Eric Ambler
Der Levantiner
Roman
Aus dem Englischen
von Tom Knoth
Diogenes
Titel der englischen Originalausga...
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Eric Ambler
Der Levantiner
Roman
Aus dem Englischen
von Tom Knoth
Diogenes
Titel der englischen Originalausgabe
>The Levanter<
Copyright © 1972 by Eric Ambler
Die deutsche Erstausgabe erschien
1973 im Diogenes Verlag
Umschlagzeichnung von Tomi Ungerer
Veröffentlicht als Diogenes Taschenbuch, 1975
Alle deutschen Rechte vorbehalten
Copyright © 1973 by
Diogenes Verlag AG Zürich
60/82/9/6
ISBN 3 257 20223 7
p0t0si
Levanter1 s 1. Levantiner(in). – 2. mar. selten Levan tefahrer m. – 3. meist 1~ starker Südostwind {im Mit
telmeer). levanter2 s Br. flüchtiger Schuldner (j-d der durch
brennt, ohne seine Schulden, bes. Wettschulden, zu bezahlen). Aus >Langenscheidts Enzyklopädisches Wörterbuch< begründet von E. Muret und D. Sanders
1. Lewis Prescott 14. Mai Dies ist Michael Howells Geschichte, und er erzählt sie größtenteils selber. Ich finde, er hätte sie von Anfang bis Ende selber erzählen sollen. Mag sein, daß er nicht den überzeugendsten Anwalt in eigener Sache abgibt; und als Hauptfigur jener Affäre, die als >Der Cercle-Vert-Zwischenfall< bekanntge worden ist, verhält er sich eher wie ein Angeklagter. Aber die Anschuldigungen entkräften und die notwen digen Aufschlüsse geben kann nur er selber. Von sei nen eigenen Worten hängt es ab, wie das Urteil über ihn ausfallen wird. In der mißlichen Lage, in der er steckt, wirken Sympathiekundgebungen und Ver ständnis von Außenstehenden wie Bitten um Gewäh rung mildernder Umstände. Statt seine Position zu stärken, könnte meine Parteinahme sie womöglich schwächen. Ich sagte ihm das. Er stimmte mir jedoch nicht zu. »Bestätigende Aussagen, Mr. Prescott«, erklärte er eindringlich, »das ist es, was ich von Ihnen brauche. Sagen Sie ihnen, was Sie von Ghaled wissen. Machen Sie ihnen nachträglich die Hölle heiß. Ich kann ihnen erzählen, wie es mir ergangen ist, aber sie müssen begreifen, mit wem ich es zu tun gehabt habe. Ihnen werden sie glauben.« »Meine Meinung über einen Mann wie Ghaled, die ich mir im Verlauf eines einzigen Interviews gebildet ha be, ist nicht beweiskräftig.« »Sie wird das Gewicht eines Beweises haben. Ich er warte nicht, daß Sie offen für mich Partei ergreifen, Mr. Prescott – das wäre zuviel verlangt –, aber ich bitte Sie, meinen Gegnern nicht in die Hände zu spie len.« Herzerweichend und unzutreffend; hier sprach der
Levantiner aus ihm. Ungerührt blickte ich ihn an. »Ich spiele niemandem in die Hände, Mr. Howell, und Ihren Gegnern schon gar nicht. Ich hatte angenom men, das hinreichend deutlich gemacht zu haben.« »Für mich schon.« Er hob den Zeigefinger. »Aber wie steht es mit der Öffentlichkeit und den Nachrichten medien? Wie soll ich mich und die Agence Howell ver teidigen, wenn es wichtige unabhängige Zeugen – die jenigen, denen die Wahrheit bekannt ist – vorziehen, Schweigen zu bewahren?« »Ich habe immerhin ein Feature von dreitausend Wör tern zu diesem Thema geschrieben, Mr. Howell«, rief ich ihm ins Gedächtnis. »Ich nenne das nicht >Schweigen bewahren<« »Mit Verlaub, Mr. Prescott, Ihr Cercle-Vert-Artikel hat nur einen Bruchteil des wahren Sachverhalts wieder gegeben.« Er hob den Finger. »Wenn ich glaubwürdig sein will, muß ich alles erzählen. Und dazu brauche ich Ihre Hilfe. Ich bitte Sie, zu mir zu stehen und keinen Rückzieher zu machen.« Ich zögerte einen Augenblick lang, bevor ich antworte te: »Vielleicht werden Sie es noch bereuen, mich nicht aus dem Spiel gelassen zu haben.« »Das Risiko nehme ich in Kauf. Die ganze Wahrheit sagen, das ist es, Mr. Prescott, was wir beide tun müssen. Mehr nicht – die ganze Wahrheit.« Die Wahrheit sagen, die ganze Wahrheit – aus seinem Mund klang es, als sei nichts einfacher als das. Und möglicherweise glaubte er wirklich, in seinem Fall ver halte es sich so. Zur Klarstellung: Zu der Zeit, von der ich jetzt berich te, war ich Mr. Howell noch nicht begegnet und wußte auch nichts von seiner Existenz. Als langjähriger Auslandskorrespondent der vereinig ten Post-Tribune-Pressedienste bin ich in Paris akkre ditiert. Zwei Monate vor dem Cercle-Vert-Zwischenfall war ich vorübergehend in den Mittleren Osten ent sandt worden, um von dort über den Besuch des ame
rikanischen Außenministers, der sich wieder einmal um die Beilegung des arabisch-israelischen Konflikts bemühte, Bericht zu erstatten. Die Rundreise hatte in Beirut geendet, und dort war es gewesen, daß ich Me lanie Hammad traf. Kennengelernt hatten meine Frau und ich sie bei ge meinsamen Freunden in Paris. Ich wußte, daß sie freie Mitarbeiterin französischer und amerikanischer Mode zeitschriften war, und es überraschte mich, sie auf einer Pressekonferenz im libanesischen Außenministe rium anzutreffen. »Bißchen außerhalb Ihres angestammten Ressorts, wie?« fragte ich sie, nachdem wir einander begrüßt hatten. »Ich bin hier zu Hause. Wußten Sie denn nicht, daß ich Araberin bin?« »Ich wußte, daß Sie aus dem Libanon sind.« In Paris war sie eine attraktive junge Frau mit glutvol len Augen gewesen, die sich sehr gut anzog, mehrere Sprachen beherrschte und die Leute von der Haute Couture kannte. Ich erinnerte mich, daß sie meiner Frau behilflich gewesen war, Parfum mit Rabatt einzu kaufen. »Hier bin ich zuerst Araberin«, erklärte sie in sehr ent schiedenem Tonfall, »und dann erst Libanesin.« »Moslemitin oder Christin?« »Meine Eltern sind maronitische Christen, und so wer de ich es wohl auch sein.« Sie dämpfte die Stimme zu einem Flüstern. »Gegenwärtig observiere ich für das Palästinensische Aktionskommando.« »Verstehe.« Ich hielt ihre Bemerkung für einen Scherz und fügte lächelnd hinzu: »Inoffiziell, nehme ich an.« »Offiziell ginge das wohl schwerlich.« Sie erwiderte mein Lächeln nicht. »Wenn Sie wollen, könnten wir uns darüber noch unterhalten.« Ihr schmachtender Blick wurde durchdringend. »Ich glaube, das wäre nicht ganz uninteressant für Sie, Mr. Prescott.« Ich war unschlüssig. Es schien ihr voller Ernst zu sein;
aber das einzige Palästinensische Aktionskommando, von dem ich wußte, war eine Guerilla-Splittergruppe, die ein Mann namens Salah Ghaled befehligte, der den Ruf eines Gangsters hatte. Die Vorstellung, daß die elegante Miss Hammad irgend etwas mit ihm zu tun haben sollte, kostete mich einige Mühe. Nichtsdesto weniger war ich neugierig geworden. »Einverstanden«, sagte ich. »Ich wohne im St. Georges. Wenn Sie Zeit haben, könnten wir zusam men zu Mittag essen.« Die Mittelost-Redaktion der vereinigten Pressedienste unterhält ein Büro in Beirut. Es wird von einem Eng länder namens Edwards geleitet, der außerdem als freier Korrespondent für ein oder zwei britische Blätter tätig ist. Bevor ich Miss Hammad zum Lunch traf, holte ich dort ein paar Auskünfte ein. Edwards lachte. »So, so, da hat unsere Melanie scheint’s ein Auge auf Sie geworfen, was? Und ich dachte, sie sei hinter dem Burschen von der New York Times her.« »Wovon reden Sie?« »Sie ist Presseagentin für das Palästinensische Akti onskommando.« »Aber meine Frau und ich kennen sie von Paris her. Sie ist dort Modejournalistin.« »In Paris mag sie ja eine Modelady sein, aber in die sen Breiten ist sie eine palästinensische Aktivistin. Ghaled hat sie vereinnahmt, als sie noch Studentin an der Sorbonne und er in der Al Fatah war. Ihr Vater ist natürlich schwer reich, sonst hätte sich die Polizei schon längst mit ihr befaßt. Ihm gehört das neue Bü rogebäude, das Sie vom St. Georges aus sehen kön nen, und er besitzt noch eine Reihe weiterer Kästen gleicher Art und Größe. Sie braucht nicht für ihren Lebensunterhalt zu arbeiten. Und was immer sie für Ghaled tut, geschieht ohnedies aus purer Liebe. Wir haben massenhaft Material über die beiden. Soll ich es Ihnen heraussuchen?«
»Ich glaube, ich möchte mir zunächst einmal anhören, was sie überhaupt von mir will.« »Das kann ich Ihnen jetzt schon sagen. Extremismus im Dienst des Freiheitskampfes ist kein Verbrechen. Mäßigung nichts anderes als Schwäche. Ich habe mir erzählen lassen, daß sie sehr überzeugend sein kann. Sie werden eine gereinigte Fassung des PAKManifestes sowie zu Ihrer ganz besonderen Erbauung ein hektographiertes Exemplar der >Gedanken Salah Ghaleds< in die Hand gedrückt bekommen.« »Das hätte sie mir auch in Paris überreichen können.« »Da schrieben Sie aber nicht über den Mittleren Osten.« In einem Punkt jedoch sollte sich Edwards getäuscht haben. Melanie hatte mehr zu bieten als nur Pamphle te. »Man sagt Ihnen nach«, eröffnete sie mir, »daß Sie wahrhaft objektiv und unabhängig berichten und vor gefaßte Meinungen auch dann nicht unkritisch über nehmen, wenn es angezeigt erscheint, genau das zu tun.« »Das ist sehr schmeichelhaft für mich, Miss Hammad. Aber ich hoffe, Sie wollen damit nicht andeuten, daß ich so etwas wie eine rühmliche Ausnahme darstelle.« »So töricht bin ich nicht. Natürlich gibt es noch mehr Amerikaner von Ihrer Sorte. Aber sie kommen nur selten hierher, und wenn, dann nehmen sie sich nicht die Zeit zuzuhören. Ich weiß, was über das Palästinen sische Aktionskommando behauptet wird. Es wird be hauptet, daß es aus Verbrechern bestehe, die die pa lästinensische Sache für ihre eigenen Zwecke miß brauchen, daß Ghaled aus der Al Fatah desertierte, als der Feind angriff, daß er kein Freiheitskämpfer sei, sondern ein Gangster. Möglicherweise sind Sie ge neigt, diesen Dingen Glauben zu schenken. Zumindest werden Sie sie zur Kenntnis genommen haben. Aber vielleicht fragen Sie sich auch, ob dieser empfangene Eindruck, dieser Konsens, der Wahrheit entspricht. Ich
glaube, Sie würden es vorziehen, sich eine eigene Meinung zu bilden, sofern sich Ihnen dazu Gelegenheit bietet.« »Da mich aber niemand gebeten hat, mir über Mr. Ghaled und sein Palästinensisches Aktionskommando eine eigene Meinung zu bilden – « Ich sprach den Satz nicht zu Ende. »Ich bitte Sie.« »Leider Gottes sind Sie nicht mein New Yorker Redak teur.« »Sie haben sehr weitgehende Befugnisse. Ihre Frau hat es mir erzählt. Ich denke an ein wichtiges persön liches Interview, das einem Lewis Prescott gewährt werden würde. Exklusiv, versteht sich.« Ich überlegte rasch. »Wo fände dieses exklusive Interview statt?« »Hier im Libanon. An einem geheimgehaltenen Ort selbstverständlich. Absolute Diskretion müßte gewähr leistet sein.« »Wann fände es statt?« »Wenn Sie zusagen, glaube ich, es innerhalb von vier undzwanzig Stunden arrangieren zu können.« »Spricht Mr. Ghaled englisch oder französisch?« »Nicht gut. Ich würde dolmetschen. Sie brauchen nur Bescheid zu geben, wann es Ihnen paßt, Mr. Pres cott.« »Ich verstehe. Nun gut, dann lasse ich noch im Lauf des heutigen Tages von mir hören.« Edwards pfiff leise durch die Zähne, als ich ihm von dem Angebot berichtete. »Ghaled will also tatsächlich aus seiner Höhle hervorkriechen!« »Ist er schon oft interviewt worden? Miss Hammad erwähnte, daß sie verschiedentlich über ihn berichtet hat.« »Das war, als er noch der Al Fatah angehörte. Seit er diesen PAK-Unfug treibt, lebt er zumeist im Unter grund. Die Jordanier haben einen Kopfpreis auf ihn ausgesetzt, und die Leute von der Palästinensischen
Befreiungsorganisation in Kairo haben die Syrer zu überreden versucht, ihn unschädlich zu machen. In diesem Punkt gehen die Syrer mit ihnen zwar nicht ganz einig, aber er darf sich hier nichts zuschulden kommen lassen und muß vorsichtig sein. Obwohl er seine Basis in Syrien hat, setzt er seine Kommando gruppen nie zu bewaffneten Aktionen auf syrischem Territorium ein. Er ist hier natürlich überall unten durch. Sein Image hätte es dringend nötig, ein wenig aufpoliert zu werden. Etwas mehr Respektabilität könnte er schon brauchen.« »Frank, Sie glauben doch wohl hoffentlich nicht, daß ich der hübschen Miss Melanie Hammad zuliebe bereit wäre, ihn auch nur im geringsten aufzuwerten?« Edwards hob abwehrend die Hände. »Nein, Lew. Aber ich darf Sie darauf hinweisen, daß persönliche Inter views von der Art, wie Sie sie handhaben, dazu ten dieren, den Institutionen, mit denen die jeweiligen Interviewpartner identifiziert werden, Seriosität zu verleihen. Wenn Sie es auch in diesem Fall so halten wollen, geben Sie Ghaled Auftrieb und verhelfen ihm zu der internationalen Identität, an der es ihm gegen wärtig fehlt.« »Wenn es mir darum ginge, einen Bericht über die palästinensische Untergrundbewegung zu schreiben – was, wie Sie wissen, nicht meine Absicht ist –, würde ich Ghaled als ihren typischen Repräsentanten aussu chen?« »Als ihren typischen Repräsentanten?« Er blickte einen Moment lang unschlüssig drein und zuckte dann die Achseln. »Es gibt zehn verschiedene palästinensische Untergrundbewegungen, und noch weit mehr, wenn Sie Splittergruppen wie das PAK dazuzählen. Sie könn ten durchaus auch eine schlechtere Wahl treffen. Schließlich hat Ghaled der einen oder anderen dieser Bewegungen angehört, seit er ein Junge war.« »Ist er denn kein Desperado, kein verbohrter Fanati ker?«
»Verbohrte Fanatiker sind sie alle. Sie nähren ihren Haß mit Illusionen, jedenfalls tun das die meisten von ihnen. Das müssen sie. Sonst hätten sie gar nicht überleben können.« »Gibt es überhaupt keine Gemäßigten? Was halten Sie von Jassir Arafat?« »Arafat ist kein Partisan, er ist ein Politiker. Er ist da gegen, daß Palästinenser Palästinenser umbringen statt Israelis. Wenn er jemals auch nur andeuten soll te, daß eine friedliche Regelung mit Israel eines fernen Tages in den Bereich der Möglichkeiten rücken könnte, würde ihm innerhalb einer Stunde die Kehle durchge schnitten werden. Und es wäre jemand wie Ghaled, auf dessen Betreiben es geschähe. Möglicherweise würde Ghaled das sogar selber besorgen.« »Nun, ich sehe, daß Sie ihn für interessant halten.« »Ja, Lew, das tue ich allerdings.« Er kniff die Augen leicht zusammen. »Wissen Sie, seit dem Zweiten Ver rat – « »Wie bitte?« »So nennt Ghaled den vernichtenden Schlag, den die jordanische Regierung den Palästinensern 1971 ver setzt hat. Der erste Schlag, als Husseins Armee die Partisanen im Jahr 1970 aus Amman vertrieb, war Der Große Verrat. Der Zweite Verrat war die Säuberungs aktion, die im Jahr darauf erfolgte. Seither hat die Guerillabewegung erheblich an Schlagkraft verloren, zumindest soweit es Al Fatah und die PFLP, die Volks front für die Befreiung Palästinas, betrifft. Man könnte sagen, daß die Ereignisse Ghaleds ursprüngliche These bestätigt haben. Das allein macht ihn schon interes sant. Ich persönlich bin zudem der Meinung, daß er noch mehr zu bieten hat.« »Haben Sie das nur so im Gefühl, oder gibt es dafür konkrete Anhaltspunkte?« »Eigentlich nur so im Gefühl. Aber wenn Melanie mich gefragt hätte, würde ich die Chance, ihn zu intervie wen, auf der Stelle wahrgenommen haben.«
»Also gut. Ich nehme sie wahr. Am besten, wir drah ten New York. Können wir Ghaleds Namen in einem Telegramm erwähnen?« »Nicht, wenn Sie keinen Wert darauf legen, von der Polizei beschattet zu werden.« »Ist es wirklich so arg?« »Sie würde vermutlich auch das hiesige Al-Fatah-Büro informieren. Ich sagte Ihnen doch, er ist bei allen un tendurch.« Nachdem ich das einschlägige Pressematerial des Bü ros etwa zwei Stunden lang studiert hatte, wußte ich auch, warum. Salah Ghaled wurde 1930, als Palästina noch briti sches Mandat war, in Haifa als ältester Sohn eines angesehenen arabischen Arztes geboren. Seine Mutter stammte aus Nazareth. Er besuchte diverse Privat schulen und soll ein ungewöhnlich begabter Schüler gewesen sein. 1948 wurde er zum Studium an der AlAschar-Universität in Kairo zugelassen. Er hatte vor, Medizin zu studieren wie sein Vater; aber der erste Arabisch-Israelische Krieg durchkreuzte seine Pläne. Die Arabisch-Jordanische Legion sowie eine irreguläre arabische Befreiungsarmee waren die Angreifer. An fänglich in die Defensive gedrängt, dann aber zum Gegenangriff übergehend, kämpfte die Haganah, die jüdische Armee, um den Bestand des soeben prokla mierten Staates Israel. Beide Seiten beschuldigten einander wiederholt, Grausamkeiten an der Zivilbevöl kerung verübt zu haben. Ein arabischer Exodus be gann. Mehr als hunderttausend Araber setzten sich ab; eini ge in panischer Flucht, andere, weil sie einer ver meintlich anrückenden arabischen Befreiungsarmee freie Hand lassen wollten. Alle glaubten, bald wieder in ihr Land und zu ihren Wohnsitzen zurückkehren zu können. Nur wenigen sollte dies je beschieden sein. Das palästinensische Flüchtlingsproblem war entstan den. Unter den ersten Flüchtlingen befand sich die
Familie Ghaled aus Haifa. Sie traf es besser als die Mehrzahl ihrer geflüchteten Landsleute; Ghaled senior war Arzt und hatte Geld. Nach ein paar Wochen, die sie in einem Durchgangsla ger verbrachte, zog die Familie nach Jericho. Zu jenem Zeitpunkt hätte Salah nach Kairo gehen und wie vor gesehen an der Universität studieren können. Statt dessen trat er – offenbar mit Zustimmung seines Va ters – den irregulären arabischen Befreiungsstreitkräf ten bei. Das war die Armee, die lauthals angekündigt hatte, sie werde »die Juden ins Meer jagen«. Als der Krieg im Jahr darauf mit dem Ergebnis zu Ende ging, daß die Israelis fester als je zuvor auf dem aus gedörrten Boden Fuß gefaßt hatten und die arabischen Streitkräfte sich in voller Auflösung befanden, war Sa lah Ghaled gerade achtzehn geworden. Er hatte in einer Armee gekämpft, die nicht nur besiegt, sondern auch gedemütigt worden war. Beides, Niederlage wie Demütigung, verlangte, gerächt zu werden. In Kairo, wohin er jetzt ging, um endlich sein Medizinstudium zu beginnen, wurde er rasch in politisch aktive Studen tenkreise gezogen. Seinem – einige Jahre später ge äußerten – eigenen Bekunden zufolge ist er dort zum Marxisten geworden. Zum Arzt hat er es nie gebracht. 1952 ging er nach Jordanien, um dort in einem UNW RA-Lager für palästinensische Flüchtlinge als Arztgehil fe zu arbeiten. Die Guerillabewegung steckte damals noch in den Kin derschuhen; aber er scheint ein geborener Anführer gewesen zu sein: sehr bald befehligte er seine eigene Gruppe von >Infiltratoren<, wie die Israelis sie nann ten, und unternahm von Jordanien aus Überfälle auf israelisches Gebiet. Da er noch immer als Arztgehilfe auf den UNWRA-Gehaltslisten geführt wurde, mußte er sich einen Decknamen zulegen. Er entschied sich für El Matwa – das Klappmesser –, und es gelang ihm, die Sinnfälligkeit dieser Bezeichnung innerhalb kürzester Frist evident werden zu lassen. Es galt als so gut wie
erwiesen, daß eines der auf >Klappmessers< Konto gehenden Kommandounternehmen, bei dem ein israe lischer Bus zusammengeschossen wurde, die Israelis zu einem massiven Vergeltungsschlag provoziert hat te. Die palästinensischen Militärs pflegten Erfolge vor wiegend nach Ausmaß und Härte der gegnerischen Reaktion zu bemessen. Klappmessers Renommee als örtlicher Anführer war jetzt gefestigt. Als ägyptische Abwehroffiziere angereist kamen, um nach Palästinen sern Ausschau zu halten, die sich im Grenzgebiet aus kannten und bereit waren, sich den Fedaijin anzu schließen, befand sich Ghaled unter den wenigen Aus erwählten, an die man herantrat. Die ägyptischen Fedaijin waren schwerbewaffnete Kommandogruppen. Von ihren Stützpunkten auf ägyp tischem und jordanischem Territorium aus drangen sie tief in israelisches Gebiet ein, ermordeten Zivilisten, verminten Straßen und sprengten technische Einrich tungen und Anlagen aller Art. Der Sinai-Feldzug von 1956 setzte ihrer Tätigkeit ein Ende, aber die Idee der Fedaijin blieb unter den Ägyptern lebendig. Die Gueril lagruppen, die sich jetzt zu bilden begannen, wurden von Männern wie Ghaled, die den ägyptischen Fedaijin angehört hatten, organisiert und ausgebildet. Eine der größeren Gruppen machte unter dem Namen Al Fatah von sich reden, und Ghaled zählte zu ihren ersten An führern. 1963 erlitt er bei einem israelischen Vergeltungsangriff eine Verwundung am Bein. Die Verwundung war sehr schwer und ihre ärztliche Versorgung nur unzurei chend gewesen. Gegen Ende des Jahres riet ihm sein Vater, zwecks chirurgischer Nachbehandlung nach Kairo zu gehen. Sein dortiger Aufenthalt zu ebenjenem Zeitpunkt sollte sich auf seine Zukunft bestimmend auswirken. Die Palästinensische Befreiungsorganisation war damals gerade im Entstehen begriffen, und Ghaled, der von einer Nachoperation seiner Beinverletzung genas,
wurde in die Diskussion verwickelt. Als bewährten AlFatah-Führer zog man ihn beim Aufbau der Palästi nensischen Befreiungsarmee, die die offizielle Streit macht der PLO bilden und mit sowjetischen Waffen ausgerüstet werden sollte, wiederholt zu Rate. Obwohl er es ausschlug, ein ihm angetragenes Bataillons kommando zu übernehmen, wurde er zum Mitglied des soeben gegründeten >Erweckungs<-Komitees der PLO ernannt. Gemäß der PLO-Satzung sollte sich dieses Komitee der »geistig-seelischen und insbesondere der ideologi schen Erziehung der heranwachsenden Generationen« widmen, »damit sie ihrem Vaterland dienen und für die Befreiung ihrer Heimat kämpfen«. Während seiner Genesung erhielt Ghaled den Auftrag, vor Gruppen arabischer Studenten, die Universitäten im westlichen Ausland besuchten oder sich auf deren Besuch vorbe reiteten, Vorträge zu halten und öffentliche Diskussio nen zu leiten. Bei Gelegenheit einer dieser studenti schen Veranstaltungen lernte er Melanie Hammad kennen. Im Ghaled-Ordner des Archivs der Nachrichtenagentur befanden sich zwei Artikel aus ihrer Feder. Bei dem ersten handelte es sich um eine erneute Darstellung der palästinensischen Sache, eine ungemein ermü dende Angelegenheit, die lediglich durch wortgetreu zitierte Äußerungen Ghaleds belebt wurde und von einer Vierteljahresschrift der französischen Linken ver öffentlicht worden war. Einer dieser Aussprüche, eine Stellungnahme zur Balfour-Deklaration, gab mir einen Vorgeschmack dessen, was ich mir möglicherweise würde anhören müssen. »Die Engländer sind unglaublich«, hatte Ghaled er klärt. »Sie versprachen, den Zionisten eine nationale Heimstatt in Palästina zu verschaffen, und versicher ten im gleichen Atemzug, dies ohne Schmälerung der Rechte der einheimischen Bevölkerung tun zu wollen. Wie sollten sie das wohl bewerkstelligen? Meinten sie
vielleicht, weil es um das Heilige Land ging, könnten sie mit einer weiteren wunderbaren Brot-und-FischVermehrung rechnen?« Der andere Hammad-Beitrag war ebenfalls in französi scher Sprache verfaßt und 1966 von einem seiner Sensationsmeldungen wegen bekannten Massenblatt publiziert worden. Hier hatte Melanie Hammad ihren Gefühlen freien Lauf gelassen. Ghaled, damals Kom mandant eines Al-Fatah-Ausbildungslagers im GhazaStreifen, wurde als Ritter ohne Furcht und Tadel, als Herold der palästinensischen Sache besungen, zum kompromißlosen, aber ehrenhaften Freiheitskämpfer, zum politischen und militärischen Führer von NasserFormat hinaufstilisiert und als Leitbild schlechthin dar gestellt, an dem sich die palästinensischen Bestrebun gen ausrichten und so zu wahrhaft einheitlicher Ziel setzung zusammenschließen sollten. Quer über diesen Zeitungsausschnitt hatte Edwards mit roter Tinte geschrieben:
PLO-Sprecher in Kairo gab sich alle Mühe, diese Ein schätzung G.s als »grobe Verzeichnung« hinzustellen, und erklärte, sie sei »unvereinbar mit seiner Loyalität der palästinensischen Sache gegenüber«. Hammad wurde als »verantwortungslos, ungenau und naiv« bezeichnet, Photo als Fälschung hingestellt. Das besagte Bild war zusammen mit dem Artikel er schienen und zeigte einen hochgewachsenen schlan ken Mann in Tropenuniform beim Studium einer Karte, die auf der Ladeklappe eines Lastwagens ausgebreitet war. Er trug einen baumwollenen Kopfschutz, der sei ne Gesichtszüge größtenteils verschattete. Alles, was man sehen konnte, war eine überdimensionale, ziem lich krumme Nase sowie ein dünnes Bärtchen auf der Oberlippe. Da im Archiv kein beglaubigtes Photo von Ghaled existierte, mit dem ich es hätte vergleichen können, vermochte ich mir kein Urteil darüber zu bil den, ob es gefälscht war oder nicht. Was mich weit
mehr interessierte, war die den tadelnden Worten des Sprechers zu entnehmende Andeutung, daß Ghaleds Loyalität gegenüber der Palästinensischen Befreiungs organisation bereits 1966 bezweifelt wurde. Ich hielt nach Hinweisen auf disziplinarische Maßregelungen irgendwelcher Art Ausschau. Alles, was ich fand, war eine Meldung, die der PLO Sender ein paar Wochen später (im November 66) verbreitet hatte. Sie besagte, daß Ghaled von seinen Pflichten als Mitglied des >Erweckungs<-Komitees entbunden worden sei, damit er sich »uneingeschränkt den operativen Aufgaben im Rahmen des von der Al Fatah an vorderster Front geführten Freitheitskampfes widmen« könne. Mit anderen Worten, ihm war bedeu tet worden, sich aus der Politik herauszuhalten und fortan wieder auf Mord an Israelis zu verlegen, statt sich dauernd selber in Szene zu setzen. Vermutlich glaubte die PLO, diese öffentliche Rüge ha be Ghaled zur Vernunft gebracht; und vermutlich be stärkte sie sein ganzes Verhalten in diesem Glauben. Wenn in der Folgezeit sein Name in den Verlautbarun gen der PLO auftauchte, geschah es durchweg in Form lobender Erwähnungen. Auf seine plötzliche Kehrtwen dung nach dem vernichtenden Schlag in Jordanien war die PLO offenbar nicht gefaßt gewesen. Infolge des Sechstagekriegs gegen Israel und des erneuten Zu stroms von Flüchtlingen aus den Gebieten westlich des Jordans hatten die Spannungen zwischen dem Ha schemitenkönig Hussein und den Palästinensern stetig zugenommen. Die Bevölkerung dieses kleinen Landes bestand jetzt zur Hälfte aus palästinensischen Flücht lingen. Die Al Fatah und andere aus Flüchtlingen ge bildete Guerilla-Organisationen begannen für die Auto rität des Königs und seiner Regierung eine gefährliche Herausforderung darzustellen. Im Jahre 1970 wurden die Palästinenser von Ghaled darüber aufgeklärt, daß Jordanien mit Israel ein einseitiges Friedensabkommen zu schließen gedenke. Für die Palästinenser, erklärte
er, sei nunmehr der Zeitpunkt gekommen, die Regie rung in Amman zu stürzen und die Macht selbst in die Hand zu nehmen. Urplötzlich war er zum lautstärksten und militantesten aller antihaschemitischen Palästi nenser geworden. In einer Ansprache an seine Fedai jin, die vom Guerillasender Damaskus übertragen wurde, hatte er den Fehdehandschuh hingeworfen. »Bei Allah«, brüllte er, »wir werden durch Ströme von Blut waten, wenn es sein muß. Ich sage euch, Genos sen, um unserer Ehre willen müssen wir jetzt alles wagen.« Aus dem Mund Salah Ghaleds, der sich so gern als Marxist ausgab, hatte man derart hysterische Töne nie zuvor vernommen. Frank Edwards meinte, die Tatsa che, daß Ghaleds Eltern, als das Westufer des Jordans besetzt wurde, abermals fliehen mußten und Ghaled senior wenig später in einem UNWRA-Flüchtlingslager verstarb, müsse diesen Geisteswandel herbeigeführt haben. Was das betraf, war ich mir nicht so sicher. Ich persönlich glaubte eher, daß Ghaled beschlossen hat te, den vermeintlich günstigen Augenblick für den Griff nach der Macht um jeden Preis für sich zu nutzen, und daß seine Hysterie nichts als gespielt war. Die Ströme von Blut, durch die er hatte waten wollen, flossen denn auch reichlich. Als er und die anderen AlFatah-Führer sich anschickten, die Hauptstadt Amman in ihre Gewalt zu bringen, gab König Hussein der jor danischen Armee den Befehl zum Eingreifen, und die Armee gehorchte ihm. Damit begann jene Reihe von Geschehnissen, die Gha led später pauschal als den >Großen Verrat< brand marken sollte. Bestürzt über das blutige Drama, das einem arabischen Bürgerkrieg gleichkam, schaltete sich das Zentralkomitee der PLO schleunigst ein. In direkten Verhandlungen mit dem König und seiner Regierung erreichte es zunächst, daß ein Waffenstill stand geschlossen, und später, daß er verlängert wur de, und stimmte schließlich einer Vereinbarung zu,
derzufolge alle palästinensischen Kampfgruppen abge zogen werden sollten; zuerst aus Amman und in der Folge aus allen anderen städtischen Gebieten Jordani ens. Dieser tragische Konflikt, so wurde offiziell er klärt, sei das Ergebnis israelischer Provokationen, die einzig das Ziel verfolgten, die Araber zu einem selbst mörderischen Bruderkrieg aufzuwiegeln, damit sie von ihrem gemeinsamen zionistischen Todfeind abließen. Ghaled war nicht der einzige Guerillaführer, der sich dem Beschluß des Zentralkomitees widersetzte und weder an die Waffenstillstandsbedingungen noch an die Abmachungen über den Truppenabzug hielt; noch nach Wochen flackerten in und um Amman immer wieder Kämpfe auf. Da das Gros der Al-FatahStreitkräfte sich jedoch dem Waffenstillstandsabkom men fügte, konnte sich die jordanische Armee mit nunmehr frei gewordenen Kräften auf die Verfolgung und Isolierung der verbliebenen Splittergruppen kon zentrieren. Als ihre Lage unhaltbar wurde, traten Gha led und die restlichen Unentwegten einer nach dem anderen mitsamt ihren Leuten unter Mitnahme von Waffen und Geräten den Rückzug an. Ghaled und seine Fedaijin setzten sich nach Norden ab, um bei Ramtha nahe der syrischen Grenze einen Stützpunkt zu beziehen. Als dann aber die jordanische Armee nachrückte und Anstalten traf, auch dieses Ge biet zu säubern, wichen sie nach Syrien aus. Die Mehrzahl der dissidenten Partisanenführer, die sich in das jordanische Hochland zurückgezogen hatte, um dort die weitere Entwicklung abzuwarten, hielt es jetzt für angezeigt, ihre Differenzen mit dem Zentralkomi tee beizulegen. Nicht so Ghaled; er blieb ostentativ unbotmäßig. Von einem Behelfslager im Libanon aus verkündete er seine Unabhängigkeit von den »feigen PLO-Hunden« in der Al Fatah und erklärte sich solidarisch mit der ma oistisch-marxistischen Volksfront für die Befreiung Palästinas. Bei dieser Gelegenheit gab er außerdem
die Gründung des supermilitanten Palästinensischen Aktionskommandos bekannt. Ich fand ein Originalexemplar des PAK-Manifests im Archiv vor. Es war mit der Frage überschrieben: Wer sind unsere Feinde? Wenn man von allem ideologi schen Beiwerk absah, ließ sich die Antwort darauf in einem einzigen Satz zusammenfassen. Er lautete: »Diejenigen, die jetzt fälschlich behaupten, unsere Freunde zu sein.« Wie unterschied man zwischen trügerischen und auf richtigen Treuebekundungen? Ganz einfach. Alle hat ten so lange als suspekt zu gelten, bis ihre Unbedenk lichkeit in einem geheimen Uberprüfungsverfahren zweifelsfrei erwiesen worden war. Wie wurde über prüft? Das PAK hatte seinen eigenen Geheimdienst und eigene Informationsquellen. Es würde geheime Ge richtsverfahren anberaumen und Listen mit den Na men verurteilter Verräter veröffentlichen; die Voll streckung der Urteile blieb den eigens hierzu gebilde ten PAK-Säuberungskommandos vorbehalten. Nur so konnte die palästinensische Befreiungsbewegung von dem Gift des Großen Verrats gesäubert und geläutert werden. Was Ghaled unter >gesäubert< und >geläutert< verstand, war sehr rasch deutlich geworden. Dazu hatte es nur einer weitverbreiteten Veröffentlichung der ersten fünf oder sechs von dem >Kriegsgericht< gefällten und den Säuberungskommandos vollstreck ten Todesurteile bedurft. Nach diesem Anschauungs unterricht gab es unter dem Zeichen des Halbmonds nur wenige Männer von Verstand und Vermögen, die nicht begriffen hatten, daß es klüger war, die Kriegs kasse des PAK aufzubessern, als das Risiko zu laufen, auf Ghaleds schwarze Liste gesetzt zu werden. Die PLO brandmarkte ihn als verbrecherischen Erpres ser. Die Volksfront für die Befreiung Palästinas distan zierte sich von dem PAK und seinem »revisionisti schen« Führer Salah Ghaled, den sie als »politischen
Abenteurer« abqualifizierte. Die jordanische Regierung ächtete ihn. Im Libanon wurde er diverser krimineller Delikte beschuldigt und steckbrieflich gesucht. Wie Frank Edwards gesagt hatte, war er überall unten durch. »Soviel ich sehe«, sagte ich, »ist dieser Typ in keiner Weise repräsentativ für die palästinensische Partisa nenbewegung. Ich rede nicht von dem, was er war, solange er noch der Al Fatah angehörte, Jim. Ich rede von dem, was in jüngster Zeit aus ihm geworden ist.« Er nickte. »Ich vermute, es ist die Erpressertour, die Ihnen nicht zusagt. Würden Sie ihn für repräsentativ halten, wenn er Bomben in ausländische Flugzeuge oder israelische Supermärkte schmuggelte?« »Ja, das würde ich.« »Eines kann ich Ihnen sagen. Auf diese erpresseri schen Praktiken ist er bestimmt nicht verfallen, um seine eigenen Taschen zu füllen. Die PLO hat ihm den Nachschub und jedwede finanzielle Unterstützung ge sperrt. Irgend etwas mußte er sich einfallen lassen. Möglich, daß die Russen ihm helfen oder die Chinesen, aber einiges Bargeld wird er dennoch benötigen, um überhaupt etwas in Gang zu setzen.« »Was in Gang setzen? Glaubt er im Ernst, der palästi nensischen Sache mit dieser einträglichen Säube rungsmasche einen Dienst zu erweisen?« »Nein, die ist nur Mittel zum Zweck.« »Zu welchem Zweck?« »Warum fragen Sie ihn das nicht selber? Sie reden, als sei es für Sie bereits erwiesen, wozu er sich in letzter Zeit entwickelt hat – zu einem gemeinen Erpresser. Das ist der PLO-Tenor, und dem traue ich nicht. Ich weiß nicht, was aus ihm geworden ist. Genau das ist es, was mich interessiert und worauf ich neugierig bin. Ich möchte wissen, was er vorhat.« »Okay«, sagte ich. »Ich will versuchen, es herauszu bekommen.« Ich rief also Melanie Hammad an und bat sie, die Ver
einbarungen für das Interview zu treffen. »Umgehend«, sagte sie. »Ich freue mich, Ihnen behilf lich sein zu können, Mr. Prescott. Natürlich sind ein paar Bedingungen daran geknüpft.« Es hätte mich überrascht, wenn keine gestellt worden wären. »Und wie lauten die, Miss Hammad?« »Das Interview darf frühestens zwei Tage, nachdem es stattgefunden hat, veröffentlicht werden. Und es dür fen keine Fotos aufgenommen werden.« »Okay. Einverstanden. Sonst noch etwas?« »Das Interview muß auf Band gesprochen werden.« »Ich benutze nie Tonbänder für Interviews. Ich mache mir Notizen.« »Salah wird darauf bestehen. Dafür brauchen Sie ihm den Text dann auch nicht mehr zur Genehmigung vor zulegen, bevor Sie ihn veröffentlichen. Aber er wird verlangen, daß alles, was er gesagt hat, im vollen Wortlaut wiedergegeben wird.« »Gut, gut.« »Ich werde für die beiden Tonbandgeräte sorgen.« »Die beiden?« »Sie müssen eine gleichlautende Aufnahme besitzen.« »Die brauche ich nicht.« »Salah wird es aber wünschen.« »Okay. Ist das alles?« »Ich rufe Sie morgen an und gebe Ihnen für übermor gen alle Einzelheiten durch.« Wir trafen uns am frühen Nachmittag im Museum von Beirut – »Im St. Georges kennen mich zu viele Leute, Mr. Prescott« –, und zwei Tonbandgeräte, die auf dem Beifahrersitz des Wagens lagen, wurden meiner Obhut anvertraut. Miss Hammad fuhr, als werde sie verfolgt. Die Berg straße, die wir bald hinaufjagten, war schmal und in schlechtem Zustand, der Buick weich gefedert. Haltsu chend packte ich die Armlehne, wenn sie eine Haarna delkurve nahm, und zum erstenmal in meinem Leben fragte ich mich, ob ich womöglich autokrank werden
würde. Ich war im Begriff zu protestieren und sie dar auf hinzuweisen, daß wir seit Beirut eine hervorragen de Zeit herausgeholt hatten und daher keinerlei Not wendigkeit bestehe, dieses Tempo beizubehalten, als sie ganz unvermittelt scharf bremste. Ich mußte rasch die beiden Tonbandgeräte festhalten, weil sie sonst vom Sitz gerutscht wären. Wir hatten soeben eine sehr enge Kurve durchfahren, an die sich eine kurze Gerade anschloß, die horizontal verlief. Ich sah jetzt, daß vor uns eine Straßensperre errichtet war. Sie bestand aus einem gestreiften Schlagbaum, der sich heben und senken ließ, sowie einer Anzahl beiderseits des Schlagbaums gestaffelt in den Boden gerammter Betonpfosten, die jeden Ver such, die Sperre zu durchbrechen, aussichtslos er scheinen ließ. Neben der Barriere befand sich ein be toniertes Wachhaus mit Schießscharten, vor dem drei libanesische Soldaten mit Maschinenpistolen standen. Als der Wagen ausrollte und schließlich hielt, kam ei ner der drei herbeigeschlendert. Noch ehe er ganz an das Fenster herangetreten war, hatte Miss Hammad die Scheibe heruntergekurbelt und sehr schnell auf ihn einzureden begonnen. Der Soldat erwiderte etwas und sah mich dabei an. Ich war deswegen nicht über Gebühr beunruhigt. Ich sprach kein Arabisch und verstand es auch nicht, aber ich hatte es oft genug gehört, um zu wissen, daß es sich bei Miss Hammads Unterhaltung mit dem Solda ten, wenngleich sie eher wie ein Austausch von Dro hungen oder Beleidigungen klang, sehr wohl um einen solchen von Höflichkeiten handeln konnte. Daß diese Vermutung zutraf, erwies sich, als sie über irgend et was, was er gesagt hatte, fröhlich lachte, die Scheibe hochkurbelte und mit einem Wink zur Weiterfahrt auf gefordert wurde. »Was sollte dieser ganze Zirkus eigentlich bezwek ken?« »Wir sind jetzt in der Militärzone«, sagte sie. »Weil die
syrisch-israelische Grenze nicht weit von hier ist, wird diese Gegend von der Armee überwacht. Sehen Sie jetzt, was gespielt wird? Diese Feiglinge in Beirut be nutzen die Armee, um die Fedaijin zu unterdrücken.« »Diese Burschen kamen mir aber nicht wie richtige Unterdrücker vor. Sie haben nicht einmal nach unse ren Papieren gefragt.« »Oh, die kennen mich, und sie kennen den Wagen. Er gehört meinem Vater. Er hat hier in der Nähe ein Sommerhaus in den Bergen. Ich habe gesagt, Sie sei en ein Freund von ihm.« »Fahren wir dorthin – zum Sommerhaus Ihres Va ters?« »Ja. Aber wir bleiben dort nur, bis es Zeit ist, zu unse rem Treffen aufzubrechen. Das findet woanders statt.« Wir hatten gerade ein arabisches Dorf durchfahren, als die Straße erneut steil anstieg. Droben in den Berg schluchten war der Schnee auch jetzt – es war Mai – noch nicht geschmolzen. Bald nachdem wir die Stra ßensperre hinter uns gebracht hatten, schaltete sie die Heizung ein. »Sie haben mir nicht gesagt, daß ich einen Mantel brauchen könnte«, sagte ich. »Womöglich hätte es irgend jemand vom Hotelperso nal in Beirut sonderbar finden können, wenn Sie im Mantel weggegangen wären, um das Museum zu be suchen. Aber das ist kein Problem. Im Sommerhaus hängen genug Mäntel zur Auswahl, die wir anziehen können.« Dieses Sommerhaus erwies sich als stattliche Villa mit Dienstboten, die uns bewillkommneten und bereits Sandwiches hergerichtet hatten. Es gab einen großen Kamin, in dem ein Feuer flackerte, und eine wohlas sortierte Hausbar. »Es ist zwar noch reichlich früh für das Dinner«, sagte sie, »aber dort, wo wir hinfahren, bekommen wir nichts zu essen.« »Und wo wird das sein?«
»Zwei Kilometer von hier entfernt ist ein arabisches Dorf, und weiter oberhalb davon steht ein altes Fort. Das ist der Treffpunkt. Was trinken Sie?« »Kann ich schreiben, daß das Interview in einem alten Fort nahe der syrisch-israelischen Grenze stattfand?« »Natürlich. Es gibt Dutzende solcher Forts hier in den Bergen.« Sie lächelte. »Sie können es eine verfallene Kreuzritterburg nennen, wenn Sie wollen.« »Warum?« »Das klingt romantischer.« »Ist es denn eine verfallene Kreuzritterburg?« »Nein. Es ist von Moslems erbaut worden.« »Dann ist es ein altes Fort. Danke, ich hätte gern ei nen Scotch.« Während wir unsere Drinks nahmen, versuchte sie mich darüber auszuhorchen, welche Fragen ich stellen würde. Ich antwortete so vage, als hätte ich daran noch nicht sonderlich viele Gedanken verschwendet. Sie wurde nervös, gab sich jedoch Mühe, sich das nicht anmerken zu lassen. Die Unterhaltung stockte. Ich aß fast alle Sandwiches auf. Als die Sonne zu sinken begann, erklärte sie, es sei Zeit zum Aufbruch. Sie zog sich ein ponchoähnliches bauschiges Kleidungsstück an, das aussah, als sei es aus einer alten Pferdedecke gefertigt, und trug dazu schwarze kurze Filzstiefel. Mir wurde ein pelzgefütter ter Anorak zugewiesen, der ihrem Vater gehörte und mir um die Schultern herum reichlich eng war. Der Buick war irgendwo außer Sichtweite abgestellt wor den, und wir setzten die Fahrt in einem Volkswagen fort, der mit Winterreifen ausgerüstet war. Sie führte einen Rucksack mit sich. Ich hatte die beiden Ton bandgeräte auf den Knien. Die zwei Kilometer lange Fahrt auf unwegsamen Pfaden dauerte zwanzig Minu ten. Wir hielten unmittelbar vor dem Dorfausgang neben einem verfallenen steinernen Stallgebäude, das inten siv nach Vieh roch.
»Von hier aus müssen wir zu Fuß gehen«, sagte sie und holte eine Taschenlampe aus dem Rucksack. Es war noch immer ziemlich hell, und man konnte die Umrisse des Forts erkennen, das sich, eine häßliche, gedrungene Ruine, auf einem Felsen befand, der über uns aus einem Hang herausragte. Es war nicht weit bis dorthin, aber der Aufstieg beschwerlich, und wir brauchten die Taschenlampe. An einigen Stellen waren steinerne Stufen vorhanden, die man am besten um ging, da sie sich zumeist als geborsten oder gelockert erwiesen. Miss Hammad jedoch, die keine Tonbandge räte zu tragen hatte, eilte behende voraus und war offenkundig ungehalten, daß ich ihr nicht auf den Fer sen blieb. Als der Pfad dann schließlich ebener wurde und wir uns dem von Unterholz überwucherten Plateau des Forts näherten, bedeutete sie mir, stehenzublei ben, und ging allein weiter. Am Fuß des Glacis ange kommen, gab sie mit der Taschenlampe irgendwelche Signale. Sobald sie von oben her erwidert wurden, rief sie mir zu, daß alles in Ordnung sei. Ich kraxelte wei ter. Mir war es inzwischen schon ziemlich gleichgültig geworden, ob alles in Ordnung war oder nicht. Meine Hauptsorge galt dem Bemühen, mir eine Knöchel verstauchung zu ersparen. Der steinerne Rundbogen, der einst den Eingang des Forts gebildet hatte, war vor langer Zeit eingestürzt, und aus den Trümmern wuchs verkümmertes Buschwerk. Es gab jedoch eine Art Pfad, der zwischen den Steinbrocken und Büschen hindurchführte, und dorthin geleitete sie mich mit dem Strahl ihrer Taschenlampe. Ein Araber in einem schwarzen Umhang erwartete uns. Mit einer Schwen kung der Laterne, die er trug, forderte er mich auf, ihm zu folgen. Drinnen lagen weitere Trümmer umher, die eine Lich tung umschlossen. Eines der alten Gemäuer war erhal ten geblieben und daran – vermutlich von einem Schafhirten aus der Gegend, der die Steine dazu aus den Trümmern geklaubt hatte – eine Hütte angebaut
worden. Sie hatte ein Dach, das aus verrosteten und mit Teerpappe abgedichteten Eisenblechen bestand, und eine Tür, durch deren Ritzen ein Lichtschein nach außen drang. Auf dem freigeräumten Platz neben der Hütte standen drei angepflockte Esel. »Ich gehe zuerst hinein«, erklärte Miss Hammad. »Bit te geben Sie mir die Tonbandgeräte und warten Sie hier.« Sie sagte irgend etwas auf Arabisch zu dem Mann im Umhang, der mit einem grunzenden Laut sein Einver ständnis bekundete und sich dicht neben mich stellte, als sie in der Hütte verschwand. In dem Lichtschein, der durch die geöffnete Tür fiel, beäugte er mich neu gierig und leckte sich die Lippen. Er hatte graue Bart stoppeln auf Kinn und Wangen und sehr schlechte Zähne. Zudem roch er auch sehr schlecht. In stockendem gutturalem Französisch fragte er mich, ob ich arabisch spräche. Ich verneinte, und er stellte keine weiteren Fragen. Zwei Minuten vergingen, dann er schien Miss Hammad und winkte mir. Das Licht in der Hütte stammte von einer Kerosinlam pe, die auf eine verbeulte Öltonne gestellt war. Das sonstige Mobiliar bestand einzig aus einem primitiven Holztisch, der eher wie eine Bank aussah, und zwei Stühlen; aber zu Ehren des Besuchs waren Teppiche ausgelegt worden, um den nackten Erdboden zuzu decken, und der Geruch von Zigarrenrauch hatte den von Kerosin und Ziegenbock nahezu überlagert. Als ich eintrat, erhob sich der Zigarrenraucher, der einen Schaffellmantel und eine gestrickte Wollmütze trug, von seinem Stuhl und neigte den Kopf. »Mr. Prescott«, verkündete Miss Hammad feierlich, »ich habe die Ehre, Sie mit dem Befehlshaber des Pa lästinensischen Aktionskommandos, dem GenossenFührer Salah Ghaled, bekannt zu machen.« Hübsch war er nicht gerade; er hatte einen Zinken von einer Nase, der viel zu groß war für seinen Kopf, und auf der Oberlippe ein schmales Bärtchen, das dieses
Mißverhältnis noch betonte; aber auf seine Weise war sein Raubvogelgesicht eindrucksvoll. Von schweren Lidern halb verhängt, war sein Blick scharf und wach sam. Obschon ich wußte, daß er unlängst Vierzig ge worden war, wirkte er auf mich wie ein weit älterer Mann. Ein durchtrainierter allerdings; jede Bewegung, die er machte, war sicher und zweckentsprechend und die seiner Hände von ganz eigenartiger Grazie. Er neigte kaum merklich den Kopf und richtete sich dann straff auf. »Guten Abend, Mr. Prescott«, sagte er in stockendem Englisch mit starkem Akzent. »Es ist sehr freundlich von Ihnen, daß Sie diese Reise unternommen haben. Bitte, setzen Sie sich.« Seine Hand, in der er die Zi garre hielt, wies auf den zweiten Stuhl. »Danke, Mr. Ghaled«, entgegnete ich. »Ich bin erfreut über diese Gelegenheit, Sie kennenzulernen.« Wir setzten uns. »Ich bedaure«, sagte er, »Ihnen hier keinen Kaffee anbieten zu können. Aber vielleicht nehmen Sie mit einem Arrak und einer Zigarette vorlieb.« Er brachte den Satz nur mit Mühe heraus, und es blieb der letzte, den er auf englisch sagte. Miss Hammad übernahm jetzt ihren Part als Dolmetscherin. Außer den beiden Tonbandgeräten standen eine Fla sche Arrak und zwei Gläser auf dem Tisch, und eine Packung der Zigaretten, die ich für gewöhnlich rauche, lag ebenfalls dort. Miss Hammad hatte den Arrak, die Gläser und die Zigaretten offensichtlich in ihrem Ruck sack mitgebracht. »Normalerweise trinkt Mr. Ghaled natürlich keinen Alkohol«, sagte sie. »Aber er ist nicht orthodox in die sen Dingen, und da es sich hier um eine private Be gegnung handelt, wird er mit Ihnen ein Gläschen Ar rak trinken, der in Syrien hergestellt ist.« Ich verabscheue Arrak, wo immer er auch hergestellt sein mag; aber es schien mir nicht der rechte Augen blick zu sein, das zu sagen.
»Man hat mir erzählt, der syrische Arrak sei der be ste.« Sie übersetzte dies, während sie einschenkte. Ghaled nickte und wies auf die gefüllten Gläser. Wir ergriffen jeder eines und nahmen einen zeremoniellen Schluck. »Ich werde jetzt die Tonbandgeräte richten«, sagte Miss Hammad. Sie saß mit untergeschlagenen Beinen auf dem Boden und fuhr fort, abwechselnd arabisch und englisch zu sprechen, während sie die Mikrophone aufstellte und die Kassetten einlegte. »Jedes Band läuft bei niedriger Geschwindigkeit drei ßig Minuten lang, und ich kündige vorher an, wenn ich es auswechseln muß. Vielleicht sollte ich die Bedin gungen, unter denen das Interview gewährt wird, kurz wiederholen.« Das tat sie. Ghaled sagte etwas. »Mr. Ghaled erhebt keine Einwände, wenn Mr. Prescott zur Ergänzung der Tonbandaufzeichnung schriftliche Notizen zu machen wünscht.« »Danke.« Ich stellte das Glas ab und zog den Notiz block hervor, auf dem ich die einleitenden Fragen, die ich stellen wollte – die leichten also –, schon vermerkt hatte. Ich spürte, wie Ghaled mich beobachtete, wäh rend ich in den Seiten blätterte; er versuchte mich einzuschätzen. Ich ließ mir Zeit bei der Durchsicht meiner Notizen und steckte mir eine Zigarette an, um das Schweigen zu verlängern. Es sollte mir nur recht sein, wenn er ungeduldig wurde. Es war Miss Hammad, die die Geduld verlor. »Wenn Sie vielleicht probeweise irgend etwas ins Mi krophon sprechen wollen, damit wir anfangen können, Mr. Prescott?« »Es ist eine Ehre, von Mr. Ghaled empfangen zu wer den.« Sie übersetzte seine Antwort. »Es ist liebenswürdig von Mr. Prescott, das zu sagen.« Sie schaltete die Geräte auf Playback. Sie funktionier
ten beide einwandfrei. Sie drückte wieder auf die »Aufnahme «-Taste und sagte auf englisch und ara bisch: »Interview mit dem Befehlshaber und Führer des Palä stinensischen Aktionskommandos, Salah Ghaled, von Lewis Prescott, Korrespondent der syndikalisierten amerikanischen Post-Tribune-Nachrichtendienste, auf genommen in der Republik Libanon am – « Sie warf einen Blick auf ihre Armbanduhr, um das Datum zu überprüfen, bevor sie es hinzusetzte. Es war der vierzehnte Mai.
2. Michael Howell 15. und 16. Mai Am vierzehnten Mai war ich in Italien, und ich wünsch te nur, ich wäre dortgeblieben. Schon ein Streik des Flughafenpersonals – wenn ich dadurch nur etwa vierundzwanzig Stunden lang auf gehalten worden wäre – hätte sich für mich segens reich auswirken können. Zumindest wäre mir meine Ahnungslosigkeit ein wenig länger erhalten geblieben. Mit einigem Glück hätte ich möglicherweise sogar um die direkte Verstrickung herumkommen können. Aber nein. Ich kehrte am Fünfzehnten zurück und lief schnurstracks in mein Unglück. Die Tatsache, daß sich das Gift zu diesem Zeitpunkt bereits seit mehr als fünfzehn Monaten – genauer ge sagt seit jenem Tag, an dem der Mann, der sich Yassin nannte, bei mir um Arbeit nachgesucht hatte – im Körper befand, war etwas, was ich nicht wußte. Ich bin angeschuldigt worden, mich blindgestellt zu haben, bis die Umstände dies nicht länger zuließen. Nichts könnte weiter von der Wahrheit entfernt sein. Bedauerlicherweise fiel es denen, die mich am besten kennen – Geschäftsfreunden zum Beispiel –, beson ders schwer, der Tatsache, daß ich sowohl unwissend als auch unschuldig war, Glauben zu schenken. Mein Eingeständnis, daß ich in jenen Monaten hinsichtlich dessen, was gespielt wurde, zu keinem Zeitpunkt auch nur den leisesten Verdacht schöpfte, hielten sie ledig lich für eine unter den gegebenen Umständen zwar gebotene, aber doch höchst unglaubwürdige Schutz behauptung. Nun, ich kann ihnen das schwerlich übel nehmen, aber es tut mir leid: dieses Eingeständnis, das mir gewiß nicht leichtfiel und auf das ich alles an dere als stolz bin, entspricht nun einmal der Wahrheit. Eines möchte ich klargestellt wissen. Ich habe nicht
die Absicht, mich selbst oder mein Verhalten zu recht fertigen; ich bemühe mich lediglich, den Schaden, der angerichtet worden ist, wenigstens teilweise zu behe ben. Es geht mir dabei nicht um meinen persönlichen Ruf, sondern um den unserer Firma. Die Woche vor dem Fünfzehnten hatte ich in Mailand in geschäftlichen Angelegenheiten unserer Firma ver bracht. Nachdem diese Angelegenheiten geregelt wa ren, flog ich nach Rom, um dort bei meinem Schneider zwei neue Anzüge abzuholen. Am darauffolgenden Tag, am Fünfzehnten also, nahm ich eine Maschine der Middle East Airlines nach Damaskus. Wie gewöhnlich hatte ich Flugnummer, fahrplanmäßi ge Ankunftszeit etcetera telegraphisch avisiert, und wie gewöhnlich wurde ich als VIP behandelt. In Damas kus bedeutete dies, daß mich ein Korporal der syri schen Armee im Fallschirmjäger-Sprunganzug und bewaffnet mit einem entsicherten, an langem Riemen quer über dem Bauch getragenen tschechischen Schnellfeuergewehr, am Fuß der Treppe, über die ich das Flugzeug verließ, in Empfang nahm. Von ihm es kortiert, begab ich mich ungehindert durch Zoll- und Paßkontrollen zum vollklimatisierten Wagen des Mini steriums, der vor dem Flughafengebäude auf mich wartete. Wie immer waren meine Gefühle, soweit sie diese Art des Empfangs betrafen, gemischt. Natürlich empfand ich es als angenehm, daß mir die Verhöre und Durch suchungen erspart blieben, denen sich die Mehrzahl der anderen Fluggäste in der Regel unterziehen muß te. Zudem war es beruhigend, gleich nach der Lan dung die Gewißheit zu haben, daß man von Staats wegen nach wie vor als wichtig und wertvoll erachtet wurde und daß während der eigenen Abwesenheit kei ne langen Messer gezückt worden waren: muß doch das moderne Syrien noch immer zu den Ländern mit hoher »Kopf ab«-Rate gezählt werden.
Andererseits wurde ich nie ganz das Gefühl los, daß ich, sollte eine der potentiellen Gefahren – eine Bom bendrohung zum Beispiel oder eine Schießerei mit Terroristen – plötzlich akut werden, als Ausländer, Zivilist und Ungläubiger unter den ersten sein würde, die im Kreuzfeuer zusammengeschossen wurden. Der Korporal, den ich von früheren Gelegenheiten her kannte, war ein gutmütiger und freundlicher Tölpel, der nach Schweiß und Waffenöl roch und ungemein stolz darauf war, daß sein Erstgeborener inzwischen eine dörfliche Elementarschule besuchte; mir jedoch wollten sein martialischer Aufzug und sein durchgela denes Schnellfeuergewehr ebensosehr als Drohung wie als Schutz vor einer solchen erscheinen. Da meine Audienz beim Minister erst für sechzehn Uhr dreißig vorgesehen war, ließ ich mich zunächst zu der Villa fahren, die unserer Firma in der Stadt gehörte – und zu Teresa. Die Villa, noch ganz im alten Stil mit Innenhof, war teils Büro, teils pied-á-terre. Teresa stand beiden Bereichen vor. Assistiert von einem syri schen Kontorgehilfen, leitete sie das Büro für mich; und unterstützt von zwei Bediensteten, versah sie un seren privaten Haushalt. Teresas Vater war italienischer Konsul in Aleppo und außerdem ein begeisterter Amateur-Archäologe gewe sen. Gemeinsam mit Teresas Mutter und Mitarbeitern des Museums von Aleppo hatte er sich auf einer ar chäologischen Expedition in den Norden des Landes befunden, als die Reisegesellschaft von Banditen – Kurden vermutlich – überfallen wurde. Möglicherweise glaubten die Kurden, es mit einer syrischen Grenzpa trouille zu tun zu haben. Unter denen, die von ihnen umgebracht wurden, waren auch Teresas Eltern gewe sen. Ihre damals neunzehnjährige Tochter war in einem libanesischen Konvent erzogen worden und verfügte über ausgezeichnete Sprachkenntnisse. Eine Zeitlang hatte sie als Sekretärin und Dolmetscherin in der örtli
chen Niederlassung einer amerikanischen Ölgesell schaft gearbeitet. Dann war sie zu mir gekommen. Da sie ihr Leben größtenteils im Mittleren Osten verbracht hat, kennt sie sich dort in allem aus. Sie war und ist für mich in jeder Hinsicht unersetzlich. Ich habe für unsere Firma immer viel herumreisen müssen, und jedesmal, wenn ich nach Damaskus zu rückkehrte, spielte sich im Büro das gleiche Ritual ab. Teresa legte mir einen kurzen Bericht über den Zu stand unserer örtlichen Unternehmungen vor, den sie in meiner Abwesenheit verfaßt hatte. Für gewöhnlich bestand dieser Bericht in der Hauptsache aus Zahlen. Sie pflegte ihn jeweils mündlich zu kommentieren und mit zusätzlichen Informationen zu ergänzen, die ihr wichtig oder interessant genug erschienen, um mir zur Kenntnis gebracht zu werden. Diesmal berichtete sie mir von den Machenschaften eines Konkurrenten, der unseren Kostenvoranschlag für einen Auftrag in Teheran zu unterbieten versuchte. Diese Geschichte amüsierte mich. Daß dies auch beim nächsten Punkt der Fall gewesen wäre, kann ich nicht behaupten. »Mir ist aufgefallen, daß die Laborkosten laufend stei gen«, sagte sie. »Während du weg warst, habe ich sie mir daraufhin einmal näher angesehen. Die Rechnun gen werden uns zur Begleichung zugeschickt, aber die Warenbegleitscheine, auf denen die Posten einzeln aufgeführt sind, gehen mit der bestellten Lieferung direkt an die Fabrik. Dort scheinen sie dann meistens zu verschwinden. Deswegen habe ich dem Lieferanten in Beirut geschrieben und ihn um eine Kopie der Wa renbegleitscheine gebeten.« »Und?« »Ich fand einen Posten darunter, der in der Tat sehr kostspielig war. Zudem mußten wir eine Menge Zoll dafür zahlen. Es handelte sich um eine Bestellung über zehn rottols reinen Alkohol.« Ein rottol, das sollte ich hier nicht unerwähnt lassen,
ist eines jener vorsintflutlichen Gewichts- und Men genmaße, die in bestimmten Gegenden des Mittleren Ostens noch immer gebräuchlich sind. Ein rottol ent spricht zwei okes, ein oke ist etwas mehr als einein viertel Kilo. Zehn rottols sind also etwa fünfundzwan zig Kilo. »Hat Issa die aufgegeben?« »Offenbar. Ich wußte nicht, daß wir im Laboratorium dermaßen viel Alkohol verbrauchen.« »Wir dürften überhaupt keinen Alkohol verbrauchen. Hast du ihn deswegen zur Rede gestellt?« Sie lächelte. »Ich dachte mir, das sollte ich lieber dir überlassen, Michael.« »Ganz recht. Es wird mir ein Vergnügen sein. Dieser kleine Gauner.« Ich warf einen Blick auf meine Arm banduhr; der Minister hielt auf Pünktlichkeit. »Wir re den noch darüber«, sagte ich. »Hast du in Mailand erreicht, was du wolltest?« »Ich denke schon.« Ich nahm meinen Aktenkoffer zur Hand. »Hoffen wir, daß der hohe Herr ebenfalls der Meinung ist.« »Viel Glück«, sagte sie. Ich ging hinunter und stieg in den Wagen des Ministe riums. Das erste Alarmzeichen, das mein inneres Warnsystem mir signalisiert hatte, begann bereits ab zuklingen. Ich bildete mir – nicht ganz zu Unrecht – ein, mich an diesem Nachmittag um wichtigere Dinge kümmern zu müssen. Angesichts der verleumderischen und in hohem Maße geschäftsschädigenden Behauptungen, die insbeson dere von gewissen französischen und westdeutschen >Nachrichten<-Magazinen über unsere Firma und ihre unternehmerischen Aktivitäten verbreitet worden sind, halte ich es jetzt und hier für erforderlich, die Meldun gen zurechtzurücken. Schmähungen, soweit sie ledig lich Gradmesser der verbalisierten Wut neidischer Konkurrenten und anderer kommerzieller Gegenspieler
sind, können mit Verachtung gestraft und übergangen werden; die gedruckte Verleumdung jedoch sollte nicht ungesühnt bleiben dürfen. Zwar sind veröffent lichte Schmähungen dieser Art strafbar, und selbstver ständlich wurden die erforderlichen Schritte bereits eingeleitet, um die Verantwortlichen vor die Gerichte zu bringen. Da aber die Gesetze gegen den Straftatbe stand der Verleumdung in den einzelnen Ländern un terschiedlich lauten und ein Vergehen, das in dem ei nen Land ganz eindeutig strafbar ist, dies in einem anderen nur sehr bedingt sein mag, mahlen die Müh len der Gerechtigkeit so langsam, daß es bisweilen eher den Anschein hat, als ständen sie vollends still. Die Zeit vergeht, die Lügen gedeihen wie wucherndes Unkraut, und die Wahrheit wird erstickt. Das werde ich nicht zulassen. Jetzt muß der Unkrautvertilger her. Einer der Nachrichtenmagazin-Reporter, denen ich ein Interview gewährte, bezeichnete meine Darlegung des Standpunkts unserer Firma als »wortreiche Nebelwand aus Falschinformationen«. Verrutschte Metaphern scheinen ein Kennzeichen voreingenommener Bericht erstattung zu sein; da Anschuldigungen dieser Art aber recht typisch waren, will ich dazu Stellung neh men. Wortreich? Mag sein. In dem Bestreben, seine Vorur teile und festgelegten Meinungen zu widerlegen, habe ich vermutlich zuviel geredet. Falschinformationen? Als er kam, war sein Verstand bereits vorprogrammiert, und an dieser seiner Geistesverfassung hatte sich nicht das geringste geändert, als er ging. Der bloße Informationswert der Wahrheit interessierte ihn nicht. Was er – und/oder sein Redakteur – taugte, wurde an anderer Stelle des Berichts vollends deutlich, wo er erwähnte, daß ich »teure goldene Manschettenknöpfe« trug. Was, in aller Welt, sollte wohl damit bewiesen werden? Wäre es meiner Glaubwürdigkeit dienlicher gewesen, wenn ich billige goldene Manschettenknöpfe – gesetzt, es gäbe sie – oder vielleicht Kunststoffknöp
fe getragen hätte? Nein. Ich behaupte nicht, daß alle Zeitungsleute kor rupt seien – Mr. Lewis Prescott und Mr. Frank Edwards zum Beispiel haben sich immerhin bemüht, die Wahr heit zu berichten –, sondern sage lediglich, daß man sich gegen diejenigen, die korrumpiert sind, nur dann mit Erfolg zur Wehr setzen kann, wenn man sie auf ihrem eigenen Feld und mit ihren eigenen Waffen schlägt, das heißt: sie durch einen Gegenbericht öf fentlich diskreditiert. Genau das tue ich jetzt, und falls einer dieser alerten Herren von der Boulevardpresse der Meinung sein soll te, irgend etwas von dem, was ich über ihn gesagt habe, sei verleumderisch und folglich strafbar, werden ihm seine Rechtsberater sagen können, welches Ge richt er bemühen soll. Unsere Firma hat sich in allen Hauptstädten, in denen sie Niederlassungen unterhält, den Beistand hervorragender Anwälte gesichert. Gemeinsam mit den ihr assoziierten Handelsgesell schaften ist die Agence Commerciale et Maritime Ho well immer ein ausgesprochenes Familienunternehmen gewesen. Die ursprüngliche societe a responsabilite limitee wurde in den frühen zwanziger Jahren von meinem Großvater Robert Howell gegründet. Davor hatte er – praktisch schon seit der Jahrhundertwende – in der Region, die ehedem als >die Levante< be zeichnet wurde, auf ausgedehnten Ländereien, unter dem Ferman des türkischen Sultans Abdul, Süßholz und Tabak angebaut. Als Lohn für politische Dienste, die er dem osmani schen Hof erwiesen hatte, wurden ihm die im lataki schen vilayet gelegenen Ländereien übereignet. Wel cherart besagte Dienste im einzelnen gewesen sind, habe ich nie genau erfahren können. Mein Vater äu ßerte mir gegenüber einmal nur ganz vage, daß sie »irgend etwas mit der Ausstellung einer Schuldver schreibung der Regierung zu tun gehabt« hatten, aber er konnte oder wollte diese Auskunft nicht näher er
läutern. Die Landschenkungsurkunde beschreibt die Tätigkeit meines Großvaters als die eines >entrepre neur-negotiator<, worunter in der imperialen Türkei sehr vieles und gänzlich verschiedenes verstanden werden konnte. Ich weiß, daß er in Konstantinopel hohes Ansehen genoß und daß seine Internierung, als die Türken ihn, der im Ersten Weltkrieg als Engländer feindlicher Ausländer war, verhaftet hatten, praktisch auf einen Hausarrest hinauslief. Überdies verblieben die Ländereien wie auch die darauf befindlichen Be triebe – eine Gerberei und eine Getreidemühle –, die er vor dem Krieg erworben hatte, in seinem Besitz. »Johnny Türk ist ein Gentleman«, pflegte er zu sagen. Mit dem Zusammenbruch des osmanischen Imperiums und der Unterstellung der heute als Syrien und Liba non bekannten Gebiete unter das französische Mandat wurden gewisse Änderungen unabweislich. Obwohl ihm das neue Regime den Besitzanspruch auf die Län dereien, die ihm gehört hatten, schließlich wieder zu erkannte, zog er aus seinen Erfahrungen mit den – in jeder Hinsicht weniger gentlemanlike als die Türken verfahrenden – französischen Kolonialbeamten eine entscheidende Lehre. Alleininhaber eines Geschäftsun ternehmens zu sein, machte verwundbar. Er verwan delte die Firma in eine Gesellschaft, ließ sie als solche in das syrische Handelsregister eintragen und ging daran, nach und nach den Sitz der meisten Tochterge sellschaften – vor allem derjenigen, die nicht unmit telbar von Grundbesitz abhingen – nach Zypern zu verlegen. Großvater starb 1933, und mein Vater, John Howell, übernahm die Gesamtleitung. Er hatte zuvor die Ge schäfte des zypriotischen Büros in Famagusta geführt, das ursprünglich zu dem Zweck gegründet worden war, die Bereitstellung von Fracht für die Küstenfah rerflotte zu gewährleisten, die die Muttergesellschaft von Latakia aus betrieb. In dem gleichen Maß, in dem sein Büro auf Zypern an
Bedeutung gewann, ließ meines Vaters Interesse am kleinasiatischen Festland nach. Er hatte auf Zypern geheiratet. Meine Schwestern und ich sind in Famagu sta geboren und nach griechisch-orthodoxem Glauben getauft worden. Mein Name, Michael Howell, mag an gelsächsisch aussehen und klingen, aber mit einer libanesischen Großmutter und einer zypriotischen Mut ter bin ich nur zu einem Bruchteil Engländer. Familien wie unsere – arme und reiche – gibt es unzählige im Mittleren Osten. Meine Schwestern und ich könnten ethnisch meines Erachtens durchaus zutreffend als >ostmediterran< eingestuft werden. Ich persönlich ziehe dem die simplere, wenngleich meist im abfälli gen Sinn benutzte Bezeichnung >levantinischer Mi schung< vor. Mischlinge sind nicht selten intelligenter als ihre achtbaren Vettern; es fällt ihnen leichter, sich fremdartigen Umweltsverhältnissen anzupassen; und unter extrem harten und widrigen Lebensbedingungen zählen sie zu denen, die mit größter Wahrscheinlich keit überleben. Die Jahre des Zweiten Weltkriegs waren für unsere syrischen Interessen außerordentlich schwierige. Un sere Leute auf Zypern bereiteten uns wenig Kopf schmerzen. Die – vor dem Krieg vorsorglich in Fama gusta registrierten – Küstenfahrer waren ausnahmslos alle an die Engländer verchartert. Drei davon büßten sie vor der kretischen Küste ein, aber die von ihrer Regierung übernommene Kriegsrisiko-Versicherung entschädigte uns reichlich für diese Verluste; ich glau be, wir machten einen guten Schnitt bei dem Handel. In Syrien dagegen sah die Sache entschieden anders aus. Die Kämpfe zwischen den Alliierten und den Vi chy-Franzosen brachten die Geschäfte nahezu vollends zum Erliegen. Zu jener Zeit war die Nachfrage nach Süßholzwurzeln und Latakiatabak, gelinde gesagt, schwach. Als die Alliierten 1942 darangingen, die Deutschen aus Afrika hinauszutreiben, verlegte Vater unsere Hauptgeschäftsstelle nach Alexandria und
gründete dort eine neue Holdinggesellschaft, die Ho well General Trading Ltd. Die syrischen und zyprioti schen Unternehmen waren damit zu Tochtergesell schaften geworden. Im gleichen Jahr wurde ich um das Kap der Guten Hoffnung herum ins Fegefeuer nach England geschickt. Wäre ich gefragt worden, hät te ich mich dafür entschieden, in der englischen Schu le in Alexandria zu bleiben oder, falls das abgelehnt worden wäre, zu Freunden unserer Familie nach Istanbul zu gehen, um dort irgendeine Schule zu be suchen. Aber meine Mutter war gegen Istanbul – im Gegensatz zu Großvater Howell ist sie ausgesprochen antitürkisch eingestellt –, und der Beschluß meines Vaters stand ohnedies bereits fest. Krieg hin, Krieg her, ich mußte in die gleiche Tretmühle von Grundund höherer Schule gesteckt werden, die auch ihm und Großvater nicht erspart geblieben war. Derart starr fixiert waren jedoch keineswegs alle Ideen meines Vaters. Bald nach unserer Übersiedlung nach Alexandria begannen sich Art und Richtung unserer Geschäfte zu ändern. Das ging auf Vaters Intentionen zurück, die er zielstrebig verfolgte. Er hatte die zu künftige Entwicklung vorausgespürt. Manches würde bleiben – die Küstenfahrer und die größeren Schiffe, die sie später ablösten, hatten nahezu immer Profite abgeworfen –, aber ab 1945, als in Europa der Krieg zu Ende ging, verlagerte sich das Schwergewicht un serer Handelsgeschäfte mehr und mehr von Schüttgut auf Fertigwaren. In jenen ersten Nachkriegsjahren übernahmen wir die Generalvertretung einer Anzahl europäischer und später auch amerikanischer Fertig warenproduzenten im Mittleren Osten (seit 1948 mit Ausnahme Israels). Die geschäftliche Veränderung wirkte sich auf mein Leben ganz unmittelbar aus. Als erste dieser Generalvertretungen hatten wir die einer Firma in Glasgow übernommen, die Kreiselpumpen in verschiedenen Ausführungen herstellte. Mein Vater erkannte rasch, wie schwer es ist, technische Geräte
zu verkaufen, wenn der Käufer von diesen Dingen mehr versteht als man selber. Diese Einsicht war es, die ihn bestimmte, mich Technik studieren zu lassen. So fand ich mich denn, statt wie erhofft nach Abschluß der Schule in England nach Kairo gehen und an der dortigen Universität studieren zu können, in dem Zie gelsteinbau einer Ingenieurschule in einer der trostlo sesten Gegenden Londons wieder. Ich muß gestehen, daß ich mich seinerzeit eher wi derwillig als pflichtbewußt mit dieser Programmände rung abfand. Auf Zypern zu einer Zeit geboren, als die Insel noch zum britischen Kolonialreich gehörte, besaß ich einen britischen Kolonialpaß. Um seinem Willen Nachdruck zu verleihen, führte mir mein Vater die – wie ich später herausfand, ganz unbegründete – Aus sicht, zum britischen Militärdienst eingezogen zu wer den, falls ich nicht in London studierte, eindringlich vor Augen. Gewiß nicht sonderlich fein von einem lieben den Vater, dem eigenen Sohn gegenüber solche Tricks anzuwenden, ich weiß; aber ich muß heute einräumen, daß ich als Geschäftsmann nie Anlaß hatte, zu bedau ern, daß ich damals auf ihn hereingefallen bin. Auf jeden Fall habe ich eine Menge von meinem Vater gelernt. Er starb 1962 an einem Herzleiden, achtzehn Monate nachdem wir unsere Hauptgeschäftsstelle von Alexandria nach Beirut im Libanon verlegt hatten und unsere zweite Holdinggesellschaft in Vaduz registriert worden war. Die Bewährungsprobe für mich als neuen Leiter unse rer Firma kam im darauffolgenden Jahr, als ich meine erste größere unternehmerische Entscheidung zu tref fen hatte. Diese Entscheidung – sie liegt heute fast neun Jahre zurück – war es, die mich auf einen Weg führte, der sich schließlich als so ungemein gefährlich erwiesen hat. Unsere Schwierigkeiten in Syrien hatten in den frühen fünfziger Jahren begonnen, als die sowjetische Ein
flußnahme im Mittleren Osten immer deutlichere Aus wirkungen zeitigte. In Syrien war sie besonders erfolg reich. Die freundschaftlichen Beziehungen zur Sowjet union intensivierten sich seit der Machtergreifung der sozialistischen syrisch-arabischen >Wiedergeburts< Bewegung, die in der Folgezeit als die Ba’ath-Partei bekannt wurde. Ihre Mitglieder waren keine Kommuni sten; als Sunniten-Moslems konnten sie es nicht sein; sie waren jedoch arabische Nationalisten und als sol che auf den Sozialismus eingeschworen und strikt an tiwestlich orientiert. Das Ba’ath-Parteiprogramm for derte die Vereinigung Syriens mit Ägypten und den anderen arabischen Staaten sowie die umgehende >Vergesellschaftung< der syrischen Wirtschaft. 1958 setzte die Ba’ath-Partei beides durch, sowohl die Union mit Ägypten als auch die erste ihrer Vergesell schaftungsmaßnahmen, die >Agrarreform<. Im glei chen Jahr wurde ein Enteignungsgesetz verabschiedet, das die Agence Howell bis auf achtzig Hektar aller ihr gehörenden bewässerten Ländereien beraubte. Als in ausländischem Besitz befindliche Firma wurden wir >entschädigt<; da die Entschädigungssumme jedoch auf ein Sperrkonto der staatseigenen Zentralbank ein gezahlt wurde, hatten wir nichts davon. Man erlaubte uns nicht, das Geld außer Landes zu transferieren, wir durften keine Devisen oder Valuta kaufen, und es war uns sogar untersagt, das Geld ohne Genehmigung der Zentralbank im Lande zu reinvestieren oder sonstwie auszugeben. Es war so gut wie verloren für uns. Die Gerberei und die Getreidemühle ließen sie uns vorläufig; die Vergesellschaftung der Industrie sollte später erfolgen. 1959 beantragte mein Vater formgerecht die Freigabe der blockierten Gelder zu Reinvestitionszwecken. Er wollte einen 2000-Tonnen-Frachter erwerben, der in Latakia zum Verkauf angeboten wurde, und das Schiff im Ägäischen Meer einsetzen. Es war ein Versuch, ei nen Teil des Kapitals zu exportieren, und er dachte,
möglicherweise käme er damit durch. Aber es war ein schlechtes Jahr für Syrien. Es herrschte eine anhalten de Dürre, und die Ernte war so kümmerlich, daß Syri en Getreide einführen mußte, statt es wie üblich aus zuführen. Die Zentralbank, die die Schiffskaufidee zweifellos durchschaut hatte, bedauerte, dem Antrag auf Freigabe – der infolge der kritischen Wirtschaftsla ge eingetretenen Devisenverknappung wegen – nicht stattgeben zu können. Als er im Jahr darauf nochmals einen Antrag stellte, beantwortete die Bank nicht einmal mehr seine Briefe. 1961 unternahmen die Militärs einen Staatsstreich, der auf die Auflösung der Union mit Ägypten, die Wie derherstellung von Syriens Status als souveräner Staat und die Einsetzung eines neuen verfassungsge mäßen Regimes abzielte. Er war erfolgreich, und eine Zeitlang sahen die Dinge wieder günstiger für uns aus. Eigentumsrechte sollten garantiert, die freie Wirtschaft gefördert werden. Die Zentralbank befaßte sich wohl wollend mit unserem jüngsten Antrag. Wenn die ver zankten Politiker sich hätten entschließen können, ihre Differenzen – und sei es auch nur zeitweilig – beizule gen und damit eine Stabilisierung der Lage zu ermög lichen, wäre vielleicht noch alles gut ausgegangen; aber dazu waren sie nicht imstande. Innerhalb von sechs Monaten putschte die Armee, der >selbstsüchti gen< Zivilisten überdrüssig, erneut. 1963 brach dann eine Revolution aus. Ich habe die Bezeichnung >Revolution< mit Bedacht gebraucht, weil der Ba’ath-Staatsstreich jenes Jahres, wiederum vorwiegend das Werk von Armeeoffizieren, mehr war als ein bloßer Machtwechsel verschiedener nationalistischer Gruppen; er hatte grundlegende Ver änderungen zur Folge. Syrien wurde zu einem Ein heitsstaat und trat – diesmal freilich unter Wahrung seiner souveränen Unabhängigkeit – der VAR wieder bei. Das Vergesellschaftungsprogramm wurde wieder aufgenommen. Im Mai 1963 erfolgte die Verstaatli
chung aller Privatbanken. Das war der Zeitpunkt, zu dem ich meinen Entschluß faßte. Ich wußte recht gut über die Ba’ath-Anhänger Be scheid. Vielfach handelte es sich bei ihnen um naive Reformer, die früher oder später ihre Illusionen verlie ren mußten; andere waren großmäulige Hohlköpfe, die sich lediglich darauf verstanden, bei jeder sich bieten den Gelegenheit lautstark die rituelle Forderung nach sozialer Gerechtigkeit zu erheben; aber unter den Par teiführern gab es fähige und entschlossene Männer. Als sie erklärten, daß sie die gesamte Industrie ver staatlichen wollten, glaubte ich ihnen. Später würden sich zweifellos pragmatische Kompromißlösungen und >graue< Zwischenbereiche abzeichnen, in denen plan- und privatwirtschaftliche Interessen zusammen gehen konnten; daß sie es im großen ganzen jedoch ernst meinten mit dem, was sie sagten, bezweifelte ich nicht. Mehr noch, ich war mir sicher, daß sie an der Macht blieben. Wie also ließen sich die Interessen der Agence Howell unter diesem Gesichtspunkt am wirksamsten wahren? Alles in allem, so rechnete ich mir aus, blieben mir drei Möglichkeiten. Ich konnte mich den Gegnern des Regimes anschließen. Ich konnte durch hinhaltendes Taktieren Zeit zu gewinnen versuchen. Oder ich konn te die grauen Zwischenbereiche zukünftiger Kompro misse erkunden und herausfinden, welche Absprachen sich treffen ließen. Sich den Gegnern des Regimes anzuschließen, hieß praktisch in den politischen Untergrund gehen und mit denen konspirieren, die auf den Sturz der neuen Re gierung hinarbeiteten. Einem Ausländer, der sich mit Selbstmordgedanken trug, mochte diese Möglichkeit reizvoll erscheinen; für mich kam sie nicht in Frage. Diejenigen, die auf Zeitgewinn taktierten – und zu ihnen zählten nicht wenige meiner Geschäftsfreunde – , schienen mir die neue Situation falsch einzuschätzen. Nachdem sie dem politischen Jahrmarktstreiben des
letzten Jahrzehnts mit wachsendem Unmut zugeschaut hatten, waren sie geneigt, die angedrohte Enteignung der Industrie achselzuckend als bloße Rhetorik eta blierter Putschisten abzutun. Die Banken? Nun, waren nicht sowohl die englischen als auch die französischen Banken schon seit Jahren sequestriert? Die Verstaatli chung der restlichen privatwirtschaftlichen Geldinstitu te war dann nur noch eine bloße Formsache gewesen. Nein, Michael, jetzt gibt es nur eines: die Nerven be wahren und den nächsten Gegenputsch abwarten. Inzwischen gilt es selbstverständlich, die Augen offen zuhalten. Sobald dieser ganze Wind, der hier gemacht wird, erst einmal etwas abgeflaut ist, werden einige deiner >neuen Männer< von sich aus an uns herantre ten und mehr oder weniger unauffällig die Hand auf halten. Das sind diejenigen, mit denen man über die Verstaatlichung der Industrie zu reden haben wird. Wie sollten wir wohl zahlen können, wenn die uns ver staatlichen, was? Warte es nur ab, mein Junge, warte es nur ab. Das ist der einzige Weg. Die Taktierer, dachte ich, konnten sich auf einige Überraschungen gefaßt machen. Ich zog es vor, eige ne Wege zu gehen, zu erkunden und zu sondieren. Daß auch ein nochmaliger Antrag auf Freigabe unserer blockierten Gelder von der Zentralbank abgelehnt werden würde, wenn ich nicht irgendwelche Hebel in Bewegung setzen konnte, lag auf der Hand. Und daß der einzige Hebel, der bei der Zentralbank Wirkungen zeitigte, derjenige war, an dem ihre Herren und Mei ster in der Regierung saßen, lag ebenfalls auf der Hand. Was ich daher benötigte, war eine Befürwortung meines Antrags durch eine Regierungsstelle. Es mußte zudem eine auf möglichst hoher – vorzugsweise mini sterieller – Ebene erfolgte Befürwortung sein. Was hatte ich als Gegenleistung für ein derartiges Ansinnen zu offerieren? Hier kam mir ein altes Sprichwort in den Sinn: »Wer seine Feinde nicht bezwingen kann, schließt besser
ihnen als ein Freund sich an.« Nachdem ich mich ein mal mit der Tatsache abgefunden hatte, daß ich bes ser fuhr, wenn ich mit den Leuten von der Regierung zusammenarbeitete, anstatt sie listenreich überspielen zu wollen, kam ich voran. Das Problem war nunmehr auf die Frage reduziert: Auf welche Weise kann ich mit ihnen so kooperieren, daß beide Seiten ihren Vorteil daraus ziehen? Ich dachte viel und gründlich nach, betrieb intensiv Marktforschung und entwarf meinen Plan. Dreiundsechzig war ich es noch nicht so gewohnt wie heute, mit Regierungsbeauftragten zu verhandeln. Wäre ich es gewesen, hätte ich dem Vorschlag, den ich ihnen mundgerecht zu machen versuchte, nicht einmal eine Erfolgschance von fünfzig zu fünfzig ein geräumt. Vielleicht kam mir der Umstand zugute, daß ich damals erst zweiunddreißig war und ganz verses sen darauf, meine Tüchtigkeit unter Beweis zu stellen. Außerdem war ich sehr aggressiv und schon beim lei sesten Widerstand geneigt, mit mahnend fuchtelndem Zeigefinger ernste Verwarnungen zu erteilen. Mein erster Kontakt mit dem Exekutivapparat in Da maskus war ein Zusammentreffen mit zwei Bürokraten – einem aus dem Finanzministerium, wo die Begeg nung stattfand, und einem aus dem Ministerium für Handel und Soziales. Sie hörten mir schweigend zu, nahmen Kopien des aide-memoire entgegen, das mei ne Vorschläge in verschleierten, aber – wie ich glaubte – beredten Wendungen zusammenfaßte, und gaben mir höflich zu verstehen, daß sie auch noch andere Termine hatten. Ein Monat verging, bevor ich brieflich zu einer Unter redung in das Ministerium für Handel und Soziales gebeten wurde. Diese Besprechung fand im Büro eines leitenden Ministerialbeamten statt, mit dem ich vor Jahren einmal bei Gelegenheit eines von der griechi schen Botschaft veranstalteten Picknicks bekannt ge macht worden war. Gleichfalls anwesend waren die
beiden Bürokraten, die mich acht Tage zuvor empfan gen hatten, sowie ein jüngerer Mann, der als Beauf tragter des kürzlich eingerichteten Referats für indus trielle Entwicklung vorgestellt wurde. Nachdem die üblichen einleitenden Höflichkeitsfloskeln ausgetauscht waren, forderten die dienstälteren Beamten diesen jüngeren Mann auf, mir zu meinen Vorschlägen Fragen zu stellen. Sein Name war Hawa – Dr. Hawa. Meine in der Folge sich entwickelnde Zusammenarbeit mit Dr. Hawa ist vielfach Gegenstand falscher Darstel lungen gewesen. Er selbst hat es in jüngster Zeit für angezeigt gehalten, sich in der Rolle des unschuldigen Betrogenen zu gefallen und mich öffentlich – von un sittlichen Verfehlungen bis zum Mord auf hoher See – jedes nur denkbaren Verbrechens zu bezichtigen. Un ter diesen Umständen mag vielleicht angenommen werden, ein Bericht, der das Verhältnis zwischen uns aus meiner Sicht schildert, könne unmöglich ganz ob jektiv sein. Ich bin da anderer Meinung. Ich habe mir vorgenom men, unter allen Umständen objektiv zu bleiben. Was mich betrifft, so haben seine Ausfälle einzig die Wir kung gehabt, mich von jedweder etwa noch bestehen den Neigung, ihm eins auszuwischen, zu kurieren. Dr. Hawa ist ein hagerer Mann mit harten Gesichtszü gen, verkniffenem Mund und zornigen dunklen Augen; ganz offenkundig ein hartgesottener Bursche und be sonders beeindruckend, wenn man ihm zum erstenmal begegnet. Ich erinnere mich, irgendwie erleichtert gewesen zu sein, als ich feststellte, daß er Kettenrau cher war; da wußte ich, daß er nicht so gänzlich ohne Fehl sein konnte, wie es zunächst den Anschein hatte. Obschon wir uns später näher kennenlernten, habe ich nie herausgefunden, in welcher Disziplin er seinen Doktor gemacht hat. Ich weiß nur, daß er an der Uni versität Damaskus einen akademischen Grad der Rechtswissenschaften erwarb und später aufgrund
irgendwelcher Studentenaustausch-Regelungen für Graduierte ein oder zwei Jahre in den Vereinigten Staaten verbrachte. Dort, nehme ich an, wird er sich an irgendeiner verschlafenen akademischen Institution im Mittleren Westen den Doktortitel verschafft haben. Sein Englisch ist fließend; er spricht es mit amerikani schem Akzent. Jene erste Unterhaltung wurde jedoch zur Hauptsache auf arabisch und nur unter gelegentli cher Zuhilfenahme von Englisch und Französisch ge führt. »Dr. Howell, erzählen Sie mir von Ihrer Firma«, be gann er. Sein Tonfall war gönnerhaft. Ich hatte be merkt, daß eine Kopie meines aide-memoire vor ihm auf dem Tisch lag, und deutete mit einem Kopfnicken darauf. »Es steht alles darin, Dr. Hawa.« »Nein, Mr. Howell, es steht nicht alles darin.« Er tippte mit einer geringschätzigen Handbewegung auf die Pa piere. »Was Sie hier beschreiben, ist ein Gambit, ein Eröffnungszug, bei dem eine unwichtige Spielfigur zu gunsten eines späteren Vorteils geopfert wird. Wir wüßten gern, was für ein Spiel das ist, zu dem Sie uns da auffordern.« Ich wußte jetzt, daß ich mich vor ihm in acht nehmen mußte. Er mochte Kettenraucher sein, aber ein Narr war er gewiß nicht. Wäre er Engländer gewesen, hätte er mein aide-memoire sicher als Sprotte charakteri siert, mit der die Makrele gefangen werden soll; aber auch >Gambit< war als Vergleich treffend – allzu tref fend für meinen Geschmack. Ich sah den leitenden Beamten an. »Was ich mir von dieser Unterhaltung erhofft hatte, Sir«, sagte ich mit unbewegter Miene, »war eine ernsthafte Diskussion über ernsthafte Vorschläge. Ich habe nicht die Absicht, hier irgendeine Art von Spiel anzuregen.« »Dr. Hawa hat selbstverständlich bildlich gesprochen.« Hawa lächelte verkniffen. »Da Mr. Howell so empfind
lich zu sein scheint, werde ich versuchen, mich weni ger mißverständlich auszudrücken.« Er sah mich wie der an. »Sie bitten um ministerielle Befürwortung ei nes Antrags auf Freigabe blockierter Gelder, damit sie hier im Lande reinvestiert werden können. Sie erklä ren sich bereit, dem Staat als Gegenleistung dafür eine Reihe wirtschaftlicher Wohltaten zu erweisen, deren Natur Sie andeuten, deren Wert Sie jedoch der Phantasie überlassen. Sie wollen genauer gesagt die Kontrolle über die Ihnen hier noch verbliebenen Un ternehmen, zu denen auch eine Gerberei und eine Getreidemühle gehören, abtreten, damit sie zu Koope rativen umgewandelt werden können, die unter staat licher Aufsicht arbeiten. Natürlich sind wir neugierig auf Geist und Temperament dieses seltsamen ge schenkten Gauls und auf die generöse Geschäftsphilo sophie des Spenders, des Mannes, der Kapital auftrei ben will, um es zu reinvestieren. Ich darf Sie daher bitten, unsere Neugier zu stillen.« Ich zuckte die Achseln. »Wie Ihnen vermutlich be kannt sein wird, war unsere hiesige Firma bislang ein Familienunternehmen. Vor mir haben schon mein Va ter und mein Großvater in diesem Land viele Jahre hindurch Geschäfte getätigt. Nützliche Geschäfte, so darf man, glaube ich, wohl ohne Übertreibung sagen.« »Nützliche? Meinen Sie nicht einträgliche?« »Ich sehe da keinen Unterschied, Dr. Hawa. Nützliche und einträgliche Geschäfte, selbstverständlich. Gibt es denn Geschäfte irgendeiner anderen Art, die diesen Namen verdienen?« Ich glaubte jetzt, ziemlich genau über ihn im Bilde zu sein. Gleich würde er anfangen, von Produktionsmitteln und Eigentumsverhältnissen zu reden. Ich sollte mich getäuscht haben. »Aber nützlich für wen, einträglich für wen?« »Nützlich für alle diejenigen Ihrer Landsleute, denen unsere Firma gute Löhne und Gehälter zahlt – viel leicht darf ich Sie daran erinnern, daß wir hier nur sy rische Staatsbürger beschäftigen. Einträglich gewiß für
die Anteilseigner unserer Gesellschaft, aber einträglich auch für alle bisherigen Regierungen, von der türki schen bis zur heutigen syrischen, an die wir Steuern abgeführt haben. Die Ausschüttung von Dividenden ist nicht immer gewährleistet gewesen, aber Gehälter und Steuern sind immer pünktlich gezahlt worden.« Und, so hätte ich hinzufügen können, Bestechungsgelder – unbeträchtliche und nicht so unbeträchtliche –, die in der Levante zu den laufenden allgemeinen Unkosten rechnen, ebenfalls; aber ich war noch immer bestrebt, ihn taktvoll zu behandeln. »Aber, Mr. Howell, warum ist Ihnen dann soviel daran gelegen, auf die Kontrolle über diese nützlichen und einträglichen Unternehmen zu verzichten?« »Daran gelegen?« Ich starrte ihn verständnislos an. »Ich kann Ihnen versichern, Dr. Hawa, daß mir nicht im mindesten daran gelegen ist. Ich habe lediglich den Eindruck, daß mir in dieser Sache letztlich keine Wahl bleibt.« »Letztlich vielleicht, aber warum diese voreilige Groß zügigkeit? Uns ist das – wie ich meine, begreiflicher weise – einigermaßen rätselhaft und, ehrlich gesagt, auch ein wenig suspekt.« »Nur, weil Sie meine Vorschläge nicht als ein Ganzes betrachten. Ich glaube, ich sehe das ganz realistisch.« »Realistisch? Wie das?« Ich hätte entgegnen können, daß wir, hätte ich sie nicht mit dem Angebot in Verlegenheit gebracht, ihnen die syrischen Vermögenswerte der Agence Howell zu überschreiben, wohl schwerlich hier beisammensitzen und darüber diskutieren würden, was mit den blockier ten Geldern geschehen sollte. Statt dessen gab ich ihm eine Antwort, die ich mir zurechtgelegt hatte. »Gegenwärtig verfügt die Regierung noch nicht über den erforderlichen Verwaltungsapparat, um die vorge sehene Verstaatlichung der Industrie zu verwirklichen. Aber nur gegenwärtig nicht. Ich sehe in die Zukunft. Ein Jahr lang oder auch etwas länger mag mir die Kon
trolle über unsere hiesigen Unternehmen noch über lassen bleiben, aber früher oder später wird sie mir mit Sicherheit genommen werden. Ich ziehe es vor, sie früher abzutreten und meine Zeit und meine Ener gie darauf zu verwenden, die Situation zu retten. Er scheint Ihnen das töricht oder gar großzügig, Dr. Ha wa?« »Wenn wir etwas genauer wüßten, was Sie unter >die Situation retten< verstehen, könnten wir uns vielleicht ein Urteil darüber bilden.« »Ausgezeichnet. Dann lassen Sie uns von zwei An nahmen ausgehen. Erstens, daß die Regierung die Geschäfte der uns in Syrien verbliebenen Unterneh men in eigene Regie nimmt. Zweitens, daß die Regie rung uns in der üblichen Weise entschädigt – mit Pa pier.« Er zündete sich die nächste Zigarette an. »Mit einer rein hypothetischen Erörterung dieser Dinge richten wir keinerlei Schaden an. Akzeptieren wir also im In teresse Ihrer Darlegung sowohl Erwerbung als auch Entschädigung als Prämissen. Was weiter?« »Die hier zu geschäftlicher Untätigkeit verurteilte Agence Howell verfügt über beträchtliche Aktiva. Eini ge dieser Aktiva – Erfahrung im Management, Kennt nis der Weltmärkte und des Zugangs zu ihnen, kauf männisches Geschick – schlagen nicht als Zahlen zu Buch, sind aber ungeachtet dessen real genug. Ohne das Kapital, um sie auszubeuten, bleiben sie jedoch ungenutzt. Das Kapital ist vorhanden, aber blockiert. Da das Kapital nicht arbeiten darf, kann auch sonst nichts und niemand arbeiten. Der Verlust geht nur zum Teil zu unseren Lasten. Ihre Wirtschaft erleidet ebenfalls Einbußen. Die Lösung, die ich vorschlage, würde sich zu unserem beiderseitigen Vorteil auswir ken und zugleich den von der Regierung angekündig ten Richtlinien für die Industrie entsprechen.« »Könnten Sie sich nicht vielleicht etwas konkreter ausdrücken?«
»Gewiß. Ich schlage Ihnen eine Reihe kooperativer Unternehmungen auf dem Sektor der Leichtindustrie unter der Schirmherrschaft und Kontrolle der Regie rung vor. Ihr Hauptzweck wäre die Erzeugung von Produkten, die für die Exportmärkte geeignet sind.« »Produkte welcher Art, Mr. Howell?« Er hatte jetzt den gespannten Ausdruck eines Katers, der soeben eine fette und offenbar ziemlich schläfrige Feldmaus ge sichtet hat. »Keramikartikel, für den Anfang«, sagte ich. »Dann würde ich zu Möbel- und Metall waren übergehen.« Der Kater zuckte mit dem Schweif. »Falls Sie es nicht wissen sollten, Mr. Howell, darf ich Sie auf die Tatsa che hinweisen, daß wir bereits eine hochentwickelte Keramikindustrie besitzen.« »Das ist mir durchaus bekannt, Dr. Hawa, aber wenn Sie mich fragen – sie produziert nicht die richtigen Artikel.« »Und wenn Sie mich fragen, Mr. Howell, so befürchte ich fast, daß Sie mit Ihren Vorschlägen leider gänzlich falsch liegen.« Ich begann mich über ihn zu ärgern. »Aber ich bitte Sie, Dr. Hawa – wenn es Ihnen unzumutbar erscheint, sich neue Ideen zu den altbekannten Themen vortra gen zu lassen, erübrigt sich jedes weitere Wort.« Er entschied, daß der Augenblick, den großen Satz zu machen, jetzt gekommen war. »Neue Ideen, Mr. Ho well? Dekorierte Ramschware in Massenproduktion – Töpfe, Teller und Vasen – für den Export in die Touri stenläden der westlichen Welt? Ist das der Trick, mit dem Sie Ihr Geld außer Landes schmuggeln wollen?« Er lachte kurz auf und sah die anderen, die ihrerseits pflichtschuldig lächelten, der Reihe nach triumphierend an. Es fehlte nicht viel, und ich hätte die Beherrschung verloren; aber ich bezwang mich. »Ich sehe ein, daß Sie ein vielbeschäftigter Mann sein müssen, Dr. Hawa, und ich begreife durchaus, daß Sie schwerlich die Zeit gefunden haben werden, Ihren Re
ferenten vor dieser Zusammenkunft mit der üblichen Einholung von Auskünften über meine Person, meine Tätigkeit und meinen Ruf zu beauftragen.« Er zuckte gleichmütig die Achseln. »Sie haben eine Ingenieursausbildung genossen. Das kann alles mögli che bedeuten.« »Es wird Ihnen daher wohl auch unbekannt geblieben sein, daß es nicht zu meinen Geschäftspraktiken ge hört, Nonsens daherzureden. Bei dem Stichwort >Ke ramik< denken Sie an Töpfe und Teller und Vasen. Und warum auch nicht? Das ist schließlich alles, was Ihnen in diesem Zusammenhang einfällt. Wenn ich von >Keramik< spreche, meine ich nicht die von Ih nen genannten Artikel, weil ich ein wenig Marktfor schung betrieben habe. Ich denke zum Beispiel an eine Massenproduktion von Kacheln.« Er runzelte die Stirn. »Kacheln? Sie meinen die Ka cheln, die wir für unsere Fußböden verwenden?« »Nicht die, an die Sie denken. Ich meine Keramikka cheln, die nach Quadratmeter verkauft werden und aus zwei Quadratzentimeter großen, auf der Oberseite einfarbig glasierten Mosaiksteinen bestehen und nicht in irgendwelchen Ramschläden oder Luxusgeschäften für Touristen zu haben sind. Ich will Ihnen ein Beispiel nennen. Gegenwärtig wird in Benghasi gerade ein Zweihundert-Betten-Hotel gebaut. Zu jedem der zwei hundert Zimmer gehört ein Badezimmer, das mit die sem Material ausgekachelt ist – Boden und Wände, einfarbig rosa, blau, grün, schwarz und weiß. Fast fünfzig Quadratmeter gekachelter Fläche für jeden Raum. Küchen und Veranden werden ebenfalls geka chelt. Bei dem Auftrag ging es um insgesamt rund zwölftausend Quadratmeter. Er wurde einem italieni schen Fabrikanten zugeschlagen. Wert fünfundvierzig tausend.« »Dollar?« »Dollar. Nach diesem Material herrscht starke Nach frage. Hotels und große Apartmenthäuser werden an
allen Mittelmeerküsten gebaut – und nicht nur dort, sondern in ganz Europa. Marmor ist teuer, Kachelung vergleichsweise billig. Kacheln sind jetzt das bevorzug te Material. Hätte Syrien diesen Auftrag in Benghasi bekommen können? Wenn es in der Lage gewesen wäre, den gewünschten Artikel in der benötigten Men ge und zum vorgeschriebenen Termin herzustellen, kann die Frage nur mit Ja beantwortet werden. Zuge geben, Libyen hat noch immer kommerzielle Bindun gen an Italien, aber wie steht es mit seinen religiösen, ethnischen und politischen Bindungen an die VAR? Zu dem hätte Syrien zu einem wesentlich niedrigeren Preis liefern können.« »Wo wird diese besondere Art von Kacheln sonst noch hergestellt?« »Sie meinen, ob es sich um ein italienisches Monopol handelt? Keineswegs. Die Franzosen und die Schwei zer sind ebenfalls bereits im Geschäft. In der Nähe von Zürich gibt es ein Keramikwerk, das mehr als zwei hundert Mitarbeiter beschäftigt.« Er zog ein Gesicht. »Also ein Keramikwerk, und wenn das Baugeschäft zurückgeht – « »- werden wir gewiß nicht mehr die Jüngsten sein. Im übrigen sind Kacheln nur ein Beispiel für das, was mir vorschwebt. Ägypten baut jetzt sein Stromversor gungsnetz aus. Es wird zwei Jahre dauern, bis es fer tiggestellt ist, und für die Hochspannungsleitungen werden glasierte keramische Isolatoren benötigt, mas sive Dinger, sechs bis acht Stück davon pro Mast. Zehntausende wird man brauchen. Selbstverständlich könnten sie alle aus der Sowjetunion oder aus Polen kommen, aber ich glaube kaum, daß es den Russen etwas ausmachen würde, wenn diese Isolatoren in Syrien hergestellt werden könnten. Möglicherweise wären sie sogar ganz froh darüber, den Auftrag einem befreundeten Staat weitergeben zu können. Es wäre interessant, das herauszufinden. Ich bin überzeugt, daß ein über ihren Handelsattache eingereichter An
trag auf Einsichtnahme in Blaupausen und Spezifika tionen wohlwollend geprüft werden würde.« »Ja, ja, selbstverständlich.« Auf diesen Köder sprach er, wie ich gehofft hatte, schon ganz prächtig an. Der dienstältere Beamte beugte sich vor. »Darf man vermuten, daß Ihre Vorstellungen hinsichtlich der Mö belfabrikation ebenso unkonventionell sind, Mr. Ho well?« »Ich möchte es glauben, Sir. Keine KamelsattelHocker, keine ornamentierten Kaffeetischchen, son dern moderne Büro- und Hotelmöbel nach westlichem Design und ebenfalls in Massenproduktion. Einige rela tiv billige Maschinenwerkzeuge würden importiert werden müssen, desgleichen das Kunststoffmaterial, das wir für die Außenflächen benötigen, aber die Me tallteile könnten hier gefertigt werden.« Dr. Hawa ging erneut zum Angriff über. »Was den me tallverarbeitenden Sektor betrifft, denken Sie doch gewiß an die Herstellung von Eßbestecken im westli chen Stil und dergleichen?« »Nein, Dr. Hawa.« Ein schlaues Lächeln. »Weil Ihre libanesischen und ägyptischen Unternehmen bereits teure Bestecke ver kaufen, die sie aus Großbritannien kommen lassen?« Er war offenbar doch besser präpariert, als es zu nächst den Anschein gehabt hatte. »Nein«, entgegnete ich. »Weil die Japaner den Markt für massenproduzierte Eßbestecke schon beherrschen. Mit denen könnten wir niemals konkurrieren. Ich den ke vielmehr an Türklinken, Türriegel, Türangeln – Ei senwaren für den Baubedarf, die mit Hilfe von Schraubstöcken und Schablonen und einigen wenigen billigen Maschinenwerkzeugen wie Bohr- und Lochma schinen in Massenproduktion gefertigt werden können. Ohne moderne Feinausführungsverfahren ist das frei lich nicht denkbar. Maßstäbe, wie sie für handgefertig te Arbeiten gelten, sind unzureichend.« Der dienstältere Beamte schaltete sich erneut ein.
