Medien und Sprachen humanistischer Geschichtsschreibung
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Transformationen der Antike
Herausgegeben von Hartmut Böh...
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Medien und Sprachen humanistischer Geschichtsschreibung
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Transformationen der Antike
Herausgegeben von Hartmut Böhme, Horst Bredekamp, Johannes Helmrath, Christoph Markschies, Ernst Osterkamp, Dominik Perler, Ulrich Schmitzer
Wissenschaftlicher Beirat: Frank Fehrenbach, Niklaus Largier, Martin Mulsow, Wolfgang Proß, Ernst A. Schmidt, Jürgen Paul Schwindt
Band 11
Walter de Gruyter · Berlin · New York
Medien und Sprachen humanistischer Geschichtsschreibung
Herausgegeben von
Johannes Helmrath, Albert Schirrmeister, Stefan Schlelein
Walter de Gruyter · Berlin · New York
Dieser Band ist aus einer Tagung des Berliner Sonderforschungsbereichs 644 „Transformationen der Antike“ hervorgegangen und wurde mit finanzieller Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft erstellt.
앝 Gedruckt auf säurefreiem Papier, das die US-ANSI-Norm 앪 über Haltbarkeit erfüllt.
ISBN 978-3-11-020725-5 ISSN 1864-5208 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. 쑔 Copyright 2009 by Walter de Gruyter GmbH & Co. KG, 10785 Berlin Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany Umschlaggestaltung: Martin Zech, Bremen Logo „Transformationen der Antike“: Karsten Asshauer ⫺ SEQUENZ Druck und buchbinderische Verarbeitung: Hubert & Co. GmbH und Co. KG, Göttingen
Inhalt
Einleitung ........................................................................................................
1
ALBERT SCHIRRMEISTER Was sind humanistische Landesbeschreibungen? Korpusfragen und Textsorten .........................................................................
5
FRANK WITTCHOW Von Fabius Pictor zu Polydor Vergil. Zur Transformation narrativer Modelle der antiken römischen Geschichtsschreibung in der Humanistenhistorie .......
47
ELISABETH KLECKER Extant adhuc in Pannonia monumenta Severi. Historia Augusta-Rezeption und humanistisches Selbstverständnis in Cuspinians Caesares ......................
77
JOHANNES HELMRATH Die Aura der Kaisermünze. Bild-Text-Studien zur Historiographie der Renaissance und zur Entstehung der Numismatik als Wissenschaft ..............
99
MARTIN OTT Gelehrte Topographie im Geist des Altertums: Antike Inschriften und die Erfassung des Raumes in der Zeit der Renaissance ........................................
139
STEFAN SCHLELEIN Zwei Sprachen – ein Text? Lateinische und volkssprachliche Versionen historiographischer Texte im Vergleich ..........................................................
167
ROBERT WALLISCH Sinn und Unsinn lateinischer Versionen frühneuzeitlicher Entdeckerbriefe. Die Bilingue des Josephus Indus ....................................................................
205
MARKUS VÖLKEL Modell und Differenz: Volkssprachliche Historiographie der Frühen Neuzeit und ihre lateinischen Übersetzungen .............................................................. 217 CASPAR HIRSCHI Transformationen von Antiketransformationen. Ein abschließender Überblick unter Einbezug des Leitkonzepts des SFB 644 ............................................... 251
VI
Inhalt
Abkürzungsverzeichnis ...................................................................................
271
Register ............................................................................................................ Personenregister ....................................................................................... Geographisches Register ..........................................................................
273 273 284
Autorenverzeichnis .........................................................................................
289
Einleitung
Medien und Sprachen humanistischer Geschichtsschreibung – der Band präsentiert die Ergebnisse einer Tagung, die das Teilprojekt A 4 des Sonderforschungsbereichs 644 Transformationen der Antike vom 9. bis 11. November 2006 im Deutschen Historischen Museum in Berlin veranstaltet hat. Der Band ist als erster von zwei Teilen konzipiert. Der geplante zweite Band, der sich literarischen Verfahren, sozialer Praxis und geschichtlichen Räumen widmen wird, steht mit diesem ersten Band in enger konzeptioneller Verknüpfung und wird die Vorträge der Folgetagung vom Februar 2008 beinhalten. Den Ausgangspunkt für die Konzeption der beiden Bände bilden die theoretischen Überlegungen des Sonderforschungsbereichs. Transformationen verstehen wir als komplexe Wandlungsprozesse, die sich zwischen einem Referenz- und einem Aufnahmebereich vollziehen. Dabei wird im Akt der Aneignung nicht nur die Aufnahmekultur, sondern auch die Referenzkultur modifiziert. […] Die Transformation ist als wechselseitige schöpferische Produktion anzusehen, die allerdings nicht notwendig symmetrisch ist. Diesen Aspekt der produktiven Wechselseitigkeit von Referenz- und Aufnahmekultur bezeichnen wir als Allelopoiese.1
In unserem Teilprojekt werden diese Prozesse anhand der humanistischen Nationalgeschichten und Landesbeschreibungen untersucht. Auf zwei Ebenen zeigen sich diese Untersuchungsobjekte als besonders ergiebig. Zum einen fungierte die Historiographie vielfach als Motor und Reflex einer neuen nationalen Selbstdefinition der europäischen Staaten. Dies gilt insbesondere für die Werke der zahlreichen Italiener, die um 1500 an europäischen Höfen den Auftrag erhielten, neue nationale Geschichten zu verfassen, wie etwa Polydor Vergil, der eine Anglica historia schrieb. Zugleich diente die Historiographie in den humanistischen Landesbeschreibungen – etwa auf dem Boden des Reichs – als Ferment und Spiegel regionaler Diskurse, so zum Beispiel in der Beschreibung Preußens durch Erasmus Stella. Zum anderen eignet sich der Renaissance-Humanismus in seiner Vielseitigkeit und Vielgestaltigkeit so gut wie kaum ein anderer Gegenstand für Transformationsstudien. Der Humanismus ist durch einen emphatischen und ostentativen _____________ 1
Sonderforschungsbereich Transformationen der Antike – Projektbeschreibung (Langfassung); (zuletzt besucht am 8. Juli 2008).
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Einleitung
Bezug zur antiken römischen Kultur geprägt. In einem rhetorischen Wissenschaftsverständnis und in normativem Bezug auch auf die sprachliche Qualität dieses Referenzbereichs erweiterten die Humanisten einerseits antikegespeistes Fachwissen verschiedener Art (von der Geographie bis zur Medizin, von der Poetik bis hin zur Polyorketik), formten dabei aber auch das Wissen über die Antike selbst. In ihren antiquarischen Praktiken lassen die humanistischen Transformationen der Antike einen signifikanten Prozess beobachten: Die Entdeckung und Verehrung von antiken ›Realien‹ trugen in einem systematisierenden Zugriff zur Entstehung wissenschaftlicher Altertumskunden mit professionellen Spezialwissenschaften (Philologie, Epigraphik, Numismatik etc.) bei. Die sich hierbei stets neu formierende und regulierende Gelehrtengruppe der Humanisten bildete dabei einen eigenen Habitus aus. Humanismusforschung erfordert deshalb viele Kompetenzen. Der ideale Forscher muss sowohl die Antike wie das Mittelalter kennen, muss mindestens Historiker und zugleich Latinist (möglichst auch Graezist), sollte Kunsthistoriker, Epigraphiker und vielleicht auch Musikwissenschaftler sein. Er sitzt als Historiker zudem rittlings auf der Epochenschwelle. Erforderlich ist also die Zusammenarbeit mit Kollegen aus Nachbarfächern, vor allem aus den Philologien und den Historischen Hilfswissenschaften. Die Tagung trug daher den Titel Medialität und Textlichkeit humanistischer Geschichtsschreibung: soziale und kulturelle Kontexte und brachte in Vorträgen und Diskussionen Vertreter der unterschiedlichen Disziplinen zueinander. Münzen, Inschriften und Karten wurden als von Humanisten gesammelte bzw. hergestellte Artefakte analysiert, die jeweils eigene Bezüge zur normativen Autorität der römischen Antike herstellten. Ihre je eigene Fähigkeit, Zeit und Raum zu ordnen und Antike in Herrscherbildern, in der Lokalisierung von Ereignissen, der Konstruktion von Grenzen erfahrbar und begreifbar zu machen, stellt sie potentiell in engste Verbindung zur humanistischen Geschichtsschreibung (siehe hierzu die Beiträge von Martin Ott zur Epigraphik und Johannes Helmrath zur Numismatik; die kartographischen Beiträge von Axelle Chassagnette und Dieter Mertens sollen im zweiten Band erscheinen). Die zentrale Frage nach den Kategorien und Valenzen klassischer wie humanistischer ›Latinitäten‹ wurde intensiv diskutiert (vgl. die Beiträge von Frank Wittchow und Elisabeth Klecker): Wie verhalten sich zum Beispiel die humanistischen Geschichtsschreiber zu den sachlichen und sprachlichen Referenztexten von Livius oder der obskuren Historia Augusta? Die Wechselbeziehungen von Volkssprache und Latein bei Übersetzungen in beide Richtungen mussten zu einem zentralen Thema werden, ist doch Übersetzung eine der elementarsten und wirkungsvollsten Transformationen überhaupt.2 Welches Sprachverständnis manifestiert sich in diesen Umformungen und welche inhaltlichen Konsequenzen _____________ 2
Vgl. hierzu jüngst Böhme, Hartmut/Rapp, Christof/Rösler, Wolfgang (Hg.), Übersetzung und Transformation, Berlin/New York 2007 (= Transformationen der Antike, 1).
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Einleitung
sind mit ihnen verbunden (siehe hierzu die Beiträge von Stefan Schlelein, Robert Wallisch und Markus Völkel)? Der Überlegung folgend, dass der von antiken Referenzautoren wie Caesar, Tacitus und Pomponius Mela geleitete humanistische Zugriff substantielle Veränderungen am Gegenstand der Geschichtsschreibung bewirkte, wurde – nicht zuletzt mithilfe probater linguistischer Kategorien – ›Landesbeschreibung‹ als Textsorte grundsätzlich auf den Prüfstand gestellt (vgl. den Beitrag von Albert Schirrmeister). Eine ebenso kritische wie produktive Bilanz, die auch Desiderate und Ausblicke benennt, bietet am Schluss dankenswerterweise Caspar Hirschi. Die offenen Fragen führen bereits zur erwähnten Folgetagung vom Februar 2008. Hier setzten wir unter dem Generaltitel Humanistische Geschichten am Hof. Nation und Land als Transformationen der Antike das Programm der ersten Tagung mit veränderten Perspektiven fort. Die erste Tagung begann mit einer Führung durch die zeitgleiche ReichsAusstellung im Deutschen Historischen Museum in Berlin. An deren Anfang wiederum stand der Raum »Zwischen den Zeiten«, in dem die Konflikte mit dem expandierenden Osmanischen Reich, die Entdeckung der Neuen Welt und der Humanismus eines Conrad Celtis und anderer die Epochenschwelle vom Mittelalter zur Frühen Neuzeit visualisierten. Humanisten wie Enea Silvio Piccolomini oder Sebastian Münster wurden mit ihren Reisebeschreibungen und kartographischen Werken herangezogen, um das »Reich und seine Grenzen« darzustellen.3 Dieser anschauliche Auftakt beflügelte die Diskussion auf der Tagung. Tagungen und auch Tagungsbände pflegen Ihr Zustandekommen aber nicht nur den regen wissenschaftlichen Diskussionen zu verdanken, sondern auch vielen hilfreichen Händen. Allen, die daran beteiligt waren, sei hiermit herzlich gedankt, insbesondere aber Samuël Coghe, Ronny Kaiser, Janis El-Bira und Christian Faust, die uns mit großem Engagement bei der Organisation der Tagung und der Vorbereitung des Bandes unterstützt haben. Kerstin Kaufmann schließlich hat das Manuskript mit Umsicht und großer Sorgfalt für den Druck vorbereitet.
Berlin, im Januar 2009
Johannes Helmrath Albert Schirrmeister Stefan Schlelein
_____________ 3
Vgl. Ottomeyer, Hans/Götzmann, Jutta/Reiß, Ansgar (Hg.), Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation 962 bis 1806. Altes Reich und neue Staaten 1495 bis 1806. 29. Ausstellung des Europarates in Berlin und Magdeburg, Bd. 1: Katalog, Dresden 2006.
Was sind humanistische Landesbeschreibungen? Korpusfragen und Textsorten ALBERT SCHIRRMEISTER
Gallia est omnis divisa in partes tres.1 – Germania omnis a Gallis Raetisque et Pannoniis Rheno et Danuvio fluminibus, a Sarmatis Dacisque mutuo metu aut montibus separatur.2
Es scheint eine leichte Übung, die Titelfrage zu beantworten: Am Anfang stehen diese beiden römischen Gründungstexte von Caesar und Tacitus. Caesars Gallischer Krieg ist dabei zwar der frühere, aber zumindest für die deutsche Diskussion der weniger wichtige. Zu betonen, wie wichtig die später entstandene Germania des Tacitus hingegen für die deutschen Humanisten war, hieße Eulen nach Athen tragen.3 Alle Texte, die in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts lateinisch von Humanisten geschrieben wurden, ein Land zum Gegenstand nehmen und Caesar und Tacitus in ihren Germanenbeschreibungen nacheifern, wären also humanistische Landesbeschreibungen. Allein auf diese Bezugnahmen kann man sich jedoch nicht beschränken, will man ein Korpus humanistischer Landesbeschreibungen definieren – es wäre auch polemisch überspitzt, wollte man behaupten, dies sei die Forschungslage, doch tatsächlich existiert kein gesichertes Einverständnis, was mit dem Wort gemeint sein soll. Deshalb stelle ich genau diese Korpusfragen ins Zentrum der folgenden Ausführungen. Ich beziehe mich dabei auf den Terminus der Textsorte und damit verbundene linguistische Forschungen, weil dieser an konkreten Kommunikationssituationen geformte Begriff einen leichteren Anschluss an meine geschichtswissenschaftlich geprägten Fragestellungen erlaubt als der festgefügtere literaturwissenschaftliche Begriff der Gattung. Dessen Inflexibilität ist auch der Ausgangspunkt zur Formulierung des neuen Terminus gewesen. _____________ 1 2 3
Caesar, Gall., I, 1 Tacitus, Germ., I, 1. Fundamental Mertens (2004) mit erschöpfender Würdigung der Rezeption, der Vermittlungsinstanzen (neben Enea Silvio besonders Campano) für die Verarbeitung bei Celtis, Wimpfeling, Bebel; in diesem Zusammenhang besonders 78–91.
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Albert Schirrmeister
Die Korpusbildung des zu Grunde liegenden Forschungsprojekts innerhalb des SFB Transformationen der Antike zu problematisieren, erscheint aus mehreren Gründen nötig. Auf der einen Seite stehen wissenschaftsgeschichtliche Erwägungen, die die Kontexte in Augenschein nehmen, in denen die in Frage stehenden Texte rezipiert wurden und werden. Den Ausgang nimmt die Forschungsarbeit zwar von »deutschen humanistischen Landesbeschreibungen«. Das ist pragmatisch zu rechtfertigen und wird auch in den folgenden Ausführungen so sein. Doch was unterscheidet ein Land von einer Region? Das Phänomen des Landes mit einer je eigenen Geschichte kann nicht ohne weiteres als gegebene deutsche Besonderheit und Folge der Verfasstheit des Heiligen Römischen Reiches akzeptiert werden. Zu Recht wird die in Deutschland so prominente Rolle des Landes und der Landesgeschichte auch als Folge der institutionellen Verankerung in den deutschen Universitäten in der neueren Forschung problematisiert.4 Daneben gehört es zu den grundlegenden Anforderungen an ein jedes mit einer gewissen Menge an Texten arbeitendes Forschungsprojekt, seine Basis zu definieren. Dieses Erfordernis wird im vorliegenden Fall nur betont durch die unmittelbare Nachbarschaft innerhalb des SFB zum Forschungsprojekt, das sich mit humanistischen Nationalgeschichten beschäftigt, die eine Formulierung der Abgrenzungskriterien dringlich macht. Denn problematisch ist nicht nur Land als Bestandteil des Begriffes, sondern ebenso der zweite Teil des Wortes, die Beschreibung und seine Eingrenzung als humanistisch. Deshalb müssen die humanistischen Landesbeschreibungen sowohl von historiographischen Texten zu einer Nation als auch von weiteren ähnlichen Texten analytisch unterschieden werden, die teilweise anderen Textsorten zuzuordnen sind, wie z. B. Reiseberichte, teilweise aber einer Textsorte Landesbeschreibung zugeordnet werden könnten, an denen dann wiederum keine eindeutige humanistische Prägung erkennbar sein muss. Schließlich scheint es, dass sich die Texte, die gemeinhin unter Landesbeschreibungen gefasst werden, weder in ihrer Gliederung noch in ihrer sprachlichen Gestaltung auf einen Nenner bringen lassen. Diese Problematik wurde von der jüngeren Forschung für den deutschen Zusammenhang bereits deutlich artikuliert, am intensivsten im Band Deutsche Landesgeschichtsschreibung im Zeichen des Humanismus, der eine Wolfenbütteler Tagung »Humanistische Landesgeschichtsschreibung« dokumentiert. Schon in der – im Vorwort des Buches thema_____________ 4
In der Zusammenfassung einer mediävistischen Tagung formuliert Schneidmüller (2005) eine Kette einschlägiger Fragen (406): »Gehören die Länder wirklich nur der Geschichte des deutschsprachigen Raums? Kann man dieses Thema im europäischen Rahmen behandeln? […] Existieren uns die deutschen Länder und ihr spätmittelalterliches Landesbewußtsein nur aus dem föderalen Gepräge der neueren deutschen Geschichte, vielleicht sogar nur aus der erfolgreichen Institutionalisierung der Landesgeschichte in Deutschland, die hartnäckig die ihr zugefallenen Pfründe verteidigt?« Vgl. auch den Beitrag von Enno Bünz (2005) im gleichen Band, der in Auseinandersetzung mit Otto Brunner die mittelalterliche Verwendung des Begriffes Land untersucht. Grundlegend ist hierfür Schorn-Schütte (1984), passim.
Was sind humanistische Landesbeschreibungen?
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tisierten – Diskrepanz zwischen Buch- und Tagungstitel werden die grundlegenden terminologischen Schwierigkeiten benannt, die Ausdruck sachlicher Probleme in der Zuordnung zur Textsorte sind.5 Das weite Spektrum all dessen anzudeuten, was Forschung wenigstens zuweilen unter humanistischer Landesbeschreibung fassen möchte, vermag ein Hinweis auf die Amores des Conrad Celtis. Sie sind in ihrer multiperspektivischen Verbindung von Liebeslyrik, Landesbeschreibung und Herrscherpanegyrik einzigartig, die sich einerseits nach Lebensalter und Temperamenten, andererseits nach Himmelsrichtungen und Grenzen Deutschlands gliedern. Sind sie Landesbeschreibungen?
1. Textsorte: Das Arbeitsinstrument Bevor ich mich aber der Diskussion der Texte zuwende, sei zunächst die Entwicklung des Terminus Textsorte und seine Anwendbarkeit skizziert und diskutiert. Parallele, literaturwissenschaftlich geprägte Anknüpfungspunkte, die für die Arbeit an unseren Texten mit unserer transformationstheoretisch orientierten Fragestellung relevant sein können, ergeben sich durch die hermeneutisch fundierte, leserorientierte Rezeptionsgeschichte des Romanisten Hans Robert Jauß, die in den französischen Geschichtswissenschaften zumal durch Roger Chartier in kritischer Auseinandersetzung weiterentwickelt worden ist.6 Dass Jauß den ›Erwartungshorizont‹ des Rezipienten, also die durch Gattungsmuster und literarische Traditionen vorgeprägten Rezeptionshaltungen aufseiten des Publikums, konsequent in seine Untersuchungsperspektive einbezieht, öffnete der Diskussion der Literaturwissenschaften wesentlich den Blick hin zu einer historisierenden Betrachtung von Gattungen. Textsorte als ein Begriff, der konsequent an Gebrauchssituationen orientiert und in der neueren linguistischen Forschung differenziert ausgestaltet wurde, scheint mir gleichwohl ein geeigneteres Analyseinstrument gerade für solch vielgestaltig auftretende Texte zu sein, wie es die Landesbeschreibungen der Humanisten sind: Es ist eben nicht eine bestimmte Gattung, auf deren Tradition sie sich allein zurückführen lassen und als dessen produktive Weiterentwicklung sie zu bezeichnen sind. Charakteristisch erscheint ganz im Gegenteil jene Vielschichtig-
_____________ 5
6
Brendle/Mertens/Schindling/Ziegler (2001). Vgl. auch die umfassende Bestandsaufnahme zu den deutschen Landesbeschreibungen von Johannes Helmrath (2005), 363 mit sozialgeschichtlichen wie literarischen Kriterien zur Einordnung und darauf folgend die konstatierte Heterogenität. Jauss (1970), Chartier (1996), in dem ältere Aufsätze zu einem neuen Ganzen zusammengeführt werden; hier sind einschlägig besonders die Kapitel »Bibliothèques sans murs« (107–131) und »Communautés de lecteurs« (133–153).
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Albert Schirrmeister
keit der Bezugnahmen, die bisher eine klare Einordnung dieser Texte strittig bleiben lässt.7 Wenn ich richtig sehe, ist die Begriffsentwicklung der Textsorte für die germanistische Diskussion geprägt durch Arbeiten von Hugo Steger und seinen Mitarbeitern. Doch hat es seit den siebziger Jahren eine Reihe von ähnlich gelagerten Ansätzen gegeben, initiiert vor allem in den Bänden von Wolfgang Raible und Elisabeth Gülich zur linguistischen Textanalyse, die sich »auf der Wasserscheide von Linguistik und Poetik« in der Nachfolge von Roman Jakobson bewegen.8 Hugo Steger hat diese Tendenz der Textlinguistik, sich auch systematisch mit verschiedensten mündlichen Texten nichtpoetischer Art zu befassen, überblickshaft zusammengefasst und resümiert, es sei deutlich geworden, daß Textexemplare aus solchen kommunikativen Umgebungen (fast) niemals vereinzelt vorkommen, sondern immer aufgrund syntaktischer, semantischer und pragmatischer Ähnlichkeiten Texttypen bilden. Es wurde auch klar, daß das einzelne Textexemplar und der Typus oft gemeinsame Typenbezeichnungen ›mitbrachten‹ wie Unterhaltung, Beratung, Interview, Streit, Erzählung usw.9
Die Textlinguistik konzentriert sich darauf, Ordnungen zu konstruieren, die sich an pragmatischen Prinzipien in verschiedenen kommunikativen und sozialen Situationen zu unterschiedlichen Zeiten und an unterschiedlichen Orten orientieren. Schon hier zeigt sich, dass sich diese Forschungsansätze, die für mündliche Kommunikation ohne literarisch-künstlerische Ansprüche entwickelt wurden, gerade dadurch, dass sie die sozialen Bedingungen von Kommunikation betonen, für eine Anwendung in geschichtswissenschaftlichen Kontexten besonders eignen: Erst eine solcherart sozial und kulturell interessierte Untersuchung kann eine Textanalyse auch zu einer geschichtswissenschaftlichen Tätigkeit machen.10 In diesem Sinne knüpft sich an die Definitionsarbeit von humanistischen Landesbeschreibungen die Erwartung, klären zu können, ob solche Texte eine spezifische Bedeutung innerhalb der gelehrten politischen Kultur besaßen. Verbinden sich mit diesen Texten bestimmte politische Weichenstellungen, die die Semantik der Texte, ihre Gliederungen von anderen Texten unterscheidbar machen? In der unübersichtlichen Situation, wie sie Kirsten Adamzik schon 1995 für die bis dahin entwickelte Textsortenforschung konstatiert hat,11 zeichnen sich _____________ 7
Grundlegend sind der Sammelband Brendle/Mertens/Schindling/Ziegler (2001) sowie Helmrath (2005). 8 Raible (1974); Gülich/Raible (1975). 9 Steger (1998), 285. 10 Ebd., 285: »Denn die Kommunikation wird ausschließlich im Rahmen von sozialen Situationen vollzogen, in denen Personen mit wirklichen oder fiktiven Umgebungen in Beziehung treten und dabei über Daten Informationen erheben sowie Bedürfnisse äußern und/oder austauschen. Dieses intentionale Sprechen und Schreiben in verschiedenen Situationen mit/an Personen über Personen, Sachen, Ereignisse, Zustände usw. führt dabei zu unterschiedlichen dialogischen oder monologischen mündlichen oder schriftlichen Textexemplaren.« 11 Adamzik (1995).
Was sind humanistische Landesbeschreibungen?
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bestimmte Ansätze besonders dadurch aus, dass sie Analyseinstrumente und Frageraster bereit stellen, die eine Anwendung in sehr unterschiedlichen Kontexten ermöglichen. So hat Wolfgang Raible hierfür zunächst sechs, später sieben relevante Text-Dimensionen für eine Typisierung erarbeitet. Sie sollen hier im Einzelnen vorgestellt werden, da sie aufgrund ihrer Multiperspektivität als hilfreiche Arbeitsinstrumente für die folgenden Überlegungen genutzt werden. Um die einzelnen Dimensionen vorzuführen, zitiere ich eine schematische Auflistung Raibles, die ich lediglich um einige Beispiele gekürzt habe:12 1. Dimension: die Kommunikationssituation zwischen Sender und Empfänger. (a) Vorhandensein oder Nicht-Vorhandensein einer direkten Kommunikationssituation […]. (b) Intention, die hinter dem Text steht: überzeugen, belehren, unterhalten, anweisen, mitteilen usw. […]. (c) Einstellung des Autors gegenüber dem Dargestellten: neutral, lobend, kritisch, satirisch, parodistisch, spottend […]. (d) Intendierte Adressaten: Kinder, Jugendliche, Erwachsene, der Dauphin […]. (e) Der Ort des Kommunikationsakts […]. 2. Dimension: der Gegenstand des Textes, sein ›Objektbereich‹. Hier kann es eine Rolle spielen, (a) ob von Sachen die Rede ist oder von Personen; bei den Personen kann man erneut unterscheiden, ob es sich um Individuen handelt oder um Typen, wie der soziale Status der Personen ist […]. (b) Thematik und Stoff eines Texts sind weitere Gesichtspunkte für eine differenzierende Gattungsbezeichnung […]. 3. Dimension: Merkmale, die mit dem Ordnungsmuster zu tun haben, das den Text strukturiert: (a) Es handelt sich z. B. um Bezeichnungen wie ›Pointe‹, ›Peripetie‹, ›Biographie‹, ›Reisebeschreibung‹ […]. (b) Prinzip der (etwa alphabetischen) Anordnung […]. (c) Frage/Antwort […]. 4. Dimension: relativ wichtig für Gattungen kann das Verhältnis zwischen Text und Wirklichkeit sein. Mit Johannes von Garland kann man hier unterscheiden: (a) Res gesta/historia. (b) Res ficta/fabula. (c) Res ficta quae tamen fieri potuerat. (d) Über Johannes von Garland hinausgehend wäre zu erfassen: res futura. 5. Dimension: das Medium. Damit kann gemeint sein: (a) Sprache in Kombination mit Metrum, Rhythmus, Musik, Mimik, Gestik […]. (b) Andererseits geht es um Trägermedien, die eine indirekte Kommunikationssituation möglich machen, also Buch, Brief […]. 6. Dimension: die sprachliche Darstellungsweise und die verschiedenen Sprechakttypen. Hier geht es um: (a) erzählend […]; (b) dramatisch […]; (c) beschreibend […]; (d) anweisend […]; (e) argumentierend […]; (f) kurz oder lang als Darstellungsweise […].
_____________ 12 Raible (1996), 66–69 für das Folgende. Ich verzichte darauf, die von Raible in den oben zitierten Charakterisierungen herangezogenen Beispiele im Einzelnen zu diskutieren. Ob jedes Beispiel so treffend für die zu skizzierende Dimension eines Textes ist und tatsächlich relevant ist, um ein analytisch geschärftes kategoriales Verständnis der Texte zu erlangen, kann sicherlich im Einzelfall bezweifelt werden.
10
Albert Schirrmeister 7. Dimension: Verhältnis, in dem der Text zu anderen Texten steht: (a) verkürzte Version. (b) amplifizierte Version. (c) Text aus Teilen anderer Texte (z. B. Dokumentation, Kompilation etc.). (d) Text parallel/analog zu anderen Texten – z. B. Parodie.
Diese Dimensionen sollen nun als Arbeitsinstrumente an konkreten Textbeispielen erprobt und jeweils die Bedeutung der einzelnen Dimensionen herausgearbeitet werden, um ein konsistentes Korpus an Texten modellieren zu können. Dem Einwand, allzu viele unterschiedliche Dimensionen in einer analytischen Betrachtung zu trennen, eröffne einer willkürlichen Zuordnung einzelner Texte zu einer Textsorte Tür und Tor, begegnet schon Raible selber offensiv. Er gesteht zu, dass in seinem Modell sehr viel Bewegungsspielraum enthalten ist, sieht dies aber eher als Vorteil: Das einzige Konstante oder Invariante ist in diesem Fall das Bezugssystem der sieben Dimensionen – nicht das der Merkmale, die in den Dimensionen angesiedelt sind, sondern nur der Dimensionen, aus denen die Merkmale von Gattungsbezeichnungen kommen. Es gibt also durchaus etwas Festes, einen Bezugsrahmen, aus dem heraus man nach der Bedeutung und dem Stellenwert von Gattungsbezeichnungen fragen kann.13
Konstant bleibt also der analytische Bezugsrahmen, der beansprucht, alle relevanten Elemente zu umfassen, die jeweils gemeinsam die einzelnen Textexemplare wie auch die Textsorten prägen. Diese Dimensionen sind es, die die konkreten Veränderungen tragen, die dazu führen, dass man unterschiedliche Gattungen definiert, dass man eine Textsorte begründet von einer anderen unterscheiden kann. Unstrittig ist, dass der Status der einzelnen Dimensionen sehr unterschiedlich ist, dass sie sich auf äußerst unterschiedliche Bereiche beziehen und somit aber auch die analytische Aufmerksamkeit auf eine außerordentliche Vielzahl jener Faktoren lenken, die Entstehung und Rezeption eines jeden Textes bestimmen. Vom jeweiligen Forschungsinteresse und von der Perspektive des Forschers kann man die Gewichtung der einzelnen Dimensionen in der Betrachtung abhängig machen, die Korpusbildung kann hierdurch ein je eigen begründetes Fundament finden. Meinen Versuch, die Landesbeschreibungen als Textsorte entlang dieser Kriterien zu konturieren, gliedere ich folgendermaßen: Zunächst werde ich in einem summarischen Zugriff drei der genannten Text-Dimensionen gemeinsam behandeln: Die vierte und fünfte Dimension beschreiben bei den überhaupt in Frage kommenden Texten eher Übereinstimmungen (im Verhältnis zur Wirklichkeit, in der Frage der Medien), selbst wenn der Rahmen hierfür relativ weit gefasst wird.
_____________ 13 Raible (1996), 70 [Hervorh. W. R.].
Was sind humanistische Landesbeschreibungen?
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Mit Einschränkungen gilt dies auch für die erste Dimension der Kommunikationssituation, wobei die Intentionen und die Einstellungen des Autors gegenüber dem Dargestellten teilweise differieren. Durch die einleitenden Bemerkungen zur Problematik des Begriffes Land, der die hier zu untersuchende Textsorte immerhin benennt, wird deutlich, dass die zweite Dimension, der Objektbereich der Texte, besonders eingehend untersucht werden muss, dies geschieht also anschließend in einem eigenen Abschnitt. Um mich auf die problematischen, weil in meinem Fall am deutlichsten distinktiv wirkenden, Dimensionen zu konzentrieren, wird in den folgenden Ausführungen besonderes Gewicht in je eigenen Abschnitten auf die Diskussion zur dritten Dimension, die die Strukturierung der Texte betrifft und auf die Diskussion der sechsten Dimension gelegt, die den Sprechakt und die sprachlichen Darstellungsweisen in den Blick nimmt. Die siebte, von Raible erst später ergänzte Dimension wird durch die grundsätzliche Eigenschaft von Textsorten eröffnet, per se ein intertextuelles Phänomen zu sein, da ihre Exemplare mit anderen Texten Phänomene gemeinsam haben und so aufeinander reagieren. Gerade diese siebte Dimension kann für die Untersuchung der Landesbeschreibungen eine besondere Rolle spielen, wenn man bedenkt, dass autonome Textteile unterschiedliche Funktionen gewinnen können, dass Textallianzen auf sehr unterschiedliche Weise Teile eines Textes betreffen können und z. B. in verschiedenen wissenschaftlichen oder politischen Kontexten relevant werden können. Sie ist ebenfalls besonders wichtig, um der Grundfrage unseres Projektes nachzugehen, nämlich dem transformierenden Verhältnis humanistischer Texte zu denjenigen aus der römischen Antike, und bildet deshalb den Abschluss des analytischen Durchgangs durch den Kriterienkatalog Raibles.
2. Kommunikationssituation, Medien, res ficta et facta Die landläufig als Landesbeschreibungen identifizierten Texte teilen mit den allermeisten humanistischen Texten ihre Entstehung in Abhängigkeit von patronalen Verhältnissen: Ohne zumeist monarchische Förderer wäre die literarische Produktion im Europa des 16. Jahrhunderts deutlich dünner ausgefallen. In den Vorreden der Drucke werden diese Verhältnisse häufig auch so klar angesprochen, wie Erasmus Stella es in seiner Beschreibung Preußens tut: Nicht aus eigenem Antrieb, sondern auf Wunsch des Bischofs von Pomesanien, Hiob von Dobeneck, habe er seine beiden Bücher De Borussiae antiquitatibus geschrieben, versichert Stella im 1518 gedruckten Widmungsbrief an den Hochmeister des Deutschen Ordens, Friedrich von Sachsen.14 Ähnlich heißt es bei _____________ 14 Stella, De Borussiae antiquitatibus, erstmalig gedruckt 1518 in Basel bei Froben, zitiert nach der von Theodor Hirsch hg. kritischen Ausgabe von 1870, hier S. 285.
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Albert Schirrmeister
Johannes Aventin zu Beginn des Widmungsbriefes seiner Annales Boiorum an die bayerischen Herzöge: Tertius iam agitur annus, Principes illustrissimi, dum mandatis vestris pareo: dumque tam religioso, tam memorabili vestrae pietatis desiderio, atque proposito, satisfacere, & respondere, summa ope studeo, atque nitor.15
Johannes Bugenhagen bringt in der Vorrede zu seiner Beschreibung Pommerns auf äußerst anschauliche Weise das Objekt seiner Beschreibung mit dem Medium und dem Adressaten zusammen, wenn er formuliert, er überreiche dem Herzog und seinen Söhnen mit seiner Pomerania sein Land ein zweites Mal und vertraue es ebenfalls ihrem Schutz an.16 Das Land, der Herrscher und die schriftliche Repräsentation – verstanden in einem sehr starken Sinn – werden in einen engen Zusammenhang gebracht, der das eine ohne das andere nicht existieren lässt. In einigen Fällen werden zusätzlich zu diesen grundsätzlichen sozialen Bindungen auch konkretere und aktuelle Anlässe benennbar, zu denen historiographische Texte in politische Prozesse einzugreifen versuchen. Johannes Cuspinian schreibt 1526 nach der ungarischen Niederlage von Mohács seine Oratio protreptica, die eine Adhortatio an die Fürsten des Heiligen Römischen Reichs deutscher Nation darstellt, in die er eine ungarische Landesbeschreibung en miniature einfügt. Die Fürsten sollen bewegt werden, sich am Kampf gegen die Türken zu beteiligen. Die Landesbeschreibung sollte verdeutlichen, dass Ungarn mit seiner römischen Vergangenheit vom Reich verteidigt werden müsse.17 Auf dem Trierer Reichstag von 1512 ließ der Hochmeister des Deutschen Ordens, Albrecht von Brandenburg, die Meinung vertreten, der Thorner Frieden zwischen Polen und dem Orden von 1466 sei von vornherein ungültig gewesen. Der Ordensvertreter sollte ebenfalls darlegen, Preußen und Livland seien durch den Orden dem katholischen Glauben und der deutschen Sprache zugewendet worden, weshalb Preu_____________ 15 »Es vergeht nun das dritte Jahr, erlauchteste Fürsten, dass ich eurem Auftrag gehorche und dass ich mich eifrig bemühe, eure so ehrwürdigen und so erinnerungswürdigen frommen Begehren und Plänen zu befriedigen und ihnen gerecht zu werden, worum ich mich mit höchstem Eifer bemühe.« Aventin, Annales Boiorum, Epistola dedicatoria. 16 Bugenhagen, Pomerania, 4: »Vos igitur, illustrissimi principes, hanc alteram suscipite Pomeraniam, fovete, defendite, et, ne quis temerator accedat, prohibite.« »Ihr also, erlauchteste Herren, nehmt dieses als zweites Pommern an, unterstützt und verteidigt es und verhindert, dass irgendein Verletzer herantritt.« 17 Cuspinian, Oratio protreptica, A iiv–A iiir: »Traianus Caesar olim debellaturus Decibalum Regem in Persas proficiscens occasionem sumens pontem supra Danubium mira arte et ingenio stravisse feratur, cuius fragmenta hodie adhuc extant cum inscripptione Traiani Nervaue filii Caesaris vere Pontificis, quod paucis etiam doctissimis notum est.« »Es wird von Kaiser Trajan gesagt, er habe, als er im Begriff war, Krieg gegen den König Decebalus zu führen, beim Aufbruch gegen die Perser die Gelegenheit nutzend, eine Brücke über die Donau von bewundernswerter Kunstfertigkeit gebaut, deren Überreste bis heute vorhanden sind mit der Inschrift: Trajan, dem Sohn Nervas, Caesar und wahrer Pontifex, die auch unter den Gelehrten kaum bekannt ist.«
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ßen in einigen Geschichtswerken ein neues Deutschland genannt werde.18 Mit diesem Hinweis ist wahrscheinlich auch auf die Beschreibung Preußens durch Erasmus Stella angespielt, der bereits unter Albrechts Vorgänger, Friedrich von Sachsen, als dessen Arzt in Preußen war und in dieser Zeit seine Schrift verfasst haben muss.19 Die Argumente für Preußens und Livlands Reichszugehörigkeit seien immer dann verwendet worden, so schreibt Boockmann lapidar, wenn sie sich in die aktuelle politische Situation fügten: 1519 beginnt Albrecht schließlich einen Krieg gegen Polen.20 Albrecht von Bonstetten wiederum widmet seine Beschreibung der eidgenössischen Orte, die Superioris germanice confederationis descriptio, in verschiedenen Ausführungen unterschiedlichen auswärtigen Monarchen, unter anderem dem französischen König. Wie Regine Schweers zu Recht hervorhebt, bedeutet dies, dass Bonstetten von vorneherein seinen Text an die potentiellen Bündnispartner im Spiel der Mächte richtete. Erst fünf Jahre später und auf Verlangen der Eidgenossenschaft verfasste er für die Eidgenossen selber eine Übersetzung, die er zusätzlich mit einem Siegel beglaubigte.21 Trotz dieser gut gezielten Rezeptionshilfe fallen seine Texte allerdings relativ schnell aus dem Rezeptionskreislauf heraus, sicherlich auch, da sie allein handschriftlich überliefert sind. Es ist zwar anzunehmen, dass Stellas Beschreibung Preußens ebenfalls zunächst am Hof und im Umkreis des Hochmeisters handschriftlich zirkulierte, doch konnte der Text seine Wirksamkeit durch den Druck 1518 in verschiedenen Zusammenhängen entfalten. Ähnlicher zum Fall Bonstettens sieht es bei der Beschreibung Pommerns durch Johannes Bugenhagen aus. Von seiner Pomerania existierten im 16. Jahrhundert ebenfalls nur handschriftliche Exemplare, allerdings mehrere, die regional zugänglich für nachfolgende Historiographen waren und so zumindest die Genese der pommerschen Landesgeschichtsschreibung fundierten.22 Dass im Fall _____________ 18 Boockmann (1992), 228 verweist auf Joachim, Die Politik, Nr. 50: Eingabe im Namen des Hochmeisters an den Kaiser und die auf dem Reichstage in Trier versammelten Fürsten und Stände (1512, Anfang Mai), 206–210, hier 209 f. »auch das dadurch die teutschen nacion der lande Preussen und volgende Leyffland, damit die cron zu Polen lange zeit mit allem vleis getracht und gearbeit, under dieser ansichtigen gestalt entsetzt gancz ausgereut und vertilget wurde, weliche land wie wissentlich durch den orden das heylig Roemisch Reich mit grossem darlegen leibs und guts und blutvergiessen vor langen jaren zu unserm glauben und in unser Teutsch gezung gebracht, dadurch es gnant wurd in etlichen hystorien nova Germania das ist Neu Teutschland und sich uber die hundert meyl wegs lang und breyt erstreckt, die schlos und stet von grund auf mit scheinbarlichen vesten mauern bevestigt und gemauert und als gar bey ainander gewest, haben sich zwey tausent person des adels von hohem und nyderm stand, wie man des scheinbarlich anzeigen find, erlich im orden erhalten.« 19 Vgl. die biographischen Mitteilungen bei Schoenborn (1938), hier besonders 11–16. 20 Boockmann (1992), 228. 21 Schweers (2005), 79 f. 22 Vgl. den Editionsbericht von Otto Heinemann in Bugenhagen, Pomerania, 10 f.; weiterführend Schmidt (1983).
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Bonstettens die folgenden schweizerischen Autoren seine Schrift ganz ignoriert haben, dürfte also weitere Gründe haben, auf die im Verlauf der Diskussion der weiteren Text-Dimensionen zurückzukommen ist. Das quantitative Verhältnis der res ficta zu den res facta schließlich ist relativ eindeutig zugunsten der letzteren, jedoch gibt es vereinzelte Beispiele, die neben historische Realitäten eine poetische Realität stellen. Das eindrucksvollste Exempel, in der diese vierte Text-Dimension problematisch wird, ist die poetische Überformung des Conrad Celtis in den Amores. Gernot Müller hat sie in wiederholten Auseinandersetzungen als eine Ausweitung geographischer Beschreibung auf eine transzendente Ebene hin zu einer kosmologischen Betrachtung und damit die Amores als Seitenstück der geplanten Germania illustrata charakterisiert.23 Zuletzt hat Jörg Robert in einer intensiven Auseinandersetzung mit dem Werk des Celtis vorgeführt, wie die laus patriae mit einer laus sui verbunden ist und die Landeskunde in der elegischen Gattung rückgebunden wird an die Person des Dichters.24 Am ehesten in eine ähnliche Richtung weisen das im Vergleich kürzere Gedicht von Eobanus Hessus, das als eine Descriptio generalis Preußens auftritt und das immerhin deutlich längere Gedicht des Pancratius Vulturinus über Schlesien.25 Beide behandeln in mehr oder weniger systematischer Weise Sitten, Gebräuche, geographische Lage, Gelehrtenlob und Städtebeschreibungen. Eine poetische Überformung, die wie im Falle des Celtis dezidiert fiktive Elemente einführt, kann allerdings trotz der lyrischen Form kaum nachgewiesen werden. Bei Vulturinus beschränkt sie sich allenfalls auf die in reichen Farben geschilderte Situation, die das Schreiben über Schlesien motivierte: Er sei in Italien gewesen und habe andere ihre Heimat loben hören und dabei Schmerz über die Vernachlässigung Schlesiens empfunden.26 Ähnlich thematisiert Eobanus Hessus seine persönlichen Lebensumstände, wenn er den lediglich körperlich fernen
_____________ 23 Müller (2004), 152 f.: Amores als Seitenstück der Germania illustrata; Müller (2006), 427: Kosmologie und Transzendenz in der Germania generalis und in den Amores. 24 Robert (2003), 353, 365–368. Die Amores seien das singuläre Experiment einer Landesbeschreibung im elegischen Format. 25 Vulturinus, Panegyricus Silesiacus, immerhin 611 Verse in der Zählung des Herausgebers Paul Drechsler (nach dem Erstdruck von 1521 des nach Aussage des Autors 1506 in Padua geschriebenen Werkes); Hessus, Generalis Prussiae descriptio, 194 Verse. 26 Vulturinus beginnt seinen Pangeyricus mit einem Abschnitt Schreybens ursach, aus dem ich Verse 1–3 zitiere: »Annus adest sextus quingentis mille peractis, / Vasta Cleonaei torquet dum tergora monstri / Et latet Augusto sol ardens aequore mense.« »Es ist das sechste Jahr nachdem [schon] eintausendfünfhundert vergangen sind, während das Fell des Cleonaeischen Monsters sich wendet und die Sonne brennendheiß im Monat August sich im Meer verbirgt.« Solcherart gelehrte mythologisch-astrologische Anspielungen – mit dem cleonaeischen Monster ist der von Herkules erschlagene Löwe, dadurch das Sternbild des Löwen gemeint – durchziehen das folgende Gedicht immer wieder (z. B. Verse 15–20 in einer weiteren Vorred).
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Freundeskreis um Konrad Mutian anspricht, den er in der andauernden seelischen Nähe aufgehoben sieht und Mutian das frostige Preußen mit Hilfe vieler mythologisch gesättigter Anspielungen nahebringt.27
3. Objektbereich Eine grundsätzliche Festlegung der Textsorte Landesbeschreibung muss durch den Objektbereich gegeben sein. Zwei Fragen bleiben allerdings: Wie wird ein zu beschreibendes Land als solches definiert? Welcher Art soll die Beschreibung sein: historisch, geographisch, biographisch oder ethnologisch? Für beides liefern den Humanisten die eingangs genannten Zitate aus Caesar und Tacitus so grundsätzliche Orientierungshilfen, dass sie prägend wirken konnten. Dies gilt nicht nur, wenn man einen Zirkelschluss durchführt und Caesars und Tacitus’ Bedeutung eben daraus erklärt, dass die Autoren der Landesbeschreibungen Humanisten sind. Auch aus sachlichen, strukturellen Gründen bieten die Texte attraktive Anknüpfungspunkte für Textallianzen: Zum einen umschreiben sowohl Germania als auch Bellum Gallicum ihren Objektbereich mit Hilfe von geographischen Merkmalen, zum anderen liefern sie zuallererst ethnologisch-politische Beschreibungen ihrer Objektbereiche. Allerdings sind dies Beschreibungen aus der römischen Antike, also für die Humanisten des 16. Jahrhunderts historische Beschreibungen, die sie auch in historiographischen Elementen ihrer Texte aufgreifen, so dass die verschiedenen Gliederungsmöglichkeiten auf engstem Raum zusammenstehen.28 Nahezu jeder dieser Texte beginnt deshalb zumindest mit einem geographisch-ethnographischen Einleitungskapitel. Das gilt aber genauso für die Nationalgeschichten des Polydor Vergil für England und des Lucius Marineus Siculus für Spanien: Britannia omnis, quae hodie Anglia et Scotia duplici nomine appellatur, insula in oceano contra Gallicum litus posita, dividitur in partes quatuor, quarum unam incolunt Angli, aliam Scoti, tertiam Walli, quartam Cornubienses. Hi omnes vel lingua vel moribus seu institutis inter se differunt.29
_____________ 27 Hessus, Generalis Prussiae descriptio, V. 1–6: »Quam legis hanc Hessus mittit tibi Rufe salutem, / Hinc ubi in aequoreas Vistula fertur aquas / Qui licet et tantis: et tot regionibus absit / Est tamen et praesens: contiguusque tibi / Nam duo quae ratio distantia corpora fecit / Haec animos vinclo proximiore ligat.« Vgl. Kühlmann/Straube (2001), 677–682, dort ist das Gedicht im Anhang vollständig (ohne den einführenden Brief an Sebastian Myricius) abgedruckt, übersetzt und kommentiert (702–711, 705 die Übersetzung des Zitates). 28 Näher dazu in Abschnitt 6 zu den intertextuellen Bezügen. 29 »Ganz Britannien, das heute mit zwei Namen England und Schottland genannt wird und als Insel im Ozean gegenüber der gallischen Küste gelegen ist, ist in vier Teile geteilt, deren einen die Engländer bewohnen, den andern die Schotten, den dritten die Waliser, den vierten die Bewohner von Cornwall. Diese alle unterscheiden sich nach Sprache, Sitte und Einrichtungen.«
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So lauten die ersten Sätze des Polydor Vergil. Siculus betitelt das zweite Kapitel des ersten Buches der De rebus Hispaniae memorabilibus: »De Hispaniae situ et forma« und es beginnt: Hispania cuius formam Iustinus quadratam depinxit et extenso alii corio similiem demonstrarunt, inter Africam et Galliam posita, Oceani freto Pyrenaeisque montibus clausa.30
Diese grundsätzlich räumliche Gliederung unterscheidet die Nationalgeschichten gemeinsam mit den Landesbeschreibungen von den gleichzeitigen panegyrischen Texten, die sich an Monarchen richten. Ebenso unterscheiden sie sich von historiographischen Texten über einzelne Ereignisse, wie über den Schweizerkrieg von Willibald Pirckheimer oder den Texten von Heinrich Bebel und von Conrad Celtis über den böhmischen Krieg, die beides sind: panegyrische Dichtung und Kriegsbericht.31 Während die rhetorische Gestaltung humanistischer Historiographien prinzipiell gleich ist, unterscheiden sie sich also in ihren Themenschwerpunkten. Die Beziehung zur Antike verschiebt sich: Statt des für humanistische Verfahren seit Lorenzo Valla grundlegenden ontologischen Charakters der Sprache32 rückt offenbar die sachliche Bezugnahme auf Sittenschilderung in antiken Schriften in den Vordergrund: Einzigartige Tapferkeit wird übergreifend von den jeweiligen Nationen als Qualität in Anspruch genommen. In der Beschreibung dieser sittlichen Reinheit, die sich auch in einer damit »ambivalenten Kulturferne« äußern kann, wie im Fall der von Celtis in den Amores geschilderten Primitivität der Sarmaten,33 wird der Schwerpunkt humanistischer Landesbeschreibung also in sachlicher Hinsicht ethnographisch. Die in ihrer poetischen Gestalt als Spezialfall auftretenden Amores von Conrad Celtis behaupten auch in der Frage des Objektbereichs einen besonderen Status, da die Gesamtheit der Amores aus vier einzelnen Büchern gebildet wird, die je als eigene Landesbeschreibung aufgefasst werden können. Celtis charakterisiert die einzelnen Teile immer mit Blick auf die anderen Teile und ausgehend von seiner holistischen Gesamtkonzeption. Eigenschaften, die einzelnen Ländern zugeschrieben werden, müssen immer proportio-
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Vergil, Anglica Historia, Liber I. Zu Polydor Vergil der Beitrag von Frank Wittchow in diesem Band mit weiterführender Literatur. »Hispanien, dessen Form Justinus als viereckig beschreibt und von dem andere zeigen, dass es einer Tierhaut gleicht, ist zwischen Afrika und Gallien gelegen, vom Meer begrenzt und den Pyrenäen abgeschlossen.« Marineus Siculus, De rebus Hispaniae, Fol. Ar. Zu Siculus ausführlich mit weiterführender Literatur der Beitrag von Stefan Schlelein in diesem Band. Pirckheimer, De Bello Suitense sive Elvetico (verfasst ab 1517, erstmalig gedruckt 1611); hierzu vgl. Wiegand (2006); Bebel, Ecloga triumphalis (Erstdruck von 1504, hier genutzt die Ausgabe von 1717); Celtis, Laudes et Victoria de Boemannis (1505). Vgl. dazu Gerl (1974). So Robert (2003), 437.
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nal übereinstimmen mit den im jeweiligen Buch beschriebenen Lebensaltern, ihren Temperamenten, der herrschenden Jahreszeit, der jeweils genannten Geliebten und ihrem Charakter.34 Indessen ist die Geburt der Landesbeschreibungen keine allein aus sich selbst heraus in der Transformation antiker Vorbilder. Der Zirkelschluss von den Landesbeschreibungen zu Tacitus und wieder zurück kann so nicht vollendet werden. Dafür gibt es sowohl sozialgeschichtliche als auch literarische Belege. Der Objektbereich eines Landes ist, begrifflich unterschiedlich gefasst, in der spätmittelalterlichen politischen Sprache in Deutschland durchaus präsent, wie nicht zuletzt die Untersuchungen von Enno Bünz zeigen.35 Um bei lateinischer Textsprache dennoch im Bereich des deutschen Sprachraums und politisch in dem des Heiligen Römischen Reiches zu verbleiben, nenne ich als erstes ein Beispiel, mit dem die Abgrenzungsproblematik zugleich in der intertextuellen Dimension virulent wird. Albrecht von Bonstetten verfasste 1480 für Papst Sixtus IV. eine Beschreibung der Eidgenossenschaft in drei Büchern. Die früher entstandene und bereits erwähnte Superioris germanice confederationis descriptio bildet nun als ganzes eines der drei Bücher. Dieser Text stellt die erste historisch-geographische Beschreibung der achtortigen Eidgenossenschaft dar. Es ist ein ethnographischhistoriographischer Text, der die einzelnen Orte und die gesamte Eidgenossenschaft in ihren Familien, Städten und militärischen Leistungen behandelt.36 Das zweite und dritte Buch werden durch diejenigen ereignisgeschichtlichen Texte Bonstettens gebildet, die 1477 und 1479 über die Burgunderkriege entstanden, nämlich die Germanica in Prelia Karoli (Buch 2) und die Historia de desponsatione bzw. de Provisione vacantis ducatus Burgundie et de nonullis que circa illum acta sunt (Buch 3). Regine Schweers betont zu Recht, dass die Einteilung in drei Bücher und die Voranstellung eines gemeinsamen Prologes die Texte zu einer neuen Einheit zusammenfasst. Durch diese Kombination und spezifische Kontextualisierung erweitert Bonstetten den Horizont der einzelnen Schriften und fasst ihn zugleich genauer.37 Statt aber ein halbes Jahrhundert später Bonstetten zu erwähnen, lobt Aegidius Tschudi (1505–1572), der in den dreißiger Jahren des 16. Jahrhunderts selber eine Chronik der Schweizer schrieb, Heinrich Glarean (1488–1563) als »minem _____________ 34 Vgl. Wiener u. a. (2002). 35 Vgl. Bünz (2005); er belegt die Bedeutsamkeit des Begriffes Land, der bei aller Uneindeutigkeit in sehr unterschiedlichen Zusammenhängen zu finden ist, so z. B. in seiner Bedeutung für die Landesfürsten und für den Zusammenhang von Herrschaftsinstrument und Herrschaftsraum (76), so z. B. aber auch in der Diskussion bäuerlicher Landesmodelle (87). Zum schwäbischen Beispiel vgl. jüngst Mertens (2005), im gleichen Band. Vgl. aber auch die Untersuchung zu spätmittelalterlichen landesgeschichtlichen Sammelhandschriften von Leng (1999); sowie älteres zusammenfassend Irsigler (1996). 36 Schweers (2005), 79. 37 Ebd., 95 f.
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günstigen herren, preceptor und verwandten, der hat by uns von erst die alten nammen harfür gezogen, welchs domaln schier für unerhört geacht ward, uss lang verlegner ungewohnheit.« Und auch »Glarean sagt selber, er sei der erste gewesen, der eine Beschreibung der Schweiz geschrieben und ein Loblied auf sie gedichtet habe.«38 Der von Bonstetten durchaus ähnlich wie bei Glarean und später bei Tschudi gefasste Objektbereich führte also nicht dazu, Bonstettens Rezeption anhaltend aufrecht zu erhalten, obwohl festzuhalten bleibt, dass er auf ein aktuelles Bedürfnis reagiert zu haben scheint. Gerade für sich neu formierende Gemeinschaften wie die Eidgenossenschaft erscheinen offensichtlich ethnographisch orientierte Landesbeschreibungen attraktiv: Mit dem Rückgriff auf antike Kategorien und in Verbindung mit dem rhetorischen Genus der Epideiktik kann ein Alternativkonzept zur monarchisch orientierten Gemeinschaft propagiert werden, worauf Thomas Maissen hingewiesen hat: »Was sich in der Eidgenossenschaft ebenfalls um 1500 abspielt, ist die kulturelle Bildung eines Herzogtums ohne Herzog – das ist ihre natio, ihr historischer Ursprung.«39 Zwei Dinge müssen allerdings für die räumliche und ethnische Fassung des Objektbereichs angemerkt werden: Erstens heißt das in einem monarchisch verfassten Staat wie Frankreich nicht, dass das Gallia-Konzept humanistischer Geschichtsschreibung, das auf Caesars Beschreibungen zurückgreift, unattraktiv ist. Es bedeutet zwar eine Erweiterung der Legitimationsbasis, mit dem sich politische Akteure seinerseits unabhängig von der Zentralgewalt und dem Zugriff des Königs machen können. Da mit Gallia mehr gefasst werden kann als mit Francia, eröffnet eine Anwendung des Konzepts aber zugleich dem Monarchen neu legitimierte Zugriffsmöglichkeiten: denn die Belgier sind der tapferste Stamm der Gallier. Dass diese Bemerkung aus Caesars Bellum Gallicum wichtig ist, zeigt das Beispiel des Jean Bouchet (1476–1550), der sich in seinen Annales de l’Aquitaine auf sie bezieht, um seine Landesbeschreibung zu rechtfertigen und Aquitanien zu kontextualisieren. Er beschreibt also (ganz im Stil einer Gallia illustrata) die verschiedenen Teile, darunter eben auch La Gaule Belgique.40 Die Möglichkeiten, eine Nation in einer ethnischen Geschichtsschreibung auch ohne oder wenigstens gegen den monarchischen Heroen zu interpretieren, nutzt dann gerade in Frankreich François Hotman in seiner Francogallia in der konfessionellen Auseinandersetzung.41 Zweitens bedeutet für die Schweiz der Zugriff auf das Helvetia-Konzept nicht, dass der Weg der Eidgenossenschaft mit ihm zwangsläufig aus dem Reich herausführen musste. Es ist eine offene Option, die die Geschichtlichkeit des Nationskonzepts hervorhebt. _____________ 38 Für beide Zitate: Bernoulli, 20 f. in Glarean, Helvetiae descriptio. 39 Maissen (2002), 246 f. 40 Bouchet, Annales, Feuillet 1 f., 1. Kapitel: »Description des Gaules«, erster Abschnitt: »La Gaule Belgique«; es folgen »La Gaule Celtique« und »La Gaule d’Aquitaine«. 41 Vgl. Hotman, Francogallia; zu François Hotman vgl. Bouvignies (2006).
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Allerdings ist es deutlich, dass in monarchisch verfassten Gemeinwesen sehr viel stärker ein personales Element diejenigen Texte prägt, die zu Landesbeschreibungen gezählt werden können, als es bei den Schweizer Texten der Fall ist. Das gilt in besonderem Maße für die Austria des Johannes Cuspinian (1473– 1529), das gilt ebenfalls für die Chronik der Sachsen und Thüringer des Georg Spalatin (1484–1545), die eigentlich als eine deutschsprachige Chronik der Herrscher in Thüringen zu bezeichnen ist, zu der landesbeschreibende Elemente nur als minimaler Zusatz erscheinen. Die in anderen Texten breit erzählte Frühgeschichte des jeweiligen Landes und seiner Bewohner wird hier nur kurz abgehandelt, die Beschreibung seiner geographischen Lage bleibt auf wenige Zeilen beschränkt.42 Ebenso hat Frank Wittchow bei Polydor Vergil festgestellt, dass der Beginn der eigentlichen geschichtlichen Erzählung durch den landesbeschreibenden Teil nur aufgeschoben wurde. Der historiographische Teil im engeren Sinne ist dann ganz einfach nach den Königsherrschaften gegliedert.43 Noch deutlicher ausgeprägt ist der Versuch, beides zu schreiben und den historiographischen Teil von einem geographisch-ethnographischen Teil zu trennen, bei der spanischen Nationalgeschichte des Marineus Siculus, deren erste fünf Bücher als eine Landesbeschreibung weitgehend ohne diachrone Strukturelemente charakterisiert werden können.44 Jean Bouchet hat das Ungleichgewicht der unterschiedlichen Elemente seiner Darstellung dadurch gemildert, dass er aus den genannten Annales de l’Aquitaine ein auf Personen zentriertes Handbuch Anciennes et modernes genealogies des Roys de France als eigenes Werk ausgegliedert hat, das sich nicht speziell auf Aquitanien bezieht.45 Eine solche personale Prägung leuchtet ein, wenn den humanistischen historiographischen Schriften unterstellt wird, sie sollten Herrschaft legitimieren: Wenn Geschichtsschreibung eine solche Aufgabe erfüllen können soll, muss sie den Herrschaftsformen und der Begründung der Herrschaft adäquat sein, auf semantischer wie auf narrativer und struktureller Ebene. Wenn Herrschaft also – wie in einer Monarchie – primär personal verfasst ist, muss auch die Geschichtsschreibung personal strukturiert werden und die Herrscher in den Mittelpunkt der Erzählung stellen. Der Bezug auf das Land kann dann nur als sekundär hinzutreten. _____________ 42 Spalatin, Chronik: Der 3. Band der Coburger Handschrift beginnt mit einer Seite »Vom Lanndt zů Důringen« (Fol. 3r); es folgt eine Seite »Vonn der Düringen Vrsprůng.« (Fol. 3v); beide Texte umfassen weniger als 20 Zeilen bei einem Gesamtumfang der drei Bücher von fast 1 000 handschriftlich beschriebenen Blättern. Vgl. künftig die 2009 erscheinende, von Christa Meckelnborg und Anne-Beate Riecke hg. Edition samt Kommentar. 43 Vgl. den Beitrag von Frank Wittchow in diesem Band. 44 Marineus Siculus, De rebus Hispaniae, fol. 1r–33r; vgl. hierzu Rivera Martín (2003), XLIII– XLVIII. 45 Vgl. grundsätzlich Brittnel (1986), 113–155, im Anhang Nr. 10 die bibliographischen Notizen zu den Annales (313 ff.) und Nr. 13 zu den Genealogies (318 ff.); sowie Rech (2003).
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Außer den Nationalgeschichten erhalten die Landesbeschreibungen durch den geographisch-ethnographisch gefassten Objektbereich andere aktuelle Nachbartexte wie Reisebeschreibungen, Entdeckerberichte und einige Kommentare, wie denjenigen des Joachim Vadian zur Chorographie des Pomponius Mela. Die grundlegende Differenz all dieser Texte zu den Landesbeschreibungen kann summarisch so umschrieben werden, dass in diesen Texten nicht das eigene Land zum Thema wird, wenigstens nicht zum alleinigen Thema. Die umfassendste Sammlung ethnographischer Berichte stellt das in Augsburg 1520 erstmals gedruckte Kompendium Omnium gentium mores leges et ritus des Johannes Böhm aus Aub dar. Andreas Althamers Nachrede im Erstdruck formuliert als Darstellungsziel, die Träger öffentlicher Verwaltungsämter zu unterrichten. Mit diesem Motiv erklärt die moderne Forschung die Tatsache, dass in vielen Kapiteln des Werkes die Rechtsverhältnisse besonders akzentuiert sind. Geographische und historische Daten liefere Böhm nur zur knappen Orientierung und widme sich desto ausführlicher den Lebensgewohnheiten, der Rechtspflege und den religiösen Riten.46 Johannes Böhm betreibt damit eine Art vergleichende Ethnologie – man könnte zuspitzend auf den hier interessierenden Zusammenhang sein Buch vom Objektbereich her als eine Reihung mehrerer Landesbeschreibungen mit schwach ausgeprägtem historiographischem Anteil bezeichnen. Mehrere der von Raible skizzierten textlichen Dimensionen werden bei der Beobachtung berührt, dass manch eine Landesbeschreibung als Teil einer Serie verstanden werden kann oder sich sogar als ein Teil eines größeren Ganzen geriert; eines größeren Ganzen aber, dessen einzelne Teile von verschiedenen Autoren verfasst werden. Der Objektbereich des einzelnen Textes verweist dann auf ein herzustellendes größeres Ganzes, wenn es darum geht, aus je einzelnen Landesbeschreibungen etwa eine größere Germania illustrata zu gewinnen, Intertextualität wird also zu einem wesentlichen Moment. Ein solcherart auf Vernetzung angelegter Text konstruiert und strukturiert sein Objekt unabgeschlossener als ein Text, der primär auf seinen eigenen Gegenstand, allein auf sein Land bezogen geschrieben worden ist. Gleichzeitig kann dieses Problem nicht nur veranschaulichen, dass die Trennung der unterschiedlichen Dimensionen eines Textes eine rein analytische ist, die verbundene Phänomene künstlich zu trennen vermag, um ihre je eigene Bedeutung erkennen zu lassen. Darüber hinaus schärft diese Beobachtung auch den Blick dafür, dass alle relevanten textlichen und sprachlichen (linguistischen oder literarischen) Phänomene zugleich sozialer Art sind. Die Polysemie des Begriffs Nation im frühen 16. Jahrhundert zum Beispiel, auf die Hans Grünberger und Herfried Münkler hingewiesen haben und auch die Vieldeutigkeit des Begriffs der patria, die zuletzt in unserem Zusammenhang Caspar Hirschi mit sozialgeschichtlicher Perspektive thematisiert hat, fokussieren dieses
_____________ 46 Vgl. Kugler (2005), hier 212 ff.
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mögliche Ineinandergreifen mehrerer Landesbeschreibungen, da natio und patria zumindest in den deutschen Texten in changierenden Bedeutungen verwendet werden.47
4. Strukturierung Ebenso wie der Objektbereich unter Bezug auf römische Antike definiert wird, gelingt so auch die innere Strukturierung humanistischer Landesbeschreibungen. Ein typischer Einleitungssatz bei Caesar lautet (Gall., VI, 11, 1 zur Einleitung des Gallier- und Germanen-Exkurses) »An diesem Punkt des Berichts scheint es nicht unangebracht zu sein, die in Gallien und Germanien herrschenden Sitten zu schildern und aufzuzeigen, worin sich diese Völkerschaften voneinander unterscheiden.« Der chronologische Bericht wird zugunsten ethnologischer Beobachtungen unterbrochen. Wie Tacitus seine Germania gliedert, lässt bereits sein Eingangskapitel erkennen: Ihn beschäftigt die Ursprungsfrage und er berichtet, was ungewöhnlich, abweichend und ihm deshalb als typisch erscheint.48 Diese Interessen des Tacitus können mit der für die humanistische Wissensverarbeitung zentralen Kategorie der loci bzw. der Topik konzeptionell nachgeformt werden. Als gängiges Verfahren wird von vielen Humanisten selbst beschrieben, wie Referenzen aufgesplittert und im wahrsten Sinne des Wortes verzettelt werden.49 Dass die Informationen auf diese Weise vereinzelt wurden, führt zu einer Wechselwirkung mit der Entwicklung der Autorfigur: Das »produktive« Lesen macht den Leser zum Autor eines neuen, transformierten Textes.50 Topik scheint fest verbunden mit der Nutzbarkeit gelehrten Wissens zu sein, denn praktische Relevanz und Nutzen stehen im Vordergrund humanistischen Wissenschaftsverständnisses: Humanistische Texte wollen nicht hermetisch sein. Die Effizienz der Topik beweist sich darin, dass sie Wissen in verschiedensten Kontexten und Diskursen nutzbar werden lässt.51 Zudem ist es gerade in Bezug auf die Methodik der humanistischen Historiographen, die die Augenzeugenschaft als Grundlage für ihre Schriften hervorheben, wichtig, zu betonen, worauf Wolfgang Neuber hingewiesen hat: dass jedwede Autopsie der humanistischen Autoren sich innerhalb einer topisch gesteuerten Textkonstitution bewegt.52 _____________ 47 Vgl. Münkler/Grünberger (1994), 219; Hirschi (2005), 122 f. Als Beleg aus den Landesbeschreibungen vgl. Hasse (2003), 122 f., ein Zitat aus Melanchthons Encomium Sueviae (1527), in dem von der Nation der Schwaben und den verschiedenen gentes in Deutschland die Rede ist. Siehe unten in Abschnitt 5 die Bemerkungen zur Semantik humanistischer Historiographie. 48 Vgl. Müller (1980), 82. 49 Eingängig anhand eines späteren jesuitischen Beispiels Neumann (2001); ähnlich Blair (2003). 50 Vgl. Grafton (1999). 51 Vgl. Lembke (2004), 356. 52 Vgl. Neuber (2000), 252.
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Wie sich die Topik in den Verfahren der Landesbeschreibungen selbst manifestiert, möchte ich wiederum anhand der preußischen Landesbeschreibung des Erasmus Stella wenigstens in Ansätzen zeigen. Die Gliederung ähnelt in vielem anderen Landesbeschreibungen signifikant: In Buch I werden Lage und Grenzen, die ältesten Bewohner und Eigentümlichkeiten des Landes, seine Fauna beschrieben: Als auffällig werden in der Forschung zumeist zwei Elemente hervorgehoben: Zum einen Stellas Schilderungen des Bernsteins. Er kombiniert allgemeine Bemerkungen des Tacitus zum Bernstein [45, 4 ff.] mit eigener Anschauung, die korrigierend wirken soll. Zum anderen Stellas Beschreibung der Ansiedlungshistorie: Nach Abzug der ältesten Bevölkerungsgruppen sei nur im Culmer Land eine kleine germanische Restgruppe geblieben. Sie dient Stella zum Nachweise einer »deutschen« Kontinuität bis zur Ankunft des Deutschen Ordens im 13. Jahrhundert. Frühere Forscher störten sich am Durchbrechen des »geordneten chronologischen Ablaufs« durch das »willkürliche Zusammenstellen von Diskursen und Auswerten von Quellen«, zu dem er erst im zweiten Buch wieder zurückgekehrt sei.53 In diesem Buch beschreibt Stella die Verfasstheit, die Religion, weitere ethnologische Einzelheiten und schließlich kriegerische Kämpfe und Auseinandersetzungen. Das zweite Buch läuft historisch auf den Beginn der Ordensherrschaft in Preußen zu, die den Zielpunkt der Darstellung bildet, so werden Konflikte geschildert, die sich zwischen Pruzzen und Polen auf der einen Seite und dem masowischen Herzog auf der anderen Seite ereignet hatten. Stella fügt in seinen beiden Büchern die gleichen loci aneinander, die David Chytreaeus 1556 in seiner Rhetorik als notwendige topoi für laudationes regionum nennen sollte.54 Chytraeus führt zwar als Beispiel die Disposition seiner eigenen Lobrede auf Westfalen von 1555 an, bezieht sich aber dort auch auf Philipp Melanchthons Lobreden auf Schwaben, Franken und die Region Meißen. Er nennt acht zu behandelnde loci, nämlich die geographische Lage, die alte und neue Namensgebung, die res gestae der alten Einwohner, die tugendhaften Fürsten, die Form der politischen Regierung, Kirchen und Schulen, die Menge der Städte und schließlich die Fruchtbarkeit des Bodens.55 In der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts werden damit ausdrücklich als Ergebnis einer längeren praktischen Gewohnheit die notwendigen Gegenstände einer Landesbeschreibung normativ festgeschrieben. Reisebeschreibungen, die ja einen vergleichbaren Objektbereich behandeln, ordnen ihren Gegenstand einerseits ähnlich, da sie offensichtlich ebenfalls eine topische Strukturierung vornehmen. Das am besten in dieser Hinsicht erforschte Beispiel liefert der ethnographische Bericht des Sigmund von Herberstein über _____________ 53 Schoenborn (1938), 63 f. 54 Hasse (2003), 129. 55 Ebd., zitiert die Erstausgabe der Praecepta rhetoricae inventionis des David Chytraeus, erschienen in Wittenberg 1556; vgl. auch in Melanchthon, Oratio in qua Mysorum regio et gens describitur, hier 157, die Gliederung durch die Editoren Hans-Peter Hasse und Andreas Gößner.
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seine russische Reise.56 Aus diesem Beispiel wird andererseits deutlich, dass andere strukturierende Merkmale, die für humanistische Landesbeschreibungen charakteristisch zu sein scheinen, hier ungültig sind. Offensichtlich wird zwar der Objektbereich als eine geographische Einheit gedacht, doch sind für seine Ordnung die Formulierungen des Tacitus und des Caesar weniger präsent als in den Landesbeschreibungen. Die topische Reihung folgt hier eher dem individuellen, teils imaginierten Reiseverlauf. Den einzelnen Landesbeschreibungen ähnelt in dieser Hinsicht die geographische Beschreibung in De situ orbis von Pomponius Mela. Der Schweizer Humanist Joachim Vadian hat gegen Ende seiner Tätigkeit an der Wiener Universität eine Ausgabe dieser Schrift aus dem ersten Jahrhundert nach Christus veröffentlicht, die sich durch ihren ausführlichen ethnographischen Kommentar von anderen nahezu gleichzeitigen Ausgaben wie der von Johannes Cochlaeus von 1512 signifikant unterscheidet.57 Zwar werden dem Text des Pomponius Mela aus moderner Sicht zahlreiche Mängel attestiert, so heißt es, er habe aus literarischen und aus alten Quellen geschöpft, daraus hätten sich Anachronismen und Missverständnisse sowie Unkorrektheiten ergeben. Dennoch heißt es zugleich, er besitze eine klare Gliederung im Großen wie im Kleinen.58 Dies hat wohl mit dazu beigetragen, dass dieses einzigartig erhaltene Werk aus der Antike im 16. Jahrhundert einen eminenten Platz als Lehrbuch erhalten hat. Eine andere Begründung für seinen Erfolg liefert die Art, wie die humanistischen Gelehrten mit dem Text umgehen konnten. Grundlage für die humanistische Praxis ist der enzyklopädisch umfassende Charakter des Buches. Den Ausgangspunkt kann man von einer Bemerkung im Text des Pomponius Mela nehmen: Eigentlich sei es unnötig Italien zu beschreiben, bemerkt Mela und beschreibt es dann gleichwohl in großer Ausführlichkeit.59 Melas Bücher über den Erdkreis können in der Differenzierung des Ptolemaios zwischen Kosmographie und Chorographie der letzteren zugeordnet werden, die in einer erschöpfenden Weise umfassend aber unverbunden eine Menge an Einzelheiten darstellen wolle. Wenn der Kosmograph von Ptolemaios mit dem Maler verglichen wird, der den ganzen Kopf darstellen will, so ist im Gegensatz dazu der Chorograph derjenige, der sich auf ein isoliertes Detail konzentriert.60 Die prinzipielle Gleichrangigkeit aller berichteten Elemente ermöglichten es, in der Bearbeitung neue, eigene Schwerpunkte zu setzen, und einzelne _____________ 56 Vgl. Lembke (2004). 57 Zu dieser Ausgabe und über den Zusammenhang mit der Brevis Germaniae descriptio des Cochlaeus vgl. Müller (2004), besonders 175 f. 58 Müller (1980), 124. 59 Stauber (2005), 285–314. 60 Ptolemaios, Handbuch der Geographie, 1. Kapitel in der Übersetzung der modernen Ausgabe von Stückelberger u. a., 53: »Das Ziel der Chorographie dagegen ist auf die Darstellung des Einzelnen ausgerichtet, wie wenn jemand nur ein Ohr oder ein Auge abbilden wollte, während das Ziel der Geographie auf die Gesamtbetrachtung ausgerichtet ist, gleich wie wenn jemand den ganzen Kopf abzeichnet.«
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Abschnitte besonders hervorzuheben, ohne dass dies von der Textstruktur her vorgegeben wäre, aber eben auch ohne dass diese dadurch gestört würde. Dieser Möglichkeiten bedient sich Vadian in seiner Edition. Schon der Index mit seiner Gliederung sorgt dafür, dass der Abschnitt zu »Helvetia« als hervorgehobenes Kapitel wahrgenommen werden kann. Im Index der ersten Ausgabe von 1518, der prinzipiell streng alphabetisch gehalten ist, werden nicht erst bei »He«, sondern schon zu Beginn des Buchstabens H in einer hervorgehobenen, graphisch abgesetzten Weise alle loci zu den Schweizern aufgeführt. Der Umfang des Kommentars im Verhältnis zum Text verstärkt die Abschnitte »Helvetia« und »Germania« eklatant gegenüber anderen, vergleichbaren Abschnitten. Zugleich ist aber der rhetorische Charakter des Textes epideiktisch, also der einer Lobschrift – wie es die Marginalien und die loci des Index schon aussprechen: Helvetiorum laus heißt es an einer Stelle, die im Tonfall humanistischer Panegyrik gleichzustellen ist. In der zweiten Ausgabe von 1522 ist neben einigen anderen Exkursen, die Vadians wissenschaftliches Interesse an bestimmten Themen widerspiegeln,61 diese Landesbeschreibung noch erweitert. Nicht zuletzt gilt dies für ihre soziale und kulturelle Bedeutung, da die Gelehrsamkeit der Deutschen durch die forcierte Nennung von Namen noch verstärkt hervorgehoben wird. Deutsche und Schweizer erscheinen nicht als prinzipiell gegensätzliche Einheiten, eher sind die Schweizer Teil der deutschen Nation. Vadian betont das in seinem Kommentar selber: Die Schweizer sind heute Deutsche, Helvetii hodie sunt Germani heißt dies in seiner Diktion, und er bezieht sich damit ganz deutlich auf die politische Verfasstheit der Eidgenossen und ihre Zugehörigkeit zum Reich. Wenn Johannes Böhm aus Aubs Kompendium als eine universal ausgerichtete Sammlung von ethnographischen Berichten hinsichtlich des Objektbereichs62 zu einem den Landesbeschreibungen und der Edition des Pomponius Mela durch Joachim Vadian vergleichbaren Text wird, so ist seine Strukturierung deutlich von ihnen getrennt. Zwar diskutiert Böhm zu Beginn seines Werkes in Auseinandersetzung mit antiken Schriftstellern die zivilisatorische Entwicklung. Als einzig möglich organisierendes Prinzip fasst der Kleriker allerdings gerade nicht die Ausrichtung auf das imperiale Rom: Allein die christliche Heilsbotschaft habe die Anfänge der Menschheit, die Ausbreitung der Völker über die Erde und ihre zivilisatorische Entwicklung bewirken können. Irrtum und Aberglauben seien die Folge für die nichtchristlichen etnici. Diese Diagnose hindert Böhm nicht daran, den zivilisationstheoretischen Grundgedanken der Existenz von etnici aus den antiken Schriftstellern zu übernehmen: Die nach der Sintflut über die Welt zerstreuten Völker hätten aus primitivsten Anfängen heraus im Überlebenskampf gegen die wilde Natur zur Ausbildung ihrer je verschiedenen Sprachen und Gemeinschaftswerke gefunden, hätten freilich auch, vom Irrglauben geleitet, ihre _____________ 61 Vgl. hierzu Frohne (2004) und (2006). 62 Vgl. oben bei Anm. 46.
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Errungenschaften allzu oft wieder verspielt.63 Auf die grundlegende konzeptionelle Schaltstelle, die aus der Anwendung des Prinzips folgt, machen sowohl Vogel als auch Kugler aufmerksam. Es handelt sich um das letzte Kapitel des zweiten Buches, mit dem Titel De Christianis, eorumque origine et ritibus. Es folgt unmittelbar auf die Schilderung der muslimischen Riten im Kapitel De Turcia. Im unmittelbaren Anschluss beginnt das dritte Buch mit einem Kapitel De Europeis memorabilioribus gentibus. Nicht also Rom erscheint als Fixpunkt, sondern das Christentum. Kugler deutet diese Ordnung geradezu als eine zivilisatorische Kampfstellung, wenn er resümiert, in der Grenze zwischen Asien und Europa sei die ›Frontlinie‹ zwischen Islam und Christentum identifiziert.64 Landesbeschreibende Elemente – so hat sich gezeigt – können also Teile anderer Textsorten wie der Reisebeschreibungen oder von Chorographien und Ethnographien bilden, ihr Umfang, ihre Strukturierung wie auch ihr eigenes Gewicht innerhalb der Schriften hängen dann von diesen übergeordneten Texten und deren Intentionen ab. Und das gilt nicht nur für ethnographisch-geographisch strukturierte Texte, wie Pirckheimers Geschichte des Schweizer Kriegs verdeutlichen soll: Eine geographisch-ethnographische Landesbeschreibung und Schilderung der Urgeschichte der Eidgenossen wird als notwendiger Vorlauf zur Ereignis(Kriegs-)Geschichte begriffen.65 Doch auch die als klassische Landesbeschreibung aufgefasste Austria Johannes Cuspinians bietet mit ihrer monarchischen und personalen Orientierung ein Beispiel für eine alternative Strukturierung, in der ein geographisch-ethnographischer Teil überspitzt lediglich als Anhängsel der biographischen Geschichtsschreibung charakterisiert werden könnte.66
5. Sprachliche Darstellungsweise Auf sprachlicher Ebene können mehrere Bereiche benannt werden, die die jeweiligen Texte charakteristisch formen. In den Beispielen, die diese textliche Dimen_____________ 63 Es handelt sich um die beiden eröffnenden Kapitel in Böhm, Omnium gentium mores, Liber I: De Origine Hominis, De Aphrica; das erste ist betitelt: »De origine hominis, opinio theologorum vera«; das zweite Kapitel heißt: »De origine hominis, opinio Ethnicorum falsa«; Vgl. hierzu Vogel (1995), 27 ff. 64 Kugler (2005), 212 ff. 65 Pirckheimer, De bello Suitense, die Ankündigung im Prooemium: »Verumenimvero priusquam huius belli series explicetur, Elvetiorum originem ac res gestas altius repetendas esse.« »Bevor ich mit der Schilderung dieses Krieges beginne, scheint es mir jedoch notwendig, das Herkommen der Schweizer und ihre früheren Taten in Erinnerung zu rufen.« Die hier zitierte Übersetzung in der verwendeten Ausgabe stammt von Fritz Wille. 66 Cuspinian, Austria: Das erste Buch (7–54) behandelt die »duces Austriae«, das zweite Buch (54–71) setzt nach einem Epilog und mit einem Widmungsbrief an Bernhard Cles neu ein und heißt ausdrücklich: Austriae Regionis descriptio. Vgl. hierzu Ankwicz-Kleehoven (1959), 246 ff.
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sion umschreiben sollen, nennt Raible so grundlegende Dinge wie die Länge eines Textes und den Typ des Sprechaktes, also etwa ob ein Text z. B. eher argumentiert oder eher erzählt. In diesem Zusammenhang spielt auch die grundsätzliche literarische Form eine Rolle, ob es sich also z. B. um Prosatexte oder um Verse handelt. Auffällig für die Heterogenität der aufgrund ihres Objektbereichs als Landesbeschreibungen identifizierten Texte ist die große Varianz innerhalb dieser TextDimension. Auf dem ganz grundsätzlichen Gebiet der sprachlichen Form lässt sich keinerlei eindeutige Linie feststellen. Preußen wird beispielsweise in der Descriptio des Eobanus Hessus mit knapp 200 Versen bedacht. Daneben stehen die vier umfänglichen Vers-Bücher der Amores, noch stärker kontrastierend aber die als umfängliche Prosaschrift verfasste Pomerania des späteren Reformators Johannes Bugenhagen. Das Bild vervollständigen Reden wie diejenigen des Melanchthon z. B. zum Lob des Landes Meissen und die diesem Vorbild folgende Rede des David Chytraeus zum Lob Westfalens. Umso erstaunlicher aber ist es, dass dieser großen Varianz keine ebenso große Vielfalt in der rhetorischen Gestaltung und im sprachlichen Duktus entspricht. Konkret lässt sich dies an einigen Beispielen belegen: Johannes Cuspinian artikuliert, um seine Austria zu rechtfertigen, ein geradezu zum Fundament humanistischer Geschichtsschreibung gehörendes Argument: Diese Geschichte Österreichs und seiner Landesfürsten schreibe er, weil die ausländischen Schriftsteller viele Irrtümer verbreiteten, deshalb habe er aus den ältesten und glaubwürdigsten Schriftstellern und Dokumenten die zuverlässigsten Nachrichten zusammengestellt.67 Die aufzuführenden Autorennamen und Werke sind hier nahezu austauschbar. So heißt es sehr ähnlich bei Robert Gaguin (1433–1501): Zum Ruhm Frankreichs, zur Verteidigung französischer Kultur gegen italienische Anwürfe habe er sein 1495 erstmals gedrucktes Compendium de origine et gestis Francorum verfasst.68 Ebenso lässt Jean Bouchet im Prolog zu seinen Annales de l’Aquitaine Mitte des 16. Jahrhunderts die Historiker Revue passieren, die zum Ruhm Roms, Deutschlands oder Frankreichs beigetragen hätten und belegt damit die Notwendigkeit seines Buches, das Aquitanien unabhängig von einer Geschichte Frankreichs zu ihrem Recht verhelfen soll.69 Der Ruhm des Landes also, der ansonsten verschwiegen werde, ist das Darstellungsziel und ostentativer Schreibanlass der Landesbeschreibungen, den sie mit humanistischer Geschichtsschreibung im Allgemeinen teilen. Programmatisch wird dieses Ziel ausgedrückt in den Dichterkrönungsurkunden oder auch in der
_____________ 67 Cuspinian, Austria, 7 im »Prooemium in Vitam Leopoldi«: »Et ob id innumeri sunt orti a scriptoribus Italicis errores in Germanicis historiis«. 68 Zitiert nach Collard (1995), 69. 69 Bouchet, Annales, »Prologue«.
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Rede des Conrad Celtis an der Universität Ingolstadt,70 in nur wenig variierenden Formulierungen findet sich das Ziel auch in den Proömien und den Widmungsschreiben der meisten historiographischen Texte. Als Beispiel einer historiographischen Arbeit neben den Landesbeschreibungen kann noch einmal Pirckheimers Geschichte des Schweizer Kriegs dienen. Hier wird der Schreibanlass nicht nur auf das eigene Thema bezogen, sondern – Ciceros De Oratore und Sallusts Schrift über Catilina zitierend – für jedwede Geschichtsschreibung formuliert: Qui regum, gentium, aut populorum res gestas conscribere aggrediuntur, identidem sub initium in historiae laude versari consueverunt, eam temporum testem, veritatis lumen, memoriae conservationem, magistram vitae, vetustatis nunciam esse contendentes, cuius ope egregia hominum facta a temporis vindicentur iniuria, planeque immortalitati commendentur. Mihi vero haud quaquam ita praefari licet, sed cogor potius de Germanicae gentis infortunio, aut etiam calamitatem conqueri, quod tam paucos, seu (ut rectius dicam) fortita sit scriptores, qui ingentia illius, et celeberrima facta memoriae, ut decuisset, mandassent, cum omnes res gestae tantae habeantur, quantum ea verbis (ut ille ait) praeclara potuere extollere ingenia.71
Erst das dauerhafte Zeugnis der Historiographen sorgt also in den Augen des humanistischen Geschichtsschreibers dafür, dass sowohl die Leistungen Einzelner wie auch diejenigen eines Volkes angemessen gewürdigt werden. Zwar soll die Geschichte das Licht der Wahrheit bringen und mit ihm Lehrmeisterin fürs Leben sein, doch unmissverständlich als herausragende Aufgabe des Historikers beschrieben wird, einem jeden den ihm gebührenden Rang in der Konkurrenz der Personen und der Völker zukommen zu lassen und deshalb die vernachlässigte Geschichte der deutschen Völker zu schreiben. Die Differenzierung dieser so unterschiedlichen epideiktischen Texte nach ihrer literarischen Form geschieht erst in der längerfristigen Rezeption – es ist dies ein Beleg für das dynamische und eben nicht dauerhaft feststehende Verhältnis der textlichen Dimensionen im Sinne Raibles: Der Gebrauch definiert die Texte mit. Die Prosaschriften zeigen auf Dauer eine stärkere Affinität zur Ver_____________ 70 Vgl. Schirrmeister (2003), besonders 202 ff., im Anhang (273 ff.) Abdruck zweier Dichterkrönungsurkunden; Celtis, Oratio, 5, 15. 71 Pirckheimer, De bello Suitense, Prooemium, die Übersetzung von Fritz Wille (17): »Die meisten Historiker haben in der Regel mit einem Lob auf die Geschichte begonnen, wenn sie die Unternehmungen von Königen, freien Republiken und Völkerschaften darstellen wollten. Sie sagen, die Geschichte sei Zeuge vergangener Zeiten, eine Leuchte der Wahrheit, Bewahrerin des Andenkens, Lehrmeistern für das Leben und Verkünderin vergangener Ereignisse. Dank ihrer Hilfe würden hervorragende menschliche Leistungen vor ehrenrührigen Schmähungen der Zeitgenossen in Schutz genommen und völlig unversehrt der Nachwelt überliefert. Ich kann keineswegs so beginnen; ich fühle mich vielmehr veranlasst, das unglückliche Schicksal des deutschen Volkes zu beklagen. Ihm waren nur wenige, besser gesagt überhaupt keine Geschichtsschreiber beschieden, die das Andenken an seine aussergewöhnlich ruhmreichen Leistungen in gebührender Art hätten bewahren können. Jegliche Leistung wird nämlich nur so hoch bewertet, ›wie sie zuvor von Geistesgrössen mit Worten bekannt gemacht wurde‹, so sagte einmal jemand.« Vgl. zu den intensiven Bezugnahmen auf antike Historiographie Wiegand (2006).
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wendung im universitären Zusammenhang und in historiographischen Sammelschriften, wo sie als quellenähnliche Berichte behandelt werden, während die poetischen Beschreibungen insgesamt weniger rezipiert worden zu sein scheinen (und dann eben auch eher als Dichtungen und nicht mehr als historiographische Texte wahrgenommen werden). Allerdings gilt dies nur in sehr langfristiger Weise, wie die Aufnahme der Ecloga triumphalis des Heinrich Bebel über den Sieg Kaiser Maximilians im Böhmischen Krieg von 1504 in die Sammlung Rerum Germanicarum Scriptores von Marquard Freher (1565–1614) veranschaulicht.72 Über diese von Raible als Beispiele bereits genannten Elemente sprachlicher Darstellung hinaus aber ist es sehr aufschlussreich, die Semantik der Texte zu vergleichen. Auf diesem feingliedrigen Gebiet der sprachlichen Darstellungsweise liegt künftig ein Schwerpunkt der analytischen Arbeit des SFB-Projektes zur humanistischen Historiographie.73 Dass die semantischen Differenzen grundlegende Entscheidungen signalisieren, zeigt z. B. die Gegenüberstellung terminologischer Differenzen zwischen Albrecht von Bonstetten und dem Ulmer Dominikaner Felix Fabri, der Ende des 15. Jahrhunderts in den Anhang an seinen Reisebericht vom Hl. Land eine Landesbeschreibung Schwabens setzt, auf der einen Seite und Heinrich Glarean und Johannes Nauclerus auf der anderen. Für Felix Fabri ist Helvetia ein Teil Schwabens, sind die Schweizer also eigentlich Schwaben. Bonstetten spricht ebenfalls nie national gewendet von den Helvetii, sondern lediglich von den Confoederati.74 Bei Heinrich Glarean und in der Nauclerus-Chronik dagegen ist es unter Rekurs auf antiken Sprachgebrauch umgekehrt, wie Thomas Maissen hervorgehoben hat: Die Eidgenossenschaft wird so nicht mehr bloß als confoederatio, als noch relativ junger und lockerer Landfriedensbund verstanden, sondern sie verfügt seit Jahrhunderten über ein Volk und ein Territorium – Helvetia.75
Damit kann ich auf die Frage zurückkommen, warum Bonstettens Pionierarbeit zur Schweiz nicht rezipiert wurde:76 Solche grundlegenden semantischen Differenzen betreffen die Definition des Objektbereichs. Die in dieser Frage grundlegend unterschiedliche sprachliche Darstellungsweise ist die eigentliche Grundlage für sonst pauschal gefällte Urteile, dass Bonstettens Schriften nicht dem humanis_____________ 72 Die Linie lässt sich sogar noch ins 18. Jahrhundert verlängern, wenn man auf die Editionsgeschichte blickt, denn noch 1717 erscheint die dritte, von Burcard Struve überarbeitete Auflage der Freherschen Sammlung: Bebel, Ecloga triumphalis. 73 Als Arbeitsinstrument für die vergleichende Analyse der Semantik der humanistischen Historiographie haben wir für unser Projekt eine Datenbank entwickelt, in die sämtliche Texte der beiden Korpora Nationalgeschichten und Landesbeschreibungen eingegeben werden, so dass sie in synchroner und diachroner Weise sowie als Einzeltermini und im Kontext vergleichend untersucht werden können. 74 Maissen (2002), 227. 75 Ebd., 231. 76 Vgl. oben bei Anm. 21.
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tischen Stilempfinden gehorchten. Die semantischen Differenzen sind es, die dazu führten, dass Bonstetten erst im 19. Jahrhundert wiederentdeckt wurde. Auf solche semantische Fassung politischer Veränderungen hat Lucien Febvre für das 16. Jahrhundert und gerade für Herrschaftsgrenzen schon sehr früh in seinen wortgeschichtlichen Untersuchungen zu frontière und limites hingewiesen, in denen er der veränderten Konzeptionalisierung von Grenzen als geschärften, geradezu aggressiv verstandenen Linien anstatt von weicheren Übergangszonen nachgeht.77 Manchen seiner Schlussfolgerungen kann zwar nicht ohne weiteres gefolgt werden – weder scheint die grundsätzliche Assoziation der Entsprechungen zu frontière in den anderen romanischen Sprachen unbedingt den militärischen Konflikt zu betreffen, noch ist das Wort unbedingt das jüngere, worauf Febvre Wert legt. Dennoch sind seine Beobachtungen für unser Thema relevant, zumal dass sich im 15. und 16. Jahrhundert die staatliche Terminologie mehr um Linien als um Zonen gekümmert haben soll78 und dass in dieser Hinsicht zudem eine grundsätzliche Gleichartigkeit der großen Monarchien und der kleineren politischen Gebilde zu erkennen ist. Seine zukünftig in detaillierten Untersuchungen zu überprüfenden semantischen Beobachtungen fügen sich passend zu der strukturellen Ähnlichkeit der Nationalgeschichten und der Landesbeschreibungen, deren Textsorten sich prozessual ausdifferenzieren. Innerhalb der Text-Dimension der sprachlichen Darstellungsweise entsteht die größte Schwierigkeit für den Autor eines humanistischen landesbeschreibenden Textes in einer Volkssprache durch das notwendige Bemühen, die Sprache zu antikisieren.79 Denn grundlegend für eine humanistische Landesbeschreibung ist – wie für alle humanistische Literatur – der möglichst deutliche Verweis auf Rom, insbesondere die Anbindung der eigenen Geschichte an römische Geschichte und Geschichtsschreibung. Dieser Vorgriff auf die intertextuelle Dimension (Abschnitt 6) der Textsorte rechtfertigt sich durch die sprachliche Qualität, die diese Anbindung besitzt. Ein Verweis auf Tacitus oder Caesar aber müsste in einer Volkssprache stärker ostentativ geschehen und mit Hinweisen unterfüttert werden, um rezipierbar zu sein. Es ist deshalb wohl kein Zufall, wenn Spalatins Chronik der Sachsen und Thüringer darauf vollständig verzichtet, sehr wohl aber typische Elemente antiker Historiographie integriert. So inseriert Spalatin vor der Beschreibung einer Schlacht eine Rede des Sachsenfürsten Widukind, die er so schließt: »Dann es wer loblich vonn dess vaterlands wegenn zů sterbenn. Důrch diese rede bewegt _____________ 77 Febvre (1962/1988). Vgl. hierzu Schmale (1998), 55–59. 78 Sieber-Lehmann (1996), 79 f., sieht dies allerdings als eine folgenreiche, aber fragwürdige Vorannahme an, die durchaus falsifizierbar sei. 79 Die Probleme zwischen volkssprachlicher und lateinischer Historiographie diskutieren Markus Völkel und Stefan Schlelein in diesem Band ausführlich, weshalb hier diese grundsätzliche Bemerkung und ein konkretes Beispiel genügen dürfen.
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Konigk Wÿdekint der Sachssen gemůt.«80 Schon das Mittel, eine Rede einzufügen, besitzt einen ›antiken‹ Wiedererkennungseffekt, noch mehr aber das Sprichwort, das den Horazischen Vers übersetzt »dulce et decorum est pro patria mori«.81
6. Intertextuelle Phänomene Mehrfach sind bereits bei der Analyse der sprachlichen Darstellung, der Strukturierung und auch des Objektbereichs intertextuelle Phänomene angesprochen worden. Es wurde ebenfalls deutlich, dass die intertextuellen Elemente sowohl in einer synchronen Ebene als auch in mehreren diachronen Schichten ihren Austausch suchen. Ihre grundlegende Bedeutung für die Konstitution der humanistisch geprägten Textsorte Landesbeschreibung deutete sich also bereits an und soll gerade deswegen hier systematischer beleuchtet werden. Von Conrad Celtis wurden als Beispiel humanistischer Landesbeschreibung immer wieder die Amores angeführt. Jedoch sind sie für Celtis selber kein Teil der geplanten großen Landesbeschreibung, der Germania illustrata: In die Widmung an Kaiser Maximilian werden jene anderen drei Werke eingeschlossen, die nach der Selbstdarstellung auf dem Sterbebild den Dichter Celtis ausmachen.82 Die dort ebenfalls genannte Germania illustrata ist eher als eine teilweise konkretisierte Idee denn als ein durchgeplantes Unternehmen zu verstehen. Wie sehr es sich auf ein italienisches Vorbild bezieht, nämlich die von Flavio Biondo unvollendet publizierte Italia illustrata,83 hat zuletzt Gernot Müller herausgearbeitet.84 Nicht zuletzt auf Anregung des Celtis wurde eine geographische und historische Erfassung der deutschen patria von manchen deutschen Humanisten als eine gemeinsame Aufgabe begriffen, mit der die deutsche Nation als Ehrgemeinschaft konstruiert werden konnte. Gernot Müller hat einerseits auf die ausschlaggebende Horizonterweiterung um eine geographische Komponente hingewiesen, die sich durch das Vorbild der Italia illustrata für die deutsche humanistische Historiographie eröffnet. Andererseits warnt er geradezu davor, zu undifferenziert und unbedenklich Biondos Italia illustrata verantwortlich für die Arbeitsweise der deutschen Humanisten zu machen. Er gewichtet dagegen umso stärker die Beschäftigung mit den antiken geographischen Texten als Auslöser dieser Erweiterung der Perspektiven auch angesichts der nur allmählichen Kenntnisnahme der Ergebnisse der Entdeckungs_____________ 80 81 82 83 84
Spalatin, Chronik, Buch 1, Fol. 19r/v. Horaz, c., III, 2, 13. Celtis, Amores; Sterbebild z. B. bei Worstbrock (1995). Vgl. hierzu Clavuot (2002). Müller (2001); sowie erneut ders. (2004), hier 146, 150 ff. zu den Differenzen zwischen Biondo und Celtis.
