Michael Hutchison MEGABRAIN Geist und Maschine
Aus dem Amerikanischen von Hans Finck
CIP-Titelaufnahme der Deutschen Bibliothek Hutchison, Michael: Megabrain : Geist und Maschine / Michael Hutchison. [Aus d. Amerikan. von Hans Finck]. Vom Autor überarb. u. erw. Ausg., - 2. Aufl. - Basel : Sphinx, 1990 Einheitssacht.: Megabrain (dt.) ISBN 3-85914-233-X 1990 2. Auflage © 1989 Sphinx Medien Verlag, Basel Alle deutschen Rechte vorbehalten Vom Autor überarbeitete und erweiterte Ausgabe Originaltitel: MEGABRAIN Erschienen bei Beach Tree Books, New York © 1986 Michael Hutchison Umschlagillustration: The Image Bank, Zürich Gestaltung: Charles Huguenin Satz: Uhl + Massopust, Aalen Herstellung: Clausen & Bosse, Leck Printed in Germany ISBN 3-85914-233-X
INHALT
Vorwort Einleitung: Die letzte Grenze
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TEIL I
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1 Aufbruch ins Neuland
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2 Mehr Köpfchen: Durch Stimulation das Gehirn erweitern
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3 Die Weisheit des Alters und das Geheimnis lebenslangen Wachstums
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4 Evolution versus Entropie
55
5 Auf stieg zu einer höheren Ordnung: Das Gehirn als dissipative Struktur
70
6 Entspannung und Gehirn
82
7 Auf der Suche nach der verrückten Gehirnmaschine
99
TEIL II 8 Die Elektrifizierung des Geistes - Teil
107
1: TENS
109
9 Die Elektrifizierung des Geistes Teil 2: Der Alpha-Stimulator
127
10 Videospiele im Gehirn: Der CAP-Scan
159
11 Mind Mirror - Der Spiegel des Geistes
182
12 Wie man das Gehirn mit Klangwellen in Hochform bringt: Hemi-Sync
194
13 Die Gehirnschrittmacher: Audiovisuelle Synchronisation
222
14 Die Freuden des Ringelreihen: Der Graham Potentializer
243
15 Der Blick ins Leere: Tranquilite
264
16 Treiben auf dem großen See des Nichtwissens: Der Isolationstank
285
17 Die Evolution des Gehirns
305
Aktualisiertes Nachwort zur deutschen Ausgabe MEGABRAIN1990
323
Bibliographie
363
Index
379
VORWORT
In den letzten zehn Jahren meiner Arbeit als Psychologe und Elektroniker hatte ich ständig mit der scheinbaren Unvereinbarkeit dieser beiden Tätigkeitsbereiche zu kämpfen gehabt. Mehrere Versuche, hier Brücken zu schlagen und eine Synthese zu bilden, waren fehlgeschlagen. Bei der wissenschaftlichen Arbeit in der Neuroforschung mußte ich immer wieder feststellen, daß der Mensch und sein Bewußtsein bei den hochtechnisierten Meßanlagen der Neurophysiologen auf der Strecke blieb. Erst in den letzten zwei, drei Jahren zeichnete sich eine hoffnungsvolle Trendwende in der Stellung der Wissenschaft gegenüber Mensch, Gehirn und Bewußtsein ab: Nicht nur die Forscher begannen, ihre Haltungen zu verändern, auch in der Öffentlichkeit stieg das Interesse an Gehirn und Bewußtsein mächtig an. Heute gibt es kaum mehr eine Universität in Europa, wo nicht an mehreren Instituten unser komplexestes Organ, unser Gehirn, von ganz unterschiedlichen Standpunkten aus untersucht wird (z. B. in Tübingen, München, Wien etc.). Selbst für den Fachmann wird es immer schwieriger, bei der rasant steigenden Zahl von Publikationen, Kongressen und Konferenzen zu diesem Thema den Überblick zu bewahren. Genau in diese Zeit fällt das Erscheinen von Megabrain. In diesem Buch wird eine Reihe von Techniken und Instrumenten beschrieben, die unser Gehirn auf völlig neuartige Weise erforschen, entwickeln, verändern und stimulieren können. Dabei verbindet Hutchison vorbildliche journalistische Recherche mit persönlichen Erfahrungen
und einer reichen Fülle von wissenschaftlichen Studien und Ergebnissen. Er liefert uns gelungene wie provokante Schlußfolgerungen - von denen einige in der Zwischenzeit von europäischen Universitäten wissenschaftlich bestätigt wurden. Megabrain präsentiert etwas, das jeden angeht und jeden persönlich betrifft: Die Wissenschaft vom Gehirn des Menschen, und eine neue Technologie einer neuartigen Verwendung unseres am wenigsten erforschten und verstandenen Organs! Die Idee einer neuen Technologie erfordert gleichzeitig einen Wandel im kollektiven Bewußtsein, verlangt neue humanistische und ethische Richtlinien im Umgang mit diesem zugleich intimsten Organ des Menschen. Humanistische Geisteshaltung und hohe ethische Ansprüche können nicht per Gesetz erlassen und dürfen schon gar nicht dogmatisch fixiert werden. Ethik und Humanismus zeigen sich im täglichen Tun und müssen jeden Tag aufs Neue bewiesen werden. Das Wirken der Pioniere in diesem Neuland muß ständig geprüft und neu ausgerichtet werden. Noch gibt es sehr wenig strukturierte Erfahrungen, doch schon jetzt zeigen sich erste Diskussionen und Kontroversen. Dabei geht es nicht um die Einschränkung dieser neuen Technologie, sondern ganz im Gegenteil darum, wie diese Geräte und Techniken möglichst nutzbringend und hilfreich eingesetzt werden können - sei es im medizinischen Bereich, im Lerntraining oder in der Freizeitgestaltung. Oder frei nach dem Motto: Für mein Gehirn ist das Beste vom Besten gerade gut genug! Im bisherigen Tätigkeitsfeld unseres Institutes beschäftigten wir uns intensiv mit den Fragen der inneren Ordnung und den Beziehungen von Wahrnehmung, Wirklichkeit und Bewußtsein - auch im eigenen, unmittelbaren und oft sehr intimen Erleben. Die Geräte und Techniken, die Hutchison beschreibt, liefern uns erstmalig exakte, objektivierbare wissenschaftlich-technische Voraussetzungen, um das innere Wesen, den Innenraum des Menschen zu erkunden. Sie bedeuten einen neuen, quantifizierbaren Zugang verglichen mit den langwierigen alten Traditionen, den schwierig abzugren-
zenden Drogenerfahrungen und den individuell-subjektiven New Age-Praktiken. Nun kommen Megabrain und die Ansätze Hutchisons also nach Europa und treffen hier auf fundiertes Wissen über das Denken, über Struktur und Essenz des Bewußtseins. In Europa wurde der menschliche
von je her zweifach beschriften: über Mathematik (die Geometrie des Innenraumes und der Zahlengrund der Seele) und Musik (die kunstvoll und schöpferische Gestaltung des Raumes mit Tönen und Intervallen) als Manifestationen des Bewußtseins. Die neue Neuro- und Gehirn-Technologie begegnet hier dem dreifältigen europäischen Spannungsfeld von Kunst, Philosophie und Wissenschaft. Bei näherer Betrachtung mit den Augen des Europäers kann man erkennen, daß diese Geräte nahtlos von der Wissenschaft (Erforschung und Erkennen der naturgesetzlichen Zusammenhänge) zur Philosophie (Reflexion und Bewußtseinsbildung, Vordringen zu den Gründen von Seele und Geist) und hin zur Kunst (schöpferisches Gestalten des eigenen Seelen-Innenraumes) führen. Dabei positionieren sie sich in der Mitte dieses Spannungsfeldes, genau an der Grenze zwischen Gehirn und Bewußtsein selbst. Hutchison liefert einen Anstoß, die ersten Schritte und einige methodische Vorschläge. Europa wird es kritisch und offen zugleich aufnehmen, diskutieren, befruchten und weiterentwickeln. Man kann mit Spannung dem entgegensehen, was die nächsten Jahre auf diesem Gebiet bringen werden - und wer weiß - vielleicht unterstützen diese Geräte in bester griechisch-europäischer Tradition die Lösung des menschlichen Dramas durch den <deus ex machina> - die im Schauspiel unerwartet auftretende, alles lösende Hilfe? Rudolf Kapellner, Wien im Mai 1989
Für Carrie
Einleitung DIE LETZTE GRENZE
Man läßt sich in einen bequemen Sessel nieder, setzt eine Art Kopfhörer auf, kippt einen Schalter an dem kleinen Steuergerät, schließt die Augen und sinkt in einen Zustand tiefer Entspannung. Nach einer halben Stunde schaltet man das Gerät aus und nimmt es ab. Hellwach und äußerst rege, arbeitet das Gehirn nun viel effektiver als zuvor. Die Fähigkeit, sich sowohl neue Informationen einzuprägen als auch bereits Gelerntes und Erfahrenes wieder aufzurufen, ist enorm gestiegen. Auch die Fähigkeit, kreativ zu denken und Probleme zu lösen, ist größer geworden. Die Geschwindigkeit, in der die Gehirnzellen untereinander Botschaften austauschen, hat sich erhöht. Viele dieser Zellen sind tatsächlich gewachsen - eine mikroskopische Untersuchung würde zeigen, daß die Gehirnzellen mehr Dendriten gebildet haben, feine Verästelungen, die die Botschaften von einer Zelle zur anderen transportieren, sowie auch mehr Synapsen, feine Verbindungsstellen zwischen Gehirnzellen, über die Impulse gesendet werden. Man ist nun intelligenter als eine halbe Stunde zuvor. Das klingt, als handele es sich um ein Requisit aus einem Science Fiction-Film. Aber es gibt inzwischen Geräte, von denen man sagt, daß sie die soeben beschriebenen, anregenden Effekte haben. Und es gibt auch eine ständig wachsende Zahl von Leuten, die sich eines solchen Apparats bedienen. Wenn Sie davon noch nicht gehört haben, brauchen Sie sich nicht zu wundern, denn schließlich werden damit Gehirnkapazitäten ausgeschöpft, die erst vor kurzem entdeckt wurden, so daß sie außerhalb der Neurowissenschaften kaum bekannt sind oder verstanden werden. In diesem Buch sollen einige der jüngsten 11
Entdeckungen auf dem Gebiet der Gehirnforschung angesprochen und die Instrumente und Apparate für eine Geisteserweiterung (Mind machines oder Gehirnmaschinen) untersucht werden, die angeblich das Gehirn stimulieren und mentale Funktionsleistungen verbessern. NEUROWISSENSCHAFTLER: ENTDECKER, HOHEPRIESTER UND REVOLUTIONÄR
Neuro Wissenschaftler behaupten, daß wir in den vergangenen zehn Jahren mehr über das Gehirn gelernt haben als in all den Zeiten davor. Vieles davon war nicht nur überraschend, sondern fast unglaublich. Nun, da eine erstaunliche Entdeckung auf die andere folgt, sind die Neurowissenschaften etwas Sagenhaftes geworden, aufregend, heiß. Die Wissenschaftler nennen es «erregend». Kein Wunder, denn diese Wissenschaftler selbst behaupten, sie seien zu den «letzten Grenzen» vorgestoßen. Das macht sie zu Entdeckern, einer Gesellschaft von Helden, die sich unter Astronauten, Mondspaziergänger, Abenteurer, Bergsteiger, furchtlose Charaktere wie Kolumbus, Lewis und Clark, Magellan und Kapitän Cook einreihen. Eine aufregende Sache. Der Nobelpreis und die Befriedigung, endlich die geheimnisvollste und komplexeste Struktur im Universum zu begreifen, liegen in greifbarer Nähe. John Liebeskind, ein Neurophysiologe und Psychologe an der Universität von Los Angeles (UCLA), meint: «Es ist schwierig, in verantwortungsvoller Weise etwas von dem erregenden Gefühl zu vermitteln. Man glaubt, darüber zu sprechen wie einer, den man selbst nicht respektiert. Man versucht konservativer zu sein und kein derartig wildes und irritierendes Zeug zu faseln. Aber das Ganze ist nun mal wild und faszinierend. Es läßt sich kaum vermeiden, daß man so redet... Wir befinden uns im äußersten Grenzbereich und es ist ungemein aufregend, mit von der Partie zu sein und in dieser Richtung zu arbeiten.» Die Neurochemikerin Candace Pert vom National Institute of Mental Health (NIMH) meint: «Es ist eine Revolution im Gange. Vormals teilte sich das Wissen in zwei Systeme - auf der einen Seite gab es die harten Wissenschaften Chemie, Physik, Biophysik und auf der ande12
ren ein System, in dem Ethik, Psychologie und Psychiatrie ihren Platz hatten. Und nun ist es, als wären beide wie durch einen Blitz zusammengekommen. Nunmehr ist alles ein einziges System - die NeuroWissenschaften ... Auf neurowissenschaftlichem Gebiet ist die Zeit heute vergleichbar mit jener, als Louis Pasteur die Entdeckung machte, daß Keime Krankheiten verursachen.» Die Wissenschaftler sagen aber nicht nur, daß es sich um eine Revolution, sondern auch, daß es sich um eine Religion handelt. (Merkwürdig, wie beide Ebenen stets miteinander verquickt erscheinen.) Arnold Scheibel ist Professor der Medizin an der UCLA, seine Frau Marian Diamond arbeitet am Institut für Neuroanatomie der Universität Berkeley. Scheibel erläutert ihre gemeinsame Faszination am Gehirn so: «Wir denken, daß das Gehirn in einem gewissen Sinn die Religion der Zukunft werden wird, weil es absolut das Instrument des Menschen ist. Es ist der Ursprung jeder menschlichen Kultur, und es ist sehr aufregend zu sehen, wie die menschliche Kultur auf das Gehirn zurückwirkt und es verändert.» Der Neurowissenschaftler Colin Blakemore erklärt: «Die Erforschung des Gehirns ist eine der letzten Grenzen, zu denen das Wissen des Menschen vorstößt, und von unmittelbarerer Bedeutung als das Verständnis der Unendlichkeit des Weltraums und des Rätsels der Atome.» Die Herausgeber der amerikanischen Zeitschrift Trends in Neuroscience verkündeten gar: «Es liegt der Schluß nahe, daß in der Neurobiologie eine neue Ära anbricht. Der Informationsfluß in den Nervenbahnen ist nämlich dynamischer, als man sich je vorgestellt hat.» Der Neuroanatom Floyd Bloom von der Scripps-Klinik in La Jolla in Kalifornien drückt es bildlich aus: «Ein Neurowissenschaftler war früher in der gleichen Lage wie jemand, der hoch oben über einem großen Sportstadion schwebte: Er konnte die Menge toben hören, aber das war auch alles. Jetzt befinden wir uns auf den Rängen. Und es wird nicht mehr lange dauern, bis wir in der Lage sein werden zu sagen, warum jemand einen Hot Dog ißt und ein anderer ein Bier trinkt.» Der Neurophysiologe Alan Grinnel von der UCLA stellt fest: «Es geht gerade erst los. Alle sind zur Zeit sehr optimistisch, daß wir Mittel und Wege finden werden, um sehr viel mehr darüber zu erfahren, wie das alles funktioniert... Wir werden in den nächsten zehn Jahren noch 13
eine Menge über das Gehirn und seine Arbeitsweise lernen ... Dieses mächtige Anschwellen unserer Kenntnisse hat hauptsächlich dazu beigetragen, daß nun eher gewürdigt wird, wie schwierig es ist, das, was wir verstehen sollen, wirklich zu verstehen. Auch wenn wir Neuland entdeckt haben, so ist es doch immer noch ziemlich unzugänglich.» Und Michael Brownstein (NIMH) meint zu guter Letzt: «Die Neurowissenschaften machen einfach Spaß, und viele ernstzunehmende Wissenschaftler glauben, damit die letzten Grenzen zu überschreiten.» Interessanterweise wird die freudige Erregung der Neurowissenschaftler von der Allgemeinheit geteilt. In geradezu enthusiastischer Weise wird in den Tageszeitungen, in Fernsehsendungen und in einer Reihe populärer wissenschaftlicher Magazine und in vielen anderen Medien von den neuen Entdeckungen auf einem Gebiet berichtet, das man gewöhnlich für obskur und nur für Eingeweihte verständlich hält, in Anbetracht der höchst speziellen Themen wie z. B. die unterschiedlich angelegten Funktionen der beiden Gehirnhälften und die Eigenschaften verschiedener chemischer Gehirnsubstanzen, etwa die der vielgerühmten Endorphine, jener natürlichen, körpereigenen Opiate. Wieso die ganze Aufregung? Könnte es sein, daß sich plötzlich ein allgemeines, überwältigendes Interesse an den Wissenschaften entwickelt hat? Ich denke, nein. Denn in der Atomphysik, Chemie, Biologie, Mathematik und Computerwissenschaft werden gleichfalls verblüffende Entdeckungen gemacht, ohne daß sie ein breites Interesse wecken. Aber die meisten scheinen zu glauben, daß die Gehirnforschung etwas anderes ist - nicht so sehr Wissenschaft, sondern eher eine Liebesgeschichte, oder vielleicht Teil jener Mode der Suche nach dem Selbst. Während die Wissenschaftler daran festhalten, lediglich in objektiver Weise ein Körperorgan zu untersuchen, so weiß der, wissenschaftliche Laie, daß es in Wirklichkeit sein intimstes, fühlendes Selbst ist, was da genauestens beobachtet und analysiert wird. John Liebeskind meint: «Wir haben buchstäblich kein Organ, auch nicht im übertragenen Sinn, das so intim ist. . . Dort spielt sich unser Leben ab. Deshalb ist es so erregend. Das sind wir! Näher können wir uns nicht kommen, denn es gibt nichts Intimeres als das Gehirn.» Wenn also eine neue Entdeckung über das Gehirn gemacht wird, ist 14
jeder von uns davon gefesselt, weniger wegen des Beitrags der neuen Entdeckung für die Gehirnwissenschaft, sondern deshalb, weil dadurch Licht in unsere eigenen Tiefen fällt und wir Einsicht in unsere eigenen Emotionen, Erinnerungen, Gedanken und Intelligenz nehmen können. Wenn die Wissenschaftler etwas Neues über das Gehirn herausfinden, entdecken wir etwas Neues über uns selbst. Welche aufregenden Entdeckungen gibt es eigentlich? Zu den faszinierendsten und wichtigsten, die in jüngster Zeit über das menschliche Gehirn gemacht worden sind (und auf deren Implikationen ich im weiteren Verlauf noch eingehen werde), gehören die folgenden: GEHIRN WACHSTUM. Lange Zeit sind die Wissenschaftler davon ausgegangen, daß die physikalische Größe des Gehirns, das Gewicht, die Zahl der Gehirnzellen und die Dicke des Kortex, erblich bedingt sind. (Der Gehirnkortex ist eine Schicht aus Nervenzellen, die über dem Gehirn eine knäuelförmige Außenschale bildet, die auf dem Gehirn oder die sogenannten , wo ein Großteil der höheren intellektuellen Aktivität des Gehirns ihren Sitz hat.) Eine Reihe von Untersuchungen hat nun ergeben, daß bestimmte, von außen kommende Reize tatsächlich einen deutlichen Zuwachs der Größe des Gehirns bewirken, einschließlich der Größe der Neuronen und der Anzahl anderer Gehirnzellen. ALTER UND GEHIRN. Bisher hat man angenommen, daß nach Erreichen der Reife nicht nur das Gehirn zu wachsen aufhört, sondern auch ein unaufhaltsamer Verlust von Gehirnzellen eintritt. Heutige Untersuchungen haben dagegen gezeigt, daß im Gehirn mit zunehmendem Alter nicht notwendigerweise Zellen abgebaut werden, wenn es entsprechend stimuliert wird, und daß in der Tat Teile des Gehirns weiterhin wachsen und somit die Intelligenz steigern und das Gehirn selbst im Alter von siebzig, achtzig oder neunzig Jahren noch funktionstüchtiger machen können. REGENERIERUNG DES GEHIRNS. Eine andere wissenschaftliche Wahrheit, die Jahrzehnte lang weitgehend unerschüttert blieb, war die, daß sich unsere Gehirnzellen im Gegensatz zu anderen Zellen im Körper nicht reproduzieren oder regenerieren können. Da man weiß, 15
daß es einen kontinuierlichen Verlust von Neuronen gibt, hieße das wiederum, daß der Mensch zu einem langsamen, aber unerbittlichen Neuronenschwund verurteilt ist. Untersuchungen in den letzten Jahren haben aber gezeigt, daß sich Neuronen, unter bestimmten Bedingungen regenerieren können. Damit liegt der Gedanke nahe, daß sich das Gehirn, in der richtigen Weise stimuliert, ununterbrochen selbst heilen und verloren gegangene Zellen ersetzen kann, ganz so wie unsere Haut von selbst heilt, wenn man sich geschnitten hat. GEHIRNSYNCHRONISATION. Durch die Untersuchungen der Gehirnhälften kam ans Licht, daß die linke und die rechte Hemisphäre unseres Kortex in unterschiedlicher Weise und in einem unterschiedlichen Rhythmus arbeiten. Dies führte die Wissenschaftler zu dem Schluß, daß der Mensch im allgemeinen nur mit einer Gehirnhälfte denkt, wobei die Dominanz der einen oder anderen von der jeweils zu bewältigenden Aufgabe abhängt. Heute weiß man aufgrund neurologischer Untersuchungen, daß in bestimmten außerordentlichen Geisteszuständen, wie z. B. während der Meditation oder in einer intensiven kreativen Phase, beide Hemisphären in einen kohärenten übergehen und als Einheit zusammenarbeiten. Wissenschaftler nennen dieses Stadium, in dem das Gehirn als Ganzes denkt, synchron. Bestimmte Geräte zur Stimulierung des Gehirns können dieses sehr rasch in den synchronen Zustand versetzen. DAS ELEKTROCHEMISCHE GEHIRN. Es gilt als erwiesen, daß jedes vorstellbare geistige Stadium das Ergebnis einer speziellen elektrischen und chemischen Aktivität im Gehirn ist. Diese Gehirnaktivität kann geändert und durch externe Reize, Töne, Lichter, elektromagnetische Felder und Bewegungen des Körpers, beeinflußt werden. Mit einem Gerät, das entsprechende Gehirnzonen reizt, lassen sich recht zuverlässig spezifische Gehirnzustände auslösen. Es ist heute möglich, sich in Zustände der Euphorie, Träumerei, sexuellen Erregung, tiefen Konzentration, höchsten Kreativität zu bringen und längst vergessene Erlebnisse zurückzurufen. DIE SELBSTREGULIERUNG DES GEHIRNS. Lange Zeit ist man in der Wissenschaft davon ausgegangen, daß die Gehirntätigkeit größ16
tenteils - also auch die verschiedenen Rhythmen der elektrischen Gehirnaktivität und die Sekretion chemischer Substanzen im Gehirn ähnlich wie bei weiten Teilen des menschlichen Nervensystems außerhalb bewußter Kontrolle läge. In den sechziger Jahren erwies sich dann aber in der Folge von Entdeckungen über das Biofeedback (sich selbst steuernde Regelkreise), daß der Mensch sehr wohl lernen kann, jedes physikalische System bewußt zu kontrollieren, wenn er lernt, sein Bewußtsein darauf zu richten. Mittels Biofeedback kann man rasch lernen, Systeme wie Blutdruck, Herzschlag und Hormonausscheidung zu verändern. Durch den technologischen Fortschritt sind in jüngster Zeit außerordentlich <sensible> Apparate möglich geworden, mit denen man geistige Zustände beobachten kann. Diese Apparate, die die elektrische Aktivität des Gehirns erfassen und gleichzeitig ein Feedback geben, indem die Aktivität in leicht verständlichen Bildern dargestellt wird, verhelfen dazu, die eigenen Zustände des Gehirns bewußt zu machen und sie zu ändern. SUPERLEARNING UND GEHIRN. Untersuchungen deuten darauf hin, daß das menschliche Gehirn zu weit größeren Leistungen fähig ist, als man sich bisher vorgestellt hatte. Unter den entsprechenden Bedingungen kann ein Mensch riesige Informationsmengen aufnehmen, speichern, verarbeiten und abrufen.