»Sie haben wiederum die Verwendung billiger Maschi nen mit Nachdruck hervorgehoben, Mr. Howell. Aber sind es nicht gerade die kostspieligen Maschinen, die billige und zu wettbewerbsgerechten Preisen absetzba re Artikel produzieren?« Ich antwortete mit Bedacht. »In Ländern, in denen hohe Löhne gezahlt werden, trifft das zweifellos zu. Wir sollten versuchen, einen Mittelweg einzuschlagen. Arbeitsintensive Projekte, da stimme ich Ihnen zu, sind für Syrien wertlos. Aber in den Flüchtlingslagern steht uns ein noch weitgehend ungenutztes Potential an ungelernten und nicht voll ausgebildeten Arbeits kräften zur Verfügung. Unter Anleitung durch syrische Vorarbeiter könnte es geschult und nutzbringend ein gesetzt werden. Ich bezweifle nicht, daß wir in dem gleichen Maß, in dem wir Fortschritte erzielen, zuneh mend Maschinenwerkzeuge benötigen und auch zu handhaben verstehen werden, die komplizierter und kostspieliger sind. Ob und in welchem Ausmaß wir in der Lage sein werden, sie anzuschaffen, wird fraglos weitgehend vom Erfolg unseres Unternehmens abhän gen. Daß wir außerstande sind, dies gleich zu Beginn zu tun, sollte uns jedoch nicht entmutigen oder gar zum Scheitern verurteilen. In den richtigen Händen kann selbst primitives Werkzeug eine Menge ausrich ten.« »Ich bin doch sehr erleichtert, zu hören«, sagte Dr. Hawa anzüglich, »daß Mr. Howell die Möglichkeit des Scheiterns immerhin nicht gänzlich außer Betracht gelassen hat.« »Ich war bemüht, alle Möglichkeiten in Betracht zu ziehen, Dr. Hawa. Ich habe der Regierung vorgeschla gen, sich unserer Firma und ihrer Aktiva zu bedienen, um das öffentliche Wohl zu fördern. Ob Sie uns benut zen wollen oder nicht, und wenn, wie Sie uns benut zen wollen – das sind Fragen, die schwerlich schon hier und heute beantwortet werden dürften. Für den Fall jedoch, daß wir benutzt werden sollen, und mit
Erfolg benutzt werden sollen, möchte ich zu bedenken geben, daß wir Ihnen am besten in der Weise werden dienen können, die ich vorgeschlagen habe, das heißt, wenn wir unter Nutzung unserer begrenzten Ressour cen begrenzte, aber realistische Ziele ansteuern, die in absehbarer Zeit zu realisieren sind.« Der dienstältere Beamte nickte ermutigend, und so fuhr ich rasch fort, bevor Dr. Hawa mich unterbrechen konnte. »Die von mir bevorzugten Projekte, die ich hier zur Diskussion gestellt habe, sind zugleich dieje nigen, die am einfachsten und besten vermittels pro duktionstechnisch und regional begrenzter Pilotopera tionen getestet werden können. Ich halte ein solches Vorgehen für unerläßlich. Wenn uns Fehler unterlau fen, was zweifellos der Fall sein wird, werden sie auf diese Weise überschaubar bleiben und in jedem Fall leichter zu korrigieren sein. Andererseits müssen alle derartigen Pilotoperationen, wenn sie wirklich Sinn haben sollen, groß genug angelegt sein, um uns exak te Voraussagen, Projektionen unseres bei voller Aus nutzung der Produktionskapazität anfallenden Bedarfs – beispielsweise an Rohmaterial – zu ermöglichen. Simple Arithmetik kann da zuweilen irreführend sein.« »Das kann sie allerdings.« Dr. Hawa blies Zigaretten rauch quer über den Tisch hinweg; mit Entschieden heit machte er seine Rechte als Diskussionsleiter jetzt wieder geltend. »Nachdem wir das Vergnügen hatten, uns Ihre ebenso unterhaltsamen wie phantasievollen Ausführungen anzuhören, können wir nun vielleicht auf prosaischere Aspekte zu sprechen kommen. Mr. Howell, schlagen Sie tatsächlich vor, die blockierten Gelder der Agence Howell restlos in die Finanzierung dieser Ihrer so hochfliegenden Pläne zu stecken?« »Nein«, sagte ich unumwunden. »Das schlage ich kei neswegs vor.« »Dann sehe ich nicht – « »Erlauben Sie mir bitte, meine Darlegung zu Ende zu führen. Erstens wäre das verfügbare Kapital der Fir
ma, sofern es verfügbar gemacht werden könnte, zur Finanzierung der Projekte, über die wir hier gespro chen haben, gänzlich unzureichend. Was ich vorschla ge, ist vielmehr, die Pilotoperationen mit Firmengel dern zu finanzieren. Hat ein Pilotprojekt sich bewährt, dann – und nur dann! – kommt es in die Massenferti gung. Das ist der Zeitpunkt, zu dem die weitere Finan zierung von der Regierung übernommen und die Firma ihrerseits Eigner eines Minoritätsanteils an einer regie rungseigenen Kooperativen wird.« Dr. Hawa rollte die Augen in theatralischem Staunen. »Erwarten Sie im Ernst, daß ich Ihnen glaube, Sie und Ihre Firma seien bereit, unentgeltlich zu arbeiten?« »Nein, keineswegs. Wir würden so etwas wie Mana gementgebühren für die mit dem jeweiligen Projekt verbundene Planungs- und Entwicklungsarbeit erhe ben. Diese Gebühren brauchten nur nominell zu sein, ausreichend zur Deckung der üblichen laufenden Unkosten. Selbstverständlich müßten alle derartigen Absprachen in den offiziellen Vereinbarungen zwischen der zuständigen Regierungsstelle und der Firma ver bindlich festgelegt werden.« Ich zögerte einen Augen blick lang, bevor ich hinzufügte: »Eine der Bedingun gen, von denen wir die Beteiligung unserer Firma an diesen Vereinbarungen abhängig machen müßten, wäre selbstredend das Exklusivrecht, Generalvertre tungen für den Verkauf der Produkte dieser vereinten Unternehmen im Ausland einzurichten. Ich hielte es für fair und durchaus angemessen, wenn uns dieses Exklusivrecht auf Alleinvertretung für einen Zeitraum von, sagen wir, fünfundzwanzig Jahren eingeräumt werden würde.« Es herrschte allgemeines Schweigen; und dann ließ der dienstältere Beamte einen kehligen Räusperton hören, der nach wenigen Augenblicken in artikuliertere Protestbekundungen überging. »Aber… aber…« Er schien außerstande weiterzureden. Schließlich streckte er die Hände in die Höhe. »Sie könnten ja ein Vermö
gen machen!« rief er aus. Ich schüttelte den Kopf. »Mit Verlaub, Sir, ich glaube, wir – die Firma und ich – könnten es eher verlieren. Da wir derzeit jedoch ohnedies Gefahr laufen, unser hiesiges Vermögen zu verlieren, möchte ich das Risi ko, sofern ich das kann, verringern.« »Die Regierung wird dem niemals zustimmen.« »Aber warum denn nicht, Sir? Sie läuft doch keinerlei Risiko. Bis die Finanzierung eines Projekts für die Re gierung akut wird, sind ihr alle Risiken längst abge nommen worden. Der Wirtschaft und dem Volk kann es dann nur noch zum Vorteil gereichen. Warum also sollte die Regierung dem nicht zustimmen?« Dr. Hawa sagte nichts. Er steckte sich eine weitere Zigarette an; aber er schien amüsiert zu sein. Einen Monat später wurde der erste Entwurf unserer Vereinbarungen abgezeichnet; von mir namens der Firma und von Dr. Hawa im Namen der soeben ge gründeten Volkseigenen Kooperative für Industrielle Entwicklung. In Beirut fand diese Neuigkeit gemischte Aufnahme, und ich mußte einer ungewöhnlich erweiterten Gesell schafterversammlung Vorsitzen. Meine Schwestern Euridice und Amalia hatten beide Ehemänner, die an diesen Zusammenkünften kraft eines einzigen Anteil scheins als stimmberechtigt teilnahmen. Diese beklagenswerte Regelung war von meinem Va ter keine vier Wochen vor seinem Tod eingeführt wor den; hauptsächlich, möchte ich glauben, weil es ihm Unbehagen bereitete, mehr Frauen als Männer um einen Vorstandstisch versammelt zu sehen – selbst wenn es sich bei den betreffenden Damen um seine Frau und seine Töchter handelte. Nachdem er Jahr zehnte hindurch soviel mit Moslems zu tun gehabt hatte, begann er selber in mancher Hinsicht ganz ähn lich wie sie zu denken. Als er sah, welchen Fehler er mit dem getroffenen Arrangement begangen hatte, war er jedoch bereits zu krank und geschwächt, um es
noch rückgängig zu machen oder auch nur abzuän dern. Diese Aufgabe hatte er mir hinterlassen; und da ich wenig Neigung verspürte, gleich im ersten Jahr meiner Alleinherrschaft einen größeren Familienzwist heraufzubeschwören, hatte ich es vorerst aufgescho ben, die nötigen Schritte in dieser Richtung zu unter nehmen. Ich habe nichts gegen meine Schwäger; beide sind sie ehrenwerte Männer; aber der eine ist Zahnarzt und der andere außerordentlicher Professor der Physik. Keiner von beiden hat vom Geschäft auch nur die blasseste Ahnung. Aber obgleich beide begreiflicher weise empört gewesen wären, wenn ich ihnen auf ih rem ureigensten Fachgebiet meinen Rat aufzudrängen versucht hätte, zögerten sie niemals auch nur einen Augenblick lang, die Führung unserer Firma eingehend zu kritisieren und zu beraten. Sie betrachteten das Geschäft nicht ohne Nachsicht als eine Art Spiel, an dem jeder, der auch nur über eine Spur von gesun dem Menschenverstand verfügt, jederzeit teilnehmen und dessen Spielregeln man nicht erlernen, sondern recht eigentlich nur intuitiv erfassen kann. Mit der gräßlichen Beharrlichkeit derer, die es gewohnt sind, vom Standpunkt totaler Ignoranz aus im Brustton der Überzeugung zu argumentieren, verkündeten sie ihre abwegigen Meinungen und gaben die unsinnigsten Sprüche von sich, während meine Schwestern in eheli cher Zustimmung bekräftigend mit ihren idiotischen Köpfen nickten. Sich diese unbefangenen Plumpheiten anhören zu müssen, kostete kaum weniger Nerven als der Aufwand, der jedesmal erforderlich war, um als bald über sie hinweg zur Tagesordnung überzugehen, ohne allzu verletzend zu sein. Nein, ich habe nichts gegen meine Schwäger; aber es hat Augenblicke ge geben, in denen ich ihnen sehnlichst den Tod wünsch te. Ihre ebenso spontane wie enthusiastische Billigung meiner Vereinbarungen mit der syrischen Regierung
war daher sowohl verwirrend als auch beunruhigend. Guilio, der Zahnarzt – er ist Italiener –, wurde vor Be geisterung geradezu eloquent. »Es ist meine feste Überzeugung«, erklärte er, »daß Michael staatsmännischen Weitblick bewiesen hat. Mit Idealisten zu verhandeln – in diesem Fall vielleicht eher Ideologen –, ist nicht leicht. In ihren Augen gel ten Kompromisse allemal als Zeichen von Schwäche und Verhandlungen als Schleichwege zum Verrat. Der radikale Extremist, gleich welcher politischen Rich tung, ist eindeutig paranoid. Aber selbst der schwarze Panzer ihres Mißtrauens weist Ritzen auf, und Michael hat die gefährlichsten entdeckt – Eigeninteresse und Habgier. Wir brauchen keine Kanonenboote, um unse re Geschäfte betreiben zu können. Diese Vereinba rung, das ist die moderne Art, die Dinge zu regeln.« »Unsinn!« sagte meine Mutter laut. »Es ist die schwächliche und kurzsichtige Art.« Sie brachte Guilio mit einem gestrengen Blick zum Schweigen, bevor sie sich mir zuwandte. »Warum«, fuhr sie dann schmerz lich bewegt fort, »war diese Zusammenkunft nötig? Warum, um des Himmels willen, haben wir sie selber angeregt? Und warum sind wir, nachdem wir über eine derartige Vereinbarung lediglich diskutiert haben, in die Falle gegangen und haben unterschrieben? Oh, wenn doch dein Vater noch lebte!« »Die Vereinbarung ist nicht unterschrieben, Mama. Ich habe lediglich einen Entwurf abgezeichnet.« »Entwurf? Ha!« Sie schlug sich mit der flachen Hand gegen die Stirn – ihre eindrucksvolle Methode, hoch gradige Erregung zu demonstrieren, ohne die sorgfäl tig gepflegte Frisur zu gefährden. »Und kannst du dein Zeichen unter dem Entwurf widerrufen?« fragte sie herausfordernd. »Kannst du unseren Namen zu einem auf öffentlichen Märkten benutzten Schmähwort wer den lassen, das gleichbedeutend ist mit Wankelmut und Unzuverlässigkeit?« »Ja, Mama, und nein.«
»Was sagst du da?« »Ja, soweit es die erste Frage betrifft, nein hinsichtlich der zweiten. Der abgezeichnete Entwurf zu einer Ver einbarung ist eine Absichtserklärung. Er ist nicht abso lut bindend. Es gibt Möglichkeiten und Wege, davon abzurücken, wenn wir das wollen. Ich bin nicht der Meinung, daß wir das tun sollten, aber aus anderen Gründen als denen, die du angeführt hast. Von Unzu verlässigkeit wäre gewiß keine Rede, aber es könnte durchaus sein, daß man glauben würde, wir hätten bluffen wollen. In diesem Fall könnten wir nicht mehr damit rechnen, von ihnen in Zukunft noch großzügig behandelt zu werden.« »Aber du warst es doch, Michael, der die Initiative ergriffen hat. Warum? Warum hast du nicht gewartet, bis die Zeit reif ist, um die Taktiken anzuwenden, auf die sich dein Vater so hervorragend verstand?« Sie hatte sich über den Tisch vorgeneigt und rieb Daumen und Zeigefinger der rechten Hand aneinander. Ihr Diamantring glitzerte anklagend. »Das habe ich doch schon erklärt, Mama. Wir haben es mit einer neuen Situation und mit Männern von einem ganz anderen Schlag zu tun.« »Anders? Das sind Syrer, oder etwa nicht? Was sollte an denen denn neu sein?« »Ein Mißtrauen gegenüber der Vergangenheit, ein ech tes Bestreben nach Reformen und die Entschlossen heit, Veränderungen herbeizuführen. Ich räume ein, daß ihre Ideen vielfach unausgegoren sind. Aber sie werden hinzulernen, und der Wille dazu ist vorhanden. Ich sollte vielleicht erwähnen, daß ich innerhalb einer Stunde ins Gefängnis gesperrt worden wäre, hätte ich Dr. Hawa zu bestechen versucht oder eine derartige Absicht auch nur durchblicken lassen. Das zumindest ist neu.« »Sie bleiben trotzdem Syrer, und neue Männer pflegen rasch zu altern. Woher willst du übrigens wissen, ob die Partner deines Abkommens in einem halben Jahr
noch im Amt sein werden? Du siehst eine veränderte Situation, ja. Aber vergiß nicht, daß sich solche Situa tionen mehr als einmal ändern können, und das in mehr als einer Hinsicht.« Ich nahm meine Brille ab und putzte die Gläser mit meinem Taschentuch. Meine Frau Anastasia hat mir gesagt, diese Angewohnheit von mir, meine Brille zu putzen, wenn ich nachdenken will, sei ausgesprochen schlecht. Anastasia zufolge erzeugt sie den Eindruck von Schwäche und Verwirrung. Sie mag recht haben; ich kann immer auf Anastasia zählen, wenn es darum geht, mir meine Fehler und Mängel vorzuhalten und die Liste meiner Schwächen auf den neuesten Stand zu bringen. »Über diesen Punkt sollten wir keine Unklarheiten be stehen lassen, Mama.« Ich setzte meine Brille wieder auf und steckte das Taschentuch weg. »Es gibt in Da maskus eine Menge Leute von Erfahrung, die deine Ansicht teilen. Ich glaube, wenn Vater noch lebte, würde er zu ihnen gehören. Ich glaube aber auch, daß er sich täuschen würde. Ich will die Vorzüge der Ge duld keineswegs bestreiten. Aber nur abzuwarten und zuzusehen, wie der Hase läuft, und vielleicht gerade noch Überlegungen darüber anzustellen, welche Hände gegebenenfalls geschmiert werden müßten, kann un ter Umständen auch bloß als Entschuldigung dafür dienen, gar nichts zu tun, weil man sich nicht auf das eigene Urteil verlassen mag. Indem wir auf diese Leu te zugehen, statt darauf zu warten, daß sie hinter ver schlossenen Türen über unser Schicksal entscheiden, sichern wir uns konkrete Vorteile. Mit einigem Glück werden wir unser hiesiges Kapital weiterhin für uns arbeiten lassen können.« Sie schüttelte bekümmert den Kopf. »Du hast soviel englisches Blut in dir, Michael. Mehr, denke ich manchmal, als dein Vater, obschon ich nicht zu sagen wüßte, wie das möglich sein sollte.« Aus dem Mund meiner Mutter waren das in der Tat harte Worte. Ich
erwartete den Rest des Urteilsspruchs. »Ich erinnere mich noch sehr gut an etwas, was dein Vater 1929 gesagt hat. Das war, bevor du geboren wurdest, als ich« – sie klopfte sich auf den Bauch – »dich hier trug. Ein britischer Armeeoffizier war bei uns Hausgast ge wesen. Er war ein Amateursegler, und die Werft hatte irgendwelche Reparaturen an seinem Boot ausgeführt. Als er absegelte, vergaß er ein kleines rotes Buch mit zunehmen, in dem er gelesen hatte. Es war ein Hand buch für die infanteristische Ausbildung oder irgend etwas dergleichen, herausgegeben vom britischen Kriegsministerium. Dein Vater las das Buch, und über einen Satz, auf den er darin gestoßen war, amüsierte er sich so sehr, daß er ihn mir laut vorlas. >Gar nichts tun<, sagte das Kriegsministerium, >heißt sicher das Falsche tun.< Wie dein Vater darüber lachen mußte! >Kein Wunder<, meinte er, >daß die britische Armee sich so schwer tut, ihre Kriege zu gewinnen.« Nur meine Schwäger, die diese Geschichte nicht gar so oft gehört hatten, lachten darüber; aber meine Mutter hatte noch nicht geendet. »Du, Michael«, sagte sie, »hast Dinge ins Rollen gebracht, von denen du be hauptest, sie brächten ein, was du >konkrete Vortei le< nennst. Erster Vorteil, eine Entschädigung für un sere Verluste in Syrien, die wir nie bekommen werden und die man uns daher gestohlen hat. Zweiter Vorteil, eine Lizenz, mit dem uns gestohlenen Geld und viel zuviel von deiner kostbaren Zeit irgendeine nichtexi stierende Industrie zu subventionieren, die nichtexi stierende Güter produziert. Ja, wir haben die Alleinver tretung für diese Güter, wenn diese Bauern und Flüchtlinge jemals dazu gebracht werden können, sie zu produzieren. Aber wann wird das der Fall sein? Wie ich diese Leute kenne, zu meinen Lebzeiten nicht mehr.« Sie hatte natürlich den schwachen Punkt des ganzen Arrangements erkannt und den Finger unbeirrbar in die Wunde gelegt. Nur allzuoft sollte ich in den folgen
den Monaten noch an ihren Ausspruch von der >nicht existierenden Industrie, die nichtexistierende Güter produziert denken müssen. Im Augenblick jedoch blieb mir nichts anderes übrig, als scheinbar gelassen dazu sitzen und eine unerschütterliche Ruhe vorzutäuschen. »Gibt es noch irgendwelche Fragen?« »Ja.« Meine Schwester Euridice meldete sich. »Was wäre die Alternative zu dieser Abmachung?« »Die Alternative, die Mama vorschlägt. Wir tun nichts. Meiner Meinung nach würde das bedeuten, daß wir uns eines Tages mit unseren Verlusten in Syrien ab finden, daß wir sie abschreiben müssen. Bestenfalls könnten wir auf eine Konterrevolution hoffen, die den Status quo wiederherstellt. Ich sehe zwar nicht, wie das geschehen sollte, aber – « Ich zuckte die Achseln. »Aber du könntest dich irren?« Guilio, der Zahnarzt, trat wieder in Aktion, mit hervorquellenden Augen und einem Zeigefinger, mit dem er sich an die Schläfe tippte – vermutlich, um mich darauf aufmerksam zu machen, daß die Frage seinem Gehirn entstammte und nicht seinem Bauch. »Ja, ich könnte mich irren, Guilio. Was ich meinte, ist, daß die Art von Konterrevolution, bei der die radikale Rechte die radikale Linke stürzt, den Status quo nur in den seltensten Fällen wiederherstellt.« »Aber actio und reactio sind doch wohl stets gleich wertig und konträr.« Das war Rene, der Physiker. Er hatte die entnervende Angewohnheit, wissenschaftli che Gesetze fortwährend in nichtwissenschaftlichen Zusammenhängen zu zitieren. In eine Diskussion über eine seiner falschen Analogien verwickelt zu werden, war etwas, was um jeden Preis vermieden werden mußte. »Im Laboratorium, ja.« »Und auch im Leben, Michael, auch im Leben.« »Ich bin sicher, daß du recht hast, Rene. Aber die poli tische Zukunft Syriens gehört schwerlich zu den Din gen, die sich von uns hier in diesem Konferenzzimmer
exakt voraussagen lassen. Ich finde, daß wir lange genug diskutiert haben und jetzt zur Abstimmung kommen sollten. Du zuerst, Guilio.« Ich glaube, in jenem Augenblick war ich selber schon so gut wie entschlossen, die Abmachung zu sabotie ren. Guilios und Renes spontane Begeisterung hatte Zweifel in mir wachgerufen, die durch den ätzenden Kommentar meiner Mutter noch beträchtlich verstärkt worden waren. Unter Berufung auf die Tatsache, daß ich als Urheber des Abkommens parti pris sei, hätte ich durch Stimmenthaltung ohne allzu großen Ge sichtsverlust von der Sache abrücken können. Und genau das würde ich wohl getan haben, wenn es Guilio gefallen hätte, nochmals seine idiotische Lobeshymne auf meine weitblickende Kühnheit anzustimmen. Be dauerlicherweise entschied er sich für das Gegenteil. »Meine wohlerwogene Meinung«, erklärte er gewich tig, »geht dahin, daß die Zeit für uns arbeitet. Kein Abkommen, wie geschickt ausgehandelt es auch im mer sein mag, kann unseren Interessen letztendlich dienlich sein, wenn das Regime, mit dem es getroffen werden soll, seinem ganzen Wesen nach unstabil ist. Falls die Zeit für uns arbeitet, und wir dürfen hoffen, daß sie das tut, dann sage ich, laßt die Zeit für uns arbeiten.« »Du bist gegen den Antrag, Guilio?« »So leid es mir auch tut, Michael – ja.« Rene drängte es, über die Mathematik der Spieltheorie und die Möglichkeit, sie zur Lösung metapolitischer Probleme anzuwenden, ein paar Worte zu sagen. An schließend stimmte auch er gegen die Vereinbarung. Ich sah meine Mutter an. Von ihr hing jetzt die Ent scheidung ab. Was immer ich meinerseits auch wün schen mochte: meine Schwestern würden ihrem Bei spiel folgen. Ich sagte: »Mama, ich bin der Überzeugung, daß auch für die absurdeste Verallgemeinerung, selbst für eine, die sich in einem kleinen roten Buch findet, das vom
britischen Kriegsministerium herausgegeben worden ist, immer wieder einmal ein Augenblick der Wahrheit eintritt. Ich glaube, daß ein solcher Augenblick jetzt gekommen ist und daß das, was du tun willst und was Guilio und was Rene tun wollen – nämlich nichts –, daß das definitiv das Falsche tun heißt.« Einen Moment lang zuckte es um ihren Mund, und es hatte den Anschein, als werde sie gleich lächeln; aber der Anschein trog. Statt dessen warf sie die Hände hoch. »Nun gut«, sagte sie. »Triff du deine Vereinba rung. Aber ich warne dich. Du schaffst dir viel Ärger – Ärger jeglicher Art.« Damit sollte sie natürlich ganz und gar recht behalten. Der Ärger war von jeder nur denkbaren Art; und ich hatte ihn niemand anderem zuzuschreiben als mir sel ber. Nahezu zwei Jahre lang war Dr. Hawa der einzige Partner des syrischen Abkommens, der in irgendeiner nennenswerten Weise davon profitierte. Unsere Firma verlor; und was sie zusetzte, beschränkte sich nicht auf unsere blockierten Gelder. Wie meine Mutter vor ausgesagt hatte, kosteten mich die syrischen Koopera tiv-Projekte viel zuviel Zeit. Es war unausbleiblich, daß ein Teil der verantwortungsvollen Managementaufga ben in den profitableren Unternehmensbereichen un serer Firma an leitende Angestellte delegiert werden mußte. Selbstverständlich nahmen sie die Gelegenheit wahr und forderten Gehaltserhöhungen. Zunächst, das muß ich zugeben, ließ sich die Arbeit recht zufriedenstellend an. Kaninchen aus dem Zylin der hervorzuziehen, kann lustig sein, wenn der Zauber funktioniert. Das Keramik-Pilotunternehmen zum Bei spiel, das ich in einer stillgelegten Seifenfabrik aufzog, lief von Anfang an sehr gut. Das war zum Teil reines Glück. Ich fand einen Mann, den ich als Vorarbeiter und später als Manager einsetzen konnte. Er hatte drei Jahre lang in einer französischen Töpferei gearbeitet und verstand etwas von farbigen Glasuren. Er wußte
auch, wo die nicht voll ausgebildeten Arbeitskräfte, die wir brauchten, angeworben werden konnten und wie sie zu behandeln waren. Innerhalb von vier Monaten hatten wir eine Anzahl von Mustern, realistische Ko stenvoranschläge und einen auf die volle Auslastung der Produktionskapazität zugeschnittenen und bis ins einzelne ausgearbeiteten Plan vorzuweisen, den ich Dr. Hawa zu den Bedingungen unserer Übereinkunft unterbreiten konnte. Innerhalb von wenigen Wochen und nach einer ungewöhnlich kurzen Phase des Feil schens war die staatliche Finanzierung bewilligt wor den und das Projekt angelaufen. Bei Jahresende hat ten wir unsere ersten Exportaufträge unter Dach und Fach gebracht. Bei den Möbel- und Metallwarenprojekten liefen die Dinge nicht so glatt. Im Fall der Möbel ergaben sich einige Schwierigkeiten aus der Tatsache, daß eine Menge Arbeiten, die unter den Testbedingungen ma schinell hätten ausgeführt werden sollen, mit der Hand verrichtet werden mußten. Das verlieh unserer Ko stenrechnung einen Nutzwert, der den einer >über den Daumen gepeilten< Schätzung nur unwesentlich überstieg. Die meisten Kopfschmerzen verursachte uns diese Pilotproduktion jedoch wegen ihrer Abhän gigkeit von der Schlosserei. Das Problem war hier der chronische Mangel an gelernten Arbeitskräften. Das war durchaus nicht verwunderlich. Warum sollte ein Schlosser, der seit Jahren auf eigenen Füßen stand und genügend verdiente, um so leben zu können, wie es vor ihm schon sein Vater und sein Großvater als annehmbar empfunden hatten, in einer regierungsei genen Fabrik arbeiten wollen? Wie sollte dieser Hand werker dazu überredet werden, Werkzeuge zu benut zen, die ihm nicht gehörten, um damit ungewohnte Gegenstände von – für ihn – fraglichem Wert herzu stellen? Man konnte damit argumentieren, und das tat ich, bis mir vor Heiserkeit die Stimme versagte, daß er in der regierungseigenen Fabrik wöchentlich nur fünf
zig Stunden zu arbeiten brauche statt der sechzig Stunden, die er als selbständiger Handwerker arbeiten mußte, und dabei dennoch mehr Geld verdiene. Man konnte von der Sicherheit des Arbeitsplatzes sprechen. Man konnte ihm Überstunden und Sonderprämien für die Anlernung von Lehrlingen versprechen. Man konn te bitten, mit Engelszungen alle Überredungskünste spielen lassen. In den meisten Fällen war die Antwort ein nachdenklich versonnenes Kopfschütteln, das ei nen verrückt machen konnte. Am Ende blieb mir nichts anderes übrig, als mich mit diesem Problem hilfesuchend an Dr. Hawa zu wenden. Er löste es, indem er eine Bestimmung erließ, die den Verkauf von Buntmetallen und -legierungen wie Kupfer und Messing kontingentierte. Jeder Käufer erhielt eine Quote zugeteilt, der die im Vorjahr getätigten Käufe zugrunde lagen. Hatte er jedoch keine schriftlichen Unterlagen aufbewahrt – Empfangsbestätigungen zum Beispiel oder quittierte Rechnungen –, mit denen er seinen Bedarf nachweisen konnte, sah er sich in Schwierigkeiten. Natürlich stand es ihm frei, einen entsprechenden Antrag zu stellen. Aber selbst wenn er kein Analphabet war, würde es ihm schwerfallen, den betreffenden Passus der einschlägigen Vorschriften auch nur zu begreifen. Er würde sich einen Anwalt nehmen müssen. Als die Risiken, Ungewißheiten und Hindernisse selbständiger Arbeit auf diese Weise im mer offenkundiger wurden, beschloß mancher von denen, die früher den Kopf geschüttelt hatten, sich die Sache nochmals zu überlegen. Daß Dr. Hawa sich in einer Position befand, die es ihm erlaubte, diese byzantinische Methode der Rekrutie rung von Arbeitskräften durch Druck zu legalisieren, ist nicht so bemerkenswert, wie es scheinen mag. Ich habe bereits gesagt, daß unsere Abmachung für ihn von Anfang an einträglich war. Vielleicht wäre >vor teilhaft< das richtigere Wort gewesen. Seit dem Tag, an dem wir die endgültige Fassung der vertraglichen
Vereinbarungen unterschrieben, verging kaum eine Woche ohne irgendeine Manifestation dessen, was er >unser Public-Relations- und Informationsprogramm< nannte. Praktisch hieß das Publicity für Dr. Hawa per sönlich. Ich weiß heute noch nicht, wie er seine imagefördernden Tricks anzuwenden lernte; ohne Fra ge hatte er sie in den besagten Jahren gesammelt, die er als graduierter Student in Amerika verbrachte; aber er beherrschte sie allesamt mit bemerkenswerter Ge schicklichkeit. Teresa glaubt, daß er ein angeborenes Talent zur Eigenwerbung besitzt, dessen er sich nur undeutlich bewußt ist, und daß er sich nahezu aus schließlich vom Instinkt leiten läßt. Sie mag recht ha ben. Es war durchaus fesselnd, ihn in voller Aktion zu erle ben. An dem Tag, an dem wir die stillgelegte Seifenfa brik – einen verfallenen, von Ratten verseuchten Bau damals – in Besitz nahmen, kreuzte, eine große, auf gerollte Blaupause – wovon, habe ich nie herausge funden – schwingend und von Fotografen und Archi tekten begleitet, überraschend Dr. Hawa auf, um die Örtlichkeit zu inspizieren. Die Fotos von Dr. Hawa, die später in den Zeitungen erschienen und ihn zeigten, wie er mit expressiver Gebärde auf die Blaupause deu tete, aber auch die Bildunterschriften, die die dynami sche und doch bescheidene Persönlichkeit des Leiters des Referats für industrielle Entwicklung rühmten, wa ren ungemein beeindruckend. Er verstand es, aus dem trivialsten Vorgang ein Ereignis zu machen. Das Ein treffen eines neuen Maschinenteils, das Verlegen einer neuen Hochspannungsleitung, das Gießen der Beton masse für den neuen Faßboden einer Werkstatt – wo immer irgend etwas vonstatten ging, was sich fotogra fieren ließ, war Dr. Hawa zur Stelle; und er wußte es stets so einzurichten, daß er bei Ankunft der Fotogra fen nicht nur im Vordergrund stand, sondern dabei auch rein optisch deutlich zum Ausdruck kam, daß er derjenige war, bei dem die Gesamtleitung des betref
fenden Geschehens lag. Er hatte eine Art, auf irgend etwas zu zeigen, wenn er eine Frage stellte, und dabei den Kopf genau so weit in den Nacken zu werfen, daß es aussehen mußte, als erteile er Anweisungen. Und natürlich sollten wir schon bald nicht mehr die einzi gen sein, die ihm zu solcher Selbstdarstellung Gele genheit gaben. Die exzessive Publicity, die unseren Pilotprojekten zuteil geworden war, hatte einige der vormaligen Stillhalte-Taktiker zu dem Trugschluß ver leitet, ich müsse, während sie schliefen, das Geld nur so gescheffelt haben, und sie bewogen, eiligst auf den abfahrenden Kooperations-Bus aufzuspringen. Eine Reihe dieser Unternehmen, insbesondere eine Glas hütte, eine Fabrik, die verzinkte Eisendrähte herstell te, und eine Getränkefabrik, die eine örtliche PepsiCola-Imitation von etwas befremdlich anmutendem Geschmack auf Flaschen zog, waren erfolgreich; und natürlich heimste Dr. Hawa den Ruhm ein. Als 1966 die gesamte Industrie Syriens verstaatlicht wurde, mehrten sich für ihn die Gelegenheiten zu wir kungsvoller Eigenwerbung in noch weit größerem Ausmaß. Seine offizielle Position als Entwicklungsex perte erlaubte es ihm, seine Nase in nahezu alles und jedes hineinzustecken und sich dabei fotografieren zu lassen. Der einzige Widerstand, auf den seine Metho den stießen, kam von den Russen, die hinsichtlich der Art und Weise, wie die Publicity für die sowjetische Entwicklungshilfe gehandhabt werden sollte, ihre eige nen Vorstellungen hatten. Was sie von Dr. Hawa er warteten, war geschmeidige Unterordnung, nicht foto gene Solodarbietung. Sie schwenkten ihre eigenen Blaupausen. Er nahm diese Niederlagen mit Anstand hin; er war ebenso anpassungsfähig wie einfallsreich. Im Rundfunk und später auch im Fernsehen kam er hervorragend an; er gab sich sehr einfach, sehr direkt, war ganz der apolitische Staatsbeamte, durchdrungen vom Neuen und doch nicht ohne Achtung vor dem Alten, bedacht einzig auf das Wohl des Volkes.
So war denn niemand überrascht, als, zugleich mit der Bekanntmachung, daß das Referat für industrielle Entwicklung aufgewertet und zum Ministerium ausge baut werden sollte, die Nachricht kam, daß das neuge schaffene Portefeuille Dr. Hawa angetragen und von diesem bereits angenommen worden sei. Daß er es fertigbrachte, so lange im Amt zu bleiben und selbst die Stürme der späten sechziger Jahre zu überdauern, war auf das Zusammentreffen verschiedener Umstän de zurückzuführen. Als Anhängsel der mächtigeren Ministerien für Finan zen und für Handel und Soziales selber politisch und finanziell minderbemittelt, kam Dr. Hawas Ministerium als Operationsbasis von der Art, wie sie ergrauten Dis sidenten und Möchtegern-Umstürzlern vorschwebt, nicht in Frage. Es kontrollierte keine – bewaffneten oder unbewaffneten – Kräfte, die zu mobilisieren wa ren, und verfügte über keinerlei Zugang zum inneren Kreis der Macht. Die Funktion seines Ministeriums hat te Dr. Hawa selber als die eines Katalysators bezeich net – eine Definition, für die er im Lauf der Zeit eine immer ausgeprägtere Vorliebe entwickelte –, und das Image, das er sich selbst gab, war das des supertüch tigen Spezialisten, der seine Arbeit, auf die nur er sich versteht, unauffällig und gewissenhaft verrichtet und für die Arbeit anderer keinen Blick übrig hat. Nicht ein einziges Mal unterfing er sich, als potentieller Führer gelten zu wollen. Dabei muß er sich zeitweilig dazu versucht gefühlt haben; eitle, ehrgeizige und fähige Männer wie er bringen es in den seltensten Fällen über sich, ihren Aspirationen Grenzen zu setzen; aber er zählte zu den Ausnahmen. Da er für keinen, der ihn hätte vernichten können, eine Gefahr darstellte, hat er überlebt. Obwohl ich es lieber mit jemandem zu tun gehabt hät te, der bequemer und weniger alert war, hätte ich durchaus auch schlimmeren Zuchtmeistern als Dr. Hawa begegnen können. Vom ersten Augenblick sei
ner Beförderung an war offenkundig, daß ihm das Mi nisteramt gut bekam. Er schien weniger zu rauchen und zeigte sich jetzt häufig gelöst und umgänglich. Wenn wir Backgammon spielten und er ein, zwei Glä ser von meinem besten Brandy intus hatte, machte er gelegentlich schon einmal einen Scherz, der nicht ge hässig war. Natürlich konnte er noch immer sehr un angenehm werden. Als erstmals offenbar wurde, daß die Howell-Firmen in Übersee aus den uns vertraglich zugebilligten Alleinvertretungen nennenswerte Profite zu ziehen begannen, bekam ich sarkastische Bemer kungen und kaum verschleierte Drohungen zu hören. Selbstverständlich konnte ich anhand eindeutiger Zah len mühelos nachweisen, daß wir per saldo noch im mer tief im Minus steckten; aber sobald es um Zahlen ging, pflegte er schwierig zu werden. Seine waren stets unanfechtbar, akkurat und vollständig; die Zah len, mit denen andere ihm kamen, entweder irrelevant oder manipuliert. Er hatte noch weitere Eigenheiten, die den Umgang mit ihm erschwerten. So mußte man beispielsweise mit der gesprächsweisen Erwähnung von Ideen für neue Projekte vorsichtig sein. Es war sehr gefährlich, mit ihm über ein mögliches Entwicklungsprojekt zu diskutieren, wenn man selber noch keine endgültige Klarheit darüber gewonnen hatte, ob man sich auf das betreffende Vorhaben einlassen sollte oder nicht. Wenn ihm eine neue Idee zusagte, griff er sie auf, und dann gab es kein Entrinnen mehr. Noch bevor man in das eigene Büro zurückgekehrt war, hatte das Ministe rium schon eine Presseverlautbarung herausgegeben, die das neue Wunder ankündigte. Von da ab war man in die Pflicht genommen, ob es einem nun paßte oder nicht. Genauso hatte übrigens die ganze elende Geschichte mit den Trockenbatterien angefangen. Sie ist mir von Dr. Hawa aufgezwungen worden. Mit dem elektronischen Projekt war es das gleiche ge
wesen. Aufgrund einer Vereinbarung zwischen Dr. Hawas Ministerium und einer Handelsmission der DDR hatten wir eine Fabrik einzurichten, in der in Ost deutschland gefertigte elektronische Schaltungen zu sammengesetzt werden sollten. Wir produzierten ver schiedenartige Telekommunikations-Ausrüstungen, darunter hochspezialisierte Geräte für die Armee sowie kleine Transistorradio- und Fernsehapparate. Zu mei ner Entlastung wurde ein irakischer Manager verpflich tet, der eine Spezialausbildung in der DDR erhalten hatte und die Fabrik leiten sollte; aber von unserem Standpunkt aus stimmte die Gesamtkonzeption nicht. Arbeitsintensiv, wie es war, konnte das Projekt ohne hin nicht rentabel sein; und die Heeresaufträge, von denen ich angenommen hatte, daß sie uns möglicher weise etwas einbringen könnten, wurden auf einer Kostenbasis erteilt, die ruinös für uns war. Mit der Elektronik konnten wir bestenfalls auf plus minus Null kommen. Aber das Trockenbatterien-Projekt war viel schlimmer. Das kostete mich mehr als nur mein Geld; das wuchs sich zu einem Alptraum aus. Verstehen Sie mich bitte nicht falsch. Ich behaupte nicht, an allem, was geschehen ist, sei Dr. Hawa schuld; ich hätte rascher und entschiedener reagieren sollen. Ich sage lediglich, daß ich, weit entfernt, das Batterienprojekt schlau eingefädelt zu haben, wie das einige dieser Straßenkehrer, die sich Journalisten nen nen, durchblicken ließen, im Gegenteil alles versucht habe, um seinen Fortgang zu hintertreiben, und das nicht nur, bevor es anlief, sondern auch später noch. In Gang gesetzt wurde die Sache durch einen puren Zufall. Es war das Jahr nach dem Sechstagekrieg mit Israel. In allen Ländern müssen Regierungsstellen aller Ressorts Berge von bedrucktem Papier versenden, das liegt nun einmal in ihrem Wesen. Eine der Verlautba rungen, die das Ministerium für industrielle Entwick lung regelmäßig verschickte, war eine Liste von diver
sem Schüttgut, das in regierungseigenen Speichern verwahrt und zum Verkauf freigegeben wurde. Für mich waren diese Listen normalerweise von geringem geschäftlichem Interesse, aber in Erinnerung an die alten Zeiten warf ich zuweilen einen Blick darauf, um zu sehen, was sie für Latakiatabak verlangten. So kam es, daß ich auf diesen ziemlich ausgefallenen Waren posten stieß. In einem latakischen Speicher lagerten sechzig Tonnen Mangandioxyd. Das brachte mich auf eine Idee. Obwohl das Keramik werk ausgezeichnet ging und beachtliche Produktionsund Absatzsteigerungen erzielte, füllten sich unsere Lagerbestände, insbesondere die an Kacheln, um eine Spur rascher, als wir sie abzubauen vermochten. Ich hatte mich nach Möglichkeiten umgesehen, weitere Fertigungszweige auszubauen, um unsere Produktion ein wenig zu diversifizieren. Dieses beschlagnahmte Zeug im Lagerschuppen schien eine solche Möglichkeit zu eröffnen. Ich holte Auskünfte über seine Herkunft und Beschaffenheit ein. Ursprünglich, so war zu erfahren, hatte es zur ge mischten Ladung eines panamesischen Frachters ge hört, von dem es im türkischen Hafen Iskenderun übernommen worden war. Südlich von Banyas war Maschinenschaden aufgetreten, und ein Südweststurm hatte das Schiff unweit der Arabel-Meulk-Leuchtboje auf eine Sandbank gesetzt. Schlepper aus Latakia hat ten es schließlich flottgemacht, aber das erst, nach dem zwecks Gewichtsverminderung ein Teil der Fracht, darunter auch das Mangandioxyd, umgeladen worden war. Später hatte es wegen der Bergungsan sprüche der Schlepperkapitäne einen Disput gegeben, und der Frachter war unter Zurücklassung der be schlagnahmten umgeladenen Fracht abgedampft. Das Mangandioxyd war ohnedies nicht derart kostbar, es sei denn vielleicht für uns. Ich forderte Proben an. Hawas Spione waren überall. Wenige Stunden nach dem ich diesen Antrag gestellt hatte, rief mich sein
Kanzleichef an und wollte wissen, warum ich mich für dieses Material interessiere. Ich sagte, daß ich ihm das am Telefon schwerlich erklären könne und es ohnehin keinen Sinn habe, auch nur den Versuch dazu zu ma chen, bevor ich nicht die Materialproben und die Er gebnisse der Run-Tests erhalten hatte. Er sagte, daß er die Resultate dieser Tests abwarten werde. Eine Woche darauf wurde ich zum Minister gerufen. Das überraschte mich nicht. Ich hatte längst herausgefun den, daß Dr. Hawa, war seine Neugier erst einmal ge weckt, es nicht über sich brachte, ihre Stillung einem Untergebenen zu überlassen. Die Aufforderung kam jedoch, als ich gerade in Alexandria war, um dort eini ge unserer ägyptischen Schwierigkeiten auszubügeln. Teresa sagte dem Kanzleichef natürlich, wo ich mich zur Zeit aufhielt, und sie vereinbarten einen neuen Termin für meine Zusammenkunft mit Dr. Hawa, die noch am Tag meiner Rückkehr stattfinden sollte. Auf die von Dr. Hawa verfügte Sonderbehandlung jedoch, die mir auf dem Flugplatz zuteil wurde, war ich in kei ner Weise gefaßt gewesen. Es geschah zum ersten mal, daß ich in den Genuß dieser Ehre gelangte, und es jagte mir einen gehörigen Schrecken ein. Niemand konnte oder wollte mir sagen, was das Ganze zu be deuten hatte, und so nahm ich schließlich an, daß ich unter Arrest stand. Erst als ich in der vollklimatisierten Limousine saß, die mich ins Ministerium brachte, be gann ich ärgerlich zu werden. Ich glaubte, daß dies Dr. Hawas spezielle Art sei, sich dafür, daß ich nicht sofort greifbar gewesen war, zu revanchieren und mir für den Fall, daß ich es vergessen haben sollte, ins Ge dächtnis zu rufen, daß er mein Kommen und Gehen überwachen lassen konnte, wann immer es ihm paßte. Er war ungemein liebenswürdig, als ich sein Arbeits zimmer betrat. »Ah, Michael, da sind Sie ja. Und wohlbehalten, ge sund und munter, wie ich sehe.« Er bedeutete mir, in einem Sessel Platz zu nehmen.
»Danke, Herr Minister.« Ich setzte mich. »Ich bin Ih nen für den Empfang am Flughafen sehr dankbar. Er war unerwartet, aber willkommen.« »Wir bemühen uns, unsere Freunde zu beschützen.« Er steckte sich eine Zigarette an. »Sicher werden Sie in Alexandria schon von unseren neuesten Schwierig keiten gehört haben. Nein? Nun ja, es ist erst gestern nacht passiert. Eine Verkehrsmaschine, eine europäi sche, wurde auf dem Flughafen durch Bomben zer stört. Von israelischen Saboteuren natürlich.« »Natürlich.« Das war die rituelle Formel, mit der Bombenanschläge und andere terroristische Akte, die damals von örtli chen palästinensischen Guerillas verübt wurden, kommentiert zu werden pflegten. Zumeist handelte es sich um Splittergruppen mit marxistischem und maoi stischem Einschlag, die sich, sofern sie nicht gerade die jordanischen und libanesischen Behörden jenseits der Grenze, deren Kooperationsbereitschaft zu wün schen übrig ließ, durch entsprechende Aktionen unter Druck zu setzen versuchten, auf Provokationen spezia lisierten, die den Israelis in die Schuhe geschoben werden konnten. Darüber hinaus dienten Aktionen dieser Art dazu, diejenigen ihrer syrischen »Brüder«, die es insgeheim nach Frieden gelüstete, nicht im un klaren darüber zu lassen, daß sie sich einen so schmählichen Gedanken besser aus dem Kopf schlu gen. »Hat man sie gefaßt?« fragte ich. »Leider nicht. Es wurden Zeitbomben verwendet. Un sere Sicherheitsbehörden scheinen aus diesen Vorfäl len noch immer nicht die richtigen Lehren gezogen zu haben.« Und natürlich würden sie das niemals tun. Mao zufolge soll sich der Einzelkämpfer im freundlichen Meer des Volkes wie ein Fisch im Wasser bewegen. Und wenn sich dieses Meer in Syrien auch als nicht gar so freundlich erwies, so waren ausgesprochen feindliche
Strömungen doch selten. Soweit die Sicherheitsbehörden die Guerillas nicht aktiv unterstützten, praktizier ten sie eine Taktik des Nicht-zur-Kenntnis-Nehmens. Die magischen Aufkleber >Palästina< und >Palästi nenser< konnten aus dem brutalsten Killer einen he roischen jungen Freiheitskämpfer machen, und solan ge er nicht allzu offensichtlich über die Stränge schlug, hatte er nichts zu befürchten. Das wußte Dr. Hawa so gut wie ich selber. Im übrigen dachte kein Guerilla daran, eine Maschine der Middle East Airlines – auch nicht zum Zweck der Provokation – in die Luft zu sprengen. Ich glaubte noch immer, er operiere mit der Angst vor Bombenanschlägen, um mir eins auszuwi schen. Der Kaffee wurde gebracht. »Aber wenn man nicht die Verantwortung hat, ist es leicht, kritisch zu sein. Wir müssen Geduld haben. Inzwischen, das sagte ich Ih nen bereits, treffen wir Sicherheitsvorkehrungen, um unsere Freunde zu schützen – besonders diejenigen Freunde, die uns dabei helfen, Syrien eine Zukunft aufzubauen.« Er lächelte mir spöttisch zu. »Hätten Sie Lust, die Leitung eines Reifenerneuerungswerks zu übernehmen, Michael?« »Danke, nein, Herr Minister.« Ich lächelte gleichfalls. Er hatte versucht, mir eins auszuwischen. Diese Reifengeschichte war ein ziemlich mieser Stan dardwitz. Die ReifenerneuerungsProduktionskooperative war die Idee eines Armeniers gewesen, der sein Geld mit kandierten Früchten ge macht hatte, und ein völliges Desaster geworden. Mindestens fünfzig Prozent der erneuerten Reifen hat ten sich als defekt erwiesen, und das in einigen Fällen in fataler Weise. Ein Unfall, bei dem drei Fahrgäste eines Überlandbusses ums Leben kamen, war durch das Platzen eines dieser erneuerten Reifen verursacht worden. Hawa hatte Schwierigkeiten gehabt, die Ge schichte zu vertuschen, und suchte noch immer nach einem rettenden Ausweg aus dem Chaos. Obwohl er
längst genau wußte, daß ich nicht die Absicht hatte, ihm einen solchen Ausweg zu eröffnen, richtete er in regelmäßigen Abständen immer wieder diese Frage an mich. Das war seine Art, zu erkennen zu geben, daß er mir meine Weigerung, ihm diesen Gefallen zu er weisen, zwar nicht notwendigerweise nachtragen, sie andererseits aber auch keineswegs gänzlich vergessen würde. »Dann lassen Sie uns jetzt von diesem Mangandioxyd reden.« Er schmunzelte. »Ich muß gestehen, daß mich Ihr Interesse für dieses Zeug einigermaßen verblüfft hat. Ich weiß, daß Sie die absonderlichsten Chemikali en bestellen, um Ihre farbigen Glasuren zu erzeugen, aber dies war offenkundig ganz ungewöhnlich. Sechzig
Tonnen?« »Ich brauche es nicht für eine Glasur, Herr Minister. Ich hatte vor, es zur Herstellung von Salmiakelemen ten zu verwenden.« »Ich glaube, ich habe Sie nicht richtig verstanden.« »Das Salmiakelement, auch Leclanche-Element ge nannt, ist ein Primärelement, eine ziemlich primitive Quelle elektrischer Energie. Es ist weitgehend von der Trockenbatterie verdrängt worden, obschon beide nach demselben Prinzip funktionieren. Das Salmiak element ist keine Trockenbatterie und daher etwas unhandlich, aber durchaus brauchbar.« »Wofür beispielsweise?« »Für vieles, was die Trockenbatterie leistet – es kann Hausglocken und Klingelleitungen, mittels Knopfdruck funktionierende Türöffner und Haustelephonanlagen etc. mit Strom versorgen. Es hat den Vorzug langer Lebensdauer und geringer Anschaffungskosten.« Er nickte nachdenklich; in seinem Blick lag etwas Ent rücktes. »Eine primäre Quelle elektrischer Energie«, sagte er genießerisch. Aus seinem Mund klang das, als handele es sich um den Assuan-Staudamm. Seine Ga be, eine nüchterne Erklärung auf der Stelle zu einem irreführenden Public-Relations-Brei zu verrühren, war
bemerkenswert. »Ausschlaggebend daran ist«, sagte ich, »daß es dabei um eine ganz einfache Sache geht. Die Kathoden be stehen aus einem porösen Keramiktopf, den wir leicht herstellen können. Er wird um eine Kohleelektrode herum mit Mangandioxyd gefüllt. Die Anode ist ein Zinkstab. Beides wird in einem Behälter unterge bracht, der gewöhnlich aus Glas besteht, aber wir könnten ihn auch aus glasiertem Steingut herstellen. Das Elektrolyt ist eine Lösung aus Ammoniakchlorid, das ganz wenig kostet, und einfachem Leitungswas ser. Das Zink müßten wir von auswärts beziehen, aber alles andere könnten wir selber beschaffen – voraus gesetzt, dieses Mangandioxyd ist einwandfrei.« »Was sollte daran nicht in Ordnung sein?« »Es könnte zum Beispiel mit Salzwasser kontaminiert sein. Deswegen habe ich Proben angefordert.« Er öffnete eine Schublade seines Arbeitstisches und holte ein kleines Gefäß heraus. »In Ihrer Abwesen heit«, sagte er, »habe ich ebenfalls Proben verlangt und Tests machen lassen. Man hat mir gesagt, daß es sich um das gebräuchliche pulverisierte Braunsteinerz – vermutlich aus dem Kaukasus – handelt und nur die üblichen minimalen Verunreinigungen aufweist. Wie viele Batterien könnten Sie aus sechzig Tonnen von diesem Braunstein herstellen?« »Wahrscheinlich weit mehr, als wir jemals davon ab setzen werden. Zehntausende.« »Aber hier im Land könnten wir die Nachfrage wek ken?« »Wenn wir die Einfuhr von Trockenbatterien bestimm ter Größen drosseln, ja.« »Sie sagten, das Prinzip dieser Batterie sei das gleiche wie bei der Trockenbatterie. Warum können wir nicht selber Trockenbatterien herstellen?« »Diese Frage läßt sich nicht aus dem Stegreif beant worten, Herr Minister«, entgegnete ich. »Trockenbat terien werden heute zu Millionen in Japan, Amerika
und Europa hergestellt. Ich kann mich selbstverständ lich über die Marktlage informieren. Aber die Batterie, von der ich rede, läßt sich im Keramikwerk herstellen. Wir würden einen zusätzlichen Schuppen oder auch zwei und ein paar Männer brauchen, die unter ent sprechender Anleitung die anfallenden Arbeiten ver richten können, aber das ist auch alles. Kein nen nenswerter Kapitalaufwand, und wir produzieren einen nützlichen Artikel mit Hilfe unserer eigenen Ressour cen.« »Trockenbatterien sind etikettiert. Könnten wir diese Batterien mit Aufklebern versehen?« »Ja, das könnten wir.« Daß Etiketts, die auf glasierte Töpfe geklebt werden, sich rasch lösen, erwähnte ich nicht, weil ich wußte, daß ihm das die Laune verder ben würde. Von den Produkten, die wir herstellten, trugen nur die wenigsten Werbung irgendwelcher Art. Für einen Mann mit einer so ausgeprägten Vorliebe für Publicity mußte das ungemein frustrierend gewesen sein. »Den Aufkleber stelle ich mir in leuchtenden Far ben vor«, sagte er. »Und wir sollten uns einen Markennamen einfallen lassen. Ich werde darüber nachdenken.« Der Markenname, für den er sich schließlich entschied, lautete: >Cercle Vert<. Im Lauf der nächsten zwei Jahre produzierten wir mehr als zwanzigtausend Primärelemente, die das >Cercle Vert<-Etikett trugen, und schafften es, sie zum Großteil mit anständigem Gewinn zu verkaufen. Im Jemen und in Somaliland fanden sie besonders regen Absatz. Als Nebenproduktionszweig des Kera mikwerks hatten sie sich hervorragend bewährt. Wenn ich mich damit hätte zufriedengeben können, wäre alles gut gewesen. Leider war Dr. Hawa zu je nem Zeitpunkt an Nebenproduktionszweigen, wie nützlich sie auch immer sein mochten, nicht länger interessiert. Für ihn kamen jetzt nur noch Projekte
ehrgeizigerer Art in Frage, mit denen sich die monatli chen Berichte garnieren ließen, die sein Ministerium herausgab – Berichte, die darauf abzielten, eine steti ge Beschleunigung des Entwicklungstempos nachzu weisen und kritische Stimmen, die laut zu werden be gannen, mundtot zu machen. Die Wahrheit war, daß er allzu vielen Leuten allzuviel versprochen hatte und dafür jetzt die Rechnung präsentiert bekam. Dr. Hawa war ins Schleudern geraten. Was die Realisierbarkeit des Trockenbatterienprojekts betraf, so hat er mich in dieser Frage nie auch nur zu Rate gezogen. Er beauftragte einen seiner Günstlinge, eiligst ein paar Untersuchungen über die einschlägigen Herstellungsverfahren anzustellen. Der Günstling, der schwerlich viel mehr getan haben kann, als ein veral tetes Textbuch flüchtig durchzusehen, meldete seinem Minister, die Sache sei zu machen. Das genügte Dr. Hawa. Am nächsten Morgen verkün dete er die >Inangriffnahme< des Projekts, und am Nachmittag des gleichen Tages übertrug er es mir. Er fragte mich nicht, ob ich es übernehmen wolle; die Zeiten waren vorbei. Ich wurde auf das Projekt ange setzt, und wenn es mir nicht paßte – nun, eine private Firma, die bei der Regierung unter Kontrakt stand, war immer verwundbar, es sei denn, sie genoß den Schutz einflußreicher Freunde. So hatte zum Beispiel das Fi nanzministerium wiederholt auf Widerruf jener Exklu sivrechte gedrungen, die unserer Firma vor so langer Zeit eingeräumt worden waren. Bislang hatte Dr. Ha wa diesem Druck widerstanden und die Interessen der Firma geschützt; aber ein solcher Schutz will verdient sein. Ich konnte mich nicht einmal darauf berufen, daß die Informationen, auf denen seine Entscheidung basierte, falsch seien. Die Fertigung von Trockenbatterien kann eine ganz einfache Angelegenheit sein; aber nur, wenn man bereit ist, sich mit Herstellungsverfahren, wie sie vor einem halben Jahrhundert verwendet wurden, zu
friedenzugeben – und natürlich auch mit der Art Batte rie, die auf diese Weise produziert wird, sowie den Kosten, die damit verbunden sind. Ich versuchte, ihm das klarzumachen, aber er wollte davon nichts hören. »Mit den Schwierigkeiten fertig zu werden«, erklärte er gänzlich idiotisch, »ist Ihre Aufgabe. Ich kenne Sie gut genug, Michael, um sicher zu sein, daß Sie sie meistern werden.« Es ist leicht, jetzt im nachhinein zu sagen, ich hätte besser daran getan, mich auf der Stelle zu weigern und die finanziellen Konsequenzen in Kauf zu nehmen. Wie meine Mutter betonte, belief sich unser Reinge winn aus dem syrischen Exportgeschäft inzwischen auf mehr als siebzig Prozent der ursprünglich blockierten Gelder. Das war ihrer Meinung nach ein besseres Er gebnis, als es irgend jemand für möglich gehalten hat te. Keiner der Anteilseigner hätte es mir verargen können, wenn ich zu diesem Zeitpunkt zu dem Ent schluß gekommen wäre, unsere verbleibenden Verlu ste abzuschreiben und auszusteigen; sie waren nur allzu dankbar für das, was bis dahin hatte erreicht werden können. Natürlich gab es auch weniger erfreuliche Dinge, die sie mir sagen zu müssen glaubte. Sie ging sogar so weit, anzudeuten, der wahre Grund, weshalb ich mich auf das Trockenbatterien-Projekt eingelassen habe, sei nicht in meinem Zögern zu suchen, ein paar einträgli che Nebenzweige aufzugeben, sondern in meiner Wei gerung, das zu beenden, was sie »diese cinq-á-septAffäre mit Teresa« nannte. Das war schlechthin absurd, und nur die scharfzüngige Mutter meiner Kinder konnte meiner Mutter eine so unsinnige Idee eingeredet haben. Die Wahrheit ist – und Teresa kann das bezeugen, denn ich habe das ganze Problem an ebenjenem Abend mit ihr durchge sprochen (übrigens nicht zwischen cinq und sept, da das bei mir Bürostunden sind) –, die Wahrheit ist, daß ich zu jenem Zeitpunkt ernsthaft erwog, auszusteigen.