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fahrten.85 Dass aus der Veränderung des historiographischen Interesses ein prägendes Muster für die humanistische Historiographie in Deutschland werden konnte, lässt sich tatsächlich nicht allein mit der sehr erfolgreichen italienischen Landesbeschreibung des Biondo erklären. Neben der für weite Teile der deutschen humanistischen Literatur prägenden Auseinandersetzung mit den italienischen Konkurrenten steht die grundlegende Orientierung an der römischen Antike. Ausschlaggebend ist dann, wie Caesar und Tacitus zu schreiben. Die Mischung aus geographischen Merkmalen mit Gebräuchen, Lebensformen und Eigenschaften zur Abgrenzung des Gegenstands, wie sie schon im eingangs zitierten ersten Satz des Tacitus in gedrängtester Form erscheint, bot einen hervorragenden Anknüpfungspunkt, um Geschichte nicht auf eine Dynastie zu beziehen, sondern einen humanistischen Nationalismus zu konstruieren. Wie sich dieser »Wettkampf der Nationen« auf den verschiedenen Terrains abspielte, braucht hier nicht wiederholt zu werden, wohl aber ist auf die Autonomisierung hinzuweisen, die Caspar Hirschi als Effekt dieses Wettkampfes für das Nationskonzept im Gebrauch der deutschen Humanisten konstatiert.86 Nach meiner Sicht der Texte verwendeten die deutschen Humanisten nahezu ausschließlich die römischen antiken Schriften und blendeten die griechische ethnographisch interessierte Historiographie wie vor allem Herodot weitgehend aus. Dafür sind mehrere Begründungen denkbar, die jeweils nicht ausschließlich, sondern einander ergänzend geltend zu machen sind: Grundsätzlich liefert die klassische griechische Antike fast kein Material für die zu beschreibenden Länder des Nordens, während der Horizont der römischen Ethnographie sich diesbezüglich deutlich erweitert hat. Desweiteren konstatiert Klaus Müller zumal bei Varro und Tacitus eine auf die Erfordernisse von Kriegführung und Verwaltung abgestimmte beschreibende Geographie.87 Wenn dies tatsächlich so ist, dann dürfte sie gerade durch diese Charakterzüge für die herrschaftlich gebundene Historiographie und Landesbeschreibungen des 16. Jahrhunderts eine eigene Attraktivität entwickelt haben. Nicht von der Hand zu weisen sind auf jeden Fall zwei Befunde Müllers: Dass unter den geographischen Disziplinen der römischen Antike besonders die Kartographie große Fortschritte zu verzeichnen hat und dass es die Tendenz gibt, keine Geschichte außer der Geschichte Roms zu akzeptieren: Barbaren haben _____________ 85 Müller (2001), 199: »Die Integration einer topographisch-kulturgeographischen Ebene in historiographische Zusammenhänge ist überdies als Reflex auf eine von der Forschung bisher noch nicht in gebührendem Maße zur Kenntnis genommene Entwicklung im 15. Jahrhundert zu verstehen, nämlich einer zunehmenden Beschäftigung mit Geographie, die sich zunächst eher in der kritischen Rezeption eines erweiterten Korpus antiker geographischer Texte als durch die Kenntnisnahme der sich im Verlauf des Jahrhunderts häufenden Entdeckungsfahrten manifestiert, deren bewusstseinsgeschichtliche Folgen erst im 16. Jahrhundert breit zum Tragen kommen.« 86 Hirschi (2005), 297 ff. 87 Müller (1980), 9, 30, 80 ff., 99 f.
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keine Geschichte, sie haben sie nur in Abhängigkeit von Rom. An römische Zeugnisse anzuknüpfen heißt dann, gleichsam die Geschichtlichkeit des eigenen Volkes zu beglaubigen. Dieses Prinzip, das antike olim mit den gegenwärtigen Zuständen zu vergleichen und so auch offene intertextuelle Bezüge herzustellen, wird prägend für humanistische Historiographie überhaupt. Bei Johannes Böhms universalethnographischem Werk lässt sich dieses Moment ebenfalls nachweisen, denn wo immer möglich, kontrastiert Böhm Auskünfte über die antiken Lebensverhältnisse mit den gegenwärtigen (recentibus). Betrachtet man die von ihm genannten Referenzautoren eingedenk der Beobachtungen, die Klaus Müller zu den Unterschieden der römischen Ethnographie von der griechischen gemacht hat, so fällt auf, dass er neben den römischen Autoren explizit auch Herodot nennt: Böhm schreibt vielleicht ein Kompendium für die Verwaltung, aber keine Landesbeschreibung zur Legitimation von Herrschaft.88 Intertextualität stellt sich aber nicht allein durch solche sprachlichen und literarischen Elemente her, sondern auch durch mediale und soziale Bezüge. Letztere hat Ulrich Muhlack besonders für die Germania illustrata geltend gemacht. Er beschreibt sie geradezu als ein gemeinsames Projekt der deutschen Humanisten insgesamt und überträgt damit, wie Gernot Müller überzeugend darlegt, die Netzwerkansätze des Conrad Celtis mit großer, aber unbegründeter Geste auf sämtliche historisch-geographische Arbeiten deutscher Humanisten.89 Als ein intentional auf ein herzustellendes Ganzes gerichtetes Unternehmen, zusammengesetzt aus verschiedenen Einzelprojekten, ist dies aber nur in den wenigsten Fällen zu belegen, wirklich deutlich wird es in diesem Sinne nur im von Muhlack herangezogenen Brief des Johannes Aventin an Beatus Rhenanus.90 Wie sehr die spezifische mediale Umgebung unterschiedliche Aspekte der Texte zur Geltung bringt, können Neudrucke veranschaulichen. Am auffälligsten _____________ 88 Vgl. Kugler (2005); Vogel (1995); Hodgen (1964), 131–143, besonders 132: »These […] descriptions […] were intended not only to instruct his readers concerning the laws and governments of other nations, but to make it possible fort them to form intelligent judgements as to ›what orders and institutions‹ were ›fittest to be ordayned‹ in their own lands for the establishment of perfect peace. With the ancient customs of the classical peoples spread out for contemplation and comparison, together with those of more recent practice, Boemus felt certain that Europeans could readily decide between the socially good and socially bad.« 89 Muhlack (2002), 146: »Der thematisch-literarischen Universalität des Projekts entspricht die Universalität der Mitwirkung und der Teilnahme. Die Germania illustrata setzt nicht nur eine gewaltige Fülle von Federn in Bewegung, sondern findet auch auf allen Seiten des humanistischen Spektrums bereitwillige Leser und erreicht schließlich einen Umfang, aus dem kaum ein deutscher Humanist ausgeschlossen ist. Man kann sie ein Gemeinschaftswerk des deutschen Humanismus nennen.« Vgl. dazu die fundierte Kritik bei Müller (2004), 154: Das Netzwerk des Celtis; 179 f.: ein Plädoyer für einen deutlich zurückhaltenderen Gebrauch des Begriffs Germania illustrata (besonders seine Anm. 115), der zu beschränken sei allein auf die beiden Werkvorhaben des Celtis und des Aventin. 90 Muhlack (2002), zitiert den Briefwechsel des Beatus Rhenanus (hg. v. Adalbert Horawitz und Karl Hartfelder, Leipzig 1886 [ND Hildesheim 1966], 345). Vgl. hierzu Müller (2001), 200.
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vollzieht sich eine solche Veränderung beim Neudruck der preußischen Landesbeschreibung von Erasmus Stella, die 1532 zum abschließenden Teil der von Simon Grynaeus herausgegebenen Textsammlung Novus Orbis Regionum ac Insularum Veteribus Incognitarum wird.91 Stellas Text vollzieht eine Kontextualisierung nach, die bereits für den Erstdruck von Böhms Kompendium galt, das als kritische Ergänzung zu Entdecker- und Reiseberichten bei Sigismund Grimm in Augsburg gedruckt worden war.92 Allerdings hat im Falle Stellas die neue Kontextualisierung andere Folgen. Durch den beigegebenen Index des Novus Orbis werden – statt der nicht mehr wichtigen politischen Bezüge – die ethnographischen und geographischen Elemente der Landesbeschreibung hervorgehoben und damit andere intertextuelle Bezüge hergestellt. Das bedeutet aber keineswegs eine politisch neutrale Indizierung; im Gegenteil: Es beschreibt eine Exklusion der unkultivierten Polen und der Pruzzen aus der zivilisierten Welt auf gleicher Ebene wie die lateinische Fassung des Kolumbus-Briefes die Bewohner Amerikas daraus ausschließt: Robert Wallisch hat die Veränderung von der volkssprachlichen Fassung dieses Briefes zur lateinischen als eine Wendung zu einer imperialistischen Drohung belegt:93 Der Übersetzer schildere das Verhältnis zum Häuptling des Stammes der Awarak aus einer »Position kultureller Überlegenheit heraus« und lasse dessen in Kolumbus’ spanischen Worten »sanftes Volk als im Grunde heimtückische Masse erscheinen«.94 Neben den intertextuellen Elementen verdienen angesichts des geographischen Interesses der Landesbeschreibungen intermediale Aspekte Aufmerksamkeit, die das Verhältnis von Karten und Text in den Blick nehmen. Hier sind wiederum mehrere Möglichkeiten der gegenseitigen Kenntnisnahme, Beeinflussung oder auch ganz im Gegenteil der Ignoranz zu bedenken. Dass Karten dabei kein einfaches Medium, sondern zusammengesetzt sind aus vielen Elementen, die unabhängig voneinander verändert werden können, erleichtert die Analyse _____________ 91 Das Inhaltsverzeichnis Grynaeus, Novus Orbis nennt: »Aloysii Cadamusti navigatio ad terras ignotas, Christophori Columbi navigatio ex iussu Hispaniae regis; Petri Alonsi navigatio; Alberici Vesputii navgationem epitome, Patri aliatis navigationis; Josphi Indi navigationis, Americi Vesputii navigationis IIII; Epistola Emanuelis Regis Portugalliae ad Leonem X; Ludovici rom. patritii navigationum Aethiopiae […], Locorum terrae sanctae exactissima descriptio, autore F. Brocardo monacho, M. Pauli Veneti de regionibus Orientalibus Libri III; Haithoni Armeni ordinis Praemonstrat. de Tartaris liber; Mathiae a Michou de Sarmatia Asiana atque Europea; Pauli Iovii de Moschovitarum legatione liber; Petri Martyriis de insulis nuper repertis liber; Erasmi Stellae de Borussiae antiquitatibus lib. II.« Zu einzelnen Texten in diesem Druck vgl. Robert Wallisch in diesem Band. 92 Vgl. hierzu Vogel (1995), 22 ff., Zitat 24: »Neither Grimm nor Boemus were ignorant of recent travel and discovery literature. The book they published simply had a different idea and purpose, it was meant a to be a critical complement to recent travel books.« 93 Vgl. Wallisch (2005), 87; vgl. auch: Kolumbus, Der erste Brief aus der Neuen Welt; Wallisch (2002). 94 Wallisch (2005), 87.
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nicht.95 Ein wichtiges Beispiel für die Zusammenarbeit von Historikern und Kartographen bietet die Karte von Niederösterreich, die Wolfgang Lazius zugeschrieben wird.96 Offensichtlich aber ist die Einflussrichtung zwischen textlicher und kartographischer Landesbeschreibung eindeutig, vom Text ausgehend zur Karte hin. Ein Beispiel hierfür wäre die von Johannes Hommel angekündigte Karte Meissens, die die von ihm vorgetragene Rede Melanchthons über dieselbe Region ergänzen sollte, aber offensichtlich nie gezeichnet wurde.97 In der neueren Forschung wurden desweiteren die sehr unterschiedlichen Erscheinungsformen von spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Karten thematisiert, die für jeweils sehr unterschiedliche Verwendungen konzipiert sein können.98 Neben Karten, die konkret Herrschaftsgrenzen oder Verkehrswege nachzeichnen, stehen gleichzeitig, aber erheblich seltener, Weltbilder in Kartenform, die kulturelle Identitäten zu repräsentieren versuchen. Für Albrecht von Bonstettens Landesbeschreibung der achtortigen Eidgenossenschaft hat diesen Fall Claudius SieberLehmann analysiert und gezeigt, wie die Kartenskizzen die »Erfindung eines Landes in einer Laborsituation« massiv unterstützen:99 Bonstettens Skizzen, die den Typus der mappae mundi nachahmen, setzen an die Stelle Jerusalems im Zentrum der Welt die Eidgenossenschaft ins Zentrum Europas. Die Eidgenossenschaft, der somit implizit ihre religiöse Legitimation bestätigt wird, wird in einer weiteren Skizze als ein vollkommener, (wiederum analog zu den Plänen des [himmlischen] Jerusalem) in einen Kreis einschreibbarer, geographisch durch natürliche Grenzen markierter Raum dargestellt. Bonstettens Transformation mittelalterlicher Traditionen der T-Karte gelingt es, die Eidgenossenschaft als einzigartig für seine Rezipienten erkennbar zu machen und seine Deutung plausibel zu machen. Die Plausibilität wird allerdings zugleich durch die, wie SieberLehmann zu Recht schreibt, veralteten technischen Mittel begrenzt. Zu ergänzen ist Sieber-Lehmann in dem Sinne, dass auch die kulturellen Mittel seiner Kartographie veraltet sind und ihre grundlegende Geltung bereits verloren haben: Jerusalem ist als Zentrum und Orientierungspunkt für eine politisch wirksame Identitätsprägung nicht mehr konkurrenzfähig gegenüber dem heilsgeschichtlich und imperial anschlussfähigen Rom. Nur durch den Vergleich deutscher Landesbeschreibungen mit denen anderer europäischer Nationen ist die Frage beantwortbar, ob durch die eminente Bedeutung von Tacitus im deutschen Humanismus in den deutschen Ländern eine andere Antike entsteht als in anderen europäischen Ländern. Anhaltspunkte liefern die Editionsgeschichten der Germania des Tacitus und des Bellum Gallicum Caesars: _____________ 95 Vgl. Neumann (2003), 398. 96 Hierzu: Wawrik (2003); daneben: Graf-Stuhlhofer (1996); Ankwicz-Kleehoven (1959), 249, 253 ff. (Abb. auf 241) zur Karte Ungarns, die unter Cuspinians Beteiligung entstand. 97 Hasse (2003), 112, für das Dokument 141. 98 Hierzu die Beiträge in: Michalsky/Schmieder/Engel (2008); Glauser/Kiening (2007). 99 Alles Folgende nach Sieber-Lehmann (1997), das Zitat 39.
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Die Editionen der einen verteilt sich auf das gesamte Gebiet des VD 16, Caesar wird im Grunde nur abhängig von Glareans Edition veröffentlicht, deren Kommentar helvetisch interessiert ist und dessen Argumentation seine Landesbeschreibung untermauert und ergänzt. Im europäischen Rundblick auf Editionen antiker Geschichtsschreibung in Übersetzungen und im Lateinischen wird der Befund untermauert.100 Ein textlich-strukturelles Argument liefert die Analyse von Christopher Krebs, der herausgearbeitet hat, dass im Gegensatz zum offenen Germanien des Bellum Gallicum bei Tacitus ein streng umrissenes Germanien konstruiert wird: Ein solches Germanien kann genauso wie das ebenso geschlossene Gallien aus den Schriften Caesars erobert werden, es erscheint vor allem aber in der Rezeption der deutschen Humanisten als eine natürliche Einheit.101
7. Zusammenfassung und Schlussfolgerungen Besonderes Augenmerk habe ich in meinen Ausführungen auf die Differenzen gelegt, die sich innerhalb der textlichen Dimensionen zeigen und auf die dadurch offenbar werdenden Differenzen der einzelnen Texte. Entsprechend formuliert Wolfgang Raible das Forschungsinteresse der Textsortenforschung: Textgattungen sind wie alle kommunikativen Gattungen ihrem Wesen nach tradierte Muster. Charakteristisch für alles, was mit Textgattungen – oder Diskurstraditionen – zu tun hat, sind Dynamik, beständiger Wandel und beständiges Hinausgehen über das Gegebene. Die Erfassung und Beschreibung dieses kulturellen Wandels – in einem gleichwohl invarianten, universellen Rahmen – ist der eigentlich interessante (und angemessene) Gegenstand für den Gattungsforscher.102
Summarisch die Charakterisierung nach den textlichen Dimensionen fassend, können die humanistischen Texte dann tatsächlich innerhalb einer solchen dynamischen Situation als eine spezifische Ausformung der Textsorte Landesbeschreibung definiert werden. Als Exemplare der Textsorte Humanistische Landesbeschreibung verstehe ich folglich alle diejenigen Texte, deren Objektbereich geographisch-ethnographisch gefasst ist und die diesen Objektbereich klar abschließend umgrenzen. Geprägt werden die Texte durch ihre intensive intertextuelle Beziehung zu römischer antiker Historiographie. Hier sind besonders die Vorbilder des Caesar und Tacitus zu nennen, die die humanistischen Autoren in einer appropriierenden und assimilierenden Transformation für die innere Strukturierung der Texte nutzen. Diese Texte erheben den Anspruch, die Wirklichkeit darzustellen, dabei können aber auch poetische Realitäten integriert werden. Grundsätzlich gilt auch für alle Autoren, dass sie eine affirmative Haltung zu _____________ 100 Burke (1966). 101 Krebs (2005), 72 ff. 102 Raible (1996), 72.
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ihrem Thema einnehmen, so dass nicht zu Unrecht von einer laus regionum gesprochen werden kann. In dieser Haltung können dann sowohl Reden als auch Gedichte oder längere Prosatexte verfasst sein und trotz dieser Varianz zur gleichen Textsorte gezählt werden. Für die im Laufe der Untersuchung angesprochenen Texte können auf dieser Basis ganz konkrete Grenzziehungen angesprochen werden: Bonstettens Beschreibung der Schweiz steht ebenso wie die Beschreibung Schwabens durch Felix Fabri außerhalb einer solcherart definierten Textsorte humanistische Landesbeschreibung, beide aufgrund anderer prägender intertextueller Bezüge, die ihre Strukturierung bestimmen. Die andersartige Strukturierung unterscheidet, bei ähnlichem Interesse und Objektbereich auch Reisebeschreibungen und Entdeckerberichte von den Landesbeschreibungen, so dass Herbersteins Beschreibung Moskaus ebenso wie der Brief des Kolumbus zwar Vergleichsmöglichkeiten eröffnen und auffällige Nähen zeigen, aber doch einer anderen Textsorte zuzurechnen sind. Legitim scheint es dagegen, auch Reden wie diejenigen Melanchthons und Gedichte wie diejenigen von Vulturinus und Eobanus Hessus in das Korpus mit aufzunehmen. Landesbeschreibungen sind mit ihren unterschiedlichsten Ausprägungen grundsätzlich ein allgemeines europäisches Phänomen, nicht aber eine deutsche Besonderheit. Darauf mit Hilfe des einen expliziten Beispiels der Annales de l’Aquitaine des Jean Bouchet hinzuweisen, musste an dieser Stelle genügen. Für Frankreich gilt es, noch weitere volkssprachliche Vergleichstexte zu untersuchen, außerdem müssen Paolo Giovios Descriptiones Britanniae, Scotiae, Hiberniae et Insularum (Hebrides et Ochades) als Beispiele lateinischer Landesbeschreibungen genannt werden.103 Humanistische Nationalgeschichten können andererseits nach den hier angewandten analytischen Unterscheidungen wohl als Beispiele einer zusammengesetzten Textsorte angesehen werden, die die Notwendigkeit, ein Territorium klar abzugrenzen und seine Bewohner distinktiv zu charakterisieren, mit der monarchischen, personal orientierten Herrschaftsgeschichte verbinden. Wie wir gesehen haben, enthalten z. B. die großen historiographischen Schriften des Polydor Vergil und des Marineus Siculus solche umfangreichen Landesbeschreibungen. Es zeigte sich zwar, dass der Umriss bestimmter von Raible entwickelter Text-Dimensionen der Gestalt der Landesbeschreibungen nicht genügten und z. B. die intertextuelle Dimension um eine intermediale Perspektive erweitert _____________ 103 Für Frankreich verweise ich hier vor allem auf Alain Bouchart und seine Grandes Chroniques de Bretagne (1514); Paolo Giovios Landesbeschreibungen wurden erstmals 1548 in Venedig gedruckt; ein spätes Beispiel für eine schottische Geschichte, die auch eine Landesbeschreibung ist: George Buchanan, Rerum Scoticarum historia (1582); In der Scotorum Historia von Hector Boece vergleicht Nicola Royan (2002) eine frühere schottische Nationalgeschichte mit Gaguins Compendium und Polydors Anglica Historia. Vgl. ebenfalls Reitemeier (2004), besonders Abschnitt 9 f. über ›Holinshed’s Chronicles‹ (1577 bzw. 1587) und die dortige Verarbeitung des Boece.
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werden musste. Dennoch ermöglichten es die Arbeitsinstrumente der TextDimensionen, Differenzen und Gemeinsamkeiten detailliert aufzutrennen und eine Hierarchisierung der textlichen Dimensionen zu erarbeiten. Damit können den Unterschieden, die in den einzelnen Dimensionen auftreten, genaue Effekte zugerechnet werden. Es konnte damit sichtbar gemacht werden, dass die Wissensordnung humanistischer Autoren mit Hilfe anderer Differenzierungen gelingt, als dies für moderne Wissenschaft gilt: Die so heterogenen sprachlichen Darstellungsmittel von Vers über Rede zu umfänglicher Prosaschrift können einem gleichen Ziel dienen, in diesem Fall dem Lob des Landes. Gewisse Unterschiede innerhalb einzelner Textdimensionen können als gravierender für den Gesamteindruck eines Textes aus einer jeweils spezifischen Perspektive wahrgenommen werden, andere als lediglich von diesen abhängig. Im Fall der humanistischen Geschichtsschreibung sind offensichtlich die intertextuellen Beziehungen zur römischen Antike so gravierend, dass sie indirekt auch in allen anderen textlichen Dimensionen distinktiv wirken. Die Referenzen der römischen Antike formen ein Feld der semantischen, narrativen und stilistischen Autorisierung. Die Auseinandersetzung mit der Antike, ihre Konstruktion und die Integration antiker Traditionen in akademische Fachdiskussionen bahnte den Weg für wichtige historiographisch-methodologische Diskussionen im 16. Jahrhundert: Das Verhältnis von Fiktion zu Fakten wird auf der Basis der Antikeforschung prägend für die Neuzeit diskutiert. Das Verhältnis von Geographie und Geschichte wird neu austariert. Zudem wird mittels humanistischer philologischer Verfahren Antike neu wahrgenommen: Im Vordergrund stehen die Schriften statt der Personen, wie man es pointiert mit Blick besonders auf Caesar formulieren könnte. Diese textlichen Phänomene zugleich als soziale Phänomene sichtbar zu machen, war ein Ziel meiner Ausführungen: Intertextualität hat soziale und kulturelle Gründe, die nicht nur de facto abgrenzend wirken, sondern dies auch offensichtlich immer wieder intentional sollen. Das gleiche gilt für den Stil und die Strukturierung der Texte.104 Die soziale und politische Bedeutung dieser Veränderungen beschränkt sich tendenziell nicht auf die primären Akteure, die Historiographen selber, sondern hat Teil an politischen und kulturellen Veränderungen der Epoche. Stephen Greenblatt hat diese Rolle der Kultur zur Gestaltung von Erfahrung hervorgehoben, er hat beschrieben, dass kulturelle Erzeugnisse dazu genutzt werden, eine imaginative Ordnung des Ausschließens für eine Gesellschaft durchzusetzen. Solche Prozesse, die mit ihren Elementen von Export und Akkomodation zu einer stabilen Ordnung führen, sind aber nicht als einfache Prozesse zu verstehen:105 Greenblatt gibt zu bedenken, dass Intention, Genre und _____________ 104 Erste Überlegungen zur sozialen Situierung der Historiographen werden sich in folgenden vergleichenden Fallstudien finden [beide im Druck]: Schirrmeister, »Intellektuelle« (2008) und »Authority« (2008). 105 Vgl. Greenblatt (1994), 185 ff.
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historische Situation ein komplexes Netz von eigensinnigen Bedeutungsträgern bilden, die je eigene Zentren haben können.106 Mit Blick auf die Berichte aus der Neuen Welt hat Heinz Hofmann resümiert, dass sie durch ihre Unfähigkeit gekennzeichnet sind, »das Neue in andere Begriffe zu fassen als ausschließlich solche des Alten«. Wichtig ist hier die daraus folgende Beobachtung, dass dies »zu einem Prozeß der Integration statt zu einer Konzeptualisierung des Neuen als etwas Neuem« führte.107 Antike Literatur wird zum Mittel, um Neues verständlich zu machen und in ein Weltbild einzuordnen. Wenn in diesem Fall das Neue, das verständlich gemacht werden soll, der neue geographische Raum ist, so kann die historiographische Vergewisserung der Vergangenheit die Erfahrung der eigenen Zeit und ihrer Konflikte verständlich machen. Auf die Textsorten der Landesbeschreibungen und ihre Diskussion gewendet, bedeutet dies noch einmal, die intertextuellen Verschiebungen und die Anknüpfungen an andere Texte und andere Rezeptionszusammenhänge in ihren Folgen für die Bedeutung der Texte ernst zu nehmen. Die substantielle Veränderung der Textsorte der Landesbeschreibung belegt ihre Integration in grundlegende politische Prozesse des späten Mittelalters und der Frühen Neuzeit. In dieser Perspektive werden nationalgeschichtliche und landesbeschreibende Texte in einen Zusammenhang gerückt mit der Konturierung neuer Herrschaftsformen in der langen Dauer: Territorialisierung und Nationalisierung erscheinen als die beherrschenden Prozesse der politischen Geschichte Europas in der Frühen Neuzeit. Sie werden in unseren Texten durch den Bezug auf die eine Geschichte Roms und die die Gemeinschaft verbindende Vergangenheit unterstützt. Die Untersuchung humanistischer Landesbeschreibungen und Nationalgeschichten aus der Perspektive der Transformation stellt so einen wichtigen Beitrag zu einer Kulturgeschichte des Politischen (Stollberg-Rilinger) dar. Zur gleichen Zeit, in der sich die rhetorisch geprägte humanistische Kultur in Wissenschaft und herrschaftlicher Kultur durchsetzt, entwickeln sich mit ihr neue Herrschaftsformen, auf der einen Seite eine Herrschaft durch Rede, Ritual und Zeremonie. Diese ist aber Gegenpol zu einer auf der anderen Seite zunehmend geheim, verwaltend und dadurch verborgen verfahrenden Herrschaft, die sich eben deshalb in öffentlicher Rede, in Zeremonie und Historiographie genauso verwirklichen muss.
_____________ 106 Ders. (1995), 66: »Wenn Intention, Genre und historische Situation gleichermaßen gesellschaftlich und ideologisch bedingt sind, so bilden sie dennoch keine einheitliche gesellschaftlichideologische ›Sprache‹. Im Gegenteil sind sie […] effektiv selbständige Kräfte, die sich aneinander reiben, miteinander Bündnisse eingehen oder in erbittertem Widerstreit liegen können. Eins können sie, sobald sie in ein lebendiges Kunstwerk eingebunden sind, nicht mehr: neutral sein – ›reine‹, freischwebende Bedeutungsträger.« 107 Hofmann (1995), 19.
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Was sind humanistische Landesbeschreibungen?
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Von Fabius Pictor zu Polydor Vergil. Zur Transformation narrativer Modelle der antiken römischen Geschichtsschreibung in der Humanistenhistorie FRANK WITTCHOW
1. Objektivität und Moralismus in der römischen Geschichtsschreibung Urbem Romam a principio reges habuere; libertatem et consulatum L. Brutus instituit. dictaturae ad tempus sumebantur; neque decemviralis potestas ultra biennium, neque tribunorum militum consulare ius diu valuit. non Cinnae, non Sullae longa dominatio; et Pompei Crassique potentia cito in Caesarem, Lepidi atque Antonii arma in Augustum cessere, qui cuncta discordiis civilibus fessa nomine principis sub imperium accepit. sed veteris populi Romani prospera vel adversa claris scriptoribus memorata sunt; temporibusque Augusti dicendis non defuere decora ingenia, donec gliscente adulatione deterrerentur. Tiberii Gaique et Claudii ac Neronis res florentibus ipsis ob metum falsae, postquam occiderant recentibus odiis compositae sunt. inde consilium mihi pauca de Augusto et extrema tradere, mox Tiberii principatum et cetera, sine ira et studio, quorum causas procul habeo.1
Mit diesen Sätzen eröffnet der römische Historiker Tacitus seine Annalen, die er vermutlich im Großen und Ganzen während der Regierungszeit des Kaisers Tra_____________ 1
Tacitus, ann., 1, 1: »Anfangs herrschten Könige über die Stadt Rom; Die Freiheit und den Konsulat hat L. Brutus eingerichtet. Diktaturen wurden auf Zeit angenommen; weder dauerte die Amtsgewalt der Zehnmänner länger als zwei Jahre, noch währten die konsularischen Befugnisse der Militärtribunen lange Zeit. Die Tyrannei von Cinna und Sulla bestand nicht lang; die Macht des Pompeius und des Crassus ging schnell an Caesar; die Truppen des Lepidus und des Antonius an Augustus, der das von inneren Unruhen zerrüttete Ganze unter dem Titel ›princeps‹ unter seinen Befehl nahm. Aber die guten und schlechten Zeiten des älteren römischen Volkes sind von berühmten Autoren erzählt worden; auch für die Darstellung der Zeit des Augustus hat es nicht an glänzenden Talenten gefehlt, bis sie sich von der in Mode kommenden Schmeichelei haben abschrecken lassen. Die Herrschaft des Tiberius, des Caligula, des Claudius und des Nero ist zu ihren Lebzeiten aus Angst falsch, nach ihrem Untergang mit frischem Hass dargestellt worden. Daher habe ich beschlossen, nur weniges über das Ende des Augustus zu sagen, dann aber gleich die Monarchie des Tiberius und den Rest darzustellen – ohne Zorn oder Zuneigung, wofür ich keinen Anlass habe.«
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jan (98–117)2 verfasst hat.3 Das Proömium ist besonders wegen der Ankündigung, sich der Aufgabe des Historikers sine ira et studio entledigen zu wollen, bekannt geworden. Immer wieder wurde und wird diese Wendung zitiert, um den Anspruch der Geschichtswissenschaften (und nicht nur dieser) auf Objektivität zu formulieren.4 Der Wiener Humanist Johannes Cuspinian (1473–1529)5 eröffnet seine Geschichte (Nieder-)Österreichs mit folgenden Worten: Marchionis Austriae diui Leopoldi scripturus vitam, et res gestas operae duxi precium, maiorum suorum in primis enarrare genealogiam: dehinc Austriae situm, et urbis Viennensis originem, ac veram descriptionem, multo aliter et verius quam priores, qui partim odio, partim favore res huius regionis elevarunt et urbem insignem dehonestarunt.6
Cuspinian ersetzt »ira« und »studium« durch »odium« und »favor«,7 zitiert aber – neben der damals berühmteren praefatio des Livius zu seinem Werk Ab urbe condita8 – eindeutig den Tacitus. Allerdings biegt Cuspinian seine Vorlage auf _____________ 2 3
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Vgl. Campbell (1996), 1543. Die Abfassungszeit ist umstritten, manche ziehen gerade die Annales (Tacitus’ letztes Werk) noch bis in die Regierungszeit des Hadrian hinein, vgl. Schmal (2005), 21; die Veröffentlichung des Erstlings, des Agricola für das Jahr 98 (ebd., 19 Anm. 36) scheint communis opinio zu sein; siehe auch Mellor (1995), xviii f. Dazu immer noch einschlägig: Vogt (1986). Besonders ebd., 49–52, Beispiele für die – durchaus umkämpfte – Rezeption des taciteischen Anspruchs, der übrigens nur durch die pointierte Formulierung auffällt und inhaltlich bereits in der griechischen Geschichtsschreibung greifbar ist. Zur Biographie vgl. Ankwicz-Kleehoven (1959); Stelzer (2006). Cuspinian, Austria (verfasst um 1525, Erstdruck Basel 1555; verwendete Ausgabe 1601) »Prooemium in vitam Leopoldi«: »In der Absicht, Leben und Taten des vergöttlichten Markgrafen Leopold von Österreich zu erzählen, hielt ich es der Mühe wert, besonders die Genealogie seiner Vorfahren herzuerzählen; dann die geographische Lage Österreichs und den Ursprung und eine wahrhaftige Beschreibung der Stadt Wien; ganz anders und ehrlicher als die Vorigen, die teils aus Hass, teils aus Parteilichkeit die Geschichte dieser Gegend herabsetzten und die bedeutende Stadt entehrten.« Die Stelle ist auch übersetzt bei Ankwicz-Kleehoven (1959), 247 f. Zu einer Darstellung der Stadt Wien kam es übrigens nicht mehr, vgl. ebd., 247–249. Tacitus selbst hat in der kleinen biographischen Skizze Agricola den gleichen Gedanken mit anderen Worten ausgedrückt (Agr., 1: »sine gratia et ambitione«), ebenso in den Historien (hist., 1, 1: »libidine adsentandi aut rursus odio adversus dominantes«) dazu Vogt (1986), 52 mit Anm. 11. Vgl. Cuspinians Ausdruck: »scripturus vitam, et res gestas operae duxi precium« mit Livius, praefatio, 1: »Facturusne operae pretium sim si a primordio urbis res populi Romani perscripserim, nec satis scio.« Besonders raffiniert ist dieses Zitat bei dem Humanisten, der die »coniugatio periphrastica« (-urus) zwar an der gleichen Stelle, aber in anderer syntaktischer Rolle platziert. Was bei Livius unsicher ist, nämlich ob seine Mühen sich lohnen, ist bei Cuspinian Gewissheit. Die Gewissheit des Humanisten bezieht sich dabei gerade auf das, was ihn (siehe dazu das Folgende!) von der römischen Geschichtsschreibung unterscheidet, wo er sich von ihr entfernt. Cuspinian ist sich sicher, dass es sich lohnt, die Genealogie der Herrscher Österreichs darzustellen. Genealogisch ist die römische Historie gerade nicht und Livius fragt
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subtile Weise um, denn »favor« und »odium« haben in den Augen des Humanisten nur dazu geführt, dass Wiens Geschichte verdunkelt wurde, während Tacitus den Hass für eine zu kritische, die Parteilichkeit für eine zu positive Darstellung der Kaiser verantwortlich machte. Cuspinian kündigt also eine positive Darstellung an. Davon ist Tacitus im Falle Roms weit entfernt. Im Gegenteil scheint Tacitus’ Ankündigung in einer merkwürdigen Spannung zu der galligen Bitterkeit zu stehen, mit der er über die Kaiser im Allgemeinen und Tiberius im Besonderen herzieht. Hierin liegt ja auch einer der Gründe für den Umstand, dass Tacitus erst vergleichsweise spät ins Blickfeld der Humanisten geriet. Der antimonarchische Zug, den man in diesem Autor zu erkennen meinte, lud nicht eben dazu ein, diesen Autor zum Vorbild einer meist doch dynastisch affirmativen Historie zu nehmen.9 Tacitus will jedoch seinen Anspruch nicht so verstanden wissen, dass er keine ethischen Bewertungen an die Geschichte heranträgt, sondern er will sagen, dass er keine persönlichen Motive hat, um die dramatis personae seiner Darstellung mit Noten zu versehen.10 Die Haltung, die Tacitus damit einnimmt, ist durchaus mit der des republikanischen Zensors vergleichbar. Dies war ein außergewöhn_____________ sich zusätzlich, ob er überhaupt von Anfang an erzählen soll. Cuspinian macht mit »scripturus vitam« zugleich deutlich, dass er an den biographischen Modus denkt, der sein Stilvorbild aus Hieronymus’ Vita des Mönches Hilarion bezieht (Hieronymus, Vita S. Hilarionis, cap. I, Col. 29), die mit diesen beiden Worten beginnt und häufig zitiert wurde (Waltz [2002], V: »An Hieronymus konnte der mittelalterliche Autor lernen, wie er eine lateinische Biographie zu verfassen hatte.«). 9 Vgl. Burke (1966), 137; vgl. 148–152 für weitere Gründe, warum Livius’ Popularität Ende des 16. Jahrhunderts zugunsten von der des Tacitus sank. Repräsentativ hier Montaigne, Essais, III, 8 (bei Burke [1996], 152). Mellor (1995), xx. Zentral für den Aufstieg des Tacitus in der Wertschätzung der italienischen Humanisten ist 1527 die brutale Plünderung Roms durch deutsche und spanische Söldner, die die republikanischen Werte eines Livius und Cicero erschütterte (ebd., xxi). Polydor Vergils Fertigstellung des Manuskripts seiner Anglica historia 1513 (vgl. Hay [1952], 79) liegt zwar vor diesem Datum, ebenso liegt sie knapp vor der ersten Drucklegung der hier doch zentralen ersten taciteischen Annalenbücher (durch Beroaldo 1515), aber es ist mit einer späteren Überarbeitung vor der ersten Drucklegung 1534 (Rexroth [2002], 419) zu rechnen (vgl. Freeman [1992], 193), außerdem, wie Burke (1966), 152, richtig anmerkt: »the popularity of ancient writers did not begin with the advent of printing.« Vgl. Muhlack (2000), 172 f. Dennoch bleibt festzuhalten, dass der Tacitismus letztlich ein späthumanistisches Phänomen ist, das eher nach die Anglica historia zu datieren ist (Muhlack [2000] verkompliziert hier unnötig mit der sehr akademischen Frage, ob der Tacitismus in das Ende des Humanismus oder doch schon an den Beginn einer Folgeepoche [Reformation und Gegenreformation] gehört. Eines seiner Argumente ist, dass die antike Literatur bis ins 18. Jahrhundert hinein nach den »seit Petrarca gültigen Zielen und Methoden« [ebd., 176] bearbeitet wird, man also nach diesen Kriterien nicht zwischen Humanismus, Späthumanismus und etwaigen Folgeepochen unterscheiden könne. Nun ist es aber tatsächlich so, dass wir sogar, was die Epoche des Mittelalters angeht, immer mehr von einer longue durée ausgehen. Warum nicht auch im Falle des Humanismus? Solche Epochenfragen sind selten konstruktiv.). 10 Vgl. Mellor (1993), 36.
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liches republikanisches Amt, dessen hoch angesehene Träger über die Würde des Senats wachten und unwürdige Mitglieder mittels einer zensorischen Rüge aus dem Senat ausschließen konnten. Dieses zensorische Sittengericht […] bezog sich nicht nur auf die Erfüllung der allgemeinen und besonderen Bürgerpflichten und das ehrenhafte Verhalten des Bürgers in der Öffentlichkeit, sondern zog oft genug auch sehr private Dinge vor sein Urteil.11
Der erste lateinisch schreibende römische Historiker, Cato der Ältere, war selbst ein Zensor, und er sollte nicht der letzte bleiben.12 Die moralische Geschichtsschreibung der Römer ist in ihrer Genese mit diesem Amt verknüpft und hat ihre moralisierende Haltung auch dann noch beibehalten, als die Gattung sich verselbstständigte und sogar von nichtsenatorischen Autoren erfolgreich bearbeitet werden konnte. Cato und die älteren Annalisten haben die römische Geschichte für Römer geformt. Dabei haben trotz beträchtlicher Unterschiede einige gemeinsame Verfahrensweisen eine wichtige Rolle gespielt. Dazu gehört das ausgeprägte antiquarische Element, das vor allem Cato und Cassius Hemina verbindet, aber auch bei Piso und Gellius zu beobachten ist. Noch charakteristischer ist aber die lehrhaft-moralisierende Haltung: Sie ist zwar in dieser Periode nur bei Cato und Piso (also bei den Autoren, die sicher Senatoren [und Zensoren, F. W.] waren) deutlich zu erkennen, hat aber wichtige Teile der römischen Geschichtsschreibung auf Dauer geprägt.13
Die moralische Zensur nach innen ist die eine von zwei Wurzeln der römischen Geschichtsschreibung. Bekanntlich ist diese ja, wie die gesamte römische Literatur, ein spätes Phänomen, wenn man bedenkt, dass Rom schon seit frühester Zeit alphabetisiert war.14 Doch als Fabius Pictor als erster römischer Autor seine römische Geschichte noch auf Griechisch verfasste, hatte er wohl auch im Sinn, das römische Volk, seine Geschichte und seine Politik in der hellenistischen Koine vorzustellen und zu rechtfertigen15 – dies ist die andere und, wenn auch für die Gattungsevolution weniger bestimmende, so vielleicht sogar ältere Wurzel der römischen Historie. Rechtfertigung nach außen, Moralisierung nach innen waren die Kennzeichen der frühen römischen Geschichtsschreibung in einer Phase der militärischen und innenpolitischen Krise. _____________ 11 Meyer (1961), 168 f. 12 Hinzu tritt Piso (L. Calpurnius Piso Frugi, geb. ca. 180; gest. nach 120 v. Chr.); vgl. dazu und zur zensorischen Stoßrichtung seines Geschichtswerks: Kienast (2003), 26–28. 13 Kienast (2003), 30. 14 Vgl. Gotter/Luraghi/Walter (2003), 9. 15 Wir bewegen uns wegen der fragmentarischen Überlieferung hier immer auf umstrittenem Terrain. Gruen (1992), 231 etwa hält Griechen als intendiertes Publikum für unwahrscheinlich und glaubt, dass das Griechische einfach zu diesem Zeitpunkt die Sprache der gebildeten Römer war und Pictors Geschichtswerk für eine solche Kulturelite gemeint war; für ein griechisches Publikum plädiert Kienast (2003), 15. Vermutlich spielten beide Aspekte eine Rolle.
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Allerdings musste sich eine genuin römische Geschichtsschreibung erst gegen andere, besser etablierte Formen des Vergangenheitsbezugs durchsetzen. Geschichte war in Roms vorliterarischer Zeit gleichsam in »Gedächtnisinseln« (Hölscher) parzelliert,16 sie wurde in politischen Debatten vermittels exempla aktualisiert, man fand ihre Spuren in den Triumphalinsignien an den Häusern der Senatoren, als Denkmäler, bei Aufzügen, adligen Begräbnissen und an Erinnerungsorten, die immer wieder Geschichte präsent machten. Zentral war aber immer die Autorität der Oberschicht bei diesen Akten historischer Vermittlung. Die Autorität der Historie ist eine vom Amt geliehene.17 Ein derart parzelliertes Geschichtsbild setzt aber einen Konsens über die Geschichtsdeutung einerseits der Senatoren untereinander, andererseits des Staates – verstanden als ein Miteinander von Senat und Volk – voraus, um nicht auseinander zu fallen. Dieser Konsens zerbricht während der punischen Kriege und danach allmählich, wenn große Einzelne wie Marcus Fulvius Nobilior oder die Scipionen nach den von
_____________ 16 Hölscher (2001), 199: »Alle diese Denkmäler bezeichneten einzelne Punkte aus ganz heterogenen, isolierten Gedächtnis-Inseln […]. Von einer kohärenten ›Geschichte‹ im Sinn der Geschichtsschreibung war dies weit entfernt […]«. 17 Die Formen römischer memoria während der Republik sind gerade in den letzten Jahren in der Klassischen Philologie und der Alten Geschichte zu einem bedeutenden Forschungsthema mit entsprechend umfangreicher Literatur angewachsen. Dies verdankt sich im deutschen Sprachraum auch der Neuedition der Fragmente der republikanischen Geschichtsschreibung vor Sallust durch Beck und Walter (Historiker I [2005] und Historiker II [2005]). In der Tendenz kann man sagen, dass erstens das Bewusstsein dafür geschärft wurde, dass die römische Geschichtsschreibung nicht einfach dem begehrenden Blick der kulturlosen Römer auf das literarische Niveau Griechenlands zu verdanken ist (so noch Albrecht [1994], 43: »Literatur ist in Rom eine späte Erscheinung. Es vergeht ein halbes Jahrtausend der Kämpfe, in dem man von Büchern kaum zu träumen wagt, bis sich das Bedürfnis regt, dem griechischen ein kunstmäßiges lateinisches Schrifttum an die Seite zu stellen«), sondern veränderten Kommunikationsbedingungen in der Oberschicht geschuldet ist, die auch aber nicht nur etwas mit der griechischen Bildung zu tun hatten (Gruen [1992], 235: »The embrace, however, was neither simplistic nor one-dimensional.« Vgl. auch besonders die Einleitung von Gotter/Luraghi/Walter [2003], 12 f.) Damit ist zweitens die Erkenntnis verbunden, dass Geschichtsschreibung nur eine von mehreren Möglichkeiten ist, memoria lebendig zu halten, deshalb wurde gefragt, welche anderen Medien des Vergangenheitsbezugs in Frage kommen und wie diese organisiert sind. Politische Rituale (»pompa funebris, pompa triumphalis«: Flaig [2003]), Rhetorik, Topographie, Monumente usw. rückten ins Blickfeld (Hölscher [2001]). Außerdem wurde drittens danach gefragt, ob es Modi der Teilhabe des schriftlichen Mediums Geschichtsschreibung an monumentalen oder performativ/rituellen Formen der memoria gibt (Reinszenierungen politischer Rituale im verschriftlichten Medium, Monumentalstil, der öffentliche Inschriften usw. kopiert: Feldherr [1998]; Holliday [2002]). Ebenfalls gehört in diesen Komplex der Medien und Kommunikationsformen die Frage nach der Autorität des Autors. Warum erklärt ein Autor aus der Oberschicht seinen peers, wie Geschichte zu verstehen ist? Oder noch problematischer: Wie erklärt ein Zugereister, ein Klient, ein Ritter (z. B. Ennius, Livius) den Senatoren die Taten ihrer Ahnen (Walter [2003]; Gotter/ Luraghi/Walter [2003], 13 f.)? Einen guten Überblick über alle diese Fragen vermittelt Walter (2004).
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ihnen errungenen militärischen Erfolgen es nicht einsehen, wieder in die Gruppe der Adligen zurückzukehren und anderen Platz zu machen.18 Wenn eine Geschichtsschreibung in diese Situation hineinsprechen will, muss sie etwas haben, was die bisherigen Medien zur Transmission von Geschichte nicht hatten: Sie muss den übergreifenden Konsens formulieren, ohne einzelne Familien oder Personen über die Gebühr in den Mittelpunkt zu stellen. Was heißt das? Noch Livius beklagt sich in seinem Werk über die einseitige Tendenz der Familienarchive, die er offenbar als Quellen eingesehen hat. Jede angesehene gens in Rom hatte ein solches Familienarchiv, in dem die Ämter und Taten der männlichen Mitglieder verzeichnet waren; vermutlich befand es sich jeweils im Vorraum einer domus, zusammen mit dem Schrank für die Wachsmasken der Ahnen, die bei den Beerdigungen von Schauspielern durch die Stadt Rom getragen wurden, und den dort befindlichen Stammbäumen. Schriftlich niedergelegte Historie hatte aber gerade mit Stammbäumen und Wachsmasken wenig zu tun.19 Niemand hätte in Rom eine Gesamtgeschichte Roms lesen wollen, in der Fabius Pictor die Fabier verherrlicht.20 Solche Buchrollen21 hätten sich nur die Fabier selbst für ihre Archive abschreiben wollen, eine Öffentlichkeit hätten sie nie erreicht. Die römische Geschichtsschreibung war daher am Anfang in ihrer Tendenz antigentilizisch, antipanegyrisch und antidynastisch oder musste, falls sie doch Interessen einzelner gentes propagieren wollte, zumindest zurückhaltend formuliert sein. Programmatisch wurde das gemacht vom homo novus Cato, der in seinen Origines sämtliche Namen – bis auf den eines punischen Elefanten – wegließ. Das freilich hat sich so nicht wiederholt.22
2. Die Herausforderungen der strukturellen Gestaltung Dieser Aspekt scheint schon einmal a priori wichtig zu sein, wenn wir an die humanistische Geschichtsschreibung denken, die nicht selten – Cuspinian sagt es ja sehr offen – das Leben eines einzelnen Adligen verherrlichen und seine Dynastie beleuchten soll. Eine Heiligenvita etwa, wie die Leopolds III., die für Cuspinian (vermutlich) die Erhebung zum poeta laureatus durch den Kaiser mit sich _____________ 18 Die Literatur zu diesem Phänomen ist Legion. Klassisch immer noch: Meier (1988), 49–58; insgesamt liegt der Fokus seiner Untersuchung auf der Zeit nach 133 v. Chr. (vgl. S. 49). 19 Zur Kritik des Livius an den Familienarchiven (genauer: den laudationes funebres und den tituli unter den Wachsmasken) Livius 8, 40, 4–5. Wichtige Quellen waren die Familienarchive dennoch für die römischen Historiker, namentlich für quellenarme Zeiten; vgl. Oakley (1997), 28– 33. 20 Vgl. Beck (2003), 88. 21 Zur materialen Seite der lateinischen Buchproduktion vgl. Cavallo (1999), 99–100. 22 Vgl. Gotter (2003), 115–116.
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brachte,23 konnte auf eine solche Annalistik kaum zurückgreifen. Aber sie kann in einer anderen Hinsicht sehr wertvoll werden, nämlich bei der Gewichtung von Quellen für die jeweilige Frühzeit von Nationalgeschichten. Den Humanisten ist in der Regel klar, dass sie hier ein Quellenproblem haben. Das ist den Römern nicht anders gegangen und doch haben sie eine Lösung gefunden, den Mangel einerseits zu benennen und ihm dennoch abzuhelfen, indem die kursierenden Legenden gleichsam in ein Raster narrativer Verlässlichkeit gelegt wurden. Daher empfiehlt es sich nach diesen grundsätzlichen Vorüberlegungen zum Wirkungshorizont römischer und humanistischer Geschichtsschreibung das annalistische Modell etwas genauer anzusehen, dessen letzter ironischer Gattungsbeitrag die Annales des Tacitus waren.24 Die annalistischen Werke der Republik sind samt und sonders durch das letzte annalistische Großprojekt, nämlich das Werk des Livius (Ab urbe condita) verdrängt worden. Das muss in diesem Zusammenhang aber nur zum Teil beeindrucken, weil es eben das Werk des Livius war, das auf die Humanisten zuerst seinen tiefen Eindruck machte und wir also die Gattungsregeln getrost auf diesen Autor engführen dürfen. Das empfiehlt sich auch deshalb, weil die Rekonstruktion der Genese des annalistischen Schemas aus den Fragmenten der frühen römischen Historikern bis heute Gegenstand konträr geführter Debatten ist,25 auf die im Folgenden nur da eingegangen wird, wo paradigmatische Fragestellungen für die Entstehungsgeschichte der humanistischen Geschichtsschreibung erhofft werden. Die Annalistik schrieb römische Geschichte von den Anfängen her, das heißt vom Auszug des Aeneas aus Troja bis in die jeweilige Gegenwart des Schreibers. Abgeschlossen wurden diese Werke eigentlich nie, denn der Autor schrieb oft, bis er starb – ähnlich wie der italienische Humanist Polydor Vergil, der seine Geschichte Englands erst bis auf das Jahr 1509 (Tod Heinrichs VII.) führte, später bis auf das Jahr 1538.26 Werkumfänge von 60 bis 70 Büchern (Livius hatte sogar 142) – wir rechnen hier in Buchrollen, das entspricht etwa 70 Druckseiten pro Buch – waren daher nichts Ungewöhnliches. Soweit wir es rekonstruieren können, wuchsen die Werke nicht allein durch den neu hinzugekommenen Stoff der Zeitgeschichte, sondern auch die Frühzeit wurde, obwohl die Quellenlage bereits für die antiken Autoren _____________ 23 Die Vita selbst ist verloren: vgl. Stelzer (2006), 520. Immerhin scheint der Beginn der Austria ja irgendwie an dieses frühe Werk anzuknüpfen (vgl. Ankwicz-Kleehoven [1959], 246 Anm. 67); vgl. außerdem oben bei Anm. 6 den Umstand, dass Cuspinian mit scripturus vitam eine Heiligenbiographie zitiert). 24 Für die annalistische Struktur von Tacitus’ Werk und seine Modifikationen vgl. Graf (1931); Walker (1981), 13–32; Sage (1990), 974–975. 25 Nicht einmal die Herausgeber Gotter/Luraghi/Walter (2003) konnten sich in ihrem Vorwort auf eine gemeinsame Linie einigen, welcher Einfluss den Priesterannalen auf die Evolution der Geschichtsschreibung in Rom zukommt. 26 Allgemein zu Polydor vgl. Copenhaver (2002); Weiss/Pérez (1997); Rexroth (2002) [zur Datierung 419]; Hay (1952) [zur Datierung 79–85], Sutton (2005), Atkinson (2007).
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spürbar schlecht war, immer breiter erzählt.27 Warum taten römische Historiker das immer wieder – ohne verschweigen zu wollen, dass die Römer, um der ständigen Wiederholung zu entgehen, auch ein rein zeitgeschichtliches Modell für Geschichtsdarstellungen (historiae) entwickelt haben?28 Rom hatte eine andere Mythenstruktur als die Griechen. Die Frühzeit Roms wurde wie ein Mythos verwendet, auch wenn er als historisch beschrieben wurde. Die Taten des Aeneas, des Romulus und des Brutus (des Vertreibers der etruskischen Könige) bildeten gleichsam erklärende Ursprungsgeschichten, Aitien für das jeweils gegenwärtige Rom.29 Durch die Genese der römischen Geschichtsschreibung aus einer politisch-sozialen Sinnkrise heraus und aus dem Anliegen, Roms Herrschaftsanspruch im Mittelmeerraum zu rechtfertigen, lag es daher im Interesse vieler römischer Historiker, diese Frühzeit immer wieder neu zu erklären, darzustellen und vor allem mit den bisherigen Fassungen, die ja immer mehr wurden, abzugleichen.30 Dass nach und während der Zäsur, die die Errichtung der Monarchie durch Augustus bedeutete, noch einmal Bedarf an einer solchen aitiologischen Frühgeschichte bestand, die das neue »System« rechtfertigte, liegt auf der Hand und erklärt die Entstehung (und den Erfolg) sowohl des livianischen wie auch des vergilischen Werks. Tacitus dagegen zeigt sich in dem zitierten Proömium bereits eines weiteren Transformationsprozesses bewusst, der die überkommene Gattung der Annalen nur noch bedingt für eine Kaisergeschichte tauglich erscheinen lässt. Für einen römischen Leser liegt in seinem Proömium ein programmatischer Sarkasmus, wenn Tacitus hier Werke von bis zu 140 Büchern in fünf Zeilen zusammenfasst. Tacitus’ Werk gibt sich als ein Werk der Annalistik nur dadurch zu erkennen, dass es rein formal die römische Geschichte von den Anfängen bis in die Gegenwart erzählt. Gleichzeitig macht Tacitus aber deutlich, dass das annalistische Modell obsolet ist, weil der Bruch zwischen Republik und Monarchie so fundamental ist, dass nicht nur die Frühzeit, sondern die ganze republikanische Geschichte aufgehört hat, Aition der Gegenwart zu sein. Denn Thema seiner kurzen »Gesamtgeschichte« ist ja nur, wenn wir den Blick noch einmal auf das eingangs gebotene Zitat richten, der maßgebliche Unterschied der vor-augusteischen Verfassung zur erlebten Kaiserzeit: Früher wurden Amtsvollmachten nur auf Zeit verliehen, jetzt aber befinden sie sich auf Lebenszeit in den Händen immer ein und desselben princeps, der sie sich eher nimmt, als dass er sie verliehen bekommt. _____________ 27 Vgl. Kienast (2003), 29. 28 Siehe dazu unten bei Anm. 31; vgl. auch Walter (2003), der das umfangreiche Werk des Cn. Gellius (um 133 v. Chr.), der die Frühgeschichte mit aitiologischen, etymologischen und mythenrationalistischen Methoden (S. 138) sowie mit antiquarischer Gelehrsamkeit aufgebläht hatte, als einen Irrweg darstellt (S. 137 f.) und erst den Neuansatz in den 90er Jahren des ersten vorchristlichen Jahrhunderts als Ausweg aus der annalistischen Sackgasse wertet (S. 143 ff.). 29 Vgl. Graf (1993), 38–43. 30 Vgl. Kienast (2003), 29 und 57–59.
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Tacitus folgt damit eigentlich einem zweiten historiographischen Modell, das zeitversetzt etwas später entstanden ist, dann aber parallel zur Annalistik in Rom Bestand hatte, nämlich den Historien, in denen sich die Autoren, um ständige Wiederholungen zu vermeiden, auf die Zeitgeschichte beschränkten. Sein anderes großes Werk trägt auch den Namen Historien, aber in gewisser Weise schreibt Tacitus auch in den Annalen (ein Titel, der ohnehin erst ab der Ausgabe von Lipsius 1574 nachweisbar, also humanistisch geprägt ist) Zeitgeschichte.31 Das annalistische Modell bezeichnet also eine Gesamtgeschichte der Stadt Rom in strikt chronologischem Nacheinander. Rom hatte mehrere Magistrate und militärisch operierte es immer an mehreren Orten gleichzeitig. Das musste narrativ bewältigt werden. Hilfe bot hier die im engeren Sinne annalistische Organisation des Stoffes, d. h. eine Gliederung der Ereignisse in Anlehnung an offizielle Kalender und Magistratslisten. Die philologische Debatte um den Anfang dieses Organisationsschemas hält noch an; nach der Ansicht einiger Forscher war die frühe Annalistik, also die des 2. Jahrhunderts um Cato und Piso eigentlich noch keine – man darf ja nicht vergessen, dass die Römer die Gattung Historiographie nicht erfinden mussten, sondern bei den Griechen reichlich Angebote vorfanden, die sie auch gerne rezipierten32 – während erst die Geschichtsschreibung des 1. Jahrhunderts v. Chr. das eigentlich annalistische Schema avanciert hat. In dieser Zeit fassen wir auch den allmählichen Niedergang des Sozialprestiges der _____________ 31 Die Unterscheidung historiae für zeitgeschichtliche Geschichtswerke und annales für Gesamtgeschichten hat sich in Rom erst in augusteischer Zeit eingebürgert. Die Titel der frühen annalistischen Werke sind unklar überliefert und können austauschbar res gestae, historiae, annales oder eben auch origines (Cato) gelautet haben; vgl. Beck/Walter, Historiker I (2005), 44 f. Claudius Quadrigarius, ein Annalist aus dem 1. Jahrhundert v. Chr. hat übrigens seine Geschichte auch nicht mit der Frühzeit einsetzen lassen, sondern erst ca. 390 v. Chr., also mit dem Galliersturm, dennoch gilt sein Werk als Gesamtgeschichte (vgl. Kienast [2003], 48–49, 57; Beck/Walter, Historiker II [2005], 110). Es ist ebenso denkbar, dass auch Tacitus selbst seine Annalen noch gar nicht als annales betitelte, sondern sie den Titel Ab excessu divi Augusti trugen – ähnlich dem (annalistischen) Werk des Livius (Ab urbe condita); vgl. die Einleitung von Koestermann zu Tacitus, ann., 55; Schmal (2005), 62 (auch zum Jahr 1574). Vgl. auch besonders Sage (1990), 954: »There are parallels in the ›Ab urbe condita‹ of Livy and the ›A fine Aufidii Bassi‹ of the elder Pliny. Such a title would not only be descriptive, but might have carried an ironic allusion to Livy’s work.« 32 Cicero (de or. 2, 51–53) ist verantwortlich für eine lange philologische Tradition, nach der die römische Historie evolutionär aus listenförmigen Annalen hervorgegangen sei (»erat enim historia nihil aliud nisi annalium confectio«), die nach und nach narrativ ausgefüllt worden seien. Unsere sämtlichen Quellen sprechen dagegen (vgl. Beck/Walter, Historiker I [2005], 20 f.). Statt dessen sind die griechischen Lokal- und Ktisis-Geschichten, besonders aus dem sizilischen Raum, hier als erstes Erzählmodell der Wahl zu nennen (ebd., 22 und Gotter/Luraghi/Walter [2003], 12). Livius (7, 2) pflegt einen ganz ähnlichen Evolutionismus in seiner Geschichte des römischen Theaters und bringt es fertig, eine Gattungsgeschichte aus mündlichen Scherzritualen junger Männer zu erzählen und dabei den Umstand klein zu reden, dass die fabulae des Livius Andronicus, des ersten Theaterschriftstellers in Rom, selbstverständlich ein fertiger Import aus Griechenland waren (Übertragungen griechischer Originale): vgl. Beare (1964); Suerbaum, »Entwicklung« (2002), 55.
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Autoren: Es ist nicht mehr selbstverständlich, dass Senatoren Geschichte schreiben. Die Gattung selbst bedarf jetzt einer bestimmten Autorität, und sie holt sich diese durch einen Schreibstil und eine Textorganisation, die offizielle, zum Teil sakrale Dokumente zitiert und nachahmt. Möglicherweise ist der Vorreiter dieser Stofforganisation und Selbstautorisation der Dichter Ennius gewesen.33 Dabei spielen vermutlich besonders die Priesterannalen eine Rolle als Vorbild, eine Art Weißbuch, in das die pontifices zentrale Daten des Jahres eintrugen: den Amtsantritt der Konsuln, Feste, Vorzeichen,34 Ernten, Kampagnen und Wahlen. Diese Struktur ist es, die wir sowohl bei Livius als auch bei Tacitus noch fassen können. Hinzu kommt eine Trennung des Stoffes in Innen- und Außenpolitik. Wir können uns dies einmal an einem wenig spektakulären Beispiel aus dem Werk des T. Livius ansehen. Es folgt der vollständige Bericht für das Jahr 467 v. Chr. (Livius 3, 1 mit dem Anfang von 3, 2 [466 v. Chr.], um den Rhythmus der Jahresanfänge deutlich zu machen): Antio capto, T. Aemilius et Q. Fabius consules fiunt. Hic erat Fabius qui unus exstinctae ad Cremeram genti superfuerat. Iam priore consulatu Aemilius dandi agri plebi fuerat auctor; itaque secundo quoque consulatu eius et agrarii se in spem legis erexerant, et tribuni, rem contra consules saepe temptatam adiutore utique consule obtineri posse rati, suscipiunt, et consul manebat in sententia sua. Possessores et magna pars patrum, tribuniciis se iactare actionibus principem ciuitatis et largiendo de alieno popularem fieri querentes, totius inuidiam rei a tribunis in consulem auerterant. Atrox certamen aderat, ni Fabius consilio neutri parti acerbo rem expedisset: T. Quincti ductu et auspicio agri captum priore anno aliquantum a Volscis esse; Antium, propinquam, opportunam et maritimam urbem, coloniam deduci posse; ita sine querellis possessorum plebem in agros ituram, ciuitatem in concordia fore. Haec sententia accepta est. Triumuiros agro dando creat T. Quinctium A. Verginium P. Furium; iussi nomina dare qui agrum accipere uellent. Fecit statim, ut fit, fastidium copia adeoque pauci nomina dedere ut ad explendum numerum coloni Volsci adderentur; cetera multitudo poscere Romae agrum malle quam alibi accipere. Aequi
_____________ 33 So dezidiert Walter (2004), 258–279. Dies wäre insofern interessant, als seine Annales noch vor dem ersten lateinisch geschriebenen Geschichtswerk, also den Origines des Cato, vorlagen. Ennius war Messapier und kein Mitglied der römischen Nobilität. Es ist denkbar, dass Ennius sich die Autorität offizieller Quellen für sein Geschichtswerk geliehen und gleichzeitig ein Organisationsschema geschaffen hat, das gerade dann wieder attraktiv wurde, als der soziale Status der Historiker sank, diese also ebenfalls Modi der Selbstautorisation brauchten. Auch hier liegt ein gewisser Unterschied zur humanistischen Geschichtsschreibung, deren Autoren sich ihre Autorität erstens von Gönnern leihen und zweitens durch einen wissenschaftlichen Anspruch bekräftigen. Selbst wenn diese protowissenschaftliche Methodik von den antiken Autoren geborgt oder abgeguckt war (siehe unten zum Euhemerismus Seite 65 f.), muss doch darauf hingewiesen werden, dass für den römischen Historiker die rationale Methodik nicht zentrales Autorisationsmittel war. Rom war eine »Gesellschaft, in der es noch lange Zeit [nach Ennius, F. W.] viel wichtiger sein sollte, wer etwas sagte, als was er sagte« (Walter [2004], 263). 34 Vgl. Distelrath (2001), 369: »p.-Listen, die letztlich auf priesterliche Aufzeichnungen zurückgehen«.
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a Q. Fabio – is eo cum exercitu uenerat – pacem petiere, inritamque eam ipsi subita incursione in agrum Latinum fecere. [2] Q. Seruilius insequenti anno – is enim cum Sp. Postumio consul fuit – in Aequos missus in Latino agro statiua habuit.35
Daraus ergibt sich folgendes Raster: 1. Die Ereignisse werden jahrweise geordnet, der Jahresbeginn wird durch die Konsuln gekennzeichnet, wobei der Historiker die dokumentarische Information, die er vielleicht aus den Consularfasti entnommen hat, durchaus künstlerischnarrativ variieren kann (Livius 3, 1: »Antio capto Ti. Aemilius et Q. Fabius consules fiunt« oder 3, 2: »Q. Seruilius insequenti anno – is enim cum Sp. Postumio consul fuit«). 2. Dann kommt, wenn nicht gerade ein Krieg andauert, was zumindest in der Frühzeit bei Amtsantritt häufig nicht der Fall war, weil oft nur im Sommer Krieg geführt wurde, die Innenpolitik: Livius fährt hier mit einem Ackergesetz fort. Fabius setzt seine Vorstellung durch, dann werden Amtsträger gewählt. Als Dreimänner für die Ackerverteilung werden T. Quinctius, A. Verginius, P. Furius gewählt. 3. Es folgen dann Kriege und Außenpolitik, hier gibt es an unserem Textbeispiel nur eine kurze Nachricht: Die Aequer erbaten von Q. Fabius Frieden, und machten ihn selbst durch einen Überfall auf den ager Latinus zunichte. _____________ 35 Livius 3, 1: »Nach der Einnahme Antiums werden T. Aemilius und Q. Fabius Konsuln. Letzterer war eben der Fabius, der als einziger von der am Cremera-Bach ausgelöschten gens übrig geblieben war. Schon in seinem früheren Konsulat war Aemilius der Urheber einer Ackerzuteilung an die plebs gewesen. So machten sich auch bei seinem zweiten Konsulat die möglichen Günstlinge eines Ackergesetzes Hoffnungen auf ein solches und auch die Volkstribunen griffen das auf, weil sie glaubten, dass das Unternehmen, das man gegen den Willen der Konsuln oft versucht hatte, mit einem Konsul als Beistand so oder so gelingen müsse; der Konsul selbst blieb bei seiner Absicht. Indem die Landbesitzer und ein großer Teil der Senatoren beklagten, dass ihr angesehenster Politiker sich in tribunizischer Politik sonne und durch Freigiebigkeit mit fremdem Besitz ein Volksfreund werde, lenkten sie den Unmut in der ganzen Angelegenheit von den Tribunen auf den Konsul. Es hätte sich daraus ein hässlicher Streit ergeben, wenn nicht Fabius die Sache mit einem Vorschlag, der für keine Seite allzu bitter war, bereinigt hätte: Unter der Führung des T. Quinctius habe man doch im vorigen Jahr einiges an Ackerland von den Volskern erobert. Nach Antium, einer nahen, günstig gelegenen und küstennahen Stadt, könne eine Kolonie geschickt werden; so würde die plebs ohne Klagen der Landbesitzer zu Ackerland kommen und die Bürgerschaft in Eintracht leben. Dieser Vorschlag wurde angenommen. Als Dreimännerkollegium für die Ackerverteilung wählte er T. Quinctius, A. Verginius und P. Furius; wer Ackerland bekommen wollte, musste seinen Namen angeben. Das große Angebot schuf sofort, wie das so geht, einen Überdruss und es gaben nur so wenige ihren Namen an, dass man volskische Kolonisten hinzufügen musste, um das Soll zu erfüllen. Die übrige Menge forderte, lieber in Rom Ackerland zu erhalten als anderswo. Die Aequer erbaten von Fabius – der war nämlich mit einem Heer dorthin gekommen – Frieden, und machten ihn selbst durch einen Raubzug in den ager Latinus wieder ungültig.« 3, 2: »Im folgenden Jahr wurde Q. Servilius – er war nämlich zusammen mit Sp. Postumius Konsul – zu den Aequern geschickt und unterhielt auf dem ager Latinus ein Standlager […].« Übersetzung von mir, unter Zuhilfenahme der Livius-Übersetzung von Ludwig Fladerer.
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Für dieses ereignis- oder quellenarme Jahr hat Livius eine Seite Text gebraucht. Hätte es noch Vorzeichen gegeben, wären sie wohl spätestens am Ende des Jahres genannt worden, etwa ein Steinregen oder eine Missgeburt usw. Ähnliches gilt für Naturkatastrophen (z. B. Vulkanausbruch) oder menschliche Tragödien (Theatereinsturz), sofern sie nicht direkte Auswirkungen auf die innenpolitischen oder außenpolitischen Maßnahmen haben. In Livius 3, 2 z. B. kann der Konsul seine Operationen gegen die Aequer wegen einer Seuche nicht ausführen; dies wird natürlich gleich eingangs mitgeteilt.36 Tacitus organisiert seine Kaisergeschichte ganz ähnlich, nur dass er auf das Kaiserhaus fokussiert statt auf die Kurie des Senats. Aber Innen- und Außenpolitik finden sich auch bei ihm geschieden, ebenso werden die Datierungen durch die Konsuln bezeichnet, und am Ende des Buches die Vorzeichen und sonstigen Ereignisse, die nicht in die Intrigenwelt der domus Augusta oder den Krieg gehören. Fassen wir einmal kurz zusammen: Die große römische Geschichtsschreibung des Livius und des Tacitus ist annalistisch strukturiert, sie erzählt kontinuierlich von einem als Ursprung erlebten Anfang – sei es die Gründung Roms oder der Beginn des Prinzipats –, sie ordnet den Stoff nach Jahren, wobei beliebig viele Jahre in ein Buch passen dürfen, die Jahre nach Innen- und Außenpolitik (Reihenfolge beliebig), die Außenpolitik wird nach militärischen Kampagnen beurteilt und damit oft der Logik der Schlachtdarstellung unterworfen, die Innenpolitik bildet bei Livius den Geschäftsgang des Senats ab und konzentriert sich dort, bei Tacitus treten an die Stelle der senatorischen Innenpolitik die Intrigen in der domus Augusta. Es ist wohl offensichtlich, dass mit dieser kurzen Skizze nur ein Bruchteil dessen gesagt ist, was man zur römischen Geschichtsschreibung sagen kann; ferner ist klar, dass damit nicht einmal alle historiographischen Gattungen abgedeckt sind: nicht die Biographie (z. B. Nepos und Sueton), nicht die Monographie (z. B. Sallust und wiederum Tacitus), nicht die antiquarische Literatur (z. B. Varro und Verrius). Es erscheint dennoch sinnvoll, sich an dieser Stelle exemplarisch und konsequent auf die ›große‹ Geschichtsschreibung zu konzentrieren.
3. Die Erfordernisse einer humanistischen Nationalgeschichte Das Projekt der Humanistenhistorie hat in der Regel zwei Aspekte: die historiographische Konzeption eines territorial-ethnisch definierten Gebietes und den biographischen Erzählmodus eines oder mehrerer Fürstengeschlechter, die in diesem _____________ 36 In Livius 3, 5, 14–15 stehen einige beunruhigende prodigia z. B. an typischer Stelle am Schluss des Buches, allerdings scheint es auch sachlich gegeben zu sein, finden sie doch laut Livius’ Schilderung erst am Ende des Jahres statt. Auch Tacitus bietet solche Elemente, die man wohl als typisch annalistisch bezeichnen darf, gerne am Ende eines Buches.
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Gebiet geherrscht haben. Die Kaiserbiographie wird in diesem Band bereits durch den Beitrag von Elisabeth Klecker behandelt. Daher soll hier eher das annalistische Modell im Hinblick auf die humanistische Regionalgeschichtsschreibung noch etwas weiter problematisiert werden. Die Untersuchung wird dabei exemplarisch den Humanisten Polydor Vergil in den Mittelpunkt rücken, der für eine solche Fragestellung – die Frage nach der Transformation antiker narrativer Modelle in der Historiographie – eine besonders geeignete Gestalt ist. Im Übrigen liegt auch hier durch die Arbeit Freemans bereits eine erste Sichtung des biographischen Modus und seiner antiken Vorbilder vor. Der Humanismus ist in England ein spätes Phänomen und gerade im Bereich der Geschichtsschreibung werden antike Vorbilder nur zögerlich rezipiert. The only explicitly historical work to emerge from the humanist circle was that of Polydore Vergil and More, and it had better be stated at once that More shows us the historian as a creative artist in ways that Vergil never does. Vergil indeed remains, as Antonia Grandsen argues, a transitional figure, looking back to medieval traditions as much as pointing forward to humanism: neither he nor More wrote on Roman history directly, presumably out of veneration for the classical models […].37
Paul Dean betont in seinem Überblick über die englische Geschichtsschreibung vor Shakespeare den humanistischen Charakter der Historiographie besonders als einen methodischen Zugriff auf antike Texte, den er, und das ist für die vorliegende Untersuchung zentral, als ein »neues Verständnis von Zeit« beschreibt. Humanistische Historie musste sich zuerst – und dies ist gerade im Bereich Polydor Vergils ganz offensichtlich – gegen eine Historie der ritterlichen Romanze durchsetzen, in der Zeit einen Raum darstellt, den der Held subjektiv zu seiner Entfaltung nutzt, während der humanistische Historiker Zeit objektiviert und als ein historisch je spezifisches Phänomen fasst.38 Dieser Aspekt der zeitlichen Organisation ist mit Nachdruck zu betonen, wenn nach der Bedeutung der antiken Geschichtsschreibung für die Humanistenhistorie gefragt wird. Stilkopien, anekdotische Anleihen und christliche Bemächtigungen antiker Quellen hat es seit der Spätantike und besonders im Mittelalter auch in England schon immer gegeben.39 _____________ 37 Dean (1988), 98 f. Er bezieht sich auf Gransden (1982), 433–435. Zum Humanismus als spätem Phänomen in England vgl. Dean (1988), 85 und 89. 38 Vgl. Dean (1988), 91, 93. 39 Vgl. ebd., 85. Besonders gut lässt sich das an der Kirchengeschichte Bedas zeigen. In der Ausgabe von Plummer sind die Übernahmen aus antiken und spätantiken Quellen (z. B. Plinius d. Ä., Orosius, Solinus, Gildas) kursiv gesetzt. Der Text ist so zum Teil ein Flickenteppich aus verschiedenen anderen Texten; eine Technik, die Polydor Vergil zum Teil auch noch anwendet (siehe unten), wenn auch nicht in so extensiver Form. Anders geht Geoffrey of Monmouth vor, der ganz offensichtlich Motive und narrative Erzählmodelle der antiken Epik und der Bibel kopiert, aber wohl keine oder fast keine wörtlichen Zitate bringt: der erste König Englands, Brutus, ist eine Mischung aus Aeneas und Mose, wenn er, ein Enkel des Aeneas, aus Italien vertrieben, die einst von Pyrrhus, dem Sohn des Achilles’ versklavten Trojaner aus der Gefangenschaft führt. Allgemein zu Beda vgl. Fry (1980).
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Humanistische Rezeption ist aber in einem tieferen Sinne immer auch Transformation, insofern ein Geschichtsverständnis der Antike herangezogen und für eigene Zwecke transformiert wird. Die Notwendigkeit einer Unterscheidung von Rezeption und Transformation zeigt überdeutlich eine Untersuchung von Thomas Freeman, der beklagt, dass die antiken Wurzeln der Anglica historia in der englischen Philologie zu wenig bedacht werden. Obwohl er die Bedeutung von Caesar, Livius und Tacitus im Grundsätzlichen betont, sieht er bei Polydor Vergil überhaupt keine (!) Anklänge an Livius und an Caesar nur wenige, während er Sallust und, vermittelt durch die Papstbiographien des Bartolomeo Platina, Sueton für die Biographien der Könige im Allgemeinen und die Richards III. im Besonderen als literarische Vorbilder ansieht.40 Dabei überrascht nicht nur die offensichtlich falsche Ansicht über Livius, vor der bereits Hays bahnbrechende Studie hätte bewahren können,41 sondern auch die Vermengung zweier Rezeptionsmodi. Spricht er im Falle von Livius, Caesar und Tacitus eher von Zitatübernahmen oder direkter Quellenausbeutung (S. 193: »Caesar’s description of Britain and his campaigns there«), so beschreibt er im Falle des Sallust durchaus die Übernahme eines Geschichtsverständnisses. Eine solch enge Vorstellung von Übernahmen aus antiken Quellen bezeichnet, besonders im ersten Falle der Quellenauswertung und Zitierung, eher das, was gemeinhin als Rezeption verstanden wird. Dagegen zielt der moderne Begriff der Transformation, wie er im SFB 644 weiterentwickelt wird, auf eine kreative Aneignung von Denkkonzepten und ließe sich eher auf Freemans Analyse der Biographie Richards III. (in der Anglica historia) anwenden: The influence of Tacitus on the Anglica historia was more a matter of shared assumptions and attitudes about history and human character than of direct imitation, but Sallust’s influence is pervasive, particularly for the reign of Richard III.42
Mit der gleichen Methodik wäre er aber auch bei Livius und Caesar weiter gekommen, wie sich im Folgenden wird zeigen lassen. Hier leidet Freemans Untersuchung offenbar an einem anderen Wahrnehmungsstereotyp von Polydor Vergils Geschichtswerk: Es wird erst ab der Biographie Richards III. als Quelle innovativ und daher für die traditionelle Forschung attraktiv.43 Zunächst nochmals einige Vorüberlegungen: Humanisten schreiben Nationaloder Regionalgeschichten in der Regel im Hinblick auf eine bestimmte Dynastie _____________ 40 Vgl. Freeman (1992), 192, über die geringe Beachtung der historischen Vorbilder; ebd., 193– 195, zum konkreten Gebrauch römischer Historiker durch Polydor Vergil, vgl. besonders S. 193: »Yet the influence of Livy on the Anglica historia was nil.« (Dieses letzte Zitat könnte sich auch auf die Aussage von Hay [1952], 105 Anm. 1 gründen, der bei den wörtlichen Zitaten aus der antiken Literatur bei Polydor Vergil Livius auch nicht nennt.). 41 Vgl. Hay (1952), 86 mit Anm. 1. 42 Freeman (1992), 195. Freilich belegt auch diese Aussage, dass Freeman direkten Zitaten den Vorrang gibt. 43 Vgl. Sutton (2005) in ihrer Einleitung Anm. 5.
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und im Hinblick auf einen territorialen Anspruch, das heißt sie schreiben im Kontext der Entstehung des neuzeitlichen Territorial- und Nationalstaats. Für beide Anliegen, die Dynastie und den Territorialstaat, ist die römische Geschichtsschreibung nicht entwickelt worden, sie ist im Gegenteil, wie bereits gesagt wurde, dezidiert antidynastisch. Das gilt auch für die frühe und hohe Kaiserzeit. Zwar befindet sich der Staat da in den Händen einzelner gentes, aber eine gens ist keine Dynastie. Ein Kaiser kann aus seiner Familie adoptieren, wen er will, um ihn zu seinem Nachfolger zu machen, er muss nicht einmal jemanden aus der Familie wählen.44 Das heißt, auch wenn wir gentile Interessen der Kaiser erkennen können, werden sie als geschichtliches Argument von den Historikern kaum hervorgehoben. Livius äußert sich zum Anspruch der Julier, von Aeneas abzustammen, – ein Element, das für die narrative Organisation der vergilischen Aeneis zentral ist – gar nicht. Die bei den humanistischen Autoren so beliebten Genealogien spielen in der römischen Historie eine kleine und ganz anders organisierte Rolle. Die Humanisten nehmen teil an der frühneuzeitlichen Nationsbildung: Heinrich Bebel fragt nach Genese und Wesen der Schwaben, Cuspinian zeichnet die Geschichte Österreichs, der englisch-italienische Humanist Polydor Vergil schreibt die erste protowissenschaftliche Geschichte Englands.45 Der territoriale Aspekt aber fehlt, oder präziser: Er verflüchtigt sich in der römischen Nationalgeschichte. Die Römer wissen, wo ihre Stadt liegt, und sie kennen darüber hinaus kein Territorium, auf das sie sich festlegen lassen. Territorium ist, was man erobert hat und man hat es, weil man es erobert hat, nicht weil man dort schon immer gelebt hat. Der Fall liegt etwas anders bei der Stadt Rom selbst, aber auch Rom ist nicht römisch, weil die Römer immer schon dort lebten, sondern weil dort bestimmte Monumente, Erinnerungsorte und Infrastrukturen sind, ohne die die Römer nicht mehr Römer wären. Das macht Livius programmatisch in der Camillusrede (5, 51–54) nach dem Galliersturm, als die Römer erwägen, die vernichtete Stadt zu verlassen und in das reiche, von ihnen gerade eingenommene _____________ 44 Vgl. Flaig (1997), 20 und 33. 45 Die Fassung der Anglica historia von 1555 ist, mit einer vollständigen englischen Übersetzung und einer Einleitung versehen, von Dana F. Sutton 2005 ins Netz gestellt worden: vgl. Vergil, Anglica Historia (1555 version), . (Die Übersetzung ist allerdings zum Teil fehlerhaft – es gibt in Buch 1, 12 kein Life of Julius Caesar des Tacitus, und Polydor hat das auch nicht behauptet, sondern zitiert den Agricola; 1, 19 fehlen in der Übersetzung am Ende die von Polydor genannten Historiker Henry of Huntingdon und das Polychronicon des Ranulf Higden [Thorpe (1966), 29]); vgl. dies. in ihrer Einleitung: »The first edition of Polydore’s Anglica Historia, consisting of twenty-six Books and concluding with the death of Henry VII, was printed at Basel in 1534, and an enlarged version was printed there in 1546. In 1555 there appeared a posthumous third edition, also printed at Basel, adding a twentyseventh Book covering the reign of Henry VIII down to the birth of Edward VII in 1538. This last version was subject to a number of reprints (Basle 1556, Ghent 1556–57, Basle 1570–1, and Leiden, 1651).« Die Zählung der hier zitierten Stellen folgt aus Gründen der Übersichtlichkeit Sutton, wenn nicht anders angegeben, ist der Text mit der Ausgabe 1534 abgeglichen und folgt bei Abweichungen dieser.
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Veji zu ziehen. Erst Camillus muss ihnen ihre Stadt so zeigen, dass sie ihre Identität darin wieder erkennen.46 Der Boden stiftet Identität, keinen Anspruch. Polydor Vergil schreibt dagegen im Proömium an den englischen König Heinrich VIII.: Haec scilicet una prope res est quae ad summam laudem regni tui Angliae desideranda videbatur, quod cum rebus omnibus beatissimum sit, eius tamen magnitudo in bene multarum gentium ignoratione erat, quod nulla ferme foret historia qua cognoscere liceret quae Britanniae, quae nunc Anglia est, soli natura, quae gentis origo, qui regum mores, quae populi generatim vita, quibus artibus a principio tantum comparatum atque auctum imperium ad eam adspirasset magnitudinem.47
Polydor Vergil will die Herrlichkeit Englands in der Welt bekannt machen und damit den politischen Anspruch des englischen Königs stärken und schmücken. Für die Römer hingegen war Herkunft nicht in territorial-dynastischem, sondern in einem aitiologischen Sinne interessant. Catos Origines, die, weil (bis auf nicht zu vernachlässigende Fragmente) verloren, nicht Bezugspunkt für humanistische Geschichtsschreibung sein können, stehen in der Tradition der griechischen ktisisGeschichtsschreibung – und diese kennen die Humanisten zum Teil.48 Cato hatte zudem möglicherweise viele Gründungssagen italischer Städte in sein Werk integriert, und so hat diese Ktisis-Struktur in der römischen Geschichtsschreibung Spuren hinterlassen. Immerhin geht es ja den Römern auch immer ein wenig um Außenwirkung. Aber gerade bei Livius und Tacitus, erst recht im überlieferten Werk des Sallust, dünnen diese Spuren doch merklich aus. Was also tun? Polydor hat im reichen Angebot der lateinischen Literatur einen Topos gefunden, der ihm einen Ausweg ermöglicht:
4. Polydor Vergil und der commentarius Britannia omnis, quae hodie Anglia et Scotia duplici nomine appellatur, insula in Oceano contra Gallicum littus posita, dividitur in partes quattuor, quarum unam
_____________ 46 Feldherr (1998), 45–50; Walter (2004), 189–195. 47 Vergil, Anglica historia, Proömium: »Diese eine Sache ist es fast allein, die zum vollen Lob deines Königreichs England zu fehlen scheint. Denn wenn es auch an allen andere Dingen reich gesegnet ist, kannten doch recht viele Völker seine Größe nicht, weil es im Prinzip kein Geschichtswerk gab, aus dem sich ersehen ließe, wie die Beschaffenheit der britannischen, jetzt sagen wir englischen, Erde ist, welchen Ursprung das Volk hat, welche Sitten die Könige hatten, überhaupt wie das Leben des Volkes ist, durch welche Künste dieses so bedeutende Reich zu Beginn erobert und vermehrt wurde um dann zu einer solchen Größe zu gelangen.« 48 Allerdings werden die griechischen Historiker, selbst bei Griechischkenntnissen der Autoren (Polydor Vergil z. B. beherrschte es, vgl. Freeman [1992], 192), nie so stark rezipiert wie die lateinischen; vgl. auch Burke (1966), 136: »In other words, we have here an example of the general rule that the Renaissance was predominantly the rebirth of Roman antiquity, not of Greek.« Zu Cato und der Ktisis-Historie vgl. Walter (2004), 281 f.
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incolunt Angli, aliam Scoti, tertiam Vualli, quartam Cornubienses. Hi omnes vel lingua vel moribus seu institutis inter se differunt.49
Das klingt bekannt und es klingt nicht nach Livius, sondern, selbstredend, nach dem Anfang von Julius Caesars Bellum Gallicum.50 Polydor Vergil greift zu einer Gattung, die repräsentativ für die lateinische Literatur in ihrer Rezeption durch die nichtantike Nachwelt ist, aber keineswegs eine etablierte Gattungskarriere in Rom selbst hinter sich gebracht noch ausgelöst hat. Caesars commentarii sind literarisierte Rechenschaftsberichte bzw. Amtsbücher eines Magistrats.51 Caesar nutzt diese Amtsbücher für die Rechtfertigung und Propagierung seiner Leistungen vor einem breiteren Publikum und bedient sich dabei bestimmter narrativer Techniken der eigentlichen Geschichtsschreibung. Das lässt sich unter anderem an seinem Proömium zum gallischen Krieg deutlich zeigen, das Polydor Vergil, wie wir gesehen haben, zitiert. Mit »Gallia est omnis divisa in partes tres« bezeichnet Caesar seine provinicia, in der er als Prokonsul geamtet hat. Die Ethnologie der gallischen Völker wird von ihm geschickt genutzt, um einige Topoi des römischen Geschichtsdenkens unterzumischen, die seinen gesamten Bericht strukturieren werden: Je ferner die gallischen Völker von der bereits installierten römischen Provinz Gallia Cisalpina siedeln, desto wilder sind sie, weil sie nicht von der Kultur der römischen Herrschaft verweichlicht sind. Damit zitiert Caesar eine römische Gedankenfigur, die bereits auf Cato den Älteren zurückgeht, gemäß der Rom nach dem Untergang des punischen Kriegsgegners in eine moralische Dekadenz eingetreten sei. Caesars Kriegsunternehmungen erscheinen vor diesem Hintergrund als Rückkehr zu alter römischer virtus. Caesar unterscheidet die Völkerschaften nach lingua, instituta und leges – Sprachen, Gebräuchen und Gesetzen – und zeigt so gleich zu Beginn seines Wer_____________ 49 Vergil, Anglica historia, 1, 1: »Britannien, das heute sowohl England als auch Schottland genannt wird, eine Insel im Ozean gegenüber der französischen Küste gelegen, zerfällt in vier Teile, deren einen die Engländer bewohnen, den anderen die Schotten, den dritten die Waliser, den vierten die von Cornwall. Diese unterscheiden sich alle durch ihre Sprache oder die Sitten oder Gebräuche.« 50 Caesar, Gall., I, 1: »Gallia est omnis divisa in partes tres, quarum unam incolunt Belgae, aliam Aquitani, tertiam qui ipsorum lingua Celtae, nostra Galli appellantur.« Die Bedeutung Caesars für die Frühzeit in der Anglica historia betont Hay (1952), 85 und 96. 51 Wohl auf einem Missverständnis beruht die gelegentlich geäußerte Ansicht, ein commentarius sei eine Art Rohentwurf für ein literarisiertes Geschichtsbuch. Die entsprechenden Äußerungen Ciceros lassen sich aber alle in der Weise verstehen, dass Caesar in den Augen einiger seiner Zeitgenossen durch die Gestaltung seines commentarius darauf spekuliert hat, er könne Grundlage für ein Geschichtswerk (annales oder historiae) sein. Dass Caesar durch seine eigene Literarisierung jeden Versuch, ihn zu überbieten, frustriert hat, kann durchaus sein, aber es bleibt dabei: Ein commentarius ist ein Amtsbuch und nichts sonst. Einschlägig (wenn auch mit problematischer These zu den pseudocaesarianischen commentarii): Rüpke (1992) und (1997). Zur früheren Forschung vgl. den Überblick von Gesche (1976), 184–186; die beste Einführung in Caesars Bellum Gallicum immer noch Mensching (1988); wenig hilfreich Maurach (2003).
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kes einen Kriterienkatalog für die Unterscheidung von Kulturen. Polydor Vergil übernimmt diese Dreiteilung übrigens zur Beschreibung der englischen Völkerschaften.52 Schon diese subtilen Gedankenführungen unterlaufen, oder besser: überbieten die Leseerwartung, die ein römischer Rezipient an den Inhalt eines commentarius gehegt hat. Caesar erweitert das Amtsbuch aber auch makroskopisch um Elemente der römischen narrativen Geschichtsschreibung, also besonders der Annalistik: dies sind Reden, Anekdoten, Exkurse und Schlachtbeschreibungen. Es lässt sich nicht leicht ermessen, in welchem Umfang den Humanisten diese kunstvolle Arrangierung des scheinbar so objektiven und schmucklosen Rechenschaftsberichtes klar war. Worauf ich aber hinaus will, ist, dass das caesarische Geschichtsmodell mit seinen Anleihen bei anderen literarischen Gattungen durchaus als Bezugspunkt für humanistisches Schreiben nahe liegt. Denn die große Frage, die sich der Autor einer National- oder Regionalgeschichte stellen muss lautet: Wie beginnen? Caesar muss seinen Lesern nämlich überhaupt erst berichten, wer die Gallier sind und wo sie wohnen. Deshalb ist sein Anfang des Bellum Gallicum der locus classicus, um eine Regionalgeschichte zu beginnen, die die Region vorstellen soll. Polydor hatte diese Absicht in seinem Widmungsbrief an Heinrich VIII. dezidiert zum Thema gemacht: England sei aufgrund mangelhafter Geschichtsschreibung einfach nicht bekannt genug in der Welt. Aus diesem Grund wird die kurze ethnologische Skizze, die, wie ich gezeigt habe, bei Caesar zugleich das Proömium vertritt, bei Polydor zu seiner ausgefeilten geographischen Beschreibung Englands mit seinen drei Landesteilen England, Schottland und Wales, die ausführlich mit ihren zahlreichen Grafschaften und wichtigsten Städten vorgestellt werden. Die Geschichtserzählung ist damit freilich nach vielen Seiten immer noch nicht in Gang gekommen. Mit der Ethnologie hat Polydor die Frage nach dem Beginn seiner Darstellung ja nur verschoben und nicht gelöst. Das ist ihm selbst schmerzlich bewusst, denn nach seiner ethnologischen Darstellung muss er wieder ansetzen:
_____________ 52 Derselbe Wortlaut Vergil, Anglica historia, 1, 1 und Caesar, Gall., 1, 2: »Hi omnes vel lingua vel moribus seu institutis inter se differunt.« Vgl. auch Vergil, Anglica Historia (1555 version), 1, 29, wo forma anstelle von lingua tritt: »Atque isthaec habui hactenus scribere de Britannorum origine eorumque imperio ac rerum statu. Sed antequam caetera prosequamur, haud ab re alienum puto aliquid tradere de forma corporum, de moribus priscis et institutis eius ipsius populi, ut plane constet qualis ille fuerit ante Romanorum in insulam adventu qui, ut victores solent, postea immutaverunt omnia melioraque nonnulla fecere, quando per eos Britanni multo cultiores effecti sunt, ut infra suis dicetur locis.« Diese Stelle habe ich nicht in der Ausgabe 1534 gefunden, sondern nur in der Ausgabe 1555 von Sutton.
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Caeterum pro necessitudine negotii nos satis processisse rati tandem aliquando ad rem ipsam veniamus. [21.] Sed ecquo progrediemur, cum omnia prospiciam plena tenebrarum?53
Polydor beklagt heftig die schlechte Quellenlage für die englische Frühzeit, besonders vor den ersten römischen Quellen, von denen er hier ausdrücklich Caesar und Tacitus nennt. Nur widerwillig äußert er sich daher zu diesem verlorenen Zeitalter der britischen Geschichte und kündigt an, es rasch durchlaufen zu wollen.54
5. Polydor Vergil und Livius Und hier ist es dann doch Livius, der die Struktur der Geschichte diktiert, und zwar methodisch, motivisch und inhaltlich. Methodisch scheinen mir besonders zwei Rationalisierungstechniken von besonderem Interesse zu sein: erstens die Chronologie der Königslisten und zweitens der Euhemerismus, eine Rationalisierungstechnik für mythisches Material. Beide Techniken sind griechischen Ursprungs und begleiten die römische Geschichtsschreibung von Anfang an. Der Euhemerismus war eine Technik, die die Römer bereits durch den Epiker Ennius kennengelernt haben, benannt nach dem hellenistischen Philosophen Euhemeros (Ende 4./Anfang 3. Jahrhundert v. Chr.), der die Ansicht vertrat, dass Götter und Heroen in Wirklichkeit nur besonders herausragende Männer gewesen seien, um die dann später erst Mythen gekleidet wurden. Die spätantike Origo gentis Romanae enthält ein paar sehr eindrucksvolle Beispiele dieses Denkens. In der Annalistik, namentlich also bei Livius, zeigt sich der Euhemerismus eher als eine mythenkritische Haltung.55 Wir können sie in ganz ähnlicher Weise bei Polydor Vergil fassen, wenn dieser sich von den episierend-romanzenhaften Fassungen wie etwa bei Geoffrey of Monmouth († 1155) in dessen Historia regum Britanniae distanziert,56 gemäß der die Briten nach einem Urenkel des Aeneas _____________ 53 Ebd., 1, 20/21: »[…] endlich wollen wir einmal an die Sache selbst gehen. Aber von wo sollen wir ausgehen, wo ich doch alles voll von Dunkel sehe?«. 54 Hay (1952), 96: »The earlier books of the Anglica historia presented Vergil with problems different from those which he had to face in dealing with the post-conquest period.« Vgl. auch ebd., 106–108. 55 »Der Name E. [= Ennius, F. W.] wird seit jeher mit rationalistischen Mytheninterpretationen verbunden«; Fusillo (1998), 235. Ennius hat einen lateinischen Euhemerus verfasst, möglicherweise ist dies die erste Prosamonographie in Rom; vgl. Suerbaum, »Ennius« (2002), 131 f.; Beck/Walter, Historiker I (2005), 26. Zur Origo vgl. Sehlmeyer (2004), 140. 56 In Anglica historia, 1, 19 kritisiert er etwa die Darstellung der Historia regum Britanniae, nach der Brutus ein Urenkel des Aeneas gewesen sei und auf Anraten der Diana Britannien angefahren habe. Der Akzent liegt hier zwar nicht auf dem Umstand, dass Geoffrey – merkwürdig genug für einen englischen Kanoniker – umstandslos die antiken Götter als Motoren der Handlung ermöglicht, aber es ist doch so, dass die ganze Phantastik der britischen Königsgeschichte hier
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namens Brutus benannt sind. Allerdings gehen Polydor damit auch die Quellen für die britische Frühzeit aus – auch Gildas und Nennius führen ihn da nicht weiter. Es ist wiederum eine livianische Volte, die es ihm trotz seiner Kritik ermöglicht, nun seinerseits die Geschichte der englischen Könige doch mit eben diesem Brutus (den er lieber Brito nennen will) zu beginnen.57 Er zitiert in diesem Zusammenhang wörtlich aus der praefatio des Livius, der dort zwar die Historizität der römischen Ursprungssagen bezweifelt, aber einräumt, es sei einem Volk wie den Römern vergönnt, ihre Anfänge erhabener zu gestalten und sich bis auf den Gott Mars zurückzuführen.58 Der Kompromiss, den Polydor eingeht, ist ganz derselbe. Deutlicher wird die Beeinflussung durch die römische Geschichtsschreibung bei der Chronologie. Die Römer hatten das Problem, dass es für sie eigentlich zwei Ursprungsgeschichten gab, die eine, nach der Aeneas in Italien Lavinium gründete, die andere, nach der Romulus und Remus Rom gründeten. Diese beiden Ereignisse waren zunächst zeitlich in kein Verhältnis gesetzt; aber es gab ein Problem, weil der trojanische Krieg nach der antiken Zeitrechnung etwa 400 Jah_____________ unter rationalistischem Aspekt abgelehnt wird. Insgesamt handelt es sich, im Sinne Deans (1988), um einen epochemachenden Verzicht auf die Romanze als plot der Historie durch Polydor Vergil. Dabei kann die Rolle des Livius als Vorbild nicht hoch genug bewertet werden. Allgemein zu Geoffrey vgl. Pilch (1986) und die Einleitung zu Monmouth von Thorpe (1966), auch Hay (1952), 97, 110. 57 Vgl. Rexroth (2002), 423 f., und ebd. zur Geschichte der Anfeindungen, die Polydor für seine Kritik an der heroisierenden und phantasierenden englischen Geschichtsschreibung einstecken musste. Mit Recht weist Rexroth (S. 424) darauf hin, dass solche Kritik auch schon von William of Newburgh geleistet worden war, meines Erachtens verkennt er aber (S. 423), dass Polydor William in Buch 1, 19 wörtlich zitiert, wie auch (aber nicht nur) durch die Hervorhebungen Suttons im Text deutlich wird. »Haec ille« heißt nicht »Soviel zu ihm«, sondern »Soweit jener«, und jener ist meines Erachtens William. 58 Vgl. Vergil, Anglica historia, 1, 19: »Sed ea venia olim antiquitati data est, uti plerique populi ausi sint origines suas etiam ad deos, sicuti in primis fecere Romani, referre autores, quo primordia gentis et urbium augustiora felicioraque essent, et illa quamvis poeticis magis fabulis quam incorruptis rerum gestarum monumentis constarent, pro veris tamen habita sunt. Idcirco et ea quae postremo de antiquitatibus Britannorum memoriae prodita fuerunt, ita facile vulgo credita sunt, ut posteritas Bruto principium generis assignarit, ac ne illa ipsa ulla unquam temporis iniuria in oblivionem irent, velut longe verissima, duo egregii historici litteris perpetuanda curarint, Henricus Huntyngtonius archidiaconus, et alter qui historiam suam Polychronicon appellavit. Et haec sunt quae a recentioribus de Britannorum origine tradita ad posteros manarint.« Daneben Livius, praefatio, 6–8: »Quae ante conditam condendamue urbem poeticis magis decora fabulis quam incorruptis rerum gestarum monumentis traduntur, ea nec adfirmare nec refellere in animo est. Datur haec venia antiquitati ut miscendo humana diuinis primordia urbium augustiora faciat; et si cui populo licere oportet consecrare origines suas et ad deos referre auctores, ea belli gloria est populo Romano ut cum suum conditorisque sui parentem Martem potissimum ferat, tam et hoc gentes humanae patiantur aequo animo quam imperium patiuntur. Sed haec et his similia utcumque animaduersa aut existimata erunt haud in magno equidem ponam discrimine.« [Hervorh. F. W.].
