es gar nicht hören! Sie wollte nur ..." „Hör auf, dich so herumzuwerfen, Camille!"
kontrollieren, mit wem ich telefoniere. Sie hat jedes Gespräch über den zweiten Anschluss mitgehört." „Meine Mutter würde nie ..." „Ob du es nun wahrhaben willst oder nicht: Sie hat mitgehört. Bei den seltenen Gelegenheiten, wo ich dich sprechen durfte, blieb sie sogar direkt neben mir stehen. Was sollte ich dann, wo sie jedes Wort mithörte, wohl sagen?" „Camille..." „Wir hätten zusammen sein können, Nick. Zumindest wesent lich mehr, als es der Fall war. Ich hätte alles dafür gegeben, dich auf deine Tourneen begleiten zu dürfen! Aber du wolltest ja nichts davon wissen. Du informiertest mich einfach, dass du wieder zu verreisen gedachtest, und ich konnte zu Hause bleiben." „Arthur fand ..." „O ja, Arthur: Der liebe, nette Arthur überzeugte dich, dass ich mich auf deinen Reisen an fremde Orte nur langweilen würde. Lass dir eines sagen: diese Orte hätten mir nicht fremder sein können als I Venti di Mare, und ich hätte mich an ihnen auch nicht mehr langweilen können als im Schöße deiner Familie." „Aber du wärest doch sehr viel allein gewesen, während ich..." „Himmel, Nick! Ich habe Geschichte studiert. Es war schon immer mein größter Wünsch, zu reisen und all die Städte zu sehen, von denen ich soviel gelesen habe. Ich hätte Ausflüge und Besichtigungen machen können, während du beschäftigt warst. Ich hätte Museen besucht oder sonst etwas unternommen. Auf jeden Fall aber hätte ich mich nicht gelangweilt!" „Aber Arthur - und Mutter ... sie waren so überzeugt..." „Sie waren überzeugt, dass ich ihre Pläne zunichte machen würde, wenn ich mehr mit dir zusammen wäre." „Wovon sprichst du?" „Vor fünf Jahren warst du bereits ganz oben, Nick. Du galtest als einer der wenigen wirklich hervorragenden klassischen Pianisten dieses Jahrhunderts. Dabei warst du erst achtundzwanzig und hattest noch viele Jahre mit Konzerten, Aufnahmen und wer weiß was vor dir. Deine Mutter und Rossman haben deine Karriere sorgfältig geplant und jahrelang dafür gesorgt, dass nichts diese Pläne störte." „Das klingt ja fast so, als hätte ich bei alledem gar nichts zu sagen gehabt." „Natürlich hattest du etwas zu sagen, aber du weißt doch selbst, dass du allen ihren Vorstellungen zugestimmt hast. Und wieso auch nicht? Du brauchtest dir ja keine Gedanken zu machen um die Probleme, mit denen normale Menschen sich herumzuschlagen haben. Die beiden haben dir alles abgenommen. Musstest du je nach einem sauberen Hemd suchen? Einen Platz in einer Maschine buchen? Ans Einkaufen für das Frühstück denken? Überlegen, wo und wie du deinen Urlaub verbringen wolltest? Nein. Was Rossman und deine Familie anbetraf, so war das Wichtigste dein ungewöhnliches Talent, und nichts durfte sie davon abhalten, es weiterzuentwickeln und mit der bewundernden Öffentlichkeit daran teilzuhaben. „Was ist daran so schlimm?" „Nichts, Nick. Vielem stimme ich ja zu. Nicht allem, aber vielem. Auf jeden Fall haben die beiden nicht mit der Möglichkeit gerechnet, dass du dich in eine Frau verlieben und sie auch noch heiraten könntest, die nicht bereit ist, im Interesse ihrer Karrierepläne für dich alles aufzugeben." „Ich verstehe nicht, worauf du hinauswillst, Camille." „Denk doch einmal nach, Nick! Hätte niemand dir eingeredet, dass ich mich auf einer Tournee langweilen würde, hättest du mich mitgenommen. Wäre ich lange genug mit dir allein gewesen, hätte ich dich davon überzeugen können, dass wir ein Haus ganz für uns brauchen, ungestört von der Familie. Hätten diese Leute nicht so hart daran gearbeitet, uns auseinanderzubringen, hätten wir ein tiefes und liebevolles Vertrauensverhältnis entwickelt."
„Okay, Camille, das verstehe ich, aber..." „Gut, dann lass uns den Faden weiterspinnen. Hätten wir ein eigenes Zuhause gehabt und ein Privatleben, in das sich niemand hätte einmischen können, dann würdest du erfahren haben, wie wunderbar eine tiefe, enge Beziehung sein kann. Nimm an, du hättest beschlossen, nicht mehr acht von zwölf Monaten auf Tournee zu gehen. Stell dir vor, du hättest beschlossen, statt dessen nur noch zwei Tourneen von vielleicht je sechs Wochen im Jahr zu machen, dazu ein paar Platteneinspielungen und vielleicht gelegentlich einen Gastauftritt in einer Fernseh-Show oder so etwas. Dann hättest du mehr Zeit gehabt, zu Hause bei Frau und Kindern zu sein..." „Aber du..." „Darauf komme ich gleich. Du hättest dann auch mehr Zeit gehabt zum Komponieren. Ich weiß, dass du das schon immer wo lltest." „Und wieso sollten Mutter und Arthur etwas dagegen haben?" „O Nick, in mancher Hinsicht bist du wirklich unglaublich naiv! Wie verdient denn Arthur sein Geld? Hmm? Er erhält einen vereinbarten Prozentsatz von den Honoraren seiner Künstler. Und wer bringt ihm das meiste Geld? Du natürlich. Und was wäre mit seinem Einkommen, solltest du die Zahl deiner öffentlichen Auftritte drastisch reduzieren? Begreifst du jetzt, warum er uns nicht zusammen sehen wollte? Warum ihm dein Glück mit mir ein Ärgernis war?" „Lass meinen Arm los, Cara. Ich muss mich auf die Seite legen. So flach auf dem Rücken kann ich nicht klar denken. Okay, angenommen du hast recht mit dem, was du über Arthur gesagt hast. Aber was sollte Mutter für ein Motiv dafür haben, uns auseinanderzubringen?" „Herrschsucht. Sie ist sehr besitzergreifend, was dich angeht. Du bist ihr bedeutender Sohn, liebevoll von ihr aufgezogen, immer unter Berücksichtigung deiner ungewöhnlichen Talente. Du bist ihr ganzer Lebensinhalt. Nur durch dich wird sie noch nach ihrem Tode in Erinnerung bleiben als die Mutter eines Genies. Und eines möchte sie schon jetzt: den größten Einfluss auf dein Leben. Sozusagen als eine Art Macht hinter dem Thron." „Aber sie hat mir doch so oft gesagt, sie wünsche sich, dass ich die richtige Frau finde. Mehr als einmal hat sie laut darüber nachgedacht, ob meine Kinder wohl mein Talent erben würden oder nicht." „Natürlich, Nick. Aber was glaubst du, was sie unter der .richtigen' Frau für dich verstand? Sie hatte eine Frau im Sinn, die sich ihr unterordnen und klaglos in ihrem Schatten stehen würde. Eine Frau, die zufrieden sein würde mit dem bisschen Zeit, das man ihr mit dir zuzubilligen bereit war. Eine Frau, die glücklich und zufrieden auf I Venti di Marc bleiben und ein Baby nach dem anderen in die Welt setzen würde, während deine Mutter wie bisher dein Leben und deine Karriere steuerte. Mit anderen Worten, Nick: Sie wollte eine althergebrachte italienische Frau für dich, genauso eine Frau, wie sie sie für deine Brüder gefunden hat. Sie würden doch nicht im Traum daran denken, jemals auch nur ein Wort gegen deine Mutter zu sagen." „Dafür können sie nichts, Cara. Sie sind sehr streng erzogen worden und haben von Anfang an gelernt..." , sich dem Mann und der Schwiegermutter unterzuordnen, ich weiß. Ich nehme an, Oriana ist genau wie sie. Warum hast du nicht sie zur Frau genommen?" „Zur Frau? Oriana? Wovon redest du?" „Von dem netten, gehorsamen italienischen Mädchen, das du schon vor vier Jahren heiraten solltest, und das nun immer noch im Hintergrund wartet, während deine Mutter versucht, mich loszuwerden." „Camille Anders de Conti! Ich verstehe wirklich nicht, wovon zum Teufel du sprichst! Ich kenne keine Oriana. Ich habe noch nie eine gekannt. Und ich hatte noch nie die Absicht, eine zu heiraten."
„Antigori." „Was?" „Oriana Antigori." „Anti... Ach du liebe Güte! Oriana Antigori ist die Tochter einer entfernten Cousine meiner Mutter. Als ich sie das letztemal sah, war sie ganze vierzehn Jahre alt!" „Jetzt nicht mehr. Die Heirat sollte schon vor vier Jahren .stattfinden, gleich nach ihrem achtzehnten Geburtstag." „Unsinn! Hast du denn vergessen, dass wir beide, du und ich, vor vier Jahren bereits verheiratet waren?" „Wenn man deiner Mutter glauben darf, war deine Heirat mit Oriana bereits seit Jahren geplant. Lucianna hat mir erzählt, dass sie und dein Vater bereits alles mit Orianas Eltern geregelt hatten: Mitgift, Hochzeitstermin..." „Ist das dein Ernst? Hat Mutter dir das wirklich gesagt? Und wieso hat mich dann niemand über diese wunderbaren Plänen informiert?" „Sie hätten dich zu sehr abgelenkt. Würdest du zu früh etwas davon erfahren haben, hättest du dich vielleicht nicht mehr ganz so stark auf die Musik konzentriert." „Mutter..." „Du hast alle ihre Pläne durchkreuzt, indem du mich nach Hause brachtest. Sie hatte Oriana gerade eingeladen, in jenem Herbst ein paar Monate zu euch zu kommen. Ihrem Plan zufolge hättet ihr euch dann kennen- und liebenlernen sollen. Weihnachten sollte die Verlobung sein, und im späten Frühling solltet ihr während deiner Europatournee in Italien heiraten. Alles sehr , romantisch. Und natürlich sehr publikumswirksam." „Ich kann es einfach nicht glauben... Wie konnte Mutter nur glauben, ich würde bei einem solchen Plan mitspielen?" „Wieso nicht? Bis dahin hast du dich doch allen ihren Plänen gefügt, oder etwa nicht? Ihren und Rossmans. Oh, ich weiß, du bist im Laufe der Jahre ein paarmal mit schönen Frauen ausge gangen, aber du hast nie Zeichen ernsthafter Verliebtheit gezeigt. Warum sollte Lucianna also nicht davon ausgehen, dass du die Frau akzeptieren würdest, die sie dir bestimmt hat? Und Oriana ist offenbar genau das, was sie sich wünscht." „Ist? Wieso sagst du das so, als wäre das immer noch so? Vor wenigen Minuten erst hast du erwähnt, dass sie immer noch im Hintergrund wartet. Wie soll ich das verstehen?" „Sie ist tatsächlich noch da, Nick. Was glaubst du, warum ich im letzten Herbst fortgegangen bin?" „Wenn ich das wüsste! Ich weiß, dass du krank warst, und ich nehme an..." „Ich bin gegangen, weil deine Mutter mir sagte, du wollest die Scheidung, da ich keine Kinder haben könne. Du wollest jetzt Oriana heiraten, wie es ursprünglich geplant gewesen sei, bevor ich auf der Bildfläche erschien und alles durcheinanderbrachte. Sie sagte, du seist so aufgeregt über die ganze Situation, dass du nicht mit mir darüber sprechen könntest. Du habest sie gebeten, während deiner Australien-Tournee alles für dich zu regeln." „Camille... Cara... Das kannst du doch nicht geglaubt haben!" „Das habe ich auch nicht. Zumindest anfangs nicht. Nein, das stimmt nicht. Im Grunde meines Herzens habe ich es nie ge glaubt. Aber... du hast ja keine Ahnung, in was für einer Verfassung ich damals war. Es war grauenvoll, und es lag nicht nur am Verlust des Babys, obwohl mich das natürlich physisch und psychisch sehr mitgenommen hat. Schon vorher schienen wir uns immer weiter voneinander zu entfernen. Ich konnte nicht mit dir reden... Doch, ich konnte reden, aber du hast mich nicht angehört. Du hattest nur Ohren für das Gift, das deine Mutter gegen mich ausstreute. Ihr hast du jedes Wort geglaubt. Ich war so erschrocken, als ich merkte, dass ich wieder schwanger war. Nachdem ich das erste Baby verloren hatte, wünschte ich inständig, dass du diesmal bei mir sein würdest. Bei der ersten Fehlgeburt warst du auf der anderen Seite der Erde, und deine Mutter weigerte sich, dich nach Hause zu rufen. Ich bat um ein Telefon in meinem Zimmer, aber sie überzeugte den Arzt davon, dass ich nicht durch Anrufe gestört werden dürfe. Also
verbot er den Apparat." „Sie hat mir gesagt..." „Oh, ich kann mir denken, dass sie eine perfekte Entschuldigung dafür hatte, dich nicht zu informieren. Wahrscheinlich ist es ihr dabei auch noch gelungen, mir die Schuld zu geben, genau wie beim zweiten Mal. Nick, du wusstest, welche Angst ich hatte -du musstest es wissen -, und doch konntest du es nicht erwarten, nach Europa abzureisen." „Mutter sagte, ich würde dich nur unnütz aufregen, wenn ich bei dir bliebe. Sie sagte, du würdest dich wieder erholen, sobald ich fort sei. Keine Frau wolle einen Mann dabei haben, wenn sie... Ach, was wusste denn ich von Frauen, die ein Baby bekommen? Ich habe ihr geglaubt. Wieso sollte ich auch nicht? Schließlich hat sie selbst diese Situation doch ein paarmal durchlebt. Aber ich habe sie ausdrücklich gebeten, mich über deinen Zustand auf dem laufenden zu halten. Sie schien unzufrie den mit dem neuen Arzt, auf dem du bestanden hast, und ..." „O ja, ich habe darauf bestanden, einen Arzt, dem ich vertraue, zu bekommen. Einen, der ihr nicht gleich über alles Bericht .erstattete und mich dann anwies zu tun, was sie wollte. Nicht, dass sie mir falsche Ratschläge gegeben hätte. Aber es gab eben doch verschiedene Alternativen, was Diät, Gymnastik und so weiter anging. Auf jeden Fall wollte ich meinen eigenen Arzt haben, und das hat sich auch als richtig erwiesen. Er konnte die zweite Fehlgeburt nicht verhindern, aber auf jeden Fall hat er sich die Zeit genommen herauszufinden, warum ich solche Schwierigkeiten habe, ein Kind auszutragen. Ich nehme an, deine Mutter hat dir nicht erzählt, dass es ein korrigierbares Problem ist, oder?" „Nein! Ist es das? Wieso hast du mir das nicht gesagt?" „Wann, Nick? Als du endlich aus Europa zurückkamst und von der zweiten Fehlgeburt erfuhrst, hatte deine Mutter dich längst davon überzeugt, es sei am besten, dich von mir fernzuhalten. Jedesmal, wenn ich versuchte, mit dir darüber zu reden, bist du gleich ausgewichen. Du bist einfach ins Musikzimmer verschwunden oder hast das Haus verlassen. Dann sah ich dich tagelang nicht wieder. Du hast sogar in einem andere Teil des Hauses geschlafen." „Mutter hat gesagt..." „Oh, ich kann mir denken, dass sie gesagt hat: ,Du darfst die arme Camille nicht stören. Sie braucht ihre Ruhe. Eine Frau möchte allein sein, wenn sie so etwas hinter sich hat.' Ich höre es förmlich! Lass dir eines sagen, mein naiver Darling: Sie hat dich angelogen. Ich habe dich gebraucht. Mehr als je in meinem Leben. Ich wollte den Verlust des Babys mit dir teilen. Unseren Verlust. Ich wollte dir sagen, dass wir dennoch Kinder haben können. Wollte dir erklären, was der Arzt herausgefunden hatte -nämlich dass beide Fehlgeburten auf eine im Grunde leicht zu regulierende Unregelmäßigkeit im Hormonhaushalt während der ersten Wochen der Schwangerschaft zurückzuführen sind. Ich sehnte mich danach, in deinen Armen zu liegen und..." „Heißt das, dass du wirklich ein Baby haben kannst? Dass das Problem nur... Aber Mutter sagte doch, du würdest nie fähig sein..." „Unsinn! Deine Mutter ist eine..." Sie unterdrückte den Ausdruck, der ihr auf der Zunge lag. Es war auch so klar, was sie von ihrer Schwiegermutter hielt. „Sie hat dich überredet, nach Australien zu fahren, obwohl du doch gesehen haben musst, wie elend es mir ging. Und nachdem sie dich erst einmal aus dem Weg hatte, hat sie mir Tag um Tag zugesetzt, bis ich es schließlich nicht mehr ausgehalten habe, Monate und Jahre auf I Venti di Mare eingesperrt, beobachtet und ständig kritisiert zu werden, bis ich mich schon selbst nicht mehr leiden konnte. Ich wurde förmlich zu Tode gewürgt, und du rücktest für mich in immer weitere Ferne. Ich musste einfach fort, wenn ich überleben wollte. Ich musste einen Ort finden, wo ich wieder atmen und ich selbst sein konnte. Auf I Venti di Mare konnte ich zum Schluss schon nicht mehr klar denken. Nur mein Instinkt funktionierte noch. Er befahl mir zu gehen. Also ging ich." „Ohne mir ein Wort zu sagen. Ohne mich wissen zu lassen, wo du bist und wie es dir
geht. Hast du wirklich geglaubt, ich würde das einfach akzeptieren und dich vergessen? O Camille!" „Ich habe gehofft, dass du mich finden würdest... Aber Monate sind vergangen, und ... Ich hatte schon fast aufgegeben, als du heute hereinkamst. Und dann ist nichts so gelaufen, wie ich es geplant hatte. Wir hätten dieses Gespräch führen sollen, bevor wir uns liebten, nicht umgekehrt. Diese ganze Szene dort draußen auf der Veranda hätte nicht passieren sollen, bis wir eine Lösung gefunden haben..." „Tut es dir leid?" „Bist du verrückt? Es... es war unglaublich. Es grenzt schon fast an ein Wunder, dass wir nicht über das Geländer gefallen sind. Was mir leid tut sind nur diese verdammten Splitter. Aber eines musst du wissen, Nick: Es war mir ernst mit dem, was ich gesagt habe, als ich dir erlaubte, die Nacht hier zu verbringen. Kein Sex mehr, bis wir ein paar wichtige Entscheidungen getroffen haben. Sex vernebelt nur die Sinne. Es ist uns schon viel zu oft passiert, dass jedesmal unsere Probleme mit einer Flut von Leidenschaft überspült wurden. Aber darunter sind sie immer geblieben und sogar noch gewachsen. Was machst du denn?" „Ich ziehe mich an." „Aber es ist mitten in der Nacht! Wohin willst du?" „Es ist kurz nach drei. Nein, steh nicht auf. Ich werde mir ein Taxi rufen." „Nick?" „Es wird alles gut werden, Camille. Das verspreche ich dir. Aber ich muss jetzt über vieles nachdenken. Und in einem Punkt sind wir uns fraglos einig: Ich kann nicht klar denken, wenn ich neben dir im Bett liege. Zumal in einem Bett, das eindeutig für Zwerge entworfen wurde." „Nicht jeder kann sich ein supergroßes Bett leisten. Wann wirst du... Wirst du... Was..." „Gib mir ein paar Tage Zeit, Cara. Ich fahre kurz nach Connecticut und vielleicht nach New York. Sieh mich nicht so an, Darling. Ich glaube alles, was du mir gesagt hast, aber es gibt da doch ein paar Punkte, die möchte ich selbst nachprüfen. Ich rufe dich an, sobald ich wieder da bin. Wenn ich verspreche, anständig zu bleiben, bekomme ich dann einen Abschiedskuss?" „Mmm... Nick? Warte... Ich will dich etwas fragen: Was soll das viele Haar in deinem Gesicht?" „Reine Tarnung. Ich wollte... Mmm, tu das noch einmal... ich wollte mit dir allein sein... diesen ganzen Sommer, und... ahn, kleine Hexe!... wollte unerkannt bleiben. Camille? Hast du nicht gesagt..." „Ja, habe ich. Wieso hast du auch angefangen, mich zu küssen? Nein, hör auf. Nicht, bevor wir nicht..." „Okay, Cara. Ich habe es versprochen. Oh... der Bart. Gefällt er dir nicht?" „Ich kann dich dahinter so schlecht sehen. Außerdem kitzelt er. Aber wenn du meinst, dass du ihn brauchst..." „Wir werden sehen. Lass mich jetzt gehen, bevor ich mein Versprechen vergesse... Ich rufe dich in ein paar Tagen an." „Nick?" „Ja?" „Ich liebe dich." „Ich liebe dich auch, Carissima. Daran darfst du nie wieder zweifeln." „Das werde ich nicht. Gute Nacht." „Ciao."