Ich habe es nicht getan, einmal, weil es das Nahelie gendste und Leichteste gewesen wäre, und zum ande ren, weil ich einen Weg zu sehen glaubte, auf dem ich die kritische Situation umgehen konnte. Dieser Weg – der einzig mögliche, wie mir schien – bestand darin, alle Anstalten zum Aufziehen einer TrockenbatterienPilotoperation zu treffen, die dann Dr. Hawa das Un sinnige des von ihm forcierten Projekts eindringlich vor Augen führen würde. Bis für ihn dann der Augen blick käme, sich geschlagen zu geben, wäre bereits ein Alternativprojekt von mir vorbereitet worden, das ihn in den Stand versetzte, das Gesicht zu wahren. Ich bin nach wie vor überzeugt, die richtige Entscheidung ge troffen zu haben. Woher hätte ich von der Existenz Issas und seiner Freunde wissen sollen? Wenn ich sagte, daß wir alle Anstalten zum Aufziehen des Pilotprojekts getroffen hätten, so meinte ich damit keineswegs, es habe etwa nicht die Absicht bestanden, unser Bestes zu tun. Schließlich war das Geld, das für Pilotprojekte aufgewendet wurde, allemal Firmengeld. Ich erwartete einen Fehlschlag, das allerdings; aber einen Fehlschlag kommerzieller Natur, wie er norma lerweise nicht ausbleiben kann, wenn man ein tech nisch längst überholtes Produkt auf einem wettbe werbsintensiven Markt zu einem alles andere als wett bewerbsgerechten Preis anbietet. Worauf ich nicht gefaßt war und womit ich mich nicht abzufinden ver mochte, das war die Demütigung, für die Herstellung eines Produkts verantwortlich zu zeichnen, das nicht nur veraltet war, sondern auch von hoffnungslos min derwertiger Qualität, und das nach jedem Maßstab, den man anlegen mochte, sei es der heutige oder der von vorgestern. Selbst auf dem absoluten Tiefstand ihrer Leistungen hatten die Reifenerneuerungspfuscher es immerhin noch geschafft, fünfzig Prozent ihrer Pro duktion fehlerfrei zu fertigen. Bei der ersten Partie Batterien, die wir produzierten, lag die Erfolgsquote bei zwanzig Prozent. Wenn wir mit unserem Erzeugnis
auch niemanden umbrachten, wie es die Reifener neuerungsleute mit ihrem Fabrikat geschafft hatten, so richteten wir doch beträchtlichen Schaden an. Das Vertrackte an Trockenbatterien ist der Umstand, daß sie, mit Ausnahme ihrer Außenseite, eigentlich gar nicht trocken sind. Innen sind sie feucht, und diese Feuchtigkeit, das Elektrolyt, ist stark ätzend. Aus einer Vielzahl von Gründen, zu denen vor allem meine Sorg losigkeit und mangelnde Erfahrung gehörten, neigten unsere Batterien dazu, undicht zu werden, sobald sie benutzt wurden, und waren sehr rasch verbraucht. Das Leck war das gravierendste Übel. Schon eine ein zige undichte Batterie kann ein Transistor-Radiogerät ruinieren. Von den einheimischen Radiohändlern wur de das Etikett mit dem grünen Kreis und das Produkt, auf das es geklebt war, bald mit einem Bannfluch be legt. Es war häufig Gegenstand erbosten Hohngeläch ters und lautstark vorgebrachter Beschwerden. Es mußte etwas unternommen werden, und zwar schnell. Der Ruf des Namens Howell stand auf dem Spiel, und mein Selbstvertrauen hatte gelitten. Nach einer überaus unerfreulichen Unterredung mit Dr. Ha wa erhielt ich seine Zustimmung zur Rücknahme aller unverkauften Lagerbestände der Händler. Ich stoppte auch die Fertigung und holte die Materialgütekontrol len nach, die ich vor dem Anlaufen der Produktion vernachlässigt hatte. Diese Überprüfung betraf vor allem die Zinkbehälter. Sie wurden auf Schablonen geformt und waren nahtgeschweißt. Selbstverständlich verursachte fehlerhaftes Schweißen Lecks, aber das eigentliche Problem bildeten chemische Verunreini gungen. So waren beispielsweise Zinküberzüge, deren Qualität zu Dachdeckereizwecken ausreichen mochte, deswegen noch nicht ohne weiteres zur Verwendung in der Batterieherstellung geeignet. Schon in sehr kleinen Mengen erzeugten bestimmte Verunreinigungen che mische Reaktionen, sobald sie mit dem Elektrolyt in Berührung kamen. Die Folge war, daß das Zink durch
lässig wurde. Ebenso verhielt es sich mit dem Lötme tall, das auf den Nähten verwendet wurde. In Zukunft würden alle Materialien chemisch überprüft werden müssen, bevor wir sie dem Lieferanten abnahmen. Ich arbeitete eine Reihe von Standardtestverfahren für jedes Material aus. Als nächstes mußte ich jemanden finden, der die Tests durchführte. Wie nicht anders zu erwarten, waren gelernte Fachkräfte kaum aufzutrei ben. Ich wußte, daß ich keinen qualifizierten Chemiker bekommen würde; tatsächlich brauchte ich auch gar keinen. Die für die Vorarbeiten erforderlichen chemi schen Elementarkenntnisse hatte ich mir bereits ange eignet, und das Testen selbst war reine Routinearbeit; aber ich brauchte jemanden, der über eine ausrei chende Laborpraxis verfügte, um die Routineverfahren unter strikter Befolgung meiner Vorschriften gewis senhaft ausführen zu können. So kam ich dazu, Issa einzustellen. Er war Jordanier, Flüchtling aus dem Gebiet westlich des Jordans, und nach dem Krieg mit seiner Familie nach dem Norden gegangen, zunächst in das UNWRALager in Der’a und später zu Verwandten in Qatana. Er war Mitte Zwanzig und hatte das moslemitische Col lege in Amman, wo ihm eine gewisse Schulung auf dem Gebiet der anorganischen Chemie zuteil gewor den war, vorzeitig verlassen. Ausschlaggebend war für mich, daß er in seinem zweiten College-Jahr halbtags als Laborassistent gearbeitet hatte. Ich fand ihn durch die Vermittlung einer Unterabtei lung des Ministeriums, die ein technisches Ausbil dungsprogramm aufstellte oder aufzustellen versuch te. Issa hatte sich dort als graduierten Chemiker aus gegeben und um eine Anstellung als Instrukteur be worben. Da er keinerlei Unterlagen beibringen konnte, um seine angebliche wissenschaftliche Qualifikation nachzuweisen – er behauptete, sie seien verlorenge gangen, als er mit seiner Familie vor den Israelis floh –, setzte sich das Ministerium zwecks Rückfrage vor
sichtshalber mit Amman in Verbindung. Als die Wahr heit herauskam, verwies es ihn an mich. Der erste Eindruck, den man von ihm erhielt, war der eines ziemlich leidenschaftlichen jungen Mannes, der sich selber überaus ernst nahm und viel persönliche Würde hatte. Später stellte ich fest, daß er über eine rasche Auffassungsgabe verfügte, intelligent war und hart arbeitete. Die Tatsache, daß er, was seine angeb lichen Wissenschaftlichen Qualifikationen betraf, gelo gen hatte, hätte mich eigentlich gegen ihn einnehmen oder doch zumindest skeptisch machen sollen. Aber sie bewirkte weder das eine noch das andere. Er war schließlich ein Flüchtling; das mußte man in Rechnung stellen. Wenn er in seinem Eifer, voranzukommen und seine Intelligenz möglichst teuer zu verkaufen, zu weit gegangen war, nun, so konnte man ihm das nachse hen. Die Lüge hatte niemandem irgendeinen Schaden zugefügt. Als wir die Produktion wieder anlaufen ließen, gab ich ihm eine kleine Gehaltserhöhung und machte ihn ver antwortlich sowohl für die Bestellungen als auch für die laufende Überprüfung der für das Batterienprojekt bestimmten Rohmateriallieferungen. Damals schien mir das eine vernünftige Entscheidung zu sein. Bis zu jenem Nachmittag war mir die Möglichkeit, daß der gewissenhafte, fleißige Issa noch andere, weniger erfreuliche Charaktereigenschaften besitzen könnte, nie in den Sinn gekommen. Und wie schon erwähnt, hatte ich selbst besagtes erstes Warnzeichen – Tere sas Bericht über die Alkohollieferungen – nicht wirklich registriert. Natürlich war mir der Schluß, den ich sogleich daraus zog – daß nämlich Issa auf meine Kosten privatim eine offenbar umsatzstarke illegale Schnapsbrennerei be trieb –, alles andere als willkommen; aber bevor ich ihn nicht zur Rede gestellt hatte, konnte ich nichts unternehmen. Möglicherweise hatte er für alles eine durchaus glaubwürdige und harmlose Erklärung vor
zubringen. Ich konnte mir zwar nicht vorstellen, wie sie lauten sollte, aber so lange konnte und würde die Sache Aufschub dulden müssen. Als ich an jenem Nachmittag ins Ministerium fuhr, hat te ich über erfreulichere Dinge nachzudenken; denn dies war ein Augenblick, auf den ich seit Monaten ge wartet hatte. Es war der Augenblick, wo Dr. Hawa sei ne Karten würde auf den Tisch legen müssen. Und wenn ich meine richtig ausspielte, würde das Batte rienprojekt bald nur noch eine unerfreuliche Erinne rung sein. Bevor ich nach Italien gereist war, hatte ich mit einer Darlegung der Finanzlage des Trockenbatte rien-Projekts vorsorglich den Boden bereitet. Diesem zutiefst deprimierenden Dokument hatte ich jedoch ein aufmunterndes kurzes Begleitschreiben des Inhalts beigefügt, daß ich hoffte, ihm bei meiner Rückkehr konkrete Vorschläge unterbreiten zu können, wie die verfahrene Situation gerettet werden könne. Da die Lage offensichtlich katastrophal war, glaubte ich, daß ihn diese Ankündigung guter Neuigkeiten et was milder stimmen würde. Dem Ertrinkenden ist es ziemlich gleichgültig, ob es sich bei der Rettungsleine, die man ihm zuwirft, um das erwartete Tau aus Hanf handelt oder um eines aus Nylon. Wenn es auch eine krasse Übertreibung wäre, Dr. Hawas seinerzeitige politische Schwierigkeiten mit denen eines Ertrinken den zu vergleichen, so war ihm der Atem doch zweifel los kürzer geworden, und zusätzliche Tragkraft mußte ihm hochwillkommen sein. Die ersten Worte, die er an mich richtete, nachdem der Kaffee gebracht worden war, ließen nur den Schluß zu, daß ich den Aufweichungsprozeß überzogen hatte. »Michael, Sie haben mich im Stich gelassen«, sagte er mit Trauermiene. So ging es nicht. In dieser mitleidheischenden Stim mung, die ich von einer oder zwei früheren Gelegen heiten her kannte, würde er IBM-Aktien nicht einmal
zum Nennwert gekauft haben. Ich hätte ihn mir in der kampferprobten Haltung des gestandenen PR-Kriegers gewünscht, blitzenden Auges nach Blößen des Ge gners ausspähend. Ich unternahm die erforderlichen Schritte. »Herr Minister, wir haben ein paar Fehler gemacht, die wir berichtigen können, das ist alles.« »Aber diese Zahlen, die Sie mir da zugeschickt ha ben!« Er hatte sie, von Zigarettenasche bestäubt, vor sich auf dem Tisch liegen. »Die Todesanzeige eines gescheiterten Experiments, das jetzt begraben und vergessen werden kann.« »Vergessen?« Das hatte seine Wirkung nicht verfehlt. »Vergessen von wem, wenn ich fragen darf? Von der Öffentlichkeit? Von der Presse?« »Nur von Ihnen und mir, Herr Minister. Für die Öffent lichkeit und die Presse gibt es da gar nichts zu verges sen. Das Batterienprojekt läuft weiter.« »Auf der Basis dieser Zahlen? Glauben Sie im Ernst, das Finanzministerium bewilligt Gelder für das Projekt, wenn diese miserable Bilanz alles ist, was wir vorwei sen können?« »Natürlich nicht. Aber wenn Sie sich noch an unsere allererste Unterhaltung über das Thema Trockenbatte rien erinnern können, werden Sie mir zugeben, Herr Minister, daß die Durchführbarkeit des Projekts immer zweifelhaft war. Was ich vorhabe, ist nichts weiter als die Berichtigung eines anfänglichen Fehlers.« »Welches Fehlers? Es sind so viele gemacht worden.« »Des Fehlers, Primärelemente fertigen zu wollen. Wir hätten Sekundärelemente fertigen sollen.« »Wovon reden Sie? Kommen Sie bitte zur Sache, Mi chael. Batterien sind Batterien.« »Mit Verlaub, Herr Minister, aber genau das ist es ja, worum es sich bei der ganzen Sache dreht. Sekundär elemente sind wiederaufladbare Sammelbatterien von der Art, wie sie in Autos und Bussen Verwendung fin den.«
»Aber – « »Bitte erlauben Sie mir, es Ihnen zu erklären, Herr Minister. Ich schlage vor, daß wir das Batterienprojekt weiterhin vorantreiben, aber die Produktion von Trok kenbatterien auslaufen lassen und zur Fertigung von Sammelbatterien übergehen.« »Aber das sind doch zwei gänzlich verschiedene Din ge!« »Das sind sie allerdings, aber Batterien werden beide genannt. Das ist der springende Punkt, auf den es ankommt. Wir sollten das angekündigte BatterienProjekt keinesfalls aufgeben, sondern es lediglich in eine Richtung lenken, die einträglicher zu sein ver spricht. Was nun diese Umstellung betrifft, so habe ich in Mailand Vorverhandlungen mit einer dortigen Firma geführt, die Automobilzubehör herstellt. Die Italiener sind bereit, uns erfahrene Techniker zu schicken, die unsere eigenen Leute ausbilden und uns dabei helfen wollen, eine effiziente Fabrik hier in unserem Land einzurichten, in der Sammelbatterien gefertigt werden können.« »Aber das erfordert ein neues Pilotprojekt.« »Nein, Herr Minister, diesmal nicht. Man kann diese Artikel nicht auf Basis einer limitierten Pilotproduktion fertigen. Das ist einer der Gründe für unseren derzei tigen Mißerfolg. Hier würde es sich von Anfang an um eine Produktion in vollem Umfang handeln. Das setzt eine Vereinbarung auf der Grundlage des geteilten Risikos zwischen der italienischen Firma und Ihrer Dienststelle voraus.« »Aber warum sollten die Italiener sich darauf einlas sen? Warum sollten sie uns helfen wollen? Was springt denn für sie dabei heraus?« Ich wußte, jetzt hatte ich ihn. »Sie haben gegenwärtig im Mittleren Osten keine Ab satzmöglichkeiten für ihre Produkte. Die Westdeut schen und die Engländer beherrschen den Markt weit gehend. Die Italiener suchten nach einem Ausweg und
kamen zu mir.« Das stimmte nicht ganz; ich meiner seits hatte mich an sie gewandt; aber andersherum klang es besser. »Ich riet ihnen, hier zu produzieren und den Vorteil der niedrigeren Arbeitslöhne und gün stigen VAR-Tarife wahrzunehmen.« »Aber dann wäre es ihr eigenes Produkt, das sie selber herstellen und verkaufen würden.« »Sie sind bereit, es hier unter unserem Cercle VertWarenzeichen herauszubringen.« Das gab den Ausschlag; aber natürlich strich er nicht sogleich die Flagge. Es galt erst noch, Zweifel am Wert der Fabrik für die syrische Wirtschaft auszuräumen. Die übliche Klage wurde angestimmt, daß alle Rohma terialien würden eingeführt werden müssen und daß Geld und die Bereitstellung billiger Arbeitskräfte wie eh und je alles sei, was dem armen Syrien abverlangt werde. Ich antwortete mit einer Gegenfrage. »Herr Minister, wann wird die neue Kunststoffabrik, die uns versprochen wurde, ihre Produktion aufneh men?« Die geplante Fabrik sollte ein Geschenk Rußlands an Syrien darstellen und von der DDR errichtet werden; von Rechts wegen durfte ich gar nichts davon wissen. Meine Indiskretion brachte ihn vorübergehend aus dem Konzept. »Warum fragen Sie?« »Die Batteriegehäuse könnten dort hergestellt wer den.« »Haben Sie für dieses Projekt schon einen Plan zu Pa pier gebracht? Zahlen, Kostenvoranschläge?« Ich öffnete meinen Aktenkoffer und überreichte ihm die gebundene Präsentation, die ich mit den Leuten in Mailand ausgearbeitet hatte. Es war ein ganz beachtli cher Wälzer, und ich konnte Dr. Hawa ansehen, daß ihn dessen Umfang und Gewicht nicht unbeeindruckt ließen. Er blätterte flüchtig darin herum, bevor er zu mir aufsah. »Was das Auslaufen unserer gegenwärtigen Produkti
on betrifft« sagte er nachdenklich, »falls das definitiv beschlossen werden sollte, muß die Kontinuität unter allen Umständen gewahrt bleiben, Michael. Wenn wir diesen revidierten Cercle-Vert-Plan befolgen, darf es keine abrupten Änderungen und keine Entlassungen geben. Die beiden Projekte müßten sich zeitlich über lagern.« »Ich verstehe, Herr Minister.« Er wollte damit sagen, daß der Presse oder dem Rundfunk keine Gelegenheit gegeben werden dürfe, die Story aufzugreifen, bevor wir die Risse nicht vergipst hatten. »Dann will ich mir diese Vorschläge zunächst einmal näher ansehen, und danach werden wir beide uns noch einmal ausführlich darüber zu unterhalten haben. Inzwischen muß die ganze Angelegenheit vertraulich behandelt werden. Es darf keine vorzeitigen Verlaut barungen geben.« »Nein, selbstverständlich nicht.« Es war zwar völlig in Ordnung, die Agence Howell durch Druckmittel dazu zu zwingen, ihr Geld auf ein unausgegorenes Projekt zu verschwenden, mit dem man sich bereits vor der Presse gebrüstet hatte; aber den Abschluß eines be achtenswerten Abkommens auf der Basis geteilter Risiken zwischen einer italienischen Firma und seiner Dienststelle bekanntzugeben, ohne es zuvor mit dem Handels- und dem Finanzministerium im einzelnen abzuklären, hieße Ärger und Unannehmlichkeiten aller Art vorsätzlich heraufbeschwören. Ich war mir jedoch ziemlich sicher, daß er grünes Licht für das Projekt erhalten würde, und konnte nur noch hoffen, daß er es möglichst bald erhielt. Je eher ich das Trockenbatteri en-Fiasko beenden konnte, desto besser. Dennoch war ich mit dem Verlauf, den die Dinge ge nommen hatte, vollauf zufrieden. In die Villa zurück gekehrt, berichtete ich Teresa eingehend über das Meeting, und zur Feier des Tages tranken wir eine Fla sche Champagner. Erst nach dem Abendessen, als wir schon im Bett la
gen, fiel mir Issa wieder ein. Wir hatten uns eine Fla sche Brandy ins Schlafzimmer mitgenommen, und als ich Teresa ein Glas einschenkte, brachte mir die Tat sache, daß es Alkohol war, Issas Order in Erinnerung. »Ich habe es schon einmal auszurechnen versucht«, sagte ich. »Zehn rottols Alkohol ergeben wieviel Li ter?« Sie zuckte die Achseln. »Ich weiß nicht, was Alkohol wiegt. Über fünfzig Liter, nehme ich an. Kann man das Zeug trinken?« »Reinen Alkohol? Um Himmels willen, nein, das wür dest du nicht überleben. Was sich jedoch machen lie ße, wenn man fünfzig Liter davon hat, das wäre, ihn mit hundertfünfundzwanzig Liter Wasser zu verdünnen und mit etwas gebranntem Zucker zu versetzen, um dem Zeug Aroma zu geben. Dann hätte man mehr als zweihundert Flaschen vierzigprozentigen Whisky. Oder doch so etwas wie eine Art Whisky.« Ich brauchte ihr nicht erst zu erzählen, welcher Preis damit im Schwarzhandel zu erzielen wäre; ebendort deckten wir selber unseren Eigenbedarf an Alkoholika. Sie überlegte einen Augenblick lang. »Weißt du, Mi chael«, sagte sie dann, »Alkohol ist nicht das einzige teure Zeug, das Issa bestellt hat. Ich habe es dir nur gesagt, weil wir Zoll dafür zahlen mußten.« »Was sonst noch? Goldstaub?« »Quecksilber. Er hat mehrfach Quecksilber bestellt.« »Quecksilber?« »Vier Bestellungen, jede auf ein oke. Ich habe ihn ge fragt, was es damit auf sich hat, weil zwei davon als dringend bezeichnet waren und wir höhere Zustellge bühren zu zahlen hatten.« »Was hat er gesagt?« »Daß er mit galvanischen Quecksilberelementen expe rimentiert. Er sagte, die Amerikaner stellten davon schon eine Menge solcher Batterien her. Sie haben eine extra lange Lebensdauer.« Sie sah mich von der Seite her an. »Ich dachte, du wüßtest davon.«
»Hat er gesagt, daß ich davon wüßte?« »Nicht wörtlich. Aber er erweckte bei mir den Ein druck, als tätest du es.« »Nun, ich wußte es nicht.« Die Idiotie der ganzen Ge schichte empörte mich. »Quecksilberelemente, mein Gott! Wir können froh sein, wenn wir es fertigbekom men, die gebräuchliche Sorte herzustellen. Welche Art von Quecksilber hat er geordert, Quecksilberoxyd oder das Chlorid?« »Nur einfach Quecksilber, von der Sorte, wie es in Thermometern verwendet wird. Er sagte, daß es ein sehr schweres Metall und ein oke daher nicht viel sei.« Ich trank meinen Brandy aus und setzte mir die Brille auf. »Teresa, hast du diese Warenbegleitscheine noch hier?« »Ja, sie liegen im Büro.« Ich stieg aus dem Bett. Sie ging mit mir in das Büro hinüber und suchte aus der Ablage die Begleitscheine heraus. Ich brauchte etwa zwanzig Minuten, um sie alle durchzugehen und die Posten anzukreuzen, die nicht dort hätten stehen dürfen. Gegen Ende dieser zwanzig Minuten war ich nicht länger wegen des ver muteten Alkoholschmuggels besorgt. Aber ich war wütend und auch beunruhigt. Ich sah zu Teresa hinüber. Selbst nackt verstand sie es, als sie dort vor den Schiffsmodellen in den Glasvi trinen an ihrem Schreibtisch saß, businesslike auszu sehen. »Haben wir einen zweiten Schlüssel zum Lagerraum der Batteriefabrik?« »Ja, Michael.« »Würdest du ihn mir bitte holen?« »Jetzt?«
»Ja.« »Ist es etwas sehr Schlimmes?« »Ja. Ich glaube schon, daß es etwas wirklich sehr Schlimmes sein könnte«, sagte ich. »Aber ich denke nicht daran, eine schlaflose Nacht zu verbringen und
bis morgen abzuwarten, um es herauszufinden. Ich fahre jetzt in die Batteriefabrik und werde dort ein bißchen Inventur machen.« »Ich komme mit.« »Das ist nicht nötig.« »Ich fahre dich, wenn du willst.« Sie weiß, daß ich ungern nachts fahre. »Also gut.« Wir zogen uns schweigend an. Es war nach zehn, und das Hauspersonal dienstfrei und in seinen Unterkünf ten. Ich öffnete das Tor im Hof und schloß es wieder, nachdem Teresa den Wagen hinausgefahren hatte. Dann setzte ich mich neben sie, und wir fuhren los. Teresa hat die Angewohnheit, sich nach Art der Katho liken zu bekreuzigen, bevor sie den Wagen startet. Die Geste wird sehr rasch, fast beiläufig, ausgeführt – sie läßt einen spirituellen Sicherheitsgurt einrasten – und scheint ausgezeichnet zu funktionieren. Teresa hat nie einen Unfall gehabt oder auch nur einen Kratzer auf dem Kotflügel davongetragen. Auf syrischen Straßen und mit syrischen Fahrern überall um einen herum ist das eine bemerkenswerte Leistung. An diesem Abend jedoch – vielleicht, weil ich, und nicht der Hausdiener, das Tor öffnete und schloß – muß sie es wohl versäumt haben, ihre übliche Sicher heitsvorkehrung zu treffen. Ich weiß nicht, um wel chen Heiligen es sich handelt, dessen Beistand ihr die ses Sicherheitsabkommen garantiert, aber ich bin ge wiß, daß er – oder sie – nicht angerufen wurde. Wir legten die Strecke nicht nur unfallfrei, sondern auch in Rekordzeit zurück. Eine göttliche Instanz, der an unserem ferneren Wohl ergehen auch nur das geringste gelegen gewesen wä re, hätte uns sanft, aber unbeirrbar zu einer weichen Landung im nächsten Straßengraben verholfen. Die Batteriefabrik lag an der Straße nach Der’a, etwa zehn Kilometer südlich der Stadtgrenze. Während der französischen Mandatsherrschaft war in dem Bau eine
Distriktsgendarmerie stationiert gewesen. Als ich ihn übernahm, hatte er jahrelang leergestanden, und in nen und außen war alles, was abgeschraubt, losgeris sen und herausgebrochen werden konnte, entfernt und davongeschleppt worden. Übriggeblieben waren nur die betonierten Teile des Mauerwerks – die Latri ne, die Außenwände des alten Wachgebäudes und die hohe Mauer, die den gesamten Komplex umgab. In einem Land, wo Stehlen eine traditionelle Form des Broterwerbs darstellt, sind Mauern, über die man nicht so leicht hinwegklettern kann, ungemein nützlich. Ich entschied mich für das Objekt, teils weil die Regierung bereit war, es mir billig zu vermieten, teils aber auch wegen der Mauer. Auf dem von ihr umschlossenen Gelände hatte ich drei Werkstattschuppen errichten lassen. Das wiederhergerichtete alte Hauptgebäude beherbergte die Büroräume und das Laboratorium. Zwei Räume waren abgetrennt worden, die zur Lage rung der wertvolleren Rohmaterialien wie zum Beispiel der Zinkbleche dienten. Die Einfahrt zum Fabrikgelände versperrte eine große, mit Eisenstäben vergitterte Pforte; links davon befand sich ein mit einer Kette versehener Nebeneingang. Beide waren durch Vorhängeschlösser gesichert. Gleich hinter der Tür stand eine Bude, in der sich tagsüber der Aufseher und nachts ein Wachmann auf hielt. Jenseits der Bude erstreckte sich die Laderampe des Werkstattschuppens Nummer drei, auf der die fertiggestellten Batterien zum Abtransport gestapelt wurden. In jener Nacht schien der Mond, und daher konnte ich alles das in Umrissen schon von der Einfahrt aus er kennen. Was ich nicht zu entdecken vermochte, war dagegen irgendeine Spur von dem Wachmann, und in der Bude brannte kein Licht. Ich nahm an, daß er sei ne Runde machte. Da er angewiesen war, einen schweren Knüppel zu tragen, und ich keinerlei Wunsch verspürte, irrtümlich für einen Eindringling gehalten zu
werden, knipste ich meine Taschenlampe nicht aus, nachdem ich die Nebenpforte aufgeschlossen hatte. »Was ist mit dem Wagen?« fragte Teresa. »Laß ihn stehen. Wir bleiben nicht lange.« Ein weiterer Beweis göttlicher Indifferenz! Das Motor geräusch des Wagens hätte unsere Anwesenheit auf dem Fabrikgelände frühzeitiger angekündigt und es denen, die sich bereits dort aufhielten, ermöglicht, eine folgenreiche Konfrontation zu vermeiden. Es war mein Fehler. Das Haupttor war sehr schwer und so eingehängt, daß es selbsttätig zufiel, sobald man es geöffnet hatte und losließ. Ich hätte es in weitem Halbkreis aufstemmen und dann offenhalten müssen, während Teresa hindurchfuhr. Dabei würde ich mir die Hände beschmutzt und mein Schuhwerk womöglich Kratzer davongetragen haben. Das hätte mir gerade noch gefehlt. Wir betraten das Fabrikgelände. Ich schloß die Neben pforte wieder ab, und wir gingen an der Laderampe vorbei auf den Weg zu, der zum Verwaltungsgebäude führte. Die Batteriefabrik war nicht gerade ein Hort peinlich ster Ordnung; und in diesem Teil des Geländes stellten herumliegende leere Behälter und Schlingen von ab gestreiften Ballendrähten Gefahren dar, auf die man achtgeben mußte. Ich hielt meinen Blick und den Strahl meiner Taschenlampe daher vor mich auf den Boden gerichtet. Es war Teresa, die mich darauf auf merksam machte, daß irgend etwas nicht stimmte. »Michael!« Ich sah mich um. Sie war stehengeblieben und blickte zum Verwaltungsgebäude hinüber. Ich schaute in die selbe Richtung. Im Laboratorium brannte Licht. Im ersten Augenblick glaubte ich, es müsse sich um die Taschenlampe des Wachmannes handeln, obgleich er den Verwaltungsbau nicht betreten sollte, es sei denn im Notfall, wie zum Beispiel bei Ausbruch eines Feuers. Als ich meinen Weg fortsetzte und meine Sicht
unbehinderter wurde, sah ich dann, daß im Laborato rium alle Lichter eingeschaltet waren. Und ich konnte Stimmen hören. Ich war stehengeblieben und starrte auf die erleuchte ten Fenster. Als ich weitergehen wollte, legte mir Te resa die Hand auf den Arm. »Michael«, sagte sie leise, »meinst du nicht, wir soll ten jetzt lieber umkehren und morgen wiederkom men?« »Und die Gelegenheit ungenutzt lassen, ihn auf fri scher Tat zu ertappen?« Ich war zu erzürnt, um mir klarzumachen, daß Teresa, da ich ihr nicht gesagt hatte, was ich inzwischen arg wöhnte, nicht wissen konnte, wovon ich redete. Sie dachte noch immer an illegale Schnapsbrenner, vier zigprozentigen Whisky und Schwarzhandel. Sie mußte glauben, wir seien zufällig Zeugen eines Saufgelages oder einer heimlichen Flaschenabfüllungs-Aktion ge worden – beides Veranstaltungen, die zu stören in keinem Falle ratsam war. »Michael, es ist doch sinnlos – «, begann sie; aber ich ging schon weiter, und sie folgte mir, ohne ihren Ein spruch geltend machen zu können. Das Gebäude war auf hohen Betonsockeln errichtet, die zwischen Fußboden und nackter Erde Raum ließen. Betonierte Stufen führten zu der überdachten Veranda hinauf, die sich über die ganze Länge des Gebäudes erstreckte. Die Geschäftsräume befanden sich rechter Hand des Eingangs, das Labor und die Lagerräume links davon. Die Fenster waren weder mit Glasscheiben noch mit Läden, sondern lediglich mit Drahtnetzen von der Art versehen, wie Fleischschränke älterer Bauart sie auf zuweisen pflegten, um größere Insekten fernzuhalten. Man konnte recht gut durch die Fenster hindurchsehen und weitgehend auch mitbekommen, was drinnen ge sprochen wurde. Issas Stimme war deutlich zu hören, als wir leise die Stufen hinaufstiegen.
»Zum Nitrieren«, sagte er, »muß die Salpetersäure rein sein und ein spezifisches Gewicht von eins komma-vier-zwei aufweisen. Ich habe euch gezeigt, wie wir das Hydrometer benutzen. Benutzt es stets gewissenhaft. Es darf nicht nachlässig gearbeitet wer den. Alles muß ganz genau stimmen. Für den reakti ven Prozeß, den ihr hier ablaufen seht, kommt nur fünfundneunzigprozentiger reiner Alkohol in Frage. Wieder benutzen wir das Hydrometer. Wie lautet das spezifische Gewicht von fünfundneunzigprozentigem Äthylalkohol?« Die Stimme eines jungen Mannes antwortete ihm. Ich war inzwischen auf der Veranda ein paar Schritte vor getreten und konnte in den Raum hineinsehen. Issa stand in seinem Laborkittel aus Drillich hinter ei nem der Labortische, jeder Zoll der junge Professor der Chemie. Seine Klasse, die mit gekreuzten Beinen vor ihm auf dem Boden saß oder hockte, bestand aus fünf jungen Burschen, Arabern mit gezückten Kugel schreibern und abgegriffenen Kladden mit Eselsohren. Ungemein gepflegt und adrett in Khaki-Buschhemd und frisch gebügelter Hose, räkelte sich auf Issas Schreibtischstuhl der Wachmann. Er hatte ein aufge schlagenes Buch auf dem Schoß, aber sein Blick war auf die Klasse gerichtet. »Sehr gut«, sagte Issa. Er sprach das jordanische Arabisch, benutzte aber technische Ausdrücke aus dem Englischen. »Paßt jetzt gut auf.« Er deutete auf einen Steinguttopf vor ihm auf dem Tisch, aus dem Dämpfe aufstiegen. »Die Reaktion ist nahezu abgeschlossen, und die Fäl lung hat eingesetzt.« Von dort, wo ich stand, konnte ich die Dämpfe rie chen. Es war nicht schwer zu erraten, was dort gleich ausgefällt sein würde. »Welcher Vorgang kommt als nächstes?« fragte Issa. Einer der jungen Männer sagte: »Die Filtration, Sir?« »Ganz recht, die Filtration.« Issa war ein geborener
Pädagoge, und er genoß seine Lehrerrolle ganz offen sichtlich. Während er weitertönte, mußte ich daran denken, daß er sich beim Ministerium um eine Stelle als Instrukteur beworben hatte, und wünschte mir, die Bürokraten hätten es mit der Überprüfung seines Qua lifikationsnachweises nicht gar so genau genommen. Warum mußte ausgerechnet ich derjenige sein, dem es zufiel, mit diesem kleinen Monster fertig zu wer den? Ich überlegte mir gerade, wie ich vorgehen sollte – ob es besser sei, wenn ich mich räusperte, bevor ich ein trat, oder ob ich die Tür ganz aufstoßen und die >Klasse< vor Schreck hochfahren lassen sollte –, als mir die beiden Männer dazwischenkamen. Ich roch sie, bevor ich sie hörte, und Teresa ging es genauso. Wir fuhren beide im gleichen Augenblick herum, und sie umklammerte meinen Arm. Dann sa hen wir die Karabiner in ihren Händen und erstarrten. Die Karabiner waren überaus sorgfältig gereinigt; aber die Männer, die sie in ihren Händen hielten, sahen in ihren verblichenen blauen kaffijebs aus wie Arbeiter einer Straßenbaukolonne. Sie waren mittleren Alters, lederhäutig, und grobschlächtig; nervös waren sie auch und überdies offenbar schießwütig. Die Karabiner in Bauchhöhe auf uns gerichtet, blieben sie in einigem Abstand vor uns stehen. Der ältere der beiden Männer deutete mit dem Karabinerlauf auf die Taschenlampe in meiner Hand. »Fallen lassen«, sagte er. »Wird’s bald.« Er hatte eine laute, rauhe Stimme und schadhafte Zähne. Ich gehorchte. Das Glas der Taschenlampe zersplitter te auf dem betonierten Boden. »Zurück! Zurück!« Wir wichen an die Wand zurück. Inzwischen war Issa, gefolgt von seiner Klasse, he rausgekommen, um zu sehen, was es gab. Sein Gesicht verriet beträchtliche Verwirrung, als er mich erkannte; aber bevor er noch irgend etwas sagen
konnte, begann der Mann mit den schadhaften Zähnen seinen Bericht zu erstatten. »Wir haben gesehen, wie sie sich heimlich anschlichen. Wir haben sie genau beobachtet. Sie haben gelauscht, spioniert. Der Mann hatte eine Taschenlampe. Sehen Sie, da ist sie.« Aus seinem Mund klang das Wort >Taschenlampe< im höchsten Grad bedenklich. Ich sagte: »Guten Abend, Issa.« Er versuchte zu lächeln. »Guten Abend, Sir. Guten Abend, Miss Malandra.« »Sie haben gelauscht, spioniert«, wiederholte Schwarzzahn beharrlich. »Stimmt. Das haben wir«, sagte ich. »Und jetzt gehen wir hinein.« Ich hatte mich bereits in Richtung Eingang gewandt, als der Mann mir mit dem Gewehrkolben einen wuch tigen Schlag in die Nierengegend versetzte. Ich verlor für Augenblicke das Bewußtsein und sackte in die Knie. Als ich aufstand, protestierte Teresa wütend, und Issa redete flüsternd auf die beiden Männer ein. Ich lehnte mich gegen die Wand und wartete darauf, daß der Schmerz nachließ. Schließlich befahl Issa der Klasse, auf der Veranda zurückzubleiben, und wir übrigen gin gen in das Laboratorium. Issa führte uns an, Teresa und ich folgten, und die bewaffneten Männer bildeten die Nachhut. Der Wachmann hatte sich nicht von Issas Schreib tischstuhl gerührt. Als wir eintraten, nickte er mir flüchtig zu, als habe er mich erwartet, wisse aber nicht mehr genau, wozu und weshalb. Es fiel mir auf, daß er sich sehr merkwürdig benahm; ich fragte mich, ob er vielleicht betrunken sei. Dann beschloß ich, den Wachmann vorerst zu ignorieren; mit ihm würde ich mich später befassen. »Alsdann, Issa«, sagte ich forsch, »lassen Sie mich Ihre Erklärung hören. Ich nehme doch an, Sie haben eine?«
Aber er hatte genügend Zeit gehabt, sich so weit zu fangen, daß er jetzt den Versuch machen konnte, sich durch dreistes Bluffen aus der Affäre zu ziehen. »Eine Erklärung wofür, Sir?« Er war ganz beleidigte Un schuld. »Wenn Sie, wie Sie selber sagen, gelauscht haben, werden Sie wissen, daß ich eine Klasse von Studenten in der Lehre der Chemie unterweise. Ich habe das Glück, den Vorteil einer höheren Schulbil dung zu genießen, und bin der Auffassung, daß es meine Pflicht ist, meine Kenntnisse, wann immer sich mir dazu Gelegenheit bietet, denen weiterzugeben, die nicht soviel Glück hatten. Daß ich das nur in meiner Freizeit tue, versteht sich. Wenn Sie meinen, ich hätte Sie um Erlaubnis bitten sollen, bevor ich das Labor nach Arbeitsschluß als Klassenzimmer benutze, dann bitte ich um Entschuldigung. Ich bin nicht auf die Idee gekommen, daß ein Mann wie Sie etwas dagegen ein zuwenden haben könnte.« Das klang wirklich ganz überzeugend. Hätte ich nicht jene Warenbegleitscheine überprüft und von dem Stoß mit dem Karabinerkolben nicht solche Schmerzen im Rücken gehabt, ich würde ihm womöglich geglaubt haben. »Und diese beiden Männer hinter mir?« fragte ich. »Haben Sie die ebenfalls in der Lehre der Chemie un terwiesen?« Er versuchte es zur Abwechslung mit einem beschwö renden Lächeln. »Es sind ungebildete Männer, Sir, ältere Männer aus dem Dorf, in dem meine Studenten wohnen. Sie sind mitgekommen, um dafür zu sorgen, daß die jungen Männer sich anständig aufführen.« »Und dazu brauchen sie Gewehre? Nein, Issa, erzäh len Sie mir keine Märchen. Sie haben Ihre Erklärung vorgebracht. Ich nehme sie Ihnen nicht ab.« Jähe Wut brach aus ihm hervor. »Nur weil ich lehren möchte – « Ich schnitt ihm das Wort ab. »Nein. Sondern weil Sie lügen. Sie unterweisen niemanden in der Lehre der
Chemie, wie Sie es so gewählt auszudrücken belieben. Was Sie hier veranstalten, das ist ein Bastelkurs zur Herstellung von Sprengstoffen. Mehr noch, Sie veran stalten ihn auf meine Kosten.« »Sie können versichert sein, Sir – « Er mochte sich noch immer nicht geschlagen geben. »Sparen Sie sich Ihre Beteuerungen, Issa. Ich weiß, wovon ich rede.« Ich deutete auf den Steinguttopf, der auf dem Tisch stand. »Diese Fällung, die Sie so liebevoll ankündigten, ist Knallquecksilber. Für wie viele Sprengkapseln hätte das gereicht? Hundert? Hundertfünfzig? Nein, Issa, es kann keine Rede davon sein, daß Sie anderen irgendwelche Vorteile zukom men lassen, die mit einer höheren Schulbildung ver bunden sind. Was Sie ihnen weitergeben, das sind Amateurrezepte zur Herstellung von Sprengkörpern.« »Meine Arbeit ist fachmännisch«, protestierte er wü tend. »Ich bin kein Amateur!« Ich hatte plötzlich das Gefühl, die Situation nicht son derlich gut zu meistern, jetzt, wo die Wahrheit heraus war, hätte er sich in der Defensive fühlen und versu chen müssen, Entschuldigungen vorzubringen, statt zu argumentieren. Ich schloß daraus, daß es die Anwe senheit der bewaffneten Männer war, die ihm Selbst vertrauen gab. »Die Qualität Ihrer Arbeit interessiert mich nicht«, bemerkte ich schneidend. »Entscheidend ist, daß Sie sie hier nicht mehr verrichten – überhaupt keine Ar beit, welcher Art auch immer. Sie sind mit sofortiger Wirkung entlassen. Sie und Ihre Bomben produzieren den Freunde können von Glück sagen, wenn ich die Polizei nicht verständige.« Zum erstenmal meldete sich der Wachmann zu Wort. »Aber warum wollen Sie die Polizei denn nicht ver ständigen, Mr. Howell? Wenn dieser Mann Sie bestoh len hat und zudem illegal Explosivkörper herstellt, ist es dann nicht Ihre Pflicht, sie zu verständigen?« Er hatte eine hohe, ziemlich dünne Stimme, aber es
war die Stimme eines gebildeten Mannes. Mir wurde plötzlich klar, wie wenig ich von ihm wußte, und daß ich, von einer einzigen Unterhaltung abgesehen, bei der ich ihm seine Anweisungen für den Wachdienst gegeben hatte, nie mit ihm gesprochen hatte. Es hatte sich keine Gelegenheit dazu ergeben. Ich sah ihn kalt an. »Ich habe >wenn ich die Polizei nicht verständige< gesagt. Falls ich beschließen sollte, das zu tun, werden Sie in der Anzeige selbstverständlich als Komplice na mentlich mit aufgeführt werden. Bringen Sie mich da zu also nicht in Versuchung, indem Sie mir erzählen, was meine Pflicht ist.« Er stand ganz langsam auf. Er war ein schlanker Mann etwa meines Alters, hatte eine ziemlich lange Nase, ein Bärtchen und faltige Wangen. »Dann sollte ich mich vielleicht doch vorstellen«, sagte er. Seine Selbstsicherheit irritierte mich. »Sie heißen Sa lah Yassin«, sagte ich, »und ich habe Sie vor einem halben Jahr als Nachtwächter eingestellt. Man sagte mir, Sie seien als Soldat infolge einer Kriegsverletzung dienstuntauglich geworden und hätten einen einwand freien Leumund. Offenkundig bin ich falsch informiert worden. Sie sind ebenfalls entlassen. Ich wünsche, daß Sie allesamt innerhalb von fünf Minuten das Fa briksgelände verlassen. Wer danach hier noch ange troffen wird, hält sich unbefugt auf regierungseigenem Gelände auf, und ich werde dann umgehend die Polizei rufen. Und jetzt legen Sie die Schlüssel auf den Tisch dort und machen Sie, daß Sie hinauskommen!« Der Wachmann blickte gequält drein. »Es ist ungehö rig, Mr. Howell, sich zu weigern, einen Mann anzuhö ren, der höflich angeboten hat, sich vorzustellen. Un gehörig und töricht.« Sein Blick wurde stechend, als er mir in die Augen starrte. »Mein Name ist Salah, das stimmt, aber Ghaled, nicht Yassin. Salah Ghaled. Ich bin sicher, Sie haben ihn schon gehört.« Teresa zuckte zusammen.
In mir lieferten sich Schock und Unglauben einen kur zen Kampf. Der Schock siegte. Ich muß ihn stumpfsinnig angeglotzt haben. Auf alle Fälle war un sere Konsternation offenkundig genug, um ihn mit Behagen zu erfüllen. Er nickte uns befriedigt zu.
3. Lewis Prescott 14. Mai Michael Howell hat uns über seine Abneigung gegen Journalisten nicht im Zweifel gelassen. Ich kann es ihm eigentlich nicht verdenken. Einige meiner europäi schen Kollegen haben ihm hart zugesetzt. Da er es jedoch für angezeigt hielt, Frank Edwards und mich von seinem kollektiven Verdammungsurteil auszu nehmen, wird er es mir hoffentlich nicht allzusehr ver argen, wenn ich darauf hinweise, daß er die Feindse ligkeit, mit der die Presse und das Fernsehen seine Rolle in der Ghaled-Affäre kommentiert haben, weit gehend selber heraufbeschworen hat. In seinem ängstlichen Bestreben, den Ruf seiner Firma – ganz zu schweigen von dem seines Vaters, seiner Mutter, seines Großvaters, seiner Schwestern, Miss Malandras und seiner Schwäger – zu wahren, hat er seinen eigenen Ruf geschädigt. Sich selber ließ er in den Interviews nicht genügend Gerechtigkeit widerfah ren. Er sagte entweder zu wenig oder, und das weit häufiger, viel zuviel; und immer klang es, als mache er Ausflüchte. Wenn ihm ein Reporter eine direkte Frage stellte – »Mr. Howell, wußten Sie, wozu diese Waffen eingesetzt werden sollten?« – und als Antwort darauf einen längeren Vortrag über, sagen wir, die Schwierigkeiten bei der Fertigung von Trockenbatteri en, die Gründe, weshalb die Agence Howell einen pa lästinensischen Flüchtling als Chemiker eingestellt hat te, oder die Probleme zu hören bekam, die sich aus der Tatsache ergaben, daß die Gelder der Agence Ho well blockiert waren, so lag für ihn der Schluß nahe, daß Mr. Howell etwas zu verbergen suche. Auch Mr. Howells allzu häufige Beteuerungen, er bemühe sich lediglich, ein möglichst vollständiges Bild zu vermit teln, das nicht nur die vordergründigen Zusammen
hänge, sondern auch die Hintergründe aufzeige, halfen da nicht viel. Journalisten neigen nun einmal zu der Überzeugung, sie seien, sofern ihnen nur die wesentli chen Fakten einer Story offen und unverblümt genannt werden, selber imstande, sich ein Bild zu machen. >Wortreiche Nebelwand< mag eine gemixte Metapher sein, aber was in dem Mann vorging, der sie zusam menmixt, kann ich gut verstehen. Ungeachtet dessen aber bin ich bereit, hier zu Proto koll zu geben, daß ich der Schilderung, die Michael Howell von seiner Rolle in der Ghaled-Affäre gibt, weitgehend Glauben schenke. Die Situation, in der er sich befand, war entsetzlich. Es ist leicht zu sagen – wie das einige seiner Kritiker getan haben –, in seiner Reaktion auf sie hätte er sich weniger von der Sorge um die eigene Sicherheit und die Wahrung seiner ge schäftlichen Interessen und stärker von den Geboten höherer moralischer Verpflichtungen leiten lassen sol len; aber das zu behaupten, heißt das Wesentliche außer acht lassen. In noch geringerer Kenntnis von Ghaleds Plänen und Absichten, als ich sie zu jenem Zeitpunkt hatte, tat er, was er tun zu müssen glaubte. Ihm Verantwortungslosigkeit vorzuwerfen, ist unfair; er ahnte damals noch nichts von seiner Verantwor tung. Als sie ihm schließlich klar wurde, handelte er entsprechend. Töricht verhielt er sich in keinem Au genblick, und am Ende bewies er persönlichen Mut. Diejenigen, die über Mr. Howell den Stab brechen und seine Integrität bezweifeln, haben nie in seiner Haut gesteckt und können nicht beurteilen, mit wem er es zu tun gehabt hat. Sie sind Salah Ghaled nie begeg net. Ich bin ihm begegnet, und es war keine angenehme Erfahrung. Normalerweise empfinde ich den von mir interviewten Personen gegenüber keine sonderliche Zu- oder Abneigung. Es ist nicht meine Sache, zu ver teidigen oder zu richten; meine Aufgabe besteht darin, Informationen und – das hoffe ich wenigstens – auch
Einblicke zu erhalten, die ich anderen vermitteln kann. Aber Ghaled war mir in der Tat ausgesprochen un sympathisch. Ich will hier nicht das ganze Interview mit ihm im Wortlaut wiedergeben; vieles von dem, was gesagt wurde, war die übliche Partisanensender-Haßleier; aber die geraffte Fassung, die ich hier folgen lasse, enthält das Wesentliche. Ich gebe außerdem anhand der Notizen, die ich mir seinerzeit machte, die Unter haltungen wieder, die ich anschließend mit Miss Ham mad und Frank Edwards führte. Sie werfen ein be zeichnendes Licht sowohl auf Ghaleds Denkweise als auch auf meine Beurteilung seiner Absichten. Das Interview begann harmlos genug mit ein paar Fragen, die sich auf Ghaleds Jugendjahre und seine erste Zeit als Guerillaführer bezogen. Sie waren un wichtig, und ich kannte die Antworten bereits; aber ich habe es nicht gern, wenn Mikrophone eingeschaltet sind und Tonbänder laufen, während ich jemanden interviewe; das übt häufig eine hemmende Wirkung auf die interviewte Person aus. Bin ich jedoch ver pflichtet, diese Hilfsmittel zu benutzen, dann ist eine Reihe leicht beantwortbarer Fragen, die gleich zu Be ginn des Interviews gestellt wird, meiner Erfahrung nach am ehesten geeignet, den Gesprächspartner Mi krophon und Tonband vergessen zu lassen. Nach die ser vorbereitenden Arbeit fuhr ich fort: »Mr. Ghaled, Sie haben offenbar Ihr ganzes bisheriges Leben, seit Sie erwachsen sind, dem Kampf auf der palästinensischen Seite des arabisch-israelischen Kon flikts gewidmet.« »Des arabisch-zionistischen Konflikts, ja.« »Was Sie betrifft, wurde dieser Kampf größtenteils mit Guerillamethoden geführt.« »Nicht ausschließlich, aber größtenteils, ja.« »Und Sie haben auch dann noch weitergekämpft, als die Armeen Ägyptens, Jordaniens und Syriens die Feindseligkeiten einstellten?«
»Ja.« »Auch nachdem Frieden geschlossen war?« »Zwischen den arabischen Staaten und den Zionisten hat es niemals Frieden gegeben.« »Ohne Zweifel aber doch Perioden anhaltender Waf fenruhe, die friedlich waren – so friedlich immerhin, daß beispielsweise die jordanischen Bauern die Grenze überschreiten und ihre Produkte in Israel verkaufen konnten?« Meine Ahnungslosigkeit nötigte ihm ein schwaches Lächeln ab. »Gewiß hat es solche Perioden gegeben. Sie sprechen von den jordanischen Bauern, die ihre Erzeugnisse im sogenannten Israel verkaufen. Lassen Sie mich Ihnen sagen, daß es eine Zeit gegeben hat, in der auch ich diese Grenze häufig überschritten ha be. Aber in jeder fünften von den Grapefruits, die meine Esel zum Markt trugen, war eine Bombe ver steckt. Für uns Palästinenser, Mr. Prescott, ist ein Friede um jeden Preis niemals annehmbar gewesen. Mit oder ohne Unterstützung unserer Bundesgenossen in den arabischen Staaten haben wir, die FedaijinBewegung, immer weitergekämpft.« »Und was glauben Sie damit erreicht zu haben, Mr. Ghaled? Oder, anders gefragt: Was halten Sie für die wesentlichste Errungenschaft der FedaijinBewegung?« »Sie hat dafür gesorgt, daß die palästinensische Sache weder verloren noch aus Bequemlichkeit vergessen wurde.« »Sie sprechen von der palästinensischen Sache. Ich möchte da jedes Mißverständnis vermeiden. Was ge nau ist die palästinensische Sache aus Ihrer speziellen Sicht?« »Ich habe keine spezielle Sicht, Mr. Prescott. Meine Sicht deckt sich, was das betrifft, mit der Sicht Jassir Arafats oder Dr. George Habashs oder Kemal Adwans – und Kemal, ein Al-Fatah-Mann, ist Mitglied des Zen tralkomitees der PLO. Wir mögen hinsichtlich der Mittel
unterschiedlicher Auffassung sein, aber über den Zweck, über unser Endziel, herrscht Einigkeit.« Er erwähnte die Namen weiterer vormaliger Kampfge nossen aus den Reihen von Al Fatah und der Volks front für die Befreiung Palästinas, mit denen er sich über das Endziel einig wußte. Hätte ich nicht gerade kürzlich das Archivmaterial unseres Büros durchgese hen, wäre ich nie auf die Idee gekommen, daß dies die gleichen Männer waren, die er als »feige Hunde« be zeichnet hatte. »Wir fordern nur unser Recht«, schloß er stolz. »Könnten Sie sich etwas genauer ausdrücken, Mr. Ghaled? Was für ein Recht?« »Erstens die Beseitigung des zionistischen Staates. Nehmen Sie bitte zur Kenntnis, daß ich nicht die Be seitigung der Juden fordere, sondern nur die Beseiti gung oder Zerstückelung des künstlich geschaffenen zionistischen Staates. Zweitens die Rückkehr aller un serer palästinensischen Flüchtlinge in ihre Heimatge biete, auf ihre verlorenen Ländereien und Besitzungen. Drittens die Gründung eines palästinensisch arabischen Staates. Nicht mehr als das, aber auch nicht weniger.« »Alles oder nichts, Mr. Ghaled?« »Weniger würde auf nichts hinauslaufen.« »Aber hat nicht die Geschichte der letzten dreiund zwanzig Jahre bewiesen, daß diese kompromißlose Alles-oder-nichts-Haltung sich selbst aufhebt?« Die Übersetzung der Wendung »sich selbst aufhebt« war offenbar mit Schwierigkeiten verbunden. Ich wur de gebeten, die Frage anders zu stellen. »Hat die Alles-oder-nichts-Politik«, sagte ich, »soweit sie die palästinensische Sache betrifft, nicht versagt? Das >alles<, was mit ihr erreicht wurde, ist die Einheit Israels. Der israelische Staat, der sich früher einmal womög lich im Rahmen seiner bestehenden Grenzen hätte eindämmen lassen, ist im Gegenteil größer geworden.
Die palästinensische Sache mag nicht vergessen sein, aber meinen Sie nicht, Mr. Ghaled, daß sie, so wie sie von Ihnen dargestellt und definiert wird, nach menschlichem Ermessen als verloren betrachtet wer den muß?« »Von wem als verloren betrachtet werden muß, Mr. Prescott?« Und, scherzend: »Von der Regierung der Vereinigten Staaten?« »Ich spreche nicht für die Regierung der Vereinigten Staaten, Mr. Ghaled. Ich versuche lediglich herauszu bekommen, wie Sie sich zu den Realitäten der gege benen Situation stellen. Halten Sie die Beseitigung oder Zerstückelung des Staates Israel tatsächlich für ein Ziel, das – einmal unterstellt, es sei erstrebens wert – ohne einen dritten und letzten Weltkrieg er reichbar wäre?« »Warum sollte es nicht erreichbar sein, Mr. Prescott?« Ich konnte es seinem Gesicht ansehen, daß er in Kür ze mit noch weiteren Scherzen aufwarten würde. »Der Westen und insbesondere die Vereinigten Staaten ge ben ständig dem Wunsch Ausdruck, bei der Lösung dessen, was sie den Nahost-Konflikt zu nennen belie ben, behilflich zu sein. Ausgezeichnet. Wir sind durch aus einverstanden. Laßt die Vereinigten Staaten alle Schiffe ihrer mächtigen Sechsten Flotte in die Häfen von Haifa, Akra, Tel Aviv, Jaffa und Ashdor entsenden. Laßt sie alle ihre zionistischen Verwandten an Bord nehmen, die ganzen drei Millionen, und für immer mit ihnen abdampfen. Wohin, fragen Sie? Wie ich höre, gibt es in Texas und Neumexiko noch weite, dünn be siedelte Gebiete, in denen man diese Leute unterbrin gen könnte. Es wäre allerdings denkbar, daß die der zeitigen Bewohner dieser Gegenden mit der Inbesitz nahme ihrer Länder durch drei Millionen Zionisten nicht unbedingt einverstanden sind. Menschen, die derart uneinsichtig sind, müssen selbstverständlich vertrieben und andernorts angesiedelt werden. Aber diese Schwierigkeit läßt sich meistern. Ich bin über
zeugt, daß die UNWRA gern bereit ist, für die Entrech teten in der Wüste von Arizona Flüchtlingslager einzu richten.« Miss Hammad übersetzte diese Ausführungen unter wiederholtem Kichern. »Ich bin überzeugt«, entgegnete ich, »daß Mr. Gha leds Vorschläge etwa im Debattierclub eines JuniorCollege als eindrucksvoll und anregend empfunden werden würden. Mir ist es jedoch um Informationen zu tun. Ich hatte gefragt, ob Mr. Ghaled als einer jener Araber, die 1948 gegen die Israelis gekämpft und ver loren haben und seither ununterbrochen auf der Ver liererseite stehen, nicht schon irgendwann einmal der Verdacht gekommen ist, daß man sich mit der Exi stenz des Staates Israel möglicherweise abfinden müsse?« Seine Antwort verriet mir, daß sie schwerlich alles übersetzt haben konnte, was ich gesagt hatte. »Achtundvierzig herrschte keine wirkliche Eintracht zwischen den arabischen Staaten. Wäre das der Fall gewesen, wir hätten die Juden damals ins Meer ge jagt.« Ich überlegte, ob ich ihm die Frage stellen sollte, was die Araber denn Sechsundfünfzig oder Siebenundsech zig daran gehindert habe, das nachzuholen, beschloß aber, darauf zu verzichten. Er hatte mir das Stichwort geliefert, das mir gelegen kam. »Wenn Sie erlauben, darf ich noch einmal auf das Thema der palästinensischen Guerillabewegung und deren erfolgreiche Bestrebungen zurückkommen, die palästinensische Sache vor der Preisgabe oder dem Vergessen zu bewahren. War Einigkeit unter den di versen Gruppen der Bewegung ein entscheidender Faktor bei diesem Erfolg?« Er erkannte natürlich sofort, worauf ich abzielte, und wich aus. »Die Operationen konventioneller Streitkräfte unter scheiden sich in der Konzeption, in der Quantität und
daher auch in der Qualität von denen der Kommando gruppen. Unter verbündeten Staaten, die in einen ge meinsamen Krieg verwickelt sind, ist die Einheit des strategischen Oberkommandos unerläßlich. In einem von Kommandogruppen geführten Kampf muß zwar die Zielsetzung eine einheitliche sein, aber der ganz auf sich selbst gestellte einzelne Partisanenführer kann und soll selber entscheiden, wie er zur Erreichung je ner Ziele am wirksamsten beiträgt.« »Die Guerillakämpfe in Jordanien und im Libanon ha ben ebensoviele Opfer unter den Arabern gefordert, wie es in dem regulären Sechstagekrieg israelische Tote und Verwundete gegeben hat, möglicherweise sogar mehr. Sie haben diese arabischen Verluste auf Verrat an der palästinensischen Sache zurückgeführt. Sie sprechen vom Großen Verrat und vom Zweiten Verrat. Aber ist >Verrat< in diesem Zusammenhang nicht nur ein anderes Wort für Uneinigkeit?« »Wozu mit Wörtern spielen, Mr. Prescott? Soeben noch forderten Sie mich auf, von Realitäten zu reden. Ich bin bereit, das zu tun.« »Ausgezeichnet. Hat das Palästinensische Aktions kommando bisher eine einigende oder eine spalteri sche Wirkung erzielt?« »Wie ich schon sagte, haben wir militanten palästinen sischen Freiheitskämpfer ein gemeinsames Ziel. Unse re Methoden, es zu erreichen, mögen verschieden sein. Das ist alles.« »Sie stimmen hinsichtlich des Zwecks überein, sind aber in bezug auf die Mittel nicht einig. Ich verstehe. Dann sollten wir uns vielleicht über die Vorzüge dieser Mittel unterhalten?« »Wir können über alles diskutieren.« »In europäischen Verkehrsmaschinen sind Bomben versteckt und zahlreiche Menschen getötet worden, die in ihrem Leben nie in Israel gewesen waren. Es haben Überfälle auf Flugzeuge und Entführungen stattgefunden, die ebenfalls Todesopfer forderten.«
»Aktionen der Volksfront für die Befreiung Palästinas.«
»Das ist mir bekannt. Aber billigen Sie diese Mittel?«
»Ich würde sie nicht benutzen. Aber ich mißbillige sie
nicht.«
»Sie billigen diese Morde an Fluggästen, an ahnungs
losen Unbeteiligten?«
»Solange wir in Palästina für unser Recht kämpfen,
gibt es keine Unbeteiligten.«
An dem Gusto, mit dem Miss Hammad das übersetzte,
merkte ich, daß dieser Ausspruch ihre uneinge
schränkte Zustimmung fand und von ihr für eine be
deutsame Feststellung gehalten wurde. »Wie würden
Sie Ihre bevorzugten Mittel beschreiben, Mr. Ghaled?«
»Meine Politik ist es, den Feind möglichst nahe an sei
ner eigenen Wohnstatt zu schlagen.«
»Bezieht sich das auf die PAK-Säuberungskampagne?«
»Das war eine Übergangsphase, eine Art Großreine
machen im Interesse aller, die der Befreiungsbewe
gung angehören.«
»Man hat Sie einen Exorzisten genannt, Mr. Ghaled.
Wie reagieren Sie auf eine derartige Beschuldigung?«
»Mit Schweigen und Verachtung. Die Leute, die solche
Anschuldigungen erheben, wissen nichts von meinen
Plänen.«
»Pläne, den Feind möglichst nahe an seiner Wohnstatt
zu schlagen?«
»Das sagte ich bereits.«
»Aber welchen Feind, Mr. Ghaled? Die jordanische
Regierung, das PLO-Zentralkomitee?«
»Das PAK hat nur einen Feind, den zionistischen Staat.
Das habe ich wiederholt erklärt.«
»Und Sie werden ihn vernichten?«
»Schlagen. Vernichtend schlagen.«
»Man hat einen Ausspruch von Ihnen zitiert, der be
sagte, daß die Briten sich auf ein Wunder verlassen
hätten, als sie darangingen, den Grundsätzen der Bal
four-Deklaration in Palästina Geltung zu verschaffen.
Meinen Sie nicht, daß Ihnen heute ein ganz ähnlicher
Vorwurf gemacht werden könnte?« »Ich verlasse mich auf Männer und auf die Wirkung von Sprengstoff, nicht auf Wunder.« »Aber es ist Israel, gegen das das PAK vorzugehen be absichtigt.« »Allerdings. Ich darf Sie daran erinnern, daß wir das Palästinensische Aktionskommando sind. Aktion, das ist es, was wir wollen, Mr. Prescott.« »Wann werden wir damit zu rechnen haben?« »Sie erwarten doch gewiß nicht von mir, daß ich Sie in unsere Pläne einweihe, damit sie dann veröffentlicht werden.« »Natürlich nicht. Aber wenn Sie auch erklärten, daß die von der Volksfront praktizierten Methoden nicht Ihre seien, so werden Sie doch nicht bestreiten, daß es sich dabei um Unternehmen spektakulärer Art han delt. Von Ihrem Standpunkt aus gesehen, müssen sie insofern als wichtig und zweckdienlich gelten, als sie die Welt an die palästinensische Sache gemahnen. Darf man vermuten, daß Ihre Aktionspläne geeignet sein werden, in ähnlicher Weise als Mahnung zu die nen?« »Ich sagte, daß wir die Zionisten schlagen werden, Mr. Prescott. Ist Ihre Frage damit nicht beantwortet?« In diesem Augenblick kündigte Miss Hammad an, daß sie das Band auswechseln müsse. Ich hätte ihr fast gesagt, sie könne sich die Mühe sparen, ich hätte oh nehin genug. Ich unterließ es, weil ich mir ziemlich sicher war, daß wir noch keine halbe Stunde lang gesprochen hatten und sie das Band nur auswechselte, um mich von ei ner bestimmten Richtung, in die meine Fragen zielten, abzubringen. Als das Band ausgewechselt war, fuhr ich fort: »Mr. Ghaled, als Sie sagten, das PAK beabsichtige, den zionistischen Staat zu besiegen, nahm ich – wie ich glaubte, mit gutem Grund – an, das sei bildlich ge meint gewesen. War diese Annahme irrig?«
»Gänzlich irrig.« »Sie hätten nichts dagegen, wenn ich das zitierte?« »Nicht das geringste.« »Ich will Sie selbstverständlich nicht ersuchen, mir genaue Zahlen zu nennen, aber darf man ein paar Angaben über die annähernde Stärke des PAK erwar ten?« »Zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht.« »Nicht einmal eine ungefähre Zahl, Mr. Ghaled? Mehr als tausend Mann? Weniger als tausend?« Frank Ed wards zufolge waren es weniger als dreihundert. »Nicht zum gegenwärtigen Zeitpunkt.« »Wie steht es mit den Aussichten, Bundesgenossen zu gewinnen?« »Die stellen sich mit den Erfolgen ein.« »Sobald die Niederlage Israels sich deutlich abzeich net?« »Sobald die Art und Weise, wie es vernichtet werden kann, erkannt und begriffen wird.« »Ich verstehe.« »Zeigen Sie mir einen festen Punkt, und ich bewege Ihnen die Welt. Haben Sie diesen Ausdruck nie gehört, Mr. Prescott?« Er starrte mich durchdringend an. »Ich glaube, dazu ist auch ein Hebel erforderlich, nicht nur ein fester Punkt.« »Seien Sie versichert, wir haben unseren Hebel.« Er schwieg einen Augenblick lang. »Haben Sie jemals erlebt, wie das Haus eines Mannes mitsamt allem Hab und Gut darin vor seinen eigenen Augen in die Luft gesprengt wurde?« »Ich bin in Kriegsgebieten unzählige Male Zeuge von üblen Ausschreitungen gegen das Hab und Gut von Menschen geworden, und von noch weit schlimmeren gegen die Menschen selber.« »Ich spreche nicht von Kriegsgebieten, Mr. Prescott, sondern von Gebieten, in denen sogenannter Friede herrscht. Eines Nachts, das ist jetzt etwa zwei Monate her, wurde in einem arabischen Dorf unweit von Haifa
ein Mann aus dem Schlaf geweckt. Es hatte an seiner Tür geklopft. Er ging und machte auf. Draußen stand sein Bruder, den er seit drei Jahren nicht mehr gese hen hatte. Der Bruder war einer meiner Leute und heimlich über die Grenze gekommen. Er bat um Un terkunft für eine Nacht. Das ist alles, worum er bat – um einen Platz zum Schlafen, sonst nichts. Die Bitte wurde ihm abgeschlagen. Der Bruder, dem das Haus gehörte, lebte in ständiger Furcht vor der zionistischen Polizei. Zitternd vor Angst bat er seinen Bruder fortzu gehen, und der Bruder, der seine Angst verstand, ging, ohne die Türschwelle überschritten zu haben. Traurig ist das, nicht wahr?« »Sehr.« »Aber was geschieht daraufhin? Der Bruder, dem das Haus gehört, hat nach dem zionistischen Gesetz die Pflicht, zur Polizei zu gehen und den Vorfall zu melden, zu melden, daß sein Bruder, der Fedaijin ist, da war und sich vermutlich noch in dem betreffenden Gebiet aufhält, damit nach ihm gefahndet und er ergriffen werden kann. Das tun, seinem Bruder antun, das kann er nicht, und so begeht er das Verbrechen, den Vorfall zu verschweigen. Aber ein Nachbar hat gehört und gesehen, was geschehen ist, und geht zur Polizei. Der Bruder, der geschwiegen hat, wird verhaftet und der Beherbergung und Unterstützung eines derer, die für die Freiheit kämpfen, für schuldig erklärt. Der Urteils spruch lautet, daß sein Haus dem Erdboden gleichge macht werden soll, und er wird mit seiner Frau und seinen Kindern hinausgeführt, um der Vollstreckung des Urteils zwangsweise beizuwohnen. Dann erschei nen die zionistischen Soldaten und bringen die Sprengladungen an. Und dann wird vor seinen Augen und vor denen seiner Familie alles, was er besitzt, in die Luft gejagt. Was halten Sie von diesem Vorgehen, Mr. Prescott?« »In einigen Ländern, die ich kenne, wäre der Mann erschossen worden, Mr. Ghaled.«
»Besser, ihn zu erschießen, als zu vernichten, was sein Leben ausmacht.« »Ich könnte mir vorstellen, daß seine Frau und seine Kinder da möglicherweise anderer Meinung sind. Im übrigen herrscht zwischen Israel und seinen Nachbarn, worauf Sie vorhin selber hingewiesen haben, Kriegszu stand. Ich nehme an, der Mann ist nicht über die Grenze gegangen, bloß um seiner Familie einen klei nen Besuch abzustatten.« »Er war Kurier, das ist alles.« »Wann ist dieses Urteil vollstreckt worden?« »Vor drei Wochen.« »Wie heißt das Dorf?« »Majd el-Krum. Aber ich erwähne dieses Vorkommnis nicht, weil es etwa ein Einzel- oder Sonderfall wäre, Mr. Prescott, sondern um Ihnen klarzumachen, wie Araber unter der zionistischen Polizeidiktatur leben müssen.« Er griff in die Innentasche seines Schaffell mantels. »Ich werde Ihnen etwas zeigen.« Er zog eine dicke Lederbrieftasche hervor, der er ein Bündel Pho tos entnahm. Am Format der Abzüge und an der Art, wie ihre Rän der beschnitten waren, konnte ich sehen, daß sie mit einer alten Schwarz-weiß-Polaroidkamera gemacht worden waren. Es handelte sich um zehn bis zwölf Abzüge, die in Plastikhüllen steckten. Ghaled sah sie durch und drückte mir dann das ganze Bündel in die Hand. »Nehmen Sie sie, Mr. Prescott. Sehen Sie sich die ge nau an!« Im ersten Augenblick ließ mich sein Eifer unsinnigerweise an den einsamen Mann auf dem lan gen Flug denken, der sein Heimweh mit einem teilen will. »Sehen Sie, und das hier ist ein Schnappschuß aus dem letzten Sommer, als wir alle zusammen an den See hinaufgefahren waren.« Nur daß dies keine Familienphotos waren. Auf dem obersten war eine junge Frau zu sehen. Man hatte ihr die Kehle durchgeschnitten; sie war tot.
Sie lag auf einem blutgetränkten Streifen Erde am Fuß einer Betonmauer. Der Schnitt am Hals war tief und klaffend; man konnte die durchtrennten Enden der Venen und Arterien sehen. Ihr Rock war über die Hüf ten hinaufgestreift, und ihre Schenkel und ihr Bauch waren voller Stichwunden. Ghaled sagte etwas, und Miss Hammad übersetzte es. »Sehen Sie genau hin, Mr. Prescott, sehen Sie genau hin.« Ich schob das oberste Bild zur Seite und betrachtete das nächste. Es war das Photo eines toten Mannes. Er war bis auf ein zerrissenes Hemd unbekleidet, man hatte ihm die Genitalien abgeschnitten. Das nächste Bild zeigte ein Kind von etwa zehn Jahren. Ich sah mir die restlichen Bilder an. Die bei einem Tod durch Gewalt eingenommenen Hal tungen variieren nur wenig. Wenn die Ursache plötz lich war, ist der Eindruck in der Regel der von einer zerrissenen Puppe, wenngleich die spastischen Mus kelzuckungen die Beine in zuweilen befremdlicher Weise erstarren lassen können; tritt der Tod weniger plötzlich ein, sind die Knie häufig zu embryonaler Stel lung angezogen und die Arme verschränkt; ein von Napalm verbrannter Mensch wird zu einem in Ton ge brannten Bildnis eines zwergenhaften Boxers mit kampfbereit erhobenen Fäusten. Unter den abgebilde ten Leichen befanden sich jedoch keine Fälle, die durch Verbrennungen zu Tode gekommen waren; alle Opfer waren erstochen, aufgeschlitzt oder zerstückelt worden. Zwei oder drei Leichen – solche von Kindern – waren offensichtlich – sei es für den Photographen, sei es von ihm – umarrangiert und zu Stellungen verrenkt worden, die geeignet waren, die Dramatik des Todes kampfes noch eindringlicher zu illustrieren. Im Krieg ist es nicht nur möglich, sondern auch nötig und ratsam, sich an Greuel zu gewöhnen. Woran ich mich nie wirklich habe gewöhnen können, das ist der Mann, der Abbildungen davon sammelt und aufbe
wahrt. Ghaleds Sammlung diente natürlich propagan distischen Zwecken, aber die Abzüge waren schon vielfach befingert gewesen, bevor sie in PlastikSchutzhüllen gesteckt worden waren. Zuletzt hatte ich eine Kollektion dieser Art bei einem Leutnant der Spe cial Forces in Vietnam gesehen. Er führte sie ständig mit sich herum, weil sie ihn, wie er behauptete, an alles das gemahnte, wogegen er kämpfte. Ich glaubte es ihm nicht. Er behielt die Sammlung, weil er seine Freude daran hatte. Der britische Polizeibeamte in Malaya, der so besonders stolz auf ein Photo von sich war, das ihn, die Flinte in der Hand und einen Fuß weidmännisch auf den aufgeschlitzten und ausgewei deten Leichnam eines chinesischen Freiheitskämpfers gestellt, im Dschungel zeigte, mutete demgegenüber ehrlicher an. Auf dem Bild grinste er stolz, und er hat te stolz gegrinst, als er es mir zeigte. Ich reichte Gha led die Photos zurück. »Nun, Mr. Prescott?« »Nun was, Mr. Ghaled? Es ist nicht das erstemal, daß ich solche Photos zu sehen bekomme. Was sollen die se Leichen beweisen?« »Das waren arabische Dorfbewohner, die von zionisti schen Soldaten ermordet und verstümmelt worden sind.« »Das sagen Sie, Mr. Ghaled. Ich sage, daß es ebenso gut arabische Dorfbewohner sein können, die von an deren Arabern oder auch israelische Dorfbewohner, die von den Fedaijin umgebracht worden sind. Wo wurden die Bilder aufgenommen? Von wem wurden sie aufgenommen? Wurden sie alle am gleichen Ort zum gleichen Zeitpunkt aufgenommen oder an verschiede nen Orten und zu verschiedenen Zeiten? Wer war der Photograph, oder waren es mehrere Photographen? Welchen Wert haben diese Bilder als Beweismaterial?« »Diese Bilder wurden aufgenommen auf meinen Befehl und unter meiner persönlichen Aufsicht nach einem Überfall, einem typischen Überfall drusischer Kom
mandoverräter der zionistischen Armee auf ein Flücht lingsdorf in Jordanien.« »Bei diesem typischen Kommandoüberfall wurden kei ne Schußwaffen verwendet?« »Was wollen Sie damit sagen?« »Keine der Verwundungen, die auf diesen Photos ge zeigt werden, rührt von einer Kugel her. Das erscheint mir merkwürdig bei einem Kommandoüberfall.« »Die verschwenden keine Kugeln an wehrlose Frauen und Kinder, Krüppel und Greise.« »Ich muß Ihnen selbstverständlich abnehmen, was Sie sagen.« Tatsächlich war das einzige, was ich ihm danach ab nahm, seine Behauptung, die Aufnahmen persönlich überwacht zu haben; aber es erschien mir sinnlos, die Diskussion darüber fortzusetzen. Ich hatte genug von ihm, und es schien der richtige Augenblick zu sein, das Interview zu beenden. »Eine oder zwei abschließende Fragen noch, Mr. Gha led. Nehmen Sie die Tatsache, daß so viele Ihrer palä stinensischen Genossen, Ihrer Mitstreiter in der Parti sanenbewegung, Ihren Auffassungen und Ihrem Vor gehen ganz entschieden ablehnend gegenüberstehen, jemals zum Anlaß, sie Ihrerseits in Frage zu stellen und zu überprüfen?« »Natürlich. Selbsterforschung und Selbstkritik sind immer unerläßlich. Was den Dissens betrifft, darf ich daran erinnern, daß viele der engsten Mitarbeiter Le nins entschieden anderer Meinung waren als er. Aber wer hat am Ende recht behalten?« »Sehen Sie sich selber als den Lenin der revolutionä ren palästinensischen Guerillabewegung?« »Ich sehe mich selbst als den Ghaled des Palästinensi schen Aktionskommandos.« »Und zweifellos wird Ihnen die Zeit schließlich recht geben. Ich verstehe. Danke, Mr. Ghaled. Sie waren sehr geduldig und sehr entgegenkommend.« Als Miss Hammad das übersetzt hatte, sah sie mich
fragend an. »Das wäre alles«, sagte ich. »Interview zwischen Salah Ghaled und Lewis Prescott beendet«, sagte sie und schaltete die Tonbandgeräte aus. Während sie sie wieder abbaute, nahm Ghaled die Arrakflasche und füllte nochmals die Gläser. Er schien von dem Verlauf des Interviews sehr ange tan zu sein, und steckte sich mit dem Air eines Man nes, der soeben einen günstigen Handel abgeschlos sen hat, eine neue Zigarre an. Hätte er besser Eng lisch gesprochen, würde er vermutlich versucht haben, mir meinerseits eine Äußerung der Befriedigung zu entlocken. Er nahm ein Tonbandgerät und die beiden Kassetten an sich, die Miss Hammad ihm aushändigte. Während sie ihm zeigte, wie das Gerät funktionierte, schlürfte ich den Arrak und fragte mich, wie ich wieder nach Beirut zurückkäme. Die Aussicht, von Miss Hammad in der Dunkelheit über diese Bergstraße hinuntergefah ren zu werden, war alles andere als angenehm. Ich hätte mir keine Sorgen zu machen brauchen. Nach der förmlichen Verabschiedung und dem stolpernden Abstieg zum Volkswagen unterrichtete sie mich über die Situation. Eine sofortige Rückfahrt nach Beirut kam nicht in Frage. Während der Dunkelheit war es nie mandem gestattet, die militärische Zone zu passieren. Wir mußten im Chalet abwarten, bis es hell wurde. Dort trank ich einen Scotch, um den Arrakgeschmack wegzuspülen, und Miss Hammad begann mich nach den >Eindrücken< zu befragen, die ich von Ghaled bekommen hatte. Ich hatte das erwartet und war darauf vorbereitet. »Ehrlich gesagt«, erklärte ich, »ich bin enttäuscht.« »Enttäuscht!« »Sie sind Journalistin, Melanie, Sie sollten wissen, daß aus dem, was er von sich gegeben hat, unmöglich eine Story zu machen ist.« »Keine Story!« Sie war fassungslos.
»Melanie, lassen Sie Ihr persönliches Interesse an dem Mann und Ihre Sympathie für die Sache doch einmal beiseite. Sehen Sie es vom professionellen Standpunkt aus. Ghaled ist aus der Generallinie der Palästinensischen Befreiungsbewegung ausgeschert, als er das PAK gründete und die PLO und Al Fatah öf fentlich brandmarkte. Die Leute von der Volksfront haben ihn abgeschrieben. Er ist jetzt bloß noch ein besserer Gangster und immerhin noch so weit bei Verstand, daß er das weiß. Deswegen versucht er sich mit seinem unsinnigen Gefasel, Israel im Alleingang vernichten zu wollen, den Rückweg in den Kreis seiner ehemaligen Mitstreiter freizureden.« »Das hat er nicht gesagt.« Sie war jetzt ehrlich entrü stet. »Er hat von >vernichtend schlagen< gesprochen, nicht von >vernichten<. Und von einem Alleingang war auch nicht die Rede. Da unterschätzen Sie ihn aber ganz beträchtlich.« Ich schüttelte den Kopf. »Ein heruntergekommener Preisboxer, der sich noch immer vormacht, für einen Titelkampf ausersehen zu sein. Das ist alles, was ich sehe.« »Ihr Vergleich ist ja grotesk!« »Das finde ich nicht. Den zionistischen Staat vernich ten, vernichtend schlagen? Erzählen Sie mir nicht, daß Sie das ernst nehmen können.« »Das kann ich, und das tue ich.« »Den ganzen Unsinn über festen Punkt und Hebel?« »Das ist kein Unsinn!« »Tut mir leid, Melanie, das meine ich aber doch.« »Nur weil Sie nicht wissen, was geplant ist.« »Und Sie wissen es?« »Ja. Ein bißchen weiß ich schon.« Das war es, was ich als allererstes hatte herausfinden wollen. Ich stichelte weiter. »Pläne zur Unterwerfung Israels sind leicht aufgestellt. Die Araber haben eine ganze Anzahl davon ausgear beitet. Sie auszuführen scheint jedoch weniger leicht
zu sein. Die vereinigten Streitkräfte Ägyptens, Syriens und Jordaniens reichten dafür nicht aus. Warum Ihrem Mr. Ghaled in dieser Hinsicht mehr Erfolg beschieden sein sollte, sehe ich nicht.« »Er wird Erfolg haben.« »Womit? Mit Bomben in Grapefruits?« »Sie haben nicht so höhnisch geredet, als die Volks front zur Befreiung Palästinas sie noch in Flugzeugen versteckte.« »Nein. Aber was hat diese kleine Kampagne gegen Israel ausgerichtet? Hat sie die Touristen daran gehin dert, weiterhin mit ihren Traveller-Schecks nach Israel zu fliegen? Sie hat es nicht. Mehr Touristen als je zu vor sind gekommen. Als die Freunde Ihres Mr. Ghaled israelische Busse zusammenschossen, die mit Touri sten in die besetzten Gebiete fuhren, haben sie da den Busverkehr zum Erliegen gebracht? Nicht einen Tag lang.« »Es wird alles ganz anders aussehen, sobald Ghaled zum Zug gekommen ist.« Das war das zweitemal, daß ich eine Information von ihr erhielt. Ich zuckte die Achseln. »Na und? Ein paar bedauerns werte Touristen kommen ums Leben. Zugegeben, der Fremdenverkehr ist wichtig für die israelische Wirt schaft, aber so wichtig nun auch wieder nicht. Ein leichter Rückgang des Dollarzustroms wird Israel nicht vernichten.« »Wer kann voraussagen, was die Folge sein wird?« Sie wurde jetzt wirklich ärgerlich. Ich glaubte nicht, daß ich noch irgend etwas aus ihr herausbekommen wür de; aber nach einem Augenblick fuhr sie fort: »Sie haben wieder >vernichten< gesagt. Das Wort, das Ghaled benutzt hat, war >vernichtend schlagen<. Sie begreifen jetzt vielleicht, warum er auf Tonbandauf nahmen bestanden hat.« »Vernichten oder vernichtend schlagen – wo ist da der Unterschied? Er hat beide Ausdrücke gebraucht.«
»Aber in unterschiedlichem Zusammenhang. Soweit es Israel betrifft, ist die Unterscheidung wichtig. Wenn es nicht von außen her vernichtet werden kann, muß es von innen heraus besiegt werden.« »Tut mir leid, das verstehe ich nicht.« »Sie haben selber gesagt, die israelische Einigkeit ist das Werk der Araber.« »Diese Bemerkung war in eine Frage gekleidet, die ich an Mr. Ghaled richtete. Die israelische Einigkeit ist das Produkt vieler Dinge – der jüdischen Religion, des Glaubens, der Geschichte, des Dramas der Sammlung und Landnahme, der Härte und Zähigkeit der Sabras, der Hingabe der Aliyah-Einwanderer, des gemeinsa men Interesses aller, der Selbstbehauptung und Selbstachtung – alle Ingredienzien einer hochstehen den nationalen Moral sind da zusammengekommen. Goliaths Nähe und Davids fortgesetzter erfolgreicher Kampf gegen ihn stellen nur einen Teil der Geschichte dar.« »Aber eben den, der am meisten zählt. Ohne den Druck von außen wäre der israelische Staat längst auseinandergefallen. Selbst jetzt, wo – wie Sie es aus drücken -Goliath noch immer vor den Toren steht, ist das Volk von Haß und Uneinigkeit zerrissen.« »Uneinigkeit gehört zur demokratischen Regierungs form.« »Aber nicht ein Haß aller gegen alle. Die Aschkenas hassen die Sephardim, und beide werden gehaßt von den orientalischen Juden, den unterprivilegierten Pro letariern. Die Aduk hassen die Ostjuden, und die Tay manim hassen die Mea Shearim und ihresgleichen, die jüdische Antizionisten sind. Die Sabras hassen jeder mann, sogar sich selber.« »Wollen Sie damit sagen, Ghaled baue darauf, daß Israel politisch labil werden und auseinanderbrechen wird? Denn wenn er das tut – « »Wer kann denn sagen, was geschieht«, erklärte sie herausfordernd, »wenn sich Davids Prahlereien als
inhaltsleer erweisen, wenn es Goliath ist, der die Schleuder besitzt und die Hirtentasche mit den Stei nen, wenn die Israelis die Niederlage zu kosten be kommen?« »Ich vermute, sie würden die Reihen enger schließen und höllisch aufpassen, daß sich dergleichen nicht wiederholt.« »Kann sein, kann auch nicht sein. Niederlagen können bei denen, die sie noch nie erfahren haben, die er staunlichsten Wirkungen zeitigen.« »Israel wird nicht durch Nadelstiche besiegt.« »Ein einziger Stich mit der Stecknadel bringt einen aufgeblasenen Luftballon zum Platzen, besonders wenn der Innendruck stark ist.« »Und wenn Ghaled nur den richtigen >festen Punkt< fände, könnte er die Welt bewegen. Lassen wir das, Melanie.« Ich gähnte. Ich wollte nicht, daß ihr bewußt wurde, wie weit sie die Katze bereits aus dem Sack gelassen hatte, und sorgte deswegen dafür, daß die Unterhaltung nicht an diesem Punkt endete. »Eines habe ich nicht behalten«, fuhr ich, ein Gähnen unterdrückend, fort. »Wie buchstabiert man den Na men des Dorfs, das Ghaled erwähnte, dasjenige, das in der Nähe von Haifa liegt? Majd el – irgendwas oder so ähnlich?« »Majd el-Krum.« Sie buchstabierte es mir vor. »Aber ich dachte, Sie meinten, das gäbe keine Story her?« »Das glaube ich auch nicht, jedenfalls keine für mich. Aber die Bänder werden ohnedies abgeschrieben. Da können wir den Namen ebensogut gleich richtig buch stabieren.« Ich nahm noch einen Drink und legte mich für ein paar Stunden in einem Gästezimmer schlafen. Miss Ham mad fuhr mich rechtzeitig zu einem späten Frühstück nach Beirut zurück. Nachdem ich geduscht und mich umgekleidet hatte, ging ich in das Nachrichtenbüro. Frank Edwards war da und sah mich erwartungsvoll an.
»Wie ist es gelaufen, Lew?« Ich schilderte ihm, wie sich die Zusammenkunft abge spielt hatte, und übergab ihm meine beiden Kassetten. »Das meiste ist drauf«, sagte ich. »Ich hätte da eine Sache, die ich nachprüfen möchte, wenn das von hier aus möglich ist. Vor etwa drei Wochen hat es in Israel in einem Dorf namens Majd el-Krum in der Nähe von Haifa einen Zwischenfall gegeben. Ein Araber wurde verurteilt, weil er die Polizei nicht über einen Besuch seines Bruders informiert hatte, der Mitglied des PAK ist. Wird in der israelischen Presse über dergleichen berichtet?« »Zuweilen schon. Wir bekommen die israelischen Blät ter per Luftpost über Zypern. Vor drei Wochen, sagten Sie?« »So ungefähr.« Er fand eine Meldung in der englischsprachigen Jeru
salem Post. »Da ist es ja. Der Fall wurde vor dem Distriktsgericht in Haifa verhandelt. Der Angeklagte Ali gab seinem Bruder ein Glas Wasser und schickte ihn dann fort.« »Und dafür sprengten die Israelis sein Haus in die Luft?« »Wie kommen Sie denn auf so etwas? Er wurde zu drei Monaten Gefängnis verurteilt und die Strafe an schließend vom Richter ausgesetzt. Ali verließ das Ge richtsgebäude unter den Hochrufen der Leute aus sei nem Dorf als freier Mann.« »Und was ist mit dem PAK-Kämpfer passiert?« »Man hat ihn gefaßt. Er war es übrigens gewesen, der die Polizei von seinem Besuch bei seinem Bruder Ali verständigt hatte. Reizendes Bürschchen, das. Er wird dem Gericht in Kürze vorgeführt. Seine Strafe dürfte der Richter schwerlich suspendieren.« »Was wird er bekommen?« »Acht bis zehn Jahre. Er war bewaffnet, als er gefaßt wurde, deshalb.« Er nahm die Kassetten zur Hand. »Ich werde veranlassen, daß die Bänder gleich abge
schrieben werden.« »Damit hat es keine Eile, Frank«, sagte ich. »Ich schreibe jetzt ohnehin noch keine Story über Ghaled.« »Keine Story?« »Noch nicht. Sie wollten doch wissen, was er vorhat. In dieser Aufzeichnung werden Sie einiges darüber zu hören bekommen, aber ich kann es Ihnen in drei Wor ten sagen. Er hat sich in den Kopf gesetzt, den Staat Israel zu schlagen. Nichts Geringeres als das.« »Das wollen sie alle.« »Er meint das ganz konkret. Ich zitiere: >Zeigen Sie mir einen festen Punkt, und ich bewege Ihnen die Welt.< Nun, er behauptet, den festen Punkt entdeckt zu haben. Übrigens war er es, der mir erzählte, daß die Polizei das Haus von diesem Ali gesprengt habe. Wahrscheinlich dachte er, ich würde mir die Mühe spa ren, das nachzuprüfen, oder keine Möglichkeit dazu haben. Dumm von ihm, und auch ein bißchen merk würdig, denn wie ein Dummkopf kam er mir nicht vor, jedenfalls nicht in dieser Hinsicht dumm. Sehr ver schwiegen. Eine Menge vieldeutiges Gerede über seine Pläne, aber nichts Konkretes. Aus La Hammad habe ich dann anschließend schon etwas mehr herausbe kommen.« »Und was war das?« Ich sagte es ihm. »Was schließen Sie daraus?« »Ich habe das Gefühl, sie weiß weniger, als sie zu wis sen glaubt«, sagte ich. »All das Zeugs über den inne ren Druck, unter dem der Staat Israel steht, über zer platzte Luftballons und die Aushöhlung des Zusam menhalts durch von gegenseitigem Haß erfüllte Min derheiten ist nichts weiter als ihr privates Phantasie produkt. Ich möchte annehmen, daß Ghaled tatsäch lich einen Aktionsplan hat, der einen Überfall auf ir gendein Touristenzentrum auf israelischem Territorium vorsieht. Mit >Israel schlagen< meint er, glaube ich, lediglich, daß Art und Ort des angegriffenen Ziels so
fortige israelische Vergeltungsmaßnahmen erschweren oder unmöglich machen würden. Ich vermute, daß der feste Punkt, von dem er faselt, nichts anderes als die Wehrlosigkeit ahnungsloser Passanten – Besucher und Touristen – ist, denen gegenüber er eine totale Gleichgültigkeit an den Tag legt. >Solange wir in Palä stina für unser Recht kämpfen, gibt es keine Unbetei ligten.< Er genoß es richtiggehend, das anbringen zu können. Worauf es ihm ankommt, das ist, scheint mir, eine politische Aufwertung. Wenn – ein sehr großes Wenn – ihm der Beweis gelingt, daß das PAK auf israe lischem Boden ungestraft zuschlagen kann, muß Kairo ihn doch wieder ernst nehmen, nicht wahr?« Er nickte. »Irgend etwas Effektvolles, und das mög lichst weit innerhalb Israels, ja. Das würde ihm sicher lich Auftrieb geben. Wenn er heil davonkommt – was, wie Sie schon sagten, außerordentlich fraglich ist – und nicht wie eine Wanze zerquetscht wird.« Er grin ste. »Mir ist gerade klargeworden, warum er Ihnen diese Lügengeschichte über den Majdel-Krum-Fall auf getischt hat.« »Warum?« »Weil er Ihnen damit imponieren wollte, daß PAKMänner in der Gegend von Haifa operieren.« »Aber warum diese Lügengeschichte?« »Wenn er Ihnen über den israelischen Richter, der die Strafe ausgesetzt hat, die Wahrheit erzählt hätte – würden Sie sich dann die Mühe genommen und die Story überprüft haben? Hätten Sie die Geschichte nicht einfach vergessen?« »Wahrscheinlich. Aber warum will er meine Aufmerk samkeit auf die Gegend um Haifa lenken?« »Ich vermute, weil das Unternehmen, das er plant, dort nicht stattfindet. Er wollte Sie von der Fährte ab lenken.« »Für mein Gefühl ist das aber sehr weit hergeholt.« »Mag sein, aber so arbeiten die Gehirne dieser Bur schen nun einmal. Lew, ich glaube, Sie gehen an die
Sache falsch heran. Ich meine, Sie sollten doch schon so etwas wie einen Bericht darüber schreiben. PAKFührer Salah Ghaled kündigt in persönlichem Inter view neue Aktionen gegen Israel an. Irgend etwas in der Art. Porträt eines Terroristen. Was ist es, was sol che Männer antreibt?« »Das liefe praktisch auf genau das hinaus, was Ham mad will: dem Helden Auftrieb verschaffen.« »Ich glaube kaum, daß sie Ihren Bericht als Auftrieb ansehen würde.« »Ich habe ihn ihr gegenüber mit einem herunterge kommenen Preisboxer verglichen, der sich noch immer einbildet, es gäbe ein Comeback für ihn. Ich glaube, daß ich das richtig sehe. Wenn er – wiederum das große – Wenn – wahr macht, was er ankündigt, wird das eine Story geben. Bis dahin wäre es, jedenfalls was mich betrifft, reine Zeitverschwendung, auch nur eine Zeile über ihn zu Papier zu bringen. Bloßes Maul heldentum, weiter nichts.« Darin sollte ich mich natürlich getäuscht haben; und das in ganz unentschuldbarer Weise, denn ich hatte mich in meinem Urteil von meiner persönlichen Abnei gung gegen Ghaled leiten lassen.