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re vor der Gründung Roms lag. Aus diesem Grunde hat man die Gründung des Ascanius, Alba Longa, mit einer eigenen, erfundenen Königsdynastie ausstatten müssen.59 Die Englische Geschichte des Polydor Vergil liest sich nun wie folgt (1, 23): Oportet hoc loco paulisper a proposito me divertere, et monere eos qui legerint de errato, quod non parum nitorem, si quis sit, novae historiae corrumpit. Post illos enim quinque regulos seu tyrannos, qui non habentur numero regum, ponitur Dunvallo Molmicius rex, pater Bellini et Brenni, ac legimus illo vita functo filios regnum inter se divisisse, atque post sedatas ex ea regni divisione ortas discordias, simul iunctis armis primum Gallos, deinde Romanos superasse, urbemque Romam cepisse ac incendisse, et Brennum in Italia post adeptam victoriam remansisse. Hic ex supputatione temporis, quod interfuit inter Bruti adventum in insulam et captam urbem Romam a Brenno, non quadrat, ut statim post illos quinque tyrannos ponatur in ordine regum Dunvallo Molmicius pater ipsius Brenni.60
Das geht noch eine ganze Weile so weiter und führt dann zu entsprechenden Korrekturen in der Königsliste. Nachdem Polydor Vergil so die verschiedenen Fassungen der Brutus/Brito-Sage »euhemeristisch« rationalisiert, gleichzeitig aber, mit einer Geste, die der des Livius vergleichbar ist, den ruhmreichen Anspruch Englands nicht ganz weggenommen hat, und nachdem er die Chronologie der Königslisten minutiös korrigiert hat, kommt er nun zu einer Episode, in der er sich auf etwas festerem Grund wähnt: der Eroberung Roms durch den Gallier Brennus. Die Geschichte der zwei Brüder Bellinus und Brennus ist, wenn ich es _____________ 59 Vgl. Ogilvie (1965), 43–46. 60 [Hervorh. F. W.] »Ich muss mich an dieser Stelle ein wenig von meinem Vorhaben abwenden und einen Irrtum thematisieren, der den Glanz der neuen Geschichte nicht wenig verdirbt. Denn nach jenen fünf Fürsten oder Tyrannen, die man nicht direkt zu den Königen zählt, wird König Dunvallo Molmicius angesetzt, der Vater des Bellinus und des Brennus; und wir lesen, dass nach seinem Tode die Söhne das Königtum unter sich aufgeteilt hätten und nach der Beilegung von Zwistigkeiten, die sich aus dieser Teilung ergeben hätten, gemeinsam mit vereinten Waffen zuerst die Gallier, dann die Römer überwunden hätten, und die Stadt Rom eingenommen und angezündet hätten; und dass Brennus nach dem Sieg in Italien geblieben sei. Hier passt aber etwas mit dem Zeitraum nicht, der zwischen der Ankunft des Brutus auf der Insel und der Einnahme Roms durch Brennus liegt, wenn man sofort nach jenen fünf Tyrannen Dunvallo Molmicius, den Vater des Brennus in der Königsfolge ansetzt.« Polydor Vergil beruft sich im Folgenden hier auf Eusebius im Besonderen und auf lateinische und griechische Historiker im Allgemeinen (»Siquidem Brutus sive Brito fertur anno circiter decimo post interitum Sylvii patris insulae imperio potitus esse, cum ageretur annus ab initio mundi centesimus super quater millesimum. At post DCCX annum quam Brito venisse dicitur in insulam, urbs Roma, prout tam ex breviario temporum Eusebii quam ex Latinorum Graecorumque historiis constat, Brenni ductu a Gallis Senonibus capta est. […] Sed rursus revertamus eodem.«; Hervorh. F. W.). Die Kritik an der Zeitrechnung bezieht sich wohl wiederum auf Geoffrey of Monmouth, Historia, cap. 33: »Post hunc successit Gurgustius, filius ejus; cui Sisillus; cui Iago, Gurgustii nepos, cui Kinmarcus, Sisillii filius; post hunc Gorbodugo.« Tatsächlich ergeben sich nur bei Geoffrey wirklich fünf Tyrannen, während es in der Formulierung des Polydor Vergil (1, 22: »Deinde regnum obtinuere Rivallo, Gurgustius seu Gorguntius, Silius, Iagus, Chinemarchus, Gorbodio«) sechs werden, weil er Rivallo mit in die Aufzählung nimmt.
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richtig sehe, das erste Mal von dem englischen Geistlichen Geoffrey of Monmouth im 12. Jahrhundert erzählt worden, eine Quelle, die Polydor Vergil indirekt erwähnt und eigentlich als unseriös ablehnt (seine oben wiedergegebene Korrektur der Chronologie z. B. bezieht sich auch auf Geoffrey). Nach dieser Fassung, die durch keine antike Quelle gedeckt ist (Livius kennt nur Brennus als Anführer der gallischen Senonen), haben Bellinus und Brennus in England geherrscht und sich das Land in Süden und Norden aufgeteilt. Bellinus hat dann den Brennus aus England vertrieben, wonach dieser über Gallien kommend Rom belagert und eingenommen habe. Polydor Vergils Fassung der Geschichte ist ein deutliches Bemühen anzusehen, wieder zur livianischen Urfassung zurückzufinden. Die ganze Brennus-und-Bellinus-Geschichte hat ohnehin einen römischen Zug durch das Motiv der Zwillinge, die um die Herrschaft streiten. Dieser Streit geht, anders als der zwischen Romulus und Remus, nicht mit dem gewaltsamen Tod des einen Bruders zu Ende, sondern die Mutter der beiden hält sie von gegenseitigem Blutvergießen ab. Dieses Eintreten der Frau zwischen die kämpfenden Männer entspricht beispielsweise dem Motiv der Sabinerinnen, die sich zwischen die Römer und Sabiner drängen und so den Krieg beenden, bevor er richtig begonnen hat. Dieser Aspekt der Geschichte geht freilich bereits auf Geoffrey of Monmouth zurück, der, wie oben bereits angemerkt, die antike Literatur eher nach literarischen Motiven absucht als sie quellenkritisch zu befragen oder sich methodisch an ihr zu schulen.61 Eine unleugbare Transformation des Livius durch Polydor Vergil liegt aber bei der eigentlichen Darstellung der Eroberung Roms vor. Polydor folgt hier fast wörtlich dem livianischen Bericht. Dabei dreht er die Perspektive der Geschichte etwas herum. Dies kann ich vielleicht an einer kleinen Episode deutlich machen: Die Römer ziehen sich, als die Stadt nicht zu halten ist, mit einem Rumpfsenat auf die arx zurück; die alten Senatoren bleiben in der Stadt und erwarten die Gallier und damit den sicheren Tod. Bei Livius wird der Startschuss zum Massaker an den Senatoren durch das Verhalten des M. Papirius gegeben, der einen Gallier mit seinem Griffel auf den Kopf schlägt, als dieser neugierig den Bart des Sena_____________ 61 Vgl. Anm. 39. Es existiert noch eine zweite Version der Historia regum Britanniae (hg. v. Hammer 1951), deren Status in der Forschung wohl umstritten ist. Darauf kann hier nicht eingegangen werden. In diese sind zahlreiche Zitate aus der Bibel, wie auch aus antiken Autoren (Vergil, Caesar, Livius) eingeflochten. Aber auch dies begründet keinen methodischen Neuzugriff auf die englische Geschichte, wie sie Polydor Vergil angestrengt hat, sondern legt ein dichtes Netz von Zitaten und Intertexten auf die Geschichte Geoffreys. Hammer bietet am Ende seiner Ausgabe auch eine Liste der zitierten Autoren. Wenn nicht anders angegeben, wird hier aber aus der ›Vulgata‹-Fassung nach der Ausgabe von Faral von 1929 zitiert. Damit wird nicht gesagt, dass Monmouth keine Quellenkompilation betrieben habe – die Beschreibung Britanniens geht in beiden Fassungen auf Beda, Gildas und Nennius zurück (Hammer [1951], 12) – aber es gibt keine methodischen Abwägungen. Die Bedeutung des Gildas, den Polydor Vergil – allerdings erst 1525 – selbst ediert hat, nicht zuletzt um sich an ihm zu reiben (»to prepare the public for his anti-Arthurian position«) diskutiert Hay (1952), 29–31, 86 und passim (Zitat 30), in Bezug auf die Anglica historia.
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tors betasten will. Bei Livius wird diese Reaktion als eine Form der würdigen Verwahrung (gravitas) des alten Senators dargestellt.62 Bei Polydor Vergil aber gibt es subtile Veränderungen: Galli interim ad Vrbem perveniunt, qui per Collinam portam ingressi recta via in forum contendunt, multum mirantes clausis plebeiorum domibus, nobilium tantum atria patere. Quamobrem suspicantes ne qua fraude opprimantur, cautius incedunt. Sed deinde patres id aetatis in sellis sedentes conspicati, ut deorum simulacra contemplantur. Interea Marcus Papyrius Galli cuiusdam barbam sibi demulcentis baculo caput percussit. Qua ille iniuria irritatus sedentem senem ferro oppressit. Tum ab uno caeda orta caeteri triumphales viri sunt in suis sellis trucidati. Inde sine discrimine ferro absumptis qui in urbe erant, domus passim diripiuntur, flammaque tectis iniecta est. Atque sic Roma duce Brenno a Gallis capta est, anno eiusdem Vrbis conditae tricentesimo sexagesimo quinto.63
Bei dem Urbinaten schlägt der Greis immerhin mit dem Stock zu und nicht nur mit seinem Schreibgriffel, und der Übergriff wird als iniuria beschrieben, als Unrecht. Diese Wertung hat Livius sich gespart. Im Ergebnis ist Polydor Vergil, der Italiener, romfreundlicher als Geoffrey, der den livianischen Bericht nicht wörtlich zitiert, sondern ganz als eine Heldentat eines britischen Herrschers darstellt (es ist ein Sieg in offener Feldschlacht; ein Massaker in Rom findet bei Geoffrey gar nicht statt64), aber gegenüber Livius wiederum romkritischer, weil er kleine Umponderierungen zugunsten der Eroberer vornimmt.65 _____________ 62 Livius 5, 41, 8: »adeo haud secus quam uenerabundi intuebantur in aedium uestibulis sedentes uiros, praeter ornatum habitumque humano augustiorem, maiestate etiam quam uoltus grauitasque oris prae se ferebat simillimos dis. Ad eos uelut simulacra uersi cum starent, M. Papirius, unus ex iis, dicitur Gallo barbam suam, ut tum omnibus promissa erat, permulcenti scipione eburneo in caput incusso iram mouisse, atque ab eo initium caedis ortum, ceteros in sedibus suis trucidatos; post principum caedem nulli deinde mortalium parci, diripi tecta, exhaustis inici ignes.« [Hervorh. F. W.]. 63 [Hervorh. F. W.] Vergil, Anglica historia, 1, 27: »Die Gallier gelangten indes zur Stadt. Sie drangen durch die Porta Collina geradewegs auf das Forum und wunderten sich dabei sehr, dass die Häuser der Plebeier abgeschlossen waren, die Atreien der Nobiles aber offen standen. Sie argwöhnten deshalb einen Hinterhalt und bewegten sich vorsichtiger. Aber dann wurden die Senatoren erblickt, wie sie, alt wie sie waren, auf ihren Amtssesseln saßen; und sie nahmen sich aus wie Götterbilder. Marcus Papirius indes schlug mit dem Stock auf den Kopf eines Galliers, der ihm den Bart streicheln wollte. Durch diesen Übergriff gereizt, erschlug er den sitzenden Greis mit dem Schwert. Darauf erhob sich von diesem einen Vorfall ein allgemeines Morden und die ruhmreichen Männer wurden in ihren Sitzen erschlagen. Dann wurde ohne Unterschied jeder getötet, der sich noch in der Stadt befand, die Häuser wurden allenthalben geplündert, Feuer wurde auf die Dächer geworfen. Und so wurde Rom von den Galliern unter Brennus eingenommen, im 365. Jahr nach der Gründung dieser Stadt.« 64 Lapidar: Geoffrey of Monmouth, Historia, cap. 33: »Interfecto etiam Gabio et capto Porsenna, urbem ceperunt et absconditas concivium opes commilitonibus dederunt« [sc. Belinus und Brennius, F. W.]. 65 Zum Verhältnis des Polydor zu Geoffrey vgl. auch Copenhaver (2002), xviii: »Like any humanist, Polydore is quick to display his Greek, mainly in etymological conjectures, but his point of view is emphatically Roman. Geographically and culturally, despite his long sojourn in Eng-
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6. Resümee Es hat sich gezeigt, dass die humanistische Geschichtsschreibung, hier vertreten durch Polydor Vergil und (kurz zu Anfang) Cuspinian, zwar nicht alle ihre Projekte mit den narrativen Modellen der römischen Geschichtsschreibung durchsetzen kann, aber doch eine ganze Reihe. Die Genealogie der Herrscher hat im engeren Sinne wohl keine antiken Vorläufer, jedenfalls nicht in der narrativen Geschichtsschreibung. Die Geographie und Ethnologie ist in der römischen Historie in den geographischen Exkurs verdrängt; so nimmt es nicht wunder, dass das Bellum Gallicum mit seinen vielfachen Techniken, Elemente der großen Geschichtsschreibung einzubauen, hier offenkundig der erste Text der Wahl war, spielt er doch, aus römischer Sicht, in einem fremden Gebiet, dass nicht nur militärisch, sondern auch narrativ erst noch zu bezwingen ist. Was das Ethos der Historiker angeht: Geschichte soll sine ira et studio dargestellt werden, sie soll belehren und sie soll das eigene Volk in gutem Licht dastehen lassen: Hier bedienen sich die Humanisten gerne und reichlich aus den Proömien oder Kommentaren der einschlägigen Autoren, namentlich aus Livius und Tacitus. Allerdings ist das Zitat nicht mit der Ursprungsaussage identisch: »sine ira et studio« meinte bei Tacitus weder den protowissenschaftlichen Anspruch des Polydor Vergil66 noch diente es als Argument für eine verherrlichende Geschichtsschreibung wie bei Cuspinian. Die verschiedenen narrativen Strukturen werden von den Humanisten teils collagenartig kombiniert, zum Teil aber auch einfach spartenweise getrennt. Polydor Vergil wählt für die Frühzeit, mit ihrer Kombination von Ethnologie, Geographie, Mythologie und früher Kriegsgeschichte eine Kombination aus _____________ land, the center of his world is either Italy or sometimes Urbino when he brags about Raphael or Duke Federico’s library or his uncles who proposed in the law (2.1.12 [bezieht sich auf Polydors Werk De inventoribus rerum, F. W.]). The origin of his historical coordinates, however, is ancient Rome, with which he feels his own world connected and continuous […].« 66 Polydor Vergil zitiert diese taciteische Floskel auch nicht direkt, was ein Hinweis darauf sein mag, dass er seinen protowissenschaftlichen Anspruch eben nicht aus einer Haltung, sondern aus einer Methode ableitet. Zwar mag man den Eindruck haben, dass »In his first book he repeated the phrases about the historians duty to tell the truth, without suspicion of favor or envy«. Reynolds (1955), 46, lässt hier ihrerseits (unbewusst?) den Tacitus anklingen, aber bei Polydor Vergil wirklich zitiert findet sich meines Erachtens nur der moralische Anspruch des Tacitus (Proömium der Anglica historia): »deinde homines coeperunt et ipsa opera et facinora celebrare literis, quae usque eo sempiterna reddiderunt omnia, ut postea pro se quisque benefacta pariter sequenda atque malefacta multo diligentissime declinanda curarit, quando historia, ut hominum laudes loquitur et patefacit, sic dedecora non tacet neque operit. quae idcirco ad vitae institutionem longe utilissima censetur, quod alios ob immortalem gloriam consequendam, ad virtutem impellat, alios vero infamiae metu a vitiis deterreat.« [Hervorh. F. W.]. Daneben Tacitus, ann., 3, 65: »Exsequi sententias haud institui nisi insignis per honestum aut notabili dedecore, quod praecipuum munus annalium reor ne virtutes sileantur utque pravis dictis factisque ex posteritate et infamia metus sit.« [Hervorh. F. W.].
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caesarisch-livianischem Modell. Für die spätere Zeit, in der die Könige Englands bekannter sind, wählt er eher das suetonische Modell: je ein Buch für einen König und am Schluss ein Elogium, in dem die Hauptcharakterzüge zusammengestellt sind. Cuspinian dagegen verlässt sich viel stärker auf Genealogien und territoriale Einheiten, um die Markgrafschaft in Österreich darzustellen, entsprechend ferner stehen ihm die narrativen Modelle, obwohl er sie auch bemüht, wie schon der Anspruch im anfangs zitierten Vorwort deutlich werden lässt.67 Die humanistischen Regional- und Nationalgeschichten sind stärker als die überlieferten römischen Geschichtswerke auf ihren politischen Anspruch nach außen berechnet. Diese ältere Wurzel der römischen Historie (Fabius Pictor) ist vielleicht im Romzentrismus der antiken Autoren noch zu fassen. Die Humanisten betonen diesen Aspekt der Außendarstellung der von ihnen behandelten Regionen deutlicher und sind so in ihrer Rezeption der römischen Historie wieder dort angekommen, wo die Römer einmal begonnen hatten.
Literatur Quellen Beda Venerabilis, Venerabilis Baedae Historiam Ecclesiasticam Gentis Anglorum Historiam Abbatum Epistolam ad Ecgberctum una cum Historia Abatum Auctore Anonymo rec. et instr. Carolus Plummer. Tomus Prior Prolegomena et textum Continens, Oxford 1896 (ND 1975). Caesar, Caius Iulius, C. Iuli Caesaris commentarii, Bd. I. commentarii belli Gallici, hg. v. Alfred Klotz, 2. Aufl. Leipzig 1921. Cicero, Marcus Tullius, De oratore, hg. v. Kazimierz F. Kumaniecki, Leipzig 1969 (= M.Tulli Ciceronis scripta quae manserunt omnia fasc. 3). Cuspinian, Johannes, Austria Ioannis Cuspiniani cum omnibus eiusdem marchionibus, ducibus, archiducibus, ac rebus praeclare ade haec usque tempora ab iisdem gestis. […], Frankfurt: Wechel, 1601. Geoffrey of Monmouth, Historia regum Britanniae. A Variant Version Edited from the Manuscripts, hg. v. Jacob Hammer, Cambridge, Mass. 1951 (= The Mediaeval Academy of America, 57). Geoffroy de Monmouth, »Historia regum Britanniae«, in: La Légende Arthurienne. Études et Documents. Première Partie. Les Plus Anciens Textes. Bd. III: Documents, hg. v. Edmond Faral, Paris 1929 (= Bibliothèque de l’École des Hautes Études; Sciences Historiques et Philologiques, 257), 63–303. Hieronymus, Sophronius Eusebius, »Vita S. Hilarionis«, in: Sancti Eusebii Hieronymi Stridonensis presbyteri opera omnia: tomus secundus, hg. v. Jacques Paul Migne, Paris 1883 (= Patrologiae cursus completus: Series Latina, 23).
_____________ 67 Siehe oben bei Anm. 6.
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Extant adhuc in Pannonia monumenta Severi. Historia Augusta-Rezeption und humanistisches Selbstverständnis in Cuspinians Caesares ELISABETH KLECKER
Die oberste Pflicht des Historikers, nämlich keine Lügen zu verbreiten, sei erfüllt, ja sorgfältiges Recherchieren der historischen Wahrheit habe Vorrang vor stilistischer Ausgestaltung – so charakterisiert der Herausgeber Nikolaus Gerbel jenes Werk, das er im Jahr 1540 über 10 Jahre nach dem Tod des Autors edierte: die Kaiserbiographien des Wiener Humanisten Johannes Cuspinian (1473 Schweinfurt–19. April 1529 Wien).1 Die Caesares führen von Iulius Caesar als dem Begründer der Monarchie bis zu Friedrich III. und Maximilian I., überspannen also in Form von Biographien der einzelnen Herrscher über 1500 Jahre Geschichte des imperium Romanum und seiner Nachfolgereiche, des imperium Romanum Germanicum einerseits, Konstantinopels/Byzanz’ andererseits.2 Während Cuspinian für sein zeitgeschichtliches Werk, eine Monographie zum Wiener Fürstentag des Jahres 1515, an dessen Zustandekommen er wesentlichen Anteil hatte, über Informationen aus erster Hand verfügte, mussten in den Caesares unterschiedlichste Quellen verarbeitet, deren Daten nach übergreifenden Prinzipien beurteilt und in eine einheitliche Form gebracht werden. Es stellt sich die Frage, welche Techni_____________ 1
2
»Satis enim est Historico, ut praeclare dixit apud Ciceronem Catulus [vgl. Cicero, de or., 2, 62], non esse mendacem.« (»es genügt nämlich, wie es Catulus bei Cicero ausdrückt, wenn der Historiker kein Lügner ist«) Cuspinian, Caesares, fol. AIIr. Gerbel betont Cuspinians ›Wissenschaftlichkeit‹ als Gegengewicht zu einer nicht mehr zeitgemäß empfundenen stilistischen Einfachheit (ebd.): »Tolerabiliorem huius nostri dictionem faciet ingenuitas et fides cum incredibili diligentia et studio perquirendae veritatis coniuncta« (»Diesen Stil unseres Autors machen seine Ehrlichkeit und Zuverlässigkeit akzeptabel, die sich mit unglaublicher, eifrigster Sorgfalt im Recherchieren der Wahrheit verbindet«). Grundlegend: Ankwicz-Kleehoven (1959), 293–301; vgl. Stelzer (2006), 532. In der neueren Forschung haben die Caesares wenig Aufmerksamkeit gefunden; zu nennen ist Goerlitz (1999), die sich mit den unterschiedlichen Diskursen in Cuspinians lateinischen Caesares und der deutschen Fassung Außerleßne Chronicka in der Übersetzung des Kaspar Hedio beschäftigt. Vgl. den Beitrag von Johannes Helmrath in diesem Band.
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ken das von Gerbel gezeichnete Bild unprätentiös präsentierter Geschichtsforschung entstehen ließen und an welchen Vorbildern sich Cuspinian dafür orientieren konnte. Gegenüber der überlieferten antiken Herrscherbiographik sind zunächst zwei Neuerungen zu verzeichnen, die schon im Druckbild ins Auge springen. Am Beginn jeder Biographie steht in der Ausgabe von 1540 ein Münzbild mit dem Porträt des Kaisers – eine Gestaltung, die keineswegs erst einer Idee des Editors Nikolaus Gerbel entsprang, sondern auf Cuspinians eigene Intention zurückging. Wie aus einem Brief an Willibald Pirckheimer aus dem Jahr 1526 hervorgeht, hoffte der Autor für die künstlerische Ausführung der Münzporträts niemand geringeren als Albrecht Dürer gewinnen zu können.3 Auch das Ende jeder Biographie (außer im Fall der byzantinischen Kaiser) ist formal markiert, nämlich durch eine Gesamtwürdigung in epigrammatischer Form: Für diese werden zunächst die Tetrasticha des Decimus Magnus Ausonius – sie reichen bis einschließlich Kaiser Heliogabal († 222) – wiedergegeben, für die späteren Kaiser handelt es sich um eigene Kompositionen Cuspinians.4 Die Biographien selbst weisen einen einheitlichen Aufbau auf: Das Leben des jeweiligen Herrschers wird von seiner Herkunft chronologisch bis zum Tod berichtet, danach sind Ehen und Nachkommen als gesonderter Punkt behandelt. Es folgt abschließend eine Übersicht über vorliegende Darstellungen, gleichsam Hinweise auf ergänzende und weiterführende Literatur. Als antikes Modell für die auffällige Form, die Kombination von Bild, Prosavita und poetischer Würdigung, drängt sich ein verlorenes, jedoch aus Erwähnungen bei Plinius und Gellius in seiner Gestalt kenntliches Werk, Varros Imagines sive Hebdomades, auf. Für den von Gerbel hervorgehobenen nüchtern wissenschaftlichen Charakter der Caesares ist dagegen im engeren Bereich von kaiserzeitlicher Historiographie bzw. Kaiserbiographie zu suchen, also unter den von Cuspinian benützten Quellenschriftstellern, wie sie in der Ausgabe von 1540 eine dem Werk vorangestellte imposante Autorenliste bilden. Eine wichtige Arbeitsgrundlage bot eine durch Erasmus von Rotterdam herausgegebene Sammlung antiker und humanistischer Historiker; ein aus Cuspinians Bibliothek stammendes Exemplar befindet sich heute im Besitz der Österreichischen Nationalbibliothek (Sign. *28.A.2).5 Der Band enthält Sueton und die Historia Augusta, die zum direkten Anschluss fehlenden Kaiser Nerva und Trajan sind aus Cassius Dio in der Übersetzung des Giorgio Merula ergänzt; es folgen die Epitome de Caesaribus, Eutrop, Ammian, Pomponius Laetus, und schließlich die Kaisergeschichte eines zeitgenössischen Humanisten, die Romanorum principum libri tres des _____________ 3 4 5
Vgl. Cuspinian, Briefwechsel, 164. Diese Gedichte werden in der deutschen Fassung (Cuspinian, Außerleßne Chronicka) nicht berücksichtigt. Ankwicz-Kleehoven (1959), 298; ders. (1957), 133, Nr. 166.
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Giovanni Battista Egnazio.6 Die Ausgabe bietet somit eine unentbehrliche Quellensammlung für den ganzen von Cuspinian erfassten Zeitraum, sie stellt aber zugleich unterschiedlichste Modelle für die historiographische Darstellung einer Monarchie bereit: Sueton und die Viten der Epitome de Caesaribus (die zur damaligen Zeit als Werk des Aurelius Victor galt) können die Spannweite der Gattung Kaiserbiographie bereits hinsichtlich der unterschiedlichen Ausführlichkeit illustrieren. Im Folgenden kann nicht nach Cuspinians Quellenverwendung im Einzelnen gefragt werden – soweit dies exemplarisch überprüft wurde, folgt er seiner jeweiligen Hauptquelle sehr wörtlich. Es soll vielmehr untersucht werden, inwiefern gerade ein bestimmter Vertreter antiker Kaiserbiographik den spezifischen Anforderungen und Schwierigkeiten, mit denen sich Cuspinian bei seinem Unternehmen konfrontiert sah, modellhaft entgegenkam. Als dieses Modell scheint sich die Historia Augusta anzubieten, es sollen daher einige grundsätzliche Überlegungen zu ihrer Brauchbarkeit für den humanistischen Geschichtsschreiber vorausgeschickt werden.
Rezeptionspotential einer Fälschung Die These, ein Geschichtswerk mit wissenschaftlichen Ansprüchen habe die Historia Augusta zum Vorbild, muss auf den ersten Blick paradox und wenig überzeugend wirken, bietet die Historia Augusta doch nach der communis opinio der modernen Klassischen Philologie und Altertumswissenschaft alles andere als seriöse Historiographie. Das Werk, eine Darstellung der Zeit von 117 bis 284 n. Chr., von Kaiser Hadrian bis zu Carus, Carinus und Numerian, den unmittelbaren Vorgängern Diokletians, gibt sich als Biographienreihe von sechs Autoren; Anreden der Kaiser Diokletian und Konstantin scheinen es recht genau zu datieren.7 Seit der Initialzündung durch den Aufsatz von Hermann Dessau Über Zeit und Persönlichkeit der Scriptores Historiae Augustae 1889 wurden jedoch sowohl die Sechszahl der Autoren wie auch die Datierung skeptisch betrachtet. Schließt man sich der Mehrheit der Forscher an, so wurde die Historia Augusta von einem einzigen Autor verfasst, einem Fälscher also, der unter sechs Autorennamen auftritt und auch bezüglich seines zeitlichen Ansatzes einen falschen Eindruck erweckt. Während die genaue Datierung (Ansätze divergieren zwischen 360 und 525 n. Chr.) ebenso wie eine außerliterarische Absicht heidnischer Geschichtsapologetik kontrovers sind, herrscht weitgehend Einigkeit darüber, dass der Autor in unterhaltsamer Weise mit Konventionen von Biographie und Historiographie operiert. Mit der Behandlung von Usurpatoren und designierten, aber nicht wirklich selbständig regierenden Herrschern in eigenen Viten schafft er _____________ 6 7
Erasmus, Ex recognitione. Eine Kurzcharakteristik bietet Sonnabend (2002), 218–221.
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sich bewusst Freiräume, um sie mit anspielungsreichen Fiktionen zu füllen, so dass sein Werk letztlich einem historischen Roman nahe kommt. In stetem Kokettieren mit dem Leser schöpft er die Möglichkeiten eines lusus ingenii – so die von Johannes Straub geprägte Charakteristik – immer besser aus und bringt in den letzten Biographien als »Flavius Vopiscus« sein literarisches Talent zu voller Entfaltung.8 Den besten Beweis für sein Reüssieren liefert die Tatsache, dass sich eine eigene Historia Augusta-Forschung etabliert hat und sich seit langem der Aufgabe widmet, dem Autor auf die Spur zu kommen. Im Folgenden soll von dieser communis opinio ausgegangen werden, ja gezeigt werden, wie gerade Charakteristika einer literarischen Fälschung die Historia Augusta einem um die Rekonstruktion der Vergangenheit bemühten Humanisten als Modell empfahlen. Die intellektuelle, ja wissenschaftliche Leistung, die einer gelungenen Fälschung zugrunde liegt,9 konnte zu seriöser Historiographie transformiert werden, ein Vorgang, wie er ähnlich für einen neuzeitlichen Fälscher beobachtet wurde: Für Annius von Viterbo ließ sich aufzeigen, wie seine Methodenreflexion, die der Authentifizierung seiner Konstruktionen dient, als Fundament einer humanistischen Theorie der Geschichtsschreibung aufgegriffen werden konnte.10 Der spezielle Fall der Historia Augusta ist komplexer gelagert: Die Absicht des Autors liegt ja nicht in der Täuschung der Leser, sondern nur in einer vorläufigen Irreführung, denn letztlich soll das Spiel zumindest von einem Teil des Publikums durchschaut und genossen werden. Techniken der literarischen Fälschung kommen also zum Einsatz, gehören jedoch zu einem »Versteckspiel aus Freude an der Vermummung«.11 Zu den angewandten Signalen historischer Zuverlässigkeit zählen sowohl methodologische Einschübe als auch das praktische Anwenden von Beglaubigungsstrategien.12 Bedingungsloses Bemühen um fides historica habe die Wahl eines schwierigen Gegenstands veranlasst, bei dem zuallererst die schlechte Quellenlage zu überwinden war – unter anderem durch Recherchen in amtlichen Schriftstücken, wobei der Zugang durch hochgestellte Persönlichkeiten wie den Stadtpräfekten (Aurel. 1, 7) eröffnet worden sei; in einem Fall ist die Präzision bis zur genauen Angabe einer Signatur getrieben (Tac. 8, 1). Zahllose »Dokumente« werden im Wortlaut eingelegt, ohne dass ihr Inhalt dies rechtfertigen würde; der Verfasser demonstriert jedoch Informiertheit bis ins letzte Detail.13 Immer wieder ist Zuverlässigkeit suggeriert, indem auf angeblich erhaltene Zeugnisse materieller, meist baulicher Art Bezug genommen wird, und zwar in so genannten extat-Vermerken, Angaben also in dem Sinne, dass die Wahrheit des Berichteten _____________ 8 9 10 11 12 13
Vgl. Straub in der Einleitung zur Historia Augusta, XII. Vgl. Grafton (1991), 36. Vgl. Goez (1974) und aus einer großen Auswahl von Literatur Grafton (1991), besonders 88 f. Speyer (1971), 26; Straub in der Einleitung zu Historia Augusta, XII. Bequeme Zusammenstellungen bieten White (1967), 116 f. und Burian (1977). Hengst (1987).
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jederzeit handgreiflich überprüfbar sei. In der Mehrzahl der so eingeführten Monumente handelt es sich jedoch um evident gefälschte. Mit derartigen ›noch erhaltenen‹ Bauten, insbesondere Grabmälern, verbindet sich oft epigraphisches Material, wobei (durchaus im Gegensatz zur sonst geübten antiken Praxis) die griechischen Originale nur in lateinischer metrischer Übertragung geboten werden; deren sprachliche Gestaltung, insbesondere die zumeist enthaltenen Vergilreminiszenzen, dürfen als Indiz für ihre genuin lateinische Form gewertet werden.14 In einer Präzision, wie sie für antike Historiographie ganz ungewöhnlich ist, werden Quellen bzw. konkurrierende Darstellungen namentlich zitiert – über dreißig der genannten Autoren erscheinen in der antiken Literatur jedoch an keiner anderen Stelle, sind also (zumindest zu einem großen Teil) zu eben dem Zweck erfunden, um als Belege für die Fiktionen des Autors zu dienen. Besonderer Wert ist darauf gelegt, das eigene Werk gegenüber derartigen »Gewährsmännern« zu positionieren: Ihre (vom Autor freilich erst erfundenen) divergierenden Angaben werden referiert, um eine kritische Sichtung der Überlieferung nahezulegen,15 und der Eindruck von Gewissenhaftigkeit und Glaubwürdigkeit wird durch das Diskreditieren der (angeblichen) Paralleldarstellungen noch verstärkt. So wird auf Vorgänger verwiesen, die bereits denselben Gegenstand der Usurpatorenviten behandelt hätten, aber kläglich an Themenverfehlung gescheitert seien: Nur Belanglosigkeiten ohne historischen Wert (levia, superflua, frivola) hätten sie ausgebreitet, wogegen die Historia Augusta den Anspruch setzt, historisch relevantes Material aus der (meist ohnedies als dünn beklagten) Überlieferung herauszudestillieren (Gord. 21, 4; Quadr. 11, 4). Als bevorzugter ›Prügelknabe‹ muss in dieser Hinsicht ein erfundener Iunius (oder Aelius) Cordus herhalten.16 Freilich: Die an einer Stelle verächtlich als unter der Würde des Historikers abqualifizierten Informationen werden an anderer Stelle mit großer Freude ausgebreitet. Maßgeblich dafür war nicht allein das für einen Fälscher charakteristische und notwendige Streben, Informiertheit zu signalisieren, sondern der Unterhaltungswert, der gerade in derartigen frivola, pikanten Details aus dem Privatleben der Großen, liegt und dessen sich der Verfasser durchaus bewusst ist (Aurel. 10, 1). Ein weiterer Aspekt tritt hinzu: Wenn damit die andernorts aufgestellten hehren Grundsätze durchbrochen werden, soll ein sensibilisierter Leser den Widerspruch als beabsichtigt erkennen und letztlich die Methodenreflexion selbst als Teil des amüsanten Spiels genießen. So wird Methodenbewusstsein geradezu penetrant zur Schau gestellt, wenn sich der Autor in Grundsatzaussagen über Sinn und richtige Form der Kaiserbiographie ergeht: Auf die historische Wahrheit allein komme es an, unter Hintansetzung der stilistischen Ausgestaltung (Trig. Tyr. 33, 8). Bei einem Leser ohne das nötige Vorwissen und Verständnis muss _____________ 14 Einen Überblick über die Inschriften gibt Chastagnol (1994), CXXII–CXXV. 15 Vgl. Bleckmann (1999). 16 Vgl. Mommsen (1890), 342.
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dieses Verfahren fast zwangsläufig ernst genommen werden, und der erzielte Eindruck lässt sich mit einem Wort Leopold von Rankes über »Flavius Vopiscus«, den letzten in der Autorenreihe, beschreiben: »Er ist seiner Natur nach ein Forscher«!17 Die Historia Augusta konnte also die Aufmerksamkeit der Humanisten in mehrfacher Hinsicht auf sich ziehen, und das Interesse ist durch die bereits 1475 erfolgte Editio princeps dokumentiert: Für die von ihr abgedeckte Phase der römischen Kaiserzeit ist die Historia Augusta bis heute eine wichtige Geschichtsquelle, ja die wichtigste zusammenhängende Darstellung in lateinischer Sprache überhaupt. Darüber hinaus wirkten aber auch die dargestellten Charakteristika. Punktuell haben einzelne Gelehrte schon vor Dessau das Spiel der Historia Augusta durchschaut, ja die Forschung hat Beispiele dafür zutage gefördert, dass kongeniale Literaten das Spiel mitspielten: So liefert Pierio Valeriano in seinen Antiquitates Mediolanenses Rückübersetzungen zu übersetzten griechischen Inschriften der Historia Augusta und zugleich auch eine verbesserte lateinische Version.18 Bereits in einer Ausgabe aus dem Jahr 1489 wird eine Liste von Mitgliedern des kaiserlichen consilium (Alex. Sev. 68, 1) um weitere erfundene Rechtsgelehrte vermehrt und ganz in der Art der Historia Augusta mit einer fiktiven Quellenangabe versehen.19 Doch auch wo das Spiel nicht durchschaut wurde, erwiesen sich gerade die spezifischen Eigenarten als anregend: Wer eine Rekonstruktion antiken Alltagslebens versuchte, fand in der Historia Augusta antiquarisches Material aus Bereichen, die von anderen Quellen kaum abgedeckt werden – auch in sprachlicher Hinsicht: Seltene Termini einer gehobenen Alltagskultur gingen in das Dictionarium des Ambrosius Calepinus ein,20 und gerade in diesem Bereich ist auch der Wert der Historia Augusta für die eigenständige literarische Tätigkeit der Humanisten gut nachvollziehbar. Sie lieferte Vokabular zur Bewältigung von Aufgaben, die sich im höfischen Umfeld stellten und konnte etwa für die Schilderung von Festen herangezogen werden.21 Nicht weniger musste die genaue Dokumentation und kritische Diskussion von Parallelüberlieferungen faszinieren: Gelehrte, die sich um die Wiedergewinnung antiker Texte bemühten, mussten von der hier (angeblich) verarbeiteten Fülle verlorener Historiographie beeindruckt sein und sahen in der Praxis vorgeführt, wie sich literarische Zeugnisse in Zusammenschau mit archäologischem, epigraphischem und numismatischem Material auswerten _____________ 17 18 19 20
Zitiert bei Hohl (1937), 139. Vgl. Rolet (2002), 114–118. Vgl. Syme (1970); ders. (1971), 248. So z. B. dorsualia – Rückendecken, Schabracken nach Gall. 8, 2: Calepinus, Dictionarium, fol. 98r: dorsualia – tegumenta quibus equi et boves teguntur; plumare – im »Federstich« besticken: fol. 233r plumare est acu pingere: Fl. Vop. laneas tunicas […] plumanti difficultate pernobiles (Car. 20). 21 Z. B. von Riccardo Bartolini, einem Humanistenkollegen (und Rivalen) Cuspinians, in der Beschreibung des Wiener Fürstentages von 1515: vgl. Klecker (2005), 207.
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lassen. Sie konnten die entsprechenden eigenen Bemühungen gleichsam in den sechs Autoren wieder erkennen. Diese These des Identifikationspotentials der Historia Augusta soll im Folgenden für Cuspinian durchgespielt werden.
Antiker lusus ingenii als humanistische Geschichtsforschung Wenn in der Historia Augusta immer wieder die schwierige Recherchearbeit zu wenig prominenten Persönlichkeiten, der schließlich gelungene Zugang zu Primärquellen oder die kritische Sichtung der Überlieferung thematisiert wird (augenzwinkernd, um dem mitdenkenden Leser die Fiktionalität erkennen zu lassen) – für Cuspinian ist derartiges Lebensrealität: Die Erfassung und Auswertung der Überlieferung ist ja um 1520 noch keineswegs bewältigt, nicht für die Antike und noch weniger für das Mittelalter. Gerade die im Umkreis Kaiser Maximilians unternommenen Bemühungen um Quellen zur babenbergischen und habsburgischen Genealogie und zur Reichsgeschichte mochten dies so richtig bewusst machen:22 Cuspinian selbst hatte 1515 die Gesta Friderici imperatoris des Otto von Freising herausgegeben und in der Büchersammlung des Matthias Corvinus in Ofen die Weltchronik des Joannes Zonaras »Johannes Monachus« (gest. nach 1160) gefunden, an der Kaiser Maximilian höchstpersönlich großes Interesse zeigte.23 Die in den Caesares abgedeckten 1500 Jahre Geschichte erforderten also zunächst ein kritisches Quellenstudium, wie es eben die Historia Augusta vorgibt bzw. vorzugeben scheint. So hat Cuspinian die Verweise auf Quellenschriftsteller systematisiert, so dass am Ende jeder Vita eine Synopse des Erhaltenen und – so die bevorzugte Ausdrucksweise – iactura temporis Verlorenen gegeben wird. Für den Standard bietet das Ende der Septimius Severus-Vita ein gutes Beispiel: Caeterum de Severo scripserunt poetae multi tempestate sua, versibus omnem eius vitam explanantes; et ipsemet de vita sua scripsit, et Marius Maximus, quae omnia iactura temporis interciderunt. Extant Orosius, Eutropius, Ruffus Festus, Sext. Aurelius, Spartianus et Herodianus, e quibus discere, quod hic deest, facile potes.24
In mehreren Viten finden wir unter diesem Punkt sehr präzise Verweise auf den aktuellen Kenntnisstand der Überlieferung: So sind am Ende der Tiberiusvita die _____________ 22 Vgl. Müller (1982), 84 f. 23 Vgl. Cuspinian, Briefwechsel, 41–45, 59. 24 Ders., Caesares, 57: »Über Severus schrieben übrigens zu seiner Zeit viele Dichter, die sein ganzes Leben poetisch darstellten; er selbst verfasste eine Autobiographie, Marius Maximus eine Biographie. All dies ist durch die Ungunst der Zeit verloren gegangen. Erhalten sind Orosius, Eutrop, Festus, Aurelius Victor [d. h. die Epitome de Caesaribus; E. K.], Spartianus [d. h. die Historia Augusta; E. K.] und Herodian, aus denen das, was hier fehlt, leicht zu erfahren ist.«
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ersten Annalenbücher des Tacitus als wichtige Neuentdeckung genannt; sie lagen seit 1515 in der Ausgabe durch Filippo Beroaldo vor: Sed tamen Cornelius Tacitus, cuius priores libri quinque nuper reperti sunt, in primis videndus est, qui in his quinque libris omnem eius vitam complexus est et ea quae sub eo Romae gesta sunt. Ioannes etiam Monachus diligentissime et breviter vitam eius perscripsit, qui pleraque, quae longum nimis esset commemorare in eius vita, digna tamen annotatu retulit.25
Auch Desiderate sind vermerkt: Die Bedeutung der (bis auf Galba und Otho) verlorenen Kaiserbiographien Plutarchs wird hervorgehoben und aus diesem Anlass ganz allgemein zu entsprechenden Nachforschungen aufgefordert: Si extaret Plutarchus integer et huius Vitellii gesta et Neronis gesta, quae et a se scripta reliquit, copiosius intelligeremus. Quaerendi sunt codices paulo diligentius et investigandi libri, ne pereant antiquorum labores.26
Dabei wird wie in der Historia Augusta die vorgelegte Biographie als bewusste Selektion aus dem verfügbaren Material präsentiert, erstellt nach Kriterien historischer Relevanz. Wie die Historia Augusta mehrfach für die von ihr selbst ausgesparten Nebensächlichkeiten – daher stets in verächtlichem Ton – ergänzende Quellen nennt (z. B. Quadr. 6, 1–2), so eröffnet auch Cuspinian – nun freilich systematisch und ernst gemeint – dem Interessierten den Weg zu weiterführender Literatur, die daher abschließend aufgelistet wird. Als Beispiel lässt sich wieder das Ende der Tiberiusvita heranziehen: Quis enim omnia agglutinat nisi superstitiosus. Operae pretium tamen censeo monstrare digito ea quae hic non continentur ut quisque suo satisfacere possit desiderio.27
Ganz deutlich ist in der Vita Aurelians das in der Historia Augusta mit großer Geste vorgebrachte (und meist schnell wieder beiseite gelegte) Postulat, das Privatleben des Herrschers dürfe nicht Gegenstand der Kaisergeschichte sein, übernommen. Nachdem Cuspinian die widersprüchlichen Aussagen zum Kleiderprunk des Kaisers in der Epitome de Caesaribus und in der Historia Augusta referiert hat, heißt es: _____________ 25 Ebd., 19: »Doch in erster Linie ist Cornelius Tacitus einzusehen, dessen Bücher 1–5 vor kurzem gefunden wurden; in diesen fünf Büchern gibt er eine vollständige Lebensbeschreibung [des Kaisers Tiberius; E. K.] und erfasst die Geschehnisse unter seiner Regierung in Rom. Auch Johannes Monachus hat sein Leben sorgfältig und kurz beschrieben; er hat sehr viel Bemerkenswertes berichtet, was aber hier in der Vita zu weit führen würde.« 26 Ebd., 43: »Wäre Plutarch vollständig erhalten, so hätten wir bessere Kenntnis von den Taten eines Vitellius und Nero sowie von dessen schriftlichem Nachlass. Nach Handschriften muss mit etwas größerer Sorgfalt gesucht, Bücher müssen durchforscht werden, damit die Arbeiten der antiken Autoren nicht verloren gehen.« 27 Ebd., 19: »Denn nur ein Pedant leimt alles zusammen. Ich halte es jedoch der Mühe wert, mit dem Finger auf das zu zeigen, was hier nicht enthalten ist, damit ein jeder seinem Interesse Genüge tun kann.«
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Idem tradit [sc. Aurelius Victor, d. h. Epitome de Caesaribus, 35, 5; E. K.] Aurelianum primum apud Romanos diadema capiti innexuisse gemmisque et aurata omni veste (quod adhuc fere incognitum Romanis moribus visebatur) usum esse. Licet Vopiscus [Hist. Aug. Aurel., 45, 4; E. K.] scribat ipsum vestem holosericam neque in vestiario suo habuisse neque alteri utendam dedisse. Plura qui scire volet quae in vita privata egerit Aurelianus, Flavium Vopiscum adeat, qui copiosissime de eo scripsit. Videndi et Eutropius et Orosius et Sext. Aurelius, nam veteres scriptores iactura temporum perierunt.28
Der Verweis auf Quellen, die sich dem Privatleben des Kaisers widmen und damit den Bereich seriöser Historiographie verlassen, zielt also nun auf die Historia Augusta selbst! Das Beispiel illustriert damit, wie Cuspinian die Historia Augusta nicht nur als Quelle studiert, sondern sich auch und vor allem ihre historische Methode angeeignet hat – und nicht zögert, diese kritisch gegen das Modell zu wenden. Eben diese Rezeption historiographischer Methode betrifft auch einen weiteren Quellenbereich: die Heranziehung von inschriftlichem Material, wie sie als Eigenart der Historia Augusta (fast ausschließlich in Gestalt metrischer Inschriften) bereits beschrieben wurde. Cuspinian hat auch hier auf das Prinzipielle, die Bedeutung nichtliterarischer Quellen für die Geschichtsschreibung, gesehen. Er übernimmt also nicht nur von der Historia Augusta vorgeblich zitierte Inschriften (z. B. die Grabinschrift des Kaisers Probus: Cuspinian, 1540, 128 aus Prob. 21, 4) und konzentriert sich auch nicht wie die Historia Augusta auf metrische, wenn er diese bei sich bietender Gelegenheit auch nicht übergeht (z. B. das Grabepigramm Kaiser Sigismunds, Cuspinian, 1540, 601). Er hat vielmehr systematisch versucht, relevantes epigraphisches Material beizubringen und fruchtbar zu machen: Er zitiert die Basisinschrift der Trajanssäule (CIL VI 960; Cuspinian, 1540, 61), in einer Vita also, für die die Historia Augusta nicht vorlag, und er ergänzt für den von der Historia Augusta abgedeckten Gallienus die Inschrift des Gallienusbogens in Rom (CIL VI 1106; Cuspinian, 1540, 119). Beide Inschriften waren ihm bereits gedruckt zugänglich: Sie sind in der ersten Sammlung stadtrömischer Inschriften, den Epigrammata antiquae urbis des Jacopo Mazzocchi (Rom 1521), enthalten. Darüber hinaus kann Cuspinian in der Vita des Septimius Severus, in der die Inschrift des Bogens in Rom (CIL VI 1035, Cuspinian, 1540, 85) nicht fehlen darf, einen eigenen Fund beisteuern, eine Ehreninschrift für den Kaiser auf einer Marmortafel in der Johannes-Kirche von Totis/Theodatia, auf die er während einer Gesandtschaftsreise im Dienst Kaiser Maximilians im Jahr 1510 auf_____________ 28 Ebd., 122 f.: »Er überliefert auch, dass Aurelian als erster bei den Römern sein Haupt mit einem Stirnband umwunden, Perlen und ein ganz goldenes Gewand (was man als etwas bis dahin nach römischer Sitte noch fast Unbekanntes ansah) getragen habe – wohingegen Vopiscus schreibt, er habe weder selbst ein Reinseidengewand in seiner Garderobe gehabt noch anderen eines zu tragen gegeben. Wer mehr über Aurelians Privatleben wissen will, greife zu Flavius Vopiscus, der ausführlichst darüber schreibt. Einzusehen sind auch Eutrop, Orosius und Aurelius Victor, denn die alten Autoren sind durch die Ungunst der Zeit verloren.«
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merksam wurde (CIL III 4309).29 Bei dieser noch unpublizierten Inschrift ist sogar der Zeilenfall auf dem Stein wiedergegeben: Extant adhuc in Pannonia monumenta Severi. Proximo enim anno quam haec scriberem, cum orator Caesaris Maximiliani ad Vladislaum regem Hungariae ivissem in Theodatia oppido (nunc Thatta corrupte vulgo dicitur) ubi arcem nobilissimam condidit Sigismundus Caesar in quodam sacello divi Ioannis marmor album comperi antiquis literis sic inscriptum IMP. CAES. L. SEPTIMIO SEVERO PIO PER TINACI AUG. ARABIC. ADIABENIC. PARTHI CO MAXIMO BRI.G PUBLIC. D.D.30
Eingeführt ist die Inschrift also mit einem extat-Vermerk, wie er in der Historia Augusta nach der communis opinio der modernen Forschung eine Erfindung durch den Autor geradezu garantiert!31 Für Cuspinian war damit jedoch eine formelhafte Wendung für die Bestandsaufnahme antiker Überreste bereitgestellt, die entsprechend regelmäßig wiederkehrt; auch in den Viten der mittelalterlichen Kaiser werden Inschriften immer wieder in dieser Form eingeführt. Schließlich lässt sich für den zeitgenössischen Herrscher Friedrich III. zeigen, inwiefern die Vorgaben der Historia Augusta aktualisiert werden können: In Entsprechung zu deren zahlreichen »noch erhaltenen« staunenswerten Kunstwerken erwähnt Cuspinian nicht nur das Reiterstandbild Mark Aurels (Cuspinian, 1540, 73), er bietet in der Vita von Maximilians Vater eine ausführliche Ekphrasis des (erst 1513 fertig gestellten) Hochgrabes im Wiener Stephansdom; zusätzlich sind zwar nicht die Inschrift der Tumba, jedoch drei Gedichte über das Grabmal eingefügt.32 Ähnlich verhält es sich bei der Numismatik: Die Historia Augusta zieht diesen Quellentyp heran, um wissenschaftliche Seriosität gerade dort zu demonstrieren, wo sie am wenigsten gegeben ist: in den Biographien der Usurpatoren. Um deren Status als principes zu belegen, wird auf Münzprägungen verwiesen, so etwa für Victoria, eine der beiden Frauen unter den Triginta tyranni (Trig. Tyr. 31, 3). In Entsprechung zu »Trebellius Pollio« liefert dann auch »Flavius Vopiscus« im Rahmen seiner Tyrannenserie (Quadrigae tyrannorum) geradezu ostentativ ein Beispiel, wie der wissenschaftlich arbeitende Historiker Münzen auswerten _____________ 29 Diese Gesandtschaftsreise wird von Ankwicz-Kleehoven (1959), 299 ins Jahr 1510 datiert. 30 Cuspinian, Caesares, 86: »Denkmäler des Severus haben sich bis heute in Pannonien erhalten: Als ich ein Jahr vor der Abfassung dieser Vita als Gesandter Kaiser Maximilians zu König Ladislaus von Ungarn reiste, habe ich in der Stadt Theodatia (ihr gewöhnlicher Name lautet heute entstellt Thatta), wo Kaiser Sigismund eine stattliche Burg gründete, von einer weißen Marmortafel in einer Johannes-Kapelle mit folgender Inschrift in antiken Lettern erfahren: Dem Kaiser Lucius Septimius Severus Pius Pertinax Augustus, dem Sieger über Araber, Adiabener und Parther, gewidmet von den Einwohnern von Brigetio auf öffentliche Kosten.« 31 Vgl. oben Seite 80. 32 Cuspinian, Caesares, 621 f.; In der deutschen Übertragung (ders., Außerlesne Chronicka) fehlen diese Gedichte.
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kann: In Quadr. 2, 2 wird über einen durch numismatisches Anschauungsmaterial entschiedenen Gelehrtendisput über die Stellung des Usurpators Firmus berichtet: Scis enim, mi Basse, quanta nobis contentio proxime fuerit cum amatore historiarum Marco Fonteio, cum ille diceret Firmum, qui Aureliani temporibus Aegyptum occupaverat, latrunculum fuisse, non principem, contra ego mecumque Rufius Celsus et Ceionius Iulianus et Fabius Sossianus contenderent dicentes illum et purpura usum et percussa moneta Augustum esse vocitatum, cum etiam nummos eius Severus Archontius protulit […].33
Die Stelle, die aus moderner Perspektive als Glanzleistung des Fälschers gewürdigt wurde,34 konnte für den humanistischen Leser, dem ja der historische Quellenwert von Münzen neu bewusst wurde, ein Anstoß zu ähnlich methodischem Vorgehen gewesen sein. Cuspinian hat Münzen mehrfach herangezogen und historisch ausgewertet: So ist etwa in der Vita des Trebonianus Gallus († 253) die propagandistische Aussage einer Münzlegende kritisch betrachtet: Et quamquam in numismatibus Galli qui adhuc inveniuntur, legatur VIRTUS AUGUSTORUM se ac filium significans virtute non dolo principatum assequutos, plus tamen fortunae quam fidei in eo fuit, utpote qui proditione fuit imperium adeptus.35
Auch in der Biographie des byzantinischen Kaisers Heraklios zieht Cuspinian eine Münze heran, wobei er abgesehen vom Münzbild als authentischem Porträt auch auf den Revers (in erster Linie auf dessen textliche Bestandteile) eingeht. Donavit me pulcherrimo ac vetustissimo numismate Gremperius meus, dum haec scriberem, in quo prima facie imago Heraclii sculpta erat, ut prius vidisti cum hac Graeca inscriptione […]. Sed in reverso erat eiusdem imago curru triumphali, in limbo scripta fuerant haec Latina: Super aspidem et basiliscum ambulavi et conculcavi leonem ac draconem. In medio erant locata haec Graeca […]. Hae ne perirent etiam illuc studiosis adieci, ut si similia invenirent, non occultarent, ut faciunt bibliotaphoi.36
_____________ 33 Historia Augusta, Quadr. 2, 2 (übersetzt von Ernst Hohl): »Du weißt ja, mein Bassus, welch lebhaften Disput wir jüngst mit dem Geschichtsliebhaber Marcus Fonteius gehabt haben, als er behauptete, der Firmus, der zu Aurelians Zeit Ägypten besetzt hatte, sei kein Kaiser, sondern ein Bandit gewesen; demgegenüber machte ich im Verein mit Rufius Celsus, Ceionius Iulianus und Fabius Sossianus geltend, dass der Betreffende den Purpur getragen habe und auf dem von ihm geschlagenen Geld als Augustus bezeichnet werde. Auch wies Severus Archontius Münzen von ihm vor […].« 34 Syme (1971), 84; vgl. auch Estiot (2002), 209–210. 35 Cuspinian, Caesares, 112: »Und obwohl auf Münzen des Gallus, die man noch findet, die Legende ›Virtus Augustorum‹ zu lesen ist – damit soll angedeutet werden, dass er und sein Sohn den Prinzipat durch Tapferkeit und nicht durch Verbrechen erlangt hätten – so war doch sein Glück größer als seine Treue, da er durch Verrat an die Herrschaft kam.« 36 Ebd., 235 f.: »Es machte mir während der Abfassung dieser Vita mein Gremper eine schöne alte Münze zum Geschenk, auf deren Avers das Porträt des Heraclius, wie du es gesehen hast, mit folgender griechischer Inschrift graviert war […]. Auf dem Revers aber war er auf dem
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Wie in der Historia Augusta ist die Münze in einem von gelehrter amicitia geprägten Milieu verortet: Johann Gremper, Cuspinians Famulus, der ihn auf den meisten Reisen begleitete,37 habe sie ihm zum Geschenk gemacht und für den Beschenkten ist die Heranziehung und Publikation einer Beschreibung Dienst an der gelehrten Welt, während egoistisches Zurückhalten von Material scharf verurteilt wird. Insgesamt hat Cuspinian also aus dem Spiel der Historia Augusta ein in der antiken Biographik in dieser Form nicht gegebenes Streben nach exakter Dokumentation entwickelt: durch analoges – freilich ohne Absicht der Täuschung oder des literarischen Spiels eingebrachtes – schriftliches und dingliches Quellenmaterial in Gestalt von literarischen Darstellungen, Inschriften, Münzen und Kunstwerken. Das Spiel der Historia Augusta erlaubt es darüber hinaus, dass er selbst in seiner Frustration über erfolglose Recherchen den mit lückenhafter oder durch unzulängliche Vorgänger entstellten Überlieferung ringenden Autor der Historia Augusta als Leidensgefährten sehen konnte: In Variation der üblichen Strategien hatte dieser in der Vita des Kaisers Probus zunächst die von ihm benützten Bibliotheken, darunter die Bibliotheca Ulpia, genannt (Prob. 2, 1), schließlich jedoch vorgegeben, ein relevantes Dokument sei nicht auffindbar (Prob. 7, 1). Vergleichbare Aussagen Cuspinians finden sich etwa in der Vita Ruprechts von der Pfalz: Duas autem habuit uxores. Primae nomen, genus ac familiam hactenus invenire (licet diligenter, haud negligenter percontatus fuerim) non potui.38
Das Eingeständnis, dass auch sorgfältige Recherchen bisweilen nichts erbringen, mag Cuspinian mit einem antiken Vorgänger leichter von den Lippen gekommen sein. Hatte der Verfasser der Historia Augusta seine (an Fiktion überreichen) Usurpatorenviten als historiographisches Desiderat präsentiert und seine besondere historiographische Leistung durch Klagen über die obscuritas seines Gegenstands unterstrichen (z. B. Opil. Macr. 1, 1), so thematisiert Cuspinian die Schwierigkeiten, denen er sich durch die schlechte Überlieferungslage gegenüber sieht, gerade in Hinblick auf sein spezielles Interesse, die Genealogie. Am Anfang der Vita des Trebonianus Gallus, eines Herrschers aus der Lücke der Historia Augusta, für den Cuspinian daher auf andere Quellen ausweichen musste, wird dies einmal grundsätzlich angesprochen; dabei klingt auch das Bewusstsein der gegenüber der Antike geänderten Schwerpunktsetzung an: _____________ Triumphwagen abgebildet und am Rand befand sich folgende lateinische Inschrift: Über Schlange und Basilisk bin ich gegangen und auf Löwe und Drache getreten [nach Ps. 91, 13; E. K.]. Im Zentrum aber befand sich folgende griechische Inschrift […]. Dies habe ich für die Interessierten noch hinzugefügt, damit sie im Falle ähnlicher Funde diese nicht geheim halten, wie es Totengräber von Büchern machen.« 37 Vgl. Ankwicz-Kleehoven (1959), 117–118; zur Münze: ders. (1913), 199 Anm. 1. 38 Cuspinian, Caesares, 593: »Er war aber zweimal verheiratet. Den Namen der ersten Gattin, ihre Herkunft und Familie konnte ich nicht finden, obwohl ich sorgfältig, nicht nachlässig recherchiert habe.«
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Statueram, quum Caesares scribendos hoc Catalogo39 inchoassem omnium imperatorum ac Caesarum, quod in Germanis me assequutum spero, familiam ac genealogiam me indagaturum: quod sane in quibusdam praestiti. In plerisque vero potissimum qui paucis annis regnarunt ac tyrannis hoc minime licuit, nec ullo unquam labore assequi potui, quod etiam veteres animadverterim haud multum in disquirenda familia Caesarum occupatos, ut iunioribus etiam haud adeo graviter sit subirascendum quod quaedam non tam accurate scribant, quemadmodum desideratur, quum etiam antiquissimi historiarum scriptores multa memoria digna, nescio quur praeterierint. Detur itaque et mihi venia, si non possum in tanta rerum obscuritate, tyrannorum et Caesarum quorundam parentes, familiam, uxores ac liberos, id quod maxime cuperem, invenire, cum alii ante me longe doctiores quoque id praestare non potuerunt. Scribam ea tantum, quae apud autores receptae fidei comperio.40
Wie sehr derartige Grundsatzaussagen den Eindruck der Wissenschaftlichkeit unterstreichen, wird durch den Herausgeber Nikolaus Gerbel bestätigt, der Cuspinians Eingeständnis erfolgloser Recherchen in seiner Praefatio ausdrücklich lobt: Pulcherrimam hanc et necessariam cognitionem [sc. Genealogiarum; E. K.] magno studio urget Cuspinian, verum tanta aliquoties ingenuitate, ut si quando haereat neque quod vult assequi potest, candide fatetur se post ingentes labores nihil certi reperisse: quod passim per se diligens lector facile deprehendet.41
Neben Klagen über die schlechte Quellenlage diente dem Verfasser der Historia Augusta noch ein weiteres (scheinbar unvermeidliches, in Wahrheit aber zu diesem Zweck geschaffenes) Negativum dazu, die eigenen Qualitätsansprüche ins rechte Licht zu setzen und seine Gewissenhaftigkeit unter Beweis zu stellen: Aus _____________ 39 Unter dem Titel Catalogus Caesarum ac Imperatorum Augustorum occidentalium erschien 1527 bei Johannes Singrenius eine chronologische Übersicht in Tabellenform, die eine antike Buchrolle nachahmen will; Cuspinian verwendet die Bezeichnung Catalogus jedoch immer wieder auch für das große Werk. 40 Cuspinian, Caesares, 111: »Als ich die Kaiserbiographien in diesem Katalog zu schreiben begann, hatte ich beschlossen, Familie und Genealogie aller Kaiser und Caesares zu erforschen und hoffe, es bei den deutschen erfüllt zu haben. Bei einigen konnte ich dies leisten, bei sehr vielen aber, besonders bei nur kurz regierenden oder Gegenkaisern war es nicht möglich und mit keinem noch so großen Eifer zu erreichen. Denn ich sah, dass sich die alten Autoren nicht sehr intensiv mit Recherchen zur Familie der Kaiser beschäftigt hatten. So darf man es auch den späteren Autoren nicht übel nehmen, dass sie manches nicht so genau schreiben, wie man es wünschen würde, da auch die ältesten Geschichtsschreiber vieles Denkwürdige aus unerfindlichen Gründen übergingen. Daher möge man mir verzeihen, wenn ich von manchen Gegenkaisern und Caesares Eltern, Familie, Gattinnen und Kinder – obwohl ich dies sehr gewünscht hätte – nicht finden konnte, da dies auch weit gelehrtere Männer vor mir nicht leisten konnten. Ich will nur das schreiben, was ich bei Gewährsmännern von anerkannter Zuverlässigkeit in Erfahrung bringe.« 41 Ebd., fol. AIIv, Nikolaus Gerbel, Praefatio: »Diese interessante und notwendige Forschung betreibt Cuspinian mit großem Eifer, ja bisweilen mit so großer Ehrlichkeit, dass er, wenn er einmal festsitzt und nicht weiter kommt, aufrichtig eingesteht nach ungeheuren Mühen nichts Sicheres gefunden zu haben. Der aufmerksame Leser wird dies vielerorts selbst bemerken.«
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historischem Verantwortungsbewusstsein und Wahrheitsliebe scheue er sich nicht, literarisch minderwertige Dokumente und Quellentexte heranzuziehen. Hochtrabend ist das Programm einer stilistisch nüchternen wissenschaftlichen Geschichtsschreibung aufgestellt und moralisierend Faktentreue statt Eloquenz zum Gebot erhoben. Ein Anlassfall ist das griechische Grabepigramm des Tyrannen Aureolus, das trotz dessen ausdrücklich hervorgehobener geringer Qualität in lateinischer Übersetzung geboten wird – wobei hier zweifellos mit einem hellhörigen Leser gerechnet wird, der den Verzicht auf das griechische Original hinterfragt und damit das Spiel durchschaut: Hos ego versus a quodam grammatico translatos ita posui, ut fidem servarem, non quo non melius potuerint transferri, sed ut fidelitas historica servaretur, quam ego prae ceteris custodiendam putavi, qui quod ad eloquentiam pertinet nihil curo.42
Und wieder ist die spielerisch fingierte Situation der Historia Augusta für Cuspinian Realität. Die Auseinandersetzung mit und das Zitieren von Texten, die klassischen Normen nicht entsprechen, ist unausweichlich, wo sich Cuspinian Zeugnissen mittelalterlicher Latinität gegenübersieht, diese aber aus (in seinem Fall ehrlicher) fidelitas historica (Trig. Tyr. 11, 6) nicht übergehen will:43 In der Vita Ruprechts von der Pfalz gibt er die metrische Grabinschrift des Gegenkönigs Friedrich von Braunschweig-Lüneburg mit einer entsprechenden Entschuldigung wieder: »Circumferuntur rythmi vulgares, non admodum Latini ac elegantes, sed veritatem exprimentes […] eius sepulchro inscripti«.44 In der Vita Heinrichs IV. zitiert er das Carmen de bello Saxonico, ein Versepos über den Sachsenkrieg des Kaisers aus dem Jahr 1075,45 wobei für den Dichter selbst eine moralisierende Rechtfertigung aus Sallust, Catilina 8, 5 gewonnen wird »optimus quisque facere quam dicere, sua ab aliis bene facta laudari quam ipse aliorum narrare malebat«:46 Scripsit quidam carmine heroico bella, quae in Saxonia Henricus gessit, versu quidem triviali ut tempora erant quibus quisque maluit scribenda facere quam facienda aut facta scribere. Si quis et hunc incertum voluerit legere scriptorem, operis quod tres continet libellos, initium hoc est: Henrici regis volo dicere praelia quarti Contra Saxonum gentem sua iura negantem
_____________ 42 Historia Augusta, Trig. Tyr. 11, 6 (übersetzt v. Ernst Hohl): »Diese von einem Grammatiker übertragenen Verse habe ich unverändert hier hergesetzt der Authentizität halber, nicht als ob sie sich nicht besser wiedergeben ließen, sondern um die geschichtliche Treue zu wahren, die mein Hauptanliegen ist, während ich mich um den stilistischen Schmuck nicht kümmere.« 43 Zu den mittelalterlichen Quellen der Caesares vgl. Ankwicz-Kleehoven (1959), 309–322. 44 Cuspinian, Caesares, 611: »Bekannt ist seine Grabinschrift in volkstümlichen Rhythmen, zwar nicht gerade in elegantem Latein, aber doch Ausdruck der Wahrheit.« 45 Zur Editio princeps (Straßburg 1508) vgl. Schmale (1974), 27; Text und Übersetzung 144 f. 46 Sallust, Cat., »Gerade die Besten wollten lieber handeln als reden, lieber ihre Verdienste von anderen rühmen lassen als selber fremde zu schildern.«
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Quae dum fallentes sociaret viribus arces Plurima bella dolis fidens commisit et armis et quae sequuntur.47
In allen genannten Punkten gilt: Was in der Historia Augusta zur Strategie des Fälschers und zugleich zum unterhaltsamen literarischen Spiel gehörte, bei Cuspinian ist es Ernst. Die Historia Augusta bot dem Humanisten gerade aufgrund ihres spezifischen Charakters eine Möglichkeit, eigenes Streben direkt an die Antike anzubinden, ja aus der Antike die Methode ihrer Erforschung herzuleiten.
Cuspinians Historia Augusta-Rezeption im Rahmen von Maximilians Gedechtnus Abschließend soll nach dem Verhältnis von Cuspinians Historia AugustaRezeption zu zeitgleicher humanistischer Historiographie gefragt werden: Reiht sich sein Werk in eine allgemeine Tendenz ein oder gab es für Cuspinian besondere Motive, sich an der Historia Augusta zu orientieren? Eine Möglichkeit, die Stellung der Caesares im Rahmen der zeitgenössischen Historiographie zu bestimmen, bieten die Romanorum principum libri tres oder De Caesaribus libri tres des Giovanni Battista Egnazio (1478–1553).48 Sie decken denselben Zeitraum von Caesar bis Maximilian ab und bieten sich umso mehr zum Vergleich an, als sie in der bereits zitierten, von Cuspinian benützten Sammelausgabe römischer Geschichtsquellen und -darstellungen enthalten sind. Doch schon ein ganz oberflächlicher Blick auf den Druck und seinen Seitenspiegel genügt, um den grundlegenden Unterschied festzustellen: Egnazio bietet kaum mehr als eine dürre Zusammenstellung der wichtigsten Daten, quasi eine über Byzanz und Mittelalter in die Gegenwart fortgeführte Epitome de Caesaribus. Es verwundert nicht, dass in diesem Rahmen kein Platz für ausführliche Quellenangaben und schon gar nicht für im Wortlaut zitierte Inschriften bleibt. Es wäre freilich verfehlt, wollte man Egnazio als rückständig oder nicht mit der Methodik humanistischer Philologie vertraut einstufen. In seinen Adnotationes zur Historia Augusta – sie sind ebenfalls in dem genannten Sammelband enthalten – ist mehrfach epigraphisches und numismatisches Material herangezogen: In den Anmerkungen zur Vita Mark Aurels wird die Inschrift eines Aufidius Fronto, eines _____________ 47 Cuspinian, Caesares, 436: »Ein unbekannter Dichter hat die Kriege Heinrichs in Sachsen in epischer Form beschrieben, in ziemlich kunstlosen Versen, so wie damals üblich, zu einer Zeit, als ein jeder lieber Taten, die eine literarische Darstellung verdienen, vollbringen als anstehende oder ausgeführte Taten darstellen wollte. Wenn jemand diesen anonymen Verfasser lesen möchte, gebe ich hier den Anfang des drei Bücher umfassenden Werks: König Heinrichs IV. Kämpfe will ich künden, die er gegen das Volk der Sachsen führte, das ihm seine Rechte verweigerte, das seiner Macht trügerische Künste zugesellte und im Vertrauen auf Listen und Waffen zahlreiche Kriege begann usw.« 48 Vgl. Mioni (1981), 700; Cochrane (1985), 397–398.
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Enkels des Redners und Literaten Cornelius Fronto, aus Isaurum (CIL XI 6334) mit einem extat-Vermerk eingeführt. Im Unterschied zu Cuspinian bleiben die entsprechenden Angaben jedoch Kommentar zum antiken Text, in die neu verfasste Kaisergeschichte werden sie nicht eingearbeitet. Weitere Neuerscheinungen auf dem Feld der Kaisergeschichte im weitesten Sinn waren Andrea Fulvios Illustrium imagines imperatorum et illustrium virorum vultus ex antiquis numismatibus expressi und Johannes Huttichs Imperatorum Romanorum libellus; mit diesen beiden illustrierten Bändchen lagen seit 1517 (Rom) bzw. 1525 (Straßburg) Pionierwerke zur Kaiserikonographie vor, die sich an Münzen orientierten. Dass Cuspinian aus ihnen Anregungen aufgriffen hat, scheint evident im Falle der von ihm gewünschten Münzbilder; die Ausgabe von 1540 lehnt sich denn auch deutlich an die Holzschnitte bei Huttich an.49 Wenn bei Fulvio und Huttich nach jedem Kaiser auch seine Gattinnen abgebildet sind, könnte man die Behandlung der Ehen bzw. Gattinnen in einem geschlossenen Block jeweils am Ende von Cuspinians Herrscherviten als Parallele ansehen. Weiter gehende Gemeinsamkeiten sind jedoch durch den geringen Umfang und die stark moralisierende Tendenz ausgeschlossen.50 Der spezifische, man könnte sagen, wissenschaftliche Charakter von Cuspinians Caesares findet also in den genannten neuzeitlichen Kaiser-Werken kein Vorbild, diesen machen gerade jene Punkte aus, die sich in der dargestellten Weise auf die Historia Augusta zurückführen lassen. Dabei ist besonders zu betonen, dass sich rein äußerlich andere Kaisergeschichten viel enger an der Historia Augusta orientieren, indem sie etwa deren spezifische Stoffwahl bzw. -gliederung übernehmen: Huttich bietet einen Abschnitt Triginta tyranni,51 obwohl er für diese Usurpatoren – aufgrund ihres fiktiven Charakters nicht weiter überraschend – keine Münzbilder beibringen kann; die Rahmen bleiben notwendigerweise zum Großteil leer, ohne dass dies in irgendeiner Form Anlass zur Reflexion wäre. Cuspinians Historia Augusta-Rezeption ist anderer Art: Es ist die historische Methode, von der er sich hat leiten lassen, und er hat dieses Methodenbewusstsein sogar in Opposition zur Historia Augusta angewandt, gerade in eben jenem Punkt, in dem der Verfasser der Historia Augusta als großer Neuerer auftritt: Wenn in der Historia Augusta die so genannten Neben- und Tyrannenviten mit sehr hochtrabenden Grundsatzüberlegungen eingeführt werden (ohne dass das Ergebnis dies abgesehen vom Unterhaltungswert rechtfertigen würde), so hat Cuspinian im Gegensatz zu Huttich diese Neuerung nicht übernommen, die Usurpatoren werden jeweils beim entsprechenden Kaiser mit behandelt. Es ist jedoch nicht so, dass Cuspinian einfach stillschweigend zur Praxis Suetons zurückkehrt, sondern er hat bei der ersten Gelegenheit, d. h. aus Anlass der Erhebung des Avi_____________ 49 Zu beiden Werken und ihrer Rezeption vgl. Berghaus (1995), 13–15. 50 Zu Fulvio vgl. Cunnaly (1999), 52–69; zur moralisierenden Tendenz 57. 51 In der eingesehenen Ausgabe von Huttich, Imperatorum vitae (1534) sogar mit einem eigenen Titelblatt.
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dius Cassius unter Mark Aurel im Jahr 175 n. Chr., seine von der Historia Augusta abweichende Position explizit festgehalten. Seine Formulierung greift deren Grundsatzerklärung (Avid. Cass. 3, 3 »ut omnes purpuratos […] cognosceres«) wörtlich auf, und er hat auch nicht vergessen, die Historia Augusta (in diesem Fall unter dem Autorennamen Vulcatius Gallicanus) unter der weiterführenden Literatur zu nennen. Sed plura de hoc tyranno Avidio Cassio scribere minime duxi. Non enim omnes purpuratos, sed Caesares ac Augustos hoc Catalogo enarrare statui. Quisquis tamen Avidii Cassii vitam integram ediscere voluerit, Vulcatium Gallicanum adeat, qui praeter mores Cassii, pietatem etiam ac clementiam Marci imperatoris copiose explicat.52
Es bleibt die Frage, warum sich gerade Cuspinian an der Historia Augusta orientierte, denn das offenkundige Identifikationspotential bestand ja auch für andere Humanisten, die die Historia Augusta kannten, in ihren Kaisergeschichten. Sie nutzten sie dennoch nicht, bzw. ausschließlich als Quelle – wie eben Giovanni Battista Egnazio. Hier mag zu bedenken sein, wie sehr Cuspinians Werk in der Epoche Kaiser Maximilians I. verwurzelt ist. Die von Maximilian angeregten Forschungen zur eigenen Genealogie, damit auch die unumgängliche Nutzung mittelalterlicher Texte, mussten die Option für eine »wissenschaftliche Historiographie« begünstigen. In der Nachfolge eines Livius und der theoretischen Äußerungen eines Cicero mochte ein humanistisches Geschichtswerk als munus oratoris (de or., 2, 62), d. h. als stilistisch ausgefeilte literarische Darstellung, näher liegen;53 für ein Konzept, das die Vergangenheit als genealogische bzw. ideelle Ahnenreihe im Sinne von memoria – »Gedechtnus« – rekonstruieren wollte und daher in dieser Hinsicht um Exaktheit und Faktentreue bemüht sein musste, war dieses Verständnis von Historiographie nicht brauchbar. Wollte man hierfür eine konkurrierende antike Referenz, so konnte man sie in der Historia Augusta und ihrem Programm einer stilistisch nüchternen wissenschaftlichen Geschichtsschreibung finden. Mit der Historia Augusta war damit aber auch eine antike Autorität verfügbar, die gegen die humanistischen Vertreter des livianisch-ciceronianischen Ideals ins Feld geführt werden konnte. Ihr kritisches Absetzen von unzulänglichen, weil nur am Stil interessierten Autoren unterstützte Cuspinian dabei, sein Selbstverständnis als Geschichtsschreiber und -forscher des imperium Romanum Germanicum zu definieren. Mit der Option fides historica statt eloquentia ließ sich nicht _____________ 52 Cuspinian, Caesares, 74: »Mehr über diesen Usurpator Avidius Cassius zu schreiben, habe ich nicht für wert gehalten. Denn ich habe mir nicht vorgenommen, alle Träger des Purpurs, sondern nur Caesares und Augusti in diesem Catalogus zu beschreiben. Wer jedoch an einer vollständigen Biographie des Avidius Cassius interessiert ist, greife zu Vulcatius Gallicanus, der abgesehen vom Charakter des Cassius auch Kaiser Marcus […] Güte und Milde ausführlich darlegt. 53 Der Editor Gerbel ist daher auch sehr bemüht, die Präsenz rhetorischer Glanzstücke wie Beschreibungen von Naturerscheinungen und Kunstwerken in den Caesares anzugeben (AIIv).
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nur die Einbeziehung von mittelalterlichen, dem humanistischen Stilideal zuwiderlaufenden Quellen bewältigen, sondern auch in der Auseinandersetzung mit zeitlich nahestehenden Historiographen, die denselben Stoff behandelten, Stellung beziehen: Indem sich Cuspinian die Position der Historia Augusta zu eigen macht, konnte unbestreitbare stilistische Qualität durch den Nachweis historischer Fehler bzw. mangelnder Recherchen entwertet werden:54 Bevorzugtes Ziel der Kritik sind die 1498 bzw. 1504 erschienenen Rapsodiae historiarum Enneadum des Venezianers Marcantonio Sabellico (1436–1506), gegen die Cuspinian unter anderem am Anfang der Vita Kaiser Friedrichs III. (aus Anlass einer Verwechslung von Friedrichs Bruder Albrecht VI. mit Albrecht Achilles von Brandenburg) in einem kurzen Exkurs polemisiert: Sed condonemus Italo hanc ignorantiam, qui res Germanorum parum intellexit, quique magis elegantiae verborum studuit quam rebus ipsis quibus et veritas patescit, quae tamen inprimis historiam scribenti cordi esse debet. […] Nam aliud est eloqui, aliud recte narrare historias et origines. Sed redeamus ad rem propositam.55
Neben dem formal-methodischen Angebot der Historia Augusta könnte ein inhaltlicher Aspekt das Werk für Cuspinian noch zusätzlich attraktiv gemacht haben: Das Interesse für Kultur, Literatur und Philosophie ist ein wichtiges Bewertungskriterium, das an den jeweiligen Kaiser angelegt wird. Positiv beurteilte Herrscher sind entweder selbst literarisch tätig oder Verehrer und Förderer von Literaten, allen voran der Idealkaiser der Historia Augusta, Alexander Severus. Ganz besonders musste aber das von der Historia Augusta gezeichnete Porträt des Kaisers Tacitus den Humanisten ansprechen: die Sorge des Kaisers um die Werke seines Namensvetters unter den römischen Geschichtsschreibern, deren Vervielfältigung, wie sie in der Historia Augusta (Tac. 10, 3) fingiert wird. Cuspinian hat die entsprechende Passage fast wörtlich übernommen: Cornelium Tacitum historicum patrem suum apellavit tantumque dilexit, ut in omnibus bibliothecis libros eius collocari iuberet institueretque ut singulis annis decies publice scriberetur, ne eius monumenta perirent.56
Wie die Forschung bereits sehr früh erkannt hat, projiziert die Historia Augusta hier Maßnahmen in die Vergangenheit, die ihrer tatsächlichen Entstehungszeit näher lagen – die Anstellung von »Restauratoren« im Jahr 372 (»antiquarii ad _____________ 54 Dieselbe Position ist weit schärfer formuliert in einem Brief an Willibald Pirckheimer: vgl. Cuspinian, Briefwechsel, 71. 55 Ders., Caesares, 609: »Doch wir wollen dem Italiener diese Unkenntnis verzeihen. Er verstand wenig von deutscher Geschichte und bemühte sich mehr um stilistische Eleganz als um die Fakten selbst. Aus diesen geht die Wahrheit hervor, die doch einem Historiographen vor allem am Herzen liegen sollte. […] Denn guten Stil zu schreiben ist eine Sache, Geschichte und Genealogien richtig darzustellen eine andere. Doch kehren wir zu unserem Thema zurück.« 56 Ebd., 124: »Den Historiker Cornelius Tacitus nannte er seinen Vater und schätzte ihn so hoch, dass er seine Bücher in allen Bibliotheken aufstellen ließ und veranlasste, dass sie jährlich zehnmal auf Staatskosten abgeschrieben würden, damit seine Werke nicht verloren gingen.«
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bibliothecae codices componendos vel pro vetustate reparandos«; cod. Theod. 14, 9, 2).57 Cuspinian seinerseits musste in dieser (für ihn nicht als solche zu erkennenden) Rückprojektion eine Präfiguration entsprechender Initiativen Kaiser Maximilians sehen, wie sie ihm aus nächster Nähe vertraut waren: Sein Freund Johannes Stabius koordinierte die Arbeiten am »Ruhmeswerk« Kaiser Maximilians und der Hofhistoriograph und Spezialist in genealogischen Fragen Ladislaus Sunthaym hatte Cuspinian zu seinem Erben eingesetzt.58 In der Vita des Kaisers steht an herausgehobener Stelle im Anschluss an den schlechten Unterricht, den Maximilian in seiner Kindheit erhalten hatte, ein Exkurs über die literarischen Interessen des Kaisers, seine Sorge um die Bewahrung alter Überlieferungen und im besonderen die von ihm initiierten und von Ladislaus Sunthaym, Konrad Peutinger, Jakob Mennel und Johannes Nauclerus durchgeführten genealogischen Forschungen: Effecit [sc. Maximilianus; E. K.] ut docti omnes nostrae Germaniae undique abditas eruerent historias, omnes schedas perlustrarent, et quae diu avos nostros latebant, prodirent in lucem.59
Die Affinität zur Historia Augusta mag also auch auf einer ähnlichen Grundhaltung beruhen, auf einem ähnlichen Blick auf die Vergangenheit, deren Erbe vor dem Vergessen bewahrt und gepflegt werden soll. Cuspinians Interesse an der Historia Augusta galt zweifellos zunächst der wichtigen Geschichtsquelle für eine schlecht dokumentierte Epoche der römischen Kaiserzeit. Dabei entgingen ihm ihre Inkonsequenzen nicht, und zum Teil ist durchaus Distanz zu ihrer Darstellung zu erkennen. Dennoch lieferten ihm die Beglaubigungsstrategien des Fälschers ein brauchbares Instrumentarium, um die Schwierigkeiten einer umfassenden Kaisergeschichte in Recherche und Dokumentation darzustellen. Dass er damit literarisches Spiel zu Ernst transformierte, war Cuspinian aller Wahrscheinlichkeit nach nicht bewusst. Wenn Gerbel angesichts des wissenschaftlichen Charakters der Caesares Ciceros Postulat an die Geschichtsschreibung (de or., 2, 62) mit »satis enim est historico […] non esse mendacem« paraphrasiert, mutet es wie eine Ironie der Geschichte an, dass Cuspinian in eben dieser ehrlichen Intention einen Autor heranzog, der die Klassiker der römischen Geschichtsschreibung als »mendaciorum comites« (Aurel. 2, 2), als Lügengesellen und Komplizen seines literarischen Spiels mit Fiktionen, vereinnahmt.
_____________ 57 Vgl. Hohl (1920), 300. 58 Vgl. Müller (1982), 55–65; zu Stabius: Grössing (1968); zu Sunthaym: Stelzer (1995). 59 Cuspinian, Caesares, 486: »Er bewirkte, dass die Gelehrten von überall her in unserem Deutschland alle verborgenen Geschichtswerke ausfindig machten, alle Papiere durchforsteten und dass das, was unseren Ahnen lange verborgen war, ans Licht kam.«
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Die Aura der Kaisermünze. Bild-Text-Studien zur Historiographie der Renaissance und zur Entstehung der Numismatik als Wissenschaft JOHANNES HELMRATH
Die Münze ist rund. Sie ist geprägtes Metall. Vorder- und Rückseite bieten untrennbar zwei Bilder im Kreis. Mit ihrer Umschrift – das lehrte schon das Evangelium – bildet die Münze auch eine Einheit von Bild und Text: Jesus sagt in Mt. 22, 20: »Reicht mir die Steuermünze (nomisma census)«. Als man ihm einen Denar reicht, fragt er: »Cuius est imago haec et superscriptio / Wessen Bild und Aufschrift ist das hier?« Die Antwort: »Caesaris / des Kaisers«. Die Kaisermünze, als Einheit von Porträt und Schrift, erhält hier ihren Ort in der Heilsgeschichte.1 Die Münze war zugleich Zahlungsmittel, Herrschaftszeichen und Propagandamedium – mittels des Herrscherbildes auf dem Avers, aber auch mittels ihrer vielgestaltigen Rückseiten. Außer Kurs geraten, d. h. ihrer Funktion als Zahlungsmittel ledig und ›historisch‹ geworden, wurde die antike Münze frei für alle möglichen Verwendungen. Sie blieb freilich im Mittelalter und bis heute das häufigste und mobilste Stück authentischer Antike, flach auf der Hand. Die antiken Kaisermünzen jedenfalls – und nur um die geht es hier – bilden als Porträtund Motivrepertoire »den reichsten Vorbilderschatz, den die Antike hinterlassen hat.«2 Im Folgenden soll ein Ausschnitt des großen Spektrums ikonischer, historiographischer und antiquarischer Funktionen skizziert werden, in denen römische Kaisermünzen in der Renaissance erlebt, genutzt und studiert wurden. Ich möchte dabei drei Felder betreten, die eng aufeinander bezogen sind: 1. Die Aura der Viri illustres auf Münzen; 2. die frühen (Münz-)Sammlungen; 3. neue Textsorten, nämlich a) Sammlungsinventare, b) Münz-Traktate als Realienkunden, c) Kaiserhistoriographien mit Münzen im Bild-Text-Verbund. _____________ 1
2
Mt. 22, 19–21: »ostendite mihi nomisma census at illi obtulerunt ei denarium et ait illis Iesus cuius est imago haec et superscriptio dicunt ei Caesaris tunc ait illis reddite ergo quae sunt Caesaris Caesari et quae sunt Dei Deo«. Degenhart/Schmitt (1990), 214; ähnlich Heenes (2003), 19.
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Es geht somit erstens um den Umgang mit antiken Kaisermünzen als auratischen Porträts berühmter Männer, zweitens als antiken Sachüberresten, die zu seriellen Gegenständen ästhetisch-antiquarischen Sammlungs- und Systematisierungsinteresses werden¸ drittens um den Niederschlag von Kaisermünzen und Münzkunde in neuen Formen von Fachliteratur und ihre Integration in die Historiographie. Insofern handelt es sich um einen Beitrag zu einer »Wissenschaftsgeschichte der antiquarischen Forschung«, wie sie etwa Henning Wrede einfordert.3 Und diese lässt sich insgesamt als eine Geschichte materialer Serialisierung (Bearbeitung von Sammlungen), Ikonisierung (Antikenabbildungen), disziplinärer Differenzierung sowie methodischer Professionalisierung verstehen. Was interessierte primär an Münzen, die wir als Text-Bildeinheiten definiert haben? Welchen Wert – als Quellen? als Kunstwerke? – räumte man ihnen ein? Woraus bezogen die Autoren ihre Kenntnisse – aus Texten, aus Autopsie? Welche Fertigkeiten – beginnend mit dem Entziffern der Abkürzungen – wurden als Expertenwissen anerkannt? Gab es intermediale Verbindungen von Bild und Text? Wie wurde aus wahllosem Antikensammeln die antiquarische Wissenschaft der Numismatik?4 Nur hingewiesen sei hier auf ein eng verbundenes und ebenso weites Feld: die monumentale Abbildung, Applikation und Transformation von Münzen und Münzbildern, in gebauter und gemalter Architektur, in Gemälden und Reliefs, aber auch als Illustrationen von Klassikerhandschriften. Die Tradition des Bildes im Kreis, der imago clipeata, des Tondo, der Mandorla gab bereits zahlreiche Formen vor. Ein lohnendes Forschungsziel bestünde darin, unter diesen Voraussetzungen eine eigene Bildgrammatik der Münze in der Renaissance zu entwickeln.5 Zur Forschungslage nur kurz: Eine systematische Darstellung fehlt. Theodor Mommsen hatte die breite antiquarische Literatur des 15. bis 18. Jahrhunderts6 mit wegwerfender Geste als bloßes »Durcheinanderwerfen von Balken und Ziegeln«, denen der Baumeister (nämlich Mommsen selbst!) gefehlt habe, abgetan _____________ 3 4
5 6
Wrede (2004), 10, hier zu numismatischen Werken Anm. 19–22, 85–95, 233 Abb. 52. Vgl. ders./Harprath (1989), 141–156; Wrede (1993), 9–25; grundsätzlich ders. (1994), 95–119. Sehr knapp Kelley (1988), 245. Nicht zu sprechen ist hier über die eigene Münz- bzw. Medaillenproduktion der italienischen Renaissance. Die italienische Münzprägung scheint bis in das spätere 15. Jahrhundert kaum von der Renaissance berührt und fand in der Forschung kaum Interesse (vgl. aber Nußbaum [1925], 145–192), ganz im Gegenteil zu dem mit Pisanello einsetzenden innovativen Medaillenschaffen. Aus der Literatur hier nur: Gorini (1991); Haskell (1995), 37–73 mit guten Beispielen künstlerischer Transformationen; Scher (2000), 1442–1457; Börner (1997). Vgl. dazu vorerst Helmrath (2007), 87–89 mit Abb. 5–7 und Literatur. Vgl. Flaten (1999), 33–36; Scandaliato Ciciani (1980); Bassoli (1985); Gorini/Parise Labadessa/ Saccocci (1991); Berghaus/Dekesel (1995); Dekesel (2000), 53–69; ders./Stäcker (2005); Cunz/Rainer (1995).
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und entsprechend ignoriert.7 Arnaldo Momigliano (1950) versuchte diese Literatur zu rehabilitieren, ohne zunächst die enorme Vielfalt der frühneuzeitlichen Drucke zu überblicken.8 Grundlegend zur frühen Altertumskunde allgemein ist wegen ihres breiten Überblicks immer noch die Arbeit des italo-englischen Forschers Roberto Weiss (1968)9. Gleiches gilt für Francis Haskell (»Geschichte und ihre Bilder«, 1993),10 der sein Konzept wesentlich auf die auch in diesem Beitrag relevante Frage nach dem Verhältnis von Monumenten und Texten in der frühen Altertumskunde ausrichtet. Spezieller arbeiteten John Cunnally »Images of the illustrious« (1999) und Milan Pelc (2002), die sich vornehmlich den späteren »Bildnisvitenbüchern« des 16. Jahrhunderts seit Andrea Fulvio (1517) widmen. Dabei steht bei Cunnally das numismatische, bei Pelc das mediale Interesse am Verhältnis von Bild und Text, am Porträtbuch als jahrhundertelang konstanter »Kommunikationsgattung« im Vordergrund.11 Martin Ott (2002) untersuchte Münz- und Inschriftenfunde in Mittelalter und Renaissance als regionale »Assoziationsfelder« einer Entdeckung des Altertums, und konstatiert einen wichtigen Wahrnehmungswandel der antiken Münze vom verdächtigen »heidnischen Pennig« zum geschätzten antiken Gegenstand von – so zitiert aus einem Sammlungsinventar Rudolfs II. – »antiquitetischer« Qualität, auch als Quelle.12 In der hochspezialisierten Disziplin der Numismatik sind Öffnungen zur Buch- und Kulturwissenschaft und zur eigenen Wissenschaftsgeschichte zu erkennen, zunächst mit bibliographisch orientierten Überblicken; der deutliche Schwerpunkt liegt auf den großen Bildnisviten- und Münzwerken der Frühen Neuzeit seit Fulvio, also auf den Prachtbänden eines Vico, Goltzius oder _____________ 7
Mommsen, Staatsrecht (1952), X. Mommsens Staatsrecht im Verhältnis zur früheren Altertumskunde wird in Projekt A 10 des SFB 644 unter Leitung von Wilfried Nippel untersucht. Vgl. außerdem Kaenel/R.-Alföldi u. a. (2004). Die Bände des CIL registrierten allerdings minutiös frühe Inschriftensammlungen und -sammler! 8 Aus der Fülle seiner Arbeiten hier nur Momigliano (1995), 111–160; ders. (1990), 54–79. Zu Momigliano in diesem Zusammenhang Ott (2002), 16. 9 Vgl. Weiss (1988), zur Numismatik 167–179, sowie die Vorstudien dess., »Lineamenti« (1958), zur Numismatik 187 f.; sowie zusammenfassend ders. (1976). Würdigungen von Weiss bei Gabriel/Kristeller/Setton (1971), 574 f.; Ott (2002), 17–19. 10 Haskell (1995), hier 23–36 über die frühen Numismatiker, 37–54 über Münzsammlungen, Zitat 24. Zu Haskell: Hardtwig (1998), 305–322. Allgemein für die frühe Altertumskunde und die Entstehung ihrer Hilfswissenschaften instruktiv: Davis (1994). 11 Cunnally (1999); vgl. die Rezension von Völkel (2001), 753 f.; wichtig auch Cunnally (1994), 120–143 sowie Pelc (2002); der Katalog der Drucke (115–285 mit Abb.) umfasst 173 Nummern und weist eine enorme Variantenvielfalt auf. Grundlegende Studien liegen zu Einzelpersonen wie Enea Vico, Cassiano dal Pozzo und Jean Matal vor, gehen aber weit darüber hinaus: Lemburg-Ruppelt (1988); dies. (2000), 114–122; siehe auch Pelc (2002), 279, 282 f. (Katalog), 302 s. v.; Herklotz (1999), hier Seite 22, 436 s. v. ›Numismatik‹; dazu die wichtige Rezension von Völkel, »Das Altertum« (2001), 263–275; Heuser (2003), zu den antiquarischen Studien im 16. Jahrhundert besonders 59–130, 249–314. 12 Ott (2002), 78–82. Zitate zum deutschen Wort »antiquiteten« 81 Anm. 246. Das Adjektiv »heidnisch« wurde allgemein im Sinne von »vorchristlich« verwendet. Vgl. Wolf (1994), 191–217.
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Agustín.13 Sicherlich ist das beträchtliche »heuristische Potential einer kulturhistorisch ausgerichteten Numismatik«14 aber bisher nur ungenügend genutzt. Zur Geschichte der eng verwandten Epigraphik, die Humanisten wie Poggio Bracciolini, Ciriaco d’Ancona, Felice Feliciano und Konrad Peutinger begründeten, bestehen deutlich größere Vorarbeiten.15
I. Der Kult der Viri illustres Textlich kanonisiert war die Reihe der römischen Kaiser in der antiken Geschichtsschreibung, allen voran bei Sueton mit der Zwölfzahl seiner Kaiserviten von Augustus bis Domitian, und in der Historia Augusta.16 Die Kaiserserie war aber auch als Gerüst von Chroniken wie denjenigen des Eusebius oder des Martin von Troppau († 1278) sowie von listenartigen Geschichtskalendarien seit Antike und Mittelalter vertraut. Und doch repräsentierten die Münzen der antiken Kaiser und Kaiserinnen von Caesar bis Justinian das größte Ensemble von ›uomini e donne famosi‹, »gleichsam eine Bildnisgalerie aus Metall« (Heenes) – falls sie denn als solche wahrgenommen wurden. Bis in das fünfte Jahrhundert hatte die römische Münze das Kaiserbild im Profil, nicht frontal dargestellt. Die halbplastische Silhouette ließ für die Physiognomien sowohl personellen ›Realismus‹ wie Typik (Pelc: »Exemplarik«) zu.17 In der Bildnisserie kann sich also Interesse an der individuellen ›wahren effigies‹ der Dargestellten leicht mit ihrer paränetischen, also mahnend – vorbildhaften Typisierung zu einem Anreiz für die Kunst wie – in unserer Thematik zentral – für die Historiographie verbinden. Eine Kombination der numismatischen mit einer historiographischen Kaiserserie lag nahe; und sie wurde versucht. Ziemlich am Anfang hat offenbar auch hier Petrarca gestanden.18 In den vielzitierten Textstellen aus seinen Opera kommt bereits vieles Prägende zur Sprache: _____________ 13 Vgl. die Literatur in Anm. 11, zu Fulvio auch Weiss (1988), 178 f. Ferner zur frühen Numismatik: Clain-Stefanelli (1965); Davis (1994), 97–109; Heenes (2000), 92–100; ders. (2003), 19–40. 14 Völkel (1999), 754. 15 Zur Epigraphik: Weiss (1988), 145–166; Billanovich (1969), 197–292; Davis (1994), 82–96; Heuser (2003), 89–129 (bietet viel Material!); Ott (2001), 213–226; ders. (2002), 39–82 zu Münzfunden und -forschungen, 83–260 zu Inschriftenfunden und -sammlungen. Vgl. auch die Literatur unten Anm. 92. Zur Glyptik: Davis (1994), 110–116; Zazoff/Zazoff (1983); dies., (1981), 363–378; Heenes (2003), 41–50. 16 Zu entsprechenden Handschriften-Illustrationen dieser Texte durch Münzbilder vgl. Helmrath (2007), 87–89 mit Abb. 5–8. 17 Zur Problematik siehe nach wie vor Lipman (1936), 54–102, besonders 59 f., sowie die Überlegungen von Völkel (1999), besonders 32–53. 18 Die Petrarca-Literatur ist hier nicht aufzulisten. Speziell zu den numismatischen Interessen siehe Cunnally (1984), 60–101, leider nur mit englischen Quellenzitaten; Weiss (1988), 37 f.; Schmitt (1985), 218–234; Haskell (1995), 23 f., 32, 37; Pelc (2002), 76–84; Asolati, »Petrarca« (2002), hier 72–74 mit Nr. 20–33. Vgl. auch Mazzocco (1977), 203–224.