5. KAPITEL
Camille sah Nick erst am Beginn der folgenden Woche wieder. Er wartete mit dem Anruf jedoch nicht bis zu seiner Rückkehr, sondern rief sie jeden Tag mindestens einmal, meist sogar zweimal an. Die Gespräche waren nicht dazu angetan, Camille zu beruhigen. Nick erwähnte ihre Probleme mit keinem Wort und erklärte auch nicht, was er im Moment tat. Zu ihrer Enttäuschung musste sie immer wieder erleben, dass er die Unterhaltung jedesmal prompt auf unverfängliche Themen lenkte. Sie sprachen über das Wetter, über den Verkehr in New York, über Camilles letzten Ausflug in die Welt der Scheunen und über ihre Pläne, an der 350 Jahr-Feier von Portland teilzunehmen. Da Nick sich keine Gedanken über ihre unmittelbare Zukunft zu machen schien, ignorierte sie diesen Punkt ebenfalls und erzählte ihm mehr, als er wahrscheinlich je hatte wissen wollen, über die Geschichte Portlands. Als er ihr am Freitag mitteilte, er werde noch ein paar Tage fortbleiben, erwiderte sie freundlich, sie hätte am Wochenende ohnehin keine Zeit für ihn gehabt. Auf seine erwartete Nachfrage hin lachte sie nur und erklärte, sie habe die Absicht, an der größten Hinterhofauktion der Welt teilzunehmen. Dann verabschiedete sie sich rasch und legte auf. Sollte er sich doch den Kopf zerbrechen, was sie damit gemeint haben könnte! Am Wochenende sorgte Camille dafür, dass sie telefonisch nicht zu erreichen war. So war es denn ein halb besorgter, halb wütender Nick, der am Montagnachmittag mit energischen Schritten das Geschäft betrat. Er blieb abrupt stehen, als er Camille auf einem alten Eichenkühlschrank balancieren sah. Sie hielt einen Kronleuchter so hoch sie eben konnte, während Jean, die oben auf einer Leiter stand, versuchte, seine Kette an einem Haken zu befestigen. „Camille, verdammt..." „O Nick! Du kommst genau zur rechten Zeit!" unterbrach Camille ihn. *,Wir sind einfach nicht groß genug, um dieses Ding aufzuhängen. Ich wollte mir schon einen Stuhl holen und ihn noch auf den Schrank stellen, aber..." „Erspar mir die Einzelheiten!" stöhnte er. „Ich möchte gar nichts hören! Kannst du den Leuchter einen Moment allein . halten, Camille? Kommen Sie herunter, Jean, damit ich auf die Leiter steigen kann." Fünf Minuten später stand Nick, mit in die Seiten gestemmten Armen, vor dem akrobatischen Duo. „Was habt ihr beiden diesmal angestellt? Seid ihr in einem Keller herumgekrochen?" Camille und Jean tauschten betretende Blicke und lachten dann laut auf. Nicks Vermutung lag wohl nahe. Vergebens versuchte Camille, den Staub und die Spinnweben von ihren verblichenen Jeans und ihrem ältesten T-Shirt zu entfernen. Jean sah ebenso mitgenommen aus wie sie, auch ihr Haar war völlig verstaubt. „Es war wieder eine Scheune", erklärte Jean, während sie versuchte, alles aus ihrem Haar zu schütteln, was nicht dorthin gehörte. Mit einem leisen Lachen setzte sie hinzu: „Wir finden die tollsten Sachen immer an den unwahrscheinlichsten Orten." „Der Leuchter wäre uns fast entgangen", ergänzte Camille. „Er war in einer Ecke unter einem Haufen anderer Dinge verborgen. Wir konnten es gar nicht erwarten, ihn sauber zu machen und aufzuhängen. Dann musste Esther weg, bevor wir uns umziehen konnten, und Ronan war auch nicht da. Deswegen..." „Wer ist Esther? Und wer ist Ronan?" „Esther arbeitet stundenweise für uns, besonders wenn wir beide unterwegs sind. Ronan ist... ein Freund von Jean, ihr Hausgenosse", erklärte Camille und wich langsam zurück in Richtung Bad. „Jean, du hast doch nichts dagegen, wenn ich zuerst dusche und mich umziehe, oder?" „Nein, gar nicht. Es sind ja nur noch zwei kleine Kisten auszupacken." Jean ließ ihren Blick lachend an Nick herauf- und heruntergleiten. „Ich mache Ihnen einen Vorschlag,
Mr. Elegant. Da Sie nicht auf Schleppen und Packen eingestellt sind, übernehmen Sie für ein paar Minuten das Geschäft, während ich die schmutzige Arbeit zu Ende bringe." Camille biss sich auf die Unterlippe und unterdrückte ein Lachen, als sie Nicks entsetzte Miene sah. Was würde Lucianna sagen, könnte sie ihren Sohn jetzt so sehen? „Aber was ist, wenn jemand hereinkommt?" „Falls es ein Mann ist, frag ihn, was er in dieser Saison von den Red Sox hält. Ist es eine Frau, umgarnst du sie mit deinem Charme!" riet Camille, bevor sie im Bad verschwand. Als Camille eine halbe Stunde später aus dem Bad kam, wartete Nick im Büro. Ihr Haar war noch ein wenig feucht. Nick nahm es kaum wahr, so beschäftigt war er damit, ihre anderen Körperteile zu bewundern. Sie trug ein geblümtes Baumwollkleid und weiße Sandalen, die so hohe Absätze hatten, dass Camille ihm nunmehr bis ans Kinn reichte. Sein Kinn! „Du hast dir den Bart abgenommen!" schrie sie. „Ich habe mich schon gefragt, wann es dir endlich auffällt." Nick legte eine Hand um ihre schmale Taille. „Außerdem möchte ich wissen, wann ich meinen Begrüßungskuss bekomme." Camille legte die Arme um seinen Nacken und sah ihn lächelnd an. „Ich wollte deine makellose Eleganz nicht beflecken." Sie hauchte ihm einen Kuss auf die Lippen und murmelte heiser: „Hallo, Big Boy!" Nick schüttelte den Kopf und stellte sie lachend wieder auf die Beine. „Deine MaeWest-Imitation lässt zu wünschen übrig. Du hast einfach nicht genug... ahm ... Busen, um es richtig zu bringen. Nicht, dass ich mich beklagen will, Darling. Für mich bist du perfekt so, wie du bist. Jetzt lass uns diesen Begrüßungskuss noch einmal wiederholen, ja?" „Das Restaurant gefällt mir." Camille ließ ihren Blick im Speisesaal des Harbor House umherschweifen. „Mir auch. Das Essen ist gut, der Service stört nicht bei der Unterhaltung, und es ist einigermaßen ruhig hier." „Du wirst ja richtig unternehmungslustig." „Inwiefern?" „Du bist wieder einmal ohne Gavin unterwegs. Die Reservie rungen hast du auch ohne ihn gemacht. Sitzt du auch wieder selbst hinter dem Steuer?" „Nein. Gavin hat mich hergefahren. Er wird uns später abholen und zum Cape bringen." Nick schenkte ihr sein charmantestes Lächeln. „O nein! So haben wir nicht gewettet! Ich habe dir doch gesagt..." Er nahm ihre Hand in seine. „Beruhige dich, Cara. Mir liegt wirklich viel daran, dass du dir das Haus der Cattons einmal ansiehst." „Wozu? Ich habe dir doch schon erklärt, dass ich nicht dort wohnen kann. Es ist zu weit um, von dort jeden Tag ins Geschäft zu fahren." „Nun ja, aber es gibt einiges, was wir zu besprechen haben." Nick lehnte sich zurück, weil der Ober den Salat brachte. „Das klingt ja ziemlich geheimnisvoll", murmelte Camille, wobei sie mit den Gedanken schon mehr bei dem appetitlichen Salat war. Ein Blick in Nicks Miene, und sie wusste, dass er etwas plante. „Kann dieses Gespräch nicht warten?" fragte sie hoff nungsvoll. „Ich möchte dieses herrliche Gericht gern ungestört genießen." „Okay. Wir werden später darüber sprechen." Sein Ton war so liebevoll nachsichtig, dass Camille sich darüber innerlich aufregte. Nick spürte, was in ihr vorging, und brachte sie mit einigen witzigen Bemerkungen und Neckereien wieder in Stimmung. Ihr Sinn für Humor siegte, und sie erzählte ihm von ihrer letzten Auktion. Die Entschlossenheit, mit der sie und Jean darauf aus waren, so viele potentielle Schätze wie möglich für so gut wie kein Geld zu erstehen, faszinierte ihn.
„Was um alles in der Welt sind grüngriffige Küchengeräte, und was ist so toll daran, sie für einen Dollar das Stück zu bekommen?" „Ich zeige sie dir das nächste Mal, wenn du im Laden bist." Camille musste lachen über seine sichtliche Verwirrung. „Und das schöne an dein niedrigen Preis ist, dass sie sich alle für mehrere Dollar das Stück wieder verkaufen lassen. Sie entwickeln sich allmählich zu Sammlerobjekten, das heißt, dass wir sie ebenso schnell wieder verkaufen, wie wir sie finden." Camille verstummte. Gedankenverloren rührte sie in ihrem Kaffee. Der Zeitpunkt für ihr Gespräch war gekommen. Sie schickte ein Stoßgebet zum Himmel. Wenn Nick sich doch nur einmal auf ein richtiges Gespräch einlassen und sich nicht wieder darauf beschränken wollte, seine Meinung als die letzte unumstößliche Weisheit kundzutun! „Okay, Nick!" In ihr rangen Resignation und Hoffnung, als sie ihn ansah. „Was hast du in Connecticut herausgefunden, und worüber möchtest du mit mir sprechen?" „Connecticut. ... Meine Mutter..." Nachdenklich sah er aus dem Fenster und überlegte, wieviel er Canaille sagen sollte. Die Gespräche mit seiner Mutter und den anderen Mitgliedern seiner Familie waren schwierig gewesen und schmerzlich desillusionierend, voller Anschuldigungen, Tränen und letztlich Entschuldigungen. Auch die Konfrontation mit Artuhr Rossman war alles andere als erhebend gewesen. Zum erstenmal in seinem Leben musste Nick sich mit der Realität der menschlichen Fehlbarkeit auseinandersetzen - seiner eige nen und der jener Menschen, die ihm immer am nächsten waren. Er hatte seiner Mutter und seinem Manager blind vertraut und war stets davon ausgegangen, dass sie nur das Beste für ihn wollten. Hatten sie sich nicht immer darum bemüht, seih Talent zu seiner vollsten Entfaltung zu bringen? Der Reichtum der de Contis hätte ihm die harte Wirklichkeit des Lebens ohnehin erspart, aber seine Familie war weit darüber hinausgegangen in ihrem Bemühen, auch die kleinste Ablenkung von ihm fernzuhalten. Er hatte ganz seiner Musik leben können, an nichts anderes 2x1 denken brauchen. Bis Camille in sein Leben getreten war. Er hatte sie gesehen, sich in sie verliebt und war zu der Erkenntnis gekommen, sie in seinem Leben zu brauchen. Er hatte und seinen Lebensstil ein wenig verändert, um einen Platz für sie zu schaffen. Hatte sie damals recht gehabt, als sie ihn anschrie, er behandle sie wie eine Puppe? Wie etwas, das er hervorholen konnte, wenn er in der Stimmung war dazu, und wieder fortlegen, wenn ihm nicht mehr der Sinn danach stand? Er war überzeugt gewesen, das Richtige zu tun, als er sie in der Obhut seiner Familie auf I Venti di Mare zurückließ, während er reiste. Alle hatten zugestimmt, waren sich darin einig gewesen, dass sie sich im Schöße der Familie wesentlich wohler fühlen werde als allein an irgendwelchen fremden Orten. Alle - außer Camille. Sie hatte versucht, ihn vom Gegenteil zu überzeugen, aber er war allen Argumenten und Bitten gegenüber taub geblieben. Seine Mutter hatte ihm versichert, alles liefe gut, von einigen kleine ren Anpassungsproblemen abgesehen. Natürlich hatte er ihr geglaubt, als sie ihm erzählte, Camille sei nervös, launisch und streitsüchtig. Schließlich war sie auch so, wenn er zu Hause war. So hatte er seiner Mutter natürlich zugestimmt, dass Camille in der friedlichen Atmosphäre der Familie bestens aufgehoben sei. Wie hatte er nur so blind sein können! So selbstsüchtig! Hatte er nicht einfach alles ignoriert, was ihn in seiner Konzentration auf seine Karriere störte? Es fiel ihm immer noch schwer, die Wahrheit zu glauben, die er seiner erschrockenen Familie und seinem zunehmend nervöser werdenden Manager in den vergangenen Tagen abgerungen hatte. Es würde eine Weile dauern, bis er ihnen verzeihen konnte, aber zumindest waren keine weiteren Katastrophen zu befürchten. Er hatte seine Bedingungen sehr deutlich klargemacht. Von jetzt an würde Camille wesentlich glücklicher sein. „Nick? Wohin bist du verschwunden?" „Entschuldige, Liebling." Er nahm ihre Hand in seine. „Natürlich möchtest du wissen, was wir jetzt für Pläne haben." Wir?
„Ich habe lange Gespräche mit Mutter und dem Rest der Familie geführt. Auch mit Arthur. Sie haben zugegeben, dass vieles von dem, was du mir erzählt hast, stimmt." Oh? Wie vieles? „Versuch doch zu verstehen, Cara", bat Nick. „Es war sehr schwer für mich zu erfahren, dass sie alle mich angelogen haben. Und das nicht nur einmal, sondern oft. Es tut ihnen allen sehr leid." Besonders wohl, dass sie ertappt worden sind! „Sie waren wirklich überzeugt, in meinem besten Interesse zu handeln. Sie dachten, du habest mich nur wegen meines Geldes und Ansehens geheiratet. Deswegen wollten sie mich von meiner vermeintlichen Dummheit befreien, indem sie dich fortekelten." Wer's glaubt... „Camille?" „Sprich weiter, Nick. Ich höre dir zu." Er seufzte, als er ihre undurchdringliche Miene bemerkte. Dann fuhr er fort: „Ich bin sicher, ich habe sie davon überzeugt, dass sie im Irrtum waren. Alle haben versprochen, dass es in Zukunft viel besser sein wird. Sie sind bereit, dich als meine Frau zu akzeptie ren. Als die wichtigste Person in meinem Leben." Das wird deine Mutter nie akzeptieren, ganz gleich, was sie dir auch versprechen mag! „Camille? Verstehst du? Ihnen liegt daran, ihre Fehler wiedergutzumachen. Alles wird jetzt viel besser sein für dich. Du wirst sehen." „Was werde ich sehen, Nick? Was genau erwartest du von mir? Was soll ich tun?" Er sah ihr Misstrauen und empfand Kummer über den Schmerz, den er ihr durch sein Verhalten in der Vergangenheit zugefügt hatte. Wie lange würde es dauern, bis sie ihm wieder vertraute? Das sollte seine erste Sorge sein in diesem Sommer. „Ich glaube, du musst zugeben, dass ich sorgfältig über unsere Pläne nachgedacht habe." Da war es wieder - dieses „unsere". „Wir brauchen Zeit, um uns wieder näherzukommen. Wir müssen allein sein. Nur wir beide. Und Gavin natürlich." Na, großartig! „Die Tatsache, dass diese Esther bereits stundenweise für euch arbeitet, wird uns sehr helfen. Sonst hätte ich vorgeschlagen, dass du jemanden einstellst, um mehr Freizeit zu haben. Ich verstehe ja, dass du Jean am Anfang eurer geschäftigsten Zeit nicht allein lassen möchtest, und ich bin ja auch bereit, dir zuzugestehen, dass du drei oder vier Tage in der Woche für ein paar Stünden arbeitest." Ach, wirklich? „Wir können deine Möbel irgendwo einlagern oder sie nach Hause schicken. Dann kannst du zu mir ins Haus der Cattons ziehen. Das Fahren ist kein Problem. Gavin hat mir versichert, dass er dich gern chauffieren will." In meinem Lieferwagen? „Wir werden drei Monate ganz für uns haben, und wenn wir beide guten Willens sind, sehe ich keinen Grund, wieso es nicht wieder so schön wie am Anfang unserer Ehe werden sollte." „Und was ist am Ende dieses Sommers?" „Bis dahin hast du sicher jemanden gefunden, der bereit ist, dir deinen Anteil am Geschäft abzukaufen, und wir kehren nach Hause zurück." „Nach Hause? Und welches Zuhause sollte das sein?" Sie kannte die Antwort von ihm, aber sie wollte sie trotzdem in Worte hören. Nick räusperte sich nervös. Er wusste: Jetzt kam der schwierigste Teil. „I Venti di Mare, natürlich. Das ist doch das einzige Zuhause, das wir haben." Er sprach etwas schneller und lauter, damit sie ihn nicht so leicht unterbrechen konnte. „Diesmal wird es anders sein, Cara. Das verspreche ich dir. Wir werden unser eigenes Haus haben. Falls dir von denen, die da sind, nichts gefällt, werden wir ein neues bauen,
ganz nach deinen Wünschen. Du wirst deinen eigenen Wagen haben, und du kannst kommen und gehen, wie es dir passt. Du kannst sogar stundenweise arbeiten, falls du das möchtest. Niemand wird sich in unsere Angelegenheiten einmischen. Das nächste Baby werden wir etwas sorgfältiger planen. Vielleicht warten wir noch ein Jahr oder so. In der Zwischenzeit kannst du mich auf einigen Tourneen begleiten. Es wird..." „Nein." „Nein?" .,. „Nein." „Aber, Camille! Carissima! Ich verstehe nicht. Du hast doch immer gesagt, dass du gern mitfahren würdest. Oder habe ich noch irgend etwas vergessen?" Camille seufzte. In ihr rangen Enttäuschung und Ärger. Sie wusste, es hatte keinen Sinn, sich über Nicks autoritäres Verhalten aufzuregen, von Kindesbeinen an war ihm der Glaube an die naturgegebene Überlegenheit des Mannes eingeimpft worden. Vielleicht war diese Einstellung sogar schon vererbt. Wie viele Stunden hatte sie zugehört, wie ein Mitglied der Familie - meist Lucianna aus der Geschichte der de Contis erzählte? Anfangs war es faszinierend gewesen. Die de Contis waren eine adelige, wohlhabende und seit Jahrhunderten politisch aktive italienische Familie, die viel Wert darauf legte, ihre Geschichte für die Nachwelt festzuhalten. Als es Pietro in letzter Sekunde gelang, Napoleons Geheimpolizei zu entkommen und mit seiner Frau und den beiden kleinen Söhnen nach New York zu fliehen, verzichtete er zugunsten seines jüngeren Bruders auf den Adelstitel, nahm jedoch einen großen Teil des beweglichen Vermögens der Familie mit. Das und ein Fingerspitzengefühl für kluge Investitionen bildeten die Grundlage für das Finanzimpe rium des amerikanischen Zweiges der de Contis. Pietro und seine ebenfalls blaub lütige Frau begründeten die Tradition, die Söhne der Familie stets nur mit Frauen aus dem italienischen Adel zu vermählen. Dabei blieb es für Generationen, zumindest, was den jeweils ältesten Sohn betraf. Somit wurde sichergestellt, dass Pietros Nachkommen im Geiste des europäischen Adels erzogen wurden - besonders auch im Hinblick auf die sogenannten naturgegebenen Rollen von Mann und Frau. Nick war nicht der erste de Conti, der sich eine nicht- italienische Frau nahm. Im Laufe der Jahre war es vorgekommen, dass ein jüngerer Sohn der Familie sich für eine Amerikanerin entschieden hatte. Aber es waren stets Frauen gewesen, die sich in „ihre" Rolle in der Familie schickten. Nick war nun der erste de Conti, der eine Frau nach Hause brachte, deren Charakter geprägt war vom Geist neuenglischer Unabhängigkeit und kalifornischer Freizügigkeit. Wasser und Öl waren eine perfekte Verbindung verglichen mit Nicks und Camilles unterschiedlicher Einstellung zur Rolle der Frau in Natur und Gesellschaft. Schweigend musterte Camille Nicks ratlose Miene. Der Mann begriff wirklich nicht, worum es ihr ging. Er schien allen Ernstes zu glauben, eine der Bedingungen übersehen zu haben, zu denen sie bereit war, zu ihm zurückzukommen. Sah er dies wirklich als eine Art Kampfan? Glaubte er, sie habe in jener Auseinandersetzung um Mitternacht ihre Bedingungen gestellt? Offenbar hatte er einen ihrer wesentlichsten Punkte überhört, denn er benahm sich immer noch wie ein unverbesserlicher Chauvinist. Nun, wenn er einen Kampf wollte, sollte er einen Krieg bekommen! Camille schenkte ihm ihr süßestes Lächeln. „Du hast einiges vergessen, mein Herzblatt - nicht zuletzt die hohe Kunst der Diskussion." Nicks Anspannung wuchs. Dieses Lächeln kannte er. Sein Darling setzte es immer auf, bevor sie etwas Unerhörtes sagte oder tat. „Ich dachte, wir hätten das alles schon neulich nachts diskutiert", warf er vorsichtig ein. „Du weißt, gleich nachdem wir..." „Ich weiß, ich weiß", unterbrach Camille ihn hastig. ,,Aber das war eher eine Untersuchung der Vergangenheit. Ich kann mich nicht erinnern, dass wir dabei auch über die Zukunft gesprochen hätten. Sicher würde ich mich daran erinnern, wenn ich zu