4. Michael Howell 16. und 17. Mai Ich begreife nicht recht, warum Lewis Prescott eine derart spontane Abneigung gegen Ghaled gefaßt ha ben sollte. Mir scheint, der Mann hat sich bei dem In terview von seiner besten Seite gezeigt. Prescott zu folge hat er sogar gelächelt. Gänzlich anders spielte sich die Geschichte vierund zwanzig Stunden später mit Teresa und mir ab. Kein wärmender Arrak für uns; keine Aufforderung, Platz zu nehmen, keine Höflichkeit. Statt dessen saß er in mei nem Bürosessel, eine Flasche von meinem besten Brandy vor sich auf dem Schreibtisch, und stierte uns, die wir vor ihm standen, finster an. Er wußte, daß wir Angst vor ihm hatten. Die Bürotür stand offen, und die beiden bewaffneten Männer hielten Wache davor. Aus dem Labor drang Issas Stimme herüber, als er seine unterbrochene Vor lesung fortsetzte. Er war jetzt bei der Filtrierung ange langt und erklärte seiner Klasse, wie man das Knall quecksilber auf einer Glasplatte austrocknen läßt. Fortbildungskurse für die Jugend dürften nicht abge brochen werden, hatte Ghaled gesagt. Er nahm einen Schluck von meinem Brandy, schmet terte die Flasche auf meinen Tisch und deutete mit dem Finger auf mich. »Sie werden jetzt Fragen beant worten. Erstens, warum sind Sie heute abend hier? Wer oder was hat Sie hergeschickt?« »Ich bin hergekommen, um mir hinsichtlich eines Ver dachts Gewißheit zu verschaffen.« »Was für ein Verdacht war das?« »Daß Issa tun könnte, was er in der Tat tut – Spreng stoff herstellen.« »Wer hat Ihnen das gesagt?« »Das hat mir niemand gesagt. Ich habe es vermutet.«
Er beugte sich über meinen Tisch hinweg vor. »Ich kann mir denken, daß Sie im Augenblick ein bißchen durcheinander sind. Der dumme Nachtwächter erweist sich als nicht gar so dumm, als jemand, der Anwei sungen gibt, statt sie entgegenzunehmen. Ich bin durchaus bereit, dem Rechnung zu tragen, aber stel len Sie meine Geduld nicht auf eine allzu harte Probe. Sie werden mir wahrheitsgemäß antworten, und das umgehend, wenn ich bitten darf. Keine Tricks, keine Ausflüchte, Mr. Howell. Ich frage nochmals. Wer hat es Ihnen gesagt?« »Ich habe Ihnen bereits geantwortet. Ich bin selber daraufgekommen.« »Sie erwarten von mir, daß ich das glaube?« »Ich kenne mich in meinem Geschäft aus, Mr. Ghaled. Ich weiß, welche Chemikalien im Labor benötigt wer den, und ich weiß, welche nicht benötigt werden. Au ßerdem bin ich noch imstande, einen Warenbegleit schein zu lesen.« »Die Warenbegleitscheine für die Chemikalien sind jedesmal vernichtet worden.« Teresa meldete sich zu Wort. »Ich habe Beirut um Kopien gebeten«, sagte sie. »Warum?« fuhr er sie an. »Wer hat Sie angewiesen, das zu tun?« Sie war jetzt ganz ruhig, viel ruhiger als ich. »Waren begleitscheine kann man vernichten, aber Rechnungen müssen beglichen werden. Diese Rechnungen waren zu hoch. Ich wollte wissen, warum. Dann habe ich die Duplikate der Warenbegleitscheine Mr. Howell ge zeigt.« Ghaled trug einen rosa gemusterten baumwollenen Kaffijeh. Er strich ihn sich aus dem Gesicht und lehnte sich im Sessel zurück. Sein Blick wanderte von ihr zu mir. »Ist das wahr?« »Das ist es«, sagte ich. »Wann haben Sie das mit den Chemikalien entdeckt?«
»Heute abend.« »Haben Sie sonst noch jemandem davon erzählt?« »Es war niemand da, dem ich es hätte erzählen kön nen.« »Und jetzt?« Er zündete sich mit einem gravierten silbernen Feuerzeug eine Zigarre an. »Was – und jetzt?« »Wen gibt es, dem Sie es jetzt erzählen könnten?« Ich zuckte die Achseln. »Nach wie vor niemanden, nehme ich an.« Er nickte. »Ich bin ja froh, daß Sie meine Intelligenz nicht erneut mit dem törichten Gerede beleidigen, Sie wollten die Polizei verständigen. Weshalb es töricht war, brauche ich Ihnen wohl nicht erst zu sagen, oder?« »Vermutlich wissen Sie, daß die Polizei nichts unter nehmen würde.« »Gegen mich wenig oder gar nichts, das stimmt. Aber das war es nicht, mein Freund, woran Sie dachten, als Sie davon redeten, daß Sie die Polizei benachrichtigen wollten.« Er kniff die Augen leicht zusammen. »Sie dachten an die Auswirkung, welche die von der Polizei zur eigenen Absicherung höheren Orts erstattete Meldung, daß eine seiner fortschrittlichen industriellen Kooperativen eifrigst mit der Herstellung von Sprengstoff für das PAK befaßt ist, auf Dr. Hawa haben mußte. Habe ich recht?« Bis zu einem gewissen Grad hatte er das. Ich zuckte hilflos die Achseln, und er lehnte sich befriedigt zu rück. »Es müßte doch amüsant sein zu hören, wie Dr. Hawa sich gegenüber seinen Vorgesetzten in der Re gierung zu diesem Sachverhalt äußern würde. Was meinen Sie, würde er es auf seine Kappe nehmen? Würde er vielleicht die Gegenfrage stellen, was gegen einen überzeugten Ba’athisten einzuwenden sei, der den Kommandokämpfern der Palästinensischen Be freiungsbewegung ein klein wenig diskrete kamerad
schaftliche Unterstützung zuteil werden läßt? Oder würde er in widerwärtig feiger Manier beteuern, mit dieser schrecklichen Affäre nichts zu tun zu haben, und alle Schuld auf Sie schieben? Sie kennen ihn bes ser als ich, Mr. Howell. Was glauben Sie, wie er sich verhalten würde?« Ich ging auf sein Spiel ein und seufzte kleinlaut. »Wahrscheinlich würde er es der Presse als neue Pilot operation zur Herstellung von Munition ankündigen.« Er verzog den Mund. »Wenn er glaubt, der Verteidi gungsminister würde ihm das durchgehen lassen, könnte er das versuchen, da mögen Sie recht haben. Aber die Wahrscheinlichkeit, daß er die Schuld auf Sie schieben würde, dürfte doch wohl größer sein. Da die Polizei jedoch nichts davon erfahren wird, wird er auch nichts erfahren. Sie haben also wirklich keinen Anlaß, besorgt zu sein, nicht wahr?« »Vermutlich wohl nicht.« Von einem Atheisten, der mit der Schlinge um den Hals unter dem Galgen steht und gefragt wird, ob er irgendeinen Anlaß habe, besorgt zu sein, würde man die gleiche Antwort erhalten haben. »Dann sollten wir zur Sache kommen.« Mit einer un geduldigen Handbewegung, als stelle die Tatsache, daß wir noch immer standen, eine mutwillige Verzöge rung unsererseits dar, bedeutete er uns, Platz zu nehmen. »Ich habe mich schon seit einigen Wochen mit dem Gedanken getragen, die Zusammenarbeit mit der Agence Howell auszuweiten. Daß Sie heute abend hier eingedrungen sind, zwingt mich jedoch, meine Pläne leicht abzuändern. Zweifellos wird Ihnen bewußt ge worden sein, daß Sie jetzt mehr wissen, als Sie nor malerweise hätten erfahren sollen.« »Ja.« »Nun, dem können wir abhelfen. Aber damit es keine Mißverständnisse gibt, will ich in aller Deutlichkeit aus sprechen, was Ihnen, wie ich hoffe, ohnedies klar sein dürfte. Es wird hier keinerlei personelle oder sonstige
Änderungen geben, es sei denn, ich ordne sie an. Vor allem wird Issa nicht entlassen. Niemand wird entlas sen. Ich werde diesen Bau auch weiterhin als eines meiner Hauptquartiere benutzen. Ist das klar?« Ich nickte. »Ich habe eine Frage an Sie gerichtet. Ich verlange eine Antwort darauf.« »Ja, Mr. Ghaled.« »Miss Malandra?« »Ja, Mr. Ghaled.« »Gut. Dann werde ich Sie jetzt in gewissem Umfang ins Vertrauen ziehen. Sie, Mr. Howell, bezeichneten Issas Arbeit als Bastelkurs zur Herstellung von Bom ben. Es ist mir klar, daß Sie das im Zorn gesagt haben und ihn beleidigen wollten. Sie hatten damit jedoch zugleich recht und auch unrecht. Recht insofern, als die Herstellungsverfahren, auf die wir zur Zeit zurück greifen müssen, primitiv sind. Unrecht insofern, als Sie glaubten, wir seien hier mit der Fertigung von Bomben befaßt. Tatsächlich geht es uns gegenwärtig darum, Sprengkapseln von bestimmter Art herzustellen, und das in großer Anzahl. In Ermangelung der dazu erfor derlichen technischen Anlagen wie zum Beispiel der Geräte zur Temperaturkontrolle und der zur Kontrolle der Fertigung benötigten Produktionstabellen müssen wir unter Beachtung ausreichender Sicherheitsvorkeh rungen zusehen, wie wir ohne sie zurechtkommen. Können Sie mir folgen?« »Soweit ja.« »Aber wozu, werden Sie sich fragen müssen, brauchen wir so dringend Sprengkapseln? Was nützen ihnen Sprengkapseln ohne den Sprengstoff, den sie zünden sollen? Die Antwort darauf lautet, daß wir den Spreng stoff haben, daß uns der Nachschub an den zu seiner Anwendung benötigten Mitteln jedoch von unseren Gegnern in Kairo und andernorts abgeschnitten wurde. Selbst einige unserer sogenannten Freunde haben unter der Hand versucht, unsere Operationen auf die
se Weise zu behindern und zu kontrollieren. Waffen wurden geliefert, aber die nötigen Zünder gehen, ob wohl zugesagt, unterwegs verloren oder werden zu rückgehalten. Und wenn sie, was selten genug der Fall ist, endlich irgendwann eintreffen, sind es die falschen oder sie sind nicht gefüllt oder aus irgendeinem ande ren Grund unbrauchbar. Es ist ganz eindeutig vorsätz liche Sabotage.« Eine inspirierte und höchst bewundernswerte Form von Sabotage, wie mir schien; aber ich nickte mitfüh lend. »Daher«, fuhr er fort, »müssen wir uns eigene Nach schubquellen erschließen. Und das, Mr. Howell, ist der Punkt, an dem ich Sie ins Spiel bringe.« »Mich, Mr. Ghaled?« »Sie verfügen über Kenntnisse, Fähigkeiten und Mittel, die für uns von großem Wert sein können. Würden Sie mir, was das betrifft, nicht recht geben?« Mein Lächeln muß ziemlich gequält gewirkt haben. »Ich habe den Eindruck, Mr. Ghaled, daß Sie sich mei ne Mittel – und Issas Kenntnisse – bereits zunutze machen, und zwar mit ausgezeichneten Ergebnissen. Sie haben sich eine Nachschubquelle für das Material eröffnet, das Ihnen fehlte. Mein Wissen und meine Fähigkeiten, wie immer es um sie bestellt sein mag, scheinen gar nicht benötigt zu werden.« »Da sind Sie ganz entschieden im Irrtum«, sagte er sehr bestimmt. »Aber das werde ich Ihnen jetzt nicht erklären. Natürlich war ich auf dieses Zusammentref fen mit Ihnen heute abend hier nicht vorbereitet. Wie die Dinge nun einmal liegen, müssen wir die Diskussi on über Ihren Beitrag auf morgen verschieben. Ich werde Ihnen dann im einzelnen genau sagen, was von Ihnen erwartet wird.« Er stand auf, und wir erhoben uns ebenfalls. »Sagen wir um neun Uhr abends. Miss Malandra kommt am besten mit. Sie werden sich mög licherweise Notizen machen wollen.« »Ausgezeichnet.«
»Da wäre noch eine Kleinigkeit.« Er schnippte laut mit zwei Fingern, und die bewaffneten Männer auf dem Gang stürzten herein. »Dieser Mann und diese Frau werden morgen abend wiederkommen«, sagte er ih nen. »Sie sind als Genossen zu behandeln.« Er blickte mich an. »Haben Sie das gehört, Mr. Howell?« »Ja.« »Aber haben Sie es auch begriffen? Ich habe den Aus druck >Genossen< gebraucht.« »Ich habe es verstanden. Ich hoffe nur, sie erinnern sich daran.« »Ich sehe, Sie begreifen noch immer nicht. Sie werden doch gewiß nicht annehmen, daß ich Sie nach der Ent deckung, die Sie hier heute abend gemacht haben, und nach unserer freimütigen Unterhaltung gehen las se, ohne Sie, nun, sagen wir, verpflichtet zu haben?« Ich zuckte die Achseln. »Sie haben mir bereits unmiß verständlich klargemacht, daß ich verschwiegen sein muß und warum ich es zu sein habe.« »Ich spreche jetzt nicht von Verschwiegenheit, son dern von Loyalität und Treu und Glauben.« »Ich fürchte, ich begreife noch immer nicht.« »Das liegt doch auf der Hand. Sie sind Ausländer hier, genießen aber besondere Vorrechte. Sie können ausund einreisen, wann immer es Ihnen paßt. Das ist eine Situation, deren Vorteile bei gegebener Gelegenheit auszunutzen ich mir vorbehalte, die es Ihnen jedoch in der Zwischenzeit erlaubt, sich die Sache womöglich anders zu überlegen. Falls Sie zum Beispiel beschlie ßen sollten, lieber nach Beirut oder Alexandria oder Kairo zu fliegen und mir Ihre Kooperation zu verwei gern, statt mich morgen hier zu treffen, würde ich mich zu Schritten gezwungen sehen, die ich bedauern müßte.« Er schwieg einen Augenblick lang, um ganz sicherzu gehen, daß ich die Drohung auch begriff. »Wie ich eben sagte«, fuhr er dann fort, »würde ich die Not wendigkeit, derartige Schritte zu unternehmen, außer
ordentlich bedauern. Es wäre zudem kostspielig für uns, weil wir möglicherweise weite Wege zurücklegen müßten, um Sie zu finden. Ganz abgesehen davon, daß wir es vorzögen, wenn Sie am Leben und uns so mit als Mitarbeiter erhalten blieben. Sie müssen einse hen, daß es für dieses Problem nur eine einzige Lö sung gibt. Sie und diese Frau hier müssen loyale und einsatzfreudige Mitglieder des Palästinensischen Akti onskommandos werden und sich seiner Disziplin un terwerfen.« »Aber wir sind doch Ausländer«, protestierte ich idioti scherweise. »Wir können nicht… Wir – « Ich geriet ins Stammeln. Er brachte mich mit einer ungehaltenen Geste zum Schweigen. »Es gibt bereits andere Aus länder, Ausländer beiderlei Geschlechts, denen die Mitgliedschaft zuerkannt wurde.« Er machte eine Pau se und fügte dann schneidend hinzu: »Sie betrachte ten es als Ehre, dienen zu dürfen – als Ehre.« Ich murmelte irgendeinen Unsinn wie: das alles käme so überraschend, aber er überhörte es. »Sie sind kein Jude. Und ich nehme an, auch Miss Ma landra ist keine Jüdin. Es gibt daher keinen Hinde rungsgrund. Sie werden den Treueid selbstverständlich nach christlicher Art schwören. Haben Sie Ihre Pässe da?« Mein Paß steckte in meiner Jackentasche. Teresa hatte nur ihre Identitätskarte bei sich. Er nahm sowohl den Paß als auch die Identitätskarte an sich. »Diese Ausweise werden für unser Archiv photokopiert und Ihnen morgen wieder ausgehändigt«, sagte er. »Bei der Gelegenheit werden Sie noch ein paar schrift liche Formalitäten erledigen. Den Treueid können Sie aber jetzt gleich ablegen. Eine Bibel haben Sie wohl nicht hier in Ihrem Büro?« »Nein.« »Nun, die ist dazu auch nicht unbedingt erforderlich. Ich schlage vor, Sie legen den Eid zuerst ab. Heben Sie die rechte Hand und sprechen Sie mir nach: Ich,
Michael Howell, schwöre als Christ bei der Heiligen Dreifaltigkeit und beim Heiligen Buch des Antiochus, daß ich aus freiem Willen, mit ganzem Herzen und ohne inneren Vorbehalt mein Leben und alles, was ich besitze, dem Palästinensischen Aktionskommando verpfände, und verspreche…« Er sprach arabisch, und in dieser Sprache klangen die Wörter seltsam. Die Berufung auf Antioch machte den Schwur zu einem maronitischen Eid, und da ich nomi nell griechisch-orthodox bin, nehme ich an, daß er mich nicht wirklich band; aber meine Mutter, die prak tizierende Christin ist, würde Zustände bekommen haben. Auf den genauen Wortlaut des restlichen Ser mons kann ich mich nicht mehr besinnen; er besagte im wesentlichen, daß ich lebenslangen bedingungslo sen Gehorsam gelobte und mich damit einverstanden erklärte, daß schon der geringfügigste Verstoß gegen das Gelübde mit dem Tod geahndet werden würde. Der Vollzug der Strafe, die auf Verrat an der Sache stand, war komplizierter; er wurde mit ekelerregender Freude am Detail beschrieben, lief aber auf das Glei che heraus. »Sind Sie bereit«, wollte Ghaled wissen, »das in Ge genwart dieser brüderlichen Zeugen zu beschwören?« Die beiden brüderlichen Flintenhelden sahen mich er wartungsvoll an. »Ich schwöre es.« »Sie sind aufgenommen.« Er wiederholte das ganze Ritual von A bis 2 mit Tere sa. Ich dachte, als Katholikin würde sie sich gegen einige Wendungen sperren, aber sie brachte es so zü gig und unpersönlich hinter sich, als läse sie aus ihrem Stenoblock einen Brieftext vor, den ich ihr diktiert hat te. »Ich schwöre es.« Das klang bereits etwas gelang weilt. »Sie sind aufgenommen.« Ghaled schickte die beiden bewaffneten Männer mit einem Fingerschnippen wie
der vor die Tür und sah uns lange an. »Meinen Glückwunsch, Genossen«, sagte er schließ lich. »Es gehört sich, daß Sie mich von jetzt ab – bei allem schuldigen Respekt – mit Genosse Salah anre den. Wollen Sie sich das merken?« »Ja, Genosse Salah.« Er nickte gnädig. »Dann also bis morgen abend.« Wir waren entlassen. Erst als wir wieder im Wagen saßen, merkte ich, wie müde ich war. Mein Rücken schmerzte noch immer. Es war ein langer Tag gewesen. Ich konnte den hoff nungslosen Versuch machen, mir Möglichkeiten aus zudenken, wie wir aus der Klemme, in der wir steck ten, herauskamen, aber ich hatte keine Lust, darüber zu reden. Unglückseligerweise hatte Teresa Lust dazu. »Was tun wir jetzt?« fragte sie. Ihre Stimme verriet mehr Erregung als Angst. »Ich habe nicht die leiseste Ahnung. Nach Hause fah ren und schlafen, das ist alles, was ich im Augenblick will.« Sie fuhr eine halbe Minute lang schweigend weiter. »Willst du mit Oberst Shikla sprechen?« »Nein.« Ich begründete das nicht näher. Oberst Shikla war Leiter des Inneren Sicherheitsdienstes und ein höchst unangenehmer Mann von abschreckendem Ruf. Ich war ihm auf Gesellschaften begegnet und in dem Be mühen, meine Furcht vor ihm zu kaschieren, allzu leutselig gewesen. Er mußte an Reaktionen dieser Art gewöhnt sein, denn mein Verhalten hatte ihn offen kundig amüsiert. Ihn in seiner offiziellen Funktion auf zusuchen war das letzte, was für mich in Frage kam, selbst wenn es Sinn gehabt hätte. Aber Teresa ließ nicht locker. »Du könntest privat mit ihm sprechen, ganz inoffiziell.« »Inoffiziell über Ghaled? Sei nicht albern. Derartige Dinge fallen in seinen Geschäftsbereich.«
»Dann eben offiziell. Falls irgend jemand dahinter kommen sollte, wären wir gedeckt, wenn du Oberst Shikla unterrichtet hättest.« »Mit weit größerer Wahrscheinlichkeit würden wir in einer seiner Vernehmungszellen landen.« »Aber warum denn, wenn wir ihm die Wahrheit gesagt und alles erzählt hätten?« Sie war enervierend. »Weil Männer seines Schlags niemals glauben, daß man ihnen alles erzählt hat, selbst wenn das der Fall ist«, sagte ich gereizt. »Aber nehmen wir einmal an, er hätte es ausnahmsweise geglaubt. Was dann? Der Innere Sicherheitsdienst müßte etwas gegen Ghaled unternehmen. Möglicher weise will er das aber gar nicht. Möglicherweise habe ich denen etwas zur Kenntnis gebracht, wovon sie offi ziell lieber nichts gewußt hätten. Aber gehen wir ruhig einmal davon aus, sie kommen, widerstrebend oder nicht, zu dem Schluß, daß sie auf unsere Information hin handeln müssen. In welche Lage hätten wir uns damit gebracht?« »Wir hätten uns abgesichert.« »Womit? Mit Klarsichtfolie? Du glaubst doch nicht im Ernst, daß sie gegen Ghaled vorgehen würden, ohne ihn rechtzeitig zu warnen, oder? Ihm würde genügend Zeit und Gelegenheit bleiben, unsere Namen ganz obenan auf die nächste Säuberungsliste zu setzen. Das nennst du absichern? Rede keinen Unsinn, Genos sin.« Sie kicherte doch tatsächlich. »Es ist ein komisches Gefühl, Mitglied des PAK zu sein, findest du nicht?« »Komisch?« »Also meinetwegen auch gruselig. Ich frage mich, wer wohl diese anderen ausländischen Mitglieder sein mö gen. Er sagte, sie seien beiderlei Geschlechts.« »Eine der Frauen ist sicherlich Melanie Hammad.« »Sie hat in einem der französischen Modemagazine dieses Monats einen Artikel veröffentlicht – über Kaf tane. Ihr scheint aber nichts Schreckliches zugestoßen
zu sein.« »Sie ist nicht in Syrien und fabriziert keinen Spreng stoff.« »Es ist Issa, der ihn fabriziert, nicht wir.« »Aber in unserem Werk.« Ich verlor plötzlich die Ge duld. »Mein Gott, Mädchen! Begreifst du denn gar nicht, wie ernst diese Geschichte ist, wie gefährlich?« »Natürlich tue ich das, Michael. Aber es hat keinen Sinn, sich aufzuregen. Du bist jetzt müde, aber mor gen wird dir schon noch einfallen, wie du mit der Si tuation fertig werden kannst. Das ist bisher immer der Fall gewesen.« Ich empfand ihre Zuversicht nicht als schmeichelhaft; ich wußte, sie war fehl am Platz. Weil ich im allgemei nen in der Lage bin, geschäftliche Schwierigkeiten zu meistern, Konkurrenten zu überlisten und erfolgreich mit Leuten wie Dr. Hawa zu verhandeln, glaubte sie, ich sei Ghaled und der Lage, in die er uns gebracht hatte, ebenfalls gewachsen. Was sie nicht begriff, war die Tatsache, daß geschäftliche Befähigung nicht im mer anwendbar ist, daß sie versagen muß, wenn die Ware Gewalt und der Partner, mit dem man es zu tun hat, eine Bestie ist. Ich habe nicht sehr oft in meinem Leben Angst ge habt. Als Kind hatte ich nachts Alpträume und wachte schreiend auf; aber mit Alpträumen, denen man nicht dadurch entfliehen kann, daß man erwacht, habe ich wenig Erfahrung. Gewiß, während der Zypernkrise in den fünfziger Jahren hatte es ein paar unangenehme Augenblicke gegeben; aber man hatte sie zumeist gemeinsam mit seinen Nachbarn durchgestanden, und, obschon durchaus realer Natur, war die akute Gefahr noch jedesmal ebenso plötzlich und unvorher gesehen, wie sie einzutreten pflegte, auch wieder ge wichen. Ghaled jedoch würde nicht weichen. Seit mehr als zwanzig Jahren gehörten Gewalttätigkeit und Tod zu seinem Metier, und daran würde sich vermutlich
nichts ändern, bis er selber eines gewaltsamen Todes starb. Inzwischen machte er mir Angst. Ich gebe das zu. Er würde mir immer Angst machen. Ich wußte schon da mals, daß die einzige Möglichkeit, mit ihm fertig zu werden, für mich darin bestand, ihn umzubringen. Ich rechnete jedoch nicht damit, jemals die Chance zu bekommen, das zu tun; und für ebenso ausgeschlos sen hielt ich es, daß der Geschäftsmann Howell ernst haft erwägen könnte, eine solche Chance, gesetzt, sie böte sich ihm, auch zu nutzen. Ich bin nun einmal kein Freund von Gewalttätigkeit. Ein paar Stunden Schlaf halfen. Als ich aufwachte, war mein Rücken noch wund, aber er tat mir nicht mehr weh. Ich konnte die Lage mehr oder weniger ruhig überdenken. Ghaled hatte gesagt, daß er, was mich betreffe, bestimmte Pläne habe, und davon gespro chen, daß er beabsichtige, sich meine Freiheit, ausund einreisen zu können, wann es mir beliebe, zunut ze zu machen – was darauf hindeutete, daß er mich als Kurier oder Unterhändler zu verwenden gedachte. Aber er hatte auch davon gesprochen, sich meiner »Kenntnisse, Fähigkeiten und Mittel« bedienen zu wol len. Bevor ich nicht wußte, was er damit gemeint hat te, war es zwecklos, sich irgendwelche eigene Pläne zurechtlegen zu wollen. Ich konnte jedoch meine Verteidigungsmöglichkeiten, soweit von solchen überhaupt die Rede sein konnte, inspizieren und ein paar naheliegende Sicherheitsvor kehrungen treffen. Ich mußte mir darüber im klaren sein, daß der Zeit punkt kommen mochte, wo ich mir, wie es Ghaled euphemistisch ausgedrückt hatte, »die Sache anders überlegte«. Mit anderen Worten, eines Tages konnte eine Situation eintreten, die es mir, Mordkommando hin, Mordkommando her, ratsam erscheinen ließ, mich aus dem Staube zu machen. Dazu würde ich einen Paß, reichlich Bargeld, einen gepackten Koffer und
eine Anlaufstelle zum Untertauchen benötigen. Das Bargeld stellte kein Problem dar, und die Anlauf stelle ebensowenig, wenngleich ich in der Tat verzwei felt sein mußte, um auf sie zurückzugreifen. Die unbe kannte Größe war der Paß. Wenn Ghaled ihn mir ein mal hatte abnehmen können, um sich, was mich be traf, rückzuversichern, war er durchaus fähig, dies erneut zu tun. Ohne Zweifel mußten sowohl Teresa als auch ich uns Zweitpässe besorgen, die wir in unsere fertiggepackten Koffer legen konnten. Im Mittleren Osten sind die Konsulatsbeamten westlicher Staaten, was die Ausstellung von Zweitpässen für Geschäftsleu te betrifft, die einen solchen benötigen, im allgemei nen sehr entgegenkommend; so beispielsweise ge genüber denen, die nach Israel reisen. Pässe, die ei nen israelischen Visumstempel tragen, gelten in arabi schen Ländern als ungültig; und wenngleich die Israe lis in Anbetracht dieser Tatsache bereit sind, auf Wunsch von der Vornahme ihres Sichtvermerks abzu sehen, vergessen Reisende doch zuweilen, eine ent sprechende Bitte zu äußern, ehe es zu spät ist. Ich sagte Teresa, sie solle beim italienischen Konsulat einen zweiten Paß für sich beantragen. Einen Zweitpaß für mich zu beschaffen, würde schwieriger sein. Ob wohl Zypern diplomatische Beziehungen mit Syrien unterhält, gab es zu jener Zeit keinen zypriotischen Konsul in Damaskus; ich rief daher unser Büro in Fa magusta an und gab Order, die nötigen Schritte zu unternehmen. Nachdem das getan war, ging ich systematisch die Liste aller überprüfbaren Sicherheitsrisiken durch. Was Ghaled in der Batteriefabrik trieb, konnte er auch im Keramikwerk, in der Eisenwaren- und der Möbelfabrik oder im Elektronik-Montagewerk treiben. Möglicher weise spielte ich unwissentlich den Wirt für weitere PAK-Zellen. Sollte das der Fall sein, wollte ich über das Schlimmste Bescheid wissen. Ich gab Teresa Auftrag, die Einkaufsunterlagen auf ungewöhnliche Artikel zu
überprüfen. Die Personalakten nahm ich mir selber vor. Als erstes suchte ich Ghaleds Einstellungsunterla gen heraus, um zu sehen, wer ihn uns unter dem Na men Yassin empfohlen hatte. Die Empfehlung, stellte ich fest, war an den üblichen Aktenvermerk vom Mini sterium für Arbeit und Soziales geheftet und von ei nem Hauptmann im Büro des Inneren Sicherheitsdien stes unterzeichnet. Soviel zu Teresas brillanter Idee, Oberst Shikla ins Vertrauen zu ziehen, damit wir »gedeckt« seien. Der Innere Sicherheitsdienst wußte nicht nur von Ghaleds Aktivitäten, er unterstützte ihn sogar und gewährte ihm Schutz. Als nächstes sah ich mir die Personalunterlagen von ein paar anderen bei uns beschäftigten Männern an, um herauszubekommen, ob derselbe ISD-Hauptmann sonst noch jemanden empfohlen hatte. Ich verzichtete darauf, mich mit den Akten der unmittelbar im Pro duktionsprozeß Beschäftigten wie zum Beispiel denen von Drehern und Handwerkern zu befassen; es waren zu viele, als daß eine gründliche Überprüfung durch führbar gewesen wäre. Statt dessen beschränkte ich mich auf das Nachtschicht-Personal und die Angestell ten, denen Schlüssel anvertraut waren. Ich fand zwei; der eine war Gerätewart, der andere ein Lagerverwalter. Beide waren von dem ISDHauptmann empfohlen worden. Beide arbeiteten in der Eisenwarenfabrik. Sie waren etwa um die gleiche Zeit eingestellt worden wie Ghaled. Mein erster Impuls war, den Fabrikmanager zu mir zu bestellen und ihm Anweisung zu geben, sie zu entlas sen, aber Teresa machte berechtigte Einwände gel tend. Sie mußte besser geschlafen haben als ich. »Welchen Grund willst du angeben?« »Ich finde schon einen Grund.« »Wenn es tatsächlich Ghaleds Leute sind, wird er dich zwingen, sie wieder einzustellen, und dann bist du der Dumme.«
»Und so fühle ich mich nur als der Dumme. Na gut. Aber ich will wissen, was sie im Schilde führen. Hat es irgendwelche Materialdiebstähle gegeben?« »Nein, aber es ist ein ganz ungebräuchlicher Artikel bestellt worden. An Eisenwaren wurde eine Order auf einen Satz Gewindebohrer und Prägestöcke eines Typs aufgegeben, den es gar nicht gibt.« »Woher weißt du das?« »Der Werkzeuglieferant hat mit Kopie an uns einen Brief des Inhalts geschrieben, daß er die gewünschten Gewindebohrer und Prägestöcke nicht auf Lager habe und sie, soviel er wisse, auch gar nicht hergestellt würden. Er deutete höflich an, daß es sich möglicher weise um einen Schreibfehler in der Bestellung han deln könne.« »Zeig mir doch mal die Order.« Sie legte sie mir vor. Ich sah sofort, warum der Liefe rant geglaubt haben mußte, es sei ein Fehler unterlau fen. Ein Mechanikerlehrling im ersten Jahr würde ge wußt haben, was an dieser Bestellung nicht stimmte. Ich überschlug im Kopf alle Eisenwarenartikel, die wir herstellten, und überlegte, ob es irgendein Fertigungs verfahren gab, mit dem der versuchte Einkauf von Gewindebohrern und Prägestöcken in Verbindung ge bracht werden konnte. Mir fiel keines ein. Da die Order von dem Kontoristen des Werkstattbüros unterzeichnet worden war, rief ich ihn an. Er konnte sich an die betreffende Bestellung nicht auf Anhieb erinnern, versprach aber, seine Bücher zu konsultieren und mich dann zurückzurufen. Es wurde später Nach mittag, ehe er sich wieder meldete, und er wußte mir nichts zu sagen, was mir weiterhelfen konnte. Die Or der für die Werkzeuge war ihm zusammen mit einem Konvolut anderer Bestellungen von seinem Gehilfen zur Unterschrift vorgelegt worden. Nein, der Gehilfe erinnerte sich nicht daran, wer die Anforderung einge reicht hatte; er sah in seinen Unterlagen nach. Inzwi schen wußte mir der Kontorist in feierlich ernstem
Tonfall mitzuteilen, auf der Bestellung befinde sich ein Vermerk, der besage, daß die betreffenden Artikel vorübergehend nicht lieferbar seien. Ich klärte ihn darüber auf, daß sie noch nie lieferbar gewesen seien und es auch in Zukunft nicht sein würden, und hängte ein. Es war hoffnungslos. Ich mußte mich mit dem Gedanken trösten, daß der Versuch, irgendwelche krummen Dinge zu drehen, falls er auf dem Eisenwa rensektor unternommen worden war, wenig Aussicht auf Erfolg versprach. Issa hatte sich wenigstens genü gend ausgekannt, um die Materialien, die er brauchte, korrekt ordern zu können. Sein Pendant in der Eisen warenfabrik war offenkundig unfähig. Die zweite Defensivmaßnahme leitete ich mit einem Anruf bei Dr. Hawas Kanzleichef ein. Nach ein paar einleitenden Höflichkeitsfloskeln kam ich auf den Bericht über das italienische Autobatterienpro jekt zu sprechen, den ich Hawa am Vortag übermittelt hatte, und fragte, ob der Minister schon Zeit gefunden habe, ihn zu lesen. »Er liegt auf seinem Arbeitstisch, Mr. Howell. Aber ich glaube, er hat ihn noch nicht ganz durchgelesen. Er ist abgelenkt worden, weil der Finanzausschuß tagte.« »Ich habe auch keineswegs erwartet, daß der Minister bereits darüber entschieden haben könnte«, sagte ich. »Ich frage nur deshalb nach, weil ich soeben bemerke, daß ich ein ergänzendes Memorandum, das die mögli che Lokalisierung der neuen Fabrik betrifft, dem Be richt versehentlich nicht beigefügt habe. Es würde die Schlüsse, die aus dem Bericht zu ziehen sind, in keiner Weise verändern, enthält aber zusätzliche Informatio nen und Vorschläge, die der Minister möglicherweise für brauchbar und nützlich halten könnte. Wenn ich Ihnen noch heute Exemplare des Memorandums zuge hen ließe, könnten sie dem Bericht, den der Minister liest, noch beigefügt werden?« Er machte zunächst Einwendungen, um seinem widerstrebend gewährten Einverständnis den Anschein großen Entgegenkom
mens zu geben; aber das war ganz normal. Ich ver sprach, daß ihm das Memorandum innerhalb einer Stunde vorliegen würde. Ich diktierte es Teresa in zehn Minuten. Sie sah mich besorgt an, als sie es aufgenommen hatte. »Ist das klug, Michael?« »Es verschafft uns eine Karte, die wir ausspielen kön nen.« »Ghaled wird es nicht passen.« »Wohl kaum – wenn ich es ihm zeige. Vielleicht tue ich es nicht, aber ich will es in der Hinterhand haben, für den Fall, daß es uns nützlich sein könnte. Datiere es drei Tage zurück und laß es so aussehen, als sei es in Mailand geschrieben. Und vergiß auch nicht, eine zu sätzliche Ausfertigung mit der arabischen Übersetzung beizugeben.« Als das Memorandum abgegangen war, hatte ich Zeit, mich auf meine eigentliche Arbeit zu konzentrieren. Unser Vertreter in Athen stand vor dem Abschluß ei nes wichtigen Kontrakts über beträchtliche Kachelliefe rungen und bat uns dringend um feste Zusicherungen hinsichtlich des Lieferungstermins, da der Partner auf einer Klausel bestand, die für den Fall einer Verzöge rung empfindliche Strafen vorsah. Ich konnte es mir nicht leisten, meine Antwort nachlässig oder gleichgül tig ausfallen zu lassen; und doch mußte ich mir einge stehen, daß ich beides war. Es war Teresa, die schließ lich zu meiner Erleichterung vorschlug, die Antwort um vierundzwanzig Stunden aufzuschieben, sie dann aber telegrafisch statt brieflich aufzugeben, um den ent standenen Zeitverlust wettzumachen. Daß ich mich zu jenem Zeitpunkt intensiver mit mei ner Verstrickung in die PAK-Geschichte befaßte als mit meinen Verpflichtungen gegenüber der Agence Howell, ihren Anteilseignern und treuen Mitarbeitern, ist zwei fellos höchst bedauerlich. Ein verantwortungsbewußter gestandener Geschäftsmann sollte in der Lage sein, die vorrangigen Dinge stets zuerst zu erledigen und
unter allen Umständen einen kühlen Kopf zu bewah ren. Offenkundig muß ich demnach also verantwor tungslos und innerlich unzureichend gefestigt sein. Sei’s drum. Der Teufel, den ich kenne, interessiert mich wenig; aber der, den ich nicht kenne, läßt mir keine Ruhe. Meine Verpflichtungen dem Geschäft ge genüber kannte ich; was das PAK von mir wollte, muß te ich erst noch herausfinden. Wir nahmen unsere gewohnten Martinis, aber keinen Wein oder Kognak zu uns. Zum einen wollte ich nicht, daß wir etwaigen Vermutungen, wir hätten uns, bevor wir zu dem Treffen aufbrachen, Mut antrinken müssen, mit unserem eigenen Atem Vorschub leisteten; und zum anderen wollte ich mir keine Entschuldigung dafür liefern, während ich mich dort aufhielt, die Toilette aufzusuchen. Ich weiß nicht, warum ich so viele Um stände bedachte. Wahrscheinlich war ich in meinem Denken als Geschäftsmann in jener Phase des Spiels noch immer auf langwierige Verhandlungen fixiert, bei denen geringfügige psychologische Bodengewinne und -Verluste zählten. An die Vorstellung, daß ich als Mit glied des PAK verpflichtet war, zu tun, was mir aufge tragen wurde, mußte ich mich erst noch gewöhnen. Es war ein wunderschöner Abend, warm und friedlich. Im Hof war die Luft schwer vom Duft blühender Pflan zen, und Fledermäuse schwirrten umher. Suliman, der Gärtner, öffnete uns das Tor. Ich sagte ihm, daß er nicht aufzubleiben brauche, da wir möglicherweise erst spät heimkämen. Er dachte, wir führen zu einer Party, und wünschte uns einen vergnügten Abend. Kurz vor neun hielten wir vor dem Eingang zur Batte riefabrik und ließen den Wagen stehen, wie wir es schon am vorangegangenen Abend getan hatten. Diesmal war der Nebeneingang unverschlossen, aber wir hatten das Gelände kaum betreten, als die beiden Flintenhelden noch vor der Laderampe aus der Dun kelheit auftauchten und uns mit einer Taschenlampe anleuchteten.
»Seid gegrüßt, Genossen.« Es war der Mann mit den
Zahnstummeln, derjenige, der mir den Gewehrkolben
in den Rücken gestoßen hatte.
»Seid gegrüßt«, sagte ich.
Er trat langsam näher und ließ dann unvermittelt seine
Rechte, in der er die Taschenlampe hielt, vorschnellen.
Ich dachte, er versuche sie mir ins Gesicht zu stoßen,
und wich zurück. Er klärte mich vorwurfsvoll auf.
»Diese Lampe gehört Ihnen, Genosse. Sie haben Sie
gestern hier zurückgelassen. Das Glas ist zerbrochen,
aber sie funktioniert noch.«
»Danke, aber ich habe noch eine zweite.« Ich knipste
die Taschenlampe in meiner Hand an. »Sehen Sie?«
»Sie wollen diese hier nicht wiederhaben?« fragte er
hoffnungsvoll.
»Nicht, wenn Sie sie brauchen können, Genosse.« Ich
fand es an der Zeit, Freunde zu gewinnen. »Aber wie
Sie sagen, ist das Glas zerbrochen. Warum nehmen
Sie nicht einfach diese Lampe, die heil ist, und geben
mir die andere? Ich kann mir morgen ein neues Glas
besorgen.«
»Danke, Genosse. Vielen Dank.« Wir tauschten unsere
Taschenlampen.
»Ich heiße Ahmad«, sagte er. Sein Atem stank.
»Und ich Michael.«
»Das hier ist Genosse Musa.« Er deutete auf seinen
Gefährten. »Er kann nicht reden, denn er hat keinen
Kehlkopf.«
Genosse Musa grinste und zeigte auf eine große Narbe
an seinem Hals.
»Eine Kriegsverletzung?«
»Ja«, sagte Ahmad. »Aber er hört das leiseste Ge
räusch. Er hat Sie gestern nacht lange vor mir gehört.
Auf wieviel Uhr sind Sie bestellt, Genosse?«
»Neun Uhr.«
»Genosse Salah mag es nicht, wenn man ihn warten
läßt.«
»Das kann ich mir denken.«
»Nun, dann gehen Sie jetzt besser«, sagte er leutse lig. »Sie kennen ja den Weg.« Im ersten Augenblick glaubte ich, wir könnten unseren Weg allein und unbeaufsichtigt fortsetzen; aber als ich mich umdrehen wollte, kicherte Ahmad und stieß mich mit dem Gewehrkolben voran. »Marsch, Genossen«, sagte er. Er hatte nicht sehr hart zugestoßen, aber doch fest genug, um mich wissen zu lassen, daß seine Nachsicht nicht mit einer Taschen lampe zu erkaufen und er nach wie vor derjenige war, der hier zu bestimmen hatte. Als wir die Stufen zum Bürogebäude erreichten, befahl er uns zu warten, und ging hinein, um unsere Ankunft zu melden. Musa grin ste uns an, während wir warteten, behielt jedoch den Finger am Abzug. Im Laboratorium brannte Licht, aber ich konnte keine Stimmen hören. Mein Büro lag im Dunkel. Ahmad war zum Hintereingang des Baus ge gangen. Nach etwa einer halben Minute trat er wieder auf die Terrasse hinaus und bedeutete uns, hinaufzukommen. Als wir vor ihm standen, befahl er mir, die Arme über den Kopf zu heben, und tastete mich ab. Dann nahm er Teresas Handtasche an sich und warf einen Blick hinein. Als er sich Gewißheit verschafft hatte, daß wir beide unbewaffnet waren, gab er Teresa die Tasche zurück. »Folgen Sie mir, Genossen.« Wir gingen die überdachte Veranda entlang, die um das Gebäude herumlief, und betraten den Teil des Baus, der die Lagerräume beherbergte. Ohne mein Wissen waren hier Veränderungen vorgenommen wor den, von denen ich nichts geahnt hatte. Der größere der beiden Räume diente Ghaled jetzt als Befehls stand. Die aufgerollten Zinkbleche – meine Zinkbleche –, die ihrer unterschiedlichen Dicke wegen sorgsam in Reihen geordnet hätten gelagert werden sollen, waren alle gegen eine Wand gelehnt worden, um für einen aus einer Holzplatte und zwei Bockgestellen bestehen
den Tisch, ein paar Stühle sowie ein Feldbett Platz zu schaffen. Der Raum machte den Eindruck, als sei er bewohnt, was unter den gegebenen Umständen nicht weiter verwunderlich war. Ich hatte seit Monaten keine Zeit gefunden, mich um die Lagerräume der Batteriefabrik zu kümmern, und sie Issas Obhut überlassen. Vielleicht war es sein An blick, wie er jetzt dort an dem Tisch saß und bei mei nem Eintritt ein überlegenes kleines Lächeln aufsetzte, was mich so wütend machte. Für mich war diese Wut gefährlich. Da eine unmittel bare Möglichkeit, ihr Ausdruck zu geben, nicht be stand, mußte ich sie hinunterschlucken. Das Ergebnis war, daß ich eine Zeitlang vor Ghaled weniger Angst verspürte und mich mit dem, was ich sagte, auch prompt weniger in acht nahm. Ich machte Fehler. Zunächst spielte sich alles ungemein förmlich ab, etwa wie der erste Zusammentritt des Vorstandes eines soeben gegründeten Unternehmens. Ghaled sagte: »Guten Abend, Genossen.« Teresa und ich sagten: »Guten Abend, Genosse Salah« und wur den aufgefordert, Platz zu nehmen. Außer Ghaled und Issa saßen noch zwei weitere Män ner an dem Tisch. Ghaled stellte sie vor. »Dies ist Genosse Tewfiq. Und das Genosse Wasfi. Sie sind Mitglieder des Zentralkomitees.« Tewfiq war ein bleicher, pockennarbiger Mann mit bu schigem Schnurrbart und Wanst, Wasfi ein drahtiger junger Mann mit kurzer Oberlippe und einem gequält wirkenden schiefen Lächeln, das habituell zu sein schien. Ich wußte, daß ich beide Männer schon gese hen hatte, und konnte jetzt erraten, wo ich sie gese hen hatte. Tewfiq und Wasfi sind in jenen Breiten ziemlich gebräuchliche Namen, aber es waren zufällig auch die Namen des Gerätewarts und des Lagerver walters der Eisenwarenfabrik, die ich mir an diesem Tag notiert hatte, weil sie meinen Verdacht erregten. Es lag nahe anzunehmen, daß dies die zwei besagten
Männer waren. Sie nickten mir beide kurz zu. Ich brauchte ihnen nicht erst vorgestellt zu werden. »Vor uns«, begann Ghaled lebhaft, »liegt viel Arbeit. Gestern abend habe ich den neuen Genossen unsere Nachschubprobleme und Engpässe in großen Zügen geschildert. Heute abend werden wir unseren Bedarf im einzelnen zur Sprache bringen und Pläne zu seiner Deckung aufstellen. Ich muß euch auf die Notwendig keit, die erteilten Aufträge mit äußerster Entschlos senheit zu erfüllen, dringlichst hinweisen. Jeder Auf trag, ich wiederhole, jeder Auftrag, muß innerhalb der nächsten dreißig Tage ausgeführt werden. Ist das all seits verstanden worden, Genossen?« Ein mehrstimmig gemurmeltes »Ja, Genosse Salah« antwortete ihm, in das ich nicht einstimmte. Ghaled sah mich scharf an. »Ich habe Ihre Antwort nicht ge hört, Genosse.« »Weil ich nicht verstanden habe. Ich habe keine Kenntnis von den Aufgaben, die Sie da erwähnen.« »Die bekommen Sie schon noch. Aber ich habe von der Dringlichkeit gesprochen. Das können Sie verste hen und werden Sie akzeptieren.« »Sehr gut.« Er starrte mich einen Augenblick lang an. Ich ließ es an der gebotenen Ehrerbietung fehlen, aber er wußte nicht recht, ob ich mir darüber im klaren war. Ich er widerte seinen Blick mit einem meiner eigenen Blicke von der unschuldigen, aber erwartungsvollen Sorte. Er gestand mir den Vorteil des Grundsatzes >in dubio pro reo< zu und vertiefte sich in ein Papier, das vor ihm lag. »Erster Punkt«, sagte er, »die Sache mit den Zünd kapseln, denjenigen für die elektrische Auslösung. Zunächst will ich eure Berichte hören. Genosse Issa?« »Wir haben das Pulver für fünfhundert, Genosse Sa lah. Die im Laboratorium getesteten Proben sind zu friedenstellend ausgefallen.«
»Genosse Tewfiq?« »Die Kupferröhren sind bestellt, Genosse Salah, aber noch nicht geliefert worden.« »Warum nicht?« Tewfiq streckte die Hände aus. »Sie waren mir schon für letzte Woche versprochen worden und für die vor letzte Woche auch schon. Ich bin vom Lieferanten ab hängig, Genosse Salah.« Ghaled sah mich an. »Vielleicht kann Genosse Michael uns helfen. Wir brauchen fünfzig Meter Kupferröhren von ein Zentimeter Durchmesser. Es muß gehärtetes Kupfer sein.« »Wer ist der Lieferant?« Ich genoß es, diese Frage zu stellen, denn ich war mir sicher, daß die wahrheitsge mäße Antwort darauf hätte heißen müssen, die Eisen waren-Kooperative und ich seien die Lieferanten. Schließlich waren wir es, die für das Zeug würden zah len dürfen. Natürlich nannte er mir den Namen eines Metallhänd lers. Es war derjenige, mit dem wir seit eh und je zu sammenarbeiteten. »Die Beschaffung von Buntmetal len unterliegt einer besonderen staatlichen Kontrolle«, sagte ich. »Ist der Order eine Quota-Nummer beige geben worden?« Tewfiq schwitzte jetzt. »Das weiß ich nicht, Genosse Salah.« »Warum nicht?« fuhr Ghaled ihn an. »Weil, Genosse Salah – «, er stockte einen Augenblick lang. »Du weißt doch, Genosse, daß ich die Bestellun gen nicht selber aufgebe«, fuhr er dann, mit flehentli chem Blick um Verständnis bittend, fort. »Ich bin nur der – « »Ja, ja.« Ghaled schnitt ihm das Wort ab und verfiel in stummes Brüten. Ich wußte, was ihm durch den Kopf ging. Wenn Tewfiq erklärte, daß die Bestellungen nicht von ihm, der ja nur Lagerverwalter war, sondern vom Kontoristen des Werkstattbüros aufgegeben wurden, konnte ich mir den Rest zusammenreimen, und Tew
fiqs Tarnung war, was mich betraf, hinfällig geworden. Ghaled versuchte sich darüber schlüssig zu werden, ob er mich ins Vertrauen ziehen sollte. Er beschloß, es nicht zu tun. »Du mußt auf rasche Lieferung drängen«, ermahnte er ihn streng. »Ja, Genosse Salah.« »Fahr jetzt in deinem Bericht fort.« »Wir haben die isolierten Verbindungskabel, die Zinn kappen und das Verpackungsmaterial. Aber – «, er zögerte und fuhr dann überstürzt fort, »es tut mir leid, Genosse Salah, wirklich sehr leid, daß wir noch immer Schwierigkeiten mit der Beschaffung des Chromnickel drahts haben. Das ist kein Material, das ich anfordern kann. Ich habe es versucht. Genosse Wasfi kann das bezeugen.« »Das stimmt, Genosse Salah.« Wasfis gequältes Lä cheln dehnte sich, daß er wie ein Clown aussah. »Wir haben gesagt, daß es Leitungsdraht für elektrische Reparaturen sei, aber sie bestellten Draht für Siche rungen. Ich glaube, das ist nicht dasselbe.« Ghaled sah Issa an. »Ist es dasselbe?« Issa suchte Zuflucht bei den Papieren, die vor ihm lagen. »Die Vorschriften lauten auf Chromnickeldraht von Stärke dreißig«, sagte er. »Das ist keine Antwort auf meine Frage. Ist es dassel be?« »Ich weiß es nicht, Genosse Salah.« Ghaled sah mich an. »Nein«, sagte ich. »Das ist nicht dasselbe. Aus Chromnickellegierungen oder Nichrom, so nennt sich das, wird ein resistenter Draht gezogen. Er kann für elektrische Heizöfen benutzt werden, weil er nicht schmilzt oder oxydiert, wenn er heiß wird. Der für Si cherungen verwendete Draht schmilzt, wenn er heiß wird. Wozu wird der Chromnickeldraht gebraucht?« »Zeig es ihm«, sagte Ghaled. Issa schob ein Blatt Papier über den Tisch zu mir her
über. Ich konnte ihm ansehen, wie sehr es ihm wider strebte, das zu tun. In dieser Runde war er die techni sche Autorität, nicht ich. Eine Zeichnung auf dem Pa pier zeigte, wie die Sprengkapseln anzufertigen waren. In eine sechs Zentimeter lange und ein Zentimeter dicke Kupferröhre sollten fünf Gramm Knallquecksil ber, eingebettet in Wattebäuschen, eingeführt werden. Ein Ende der Kupferröhre wurde mit einer Zinnkappe versehen, das andere mit einem Wachssiegel ver schlossen, das die beiden isolierten Zünddrähte hielt. Die Enden dieser beiden Leitungen befanden sich in der Mitte des Zündsatzes, wo sie durch eine kleine Schlinge aus feinem Chromnickeldraht verbunden wa ren. Das war der Zündstromkreis. Jetzt brauchte man nur noch eine Sechs-Volt-Batterie und einen Schalter. Sobald der Stromkreis geschlossen war, würde der Chromnickeldraht, der nicht dicker als ein Haar war, nahezu augenblicklich weißglühend werden, das Knall quecksilber würde explodieren, die Zinnkappe abrei ßen und jeden Sprengstoff, mit dem es in Verbindung kam, seinerseits zur Explosion bringen. Es war ein primitiver, aber praktischer Mechanismus. Wenn man die Vorschriften befolgte, funktionierte er todsicher. Um Zeit zum Überlegen zu gewinnen, studierte ich weiterhin die Zeichnung. Ich war versucht, das ganze Zünderprojekt zu sabotieren und ihnen die Verwen dung des Sicherungsdrahts zu empfehlen, sagte mir dann aber, daß es zu riskant war; Issa hatte erklärt, Proben des Pulvers seien getestet worden. Bestimmt würden sie die fertiggestellten Zünder erproben. Wenn das Testmuster nicht funktionierte, würde das auf jedwede Abänderung, die ich vorgeschlagen hatte, zurückgeführt werden. Ich blickte auf. »Nun?« fragte Ghaled. »Ein sehr dünner Sicherungsdraht könnte, bevor er schmilzt, heiß genug werden, um die Pulverladung zu
zünden. Aber ich glaube nicht, daß man sich darauf verlassen sollte. Ich glaube, Sie müssen diesen feinen Chromnickeldraht nehmen.« »Wir müssen ihn nehmen, Genosse«, korrigierte er mich. »Die Frage ist nur, wie bekommen wir ihn?« Issa sah eine Chance, seinen Prestigeverlust wettzu machen. »Wenn er in elektrischen Heizöfen verwendet wird«, sagte er, »können wir ihn leicht beschaffen. Benötigt werden nur vier oder fünf Meter davon. Wir besorgen uns ein paar von diesen Heizöfen und schlachten sie aus.« Ghaled sah mich wieder an. »Wir könnten es versuchen«, sagte ich, »aber ich glaube kaum, daß Heizöfen mit so dünnem Draht her gestellt werden. Ich bin mir eigentlich sogar ganz si cher, daß das nicht der Fall ist. Er muß von einem Ra diohändler kommen, der auch Reparaturen ausführt und Widerstandsspulen vorrätig hat.« »Genosse Salah!« platzte Wasfi aufgeregt heraus. »Ich kenne einen solchen Mann. Er hat einen Laden im
souk.« Aber Ghaled gebot ihm Schweigen. Seine Augen blie ben auf mich gerichtet. »Verwenden Sie diese Widerstände nicht in Ihrem ei genen Elektronik-Montagewerk, Genosse Michael?« fragte er. »Keiner der Widerstände, die wir verwenden, besteht aus Drahtwicklungen, Genosse Salah.« »Auch nicht die im Magisch-Kommunikations-SenderEmpfänger, den Sie für die Armee zusammenbauen?« Das ließ mich unwillkürlich zusammenzucken. Der Ma gisch-Sender-Empfänger galt als Geheimsache. »Besonders in den Magisch-Sender-Empfängern nicht«, entgegnete ich. »Sie verwenden winzige Schaltkreiseinheiten, die wir aus Ostdeutschland be kommen. Wir setzen bloß die Einheiten zusammen. Einzelteile im herkömmlichen Sinn gibt es nicht.« Er applaudierte mir mit einem lautlosen Händeklat
schen. »Gut. Sehr gut.« In seinen Augen blitzte Spott. »Ein kleiner Test, Genosse Michael, nichts weiter. Zum Glück haben Sie ihn mit Auszeichnung bestanden. Mein eigener Elektronikexperte gab mir den gleichen Rat.« Ich machte eine große Schau daraus, verwirrt zu sein, was ihm augenscheinlich gefiel. Den >Elektronikexper ten< zu identifizieren, würde nicht schwer sein. Die Erwähnung des Magisch-Sender-Empfängers hatte mich auf die richtige Fährte gebracht. Ich hatte bereits eine kurze Liste mit den Namen zweier Verdächtiger im Kopf, und ein nochmaliger Blick in die Personalak ten würde mir Gewißheit darüber verschaffen, wer von diesen beiden der Schuldige war. »Ausgezeichnet. Genosse Wasfi wird die Spulen kau fen. Inzwischen haben wir ein weiteres dringendes Problem zu lösen, bei dem Sie uns vielleicht behilflich sein könnten, Genosse Michael.« »Selbstverständlich bin ich gern bereit, alles zu tun, was in meinen Kräften steht, Genosse Salah.« Er schien mich nicht zu hören. Er war aufgestanden und zum Feldbett hinübergegangen, auf dem zwei große Gegenstände aus Metall lagen. Er kehrte mit ihnen zurück und legte sie auf den Tisch. »Verstehen Sie etwas von Munition, Genosse Michael? Ich meine von schwerer Munition wie Mörsergranaten und Artilleriegeschossen?« »Nein, gar nichts.« »Dann erkläre ich es Ihnen. Schwere Geschosse be stehen aus drei Teilen. Über die eigentliche Sprengla dung und die Zündung brauche ich Ihnen nichts zu sagen, das wird Ihnen, wenigstens im Prinzip, alles bekannt sein.« »Ja.« »Zwischen diesen beiden Teilen befindet sich der drit te. Wir nennen ihn Treibsatz oder Anheizer. Hochex plosive Sprengstoffe von der Sorte, wie sie in schwe ren Geschossen verwendet werden, sind ziemlich un
empfindlich, und eine kleine Geschoßzündung reicht nicht aus. Deswegen bringen wir diesen großen Zün der, den Treibsatz, zwischen den beiden anderen Tei len unter und lassen ihn seinerseits von der Geschoß zündung zur Explosion bringen. Das hier« – er nahm den größeren der beiden Metallgegenstände zur Hand – »ist der Treibsatz.« Es war ein etwa dreißig Zentimeter langer und fünf Zentimeter breiter bronzefarbiger Zylinder, dessen eines Ende in einen schweren Metallkragen auslief. Der Metallkragen war an seiner Außenseite – zum Ein setzen in das >Geschoß<, nahm ich an – mit einem Gewinde versehen, und am anderen Ende befand sich eine Bohrung, die ebenfalls ein Gewinde aufweist. Ghaled deutete auf die Bohrung. »Hier soll der Auf schlagzünder hindurchgeführt werden.« Er ergriff den kleineren Gegenstand, der grau angestrichen war und in der Form an eine übergroße Zündkerze denken ließ. Genau wie sie trug auch er an einem Ende ein sechs eckiges Verblendgewinde. »Und das ist der Zünder«, sagte Ghaled. »Jetzt, Genosse Michael, nehmen Sie den Treibsatz in die linke Hand. Er ist mit Tetryl ge füllt, aber Sie brauchen keine Angst zu haben. Es be steht keine Gefahr. Nehmen Sie jetzt den Zünder in die rechte Hand. Etwas mehr Vorsicht ist dabei aller dings angebracht. Er hat zwar eine ZeitzünderSicherheitsvorrichtung, sollte aber nicht fallengelassen oder hart angestoßen werden. Und jetzt sehen Sie mal zu, ob Sie den Zünder in die Treibsatzkapsel einpassen können.« Worauf er hinauswollte, lag auf der Hand. Das mit ei nem Gewinde versehene Bohrloch im Treibsatzmantel war ein wenig größer als das gerillte Ende der Zünd kapsel. Zudem waren die Schraubengänge der beiden Gewinde von unterschiedlicher Höhe. Ich sah sie mir näher an, und mir kam eine Erleuchtung. Ich blickte zu Tewfiq hinüber. »Also dafür haben Sie diese Gewindebohrer und Prä
gestöcke haben wollen«, sagte ich. Ein kurzes Schweigen trat ein. Tewfiq und Wasfi schienen ganz entgeistert zu sein. Ghaled beugte sich vor. »Das müssen Sie uns erklären, Genosse Michael.« »Damit diese beiden Dinger ineinander passen, ist ein auswechselbares Einsatzstück mit einem äußeren Ge winde erforderlich, das in den Treibsatzmantel, und einem inneren Gewinde, das in den Zünder paßt. Die Gewinde sehen mir beide so aus, als müßten Sie sie maschinell zurechtschneiden, weil es metrische Stan dardgrößen sind. Gewindebohrer und Prägestöcke von diesem Durchmesser werden nur für Röhrengewinde hergestellt, die aber ein gänzlich anderes Profil haben. Genosse Tewfiq hat das nicht gewußt. Er dachte, daß die Verbindungsringe mit Gewindebohrer und Präge stöcken handgefertigt werden könnten, und deswegen hat er sie bestellt. Die Lieferanten schrieben zurück, die Order sei unerfüllbar.« Der Ausdruck auf Ghaleds Gesicht war höchst unange nehm. »Wie lange wissen Sie schon, daß Tewfiq und Wasfi unsere Genossen sind?« fragte er leise. »Mit Sicherheit weiß ich es erst seit heute abend, aber vermutet habe ich es schon im Lauf des Tages.« »Warum haben Sie es vermutet?« Ich sagte es ihm. Er seufzte und warf Issa einen Blick zu. »Da siehst du, wie nötig es war, ihn gleich gestern abend zu verein nahmen.« Und dann, an mich gewandt: »Was haben Sie zu Ihrer Entschuldigung vorzubringen?« »Ich finde, meine Neugier war ganz natürlich, Genosse Salah. Sie haben mir nichts davon gesagt, daß ich sie bezähmen soll.« »Dann sage ich es Ihnen jetzt.« »Schaden ist dadurch sicherlich keiner entstanden.« »Das zu beurteilen lassen Sie gefälligst meine Sorge sein. Die Genossen draußen an der Front, die Kom mandokämpfer, müssen einander kennen, aber dieje
nigen, die im Untergrund in den Zellen arbeiten, dür fen nur die Genossen kennen, mit denen sie unmittel bar zusammenarbeiten. Personalakten werden ab so fort nicht mehr eingesehen, Genosse Michael. Das ist ein Befehl, verstehen Sie?« »Ich verstehe.« Ich sah nicht, woher er wissen wollte, ob ich seinem Befehl gehorchte oder nicht; und da er jetzt eindeutig hatte erkennen lassen, daß noch weite re Mitglieder des PAK zu den Gehaltsempfängern der Agence Howell gehörten, war ich mehr denn je zum Ungehorsam entschlossen. Noch immer schwelte Wut in mir. Ich glaube, er muß das gespürt haben, denn er starrte mich lange durch dringend an, bevor er hinzufügte: »Ich hoffe, Sie ha ben mich verstanden, Genosse Michael. Die Strafmaß nahmen, die ich gegen Sie verhängen müßte, wären bestimmt nicht nach Ihrem Geschmack.« »Ich habe verstanden.« »Dann wollen wir jetzt mit unserer Arbeit fortfahren. Wie läßt sich dieses Verbindungsstück herstellen?« »Das ist nur mit Hilfe einer gewindeschneidenden Drehbank möglich.« Er sah Tewfiq an. »Hast du eine solche Drehbank in der Fabrik?« »Nein, Genosse Salah.« »Dann mußt du eine beschaffen.« »Das ist unmöglich«, sagte ich. »Warum?« »Für alle Ankäufe von Maschinenwerkzeugen ist die Genehmigung der Regierung erforderlich, und dazu muß nachgewiesen werden, daß der Bedarf gerecht fertigt ist. Wir haben keine stichhaltige Begründung vorzubringen, um den Ankauf zu motivieren.« »Dann müssen Sie sich eben eine ausdenken.« »Selbst dann würde es bis zur Anlieferung noch Wo chen dauern. Wir müßten außerdem einen qualifizier ten Facharbeiter einstellen, der damit umgehen kann. Aber das brauchen wir gar nicht.«
»Sie haben doch gerade erklärt, wir müßten es.« »Ohne maschinelles Werkzeug und ohne Fachkraft geht es nicht, das stimmt, aber wenn ich dieses Zwi schenstück oder etwas Ähnliches für irgend etwas be nötigte, was wir fertigen, würde ich es in einer Ma schinenwerkstatt in Beirut herstellen lassen.« »Das kommt überhaupt nicht in Frage. Begreifen Sie denn nicht, daß unter allen Umständen die Geheimhal tung gewahrt bleiben muß?« »Sie würde in gar keiner Weise gefährdet werden. Ich selber habe dieser Maschinenwerkstatt schon mehr fach ganz ähnliche Aufträge erteilt. Ein technischer Zeichner macht genaue Reinzeichnungen von dem Teil, der maschinell gefertigt werden soll. Das Materi al, das verwendet werden muß, und die erlaubten To leranzen werden angegeben, desgleichen die jeweils benötigte Stückzahl. Wir sagen nicht, wofür das be treffende Teil vorgesehen ist. Das ist unsere Sache, und den Subkontraktpartner interessiert es ohnehin nicht. Er tut genau das, was die Zeichnungen und Spezifikationen vorschreiben. Er fertigt ein Probemu ster an; wenn wir es für gut befinden, erfüllt er seinen Auftrag und liefert.« Er überlegte kurz. »Der Zeichner würde wissen, wozu das Zwischenstück gebraucht wird.« »In diesem Fall müßte ich selber die Zeichnungen ma chen.« »Hier?« »Nein. Hier ist keine Zeichenbüro-Ausstattung vorhan den. Eine flüchtige Skizze genügt nicht. Es müssen saubere, präzise technische Zeichnungen sein.« »Diese Einzelteile dürfen nicht mitgenommen wer den.« »Es ist gar nicht nötig, sie mitzunehmen. Ich muß nur die erforderlichen Abmessungen vornehmen und ein paar Einzelheiten notieren. Das kann ich hier tun. Im Labor gibt es Zirkel und ein Mikrometer. Issa weiß, wo die Sachen sind.«
Ghaled nickte Issa zu, der losflitzte. Ich machte mich erneut an die Inspektion von Zünder und Treibsatz mantel, die diesmal allerdings eingehender ausfiel. Auf der Zündkapsel befanden sich chinesische Schriftzei chen, wie ich jetzt entdeckte. »Vermute ich richtig, daß dies einer der Zünder von der falschen Große ist, die Sie gestern abend erwähnt haben?« »Ja.« »Haben Sie einen von der richtigen Größe da?« »Ja. Warum?« »Wenn der Zünder eingepaßt ist, wird er mit einem Schraubenschlüssel festgedreht werden müssen, neh me ich an.« »Ja. Das geschieht unmittelbar vor dem Abfeuern.« »Sie sind sich darüber im klaren, daß der Zünder fal scher Größe nur festsitzt, wenn er mit dem Schrau benschlüssel bis ganz oben gegen diese Metallscheibe innen im Kragen des Treibsatzmantels hinaufgedreht wird? Dabei könnte die Scheibe zerbrechen. Würde das etwas ausmachen?« »Das würde sehr viel ausmachen. Gewalt darf keines falls dabei angewendet werden.« »Dann muß an dem Ring ein Flansch angebracht wer den, der gewährleistet, daß der Zünder falscher Größe nicht tiefer eindringt als ein passender Zünder.« »Das verstehe ich nicht.« Ich nahm Teresas Stenoblock zur Hand und machte rasch eine Skizze für ihn. Er nickte. »Ja, jetzt ist mir alles klar. Aber wir brau chen hundert Stück von diesen Ringen. Die sind schwieriger anzufertigen.« »Eigentlich nicht«, sagte ich. »Die Flansche zu drehen, ist leicht. Schwierig wird es nur sein, die Gewinde zu schneiden. Aber ich muß den passenden Zünder ha ben, um genau abmessen zu können, wie weit er hin einragt. Es hat keinen Zweck, sich auf bloße Schät zungen zu verlassen.«
»Also gut.« Er ging zu einer grau angestrichenen Holzkiste, die unter seinem Feldbett stand. Er mußte sie hervorzie hen, um den Deckel zu öffnen, und ich sah, daß er eine russische Aufschrift trug. Er versuchte zu spät, sie vor mir zu verbergen. Ich tat, als hätte ich nichts gesehen, und beschäftigte mich angelegentlich mit den Geräten, die Issa aus dem Laboratorium herbei geholt hatte. Inzwischen konnte ich meine Schlüsse ziehen. Obwohl ich nichts von Munition verstand, war mir einiges klar geworden. Nach Umfang und Länge des Treibsatzman tels mußte es sich um ein ziemlich schweres Geschoß handeln. Eine Artilleriegranate würde es nicht sein, weil Guerillas wie die PAK-Kämpfer über keine schwe ren Geschütze verfügten. Es sprach daher einiges da für, daß Ghaled Raketenabschußvorrichtungen russi scher Herkunft besaß. Die befreundeten Russen jedoch hatten es – vorsätzlich oder versehentlich – unterlas sen, eine ausreichende Anzahl entsprechender Zünder mitzuliefern. Die Chinesen oder irgendwelche Leute, die Zugang zu chinesischen Waffen- und Munitionsbe ständen hatten, versuchten ihm auszuhelfen. »Das ist der richtige Zünder«, sagte er. Es war praktisch der gleiche wie der falsche. Sie un terschieden sich lediglich im Durchmesser des mit Ge windegängen versehenen Abschnitts. Ich nahm sämtli che Abmessungen vor, die ich benötigte, und Teresa schrieb die Zahlen auf, die ich ihr zurief. Dann wandte ich mein Augenmerk dem falschen Zünder zu. Ghaled beobachtete gespannt, wie ich das Meßgerät handhab te. »Sie messen alles zweimal.« »Es kann nichts schaden, auf Nummer Sicher zu ge hen.« »Das nenne ich gründlich.« Tatsächlich ging ich keineswegs besonders gründlich zu Werke; ich konnte es gar nicht, weil ich nicht alle
Meßinstrumente zur Hand hatte, die dazu erforderlich gewesen wären; aber das spielte keine Rolle. Ich wuß te, es handelte sich um Gewinde mit den üblichen me trischen Abmessungen, und solange ich die Maße der Durchmesser und Gewindehöhen nur korrekt auf nahm, würde ich die anderen Details von einer metri schen Tabelle im Zeichenbüro ablesen können. Ich hatte aber nicht die Absicht, Ghaled alles das lang und breit auseinanderzusetzen. »Wenn ich nicht gründlich vorgehe«, sagte ich, »wird der Einsatzring nicht richtig passen, und ich werde derjenige sein, der dafür gera destehen darf.« Tewfiq kicherte in sich hinein – er war offensichtlich froh, diese Verantwortung losgeworden zu sein –, aber Ghaled antwortete nicht gleich. Er sah mir fast eine Minute lang schweigend zu, bevor er sagte: »Das glaube ich nicht, Genosse Michael.« »Man würde mir nicht die Schuld geben?« »Ich glaube, was Sie in diesem Augenblick antreibt, ist nicht die Angst, schuld zu bekommen. Und ich glaube, Loyalität unserer Sache gegenüber ist es ebensowe nig.« Mir sagte diese letzte Bemerkung wenig zu, und so tat ich, als sei ich mit dem nochmaligen Zählen der Ge windeführungen und dem in Zusammenarbeit mit Te resa vorgenommenen Überprüfen der gemessenen Werte vollauf in Anspruch genommen. Eine weitere halbe Minute verstrich. »Ich glaube, daß es Stolz ist«, fuhr Ghaled nachdenk lich fort. »Der Stolz, der es einem Mann nicht erlaubt zuzulas sen, daß irgendeine Arbeit stümperhaft verrichtet wird, von der er weiß, wie sie einwandfrei sachgerecht ausgeführt werden sollte.« Das klang besser. Ich legte den russischen Zünder auf die Tischplatte. Ghaled ergriff ihn und wog ihn in der Hand, während er weitersprach. »Und es gibt eine ganze Menge Dinge, auf die Sie sich
verstehen, nicht wahr, Genosse Michael? Sie sind ein geschäftstüchtiger Kaufmann, ein fähiger Ingenieur, ein geschickter Manager und ein erfolgreicher kapitali stischer Ausbeuter in Personalunion. Sie haben so viele Quellen, die Ihren Ehrgeiz stillen und Ihre Eitelkeit befriedigen, daß es weiter kein Wunder ist, wenn Sie so leicht arrogant werden.« Er sprach die letzten Wor te sehr bedachtsam aus, und einen Augenblick lang blieb seine Hand, die den schweren Zünder wog, reg los. Er wartete darauf, daß ich auf diese Anschuldi gung mit einer Entgegnung reagierte. »Es tut mir leid«, sagte ich artig, »daß Sie mich für arrogant halten, Genosse Ghaled. Sie sagten, Sie woll ten sich meine Kenntnisse und Hilfsmittel zunutze ma chen. Ich habe mich nach Kräften bemüht, Ihrem Wunsch zu entsprechen.« »Aber nicht ohne Vorbehalte. Sehen Sie, Genosse Mi chael, Ihre Arroganz verführt Sie dazu, sich zu verra ten. So haben Sie zum Beispiel die Tatsache, daß Sie von Tewfiqs und Wasfis geheimer Tätigkeit wußten, zunächst verschwiegen. Als dann aber der Moment gekommen war, sie merken zu lassen, daß sie in Ihren Augen Tölpel sind, haben Sie genau das getan. Sie konnten der Versuchung nicht widerstehen.« Er stand auf und legte den Zünder in die Kiste unter dem Bett zurück, bevor er sich wieder mir zuwandte. »Ich habe Ihnen gestern abend erklärt, ich hätte an dere Pläne gehabt, mich Ihrer vorbehaltlosen Mitarbeit zu versichern. Sie wären eher mit einer Beeinträchti gung der Bankkonten Ihrer Firma als mit einer Ihrer persönlichen Eitelkeit verbunden gewesen. Vielleicht hätte sich letzteres als wirksamer erwiesen.« Ich sagte nichts. »Nun, das können wir noch immer früh genug heraus finden, falls es nötig werden sollte. Die Schiffe der Agence Howell laufen Beirut, Latakia und Alexandria an. Wir haben Zellen in allen diesen Städten. Die Be fehle, in den Laderäumen Brände zu legen und in den
Maschinenräumen Explosionen hervorzurufen – Aktio nen, die bereits vorbereitet waren –, können jederzeit erneut in Kraft gesetzt werden. Sie sind also gewarnt, vergessen Sie das nicht.« Er nahm am oberen Ende des Tisches an dessen Schmalseite Platz. »Bis wann sind die Zeichnungen für den Einsatzring fertig?« »Ich werde einige Zeit dazu benötigen, Genosse Gha led. Als technischer Zeichner bin ich etwas aus der Übung. Übermorgen könnte ich sie fertiggestellt ha ben.« »Und wieviel Zeit wird zur Anfertigung der Ringe be nötigt?« »Zehn Tage bis zwei Wochen für das Muster. Wenn das genehmigt ist, müßte eine weitere Woche zur Fer tigung von hundert Stück genügen.« »Gut.« Er sah in die Runde der um den Tisch Ver sammelten. »Die Genossen Tewfiq und Wasfi haben ihre Aufträge bereits erteilt bekommen. Sie können gehen. Genosse Issa wird jetzt das Abdruckgerät bringen.« Er wartete, bis sie den Raum verlassen hatten, und öff nete dann den Aktenordner – einen Aktenordner aus meinem Büro –, der vor ihm auf dem Tisch lag. Zu oberst auf den darin abgehefteten Papieren lagen Te resas Identitätskarte und mein Paß. Er blickte uns an. »Bevor Ihnen weitere Aufträge erteilt werden, haben Sie beide noch einige Formalitäten wegen Ihrer Mit gliedschaft zu erledigen.« Er suchte zwei Papiere aus dem Ordner heraus und überflog sie rasch, bevor er sie über den Tisch hinweg zu uns herüberschob. »Le sen Sie sich das beide sorgfältig durch, bevor Sie un terschreiben.« Was ich las, lautete wie folgt:
Ich, Michael Howell, Bürger des Britischen Common wealth, wohnhaft in der Demokratischen Republik Sy rien und in jeder Hinsicht deren Gesetzen unterworfen, gestehe hiermit freiwillig und aus eigenem Entschluß, diese Gesetze durch den illegalen Transport von Waf
fen und Explosionsgeschossen zugunsten und auf Wei sung des zionistischen Geheimdienstes gebrochen zu haben. Dann wurde es detaillierter. Gemeinsam mit anderen, die ich namentlich nennen konnte, hatte ich in gehei mer Verschwörung geplant, das Haus eines Hussein Mahenoud Sa’agir in dem libanesischen Dorf Bleideh in der Nacht zum fünfzehnten Tag des Muharram jenes Jahres in die Luft zu sprengen. Ich hatte die Plastik bombe, die das Haus dieses palästinensischen Patrio ten zerstört und ihn selbst mit seiner ganzen Familie getötet hatte, eigenhändig hergestellt. Der Name des zionistischen Agenten, der mich für diese schmutzige Arbeit angeworben hatte, war Ze’ev Barlev, und er hatte mich während einer meiner häufigen Reisen nach Zypern kontaktiert. In den Händen der syrischen Polizei wäre ein solches Geständnis einem Todesurteil gleichgekommen – nach ausgiebigen Folterungen, mit denen sie die Preisgabe der Namen meiner Mitverschwörer zu erzwingen ver suchen würde. Die libanesische Polizei würde mir die Folterungen möglicherweise ersparen und das Todes urteil in lebenslängliche Haft umwandeln, aber das war die mildeste Strafe, die ich in irgendeinem der Länder, die der Arabischen Liga angehörten, zu gewärtigen hatte. Ich sah Teresa an. Ihr Gesicht war blaß und gefaßt. Ich griff nach ihrem Geständnis und las es. Sie war bei der Ermordung der Familie Sa’agir meine Komplizin und zudem als Kurier für den israelischen Geheim dienst tätig gewesen. Ihr Vater war Jude. Im übrigen lauteten die beiden Geständnisse mehr oder weniger gleich. Als ich alles durchgelesen hatte, sah ich, daß Ghaled mich gespannt beobachtete. Ich zwang mich, unge rührt zu erscheinen. »Rein interessehalber«, fragte ich, »wer ist – wer war – denn dieser Mann Sa’agir?« »Ein Verräter, der hingerichtet wurde.«
»Und warum soll ich an seiner Hinrichtung beteiligt gewesen sein?« »Alle Genossen unterschreiben Geständnisse. Auf die se Weise können sich alle sicher fühlen.« »Ich muß sagen, daß mir dieses Geständnis kein Ge fühl der Sicherheit verschafft.« »Ihr Geständnis dient der Sicherheit der anderen Ge nossen. Deren Geständnisse dienen Ihrer Sicherheit. Ein Genosse, der mit dem Gedanken spielt, uns zu verraten, wird sich das zweimal überlegen, wenn er sich klarmacht, was ihn das kostet. Tun Sie also, was ich Ihnen sage, unterschreiben Sie. Sie kommen hier nicht lebend heraus, wenn Sie nicht unterschreiben.« Teresa und ich unterschrieben. Wir hatten die Feder noch nicht aus der Hand gelegt, als Issa mit einer kleinen Holzkiste unter dem Arm zurückkehrte, die er auf den Tisch stellte. Ghaled warf einen Blick auf unse re Unterschriften und reichte Issa die Geständnisse. »Die Genossen, die ihren Namen nicht schreiben kön nen, leisten ihre Unterschrift lediglich mit einem Fin gerabdruck«, sagte er. »Von denen jedoch, die schrei ben können, werden zusätzlich auch noch Fingerab drücke abgenommen. Es ist besser so. Unterschriften können bestritten werden, Fingerabdrücke nicht. Issa kennt die Prozedur. Befolgen Sie seine Anweisungen.« Die Kiste enthielt eine tragbare Ausrüstung zur Ab nahme von Fingerabdrücken von der gleichen Art, wie sie die Polizei benutzt. Issa walzte Tinte auf der Me tallplatte aus und machte sich an die Arbeit. Er genoß es offensichtlich, mir Anweisungen geben zu können. Er erklärte meinen ersten Abdruck für unscharf und daher unbrauchbar. Er schmierte mir nochmals Tinte auf den Daumen, packte mich am Unterarm und preß te mit der anderen Hand meinen Daumen auf das Pa pier. Mit Teresa verfuhr er in gleicher Weise. Ghaled nahm die beiden Blätter von Issa entgegen, überzeugte sich, daß die Abdrucke klar waren, und händigte mir dann meinen Paß wieder aus. Teresa
bekam ihre Identitätskarte zurück. So und nicht anders wurden unsere vielveröffentlich ten >Terroristen-Geständnisse< erlangt. Wir haben sie weder geschrieben noch diktiert, und an den Selbstbe zichtigungen, die sie enthalten, ist kein wahres Wort. Ich bin wiederholt gefragt worden, ob wir denn nicht gewußt hätten, was wir taten, als wir unterschrieben, und ich erkläre nochmals: Natürlich wußten wir das, verdammt noch mal! Was wir dagegen nicht wußten, das war, wie wir drumherumkommen sollten, das Ge ständnis zu unterschreiben. Wir haben unter Druck unterschrieben; wir hatten keine andere Wahl. In An betracht dieser Umstände kann ich es Teresa nicht verdenken, daß sie mein Verhalten zu jenem Zeitpunkt mißverstand. Ihr schien, als versuche ich lediglich, in der einzigen Weise, die mir in dieser Situation zu Ge bote stand, auf unvernünftige, ja kindische Weise ge gen Ghaled zurückzuschlagen. Tatsächlich war mein Vorgehen nichts weniger als im pulsiv. Ich versuchte nicht, gegen Ghaled zurückzu schlagen, sondern ihn seinerseits zu einem Schlag gegen mich zu provozieren. Ein Mann, der Geheimnis se von der Art derjenigen Ghaleds hat, steht immer unter Druck. Versetzen Sie ihn unvermittelt mit einer schlechten Nachricht in Wut, und in neun von zehn Fällen wird er unverhältnismäßig heftig reagieren. In seinem Verlangen, Sie zu vernichten und damit die schlechte Nachricht auszulöschen, neigt er dazu, seine Besonnenheit zu verlieren und sich selbst preis zugeben. Selbstverständlich war es gefährlich, mit einem gewalttätigen Menschen wie Ghaled dieses Spiel spielen zu wollen; aber ich brauchte um jeden Preis Informationen, und dafür lohnte es sich, das Risiko in Kauf zu nehmen. Als ich meinen Paß in die Jackentasche steckte, sagte ich beiläufig: »Übrigens, Genosse Salah, es gibt da noch etwas, was Sie wissen sollten.« »Was?«
»Sie sagten gestern abend, daß es hier keine perso nellen und sonstigen Veränderungen geben dürfe, daß keine Entlassungen vorgenommen werden sollten und daß Sie diese Örtlichkeit weiterhin als Hauptquartier benutzen wollen.« »Ja und?« »Ich fürchte, mir wird die Sache in Kürze aus den Händen genommen werden.« »Warum? Von wem? Was wollen Sie damit sagen?« Ich erzählte ihm von dem beabsichtigten Wechsel zur Produktion von Autobatterien und fuhr fort: »Diese Fabrik arbeitet seit Monaten mit Verlust. Ursprünglich war geplant gewesen, sie ganz abzureißen und in Homs eine neue Fabrik für das italienische Projekt zu errichten. Später kam man überein, daß ein solches Vorgehen unwirtschaftlich wäre, und beschloß statt dessen, daß dieses Werk umgestaltet und ausgebaut werden soll. Dieses Gebäude zum Beispiel wird zu einem Verwal tungszentrum umgebaut werden und nur noch Büros beherbergen. Das Laboratorium und die Lagerräume sollen in den neuen Fabriktrakten untergebracht wer den, die geplant sind.« »Er lügt!« rief Issa aufgeregt. »Ich arbeite hier und weiß nichts von diesen Dingen.« »Genosse Issa weiß von sehr vielen Dingen nichts«, entgegnete ich. »Ich gebe nur die Fakten wieder.« »Warum haben Sie mir gestern abend nichts davon berichtet?« fragte Ghaled ganz ruhig. »Weil es mir gar nicht in den Sinn gekommen ist, das zu tun. Ich habe mich Ihren Anordnungen gefügt, wi derspruchslos und ohne irgendwelche Fragen zu stel len. Begreiflicherweise, finde ich. Erst heute abend ist mir klargeworden, daß ich Sie hätte darauf aufmerk sam machen sollen, daß meine Möglichkeiten, diese Anweisungen zu befolgen, zeitlich begrenzt sind.« »Wie zeitlich begrenzt? Auf wie viele Wochen?« »Ich fürchte, darüber hat Dr. Hawa, der Minister, zu
befinden.« »Aber seine Entscheidung wird auf Ihren Empfehlun gen basieren.« »Bedauerlicherweise habe ich ihm meine Empfehlun gen bereits unterbreitet.« Ich zog die Kopie des Me morandums, das ich diktiert hatte, aus der Tasche und überreichte sie ihm. Als er sie las, preßte er wütend die Lippen zusammen. Das überraschte mich nicht. In dem Augenblick, wo das, was ich in dem. Memoran dum vorschlug, beschlossen wurde, würde sein ge mütliches kleines Hauptquartier, das taktisch so über aus günstig sowohl in unmittelbarer Nähe des Der’aFlüchtlingslagers, wo seine Blödmann-Pelotons sich versteckten, als auch unweit der jordanisch libanesischen Grenze gelegen war, zum Mittelpunkt eines Baugeländes werden, das von Außenstehenden nur so wimmelte und von ihm aus gesehen ungefähr so sicher war wie ein flutlichtausgeleuchteter vorge schobener Gefechtsstand. Er starrte mich so lange unverwandt finster an, daß ich zu glauben begann, er habe meinen Trick durchschaut. »Ich dachte, Sie soll ten sich dieser Situation bewußt sein«, sagte ich schließlich, um das Schweigen zu brechen. »Ganz recht, Genosse Michael. Und Sie werden sich jetzt überlegen, wie sie zu ändern ist.« »Unglückseligerweise – « Er hob die Hand. »Keine Ausflüchte. Sie werden tun, was immer erforderlich ist. Merken Sie sich, daß die ses Hauptquartier innerhalb der nächsten sechs Wo chen unter gar keinen Umständen in irgendeiner Wei se gefährdet oder auch nur gestört werden darf.« »Ich werde mein Bestes tun.« »Selbstverständlich werden Sie das. Und sehen Sie ja zu, daß Ihr Bestes auch ausreicht.« Er schwieg einen Augenblick lang und sagte dann: »Haben Sie noch weitere Überraschungen für mich, Genosse Michael?« »Überraschungen?« Er runzelte die Brauen. »Kommen Sie. Ich habe Sie
schon einmal davor gewarnt, Ihre aalglatten Geschäf temachertricks gegen mich auszuspielen. Was haben Sie sonst noch auf Lager?« »Nichts, Genosse Salah. Ich versuche lediglich, Ihnen gegenüber offen zu sein – und ganz und gar nicht, irgendwelche Tricks zu spielen.« »Das hoffe ich, und zwar in Ihrem ureigenen Interes se. Aber um ganz sicherzugehen, will ich Ihnen jetzt schon sagen, was im Rahmen unserer bevorstehenden Aktion von Ihnen verlangt werden wird. Auf diese Wei se haben Sie reichlich Zeit, etwaige Schwierigkeiten, die Sie in bezug auf die Ausführbarkeit Ihres Auftrags vorauszusehen vorgeben, zu beseitigen. Wenn Sie versagen, gibt es keinen Pardon.« »Ich habe bereits erklärt, daß ich mein Bestes für Sie tun will, Genosse Salah.« »Und ich habe gehört, daß Sie das erklärt haben. Ich hoffe, man kann es Ihnen glauben. Wir werden ja se hen.« Er machte eine Pause. »Ihre Firma besitzt ein Motorschiff, die Euridice Howell«, sagte er dann. Es war eine Feststellung, keine Frage, aber ich nickte. »Ja, Genosse Salah.« »Es befördert regelmäßig gemischte Fracht von und nach fünf Anlaufhäfen – Famagusta, Iskenderun, Lata kia, Beirut und Alexandria. Habe ich recht?« »Das sind die häufigsten Anlaufhäfen, aber es fährt überall dorthin, wohin es im Interesse des Geschäfts dirigiert wird – Izmir, Brindisi, Tripolis –, und manch mal auch nach Genua und Neapel.« »Dennoch handelt der Kapitän auf Ihre Weisungen.« »Er handelt auf Weisungen unserer Agenten. Ich gebe die Weisungen nicht persönlich.« »Aber Sie könnten es.« »Ich könnte unsere Agenten instruieren, das zu tun, aber es wäre ein unüblicher Eingriff von meiner Seite. Es müßte schon irgendwelche einleuchtenden ge schäftlichen Gründe dafür geben. Wenn Sie mir sagen würden, an welcherart Anweisungen Sie denken, Ge
nosse Salah, könnte ich die Möglichkeiten besser beur teilen.« »Die geschäftlichen Gründe, von denen Sie reden, sind Ihre Angelegenheit. Ich will, daß das Schiff am oder um den zweiten Juli herum von Latakia zu einer Reise nach Alexandria ausläuft und sich am Abend des drit ten vor Mitternacht in der Nähe des zweiunddreißig sten Breitengrades befindet. Das ist alles.« »Mit was für einer Fracht?« »Mit ganz normaler Fracht. Von welcher Art, spielt keine Rolle. In Latakia allerdings müssen vier Passa giere an Bord genommen werden. In der Nacht vom dritten auf den vierten Juli werden Kurs und Ge schwindigkeit des Schiffs vorübergehend von diesen Passagieren bestimmt werden.« Ich schüttelte den Kopf. »Sie müssen wissen, Genosse Salah, daß kein Kapitän sich Kurs und Fahrt seines Schiffs von Passagieren vorschreiben läßt.« »Auch dann nicht, wenn ihm diese Weisungen vor dem Auslaufen vom Schiffseigner persönlich übermittelt werden?« Ich zögerte. »Das hängt von den Weisungen ab. Kein Kapitän würde sein Schiff oder die Sicherheit seiner Besatzung aufs Spiel setzen, und auf dieser Route ent lang der Küste läßt sich kein Kapitän der Agence Ho well auch nur auf das geringste Risiko ein. Ganz be sonders sorgfältig wird er darauf achten«, fügte ich bedeutungsvoll hinzu, »daß er nicht in die Sechsmei lenzone gerät.« »Er würde nicht gezwungen werden, Hoheitsgewässer zu befahren oder sein Schiff in irgendeiner Weise zu gefährden. Der Kurs würde ihn geringfügig von der üblichen Route abkommen lassen, und das auch nur für die Dauer von zwei Stunden und bei verminderter Fahrt. Das ist alles.« Einen Augenblick lang dachte ich an den Kapitän der Euridice Howell. Er war ein Grieche mittleren Alters, ein würdevoller, ungemein geachteter Mann, der eine
mollige Frau und sieben Kinder hatte. An Land nicht minder als auf See hielt er strikt auf Ordnung und Dis ziplin. Die Aussicht, diesem hochverdienten Angestell ten klarmachen zu müssen, daß er Ghaleds Anordnun gen hinsichtlich Kurs und Fahrt, wie unbedenklich sie auch erscheinen mochten, unbedingt Folge zu leisten habe, reizte mich nicht, sie mir näher auszumalen. »Haben Sie bestimmte Gründe, die Euridice zu benut zen?« fragte ich. »Nur den, daß es für sie eine ganz normale Reise wä re, von der allgemein bekannt ist, daß sie sie regel mäßig macht.« »Wir haben andere Schiffe, die ständig diese Route befahren. Genosse Salah, Sie sagten, daß es meine Sache sei, für diese Fahrt zu diesem Zeitpunkt und mit Passagieren eine glaubwürdige kommerzielle Rechtfer tigung zu erfinden. Ich muß Ihnen sagen, daß es im Falle der Euridice schwierig sein wird, überzeugende kommerzielle Gründe vorzuschützen. Es hängt vor allem davon ab, wie geheim wir zu verfahren haben. Wenn Geheimhaltung keine Rolle spielt – « »Selbstverständlich spielt sie eine Rolle. Absolute Ge heimhaltung muß gewährleistet sein.« »Dann sollten wir nicht die Euridice nehmen.« »Welches Schiff sonst?« »Lassen Sie mir etwas Zeit, darüber nachzudenken, Genosse Salah.« Tatsächlich hatte ich bereits darüber nachgedacht, allerdings weniger im Hinblick auf geeignete Schiffe als auf willfährige Kapitäne. Der Kapitän, an den ich dachte, war ein prahlerischer Tunesier, der als Ha schisch-Schmuggler erfolgreich gewesen war, bis ihn rivalisierende Kollegen aus der eigenen Branche un weit der Spitze des italienischen Stiefels auf seinem schnellen Motorboot zusammenschossen. Nachdem er eine Zeitlang arbeitslos gewesen war, hatte er bei uns angeheuert. Touzani war ein tüchtiger Kapitän, aber obwohl er sich nichts hatte zuschulden kommen las
sen, seit er für uns fuhr, argwöhnte ich, daß er nach wie vor mit seinen ehemaligen Geschäftspartnern in Verbindung stand. Er würde befremdliche Anweisun gen nicht in Frage stellen, dachte ich, was immer er von ihnen auch halten mochte; und er würde schwei gen. »Nun gut«, sagte Ghaled, »aber kommen Sie mir nicht damit, man hätte Ihnen nicht genug Zeit gelassen, um die erforderlichen Vorbereitungen zu treffen. Geben Sie mir sofort Bescheid, sobald Sie den Namen des Schiffs wissen.« »Sofort.« »Es muß ein Schiff aus Eisen sein, verstehen Sie, und es darf nicht kleiner sein als die Euridice Howell.« »Es wird etwa die gleiche Tonnage haben.« »Zwischenberichte über Stand und Fortgang der Ihnen erteilten Aufträge erstatten Sie jeweils dem Genossen Issa, der Ihnen seinerseits weitere Befehle übermitteln wird.« »Ja, Genosse Salah.« »Dann können Sie jetzt gehen.« Wir gingen. Teresa, die offenkundig Mühe hatte, diver se unterdrückte Regungen noch länger zu zügeln, war schweigsam. Ich nahm an, daß die vorherrschenden unter ihnen gegen Ghaled gerichtete Gefühle der Wut und Empörung seien. Erst nachdem Ahmad und Musa uns am Fabriktor verlassen hatten, stellte ich fest, daß ich mich im Irrtum befand. Ihr Zorn galt mir. »Du hältst ihn für geisteskrank, nicht wahr?« sagte sie unvermittelt. Ihre Stimme hatte einen anklägerischen Tonfall. Die Frage bestürzte mich. Bisher hatte ich in Ghaled eine unberechenbare reißende Bestie gesehen. Mich zu fragen, ob sein Geist krank sei oder gesund, war mir überhaupt nicht in den Sinn gekommen. Ich bin kein Psychiater. Ich sagte ihr das. »Aber du hast ihn behandelt, als sei er geisteskrank, meinst du nicht? Geisteskrank oder dumm?«
»Ich halte ihn ganz und gar nicht für dumm.«
»Aber jeder, der dir heute abend zugehört hätte, wür
de das vermutet haben.«
»Du meinst, ich hätte ihn allzu offenkundig bei Laune
zu halten versucht?«
»Ich meine, daß du ihm in einem Augenblick ge
schmeichelt und ihn im nächsten provoziert hast.