Die Aura der Kaisermünze
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die Faszination individueller Physiognomien, die ihm Münzen authentisch zu vermitteln schienen, die Verbindung von Münzbildern mit anderen Altertümern, die stark herrscherparänetische Aura der Kaiserporträts. In einem Brief an Lelli di Stefano berichtet er von seinen Bemühungen um Kaiser Karl IV. Der solle den großen Kaisern und ihren Tugenden nacheifern, und diese Mahnung wird durch eine Gabe von Kaisermünzen aus Petrarcas eigenem Besitz symbolgestisch unterstützt. Darunter habe sich ein Augustus-Bild befunden, das beinahe atme (paene spirans), so realistisch lebensecht sei es.19 Wesentlich ist dabei: das Antlitz spiegelt ein Ethos wieder. Die Münzbilder mit ihren Inschriften (aureas argenteasque nostrorum principum effigies minutissimis ac veteribus literis inscriptas)20 sind bei Petrarca Exempla für die ethische Adhortation, zugleich aber, wie sich zeigen wird, Gegenstand antiquarischen Interesses.21 Das Fasziniertsein vom Physiognomisch-Individuellen zeigt sich wieder, als der Dichter ein Bild Kaiser Vespasians identifizierte (simillima facies) und dabei schriftliche Belege mit den Portraits auf Münzprägungen verglich. Dieser Transfer der Quellenbereiche gilt als methodisch richtungweisend. Den bei Sueton (Vesp. 17) berichteten schlagfertigen Witz des Vespasian findet Petrarca auch im Münzporträt des Flaviers wieder: Nitenti enim atque impellenti simillimam faciem habuisse eum et scriptores rerum tradunt et imago vultus sui, que vulgo adhuc aureis vel argenteis eneisque numismatibus insculpta reperitur, indicat.22
_____________ 19 Petrarca, Ep. fam. XIX 3, 14–15 (1355 Febr. 25): »Sumpta igitur ex verbis occasione, aliquot sibi aureas argenteasque nostrorum principum effigies minutissimis ac veteribus literis inscriptas, quas in deliciis habebam dono dedi, in quibus et Augusti Cesaris vultus erat pene spirans. ›Et ecce‹, inquam, ›Cesar, quibus successisti, ecce quos imitari studeas et mirari, ad quorum formulam atque imaginem te componas, horum mores et nomina, horum ego res gestas norim, tuum est non modo nosse sed sequi; tibi itaque debebantur.‹ Sub hec singulorum vite summam multa brevitate perstringens, quos potui ad virtutem atque ad imitandi studium aculeos verbis immiscui. Quibus ille vehementer exhilaratus, nec ullum gratius accepisse munusculum visus est«; ediert und übersetzt in Petrarca, Aufrufe, 432–434. Dazu Weiss (1988), 37 f.; Schmitt (1974), 167 f.; dies. (1989), 220–222; Cunnally (1984), 71–73. Zum grundsätzlichen Problem von Ähnlichkeit, Authentizität und Typisierung siehe Pelc (2002), 64–85. 20 Siehe Zitat in der vorigen Anm. 21 Die gilt in hohem Maß auch für den Brief des Dichters Niccolò Beccari aus Ferrara, einem Bekannten Petrarcas, der seinerseits 1377 an Karl IV. über einen Denar Caesars (= Augustus) schreibt, Petrarca habe gesagt, dies Münzbild (»Gaii Iulii Cesaris effigiies, etate adolescenti, in hoc argenti sculpta numismate deaurato«) drücke dessen Wesen und Taten genauestens aus: »hanc illius formam seu effigiem proprissimam fore«; Nicolaus de Beccariis, Lettere, 241–289, hier 244–246, 281 f. (Text); dazu Cunnally (1984), 84 f. 22 Petrarca, Rerum memorandarum libri, 95, Zeilen 33–36 c. 73. Dazu u. a. Weiss (1988), 37 f.: »Roman coins show Petrach as a true antiquarian« (38); Schmitt (1974), 189; dies. (1989), 228 mit Anm. Einen ähnlichen Transfer leistete Petrarca beim Porträt Gordians III. († 244), als er mit Blick auf eine Skulptur (oder Münze?) dieses Kaisers die Differenz zwischen der Aussage der Historia Augusta (forma conspicuus) und der von ihm erfassten Realität formulierte: »Si hoc
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Wohnen wir hier Geburtsstunden der »Entdeckung des Individuums« im Sinne Burckhardts bei? Vorsicht ist geboten – wie stets, wenn es um ›das Individuum‹ geht! Zumindest begegnet man hier Ansätzen einer Kunstauffassung, die stärker auf das physiognomische Detail schaut. Dies bedeutet aber nicht sogleich die ›Ablösung‹ einer typisierenden Porträtauffassung des Mittelalters. Denn die jetzt ›individueller‹ akzentuierten Kaiserporträts werden ja selbst wieder zu Typen des Herrschertums. Die neue Programmatik profanen Ruhms in Italien, dem vor allem die Antike Legitimation bot, ließ auf literarischem Feld Petrarcas de viris illustribus prägendes Vorbild vieler ähnlicher Werke werden.23 Aber sie schlug sich auch an Monumenten nieder, ließ seit dem 14. Jahrhundert Gemäldezyklen der ›uomini famosi‹ entstehen. Wie stark etwa die Ausstattung der ›Sala dei uomini famosi‹ in Padua wiederum von Petrarcas Antikewissen bestimmt wurde, ist bekannt.24 Dass man für Porträtzyklen dieser Art gern auf die ikonisch-evokativen Arsenale der Münzen zurückgriff, so etwa Altichiero um 1370 im Scaligerpalast zu Verona, hat bereits Annegret Schmitt klar herausgestellt.25 Derartige Zyklen machten Schule. An spätere ikonische und skulpturale Porträtgalerien wie diejenige des Paolo Giovio in Como, wie die Büstenreihen von 24 antiken Kaisern (und Karls V.) in der Casa de Pilatos im Sevilla des 16. Jahrhunderts oder im Antiquarium der Münchener Residenz, sei nur erinnert.26 Hier liegt die Gelenkstelle zu einem zweiten, sachlich eng verbundenen Komplex, der Geschichte der Antikensammlungen und ihrer sukzessiven Aufbereitung durch Inventare und Bildcorpora.
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verum fuit, malum habuit sculptorem«; zitiert nach Weiss (1988), 36. Für Haskell (1995), 23 war dies ein »bedeutender Meilenstein in der Geschichte des historischen Denkens«. Vgl. Muhlack (2004), 54–85. Mommsen, Petrarch (1952), 95–116; Deuchler (1983), 129–149; Schmitt (1989), 215–258, besonders 220–234; Matsche (1997), 323–355, hier 330–336 zu den Kaiserzyklen. Wichtig Hansmann (1994), 26–98 zum Bildtyp mit mittelalterlichen Vorbildern, 44–56 zu Padua und Petrarca. Ferner: Middeldorf (1970); Stupperich (1995), hier 50–58 zu Grabmälern (wichtige Literatur). Unabhängig voneinander entstanden die wichtigen Konzepte von Cunnally (1999) und Pelc (2002). Degenhart/Schmitt, (1980), 79–86 (Münzbeschreibungen) und Tafel 17–20; dies., (1990), 214– 227 mit Abb.; Schmitt (1974), 167–218, hier 189–216; dies. (1989), 220–234. Als Überblick nicht überholt: Rave (1959), 119–154, besonders 119–121; Haskell (1995), 55–63 zu Giovio, 48–50 zum Antiquarium; Völkel (1999); Cunnally (1999), 96; Pelc (2002), 32 f., 55 f., 86–88, 298 s. v., sowie künftig die Forschungen von Elisabeth Stein (Wuppertal). Zur Casa de Pilatos siehe Trunk (2002). Vgl. auch Matsche (1997), 323–355, hier 330–336 zu Kaiserzyklen nach Sueton.
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II. Frühe Münzsammlungen, -experten und -inventare Auch die Münzen gehören zu den antiquitates, genießen angesichts ihrer Kaiserbilder kultische, ja fetischistisch anmutende Verehrung. Zwei Beispiele: Antonio Beccadelli (Panormita) berichtet geradezu prototypisch über König Alfons V. von Neapel: Nach Münzen berühmter Kaiser, vor allem nach denen Caesars, ließ er in seinem großen Eifer ganz Italien durchstöbern und bewahrte sie dann in einer elfenbeinernen Schatulle fast wie Heiligtümer auf. Da andere Bilder der Kaiser schon seit Jahrhunderten zugrunde gegangen, pflegte er zu sagen, erfreue sich sein Herz wenigstens an diesen, und oft werde er durch sie wunderbar begeistert zur Tugend und zu ruhmvollen Taten.27
Henry Peacham Earl of Arundel artikulierte 1522 sein Fasziniertsein von der Antike überhaupt gerade anhand der materiellen Authentizität der Münzen: Während Bücher nur vage Abbilder der Antike böten, seien Münzen »the very antiquity themselves«.28 Mit anderen Worten: Sammeln bedeutet auch Verehren und Andenken Bewahren. Zur Paränetik der viri illustres kommt also die Psychologie des Sammelns. Gerade Münzen vermögen hier besondere Instinkte zu erregen: Jagd nach dem Raren, Bergen und Genuss eines privaten Schatzes, ästhetischer Reiz, die Faszination der Serie, die zu komplettieren man sich zwanghaft verzehrt. Der Kult des menschlichen Porträts als Ruhmeskult und zugleich das Sammeln gehörte seit Petrarca auch zentral zu den Praktiken der Humanisten.29 »Nam qui litteras et virtutes amant«, sagte 1499 Jacob Questenberg in seinem Traktat De talento et sestertio, »etiam imagines, tum doctorum hominum, cum illustrium virorum apud se habere student, ne vel in hac parte saltem intereat eorum memoria.«30 Ein ähnliches Interesse, wie wir es bei Petrarca sahen, wäre von vielen Humanisten, so von Poggio, Traversari und anderen zu berichten, sowohl hinsichtlich des Porträtkults wie der Sammelleidenschaft. Niccolò Niccoli, der arbi_____________ 27 Beccadelli, Aus dem Leben König Alfonsos I., 45 (Buch II). Vgl. Ryder (1990), 314 (»one of the first connoisseurs«), 347; Esch (2001), 101 f. Zu den Sammlungen siehe unten bei Anm. 34–37. 28 Peacham, The Complete Gentleman, 197 f., zitiert nach Walther (1998), 369, aus: Howarth (1985), 80. 29 Paul Joachimsohn: »Das Sammeln von Münzen hatte ja überhaupt erst der Humanismus aufgebracht«, in: Fridolin, Etlicher keyser angesicht, hier 14. Im Reich wurde nach 1500 das Prägen von »Schaumünzen«, des eigenen Porträts, die man dann verschenkte, nicht nur unter den deutschen Fürsten, sondern auch unter Humanisten Mode; vgl. Volz (1972). 30 »Denn diejenigen, die Wissenschaft und Ethos lieben, wollen auch Bilder, sowohl gelehrter Männer, als besonders berühmter Helden bei sich haben, damit wenigstens in diesem Bereich ihr Gedenken nicht untergehe.«; zitiert nach Mercati (1937), 453 f. Zum Traktat siehe unten bei Anm. 59. Die breite Literatur zur Sammlungsforschung ist hier nicht annähernd zitierbar. Vgl. allgemein Walther (1998); Bredekamp (2000) und die folgenden Anm.
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ter elegantiarum latinarum in Florenz, um ein prominentes Beispiel zu nennen, war als Sammler geradezu berüchtigt: »In seinem Haus«, berichtet Vespasiano da Bisticci, »bewahrte er unzählige Medaillen aus Bronze, Silber und Gold auf, dazu viele antike Figuren aus Messing, Büsten aus Marmor.«31 Hier gewinnt man den Eindruck, es habe sich noch um Horten, kaum um Systematisieren von Antiken gehandelt. Auch von den Paradehumanisten im Reich, von Pirckheimer in Nürnberg, Peutinger in Augsburg, Fuchsmagen († 1510) in Innsbruck, den Amerbachs in Basel und Cuspinian in Wien ist bekannt, dass sie selbst Münzen sammelten.32 Wie ihre Briefe verwendeten die Humanisten antike Münzen zum Gabentausch im Geiste der amicitia. Kein Wunder, dass sie bald als Experten für andere Sammler gefragt waren. Man drängte dem Kenner Kennerschaft auch da auf, wo er sie eigentlich gar nicht besaß. So geriet der Kamaldulensermönch Ambrogio Traversari aus Florenz, berühmt als Fachmann für die klassischen und frühchristlichen Texte, schnell in den Ruf, Experte für alles Antike zu sein. Man lud ihn ein, sich Münzsammlungen anzusehen und Expertisen abzugeben, zum Beispiel in Venedig 1433 bei sammelnden Connaisseurs wie Francesco Barbaro, Pietro Tommasi oder Benedetto Dandolo.33 Münzen gehörten neben Inschriften, Gemmen und Skulpturen bald zum festen Bestandteil von Wunderkammern und Antikensammlungen in Italien, dann im übrigen Europa. Besonders früh trat Venedig als Zentrum hervor. Schon aus dem Jahr 1335 ist eine Einkaufliste des Olivero Forzetta aus Vicenza überliefert, die u. a. antike Steinreliefs und 50 Medaillen umfasst!34 Das setzte natürlich einen entsprechenden Markt voraus!35 _____________ 31 Bisticci, Große Männer und Frauen, 350; fast wörtlich erneut ebd., 354. 32 Busch (1973); Grunauer von Hoerschelmann (1990), 25–52 unter Auswertung unpublizierter Briefe; Cooper (1990), 5–24, sowie unten nach Anm. 90. Von Cuspinians Sammlung schwärmte Ulrich Fabri Juli 1517 in einem Brief an Cuspinians Sohn Sebastian Felix: »tot diversae formae nomismata atque imagines, quibus hac nostra tempestate nulli secundus existit. […] Ipse facundissimus universis dat liberum accessum«; Cuspinian, Briefwechsel, 181–185 Nr. 61, hier 182. Dazu, wie zur Kommunikation der Humanisten überhaupt, auch Schirrmeister (2003), hier 146 f. 33 Traversari an Niccolò Niccoli: »Multa enim id genus numismata Venetiis haberi apud plerosque nobilium, quae videnda mihi attulissent«; Traversari, Latinae Epistolae, 411–417; Zorzi (1988), 15 f. (Zitat); Weiss (1988) 169. Im Kloster S. Michele di Murano traf Traversari mit Ciriaco d’Ancona, zusammen, der ihm griechische Münzen sowie einen Kameo »in lapide onychino […] summae elegantiae« vorlegte. 34 Umfassend zu Venedig: Zorzi (1988) und die Kataloge der Venezianer (1997) und Bonner (2002) Ausstellungen: Favaretto/Ravagnan (1997), darin Gorini (1997); Frings (2002), mit Literatur, besonders 34–73, und Beiträgen von Favaretto (2002), 34–42; Zorzi (2002), 43–55; Asolati, »Petrarca« (2002), besonders 72–74 mit Nr. 20–33; ders., »Münzsammlungen« (2002), 220–231 mit Nr. 142–170. Zu Olivero Forzetta: Frings (2002), 36, 44 f.; Müntz (1983), 163 f.; Gargan (1992), 503–516. 35 Zum Kunstmarkt: North (1998), 29–56, zu Sammlungen besonders 36–47. Weitere Studien wären sinnvoll.
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Die »Nummomania« (Cunnally) wurde wie das Sammeln anderer Antiken zuerst Mode, dann statusrelevant auch bei Fürsten, Kardinälen, Päpsten. Doyen der ›Nummomanen‹ war wohl Papst Paul II. Barbo († 1471). Seine Sammlung, damals die größte von allen, kann man recht gut rekonstruieren. Wir wissen zum Beispiel genau, dass er 60 Silbermünzen Trajans und Rarissima wie einen Aureus des kürzestlebigen Soldatenkaisers Florianus besessen hat. Wir wissen es auf Grund eines erhaltenen Sammlungsinventars. Diese Textsorte begründet den ersten der hier knapp zu erörternden Textsorten.36 Anders als ›im Mittelalter‹ waren antike Münzen nun nicht mehr nur gehäufte Kleinpreziosen im fürstlichen Schatz oder Reservoir zum Schmuck von Reliquiaren;37 sie wurden, als serielle Sammelobjekte, Selbstzweck. Sammeln in diesem Sinne implizierte aber: Man wollte etwas über die Metallstücke wissen, sie ordnen, beschreiben, systematisieren, sie ansprechend präsentieren etc. Die ersten listenartigen Münzinventare wie dasjenige Pauls II., gingen an Detailliertheit über traditionelle Schatzverzeichnisse hinaus. Dabei kamen nun nicht mehr allein die Münzen aus Edelmetall (Aurei, Denare) zu Ehren, sondern auch die zuvor eher ignorierten großen Bronzenominale (Sesterze, Dupondien, Asse)38; allein schon deshalb weil sie ja dem antiken Bild eine viel größere Fläche boten. Künftig noch genauer zu untersuchen wäre die Frage, wie man damals den finanziellen Wert der Münzen differenzierte, ob bzw. in welcher Weise neben dem Materialwert die ästhetische Qualität und der Erhaltungszustand und vor allem die Rarität eines Stücks taxiert wurde und den Preis entsprechend nach oben trieb.39 Gerade das Erkennen von ›Rarität‹ macht ja ein wesentliches Element von Expertenwissen aus. In den Sammlungen liegen in jedem Fall wesentliche Motive und Anfänge einer professionellen ›Münzkunde‹. Zur Organisation der Sammlungen bedurfte es aber nicht nur entsprechender deskriptiver Texte, sondern auch technischer Medien und Möbel zur Präsentation: Bretter mit vorgefertigten Löchern, Schaukästen, Münzschränke mit Schubladen usw., wie sie dann zur Ausstattung spezia_____________ 36 Müntz (1983), 181–287 (nach Roma, Archivio di Stato), hier 265–279 zum numismatischen Teil der Antikensammlung; dazu grundlegende Analyse bei Cunnally (1984), 102–212, mit Listen nach Anzahl und Nominal der Münzen pro Kaiser 180–182, ebd., 150–177 Inventar der Münzen aus der römischen Republik. Ferner Weiss, Umanista (1958), 27–32, 83–90; ClainStefanelli (1965), 13. 37 Systematische Studien und Vergleiche zur Rolle der Münzen stehen noch aus. Vgl. Hardt (2004), hier 60–67; Maue/Veit (1982), besonders 196–208, 252–255; Nicklis (1983), hier 104–118 über frühe Schatzfunde. Wie man mit den übrig gebliebenen antiken Monumenten umging, hat Clemens (2003) schön gezeigt: besonders 231 f., 395–398; ders. (2000), 61–80. Vgl. allgemein Greenhalgh (1989), dazu Esch (1990); Krug (1995); Wiegartz (2004). 38 Vgl. das Petrarcazitat bei Anm. 22. 39 Über Finanztransaktionen der Medici, auch mittels wertvoller antiker Kleingegenstände wie Gemmen, Münzen und Medaillen, demnächst mit völlig neuen Erkenntnissen Götz-Rüdiger Tewes.
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lisierter Münzkabinette gehören sollten.40 Texte, Bilder und Möbel begleiten also den Prozess einer ›Verwissenschaftlichung‹. Im Sammlerbild erhielt die Münze folgerichtig eine prominente Funktion. Das vielleicht berühmteste ist Hans Memlings Porträt eines jungen Mannes von ca. 1480 in Antwerpen (Abb. 1): Der junge Mann mit Hut schaut am Betrachter vorbei, er hält ihm aber am rechten unteren Bildrand mit vier Fingern signethaft, geradezu wie sein zweites Gesicht, das Profilporträt des Kaisers Nero auf einem Sesterz entgegen.41 Die Münze ist mit Umschrift vollkommen naturalistisch gemalt. Es soll ein echter Sesterz sein.42 Über Profession und Identität des Mannes wird viel spekuliert. Die Botschaft des Münzhaltens aber ist eindeutig: Ich präsentiere mich mit und durch Antike. Man hat sich gefragt: Warum gerade ein Bild Neros, dessen Ruf doch so negativ ist? Offenbar spielt das keine Rolle. Allein schon die hohe Wiedererkennbarkeit eben des Nero-Kopfes, des mit seinem dicken Hals vielleicht charakteristischsten und evokativsten aller Kaiserporträts, dürfte ausschlaggebend gewesen sein. Bildlich etabliert war das Porträt eben durch das Münzbild,43 – textuell durch die römische Kaisergeschichtsschreibung.
_____________ 40 Für die Zeit vor dem 16. Jahrhundert scheint darüber wenig bekannt; einige Hinweise in: Maue/Veit (1982), 196–208. Auch die Literatur zum ›Studiolo‹ ist hier zu prüfen: Liebenwein (1977). 41 Antwerpen, Koninklijk Museum voor Schone Kunsten, Inv. 5, ca. 1480 oder später. Zum Bild vor allem de Vos, Ausstellungskatalog (1994), 94 Nr. 19; ebenso ders., Complete Works (1994), 190, 368 f. Nr. 42, jeweils mit der älteren Literatur; Martens (1998), 75, 67 Abb. 5, 286 Abb. 190 und 191. Vgl. Erche (2005), u. a. zur Deutung der Person als Bernardo Bembo. Die ältere Forschung hatte sie u. a. mit dem Medailleur Giovanni di Candida identifizieren wollen; Faggin/ Corti (1969), Nr. 96; Castelfranchi Vegas (1992), zum Vergleich mit einem verwandten Botticelli-Porträt, hier Abb. 108 (Memling), 127 (Botticelli), 225, 233 mit Anm. 19 f.; dazu auch Clain-Stefanelli (1965), 16 Abb. 8; Cunnally (1994), 133 f. 42 Av.: »NERO CLAUD(ius) CAESAR AUG (ustus) GERM (anicus) TR (ibunicia) P(otestate) IMPER(ator)«. An der Inschrift ist aber die Abkürzung »IMPER« für »imperator« unhistorisch – statt IMP P(ater) P(atriae), die Angabe der TR(ibunicia) P(otestas) findet sich nur in Verbindung mit dem P(ontifex) M(aximus)-Titel. Ein Reverstyp lässt sich nicht zwingend zuweisen; vgl. RIC, vol. I, 155, hier mit den vorgenannten Bedingungen am ehesten passend die Aversinschriften 31 und 36. Bei dem – möglicherweise als Vorlage dienenden? – Exemplar des Königlichen Münzkabinetts (Bibliothèque Royale Brüssel) ist nach de Vos, Ausstellungskatalog (1994), 94 mit Abb. unklar, ob es sich um eine Nachbildung der Renaissance handelt; vgl. ders., Complete Works (1994), 190, mit Abb. eines antiken Nero-Sesterz aus der Sammlung des Ashmolean Museums. 43 Vgl. zum Neroporträt: Schneider (2003), 59–76, vor allem 63–68. Haskell (1995), 73–81. Seine Ansicht, es habe bis Giovanni Battista della Porta, De humana physiognomia, an Versuchen physiognomischer Charakterdeutung gefehlt, ist sicher zu relativieren. Zur Physiognomik auch Pelc (2002), 80–83.
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Abb. 1: Hans Memling, Bildnis eines Mannes mit Medaille, Antwerpen, Musée Royal des Beaux-Arts.
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III. Neue Textsorten: Geschichtsschreibung zwischen Münztraktat und Bildnisvita Die Inventare weisen den Weg zur numismatischen Schriftlichkeit, aber – über die Aura des Porträts – auch zur Historiographie. Eine Typologie der neuen Textsorten ist per se unzureichend, sei aber ansatzweise versucht: Ich unterscheide vier Typen: 1. Die soeben knapp eingeführten listenartigen seriellen Sammlungsinventare. 2. Monetarisch bzw. metrologisch orientierte Traktate als neue Textsorte. Sie interessiert die antike Münze als Zahlungsmittel, kaum als Bildträger, weshalb Haskell und andere diese Texte ignorieren. Dazu tritt aber ein ausgeprägt antiquarisches Interesse, das sich aus antiken Klassikertexten speist. Zwei frühe Beispiele werden mit Porcellio und Questenberg hier vorgeführt. 3. ›Kaiserbücher‹ als – von Haskell gleichfalls weitgehend ignorierte – ›Geschichtsschreibung mit Münzbildern‹. Als Beispiele44 wurden Johannes Mansionarius (a) und Konrad Peutinger (c) gewählt, sowie, als Sonderfall mit sammlungsdeskriptiven Elementen, die römische Kaiserhistoriographie des Stephan Fridolin (b). 4. Die frühen ›Kaiserbücher‹ eines Peutinger oder Cuspinian setzen sich in den ›Bildnisvitenbüchern‹ des 16./17. Jahrhunderts fort. Sie sind von den frühen Typen (3) daher nur schwer abzugrenzen. In der jüngeren Antiquarismusforschung fanden sie bevorzugte Aufmerksamkeit: ein Andrea Fulvio, Johannes Huttichius, Onofrio Panvinio, Guillaume Rouille (Rovillius), ein Jacopo Strada, Adolf Occo III., Antonio Agustín und andere.45 Das Spektrum der dargestellten Reihen von illustres hat sich aber über die Kaiser ausgeweitet auf Könige, Fürsten, Feldherren, Gelehrte usw. Es handelt sich um Tafelwerke, die ästhetisch und technisch aufwendige Münzdarstellungen eng mit mehr oder weniger dekorativ und emblematisch arrangierten textuellen Kurzviten verbinden. Sie werden hier nur kurz und vorweg betrachtet. Bei allem Dekorativen vollzieht sich in der Abfolge dieser Tafelwerke doch eine Entwicklung, die Züge des Münzinventars wie der Geschichtsschreibung integriert. Eine Schlüsselrolle kommt nach Ansicht der Forschung wohl Enea Vico (1523–1567) zu.46 Er leistete den Übergang zu wissenschaftlichen Münzwerken, die Münzbilder nicht nur vitenillustrativ verwenden, sondern sie als solche systematisch klassifizieren, also ›Editionen‹ (Münzcorpora) bilden. Wie aber wäre _____________ 44 Vgl. hierzu unten Abschnitt III.2 dieses Beitrags. 45 Vgl. oben Anm. 11. 46 Wesentlich Lemburg-Ruppelt (1988), v. a. 1–22, kritisch Helmrath (2007), 83; Lemburg-Ruppelt (1995), 49–70. Ferner Haskell (1995), 31–34, 587 s. v.; Cunnally (1999), 211–214; Ferrary (1996), 101–107, 250 s. v.; Davis (1994), 102–104; Heenes (2003), 25–28; wenig rezipiert bisher Bodon (1997), besonders 110–154, 158–160 zu den numismatischen Werken; 149–154 über die handschriftlich überlieferten Werke, 161–166 Verzeichnis der Drucke.
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dieser ›Übergang‹ von der Bildnisvita zum Münzcorpus zu definieren? Mit Le imagini con tutti i Riversi trovati et le vite de gli Imperatori tratte dalle medaglie von 1548, dem 1555 die Discorsi sopra le Medaglie degli Antichi folgten, habe Vico jedenfalls den Weg zu einer kritisch genutzten Numismatik als Teil der Altertumswissenschaft beschritten. So habe er zum einen – angeblich erstmals – Vor- und Rückseiten der Münzen abgebildet; zum anderen habe er (dies sicher nicht als erster) die Münzen als diskursiv interpretierbare Quellen, etwa für Datierungen, in eine kritische Altertumskunde einbezogen. Der »Father of Ancient Numismatics« (Dekesel), Hubert Goltzius (1526–1583), habe dann mit seinem Opus C. Iulius Caesar sive historiae imperatorum Caesarumque Romanorum ex antiquis numismatibus restitutae (1563 und 1574) diesen Typ auf einen Höhepunkt geführt. Goltzius weitete zugleich den Bedeutungsraum der Münzen aus und erklärte sie zum universalen Bildthesaurus für alle Fächer, die sich mit Antike beschäftigten, und für alle Formen antiker Realienkunde, von Tempeln bis hin zu Tieren und Schiffen. Leute wie Goltzius waren eben Universalgelehrte und zugleich spezialisierte Numismatiker. Ihre Pionierrolle für die Entfaltung einer wissenschaftlichen Numismatik mag sich nach Studium der folgenden Texte relativieren. Von den fünf oben skizzierten Typen werden aber nur Typ zwei bis vier unter neuer Zählung (1.–3.) genauer untersucht:
1. Die frühen Münztraktate Sie stellen eine ganz eigene Textsorte dar. An den Anfang gestellt sei eine Lehrstunde über Münzen, die Enea Silvio Piccolomini, ›Apostel‹ der Diffusion des Humanismus in Mitteleuropa, 1438 in unerwartetem Kontext gab. In seine zweistündige Predigt zum Ambrosiusfest auf dem Basler Konzil flocht er eine gelehrte Digression über Münzen des republikanischen Roms ein – engstens angelehnt freilich an Plinius (hist. nat. 18, 3).47 Der Kontext war ein moraltheologischer: Es ging um die Kirchenreform und jenes Laster, das essenziell mit Geld verbunden ist, die Habgier (avaritia). Enea referierte den Konzilsvätern Plinius über das Geld der frühen Republik, als es nur Bronzewährung (sc. Aes grave) gab, über die ersten Silberdenare mit ihren Bigen und Quadrigen, die Einführung der Goldmünze, über die Etymologie des Worts pecunia von pecus = Vieh.48 Was sich, _____________ 47 Dazu Helmrath (2004), hier 38 f. 48 »Fateor enim antiquitus hanc fuisse consuetudinem, ut quod avidi essent aeris, hi dicerentur avari, cum nondum esset ullus usus aureae monetae vel argenteae, nam solus aes habitum est in pretio apud Romanos usque ad bellum Punicum primum; quinque etenim dumtaxat annis ante id bellum signari argentum tergendum [sic! lies: cudendum?] coepit, bigarum et quadrigarum nota; anno urbis conditae quingentesimo octuagesimo quinto: Attamen anno post secundo et sexagesimo nummus aureus percussus est; aes autem Servius Tullius primus signavit nota pecudum,
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flankiert von längeren Zitaten aus Lucan, Boethius und Vergil dann anschließt, ist eine physiognomische, auf den vultus gestützte Psychologie der Gier.49 Motiviert war der Exkurs wohl einzig als oratorische Aristie klassischer Bildung, mit der Rede geriet er mit einer gewissen Rezeptionschance in die Sammelhandschriften der Orationes Papst Pius’ II. Mit seiner Mischung aus Kunde der Münznominale, Etymologica und Klassikerbelegen wirkt er aber fast wie ein Vorspiel jener metrologischen Traktate, die jetzt vorzustellen sind. Diese frühen Münztraktate, eine trockene Materie, sind kaum erschlossen. Einige gelten als verloren: so ein Traktat des päpstlichen Konsistorialadvokaten Andreas de Sanctacruce (1407–1473), mit dem Titel De notis publica auctoritate probatis.50 Zwei erhaltene Texte seien hier vorgeführt: der des italienischen Humanisten Giannantonio Pandoni von 1459 und des Deutschen Jacob Aurelius Questenberg von 1499.51 a) Giannantonio Pandoni Opusculum aureum de talento (1459)52 Der Poet und Humanist Giannantonio Pandoni (vor 1408–nach 1485), 1452 von Kaiser Friedrich III. in Neapel zum Dichter gekrönt, gegeißelt wegen homoerotischer Neigungen und wohl deshalb Porcellio genannt, diente sich an vielen ita_____________ 49
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unde pecunia dicta est; cum antea rudi aere uterentur. Itaque licet variarentur monetae materia, idem tamen avaro nomen mansit«; Piccolomini, Pii II orationes, 44–46. Mansi gibt in seiner Edition der Piccolomini-Reden als Quellen an: Lucanus, bellum civile, VI, 402–405; Boethius, cons., II 5, 27–30; Vergil, Aen., 3, 116–118. Fortgang der Rede: »Humanus vultus non hominem significat esse avarum, sed monstrum, sub cujus aspectu placido latet truculenta bestia ad omne nefas parata; testanturque virginei vultus cupiditatem avari semper virescere; nunquam enim, ut scitis, satiatur, aut expletur cupiditas sitis, semper appetit, semper eget«; Piccolomini, Pii II orationes, 45 f. Erwähnt bei Weiss (1988), 176. Eine systematische Recherche nach Handschriften und Drucken früher numismatischer Texte wäre angesagt. Nur hingewiesen sei auf das in der Forschung kaum bekannte, 1516 fast zeitgleich mit Budé erschienene Opusculum de potestate monetarum des Juristen Johannes Aquila (= Johannes Gentner): Joannis Aquile Philosophiae atque Jurium Doctoris consultissimi Opusculum de Potestate et utilitate Monetarum, darunter Wappen mit Helmzier. Umfang 24 fol.; auf dem Schlussblatt: »Impressum Oppenheym [Jacob Köbel] anno domini 1516« (= VD 16 G 1307); benutztes Exemplar: Rom, BAV R. I V 2105 (2). Widmung an den Tübinger Mathematiker Johannes Stöffler: »Ad Joannem Stofflerinum facile omnium nostro evo principem mathematicorum.« Incipit: »Tametsi mathematici gentilicio vocabulo erant dicti Chaldei apud Assyrios.« Der Traktat wird bei Weiss (1988), 175, wohl irrtümlich unter gleichem Titel als Werk des Theologen und Fraterherren Gabriel Biel († 1495) genannt. Es wäre zu prüfen, ob es sich bei Aquilas Opusculum eventuell um eine Bearbeitung von Biels Traktat De nummis in republica percutiendis et conservandis libri duo handelt. Pandoni, De talento (Rom: Eucharius Silber o. D.); Hain (1966), 185; vgl. Weiss (1988), 176. Von mir benutztes Exemplar: BAV R. I V 2105 (3). Zu Porcellio: Voigt (1893), 491–495 (584–587 in der 1. Aufl. von 1859); Frittelli (1900); Cappelli (2004).
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lienischen Höfen an, darunter der Kurie Pius’ II. Die Jahre 1456–1459 verbrachte er am mailändischen Hof der Sforza. 1459 verfasste er für Cicco Simonetti, Sekretär des Signore Francesco Sforza, den wohl ersten antiquarisch-metrologischen Traktat über antikes Münzwesen. Simonetta hatte ihm offenbar den Auftrag gegeben, in diese trockene und vertrackte Materie (dura provincia und res perdifficilis) einzudringen. Die genaue causa scribendi ist unklar: Ging es um eine Münzsammlung, oder stand aktuelles ökonomisches Interesse dahinter, sollte also antikes Wissen über Geld nutzbar gemacht werden?53 Die kleine, im letzten Viertel des 15. Jahrhunderts gedruckte Schrift umfasst jedenfalls gerade einmal fünf Blätter – und scheint bisher unerschlossen. Am 1. Februar 1459 legte Pandoni, mit dem Gestus des Poeten und numismatischen Amateurs, seinem als Pollio angeredeten Mäzen das Ergebnis in topischer Adulation und Bescheidenheit vor. Die Methode: antike Texte nach Aussagen über Münzen und Gewichte zu durchforsten, quae ne a minimis quidem auctoribus delecta collegimus quaeque a maiorum vetustate comprobantur. Namentlich genannt werden Servius, Priscians de numeris; Varro, Gellius, Plutarch, die Historia Augusta und Justinus.54 Dieses antiquarische Antikeninteresse à la Flavio Biondo, hier spezialisiert auf Gewicht und Münze, und mehr text- als ›realien‹orientiert – das ist offenbar das Neue. Es geht um Maß- und Gewichtseinheiten (talentum, libra, pondus, uncia etc.) und die Umrechnungswerte von antiken Münznominalen in zeitgenössische Dukaten,55 immer wieder auch um die Etymologie, mit einem Überstieg in das Moralische, in traditionelle Avaritia-Kritik, die sehr latent in allen diesen Traktaten noch mitschwingt.56 Wissenschaftsgeschichtlich dürfte es signifikant sein, dass kein Jurist oder etwa ein Praktiker (Münzmeister, Medailleur) dieses neue Textgenre eröffnete, sondern der Philologe, Poet und Humanist Porcellio. Der ächzte zwar unter der Rechnerei, genoss aber die antiken Texte, die besser als andere zu kennen eben seine besondere Kompetenz ausmachte. Und wie steht es mit der Autopsie, mit dem Interesse für die effigies, wie wir sie bei Petrarca sahen? Dass Porcellio beim Schreiben auch Originalmünzen (einer vorliegenden Sammlung?) genau betrach_____________ 53 Es wäre zu prüfen, ob diese Literatur nicht in einer älteren, ›nationalökonomischen‹ Tradition, etwa eines Nicolas von Oresme gesehen werden kann, worauf schon Weiss (1988), 175 hinwies; Oresme‚ Tractatus; zu Oresme hier nur Schneider (1993). 54 Welche Fragmente der antiken Fachprosa damals tatsächlich bekannt und verfügbar waren, wäre grundsätzlich zu prüfen. Pandoni nennt etwa Priscian, de numeris und Varro, de sestertio (= de numeris?), Werke, die, wenn je existent gewesen, verloren sind. 55 Eine typische Passage aus Pandoni, De talento, f. 3r: »Nunc ad rem nostram valet argenti libra sex aureos monetae Romanae, quod ducatos dicimus. Deinde fiat multiplicatio per sex, tunc bis et decies millium millia librarum, quae equipollet trecentis millibus talentorum et sestertiis quaterdecies centenis millibus et octingenis millibus conficient duo et septuaginta millium millia ducatorum.« 56 Ebd., f. 3v: »Ego vero quantum coniectura percipere possum ita rem puto signatum aes romanum monetam appellari, quod nos moneat qua ratione vivendum sit. Item nummum a numero, quin etiam denarium a decimis vel a deno numero dictum, ut Varro refert, quod habitum a Siculis denarium confirmat.«
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tet hätte, ist allenfalls in Ansätzen spürbar,57 seine Kenntnis war wohl mehr oder weniger ausschließlich aus antiken Texten gespeist, die er zusammentrug. Eine spürbare Verschränkung aus dem philologischen Studium antiker Textquellen und der antiquarischen Autopsie bzw. Prüfung antiker Münzen als ›Realien‹ (etwa durch Gewichtsbestimmungen) fand hier nicht statt. Dies würde geradezu ein früher Beleg für die These sein, die Francis Haskell für den Humanismus generell – und Ingo Herklotz zumindest anhand der Philologen des 17. Jahrhunderts – aufgestellt haben: Die Altertumskundler der Frühen Neuzeit beließen zwischen Texten und Realien eine Kluft; an die monumenta wandte man sich allenfalls dann, wenn man mit den verba nicht mehr weiterkam.58 Die vielgerühmte neue Autopsie, die ›Rettung der Phänomene‹ durch sinnliches Inspizieren, in Altertumsinteresse wie in der Naturwissenschaft der Renaissance, ist beileibe kein Mythos, sie darf aber relativiert werden. Lassen wir die Frage noch offen und wenden uns zunächst einem weiteren frühen Münztraktat zu: b) Jacob Aurelius Questenberg: de talento et sestertio59 Der Deutsche Jacob Aurelius Questenberg, (ca. 1460–ca. 1527), gebürtig in Wernigerode, Kanonist, Freund Reuchlins und Michael Behaims, lebte seit 1485 in Rom, wo er u. a. Pomponius Laetus hörte, als Scriptor an der Kurie tätig war und wohl 1527 starb. Hier, an der Vatikanischen Bibliothek, schrieb der Humanist den auf den 2. Juni 1499 datierbaren Traktat und widmete ihn seinem humanistisch wie numismatisch interessierten Mentor, Bischof Johannes Dalberg. Questenberg suchte für ihn in Rom Münzen und Texte, die er zum Teil aus dem Griechischen übersetzte. Der Bischof beschäftigte sich selbst mit antiken Münzen. Offenbar hatte er sich mit drei – verlorenen – Werken (tribus libellis) auch als Autor in _____________ 57 Autopsie geht aus einem einzigen Satz hervor, in dem Porcellio paradoxerweise behauptet, einen goldenen (= vergoldeten?) Sesterz gesehen zu haben: »Hisce enim oculis vidi auream monetam, ubi litterae [!] sestertium appelari confirmabant« (ebd., f. 2r). Im Anschluss wird der Humanist Thomas von Rieti (»Thomas Reatinus in utroque dicendi genere facundissimus«) als Kenner gepriesen. Vermutlich ist der gleichnamige Doktor und Ritter aus der Entourage des Francesco Sforza gemeint. 58 Herklotz (1999), 232–234; dazu Völkel (2001), 274; Haskell (1995), 24 und öfter. 59 Folgende Handschriften sind bekannt: a) BAV Vat. Lat 3436, f. 243r–252r (Autograph), mit zahlreichen Randergänzungen aber ohne Widmungsbrief und Schluss; b) Vat. Lat. 3906, f. 1r– 23v, komplett mit Brief (1rv), Martial-Gedichten, in denen Münzen vorkommen (19v–22v), und Schluss (23rv); der weitere Inhalt des Codex (239 fol.) ist ein Zibaldone mit weiteren bisher unerschlossenen Materialien und Sudeleien zu Numismatik und Metrologie, wohl von Colocci kompiliert; c) Vat. Lat. 5395; d) Vat. Lat. 3894 (nicht bei Mercati; von mir nicht gesehen). Zu Überlieferung und Datierung bisher Mercati (1937), 437–461, hier 453–459 Textauszug nach Vat. Lat. 3906 und 3436; 446–453 zu Spuren Questenbergs in Codices der Vaticana, u. a. als Famulus des Bibliothekars Giovanni Lorenzi; vgl. Harlfinger (1989), 218–223; Ferrary (1996), 54, 65 f., 79–81, 131 f.; Berghaus (1995), 11–26, hier 12 f. Noch ohne Kenntnis des Traktats: Güldner (1905), 213–276.
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dieser neuen res aetate nostra incognita (!) versucht, die hier als integraler Bestandteil der Humaniora gewertet wird!60 Questenbergs Lob auf den Landsmann Dalberg mündet in ein nationales Lob auf das Wiedererblühen der Artes in Deutschland, das mit Italien nun mithalten könne.61 Zum Druck war der Traktat offenbar nicht bestimmt; er ist jedenfalls nur in vier Handschriften überliefert, darunter das Autograph Vat. Lat. 3436, die alle über die Bibliothek des gelehrten Antiquars Angelo Colocci 1549 in die Vaticana gelangten.62 Die Verbreitung dürfte also gering gewesen sein. Der Traktat ist in der Art des porcellio’schen aufgebaut, den er vermutlich kannte, ist aber bereits fünfmal so lang; die Auswahl der Klassikerbelege, allen voran Plinius, Livius, Sueton, Varro und Macrobius, aber auch Martial, hat sich bedeutend verbreitert, ebenso das Lob auf zeitgenössische Gelehrte wie Reuchlin, Ermolao Barbaro oder Pomponio Leto. Der Text beginnt mit dem lapidaren Satz: »Talentum Romanum ductore Servio Honorato libris constat septuaginta.«63 Wie bei Porcellio geht es darin um Recheneinheiten und Nominale (Sesterz, Dupondius, As, Victoriatus etc.), um Begriffliches (die Bedeutung des Wortes nummus), um Wertvergleiche mit zeitgenössischen Münzen wie dem ›carlino‹, den auch die Päpste seit Martin V. († 1431) geprägt hätten.64 Wie für den Humanisten Porcellio scheint auch für Questenberg Münzkunde weitgehend eine Textwissenschaft zu sein. Und wenn einmal Bildbeschreibungen _____________ 60 Questenberg, de talento (Vat. Lat. 3906), f. 2rv: »Nec solum in omni bonarum artium facultate ac disciplina codices antiquorum utriusque lingue colligis, verum etiam numismata atque monumenta veterum principum, qui aliqua laude floruerunt, singulari studio parique veneratione conquiris. […] Deinde letor, quod auspiciis tuis rem etate nostra aut incognitam aut certe raritate ipsa probandam tuis pulcherrimis tribus libellis video proferri.« Zu Dalberg: Bautz (1990), 1195. 61 Questenberg, de talento (Vat. Lat. 3906), f. 2r, Mercati (1937), 454: »Postremo gratulor, quod Germania nostra, inclita parens tua, prisce virtutis emula florescit, quam michi et a quocunque erudito excoli iucundum.« Questenberg, de talento (Vat. Lat. 3906), f. 15v, Mercati (1937), 459: »Nostre certe antique priscorum virtutis emula tot pulcherrimis rarissimisque vel in una Germania per te procreantem modo inventis et studiis omnium disciplinarum non minus illic quam in Italia terrarum regina excitatis, ut alia prope infinita sileam, adeo mirificis opificibus una elucet ac revirescit, ut in hoc qualicunque temporum curriculo veteres artes omnis revocet in lucem.« 62 Zu Colocci: Mercati (1937), 441 f.; Ferrary (1996), 132 f., 264 s. v. 63 Questenberg, de talento (Vat. Lat. 3436), f. 243r. Vgl. zum Lob Reuchlins: ed. Mercati (1937), 453 f. nach Questenberg, de talento (Vat. Lat. 3436), f. 247rv; das Lob auf Barbaro: Mercati (1937), 456 Anm. 14, nach Questenberg, de talento (Vat. Lat. 3436), f. 251v, siehe auch f. 244v. 64 Bedeutung des Wortes nummus: »Preterea nummus non est huius vel huius forme nomen, sed generale vocabulum, eque de parvo at magno dictum, ut si nummum talentum, nummum sestercium, nummum bigatum, quadrigatum, ternucium, victoriatumque dicamus, quod facile auctorum usu pervideri«; Questenberg, de talento (Vat. Lat. 3906), f. 14v. Zum Carlino: »Libram argentei Roma valore argenteos, quos Carlinos vocant, centum […] Carolini […], quales superiorum pontificum temporibus, Martini, Eugenii, Callisti, Pii, Pauli cussi sunt […]«; ebd. (Vat. Lat. 3436), f. 245r.
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vorkommen, lassen sie nicht eindeutig den Schluss auf Autopsie der Metallscheiben selbst zu, sondern stammen zum Beispiel aus Plinius.65 Andererseits ging Questenberg ja durchaus mit realen Münzen um, schickte etwa an Dalberg 24 Goldstücke, deren inscriptiones er sich notierte. Darunter war auch ein byzantinisches Nominal, vermutlich ein Solidus Kaiser Justinians, und dieses – nunmehr spätantik frontale – Kaiserbild hat er sich genau angeschaut und entdeckt erstaunlicherweise, die Münze sei ymagine signatus rudi admodum et inculta effigie.66 Nicht Fasziniertsein von der kaiserlichen effigies also, sondern ästhetisches Befremden spricht daraus. Die Münze wird Indikator der Kulturentwicklung. Wie für einen frühen Gibbon stellt diese effigies auf der Münze für den deutschen Betrachter geradezu die Visualisierung von Niedergang und Dekadenz der byzantinischen Kultur überhaupt dar.67 Dem entsprechend singt er ein Loblied auf das aureum saeculum der klassischen Antike, das eben auch bessere Bildkünstler und Handwerker gehabt habe. Es bestätigt sich damit für Questenberg, wie er uns mitteilt, ein Text des Astrologen Vettius Valens, den er in der Vaticana inter vetustos grecos codices gefunden und ins Lateinische übersetzt hatte. Vettius hatte den Niedergang Konstantinopels prophezeit. Nun schien dieses ›primitive‹ Münzbild die seherische Potenz augenfällig zu bestätigen, und der rezente Fall Konstantinopels 1453 hatte gewissermaßen den Schlusspunkt gesetzt. – In jedem Fall ist dies ein wichtiger Beleg: allemal für Autopsie, aber auch für beginnende ästhetische und kulturhistorische Wertung von Münzbildern – und Antiken überhaupt! Blickt man weiter nach vorn, kann man sich dem Befund einer ›Entwicklung‹ dieses numismatisch-metrologischen Traktattyps nicht entziehen. Als Gipfelleistung und künftiger Prototyp gilt dabei, an Umfang und Systematisierungsgrad wiederum mächtig angewachsen, der Traktat De asse et partibus eius des großen _____________ 65 Die Beschreibung des altrömischen Aes grave (Januskopf / Schiffsschnabel) und weiterer Münzen der Republik sind, wie bei Enea Silvio, ausführliches Pliniuszitat: »Note aeris fuit, ex altera parte Ianus geminus, ex altera rostrum navis« usw.; Questenberg, de talento (Vat. Lat. 3906), f. 15r, nach Plinius, hist. nat., 18, 46. 66 Questenberg, de talento (Vat. lat. 3906), f. 15v–16r; Mercati (1937), 458 f.: »Cuius urbis [sc. Konstantinopels] natalem insignis illa etate mathematicus Iunius [lies: Vettius] Valens litteris mandavit, quem nos in bibliotheca pontificis maximi inter vetustos grecos codices repertum e greco in latinum traduximus, miraculo cognitionis futurorum, qua ille mirum in modum prestitisse visus est, permoti. Ob id etiam quatuor et viginti nummos aureos misi [Mercati (1937), 458 mit Anm. 22: Vat.: »nisi«] diversorum temporum eorumque inscriptiones seorsum adnotavi. Inter eos nummus est unus Constantinopolitanus, nummus etiam Justiniani ymagine signatus rudi admodum et inculta effigie. In eo clare perspici licet, quantum etas illa posterior distet ab illo pristino vereque aureo seculo, in quo tot summi oratores, tot excellentissimi poete et clarissimi [f. 16v] reges et principes ubique gentium floruere, tot solertissimi singularum artium mechanicarum et fabrilium innotuere.« Zur Wahrnehmung eines Niedergangs der Kunst anhand des römischen Münzbilds seit Gallienus († 268), etwa bei Vico und Agustín, siehe Haskell (1995), 127 f., 136. 67 Zur Kritik am typisierten spätantiken Porträtstil im 16. Jahrhundert und Versuchen seiner »Belebung« in Abbildungen Pelc (2002), 73–76.
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französischen Humanisten Guillaume Budé (1467–1540) von 1515.68 Die Lektüre ist wahrlich hartes Brot. Maximale antiquarische Kenntnis über Münzen, Maße und Gewichte verbindet sich hier mit einem Vergleich der antik kaiserzeitlichen Ökonomie mit der gegenwärtigen beim Thronantritt König Franz’ I., Elementen des Fürstenspiegels (vgl. seinen Traktat Institution du Prince von 1519) und mit moralischer Wendung gegen Wucher, Habgier und kirchliche Missstände. Auf Budé folgten alsbald mit ähnlichen, kaum erforschten Traktaten 1520 Leonardo da Porto und 1527 Carlo Sigonio.69 Das Textgenre dieser antiquarischen Fachliteratur war damit etabliert, und damit eine der Voraussetzungen einer professionellen Numismatik. Als Historiographie lässt es sich insofern bezeichnen, als hier – textlastig – eine Geschichte der antiken Münzen und der disziplinären Beschäftigung mit ihnen angelegt war. Wenden wir uns nun der Historiographie zu, als Darstellung antiker Kaisergeschichte im engeren Sinne, und fragen anhand dreier sehr verschiedener Beispiele wieder nach dem Verhältnis von ›Realie‹, Bild und Text, von Autopsie und Philologie. Dies führt zunächst zeitlich zurück, in den – noch vorpetrarkischen – Frühhumanismus Veronas.
2. Kaiserbücher in Varianten
a) Giovanni de Matociis, genannt ›il Mansionario‹ († 1337) Der Notar und Kathedralkleriker Giovanni de Matociis ist als Geschichtsschreiber einer Historia imperialis (vor 1320) greifbar. Motiv und Anspruch des Werks liegen im Schreiben einer Kaisergeschichte. Seine Technik besteht darin, die Seite der Handschrift aufzuteilen und den Text der einzelnen Kaiserviten synoptisch am Rand mit Porträtkopien von Kaisermünzen zu koppeln, so dass sich Bild und Text gleichsam wechselseitig illustrieren (Abb. 2). Davon erhalten ist die Serie der 76 Abbildungen von Pertinax († 193) bis Ludwig dem Frommen († 840).70 _____________ 68 Budé, De asse. Bis 1550 gab es 16 Ausgaben; eine frühe Epitome assis Budaici des Alardus Amstelredamus († 1544) erschien bereits 1527 als Appendix einer Pariser Suetonausgabe (Simon de Colines). Hinreichend untersucht ist Budés Traktat keineswegs. Ob Budé Questenberg kannte, ist unklar. Zu Budés De asse hier nur: Dekesel (2000), 60–62; Weiss (1988), 177 f.; Rice (1988), 116 f.; Margolin (1990), 176 f.; Clain-Stefanelli (1965), 18. Vgl. Rohwetter (2002), ohne den Traktat De asse hinreichend in die Problematik einzubeziehen; Ehsan (2005). 69 Leonardo da Porto (Porzio), De sestertio; dazu Weiss (1988), 177; Carlo Sigonio, im Titel deutlich an Budé angelehnt: De asse et ponderibus eius. 70 Giovanni de Matociis, Historia imperialis (BAV Chis. I VII 259). Komplette Beschreibung bei Cunnally (1984), 85–89, 345–430, mit allen Abb., sowie – ohne gegenseitige Kenntnis – Degenhart/Schmitt (1980), 80–83; dies. (1990), 214–216, jeweils mit Abb. der antiken Münzvorlage; ähnlich bereits Schmitt (1974), 189–211 passim mit Abb., besonders 190 f.; Schmitt (1989), 229 f. mit
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Abb. 2: Antonian des Kaisers Aurelian (270–275) und Aurelian-Abbildung aus Giovanni de Matociis ›il Mansionario‹ Historia imperialis um 1320.
Man muss also annehmen, dass Matociis eine entsprechende Münzsammlung zum Abzeichnen vorlag. Der mediale Zwischenschritt des Abzeichnens war nötig, denn einkleben konnte man die Metallscheiben schließlich nicht. Dass es sich bei Matociis tatsächlich um ein sehr frühes, vielleicht das früheste Beispiel eines antiquarischen ›Münzmusterbuchs‹ als Serie antiker Kaiserbildnisse handelt, liegt nach den Forschungen von Degenhart/Schmitt sehr nahe. Cunnally verglich dann die Zeichnungen systematisch mit den ihnen zugrunde liegenden antiken Münzen.71 Degenhart/Schmitt erschlossen die Historia im Kontext vergleichbarer, freilich sehr viel späterer, Text-Bild-Einheiten (von Jacopo Bellini bis hin zu Pirro Ligorio und Enea Vico): »Trotz frühtrecentistischer Zeichenweise und gotisch stilisierter Inschriften beeindruckt an Mansionarios Zeichnungen das hohe Maß an Porträtähnlichkeit, das er erreichte«72. Hier zeigt sich bereits, dass Abbilden und künstlerisches Nachformen prinzipiell eben auch ein großes Potenzial von Veränderungen und Transformationen barg, zwischen Verdeutlichung der Gesichtszüge und dekorativer Glorifizierung.73 Ist die Bedeutung der Historia imperialis für eine ikonische ›Antikerezeption‹ evident, ist ihre Rolle im Kontext der Versuche römischer Kaiserhistoriographie in Spätmittelalter und Renaissance noch genauer zu bestimmen: Die Segmentierung in Kurzviten, die Bild-Text-Koppelung, der städtische Entstehungskon_____________ Abb. 12 und 13a. Vgl. Gorini (1991). Zu Matociis im oberitalienischen Frühhumanismus: Witt (2000), 166–168, 268, 283 f.; Adami (1982), 347–363; Bodon (1993), 111–125. 71 Cunnally (1984), 85–89, 345–430. 72 Degenhart/Schmitt (1990), 215. 73 Zur Problematik der »Vorlagen« und ihrer bildlichen Veränderungen an Beispielen der Bildnisvitenbücher siehe Pelc (2002), 86–101.
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text etc. Der Raum des Codex wird zweigeteilt, wobei das ›authentische‹ Kaisermünzbild gleichsam dokumentarische Funktion gegenüber dem potenziell immer fiktionalen Text beansprucht. Sehr eng zeigte sich die Verzahnung von Münzkunde und Historiographie 150 Jahre später in den deutschen Reichsstädten Nürnberg und Augsburg.
b) Stephan Fridolin und seine Schrift Etlicher keyser angesicht von 1487 Münzbild, Münzbeschreibung und Historiographie erscheinen hier in einer merkwürdigen Symbiose, die für das Thema geradezu pionierhaft wirkt. Fridolin, gebürtig im schwäbischen Winnenden, war Lesemeister am Franziskanerinnenkloster St. Clara in Nürnberg;74 bekannter ist er durch sein frömmigkeitstheologisches Werk, den Schatzbehalter. Vom Prior der Kartause Michaelsberg bei Mainz erhielt er eine Sammlung von 32 antiken Silber- und Kupfermünzen geschenkt. Den Ausschlag dafür gab eine offensichtlich bei ihm vermutete münzkundliche Kompetenz, aber auch schon das Ziel, etwas Schriftliches über die Kaiser niederzulegen, woraus dann offensichtlich das Buch Etlicher keyser angesicht erwuchs: »Vmb des willen, das er sie kant vnd lesen kunt und vmb geschrifftlicher kuntschafft willen der kayseren, der sie sint, ain wollust in ynen het.«75 Der Mönch ordnete die Münzen und legte sie dem Nürnberger Ratsherr Hans Tucher (1428–1491) vor, der gerade in diesen Jahren die humanistische ›Umrüstung‹ der Ratsbibliothek vornahm.76 Tucher ließ nach Auskunft des Nürnberger Rechnungsbuchs die 32 Münzen »kupfern keisser-angesicht« durch Albrecht Dürer d. Ä. vergolden. Beim Nürnberger Goldschmied Barthelmäs Egen kaufte er für 1 Gulden zehn weitere »silbern keiser-angesicht« dazu und ließ sie ebenfalls vergolden. Er selbst gab noch den Abguss eines Denars dazu, »darumb der herr jesus christus verkauft ist worden«, von denen Tucher zwei von einer Pilgerfahrt ins Heilige Land, einen »zu Rodis [= Rhodos] und den andern zu Bethlehem«, gesehen und mitgebracht hatte.77 Dieser Münze schrieb man offenbar noch den _____________ 74 Zur Pergament-Handschrift Nürnberg Stadtbibl. Cent. IV 90 f. 1r–42r: Schneider (1965), 436 f. Edition und erste Analyse von Paul Joachimsohn, in: Fridolin, Etlicher keyser angesicht, Einleitung 1–22, hier 2 f. zur Handschrift. Die Edition weist öfter kleinere orthographische Abweichungen von der Handschrift auf. Zu Person und Opera Fridolins: Schmidtke (1980), hier Sp. 919 Nr. 2; Diefenbacher/Endres (2000), Sp. 308; Maue/Veit (1982), 196, 198 Nr. 300; Hamm (1989), 65– 147, hier 122–126 zu den theologischen Zielen Fridolins; sowie vor allem Seegets (1998), 32 f., 143–168 (v. a. die Würdigung 164); hier auch Nachweis von Parallelen zum ›Schatzbehalter‹. Die Bedeutung Fridolins für die Entstehung der Numismatik soll hier gegenüber Seegets stärker herausgearbeitet werden. 75 Fridolin, Etlicher keyser angesicht, 30 Zeile 8–10. 76 Zu Tucher siehe Anm. 74 sowie Joachimsohn, in: Fridolin, Etlicher keyser angesicht, 1–11; Ulmschneider (1995), Sp. 1128 f.; Diefenbacher/Endres (2000), Sp. 1086 f. (Tucher VI.). 77 Auszug aus dem – vom Verfasser nicht am Original überprüften – Rechnungsbuch, Joachimsohn in: Fridolin, Etlicher keyser angesicht, 1 f., 86 (Nachschrift Tuchers am Ende des Werks). Tetra-
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Status einer religiösen Reliquie zu. Das offenbar übliche und – horribile dictu – patinazerstörende Vergolden von Kupfer- und Silbermünzen deutet wohl an, dass man die Münzen in erster Linie als Herrschaftszeichen und Preziosen ansah. Damit waren die 42 Münzen beisammen, die der Nürnberger Rat »in einer grossen taffell hängend«78 1487 in der Ratsbibliothek ausstellen ließ, in jenem Jahr, in dem Kaiser Friedrich III. Konrad Celtis in Nürnberg zum Dichter krönte. Die Frucht von Fridolins Bemühungen war ein Buch: das Buch von den keyserangesichten, ein typologisch höchst eigentümlicher Text. Tucher ließ ihn in kalligraphisch verschnörkelter Frakturschrift auf Pergament schreiben (Abb. 3),79 weshalb er meist unter seinem Namen firmierte; der Autor aber ist Fridolin. Offenbar sollte das Werk als eine Art Textkommentar zu den Münz›realien‹ dienen, was eine neue Variante von Text-Bild-Verbindung darstellt. Schaut man in den Text, so bemerkt man bald: Es ist gar nicht primär eine Deskription der Münzsammlung (»mit ein wenig schriftlicher ercklerung, durch die man sye erkennen mocht«),80 sondern der Franziskaner schreibt, wenn auch ganz anders als einst Matociis, eine höchst selbständige und frühe römische Geschichte. Sie beginnt in der Republik, in einer bis dato in Deutschland und auf Deutsch singulären Intensität der Liviusaneignung.81 Wichtig ist dem Autor hier wie überhaupt die – antike! – Ursprungsgeschichte seiner Stadt Nürnberg sowie die Frühgeschichte der Deutschen (= Germanen). Es folgt ein Sprung zu Octavian; erst jetzt wird der Text zu einer Vitenreihe der römischen Kaiser bis Constantin bzw. dessen Sohn Crispus († 326). Bild und Text sind also hier getrennt. Die Münzen – ganz offensichtlich bestand die Sammlung aus einer Kaiserserie – sollten gleichsam die Imagines (»kaiserangesichte«) zum Text darstellen bzw. umgekehrt, der Text wiederum eine Art historischen »Begleitband«82 zur Münzsammlung. Ursprünglich aber hatten die Münzen (swacz, geprech) wohl im Zentrum stehen sollen: denn mien furnemen ist nit, von dem leben der kaiser ze schreiben, sunder allein die schwäcz oder gebrech, welcher kaiser sie sein, anzaigen und zu erkennen geben, das man in ettlicher maß ein erkanntnus haben muge, zum mynsten der glidmass halben, der antlitczen der allergrosten herren, die in der welt ye gewesen sint.83
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drachmen von Rhodos mit dem Bild der Rose galten oft als Judasmünzen. Vgl. de Mély (1899), 500–509. Laut Joachimsohn, in: Fridolin, Etlicher keyser angesicht, 2, in einem weiteren Eintrag des Rechnungsbuchs. Über die technischen Details der Präsentation scheint bisher nichts Weiteres bekannt. Ebd.: Zahlung an den Schreiber Niclas Fincken. So die Einleitung (Tuchers?), in der Fridolin in der dritten Person erscheint; ebd., 30 Zeile 14 f. Zur Einordnung vgl. den bekannten, aber späteren Versuch des Bernhard Schöfferlin bei Winter (1999). Seegets (1998), 147. Joachimsohn, in: Fridolin, Etlicher keyser angesicht, 66 Zeile 9–13.
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Abb. 3: Stephan Fridolin, Etlicher keyser angesicht; Nürnberg, Stadtbibliothek Cent. IV. 90, f. 36r: Nero Domicius Aenobaobus.
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De facto geht es dann doch –, ob auf Bitten Tuchers oder aus eigenem Antrieb wissen wir nicht – um die Viten der Kaiser als homines famosi. Das an Petrarca gemahnende Interesse am Bild, an Porträt und Körper der Dargestellten, an der Verbindung von Ruhm und seiner Materialisierung in der Münzprägung, die hier tatsächlich zur Quelle wird, ist bemerkenswert: Und seyt das es ein lust ist, großmechtig person zu sehen, – und die person der menschen seint totlich –, so hat man ir gestalt vnd bild, die so großmechtig in diser werlt vber annder gewesen sind, in gold, in silber und in annder metall oder materi, gepreget, geschlagen, gedruckt oder gegraben, vnd hat ir pild und gepreg in die muncz zu iren geczeiten geschlagen.84
De facto beschreibt Fridolin nur vier Münzen genau, und gibt dabei ein, soweit ich sehe, singulär frühes münzkundliches Lehrstück. Da sehen wir ihn, kurzsichtig vielleicht mit einem Beryll bewaffnet, über einen Denar des Kaisers Trajan gebeugt. Mühevoll, aber kompetent und in Autopsie, löst der Franziskaner sukzessiv die abgekürzte kaiserliche Titulatur auf. Für den Fachmann kann eben jeder Buchstabe das Seelenheil bedeuten. Darum steet hie auf disem swacz oder geprech: ›Nerva Traianus germanicus‹, oder will man es nach der ordenung wissen ze lesen, so steet es also: ›Imperator Caesar Nerva Traianus Augustus Germanicus‹. An dem anderen ort: ›tribunicie potestatis consul bis pater patriae‹. Aber diese wort steen nit ganz da, sunder vntterweilen ein silb, vnderweilen ein ayniger buchstab fur ein gancz word etc., und auss diser vnderweisung mag man die andern geprech auch lernen lesen.85
Sein Interesse gilt also vor allem der Münzinschrift, deren Abkürzungscharakter ihm bekannt ist. Dabei differenziert er auch deren »ort«, offenbar Vorder- und Rückseite. Der Exklusivität seines Wissens ist er sich bewusst: »als man auf diesem swacz […] – wer es lesen kann [!] – sicht«.86 Neben Trajan genannt werden Münzen von Octavian/Augustus († 14 n. Chr.), von Germanicus und Drusus († 19 und 23 n. Chr.), Neffe und Sohn des Tiberius – eine Münze mit Doppelporträt – und von dem kundig identifizierten Caesar der zweiten Tetrarchie, Flavius Severus († 307).87 Das besondere Interesse an Trajan _____________ 84 Ebd., 29 Zeile 31–30 Zeile 2. 85 Ebd., 72, Zeile 16–30, dort Zeile 16–19 zu Trajan: »Er hat sich auch nach den Teutschen oder von den Tewtschen, die er hie disset des reins uberwunden hat, genennt, als man auf diesem swacz oder geprech – wer es lesen kann – sicht.« – Die Titulatur, auch in der Verteilung auf Vorder- und Rückseite, ist nachweisbar, aber es fehlt – wie auch auf Memlings Nero! (vgl. oben Anm. 42) – der Titel des »P(ontifex) M(aximus)«. Vgl. RIC II, 245 Nr. 1–9, 246 Nr. 29–31 (Denare), 272 Nr. 389 (Sesterz). Es folgt noch: »Ein muster oder abgus von einem der dreyssig pfenningen, darumb Cristus der herre verkauft ist worden«; zitiert nach Joachimsohn, in: Fridolin, Etlicher keyser angesicht, 86 Zeile 5 f. 86 Siehe Anm. 85. 87 Octavian: »Diser swacz oder geprech ist geschlagen worden vor der gepurt Christi und ee dann keiser Octauius oder Octauianus, als wir ine gewonlich nennen, untter dem Christus geporen ist, Augustus genennt ist worden«; Joachimsohn, in: Fridolin, Etlicher keyser angesicht, 55 Zeile 11–
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hatte zum einen Tradition: Er galt als Inbegriff des gerechten Herrschers schon im Mittelalter. Schließlich besitzt auch Fridolins Schrift einen theologisch-paränetischen, »auf eine Art Ethik der Führungspersonen hin ausgerichtete(n) Skopus«, wie Seegets richtig heraushob.88 Zum zweiten hat Trajan, in Köln zum Kaiser ausgerufen, eng mit ›Deutschland‹ zu tun: mit dem Triumphtitel Germanicus habe sich der Kaiser, so Fridolin, nach den »Tewtschen« benannt. Sicherlich – eine »theologische Zielrichtung«89 des gesamten Werks ist unverkennbar. Die römischen Kaiser sind Inbegriff der Allmacht des göttlichen Wirkens und zugleich für die Vergänglichkeit irdischer Macht (»der antlitczen der allergrosten herren, die in der welt ye gewesen sint, die got der herre darum erhebt hat […] zu solicher grossen macht«). Diese Letztintention mindert aber nicht die bemerkenswerte numismatische und historiographische Bedeutung des Werks. Zwei Folgerungen sind hier zu ziehen: 1. Es ist die Verbindung von Sammlungsinventar und Historiographie, die hier, in anderer Weise als bei Matociis oder Porcellio, den Hiat von Textorientierung und Autopsie überwindet und dabei Exempla numismatisch-epigraphischer Professionalisierung hervorbringt. 2. Wenn auch vom Zuschnitt kein typischer Humanist, wird der Franziskaner Fridolin – wie sein Ordensbruder und Konkurrent Sigismund Meisterlin – Teil jenes neuen regionalen Identitätsdiskurses, der Städte und Landschaften der Gegenwart auch als antike Landschaften erschloss.90 Lokale Inschriften- und Münzfunde spielten dabei eine wichtige Rolle. Die Nürnberger Kaisermünzen waren zwar keine lokalen Funde; aber sie reklamierten doch massiv den Nimbus imperialer Antike für die Pegnitzstadt und ihr Patriziat, arkan in einer Kammer des Rathauses aufbewahrt, und doch auch öffentlich: denn Gästen, »die zu zeiten von weyten herkomen« (4v), führte man die antiken Münzen vor.91 Ob die Besucher dabei auch Leser des Fridolinschen Kommentars, sprich: seiner römischen Geschichte wurden, ist leider nicht belegt. _____________
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14. Germanicus und Drusus: »[…] als sie die Deutschen an sich gezogen vnd zu inen gepracht hetten, nach den Deutschen, die Germani heissen, Germanicos nannten, als dann das erscheynt auss dem, das auff disem schwacz auf einem ort ›Caesar Augustus Germanicus‹ und auff dem andern ort ›Nero et Drusus Caesares‹ geschrieben steet« (ebd., 61 Zeile 16–21). Es geht um einen Denar des Gaius (Caligula); RIC I, 110 Nr. 34. Zu Severus: »Severus, des diess geprech ist, muss der sein, der von dem kaiser Maximino Galerio kaiser ist worden.« (Joachimsohn in: Fridolin, Etlicher keyser angesicht, 85 Zeile 1 f.). Vgl. zu Ansätzen von Quellenkritik bei Fridolin auch Seegets (1998), 152 Anm. 42. Seegets (1998), 164. Ebd., 159, ähnlich 33 und öfter. Vgl. hier nur Ott (2001), und ders. (2002), sowie als Überblick Helmrath (2005). Zu Kunstmarkt, Städten und bürgerlichen Sammlungen ein guter Überblick bei North (1998); vgl. Becht/Kirchgässner (2000). Zur vermuteten Konkurrenz mit Sigismund Meisterlin, der sich zur gleichen Zeit an einer Geschichte Nürnbergs versuchte, siehe Seegets (1998), 152–156. Zu Meisterlin jetzt Müller (2006), 137–174. Nicht zu behandeln ist hier die architektonische Applikation von Kaiserbildern im Raum städtischer Öffentlichkeit, etwa an der Kölner Rathausloggia; vgl. Kirgus (2003), 211–240.
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Vom Mönchshumanisten Fridolin abschließend zu einer Glanzfigur des deutschen Humanismus, Conrad Peutinger. Auch er stand im Bann der Kaisermünzen, und suchte wiederum, das Kaiserbild (als Münzbild) historiographisch-textuell und ikonisch einzubinden:
c) Conrad Peutinger (1465–1547) in Augsburg und sein ›Kaiserbuch‹ Wieder bewegen wir uns im sozialen Kontext der Stadt, im zweiten Zentralort des deutschen Humanismus, Augsburg. Der Humanist und Stadtschreiber Peutinger, Freund und gelehrter Diener Kaiser Maximilians I., dessen immenser Bedarf an Geschichtskonstruktion bekannt war, arbeitete spätestens seit 1503 an einem ›Kaiserbuch‹ von Caesar bis Maximilian. Es war als Kombination aus ›authentischen‹ Münzbildern, biographischen Kurztexten und Genealogien konzipiert. In diesem Kontext entstand auch jene berühmte Inschriftensylloge, die mit 23 Augsburger Steininschriften erstmals 1505 publiziert wurde.92 Den Steininschriften fügte Peutinger 300 Umschriften antiker Münzen an, die hier also nur in ihrer textuellen, epigraphischen Eigenschaft verwendet werden. Für das ›Kaiserbuch‹ aber kam es mehr auf die Bilder, die ikonische Eigenschaft der Münzen, an. Peutinger musste eine Sammlung von Münzporträts erst aufbauen. Niemand in Deutschland, schrieb daher Celtis, sei in antiquis conquirendis nomismatibus Germaniam avarior et […] insciabilior als er.93 Auch Kaiser Maximilian selbst wurde um Münzen angegangen, war also Lieferant von ›imperialem‹ Material wie Empfänger von Expertenwissen über dasselbe.94 Außerdem bestand die Schwierigkeit darin, die metallenen Münzporträts möglichst originalgetreu abzubilden, um sie für den Druck überhaupt reproduzierbar zu machen. Dies stellte auch technisch eine neue Aufgabe dar. Die Münzen seiner Sammlung, einschließlich einer Liste der noch fehlenden Kaiserporträts, behandelt ausführlich ein für das Antikeninteresse programmatischer Brief an Christoph Welser, den Peutinger unter dem Namen seiner gelehrten Frau Margarete Welser verfasste.95 Die Korrespondenz zeugt immer wieder von _____________ 92 Dazu ausführlich der Beitrag von Martin Ott in diesem Band. Ebenso Ott (2002), 100–123, 376 s. v. Vgl. Fuchs (1995), 27–30; Worstbrock (1998), 215–243, sowie oben Anm. 15. 93 Celtis an Peutinger, 1495 vor Sept. 17; Peutinger, Briefwechsel, 60. 94 Vom ›Weißkunig‹, der Maximilian selbst ist, hatte er sagen lassen: »alle münz, so die kayser, kunig und ander mechtig herrn vor zeiten geschlagen und die funden und ime zugebracht worden sein« habe er »behalten und in ein puech malen lassen«; Kaiser Maximilians I. Weißkunig, Bd. 1, 225. 95 Kuhoff (2002), 585–607, 588 kündigte die Rekonstruktion der Sammlung in einem eigenen Beitrag an. Zum Welserbrief auch Zäh (2002), 457 zur Liste der fehlenden Münzen, hier 486– 497 Textauszüge; zu den Handschriften ebd., 484 f. Eine moderne Edition ist dringlich; vgl. immer noch die unzureichende alte (sc. der 2. Fassung) von Hieronymus Andreas Mertens, Margaritae Velseriae.
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seiner Sammelleidenschaft wie von der Intensität, mit der neben den Klassikertexten auch antike ›Realien‹ Gegenstand der humanistischen Freundschafts- und Expertenkommunikation geworden waren.96 Das Interesse weitete sich auch auf griechische Münzen der Antike aus, etwa in Peutingers Briefwechsel mit dem Benediktiner Veit Bild.97 Und dazu gehört auch ein latent agonaler Zug. Wer ist der kompetentere Experte? Fortgeschrittene Kompetenz in numismatischen Dingen zeigt auch ein Brief des Michael Hummelberg (1487–1527) vom 10. Oktober 1512, auf dessen Wunsch Peutinger die Umschriften einiger griechischer Kaisermünzen (›Kolonialbronzen‹) seiner Sammlung auflöste. Dabei kombinierte der Humanist zur Deutung genaue Autopsie (er benutzt das Verb oculari) der schwer zu entziffernden Münzumschriften mit Texten der Klassiker Sueton, Macrobius und Valerius Maximus.98 Für die Münzbilder des ›Kaiserbuchs‹ hatte der Maler Hans Burgkmair († 1531) bereits hundert Holzschnitt-Porträts angefertigt. Der Künstler konzentrierte sich auf das pure Münzporträt, das er als vergrößerte und idealisierte imago clipeata (62 × 96 mm) wiedergab, die Umschriften aber wegließ und damit die Bild-Texteinheit der Münzen trennte.99 Am Ende scheiterte dieses ›Kaiserbuch‹, es blieb nach Maximilians Tod unvollendet.100 _____________ 96 Zur gruppensozialen Bedeutung der Humanistenkorrespondenz im Geiste der »amicitia« jetzt die Berliner Habilitationsschrift von Müller (2006). 97 Ein Beispiel: Peutinger bat den Augsburger Benediktiner Veit Bild über eine zuvor in Ungarn gefundene Silbermünze (ein »nomisma herculis«) um Auskunft, die für Maximilian bestimmt war (»quod de eo sentires, ut rescriberem Cesareae majestati«). In seiner Antwort (Jan./Febr. 1514) »knackte« der Experte aus dem Kloster die griechische Umschrift souverän: »Luce namque clarius« lese er »›soteros‹, non ›satyros‹, ›Hrakléous‹, non ›Heraclius‹, vel ›Herculis‹« – und bestätigte schließlich die Münze als einen Stater aus Thasos (Peutinger, Briefwechsel, 239– 242 Nr. 143–145; zu Peutinger und Veit Bild Müller [2006], 254–257, 321–324). Die Umschrift, »Hrakleous soteros Thasion« (vgl. Peutinger, Briefwechsel, 240 Anm.1) weist auf eine eigene Abhandlung Peutingers über diese thasische Münze hin, die zweifach handschriftlich überliefert sein soll (Reinschrift Wien ÖNB CVP 3344). 98 Peutinger, Briefwechsel, 170–172 Nr. 101. Es geht um die griechischen Kaisertitulaturen anhand von Münzen der Kaiser Philippus Arabs (244–249), Volusianus († 253), Salonina, der Gattin des Gallienus († 268) und Antoninus (wohl Elagabal, 218–222). Das Lesen sei schwierig: »Sunt autem nomismata nonnulla ita exoletis et attritis characteribus, ut non adeo oculatus sim, quod ex hiis quidpiam habere queam« (170). »[…] Ab altera vero parte hoc habet: Démarchos Exousías hýpatos ógdoos Antiochía, quod litteris minusculis perfectius scribitur […], Latine: Tribunitiae potestatis cos. VIII Antiochia« (171). Zu Hummelberg vgl. Welti (1974), 56–58 (Literatur). 99 Dodgson (1928), 224–228, 227 f. Liste der Holzschnitte, noch ohne Identifikation mit dem ›Kaiserbuch‹; vgl. Ausstellungskatalog Hans Burgkmair (1973), Nr. 77 (Literatur) mit Abb. 95, nach einer zweiten Suetonausgabe aus Peutingers Besitz (Paris 1512); Dillingen Studienbibl. V 1462; Ferrary (1996), 96, 110. 100 Lutz (1958), 142 f. Jeweils unter Auswertung der Briefe: Volz (1972), 40–48; Deuchler (1983), 131–133; Pelc (2002), 104 f.
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Peutingers Projekt war nur eines von mehreren vergleichbaren Unternehmen deutscher Humanisten. Die maßgebliche Kaiserbiographie der Corona sollte Johannes Spießheimer, ›Cuspinian‹ († 1527), vorlegen: De Caesaribus atque imperatoribus Romanis.101 Die Kaiser paradieren wieder durchgehend von Caesar bis Maximilian, vorgesehen waren auch die byzantinischen und türkischen Herrscher. Das Problem bildeten erneut die Porträts; es mangele schlicht an Künstlern, so Cuspinian 1526 in einem Brief an Willibald Pirckheimer, doch sei für die noch fehlenden Holzschnitte kein geringerer als Albrecht Dürer vorgesehen.102 Das Werk erschien schließlich erst 1540, lange nach Cuspinians Tod, bei Oporinus in Basel – mit 125 Kaiserporträts nach Münzbildern.103
IV. Bilanz Am Anfang standen die Faszinationen. Das Fasziniertsein von der Aura des ›authentischen‹, auf Münzen materialisierten Porträts und die Faszination des Sammelns und Besitzens, die Suggestion der Serie. Schon bei Petrarca zeigte sich, dass die paränetischen Interessen (viri illustres) an der Kaisermünze nicht von den antiquarischen zu trennen sind. Wir haben dann verschiedene frühe Formen der Visualisierung wie der Verschriftlichung betrachtet, in denen man diese Faszinationen zu ordnen, zu organisieren suchte, Inventare, Münztraktate, Kaiserbücher und Bildnisviten. Einige von ihnen wurden bisher in diesen Zusammenhängen kaum untersucht (Porcellio, Questenberg, Fridolin). Dabei begegneten bemerkenswerte Kopplungen zwischen dem materiellen Münzbild (als Bild-Text-Einheit!) bzw. dessen höchst unterschiedlich ›authentischen‹ zeichnerischen oder gedruckten Abbildungen einerseits, und Texten andererseits: als bildlose Texte – mit uneindeutiger causa scribendi – die neuen Traktate über Münzen (Porcellio, Questenberg, Budé); als ebenso bildlose Texte, aber funktional eng auf Münzbilder mit möglicher Autopsie bezogen, die Sammlungsinventare, aber auch das zwitterhafte Werk des Fran_____________ 101 Cuspinian, De Caesaribus. Zu diesem Werk ausführlich Elisabeth Klecker in diesem Band, ferner Ankwicz v. Kleehoven (1959), 239–245, 267–283 (zur Druckgeschichte); Lemburg-Ruppelt (1988), 8 f.; Berghaus (1995), 15; Ferrary (1996), 57 f., 67, 97 f., 111–118; Pelc (2002),149 (Katalog der Drucke), 298 s. v.; Stelzer (2006), hier Sp. 532. 102 Cuspinian, Briefwechsel, 154–166 Nr. 52 (Wien 1526 Nov. 25): »Imagines Caesarum omnes non sunt excisae hactenus, quia caremus artificibus. Sed hanc partem reliquam excudendum reservavi tibi et tuo Achati Alberto Durer, facile huius artis principi.« 103 Die Porträts waren freilich aus dem Werk des Johannes Huttichius, Imperatorum Romanorum libellus una cum imaginibus ad vivam effigiem expressis von 1525 entlehnt, wo sie wiederum aus den Illustrium imagines des Andrea Fulvio (Rom 1517) nach dem Lyoner Druck von 1524 abgekupfert waren; Weiss (1988), 178 f. Die Bilder bei Huttich wurden als rekurrierende Stempel eingesetzt (das Bild des Aelius Pertinax allein 25mal). Zu Huttich Berghaus (1995), 14 f.; Pelc (2002), 197–203 (Katalog der Drucke), 297 s. v.; Lanckoronska (1965), 262–270.
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ziskaners Fridolin zwischen Sammlungsdeskription und Kaiserhistoriographie. Dann als dritte Gruppe, (sammlungsgebundene) Münzabbildungen und Texte medial synoptisch verbindend, die frühen Kaiserbücher (Mansionario; Peutinger, Cuspinian) und – daraus erwachsen – die große Menge frühneuzeitlicher Bildnisvitenbücher. Hier ging es primär weniger um die Münzen als solche, wie in Inventaren oder Münztraktaten, sondern diese nahmen mehr ikonisch-didaktische Funktionen ein. Der Lobpreis der viri illustres und das antiquarische Inventarisierungsinteresse blieben untrennbar, bis hin zu den barocken Münzcorpora. Autopsie, von materiellen Münzen oder aber deren vielfältigen Abbildungen ließ sich bei den oben erörterten Beispielen von reiner Textwissenschaft, die antike Autoren auswertet, kaum trennen. Zentral und noch offen bleibt die Frage nach der ›Verwissenschaftlichung‹ von Historiographie und Altertumskunde bzw. nach den dafür anzulegenden Kriterien und Kompetenzen. Hier lassen sich drei verschiedene Ebenen unterscheiden: a) das Identifizieren des Gegenstands durch fachmännisches Befassen mit allen seinen Details und seinen kombinierten Medialebenen: der schriftlich epigraphischen (Münzlegenden) wie der ikonischen (Bilddeutungen von Avers und Revers) und, langsam als numismatische Expertendaten vordringend, dem technischen Aspekt (Nominal, Stempel, Gewicht etc.); b) die serielle Systematisierung und Klassifizierung des (numismatischen) Materials und antiker Textquellen; c) die methodische Ebene – auch wenn es keinen teleologischen ›Fortschritt von Wissenschaftlichkeit‹ gibt: Man begann nach und nach, Münzen (und Inschriften)104 nicht nur als ›Illustrationen‹ berühmter Gestalten und Monumente, sondern auch im methodisch integrativen Sinne als Geschichtsquellen überhaupt zu nutzen (Quellen zur Herrschaftspropaganda, aber auch für Datierungen etc.), wie es für die moderne Altertumswissenschaft selbstverständlich ist. Enea Vico wurde in diesem Zusammenhang erwähnt; bekannt sind auch Datierungsversuche mittels Münzen bei Johannes Aventin († 1534), der auch eine Edition der römischen Kaisermünzen als separates Corpus plante.105 Freilich – hatte nicht gerade der Nimbus ›eherner‹ Historizität von Münzen schon in der Antike dazu gereizt, damit unterhaltsam täuschend zu spielen, so etwa den Autor der Historia Augusta?106 Kommen wir zum Ausgang unserer Überlegungen zurück, den Faszinationen: der auratischen Faszination durch das Münzporträt, der akkumulierenden und zugleich bewahrend-verehrenden des Sammelns, der methodischen des Identifizierens und Systematisierens. Verallgemeinert sind dies Leidenschaften, die jeden _____________ 104 Die bemerkenswert lange Isolierung der epigraphischen Corpora gerade unter diesem Aspekt untersucht Martin Ott in diesem Band. 105 Zu Vico siehe oben bei Anm. 46. Zu Aventin: Schmid (1996), hier 85, 88, 94–96, 100; ders. (1977), 368; vgl. Landshamer (1999), 179–197, zu Aventin jetzt auch die russische Dissertation von Doronin (2007). 106 Dazu und zur Haltung Cuspinians siehe den Aufsatz von Elisabeth Klecker in diesem Band.
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beseelen, der ›Wissenschaft‹ betreibt. Ihnen kann man kaum irgendwo besser nachspüren als in einem Epigramm des Thomas Morus auf den niederländischen Humanisten Hieronymus Busleyden († 1517): Wie einst Rom seinen Feldherrn, so sind wir Dir verpflichtet […] Denn die alten Münzen, die die Gesichter der Caesaren oder anderer berühmter Männer früherer Zeiten zeigen, hast du mit Eifer zusammengetragen, diese erachtest du als deinen alleinigen Reichtum. Während dichte Asche die Triumphbögen bedeckt, besitzt du die Namen und sogar die Gesichter der Triumphierenden. Die Pyramiden sind nicht solche Denkmäler ihres Adels wie dein Münzschrank.107
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_____________ 107 Zitiert bei Mout (1998), 204 f., aus Morus, Epigramme, 169 f. Busleyden war u. a. Gründer des Collegium Trilingue an der Universität Löwen und Freund des Erasmus.
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Abbildungsnachweis Abb. 1: Hans Memling, Bildnis eines Mannes mit Medaille, Antwerpen, Musée Royal des Beaux-Arts. Abb. nach Castelfranchi Vegas, Liana, Italien und Flandern. Die Geburt der Renaissance, Stuttgart 1994, 108. Abb. 2: Antonian des Kaisers Aurelian (270–275) und Aurelian-Abbildung aus Giovanni de Matociis ›il Mansionario‹ Historia imperialis um 1320. BAV, Chigi I. VII. 259, f. 24v. Abb. nach Schmitt, Annegrit, »Zur Wiederbelebung der Antike im Trecento«, in: Mitteilungen des Kunsthistorischen Instituts in Florenz 18 (1974), 196. Abb. 3: Stephan Fridolin, Etlicher keyser angesicht; Nürnberg, Stadtbibliothek Cent. IV. 90, f. 36r: Nero Domicius Aenobaobus.
Gelehrte Topographie im Geist des Altertums: Antike Inschriften und die Erfassung des Raumes in der Zeit der Renaissance MARTIN OTT I. Warum übersah Flavio Biondo die antiken Inschriften? Der Humanist und führende Kopf der jungen antiquarischen Bewegung Roms um die Mitte des 15. Jahrhunderts hat zwischen 1446 und 1459 drei zentrale Werke zur Geschichte und historischen Topographie des antiken Rom und des antiken Italien geschaffen. Heute gründet sein Ruhm vor allem auf der Italia illustrata.1 Vom methodischen Zugriff her sind die beiden Schriften zur Stadt Rom kaum minder interessant: Die Roma instaurata orientiert sich als Topographie des antiken Rom an der Tradition der spätantiken Regionenbeschreibungen. Die Roma triumphans versucht auf breiter Quellenbasis die Rekonstruktion der antiken römischen Zivilisation und Kultur in klarer Abgrenzung von der Gegenwart des 15. Jahrhunderts.2 Wenn wir die in diesem Sinne antiquarische Erfassung des Altertums als wissenschaftliche Bewältigung dieses Themas begreifen wollen, dann scheint es, als hätte die Gelehrsamkeit des 15. Jahrhunderts mit diesen Werken die Antike überwunden: als seien die Humanisten seit Flavio Biondo gleichsam Herren über das Altertum. Zweifellos kann Flavio Biondo allein ausweislich der beiden Schriften zur Stadt Rom als überaus findiger Experte in antiquarischen Dingen gelten, als kundiger Interpret der damals verfügbaren Texte, als souveräner Beobachter der sichtbaren Überreste, der auch einmal das Bildprogramm am Titusbogen als Quelle heranzieht.3 Merkwürdig scheint dennoch, dass er für die Überfülle an antiken Inschriften in Rom kaum etwas übrig hatte, dass er die Inschriftentexte nicht als originäre Quellen in seine Darstellung zur antiken Kultur aufnahm, dass _____________ 1 2 3
Laufende wissenschaftliche Edition: Biondo, Italy Illuminated; vgl. grundsätzlich Clavuot (1990). Zur Roma instaurata jetzt grundlegend: Raffarin-Dupuis (2005); zum Aspekt der Abgrenzung der Rombeschreibung von Flavio Biondos Gegenwart: ebd., LVII. Biondo, Roma triumphans, 214.
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er nach Ausweis der Roma instaurata beinahe wie ein Analphabet durch die so reiche Inschriftenlandschaft Roms geschritten sein müsste. Nur 15 epigraphische Zeugnisse, alle an bedeutenden antiken Bauwerken der Stadt zu finden, hielt er in diesem Werk für erwähnenswert, etwa an Triumphbögen, an Thermen oder an der Trajanssäule. Nur sechs davon werden wörtlich zitiert.4 Natürlich war Flavio Biondo kein Analphabet, und im Einzelfall zeigt sich, dass er sehr wohl mit den Inschriften und ihren Texten zurechtkam. So identifizierte er in der Roma triumphans einen Isistempel aufgrund eines epigraphischen Belegs, in dem die Göttin genannt wird.5 Aber das bleibt auch in diesem Werk die Ausnahme, Inschriften werden sonst allenfalls beiläufig genannt.6 Ich will hier, und damit komme ich zu meinem eigentlichen Thema, in aller Kürze die These vorstellen, dass sich gelehrte Beschäftigung mit antiken Inschriften bei den Humanisten des 15. und frühen 16. Jahrhunderts auf eine ganz bestimmte Funktionalität beschränkte: Inschriften galten nicht unbedingt als Schriftoder Sachquellen für die distanzierte Rekonstruktion antiker Geschichte, Kultur oder Textlichkeit. Die humanistische Auseinandersetzung mit antiken Inskriptionen war weniger von archäologischen Anliegen in unserem heutigen Sinne geprägt. Sie stand vielmehr im Zeichen eines bestimmenden Diskurses: der topographischen Erfassung antiker Stadträume nach einem für antik gehaltenen Vorbild. Die textliche Fassung dazu war die formal eindeutig definierte Inschriftensammlung oder -sylloge, eine Abfolge von lokalisierten Inschriften.7 Ausgangspunkt ist die Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert, als die topographische Inschriftensylloge bereits der gängige Modus der Inschriftendokumentation war und das Medium des Drucks eroberte; im Zentrum stehen zunächst die Gelehrten Konrad Peutinger aus Augsburg und Fra Giovanni Giocondo aus Verona. Anhand des Iter Romanum von Giovanni Dondi aus dem späten 14. Jahrhundert werde ich in einem zweiten Schritt betrachten, wie die Inschriften wesentlich freier verzeichnet wurden, bevor die Sylloge verbindlich wurde. Vor diesem Hintergrund geht es dann um die Genese der Sylloge als Modus der Raumerfassung im 15. Jahrhundert. Hier steht der in Rom heimisch gewordene Florentiner Poggio Bracciolini im Zentrum meiner Überlegungen. Zuletzt werde ich den topographischen Diskurs der Inschriftendokumentation bei Autoren des 16. Jahrhunderts verfolgen, bei Johannes Aventin sowie Petrus Apianus und Bartholomäus Amantius, bis er um die Jahrhundertmitte weitgehend von einem antiquarisch-analytischen Diskurs verdrängt wird. _____________ 4 5 6 7
Aufstellung bei Raffarin-Dupuis (2005), LXXX. Biondo, Roma triumphans, 213, mit Wiedergabe des Inschriftentextes. So ebd., 35, zur Cestiuspyramide. Dieser Gedanke wird in größerer Ausführlichkeit verfolgt bei Ott (2002), 97–181. Vgl. auch Ott (2001). Zum parallelen Umgang mit numismatischen Quellen der Antike siehe den Beitrag von Johannes Helmrath in diesem Band.
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II. Die Idee einer topographischen Inschriftensammlung spannt zwei auf den ersten Blick sehr unterschiedliche Interessen des Humanismus zusammen. Zum einen ist das die humanistische Topographie: das Bedürfnis, einen städtischen Raum oder eine Landschaft in historischer Dimension adäquat zu erfassen und zu beschreiben. Wie das gehen kann, hat im 15. Jahrhundert gerade Flavio Biondo exerziert: Seine Italia illustrata durchmisst die Regionen Italiens, seine Roma instaurata erfasst das antike Rom in beschreibenden Texten. Charakteristisch ist die für unser Verständnis große Abhängigkeit von Texten der antiken Überlieferung. Flavio Biondo balanciert zwischen Eigenständigkeit in Blick und Urteil auf der einen Seite und Orientierung an letztlich antiken Mustern auf der anderen: Die Roma instaurata entfernt sich zwar gerade durch die Differenzierung zwischen dem antiken und dem gegenwärtigen Zustand der Stadt von den antiken und mittelalterlichen Vorbildern, folgt aber dennoch dem traditionellen, systematisch an hervorgehobenen Objekten orientierten Aufbau der Romtopographien. Auf der anderen Seite steht die gelehrte Beschäftigung mit materiellen, handfesten Relikten der antiken Kultur, konkret: mit römischen Inschriften. Ich beginne deshalb mit einem Werk zur Inschriftendokumentation, das in seiner präzisen Ausgestaltung der epigraphischen Zeugnisse auf den ersten Blick einem modernen Erwartungshorizont entspricht und blicke zunächst nach Süddeutschland: Abbildung 1 zeigt zwei Inschriftensteine, die im 16. Jahrhundert in Augsburg so anzutreffen waren, die abgezeichnet und im Druck veröffentlicht wurden, und zwar in der 1520 in Mainz erschienenen Inschriftensylloge Inscriptiones Vetustae Romanae et earum fragmenta.8 Verfasser ist der Augsburger Humanist und Stadtschreiber Konrad Peutinger (1465–1547);9 wiedergegeben werden römische Inschriften aus der Stadt Augsburg und aus ihrem Umland. Die in einer Kopfzeile knapp verorteten Objekte wurden detailgetreu nachgezeichnet, sowohl die Texte als auch die – in diesem Fall fragmentarische – Gestalt der Steine. Seit knapp einem Jahrhundert hatten gelehrte Humanisten beiderseits der Alpen um diese Zeit bereits antike Inschriften verzeichnet – dazu mehr im nächsten Abschnitt –, aber bis dahin nicht annähernd diese Präzision erreicht. Auch Konrad Peutinger hatte ursprünglich weniger Wert auf die Gestalt der Inschriftensteine gelegt. Das zeigt der Vergleich mit der um 15 Jahre älteren, noch etwas weniger umfangreichen Erstausgabe seiner Inschriftensammlung zum römischen Augsburg, den Romanae vetustatis fragmenta in Augusta Vindelico-
_____________ 8 9
Peutinger, Inscriptiones vetustae Romanae. Ausführlich zu Peutinger als Politiker: Lutz (1958), als Gelehrter: König (1914).
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Abb. 1: Peutinger, Inscriptiones vetustae Romanae et earum fragmenta, Mainz 1520, fol. 6v–7r.
rum et eius dioecesi,10 einem der ersten Inschriftendrucke überhaupt.11 Auch ser dünne Band gibt die Inschriften in einer ästhetisch ansprechenden Capitalis wieder, allerdings noch ohne die Steine in ihrem Umriss zu skizzieren. Kurze Ortsangaben, deutlich kleiner gedruckt, geben Auskunft darüber, wo in Augsburg und im Augsburger Umland die insgesamt 23 römischen Steininschriften zu finden waren (Abb. 2). So unscheinbar ein schmaler Druck wie dieser auf den ersten Blick wirken mag – und so selbstverständlich die Idee, antike Monumente realitätsnah darzustellen, aus heutiger Sicht erscheinen muss: Im Kontext des beginnenden 16. Jahrhunderts repräsentiert Peutingers epigraphisches Werk eine präzise gefasste literarische Tradition, die in Italien bereits seit einigen Jahrzehnten in Blüte stand, und die Peutinger für den süddeutschen Raum adaptiert und weiterentwickelt hat. _____________ 10 Peutinger, Romanae vetustatis fragmenta. Online in den Digitalen Sammlungen der Bayerischen Staatsbibliothek München: (zuletzt gesehen am 4.1.2008) sowie auf den Seiten der Herzog-August-Bibliothek Wolfenbüttel im Rahmen des Projekts »Archäologische Funde in der Frühen Neuzeit«: (zuletzt gesehen am 4.1.2008). 11 Zu Inhalt und Vernetzung im Humanistenkreis vgl. Ramminger (1992); Wood (1998).