MASCHINE UND GEIST
Was wir für normale Intelligenz halten, ist wahrscheinlich nur ein blasser Schatten der eigentlichen Stärken und Möglichkeiten des Gehirns. Die neu entdeckten Fähigkeiten des Gehirns legen die Vermutung nahe, daß es Mittel und Wege gibt, es funktionell wesentlich zu verbessern, vorausgesetzt, das Gehirn wird in der richtigen Weise stimuliert. Die Hinweise häufen sich, daß diese Stimulierung mit verschiedenen Geräten erreicht werden kann. In der Vergangenheit wurde der Einsatz von Geräten in Verbindung mit dem menschlichen Gehirn nur für diagnostische oder therapeutische Zwecke akzeptiert - Elektroenzephalographen zur Analyse von Gehirnwellen, um potentielle Epilepsie oder Tumore aufzuspü17
ren, elektrische Gehirnreizungen, um Schmerzen zu lindern, Abtastgeräte wie CAT (Computergestützter Axial-Tomograph), PET (Positronen-Emissions-Tomograph) und NMR (Kernspinresonanz-Tomograph) , um genaue Bilder von den Vorgängen im Gehirn zu bekommen. Heute stößt der Einsatz von Geräten zur Stimulierung des Gehirns bei den Wissenschaftlern auf immer größeres Interesse. Ich werde in diesem Buch eine Reihe von Geräten untersuchen, die inzwischen zur Stimulierung des Gehirns benutzt wurden, und den wissenschaftlich erwiesenen Einfluß auf geistige Fähigkeiten zusammenfassend darstellen. Wenn es wirklich ein solches Instrument gibt, mit dem sich in zuverlässiger und konsistenter Weise die Funktionstüchtigkeit des Gehirns über ein derartiges Spektrum steigern läßt, dann wäre das eine eventuell revolutionäre Entwicklung, vielleicht sogar die bedeutendste für den menschlichen Lernprozeß seit der Erfindung der Schrift, wie einer der Wissenschaftler behauptet hat. In Teil I geht es um einige der Ideen und Entdeckungen, die zu unserer revidierten und erweiterten Sicht des Gehirns als einer enormen und eigentlich bislang nicht angezapften Quelle von Kräften und Fähigkeiten geführt haben. Wir werden sehen, warum eine Reihe phantasievoller Erfinder durch diese Entdeckungen zum Bau von Geräten inspiriert worden ist, mit denen die verborgenen Reserven angezapft und die gewöhnlich schlummernden geistigen Kräfte geweckt werden sollen. In Teil II werde ich neun Geräte genauer vorstellen, von denen jedes von einem unterschiedlichen Aspekt der Gehirnphysiologie ausgehend entwickelt worden ist. Ich werde aus erster Hand berichten, wie diese Geräte arbeiten, wie es ist, wenn man sie an sich selbst ausprobiert, welche Vorteile jedes Gerät laut Aussage der Erfinder, Hersteller und der Leute, die es häufig benutzt haben, hat. Sollte ein Gerät möglicherweise irgendwelche schädlichen Auswirkungen haben, werde ich davor in entsprechender Weise warnen.
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T E I L
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1 AUFBRUCH INS NEULAND
An jenem Morgen war die Aussicht auf Erleuchtung und geistigen Frieden nicht gerade rosig. Ich hatte mich mit dem Herausgeber einer Zeitschrift verabredet, um uns ein seltsames Gerät, das Audiovisueller Gehirnwellen Synchronisator> genannt wurde, vorführen zu lassen. Mehrere Leute hatten mir davon in ganz ehrfürchtiger Weise erzählt. Das Gerät, das angeblich die elektrischen Wellen der beiden Gehirnhemisphären <synchronisiert>, löse tief entspannte Zustände, Heiterkeit und tranceartige Visionen aus, und das sogar bei Leuten, die gewöhnlich gegen so etwas resistent waren. Der Erfinder dieses Geräts behauptete, daß damit u. a. die Intelligenz gesteigert, das Gedächtnis verbessert, das Lernen beschleunigt, die Kreativität erhöht, Probleme einfacher gelöst, unterbewußte Erinnerungen wieder aufgefrischt und das Wahrnehmungsvermögen geschärft werden könnten. Ich wollte darüber in der Zeitschrift berichten. Der Herausgeber mochte sich jedoch erst festlegen, wenn er das Gerät in Aktion gesehen hatte. Daraufhin hatte der Erfinder sich bereit erklärt, das Gerät in der Redaktion vorführen zu lassen. Die Maschine sah wirklich nicht beeindruckend aus: ein kleiner Elektrokasten, kaum größer als ein gebundenes Buch, voller Schalter und Drehknöpfe, gewöhnliche Stereokopfhörer und irgendwelche dicken Brillen. Der Herausgeber schaute ganz skeptisch - was wohl heißen sollte, daß etwas so Kleines kaum einen großen Effekt haben konnte -, als er Platz nahm, Kopfhörer und Brille aufsetzte und die Apparatur angeschaltet wurde. Die im Innern der Brille um jedes Auge verteilten Lämpchen 21
begannen im Rhythmus zu flackern. Die Lichtmuster änderten sich, als die technische Assistentin an einem Schalter drehte. Zuerst blitzten sie in jedem Auge einzeln auf, dann gleichzeitig in beiden Augen und schließlich bildeten sich ganz komplexe Muster. Wir konnten nicht hören, was der Herausgeber durch seine Kopfhörer vernahm, aber die Assistentin führte uns die verschiedenen Töne und Klänge anhand eines anderen Knopfes vor, an dem sie drehte, und meinte: «Dies ist ein Herzschlag... jetzt kommt Meeresrauschen ... und nun ein elektronisches Summen.» Mit jedem Wechsel nickte der Herausgeber, während auf seinen Lippen ein Lächeln lag. «Sehr schön», meinte er. «Ich kann die Stimmen von Frauen hören», sagte er mit einer Stimme, die von ganz weit her zu kommen schien. «Jetzt singen sie. Hört sich an wie Mönchsgesänge.» Er hatte sich zurückgelehnt und eine ganz entspannte Haltung eingenommen. «Jetzt höre ich eine Violine und eine Frau singt dazu. Ich höre auch einen Moderator, wie in einer Unterhaltungssendung, und jetzt sogar einen Chor.» Nun schwang er gar mit der Musik mit, die er hörte, und mit dem Fuß klopfte er zum Takt. Völlig verwundert schüttelte die Technikerin ihren Kopf. «Das habe ich noch nie erlebt», sagte sie. «Er hört in Wirklichkeit nur ein elektronisches Summen. Alles andere sind Halluzinationen!» «Jetzt spielt ein Klavier», meldete der Herausgeber. «Jetzt ist es Gitarrenmusik ... und jetzt singen irgendwelche Stimmen - es kommt mir vor, als würde ich jede Radiostation im Umkreis empfangen!» Die Technikerin stellte den Knopf neu ein und wieder änderten sich die Lichtmuster. «Aha, sehr erstaunliche visuelle Effekte», stellte der Herausgeber fest. «Ein Insekt, das ganz wild mit seinen Flügeln schlägt, ein schwarzes Insekt, aber der vibrierende Flügelschlag ist violett und gelb. Hoppla, ich kann es sogar ändern! Ich habe das Gefühl, ganz offen und empfänglich zu sein. Mir ist ganz euphorisch zumute.» Er lachte vergnügt. «Gelbe, orange, rote Farbschlieren wie bei einem Karussell, das sich vor einem dreht. Und das erst! Wie ein Fächer flackernder Farben. Aber ich sehe den Fächer nicht. Ich bin der Fächer. Ich sehe gerade in die Sonne. Sie dreht sich - Klangwellen, die zu orangen, gelben und violetten Spiralen werden. In der Mitte ist ein Stern.» Der Herausgeber war ganz außer Atem. «Oh, das ist spitze», keuchte er. «Ein 22
Wechsel von Rot nach Schwarz über eine Vielzahl von Farben, die dazwischen liegen, aber so schnell vergehen, daß ich sie nicht sehen kann. Und doch sehe ich sie! Es ist, als hätte mich jemand in die glühende Sonne geworfen. Ein weißes Licht... davor ein Farbenprisma. Und jetzt sind auch wieder die Radiosender da. . . sämtliche Radiosender der Welt. Gelbe Amöben spazieren vorbei, und mit jedem Aufflackern kommt ein neuer Sender herein. . . » Auf seinem Gesicht lag ein seliges Lächeln, und ich dachte mir, das muß ja eine tolle Maschine sein. Als ich an die Reihe kam, setzte ich mich mit einigem Unbehagen an das Gerät. Außerdem war mir kalt und müde war ich auch. Ich hätte es lieber irgendwo allein ausprobiert und ganz nach meiner Fasson. Ich legte also die Kopfhörer an und hörte ein sanftes, leises elektronisches Summen. Ich fragte mich, warum in aller Welt der Herausgeber sich eingebildet hatte, er wäre in einem himmlischen Variete gelandet. Als ich die Brille aufsetzte, fand ich das Flackern der kleinen weißen Lichter rund um jedes Auge ziemlich ärgerlich. Ein Blick auf den Digitalzähler sagte mir, daß es sich augenblicklich um einen Rhythmus von 20 Zyklen pro Sekunde handelte - die schnellen Beta-Wellen des gewöhnlichen Bewußtseins im Wachzustand. Ich drehte den Frequenzschalter zurück. Das Aufblitzen der Lämpchen verlangsamte sich und ich sah zu, wie die digitalen Zehnerzahlen zurückfielen. Bei 5 Zyklen pro Sekunde hielt ich den Schalter an - die langsamen Theta-Wellen, die tiefe Träume, Meditation und geistige Bilder begleiten. Die aufblitzenden Lichter wurden heller und plötzlich sah ich. . . Ich wußte, die kleinen Lichter blitzten ganz weiß, und dennoch waren die Visionen, die ich hatte, voller Buntheit, spektakulärer, hell leuchtender Grundfarben. Es waren zerklüftete fremde Landschaften, enger werdende Tunnel mit Schleifen ziehenden, herabstürzenden Lichtern, schwirrende vielfarbige Schachbretter, eine realistische Aussicht auf die graue Oberfläche eines Teiches, die durch einen sanften Regen in winzige Lichtfragmente aufging und wie pointilliert erschien, während unterhalb flinke Fische schwammen. Ich merkte, wie sich meine Aufmerksamkeit unweigerlich nach innen richtete. Meine Spannung ließ nach. Ich wußte, in dem Raum waren alle möglichen Leute, aber das interessierte mich nicht mehr sie waren in einer anderen Welt und weit weg. Ich probierte verschie23
dene Frequenzen und Stimulationsmuster aus, und mit jeder neuen Drehung der Schalter veränderten sich auch die Visionen. Mir fiel auf, daß einige lebhafte Erinnerungen wachgerufen wurden. Ich wollte den Teich noch einmal sehen und drehte wieder zurück. Plötzlich war ich wieder ein kleiner Junge, der sich an Frösche heranpirschte, und spürte, wie die Sonne auf den Nacken brannte, den Geruch der grünen Algen des schlammigen Teichs in der Nase. Bisweilen war mir, als hätte ich die Kontrolle über eine enorm starke Maschine. Als ob mein Gehirn worden wäre und nun in ganz neuer Weise arbeitete, mir neue Gedanken offerierte, neue Denkweisen, neue Möglichkeiten. Wenn man dieses Ding beim Lesen eines Buches aufhaben könnte, fragte ich mich. Oder beim Klavierspielen? Oder beim Lösen eines Problems? Oder beim kreativen Arbeiten? Mir schwirrten die Ideen nur so durch den Kopf, die alle um das menschliche Gehirn gingen und um Möglichkeiten, es beeinflussen, verbessern und aktivieren zu können. Siehst du, es funktioniert tatsächlich, sagte die Stimme in meinem Kopf.
GEHIRNMASCHINEN UND DAS AUGE DES WIESELS
Seit den frühen siebziger Jahren war ich von der Idee gefesselt, daß man tatsächlich das Gehirn verändern könnte - nicht nur Emotionen und Gedanken, sondern die eigentliche physikalische Struktur -, indem man die Art der äußeren Stimulation auf das Gehirn verändert. Damals lebte ich ganz allein in einer kleinen Holzhütte, die ich mitten in der Wildnis an einem Berghang gebaut hatte. Lange Zeit sprach ich mit keinem anderen Menschen. Während meines ersten Winters in den Bergen passierten mir einige seltsame Dinge. Um mich herum war alles weiß und menschenleer: die Berge waren schneebedeckt, das Tal unter mir war ein einziges Schneefeld, der Himmel voll grauer Wolken. Ich saß oft vor dem Feuer und starrte einfach hinein. Nach einer Weile fing ich an, Dinge zu sehen - exotische bunte Städte, in Reih und Glied marschierende Nonnen, flackernde Gesichter. In der Stille führte ich oft lange Gespräche mit einer Stimme in meinem Kopf. Ich hörte Stimmen aus der Nähe des Flusses, die zu mir hinaufriefen oder miteinander sprachen. Ich konnte sie zwar 24
hören, aber nicht verstehen. Ein anderes Mal überkamen mich lebhafte Erinnerungen aus meiner Kindheit. Stundenlang saß ich oft so da, ohne etwas zu tun, von allem gelöst und in völligem Frieden. Wenn ich dann auf einmal einen Farbfleck oder eine plötzliche Bewegung wahrnahm - das rote Blut eines frisch erlegten Hirsches, die rosarote Zunge eines Waschbären -, schien mich jedes Mal der Schlag zu treffen, so magisch intensiv war es. Ich lernte, still zu sitzen und mich lange Zeit nicht zu rühren. Einmal hockte ich auf einem Felsüberhang, unter mir toste ein reißender Gebirgsstrom. Ich saß so still, daß ein vorbeischleichendes Wiesel anhielt und ganz in meiner Nähe sitzen blieb, ehe es mich bemerkte. In diesem Moment trafen sich unsere Blicke und sein strahlendes Auge wurde plötzlich zum Zentrum des Universums, während alles andere weiß wurde und sich auflöste. Wie hypnotisiert starrte ich in das Auge des Wiesels. Ich war erfüllt von irgendeiner unermeßlichen Weisheit, und was nur ein Moment war, kam mir wie eine Ewigkeit vor. Ich hatte zu der Zeit Dr. John Lillys Buch Im Zentrum des Zyklons zu lesen begonnen, worin der Neurowissenschaftler (bekannt für seine Arbeit über Lust- und Schmerzzentren des Gehirns) die Grundlagen für eine Kommunikation mit Delphinen und, seine Bemühungen beschrieb, die Arbeitsabläufe des Gehirns mittels sensorischer Isolation zu verstehen. Er hatte am National Institute of Mental Health einen Tank aufgestellt, in dem er in völliger Dunkelheit und Stille in körperwarmem Wasser liegen und sich treiben lassen konnte. Ohne die normalen äußeren Reize erlebte er zahlreiche Bewußtseinszustände, wobei er viele Fähigkeiten des Gehirns entdeckte, die ihm bis dahin gar nicht bekannt waren und erst im Isolationstank aktiviert wurden. Stundenlang ließ sich Lilly in diesem Tank treiben, um von intensiven Erinnerungen an längst vergessene Ereignisse, Geistesblitzen, Inspirationen, kreativen Ideen und sogar transzendenten und offenbarenden Erfahrungen überflutet zu werden. Er fand heraus, daß er allein dadurch, daß er sich in den Tank begab, d. h. seine äußere Stimulationsquelle veränderte, sein Gehirn sehr schnell in Zustände außerordentlicher Klarheit, tiefer Meditation, Konzentration und kontemplativer Betrachtung versetzen konnte. Während ich las, wie Lilly sein eigenes Selbst erforschte, dachte ich daran, das ich hier auf dem Berg nichts anderes machte. Nur, was er in 25
knapp einer Stunde schaffen konnte, hatte bei mir Monate absoluter Isolation in der Wildnis gedauert. Lilly hatte einen kürzeren Weg gefunden. Er hatte den damaligen Stand des technologischen und wissenschaftlichen Wissens erfinderisch umgesetzt. Lilly verwendete eine gesättigte Bittersalzlösung für den Auftrieb, spezielle Heizvorrichtungen, mit denen das Wasser auf Körpertemperatur erwärmt wurde, Pumpen für die Luftzufuhr, Wasserfilter und eine Spezialkammer, um Geräusche und Licht auszusperren. Das Resultat war eine <Maschine>, mit der man ganz schnell die Art von geistigen Zuständen herbeiführen konnte, die normalerweise nur nach langen Zeiten der Isolation, Meditation oder Kontemplation erreichbar waren.
WIE ES MICH DURCH EINEN DURCH ALPHA-WELLEN BEWIRKTEN ZUFALL NACH GUATEMALA VERSCHLÄGT
Meine erste Gelegenheit, eine Gehirnmaschine auszuprobieren, bekam ich ein paar Jahre später. Ich saß in der Sauna und hörte, wie jemand seinem Freund von einem Wissenschaftler an der New Yorker Universität erzählte, der ein paar Freiwillige für eine Studie über Biofeedback suchte. Ich rief ihn an und fragte, ob ich bei dem Experiment mitmachen könnte. Wie sich herausstellte, sollten verschiedene Lernmethoden zur Erzeugung von Alpha-Wellen (nicht Strahlen) in ihrer Wirksamkeit verglichen werden. Man wies mich der Kontrollgruppe zu, die im Gegensatz zu anderen Gruppen, die genaue Anweisungen in Meditation, Atmung, progressiver Entspannung und anderen Techniken bekamen, überhaupt keine Instruktionen erhielt. Der Forscher schloß ein paar Elektroden an meinen Kopf an und bat mich, das Klicken des Geräts (was durch Alpha-Wellen aktiviert wurde) zu beschleunigen. Ich versuchte es und es gelang, wenn ich mir vorstellte, wie ich in der verschneiten Wildnis saß und in das Auge eines Wiesels sah. Der Wissenschaftler war verwundert, weil ich mehr Alpha-Wellen produzierte als alle anderen in den Gruppen, denen extra spezielle Techniken beigebracht wurden. Ich verstand nie genau, wie ich es schaffte, aber wann ich es machte, konnte ich immer sagen. Es war ein 26
unmittelbares und unfehlbares Gefühl, etwa wie wenn man mit aller Muße am Radio herumdreht und plötzlich die ganzen Störungen verschwinden. Jedes Mal, wenn ich aus dem Experiment herauskam, fühlte ich mich, als wäre ich ganz fein abgestimmt. Ich fragte den Wissenschaftler, warum es mir ein so gutes Gefühl verschaffte, wenn ich es schneller klicken ließ. Er erklärte, daß die dominanten Gehirnwellen in einem Bewußtsein, das sich im normalen Wachzustand befindet, Beta-Wellen sind. Diese bewegen sich sehr schnell und sind relativ schwach. Je mehr man sich aber entspannt, desto mehr werden die langsameren, aber stärkeren Alpha-Wellen dominant. Warum ich mich so gut fühlte, lag einfach daran, daß ich entspannter war. Ich war aber nicht einfach nur entspannt, sondern fühlte mich auch ganz anders, d.h. eigentlich besser, ja sogar intelligenter. Mir fiel auf, daß ich bis dahin meine verschiedenen geistigen Zustände wie selbstverständlich akzeptiert hatte. Wenn ich niedergeschlagen, verärgert oder durcheinander war, dann war das eben so, und damit mußte ich leben, bis irgendeine Änderung eintrat. Jetzt merkte ich, daß das normale Gestimmtsein nicht einfach etwas Gegebenes war, sondern das Produkt sogenannter Gehirnwellen, die man verändern konnte, wenn man wollte: Wenn dir das, was in deinem Kopf vorgeht, nicht gefällt, dann ändere es. Es war eine Offenbarung für mich. Die geistige Klarheit, die ich nach dem Experiment hatte, hielt noch tagelang an. Ich fühlte mich nicht nur anders, sondern handelte auch anders. Plötzlich schrieb ich eine Reihe seltsamer Kurzgeschichten, die ich einfach aus dem Ärmel zu schütteln schien. Sie waren spannend und lustig, aber unter normalen Umständen hätte ich mir nie solche Charaktere und Handlungen ausgemalt. Ich saß am Tisch und schaute wie in Trance zu, wie meine Finger über die Tasten der Schreibmaschine huschten. Ich fragte mich nur, was als nächstes kommen würde. Als ich mich dann wie einer meiner Charaktere auf den Weg nach Südamerika machte, war ich selbst erstaunt. Ich blieb bei einem Vulkan in der Nähe eines kleinen Indianerdorfes in Guatemala hängen. Die Gedanken strömten förmlich aus mir heraus und aufs Papier. Ich las viel, reiste, arbeitete und schnappte etwas Spanisch auf. Ich fühlte mich energiegeladen, mit einem neuen Sinn für geistige 27
Klarheit, was meiner Meinung nach teilweise aus der Erfahrung mit der Alpha-Maschine herrührte. Zuvor hätte ich mich über diese Idee nur lustig gemacht. Schließlich weiß jedes Kind, daß Intelligenz angeboren und erblich bedingt ist, daß sich unser Charakter durch Erfahrungen bildet und daß Kreativität, Phantasie und Selbstgefühl davon abhängen, daß sie durch unsere frühkindlichen Erfahrungen gefördert werden. Im Alter von zwanzig ist man das, was man ist, sei es nun gut oder schlecht, jedenfalls durch keine Maschine zu verändern. Aber jetzt begann ich mich doch zu fragen. Dr. Lillys Experimente mit dem Isolationstank und meine Erfahrungen in der Wildnis hatten mir gezeigt, daß mechanische Apparate normalerweise langsam ablaufende geistige Prozesse durchaus beschleunigen können. Das AlphaGerät hatte mich überzeugt. Und die Idee, daß eine Maschine die sogenannte Realität beeinflussen, ja sogar radikal verändern kann, ist nicht neu. Physiker machen das laufend mit ihren mächtigen Zyklotronen bzw. Teilchenbeschleunigern. Mit diesen Maschinen, die Materie beschleunigen und bombardieren, zeigen bizarre subatomare Teilchen ganz neue Potentiale, neue Elemente, neue Realitäten. Seltsame Teilchen, durch Maschinen aus ihren Verstecken gelockt, laufen zeitlich gesehen rückwärts, passieren dichte Materie, als hätten sie etwas von einem Geist, oder sie besitzen eine Art negativer Existenz. Vielleicht könnten Maschinen, die man auf das Gehirn ansetzt, etwa, die die elementaren Teilchen des Geistes beschleunigen und bombardieren, neue geistige Potentiale erschließen und neue geistige Realitäten schaffen. Das Verhalten subatomarer Teilchen in den Zyklotronen der Atomphysiker war in keiner Weise vorhersehbar. Wer weiß, vielleicht ist dieser menschliche Zufall - meine Beschleunigung nach Guatemala, um zu schreiben und am Hang eines Vulkans mit den Indianern zu leben - durch die Alpha-Maschine in Gang gekommen. DIE TECHNOLOGIE EINES ZAUBERKULTS FLIESST IN DIE WISSENSCHAFTLICHE HAUPTSTRÖMUNG EIN
Die Frage lautet also: Können wir durch bestimmte Maschinen klüger, weiser, fähiger, kreativer werden? Ich fand heraus, daß mein Inter28
esse an Maschinen zur Beeinflussung des Geistes von immer mehr Wissenschaftlern geteilt wurde, die eher dem Hauptstrom der wissenschaftlichen Forschung zuzurechnen waren. Tatsächlich arbeitet man in der Wissenschaft ganz intensiv an der Entwicklung technologischer Mittel zur Erforschung des Gehirns, wobei Dinge im Gespräch sind, die vor wenigen Jahren noch wie reine Zukunftsmusik geklungen hätten - Gedächtnistransfusionen, Gehirntransplantationen, elektronische Gehirnschnittstellen, elektrische Stimulation von Lustzentren, elektromagnetische Schlaf-Maschinen, fehlerhafter Schaltkreise im Gehirn, elektrisch ausgelöstes Gehirnwachstum und neurale Regeneration, schnelleres Lernen in speziellen Umgebungen, das Aufzeichnen der Gehirnregionen mit SQUID (Superconducting Quantum Interference Device - ein hochsensibler Detektor zur Feststellung der magnetischen Gehirnstrukturen). Während viele der heutigen Studien mit Maschinen zur Beeinflussung des Geistes (Mind machines) noch vor zehn Jahren wie technologischer Zauberkram geklungen hätten, haben sie inzwischen an Glaubwürdigkeit gewonnen (in Amerika werden sie z. B. staatlicherseits und von angesehenenen Ausbildungs- oder Forschungsinstitutionen finanziert). Beweise, die von höchst anerkannten Wissenschaftlern gesammelt worden sind, bringen lang bestehende Annahmen über die Begrenzungen des menschlichen Gehirns ins Wanken und zeigen, daß bestimmte Maschinen nicht nur helfen können, die Geisteskraft deutlich zu steigern, sondern auch das Wachstum des physikalischen Gehirns anzuregen.