Schlimmer noch, du hast so getan, als hättest du
Angst vor ihm, und dann gezeigt, daß du keine hast.«
»Aber ich habe Angst vor ihm, verdammt noch mal.«
»Diesen Umstand hast du nur allzu gut verborgen.
Jetzt weiß er nicht, woran er mit dir ist. Bist du ver
trauenswürdig oder bist du es nicht? Das fragt er sich
natürlich. Deine Haltung war voller Widersprüche.«
Ich seufzte. »Ich bin nicht darauf trainiert, mit Leuten
wie Ghaled zu tun zu haben. Wie hättest du dich an
meiner Stelle verhalten?«
»Ich hätte ihm in allen Punkten nachgegeben. Keine
Einwände erhoben, sondern allem zugestimmt.«
»Und dann?«
»Hätte ich Reißaus genommen. Das zumindest können
wir noch tun. Das Land verlassen, so schnell es geht.«
»Und uns vor seinen Killer-Rotten verstecken?«
»Er hat nur geblufft. Was kann er uns in Rom denn
tun?«
»Unsere Niederlassungen befinden sich ausnahmslos
in arabischen Ländern, und das weiß er. Zudem sind
wir Ausländer, und das macht uns angreifbar. In die
sem Punkt hat er nicht geblufft.«
»Dann liquidiere die Geschäftsunternehmen, Michael.
Veräußere die Schiffe. Deine Familie würde keine
Schwierigkeiten machen. Reich wäret ihr alle deswe
gen immer noch.«
Ich starrte sie ungläubig an. Sie hantierte angelegent
lich mit dem Zündschlüssel, ehe sie ihn ins Schloß
steckte, vermied es aber, mich anzusehen.
»Liquidieren – wegen Ghaled?« fragte ich. »Ist das
dein Ernst?«
Sie antwortete nicht gleich. »Du hast selber schon daran gedacht«, sagte sie schließlich. »Du weißt, daß du es getan hast. Und das nicht nur wegen Ghaled und wegen des PAK. Du glaubst selber nicht, daß die Agen ce Howell im Mittleren Osten noch eine Zukunft hat. Du glaubst, daß ihre Zeit abgelaufen ist. Das weiß ich, Michael. Das weiß ich ganz genau.« »Großartig! Darf man erfahren, woher?« »Rede nicht in diesem Ton mit mir, Michael. Du müß test eigentlich wissen, daß ich zumindest nicht dumm bin. Was ist deine ganze hiesige Geschäftstätigkeit denn anderes als ein einziger Liquidierungsprozeß? Du gibst es nicht zu, aber aussteigen aus allem, das ist es doch, was du wirklich willst. Zu deinen eigenen Bedin gungen natürlich, aber bald. Die Howells haben es immer verstanden, ihr Schäfchen ins trockene zu brin gen, aber jetzt sind die Besitzverhältnisse in diesem Teil der Welt für sie nicht mehr sicher. Deine Mutter weiß das, da habe ich gar keinen Zweifel.« »Mama?« Ich lachte. »Gewiß. Bevor ich persona ingrata wurde, hat sie mir das sinngemäß selber einmal gesagt. Sie muß dir ge genüber auch davon gesprochen haben. Die besten Suiten in französischen Fünf-Sterne-Hotels, viel Bridge mit gut spielenden Partnern und ferngelenkte Kontrol le über die Erziehung ihrer Enkelkinder – so stellt sie sich ihre Zukunft vor. Im Winter Monaco, im Sommer Evian, ein Rolls-Royce und ihre libanesische Kammer zofe. Du weißt, daß das stimmt, Michael.« »Und du glaubst, ich teile die Vorlieben meiner Mut ter?« »Nein«, sagte sie. »Du wirst immer arbeiten. Aber nicht hier. Du läßt dir nicht oft in die Karten gucken, aber heute morgen hast du es getan.« »Habe ich das?« »Diese Anlaufstelle – der einzige Ort, wo wir rasch untertauchen könnten und vor dem PAK absolut sicher wären.«
»Was ist damit?«
»Es war Israel, an das du gedacht hast, nicht wahr?«
»Ja. Aber das wäre natürlich nur der allerletzte Aus
weg.«
»Natürlich. Die Tatsache, daß Michael Howell sich in
Israel aufhält, würde, sobald sie bekannt geworden
wäre, die Verhandlungsposition der Agence Howell
außerordentlich belasten. Ihre Liquidation wäre nicht
länger eine Sache deines Ermessens. Sie würde
zwangsweise erfolgen.«
»Dessen bin ich mir vollauf bewußt. Wie ich schon
sagte, es ist der letzte Ausweg.«
»Aber du hast ihn erwogen. Schlecht fürs Geschäft,
das allerdings, aber deswegen doch nicht ganz und gar
auszuschließen. Siehst du, Michael?«
Viel länger konnte und wollte ich mir das nicht mehr
anhören.
»Willst du weg?« fragte ich.
»Meinst du allein?«
Ich sagte nichts.
Sie ließ nicht locker. »Ich soll allein gehen und es dir
überlassen, Ghaled meinen Treubruch plausibel zu
machen?«
»Wenn du willst, kannst du.«
»Was du da redest, Michael, ist entweder herzlos oder
töricht.«
»Ich bin müde. Laß uns heimfahren.«
»Wie du willst.«
Sie sprach erst wieder, als wir die Stadtgrenze erreicht
hatten.
»Was meinte Ghaled mit dem zweiunddreißigsten Brei
tengrad?« fragte sie.
Ich war mit meinen Gedanken bei metrischen Tabellen
für Gewindegänge und antwortete nicht gleich.
»Michael.« Sie war im Begriff, die Frage zu wiederho
len, als ich ihr antwortete. »Zweiunddreißig Grad
nördlicher Breite, das ist annähernd der Breitengrad,
auf dem Tel Aviv liegt«, sagte ich.
5. Teresa Malandra 18. Mai bis 10. Juni Wenn es – besonders Journalisten – schwerfällt, Mi chael zu begreifen, so liegt das daran, daß er keine Einzelperson, sondern ein ganzes Komitee, eine Ver sammlung verschiedenartigster Personen ist. Da gibt es zum Beispiel den griechischen Geldwechsler, des sen flinke magere Finger die Kugeln des Abakus, mit dem er seine Blitzkalkulationen anstellt, unablässig hin- und herschieben; des weiteren den dumpf vor sich hin brütenden armenischen Basarhändler mit dem todtraurigen Blick, der immer so tut, als sei er schwer von Begriff, in Wirklichkeit aber unaufrichtig und abge feimt bis dorthinaus ist; es gibt den nüchternen, lang weiligen Engländer, einen gelernten Ingenieur; ferner den umgänglichen jungen Geschäftsmann, der rohsei dene Anzüge trägt und um die treublickenden, großen hellen Betrügeraugen herum Lachfältchen hat, den Generaldirektor der Agence Howell mit seiner Mutter bindung, seiner fixierten Abwehrhaltung, seiner Nei gung zu Sentenz und wortreicher Rede; und es gibt den Michael, den ich besonders gern habe, der – aber wozu die Aufzählung fortsetzen? Das Michael-HowellKomitee tagt in Permanenz, und wenngleich die Auf gabe, seine Beschlüsse in die Tat umzusetzen, für ge wöhnlich jeweils nur einem einzigen Mitglied übertra gen wird, so kann man doch die Stimmen der anderen zumeist weiterhin im Hintergrund flüstern hören. Gha led hat das Wispern dieser soufflierenden Stimmen mit Sicherheit vernommen, aber zweifelsfrei zu identifizie ren vermochte er nur den Ingenieur. Immerhin war sein Urteil über dieses Komiteemitglied zutreffend; der fachliche Ehrgeiz des Engländers grenzt an Besessen heit. In den ersten Tagen nach jener zweiten Zusammen
kunft mit Ghaled schien es keinen eifrigeren und erge beneren Anhänger der Sache des Palästinensischen Aktionskommandos zu geben als den Genossen Micha el. Innerhalb von achtundvierzig Stunden waren die Zeichnungen und Anleitungen für die Fertigung des Zünder-Verbindungsrings fertiggestellt und an die Ma schinenwerkstatt nach Beirut abgeschickt. Am näch sten Tag schon hatte man sich telefonisch über den Preis geeinigt, und mit der Arbeit an dem Musterstück konnte begonnen werden. Unterdessen waren die für die Monate Juni und Juli vorgesehenen Schiffahrtsbe wegungen der Reederei Howell analysiert und diverse Vorausberechnungen aufgestellt worden. Alsdann wurden mögliche Umdispositionen und Manipulationen erkundet. Es war wie eine vertrackte Schachaufgabe. Am 2. Juli muß das Motorschiff Amalia Howell (Ver drängung: 4000 Bruttoregistertonnen, Kapitän: Tou zani), möglicher-, aber nicht notwendigerweise mit Frachtladung an Bord, aus Latakia auslaufen und Kurs auf Alexandria nehmen. Aufgabe: Erreiche dieses Ziel in nicht mehr als drei Zügen, von denen keiner deinem Gegner (in diesem Fall deinem eigenen Schiffahrts agenten) zur Kenntnis gelangen oder, falls dies ge schehen sollte, von ihm als Schachzug erkannt werden darf. Tagelang dachte Michael immer wieder darüber nach. Schließlich kam er auf eine Lösung, die nur zwei Züge erforderte. Erstens den vorgetäuschten zeitweili gen Entzug der (nach Artikel 17 der Internationalen Gesundheitsbestimmungen vorgeschriebenen) Unbe denklichkeitsbescheinigung für die Amalia, demzufolge das Schiff drei Tage lang – gegebenenfalls auch länger – im Hafen festgehalten werden würde; und zweitens eine daraus sich notwendigerweise ergebende Umdis position in der Planung von Howell-Frachterfahrten, aufgrund deren die Amalia nach Ancona umdirigiert wurde, um dort Fracht für Latakia zu laden. Seine Au gen leuchteten vor Vergnügen, als er die technischen
Einzelheiten mit mir durchging. »Sag Issa, er soll die Nachricht weitergeben«, sagte er schließlich. »Keine Einzelheiten, gib ihm nur den Na men des Schiffs an. Du kannst ihm außerdem sagen, daß uns der Musterring am kommenden Montag gelie fert wird. Ghaled wird ihn sich ansehen wollen. Bitte um weitere Anweisungen. Es muß so aussehen, als ob wir bereit seien, hundertprozentig mitzumachen.« »Warum sagst du, >so aussehen als ob« »Was meinst du?« »Na, wir machen doch mit, oder vielleicht nicht?« Er runzelte ungeduldig die Brauen. »Was schlägst du vor, was wir sonst tun könnten?« »Wird dieser Verbindungsring funktionieren?« »Selbstverständlich wird er funktionieren.« Er war ei nen Augenblick lang indigniert. Dann zuckte er die Achseln. »Ach so, ich verstehe. Du meinst, es wäre besser, wenn der Ring nicht paßte.« »Meinst du das nicht?« »Du fragst dich, ob wir Ghaleds verbrecherische Aktion am Ende gar nicht sabotieren wollen? Natürlich wollen wir. Aber wie können wir sie sabotieren, wenn wir nicht genau wissen, was er vorhat?« »Einiges wissen wir.« »Nur Bruchteile. Nicht genug. An dem Verbindungsring irgend etwas zu verpatzen, würde uns jedenfalls nichts einbringen. Ich hatte daran gedacht, die Maße der Flansche leicht zu verändern. Vielleicht würde das et was ausmachen, aber wie soll ich das mit Bestimmt heit wissen? Ich kenne mich mit Munition nicht genü gend aus, um das beurteilen zu können. Außerdem wird er den Ring sowieso nicht auf Treu und Glauben abnehmen. Er muß ihn ausprobieren.« Wir saßen im Büro in der Villa, und er versuchte das Thema zu wechseln, indem er die mit dem Vermerk »Dringend« versehene Mappe öffnete, die vor ihm auf seinem Schreibtisch lag, und sie durchzusehen be gann. Ich hatte alle wirklich dringenden Dinge bereits
erledigt und war nicht gewillt, mich so einfach abspei sen zu lassen. »Michael, ich habe nachgedacht«, sagte ich. »Ja?« Sein Tonfall verriet eindeutig, wie wenig ihn das interessierte. »Über dieses Geständnis, das wir unterschrieben ha ben.« Das ließ ihn aufhorchen. »Was ist damit?« »Wir sollen beide mit dem israelischen Geheimdienst in Verbindung gestanden haben.« »Das übliche belastende Zeug. Darauf steht allemal die Todesstrafe.« »Sie haben den Namen eines israelischen Agenten auf Zypern erwähnt.« »Ich weiß. Ze’ev Barlev.« »Und warum nehmen wir nicht Verbindung mit ihm auf? Es muß ihn geben, sonst hätten sie ihn nicht na mentlich genannt.« Michael lehnte sich im Sessel zurück. Er war jetzt ganz bei der Sache. »O ja, Barlev existiert. Er saß in Niko sia.« »Na bitte.« »Ich sagte saß. Er ist schon seit einem halben Jahr nicht mehr in Nikosia. Es hat da Schwierigkeiten gege ben. Er ist aufgeflogen.« »Inzwischen werden sie ihn bestimmt durch einen an deren Mann ersetzt haben.« »Das ist anzunehmen.« »Famagusta könnte herausfinden, wer sein Nachfolger ist.« »Du scheinst zu glauben, das sei ganz leicht. Aber nehmen wir ruhig einmal an, sie könnten es. Einer von uns setzt sich mit ihm in Verbindung. Ist es das, wor an du denkst?« »Wir haben bereits ein Geständnis abgelegt, daß wir mit Barlev in Verbindung stehen. Warum sollten wir mit seinem Nachfolger nicht tatsächlich Verbindung aufnehmen?«
»Und aufgrund eines nachweislichen Tatbestands ge henkt werden statt wegen eines Hirngespinstes?« Es war der Schwindler, der mich mit einem komplizenhaf ten Blick aus leicht zusammengekniffenen Augen mu sterte, schelmisch und ungemein nervtötend. »Ich hatte gehofft, um das Gehenktwerden herumzu kommen«, sagte ich nicht ohne Schärfe. »Und ich nehme doch an, du auch. Zu den sonstigen Dingen, um die ich ebenfalls herumzukommen hoffe, gehört auch jegliche unmittelbare Verantwortung für jedwe den Greuel, den dieser Ghaled ausheckt. Du sagst, wir können uns nicht an die hiesigen Behörden wenden. Soweit es Oberst Shikla und den Inneren Sicherheits dienst betrifft, sehe ich das ein. Wir wissen jetzt, daß Ghaled Sympathisanten im ISD hat. Aber es gibt ande re, bei denen wir Gehör fänden. Oberst Shikla hat Feinde, die froh wären, wenn sie eine Chance hätten, ihm Schwierigkeiten zu bereiten.« »Und du glaubst, Shikla würde nicht erfahren, daß wir dahinterstecken? Selbstverständlich würde er das. Und jeder andere auch.« »Ja, ja, es wäre schlecht fürs Geschäft. Arme Agence Howell.« »Das ist unfair!« Der Generaldirektor war plötzlich aus dem Sitzungszimmer des Komitees herausgekommen. »Wir haben alles das schon ein dutzendmal durchge kaut. Es geht hier nicht ums Geschäft, sondern um unsere persönliche Sicherheit. Jede Aktion, sei sie nun offiziell oder nicht, die wir gegen Ghaled auslösen, wird ihrerseits Aktionen – direkte Aktionen – gegen uns zur Folge haben. Und ich rede jetzt nicht von Brandstiftungen in Laderäumen und Explosionen in Maschinenräumen von Schiffen der Gesellschaft, son dern von gegen uns persönlich gerichteten Aktionen.« »Wir könnten Schutz verlangen.« »Gegen Oberst Shikla, nachdem Ghaled ihm unsere Geständnisse zugespielt hat? Das ist doch sinnlos, Teresa.«
»Nun gut. Dann haben wir also die Wahl. Entweder wir sehen zu, daß wir von hier wegkommen, oder wir sa botieren Ghaled, ohne daß er es merkt. Und da wir, wie du sagst, nicht davonlaufen dürfen – « »Ich habe mich bereits für die Politik der Sabotage entschieden, vorausgesetzt, sie läßt sich ohne persön liches Risiko betreiben. Was willst du noch mehr?« »Eine gewisse Gewähr dafür, daß die Sabotage auch wirksam ist.« »Und die bekommen wir, wenn wir uns mit israeli schen Geheimagenten zusammensetzen? Ist das dein Ernst?« »Exponiert sind wir ohnedies schon.« »Wie ich dir bereits klarzumachen versucht habe«, sagte er kalt, »besteht zwischen den Worten eines gefälschten Geständnisses und den Taten, die du vor schlägst, ein gewisser Unterschied. Glaubst du viel leicht, ich hätte die Möglichkeit, mit den Israelis Kon takt aufzunehmen, nicht schon erwogen? Natürlich habe ich das.« »Und?« »Jetzt ist nicht der richtige Zeitpunkt dazu.« Er sah mich einen Augenblick lang verdrossen an, und plötz lich schnellte sein Zeigefinger vor, der auf meine Na senspitze deutete. »Na schön, mein liebes Kind, sagen wir, du triffst dich heute abend mit einem israelischen Agenten. Es ist alles vorbereitet – unbeobachtete An reise, geheimer Treff, alles. Was willst du ihm erzäh len?« »Was wir wissen.« »Und was wissen wir? Daß Ghaled irgend etwas gegen sie vorhat? Das wird ihm nicht neu sein. Daß er ir gendwelche Waffen hat, vielleicht Raketen? Auch keine Neuigkeit.« »Und was ist mit dem Abend des dritten Juli?« »Ja, was ist damit? Ein israelischer Gedenktag. Glaubst du vielleicht, ich hätte das Datum nicht nach geschlagen? Zwanzigster Tammuz im hebräischen Ka
lender. Todestag Theodor Herzls, des Begründers des Zionismus. Von Ghaleds Standpunkt aus gesehen ein symbolträchtiges Datum, um zuzuschlagen. Ja, tat sächlich!« »An diesem Abend wird ein Schiff, die Amalia, mit ei ner Anzahl von Ghaleds Leuten an Bord vor Tel Aviv kreuzen. Soviel wissen wir.« »Ein neutrales Schiff außerhalb israelischer Hoheits gewässer? Was werden Ghaleds Leute tun? In die See spucken? Aber berichte nur weiter. Du weißt ferner, daß in unserer Batteriefabrik derzeit fünfhundert elek trisch auszulösende Zünder hergestellt werden. In welcher Weise sollen sie verwendet werden? Weißt du das? Du weißt es nicht. Wie, glaubst du, wird dieser israelische Agent auf deine Neuigkeiten reagieren? Ich will es dir sagen. Er wird sagen: >Vielen Dank, Miss Malandra, das ist alles sehr interessant und vielsa gend. Tun Sie mir den Gefallen, jetzt gleich zurückzu fliegen, und stellen Sie erst einmal fest, was es mit diesem angeblichen Plan Ghaleds denn nun eigentlich auf sich hat – vorausgesetzt natürlich, daß Ihnen wirk lich so sehr daran gelegen ist, uns zu helfen, wie Sie gesagt haben.<« Er hob die Hände. »Du siehst, du weißt noch nicht genug, um ihnen wirklich von Nutzen zu sein. Wozu dann also das Risiko laufen und diesen gefährlichen Kontakt aufnehmen? Warum nicht damit warten, bis die Informationen, die du zu bieten hast – wenn du sie zu bieten hast –, das Risiko auch wert sind? Wozu sich unnütz in Gefahr begeben?« Ich hätte ein weiteres Mitglied des Komitees erwähnen sollen – den tyrannischen Großinquisitor. Es gab natürlich nichts, was ich darauf hätte erwidern können; er hatte recht. Aber es bedurfte auch gar kei ner Erwiderung, denn das Dampfablassen hatte be wirkt, daß er erneut nachzudenken begann. Er schob die »Dringend«-Mappe von sich weg und beobachtete eine Fliege, die in dem Büro umherkreiste. Nach einer Weile zog er die untere Schreibtischlade auf und holte
die Spraydose mit dem Insektenvertilgungsmittel her aus, die er stets dort aufbewahrte. Er schüttelte sie geistesabwesend. »Druck«, murmelte er. »Wir müssen Druck anwen den.« Er nahm den Deckel von der Spraydose, wartete, bis die Fliege erneut im Anflug war, und richtete dann kurz einen wohlgezielten Strahl auf sie. Als er sich vergewissert hatte, daß sie verendet war, legte er die Spraydose wieder in die Schublade zurück. »Ich will Elie Abouti sprechen«, sagte er. Das hatte ich am allerwenigsten zu hören erwartet. Abouti war der Bauunternehmer, der das ElektronikMontagewerk errichtet hatte. Er kannte keinerlei Skrupel und war schlau genug gewesen, seine ab grundtiefe Infamie erst offenbar werden zu lassen, als es für uns schon zu spät war, um noch Gegenmaß nahmen zu treffen. Er hatte einen ungeheuren Profit aus dem Fabrikbau herausgeschlagen, dessen In standhaltung und laufende Ausbesserung dank seiner geradezu inspirierten Verwendung minderwertiger Ma terialien praktisch schon vor seiner Fertigstellung zu einem ernsten finanziellen Problem geworden war. Michael hatte geschworen, furchtbare Rache zu neh men. Wenn er Abouti jetzt sprechen wollte, konnte das nur bedeuten, daß der Tag der Vergeltung ge kommen war. Ich war gespannt, welche Form sie an nehmen würde, und fragte mich, wie sie mit der Gha led-Affäre in Zusammenhang gebracht werden konnte. Als die Verbindung mit Abouti hergestellt war, hätte man denken können, daß Michael und er die besten Freunde seien. Ich konnte Aboutis hohe Stimme mun ter daherschwatzen hören, während die beiden Kom plimente austauschten und Michael sich vor Liebens würdigkeit schier überschlug. Ungeduldig wartete ich darauf, daß er zur Sache kam, aber als er es dann schließlich tat, traute ich meinen Ohren nicht. »Mein lieber Freund«, sagte Michael ölig, »ich bin sehr
glücklich, Ihnen sagen zu können, daß ich eine Mög lichkeit sehe, unsere Zusammenarbeit zu erneuern.« Die Suada am anderen Ende der Leitung wurde im Tonfall etwas reservierter. Das war kaum verwunder lich. Obschon Michael sein Rachegelöbnis nicht öffent lich abgelegt hatte, konnten seine Empfindungen, was die Bauten für das Elektronikwerk betraf, Abouti schwerlich verborgen geblieben sein. »Ich bin erfreut, das zu hören, mein lieber Freund, sehr erfreut«, sagte Michael und schmunzelte dann. »Aber diesmal, mein lieber Abouti, werden Sie es mir, hoffe ich, nicht übelnehmen, wenn ich Sie darum bitte, mir einen kleinen persönlichen Anteil an Ihrem Profit zuzugestehen.« Sogleich wurde die Suada animierter. Ein Mann, der einem anbietet, sich mit ihm in einen illegalen Profit zu teilen, der aus einem Regierungsauftrag herauszu schlagen ist, kann schwerlich Rachegelüste gegen ei nen hegen. »Arbeitet Rashti noch bei Ihnen?« fragte Michael. Rashti war Aboutis Aufseher und – sofern das über haupt menschenmöglich war – ein ebenso großer Schurke wie Abouti selber. Auch ihn hatte Michael als Opfer seiner Rache vorgemerkt. »Gut. Ist er auf kurzfristige Benachrichtigung hin mit einem Vermessungstrupp abkömmlich? Nächste Wo che, wenn es geht. Ich frage deswegen, weil wir mög licherweise sehr rasch werden handeln müssen, um uns den Auftrag zu sichern. Am besten, Sie rücken ganz einfach mit Ihren Leuten an und besetzen das Baugelände. An dem Projekt ist auch eine italienische Firma beteiligt. Ja, es wird sich um einen Auftrag des Ministeriums für industrielle Entwicklung handeln. Un weit von Der’a. Aber die ausländischen Partner werden versuchen, maßgeblichen Einfluß zu nehmen, wenn die Tür nicht fest verschlossen bleibt.« Ich war nicht mehr imstande, ihm zu folgen. Natürlich würde Abouti die Mühen und Kosten scheuen, die mit
der Installierung seiner Bautrupps auf regierungseige nem Gelände verbunden waren, solange die in solchen Fällen übliche schriftliche Anweisung des Ministeriums nicht vorlag. Ich konnte mir nicht vorstellen, wie Mi chael sie für das Autobatterienprojekt in diesem Stadi um bekommen sollte. Die Kooperation mit den Italie nern mußte erst noch genehmigt werden. Die Unterhaltung endete mit wechselseitigen Bekun dungen ungeschmälerter Hochachtung und Bereit schaft zu erneuter Zusammenarbeit sowie mit der Be teuerung von seiten Michaels, die behördliche Verfü gung innerhalb von ein, zwei Tagen zu erwirken. Als er endlich aufgelegt hatte, lächelte er den Apparat grimmig an. »Der hat den Köder geschluckt und sich vor Wonne den Bauch gerieben.« »Wie willst du die Verfügung erwirken?« »Irgendwie.« »Durch Hawa?« »Durch wen sonst?« Er sah mich schuldbewußt an. »Tut mir leid, Teresa, ich füchte, es bleibt uns nicht erspart, ihn zum Abendessen einzuladen.« Er wußte, daß ich diese Abende nicht mochte; er mochte sie selber nicht. Dr. Hawas Einstellung zur Emanzipation der Frauen war ambivalent wie bei vie len gebildeten Syrern. In der Theorie billigte er sie; tatsächlich aber bereitete sie ihm Unbehagen. Obwohl Michael Hawas Frau kurz vorgestellt worden war, hatte er immer gewußt, daß eine Einladung in die Villa, die sie einschloß, ausgeschlagen werden würde; daher war auch nie eine solche ergangen. Natürlich hatte ich angenommen, daß meine Gegenwart und Rolle im Haushalt den Stein des Anstoßes bildeten; aber Mi chael hatte das stets verneint. Hawa sei nicht prüde, sagte er; es verhalte sich vielmehr so, daß er sich als typischer Araber bei gesellschaftlichen Anlässen unter Männern grundsätzlich wohler fühle. Zudem trank er gern Alkohol, und das konnte er bei Zusammenkünf ten dieser Art ungeniert tun. Bezeichnenderweise wuß
te er es natürlich auch besonders zu schätzen, wenn die anderen Gäste von geringerem Status waren und er als Minister die Hauptrolle spielen konnte. Am gelö stesten gab er sich jedoch im einsamen Tete-a-tete mit Michael, der auf seine unermüdlichen Einschüchte rungsversuche stets mit jener Art subtiler Unver schämtheit reagierte, die Dr. Hawa unterhaltsam zu finden schien. Er war der König, Michael der lizenzierte Hofnarr. Bei diesen Gelegenheiten tat ich manchmal, was die Moslemfrauen in ihren Häusern zu tun pflegten: ich lauschte von einem angrenzenden Raum aus durch eines der reichverzierten schmiedeeisernen Gitter, die ursprünglich eigens zu diesem Zweck dort angebracht worden waren; aber die Unterhaltung war zumeist so langweilig oder, wenn viel Brandy getrunken wurde, so empörend, daß ich bald schlafen ging und die beiden sich selbst überließ. Diesmal war ich jedoch entschlossen, mir kein einziges Wort entgehen zu lassen. Es war der Abend jenes Tages, an dem Ghaled uns wissen ließ, daß das Muster des ZünderVerbindungsstücks seine Billigung gefunden hatte, und der Auftrag auf weitere einhundert Stück an die Ma schinenwerkstatt in Beirut ergangen war. Mir kam es vor, als hätten wir soeben hundert Explosionen in die Wege geleitet, und der Gedanke war deprimierend. Ich wünschte verzweifelt, daß Michael bei Hawa Erfolg haben würde. Alles, was wir bislang unternommen hatten, war dazu bestimmt gewesen, Ghaleds Vorha ben, eine Menge Menschen umzubringen, Vorschub zu leisten; und wenn unser Plan, einen Vermessungs trupp auf dem Gelände der Batteriefabrik aufkreuzen zu lassen, die Ausführung seines Vorhabens auch kaum verhindern würde, so konnte er sie doch wenig stens verzögern und erschweren. Das wäre immerhin etwas. Überdies vermag, wie Michael sagt, mitunter schon leichter Druck viel auszumachen – vielleicht
nicht unmittelbar, sondern durch eine minimale Wert veränderung irgendeiner Unbekannten in der Glei chung. Der erklärte Zweck dieser Abende á deux war Back gammon, gespielt von zwei erfahrenen und aufeinan der abgestimmten Partnern; aber der wahre Grund für Dr.Hawas Besuche in der Villa war die Möglichkeit, sich von Michael Ideen und Anregungen zu holen und ihn nach Informationen auszuhorchen. Irgend jemand hat einmal gesagt, wer wissen will, was sich in Da maskus tut, informiert sich darüber am besten in Bei rut. Komischerweise stimmt das, und nicht nur in be zug auf Damaskus. Im Mittleren Osten sind Informa tionen hochwertige Handelsgüter, und Michaels Quel len beschränkten sich nicht auf Beirut. Die Agence Howell hatte ihre Finger in sehr vielen Geschäftsunter nehmen und unterhielt Vertretungen an zahllosen Or ten. Zusammen mit den Absatzprognosen, den Trend analysen und den Berichten über die Aktivitäten der Konkurrenz wurden natürlich auch stets Neuigkeiten – mit viel Klatsch und Gerüchten vermischt – übermit telt, die nicht nur von kommerzieller, sondern auch von politischer Relevanz waren. Zuweilen stellte Dr. Hawa gezielte Fragen, aber gewöhnlich pflegte er, während die Würfel klapperten und die Steine klickten, auf den jeweiligen Sachkomplex, der ihn gerade inter essierte, lediglich vage anzuspielen und das Reden weitgehend Michael zu überlassen. So begann es auch an diesem Abend. Dr. Hawa war begierig, über die neuesten Angebote einer in den Iran entsandten sowjetischen Handelsdelegation Näheres zu erfahren. Er sprach kaum ein Wort und ließ nur ab und zu ein Brummen hören, um Michael zu verstehen zu geben, daß er ihm aufmerksam zuhörte. Von Teheran kam Michael auf Ankara und von dort auf den kürzlich unabhängig gewordenen Staat Bahrein zu sprechen. Und dann verstummte er plötzlich. Das nächste, was ich hörte, war ein kurzes Auflachen
Dr. Hawas und ein Ausruf des Unmuts von seiten Mi chaels. Ein weiteres Lachen von Dr. Hawa folgte. »Ich habe Sie nie einen derartigen Fehler machen sehen«, tri umphierte er. »Haben Sie denn Ihre Chance gar nicht erkannt?« »Nein, Herr Minister, das habe ich nicht.« Selbst in seinem eigenen Haus redete Michael Dr. Ha wa noch immer mit >Herr Minister< an; das war et was, was mich immer irritiert hatte. Er klang jetzt bußfertig wie ein Schuljunge, der von einem gefürch teten Lehrer bei einer Missetat erwischt wird. »Sie waren unkonzentriert.« »Ja, das stimmt. Tut mir leid.« »Entschuldigen Sie sich nicht. Die Würfel meinten es gut mit Ihnen, aber Sie haben es nicht bemerkt. Sol che Unhöflichkeit mögen die Würfel nicht. Geben Sie acht, Michael, oder ich gehe als reicher Mann nach Hause.« »Ja, ja. Noch einen Brandy, Herr Minister?« »Ah, Sie wollen mir die Sinne benebeln. Ausgezeich net. Aber Sie sollten nichts mehr trinken.« »Die Wahrheit ist, daß ich heute abend nicht in Form bin.« »Das sind Sie in der Tat ganz offenkundig nicht. Schwierigkeiten mit der Verdauung vielleicht? Oder haben Sie es womöglich an der Leber?« »Ich muß gestehen, daß mich etwas bedrückt.« »Sie, Michael?« Ein höhnischer Laut. »Das müßte ich erst noch erleben. Es sei denn natürlich, es gäbe da eine neue Frau. Das wird es sein. Ihr Christen macht solche Narren aus euch.« »Keine Frau, Herr Minister. Aber ich denke nicht dar an, Sie mit meinen Schwierigkeiten zu behelligen.« Und, tapfer: »Sie sind hier, um sich zu zerstreuen, und nicht, um über Geschäfte zu sprechen.« »Stimmt. Dann spielen wir jetzt weiter. Geben Sie nur acht, Michael. Ich bin in Angriffsstimmung.«
Zwei, drei Minuten lang spielten sie schweigend. Dann sagte Dr. Hawa beiläufig: »Diese Geschichte, die Sie bedrückt – betrifft die irgendeines unserer kooperati ven Unternehmen?« »Oh, nein.« Michael sprach rasch und schien dann zu zögern. »Das heißt, ganz sicher bin ich mir nicht.« Ich hörte, wie ein Würfelbecher geschüttelt und mit wuchtigem Schwung auf den Tisch geschmettert wur de, von Dr. Hawa vermutlich, und im Ärger. »Es geschieht nicht oft, Michael, daß ich Sie Nonsens reden höre.« »Was ich sagen wollte, war, daß sie keines der beste henden kooperativen Unternehmen betrifft, Herr Mini ster. Was mir Sorge bereitet, das ist der geplante Pro duktionswechsel in der Batteriefabrik.« »Das sind doch Wortklaubereien. Was ist los mit Ih nen?« »Der Produktionsänderungsplan ist noch immer nur ein Plan, Herr Minister.« Michaels Stimme klang zu tiefst verzweifelt; der armenische Basarhändler rang die Hände in peinvoller Seelenqual. »Papier, nichts weiter. Es bestehen keine bindenden Abmachungen – das Ganze hat noch kein Leben. Das Kind ist womög lich tot geboren.« »Was reden Sie da für einen Unsinn. Dem Finanzmini ster liegen die Pläne bereits vor.« »Ach, wenn’s damit doch nur getan wäre, Herr Mini ster.« Er sagte tatsächlich >wenn’s damit doch nur getan wäre<. »Wovon reden Sie?« »Ich wollte es Ihnen nicht sagen.« »Mir was nicht sagen?« Das Spiel war vergessen. Dr. Hawas Stimme klang jetzt rauher. »Die Nachricht, die ich aus Beirut erhalten habe, Herr Minister. Wir werden hintergangen.« »Hintergangen? Von wem?« »Es ist dieser Italiener.« »Welcher Italiener? Einer von denen in Mailand, die
Sie als Ihre Freunde bezeichnen?« »Nein, nein. Ich meine den in Beirut. Wissen Sie noch, Herr Minister, ich hatte es Ihnen ja gesagt. Diese Leu te in Mailand haben lange versucht, in unsere hiesigen Märkte vorzudringen. Ohne Erfolg, aber sie haben es probiert. Sie haben einen Verkaufsagenten in Beirut, einen Mann namens Spadolini. Also dieser Spadolini – seine Mutter ist Rumänin –, dieser Bursche hat von unserem Autobatterienprojekt Wind bekommen. Wie? Wer weiß, vielleicht durch einen Spion in der Mailänder Zentrale. Möglicherweise hat er als zuständiger italie nischer Vertreter einen Fingerzeig erhalten. Wir sind da auf Vermutungen angewiesen. Aber fest steht, daß er entschlossen ist, zuzuschlagen.« »Zuzuschlagen? Reden Sie doch so, daß man Sie ver steht, Michael, Herrgott noch mal!« »Aus lauter Angst, seine kleine Agentur zu verlieren, aus Angst, überrundet zu werden, und in Kenntnis des wirtschaftlichen und geschäftlichen Potentials dieses unseres gemeinsamen Vorhabens hat er den Vorschlag gemacht, die neue Fabrik solle nicht hier in Der’a, nicht hier in Syrien eingerichtet werden, sondern im Libanon.« »Aber wie kann er damit durchkommen? Mailand hat mir das Angebot gemacht.« Der Armenier, der seine Schuldigkeit getan hatte, schlurfte mit einem schweren Seufzer davon; mit ra schem Schritt betrat jetzt der griechische Geldwechs ler die Szene, um ihn abzulösen. »Das sind eiskalte Geschäftsleute, Herr Minister. Ein Vorschlag bindet sie in keiner Weise. Was sie interes siert, ist einzig und allein die Produktion, weil Produk tion gleich Geld ist. Dieser kleine Intrigant in Beirut hat ihnen etwas anzubieten, was wir derzeit noch nicht offerieren können – Fabrikgebäude.« »Wir würden bauen.« »Diese sind schon gebaut. In der Nähe von Tripoli. Sechstausendzweihundert Quadratmeter Neubauraum.
Vorgesehen waren die Bauten für die Produktion von Schreib- und Rechenmaschinen, aber dann hat es we gen der Lizenzbedingungen mit der amerikanischen Muttergesellschaft Schwierigkeiten gegeben, und die Sache fiel ins Wasser. Die Gebäude sind nie benutzt worden und für ein Butterbrot zu haben. Sie sind für die Bleibatterienproduktion zwar nicht gerade optimal geeignet, und Umbauten wären unumgänglich, aber Raum genug ist vorhanden und verfügbar. In Mailand erwägt man die Sache bereits, ist schon versucht zu zugreifen.« »Wissen Sie das sicher?« »Sie schicken noch in dieser Woche einen Direktor und einen Ingenieur aus Mailand, um die Baulichkeiten zu besichtigen. Ich weiß es, weil ich in Mailand gute Freunde habe. Aber Freundschaft annulliert nicht das Eigeninteresse. Wir müssen ihnen zeigen, daß wir mehr anzubieten haben als dieser Spadolini und daß wir rascher zu handeln vermögen.« »Aber wie?« »Das ist es ja, was mir Kopfschmerzen macht. Wir haben die besseren Argumente auf unserer Seite, aber nichts, um ihnen Nachdruck zu verleihen. Wenn ihre Vertreter hierherkommen, und wir setzen uns mit ih nen an einen Tisch, werden sie uns ein paar Fragen stellen. Zwei Dinge werden sie vor allem wissen wollen – wann beginnen unsere Investitionen Gewinne abzu werfen, und wann kann die Produktion aufgenommen werden? Und während wir nach Antworten suchen, wird uns bewußt sein, daß jeder von ihnen eine Vision hat – die Vision von sechstausendzweihundert Qua dratmeter umbauten Fabrikraums, der, unbenutzt und sofort verfügbar, im Libanon auf sie wartet.« »Sie haben gesagt, es seien Umbauten erforderlich.« »Geringfügige Abänderungen, Herr Minister. Nichts von Belang. Wenn wir wenigstens irgend etwas vorzu zeigen hätten, das im Entstehen ist, sähe es mögli cherweise anders aus. Aber so – « Er sprach den Satz
nicht zu Ende. »Was sollte das denn sein?« »Etwas, das sie beeindruckt. Ein Grundstück, das zu geteilt und vermessen worden ist. Planierraupen, die das Gelände urbar machen und einebnen. Pläne auf dem Reißbrett, sichtbare Beweise dafür, daß wir es ernst meinen.« »Sie wissen, daß das unmöglich ist, Michael.« »Mit Verlaub, Herr Minister, schwierig gewiß, aber nicht unmöglich.« »Sie wissen, daß ich zu spekulativen Zwecken keine Gelder anweisen kann. Das Finanzministerium würde diese Ausgabe niemals billigen. Sobald das gemein schaftliche Unternehmen erst einmal genehmigt ist, sieht es natürlich anders aus.« »Natürlich. Aber dann könnte es zu spät sein.« Ein Schweigen trat ein. Einer von ihnen schüttelte die Würfel im Becher, und dann herrschte wiederum Stille. Dr. Hawa unterbrach sie schließlich. »Mir scheint, Sie haben etwas vorzuschlagen. Was ist es?« »Die Agence Howell könnte diese Vorarbeit finanzie ren.« »Und wie würden Sie Ihr Geld zurückbekommen? Dies kann nicht als Pilotunternehmen gehandhabt werden. Darüber haben Sie mich von Anfang an nicht im Zwei fel gelassen. Erzählen Sie mir nicht, daß Sie Altruist geworden sind, Michael, denn das nähme ich Ihnen nicht ab.« »Ich will, daß dieses Unternehmen zustande kommt, und zwar hier zustande kommt, Herr Minister, weil ich die Alleinvertretung für seine Produkte haben will. Ich bin bereit zu zahlen, um mir diese Alleinvertretung zu sichern. Sehen Sie es als eine Versicherungsprämie an, wenn Sie wollen. Mit Altruismus hat das nichts zu tun.« Ein kurzes Auflachen. »Da bin ich aber sehr erleich tert. Ich hätte mich nach so langer Zeit nur ungern gezwungen gesehen, mein Urteil über Sie zu revidie
ren, Michael.« »Keine Sorge, Herr Minister. Dazu besteht kein An laß.« »Was Sie von mir wollen, wäre demnach wohl eine Verfügung, wie?« »Ja, bitte. Sie sollten drei Hektar Grund und Boden einbeziehen, die an unsere derzeitige Batteriefabrik angrenzen. Genaue Einzelheiten über diese Parzellen enthält das ergänzende Memorandum, das ich bereits eingereicht habe. Die Verfügung sollte darüber hinaus die Firma Abouti mit der Vermessung des Geländes und der Durchführung aller zur Bebauung erforderli chen Vorarbeiten einschließlich des Baus einer neuen Zufahrtsstraße beauftragen. Entsprechend den Anwei sungen der Agence Howell selbstredend.« »Und auf Kosten der Agence Howell.« »Selbstverständlich. Herr Minister, ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie sehr ich Ihre Unterstützung in dieser Angelegenheit begrüßen würde.« »Unterstützung bei der Ausgabe Ihrer Gelder?« »Bei der Beseitigung der Ursache meiner Besorgnis.« Der Armenier war kurzfristig zurückgekehrt, um sich zu verneigen. »Herr Minister, wenn ich geschlafen und mir von diesem libanesischen Hai das Geschäft weg schnappen lassen hätte, wäre ich außerstande gewe sen, je wieder schlafen zu können.« Dr. Hawa brach in Lachen aus. »Herr Minister?« »Sie und Ihre Geschäftsmoral, Michael! Sie können es ganz einfach nicht ertragen zu verlieren, stimmt’s? Gewinnen – und nicht nur Geld –, das ist alles, was für Sie zählt. Nach all diesen Jahren kann ich in Ihnen lesen wie in einem offenen Buch.« »So leicht, Herr Minister? Ich muß mich bessern.« Ich konnte ihn mir vorstellen, wie er so tat, als versu che er, ein nicht existentes Unbehagen mit einem Lä cheln wegzuleugnen. »Das werden Sie nie, Michael. Das können Sie gar
nicht.« Er schmunzelte. »Nun gut, ich werde mir die Sache nochmals ansehen. Kommen Sie morgen zu mir ins Ministerium. Und bringen Sie gleich einen Entwurf für die Verfügung mit, wenn Sie das besser schlafen läßt.« »Ich danke Ihnen, Herr Minister. Noch einen Brandy?« Wenig später war wieder das Klappern der Würfel und das Klicken der Steine zu hören. Als Dr. Hawa sich verabschiedet hatte, schenkte Mi chael mir einen Brandy ein und sah auf sein Glas hin unter, das er in der Hand hielt. »Nun, so weit, so gut«, sagte er. »Diese leerstehende Fabrik bei Tripoli«, sagte ich, »gibt es die?« »Oh, ja. Ein unrentables Objekt, das uns vor einem halben Jahr angeboten wurde. Wenn der Preis weit genug herabgesetzt wird, übernehmen wir es vielleicht als Warenlager.« »Und dieser Spadolini. Gibt es den auch?« »Selbstverständlich. Er hat derzeit die Vertretung. Ausgesprochenes Arbeitstier. Guter Verkäufer. Wenn es mit unserer Beteiligung an diesem Autobatterienge schäft vorangegangen wäre, hätte ich ihn in unser Büro nach Beirut geholt.« »Wenn es vorangegangen wäre? Ist es das denn nicht?« Er überhörte die Frage. »Abouti wird Kopien vom Grundriß der Fabrik und von den Spezifikationen brau chen, die ich aus Mailand mitgebracht habe. Und von den Angaben über die Beschaffenheit des Geländes ebenfalls. Nach Möglichkeit sollte er morgen früh alles bekommen.« »Wollen wir ihn wirklich für diese Arbeit bezahlen?« »Abouti bezahlen?« Er leerte sein Glas. »Nicht einen Pfennig. Soll der feiste Dieb doch sehen, wie er zu seinem Geld kommt.« Daß Michael sich weigerte, eine Schuld zu begleichen, war bislang so gut wie undenk bar gewesen, selbst wenn er vermutete, daß der
Gläubiger ihn betrogen hatte. Und da war dieses »Wenn« gewesen. Ich wußte nun, daß er sich endlich entschlossen hatte, seine Verluste abzuschreiben, und daß die Tage der Agence Howell in Syrien gezählt wa ren. Noch in der gleichen Woche rückte der Vermessungs trupp an und begann in der Batteriefabrik und auf dem angrenzenden Gelände mit der Arbeit. »Was, glaubst du, wird Ghaled tun?« hatte ich gefragt. »Zunächst einmal gar nichts. Ein paar Männer mit Theodoliten, Meßruten und -ketten werden ihn nicht sonderlich stören. Aber warte nur ab, bis die Planie rungsarbeiten beginnen. Raupenschlepper und schwe res technisches Gerät überall auf dem ganzen Gelän de, und Männer, die nachts Wache halten! Das wird ihn sehr bald aus der Fassung bringen.« Aber Michael hatte sich getäuscht. Der Druck begann sich sofort auszuwirken, und wenn er auch keinen Faktor in der Gleichung veränderte, so erwies er sich doch als das geeignete Mittel, eine der Unbekannten in eine Bekannte zu verwandeln. Michael verbrachte den Tag größtenteils im Keramik werk und in der Möbelfabrik. Womit, sagte er mir nicht, aber ich konnte es mir denken. Für die Agence Howell stand das Ende ihrer Geschäftstätigkeit in Syri en vor der Tür, und je mehr Waren verschickt werden konnten, bevor es eintrat, desto geringer würde der definitive Totalverlust sein. Der Anruf von Issa kam nachmittags um halb fünf. Issa schien jetzt sowohl Fabrikmanager als auch Gha leds örtlicher Stabschef geworden zu sein, und sein Ton war herrisch. »Wo ist Howell?« »Das weiß ich nicht, aber ich erwarte ihn bald zurück. Ich kann ihn bitten, Sie anzurufen.« »Nein. Bestellen Sie ihm folgendes: Sie beide werden sich hier heute abend um acht Uhr melden.« »Mr. Howell hat möglicherweise schon andere Verein
barungen getroffen.«
»Dann wird er sie absagen. Sie beide melden sich hier
um acht Uhr. Das ist ein Befehl.«
Michael wurde nachdenklich, als ich es ihm erzählte.
»Du hast die Verfügung genau durchgelesen, Teresa.
Davon, daß die Agence Howell Abouti bezahlt, stand
doch nichts drin, oder?«
»Nicht direkt. Seine Kosten sind Cercle Vert in Rech
nung zu stellen. Daß es nicht die Regierung ist, kann
Issa unmöglich daraus ersehen. Abouti übrigens auch
nicht. Wegen der ministeriellen Verfügung werden sie
es für eine Regierungsausgabe halten. Und Ghaled
wird es auch tun.«
»Nun, dann ist das vielleicht gar nicht der Grund,
weswegen er uns sehen will.«
Aber das war der Grund. Wir wurden in Michaels Büro
von Ghaled empfangen, der eine Kopie der Verfügung
des Ministeriums vor sich liegen hatte. Wir wurden
nicht aufgefordert, uns zu setzen. Ghaled hielt Michael
die Papiere unter die Nase. »Was wissen Sie hiervon?«
fragte er wütend.
»Wovon, Genosse Salah? Darf ich einmal sehen?«
Ghaled warf ihm die Papiere hin. Michael klaubte sie
vom Boden auf und studierte sie mit unbewegter Mie
ne.
Dann ließ er einen schnalzenden Laut hören.
»Nun?«
»Ich habe Sie auf diese Möglichkeit hingewiesen, Ge
nosse Salah.«
»Und Sie wurden Ihrerseits darauf hingewiesen, daß
Sie diese Möglichkeit verhindern sollten. Warum haben
Sie nicht gehorcht?«
»Selbst wenn ich gewußt hätte, daß diese Verfügung
erlassen werden sollte – was nicht der Fall war –, wä
ren meiner Einflußnahme Grenzen gesetzt gewesen,
Genosse Salah.«
»Grenzen, die Sie bestimmen.«
»Ich kann dem Ministerium keine Anweisungen ertei
len.« »Das brauchen Sie gar nicht. Der Minister hört auf Ihren Rat, er folgt Ihren Vorschlägen; oder etwa nicht? Antworten Sie mir. Tut er das nicht?« »Ja, wenn er mich um Rat fragt, hört er mir auch zu. Wegen dieser Verfügung hat er mich nicht konsul tiert.« Michael schaute wieder auf die Papiere, wobei er die Lippen bewegte, als bereite es ihm Mühe, den Sinn der Wörter zu verstehen. »Die Verfügung besagt, daß eine Vermessung dieses Geländes und des angrenzenden Grundstücks gemäß einer bereits zu einem früheren Zeitpunkt getroffenen Entscheidung vorgenommen werden soll. Ihre Befehle, Genosse Ghaled, bestimmten, daß Ihr Hauptquartier hier nicht gestört werden dürfe. Ich kann mir nicht vorstellen, daß ein paar Leute mehr, die bei Tag hier arbeiten, Sie stören werden.« Während er sprach, blätterte er um und gab dann einen theatralischen Laut der Überraschung von sich. »Ah, ja. Ich sehe jetzt die Schwierigkeit.« »Ach, wirklich?« »Eine Zugangsstraße soll gebaut werden.« »Das ist nur ein Teil der vorgesehenen Arbeiten. Wenn Sie mit dem Lesen Schwierigkeiten haben sollten, kann ich Ihnen sagen, was da steht. Der Bauunter nehmer ist berechtigt, provisorische Bauten zur Lage rung von Baustoffen und zu anderen Zwecken zu er richten, und Nachtschichten sind erlaubt. Der Bauun ternehmer ist angewiesen, mit der örtlichen Polizei in Der’a zusammenzuarbeiten, die ihrerseits Streifen zu Patrouillengängen abkommandiert.« »Das ist sehr schlecht, Genosse Salah.« Michael sah ehrlich schockiert aus. »Es wäre schlecht«, sagte Ghaled, »wenn diese Arbei ten hier durchgeführt werden würden. Ihre Aufgabe ist es, dafür zu sorgen, daß dies nicht geschieht oder, wenn es geschehen muß, den Beginn der Arbeiten bis Ende Juni hinausgeschoben wird. Es darf keinerlei Un
annehmlichkeiten geben. Haben Sie gehört?« »Ja, Genosse Ghaled, ich habe gehört.« Wenn er es dabei belassen hätte, wäre die nächste halbe Stunde möglicherweise weniger beängstigend verlaufen; aber Michael konnte es nicht dabei belas sen. Nachdem er beträchtliche Mühen aufgewendet und zumindest auch einige Kosten nicht gescheut hat te, um einen Fall von höherer Gewalt als gegeben er scheinen zu lassen, der jeden zurechnungsfähigen Führer in Ghaleds Lage in die Defensive gedrängt ha ben würde, war er empört, daß Ghaled die Drohung ungerührt als vermeidbare Unannehmlichkeit abtat. Erstmals verlor ein Sprecher des Komitees die Beherr schung, und keines der anderen Mitglieder war rasch genug zur Stelle, um das Schlimmste zu verhüten. »Aber wenn ich auch gehört habe«, fuhr er aufsässig fort, »so bin ich deswegen doch keineswegs allmäch tig. Ich bin es ebensowenig wie Sie, Genosse Salah. Die Fähigkeit, einen gänzlich unrealistischen Befehl hören zu können, bietet noch keine Gewähr für die Fähigkeit, ihn auch ausführen zu können. Ich werde alles tun, was ich billigerweise tun kann, ohne Ver dacht zu erregen. Nicht weniger, aber bestimmt auch nicht mehr.« Es war ein Jammer, daß Issa den Raum betrat, als Michael sprach, und so Zeuge dieses Akts der Unbot mäßigkeit wurde. Darüber hinwegzugehen, wäre Gha led, selbst wenn er es gewollt hätte, in Issas Gegen wart nicht möglich gewesen. Wie die Dinge lagen, riß Issa Mund und Augen auf, schickte sich an, etwas zu sagen, besann sich dann eines Besseren und wartete darauf, das Wort erteilt zu bekommen. Er bekam es nicht erteilt. Ghaled starrte Michael unverwandt forschend an; of fenbar fühlte er sich veranlaßt, sein Urteil über ihn zu revidieren. Nach vollzogener Neubewertung sah er mich an. »Wissen Sie noch, daß Sie einen Eid geschworen ha
ben?« fragte er. »Selbstverständlich, Genosse Ghaled.« »Glauben Sie, daß Ihr Arbeitgeber es noch weiß? Überlegen Sie sich Ihre Antwort gut. Ihre Loyalität schulden Sie mir, nicht ihm.« »Genosse Michael hat seinen Eid bestimmt nicht ver gessen«, sagte ich. »Er hat alles getan, was er nur konnte, um die ihm erteilten Aufgaben zu erfüllen. Tatsächlich hat er seine eigenen Geschäfte weitgehend vernachlässigt, um das tun zu können.« Ich wußte, daß Michael mich böse ansah, aber ich wandte den Blick nicht von Ghaled. »Wann hat Ihr Arbeitgeber Dr. Hawa zuletzt gese hen?« Ich hatte Angst zu lügen. Es war durchaus möglich, daß Ghaled die Antwort bereits wußte. »Vor ein paar Tagen, abends.« Ghaled sah Michael wieder an. »Und er hat Ihnen nichts von dieser Verfügung gesagt, über die Sie jetzt angeblich so überrascht sind?« »Unsere Zusammenkunft war rein privater Natur.« Michael zuckte die Achseln. »Wir haben Backgammon gespielt. Geschäftliches ist nicht erörtert worden. Wie ich schon sagte, als ich Sie auf die Frage erstmals hinwies, war die Entscheidung über den Umbau bereits gefallen.« »Die Entscheidung, deren Auswirkungen Sie befehls gemäß zu verhindern oder doch wenigstens hinauszu zögern hatten?« »Die Entscheidung, die ich abändern zu können ge hofft hatte. Diese Dinge lassen sich nicht durch eine Verordnung regeln, jedenfalls nicht durch eine Verord nung von mir. Es ist leichter, geschäftspolitische Ent scheidungen zu treffen, als sie rückgängig zu machen oder abzuändern. Ich dachte, ich hätte Zeit. Offensichtlich hat sie nicht gereicht.« Das Komitee hatte seine Haltung wiederge wonnen und stellte sich nun geschlossen hinter seinen
Generaldirektor. »Und was meine Überraschung be trifft, so habe ich keinen Anlaß, sie vorzutäuschen. Ich bin überrascht. Die Erklärung dafür wird wahrschein lich in der Tatsache zu suchen sein, daß die Agence Howell in dieser Angelegenheit kein Auftraggeber ist und man es deswegen nicht für nötig erachtete, uns zu konsultieren, bevor man die Verfügung erließ.« Ghaled überlegte einen Augenblick lang und nickte dann. »Nun gut. Vorbehaltlich meiner eigenen Nach forschungen will ich Ihre Erklärung – Ihre Entschuldi gung für Ihr Versagen – akzeptieren.« »Aber« – er beugte sich vor -»für Ihre Respektlosigkeit gibt es kei ne Entschuldigung.« »Es lag nicht in meiner Absicht, respektlos zu sein, Genosse Ghaled. Ich habe lediglich die Lage so wie dergegeben, wie ich sie sehe.« »Das sagen Sie jetzt. Ich habe Sie schon einmal we gen Ihrer Arroganz verwarnt. Ich habe Sie außerdem gewarnt, daß Sie in Zukunft dafür bestraft werden würden. Habe ich das, oder habe ich das nicht?« »Sie haben mich gewarnt.« »Dann müssen Sie jetzt bestraft werden, weil Sie mei ne Warnungen in den Wind geschlagen haben. Wer sind Sie, daß Sie glauben, meine Befehle in Frage stel len und darüber entscheiden zu können, ob sie reali stisch sind oder nicht? Wir müssen Sie lehren, be scheiden zu sein, Genosse Michael, und Ihnen beibrin gen, was es heißt, Disziplin zu wahren. Die Strafe muß daher von solcher Art sein, daß Sie sie nie vergessen. Halten Sie das für vernünftig und realistisch?« Michael blickte freundlich und unbeteiligt drein. Ich versuchte es ihm nachzutun, aber es gelang mir nicht annähernd so gut. »Halten Sie es dafür oder nicht?« beharrte Ghaled. »Das hängt von der Art der Bestrafung ab, Genosse Ghaled.« »Ja. Da Sie noch weitere Aufträge auszuführen haben, die Ihnen bereits erteilt wurden, würde eine Aktions
kommando-Strafe von der Art, wie sie die Genossen Ahmad und Musa zur Ahndung von Disziplinlosigkeiten zu vollstrecken gewohnt sind, in diesem Fall – wie sagt man doch gleich?« »Das Kind mit dem Bad ausschütten, Genosse Salah?« »Ja.« Ghaled lächelte böse. »Sie dürfen daher nicht zu sehr verletzt werden, Genosse Michael. Vielleicht ha ben Sie ja Glück, und es passiert Ihnen überhaupt nichts. Wir werden sehen.« Er blickte Issa an, der be gierig zugehört hatte. »Hast du alles vorbereitet für die Demonstration?« »Ja, Genosse Salah. Es ist alles klar.« »Dann gehen wir jetzt.« Ghaled stand auf und führte uns aus Michaels Arbeits zimmer den Gang hinunter zu dem Lagerraum, in dem die Zinkplatten verwahrt wurden. Dort erwartete uns ein Mann, den ich noch nie gese hen hatte. Obwohl er und Michael kein Wort der Be grüßung miteinander wechselten, sah ich an dem Blick, den sie tauschten, daß sie sich kannten. Ghaled redete ihn mit »Genosse Taleb« an. Er war in den Dreißigern, hochgewachsen und mager, hatte ein Nasser-Bärtchen und trug eine Krawatte zum auffal lend sauberen bügelfreien Hemd. Wenn er lächelte, zeigte er sehr viele Zähne, wobei zwei Goldfüllungen sichtbar wurden. Er stand hinter Ghaleds Tisch, der in die Mitte des Raums geschoben worden war. Ich hatte verzweifelt versucht, mich auf den Anblick von Folter werkzeugen einzustellen, und so kam es, daß mich die beiden Gegenstände, die ich vor Taleb auf dem Tisch stehen sah, zwar überraschten, aber auch beruhigten. Der auffälligere von den beiden war eine große auf ziehbare musikalische Spieldose von der Art, wie ich sie zuletzt gesehen hatte, als ich ein kleines Kind war. Im Haus meiner Großmutter in Rom hatte eine solche Dose auf einem Tischchen gestanden. Sie konnte vier oder fünf Melodien aus bekannten Opern spielen – Arien zumeist. Diese hier war etwas kleiner als die
Spieldose, an die ich mich erinnerte, und paßte in eine abgewetzte Tragetasche aus schwarzem Leder, die mit purpurfarbenem Samt ausgeschlagen war; aber die Spieldose selber war im wesentlichen die gleiche, ein rechteckiges Kästchen aus glänzend poliertem Maha goni mit einem schmalen Glasfenster auf der Obersei te. Durch das Fenster konnte man die große Metall walze mit den unzähligen winzigen Nadeln sehen, von denen sie strotzte, sowie den langen Stahlkamm, der die Noten anschlug. Auf der Vorderseite des Kästchens befanden sich Hebel, und in seiner Rückseite steckte ein Messingschlüssel zum Aufziehen des Werks. Eine abgeblätterte, aber noch immer lesbare BlattgoldInschrift auf der Vorderseite der Spieldose besagte, daß es sich bei ihr um La Serinette handelte, daß sie von Gerard freres in Paris angefertigt worden und daß ihre tontechnische Konstruktion patentamtlich ge schützt sei. Neben La Serinette – und scheinbar beziehungslos – stand eine Flugreisetasche aus Kunststoff mit der Auf schrift >Pakistan International Airlines<. Ghaled blickte mit belustigtem Interesse auf die Spiel dose. »Spielt sie noch?« fragte er. »Natürlich spielt sie noch, Genosse Salah.« Taleb war offensichtlich stolz auf seine Arbeit, worin auch immer sie bestanden haben mochte. Er drückte auf eine der Tasten, und die Dose begann Mozarts Menuett in GDur zu spielen. Nach ein paar Takten stellte er sie ab. »Wir müssen die Feder schonen«, sagte er. »Selbstverständlich. Dann beginnen wir jetzt mit der Demonstration.« »Ja, Genosse Salah.« Taleb griff in die hintere Klappe der Tragetasche und zog aus dem Plüschfutter einen schmalen Metallstrei fen hervor, der wie ein Stahlmaßband aussah, aber nur etwa zwanzig Zentimeter lang war. Er ließ ihn über den oberen Rand der Spieldose hinaus in die Luft
ragen. Offenkundig war der Stab kein ursprünglicher
Bestandteil der Serinette.
»Ist das alles?«
»Das ist alles, bis auf die Auslösung. Sie erfolgt durch
Druck auf diesen Hebel hier, der früher zum Auswech
seln der Musik diente. Auf den ersten Tastendruck
setzt jetzt der Geschwindigkeitsregler aus. Auf den
zweiten kann sich die Walze ungehindert drehen. Der
dritte Tastendruck betätigt die Schaltung, die – «
»Ja, Genosse«, unterbrach ihn Ghaled, »wir wissen,
was der dritte Tastendruck bewirken soll. Das ist es,
was wir jetzt testen werden. Ich bin der Meinung, Ge
nosse Taleb, daß diese Testdemonstration noch über
zeugender ausfallen würde, wenn das Ziel beweglich
wäre. Finden Sie nicht auch?«
»Beweglich oder fest, das macht keinen Unterschied,
Genosse Ghaled.«
»Für mich«, sagte Ghaled sehr bestimmt, »würde ein
bewegliches Ziel den Test viel befriedigender gestal
ten. Und da sich Genosse Michael freiwillig bereit er
klärt hat, uns behilflich zu sein – das stimmt doch,
Genosse Michael? Sie haben sich freiwillig dazu bereit
erklärt, nicht wahr?«
»Wenn Sie das meinen, Genosse Salah.«
»Ja, das meine ich.«
»Dann freue ich mich, Ihnen helfen zu können.«
Michael sprach ganz ungezwungen, und seine offen
kundige Gelassenheit irritierte Ghaled eindeutig.
»Hoffen wir, daß die Freude auch anhält«, versetzte er
und deutete auf die Flugreisetasche auf dem Tisch.
»Nehmen Sie die auf.«
Michael langte nach der Tasche und schickte sich be
reits an, sie beim Griff zu packen, als Ghaled ihm eine
Warnung zurief.
»Vorsicht, Genosse. Die Tasche ist nicht schwer, aber
tragen Sie sie so, als sei sie es.«
Taleb wollte Einwände erheben. »Genosse Salah, wir
wissen nicht genau – «
»Nein, wir wissen es nicht genau«, sagte Ghaled rasch. »Deswegen machen wir ja den Test.« »Es ist nicht wirklich erforderlich, daß das Ziel beweg lich ist.« »Darüber entscheide nur ich.« Er wandte sich an Mi chael, der die Tasche nunmehr in der Hand trug. »Ge nosse, Sie gehen jetzt ganz langsam aus dem Raum hier hinaus. Wenn Sie draußen sind, gehen Sie in Richtung auf den Werkschuppen Nummer eins weiter und daran vorbei zur äußeren Mauer. Wir folgen Ihnen bis zum Eingang. Wenn Sie die Mauer erreicht haben, drehen Sie sich um und kommen wieder auf uns zu, aber langsam, damit wir Sie die ganze Zeit über im Auge behalten können. Haben Sie verstanden?« »Ja.« »Dann gehen Sie. Issa, du folgst ihm mit deiner Ta schenlampe, damit wir ihn nicht aus der Sicht verlie ren. Geh nicht zu nah an ihn heran. Taleb, ich gebe dir Bescheid, wenn es soweit ist.« »Ja, Genosse Salah.« Mein Herz schlug heftig, und der Schweiß auf meinem Gesicht war eiskalt. Ich folgte ihnen bis zur Tür. Die Wachposten Ahmad und Musa waren herbeige kommen, um zu sehen, was es gab. Ghaled wies sie an, zur Seite zu treten. Vom Gang aus, in dem ich unmittelbar hinter Ghaled stand, konnte ich Michael, gefolgt von Issa, der seine Taschenlampe auf ihn ge richtet hielt, mit der Kunststofftasche in der Hand über den Hof davongehen sehen. Das Ganze wirkte eher wie irgendein harmloses Kinderspiel. Als Michael die Ecke des Werkstattschuppens Nummer eins erreicht hatte, stolperte er über eine Bodenune benheit, und Ghaled rief ihm zu, er solle besser acht geben. Michael war jetzt etwa hundert Meter von uns entfernt und näherte sich der Mauer, die das Fabrikge lände umschloß. Als er sich anschickte umzukehren, wandte sich Ghaled an Taleb, der hinter uns im Lager raum verblieben war.
»Alles klar?« »Alles klar. Genosse.« »Gut. Jetzt!« Aus dem Lagerraum erklangen drei Noten des G-DurMenuetts, dann wurde die Musik abgeschaltet und statt dessen ein schwirrendes Geräusch hörbar, ein Geräusch, das sich plötzlich zu einem immer höher werdenden Heulton steigerte. Fast gleichzeitig schoß ein Lichtblitz, der von Michaels rechter Hand zu kommen schien, quer über den Hof, und ein gedämpfter Knall ertönte. Unmittelbar darauf schlugen Flammen aus der Flugreisetasche hervor, und Michael schleuderte sie von sich weg. Er mußte verletzt sein, denn er machte sich mit der Linken an seinem rechten Handgelenk zu schaffen – wie sich herausstellte, riß er sich die verbrannten Fet zen seines Hemdärmels von der Haut –, aber das hielt ihn nicht davon ab, seine Neugier zu stillen. Die noch immer brennende Reisetasche lag am Fuß der Mauer, und Michael ging sofort dorthin, um sie genauer in Augenschein zu nehmen. Er und Issa erreichten die Tasche nahezu gleichzeitig. Ghaled erteilte Taleb mit einem Zuruf den Befehl zum Abschalten und ging zu den beiden. Der ganze Vorfall hatte nur wenige Sekunden gedauert; aber es war mir nicht entgangen, daß die Tonhöhe des schwirrenden Geräuschs sich bereits zu vermindern begonnen hatte, noch bevor Ghaled den Befehl zum Abstellen gab. Taleb trat aus dem Lagerraum. »Haben Sie gesehen, wie es funktionierte?« fragte er. »Ich habe es gesehen. Die Tasche hat Feuer gefan gen.« Er blickte über den Hof. Issa trat die letzten Flammen aus. Ghaled untersuchte sorgsam Michaels Handge lenk. »Es war töricht von Mr. Howell, die Tasche zu tragen«, bemerkte Taleb. »Das sagen Sie besser dem Genossen Salah. Es ist
ausschließlich seine Idee gewesen.« »Oh.« Er wartete nicht länger, sondern ging hinaus, um die Glückwünsche und Lobpreisungen entgegenzu nehmen, die er zweifellos verdient hatte. Issas aner kennende Worte waren überschwenglich; aber Gha leds eher nichtssagend. Er war jetzt vor allem mit Mi chael beschäftigt. Ghaled hatte sich für einen Augen blick in Sir Galahad verwandelt, der seinen verwunde ten Gegner in ritterlichem Edelmut von der Walstatt geleitet. Bei mir setzte jetzt die Reaktion ein, und ob wohl ich Ghaled ganz und gar verabscheute, fand ich Michaels tapferes Lächeln auch nicht gerade hinrei ßend. Ich gab mir keine Mühe, es zu erwidern, als sie näherkamen. »Ist es schlimm?« fragte ich. »Nein. Nur eine leichte Verbrennung.« »Mit Verbrennungen ist nie zu spaßen«, sagte Ghaled streng. »Sie infizieren sich leicht. Diese hier muß so fort behandelt werden.« Man hätte glauben können, ich sei dafür gewesen, sie überhaupt nicht zu behandeln. Im Lagerraum befahl Ghaled Michael, sich zu setzen, und holte einen reichhaltig ausgestatteten Verbands kasten herbei. Alsdann begann er den versengten Hemdärmel mit einer Schere abzuschneiden. Die Verbrennung erstreckte sich über den halben Un terarm. Die Haut war gerötet, aber meines Erachtens sah es nicht besorgniserregend aus. »Nur ersten Grades«, bemerkte Ghaled, als er den Arm untersuchte. »Aber ohne Zweifel schmerzhaft.« »Nicht mehr so schlimm wie im ersten Augenblick.« »Es muß trotzdem sorgfältig behandelt werden. Ich wußte nicht, daß Kunststoff so leicht brennbar ist.« »Das sind viele Stoffe, wenn man die Temperatur nur genügend erhöht.« »Nun, das habe ich mir nicht klargemacht.« Es war fast eine Entschuldigung. Er beschäftigte sich jetzt angelegentlich damit, aus einem Benzinkanister
Wasser in eine Emailleschüssel zu gießen und es mit einem weißen Wundpuder aus dem Verbandskasten zu verrühren. Als der Puder aufgelöst war, begann er die Brandstelle sehr sanft mit der Lösung zu benetzen. »Wußten Sie, daß ich ausgebildeter Arzt bin?« fragte er im Plauderton, während er in seiner Tätigkeit fort fuhr. »Nein, Genosse Salah.« »Ich habe in Kairo studiert. Ich habe auch schon als Arzt praktiziert, vor langer Zeit. Und da hatte ich schlimmere Wunden zu versorgen als diese hier, das können Sie mir glauben.« »Davon bin ich überzeugt.« Taleb trat mit Issa ein, blieb abwartend stehen und schaute der fachgerechten Behandlung zu. Ghaled beachtete die beiden erst, als er mit der Reinigung der Brandverletzung fertig war. Dann sah er Taleb an und deutete mit einem Kopfnicken auf La Serinette. »Dein Meisterwerk kann jetzt weggestellt werden. Issa weiß, wohin es gebracht werden soll. Da ist es sicher aufgehoben, bis wir die Langstreckentests durchfüh ren.« »Ja, Genosse Salah.« Die Spieldose wurde in der Tragtasche verstaut und weggeschafft. Ich sah, daß Michael den Vorgang aus dem Augenwinkel beobachtete. Ghaled hatte in dem Verbandskasten gekramt. »Die Behandlung von Verbrennungen«, dozierte er ange regt, als er sich Michael wieder zuwandte, »hat sich in den letzten Jahren ganz entschieden gewandelt. Die alten Heilmittel wie Gerbsäure und Gentiana Violett werden nicht mehr angewendet. In Ihrem Fall wird Penicillinsalbe Wunder wirken.« Er sah mich an. »Ha ben Sie schmerzstillende Mittel im Haus? Kodein zum Beispiel?« »Ich glaube schon.« »Dann kann er das nehmen. Aber keinen Alkohol heu te abend. Ein heißes Getränk, am besten Tee, und ein
mildes Beruhigungsmittel vor dem Schlafengehen tä ten ihm gut. Das und das Kodein.« »Gut.« Ich sah zu, wie er die Salbe auftrug und dann einen Gazeverband anlegte. Es geschah sachkundig und oh ne Aufhebens. Daß er eine ärztliche Ausbildung genos sen hatte, konnte man ihm glauben. »So«, sagte er schließlich. »Ist das besser?« »Danke, viel besser.« Pflichtschuldig bewunderte Mi chael den Verband. »Was war in der Reisetasche, Ge nosse Salah?« fragte er. »Haben Sie es nicht erraten?« »Vermutlich irgendeiner von Issas Zündern.« »Natürlich. Hätten wir den Zünder zwei Kilo hochex plosiven Sprengstoff zur Detonation bringen lassen, wären in Der’a ein paar Fensterscheiben zu Bruch ge gangen.« »Das kann ich mir vorstellen. Aber was hat die Zünder ausgelöst? Ich habe nichts gehört, bevor sie losgin gen.« Ghaled war offensichtlich erfreut. »Nein, Sie konnten nichts hören. Es hat alles einwandfrei funktioniert, nicht wahr?« Er kam wieder auf die Verbrennung zu sprechen. »Morgen wird sie schon weitgehend abge klungen sein. Wenn nicht, geben Sie Issa Bescheid. Vielleicht werde ich einen frischen Verband anlegen müssen.« »Ich bin sicher, daß es auch so in Ordnung kommt.« »Nun, sollte das nicht der Fall sein, wissen Sie, wie Sie sich mit mir in Verbindung setzen können.« Er schwieg einen Augenblick lang und verzog dann den Mund zu einem Lächeln, das seltsam einfältig wirkte. »Back gammon spiele auch ich gern, Genosse Michael.« Im ersten Moment glaubte ich mich verhört zu haben. Er bat tatsächlich darum, in die Villa eingeladen zu werden. Michael gelang es, seine Überraschung mit dümmlich strahlender Miene zu kaschieren. »Ich bin entzückt, das zu hören, Genosse Salah.«
»Und vielleicht besser als Dr. Hawa. Gewinnt er ge wöhnlich, oder sind Sie es, der gewinnt?« »Ich habe beim Spiel mehr Glück als Verstand.« »Ich glaube Ihnen nicht, daß Sie sich auf Ihr Glück verlassen. Sind Sie ein vorsichtiger Spieler?« »So gut wie nie.« »Ausgezeichnet. Es macht keinen Spaß, vorsichtig zu spielen. Wir werden ein spannendes Match veranstal ten. Aber erst in ein paar Tagen. Sie müssen sich jetzt ins Bett legen und ausruhen. Sie haben morgen viel zu arbeiten.« »Ja, das allerdings – an der Verfügung, Genosse Sa lah.« Michael hielt seinen verbundenen Arm hoch und betrachtete ihn nochmals voll Bewunderung. »Kein Krankenhaus hätte das besser machen können. Ich bin Ihnen außerordentlich dankbar.« Schon wieder das idiotische Lächeln. »Wir wissen uns selber zu helfen, Genosse Michael.« Sie waren beide widerwärtig. Im Wagen sagte ich: »Soviel zum Thema Druckan wendung.« »Was soll das heißen?« Michael klang überrascht. »Alles, was du dir damit eingehandelt hast, ist ein verbrannter Arm.« »Unsinn. Ohne die Verfügung wären wir beide heute abend nicht dort gewesen. Diese Demonstration hät ten wir niemals zu sehen gekriegt. Jetzt wissen wir doch wenigstens ungefähr, was für eine Sache das ist, mit der wir es zu tun haben.« Ich war zu angewidert, um mit ihm zu streiten. Sobald wir zu Hause waren, schenkte sich Michael entgegen den >ärztlichen< Anweisungen ein großes Glas Brandy ein. Und anstatt zu Bett zu gehen, bat er mich, meinen Stenogrammblock zu holen und ein Dik tat aufzunehmen. »Die Waffe, die Ghaled gegen die Israelis anzuwenden beabsichtigt«, diktierte er mir, »ist ein Sprengsatz, der aus zwei Kilo hochexplosivem Sprengstoff besteht und
durch ein Funk-Fernlenksystem gezündet wird. Die Gesamtzahl der Zünder, über die Ghaled verfügt, geht in die Hunderte. Selbst wenn wir Verluste, Fehlzün dungen und die Verwendung von zwei Zündern für jedes Paket in Abzug bringen, müssen wir davon aus gehen, daß eine große Anzahl – fünfzig oder mehr – dieser Sprengladungen plaziert werden. Zudem liegt die Annahme nahe, daß sie gleichzeitig gezündet wer den sollen.« »Wie?« Er überlegte kurz und zuckte dann die Achseln. »Ich verstehe nicht allzuviel von Elektronik.« Das stimmte. Es war der eigentliche Grund für seine Abneigung gegen das Elektronik-Montagewerk. Ob schon es wenig Gewinn abwarf, arbeitete es ohne Ver lust. Was ihm nicht paßte, war der Umstand, daß er nicht genau wußte, wie alles das, was dort gefertigt wurde, funktionierte. Schlimmer noch – wenn er sich etwas erklären lassen wollte, erhielt er die erbetene Auskunft gewöhnlich in einem technischen Fachjargon, den er nur zur Hälfte verstand; und obwohl er seine Fragen so zu stellen pflegte, daß es den Anschein hat te, als wisse er, wovon er redete, blieb ihm doch nichts anderes übrig, als die Antworten mit weisem Kopfnicken zu registrieren und so zu tun, als sei er in jeder Hinsicht zufriedengestellt. »Wer ist dieser Taleb?« fragte ich. »Der Werkmeister, der für die Magisch-Geräte verant wortlich ist, die wir im Auftrag der Armee und der Luftwaffe montieren. Ich wußte, daß Ghaled einen Elektronikfachmann irgendwo im Hintergrund hat. Ich hatte an unseren Iraki gedacht, aber Taleb kam dafür auch in Frage. Beide sind sie in Deutschland ausgebil det. Erzähl mir doch bitte, was geschah, als ich mit der Flugreisetasche losging. Was haben sie mit dieser Spieldose angestellt?« Ich berichtete es ihm. »Du sagst, daß die Tasche fast im gleichen Moment
explodierte, in dem das Geräusch hörbar wurde?« »Ja, aber danach wurde es viel höher.« Ich machte den Heulton nach, den ich gehört hatte. »Ah, ja. Ich verstehe zwar nicht viel von Elektronik, aber was in die alte Trickkiste eingebaut wurde, läßt sich mit ziemlicher Sicherheit sagen.« »Wirklich?« »Liegt das nicht auf der Hand? Erstens ein Hochfre quenz-Oszillator mit Bandantenne. Zweitens ein klei ner Generator, der ein paar Sekunden lang mit hoher Geschwindigkeit und voller Kraft betrieben werden kann. Das wird durch eine plötzliche Unterbrechung des Ge schwindigkeitsreglers und Umgehung des Haupt schaltwegs bewirkt. Dazu genügt eine kleine Kupp lungsklaue. Die Federn in diesen winzigen Dingern sind sehr stark. Nur eine davon braucht für einen Au genblick ganz losgelassen zu werden, um eine enorme Drehkraft zu entwickeln. Und ein Augenblick genügt schon. Er muß nur gerade so lang dauern, daß das Oszillatorsignal die Relais auslösen kann.« »Die was?« »Die elektronischen Relais, die mit den Zündern ver bunden sind. So ein Relais befand sich in der Tasche. Ich habe hinterher einen Blick auf die Überreste davon werfen können. Sie sahen aus wie das Innere eines kleinen Taschen-Transistorradios – oder ein ausge branntes Magisch-Bauelement. Ich rechne damit, daß wir auf einige Lücken in den betreffenden Lagerbe ständen stoßen werden, sobald wir der Sache nachge hen. Natürlich kann es sein, daß sie in den Listen nicht als Relais aufgeführt sind. Möglicherweise hat Taleb auch irgend etwas anderes bearbeiten oder umändern müssen, damit es als Relais funktioniert, aber das ist es, was sie brauchen – eine simple kleine Vorrichtung, die auf ein Funksignal reagiert, indem sie einen Ab schuß-Stromkreis schließt.« »Ich verstehe.« Ich verstand tatsächlich, so ungefähr
jedenfalls. »Jetzt schreib mal auf: Die Reichweite des Systems ist nicht bekannt, aber es gibt ein paar bezeichnende Hinweise. Bei der Demonstration betrug die Reichweite nur etwa einhundert Meter. Andererseits wurde das Relais mehrere Sekunden vor Erlangung der vollen Transmissionskraft ausgelöst. Mehr noch: zwischen Sender und Relais befand sich eine dicke Betonwand. Die effektive Reichweite bei voller Transmissionskraft und guter Sicht – das heißt, wenn der Sender auf See von einem Schiff aus betätigt wird und an Land befind liche Relais aktiviert – dürfte in Kilometern zu messen sein. Hast du das?« »Ja.« »Als erstes werden wir gleich morgen früh die Lager bestandslisten des Elektronik-Montagewerks auf Fehl bestände überprüfen. Von jedwedem Fertigteil, das nur noch in geringer Anzahl vorrätig ist, werde ich ein Muster brauchen. Taleb darf selbstverständlich nichts davon erfahren.« »Sonst noch etwas?« »Im Augenblick nicht. Bitte keine Durchschläge für die Abschrift dieser Notizen einspannen, sondern nur das Original. Ich werde weitere hinzuzufügen haben, neh me ich an.« »Gut. Und was die Verfügung betrifft, Michael – « »Ja, darüber müssen wir nachdenken. Aber nicht jetzt, meine Liebe. Ich glaube, jetzt gehe ich lieber schla fen.« »Soll ich dir etwas Kodein holen?« »Ist es das Zeug, das der Zahnarzt mir einmal ver schrieben hat?« »Ja.« »Das ist mir schlecht bekommen. Aspirin genügt.« Als wir im Bett lagen, stellte ich eine allerletzte Frage. »Michael, wozu brauchst du diese Notizen und warum willst du Muster von diesen elektronischen Bauelemen ten haben?«
Ich hoffte, die Antwort zu bekommen, die ich insge heim erwartete, aber er gab sie mir nicht gleich. Statt dessen drehte er sich auf die andere Seite, um den bandagierten Arm auf die Bettdecke legen zu können. Dann sagte er nachdenklich: »Ich glaube, mit dem, was wir jetzt wissen, läßt sich schon etwas anfangen. Ich glaube, es ist Zeit, daß wir es riskieren.«
6. Michael Howell 14. bis 29. Juni Drei Tage darauf flog ich nach Zypern; erst nach Fa magusta und dann nach Nikosia. Wir schrieben inzwi schen Mitte Juni. Es war töricht von mir. Ich gebe es zu. Indem ich jenen Augenblick für den geeigneten Zeitpunkt zum Handeln hielt, beging ich eben den Feh ler, vor dem ich Teresa gewarnt hatte: ich handelte voreilig. Ich glaubte inzwischen genug zu wissen, und wußte doch viel zuwenig. Ich hätte noch warten sollen. Entschuldigungen habe ich nicht vorzubringen. Die eigentliche Schwierigkeit bestand darin, daß ich in dem Bestreben, Ghaled unter Druck zu setzen, um ihn Fehler machen zu lassen, nicht genügend bedacht hat te, welchem Druck ich meinerseits in dieser Situation ausgesetzt sein würde. Damit meine ich nicht Dinge von der Art wie Ghaleds sadistisches kleines Spielchen mit der Luftreisetasche – wenngleich ich zu behaupten wage, daß es dazu beitrug, mein Urteilsvermögen zu trüben –, sondern den psychologischen Druck. Teresa hatte gut reden von Liquidation; aber ein Familienun ternehmen wie die Agence Howell ist schließlich kein Eckladen. Man kann nicht die Bestände verkaufen, bis das Lager geräumt ist, die Rollläden hinunterlassen und einfach davongehen – selbst wenn man es wollte, selbst wenn man sich nicht scheute, einen in der drit ten Generation bestehenden Konzern zum Teufel ge hen zu lassen, selbst wenn man den Goodwill und die Schadenfreude seiner Konkurrenten, die mit gierigen Fingern nach den Überresten greifen, ignorierte. Was da >liquidiert< wird, ist ein Organismus; ein Organis mus, von dem man selbst ein Teil ist und der ebenso sehr Teil von einem selbst ist wie die eigenen Einge weide.