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Abb. 2: Peutinger, Romanae vetustatis fragmenta, Augsburg 1505, fol. 3v–4r.
III. Diese literarische Tradition gilt es nun zu charakterisieren. Auffallendes Merkmal ist das Fehlen erläuternder oder interpretierender Texte: Eine Inschrift folgt unmittelbar auf die andere. Konrad Peutinger hat mit einigem Aufwand die antiken Inschriften seiner Heimatstadt zum Druck gebracht, er hat das Werk – in der ersten Ausgabe – an keinen geringeren als König Maximilian I. adressiert, den er in antiker Manier als Caesar anspricht; es ging ihm offensichtlich um die ostentative Veranschaulichung des römischen Augsburg. Aber er lässt den Leser mit den kaum verständlichen Inschriftentexten allein, verzichtet auf jeden Versuch einer Deutung, auf jede historiographische Einfassung seiner Sammlung. Stattdessen beschränkt sich Peutinger auf einen minimalen eigenen Textbeitrag: Lakonische, lateinische Verortungen der Inschriftensteine rhythmisieren das Werk, denn dieses ist bewusst als eine Abfolge von verorteten Inschriften gestaltet. Es beginnt mit der Lokalisierung »Aput Aedem Sacrae maioris Ecclesiae Augustensis supra Coemiterium«,12 es folgt eine Grabinschrift, die in Zweitverwendung am Dom _____________ 12 Peutinger, Romanae vetustatis fragmenta, fol. 2r.
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verbaut wurde. Die nächste Lokalisierung verweist auf die Klosterkirche St. Ulrich, es folgt die Inschrift.13 Finden sich an ein und demselben Bauwerk mehrere Inschriften, so wird das zweite oder dritte Objekt mit der Lokalisierung eodem loco angefügt14 – der Rhythmus des Werkes bleibt also auch da erhalten. Ganz ohne System sind die Inschriften freilich nicht angeordnet: Die ersten sieben Monumente werden an geistlichen Institutionen in Augsburg verortet. Es folgen acht Inschriften, die sich an oder in profanen Bauten in der Stadt befanden, begonnen mit einem Stein an einem der Stadttore. Den Abschluss bilden acht Objekte aus dem Augsburger Umland. Entscheidend für die Struktur des Werkes sind also keineswegs die graphisch so hervorstechenden Inschriften selbst, sondern die Verortungen der römischen Monumente in der Stadt und in der Umgebung von Augsburg. Vom Aufbau her gibt die Sylloge nicht vorrangig bestimmte antike Inschriften wieder, die irgendwo in der Stadt vorhanden waren, sondern vielmehr bestimmte Orte in der Stadt, an denen sich jeweils eine antike Inschrift befand.
IV. Konrad Peutingers Sylloge Augsburger Inschriften steht gerade in dieser Bezogenheit auf den Fundort exemplarisch für jene gelehrte Tradition des Umgangs mit epigraphischen Zeugnissen. Denn er griff auf ein Formular zurück, das zwar im deutschsprachigen Raum neu, in Italien jedoch seit Jahrzehnten gängig war. So hat der Humanist und Architekt Fra Giovanni Giocondo aus Verona (1433– 1515) eine Reihe von Manuskripten anfertigen lassen, in denen er antike Inschriften aus verschiedenen Städten Italiens dokumentierte.15 Zum Druck gebracht hat er die Sammlungen nicht, doch liegen seine Syllogen in einer Reihe italienischer Bibliotheken als Reinschriften vor, zum Teil sogar mit Widmungen, waren also als abgeschlossene Werke intendiert.16 Nach dem Erscheinen von Peutingers Inschriftendruck hat Giocondo auch diese süddeutschen epigraphischen Zeugnisse in seine Sammlungen aufgenommen (Abb. 3).17 _____________ 13 Ebd., fol. 2v. 14 So ebd., fol. 2v–3r. 15 Zu Giocondo liegt nach wie vor keine Gesamtbiographie vor, vgl. etwa Ciapponi (1961). In der jüngeren Forschung erscheint Giocondo vor allem als Architekt, so bei Fontana (1988). Seinem epigraphischen Werk widmet sich Koortbojian (1993). In der vorliegenden Studie wurden vor allem zwei Handschriften aus der Vatikanischen Bibliothek herangezogen: BAV, Cod. Vat. lat. 5326 und Cod. Borg. lat. 336. Zu den weiteren Fassungen in verschiedenen italienischen Bibliotheken siehe Henzen/De Rossi (1876), XLIV f., s. v. Iohannes Ivcvndvs Veronensis, ferner Koortbojian (1993) und Wardrop (1963), 27–29 mit Tafeln 22–25. 16 Siehe dazu Ott (2002), 110 und 155. 17 BAV, Cod. Vat. lat. 5326, fol. 35v–36r; vgl. Ott (2002), 109–111.
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Abb. 3: Sylloge des Fra Giovanni Giocondo, hier: Inschriften aus Augsburg, BAV, Cod. Vat. lat. 5326, fol. 35v.
Auch Giocondos Syllogen bestehen stets aus einer Folge von Lokalisierung und Inschrift – mit einem Unterschied: Peutingers Druck besticht durch die antike Capitalis der Inschriftentexte. Die Lokalisierungen treten deutlich zurück. Giocondo hingegen setzt fast seinen gesamten Text, und dabei nahezu durchgängig die Inschriften, in unauffällige Minuskeln. Wie Peutinger verwendet er rote Farbe für die Lokalisierungszeilen – ansonsten sind Verortung und Inschriftentext gleichrangig gestaltet. Die Inschrift tritt nicht, wie bei Peutinger, als Objekt hervor, sondern ausschließlich als Text. Genau diesem Formular unterliegt der Großteil der Inschriftensammlungen des 15. und frühen 16. Jahrhunderts aus Italien. Syllogen dieser Art liegen seit dem mittleren 15. Jahrhundert in überraschend großer Zahl vor. Eine gute Übersicht bieten noch immer die Bände des Corpus Inscriptionum Latinarum aus dem
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19. Jahrhundert.18 Die Sammlungen sind regelmäßig als rhythmisierte Listen gestaltet. Eine Sylloge gibt entweder die antiken Inschriften einer einzelnen, in der Regel italienischen Stadt wieder (das süddeutsche Augsburg zählt hier im frühen 16. Jahrhundert zu den Ausnahmen), oder sie ist zumindest topographisch, nach Städten geordnet. Auch Inschriften aus dem ländlichen Raum sind stets einer Stadt zugeordnet. Das städtische Element bestimmt stets die Lokalisierung der Objekte. Konrad Peutinger hat sich 1505 an dieses Prinzip gehalten: Er bringt Inschriften aus der Stadt Augsburg und dann aus Orten im Augsburger Umland, die er aber stets auf die Stadt bezieht: Sie liegen, wie er jeweils vermerkt, in der Diözese Augsburg. Es deutet sich also bereits der Brückenschlag zwischen der Inschriftensylloge auf der einen Seite und stadtbezogenem topographischem Schreiben auf der anderen an.
V. Was kann, um die Perspektive zu wechseln, die gelehrte Topographie des 15. Jahrhunderts mit antiken Inschriften tatsächlich anfangen? Ausgangspunkt unserer Überlegungen ist die unstrittige Orientierung humanistischen Schreibens im 15. Jahrhundert an den überlieferten Texten des klassischen Altertums. Humanistisches Schreiben stand unter dem Vorzeichen der imitatio, der Nachahmung der antiken Vorlage, allenfalls der aemulatio, der Verbesserung, sowie der Ergänzung, der Supplementierung des aus der Antike Überlieferten.19 Imitation setzt Kenntnis des zu Imitierenden voraus: Mit der sprunghaften Vermehrung der bekannten antiken Literatur durch neue Funde stand den Humanisten im Verlauf des 15. Jahrhunderts ein stetig wachsender Pool an Vorbildern zur Verfügung, konnte die nach humanistischer Manier gestaltete Literatur immer mehr Gattungen und Traditionen ausbilden. Zu den Spielfeldern humanistischen Schreibens zählte auch die Topographie, die Erfassung von Räumen, vom Kleinraum der Stadt bis hin zum Großraum der Ökumene. Gerade in diesem Bereich hat die Antike ihren Bewunderern aus dem 15. Jahrhundert freilich nur einen begrenzten Fundus an Vorbildern hinterlassen. Keineswegs prägten dabei Landkarten oder Stadtpläne das Feld. Wir wissen heute aus der altertumswissenschaftlichen Forschung, dass dieser uns nahe liegende Modus der Raumerfassung in der Antike nicht gängig war und nur ausnahmsweise, etwa in der Forma urbis Romae,20 angewandt wurde.21 _____________ 18 19 20 21
So zur Stadt Rom: Henzen/De Rossi (1876). So etwa Ijsewijn/Sacré (1998), 1–10. Edition: Rodríguez Almeida (1981). Vgl. Brodersen (1995), 225–236.
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Die Masse des antiken topographischen Schrifttums, wie es für die Humanisten des 15. Jahrhunderts rezipierbar war, ist nicht in unserem Sinne topographisch, stellt also nicht unbedingt Raumbeziehungen her wie ein moderner Stadtplan.22 Typisch für antike Topographie sind aufzählende Listen.23 Das können Itinerare sein, also Wegbeschreibungen durch einen Stadtraum oder auch durch größere Landschaften.24 Bereits den Humanisten war ja das Itinerarium Antonini bekannt, eine Weltbeschreibung entlang des römischen Straßennetzes.25 Ein stadtbezogenes Itinerar, das in diesem Geist geschaffen wurde, stellt die Wegbeschreibung durch die Stadt Rom aus der Zeit um 800 dar, die im so genannten Codex Einsidlensis enthalten ist, einer karolingischen Handschrift, die in der Bibliothek des Schweizer Klosters Einsiedeln verwahrt wird. Viel häufiger jedoch tritt antike Topographie, vor allem aus der römischen Kaiserzeit, in der Gestalt schematischer Auflistungen von Stadtregionen oder Bauwerken auf.26 Besonders intensiv haben sowohl das Mittelalter als auch der frühe Humanismus die Regionenbeschreibungen der Stadt Rom wahrgenommen. Werke wie die Notitia urbis Romae und das Curiosum urbis Romae gehen auf das 4. Jahrhundert n. Chr. zurück, wurden vor allem seit dem 12. Jahrhundert als fester Bestandteil der Mirabilienliteratur immer wieder in Teilen neu abgeschrieben und in ihrer Struktur auch von den frühen Humanisten im 15. Jahrhundert noch vereinzelt nachgeahmt.27 Diese Struktur verzichtet nun auf räumliche Beziehungen. Vielmehr wird der Stadtraum schematisch katalogisiert und gleichsam statistisch erfasst, gegliedert nach den vierzehn Regionen der kaiserzeitlichen Stadt. Jedes Regionenkapitel gibt zum einen Quantitäten allgemeiner Merkmale an, zählt also etwa die Gebäude in der jeweiligen Region. Zum anderen werden bestimmte Bauwerke aus der Masse herausgehoben und eigens und mit Namen aufgeführt: etwa Obelisken und Triumphbögen, Thermen und Aquädukte. Das Ergebnis ist eine Topographie auf zwei Ebenen: Auf der einen Seite stehen die eher alltäglichen Bauten, die nur durch ihre Anzahl wirken, auf der anderen Seite die herausragenden Monumente, die eine Region besonders charakterisieren. Wenn wir uns bildlichen Darstellungen Roms aus dem späteren Mittelalter zuwenden, so fällt eine gewisse Verwandtschaft zu diesen Topographien ins Auge: Noch im 14. und früheren 15. Jahrhundert wird die Stadtlandschaft innerhalb der römischen Mauern ja keineswegs in ihrer realen Gestalt, wie in heutigen Stadtplänen, wiedergegeben; so fehlt regelmäßig das weithin ländlich geprägte _____________ 22 23 24 25 26
Vgl. ebd., 127–133. Vgl. ebd., passim. Vgl. ebd., 165–194 und 245–247. Edition: Löhberg (2006). Codex Einsidlensis 326, Edition: Walser (1987). Für die Bestimmung des Genres vgl. Bauer (1997). Siehe dazu unten 147 f. 27 Einen Überblick für das Mittelalter gibt mit einer Reihe einzelner Texte Valentini/Zucchetti (1946). Zu den Mirabilia urbis Romae vgl. mit Edition Accame/Dell’Oro (2004) sowie Miedema (1996).
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Gebiet des disabitato, es werden weder gewöhnliche Häuser noch Straßenzüge abgebildet. Im Zentrum stehen zumeist einige besonders prägende Bauwerke, und diese erscheinen keineswegs in ihrem oft ja ruinösen spätmittelalterlichen Zustand, sondern völlig intakt.28 Ein spektakuläres Beispiel für diese Abbildungspraxis ist das so genannte »Goldsiegel Ludwigs des Bayern« aus der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts (Abb. 4).29 Der Stadtraum wird reduziert auf seine herausragenden Monumente, auf das Kolosseum etwa, die Engelsburg, das Pantheon und einige andere. Die tatsächliche Gestalt des urbanen Raumes wird allenfalls durch die ungefähren Verortungen der Monumente angedeutet.
Abb. 4: »Goldsiegel Ludwigs des Bayern«, in: Leidel (2006), 42.
_____________ 28 Die Entwicklung der Romdarstellungen im 14. und 15. Jahrhundert verfolgt – für das Feld der Buchmalerei – Maddalo (1990). 29 Leidel (2006), 42.
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Der Zusammenhang zwischen derlei topographisch relevanten Bauwerken und den auf ihnen angebrachten Inschriften wird in der topographischen Literatur bereits im 14. Jahrhundert greifbar, so in der um 1375 verfassten Rombeschreibung des Frühhumanisten und Petrarcafreundes Giovanni Dondi, die in der Forschung als Iter Romanum bekannt ist.30 In dieser kurzen Schrift wird das schematische Konzept der traditionellen Topographie beschreibend ausgeweitet. Auch Dondi erfasste den Raum der Stadt Rom anhand von insgesamt 14 der bedeutenden, topographisch relevanten Monumente, so der Peterskirche, von Pantheon, Kolosseum, Konstantinsbogen. Jedem dieser Bauwerke ist ein kurzer Erläuterungstext gewidmet. Auffallend ist dabei aber: Dondi gab bei fast allen dieser Monumente auch darauf angebrachte Inschriften wieder.31 Diese sowie quantifizierbare Eigenschaften, wie die Anzahl der Säulen oder die Maße des Bauwerks, prägen seine Dokumentation. Dabei stellte Dondi seinen eigenen Text in Minuskeln, die Inschriften hingegen deutlich größer in Majuskeln dar. Dondi deutete also hier eine empirische Aufnahme der Inschriften an. Bereits das steht im Gegensatz zu den Humanisten des 15. Jahrhunderts; in der Regel haben sie, wie Giovanni Giocondo, die Inschriftentexte ja verfremdet, indem sie sie in Minuskeln wiedergaben. Auch hatten die starren formalen Regeln der späteren Sylloge für Dondi noch keine Gültigkeit. So sind die Inschriften bei ihm in einen distanziert beschreibenden Text integriert. Verortungen stehen ausführlicher als in der späteren Sylloge in vollständigen Sätzen und können so genau die Lage der Inschriften wiedergeben. Besonders hervorzuheben ist, dass Dondi die Inschriften durchaus las und interpretierte. Das wird dort am deutlichsten, wo er sein Scheitern eingestand, bei der Inschrift am Konstantinsbogen. Die Buchstaben seien schwer zu lesen, difficiliter leguntur, doch der Name Konstantins am Beginn weise den Bogen eindeutig diesem Kaiser zu.32 Fassen wir zusammen: Giovanni Dondi orientierte sich im späten 14. Jahrhundert noch nicht am später so verbindlichen Formular der Inschriftensylloge. Damit standen ihm im Unterschied zu den Autoren des 15. Jahrhunderts zusätzliche Möglichkeiten zur Verfügung: Dondi verortete die Inschriften wesentlich genauer und ausführlicher, zudem las er die Texte als historische Schriftquellen. Die Entwicklung des 15. Jahrhunderts hin zu einer verbindlichen Sylloge brachte in der Art der Darstellung also einen Verlust an Empirie mit sich. Die Sylloge ließ keine ausführlich beschreibende Verortung der Inschriften mehr zu und verhin_____________ 30 Bibl. Marc., Venedig, Cod. Marc. Lat. XIV 223 (4340), fol. 45r–46v. Die Edition bei Valentini/ Zucchetti (1953), 65–73, ist nicht ganz vollständig und gibt keine Informationen zur Gestaltung gerade der epigraphischen Zeugnisse. Dondis Zugang zu römischen Altertümern hat Roberto Weiss vor allem anhand des Iter Romanum erschlossen und in den Kontext der Frühgeschichte der antiquarischen Studien gestellt: Weiss (1988), 49–53 bei Benutzung der oben genannten Handschrift. Bezüge zur topographischen Textlichkeit oder auch zur Inschriftensylloge stellt Weiss nicht her. 31 Zur Frage der Genauigkeit von Dondis Inschriftendokumentation vgl. Weiss (1988), 52–53. 32 Valentini/Zucchetti (1953), 70.
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derte die inhaltliche Auswertung der Inschriftentexte, bedeutete also letztlich – aus einer teleologischen Perspektive auf epigraphisches Arbeiten – in all diesen Feldern einen Rückschritt gegenüber dem 14. Jahrhundert, eine Einschränkung der Erkenntnismöglichkeiten.
VI. Diese Beobachtung verlangt nach einer näheren Untersuchung: Was veranlasste die Humanisten des 15. Jahrhunderts zu dieser auf den ersten Blick unverständlichen Selbstbeschränkung? Wir finden aus dieser Zeit ja nur wenige epigraphische Texte, die sich nicht an das Formular der Sylloge halten. Dazu zählen die Manuskripte des Cyriacus von Ancona, der im Zuge seiner Reisen um die Jahrhundertmitte als erster griechische und lateinische Inschriften des östlichen Mittelmeerraumes dokumentiert hat.33 Cyriacus hat in der Tat danach gestrebt, Steine abzuzeichnen.34 Er hat die Inschriften frei in seine Reisebeschreibungen integriert und ist damit nicht dem für die humanistischen Topographen autoritativen Muster gefolgt.35 Ein Erfolg? Wohl kaum: Wann immer Cyriacus’ Inschriften in den folgenden Jahrzehnten von anderen Gelehrten in ihre Sammlungen aufgenommen wurden, geschah dies stereotyp in der Form der Sylloge. Ganz ähnlich wie Giocondo die prächtig gestalteten Inschriften Peutingers in das Formular der Sylloge zurückführte, verfuhren die Humanisten mit den Zeichnungen des Cyriacus; dieser selbst hat in späteren Schriften das Formular der Sylloge angewandt.36 Was nicht den Regeln der Sylloge folgte, wurde demnach als deviant angesehen und korrigiert. Die italienischen Humanisten beschränkten sich im 15. Jahrhundert auf eine unkommentierte Folge von Lokalisierungen und Inschriftentexten. Von der systematischen Erfassung antiker Realien blieben gerade die epigraphischen Zeugnisse bis weit ins 16. Jahrhundert hinein ausgeschlossen. Als archäologischepigraphisches Inventar, als Quellensammlung für historische Auswertungen war solch eine Inschriftensylloge mithin nicht angelegt. Kommen wir nun zum für das Verständnis der Genese der Sylloge wichtigen Brückenschlag hin zur Topographie und damit zu einer der ersten (wenn nicht der ersten) Inschriftensyllogen des Humanismus. Autor ist der aus Florenz stammen-
_____________ 33 Als Gesamtbiographie vgl. trotz einiger Mängel weiterhin Colin (1981). Zu den Reisen in den Osten: Bodnar/Mitchell (1976), Bodnar/Foss (2003); zum epigraphischen Werk: Ziebarth (1902). 34 So eine griechische Inschrift aus Sparta, abgebildet bei Bodnar/Foss (2003), Bildtafel IV. 35 Bodnar/Foss (2003), passim. 36 Stellen bei Ott (2002), 157–158.
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Abb. 5: Sylloge Poggiana. Inschriftensylloge des Poggio Bracciolini, BAV, Cod. Vat. lat. 9152, fol. 33r.
de und in Rom wirkende Humanist Poggio Bracciolini (1380–1459). Um 1430 verfasste Poggio eine Inschriftensylloge zur Stadt Rom (Abb. 5).37 Das Werk enthält 86 Inschriften und ist in zwei Abschnitte gegliedert. Erst der zweite Abschnitt enthält ausschließlich solche Inschriften, die im 15. Jahrhundert noch sichtbar waren. Die 34 Inschriften des ersten Abschnitts hingegen waren zu dieser Zeit überwiegend nicht mehr erhalten.38 Zunächst soll hier der zweite Abschnitt, Poggios eigene Sammlung, näher interessieren, die Sylloge Poggiana. _____________ 37 Poggio Bracciolinis vielfältiges Werk ist seit langem Gegenstand der Humanismusforschung; für die hier interessierenden Aspekte besonders einschlägig sind Spring (1972), 223–228; Kajanto (1985). Zur Datierung der Sylloge mit gleichem Ergebnis Spring (1972), 32 und Kajanto (1985), 32. Die folgende These ausführlich bei Ott (2002), 137–151. 38 Kajanto (1985), 19.
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Das Formular der Sylloge Poggiana entspricht dem der späteren Syllogen, wie es oben vorgestellt wurde. Gezielt sind hier vor allem solche Inschriften versammelt, die an herausragenden antiken Monumenten der Stadt Rom angebracht waren oder mit solchen in Verbindung standen.39 Dazu gehören etwa das Kapitol, der Vatikanische Obelisk, Stadttore, Aquädukte und Triumphbögen. Demgegenüber treten etwa die – überaus zahlreich erhaltenen – Grabinschriften deutlich zurück. Aus der Fülle der epigraphischen Zeugnisse, die in und um Rom im 15. Jahrhundert noch sichtbar waren, hat Poggio Bracciolini nicht unbedingt nach der Qualität der Inschriften ausgewählt, also besonders aussagekräftige oder auch nur besonders auffallende epigraphische Zeugnisse dokumentiert. Vielmehr orientierte er sich an der Prominenz der Orte, an denen sich die Steine befanden. Entschieden hat er sich für genau solche Bauwerke, die auch in den Regionenbeschreibungen oder in den Bildern von Rom einen herausragenden Rang einnahmen, die also von topographischer Relevanz waren.40 Insofern steht Poggios Auswahl an Objekten der eines Giovanni Dondi nahe – die Inschriftensylloge orientiert sich an den gleichen Monumenten wie die topographische Stadtbeschreibung.
VII. Im nächsten Schritt bleibt zu zeigen, dass der Zusammenhang von Inschriftensylloge und Topographie noch weiter geht, dass die Sylloge tatsächlich als topographische Schrift angelegt war. Hier führt ein Blick auf jenen ersten Abschnitt der epigraphischen Schrift von Poggio Bracciolini weiter, der Inschriften enthält, die im 15. Jahrhundert überwiegend bereits verloren waren. Poggio hat sie aus einer frühmittelalterlichen Vorlage übernommen, wie in der altertumskundlichen Forschung seit langem bekannt ist.41 Poggios Vorlage, zugleich die einzige bekannte Sammlung vorwiegend paganer antiker Inschriften, die noch weit vor die Zeit der Humanisten zurückreicht,42 ist jene Inschriftensylloge zur Stadt Rom, die bis heute im schon genannten Codex Einsidlensis überliefert ist. Dieser Codex 326 der Stiftsbibliothek Einsiedeln beinhaltet nämlich insgesamt drei Texte zur Topographie der Stadt Rom, die alle in der Zeit um 800 niedergeschrieben wurden.43 _____________ 39 40 41 42
Konkordanz mit dem CIL und Aufteilung nach Typen bei Kajanto (1985), 22–23. Ott (2002), 146–150. So im CIL bei Henzen/De Rossi (1876), IX. Christliche Inschriften der ausgehenden Antike finden sich in einigen mittelalterlichen Handschriften; für Rom bei De Rossi (1888), 1–297; zur Analyse vgl. Silvagni (1922), XXVIII. 43 Die gültige Charakterisierung des Itinerars als Schlüsseltext, insbesondere was den topographischen Charakter betrifft – zuvor ist oft von einem Pilgerführer die Rede gewesen – bei Bauer (1997); zum Folgenden siehe Ott (2002), 137–140. Vgl. zum Codex Einsidlensis vor allem Edition und Kommentar von Walser (1987).
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Den Anfang macht eben jene Inschriftensylloge, die Poggio Bracciolini wieder aufgegriffen hat. Es folgt das erwähnte Itinerar, zuletzt eine Beschreibung der Stadtmauer Roms. Die Einsiedler Inschriftensammlung liegt in ihrer frühmittelalterlichen Niederschrift bereits in genau dem Formular vor, das mehr als ein halbes Jahrtausend später für die Humanisten verbindlich wurde. Auch im Codex Einsidlensis folgen stets rubrizierte Lokalisierungen und Inschriftentexte in Minuskeln aufeinander (Abb. 6). Zudem steht die Inschriftensammlung eindeutig in einem topographischen Kontext: Das stadtrömische Itinerar und die sehr schematisch gehaltene Stadtmauerbeschreibung, mit denen sie verknüpft ist, entsprechen dem typischen topographischen Schrifttum der römischen Spätantike. Wie später Poggios eigene Sylloge dokumentiert auch die Einsiedler Sammlung nur Inschriften an topographisch relevanten Monumenten. Dazu zählen etwa der Vatikanische Obelisk, die Via Appia, der Circus Maximus. Damit steht die Einsiedler Sylloge nicht nur im Kontext der zwei im Codex enthaltenen topographischen Schriften, sie zeigt sich auch in ihrer eigenen Gestalt als topographisch angelegt. Sinn ergibt das alles genau dann, wenn die Inschriftensyllogen im Ganzen eben nicht vorrangig als Zusammenstellung von Inschriften zu lesen sind, für die auch der Aufstellungsort angegeben wird, sondern als Folge bedeutender Monumente, an denen sich Inschriften befinden. Damit stehen sowohl die Einsiedler Inschriftensammlung als auch die Sylloge Poggiana in jener Tradition urbaner Topographie, die den Stadtraum über seine herausragenden Bauten definiert. Es lässt sich vermuten, dass Poggio Bracciolini die Einsiedler Inschriftensammlung, die er wohl im Rahmen seines Aufenthaltes am Konstanzer Konzil kennen gelernt hat,44 als singuläres Exemplar einer literarischen Gattung des Altertums angesehen hat, die im Kontext der urbanen Topographie stand, sich also zur Deskription antiker Stadträume eignete. Grundsätzlich war ja ein Zusammenhang von Topographie und Inskriptionen in Rom, wie wir bei Dondi gesehen haben, bereits virulent. Wie in der humanistischen Praxis gängig, und wie auch sonst für sein Werk charakteristisch,45 imitierte Poggio das vermeintlich antike Vorbild, indem er das Formular der Einsiedler Inschriftensammlung übernahm, und supplementierte die Vorlage mit einer eigenen Ergänzung, eben der Sylloge Poggiana, also mit Inschriften, die er selbst noch sehen konnte. Damit ist die Brücke geschlagen: Die humanistisch geprägte Inschriftensylloge entpuppt sich als eine literarische Tradition mit topographischer Zielrichtung, eine gelehrte Erfassung urbaner Räume im Geist des Altertums. Sie stellt als solche eine Verbindung her zwischen einer Stadt und ihrer römisch-antiken Vergangenheit.
_____________ 44 Vgl. Spring (1972), 224 f., ähnlich bereits De Rossi (1888), 11. 45 So Camporeale (1997).
Abb. 6: Einsiedler Inschriftensammlung, Stiftsbibliothek Einsiedeln, Codex Einsidlensis 326, fol. 71v–72r.
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VIII. In einer zweiten frühen Sylloge stadtrömischer Inschriften lässt sich geradezu ein Zusammenfließen von Stadttopographie und Inschriftensylloge beobachten. Für die so genannte Sylloge Signoriliana ist die Autorschaft nicht geklärt, und sie wurde von der Forschung bislang sehr unterschiedlich in das 14. und 15. Jahrhundert datiert.46 Da das Formular dieser Sylloge – im Gegensatz noch zu Dondis Schrift – grundsätzlich bereits an der Vorgabe der Einsiedler Inschriftensammlung orientiert ist, und da zudem ein größerer Teil ihrer 86 Inschriften auch in der Sylloge Poggiana enthalten ist, wirkt die ohnehin recht plausible Datierung der Sylloge Signoriliana in das 15. Jahrhundert realistisch, in die Zeit nach der Entdeckung der Einsiedler Sammlung durch Poggio Bracciolini.47 Formal vereinigt die Sylloge Signoriliana Elemente jener Tradition der Verzeichnung antiker Inschriften, die wir bei Dondi gesehen haben, mit dem aktuelleren Formular der Einsiedler Sammlung und der Sylloge Poggiana: Wie diese erscheint sie als Abfolge von Lokalisierungen und Inschriftentexten mit marginalen Unterschieden in der Syntax der Ortsangaben.48 Die Tradition Dondis wird in der Notation der Inschriftentexte wirksam, die nämlich in Majuskeln gegeben werden – wie übrigens auch noch in den eigenständigen Abschnitten der Sylloge Poggiana. Auch die Sylloge Signoriliana gibt in aller Regel Inschriften wieder, die an herausragenden Monumenten in Rom zu sehen waren. Diese Nähe zur Topographie wird in einer der Handschriften des 15. Jahrhunderts unmittelbar greifbar. Der Codex Vaticanus Latinus 10687 enthält eine ganze Reihe topographischer und historischer Schriften zu Rom. Interessant ist dabei der fließende Übergang von einer einführenden Regionenbeschreibung nach traditionellem Muster hin zum ersten Teil der Inschriftensylloge: Die erste Inschrift steht hinter der Beschreibung des Titusbogens, an dem sie zu sehen ist. Als nächstes wird der Triumphbogen des Septimius Severus beschrieben, wieder schließt sich die dort angebrachte Inschrift an. Damit hören die beschreibenden Texte auf. Der restriktive Typ der Inschriftensylloge setzt ein, ganz offenkundig als Weiterführung der urbanen Topographie.49
_____________ 46 Zur Datierung, auch zum Hintergrund des Titels vgl. Ott (2002), 151–154 mit der entsprechenden Forschungsliteratur. 47 Für eine Konkordanz mit der Sylloge Poggiana vgl. Spring (1972), 429–437. Edition der Sylloge Signoriliana bei Henzen/De Rossi (1876), XV–XXVII. 48 Die Lokalisierungen werden in der Sylloge Signoriliana zumeist mit einem Verb eingeleitet; vgl. Ott (2002), 151 f. 49 BAV, Cod. Vat. lat. 10687, fol. 152 f.
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IX. Blicken wir unter dieser Vorgabe noch einmal auf die Syllogen des späteren 15. Jahrhunderts: Das so starre Formular mit Lokativ ohne Verb für die Lokalisierung und Minuskelschreibung für die Inschriftentexte, wie wir es zum Beispiel bei Giocondo gesehen haben, entspricht nur partiell der Sylloge Poggiana, aber viel mehr dem Codex Einsidlensis selbst – auch Poggio hatte diese Sammlung in Minuskeln abgeschrieben. Konrad Peutingers Augsburger Sylloge erfüllte von der Struktur her sehr genau die formalen Anforderungen des topographischen Diskurses: Die systematisch an Gebäudetypen orientierte Anordnung seiner Steine – zuerst die sakralen, dann die profanen Bauwerke – entsprach der topographischen Ausrichtung. Auch die Beifügung eines auf die Stadt bezogenen Landgebietes passt sich den italienischen Vorbildern an. Als Abweichung von der akzeptierten Form der Sylloge blieb die graphische Ausgestaltung der Inschriften. Zwar wurde auch Peutinger hier anfänglich noch – von Giovanni Giocondo – korrigiert. Aber auf längere Sicht konnte Peutinger von Augsburg aus einen neuen Standard der epigraphischen Darstellung etablieren: Den beiden Ausgaben seiner Augsburger Sylloge folgten gedruckte Sammlungen von Johannes Huttich zu Mainzer Inschriften sowie ein erster Inschriftendruck zur Stadt Rom, die Epigrammata antiquae urbis, die unter dem Namen des Druckers Jacobus Mazochius bekannt geworden sind – beide nahmen die Innovation Peutingers, die genaue graphische Gestaltung der Inschriften, auf. Mit Peutingers Publikation erhielt das Genre also durch den Druck nicht nur ein neues Medium, sondern auch eine neue Erscheinungsform.50
X. Hatte Konrad Peutinger durch seine spektakulären Syllogendrucke fast kommentarlos einen Paradigmenwechsel im Umgang mit der römischen Vergangenheit heraufbeschworen, eine Versöhnung Augsburgs mit seiner antiken Vergangenheit und zugleich eine Annäherung an die Stadtlandschaft Italiens, so ging im benachbarten Bayern der Historiograph Johannes Aventin (1477–1534) einen anderen Weg. Aventin hatte unter dem Eindruck von Peutingers gedruckter Sylloge seit 1507 damit begonnen, antike Inschriften im bayerischen Herzogtum und im südlich angrenzenden Tirol zu verzeichnen. Die Sammlung liegt handschriftlich in zwei Redaktionen mit Konzeptcharakter vor.51 Sie war für eine Veröffentlichung vorgesehen und vom Aufbau her an den antiken römischen Provinzen des Rau_____________ 50 Huttich, Collectanea antiquitatum urbe; Mazochius, Epigrammata antiquae urbis, online zugänglich bei »austrian literature online«, (zuletzt gesehen am 10. Juni 2008). 51 BSB München, Clm 967 und Clm 281. Zum Folgenden siehe Ott (2002), 117–122.
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mes orientiert, wie Aventin sie annehmen musste: Ein erster Abschnitt unter dem Titel Vetustates Romanae a Ioan Aventino inventae in Vindelico quae nunc est Bavaria enthält die Inschriften westlich des Inn, östlich des Flusses schließen Vetustates Romanae a Ioan Aventino Inventae in Norico an.52 Aventin gab in seinen Lokalisierungen den jeweiligen Auffindungsort der Inschriften an. Das waren zumeist kleinere Städte, Märkte und Dörfer. Der bis dahin übliche Bezug auf den Stadtraum einer antiken civitas fehlt. Seine Sylloge wird so zur Topographie einer historischen Landschaft, zugleich zur ersten Erfassung des römischen Bayern. Aventin hat seine Syllogen nicht zu einer eigenständigen Publikation gebracht. In den folgenden knapp drei Jahrzehnten widmete er sich seiner umfangreichen, chronologisch bis weit in die Vorzeit ausgreifenden landesgeschichtlichen Gesamtschau Bayerns, zunächst in einer lateinischen, später auch in einer deutschen Fassung.53 Seine Darstellung zur Römerzeit orientiert sich dabei an durchaus gängigen Mustern: Aventin ging von einer Konfliktsituation zwischen der bayerischen Bevölkerung und den römischen Eroberern aus, die mit der Vertreibung der Römer in der Spätantike ihr Ende fand.54 Für antike Inschriften, die das römische Bayern verherrlichen, war in diesem Erzählstrang kein Raum, wohl aber in einem längeren topographischen Exkurs an anderer Stelle des Werkes.55 In seinem Bemühen, das gesamte Imperium Romanum der römischen Kaiserzeit topographisch zu erfassen, erschloss Aventin diesen Raum als Aufzählung der Kontinente und Provinzen, ganz im Stil einer antiken Weltbeschreibung. Dann fokussierte er seine Darstellung auf das römerzeitliche Bayern – und genau hier fanden nun die epigraphischen Zeugnisse aus Aventins frühen Sammlungen ihren Platz: Die Inskriptionen wurden den knappen, wertfrei beschreibenden Angaben zu einzelnen, zumeist kleineren Orten mit antiker Vergangenheit beigegeben, und zwar wenn möglich als kleine Syllogen von jeweils einigen wenigen Inschriften. Bayern ließ sich im Geist des Altertums als antike Landschaft darstellen, gleichsam als eine überdimensionierte civitas ohne Zentralort. Bis dahin war die Sylloge nur der Deskription von Stadträumen vorbehalten gewesen, also urbanen Zentren und diesen zugeordneten Landgebieten. Aventin nutzte sie als erster, um eine größere Landschaft ohne explizit städtischen Bezug zu beschreiben. Im Kontext der Unentschiedenheit des süddeutschen Raumes, wenn es um die Suche nach historischer Identität ging, hat Aventin einen Kompromiss realisiert: In ein und demselben Werk findet sich sowohl die nördlich der Alpen traditionelle Ablehnung der römischen Zeit als Epoche der Fremdherrschaft als auch das _____________ 52 BSB München, Clm 967, fol. 2r (Vindelicia) bzw. fol. 10r (Noricum). 53 Zweibändige Edition der Annales ducum Boiariae: Riezler (1882–1884); Edition der Bayerischen Chronik, ebenfalls in zwei Bänden: Lexer (1883–1886). 54 Zur Darstellung der römischen Zeit bei Aventin vgl. Schmid (1997), Landshamer (1972) und ders. (1999); zu Aventin jetzt auch Doronin (2007). 55 Aventin, Annales ducum Boiariae, Buch II, 148–162.
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neue, begeisterte Zurschaustellen der Zugehörigkeit zur Ökumene der römischen Zivilisation – unausgesprochen zwar, aber durch die Inschriftensylloge belegt. Es sollte noch einige Jahrzehnte dauern, bis aus dem Nebeneinander von Geschichtserzählung und epigraphischer Topographie ein Miteinander wurde, bis die Inschriften als ganz normales Quellenmaterial historiographisch ausgewertet wurden.
XI. Zunächst aber trug der topographische Diskurs noch eine späte, gleichwohl grandiose Frucht, und zwar erneut im regionalen Umfeld Augsburgs. Unter dem Mentorat Peutingers publizierten zwei Gelehrte der Universität Ingolstadt, Bartholomäus Amantius und Petrus Apianus, im Jahr 1534 einen umfangreichen Band mit dem Titel Inscriptiones sacrosanctae vetustatis non illae quidem Romanae sed totius fere orbis.56 Ihr Ziel war es, sämtliche bekannte Inschriften des Altertums in einem einzigen Werk zu vereinen. Immerhin waren durch Syllogen inzwischen neben Süddeutschland auch Regionen wie die Iberische Halbinsel, Teile des Balkanraums und nicht zuletzt des deutschen Rheinlands erschlossen. Die Inscriptiones sacrosanctae vetustatis sind im Wesentlichen eine Zusammenfassung der damals bekannten Inschriftensyllogen, zugeordnet stets den römischen Provinzen des Altertums. Auf diese Weise konnten Apianus und Amantius einen großen Teil des römischen Weltreiches erfassen, und dabei alle drei Kontinente: Selbst Afrika und Asien sind durch einige wenige Stücke vertreten, was deutlich hervorgehoben wird.57 Die Forschung hat dieses Werk bislang nur im altertumskundlichen Diskurs gesehen und abgewertet. Man kritisierte vor allem die im Vergleich etwa zu Peutingers Werk minderwertige graphische Qualität: Die Zeichnungen seien wenig zuverlässig, auch die Inschriftentexte nicht immer akkurat erfasst.58 Zudem hat man die Inschriftensammlung gerade im Gesamtwerk Peter Apians (über Amantius weiß man ohnehin wenig59) immer als einen Fremdkörper abgetan: Apianus wird ja als Mathematiker und Kosmograph wahrgenommen, nicht als Archäologe. Römersteine schienen nicht recht in sein Œuvre zu passen.60 Als gelehrte Topographie verstanden, fügt sich die Inschriftensammlung allerdings
_____________ 56 Apianus/Amantius, Inscriptiones sacrosanctae; dazu Ott (2002), 174–179. 57 Apianus/Amantius, Inscriptiones sacrosanctae, 505–512, Hervorhebung in Kopfzeile: »Inscriptiones Asiae« bzw. »Inscriptiones Africae«. 58 Vgl. etwa Günther (1882), 21; Wood (1998), 109–110. 59 Dieses Wenige bei Lieb (1958), 349. 60 Exemplarisch die isolierte Behandlung der Inscriptiones sacrosanctae vetustatis in einer jüngeren Ausstellung zu Apian: Ernst (1995), 36–38.
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gut in Apians kosmographisches Werk ein: Erfasst die topographische Inschriftensylloge die gesamte Ökumene, dann wird sie zur Weltbeschreibung, zur Kosmographie im Geist des Altertums.
XII. Die Inscriptiones sacrosanctae vetustatis von Apianus und Amantius markieren einen Wendepunkt für die topographische Inschriftensylloge. Zwar sind auch aus den folgenden Jahrzehnten vergleichbare Sammlungen auf städtischer oder regionaler Ebene bekannt. Als aber um 1600 drei Häupter der Gelehrtenrepublik ihrer Zeit, Janus Gruter, Joseph Scaliger und Marcus Welser, erneut ein Gesamtkorpus schufen und alle bekannten antiken Inschriften in einem voluminösen Werk zusammenstellten, ordneten sie ihr Material auf völlig andere Weise an als Apian und Amantius.61 Zwar ist weiterhin jede Inschrift lokalisiert, aber die Systematik der Inscriptiones antiquae totius orbis Romani von 1603 ist eben nicht mehr von der Verortung der Inschriften bestimmt, sondern richtet sich nach inhaltlichen Aspekten der Inschriftentexte. So können sich auf ein und derselben Seite Weihinschriften an den Kriegsgott Mars aus verschiedenen Regionen der römischen Welt finden (Abb. 7) 62. Dieser an den Textinhalten orientierte Zugriff auf epigraphisches Material, verbunden endlich auch mit der Nutzbarmachung der Texte als Quellen der kulturgeschichtlichen Analyse, hatte in den vorhergehenden Jahrzehnten den topographischen Zugang weitgehend ersetzt. Ausgangspunkt war, wie es unlängst William Stenhouse gezeigt hat, ein Gelehrtenzirkel in Rom um die Mitte des 16. Jahrhunderts, mit Mitgliedern wie Martin Smet und Antonio Agustín.63 Nach weit mehr als einem Jahrhundert hatte der gelehrte Diskurs, nach dem eine Inschriftensylloge als topographische Schrift im Geist des Altertums zu gelten hatte, seine Vorherrschaft verloren.
_____________ 61 Gruter, Inscriptiones antiquae. 62 Etwa ebd., 56. 63 Vgl. Stenhouse (2005).
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Abb. 7: Gruter, Inscriptiones antiquae, Heidelberg 1603, 56.
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XIII. Halten wir fest: Die topographische Inschriftensylloge erfasste zunächst, von Rom ausgehend, den antiken Raum einer Stadt. Aus der Aneinanderreihung mehrerer stadtbezogener Syllogen ließ sich, etwa bei Giovanni Giocondo, der italienische Raum im Ganzen in den Blick nehmen. Johannes Aventin vollzog dann den Schritt zur Beschreibung einer historischen Landschaft ohne urbanen Bezug: Seine Inschriftensylloge des bayerisch-tirolerischen Raumes ist nicht an Städten, sondern an ganzen römischen Provinzen orientiert. Apianus und Amantius schließlich bauten die Sylloge zur Weltbeschreibung aus. Damit lässt sich die Entwicklung der Inschriftensylloge als Strang des topographischen Diskurses begreifen. Für die Jahrzehnte um 1500 wird der topographische Diskurs in unserer heutigen Wahrnehmung eigentlich eher vom Siegeszug der Empirie bestimmt: Mit neuen Weltkarten und Globen reagierte die Kartographie auf die Entdeckungsfahrten nach Indien und Amerika. Die Geographie des Ptolemäus als antike Vorgabe wurde auch auf der Ebene einzelner europäischer Länder fortlaufend korrigiert; die Portolankarten spiegeln das Bedürfnis der Seefahrt nach einer realitätsnahen Darstellung der Küstenlinien wider.64 Auch der urbane Raum, gerade in Rom, wird bereits im 15. Jahrhundert immer genauer empirisch abgebildet und vermessen.65 Dieses Bild ist nun zu ergänzen: Aus dem Kreis führender Gelehrter der humanistischen Kultur ging in der gleichen Zeit mit der Inschriftensylloge ein alternatives Genre der Raumerfassung hervor, das dann über Jahrzehnte hin gepflegt und weiterentwickelt wurde. Es galt nicht der gegenwärtigen, sondern exklusiv der historischen Topographie zunächst urbaner Räume. Der Aufbau der Syllogen folgte – in der Tradition der antiken und mittelalterlichen Stadtbeschreibungen – systematischen Gesichtspunkten; empirische Raumbeziehungen wurden nicht vermittelt. Indem die Sylloge aus der vermeintlichen imitatio antiker Textlichkeit hervorging, entspricht sie viel eher der für das 15. Jahrhundert typischen gelehrten Schreibpraxis des Humanismus als die, aus heutiger Sicht fortschrittlicheren, empirischen Zugänge zur Topographie.
_____________ 64 Zur Renaissancekartographie prägnant etwa Wawrik (1986), zur empirischen Genauigkeit der Portolankarten Mesenburg (1994). 65 Siehe etwa den Aufsatzband Fiore/Nesselrath (2005); darin auch knappe Überblicksartikel, jeweils mit Forschungsstand, zu den bildlichen Darstellungen Roms: Cantatore (2005), und zur Descriptio urbis Romae von Leon Battista Alberti: Di Teodoro (2005).
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XIV. Welche Schlüsse lassen sich nun für den so schwer zu greifenden Humanismus in seiner Beziehung zu Antike ziehen? Der gelehrte Diskurs der topographischen Inschriftensylloge passt gewiss nicht in eine optimistische Deutung des Humanismus im Sinne einer beginnenden, aus der Antike gespeisten Modernität oder gar Fortschrittlichkeit. Das, wie Georg Voigt es den Humanisten lyrisch attestierte, »sehnsüchtige Streben, sie wieder in die Gegenwart zu führen«,66 verlieh dem Altertum eben auch dort Macht, wo es nicht den Weg in Richtung der Moderne wies. Für unseren Fall zeigt sich: Die Humanisten traten nicht als Herren über das Altertum auf, die souverän die Unzulänglichkeiten ihrer mittelalterlichen Umgebung mittels Orientierung an der überlegenen antiken Zivilisation ausglichen und so dauerhaft wirksame Entwicklungsimpulse gaben. Im Gegenteil: Geleitet vom »Trieb der Nachahmung«,67 stellten die Humanisten, und gerade führende Gelehrte wie Poggio Bracciolini, Giovanni Giocondo, Konrad Peutinger und Johannes Aventin im 15. und beginnenden 16. Jahrhundert den vermeintlichen Geist des Altertums über Erwägungen, die aus heutiger Sicht naheliegend, pragmatisch, fortschrittlich scheinen: Im topographischen Diskurs, andernorts bereits von kartographischer Empirie bestimmt, führten gerade sie die Inschriftensylloge als Genre der urbanen, regionalen und selbst der weltumspannenden Raumerfassung fort – allerdings nicht um den Raum in seiner gegenwärtigen Gestalt zu dokumentieren, sondern um seine Historizität, seine Verwurzelung im römischen Altertum hervorzuheben. Wohl auch daher konnte sich die Inschriftensylloge so lange im Umfeld der immer stärker empirisch verfahrenden Raumerfassung behaupten. Petrus Apianus hat zuletzt in seinen Werken beide Ansätze noch einmal vereinigt. Für den Diskurs der Altertumskunde freilich hat sich gezeigt: Trotz des starken wissenschaftlichen Interesses an den Strukturen und vor allem an den Texten des klassischen Altertums beließen die Humanisten in Italien und später auch in Süddeutschland ihr sorgsam verzeichnetes epigraphisches Material in der Abstellkammer der Topographie. Ein Flavio Biondo konnte antike Inschriften sehr wohl lesen und zumindest ansatzweise verstehen. Wenn er dennoch nur spärlich Inschriften angeführt hat, dann stets solche, die er an topographisch relevanten Monumenten vorfand. Wenn er sich also den Textinhalten als originären historischen Quellen verschlossen hat, dann spiegelt das genau die gängige Praxis der Gelehrten im 15. Jahrhundert wider: Sie werteten die Inschriften nicht aus, lasen allenfalls einzelne Namen heraus und waren darin dem vorhumanistischen 14. Jahrhundert keineswegs überlegen. Die Objekte selbst wurden in vermeintlicher Anlehnung an die Alten dennoch als bloße Texte dokumentiert. Die exakte _____________ 66 Voigt (1893), Bd. 1, 6. 67 Ebd., 3.
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graphische Wiedergabe, die ja wesentlich mehr Informationen birgt, wurde bis ins 16. Jahrhundert hinein als deviant abgetan und blieb Außenseitern vorbehalten. Für diese Aspekte der gelehrten Kultur ist also zu konstatieren: Die Humanisten waren nicht souveräne Herren über das Altertum, sie waren willfährige – oder machtlose – Knechte einer Antike, deren perfekte formale Imitation ihnen alles galt.
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Abbildungsnachweis Abb. 1: Peutinger, Konrad, Inscriptiones vetustae Romanae et earum fragmenta in Augusta Vindelicorum et eius dioecesi, cura et diligencia Chuonradi Peutinger Augustani iurisconsulti antea impressae, nunc denuo revisae castigatae simul et auctae, Mainz 1520, fol. 6v–7r. Abb. 2: Peutinger, Konrad, Romanae vetustatis fragmenta in Augusta Vindelicorum et eius dioecesi, Augsburg 1505, fol. 3v–4r. Abb. 3: Sylloge des Fra Giovanni Giocondo, hier: Inschriften aus Augsburg, BAV, Cod. Vat. lat. 5326, fol. 35v. Abb. 4: »Goldsiegel Ludwigs des Bayern«, in: Leidel, Gerhard, Von der gemalten Landschaft zum vermessenen Land. Eine Ausstellung des Bayerischen Hauptstaatsarchivs zur Geschichte der handgezeichneten Karten in Bayern, München 2006 (= Ausstellungskataloge der Staatlichen Archive Bayerns, 48), 42. Abb. 5: Sylloge Poggiana. Inschriftensylloge des Poggio Bracciolini, BAV, Cod. Vat. lat. 9152, fol. 33r. Abb. 6: Einsiedler Inschriftensammlung, Stiftsbibliothek Einsiedeln, Codex Einsidlensis 326, fol. 71v–72r. Abb. 7: Gruter, Janus, Inscriptiones antiquae totius orbis Romani, in corpus absolutissimum redactae, Heidelberg 1603, 56.
Zwei Sprachen – ein Text? Lateinische und volkssprachliche Versionen historiographischer Texte im Vergleich STEFAN SCHLELEIN
Um die Mitte der 1450er Jahre sah sich der kastilische Humanist Alfonso Fernández de Palencia,1 seit 1456 secretario de latín und königlicher Chronist Heinrichs IV. von Kastilien, mit einer für ihn höchst lästigen und beschwerlichen Bitte konfrontiert: Er sollte die von ihm selbst 1455 verfasste politische Satire Bellum luporum cum canibus – »Krieg der Wölfe mit den Hunden« – ins Spanische übersetzen. Dieser Bitte kam er 1457 nach, aber nicht ohne dabei seine schweren Bedenken gegenüber der Aufgabe des Übersetzens zum Ausdruck zu bringen. In dem an Alfonso de Herrera gerichteten Prolog hält er fest: mucho se me faga graue el Romançar sabiendo las faltas que asy en el son de las clausulas como en la verdadera significaçion de muchos vocablos de neçesario vienen en las translaçiones de vna lengua a otra: mayormente en lo que de latin a nuestro corto fablar se conuierte.2
Etwas später präzisiert er an gleicher Stelle noch einmal, was er beim Übersetzen vom Lateinischen in die Volkssprache für problematisch hält: den nicht zu umgehenden Verlust der sprachlichen Anmut, des guten Tons, der Komposition und _____________ 1
2
Zu Palencia und seinem Œuvre vgl. demnächst die Druckfassung meiner Dissertation, die unter dem Titel Chronisten, Räte, Professoren: zum Einfluß des italienischen Humanismus in Kastilien am Vorabend der spanischen Hegemonie (ca. 1450 bis 1527) an der Universität Freiburg eingereicht wurde. Palencia, Batalla campal, fol. [a 2]r; zu deutsch: »Das Übersetzen in die Volkssprache fällt mir schwer angesichts der Fehler, die hierdurch in den Sinn der Sätze wie in die wahre Bedeutung vieler Wörter in der Übersetzung aus einer Sprache in die andere notwendigerweise gelangen, insbesondere bei dem, was aus dem Lateinischen in unsere beschränkte Mundart verwandelt wird.« (Hier und im Folgenden handelt es sich stets um eigene Übersetzungen, sofern nicht ausdrücklich auf einen anderen Ursprung verwiesen wird; für die Durchsicht der Übersetzungen aus dem Portugiesischen danke ich Katrin Zeug, B. A., und Samuël Coghe.) Da die einzige Edition von Antonio María Fabié aus dem Jahr 1876 in Deutschland kaum zugänglicher ist als der Originaldruck, wird hier auf die Inkunabel aus der Zeit um 1490 zurückgegriffen. Für eine inhaltliche Bewertung des Textes vgl. Tate (1976/77) und Balcells Domenech (1995).
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vor allem der wirklichen Bedeutung.3 Nichtsdestoweniger hatte er sich schließlich der Aufgabe gestellt und seine Fabel unter dem Titel Batalla campal de los perros contra los lobos – »Feldschlacht der Hunde gegen die Wölfe« – ins Spanische übersetzt. Bereits seine Übertragung des Titels liefert einen ersten Beleg für seine Ausführungen zur Übersetzungsproblematik: Aus cum canibus wird contra los lobos, ein Umstand, der eine Verschiebung der Perspektive suggeriert, tauschen Hunde und Wölfe doch den Platz als Gegner.4 Seine Entscheidung, trotz aller grundsätzlichen Bedenken eine Übersetzung zu unternehmen, rechtfertigt Palencia mit zwei Argumenten: Zum einen mit dem sehr konventionellen, sich der eindringlichen Bitte des Freundes nicht widersetzen zu wollen, zum anderen mit dem ebenfalls zum Topos gewordenen Vorteil, dass das Werk in der Übertragung die intendierte Zielgruppe, den kastilischen Adel, in größerer Vollständigkeit erreichen könne.5 Bei der knappen Betrachtung der Überlegungen des Kastiliers Palencia sind bereits eine Reihe von Problemen und Möglichkeiten angesprochen worden, die das Übersetzen und seine Ergebnisse aufwerfen. Diese betreffen ohne Zweifel nicht nur allegorische Textsorten wie diejenige der Batalla campal, sondern grundsätzlich alle Texte, die einer Übersetzung unterzogen werden können, also auch historiographische. Beispiele für die Probleme sind die Frage nach der tatsächlichen Bedeutung von Begriffen, der »verdadera significaçion« in den Worten Palencias, oder diejenige nach dem intendierten Zielpublikum. Gerade letzteres fällt dann besonders stark ins Auge, wenn es sich um zeitgenössische, ja um zeitgleiche Übertragungen handelt. Die vergleichende Betrachtung zeitgenössischer Übersetzungen oder Überarbeitungen historiographischer Texte in unterschiedlichen Sprachen soll das Thema dieses Beitrags sein. Die Nähe, in der sich Übersetzung und Bearbeitung, Übertragung oder Nachahmung eines Textes gerade in der Zeit des RenaissanceHumanismus bewegen, legt die gemeinsame Untersuchung durchaus verschieden_____________ 3 4
5
Vgl. Palencia, Batalla campal, fol. [a 2]v. Auch die Wiedergabe von bellum durch batalla, also Krieg durch Schlacht, stellt einen – bewussten oder unbewussten – Eingriff in den Sinngehalt des Textes dar, indem sie das Bedeutungsfeld des lateinischen Begriffs auf einen bestimmten Aspekt fokussiert. Dabei insinuiert bellum in der weiteren Bedeutungsvariante des Krieges ein anderes Ereignis als eine Feldschlacht, insbesondere hinsichtlich der zeitlichen Dauer. Die Brisanz dieser Unterscheidungen wird deutlich, wenn man sich vor Augen hält, dass Leonardo Bruni dort, wo er die Genauigkeit der Übersetzungen einfordert, unter seinen Beispielen gerade auch den Krieg nennt: Die Kenntnisse des Übersetzers müssen so gut sein, dass er nicht »›bellum‹ pro ›prelio‹ […] dicat.«; Bruni, Sulla perfetta traduzione, 82. Vgl. zu Brunis Übersetzungstheorie unten Anm. 24 und 26. Zu der auf diese Weise erreichten Zielgruppe darf sich im Übrigen auch der heutige Leser rechnen, für den die Existenz einer volkssprachlichen Version aus der Feder des Autors einen Glücksfall darstellt, ist doch der ursprüngliche, lateinische Text mittlerweile verloren. Vgl. zur Überlieferungslage die Einleitung zur Edition von Palencias Gesta Hispaniensia von Tate und Lawrance: Palencia, Gesta Hispaniensia, xlix.
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artiger Bearbeitungstypen nahe.6 Die Relevanz dieser Probleme ist beträchtlich: Soll bei der Untersuchung humanistischer Geschichtswerke nach der Transformation von Antike gefragt werden und danach, inwieweit am Humanismus geschulte Autoren ein neues Kapitel der Geschichtsschreibung eröffnet haben, so ist es für ein ausgewogenes Urteil notwendig – wo vorhanden – die beiden historiographischen Traditionen, die lateinische und die regional häufig mindestens ebenso wirkmächtige volkssprachliche, zu berücksichtigen, um nicht Gefahr zu laufen, von vorneherein ein nur in (zumeist lateinischen) Teilen aussagekräftiges Ergebnis zu erzielen.7 Vergleichsgegenstand unserer sprachlichen Mikrostudie sind die jeweiligen Originale der historiographischen Werke, d. h. in diesem Fall die Vorlagen der Übertragungen, und ihr Verhältnis zu eben diesen Übertragungen. Dabei stehen zwei Fragen im Vordergrund: Erstens: Inwiefern verändert sich der Inhalt eines Werkes durch den Gebrauch einer anderen Sprache, also durch die Bedingungen und Strukturen, die die Zielsprache der Darbietung des Stoffes auferlegt. Neben diese sprachliche Frage tritt als zweite: Inwieweit verändern sich Inhalt und Charakter eines Werkes auch dadurch, dass mit der Übersetzung ein anderes Publikum angesprochen werden soll als mit dem Original, dass ein anderer Zweck verfolgt wird, kurz, dass die Übersetzung im Verhältnis zu ihrer Vorlage andere Funktionen zu erfüllen hat? Als Beispiele sollen hier drei Texte recht unterschiedlicher Herkunft und Anlage dienen: Erstens die spanische Geschichte des Sizilianers Lucius Marineus Siculus. Deren lateinische Version wurde unter dem Titel Opus de rebus Hispaniae memorabilibus im Jahr 1530 erstmals veröffentlicht, die spanische als Obra de las cosas memorables de España im gleichen Jahr. Als zweites Beispiel die portugiesische Crónica da Tomada de Ceuta des Gomes Eanes de Azurara, vollendet 1450. Von ihr fertigte Matteo de Pisano zehn Jahre später, also 1460, eine lateinische Übertragung an, die den Titel De bello Septensi erhielt. Als drittes Beispiel werden am Ende knapp die Annalium Boiorum Libri Septem des Johannes Aventin erwähnt, die seit der zweiten Dekade des 16. Jahrhunderts entstanden, um so die Perspektive auf die ethnographisch-landesbeschreibende Historiographie der Humanisten im Reich zu erweitern und Möglichkeiten für einen Vergleich über die Romania hinaus deutlich zu machen. Als Vergleichsgegenstand wird hier jedoch nicht die umfangreiche Bayerische Chronik herangezogen, _____________ 6
7
Vgl. Stackelberg (1972), X f.: »Handelte es sich also bei der humanistischen Imitatio – wenigstens der Theorie nach – nur um einen Transfer von den antiken in die neueren Sprachen, so stand sie der Übersetzung nahe: oft genug verwischten sich die Grenzen. […] Imitatio und Übersetzung sind zunächst-verwandte Rezeptionsformen.« Die mit Übersetzungen einhergehenden Phänomene werden in der Literaturwissenschaft seit langem thematisiert. In den Geschichtswissenschaften spielt das Thema erst in neuerer Zeit zunehmend eine Rolle; vgl. Burke/Hsia, »Introduction« (2007), 1. Als jüngstes Beispiel sei mit Fokus auf die Historiographie genannt Burke, »Translating histories« (2007).
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die 1566 erstmals gedruckt wurde, sondern in erster Linie der Bayrische Chronicon kurtzer Auszug von 1522, also eher eine Überarbeitung als eine Übersetzung. Die Frage nach der Übersetzbarkeit insbesondere der klassisch-lateinischen Literatur, danach, in welcher Form konkret übersetzt werden sollte, für wen, von wem und was zu übersetzen sei und schließlich, ob die Tätigkeit des Übersetzens in die Volkssprachen überhaupt wünschenswert sein konnte angesichts der Befürchtung, hierdurch zum Niedergang der lateinischen Eloquenz beizutragen – dies alles war unter den Humanisten heiß umstritten. Es betrifft den großen Fragenkomplex der Sprachkonkurrenz zwischen dem Lateinischen und den Volkssprachen, ihrem Mit-, Gegen- und Nebeneinander in der Zeit der Renaissance, der hier nur am Rande angesprochen werden kann, insofern er den gelehrten Hintergrund für die Übersetzer-Praxis bildet.8
I. Übersetzen oder Überarbeiten? Überlegungen zur Textübertragung in eine andere Sprache Zunächst seien einige grundsätzliche Anmerkungen zur Tätigkeit des Übersetzens vorausgeschickt: Unabhängig davon, ob das Ergebnis nun als Übersetzung oder Überarbeitung zu werten ist, handelt es sich in jedem der genannten Fälle um eine Überführung in eine andere Sprache. Das bedeutet zunächst, dass ein solcher Vorgang den Bedingungen und Möglichkeiten der beteiligten sprachlichen Codes unterworfen ist.9 Diese sind für das Ergebnis der Übertragung jedoch nicht allein ausschlaggebend. Vielmehr spielt hier auch die Problematik, inwieweit mit der Übersetzung eines Textes auch bestimmte, dem Text innewohnende, ihm vorausgehende und ihn damit bedingende Weltbilder angemessen übertragen werden können, eine zentrale Rolle.10 Letzteres verweist bereits darauf, dass es sich bei Übersetzungen um Akte des Kulturtransfers, und damit zugleich um Formen der Transformation von Text und Inhalt handelt. Die Frage nach dem Übersetzen im Sinne des konkreten Vorgangs der Übertragung berührt weiterhin die Kontexte und Anlässe von Übersetzungen – werden beispielsweise sakrale oder profane Texte übertragen, und zu welchem Zweck? –, und damit zusammenhängend die Vorgehensweise, die ein Übersetzer für seine Arbeit wählt. Was ist unter dem Begriff der Übersetzung – insbesondere im Verhältnis zu anderen Formen der Überarbeitung – zu verstehen? Die moderne Übersetzungsoder Translationswissenschaft hat eine erstaunlich große Vielfalt von Definitio_____________ 8 9
Vgl. etwa Guthmüller, Latein und Nationalsprachen (1998). Zu denken wäre etwa an die jeweils zu beachtenden Regeln der Satzkonstruktion, die Möglichkeiten der Flektion oder der Wortkombination sowie die Frage, ob in einer Sprache das geeignete Vokabular zur Verfügung steht. 10 Klaus Reichert spricht diese Frage an, wenn er über die »Übersetzbarkeit von Kulturen« nachdenkt; vgl. Reichert (2003), 10 f., 25–41 sowie unten Anm. 18.
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nen hervorgebracht, die die ganze Bandbreite möglicher Bedeutungen des Begriffs der Übersetzung widerspiegeln, von der ›Erläuterung‹ eines Sachverhaltes über die Transkription und die Transliteration bis hin zur Übertragung eines Inhalts in ein anderes Medium, beispielsweise die Verfilmung eines Romans.11 Die Übersetzung im engere Sinne bezeichnet die Texttransformation zwischen zwei Sprachen, konkret die Übertragung eines schriftlichen Textes aus einer natürlichen Sprache in einen schriftlichen Text in einer anderen natürlichen Sprache – eine Definition von Otto Kade aus den späten 1960er Jahren, die bis heute als maßgeblich gilt.12 Betont werden in dieser Definition zwei Punkte, neben der Überführung eines Textes aus einer natürlichen Sprache in eine andere auch die Gebundenheit sowohl des Ausgangstextes als auch des Ergebnisses der Übersetzung an die schriftliche Form. Das Übersetzen wird somit vom Dolmetschen geschieden. Die Trennung der eigentlichen Übersetzung von Formen wie der Überarbeitung ist oft genug nicht einwandfrei zu leisten angesichts der mehr oder minder starken Eingriffe, die die Übersetzer in Bezug auf Wortwahl, Stil oder Struktur in ihrer Vorlage vornehmen.13 Auf der Grundlage der genannten Definition stellt sich die Frage, wie etwas übersetzt werden soll. Das Spätmittelalter und die Renaissance bieten hierfür keine einheitliche Vorstellung. Es existierten eine Vielzahl von Begriffen zur Bezeichnung der Tätigkeit des Übersetzens – vom lateinischen transferre und traslatare über das italienische volgarizzare oder riducere in volgare bis hin zum spanischen trasladar und dem eingangs zitierten romanzar.14 Mit der Vielfalt der Bezeichnungen geht eine große Zahl von Möglichkeiten einher, einen vorhandenen Text in eine andere Sprache zu übertragen, zu denen neben der Übersetzung im engeren Sinne beispielsweise eben auch Kommentare, Paraphrasen und Überarbeitungen in der Zielsprache, inhaltlich nur lose an das Vorbild angelehnt, gehören konnten.15 Man hat die Frage nach der angemessenen Behandlung des Ausgangstextes seit der frühesten Auseinandersetzung mit dem Thema je unterschiedlich beantwortet: Als Ideal galt die Übersetzung, wenn sie wörtlich, »frei«, »treu« oder _____________ 11 Aus der vielfältigen Literatur der Übersetzungswissenschaft, die sich mit den Fragen nach Definition und Abgrenzung unterschiedlicher Übersetzungstypen beschäftigt, seien an dieser Stelle beispielhaft genannt: Apel/Kopetzki (2003), 1–10, aus der älteren Literatur Mounin (1967), 16–21, und Kloepfer (1967), 16–55; zur Geschichte der Übersetzung darüber hinaus Stackelberg (1972), 1–103, und Albrecht (1998), 47–109. Ferner sei auch auf den Band der Jahrestagung 2005 des SFB Transformationen der Antike hingewiesen: Böhme/Rapp/Rösler (2007), dort insbesondere auf die Beiträge von Paul Botley und Jan-Dirk Müller. 12 Vgl. Snell-Hornby (1999), 37; Apel/Koptetzki (2003), 2. 13 Vgl. hierzu mit Blick auf die literarische Übersetzung Albrecht (1998), 11. Im Grunde wäre es wohl erhellender, in solchen Fällen gleichzeitig von Übersetzung und Überarbeitung zu sprechen. 14 Vgl. Guthmüller, »Übersetzung« (1998), 9 f., Mounin (1967), 15, besonders ausführlich Albrecht (1998), 38 ff. Für das spanische trasladar außerdem Russell (1985), 25 Anm. 20. 15 Vgl. Guthmüller, »Übersetzung« (1998), 10.
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recte war.16 Der eingangs zitierte Kastilier Palencia war weder der erste, noch der letzte, der sich zum Thema geäußert hat. Im Allgemeinen wird davon ausgegangen, dass die ältesten Übersetzungen wortwörtlicher Art gewesen seien.17 Schon bei dieser vermeintlich direkten Art der Übertragung besteht das Problem, dass Wörter, die die gleichen Dinge bezeichnen, je nach kulturellem Kontext vom Leser eines Textes unterschiedlich verstanden, mit unterschiedlichen Vorstellungen verknüpft werden: Dies leuchtet bei einem Beispiel, das Walter Benjamin anführt, unmittelbar ein: Ein »Brot« bezeichnet im Deutschen und im Französischen zwar jeweils eine Backware, aber die Assoziationen, die ein Deutscher und ein Franzose damit spontan verbindet, dürften recht unterschiedlich sein.18 Eine weitaus größere Anhängerschaft als die wörtliche kann die freie Übersetzung für sich beanspruchen. Klassisch ist der Ausspruch Ciceros aus seinem De optimo genere oratorum, aus dem Griechischen nicht wie ein Übersetzer, sondern wie ein Redner übersetzt zu haben: »nec converti ut interpres, sed ut orator«.19 Er wolle nicht verbo verbum reddere, sondern die Aussage des Originals im Ganzen wiedergeben. Er trifft also in diesem Fall eine explizite Entscheidung für das sinngemäße Übersetzen und gegen die wortwörtliche Übertragung. Ziel der Vermittlung ist in erster Linie die Treue zum Inhalt. Form und Stil sollen zwar ebenfalls Berücksichtigung finden, werden aber den Bedingungen der eigenen Sprache angepasst. Zwischen den beiden grundsätzlichen Möglichkeiten, eine Übersetzung vorzunehmen, nämlich den »Text zum Leser« oder den »Leser zum Text«20 zu bewegen, favorisiert der Redner ersteres. Er ist damit Vorbild für eine Reihe weiterer Autoren, die sich bereits in der Antike ähnlich geäußert haben, so Horaz, Quintilian oder Plinius.21 Hieronymus hingegen lässt sich als Gegenbeispiel heranziehen, das belegt, dass die Entwicklung hin zum rein sinngemäßen Übersetzen und das damit verbundene Zurücktreten des Originals keineswegs gradlinig oder unwidersprochen _____________ 16 Vgl. Kloepfer (1967), 16. Darauf, dass Vorstellungen von Übersetzungstreue einer Schriftkultur bedürfen, weist Albrecht (1998), 35 hin. 17 Vgl. ebd., 30 f. und Kloepfer (1967), 19. 18 Vgl. Reichert (2003), 10, 38. Damit ist im Detail erneut die Frage nach der Übertragbarkeit von kulturellen Kontexten angesprochen, auf die oben bereits hingewiesen worden ist. 19 Der Zusammenhang der Stelle lautet: »Converti einim [sic!] ex Atticis duorum eloquentissimorum nobilissimas orationes inter seque contrarias, Aeschinis et Demosthenis; nec converti ut interpres, sed ut orator, sententiis isdem et earum formis tamquam figuris, verbis ad nostram consuetudinem aptis. In quibus non verbum pro verbo necesse habui reddere, sed genus omne verborum vimque servavi. Non enim ea me adnumerare lectori putavi oportere, sed tamquam appendere.« Cicero, opt. gen., V, 14; vgl. zu Ciceros Rolle als Übersetzer wie als Theoretiker der Übersetzung Seele (1995), insbesondere 89–101; aus der Literatur zur Übersetzung allgemein Ballard (1992), 39–42 und passim; zusätzlich Kloepfer (1967), 22; Stackelberg (1972), 2 f.; Albrecht (1998), 53–56. 20 Mounin (1967), 124 f. 21 Vgl. hierzu die allgemeinen Darstellungen der Übersetzungsgeschichte, so schon bei Kloepfer (1967), 24 f. oder Stackelberg (1972), 3 f.
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verlief: Für literarische Texte folgte er zwar ebenfalls – und sogar ausdrücklich – Ciceros Weg,22 bei der Heiligen Schrift hingegen verlangte der Schöpfer der Vulgata größtmögliche Wörtlichkeit, weil ihm hier bereits das Wort selbst und seine Stellung im Satz als Mysterium galt. »Pflicht des Übersetzers« war es für Hieronymus damit letztendlich, die Eigenart, Anmut und Kraft, den besonderen Ton und Wohlklang der fremden Sprache zu bewahren.23 Im 15. Jahrhundert war dann Leonardo Bruni der erste, der in seiner Schrift De interpretatione recta (1420) die Frage des Übersetzens auch theoretisch behandelte. Bruni schrieb seinen Traktat als Reaktion auf die harsche Kritik, die der Bischof von Burgos, Alfonso de Cartagena, an Brunis Neuübersetzung der Nikomachischen Ethik des Aristoteles geäußert hatte.24 Bruni forderte in seiner Abhandlung sowohl eine inhaltliche Übertragung sowie eine stilistische Anpassung der Übersetzung an das Original – und lehnte sich damit einerseits an Cicero an, übertraf diesen andererseits hinsichtlich der stilistischen Forderungen bereits.25 Ziel war für Bruni die recte, also »kunstgerecht« ausgeführte Übersetzung, die »die Eigenart der ursprünglichen Darstellung vollkommen erhält, so daß weder dem Sinn die Worte noch den Worten Schmuck und Glanz fehlen«.26 Er formuliert damit auch theoretisch, was im Italien des Boccaccio bereits praktisch als _____________ 22 Vgl. Mounin (1967), 25. 23 Vgl. Kloepfer (1967), 33. Nach Stackelberg (1972), 5, war Hieronymus der erste, der die Schwierigkeit der Aufgabe des Übersetzens voll erfasst hat. 24 Der Streit ist als controversia Alphonsiana bekannt geworden; vgl. hierzu Botley (2004), 5; allgemeiner zur Übersetzungstheorie Brunis ebd., 41–62, zu seiner Tätigkeit als Übersetzer aus dem Griechischen ins Lateinische zusätzlich 5–40; außerdem erneut Botley (2007), 63–69 und überblicksartig auch schon bei Stackelberg (1972), 7–10. Zum Phänomen der Übersetzung in der Renaissance insgesamt und nach Ländern gegliedert Vermeer (2000), der sich 296–307 ebenfalls mit der controversia beschäftigt. Aus der älteren Literatur ist zu diesem Thema weiterhin auf Birkenmajer (1922), 129–210, hinzuweisen. 25 Vgl. Stackelberg (1972), 8. Den Kern seiner Forderungen formulierte Roger Bacon bereits im Mittelalter: die Kenntnis beider Sprachen sowie die Vertrautheit mit der behandelten Materie; vgl. ebd., 6. 26 »Hec est enim optima interpretandi ratio, si figura prime orationis quam optime conservetur, ut neque sensibus verba neque verbis ipsis nitor ornatusque deficiat.« Bruni, Sulla perfetta traduzione, 86; deutsche Übersetzung nach Kloepfer (1967), 39. Zuvor hatte Bruni bereits erläutert, welche Voraussetzungen der Übersetzer mitbringen musste, der eine kunstgerechte Übersetzung anfertigen wollte, nämlich die vollständige Beherrschung der Ursprungs- und der Zielsprache inklusive der jeweiligen Literaturen sowie die Vertrautheit mit der Materie, über die ein Text handelt: »Dico igitur omnem interpretationis vim in eo consistere, ut, quod in altera lingua scriptum sit, id in alteram recte traducatur. Recte autem id facere nemo potest, qui non multam ac magnam habeat utriusque lingue peritiam. Nec id quidem satis. Multi enim ad intelligendum idonei, ad explicandum tamen non idonei sunt. […] Magna res igitur ac difficilis est interpretatio recta. Primum enim notitia habenda est illius lingue, de qua transfers, nec ea parva neque vulgaris, sed magna et trita et accurata et multa ac diuturna philosophorum et oratorum et poetarum et ceterorum scriptorum omnium lectione quesita. Nemo enim, qui hos omnes non legerit, evolverit, versarit undique atque tenuerit, vim significataque verborum intelligere potest«; Bruni, Sulla perfetta traduzione, 76, 78.
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Neuheit in die Geschichte des Übersetzens in Europa eingegangen war: der Versuch, die stilistische Integrität des antiken Ausgangstextes zu wahren. Dabei handelte Bruni bekanntlich gar nicht über die Übersetzung aus dem Lateinischen ins volgare, sondern ausschließlich über diejenige aus dem Griechischen in das Lateinische, also sozusagen ›binnenantikisch‹. Überhaupt taten sich die meisten Humanisten, die sich als Vorreiter der Bewegung verstanden, schwer mit dem Gedanken, die Werke der verehrten Klassiker in die Volkssprachen zu »reduzieren« – um hier einmal einer der im 13. und 14. Jahrhundert üblichen italienischen Bezeichnungen für die Aktivität des Übersetzens, dem erwähnten riducere in volgare, eine zweite Bedeutung im Sinne von »Verminderung« oder »Herabsetzung« beizufügen.27
II. Direkte Übersetzung, parallele Publikation: Marineus Siculus’ zwei Versionen der De rebus Hispaniae memorabilibus Kommen wir damit zu den drei ausgewählten historiographischen Texten. Zunächst einmal fällt sofort ins Auge, dass es sich hinsichtlich der Entstehung der Übertragungen und sogar der Übersetzungsrichtung um zwei unterschiedliche Fälle handelt. Den sozusagen ›klassisch humanistischen‹ – ein Werk wird auf Latein verfasst und dann in die Volkssprache übersetzt –, treffen wir bei Aventins ›Verdeutschung‹ und bei Siculus’ paralleler spanisch-lateinischer Veröffentlichung von 1530 an. Im Falle Azuraras ist es genau umgekehrt: Die ursprünglich portugiesische Chronik wird in eine lateinische Version übertragen.28 Im übrigen handelt es sich auch bei den Ausgangstexten um drei Werke von deutlich unterschiedlicher Anlage: Während die Spanischen Denkwürdigkeiten (De rebus Hispaniae memorabilibus) des Siculus iberische Landesbeschreibung mit einer knappen Erwähnung der kastilischen und einer ausführlichen Darstellung der aragonesischen Geschichte kombinieren, beinhaltet die portugiesische Ceuta-Chronik die Schilderung eines einzelnen Ereignisses, nämlich die Eroberung der nordafrikanischen Stadt durch den portugiesischen König Johann I. im Jahr 1415 inklusive der diplomatischen Vor- und Nachgeschichte der Expedition. Johannes Aventin schließlich schildert in seinem Werk die Geschichte der Bayern seit der frühesten Vorzeit und verknüpft dies mit ausführlichen Beschreibungen des Landes, insbesondere mit Ausführungen zur Sitten- und Religionsgeschichte. Der Italiener Lucius Marineus Siculus29 vereinigt in den 25 Büchern des Erstdrucks der Spanischen Denkwürdigkeiten, die hier zuerst betrachtet werden sol_____________ 27 Vgl. Guthmüller, »Übersetzung« (1998), 9. 28 Vgl. zu dem Phänomen der Übersetzungen ins Lateinische ausführlich den Beitrag von Markus Völkel in diesem Band, außerdem Burke, »Translations into Latin« (2007). 29 Siculus wurde um die Mitte der 1440er Jahre in Vizzini auf Sizilien geboren, in der Regel wird als Geburtsjahr 1444 angenommen. Seine Ausbildung erhielt er zunächst an Schulen in Catania
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len, mehrere Texte ganz unterschiedlicher Art: Die ersten fünf Bücher enthalten eine Landesbeschreibung Spaniens, angefangen bei der geographischen Lage der Iberischen Halbinsel im äußersten Westen Europas, über den Reichtum von Flora und Fauna, die Benennung kirchlicher und weltlicher Würden und Ämter aller Art, bis hin zu einer sehr umfangreichen Heiligenliste.30 Die Bezeichnung Spanien benutzt Siculus dabei je nach Fall sowohl für die gesamte Hispania, also die Iberische Halbinsel, als auch etwas eingeschränkter für die Gesamtheit von Kastilien und Aragón – also das Herrschaftsgebiet der Katholischen Könige beziehungsweise Karls I.31 Nach diesem landesbeschreibenden Abschnitt folgt die chronologische Schilderung, die sich Portugal und Kastilien nur kurz (Bücher VI und VII), Aragón hingegen in zehn Büchern sehr ausführlich widmet. Den Anfang machen dabei die mythischen Könige der vor-phönizischen Zeit, die Siculus beim erfolgreichen humanistischen Fälscher Annius von Viterbo entlehnt, gefolgt von einem kürzeren Abschnitt zur römischen und einem etwas längeren zur gotischen Geschichte. Den Schluss der historischen Darstellung bildet die Geschichte der Katholischen Könige, die die Bücher XIX bis XXI umfasst und damit wiederum vergleichsweise ausführlich ausfällt. Am Ende des Gesamtwerks steht eine umfangreiche Personengalerie. Letztere fehlt ab der zweiten Ausgabe von 1533, so dass sich das Werk auf 22 Bücher verkürzt. Der noch unverkürzte Erstdruck erfolgte im Juli 1530 in Alcalá de Henares, und zwar für beide Sprachen bei dem Drucker Miguel de Eguía (vgl. für den Anfang des ersten Buches in beiden Sprachen die Abb. 1 und 2).32 Unklar ist, ob Siculus als alleiniger Urheber beider Versionen gelten kann. Wahrscheinlich ist, dass er das Werk in lateinischer Sprache verfasst und die Übersetzung zumindest _____________ und Palermo, später in Rom. Eine angeblich fünfjährige eigene Lehrtätigkeit in Palermo ist chronologisch nicht einfach in seinem Lebenslauf unterzubringen. Um 1483 lud ihn der kastilische almirante Fadrique Enríquez ein, mit ihm nach Spanien zu kommen. In Kastilien war Siculus zunächst für zwölf Jahre, von 1484 bis 1496, an der Universität Salamanca als Dozent tätig, und zwar auf einem Lehrstuhl für Poetik und Rhetorik, also humanistischen Kernfächern. Die universitäre Lehrtätigkeit beendete er Mitte der 1490er Jahre und ihm gelang der Eintritt in den Hof der Katholischen Könige. Dort war er ebenfalls als Lehrer tätig, zudem aber auch als Kaplan und als königlicher Chronist. Siculus verblieb am Hof oder in dessen Umfeld bis zu seinem Lebensende. Gestorben ist er spätestens 1536. Zu seiner Biographie vgl. Jiménez Calvente (1999) und (2001), 24–74; Rummel (1997), 701–704; Lynn (1937). Siculus gehörte somit zu einer Gruppe von Italienern, die um 1500 in ganz Europa an ausländischen Höfen als Historiographen engagiert wurden; vgl. zu diesem Phänomen Völkel (2002). 30 Vgl. Marineus Siculus, De rebus Hispaniae memorabilibus, fol. 1r–33r. 31 Zum kastilisch-aragonesischen Herrschaftsverbund gehörte seit 1512 außerdem Navarra. 32 Als Datum der Fertigstellung wird im lateinischsprachigen Druck »MENSE IVLIO. AN. M. D. XXX.« angegeben, im spanischsprachigen noch genauer »a catorze dias del mes de Julio. De mil y quinientos y treynta Años«; vgl. ebd., fol. 175v; ders., De las cosas memorables de España, fol. 253v. Miguel de Eguía besorgte auch die zweite Auflage von 1533. Für eine Druckbeschreibung sowie zum Verhältnis der Drucke von 1530 und 1533 untereinander vgl. Millares Carlo (1977), Nr. 158.
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Abb. 1: Buch I, Kapitel 1 und 2 aus Marineus Siculus, De rebus Hispaniae memorabilibus, fol. [A]r.
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Abb. 2: Buch I, Kapitel 1 und 2 aus Marineus Siculus, De las cosas memorables de España, fol. [a]r.
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überwacht hat.33 Eine Auseinandersetzung mit der Tätigkeit des Übersetzens fehlt dabei allerdings. Dass dies nicht aus Unkenntnis über die gängigen Überlegungen zur Übersetzung geschehen sein kann, zeigt sich dabei im vierten Buch, wo Siculus als Grund für korrumpierte Geschlechternamen die buchstabengetreue Übersetzung durch diejenigen anführt, die kein Latein beherrschen.34 Die parallele Edition führt auf den ersten Blick zu einer bemerkenswerten Übereinstimmung der beiden Ausgaben, was inhaltliche Anlage, Umfang, Aufteilung und Präsentation des Stoffes angeht: Es findet sich die gleiche Einteilung in Bücher und Kapitel in der weitgehend identischen Reihenfolge, die Widmungsempfänger der zwei aufeinander folgenden Widmungen sind in beiden Fällen Kaiser Karl V. und seine Frau Isabella. Sogar der vor Beginn von Buch I platzierte Hinweis darauf, dass die Erwähnung bestimmter Familien fehle, findet sich in beiden Versionen.35 Die Ähnlichkeiten setzen sich in der Darstellungsweise fort, so im für beide Ausgaben genutzten einspaltigen Druck, den Marginalien und dem identischen Typ der Initialen (vgl. Abb. 1 und 2). Dieser erste Eindruck nahezu vollständiger Übereinstimmung täuscht jedoch, tatsächlich existieren durchaus zahlreiche Abweichungen. Der auffälligste Unterschied zwischen beiden Ausgaben ist dabei zunächst nicht inhaltlicher Art, sondern graphischer: Die lateinische Ausgabe ist in Antiqua-Typen gesetzt, die volkssprachliche in einer Rotunda-Type. Weitere graphische Unterschiede finden sich beispielsweise in Buch IV, wo zwar in beiden Versionen der gleiche Stoff geboten wird – es handelt sich um eine Auflistung der Bistümer, Adelstitel und der jeweils zugehörigen Einnahmen. Die übersichtliche Einteilung in Kapitel des _____________ 33 Dafür spricht, dass in die De rebus einige frühere Arbeiten des Siculus eingegangen sind, die ihrerseits in lateinischer Sprache verfasst worden sind, so seine Landesbeschreibung De Hispaniae laudibus (Druck: Burgos: Fadrique de Basilea, ca. 1500 – das Publikationsjahr ist in der Forschung umstritten; an dieser Stelle soll der Auffassung von Martín Abad [2003], 72 gefolgt werden), die genealogische Darstellung der frühen aragonesischen Könige unter dem Titel De primis Aragoniae regibus libri quinque (Saragossa: Jorge Coci, 1509) sowie eine von Ferdinand II. in Auftrag gegebene Biographie von dessen Vater, Johann II. von Aragón, die zuvor nicht im Druck erschienen war. Hinsichtlich der Entstehungsgeschichte des Werkes danke ich darüber hinaus José María Maestre Maestre von der Universität Cádiz für den Hinweis, dass ein kürzlicher Handschriftenfund darauf hindeutet, dass die Vorlage für die De rebus bereits um 1510 weitgehend fertiggestellt war, es im folgenden also zu einer erheblichen Verzögerung des Druckes kam. Für detailliertere Angaben sowie die Interpretation dieses veränderten Befundes bleibt die in Cádiz zu diesem Thema geplante Veröffentlichung abzuwarten. 34 »Nam qui Latini non sunt, & barbare loquuntur, nomina corrumpunt, & literas por literis proferunt & commutant.« Marineus Siculus, De rebus Hispaniae memorabilibus, fol. 15r. Die Bemerkung fehlt bezeichnenderweise in der spanischen Version. 35 Es handelt sich um die Kapitel »Emendanda« und »De quibusdam populis praetermissis in opere« in der lateinischen sowie die Kapitel »Sepa el lector« und »De algunos pueblos que faltan en nuestra obra« in der spanischen Version; vgl. Marineus Siculus, De rebus Hispaniae memorabilibus (hier ohne Foliierung, ohne Drucklagenbeschreibungen) und ders., De las cosas memorables de España (hier ohne Foliierung, ohne Drucklagenbeschreibungen, aber erschließbar als fol. [?? vi]r).
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lateinischen Textes wird jedoch zugunsten einer Unterteilung in schlichte Absätze im spanischen aufgegeben.36 Untersucht man die inhaltlichen Divergenzen, so fällt im Bereich der Paratexte zunächst auf, dass einige kurze Lobgedichte, die den De rebus vorangestellt sind, in der spanischen Version durch ähnliche Texte anderer Autoren ersetzt wurden.37 Als eine erhebliche Veränderung ist ferner festzuhalten, dass sich anstelle des Registers der lateinischen Version unter dem Titel Index rerum in der spanischen ein nach Kapiteln gegliedertes Inhaltsverzeichnis findet. Die Unterschiede setzen sich im Text selbst fort – wobei insgesamt die getreue Wiedergabe überwiegt. Die Übereinstimmung ist dort besonders eindrücklich, wo Siculus im zweiten Prolog den Nutzen der lateinischsprachigen Historiographie lobt und sich das gleiche Lob der lateinischen Geschichtsschreibung auch in der spanischen Version findet.38 Da es hier nicht möglich ist, den vollständigen Text vergleichend zu analysieren, sollen an dieser Stelle sowohl die wortgenaue Wiedergabe, als auch eine ganze Reihe kleinerer Veränderungen des Inhalts anhand eines Ausschnitts aus Buch I, Kapitel 1, illustriert werden:39 _____________ 36 Auf ein solches Vorgehen, die lateinische und die volkssprachliche Version eines Textes optisch voneinander abzusetzen, trifft man auch bei den Texten anderer Humanisten, beispielsweise bei Sebastian Brants Narrenschiff in der deutschen und lateinischen Basler Ausgabe von 1496. 37 Es handelt sich in der lateinischen Version des Textes um Lobgedichte von Bartolomé Bustamante, Juan Oteo und Francisco Sánchez auf Siculus und sein Werk, die dem ersten Prolog vorangestellt sind. In der spanischen Version fehlen Texte dieser Autoren, stattdessen sind zwischen Prolog und Beginn des ersten Buches zwei Texte von Gaspar Jerónimo Valles und Diego Hernández de Herrera eingefügt. Dies fällt umso mehr auf, als die restlichen Beitexte, die Siculus’ Denkwürdigkeiten umrahmen, in beiden Versionen zu finden sind: Die beiden Prologe an Karl V. und Isabella, der aus drei Schreiben bestehende Briefwechsel zwischen Siculus und Baldassarre Castiglione, die oben genannten Hinweise an den Leser über fehlende Erwähnungen bestimmter Familien und Orte (vgl. Anm. 35) und schließlich im Anschluss an den Text Siculus’ der Brief eines Juan Garcés an Martín Laso de Oropesa sowie einer des Juan Calvo an Pedro Padilla. 38 Der entsprechende Ausschnitt des lateinischen Textes, der sehr deutlich an Ciceros De oratore angelehnt ist, lautet: »Preciosa res est igitur ac potius incomparabilis praeteritarum rerum, Latino praesertim exculta sermone, narratio, quam historiam vocamus, excellentissimi principes. Quae cum sit, vt praedicatur a multis, hominum vitae magistra, temporum testis, custos memoriae, nuncia veritatis, nimirum magnis principibus, & cunctis studiosis hominibus & oblectationis & vtilitatis honestae plurimum confert.« Die kastilische Übersetzung folgt dem sehr nah: »Asi que es cosa de gran precio y valor la historia de las cosas passadas especialmente esmaltada en lengua latina. La qual como sea por testimonio de muchos maestra de la vida humana / testigo de los tiempos passados / conseruadora de la memoria / mensajera de la verdad / por cierto da mucha causa de deleite y de honesta vtilidad a los grandes principes y señores / y generalmente a todos los hombres deseosos del saber.« Marineus Siculus, De rebus Hispaniae memorabilibus, fol. [? ii]v; ders., De las cosas memorables de España, fol. [? iii]r. 39 Die folgenden, kleinteiligen Analysen von Textpassagen auch im Hinblick auf zunächst rein sprachliche Veränderungen folgen der Annahme Stackelbergs, dass es von der kommentierenden Veränderung »der Orthographie und der Grammatik zum Sinn […] kein weiter Schritt« sei; Stackelberg (1972), IX.
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Liber I. De Hispaniae nominibus
De los nombres de España.
Hispania / sicuti Plinius aliique scriptores tradiderunt, regio prima in solis occasu Europae terminos claudit. Quam ab Hispali vrbe eius insigni dictam fuisse, plures affirmant. Alii vero ab Hispano Herculis nepote nominatam volunt. Eandem Graeci Latinique ab Ibero amne dixerunt Iberiam. Sunt & qui non Iberiam, sed Iberam vocauerunt: vnde Ibericum mare dictum fuisse contendunt. Caeterum scripserunt nonnulli ab Ibero, quem secundum Hispaniae regem post Tubalem fuisse dicunt, Iberum amnem, & Iberiam prouinciam fuisse nominatam. Quorum sententiam, cui nec repugnamus, nec assentimus, aliorum iudicio relinquimus. […]
Segun Plinio y otros autores escriuieron. España que es la primera region en el poniente / concluye y cierra los terminos de Europa. Muchos affirman que se llama España por Hispali que es vna ciudad señalada en el Andaluzia / la qual oy se dize Seuilla. Otros dizen que se llama España de Hispano nieto de Hercules. Los escriptores griegos y latinos la llaman Iberia /o Ibera por el rio Ebro que se llama en latin Ibero / y de aqui se dize Iberico el mar de España. Mas escriuieron algunos que el rio Ebro y la prouincia Iberia tomaron nombre de Ibero que dizen auer sido segundo Rey de España despues de Tubal. La sentencia de los quales ni la contradiziendo ni aprouando la dexamos a juyzio de otros. […] Llamase tambien Celtiberia de vnos pueblos de Francia que se dizen Celtas. Los quales antiguamente salieron de su tierra y llegaron al rio Ebro / y assi de su nombre y del nombre del rio pusieron nombre a la prouincia / y a los pueblos llamandolos Celtiberos / y a la prouincia Celtiberia y por esto dixo Lucano los Celtas desterrados de su antigua patria mezclaron su nombre con los Iberos.41
Caeltiberia insuper appellatur a Caeltis Galliae populis. Qui quondam de suis finibus egressi, quum ad Iberum amnem conscendissent, de suo & fluminis nomine Caeltiberiae prouinciae & Caeltiberis populis nomen dedere. Quapropter dixit Lucanus. Profugique a sede vetusta Gallorum Caeltae miscentes nomen Iberis.40
_____________ 40 »Buch I. || Von den Namen Hispaniens || Wie Plinius und andere Autoren überliefert haben, schließt Hispanien als erste Landschaft gegen den Sonnenuntergang die Grenze Europas ab. Viele versichern, dass es nach deren ausgezeichneter Stadt Hispalis benannt worden sei. Andere meinen hingegen, dass es nach Hispanus, dem Enkel Herkules’, benannt ist. Dieselbe [Region] nannten Griechen und Latiner nach dem Fluss Iberus ›Iberia‹. Es gibt auch diejenigen, die sie nicht ›Iberia‹, sondern ›Ibera‹ nannten: sie behaupten fest, dass daher das Meer ›iberisch‹ genannt worden sei. Außerdem schrieben einige, dass der Fluss Iberus und die Provinz Iberia nach Iberus benannt sind, von dem sie sagen, er sei der zweite König Hispaniens nach Tubal gewesen. Wir überlassen deren Ansicht, die wir weder zurückweisen noch der wir zustimmen, dem Urteil anderer. […] Keltiberien wird überdies nach den keltischen Völkern Galliens benannt. Einstmals aus ihren Gegenden ausgewandert, gaben diese, nachdem sie zum Fluss Iberus hinauf gestiegen waren, der Provinz Keltiberien und den keltiberischen Völkern aus ihrem und dem Namen des Flusses den Namen. Deswegen sagte Lukan: Die Kelten waren Flüchtlinge aus dem alten Sitz der Gallier und vermischten ihren Namen mit den Iberern.« Marineus Siculus, De rebus Hispaniae memorabilibus, fol. 1r.
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Betrachtet man zunächst die Übereinstimmungen, die man angesichts des parallelen Druckes überwiegend erwarten dürfte, so fallen wörtliche Übertragungen wie diejenige des Terminus Hispania ins Auge, der hier – wie auch sonst in diesem Werk – mit España wiedergegeben wird (unabhängig von der Frage, welches Territorium der Begriff im einzelnen bezeichnet, hier ist es die Iberische Halbinsel). Des Weiteren ist festzustellen, dass beispielsweise solis occasu korrekt mit poniente übertragen wurde. Noch augenfälliger ist die Übereinstimmung beim Verb affirmare in der lateinischen, beziehungsweise afirmar in der spanischen Passage, das in beiden in der 3. Person Plural Präsens aktiv verwendet wird (affirmant / affirman). Neben den vollständigen Übereinstimmungen dieser Art finden sich sinngemäße Übertragungen, die aber bereits nicht mehr als wortwörtliche Übersetzungen bezeichnet werden können. Dies ist dort der Fall, wo Siculus’ Text erläutert, dass eine Aussage von (nicht genannten) anderen Autoren stammt (scriptores tradiderunt vs. autores escriuieron; alii volunt vs. otros dizen). Hier wird zwar inhaltlich jeweils die gleiche Aussage transportiert, nämlich dass andere Autoren eine bestimmte abweichende Meinung äußerten. Grammatikalische Übereinstimmung herrscht insofern, als beide Versionen im ersten Fall eine Zeitform der Vergangenheit, im zweiten das Präsens nutzen. Nichtsdestoweniger hat an dieser Stelle im Detail bereits eine geringfügige Bedeutungsverschiebung stattgefunden, von »überliefern« zu »schreiben« im einen, von »meinen« zu »sagen« im anderen Fall. Wesentlich deutlicher wird diese semantische Veränderung allerdings dort, wo mit der Übersetzung auch veränderte Konzepte ins Spiel gebracht werden. Dies geschieht – in territorialer Hinsicht – wenn im lateinischen Text hier und stets von Gallia die Rede ist, und dieser Begriff im spanischen mit dem unklassischen Francia wiedergegeben wird.42 _____________ 41 »Von den Namen Spaniens. || Wie Plinius und andere Autoren geschrieben haben, vollendet Spanien, welches die erste Region im Westen ist, die Gebiete Europas und schließt sie ab. Viele versichern, dass [die Region] ›Spanien‹ nach Hispalis heißt, welche eine hervorragende Stadt in Andalusien ist, die heute Sevilla genannt wird. Andere sagen, dass sie nach Hispanus, dem Enkel Herkules’, ›Spanien‹ heißt. Die griechischen und lateinischen Schriftsteller nennen sie ›Iberia‹ oder ›Ibera‹ nach dem Fluss Ebro, der im Lateinischen Iberus genannt wird, und von daher nennt man das Meer Spaniens ›iberisch‹. Aber einige schrieben, dass der Fluss Ebro und die Provinz Iberien ihren Namen von Ibero erhalten haben, von dem sie sagen, er sei der zweite König Spaniens nach Tubal gewesen. Wir überlassen deren Meinung, ohne ihr zu widersprechen oder ihr zuzustimmen, dem Urteil anderer. […] Man nennt Keltiberien auch nach einigen Völkern Frankreichs, die sich Kelten nennen. Diese verließen einst ihr Land und gelangten an den Fluß Ebro, und so gaben sie aus ihrem Namen und dem Namen des Flusses der Provinz und den Völkern den Namen, indem sie sie Keltiberer nannten und die Provinz Keltiberien, und deshalb sagte Lukan, die Kelten, aus ihrer alten Heimat verbannt, vermischten ihren Namen mit demjenigen der Iberer.« Ders., De las cosas memorables de España, fol. 1r. 42 Gleichzeitig ist dies ein Beispiel für die von den Humanisten betriebene Aktualisierung des Altertums aus der Gegenwart – also einem der beiden zentralen Aspekte allelopoietischer Antiketransformation –, wenn das Königreich Frankreich mit dem antiken Gallien gleichgesetzt
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Neben Veränderungen des semantischen Gehalts trifft man bereits in diesem kurzen Abschnitt auf eine ganze Reihe deutlicher Veränderungen der sprachlichen Gestalt. Aus der schlichten lateinischen Phrase Hispania […] Europae terminos claudit macht die spanische Übersetzung das blumigere España […] concluye y cierra los terminos de Europa, gibt also das Prädikat mit einer Wortdoppelung wieder. Die Feststellungen, dass verschiedene Autoren die Herkunft des Begriffes Iberia mit dem Namen des Flusses Ebro (Ibero) erklären, andere hingegen gar nicht von Iberia, sondern von Ibera sprechen, werden im lateinischen Text in zwei kurzen, selbständigen Sätzen getroffen. Der spanische Text fasst diese beiden Informationen geschickt zusammen, indem er formuliert: la llaman Iberia / o Ibera. Weniger geschickt erscheint die Wiedergabe der Formulierung nec repugnamus, nec assentimus, mit dem Siculus seine Unentschiedenheit hinsichtlich der angebotenen Deutungen deutlich macht. Der Übersetzer greift hier auf eine umständliche Konstruktion mit zwei Gerundiumsformen zurück, was wenig elegant wirkt und den Satz verkompliziert: ni la contradiziendo ni aprouando. Schließlich geht am Ende der zitierten Passage die zeitliche Abfolge des lateinischen Satzes (Verlassen der Heimat, Überschreiten des Ebro), die die Gelegenheit der Namensgebung bietet, durch die Verknüpfung mit einem bloßen und (y) verloren, wodurch der Akt der Benennung erst mithilfe der zusätzlich eingefügten Konjunktion así sinnvoll an die Erzählung angeschlossen werden kann. Hier wie an anderen Stellen fällt zudem eine größere Redundanz der spanischen Textversion auf: Der spanische Text wiederholt die Aussage, dass die prouincia den Namen Celtiberia aus einer Mischung des Namens der eingewanderten Kelten mit demjenigen des Flusses Ebro erhalten habe (pusieron nombre a la prouincia […] y a la prouincia Celtiberia), während die lateinische Version hier mit einer einfachen Nennung dieses Umstandes auskommt (de suo & fluminis nomine Caeltiberiae prouinciae […] nomen dedere). Deutlicher noch wird diese Redundanz im Hinblick auf den Terminus Hispania / España: Während sich der lateinische Text mit einer zweifachen Nennung begnügt, begegnet España in der spanischen Version des hier betrachteten Ausschnitts gleich an fünf Stellen. Drei davon werden also im lateinischen Text nicht explizit erwähnt.43 Schließlich finden sich jedoch auch die Fälle, die nicht lediglich eine Veränderung der sprachlichen Form beinhalten, sondern in denen mit der Übersetzung vollständig abweichende Informationen in den Text einfließen. Im vorliegenden Abschnitt betrifft dies zwei Aussagen, zum einen die Erläuterung, dass es sich bei Hispalis um eine bekannte Stadt in Andalusien handele, die heutzutage Sevilla genannt werde. Der direkte, explizite Anschluss des antiken Ortes an die zeitge_____________ wird. Diese Ineinssetzung wird im vorliegenden Fall allerdings nur dann wirksam, wenn man beide Versionen nebeneinander legt. 43 Es sei der Deutlichkeit halber wiederholt, dass es sich bei diesem Fall um eine rein sprachliche Veränderung handelt, da auch der lateinische Text an den jeweiligen Stellen über die Hispania schreibt, ohne jedoch von ihr explizit zu sprechen.