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MEHR KÖPFCHEN: DURCH STIMULATION DAS GEHIRN ERWEITERN
VOM SPIELEN MIT DEN MUSKELN ZUM SPRÜHEN DER IDEEN
Als gesunder Mensch kann man seinen Körper durch körperliches Training stärken. Die Übung kann auf ganz spezielle Körperteile oder Körpersysteme ausgerichtet sein. Zum Beispiel wird ein Gewichtheber, der nichts anderes als seinen Bizeps trainiert, kaum etwas anderes als einen großen Bizeps bekommen. Marathonläufer konzentrieren sich darauf, ihr kardiovaskuläres System zu entwickeln, mit dem Resultat, daß sie oft ungewöhnliche Ausdauer besitzen, ein starkes Herz und eine mächtige Lunge haben, aber dem Oberkörper nach wie Fliegengewichte aussehen, mit Armen und Beinen wie Gummibänder. Bodybuilding funktioniert, und für Gewichtheber wie für Langstrekkenläufer und alle anderen gilt in gleicher Weise: Wähle den Teil deines Körpers, der deinem Wunsch nach größer und stärker werden soll, und benutze ihn. Und was sehr wichtig ist: Benutze ihn, auch wenn es dich noch so sehr anstrengt, denn je schwieriger es wird, ob es nun immer schwerere Gewichte sind, die du stemmst, oder längere Strekken, die du immer schneller läufst, desto mehr wird der Muskel wachsen, auf den alles abzielt. Man stelle sich nun vor, daß all das oben über den Körper Gesagte ebenso auf das Gehirn zutrifft. Des weiteren stelle man sich vor: Genauso wie wir heute bestimmte Geräte haben, um den Körper zu einem gesunden Wachstum zu stimulieren und diesen normalerweise langsamen Prozeß zu beschleunigen, 30
hätten wir auch Geräte, um das Wachstum des Gehirns und seinen Aufbauprozeß enorm zu steigern. Lange schon haben Wissenschaftler die Vermutung geäußert, daß die absolute Größe des Gehirns wenig mit Intelligenz zu tun hat. Wie sie durch Autopsien herausfanden, waren die gewogenen Gehirne von schwachsinnigen Personen manchmal größer als die von intellektuellen Menschen und Genies. Außerdem schien die Idee absurd, daß die Größe des Gehirns oder die Intelligenz durch Erfahrungen und Erlebnisse verändert werden könnte. Zunächst akzeptierte jeder, daß Intelligenz genetisch bestimmt war - Menschen mit großer Intelligenz werden so geboren, und wenn auch die Erfahrungen im Leben eines Menschen für dieses angeborene genetische Potential förderlich oder hinderlich sein können, so können sie dennoch nicht diese angeborene Intelligenz steigern oder verringern. Erfahrungen und Erlebnisse können also nicht die eigentliche Struktur des Gehirns verändern. Freud und seine Anhänger hatten zwar klar gezeigt, daß unser Charakter großenteils durch Erfahrungen in früher Kindheit geprägt wird, aber das erklärt nicht, ob die anatomischen und chemischen Eigenschaften des Gehirns unverändert bleiben. Letztlich akzeptierte man gemeinhin, daß das Wachstum des Gehirns, was die Zahl der Gehirnzellen betrifft, die jeder von uns hat, nach dem zweiten Lebensjahr abgeschlossen ist. Mit der Entwicklung mikroskopischer Methoden zur Untersuchung der Gehirnzellen entdeckte man, daß sich Gehirnzellen (Neuronen) nicht selbst reproduzieren. Anders ausgedrückt: Die absolute Anzahl der Gehirnzellen ist von Kindheit an bestimmt und nicht vergrößerbar, egal welche Erfahrungen oder Reize das Gehirn empfängt. Darin unterscheiden sich die Neuronen von anderen Körperzellen, die sich viele Male reproduzieren. Wenn eine Muskelzelle beschädigt oder zerstört wird, kann sie durch eine neue ersetzt werden. Diese Eigenschaft machen sich letztlich auch die Bodybuilder zunutze, deren gewaltige Muskelpakete nichts anderes sind als das Resultat eines Wiederherstellungs- und Regenerierungsprozesses von Muskelzellen, die durch strapaziöse Übungen beschädigt oder zerstört werden. Wissenschaftler konnten sich also kaum vorstellen, wie sich Struktur und Funktion des Gehirns durch sensorische Einflüsse verändern könnten. 31
WIE MAN NEUNMALKLUGE RATTEN ZÜCHTET
Dann folgte eine Reihe von Experimenten, die an der Universität von Kalifornien in Berkeley von dem Biologen und Psychologen Mark Rosenzweig und seinen Kollegen durchgeführt wurden. Die Ergebnisse dieser Experimente deuteten auf so Ungeheuerliches, daß viele Wissenschaftler es gar nicht glauben konnten. Nachdem aber die kontroversen Untersuchungsergebnisse von zahlreichen Forschern unabhängig voneinander wiederholt werden konnten, entwickelte sich aus dem anfänglichen Zweifel eine allgemeine Akzeptanz, die dem, was diese Studien implizieren, allerdings nicht den revolutionären und erstaunlichen Charakter nimmt. In den zwanziger Jahren dieses Jahrhunderts hatte ein Psychologe an der Berkeley University festgestellt, daß sich manche Ratten in einem Labyrinth besser zurechtfanden als andere. Daraufhin wurde von den fähigsten Ratten eine Generation nach der anderen gezüchtet. Auf diese Weise entstanden Rattengenerationen mit spezifisch guten und schlechten Labyrinthgängern, die sich nach vierzig Jahren immer noch in den Labors von Berkeley vermehrten. Mark Rosenzweig und seine Kollegen David Kreech und Mark Bennett wollten wissen, wie die chemischen Prozesse des Gehirns durch verschiedene Arten mentaler Aktivität verändert wurden. Sie gingen von der Hypothese aus, daß geistige Aktivitäten, insbesondere das Lernen und das Gedächtnis zu einem höheren Funktionsniveau eines bestimmten Gehirnenzyms (Acetylcholinesterase oder AChE) führen würden. Um das herauszufinden, nahmen sie Laborratten mit unterschiedlichen AChE-Niveaus und verglichen, wie diese mit Problemen fertig wurden, die eine geistige Aktivität erforderten (etwa durch ein Labyrinth zu laufen). Tatsächlich lernten die Ratten mit einem höheren AChE-Niveau besser als die mit einem niedrigen Niveau. Anschließend machten sie einen Umkehrversuch. Sie wollten sehen, ob die Ratten, die mit Problemen fertig werden sollten, mit unterschiedlicher Leistung unterschiedliche AChE-Niveaus produzierten. Oder anders ausgedrückt: Könnte man diese chemischen Prozesse ändern, wenn man die Umgebung der Ratten anders gestaltete? Das hieße letztlich, daß eine Veränderung der Umgebung die chemischen Prozesse und die Struktur des Gehirns verändert. 32
Zur Durchführung dieses Experiments benötigten sie Ratten, von denen während ihres Lebens unterschiedliche geistige Aktivitäten abverlangt worden waren. Die Forscher nahmen also eine Gruppe von Ratten, die im Laufe vieler Jahre kontrollierter Aufzucht im Labor genetisch angeglichen worden waren und teilten sie in der Entwöhnungsphase willkürlich in drei Gruppen auf. Jede Gruppe bekam eine andere Umgebung. Die erste Gruppe wurde in gewöhnliche Laborkäfige aus Maschendraht gesperrt, wobei jeweils drei Ratten zusammen waren. Dies war die sogenannte normale Umgebung. Die zweite Gruppe wurde völlig isoliert, wobei jede Ratte allein in einem Käfig mit drei undurchsichtigen Wänden, schwachem Licht, wenig Geräuschen, minimalen Reizeinflüssen und ohne Verbindung zu anderen Ratten untergebracht war. Dies war die sogenannte arme Umgebung. Die Ratten der dritten Gruppe wuchsen in «Spielgruppen» mit zehn bis zwölf Ratten auf, die in einem großen Käfig mit viel Licht, vielen Ebenen, Schwingtürchen, Schiebetürchen, Leitern, Brücken, Spielsachen, wechselnden Reizeinflüssen und abwechslungsreichen Herausforderungen lebten. Dies war die sogenannte reiche Umgebung. Nach bestimmten Zeiten, nach Tagen oder nach Monaten, wurden die Gehirne der Ratten untersucht. Dabei entdeckten die Forscher, daß die Ratten, die in der reichen Umgebung aufgewachsen waren, höhere AChE-Aktivitäten in ihrem Gehirnkortex aufwiesen als die Ratten aus der normalen und armen Umgebung. Rosenzweig kam zu dem Schluß: «Die kortikale AChE-Aktivität kann durch äußere Erlebnisse offensichtlich verändert werden und ist nicht, wie wir vermutet hatten, ein fixes individuelles Charakteristikum!» [281]
EXTREM STIMULIERTE EINSTEINSCHE RATTEN MIT GROSSEN GEHIRNEN
Dies allein war ziemlich verblüffend, aber nichts im Vergleich zu dem, was die Forscher als nächstes fanden. Die AChE-Messungen zielten auf die enzymatische Aktivität pro Einheit Gewebegewicht. «Glücklicherweise», so erinnert sich Rosenzweig, «mußten wir die Gewichte unserer Gehirnexemplare aufschreiben, um die chemische Aktivität pro Einheit Gewebegewicht zu messen. Nachdem wir zwei Jahre lang 33
über die Auswirkungen der chemischen Prozesse nachgedacht hatten, dämmerte es uns schließlich, daß sich die Gewichte der einzelnen Gehirne ebenfalls veränderten.» [267] Die Forscher konnten es fast nicht glauben und überprüften mehrmals ihre Arbeiten. Aber es blieb nach wie vor dabei: Der Kortex der Ratten aus der reichen Umgebung war viel schwerer als der der anderen Ratten! Irgendwie waren die Gehirne durch stimulierende Erfahrungen zum Wachstum angeregt worden. «Die Veränderungen im Gehirngewicht waren damals sogar noch verwunderlicher als die neurochemischen Veränderungen», sagt Rosenzweig weiter. «Zu Anfang dieses Jahrhunderts war die Ansicht nämlich zum Dogma geworden, daß das Gewicht des Gehirns trotz äußerer Herausforderungen stabil bleibt, auch wenn diese Einfluß auf die Meßwerte anderer Körperteile haben.» Die ganze Sache war so verwunderlich, daß viele Wissenschaftler die Resultate glatt für unmöglich hielten. «Am Anfang waren die Reaktionen so, daß man der Sache entweder sehr skeptisch gegenüberstand oder uns kein Wort davon glaubte, als wir unseren Bericht herausgaben, daß im Gehirn bedeutsame Veränderungen hervorgerufen werden, wenn Tiere einfach eine relativ günstige Umwelt erfahren.» [281] Die revolutionären Entdeckungen und die Zweifel ihrer Berufskollegen löste eine ganze Reihe neuer Studien an der Universität Berkeley aus. Zusammen mit der Neuroanatomin Marian Diamond fanden sie die Bedingungen, um den Kortex der Ratten in der reichen Umgebung schwerer werden zu lassen. Diese Studien führten zu einer Reihe von Entdeckungen, die noch erstaunlicher waren. In sämtlichen Fällen zeigten die Ratten, die in der reichen Umgebung aufwuchsen, folgende Veränderungen: - Eine größere Verdichtung des Gehirnkortex. - Eine Vergrößerung der einzelnen Neuronen im Kortex um 15 Prozent. - Eine Zunahme an Protein im Gehirn parallel zur Gewichtszunahme des Kortex, was bewies, daß tatsächlich das Gewebe wuchs und nicht bloß der Flüssigkeitsgehalt des Gehirns anstieg. - Eine Vermehrung der dentritischen Verästelung. (Dendriten sind die haarfeinen verästelten Fibrillen, die vom Körper eines Neurons 34
abzweigen und von anderen Neuronen Nachrichten empfangen, die sie an den Zellkörper weitergeben. Eine Vermehrung der Verästelung bedeutet also, daß mehr Nachrichten eingehen können und somit jedem Neuron mehr Informationen zukommen können.) - Eine Vermehrung der dendritischen Fortsätze pro Längeneinheit eines Dendriten. (Es handelt sich dabei um sehr kleine Fortsätze, die die Oberfläche der Dendriten tausendfach bedecken, wobei jeder dieser Fortsätze eine Synapse kennzeichnet, also die Stelle, an der das Neuron mit einem anderen Neuron verbunden ist. Eine Vermehrung der dendritischen Fortsätze weist demnach auf ein größeres Verbindungspotential zwischen den Neuronen hin.) - Eine Vermehrung der Synapsen und eine Vergrößerung der synaptischen Kontaktflächen. (Synapsen sind die Stellen, wo unterschiedliche Neuronen miteinander verbunden sind und mittels derer eine Kommunikation zwischen diesen Neuronen stattfindet. Wenn sie also der Zahl und Größe nach zunehmen, bedeutet das zugleich einen reicheren Kommunikationsprozeß im Kortex.) - Ein Zuwachs im Verhältnis von Kortexgewicht und übrigem Gehirngewicht. (Durch die reichere Umgebung wird also nicht nur ein generelles Wachstum im gesamten Gehirn angeregt, sondern auch ganz besonders jene Zone des Gehirns begünstigt, die mit dem Denken, Lernen und der Gedächtnisaufnahme zu tun hat.) - Eine zahlenmäßige Zunahme von Gliazellen um 15 Prozent. Die Gliazellen sind der und die am häufigsten vorkommenden Zellen im Gehirn. Sie halten die Neuronen des Gehirns zusammen, stützen und nähren sie, walten über das neurale Wachstum, helfen beim Lernen und bilden scheinbar ihr eigenes rätselhaftes Netzwerk.* [88, 281] * In letzter Zeit ist man vielfach zu der Vermutung gelangt, daß ein Schlüssel zur intellektuellen Fähigkeit im Verhältnis zwischen Glia und Neuronen im Kortex zu suchen ist. Beim Menschen ist dieses Verhältnis zehn zu eins. Das menschliche Gehirn ist etwa fünf Mal so groß wie das eines Schimpansen, wobei es jedoch nur etwa 30 bis 50Prozent mehr Neuronen hat. Die intellektuelle Kluft, die den Menschen vom Schimpansen trennt, scheint also von der größeren Zahl von Gliazellen im menschlichen Gehirn zu kommen. Aufgrund neu entwickelter Technologien in der Forschung haben Wissenschaftler eine Reihe unverhoffter Aktivitäten in den Gliazellen feststellen können. Ein Forschungsprojekt unter der Leitung des Neurophysiologen Gary Lynch an der Universität von Kalifornien in Irvine hat
Als Frau Diamond ihre Autopsien an Ratten fortsetzte, die verschieden lang reicher ausgestatteten Umgebungen ausgesetzt waren, bemerkte sie zudem, daß Veränderungen des Gehirns sehr schnell passieren können. In nur vier Tagen waren Veränderungen in den chemischen Prozessen und in der Struktur des Kortex möglich. Spätere folgendes gezeigt: «Die Gliazellen spielen in der Zeit, bevor sich ein achsenzylindrisches Neurit überhaupt bildet, total verrückt. Sie teilen sich und bewegen sich durch das intakte Gehirngewebe. Sie durchwandern große Gehirnabschnitte, um schließlich die aktive Stelle zu erreichen. Die bereits angekommenen Gliazellen unterliegen unglaublichen Reaktionen. Sie senden Zweige aus, die immer größer werden. Dies alles vollzieht sich, noch ehe ein axionales Wachstum einsetzt. Von diesen Entdeckungen ist in den Lehrbüchern noch nichts zu lesen . . . Es ist ein seltsames, bizarres System. Wenn man diese Dinge bedenkt, bekommt man vom Gehirn ein ganz anderes Bild.» [65] Ebenso gibt es deutliche Hinweise, daß die Glia in elektrischer Weise sensibel ist, was manche veranlaßt zu glauben, daß sie ganz wie irgendwelche Halbleiter reagiert, indem sie schwache elektrische Ladungen vom Nervensystem oder von umliegenden elektrischen Feldern auffängt und sie genauso verstärkt wie ein Transistor. Brian MacVicar von der Universität von Calgary in Alberta hat in einer jüngsten Studie gezeigt, daß die Gliazellen unter bestimmten Bedingungen elektrisch zu erregen sind und sich wie Neuronen verhalten. Er hat dabei entdeckt, daß in Gliazellen Aktionspotentiale vorkommen, elektrische Veränderungen, die sich selbst fortpflanzen und charakteristisch für Nervenzellen, Muskelzellen und endokrine Zellen sind. «Möglicherweise kann man dem, was die Gliazellen an Aktionen ausführen, eine neue Funktion hinzufügen. Möglicherweise können Gliazellen die Ursache dafür sein, daß Neuronen über eine weite Strecke erregt werden.» [2] Eine deutliche Vermehrung dieser Zellen hat für ein ganzes Gehirnsystem Implikationen, das bislang noch wenig verstanden wird. Klar ist jedoch, daß ein zahlenmäßiger Anstieg von Gliazellen, wenn er aus geistiger Stimulation resultiert, zu einer höheren geistigen Funktionskraft beiträgt. Marian Diamond vermutet, daß ein hohes proportionales Verhältnis von Gliazellen zu Neuronen durchaus eine Rolle in der intellektuellen Überlegenheit bestimmter Genies spielen könnte. Frau Diamond bekam von dem Pathologen, der im Jahre 1955 die Autopsie an Einstein vorgenommen hatte, einige Proben jenes genialen Gehirns und untersuchte Abschnitte des Neokortex, um das Verhältnis von Gliazellen zu Neuronen zu bestimmen. Da, wie ihre Arbeit zeigt, Tiere mehr Gliazellen pro Neuron haben, wenn sie in Umgebungen aufwachsen, die zu geistiger Aktivität anregen, «sind wir von der Hypothese ausgegangen, daß wir in manchen Zonen von Einsteins Gehirn mehr Gliazellen finden würden, wenn er darin aktiver war.» Sie fand heraus, daß Einsteins Gehirn in allen vier untersuchten Gehirnbereichen tatsächlich mehr Gliazellen pro Neuron hatte als damit verglichene andere Gehirnexemplare von elf männlichen Durchschnittspersonen im Alter von 47 bis 80. «Wir wissen nicht, ob Einstein damit schon zur Welt kam oder sie erst später entwickelte», räumt Frau Diamond ein. «Aber es sagt uns doch, daß er in einem der am höchsten entwickelten Bereiche des Gehirns offensichtlich mehr intellektuelles Verarbeitungsvermögen hatte als andere.» [225] 36
Studien verkürzten diese Zeit auf 45 Minuten und inzwischen ist bewiesen, daß bedeutsame strukturelle Veränderungen als Reaktion auf äußere Reize fast umgehend eintreten. [101, 102] Obwohl man in zahlreichen wissenschaftlichen Studien das Problem von verschiedenen Seiten angegangen und unterschiedliche Variable untersucht hat, laufen sie alle auf einen Punkt hin: Eine reich ausgestattete Umgebung, d. h. eine höhere Stimulation des Gehirns, ruft in gewisser Weise nicht nur eine Zunahme des Wachstums und Gewichts des Kortex hervor, sondern verändert und bereichert seine gesamte qualitative Beschaffenheit.