meinen Plänen für die Zukunft befragt worden wäre." Nick musste ein amüsiertes Lächeln unterdrücken. Es war zu köstlich - die leicht hochgezogenen Brauen, der ein wenig auf die Seite gelegte Kopf, der spöttische Unterton. Es hatte keinen Sinn, sich aufzuregen. Es war ja nicht wirklich ihr Ernst. Sie versuchte nur, ihn auf die Palme zu bringen. Aber im Moment stand ihm nicht der Sinn nach ihren Spielchen. Er wollte nur eines: sie zu sich nach Hause bringen und möglichst gleich in das große Bett, um dort fortzufahren, wo sie in jener Nacht in ihrem verrückten Turm aufgehört hatten. Es wurde Zeit, etwas energischer zu werden. „Wir sollten aufbrechen, Cara. Gavin wird in wenigen Minuten mit dem Wagen hier sein." Nick erhob sich und wartete, dass Camille ihm folgte. „Ich bin sicher, wir stimmen im wesentlichen überein. Irgendwelche kleinen Probleme können wir noch auf dem Nachhauseweg ausbügeln." Camille unterdrückte ihren fast übermächtigen Wunsch, ihm einen Blumentopf an den Kopf zu werfen. Aber Harbor House war wohl nicht der richtige Ort, um ihren verbohrten Mann zurechtzustutzen. Außerdem gab es hier keine Blumentöpfe. „Du brauchst dich nicht so zu beeilen, Camille! Gavin wird warten." Nick hatte Mühe, mit ihr Schritt zu halten. Er konnte ihr gerade noch die Tür öffnen, als sie auch schon hinausstürzte, um in Richtung Moulton Street davonzueilen. „Camille! Wohin willst du?" Er packte sie beim Arm. „Was ist los? Hast du denn nicht gehört, dass Gavin uns abholt?" „Nicht mich!" fauchte sie ihn an. „Ich habe dir schon einmal gesagt, dass ich nicht zum Haus der Cattons mitkomme. Du hörst mir einfach nicht zu, Nick." „Aber du brauchst doch morgen früh nicht zu fahren. Gavin wird dich..." „Nick!" Camille schrie seinen Namen so laut, dass alle Fußgänger im Umkreis von zwanzig Metern abrupt stehenblieben und zu ihnen herübersahen. „Lies mir von den Lippen ab: Ich... werde... nicht... mit... zu... dir... nach... Hause... kommen. Verstanden?" Sein „Unsinn!" lag nur wenige Dezibel unter einem lauten Brüllen. „Natürlich wirst du..." „Belästigt dieser Mann Sie, Madam? Soll ich ihn nach Hause schicken?" Überrascht sah Camille den großen, breitschultrigen Mann an, der neben ihnen aufgetaucht war. Die Muskelpakete, die sich unter dem anliegenden Hemd abzeichneten, sprachen Bände. Die hellblauen Augen musterten sie besorgt und verfinsterten sich dann drastisch, als er Nick einen grimmigen Blick zuwarf. „Ahm... vielen Dank, aber das wird nicht nötig sein", sagte Camille und schenkte ihrem „Retter" ein warmes Lächeln. Ein Kreis von Neugierigen begann sich um sie zu sammeln. Es war wohl besser, die Situation augenblicklich zu entschärfen. „Es ist nichts, womit ich nicht fertig werden könnte. Wirklich. Aber vielen Dank, dass Sie mir helfen wollten." „Nun... wenn Sie meinen, Madam", knurrte er und warf einen zweifelnden Blick zunächst auf ihre zierliche Figur und dann auf Nicks große Gestalt. Nick hielt immer noch ihren Oberarm umklammert, „Ich würde mich wesentlich besser fühlen, wenn Sie die kleine Lady loslassen würden, Mister", erklärte der Mann frostig. „Es ist doch wirklich nicht nötig, sie so festzuhalten und halb zu Tode zu erschrecken." Camille sah Nick an und hatte Mühe, ein Lachen zu unterdrücken. Sein Ausdruck spiegelte eine faszinierende Mischung aus gekränkter Würde und Erstaunen wider. Sie wusste, dass er sich nicht einmal in seinen schlimmsten Alpträumen im Mittelpunkt einer Szene wie dieser gesehen hatte. Er richtete sich hoch auf und warf ihrem „Retter" einen vernichtenden Blick zu. „Ich versichere Ihnen, Signore", begann er in eisigem Ton, „dass es keinerlei..." Er wurde unterbrochen durch einen eleganten Rolls-Royce, der in diesem Moment neben ihm am Straßenrand hielt. Heraus stieg ein untersetzter Mann in der grauen Uniform eines Chauffeurs und eilte an Nicks Seite. „Gibt es ein Problem, Mr. Dominic?" erkundigte er sich mit klassisch britischem
Akzent. „Gavin!" stöhnte Camille, als sie die vertraute verschlossene Miene sah, die wachen braunen Augen und die kräftige Statur von Nicks Diener-Chauffeur-Leibwächter. Das hätte ihr ja nun gerade' noch gefehlt- eine Prügelei... „Einen Moment mal!" ließ sich in diesem Moment prompt ihr „Retter" vernehmen. „Wenn ihr beiden euch zusammenrotten wollt..." „Wer ist dieser Mensch, Sir? Soll ich..." „Er hat sich einfach eingemischt, Gavin, Sie... Auu..." Camille hatte mit ihrem zierlichen Fuß gegen Nicks Schienbein gestoßen. Dabei zischte sie ihm und Gavin zu: „Hört auf, ihr Idioten, bevor es hier zu einer Prügelei kommt! Seht ihr denn nicht, dass man gar nicht angetan ist davon, wie ihr großen Kerle mit mir umgeht? Verschwindet ins Auto, während ich mich bei den netten Leuten bedanke!" „Camille..." „Geh schon, Nick! Sie auch, Gavin! Bewegt euch, Jungs, bevor der nette Mann beschließt, euch k.o. zu schlagen!" Camille warf dem „netten Mann" ein beruhigendes Lächeln zu, während sie sich zwischen Nick und Gavm schob und sie beide in Richtung Rolls-Royce drängte. Dann wandte sie sich ihrem neuen Freund zu und reichte ihm die Hand. „Ich möchte mich bei Ihnen bedanken dafür, dass Sie mir Ihre Hilfe angeboten haben. In diesem Fall war sie nicht nötig. Wir hatten nur einen kleinen Ehekrach." Sie lächelte verschwörerisch. „Ich bin neu in Portland, und ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie beruhigend es ist zu wissen, dass die Leute hier keine Angst haben einzugreifen, wenn es nötig ist." Sie lächelte strahlend in die Runde. „Sie sind alle wirklich nett gewesen. Ich bin Ihnen sehr dankbar. Gute Nacht." Unter einem Chor von ein wenig verlegenen Gute-Nacht-Wünschen ging Camille zum Wagen. Der Motor surrte bereits. Sie wusste, dass Gavin wie üblich stocksteif am Steuer saß und nur darauf wartete, dass sie neben Nick auf dem Rücksitz Platz nahm. Er hatte die Tür für sie aufgelassen. Camille schlug sie zu und ging auf die Fahrerseite. „Rücken Sie hinüber, Gavin", bat Camille kühl. „Ich fahre selbst." „Aber, Mrs. Dominic!" protestierte er. „Sie können doch nicht..." „Machen Sie Platz, Gavin, oder ich rufe meinen zahmen Gorilla zurück. Ich bin nicht bei bester Stimmung, und..." Sie unterbrach sich, als die trennende Glasscheibe heruntersurrte und Nick sich vorbeugte. Seine Augen hatten sich vor Zorn verdunkelt. Aber bevor er noch etwas sagen konnte, fuhr sie ihn an: „Kein weiteres Wort mehr, Dominic de Conti! Ich traue dir nicht über den Weg. Keinen Zentimeter! Ich fahre jetzt diesen Wagen zu meinem Parkplatz. Auf die Weise weiß ich wenigstens, wohin die Reise geht." Als sie eine Pause machte, hatte Nick bereits Gavin den Wink gegeben, beiseite zu rücken. Er lehnte sich zurück und beobachtete, wie seine zierliche Frau den großen Wagen geschickt durch die engen Straßen von Old Port steuerte, während er auf dem Rücksitz vor Enttäuschung und Zorn kochte. Er konnte es einfach nicht glauben, was er soeben erlebt hatte. Gütiger Himmel, wenn nun ein Reporter in der Menge gewesen war? Dominic de Conti und Ehefrau tragen Ehestreit auf der Straße aus! Wunderbar. Er sehnte sic h danach, endlich allein zu sein mit Camille - am liebsten in einem schalldichten Raum, wo sie sich anschreien konnten, so laut sie nur wollten, ohne dass sich irgend jemand einmischte. Während der kurzen Fahrt ging Camille im Geiste rasch ihre Möglichkeiten durch. Dabei warf sie einen Blick zu Gavin hinüber. Er wirkte alles andere als erfreut, aber das war an sich nicht weiter verwunderlich. Er hatte sie noch nie gemocht. Sie war schon am Anfang ihrer Ehe zu der Erkenntnis gekommen, dass Gavin eifersüchtig war auf die Rolle, die sie nun in Nicks Leben spielte. Er mochte gut zehn Jahre älter sein als Nick und war äußerst loyal. Seit Nicks siebzehntem Geburtstag, ge
nauer, seit seiner ersten Tournee, war Gavin Tag für Tag an seiner Seite gewesen, abgesehen von den seltenen Fällen, wo er einen oder zwei Tage vorausgereist war, um alles Notwendige zu arrangieren, und jenem einen Urlaub, den er vor fünf Jahren genommen hatte. Bis zu ihrem Auftauchen in Nicks Leben war Gavin Nick näher gewesen als sonstjemand. Sie hatte den Verdacht, dass er sich Vorwürfe dafür machte, Nick in jenem Sommer alleingelassen zu haben. Pech für dich, Gavin! dachte sie. Falls wir wieder zusammenkommen sollten, wirst du dich ändern müssen. Kein „Mr. Dominic ist beschäftigt, Madam" mehr, wenn ich mit Nick sprechen möchte. Keine missbilligenden Blicke mehr, wenn du unsere Sachen am Morgen im Schlafzimmer verstreut findest. Und keine diskreten Störungen mehr, wenn es uns endlich gelungen ist, einmal etwas Zeit für uns zu finden und allein zu sein. Camille stoppte die Limousine neben ihrem Lieferwagen und stieg rasch aus. Nick vertrat ihr den Weg. „Einen Moment, Camille. Du wirst nirgendwohin fahren, bevor wir nicht geklärt haben..." „O ja ..." Ein Läche ln umspielte ihre Lippen. „Ich habe schon darüber nachgedacht. Morgen ist es unmöglich. Ich werde den ganzen Tag zu tun haben. Wir schließen erst um neun. Deswegen wird es also nicht vor Mittwoch gehen. Ich brauche Zeit, nach Hause zu fahren und mich umzuziehen... Halb acht ginge... Ja, Nick, du kannst mich um halb acht zu Hause abholen. Essen und tanzen wäre nett. Es ist schon sehr lange her, seit wir das letzte Mal tanzen waren." „Tanzen?" Nick hatte das Gefühl unvermittelt in eine fremde Unterhaltung geraten zu sein. „Camille, ich möchte mit dir reden. Wir müssen entscheiden..." „Ja, ja, ich weiß, aber alles zu seiner Zeit", wies sie ihn zurecht. „Ich glaube, das war von Anfang an das Problem. Wir haben uns nie die Zeit genommen, einander richtig kennenzulernen. Ehe wir uns versahen, waren wir verheiratet. Ich glaube, wir sollten noch einmal zum Anfang zurückkehren. Wir können eine Weile zusammen ausgehen - es besteht ja keine Eile, da du den ganzen Sommer Zeit hast -, und dann kannst du mir den Hof machen und..." „Ausgehen? Hof machen?" wiederholte Nick fassungslos. „Wovon redest du? Falls es dir entfallen sein sollte, Camille: Wir sind bereits seit fünf Jahren verheiratet. Ich habe nicht die Absicht, wieder Händchen zu halten und platonische Küsse zu tauschen, wenn ich eigentlich..." „Ich weiß, was du eigentlich möchtest", unterbrach sie ihn und starrte dabei nachdenklich in die Luft. „Also?" Sie legte den Kopf auf die Seite und sah ihn überlegend an. „Weißt du, Nick, ich kann mich nicht an einen einzigen platonischen Kuss erinnern. Sie waren alle heiß und voller Leidenschaft. Ich möchte wetten, du weißt gar nicht, wie man überhaupt küsst." Nick hatte das Gefühl, in einem Alptraum befangen zu sein. Er schien von einem Zustand der Verwirrung in den nächsten, zu fallen. „Wie sind wir denn auf dieses Thema gekommen? Wer will schon platonisch küssen? Zumal seine eigene Frau?" „Ob du es willst oder nicht - alles andere kommt nicht in Frage, bis ich es sage. Es bringt nur alles durcheinander und ..." „Halt!" Nick seufzte gequält. Er verstand nicht, wieso seine geliebte und doch durchaus intelligente Frau plötzlich so kapriziös geworden war. „Du redest wirren Unsinn, Darling. Ich verstehe nur, dass du plötzlich nur noch mit mir ausgehen möchtest, dass platonische Küsse ,in' sind und alles Weitere ,out'..." „Richtig!" Ihr Lächeln war voller Bewunderung. „Großartig! Dann erklär mir doch bitte einmal, was das alles soll." Camille stöhnte. Die Situation war absurd. Sie konnte Nick eigentlich keinen Vorwurf dafür machen, dass er so verwirrt war. Sie wusste, dass sie sich unklar ausdrückte, aber sie hatte auch nicht erwartet, diese Diskussion mitten in der Nacht auf einem Parkplatz, mit Gavin im Rolls-Royce im Rücken, führen zu müssen. Sie hatte die Absicht gehabt,
sich mit Nick an einen Tisch zu setzen und ihm alles klar und logisch darzulegen. Sie atmete einmal tief durch und hielt Nicks fragendem Blick ruhig stand. „Ich möchte unsere Ehe retten, Nick, und ich weiß, dass du das auch möchtest. Wir scheinen uns nur nicht einig zu sein, wie das zu machen ist... Ich gebe zu, es hat vieles für sich, den Sommer zusammen zu verbringen mit Sex, Sonne und Entspannung. Aber was kommt danach? Die Rückkehr nach I Venti di Mare? Wieder zurück hinter diese Mauern, die den Rest der Welt ausschließen? Zurück in das erdrückende, unentrinnbare Zusammenleben mit deiner Familie?" „Ich habe dir doch gesagt, dass sie..." „Nein, Nick, sie werden sich nicht zurückhalten. Es ist mir ganz einerlei, was sie dir versprochen haben." Sie holte tief Luft, bevor sie zum nächsten Schlag ausholte. Über alles konnte man miteinander reden, über diesen Punkt nicht mehr. „Hör mir zu, Nick. Ich habe Monate Zeit gehabt, über alles nachzudenken. Dabei ist mir eines klargeworden: Unsere Ehe hat keine Chance zu überleben, solange wir auf I Venti di Mare wohnen. Sogar wenn wir alle anderen Probleme ausräumen, wird alles umsonst sein, wenn wir dorthin zurückkehren." Nick sah sie durchdringend an. „Willst du damit behaupten, dass du unter keinen Umständen nach I Venti di Mare zurück willst? Auch nicht, wenn ich dir garantiere, dass diesmal alles anders sein wird?" „Ja, Nick - genau das will ich damit behaupten." In ihr rangen die widersprüchlichsten Gefühle. Einerseits hatte sie Angst, er könne ihre Entscheidung nicht akzeptieren. Andererseits wusste sie, dass sie in diesem Punkt keinen Kompromiss schließen konnte. „Ich weiß, dass du Zeit brauchst, darüber nachzudenken. Während du das tust, lass uns die anderen Probleme in Angriff nehmen. Das größte davon ist..." „Camille..." „... ist unser Gedankenaustausch. Ich werde dir die Kunst des Gesprächs beibringen, und wenn es uns beide umbringt." „Was ich im Moment besprechen möchte..." „Nicht jetzt, Nick. Mittwoch abend. Wir sind verabredet, soweit ich mich erinnere. Um halb acht bei mir." Sie setzte sich ans Steuer ihres Wagens. „Camille!" Sie winkte ihm nur noch einmal kurz zu und gab dabei schon Gas. Zornig sah Nick ihr nach. „Diesmal magst du das letzte Wort gehabt haben", murmelte er grimmig, „aber wir werden doch sehen, wie es dir gefällt, wenn ich das* Spiel nach deinen Regeln mitspiele! Platonische Küsse! Ich werde dich so platonisch küssen, dass du glaubst, eine Nonne zu sein!" „Haben Sie etwas gesagt, Mr. Dominic?" „Nichts, das Sie interessieren würde, Gavin. Lassen Sie uns fahren. Ich habe ein Problem zu lösen."
6. KAPITEL
„Meine armen Füße! Davon werden sie sich nie wieder erholen!" Jean ließ sich mit einem tiefen Seufzer auf dem Liegestuhl nieder. „Wo kamen bloß die vielen Menschen her?" „Wer hätte an einem Montag eine solche Menge erwartet?" stimmte Camille bei. Sie hatte es sich auf einem Korbsessel auf ihrer Veranda bequem gemacht. „Soweit ich das beurteilen kann, waren es zur Hälfte Touristen und zur anderen Hälfte Einheimische, die sich nichts von den 350-Jahres-Feierlichkeiten entgehen lassen wollten. Auf jeden Fall hatten sie alle eines gemein: Sie wollten Geld ausgeben." Camille lehnte sich zurück und genoss die kühle Brise, die vom Wasser herüberwehte. Sie nippte an ihrem Eistee und beobachtete dabei die kleinen Boote in der Bucht. „Es ist so friedlich hier oben", murmelte Jean. „Schade, dass ich die Wohnung nicht zuerst entdeckt habe." „Ich muss zugeben, dass diese Veranda die etwas seltsame Küche absolut wettmacht." „Nicht zu vergessen das komische' Bad. Hat Nick es schon gesehen?" „Allerdings." Camille lachte. „Er ist zweimal mit dem Kopf angestoßen und murmelte ein paar nicht übersetzbare Freund lichkeiten über die kranke Phantasie, die einige Leute bei der Renovierung alter Häuser zeigen." „Du musst zugeben, dass es schon mehr als originell ist, aus einem Korridor und dem Teil einer Treppe ein Badezimmer zu machen. Ich werde nie das erste Mal vergessen, als ich dieses Wunder sah. Und hinterhältig wie du bist, hast du mich nicht einmal gewarnt! Ich öffnete die Tür in dem Glauben, dahinter befinde sich ein Schrank. Dabei wäre ich dann fast die Treppe hinuntergefallen." „Und riefst mir dann zu, das sei aber ein merkwürdiges Versteck für eine Treppe." „Ich traute meinen Ohren nicht, als du daraufhin behauptetest, es sei keine Treppe, sondern ein Badezimmer." „Nick ging es ähnlich." Camille konnte vor Lachen nur mit Mühe sprechen: „Du hättest sein Gesicht sehen sollen, als er mich fragte, wo er sich frisch machen könnte und ich ihn anwies, vier Stufen nach unten zu gehen, dort finde er das Waschbecken, dann weiter zum Ende des Raumes und drei Stufen links nach oben das Klo oder zwei Stufen rechts nach unten die Dusche. Er sah mich an, als hätte ich den Verstand verloren. Ich musste darüber so lachen, dass ich vergaß, ihn auf die merkwürdig verwinkelte Deckenkonstruktion über der Toilette hinzuweisen. Seither weiß ich, dass er ein paar italienische Ausdrücke kennt, die man in keinem Wörterbuch findet." „Das glaube ich sofort", erklärte Jean trocken. „Wo wir gerade von Nicks Temperament sprechen -, wie läuft denn euer großes Experiment? Ich meine, es steht doch nun immerhin seit zwei Wochen auf dem Programm, oder? Nun behaupte nur nicht, es sei dir gelungen, seine Libido die ganze Zeit auf Eis zu halten." „Nein, eisig könnte man unsere Beziehung wirklich nicht nennen." Camille seufzte. „Sie erinnert mehr an einen brodelnden Vulkan kurz vor dem Ausbruch. Er nimmt das alles als eine Art Herausforderung. Ich hätte nie von platonischen Küssen reden sollen", klagte sie. Jeans Lachen war alles andere als mitfühlend. „Das war tatsächlich nicht sonderlich intelligent. Was macht er?" „Er küsst mich keusch und züchtig auf die Stirn, während seine sinnlichen Hände über meinen ganzen Körper wandern. Manchmal möchte ich schwören, er hat wenigstens sechs davon. Habe ich eine abgewehrt, sind schon drei andere da! Hör auf zu lachen! Das ist überhaupt nicht witzig!" Jeans Lachen war so ansteckend, dass Camille schließlich mit einstimmte. So hörte keine von ihnen Nick die Turmtreppe heraufkommen. Er lehnte sich gegen den Türrahmen und beobachtete die beiden jungen Frauen, die im wahrsten Sinne des Wortes Tränen lachten. Da er die Unterhaltung verpasst hatte, die zu diesem Heiterkeitssturm geführt hatte, galt sein Lächeln allein dem verführerischen Anblick, den sein Darling in
den engen Shorts und ihrem Top abgab. Als das Lachen endlich verebbte, bemerkte er trocken: „An sich soll ja die Mittagssonne die Leute um den Verstand bringen. Bei euch beiden scheint aber die untergehende Sonne dieselbe Wirkung zu haben." „Nick!" Camille fuhr zu ihm herum. „Du kommst früh!" Jean war noch dabei, sich von ihrem Lachkrampf zu erholen. Sie lächelte nur und winkte Nick kurz zu, während er sich, in einen Korbsessel neben Camille fallen ließ. „Nicht früh genug, wie mir scheint", beme rkte er mit einem Blick auf die beiden vom Lachen geschwächten Gestalten. Er : nahm Camilles Eistee und trank ein paar Schlucke. „Was hat euch so erheitert? Hätte ich gewusst, dass ihr hier oben sitzt und schmutzige Witze erzählt, wäre ich..." „Nick!" Camille lief puterrot an, als ihr einfiel, was sie gerade zu Jean gesagt hatte. Nick bemerkte ihre Röte und den schuldbewussten Blick und zog sofort den richtigen Schluss. „Ich möchte doch wirklich wissen, worüber Frauen sich unterhalten, wenn kein Mann dabei ist", bohrte er. „Oh... hast du dir schon die .State of Maine' angesehen?" erkundigte Camille sich hastig. Das Ausbildungsschiff der Marine lag drei Tage im Hafen und war im Rahmen der Festlichkeiten zur Besichtigung freigegeben. „Noch nicht." Nick beschloss, großzügig zu sein und den Themenwechsel durchgehen zu lassen. „Ihr beiden seht aus, als hättet ihr euch hier für den Abend eingerichtet. Habt ihr neue Pläne gemacht?" „Nein, nein. Du bist zu früh", erinnerte Camille ihn. „Und Ronan kommt wahrscheinlich zu spät", warf Jean ein. „Wir gingen davon aus, dass uns noch eine halbe Stünde bleibt bis zum Umziehen." „Soll mir nur recht sein." Nick streckte die langen Beine aus und entspannte sich. „Dies ist wirklich der kühlste Platz, den ich heute gefunden habe." Das Gespräch verebbte weitgehend, während sie versuchten, sich von der Hitze des Tages zu erholen. Camille schenkte Jean noch einmal Eistee nach und füllte dann das Glas, das Nick und sie teilten. Einen Moment lang erwog sie, nach unten zu laufen und ihm ein eigenes Glas zu holen, aber sie verwarf die Idee gleich wieder, als sie daran dachte, dass sie dann die Treppen auch wieder zurückkommen musste. Was würde er wohl tun, wenn sie vorschlug, dass er sich selbst ein Glas holte? Sie versuchte, sich die mö glichen verschiedenen Mienen vorzustellen, die ein solcher Vorschlag hervorrufen wür de. Verständnislosigkeit? Verwirrung? Überraschung? Ärger? Nein, nicht Ärger. Nick war nie bewusst gedankenlos. Es war nicht seine Schuld, dass seine Familie ihm stets alles abgenommen hatte. Lucianna hatte ihm von Anfang an beigebracht, nach allem zu verlangen, was er haben wollte, und dass das Herbeischaffen Sache von Bediensteten war. Gavin hatte in Luciannas Sinne weitergewirkt. Er räumte hinter Nick auf, erriet seine Wünsche bereits im voraus und tat hunderterlei Dinge für ihn, die andere selbst erledigten. Das ging soweit, dass er ihm halbwegs verbot, auch nur selbst eine Telefon nummer zu wählen. Eigentlich erstaunlich, dass Gavin nie versuchte, sie auszuziehen und ins Bett zu legen, bereit für Nicks Vergnügen. Diese Vorstellung führte zu einem neuen Gedanken ... Nick und Jean sahen verständnislos herüber, als Camille plötzlich schallend loslachte. „Oh... oh... ich kann nicht mehr", keuchte sie, als sie die Mienen der beiden sah. „Was, Um alles in der Welt, ist denn so komisch?" erkundigte Jean sich verwirrt. „Wenn es so gut ist, lass uns mitlachen, Darling!" Camille wischte sich die Lachtränen aus den Augen. Sie schüttelte den Kopf. Die beiden würden sie für total verrückt halten, wenn sie versuchte, ihnen die Bilder zu erklären, die vor ihrem geistigen Auge abliefen. Die Vorstellung war zu köstlich! Camille krümmte sich vor Lachen und bekam erneut ein verblüfftes: „Nun sag doch schon, was so witzig ist!" zu hören.