Ich habe nicht die Absicht, hier zu schildern, wie ich auf Zypern mit der israelischen Abwehr Verbindung aufnahm; ich hoffe noch immer, daß die Israelis soviel Anstand haben werden, mir öffentlich zu bestätigen, daß ich es tat. Die persönlichen Risiken, die Teresa und ich auf uns nahmen, um diese Leute vor einer bevorstehenden Terroraktion zu warnen, waren be trächtlich; und wir kooperierten in jeder uns nur mög lichen Weise mit ihnen, um eine Katastrophe abzu wenden. Ich halte ihre Verschwiegenheit in dieser Sa che für gänzlich unangebracht. Ich verlange keine Dankbarkeit; ich habe nie erwartet, daß man mir auf die Schulter klopft und die Knesset beschließt, eine öffentliche Dankadresse an mich zu richten. Ich rechne nicht damit, von ihnen belobigt zu werden. Aber ein kleines Zeichen der Anerkennung käme mir gelegen. Zumindest würde es etwas von dem Makel des >Cer cle-Vert-Zwischenfalls< tilgen, der mir jetzt anhaftet und unter dem sowohl Teresa als auch ich zu leiden haben. Wie gesagt, ich hoffe immer noch. Aus eben diesem Grund sehe ich denn auch davon ab, hier eine Beschreibung von Ze’ev Barlevs Nachfolger zu geben, die zu seiner Identifizierung und damit Auf deckung führen könnte. Ich will mich auf die Feststel lung beschränken, daß er jeglichen Charmes erman gelte, daß sein Verhalten mir gegenüber abwechselnd gönnerhaft und verletzend war und das Ganze für mich eine höchst unerfreuliche Erfahrung darstellte. Meine Zusammenkunft mit dem Nachfolger – ich kann ihn ebensogut Barlev nennen – fand in einem Haus unweit von Nikosia statt. Wir unterhielten uns auf eng lisch; er hatte einen >regionalen< britischen Akzent. Alles, was er mir an Erfrischungen anbot, war eine abscheuliche Flaschenorangeade. Ich begann damit, daß ich erklärte, wer und was ich sei, aber er fiel mir ins Wort. Er wisse schon alles, was er von mir wissen müsse, sagte er. Was ich ihm denn in der Annahme,
es sei ihm nicht bekannt und müsse ihm unbedingt zur Kenntnis gebracht werden, zu berichten hätte? Ich schilderte ihm meine Entdeckung von Issas privater Arbeit im Laboratorium, worüber er sich offenbar herz lich amüsierte, und setzte meinen Bericht bis zu Gha leds Erscheinen auf der Szene fort. Das fand er, wie ich zu meiner Genugtuung feststellte, schon weniger komisch. Ghaled hatte im Lauf der Jahre zahllose Landsleute von ihm umgebracht und verdiente, ernst genommen zu werden. Die Einzelheiten meiner und Teresas’ Zwangsrekrutierung faszinierten ihn, und er wollte unbedingt den genauen Wortlaut des Eids er fahren, den wir hatten schwören müssen. Als ich ihm von den falschen Geständnissen erzählte, die unsere erzwungenen Unterschriften trugen, nickte er. »Ja, ich habe gehört, daß sie das tun. Unangenehm für Sie.« Unangenehm war ein Understatement, fand ich, be harrte aber nicht weiter auf diesem Punkt. Als Perso nen waren Teresa und ich für ihn von keinem beson deren Interesse, nur als Informanten. Ich setzte daher meinen Bericht mit einer Beschreibung der ZünderZwischenringe fort. Er unterbrach mich erneut. »Augenblick.« Wir saßen an einem Tisch, und er schob einen Notizblock zu mir hinüber. »Wir wär’s, wenn Sie von dem Treibsatz, den Sie da gesehen haben, eine Zeichnung machten?« »Okay.« Ich fertigte rasch eine Skizze an. Als ich anfing, die annähernden Maße einzutragen, unterbrach er mich wieder. »Das genügt, Mr.Howell. Die Dinger kennen wir ge nau.« »Was ist es denn?« »Sie haben richtig geraten. Es gehört in eine Rakete. In die Zwölf-Zentimeter-Katyusha. Hat einen FünfzigKilogramm-Sprengkopf und eine maximale Reichweite von etwa elf Kilometer. Eine ganze Reihe von den Ter
roristenbanden operiert mit der Katyusha. Ist für Kommando-Überfälle besonders gut geeignet. Vor ein paar Wochen haben sie ein Krankenhaus mit einer solchen Rakete beschossen. Eine einzige Salve tötete zehn Menschen. Die Abschußvorrichtung ist ganz sim pel und kann mit ein paar Winkeleisen rasch aufgebaut werden. Meist lassen sie sie zurück, wenn sie sich aus dem Staub machen.« »Woher kommen sie?« »Ist das eine ernst gemeinte Frage? Oh, ich verstehe jetzt, was Sie meinen – woher Ghaled sie bekommt? Nun, einige könnte er aus Jordanien mitgebracht ha ben. Aber ich glaube eher, daß die Algerier sie ihm überlassen haben. Diese chinesischen Zünder dürften wahrscheinlich von der türkischen BefreiungsUntergrundbewegung eingeschmuggelt worden sein. Oder vielleicht – « Er sprach den Satz nicht zu Ende. »Ich dachte, Sie seien hier, um mir etwas zu erzählen, was ich nicht wußte.« »Ich war bloß neugierig.« »Also, dann fahren wir jetzt fort. Bislang ist in dieser Sache für uns nichts drin. Es hätte mich gewundert, wenn Ghaled über keine Katyushas verfügte.« Daraufhin berichtete ich ihm dann von dem Schiff und den ferngesteuerten Funkzündern. Ich schilderte das Testschießen und überreichte ihm die Notizen, die ich mir gemacht hatte. Er las sie auch aufmerksam durch; tatsächlich las er sie sogar zweimal; aber natürlich tat er, als beein druckten sie ihn nicht. »Das sagt uns nicht viel, oder? Haben Sie sich von diesem Ding, diesem elektronischen Bauelement, das Ihrer Meinung nach verwendet worden sein kann, ein Muster beschafft?« »Ja, das habe ich.« Ich holte es aus meinem Aktenkof fer. Es sah eher nach einem Rahmbonbon aus als nach einem elektronischen Bauelement – einem sehr harten Rahmbonbon mit roten, gelben und grünen Nußsplit
tern darin. Auf einer Seite ragten die Enden metallener Verbindungsröhrchen heraus. Er legte es vor sich auf den Tisch und beäugte es aus giebig. »Hat es einen Namen?« »Nein, nur eine Bauelement-Nummer. Sie ist am Rand aufgeprägt – U siebzehn.« »Was meinen Sie – bedeutet U >Ubertragen« »Das weiß ich nicht.« »Haben Sie denn gar nicht herauszukriegen versucht, was es eigentlich ist?« »Der Mann, den ich danach hätte fragen müssen, wäre Taleb gewesen. Das schien mir keine sonderlich gute Idee zu sein.« »Schade. Über die Funkfrequenz, die sie benutzen, ist nichts gesagt worden?« »Nichts, was wir gehört hätten. Ich nahm an, Ihre Leute könnten das ermitteln, wenn sie das Ding da untersuchen.« »Das ist möglich.« »Na bitte. Dann brauchen Sie also nur noch eines zu tun – ihre Sendefrequenz stören.« »Was sollen wir tun?« »Ihre Sendefrequenz stören.« »Und alle ihre Bomben für sie zünden? Soll das ein Scherz sein?« »Ich bin kein Fachmann. Aber mit dem, was Sie jetzt wissen, werden Sie doch sicher irgend etwas dagegen unternehmen können.« Er sah mich mitleidig an. »Hören Sie, Mr. Howell, falls dieses Ding nicht durch ein verschlüsseltes Signal aus gelöst wird – das heißt, durch eine Kombination von Signalen, die wie das Gewirr eines Schlosses funktio niert, das sich nur drehen läßt, wenn Sie den richtigen Schlüssel benutzen –, hat jede Störung ihrer Frequenz denselben Effekt wie der Trick mit der Spieldose, den Sie gesehen haben. Dieses Relais, oder was immer es ist, sieht mir nicht komplex genug aus für die Art von Stromschaltung, die man für eine komplizierte Kode
kombination braucht. Es ist, wie Sie es in Ihren Noti zen genannt haben, eine simple kleine Vorrichtung. Sie könnte sogar rein zufällig ausgelöst werden.« »Zufällig?« Er antwortete nicht gleich. Er starrte auf einen imagi nären Punkt in mittlerer Entfernung, und es sah so aus, als habe er mitten in seiner Darlegung den Faden verloren. Nach einer Weile schien er ihn wiedergefun den zu haben. »Ich will Ihnen ein Beispiel nennen. Vor ein paar Mo naten passierte in einem neuen Appartementhaus in Tel Aviv etwas recht Merkwürdiges, für das man zu nächst keine Erklärung fand. Der Architekt war ein Amerikaner, und er hatte einen dieser ultramodernen ferngelenkten Türöffner am Garagentor installiert. Je der Mieter erhielt so ein kleines Ding mit einer Druck taste daran, das er im Handschuhfach seines Wagens verwahrte. Ein Druck auf die Taste, und das Tor öffne te sich, ein abermaliger Druck, und es schloß sich. So weit, so gut, nur daß sich das Tor zuweilen öffnete und schloß, auch ohne daß jemand auf eine Taste gedrückt hätte. Schließlich geschah es, daß das Tor seinen So loakt vollführte, als ein Mieter gerade hindurchfahren wollte. Das Wagendach wurde eingedrückt, und nun mußte etwas unternommen werden. Es dauerte einige Zeit, aber schließlich fand man die Lösung des Rätsels. Zwei Straßen weiter befindet sich ein Krankenhaus. Es stellte sich heraus, daß irgendein Teil eines medizini schen Geräts in der physiotherapeutischen Abteilung jedesmal, wenn der Apparat benutzt wurde, ein Funk signal ausstrahlte. Kein sonderlich starkes Funksignal, aber es lag auf derselben Frequenz wie der Türöffner, und seine Stärke reichte gerade aus, um ihn zu betä tigen. Verstehen Sie jetzt, was ich meine?« »Ja, aber – « »Kommen wir auf diese Schiffsgeschichte zurück.« Es war ein ausgesprochen abrupter Themawechsel, und den Grund dafür begriff ich erst sehr viel später.
Zu jenem Zeitpunkt machte ich keinen Versuch, mich dem zu widersetzen. »Was ist mit dem Schiff?« »Erzählen Sie mir nochmals, was gesagt wurde.« Ich wiederholte es. »Diese vier Passagiere – einer von ihnen wird Ghaled sein, nehme ich an – sollen dem Kapitän Kurs und Fahrt des Schiffs vorschreiben dürfen. Habe ich das richtig verstanden?« »Das haben Sie.« Er runzelte die Stirn. »Wieso die Fahrt? Warum Kurs und Fahrt? Verstehen Sie, worauf ich hinaus will? An genommen, diese Ihre Spekulationen stimmen – und Spekulationen sind es ja nur –, dann will sich jemand, sagen wir Ghaled, in der Nacht vom dritten auf den vierten Juli an irgendeinem Punkt befinden, der einige Kilometer von der Küste der Gegend um Tel Aviv ent fernt ist. Dort wird er auf die Taste an der Spieldose drücken und damit einige Bomben zünden, die auf dem Festland gelegt worden sind. So etwa stellen Sie sich das doch vor, nicht wahr?« »Ja.« »Nun, schon eine einfache Kursänderung würde ihn in eine Position bringen, aus der heraus er seine Salven mittels Knopfdruck abfeuern könnte. Dazu braucht er dem Kapitän nicht den Kurs vorzuschreiben, sondern ihn bloß zu fragen, wann das Schiff Tel Aviv passiert, und ihn bitten, etwas näher an die Küste heranzusteu ern, damit er die hübschen Lichter sehen kann.« »Er müßte ganz sicher sein, daß er innerhalb der Reichweite ist.« »Stimmt, das gebe ich zu. Aber es erklärt noch immer nicht, warum die Fahrt eine Rolle spielt.« »Der Zeitpunkt? Vielleicht der Herzl-Gedenktag?« »Ihnen zufolge hat er den Abend des Dritten vor Mit ternacht festgesetzt.« »Ja.« »Welche Zeitfaktoren sind sonst noch im Spiel? Die
Sprengladungen, die gezündet werden sollen, müßten – sofern es so viele sind, wie Sie glauben – lange zu vor plaziert worden sein. Sie haben natürlich keine Ahnung, wo er sie deponieren will?« »Nein.« Er schlürfte seine Orangeade. »Es ist alles sehr dürf tig«, klagte er. »Nichts Konkretes.« Ich deutete auf das Magisch-Bauelement. »Das zu mindest ist konkret.« »Vielleicht sagt es uns etwas, vielleicht auch nicht. Die Frage ist jetzt, was Sie tun werden.« »Ich? Ich bin hier und rede mit Ihnen, oder etwa nicht? Ich habe alles getan, was ich in dieser Sache zu tun gedenke. Jetzt sind Sie dran.« »Zu verhindern, daß Ghaled mit der Spieldose an Bord geht und auf den Knopf drückt? Haben Sie einen Vor schlag, wie wir das wohl machen sollten? Die Amalia Howell ist Ihr Schiff, nicht unseres.« Man hätte denken können, er sei derjenige, der mir einen Dienst erwies, und nicht umgekehrt. Die Unver frorenheit, die dazu gehörte, verschlug mir den Atem. »Sie wollen mir doch hoffentlich nicht nahelegen, das Schiff am Auslaufen zu hindern. Wenn das nämlich der Fall wäre – « »Aber nein, Mister Howell. Sie würden doch bestimmt Ärger mit Ghaled bekommen, meinen Sie nicht? Und Miss Malandra auch, das sollte mich jedenfalls nicht wundern. Womöglich reißt er Ihnen gleich den Kopf ab, und das geht ja nun wirklich nicht. Nein, nein, es fällt mir nicht im Traum ein, Ihnen zuzumuten, Ihren moralisch hochstehenden Prinzipien zuliebe irgendwel che Risiken einzugehen.« Der Sarkasmus wurde mit einem kleinen Lächeln ver abreicht. Ein tüchtiger Hasser war er, das mußte man ihm schon lassen. »Die bloße Tatsache, daß ich mit Ihnen rede, ist be reits riskant für mich«, entgegnete ich. »Wenn Ihre Leute nicht imstande sind, sich wirksame Gegenmaß
nahmen gegen diesen Relaistrick einfallen zu lassen, und Ghaled daher mit Gewalt daran gehindert werden muß, auf den Knopf zu drücken, so werden Sie das besorgen müssen. Ich werde passiv kooperieren, so weit mir das irgend möglich ist, aber das ist auch das Äußerste, was man von mir verlangen kann.« »Was verstehen Sie unter passiv kooperieren?« Aus seinem Mund klang es wie passiv korrumpieren. »Die Amalia bleibt bis Freitag nächster Woche in An cona, um dann nach Latakia auszulaufen. Ich könnte veranlassen, daß sie einen Ihrer Männer – einen aus gebildeten Agenten – als zusätzliches Besatzungsmit glied an Bord nimmt.« »Einen Mann gegen Ghaled und seine bewaffnete Leibwache? Was kann ein einzelner Mann in einer sol chen Situation schon ausrichten?« »Dann schicken Sie eben zwei, besonders bewährte und entschlossene Männer, versteht sich.« »Bewaffnet womit? Mit Handgranaten? Ganz so leicht können wir unsere Leute nun auch wieder nicht ab schreiben, müssen Sie wissen.« »Also gut, dann setzen Sie doch überlegene Kräfte ein. Sie haben eine Kriegsmarine. Entsenden Sie ein be waffnetes Patrouillenboot und fangen Sie die Amalia ab, bevor sie sich der Küste so weit genähert hat, daß Ghaled irgendwelchen Schaden anrichten kann. Entern Sie die Amalia und holen Sie ihn und seine Leibwache von Bord. Was ist dagegen einzuwenden?« »Das fragen Sie mich?« »Das tue ich allerdings.« »Sie, ein Schiffseigner? Sie fragen mich, warum wir ein Handelsschiff, das unter britischer CommonwealthFlagge fährt, nicht auf hoher See stoppen können, um an Bord zu kommen und ein paar Passagiere zu kid nappen?« »Es besteht immerhin ein Kriegszustand.« Er bedachte mich mit einem leidgeprüften Blick. »Muß ich Sie über die einschlägigen Völkerrechtsbestim
mungen belehren, Mr. Howell? Ein Kriegszustand mag bestehen, obschon der Waffenstillstand in Kraft ist. Was nicht besteht, ist eine offiziell verhängte Blocka de, die auch nur einigen Anspruch auf Wirksamkeit erhebt. Neutrale Schiffe ohne Berufung auf eine inter national anerkannte Blockade auf hoher See zu stop pen und zu durchsuchen, ist schlechterdings ungesetz lich. Und was das Kidnapping betrifft – « Er hob die Hände. »Ich kann Ihnen versichern, daß die Eigner der Amalia Howell keine Beschwerde erheben werden.« »Werden die Eigner der Amalia oder Sie als deren Ver treter zum bewußten Zeitpunkt an Bord des Schiffs sein?« Ich erkannte die Falle und wich sofort zurück. »Ich werde ganz bestimmt nicht an Bord sein.« »Dann würde der Kapitän des Schiffs mit Sicherheit Beschwerde einlegen. Er würde es müssen, und zu Recht. Das Verteidigungsministerium würde eine sol che Aktion niemals anordnen.« »Nun, wenn das Verteidigungsministerium nicht will, daß Ghaled im Raum von Tel Aviv auf diesen Knopf drückt, wird es irgend etwas anordnen müssen.« Er überhörte das. »Auf See können Augenschein und Entfernungen zuweilen trügen«, sagte er nachdenk lich. »Wäre es nicht möglich, daß Ghaleds Plan um eine Kleinigkeit danebengeht?« »Wie?« »Also, Sie geben Ghaleds Befehle an den Kapitän wei ter. Angenommen, Sie ändern sie ein bißchen. Könnte die Amalia sich dann nicht zur angegebenen Zeit statt vor Tel Aviv in der Nähe von Ashdod befinden?« »Ja, bei einer Sicht von nahezu Null wäre das mögli cherweise durchführbar. Aber Ghaled ist kein Dumm kopf. Und bei den Wetterbedingungen, die wir in die ser Jahreszeit zu erwarten haben, müßte er nicht bloß dumm, sondern auch halbwegs blind sein, um die Lichter von Ashdod für die von Tel Aviv zu halten.«
»Aber vielleicht könnte die Amalia weiter nördlich in israelische Hoheitsgewässer abirren – sagen wir knapp südlich von Haifa?« »Abirren! Sagten Sie abirren?« »So etwas kommt vor.« »Die Amalia ist kein Fischerboot. Sie ist ein Viertau send-Tonnen-Frachter, der einen erfahrenen Kapitän und eine bewährte Mannschaft hat und vertraute Ge wässer befährt.« »Sie haben gesagt, Sie wollten kooperieren, Mr. Ho well. Sie bitten um die Entsendung eines israelischen Patrouillenbootes und eines Prisenkommandos, das Ihnen Ghaled von Bord schaffen soll. Alles, worum ich Sie bitte, ist eine gewisse Unterstützung von Ihrer Seite, damit wir die Voraussetzungen schaffen, unter denen wir Ihrem Wunsch entsprechen können.« »Sie entsprechen keinem Wunsch von mir. Ich versu che, Ihren Wünschen zu entsprechen.« »Warum kann der Kapitän nicht einfach per Funk spruch Hilfe anfordern?« »Aus welchem Grund? Weil er einen Passagier mit ei ner Spieldose an Bord hat, die ihm nicht gefällt? Nein, die Initiative müßte schon von Ihnen ausgehen.« »Aber was für eine Art von Initiative?« »Wie Sie schon sagten, können Entfernungen auf See täuschen. Nehmen wir einmal an, Ihrer Küstenradar station unterläuft ein kleiner Fehler. Tatsächlich befin det sich das Schiff eine Meile außerhalb der Hoheits gewässer, aber Ihre Leute behaupten steif und fest, es sei eine Meile innerhalb der Hoheitsgrenze. In jedem Fall kommt ihnen das Schiff verdächtig vor. Sie geben Weisung, zwecks Überprüfung der Schiffspapiere oder weil sie vermuten, daß es ein Schmugglerschiff ist, Haifa anzulaufen. Der Kapitän gehorcht unter Protest. Entschuldigen können Sie sich später immer noch.« »Ist das das Äußerste, was Sie tun können, Mr. Ho well?« »Ja. Der Ball liegt in Ihrem Vorgarten. Wenn Sie zu
pingelig sind, um die Bestimmungen des internationa len Seerechts ein klein wenig zu beugen, dann tut es mir leid. Wohlgemerkt, ich halte Sie keineswegs für pingelig. Sie hoffen bloß, daß ich Ihnen die Rechts beugung abnehme. Nun, ich denke gar nicht daran. Ich habe schon genug zu tun mit der Aufdeckung von Verstößen gegen meine eigenen Bestimmungen, mei ne eigene Geschäftsordnung. Der Kapitän eines Schiffs mag Angestellter des Eigners sein, aber er wird sich nicht so verhalten, als sei er unfähig, bloß weil der Eigner anfängt, ihm törichte Anweisungen zu erteilen. Der Kapitän ist nach wie vor verantwortlich.« »Selbst wenn der Schiffseigner an Bord und gewillt ist, die Verantwortung zu übernehmen?« »Selbst dann. Aber wie auch immer, der Eigner wird keinesfalls an Bord sein.« Er seufzte theatralisch. »Kooperation? Nun gut. Fassen wir zusammen. Wir wissen nicht, welche Frequenzen Ghaled benutzen wird. Wir wissen nicht, welche Kurs änderungen er Ihnen vorschreiben wird, die Sie dem Kapitän weiterzuleiten haben werden. Halt, ich muß mich berichtigen: Kurs- und Geschwindigkeitsände rungen. Wir wissen nicht, warum die Geschwindigkeit dabei eine Rolle spielt. Wir wissen nicht, an welchen Orten diese Bomben gelegt werden sollen und wie. Wir wissen nicht, wir wissen nicht. Wann werden Ihnen diese Kursund Geschwindigkeitsänderungen mitgeteilt werden? Sagen Sie es nicht, lassen Sie mich raten. Sie wissen es nicht.« »Stimmt. Sobald ich etwas erfahre, setze ich mich wieder mit Ihnen in Verbindung.« »Nicht mit mir, unter keinen Umständen. Versuchen Sie es gar nicht erst.« Das wurde mir mit einem gestrengen Blick verabfolgt, den ich meinerseits mit einem ebensolchen erwiderte. »In Ordnung. Mir soll es recht sein. Vergessen wir die Sache also ganz einfach.« »Ich dachte, Sie hätten uns Ihre passive Kooperation
in Aussicht gestellt. Tut es Ihnen schon leid, das An gebot gemacht zu haben, und wollen Sie es jetzt zu rückziehen?« »Das liegt bei Ihnen. Sagen wir, ich finde die ganze Art, mit der mein Angebot aufgenommen wurde, alles andere als ermutigend. Ja, ich wäre durchaus geneigt, es zurückzuziehen.« Er schnaubte verächtlich. »Blödsinn, Mr. Howell! Sie können bloß kein offenes Wort vertragen. Sie sind hergekommen, um Ihr Gewissen zu erleichtern. Was haben Sie erwartet? Blumensträuße?« »Die normale Höflichkeit hätte mir genügt.« »Hups! Pardon. Wir sind Ihnen wirklich sehr dankbar, Mr. Howell, glauben Sie mir. Sehr, sehr dankbar für alle diese Informationen und Nichtinformationen, die Sie uns gebracht haben. Reicht das? Jetzt trinken Sie noch ein Glas Orangeade und beruhigen sich erst ein mal.« »Nein, danke.« Er füllte mein Glas dennoch aufs neue. »Reines Vit amin C. Sie mögen nicht? Na gut, dann lassen Sie es stehen. Ich will Ihnen, so höflich und artig ich kann, jetzt sagen, was ich tun werde. Ich werde dieses Bau element hier analysieren lassen. Vielleicht bringt uns das weiter, vielleicht auch nicht. Wieder so ein Fall von >Wissen wir nicht<, aber auf einen mehr oder weniger kommt es schon gar nicht mehr an. Zweitens werde ich diese Intervention vorschlagen, an die Sie denken. Vorschlagen, wohlgemerkt, mehr kann ich nicht tun. Drittens: wie immer auch über die Frage des Eingrei fens und, falls eingegriffen werden soll, über die Art und Weise entschieden wird, die Informationen über die Kurs- und Geschwindigkeitsänderungen brauche ich geraume Zeit vorher. Wie sieht es damit aus?« »Ghaled ist gerissen und ständig voller Argwohn. Ganz und gar trauen tut er keinem.« »Wieweit traut er Ihnen?« »Darüber ist er sich nicht schlüssig. Wenn Sie glauben,
ich könnte ihn ganz beiläufig um die Information bit ten und sie bekommen, sage ich Ihnen schon jetzt, daß das nicht funktionieren wird. Die Initiative muß von ihm ausgehen. Ich kann ihn natürlich provozie ren.« »Wie?« »Die Amalia wird drei Tage lang in Latakia bleiben und dort Kargo löschen und laden. Ich könnte glaubwürdig damit argumentieren, daß ich den Kapitän erst etwas bearbeiten müsse, um ihn dazu zu bewegen, zunächst die Passagiere zu akzeptieren und dann auch in die gewünschten Kursänderungen einzuwilligen.« »Und werden Sie das müssen?« »Nicht allzusehr.« »Dann wird es also doch auf eine Information in letz ter Minute hinauslaufen.« »Ich will versuchen, eine Möglichkeit zu finden, um sie früher zu erhalten, aber verbindlich zusagen kann ich es Ihnen nicht. Und da wir gerade beim Thema >ver bindliche Zusagen< sind – es gibt da ein paar Dinge, über die Ihrerseits keinerlei Unklarheit herrschen soll te.« »Sie drohen schon wieder mit dem Zeigefinger, Mr. Howell. Worüber sollte auf unserer Seite keine Unklar heit herrschen?« »Meine privaten Anweisungen an Kapitän Touzani von der Amalia werden ihm viel Entscheidungsspielraum lassen. Ich weiß noch nicht, wieweit ich ihn ins Bild setzen muß, aber er ist ein erfahrener Mann, und man kann sich darauf verlassen, daß er vernünftig handelt. Wenn eine geringfügige Abweichung von dem Kurs, den Ghaled vorschreibt, es Ihren Leuten ermöglicht, das Schiff vor Haifa aufzubringen, wird Touzani diese Kurskorrektur vornehmen. Sollte er sich jedoch ge zwungen sehen, einen Kurs zu steuern, der ihn direkt in den Bereich von Tel Aviv bringt, werden meine An weisungen ihm Einschränkungen auferlegen.« »Wie zum Beispiel?«
»Wenn Ghaled vorhat, diesen Sender von irgendwo knapp außerhalb der Sechsmeilenzone, sagen wir sie ben Meilen von der Küste entfernt, zu betätigen. Dar aus wäre vermutlich zu schließen, daß die äußerste Reichweite des Senders etwa acht oder neun Meilen beträgt. In diesem Fall würden meine Anweisungen an Kapitän Touzani dahingehen, sich der Küste allenfalls auf zehn Meilen zu nähern – wenn er sich an diese Weisung halten kann, ohne Verdacht zu erregen. Eine Positionsabweichung von drei Meilen mag unbemerkt durchgehen, solange kein Land in Sicht ist. Aber in unmittelbarer Küstennähe, wo es Leuchtfeuer gibt, die auf den Seekarten verzeichnet sind und Positionsor tungen ermöglichen, dürfte das nicht so einfach sein.« »Und was folgt daraus?« »Daraus folgt, daß Ihre Leute, Bestimmungen hin, Bestimmungen her, bereit sein müssen, sofort ein zugreifen, sobald sich die Amalia Tel Aviv auf zehn Meilen nähert. Welche Reichweite haben die Radarsta tionen an der Küste bei Tel Aviv? Fünfzehn, sechzehn Meilen?« »So ungefähr.« »Also bitte, da haben Sie es. Vielleicht wird Touzani seine Entfernung beibehalten können, vielleicht aber auch nicht. Ihre Leute müssen wachsam und in stän diger Bereitschaft sein für den Fall, daß er es nicht kann.« »Angenommen, er kann.« »Dann wird es in der bewußten Nacht an Land voraus sichtlich keine Detonationen geben, und voraussicht lich wird Ghaled sehr bald wissen, daß irgend etwas schiefgelaufen ist. Vielleicht kommt er in irgendeiner anderen Nacht wieder, um es nochmals zu versuchen. Natürlich wird er nach Sündenböcken suchen. Kapitän Touzani erhält von mir Order, dafür Sorge zu tragen, daß er nicht zu ihnen zählt. Ich kann es mir ebenso wenig leisten, meine Leute einfach abzuschreiben, wie Sie Ihre.«
»Und wie werden Sie klarkommen?« »Was Ghaled betrifft, werde ich meine Anweisungen befolgt haben. Seien Sie unbesorgt. Ich gedenke mich zu salvieren.« »Aber Sie hätten trotzdem nichts dagegen, wenn wir ihn uns für Sie schnappten, falls wir das können.« »Wollen Sie sich ihn denn nicht schnappen, zum Teufel noch mal?« »Schon gut. Halten wir fest: Frühzeitiges Eingreifen, wenn angezeigt, oder späteres, wenn es danach aus sieht, als nähere er sich zu sehr der Küste. Wir werden alles für Sie tun, was wir können.« Für mich! Er war wirklich unausstehlich. »Und jetzt zur Kommunikation, Mr. Howell. Wie ich schon sagte, keine direkte Übermittlung zwischen Ih nen und mir.« »Mein Büro in Famagusta könnte das auf indirektem Wege besorgen.« »Wissen Sie nicht, daß Oberst Shiklas Leute alles kon trollieren, was Sie hinausgehen lassen?« »Ich könnte eine Kursänderung als Preisangebot frisie ren.« »Das ist Taschenspielerei. Wir wollen auf sicher gehen. Es wäre mir lieber, wenn Sie Miss Malandra benutz ten.« »Wie?« »Sie fliegt doch öfter mal nach Rom, um sich mit ihren Anwälten wegen der Besitzungen ihrer Familie zu be sprechen. Wegen all der brachliegenden Ländereien im mezzogiorno, die sie noch immer für sie loszuschlagen versuchen, stimmt’s nicht?« Er wartete darauf, daß ich ihn fragte, woher er das wisse, fuhr dann aber, als ich bloß nickte, fort. »Sobald Sie die Information erhalten, setzen Sie sie damit in die nächste Maschine nach Rom. Dann schik ken Sie ein Telegramm an Ihr Büro in Famagusta mit der Anweisung, für ihre Hotelkosten in Nikosia aufzu kommen, falls sie auf dem Rückweg dort Station
macht. Kein weiteres Wort. Ich weiß dann schon Be scheid.« »Wird sie dort Station machen?« »Nein. Die Information lassen wir uns in Rom von ihr geben. Sie steigt immer im Hassler ab, habe ich recht? Wir werden sie dort kontaktieren und Ihren Namen nennen. Gut?« »Angenommen, Ghaled macht Einwände. Vergessen Sie nicht, wir sind Befehlsempfänger des PAK.« »Er hat Sie regelrecht vereinnahmt, wie? Könnte mir denken, daß das nicht allzu schwierig für ihn gewesen sein dürfte. Sagen Sie ihm nichts und telegraphieren Sie Famagusta erst, wenn sie in der Maschine sitzt. Anschließend spielen Sie den Unschuldigen, wenn es sein muß. Das sollte Ihnen nicht sonderlich schwerfal len.« »Angenommen, ich kriege die Information nicht, an genommen, der Plan wird in letzter Minute geändert.« »Dann schicken Sie Miss Malandra, um uns zu ver ständigen. Einzelheiten wie gehabt.« »Das ist alles sehr unsicher.« »An wem liegt das? Sie sind derjenige, der Zugang zu den Informationen hat.« »Sie könnten die Amalia beschatten und sich aufgrund dessen, was ich Ihnen gesagt habe, die Information über den Kurswechsel selber besorgen.« »Ist Ihnen bekannt, wie klein die israelische Flotte ist?« »Ja.« »Dann seien Sie doch vernünftig, Mr. Howell. Ein schnelles Patrouillenboot, um das Schiff aufzubringen, das ist vertretbar. Vielleicht schicken wir auch einen Zerstörer, wenn es kritisch wird. Aber wir wollen doch die Kirche im Dorf belassen. Wir sind nicht die Sechste amerikanische Flotte, und wie die Dinge liegen, haben wir mit der Wahrnehmung der anfallenden Siche rungsaufgaben schon vollauf genug zu tun. Ein unbe waffnetes Handelsschiff während der ganzen Fahrt von
Latakia herunter beschatten lassen? Wenn ich das vorschlage, denken die, ich sei nicht mehr bei Trost.« »Nun, das ist Ihre Sache, nicht meine. Ich finde nur, daß wir allzuviel dem Zufall überlassen und die Dinge unnötig komplizieren.« »Wieso? Sie schicken Ihrem hiesigen Büro dieses un verfängliche kurze Telegramm, und wir werden ent sprechend handeln. Innerhalb weniger Stunden – kaum mehr, als die Flugzeit Damaskus-Rom beträgt – werden wir dann Ihre Botschaft bekommen haben, im Klartext und unter Ausschluß etwaiger Übermittlungs fehler oder Mißverständnisse. Was soll daran so kom pliziert sein?« Ich antwortete nicht sofort, weil ich inzwischen nicht mehr bloß verärgert, sondern auch verwirrt war. Was mich ärgerte, das war – außer diesem unerträglichen Menschen natürlich, der mir gegenübersaß und mich selbstgewiß musterte – die Erkenntnis, daß das Palä stinensische Aktionskommando nicht die einzige Un tergrundorganisation zu sein schien, die die Agence Howell ohne mein Wissen unterwandert hatte. Der Anlaß meiner Verwirrung hatte mit Teresa zu tun. Der Gedanke, daß sie sich fernab in Rom in Sicherheit be finden würde, wenn Ghaleds Operation anlief, erleich terte mich weit mehr, als ich erwartet hatte. Natürlich argwöhnte ich, daß an der Sache irgend etwas faul sein müsse. Aber ich konnte nicht entdecken, was. Schließlich nick te ich. »Okay«, sagte ich und trank gedankenlos noch einen Schluck Orangeade. Barlev lächelte beifällig. »Voller Vitamin C, das Zeug«, sagte er nochmals. »Und noch dazu die richtige Sorte Zucker. Gut für Sie, Mr. Howell.« Obwohl ich drei Tage fortgewesen war und es mir da her nicht leisten konnte, auf der Rückreise zusätzliche Zeit zu verlieren, flog ich nach Beirut und kehrte von dort mit dem Wagen nach Damaskus zurück.
In Wahrheit verhielt es sich so, daß ich mich zwar der VIP-Sonderbehandlung, die mich auf dem Flughafen erwartet hätte, in meiner augenblicklichen Verfassung keineswegs gewachsen fühlte, mir jedoch andererseits mit Unbehagen der Tatsache bewußt war, daß Dr. Ha wa, wäre ich mit dem Flugzeug eingetroffen, ohne ihn wie üblich von meiner Ankunft im voraus in Kenntnis zu setzen, sich zweifellos darüber gewundert haben würde. Das ist bezeichnend für die Wirkung, die der Umgang mit Leuten vom Geheimdienst auf mich aus übt; ich werde heimlichtuerisch und schrullig. In ihrer Branche würde ich keine fünf Minuten überdauern. Im Büro erwartete mich der übliche Rückstand, aber ich machte keine Anstalten, ihn mit Teresas Hilfe auf zuarbeiten. Unsere außerplanmäßigen Tätigkeiten gin gen jetzt vor. Ich erzählte ihr mehr oder weniger ausführlich, wie die Zusammenkunft mit >Barlev< verlaufen war. Sie hör te mir auch ganz ruhig zu, bis ich auf den Teil der Un terhaltung zu sprechen kam, der sie betraf. Da wurde sie ungehalten. »Soll das heißen, daß diese Israelis ihre Nasen in mei ne Privatangelegenheiten gesteckt haben?« »Sie stecken ihre Nasen in die Privatangelegenheiten aller ihrer Feinde.« »Ich bin nicht ihr Feind.« »Hier gelten wir alle als Feinde. Deswegen haben sie Dossiers über uns angelegt. Es ist müßig, sich darüber aufzuregen.« »Es regt mich aber auf.« »Hoffentlich nicht so sehr, daß du es ablehnst, nach Rom zu gehen.« »Oh, ich tue das schon, wenn es sein muß, aber dies sind schließlich private Dinge. Wie ist es möglich, daß sie darüber Bescheid wissen?« »Landbesitz, Testamente und Treuhänderschaften sind aktenkundig. Sie brauchen nur nachzuschlagen.« »Also, mir geht das gegen den Strich.«
»Wenn das Schlimmste, was mit uns passiert, eine geringfügige Verletzung unserer Privatsphäre sein soll te, wären wir noch einmal glimpflich davongekommen. Also hör auf, dich zu giften, und erzähl mir jetzt deine schlechten Nachrichten.« »Erstens, du sollst dich bei Issa melden. Das ist sehr dringend. Zweitens, du sollst Abouti anrufen. Das ist auch sehr dringend. Drittens, du sollst dich zum frü hest möglichen Zeitpunkt mit Dr. Hawas Kanzleichef in Verbindung setzen. Das sind vordringliche Sachen, die alle drei miteinander zusammenhängen, scheint mir.« »Die Verfügung für die Batteriefabrik?« »Ja, aber ich konnte keine Einzelheiten erfahren. Die Herren reden nur mit dir.« »Ich fange mit dem Chef an.« Er war weitschweifig wie immer, aber schließlich ka men wir doch noch zur Sache. »Wegen der Vermes sungs- und Planierungsarbeiten auf Ihrem Cercle-VertGelände sind gewisse Bedenken geltend gemacht wor den, Mr. Howell.« »Von wem, Chef?« »Von – äh – von zuständiger Stelle.« >Zuständige Stelle< war der gebräuchliche Euphe mismus für Oberst Shikla und seine lustigen Gesellen vom Inneren Sicherheitsdienst. »Bedenken?« »Hinsichtlich der – äh – Sicherheitsvorkehrungen und der Übertragung der Aufsichtspflicht an die örtliche Polizeibehörde. Soweit ich weiß, richten sich die Be denken insbesondere gegen die Nachtarbeit.« »Würden Sie es vorziehen, wenn die Nachtarbeit sus pendiert werden könnte, bis diese Frage auf entspre chender Ebene entschieden worden ist?« »Ja, Mr. Howell, das würde ich in der Tat. Ich weiß, und der Minister weiß, daß es sich um vordringliche Arbeiten handelt, aber wenn sich, ohne daß dadurch allzu große Ungelegenheiten entstünden, eine Rege lung finden ließe, eine Zwischenlösung – «
»Ich verstehe, Chef. Mehr brauchen Sie gar nicht zu sagen. Ich werde mich der Sache umgehend in Ihrem Sinne annehmen.« Er war dankbar. Einem chef de bureau konnte das Leben sehr sauer gemacht werden, wenn die >zuständige Stelle< nicht bekam, was sie von ihm wollte. Eines bestärkte mich: Ghaled hatte meiner Beteue rung, in der Verfügungsangelegenheit unschuldig zu sein, offenbar Glauben geschenkt und sich hilfesu chend an seine Bundesgenossen im ISD gewandt. Ich wurde nicht sonderlich dringend verdächtigt, jedenfalls im Augenblick nicht. Abouti sträubte sich zunächst. Da er für die Nachtar beit das Dreifache kassierte und bestenfalls das An derthalbfache auszahlte, fand meine Instruktion, sie einzustellen, bei ihm keine verständnisvolle Aufnahme. »Mein Bester, Sie haben auf größtmögliche Beschleu nigung gedrungen«, wehklagte er. »Ich mußte meine tüchtigsten Leute von anderen Arbeiten für diesen Auftrag abziehen. Ich muß planen, um das für Sie möglich zu machen. Ich kann nicht dauernd umdispo nieren.« »Die Schwierigkeiten sind nur vorübergehend, mein Freund, nur vorübergehend, das versichere ich Ih nen.« »Das sind doch gar keine Schwierigkeiten, mein Be ster, das sind bloß betises. Ich weiß Bescheid. Ich kenne Rashtis Berichte. Es hat ein- oder zweimal Aus einandersetzungen mit Ihren Wachleuten gegeben, die ungewöhnlich dumm sind. Einen grotesken Wortwech sel mit dem Fahrer von Ihrem Lastwagen. Das ist al les.« Ich hätte fast gefragt: »Was für ein Lastwagen?«, be sann mich aber gerade noch rechtzeitig. »Von welchem Lastwagen?« fragte ich statt dessen. »Welcher Fahrer war es?« »Welcher? Haben Sie nachts solchen Hochbetrieb dort? Spielt der Name eine Rolle? Warten Sie, Rashti
ist gerade hier. Ich werde ihn fragen.« Vorsorglich legte er die Hand auf die Sprechmuschel, während er mit Rashti redete. Dann meldete er sich wieder. »Er sagt, daß der Laster ein Mercedes-Benz-Diesel und der Fahrer ein kleiner Kakerlak ist, den er mit zwei Fingern seiner linken Hand zerquetschen wird, wenn Sie ihm dazu die Erlaubnis geben.« »Bedauerlicherweise liegen die Dinge nicht ganz so einfach, mein Freund. Wie ich schon sagte, sind die Schwierigkeiten nur vorübergehender Art. Aber die Vorfälle, von denen Sie da sprechen, haben nichts mit den Schwierigkeiten zu tun, die uns im Augenblick zu schaffen machen. Diese Schwierigkeiten, die wir am Telefon besser nicht erörtern sollten, wurden uns von >zuständiger Stelle< bereitet. Es dreht sich um Fra gen der Grenzsicherheit und polizeilichen Zuständig keit.« Selbst Abouti konnte die >zuständige Stelle< nicht leichthin abtun. Er schwieg einen Augenblick lang und sagte dann dreimal »Ah«, und das auf dreierlei verschiedene und ungemein ausdrucksvolle Weise. Anschließend wartete er darauf, von mir einen Fingerzeig zu bekommen. »Ein klein wenig Geduld?« schlug ich vor. »Ja, ja, mein Bester. Unter solchen Umständen sollte man nichts übereilen.« »Gut. Wir bleiben in Verbindung. Aber vorerst ist Schluß mit der Nachtarbeit. Einverstanden?« »Einverstanden. Ich wünsche nicht – « Er sagte nicht, was er nicht wünschte, nämlich es in irgendeiner Wei se mit der zuständigen Stelle zu tun zu bekommen. »Ja, wir bleiben in Verbindung«, schloß er und hängte ein. »Wann sind die Zwischenringe geliefert worden?« fragte ich Teresa. »Einen Tag nachdem du nach Famagusta abgeflogen bist.«
Das bedeutete, daß die Zwischenringe jetzt irgendwo – vermutlich in der Batteriefabrik – nachts an die Ka tyusha-Raketengeschosse geschraubt wurden. Ich hatte im Bereich von Damaskus nicht viele Last wagen laufen. Es gab einen Transport-Pool, der auf dem Gelände des Keramikwerks eingerichtet worden war und den diversen kooperativen Unternehmen bei Bedarf zur Verfügung stand. Ich benutzte meist Fiats. Das größte Fahrzeug, das ich besaß, war ein BerlietLaster, der vorwiegend zum Transport der Möbelliefe rungen eingesetzt wurde. Ich hatte nicht einen einzi gen Mercedes-Benz-Diesel. Der >kleine Kakerlak< – Issa vermutlich – bediente sich des Fuhrparks irgend eines anderen Unglücklichen, um die Katyushas an ihren Bestimmungsort zu schaffen. Ich verschwendete keinen weiteren Gedanken an die Sache. Barlev hatte gesagt, es wäre verwunderlich gewesen, wenn Ghaled nicht über ein paar Katyushas verfügt hätte. Mir konnte es gleich sein, wohin sie ge schafft wurden; jedenfalls glaubte ich das in meiner Ahnungslosigkeit. Das mit dem Mercedes-BenzDiesellaster dagegen merkte ich mir. Auch das war bedauerlich. »Und Ghaled?« fragte Teresa. »Willst du dich nicht bei Issa melden? Sie wissen, daß du zurück bist.« Ich faßte einen Entschluß. »Sag Issa, daß die Nachtar beit eingestellt wird.« »Nur das?« »Nein. Sag ihm auch, er soll unserem Herrn und Mei ster eine private Einladung übermitteln.« »Kommen wir wirklich nicht drum herum?« »Nein. Ich muß ihn von seiner eigenen Basis loseisen und auf unsere herüberziehen. Bitte ihn für übermor gen zum Abendessen und Backgammon oder, falls ihm das nicht paßt, für einen beliebigen anderen Abend, der ihm genehm ist.« »Wann soll ich nach Rom fliegen?« »Deswegen laden wir ihn ja zum Dinner ein – um zu
sehen, ob wir das bei der Gelegenheit nicht aus ihm herausbekommen können.« Am darauffolgenden Morgen fuhr ich nach Latakia, um unseren dortigen Schiffsagenten aufzusuchen. Sein Name war Mourad, Gamil Mourad, und wenn ich in der Vergangenheitsform von ihm spreche, so des halb, weil er kürzlich jede Verbindung mit der Agence Howell abgebrochen hat. Ein Schiffsagent wie Mourad ist in den seltensten Fällen Angestellter einer einzigen Firma; meist betreibt er seine Geschäfte auf eigene Rechnung, vertritt die Interessen verschiedener Ree der, stellt Frachtladungen für sie zusammen und erle digt alle schriftlichen Formalitäten, die mit dem Laden und Löschen zusammenhängen: Zolldeklarationen, Konnossemente, Versicherungspapiere und so weiter. Er ist eine Art Manager für den Seegüterverkehr. Ich mache es Mourad nicht zum Vorwurf, daß er sich von uns getrennt hat. Der alte Mann lag mir nicht, und er hat Grund zur Klage – wenngleich ich mich, ehrlich gesagt, nicht erinnern kann, jemals eine Zeit erlebt zu haben, in der er nicht geklagt hätte. Das entsprach nun einmal seinem Wesen und gehörte zu seinem Ge schäftsgebaren. Mein Vater hat viel von ihm gehalten. Er war sehr fett, litt an chronischem Bronchialkatarrh und trug stets ein großes buntes Taschentuch in der Rechten, das er nicht bloß als Schnupftuch, sondern auch als Fliegenklatsche, als Fächer und als Signal flagge zur Unterstreichung seiner Gesten benutzte. Als ich ihn aufsuchte, brütete er noch über den Fahr planänderungen, die der für ihn überraschend lange Aufenthalt der Amalia in Tripolis nach sich gezogen hatte. Er vollführte abwärtsgerichtete Flatterbewegun gen mit seinem bunten Taschentuch, um mir sein Miß fallen zu signalisieren. »Ich wußte gar nicht«, schnaufte er, »daß diese Libyer so schwierig geworden sind.« Mit >schwierig< meinte er >über das vertretbare Maß hinaus bestechlich<.
»Jetzt, wo sie Öl haben«, sagte ich, »glauben alle, sie müßten reich werden.« »Öl! Ah, ja.« In Syrien, dem einzigen arabischen Land ohne eigenes Ölvorkommen, läßt sich nahezu jeder geschäftliche Mißerfolg mit dem Hinweis auf das Öl entschuldigen. »Aber solche kleinlichen Schikanen sind neu.« Sie waren nicht nur neu, sondern hatten sich für mich persönlich auch als ungemein kostspielig erwiesen. Ich hatte einem Kerl, von dem ich wußte, daß er ein Gau ner war, als Mittelsmann aus eigener Tasche fünfhun dert Dollar zahlen müssen, die noch zu den Schmier geldern für die Libyer hinzukamen. Er würde vorerst dichthalten, weil ich ihm weitere Kommissionsgeschäf te dieser Art versprochen hatte und er noch immer herauszufinden versuchte, warum ich meine eigenen Schiffe sabotierte; aber irgendwann würde er reden. Selbst wenn man ihm nicht uneingeschränkt Glauben schenkte, würde seine Geschichte die Agence Howell ins Gerede bringen. »Diese Verzögerung hat uns viel Geld gekostet«, be harrte Mourad. »Das hier bringt es vielleicht wieder ein. Bitte.« Ich reichte ihm eine Liste der Frachtverschiffungen, die von Seiten meiner kooperativen Unternehmen anfallen würden. Sie waren beträchtlich. Kopfschüttelnd überflog er die Liste. »Ist das alles?« »Was haben Sie für die Amalia?« »Rund hundert Tonnen Roheisenbarren. Sie wird halb leer fahren müssen.« Er nannte ein Schiff nie halb voll; wenn es nicht bis über das Schandeck geladen war, bezeichnete er es als >halb leer<. »Sie wird diesmal auch Passagiere befördern.« »Passagiere!« Hätte ich >Schimpansen< gesagt, wäre er auch nicht überraschter gewesen. »Ganz recht. Für Alexandria. Vier an der Zahl.«
»Zahlende Deckpassagiere?« »Deckpassagiere, selbstverständlich.« Da auf der Amalia für Fahrgäste keine Unterkünfte vorhanden waren, konnten sie schwerlich etwas anderes sein. »Ob sie allerdings zahlen werden, weiß ich nicht.« Er musterte mich mit einem befremdeten Blick, was ich nicht verwunderlich fand. »Mr. Howell, das ist ja etwas völlig Neues.« »Sie wissen sehr gut, Mr. Mourad, daß wir uns hier in steigendem Maß an staatlichen Handelsgeschäften beteiligt haben.« »Ja, ja.« Das war ein geschnauftes Lamento über die verlorene Unschuld der Agence Howell. »Und daß diese Beteiligung uns viele geschäftliche Vorteile gebracht hat.« »Viele, sagen Sie? Ein paar, würde ich meinen, nur ein paar.« »Ob ein paar oder viele – für Vorteile müssen früher oder später Gegenleistungen erbracht werden.« »Ah.« Unheilschwanger. »Nachdem uns gewisse Vorteile eingeräumt wurden, müssen wir gewärtig sein, gelegentlich an unsere Dankesschuld erinnert zu werden.« »Das ist immer das Ärgerliche daran.« »Und uns sagen lassen, auf welche Weise wir uns er kenntlich zu zeigen haben. Aussuchen können wir es uns nicht, Mr. Mourad. Wir werden nicht konsultiert, wir werden instruiert.« »Von wem?« »In diesem Fall von einer staatlichen Stelle, die nicht sonderlich beliebt ist. Es handelt sich um eine Unter abteilung des Sicherheitsdienstes.« Er hustete sich lauthals aus und hob die Rechte zum Mund. Nachdem er sich des Bronchialschleims auf be währte Weise entledigt hatte, ordnete er den Falten wurf des Taschentuchs mit geübter Hand aufs neue. »Sie meinen den ISD?« Für euphemistische Umschrei bungen war Mr. Mourad nicht zu haben; er pflegte die
Dinge beim Namen zu nennen.
»Ja, leider.«
»Wer sind diese Passagiere?«
»Das weiß ich nicht.«
»Warum wollen sie unbedingt per Schiff nach Alexan
dria?«
»Ich glaube, wir sollten uns diese Frage nicht stellen,
Mr. Mourad. Es ist möglich, daß Kapitän Touzani be
stimmte Anweisungen gegeben werden. Vielleicht
kommt es vor Haifa zu einem Rendezvous mit einem
anderen Schiff oder irgend etwas in der Art.«
»Und Sie sind gewillt, dergleichen hinzunehmen?«
»Es ist mir unmißverständlich klargemacht worden,
daß ich das muß.«
»Touzani mag da anderer Auffassung sein.«
»Ich werde mit Touzani reden.«
»Versteht sich.« Er sank für einen Augenblick in brü
tendes Schweigen. »Sechsundvierzig stand Ihr Vater
vor einer ähnlichen Situation.«
»So?«
»Ja, sie war ganz ähnlich. Er meisterte sie.«
»Wie?«
»Er kannte den richtigen Mann in der Militärregie
rung.«
»Welcher Militärregierung?«
»In der britischen natürlich. Die Franzosen waren ab
gezogen. Sind Sie zu jung, um sich daran zu erinnern?
Vielleicht. Nun, ob Engländer oder Franzosen, Ihr Va
ter wußte immer, an wen er sich zu wenden und was
er zu sagen hatte. Einmischungen hätte er nie gedul
det. Er wußte, wen er zu bezahlen hatte und in wel
cher Höhe, und er hat es immer verstanden, seinen
Kopf durchzusetzen. Er hatte eine herrische Art, mit
Politikern und Beamten umzugehen. Schwierigkeiten
ließ er nicht gelten.« Es hätte meine Mutter sein kön
nen, die hier sprach. Ich war versucht, ihn darauf hin
zuweisen, daß die Zeiten sich geändert hatten, daß
>der richtige Mann< in diesem Fall Oberst Shikla sei
und daß jemand, dem es in meiner Lage einfiele, her risch mit ihm umspringen zu wollen, nicht bei Verstand sein könne; aber dann hätte ich ihm von Ghaled und anderen Dingen erzählen müssen, und damit, daß ich den alten Mann das Fürchten lehrte, wäre nichts gewonnen gewesen. Womöglich würden ihm Schnitzer unterlaufen, weil er es mit der Angst bekam. Solange er widerspruchslos tat, was ich ihm sagte, war es mir gleichgültig, ob er mich für einen Schwächling hielt. »Ich ziehe es vor, das auf meine Weise zu regeln, Mr. Mourad.« Mit der Hand, die das Taschentuch hielt, vollführte er eine knappe Geste in horizontaler Richtung, als ziehe er einen Schlußstrich unter einer Zahlenkolonne. Er hatte seinen Rat erteilt, und sein Rat war zurückge wiesen worden: unklugerweise zurückgewiesen wor den, wie er meinte; aber das sollte nicht seine Sorge sein. »Ich werde die Namen dieser Passagiere benötigen, Mr. Howell. Für die Stammrolle der Amalia.« »Sie werden sie bekommen, Mr. Mourad.« Wir redeten ein paar Minuten lang von anderen Dingen und tranken noch ein paar Täßchen Kaffee. Dann fuhr ich nach Damaskus zurück. Teresa hatte von Ghaled Antwort erhalten. »Er kommt morgen abend um acht.« »Wer fährt ihn hierher?« »Ich glaube, er erwartet, daß wir ihn mit dem Wagen abholen. Ich habe gesagt, daß ich Issa noch Bescheid gebe.« »Macht es dir etwas aus, ihn abzuholen? Ich will eine Weile mit ihm alleingelassen werden, sobald er hier ist. Gib mir eine halbe Stunde Zeit, wenn du den Wa gen abgestellt hast, damit ich mit ihm unter vier Au gen rede.« »Gut.« »Schlage vor, ihn um halb acht vom Werk abzuholen.
Wenn du mit Issa sprichst, sag ihm, er soll auch die Nachricht weitergeben, daß die Amalia möglicherweise einen Tag früher einläuft, also schon am Sechsund zwanzigsten.« »Wird sie das?« »Nicht daß ich wüßte. Aber er soll denken, sie könnte es. Und ich will, daß die Karte im Büro wieder an die Wand kommt.« »Haben wir sie noch?« »Irgendwo muß sie ja geblieben sein.« Die Wandkarte, von der ich sprach, war eine große Übersichtskarte des östlichen Mittelmeerraums sowie des nahezu gesamten Mittleren Ostens und eigens zu dem Zweck angefertigt worden, die Organisation der Agence Howell eindrucksvoll zu veranschaulichen. Alle Orte, an denen wir Büros und Zentralagenturen unter hielten, waren blau umrandet, und die Hauptrouten der Howell-Schiffe mit einer roten Linie markiert. Es war eine ziemlich detailliert ausgearbeitete Angele genheit. Ich hatte sie nur deswegen entfernen lassen, weil Dr. Hawa eines Abends – das lag jetzt ein paar Monate zurück – eine bissige Bemerkung darüber machte. Er hatte davorgestanden und erklärt, ihr An blick vermittle den Eindruck, daß Syrien noch immer ein Teil des Howell-Imperiums sei. Ob das meiner Auf fassung entspräche? Seither hatte er mich zwei- oder dreimal >Kaiser Michael< tituliert. Die Karte war also heruntergenommen worden. Aber jetzt hatte ich Verwendung für sie. Zu den Dingen, die am deutlichsten auf ihr verzeichnet waren, zählte die Schiffahrtsroute von Latakia nach Alexandria. Daß es ein reines Vergnügen sein würde, für Ghaled den Gastgeber zu spielen, hatte ich ohnehin nicht er wartet, aber auf einen derart schauerlichen Abend war ich denn doch nicht gefaßt gewesen. Zudem war er auch noch demütigend. Obwohl ich alles sehr sorgsam – und, wie ich fand, schon recht ingeniös – geplant
hatte, bekam ich, was ich wollte, nicht etwa, weil ich clever gewesen war, sondern weil er von sich aus be schloß, es mir nicht länger vorzuenthalten. Ich empfing ihn stilgerecht in dem großen Raum, der auf einen eigenen Innenhof hinausging. In dem In nenhof befand sich ein Springbrunnen, und es war dort angenehm kühl. An diesem Abend sah ich ihn zum erstenmal in >Zi vil<-Kleidung, das heißt ohne sein Khaki-Buschhemd. Er hatte aus Anlaß der festlichen Gelegenheit ein wei ßes Hemd angezogen und trug eine abgewetzte Akten tasche ohne Griff, von der Art, die die Franzosen ser viette nennen. Ich nahm zuerst an, die Tasche diene ihm als tragbares Requisit, das ihm in der Stadt einen Anstrich von Respektabilität verleihen solle; aber als er sie sich von dem Bediensteten nicht abnehmen las sen wollte und ich sie mir daraufhin genauer anschau te, begriff ich, daß er sie benutzte, um eine Pistole darin zu verbergen. Ich gab ihm einen Champagner cocktail mit viel Brandy darin, und er trank ihn durstig, als sei es Wasser. Ich gab ihm eine Zigarre und Feuer. Er lehnte sich in seinem Sessel zurück und blickte um sich. Obschon er offensichtlich beeindruckt war, schien er sich ausgesprochen wohl zu fühlen. Das paßte mir ausgezeichnet. Ich wollte, daß er so entspannt und gesprächig war wie nur möglich. Alle Förmlichkeit soll te mir vorbehalten bleiben. Ich fuhr fort, ihn respekt voll mit »Genosse Salah« anzureden, und machte be wußt ein bißchen viel Aufhebens um ihn. Als er seinen ersten Cocktail ausgetrunken hatte, reichte ich ihm sofort einen zweiten in einem neuen Glas. Dann fragte ich ihn, ob er sich vielleicht die anderen Räume der Villa ansehen wolle? Er stimmte meinem Vorschlag gnädig zu und kom mentierte ihn mit einer hämischen kleinen Stichelei über das »ganze Ausmaß meiner kapitalistischen De kadenz«, das er jetzt zu Gesicht bekäme. Ich forderte ihn auf, seinen Drink mitzunehmen. Weil er auf diese
Weise sein Glas und seine Zigarre in der Hand halten mußte, dachte ich, er würde seine Aktentasche zu rücklassen; aber wenngleich er einen Augenblick lang zögerte, nahm er sie am Ende doch mit. Von meinem Standpunkt aus gesehen, bestand der Zweck der Unternehmung darin, ihn in das Büro zu lotsen; aber ich ließ mir Zeit damit, verweilte ausgie big bei Dingen, die ihm gefielen – es bereitete ihm Vergnügen, mir zu beweisen, daß er einen Feragha teppich auf den ersten Blick als solchen zu erkennen vermochte –, und brachte ihn dazu, seine Ansichten zu äußern. Als ich ihn schließlich den Korridor hinunterge leitete, der zum Büro führte, murmelte ich eine Ent schuldigung. »Jetzt kommen nur noch Büroräume, Genosse Salah. Nichts von Interesse, fürchte ich.« Ich öffnete einen Flügel der Doppeltür, um zu zeigen, daß dies der Wahrheit entsprach. »Nichts von Interesse in Genosse Howells Büro?« Es war genau die Art Reaktion, die ich hatte hervorru fen wollen. Bereitwillig öffnete ich die zweite Tür und schaltete alle Lampen ein. Die Karte mußte ihm sogleich ins Auge springen. Sie bedeckte nahezu die ganze gegenüberliegende Wand, eine prachtvolle Komposition in leuchtenden Farben, die über und über mit gelben und grünen Fähnchen gespickt war. Er war bereits darauf zugegangen und steuerte gera denwegs den Bereich Latakia-Zypern an, so daß ich mich schon zu der Hoffnung auf einen aufschlußrei chen kleinen Schwatz über seine Pläne für die Amalia – sowie deren Demonstration auf der Karte – berech tigt glaubte; als er sich jedoch nur mehr drei Schritte vor ihr befand, wandte er sich zu meinem Ärger plötz lich von ihr ab. Er hatte die Schiffsmodelle gesehen. Sie zählten zu den wenigen kostspieligen Extravagan zen, die mein Vater sich gestattet hatte. Seine Schwä
che für Schiffsmodelle hatte er kurz nach dem Ankauf der Pallas Howell entwickelt. Die Pallas war das erste über 1500 Tonnen große Schiff gewesen, das die Agence Howell besaß. Sie war überdies das erste, das einen modernen Schornstein hatte. Die engen Ofen röhren der älteren Schiffe waren immer schwarz ange strichen gewesen; aber beim Ankauf der Pallas, die nach meiner Mutter getauft worden war, hatte Vater entschieden, daß wir einen >Kompanie-Schornstein< haben müßten wie die großen Reedereien. Er hatte ihn selber entworfen: Gelb mit einer schwarzen >Stiefel stulpe< und einem großen dunkelgrünen H auf dem gelben Grund. Unter das H, das dadurch aus einiger Entfernung wie unterstrichen wirkte, war in arabischer Schrift eine Transliteration des Namens Howell gemalt. Als Vater die neu angestrichene Pallas sah, ließ er sich ein maßstabgetreues Modell für sein Büro anfertigen. Bis zu seinem Tod war die Zahl der Schiffsmodelle auf acht gestiegen, von denen drei in seinem Büro und fünf in Konferenzzimmern standen, alle in Glasvitrinen auf Mahagonigestellen. Sie waren von einer Firma in London angefertigt worden und hatten viel Geld geko stet; aber mein Vater sagte, daß sie die Besucher be eindruckten und somit den Geschäften förderlich sei en. Wenn daran auch etwas Wahres gewesen sein mochte, so hatte ihm das in Wirklichkeit doch nur als Entschuldigung gedient; er mochte sie halt. Und war um auch nicht? Es war tröstlich, sie anzusehen. Dort in meinem Büro in Damaskus hatte ich drei der acht Originalmodelle stehen: die Pallas, die Artemis und die
Melinda. Sie faszinierten Ghaled. Ich versuchte ihn zur Karte zurückzulotsen, aber es war zwecklos. Er stellte sein Glas auf meinem Schreibtisch ab, legte seine Aktenta sche dazu und kehrte zu den Modellen zurück. Dann begann er Fragen zu stellen. Was dies sei und was das? Und schließlich: »Welches ist die Amalia?« »Wir haben kein Modell von der Amalia, Genosse Sa
lah. Ich kann Ihnen ein Bild von ihr zeigen, wenn Sie wollen.« Aber er interessierte sich nur für Modelle. »Hat die Amalia Ähnlichkeit mit irgendeinem dieser Schiffe?« »Mit der Artemis sehr viel. Das ist dieses hier. Sie ist ebenfalls ein Drei-Inseln-Schiff.« »Drei Inseln?« »Ja, so werden sie manchmal genannt. Sehen Sie die großen Ladedecks vorn und achtern? Diese Schiffe haben ein verhältnismäßig niedriges Freibord, so daß Bug, Heck und die Aufbauten der Brücke alles sind, was man von ihnen sehen kann, wenn der Rumpf un ter dem Horizont liegt. Aus der Ferne sehen sie aus wie drei kleine Inseln.« »Und wo werden wir auf der Amalia untergebracht sein? Aus welchen dieser Fenster werden wir hinaus sehen?« »Leider hat keines unserer Schiffe reguläre Passagier kabinen, aber es gibt einen Salon, wo die Offiziere essen, und der ist hier. Sehen Sie? Der Salon der Amalia hat allerdings Bullaugen. Sie gleicht der Arte mis nicht völlig.« Ich unternahm einen weiteren Ver such, die Unterhaltung in eine ergiebigere Richtung zu lenken. »Ich bin ganz sicher, daß Kapitän Touzani sich bemühen wird, Ihnen und Ihren Herren die Reise so angenehm wie möglich zu machen.« »Touzani? Ist er Italiener?« »Tunesier.« »Oh.« Das gefiel ihm nicht. Tunesiens Engagement für die palästinensische Sache war nur als lau zu bezeich nen. »Ist er loyal, dieser Kapitän Touzani?« »Wenn Sie damit meinen, ob er Anweisungen befolgen wird, ist die Antwort ja; ich glaube, das wird er. Vor ausgesetzt natürlich, daß sie das Schiff nicht gefähr den.« Das läßt sich recht gut an, dachte ich. »Und natürlich auch, daß die Weisungen, die er von mir er hält, klar und praktikabel sind.«
»Werden Sie ihm die Weisungen selber geben?« »Oh, ja, Genosse Salah. Sobald ich sie habe.« Ich ver suchte, die Gunst des Augenblicks zu nutzen. »Es gibt da noch eine weitere Information, die ich sehr bald erhalten muß.« »Erhalten muß?« »Ich brauche die Namen der Passagiere, die befördert werden sollen. Das Gesetz schreibt vor, daß sie auf der Stammrolle des Schiffs aufgeführt werden müs sen. Das ist die Liste aller beim Auslaufen an Bord befindlichen Personen.« Er sah sich veranlaßt, einen Witz daraus zu machen. »Einen Namen kann ich Ihnen jetzt schon nennen – Salah Yassin.« Ich lächelte pflichtschuldig. »Und sicherlich werden doch wohl auch Ahmad und Musa auf die Liste kom men?« »Diese alten Männer? Nein, nein. Sie sind gewiß gute Kämpfer und unbedingt loyal. Für den Wachdienst gibt es keine besseren. Aber bei unseren Kommandounter nehmen können wir nur die jungen Männer, die Front kämpfer einsetzen. Warum hat dieses Schiff hier zwei Schrauben, während die anderen, obwohl sie nicht viel kleiner sind, nur eine haben?« Wir waren wieder bei den Modellen gelandet. Es ge lang mir nur unter Schwierigkeiten, ihn dazu zu bewe gen, zum Essen hinunterzugehen; und selbst dann redete er beharrlich nur von Schiffen. Die verschiede nen Arten, die Tonnage zu berechnen, mußten erläu tert werden. Teresa stand mir bei, indem sie noch tö richtere Fragen stellte als er, aber die Unterhaltung blieb mühsam und zähflüssig. Er trank Brandy. Das Backgammon war eine Tortur. Er ließ nur ein draufgängerisches >arabisches< Spiel gelten und sonst nichts. Er war jedesmal darauf aus, mich entweder vernichtend zu schlagen oder aber mit fliegenden Fahnen unterzugehen. Meistens geschah letzteres. Es ist ungemein schwierig, eine Partie Back
gammon vorsätzlich zu verlieren, ohne daß der Gegner die Absicht bemerkt. Er sieht, was man gewürfelt hat. Man kann nicht glaubhaft fortgesetzt grobe Fehler ma chen. Um gegen einen Alles-oder-nichts-Spieler wie Ghaled zu gewinnen, braucht man nicht einmal durch schnittlich gut zu spielen. Man mache bloß die konven tionellen >Back<-Züge, und in neun von zehn Fällen wird er sich selber eine Niederlage bereiten. Genau das tat Ghaled denn auch, aber ihm selber blieb das natürlich verborgen. Es lag an den Würfeln, dann an meiner Glücksträhne, schließlich – und unausbleiblich – an meinem Mangel an Phantasie, an Schneid. »Sie sind zu vorsichtig. Sie spielen wie ein Geschäfts mann.« »Sie drängen mich in die Defensive, Genosse Salah.« »Sie dürfen sich gar nicht erst in Bedrängnis bringen lassen. Sie müssen losschlagen, gleiches mit gleichem vergelten.« Mit anderen Worten: wie er spielen und verlieren. »Ja, Genosse Salah.« Indem ich so wild drauflosspielte, daß er sich aus nahmsweise einmal gezwungen sah, seinerseits ver nünftige Züge zu machen, gelang es mir, zwei aufein anderfolgende Partien zu verlieren; aber selbst das fand nicht seinen Beifall. »Wenn Sie ein Kommandokämpfer im Fronteinsatz wären«, bemängelte er, »würden Sie sehr rasch ler nen, wann Sie angreifen müssen und wann Sie Ihr Pulver nicht verschießen dürfen, wann Sie stürmen und wann Sie sich in den Hinterhalt legen müssen.« Er hatte bereits eine ganze Menge getrunken, sehr viel mehr wahrscheinlich als je zuvor an einem einzigen Abend, und die Wirkung begann sich bemerkbar zu machen. Ich gab ihm irgendeine nichtssagende Antwort, und er funkelte mich wütend an. Der Argwohn, daß ich ihn die beiden letzten Spiele womöglich absichtlich hatte gewinnen lassen, stieg jetzt in ihm auf. Es mußte je
mand gestraft werden. Teresa kam zuerst an die Rei he. »Sie sagen gar nichts, Miss Malandra.« Das >Miss< war ein Hohn. »Hätten Sie nicht vielleicht Lust, an vorderster Front zu kämpfen wie einige dieser zionisti schen Frauen? Haben Sie nicht den Ehrgeiz, denen nachzueifern?« »Ich habe kein sonderliches Bedürfnis, irgend jeman dem nachzueifern«, entgegnete ihm Teresa kühl. »Dann sollten wir vielleicht versuchen, Ihre Einstellung zu ändern. Vielleicht werden Sie anders darüber den ken, wenn Sie gesehen haben, wozu diese zionisti schen Frauen fähig sind.« Er hatte nach seiner Aktentasche gelangt und zerrte jetzt ungeschickt an dem Reißverschluß. Meine Ver mutung, daß sich eine Pistole in der Tasche befand, sollte sich als zutreffend erweisen, aber die Waffe war nicht der einzige Gegenstand, den sie enthielt. Als es ihm schließlich gelang, die Aktentasche zu öffnen, sah ich, daß außerdem einige Papiere und eine lederne Brieftasche darin steckten. Es war die Brieftasche, die er herauszog und Teresa zuwarf. »Sehen Sie sich das an. Sehen Sie sich das genau an und urteilen Sie selbst. Sie auch, Genosse Michael. Sehen Sie sich an, wozu zionistische Frauen fähig sind.« Nach allem, was ich in den folgenden Minuten sah, und aufgrund meiner späteren Lektüre von Lewis Prescotts Schilderung bin ich mir ziemlich sicher, daß die Photos, die Ghaled uns zeigte, diejenigen waren, die er Prescott vorgelegt hatte, als er von ihm inter viewt wurde. Kurz, dieselben Aufnahmen, die Mr. Prescott als Beweise für angeblich von DrusenKommandogruppen verübte Greueltaten gezeigt wor den waren, legte er Teresa und mir als Beweise für Greueltaten vor, die von israelischen Frauen begangen worden sein sollten. Als vormaliger Kriegsberichterstatter mag es Lewis Prescott, wie er sagt, nicht nur für unausbleiblich,
sondern auch für ratsam und erforderlich halten, sich an den Anblick verübter Greuel zu gewöhnen. Ich hat te es bis zu jenem Zeitpunkt nicht erforderlich gefun den; mit dem Ergebnis, daß ich auf das, was ich sah, nicht nur völlig unvorbereitet, sondern – gezwungen, wieder und wieder hinzublicken – auch gänzlich außer stande war, damit auf irgendeine Weise fertig zu wer den. Ich weiß nicht und will es auch gar nicht wissen, wer für das, was auf diesen Photos gezeigt wird, ver antwortlich ist. Ich dachte damals – soweit ich über haupt noch denken konnte –, die Anschuldigung der >zionistischen Frauen< müsse falsch sein, und Mr. Prescotts Bericht läßt darauf schließen, daß ich recht damit hatte. Offenkundig änderte Ghaled die Ge schichte zu den Photos, je nachdem, welchem Publi kum er sie zeigte, nach Belieben ab. Aber daß die Geschichte sich änderte, änderte nichts an den Photos. Ich wünschte, ich hätte es wie Teresa machen können. Nach einem raschen Blick stand sie einfach auf, erklärte, weiteren Kaffee bringen zu wol len, und ging. Sie blieb weg, und Ghaled nahm keine Notiz davon. Aber mich zwang er, auf meinem Platz sitzenzubleiben und mir die ganze Kollektion anzuse hen; nicht einmal, sondern dreimal, ohne auch nur ein einziges Bild auszulassen; und die ganze Zeit über beobachtete er, was für ein Gesicht ich machte. Die einzige Schutzmaßnahme, auf die ich verfiel, be stand darin, so zu tun, als könne ich die Einzelheiten besser erkennen, wenn ich die Brille abnahm; woher sollte er wissen, daß ich ohne sie alles etwas ver schwommen sehe? Aber ich hatte die Brille zu lange aufbehalten, denn nachdem ich einmal gesehen hatte, was die Photos zeigten, konnte ich nicht mehr verwi schen, was mir danach auch ohne Brille überdeutlich vor Augen stand. »Kommandokampf, Genosse Michael, Kommando kampf.« Er hörte nicht auf, dieses Wort wie eine Beschwö
rungsformel zu wiederholen. Schließlich gelang es mir, den Bann zu brechen. Ich schaffte es, indem ich mich plötzlich aufrichtete, mir die Brille wieder aufsetzte und ihm mit der einen Hand die Photos zurückgab, während ich mit der anderen nach der Brandyflasche griff. »Sehr instruktiv, Genosse Salah«, erklärte ich, so leb haft ich konnte, und füllte sein Glas nach. Er lächelte, als er die Brieftasche an sich nahm. Ich hatte ihn nicht getäuscht; er wußte genau, daß er mich aus der Fassung gebracht hatte. »Sagen wir inspirierend, Genosse Michael«, korrigierte er mich. »Sie wissen jetzt, was wir, und Sie mit uns, rächen müssen.« Er steckte die Brieftasche mit den Photos wieder in seine Aktentasche und holte etwas anderes daraus hervor. »Sie baten um Ihre Befehle. Klar und prakti kabel müßten sie sein, sagten Sie.« Er schob mir ein Bündel Papiere zu. »Sind Ihnen diese Befehle klar und praktikabel genug?« Was er mir gab, war ein Exemplar der StandardSeekarte Nummer 2634 der britischen Admiralität. Diese Zahl umfaßt die Küste des östlichen Mittelmee res von Sour im Norden bis hinunter nach El-Arish. Tel Aviv-Yafo liegt etwa in der Mitte zwischen beiden. Das auf Leinwand aufgezogene Papier, auf das sie ge druckt war, fühlte sich vom vielen Gebrauch schon ganz lappig und schmierig an; die Karte war allzuoft aufgeschlagen und wieder zusammengefaltet worden, aber sie war noch immer lesbar. Irgend jemand hatte mit purpurroter Tinte eine Route für ein Schiff auf Südkurs auf ihr eingezeichnet. Bis zum Caesarea-Breitengrad verlief die Route in durchaus üblicher Weise auf hoher See, etwa zwanzig Seemeilen von der Küste entfernt auf einem Kurs von 195 Grad. Dann war eine Wendung von 20 Grad in östlicher Richtung vorgesehen, die bis zur 20-FadenLinie beibehalten wurde. Hier wechselte der Kurs er
neut und verlief nun auf 190 Grad für etwa zwölf Mei len parallel zur Küste. Knapp südlich von Tel Aviv wandte er sich nach Westen, um irgendwo in der Höhe von Ashdod wieder in die ursprüngliche Hochseeroute einzumünden. In dem freien Raum oberhalb der Kompaßrose hatte der Errechner des Kurses die Aufeinanderfolge der diversen Kurswechsel und deren zeitlichen Ablauf ein gehend erläutert. Die Ausführungen schlossen mit die ser Anweisung: »Auf Kurs 1900 Süd von 21 Uhr 15 bis
23 Uhr 00 darf das Schiff keinesfalls mehr als 6 Kno ten Fahrt machen.« Natürlich prägte ich mir alles das nicht sogleich ein; aber ich wollte kein zu großes Interesse an den Tag legen. Nachdem ich einen kurzen Blick auf die Karte geworfen hatte, faltete ich sie wieder zusammen. »Nun?« fragte er. »Ich sehe keine Schwierigkeit, Genosse Salah. Die Weisungen scheinen mir ganz eindeutig und präzis abgefaßt zu sein. Ich selber bin kein ausgebildeter Seemann, aber dies sieht ganz danach aus, als sei es die Arbeit eines ausgebildeten Seemanns.« »Das ist sie auch.« »Und sollte der Kapitän wirklich noch irgendwelche Fragen haben, können Auskünfte eingeholt werden, nehme ich an.« »Fragen dürften sich erübrigen. Machen Sie dem Kapi tän nur unmißverständlich klar, daß er diesen Befehlen strikt Folge zu leisten hat.« »Ja, Genosse Salah. Den Zeitpunkt zum Auslaufen des Schiffs wird jedoch der Kapitän selber bestimmen müssen. Sonst kann er nicht dafür einstehen, daß sich das Schiff am dritten abends in der vorgeschriebenen Position befindet. Im Hafen von Latakia ist jegliche Schiffahrtsbewegung zwischen Sonnenuntergang und Sonnenaufgang untersagt. Die Einschiffung müßte voraussichtlich am zweiten Juli vor Sonnenaufgang stattfinden, damit die Amalia am dritten frühzeitig
auslaufen kann. Aber der Kapitän muß zu diesen Punkten gehört werden.« »Also gut, konsultieren Sie ihn meinetwegen und las sen Sie mich Ihre Vorschläge wissen. Aber merken Sie sich eines – die angegebenen Zeiten für die Kursände rungen müssen unter allen Umständen eingehalten werden.« »Ich verstehe.« »Dann danke ich Ihnen für Ihre Gastfreundschaft und bitte Sie, mich jetzt zurückzufahren. Ich habe noch viel zu arbeiten, bevor ich mich schlafen legen kann.« Er hatte sich beim Sprechen vorgebeugt und die Hand ausgestreckt. Die Aktentasche war noch immer offen, und im ersten Augenblick dachte ich, er würde jetzt die Karte zurückfordern. Dann wurde mir klar, daß er nur nach seinem Glas Brandy griff; aber die Geste hatte mich doch nervös gemacht. »Wenn Sie mich für einen Augenblick entschuldigen wollen«, sagte ich. »Ich möchte diese Anweisungen nur rasch in meinen Privatsafe legen.« Er zuckte die Achseln. »Bitte.« Ich blieb ein paar Minuten lang fort, weil ich erst eine Abschrift der Instruktionen herunterkritzelte, die auf der Karte vermerkt waren, bevor ich diese in den Safe legte. Ich hatte nämlich Angst, er könne es sich plötz lich anders überlegen und sie mir wieder abfordern. Daß ich diese überflüssigen Vorsichtsmaßnahmen traf, ist bezeichnend für den Geisteszustand, in dem ich mich damals befand – statt klar zu denken und beson nen zu handeln, reagierte ich nervös und überängst lich, wobei ich gegen grobe Fehleinschätzungen der Situation alles andere als gefeit war. Als ich hinunterkam, saßen sie schon im Wagen, Tere sa am Steuer, Ghaled auf dem Rücksitz. Er hatte die Tür offengelassen, als erwarte er, daß ich mich neben ihn setzte, und so stieg ich zu ihm. Eine Zeitlang sprach er nur mit Teresa. Er gehörte zur schlimmsten Sorte von Mitfahrern; nicht nur, daß er
ihr sagte, welchen Weg sie zu fahren habe, obwohl ihm nachgerade klar sein mußte, daß sie ihn kannte; er sagte ihr auch, wie sie zu fahren hatte. »Langsam jetzt, diese Kurve ist gefährlich. Biegen Sie ein, biegen Sie hier ein! Steuern Sie mehr nach rechts. So, jetzt können Sie schneller fahren. Haben Sie die Scheinwer fer eingeschaltet?« Teresa blieb bewundernswert ru hig. Freilich hatte sie schon einmal an diesem Abend das Vergnügen gehabt, ihn zu fahren, und wußte da her, was zu erwarten stand. Dennoch fiel ihr »Ja, Ge nosse Salah« merklich knapper aus. Es war daher eine Erlösung, als er, nachdem wir in die Straße nach Der’a eingebogen waren, seine Aufmerksamkeit mir zuwand te. »Welche Erfahrungen haben Sie mit Dieselmaschinen gemacht?« fragte er. Die Frage war so unerwartet gekommen, daß ich im ersten Augenblick nichts mit ihr anzufangen wußte. »Was den Gebrauch anlangt, Genosse Salah?« »Was den Unterhalt und die Instandsetzung betrifft, Genosse Michael.« Und dann begriff ich endlich, oder glaubte doch, be griffen zu haben. Mir fiel wieder ein, was Abouti über den kleinen Kakerlak gesagt hatte, der den MercedesDiesel-Lastkraftwagen fuhr. Sie mußten Ärger mit dem Ding haben. Es lag nahe, diesen Schluß zu ziehen. Woher sollte ich wissen, daß es nicht der richtige war und ich ihn übereilt gezogen hatte? »Meine ganze Erfahrung mit Dieselmotoren«, sagte ich, »beschränkt sich auf das, was man nicht tun darf. Zum Beispiel erlauben, daß jemand, der sich nicht damit auskennt, wie geschickt er sonst auch sein mag, sich daran zu schaffen macht. Dieselmotoren sprechen auf stümperhaftes Herumdoktern nicht an.« »Wenn es zum Beispiel darum ginge, eine Einspritz pumpe zu reparieren?« »Versuchen Sie nicht, das selber zu besorgen. Lassen Sie sie durch eine neue ersetzen und den Aus- und
Einbau vom Kundendienst des Herstellers vorneh men.« »Und wenn das nicht möglich ist?« Das wunderte mich, denn ich war mir ziemlich sicher, daß es in Damaskus eine Mercedes-Vertretung gab. Dann glaubte ich erkannt zu haben, wo der Hase im Pfeffer lag. Der Laster gehörte Ghaled nicht, er hatte ihn sich nur >ausgeliehen<. Und selbst wenn das mit Einwilligung des Besitzers geschehen sein sollte, mochte eine unmittelbare Kontaktaufnahme mit dem Mercedes-Vertreter nicht ratsam erscheinen. »Sie könnten eine Ersatzpumpe aus Beirut anfordern und sie von einem hiesigen Diesel-Fachmann einbauen lassen.« Offenkundig befriedigte ihn diese Auskunft nicht. »Warum kann die Pumpe nicht repariert werden?« Ich versuchte ihm klarzumachen, daß diese Pumpen knifflige Dinger seien und man in jedem Fall besser daran täte, sie zu ersetzen, wenn sie streikten. In der Annahme, was ihn störe, sei möglicherweise die Geld ausgabe, wies ich ihn darauf hin, daß er versuchen könne, die alte Pumpe gegen eine von der Firmen werkstatt instandgesetzte auszutauschen. Er hörte mir zwar zu, war aber an dem, was ich ihm sagte, offen bar nicht interessiert. Wenn meine Kombinationsgabe mich nicht im Stich gelassen hätte und ich nur ein klein wenig hellhöriger gewesen wäre, würde ich über kurz oder lang gewiß gemerkt haben, daß wir anein ander vorbeiredeten und daß das, was ich ihm sagte, wiewohl richtig, aus irgendeinem Grund irrelevant war. Aber ich merkte nichts und versäumte es daher auch, ihm die Fragen zu stellen, die ich ihm hätte stellen sollen. Als wir uns der Batteriefabrik näherten, ließ er das Thema Dieselmotoren fallen und verlegte sich wieder darauf, Teresas Fahrweise vom Rücksitz aus laufend zu kommentieren. Zu mir gewandt, sagte er, als wir vor dem Werktor vorfuhren: »Sie haben mich um eine Liste mit den
Namen der außerplanmäßigen Passagiere gebeten.« »Ja, Genosse Salah.« »Melden Sie sich morgen abend um acht Uhr dreißig. Ich gebe Ihnen dann die Namen.« »Ja, Genosse Salah.« Ich stieg aus und hielt ihm die Tür auf. Ahmad und Musa standen bereits am Neben eingang und erwarteten ihn. Sie hatten die Torbe leuchtung eingeschaltet. Dem Wagen entstiegen, richtete sich Ghaled straff auf, klemmte seine Aktentasche unter den linken Arm und marschierte mit raschen Schritten zum Tor, wo Ahmad und Musa salutierten und er den militärischen Gruß seinerseits erwiderte. Er hatte nichts mehr zu uns ge sagt und sich auch nicht umgeblickt. Offenbar konnten wir gehen. Ich schloß die hinteren Wagentüren und setzte mich neben Teresa. Aboutis Raupenschlepper hatten den Platz dort gründlich umgepflügt, und Teresa mußte beim Wenden scharf aufpassen. Wir sprachen erst, als wir wieder auf der Hauptstraße waren. »Steht auf dieser Karte alles, was du wissen wolltest?« fragte sie dann. »Ich glaube, es ist alles darauf vermerkt. Ich hoffe es jedenfalls.« »Waren diese Bilder sehr schlimm?« »Sehr.« »Ich dachte es mir. Du hast ausgesehen, als werde dir schlecht.« »Daß es nicht dazu kam, wundert mich selbst.« »Ich habe dir ja gesagt, er ist wahnsinnig.« Ich antwortete nicht. >Wahnsinnig< war nicht das Wort, das ich benutzt haben würde. Der einzige wirk lich wahnsinnige Mensch, dem ich bis dahin begegnet war – ein Mann, der für uns gearbeitet und eines Ta ges versucht hatte, seine Frau und sich selbst umzu bringen – hatte mir leid getan. Ghaled hat mir nie leid getan. Und es tut mir auch heute nicht leid um ihn. An jenem Abend verspürte ich jedoch nicht das geringste
Verlangen, mich mit Teresa auf eine Diskussion über die Frage >Verbrecher oder Verrückter?< einzulassen. Später, im Büro, holte ich die Karte wieder aus dem Safe und legte ein Skalenlineal darauf. Die schriftlichen Instruktionen und die mit Tinte einge zeichnete Route stimmten genau überein. Wenn die Israelis das Schiff aufbringen wollten, mußten sie das, wie ich vorgeschlagen hatte, außerhalb der Hoheits gewässer tun und sich frühzeitig einschalten, das hieß, sobald das Schiff südlich von Caesarea seinen Kurs zum zweitenmal änderte. Überdies, das wurde mir jetzt klar, mußten sie die Bestimmungen des Internationalen Seerechts ganz beträchtlich beugen, da sich das Schiff, wenn sich Touzani in der Lage sah, den Instruktionen, die ich ihm zu geben beabsichtigte, Folge zu leisten, sogar noch weiter außerhalb der Sechs-Meilen-Grenze befin den würde, als es die auf der Karte eingezeichnete Route vorsah. Während ich diesen Punkt noch erwog, sah ich plötz lich die zweite Markierungslinie. Sie war mit Bleistift eingezeichnet und dann ausradiert worden, aber dennoch schwach sichtbar. Die Linie markierte einen Kurs, der um etwa eine halbe Seemei le weiter westlich lag als der unterhalb von Caesarea mit Tinte eingezeichnete und parallel zu diesem ver lief. Ich sah die Linie zwar; aber ich maß ihr keine sonder liche Bedeutung bei. Sie konnte auf einen Alternativ kurs zurückgehen, der zunächst eingezeichnet und dann zugunsten des küstennäheren Kurses verworfen worden war. Sie konnte aber ebensogut auch mit dem mit Tinte eingetragenen Kurs nicht das geringste zu tun haben. Auf diesem abgegriffenen Leinwandpapier befanden sich noch weitere halb ausradierte, fleckige Bleistiftspuren, allesamt offenkundig Relikte von frü heren Passagen. Ich meinte jetzt alles zu wissen, was ich wissen muß
te. »Geht morgen eine Maschine nach Rom?« »Alitalia. Soll ich probieren, noch einen Platz zu bu chen?« »Du bekommst einen Platz. Sprich mit Fawzi. Gib morgen früh gleich die Telegramme auf, die du auch sonst immer dem Hotel und deinem Anwalt schickst.« »Was ist mit dem Telegramm nach Famagusta?« »Das gebe ich auf, wenn du abgeflogen bist.« Ich schwieg einen Augenblick lang. Dann sagte ich: »Tere sa, ich will, daß du erst nach dem dritten Juli zurück kommst.« Sie erhob natürlich Einwände, aber ich blieb fest. »Angenommen, Ghaled schöpft Verdacht.« »Ich sehe nicht recht, warum er das tun sollte.« »Er kann jederzeit Verdacht schöpfen.« »Dann schicke ich dir ein Telegramm mit der Order zurückzukommen. Du antwortest, daß du das nächste Flugzeug nimmst, tust es aber nicht. Statt dessen schickst du ein zweites Telegramm und sagst, du seist aufgehalten worden. Oder unterbrich den Rückflug in Nikosia und laß dich dort aufhalten. Es sind bloß zehn Tage bis zum dritten. Die kannst du überbrücken. Wenn es hier tatsächlich irgendwelche Schwierigkeiten geben sollte, werde ich mich schon irgendwie heraus winden, aber ich will nicht, daß du unnötig darin ver wickelt wirst.« »Es gefällt mir nicht.« »Aber mir. Ich habe eine Sache weniger, über die ich mir Gedanken zu machen brauche.« »Sache!«
»Deine Verwicklung in diese Geschichte ist eine Sache. Verschone mich bitte mit weiteren Argumenten. Ich muß jetzt die Meldung aufsetzen, die du morgen mit nimmst.« Am Nachmittag des darauffolgenden Tages flog Teresa nach Rom. Ich brachte sie nicht zum Flughafen, weil ich dort bekannt war und vermeiden wollte, daß ihre Abreise unnötige Aufmerksamkeit auf sich zog.