WIE DIE GRAUEN ZELLEN STIMULIERT WERDEN
Die Bedeutung dieser qualitativen und quantitativen Veränderung im Kortex läßt sich erkennen, wenn wir ein paar Fakten über den Gehirnkortex (auch Neokortex genannt) in Betracht ziehen. Der Kortex ist das vielleicht greifbarste Resultat der Evolution, wie immer man sie deutet. Geschöpfe haben die Tendenz, ihr Nervensystem zu entwickeln, je komplexer sie werden, und der Kortex ist das Endergebnis dieser Entwicklung. Bei Wirbeltieren bedeutete das eine ständige Verschiebung nach oben, bzw. zum obersten Teil des Nervensystems. Bei den Wirbeltieren aus frühester Zeit schwoll das Nervengewebe am oberen Ende des Rückenmarks an. Im Laufe der Evolution dieser Geschöpfe wurde das Nervengewebe immer größer und komplexer und umfaßte zunächst ein Hinterhirn, dann ein Mittelhirn bzw. limbisches Hirn und danach ein Vorderhirn. Nur bei höheren Säugern findet sich die Entwicklung einer neuen evolutionären Struktur, der Hirnrinde, die an Größe und Bedeutung gewinnt, je weiter wir auf der Leiter der Evolution hinaufsteigen. Die Hirnrinde (Kortex) ist bei Ratten ziemlich weich und im Verhältnis zu tiefer liegenden Teilen des Gehirns recht klein. Bei Katzen und Hunden wird der Kortex größer. Die Falten, die entstehen, um mehr Kortex unterzubringen, heißen Windungen. Die relative Größe des Kortex und die Menge seiner Windungen nimmt beim Affen beträchtlich zu; beim Menschen ist er noch mehr gewunden und macht ungefähr 83 Prozent des Gesamtgewichts seines Gehirns aus. 37
Wenn man sich den Neokortex wie ein ausgebreitetes Tuch vorstellt, mißt er ungefähr einen halben Quadratmeter mit einer Stärke von weniger als einem halben Zentimeter (beim Menschen). Es sind ungefähr 100Milliarden Neuronen darin enthalten, die von Abermilliarden Gliazellen unterstützt und versorgt werden. Diese Neuronen hängen eigentlich alle nur mit anderen Neuronen im Kortex zusammen, da relativ wenige Neuronen den Kortex mit tiefer gelegenen Hirnstrukturen verbinden. (Jedes Neuron mit seinen hundert- oder tausendfachen axonalen und dendritischen Erweiterungen ist so komplex wie ein kleiner Computer und mit Tausenden anderen Neuronen verknüpft.) Dies bedeutet, wie der Gehirnexperte Dr. Eric Harth darlegt, daß die unglaubliche Verflechtung von Nervenverbindungen im großen und ganzen wiedergibt, wie «Kortex zu Kortex spricht. Diese bemerkenswerte Tatsache... weist auf den im hohen Maße reflektiven Operationsmodus des Neokortex hin. Vergliche man die ganze Sache mit einer Regierung, käme es einer Gruppe von Leuten gleich, die im lebhaften Disput miteinander stehen, aber von der Außenwelt eigentlich isoliert sind.» Unter evolutionären Gesichtspunkten gesehen, ist der Kortex etwas ganz neues und ganz anderes. Er ist der Sitz unserer sogenannten höheren Funktionen. Laut Harth beinhalten diese Funktionen folgendes: « . . . das Erkennen bestimmter Charakteristika in allen sensorischen Systemen; das Erlernen und Assoziieren neuer Charakteristika sowie Lernen in jeder Hinsicht; die Erinnerung an vergangene Ereignisabläufe; das programmatische Strukturieren willkürlicher Muskelaktionen, angefangen vom Binden der Schuhe bis zum Spielen einer Komposition von Liszt; Sprachbildung und Sprachverständnis; Kreativität und künstlerisches Verständnis und natürlich sämtliche Gefühlsregungen und Bewußtseinsabläufe.» [138] Betrachtet man also die Bedeutung des Kortex für all das, was uns als Menschen kennzeichnet, dann ist es einfach verblüffend, was die Studien von Rosenzweig, Diamond und ihren Kollegen alles implizieren. Aus diesen Untersuchungen geht klar hervor, daß eine stimulierendere oder die sinnliche Erfahrung anregendere Umwelt zu strukturellen Veränderungen im Kortex führt. Da der Kortex der Sitz der Intelligenz ist, kann man daraus schließen, daß mehr Stimulation oder reichere sinnliche Erfahrung durch die Umwelt zu einem Intelligenzzuwachs führt. 38
Natürlich ist der Begriff hier relativ. Jedes Tier kann sich in der einen Eigenschaft als intelligent erweisen, in der anderen weniger. Aber es gibt klare Anzeichen für einen starken Zusammenhang zwischen sensorischer Stimulation und Intelligenz. Der an der Universität Berkeley tätige Psychologe David Krech, der zusammen mit Rosenzweig die bahnbrechenden Untersuchungen über die Beziehung zwischen geistiger Aktivität und gehirnchemischen Prozessen anhand von Ratten aus unterschiedlichen Umgebungen geleitet hat, ist gleichfalls der Initiator für eine Reihe von Untersuchungen über die Beziehung zwischen Intelligenz und Erfahrung gewesen. Ein Experiment führte er mit den beiden Rattenrudeln durch, die über viele Generationen hinweg extra herangezüchtet worden waren, das eine Rudel mit den und das andere mit den <Schlaubergern>. Es muß ausdrücklich betont werden, daß sich diese Ratten genetisch unterschieden und ganz verschiedene Gehirne hatten, d.h. unterschiedliche Größenverhältnisse von Kortex und Subkortex. Krech wollte zunächst herausfinden, ob diese Unterschiede im Erbgut durch die Umwelt verändert werden könnten. Er gab also den Ratten, die sich im Käfiglabyrinth besser zurechtfanden, eine reizärmere Umgebung und den Ratten, die sich wie benahmen, eine reizstärkere. Die Unterschiede schwanden. Ähnlich verhielt es sich, als ein Rudel <Schlauberger-Ratten> eine reizstärkere Umgebung und ein Rudel eine reizärmere bekamen. In diesem Fall verdoppelten sich die Unterschiede. Krech testete die Ratten auch auf eine andere Art von Intelligenz hin - die Fähigkeit zu lernen, daß sich Regeln verändern können. Bei diesem Test, der auf einer im Test als die überlegeneren! Krech kam zu folgendem Schluß: «Wir können jetzt die Ergebnisse generationenlangen Züchtens rückgängig machen. Vererbbarkeit reicht nicht aus. Sämtliche Vorteile eines ererbten guten Gehirns können verloren gehen, wenn man nicht das richtige psychologische Environment hat, um es zu entwickeln.» [267]
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IM ALTER LERNEN RATTEN NOCH NEUE TRICKS
Die Annahme, daß das Gehirn in jungen Jahren nach einiger Zeit seine Formbarkeit verliert und danach quasi <starr> wird, ist weit verbreitet gewesen. Selbst Rosenzweig und seine Kollegen gingen am Anfang ihrer Experimente davon aus. So erklärte Rosenzweig: «Wir machten unsere ersten Studien mit Tieren, die in der Entwöhnungsphase in unterschiedliche Umgebungen kamen ... weil wir annahmen, daß das Gehirn in dieser Entwicklungsphase formbarer wäre als bei alten Ratten.» [281] Und Marian Diamond meint: «In den sechziger Jahren und natürlich davor gab es die allgemeine Auffassung, daß sich das Gehirn nicht verändern würde und eine stabile Struktur hätte und nachdem es sich entwickelt hatte, seine Größe beibehielte und allenfalls schrumpfen würde.» Sie begannen sich jedoch bald zu fragen, ob es nicht möglich sei, daß eine reizstärkere Umgebung nicht auch ausgewachsenen Ratten zugute kommen könnte. Also fingen sie mit der Untersuchung an. In einem Experiment wurden die Ratten in einer normalen Umgebung ohne verstärkende Reize gehalten, bis sie das Alter erreicht hatten, das dem eines 75-jährigen Menschen entspricht. Frau Diamond beschreibt: «Eine Ratte kann ihrem Potential nach ungefähr 1000 Tage leben, während das Potential des Menschen bei ungefähr 100 Jahren liegt. Wir brachten also einige Ratten nach 766 und mehr Tagen in reizstärkere Umgebungen, was mindestens Dreiviertel des Lebens dieser Tiere ausmacht... Als wir die Tiere vom 766. bis zum 904. Tag ihres Lebens einer reizstärkeren Umgebung aussetzten, stellten wir fest, daß selbst bei diesen sehr alten Ratten der Gehirnkortex dicker wurde.» [225] Und Rosenzweig erklärte: «Die Fähigkeit, die neurale Form zu verändern, war offensichtlich nicht nur in den frühen Phasen, sondern während des größten Teils des Lebens vorhanden, wenn nicht sogar während des ganzen.» Während einige Untersuchungen zu Tage gebracht haben, daß das Wachstum im Kortex mit fortschreitendem Alter etwas geringer ist und es auch einer reizstärkeren Umgebung bedarf, um es zu fördern, weist alles darauf hin, daß es selbst im hohen Alter noch eintreten kann. Das ist schon enorm. Rosenzweig drückt sich etwas nüchterner aus: «Durch die Entdeckungen über die Formbarkeit des Gehirns in 40
ausgewachsenen Ratten waren die Annahmen vieler Psychologen und Neurowissenschaftler anfechtbar geworden, daß das Gehirn bereits im Frühstadium des Lebens Werte der Erwachsenen übernimmt.» [281] Tatsächlich stießen diese Entdeckungen bei den Wissenschaftlern auf großen Widerstand. Das war kein Wunder, denn sie widersprechen nicht nur wissenschaftlichen Dogmen, sondern scheinen sogar eine Herausforderung für den gesunden Menschenverstand zu sein - wir alle können sehen, wie Leute mit zunehmendem Alter immer mehr in ihren Gleisen verharren und sich etwaigen Veränderungen widersetzen, oder wieviel schwieriger es für einen Erwachsenen ist, sich neuen Denkweisen zu öffnen, als für ein Kind, dem es zum Beispiel kaum Schwierigkeiten bereitet, eine neue Sprache zu erlernen. PRESTO CHANGO: DAS GEHIRN ALS VERWANDLUNGSKÜNSTLER
Man muß sich vor Augen halten, daß diese Untersuchungen mit Tieren gemacht wurden, die weniger entwickelt sind als der Mensch. Es ist also möglich, daß sich die Schlüsse daraus nicht generell auf Menschen übertragen lassen, obwohl die Ergebnisse übereinstimmten, als man die Untersuchungen auch auf andere Tiere und später sogar auf Affen ausdehnte, deren Gehirn ganz ähnlich dem des Menschen ist. Gleichfalls bedeutend ist, daß es sich bei dem Teil des Gehirns, der durch eine reizstärkere Umgebung verändert wird, um den Kortex handelt, der nicht nur an absoluter Größe zunimmt, sondern auch proportional zum übrigen Gehirn wächst. Der Gedanke liegt also nahe, daß die relativen Auswirkungen einer Verstärkung der Umweltreize verglichen mit einer Verminderung derselben beim Menschen noch ausgeprägter wären als bei Ratten - schließlich spielt der Kortex im Leben eines Menschen eine größere Rolle als in dem einer Ratte. Wir wissen zwar nicht, welche Auswirkungen unterschiedliche Umgebungen wie die, die die Ratten an der Universität von Berkeley hatten, auf ihre , , <Weisheit>, usw. haben, aber da das menschliche Leben durch diese Früchte unserer , d. h. zum Kortex gehörenden Fähigkeiten in starkem Maße beeinflußt wird, könnte ein beträchtlich zunehmendes Wachstum des Kortex durchaus 41
eine enorme Wirkung auf das menschliche Bewußtsein und die kulturelle Evolution haben. Angenommen, eine Umgebung mit komplexen Reizeinflüssen und Herausforderungen könnte tatsächlich zu einem Wachstum des menschlichen Gehirns führen, so wäre dies nicht einfach zu überprüfen, denn wer würde sich schon damit einverstanden erklären, längere Zeit in einer kontrollierten Umwelt gefangen zu sein, ganz gleich wie sie auch sein mag. Rosenzweig und seine Kollegen haben durch ihre Untersuchungen jedoch bewiesen, daß es viel einfacher und schneller zu kortikalen Veränderungen kommen kann. Zunächst fanden sie heraus, daß das Rattengehirn genauso wuchs, wenn die Ratten nur zwei Stunden am Tag in einem Käfig mit komplexeren Reizeinflüssen gehalten wurden, wie wenn sie den ganzen Tag darin eingesperrt blieben. Argentinische Forscher schufen gar eine <Superumgebung mit Superreizeinflüssen) und fanden heraus, daß das Gehirn innerhalb von vier Tagen genauso wuchs wie in dreißig Tagen in der reizvollen Umgebung des Berkeley-Rattenrudels. Später beobachteten sie, daß bereits nach vier täglichen Aufenthalten von jeweils nur einer Stunde in einer solchen Superumgebung ein Wachstum des Kortex zu verzeichnen war. Sogar vier tägliche Aufenthalte von nur zehn Minuten in einer Superumgebung reichten aus, um signifikante Zunahmen im Kortexgewicht zu erreichen! [101] Andere Forscher stellten Veränderungen des Gehirns, wie zum Beispiel eine Vermehrung und Vergrößerung einiger Synapsen, schon nach 45 Minuten fest, in denen Ratten beigebracht wurde, beleuchtete Gänge zu benutzen, um Stromschläge zu vermeiden. [281] Selbst ganz kurze Aufenthalte in reizvollen Umgebungen können bedeutende und lang anhaltende Auswirkungen auf den Kortex haben. Darüber hinaus können diese Veränderungen des Gehirns extrem schnell zustande kommen - in manchen Fällen zeichnen sich durch sensorische Stimulation strukturelle Veränderungen im Gehirn innerhalb von Sekunden ab! Wenn Neuronen im Gehirn von Laborratten elektrisch stimuliert werden, so demonstrierten Wissenschaftler in einer anderen Versuchsreihe, dann bilden sich innerhalb von Sekunden nicht nur neue Synapsen, sondern es vergrößert sich auch ihre Zahl pro Neuron. Der Neurobiologe William Greenough von der Universität Illinois in 42
Champaign-Urbana ist nicht der einzige, der von diesen Experimenten fasziniert ist. «Es handelt sich hierbei um etwas ganz Außergewöhnliches, das bislang in der Gehirnwissenschaft ohnegleichen ist, was die strukturelle Formbarkeit betrifft», wie er sich ausdrückte. Er fragte sich, ob es zwischen erhöhter Gehirnkapazität, die sich durch das Heranwachsen neuer Synapsen ergibt, und dem Gedächtnis einen Zusammenhang geben könnte, und ob dieses unmittelbar eintretende Gehirnwachstum nicht nur durch elektrische Stimulation hervorgerufen werden könnte, sondern auch durch Lernprozesse und Erfahrungen. Zu diesem Zweck brachte er einem Rattenrudel im Laufe von dreieinhalb Wochen bei, den Weg durch eine Reihe von Labyrinthen zu finden, und untersuchte anschließend ihr Gehirn. Die kortikalen Dendriten hatten bei diesen Ratten im Vergleich zu anderen deutlich zugenommen. Als nächstes setzte er den Ratten kleine undurchsichtige Kontaktlinsen ein. Dann brachte er ihnen bei, einäugig durch die Labyrinthe zu laufen. Auf diese Weise konnte er das Wachstum der einen Gehirnseite mit dem der anderen vergleichen. In der Gehirnhälfte, die aus dem einen sehenden Auge sensorische Eindrücke empfing, fand er vermehrte dendritische Verästelungen und Synapsen. Die Gleichung lautete eindeutig: Je mehr Information, desto mehr Synapsen. Dasselbe schnelle Gehirnwachstum zeigte sich zudem in Experimenten mit jungen, erwachsenen und sogar mit ganz alten Ratten. Greenoughs Arbeit läßt vermuten, daß durch eine Erfahrung oder ein Erlebnis, die von einem Individuum gemacht werden, genau dort neue neuronale Verbindungen schnell und systematisch entstehen können, wo sie gebraucht werden: Man kann also von <Synapsen auf Nachfrage> sprechen. Greenough schloß daraus folgendes: «Durch regelmäßige Veränderungen in der Erfahrungswelt lassen sich Alterungsprozesse im Rattengehirn kompensieren und sogar rückgängig machen. Alte Ratten verlieren bekanntlich Synapsen und bei alten Menschen ist das nicht anders. Gehen sie verloren, weil sie weniger Verknüpfungen bilden? Es ist gut möglich, daß Erfahrungen die Zahl der entstehenden und überlebenden Synapsen bestimmt.» [135] Wenn diese signifikante strukturelle Veränderung das Resultat einer kurzen Stimulation im Kortex eines Rattengehirns ist, dann 43
sollte der viel größere und umfassender reagierende, stärkere Kortex des Menschen auf bestimmte Arten der ganz sicher in ähnlicher Weise mit signifikanten strukturellen Veränderungen im Kortex reagieren, d.h. mit einem Wachstum. Solche strukturellen Veränderungen könnten dazu führen, daß der Kortex in besserer Weise funktioniert, d. h. zu einem Anstieg der Intelligenz, Kreativität und all der anderen höheren Fähigkeiten, die dem Kortex inne wohnen. Wenn wir die Ergebnisse dieser Forschungen verwenden, um über das menschliche Gehirn und seinen Kortex mit seinen ungleich bedeutenderen Stärken nachzudenken, dann liegt der Schluß nahe, daß bei einem Menschen, dessen Gehirn herausgefordert und stimuliert wird, ebenfalls Veränderungen in der Form, Größe und Struktur des Kortex auftreten sollten. Diese Veränderungen können selbst dann eintreten, wenn man nur sehr kurz durch äußere Reize stimuliert wird. Das heißt, daß wahrscheinlich kurze Perioden intensiver Gehirnstimulation ausreichen, um Menschen jeden Alters dazu zu verhelfen, die Komplexität und Kapazität ihres Gehirns zu vergrößern. «Ich sehe schon den Tag kommen, an dem wir die Mittel haben und daher unweigerlich vor der Versuchung stehen werden, das Verhalten aller Leute durch von außen kommende, umweltbeeinflußte und biochemische Manipulation des Gehirns zu steuern», verkündete David Krech bereits vor fünfzehn Jahren. [65] Und wie könnte diese von außen kommende, umweltbeeinflußte Manipulation des Gehirns erfolgen? Eine Möglichkeit ist, daß man eine Reihe von Maschinen verwendet, die von Wissenschaftlern dazu entworfen wurden, den menschlichen Neokortex Reizen und Erfahrungen auszusetzen, die völlig neu, verändernd und herausfordernd sind, und dem Gehirn eine Möglichkeit geben, sich selbst zu ertüchtigen, und zwar mittels Selbstbeobachtung, Selbsttransformation und Lernen. Viele Wissenschaftler sind heute der Meinung, daß diese für den Geist entwickelten Maschinen für den erwachsenen Menschen das Gegenstück zu den Schwingtüren, Schiebevorrichtungen, Glocken, Leitern und Blitzlichtern sein können, die die Umwelt der Laborratten bereichern. 44
DIE WEISHEIT DES ALTERS UND DAS GEHEIMNIS LEBENSLANGEN WACHSTUMS
OPA ALS TESTPILOT
Als ich ein Junge war, benahmen sich alte Leute wie alte Leute - sie hatten ihre falschen Zähne in einem Glas Wasser neben ihrem Bett stehen, saßen auf der Veranda in Schaukelstühlen, und wenn sie spazierengingen, hatten sie einen schleppenden Gang, mit dem sie sich ganz langsam voranbewegten. Kein Wunder, denn ihre Körper waren einfach ausgelaugt, abgenützt wie Maschinen, die so lange arbeiteten, bis ihre Teile verschlissen waren. Was man damals nicht sah, war irgendein achtzig Jahre alter Kauz, der ein Marathonrennen läuft und das Ziel erreicht, oder eine Oma mit rosaroten Wangen, die am Ende eines Triathlon-Wettkampf´´ s noch einmal alles gibt. Natürlich haben sich die Zeiten gewandelt. Überall kann man heutzutage alte Herrschaften sehen, die kerngesund aussehen und täglich ihre fünfzehn Kilometer laufen. Die Ärzte sagen es - der Körper nutzt sich durch Beanspruchung nicht ab, noch verschlechtert sich dadurch sein Zustand, wohl aber verfällt er, wenn er nicht beansprucht wird. Jeder kennt das Sprichwort: Wer rastet, der rostet. Doch selbst in einer Zeit, in der immer mehr alte Leute die Entdeckung machen, daß sie sich durch hartes Üben nicht nur bei guter Gesundheit erhalten können, sondern auch körperlich besser in Form kommen, gehen Sportärzte und andere Mediziner immer noch davon aus, daß trotz intensivem körperlichen Training ein Fitnessabfall von etwa 10 Prozent pro Jahrzehnt unvermeidbar ist. Inzwischen gibt es eine Studie vom Mount Sinai Medical Center an der Universität von 45
Wisconsin, die zeigt, daß regelmäßiges intensives Training diesen Verfall aufhält. Unter der Führung von Dr. Michael Pollock testete man in den frühen siebziger Jahren die Sauerstoffaufnahmefähigkeit (VO2 Max) einer Gruppe von Langstreckenläufern. Zehn Jahre später wurden sie erneut untersucht (inzwischen Männer zwischen 50 und 80), um festzustellen, ob und um wieviel ihre Leistungsfähigkeit abgenommen hatte. Die Forscher waren überrascht, als sie herausfanden, daß die Läufer, die immer noch trainierten - und das war bei fast der Hälfte der Gruppe der Fall - in ihrer Sauerstoffaufnahmefähigkeit absolut nicht abgefallen waren! Unter denen, die etwas nachgelassen hatten, aber immer noch fleißig liefen, verzeichneten sie einen geringfügigen Abfall, aber sie lagen in ihrer Altersgruppe immer noch an der Spitze. Pollock, der sich über die physische Stärke der Männer wunderte, von denen viele über 70 und 80 Jahre alt waren, sagte über sie: «Wenn man ihr Gesicht vermummen würde, könnte man denken, es seien Zwanzigjährige.» So etwas hatte man zuvor nicht vermutet. Wie jene Testpiloten in dem Buch Die Helden der Nation von Tom Wolfe, die <über den Rand hinaus> zu gelangen versuchten, um die Grenzen ihrer Versuchsflugzeuge auszuloten, sind viele Menschen heute Testpiloten ihrer eigenen Körper. Es gibt immer mehr alte Leute, die beachtliche sportliche Leistungen zeigen. Die Obergrenzen der körperlichen Leistungsfähigkeit im hohen Alter sind nach wie vor unentdeckt.
MIT METHUSALEM GEGEN DIE ENTROPIE
Während wir in Bezug auf das Altern und die körperliche Fitness zu anderen Einstellungen gefunden haben, haben viele nicht erkannt, daß das Gehirn ein Teil des Körpers ist und ähnlich wie dieser dazu fähig, ein Leben lang fit zu bleiben. Wie in der Vergangenheit das Bild verbreitet war, daß alte Leute generell verwelkt, schwach und klapprig wären, so lebt die Annahme weiter, daß hohes Alter unweigerlich geistigen Verfall bedeutet - also Vergeßlichkeit, Senilität, Verwirrtheit und Langeweile. Diese Vorstellung basiert teilweise auf der seit langem bestehenden Meinung, daß Gehirnzellen im Gegensatz zu anderen Zellen im Kör46
per nicht die Fähigkeit haben, sich selbst zu regenerieren oder zu reproduzieren, und daß die x-Milliarden Gehirnzellen, mit denen wir zur Welt kommen, bis zum Lebensende halten müssen. Solche und ähnliche Vorstellungen führen unausweichlich zu dem Schluß: Nachdem wir das reife Alter erreicht haben, geht es mit uns langsam bergab, bis wir ganz senil sind, da sich unsere Gehirnzellen unbarmherzig verringern. Zum Glück ist diese trostlose Vision geistiger Entropie nicht wahr. Marian Diamond mißtraute dem weitverbreiteten Glauben an einen unvermeidbaren Zellenverlust. Sie wußte, daß das Gehirn von Ratten, die einer reizstarken Umgebung ausgesetzt wurden, selbst dann noch wachsen konnte, wenn die Tiere bereits sehr betagt waren. Verständlicherweise lag ihr also daran, die Wurzeln dieses Glaubens zu finden. Sie arbeitete alle Forschungsarbeiten durch, die mit diesem Thema in Zusammenhang standen, ohne eine einzige Studie zu finden, die diese Auffassung definitiv bewies. Marian Diamond schreibt: «In zahlreichen Untersuchungen, in denen sich Neuronenverluste zeigten, befanden sich die Tiere in Isolation - sie wurden einfach allein gelassen. Umweltfaktoren wurden nicht in Betracht gezogen. Nur in ein paar wenigen Untersuchungen konnte man einen solchen Verlust nicht nachweisen. Letzteres konnten wir durch unsere Untersuchungen bestätigen.» Dr. Diamond machte ihre eigenen Untersuchungen, um den Zellenverlust im Alter zu messen, und fand folgendes: «Es gibt zwar einen gewissen Zellenverlust, aber die größte Verringerung ereignet sich während der frühen Zeit des Lebens; die im folgenden eintretenden Verluste sind bis ins hohe Alter hinein unbedeutend.» [125] Und über ihre Untersuchungen der Alterserscheinungen bei Rattengehirnen sagt Frau Diamond: «In einer Umgebung ohne Reizeinflüsse verliert das Rattengehirn mit fortschreitendem Alter an Größe, aber nicht unbedingt auch Gehirnzellen. Lediglich die Dendriten verkümmern, so daß die Zellen kompakter werden. Dendriten können sich ausweiten, aber können ohne Stimulation auch einschrumpfen. Es ist ganz einfach: Man gebraucht sie oder man verliert sie . . . Der Hauptfaktor ist Stimulation. Die Nervenzellen sind dafür bestimmt, Reizeinflüsse zu empfangen.» Wenn man eine gleichmäßige Stimulation voraus setzt, spricht einiges dafür, «daß im Gehirn eines Säugers mit fort47
schreitendem Alter keine drastischen strukturellen Veränderungen vorkommen». [225] In anderen Studien, in denen das Gehirn im Zusammenhang mit dem Altern untersucht wurde, stellte man fest, daß zahlreiche Bereiche des Gehirns nicht den geringsten Zellenverlust zu verzeichnen haben und daß dort, wo Neuronen verloren gehen, zum Ausgleich Dendriten heranwachsen (die winzigen Fasern, die von anderen Nervenzellen Nachrichten auffangen). Forschungen mit Ratten haben ergeben, daß die Dendriten eines ganzen Zellensystems aufgrund ihres kontinuierlichen Wachstums nichts an Länge verlieren. [61] Andere Untersuchungen wie die der Neurologen Stephen Buell und Thomas McNeill von der Universität Rochester weisen darauf hin, daß es immer zwei Populationen von Neuronen gibt - eine, die abstirbt, und eine, in der Dendriten heranwachsen. «Wenn man älter wird, ohne geistesschwach zu werden», so sagen Buell und McNeill, «ist die letztere die dominante.» [338] Längere Dendriten bedeuten mehr Synapsen, mehr mögliche Verbindungs- und Knotenpunkte für eine reibungslose Kommunikation mit anderen Neuronen sowie größere Ausschöpfungsmöglichkeiten des geistigen Potentials, d. h. fruchtbarere und komplexere geistige Leistungen. Folglich wird jeder Neuronenverlust im Alter, vorausgesetzt man bleibt gesund, zunehmend durch mehr neurale Verbindungen kompensiert. Gerontologen am National Institute of Aging haben die chemischen Prozesse am Gehirn von Leuten zwischen zwanzig und dreiundachtzig untersucht und herausgefunden, «daß das intakt gebliebene Gehirn eines alten Menschen ebenso aktiv und effizient ist wie das eines jungen Menschen», wie direkte Messungen der metabolischen Gehirnaktivität ergaben. [125] Dieses Ergebnis entspricht der Schlußfolgerung, die Marian Diamond aus ihrer weitverzweigten Forschung auf diesem Gebiet gezogen hat: «Wir können unser Gehirn absolut jung erhalten, so jung wie mit acht oder zehn Jahren». [49] Die Tatsache, daß Gehirnzellen die Fähigkeit haben, ein ganzes Leben lang zu wachsen, hat wichtige Implikationen. Denn wie wir gesehen haben, spricht einiges dafür, daß dieses Gehirnwachstum in Bereichen wie dem Kortex direkt mit wachsender Intelligenz und Kreativität in Verbindung gebracht werden kann. Die Laboruntersuchungen, die zeigen, daß Gehirnzellen bis ins hohe Alter weiterwach48
sen, werden durch zahlreiche andere Studien untermauert, die besagen, daß der Intellekt ohne weiteres ununterbrochen wachsen kann, bis man achtzig oder neunzig Jahre alt ist. Was immer Intelligenz ist, jedenfalls sind sich viele Experten darüber einig, daß ein wesentlicher Aspekt in der geistigen Fähigkeit zu suchen ist, die man kristallisierte Intelligenz> nennt und von dem Psychologen Daniel Goleman so beschrieben wird: «Die persönliche Fähigkeit, angehäufte Allgemeininformationen so zu verwenden, daß man imstande ist, etwas zu beurteilen und Probleme zu lösen. Auf die Praxis bezogen haben wir es mit kristallisierter Intelligenz zum Beispiel dann zu tun, wenn man die Argumente eines Leitartiklers versteht oder mit Problemen konfrontiert ist, die nicht klar zu lösen sind, sondern nur bessere und schlechtere Optionen zulassen.» John Hörn, ein Psychologe an der Universität Denver, hat sich ausgiebig mit kristallisierter Intelligenz befaßt. Er kam zu dem Ergebnis, daß diese Art der Intelligenz mit fortschreitendem Alter nicht ab-, sondern ständig zunimmt (auch wenn die Zunahme im Alter etwas langsamer wird). Laut Hörn «verbessert sich bei vielen Leuten im Laufe ihres Lebens die Fähigkeit, sich viele unterschiedliche Facetten einer Information bewußt zu machen und in Betracht zu ziehen.» Eine verwandte Art von Intelligenz, die sich aus Informationen zusammensetzt, die wir das ganze Leben hindurch auflesen - zum Beispiel wie man einen platten Reifen flickt oder wer der Bürgermeister von New York ist -, hat den Namen < Allgemeinwissen^ Roy und Janet Lachman von der Universität Houston untersuchten dieses Allgemeinwissen an Leuten verschiedener Altersstufen. Sie fanden heraus, daß es bis zu den Siebzigjährigen ständig größer wurde, und, was noch wichtiger war, daß die Ältesten diese Informationen effizienter aufrufen konnten als Menschen mittleren Alters oder Zwanzigjährige. Der Gerontologe Warner Schaie hat herausgefunden, daß viele Gehirnfunktionen, von denen man lange Zeit angenommen hatte, daß sie mit dem Alter notwendigerweise nachlassen, durch Stimulation rasch wiederhergestellt werden können. So sagt Schaie: «<Wer rastet, der rostet> trifft nicht nur auf die Erhaltung der muskulären Flexibilität zu, sondern auch auf die Erhaltung eines hochgradig intellektuellen Leistungsvermögens .» Daniel Goleman kam zu dem Schluß, daß «geistige Regheit» mit zu 49
den Hauptfaktoren gehört: «Im Grunde kann man bei gebildeten Leuten, die ihre intellektuellen Interessen weiterverfolgen, die Tendenz erkennen, daß ihre verbale Intelligenz selbst im hohen Alter noch zunimmt.» Wichtig ist auch, «eine flexible Persönlichkeit» zu haben. Denn: «Eine quer durch alle Altersschichten laufende Studie ergab, daß diejenigen, die in mittleren Jahren am ehesten dazu imstande waren, Ambiguitäten zu tolerieren und neue Erfahrungen positiv anzunehmen, ihre geistige Regheit am besten bis ins hohe Alter bewahrten.» [125] Dies sind natürlich dieselben Faktoren, die nach den Erkenntnissen von Rosenzweig und seinen Kollegen zu einem Anstieg des Gehirnwachstums bei Ratten jeglichen Alters führten. «Geistig rege» und imstande sein, «Ambiguitäten zu tolerieren und neue Erfahrungen positiv anzunehmen» ist eine hübsche Beschreibung für das Leben von Ratten in einer Umgebung. Zwar ergibt sich daraus kein direkter Beweis, aber da immer mehr dafür spricht, daß das Gehirn und die Intelligenz des Menschen sein ganzes Leben lang unaufhörlich wachsen können, vorausgesetzt, er macht neue Erfahrungen, die ihn herausfordern, scheint es eine direkte Beziehung zu den Untersuchungen an Ratten, Eichhörnchen, Affen und anderen Säugetieren zu geben. Wenn wir unser ganzes Leben lang unentwegt bereit sind, neue Informationen in uns aufzunehmen, und nicht aufhören, Herausforderungen, Veränderungen und neue, unvorhersehbare Erfahrungen zu suchen, d.h. uns selbst eine Umwelt mit komplexen Reizen schaffen, dann wird auch unser Gehirn nicht aufhören, wie ein magischer Webstuhl immer reichere, subtilere und komplexere Stoffe zu wirken, Nervenverbindungen zu knüpfen. Eigentlich liefern Gehirnwissenschaftler Beweise für etwas, das in den Kulturen des Ostens und anderswo längst bekannt ist: Alter kann größere Weisheit mit sich bringen. Die Beweise von wissenschaftlicher Seite lassen gleichermaßen erkennen, daß für eine größere Weisheit nicht das Alter wichtig ist. Anhand dieser Untersuchungen wird für uns deutlich, daß die kreativen Menschen, deren Gehirne bis ins hohe Alter weiterwuchsen und die aufgrund ihrer Weiterentwicklung große Leistungen vollbrachten, z. B. Bertrand Russell, Picasso, Yeats, Shaw, Buckminster 50
Füller, Michelangelo, Toscanini, Stokowski usw. keine übermenschlichen Ausnahmen bildeten. Sie sind einfach repräsentativ für all diejenigen Menschen, die das Potential eines unaufhörlichen geistigen Wachstums zu nutzen wissen, das gewöhnlich jeder Mensch hat. Wie man den Biographien dieser Persönlichkeiten entnehmen kann, kam es nur darauf an, daß sie sich niemals aus dem Käfig einer in den einer <Standardumgebung> versetzen ließen. Viele alternde Menschen haben bis heute unter geistigen Verfallserscheinungen gelitten. Inzwischen wissen wir aber, daß dies kein natürlicher oder unvermeidbarer Teil des Alterns ist. Laut Psychiater Robert Butler und Gründungsdirektor des National Institute on Aging, ist «der Glaube, daß man ab einem bestimmten Alter senil wird, einfach falsch. Senilität ist ein Krankheitszeichen, kein Teil des normalen Alterungsprozesses.» Laut Dr. Jerry Avorn von der Harvard Medical School kann es passieren, «daß eine ältere Person, die wegen einer gebrochenen Hüfte oder eines Herzanfalls ins Krankenhaus kommt, dort infolge der Nebenwirkungen von Medikamenten oder einfach durch die befremdende Krankenhausroutine wirr im Kopf wird. Zwar läßt sich dieser Zustand wieder beheben, aber meistens wissen die Familienangehörigen oder Ärzte nichts davon. Sie nehmen daher an, daß es der Anfang von Senilität und Geistesschwäche ist, und verpflanzen die Person in ein Pflegeheim... Niemand weiß, wie viele Menschen es gibt, die eigentlich gar nicht in Pflegeheimen sein müßten . .., aber es gibt eine Fülle klinischer Untersuchungen, die Schlimmes ahnen lassen.» [125] Leute, die ihr ganzes Leben lang aktiv gewesen sind, kommen plötzlich ins Rentenalter, werden von ihrer Arbeit und ihren Kollegen abgeschnitten. Oft werden auch ihre sozialen Kontakte reduziert. Eine ähnliche Auswirkung hat auch häufig, wenn einer der Eheleute stirbt; der andere kann dann leicht in Isolation und Einsamkeit geraten. All diese Fälle - Pflegeheime, Hospitäler, Ruhestand, der Tod eines Ehepartners - sind Beispiele für < reizarme Umweltbedingungen). Es ist also kein Wunder, daß Menschen, die unter ähnlich reizarmen äußeren Bedingungen aufwachsen, ebenfalls Gehirnzellen verlieren oder geistig abstumpfen. Wissenschaftler haben entdeckt, daß Ratten, die isoliert und geistig 51
reglos waren, sehr schnell ihren Zustand ändern. Eine Untersuchung zeigte, daß Ratten, die 535 Tage lang (also etwa das halbe Leben einer Ratte) isoliert waren, fast sofort auf eine reizstarke Umgebung ansprachen und daß ihr Gehirn in dem Maße zunahm, wie man es von solchen kannte, deren Sinne tagein, tagaus stimuliert worden waren. Damit wurde eindeutig demonstriert, daß selbst ein durch Isolation gehemmtes Gehirn die Fähigkeit zu einer raschen und merklichen Weiterentwicklung beibehält und daß selbst eine ernste geistige Trägheit, die aufgrund von Umweltbedingungen zustandegekommen ist, reversibel ist. Ebenso haben Studien gezeigt, daß Menschen, deren Reaktionszeit, Gedächtnis und räumliche Orientierung sich mit dem Alter verschlechtert hatten, in Tests bedeutend besser abschnitten, wenn ihre Umgebungsverhältnisse komplexer gemacht wurden und sie auch wieder lernen mußten.