„Ich k.. .kann i.. nicht!" antwortete Camille keuchend. "Was auch immer sie genommen hat, ich nehme auch etwas davon", ließ sich in diesem Moment eine tiefe Stimme von der Tür her vernehmen. „Hallo, Darling! Du bist früh dran!" Lächelnd sah Jean dem exotisch gekleideten Mann entgegen, der zu ihr herüberkam. Seine Aufmachung war irgendwo zwischen exzentrisch und unmöglich anzusiedeln. Natürlich gab es Orte - Provincetown, Fire Island und Südkalifornien zum Beispiel -, in denen niemand auch nur mit der Wimper gezuckt hätte beim Anblick von Sandalen, weiten Hosen aus schwarzem, mit Silberfäden durchwirkten Satin, einem zehn Zentimeter breiten exotisch bestickten Gürtel, einem knopflosen silbrigglänzenden Hemd mit weiten halblangen Ärmeln und als Krönung des Ganzen: eine orangefarbene RobinHood-Kappe mit gelben und rosa Federn. Auch in Portland hätte dieser Aufzug vielleicht nichts weiter als einen neugierigen Blick und ein amüsiertes Lachen hervorgerufen, hätte sich dahinter ein junger, schlanker Mann mit offenbar künstlerischen Neigungen verborgen. Wenn sich jedoch ein sechsunddreißigjähriges, einmeterneunzig großes Muskelpaket derart kleidete, dann war der Effekt umwerfend. Interessiert lauschte Camille der Debatte darüber, ob große Kunst besser im privaten oder im öffentlichen Besitz sein sollte. Die Freundschaft, die sich auf Anhieb zwischen Jeans Freund Ronan und Nick entwickelt hatte, erstaunte und erheiterte Jean und Camille immer noch. Es ließ sich kaum ein größerer Gegensatz denken als zwischen dem wohlhabenden, weltgewandten, international anerkannten Nick mit seinem konservativen, eleganten Geschmack und dem rauen Bummler Ronan, der sich sein Kunststudium mit Monaten harter Arbeit auf dem Bau verdient hatte. Nachdem er dann die Richtung seines Talents und seiner Interessen erkannt hatte, arbeitete er zwei weitere Jahre und sparte jeden Cent, um anschließend eine Lehre als Goldschmied machen zu können. Nun, fünf Jahre später, fand er allmählich Anerkennung, nicht nur für seinen einzigartigen Schmuck, sondern auch für die zierlichen, exquisit verarbeitenden Kleinkunstwerke, die er im Stile Faberges im Auftrag für Sammler herstellte. Auch nachdem Camille ihn bei der Arbeit beobachtet hatte, fiel es ihr noch schwer zu glauben, dass diese großen, schwieligen Hände so zierliche Arbeiten anfertigen konnten. „Ich glaube, wir sollten uns jetzt umziehen, Camille." Jean warf einen Blick auf die Uhr, bevor sie Ronans Aufzug amüsiert musterte. «Wir wollen uns nicht verdächtig machen, indem wir zu spät kommen." „Der Himmel bewahre uns davor!" Camille erhob sich. Sie beugte sich zu Nick herüber und flüsterte: „Und du hast Angst jemand könnte dich erkennen! Niemand wird dich auch nur ansehen, wenn Ronan dabei ist!" Nick lachte nur und zwinkerte Ronan zu. „Weißt du, was das alles zu bedeuten hatte?" erkundigte Jean sich kurze Zeit später, als sie in Camilles Schlafzimmer waren. Camilles „Nein" kam ziemlich gedämpft, weil sie gerade in dem großen Wandschrank nach ihren Schuhen suchte. „Ich habe das Gefühl, dass die beiden etwas aushecken", meinte sie, während sie Jean half, die Knöpfe hinten am Hals des rosa Kleides zu schließen. „Mir ist nur noch nicht klar, was. Sag mal, weißt du eigentlich, dass dieses Kleid den ganzen Rücken frei lässt?" „Dreimal darfst du raten, wer es ausgesucht hat!" Jean seufzte. „Was ich für den Mann alles anziehe! Meine Mutter würde einen Anfall bekommen, wenn sie dies Kleid sähe! Sieh dir doch nur den Ausschnitt an!" „Möchtest du eine Brosche leihen, um ihn zusammenzuhalten?" „Möchtest du wissen, was dieser Mann gesagt hat, als ich eben das vorgeschlagen habe?" „Lass gut sein." Camille lachte leise. „Ich kann es mir schon vorstellen. Aber es steht dir. Es überrascht mich nur, dass der Rock nicht hauteng ist und einen Schlitz wer weiß
wo hat." „Unmöglich. Ich habe mir sagen lassen, mein Po sei nicht geeignet für enge Röcke." „Im Hinblick auf diesen Ausschnitt ist es nur gut, dass du genug mitbringst..." „Schon gut", unterbrach Jean sie hastig. Sie hob die Stimme, als Camille sich wieder in den Schrank verzog, der durch seine Größe gleichzeitig als Ankleidezimmer dienen konnte. „Dieses Schlafzimmer gefällt mir, aber hast du hier nicht das Gefühl, in einem Goldfischglas zu leben?" Der Raum war der Turmform entsprechend achteckig. Eine Wand wurde von der Tür eingenommen, die zur Treppe führte. In jede der anderen sieben war ein riesiges Fenster eingelassen. Jean wanderte von einem Fenster zum nächsten, während sie auf Camille wartete. „Wo habe ich denn... Ah, da sind sie ja." Camille setzte sich auf die Bettkante, um ihre Sandalen überzustreifen. „Glaubst du, dass wir ein Gewitter bekommen? Ich würde die Fenster nur ungern schließen, wo wir jetzt endlich einen so erfrischenden Luftzug haben." „Es sieht nicht so aus", meinte Jean geistesabwesend. „Du hast mir noch gar nicht gesagt, wie es eigentlich mit Nicks Umerzie hung läuft. Hast du ihn schon dazu gebracht, über einen wichtigen Punkt zu diskutieren? Versteht er deine Gefühle für I Venti di Mare?" „Ich glaube, wir machen einige Fortschritte." Camille strich den knielangen Rock ihres schokoladenbraunes Kleides glatt und legte ein paar Ohrringe aus ziseliertem Gold an. „Zumindest stellt er jetzt Fragen und hört sich auch die Antworten an", fuhr sie fort. „Und er fangt an, über Dinge zu diskutieren, statt einfach nur seine Meinung kundzutun. Hält sich dein Haar in dem Knoten, oder möchtest du noch ein paar Klemmen haben?" „Ich glaube, noch mehr Klemmen lassen sich nicht unterbringen.'' Jean betastete vorsichtig ihre kunstvolle Frisur. „Es muss sich so halten, damit die Ohrringe zu sehen sind." „Ah, Ronan war wieder aktiv, wie ich sehe." Camille betrachtete bewundernd die feingearbeiteten Schmuckstücke. „Ich höre Schritte auf der Treppe! Sind wir fertig?" „Gefällt es dir hier?" Camille beugte sich weit zu Nick hinüber, um seine Antwort über die Musik der Jazzband und das allgemeine Stimmengewirr hinweg zu hören. „Ja. Überrascht dich das?" Nick betrachtete Sie amüsiert. Ihre Augen blitzten - was sicher nicht zuletzt auf die drei Gläser Wein zurückzuführen war, die sie entgegen ihrer Gewohnheit schon getrunken hatte. „Ja. Nein. Nun, du musst zugeben, dass es ganz und gar nicht deiner üblichen Umgebung entspricht." „Vielleicht gefallt es mir gerade deswegen." „Willst du etwa behaupten, eine gute Jazzband sei dir lieber als ein Streichquartett und Opernstars?" „Für eine Party wie diese? Allemal." Nick sah sie fragend an. „Hältst du mich nach all diesen Jahren immer noch für einen Snob, Camille? Gute Musik ist gute Musik, genauso wie nette Leute nette Leute sind. Diese Jazzband ist ausgezeichnet, und die Leute sind alle sehr nett zu mir. Die meisten hier sind auf irgendeine Weise Künstler, und alle Künstler haben etwas ge meinsam. Wieso sollte ich sie nicht mögen und verstehen?" Camille begriff, dass es ihm ernst war. „Es tut mir leid", sagte sie zerknirscht. „Es war eine dumme Bemerkung. Ich fürchte, manchmal fällt es mir schwer, einen Unterschied zwischen dir und deiner Familie zu machen." „Was soll denn das nun wieder heißen?" „Denk doch nur einen Moment nach." Die fröhliche Menge um sie geriet in Vergessenheit. „Wir sind seit fast fünf Jahren verheiratet. Während der ersten beiden Monate mieden wir andere Leute, weil wir allein sein wollten. Danach waren wir immer, aber auch wirklich immer mit deiner Familie zusammen, wenn du zwischen Tourneen zu Hause warst. Wir sind nie allein irgendwohin gegangen. Alle Kontakte beschränkten sich auf Menschen, die deine Mutter für geeignete Freunde hielt. Und wenn wir einmal
ausgegangen sind - wohin? In die Oper, ins Konzert, ins Theater oder zu irgendeinem anderen angemessenen kulturellen Ereignis. Immer in einer Gruppe. Und wer gehörte zu dieser Gruppe? Immer dieselben Leute: deine Brüder und ihre Frauen, deine Schwester und ihr Mann, die Schwiegerfamilien, ihre Freunde oder deine Cousins und Cousinen. Gelegentlich auch deine Mutter und ihre Freundinnen." „Ich dachte, es hätte dir Spaß gemacht..." „O Nick!" Sie seufzte. „Natürlich macht mir so etwas Spaß. Gelegentlich. Und genausoviel Spaß macht mir ein Zeichentrickfilm, der Zirkus, eine Eis-Show, Zoo, Kirmes oder ein anderes volkstümliches Vergnügen." „Wieso hast du denn nie etwas gesagt?" „Das habe ich doch! Wir haben sogar mehrfach geplant, etwas in der Richtung zu unternehmen. Aber natürlich hast du es deiner Mutter und den anderen gegenüber erwähnt, und dann schien immer Wichtigeres zu geben, so dass wir unsere Pläne stets auf später verschoben. Und dieses Später ist nie gekommen." Nick schien für einen Moment in Gedanken versunken. „Ja, Cara, ich erinnere mich", sagte er schließlich. „Du hast recht." Canaille sah ihn herausfordernd an. „Bist du bereit für ein kurzes Quiz? Kein Schmerz, kein Stress, nur ganz leichte Fragen." „Okay." „Nenne einen Freund, den wir als Paar gefunden haben und der keine Beziehung zu deiner Familie hatte!" Nick runzelte die Stirn. „Mir fällt niemand ein", musste er schließlich zugeben. „Wann haben wir das letztemal allein zusammen Urlaub gemacht?" „Wir waren Ski fahren..." Als er Camilles hochgezogene Brauen sah, setze er betreten hinzu: „…mit Tony, Bettina und ihren Kindern." „Kannst du mir auch nur ein einziges Mal nennen, an dem wir allein ausgegangen wären?" Nick starrte nachdenklich an die Decke. „Nein", gab er zu. „Merkwürdig, aber es ist mir bisher nie aufgefallen." „Ende des Quiz'", sagte Camille trocken und griff nach ihrem Weinglas. „Begreifst du nun, wieso ich dich gefragt habe, ob es dir hier gefällt?" „Mmm, ja. Ich mag deine Freunde - vor allem Ronan." „Bitte, entschuldigen Sie..." . Camille und Nick sahen auf. Ein junger Mann war zu ihnen getreten. Melone, gezwirbelter Bart und rote Hosenträger wiesen ihn als Mitglied der Jazzband aus. „Ja?" Nick sah ihn fragend an. „Ronan sagt, du seist super am Klavier. Ein richtiger Profi. Unser Pianist will eine Pause machen. Hättest du nicht Lust, uns bei ein oder zwei Stücken zu begleiten?" Camille war schockiert. Nicht nur darüber, dass der Mann Nick gleich, wie hier üblich, duzte. „Lieber Himmel, du weißt ja nicht, wen du..." „Ja, gern. Warum nicht?" übertönte Nick sie. Er lachte leise, als er sich erhob. „Ich glaube, Mutter bekäme einen hysterischen Anfall, wenn sie jetzt hier wäre", flüsterte er ihr zu, bevor er dem Musiker zur Bühne folgte. Camille vergaß für einen Moment, ihren Mund zu schließen. Was, um alles in der Welt, war in ihn gefahren? Wann hatte er denn jemals Jazz gespielt? Hatte er völlig den Verstand verloren? Einen Moment lang konnte sie ihm noch nachsehen, bevor die Menge ihr den Blick versperrte. Versonnen beobachtete sie das Spiel seiner Muskeln, das sich unter der enggeschnittenen Hose deutlich abzeichnete. Der Anblick weckte unwillkürlich Erinne rungen ... „Ich würde ja bis zu zehn Dollar zahlen, um zu erfahren, was im Moment in dir vorgeht", sagte Ronan, während er neben ihr Platz nahm. „Ah... es... nichts!" Sie hätte im Boden versinken mögen vor Scham, denn sie brauchte
keinen Spiegel, um zu wissen, dass sie tiefrot angelaufen war. „Lass gut sein", ulkte Jean, nachdem sie auf Ronans Schoß Platz genommen hatte. „Wir können es uns schon denken. Die glänzenden Augen, das sanfte Rot in den Wangen, die halbgeöffneten Lippen, die..." „Ich dachte, du seist meine Freundin!" protestierte Camille. „Wofür sind Freunde da, wenn nicht dazu, um die bedeutungsvollen Momente des Lebens mit einem zu teilen." „Ich verhelfe dir gleich zu einem bedeutungsvollen Moment!" drohte Camille, als die beiden laut loslachten. Einen Moment lang maß sie sie mit empörtem Blick, aber dann stimmte in das Lachen ein. Zum Teil war ihre Heiterkeit auf das denkwürdige Bild zurückzuführen, das die beiden abgaben. Jean war schon in sich ein Widerspruch mit ihren üppigen Kurven und dem runden Mädchen-Gesicht. Ihr offener Ausdruck ließ eine praktische, konservative Natur vermuten. Auf jeden Fall hielt 'man sie nicht für eine Partnerin des Paradiesvogels Ronan mit seinem wettergegerbten Gesicht und den dunklen Augen, deren sinnliches Lächeln voller Verheißungen schien. 'Wohin ist denn Nick entschwunden?" erkundigte sich Ronan. „Er bereitet sich auf eine - ja, es heißt wohl ,Jam-Session' - mit der Band vor." „Nick?" Jean sah ihre Freundin verblüfft an. „Frag Ronan. Er weiß offensichtlich mehr als wir", beklagte sich Camille und stieß Ronan dabei ihren Ellenbogen in die Rippen. Sie schrie auf, weil ihr Arm für einen Moment von den Schultern bis zu den Fingerspitzen abzusterben schien. „Das hast du davon, dass du über friedliche Mitmenschen herfällst", lachte Ronan mitleidslos. „Um ehrlich zu sein: Ich weiß vieles, worüber ihr kleinen Mädchen noch nie nachgedacht habt - wie man einen Kran führt, wie man Beton mischt, wie... Oh! Es geht los! Ruhig jetzt, Kinder! Hört euch an, was Onkel Nikolay spielt." Camille und Jean tauschten mitfühlende Blicke. Wenn Ronan den Big- Daddy spielte, war es am besten, ihn zu ignorieren. Ein Trommelwirbel ließ das allgemeine Stimmengewirr verstummen. Alle Augen richteten sich auf den Bandleader, der mit der Trompete unter dem Arm vor dem Mikrophon wartete. „Wir hoffen, dass ihr alle ebensoviel Spaß habt an dieser Party wie wir", erklärte er zwanglos. „Wo ist denn das Geburtstags-Mädchen? Hallo, Holly! Wir haben eine besondere Überraschung für dich! Einer unserer Gäste ist ein Super-Pianist. Er hat sich bereit erklärt, bei ein paar Nummern mitzuspielen." Er drehte sich halb zu Nick herum, der am Klavier Platz genommen hatte, und deutete mit weit ausholender Geste auf ihn. „Ladies und Gentlemen! Die Down East Yankeeland Jazz Band freut sich, Nick de Conti begrüßen zu dürfen!" Die Reaktion des Publikums schwankte zwischen Erstaunen - bei denen, die wussten, wer Nick de Conti war - und Vorfreude bei denen, die ihn nur als „Camilles Mann, der Klavier spielt" kannten. Nick unterbrach den aufkommenden Applaus mit einer atemberaubend schnellen Version von „Anything Goes". Der Schlagzeuger fand den Rhythmus sofort, und die anderen Instrumente fielen mit ein. Die Session hatte begonnen. Camille merkte erst, dass sie vergessen hatte, den Mund zu schließen, als Ronan ihr Kinn behutsam nach oben drückte. Sie sah ihn nicht einmal an. Sie konnte den Blick einfach nicht von Nick wenden. Sie erlebte auf der Bühne einen Mann, der ihr ganz neu war. So hatte sie ihn noch nie spielen hören. Einige Haarsträhnen waren ihm in die Stirn gefallen, aber er achtete nicht darauf. Immer weiter spornte er die Band an, trieb sie an ihre Grenzen - und darüber hinaus. Nach „Anything Goes" folgte eine aufrüttelnde Version von „Black Bottom Stomp" und gleich darauf „Birth of the Blues". Es war eine jener seltenen Gelegenheiten, wo einfach alles besser harmoniert als je zuvor. Die Musiker spielten, als wären sie schon seit Jahren zusammen. Kaum hob einer ab mit einer neuen Improvisation des Themas, als auch schon ein anderer seine Führung
aufgriff und zusätzliche Variationen einbrachte. Dann wieder wichen alle zurück in den Hintergrund und überließen einem das Solo. Camille war wie verzaubert. Sie nahm ihre Umgebung kaum noch wahr. Nur einmal warf sie einen Blick auf ihr Glas und fragte sich vage, was mit ihrem Wein geschehen sei. „Camille? Alles okay?" Ronan sah sie prüfend an. „Mm? Oh! Ja. Nein. Ich weiß nicht." Die Verbindung zwischen Verstand und Zunge schien nicht mehr richtig zu funktionieren. Sie schien nicht mehr sagen zu können, was sie dachte. Erstaunt registrierte sie, dass ihr Glas wieder voll war. „Der Wein ist wieder da!" Sie sah Ronan erstaunt an. „Ist das nicht komisch?" Jean beugte sich vor und sah ihr in die Augen. „Wieviel hast du schon gehabt?" „Nicht genug." Camille trank noch einen großen Schluck. Ein paar laute Klavierakkorde ließen sie aufsehen. Die anderen Instrumente stimmten ein. „Allgütiger Himmel!" entfuhr es Camille. „Das ist ja Bach!" Sie packte die Tischkante und zog sich auf die Beine. Dabei merkte sie nicht, dass Ronan sie mit seiner großen Hand stützte. Die Stimmung im Saal wurde immer weiter angeheizt. Musiker und Zuhörer schienen sich gegenseitig anzuspornen. Camille begann zu klatschen und hätte dabei fast ihren Wein verschüttet. Nach kurzem Zögern leerte sie kurz entschlossen das Glas und stellte es zurück auf den Tisch. Nach einem triumphierenden Blick zu Jean und Ronanwandte sie sich wieder der Bühne zu. Camille klatschte begeistert Beifall. Es überraschte sie nicht mehr, dass sie im nächsten Stück, das Nick zu spielen begann, Tschaikowskys „Nussknacker" zu erkennen meinte. Sie bewegte sich selbstvergessen zum pulsierenden Rhythmus der Musik und wäre vor Schreck fast aus dem Gleichgewicht geraten, als Ronan plötzlich über ihr brüllte: „Zeig's ihnen, Nick!" Nur seine Hände um ihre Taille hielten sie noch aufrecht. Voller Vertrauen auf Ronans stützende Hand trank sie noch einen Schluck aus ihrem sich offenbar selbst nachfüllenden Weinglas und versank dann wieder in ihrer rosaroten Wolke von Musik. Eine halbe Stunde später. Nick drängte sich durch die Menge zu dem Tisch durch, an dem er Frau und Freunde zurückgelassen hatte. Das Bild, das sich ihm bot, sollte ihm zeitlebens unvergessen bleiben: Jean und Camille saßen auf Ronans Schenkeln, Jean links, Camille rechts. Sie hatten die Köpfe zusammengesteckt und diskutierten ernsthaft über den ästhetischen Wert von „verjazztem Tschaikowsky" und ob es möglich sei, Feen in Ballettschuhen den Jitterbug beizubringen. Ronan zwinkerte Nick amüsiert zu. „Sie haben ein wenig zuviel vom Wein gehabt", erklärte er auf die unausgesprochene Frage hin. „Ich habe den Eindruck, deine Frau hat meine darin übertroffen, aber sehr groß ist der Unterschied nicht." *,Ich wusste, dass wir wirklich in Form waren", bemerkte Nick mit einem leisen Lachen. „Aber mir war nicht klar, dass wir derart umwerfend waren." „Ihr wart phantastisch. Das ist es ja gerade. Ich habe mich von der Musik ablenken lassen und nicht mehr darauf geachtet, wieviel die beiden hier getrunken haben. Ein paar Kellner kamen immer wieder mit Weinkrügen vorbei und haben allen nachge schenkt. Ich bezweifle, dass unsere Damen auch nur eine Ahnung haben, wieviel sie getrunken haben." Nick hob Camilles Kinn leicht an. „Hallo, süße Elfe", flüsterte er, „Hat dir die Musik gefallen?" Sie kniff die Augen zusammen, um erkennen zu können, wer da etwas von ihr wollte. Ein glückliches Lächeln glitt über ihre Züge, als sie endlich begriff. „He! Nicky Wunnebar! Du warst wunnebar... Absolut wunnebar!" Sie lachte. „Das muss Lucy hören! Lucy!" „Lucy muss kommen!" stimmte nun auch Jean ein und nickte dazu. „Es ist wohl besser, wir bringen die beiden nach Hause." Nick konnte es kaum für
möglich halten. Seine Camille in diesem Zustand! Wo sie' doch sonst schon vier Drinks an einem Abend für pure Ausschweifung hielt! Kurz entschlossen nahm Nick Camille auf den Arm und steuerte mit ihr zum Ausgang, dicht gefolgt von Ronan mit Jean. „Brauchst du Hufe?" fragte Ronan kurze Zeit später, als er vor Camilles Haus hielt. „Nein, danke." Nick hob seine Frau vom Rücksitz. „Ich komme schon klar. Dann also bis morgen." Camille blinzelte einmal kurz, fand, dass alles in Ordnung sei, und schmiegte sich wieder an seine Schulter, um weiterzuschlafen. Erst vor der Tür kam sie wieder ein wenig zu sich. Sie klammerte sich fester an Nick, um nicht herunterzufallen. „Lass mich einen Moment los", bat er. „Ich muss dich kurz absetzen, bis ich den Schlüssel gefunden habe." Er ließ sie zu Boden gleiten. Sie brachte es nicht fertig, die Lider ganz zu öffnen, und auch die Beine wollten ihr nicht recht gehorchen. Es war wohl am besten, wenn sie sich so lange auf den Koffer setzte. Oder auf den dort. Oder auf den großen. Himmel, wie viele Koffer! „Gehe ich irgendwohin, Nicky?" „Nur ins Bett, Cara." „Oh. Nicht meine Koffer." „Nein, meine kleine Schnapsdrossel, es sind meine." „Ungezogener Nicky. Nein, nein... Nicht hierbleiben. Ich schlafe allein." „Nicht mehr länger, Cara. Ich habe beschlossen, dass es Zeit wird für den zweiten Akt dieser verrückten Operette." „Was für eine Ope... Operette?" „Mmm. Ich glaube, ich nenne sie ,Die Brautwerbung um Lady Laughing Eyes'."