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nössische Topographie fehlt im lateinischen Text. Zum anderen wird in der spanischen Version die für die etymologische Argumentation wichtige Information ergänzt, dass der Fluss Ebro in lateinischer Sprache Ibero genannt worden sei – eine Erweiterung der Aussage also, die überhaupt nur in der volkssprachlichen Version sinnvoll ist. Hinsichtlich der Bezeichnung von Institutionen, Titeln und ähnlichem wäre intuitiv die größte Möglichkeit einer Veränderung der Textaussage durch die Mittel der jeweils genutzten Sprache zu vermuten. Im Großen und Ganzen erfüllen die Versionen diese Vermutung jedoch nicht: dux wird mit duque wiedergegeben, comes mit conde, comestabuli bzw. bei Siculus stets comestabilis mit condestable und so fort.44 In Einzelfällen finden sich aber doch Abweichungen, etwa wenn es um den Almirante de Castilla geht: Im lateinischen Text wird der Titel als dux maris et dominus erläutert, was in der spanischen Übersetzung mit der genaueren Bezeichnung capitán y señor de la mar wiedergegeben wird.45 Die Bezeichnung des Almirante selbst findet sich übrigens in dieser Form bereits in der lateinischen Fassung. Hierbei handelt es sich vermutlich um eine Kontamination durch die Volkssprache. Ein weiteres Beispiel, das die Anpassung des historischen Inhalts an die Erfahrungswelt der spanischsprachigen Leser illustriert, bietet die Übersetzung einer Stelle zur römisch-hispanischen Gerichtsorganisation im gleichen Buch: Wo im lateinischen Text von iuridicus conventus, also von »Gerichtsbezirk«, die Rede ist, wird in der spanischen Version mit den Begriffen der audiencia und chancilleria nicht nur das Vokabular für die zeitgenössischen Appellationsgerichtshöfe Kastiliens verwendet und dementsprechend eine von der antiken Rechtssituation abweichende, ganz eigene Vorstellung aufgerufen, sondern es wird auch hier eine zusätzliche Erläuterung zur Funktion dieser antiken »Gerichtshöfe« eingefügt, die die Veränderung des semantischen Gehalts von conventus zu audiencia untermauert: hier seien die Streitsachen der gesamten Provinz verhandelt worden.46 Fasst man den Befund des Vergleichs zusammen, so ist trotz der zuletzt genannten Fälle insgesamt festzuhalten, dass die Abweichungen relativ gering sind, _____________ 44 Vgl. hierfür insbesondere Buch IV beider Versionen, so für dux (Marineus Siculus, De rebus Hispaniae memorabilibus, fol. 17v, 18v) und duque (ders., De las cosas memorables de España, fol. 24v, 25r/v), für comes und conde (lateinisch: fol. 18r/v; spanisch: fol. 25r/v) und für comestabilis und condestable (lateinisch: fol. 17v; spanisch: fol. 24r). 45 »Novimus et Almirantem Castellae, qui maris Hispani ius habet in navigantes et imperium. Ideoque dux maris et dominus intelligitur. Quae dignitas est Henricorum domus.« vs. »Conocimos tambien al Almirante de Castilla de la casa de los Enrriquez señor de la mar de España / que tiene jurisdiscion en los nauegantes / por lo qual se dize capitan y señor de la mar de España.« Ders., De rebus Hispaniae, fol. 17v und De las cosas memorables de España, fol. 24r. Klassisch wäre in diesem Fall statt dux maris im übrigen dux classis, vgl. Georges (1913), Sp. 2323. 46 Vgl. »quatuor iuridicos fuisse conuentus« vs. »quatro audiencias generales o chancillerias donde se determinauan las causas y los pleytos de toda aquella prouincia«; Marineus Siculus, De rebus Hispaniae memorabilibus, fol. 14v; ders., De las cosas memorables de España, fol. 20v.
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und zum Teil selbst da unterbleiben, wo es die Ausrichtung auf ein unterschiedliches Publikum erwarten lassen würde. Nichtsdestoweniger gibt es Abweichungen. Die Aktualisierung von Gallia durch Francia ist neben der Einfügung zusätzlichen Stoffes ein solcher Fall. Darüber hinaus finden sich Beispiele, in denen die Wortwahl der Übersetzung zu Abweichungen führt, wobei wie demonstriert in jedem Einzelfall geprüft werden muss, ob es sich hierbei tatsächlich auch um inhaltliche Verschiebungen handelt.
III. Überarbeitung statt Übersetzung: von der Crónica da Tomada de Ceuta zum De bello Septensi Das zweite Beispiel, anhand dessen die Frage nach inhaltlichen Veränderungen durch Übersetzungen untersucht werden soll, sind die beiden Schilderungen der Eroberung Ceutas durch Johann I. von Portugal 1415. Der siegreiche König verstarb 1433. Die Schilderung seines Sieges wurde erst nach weiteren 17 Jahren niedergeschrieben, und zwar durch Eanes Gomes de Azurara47 während der Regierungszeit von Johanns Enkel Alfons V. »o Africano«, der von 1438 bis 1481 Portugal regierte. Der Ausgangstext von 1450 ist – wie schon gesagt – auf Portugiesisch verfasst,48 bei der Überarbeitung handelt sich somit um eine Übertragung aus der Volkssprache ins Lateinische – ein Vorgang, der durchaus nicht unüblich war,49 auch wenn er angesichts der heftigen Auseinandersetzungen unter den Humanisten um die Legitimität von Übersetzungen aus dem Lateinischen vielleicht im ersten Moment ungewöhnlich erscheinen mag. Die Latinisierung der Ceuta-Chronik unter dem Titel Gesta illustrissimi regis Johannis de bello Septensi erfolgte durch Matteo de Pisano50 im Auftrag König Alfons’ V. Sie stellt den Fall einer Paraphrase, einer nur im weiteren Sinne inhaltlich-thematischen Anlehnung an das Original dar. Dies wird schon beim Blick auf _____________ 47 Azurara, geboren zwischen 1405 und 1420, war königlicher Bibliothekar, Archivar und Chronist unter Alfons V. von Portugal. Neben der Schilderung der Eroberung Ceutas verfasste er u. a. eine Crónica da Guiné zum Lob Heinrichs des Seefahrers. Für biographische Daten vgl. knapp Duchâteau (1980), Sp. 1318, sehr ausführlich Dias Dinis (1949), 1–112, außerdem die Einleitung der Edition von Reis Brasil (Eanes de Zurara, Crónica, 13 ff.), für einzelne Erwähnungen zur Guinea-Chronik und der Beschreibung der Entdeckerberichte zusätzlich Barradas de Carvalho (1984), 62 f., 67 f. Die Namensformen des Autors variieren in der Forschung, hier wird dem Gebrauch des Lexikons des Mittelalters gefolgt. 48 Vgl. für eine Beschreibung des Werkes Dias Dinis (1949), 122–128. 49 Vgl. hierzu Burke, Translations into Latin (2007) sowie den Beitrag von Völkel in diesem Band. 50 Vgl. zu diesem sowie zur Überlieferung der lateinischen Überarbeitung Costas Ramalho (1998), 15 f. und die Erwähnung bei Matos (1965), 46. Der Italiener Pisano war am portugiesischen Hof anfangs Lehrer des Prinzen Alfons und stand später als Sekretär in den Diensten dieses Königs; vgl. Pisano, Livro da guerra, xvii.
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den Umfang beider Texte deutlich: Azuraras Chronik ist in 105 Kapitel unterteilt, die in der modernen Edition von Reis Brasil 258 Druckseiten füllen,51 während der Druck des lateinischen Textes des Matteo de Pisano aus dem Jahr 1790 mit 50 Quartseiten auskommt, die dazu mit einem großzügigen Rand versehen sind.52 Gerade bei letzterem fällt auf, was Pisano in seinem Text alles nicht bietet: vor allem eine Vielzahl an Detailinformationen zu den Umständen der Expedition oder deren grundsätzliche Umorganisierung: Deutlich wird dies bei der Schilderung der Rückreise nach der erfolgreichen Eroberung der Stadt. Pisano genügt die pauschale Erwähnung, der König sei, nachdem er einen Statthalter für Ceuta eingesetzt habe, nach Algarbium zurückgereist. Azurara hingegen bleibt in der portugiesischen Vorlage hierbei nicht stehen, sondern schildert noch den Empfang des Expeditionsheers in Évora und nennt einige Teilnehmer der Unternehmung mit Namen, die bei der Überfahrt an der Pest gestorben sind.53 Die Pest bleibt bei _____________ 51 Vgl. Eanes de Zurara, Crónica, 37–295. 52 Vgl. Pisano, De bello Septensi. Daneben existiert eine portugiesische Übersetzung dieser lateinischen Version vom Beginn des 20. Jahrhunderts durch Roberto Corrêa Pinto: Pisano, Livro da guerra. An dieser Stelle ist es notwendig, die schwierige Überlieferungslage zu erwähnen: Während der portugiesische Text und mit ihm seine Edition auf eine Reihe zum größeren Teil zeitgenössischer Handschriften zurückgreifen kann, ist die Handschrift, die dem lateinischen Druck von 1790 zugrunde liegt, verschollen. Ein überliefertes Manuskript des lateinischen Textes war nach Costas Ramalho (1989/90) und Geraldes Freire (1989/90), 217, vermutlich nicht Grundlage der Edition. Insofern dürfte eine detaillierte sprachliche Analyse der Übersetzungstätigkeit des Pisano problematisch sein, da es nicht mehr genau nachzuvollziehen ist, inwieweit der Herausgeber des Druckes, José Corrêa da Serra, in den Text eingegriffen hat. Zu solcher Vorsicht mahnt auch eine Bemerkung des portugiesischen Übersetzers von 1915: »não faltan razões para me entrar do convencimento de que tal edição não saiu isenta de defeitos graves«; ebd., viii. Was sich aber meines Erachtens trotz dieser Ausgangssituation durchführen lässt, ist ein Vergleich der Darbietung des Stoffes und bestimmter literarischer Stilmittel sowie inhaltlicher Schwerpunkte; vgl. ähnlich auch Costas Ramalho (1998), 16. 53 »Antes que leve el-Rei à cidade de Évora, me parece que é bem que faça aqui menção de alguns fidalgos, que morreram de pestenença. E isto escrevemos, porque achamos que alguns homens, que escreveram algumas cousas, que viram deste feito, não declaravam a morte destes, senão que morreram em Ceuta, o que muitos simplesmente podiam entender que morreram na filhada da cidade. E, porque já especialmente falámos dos outros, diremos agora dos que morreram de pestenença falando somente daquelas pessoas de conta. E isto, depois que a frota partiu de Lisboa até que tornou ao Algarve e ainda no caminho, depois que partiu para Évora. Morreu, primeiramente, Gonçalo Eanes de Sousa e Dom João de Castro e Álvaro Nogueira e Álvaro de Aguiar e Vasco Martins do Carvalhal e Nuno da Cunha e Álvaro da Cunha e Álvaro de Pinhel e Antão da Cunha e Pêro Tavares e Do Pedro de Meneses.« Eanes de Zurara, Crónica, 289. Zu deutsch: »Bevor der König in Richtung der Stadt Évora aufbricht, erscheint es mir angebracht, wenn hier einige Adelige erwähnt werden, die an der Pest gestorben sind. Und das schreiben wir deshalb, weil wir finden, dass einige Männer, die von dieser Unternehmung zurückkamen und die darüber einige Dinge geschrieben hatten, nichts über deren Tod berichteten, außer dass sie in Ceuta gestorben waren, was viele leicht so verstehen konnten, als wären sie bei der Eroberung der Stadt gestorben. Und weil wir bereits von anderen gesondert gesprochen haben, werden wir nun von denjenigen sprechen, die an der Pest gestorben sind, und zwar vor allem von wichtigen Persönlichkeiten. Und zwar [für den Zeitraum], seit die Flotte Lissabon verließ und bis sie in die
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Pisano jedoch nicht unerwähnt, allerdings gibt er ihr einen bestimmten Ort im zeitlichen Ablauf der Ereignisse, was Azurara hier unterlässt: Die Seuche behinderte danach bereits die Vorbereitungen der Expedition und die Ausfahrt der Flotte: »classis, in qua pestis grassabatur«.54 Was Matteo de Pisano in seinem lateinischen Text ebenfalls weitgehend weglässt, sind viele der Verweise auf klassische Autoren und Ereignisse der antiken Geschichte in der Vorlage: So ermahnt Eanes de Azurara seine Leser im zweiten Kapitel zu einem gottesfürchtigen Lebenswandel und verweist als Gewährsmann auf Valerius Maximus, der dargelegt habe, dass die Herrschaft der Römer so lange andauern konnte, weil diese die Ehrfurcht vor ihren Göttern bewahrten und deren Willen gefolgt seien. Wenige Zeilen später führt er zur Rechtfertigung seines Berichtes an, dass die Belagerung und Eroberung der Maurenstadt durch Portugal eine noch hervorragendere Leistung gewesen sei, als die Belagerung Trojas oder die Eroberungen eines Scipio in Afrika.55 Beide Verweise fehlen in der lateinischen Version des Textes. Ähnliches lässt sich hinsichtlich der Charakterisierung des Königs und der Motive seines Handelns sagen. Beide Versionen des Textes erwähnen, dass Johann vor Beginn der Expedition gegen die Mauren – ursprünglich war eine Aktion gegen die Nasriden in Granada geplant – zunächst um einen Friedensschluss mit Kastilien bemüht war. Während der Text des Pisano als Motiv hierfür letztendlich eine strategische Begründung gibt, nämlich dass es klüger sei, vor Beginn einer neuen Unternehmung die Feindseligkeiten der Vergangenheit beizulegen,56 betont der portugiesische Text die grundsätzliche Friedensliebe des Königs, die selbst dann stets deutlich werde, wenn er gerade Krieg führe. Interessant ist die Bewertung dieser Haltung, die der Autor nicht in eigenem Namen vornimmt. Vielmehr führt er als Zeugen neben den »Doktoren der heiligen Kirche« ausdrücklich die stoischen und peripatetischen Philosophen an und »alle anderen Historiker, sowohl Griechen als auch Römer«,57 die eine solche Haltung immer sehr gelobt hätten. _____________
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Algarve zurückkehrte und noch auf dem Weg, nachdem man Richtung Évora aufgebrochen war. Es starb zuerst Gonçalo Eanes de Sousa und Dom João de Castro und Álvaro Nogueira und Álvaro de Aguiar und Vasco Martins do Carvalhal und Nuno da Cunha und Álvaro da Cunha und Álvaro de Pinhel und Antão da Cunha und Pêro Tavares und Do Pedro de Meneses.« Für die Passage der Rückkehr in der lateinischen Textversion vgl. Pisano, De bello Septensi, 57. Ebd., 39, vgl. zusätzlich 31, 38. Vgl. Eanes de Zurara, Crónica, 41 f. »Tamen antequam Septam animum injecisset, secum ipse cogitavit, bonum ac sanctum fuisse, pacem tractare cum Johanne Castellae secundo, qui per id tempus sub gubernatione Ferdinandi (quum admodum puer esset) patrui sui erat, & Granatensis belli partem sibi procurare«; Pisano, De bello Septensi, 8. »A qual cousa foi sempre muito louvada assim pelos doutores da Santa Igreia, como pelos filósofos estóicos e peripatéticos e por todos os outros autores historiais assim gregos como latinos. Os quais todos juntamente e cada um por si acordam esta ser a mais excelente virtude que se pode achar no principe« / »Dies wurde stets sehr gelobt, sowohl von den Doktoren der
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Auch der Abschluss beider Texte unterscheidet sich stark: Azurara wartet mit einer bemerkenswerten, multiplen Datumsangabe auf, die den Tag der Vollendung seiner Schrift nach den unterschiedlichsten Zeitrechnungen angibt, von der jüdischen Weltära als ältester bis zur muslimischen als jüngster.58 Eine solche Angabe fehlt bei Pisano komplett, der zu Beginn lediglich erwähnt, dass seit den geschilderten Ereignissen 45 Jahre vergangen seien. Die Geschichte endet bei ihm gleichsam mediis in rebus mit der Schilderung einer portugiesischen Gesandtschaft zum König von Aragón. Hingegen finden sich in der lateinischen Übertragung zwei Elemente, die in der Vorlage entweder gar nicht auftauchen oder weniger stark im Vordergrund stehen. Es sind dies zum einen die vielen wörtlichen Reden, mit denen Matteo de Pisano die Handlung seines Werkes auflockert.59 Zum anderen ist es die im Verhältnis zur stark geschrumpften Länge des Textes auffällig ausführliche Schilderung der diplomatischen Missionen nach Kastilien und Aragón, deren letzte das Werk mit einer einigermaßen irritierenden Begegnung mit dem 1415 eigentlich längst verstorbenen Avignon-Papst Clemens VII. abschließt.60 Um die Darstellungsunterschiede der Handlung in beiden Textversionen zu illustrieren, sei im Folgenden ein Ausschnitt der Chronik näher betrachtet, der genau nach dem Zeitpunkt ansetzt, in dem der portugiesische König die Entscheidung getroffen und verkündet hat, eine Gesandtschaft nach Kastilien zu senden, um dort einen Frieden auszuhandeln:
_____________ heiligen Kirche als auch von den stoischen und peripatetischen Philosophen sowie von allen anderen Historikern, den griechischen sowie den lateinischen. Diese alle zusammen und jeder einzelne für sich stimmten überein, dass dies die hervorragendste Tugend sei, die man bei einem Fürsten finden kann«; Eanes de Zurara, Crónica, 47. 58 »E foi acabada esta obra na cidade de Silves, que é no reino do Algarve, a vinte e cinco dias de Março, quando andava a era do mundo em cinco mil e duzentos e onze anos romãos. E a era do dilúvio em quatro mil e quinhentos e cinquenta e dous anos. E a era de Nabucodonosor em dous mil e cento e noventa e sete anos. E a era de Filipe o grão rei de Grécia em mil e setecentos e sessenta e três anos. E a era de Alexandre o grande rei de Macedónia em mil e setecentos e sessenta e um. E a era de César em mil e quatrocentos e oitenta e oito anos. E a era de Nosso Senhor Jesus Cristo em mil e quatrocentos e cinquenta anos. E a era de Acianos, o Egicião em mil e seis anos. E a era dos Aravigos em oitocentos e vinte e oito anos. E a era dos Persianos em oitocentos e dez e sete anos. E a era do primeiro Rei que foi em Portugal em trezentos e quarenta e oito anos. E o ano do reinado de el-Rei Dom Afonso o quinto em onze anos e duzentos e cinco dias mais.« Ebd., 295. 59 Vgl. – sowohl für längere Reden als auch für die vielen eingestreuten kurzen wörtlichen Passagen – Pisano, De bello Septensi, 8–16, 19–23, 25–36, 43–47, 49, 52, 55–57. 60 Vgl. ebd., 57. Tatsächlich starb Clemens VII. (Robert v. Genf) bereits am 16. September 1394. Die Ausgestaltung dieser ›makabren‹ Szene schreibt Corrêa Pinto der ungezügelten Phantasie des Poeten Pisano zu, das Auftreten des verstorbenen Gegenpapstes als solches aber bereits einem Irrtum Azuraras; vgl. Pisano, Livro da guerra, xiii–xv.
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E logo a cabo de tempo, el-Rei enviou seus embaixadores àqueles tutores de elRei com suas cartas de crença para acertarem com eles as pazes entre ambos os reinos assim e por aquela guisa que fosse achado por direito que se devia fazer. Os quais embaixadores eram João Gomes da Silva, alferes de el-Rei e rico homem e do seu conselho, e Martim Dosem, governador da casa do Infante Duarte, e o doutor Beliago adaião da Sé da Coimbra, todos três e cada um em seu estado eram notáveis pessoas e de grande autoridade.61
Perfecta Regis oratione, proceres eius sententiam collaudarunt. Rex antequam concilio egrederetur, delegit Oratores, Johannem Gomesium de Silva signiferum suum militem praestantissimum, Martinum de Sensu, & Ferdinandum Gundisalvi Velliaquam Decanum Colimbriae, alterum legum, & alterum Juris Canonici doctores. Isti, quae fidei suae credita fuerunt intelligentes, ad curiam Castellani Regis contenderunt, […].62
Der portugiesischen Passage geht die knappe Schilderung der seit der Schlacht von Aljubarrota 1385 eingetretenen dynastischen Veränderungen in Kastilien voraus, die einen Friedensschluss wahrscheinlich machen. Dem lateinischen Abschnitt ist eine Rede König Johanns in seinem Rat vorangestellt. Die unterschiedliche Anlage dieser Stelle – Bericht hier, Aktion dort – setzt sich in der zitierten Stelle fort: Im portugiesischen Originaltext wird lediglich berichtet, dass der König Gesandte geschickt und mit den entsprechenden Empfehlungsschreiben ausgestattet habe. In der rechten Spalte setzt sich hingegen die Situation der Rede fort: Der König wird gelobt und an Ort und Stelle werden die Gesandten beauftragt. Die spezifische Information zur Position des Martim Dossem wird jedoch ersetzt durch eine Bezeichnung des Doktor-Grades, der seinerseits in der Vorlage nur für den letztgenannten »Doutor Beliago« angegeben wurde. Bei dem letzten Halbsatz ist es eine Frage der Bewertung, ob nun mit der von Pisano gewählten Formulierung die Information des Ausgangstextes verloren geht, oder ob die Beschreibung der drei Gesandten als »hervorragende Personen von großer Autorität« in der Aussage, sie seien für vertrauenswürdig befunden worden, als enthal_____________ 61 »Und dann nach einiger Zeit schickte der König seine Gesandten, jene Vormünder des Königs, mit ihren Beglaubigungsschreiben, um mit diesen den Frieden zwischen beiden Reichen zu erreichen, [und zwar] so und auf diese Weise, wie es für recht befunden wurde, dass man es tun musste. Bei den besagten Gesandten handelte es sich um João Gomes da Silva, Fahnenträger des Königs und reicher Adliger und Mitglied des königlichen Rats, und um Martim Dossem, Vorsteher des Hauses des Infanten Duarte, und um den Doktor Beliago, Dekan der Kathedrale von Coimbra. Alle drei und jeder einzelne von ihnen auf seinem Gebiet waren angesehene Personen und von großer Autorität.« Eanes de Zurara, Crónica, 48 f. 62 »Als der König die Rede beendet hatte, lobten die Vornehmsten dessen Entscheidung sehr. Bevor der König den Rat verließ, beauftragte er als Gesandte João Gomes da Silva, seinen Fahnenträger und hervorragenden Kämpfer, Martim Dossem und Fernando Gonzalo Velázquez, Dekan von Coimbra, der eine Doktor des römischen, der andere des kanonischen Rechts. Diese eilten, erkennend, dass sie seines Vertrauens für würdig befunden wurden, an den Hof des kastilischen Königs«; Pisano, De bello Septensi, 9.
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ten gelten kann. In jedem Fall ist hier Vorsicht geboten, da es denkbar wäre, dass der vorliegende Text im Verlaufe des nicht klar nachzuvollziehenden Überlieferungsprozesses Bearbeitungen unterworfen worden ist, die ihn von Pisanos Übertragung unterscheiden. Fasst man das bislang Gesagte zusammen, kommt man zu folgendem Zwischenergebnis: Es handelt sich bei der Version des Pisano nicht um eine Übersetzung im eingangs zitierten engeren Sinne, sondern um eine freie Überarbeitung eines Stoffes, der in der Chronik des Azurara vorlag. Dafür spricht auch, dass der Portugiese von Matteo de Pisano in einem Einschub etwa bei der Hälfte des Textes als derjenige erwähnt wird, der die Ereignisse als erster niedergeschrieben habe, und zwar in der Volkssprache. Dessen Gelehrsamkeit steht für Pisano außer Frage, im Gegenteil erscheint es ihm eher so, dass es der Beweise für die Gelehrsamkeit bei Azurara zu viele gebe.63 Entsprechend bearbeitet er die Schilderung, wenn er die nach seiner Einschätzung hierfür überflüssigen Belege weglässt und sich auf das Wesentliche des Handlungsverlaufs konzentriert. Das Wesentliche – das sind für ihn zum einen die Ereignisse des Feldzuges selbst, zum anderen ihre Einbettung in die europäische Politik, die durch die Darstellung der diplomatischen Gesandtschaften deutlich gemacht wird, die den Feldzug vorbereiten und ihn abschließen. Schon zeitgenössisch und seitdem immer wieder ist betont worden, dass es der Zweck der Übertragung gewesen sei, die Taten der Portugiesen in Europa bekannter zu machen.64 Einer solchen Intention und dem damit anvisierten internationalen Publikum dürften viele der Veränderungen in der Darbietung des Stoffes geschuldet sein, so die Auslassung zahlreicher, nur für portugiesische Leser verständlicher Detailinformationen, oder die Beschränkung auf die für den europäischen, an politischer Geschichte interessierten Leser zentralen Handlungsstränge. Die Einfügung des antiken Stilmittels der direkten Rede, die ein Leser z. B. in Italien von der aktuellen historiographischen Produktion erwarten durfte, könnte ebenfalls einer im Vergleich zu Azuraras Chronik unterschiedlich erwarteten Leserschaft zu verdanken sein.
IV. Die Überarbeitung als radikale Komprimierung des Originals: Aventins Bayrischer Chronicon […] kurtzer Auszug Verlässt man die Romania und bewegt sich in den deutschsprachigen Raum,65 so bieten sich als drittes Beispiel für einen Vergleich die unterschiedlichen Versio_____________ 63 Vgl. ebd., 26 f. 64 Vgl. ebd., 3 Anm. (a), 5; Pisano, Livro da guerra, x, xv. 65 Zu spätmittelalterlicher, lateinischer und deutschsprachiger Historiographie in ihrem Verhältnis zu einander, insbesondere auch zu den Gründen für die Wahl der einen oder anderen Sprache, vgl. Sprandel (1993) sowie die im gleichen Band zusammengetragenen Fallbeispiele.
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nen von Johannes Aventins Bayerngeschichte an. Aventin wurde zu Beginn des Jahres 1517 das für ihn geschaffene Amt eines bayerischen Hofhistoriographen verliehen.66 Nachdem er zunächst eine Reihe kleinerer, lokaler Chroniken zu einzelnen Städten und Klöstern verfasst hatte, erarbeitete er in dieser Position in der Zeit zwischen 1519 und 1521 die umfangreichen, im postumen Erstdruck aus sieben ausführlichen Büchern bestehenden lateinischsprachigen Annalen.67 Den Auftrag, dieses Werk zu verdeutschen, erhielt der Autor 1526. Die Arbeit hieran hatte er zwar bereits zuvor begonnen, beendete sie allerdings erst 1533 – sie beschäftigte ihn somit bis kurz vor seinem Tod. Noch vor dem offiziellen Mandat, eine volkssprachliche Version zu erstellen,68 hatte er in Nürnberg die Publikation einer deutschsprachigen Kurzversion seines Werkes veranlasst, die als Bayrischer Chronicon […] kurtzer Auszug 1522 von Friedrich Peypus gedruckt wurde.69 Zwei miteinander eng zusammenhängende Aspekte fallen bei einer ersten, vergleichenden Betrachtung des Auszugs und der lateinischen Annalen unmittelbar ins Auge: Es handelt sich zum einem um die fundamental unterschiedliche Anlage der beiden Texte, zum anderen um den Umstand, dass hier die Übertragung deutlich vor der Publikation des lateinischen Ausgangstextes gedruckt wurde. Die Stellung dieses deutschsprachigen Exzerpts zwischen lateinischem Original und der vollständigen volksprachlichen Überarbeitung beschreibt der Autor selbst in seiner Vorrede an die bayerischen Herzöge Wilhelm IV., Ludwig X. und Ernst, den Schüler Aventins, mit folgenden Worten: _____________ 66 Zu Biographie und Werk des Johannes Aventin, alias Johannes Tur(n)mair (1477–1534), vgl. mit ausführlicher Literatur März (2005), Sp. 72–77, zur Bayerngeschichte ebd., Sp. 81–88, sowie Goerlitz (1999), 41 f. und dort ebenfalls mit weiteren Angaben zur umfangreichen Aventin-Literatur sowie den Editionen des 19. Jahrhunderts. Umfassend zu Aventin als Historiograph ist außerdem Doronin (2007), zwar auf Russisch, aber mit deutscher Zusammenfassung 252– 255. 67 Vgl. März (2005), 75 ff.; für den Ingolstädter Erstdruck Aventin, Annalium Boiorum (1554); und für die Druckbeschreibung VD 16 T 2318. Eine Edition erfolgte Ende des 19. Jahrhunderts in den ›gesammelten Werken‹ Aventins; vgl. Aventin, Annales ducum Boiariae. Da für die Argumentation in diesem Aufsatz auch die graphische Gestaltung der Drucke bedeutsam ist, werden hier neben der auf den Handschriften beruhenden Edition auch die lateinischen Drucke von 1554 und 1710 genutzt und für die deutschsprachige Version insgesamt der Druck der Edition vorgezogen (vgl. Anm. 69). 68 Auch die ausführliche Bayerische Chronik stellte weniger eine direkte Übersetzung der lateinischsprachigen Annalen als vielmehr eine Überarbeitung dar; vgl. Goerlitz (1999), 42 Anm. 10; für einen Vergleich ausgewählter Passagen vgl. ebd., 42–49. Aufschlussreich ist Goerlitz’ Charakterisierung des »Übersetzers« Aventin, der bestrebt sei, »die Eigenarten der Volkssprache zur Geltung zu bringen« (44). Für einige zentrale Unterschiede zwischen den beiden »Vollversionen«, die aus der Nutzung unterschiedlicher Sprachen resultieren, vgl. Strauss (1963), 107, 110–112, 114; einführend für die deutschsprachige Chronik außerdem Müller (1997). 69 Aventin, Bayrischer Chronicon. Für die Druckbeschreibung vgl. VD 16 T 2322, für die Edition Aventin, Kleinere Schriften, 107–170. Dieser Ausgabe ging ein knapper deutschsprachiger Ausblick auf sein historiographisches Vorhaben unter dem Titel Bayrisch Cronick wiederum um drei Jahre voraus; vgl. März (2005), Sp. 81 f.
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Auf E. F. G. befelch vnd darlegen hab ich die Chronica mit grosser muhe vnd schwerer arbeyt nit on leibs vnd gemůts krefften verschwentung Im latein nun verfertigt vnd dysen außzug E. F. G. zů Er wolfart gnedigem gefallen auch gemainer Landtschafft zu lob vnd nutz in teutsch durch den druck auß lassen geen Dar in auff das aller kurtzest angezaygt was in dem gantzen werck nachder leng mit vil vnd merern grundtlichen anzaigen als dann die gelegnheyt vnd gestalt der sachen eraischt außgestrichen wirdet.70
Aventin veröffentlichte also eine Vorschau auf die vollständigen Versionen des noch zu druckenden lateinischen und zu erarbeitenden volkssprachlichen Textes – eine Vorschau für die finanzierenden Fürsten, von der aber auch die interessierte »Landtschafft« insgesamt profitieren könne, die aus der Kenntnis der Vergangenheit zuverlässiger noch als aus »dem gestirn oder Stern«71 den zukünftigen Geschichtsverlauf erkennen könne, wie Aventin an gleicher Stelle betont. Der deutschsprachige Druck aus Nürnberg stellt mithin nicht eine Übersetzung der umfangreichen Annalen dar, sondern vielmehr ein kurzes Exzerpt mit vermutlich deutlichem Werbecharakter. Aventin musste seinen historischen Stoff hierfür nicht nur in einer anderen Sprache präsentieren, sondern ganz grundsätzlich anders organisieren. Im Gegensatz zu den zuvor analysierten Texten von Siculus und Azurara/Pisano musste – oder konnte – Aventin hingegen für diese Publikation keine direkte Übersetzung vornehmen. Das Problem, die sieben umfangreichen libri der lateinischen Annalen zu einem knappen Büchlein zusammenzufassen, löst Aventin auf zunächst überraschende, dann aber sehr einleuchtende Weise: Den Inhalt der Annalen schildert er im Auszug Buch für Buch zunächst übersichtsartig auf jeweils einer Seite.72 Darauf folgen auf je mehreren Seiten Stammtafeln, die den (dynastischen) Inhalt der einzelnen Bücher illustrieren und die zum Teil mit weiteren Erläuterungen versehen sind (vgl. Abb. 3). Dies beginnt mit den »Teutschen vnd Bairischen Kunig nach der sindfluß vnd vor der zerst=rung des kunigreychs Troya« für Buch I und endet mit demjenigen der »Herren von Abensperg vnd Ramdeck«73 für Buch VII. Im Anschluss hieran druckt Aventin noch sieben Briefe aus dem neunten bis zwölften Jahrhundert – zum Teil mit Erläuterungen – ab, mit denen er einen bayerischen Anspruch auf Territorien in den Alpenländern untermauern will. Die _____________ 70 Aventin, Bayrischer Chronicon, fol. [A ii]r. 71 Ebd. Die Publikation des Nürnberger Drucks fiel außerdem just in die Zeit, als Aventin vor dem sich verschärfenden Religionskonflikt in die Reichsstadt Regensburg auswich; vgl. März (2005), Sp. 76. 72 Die Länge des Überblicks nimmt im Verlauf der Darstellung beständig ab, um erst für das siebte Buch wieder eine volle Seite einzunehmen; vgl. Aventin, Bayrischer Chronicon, fol. [A iii]r, [A v]v, [B iii]v, [B v]v, [C]v, [C iii]v, [C vi]v. Für eine knappe Zusammenfassung des von Aventin hier vorgestellten Stoffs vgl. Strauss (1963), 102–106. 73 Aventin, Bayrischer Chronicon, fol. [A iii]v, [F vi]r. Mit 18 unterschiedlichen Stammbäumen nimmt das letzte Buch den größten Raum ein.
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Abb. 3: Stammtafeln zum ersten Buch des Chronikauszugs. Aventin, Bayrischer Chronicon, fol. [A iii]v.
Briefe stammen von Ludwig dem Deutschen, dem bayerischen König Karlmann und Friedrich Barbarossa. Sie werden inklusive der Herrschermonogramme dargeboten, die Aventin »Handtzaichen«74 nennt. Die ausführliche Wiedergabe der _____________ 74 Vgl. ebd., fol. [G ii]r–[G iii]v, [G iv]v f. Die »Handtzaichen« – lateinisch Signum und bis auf eine Ausnahme mit graphischen Abweichungen – sind gemäß der Edition auch in den Handschriften der Annalen enthalten; vgl. ders., Annales ducum Boiariae, Bd. 1, 428, 521; Bd. 2,
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Briefe wirkt angesichts des ansonsten betont gedrängten Stils wie ein Fremdkörper, mag aber neben der territorialen Funktion der Ausdruck eines gewissen Entdeckerstolzes im Sinne der humanistischen »Handschriftenjäger« sein.75 Das genaue Erscheinungsbild dieser reduzierten, übertragenen Version der Annalen sei an einem Beispiel aus dem ersten Buch illustriert, und zwar an Aventins Ausführungen zu den mythischen Ursprüngen der bayerischen und deutschen Könige. In der einseitigen Kapitelübersicht zum ersten Buch, die der Autor den Stammbäumen voranstellt, findet sich der Eintrag: Zum Funfften. Von dem anfang vnd warem herkommen der Bayrn jrem rechten vaterlande vnnd wonung wo dye gewesen vnd wie dye genanndt seindt. Darneben auch auff das aller kůrtzest von der beschaffung der welt von der syndfluß von dem Noe vnd anfang der teůtschen vnd bairischen kůnig biß auff der stat troie zerst=rung.76
Auf den letzten Satz nimmt dann der im Druck auf der nächsten Seite folgende, hier auf der gegenüberliegenden Seite abgebildete Stammbaum der Könige zwischen Sintflut und der Zerstörung Trojas Bezug. Als Stammvater wird Tuisco, bzw. verdeutscht Tuitsch, genannt. Dem Medaillon, das als Informationen lediglich diese Namen enthält, ist ein erläuternder Text beigestellt, in dem die Rolle des Tuisco als Urvater aller bayerischen und deutschen Könige erläutert wird: Er sei aus Armenien nach Deutschland gezogen.77 Mit diesen beiden knapp gehaltenen Informationen präsentiert Aventin den Inhalt unterschiedlicher Abschnitte der Annalen, unter anderem den in den verschiedenen lateinischen Drucken jeweils mehrere Seiten umfassenden Bericht zur Herrschaft des Tuisco.78 Es wird damit _____________ 75
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216. Sie werden mit letzteren fast identisch zusätzlich im Druck der lateinischsprachigen Annalen wiedergegeben, vgl. ders., Annalium Boiorum (1554), 316, 382, 635. Dafür spricht etwa Aventins Erläuterung zu einem Brief Friedrich Barbarossas: »Nach geschriben brief hab ich zu Lantzhut gefunden welcher auch zu nidern Altach behalten wirdt damit er leychter zu versten sey hat mich fur not angesehen die sach vor ein wenig zu erleutern.« Aventin, Bayrischer Chronicon, fol. [G iiii]r. Ebd., fol. [A iii]r. Vgl. ebd., fol. [A iii]v: »Tuisco oder Tuitsch der erst Vater vnd Künig der Teutschen ist mit 20. Fursten auß Armenia in Teutsche land gezogen / nach der sindfluß .131 jar. in welcher zeit seindt in Babilonia Künig Nemroth / Belus vnd Ninus gewesen.« Vgl. hierzu den lateinischen Text: »Ab orbe restituto anno centesimo tricesimo primo Nymbrothus regnum Babyloniorum, quod et Assyriorum, condidit. cuius primordio Tuisco gigas, pater Germanorum et Sarmatarum, cum viginti ducibus, Sami fratris sui nepotibus, ex Armenia venit in Europam; amnem Tanaimque transgressus ibidem consedit. conterminam regionem ultra Tanaim orientem versus eiusdem frater Scytha priscus tenuit.« Ders., Annales ducum Boiariae, Bd. I, 49; für diese Stelle im Erstdruck vgl. ders., Annalium Boiorum (1554), 36. Es handelt sich um die Abschnitte »Post diluuium Noah vrbem Sagalbinam condidit, & Armenia oppleta hominibus, […] Orbem terrarum diuidit, posteros Tuisconis adoptat, & huic terras intra Rhenum & Tanaim sitas, quae ab Autoribus nomine Germaniae notantur, assignat« (Buch I, Kap. 3, Abschnitt 7 und 8 in der Ausgabe von 1790 – Kapitelangaben fehlen in den früheren Drucken) und das Kapitel »De Tuiscone primo Germanorum Rege« (Kap. V); vgl. ders., Annalium Boiorum (1710), 8 f., 11–16 (diese Ausgabe ist unter im Internet zugänglich [zuletzt gese-
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bereits ein Befund deutlich, der sich auch an anderen Stellen bestätigt: Für die Zusammenfassung folgt der Autor und Übersetzer nicht streng der Gliederung seines Ausgangstextes, vielmehr fasst er für die Verknappung Abschnitte im Einzelfall so zusammen, wie es ihm inhaltlich sinnvoll erscheint. Diese Umstellung des Stoffes unterstreicht gemeinsam mit der stark an graphischen Elementen orientierten Darstellungsweise sowie den vereinzelt eingestreuten Verweisen auf eigene Fundleistungen Aventins den Eindruck einer werbenden Schrift, deren Zweck es war, die Publikation der ausführlichen Annalen in lateinischer Sprache vorzubereiten und die Finanzierung ihrer Übersetzung zu sichern, oder mit anderen Worten: Aventin die Gunst seiner herzoglichen Mäzene zu erhalten. Der werbende Charakter des Drucks wird zusätzlich unterstrichen, wenn Aventin – wie für das dritte Buch – seinen Inhaltsüberblick mit den Worten abschließt: »das alles / vnnd vil ander mer nutzlich vnd kurtzweilig zw lesen / wirde In dem dritten Puech der Bairischen Chronickon nach der leng erzelt.«79 Für den Erfolg, den Aventins kurzer Text hatte, spricht im Übrigen, dass selbst diese ›Werbebroschüre‹ offensichtlich rezipiert und als Informationsquelle verwendet wurde (vgl. für das Folgende Abb. 4 und 5).80 So weist das hier genutzte Exemplar der Bibliotheca Palatina,81 das sich laut der handschriftlichen Angabe auf dem Titelblatt 1530 im Besitz des Lindauer Arztes und Humanisten Achilles Pirmin Gasser befand, deutliche Nutzungsspuren auf: Eine ganze Reihe der Stammbäume wurde mit ausführlichen Anmerkungen und Erläuterungen versehen und mit zusätzlichen Namen ergänzt, so bei den altbayerischen Königen vor Karl dem Großen, den Grafen von Altdorf und Amberg »So man nendt die welphen«82 oder bei den Wittelsbachern, um nur diejenigen mit den meisten Hinzufügungen zu nennen.83 Die Funktion, die dem Büchlein zugedacht war, hat – so das Fazit – den entscheidenden Einfluss nicht nur auf die Auswahl des übersetzten Textes bzw. der Ankündigungen der behandelten Themen im Stile eines _____________
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hen: 25. April 2008]); außerdem ders., Annalium Boiorum (1554), 33, 36, 38–41 (ohne gesonderte Überschriften). Für die entsprechenden Stellen in der Edition vgl. ders., Annales ducum Boiariae, Bd. I, 44 f., 49–56. Ders., Bayrischer Chronicon, fol. [B iii]v. So auch Strauss (1963), 106: »For readers across the land, the tables of descent held much fascinating information on points of regional and local interest.« Signatur: II.229 (3) (lat. 2268 bis c). Aventin, Bayrischer Chronicon, fol. [C iv]r. Vgl. ebd., fol. [B iv]v f., [C iv]r, [D]v f. Die Reichweite dieser Rezeption auf die weitere bayerische Landesgeschichtsschreibung dürfte allerdings schwer zu bestimmen sein und sollte – insbesondere in Abgrenzung gerade zur späteren ausführlichen Übertragung von Aventins Werk ins Deutsche – wohl nicht überschätzt werden. Diese letztgenannte Übersetzung, 1566 erstmals in Druck gegangen, enthält den vollständigen, wenn auch deutlich überarbeiteten Inhalt der lateinischen Annalen und erweitert ihn dabei zusätzlich um eine weltgeschichtliche Perspektive. Christoph März hat dies als den Versuch bezeichnet, »bayerische Geschichte als Weltgeschichte zu schreiben«; März (2005), Sp. 86.
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Abb. 4: Stammtafeln mit handschriftlichen Anmerkungen aus dem dritten Buch des Chronikauszugs. Aventin, Bayrischer Chronicon, fol. [B iv]v (obere Hälfte des Stammbaums).
Inhaltsverzeichnisses, sondern auch auf die graphische Gestaltung ausgeübt.84 Ein unterschiedliches Publikum, wie es Uta Goerlitz für die Unterschiede der ausführlichen Versionen des Textes ermitteln konnte,85 scheint an dieser Stelle hingegen
_____________ 84 In den lateinischen Handschriften sind die Stammtafeln nach der Edition nicht enthalten, ebenso wenig wie in den Drucken von 1554 und 1710. Eine gewisse Ausnahme bildet lediglich eine Auflistung der jüdischen Könige nach David und der Vorfahren Christi; vgl. Aventin, Annalium Boiorum (1554), 125 f. und ders., Annales ducum Boiariae, Bd. I, 166–168. Die Handschriften enthalten darüber hinaus bisweilen kleinere Stammtafeln in den Randnotizen, die aber in Umfang und Ausführlichkeit mit dem Chronicon nicht zu vergleichen sind; vgl. ebd., Bd. II, 59, 165, 525, 531. Hingegen fanden die Stammtafeln offensichtlich Eingang in der deutschsprachigen Bayerischen Chronik von 1566; vgl. hierzu den Hinweis in ders., Kleinere Schriften, 107. 85 Vgl. Goerlitz (1999), 49, 54.
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Abb. 5: Stammtafeln mit handschriftlichen Anmerkungen aus dem sechsten Buch des Chronikauszugs. Aventin, Bayrischer Chronicon, fol. [C iv]r.
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nicht den Ausschlag gegeben zu haben, werden doch mit dem Druck gleichzeitig verschiedenen Zielgruppen angesprochen, neben den Landesherren auch die »gemaine […] Landtschafft«.86
V. Resümee Die historischen Erscheinungsformen von Übersetzung weichen zum Teil erheblich von dem ab, was man im engeren Sinne als eine solche gelten lassen würde, nämlich die Überführung eines verschriftlichten Textes von einer natürlichen in eine andere natürliche Sprache. Neben dieser Art der Übersetzung, wie sie auch den theoretisch reflektierenden Praktikern wie Cicero oder Bruni vorschwebte, steht der gesamte Bereich dessen, was als »Formen nachbildender Wiedergabe«87 gefasst werden kann. Ein Großteil historischer Übersetzungspraxis bestand tatsächlich eher aus einer paraphrasierenden Überarbeitung des Stoffes in einer anderen Sprache. Während hier in vielen Fällen nur mit großer Mühe von Texttreue geredet werden kann, steht dem das andere Extrem der wortgetreuen Übertragung gegenüber. Diese Form wurde jedoch bereits von Cicero abgelehnt. Als Vorstellung einer idealen Übersetzung wird von ihm erstmals die freie und in der Renaissance dann die kunstgerechte Übersetzung propagiert. Im Spannungsraum dieser Ansprüche und der Möglichkeiten der Praxis bewegten sich die drei Beispiele, die oben untersucht wurden: Von der treuen Übersetzung des Siculus-Textes, die sich äußerst nah an ihre Vorlage anlehnte, über die in hohem Maße paraphrasierende Überarbeitung, die Matteo de Pisano Azuraras Ceuta-Chronik angedeihen ließ, bis hin zu jener kaum noch mit dem Original verwandten Form der Überarbeitung, welche die radikale Verkürzung des Bayrischen Chronicons im Hinblick auf das umfangreiche Original der Annalium Boiorum bedeutete. Die inhaltlichen Veränderungen, die mit den Übertragungen oder Überarbeitungen einhergehen, besitzen demgemäß höchst unterschiedlichen Charakter. Bei den Spanischen Denkwürdigkeiten des Siculus sind vor allem Veränderungen im Detail feststellbar. Dies gilt zum Beispiel dort, wo in der spanischen Übersetzung zusätzliche Informationen bereitgestellt werden müssen, damit eine etymologische Argumentation verständlich bleibt. Einen interessanten Fall der Aktualisierung stellt die konsequente Übersetzung von Gallia mit Francia dar, impliziert doch Francia eine andere räumliche Vorstellung als das römische Gallien. Schließlich bietet die spanische Version von Siculus’ De rebus bisweilen zusätzliche Informationen, die den Text möglicherweise für spanischsprachige Leser attraktiver machten, indem sie eine Anknüpfung historischer Toponyme an die Realitäten der Zeitgenossen ermöglichten (Hispalis – Sevilla), und damit die Verankerung der Vergangenheit in der Gegenwart. _____________ 86 Vgl. Aventin, Bayrischer Chronicon, fol. [A ii]r. 87 Stackelberg (1972), 2.
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Dennoch – Annahmen über die Motive solcher Veränderungen bleiben schwierig, gerade weil es sich stets nur um Details handelt, die zwar in ihrer Häufigkeit und Wiederholung auffällig werden, aber im Einzelfall kaum Anhaltspunkte für das warum der Eingriffe liefern. Einfacher erscheint dies im zweiten Beispiel, weil hier die Massivität der Veränderung größeren Raum für derlei Hypothesen eröffnet. Matteo de Pisano verändert den Text des Gomes Eanes de Azurara in mehrfacher Hinsicht: Er strafft den Stoff und lässt dabei insbesondere solche Details aus, die den Fortgang der Handlung aufhalten und lediglich für portugiesische Leser von Interesse sein können.88 Sein Anliegen ist die Verkündung des Erobererruhms des portugiesischen Königs. Geschildert wird daher die erfolgreiche militärische Expedition sowie das diplomatische Geschick des Monarchen – auf diese Weise kann Portugal als eine wichtige unter den europäischen nationes verankert werden. Pisano verleiht darüber hinaus der eher traditionellen Mustern verhaftet wirkenden Chronik Azuraras den humanistischen Glanz, indem beispielsweise in antikisierender Manier Reden in die Darstellung eingeflochten werden. Somit handelt es sich auch um eine Art der Nobilitierung des portugiesischen Textes. Demonstrationen von Gelehrsamkeit, die dem Überarbeiter als überflüssig erscheinen, werden hingegen getilgt. Die Leseerwartungen eines anderen, von ihm antizipierten Publikums scheinen dem ›Übersetzer‹ die Feder geführt zu haben. Schließlich bildet der deutschsprachige Auszug aus Aventins Annalen die radikalste Version einer nachbildenden Wiedergabe. Bei diesem Text dürfte es allerdings weniger die differierende Leserschaft, als ein unterschiedlicher Zweck des Büchleins gewesen sein, der die vorliegende Form und den Inhalt bestimmte: Noch bevor die lateinische Vorlage gedruckt war, erarbeitete Aventin den Auszug,89 um damit für seinen längeren Text zu werben. Der Werbecharakter erklärt die Auswahl des Stoffs, die Art der Darbietung sowie die Beigaben in Form einiger ausgewählter Briefe. Zentrales Kriterium bei der Auswahl des Stoffes dürfte jedoch die Notwendigkeit der knappen Darstellung dessen, was im Original viele Dutzend Folioseiten einnahm, gewesen sein. Bei der Übertragung von Texten aus einer Sprache in eine andere finden sich also grundsätzlich drei Ursachenkomplexe, die zu einer inhaltlichen Veränderung, und somit zu einer Transformation des Stoffes führen können: Der erste liegt in _____________ 88 Dabei handelte es sich in diesem Fall noch insofern um eine unproblematische Übersetzung, als der Übersetzer keine Rücksicht auf potentielle Empfindlichkeiten seines internationalen – d. h. europäisch-christlichen – Publikums nehmen musste und sich letzteres durch Inhalt und Darstellungsweise nicht direkt angegriffen fühlen konnte. Ein Beispiel für eine deutlich heiklere Situation schildert Vermeer im Hinblick auf die Übersetzung einer tschechischen Reimchronik ins Deutsche: »Wo politische Ereignisse ins Spiel kommen, gibt es in der Reimfassung Anpassungen an Auffassungen der Zielkultur, wenn z. B. deutschenfeindliche Auslassungen getilgt oder geändert werden.« Vermeer (2000), 452. 89 März (2005), Sp. 82. Dass er die Drucklegung seines Hauptwerkes nicht mehr erleben würde, war für den Autor zu diesem Zeitpunkt ja noch nicht absehbar.
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den beteiligten Sprachen begründet, die es in bestimmten Fällen nicht erlauben, etwas haargenau gleich darzustellen. Palencia nannte dies wie eingangs zitiert den Verlust der »verdadera significaçion«. Ein weiterer Aspekt dieser sprachlichen Ursachen besteht darin, dass auch Begriffe, für die es genaue Entsprechungen gibt, je anders verstanden werden können. Die zweite Hauptursache ist in der Funktion der Texte zu suchen, die je nach sprachlicher Version sehr verschieden sein kann. Sie tritt in Aventins Werbebüchlein besonders deutlich zu Tage. Schließlich hängt mit der Funktion häufig – wenn auch nicht immer – als dritte Ursache das angenommene Zielpublikum zusammen. Beide Aspekte, Funktion und Publikum, können sogar eng miteinander verknüpft sein, ja, sich gegenseitig bedingen: die historiographische Schilderung eines Ereignisses wie der Einnahme Ceutas für den europäischen Markt zielt auf ein internationales Publikum: Nur im Hinblick auf diese Leserschaft erscheint der Zweck, für das Königreich Portugal und seine Herrscher zu werben, plausibel. Dieses Ziel bestimmt aber seinerseits die Bedingungen der Transformation des Textes, die in der Übertragung aus einer natürlichen Sprache in die andere nur ihre sichtbarste Erscheinungsform annimmt. Denn zugleich mit der Veränderung der Sprache werden sowohl der geschilderte Stoff als auch die beteiligten Akteure durch die Übersetzung neu konstruiert – abhängig vom Leserkreis entsteht ein jeweils spezifisches Bild.
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Abbildungsnachweis Abb. 1: Buch I, Kapitel 1 und 2 aus Marineus Siculus, De rebus Hispaniae memorabilibus, fol. [A]r; BNM Sign. R/9043. Abb. 2: Buch I, Kapitel 1 und 2 aus Marineus Siculus, De las cosas memorables de España, fol. [a]r; BNM Sign. R/2496. Abb. 3: Stammtafeln zum ersten Buch des Chronikauszugs. Aventin, Bayrischer Chronicon, fol. [A iii]v; Bibl. Pal. Sign. II. 229 (3) (lat. 2268 bis c). Abb. 4: Stammtafeln mit handschriftlichen Anmerkungen aus dem dritten Buch des Chronikauszugs. Aventin, Bayrischer Chronicon, fol. [B iv]v (obere Hälfte des Stammbaums); Bibl. Pal. Sign. II. 229 (3) (lat. 2268 bis c). Abb. 5: Stammtafeln mit handschriftlichen Anmerkungen aus dem sechsten Buch des Chronikauszugs. Aventin, Bayrischer Chronicon, fol. [C iv]r; Bibl. Pal. Sign. II. 229 (3) (lat. 2268 bis c).
Sinn und Unsinn lateinischer Versionen frühneuzeitlicher Entdeckerbriefe. Die Bilingue des Josephus Indus ROBERT WALLISCH 1. Einleitung Über die Funktion der lateinischen Sprache als Nachrichtenmedium der frühneuzeitlichen Entdeckungen wird allgemein auf kommunikatorischer Ebene argumentiert. Im Folgenden soll dieser Ansatz hinterfragt und eine alternative, zumindest jedoch zusätzliche Funktion der lateinischen Sprache in ihrer Konkurrenz zu muttersprachlichen Äußerungen angeboten werden.1 Nach einer kurzen Bestandsaufnahme, wie weit für die frühe Neuzeit überhaupt eine Rezeptionsfähigkeit lateinischer Texte anzunehmen ist, wird sich zeigen, dass die Wahl des Lateinischen allein mit dem Ziel, einen Text möglichst weit zu verbreiten, nicht befriedigend begründet werden kann. Vielmehr scheint das Latein auf psychologischkultureller Ebene einen Nebennutzen anzubieten, der dieses als Digestivum für kollektive Erfahrungen des Fremden empfiehlt. Die hierbei feststellbaren transformatorischen Prozesse, mit denen die lateinische Sprache auf Inhalte der Entdeckungsliteratur einwirkt, werden am konkreten Beispiel der lateinischen Version eines venezianischen Entdeckerberichtes vorgeführt.
2. Relativierung der medialen Dominanz des Lateins Die durch den noch jungen Buchdruck schnell und vielfach verbreiteten Nachrichten von den großen Entdeckungen der abendländischen Seefahrt am Ende des 15. und zu Beginn des 16. Jahrhunderts stellen neben der Luther-Bibel das größte editoriale Ereignis der Frühen Neuzeit dar. Dabei spielt Latein von Anfang an eine wichtige Rolle. Schon der erste Brief des Kolumbus wird wenige Wochen _____________ 1
Auf ausführliche Anmerkungen und Auseinandersetzung mit der Forschung wird verzichtet. Vgl. zur Thematik, jeweils mit Literatur, in diesem Band die Beiträge von Markus Völkel und Stefan Schlelein sowie die Einleitungen und Kommentare des Autors als Hg. von: Kolumbus, Der erste Brief; Vespucci, Mundus Novus.
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nach seinem Erscheinen auch in lateinischer Übersetzung gedruckt.2 Zahlreiche weitere latinisierte Entdeckerbriefe folgen. Bald nehmen sich auch lateinische Primärtexte der Entdeckungsgeschichte an. Der erste gedruckte Bericht über Magellans Weltumsegelung ist der originär lateinische Brief des Maximilianus Transylvanus (um 1490–1538)3 und die erste Geschichte Amerikas sind die De orbe novo decades, verfasst von Pietro Martire d’Anghiera (1457–1526)4 in lateinischer Sprache. Worin liegt der Sinn dieser Vorliebe für das Medium Latein gerade angesichts der höchst unklassischen Inhalte der Entdeckerberichte? Die klassische Rechtfertigung des Lateinischen als einer abendländischen Lingua Franca der frühen Neuzeit ist aus kommunikationstechnischer Sicht durchaus fragwürdig. Bei näherer Betrachtung der Sprachsituation in Europa um 1500 zeigt sich, dass die Entscheidung für eine Publikation in lateinischer Sprache aus Gründen der Verständlichkeit für die größere Gruppe potentieller Leser eher ungünstig und für die naturgemäß kleinere Gemeinde der Gelehrten zwar möglich, doch sicher nicht notwendig war. Einige kurze Beobachtungen zur abendländischen Sprachsituation in der Epoche der frühen Entdeckungen mögen die Lage erhellen. Ein Mann wie der Florentiner Amerigo Vespucci (1454–1512) begann erst im Alter von vierundzwanzig Jahren bei seinem Onkel Giorgio Antonio, dem Humanisten und Domherren von Santa Maria del Fiore, Latein zu lernen. Die Naturgeschichte des älteren Plinius las Vespucci, wie Zitate in seinen Briefen zeigen, jedenfalls in der italienischen Übersetzung des Cristoforo Landino (1424–1498).5 Das bedeutende Übersetzungsunternehmen des Platonikers und lateinischen Dichters Landino stellt uns vor die Frage, für welches Publikum eine solche Übersetzung eines lateinischen Klassikers wenig populären Inhalts überhaupt bestimmt sein mochte. Offenbar ging in einer größeren Gruppe möglicher Leser wissenschaftliches Interesse durchaus nicht mit für die Lektüre des Plinius ausreichenden Lateinkenntnissen einher. Ein anderer großer Platoniker, Marsilio Ficino (1433–1499), zurecht für seine lateinische Übersetzung des platonischen Gesamtwerks gerühmt, übersetzte gleichwohl auch eine Reihe philosophischer Schriften ins Italienische,6 was abermals deutlich macht, dass wohl auch viele Intellektuelle der Zeit, namentlich jene, die sich stärker naturwissenschaftlichen, künstlerischen oder merkantilen Interessen zuwandten, längst nicht so flüssig Latein beherrschten, dass ein lateinischer Text keinen Lesewiderstand aufgebaut hätte. Darüber hinaus scheint nicht nur die Lektüre, sondern auch die Abfassung eines Textes in _____________ 2 3 4
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Vgl. Wallisch, in: Kolumbus, Der erste Brief, 8–11. Transylvanus, De Moluccis Insulis, Editio princeps: Köln 1523. Anghiera, De orbe novo decades, Editio princeps der Gesamtausgabe: Alcalá 1530, Entstehung seit ca. 1501, lateinischer Druck der ersten Dekade bereits 1511. Seit kurzem existiert eine kritische Gesamtausgabe mit italienischer Übersetzung, die die früheren Teilausgaben ebenso für ihre Textgestalt berücksichtigt wie spätere Ausgaben. Vgl. Perini (1993), 126. Vgl. Ficino, De Raptu Pauli.
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lateinischer Sprache (selbst unter Künstlern und Denkern) eine nicht zu überschätzende Hürde geboten zu haben. Beispielsweise suchte Sigmund von Herberstein lange Zeit nach einem Humanisten, der seinen Russlandbericht in korrektes, humanistischen Ansprüchen genügendes Latein bringen sollte. Und auch Niccolò Machiavelli (1469–1527) verfasste bekanntlich sein Hauptwerk nicht in lateinischer Sprache, sondern in der Sprache seines Landes, obwohl gerade der Principe nach Genre und Inhalt die lateinische Sprache förmlich verlangte, weshalb sich auch zumindest das Inhaltsverzeichnis der Originalausgabe von 1532 – etwas halbherzig – lateinisch zeigte. Mag auch für den Fall Machiavellis die besondere Rolle der Sprache Dantes ins Treffen geführt werden, so darf doch nicht übersehen werden, dass im 16. Jahrhundert längst nicht nur das Italienische oder das Französische zur literatur- und druckfähigen Sprache aufgestiegen waren. Nicht allein der romanische Sprachraum hatte sich um 1500 längst von der literarischen Vorherrschaft des Lateins emanzipiert, sondern auch die ›barbarischen‹ Sprachen nördlich der Alpen waren jedenfalls für aktuelle Texte von den ersten Tagen des Buchdrucks an durchaus als brauchbares Medium eingeführt. Illustre Beispiele hierfür sind Bernhard von Breydenbachs Bevaerden tot dat heilige grafft (Mainz 1488) oder die deutsche Fassung von Hartmann Schedels Chronik, das Buch der Chroniken und Geschichten (Nürnberg 1493). Dass lateinische Nachrichten durchaus nicht uneingeschränkt für eine weite Verbreitung sorgten, wird ebenfalls durch einen Blick auf Vespuccis Mundus Novus erhellt. Dieser war zunächst 1502 in lateinischer Übersetzung erschienen, wurde aber noch vor 1510 durch fünf deutschsprachige Editionen in Nürnberg, München, Magdeburg, Leipzig und Basel, des weiteren durch eine tschechische Edition zu Pilsen und mehrere niederländische zu Antwerpen weiterverbreitet, die sämtlich Übersetzungen des lateinischen Texts der Erstausgabe bieten.7 Wollte man nun einwenden, dass das Lateinische eine unersetzbare übernationale Rolle in Europa gespielt haben muss, so kann entgegengehalten werden, dass gerade in der Renaissance auf beiden Seiten der Alpen kaum ein Intellektueller oder gebildeter Kaufmann denkbar war, der nicht auch die Muttersprache Dantes zumindest hätte lesen können. Angesichts dieser die mediale Notwendigkeit des Lateins in der Renaissance relativierenden Beobachtungen stellt sich erneut die Frage, welche Funktion lateinische Berichte gerade aktueller Ereignisse in einer editorialen Landschaft erfüllten, in der klassische lateinische Werke in neusprachlichen Übersetzungen angeboten wurden und moderne Sprachen teilweise in Literatur und Philosophie, jedenfalls aber für aktuelle Themen als effektives Medium etabliert waren. Der eigentliche Beweggrund für das offenbare Bedürfnis nach lateinischen Versionen aktueller Nachrichten aus den neu entdeckten Welten kann demnach nicht allein in der unterstellten Verbreitung der lateinischen Sprache gefunden werden, sondern muss in einem Zusatznutzen dieses alten, kulturstiftenden _____________ 7
Bibliographische Angaben zu den Erstdrucken in: Vespucci, Mundus Novus, 124.
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Mediums liegen. Bei genauerer Betrachtung erkennt man durch den Vergleich der lateinischen Versionen mit den zugrunde liegenden (meist) romanischen Originalen oder Paralleltexten, dass lateinische Versionen und Varianten nicht bloß eine Übersetzung der Sprache, sondern in besonderem Maße auch eine Transformation der Inhalte leisten, in welcher der tiefere Sinn lateinischer Versionen frühneuzeitlicher Entdeckerbriefe zu finden ist.
3. Der Bericht über den sogenannten Josephus Indus Ein sehr anschauliches Beispiel für diese transformatorische Wirkung des Mediums Latein bieten ein in gemäßigt venezianischer Sprache abgefasster Indienbericht über den sogenannten Josephus Indus oder Joseph von Cranganore und dessen lateinische Übersetzung. Im Sommer des Jahres 1501 brachte Pedro Álvares Cabral, der Entdecker Brasiliens und Capitão-mor der zweiten portugiesischen Indienflotte, einen Christen mit Namen Joseph von der indischen Malabarküste mit nach Lissabon. Der Mann, der in Cochin freiwillig an Bord gekommen war, jedoch aus dem etwa 40 Kilometer nördlich gelegenen Cranganore stammte, war Priester der indischen Thomas-Kirche. Er hatte schon um 1490 an einer Reise zum ostsyrischen Katholikos von Diyarbakir teilgenommen, von dem er auch ordiniert worden war. Trotz der rechtlichen Bindung der indischen Thomas-Christen an die nestorianische Kirche der Ostsyrer, hegte Joseph keine Vorbehalte gegen die Nachfolger Petri und ergriff darum gerne die Gelegenheit, auf den Schiffen der Portugiesen gemeinsam mit seinem Bruder Matthias in den fernen Westen zu reisen, um dort eine Pilgerreise nach Rom und ins Heilige Land zu unternehmen. Matthias erlag den Strapazen der langen Seefahrt,8 Joseph hingegen gelangte Ende Juni 1501 nach Portugal, wo er sich ein halbes Jahr aufhielt. Im Januar 1502 wies der portugiesische König Manuel I. seinem Gast einen Führer zu, der Joseph wunschgemäß nach Rom, Venedig und von dort nach Jerusalem geleiten sollte. Im Frühling 1502 hatte Joseph sein erstes Ziel erreicht. Er traf Alexander VI. in Rom und erklärte dem römischen Papst unbefangen und unbehelligt die Legitimation seines ostsyrischen Papstes, des Katholikos von Diyarbakir, als des Stellvertreters Petri im Osten. Im Juni 1502 befand sich Joseph schließlich in Venedig, wo er den Ratsherren und dem Dogen vorgestellt wurde. Joseph wurde aber auch in private Kreise der Seerepublik eingeführt, die aus ökonomischen Gründen an allem interessiert waren, was den für Venedig wichtigen Gewürzhandel mit Indien betreffen konnte. Nach diesen Kontakten in der Serenissima verliert sich die Spur des mutigen Joseph von Cranganore. Das wenige, das wir heute über den indischen Pilger wissen, verdankt sich seinem Zusammentreffen mit venezianischen Kaufleuten, denen er ausführlich _____________ 8
Nach anderer Auffassung starb Matthias erst in Lissabon. Vgl. dazu Baum/Winkler (2000), 97.
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Bericht über die Gebräuche der sogenannten Thomas-Christen, deren Zusammenleben mit Hindus und Moslems sowie den Handel an der Malabarküste gegeben hat. Einer seiner Zuhörer, ein offenbar humanistisch gebildeter Mann, verfasste daraufhin eine kurze anonyme Schrift, in der er zunächst das unglückliche Auftreten der Portugiesen in Calicut schilderte und schließlich das Referat von Josephs mündlichem Bericht folgen ließ. Der anonyme venezianische Autor hat mit großer Wertschätzung und Sympathie über seinen indischen Informanten gesprochen und die selbstbewusste Haltung bewahrt, von der Josephs mündlicher Bericht über seine Kirche offensichtlich geprägt war. Zusätzlich enthält der Bericht zahlreiche allgemeine Informationen über Indien, die freilich schon wenige Jahre später durch detailreichere Nachrichten obsolet werden sollten. Für den Zeitpunkt der Abfassung des Berichtes gilt allerdings, dass trotz mancher Missverständnisse in geographischen Fragen kein zweiter Text in Europa zugänglich war, der eine gleichwertige Darstellung der politischen, kulturellen und ökonomischen Verhältnisse in Indien zu bieten vermochte. Die bedeutendste Information dieses Berichts klingt allerdings zwischen den Zeilen. Es ist die Nachricht von der Normalität der indischen Welt, die im Bericht des Joseph von Cranganore die nachhaltigste Wirkung entfaltet. Schon die physische Präsenz des einnehmenden indischen Gastes in Venedig, doch besonders dessen lebendige Schilderung der indischen Gesellschaft befreien den mythischen Osten vom Schleier des Märchenhaften und Exotischen. Diese Wirkung einer positiven Entzauberung, die zugleich den Weg zur realen Annäherung bereitet, wird an konkreten Einzelheiten des täglichen Lebens deutlich. So lacht Joseph über europäische Legenden zum indischen Schiffsbau oder erzählt von der Wertschätzung, die venezianische Münzen seit langem in Indien genießen. Le nave sonno facte cum agudi de ferro; questo dico perché sonno alcuni che dicono esser fitte cum pironi de legno; et de questo volsi diligentemente intendere dal predicto padre Ioseph, monstrandoli la factura deli nostri navili. Se ne ridea, dicendo che li suo’ erano consimili ali nostri.9 Et domandando a padre Ioseph, se in quel loco è facto mentione dele parte nostre, dice deli non se far mentione salvo che di Roma, Franza et Venetia, et esser facta grandissima existimatione dele monete Venetiane. El qual padre Ioseph, essendo sta’ mandato davanti la nostra Illustrissima Signoria, monstrò alcuni ducati del dose da Ca’ Sten, che lui da quelle parte havea portade.10
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[Anonymus], Como Ioseph Indiano, cap. 135: »In Caranganor quan e lo inverno & le lor nave«, Fol. C iir: »Die Schiffe sind mit Eisennägeln gemacht. Das erwähne ich deshalb, weil manche behaupten, sie würden mit Holzstiften zusammengefügt. Und darüber wollte ich mich bei unserem Pater Joseph genau erkundigen, indem ich ihm die Fertigung unserer Schiffe zeigte. Er lachte und sagte, dass die ihrigen genauso wären wie die unseren.« 10 Ebd., cap. 139: »De Calichut & Re cum sue usanze & mercantile«, Fol. D: »Und als man Pater Joseph fragte, ob man dort auch von unseren Ländern Kenntnis habe, antwortet er, dass man nur Rom, Frankreich und Venedig kenne; und dass die venezianischen Münzen in höchstem Anse-
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Der unbetitelte Text über den als Ioseph Indiano bezeichneten Pilger, der in einem stark venezianisch geprägten, von zahlreichen Latinismen durchsetzten, sonst jedoch schmucklosen Italienisch verfasst ist, wurde 1507 in den wahrscheinlich von Fracanzano da Montalboddo zu Vicenza herausgegebenen Paesi novamente retrovati veröffentlicht. 1508 wurde diese Sammlung von Reiseberichten durch den Mailänder Kleriker, Humanisten und späteren Bischof von Avellino, Arcangelo Madrignano ins Lateinische übersetzt und als Itinerarium Portugallensium gedruckt sowie 1532 erneut in der von Simon Grynaeus zu Basel herausgegebenen viel beachteten Sammlung Novus Orbis.11
4. Der transformatorische Effekt des Lateins: Die lateinische Version des Josephus Indus In dieser lateinischen Version ist der Gebrauchstext über Joseph von Cranganore sowohl stilistisch auf eine höhere Ebene gestellt als auch inhaltlich in ein anderes Licht gerückt. Mit seiner unter dem Titel Itinerarium Portugallensium 1508 veröffentlichten lateinischen Übersetzung der Sammlung Montalboddos schuf Madrignano ein einheitliches literarisches Gebilde, das sich an eine gelehrte Leserschaft wandte. Anders als die heterogene und teilweise unübersichtliche Sammlung des Montalboddo unterliegt das Itinerarium Portugallensium dem einenden Fokus auf die Entdeckungsleistungen der Portugiesen. Dies findet schon durch den Titel Ausdruck, wird darüber hinaus aber auch durch kleinere Eingriffe des Übersetzers in seine Vorlage unterstrichen. Mit seiner stilistisch anspruchsvollen lateinischen Übersetzung gelingt es Madrignano, die Sammlung von Gebrauchstexten der frühen Entdeckungsgeschichte auf die Ebene eines literarischen Kunstwerks zu heben. Gleichzeitig wird dem Anspruch auf wissenschaftliche Relevanz, der bei einer lateinkundigen Leserschaft vorauszusetzen war, durch zahlreiche Korrekturen und Ergänzungen der bei Montalboddo angeführten Daten Genüge getan. Einige dieser Verbesserungen und Einschübe überschreiten jedoch die Grenze der wissenschaftlich motivierten Korrektur und geraten in den Bereich unwillkürlicher, durch die eigene kulturelle Prägung bedingter, bisweilen aber auch absichtlicher, ideologisch motivierter Manipulation der übersetzten Entdeckerberichte. Die in der lateinischen Version des Joseph von Cranganore auftretenden Veränderungen des Originaltextes können folglich in drei Gruppen unterschieden werden: 1. Literarisierung, 2. Korrektur und 3. Manipulation. _____________ hen stünden. Und als Pater Joseph unserem Großen Rat vorgeführt wurde, zeigte er einige Dukaten des Dogen Michele Steno, die Joseph aus Indien mitgebracht hatte.« 11 Madrignano, Itinerarium. Bei Grynaeus ist diese Sammlung nicht mehr als ein Ganzes erkennbar, die einzelnen Berichte erscheinen jeweils mit eigenen Titeln, so auch: [Anonymus], Quomodo Iosephus Indus. Der Bericht umfasst hier die Kapitel 129–142 und hat damit die gleiche Kapitelzählung wie schon die italienischsprachige erste Sammlung.
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4.1 Literarisierung der Vorlage durch das Medium Latein Im Bereich der Literarisierung tritt im Josephus Indus neben der Anwendung einer fast schon die Stilistik des Barock vorwegnehmenden Kunstsprache, die für das gesamte Itinerarium Portugallensium gilt, noch ein besonderes Phänomen auf: die nachträgliche Anpassung an ein literarisches Genre. Die meisten Texte des Itinerariums sind tatsächlich mehr oder weniger dem jungen Genre des Entdeckerbriefes oder Entdeckerberichtes zuzuordnen. Der Bericht des Josephus Indus stellt nun aber, wie im vorigen Abschnitt ausgeführt, das in Venedig verfasste Referat eines mündlich gegebenen Berichtes dar. Hier erzählt demnach kein Seefahrer in erster Person, sondern die in der Rahmenhandlung berichteten Abenteuer der Portugiesen werden in dritter Person aus der Distanz des venezianischen Autors referiert. Madrignano greift hier bewusst ein und gestaltet die einleitenden Passagen um zu einem portugiesischen Entdeckerbrief. Die zunächst rein grammatikalische Verschiebung von der dritten in die erste Person zieht auch die Notwendigkeit einer ganzen Reihe sachlicher und inhaltlicher Veränderungen nach sich, von denen Madrignano bemerkenswerterweise keine übersieht. So berichtet der venezianische Originaltext, dass Joseph nach Venedig gelangte und dort den referierten Bericht gab. Um Venedig als Entstehungsort der Schrift zu verschleiern, fügt die lateinische Version, die von Madrignano eben als Text eines portugiesischen Seefahrers umgestaltet wurde, noch eine Rückkehr nach Lissabon hinzu. Aus dem selben Grund wird in der oben erwähnten Szene aus dem Kapitel 139, in dem der Autor schildert, wie Joseph vor dem Dogen einige alte venezianische Münzen präsentiert, die er aus Indien mitgebracht habe, bei der Bezeichnung Venedigs als »la nostra Illustrissima Signoria« das für einen portugiesischen Schreiber unpassende Possessivpronomen nostra unterdrückt.12 Weiter unten berichtet der venezianische Autor von der Glasproduktion in Hormuz und meint mit offensichtlichem Bezug auf Murano: »in questo loco se fanno Veri como li nostri.«13 Auch dieser Satz wird von Madrignano ersatzlos gestrichen, um die Illusion einer portugiesischen Autorenschaft aufrechtzuerhalten.14 Schließlich endet die venezianische Originalversion mit der Begründung, dass man von dem oben erwähnten Pater Joseph nichts Weiteres habe erfahren können und der Kompilator das Werk beenden wollte.15 In der lateinischen Version hin_____________ 12 [Anonymus], Quomodo Iosephus Indus, cap. 139: »De urbe Calechut, deque eius rege et moribus necnon mercibus«, 150 f., hier 151: »Is ergo Ioseph adiuit illustrissimos dominos Venetos, et eis ostendit nonnullos antiquissimos aureos, in quibus erat expressa Veneti ducis perquam vetus imago.« 13 [Anonymus], Como Ioseph Indiano, cap. 140: »Del Regno de Cambaia, de Ormus & Guzerat«, Fol. Dv: »Man stellt dort Gläser her wie die unseren hier.« 14 [Anonymus], Quomodo Iosephus Indus, cap. 140: »De regnis Cambaiae, Ormus et Guzerat«, 151 f., Zitat 151, der Satz heißt dort schlicht: »Ibi et vitrea fiunt vasa elegantissime.« 15 [Anonymus], Como Ioseph Indiano, cap. 142: »De Re Narsindo et de una ecclesia de san Thomaso«, Fol. D iiv–[D iii]r: »dele quale non scriveremo altro per non hever partito piu sapere
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gegen schließt der simulierte portugiesische Seefahrer mit den Worten: »weil wir weder von dem genannten Inder Joseph Weiteres erfuhren, noch wir selbst jene noch entfernteren Teile der Welt besucht haben.«16
4.2 Korrekturen des Originaltextes in der lateinischen Version Weniger drastisch, wiewohl durchgehend präsent, sind die sachlich korrigierenden Eingriffe des lateinischen Übersetzers. Die in weiten Teilen des Textes äußerst vagen geographischen Vorstellungen des Autors münden oftmals in absurde Zahlenwerte für angegebene Distanzen. Diese werden von Madrignano an mehreren Stellen verbessert bzw. gegen wahrscheinlichere Werte getauscht, wobei die Quellen für Madrignanos Angaben nicht auszumachen sind. Verworrene Formulierungen des venezianischen Textes werden regelmäßig geglättet, wobei das Ergebnis aufgrund mangelnder Ortskenntnisse des lateinischen Übersetzers durchaus nicht immer einer sachlichen Verbesserung gleichkommt. Bisweilen wagt der lateinische Übersetzer auch eine als fehlend empfundene Erklärung durch eigene Interpretation zu ergänzen. So berichtet der Originaltext unkommentiert von einer Trocknung des Pfeffers an der Malabarküste: »In quelle parte ne nasce grandissima quantità de pevere, el qual, come è facto, per el grande calor del sol se secha.«17 Madrignano fügt dieser Aussage eine marktwirtschaftlich motivierte Begründung bei, die sich gänzlich eigener Überlegung verdankt: »Ibi etiam ubertim piper nascitur, quod torrent ad calorem solis, ne forte satum alibi germinet in damnum eorum.«18
_____________ da padre Ioseph superius notado. Moltre cose se poteria di si de Specie como de altre mercantie apertinente ala India: et ale parte che habiamo scripto in questo nostro progresso: ma per non esser cose pertinete Imo supervancante dela narration facta per padre Ioseph et per non voler azonzer altro: ma dir la pura verità: habiamo voluto meter fine ala presente materia.« 16 [Anonymus], Quomodo Iosephus Indus, cap. 142: »De rege Narsindo et quadam ecclesia sancti Thomae«, 152 f.: »quandoquidem ab dicto Ioseph Indo plura non accepimus, neque nos eas remotiores orbis partes adiuimus. Potuissemus quidem longiore subsellio gemmarum ac lapidum, margaritarum quae naturam indagare, necnon de aromatum generibus differere complura, quum haec in primis ferat India Verum Quum minims pertineant ad id quod retulit Ioseph praedictus, ex composito temperabimus: tum ut praetor verum nihil relatum putetis, tum vel maxime, ut tandem aliquando coeptum opus ad umbilicum deveniat.« 17 [Anonymus], Como Ioseph Indiano, cap. 138: »Como se fa Vino: Aceto: Zuccaro et Olio de la Palma«, Fol. [C iii]v: »In jener Region wächst eine sehr große Menge Pfeffer, der, so wie er gewachsen ist, durch die große Hitze der Sonne getrocknet wird.« 18 [Anonymus], Quomodo Iosephus Indus, cap. 138: »Quomodo ex palma fit vinum, oleum, acetum et saccatum«, 149: »Dort wächst auch reichlich Pfeffer, den sie in der Hitze der Sonne dörren, damit er sich nicht zufällig irgendwo anpflanzt und zu ihrem Schaden austreibt.«
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4.3 Ideologisch motivierte Manipulation der Vorlage Besonderes Interesse verdienen die bewusst manipulativen Eingriffe des Übersetzers. Im Originaltext referiert der vor dem Zugriff der Inquisition in Venedig sichere Autor unbekümmert manches kirchenrechtlich und theologisch brisante Detail über die indischen Thomas-Christen. Mehrfach werden die Patriarchen der syrischen Kirche im Sinne der bei den Syrern und Indern geltenden Sprachregelung unbefangen als »Papa« (Lehnübersetzung von Bava) oder »Pontifice« bezeichnet, was aus römischer Sicht mit dem Anspruch des Nachfolgers Petri unvereinbar erscheinen musste. Madrignano umgeht diese Hürden an einigen besonders problematischen Stellen, indem er beispielsweise anstelle von »Pontifice« die Umschreibung »Magnus Antistes« wählt. An anderer Stelle referiert der venezianische Autor den Bericht Josephs über den ostsyrischen Katholikos, in welchem dessen Legitimation als Stellvertreter Petri und quasi Papst des Ostens argumentiert wird: et padre Ioseph li respose che al tempo de Simon mago facto Pietro era Pontifice in antiochia, et essendo ne leparte de Roma molestadi li christiani per l’arte de questo Simon mago, non havendo niuno li potesse obstar, fu mandato a suplicar a san Pietro che se volesse transferir fino a Roma; qual lassando uno suo vicario, vene a roma; et questo è quello che al presente se chiama Catolicha, et gerit vicem petri. Cerca el far del dicto Pontifice o ver Catholica li xii Cardinali predicti se reducano ne laprovincia de Armenia, dove fanno el pontifice loro; qual auctorità dicono haver dal Pontifice Romano.19
Diese Passage kann Madrignano, an dessen Stand als Kleriker an dieser Stelle erinnert werden muss, nicht unkommentiert stehen lassen. Er fügt dem eine längere Passage bei, mit der er sich persönlich – wohl durchaus in Hinblick auf die Inquisition bzw. die Gefährdung des Imprimatur für sein Werk – von der zitierten Darstellung distanziert: Quod esse falsum nemo est, qui nesciat, quandoquidem una est sponsa Christi, quæ unam figurat ecclesiam Romanam, extra quam salus est nulla. Quae vero dicuntur de
_____________ 19 [Anonymus], Como Ioseph Indiano, cap. 133: »Case loro et come li sui Pontifici regneo la ecclesia«, Fol. [B iv]v: »Pater Joseph antwortete, dass Petrus zur Zeit des Simon Magus in Antiochien zum Papst gewählt worden sei. Als nun die Christen in Rom durch die Umtriebe jenes Simon Magus bedrängt wurden, da sie ja niemanden hatten, der diesem entgegentreten konnte, schickte man zu Sankt Peter mit der flehentlichen Bitte, er möge sich nach Rom begeben. Darauf kam dieser nach Rom und ließ in Antiochien einen Stellvertreter zurück. Und dieser ist es, der sich gegenwärtig Katholikos nennt und der Stellvertreter Petri ist. Wenn dieser Papst oder Katholikos zu wählen ist, so begeben sich die zwölf Kardinäle in die Provinz Armenien, wo sie ihren Papst wählen. Und die Berechtigung dafür hätten sie vom Papst in Rom, wie sie sagen.«
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Robert Wallisch aliis, commenta sunt omnia et fidei nullius. Hæc dixerim, ne quis putet a soliditate petrae Christi esse recedendum. Unus deus igitur, una fides, una est sancta Romana ecclesia.20
5. Zusammenfassung Die angeführten Beispiele für die Besonderheiten der lateinischen Version machen deutlich, wie die Anwendung des Mediums Latein auf den exotischen Inhalt des Textes gewissermaßen die interkulturelle Friktionsfläche vergrößert, wodurch vom Übersetzer unbeabsichtigte Rückmeldungen über die Verfassung des Beobachters, nicht so sehr über jene des Beobachteten hörbar werden. Das Medium Latein erweist sich – so unsere These – als wirksamerer Kulturfilter, der auf die Darstellung der durch die Entdeckungsfahrten gewonnenen Informationen sowohl im ästhetischen als auch ideologischen Bereich stärkere transformatorische Kräfte ausübt, als dies in vergleichbaren neusprachlichen Reise- und Entdeckerberichten der Fall ist. Und somit erweist sich der editoriale Brauch der Latinisierung als kultureller Akt der Verarbeitung und Bewältigung fremder, neuer Welten durch das Medium der alten.21
_____________ 20 [Anonymus], Quomodo Iosephus Indus, cap. 133: »De domibus eorum et quod eorum pontifices moderantur ecclesias«, 145 f., Zitat 146: »Alle wissen, dass dies falsch ist, da es nur eine einzige Braut Christi gibt, welche die römische Kirche darstellt, außerhalb welcher es kein Heil geben kann. Was hier aber über andere gesagt wird, ist alles erlogen und ohne Glauben. Dies will ich gesagt haben, damit keiner meint, man dürfe von der Festigkeit des Felsens Christi abweichen. Es gibt also nur einen Gott, nur einen Glauben, nur eine heilige römische Kirche.« 21 Vgl. hierzu die Bemerkungen von Albert Schirrmeister mit weiterer Forschung, in diesem Band, 5–46.
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Literatur Quellen Anghiera, Pietro Martire d’, De orbe novo Petri Martyris ab Angleria Mediolanensis Protonotarij C[a]esaris senatoris decades, Alcalá: Miguel de Eguía, 1530. Anghiera, Pietro Martire d’, De Orbe Novo Decades I–VIII, hg. u. übers. v. Rosanna Mazzacane/Elisa Magioncalda, 2 Bde., Genua 2005 (= Publicazioni del D. AR. FI. CL. ET., N. S., 217). [Anonymus], »Como Ioseph Indiano asceso le nostre Carauelle vene in Portogallo et lo Re Iosece acompagnare a Roma et a Venetias«, in: Paesi novamente retrovati. Novo Mondo da Alberico Vesputio Florentino intitulato, [hg. v. Fracanzano da Montalboddo [?]], Vicenza: Zamaria 1507, Fol. B iir–[D iii]r. [Anonymus], »Quomodo Iosephus Indus venit Ulisbonam et exceptus a rege honorifice, contendit Romam et Venetias, a nostris sociatus«, in: Novus Orbis Regionum ac Insularum Veteribus Incognitarum unà cum tabula cosmographica, & aliquot alijs consimilis argumenti libellis [...] His accessit copiosus rerum memorabilium index, hg. v. Simon Grynaeus, Basel: Herwagen, 1532, 142–153. Ficino, Marsilio, »De Raptu Pauli«, in: Prosatori Latini del Quattrocento, hg. v. Eugenio Garin, Mailand/Neapel 1952 (= La letteratura italiana. Storia e testi, 13), 931–969. Kolumbus, Christoph, Der erste Brief aus der Neuen Welt [1493], Lat.-dt. mit dem spanischen Text des Erstdrucks im Anhang übers., komment. u. hg. v. Robert Wallisch, Stuttgart 2000. Madrignano, Arcangelo, Itinerarium Portugallensium e Lusitania in Indiam et inde in occidentem et demum ad aquilonem, Mailand 1508. Transylvanus, Maximilianus, De Moluccis Insulis itemque aliis pluribus mirandis, quae novissima Castellanorum navigatio Sereniß. Imperatoris Caroli V. auspicio suscepta nuper invenit: Maximiliani Transylvani ad Reverendiss. Cardinalem Saltzburgensem epistola lectu perquam iucunda, Köln: Cervicornus, Eucharius 1523. Vespucci, Amerigo, Der Mundus novus des Amerigo Vespucci. Text, Übersetzung und Kommentar, hg. v. Robert Wallisch, Wien 2002 (= Arbeiten zur mittel- und neulateinischen Philologie, 7).
Literatur Baum, Wilhelm/Winkler, Dietmar W., Die Apostolische Kirche des Ostens. Geschichte der sogenannten Nestorianer, Klagenfurt 2000. Perini, Leandro, »Due Fiorentini nell’Oceano Atlantico: Amerigo Vespucci e Giovanni da Verrazzano«, in: Il Mondo di Vespucci e Verrazzano: geografia e viaggi. Dalla Terrasanta all’America, hg. v. Leonardo Rombai, Florenz 1993, 125–174.
Modell und Differenz: Volkssprachliche Historiographie der Frühen Neuzeit und ihre lateinischen Übersetzungen MARKUS VÖLKEL I. Teil 1. Gründe für die fortbestehende Dominanz das Lateins in der Frühen Neuzeit Im Jahr 1527 ließ der Pariser Drucker Josse Badius eine L’Histoire de Thucydide Athenien erscheinen, eine Übersetzung, die der savoyardische Humanist und französische Gesandte Claude de Seyssel (1450–1520) angefertigt hatte.1 Kaum sieben Monate später musste der überoptimistische Drucker feststellen, dass sich das Buch nicht verkaufte: Von 1225 Exemplaren waren gerade einmal 96 Stück abgesetzt.2 Wo lagen die Gründe für diesen geschäftlichen Misserfolg? Warum konnte sich das Werk, obwohl z. B. die Treue der lateinischen Übersetzung des Thukydides durch Valla (1448–1452) von fast allen Humanisten kritisiert worden war, nicht auf dem Markt durchsetzen?3 Diese Frage zu stellen, heißt zu fragen, warum sich das Latein in der gesamten Frühen Neuzeit, d. h. in einem methodisch und inhaltlich für die Geschichtsschreibung revolutionären Zeitalter, derart behaupten konnte, dass ein regelmäßi_____________ 1
2 3
Claude de Seyssel war einer der großen frühen Übersetzer griechischer Historiographie ins Französische, darunter Xenophons Anabasis, drei Bücher Diodoros Siculus, Appian, außerdem die Kirchengeschichte des Eusebius und der Demetrius von Plutarch. Zu seinen Lebzeiten war Seyssel entschlossen, seine Übersetzungen sollten Manuskript bleiben und wegen ihrer militärischen und republikanischen Brisanz nicht gedruckt werden! Diese Übersetzungen beruhten zum Teil auf heute verlorenen lateinischen Vorlagen, die der byzantinische Humanist Ianos Laskaris (1445–1534) angefertigt hatte, vgl. Boon (2000), 561–575, besonders Anm. 30; vgl. auch Coyecque (1894), 509–514. Vgl. Chavy (1981), 289. Vgl. Fryde (1983), 92: »Valla’s Latin Thucydides and Herodotus, though much amended, were not superseded by fresh versions. For several centuries most educated Europeans were acquaintted with these two greatest Greek historians only through Valla’s translations.« Vgl. weiter Pade (1999), 151–170.
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ger Fluss von Übersetzungen von – durchaus erfolgreichen volkssprachlichen – Historien ins Latein zu beobachten ist. Obwohl es sich dabei nur um einen kleinen Ausschnitt aus der allgemeinen Übersetzungstätigkeit Vulgare – Latein handelt, berührt diese Frage die Grundlagen der im europäischen Kultursystem der Epoche dominanten Latinität. Ihre Fundamente seien hier knapp umrissen, denn die ›innere Latein-Tendenz‹ der Geschichtsschreibung stellt nur einen Sonderfall dieses umfassenden Prozesses dar. Man sollte sich also das Allgemeine erneut vor Augen stellen, um mögliche Abweichungen auf dem Gebiet der Historiographie benennen zu können. Dabei sollte man zuerst an die Fundamente der frühneuzeitlichen Wissenskultur erinnern. Für die Kleriker und (wenig zahlreichen) Laien des frühen Mittelalters stellte sich die Frage einer Alternative zum Latein als Sprache von Bildung und Erziehung nicht. Ein Wissens- und Ausbildungssystem, das keine christliche Fortsetzung der Antike anstrebte, lag außerhalb der mentalen, linguistischen und materiellen Möglichkeiten der frühen romanischen, germanischen und zum Teil auch slavischen regna. In ihren Gesellschaften hatte sich die im hellenistischen Zeitalter noch keineswegs alternativlose Überzeugung vom ›Buch‹ als Quelle des ›wahren Wissens‹, gleichermaßen für Glaube und Wissenschaften längst verfestigt. In der lateinischen Literatur verwirklichte sich die Einheit von Gottesdienst und scientia, von Kirche und Bildungsinstitutionen. Welcher Renaissancen diese Synthese fähig war, beweist die jesuitische Bildungsreform auf der Grundlage der Tridentiner Beschlüsse zum Gebrauch der Vulgata, zur Liturgie und zur Referenztheologie des Thomas von Aquin. Das gleiche Konzil (1545–1563) forcierte den Gebrauch des Lateins innerhalb der Kirche und machte es gleichsam zur römisch-katholischen Nationalsprache.4 Die Gleichung: lateinisch = römischpapistisch fand besonders im reformatorischen England viele Anhänger. Als Sprache von ›besonderer Würde‹ übte das Latein in den Verfahren frühmoderner politischer Versammlungen eine unverzichtbare zeremonielle Funktion aus.5 Die gelehrten Räte und Juristen, die hier auftraten, waren in der Regel Kenner des römischen und kanonischen Rechts, d. h. von Textkorpora, deren Rezeption und Fortbildung (Glossierung) außerhalb des Lateins undenkbar waren. Anders als sich das die modernen Nationalphilologien wünschen, akzeptierten große Teile der damaligen Funktionseliten (Adel, Klerus, Kaufleute und Militär) das übernationale Idiom und bezogen wichtige Elemente ihrer sozialen und professionellen Identität aus ihm statt aus den jeweiligen Vulgaresprachen. Dies galt in besonders hohem Maße für die eigentlich Sprachkundigen, die Humanisten und Philologen. In ihrer Respublica litteraria korrespondierten sie in Latein bzw. sie gingen seit der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts zu einem subtilen Bilinguismus unter Einbezug des Italienischen und Französischen über.6 Zweisprachigkeit _____________ 4 5 6
Vgl. Smolinsky (1998), 185. Vgl. Haye (2005). Vgl. für die linguistischen ›Spannungen‹ in einer Person, d. h. Montaigne, Dotoli (2006).
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war ein bequemes Mittel, Macht- und Klientelverhältnisse gezielt abzubilden. Die Folie dafür blieb allemal das Latein. Zur Sprache der Römer drängte die frühneuzeitliche ›Wissensgesellschaft‹ auch ihr übermächtiger Hang zum Geheimnis (arcanum). Seien es die Geheimnisse der fürstlichen Kabinette,7 der alten alchemistischen Laboratorien oder modernen Akademien mit ihrem »epistemologischen Decorum«,8 überall ließ sich das ›Verbergen‹ nur durch eine ›zweite Sprache‹ verwirklichen, die in der Regel das Latein war.9 Nicht zufällig war Tacitus mit seinem überkodierten Diskurs der Modeautor der Epoche. Während sein ›silbernes Latein‹ die einfachen Geister abwies, dominierte eine akademische, neuzeitliche Version seiner Sprache den öffentlichen Raum der Monumente, treffend von Françoise Waquet als »L’absolutisme de l’inscription latine« bezeichnet.10 Langfristig stabilisierend für das Latein wirkte sich zudem die ebenso gewünschte wie erzwungene Nähe zwischen Wissenschaft und Dichtung aus. Wissenschaft im Gewand der Dichtung erfreute sich noch bis ins 18. Jahrhundert hoher Wertschätzung, verankerte diese Gattung damit zugleich aber auch in der lateinischen Poetik. Ziel- und Ursprungssprache aller literarischen Normen blieb, zugleich mit der grammatischen Idealsprache, das Latein. Keine Vulgare-Sprache konnte hier mit einem systematischen Gegenentwurf (statut littéraire) konkurrieren.11 Freilich leiten diese Überlegungen bereits zu den inneren Zwängen des lateinischen Sprach- und Literaturparadigmas über. Gerade für die frühen Humanisten war die Sprache nichts von außen zum Denken Hinzutretendes. Laut- und Lautfolge bestanden zusammen mit dem Begriff (conceptus) und banden jede Sprache an konkrete historische und soziale Entstehungsbedingungen zurück.12 Weil aber das Imperium Romanum alleiniger Referent des Latein war, war auch der Umkehrschluss natürlich, dass dieses Reich noch in der Gegenwart in Form des Latein weiterbestünde, also eine postume linguistische Existenz führe. Wer Latein sprach oder schrieb, ahmte eo ipso Rom nach und setzte, in welcher Form auch immer, dessen Literatur fort. Den heute weitgehend negativ bewerteten Nachahmungszwang innerhalb der lateinischsprachigen Literatur begriffen die Zeitgenossen zumeist als realistische Nachahmungschance. Selbst eine einfache Übersetzung aus dem Vulgare ins _____________ 7 8 9
Immer noch vorbildlich dazu Stolleis (1990). Vgl. Shapin (1994), 202–211. Bei Historien, bei denen Kontroversen zu erwarten waren oder sich bereits eingestellt hatten, zögerten die Verfasser in der Regel, volkssprachlichen Übersetzungen zuzustimmen. Vgl. für die Annales ecclesiastici von Caesar Baronius Völkel (2005), 529–530, für Jacques-Auguste de Thous Historiarum sui temporis vgl. De Smet (2006), Chapter V, § III, »The Choice of Latin«, 231–249. 10 Vgl. Waquet (1998), 283–288. 11 Vgl. Bury (2005), 7–22. 12 Vgl. Trabant (2002), 46–48.