Um vier rief ich den Flughafen an, um mich zu verge wissern, daß die Maschine pünktlich abgeflogen war. Dann setzte ich das Signaltelegramm in der mit Barlev vereinbarten Form auf und wies den Bürogehilfen an, es unserem Büro in Famagusta zu schicken. Danach versuchte ich, mir über die ganze Angelegenheit keine weiteren Gedanken zu machen. Das wollte mir zwar nicht gänzlich gelingen, aber immerhin arbeitete ich bis sieben Uhr durch und gab dem Bürogehilfen seine Anweisungen für den nächsten Tag. Ohne Teresa fühlte ich mich einsam in der Villa. Wäre sie wirklich verreist gewesen, um ihren Anwalt zu sprechen, hätte ich früh zu Abend gegessen und mich anschließend schlafen gelegt. Aber diesmal würde sie statt achtundvierzig Stunden zehn Tage lang fort sein und ich mich um acht Uhr dreißig bei Ghaled melden müssen. So saß ich denn nach meinem frühen Abend essen noch eine Weile herum und überlegte mir, wann der Mann, der sich als Michael Howell bei ihr melden sollte, sie wohl frühestens kontaktieren werde. Würde es morgen vormittag sein? Morgen nachmittag? Wenn Barlev die Information im Lauf des Tages erhielt, verblieb ihm reichlich Zeit. Ich jedenfalls hatte getan, was ich konnte. Jetzt hing alles von ihm ab. Es hatte ein paarmal geblitzt und auch einige Tropfen geregnet, was im Juni nur selten vorkam; der Abend war unangenehm schwül. Mein Hemd klebte mir am Körper, als ich vor der Batteriefabrik hielt. Ahmad ließ mich ein. Er sah mich zum erstenmal ohne Teresa und wollte wissen, wo sie war. Ich sagte ihm, daß ihr nicht befohlen worden sei, sich zum Rapport zu melden. Das entsprach der Wahrheit, und er stellte keine weiteren Fragen. Aber Ghaled tat es. »Sie haben gestern abend nichts davon gesagt, daß sie nach Rom fliegt.« »Ich hatte keine Gelegenheit dazu, Genosse Salah. Sie muß ihren Anwalt in geschäftlichen Angelegenheiten
sprechen. Ich erwarte sie Donnerstag zurück.«
»Sie selber haben sich korrekt abgemeldet und um
meine Genehmigung gebeten, bevor Sie geschäftlich
nach Beirut reisten. Und als Sie Ihr Büro in Famagusta
besuchten, ebenfalls.«
»Miss Malandra hat rein private Dinge in Rom zu re
geln. Leider habe ich ihr die Erlaubnis dazu gegeben.«
»Als Genossin hat sie überhaupt keine Privatangele
genheiten zu haben, und Sie sind nicht berechtigt, ihr
eine solche Erlaubnis zu erteilen. Dazu hätte ein An
trag gestellt und genehmigt werden müssen. Um was
für Privatgeschäfte handelt es sich?«
»Um die Besitzungen ihres Vaters. Sie hat Ländereien
geerbt, die verkauft werden sollen, glaube ich.«
»Heißt das, daß sie reich ist?«
»Es ist einiges Geld da. Wieviel, weiß ich nicht, Genos
se Salah.«
»Nun, das soll sie uns selber sagen, wenn sie zurück
ist. Merken Sie sich, daß Genehmigungen für Reisen in
Zukunft immer erst eingeholt werden müssen.«
»Ja, Genosse Salah.«
»Gut. Sie wollten die Liste haben. Hier ist sie.«
Ich warf einen Blick auf das Papier, das er mir aus
händigte. Es standen vier Namen darauf. Ich blickte
hoch.
»Eine Frage, Genosse Salah.«
»Was denn noch? Sie haben die Liste.«
»Die Hafenbehörden werden möglicherweise die Papie
re sehen wollen. Werden die Ausweise dieser Personen
auf dieselben Namen ausgestellt sein, unter denen sie
auf der Liste aufgeführt sind?«
»Selbstverständlich. Wir sind keine Narren.«
»Ich möchte nur sicherstellen, daß alles, was ich zu
arrangieren habe, reibungslos abläuft, Genosse Sa
lah.«
»Sehr richtig, Genosse Michael. Nein, gehen Sie nicht.
Und stehen Sie nicht herum. Setzen Sie sich.«
Ich gehorchte und wartete.
»Da Ihnen so viel daran liegt, daß alles am Schnür chen klappt, was wir planen, können Sie uns vielleicht noch bei einer weiteren wichtigen Sache behilflich sein.« »Gern, Genosse Salah.« Aus irgendeinem Grund reizte ihn meine Antwort. »Gern, Genosse Salah.« Er ahmte meinen Akzent nach, als er sie wiederholte, und tat ein übriges, in dem er ihr einen servilen Ton gab. »Wie leicht Ihnen das über die Lippen kommt, und wie viele heimliche Gedanken sich dahinter verbergen! Ich kann sie fast hören, Genosse Michael. Ich kann fast hören, wie sie klick-klick machen. Was will er jetzt wieder? Wie wird sich das für mich auswirken? Kann ich ablehnen? Was wird es mich kosten? Klick, klick, klick!« Ich lächelte freundlich. »Macht der Gewohnheit, fürch te ich, Genosse Ghaled. Wie Sie selber gesagt haben, denke ich wie ein Geschäftsmann.« Es konnte nicht schaden, ihn jetzt an die verlorenen BackgammonPartien zu erinnern. »Und warum auch nicht? Das bin ich ja schließlich.« »Und dem dummen Soldaten daher überlegen, wie?« Offenkundig hatte es meiner Anspielung auf seine Nie derlagen im Spiel nicht bedurft; sie nagten noch im mer an ihm. Überdies hatte er vermutlich einen leich ten Kater. »Vom Soldatenhandwerk verstehe ich nichts, Genosse Salah.« »Nein, und von dem Plan sehen Sie nur das Äußerli che. Ein Schiff, einen elektronischen Auslöser, Sprengla dungen, die auf dem Festland gelegt werden. Was sonst noch dazugehört, zählt nicht für Sie. Der Ge schäftsmann denkt, das alles sei kinderleicht.« »Weit entfernt. Ich kann mir gewisse Schwierigkeiten durchaus vorstellen.« Er schnaubte geringschätzig, also fuhr ich fort. »Der Sprengstoff für die Ladungen zum Beispiel. Der
mußte erst besorgt und über die Grenze nach Israel geschafft werden. Keineswegs einfach, das. Dann mußte er, sicher doch als irgend etwas anderes ge tarnt, an den vorgesehenen geheimen Ort oder die geheimen Orte verbracht werden. Auch nicht so leicht. Das gleiche gilt für die Zünder, die hier angefertigt wurden, und die Abschußvorrichtungen. Auch sie muß ten an ihren vorgesehenen Bestimmungsort gebracht werden, an die richtigen Orte, und das zum richtigen Zeitpunkt. Dann mußten die Sprengkörper zusam mengesetzt und, sobald das geschehen war, auf sorg fältig ausgesuchte Plätze verteilt und dort versteckt angebracht oder hinterlegt werden. Selbst ein Ge schäftsmann sieht diese Schwierigkeiten.« »Sehr gut.« Er schien einigermaßen besänftigt zu sein, brachte es aber noch immer nicht fertig, die Sache auf sich beruhen zu lassen. »Sie können sich Schwierig keiten und komplexe Probleme vorstellen, aber kön nen Sie auch Lösungen für sie finden? Wenn Sie von mir beauftragt wären, hundert Flugreisetaschen aufzu treiben, sagen wir, fünfundzwanzig Stück von jeder der vier Fluggesellschaften, die den Flughafen Lod an fliegen – was würden Sie sagen?« »Ist es das, womit Sie mich beauftragen wollen, Ge nosse Salah?« »Wenn ich es täte, was würden Sie sagen? Flugreise taschen von Pan American, Swissair, KLM und Sabena zum Beispiel, fünfundzwanzig von jeder Gesellschaft. Nun?« »Ich würde sagen, daß es schwierig sei. Ich würde sagen, daß sie gestohlen werden müßten.« »Dann wären Sie aber im Irrtum.« Jetzt fühlte er sich merklich besser. »Schwer im Irrtum. Es bedurfte sorg fältiger Planung und eingehender Überlegung, aber sie wurden allesamt auf ganz legale Weise beschafft.« »Zwecks Unterbringung der Sprengladungen, nehme ich an.« »Natürlich. Was könnte in all diesen überfüllten Touri
stenbussen und Hotels harmloser sein als eine Flugrei setasche, die geduldig darauf wartet, von ihrem Besit zer abgeholt zu werden?« »Ich dachte, daß in Lod alle Flugreisetaschen durch sucht werden.« Über soviel Ahnungslosigkeit und Beschränktheit konnte er nur seufzen. »Die Flugreisetaschen werden durchsucht, bevor Fluggäste, die nach Israel wollen, in die Maschine gelassen werden. Unsere Flugreiseta schen werden selbstverständlich nicht von eintreffen den Fluggästen getragen. Sie befinden sich bereits im Land und können jederzeit mit Sprengladungen verse hen und an ihre endgültigen Bestimmungsorte ge schafft werden.« »Ein genialer Plan, Genosse Salah.« Er hatte zumin dest den Vorzug, einfach zu sein. Ich fragte mich, ob Barlev genügend Scharfsinn aufgebracht haben moch te, um aus meinem Bericht über den Test diesen Schluß zu ziehen. Wahrscheinlich nicht. Ich war mir nicht einmal sicher, ob ich das Wort >Flugreiseta sche< benutzt hatte. Ich konnte auch einfach >Ta sche< gesagt haben. Es war ohnehin eine PakistaniTasche gewesen, und die Pakistani-Fluggesellschaft flog Israel nicht an. Wenn sie eine Swissair- oder ElAl-Tasche benutzt hätten, wäre mir das möglicherwei se bedeutsam vorgekommen, aber das hatten sie nicht, und jetzt gab es ohnedies nichts, was ich von mir aus noch hätte tun können. Ich hatte keine Mög lichkeit mehr, Barlev eine Nachricht zukommen zu lassen, selbst wenn es sinnvoll gewesen wäre, das zu tun. Was hätte er zu diesem Zeitpunkt noch unter nehmen können? Ein generelles Verbot von Flugreise taschen wäre wohl schwerlich durchführbar gewesen. »Sehen Sie irgendwelche Schwächen?« »Keine, Genosse Salah. Absolut keine.« Wenn wirklich alles so blendend geplant und organisiert war, wie er meinte, dann blieb es in der Tat der Amalia Howell überlassen, die nötige Schwäche zu einem späteren
Zeitpunkt in den Plan hineinzubringen. »Leider kommen wir nicht mit allen unseren Aufgaben so zügig voran. Kleinere Rückschläge gibt es immer wieder. Gestern abend sprach ich mit Ihnen über Die selmaschinen. In diesem Zusammenhang können Sie sich nützlich machen.« Einen Augenblick lang hatte ich eine absurde Vision meiner selbst, wie ich mit dem Mercedes-Vertreter in Damaskus um den Preis einer wiederinstandgesetzten Einspritzpumpe feilschte. Dann fuhr er fort: »Wissen Sie, was ein Rouad-Küstenfahrer ist?« »Ja, Genosse Salah.« »Gut. Wir haben einen solchen Küstenfahrer zu unse rer Verfügung. Wir benutzen ihn für den Nachschub aus dem Norden.« »Ich verstehe.« Und ich glaubte in der Tat, verstanden zu haben. Barlev hatte gesagt, das PAK erhalte Materi al- und Waffenlieferungen, die durch die Türkei ge schmuggelt wurden. »Er hat eine Dieselmaschine.« »Sie meinen einen Hilfsmotor?« Der RouadKüstenfahrer ist ein Schoner, ein Segelschiff. »Eine Maschine«, erklärte er mit Bestimmtheit. »Bei unserer Arbeit können wir nicht warten, bis ein günsti ger Wind aufkommt. Mit dieser Dieselmaschine werden Sie sich befassen.« »Ist es die mit der defekten Einspritzpumpe?« »Die war es. Wir sind nicht die Narren, für die Sie uns zu halten scheinen. Auf die glänzende Idee, daß eine neue Pumpe beschafft werden muß, waren wir nämlich selber schon gekommen. Die neue Pumpe ist bereits eingebaut worden. Aber die Maschine läuft trotzdem nicht, wie sie sollte.« »Was für eine Maschine ist es denn, ich meine, wel ches Fabrikat?« »Sulzer.« »Woher stammt die neue Pumpe?« »Beirut.«
»Wer hat sie eingebaut?« »Ein Mechaniker aus dem Ort. Er sagt, er kennt diese Maschinen.« »Aus dem Ort – heißt das Latakia? Rouad?« »Hareissoun. Das ist der Heimathafen des Schoners.« Hareissoun ist ein dreckiger kleiner Fischereihafen unmittelbar nördlich von Banyas, wo die Erdölleitung endet. Die Aussicht, dort einen kompetenten DieselFachmann aufzutreiben, war außerordentlich gering. Ich sagte ihm das. »Was schlagen Sie vor?« »Lassen Sie den Schoner nach Latakia segeln. Dort gibt es einen Mann, der die Reparaturarbeiten fachge recht ausführen wird.« »Was für ein Mann ist das?« »Er heißt Maghout. Er ist Vorarbeiter bei Chantier Na val Cayla am Südbecken.« »Unser Schoner muß in Hareissoun bleiben. Ihr Mann muß dorthin kommen und die Reparatur an Ort und Stelle ausführen.« »>Mein Mann< ist er leider nicht, Genosse Salah. Ich kann ihm keine Vorschriften machen. Aber ich könnte Cayla um seine Entsendung bitten.« »Die Sache ist jetzt dringlich. Würden sie auf Ihre Bit te eingehen?« »Sie können nicht von ihnen erwarten, daß sie ihn auf kurzfristigen Bescheid hin sogleich freigeben. Er müßte alles stehen- und liegenlassen, um sich sofort auf den Weg machen und einen solchen Job übernehmen zu können. Es ist wirklich einfacher, den Schoner unter Segel zu ihm zu bringen.« »Das kommt nicht in Frage. Ich sagte es Ihnen doch schon. Wenn dieser Cayla Ihnen nicht pariert, wird er uns parieren. Ich habe meine Leute in Latakia, das sollten Sie eigentlich noch wissen.« »Ja, Genosse Salah.« Einmal hatten sie schon Befehl gehabt, auf Howell-Schiffen Bomben zu legen. »Dieser Vormann Maghout braucht doch nicht mehr zu
tun, als die Ursache des Maschinenschadens festzu stellen und dem Mann in Hareissoun zu sagen, was er machen soll. Habe ich recht?« »Das weiß ich nicht, Genosse Salah. Der Mann hat gesagt, daß es an der schadhaften Einspritzpumpe liegt. Er kann sich geirrt haben. Der Fehler mag woan ders stecken. Möglicherweise werden andere Ersatztei le benötigt.« »Genau. Es ist eine Frage der Organisation, eine ge schäftliche Angelegenheit. Fahren Sie morgen nach Hareissoun, Genosse Michael. Sprechen Sie mit Ha daya, dem Skipper. Reden Sie, wenn nötig, auch mit diesem Pfuscher, dem Mechaniker aus Hareissoun. Stellen Sie Ihre Fragen, entscheiden Sie, was am be sten zu tun ist, und koordinieren Sie die Arbeiten. Be richten Sie mir morgen abend um diese Zeit über den Stand und Fortgang der Dinge. Wenn Sie meinen, Sie brauchen diesen Vorarbeiter aus Latakia, geben Sie Issa gleich Bescheid, damit sofort an Cayla herange treten werden kann. Haben Sie alles verstanden?« »Ich bin nicht kompetent, Motoren zu beurteilen, Ge nosse Salah.« »Sie sind kompetent, diejenigen einzuspannen, die sie beurteilen können.« Er lächelte maliziös. »Sie brau chen sich doch nur vorzustellen, der Küstenfahrer in Hareissoun sei ein Howell-Schiff, eines der Schiffe, von denen Sie Modelle haben. Stellen Sie sich vor, diese defekte Maschine koste Sie Firmengeld. Die Schwierig keiten dürften sehr rasch behoben sein, glaube ich. Sie nicht?« »Ich glaube nicht an Magie, Genosse Salah.« »Nein, aber Sie tun immer Ihr Bestes. Das wird gut genug sein.« Er schwieg einen Augenblick lang. »Mr. Hadaya, der Skipper, wird verständigt, daß er Sie morgen zu erwarten hat und Sie in dieser Sache in meinem Auftrag handeln. Wenn Sie sich hier zum Rapport melden, Genosse Michael, erwarte ich nur gute Nachrichten.«
Am anderen Morgen fuhr ich in aller Frühe nach Ha reissoun. Es war keine erfreuliche oder angenehme Fahrt, aber das machte mir nichts aus. Befremdlich, wie es erscheinen mag, freute ich mich trotz allem auf diesen Tag. In gewissem Sinn war es für mich so et was wie eine empfindsame Reise. Die Ile de Rouad ist ein Inselhafen südlich von Latakia, und früher hatte dort eine Schiffswerft existiert. Gegen Ende des vorigen Jahrhunderts hatte diese Werft mit dem Bau von 200-Tonnen-Schonern begonnen und sich damit in jenem Teil der Welt einen gewissen Na men gemacht. Die Schoner waren ganz und gar aus Holz, aber ungemein solide gebaut, flachgedeckt und bermuda-geriggt und hatten zwei nach achtern ge neigte Masten und einen schweren Bugspriet; sehr brauchbare kleine Schiffe. Obwohl schon seit Jahren keines mehr gebaut worden war, befuhr noch immer eine ganze Anzahl von ihnen die Levanteküste. Als ich ein kleiner Junge war, hatten der Agence Ho well drei dieser Rouad-Schoner gehört, und es gab einen kleinen Standardwitz über sie, den mein Vater gern erzählte. Da er über Dinge, die ihm gehörten, im allgemeinen keine Scherze zu machen pflegte, habe ich diesen nie vergessen. Er läßt sich nicht in drei Sät zen wiedergeben, weil er unverständlich bleibt, wenn man den Hintergrund nicht kennt. Schiffen muß von Zeit zu Zeit der Rumpf gesäubert werden. Zu diesem Zweck wird der herkömmliche kleine Küstenfahrer auf einem Slip aus dem Wasser gezogen. In Rouad jedoch pflegten sie die Schoner durch seitliches Taljen an den Masten zu krängen. Die auf diese Weise freigelegte Seite des Schiffsrumpfes wurde dort nicht, wie sonst üblich, sauber abgekratzt, sondern mit Kerosin über gossen, angezündet und durch Abbrennen des Mu schel-Tang- und Schmutzbelags gesäubert. Mein Vater hatte mich wiederholt mitgenommen, damit ich mir das ansehen konnte. Und bei dieser Gelegenheit war
dann der besagte Scherz fällig. Er bemerkte, daß die Agence Howell »ihre Boote verbrenne«. Nicht sonder lich komisch, zugegeben, aber damals habe ich je desmal darüber lachen müssen. Das Merkwürdige an der Sache war, daß dabei nie etwas passierte; ge brannt haben immer nur das Kerosin, die Muscheln und der Dreck. Einen hölzernen Schiffsrumpf in Brand zu setzen, muß doch schwerer sein, als gemeinhin angenommen wird. Ich freute mich also darauf, einen Rouad-Schoner wiederzusehen. Ich stellte den Wagen am Ortsrand von Hareissoun ab und ging zu Fuß zum Hafen. Als erstes sah ich seine Masten. Er war am Heck an der Mole festgemacht. Ich ging zu ihm. Ich hatte ganz vergessen, wie klein diese Schiffe wa ren. Einundzwanzig Meter Wasserlinie sind nicht viel, und der hohe Vordersteven und massive Bugspriet ließen den Schoner sogar noch kleiner erscheinen. Er mochte gut seine vierzig Jahre alt sein. Über der Was serlinie gab es Spuren von Farbe, aber nicht viele; er war ein Arbeitsschiff, und sein Anstrich – schwarzes, teerhaltiges Zeug – befand sich dort, wo es nötig war: unterhalb der Wasserlinie. Am Bug standen in vergilbten gelben Buchstaben der Name seines Heimathafens Jeble und das arabische Zahlwort khamsa: Nummer fünf aus Jeble. Bevor das PAK den Schoner übernommen hatte, war er vermutlich zur Schwammfischerei benutzt worden. Jetzt wurde er wieder zur Frachtbeförderung verwendet und lag tief genug im Wasser, um vermuten zu lassen, daß er voll beladen war. Der alte Mann, den ich auf Deck stehen sah, war wie ein Fischer gekleidet und hätte der Skipper sein kön nen, aber als ich ihn anrief, rief er seinerseits jeman den herbei, der sich unter Deck befand. Der Mann, der an Deck kam, war alles andere als der Typ des Fischers. Wenn man von dem dunkelblauen Overall absah, den er trug, hätte man ihn für den jun
gen Oberkellner im Semiramis-Hotel halten können, ein Eindruck, der durch den Umstand, daß er ein klei nes Brett mit darangehefteten Notizblättern wie eine Menükarte in der Hand hielt, noch verstärkt wurde. »Mr. Hadaya?« fragte ich. »Mr. Howell?« »Ja.« »Einen Augenblick, bitte.« Der alte Mann ließ eine Strickleiter über das Heck hin ab, und ich kletterte schwerfällig hinauf. Hadaya half mir an Deck. »Ein bißchen unbequem, leider«, sagte er, »aber wir legen auch gar keinen Wert auf Besucher.« »Das ist schon in Ordnung.« Er klang wie ein Algerier. Sein Overall war nicht zuge knöpft und gab den Blick auf eine goldene Kette mit einer goldenen Erkennungsmarke daran frei, die er auf der unbehaarten nackten Brust trug. Eine Taschen lampe ragte aus seiner Brusttasche hervor. Sein Lä cheln war gewinnend und offen. »Darf ich Ihnen sagen, welche Überraschung es für mich ist, mit Mr. Howell als einem Genossen zu spre chen?« »Sind wir uns schon einmal begegnet, Mr. Hadaya?« »Nein, aber vor einiger Zeit wäre ich von Ihrer Reede rei beinahe angeheuert worden. Die Stelle eines Zwei ten Offiziers war frei. Ihr regulärer Mann hatte sich das Bein gebrochen. Das war in Bone. Ich bewarb mich, aber den Posten hat ein anderer bekommen.« »Tut mir leid.« »Es wäre sowieso keine Dauerstellung gewesen.« Wieder blinkte sein rasches Lächeln. »Ebensowenig wie diese hier. Wollen Sie sich die Maschine gleich ansehen oder erst etwas darüber hören?« »Etwas darüber hören, denke ich. Was ist mit diesem Mechaniker aus dem Ort? Arbeitet er noch?« »Nein, ich habe ihn weggeschickt. Er war mir wärm stens empfohlen worden und hatte einen Werkzeugka
sten. Ich habe ihn die alte Pumpe ausbauen und eine neue einbauen lassen. Mit der alten Pumpe lief die Maschine unregelmäßig, aber sie lief. Mit der neuen läuft sie überhaupt nicht mehr. Ich glaube, sie ist ganz falsch eingestellt.« »So?« »Ich vermute das nur.« Er grinste. »Der Mechaniker meinte, daß es an der Zündung liegt.«
»Oh.« »Ja. Und da habe ich ihn weggeschickt. Ich glaube zwar nicht, daß er irgendeinen ernstlichen Schaden angerichtet haben kann, aber danach wußte ich auch, daß uns mit ihm nicht geholfen ist. Die Fischerboote, die er kennt, haben alle Benzinmotoren. Das habe ich erst hinterher erfahren.« »Und die Eigner in Jeble? Können die nicht helfen?« »Wir sind die Eigner, genauer gesagt, Genosse Salah ist es.« »Ich hatte gedacht, das Schiff sei gechartert.« »Wir haben es billig kaufen können. Zu billig.« Er pochte sich auf die Brust. »Es ist alles meine Schuld. Das habe ich dem Genossen Salah auch gesagt. Er hat immer Verständnis, wenn ein Genosse offen einge steht, einen Fehler gemacht zu haben. Ich hätte die sen Ärger voraussehen sollen. Das Schiff hat die rich tige Größe für den Job, aber diese Maschine ist zwan zig Jahre alt, und wir haben ihr zuviel zugemutet.« »Auf den Fahrten nach Norden?« Er nickte. »Nie unter Segel. Ständig mit Maschinen kraft. Und so gut wie überhaupt keine Wartung. Da kann man sich nicht wundern, wenn die Maschine streikt. Natürlich mußte das ausgerechnet jetzt passie ren, aber besser jetzt als später. Wollen Sie sie se hen?« Durch eine Nebenluke gelangte man über eine Leiter direkt in den >Maschinenraum< hinunter. Ursprüng lich, nahm ich an, hatte er wohl zum achteren Lade raum gehört. Dann hatte man ein Schott eingezogen,
um die Maschine in einem geschlossenen Raum unter zubringen, aber er war so klein wie möglich bemessen worden. Man konnte sich kaum rühren darin, und der Ölgestank war unerträglich; aber obwohl sonst alles vor Schmutz starrte, war das bei der Maschine selber nicht der Fall. Die Wartung mochte unzureichend ge wesen sein, aber gänzlich vernachlässigt worden war sie keinesfalls. »Wieviel Fahrt hat sie denn gemacht?« fragte ich. »Bevor die Pumpe streikte, meine ich.« »Sechs Knoten. Manchmal auch ein bißchen mehr.« Er wies mit dem Strahl der Taschenlampe in eine Ecke. »Da ist die alte Pumpe.« Sie lag auf einem Ölkanister, der gegen das Schott geschoben war. Ich interessierte mich nicht wirklich für die alte Pumpe, machte aber eine Schau daraus, sie mir anzusehen. »Haben Sie einen Ingenieur?« »Einer aus der Mannschaft kennt sich gut genug aus, um den Schmierer zu machen. Aber er ist jetzt an Land. Bis auf den alten Mann, der Wache hat, sind alle an Land. Befehl vom Genossen Salah. Es könnte sein, daß einer von ihnen Sie erkennt und anfängt zu quat schen.« »Sie schicken die Leute am besten auch morgen an Land. Ich will versuchen, einen Mechaniker aus Lata kia kommen zu lassen, der sich der Maschine an nimmt. Das kann morgen sein, vielleicht auch erst übermorgen, aber Sie sollten die Mannschaft auf jeden Fall von ihm fernhalten. Sein Name ist Maghout.« »Ein Genosse?« »Nein, aber er wird keine Fragen stellen oder reden. Wenn es sich bei der Reparatur um eine relativ einfa che Sache handelt, wird er sie in Ordnung bringen und gehen. Ich hoffe, der Schaden ist leicht zu beheben, aber möglicherweise wird er irgendwelche Ersatzteile, Dichtungen und dergleichen brauchen. Ich schreibe mir für alle Fälle die Typenbezeichnung und die Seri
ennummer der Maschine auf, damit er ungefähr weiß, was er mitbringen muß.« Er richtete den Strahl seiner Taschenlampe auf das kleine Brett, an das mit Notizen bedeckte Zettel ge klemmt waren. »Ich habe mir gedacht, daß Sie sie benötigen werden.« »Sie haben die Nummern da? Gut.« Er riß das oberste Blatt ab und überreichte es mir mit einer kleinen Verbeugung. »Sehr freundlich von Ihnen, Genosse.« Ich warf einen Blick auf den Zettel, und er leuchtete mir mit der Taschenlampe. Alle Nummern waren auf geschrieben – mit purpurroter Tinte. Ich faltete den Zettel zusammen und steckte ihn in die Tasche, bevor ich die Leiter hinaufkletterte. • Hadaya, der mir den Vortritt gelassen hatte, blieb ei nen Augenblick lang zurück, um die Maschinenraumlu ke zu verschließen, und so schlenderte ich über das Deck zum Vorschiff. Wenn ich auch wiederholt zuge sehen hatte, wie bei Rouad-Schonern der Muschelbe lag am Rumpf durch Abbrennen entfernt wurde, so war ich doch nie an Bord eines dieser Schiffe gewesen und daher neugierig. Sie hatten kein Steuerruder, sondern eine mächtige Ruderpinne. Ich erinnerte mich gerade, daß mein Vater mir erzählt hatte, bei schwe rem Seegang reichten zwei Rudergänger nicht aus, um das Schiff auf Kurs zu halten, weshalb Taljen geriggt werden mußten – als ich stolperte und mir die Zehe stieß. Was mich ins Stolpern gebracht hatte, war ein mit Bolzen am Deck befestigter schwerer Holzbalken. Ein Meter davon entfernt und parallel zu ihm befand sich ein zweiter von gleicher Art und Größe. Beide waren etwa zwei Meter lang und offenkundig erst unlängst angebracht worden; die Bolzen zeigten keine Spur von Rost. Außerdem wiesen die Klötze eine Anzahl frisch gebohrter Löcher auf, die nicht verbolzt waren. Ein Schatten fiel auf den Holzbalken, und ich blickte auf.
»Träger für Deckladungen«, sagte Hadaya. Er verzog keine Miene, als er das sagte, und so nickte ich nur. Jenseits der Ladeluke konnte ich jetzt auf dem Vorschiff ein weiteres >Träger<-Paar sehen. »Es gibt hier im Ort eine Gastwirtschaft, wo wir essen können, wenn Sie wollen«, fuhr er fort. »Ob das klug ist?« »Klug?« »Ich dachte an die ausdrückliche Weisung, die Genos se Salah erteilt hat, weil mich hier womöglich jemand erkennen könnte. Nein, es ist schon besser, wenn ich gleich zurückfahre, Genosse Hadaya. Ich habe noch viel herumzutelefonieren, und nachher muß ich mich beim Genossen Salah melden.« »Dann darf ich Sie nicht länger aufhalten.« Er begleitete mich zum Wagen. Auf dem Weg dorthin erfuhr ich, daß meine Vermutung, er müsse Algerier sein, richtig gewesen war, daß er bei den Messageries Maritimes gedient hatte und daß von den diversen Anstellungen, die er auf Schiffen innegehabt hatte, keine von Dauer gewesen war. Sein Lächeln verbarg Bitterkeit. Er war von Ghaled persönlich für die Waf fenschmuggel-Operationen des PAK angeheuert worden und ihm treu ergeben; und natürlich auch der arabi schen Sache. Ein sonderbarer junger Mann; gewiß kein hundertprozentiger Söldner, aber doch drauf und dran, es zu werden. Zu Hause eingetroffen, rief ich Issa gleich an und gab ihm die nötigen Instruktionen in Sachen Maghout durch. Selbst wenn meine jüngsten Vermutungen stimmten, bestand keine Möglichkeit, die Reparatur der Maschine zu verzögern. Ghaled wußte bereits Maghouts Namen und Arbeitsplatz. Wenn ich nicht Dampf dahinter machte, würde er das seinerseits tun; und ich mich verdächtig gemacht haben. Das konnte ich mir nicht leisten. Wenn ich es nicht verstand, mir sein Vertrauen in gewissem Umfang zu erhalten, wür de ich in den bevorstehenden kritischen Tagen gänz
lich hilflos sein. Nach beendetem Telefongespräch holte ich die See karte aus dem Safe, um sie mit Hadayas Notizzettel zu vergleichen und nochmals zu studieren. Die purpurrote Tinte war die gleiche, und die Hand schrift ebenfalls. Die Kursänderungen hatte also kein anderer als Hadaya festgelegt. Das war Punkt eins. Nun hätte das allein noch nichts sonderlich Unheilvolles zu bedeuten gehabt; ärger, als die Dinge bereits lagen, wären sie dadurch auch nicht geworden. Aber es war nicht das allein. Es gab einen zweiten Punkt. Auf ihrem küstennahen Kurs würde die Fahrt der Amalia sechs Knoten betragen. Sechs Kno ten war die Standardgeschwindigkeit der Jeble5, wenn sie unter Maschine lief. Und dann Punkt drei: Für die Sorte Deckfracht, mit der ein so kleines Schiff wie die Jeble 5 bestenfalls bela den werden konnte, wurden Trägerbalken von dieser Länge und diesem Umfang, die mit Bolzen am Deck befestigt waren, um die Ladung abzustützen, keines falls benötigt. Sie waren installiert worden, um irgend etwas anderes abzustürzen oder zu halten. Was? Die Jeble 5 hatte ihren Frachtraum bereits vollgeladen. Punkt vier: Jene zweite Route auf der Seekarte, die nicht vollständig ausradiert worden war. Mir fiel wieder ein, was Barlev mir von der ZwölfZentimeter-Katyusha-Rakete erzählt hatte: FünfzigKilogramm-Sprengkopf, maximale Reichweite etwa elf Kilometer, als Abschußvorrichtung ein ganz simples Ding, das sich mit ein paar Winkeleisen im Nu errich ten ließ. »Es scheint ihnen nichts auszumachen, es ganz einfach stehenzulassen, wenn sie stiften gehen müssen.« Vermutlich würde es ihnen ebensowenig ausmachen, >das Ding< ins Meer zu werfen, sobald sie es nicht mehr benötigten. Dazu brauchten sie es nur von den >Trägern< abzuheben und über Bord zu hieven. Ich sah mir die Spur des eingezeichneten zweiten Kurses
nochmals an, und dabei fiel mir etwas wieder ein, was Ghaled gesagt hatte, als ich ihm ausredete, die Euridi ce zu benutzen. Er hatte gefordert, daß das Schiff, das ich ihm statt dessen anbot, »aus Eisen« und »nicht kleiner als die Euridice Howell« zu sein habe. Damals hatte ich in der ausdrücklichen Forderung, das Schiff müsse »aus Eisen« sein, lediglich einen Beweis seiner Ignoranz gesehen. Die Agence Howell besaß schon seit Jahren kein Schiff mehr, das aus irgendei nem anderen Material bestand. Jetzt allerdings wurde ich stutzig. Es konnte auch ein Lapsus gewesen sein, eine unbeabsichtigte Indiskretion. Der Schoner Jeble 5 war ganz und gar aus Holz ge baut. Wenn er keinen dieser speziellen Radarreflekto ren besaß, mit denen heutzutage immer mehr Jachten ausgerüstet werden, würde er sich auf den Radar schirmen der Küstenstationen nur unscharf abzeich nen. Metallene Gegenstände jedoch – insbesondere, wenn sie auf Deck transportiert wurden – konnten als Reflektoren wirken. In diesem Fall hielt der Schoner, um sich dem Tel-Aviv-Yafo-Bereich unbemerkt nähern zu können, am besten mittels Maschinenkraft den gleichen Kurs und die gleiche Geschwindigkeit wie ein größeres eisernes Schiff und ließ sich, indem er in ge ringem Abstand parallel zu diesem steuerte, von dem größeren Schiff gegen die Küste abdecken. Der Scho ner Jeble 5 wäre dann unsichtbar. Die Reichweite der Katyusha betrug elf Kilometer. Aus einer zehn Kilome ter von der Küste entfernten Position heraus konnte der Schoner eine Menge Schaden anrichten. Ich hatte keine Ahnung, wie es mit seiner Feuerkraft bestellt war, aber daß sich zwei Abschußvorrichtungen auf Deck befanden, wußte ich. Ich hatte einhundert Zwi schenringe anfertigen lassen, an Munition würde also kein Mangel herrschen. Selbst wenn jede der beiden Abschußvorrichtungen nur zehn Schuß abfeuerte, bis der Schoner beidrehte und die Mannschaft die Ab schußvorrichtungen über Bord zu werfen begann,
würden tausend Kilo hochexplosiven Sprengstoffs ge zündet worden sein. Barlev zufolge hatte eine Katyusha, die in ein Kran kenhaus eingeschlagen war, zehn Personen getötet. Nun, die Strände von Tel Aviv waren von zahllosen Bauten gesäumt, deren Ausmaße denen von Kranken häusern nicht nachstanden. Einige davon hatten Na men wie Hilton, Sheraton, Park und Dan, aber es gab nicht nur Hotels, sondern auch Appartementhäuser, und alle standen sie so dicht beieinander, daß bei ei nem Raketenbeschuß, selbst wenn er von einem Schiff aus erfolgte, das sich auf hoher See befand, mit einem beträchtlichen Prozentsatz von unmittelbaren Treffern gerechnet werden mußte. Alles das war selbstverständlich zusätzlich zur Zün dung der Sprengladungen geplant, die bereits an die vorgesehenen Plätze auf dem Festland verbracht und geschärft worden waren. Ich hatte Ghaled gesagt, sein Plan sei genial. In Wahrheit entsprach das keineswegs meiner Meinung. Ich kann nichts Geniales darin sehen, eine Bombe in einem Koffer oder in einer Flugreiseta sche zu verstecken. Es ist keine Kunst, Zivilisten, die sich nicht wehren können, zu töten oder zu verstüm meln. Alles, was man außer Sprengstoff dazu benötigt, ist ein Hang zum Größenwahn, genährt von der fixen Idee, Terrorkampagnen könnten den Weg zu immer währender Menschheitsbeglückung freimachen. Das Novum an Ghaleds Plan war nicht seine Substanz, sondern sein Ausmaß. Eine Anzahl an verschiedenen Orten plazierter und durch Knopfdruck gleichzeitig gezündeter Bomben würde vermutlich nicht nur Verlu ste, sondern auch Panik unter der Bevölkerung verur sachen. Eine zugleich damit einsetzende Beschießung von See her würde das Ausmaß sowohl der Verwirrung als auch der Zerstörung erheblich vergrößern. Selbst wenn der Operation kein hundertprozentiger Erfolg beschieden sein sollte, konnte Ghaled gewiß sein, in der Weltpresse Schlagzeilen zu machen. Mochte das
Lächeln der anderen palästinensischen Führer ge zwungen wirken und mochten ihre Glückwünsche aus nicht gerade übervollem Herzen kommen; aber lächeln würden sie schon müssen, und ihn beglückwünschen ebenfalls. Das PAK würde über Nacht zu einem politi schen Faktor geworden sein, mit dem es in Zukunft zu rechnen galt. Inzwischen würden die Israelis ihre Toten begraben und ohne Zweifel Überlegungen anstellen, wie sie am wirksamsten Vergeltung üben konnten. Lange Zeit saß ich da, fühlte mich elend und versuchte einen Gedanken zu fassen. Es gab keine Möglichkeit, Barlev von diesem zweiten Teil des Plans in Kenntnis zu setzen. In meinem ängst lichen Bestreben, unbedingt zu gewährleisten, daß er über den ersten Teil unterrichtet wurde, hatte ich mir den einzigen sicheren und störungsfreien Kommunika tionskanal dadurch, daß ich Teresa nach Rom entsand te, selber versperrt. Ich könnte Famagusta ein ungereimtes Telegramm schicken, in der Hoffnung, Barlev auf diese Weise zu alarmieren; um aber Oberst Shiklas Zensur zu passie ren, müßte es in der Tat schon sehr ungereimt sein. Deutlich durfte ich in gar keiner Hinsicht werden. Be stenfalls konnte ich hoffen, einen versteckten Hinweis zu übermitteln, daß nicht alles so lief, wie ursprünglich erwartet worden war. Ich hatte zu jenem Zeitpunkt nicht die leiseste Ah nung, in welcher Form der Hinweis erfolgen sollte. Außerdem mußte ich mir darüber schlüssig werden, wie ich mich Kapitän Touzani gegenüber verhalten sollte. Es mochte noch angehen, einem Kapitän eine Reihe recht ungewöhnlicher Weisungen zu erteilen und ihm dann ganz im Vertrauen zu sagen, er brauche sich keine Sorgen zu machen, falls er in Befolgung dieser Weisungen mit der israelischen Marine Ärger bekäme; daß ihm unter gar keinen Umständen daraus ein Vor
wurf gemacht werden würde und er mit einer ange messenen Belohnung rechnen könne. Ich gebe zu, daß ich nicht gerade darauf brannte, ihm alles das ausein anderzusetzen; aber ich war immerhin dazu bereit gewesen. Wozu ich mich jedoch nicht bereit fand, das war, ihm diese ungewöhnlichen Instruktionen zwar zu erteilen, es aber zu unterlassen, ihn darüber aufzuklä ren, daß er, ein Tunesier, sich dabei in Gesellschaft – und praktisch als Eskorte – eines bewaffneten Schiffes finden würde, das Order hatte, vor seiner Nase – und möglicherweise über sie hinweg – Tel Aviv mit Rake ten zu beschießen. Das konnte ich nicht tun. Was ich natürlich hätte tun können, wäre gewesen, Kapitän Touzani die volle Wahrheit zu sagen und zu hoffen, daß er mich mit einer >Ich-scher-mich-den-Teufel darum<-Handbewegung von aller Verantwortung be freite, die mir die Situation aufgebürdet hatte. Das hätte ich tun können; aber ich erwog es nicht ernst lich. Kapitän Touzanis Vorleben mochte um eine Spur zu abenteuerlich verlaufen sein, und ich traute ihm durchaus zu, daß er sich unter gewissen Umständen über manches hinwegsetzte; aber er ist ein vernünfti ger Mann, ein Realist. Wenn ich gewollt hätte, daß er mir seine fristlose Kündigung einreichte, wäre der si cherste Weg, sie zu bewirken, ohne Zweifel der gewe sen, ihn ins Vertrauen zu ziehen; und seine Offiziere hätten seinen Standpunkt uneingeschränkt geteilt. Ich entschied mich deswegen für den einzigen anderen Weg, der mir offenstand. Ghaled war in bester Laune, als ich an jenem Abend bei ihm eintraf. Chantier Naval Cayla hatte sich entgegenkommend gezeigt. Maghouts unmittelbarem Vorgesetzten war die Sachlage sehr rasch klargeworden, und so hatten unverhüllte Drohungen unterbleiben können. Der PAKFührer in Latakia hatte gemeldet, daß Maghout an derntags nach Hareissoun komme und so lange dort bleibe, bis er die Reparaturarbeiten zur Zufriedenheit
der Kunden ausgeführt habe. Ghaled war davon so angetan, daß er mich sogar lob te, und ich hatte Mühe, ihn von diesem Thema abzu bringen und auf ein anderes zu sprechen zu kommen, das mich jetzt beschäftigte. Er mißdeutete meine ge drückte Stimmung als Bescheidenheit, und warf mir, als ich mich dagegen verwahrte, erneut vor, arrogant zu sein. »Genosse Michael legt keinen Wert darauf, von uns gelobt zu werden«, sagte er zu Issa. »Eigen lob genügt ihm.« Ich hatte plötzlich genug von diesem Unsinn. Ich ver zichtete auf alle Umwege und ging jetzt ganz unum wunden auf mein Ziel los. »Wer bestimmt ein Lob verdient hat«, sagte ich, »ist Genosse Hadaya.« »Sie haben den jungen Mann interessant gefunden?« Ich überhörte den Hohn. »Er hat ein gutes Urteilsver mögen. Er hat sich in dem ortsansässigen Mechaniker getäuscht und, als ihm das klar wurde, getan, was zu tun war, um den Fehler zu berichtigen. Andere hätten vielleicht versucht, sich durchzumogeln und die Sache zu vertuschen. Ich habe mich gefreut, feststellen zu können, daß das für ihn nicht in Frage kam.« »Er wird belobigt werden, keine Angst.« »Er hat etwas gesagt, was mir ganz besonderen Ein druck machte. Es betraf Sie, Genosse Salah.« Das sicherte mir seine Aufmerksamkeit. »Tatsächlich?« »Er sagte, Sie tragen es keinem Genossen nach, wenn ihm ein Fehler unterlaufen ist – vorausgesetzt, er ge steht ihn freimütig ein.« »Einen begangenen Fehler zu verschweigen, ist er bärmlich und grenzt an Verrat. Offene Selbstkritik verdient Achtung.« »Ich bin erleichtert, das zu hören, Genosse Salah.« Er war belustigt. »Warum? Hat der untadelige Genosse Michael etwas zu gestehen?« »Ja, Genosse Salah.«
Er sah mich scharf an. »Was?« »Eine Fehleinschätzung.« »Was für eine Fehleinschätzung?« Ich sah zu Issa hinüber, als sei ich nicht gewillt, ihn zum Zeugen meiner Schande werden zu lassen. »Es betrifft den Tunesier.« Ich sah Issa nochmals an, und Ghaled verstand den Wink. Er bedeutete Issa zu gehen. »Also, was ist? Los, reden Sie.« »Ich glaube, daß ich das Problem, das Kapitän Touzani darstellt, unterschätzt habe.« »Was für ein Problem? Der Schiffseigner gibt ihm sei ne Instruktionen. Er, Ihr Kapitän, führt sie aus.« »Ganz so einfach ist es leider nicht, Genosse Salah. Es haben sich Entwicklungen ergeben, die ich hätte vo raussehen sollen, tatsächlich aber nicht vorausgese hen habe.« »Welche Entwicklungen? Drücken Sie sich verständlich aus.« Ich schilderte ihm in einiger Ausführlichkeit, welcher Methoden ich mich bedient hatte, um den Aufenthalt der Amalia in Tripolis zu verlängern. Seine Miene hell te sich auf. Ich war mit kapitalistischer Abgefeimtheit zu Werke gegangen; ich hatte bestochen. Das gefiel ihm. »Aber leider«, fuhr ich fort, »sind unerfreuliche Rück wirkungen nicht ausgeblieben. Ich höre aus Ancona, daß Kapitän Touzani über die administrative Unfähig keit der Agence Howell, über Fehler der Firmenleitung und über Verluste, für die man ihn jetzt verantwortlich machen werde, bittere Klage geführt hat. Unsere Agenten in Tripolis und Ancona waren nicht so diskret, wie man es von ihnen hätte erwarten können. Es hat Verstimmungen gegeben und auch verletzten Stolz. Und wenn jetzt Kapitän Touzani in zwei Tagen in Lata kia einläuft, wird er wiederum mit einer außergewöhn lichen Situation konfrontiert. Er wird Anweisung erhal ten, Passagiere mitzunehmen und darüber hinaus en
route nach Alexandria einen Umweg zu machen, der seine Ankunft dort zweifellos verzögern wird. Mit Si cherheit dürfte er gegen diese Weisungen ganz ent schieden protestieren.« »Dann entlassen Sie ihn. Nehmen Sie einen anderen Kapitän.« »Ich fürchte, das wird sich nicht machen lassen, Ge nosse Salah. Der Steuermann auf der Amalia hat kein Kapitänspatent, und selbst wenn er es hätte, gäbe es da gewisse Schwierigkeiten. Kapitän Touzani ist be liebt bei seiner Mannschaft.« »Wollen Sie mir erzählen, daß dieser Mann die Befehle des Schiffseigners verweigern kann und wird?« »Ich sage, daß er sie möglicherweise nur unter Protest und mit innerem Vorbehalt akzeptiert. Diese Tunesier können sehr starrsinnig sein.« Er kniff die Lippen zusammen. »Starrsinnig? Wir ha ben Genossen, die wissen, wie man mit Starrsinnigen umspringt, Genosse Michael. Überlassen Sie mir Ihren Touzani auf eine halbe Stunde, und sein Starrsinn wird sich gegeben haben, das garantiere ich Ihnen.« »Bedauerlicherweise ist auch das keine praktikable Lösung, Genosse Salah. Kapitän Touzani wird mit sei ner Mannschaft auf dem Schiff bleiben. Im übrigen hat er als Kapitän besondere rechtliche Vollmachten und Privilegien, über die sich nicht einmal die Polizei hin wegsetzen kann. Eine Bestrafung Kapitän Touzanis könnte dazu führen, daß die Amalia nicht wie geplant ausläuft. Was wir von Touzani wollen, ist nicht wider williger Gehorsam, sondern uneingeschränkte bereit willige Kooperation.« »Das ist Ihre Angelegenheit. Ich habe Sie gewarnt. Sie haben genügend Zeit gehabt. Die Verantwortung liegt bei Ihnen.« »Und ich habe sie übernommen, Genosse Salah. Um aber Kapitän Touzanis Kooperation zu gewährleisten, brauche ich von Ihnen Vollmacht zu einer geringfügi gen Abänderung des Plans.«
»Zu was für einer Abänderung?« »Wenn die Amalia ausläuft, muß ich an Bord sein.« Er schwieg einen Augenblick lang. Dann sagte er: »Unmöglich.« »Darf ich fragen, warum, Genosse Salah? Kapitän Touzani hat Befehlsgewalt, aber mir als dem Eigner muß er sich fügen. Wegen Verspätungen, die ich gut geheißen habe, während wir auf See waren, kann ihn niemand rügen. Mit mir an Bord, an der Seite des Ka pitäns, wäre es ganz ausgeschlossen, daß er es an der nötigen Bereitschaft zur Kooperation fehlen ließe, da für stehe ich ein.« Wieder schwieg er. Dann: »Mir gefällt das nicht.« »Ohne die Kooperation des Kapitäns kann ich für nichts garantieren, Genosse Salah. Wie Sie gesagt haben, liegt die Verantwortung bei mir. Alles, worum ich jetzt bitte, ist die Vollmacht, sie auch übernehmen zu können.« Erneut herrschte Schweigen. Schließlich seufzte er gereizt. »Warum mußte es unbedingt dieser Tunesier sein?« Nach all dem Unsinn, den ich geredet, und all den Lü gen, die ich aufgetischt hatte, war ich erschöpft. Als ich nach Hause kam, hatte ich größte Lust, zu Bett zu gehen. Aber ich wußte, ich würde keinen Schlaf fin den, ehe nicht das, was ich angefangen hatte, zu Ende geführt worden war. Noch spät in der Nacht setzte ich zwei Telegramme auf. Das erste war an Teresa gerichtet und beorderte sie zurück, damit sie während meiner Abwesenheit die Leitung des Büros übernahm. Sie würde das Tele gramm ignorieren, wie ich ihr gesagt hatte; aber es war für Oberst Shiklas Spürhunde gedacht und sollte die Ungereimtheit des zweiten Telegramms plausibler erscheinen lassen. Das Telegramm an unser Büro in Famagusta lautete wie folgt:
MALANDRA ZU UMGEHENDER RÜCKKEHR ANGEWIE SEN ZWECKS ÜBERNAHME BÜROLEITUNG IN MEINER ABWESENHEIT STOP UNTERNEHME SCHIFFSREISE AUF AMALIA NACH ALEXANDRIA STOP AUSLAUFE JULI 2 STOP BÜRO ALEXANDRIA BENACHRICHTIGEN STOP MIT MALANDRA RÜCKSPRACHE NEHMEN STOP ER HALT BESTÄTIGEN STOP HOWELL In Famagusta würden sie denken, ich hätte den Verstand verloren. Genau das entsprach meiner Ab sicht. Daß die Nachricht, ich werde auf der alten Ama lia als Passagier mitreisen, als Routinesache behandelt wurde, war gänzlich ausgeschlossen. Barlevs Infor mant im Büro würde ihn todsicher darüber unterrich ten. So weit, so gut. Und was weiter? Nun, Barlev hatte mir zweimal nahegelegt, in meiner Eigenschaft als Vertreter des Schiffseigners an Bord der Amalia zu sein, wenn sie aufgebracht wurde, und ich hatte das zweimal abgelehnt. Für ihn konnte mein plötzlicher Sinneswandel nur heißen, daß die Situation sich in irgendeiner Weise radikal geändert hatte und jetzt zusätzliche Sicherheitsvorkehrungen erforderlich ge worden waren. Und sobald ich erst einmal außerhalb syrischer Gewäs ser war, würde ich einen Funkkanal zur Verfügung haben. Zugegeben, die Sprüche würden nach wie vor ziemlich ungereimt sein müssen; der Funkverkehr zwi schen Handelsschiffen wird von vielen Stellen abge hört; aber die >zuständige< würde jedenfalls nicht darunter sein. Ich hatte getan, was ich konnte.
7. Michael Howell 30. Juni bis 3. Juli Ich hatte viel Zeit darauf verwendet, mir hin und her zu überlegen, was ich Kapitän Touzani sagen würde, und mich sorgfältig vorbereitet. Ich hatte zwar nie angenommen, daß er die Geschichte sozusagen un zerkleinert im ganzen Stück schlucken würde – das wäre zuviel verlangt gewesen –, aber ich hatte doch gehofft, er würde es für angezeigt halten, so zu tun, als sei das der Fall. Ich war daher bemüht, ihm golde ne Brücken zu bauen. Die Mühe hätte ich mir sparen können. Er ist ein Faß von einem Mann, hat Muskeln wie ein Stauer und einen großen kahlen Schädel. Das starre und etwas schiefe kleine Lächeln, das nie aus seinen Zügen verschwindet, wirkt ziemlich sarkastisch; dabei rührt es von einer Narbe her, die ein UnterkieferDurchschuß hinterlassen hat. Wenn er wirklich lächelt, bewegt sich die andere Hälfte seines Mundes, und man sieht seine Zahnprothese. Wirklich gelächelt hat er nur ein einzigesmal, als ich ihn an jenem Morgen in seiner Kabine aufsuchte. Er hatte ganz richtig vermutet, daß die Schwierigkei ten, die die Abfertigung seines Schiffs in Tripolis ver zögerten, inszeniert waren, aber weder herausbe kommen können, wer dahintersteckte, noch, was da mit bezweckt werden sollte. Das wurmte ihn natürlich. Jetzt erwartete er, Aufschluß von mir zu erhalten. Dummerweise nannte ich ihm dieselben Gründe, die ich Mourad gegenüber angeführt hatte. Er schüttelte den Kopf. »Ich war da, Mr. Howell. Ich kann Ihnen sagen, das war schon eine verdammt merkwürdige Sache. Keiner hielt die Hand auf, keiner sagte was, keiner wußte was. Und dann war’s auf einmal vorüber. Alles ein Irrtum. Ein Irrtum? Wenn
niemand bezahlt wurde?« »Natürlich wurde jemand bezahlt, Käptn. Das können Sie mir glauben. Ein neues Rädchen in der Maschine rie. Man hatte es übersehen. Nachdem es geschmiert worden war, lief der Laden wieder. Dabei wollen wir es belassen. So etwas kommt schon mal vor.« Ich hätte die Sache nicht so beiläufig abtun und unge duldig darauf bedacht sein dürfen, auf die Angelegen heit zu sprechen zu kommen, die ich mit ihm bereden wollte. Er wurde ärgerlich. »Ja, Mr. Howell, so etwas kommt schon mal vor. Aber jetzt sieht es so aus, als sollte so etwas auf diesem Schiff laufend vorkommen, und das paßt mir nun wirk lich nicht.« »Laufend vorkommen, Käptn?« »Mr. Mourad sagt mir jetzt, er hat für dieses Schiff vier Passagiere nach Alex.« Ich hatte Mr. Mourad bitten wollen, über die Passagie re nichts bekanntzugeben und es mir zu überlassen, Touzani die Neuigkeit schonend beizubringen; aber ich mußte es wohl vergessen haben. Ich hatte zu viele andere Dinge im Kopf gehabt. »Das ist der eigentliche Grund, Käptn, weswegen ich hier bin und mit Ihnen sprechen wollte. Wegen der Passagiere.« »Ich habe mich schon gewundert, wie ich zu dieser ungewohnten Ehre komme, Mr. Howell. Ich hatte mir gedacht, es könnte vielleicht wegen Tripolis sein.« »Reden wir nicht mehr von Tripolis, Käptn. Ich brau che Ihre Hilfe in einer ziemlich heiklen Angelegenheit. Sie betrifft diese Passagiere, die Mr. Mourad erwähnt hat. Was er Ihnen nicht gesagt hat, weil er es noch nicht weiß, ist die Tatsache, daß ich zu diesen Passa gieren zählen werde.« Er hatte kleine braune Augen. In den folgenden Minu ten ließen sie nicht einen Moment lang von mir ab. »Das ist allerdings eine Überraschung«, sagte er kalt; »wenngleich natürlich eine höchst willkommene. Eine
Inspektionsreise, nehme ich an.« Ich seufzte. »Käptn, ich unternehme keine Inspekti onsreisen, wie Sie sehr wohl wissen. Ich habe gesagt, daß ich Ihre Hilfe brauche, und ich habe das in vollem Ernst gesagt.« »Es tut mir leid, wenn ich Sie verletzt habe, Mr. Ho well, aber nach der Geschichte in Tripolis – « »Und ich habe Sie gebeten, nicht mehr von Tripolis zu reden. Das ist erledigt und vorbei. Dies hat überhaupt nichts damit zu tun.« Seine Kabine war das reinste Dampfbad. Ich wischte mir den Schweiß von der Stirn. »Einen Drink statt des Kaffees da, Mr. Howell. Ich ha be ein paar Flaschen Bier auf Eis liegen.« »Ja, das ist eine gute Idee.« Aber er ließ mich noch immer nicht aus dem Auge, selbst als er das Bier einschenkte. Ich wartete, bis er wieder in seinem Sessel saß, und sagte dann meinen Spruch auf. »Auch wenn Sie nicht in diesem Land leben, Käptn, wird Ihnen die politische Situation bekannt sein. Ins besondere werden Sie von den inoffiziellen, aber en gen Bindungen gehört haben, die zwischen einigen Regierungsstellen und den palästinensischen Befrei ungsgruppen bestehen.« Er nickte. »Diese Regierungsstellen sind mächtig und haben hö heren Orts beträchtlichen Einfluß. Kein Ministerium, kein Minister ist gegen ihren Druck gänzlich gefeit. Infolge ihrer weitverzweigten Beteiligung an staatlich subventionierten Kooperativen ist auch die Agence Howell nicht immun dagegen.« Wieder nickte er. »So daß ich also, wenn uns eine bestimmte Regie rungsstelle auffordert, vier Passagiere auf einem Ho well-Schiff zu befördern, das nach Alexandria fährt, und es darüber hinaus einzurichten, daß das Schiff von seiner üblichen Route geringfügig abweicht, nicht sogleich ablehne. Ich überlege mir erst die Konse
quenzen, die eine Weigerung nach sich ziehen würde. Ich brauche Ihnen nicht zu sagen, Käptn, daß sie un angenehm wären.« »Die wagen es, Ihnen zu drohen?« »Es ist keinerlei Wagnis für sie damit verbunden. Sie können ungestraft drohen, und sie können ihre Dro hungen auch wahrmachen. Ich sagte es Ihnen doch. Nicht einmal Minister sind ausgenommen.« »Hunde.« »Aber Hunde mit scharfen Zähnen. Erhebe ich Ein wände – was Ihnen, wenn Sie von mir erfahren, was verlangt wird, selbstverständlich freisteht –, werde ich massiv beschimpft. Gebe ich nicht nach, sage ich ih nen, daß keiner meiner Kapitäne Weisungen von ihnen entgegennimmt, stellen sie eine weitere Forderung. Infolgedessen werden Sie jetzt fünf Passagiere haben statt vier. Ich soll ihre Weisungen an Sie weitergeben und persönlich dafür geradestehen, daß sie befolgt werden.« Er wollte etwas sagen, aber ich schnitt ihm das Wort ab. »Nein, Käptn, sprechen Sie es nicht aus. Das erübrigt sich. Die einzigen Weisungen, die Sie jemals von mir erhalten werden, sind diejenigen, die der Repräsentant des Schiffseigners seinem Kapitän mit Fug und Recht geben kann. Ich mag bestimmte Ansuchen an Sie stel len, aber das wird auch alles sein – Ansuchen, denen Sie nach eigenem Ermessen stattgeben oder die Sie abschlagen können. Das versteht sich.« Er nahm einen Schluck Bier. »Was wollen die, Mr. Ho well?« Ich holte die Seekarte aus meinem Aktenkoffer hervor und breitete sie vor ihm aus. »Das wollen sie.« Er starrte lange darauf. Es war eine Erleichterung, ihn zur Abwechslung einmal etwas anderes als mich an starren zu sehen. Ich hatte irgendeine Art von Ausbruch erwartet, aber
es kam keiner. Als er schließlich das Schweigen brach,
geschah es, um eine Frage zu stellen.
»Warum sechs Knoten?«
Ich gab ihm die Erklärung, die ich für unverfänglich
hielt. »Ich weiß es nicht, Käptn. Ich vermute – wohl
gemerkt, ich vermute, denn gesagt worden ist mir
nichts davon –, daß ein Rendezvous mit irgendeinem
Schiff vor der israelischen Küste stattfinden soll.«
»Das die Passagiere übernimmt?«
»Ich weiß es nicht.«
»Das weitere Passagiere von der Küste heranbringt?«
Ich zuckte die Achseln.
»Mr. Howell, wenn ein Rendezvous mit einem Boot vor
der Küste beabsichtigt wäre, müßte doch die Position
für das Treffen eingetragen sein. Auf der Karte ist
nichts dergleichen zu finden. Statt dessen werden wir
aufgefordert, fast zwei volle Stunden lang sechs Kno
ten zu machen.«
»So lauten die Weisungen, die ich bekommen habe.«
Er langte wieder nach dem Bierglas. »Wer sind diese
Passagiere?«
»Palästinensische Fedaijin. Soviel steht fest. Der Name
des Anführers wurde mit Yassin angegeben. Er soll ein
wichtiger Mann sein.«
»Werden diese Passagiere Waffen bei sich haben?«
»Wahrscheinlich.«
»Werden sie auch andere Waffen an Bord bringen –
Waffen, die an Land geschafft werden sollen?«
»Davon ist nichts gesagt worden.«
Ein kurzes Schweigen trat ein, dann musterten mich
die braunen Augen aufs neue.
»Sie sprachen von bestimmten Ansuchen, die Sie ge
gebenenfalls an mich richten würden. Welcher Art wä
ren die?«
»Erstens, daß Sie die auf der Karte vermerkten Kurs
änderungen einschließlich der Wendung in Höhe von
Caesarea vornehmen. Zweitens, daß Sie, mit Ausnah
me der Verminderung der Fahrt auf sechs Knoten, alle
weiteren Anweisungen ignorieren und entlang der is raelischen Küste einen Kurs steuern, der von ihr nicht weniger als zehn Meilen Abstand hält. Zu keinem Zeit punkt darf er näher an sie heranführen. Drittens, daß Sie das tun, ohne die Passagiere davon zu unterrich ten.« »Damit sie das Rendezvous, von dem Sie sprachen, verpassen?« »Genau.« »Ich dachte, Sie haben gesagt, die Hunde hätten Zäh ne?« »Wenn wir Glück haben, werden sie glauben, daß der Fehler bei dem Küstenboot liegt. Jedenfalls zerbreche ich mir jetzt nicht den Kopf darüber. Sagen wir ganz einfach, daß ich mich nicht gern von Gangstern her umkommandieren und zwingen lasse, Kapitän Touza nis Loyalität zu mißbrauchen.« Er überlegte und nickte dann. »In Ordnung, Mr. Ho well. Ich lehne Ihre Ansuchen nicht ab. Daß ich über das dritte besonders erfreut bin, dasjenige, die Passa giere nicht zu informieren, kann ich allerdings nicht behaupten. Wenn einer von den Passagieren Seemann ist und die ursprünglichen Anweisungen kennt, wird er sehr bald wissen, daß sie nicht befolgt werden.« »Ich glaube nicht, daß ein Seemann darunter ist, aber rein interessehalber wüßte ich gern, welche Waffen Sie an Bord mit sich führen.« »Ein paar Handfeuerwaffen, ein Gewehr. Der Erste Offizier verwahrt den Schlüssel für den Waffenspind.« »Würden Sie erwägen, die Handfeuerwaffen an die Offiziere auszugeben oder sie auf der Brücke bereitzu halten?« »In einer Ausnahmesituation würde ich es erwägen, Mr. Howell. Das ist aber doch kein weiteres Ansuchen, das Sie stellen, oder?« »Nur eine Anregung, Käptn.« »Ich werde sie mir durch den Kopf gehen lassen.« Er leerte sein Glas und stellte es dann bedächtig mitten
auf der Karte ab. »Offen gesagt, Mr. Howell«, erklärte er, »ich glaube nicht, daß Sie mir alles erzählt haben, was Sie von dieser Sache wissen. Ich bin Ihnen deswegen nicht gram, das müssen Sie nicht glauben. Ich habe Ihren Vater respektiert, und ich respektiere Sie. Wenn Sie mir gegenüber jetzt nicht mit offenen Karten spielen, bin ich bereit, davon auszugehen, daß Sie es nur dar um nicht tun, weil Sie meinen, je weniger ich weiß, desto besser sei es für mich.« »Danke, Käptn.« Das war wohl das mindeste, was ich sagen konnte. Und tatsächlich lächelte er jetzt, aller dings nur ganz kurz. »Aber wenn Sie mir erlauben, das einmal zu sagen, Mr. Howell«, fuhr er fort, »wer es mit Männern von der Sorte zu tun hat, die Sie Gangster nennen, sollte sich nicht von Gefühlen leiten lassen. Ich meine Gefühle wie Ihre Abneigung, von Leuten herumkommandiert zu werden, die Sie verabscheuen. Natürlich muß ein Mann seinen Stolz haben, und die Howells sind eine stolze Familie, aber wenn das, worum Sie mich bitten, keinem anderen Zweck dient als dem, Ihrem Stolz Genüge zu tun, würde ich Ihnen in Ihrem eigenen In teresse dringend raten, sich das noch einmal gründlich zu überlegen.« Ghaled hatte von Arroganz gesprochen. Kapitän Touzani war höflicher – er nannte es Stolz. »Kein schlechter Rat, Käptn«, sagte ich. »Ich wünsch te, ich könnte mich entsprechend verhalten. Aber hier geht es um mehr als nur um privaten Groll und per sönlichen Stolz.« »Dann ist es ja gut, Mr. Howell. Stolz ist ein schlechter Ratgeber.« Er befingerte die Narbe neben seinem Mund. »Ich spreche aus Erfahrung. Noch ein Bier?« »Danke. Vielleicht sollten wir uns über die Unterbrin gungsmöglichkeiten für die Passagiere unterhalten, oder vielmehr über den Mangel an solchen.« »Sie bekommen meine Koje.«
»Das ist nett von Ihnen, aber ich glaube nicht, daß ich zum Schlafen viel Gelegenheit haben werde. Was mich weit mehr interessiert, ist die Frage, wo wir diese vier Palästinenser unterbringen. Wenn möglich, sollten wir ihrem Führer, Yassin, mittschiffs irgendeine Art impro visierter Kabine anweisen und die anderen vorn oder achtern unterbringen. Es könnte sein, daß wir sie iso lieren müssen.« »Ich werde versuchen, mir etwas Geeignetes auszu denken, Mr. Howell.« »Gut. Dann zur Einschiffung und zum Auslaufen. Was ordnen Sie an?« Wir besprachen diese und noch eine oder zwei weitere Angelegenheiten, bevor ich mich von Kapitän Touzani verabschiedete. Mein Besuch bei Mr. Mourad war kurz. Nach dem Kaffee, den man mir serviert hatte, über reichte ich ihm die Passagierliste für die Amalia. Als er meinen Namen darauf verzeichnet sah, hustete er zweimal in sein Taschentuch, sah jedoch von jedem weiteren Kommentar ab. Vielleicht fehlten ihm ausnahmsweise einmal die Wor te. Mit seinem »Bon voyage, Mr. Howell« trennten sich unsere Wege. Am Abend des ersten Juli meldete ich mich bei Ghaled zum Rapport in der Batteriefabrik. Es sollte das letz temal sein, daß ich das tun mußte. Bei der Gelegen heit erfuhr ich von der >Panne.< Issa und Taleb waren beide bei Ghaled, als ich eintrat, und es schien so etwas wie eine dringende Sondersit zung im Gang zu sein. »Aber wenn wir die Nacht durcharbeiteten, Genosse Salah«, sagte Issa gerade, »könnten wir zumindest einen Teil der Verluste ersetzen und morgen mit der Auslieferung beginnen. Wenn Taleb mir hilft, kann ich – «
»Nein!« Ghaled schnitt ihm das Wort ab. »Das mußt
du endlich begreifen, Genosse Issa. Wenn wir planen,
treffen wir Vorsorge für den Fall, daß Dinge schiefge hen, daß Unvorhergesehenes eintritt oder Fehler ge macht werden. Das ist der Grund, weswegen geplant werden muß. Damit wir Rückschläge auffangen und absorbieren können, sobald sie auftreten. Was ernste Schwierigkeiten hervorruft, sind hastige Improvisatio nen. Unvertretbare Risiken werden in Kauf genom men, und plötzlich wächst sich irgendeine kleine Ka lamität zu einer unabsehbaren Katastrophe aus.« »Aber Genosse Salah – « »Genug jetzt. Du kannst deine Bestände zwecks zu künftiger Verwendung auffüllen, aber ich dulde nicht, daß bei dieser Operation noch in letzter Minute Dummheiten begangen werden. Das wäre alles, Ge nossen.« Sie gingen. Ich wurde von Taleb mit einem schwachen Lächeln bedacht, aber Issa ignorierte mich. Er sah übermüdet aus und schien den Tränen nahe zu sein. Ghaled forderte mich zum Sitzen auf. »Eine kleine Panne«, erklärte er mir. »Wie wir soeben gehört haben, sind vor zwei Tagen auf der anderen Seite hundert Zünder verlorengegangen. Weil er der jenige war, der sie hergestellt hat, regt sich der arme Genosse Issa natürlich sehr auf. Er vergißt dabei völ lig, daß wir fünfhundert davon gefertigt haben, und nicht bloß dreihundert, damit wir es uns leisten kön nen, ein paar von den Dingern einzubüßen. Es ist ein Jammer, aber ich denke nicht daran, wertvolle Kuriere aufs Spiel zu setzen, um Ersatz heranzuschaffen, der für die laufende Operation wahrscheinlich zu spät kommt, um noch Verwendung zu finden, und für den ohnehin kein dringender Bedarf besteht.« »Wobei der Bedarf sich nach der Anzahl vorhandener Flugreisetaschen und verfügbarer PAK-Mitglieder be mißt, die sie an die vorgesehenen Plätze verbringt?« Wirklich interessieren tat es mich nicht. Wenn weitere Zünder nicht mehr benötigt wurden, so konnte das, soweit es mich betraf, nur heißen, daß meine unfrei
willige Mitarbeit sich erübrigte. Woher sollte ich wis sen, daß das, was ich in jenem Raum soeben mit an gehört hatte, die Besiegelung meines eigenen Schick sals war? »Genau, Genosse Michael. Sie verfügen wirklich über eine bemerkenswert rasche Auffassungsgabe. Ich ha be übrigens gute Nachrichten für Sie. Die Maschine des Schoners ist überholt worden und lauft jetzt ein wandfrei.« »Das freut mich zu hören, Genosse Salah. Ich habe ebenfalls gute Nachrichten zu überbringen. Die Ein schiffung ist nach wie vor auf morgen nachmittag vier Uhr festgesetzt. Bis dahin dürfte die Beladung des Schiffs weitgehend abgeschlossen sein. Wir laufen am darauffolgenden Morgen in aller Frühe aus. Die Einhal tung des vorgesehenen Fahrplans sollte dann kein Problem sein.« »Der Tunesier macht keine Schwierigkeiten?« »Ich werde ihm auf die Finger sehen und dafür sor gen, daß er tut, was er gesagt bekommt. Alle Einzel heiten der Einschiffung sind hier aufgeschrieben.« Ich reichte ihm das Papier. »Die Agenten sind Mourad und Kompanie. Wir sammeln uns um vier Uhr bei ihnen im Büro in der Rue du Port. Das Schiff liegt am Ostkai bei Schuppen sieben. Die Agenten werden uns aufs Schiff bringen und die Formalitäten erledigen.« »Das nenne ich Service.« »Bleibt noch die Frage des Transports nach Latakia, Genosse Salah. Für Sie und Ihre« – ich geriet ins Stocken – »für Sie und die anderen Genossen.« »Die Kommandokämpfer sind schon in Latakia und halten sich dort an sicherem Ort bereit. Ich selber werde noch heute nacht zu ihnen stoßen.« »Sie haben die Transportfrage geregelt?« »Alles ist jetzt geregelt. Sie, Genosse Michael, melden sich dann morgen nachmittag um vier Uhr im Büro von diesem Mourad bei mir.« »Sehr gut, Genosse Salah. Wenn ich vielleicht einen
Vorschlag machen dürfte?« »Schießen Sie los.« »Weder Kapitän Touzani noch dem Büro Mourad ist Ihre Identität bekannt.« »Ja, und?« »Dort im Büro und später an Bord des Schiffs werden wir unter Fremden sein. Vielleicht wäre eine unauffälli gere Form der Anrede ratsam.« »Unauffälliger?« »Mr. Yassin würde keine Neugier erregen. Genosse Salah bestimmt.« »Woraus besteht die Mannschaft des Schiffs? Aus Ara bern?« »Vorwiegend aus griechischen Zyprioten, aber sie sprechen etwas Arabisch, das sie in den Häfen aufge schnappt haben. Genug, um einiges zu verstehen.« »Also gut. Ab morgen tun wir so, als ob wir Zivilisten seien. Ich werde die nötigen Anweisungen erteilen.« Ich stand auf, um zu gehen. »Ein Auftrag noch, Genosse Michael.« »Ja, bitte?« »Bringen Sie eine Flasche Brandy mit. Nein, warten Sie! Bringen Sie zwei Flaschen.« »Mit Vergnügen, Genosse Salah.« »Wir müssen doch gerüstet sein, unseren Sieg zu fei ern.« Ich will hier nicht vorspiegeln, daß ich etwa nicht hätte schlafen können in jener Nacht; aber ich mußte ein paar Pillen einnehmen, um sicherzugehen, daß ich es konnte. Wenn ich irgendwelche Tranquilizers im Haus gehabt hätte, würde ich auch die genommen haben. Ich fühlte mich, als sei ich wieder in der Schule und sollte anderntags Prügel beziehen; nicht schlimmer als das, zugegeben; immerhin aber merkwürdig, in mei nem Alter ein solches Gefühl zu haben. Am Vormittag arbeitete ich eine Weile mit dem Bürogehilfen und packte dann einen Koffer mit dem Nötigsten für zwei Übernachtungen. Damit, so meinte ich, würde ich aus
kommen, bis ich nach Alexandria gelangte – falls ich nach Alexandria gelangte. Was danach geschehen mochte, interessierte mich in jenem Augenblick nicht im geringsten. Ich hatte mir vom Fahrzeugpool des Keramikwerks einen Fahrer ausgeliehen, der den Wagen zur Villa zurückbringen würde, und traf um halb vier in Mou rads Büro in Latakia ein. Mr. Mourad war ausgegan gen, und es stellte sich heraus, daß er die Aufgabe, sich der Passagiere der Amalia anzunehmen, seinem Assistenten übertragen hatte. Der alte Mann wollte offenkundig nichts mit uns zu tun haben. Ghaled erschien pünktlich um vier Uhr. Auf dem Bei fahrersitz, die Serinette in ihrem Behälter auf den Knien, fuhr er in einem altertümlichen CitroenLieferwagen vor. Die Spieldose ließ er sich beim Aus steigen von niemandem abnehmen. Er trug sein wei ßes Hemd und die Krawatte. Die >Kommandokämpfer< waren wenig beeindruk kend. Der älteste des Trios, derjenige, dem Ghaled seine Befehle gab, war der Passagierliste zufolge Aziz Faysal. Er trug einen zerknitterten braunen Anzug mit schwarzen Streifen und einen blauen kaffijeh. Die an deren beiden, Hanna und Amgad, trugen ebenfalls kaffijehs, aber keine Anzüge, sondern nur KhakiArbeitshosen und schmierige Trikothemden. Alle drei waren ziemlich jung und einander in Gesichtsschnitt und Gestalt bemerkenswert ähnlich. Daß sie keine Brüder sein konnten, ging aus ihren Namen hervor, und ich brauchte eine oder zwei Minuten, um mir über den gemeinsamen Nenner klarzuwerden. Bewußt oder unbewußt hatte Ghaled als seine Leibwächter jüngere Männer seines eigenen Typs ausgesucht, frühe Varia tionen seiner selbst. Außer der Serinette befanden sich vier Gepäckstücke in dem Lieferwagen. Eines davon, ein alter Lederkof fer, gehörte Ghaled. Aziz trug ihn, zusammen mit sei ner eigenen Segeltuch-Reisetasche. Ich wußte, daß
sich in dem Gepäck nicht nur Kleidungsstücke, son dern auch Waffen und Munition befinden mußten, und fragte mich, ob die Zollbeamten bestochen worden waren. Das waren sie. Mourads Assistent fuhr uns im Liefer wagen des Büros zum Schiff, und wir wurden kein ein zigesmal angehalten. Eine Zollkontrolle fand nicht statt. Man forderte uns nicht einmal auf, unsere Papie re vorzuweisen. Die Amalia Howell war Ende der dreißiger Jahre von einer holländischen Werft erbaut worden. Wir kauften sie 1959 und haben sie seither zweimal vollständig überholen und neu ausstatten lassen. Dennoch sah man ihr das Alter an. Als wir aus dem Wagen stiegen und Ghaled sie zum erstenmal sah, blieb er auf dem Kai stehen und stellte die Serinette ab. »Das ist das Schiff?« »Ja, Mr. Yassin.« »Aber es ist alt und dreckig. Die Farbe blättert überall ab. Es kann nicht seetüchtig sein.« »Sie ist absolut seetüchtig, und die Mannschaft hat den alten Anstrich abgekratzt. Sie können nicht nach dem äußeren Anschein urteilen, Mr. Yassin.« »Sie sagten, daß die Amalia aussieht wie das Modell in Ihrem Büro.« »Das tut sie.« »Für mich nicht.« »Modelle fahren nicht zur See«, sagte ich kurz ange bunden und ging weiter. Nach einem Augenblick folgte er mir. Mourads Assistent wartete an der Gangway. Ich sagte ihm, daß seine Anwesenheit nicht mehr erforderlich sei, und ging der Gruppe voran an Bord. Achtern wur de noch Fracht verladen, aber Patsalides, der Erste Offizier, war über unsere Ankunft unterrichtet und trat auf uns zu, um uns zu begrüßen, oder vielmehr, um mich zu begrüßen. Die anderen streifte er nur mit ei nem flüchtigen Blick.