7. KAPITEL
Langsam, sehr langsam tauchte Camille aus den Tiefen eines traumlosen Schlafes auf. Ihre ersten Eindrücke waren sehr verwirrend. Sie war verschwitzt, heiß und gefangen. Ihr Kopf lag in einem merkwürdigen Winkel. Einen Arm konnte sie nicht bewegen, der andere lag auf etwas Haarigem, Lebendigem. Ihre Beine waren verwoben mit anderen, haarigeren Beinen, und ihre Hüfte drückte gegen etwas Hartes, Heißes... „Nick?" „Ich hoffe, du hast nicht erwartet, mit einem anderen Mann neben dir zu erwachen." Nick lachte leise. Dabei fuhr er ihr mit der Hand zärtlich über den Rücken. „Entspann dich, Cara, und hör auf, dich zu bewegen, bevor du meine Selbstbeherrschung überforderst. Dein heißer kleiner Körper mag willig genug sein, aber ich bezweifle doch, dass dein Kopf schön auf eine wilde Szene eingestellt ist." Camille erstarrte. Plötzlich wurde ihr mehreres gleichzeitig bewusst. Sie war nackt. Nick war nackt. Ihr war heiß, weil ihr Körper gegen seinen gedrückt wurde. Ihr Kopf lag an seiner Schulter, ihr Arm auf seiner Brust, ihre Beine zwischen seinen. Seine Hände liebkosten ihren Körper. Und nicht nur sie bewegten sich. Sie verhielt den Atem und verlagerte vorsichtig das rechte Bein. Himmel! Es war also kein Traum gewesen. Oder Wunschdenken? flüsterte eine kleine Stimme in ihrem Innern. Camille unterdrückte diese Stimme und versuchte, einen klaren Gedanken zu fassen. Es musste einen Ausweg geben. Sie war nicht bereit... Nun, das entsprach vielleicht doch nicht ganz der Wahrheit... Rein instinktiv bewegte sie ihr Bein ein wenig und drückte ihre Hüfte fester gegen Nicks pulsierende Männlichkeit und begann, sich mit leicht kreisenden Bewegungen an ihm zu reiben. Nicks gute Absichten gerieten zunehmend ins Wanken - und unterlagen schließlich im inneren Kampf mit der Lust. Er hatte lange genug darauf gewartet - zu lange -, dass seine Lady Laughing Eyes den platonischen Unsinn vergaß und wieder bereit war, richtig zu lieben. Sie hatte ihn schon seit Tagen fast um den Verstand gebracht mit dem sinnlichen Schwung ihrer Hüften und den, verführerischen Bewegungen ihrer kleinen, festen Brüste. Jetzt war mit dem Warten endgültig Schluss. Sie war ebenso scharf auf ihn wie er auf sie. Sie versengte ihm ja förmlich die Hüfte, und er konnte sich weit interessantere Plätze vorstellen... O ja.... „Cara, jetzt..." stöhnte er und rollte sich auf sie. „Öffne dich mir, Carissima... ah... o ja", flüsterte er rau, als er spürte, wie sie ihre Beine um ihn schlang. Sein Atem ging schneller. „Nick... liebe mich... jetzt... komm... Nick!" Ihr Drängen brachte auch ihn um den letzten Rest seiner Selbstbeherrschung. Sie wurden eins. Immer schneller wurde der Rhythmus ihrer Liebe, immer heißer die Glut ihrer Leidenschaft, bis die Welt schließlich um sie zu explodieren schien... Es dauerte einige Minuten, bis Nick begriff, dass Camilles schweres Atmen weniger etwas mit abklingender Erregung zu tun hatte als vielmehr mit dem Gewicht seines Körpers, das sie zu erdrücken drohte. Mit einem tiefen Seufzer streckte er sich neben ihr aus und ließ seine Hand dabei zärtlich über ihren immer noch heißen Körper gle iten. Sie drehte den Kopf zu ihm herum und öffnete langsam die Augen. Die Liebe, die sie in seinem Blick erkannte, ließ ihr für einen Moment den Atem stocken. „My Lady love", flüsterte er, die Stimme noch rau vor Leidenschaft. „Bist du okay? Ich habe dir doch nicht weh getan, oder?" Er küsste ihre Finger, die zärtlich über seine Lippen fuhren. „Du bist fast noch so eng wie am Anfang. Es hat eine verheerende Wirkung auf meine Selbstbeherrschung. Nicht, dass ich mich beklagen will, aber..." Canaille rollte sich auf die Seite und schmiegte sich an ihn. „Von welcher Selbstbeherrschung redest du, mein sexy Piano-Mann? Du hast doch die letzten beiden Wochen nur mit Mühe überstanden, und hier bist du nun..." Sie schob eine Hand zwischen ihre Körper. „O ja, da bist du", stöhnte sie und lachte leise. Warum lachte sie eigentlich? Dieser Mann! Hatte sie sich nicht geschworen, es nicht
wieder soweit kommen zu lassen, bevor sie nicht ein paar Punkte geklärt hatten? Wie war er überhaupt hierhergekommen? In der vergangenen Nacht... Da war Jazz gewesen... Nick... und... Nein, das konnte doch nicht sein! Wieviel Wein hatte sie denn getrunken? Sie erinnerte sich vage, dass Nick sie getragen hatte. Und dann waren da Koffer gewesen. „Nick, warte... Ah, du Schuft, hör eine Minute auf damit!" „Nur für eine Minute, Cara. Was ist los?" Nick legte den Kopf zurück und sah ihr lächelnd in die Augen. Dabei legte er eine Hand auf ihre Brust und begann, sie sanft zu streicheln. Camille holte hörbar Luft. „Deine Minute ist fast um", erinnerte er sie. „Wir... wir müssen reden... und das kann ich nicht, wenn... wenn du das tust." „Ich? Und was tust du? Merkst du denn gar nicht, was deine eigenen Hände tun? Ah! Nicht so fest. Langsamer, Cara, langsamer. Wir wollen es genießen." Er legte die Arme um sie und rollte sich auf den Rücken, so dass sie auf ihm zu liegen kam, und richtete sie auf. „Was macht dein Kopf?" fragte er lachend. „Tut er weh? Ich wette, es wird ihm gleich viel besser gehen." „Prahler!" keuchte sie und stöhnte gleichzeitig auf, als er ihre Körper vereinte. Sie stützte ihre Hände gegen seine Brust und vergrub die Finger in dem dichten Haar, während ihr Körper sich unter der Führung seiner Hände im sinnlichen Rhythmus der Liebe zu bewegen begann. Immer heftiger, immer intensiver wurden ihre Bewegungen, bis sie endlich, in einem wahren Rausch der Sinne, gemeinsam den Höhepunkt erlebten. Camille brach in Nicks Armen zusammen und lag keuchend auf seiner Brust. Ein kühler Luftzug, der vom Meer herüberwehte, ließ sie schaudern. Nick zog die Decke über sie, ohne sie dabei loszulassen. „Bleib genau da, wo du bist, Darling. Jetzt werden wir uns unterhalten." „Aha! Jetzt, wo du deinen Willen bekommen hast, willst du dich großzügig zeigen und mir meinen lassen!" Camille hob den Kopf und warf ihm einen wissenden Blick zu. „Sehr klug geplant, du unmöglicher Chauvinist, aber es wird nicht. „Ich glaube, gestern abend hat es mir besser gefallen", unterbrach er sie. Das Lachen in seinen Augen widersprach seinem klagenden Ton. „Da hast du mich ,Nicky Wunnebar' genannt." „Nicky?" wiederholte sie verblüfft. „Ich? Ich habe dich ,Nicky' genannt? Unmöglich!" „Du hast mich bisher auch nie ‚Wunnebar' genannt." „,Nicky Wunnebar'? Das habe ich wirklich gesagt? Lieber Himmel, wieviel habe ich getrunken?" „Genug, um der englischen Sprache einigen Schaden zuzufügen", versicherte er ihr lachend. „Schade, dass Ronan eure Diskussion nicht aufgezeichnet hat! Du und Jean habt euch in allem Ernst darüber unterhalten, wie man Feen in Ballettschuhen den Jitterbug beibringen könnte." „Ich glaube, ich möchte nichts weiter davon hören!" stöhnte Camille und verbarg ihr Gesicht an seiner Schulter. „Ich bin* in meinem ganzen Leben noch nie betrunken gewesen." „So schlimm war es gar nicht. Dein Schwips war reizend." Camille konnte sich seinem Lachen noch nicht anschließen. „Ich kann es einfach nicht glauben!" Sie seufzte. „Nicky Wunne bar?" „Das wird dich bis an dein seliges Ende verfolgen, Cara." „Hmm, das kann ich mir denken", meinte sie geistesabwesend. Eine neue vage Erinnerung' drängte an die Oberfläche. Sie sah Nick fragend an. „Koffer. War da irgend etwas mit Koffern?" „Du hast auf einem gesessen. Gavin hatte sie vor die Tür gestellt, da er keinen Schlüssel hatte." Sie sah ihn aus zusammengekniffenen Augen abwartend an. „Nun ja.. Du brauchst mich gar nicht so anzusehen", verteidigte er sich. „Ich finde, dass wir nun lange genug keusch und züchtig gewesen sind. Da du nicht zu mir ziehen
willst, ziehe ich eben bei dir ein. Vielmehr: ich bin schon eingezogen. Und ich bleibe hier, bis du dich endlich entscheidest, wieder zu mir zurückzukommen. Ich werde mich in diesem Punkt auf keine Diskussion einlassen, Camille." Sie schüttelte den Kopf. „Bewundernswert, de Conty! Wirklich bewundernswert, wie deine Logik funktioniert. Du wirst bei mir wohnen, bis ich bereit bin, wieder bei dir zu wohnen. Und nicht nur das! Du bist bereit, dafür in einer Dreizimmerwohnung zu leben." „Vergiss nicht die verrückte Veranda." „Der Himmel bewahre mich davor! Wie sollte ich die vergessen! Du spinns t, Maestro! Das einzige Mal, dass du dich mit drei Zimmern begnügt hast, war doch wohl in einer Suite in einem Fünf-Sterne-Hotel, wo du von vorn bis hinten bedient wurdest. Was willst du hier machen? Vergiss nicht, mein Schatz: Hier gibt es weder einen Swimming-pool, noch eine Sauna oder ein Jacuzzi. Kein Musikzimmer, keine Aufnahmemöglichkeiten und kein Klavier - oder ein Zimmer, wo man eines unterbringen könnte." „Es wird mich schon nicht umbringen, ein paar Wochen so zu leben", erklärte Nick ungerührt. „Mach dir deswegen keine Sorgen. Wir werden unsere zweiten Flitterwochen genießen - nur du und ich und..." „Und der Laden und Jean und Ronan und..." „Schon gut, schon gut. Also nur Teilzeitflitterwochen. Aber hast du nicht selbst gesagt, dass ich erfahren sollte wie normale Menschen leben? Also werden wir mit drei Zimmern auskommen, und du kannst mir das Kochen beibringen. Dann wirst du vielleicht aufhören, mich einen Chauvinisten zu nennen!" „Aber Nick!" Camille musste lachen. „Eines der wesentlichsten Merkmale des männlichen Chauvinismus ist der feste Glaube, dass Männer besser kochen können als Frauen. Sieh dir doch nur an, wie viele Chefköche es in den Top-Restaurants der Welt gibt -und wie wenige Köchinnen! Au! Kneif mich nicht!" Nick begann, die schmerzende Stelle liebevoll zu massieren. Eine Sekunde später zog er mit der anderen Hand ihren Kopf zu sich herunter und suchte ihre Lippen." „O nein!" Camille widersetzte sich dem Druck seiner Hand. „Du kannst mich nicht küssen! Ich habe mir noch nicht die Zä hne geputzt!" Nick murmelte etwas Unverständliches vor sich hin. „Was haben deine Zähne damit zu tun?" verstand sie schließlich. „Hast du deswegen immer den Kopf zur Seite gedreht, wenn ich dich küssen wollte? Ist dies irgendeine neue Marotte? Fallen deine Fingernägel ab, wenn du küsst, bevor du dir die Zähne geputzt hast? Ich meine, ich hätte dich schon oft morgens wachgeküsst, ohne dass dir deswegen irgend etwas Schlimmes passiert wäre. Frauen! Du wirst..." „Ich werde richtig unangenehm, wenn mich jemand schon vor dem Frühstück anbrüllt", unterbrach Camille ihn warnend, „Vergiss nicht, dass du dich in einer sehr gefährlichen Lage befindest..." Sie zog ihr Knie an und berührte ihn damit an seiner empfindlichsten Stelle. „Mmm... ich glaube, ich mag aggressive Frauen. Tu das noch einmal!" bat er mit rauher Stimme. „Das ist doch unglaublich!" Sie spürte den unmissverständlichen Beweis seiner wachsenden Erregung. „Du wärst bestimmt die ideale Besetzung für eine Sex-Show!" Nick lachte laut auf. Camille nutzte seine momentane Unachtsamkeit und löste sich rasch aus seinen Armen. Er wollte sie zurückhalten, aber sie war schneller. „Nicht jetzt!" protestierte sie. „Ich muss heute morgen den Laden aufmachen. Außerdem" - sie lächelte süffisant - „ich weiß nicht, ob dreimal vor dem Frühstück gut für dich ist." Nick stützte sich auf einen Ellenbogen und setzte seine verführerischste Miene auf. „Dafür wäre es sehr gut für dich, Carissima!" versicherte er ihr. „Die ersten zwei Male haben dich nur gerade entspannt. Dieses Mal könnten wir es langsam angehen lassen und genießen..."