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Latein war eine nachholende Traditionsbildung und restitutio in integrum einer potentiell allesumfassenden Literatur. Im Falle der Historiographie lässt sich dieser ›Sog zurück‹ an zwei Kriterien der Imitation ablesen. Zunächst beim rhetorischen Konzept der enárgeiă, d. h. der anschaulich-evidenten Darstellung, die der lateinischen Sprache doppelt, d. h. an sich und im historiographischen Muster eignet. Zweitens zeigt er sich bei den Reden, auf die selbst empirisch orientierte Historiker der Frühen Neuzeit nur widerwillig verzichteten. Wer Reden auf Vulgare schrieb, musste sie anhand der klassischen Rhetorik modellieren, und wer solche Reden später ins Latein übersetzte, der nahm damit nur eine Rückübersetzung in den Ursprung regelgerechten öffentlichen Redens vor. Selbstverständlich erzeugten 1000 Jahre historischen Wandels seit 500 n. Chr. auch neue semantische Horizonte für den Historiker. Giambattista Vicos mondo civile rückte in deutlich voneinander abgesetzten Phasen auf der Zeitachse vor. Nur, durfte die Entdeckung wandelbarer sprachlicher ›Weltsichten‹ zur Aufgabe des Lateins als der einzig wahren historiographischen Sprache führen? Die lateinschreibenden Historiker der Frühen Neuzeit führten erbitterte Auseinandersetzungen über das legitime Ausmaß unklassischer Wörter bzw. von Fremdwörtern aus den Vulgaresprachen. In der Regel ging man dabei elastisch vor. Nur eines bezweifelte die Res publica litteraria niemals, dass nämlich das Latein einer neuen Aufgabe gewachsen sein könnte, beispielsweise der Beschreibung der Neuen Welt, der Analyse der Glaubenskriege oder der Verbreitung der Scientific Revolution. Und in der Tat wurden alle diese Epochenphänomene erfolgreich in dieser ›toten Sprache‹ bewältigt. Somit war es eine Mehrheitsmeinung unter den Intellektuellen, dass es sich immer lohnen würde, bewährte historiographische Vulgarewerke ins Latein zu übersetzen, insofern ja auch die Praktiken der Gelehrsamkeit dazu aufriefen. Klassiker wollten kommentiert werden. Nun waren aber die traditionellen Kommentarmethoden an den lateinischen Modellen entwickelt worden. Wer ins Latein übersetzte, der wahrte die alte Homogenität des Sprachraums zwischen Text und Kommentar.13 War dieses Werk dann gedruckt, dann fand es mühelos seinen rechten Ort in den ersten – natürlich lateinischen – Universalbibliographien.14 Vor allem dort, wo die Herstellung von Ordnung das erste Ziel war, konnte und kann man bis heute nicht auf eine lateinische Nomenklatur verzichten, wie Linné noch 1735 mit seinem Systema naturae bewies. Der Sog, der von den sozialen Systemen, dem Bildungswesen, dem Sprach- und Literatursystem und nicht zuletzt _____________ 13 Vgl. Völkel (2006). 14 Vgl. Pantin (1996), 55–57. Noch 1728 übersetzte Karl Heinrich Lange Gottlieb Stolles beliebte Wissenschaftsbibliographie ins Lateinische als Introductio in Historiam litterariam in gratiam cultorum elegantiarum litterarum et philosophiae conscripta, Jena 1728. Die deutsche Erstausgabe war 1718 in drei Teilen als Kurtze Anleitung Zur Historie der Gelahrtheit in Halle erschienen.
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auch von den Praktiken der Gelehrsamkeit in Richtung Latein wirkte, lässt sich kaum überschätzen.15 Von heute aus gesehen, erscheinen lateinische Übersetzungen z. B. englischer Historiographie absurd, in der Frühen Neuzeit waren dies buchhändlerisch erfolgreiche Unternehmungen, die in breiten Kreisen gelesen und oft neu aufgelegt wurden. Vor diesem Hintergrund ist es nun möglich, sich dem speziellen Fall von ins Neulatein übersetzter Geschichtsschreibung zuzuwenden.
2. Die Produktion und Übersetzung von Historiographie im 16. und frühen 17. Jahrhundert Geschichte schreiben und Geschichten übersetzen waren zwei Tätigkeiten, die zum Beginn der Frühen Neuzeit auf eine komplexere Weise miteinander verbunden waren, als dies zunächst augenfällig sein mag. An einige der wichtigsten Problemzusammenhänge sei hier erinnert. i. Die ›Produktionstechnik‹ für das Schreiben von Geschichte ist seit dem Frühhumanismus auf die lateinische Sprache, ihre rhetorischen Muster und die Nachahmung (Ars historica) der klassischen Autoren ausgerichtet:16 − Die ›Produktion von Geschichte‹ kulminierte seit dem 15. Jahrhundert in der Edition der antiken Historiographen. Dabei mussten zwar auch die griechischen Historiker im Original herausgegeben und kommentiert werden, aber eine breite Leserschaft fanden die Griechen erst in Übersetzungen, und zwar in lateinischen wie auch volkssprachlichen. Von den lateinischen Übertragungen lässt sich feststellen, dass sie in den akademischen Lehr- und Kommentierungsbetrieb zumindest zum Teil hineingelangten und fortwährend aufgelegt wurden. Dagegen blieben die volkssprachlichen Übersetzungen, was wiederum zum größten Teil auch auf die lateinischen Historiker zutrifft, in der Regel auf wenige und nur selten neu aufgelegte und verbesserte Auflagen beschränkt. − Immerhin lässt sich bereits auf dieser Ebene feststellen, dass der Produktionsprozess historischen Wissens strukturell immer auch ein ›Übersetzungsprozess‹ war, und damit ist vor allem einer ins Lateinische gemeint.17 _____________ 15 Wertvolle ergänzende Hinweise zum uferlosen ›Lateindiskurs‹ in der Frühen Neuzeit finden sich bei Keßler (1985) und Keßler (2003), dort vor allem die Beiträge von Ludwig und Garber; weiterhin bei Kühlmann (1989). 16 Für einen ersten Einblick sind immer noch nützlich Reynolds (1955) sowie die ergänzende Studie von Grant (1954). Viele, freilich oft mühsam zu deutende Hinweise zur historiographischen Bilingualität in Italien liefert Cochrane (1981). 17 Ein erster Überblick, allerdings mehr beschreibend als analytisch und nicht auf das Latein konzentriert, jetzt bei Burke, »Translating histories« (2007).
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ii. Auch der Buchdruck produzierte Historiographie und zwar, wie inzwischen anerkannt ist, erfand er den gedruckten, kommentierten und indizierten Text gleichsam neu. Hier haben die Studien von Dieter Mertens, Peter Johanek, Anna-Dorothee von den Brincken und Uwe Neddermeyer gezeigt, dass 1. die Geschichtsschreibung für den frühen Buchmarkt keine große Rolle spielt; 2. die lateinischsprachige dominiert und 3. im Heiligen Römischen Reich die Übersetzungstätigkeit ins Deutsche erst später beginnt als in Italien, Frankreich und Spanien. Sie fällt auch weniger reichhaltig aus,18 obwohl man 4. anhand der Nachforschungen von Franz Josef Worstbrock zur Deutschen Antikerezeption 1450–155019 erfährt, dass es sich um keineswegs unbedeutende Übersetzer und Übersetzungen handelt. Weiterhin stellt sich heraus, dass unter den ›neueren Historikern‹ Lateiner wie Leonardo Bruni (ca. 1370–1444) und vor allem Enea Silvio Piccolomini (1405–1464) mit den meisten Auflagen vertreten waren. Das Heilige Römische Reich war somit zwar auch ein Markt für deutsche volkssprachliche Übersetzungen historiographischer Literatur, aber es konnte im Vergleich bei den Vulgare-Ausgaben antiker Historiker in Italien und Frankreich keineswegs mithalten. Das Heilige Römische Reich war also, so ein erster Schluss, ein historiographischer Buchmarkt, in dem das Latein seine dominierende Rolle in der Frühen Neuzeit niemals verloren hat.20 Eine ›Relatinisierungswelle‹, wie sie viele Germanisten und Wissenschaftshistoriker nach 1550 erkennen – auch Bacon, Galilei und Descartes finden zumeist noch als lateinische Werke ihren europäischen Leser –, konnte also auf bereits eingespielte Muster zurückgreifen. Sie beruhten auf so verschiedenartigen kulturellen Teilsystemen wie dem Rhetorikunterricht der Gymnasien, den internationalen Vertriebssystemen des Buchhandels oder der akademischen lutherischen Bibelexegese. iii. Drittens lässt sich erkennen, dass sich zur gleichen Zeit, vor allem in der Romania, Antriebe zur Geschichtsschreibung in Vulgare durchsetzten. Der ›Vulgär-Humanismus‹ billigte den nationalen Idiomen das gleiche Entwicklungspotential wie den klassischen Sprachen zu und schritt gleich zur Tat, d. h. schuf entsprechende Rhetoriken und Poetiken, ja, wie in Italien geschehen, verfasste _____________ 18 Vgl. Mertens (1983), Brincken (1987), Johanek (1988) und Neddermeyer (1994). 19 Vgl. Worstbrock (1976). 20 Zu dieser Beobachtung passen die Ergebnisse, die Burke, »Translations into Latin« (2007), 69, 71 für das Reich vorlegt. Ausgehend von 1140 Übersetzungen wichtiger Werke zwischen 1450 und 1800, dominieren als Ausgangssprachen Italienisch (321 Texte) und Französisch (276). Dagegen fällt das Deutsche mit 77 Texten weit ab. Umgekehrt nehmen die deutschen Druckorte mit 496 Ersterscheinungen in lateinischer Sprache mit Abstand die Spitzenstellung vor den Niederlanden mit 171 und Frankreich mit 112 ein. Italien mit 56 und Spanien/Portugal mit 9 Ausgaben liegen abgeschlagen zurück. Erfolgreiche Vulgareausgaben konnten also in den romanischen Ländern marktbeherrschend bleiben. Da Burke seine statistische Basis nicht offenlegt, wird man seine Thesen zunächst noch als Hypothesen betrachten müssen.
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sogar Artes historicae in italienischer Sprache.21 Mit diesen Anstrengungen konnten die volksprachlich eingestellten Humanisten an ihre regionalen und städtischen Geschichtsschreiber anschließen, die zwar sprachlich nicht vorbildlich waren, aber, was wichtiger war, die politische Kontinuität ermöglichten, d. h. Traditionsbildung in der longue durée!22 Bereits in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts hatte sich eine weitere wichtige Entwicklung angebahnt: Der Begriffsumfang von historia erweiterte sich wieder um ihre frühklassische empirische, den allgemeinen Erfahrungsbezug umfassende Komponente.23 Diese erneuerte Erfahrungskunde wies überzeugende Parallelen zum Gebrauch der ›natürlichen‹ Sprache der Zeitgenossen, d. h. zum Vulgare auf.24 Die neuen ›Praktiker‹ (z. B. Künstler, Mechaniker, Ärzte) griffen zur Volkssprache. Ärzte in Frankreich schrieben kontroverse Werke in Vulgare, um ihre Klientel zu beeindrucken. Lateinische Naturgeschichten mussten regionale Vulgarenamen aufnehmen.25 Im Latein verfügte man zwar über die staatsmännische und kulturelle Erfahrung der Römer, aber mit dem Spanischen hatte man Zugriff auf die Erlebnisse der Konquistadoren ganzer Kontinente26 und im Italienischen immerhin auf die Erfahrung großer Diplomaten, Staatsmänner und Feldherren. In Spanien und Italien, etwas weniger ausgeprägt in Frankreich, entstand also eine in neuen, politischen wie religiösen, geographischen wie ethnologischen Erfahrungsräumen begründete neue nationalsprachliche Geschichtsschreibung, Zeitgeschichtsschreibung genauer gesagt.
_____________ 21 Die italienischen Ursprünge des historiographischen Methodenschrifttums mögen ein Motiv für Johannes Wolf gewesen sein, Francesco Patrizis Della historia dieci dialoghi (Venedig 1560) im ersten Band seiner Artis historicae penus (Basel 1579) in der lateinischen Fassung (Basel 1570) nachzudrucken. Dieses lateinische Sammelwerk blieb dann die maßgebliche methodische Enzyklopädie für die nächsten 100 Jahre. Methodenschriften bevorzugten das Latein. So erschien Bodins Methodus bis 1650 15mal in der lateinischen Urfassung. Vulgareversionen fanden ihrerseits leicht den Weg ins Latein, so Pierre-Daniel Huets (1630–1721) pyrrhonische Schrift Traité de la faiblesse de l’esprit humain, Amsterdam 1723, lat. Antwerpen 1738. Übersetzt wurde auch bei Bollandisten bzw. Maurinern: so Honoré de Sainte Marie (1651–1729), Reflexions sur les regles et sur l’usage de la critique, 1713–1720, als Animadversiones in regulas et usum critices, Venedig 1751. 22 Welche komplizierten Verhältnisse der Wahl der ›richtigen Sprache‹ zwischen Dialekt, normativem ›Dialekt‹ (Toskanisch) und Latein zugrundelagen, zeigt z. B. Neerfeld (2001) für die venezianische Republik. 23 Vgl. Pomata/Siraisi (2005); weiter Glardon (2006). 24 Vgl. Blair (1996), 24–28. 25 Dennoch änderte sich die linguistische Situation in den Wissenschaften nicht schlagartig. In Frankreich blieb bis um 1650 das Latein noch »langue de recherche et de communication scientifique«, so Blair (1996), 25. 26 Vgl. Folger/Oesterreicher (2005).
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iv. Vor der Wucht dieser neuen erfahrungsgesättigten Historiographie, so sollte man meinen, hätte nun das Latein in die Knie gehen müssen, d. h., der Wissensund Kulturtransfer so neuer Erfahrungen hätte eigentlich direkt, d. h. von der neuen Nationalsprache in die andere Nationalsprache erfolgen müssen. Wir wissen, dass es so nicht gewesen ist. Gerade im Heiligen Römischen Reich blieben vor das Spanische und Englische oft das Französische oder Italienische geschaltet, von denen aus man ins Deutsche übersetzen konnte, aber doch tatsächlich wiederum ins Lateinische dolmetschte. Nicht selten hieß Übersetzen damals in Deutschland, parallel ins Deutsche und ins Lateinische zu übersetzen. Es gab also, und anhand der Übersetzungen der neuen erfahrungsbegründeten volkssprachlichen Historiographie lässt sich das besonders deutlich zeigen, eine komplexe, zwischensprachliche, aber auch interkulturelle und wissenschaftsinterne Funktionalität des Lateinischen.27 Die Frage lautet somit erneut: Welche Rolle spielte das ›Alte‹ als Geburtshelfer des ›Neuen‹? Auf diese komplexe Funktionalität soll im Folgenden etwas Licht fallen. Dafür wurden bewusst Beispiele sehr verschiedenartiger Geschichtsschreibung ausgewählt. Es geht um mehr als nur um ›Höhenkammliteratur‹: Man muss die so genannten ›großen Texte‹ in den Produktions- und Rezeptionsprozess der mittleren und niederen Genres einbeziehen, damit ein Phänomen wie der Gebrauch der lateinischen Sprache im Bereich des historischen Wissens sich nicht auf die Klassiker, auch nicht auf die modernen, beschränkt, sondern bis hinunter zum zeitgeschichtlichen Flugblatt erstreckt. Anders als in den jüngsten Studien von Peter Burke geht es nicht um einen kursorischen Überblick über die Übersetzungen historiographischer Vulgare-Texte ins Latein, sondern um Versuche, das Latein in den historiographischen Gesamtdiskurs der Epoche einzugliedern.
II. Teil 1. Francesco Guicciardinis Storia d’Italia: ein Vulgare-Klassiker Die Storia d’Italia wurde, kaum war sie 1561 und 1564 erschienen, sofort durch Jérôme de Chomedey, Parlamentsrat in Paris, ins Französische (1568) und aus diesem 1579 durch Geoffrey Fenton ins Englische, 1574 durch den Paracelsisten _____________ 27 Burke, »Translating histories« (2007), 128–130, kommt auf der Basis von 553 gedruckten Übersetzungen von 340 historiographischen Texten auf diese vorläufigen Zahlen: Die ›Exportsprache‹ ist bei 93 Texten das Italienische, bei 90 das Französische und bereits bei 70 Werken Latein. Es folgen Englisch mit 36, Spanisch mit 25 und Deutsch mit zehn Texten. ›Zielsprache‹ war in 140 Fällen Englisch, aber bereits bei 120 Texten das Latein, gefolgt von Französisch mit 102, Niederländisch 88, Deutsch 80, Italienisch 59 und Spanisch mit 30. Hieraus lässt sich mit relativer Sicherheit schließen, dass Latein im Europa der frühen Neuzeit gleichsam einen Markt darstellte, der dem einer der großen Nationen ganz entsprach.
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Georg Forberger ins Deutsche,28 endlich 1581 durch Antonio Flórez Benavides ins Spanische übersetzt. Diesen Versionen war aber die lateinische Übersetzung des italienischen Glaubensflüchtlings Celio Secondo Curione (1503–1569) vorausgegangen, 1566/67 bei Petrus Perna in Basel veröffentlicht. Die naheliegende Frage, ob denn diese lateinische Version die Vulgare-Fassungen beeinflusst haben könnte, drängt sich auf, lässt sich zurzeit aber noch nicht beantworten. Man könnte sich durchaus vorstellen, dass sie es war, die in dem einen oder anderen Fall als Übersetzungshilfe gedient hat. Gleichsam als Subtitel findet sich ein einigermaßen rätselhafter Hinweis: »[…] ex Italico in Latinum sermonem conversi, iterum editi, atque ab ipso interprete emendati ac perpoliti, sic ut alii omnino esse videantur«.29 Was ist damit gemeint, dass die 20 Bücher italienischer Geschichte nun wie ›ganz andere aussehen‹? Sicher nicht, dass Curione die bislang der Zensur zum Opfer gefallenen Abschnitte eingefügt hätte, diese Teile über die kirchlichen Rechte druckte Perna erst 1569 in separater Form, und zwar gleich mehrsprachig.30 Dennoch muss die Übersetzung eine Art von Veränderung, vielleicht sogar mehrere bewirkt haben. In der Widmung, die der Protestant an König Charles IX., den späteren Mitverantwortlichen für die Bartholomäus-Nacht, richtet, heißt es, dass Guicciardini eigentlich ganz die ›französische Sache‹ betreibe: »[…] ut Francorum tantum causa scriptionem suscepisse videatur«.31 So wäre es für die Historia gut, französisch geschrieben zu sein, aber Latein passt dafür allemal besser. Um nun das Werk insgesamt schlüssig zu kontextualisieren, ergänzte es Curione durch weitere, freilich durchweg lateinische Historiker wie die Neapolitaner Bartolomeo Fazio (1408–1457) und Giovanni Pontano (1426–1503). Curione lenkte den Blick des Königs damit auf das in Frankreich unvergessene Erbe der Anjou in Neapel.32 Außerdem schmiedete er so eine Kette aus lateinischen Autoren, in die sich nunmehr auch ein ehemals in Vulgare schreibender Autor einreihte. Danach finden sich nur noch zwei weitere Erklärungen zur Übersetzung: Erstens, dass der Verfasser zeitgenössische Begriffe für Örter, Waffen, _____________ 28 Vgl. Guicciardini, Gründliche Vnnd Warhafftige beschreibung aller Fürnemen historien. Zum Übersetzer Forberger siehe Zaunick (1977). 29 Guicciardini, Historiarum sui temporis libri viginti. 30 Vgl. Guicciardini, Loci duo, ob rerum quas continent gravitatem cognitione dignissimi. 31 Guicciardini, Historiarum sui temporis libri viginti, unpaginierte Widmung Curiones: »Ad te, Rex potentissime, haec historia potissimum pertinere visa est, non solum illis quas supra commemoravi caussis, verum etiam quod maiorum tuorum praecipue res gestas complectitur sic, ut Francorum tantum caussa scriptionem suscepisse videatur.« 32 Ebd.: »Ut autem plenius hoc munus haberet Maiestas tua, cum Guicciardino duos praeclaros historiae scriptores copulavimus, Bartholomaeum Facium, et Iovianum Pontanum: quorum ille quae a marioribus tuis in regno neapolitano in Alfonsum primum Aragonesium gesta sunt, hic reliquia bella usque ad Alfonsum secundum et Fernandinum, a quo Guicciardinus suae historiae initium fecit explicavit.«
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Ämter und Maschinen benutzt habe, ganz wie das die Alten selbst getan hätten und zweitens, dass Guicciardini unzweifelhaft zu den Historikern gehöre, die das eigene Volk, die eigene Führung kritisierten, aber auch das sei alter Brauch und deshalb eher zu loben als zu tadeln. Als Zwischenergebnis mag man festhalten, dass die lateinische Fassung sich besser zur Dedikation an den französischen Monarchen eignet, dass sie sich besser in eine Reihe kunstgerecht Latein schreibender Historiker einfügt und weiterhin das Latein selbst geeignet ist, die neuzeitliche varietas in den Begriffen abzubilden: Die lateinischen Historien von Bembo, Sabellico und Giovio hätten dies bereits vorexerziert. Nach diesen Erörterungen ist es sinnvoll, einen Blick auf die Übersetzung Curiones und ihre Leistungsfähigkeit zu werfen. Bewusst wurde ein Abschnitt ausgewählt, der dem Übersetzer die Aufgabe stellt, den notorischen ›Modernisierungsschub‹ der Neuzeit abzubilden. Dabei geht es auch um den klassischen Streitpunkt, ob man Ortsnamen und Sachbezeichnungen aus den Vulgaresprachen importieren dürfe. Die Kanonen: Guicciardini, Storia d’Italia, Ausgabe Procacchi, Venedig 1583, Libro primo, S. 25 (ab anno 1492).
Die Kanonen: Guiciardini, Historiarum sui temporis, Übersetzung Curione, Basel 1567, 85–86.
Il nome delle maggiori era Bombarde: le quali, sparsa dipoi questa invenzione per tutta Italia; s’adoperavano nell’oppugnationi delle terre, alcune di ferri, alcune di bronzo: ma grossissime in modo, che per la macchina grande, et per l’imperitia de gli uomini, et mala attitudine, gl’instrumenti tardissimamente, et con grandissima difficoltà si conducevano. Piantavansi alle terre co’medesimi impedimenti, et piantate era dall’un colpo all’altro tanto intervallo, che con piccolissimo frutto, a comparatione di quello, che seguitò dapoi; molto tempo consumano: donde i difensori de’luoghi oppugnati, avevano spatio di potere otiosamente fare dentro ripari, et fortificazioni: et nondimeno per la violentia del salnitro, col quale si fa la polvere, datogli il fuoco: volavano con si horribile tuono, et impeto stupendo per l’aria le palle, che questo instrumento faceva etiandio innanzi, che avesse maggiore perfettione, ridicoli tutti gli instrumenti, i quali nella oppugnatione delle terre ave-
In his machinis, quae maiores erant, Bombardae vocabantur: quarum postea usu per Italiam universam dissipato, ad oppidorum oppugnationem adhiberi coeperunt: quarum aliae e ferro, aere Cyprio aliae constabantur, verum usque ingentes, ut partim mole sua, partim hominum imperitia, atque instrumentorum in eas regendas non satis apta confectione, tardissime, nec sine maxima difficultate vehebantur: eadam difficultate ad oppugnationem firmabantur: quod ubi erat factum, tanto intervallo displodebantur, rursumque, ad novos iactus instruebantur, ut exiguo admodum successu, prae eo qui postea usu magistro secutus est, multum temporis insumeretur: ex quo illud sequebatur, ut locorum quae oppugnabantur propugnatores, satis ad munitiones ociose restaurandas temporis haberent: cum tamen nitri (salnitrum vocant) quo pulvis tormentarius conficitur, violentia, apposito igni, usque adeo horrendo fulminis tonitru atque impetus globi per inane
Modell und Differenz vano con tanta fama d’Archimede, et de gli altri inventori, usati gli antichi. Ma i Francesi fabbricando pezzi molto piu espediti, ne d’altro che di bronzo, i quali chiamavano Cannoni, et usando palle di ferro, dove prima di pietra, et senza comparatione piu grosse, et di pese gravissimo s’usavano; li conducevano in sulle carrette, tirate (non da buoi, come in Italia si costumava) ma da cavalli con agilità tale d’huomini, ed in strumenti deputati a questo servigio, que quasi sempre al pari de gli eserciti caminavano: et condotte alle muraglie, erano piantate con prestezza incredibile: ed interponendosi dal’un colpo all’altro piccolissimo intervallo di tempo; sì spesso, et con impeto sì gagliardo percotevano, che quello, che prima in Italia fare molti giorni si soleva; da loro in pochissime hore si faceva, usando ancora questo piu tosto diabolico, che humano instrumento non meno alla campagna, che a combattere le terre: et co’medesimi cannoni, et con altri pezzi minori; ma fabbricati, et condotti secondo la loro proporzione con la medesima destrezza, et celerità. Facevano tali artiglierie molto formidabile a tutta Italia l’essercito di Carlo: formidabile oltra questo, non per il numero; ma per il valore de’ soldati, […].
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volarent, ut hoc tormentum etiam priusquam tantam perfectionem obtinuisset omneis machinas, quibus ad oppidorum oppugnationes, magna cum Archimedis aliorumque inventorum Gloria, veteres usi errant, ridicula faceret. Verum Gallis, machinis seu fistulis huiusmodi agilioribus, nec alia ex materia, quam aeris quadam mistura, quam cuprum vocant, nos paulo ante aes Cyprium latine nominavimus, quos canones appellant, pro veteribus catapultis conflatis: pilis praeterea ferreis, cum ante lapideis, eisque longe maioribus gravioribusque; uterentur, eas carris impositas, non quidem bovum iugis ut in Italia mos erat, sed equis ea hominum atque instrumentorum agilitate, ut pari fere cum exercitibus gradu incederent, convehebant: et muris admotas incredibili celeritate statuebant: cumque parvo admodum intervallo disploderentur: usque adeo crebris atque violentis ictibus verberabant, ut quod prius in Italia multorum dierum spacio (sic) fieri solebat, ab his paucissimis horis perficeretur: quae tartarea potius, quam humana machina non minus in campestri pugna, quam in oppidorum oppugnationibus, utebantur: iisdem igitur atque aliis minoribus tormentis sed eadem agilitate celeritateque pro rata cuiusque portione et conflatis, et advectis fiebat, ut Caroli exercitus toti Italiae valde formidabilis esset: praeterea vero etiam, non tam numero quam virtute hostium nostri non parum terrebantur.
Aus der Parallellektüre lassen sich folgende vorsichtige Schlüsse ziehen: Bereits der erste Eindruck führt zu dem überraschenden Ergebnis, dass die ›Zielsprache‹ Latein ihrer traditionellen stilistischen Privilegien, nämlich Kürze (brevitas), Gedrängtheit (concinnitas) und Übersichtlichkeit (claritas, evidentia) verlustig gegangen ist. Die Gründe für die Erweiterung und Blähung des Textes sind leicht nachvollziehbar: Aus attributiven Konstruktionen (Il nome delle maggiori) werden Nebensätze (quae maiores erant), neuzeitliche Eigennamen (bronzo) werden über Herkunftsbezeichnungen ergänzt (aere Cyprio). Knappen italienischen Konjunktionen (ma) stehen ausladende lateinische Dopplungen gegenüber (verum
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usque), auch entsprechen einfache Partizipialfügungen (piantate) ganzen Nebensätzen (quod ubi erat factum), die nicht selten für inhaltliche Unschärfen sorgen; so etwa wird aus che seguitò dapoi das ungelenke prae eo qui postea usu magistro secutus est. Im Gebrauch dieser Nebensatzkonstruktionen bleibt Curione konsequent. Damit erregt er den Eindruck, als müsse er das, was bei Guicciardini stets Resultat, d. h. sichtbar gewordene Handlung ist, stets zuvor erklären, so dass die Handlung, anstatt sich selbst zu bezeichnen, von ihm beharrlich nochmals eine solche genannt wird. Das Problem des Übersetzers war nicht die Lexik im strikten Sinn. Ob man nun più espediti mit agilioribus, usando palle di ferro mit pilis praeterea ferreis uterentur übersetzt, das spielt keine große Rolle. Was misslingt, sind eindeutig die Spannungsbögen, um die sich Guicciardini in diesem Schlüsselabschnitt energisch bemüht hatte. Das Staunenswerte war ja weniger die Größe der Kanonen als die Fähigkeit der französischen Artilleristen, sie so zu behandeln, als wären sie klein, d. h. sie in schneller Folge abzufeuern und so schnell auf der Straße zu bewegen, wie der normale Infanterist marschierte: li conducevano in sulle carrette, tirate (non da buoi, come in Italia si costumava) ma da cavalli con agilità tale d’huomini, ed in strumenti deputati a questo servigio, que quasi sempre al pari de gli eserciti caminavano.
Daraus wird bei Curione: eas carris impositas, non quidem bovum iugis ut in Italia mos erat, sed equis ea hominum atque instrumentorum agilitate, ut pari fere cum exercitibus gradu incederent, convehebant.
Hier vernichtet das nachklappende convehebant die mühsam aufgebaute Spannung der italienischen Klammer (conducevano–caminavano) restlos, so dass mögliche Vorteile des Lateins, wie sie im klammerförmigen Ablativus absolutus mit fallgleichen Attributen aufscheinen, equis ea hominum atque instrumentorum agilitate, nicht mehr zum Tragen kommen. Gegenüber der italienischen Version, ma da cavalli con agilità tale d’huomini, ed in strumenti deputati a questo servigio, kommt hier nämlich eine unbestreitbar konzisere Wendung zum Einsatz. In nicht wenigen sprachlichen Strukturen und Eigenheiten wirkt das Italienische Guicciardinis ›lateinischer‹ als Curiones Latein. Dieser Eindruck wird vor allem dadurch hervorgerufen, dass Guicciardinis Diktion einer Maxime der klassischen antiken Historiographie verpflichtet ist, nämlich der handlungsgerechten Folgerichtigkeit: Strukturen, Motive und Ereignisse, die vielschichtig sind und vor längerer Zeit angelegt wurden, müssen über verschlungene Wege, doch lückenlos nachvollziehbar, in die Gegenwart geführt werden. Hauptzweck ist, unerwartete und staunenerregende Effekte zu erklären. Gelingt diese Herleitung, dann hat das eine grandiose stilistische Ökonomie zur Folge. Sie erlaubt es dem Autor, sich bei der Erklärung gegenwärtiger Phänomene auf ihr Binnenverhältnis zu konzentrieren, welche die prudentia des Lesers sodann im ›Schleppnetz‹ der zurückreichenden Kausalketten verorten muss.
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Guicciardinis Italienisch stellt, weil sich der Autor thematisch auf Entscheidungslagen konzentriert, einen entschiedenen, d. h. einen ›entscheidenden Gestus‹ zur Schau. Dieser Gestus blieb seinem Übersetzer, immerhin ein bekannter Rhetorikprofessor, verwehrt.33 Curione war zweifellos – ebenfalls im Italienischen – zum sprachlichen Affekt und Effekt begabt, aber als Übersetzer ins Latein wurde er seiner Vorlage nicht ganz gerecht. Hier verbirgt sich allerdings ein grundsätzliches Problem der Übersetzungskultur der Frühen Neuzeit. Während die Autoren über Jahrzehnte an ihren Werken feilten, mussten die Übersetzer, angetrieben von geschäftstüchtigen Druckern, schwierige Texte unter großem Zeitdruck abarbeiten. Auch diese Umstände erklären, warum manche lateinische Version die der Sprache inhärenten Möglichkeiten nicht nutzen konnten. Es wäre fahrlässig, die Arbeitsökonomie der damaligen Übersetzer mit der der Autoren vergleichen zu wollen. Freilich ist die Storia d’Italia auch ein gutes Beispiel, dass noch andere Wege zum guten Latein führen konnten. Dazu waren freilich tiefgehende Einschnitte in die Text-, ja selbst in die Sinngestalt des Werkes nötig. Als Beispiel sei hier eine der um 1600 so beliebten Sentenzensammlungen aus den so genannten ›politischen Historikern‹ genannt: Francisci Guicciardini Hypomneses politicae. 34 Es handelt sich um einen zum Taschenformat geschrumpften Fürstenspiegel, d. h. Speculum Aulicarum, mit politischen Sentenzen des Verfassers. Für diesen Auszug eines Auszuges benutzte der anonyme Herausgeber natürlich Curiones lateinische Fassung. Großzügig weist er den werten Leser darauf hin, dass es zwar lehrreicher gewesen wäre, sich selbst die Essenz durch Lesung der gesamten Geschichte zu beschaffen, aber er könne doch auch seinerseits an den Sätzen weiterarbeiten. Das knappe Vorwort ist es wert, zur Gänze zitiert und kommentiert zu werden, enthüllt es doch das System der ›Umarbeitung‹ in Sentenzen: En tibi Lector candide sententias, ex Dom. Francisci Guicciardini historiarum descriptas, quas Hypomnesibus superioribus ob argumenti similitudinem subiungere placuit: et quia illae seorsim impressae vix libellae formam habiturae videbantur. Utrasque vero (sententias et hypomneses) vero rectius intelliges, si ipsum historiarum corpus perlegas, ex quibus hae, ut dixi descriptae (i. e. sententiae), sed descriptae tantum. Nam hypotheses omnes ad theses transferre, et salutaria monita ex historia universa elicere: actionum item omnium, consiliorum et eventuum causas annotare: atque haec singula inter se conferre, (qua in re verus lectionis historicae fructus consistit) maioris utique laboris est, ad quem hoc tempore nec animus, nec otium mihi fuit: nec tibi ipsi difficile id in reliquis praestare, si Autoris nostri vestigia hac in re sequaris.
_____________ 33 Curione lehrte von 1546 bis zu seinem Tod 1569 mit großem Erfolg in Basel. Seine antipäpstliche und antirömische Streitschrift Pasquino in estasi (dt. 1543, Der verzucket Pasquinus. Auß Welscher Sprach inn das Teutsch gebracht; frz. 1547, Les visions de Pasquille; engl. 1566, Pasquine in a traunce; nl. 1567, Een seer schoone Dialogus […] Nueerst wten Latiinische in de Nederduytsche tale overghesett) war eines der meistgedruckten Pamphlete seiner Zeit und wurde noch in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts fleißig herausgegeben. 34 Hier zitiert als [Anonymus], Sententiae selectiores.
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Markus Völkel Illud tamen e re tua fore duxi, sententias Autoris pluribus ab ipso verbis ut plurimum propositas, contrahere, et quasi brevicula earum ad oram adjicere: aut si eae per se satis astrictae, uno atque altero interdum verbo argumenta earum notare, quandoque etiam eandem sententiam aliis tantum verbis exprimere. Quae ratio, notarum vicem, in locis superioribus, interdum supplebit, et meo iudicio, nec utilitate, nec voluptate caret. Ideoque eam tum in hisce sententiis ex scribendis, tum in superioribus hypomnesibus an orbis latinitate donates, bono tuo secuti sumus.35
Der Anonymus setzt seine ›systematische Lektüre‹ der lateinischen Fassung der Storia d’Italia voraus. Deren Ertrag, die sententiae, wünscht er, wegen der Ähnlichkeit der Beweisführung, mit allgemeineren ›Ermahnungen‹ (hypomneses) vereint zu sehen. Beide Resultate solle dann der Leser, in einer zur ursprünglichen Deduktion rückläufigen Arbeit, aus der Gesamtgeschichte nochmals herausziehen (ex historia universa elicere). Das sei zwar zeitraubend, aber doch einfach, gelte es doch nur den ursprünglichen Spuren Guicciardinis nachzutreten (Autoris nostri vestigia hac in re sequaris). In einem zweiten Schritt geht es darum, die politischen Topoi auch selbständig in sprachlich korrekter Form erzeugen zu können. Dazu gehört die Verkürzung (contrahere) zur Herstellung von Marginalnoten (ad oram adjicere) sowie die rückläufige Erweiterung, diesmal als längere Version in eigenen Worten. Es liegt auf der Hand, dass diese und andere Übungen, die ihren Ursprung in den klassischen lateinischen Progymnasmata haben, nur in lateinischer Sprache durchzuführen sind. Ganz nebenbei lernt der Schüler sowohl die aufsteigend kompositive wie auch die rückläufige resolutive Methode handzuhaben. Die lateinische Übersetzung bahnt damit den Weg zurück zu den klassischen rhetorischen Übungen im Lateinunterricht, doch dient sie auch zur Exemplifizierung der zeitgenössischen ›wissenschaftlichen Norm‹. Letzteres wäre Guicciardini gewiss willkommen gewesen. Als bloßer Sprachtrainer zu dienen, wäre ihm jedoch vielleicht verfehlt erschienen. Freilich achteten die Zeitgenossen solche Empfindlichkeiten nicht. So wie die Reden von Thukydides ins Latein übersetzt wurden und mit solchen von Livius in Anthologien erschienen, so gelangten auch die Reden von Vulgarehistorikern ins lateinische Schulbuch.36 Der politisch-erzieherische Wert pflegte dabei neben der rhetorischen Systematik stark zurückzutreten. _____________ 35 [Anonymus], Sententiae selectiores, unpaginierte Vorrede. 36 Vgl. Burke, »Translating histories« (2007), 133 f. Die dabei gebräuchliche Systematik lässt sich bereits an den indexhaften Werktiteln ablesen, vgl. Conciones Sive Orationes. Ex Graecis Latinisque historicis excerptae: Quae ex Graecis excerptae sunt, interpretationem Latinam adiunctam habent, nonullae novam, aliae antea vulgatam, sed nunc demum plerisque in locis recognitam; Argumenta singulis praefixa sunt, lectori aiumento magno futura; Additus est index artificiosissimus et utilissimus, quo in rhetorica causarum genera, velut in communes locos, singulae conciones rediguntur, hg. v. Henri Estienne, Genf 1570, oder Iunio, Melchior, Orationum ex historicis tam veteribus, quam recentioribus, in eloquentiae studiosorum gratiam, secundum tria causarum genera et res his convientes tres in partes ita congestarum ut singularum […] existent, Straßburg 1598.
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2. Lérys Histoire d’un voyage faict en la terre du Brésil37 Das Werk des Hugenotten Jean de Léry (1534–1613) ist seit Claude Lévi-Strauss und Michel de Certeau zu dem einem Klassiker des französischen Ethnologiediskurses geworden.38 Aber der Reisebericht von 1578 existiert auch in einer lateinischen Fassung, die er 1586 dem Landgrafen Wilhelm IV. von HessenKassel (1532–1592), seinerzeit als Astronom sehr bekannt, widmete.39 Um den Stellenwert dieser Übersetzung beurteilen zu können, ist es notwendig, die gesamte Editionsgeschichte dieses berühmten Werkes einschließlich seiner Nachbarwerke zur Sprache zu bringen. Zwischen 1557 und 1558 hatte Léry nur ein knappes Jahr in Brasilien zugebracht, das ihm allerdings unauslöschbare Eindrücke beschert hatte. Die kriegerischen Zeitläufe brachten es mit sich, dass die Histoire d’un voyage erst 1578 erscheinen konnte. Freilich bedeutete die Erstveröffentlichung nicht, dass sich der Verfasser von seinem Initiationserlebnis gelöst hätte. Im Gegenteil, er verflocht es immer intensiver in den zeitgenössischen Diskurs der Religionskriege.40 Bis zur fünften Ausgabe 1611 überarbeitete er seine Aufzeichnungen (memoires) unermüdlich und steigerte vor allem die Fülle der Details im sensationellen Kapitel XV. über die Anthropophagie der Tupinamba.41 Die selbst verfertigte lateinische Version von 1586 war die erste Übersetzung in eine Fremdsprache. Sie scheint die Grundlage für eine verkürzte deutsche Ausgabe durch Theodor de Bry 1593 gewesen zu sein. 1597 folgten eine niederländische und 1611 eine englische Version, alle von der lateinischen Kurzfassung bei de Bry abhängig, die dieser erstmals 1592 in seiner Americae tertia pars veröffentlicht hatte. Während also das französische Lesepublikum über mehr als 30 Jahre hinweg von Léry mit immer neuen Ausgaben bedacht wurde, kam der europäische ›Schub‹ für das Werk augenscheinlich erst durch die lateinische Version zustande. Von dieser Fassung aus wanderte die Histoire d’un voyage in die maßgeblichen Anthologien von Benzoni und de Bry weiter. Eine lateinische Fassung, mitten in der Inkubationszeit der leyenda negra,42 machte also durchaus Sinn, aber galt das auch für die Widmung an den Landgrafen Wilhelm IV. von Hessen-Kassel? Wilhelm konnte als ›frankophil‹ gelten; er ließ seinen eigenen Sohn, den späteren Landgrafen Moritz (1572–1632), durch _____________ 37 Léry, Histoire d’un voyage; zitiert wird hier die zweite textidentische lateinische Ausgabe Genf 1594. In beiden Fällen handelt es sich um die Übersetzung der dritten französischen Ausgabe, Genf 1585. 38 Vgl. Lévi-Strauss (1995) und Certeau (1975). 39 Zu den ersten französischen Fassungen siehe Lestringant (1984). 40 Vgl. Lestringant (1990). Über die überraschenden kolonialen Dimensionen der Genfer konfessionellen Politik vgl. Lestringant (1995). 41 Die folgenden Ausführungen stützen sich auf die Chronologie und Bibliographie Lestringants in der Edition von Léry, Histoire d’un voyage, 613–649. 42 Vgl. Reinhard (2001).
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französischsprechende Lothringer erziehen und schickte ihn zur Fortbildung nach Paris.43 Es mussten also andere Gründe als die der bloßen Verständlichkeit sein, die zum Latein führten. In der Vorrede gibt der damals im Exil lebende Pfarrer Léry Auskunft über die Beweggründe der Übersetzung. Wieder lohnt es sich, den Übersetzer selbst ausführlich zu Wort kommen zu lassen: Sextus iam fere, opinor agitur annus, Princeps Illustrissime, ex quo doctissimus vir Cassiodorus Reinius mihi ex urbe Francofurto scripsit, se aliquanto ante cum Celsitudinem tuam Castellis esset, ex te audivisse, gratissimum tibi fore, si liber quem de Americana peregrinatione mea Gallice scripseram, amplificatus et Latine conversus tibi legendus offeretur. Eum enim semel a Clarissimus Vir perlectum propter novitatem rerum, et historiae mirabilitatem vehementer placuisse. Ac mihi quidem audita iampridem erat incredibilis illa benignitas et mansuetudo animi tui summa eruditione ac praesertim naturalis philosophiae, et historiarum cognitione coniuncta. Nam cum illius libri mei capita, et memorialia quaedam annis ab hinc sexdecim clarissimo Iurisconsulto doctori Hotomano Celsitudinis tuae studiosissimo in oppido Caritea ostendissem (quo propter furiales Galliae tempestates confugeramus) memoria teneo illum saepenumero mirificum quoddam tuum in hoc literarum stadium praedicasse: neque se Principem ullum nosse, qui vehementius harum rerum cognitione delectatur. Quod idem a me de Reinii literis consultus multis verbis confimavit […]. Nunc vero in hoc novo exilio meo, ut animi dolorem, quem ex renovata patriae nostrae lacerationem concipio, lenirem, operam dedi ut meus ille liber Latine conversus et multis partibus auctus, atque amplificatus sub Illustrissimi tui nominis auspiciis evulgaretur.44
Es war 1580, die Histoire d’un voyage en Brésil hatte gerade ihre zweite Auflage erlebt, da schrieb ihm ein gewisser Cassiodor Reinius aus Frankfurt, der Landgraf von Kassel wünsche sich das Amerikabuch ins Latein übertragen (amplificatus et Latine conversus). Erstaunlich daran war, dass der Landgraf dieses Buch zuvor schon gelesen hatte, und zwar auf Französisch propter novitatem rerum, et historiae mirabilitatem! Nun also habe er im Exil Zeit gefunden, diese Übersetzung ihm als einem Fürsten zuzueignen summa eruditione ac praesertim naturalis philosophiae, et historiarum cognitione coniuncta. Wilhelm IV. von Kassel kannte das Buch also bereits. Das heißt, erst, indem es auf die Höhe seiner unermesslichen Kenntnisse gehoben wird, eignet es sich für eine Widmung. Danach nimmt Léry eine weitere Kontextualisierung vor und führt den großen Juristen François Hotman (1524–1590) zum Zeugen an. Hotman, der den Landgrafen bei der Erziehung seines Sohnes beraten hatte, könnte er während seines Aufenthaltes in Genf kennengelernt haben. Auch Hotman pries überschwänglich die professionelle Bildung des Fürsten. Deshalb, so der Schluss, fühlte sich Léry zu einer verbesserten, lateinischen Ausgabe berufen. Eine franzö_____________ 43 Zum französisch beeinflussten, ramistisch geprägten Wissenschaftsverständnis des Landgrafen Moritz vgl. Borggrefe (1997). 44 Léry, Histoire navigationis, unpaginierte Vorrede.
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sische Dedikation würde den wahren ›Habitus‹ Wilhelms IV. noch verkennen, der sich vorrangig im allgemeinen Idiom der Wissenschaften abbildet. Vorrangig wie gesagt, denn im Umkreis der wissenschaftsinteressierten deutschen Fürsten gab es, mit geringer Verzögerung zu Frankreich, auch Versuche, das Deutsche als Sprache der Naturwissenschaft zu fördern.45 Für einen Ausländer wie Léry stellte sich freilich das Latein als kleinster gemeinsamer Nenner bzw. als gewinnbringendste Investition dar. Dass der Übersetzungsaufwand dennoch nicht gering gewesen ist, erweist sich beim XX. Kapitel, dem bekannten Colloquium in ipso aditu Brasiliensis orae inter indigenas Tououpinanbaultios Tououpinenkin Brasilice ac Latine conscriptum.46 Hier hatte Léry, wahrscheinlich nach der Vorlage eines aus der Normandie stammenden Übersetzers, eine Art Dialog zur Einführung in die Tupisprache wiedergegeben, d. h. er gebrauchte und erklärte über 150 Tupinismen.47 Da diese Fremdwörter zum Teil bereits Bestandteil der Alltagssprache der kurzlebigen französischen Kolonie und ihrer zeitweise 900 Einwohner geworden waren, musste er für die lateinische Übersetzung den sprachlichen Kontext der beginnenden ›Kreolisierung‹ aufbrechen. Fauna und Flora Brasiliens wechselten also aus der alltäglichen Lebenswelt der Siedler, allein durch den Wechsel im Idiom, hinüber in die Systematik der traditionellen historiae naturales.
3. Die Geschichte Martin Frobishers über seine Reisen zur Entdeckung der Nordwestpassage Wie aus dem umständlichen lateinischen Titel hervorgeht, handelt es sich sowohl editions- wie auch sprachgeschichtlich um einen verwickelten Fall:48 Historia Martini Forbisseri, […], ephemeridis sive diarii more conscripta et stilo, triennioque post, ex gallico in latinum sermonem, a Joh. Thoma Freigio translata, Noribergae, ante A. 94, cum praefatione utili, observationibus aliquot et appendice edita. Übersetzt wurde hier ein Bericht, den Dionys Settle, ein Mitglied der zweiten von drei Arktis-Expeditionen Martin Frobishers (1535/9–1594) im Jahr 1577 erstmals veröffentlicht hatte.49 Allerdings war nicht das englische Ausgangsprodukt die Vorlage, sondern die französische Version, die fast zeitgleich 1578 ver_____________ 45 Bekannt war Wilhelm IV. vor allem als Astronom und durch sein fachmännisches Kalendergutachten zur Gregorianischen Reform aus dem Jahre 1582, vgl. Hamel (1998). 46 Léry, Histoire navigationis, 297. Vgl. Léry, Histoire d’un voyage, Ed. Lestringant, 478: »Colloque de l’entrée ou arrivée en la terre du Brésil, entre les gens du pays nommez Tououpinambaoults, et Toupinenkins en langague sauvage et François.« 47 Vgl. Noll (2001), 208–218. 48 Settle, Historia Martini Forbisseri. 49 Settle, A True Report of Capteine Frobisher his Last Voyage.
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öffentlicht worden war.50 Übersetzer aus dem Französischen war kein Geringerer als Thomas Freig(ius) (1543–1583) aus Freiburg im Breisgau, einer der bekanntesten und überdies auch streitbarsten Ramisten seiner Zeit. Freigius, von 1576– 1582 Professor an der gerade gegründeten Akademie in Altdorf, zog sich durch seine ostentativ zur Schau getragene reformiert-ramistische Einstellung sowohl in Freiburg im Breisgau (1575) als auch in Altdorf (1582) den Zorn der Universitätsleitung zu. Jedesmal wich er nach Basel zu der bekannten Druckerfamilie Petri aus. Für Heinrich Petri (1508–1579) und dessen Sohn Sebastian Heinrich (1546– 1627) arbeitete er als Korrektor. Ein Großteil des Verlagsprogramms der Offizin Petri zu jener Zeit bestand aus Historienwerken. Dazu rechneten auch große Quellensammlungen zur deutschen und polnischen Geschichte wie die von Simon Schard oder Johannes Pistorius. Die Gruppe der Exotica war mit mehrbändigen Versionen der Newenn Weldt von Girolamo Benzoni (1519–1570) oder der Court du grant Turc von Antoine Geuffroy gut vertreten. Freigius selbst gab zahlreiche seiner ramistischen Lehrwerke bei den Petri heraus und reihte sich mit eigenen Übersetzungen historiographischer Werke in deren Verlagspolitik ein. Die Historia navigationis beginnt mit einem achtseitigen Widmungsbrief an den Nürnberger Patrizier und ›Scholarchen‹ Hieronymus Paumgartner d. J. (1538–1602). Es handelt sich um eine kleine, aber durchaus lesenswerte Abhandlung, die keck behauptet, die ›Neue Welt‹ sei den ›Alten‹, den heidnischen Philosophen wie auch Autoren beider Testamente bekannt gewesen. Sein Fazit ist ungewöhnlich: Das Römische Reich, die Völkerwanderung und schließlich die osmanische Expansion trügen Schuld, dass Europa sich auf sich selbst zurückgezogen habe: Ex his igitur tot Philosophorum, Geographorum, Grammaticorum, et Sacerdotum in primis litterarum testimoniis constat, illum novum orbem veteribus quoque non prorsus ignotum fuisse. Quae autem causa fuerit, cur illa navigatio tam diu intermissa est, incertum est. Credibile tamen est vel regnorum civitatumque interdictis illis id accidisse, vel ob Romani imperii inclinationem, cum totus orbis noster bellis et vastationibus Gothorum, Vandalorum, Longobardorum arderet: et Turcici imperii incrementum, omnes vires et cogitationes Europae in se converteret.51
Anschließend geht Freigius auf die spanische Expansionspolitik ein. Er verfolgt sie bis in den peruanischen Bürgerkrieg 1544–1548, den er wie eine griechische Tragödie auffasst: Recte enim Sophocles in Antigona. Man könnte sich fragen, woher hatte Freigius diese Kenntnisse, hatte er etwa die Crónica del Peru von Cieza de Léon (1520–1554) zur Verfügung? Im Paragraph sieben schließt Freigius mit Bemerkungen zur Abstammung der neuentdeckten Völker, die er auf Cham, einen Sohn Noahs, zurückführt. Darin habe ihn auch die Lektüre des sechzehnten Kapitels der Navigatio Brasiliensis von Jean de Léry bestätigt. Freigius verfügte somit über eine der drei französischen Ausgaben dieses Werks. _____________ 50 Settle, La navigation du captain Martin Forbisher Anglois. 51 Settle, Historia Martini Forbisseri.
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Nun folgt eine siebenseitige Übersetzung der französischen Vorrede des Herausgebers der Genfer Ausgabe von 1578. Sie stammt von dem Juristen Nicolas Pithou (1524–1594), aus der berühmten Gelehrtenfamilie Pithou, die so eng mit der Sache der Politiques im französischen Religionskrieg liiert war.52 Dieses Vorwort liest sich wie ein colonial discourse avant la lettre, der kritisch nach den religiösen, machtpolitischen und wissensgemäßen Motiven für den unbändigen Expansionsdrang der Europäer fragt. Gewiss habe Königin Elisabeth, die Ausrüsterin der Expedition, auch die Ausbreitung des Christentums im Sinne gehabt. Erst dann folgt, säuberlich nach Paragraphen eingeteilt und annotiert, Settles Bericht über die zweite Frobisher Expedition. Zunächst, 37 paginierte Seiten lang, Frobishers Bericht, ordentlich in Pars prima mit 39 Paragraphen eingeteilt; sodann Pars secunda: Mores, vita, victus, habitus, horum populorum mit 26 Paragraphen, abschließend Tertia pars, Reditus domum mit 13 Paragraphen. Es folgen dann Annotationes (S. 24–29) und dann ein Appendix. Beschlossen wird die Ausgabe mit einem Brief des Christophe Longueil (Longolius, ca. 1488– 1522) an Grimoaldus aus Giovios Historia sui temporis, Buch 34, über die ›Inder‹ und endlich ein Abschnitt aus dem Werk eines gewissen Antonius Lullus Hispanus. Freigius ›verwissenschaftlicht‹ und kontextualisiert die Historia Martini Forbisseri weit über die französische Ausgabe hinaus. Seine lateinische Fassung fügt den Bericht in den humanistisch-gelehrten Diskurs ein (griechische Zitate), gliedert und diskutiert ihn systematisch, d. h. sie gibt noch ›Stellen‹ bzw. ›Loci‹ diskursiv zum Thema dazu. Lateinische Ausgaben streben generell dieses Niveau und seine Leserschaft an.53 Ganz anders die gleichzeitige deutsche Ausgabe dieses Berichts, die ebenfalls von Freigius stammt.54 Hier gibt es keine Einleitung, keine Binnengliederung, keine Anmerkungen, nur einen ganz chaotisch fortlaufend gedruckten Text. Das einzige, was alle Ausgaben zu verbinden scheint, ist der bereits auf die englische Erstausgabe zurückgehende Stich, der die von Frobisher gekidnappten Eskimos zeigt, die damals in England Aufsehen erregten.55 _____________ 52 Vgl. Fragonard (2003). 53 Vgl. Blair (1996), 31: »Ainsi lorsqu’ une élite de praticiens demande un nouveau respect pour leur expertise ›mécanique‹ et leur expression vernaculaire, plusieurs des humanistes acharnés à la purification du latin adoptent ces idées, en les détachant de leurs origines vernaculaires, dans leurs préceptes pédagogiques et leurs méthodes érudites. Lorenzo Valla, Juan Vives, Guillaume Budé, entre autres, se vantent, en latin, du savoir qu’ils ont acquis en consultant des artisans et recommandent qu’on porte une plus grande attention à l’empirisme du quotidien et aux connaissances pratiques.« Vgl. auch Rossi (1962), Kap. 1. 54 Vgl. Settle, Beschreibung Der Schiffart des Haubtmans Martini Frobisher auß Engelland (1580). 55 Aufschrift: »Delineatio hominum ex Anglia advectorum, cum eorum armis, tentoriis et naviculis. A. 1577«, dt.: »Ware abcontrefey der dreyen wilden leut / so in Engelland gebracht sein worden / samt irer Tracht, Waffen, Zelt oder Hütten / und Schifflein«. Zum wissenschaftlichen Kontext der geraubten Eskimos vgl. Cheshire/Waldron (1980).
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Das Umfeld von Freigius’ Übersetzertätigkeit verdient einige Präzisierungen. Die Druckerfamilie Petri gehörte zu den großen Mitspielern auf dem Buchmarkt in Zentraleuropa.56 Sie griff nicht nur populäre Strömungen auf, sondern nahm auch selbst Einfluss auf den Inhalt ihrer gelehrten Publikationen. Kein geringerer als Sebastian Münster (1488–1552) war der Stiefvater von Heinrich Petri. Seine Cosmographia von 1544 blieb bis ins 17. Jahrhundert das ›Flaggschiff‹ des Verlagshauses. Gleichzeitig hielten die Petri engsten Kontakt zu den lokalen Basler Historikern. So müsste der Basler Theologe und kopernikanische Astronom Christian Wurstisen (1544–1588), seit 1586 Stadtchronist, als Korrektor ein direkter Werkstattkollege von Freigius gewesen sein. Auf ihn geht die berühmte Bassler Chronick von 1580 zurück, die ebenso von den Petri gedruckt wurde wie die großen, global ausgerichteten Geschichtswerke. Dabei betrieben die Petri bewusst eine zweisprachige Druckerei und erteilten dabei offensichtlich auch an Freigius Übersetzungsaufträge, und zwar ins Latein. Dies gilt z. B. für die Historia de Bello Africano eines Paters Luis Nieto, die dieser auf Spanisch geschrieben hatte. Ihr Erstdruck erschien aber 1579 unter dem irreführenden Namen des portugiesischen Exilhistorikers Frei José Teixeira (1543–1604) in französischer Sprache. Diese französische Fassung übersetzte Freigius ins Latein und ließ sie, damals noch in Altdorf wohnhaft, in Nürnberg drucken.57 Noch im gleichen Jahr publizierten die Petri in Basel die auf der lateinischen Version beruhende deutsche Übersetzung von Nikolaus Höniger.58 Besagter Höniger (1548–1598) wirkte über zwölf Jahre als Korrektor bei den Petri. Er war es, der die große dreiteilige Benzoniausgabe bzw. Geuffroys Estat de la Court du grant Turc, stets aus dem Latein, ins Deutsche übersetzte. Freigius’ gehäufte Übersetzungen ins Latein sind also nur als Teil seines Lebensweges als abhängiger Korrektor zu verstehen, entbehren aber nicht der Bezüge zu seiner Tätigkeit als ramistischer Lehrer, der sich z. B. sein eigenes universalhistorisches Kompendium anlegte; in lateinischer Sprache und natürlich in Basel gedruckt.59
4. Samuel von Pufendorfs (1632–1694) Introductio ad historiam praecipuorum regnorum Mit Pufendorfs Geschichtsüberblick über das zeitgenössische Staatensystem gerät man auf die Ebene des Schul- und Lehrbuchs. Dabei ist diese Einleitung aller Wahrscheinlichkeit nach das erfolgreichste Geschichtslehrbuch der Neuzeit ge_____________ 56 57 58 59
Vgl. Hieronymus (1997). Nieto, Historia de Bello Africano. Nieto, Africanischen Kriegs Beschreibung. Vgl. Freigius, Historiae synopsis, 27. Freigius hält sich hier streng an das Viermonarchienschema und behandelt die Neue Welt nur kursorisch im Rahmen der Geographie.
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wesen, von Carions und Melanchthons Chronica einmal abgesehen. Der Kern des Werks, später wurde er vielfältig erweitert und besonders in den späteren Übersetzungen ins Französische und Englische verändert, erschien zunächst auf Deutsch im Jahr 1682.60 Eine erste Fortsetzung, die Continuierte Einleitung von 1686, war bereits auf dem Markt, als 1687 bei Pufendorfs Hausdrucker Friedrich Knoch in Frankfurt die lateinische Fassung erschien. Der Jenaer Jurist Johann Friedrich Cramer hatte sie übernommen.61 Nun entstanden in dichter Folge deutsche, französische und englische Fassungen, wobei sich feststellen lässt, dass das Interesse für die Einleitung bis zum Ende des Spanischen Erbfolgekrieges kaum jemals nachließ. Die Erneuerung der europäischen Kriege im fünften Jahrzehnt des 18. Jahrhunderts ließ das Werk mit volkssprachigen Ausgaben in London, Amsterdam und Frankfurt am Main nochmals aktuell werden.62 Ein zusätzlicher Schub für die Verbreitung im Heiligen Römischen Reich ergab sich aus der Verwendung als Lehrbuch der so genannten ›Reichshistoriker‹, von denen die bekanntesten wie Johann Peter Ludewig, Christian Gottfried Franckenstein und Hieronymus Nikolaus Gundling es nicht verschmähten, weitschweifige Kommentare zur Einleitung zu verfassen. Verglichen mit dem fast achtzig Jahre währenden europäischen Verlagserfolg in drei Volkssprachen nimmt sich die Wirkung der lateinischen Version bescheiden aus: vier Ausgaben in 16 Jahren. Deshalb sollte man die Frage stellen, warum zur Blütezeit der nationalen Monarchien diese Version noch notwendig war. Pufendorf gibt selbst genaue Hinweise zur lateinischen Ausgabe von 1687: Impeditam autem atque difficilem, ad hanc scientiam viam efficit, cum historiarum vastitas, ac scriptorum, qui illas complexi sunt, immensa multitudo, tum etiam quod illorum magna pars vernaculo sermone, res suae gentis memoriae prodidit; adeo, ut qui ad eam appellere animum vellit [sic], complurium linguarum exterarum cognitione instructus esse debeat. Ad eas tollandas difficultates, paucis abhinc annis, Suecicorum quorundam adolescentium rogatu, breve hoc rerum memorabilium corpus confeci, earum scilicet gentium, quarum in hoc regno maxime ducitur ratio, ut in eo historicae scientiae fundamentum iacerent, atque ut tantum in privatos ipsorum usus converteretur.63
Zunächst stellt er fest, dass es zu den gegenwärtigen Staaten in Europa eine Unmenge zeitgeschichtlicher Quellen gebe. In den jeweiligen Nationalsprachen verfasst, blieben sie – gerade dem Anfänger im historischen Studium – unzugäng_____________ 60 Dieser gängigen Meinung scheint eine schwedische Schrift Pufendorfs von 1680 freilich zu widersprechen, vgl. Pufendorf, Inledning Til Historien. 61 Pufendorf, Introductio ad historiam praecipuorum regnorum. Feststellbar sind weitere Ausgaben in Frankfurt am Main 1700 und 1704 sowie eine weitere Ausgabe von Cramers Übersetzung im Jahr 1693 in Utrecht. 62 Ausgangspunkt für diesen Erfolg war die überarbeitete französische Ausgabe des Publizisten und Geographen Antoine-Augustin Bruzen de la Martinière (1662–1742) Amsterdam 1743– 1754, die 1748 in London in englischer Fassung erschien. 63 Pufendorf, Introductio ad historiam praecipuorum regnorum, unpaginierte Praefatio Auctoris.
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lich. Auf diese Herausforderung zeitgeschichtlicher Lehre habe er, als Universitätsprofessor in Lund, zunächst mit einem schwedischen Kompendium reagiert (vgl. Anm. 60), das den lokalen politischen Verknüpfungen Rechnung trage. Dieses Schulwerk sei nun in ein mehr pragmatisches als literarisches Latein übertragen worden.64 Anstatt nun die Wahl des Lateins noch eigens zu begründen, setzte Pufendorf dessen international praktischen Zug schlicht voraus und konzentrierte sich, ein seltener Vorgang, auf die ›interne Konkurrenz‹ seines Geschichtsdenkens mit der in der antiken Historiographie bislang geübten philologischexemplarischen Praxis: Iam vero, quid afferre luminis ad earum rerum cognitionem, quae hoc tempore, in terrarum orbe gerantur, CORN. NEPOS, CURTIUS, aut prior Livii decas queat, non video. Etsi enim eos ad unguem, ut ita loquar, reddere, memoriter aliquis posset, et Phrasium Sententiarumque Indicem locupletissimum confecerit, immo enumerare accuratissime queat, quantus fuerit bonum ac pecudum numerus, quas Romani, reportata de Aequis, Volscis, et Hernicis victoria, in triumphum duxerunt, nihilo tamen plus videat. Rursus quanto adminiculo sit, historiae tam patriae nostrae quam finitimarum gentium notitia, iis perspectum atque exploratum est, qui consiliis rerumpublicarum admoti sunt.65
Hier spricht sich der Naturrechtsprofessor und staatlich bestallte Zeithistoriker entschieden gegen den zeitgenössischen Geschichtsunterricht aus: Er sei sprachlich, d. h. wegen der Vielfalt der Idiome – wozu er auch Vulgaresprachen rechnet – und strukturell, wegen der Antiquiertheit der privilegierten antiken Historiker, mangelhaft. Somit folgt der Weg zur lateinischen Fassung einer gewundenen Argumentation: Für ein ordentliches Geschichtsstudium der Gegenwart benötige man zu viele Sprachen, aber die Lektüre der lateinischen Klassiker führe zu einer sprachlich orientierten, anstatt zu einer analytisch-praxisnahen Ausbildung. So wird das Latein einerseits attraktiv, weil es die moderne Sprachverwirrung überwindet und andererseits zum Feindbild, insofern es an der sprachhumanistischen Perspektive auf historische Texte festhält. Auf eine lateinische Sprachversion, die ganz auf die Information ausgerichtet ist, glaubt somit auch Pufendorf nicht verzichten zu können, obwohl er die mangelnde Eleganz offen einräumt. Dennoch war dieser lateinischen Fassung nur ein bescheidenes Nachleben beschieden. Gerade auf Pufendorfs Spezialgebieten, der politischen Theorie und Geschichtsschreibung, setzte sich bereits zu seinen Lebzeiten das Französische als europäische lingua franca unwiderstehlich durch.66 So waren es denn auch die _____________ 64 Ebd. »Quare existimare facile poteris, benevole Lector, opus hoc non dignum esse politis eruditorum hominibus auribus, sed ad adolescentum captum atque usum accommodatum.« 65 Ebd. Es ist möglich, dass sich in dieser Feststellung Reflexe auf die ›historische Erziehung‹ Pufendorfs an der Fürstenschule in Grimma 1645–1650 finden. Rückblickend betonte er vor allem seine selbständige Lektüre der antiken auctores, vgl. Döring (1991), 154–165; vgl. weiter Döring (1994). 66 Die recht frühe Ablösung des Lateins als Publikationssprache in Frankreich behandelt Martin (1982), 429–457.
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französischen Versionen, die 1743 und 1748 in Amsterdam erschienen, die dem Buch die dritte und letzte Generation seiner Leserschaft einbrachte.
5. Ein vorläufiges Fazit: Kontexte für das Latein als historiographische Zielsprache Das frühneuzeitliche Latein hat in den letzten Jahren erstmals wieder breiteres Interesse erregt. Die Kontexte, in denen es dabei erscheint, sind in der Regel der kulturhistorische, besonders der des Kulturtransfers, der literarhistorische – als Entstehungshorizont der Nationalliteraturen – und nicht zuletzt der übersetzungsgeschichtliche. Jeder dieser Kontexte, das haben die in dieser Studie untersuchten Beispiele gezeigt, ist zur Erforschung der lateinischen Übersetzungen aus dem Vulgare zwar notwendig, aber keineswegs hinreichend. Literaturlisten wie die von Reynolds (1955) und Grant (1954) sind gewiss ebenso unverzichtbar wie die statistischen Untersuchungen von Burke (2007) zu den Druckorten, Genres und Zielsprachen frühneuzeitlicher Übersetzungen. Lexikalische und rhetorische Studien bereichern ebenfalls die Fragestellung.67 Freilich sind damit angesichts der strukturellen Verankerung des Lateins in der Frühen Neuzeit kaum mehr als triviale Erkenntnisse gewonnen: Pädagogische, ökonomische, kommunikative, soziale und wissenschaftliche Gründe erzwangen und prämierten weiterhin einen intensiven Gebrauch dieses Idioms. Überdies, aber das kann angesichts der Sprachgeschichte des Lateins und seiner fundierenden Beziehungen zu allen europäischen Nationalsprachen nicht überraschen, war diese Sprache im 16. Jahrhundert noch auf allen Ebenen von Wissenschaft und Literatur entwicklungsfähig, konnte sich selbst deren Revolutionen anpassen.68 Angesichts der drohenden Irrelevanz der herkömmlichen Ansätze sollte man den Fragekontext verschieben. Heute spricht viel für die Hypothese, dass in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts die Entscheidungen gegen das Fortbestehen des lateinischen Sprachmonopols längst gefallen waren, die definitiven Auswirkungen auf den sozialen Ebenen der sprachlichen Funktionen sich aber erst mit langer Verzögerung einstellten. Leitmotive der ungleichmäßigen Entwicklung waren die Reformation, die Verwaltungs- und Geschichtspolitik der nationalen Monarchien,69 der auf das volkssprachliche Massenpublikum angewiesene Markt für Druckereierzeugnisse, die muttersprachliche Pädagogik sowie die erfolgreichen Experimente mit dem Vulgare als Wissenschafts- und Literatursprache. Deshalb _____________ 67 Beispielhaft hierfür Demerson (2005). Demerson untersucht vorwiegend das Opus epistolarum von Pietro Martire d’Anghiera (1459–1526), Autor des berühmten De orbe novo […]. 68 Man sollte die Hypothese überprüfen, ob nicht der Sieg des ›ciceronianischen Modells der Nachahmung‹ und besonders die Option der Schulen der Jesuiten für diesen Autor wesentlich dafür verantwortlich sind, dass die durch die Erasmianer betriebene permanente Erneuerung des Lateins scheiterte. 69 Vgl. Renger (2002).
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muss die Frage lauten, warum, entgegen allen diesen Faktoren, jeweils eine Wahl stattfand, ein Werk, das in Vulgare konzipiert war, doch noch ins Latein zu transferieren. Und für diese Wahl müssen, hier liegt das große Defizit gegenwärtiger Übersetzungsforschung, präzise Kontexte angegeben, noch besser ›Fallgeschichten‹ erzählt werden. In Zukunft sollte es weniger um die bislang bevorzugte strategische Ebene bewusster Sprachwahl gehen, als um die Zwänge konkreter sozialer Konstellationen für die Produktion, die sich zum Teil bis in die microstoria verfolgen lassen. Auf einer zweiten Ebene sollte klar sein, dass die Geschichtsschreibung im multipolaren Kräftefeld der europäischen Hauptsprachen eine Sonderstellung einnimmt. Abgesehen von Italien hatte sich auf diesem Sektor noch in keinem Land die Volkssprache mit ›Leitwerken‹ von internationaler Resonanz hervorgetan.70 Deshalb war es kein Zufall, dass die Generation der großen Historiker um 1600, d. h. Camden, de Thou und Mariana, abgesehen vom Venezianer Sarpi, fast nur auf Latein publizierte. In der Historiographie waren die linguistischen Zwänge von Beispiel und imitatio am nachhaltigsten, so dass, zumindest in Mittel- und Osteuropa, das Latein noch in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts die Bühne beherrschte.71 Der Kontext für die Wahl einer lateinischen Übersetzung in der Frühen Neuzeit besteht aus einer individuellen Konstellation zwischen den traditionellen strukturellen Voraussetzungen und den Strömungen hin zur Nationalsprache. Aktualisiert werden kann der Kontext nur innerhalb der mittleren bis mikroskopischen Entscheidungslagen. Diese Dreierkonstellation liegt den vorstehenden Fallstudien zugrunde. Dabei zeichnen sich einige vorläufige Ergebnisse ab: Lateinische Werke scheinen sich besser zur Widmung an hochgestellte Persönlichkeiten geeignet zu haben (Léry). Lateinische Übersetzungen bringen volkssprachliche Werke auf elegante Weise in ältere, ja oft erst überhaupt in die Kontexte von Wissen und Forschung ein (Frobisher, Freigius). Diese Integration kann so weit gehen, dass _____________ 70 Philippe de Commynes’ (1447–1511) Mémoires, 1524–1528 erstmals gedruckt, sind die französische Ausnahme, die die Regel bestätigt: Kein internationaler Erfolg ohne lateinische Fassung. Von 1545 bis 1619 erschienen fast die gleiche Anzahl lateinischer wie französischer Ausgaben (ca. 10). Kaspar von Barth (1587–1658), unzufrieden mit der alten Sleidan-Ausgabe, ließ noch 1629 seine lateinische Neuübersetzung erscheinen. 71 Vgl. Leibniz (1688/2001), 37: »Von andern discursen in Materia Status die ich meist jussu principum meorum aufgesezet, will iezo nichts erwehnen, sondern zu der Historia Caesaris scribenda schreiten; Es ist einem großen potentaten zu seiner eignen satisfaction so wohl als instruction der posteriat nicht wenig daran gelegen, dass seine Histori wohl beschrieben werde, damit haben sich Cardinäle [,] große grafen und herren [,] praesides von Parlamenten und dergleichen furnehme herren delectiret [.] Ihre MT geben solche Materi daz, dass die besten federn von der Welt sich darinn eine Ehre zu suchen hätten, was nun beständig bleiben und apud seram posteritatem mit applausu gelesen werden soll, muß billig in latein geschrieben seyn. Der seel. Churf. Joh. Philippus zu Mainz hat seine lebensbeschreibung betr. Mit mir dergleichen intendiret, der h. graf von Konigseck hat gemeinet, dass ich auch darinn E. MT. Einigen dienst thun könne. Ich aber muß darüber E. Mt. Hohen judicio selbst die decision überlassen.«
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übersetzte Werkteile wie klassische Bausteine auf der Ebene des Sprachunterrichts, d. h. der Progymnasmata behandelt werden können (Guicciardini, Speculum Aulicarum). In einer lateinischen Fassung fällt es leicht, einen Text in traditioneller Weise mit dem umfangreichen Apparat von ›Paratexten‹ auszustatten, ohne die das ›wertvolle Buch‹ nicht denkbar ist. Das Latein, Pufendorf liefert dafür einen Beleg, kann noch in seiner Spätphase der geeignete Weg sein, auf dem sich ein Autor vorgreifend den internationalen Lehrbuchmarkt sichert, wenn auch um den Preis auf die Reduktion auf eine bloße Informationssprache. Regeln für das Übersetzungsverhalten aufzustellen bleibt aber weiterhin ein schwieriges Unterfangen. Bevor man dazu schreitet, müsste man noch viele einzelne Fallgeschichten erzählen. Einige könnten direkt an Beispiele dieser Studie anschließen. So gehört der Medizinprofessor Johann Nikolaus Stupanus aus Graubünden (1542–1621) gleichermaßen in den Umkreis der Offizin Petri wie der Basler Universität. Er hat viele medizinische Schriften verfasst, daneben aber auch italienische Historiker ins Latein übersetzt, Zeitgeschichte ebenso wie ältere Humanisten.72 Der Verdacht liegt nahe, dass auch er als stellenloser Akademiker zeitweilig als Korrektor arbeitete und Reihenübersetzungen, darunter auch Machiavellis Principe, anfertigte.73 Stupanus schrieb zudem eine Vita des in Basel lehrenden Übersetzers von Guicciardini, Celio Secondo Curione; und er war es auch, der die Übertragung von Patrizis Methodenschrift besorgte.74 Diese Übersetzungen, von denen einige mehrere Auflagen erlebten, prägten das Bild Machiavellis im Römischen Reich bis zu dessen erster deutscher Ausgabe im Jahre 1714.75 Ausgehend von der Druckerei Petri, ließe sich also ein geschlossener zeitgenössischer Übersetzungskreislauf zwischen Deutsch und Latein nachweisen. Andere Kontexte dieser Art überschneiden sich in Paris. Hier stößt man auf die von der französischen Krone publizistisch wie militärisch bekämpfte spanische Usurpation des Königreichs Portugal nach 1580. In Paris lebte z. B. Philipps II. ehemaliger Geheimsekretär Antonio Pérez (1540–1611) im Exil und ließ seine ›englischen Briefe‹ an Essex, den Günstling der Königin Elisabeth, ins Lateinische übersetzen.76 In Paris lebte als vehementer Gegner der spanischen Regierung der portugiesische Dominikaner Frei José Teixeira (1543–1604), der mit genealogischen und politischen Schriften für die Unabhängigkeit seines Landes stritt, fast stets in lateinischer Sprache, aber mit jeder Kampfschrift sofort ins Französische übersetzt.77 Seine Schriften überschneiden sich mit den historischen Arbeiten eines genuesischen Kaufmanns und Diplomaten namens Girolamo de’ _____________ 72 73 74 75 76 77
Vgl. Contarini, Historiae de bello nuper Venetis; Collenuccio Historiae Neapolitane. Machiavelli, De officio viri principis (1599). Stupanus, […] de Caelii Secundi Curionis vita; zu Patrizi vgl. Anm. 21 oben. Vgl. Machiavelli, Lebens- und Regierungsmaximen eines Fürsten. Pérez, Ad Comitem Essexium. Vgl. die Bibliographie bei Correia (2005).
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Franchi Conestaggio (ca. 1530–1618), der die spanische Machtübernahme in Lissabon erlebte und in einer kritisch gehaltenen Geschichte niederschrieb.78 Hier lautet die Folge der Übersetzungen wie folgt: deutsch 1589, französisch 1596, englisch 1600, lateinisch 1602, spanisch 1610. Aber nicht immer diente in Paris die Übersetzung ins Latein den polemischen Zwecken des offenen konfessionellen oder politischen Kampfes. Auch subtilere Methoden und Zwecke waren möglich. So erhielt 1650 der bekannteste französische Gräzist der Epoche, Henri Valois (1603–1676), vom französischen Klerus den offiziellen Auftrag, die spätantiken griechischen Kirchenhistoriker neu zu edieren. Er hatte sich zuvor schon um die griechischen Universalhistoriker und deren byzantinische Überlieferung verdient gemacht. Eusebius, Sokrates, Theodoret und Euagrius griechisch und in neuer lateinischer Übersetzung zu edieren, bedeutete, den Protestanten ihre spätantiken Lieblingskritiker des Papsttums zu bestreiten und zugleich den Vorrang des Lateins, ähnlich wie den der Vulgata in der Kirchengeschichte, zu behaupten. Das Latein, diese Hypothese ließe sich vertreten, fungiert hier weiter in seiner eingeführten Funktion eines ›Rahmens‹ für die östlichen Sprachen. Diese begannen mit dem Griechischen, schritten zum osmanischen Türkisch fort und endeten im 18. Jahrhundert mit Arabisch und Sanskrit.79 Doch auch nach Deutschland führen Spuren, die beweisen, dass die Wahl des Lateins handfeste Kurzzeit- mit subtilen Langzeitstrategien vereinen konnte. Das berühmteste Geschichtslehrbuch der ganzen Epoche, weit über die Konfessionsgrenzen hinaus, begann 1532 in einer bescheidenen deutschsprachigen Ausgabe in Wittenberg: Chronica, durch magistrum Johann Carion vleissig zusammengezogen. Die nachfolgende ›deutsche Phase‹ der Chronik war durch ihre Erweiterung durch Johannes Funck (1518–1566) geprägt. Er setzte sie bis zur Belagerung Magdeburgs 1552 fort und polemisierte nebenbei gegen Melanchthon. Die gleiche ›feindliche Übernahme‹ erfuhr auch die erste lateinische Übersetzung von Carions Chronik durch Hermann Bonnus (1504–1548). Nun wollte Melanchthon die einst von ihm ausgelöste, aber jetzt fehlgeleitete, ›universalhistorische Bewegung‹ auf die rechte Bahn zurückbringen. Im Abstand von 24 Jahren entschloss er sich, die Carionschronik völlig umzuarbeiten und mit den schärfsten kursächsischen Druckprivilegien zu versehen.80 Damit war der Weg frei für eine langfristige Marktbereinigung, mit der sich Melanchthons lateinische Version in Deutschland gegen nicht weniger als drei deutsche Rückübersetzungen durchsetzte. Im Falle der Carionschronik diente der Übergang zum Latein vor allem dazu, dem _____________ 78 Franchi de’ Conestaggio, Dell’unione del regno di Portogallo. 79 Für den ersten deutschen ›Turkologen‹, Johannes Löwenklau (1541–1594), konnte z. B. das Deutsche Brückensprache aus dem Türkischen ins Latein sein, vgl. Annales sultanorum othomanidarum. 80 Vgl. Diener (1978), 190–203. Der Titel der Chronik lautete nun: Chronicon Carionis, latine expositum et auctum multis et veteribus et recentibus historiis, in narrationibus rerum Graecarum, Germanicarum et ecclesiasticarum, Wittenberg 1558.
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für den Protestantismus zentral gewordenen Geschichtsbild eine offizielle Schulversion zu geben, die parallel zur lateinischen theologischen Lehre benutzt werden konnte. In lateinischer Sprache blieb das Geschichtswerk ein quasitheologisches Buch. Überhaupt unterhielten die protestantischen Theologen, ex professo, ein engeres Verhältnis zum Latein als die anderen Fakultäten.81 Sie bildeten einen eigenen Übersetzungshorizont aus und schufen eine unter sprachgeschichtlichem Gesichtspunkt noch wenig erforschte Kommunikations- und Konfliktzone mit der römischen Kirche.82 Dass die Übersetzungen wichtiger volkssprachlicher Geschichtswerke zum Ende des 18. Jahrhunderts nicht abreißen, verdanken wir unermüdlichen Schulmännern. Immer wieder traten sie den Beweis an, dass erst die Übersetzung die wahre Aneignung sei. So hat noch 1790 ein gewisser Heinrich Gottfried Reichard in Bayreuth die Geschichte des Siebenjährigen Krieges von Johann Wilhelm von Archenholz ins Lateinische übersetzt und offensichtlich für das Gymnasium aufbereitet.83 Die bekannte Einleitung zur Universalhistorie (1795) von Johann Matthias Schröckh (1733–1808) wurde noch 1797 »besonders zum Gebrauch der Protestantischen Gymnasien und Schulen in Ungarn« ins Latein gebracht.84 Bis diese letzte Stufe der unablässigen Transfiguration der Geschichte ins Latein erreicht war, vergingen freilich gut 300 Jahre. Für diesen Zeitraum gilt es jetzt vermehrt, die spezifischen Produktionsverhältnisse zu studieren, die Netze der Übersetzer abzutasten und nicht zuletzt auch den fortwirkenden Einfluss des Lateins auf die muttersprachliche Geschichtsproduktion zu untersuchen. Damit löst sich das Problem der Übersetzung aus dem Vulgare ins Latein in eine vertraute Formel auf: die Reziprozität. Übersetzen war immer ein Geschäft auf Gegenseitigkeit. Das Latein war die Hebamme der volkssprachlichen Geschichtsschreibung in der Frühen Neuzeit, nicht zuletzt durch deren ins Latein übersetzte Werke! Auch scheint die Dankesschuld der deutschschreibenden Historiker an ihre ›lateinischen Vorfahren‹ noch lange nicht abgetragen. Eine Studie zum Thema ›Das Deutsch der Historiker des 19. Jahrhunderts und seine lateinischen Wurzeln‹ ist überfällig. Es sind also sehr divergierende Kontexte, Konstellationen und microstorie, die hier zur Erforschung vorgeschlagen werden. Zwischen den apokalyptischkolonialen Erwartungen der reformierten Kirche um 1600, dem Ausbau der lutherischen Orthodoxie, der Entstehung der Byzantines du Louvre, der Propaganda_____________ 81 Vgl. Binns (1990), 307–332: Chapter 17, »Latin Theology«. 82 Auf diesen Sprachhorizont wirkten zum Teil noch hagiographische Traditionen ein. Jeder große Reformator erhielt seine – in der Regel – aus dem Vulgare übersetzte exemplarische Vita. Wer z. B. in Deutschland theologisch nonkonforme Meinungen äußern wollte, der konnte dies mit der Übersetzung fremdsprachiger theologischer Werke tun, dabei aber stets die ungelehrte ›Masse‹ ausschließen, so z. B. Mosheim mit seiner Übersetzung von Hales, Historia Concilii Dordraceni. 83 Archenholz, Historia belli septennis. 84 Schröckh, Compendium catholicae.
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politik von Richelieu und Mazarin, den Bedürfnissen der frühen Orientalistik, den Arbeitsabläufen der späthumanistischen Druckerwerkstätten und den Lehrplänen spätabsolutistischer Gymnasien bestehen scheinbar wenige Gemeinsamkeiten. Miteinander verbunden, und um viele weitere Anwendungssituationen ergänzt, gestalten sie sich jedoch zu einer großen Bühne, auf der das Latein seine Rolle als Katalysator, Medium und Form der frühneuzeitlichen Historiographie spielte.
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Transformationen von Antiketransformationen. Ein abschließender Überblick unter Einbezug des Leitkonzepts des SFB 644 CASPAR HIRSCHI Wer sich mit Transformationen der Antike befasst, transformiert die Antike. Als Historiker ist man hier gleich doppelt in den Prozess involviert, den man untersucht: Erstens kommt jeder wissenschaftliche Rekonstruktionsversuch von vergangenen Aneignungen der Antike einer neuen Transformation gleich, muss doch der untersuchte Stoff auch angeeignet und damit in veränderte Zusammenhänge gestellt werden, und zweitens bedarf jede Analyse von Wirkungen und Wandlungen antiker Kulturelemente eines eigenen Antikemodells als heuristischen Ausgangspunkt. Die Anforderungen des Sonderforschungsbereichs 644 an die beteiligten Wissenschaftler sind damit nicht nur in methodischer Hinsicht hoch, sondern auch hinsichtlich der theoretischen Reflexion der eigenen Position gegenüber dem gewählten Forschungsgegenstand. Wie einem (noch) unveröffentlichten Projektbeschrieb des SFB 644 zu entnehmen ist, sind solche Reflexionen unter Bezug auf Roland Barthes’ Unterscheidung von »Interpretation« und »Lektüre« bzw. »Werk« und »Text« bereits angestellt worden – und haben trotz des theoretischen Versuchs einer wissenschaftlichen Distanzierung vom Untersuchungsobjekt zum Ergebnis geführt, dass »eine radikale Trennung von ›Interpretation‹ und ›Transformation‹ zuletzt nicht möglich ist«.1 Aufgrund dieser ebenso vertrackten wie vielversprechenden theoretischen Ausgangslage erscheint es sinnvoll, zum Abschluss des Bandes nicht einfach eine Zusammenfassung der einzelnen Beiträge anzubieten, sondern diese auf ihre weiterführenden Erkenntnisse zum Gesamtkonzept des Sonderforschungsbereichs zu hinterfragen. Ein solches Vorgehen bietet nebenbei auch die Möglichkeit, den Ertrag dieses Bandes umfassender zu würdigen.
_____________ 1
Bei diesem Projektbeschrieb handelt es sich um eine »Darstellung des Forschungsprogramms« (als Unterkapitel 1.2.2. einer noch umfassenderen Präsentation des SFB 644), die laut Angaben der Herausgeber dieses Bandes in Bälde online einsehbar sein soll – und womöglich die hier ebenfalls zitierte Projektbeschreibung auf der SFB-Homepage ersetzen wird. Die zitierte Passage steht auf Seite 24.
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Caspar Hirschi
Zur Methode und Terminologie Dem Berliner SFB 644 liegt gemäß einer anderen, bereits veröffentlichten Projektbeschreibung ()2 die Annahme zugrunde, »dass sich die europäischen Kulturen, ihre Künste und Wissenschaften in Fortführung und Transformation der antiken Kultur gebildet haben«. Das klingt ein wenig, um in der Terminologie zu bleiben, nach einer historiographischen Transformation der humanistischen Auffassung, dass die Antike die Wiege der europäischen Zivilisation sei. Das Hauptziel des SFB besteht, verkürzt formuliert, darin, die vielfältigen Wirkungen der Antike auf die europäische Kultur von der Spätantike bis in die Moderne zu verfolgen und dabei vor allem die fundamentalen Wandlungsprozesse aufzuzeigen, die antike Kulturelemente im Verlauf ihrer Rezeptionsgeschichte erfahren haben. Begriff und Konzept der Transformation sollen dabei vor allem zwei Ansprüche des Unternehmens unterstreichen: Erstens seinen konstruktivistischen Charakter, d. h. den theoretischen Ansatz, dass jeder Rückgriff auf antike Überlieferungen einer Neuformung ihres Gehalts gleichkommt, ja dass die Vorstellung der Antike selbst etwas Nachträgliches und Mittelbares ist – womit der Idee eines ursprünglichen Altertums ebenso der Boden entzogen wird wie dem wiederholt gehegten Wunsch nach seiner Wiederbelebung. Zweitens soll der Transformationsbegriff die Fortdauer der Antike in nachantiken Zeiten umfassender und zeitspezifischer beschreiben als dies geläufigere Begriffe wie Rezeption, Nachleben, Wirkung oder Einfluss angeblich tun. So setze etwa »der Rezeptionsbegriff in der Dualität von ›Rezeptionsobjekt‹ und ›Rezipienten‹ tendenziell eine ontologische Kompaktheit des Referenten (›Werk‹) voraus, während der SFB von der Modellierung sowohl des Referenzbereichs wie des Aufnahmebereichs im selben Prozess der Transformation« ausgehe.3 Wie dem auch sei, was den Begriff der Transformation insgesamt attraktiver und adäquater machen dürfte, ist dreierlei: Er wirkt breiter angelegt, besitzt noch eher den Klang des Neuen und hebt, allein von seiner lexikalischen Bedeutung her, die beständige Umformung von Überlieferungen stärker hervor. Auffallend am vorliegenden Band ist nun, dass die meisten Aufsätze bei der Beschreibung und Analyse ihrer Gegenstände nur beschränkt oder gar nicht auf die Theorie und Terminologie des SFB zurückgreifen – auch dann, wenn sie Prozesse beschreiben, die fast idealtypisch für das stehen, was man als Transformation der Antike bezeichnen könnte. Dieser Umstand lässt es noch lohnender _____________ 2 3
Stand April 2008 – der betreffende Text auf der Homepage wird womöglich durch die ausführlichere, oben zitierte »Darstellung des Forschungsprogramms« ersetzt. »Darstellung des Forschungsprogramms«, 26 (wie Anm. 1). Im gleichen Absatz wird allerdings eingeräumt, dass sich in neueren Rezeptionsästhetiken, ja bereits bei Hans-Georg Gadamer rezeptionstheoretische Ansätze finden würden, »in denen der kreativen Performanz der Rezeption mehr Raum gegeben« werde.
Transformationen von Antiketransformationen
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erscheinen, abschließend einen Brückenschlag von den Einzeluntersuchungen zum Gesamtkonzept des SFB zu wagen. Bevor dieser in Angriff genommen werden kann, sind noch einige Bemerkungen zum thematischen Rahmen des Bandes zu machen. Hervorgegangen ist er aus einer Tagung mit dem Titel Medialität und Textlichkeit humanistischer Geschichtsschreibung. Für den Druck wurden die Begriffe Medialität und Textlichkeit durch das besser verständliche Begriffspaar Medien und Sprachen ersetzt. Im Zentrum der Beiträge steht dabei nach wie vor die inhaltliche Auswertung von Werken unter besonderer Berücksichtigung ihrer medialen und textlichen Gestaltung. Mit Blick auf die einzelnen Abhandlungen und ihre Untersuchungsgegenstände erscheint es sinnvoll, unter dem Aspekt des Medialen das Zusammenspiel von textlichen und nicht-textlichen Elementen in der humanistischen Geschichtsschreibung zu verstehen, und zwar sowohl hinsichtlich der Komposition (Text, Schrifttyp, Bild, Karten, Format usw.) als auch hinsichtlich des Antikebezugs (Monumente, Münzen, Inschriften, Schriften usw.). Der Aspekt des Textlichen demgegenüber lässt sich auf alle Varianten schriftlicher Antiketransformationen beziehen, wobei im Fall der humanistischen Geschichtsschreibung vor allem die Frage nach dem Verhältnis von Latein und Vulgärsprachen, von Haupt- und Paratexten, von Prosa und Vers und von chronikalischen und chorographischen Gattungen interessiert.
Vom Fetisch zum wissenschaftlichen Objekt? Hält man sich an dieses Begriffsverständnis, so beschäftigen sich von den acht Beiträgen des Bandes sechs hauptsächlich mit textlichen und zwei vorrangig mit medialen Aspekten der humanistischen Historiographie. Mehrere Beiträge schlagen jedoch implizite Brücken von einem zum anderen Thema. Aufschlussreich sind diesbezüglich gerade die beiden Aufsätze zur ›Multimedialität‹ des humanistischen Antikebezugs, jener von Johannes Helmrath über frühe Ansätze einer gelehrten Beschäftigung mit antiken Kaisermünzen und jener von Martin Ott über Textsammlungen römischer Inschriften. Helmrath stellt die antike Kaisermünze schon für sich allein als ein Medium von beträchtlicher Komplexität vor, zusammengesetzt aus zwei Abbildungen mit zwei Umschriften und ausgestattet mit der Zweckbestimmung eines Zahlungsmittels, eines Herrschaftszeichens und eines Propagandamediums. Eine erste Transformation ihrer Funktionen fand bereits nach dem Tod oder der Absetzung des Herrschers statt, den die Münze auf dem Avers abbildete, und spätestens im Mittelalter blieb von ihrer anfänglichen Bedeutung und Verwendung kaum mehr etwas übrig. Helmrath beschäftigt sich also mit »Transformationsketten«4 eines _____________ 4
Der Begriff ist ebenfalls dem internen Projektpapier entnommen und bezeichnet »mehrere aufeinander aufbauende Transformationen«; ebd., 28.
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bereits mehrfach transformierten Objektes, wenn er die Übergangsphase vom Spätmittelalter zur Renaissance betrachtet. Im Zentrum stehen bei ihm herrschaftliche und gelehrte Funktionen, wobei deutlich wird, dass sich die beiden kaum systematisch voneinander trennen lassen. Wurden antike Kaisermünzen im Mittelalter vor allem als Kleinpreziosen im fürstlichen Schatz gehortet und zur Dekoration von Reliquiaren eingesetzt, so begannen Renaissance-Herrscher, Münzen gezielt zu sammeln, als Einzelobjekte auszustellen und zu inventarisieren. Helmrath zufolge ging die Initiative dabei, ähnlich wie in anderen Bereichen der Antiketransformation in der Renaissance, von herrschaftsnahen Gelehrten aus, wobei sich schon Petrarca als Vermittler engagiert habe. Diese Frühhumanisten brachten den antiken Kaisermünzen eine fetischistische Verehrung entgegen, die vor allem den Portraits galt, in denen sie authentische Darstellungen der Kaiser sahen. Da es sich bei den Münzen zugleich um serielle Produkte handelte, gesellte sich zum fetischistischen Blick der Sammlertrieb nach der vollständigen Serie der römischen Kaiserabfolge. Es hat den Anschein, dass erst diese Kombination die kulturelle Energie freigesetzt hat, um Münzen in einer nächsten Transformation zu Objekten des herrschaftlichen Prestiges und einer spezifisch herrschaftlichen Magie zu machen. Im Unterschied zu den Humanisten ging es Herrschern wohl kaum um die Heraufbeschwörung einer vergangenen Realität anhand eines ›telepathischen‹ Fetischs, sondern eher um die Übertragung des caesarischen Charismas auf ihre eigene Person mit Hilfe eines ›energetischen‹ Fetischs. Dem entspricht jedenfalls eine von Helmrath zitierte Aussage Antonio Beccadellis über König Alfons V. von Neapel, und dazu passen würde auch die repräsentative Funktion der Münzen, die sie mit bildlichen Inszenierungen von Kaiserreihen wie jener in der Camera picta von Mantua5 oder mit skulpturalen Portraitgalerien geteilt haben: Sie ließen sich als Ausstellungsobjekte so präsentieren, dass ihr fürstlicher Besitzer als jüngste Verlängerung der antiken Kaiserserie erschien. Helmraths Hauptinteresse gilt jedoch im Hinblick auf die Erkenntnisziele des SFB der Frage, wie sich zum Sammeln, Horten und Präsentieren von antiken Kaisermünzen das Systematisieren und erkenntnisgeleitete Auswerten hinzugesellt hat, oder umfassender formuliert: wie die Beschäftigung mit Münzen eine allmähliche Verwissenschaftlichung erfahren hat. In seiner Antwort deutet er eine weitere Transformation von der herrschaftlichen zur gelehrten Praxis an: Legten sich Päpste und Fürsten unter beträchtlichem Aufwand Münzsammlungen an, so bedurften sie zur Gewährleistung einer funktionierenden Prestigekonkurrenz möglichst objektiver Vergleichskriterien zur Wertbestimmung ihrer Objekte. Die Rolle des externen Experten, der in der Lage war, Raritäten von Massenware zu unterscheiden, die Vollständigkeit von Sammlungen zu überprüfen und den Erhaltungszustand von Münzen zu bestimmen, entsprach demnach einem herrschaftlichen Bedürfnis. Gleichzeitig erfuhren aber auch die Münzen im Humanistenbesitz eine Transformation ihrer fetischistischen Aneignung, die schließlich _____________ 5
Vgl. Hauser (2005), hier 6–7.