WORUM ES IN DIESEM KAPITEL WIRKLICH GEHT
Während das Altern im Mittelpunkt dieses Kapitels stand, ging es vom Thema her nicht um alte Leute, sondern eigentlich um die Bedeutung dessen, was passiert, wenn das Gehirn Reizen, Herausforderungen, Veränderungen, uneindeutigen und neuartigen Situationen ausgesetzt ist. Es gibt alle Anzeichen dafür, daß jeder von uns zu mehr Intelligenz fähig ist, gleich ob wir nun zwanzig oder vierzig oder achtzig Jahre alt sind. Tatsächlich spricht alles dafür, daß wir um so lernfähiger sind, je mehr wir lernen. Je mehr man sich im Gedächtnis merkt, desto stärker wird das Gedächtnis, und wenn die Stimulation nur unzureichend ist, wird dieses Wachstum nicht eintreten. Im Gegenteil, unser Geist und unser Gehirn werden nachlassen. Als die Forscher an der Universität Berkeley anfingen, die Beziehung zwischen sensorischer Stimulation (oder Lernen) und dem physiologischen Wachstum des Gehirns zu untersuchen, setzten sie ihre Ratten in drei unterschiedlichen Umgebungen aus. Spätere Forschungen mit einer Art «Super-Environment» ergaben sogar ein noch größeres Gehirnwachstum. Es erhob sich bald die Frage: Um wieviel kann der Kortex einer Ratte wachsen, und wo sind die Grenzen dieses 52
Wachstums? Einige Forscher, die ein semi-natürliches Environment im Freien eingerichtet hatten, fanden heraus, daß das Gehirn der dort aufgewachsenen Versuchsratten sogar noch mehr wuchs als das der Ratten in einer Super-Umwelt. Jüngere Untersuchungen mit Eichhörnchen in einer freien oder ganz natürlichen Umwelt lassen erkennen, daß die im Freien lebenden Eichhörnchen in vielem höhere Meßwerte hatten - beispielsweise bei der Gehirn-RNS pro Einheit Gehirngewicht - als ihre Artgenossen in einer lediglich reizstarken Laborwelt. Wo wird das enden? Man kann sich durchaus eine Art <Super-Über-Welt> ausmalen, die ein noch größeres Gehirnwachstum hervorruft. Schritt um Schritt lernen die Wissenschaftler heute, wie man das Gehirn verbessert. Für den Menschen implizieren diese Forschungsergebnisse zweifellos einiges, was recht bedeutsam ist. Samuel A. Kirk, Professor an der Universität von Arizona, behauptet beispielsweise, daß, ausgehend von einer bestimmten Gehirnmasse bei der Geburt, die Intelligenz einer Person infolge unterschiedlicher Umwelten um bis zu vierzig IQ-Punkte variieren kann. Zuletzt haben einige Untersuchungen gezeigt, daß Erwachsene mit einem niedrigen IQ, die also seit Geburt sind, durchaus darüber und durchschnittlich oder überdurchschnittlich intelligent werden können, wenn sie in Schule, Beruf und im Leben genügend Herausforderungen erfahren. [262] Wie die achtzigjährigen Marathonläufer unsere Vorstellungen sprengen, die wir uns von den Grenzen des menschlichen Körpers gemacht haben, so werden wir von den Menschen, deren Geist bis ins hohe Alter wächst, daran erinnert, daß wir - und die Wissenschaftler die Grenzen des Wachstums immer noch nicht kennen, zu dem das menschliche Gehirn fähig ist. Ähnlich dem Super-Environment der Ratten, deren Gehirn darin innerhalb von vier Stunden um so viel wuchs wie das der Ratten in einer reizstarken Umgebung innerhalb eines Monats, muß es auch eine Umgebung geben, die für den Menschen adäquat ist. Könnten etwa Apparate zur Stimulation des menschlichen Geistes diese Art Wachstumseffekt haben? Könnten sie unsere Neuronen kräftigen und fördern und ein schnelles Wachstum des Gehirns auslösen? Es ist interessant, daß man bei dem Versuch, alte Leute von unter53
schiedlichen Arten des Gehirnverfalls zu retten, verschiedene Maschinen einsetzt. Man fand heraus, daß alternde Menschen mit Video- und Computerspielen ihre geistige Kapazität verbessern können. Andere Apparate, von denen ich einige beschreiben werde, sind dazu verwendet worden, das Gehirn von Menschen zu stimulieren, die viele neurologische Probleme hatten, darunter das Down-Syndrom (Mongolismus), geistige Retardation und Lernversagen. Die Versuchspersonen zeigten ganz erstaunliche Reaktionen wie zum Beispiel Rückgewinnung geistiger Fähigkeiten oder deutliche Verbesserungen in den Gehirnwerten. In diesem Buch will ich solche <Mind machines> nicht als therapeutische Mittel untersuchen, mit denen sich kranke Gehirne gesund machen oder zurückgebliebene auf ein normales Maß bringen lassen, sondern eher als Instrumente zur Stimulation intakter Gehirne, um ein größeres Wachstum des Gehirns und mehr Fähigkeiten als gewöhnlich anzuregen. Wo liegen die Grenzen des Gehirnwachstums? Bislang weiß das niemand. Mit ganz ehrfürchtigen Worten drückte sich George Leonard angesichts des unglaublich großen Interaktionspotentials der Neuronen aus: «Ein Gehirn, das solche Neuronen hat, kann offensichtlich nie werden. Vielleicht kann es um so mehr wissen und kreieren, je mehr es weiß, und vielleicht können wir jetzt in der Tat eine unglaubliche Hypothese aufstellen: Möglicherweise ist die höchste kreative Kapazität des Gehirns praktisch unendlich.» [195] 54
EVOLUTION VERSUS ENTROPIE
EINER EILT SPLITTERNACKT DURCH DIE STRASSEN: DAS HEUREKA-EREIGNIS
Zu den stärksten Geschichten über geistige Transformation zählt in unserem Kulturkreis zweifelsohne die von Saul auf dem Weg von Tarsus nach Damaskus. Saul hatte sich einen Namen gemacht, weil er mit dem Eifer eines von Leidenschaft getriebenen Staatsanwaltes die verhaßten Nazarener verfolgte, deren Zahl in den Jahren nach Jesus' Tod schnell zunahm. Er war von der Idee, diese Sekte auszulöschen, so besessen, daß er sich an seinen Vorgesetzten, den Hohepriester, wandte und ihn bat, seinen Amtsbezirk Palästina verlassen zu dürfen. Er wollte nach Damaskus, um die Sekte aufzuspüren und Männer wie Frauen gefesselt nach Jerusalem zu bringen und hinrichten zu lassen. Aber unterwegs nach Damaskus passiert etwas Unerwartetes: Plötzlich wird er von einem so grellen Lichtstrahl getroffen, daß er geblendet vom Pferd fällt. Dann hört er die Stimme Gottes. Daraufhin bringen ihn seine Begleiter nach Damaskus. Drei Tage lang bleibt er blind und völlig lethargisch. Er ißt und trinkt in diesen Tagen nichts. Da besucht ihn ein Nazarener, einer dieser Sektenbrüder, die er mit solcher Entschlossenheit verfolgt hat. «Bruder Saul» nennt er ihn und behauptet obendrein, ein Gesandter Gottes zu sein. Just in diesem Moment kann Saul wieder sehen und nun weiß er genau, was er tun muß: Er wird Nazarener und macht genau das, was ihn die Nazarener hat verfolgen lassen: Er geht in die Synagogen und predigt die neue Religion. Er läßt seinen Namen von Saul in Paul ändern und wird einer 55
der einflußreichsten und charismatischsten Apostel der Frühzeit des Christentums. Ich erzähle diese Geschichte hier noch einmal, weil sie beispielhaft für den geistigen Prozeß ist, den wir alle kennen, wenn auch weniger dramatisch und mitreißend. Darin verdeutlicht sich jener Moment, in dem sich ein quälendes Problem plötzlich von selbst löst, wenn die Teile eines Puzzles, die wir im Kopf hin und her schieben, ohne den Zusammenhang zu finden, plötzlich zusammenpassen. Man spricht hier vom Heureka-Erlebnis entsprechend der Geschichte des Archimedes, des griechischen Denkers, der herauszufinden versuchte, wie er die Goldmenge in einer wertvollen Krone bestimmen könnte, ohne sie einzuschmelzen. Er hatte über das Problem ausgiebig nachgedacht, aber keine Lösung gefunden. Eines Nachmittags, als er ein Bad nahm, fiel ihm auf, wie das Wasser im Zuber durch seinen Körper verdrängt wurde. Plötzlich sah er die Lösung für sein Problem: Er mußte nur messen, wie viel Wasser die Krone verdrängte. Der Groschen war gefallen und splitternackt rannte er auf die Straße hinaus, immerzu «Heureka!» («Ich hab's gefunden!») rufend. Wie wir diese Erfahrung auch nennen - Aha-Erlebnis, Geistesblitz, Kreativität etc. -, unser innerstes Gefühl sagt uns, daß unser Gehirn sich selbst neu strukturiert hat. In diesen Momenten verändert sich das Muster der elektrischen Wellen, die durch unser Gehirn schwingen, wie auch der Typ der elektrischen Wellen, der vom Gehirn erzeugt wird. Individuelle Neuronen im zerebralen Kortex verändern wiederum die Zahl und Form ihrer Dendriten, dendritischen Fortsätze und Synapsen, so daß sich das Netzwerk anderer Neuronen verändert, mit denen sie verknüpft sind. Neue Muster elektrochemisch übermittelter Nachrichten bilden sich, und damit neue Geisteszustände: Es kommt zu ganz neuen Sichtweisen der Wirklichkeit. VON DEN VORTEILEN, RATTEN AUF GLÄNZENDE IDEEN ZU BRINGEN
Diese Geistesblitze, die von Einsichten wie <Mit einem viereckigen Pfropfen kann man kein Loch stopfen> bis zu Einsteins Formel E = mc2 reichen und der Leistung nach sozusagen von der schwachen Glüh56
birne bis zum hochintensiven Blitz, sind Ergebnisse des Prozesses, den wir Lernen nennen. Um noch einmal auf die Berkeley-Ratten zurückzukommen: Rosenzweig und seine Mitarbeiter machten sich zuerst an die Untersuchung, welche Beziehung zwischen Lernen und chemischen Gehirnprozessen bestand. Sie fragten sich, was wäre, wenn man bei einem Rattenrudel eine ganze Reihe von Heureka-Erlebnissen bzw. Geistesblitzen auslöse, während ein anderes Rudel so gut wie keine bekam? Welchen Unterschied gäbe es in den chemischen Gehirnprozessen? Wie wir bereits gesehen haben, waren die Unterschiede ziemlich groß. Die chemischen Gehirnprozesse der Heureka-Ratten (d. h. der Ratten in einer reizstarken Umgebung) waren der Tätigkeit der mit dem Lernen verbundenen Gehirnenzyme nach auf einem höheren Niveau. Außerdem war das Gehirn der Heureka-Ratten größer und schwerer geworden und hatte einen qualitativ komplexeren zerebralen Kortex bekommen. Wenn wir also davon sprechen, daß in dem Moment, wo wir eine Einsicht haben, in unserem Gehirn
solche Reize in manchen Fällen zu Gehirnzuständen führen, die ein höheres Niveau an Ordnung, Schönheit, Komplexität schaffen, in anderen Fällen aber Chaos und Zerstörung? Warum braucht das Gehirn überhaupt einen äußeren Reiz als Ansporn oder Auslöser für neue Verbindungen, neue Ideen, Heureka-Momente? Dies sind wichtige Fragen und in diesem Kontext sogar doppelt wichtig, denn können wir sie beantworten, haben wir vielleicht eine Entdeckung von großer Tragweite gemacht, nämlich wie man absichtlich bestimmte Reize zu bestimmten Gehirnbereichen lenken und nach Belieben neue Ideen oder Heureka-Momente auslösen kann. Tatsächlich behaupten Benutzer und Entwickler von manchen Maschinen, die wir noch näher betrachten werden, daß sie genau dies bewirken. Was für eine Idee! Ist das wirklich möglich?
WARUM DAS UNIVERSUM DEM ENDE ZUGEHT
Eine Antwort auf all diese Fragen findet man in den Theorien eines außergewöhnlichen Wissenschaftlers, Ilya Prigogine, ein in Belgien lebender russischer Chemiker. Prigogine hat sich in den letzten fünfzig Jahren dem Studium der Thermodynamik gewidmet. Diese Wissenschaft von der Beziehung zwischen mechanischer Energie (oder Arbeit) und Wärme, entwickelte sich während der industriellen Revolution Ende des 18. und zu Beginn des 19. Jahrhunderts, als Ingenieure und Physiker sich mit thermisch arbeitenden Maschinen beschäftigten. Als Wissenschaftler über die Prinzipien der Dampfmaschinen nachdachten, die in den Fabriken der aufkommenden Industrie einen Teil der Arbeit verrichteten, entdeckte man eine interessante Beziehung zwischen Wärme und Arbeit. Zuerst bemerkte man, daß Arbeit und Wärme ineinander umgesetzt werden können. Wenn beispielsweise jemand an einem Stück Metall arbeitete, indem er mit einer Feile daran rieb, so entstand dadurch Wärme; gab man Wärme an das Wasser im Erhitzer einer Dampfmaschine ab, so kam dadurch der Kolben in Bewegung und produzierte Arbeit. Dann entdeckten Wissenschaftler, daß diese vertauschbare Beziehung nicht nur zwischen Wärme und Arbeit bestand, sondern daß auch jede chemische, mechanische und elektrische Energie umsetzbar ist. 58
Dieser Entdeckung folgte gleich eine weitere mit nicht minder wichtigen Implikationen. Zwar kann eine Maschine Energie in Arbeit umwandeln, aber keine Maschine kann genausoviel Arbeit produzieren wie der Energie entsprechen würde, die sie verbraucht. So wird zum Beispiel die Wärme in einer Dampfmaschine in mechanische Arbeit umgewandelt, indem ein Kolben in Bewegung gesetzt wird; aber die Maschine kann noch so gut entwickelt und gebaut sein, immer wird eine bestimmte Menge an Energie verlorengehen. Nicht nur dieser Energieverlust ist unvermeidbar, es kommt noch hinzu, daß die Maschine oder das System bei dem Prozeß der Umwandlung von Energie in Arbeit notwendigerweise selbst immer mehr Energie verbraucht. Bei der Dampfmaschine verschleißen sich unvermeidlich die Metallteile; vormals kleine Toleranzen werden größer, aus Reibung wird Klopfen, wodurch noch mehr Energie verloren geht und die Maschine sich immer schneller abnützt. Es gibt kein Perpetuum mobile. Diese Feststellung ist so unerschütterlich wie das zweite thermodynamische Gesetz: Bei jeder Energieumwandlung nimmt die Menge an Energie ab, die zur Leistung nützlicher Arbeit verfügbar ist. Da die Wissenschaftler nachgewiesen haben, daß dieses Gesetz, das hinter dem Energieaustausch in einer Maschine steckt, auf die gesamte Materie und Energie im Universum ausgedehnt werden kann, besagt das zweite thermodynamische Gesetz: Das Universum bewegt sich unwiderruflich auf eine immer größere Unordnung zu. Die meisten von uns haben eine recht laienhafte Vorstellung von dieser Idee, die als das Gesetz der zunehmenden Entropie bekannt ist: Das Universum verschleißt sich demnach genauso wie eine riesige Industriemaschine. Entropie läßt sich in gewisser Weise als das Maß für den Umfang an Zufälligkeit in einem System definieren. Je weniger Entropie in einem System ist, desto weniger Zufälligkeit gibt es - oder anders ausgedrückt: Je mehr Ordnung, desto weniger Entropie. Eine neue Maschine mit geringen Toleranzen hat ein Maximum an innerer Ordnung. Aber sobald der Verschleiß beginnt, zerfällt diese innere Ordnung immer mehr - Unordnung oder Zufälligkeit entsteht. Auf molekularer Ebene gesprochen (denn die Maschine besteht ja aus Molekülen), heißt das, daß Wärme eine verstärkte Molekularbewegung verursacht. Die in Bewegung befindlichen Moleküle kollidie59
ren miteinander und werden aus ihrer normalen Bahn geworfen, so daß daraus im wesentlichen Zufallsrouten werden. Bei anhaltenden Kollisionen zwischen den Molekülen erhöht sich die Zufälligkeit, mit der sie sich bewegen, bis letztendlich alle Moleküle vollkommen zufällig bewegt werden. Totale Zufälligkeit ist Chaos. Was einst ein System organisierter Strukturen war, hat sich ganz in Nebel aufgelöst, einen trägen, formlosen Nebel. Das bedeutet, daß das System einen Zustand maximaler Entropie erreicht hat, den Gleichgewichtszustand. Allgemein gesagt, ist dieser Gleichgewichtszustand - oder <Wärmetod>, wie es häufiger heißt - wie eine lauwarme Suppe aus zufälligen molekularen und atomaren Teilchen. Wenn aus Ordnung und Struktur Unordnung und Chaos entstehen müssen und wenn das Universum die Tendenz hat, einen Zustand immer größerer Zufälligkeit anzusteuern, wie hat sich dann Leben entwickeln können? Der Evolutionsprozeß ist eine Entwicklung immer größer werdender Ordnung und Komplexität - aus Atomen werden Moleküle, aus denen Aminosäuren werden, die zu Proteinen werden, aus denen Zellen entstehen, die zu komplexen Organismen heranwachsen, die ihrerseits nun infolge der Herausforderungen durch die Umwelt immer komplexer werden, wachsen, sich organisieren und weiterentwickeln. Das Leben, so scheint es, bewegt sich auf einen Zustand immer größerer Ordnung hin, während das zweite thermodynamische Gesetz doch besagt, daß die Entropie und der Verfall hin zu einer ohne eine Spur von Leben immer mehr zunimmt. Ist das paradox? Ein Widerspruch? Eine geistige Täuschung? Also, was passiert wirklich?