„Hör auf!" stöhnte sie und zwang ihre widerstrebenden Füße in Richtung Tür, Seine Worte weckten die Erinnerung an herrliche Liebesnächte. Die Versuchung, augenblicklich zu ihm zurückzukehren, war groß, aber sie widerstand ihr. Diesmal sollte es Nick nicht gelingen, sie einerseits mit Sex zu verwöhnen und dann wiederum, wenn es ihm so passte, sie sträflich zu vernachlässigen. Jetzt befand er sich auf ihrem Territorium, und das hieß, dass sie die Rege ln bestimmte, nach denen gespielt wurde. „Ich werde mir jetzt die Zähne putzen", erklärte sie energisch und schnappte sich ihren Morgenmantel. „Dann gehe ich nach unten und mache Frühstück, während du duschst. Und vergiss nicht, deine Sachen wegzuräumen, die du überall im Zimmer" verstreut hast. Im Schrank sind noch freie Bügel. Die schmutzige Wäsche kommt in den Korb neben der Badezimmertür." Sie hatte einige Mühe, ein Lachen zu unterdrücken, als sie Nicks fassungslose Miene sah. Hastig wandte sie sich ab und verließ das Zimmer. „Du solltest dich beeilen, rief sie ihm noch zu. „Frühstück ist in zwanzig Minuten." Fünf Minuten verbrachte Nick damit zu überlegen, was er mit seiner Hose tun sollte. Er erinnerte sich vage, dass Gavin besondere Bügel dafür hatte, konnte in Camilles Schrank aber nichts Entsprechendes finden. Schließlich legte er sie einfach über eine Stuhllehne. Nachdem er seine Weste aufgehängt und alles andere in den Wäschekorb befördert hatte, befasste er sich mit dem Problem der frischen Wäsche. „Ich verstehe gar nicht, was daran so schwierig sein soll", murmelte er vor sich hin und wandte sich den immer noch unausgepackten Koffern zu, die er in der Nacht hier heraufge schafft hatte. Kurz entschlossen hievte er sie auf eine lange Bank, die er in dem großen Schrank, der gleichzeitig als Ankleidezimmer diente, entdeckt hatte. Kurze Zeit später hatte er alle Koffer geöffnet und war sehr zufrieden mit sich selbst. Er hatte nur wenige Minuten gebraucht, um frische Unterwäsche, eine hellblaue Designer-Jeans und ein blau-weiß gestreiftes Polohemd zu finden. Nach weiteren Minuten intensiven Suchens entdeckte er seine weißen Tennisschuhe in einer Seitentasche des größten Koffers. „Nun behaupte einer, ich käme ohne Gavins Hilfe nicht klar!" murmelte er stolz vor sich hin, als er mit den Sachen auf dem Arm im Bad verschwand. Zwanzig Minuten später begab Nick sich geduscht und frisch rasiert nach unten. Der Duft von Kaffee und brutzelndem Schinken wies ihm den Weg zur Küche. Dort war er bislang noch nicht ge wesen. Der erste Eindruck ließ ihn verblüfft stehenbleiben. „Wer hat dies entworfen?" erkundigte er sich, nachdem er sich vom ersten Schock erholt hatte. „Ein Riese?" „Das habe ich mich auch schon gefragt." Schränke und Arbeitsflächen waren so hoch angebracht, dass sie sich einen Laufsteg davor errichtet hatte, um alles erreichen zu können. „Sehr geschickt", lobte Nick mit einem Blick auf die Konstruk tion, die für gewöhnlich in Gewächshäusern Verwendung fand. „Ich musste irgend etwas tun. Schließlich reichte ich gerade mit dem Kinn an die Arbeitsfläche." sagte sie, während sie den Schinken wendete. „Das Frühstück ist in ein paar Minuten fertig. Setz dich doch schon." Sie deutete auf den Esstisch, der in einer Erkernische untergebracht war. Nick kam der Aufforderung nach und ließ den Blick bewundernd aus dem Fenster gleiten. „Nicht schlecht! Beim Essen genießt man auch gleich einen Blick auf die Boote in der Bucht. Was gibt es denn, Liebling? Mrs. Winthrop, die Köchin der Cottons, macht zum Frühstück immer herrliche Crepes und Omelettes. Außerdem habe ich noch nirgends bessere Croissants gegessen. Sie serviert sie mit Pfirsichmarmelade und ..." „Träum weiter, de Conti", warf Camille trocken ein. „Die Wirklichkeit besteht aus Rührei, Schinken und Toast. Ich habe etwas Käse und Cayenne unter die Eier gemischt, aber zu mehr reichten meine Kochgelüste heute morgen nicht." Nick war noch bei der zweiten Tasse Kaffee, als Camille sich schon erhob und
begann, das Geschirr zusammenzustellen. Da er seinem Darling inzwischen so gut wie alles zutraute, war er nicht überrascht, als Camille vorschlug, er möge doch das Geschirr in die Spülmaschine stapeln, während sie duschte und sich anzog. „Warum nicht?" stimmte er bereitwillig zu und sah sich suchend um. Herd und Kühlschrank erkannte er, aber „…Wo ist denn der Geschirrspüler?" Camille unterdrückte ihre Belustigung und zeigte ihm, was er zu tun hatte. Dann eilte sie nach oben. Zwanzig Minuten später verflog Camilles Heiterkeit, als sie wieder in die Küche kam. Nick blickte auf. Er hatte sich gerade eine Preisliste für alte Flaschen angesehen. „Können wir gehen, Darling? Was steht denn heute auf der Tagesordnung?" „Ich kann gehen. Du bleibst. Du wirst dieses Haus nicht eher verlassen, als bis du das Chaos aufgeräumt hast, das du oben angerichtet hast", erklärte sie eisig. Nick runzelte leicht die Stirn. War er vielleicht doch nicht so tüchtig gewesen, wie er sich vorgekommen war? Aber wieso regte sie sich so auf wegen der einen Hose? „Es tut mir leid, Cara, aber ich konnte keinen Bügel für die Hose finden. Ich dachte, es macht dir nichts aus, wenn ich sie über den Stuhl hänge, aber..." „Hose? Was für eine Ho... Ach, die. Das war das einzig Ordentliche, was du gemacht hast. Was ist mit dem Inhalt von drei Koffern, der durch das ganze Zimmer verstreut ist? Was ist mit dem Chaos im Bad?" Ihre Stimme hob sich beträchtlich. „Wie kann man zwei große Handtücher und ein Badelaken brauchen, um einen einzigen Körper abzutrocknen? Und dann hast du sie alle auf dem Boden liegenlassen zwischen Pfützen von Badewasser. Die Seife war total matschig, weil du sie unter der Dusche liegengelassen hast. Und wie um alles in der Welt ist es dir gelungen, Seifenschaum auf den Spiegel über dem Waschbecken zu bekommen? Es ist doch weit von der Dusche entfernt!" „Ich... Es war nicht..." Aber Camille hatte sich in Fahrt geredet. „Schraubst du denn nie etwas zu? Zahnpasta? Shampoo? After shave? Wäscht Gavin dir sogar den Rücken? Du hast weder die Badebürste ausgespült noch den Waschlappen. Himmel, Nick! Das ist ja schlimmer, als das Bad mit einem Seehund 2x1 teilen!" Mit einem Seehund? Nur nicht fragen, de Conti! Beruhige sie und versprich ihr alles, was sie will, bevor sie dich an die frische Luft setzt! Kurz entschlossen umfasste Nick die schmale Taille seiner wütenden Ehefrau und stellte das zierliche Persönchen auf den Laufsteg, damit er sich nicht so weit herabbeugen musste, um sie zu küssen. Ihre Tirade verstimmte abrupt, als er seine Lippen auf ihre drückte und seine Zunge langsam in das warme Innere ihres Mundes schob. Er küsste sie so lange, bis sie ihren Widerstand endlich aufgab, die Arme um seinen Nacken legte und hingebungsvoll an seinen Lippen knabberte. Schließlich hob er den Kopf und sah sie zerknirscht an. „Es tut mir leid, dass ich ein solches Durcheinander gemacht habe, Cara. Du hast recht, Gavin räumt immer hinter mir auf und da wir früher immer getrennte Badezimmer hatten, hattest du dich nie zu beklagen. Aber ich bin ja nicht auf den Kopf gefallen. Wenn du mir sagst, was ich tun soll, bringe ich alles wieder in Ordnung. Ausspülen, zuschrauben und aufhängen. Okay?" „Okay." Sie musterte ihn argwöhnisch. Der Sieg war zu leicht errungen. Er plante etwas, das spürte sie ganz deutlich. Sicher hatte er vor, Gavin anzurufen, sobald sie die Tür hinter sich zugezogen hatte. „Ich mache dir einen Vorschlag, Maestro." Sie schenkte ihm ein strahlendes Lächeln. „Du richtest dich hier heute morgen häus lich ein, und ich hole dich dann gegen Mittag ab. Das heißt, falls du Lust hast, mich zu einer Auktion zu begleiten." „Eine Auktion? Hier?" Nick war sichtlich erstaunt. „Natürlich. Das möchte ich mir nicht entgehen lassen." Sein Blick glitt über ihr weißes T-Shirt und den grünen Rock. „Willst du dich vorher umziehen? Soll ich dir etwas anderes bereit legen?" „Nein, nein, nicht nötig. Auch du kannst so bleiben, wie du bist. Zu einer solchen Auktion braucht man weder Krawatte noch ein Diorkleid", klärte sie ihn amüsiert auf. „Du solltest dir allerdings einen Hut besorgen. Die Sonne kann mörderisch sein, wenn
man ihr mehrere Stunden ausgesetzt ist." Sie verließ den Laufsteg und ging zur Tür. „Dann bis später, Nick. Du wirst genügend leere Schubladen finden und ..." • Nick streckte den Arm nach ihr aus und stellte sie kurzerhand zurück auf den Steg. Ganz wollte er sich das Zepter nun doch nicht aus der Hand nehmen lassen. „Hast du nicht etwas vergessen?" Er ließ seine Zungenspitze vielsagend über die Lippen gleiten und beugte sich zu ihr herab. Camille fand sich in ihr Schicksal. Sie nahm seine Zunge zwischen ihre geöffneten Lippen. Es folgte ein heißes erotisches Duell, das ihre Erregung immer weiter steigerte. Um so überraschter war sie, als Nick sie plötzlich wieder auf den Boden stellte. „Was... Oh!" Verblüfft sah sie ihn an. „Du möchtest doch nicht zu spät ins Geschäft kommen, oder?" Er lächelte unschuldsvoll. „Aber falls du lieber..." „Schon gut." Camille warf ihm einen vernichtenden Blick zu. „Das wirst du noch bereuen!" „Gut! Ich sorge für den Champagner, du bringst die Austern", rief er ihr nach. Er hörte sie noch lachen, als er zum Telefon griff und zu wählen begann. „Gavin? Würden Sie bitte sofort hierherkommen? Ich scheine da ein Problem zu haben." „Ich habe achthundert. Höre ich neun? Neun? Neun, Sir, danke. Jetzt zehn, zehn. Sagten Sie zehn, Madam? Wer bietet zehn? Dies ist ein wunderschönes Stück in sehr gutem Zustand. Es gibt nicht mehr sehr viele so alte Öfen. Er ist weit mehr als zehn wert, Leute. Zehn! Zehn zu meiner Rechten, und nun elf. Elf, Sir, danke. Nun zwölf. Zwölf. Wer erhöht auf zwölf? Er ist immer noch geschenkt für zwölf. Zwölf von dem Herrn im Hintergrund. Danke ..." „Nick! Was machst du denn? Nimm sofort deine Hand herunter!" Entsetzt zerrte Camille am Arm ihres Mannes. „Ich (lachte, du wolltest den Ofen haben." Für einen Moment ließ er die Auktion aus den Augen. „Nicht zu dem Preis", erklärte sie rasch. „Wir können uns das nicht leisten und..." „Ist das alles?" Er sah auf und streckte erneut die Hand in die Höhe. „Das ist kein Problem." „... danke, Sir. Wir haben fünfzehn. Höre ich irge ndwo sechzehn? Mein Herr zur Rechten - wollen Sie bei fünfzehn aufgeben? Und Sie, Madam? Sie lassen sich einen guten Kauf entgehen. Sechzehn, Leute. Ein schöner alter Kachelofen für sechzehnhundert Dollar. Das ist doch wirklich geschenkt..." „Oh, verdammt!" stöhnte Camille. „Hoffentlich überbietet dich jemand. Begreifst du denn nicht, Nick? Ich will das verdammte Ding nicht für mich persönlich. Es ist für das Geschäft, und wir müssen es mit Profit wieder verkaufen. Das ist..." „ ... sechzehn zu meiner Rechten. Danke, Madam. Jetzt siebzehn, siebzehn..." „Wage es ja nicht, Nick!" zischte Camille und griff nach seinem Arm. Zu spät. „ ... siebzehn von dem Herrn dort hinten. Danke ..." „Nein!" schrie Camille. Sie hatte Nicks Hand erwischt und hielt seinen kleinen Finger umklammert. „Wenn du auch nur ein Wort sagst, dann breche dich dir den Finger!" flüsterte sie ihm zu. „Habe ich siebzehn? Madam? Sind Sie das, Miss Anders?" „Ja. Ich meine, nein, Sie haben keine siebzehn. Es tut mir leid, Mr. Maltan. Es war ein Irrtum." Camille schenkte dem Auktiona tor ihr bezauberndstes Lächeln. „Mein Begleiter wollte eine Fliege vertreiben und ..." Gelächter erhob sich. Camille errötete, als Mr. Maltan seinen alten Cowboy-Hut mit den Fingern zurückschob und meinte: „Das ist schon in Ordnung, Madam. So etwas kommt vor. Aber Sie sollten Ihrem Freund erklären, dass es ziemlich gefährlich ist, mitten auf einer Auktion Fliegen zu vertreiben." Er wartete, bis die allgemeine Heiterkeit
abgeklungen war. „Zurück zu siebzehn, Leute. Höre ich irgendwo siebzehn? Siebzehn?" Camille ließ Nicks Finger los und umklammerte statt dessen sein Handgelenk. Sie zog ihn hinter sich her in den Schatten eines großen Ahornbaums. „Was habe ich denn jetzt schon wieder angestellt, Cara? Ich dachte, du willst das Ding haben, und ich ..." Sie legte ihm einen Finger über die Lippen. „Pst! Es ist nicht deine Schuld. Ich vergaß, dass die Geschäftswelt und ihre Billig-kaufen-teuer-verkaufen-Maxime dir fremd ist. Pass auf. Du bekommst jetzt einen Schnellkurs verpasst darüber, wie man im Antiquitätenhandel Geld verdient. Und obendrein einen Grund kurs über das richtige Vorgehen und Verhalten bei Auktionen." Fünfzehn Minuten später, als Nick Camille zurück zu ihrem sorgfältig gewählten Platz in der Menge folgte, war er voller Hochachtung für ihr Wissen - und leicht amüsiert über die unerwartete Gerissenheit, die sie bei ihren Einkäufen bewies. Er beschloss, alles Geschäftliche ihr zu überlassen, verspürte aber dennoch Lust, auch selbst etwas zu kaufen. Das Bieten hatte hm Spaß gemacht, und er wollte nun einmal eine solche Prozedur bis zu Ende verfolgen. Sicher gab es doch auch etwas, das Camille gern für sich selbst gehabt hätte, aber . . . Sein Blick wanderte über den Platz. Richtig! Er wusste, dass sie alte Korbarbeiten liebte. Und wenn er sich nicht irrte, dann war das dort drüben eine hübsche alte Korb-Etagere... „Wie bezahlt man denn hier für etwas, Camille? Ich habe noch niemanden Geld kassieren sehen." Sie sah ihn fragend an, gab ihm dann aber die gewünschte Antwort. „Siehst du die beiden Frauen dort am Tisch? Bei ihnen muss man sich melden. Nick, wie willst du denn ..." „Kein Problem. Ich habe ein paar tausend Dollar in Traveller-Schecks bei mir. Das ist Gavins Vorstellung von Taschengeld." „Dich darf man wirklich nicht allein lassen", stellte Camille fest. Sie saßen in ihrem Lieferwagen und warteten darauf, dass der Verkehr sich weiterbewegte. „Ich war doch gar nicht allein, Darling!" protestierte Nick. „Du warst bei mir!" „Ich hätte genausogut Luft sein können, so wenig hast du auf mich gehört!" „Nun ja, da ich dich kaufen ließ, was du wolltest, dachte ich..." „. . . ich hätte nichts dagegen, eine Wagenladung voller Obskuritäten nach Hause zu karren", ergänzte sie trocken. „Was willst du mit dem Zeug anfangen?" „Mir wird schon etwas einfallen." Der Verkehr bewegte sich weiter. Camille legte ganze zehn Meter zurück, bevor sie erneut stehen bleiben musste. Sie drehte sich ein wenig im Sitz, um ihren Mann besser ansehen zu können. Sie war in den vergangen Wochen so sehr darauf konzentriert gewesen, ihm einen Schritt vorauszubleiben, dass sie die Veränderungen in ihm gar nicht registriert hatte. Während sie ihn jetzt ansah, bemerkte sie, dass er nicht mehr der Mann war, der vor drei Wochen in ihr Geschäft gestürmt war. Er hatte wieder etwas an Gewicht zugenommen und die Zeichen der Anspannung um Augen und Mund waren verschwunden. Ein ungeduldiges Hupen zwang ihre Aufmerksamkeit zurück auf die Straße. Diesmal kam sie fast fünfzig Meter voran. Sie warf wieder einen Blick zu Nick hinüber. Er wirkte glücklich und zufrieden. Die Auktion hatte ihm eindeutig Spaß gemacht und nicht nur, weil es etwas Neues war. Er war richtig darin aufgegangen wie ein kleiner Junge, der die mädchenerschreckenden Möglichkeiten von Fröschen und Würmern entdeckt. Warum musste sie nun die Giftnudel spielen? Hatte sie nicht gewollt, dass er etwas lockerer wurde? Er hatte seinen Spaß gehabt, und sie wollte nicht alles wieder zunichte machen, indem sie jetzt an ihm herumnörgelte. Ihr würde schon etwas einfallen, was das halbe Dutzend Kuhglocken und die Kiste mit alten Kühlerfiguren anging. Einige der Sachen, die er erstanden hatte, waren sogar Sammlerstücke, zum Beispiel die Musikbox
mit den alten Schellackplatten. Von allem übrigen abgesehen: Sie hatte sich noch nicht einmal für diese herrliche Korbarbeit bedankt! Camille ärgerte sich über sich selbst. Sie wechselte auf die rechte Spur, bog in die nächste Nebenstraße ein und hielt kurze Zeit später auf dem Parkplatz der Universität. „Was wollen wir hie r?" Nick sah sich erstaunt auf dem fast verlassenen Platz um, bevor er seine Frau fragend musterte. Sie stellte den Motor ab und drehte sich zu ihm herum. Ihre Miene verwirrte ihn. Mit einer Spur von Resignation fragte er sich, was nun wieder kommen mochte. Er wusste, dass er ungeschickt war in einigen Punkten, die ihr wichtig waren, aber gab er sich denn nicht alle Mühe? Das musste sie doch anerkennen! „Camille?" „Oh, Nick, ich bin manchmal ein solches Ekel, dass ich mich selbst nicht leiden kann", klagte sie. „Die Auktion hat Spaß gemacht, und nun verderbe ich dir und auch mir alles. Ich weiß nicht, wieso ich immer an dir herumnörgeln muss. Einige der Sachen, die du erstanden hast, sind sehr gute Funde, manche sogar Sammlerstücke." „Cara.. ." „Lass mich ausreden", unterbrach sie ihn und zog dabei seinen Kopf zu sich herab, um sein Gesicht mit federleichten Küssen zu bedecken. „Vielen Dank für diese phantastische Etagere. Es ist eine der schönsten Korbarbeiten, die ich je gesehen habe." Sie presste ihre Lippen auf seinen Mund und vertiefte den Kuss. Ehe sie es sich versah, hatte Nick sie hochgehoben und auf seinen Schoß gezogen. Er spürte ihr Verlangen, ließ seine Zunge tief in das süße Innere ihres Mundes schnellen, während seine Hände über ihren Körper glitten. Camille nahm nichts mehr wahr um sich herum. Sie rieb ihre Brüste mit sinnlichen Bewegungen an seinem Körper wie eine Katze, die gestreichelt werden möchte. Nick legte einen Arm um sie und drückte sie fester an sich, während sich seine andere Hand unter ihren Rock schob. Sie grub die Finger tief in seine Schultern. Leidenschaft und Verlangen übermannten sie und es gab keinen Zweifel daran, dass seine Erregung ihrer in nichts nachstand. Selbstvergessen schmiegte sie sich an ihn. „Du kleine Hexe! Du suc hst dir wirklich immer die erstaunlichsten Momente aus", stöhnte Nick. „Lass uns ..." „He! Sie da! Was treiben Sie denn da?" Ein ohrenbetäubender Donnerschlag hätte sie nicht mehr schockieren können als der Klang der barschen Stimme neben Nicks Wagenfenster. Sie fuhren auseinander und starrten entsetzt in das empörte Gesicht des Uniformierten. Offenbar handelte es sich um den Parkplatzwächter. „Bitte, entschuldigen Sie, Sir." Noch nie hatte Camille, Nick so entgegenkommend erlebt. „Meine Frau überkam es plötzlich -ein Anfall von Dankbarkeit..." „Nick! Du ..." „Nun, wenn Sie wirklich Ihre Frau ist, Mister, dann können wir das natürlich vergessen", erklärte der Mann mit einem breiten Lächeln. Camille war auf ihren Sitz zurückgekehrt. Sie warf beiden feixenden Männern vernichtende Blicke zu, bevor sie den Motor anwarf. Unter Aufbietung aller Willenskraft gelang es ihr, den Wagen vom Parkplatz zu fahren und sich in den Verkehr einzufädeln. Das Schweigen im Wagen war spannungsgeladen. Schließlich begann Nick, ein Thema von Chopin vor sich hinzusummen. „Ist es nicht merkwürdig", murmelte er nach einer Weile nachdenklich, „wie sexuelle Verhinderung auch die beste Laune verderben kann?" Sie warf ihm einen kurzen Blick zu und bemerkte, dass er Mühe hatte, ein Lachen zu unterdrücken. Das war zu viel! Sie biss sich auf die Unterlippe, aber schließlich gab sie auf. „Deine oder meine Verhinderung?" fragte sie mit noch halb wegs ernster Stimme und warf ihm erneut einen Blick zu. Mehr brauchte es nicht: Sie prusteten vor Lachen. Mit wachsender Vorfreude steuerte Camille den Wagen ge schickt nach Hause.
8. KAPITEL
Nick ließ die Tür des „Elegant Magpie" hinter sich ins Schloss fallen und bahnte sich den Weg zwischen dem Dutzend Kunden und den freistehenden Auslagekästen hindurch zum hinteren Teil des Geschäfts. „Hallo, Pat! Viel los?" begrüßte er die leicht mitgenommen wirkende junge Frau hinter dem Ladentisch. „Ist Ronan oben?" Er deutete ihr geistesabwesendes Lächeln und die vage Hand bewegung als ein Ja oder begab sich durch den Makramee-Vorhang in den Lagerraum. Von dort führte eine unauffällige Tür zu einer verborgenen Wendeltreppe. Oben angekommen drückte er die Hand gegen eine überraschend stabile Stahltür und sah zur Kamera hinauf, die alles festhielt, was sich auf der Treppe und vor der Tür tat. Ein dumpfes Surren, zwei Klicks, und die Tür gab den Weg zu Ronans Arbeitsraum frei. „Du hast dich ja fast so verbarrikadiert, als wäre hier Fort Knox", klagte Nick. Ronan lachte leise, sah aber nicht auf von seiner Arbeit. „Hätte ich hier so viel Gold wie Fort Knox, müsste ich genauso auf der Hut sein wie mit dem, was ich hier habe. Wegen der Versiche rungsleute muss ich all diese Vorsichtsmaßnahmen treffen. Ich habe drei verschiedene Alarmsysteme, und nun soll ich mir noch so ein Infrarot-Apparat zulegen. Als nächstes verlangen sie noch, dass ich eine Anlage anbringe, die unwillkommene Besucher mit Betäubungsgas empfängt." Er klemmte sich die Lupe ins Auge und musterte den Verschluss einer Goldkette. „Nimm dir einen Stuhl. Ich bin gleich fertig." Nick machte es sich bequem. Er genoss die kühle Brise, die durch die offenen Fenster vom Meer herüberwehte. Die dicken Wände und hohen Decken des umgebauten Lagerhauses taten das Ihre, die Juli-Hitze zu mildern. Sein Blick fiel auf die Spezialfensterläden, die Ronan Schloss, wenn er nicht hier war. Was für eine Art Angriff mochte die Versicherung fürchten? Obwohl die Fensterläden relativ leicht waren, wusste er doch, dass sie so gut wie jedem Anschlag standhielten, außer vielleicht direktem Artilleriebeschuss. „Falls der Hafen je bombardiert wird, geht das Gebäude dabei vielleicht drauf, aber die Fensterläden werden halten", meinte Nick. „Die sind doch alle verrückt!" knurrte Ronan. „Dieser alberne Versicherungsmann war mit jemandem von der Polizei hier. Er hätte fast einen Herzinfarkt bekommen, als er sah, wieviel Gold, Silber und Diamanten im Safe liegen. Dann ritt er darauf herum, dass ich das Gros der Sachen auf der Bank deponieren sollte, bis ich ihm die Statistik der Banküberfälle nannte. Aber genug davon. Möchtest du ein Bier? Ich habe dich ja die ganze Woche nicht gesehen. Was ist los?" „Ein Bier wäre nicht schlecht. Danke. Die Übungsräume in der Universität haben keine Klimaanlage. Ich bin rasch beim Apartment vorbeigefahren, um zu duschen und mich umzuziehen, aber dennoch..." Nick trank das Bier mit langen Zügen und atmete dann erleichtert auf. „Ich nehme an, unser Camille-Jean-Nachrichtendienst hat dich über das Konzert informiert?" „Es ist die tollste Idee des Jahres. Ich kann es gar nicht erwarten zu erleben, wie du das zustande bringen wirst." „Was hätte ich tun sollen? Die Veranstalter haben erst Mittwochabend erfahren, dass Crayle einen Unfall hatte. Und da saßen sie nun mit ihrem ausverkauften Konzert, aber ohne Star -und ohne Zeit, einen neuen zu finden." „Im Country-Rock", warf Ronan ein. „Ich glaube, zu dem Zeitpunkt war es ihnen schon einerlei, was für einen Künstler sie bekamen, so lange sie nur davon ausgehen konnten, dass die Zuschauer seinetwegen bleiben würden." „Sie brauchen einen großen Namen aus der Pop-Musik", beharrte Ronan. „Du hast doch ein ganz anderes Publikum. Wie sind sie überhaupt an dich gekommen?"