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über die herrschaftlichen Ansprüche an eine kritische Münzkunde hinausführten. In diesem Zusammenhang stellt Helmrath aufschlussreiche Überlegungen zur medialen Dimension der humanistischen Nummomanie an. Auffallend ist für ihn an den frühen ›Münztraktaten‹ und Kaiserbüchern, die er seiner Untersuchung zugrunde legt, dass die antiken Münzen darin kaum als Instrumente der Wissensgenerierung, d. h. als historische Quellen, genutzt wurden. Zwar besteht in diesen Werken, sofern sie überhaupt Nachzeichnungen der Münzen enthalten, ein Wechselbezug von Bild und Text, das Bild jedoch ist dem Text – vielleicht mit Ausnahme von Stephan Fridolins atypischem buch von den keyserangesichten von 1487 – klar nachgeordnet und weitgehend auf seine illustrative Funktion reduziert. Wurde dennoch über den Aussagegehalt von Münzen informiert, so war das Wissen über sie kaum aus ihrer direkten Analyse, sondern aus der Lektüre von Schriften gewonnen. Am Anfang der Numismatik stand also, überspitzt gesagt, die Philologie. Es handelte sich dabei um einen für den gesamten Humanismus typischen Verhaltenszug, das aus der Antike abgeleitete Gebot der Autopsie durch die Privilegierung der literarischen Ressourcen zu unterlaufen. Abschließend stellt Helmrath Kriterien für die Verwissenschaftlichung der Münzkunde auf; von seinen Quellen aus betrachtet erscheinen diese aber noch als Zukunftsmusik. Die Motivationen und Konditionen, die die Transformation zur modernen Numismatik ermöglicht haben, sind nicht mehr Gegenstand der Untersuchung, deutlich wird jedoch, dass noch die vermeintlich nüchternen Numismatiker des späten 16. Jahrhunderts von der fetischistischen Faszination gezehrt haben, die ihre gelehrten Vorläufer den antiken Kaisermünzen entgegenbrachten.6
Die Transformation des Mittelalters zur Antike Eine ähnliche These einer nicht eingelösten ›Multimedialität‹ stellt Martin Ott in seinem Beitrag über Inschriftensyllogen des 15. und frühen 16. Jahrhunderts auf. Ott bricht jedoch mit der für den SFB zentralen Auffassung (siehe oben), dass die Antiketransformationen Motor der Verwissenschaftlichung und Modernisierung seien. Für ihn sind die humanistischen Inschriftensammlungen ein passendes Beispiel dafür, dass das Streben nach der reinen Antike »dem Altertum auch dort Macht verlieh, wo es nicht den Weg in Richtung der Moderne wies«. Ausgangspunkt seiner Argumentation ist die Beobachtung, dass antike Inschriften in humanistischen Geschichtswerken kaum als historische Quellen hinzugezogen worden sind. Einen wichtigen Grund dafür sieht er in den zeitgenössischen Inschriftensammlungen, die das Quellenpotential ihrer Gegenstände nicht ansatzweise ausgeschöpft haben. Denn anders als die gelehrte Beschäftigung mit Inschriften im 14. Jahrhundert, für die Ott das Beispiel von Giovanni Dondis Iter Romanum von _____________ 6
Zum Verhältnis von Fetischismus und Moderne bzw. Fetisch und wissenschaftlichem Objekt vgl. die anregenden Studien von Böhme (2006) und Kohl (2003).
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1375 anführt, beschränkten sich die Syllogen in der Nachfolge Poggios auf die bloße Wiedergabe des Inschriftentextes mit rudimentären Angaben zum Standort der Inschrift. Für die Auswahl der Inschriften war nicht die Aussagekraft ihres Textes maßgebend, sondern die Prominenz des Ortes bzw. des Monuments, an dem sie sich befand. Ott zieht daraus den Schluss, dass es sich bei den humanistischen Syllogen um eine topographische Gattung gehandelt haben musste, die zur »Erfassung antiker Stadträume nach einem für antik gehaltenen Vorbild« gedacht war und der betreffenden Stadt dadurch den Schein einer Romebenbildlichkeit verlieh. Wer sich diesem Muster teilweise entzog, wie Peutinger mit seiner Augsburger Sylloge von 1520, die Text und Stein in ihrer Originalgestalt nachbildete, wurde in der Rezeption wieder auf die übliche Norm zurechtgestutzt. Otts Schlussfolgerung erscheint daher, zumindest auf den ersten Blick, nur konsequent: »Die Humanisten waren nicht souveräne Herren über das Altertum, sie waren willfährige – oder machtlose – Knechte einer Antike, deren perfekte formale Imitation ihnen alles galt.« Was sein Thema nun aber vertrackter – und umso interessanter – macht, ist seine Identifikation des Vorbilds für den topographischen Reduktionismus der humanistischen Inschriftensammlungen. Es handelt sich nämlich um ein Stück vermeintlicher Antike, eine Inschriftensylloge zur Stadt Rom in einem Einsiedler Codex aus der Karolingerzeit, der das betreffende Muster bis zur farblichen Gestaltung vorgegeben hat. Diese Form der topographischen Erfassung war durchaus untypisch für die Antike, wurde aber aufgrund der humanistischen Fehldeutung der karolingischen Minuskelschrift für römisch gehalten. Vor diesem Hintergrund erscheint die von Ott konstatierte knechtische Nachahmung der Antike wieder in einem etwas anderen Licht. Drei Fragen stellen sich vor allem, mit denen sich Otts Ausführungen fruchtbar diskutieren lassen: A) Warum griffen die Humanisten gerade auf eine mittelalterliche Quelle zurück, wenn zur gelehrten Erfassung von Inschriften auch antike Textsorten zur Verfügung gestanden hätten? Die Frage lässt sich hier nicht beantworten, sie unterstellt jedoch, dass der bloßen Imitation der literarischen Vorlage, wie sie Ott beschrieben hat, ein kreatives Auswahlverfahren vorgelagert war, in welchem man die entscheidende Transformation sehen könnte. B) Welche Quellen und Kräfte waren im Spiel, als die humanistische Sylloge im Einsiedler Stil seit dem späten 16. Jahrhundert von einer stärker philologisch verfahrenden Inschriftenkunde abgelöst wurde? Auch hier soll keine Antwort gegeben, sondern nur angefügt werden, dass die Stichhaltigkeit von Otts provokantem Argument davon abhängt, ob die Ausbildung einer wissenschaftlichen Epigraphik über die Rückkehr zu antikeren Methoden der Inschriftenauswertung geführt hat oder im Gegenteil durch einen umfassenden Bruch mit diesen erfolgt ist. C) Welche Rolle spielen bei der Entstehung der Inschriftenkunde nicht-humanistische Formen der Antikenaneignung aus der Renaissance wie zum Beispiel Zeichnungsalben von Künstlern? Zieht man etwa Jacopo Bellinis um äußerste Exaktheit bemühte bildliche Wiedergabe antiker
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Inschriften aus der Mitte des 15. Jahrhunderts hinzu, so werden Überlieferungsstränge sichtbar, die vom darstellerischen Korsett der Einsiedler Sylloge gänzlich befreit waren.7
Produktive Irrtümer Dass eine kapitale Fehldeutung von alten Referenzwerken auch zu methodisch innovativen und zukunftsweisenden Transformationen führen kann, zeigt umgekehrt Elisabeth Kleckers Aufsatz über Johannes Cuspinians Kaiserviten. In diesen wurden nicht nur Münzportraits der Kaiser am Beginn jeder Biographie abgebildet, sondern auch Münzumschriften und Steininschriften zitiert, die Cuspinian sowohl aus gedruckten Sammlungen als auch aus eigener Anschauung gewonnen hatte. Für Klecker noch auffallender ist jedoch Cuspinians Bemühen, seine Quellen systematisch aufzuführen, teilweise auch ihren Informationsgehalt zu würdigen und sein methodisches Vorgehen explizit zu reflektieren. Ein ähnlicher Beglaubigungsaufwand wurde in den meisten antiken Kaiserviten, die sich der Autor als Vorbild hätte wählen können, nicht betrieben. Cuspinian orientierte sich denn auch nicht an diesen, sondern an einer antiken Parodie der Kaiserviten, die er freilich nicht also solche durchschaute. Es handelt sich um die berühmte Historia Augusta, deren Autor wohl ein raffiniertes Spiel mit historiographischen Traditionen und ihren propagandistischen Funktionen zum Amüsement von gelehrten Connaisseurs getrieben hatte. Eine der von ihm angewandten Strategien bestand darin, reichlich absurde Behauptungen aufzustellen und diese danach durch minutiöse Beweisverfahren zu untermauern; dabei wurden nicht nur unterschiedlichste Quellen angeführt, sondern auch gelehrte Konkurrenzunternehmen kritisiert, von denen der Autor nicht wenige selber erfunden hatte. Was in der Historia Augusta Spiel war, wurde nun in Cuspinians Caesares Ernst. Wie Klecker darlegt, war er zwar für den parodistischen Charakter der Schrift blind (und damit bis ins 19. Jahrhundert in guter Gesellschaft), verstand es aber durchaus, die Methodenkritik, die er von ihr abgeschaut hatte, gegen sie zu kehren, wenn er ihrer Darstellung nicht folgte. Darüber hinaus blieb Cuspinian seinem Vorbild auch in der werkimmanenten Selbstdarstellung als Autor treu und präsentierte sich, passend zur Inszenierung seiner aufwändigen Methode, als asketischer Diener der Wahrheit, der sich jeden rhetorischen Schmuck verbot, standhaft der Lückenhaftigkeit der Überlieferung trotzte und für die wenigen Erfolge seiner umfangreichen Recherchen viele Opfer und Frustrationen bereitwillig in Kauf nahm. Die Frage, warum Cuspinian für die Karikatur des pedantischen Gelehrten, wie ihn die Historia Augusta bot, so empfänglich war, eröffnet Klecker nun die _____________ 7
Vgl. umfassend Degenhart/Schmitt (1990), Bd. 5 Text, Bd. 6 Katalog, Bd. 7–8 Tafeln.
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Möglichkeit, ihre Betrachtung auf die sozialen und kulturellen Kontexte der hier stattfindenden Antiketransformation auszuweiten. Als einer der mächtigsten Gelehrten am Hof Maximilians I. war Cuspinian eng in die gewaltigen genealogischen Projekte der Habsburger eingebunden. Hier hatten er und seine Mitstreiter genau mit jenen Problemen zu kämpfen, die schon die fiktiven Autoren der Historia Augusta umgetrieben hatten: Mit einer äußerst dürftigen Quellenlage für sehr weitgehende Behauptungen. Da es sich bei der dynastischen Ahnenreihe, anders etwa als bei humanistischen Stadtgeschichten, um eine Textsorte handelte, die genaue Belege erforderte, musste ein großer Aufwand dokumentiert werden, um ihr eine gewisse Glaubwürdigkeit zu verleihen. Stilistische Eleganz dagegen war sekundär. Mit ihrer methodischen Pedanterie und ihrer Rhetorik der Antirhetorik stellte die Historia Augusta damit gleich zwei Rezepte zur Verfügung, die Cuspinian für die Legitimation seiner gelehrten Studien zur Verherrlichung der Habsburger gebrauchen konnte. Wie ein (unfreiwillig ironisches) Motto seines Schaffens lesen sich daher die Worte aus den Kaiserviten: »Guten Stil zu schreiben, ist eine Sache, Geschichte und Genealogien richtig darzustellen, eine andere.«8 Die Arbeit am habsburgischen Stammbaum als Kontext von Cuspinians unwillentlich origineller Antiketransformation verweist auf eine grundsätzlichere Dimension des wissenschaftlichen Methodenwandels, die in den historiographischen Disziplinen der Renaissance besonders deutlich hervortritt. Wie beim berühmteren Beispiel der Quellenfälschungen des Annius von Viterbo,9 die von einem philologischen Kommentar mit methodenkritischen Reflexionen flankiert wurden, war es bei Maximilians genealogischem Großprojekt gerade der hohe fiktive Gehalt, der das Potential zur methodischen Reflexion und Innovation enthielt. Denn hatte sich in der gelehrten Praxis einmal der Konsens durchgesetzt, dass die Glaubwürdigkeit einer Aussage von methodischen Kriterien abhängig sei, so war der Zwang zu elaborierten Beweisverfahren dort am größten, wo es um die Glaubwürdigkeit einer Aussage auf den ersten Blick schlecht bestellt war. Und der Sprung auf die Metaebene der Methodenreflexion bot sich besonders dann an, wenn es Blößen im eigentlichen Beweisverfahren zu verbergen galt. Insofern besteht Grund zur Annahme, dass gelehrte Hasardeure, vom gerissenen Fälscher bis zum aufrichtigen Phantasten, ebenso viel zur modernen Methodenlehre beigetragen haben wie gewissenhafte Kritiker, auch wenn sie es kaum je ins Pantheon der Wissenschaftsgeschichte geschafft haben. Allgemeiner formuliert: Will man am teleologischen Begriff der Verwissenschaftlichung festhalten, so tut man gut daran, sich einen dialektischen Vorgang vorzustellen, den die virtuose Instrumentalisierung von gelehrten Techniken für abenteuerliche Zwecke ebenso vorangetrieben hat wie ihre nicht minder raffinierten Dekonstruktionen. _____________ 8 9
Vgl. den Beitrag von Elisabeth Klecker auf den Seiten 77–98. Vgl. dazu und mit ähnlichen Schlüssen Grafton (1990), 8–38; Grafton stützt sich dabei auf die Thesen von Goez (1972), 3–21.
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Die Lebendigkeit des Latein Weitere Aufschlüsse über den Zusammenhang von Wissenschaft und Text gibt der Aufsatz von Markus Völkel zu Übersetzungen volkssprachlicher Werke ins Latein. Völkels Ausgangsfragen unterlaufen gezielt das (ursprünglich romantische) Klischee vom Humanistenlatein als toter Kunstsprache, deren frühneuzeitliche Funktion höchstens noch darin bestanden habe, den aufstrebenden Volkssprachen im Weg zu stehen. Sie lauten: A) Warum konnte sich das Latein während der gesamten Frühen Neuzeit, »in einem methodisch und inhaltlich für die Geschichtsschreibung revolutionären Zeitalter«, als Wissenschaftssprache so gut behaupten, dass es sogar einen »regelmäßigen Fluss« von lateinischen Übersetzungen aus den Volkssprachen gab? B) Inwiefern trug der lateinische Text selbst zur Verwissenschaftlichung der Geschichtsschreibung bei, war also das »Alte« Geburtshelfer des »Neuen«? Völkel hält es noch für verfrüht, umfassende Antworten zu geben, seine vier sehr verschiedenen und damit nicht leicht vergleichbaren Fallgeschichten – die Storia d’Italia von Francesco Guicciardini, die Histoire d’un voyage faict en la terre du Brésil von Jean de Léry, der Reisebericht von Dionys Settle über die zweite Arktis-Expedition Martin Frobishers und Samuel Pufendorfs Inledning Til Historien – erlauben aber zumindest einige hypothetische Folgerungen. So zweifelt Völkel nicht daran, dass es schon im 16. Jahrhundert definitiv um das lateinische Sprachmonopol geschehen war, er ordnet dem Latein jedoch eine fortdauernde Funktionalität für mehrere gelehrte Praktiken zu. So eigneten sich lateinische Geschichtswerke besser zur Widmung an hochgestellte Persönlichkeiten, konnten leichter eine Karriere als Lehrbuch machen und ließen sich einfacher in bestehende Forschungstraditionen einfügen, ja erhielten mit ihrer Latinisierung oft erst das »Decorum« der Paratexte, die nicht nur das »wertvolle Buch« ausmachten, sondern auch das Hauptkennzeichen philologischer Seriosität und Glaubwürdigkeit darstellten. Insofern ist es naheliegend, die neuzeitliche Transformation von der recht flexiblen lateinischen Wissenschaftssprache zum Babylon der Nationalsprachen auch als eine Verlustgeschichte zu lesen, und es wäre ein lohnendes Unterfangen, einmal die Opportunitätskosten abzuschätzen, die die europäische Gelehrtenkultur im Zuge dieses Prozesses bezahlt hat, der erst im 19. Jahrhundert zu einem gewissen Abschluss kam. Ein Komplementärstück zu Völkels Aufsatz über die Motive und Funktionen von lateinischen Übersetzungen volkssprachlicher Werke stellt Stefan Schleleins Untersuchung zu Techniken und Konzepten des Übersetzens in der humanistischen Historiographie dar. Seine drei Beispiele aus dem 15. und 16. Jahrhundert, die spanisch-lateinische Doppelausgabe der Spanischen Denkwürdigkeiten von Lucius Marineus Siculus, Matteo de Pisanos lateinische Übersetzung der portugiesischen Crónica da Tomada de Ceuta von Gomes Eanes de Azurara sowie Johannes Aventins deutscher Auszug aus seinen Annalium Boiorum Libri Septem, reichen von der »direkten Übersetzung« bis zur »radikalen Komprimierung«,
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womit es auch hier nicht leicht fällt, allgemeinere Schlüsse über die Mikroebene des jeweiligen Textes hinaus zu ziehen. Auffallend an Schleleins Quellen ist zum einen, dass in zwei der drei Fälle Autor und Übersetzer die gleiche Person sind, was eine Analyse der beiden verschiedenen Rollen und ihrer jeweiligen Legitimierungsstrategien vielleicht etwas erschwert. Zum anderen wird deutlich, dass die Übersetzer ihre Arbeit durchaus als eine ästhetische und inhaltliche Transformation begriffen haben – auch dann, wenn sie dem Originaltext in Sprache und Stil möglichst nahe bleiben wollten. Ihr beachtliches Methodenbewusstsein lässt sich darauf zurückführen, dass im Renaissance-Humanismus konträre Übersetzungs- bzw. Überarbeitungsideale zur Diskussion standen, die wiederum von römischen Debatten über die Übertragung griechischer Texte in die lateinische Sprache beeinflusst waren. Wie Schlelein anmerkt, stellt das Beispiel von Aventins deutschem ›Abstract‹ seiner eigenen lateinischen Annalen einen Grenzfall dar, handelt es sich hier doch um eine ganz andere Textsorte mit ganz anderer Zweckbestimmung. Das Beispiel ist aber insofern aufschlussreich, als es auf radikale Weise eine wichtige Konstante des humanistischen Übersetzens sichtbar macht: Der Wechsel vom Latein in die Volkssprache war, allein schon durch den veränderten Adressatenbezug, stets mit einem markanten Funktionswandel des betreffenden Werkes verbunden. In dieser Hinsicht wäre es interessant, zu Aventins Annales und ihrem deutschen Auszug den dritten Text im Bund, die Bayerische Chronik, hinzuzuziehen. Mit ihr legte Aventin eine deutschsprachige Gesamtfassung der Annales vor, eingeleitet von Überlegungen zur Kunst des Übersetzens vom Lateinischen ins Deutsche. Diese Ausführungen haben im deutschen Humanismus hohen Seltenheitswert und können als früher Ausdruck eines sprachlichen ›Reinheitsgebots‹ gesehen werden, das noch heute nicht wenige Linguisten, Übersetzer und Politiker umtreibt.10 Der Auszug umgekehrt verdient auch deshalb Beachtung, weil er Fragen zum Verhältnis von Patronage, Print und Autorenprestige aufwirft: Warum sieht sich Aventin veranlasst, für ein fürstliches Auftragswerk einen ›Werbeprospekt‹ in den _____________ 10 »[…] in dieser verteutschung brauch ich mich des alten lautern gewöhnlichen iederman verstendigen teutsches; dan unser redner und schreiber, voraus so auch latein künnen, biegen, krümpen unser sprach in reden, in schreiben, vermengens, felschens mit zerbrochen lateinischen worten, machens mit grossen umbschwaifen unverstendig ziehens gar von irer auf die lateinisch art mit schreiben und reden, das doch nit sein sol, wan ein ietliche sprach hat ir aigne breuch und besunder aigenschaft. Es laut gar übel und man haist es kuchenlatein, so man latein redt nach ausweisung der teutschen zungen: also gleichermaß laut’s übel bei solcher sach erfarnen, wo man das teutsch vermischt mit frembden worten, verändert’s auf ein frembde sprach, demnach’s zerbrochen und unverstendig wirt. Es hat sunst auch der land und leut auch geschicht beschreibung ir art und pesunder monir, von welches wegen ich mich beflissen hab des alten, natürlichen, iederman verstendigen teutsches, so im gemainen brauch ist, in den alten sprüchen, wolgesetzten reimen und sprichworten gefunden wirt und ie dannocht nit zue weit als vil müglich ist und die art der sprachen erleiden mügen, vom latein. Ein ieder, der paide werk lateinisch und teutsch zam lesen will, mag ein sprach aus der andern wol verstên.« Aventin, Bayerische Chronik, 5–6 (Buch 1).
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Druck zu bringen? Bei wem und wofür will er eigentlich werben? Schlelein vermutet, dass es ihm darum gegangen sei, die Druckerpresse als Druckmittel auf seine Mäzene einzusetzen, indem er mit einer deutschsprachigen Ankündigung bei den gelehrten und herrschaftlichen Eliten Erwartungen zu wecken versuchte, die seine Auftraggeber, die bayrischen Herzöge, nicht mehr würden enttäuschen können. Als Textsorte schließlich dürfte der Auszug von besonderer Bedeutung sein, weil er einen Vorläufer jener Prospekte darstellt, mit denen im Zeitalter des Subskriptionswesens regelmäßig für editorische Großprojekte geworben wurde. Damit verweist er schon auf eine weitere umfassende Transformation des Verhältnisses von Patronage, Print und Autorenprestige, die allerdings erst im späten 17. Jahrhundert eingesetzt hat. Abgeschlossen wird die Trilogie zu Formen und Funktionen humanistischer Übersetzungen von Robert Wallisch, der einen anonymen venezianischen Bericht über ein Gespräch mit dem indischen Europareisenden Joseph von Cranganore und dessen Übertragung ins Latein durch Arcangelo Madrignano analysiert. Wallisch eröffnet seinen Aufsatz mit der These, dass die lateinische Sprache um 1500 aufgrund der Mehrsprachigkeit der meisten europäischen Eliten nicht primär als lingua franca gebraucht worden sei; gerade das Italienische habe in der gelehrten und merkantilen Welt eine ähnlich weite Verbreitung erfahren. Als Beweggrund für die lateinische Überarbeitung des ursprünglich italienisch publizierten Berichts lässt Wallisch daher die Suche nach einer internationalen Leserschaft nicht gelten. Tatsächlich weisen Madrignanos massive Änderungen an seiner Vorlage auf eine andere Stoßrichtung hin. Wallisch unterscheidet drei Formen der textlichen Transformation: Literarisierung, Korrektur und Manipulation. Kategorial ist diese Unterscheidung zwar nicht ganz sauber, weil es sich bei allen Eingriffen um ›Manipulationen‹ handelt, die Bandbreite von Madrignanos Transformation lässt sich mit ihr aber klar ersehen. Der Klerikerhumanist stilisierte den literarisch anspruchslosen Gesprächsbericht zu einem eleganten portugiesischen Entdeckerbrief, wechselte also gewissermaßen den ursprünglichen Autor aus, er korrigierte tatsächliche und vermeintliche Fehlinformationen des Originals, etwa über die indische Geographie, und er übte Zensur an theologisch problematischen Passagen über die Geschichte und den Aufbau der syrischen Kirche. Wallisch zieht daraus den Schluss, dass die Latinisierung von volkssprachlichen Berichten aus anderen Kontinenten einer umfassenden Transformation des Fremden ins Vertraute gleichkam, und bezeichnet die Hauptfunktion des »Medium Latein« als einen »Kulturfilter«, der die Erfahrung des Neuen mit den Mitteln des Alten zu bewältigen geholfen habe. Inwieweit sich Wallischs Auswertung einer einzelnen Quelle schon verallgemeinern lässt, muss allerdings wie bei den Fallbeispielen von Völkel und Schlelein noch offen bleiben. Ebenfalls noch zu klären wäre schließlich die Form der Antiketransformation, die in Wallischs Geschichte abläuft. Um eine einfache Verwandlung des Neuen ins Alte handelt es sich bei Madrignanos Übertragung ja eher nicht, da auch die lateinische Gattung des humanistischen Entdeckerbriefs in vieler Hinsicht eine Neuerfindung seiner Zeit war und kein antikes Textkorpus als unmittelbares Vorbild zur Verfügung hatte.
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Transformationen von Gattungen – und von Gelehrten Der zweite Schwerpunkt innerhalb des Themas des Textlichen liegt auf Gattungsfragen bzw. – in Albert Schirrmeisters Terminologie – auf dem Problem der Textsortenbestimmung der humanistischen Geschichtsschreibung. Schirrmeister unternimmt in seinem Beitrag eine theoretische Annäherung an den Begriff der humanistischen Landesgeschichtsschreibung, dem ein ganzes Unterprojekt des SFB 644 gewidmet ist. Wie eben angedeutet, zieht er dabei den Terminus der Textsorte jenem der Gattung vor, da dieser anschlussfähiger für geschichtswissenschaftliche Fragestellungen sei, die Vielfalt der Erscheinungsformen von humanistischen Landesgeschichten besser erfassen könne und die kommunikativen Kontexte stärker einbeziehe. Schirrmeisters weit ausholende Deduktion führt zu einer umfassenden Definition seines Gegenstandes, die für den Aspekt der Antiketransformation weitere Aufschlüsse erlaubt: Landesgeschichtsschreibung ist ihm zufolge als eine ethnographisch-geographische Textsorte zu verstehen, die sich vorrangig an Caesar und Tacitus orientiere und einen affirmativen Bezug zum Objekt ihrer Beschreibung herstelle, so dass man von einer laus regionum sprechen könne. Diese Begriffspräzisierung wirft die Frage auf, wie sich die Imitation von Barbarenbeschreibungen, um die es sich bei Caesars De bello Gallico und bei Tacitus Germania ja handelt, mit dem panegyrischen Charakter von humanistischen Landesgeschichten vereinbaren ließ, und wie aus der antiken Konstruktion des Fremden eine Konstruktion des Eigenen werden konnte. Für diese Transformation bedurfte es nicht nur neuer Textsorten, sondern auch einer massiven Umwertungsarbeit, die sich hier nur ansatzweise skizzieren lässt: Die humanistischen Verfasser von regionalen wie nationalen Geschichtswerken entwickelten zwei konträre Methoden, die beide an Darstellungsverfahren der antiken Ethnographie anknüpften, diese aber gegen Griechen und Römer kehrten. Die eine Methode baute auf der interpretatio Graeca bzw. Romana auf, der Beschreibung fremder Kulturen mit Kategorien der antiken griechisch-römischen Zivilisation; mit ihr stilisierte man die nationalen oder regionalen Vorfahren zu besseren Griechen oder Römern, gesegnet mit ähnlichen Eigenschaften und Errungenschaften, die jedoch früher erworben, vollkommener ausgebildet und länger erhalten worden seien. Die andere Methode bediente sich des ethnographischen Modells des mundus inversus, der Darstellung der Fremde als verkehrte Welt, vertauschte jedoch die Vorzeichen und stellte die eigene Nation als naturnahunverdorbenen Gegensatz zur zivilisatorischen Dekadenz anderer Völker dar. Trotz drohender Widersprüche kamen oft beide Methoden zugleich zur Anwendung. Der hohe Transformationsaufwand, den die Humanisten generell für die Anverwandlung der römischen Historiographie an die Bedingungen und Bedürfnisse ihrer eigenen Zeit betreiben mussten, wird von Frank Wittchow anhand der Anglica historia des Polydor Vergil sichtbar gemacht. Im Vergleich zu den meisten anderen Beiträgen vollzieht Wittchow eine Umkehr des Blickpunktes: Er
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beschreibt die humanistische Geschichtsschreibung von den Formen und Funktion der antiken Historiographie aus und vermag damit die Kluft zwischen den beiden scharf herauszuarbeiten. Die Abhandlung setzt ein mit einer Erläuterung von Tacitus’ Gebot, Geschichte »sine ira et studio« zu betreiben. Wittchow zufolge redete Tacitus mit dieser Formulierung keineswegs einer Geschichtsschreibung das Wort, die sich moralische Urteile oder emotionale Anteilnahme verbat, sondern einer, die parteiische Positionen vermeiden und persönliche Distanz zu ihrem Gegenstand wahrte. Er rekurrierte dabei auf die republikanische Tradition der römischen Geschichtsschreibung, die Wittchow als »antigentilizisch, antipanegyrisch und antidynastisch« bezeichnet. Für diese Negativantriebe werden nun zwei verschiedene Faktoren ins Feld geführt: die Positionierung der römischen Geschichtswerke als Gegenmodell zu älteren partikularistischen Erinnerungsmedien wie den Archiven der Senatorenfamilien mit ihren Stammbäumen und Wachsmasken, sowie das Zensorenamt, das die frühen Geschichtsschreiber der Republik regelmäßig bekleidet haben. Als Zensoren wachten sie über die Würde des Senats und waren befugt, unwürdige Senatoren auszuschließen. Hier tritt also neben dem Produkt der historiographischen Tätigkeit auch der Produzent ins Bild, und die Frage nach der Gattungsform verbindet sich mit jener nach der Gelehrtenrolle. Wittchows Darstellung der römischen Geschichtsschreibung als Fortsetzung des Zensorenamtes mit anderen Mitteln eröffnet nicht nur einen Erklärungsansatz für ihren überparteilichen Geltungsanspruch, sondern auch für ihre stark moralisierende Tendenz. Eine erste bedeutende Transformation der Geschichtsschreibung wie des Geschichtsschreibers konstatiert Wittchow schon für die späte römische Republik, als sich die Personalunion von Historikern und Senatoren als Norm aufzulösen begann. Die Rolle des Geschichtsschreibers konnte nun auch von Zugereisten, Klienten oder Rittern ausgefüllt werden. Der Autoritätsverlust der Autoren musste dabei durch einen Autoritätsgewinn ihrer Werke kompensiert werden. Literarisches Resultat war laut Wittchow die Gattung der Annalen, wie sie bei Livius überliefert ist. Diese nämlich griff für die »Stofforganisation und Selbstautorisation« auf ein Darstellungsverfahren zurück, das für sakrale Dokumente typisch war, wobei vor allem die Priesterannalen als Vorbilder gedient haben dürften. Was die Figur des römischen Historikers damit an politisch-sozialem Status einbüßte, gewann sie über die Sakralisierung ihrer Arbeit. Eine zweite umfassende Transformation sieht Wittchow im annalistischen Werk des Tacitus, für den der Bruch zwischen Republik und Monarchie derart fundamental gewesen sei, dass er keinen Bedarf mehr für eine chronologische Erzählung der römischen Geschichte von ihren Anfängen her habe ausmachen können und seinen Annalen daher einen parodistischen Einschlag gegeben habe. Der Epochensprung zur humanistischen Historiographie offenbart eine geradezu polare Ausgangslage: Die Humanisten bemühten sich in erster Linie um gentilizische, panegyrische und dynastische Vergangenheitskonstruktionen. Und da die römische Historiographie das Territorium des Römischen Reiches höchstens im dynamischen Sinn der fortlaufenden Grenzerweiterung erfasste, konnte
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sie auch für die humanistischen Bemühungen um eine historisch-geographische Erfassung territorialer Räume nicht als Vorlage dienen. Wittchows Nachweis der beschränkten Funktionalität der römischen Geschichtsschreibung für die humanistischen Historiker bietet einen wichtigen Erklärungsansatz für die Attraktivität anderer Gattungen wie der antiken Ethnographie, deren Bedeutung für den Humanismus Schirrmeister in seinem Beitrag herausgestellt hat. Es kommt daher nicht ganz überraschend, dass auch Wittchow in Polydor Vergils Anglica historia eine starke Orientierung an Caesars De bello Gallico ausmacht. Überraschender ist eher, dass er im gleichen Werk auch vielfältige Anleihen bei Livius findet, unter anderem zur Lösung von chronologischen Problemen mit den englischen Königslisten und zur Rationalisierung von mythischen Erzählungen zur englischen Frühgeschichte. Die römischen Geschichtswerke stellten den humanistischen Historikern also trotz unterschiedlichster Textsorten, Funktionen und Intentionen eine reiche Auswahl an Verfahren und Motiven zur Verfügung, die diese für die stilistische Gestaltung und erzählerische Bewältigung ihrer eigenen Stoffe brauchen konnten.
Humanistische Bildung ist Macht Was zu Wittchows aufschlussreicher diachroner Komparatistik noch ergänzt werden könnte, ist der Komplex der Transformation der Gelehrtenrollen im Humanismus. Zunächst fällt hier auf, dass die Figur des humanistischen Geschichtsschreibers im Unterschied zum römischen nicht an ein spezifisches Amt und dessen Funktionen gebunden war. Zwar kam es vor, dass Humanisten für die Produktion von Geschichtswerken eigens mit einem Amt ausgestattet wurden, wie Aventin von den bayerischen Herzögen, und daraus für sich und ihre ›offiziellen‹ Werke eine höhere Glaubwürdigkeit reklamieren konnten; im Allgemeinen erfolgte die Produktion der humanistischen Historiographie jedoch in einem informelleren Rahmen, der sich von anderen humanistischen Tätigkeiten nicht markant unterschied. Insofern hatten die Humanisten wenig Anlass, für ihre Tätigkeit als Geschichtsschreiber eine eigene Rolle zu entwerfen. Die Figur des Historikers war denn auch meist in der humanistischen Selbstbezeichnung als poetae et oratores mitgedacht, und wie in ihrer Rolle als Dichter und Redner inszenierten sich die Humanisten in ihren Geschichtswerken vor allem als Bildungsmissionare. Man kommt also nicht darum herum, die weiteren sozialen und kulturellen Kontexte ihrer Gelehrtentätigkeit einzubeziehen, will man ihr Selbstverständnis und ihre Selbstinszenierung besser verstehen. Dazu abschließend ein paar thesenartige Ausführungen:11 _____________ 11 Die folgenden Überlegungen sind ausführlicher dargelegt in Hirschi (2008).
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Wo auch immer die Humanisten das Wort erhoben, priesen sie sich an als Apostel der Zivilisation und Kämpfer gegen die Barbarei. Mochte ihr hochtrabendes Selbstlob noch so oft der eigenen Eitelkeit oder der Verdrängung anderer Gelehrtengruppen gedient haben, es gehörte zu einem expansiv-universalistischen Intellektuellenhabitus, der im christlichen Europa als profanes Phänomen neu war und die unhinterfragte Identität von Gelehrten- und Klerikerstand erschütterte. Dieser Habitus führte nicht nur zu humanistisch inspirierten Schulgründungen und Universitätsreformen, sondern auf lange Dauer zum Aufgehen des Humanismus in der höfisch-städtischen Elitenkultur. Die Exklusivität ihres Ranges verringerte sich mit zunehmendem Erfolg ihrer Bildungspropaganda. Dieser Vorgang war im humanistischen Habitus von Anfang an angelegt und manifestierte sich vor allem im Umgang mit den Mächtigen. In ihrem Austausch mit Herrschaftsträgern beschworen Humanisten regelmäßig eine höhere Komplizenschaft von Geist und Macht, von literarischem und politischem Heroismus, und schlugen dabei einen neuen, intimeren Ton an. Schon Petrarca (1304–1374) hatte vielen ein Beispiel gegeben, indem er Papst und Kaiser in antikischer Manier duzte12 und ihnen auch sonst demonstrativ auf gleicher Augenhöhe begegnete. An Karl IV. richtete er die Worte: »Du rufst mich nach Deutschland; ich rufe Dich nach Italien! Du bist mir durch Autorität überlegen, ich Dir in der Sache.«13 Spätere Humanistengenerationen gingen dazu über, Könige, Fürsten und Stadtherren direkt ihresgleichen zuzurechnen. Conrad Celtis (1459–1508) verlieh Kaiser Maximilian I. eine Mitgliedschaft in seiner virtuellen nationalen Gelehrtensodalität, seine deutschen Gelehrtenfreunde stilisierten Karl den Großen zum humanistischen Idealgelehrten avant la lettre, und ein italienischer poeta laureatus ließ sogar verlauten, im Altertum seien »die Lehrer der freien Künste und die Juristen alle hochgelehrte Humanisten gewesen, am allermeisten aber die Fürsten, Könige und der ganze Adel«.14 Gerade die lorbeerbekränzten Dichter und Redner hatten besonderen Grund, einen herrschaftlichen Status der humanistischen Studien vorzugaukeln, sahen sie doch in den seit Friedrich III. vom Kaiser vollzogenen Dichterkrönungen eine offizielle Anerkennung für den quasi-imperialen Rang der Poesie und Redekunst.15 So angestrengt diese _____________ 12 Vgl. Rüegg (2002), 22. 13 »Tu me in Germaniam, ego in Italiam te uoco. Tu autoritate me superas, ego te causa.« Petrarca an Karl IV., Padua, 18. Juli 1361: Petrarca, Epistolae de rebus familiaribus 23,8, 526. 14 Es handelt sich um Girolamo Amaseo aus Udine (1467–1517): »li antiqui sì artisti come legisti tutti erano dotissimi humanisti et maxime li principi et re et ogni nobilità.« Zitiert nach Rüegg (2002), 18 f. (wie Anm. 12). 15 Neben den Dichterkrönungen gab es auch andere, subtilere Methoden, die humanistische Tätigkeit als Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln darzustellen. Ein schönes Beispiel ist die Legende, der mailändische Herzog Gian Galeazzo Visconti habe im Krieg gegen Florenz geklagt, ein Brief von Coluccio Salutati schade ihm mehr als tausend florentinische Reiter. Diese Aussage wird gerne als Beleg für die politische Macht der humanistischen Sprache angeführt, nur wird dabei vergessen, dass sie von Salutati selbst kolportiert wurde, der in dieser Sache
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doppelte Integrationsrhetorik, die aus Herrschern Humanisten und aus Humanisten Herrscher machte, von der realen Machtverteilung und Distanz zwischen Schwert und Feder ablenkte, mit der Zeit schlug sie eine neue, auf profanen Pfeilern stehende Brücke zwischen der abendländischen Gelehrten- und Herrschaftskultur. Dem entsprach, dass in humanistischen Netzwerken die Grenze zwischen gelehrten und herrschaftlichen Patronen diffus blieb; Figuren wie der venezianische Patrizier und Kardinal Pietro Bembo oder der kaiserliche Rat und Superintendent der Wiener Universität Cuspinian konnten beide Rollen einnehmen. Wie aus wortmächtigen Humanisten sogar machtvolle Herrscher werden konnten, lebten Tommaso Parentucelli und Enea Silvio Piccolomini auf dem Papstthron vor. Karrieren wie ihre blieben freilich die Ausnahme und waren nur an der Kurie möglich, die für vertikale Mobilität wie keine andere bedeutende Machtinstitution offen war. Insgesamt lässt sich die langfristige Bedeutung des Brückenschlags zwischen den Rollen des Gelehrten und des Herrschers kaum überschätzen, sei es für die politische Propaganda und Machtrepräsentation, sei es für den Aufbau der europäischen Diplomatie, sei es für den Siegeszug der mathematischen Wissenschaften,16 sei es für die Pathogenese der europäischen Intellektuellenhybris. Der humanistischen Rollenwahl des »Herrschers durch das Wort« entsprach das allgemeine Verständnis der studia humanitatis als Herrschaftswissen. Vom neuhumanistischen Ideal einer zweckfreien Bildung zur Vervollkommnung des Individuums, wie es in Deutschland zu Beginn des 19. Jahrhunderts formuliert wurde, war im Renaissance-Humanismus noch wenig vorhanden. Im Gegenteil, es herrschte weitgehender Konsens, dass die Legitimität der studia humanitatis vor allem darin bestehe, instrumentelles Wissen zur Herrschaftsorganisation und Machtausübung bereitzustellen. Dieser Anspruch war direkt im Begriff der humanitas verankert. Mit ihm rekurrierten die Humanisten auf ein römisches Bildungsideal, das sie in Ciceros Schriften mustergültig dargelegt und in Ciceros Person exemplarisch vorgelebt fanden. Cicero und andere Gelehrtenpolitiker der späten Republik hatten für die römische Senatsaristokratie eine umfassende eruditio (wörtlich: »Entrohung«) gefordert, die vom alten Hausbuchwissen der führenden Familien wegführte und den im römischen Senat verankerten Wissenskompetenzen das griechische Ideal der paideia unterlegte. Zu diesen Kompetenzen gehörte nicht nur die Oratorik, sondern auch die Geschichtsschreibung und politische Ethik. Der vollendete Senator selbst wurde als orator doctus dargestellt, besonders bewandert in Rhetorik, Recht, Geschichte und Moralphilosophie. Seine breite Bildung qualifizierte ihn nicht nur zum guten Politiker, sondern machte ihn erst zum edlen Menschen. Sie verkörperte und verlieh humanitas.17 _____________ sicher nicht der vertrauenswürdigste Gewährsmann war. Nicht über den Machtbesitz, dafür aber über die Machtphantasien der Humanisten kann diese Legende Aufschluss geben; vgl. Hirschi (2005), 225; zu den humanistischen Dichterkrönungen vgl. Schirrmeister (2003). 16 Vgl. Biagioli (1999); Shapin (1994); Houghton Jr. (1942), 51–73. 17 Scholz (2004), 21 f.
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War das römisch-antike Bildungsideal der humanitas derart eng an das politische System einer parlamentarischen Oligarchie gebunden, in der die Figur des Gelehrtenpolitikers – auch und gerade als homo novus – einen institutionell vorgegebenen Platz hatte, so stellt sich die Frage, wie es in der Renaissance unter gänzlich anderen Herrschaftsbedingungen überhaupt erfolgreich sein konnte. Dass es für die Ausübung der Politik überlegene Problemlösungen zur Verfügung stellte, ist wenig wahrscheinlich; wie Robert Black treffend bemerkt hat, boten humanistische Abhandlungen wenn überhaupt wenige Lektionen in der politischen Realität; ihre moralischen Plattitüden und Banalitäten konnten einem italienischen Politiker, der vor Entscheidungen über Krieg und Frieden, über Allianzen, Parteienkonflikte, über die Besteuerung oder Verwaltung von Untertanengebieten stand, kaum eine Hilfestellungen geben.18
Für den Erfolg des Humanismus waren wohl kaum rationale Beweggründe verantwortlich. Am ehesten zu verstehen ist er, wenn man die Hauptinnovation des Humanismus genauer betrachtet: die Ästhetisierung der lateinischen Sprache. Sie wurde zum eigentlichen Markenzeichen humanistischer Texte, verbunden mit der impliziten oder expliziten Botschaft, dass zwischen sprachlicher Schönheit, Wahrheit, Moral und Macht ein notwendiger Zusammenhang bestehe.19 Die Abwendung von der mittelalterlichen Gelehrsamkeit war in erster Linie eine sprachlich-stilistische, in zweiter Linie auch eine des literarischen Kanons und der Gattungen. Diese Verschiebung war für Leser und Zuhörer, die die lateinische Sprache einigermaßen verstanden, sofort erfassbar, was zur Attraktivität humanistischer Bildung als kulturellem Kapital beitrug. Der humanistische Glaube an die Macht der Sprache fiel in eine Zeit rasant ansteigender Schriftlichkeit, die besonders die Herrschaftspraxis und die Kultur der gesellschaftlichen Eliten veränderte. Es ist naheliegend, in diesem Prozess ein Anzeichen für die Rationalisierung von Herrschaft und Verwaltung zu sehen, und auf lange Sicht trifft dies auch zu. Auf mittlere Sicht jedoch kam die Verschriftlichung auch einer Neuverzauberung gleich. So suspekt uns heute das Zusammendenken von schöner Sprache, reiner Seele und guter Herrschaft ist, so überzeugend musste es auf rudimentär gebildete Menschen – und damit auf die meisten Machtträger – in einer semi-oralen Kultur gewirkt haben: Für sie besaßen rituelle Sprechakte und vor allem die zu Schrift erstarrte Sprache nach wie vor einen magischen Charakter. Die Sprache war hier kein Schlauch, der Informationen _____________ 18 Black (1998), 274 (deutsch von C. H.). 19 Explizit wird dieser Zusammenhang in einem Brief von Pietro Bembo an Giovanni Pico della Mirandola: »Ich glaube«, schrieb Bembo, »dass sich in Gott nicht nur eine bestimmte göttliche Form der Gerechtigkeit, der Mäßigkeit und der übrigen Tugenden, sondern auch eine bestimmte göttliche Form des vollendeten Schreibstils [recte scribendi speciem quamdam divinam] findet.« Diesen Stil hielt Bembo nicht etwa in der Sprache der Evangelien, sondern in den Texten des »göttlichen« Cicero für perfekt imitiert; das Latein rückt hier also fast an die Stelle der vorbabylonischen Sprache, die eins war mit den Dingen, die sie beschrieb; zitiert nach Febvre (2002), 404.
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transportierte, kein Abbild einer ihr äußerlichen Welt, sondern »ein Stigma auf den Dingen«, eine Verkörperung heiliger Traditionen und Trägerin einer Macht, die ihren eigenen Zeichen entsprang.20 Das galt im Besonderen für das Latein, die Sprache der Kirche; von ihrem sakralen Charisma floss viel in den Humanismus ein, und genau dieses Charisma stand auf dem Spiel, wenn humanistische Werke aus dem Latein in Vulgärsprachen übersetzt wurden.21 Um die Bedeutung und Wirkung des Humanistenlateins zu erfassen, müsste man also auch so etwas wie eine Transformation des Mittelalters in Rechnung stellen. Dabei würde sich nicht zuletzt die Frage stellen, ob das humanistische Sprachverständnis in gewisser Hinsicht hinter jenes der spätmittelalterlichen Scholastik zurückfiel oder zumindest auf mentalen Dispositionen beruhte, die von der scholastischen Sprachphilosophie unberührt geblieben waren. Denn gemessen am scholastischen Nominalismus, der zwischen sprachlichem Zeichen und Inhalt unterschied, sich aber weitgehend auf theologische Themen beschränkte, resakralisierte der Humanismus die Sprache – bei gleichzeitiger Säkularisierung des Themenfeldes. Die Humanisten agierten in der spätmittelalterlichen Übergangskultur demnach als verzauberte Verzauberer: Ihr eigenes Denken war auch von einem magischen Sprach- und Schriftverständnis geprägt, nicht zuletzt in ihrer Paradedisziplin, der Philologie, die vom Glauben an einen reinen Ursprungstext und an eine Entschlüsselung der Natur im Medium des Kommentars beseelt war. Die Methode der Wissensvermehrung bestand darin, »Sprache auf Sprache zu beziehen«.22 Entscheidend war, dass die Humanisten dieses Sprachverständnis auf innerweltliche Kontexte übertrugen und damit für neue Verzauberungen fruchtbar machten. Damit waren die Voraussetzungen gegeben, dass die Humanisten mit ihrer angeblichen Vollmacht zum Verherrlichen und Verdammen der Mächtigen glaubhaft wirken konnten. Was sie herrschaftlichen Protektoren versprachen, war nichts weniger als die literarische Verwandlung in und Verewigung als Helden antiker Größe. Auch hier wäre es falsch, den Herrschaftsträgern zu unterstellen, sie hätten die Humanisten bloß aus kühler Berechnung zu »Propagandaministern« ernannt und sich um ihre Weisheiten nicht weiter gekümmert. Obwohl ihnen die humanistischen Rezepte für eine gute und erfolgreiche Politik keinen praktischen Nutzen brachten, darf man annehmen, dass bei vielen vom humanistischen Herrschaftsgedanken etwas hängen blieb. Diesen Gedanken kann man auf die Formel bringen: Ohne römische Bildung keine Herrschaft und kein Ruhm von römischem Ausmaß. _____________ 20 Vgl. zum Sprachverständnis der Renaissance die noch immer äußerst anregende, aus präzisen Beobachtungen und nebulösen Abstraktionen zusammengesetzte Theorie von Foucault (1974), 66–77. 21 Vgl. dazu die Beiträge von Markus Völkel, Stefan Schlelein und Robert Wallisch in diesem Band. 22 Foucault (1974), 72–74.
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Die humanistische Geschichtsschreibung fand in diesem Kontext ihre Legitimation und Funktion. Denn als Historiker konnten sich die Humanisten genau in jene Tradition einer herrschaftlich-gelehrten Doppelidentität stellen, die Frank Wittchow bei den frühen römischen Geschichtsschreibern ausgemacht hat. Die Selbstinszenierung vieler Humanisten als Herren der Geschichte dürfte also nicht zuletzt darauf zurückzuführen sein, dass sie in der antiken Geschichtsschreibung eine gelehrte Praxis vorfanden, deren Herrschaftsnähe wohl nur von der Jurisprudenz übertroffen wurde. Die Art der Herrschaftsnähe jedoch, die die Humanisten suchten und teilweise auch fanden, war eine ganz andere als jene des römischen Historikers. Weder im ›städtischen‹ Italien noch im ›fürstlichen‹ Resteuropa ermöglichten ihnen die spätmittelalterlichen Herrschaftsstrukturen eine dem Zensorenamt vergleichbare Stellung als politisch-moralisch-gelehrte Machtinstanz. Als Historiker waren sie in erster Linie Garanten des Nachruhms, sei es eines Fürsten, einer Stadt, einer Region oder einer Nation. Geschichte sine ira et studio zu betreiben, war in dieser Funktion schwer möglich, und der Taciteische Grundsatz eignete sich höchstens noch als polemische Waffe in der Auseinandersetzung mit anderen Gelehrten, deren Parteilichkeit für die eigene Parteilichkeit störend war. Die von Wittchow zitierten Eröffnungssätze von Cuspinians Austria sind dafür exemplarisch: Cuspinian kündigt eine Ruhmesgeschichte des »vergöttlichten« Herzogs Leopold und seines Territoriums an und wirft im gleichen Atemzug anderen Gelehrten vor, sie hätten »teils aus Hass [odio], teils aus Parteilichkeit [favore] die Geschichte dieser Gegend herab[ge]setzt«. Hier führt die Transformation antiker Normen zu einem schiefen Diskurs, und wie in vielen anderen Bereichen der humanistischen Gelehrsamkeit stellt sich die (in diesem Band bereits von Martin Ott aufgeworfene) Frage, inwiefern die angestrengte Orientierung an der Antike auch Dysfunktionalitäten hervorgebracht hat, die die geistige Kraft des Humanismus lähmten, eine realitätsgerechte Selbstreflexion seiner Repräsentanten verhinderten und bei der Ausbildung der modernen Wissenschaften höchstens noch als Hypothek beteiligt waren.
Literatur Quellen Aventin, Johannes, Johannes Turmair’s genannt Aventinus Bayerische Chronik, hg. v. Matthias Lexer, Bd. 1, München 1882 (= Johannes Turmair’s genannt Aventinus sämmtliche Werke, 4). Petrarca, Francesco, »Epistolae de rebus familiaribus 23,8«, in: Petrarca, Francesco, Aufrufe zur Errettung Italiens und des Erdkreises. Ausgewählte Briefe, hg. u. übers. v. Berte Widmer, Basel 2001.
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Literatur Biagioli, Mario, Galilei, der Höfling. Entdeckungen und Etikette: Vom Aufstieg der neuen Wissenschaft, Frankfurt am Main 1999 [Engl. Originalausgabe Chicago 1993]. Black, Robert, »Humanism«, in: The New Cambridge Medieval History, Bd. 7, hg. v. Christopher Allmand, Cambridge 1998, 243–277. Böhme, Hartmut, Fetischismus und Kultur. Eine andere Theorie der Moderne, Reinbek bei Hamburg 2006. Degenhart, Bernhard/Schmitt, Annegrit (Hg.), Corpus der italienischen Zeichnungen 1300–1450, Teil 2: Venedig, Jacopo Bellini, Bde. 5–8, Berlin 1990. Febvre, Lucien, Das Problem des Unglaubens im 16. Jahrhundert. Die Religion des Rabelais, Stuttgart 2002 [franz. Originalausgabe Paris 1942]. Foucault, Michel, Die Ordnung der Dinge. Eine Archäologie der Humanwissenschaften, Frankfurt am Main 1974 [franz. Erstausgabe Paris 1966]. Goez, Werner, »Die Anfänge der historischen Methoden-Reflexion im italienischen Humanismus«, in: Geschichte in der Gegenwart. Festschrift für Kurt Kluxen, hg. v. Ernst Heinen/Julius Schoeps, Paderborn 1972, 3–21. Grafton, Anthony, »Invention of Traditions and Traditions of Invention in Renaissance Europe: The Strange Case of Annius of Viterbo«, in: The Transmission of Culture in Early Modern Europe, hg. v. Anthony Grafton/Ann Blair, Philadelphia 1990, 8–38. Hauser, Andreas, Andrea Mantegnas ›camera picta‹ im Kastell von Mantua. Ein Kraftwerk für intelligentes Sehen, Berlin 2005 (= Vorträge aus dem Warburg-Haus, 9), 1–38. Hirschi, Caspar, Wettkampf der Nationen. Konstruktionen einer deutschen Ehrgemeinschaft an der Wende vom Mittelalter zur Neuzeit, Göttingen 2005. Hirschi, Caspar, »Höflinge der Bürgerschaft – Bürger des Hofes. Zur Beziehung von Humanismus und städtischer Gesellschaft«, in: Gelehrtes Wissen, Kunst und städtische Gesellschaft im Zeichen des Humanismus. Augsburger Kultur im Umfeld der Gründung des Gymnasiums St. Anna (1531), hg. v. Gernot-Michael Müller, Tübingen 2008 [in Vorbereitung]. Houghton Jr., Walter E., »The English Virtuoso in the Seventeenth Century«, in: Journal of the History of Ideas 3 (1942), 51–73. Kohl, Karl-Heinz, Die Macht der Dinge. Geschichte und Theorie sakraler Objekte, München 2003. Rüegg, Walter, »Die Funktion des Humanismus für die Bildung politischer Eliten«, in: Humanismus in Erfurt. Vorträge, die im Oktober 2001 auf dem 1. Erfurter Humanismus-Kongreß der Akademie Gemeinnütziger Wissenschaften zu Erfurt gehalten wurden, hg. v. Gerlinde Huber-Rebenich/Walther Ludwig, Rudolstadt/Jena 2002 (= Acta Academiae Scientiarum, 7/Humanismusstudien, 1), 13–32. Schirrmeister, Albert, Triumph des Dichters. Gekrönte Intellektuelle im 16. Jahrhundert, Köln/Weimar/Wien 2003 (= Frühneuzeitstudien, N. F., 4). Scholz, Peter, »Der Senat und die Intellektualisierung der Politik – einige Bemerkungen zur Krise der traditionellen Erziehung in der späten römischen Republik«, in: Wissen in der Krise. Institutionen des Wissens im gesellschaftlichen Wandel, hg. v. Carsten Kretschmann/Henning Pahl/Peter Scholz, Berlin 2004, 17–27. Shapin, Steven, A Social History of Truth. Civility and Science in Eighteenth Century England, Chicago/London 1994. Sonderforschungsbereich 644 Transformationen der Antike – Projektbeschreibung (Langfassung), .
Abkürzungsverzeichnis Abkürzungen lateinischer Autorennamen und Werktitel Boethius cons.
de consolatione philosophiae
Gaius Iulius Caesar Gall.
de bello Gallico
M. Tullius Cicero de or. opt. gen.
de oratore de optimo genere oratorum
Horatius c.
carmina
Sallustius Sallust. Cat.
Sallustius coniuratio Catilinae
Tacitus ann. Germ.
annales Germania
Plinius maior hist. nat.
historia naturalis
Vergilius Aen.
Aeneis
Siglen BAV BBKL Bibl. Marc. Bibl. Pal. BSB CIL HSK RIC
Biblioteca Apostolica Vaticana Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon Biblioteca Marciana Bibliotheca Palatina Bayerische Staatsbibliothek Corpus Inscriptionum Latinarum Handbücher zur Sprach- und Kommunikationswissenschaft Roman Imperial Coinage
Register Das Personenregister enthält neben historischen auch literarische und mythische Figuren. Lebende Personen wurden nur aufgenommen, wenn sie besondere konzeptionelle Bedeutung im Text haben. Das geographische Register notiert Orte, Flüsse, Länder und Regionen in einem weiten Sinn. Die Einträge verzeichnen sowohl die modernen als auch die Quellenbezeichnungen.
Personenregister Abensberg / Abensperg und Ramdeck (Grafen) 191 Achilles 59 Aemilius, Titus 56 f. Aeneas 53 f., 59, 61, 65 f. Agustín, Antonio 102, 110, 116, 159 Aischines / Aeschines 172 Albrecht I. Achilles, Kurfürst v. Brandenburg 94 Albrecht VI., Hz. v. Österreich 94 Albrecht von Bonstetten → Bonstetten, Albrecht von Albrecht von Brandenburg, Hochmeister des Dt. Ordens 12 f. Alexander der Große 187 Alexander VI. (Rodrigo de Borja), Papst 208 Alexander Severus, röm. Kaiser 94 Alfons I./V. der Großmütige, Kg. v. Neapel-Aragón 105, 187, 225, 254 Alfons II., Kg. v. Neapel 225 Alfons V. ›o Africano‹, Kg. v. Portugal 184 Alfonso de Cartagena (Alfonso García de Santa María) 173 Alfonso de Herrera 167 Alfonso de Palencia → Fernández de Palencia, Alfonso
Altdorf und Amberg (Grafen) → Welfen Althamer, Andreas 20 Altichiero da Zevio 104 Álvaro da Cunha 185 f. Álvaro da Pinhel 185 f. Álvaro de Aguiar 185 f. Amantius, Bartholomäus 140, 158 f., 161 Inscriptiones sacrosanctae vetustatis (zusammen mit → Apianus, Petrus) 158 f. Amaseo, Girolamo 265 Amerbach (Familie) 106 Ammianus Marcellinus 78 Ancona, Ciriaco d’ → Cyriacus von Ancona Andreas de Sanctacruce 112 De notis publica auctoritate probatis 112 Anghiera, Pietro Martire d’ → Martire d’Anghiera, Pietro Annius von Viterbo 80, 175, 258 Anonymus Carmen de bello Saxonico 90 Codex Einsidlensis 147, 152–154, 156 Curiosum urbis Romae 147
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Personenregister
Epitome de Caesaribus 78 f., 83– 85, 91 Forma urbis Romae 146 Hypomneses politicae → Guicciardini, Francesco Historia Augusta 77–80, 82–86, 88 f., 91–95, 102, 113, 127, 257 f. Itinerarium Antonini 147 Notitia urbis Romae 147 Origo gentis Romanae 65 Quomodo Iosephus Indus 208–210, 261 Sylloge Signoriliana 155 Antão da Cunha 185 f. Antonius, Marcus → Mark Anton Apianus, Petrus 140, 158 f., 161 f. Inscriptiones sacrosanctae vetustatis (zusammen mit → Amantius, Bartholomäus) 158 f. Appian 217 Aquila, Johannes (Johannes Gentner) 112 Opusculum de potestate monetarum 112 Aquin, Thomas von → Thomas von Aquin Archenholz, Johannes Wilhelm von 243 Geschichte des Siebenjährigen Krieges 243 Archimedes 227 Archontius, Severus 87 Aristoteles 173 Nikomachische Ethik 173 Ascanius (Sohn des Aeneas) 67 Augustus, röm. Kaiser 47, 54, 87, 102 f., 120, 122 Aurelian, röm. Kaiser 84 f., 87, 118 Aurelius Victor, Sextus 79, 83, 85 Aureolus 90 Ausonius, Decimus Magnus 78 Tetrasticha 78 Aventin, Johannes (Johannes Turmair) 12, 32, 127, 140, 156 f., 161 f., 169, 174, 189–196, 198 f., 259 f., 264 Annales ducum Boiariae 12, 169, 190–193, 195, 197, 260 Bayerische Chronik 169, 190, 194, 260
Bayerischer Chronicon […] kurtzer Auszug 170, 189–198, 259–261 Vetustates Romanae […] 157 Azurara, Gomes Eanes de → Eanes de Azurara, Gomes Babenberger (Familie) 83 Bacon, Francis 222 Bacon, Roger 173 Badius, Jodocus / Josse 217 Barbaro, Ermolao 115 Barbaro, Francesco 106 Baronius, Caesar 219 Annales ecclesiastici 219 Barth, Kaspar von 240 Bartolini, Riccardo 82 Bassus 87 Bebel, Heinrich 16, 28, 61 Ecloga triumphalis 16, 28 Beccadelli, Antonio (gen. »Panormita«) 105, 254 Beccari, Niccolò 103 Beda Venerabilis 59, 68 Behaim, Michael 114 Beliago → Gonçalves Beleago, João Bel(l)inus (Bruder des → Brennus) 67 f. Bellini, Jacopo 118, 256 Belus, myth. Kg. v. Babylon 193 Bembo, Bernardo 108 Bembo, Pietro, Kardinal 226, 266 Benjamin, Walter 172 Benzoni, Girolamo 231, 234, 236 Der Newenn Weldt und Indianischen Nidergaengischen Königreichs Newe und Wahrhaffte History 234 Bernhard von Breydenbach 207 Bevaerden tot dat heilige grafft 207 Beroaldo, Filippo 84 Biel, Gabriel 112 De nummis in republica percutiendis et conservandis libri duo 112 Bild, Veit 125 Biondo, Flavio 30 f., 113, 139–141, 162 Italia illustrata 30, 139, 141 Roma instaurata 139–141 Roma triumphans 139 f.
Personenregister Bisticci, Vespasiano da 106 Boccaccio, Giovanni 173 Boece, Hector 36 Scotorum Historia 36 Boëthius, Anicius Manlius 112 Bodin, Jean 223 Methodus ad facilem historiarum cognitionem 223 Böhm aus Aub, Johannes 20, 24 f., 32 Omnium gentium mores leges et ritus 20, 25 Bonnus, Hermann 242 Bonstetten, Albrecht von 13, 17 f., 28 f., 34, 36 Germanica in Prelia Karoli 17 Historia de desponsatione / De Provisione vacantis ducatus Burgundie […] 17 Superioris germanice confederationis descriptio 13, 17 Bouchart, Alain 36 Grandes Chroniques de Bretagne 36 Bouchet, Jean 18 f., 26, 36 Anciennes et modernes genealogie des roys de France 19 Annales de l’Aquitaine 18 f., 26, 36 Bracciolini → Poggio Bracciolini, Gian Francesco Brant, Sebastian 179 Brennus (Bruder des → Bel[l]inus) 67– 69 Brito / Brutus, myth. Erster Kg. v. Britannien 59, 65–67 Bruni, Leonardo 168, 173 f., 197, 222 De interpretatione recta 173 Nikomachische Ethik (Übersetzer) → Aristoteles Brutus → Brito Brutus, Lucius Iunius 54 Bruzen de la Martinière, AntoineAugustin 237 Bry, Theodor de 231 Americae tertia pars 231 Buchanan, George 36 Rerum Scoticarum historia 36 Budé, Guillaume (Budaeus) 112, 117, 126, 235
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De asse et partibus eius 116 Institution du Prince 117 Bugenhagen, Johannes 12 f., 26 Pomerania 12 f., 26 Burckhardt, Jacob 104 Burgkmair, Hans 125 Busleyden, Hieronymus 128 Bustamante, Bartolomé 179 Cabral, Pedro Álvares 208 Caesar, Gaius Iulius 5, 15, 18, 21, 29, 31, 34 f., 37, 47, 56, 60, 63 f., 68, 71, 77, 91, 102 f., 105, 124, 126, 187, 262, 264 Bellum Gallicum 5, 15, 18, 21, 34 f., 63 f., 262, 264 Caligula, röm. Kaiser 47 Calepinus, Ambrosius 82 Dictionarium latinum 82 Calvo, Juan 179 Camden, William 240 Camillus, Marcus Furius 61 f. Campano, Giannantonio 5 Carinus, röm. Kaiser 79 Carion, Johann 237, 242 Chronica 237, 242 Cartagena, Alfonso de → Alfonso de Cartagena Carus, röm. Kaiser 79 Cassius, Avidius 92 f. Cassius Dio Cocceianus, Lucius Claudius 78 Castiglione, Baldassarre 179 Catilina, Lucius Sergius 27 Cato der Ältere 50, 52, 55 f., 62 f. Origines 56 Catulus 77 Celsus, Rufius 87 Celtis, Conrad 5, 7, 14, 16, 27, 30, 32, 120, 124, 265 Amores 7, 16, 30 Germania illustrata 14, 30, 32 Laudes et Victoria de Boemannis 16 Oratio in gymnasio in Ingelstadio publice recitata 27 Certeau, Michel de 231 Cham (Sohn Noahs) 234 Charion, Johannes → Carion, Johann
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Personenregister
Charles IX. → Karl IX., Kg. v. Frankreich Chinemarchus → Kinmarcus Chomedey, Jérôme de 224 Chytraeus, David 22, 26 Praecepta rhetoricae inventionis 22 Cicero, Marcus Tullius 27, 49, 55, 63, 77, 93, 95, 172 f., 179, 197, 266 De optimo genere oratorum 172 De oratore 27, 179 Cieza de Léon, Pedro 234 Crónica del Peru 234 Cinna, Lucius Cornelius 47 Claudius, röm. Kaiser 47 Clemens VII. (Robert v. Genf), Papst 187 Cles, Bernhard von, Kardinal 25 Cochlaeus, Johannes 23 Brevis Germaniae descriptio 23 Colocci, Angelo 115 Columbus, Christoph → Kolumbus, Christoph Commynes, Philippe de 240 Mémoires 240 Constantin → Konstantin, röm. Kaiser Cordus, Iunius / Aelius 81 Corrêa da Serra, José 185 Corvinus, Matthias, Kg. v. Ungarn 83 Cramer, Johann Friedrich 237 Crassus, Marcus Licinius 47 Crispus (Sohn Kaiser Konstantins) 120 Curione, Celio Secondo 225 f., 228 f., 241 Pasquino in estasi 229 Curtius Rufus, Quintus 238 Cuspinian, Johannes / Spießheimer, Johannes 12, 19, 25 f., 48 f., 52 f., 61, 70 f., 77–79, 83–95, 106, 110, 126 f., 257 f., 266, 269 Austria 19, 25 f., 53, 269 De Caesaribus atque imperatoribus Romanis 77 f., 83, 91–93, 95, 126, 257 Gesta Friderici imperatoris (Herausgeber) 83 Oratio protreptica 12 Cyriacus von Ancona 102, 106, 150
Dalberg, Johannes 114–116 Dandolo, Benedetto 106 Dante Alighieri 207 David, israelitischer Kg. 195 Decebalus, Kg. der Daker 12 Demosthenes 172 Descartes, René 222 Dessau, Hermann 79, 82 Devereux, Robert (Essex) 241 Diana 65 Dio → Cassius Dio Diodorus Siculus 217 Diokletian, röm. Kaiser 79 Dobeneck, Hiob von 11 Domitian, röm. Kaiser 102 Dondi, Giovanni 140, 149, 152 f., 155, 255 Iter Romanum 140, 149, 255 Dossem, Martim 188 Drusus (Sohn des Tiberius) 122 f. Duarte (port. Infant) 188 Dürer, Albrecht, der Ältere 119 Dürer, Albrecht (Sohn von Albrecht Dürer d.Ä.) 78, 126 Dunvallo Molmutius / Molmicius, myth. Kg. v. Britannien 67 Eanes de Azurara, Gomes 169, 184– 187, 189, 191, 197 f., 259 Crónica da Guiné 184 Crónica da Tomada de Ceuta 169, 184 f., 259 Eanes de Sousa, Gonçalo 185 f. Eduard VII., Kg. v. England 61 Egen, Barthelmäs 119 Egnazio, Giovanni Batista 79, 91, 93 De Caesaribus libri tres / Romanorum principum libri tres 78, 91 Adnotationes 91 Eguía, Miguel de 175 Elagabal → Heliogabal Elisabeth I., Kgn. v. England 235, 241 Ennius, Quintus 51, 56, 65 Annales 56 Enríquez (Familie) 183 Enríquez, Fadrique 175 Erasmus von Rotterdam 78, 128
Personenregister Ernst, Hz. v. Bayern und Ebf. v. Salzburg 190 Euagrius Ponticus 242 Euhemeros 65 Eusebius von Caesarea 67, 102, 217, 242 Eutrop 78, 83, 85 Fabié, Antonio María 167 Fabier (Familie) 52 Fabius Pictor 47, 50, 52, 71 Fabius, Quintus 56 f. Fabri, Felix 28, 36 Fabri, Ulrich 106 Fazio / Facio, Bartolomeo 225 Febvre, Lucien 29 Federico da Montefeltro, Hz. v. Urbino 70 Feliciano, Felice 102 Fenton, Geoffrey 224 Ferdinand I. ›von Antequera‹, Kg. v. Aragón 186 Ferdinand II., Kg. v. Aragón 178 Ferdinand II., Kg. v. Neapel 225 Fernández de Palencia, Alfonso 167 f., 172, 199 Bellum luporum cum canibus / Batalla campal de los perros contra los lobos 167 f. Festus, Rufus 83 Ficino, Marsilio 206 Fincken, Niclas 120 Firmus, röm. Gegenkaiser 87 Flavius Severus, röm. Kaiser 122 f. Flórez Benavides, Antonio 225 Florianus, röm. Kaiser 107 Fonteius, Marcus 87 Forberger, Georg 225 Forzetta, Olivio 106 Fracanzano da Montalboddo 210 Paesi novamente retrovati (Herausgeber) 210 Franchi Conestaggio, Girolamo de 242 Franckenstein, Christian Gottfried 237 Franz I., Kg. v. Frankreich 117 Freher, Marquard 28 Rerum Germanicarum Scriptores (Herausgeber) 28
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Freigius, Thomas 233–236, 240 Historia Martini Forbisseri (Übersetzer) 233–235 Freising, Otto von → Otto von Freising Fridolin, Stephan 110, 119–124, 126 f., 255 Buch von den keyserangesichten / Etlicher keyser angesicht 119–123, 255 Schatzbehalter 119 Friedrich I. Barbarossa, röm.-dt. Kaiser 192 f. Friedrich III., röm.-dt. Kaiser 77, 86, 94, 112, 120, 265 Friedrich von Sachsen, Hochmeister des Dt. Ordens 11, 13 Friedrich, Hz. zu Braunschweig-Lüneburg 90 Frobisher, Martin 233, 235, 240 Fronto, Aufidius 91 Fronto, Cornelius 92 Fuchsmagen, Johannes 106 Fulvio, Andrea 92, 101 f., 110, 126 Illustrium imagines imperatorum et illustrium virorum vultus ex antiquis numismatibus expressi 92, 126 Fulvius Nobilior, Marcus 51 Funck, Johannes 242 Furius, Publius 56 f. Gaguin, Robert 26, 36 Compendium de origine et gestis Francorum 26, 36 Galba, röm. Kaiser 84 Galerius, röm. Kaiser 123 Gallienus, röm. Kaiser 85, 116, 125 Galilei, Galileo 222 Gallicanus, Vulcatius 93 Garcés, Juan 179 Gasser, Achilles Pirmin 194 Gellius, Gnaeus 50, 54, 78, 113 Gentner, Johannes → Aquila, Johannes Geoffrey of Monmouth 59, 65–69 Historia regum Britanniae 65, 68 Gerbel, Nikolaus 77 f., 89, 93, 95 Germanicus (Neffe des Tiberius) 122 f. Geuffroy, Antoine 234, 236
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Personenregister
Estat de la Court du grant Turc 234, 236 Giannantonio de Pandoni (gen. »il Porcellio«) 110, 112–115, 123, 126 Opusculum aureum de talento 112 f., 115 Gibbon, Edward 116 Gildas »der Weise« 59, 66, 68 Giocondo, Fra Giovanni 140, 144 f., 149 f., 156, 161 f. Giovio, Paolo 36, 104, 226, 235 Descriptiones Britanniae, Scotiae, Hiberniae et Insularum 36 Historia sui temporis 235 Glarean, Heinrich 17 f., 28, 35 Helvetiae descriptio 18 Goltzius, Hubert 101, 111 C. Iulius Caesar sive historiae imperatorum Caesarumque Romanorum ex antiquis numismatibus restitutae 111 Gomes da Silva, João 188 Gonçalves Beleago, João / Doutor Beliago 188 Gorbodugo / Gorbodio, myth. Kg. v. Britannien 67 Gorguntius → Gurgustius Gremper, Johann / Gremperius 87 f. Grimm, Sigismund 33 Grimoaldus, Octavian 235 Gruter, Janus 159 f. Inscriptiones antiquae totius orbis Romani 159 f. Grynaeus, Simon 33, 210 Novus Orbis Regionum ac Insularum Veteribus Incognitarum 33, 210 Guicciardini, Francesco 224–226, 228– 230, 241, 259 Storia d’Italia 224, 226, 229 f., 259 Hypomneses politicae / Speculum Aulicarum 229 f. Gundling, Hieronymus Nikolaus 237 Gurgustius / Gorguntius, myth. Kg. v. Britannien 67
Hedio, Kaspar 77 Außerleßne Chronicka (Übersetzer) 77 Heinrich ›der Seefahrer‹ 184 Heinrich IV., Kg. v. Kastilien 90 f., 167 Heinrich VII., Kg. v. England 53, 61 Heinrich VIII., Kg. v. England 61 f., 64 Heliogabal / Elagabal, röm. Kaiser 78, 125 Hemina, Lucius Cassius 50 Henry of Huntingdon 61, 66 Heraklios, oström. Kaiser 87 Herberstein, Sigmund von 22, 36, 207 Herkules 14, 180 f. Hernández de Herrera, Diego 179 Herodian 83 Herodot 31 f., 217 Hessus, Helius Eobanus 14 f., 26, 36 Descriptio generalis Prussiae 14, 26 Hieronymus 49, 172 f. Vita S. Hilarionis 49 Higden, Ranulf 61 Polychronicon 61, 66 Hilarion 49 Hispanus (Enkel des Herkules) 180 f. Hommel, Johannes 34 Höniger, Nikolaus 236 Horaz (Quintus Horatius Flaccus) 30, 172 Hotman, François 18, 232 Francogallia 18 Huet, Pierre-Daniel 223 Traité de la faiblesse de l’esprit humain 223 Hummelberg, Michael 125 Huttich, Johannes 92, 110, 126, 156 Imperatorum Romanorum libellus 92, 126
Habsburger (Familie) 83, 258 Hadrian, röm. Kaiser 48, 79
Jakobson, Roman 8 Jesus von Nazareth 99, 119, 122, 187
Iago / Iagus, myth. Kg. v. Britannien 67 Ibero / Iberus, myth. Kg. v. Hispanien 180 f. Isabella (Frau Kaiser Karls V.) 178 f. Iulianus, Ceionius 87
Personenregister João de Castro 185 f. Johann I., Kg. v. Portugal 174, 184, 186, 188, 198 Johann II., Kg. v. Aragón 178 Johannes Monachus → Zonaras, Joannes Johannes von Garland 9 Johann-Philipp von Schönborn, Kurfürst von Mainz 240 Josephus Indus / Joseph von Cranganore 205, 208–213, 261 Julier (Familie) 61 Justinus, oström. Kaiser 16, 113 Justinian I., oström. Kaiser 102, 116 Karl der Große, frk. Kg., Kaiser 194 Karl I./V., Kg. v. Spanien und röm.-dt. Kaiser 104, 175, 178 f. Karl IV., röm.-dt. Kaiser 103, 265 Karl VIII., Kg. v. Frankreich 227 Karl IX., Kg. v. Frankreich 225 Karlmann, ostfrk. Kg., Kg. v. Italien 192 Katholische Könige 175 → Ferdinand II., Kg. v. Aragón Kinmarcus / Chinemarchus, myth. Kg. v. Britannien 67 Knoch, Friedrich 237 Kolumbus, Christoph 33, 36, 205 Konstantin, röm. Kaiser 79, 120, 149 Ladislaus II. (Władysław / Vladislav), Kg. v. Böhmen und Ungarn 86 Laetus, Pomponius (Pomponio Leto) 78, 114 f. Landino, Cristoforo 206 Lange, Karl Heinrich 220 Introductio in Historiam litterariam […] 220 Laskaris, Ianos 217 Laso de Oropesa, Martín 179 Lazius, Wolfgang 34 Lelli di Stefano 103 Leopold III., Mgf. v. Österreich 48, 52, 269 Leopold Wilhelm Graf von Königsegg / Konigseck 240 Lepidus, Marcus Aemilius 47 Léry, Jean de 231–234, 240, 259
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Histoire d’un voyage faict en la terre du Brésil 231, 234, 259 Ligorio, Pirro 118 Linné, Carl von 220 Systema naturae 220 Lipsius, Justus 55 Livius Andronicus 55 Livius, Titus 48 f., 51–53, 55–58, 60– 63, 65–71, 93, 115, 120, 230, 238, 263 f. Ab urbe condita 48, 53, 55 Longueil, Christophe (Longolius) 235 Lorenzi, Giovanni 114 Löwenklau, Johannes 242 Lucanus, Marcus Annaeus 112, 180 f. Ludewig, Johann Peter 237 Ludwig IV. der Bayer, röm.-dt. Kaiser 148 Ludwig der Deutsche, ostfrk. Kg. 192 Ludwig der Fromme, frk. Kg., Kaiser 117 Ludwig X., Hz. v. Bayern 190 Lullus Hispanus, Antonius 235 Luther, Martin 205 Machiavelli, Niccolò 207, 241 Il Principe 207, 241 Macrobius, Ambrosius Theodosius 115, 125 Madrignano, Arcangelo 210–213, 261 Itinerarium Portugallensium 210 f. Magellan, Ferdinand 206 Mansionarius, Johannes → Matociis, Giovanni de Manuel I., Kg. v. Portugal 208 Mariana, Juan de 240 Marineus Siculus, Lucius 15 f., 19, 36, 169, 174–179, 181–183, 191, 197, 259 Opus de rebus Hispaniae memorabilibus / Obra de las cosas memorables de España 16, 19, 169, 174, 176–178, 197, 259 De Hispaniae laudibus 178 De primis Aragoniae regibus libri quinque 178 Marius Maximus 83 Mark Anton 47
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Personenregister
Mark Aurel, röm. Kaiser 86, 91, 93 Mars 66, 159 Martial (Marcus Valerius Martialis) 114 f. Martin V. (Oddo Colonna), Papst 115 Martin von Troppau 102 Martins do Carvalhal, Vasco 185 f. Martire d’Anghiera, Pietro 206, 239 De orbe novo decades 206, 239 Opus epistolarum 239 Matal, Jean 101 Matociis, Giovanni de (gen. »il Mansionario«) 110, 117 f., 120, 123, 127 Historia imperialis 117 f. Matteo de Pisano 169, 184–189, 191, 197 f., 259 Gesta illustrissimi regis Johannis de bello Septensi 169, 184 f. Matthias (Bruder des Josephus Indus) 208 Maximilian I., röm.-dt. Kaiser 28, 30, 77, 83, 85 f., 91, 93, 95, 124–126, 143, 258, 265 Mazarin, Jules, Kardinal 244 Mazochius, Jacobus / Mazzocchi, Jacopo 85, 156 Epigrammata antiquae urbis 85, 156 Medici (Familie) 107 Meisterlin, Sigismund 123 Mela, Pomponius 20, 23 f. De situ orbis libri III 23 Melanchthon, Philipp 21 f., 26, 34, 36, 237, 242 Chronica → Carion, Johann Encomium Sueviae 21 Oratio in qua Mysorum regio et gens describitur 22 Memling, Hans 108 f., 122 Mennel, Jakob 95 Merula, Giorgio 78 Momigliano, Arnaldo 101 Mommsen, Theodor 100 f. Montaigne, Michel de 49, 218 Montalboddo, Fracanzano da → Fracanzano da Montalboddo Moritz, Landgraf v. Hessen-Kassel 231 f.
Morus, Thomas 59, 128 Moses 59 Mosheim, Johann Lorenz von 243 Münster, Sebastian 236 Cosmographia 236 Mutian, Konrad 15 Nauclerus, Johannes 28, 95 Nemroth / Nymbrothus, myth. Kg. v. Babylon 193 Nennius 66, 68 Nepos, Cornelius 58, 238 Nero, röm. Kaiser 47, 84, 108, 122 Nerva, röm. Kaiser 12, 78 Niccoli, Niccolò 105 f. Nieto, Luis 236 Historia de Bello Africano 236 Nikolaus V. (Tommaso Parentucelli), Papst 266 Ninus, myth. Kg. v. Babylon 193 Noah 193, 234 Nobilior, Marcus Fulvius 51 Nogueira, Álvaro 185 f. Numerian, röm. Kaiser 79 Nuno da Cunha 185 f. Occo III., Adolf 110 Octavian → Augustus, röm. Kaiser Oporinus, Johannes 126 Orosius, Paulus 59, 83, 85 Oteo, Juan 179 Otho, röm. Kaiser 84 Otto von Freising 83 Gesta Friderici imperatoris 83 Padilla, Pedro 179 Palencia, Alfonso de → Fernández de Palencia, Alfonso Pandoni, Giannantonio de → Giannantonio de Pandoni Panvinio, Onofrio 110 Papirius, Marcus 68 f. Parentucelli, Tommaso → Nikolaus V. Patrizi, Francesco 223, 241 Della historia dieci dialoghi 223 Paul II. (Pietro Barbo), Papst 107 Paumgartner, Hieronymus der Jüngere 234
Personenregister Peacham, Henry 105 Pedro de Meneses 185 f. Pérez, Antonio 241 Perna, Petrus 225 Pertinax, röm. Kaiser 117, 126 Petrarca, Francesco 49, 102–105, 113, 122, 126, 149, 265 De viris illustribus 104 Petri (Familie) 234, 236, 241 Petri, Heinrich 234, 236, 241 Petri, Sebastian Heinrich 234 Petrus, Apostel 213 Peutinger, Konrad 95, 102, 106, 110, 124–127, 140–146, 150, 156, 158, 162, 256 Inscriptiones Vetustae Romanae et earum fragmenta 141 f. sog. Kaiserbuch 124 f. Romanae vetustatis fragmenta in Augusta Vindelicorum et eius dioecesi 141, 143 Peypus, Friedrich 190 Philipp II., Kg. v. Spanien 241 Philippus Arabs, röm. Kaiser 125 Piccolomini, Enea Silvio → Pius II. Pirckheimer, Willibald 16, 25, 27, 78, 94, 106, 126 Pisanello, Antonio 100 Pisano, Matteo de → Matteo de Pisano Piso Frugi, Lucius Calpurnius 50, 55 Pistorius, Johannes 234 Pithou, Nicolas 235 Pius II. (Enea Silvio Piccolomini), Papst 5, 111–113, 116, 266 Orationes 112 Platina, Bartolomeo 60 Platon 206 Plinius der Ältere 55, 59, 78, 111, 115 f., 172, 180 f., 206 Naturalis historia 111 Plutarch 84, 113, 217 Poggio Bracciolini, Gian Francesco 102, 105, 140, 151–153, 155 f., 162, 256 Sylloge Poggiana 151–153, 155 f. Pollio, Trebellius 86 Pompeius Magnus, Gnaeus 47 Pontano, Giovanni 225 Porcellio → Giannantonio de Pandoni
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Porta, Giovanni Battista della 108 De humana physiognomia 108 Porto, Leonardo da (Porzio) 117 Postumius, Spulius 57 Pozzo, Cassiano dal 101 Priscianus Caesariensis 113 De numeris 113 Probus, röm. Kaiser 85, 88 Ptolemaios 23, 161 Pufendorf, Samuel von 236–238, 241, 259 Introductio ad historiam praecipuorum regnorum 236, 259 Pyrrhus 59 Quadrigarius, Claudius 55 Questenberg, Jacob Aurelius 105, 110, 112, 114–117, 126 De talento et sestertio 105, 114 f. Quinctius, Titus 56 f. Quintilian (Marcus Fabius Quintilianus) 172 Raible, Wolfgang 8–11, 20, 26–28, 35 f. Ranke, Leopold von 82 Raffael (Raffaello Santi) 70 Reichard, Heinrich Gottfried 243 Reinius, Cassiodor 232 Remus 66, 68 Reuchlin, Johannes 114 f. Rhenanus, Beatus 32 Richard III., Kg. v. England 60 Richelieu, Armand Jean du Plessis de, Kardinal 244 Rivallo, myth. Kg. v. Britannien 67 Romulus 54, 66, 68 Rouille, Guillaume (Rovillius) 110 Rudolf II., röm.-dt. Kaiser 101 Ruprecht I., Kurfürst v. der Pfalz 88, 90 Sabellico, Marcantonio (Sabellicus, Marcus Antonius) 94, 226 Rapsodiae historiarum Enneadum 94 Sainte Marie, Honoré de 223 Reflexions sur les regles et l’usage de la critique / Animadversiones in regulas et usum critices 223
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Personenregister
Sallust (Gaius Sallustius Crispus) 27, 50 f., 60, 62, 90 De coniuratione Catilinae 27 Salonina, Cornelia 125 Salutati, Coluccio 265 Sánchez, Francisco 179 Sarpi, Paolo 240 Scaliger, Joseph 159 Schard (Schardius), Simon 234 Schedel, Hartmann 207 Buch der Chroniken und Geschichten 207 Schöfferlin, Bernhard 120 Schröckh, Johann Matthias 243 Einleitung zur Universalhistorie 243 Scipio Africanus, Publius Cornelius 186 Scipionen (Familie) 51 Scytha 193 Sem / Samus (Sohn Noahs) 193 Septimius Severus, röm. Kaiser 83, 85 f. Servius Honoratius, Marcus /Servio Honorato 113, 115 Servius Tullius, röm. Kg. 111 Servilius Caepio, Quintus 57 Settle, Dionys (Dionysius) 233, 235, 259 A True Report of Capteine Frobisher his Last Voyage / Historia Martini Forbisseri / La navigation du captain Martin Forbisher Anglois 233–235, 259 Severus Alexander → Alexander Severus Seyssel, Claude de 217 L’Histoire de Thucydide Athenien 217 Sforza (Familie) 113 Sforza, Francesco 113 f. Shakespeare, William 59 Siculus → Diodorus Siculus Siculus → Marineus Siculus, Lucius Sigismund, röm.-dt. Kaiser 85 f. Sigonio, Carlo 117 De asse et ponderibus eius 117 Simonetti, Cicco 113 Silius → Sisillus Simon Magus 213
Singrenius, Johannes 89 Catalogus Caesarum ac Imperatorum Augustorum occidentalium (Herausgeber) 89 Sisillus / Silius, myth. Kg. v. Britannien 67 Sixtus IV. (Francesco della Rovere), Papst 17 Sleidan, Johannes 240 Smet, Martin 159 Sokrates 242 Solinus, Gaius Iulius 59 Sophokles 234 Sossianus, Fabius 87 Sousa, Gonçalo Eanes de → Eanes de Sousa, Gonçalo Spalatin, Georg 19, 29 f. Chronik der Sachsen und Thüringer 19, 29 f. Spartianus, Aelius 83 Spießheimer, Johannes → Cuspinian, Johannes Stabius, Johannes 95 Stella, Erasmus 11, 13, 22, 33 De Borussiae antiquitatibus 11, 33 Steno, Michele 209 f. Stolle, Gottlieb 220 Kurtze Anleitung zur Historie der Gelahrtheit 220 Stöffler, Johannes 112 Strada, Jacopo 110 Stupanus, Johann Nikolaus 241 De Caelii Secundi Curionis vita 241 Sueton (Gaius Suetonius Tranquillus) 58, 60, 71, 78 f., 92, 102–104, 115, 117, 125 Sulla, Lucius Cornelius 47 Sunthaym, Ladislaus 95 Sylvius (Vater des → Brito) 67 Tacitus, Publius Cornelius 5, 15, 17, 21– 23, 29, 31, 34 f., 47–49, 53–56, 58, 60–62, 65, 70, 84, 94, 219, 262 f., 269 Agricola 48, 61 Annales 47 f., 53, 55 Germania 5, 15, 21 f., 34 Historien 48, 55
Personenregister Tacitus, röm. Kaiser 94 Tavares, Pêro 185 f. Teixeira, Frei José 236, 241 Theodoret 242 Thomas von Aquin 218 Thomas von Rieti 114 Thou, Jacques Auguste de 219, 240 Historiarum sui temporis 219 Thukydides 217, 230 Tiberius, röm. Kaiser 47, 49, 83 f., 122 Tommasi, Pietro 106 Trajan, röm. Kaiser 12, 47 f., 78, 85, 107, 122 f. Transylvanus, Maximilianus 206 Traversari, Ambrogio 105 f. Trebonianus Gallus, röm. Kaiser 87 f. Tschudi, Aegidius 17 f. Tubal, myth. Kg. v. Hispanien 180 f. Tucher, Hans 119 f., 122 Tuisco / Tuitsch 193 Turmair, Johannes → Aventin, Johannes Vadian, Joachim 20, 23 f. Valens, Vettius 116 Valeriano, Pierio 82 Antiquitates Mediolanenses 82 Valerius Maximus 125, 186 Valla, Lorenzo 16, 217, 235 Valles, Gaspar Jerónimo 179 Valois, Henri 242 Varro, Marcus Terentius 31, 58, 78, 113, 115 Imagines sive Hebdomades 78 Velázquez, Fernando Gonzalo 188 Vergil, Polydor 15 f., 19, 36, 47, 49, 53, 59–70, 262, 264 Anglica historia 15, 36, 49, 60 f., 63, 65, 68, 262, 264 De inventoribus rerum 70 Vergil (Publius Vergilius Maro) 61, 68 f., 112 Aeneis 61 Verginius, Aulus 56 f. Verrius Flaccus, Marcus 58 Vespasian, röm. Kaiser 103 Vespasiano da Bisticci → Bisticci, Vespasiano da Vespucci, Amerigo 206 f.
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Mundus Novus 207 Vespucci, Giorgio Antonio 206 Vico, Enea 101, 110 f., 116, 118, 127 Le imagini con tutti i Riversi trovati et le vite de gli Imperatori tratte dalle medaglie 111 Discorsi sopra le Medaglie degli Antichi 111 Vico, Giambattista 220 Victoria (Vitruvia), röm. Usurpatorin 86 Virgili, Polidoro → Vergil, Polydor Visconti, Gian Galeazzo 265 Vitellius, röm. Kaiser 84 Viterbo, Annius von → Annius von Viterbo Vives, Juan Luis 235 Voigt, Georg 162 Volusianus, röm. Kaiser 125 Vopiscus, Flavius 80, 82, 85 f. Quadrigae tyrannorum Vulturinus, Pancratius 14, 36 Panegyricus Silesiacus 14 Welfen (Familie) 194 Welser, Christoph 124 Welser, Marcus 159 Welser, Margarete 124 Widukind, Hz. v. Sachsen 29 f. Wilhelm IV., Hz. v. Bayern 190 William of Newburgh 66 Wimpfeling, Jakob 5 Wilhelm IV., Landgraf v. HessenKassel 231–233 Wittelsbacher (Familie) 194 Wolf, Johannes 223 Wurstisen, Christian 236 Bassler Chronick 236 Xenophon 217 Anabasis 217 Zonaras, Joannes / Johannes Monachus 83 f.
Geographisches Register Afrika 16, 158 Ager Latinus 57 Ägypten 87 Alba Longa 67 Alcalá de Henares 175 Algarve / Algarbium 183, 186 Aljubarrota 188 Alpen 141, 157, 191, 207 Altdorf 194, 234, 236 Amerika 33, 161, 206, 232 → »Neue Welt« Amsterdam 237, 239 Andalusien 181 f. Antiochia 125 Antiochien 213 Antium 56 f. Antwerpen 108, 207 Aquitanien 18 f., 26 Aragón 175, 187 Arktis 233, 259 Armenien 193, 213 Asien 25, 158 Athen 5 Augsburg 20, 33, 106, 119, 124 f., 140– 146, 156, 158, 256 Diözese 146 Dom 143 Klosterkirche St. Ulrich 144 Umland 141 f., 144, 146 Avellino 210 Avignon 187 Babylon 193, 259, 267 Balkan 158 Basel 61, 106, 111, 126, 207, 210, 225, 229, 234, 236, 241 Universität 241 Bayern 156 f., 161, 174, 190 Bayreuth 243 Berlin 125, 252 Bethlehem 119 Brasilien 210, 231, 233
Brigetio 86 Britannien 15, 60, 62 f., 65, 68 Burgund 17 Byzanz → Konstantinopel Calicut 209 Caritea (La Charité sur Loire) 232 Ceuta 174, 184–186, 197, 199 Cochin 208 Coimbra 188 Como 104 Cornwall 15, 63 Cranganore 208 Cremera 56 f. Culmer Land 22 Deutschland 6 f., 13, 17, 21, 24, 26, 31, 95, 115, 120, 123 f., 167, 193, 224, 237, 242 f., 265 f. → Heiliges Römisches Reich deutscher Nation Rheinland 158 Süddeutschland 141 f., 144, 146, 157 f., 162 Diyarbakir 180 f., 208 Don → Tanais Ebro / Iberus 182 f. Eidgenossenschaft 13, 17 f., 34 Einsiedeln, Kloster 147, 152, 154 f., 256 f. England 15, 53, 59, 61–64, 67 f., 71, 218, 235 Europa 11, 25, 34, 38, 106, 174 f., 180– 182, 189, 193, 206 f., 209, 224, 234, 237 Mitteleuropa 240 Osteuropa 240 Zentraleuropa 236 Évora 185 f. Ferrara 103 Florenz 106, 140, 150, 206, 265
Geographisches Register Franken 22 Frankfurt a.M. 232, 237 Frankreich / Francia 18, 26, 36, 180 f., 184, 197, 209, 222 f., 225, 233, 238 Freiburg i. Br. 234 Gallien / Gallia 5, 15 f., 18, 21, 62 f., 68, 180 f., 184, 197 Gallia Cisalpina 63 Genf 231 f., 235 Genua 241 Germanien / Germania 5, 21 f., 24, 34 f., 115 Granada 186 Graubünden 241 Griechenland 51, 55 Grimma 238 Heiliges Land 28, 119, 208 Heiliges Römisches Reich deutscher Nation / Imperium Romanum Germanicum 6, 12 f., 17 f., 24, 77, 83, 93, 105 f., 169, 222, 224, 237, 241 → Deutschland Helvetia 24, 28, 35 Hormuz 211 Iberische Halbinsel / Iberia 158, 175, 180–182 Imperium Romanum → Rom Imperium Romanum Germanicum → Heiliges Römisches Reich deutscher Nation Indien 208–212 Malabarküste 208 f., 212 Ingolstadt 190 Universität 27, 158 Inn 157 Innsbruck 106 Italien 3, 14, 23, 66 f., 70, 104, 106, 115, 118, 139, 141 f., 144 f., 162, 173, 189, 222 f., 226 f., 240, 265 Jena 237 Jerusalem 34, 208 Kassel 232 Kastilien 167 f., 175, 183, 186–188
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Keltiberien / Caeltiberia 180–182 Kochi → Cochin Köln 123 Komorn → Brigetio Konstantinopel / Byzanz 77 f., 91, 116, 126, 217, 242 Konstanz 153 Kozhikode → Calicut Kulmer Land → Culmer Land La Charité sur Loire → Caritea Landshut 193 Lavinium 66 Leipzig 207 Lindau 194 Lissabon 185, 208, 211, 242 Livland 12 f. London 237 Löwen, Collegium Trilingue der Universität 128 Lund 238 Magdeburg 207, 242 Mailand 210, 265 Herzoglicher Hof 113 Mainz 119, 141, 156, 240 Kartause Michaelsberg 119 Makedonien 187 Mantua 254 Meißen 22, 26, 34 Mittelmeer 54 Mohács 12 München 207 Antiquarium der Residenz 104 Murano 211 Navarra 175 Neapel 112, 225 »Neue Welt« 38, 220, 234, 236 Niederaltaich, Kloster / nidern Altach 193 Niederlande 222 Nordwestpassage 233 Normandie 233 Nürnberg 106, 119 f., 123, 190 f., 207, 234, 236 Franziskanerinnenkloster St. Clara 119
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Geographisches Register Ratsbibliothek 119 f. Rathaus 123
Ofen 83 Osmanisches Reich / Turcicum imperium 234 Österreich 26, 48, 61, 71 Niederösterreich 34, 48 Padua 104, 265 Palermo 175 Pannonien / Pannonia 77, 86 Paris 217, 224, 232, 241 f. Pesaro / (P)Isaurum 92 Pilsen 207 Polen 12 f., 22 Pomesanien 11 Pommern / Pomerania 12 f. Portugal 175, 184, 186 f., 198 f., 208, 222, 241 Preußen 11–15, 22, 26, 33 Pyramiden [von Gizeh] 128 Regensburg 191 Reich → Heiliges Römisches Reich deutscher Nation Rheinland → Deutschland Rhodos 119 f. Rom 24, 26, 29, 31 f., 34, 38, 47, 49, 51–58, 61, 65–69, 71, 77, 84 f., 92, 111, 114, 120, 123, 128, 139–141, 146–149, 151–153, 155–159, 161, 175, 208 f., 213, 219, 223, 234, 253, 256, 263, 266 Bibliotheca Palatina 194 Bibliotheca Ulpia (Ulpiana) 88 Cestiuspyramide 140 Circus Maximus 153 Curia Senatus 58 Engelsburg 148 Forum 69 Gallienusbogen 85 Kapitol 152 Konstantinsbogen 149 Kolosseum 148 f. Kurie 113 f., 266 Pantheon 148 f. Reiterstandbild des Mark Aurel 86
St. Peter / Peterskirche 149 Titusbogen 139, 155 Trajanssäule 140 Triumphbogen des Septimius Severus 155 Vatikanische Bibliothek 114–116, 144 Vatikanischer Obelisk 152 f. Via Appia 153 Romania 169, 189, 222 Russland 207 Sachsen 11, 19, 91 Sagalbina 193 Salamanca, Universität 175 Schlesien 14 Schottland / Scotia 15, 62–64 Schwaben 22, 28, 36 Schweiz 14, 17–19, 23 f., 28, 180 f. Sevilla / Hispalis 104, 182, 197 Casa de Pilatos 104 Sizilien 55, 174 Spanien / Hispania / España 15 f., 33, 175, 180–183, 222 f. Sparta 150 Straßburg 92 Tanais 193 Thasos 125 Thatta → Totis Thorn 12 Thüringen 19 Tirol 156, 161 Totis / Theodatia 85 f. Johanneskirche 85 f. Trient 218 Trier 12 Troja 53, 186, 191, 193 Türkei / Turcia 25 Udine 265 Ulm 28 Ungarn 12, 34, 125, 243 Urbino 70 Veji 62 Venedig 94, 106, 205, 208–213, 223, 240, 261, 266
Geographisches Register Verona 104, 140, 144 Scaligerpalast 104
Vicenza 106, 210 Wales 63 f. Westfalen 22, 26 Wien 48 f., 77, 82, 106 Universität 23, 266 Stephansdom 86 Winnenden 119 Wittenberg 242 Wolfenbüttel 6, 142
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Autorenverzeichnis
JOHANNES HELMRATH ist Professor für Mittelalterliche Geschichte am Institut für Geschichtswissenschaften der Humboldt-Universität zu Berlin. CASPAR HIRSCHI arbeitet als Research Fellow am Clare Hall College der Universität Cambridge/Großbritannien. ELISABETH KLECKER ist Assistenz-Professorin am Institut für Klassische Philologie, Mittel- und Neulatein der Universität Wien. MARTIN OTT arbeitet als Akademischer Rat a.Z. an der Abteilung für Bayerische Geschichte des Historischen Seminars der Ludwig-Maximilians-Universität München. ALBERT SCHIRRMEISTER arbeitet als wissenschaftlicher Mitarbeiter im SFB 644 Transformationen der Antike an der Humboldt-Universität zu Berlin. STEFAN SCHLELEIN arbeitet als wissenschaftlicher Mitarbeiter im SFB 644 Transformationen der Antike an der Humboldt-Universität zu Berlin. MARKUS VÖLKEL ist Professor für Europäische Geistesgeschichte und historische Methodologie am Historischen Institut der Universität Rostock. ROBERT WALLISCH arbeitet als externer Mitarbeiter am Institut für Klassische Philologie, Mittel- und Neulatein der Universität Wien. FRANK WITTCHOW ist Privatdozent am Institut für Klassische Philologie der Humboldt-Universität zu Berlin.