DER POET DER THERMODYNAMIK
Wissenschaftler und Philosophen haben jahrhundertelang über dieses Rätsel gestritten, aber einer war so ratlos wie der andere, bis Ilya Prigogine mit einem erstaunlichen Schluß aufwartete, der durch unwiderlegbare mathematische Beweise unterstützt wurde. Ordnung, so sagte er, entsteht wegen, nicht trotz Unordnung; Leben geht aus Entropie hervor und steht nicht im Gegensatz zu ihr. Prigogine, der sich sein ganzes Leben lang bemühte, zu verstehen, 60
wie aus Chaos Ordnung entstehen konnte, hatte bereits als Student erkannt, daß das zweite thermodynamische Gesetz nur auf geschlossene Systeme anwendbar war, Systeme also, die total eigenständig sind, ohne daß zwischen dem System und seiner Umgebung Materie oder Energie fließt. Ein solches System könnte eine Art Behälter sein, der so dicht verschlossen und isoliert ist, daß nichts - keine Luft, kein Licht, kein Magnetismus, kein Geräusch, kein subatomares Teilchen - eindringen oder einwirken könnte. In diesem Sinne ist ein echtes geschlossenes System also eine Idealvorstellung und eigentlich nicht vorhanden. Allerdings gibt es Systeme, die praktisch geschlossen sind, also Systeme, in denen die Bestandteile annähernd einen Gleichgewichtszustand erreicht haben, wie z.B. ein Stein, eine Tasse mit erkaltetem Kaffee, ein Kristall oder eine Dampfmaschine, die sich nicht bewegt. In diesen Systemen bleibt der Energieaustausch zwischen dem System und der Umgebung im Grunde genommen konstant; der Austausch von Wärme und Arbeit ist unveränderlich; nichts Neues oder Unerwartetes dringt in das System ein noch aus ihm heraus. Das zweite thermodynamische Gesetz, so behauptete Prigogine, könnte auf solche geschlossenen Systeme angewendet werden. Prigogine machte jedoch deutlich, daß lebende Systeme immer offene Systeme sind, die durch Materie und Energie mit der äußeren Umgebung stets im Austausch sind (das als menschliches Wesen bekannte offene System zum Beispiel nimmt immer Energie und Stoffe aus der äußeren Umwelt in Form von Nahrung, Licht, Sauerstoff, Informationen, etc. auf; und es gibt stets Stoffe und Energie an die Umwelt in Form von Kohlendioxyd, Müll, Wärme, Kunst und in anderen Ausscheidungsformen ab). Diese offenen Systeme waren von den thermodynamischen Gesetzen eigentlich ignoriert worden. Das war kein Wunder, denn während sich die thermodynamischen Gesetze auf eine Dampfmaschine, einen Stein oder jedes andere gleichgewichtsnahe System bequem anwenden lassen, erweisen sie sich, auf lebende Systeme angewandt, als so gut wie nutzlos, da letztere vom Gleichgewichtszustand weit entfernt sind. Ein lebendes System paßt sich laufend allen möglichen unvorhersagbaren äußeren Kräften und Veränderungen an; es ist extrem instabil, hat völlig unerwartete Wachstumsweisen, reproduziert und repariert sich selbst, wenn es 61
nicht in Ordnung ist, und lernt völlig neue Verhaltensweisen, wenn ein Teil des Systems verloren geht oder verändert wird. Die klassische Thermodynamik war also im großen und ganzen auf geschlossene oder gleichgewichtsnahe Systeme begrenzt. Für sie war das Universum mit all seinen Elementen und Bestandteilen etwas Mechanisches wie ein System mit einer zusammenhängenden Struktur, ein Automat aus unverändert bleibenden Substanzen wie Atome und Moleküle, die nach dem Kausalitätsprinzip aufeinander einwirkten. Die Zufälligkeit und Instabilität nicht im Gleichgewicht befindlicher Systeme war in den Augen dieser Wissenschaftler etwas Negatives, ja sogar ein leichter Störfaktor - eine Art Verfallserscheinung oder ein Fehler, der in der ansonsten ordentlichen Struktur der Wirklichkeit eben vorkam. Prigogine fühlte sich jedoch zu den Systemen hingezogen, die keinen Gleichgewichtszustand hatten. Für ihn waren sie nicht etwas Negatives, sondern eher kreativ und vibrierend vor Energie und, wenn auch instabil, ungemein ergiebig und fruchtbar: der Ursprungsquell jeder Ordnung, Organisation, Evolution, des Lebens an sich. Durch das Studium der Dynamik von Umweltsystemen erhoffte er sich, das uralte Rätsel vielleicht lösen zu können, wie aus Chaos Ordnung entsteht und wie sich aus lebloser Materie Leben entwickelt. Er konzentrierte seine Untersuchungen auf eine Reihe von physikalischen und chemischen Systemen, die spontan geordnete Strukturen entwickelten, so wie bestimmte Kombinationen, die bei Erwärmung anfangen, sich selbst zu organisieren und Strukturen von außergewöhnlicher Komplexität und Schönheit zu bilden, wobei bisweilen Muster entstehen, die lebenden Zellen gleichen. Prigogine dachte, daß solche sich selbst organisierenden Systeme ein Bindeglied zwischen nichtlebenden und lebenden Systemen darstellen könnten. Ein chemischer Prozeß faszinierte Prigogine ganz besonders. Der als Belousov-Zhabotinsky-Reaktion bekannte Prozeß startet, wenn vier Chemikalien in einer flachen Schüssel bei einer bestimmten Temperatur vermischt werden. Die Mixtur beginnt sich sehr rasch selbst zu organisieren und die Struktur konzentrischer und spiralförmiger Wellen anzunehmen, die sich gleichmäßig ausbreiten und pulsieren und sich in genauen zeitlichen Abständen farblich verändern. Es ist ein durch und durch chemischer Prozeß und dennoch ist es ganz so wie bei 62
belebter Materie: Er bleibt stabil und es werden durch Selbsterneuerung und Selbstumwandlung immer mehr abgestoßen. Es handelte sich hier eindeutig um einen Fall, in dem die innere Ordnung zunahm, ohne daß das System dazu von außen beeinflußt wurde. Oberflächlich gesehen schien es als ein System mit abnehmender Entropie im Widerspruch zum zweiten thermodynamischen Gesetz zu stehen. Prigogine aber stellte folgendes fest: Während die Reaktion an sich den Zustand der Entropie verringerte, so doch nur dadurch, daß sie die Entropie in die Umwelt <exportierte>. Prigogine erhielt den experimentellen Beweis, den er brauchte, um seiner Theorie Substanz zu verleihen, daß Ordnung nicht entgegen, sondern gerade aus Entropie erwächst, durch Untersuchungen der Belousov-Zhabotinsky-Reaktion und seine mathematische Analyse des Prozesses. Er nannte den Prozeß, nach dem geordnete Strukturen ein unvermeidliches Produkt von gleichgewichtsfernen Zuständen sind, das Erreichen von Die daraus hervorgehenden Strukturen nannte er dissipative Strukturen. Für diese erstaunliche Theorie dissipativer Strukturen bekam Prigogine den Nobelpreis. Es liegt in der Natur dissipativer Strukturen, daß sie offene Systeme in ungleichgewichtigen Umgebungen sind - das heißt, sie nehmen aus der Umgebung beständig Energie und Materie auf. Nun muß aber dieser Energieaustausch entsprechend des zweiten thermodynamischen Gesetzes zu einem Zustand der Entropie führen: Der Energiefluß in die dissipative Struktur sollte ein immer größeres molekulares Chaos verursachen und somit eine immer größere Zufälligkeit schaffen. In einem geschlossenen System würde ein solcher kontinuierlicher Energiefluß eine Entropie erzeugen. Jedoch sind dissipative Strukturen selbst organisierend und behalten ihre Struktur bei, indem sie laufend Entropie in die Umgebung . Durch Aufrechterhaltung ihrer Ordnung bewirken solche Strukturen eine Verringerung der Entropie innerhalb des Systems. Zusammen gesehen, vergrößert sich die Entropie des ganzen Systems (die dissipative Struktur und ihre Umgebung), also genauso, wie es das zweite thermodynamische Gesetz besagt.
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REVOLUTION, SPORTWAGEN, CHAOS UND SELBSTORGANISATION
Die Theorie dissipativer Strukturen ging zwar aus der Untersuchung chemischer Reaktionen hervor, aber als Prigogine seine Ideen weiter entwickelte, wurde rasch klar, daß diese Theorie für alle offenen Systeme relevant ist, in denen eine Struktur im Energieaustausch mit ihrer Umgebung steht - sei es nun ein Same, eine Gesellschaft, eine Stadt, ein lebender Körper, ein Ökosystem, oder ein Straßennetz. All diese Systeme nehmen von außen Energie auf, die dazu verwendet wird, die Struktur des Systems beizubehalten, und die entstehende Entropie wird an die Umgebung abgegeben. Prigogine bemerkt dazu, daß dieser Prozeß eine Art Metabolismus darstellt (ein Begriff, der sich aus den griechischen Wörtern meta, was so viel wie «über etwas hinaus» bedeutet, und ballein, dem «Werfen», zusammensetzt). Normalerweise ist der Gebrauch des Begriffs <Metabolismus> auf die Zoologie und Biologie beschränkt und als solcher auf die Summe aller Prozesse bezogen, die am Aufbau, an der Erhaltung und Zerstörung von Protoplasma beteiligt sind. Das bedeutet, daß Metabolismus der Prozeß des Lebens schlechthin ist. Prigogines Entdeckung, daß Systeme wie Straßennetze, Städte oder Gesellschaften ihren eigenen Metabolismus haben, macht sie in vielfacher Hinsicht fast zu etwas Lebendigem, mit dem Vermögen zu wachsen, sich weiterzuentwickeln und das zu entfalten, wofür es nur ein Wort gibt: Intelligenz. Das Faszinierende an Prigogines Erkenntnis ist, daß sie neue Wege aufzeigt, um die Dynamik solcher Systeme zu verstehen. Laut Prigogine können dissipative Strukturen ihren Aufbau nur durch einen kontinuierlichen dynamischen Energiezufluß von außen beibehalten. Man denke beispielsweise an einen Windsack, den der Wind, der hindurchbläst, aufbläht - man kann seine Struktur nicht vorhersagen, sie ist instabil und wird von der Energie (Wind), die durch das System geht, geschaffen, geformt und aufrechterhalten; wenn aber der Wind aufhört, wird der Windsack schlaff - seine Existenz als ein dreidimensionales, offenes System ist zu Ende. Je komplexer eine Struktur ist, desto mehr Entropie muß sie erzeugen, da komplexe Strukturen eher zum entropischen Verfall neigen als einfache (so wie auch ein komplizierter Sportwagenmotor anfälliger 64
für ein Versagen ist als eine einfache Dampfmaschine). Aber sie kann nur dann Entropie abgeben, wenn von außen immer wieder neue Energie und Materie nachkommt (so wie ein Sportwagen nur dann auf 220 Sachen kommt, wenn dauernd Benzin durch den Vergaser und das übrige System gejagt wird, wobei dann das verbrannte Benzin und seine Nebenprodukte an die Umwelt abgegeben werden). Dissipative Strukturen werden weitgehend durch die Energie und Stoffe geformt, die durch sie hindurchgehen. Auch der Körper eines Menschen ist nicht einfach eine von vorneherein vorhandene Struktur, durch die Energie und Materie in Form von Nahrung, Wasser, Sauerstoff usw. hindurchgehen - er ist als Struktur buchstäblich diese Energie und diese Materie, die durch ihn hindurchgehen. Das heißt, dissipative Strukturen sind ein einziges Fließen. Dissipative Strukturen entstehen und gedeihen in gleichgewichtsfernen, hochenergetischen, instabilen, ja sogar flüchtigen Umgebungen - man kann sich keinen Wasserstrudel vorstellen, der sich in einer kalten Tasse Kaffee bildet. Da dissipative Strukturen für einen fließenden Austausch von Materie und Energie offen bleiben müssen und zudem ihre Umgebung so flüchtig und instabil ist, lassen die Strukturen unterschiedliche Mengen von Energie und Materie verschiedener Art durch sie hindurch, was zur Folge hat, daß die Struktur selbst fluktuiert. Bis zu einem Grad kann die Struktur diese Fluktuationen absorbieren und eine Abgabe der Entropie nach aufrechterhalten, ohne ihre innere Organisation einzubüßen. Zum Beispiel kann der menschliche Körper eine bestimmte Strommenge absorbieren, ohne wirklich Schaden zu nehmen; er kann auch mit dem Verlust von Körperteilen fertig werden und ohne schwere Verletzung einem Aufprall standhalten; er kann verletzt werden und sich dennoch durch seine Fähigkeit der Selbstorganisation heilen. Eine Gesellschaft kann Spaltungen und instabile Verhältnisse verkraften, die durch einen kleineren Krieg verursacht werden; sie kann bis zu einem gewissen Grad eine Dürre ertragen und sich selbst . Solche Fluktuationen in einer dissipativen Struktur können innerhalb bestimmter Grenzen aufgefangen werden. Ab einem gewissen Punkt wird die Fluktuation allerdings zu groß, um absorbiert oder zu werden. Die Struktur wird dann immer instabiler. Mit größer werdenden Fluktuationen erreicht die Struktur langsam einen 65
kritischen Punkt: Sie wird extrem instabil, wie eine komplexe Maschine, die gleich auseinanderfällt. Die Elemente des Systems werden durch die Fluktuationen in Unruhe versetzt, so daß sie vermehrt interagieren und auf viele neue Weisen miteinander in Kontakt geraten. Dies ist der extremste Punkt, an dem das System das Vermögen dazu hat, sich in fast unendlich viele unvorhersagbare Richtungen zu bewegen, so wie eine instabile Gesellschaft kurz vor Ausbruch einer Revolution oder wie ein Mensch in der kritischen Phase einer schweren Krankheit. Oder wie Saul auf dem Weg nach Damaskus. An diesem Punkt kann sogar eine sehr kleine Fluktuation genügen, um die Elemente des Systems dahin zu bringen, daß sie sich nicht mehr selbst heilen können. Das ganze System scheint dann plötzlich erschüttert und in seine Bestandteile zu zerfallen. In einigen Fällen kann es auch ganz zerstört werden. Überlebt das System aber, so deshalb, weil es diesen Punkt des Zusammenbruchs (Prigogine nennt ihn den ) dadurch überwindet, daß es in einem neuen Muster erscheint. Die Elemente des Systems, die miteinander vermehrt in Interaktion und auf neue Weisen in Kontakt gebracht worden sind, reorganisieren sich in einer anderen Form und schaffen mithin eine neue Organisation. Im wesentlichen ist diese Neuverbindung der Systemelemente nichtlinear und der Energiefluß, der für das Vorgängersystem zu viel war, ist für die neue Stufe oder Organisation kein Problem mehr; sie kann die Entropie an die Umgebung abgeben und ihr neues höheres Niveau an innerer Organisation beibehalten. Eine Nation, die durch eine Revolution gegangen ist, wobei verschiedene Gesellschaftsschichten miteinander und auf neue Weisen in Kontakt gebracht worden sind, schafft sich eine andere Regierung, die in der Lage ist, die Energie, durch die die Revolution zustande kam, aufzufangen und abzuleiten. Der menschliche Körper schafft neue Antikörper, die eine Krankheit überwinden können. Der Fanatiker Saul aus Tarsus wird von einem strahlend hellen Licht getroffen, zu Boden gestoßen und vorübergehend seines Augenlichts beraubt und schließlich zu Paul; er hat eine Transformation durchgemacht und ist sich seiner neuen Mission bewußt. Aus dem Chaos geht ein transformiertes System hervor - Prigogines Worten nach ist die dissipative Struktur «in eine höhere Ordnung geflüchtet». Sobald sich diese höhere Ordnung eingestellt hat, ist sie stabil und 66
widerstandsfähig gegen weitere strukturelle Veränderungen oder Fluktuationen, solange sich die hindurchfließende Energie nicht drastisch ändert und das System nicht gezwungen wird, eine neue intensive Fluktuation durchzumachen. An diesem Punkt könnte die Struktur in eine neue chaotische Phase geraten und dann erneut zu einer höheren Ordnung flüchten. Da jede neue Stufe einer Ordnung komplexer als die vorherige ist, ist sie auch zerbrechlicher als ihre Vorstufe; sie ist offener für Fluktuationen, anfälliger für Zusammenbrüche, Chaos, Veränderungen, Neuschöpfungen. Prigogines Auffassung, daß das Universum als dissipative Struktur zu sehen sei, ersetzt die mechanistische Vorstellung des Kosmos als einer Welt von durch eine Welt von . Der gesamte Prozeß, mit all den Strukturen, die sich selbst in neue, komplexere und immer modifiziertere Strukturen umwandeln, ist unvorhersagbar, selbst-organisierend und evolutionär. Wissenschaftler nennen diesen Prozeß saltatorisch, das heißt, er ist eher durch eine Reihe sprunghafter Bewegungen oder Unterbrechungen gekennzeichnet als durch graduelles, zunehmendes Fortschreiten. Wendet man Prigogines Theorie dissipativer Strukturen auf den Ursprung und die Evolution der Arten an, so bietet sie eine klare Beschreibung der Entwicklung des Lebens auf unserem Planeten, wobei verschiedene Arten über lange Zeiträume relativ gleich blieben, sich dann aber rapide veränderten und zu anderen Arten entwickelten, was meistens eine Folge rapider Veränderungen in der Umwelt war (d.h. zunehmender Fluktuationen). Diese Sicht der Evolution, auch Saltationismus oder
Strukturen, einschließlich die von Schleimpilzen, Bienenschwärmen, Termitenkolonien, menschlichen Kulturen, ökonomischen Mustern, oder die Psychologie veränderter Bewußtseinszustände, die nichtlinearen Interaktionen von Nervenzellen, den Ursprung und die Entwicklung von Krebszellen, Veränderungen im Verhalten einer Gesellschaft, die Entwicklung von Musikinstrumenten oder künstlerische Inspiration. Sogar das amerikanische Verkehrsministerium hat auf sie zurückgegriffen, um bestimmte Verkehrsflußmuster zu analysieren und Verkehrsvorhersagen zu machen (verstopfte Ringstraßen sind in der Tat ein gutes Beispiel für dissipative Strukturen). Vielen erscheinen Prigogines Ideen durch und durch optimistisch, da sie, entgegen der hoffnungslosen, deterministischen Entropie-Vorstellung, von kontinuierlicher Ordnung, Fortschritt und Evolution sprechen.. Die Theorie dissipativer Strukturen macht deutlich, daß Perioden, in denen Instabilität, Verwirrung, Aufruhr, Zusammenbruch und Chaos walten, nicht als absolut unheilvoll anzusehen sind, sondern statt dessen als unabdingbare Phasen, die jede Struktur durchmachen muß, um sich zu höheren Komplexitäten zu entwickeln. Außerdem klärt sie, wie wir aus Zeiten politischen und wirtschaftlichen Aufruhrs neue gesellschaftliche Ordnungen entwickeln können, wie der flüchtige und unregelmäßige Prozeß künstlerischen Schaffens zu neuen Kunstformen und Visionen führen kann, wie sich psychische Leiden, Konflikte und Zusammenbrüche in neue emotionale, intellektuelle und spirituelle Stärken verwandeln können und wie Konfusion und Zweifel neue wissenschaftliche Ideen hervorzubringen vermögen. Prigogine unterstützt diese im wesentlichen optimistische Schau selbst, indem er sagt: «Innerhalb des Rahmens des zweiten thermodynamischen Gesetzes können irreversible Prozesse durchaus eine eher konstruktive und positive Rolle spielen als eine destruktive. Sie lassen dissipative Strukturen entstehen... Wenn wir uns die verschiedenen Wissenschaften wie die Biologie, die Verhaltenswissenschaften, die von der Ökologie und der Wirtschaft ansehen, dann haben wir jetzt eine Art gemeinsamen Nenner, einen Treffpunkt für die verschiedenen Konzepte der Evolution ... Nähert man sich dem Gleichgewicht, so bewegt man sich stets auf den banalsten, eintönigsten Zustand zu. Die klassische Physik vertritt allgemein die Idee, daß wir uns auf den Punkt zubewegen, an dem sich das Universum hat. Ande68
rerseits ist das, was wir hier auf der Erde sehen, genau das Gegenteil. Statt auf den Wärmetod zuzugehen, sehen wir, daß immer mehr Verzweigungen aufeinanderfolgen. Trotz der Tatsache, daß das zweite thermodynamische Gesetz im Universum als Ganzem wahrscheinlich erfüllt wird, gehen wir im Grunde nicht auf einen Gleichgewichtszustand zu, weil uns von den Sternen, der Galaxie usw. konstant Energie zuströmt.. .Mit dem Paradigma der Selbstorganisation erkennen wir einen Übergang von der Unordnung zur Ordnung. Im psychologischen Bereich ist das vielleicht die wichtigste Erfahrung, die wir haben - daß jede künstlerische oder wissenschaftliche Schöpfung einen Übergang vom Chaos zur Ordnung impliziert.» Allerdings sind Prigogines Ideen nicht unbedingt optimistisch. Der Schlüssel zur Entwicklung dissipativer Strukturen liegt in dem, was er den Gabelungspunkt nennt, wenn sich die Struktur in verschiedene Richtungen entwickeln kann, die nicht alle positiv sind, da sie auch den totalen Zusammenbruch bedeuten können. Prigogine hat seine Ideen mit denen von Teilhard de Chardin verglichen und dazu bemerkt, daß jener davon überzeugt war, daß «jeder Wandel, jede neue Gabelung in die richtige Richtung ging - in die zunehmender Spiritualität. Das Gegenteil ist der Fall... eine Gabelung kann uns zum Besten oder zum Schlimmsten bringen. Wir sind in eine Evolution eingebunden, von der wir nicht wissen, wie sie ausgeht.» [367] Die Menschen scheinen heute mehr denn je an einem kritischen Gabelungspunkt zu stehen, der möglicherweise verheerende Folgen nach sich zieht. Das dissipative System unserer Gesellschaft erlebt einen enorm angestiegenen Durchfluß von Energie und Materie, denn unser Konsum an Brennstoffen, Nahrungsmitteln, natürlichen Rohstoffen und anderen Materialien hat gigantische Ausmaße angenommen. Gleichzeitig erleben wir eine zunehmende Entropie; allgemeine Unordnungen, Konflikte, gesellschaftlicher Zerfall und Raubbau an der Umwelt bringen Störungen in das zerbrechliche menschliche System. Ein ansteigender Energiefluß zusammen mit zunehmender Entropie in einer dissipativen Struktur führt zu größeren destabilisierenden Fluktuationen. Wir scheinen uns dem Punkt zu nähern, an dem die Fluktuationen zu stark sind, um gedämpft zu werden, dem Gabelungspunkt also, der uns, wie Prigogine selbst sagt, «zum Besten oder zum Schlimmsten bringen [kann].» 69
AUFSTIEG ZU EINER HÖHEREN ORDNUNG: DAS GEHIRN ALS DISSIPATIVE STRUKTUR
GEPLANTE ENTWICKLUNG: IM EILTEMPO KLÜGER WERDEN
So, nach einem schnellen Rundgang durch die Thermodynamik der , schließt sich der Kreis wieder am Anfang. Wir kommen auf die Fragen zurück: Warum funktioniert das Gehirn auf die Weise, daß es mit der gleichen Stimulanz - sagen wir einem Rotlicht - das eine Mal eine Idee auslöst, ein anderes Mal einen Zusammenbruch? Während wir diese Fragen einmal mehr erwägen, sollte nun klar sein, daß das Gehirn als ein offenes System fern vom Gleichgewicht, das dauernd Energie mit der Umgebung austauscht, eine dissipative Struktur par excellence ist: enorm komplex, umarrangiert und umgewandelt durch Schwingungen, chemische und elektrische Wellen, selbstorganisierend und aus Netzwerken strukturiert, die so sensitiv sind, daß sie, gemäß den Neurowissenschaftlern, nur schon durch eine Veränderung in der Durchlässigkeit von nur zwei ihrer Milliarden und Abermilliarden von Zellen komplett destabilisiert werden können. Prigogines Einsichten in die Wirkungsweise dissipativer Strukturen sollten uns daher wichtige, neue Informationen über die Funktionsweise des Gehirns verschaffen. Und, sehr wichtig im Hinblick auf den Zweck dieses Buches, Prigogines Theorie vermittelt uns zwingende Gründe anzunehmen, daß, durch angemessene Zugabe von Energie, das Gehirn destabilisiert werden kann, inneren Schwankungen unterworfen wird, die sich ausdehnen können, bis sich die Struktur spontan verändert, so wie ein Kaleidoskop plötzlich ein neues Muster zeigt, und 70
das Gehirn sich selbst automatisch einen neuen Zustand gibt: ordentlicher, verständlicher, komplexer, höher entwickelt als zuvor. Vielleicht ist es durch den richtigen Gebrauch von bestimmten Einrichtungen zur Erhöhung des Energiezuflusses - entweder durch Stimulation des Gehirns durch Blitzlichter oder synchrone Klangwellen, solche, die das Gehirn mittels eines elektromagnetischen Feldes drehen oder es in schwereloser Umgebung ohne äußere Stimulanz schweben lassen - möglich, die Gehirnschwankungen (Fluktuation) zu verstärken und es in <eine höhere Ordnung flüchten> zu lassen. Die Frage ist, kann eine dieser gehirnstimulierenden Apparaturen, die wir in diesem Buch untersuchen werden, das dem Gehirn innewohnende Vermögen zur Selbstorganisation auslösen und das Gehirn dazu stimulieren, komplexer und verständiger, d. h. größer, klüger, kreativer, weiser zu werden? Wenn dies der Fall ist, dann handelt es sich hier um Einrichtungen von revolutionären Möglichkeiten, Apparaturen, die das Gehirn in kurzer Zeit zu dem Wachstum anregen, von dem man während der ganzen Geschichte der Menschheit geglaubt hat, daß es notgedrungen extrem schwierig und langwierig wäre.* Und wir sprechen von der Möglichkeit, diese Art von Wachstum nicht nur als Nebenerscheinung anderer Praktiken und Disziplinen wie Meditation zu sehen, sondern sie bewußt und absichtlich anzuregen. Wir sprechen von etwas, das das Leben von uns allen verändern könnte, von bewußtem, vorsätzlichem geistigen Wachstum, von geplanter Evolution. Lassen Sie uns zuerst die Idee betrachten, daß das Gehirn eine dissipative Struktur sei. Prigogine hat herausgefunden, daß ein System folgendes beinhalten muß, um dissipativ zu sein: * Tatsächlich stützen die bisherigen Befunde die Vorstellung von einer sprunghaftem Evolution und weisen darauf hin, daß das Wachstum des menschlichen Gehirns sehr schnell vonstatten gehen kann, so schnell, daß innerhalb von ein paar tausend Jahren (ein Klacks in der Evolutionsgeschichte) sich das Gehirn unserer Vorfahren auf das Doppelte vergrößert hat, ein solch rasantes Wachstum, daß es zur Bezeichnung kam. Interessanterweise verbinden die Anthropologen das explosive Wachstum des Gehirns - am meisten wuchs der Neokortex - mit dem Zeitpunkt, als die Menschheit mit Werkzeugen umzugehen begann. Werkzeuge sind natürlich im wesentlichen <Maschinen>. Wir sehen, daß die Möglichkeiten, die wir hier untersuchen - daß eine Maschine oder Apparatur das Gehirn dahingehend beeinflussen kann, daß es wächst - nichts Neues oder Außergewöhnliches ist, sondern einfach der zentrale Impuls der menschlichen Evolution. 71
- Offen. Eine dissipative Struktur kann nur existieren, wenn sie konstant offen für den Austausch von Materie und Energie mit der Umgebung bleibt. - Fern vom Gleichgewicht. Eine energiegeladene Umgebung mit permanentem Einfluß neuer Energie ist für den Prozeß der Selbstorganisation notwendig, muß das System Schwankungen unterwerfen und ihm erlauben, die daraus resultierende Entropie an das Umfeld abzugeben. Ein gleichgewichtsnahes System käme geschlossenen Systemen gleich, wäre gesteigerter Entropie unterworfen und würde zu Gleichförmigkeit führen. - Autokatalytisch. Von (selbst) und Katalyse (ein Mittel, das hilft, andere Dinge umzuwandeln, sich selbst aber nicht verändert); d.h., Teile des Systems begeben sich in einen Kreislauf, der ihnen hilft sich selbst zu reproduzieren - diese Teile des Systems sind selbstreproduzierend oder selbstverstärkend. Zellen, die die Fähigkeit besitzen, sich in lebenden Systemen zu reproduzieren, sind ein Beispiel dafür. Es besteht kein Zweifel darüber, daß das Gehirn diese Anforderungen erfüllt. Es ist sicherlich ein offenes System; Energie und Materie fließen ständig in Form von Licht, Geräuschen, Empfindungen, Informationen sowie Sauerstoff und anderen Nährstoffen im Blut ins Gehirn (Tatsache ist, daß das Gehirn, obwohl es nur 2% des gesamten Körpergewichts ausmacht, mehr als 20% des vom Körper aufgenommenen Sauerstoffs verbraucht, was das Gehirn zum größten Energieverbraucher / Umwandler des Körpers macht). Die zuströmende Energie wird im Gehirn umgewandelt und fließt in Form von Kohlendioxid oder anderer Abbauprodukte, als Wärme, als wirkende Kraft, in den Blutkreislauf zurück. Anders als gleichgewichtige oder gleichgewichtsnahe Systeme mit ihren klar definierten Bestandteilen, ihrer Tendenz zu Gleichförmigkeit, ihrer Berechenbarkeit, dem Nichtvorhandensein von etwas Neuem oder Unbeständigem, das ins System eindringt oder es verläßt, ist das Gehirn fern von einem Gleichgewicht. Das Gehirn ist, wie Wissenschaftler nun entdecken, unglaublich flexibel, fließend, formbar, ständig in Veränderung, sein Nervennetzwerk bewegt und verändert sich mit der Erfahrung und den Energien entsprechend, die durch das System fließen. Das heißt, daß das Gehirn nicht, wie bisher angenommen, wie eine Maschine aufgebaut ist, die auf Grund von ein/aus-Impulsen, die von 72
einzelnen Neuronen erzeugt werden, funktioniert, sondern durch nichtlinear zusammenarbeitende Wechselwirkungen, die durch Millionen und Abermillionen von Neuronen schwingen und sie miteinander verbinden. Das Gehirn, so stellte man fest, antwortet auf die fließende Energie nicht auf lineare, mechanistische, vorhersehbare Weise, sondern verwandelt diesen Zustrom in Gefühle, Ideen und Triebkraft. Die zugeführte Energie löst Effekte aus, die spontan, unvorhersehbar und kreativ sind. Das dritte Merkmal von dissipativen Strukturen, Autokatalyse, Selbstverstärkung oder Selbstreproduktion, ist ein weiteres der offensichtlichsten Mittel des Gehirns, seine Struktur, seine Form und sein Fließen aufrechtzuerhalten. Auf der physikalischen Ebene haben wir festgestellt, daß mindestens einige der Gliazellen fähig sind, sich selbst zu reproduzieren. Es gibt außerdem immer mehr Hinweise, daß sogar Neuronen als Folge gewisser Systemschwankungen imstande sind, sich zu regenerieren. Aber die wirkliche Autokatalyse im Gehirn findet während des Energieflusses durch das neurale Netzwerk statt, was wir als Gefühle, Verlangen oder Ideen empfinden. Zum Beispiel wissen wir, daß sogar der kleinste, zarteste Gedanke ins Gehirn eindringen kann und dort in einem Prozeß der Selbstverstärkung in einem sich endlos fortsetzenden Kreislauf stärker und stärker werden kann, wie eine Hoffnung, eine Phantasie oder Furcht sich in unser Gehirn einschleicht, um dann, sich aus sich selbst nährend, größer und mächtiger zu werden, bis sie die Kontrolle über unser Gehirn gewinnt und zur Besessenheit wird. Es ist zum Teil die autokatalytische Natur des Gehirns (und aller dissipativer Strukturen), die für die Tatsache verantwortlich ist, daß, wenn sich die Struktur an einem kritischen Punkt befindet, der winzigste Impuls ausreichen kann, um das ganze System zu destabilisieren, und es dazu bringen kann, sich auf einer höheren Ebene zu reorganisieren oder das Chaos zu erfahren. Auf diese Weise kann ein einfaches Rotlicht, das ins Gehirn dringt und sich autokatalytisch von sich selbst nährt, stark genug werden, um eine Flucht in eine höhere Ordnung, eine neue Vision der Wirklichkeit auszulösen oder das Gefüge in einem bereits verstörten Gehirn total auseinanderbrechen zu lassen.