„Stacey Clarkson gehört zum Veranstaltungskomitee. Sie ist eine Cousine der Cattons. Sie wusste, dass ich den Sommer hier verbringe und kam dann am Donnerstagmorgen vorbei, um herauszufinden, ob ich nicht irgend jemanden kenne, der so kurzfristig einspringen könnte. Ich habe ein paar Telefonate geführt, aber nichts erreicht. Das war dann der Punkt, da Camille und Jean ihren Geistesblitz hatten." „Nun, der Saal ist ausverkauft, und dies ist die einzige Möglichkeit, so kurzfristig einen Ersatz zu bieten. Wenigstens die Hälfte der Leute wird dann hoffentlich darauf verzichten, ihr Geld zurückzuverlangen. Ich freue mich schon auf das Konzert." Nick musste lachen, als er Ronans Miene bemerkte. Dabei erstaunte es ihn, dass er selbst nicht ebenso entsetzt war. Noch vor wenigen Wochen hätte er es weit von sich gewiesen, öffentlich mit einer Gruppe namens Down East Yankeeland Jazz Band aufzutreten. Aber jetzt, nachdem er fast zwei Wochen bei Camille lebte und wusste, was sie unter dem Leben „normaler" Menschen verstand, stellte er fest, dass er seine Einstellung zu vielen Dingen geändert hatte. Es war nicht übertrieben: Er freute sich tatsächlich auf das Konzert am Samstag. „Was hat denn dein Manager dazu gesagt, als er von dieser Idee hörte?" erkundigte Ronan sich interessiert. „Er hat gejammert und wirres Zeug geredet. Nach fünf Minuten habe ich ihn dann gebeten, mich anzurufen, falls er noch irgend welche Fragen haben sollte, und aufgelegt. Seither habe ich nichts mehr von ihm gehört." „Und? Was machst du jetzt? Du hast den Entschluss gestern gefasst, heute ist Freitag, und morgen soll das Konzert stattfinden. Wann willst du mit der Band proben? Könnt ihr das Programm so schnell auf die Beine stellen?" „Wir haben in der vergangenen Nacht ein paar Stunden zusammen gespielt, und heute morgen habe ich ein paar neue Versionen von Stücken von Ravel, Wagner und Schostakowitsch eingeübt. Nachher treffe ich mich wieder auf ein paar Stunden mit der Band und dann noch einmal morgen früh. Glücklicherweise findet im Moment im CivicCenter keine andere Veranstaltung statt, so dass wir dort proben können. Ich habe meinen Manager von Columbia angerufen und ihm erzählt, was wir planen. Er wird heute nachmittag hier eintreffen und seinen besten Toningenieur sowie ein paar Techniker mitbringen. Sie kümmern sich um die Akustik-Probleme und werden das Konzert aufzeichnen." „Aufzeichnen?" wiederholte Ronan verblüfft. „Um eine Platte daraus zu machen?" „Wer weiß?" Nick zuckte die Schultern. „Hängt davon ab, was dabei herauskommt. Wenn es gut ist - warum nicht?" „Allgütiger Himmel!" Ronan lachte, bis ihm die Tränen kamen. „Ich... ich sehe es... schon vor mir!" keuchte er. „Nicky Wunnebar und... und die Down East Yankeeland Jazz Band... beim Jitterbug mit den Nussknacker-Feen... Meine Güte, was für eine Vorstellung!" Nick wartete geduldig, bis Ronan sich wieder beruhigt hatte. „Wirklich ein Wunder, dass du nicht alle deine Alarmsysteme ausgelöst hast", meinte er trocken, als Ronan sich die Lachtränen aus den Augen wischte. „Nachdem wir das nun geklärt haben, wie wäre es mit einem gemeinsamen Mittagessen?" „Einverstanden. Lass mich nur schnell dieses Zeug in den Safe tun." „Es gefällt mir hier." Nick ließ den Blick durch den Hauptraum von Ronans Lieblingspub gleiten. „Sicher etwas, das dir fehlen wird, falls es dir gelingt, Camille wieder nach Connecticut zu lotsen." Ronan warf seinem Freund einen fragenden Blick zu. „Wie läuft denn die Kampagne?" „Überhaupt nicht." Nick seufzte. „In jeder anderen Hinsicht kommen wir ausgezeichnet miteinander klar, aber kaum erwähne ich I Venti die Mare, sehe ich förmlich, wie alle inneren Rollos heruntergehen. Wie kann ein Mensch nur so halsstarrig sein?"
„Ich kenne noch eine Frau, die so ist. Ich glaube, die beiden spornen sich gegenseitig an. Wo wir gerade beim Thema sind - ist es Camille schon gelungen, dich häuslich zu machen?" erkundigte sich Ronan mit verdächtig unschuldsvoller Miene. „Du hast also davon gehört!" Nick seufzte resigniert. „Ich wusste doch, dass Camille es nicht für sich behalten würde." „Camille hat schon recht", witzelte Ronan. „Du hast keinerlei Gespür dafür, Geld zu verdienen. Das wäre doch wirklich eine ideale Gelegenheit gewesen, durch Kartenverkauf eine anständige Summe an Land zu ziehen, aber ist es dir in den Sinn gekommen? Nein, natürlich nicht. Egoistisch wie du bist, hast du das ganze Vergnügen für dich..." „Vergnügen! Ha! Laß dir sagen..." „ ... behalten. Natürlich hättest du nicht allzu viele Leute im Apartment untergebracht", fuhr Ronan nachdenklich fort, „aber du hättest doch wenigstens einen Film drehen können..." „Einen Film! Sag mal, weißt du überhaupt, was du da sagst?" „ ... damit deine guten Freunde auch etwas davon haben." „Indem sie zusehen, wie ich mich unsterblich blamiere? Danke, nein", meinte Nick trocken. „Aber du brauchst nicht zu verzweifeln. Wie ich mich inzwischen kenne, wird es sicher bald eine neue Möglichkeit für dich geben, auf deine Kosten zu kommen." Ronan lachte leise. Dann fragte er mit Verschwörermiene: „Hast du wirklich das ganze Parterre unter Wasser gesetzt? Ging der Schaum Camille bis ans Kinn? Wieso hast du..." Nick stöhnte auf. Er musste sich mit einem großen Schluck Bier stärken. „Ich sehe schon, was die beiden aus der Geschichte gemacht haben. Nein, ich habe nicht das ganze Parterre überflutet. Es war nur etwas Schaum... Nun ja, ein ganzer Berg Schaum... Und er kam aus der Waschküche in die Küche und... Ich nehme an, du möchtest all die schauerlichen Details?" „Direkt von deinen Lippen", bestätigte Ronan. „Eigentlich war ja alles Jeans Schuld. Camille wollte Montagmorgen freinehmen, um sich um Hausarbeit und Wäsche zu kümmern. Aber dann rief Jean an und bat sie, schnell nach Yarmouth zu fahren und dort etwas abzuholen. Und so musste ich mich natürlich erbieten, mit der Hausarbeit anzufangen." „Wie jeder .normale' Ehemann?" „Bitte!" Nick warf seinem Freund einen flehenden Blick zu. „Nun erkenn doch wenigstens an, dass ich mir Mühe gebe. Camille hatte schon eine Ladung in der Waschmaschine, und das Wasser lief. Sie murmelte etwas von .flüssiges Waschmittel zusetzen' und ,die Tür schließen', und dann war sie auch schon verschwunden. Ich fand die Bedienungsanweisung in der Waschmaschinentür, habe einen Becher Waschmittel hineingetan, die Tür geschlossen und bin dann nach oben gegangen, um staubzusaugen. Das kann ich immerhin schon, und es hat nur zwanzig Minuten gedauert. Ich war auf dem Weg zurück nach unten, als ich dieses merkwürdige Geräusch in der Küche hörte." „Oh, komm schon, Nick! Was geschah?" „Schon gut, schon gut. Der Schaum breitete sich in der Küche aus und stand schon einen halben Meter hoch. Die Waschküche schien ganz voll zu sein von dem Zeug. Das merkwürdige Geräusch kam von der Waschmaschine. Ich dachte mir, es sei wohl am besten, das Ding abzustellen. Deswegen habe ich dann meine Schuhe ausgezogen und die Hosenbeine hochgekrempelt -nicht, dass das viel geholfen hätte - und bin hineingewatet." „Wie hoch war es denn? Bist du wirklich darunter begraben worden?" „Du musst nicht alles glauben, was Camille dir sagt! Natürlich wurde ich nicht darunter begraben. Wenigstens nicht direkt. In der Küche ging es mir nur wenig über das Knie, aber in der Waschküche dann bis zu den Schultern. Mir fiel wieder die Bedienungsanweisung an der Innenseite der Tür ein. Ich habe sie geöffnet und damit dann das elende Ding abgestellt."
„Und da standst du nun bis zu den Ohren in Seifenschaum und hast dir überlegt, wie du das Ganze wieder wegbekommen konntest, bevor Canaille zurückkam!" Ronan konnte sich kaum halten vor Lachen. „Das muss ja ein Anblick für die Götter gewesen sein! Was hast du dann gemacht?" : „Ich hatte gar keine Chance, irgend etwas zu unternehmen, weil Camille in dem Moment wieder ins Haus kam und schon von weitem schrie, ich solle die Waschmaschine nicht anstellen, weil sie vergessen hatte, mich zu warnen, zuviel von dem flüssigen Mittel zu nehmen. Sie stand in der Küchentür, und es wird mir immer le id tun, dass ich ihre Miene nicht fotografieren konnte, als sie den Schaum sah." „Was hat sie gesagt?" „Das kann man nicht wiederholen. Um ehrlich zu sein, ich frage mich seither, wo sie diesen Ausdruck gelernt haben mag." Nick sah Ronan forschend an. „Nicht von mir!" protestierte der sofort. „Aber ich will nicht verschweigen^ dass Jean ein sehr ungewöhnliches Vokabular hat, wenn sie einmal wütend wird. Also, was ist dann passiert? Wie seid ihr den Schaum losgeworden?" „Bevor ich Camille zurückhalten konnte, rannte sie in die Küche. In der Hektik des Augenblicks vergaß sie, ihre Schuhe auszuziehen. Sie schaffte es bis zur Waschküchentür, dort rutschte sie aus und verschwand unter dem Schaumberg. Ich ruderte mich mit einer Hand durch den Schaumberg, während ich mit der anderen Hand nach Camille suchte. Ich hörte sie husten und prusten. Schließlich gelang es mir, einen ihrer Arme zu ergreifen, aber im selben Moment hatte sie mit der anderen Hand ein Bein von mir erwischt und versuchte, sich hochzuziehen." „O Himmel!" keuchte Ronan. „Statt dass du sie hoch- hat Sie dich heruntergezogen! Ihr beide begraben unter Seifenschaum! Ich sehe das Bild förmlich vor mir! Wieso macht ihr so etwas nie, wenn ich dabei bin?" Nick musterte kritisch die massive Gestalt seines Freundes. „Bei unserem Glück wärest du dann noch auf uns draufgefallen und hättest uns plattgedrückt. Wie auch immer, als wir aus der Waschküche herauskamen, waren wir von oben bis unten mit Schaum bedeckt. Wir mussten nach draußen gehen und uns mit dem Gartenschlauch abspritzen." „Und was habt ihr mit dem ganzen Schaum im Haus gemacht?" Nick fing an zu lachen. „Dasselbe, was ich immer tue in einem Notfall. Ich habe Gavin angerufen und ihn gebeten herzukommen. Ausnahmsweise hatte Canaille einmal nichts dage gen einzuwenden ... Gar nichts!" „Wer hätte gedacht, dass ein Becher Waschmittel soviel Schaum produzieren kann?" überlegte Ronan. Nick rang einen Moment mit sich, bevor er schließlich gestand: „Es wäre nicht passiert, hätte ich wirklich das Waschmittel genommen. Dann hätte es vielleicht auch etwas Schaum gege ben, aber nicht solche Unmengen." „Und was hast du statt dessen genommen?" Nick lächelte verlegen. „Ich habe mich an die erstbeste Flasche gehalten, die ich gefunden habe. Leider war es das Mittel für den Geschirrspüler. Hörst du auf, so laut zu lachen? Die Leute sehen schon zu uns herüber." „Was glaubst du, was sie sagen würden, wenn sie wüssten, worüber ich lache", keuchte Ronan. „Untersteh dich, es irgend jemand gegenüber verlauten zu lassen!" Um Nicks Mundwinkel zuckte es verdächtig. Schließlich konnte er nicht mehr an sich halten und stimmte in Ronans Gelächter mit ein. Es war schon nach zwei, als Nick und Ronan gemächlich die Hafenstraße entlangschlenderten. Immer wieder beobachtete Nick amüsiert die Blicke, die sein exzentrischer Freund auf sich zog. Er hatte sich inzwischen an Ronans exotische Aufmachung gewöhnt und fand sogar, dass der heutige Aufzug fast schon konservativ war: eine weite weiße Baumwollhose und eine offene Weste aus demselben Material, das Ganze bestickt mit roten und grünen Drachen. Aber vielleicht war es auch weniger die
Kleidung als die breite behaarte Brust, die bei den älteren Frauen ein Stirnrunzeln hervorrief und die jüngeren veranlasste, ihn verführerisch anzulächeln. „Es ist wie bei einer Zirkusparade", murmelte Nick, „Was?" Ronan sah ihn fragend an. „Mit dir durch die Stadt zu gehen." Nick lachte leise. „Camille hat recht gehabt. In deiner Gegenwart achtet niemand auf mich. Und das ist mir gerade recht so", setzte er zufrieden hinzu. „Vielleicht sollte ich dich mitnehmen auf Tournee, um zu sehen, ob es woanders auch funktioniert." „Vergiss es, Maestro. Ich habe Interessanteres zu tun, als dir die Fans vom Hals zu halten. Wieso lässt du dir nicht wieder einen Bart wachsen?" „Camille mochte ihn nicht. Wohin gehen wir eigentlich?" „Mal sehen, was die Frauen so treiben. Da du die halbe Nacht proben wirst, wollte ich Camille fragen, ob sie nicht Lust hat, mit Jean und mir zu Abend zu essen." „Eine gute Idee." Das Gespräch kam zurück auf das bevorstehende Konzert, während die beiden Männer sich allmählich dem Antiquitäten-Geschäft näherten. „He! Was ist denn das?" entfuhr es Ronan, als er die Tür aufziehen wollte. Nick warf einen Blick über seine Schulter und las einen hastig geschriebenen Zettel, der von innen an die Scheibe geklebt war: Vorübergehend geschlossen wegen Notfall. Um drei Uhr wieder geöffnet. Bitte kommen Sie dann zurück. Er tauschte einen erstaunten Blick mit Ronan und beugte sich dann ans Fenster, um ins Ladeninnere zu sehen. „Es ist jemand drinnen. Probier doch einmal die Tür." Ronan drückte den Griff herunter, aber nichts bewegte sich. „Geschlossen. Aber einen Moment... ich habe einen Schlüssel." Er zog ein Schlüsselbund aus der Tasche und Schloss leise auf. „Mach keinen Lärm", flüsterte er Nick zu. „Zuerst wollen wir herausfinden, was los ist." Geräuschlos traten die beiden Männer ein. Nick sah sich hastig um. Er erwartete halbwegs, Camille und Jean irgendwo bewusstlos auf dem Boden vorzufinden, während ein Dieb die Ladenkasse ausräumte. Ronan schien dieselbe Idee gehabt zu haben. Der warf einen Blick hinter die Kasse und zuckte die Schulter. Nick ließ den Blick durch den Laden wandern. Plötzlich entdeckte er Jean, halbversteckt hinter einem Regal. Tief in Gedanken versunken, stand sie da mit gesenktem Kopf und wie zur Abwehr vor der Brust gekreuzten Armen. In diesem Moment ging die Tür zum Hinterzimmer auf, und er hörte Camilles Stimme, hörbar verärgert, aber beherrscht: „Ich will nichts mehr von diesem Unsinn hören!" Nick erstarrte, als er eine allzu vertraute Stimme voller Verachtung darauf antworten hörte: „Er hat dich in einem Laden gefunden, und es überrascht mich nicht, dass du trotz meiner Bemühungen, eine würdige de Conti aus dir zu machen, bei der ersten Gelegenheit in dein Milieu zurückgekehrt bist. Ich war schon immer der Ansicht, dass jeder da bleiben soll, wo er hingehört. Und du bist offensichtlich eine Krämerseele..." „Mutter!" Nick erwachte aus seiner Erstarrung und eilte mit langen Schritten in Richtung Hinterzimmer. Jean schrak hoch, als sie ihn so unvermittelt im Laden fand. Mit einer Reflexbewegung versperrte sie ihm den Weg. „O nein, du bleibst hier, Nick!" zischte sie ihm zu. „Jetzt sollst du einmal mit eigenen Ohren hören, wie deine Mutter sich benimmt, wenn sie glaubt, du seist nicht da." Nicks fahriger Blick ging von ihr zur offenen Tür. Sein erster Impuls war, Camille vor der spitzen Zunge seiner Mutter zu beschützen. So hatte er Lucianna noch nie sprechen hören. Hatte Camille das all die Jahre erleiden müssen? Während er noch zögerte, hörte er Camilles Stimme wieder, diesmal etwas lauter als zuvor: „Vergisst du nicht, wie die de Contis zum Vermögen gekommen sind, Lucianna? Ganz
sicher doch nicht auf lauterem Wege - oder? Sie waren ausbeuterische Geschäftsleute, weiter nichts. In der Zeit ihrer Vermögensgründung gab es keine Gesetze, die die Menschen vor den Reichen und Mächtigen schützten. Die de Contis waren keinen Deut besser als die anderen skrupellosen Spekulanten, die sich Hunderte Hektar von Land angeeignet hatten, um darauf Eisenbahnen zu bauen und kleine Mitbewerber in den Bankrott zu treiben..." „Halt den Mund, du kleine Opportunistin! Glaub nur nicht, dass du mich mit diesem unreifen Geschwätz beeindrucken kannst! Du warst so damit beschäftigt, meinen Sohn in diese abscheuliche Ehe zu locken, dass es dir völlig einerlei war, wo das Geld herkam. Du wolltest doch nur eines: es an dich bringen! Aber ich habe dafür gesorgt, dass du keinen Spaß daran hattest, nicht wahr? Der Name, de Conti steht für «eine Jahrhunderte alte Tradition von Kultur und Eleganz. Wir wissen uns vor schlechterzogenen, geldgierigen Habenichtsen zu schützen. Glaub nur nicht, du wärest die erste, die wir wieder vor die Tür gesetzt haben. Und du wirst sicher auch nicht die letzte sein. Der einzige Unterschied ist, dass es bei dir etwas länger dauert, weil mein armer'naiver Junge so völlig blind ist, was deinen wahren Charakter angeht. Aber das wird sich jetzt ändern. Wenn er erst einmal Orianas Eleganz mit deinem ungehobelten Benehmen vergleicht, wird ihm endlich klar werden, wie völlig unpassend es ist, dass du unseren Namen trägst." Nick murmelte etwas auf italienisch und wollte sich an Jean vorbei zur Tür schieben, aber Camilles Stimme ließ ihn einhalten. Ihr Ton war so kalt, dass es ihm einen Schauer über den Rücken trieb. „Also wirklich, Lucianna - du solltest nicht über die schlechte Erziehung anderer herziehen. Du klingst genau wie ein keifendes Marktweib. Versuch doch, dich halbwegs mit Anstand damit abzufinden, dass Nick mir gefolgt ist, weil er..." „Ich will dir sagen, warum, du Närrin!" unterbrach Lucianna sie nun völlig unbeherrscht. „Er möchte dich wieder nach Hause bringen, zurück unter meine Aufsicht, bevor du unserem Namen noch mehr Schande machen kannst. Du und deine primitiven Freunde! Oh, du glaubst, er ließe dich tun, was du willst, aber das wird nicht lange dauern. Wenn er erst wieder auf Tournee ist..." Jetzt hielt es Nick nicht länger. „Hör auf, Mutter!" rief er. Mit einigen langen Schritten war er im Hinterzimmer. Mit vor Wut blitzenden Augen wandte er sich an Lucianna. Nie hätte er es für möglich gehalten, solchen Hass, solche Verachtung aus ihrem Munde zu hören. Sein Bild von seiner Mutter, die ihn jetzt fassungslos anstarrte, hatte einen nicht wiedergutzumachenden Schaden genommen. „Dominic! Ich dachte, du seist..." Lucianna de Conti verstummte. „Ja? Was hast du gedacht?" fuhr er sie mit nur mühsam gezügeltem Zorn an. „Dass ich weit fort bin und dich nicht hören kann? Dass du hierherkommen und meine Frau ungestört beschimpfen kannst? Dass ich nicht herausfinden würde, wie du mich vor wenigen Wochen belogen hast?" Er holte tief Luft, während Lucianna versuchte, sich zu fassen. „Gavin hat mir versichert, dass du den ganzen Tag auf der Probe sein würdest", erklärte sie steif - und offensichtlich ohne zu merken, dass sie sich damit verriet. „Natürlich habe" ich nicht erwartet... Oh, du verstehst nicht, Darling! Ich hätte doch nie... Aber ich konnte es einfach nicht ertragen... Als deine Frau anfing, mich gleich beim Hereinkommen wüst zu beschimpfen ... das war mehr, als ich ertragen konnte. Du weißt, wie sehr ich mich bemüht habe, freundlich zu bleiben, trotz..." Nick unterbrach seine Mutter mit einer heftigen Handbewegung. „Ich will nichts mehr von diesem Unsinn hören. Ich möchte wissen, was du hier tust." „Das ist doch offensichtlich, Darling." Lucianna trat vor und legte ihre Hand auf seinen Arm. „Da du Camille nun wieder nach Hause holen willst..." Sie wich zurück, als Nick ihre Hand unwirsch beiseite schob und zu Camille trat, um