»Der Kapitän läßt Sie bitten, Ihre Passagiere in den Salon zu führen, Mr. Howell. Das Gepäck kann einst weilen hier abgestellt werden.« Obwohl er etwas Arabisch konnte, sprach er jetzt grie chisch. Ich übersetzte für Ghaled. »Das Gepäck bleibt bei uns«, erklärte er mit Entschie denheit. Ich empfand seine schroffe Reaktion als höchst unangebracht. Natürlich hatte Patsalides ver standen, und seine Lippen wurden schmal; aber er sah mich hilfesuchend an, statt Ghaled so zu antworten, wie er es zweifellos gern getan hätte. »Schon gut, Mr. Patsalides«, sagte ich rasch. »Ich se he, daß Sie zu tun haben. Ich kenne den Weg.« Der Salon befand sich unmittelbar unter der Brücke am Ende des Durchgangs, der zu den Kabinen der Offiziere führte. Er war nicht gerade üppig eingerich tet, das gebe ich zu; bloß zweckentsprechend. Auf der einen Seite standen die Back, an der die Offiziere ihre Mahlzeiten einnahmen, nebst einigen Stühlen, auf der anderen ein paar schmuddelige Armsessel und ein Sofa, das mit Kunstleder neu bezogen worden war. Es gab eine Tür zur angrenzenden Kombüse, und eine zweite ging auf einen schmalen Streifen überdachten Decks. Von dort führte eine eiserne Treppe zur Brücke hinauf. Drinnen im Salon mischten sich die Gerüche von Speiseöl und kalten Zigarettenstummeln mit dem des neuen Kunstlederbezugs. Ghaled blickte um sich, als sei er Besseres gewohnt. »Ein bißchen anders als in der Howell-Villa«, bemerkte er. »Ich sehe, daß Sie Ihre Offiziere nicht gerade ver wöhnen.« Der Kommentar ärgerte mich. »Sie brauchen nicht verwöhnt zu werden, Mr. Yassin.« Ich wartete nicht erst ab, wie er die Implikation, die Kommandokämpfer müßten verwöhnt werden, auf nahm; ich machte mich auf die Suche nach dem Kapi tän. Ich traf ihn auf der Steuerbordseite der Brücke an, von wo er auf den Kai hinuntersah.
»Im Salon?« fragte er. »Ja.« »Welcher ist Mr. Yassin?« »Der im weißen Hemd. Was haben Sie Mr. Patsalides erzählt, Käptn?« »Daß sie Fedaijin sind und daß sich im Umgang mit ihnen einstweilen Vorsicht empfiehlt. Weniger hätte ich ihm kaum sagen können.« »Nein. Mich interessiert ihr Gepäck, Käptn. Nicht die ser seltsam aussehende Kasten, den Yassin bei sich hat. Was darin ist, weiß ich. Aber das andere Gepäck. Ich möchte wissen, was für Waffen sie bei sich ha ben.« »Das würde ich auch gern wissen, Mr. Howell.« »Glauben Sie, Patsalides könnte eine diskrete Durch suchung veranlassen? Vielleicht während wir beim Abendessen sind?« »Ich denke schon. Ich habe eine Kabine für Yassin herrichten lassen, wie Sie gesagt haben. Die anderen drei sind achtern in dem Sonderraum untergebracht.« Bevor das ganz illegal wurde, hatte es eine Zeit gege ben, in der die Agence Howell, insbesondere mit ame rikanischen Händlern, die im Auftrag von US-Museen handelten, ins Geschäft gekommen war, indem sie soeben ausgegrabene griechisch-römische Antiquitä ten verschiffte. Die Händler hatten erklärt, was sie haben wollten; wir hatten die Objekte aus der Gegend, in der sie aufgefunden worden waren, abtransportiert. Daher die mit Schotten abgedichteten Sonderräume. »Ich hatte vergessen, daß Sie auf der Amalia auch so einen Raum haben.« »Wir finden auch heute noch gelegentlich Verwendung dafür.« Seine Miene blieb unbewegt. »Sie werden es nicht allzu unbequem haben. Sie können auf Stroh säcken schlafen.« »Was für eine Tür hat der Raum?« »Sie hat einen Riegel, der schwer zu bewegen ist, wenn man nicht weiß wie, und kann außerdem mit
einem Vorhängeschloß gesichert werden. Vielleicht sollte ich jetzt hinuntergehen und mich mit den Herren bekannt machen.« Ich hatte recht daran getan, mich für Kapitän Touzani zu entscheiden. Es war fast ein Vergnügen, ihn Ghaled vorzustellen. »Mr. Salah Yassin, Kapitän Touzani.« Sie nickten kurz und musterten einander: zwei gänz lich verschieden geartete Araber. »Und Mr. Aziz Faysal.« Ein nochmaliges Nicken; die anderen beiden beachtete ich nicht. Kapitän Touzani lächelte breit. »Meine Her ren, Sie sind an Bord dieses Schiffs alle herzlich will kommen. Mr. Howell wird Ihnen schon gesagt haben, daß wir normalerweise keine Passagiere befördern. Die Räumlichkeiten, die ich Ihnen anbieten kann, sind da her beschränkt. Der Zweite Offizier hat sich jedoch bereiterklärt, bis zu unserer Ankunft in Alexandria eine Kabine mit einem Besatzungsmitglied zu teilen. Seine Koje steht daher für Mr. Yassin zur Verfügung. Mr. Howell als Eigner wird selbstverständlich bei mir un tergebracht. Die anderen Herren finden im Achterschiff Unterkunft.« Er drückte auf einen Klingelknopf. »Der Steward, Mr. Kyprianou, wird Ihnen den Weg zeigen. Die Mahlzeiten werden hier eingenommen. Die Tischzeiten für die Passagiere werden Ihnen jeweils bekanntgegeben. Ich muß Sie bitten, gewisse Vor schriften zu beachten. Den Passagieren ist der Zutritt zur Brücke strikt untersagt. Sie können sich auf dem Hauptdeck – das ist ein Deck tiefer als dieses – überall frei bewegen.« Auf das Klingelzeichen hin war der Steward, ein schmutziger kleiner Mann in einer sauberen weißen Jacke, durch die Kombüsentür in den Salon getreten. Der Kapitän zeigte auf Ghaled. »Das ist Mr. Yassin, Kyprianou«, sagte er auf Griechisch. »Führen Sie ihn und seine Reisegenossen zu ihren Unterkünften.« Ghaled starrte den Kapitän wütend an. Offenkundig
hatte es ihm nicht gepaßt, gesagt zu bekommen, was er tun durfte und was nicht, aber er war sich un schlüssig, wie er sein Mißfallen zum Ausdruck bringen sollte. Touzani blickte ihm fest in die Augen. »Die Wettervor aussagen sind gut, Mr. Yassin. Ich sehe keinen Grund, warum wir nicht eine störungsfreie und angenehme Reise haben sollten.« Damit drehte er sich um und ging wieder auf die Brük ke hinauf. Kurz nach Tagesanbruch liefen wir aus. Ich hatte die Nacht auf einer Couch in Kapitän Touza nis Kapitänskajüte in unruhigem Halbschlaf verbracht. Das Ergebnis der Gepäcksuntersuchung am Abend zuvor war nicht ermutigend gewesen. Die Kommandokämpfer hatten jeder eine Maschinen pistole. In Ghaleds Koffer befand sich außer einem neuen schwarzen Anzug eine Stechkin-Automatic in einem Halfter aus Gurtgewebe sowie ein kleines trag bares Sprechfunkgerät. Es war dieses Gerät, das mich beunruhigte. Als Patsa lides mir davon berichtete, hatte ich ihn sofort gefragt, ob er nicht zwei Sprechfunkgeräte meine. Ich hoffte, daß er das gemeint hatte, aber er schüttelte den Kopf. »Nein, Mr. Howell, nur eines.« Als er hinausgegangen war, sah mich Touzani verwun dert an. »Warum messen Sie dem solche Bedeutung bei? Wenn er nur ein Gerät hat, heißt das doch nur, daß irgend jemand auf dem Boot, das von der Küste kommt, das andere haben muß.« »Ja.« »Was macht das schon aus? Zum Richtungpeilen kön nen sie diese Dinger nicht benutzen, jedenfalls nicht mit nennenswerter Aussicht auf Erfolg. Ein Boot, das von der Küste kommt, würde nach unseren Lichtern Ausschau halten.« Ich sagte ihm nicht, daß es kein Boot von der Küste, sondern Hadaya von See her war, worüber ich mir
Sorgen machte. Es deutete alles darauf hin, daß Gha led die gesamte Operation von der Amalia aus zu überwachen und koordinieren beabsichtigte. Ich hätte mir über dieses Sprechfunkgerät noch ganz andere Sorgen machen und die Gefahr, die es tatsäch lich darstellte, klarer erkennen sollen, um ihr besser begegnen zu können. Daß ich das nicht tat, lag daran, daß ich zu jenem Zeitpunkt schon ganz genau zu wissen glaubte, was die Israelis tun würden. Das war nicht bloßes Wunsch denken von meiner Seite; ich hatte das Funkgerät des Schiffs benutzt. Sobald wir an jenem Morgen die syri schen Gewässer verlassen hatten, begann ich Funk sprüche nach Famagusta auszusenden, insgesamt drei. Sie durften nicht unverschlüsselt sein; ich mußte alles in einen kommerziellen Fachjargon transponie ren; aber sie begriffen und wiederholten ihrerseits drei Punkte. Erstens, daß die zuvor übermittelte Information sich als unvollständig herausgestellt hatte und nunmehr zwei Schiffe an der Transaktion beteiligt waren. Zweitens, daß die bekanntgegebene Transportplanung entsprechend modifiziert werden mußte. Drittens, daß demzufolge die bereits abgesprochenen Schritte, um wirksam zu sein, nicht später als 21 Uhr 15 unternommen werden durften. Die Meldungen waren schwierig zu formulieren gewe sen, und eine von ihnen las sich wie sinnloses Kau derwelsch. Der Bordfunker hatte mich wiederholt ernstlich besorgt angesehen; aber mir war es gleich gültig, was er dachte. Aus der Tatsache, daß der Emp fang aller drei Meldungen ohne die gereizte Aufforde rung zur Klarstellung, mit der ich hatte rechnen müs sen, bestätigt worden war, schloß ich – zutreffend, wie sich erwies –, daß sie direkt an Barlev gingen und daß mein verrücktes Kabel aus Damaskus die gewünschte Wirkung gezeitigt hatte, ihn zu alarmieren. Die ab schließende Bestätigung enthielt einen Satz, den ich
als persönliche Zusicherung von seiner Seite auffaßte. Famagusta sagte, man werde »vorgehen wie geplant«. Für mich hieß das, daß die Aufbringung an diesem Abend um 21 Uhr 15 in der Höhe von Caesarea erfol gen würde. Ich war überzeugt, daß mir jetzt nichts anderes zu tun übrigblieb als abzuwarten. Ghaled war den größten Teil des Tages über in seiner Kabine geblieben. Die Kommandokämpfer zogen es vor, sich auf Deck aufzuhalten – verständlicherweise, denn der Sonderraum hatte kein Bullauge. Ich hielt mich bis zum späten Nachmittag in der Kapitänskajüte achteraus der Brücke auf. Das geschah mit Ghaleds Zustimmung; ich sollte den Kurs des Schiffs überwa chen. Aber gegen fünf Uhr kam ein Befehl, den Ky prianou, der Steward, mir überbrachte, daß ich mich in Ghaleds Kabine einzufinden habe. Zugleich mit dem Befehl übermittelte mir Kyprianou eine zusätzliche Information. »Mr. Yassin ist bewaff net«, sagte er in dramatischem Tonfall. »Oh.« »Er trägt seine Pistole an einem Gürtel, Sir.« »Ich verstehe.« »Soll ich ihm sagen, daß er sie ablegen muß, Sir?« »Nein, Kyprianou, das ist schon in Ordnung.« Er schien enttäuscht zu sein. Touzani, der zugehört hatte, verfügte eine weitere Vorsichtsmaßregel. »Sie werden so tun, als hätten Sie die Pistole nicht gesehen. Gehen Sie weiterhin wie gewöhnlich Ihrer Arbeit nach.« Er entließ den Steward. Dann sagte er: »Wenn Sie zurückkommen, Mr. Howell, wäre eine kleine Unterhaltung zwischen uns beiden vielleicht ganz angebracht.« Ich nickte und ging hinunter, um Ghaled aufzusuchen. Er saß an dem kleinen Kabinentisch und schrieb, und ich blieb ein paar Sekunden lang in der Tür stehen, bevor er sich umdrehte. »Ah, Genosse Michael. Am Tag vor unserer Abreise hatte ich Ihnen einen kleinen Auftrag erteilt.«
»Auftrag, Genosse Salah?« »Zwei Flaschen Brandy.« »Oh, ja. Für die Siegesfeier. Wollen Sie sie jetzt ha ben?« »Eine hätte ich schon ganz gern. Und bringen Sie zwei Gläser aus dem Salon mit.« Ich mußte in die Kapitänskajüte hinaufgehen, um die Flasche zu holen. Touzani sah schweigend zu, wie ich sie meinem Koffer entnahm. Es war ein beredtes Schweigen. Ein gesprochener Kommentar wäre mir lieber gewesen. Als ich zu Ghaled zurückkehrte, hielt er einige Papiere in der Hand. »Setzen Sie sich, Genosse Michael.« Da er auf dem einzigen Stuhl saß, den es in der Kajüte gab, setzte ich mich auf die Schlafkoje neben die Seri
nette. »Können Sie die Flasche öffnen? Gut. Dann schenken Sie ein und lassen Sie uns über die Zukunft reden. Um welche Zeit treffen wir morgen in Alexandria ein?« »Am frühen Nachmittag, nehme ich an, Genosse Sa lah. Aber in Anbetracht der bevorstehenden Kursände rungen ist es schwer, das genau vorauszusagen.« »Meine Ankunft muß selbstverständlich geheim blei ben. Es darf nicht bekannt werden, wie ich angekom men bin. Die Pressekonferenz werde ich in Kairo ab halten.« »Ist sie schon vorbereitet?« »Alles ist schon vorbereitet.« Er reichte mir ein Blatt Papier mit einem hektographierten Schreibmaschinen text darauf. »Das ist die einleitende Erklärung, die den internationalen Nachrichtenagenturen übergeben wird, sobald die ersten Meldungen von unserem Angriff ein zulaufen beginnen.« Das Papier trug die Aufschrift Palästinensisches Akti onskommando/Informationsdienst. Die Erklärung be gann wie folgt:
Beirut, den 4. Juli.
Gegen 22 Uhr unternahmen gestern, am 3. Juli, Trup pen des Palästinensischen Aktionskommandos unter dem persönlichen Befehl ihres Führers Salah Ghaled den vernichtendsten Angriff gegen den zionistischen PseudoStaat Israel, den dieser jemals erlebt hat. Das Ziel des Angriffs war die Hochburg des zionistischen Expansionismus, Tel Aviv. Massive Bombardierungen sowohl durch Land- als auch durch Seestreitkräfte des PAK haben, obschon vorwiegend gegen militärische Einrichtungen und Ziele des Gebiets gerichtet, dem Vernehmen nach auch einige Opfer unter der Zivilbe völkerung gefordert. In einer nach dem Angriff abge gebenen Verlautbarung erklärte der PAK-Führer Salah Ghaled, wenngleich er die Opfer bedaure, könne er nicht zulassen, daß die Befreiungspolitik des PAK soge nannte unschuldige Zuschauer berücksichtige. »Solan ge wir Palästinenser um unser Recht kämpfen müs sen«, sagte er, »ist kein Zuschauer unschuldig. In der Palästinensischen Befreiungsbewegung ist bis heute zuviel geredet und zuwenig gehandelt worden. Mit dieser Offensive hat das PAK, das damit die Führung aller palästinensischen Streitkräfte übernimmt, den Marsch zum Sieg und zur endgültigen Wiederherstel lung des Rechts angetreten.« In diesem Stil ging es noch eine ganze Zeitlang weiter – offensichtlich handelte es sich um eine Fleißarbeit Melanie Hammads –, aber ich tat nur so, als läse ich alles durch. »Ist es auch gutes Englisch, Genosse Michael?« fragte er besorgt. »Ich kann etwas englisch lesen, aber nicht sehr gut.« »Ja, das Englisch ist gut.« Ich wußte, daß von mir eine bestimmte Frage erwartet wurde und daß ich sie bes ser umgehend stellte. »Hier steht, daß von See aus bombardiert werden würde, Genosse Salah. Kann das stimmen?« Er lächelte zufrieden. »Das ist eine Überraschung, die ich für Sie aufgespart habe. Füllen Sie unsere Gläser
nach.« Und dann erzählte er mir von dem geplanten Jeble-5 Überfall. Ich ließ die erwarteten Laute des Staunens und der Freude hören. In gewisser Weise hatte er mir meine Aufgabe etwas erleichtert, weil ich ihm nicht mehr ganz soviel vormachen mußte. Andererseits hatte ich jetzt vor Kapitän Touzani mehr zu verbergen als zu vor. Statt ihm meine eigenen Mutmaßungen und Schlußfolgerungen zu verschweigen – immerhin hätten sie irrig sein können – , hatte ich jetzt bestätigte In formationen zu verheimlichen. Ich würde gut achtge ben müssen bei unserer >kleinen Unterhaltung<. Das Problem war jetzt, wie ich mich von Ghaled losei sen konnte. Immer nur von Kairo reden und von dem Empfang, der ihn dort erwartete – das war alles, was er wollte. Das letztemal war die Begrüßung frostig gewesen. Diesmal würde sie ganz anders ausfallen. Er freute sich schon auf das Gesicht, das Jassir Arafat machen würde, wenn sie einander für die Fotografen umarmten. Er hatte sich zu einigen der Fragen, die ihm die Reporter voraussichtlich stellen würden, Stichwörter notiert und seine Antworten vorbereitet. Ich mußte sie mir anhören. Er redete und redete. Nach dem dritten Brandy sagte ich, daß ich jetzt ge hen und Vorbereitungen für den Abend treffen müsse. »Was für Vorbereitungen?« »Der erste Kurswechsel wird um acht Uhr vorgenom men. Sobald ich mich überzeugt habe, daß alles in Ordnung ist, sollten wir meiner Meinung nach unser Abendessen einnehmen, Genosse Salah, damit wir alle für den nächsten Wechsel um neun Uhr fünfzehn vor Caesarea bereit sind. Ich nehme an, die Jeble 5 wird kurz darauf zu uns stoßen.« »Ja, wir haben zu arbeiten. In Ordnung, gehen Sie.« Als ich die Kajüte verließ, schenkte er sich seinen vier ten Brandy ein. Kapitän Touzani trank Bier und sah nicht danach aus,
als schmecke es ihm. »So«, sagte er, »unser bewaffneter Passagier ist also jetzt eifrig dabei, sich zu betrinken. Sie können von mir als Kapitän dieses Schiffs nicht erwarten, daß mir das gefällt.« »Er wird nicht sehr betrunken. Er wird unangenehmer, nicht betrunkener. Ich erwarte nicht, daß Ihnen das gefällt.« »Aber Sie haben keine Änderung des Plans vorzu schlagen.« »Keine, die wir nicht schon diskutiert hätten.« »Dann schließe ich daraus, daß ich an die Wachoffizie re jetzt Waffen ausgeben soll.« »Ja. Und wenn Yassin und die anderen Passagiere zum Essen in den Salon gehen, möchte ich, daß die Tür zum Sonderraum verschlossen wird. Ghaleds Automa tic müssen wir in Kauf nehmen, aber wir wollen nicht, daß sich die anderen auch noch bewaffnen.« »Womöglich sind sie schon bewaffnet.« »Nein, ich habe mich überzeugt. Sie sind an Deck und rauchen.« »Wenn sie die Tür verschlossen finden, werden sie das nicht mögen.« »Vielleicht kommt es gar nicht dazu.« Ich hoffte noch immer auf das Eingreifen vor Caesarea. »Meinen Sie, daß sie heute nacht nicht schlafen gehen werden?« Die braunen Augen musterten mich ein dringlich. »Ich meine, daß ich mit einer Wendung zu unseren Gunsten rechne, Käptn.« Längere Zeit herrschte Schweigen, bevor er sagte: »Ich hoffe, Sie wissen, was Sie tun, Mr. Howell.« »Ich glaube, ich weiß es, Käptn.« Als wir die erste Kursänderung vornahmen, stand die Sonne tief am Himmel. Sobald wir uns auf dem neuen Kurs befanden, ging ich in den Salon hinunter und meldete Ghaled den Vollzug. Er schien nicht sonderlich interessiert zu sein. Er mußte stetig weitergetrunken
haben, seit ich ihn verließ. Ich setzte mich neben Aziz und zwang mich, etwas zu mir zu nehmen. Kyprianou bedachte mich mit mißbilligenden Blicken; ich verhielt mich nicht, wie man es von einem Eigner erwarten durfte. Sobald ich irgend konnte, verließ ich den Salon und begab mich wieder auf die Brücke. Touzani hatte einen zusätzlichen Mann oben an der Kajütentreppe postiert. Patsalides hielt Wache. Beide hatten große Revolver in ihren Gürteln stecken und waren deswegen offensichtlich etwas geniert. Sie ta ten, als sähen sie mich nicht. Touzani war in seiner Kajüte. Er trug seinen Revolver in der rechten Hosentasche. Er hatte durch das Bullauge gestarrt, als ich eintrat, aber jetzt drehte er sich um. Er deutete auf die Dunkelheit. »Da draußen ist ein anderes Schiff«, sagte er. »Vor einer Weile hat es ach teraus unseren Kurs gekreuzt. War gut zu sehen ge gen den Sonnenuntergang. Ein syrischer Schoner, der unter Maschine lief.« Ich setzte mich und sagte nichts. »Das ist wohl nicht zufällig das Schiff, mit dem wir uns treffen sollen, wie?« »Warum fragen Sie?« »Bei der nächsten Kursänderung werden wir auf kon vergierenden Kurs sein. Ich frage nur, weil der Scho ner ohne Positionslichter läuft.« »Er kann unsere Lichter sehen. Ich glaube, Sie werden feststellen, daß er Abstand hält.« »Ein Rendezvous?« »Nicht mit ihm.« »Ihre Weisungen bleiben unverändert, Mr. Howell?« »Meine Ansuchen, ja. Auf sechs Knoten herunterge hen, aber von der Küste zehn Meilen Abstand halten.« »Gut.« Er verließ mich und ging ins Ruderhaus. Er war unzu frieden mit mir, und ich konnte es ihm nicht verden ken. Ich war selber unzufrieden mit mir. Er vertraute
mir, und ich hätte ihn ins Vertrauen ziehen sollen. Aber dazu war es jetzt zu spät. Ich hatte angefangen, die Uhr im Auge zu behalten. Neun Uhr kam und verstrich. Dann war es neun Uhr fünfzehn. Von der Brücke her konnte ich hören, wie die Kurskorrektur vorgenommen wurde. Patsalides gab über den Telegrafen das Klingelzeichen für halbe Kraft voraus an den Maschinenraum, anschließend die Umdrehungszahl für sechs Knoten. Die Kursänderung, die Hadaya vorgeschrieben hatte, betrug elf Grad nach Steuerbord. Touzani ordnete eine um fünfzehn Grad an. Von jetzt ab würden wir uns bis zur nächsten Kor rektur von der Küste entfernen, und nachdem sie vor genommen war, weit außerhalb territorialer Gewässer befinden. Ich hatte keine konkrete Vorstellung, in wel cher Form sich das Eingreifen des Patrouillenbootes abspielen würde. Mir schwebte nur vage irgendeine Art von Blinkzeichen vor – »Welches Schiff ist das?« –, gefolgt von der Aufforderung, sofort zu stoppen. Ich wußte es nicht. Es interessierte mich nicht. Ich stand bloß da, starrte durch das Bullauge in die Dunkelheit hinaus und wartete darauf, daß irgend etwas geschah. Ich wartete und wartete. Ich wartete noch immer, als Kapitän Touzani in die Kajüte zurückkehrte. Er hatte ein FunkspruchFormular in der Hand, und er war ganz offensichtlich wütend. »Mr. Howell, soeben ist ein Funkspruch aufgefangen worden.« Er hielt mir das Formular unter die Nase. Es war gerichtet an MOTORSCHIFF AMALIA HOWELL FUER MR. HOWELL. Es lautete: NOTMASSNAHME, STEUERN SIE 170 GRAD, WIEDERHOLE 170. SIE HABEN ERLAUBNIS, ASHDOD ANZULAUFEN. Es war unterschrieben: KUE STENWACHE HADERA. Wenigstens hatten sie mich nicht vergessen. Ich blick te auf und geradewegs in Kapitän Touzanis zornige
braune Augen.
»Der Spruch mag an Sie gerichtet sein, Mr. Howell«,
sagte er sehr ruhig, »aber ich will wissen, was er zu
bedeuten hat. Ich verlange eine Erklärung.«
Daß meine Funkmeldungen doch nicht völlig verstan
den worden waren – das hatte es zu bedeuten; aber
das konnte ich ihm schwerlich sagen.
»Könnten wir einen Blick auf die Karte werfen,
Käptn?«
»Bitte sehr. Aber ich bestehe nach wie vor auf einer
Erklärung. Ich will wissen, warum Sie auf meinem
Schiff navigatorische Anweisungen von’ einer israeli
schen Küstenwache erhalten und warum uns aus
drücklich erlaubt wird, einen israelischen Hafen anzu
laufen, den wir gar nicht anlaufen wollen.«
»Zeigen Sie mir diesen Kurs bitte auf der Karte.«
Wir gingen in das Ruderhaus, und er legte ein Lineal
quer über die Seekarte, um mir den Kurs zu demon
strieren.
»Da haben Sie Eins-sieben-null.«
»In welcher Entfernung würden wir auf diesem Kurs
Tel Aviv passieren?«
»Rund sechs Meilen.«
»Wie lautet unser derzeitiger Kurs?«
»Eins-neun-zwei.«
»Wollen Sie bitte an Hadera zurückfunken? Sagen Sie
bitte in meinem Namen, daß wir nicht, ich wiederhole,
nicht in der Lage sind, diese Notmaßnahme auszufüh
ren, und daß wir gezwungen sind, gebrauchen Sie die
ses Wort, Kurs Eins-neun-zwei beizubehalten.«
»Erst will ich eine Erklärung haben.«
»Wir versuchen, uns aus einer bösen Sache herauszu
halten, und eine Menge anderer Menschen ebenfalls.
Mehr kann ich Ihnen im Augenblick leider nicht sagen,
Käptn. Bitte, geben Sie jetzt den Funkspruch auf und
kennzeichnen Sie ihn als SOFORTIGES HANDELN ERFOR
DERND.« Er wollte Einwände erheben, aber ich schnitt
ihm das Wort ab.
»Dies ist ein Befehl, Kapitän Touzani, und ich kann Ihnen versichern, daß es sich um einen durchaus legi timen Befehl des Schiffseigners an seinen Kapitän handelt.« »Das würde ich gern selber beurteilen.« »Das werden Sie auch, aber im Augenblick müssen Sie das Urteil darüber schon mir überlassen. Bitte geben Sie den Funkspruch auf.« Ich ließ ihn stehen, bevor er noch etwas entgegnen konnte. Ich mußte nachden ken. Die Botschaft der Küstenwache konnte nur von Barlevs Leuten in Tel Aviv in der Absicht diktiert wor den sein, von mir in einem ganz bestimmten Sinn auf gefaßt zu werden. Da sie meine Hinweise auf ein zwei tes Schiff nicht verstanden hatten, konnten sie zweier lei gemeint haben. Erstens, daß sie noch immer nicht gewillt waren, die Amalia so weit außerhalb ihrer Ho heitsgewässer aufzubringen, und mich nach wie vor dazu bewegen wollten, es ihnen einfacher zu machen. Die zweite Möglichkeit… Aber ich kam nicht mehr dazu, sie zu durchdenken. Etwas anderes lenkte mich ab. Die Salontür zum Deck wurde durch eine Sperrvorrich tung offengehalten, so daß ich es schon hörte, als ich die Kajütentreppe halbwegs hinuntergestiegen war: ein krächzendes Geräusch und dann, plötzlich und sehr laut, eine Stimme. Ich blieb stehen und sah durch das Bullauge. Ghaled und seine Kommandokämpfer hatten sich um das Sprechfunkgerät versammelt, und die Stimme, die aus dem Apparat tönte, war die Hadayas. Ich gebe zu, daß ich nur ungern wieder aufrühre, was im Verlauf der nächsten Stunde geschah, aber es ist so vieles gesagt, so vieles angedeutet oder unterstellt worden und so vieles ungesagt geblieben, daß ich es tun muß. Die Reichweite von Sprechfunkgeräten variiert. Dieses mochte nach meiner Schätzung bis zu einer Entfer nung von etwas mehr als einer Meile funktionieren. Da
Hadaya zu jenem Zeitpunkt über zwei Seemeilen von uns entfernt war, konnten wir ihn zunächst nur sehr schlecht hören. Wiederholt blieb die Stimme plötzlich weg, und statt ihrer drangen krächzende Geräusche wie dasjenige, das ich schon von draußen gehört hat te, aus dem Gerät. Aber was er meinte, war selbst unter diesen Umstän den deutlich genug und wurde mit abnehmender Ent fernung zwischen den beiden Sprechfunkgeräten im mer deutlicher. Ghaled sah wütend auf, als ich eintrat. »Haben Sie das gehört?« fragte er gebieterisch. »War das Hadayas Stimme, Genosse Salah?« »Allerdings war sie das. Er spricht von der Jeble 5 aus mit uns. Er sagt, daß wir nicht auf Kurs sind.« Es empfahl sich nicht, Ghaled zu sagen, er rede Un sinn, aber ich war geistesgegenwärtig genug, das zweitbeste zu tun – ihn vermuten zu lassen, daß er es tat. »Genosse Salah, ich komme gerade von der Brücke, um Ihnen zu sagen, daß das Schiff jetzt auf Kurs läuft.« »Jetzt? Warum nicht schon eher?« »Wenn man mit dem Wagen um eine Ecke fährt, schlägt man das Steuer ein und lenkt dann wieder geradeaus. Auf See ist es das gleiche. Aber wir sitzen nicht in einem Wagen oder in einem Ruderboot. Dies ist ein Schiff, und eines, das im Augenblick kleine Fahrt macht. Es braucht Zeit, um eine Wendung aus zuführen, und Zeit, um wieder geradeaus zu laufen. Hadaya weiß das genau.« »Er sagt auch, daß wir nicht in der vorgesehenen Posi tion sind.« »Mit Verlaub, Genosse Salah, das ist unmöglich.« Aus dem Sprechfunkgerät drang ein weiteres undeutli ches Krächzen. Hadaya sagte irgend etwas von Pei lungen vornehmen und Position bestimmen müssen. Ghaled verstand es nicht, und ich war froh, es ignorie
ren zu können. »Sie haben selbst zugegeben«, sagte er anklagend, »daß Hadaya kompetent ist.« »Das habe ich auch, und ich bin nach wie vor davon überzeugt, daß er es ist, jedenfalls im Hafen. Im Au genblick jedoch dürfte er nervlich ziemlich stark bean sprucht sein, und vielleicht ist er ein bißchen aufge regt. Hat er schon einmal als Kommandokämpfer an einer Aktion teilgenommen, Genosse Salah?« »Nein, aber er braucht nichts weiter zu tun, als den richtigen Ort anzusteuern. Er selbst muß keinen einzi gen Schuß abgeben.« »Er hat immerhin die Verantwortung und befindet sich bereits in einer nicht ganz ungefährlichen Situation. Vielleicht weiß er das.« »Wieso nicht ganz ungefährlich?« »Kapitän Touzani hat den Schoner bei Sonnenunter gang gesichtet. Er lief ohne Lichter und steuerte auf Kollisionskurs mit diesem Schiff. Was auf der Karte einfach aussieht, erweist sich auf See und in der Dun kelheit nicht immer als ganz so einfach. Selbst die kompetentesten Offiziere verlieren zuweilen die Orien tierung.« »Hadaya kann unsere Lichter sehen, und er sagt, daß wir uns nicht in der vorgesehenen Position befinden.« In Latakia hatte Kapitän Touzani mich gefragt, ob un ter den Passagieren, die wir an Bord nehmen müßten, ein Seemann sein würde, und ich hatte das verneint. Aber Hadaya war Seemann und mit dem verdammten Sprechfunkgerät so gut wie an Bord. Und zu allem Übel wurde seine Stimme zunehmend klarer. Alles, was ich jetzt noch tun konnte, war bluffen, verwirren und Zeit zu gewinnen versuchen. »Fragen Sie ihn bitte, welchen Kurs wir steuern, Ge nosse Salah.« Ghaled drückte auf den Sendeknopf und wiederholte die Frage. Einen Augenblick später kam die Antwort zurück. »Amalias und unser Kurs ist jetzt Eins-neun-zwo, aber
– «
Ich versuchte, den Rest zu übertönen. »Genosse Sa
lah, das ist der Kurs, den Sie in Ihren Instruktionen
vorgeschrieben haben.«
»Lassen Sie ihn ausreden.« Zu Hadaya sagte er:
»Wiederhole das.«
»Wir sind auf dem richtigen Kurs, aber zu weit west
lich.«
»Wie ist das möglich?«
»Nach der Wende nach Steuerbord hat die Amalia zu
lange mit der Korrektur gewartet. Nach meiner Schät
zung sind wir mindestens zwei Meilen weiter westlich,
als wir sein sollten.«
»Das ist ausgeschlossen«, protestierte ich. »Kapitän
Touzani ist ein erfahrener Navigator und hat moderne
Instrumente zur Verfügung. Hadaya muß sich irren.«
Ghaled drückte auf den Knopf. »Genosse Michael sagt,
daß du dich irrst. Was sagst du dazu?«
»In ein paar Minuten müßte ich anhand der auf der
Karte verzeichneten Leuchtfeuer von Hadera und Tel
Aviv Peilungen vornehmen können. Dann werden wir
wissen, wer sich geirrt hat.«
»In wieviel Minuten?«
»Ich könnte jetzt gleich einen Mann in den Mastkorb
hinaufschicken, aber ich möchte lieber selbst peilen.
Geben Sie mir fünf Minuten Zeit, Genosse Salah.«
»In Ordnung.«
Ghaled warf einen Blick auf seine Uhr und richtete ihn
dann auf mich.
»Ich will Ihren Touzani sprechen.«
»Auf der Brücke, Genosse Salah?«
»Nein, hier. Lassen Sie ihn holen.«
Ich klingelte nach Kyprianou. Als er erschien, sagte
ich: »Eine Mitteilung an den Kapitän. Meine Empfeh
lung, und er möchte bitte in den Salon herunterkom
men.« Ich sprach griechisch und fügte hinzu: »Bestel
len Sie dem Kapitän, dies ist ein Ersuchen, auf das er
nicht eingehen sollte, und sagen Sie ihm, daß die ge
samte Mannschaft sich auf Ärger gefaßt machen muß.« Er blickte bestürzt drein und eilte davon. Ghaled wandte sich an Aziz. »Wenn dieser Tunesier Genosse Michaels Befehle nicht ausgeführt hat, müs sen wir dafür sorgen, daß er unseren gehorcht. Be waffnet euch.« Sie marschierten den Gang hinunter nach achtern. Es war ein ungünstiger Augenblick für mich. Die Män ner auf der Brücke waren bewaffnet, und der Rest der Mannschaft wurde inzwischen alarmiert. Ghaled war zwar ebenfalls bewaffnet, aber die Chancen standen günstig für das Schiff. Nicht jedoch für mich. Bis jetzt hatte es ausgesehen, als vertraue Ghaled mir. Wir hatten unsere behagliche kleine Trinkstunde in seiner Kabine verbracht. Selbst Hadayas peinliche Enthüllun gen schienen keinen Zweifel an meiner Loyalität in ihm wachgerufen zu haben. Wenn sich das Schiff nicht dort befand, wo es hätte sein sollen, so war »der Tu nesier« schuld daran und nicht der Genosse Michael. Aber alles das würde sich jetzt in wenigen Augenblik ken mit Sicherheit ändern. Ghaled mochte von Naviga tion nichts verstehen, aber was eine verschlossene Tür zu bedeuten hatte, würde er wissen. Sie bedeutete, daß der Tunesier vorsätzlich Widerstand leistete und feindselige Handlungen beging. Und von wem bekam er seine Anweisungen? Von mir. Ich versuchte mich aus der Gefahrenzone herauszure den. »Wenn das Schiff tatsächlich von der Position etwas abgekommen sein sollte, wäre das übrigens nicht weiter schlimm, Genosse Salah. Der Fehler könn te mühelos korrigiert werden. Selbst bei einer Fahrt von sechs Knoten läßt sich ein Positionswechsel um zwei Meilen bis zur Stunde Null bequem durchführen. Hadaya ist übernervös, das ist alles. Vielleicht bin ich es auch, jetzt, wo wir wirklich zur Aktion übergehen. Auf jeden Fall bin ich schon vergeßlich. Ich hatte eine zweite Flasche Brandy mitbringen wollen, als ich he
runterkam. Wenn Sie mich einen Augenblick entschul digen wollen, gehe ich hinauf und hole sie.« Er sah wieder auf seine Uhr. Ich glaube, er hätte mich den Brandy holen lassen; aber ausgerechnet in diesem Augenblick kam Kapitän Touzani in den Salon. Ich weiß inzwischen, weshalb er kam. Er befürchtete, die Aufforderung, die Besatzung zu alarmieren, deute darauf hin, daß ich wegen der abgeschlossenen Tür zum Sonderraum in Bedrängnis geraten war. Trotz meines Ratschlags, auf der Brücke zu bleiben, kam er, um mich herauszupauken. Sehr großmütig von ihm, wenn man bedenkt, wie ich ihn behandelt hatte; aber es wäre wirklich besser gewesen, wenn er meinen Rat befolgt hätte und geblieben wäre, wo er war. »Sie wollten mich sprechen, Mr. Howell?« fragte er. Ich kam nicht dazu, ihm zu antworten. »Ich will Sie sprechen«, fuhr Ghaled ihn an. Im gleichen Augenblick wurden vom Gang her eilige Schritte hörbar, und Aziz stürzte herein. »Genosse Salah! Wir können uns nicht bewaffnen. Wir sind aus unserem Raum ausgesperrt.« Dann sah er den Kapitän und zeigte anklagend mit dem Finger auf ihn. »Er hat die Tür abgeschlossen, damit wir nicht hineinkönnen!« Touzani lächelte. »Unsinn, Mr. Faysal. Der Raum bleibt normalerweise verschlossen. Ich nehme an, daß der Bootsmann gewohnheitsmäßig abgeschlossen hat, als er seine Runde machte. Ich werde veranlassen, daß aufgeschlossen wird.« »Sofort, wenn ich bitten darf, Käptn«, sagte Ghaled, und ich sah, daß er seine Pistolentasche öffnete, wäh rend er das sagte. »Aber selbstverständlich, Mr. Yassin.« Touzani schickte sich an zu gehen, als plötzlich Ha dayas Stimme laut und schrill aus dem Sprechfunkge rät tönte. »Genosse Salah! Genosse Salah!« Ghaled langte nach dem Sendeknopf.
»Ja?« »Genosse Salah, ich habe die Leuchtfeuer von Hadera und Tel Aviv angepeilt. Wir sind drei Meilen außer Po sition, mehr als zehn Meilen von der Küste entfernt! Auf unserem jetzigen Kurs geraten wir gänzlich außer Reichweite.« »Bist du sicher?« »Ganz sicher. Wir müssen nach Backbord drehen und Eins-sechs-null steuern. Sofort, Genosse Salah!« Ghaled starrte Touzani an. »Hören Sie das?« Touzani starrte seinerseits ungerührt zurück. »Ich hö re eine Stimme, Mr. Yassin. Ich weiß nicht, wessen Stimme, aber Sie redet Unsinn. Glauben Sie vielleicht, ich kenne meine eigene Position nicht?« »Ich glaube, Sie kennen Ihre Position sehr genau. Deswegen werden Sie von jetzt ab meine Befehle be folgen.« Wieder blökte Hadayas Stimme dröhnend. »Steuern Sie Eins-sechs-null, Genosse Salah. Sofort.« »Und das ist mein erster Befehl«, fuhr Ghaled fort. »Hören Sie? Dann gehorchen Sie!« »Ich lasse mein Schiff nicht auf Grund laufen, um Ih nen gefällig zu sein, Mr. Yassin.« »Es ist nicht mehr Ihr Schiff. Ich habe das Kommando übernommen. Haben Sie gehört?« »Ich habe gehört«, sagte Touzani und griff nach sei nem Revolver. Er steckte in seiner Hosentasche, und der Spannhebel verfing sich im Futter. Er versuchte noch immer, die Waffe zu ziehen, als Ghaled auf ihn feuerte. Das schwere Geschoß schleuderte ihn rückwärts gegen einen Stuhl. Der Stuhl fiel um, und er mit ihm; wie gefällt schlug die massige Gestalt auf den Linoleumbo den. Ghaled drückte Aziz seine Automatic in die Hand. »Auf die Brücke«, befahl er ihm. »Übernimm sofort das Kommando. Ordne den neuen Kurs an.« Er wandte sich an mich. »Sie gehen mit ihnen. Sorgen Sie dafür,
daß der Befehl korrekt ausgeführt wird. Sehen Sie selber auf den Kompaß. Kurs Eins-sechs-null. Los jetzt!« Er eilte mit raschen Schritten den Gang hinunter in seine Kabine. Aziz und die anderen beiden waren schon draußen auf Deck und hasteten, Aziz mit der Automatic vornweg, zur Treppe, die auf die Brücke führte. Als er sich an schickte, sie hinaufzustürmen, ertönte plötzlich ein scharfer Knall, und ich sah, wie es ihn herumriß und er sich am Treppengeländer festhielt. Es war Patsalides, der von der Brücke aus feuerte. Er hatte den Schuß im Salon gehört und war nicht ge willt, sich auf irgendwelche Risiken einzulassen. Wenn die Kommandokämpfer ihre Maschinenpistolen bei sich gehabt hätten, wäre die Geschichte vermutlich anders abgelaufen; aber jetzt mußten sie in Deckung gehen, während der verwundete Aziz mit der Automatic mehr oder weniger gezielte Einzelschüsse zur Brücke hinauf abgab. Ich ging zu Kapitän Touzani. Weil er bei dem Versuch, die Waffe aus der Hosenta sche zu ziehen, eine halbe Drehung vollführte, hatte Ghaleds Kugel seinen linken Arm durchschlagen und war ihm in die Flanke gedrungen. Der Blutfleck auf seinem Hemd wuchs, aber stärker noch schien sein Arm zu bluten. Mit der unverletzten Rechten versuchte er noch immer vergeblich, den Revolver zu ziehen. Ich zog ihn für ihn heraus, aber er hielt die Waffe fest. Er fing an zu fluchen und wollte sich aufsetzen. Ich sagte ihm, er solle seine Kräfte sparen und ganz ruhig liegenbleiben. Dann lief ich den Gang hinunter und trat in Ghaleds Kabine. Er hatte die Serinette aus ihrem Behälter herausgeho ben und war dabei, sie auf dem Tisch zu installieren. Die Bandantenne war bereits durch das geöffnete Bullauge hindurch ausgelegt.
Er hörte mich und drehte sich um. »Ich habe Ihnen doch gesagt, Sie sollen auf die Brük ke gehen.« »Genosse Salah«, sagte ich. »Niemand darf auf die Brücke gehen.« Und dann schoß ich auf die Serinette. Ich feuerte drei Schüsse aus dem Revolver ab. Alle waren auf die Spieldose, die Serinette, gezielt. Ich ging dann in den Salon zurück. Was inzwischen dort geschehen war, konnte ich mir im ersten Moment nicht erklären. Als die Kommando kämpfer zum Angriff auf die Brücke aufgebrochen wa ren, hatten sie die Salontür weit offen gelassen. Jetzt drang blendendes bläulich-weißes Licht durch sie her ein. Es war der Scheinwerfer des herannahenden Patrouil lenbootes, aber sobald mir das klarwurde, achtete ich nicht weiter darauf. Touzani fluchte noch immer vor sich hin. Ich riet ihm erneut, seine Kräfte zu schonen. Ich hörte den Maschinentelegraphen und fühlte, wie die Vibration aufhörte. Wir stoppten. Ich ging zum Sprechfunkgerät und drückte auf den Sendeknopf. »Hadaya, hier spricht Howell. Hören Sie mich?« »Ja. Ist das ein Patrouillenboot, das Sie angreift?« »Ich weiß es nicht, aber wir stoppen. Ich habe Befehle vom Genossen Salah zu übermitteln. Die Operation ist abgebrochen. Verstehen Sie mich? Die Operation ist abgebrochen. Sie sollen Ihre Deckfracht über Bord werfen und in Ihren Heimathafen zurückkehren. Ha ben Sie gehört?« »Warum spricht Genosse Salah nicht selber?« »Er ist verwundet. Aber so lauten seine Befehle. Be folgen Sie sie umgehend. Haben Sie verstanden?« »Ich habe verstanden. Ist er schwer verwundet?« Ich schaltete das Gerät ab, ohne seine Frage beantwortet zu haben. Falls die Jeble 5 jetzt direkten Kurs auf Tel Aviv steuerte, mochte es ihr noch gelingen, ein paar Raketensalven abzufeuern, bevor sie ihrerseits vom Patrouillenboot unter Beschuß genommen wurde.
Wenn ich Hadaya auch keineswegs für den Typ hielt, der an selbstmörderischen Angriffsunternehmen Ge schmack fand, so war es doch möglich, daß die Kom mandokämpfer an den Raketenabschuß-Vorrichtungen dies taten. Ich hielt es für besser, sie in dem Glauben zu lassen, daß sie Ghaled noch immer verantwortlich seien. Der Leutnant, der das israelische Patrouillenboot be fehligte, war ein junger Mann mit verkniffenem Mund und stechendem Blick, sandfarbenem Haar und Som mersprossen. Ich traf ihn und sein Prisenkommando auf dem Achterdeck. Er salutierte straff und gab sich zunächst sehr förmlich. Er war entsprechend instruiert worden. »Kapitän Touzani?« »Kapitän Touzani ist verwundet. Mein Name ist Ho well.« »Ah, ja. Der Schiffseigner.« Sein Englisch war korrekt, mit nur ganz leichtem Akzent. »Ich muß Sie fragen, ob Sie um Unterstützung seitens der israelischen Marine gebeten haben.« »Ja, das habe ich.« »Warum, bitte?« »Wir sollten von vier Passagieren entführt werden. Einer, der Mann, der auf den Kapitän schoß und ihn verwundete, ist tot. Ein zweiter wurde vom Ersten Offizier angeschossen. Der Mann hat eine Pistole, aber ich glaube, daß ihm inzwischen die Munition ausge gangen ist. Die anderen beiden Entführer sind noch nicht gestellt, aber sie haben keine Feuerwaffen.« Er wirkte jetzt weniger förmlich. »Sie nennen sie Ent führer, Sir. Haben diese Passagiere versucht, das Schiff mit Gewalt in ihre Hand zu bringen?« »Das haben sie.« »Und den Kapitän bedroht und ihn gezwungen, einen bestimmten Kurs zu steuern?« »Ja, allerdings ohne Erfolg.« »Ob es ihnen gelang oder nicht, ist irrelevant. Auf
Grund dieser auf offener See begangenen Vergehen sind diese Männer Piraten, Mr. Howell.« »Was immer sie sind, ich bin jedenfalls froh, Sie an Bord zu wissen, Herr Leutnant.« Aber er war schon dabei, in hebräischer Sprache knappe Befehle auszugeben. Es dauerte nur ein paar Minuten, bis die unverletzten Kommandokämpfer ge stellt waren. Sie hatten das Vorhängeschloß an der Tür zum Sonderraum bereits erbrochen, mühten sich aber noch immer vergeblich mit dem Riegel ab. Sie ergaben sich mit finsterer Miene. Inzwischen kümmer te sich ein ausgebildeter Sanitäter um die Verwunde ten. Nachdem er seine Meldung erstattet hatte, besprachen Patsalides und ich uns mit dem Leutnant auf der Brük ke. »Die Verwundung von diesem Faysal ist nicht ernst«, sagte er. »Aber Kapitän Touzani hat einen gebroche nen Arm und mindestens eine gebrochene Rippe. Die Kugel steckt noch. Er sollte nicht transportiert werden, bis für ärztliche Hilfe gesorgt ist. Ich schlage vor, Sie laufen Ashdod an, wo wir ihn versorgen können.« »Was soll mit den Gefangenen geschehen?« »Schiffe jedweder Nationalität, die auf offener See Piraten aufbringen, sind berechtigt, sie der Gerichts barkeit ihres eigenen Landes zuzuführen.« Er sagte eine auswendig gelernte Lektion auf. »Da sie von ei nem israelischen Schiff aufgebracht wurden, werden sie vor ein israelisches Gericht gestellt.« »Gut, gut.« »Da ist noch eine weitere Angelegenheit, wegen der ich mit Ihnen Rücksprache nehmen soll, Mr. Howell. Die Sache mit dem zweiten Schiff. Wir haben ein Boot gesichtet, das etwa eine Meile von Ihnen entfernt war und aussah wie ein Schoner, aber kein zweites Schiff.« »Ich bezweifle, ob das von sonderlichem Interesse für Sie ist, Herr Leutnant. Der Schoner war das zweite Schiff, und ich bin sicher, daß Sie ihn mit Leichtigkeit
einholen könnten, wenn Sie wollten. Aber er wird Sie nicht um Unterstützung ersuchen. Sie müßten ihn stoppen und sich die Schiffspapiere zeigen lassen. Er ist zwar syrisch, aber in Ordnung werden sie schon sein. Belastendes dürften Sie kaum vorfinden. Das ist mittlerweile über Bord gegangen. Ich werde Ihren Leuten alles erzählen, sobald ich mit ihnen zusammen treffe. Übrigens nehmen Sie den Toten am besten zusammen mit den lebenden Gefangenen zu sich an Bord.« »Gut, wenn Sie das wollen.« »Auf der Passagierliste ist er unter dem Namen Yassin aufgeführt, aber in Wirklichkeit heißt er Salah Ghaled. Ich hätte ihn gern von Bord gehabt.« »Oh.« Er sah verdutzt aus. Seinen Instruktionen war nichts dergleichen zu entnehmen gewesen; aber er fing sich rasch wieder und grinste. »Ich glaube, je eher wir in Ashdod sind, desto besser ist es für alle Beteiligten, Mr. Howell.« Ich konnte ihm nur zustimmen.
8. Lewis Prescott August Michael Howell hätte ein besseres Los verdient. Der Tatbestand der Seeräuberei nimmt im internatio nalen Seerecht eine Sonderstellung ein. Sie ist das einzige >internationale< Verbrechen, das genau defi niert ist und von allen Nationen verurteilt wird. Wenn das Strafmaß für diejenigen, die der Seeräuberei über führt wurden, auch von Staat zu Staat variieren mag, so sind die einschlägigen Gesetzesbestimmungen doch von allen akzeptiert worden. Schwierigkeiten hinsicht lich ihrer Auslegung sind nur selten aufgetreten, und in aller Regel waren sie verfahrenstechnischer Art. Der Fall Amalia Howell kam vor dem Distriktgericht in Ashod zur Verhandlung. Die Angeklagten wurden nur der Seeräuberei beschuldigt und die politischen Impli kationen ausgeklammert. Die Hauptzeugen der Ankla ge waren Kapitän Touzani und sein Erster Offizier Pat salides. Keiner von beiden erwähnte das PAK in seiner Aussage; und die Verteidigung, die den Standpunkt vertrat, daß der Hauptschuldige nicht mehr am Leben sei, hütete sich, es ihrerseits zur Sprache zu bringen. Im Verlauf der Verhandlung behauptete einer der An geklagten, Aziz Faysal, Mr. Howell habe Salah Ghaled ermordet, aber es wurden keine Beweise vorgelegt, um die Anschuldigung zu erhärten. Das Gericht kam zu dem Schluß, daß Ghaled bei einem Schußwechsel zwischen der Schiffsbesatzung und den Piraten, die das Schiff in ihre Gewalt zu bringen versuchten, getö tet wurde. Mr. Howell seinerseits hat den behaupteten Tatbe stand selber nie offiziell in Abrede gestellt. Unter den obwaltenden Umständen war das nicht verwunderlich. Schon vor Beginn der Verhandlung waren so viele an dere – und wüstere – Beschuldigungen gegen ihn er
hoben worden, daß die Abgabe von Dementis für ihn zu einer nachgerade sinnlosen Pflichtübung geworden war. Bevor er Latakia an Bord der Amalia Howell ver ließ, hatte er von Ghaled erfahren, daß eine Sendung von hundert PAK-Zündern in Israel verlorengegangen war. Der Verlust war seinerzeit als »kleine Panne« bezeichnet worden, und von Ghaleds Standpunkt aus gesehen kam ihm möglicherweise wirklich keine grö ßere Bedeutung zu. Aber für Mr. Howell war es eine Katastrophe. Was in Israel geschah, war dies: Am 28. Juni hielt ein Bus auf der Fahrt von Haifa nach Tel Aviv in Nazareth, um Passagiere aufzunehmen. Zu ihnen zählte auch eine Gruppe von acht amerikani schen Touristen. Um Platz für die Reisetaschen und Koffer der neu zugestiegenen Fahrgäste zu schaffen, war es nötig, den Inhalt des hinten im Bus befindli chen Gepäckraums umzuräumen. Dabei fiel ein klei ner, aber schwerer Karton, der dem Bus mitgegeben worden war, zusammen mit anderen Paketen, die nach Tel Aviv befördert werden sollten, zu Boden. Eine Serie von Explosionen folgte. Es waren keine gro ßen Explosionen, aber es waren sehr viele; und dann fing der Karton Feuer. Niemand wurde verletzt, und nach einer Weile durfte der Bus die Fahrt fortsetzen. Dem Vorfall wurde kei nerlei Publicity gegeben. Natürlich war die Polizei dar an interessiert, herauszufinden, wer die Kartons in Haifa aufgegeben hatte und wer sie in Tel Aviv hätte in Empfang nehmen sollen. Publicity würde Absender und Adressaten gewarnt haben. Da der Karton ziemlich stark versengt war, wurde die Aufgabe, die Schrift auf den verkohlten Etiketts zu entziffern, vom Polizeilabor übernommen. Die Ergebnisse sind bis dato nicht be kanntgegeben worden. Was die Öffentlichkeit davon erfuhr, beschränkt sich auf das, was Mr. Robert S. Rankin aus Malibu, Kalifor nien, hörte und sah.
Er befand sich mit Mrs. Rankin auf einer Rundreise durch das Heilige Land, und sie zählten zu den Fahr gästen, die den Bus in Nazareth bestiegen. Mr. Rankin ist Filmregisseur, und als er und seine Frau ein paar Tage später in Rom eintrafen, wurden sie zu einer Abendgesellschaft eingeladen. Unter den Gästen be fand sich eine umherreisende amerikanische Klatsch kolumnistin. Mr. Rankin erzählte ihr von dem explodie renden Karton. Der Kolumnistin, die ihr wöchentliches Textsoll mangels Stoff noch nicht erfüllt hatte, kam die Story gelegen. Hier ist Mr. Rankins Augenzeugenbericht über den Vorfall. »Es war eine ganz blödsinnige Sache. Der Bursche mit dem Gepäck stellte diesen Karton auf den Boden. Nicht etwa achtlos, verstehen Sie. Wenn es sich um einen Kasten Scotch gehandelt hätte, wäre nichts zer brochen. Er hat ihn nur etwas unsanft abgestellt. Na, und im nächsten Augenblick war’s dann, als hätten wir den vierten Juli*. (* Independence Day, amerikanischer Nationalfeiertag) Plötzlich knallte es wie verrückt – Pah-pah-pah! Ich dachte zuerst, es sei Maschinengewehrfeuer, und schrie Mrs. Rankin zu, sie solle sich zu Boden werfen. Aber das war gar kein MG – Pah-pah-pah! Und dau ernd flogen diese kleinen Dinger überall in der Gegend herum. Kleine Dinger! Was meinen Sie, was das wohl für Dinger waren? Taschenlampen-Batterien, das wa ren sie! Ganz normale Taschenlampen-Batterien, die losgingen wie chinesische Feuerwerkskörper. Ich klaubte eine von den Hülsen auf und behielt sie, eine von denen, die losgegangen waren, meine ich. Ein Soldat schaffte den Rest weg. Ich behielt sie als Sou venir und weil ich dachte, sonst glaubt mir das keiner. Man denke, ganz normale Taschenlampen-Batterien! Natürlich waren es keine richtigen Batterien. Unser Fremdenführer sagte, diese Art Ärger haben sie gele
gentlich immer einmal wieder. Auf dem Flughafen, sagte er, haben sie vor ungefähr einem Monat oder so Explosivzünder in den Schuhen einer Frau gefunden: in den Absätzen versteckt. Das sind die Palästinenser, die dahinterstecken. Zwei Tage später, in Paris, wurde Mr. Rankin von ei nem Reporter eines französischen Nachrichtenmaga zins gefragt, ob er sich die Batteriehülse ansehen kön ne. Das Magazin veröffentlichte ein Foto davon. Das Etikett war angesengt, aber das Cercle-VertWarenzeichen und der Vermerk »Made in Syria« wa ren klar erkennbar. Die israelische Regierung tendiert dazu, die Verantwortung für feindselige Akte, soweit sie von palästinensischen Guerillagruppen begangen werden, die von ihren Stützpunkten in benachbarten arabischen Ländern aus operieren, den betreffenden Gastgeberländern zur Last zu legen und ihre Vergel tungsmaßnahmen dementsprechend zu adressieren. Als Taschenlampen-Batterien getarnte Zünder einzu schmuggeln, war fraglos ein feindseliger Akt, gleich gültig, welche Guerillagruppe auch immer dahinter stand. In Damaskus hatte Dr. Hawa nichts Eiligeres zu tun, als sein Ministerium von dem Cercle-VertWarenzeichen zu dissoziieren. In seiner Erklärung wies er – durchaus wahrheitsgemäß – darauf hin, daß die Cercle-Vert-Batteriefabrik ein privatwirtschaftliches Unternehmen der Agence Howell sei, daß keine Staatsgelder für ihre Finanzierung verwendet worden seien und daß Michael Howell, ein in Syrien ansässiger ausländischer Unternehmer, keinerlei wie auch immer gearteten amtlichen Status genieße. Unmittelbar auf Dr. Hawas Verlautbarung erfolgte die Veröffentlichung der Geständnisse Michael Howells und Miss Malandras durch Oberst Shiklas Dienststelle. In Damaskus glaubten sich die Regierungskreise da durch salvieren zu können, daß sie Mr. Howell diskre ditierten; und damit hatten sie Erfolg. Hysterisch wie
eh und je, fiel die arabische Presse mit allem, was sie ins Feld führen konnte, über ihn her. Und es gab einiges, was sie gegen ihn ins Feld zu füh ren hatte. Hier war dieser Howell, ein reicher Ge schäftsmann, dessen Familienunternehmen sich seit Generationen an armen arabischen Ländern gemästet hatte, als israelischer Provokateur und Spion entlarvt worden. Nachdem er sich zur Sache der palästinensi schen Befreiungsbewegung bekannt oder vorgeblich bekannt hatte, beschloß er, sie in der niederträchtig sten Weise zu hintergehen. Schlimmer noch, er orga nisierte verräterische Mordkomplotte gegen Araber, die den Erpressungsversuchen seiner Agenten wider standen hatten. Aber Erpressung war nicht seine ein zige Einnahmequelle. In seinen Fabriken ließ er illegal Waffen herstellen, um sie denselben Fedaijin mit Profit zu verkaufen, die er später verriet. Zu seinen nach weislichen Opfern zählte unter anderem der palästi nensische Patriot Salah Ghaled, der an Bord eines Ho well-Schiffs gelockt und auf Geheiß von Howells zioni stischen Auftraggebern heimtückisch ermordet wurde; wobei sein Schicksal im Vergleich zu dem anderer Ho well-Opfer, die dem israelischen Usurpator gefesselt ausgeliefert und somit zu qualvollem Dahinsiechen in zionistischen Konzentrationslagern verurteilt worden waren, sogar noch als gnädig anzusehen war. Derart unsinnigen Angriffen gegenüber ist eine wirksame Ver teidigung schlechthin nicht möglich. Das Opfer kann nur abwarten, bis sie sich totgelaufen haben. Mr. Ho wells Reaktion hatte sich anfänglich auf die kategori sche Zurückweisung aller gegen ihn erhobenen An schuldigungen beschränkt. Als jedoch die europäische Presse die Story aufgriff, änderte er seine Taktik und begann Erklärungen abzugeben. Er hätte bei den De mentis bleiben sollen. Sie waren zumindest eindeutig gewesen. Von den Erklärungen konnte das nicht ge sagt werden. Im August hatte ich Gelegenheit, wieder nach Beirut zu reisen, wo ich mit Frank Edwards über
Mr. Howell sprach. Er war kürzlich in Israel gewesen und hatte den Fall mit seinen dortigen Gewährsleuten diskutiert. Aus Gründen, die mir durchaus einleuch tend erschienen, hatte sich die israelische Regierung geweigert, zu dem >Cercle-Vert<-Zwischenfall oder den von arabischer Seite gegen Mr. Howell erhobenen Beschuldigungen amtlich Stellung zu nehmen. Frank Edwards’ Gewährsleute waren jedoch entgegenkom mender gewesen, und er hatte eine Reihe interessan ter Hinweise erhalten. Die Idee, jemanden ein ausgie biges Feature zu diesem Thema schreiben zu lassen, wurde erörtert. Frank Edwards war mit Mr. Howell flüchtig bekannt und daher in der Lage, ein Interview mit ihm zu vereinbaren. Da ich Ghaled interviewt hat te, erschien es nur logisch, daß ich jetzt den Mann interviewte, der beschuldigt worden war, ihn ermordet zu haben, und daß ich das Feature über ihn schrieb. Die Villa Howell in Famagusta sieht von außen nicht sehr groß aus, aber wenn man sie betritt, weiß man gleich, daß man sich in einem wohlhabenden Haus befindet. Es hat dieses unverkennbare Flair von gesi chertem Reichtum: alles ist sehr gediegen, nichts ist sehr neu – ausgenommen vielleicht das Schwimmbad –, und überall herrscht eine leichte, angenehme Un ordnung. Mir war gesagt worden, daß Mr. Howells Mutter und seine Frau mit den Kindern den Sommer in Cannes verbrachten, und so überraschte es mich nicht, Miss Malandra in Gesellschaft des Hausherrn anzutreffen. Sie saßen im Badezeug neben dem Swimmingpool, wo sie, den um sie herum verstreuten Akten nach zu ur teilen, gearbeitet hatten. Ich wurde aufgefordert, Jak kett und Krawatte abzulegen, und man offerierte mir eine Badehose, damit ich mich bequemer fühlte, sowie einen Champagner-Cocktail. Ich lehnte die Badehose ab, akzeptierte aber den Cocktail. Miss Malandra brachte ihn mir. Um halb zwei sollte es Lunch geben. Bis dahin blieb uns genügend Zeit für
einen zweiten Drink. Inzwischen kamen wir zur Sache. Oder vielmehr: Michael Howell kam zur Sache. Er tat das, indem er sich zwanzig Minuten lang über die Schändlichkeiten der Presse ausließ. Frank Edwards hatte mich darauf vorbereitet, daß dergleichen zu er warten stand, und so ließ ich ihn zunächst einmal eine ganze Weile lang reden; als er dann aber aus einem Zeitungsartikel zu zitieren begann, den Melanie Ham mad für ein Kairoer Blatt geschrieben hatte, und sich anschickte, lange Passagen daraus vorzulesen, mußte ich ihn unterbrechen. »Tut mir leid, Mr. Howell, aber ich verstehe kein Ara bisch.« »Ah, ja, entschuldigen Sie. Nun, ich kann Ihnen auf englisch sagen, was sie über mich schreibt. Sie nennt mich einen Haschemiten-Lakai, einen räudigen Hund, eine mörderische Giftschlange, eine Hyäne, einen Schakal. Ich bin ein Verderber der Jugend. Und das sind noch die milderen Ausdrücke, mit denen sie mich belegt.« »Die milderen?« »Wenn sie auf meine Kreuzigung Ghaleds zu sprechen kommt, wird sie schlechthin abscheulich. Sie sagt, ich wasche meine Hände in palästinensischem Blut. Und lesen Sie das hier. >Der Name Howell steht für alles, was an unserer Gesellschaft verwerflich ist. Nur mit Feuer kann dieses Übel ausgebrannt werden!<« An gewidert warf er die Zeitung zu Boden. »Nun, Mr. Howell, das war doch nicht anders zu er warten, oder?« »Zu erwarten?« »Von Miss Hammad. Ich höre übrigens, daß sie nach Ghaleds Ende dem PAK die Gefolgschaftstreue aufge kündigt und sich der Volksfront angeschlossen hat.« »Aber sie hetzt die Leute nach wie vor dazu auf, mich umzubringen. Ich muß Ihnen sagen, Mr. Prescott, daß das wirklich außerordentlich schädlich für das Geschäft ist.«
Auf eine – wie mir schien – vergleichsweise so neben sächliche Feststellung war ich in diesem Zusammen hang nicht gefaßt gewesen. »Nur für das Geschäft, Mr. Howell?« »Nur, sagen Sie?! Wissen Sie, daß Howell-Schiffe in einer Reihe von Häfen boykottiert werden? Touzani ist außerordentlich besorgt, das kann ich Ihnen sagen.« »Touzani? Ist das Kapitän Touzani?« »Natürlich. Er soll unser neuer Schiffahrts-Inspekteur werden. Der Mann, dessen Nachfolge er antritt, steht unmittelbar vor der Pensionierung, und Touzani hat die Beförderung verdient. Aber sie kommt zu einer schlechten Zeit. Er meint, vielleicht werden wir den Namen Howell von unseren Schiffen entfernen müs sen.« »Ich bin mir der Bedeutung des Namens Howell als Symbol in der Geschäftswelt durchaus bewußt«, sagte ich; »aber worüber ich gern mit Ihnen diskutieren würde, das ist Ihr ureigener Standpunkt, der Stand punkt von Michael Howell.« »Die beiden sind nicht zu trennen, Mr. Prescott.« »Wirklich nicht? Es war doch nicht die Agence Howell, die dem PAK beigetreten ist, sondern Michael Howell. Und es war Michael Howell, der vor der israelischen Küste Marineunterstützung gegen Piraten anforderte.« »Aber er befand sich auf einem Schiff, das der Agence Howell gehört. Und außerdem – warum sollte ich es Ihnen verschweigen – wurden diese Zünder, die in Nazareth explodierten, in der Cercle-VertBatteriefabrik der Agence Howell gefertigt und ver packt.« Ich nahm einen neuen Anlauf. »Was das Thema Zünder betrifft, Mr. Howell, so habe ich eine wichtige Information für Sie, die Ihnen mögli cherweise noch nicht bekannt ist. Frank Edwards hat sie in Israel erhalten. Wir glauben wenigstens, daß sie wichtig ist. Das Dumme ist nur, daß wir sie nicht ver stehen. Sie vielleicht.«
Ich reichte ihm die Fotokopie, die mir Frank gegeben hatte. Es handelte sich um eine kurze Zeitungsnotiz. Am Spätnachmittag des 2. Juli waren zwei Häuser am Ortsrand eines arabischen Dorfes unweit des israeli schen Flughafens Lod von einer Sprengstoffexplosion zerstört worden, die darüber hinaus auch im nahen Dorf Sachschäden anrichtete. Das Ausmaß der Zerstö rungen ließ den Schluß zu, daß bei der Explosion nicht weniger als zweihundert Kilo Sprengstoff zur Entzün dung gebracht worden waren; Leichenteile von sechs Opfern wurden in den Ruinen aufgefunden, wobei die se Zahl lediglich geschätzt werden konnte. Ebenfalls aufgefunden wurde eine Anzahl vom Luftdruck weithin verstreuter Flugreisetaschen ausländischer Fluggesell schaften, die den Flughafen Lod anfliegen. Weder die Polizeibehörden noch das Militär hatten über die Ursa che der Explosion etwas verlauten lassen. Er las die Meldung durch und nickte. »Ich hatte mir gedacht, daß es auf etwas Derartiges hinauslaufen würde.« »Daß was auf etwas Derartiges hinauslaufen würde, Mr. Howell?« »Wie Sie wissen werden, wollte Ghaled diese Bomben in Flugreisetaschen verstecken und mit Hilfe elektroni scher Auslöser durch Funksignale zünden. Den Sender hatte er in der Spieldose, mit der er an Bord der Ama lia ging. Nun ja, ich habe den Israelis einen von diesen elektronischen Auslösern zum Analysieren und Testen gegeben. Offenkundig ist es ihnen gelungen, die von ihm benutzte Frequenz herauszubekommen.« »Ich kann Ihnen leider nicht folgen.« »Haben Sie eine Ahnung davon, wie man Bomben her stellt, Mr. Prescott? Nein, nehme ich an. Ich mußte mich auch erst darüber informieren. Die Sache ist fol gendermaßen. Sie haben den Sprengstoff, Sie haben den Zünder und dazu eine Batterie, um ihn auszulö sen, und Sie haben die elektronische Abzugsvorrich tung, die dafür sorgt, daß die Geschichte im richtigen
Moment losgeht. Aber alle diese Dinge müssen mitein ander verbunden werden – >schärfen< ist das Wort dafür. Drücke ich mich verständlich aus?« »Ja.« »Bei einigen Bomben, sagen wir, bei einer einzelnen Bombe in einem Koffer, läßt sich ein geheimer kleiner Schalter außen anbringen, und die Bombe braucht erst im letzten Moment geschärft zu werden. Aber wenn man hundert Bomben anfertigt und in Plastiktaschen unterbringt, kann man keine Schalter gebrauchen. Das wäre zu kompliziert, und außerdem würde man sie sehen. Man muß die Bomben schärfen, bevor man sie dorthin schafft, wo sie hochgehen sollen. Mit anderen Worten, man muß sie da schärfen, wo man sie zu sammenbaut. Sie begreifen jetzt, was passiert ist.« »Leider nicht.« »Nun, sobald die Israelis die zur Zündung der Bomben benutzten Sendefrequenzen herausgefunden hatten, benutzten sie sie. Wirklich denkbar einfach für sie, das. Sie brauchten nichts weiter zu tun, als eines ihrer militärischen Sendegeräte kontinuierlich bei Tag und Nacht starke Funksignale auf den Auslöserfrequenzen ausstrahlen zu lassen. Und in dem Augenblick, wo das PAK sich anschickte, die Bomben zu schärfen, mußte der ganze Laden – wuummm! – in die Luft gehen. Selbst wenn sie die Bomben nicht alle am gleichen Ort gelagert hätten, wären sie doch gezündet worden, weil die Auslöser allesamt völlig gleich waren. In dem Fall hätte es dann zwei oder drei kleinere Explosionen ge geben statt einer großen.« »Sie sagten, Sie vermuteten, daß das geschehen wür de?« »Ja, aber erst sehr viel später. Zu spät.« Er wurde plötzlich ungehalten und fing an, mir mit dem Finger zu drohen. »Hätten die Israelis den menschlichen An stand besessen, mich darüber aufzuklären, wären die Dinge vielleicht glimpflicher abgelaufen. Ich finde, daß ihr Verhalten mir gegenüber von A bis Z absolut
schändlich war. Nicht ein Wort haben diese Undankba ren von sich hören lassen. Nicht ein einziges Wort! Für die existiere ich überhaupt nicht. Schweigen!« »Ich komme da nicht mit, Mr. Howell. Wenn Sie um den Ruf, den der Name Howell in der arabischen Welt genießt, so besorgt sind, sollte man annehmen, daß eine offizielle Verlautbarung von israelischer Seite das letzte wäre, was Sie sich wünschen können. Mir scheint vielmehr, daß die Israelis sich lediglich taktvoll verhalten.« Das brachte ihn erst richtig auf. »Taktvoll! Haben Sie die Verleumdungen gelesen, die in der französischen und der westdeutschen Presse über mich erschienen sind? >Eichmann in der Levante< – so lautete eine der Überschriften. Zugegeben, sie haben ein Fragezei chen dahinter gesetzt, aber wie würde Ihnen das ge fallen, Mr. Prescott? >Pro-arabischer Unternehmer stellte Bomben für Terroristen her<, hieß es in einem anderen Blatt. >Cercle-Vert-Fabrikant plante Tel-AvivMassaker<. Und: Howell-Gelder hinter Terroristen< Eine dieser Zeitungen verstieg sich sogar zu der Be hauptung, Ghaled sei mein Untergebener und eigent lich nur ein Strohmann gewesen, ich dagegen die trei bende Kraft hinter dem PAK! Und die Israelis sagen nichts, gar nichts!« »Aber wenn Sie doch darauf hoffen, Ihre Stellung in der arabischen Welt wiederzugewinnen – « »Ich hege keine derartige Hoffnung. Meine dortige Position ist hoffnungslos. Israelischer Provokateur, Spion, Verräter, Mörder – als das bin ich abgestem pelt. Selbst wenn sie die Wahrheit erfahren dürften, würde ihr keiner von ihnen Glauben schenken. Ich kann Tatsachen ins Auge sehen, Mr. Prescott. Meine Familie hat seit einem dreiviertel Jahrhundert in der Levante ihre Geschäfte betrieben. Dort sind wir jetzt erledigt. Ich weiß das. Touzani hat recht. Wir werden eine neue Gesellschaft gründen müssen, bei der der Name Howell nicht in Erscheinung tritt, und die Schiffe
aufkaufen und neu registrieren lassen. Eine andere Möglichkeit gibt es nicht. Der Rest unseres Geschäfts wird für ein Butterbrot den Besitzer wechseln. Das ist nicht zu ändern. Das ist ausgestanden und vorbei. Wir haben unsere Verluste abgeschrieben. Aber wie sieht die Zukunft aus? Was wird aus Europa?« »Europa, Mr. Howell?« Staunend über soviel Unfähigkeit, das Offenkundige zu erfassen, warf er die Arme hoch. »Aber natürlich stei gen wir in Europa ein. Wir müssen. Wir können unser Kapital doch nicht untätig herumliegen lassen. Anlei hen zu sieben Prozent? Lachhaft. Nein, Italien heißt die Lösung. Wir haben schon eigenen Grund und Bo den im mezzogiorno, oder vielmehr hat ihn Teresa dort. Die Gesellschaft kauft ihn ihr ab. Unsere Pläne sind fix und fertig. Haben Sie sich über den mezzo giorno informiert, Mr. Prescott? Die italienische Regie rung verhält sich da sehr weitblickend. Steuernachläs se, niedrig verzinste Entwicklungsanleihen, günstige Amortisationsabsprachen – es ist alles zu haben, ein schließlich der Arbeitskräfte. Ich habe bereits fünf Pro jekte aufgestellt. >Howell (Italien), siehe auch…< – so werden wir firmieren und damit mittendrin sein im Gemeinsamen Markt. Aber wie soll ich zur italienischen Regierung gehen und die nötigen Vereinbarungen aushandeln können, wenn diese Verleumdungskampa gne gegen mich weiterläuft und dieser Schatten von Verdacht und Mißtrauen auf mich fällt?« »Mr. Howell«, sagte ich, einigermaßen erschöpft, »eben darum sitze ich hier. Deswegen bin ich gekom men. Damit wir über diesen Schatten reden.« Miss Malandra reichte mir einen neuen ChampagnerCocktail. Falls sie zu dem Schluß gekommen war, daß ich ihn in diesem Augenblick nötig haben könnte, hatte sie damit absolut recht. »Was ich von Ihnen gern hätte, Mr. Howell«, fuhr ich fort, »das wäre eine ganz simple kurze Aufstellung der Fakten, des Falls, wie sie sich Ihnen darstellen. Keine
Entgegnung auf die Anschuldigungen – die meisten sind ohnehin phantastisch –, keine Argumentation, keine Polemik, sondern eine leidenschaftslose Aufzäh lung der Fakten.« Er strahlte mich an. »Mr. Prescott, ich habe mich im mer bemüht, einen Schritt vorauszudenken. Die Erklä rung ist bereits abgefaßt. Teresa hat sie fertig vorlie gen für Sie. Ich habe sie ihr diktiert, als ich erfuhr, daß Sie kommen würden, um mit mir zu sprechen.« Miss Malandra überreichte sie mir feierlich. Der Blick, mit dem sie meinem begegnete, war gänzlich aus druckslos. Sie ist wirklich ungewöhnlich schön. Die Erklärung wog gut und gern zwei Pfund. Sie war weit über hundert Seiten lang. Ich schlug wahllos ir gendeine Seite auf und las eine säuberlich nach Ein zelposten aufgeschlüsselte Schätzung der vorjährigen Verluste, die der Agence Howell durch die Batterien fertigung entstanden waren. Ich schloß sie wieder. »Was ich mir vorgestellt hatte, Mr. Howell, war – wenn ich mich wiederholen darf – eine knappe, ganz einfa che Aufzählung der Fakten. Sagen wir, auf drei oder vier Seiten, nicht mehr.« Er verzog den Mund. »Nackte Tatsachen geben noch nicht die Wahrheit wieder, Mr. Prescott. Sie wollen die Wahrheit, wenn ich Sie recht verstehe. Da ist sie.« Hoffnungslos. »Ich verstehe, was Sie meinen, Mr. Howell. Dann wür de ich dies gern mitnehmen und durchlesen, wenn ich darf.« »Das war die Absicht. Behalten Sie es als Arbeitsun terlage, Mr. Prescott. Ich habe noch weitere Exempla re davon. Aber lesen Sie es, und wenn Sie dann noch irgendwelche Fragen haben, will ich sie Ihnen gern beantworten.« »Danke. Aber da wir gerade auf Fragen zu sprechen kommen, Mr. Howell – es gibt da eine, die ich Ihnen jetzt sehr gern gestellt hätte, wenn Sie mir das erlau ben würden.«
»Aber gewiß.«
»Haben Sie Salah Ghaled getötet?«
Er überlegte einen Augenblick lang und lächelte dann.
»Teresa sagt, manchmal bin ich kein einzelner Mann,
sondern ein Komitee. Warum fragen wir nicht sie?« Er
drehte sein Lächeln in ihre Richtung. »Teresa, meine
Liebe, ist dir unter den Komiteemitgliedern jemals ein
Mörder aufgefallen?«
Sie erwiderte sein Lächeln, aber ich glaubte in ihren
Augen einen nachdenklich abschätzenden Ausdruck
wahrzunehmen. »Nein, Michael. Nein, ich kann nicht
behaupten, jemals einen Mörder unter ihnen bemerkt
zu haben.«
»Da haben Sie Ihre Antwort, Mr. Prescott.«
»Nicht ganz, Mr. Howell. Ich hatte nicht gefragt, ob
Sie ein Mörder sind. Ich hatte gefragt, ob Sie ihn getö
tet haben.«
»Ich bin kein Mann der Gewalt, Mr. Prescott.«
Kein Wunder, daß er mit Journalisten so schlecht aus
kam.
»Damit ist meine Frage noch immer nicht beantwortet.
Haben Sie ihn getötet oder nicht, Mr. Howell?«
»Vorsätzlich, meinen Sie?«
»Ja.«
Er blinzelte mehrmals. »Finden Sie es nicht etwas selt
sam, einem Mann in seinem eigenen Haus eine solche
Frage zu stellen?«
»Die Frage wurde außerhalb des Hauses gestellt.«
»Und vor einem israelischen Gericht beantwortet.«
»Ich glaube nicht, Mr. Howell. In Israel wurde drei
Männern wegen Seeräuberei der Prozeß gemacht. Man
hat Sie nicht einmal als Zeugen vorgeladen.«
»Ich habe meine Aussage schriftlich hinterlegt.«
»Soweit sie sich auf die Anklage wegen Seeräuberei
bezieht, ja. Sie wurden nicht auf Ihre hinterlegte Aus
sage hin ins Kreuzverhör genommen, und Sie haben
keinerlei Fragen beantwortet. Kein Wunder, daß es da
einen Schatten gibt, Mr. Howell.«
»Lassen Sie mich Ihnen erklären, wie es war«, sagte er. Aber er hatte seine Brille abgenommen und putzte sie mit dem Zipfel seines Sporthemds. Erst nachdem er sie wieder aufgesetzt hatte, fuhr er fort. »Als die Israelis uns vor Caesarea nicht aufbrachten und statt dessen den neuen Kurs durchgaben, den wir steuern sollten, nahm ich an, daß sie eventuell eine Möglichkeit gefunden hatten, mit der Bombengefahr fertig zu werden. Wie sich jetzt herausstellt, war das der Fall. Die Notiz über die Explosion, die Sie mir gezeigt haben, bestä tigt es. Aber ich wußte es nicht, jedenfalls nicht mit Sicherheit. Woher sollte ich auch? Und die Reichweite dieses Senders in der Spieldose war mir auch nicht bekannt. Nun, nachdem Ghaled auf Kapitän Touzani geschossen hatte, ging er sofort zur Spieldose. Ich also, mit Touzanis Revolver in der Hand, hinter ihm her. Als ich sah, daß er die Spieldose zum Senden her richtete, schoß ich auf sie, um sie außer Betrieb zu setzen. Ich schoß dreimal auf sie.« »Aber zwei Kugeln trafen Ghaled in die Brust.« »Ja.« »Wie viele Kugeln trafen in die Spieldose?« »Das kann ich Ihnen nicht genau sagen. Zerstört war sie jedenfalls. Die Israelis haben sie mitgenommen. Vielleicht wissen sie es.« »Wollen Sie damit sagen, daß die Schüsse, die Ghaled töteten, von der Spieldose abprallten?« »Ich habe keine Ahnung, Mr. Prescott.« Das Glas in der Hand, die Augen in treuherziger Unschuld weit aufgerissen, beugte er sich vor. »Ich kenne mich in diesen Dingen nicht aus. Sehen Sie, ich hatte in mei nem Leben noch nie irgendeine Schußwaffe abgefeu ert.« »Die Spieldose war ein ziemlich kleines Ziel für einen Anfänger. Ghaled war ein großes. In jenem Augenblick werden Sie schwerlich die freundlichsten Empfindun
gen für ihn gehabt haben.«
»Meine Empfindungen für Ghaled waren zu keiner Zeit
freundlich. Ich verabscheute ihn.«
»Und er hatte soeben auf Ihren Kapitän geschossen.«
»Und der junge Aziz schoß auf den Ersten Offizier, der
seinerseits das Feuer erwiderte. Innerhalb eines au
ßerordentlich kurzen Zeitraums wurde außerordentlich
viel geschossen.«
»Es ergab sich rein zufällig, daß die Schußwaffe, die
Sie in der Hand hielten, auf Ghaled feuerte?«
»Es kann nur ein Zufall gewesen sein, Mr. Prescott.
Ich habe auf die Spieldose gezielt.«
»Mit anderen Worten, Sie trafen das kleine Ziel ab
sichtlich und das große zufällig.«
»Mr. Prescott, für mich war es eine gänzlich neue Er
fahrung, eine Erfahrung, die ich nicht zu wiederholen
gedenke. Ist Ihre Frage damit beantwortet?«
Ich seufzte. »Sie muß es wohl sein, nehme ich an.«
Sein Lächeln begann zurückzukehren. »Ich versichere
Ihnen, Mr. Prescott, daß ich kein Freund von Gewalttä
tigkeit bin.«
»Lunch ist angerichtet, Michael«, sagte Miss Malandra.
Sie schenkte mir ein Lächeln, als wir hineingingen, ein
Lächeln voller Teilnahme und Verständnis.
Das tröstete mich immerhin; und ich muß sagen, das
Essen war ausgezeichnet.