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PAULS ABENTEUER IN EINER UMGEBUNG
Wir haben also eine Erklärung für das Ungewöhnliche, das Saul auf dem Weg nach Damaskus erlebte. Aus den Einzelheiten, die wir im Neuen Testament über ihn erfahren, müssen wir schließen, daß Saul irgendwie mit der inneren Organisation seines Denkens nicht mehr fertig wurde - bohrende Unsicherheit, vielleicht vage Sehnsucht nach etwas, das sein tiefstes Verlangen befriedigen könnte. Jedenfalls scheint sicher zu sein, daß die verrückten Ideen der Nazarener viel Unruhe und Schwankungen in der dissipativen Struktur hervorgerufen haben. Für eine Weile war Saul in der Lage, die Schwankungen in sich aufzunehmen, die Störungen zu dämpfen. Bald jedoch wurde der innere Aufruhr zu stark und der einzige Weg damit fertig zu werden, bedeutete aktiv gegen die zerstörerischen Ideen der Nazarener anzukämpfen. Auf diese Weise wurde er als ihr gnadenloser Verfolger bekannt, der sich auch noch damit brüstete, wieviele von ihnen er schon umgebracht habe. Während all dieser Zeit wurde das gleichgewichtsferne System seines Gehirns immer brüchiger. Er wurde zu immer entsetzlicheren Greueln getrieben, um sich so gegen das drohende Chaos, das er in seinem Kopf fühlte, zu wehren. Er fragte den Hohepriester, ob er die Verfolgung weit über sein eigentliches Territorium in Jerusalem bis nach Damaskus ausdehnen dürfe. Bis zu diesem Zeitpunkt mußte er schon mehr und mehr verzweifelt sein, die Störungen in seinem Gehirn mußten sich verstärkt haben. Bedenkt man die Ungewißheit bei einer Reise in fremdes Territorium, die rein physische Anstrengung des Wanderns und Reitens über weite Strecken zusätzlich zu diesem Zustand der Wankelmütigkeit und Besessenheit, so kann man verstehen, daß Saul reif für den Zusammenbruch war. So entsteht die klassische Dynamik der dissipativen Struktur: aus Chaos entstehende Ordnung, Flucht in eine höhere Ebene. Sauls Gehirn, daß nicht länger fähig war, seine innere Organisation unter den heftigen Schwankungen aufrechtzuerhalten, wird destabilisiert. Er befand sich an Prigogines Verzweigung, imstande in totale Unordnung und Wahnsinn zu verfallen oder sich auf einer höheren Ebene zu reorganisieren. Tagelang lebte er ohne zu essen oder zu trinken, total blind. Dann finden plötzlich alle Teile zusammen, aber auf eine neue 74
Art und Weise, logischer, besser miteinander verbunden, zusammenhängender, fähiger die durchfließenden Energien zu verkraften, besser entwickelt. Aus Saul wird Paul, der in lebenslanger Mission genau die Religion predigt, die er so leidenschaftlich verabscheut hat, was heißt, daß Paul einen neuen Weg gefunden hat, die Entropie in seinem <System> zu zerstreuen. Anstatt ihr zu gestatten, sich in seinem Gehirn aufzubauen und es damit zu zerstören, hat er sie in die Umgebung abgedrängt, hat sie in Wärme und Energie, die er auf seinen unermüdlichen Reisen durch die ganze Welt verbrauchte, umgewandelt, und somit die Anforderungen für das zweite Gesetz der Thermodynamik erfüllt. Hätten wir irgendeine Möglichkeit, sein Paul-Gehirn in einem Labor zu untersuchen und es mit seinem Saul-Gehirn zu vergleichen, fänden wir heraus, daß das Paul-Gehirn, wie dasjenige einer Ratte aus superreizvoller Umgebung, dichtere und reichhaltigere neurale Verbindungen aufweist? Der Laborbeweis, gemäß dem die Gehirne von Ratten mit Lernerfahrung sofortige und permanente Strukturveränderungen zeigen, deutet darauf hin. Wie es der Neurobiologe Gary Lynch von der University of California at Irvine formuliert, «ändert sich der Nervenkreislauf, wenn man dem Gehirn eine kurze Stimulation der richtigen Art zufügt, nur Pips!, buchstäblich nur so kurz, und die Änderung ist von Dauer». [112] Aber solche Verwandlungen sind nicht auf Mystiker und Sonderlinge wie Paul beschränkt: wir alle haben die Erfahrung gemacht, daß unsere Gehirnstruktur (welche wir als unsere , unseren oder unsere <Sicht der Realität> bezeichnen könnten), angespornt durch neue Ideen, neue Weisen das Leben zu betrachten, oder durch Ereignisse, die nicht in die geordnete Weise unserer Sicht der Dinge passen, herausgefordert wird. Des öfteren widerstehen wir diesen Herausforderungen vollständig, oft können wir sie in die dissipative Struktur unseres Gehirns einfügen, ohne zu heftige Schwankungen und Störungen zu verursachen. Aber manchmal fällt das ganze Kartenhaus zusammen, und wir erkennen die Dinge aufs neue, während wir, wie Blake es nannte, vor unseren Pforten der Wahrnehmung kehren, was einer Reorganisation der neuralen Verbindungen gleichkommt.
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WARUM KÜNSTLER ETWAS VERRÜCKT SIND
Wir kommen zu einem anderen Merkmal der dissipativen Strukturen, das wichtig für das Verständnis der Gehirnstimulation ist: Soll eine Umwandlung oder Evolution stattfinden, so braucht es dazu entweder große Instabilität und starke Schwankungen innerhalb des Systems, so daß sogar ein kleiner Anreiz Auflösung und Reorganisation verursachen kann, oder, wenn die Struktur stabil ist, wird ein außerordentlicher Zustrom von Energie ins System notwendig, etwas das kräftig genug ist, um eine starke Struktur zu erschüttern. Im ersten Fall gilt, daß je größer die Instabilität des Systems ist, desto größer ist die gegenseitige Beeinflussung der verschiedenen Teile, die Anfälligkeit für Schwankungen und Unordnung, und desto größer ist auch das Potential für Entwicklung, Umwandlung, Veränderung und (im Fall des Gehirns) Weisheit. Auf diese Weise unterstützt die Theorie über dissipative Strukturen die langgehegte Vermutung, daß Künstler, kreativ Denkende und andere, die fortwährend darauf aus sind, sich neuen Ideen zu öffnen, im ganzen mehr in Bewegung sind, anfälliger sind für Unruhe, Chaos und Unordnung im Gehirn. Um dies nicht negativ zu verstehen, muß man sich an die Vorzüge erinnern, daß kreativ Denkende vermutlich auch über ein reicheres und dichteres neurales Netzwerk verfügen, mit größerer gegenseitiger Beeinflussung der Neuronen (und somit über ein größeres Potential an geistigen Zuständen, d.h., eine breitere Skala von Einfallen, Gefühlen, Empfindungen und Intuitionen). Und, wie Prigogine immer wieder betont, höhere Ebenen der Ordnung und Weisheit entstehen aus Chaos und Unordnung; so erfahren kreativ Denkende, auch wenn sie geistig weniger stabil als andere Menschen sind, die höheren Ebenen geistiger Zusammenhänge, der Komplexität und der Evolution. Andererseits können wir vermuten, daß Menschen, die festgefahren sind, die jedem neuen Einfall widerstehen, die es hassen, neue Erfahrungen zu machen, die jede Idee oder jedes Erleben in ihre Vergangenheit verweisen und versuchen sie in die Struktur ihres Gehirns einzufügen, ohne Schwankungen oder Störungen zu verursachen, die immer überzeugt sind, recht zu haben, und nie Selbstzweifel erfahren - diese Menschen, wie auch immer ihr Gefühl der Selbstzu76
friedenheit sei, versuchen den Zustrom neuer Energie und Materie auszuschalten. Nachdem wir wissen, daß offene Systeme ohne permanenten Zustrom von Energie nicht bestehen können, heißt das, daß diese Menschen im wesentlichen versuchen, ihre Gehirne in geschlossene Systeme umzuwandeln. Sicher, diese geschlossenen Systeme werden nie von Chaos und Unordnung bedroht, aber wer zieht schon ein gleichgewichtsnahes Gehirn vor? Solch ein Gehirn würde wie ein Felsen nie erschüttert, aber es erführe weder eine neue Idee noch ein neues Gefühl. Jedenfalls weisen solche Gehirne, physiologisch gesehen, weit weniger neurale Verbindungen und schlechter entwickelte Kortexschichten auf als Gehirne von Menschen, die gegenüber Stimulation und Energie offen bleiben. Außerdem ist es unwahrscheinlich, daß sie jemals eine signifikante geistige Umwandlung, Verwandlung oder Reorganisation durchmachen werden, nachdem sie ihre Reife erreicht haben. Wir haben über verschiedene, der selben Intensität äußerer Anregung unterworfene Arten von Gehirnen gesprochen: Das eine System, komplex, Schwankungen unterlegen und weit geöffnet für neue Materie und Energie, ist anfälliger dafür, sich durch eine bestimmte Menge X von Energie zu verändern; das andere, kristallisiert, solid, fest verschlossen gegenüber neuer Materie, ist für die gleiche Menge weniger anfällig. Wir können das Problem der Gehirnveränderung auch von einer anderen Seite angehen, indem wir die Menge des Energiezustroms verändern: ist die Energie oder die Materie die ins Gehirn fließt stark genug, kann sie sogar Gehirne umwandeln, die stabil sind und Veränderungen gegenüber starken Widerstand leisten. Dies bietet eine Erklärung für die bewußtseinsverändernden Kräfte der in diesem Buch beschriebenen Apparaturen. Alle davon machen von den Energietypen, die tagtäglich unser Gehirn durchfluten, Gebrauch - Klang, Licht, Bewegung, Elektrizität. Mind machines benutzen die aktuelle Technologie, um diese Arten von Energie zu konzentrieren und sie bis zu einem Grad zu intensivieren, der im täglichen Leben selten anzutreffen ist. Das Ergebnis ist ein kraftvoller Energiezustrom, auf den das Gehirn nur reagieren kann, indem es sich auf irgendeine Weise verändert. Viele Leser werden meine Bereitschaft teilen, ihr Gehirn herauszufordern und ihm einige Fluktuationen (Schwankungen) zukommen 77
lassen. Manche Menschen legen darauf keinen Wert und beschließen, es bei seiner bisherigen Struktur zu belassen. Sie haben kein Verlangen danach, in eine höhere Ordnung aufzusteigen. Für diese Leute sind die geistigen Erschütterungen, die einige dieser Einrichtungen hervorrufen können, furchterregend. Aus diesem Grund möchte ich hier betonen, daß diese Maschinen nur von Personen, die dies wirklich wollen, gebraucht werden sollten, und die sich auch im Klaren darüber sind, daß diese Apparaturen einen spaltenden Effekt auf das Bewußtsein haben können und diesen Effekt oft sogar beabsichtigen. Menschen mit starren Persönlichkeitsstrukturen, mit einem starken Bedürfnis nach Selbstkontrolle, sollten sich diesen Maschinen nur langsam und mit der ihnen selbst angemessenen Geschwindigkeit nähern. JENSEITS VON LANGEWEILE UND ANGST: DIE VERBINDUNG ZWISCHEN UND LERNEN
Da ich die Flucht in eine höhere Ordnung als einen Prozeß beschrieben habe, der Chaos, Unordnung, Instabilität, Störungen und totale, wenn auch zeitlich begrenzte, Zusammenbrüche wie jenen von Saul auf dem Weg nach Damaskus, mit sich bringt, kann es sein, daß sich ein vorsichtiger Leser anfängt zu fragen: «Wer braucht so etwas?» Aber worüber wir hier reden, ist ganz einfach der Prozeß der Verbesserung der Zusammenhänge im Gehirn, ein Prozeß, den die meisten Menschen als einen der angenehmsten in ihrem Leben empfinden. Es passiert, während wir einander lieben, unser schlafendes Kind betrachten, von einem Kunstwerk fasziniert sind oder durch Musik bewegt werden, Schönheit wahrnehmen, die Geburt einer neuen Idee fühlen und in all den Augenblicken der Selbsterkenntnis, der Erfüllung, der Erleuchtung, des Friedens und der Freude: eine Wandlung, während der sich die Komponenten unseres Gehirns zu einer neuen Art und Weise der Realitätssicht zusammenfinden. Es ist eine Erscheinung, deren Erforschung der Psychologe Abraham Maslow sein Leben gewidmet hat, und die er als () bezeichnete. Ein Merkmal der Gipfelerfahrungen ist, daß man sich gut dabei fühlt. Man fühlt sich so gut, daß die meisten von uns so oft als möglich 78
Gipfelerfahrungen haben möchten, was einen der stärksten menschlichen Triebe darstellt. Eine Menge der Energie, die wir im Leben darauf verwenden, Sex, Drogen, Geld, Ansehen, Macht und Weisheit zu suchen oder zu gebrauchen, wird für verwirrte oder fehlgeleitete Versuche, Gipfelerfahrungen zu erreichen, aufgewendet. Wie schön wäre es, könnten wir sie auf Kommando haben! Unglücklicherweise sind diese Erfahrungen nicht so einfach zu erreichen. In der Geschichte gab es viele Versuche, Techniken zu erfinden, die den Menschen den Zugang ermöglichen sollten, aber diese Methoden (unter anderem auch Yoga, Meditation, Tantra, Tänze und Musik, die Trance hervorrufen, Fasten, Drogen und religiöse Praktiken) haben bisweilen schädliche Nebenwirkungen und verlangen im wesentlichen immer viel Disziplin und mühsames Üben. Disziplin und Ausdauer sind an und für sich eine gute Sache, aber in unserer Kultur der Skepsis und Ungeduld suchen die Menschen nach Abkürzungen. Mit der Wahl zwischen unersättlichem Materialismus und gedankenlosem Okkultismus, bleiben viele dieser Suchenden unbefriedigt und haben noch größeres Verlangen als zu Beginn ihrer Suche. Das Ergebnis ist ein Vertrauensverlust in die Existenz solcher Erfahrungen und höheren Stadien, ein ungläubiges Zurückweisen solcher Ebenen der geistigen Entwicklung als reine Selbsttäuschung labiler Seelen, die zu schwach sind, den Tatsachen einer kalten, harten, brutalen Welt ins Auge zu sehen. Kann sich der Mensch absichtlich in eine höhere Ordnung befördern und wirkliche Gipfelerfahrungen hervorrufen? Zunächst gilt es, herauszufinden, was Gipfel- oder zumindest angenehme Erfahrungen ausmacht; kennt man erst einmal deren Komponenten, kann man Gipfel- oder angenehme Erfahrungen hervorrufen, indem man die dazu notwendigen Bedingungen schafft. Mihaly Csikszentmihalyi (University of Chicago) ist einer der Wissenschaftler, die diesen Zusammenhang erforscht haben. Er kam zum Schluß, daß solche Erfahrungen innerlich lohnend sind, d. h., wir erstreben sie nicht um der <äußeren> Belohnung willen, «nicht als Kompensation für vergangenes Verlangen, nicht als Vorbereitung auf künftige Wünsche, sondern als andauernden Vorgang, der lohnende Erfahrungen in der Gegenwart bringt». Um dieses innerlich lohnende> Verhalten zu studieren hat Csik79
szentmihalyi Schachspieler, Komponisten, Tänzer und andere, die Dinge nicht der äußeren Belohnung wegen tun, befragt und untersucht. Er fand heraus, daß die eigentliche Gemeinsamkeit all dieser Aktivitäten ist, daß sie allen Beteiligten «das Gefühl des Entdeckens, Erkundens, das Gefühl der Lösung von Problemen - das Gefühl des Ungewöhnlichen und der Herausforderung vermitteln». Die Folgen dieser Aktivitäten sind jeweils ungewiß, aber «der Handelnde ist unter Umständen fähig sie unter Kontrolle zu bringen». Csikszentmihalyi fiel auf, daß seine Informanten bei der Beschreibung ihrer Erfahrungen oft den Ausdruck verwendeten und er schloß daraus, daß das wesentliche Element aller Gipfelerfahrungen eben dieses sei. Während viele ihr im Spiel suchten, war das Fließen auch das Schlüsselelement bei Kreativität, Liebe und religiösen Erlebnissen. «In verschiedenen menschlichen Umfeldern läßt sich ein ähnlicher innerer Zustand finden, der so genußreich ist, daß es Menschen gibt, die bereit sind ihr bequemes Leben dafür aufzugeben.» Um diesen angenehmen Zustand des zu definieren, erstellte Csikszentmihalyi für die menschlichen Aktivitäten eine Skala, die wachsende Herausforderung und Schwierigkeiten darstellt. Auf der oberen Hälfte der Skala stehen jene Aktivitäten, die so herausfordernd oder schwierig sind, daß sie der damit beschäftigte Mensch nicht bewältigen kann. Das Warten in einer langen Schlange wäre ein Beispiel für die erste Art von Aktivität. Beispiele für die zweite Art wären (natürlich abhängig davon, wer wir sind): Deltasegeln von einem hohen Berg; in einem Fach, von dem wir nichts verstehen, eine Prüfung abzulegen oder sogar etwas Unmögliches zu versuchen. Am unteren Ende der Skala steht die Langeweile, am oberen die Angst. Daher heißt Csikszentmihalyis Buch Beyond Boredom and Anxiety. Damit eine Aktivität hervorbringt, braucht es einen Ausgleich zwischen der Schwierigkeit einer Herausforderung und der Fähigkeit eines Menschen damit umzugehen. Ein Mensch, dessen persönliche Marathon-Bestzeit vier Stunden beträgt, wird, schafft er die Strecke in 3 Std. 50min., gleichviel erfahren, wie ein Weltklasseläufer bei einer Zeit von 2 Std. 9min. Beide stoßen auf eine Herausforderung und sind imstande sie anzunehmen. Hier laufen Ideen und Bedingungen auf faszinierende Weise zusam80
men. Als erstes sind Religion, Liebe, Kreativität, Gipfelerfahrungen, Spiele und all jene wirklich angenehmen Erfahrungen dadurch miteinander verbunden, daß sie den Beteiligten ein Gefühl von Fließen geben, und dieses Erlebnis ist nicht unbedingt behaglich, obwohl es Freude bringt. Mehr als mit Bequemlichkeit, hat Fließen mit dem «Lösen von Problemen», «Herausforderung», «Neuartigkeit» und dem «Erkunden von Unbekanntem» [83] zu tun. Es ist weder langweilig noch einfach zu meistern, aber auch nicht derart schwierig, daß es überwältigende Ängste verursacht.