seinen Arm beschützend um ihre Schultern zu legen. „Nein, Mutter, es ist ganz und gar nicht offensichtlich -, es sei denn, ich soll glauben, du seist hierherge kommen, um Camille und mich auseinanderzubringen." „Du hast mich nicht ausreden lassen, Dominic", erklärte Lucianna vorwurfsvoll, wobei sie sich hörbar bemühte, einen Ton liebevoller Besorgtheit anzuschlagen. In krassem Gegensatz dazu stand der hasserfüllte Blick, den sie Camille zuwarf. „Arthur hat mir von diesem entsetzlichen Konzert erzählt, das du geben willst. Wie konntest du nur etwas so Geschmackloses planen? Als ich davon erfuhr, wusste ich, dass ich sofort hierherkommen und dich vor diesen Leuten retten muss. Nachdem Gavin mir gesagt hatte, du seist heute nachmittag auf der Probe, bin ich zu Camille gekommen, um sie zu überzeugen..." „Ich habe gehört, wie du versucht hast, sie zu überzeugen, Mutter!" Nicks Ton verriet Verachtung. „Ich verstehe nur nicht, wovon du sie überzeugen wolltest. Außerdem verstehe ich nicht ganz, vor welchen Leuten du glaubst, mich retten zu müssen. Gehe ich recht in der Annahme, dass du etwas dagegen hast, dass ich ein Jazz-Konzert spiele?" „Bitte!" Lucianna drückte in einer melodramatischen Geste eine Hand auf ihr Herz. „Ich kann dieses Wort nicht hören! Du kannst doch nicht ernsthaft erwägen, dich für so etwas herzuge ben! Du bist der beste klassische Pianist der Welt, Dominic. Wie kannst du auch nur daran denken, auf derselben Bühne mit diesen primitiven Menschen aufzutreten und auch noch zusammen mit ihnen zu spielen? Das wäre doch absolut unerträglich!" Camille hatte Lucianna während der ganzen Tirade nicht aus den Augen gelassen. Sie spürte, wie ihr Zorn allmählich verrauchte. Das Gefühl tiefer Antipathie, das sie im Laufe der Jahre für ihre Schwiegermutter entwickelt hatte, wich einem neuen Gefühl, das sie selbst überraschte: Mitleid! Sie empfand Mitleid mit Lucianna. Zum erstenmal hatte sie ihrem Sonn die hässliche Seite ihres Charakters gezeigt. Der arme Nick! Wie musste es in ihm aussehen! Obwohl er in den vergange nen Wochen vieles über seine Mutter gehört hatte, war er doch immer noch in dem Glauben gewesen, sie habe so gehandelt aus Liebe zu ihm. Er war überzeugt gewesen, ihre Lügen seien nur ein falscher Versuch gewesen, ihn zu beschützen. Er hatte ihren Versprechen geglaubt, dass alles besser werden würde, wenn er mit Camille nach I Venti di Mare zurückkehrte. Camille warf einen Blick auf das angespannte Gesicht ihres Mannes. Tröstend schob sie ihren Arm um seine Taille. Er hatte einige Illusionen verloren, aber er zögerte keinen Moment, zu ihr zu stehen. Lucianna konnte keinen Zweifel mehr daran haben, wer für ihn wichtiger war... Nick fing den verständnisvollen Blick seiner Frau auf. Seine innere Anspannung wich. Das Verhalten seiner Mutter hatte eine Mischung von Schock, Unglauben und Bestürzung hervorgerufen, gefolgt von der deprimierenden Erkenntnis, dass sie krank haft besessen schien von dem Wunsch, seine Ehe zu zerstören. Er drückte Camille kurz an sich. Dabei überlegte er, wie er alle anderen so schnell wie möglich loswerden konnte, um eine Stunde allein zu sein mit seiner Frau. „Nach dir, Mutter." Er deutete auf die Tür. „Ich glaube, jede weitere Diskussion, ganz gleich über welches Thema, erübrigt sich. Wir können offensichtlich keine Übereinstimmung finden, und ich habe keine Zeit für fruchtlose Erörterungen." Nick und Camille folgten Lucianna in den Laden. Nach einigen Schritten blieb Nick stehen, weil ihm eingefallen war, dass die hässliche Szene ja vor Zeugen stattgefunden hatte. Er ließ seinen Blick suchend durch den Raum gleiten. Schließlich entdeckte er Jean und Ronan draußen vor dem Schaufenster. Sie unterhielten sich mit einer jungen Frau, die ihm schon zuvor ihrer Eleganz wegen aufgefallen war. „Nick! Schnell! Hol Oriana fort von diesen schrecklichen Leuten!" befahl Lucianna, die das Trio im selben Moment wie er entdeckt hatte. Sie eilte zur Tür. „Der Mann sieht ja aus wie ein Hippie!" erklärte sie mit hörbarem Schaudern in der Stimme. Camille unterdrückte ein Lachen. Sie sah zu Nick auf. „Das Wort habe ich schon seit
Jahren nicht mehr gehört! Kannst du dir Ronans Gesicht vorstellen, wenn sie herauskommt und ihn einen Hippie nennt?" „Wir sollten sie besser zum Schweigen bringen, bevor sie unsere besten Freunde beleidigt", murmelte Nick. Er beschleunigte den Schritt und erreichte die Ladentür gerade, als seine Mutter sie öffnete und rief: „Oriana! Komm doch bitte herein!" Oriana trat etwas schüchtern in den Laden ein. Nick lächelte ihr flüchtig zu und winkte Ronan und Jean, ebenfalls hereinzukommen. „Bevor du gehst, möchte ich dir unsere Freunde vorstellen, Mutter." Er sah ihr fest in die Augen. „Jean Vernon und Ronan McBain. Jean und Camille waren zusammen auf dem College, und nun sind sie Geschäftspartnerinnen. Ronan ist ein sehr guter Goldschmied." Er nickte Jean und Ronan zu und deutete auf seine Mutter. „Meine Mutter, Lucianna de Conti, und dies ist..." Er zögerte und sah seine Mutter fragend an. „Also wirklich, Dominic!" Sie zog die Brauen hoch. „Du kannst doch die liebe Oriana nicht vergessen haben! Natürlich ist sie etwas gewachsen, seit du sie das letztemal gesehen hast, aber..." „Bitte, entschuldige, Oriana." Nick schenkte der offensichtlich verwirrten jungen Frau ein Warmes Lächeln. Sie tat ihm leid. Ganz eindeutig verstand sie weder das Verhalten seiner Mutter noch die allgemeine Spannung, die in der Luft lag. Es konnte keinen Zweifel daran geben, dass sie keinen Anteil hatte an den Plänen seiner Mutter. Spontan versuchte er, ihr über die Sit uation hinwegzuhelfen. „Du bist Oriana Antigori, nicht wahr? Jetzt erinnere ich mich. Mutter hat vor einigen Wochen erwähnt, dass sie dich und deine Familie in diesem Sommer auf I Venti di Mare erwartet. Du musst verzeihen..." Camille hörte nicht weiter zu. Verstohlen betrachtete sie Oriana Antigori. Nachdem sie die Vorzüge der jungen Frau so oft vorgehalten bekommen hatte, überraschte es sie, dass sie nicht die erwartete Antipathie gegen sie verspürte, sondern nichts als Sympathie. Dieses hübsche, scheue Mädchen war ebenso ein Opfer Luciannas wie sie selbst. „Camille?" Nicks Stimme holte sie in die Wirklichkeit zurück. Nach einigen Minuten des Austauschs von Höflichkeiten begleitete Nick seine Mutter und Oriana nach draußen. Camille blieb mit Jean und Rona n zurück. Keiner sagte ein Wort, während sie beobachteten, wie Nick kurz mit seiner Mutter sprach, dann einen Blick auf die Straße warf und winkte. Sekunden später hielt eine dunkelblaue Limousine am Straßenrand. Camille erkannte einen der de Conti-Chauffeure. Plötzlich wurde ihr die Bedeutung jener Abschiedsszene bewusst, die sie da soeben miterlebte. Ein Gefühl tiefer Freude erfüllte sie. Keine Lucianna mehr! Keine Sticheleien und gehässigen Bemerkungen. Begegnungen nur noch zu offiziellen Familienfeie rn. Sie wusste nicht, wo sie leben würden... aber auf jeden Fall nicht in Connecticut. Es war ihr einerlei, wenn sie nur mit Nick zusammen sein konnte. Wirklich zusammen. So wie in den vergangenen Wochen, aber in einer größeren Wohnung, mit Gavin und einer Haushälterin, einer Köchin und was auch immer sonst noch nötig sein mochte, um Zeit füreinander zu haben, wenn Nick nicht übte und sie nicht arbeitete. Sie konnte mit ihm auf Tournee gehen und... „Camille? Komm wieder auf die Erde, Cara. Komm!" Nick nahm sie bei der Hand und zog sie mit sich fort nach draußen. „Ich muss mit dir sprechen. Allein. Und mir bleibt nur noch eine Stunde, bevor ich mich mit der Band treffe. Es ist alles in Ordnung", beschwichtigte er sie, als sie zu protestieren begann. „Ich habe mit Jean und Ronan gesprochen. Sie werden sich solange um das Geschäft kümmern." Etwas außer Atem nahm Camille an einem Fenstertisch im Harbor House Platz. Nick hatte ein solches Tempo gehabt, dass sie gar nicht dazu gekommen war, ihn nach dem Grund für seine Eile zu fragen. Nun legte er seine Brieftasche vor sich auf den Tisch. Behutsam zog er ein Stück Seidenpapier heraus, in das etwas eingewickelt war. Camille
ahnte, was es war. Sie ließ ihn nicht aus den Augen, während er ihren Ehering auswickelte. Wortlos nahm er ihre linke Hand in seine. Er sah ihr in die Augen. „Wirst du deinen Ring nun wieder tragen?" fragte er leise. Sie schluckte die Freudentränen hinunter, die in ihr aufgestiegen waren. Es war nicht das erste Mal, dass er sie gebeten hatte, den Ring zurückzunehmen. Bisher hatte sie abgelehnt und darauf bestanden, zunächst alle Probleme auszuräumen. Aber jetzt... „O ja, bitte!" flüsterte sie. In ihren Augen schimmerten Tränen. „Ich liebe dich, Lady Laughing Eyes." Seine Stimme brach, als er ihr den schmalen Ring überstreifte. „Und ich..." Ein Lächeln glitt über ihre Züge. „Ich liebe dich, Lord Wunnebar!"
9. KAPITEL ... und so lebten sie denn immerfort glücklich und in Freuden! „Camille? Camille!" „Sie beliebten zu brüllen, Maestro?" Camille stützte sich auf einen Ellenbogen und rieb sich den Schlaf aus den Augen. Nick kam rasch näher. „Du ruinierst dir die Schuhe, wenn du damit durch den Sand gehst", bemerkte sie, als er neben ihrem Strandlaken stehen blieb. Er stemmte die Arme in die Seiten und sah ungeduldig auf sie herab. „Was machst du denn hier? Es ist schon nach drei!" „Ich bin eingeschlafen", bekannte sie und setzte sich auf. Langsam ließ sie den Blick aufwärts wandern, von den handge fertigten englischen Schuhen über die elegante graue Hose, die bloße behaarte Brust hin bis zur ungeduldig gerunzelten Stirn über den dunklen Augen. Sie lächelte amüsiert. „Dein Aufzug gefällt mir. Die alten Tanten vom Konzertkomitee werden reihenweise in Ohnmacht sinken. Vielleicht solltest du die Erste Hilfe vorwarnen." „Sehr witzig!" knurrte Nick. „Wo, zum Teufel, ist Gavin? Er hat die eine Hälfte meiner Sachen gepackt, und die andere ist in der Reinigung. Ich kann überhaupt nichts finden!" Lachend streckte Camille ihm die Hand hin und ließ sich auf die Beine ziehen. „Er führt Ihre Königliche Minihoheit zu ihrem nachmittäglichen Spaziergang aus." Sie. schüttelte den Sand aus ihrem Handtuch und warf es sich über den Arm. „Ich komme mit und suche dir ein Hemd. Wahrscheinlich lag es direkt vor deiner Nase." „Vielleicht habe ich doch noch etwas Zeit." Nicks Blick glitt voll unverhohlenem Verlangen über den verführerischen Körper seiner Frau, der durch den winzigen Bikini kaum bedeckt wurde. „Wieso geht Gavin mit dem Baby spazieren, wenn er doch meine Sachen packen wollte?" fragte er geistesabwesend. „Wofür zahlen wir der englischen Nanny ein so unglaublich hohes Gehalt?" Camille fing seine zunehmend vorwitziger werdende Hand ein und zog ihn die Stufen zum Haus hinauf. „Ich glaube, der heutige Nachmittag - heute ist Mittwoch, nicht wahr? ja, der heutige Nachmittag ist der Vogelkunde gewidmet. Laut Gavin sind die Kenntnisse unserer englischen Nanny in der nordamerikanischen Vogelwelt sehr kümmerlich." Nick blieb verblüfft stehen. „Vogelkunde? Gütiger Himmel, Abby is t doch gerade erst acht Monate alt!" Camille lachte. „Gavin meint, es sei nie zu früh, den Kindern ein Gefühl für ihre Umwelt beizu..." Nick unterbrach sie mit einem nicht übersetzbaren italienischen Fluch, wurde aber kurz abgelenkt, als er den sanften Hüftschwung beobachtete, mit dem Camille vor ihm die Stufen hinaufging. Oben blieb sie stehen und sah ihm lachend in die Augen, bevor ihr Blick über das weite Meer glitt, das ruhig unter dem wolkenlo sen Septemberhimmel lag. „Es ist so schön hier", sagte sie leise, legte ihren Arm um Nick und lehnte sich gegen ihn. „Wir können wirklich von Glück sagen, dass wir dieses Anwesen gefunden haben. So abgeschieden und doch nur eine halbe Stunde von Portland und dem Flughafen entfernt. Von hier bist du genauso schnell in New York wie von Connecticut aus. Weißt du eigentlich, wie selten hier etwas zum Verkauf kommt?" „Hmm." Nick interessierte sich weniger für die Verkaufsstatistik als für die sanften Rundungen ihres Körpers. „Die Maklerin hat ja förmlich radgeschlagen vor Begeisterung über ihre Provision." „Verständlich. Eine Sechzehn- Zimmer-Villa mit privatem Strand an eigener Bucht verkauft sich schließlich nicht jeden Tag."
„Hast du schon überlegt, was du mit dem Rest des Landes anfangen möchtest?" fragte er, indem er versuchte, ihre Aufmerksamkeit von seinen forschenden Händen abzulenken. „Wir wollen es so wild lassen, wie es ist." Sie fing seine Hand und sah ihm lachend in die Augen. „Benimm dich! Hier kann uns jeder sehen, angefangen von unserer hochmoralischen Haushälterin bis hin zu den Möwen und jedem Fischer, der draußen vorbeikommt. Komm, Lord Wunnebar, ich hol' dir dein Hemd, bevor du noch vergisst, wo du eigentlich hin willst." „Ich weiß, wo ich hin möchte." „Später, du Nimmersatt!" „Ist das eine Art, mit dem Mann zu sprechen, der dir zwei romantische Monate in Australien bieten will?" beklagte er sich, während sie durch die Diele zur Treppe gingen. „Ich weiß nicht, ob es so romantisch werden wird, auf jeden Fall aber interessant. Hast du Arthur schon gesagt, dass du nicht nur deine Frau und Gavin mitbringst, sondern auch noch ein acht Monate altes Kind und eine englische Nanny?" „Allerdings. Aber zwing mich bitte nicht, dir seinen Kommentar wiederzugeben. Nur die Tatsache, dass wir einen Privatjet nehmen, konnte ihn halbwegs wieder mit seinem Schicksal versöhnen." „Ich weiß nicht... Die Cattons..." „Unsinn", unterbrach er sie. „Du brauchst überhaupt keine Skrupel zu haben, weil wir ihren Jet borgen. Schließlich haben sie sich auch schon oft genug zu denselben Bedingungen unsere Familienyacht geliehen. Wir tragen die Betriebskosten, und dafür können wir mit allen Bequemlichkeiten reisen: richtige Betten, vernünftige Badezimmer, frisch gekochtes Essen..." „Eine Superlounge und ein Zimmer für Abbys Sachen", beendete Canaille den Satz für ihn. „Okay, ich will mich ja nicht beklagen. Aber du musst zugeben, dass es ein wenig dekadent ist, mit einem Privatjet um die Welt zu fliegen." „Nur, wenn es rein zum Vergnügen wäre. Hast du dir den Tourneeplan schon einmal genauer angesehen? Das wird anstrengende Arbeit, das kann ich dir schon jetzt garantieren. Da wirst du bald froh und dankbar sein für jede Bequemlichkeit. Außerdem", er lächelte hintergündig, „außerdem wird es Zeit, dass du Mitglied des Mile-High-Clubs wirst. Dafür ist ein Privatjet viel besser geeignet als jede andere Maschine..." Camille schob ihn auf den Fenstersitz und begann, nach seinem Hemd zu suchen. „Du glaubst, ich wüsste nicht, was das ist, aber da irrst du dich. Ich weiß es - zumal wenn deine Augen bei seiner Erwähnung so blitzen. Nun ja..." Sie seufzte dramatisch. „Bei den langen Nachtflügen und mit Gavin und Nanny Forbes, die sich um Abby kümmern an Bord, werden wir uns schon etwas einfallen lassen müssen, um die Zeit zu vertreiben, und ..." „Hexe!" Mit einem langen Satz war Nick bei ihr und ließ sich mit ihr auf das breite Bett fallen. Sie musste so lachen, dass an Widerstand nicht zu denken war. Er sah ihr in die Augen und wurde plötzlich ernst. „Mir vorzustellen, dass ich dich durch reine Dummheit fast verloren hätte", sagte er leise. „Diese vergangenen zwei Jahre mit dir Waren wie ein Wunder. Bist du ebenso glücklich wie ich, Cara?" „Wie kannst du fragen? Ich habe dich und Abby, dieses herrliche Haus, den Ozean vor der Tür und mein Geschäft ganz in der Nähe. Dazu wunderbare Freunde und immer wieder einen Vorwand, mir die weite Welt anzusehen. Was mehr könnte eine Frau sich wünschen?" „Camille...?" „Nick, die Damen! Du musst dich beeilen, wenn du sie nicht warten lassen willst. Ich stelle eine Flasche Champagner kalt für später." „Bekomme ich nicht wenigstens einen Abschiedskuss?" „Aber du gehst doch noch gar nicht!"
„Weißt du denn nicht, dass man für alles üben muss?" Er bedeckte ihr Gesicht mit zarten Küssen. „Also?" Camilles Antwort wurde erstickt von einem Kuss, dessen magischer Wirkung sie sich nicht entziehen konnte. Er war wunderbar - ihr Lord Wunnebar!
- ENDE
BAND 563 Geh nicht nach Hollywood VMan ComtoHy Kate hat ihrem Mann viel zu verdanken. Er war schon lange vor ihrem Start in den Beruf berühmt Doch dann bekommt sie die Chance, in Hollywood einen Film zu drehen Brian bleibt in Irland zurück. Nur ungern läßt er Kate gehen, seine Be denken, dass sie - in der Glitzerwelt der Stars - ihn vergessen könnte, sind groß. Und als er Kate besucht, sieht er seine Angst bestätigt: Seine Frau in den Armen eines anderen ... BAND 564 Was verschweigst du, Mark? Urin* Aft*n Ciaire - Personalleiterin in einem Kaufhaus - ahnt nicht, dass ihr Chef ein Experiment versucht. Mark Dawson, angeblich ein Ex-Gefangener, wird in den Betrieb eingeschleust um herauszufinden, wie die Belegschaft darauf reagieren könnte. Ciaire hat die Aufgabe, sich um Mark zu kümmern - und verliebt sich in ihn. Doch sie fühlt, dass er irgend etwas vor ihr verbirgt -Claires Glück wird vom Mißtrauen überschattet...