SCHLAUE RATTEN UND IHRE GIPFELERFAHRUNGEN
Fließen scheint genau das gleiche zu sein, wie das, was wir als Lernen bezeichnen. Tatsächlich gebrauchen Rosenzweig und andere Wissenschaftler, wenn sie zu beschreiben versuchen, was eine reiche Umgebung ausmacht -, was ein Wachstum des Gehirns und das Ansteigen der Intelligenz bei Ratten in reizvoller Umgebung bewirkt - genau den gleichen Ausdruck: eine reizvolle Umgebung, so sagen sie, bedeute eine Herausforderung, Neuartigkeit und die Notwendigkeit Probleme zu lösen und unbekannte Gebiete zu erforschen. Experimente haben auch gezeigt, daß Ratten, werden sie einer Umgebung ausgesetzt, die zu beängstigend ist und zuviel Belastung mit sich bringt (die Ratten wurden Elektroschocks ausgesetzt), an der reizvollen Umgebung keine Freude zeigen, sondern tatsächlich mentale Schwierigkeiten bekommen. Nicht nur zuwenig, sondern auch zuviel Herausforderung kann schaden. Die Berkeley-Ratten aus der reizvollen Umgebung haben deshalb so gut gelernt, weil sie zwar herausgefordert wurden, aber nicht zu sehr. Ihr Umfeld war zwischen Langeweile und Angst angesiedelt, und der Zustrom von Energie und Materie trieb ihre Gehirnstrukturen ständig in eine höhere Ordnung, ohne sie zu zerreißen. Die Zusammenhänge sind klar: heißt Lernen, Freude, reizt das Gehirn und erweitert den Geisteszustand. Und die Erweiterung des geistigen Zustands wird von einem konstanten begleitet, einer durch die in eine höhere Ordnung spiralförmigen Evolution des Geistes. 81
ENTSPANNUNG UND GEHIRN
Rufen wir uns den anstrengenden Tag in Erinnerung, als ich zum ersten Mal die flackernden Lichter des Audiovisuellen Gehirnwellen Synchronisators erlebte. Der Herausgeber der Zeitschrift versank in wohliger Entspannung in seinem Sessel, als er die Maschine ausprobierte. Als ich den Apparat aufsetzte, war ich beinahe steif vor Kälte und Anspannung, aber bereits innerhalb der ersten ein, zwei Minuten befand ich mich in einem träumerischen und entspannten Zustand, der den ganzen Tag über anhielt. Der Graham Potentializer, ein Gerät, das den Anwender sanft in einem horizontalen Kreis durch ein Magnetfeld bewegt, läßt die meisten sich derart entspannen, daß sie einschlafen oder in einen schlafähnlichen Zustand verfallen. Wissenschaftler haben den EMW (Elektromyograph) verwendet, um die elektrische Aktivität der Körpermuskeln zu messen (die Muskelspannung) und haben herausgefunden, daß ein kurzer Aufenthalt in einem Isolationstank (floatation Tank) sofort einen tiefer reichenderen Zustand der Ganzkörperentspannung hervorruft, als solche Techniken wie Progressive Entspannung, Autogenes Training, Meditation und Dehnübungen, die speziell zur Entspannung der Muskeln gedacht sind. Diese Mind machines und andere in den folgenden Kapiteln beschriebene Apparaturen versetzen die meisten Anwender in tiefe Entspannung. Diese stellt sich schnell und spontan ein. In den letzten Kapiteln habe ich die Wirkungen dieser Maschinen mit Herausforderung, Neuentdeckung, Neuartigkeit, Schwankungen, erhöhtem Energiezustrom, Instabilität und struktureller Desorganisation verglichen. 82
Solche Ausdrücke beziehen sich auf einen Prozeß, der, wie wir im letzten Kapitel bemerkt haben, äußerst angenehm sein kann, aber trotzdem, so könnte man annehmen, voller Irritationen und leicht beunruhigend. Was hat all dies mit tiefer Entspannung zu tun?
STRESS UND
Den meisten von uns ist bekannt, daß Menschen, wie alle Säugetiere, über einen effizienten Entwicklungsmechanismus verfügen, der sie befähigt mit Gefahren für ihre Sicherheit umzugehen. Dieser Mechanismus wird Kampf-oder-Flucht-Reaktion genannt und funktioniert folgendermaßen: Irgend ein äußerer Umstand wird vom Gehirn als Bedrohung interpretiert; gewisse Teile des Gehirns entsenden neurochemische Stoffe, die vielerlei Effekte im ganzen Körper auslösen und alle darauf ausgerichtet sind, die Körperenergien dazu zu bringen, entweder gegen die spürbare Bedrohung anzukämpfen oder aber vor ihr zu fliehen. So strömt Zucker in den Blutkreislauf, um Energien freizusetzen, das Herz schlägt schneller um mehr Blut zu pumpen, die Atmung wird schneller, der Blutdruck steigt, der Blutzustrom im Verdauungssystem, der Körperperipherie und dem Gehirn wird zum Herzen und den Rumpfmuskeln verlagert, die Muskeln verhärten sich und werden angespannt, die Schweißabsonderung nimmt zu und wir erleben den bekannten Adrenalinstoß. Die Bedrohung oder Forderung, die diese Reaktion auslöst, nennt sich Stressor und die Reaktion selbst Streß. Diese Reaktion erweist sich als vortrefflich, wenn wir in kopfloser Furcht vor einem Säbelzahntiger davonlaufen oder jemandes Leber mit bloßen Händen herausreißen wollen. Auf der anderen Seite ist sie der Tod zusammenhängender Gedanken. Das Gehirn arbeitet einfach nicht sehr gut, wenn mehr Blut und Sauerstoff in die Muskeln fließen, was auch der Grund dafür ist, daß Menschen die haarsträubendsten Sachen machen, wenn sie unter Druck stehen. Extremer Streß hat dieselbe ruinöse Wirkung auf das Lernen wie auf das Denken. Ratten, die man großem Streß ausgesetzt hat, indem man ihnen Elektroschocks gab, hatten mehr Schwierigkeiten mit dem Lernen als Ratten, die nicht unter Streß lernten. 83
Die Kampf-oder-Flucht-Reaktion kann eine momentane Reaktion auf ein einziges spannungsgeladenes Ereignis sein, aber sie kann auch länger andauern. Da die Ereignisse, die uns in der heutigen Zeit unter Streß setzen, kaum etwas mit Säbelzahntigern zu tun haben, sondern mit subtilem, tückischem Druck, mit dem wir meist nicht direkt konfrontiert sind und vor dem wir nicht fliehen können - Beruf, technologische Gesellschaft, unbestimmte Angst vor Verbrechen, Luftverschmutzung usw. - sind die meisten von uns nie ganz fähig, ihre Kampf-oder-Flucht-Reaktionen auszuschalten. Daraus folgt, daß wir uns ständig in einem Zustand leichter, unbestimmter Erregung befinden, und so wie uns ein einziges belastendes Ereignis zu machen kann und unsere Fähigkeit zum Denken und Lernen beeinträchtigt, so hat andauernder Streß einen ähnlich schädlichen Effekt auf unsere Gehirnfunktionen. Zum Beispiel wurden vor kurzem bei einer Studie mit 4000 Schulkindern an der Georgetown University die Kinder veranlaßt, das Ausmaß an Streß in ihrem Leben zu bestimmen. Körperliche Gebrechen, finanzielle Probleme der Eltern, Verlust der Arbeitsstelle eines Elternteils, angeschlagene Gesundheit und schlechtes Sehen waren einige der wichtigsten Gründe für Streß bei Kindern. Die Studie schloß daraus, daß hoher Streß die Quoten in Intelligenztests um volle 13% reduzieren kann, d.h., daß Studenten unter größtem Druck um 13% tiefer lagen, als Studenten, die unter geringem Streß standen. [340]
ENTSPANNUNG UND GELASSENHEIT
Menschen verfügen über einen zweiten angeborenen Reflex, der beinahe das Gegenteil der Kampf-oder-Flucht-Reaktion darstellt. Anstatt unsere Körper zu äußerer Aktivität zu veranlassen, mobilisiert dieser zweite Reflex die Hilfsmittel unseres Körpers zu innerer Aktivität. Die Folgen dieser Reaktion sind verminderter Herzschlag, geringerer Blutdruck und verminderte Schweißabsonderung, erhöhte Funktion des Magen-Darmtrakts, Entspannung der Muskeln und prozentuale Erhöhung der Blut- und Sauerstoffzufuhr im Gehirn. Außerdem ändert sich die vorherrschende Art von elektrischer Aktivität im Gehirn von äußerer Aufmerksamkeit anzeigenden niederenergeti84
sehen und hochfrequenten Beta-Wellen zu langsameren, hochenergetischen, rhythmischen Alpha- und Theta-Wellen, welche die Bereitschaft zu innerem Erleben anzeigen und in Zuständen der Meditation und Kontemplation auftreten. Diese Reaktion wird Entspannungsreaktion oder Beruhigungsreflex genannt. [341, 31] Die Entspannungsreaktion ist ein den Menschen (und Säugetieren) angeborenes Merkmal - man denke z. B. an Hunde oder Katzen, die schnell von Zuständen höchster Erregung in tiefe Entspannung wechseln können. Unglücklicherweise haben die Menschen, wahrscheinlich unter dem wachsenden Druck der Evolution durch Urbanisierung und Industrialisierung, die Fähigkeit zu sofortiger Entspannung verloren. Jedoch haben sie versucht, verschiedene Techniken, wie Meditation, Kontrolliertes Atmen, Progressive Entspannung, Biofeedback usw., zu entwickeln, um diesen vorteilhaften Zustand zu erreichen. Interessanterweise haben viele Studien ergeben, daß dieser Zustand nicht nur angenehm und streßmindernd ist, sondern auch zu besseren Leistungen in sowohl geistigen wie auch physischen Tests führt. Wir wissen dies instinktiv, zum Beispiel wenn wir davon sprechen, beim Lösen von Problemen <einen kühlen Kopf> zu bewahren, wenn wir Leute, die uns überlegen sind, als unbekümmert bezeichnen, und behaupten, daß bei ihnen . Wissenschaftler haben die gemeinsamen Wurzeln all dieser Techniken herauszufinden versucht. Einer von ihnen, Dr. Herbert Benson von der Harvard Medical School, der den Begriff <Entspannungsreaktion> populär gemacht hat, zog den Schluß, daß die wesentlichen Vorbedingungen für diese Reaktion folgende seien: - eine konstante Stimulanz, ein Geräusch, Wort oder Wortkomplex, der ständig im Stillen oder hörbar wiederholt wird, oder das Anschauen eines Gegenstandes. Der Effekt soll sein, sich von logischen, nach außen orientierten Gedanken wegzubewegen. - eine passive Einstellung. Jegliche ablenkenden äußeren Ereignisse oder Gedanken, die während der Übung auftauchen, sollten nicht beachtet werden, und die Aufmerksamkeit wieder auf die Technik gelenkt werden. - verminderter Muskeltonus. Die Person sollte sich in bequemer Körperstellung befinden, sodaß nur geringe Muskelarbeit notwendig ist. 85
- eine ruhige Umgebung mit verminderter äußerer Stimulation. Die Mind machines, die in diesem Buch beschrieben werden, wirken alle entspannend. Eine Erklärung dafür ist, daß sie alle die vier von Benson als wesentlich bezeichneten Komponenten für die Entspannungsreaktion aufweisen. Im allgemeinen produzieren sie alle eine, d. h. entweder Licht, Klang, Körperbewegungen oder Vibrationen, Magnetfelder oder eine Kombination dieser Elemente. Die Anwender werden dazu ermutigt, sich in eine passive Haltung zu versetzen, eine bequeme Stellung einzunehmen, sodaß sich der Muskeltonus vermindert, sowie die Apparate in ruhiger Umgebung zu verwenden. Da Streß die geistige Funktion behindert und Entspannung sie steigert, kann die Tatsache, daß die Mind machines sofort tiefe Entspannung hervorrufen, die erhöhte geistige Funktion erklären, die einige der Anwender erfahren haben. Es gibt noch einen weiteren Aspekt, den wir berücksichtigen müssen. Zu Beginn haben wir uns gefragt, wie es möglich sei, daß Mind machines tiefe Entspannung hervorrufen und gleichzeitig, durch Verstärken der Schwankungen und der Instabilität, die dissipative Struktur, das Gehirn dazu bringen können, die alten Muster zu verlassen und in eine höhere Ordnung, in höhere Zusammenhänge und Komplexität zu flüchten. Wie kann tiefe Entspannung zusammen mit größeren Schwankungen und Instabilität existieren?
DAS GEHIRN GLEICHT EINER GRUPPE VON LEUTEN, DIE EINE BRÜCKE ÜBERQUEREN
Ein Merkmal der Entspannungsreaktion ist das schnelle Umstellen der Gehirnwellenmuster von niederenergetischen, schnellen Beta-Wellen zu höherenergetischen, langsameren Alpha- und Theta-Wellen. Diese Gehirnwellen repräsentieren nicht die elektrische Aktivität einzelner Neuronen, sondern sie spiegeln die zusammenwirkenden elektrischen Muster der Netzwerke aus Millionen von Neuronen-Energieschwankungen. Daß Beta-Wellen niederenergetisch sind, bedeutet, daß ein nur geringer Unterschied zwischen ihrem höchsten und ihrem tiefsten Punkt besteht, wie bei einem feinen Zackenmuster. Die langsameren,
rhythmischen Alpha- und Theta-Wellen, die eine weitere Amplitude haben, weisen viel größere Unterschiede zwischen ihren Höhen und Tiefen auf, in diesem Fall wie bei einem groben Zackenmuster (s. Abb.). Die für äußere Aufmerksamkeit und Bewußtsein charakteristischen Beta-Wellen weisen eigentlich keine Schwankungen auf. Die hochenergetischen Alpha- und Theta-Wellen hingegen zeigen große Gehirnschwankungen an. Es sind jene Schwankungen und Störungen, die Veränderungen in instabilen Systemen auslösen: erhöhte Schwankungen führen zu organisatorischen Veränderungen in dissipativen Strukturen. Das Bild einer Gruppe von Leuten, die eine Brücke überqueren, soll dies illustrieren. Wenn jede Person in einem eigenen Rhythmus geht, wird das Geräusch der Schritte zu einem ununterbrochenen (hochfrequenten) Schlurfen, und die Vibrationen der Brücke sind beständig aber sehr schwach. Wie die Beta-Wellen des Gehirns sind die Schwankungen der Brücke hochfrequent/niederenergetisch. Überqueren all die Menschen die Brücke im selben Rhythmus, wäre das Geräusch als Serie einzelner (niederfrequenter) Schritte zu hören; die 87
Vibrationen wären unterbrochen und rhythmisch, würden stärker werden und zu sich selbst verstärkenden (autokatalytischen) Schwingungen tendieren. Wie die Alpha- und Theta-Wellen des Gehirns wären sie niederfrequent/hochenergetisch. Zu guter Letzt könnten diese Schwingungen einen derart destabilisierenden Einfluß auf die Brücke ausüben, daß die Konstruktion nicht mehr fähig wäre, die Entropie zu zerstreuen, und sie würde , sie würde zusammenbrechen. Beim Gehirn könnte dies bedeuten, daß es sich in einer höheren Ordnung und Komplexität reorganisiert.
ARCHIMEDES' BADEWANNE ALS SINNBILD DES LERNENS
Wir haben bereits festgestellt, daß Lernen, erhöhte Intelligenz und wirkliche strukturelle Veränderungen die Stimulation des Gehirns begleiten. Außerdem wissen wir, daß solch starke Schwankungen im Gehirn nicht in gewöhnlichen, Zuständen des Bewußtseins, wenn das Gehirn Beta-Wellen produziert, auftauchen. Stattdessen ergeben sie sich, wenn wir uns in Stadien des Bewußtseins befinden, die charakteristisch für die Entspannungsreaktion sind, Stadien, die wir in der Meditation, in Trance, intensiver innerer Kontemplation finden - wie jene schwebende, verbindungslose Offenheit, die der alte Archimedes empfunden haben mag, als er planschend und tagträumend in der Badewanne lag. Diese Schlußfolgerung mag sich für manchen seltsam anhören, da sie der akzeptierten Vorstellung widerspricht, daß Lernen durch Übung und Wiederholung gefördert wird: daß Lernen etwas mit Training zu tun habe. Aber tatsächlich ist es eine Folgerung, die von fast allen wesentlichen Disziplinen des Studiums des Menschen unterstützt wird. Erzieher, Psychologen und andere Wissenschaftler erproben in der Gehirnforschung auch verschiedene Techniken, darunter die Anwendung des Zeichnens, geführter bildlicher Darstellung, Meditation, Autogenes Training, rhythmische Atmung, Singen, Geschichtenerzählen, Tanzen, Musik und Entspannung, die die Lernfähigkeit von Kindern und Erwachsenen fördern sollen. Die Studien zeigen, daß all diese Techniken zu einem deutlichen Anstieg der Fähigkeit, sich etwas anzueignen, des Erinnerungsvermögens und der Fähigkeit, kreativen
Gebrauch von Informationen und Ideen zu machen, führen können. Das bedeutet, daß solche Techniken zu schwerwiegenden Veränderungen in der Chemie und der Struktur des Gehirns, sowie dem menschlichen Verhalten führen können. Der gemeinsame Nenner ist, daß alle diese Techniken die Schwankungen im Gehirn verstärken, indem sie die Gehirnwellen-Amplitude erweitern und/oder die Gehirnwellenfrequenz vermindern. Eine der interessantesten Studien, die den unterstützenden Effekt der Gehirnschwankungen beschreibt ist: FOCUSING (Fokussieren)! Der Psychologe Eugene Gendlin von der Universität in Chicago hat diese geistige Technik entwickelt. Sie befähigt die Anwender dazu, ihre Gehirne derart zu beeinflussen, daß neue Einsichten gewonnen werden können, die zu deutlichen und günstigen Veränderungen im Verhalten führen. Es ist eine Lerntechnik. Beim Fokussieren versucht man, den eines Problems zu erkennen und durch eine Reihe von fokussierenden Schritten, die die Aufmerksamkeit von der äußeren Umgebung ablenken und sie auf feine emotionale Zustände und physische Empfindungen richten, erreicht man einen Punkt, an dem eine erfahren wird, eine Erfahrung, die von plötzlichem Nachlassen der Spannung und einem Gefühl tiefster Erleichterung, sowie durch den Eindruck, man habe das Problem begriffen, begleitet wird. Wir alle haben Fokussieren und , versucht das Problem zu identifizieren: hat man vergessen, das Gas abzudrehen? Den Wasserhahn zuzumachen? In beiden Fällen weiß man, daß weder das eine noch das andere zutrifft, denn man fühlt keine innere Erleichterung. Findet man schlußendlich die richtige Antwort, stellt sich ein Gefühl des Verstehens ein, die Spannung läßt nach und Genugtuung breitet sich aus. Es handelt sich hier um jenes Aha-Erlebnis, über das wir früher schon gesprochen haben. Neugierig zu erfahren, was in den Gehirnen von Menschen vorgeht, die diese Verschiebung erlebt haben, hat Norman Don von der Abteilung Biophysik der American Dental Association, sie an eine Maschine angeschlossen, die die Gehirnwellen aufzeichnet, und hat eine Computeranalyse von mehr als 8433 EEG-Aufzeichnungen durchge89
führt (das EEG oder Elektroenzephalogramm zeichnet die dominanten Gehirnwellenfrequenzen auf). Er hat entdeckt, daß die Alpha- und Theta-Wellen der Versuchspersonen sich kurz bevor diese Verschiebung eintrat veränderten. In allen Fällen sind dem Spitzenperioden der dominanten Alpha-Wellen (10 Perioden pro Sekunde) und ihren Unterschwingungen (5 und 2,5 Perioden) vorangegangen. In der Zeit davor, während der die Versuchspersonen das Gefühl hatten, oder zu sein, brachen die AlphaWellen und ihre Unterschwingungen zusammen. Gemäß Don bedeuten diese fühlbaren Verschiebungen eine «Reorganisation auf einer höheren Ebene des Fassungsvermögens». Offenbar repräsentiert eine solche Verschiebung jenen Durchbruch von Konflikt zu Klarheit, bei dem die dissipative Struktur des Gehirns, nachdem sie durch vorangegangene Schwankungen der Alpha- und Theta-Wellen verändert wurde, in einen erweiterten Rahmen fällt und in eine höhere Ordnung . [109, 147] KREATIVES DENKEN. In einer Lernstudie am Texas A&M hat der Chemieprofessor Thomas Taylor die EEGs von Studenten während des Prozesses von, wie er es nannte, «Synthese-Denken», d. h., gerade angeeignete Informationen auf schöpferische und kreative Art zusammenzufügen und damit ein schwieriges Problem zu lösen, aufgezeichnet. Gemäß Taylor ergab «eine EEG-Aufzeichnung just in jenem Moment, in dem ein kompliziertes technisches Konzept für die Versuchsperson plötzlich Sinn ergab, eine sofortige Veränderung in den Mustern der Gehirnzellen, die im Theta-Bereich lagen.» Die EEGAufzeichnung, die Taylor seiner Studie hinzufügt, zeigt eine Reihe von starken Schwankungen im ganzen Gehirn der Versuchsperson. [356] GEHIRN-SYNCHRONISATION. Wissenschaftler, die Meditierende beobachtet haben, fanden heraus, daß sich im Zustand tiefer Aufmerksamkeit und intensiver geistiger Klarheit die beiden Hemisphären des Gehirns - welche normalerweise Gehirnwellen unterschiedlicher Frequenz und Amplituden erzeugen - synchron werden, d. h., beide Hälften produzieren die selben Gehirnwellen. Wichtig ist, die Verbindung zwischen den Wellenmustern der beiden Gehirnhälften eingehend zu betrachten. Es besteht die Möglichkeit von zwei identischen Wellenmustern, die aber nicht synchron sind, d. h., daß die eine Welle sich gerade auf der Spitze befindet, während die andere im 90
Tal verläuft. In solch einem Fall heben sich die beiden Frequenzen auf und die Amplitude vermindert sich stark. Stimmt die eine Spitze eines Gehirnwellenmusters genau mit der anderen überein, so ist das, als seien beide Amplituden miteinander verknüpft: die beiden Wellen produzieren zusammen eine Wellenform die doppelt so hoch ist wie die ursprüngliche, d.h., die Energie verdoppelt sich. Wenn die Gehirnhälften also synchron arbeiten, wird die Amplitude des Wellenmusters durch den gesamten Kortex enorm verstärkt, was gewaltige Schwankungen im ganzen Gehirn zur Folge hat und in eine Reorganisation auf einer höheren Ebene mündet. Die führende Autorität auf dem Gebiet der Gehirnsynchronisation ist vermutlich Dr. Lester Fehmi, der Direktor des Princeton Biofeed-back Research Institute. Seine genauen Beobachtungen der Verbindung zwischen Gehirnwellenaktivität und Verhalten haben ihn überzeugt, daß die Synchronisation der Hemisphären «in erprobter Wechselwirkung mit einer Verbindung von Erfahrung, eines steht». Er erzählte mir, daß «man anstatt sich abgegrenzt und eingeschränkt vorzukommen, sich mehr fühlt, vereint mit der Erfahrung, man ist die Erfahrung - der Radius der Aufmerksamkeit wird immens vergrößert, so daß man gleichzeitig mehrere Erfahrungen machen kann. Es handelt sich um eine Vervollständigung der Empfindungen im ganzen Gehirn, und es ist, als sei man weniger auf sich selbst fixiert und arbeite intuitiver». Die Demonstration einer Forschergruppe, wie Studenten die EEGAktivität in beiden Hemisphären mittels Biofeedback-Einrichtungen synchronisieren, war eine der Sitzungen bei einer Zusammenkunft der American Educational Research Association, die das größte Interesse fanden. Die Biofeedback-Forscherin Jean Millay legte dar, daß Versuchspersonen nach dem intensiven, stillen Fokussieren hin und wieder über und berichteten. So empfahl Millay den AERA-Forschern, daß man «anstelle zu messen, wie schlau oder wie dumm Studenten sind, man ihnen vielleicht besser beibringen sollte, wie sie ihre Aufmerksamkeit fokussieren können», indem man sie lehrt, ihre Gehirne zu synchronisieren. [38] Diese Empfehlung wird durch Studien, die kürzlich von Lehrern der Tacoma Public School ausgeführt wurden, unterstrichen. Diese Lehrer haben, unter der Führung des Psychologen Devon Edrington, 91
des bulgarischen Psychiaters Georgi Lozanov. Hunderte von Schulen und Universitäten in der ganzen Welt haben sich die Lozanov-Methode des schnellen Lernens zu eigen gemacht, und eine große Zahl von Forschungen haben bestätigt, daß diese Technik auf erstaunliche Weise die Fähigkeit der Studenten, sich etwas anzueignen, zu verarbeiten, zu speichern und Informationen abzurufen, verstärkt. Lozanov und andere Forscher fanden, daß zum Beispiel Sprachstudenten, die diese Methode anwenden, ohne weiteres 500 neue Wörter am Tag lernen können (ausgewählte Gruppen haben sogar bis zu 3000 neue Wörter am Tag gelernt) und dies innerhalb weniger Stunden. In den meisten Sprachkursen gelten 100 neue Wörter am Tag schon als außerordentlich, und die Studenten dieser Kurse zeigen einen rapiden Rückgang ihrer Fähigkeit, sich die neuen Wörter ins Gedächtnis zurückzurufen. Lozanovs Studenten hingegen hatten nach 6 Monaten noch 88 % des Gelernten im Gedächtnis. Berichte über solche Superlearning-Glanzleistungen kommen aus Lozanov-Instituten in der ganzen Welt, und während Erzieher noch über das Ausmaß des Lernwachstums argumentieren, kann kein Zweifel darüber bestehen, daß diese Methode die Funktionstüchtigkeit des Gehirns drastisch erhöht. Die wesentlichen Elemente der Lozanov-Technik sind tiefe Entspannung kombiniert mit synchronisierten Rhythmen, sowohl im Gehirn als auch im Körper. Nach einleitenden Instruktionen über GanzkörperEntspannungstechnik machen es sich die Studenten in Sesseln bequem und hören stark rhythmische, aber beruhigende Musik (die LargoTempi der Konzerte von Barock-Musikern wie Vivaldi, Telemann, Händel und Bach werden bevorzugt, da sie ein beständiges 92
Tempo von etwa 60 Taktschlägen pro Minute aufweisen, was anscheinend mit dem Puls und der Atmung übereinstimmt und sie stabilisiert). Physiologen fanden heraus, daß das einfache Anhören solcher Musik nicht nur den Herzschlag und die Atmung verlangsamt, sondern auch den Blutdruck sinken läßt; im Gehirn werden die niederenergetischen/ hochfrequenten Beta-Wellen schwächer, während sich die niederfrequenten Alpha-Wellen verstärken und dominant werden. Um die KörperGehirn Synchronisation zu verstärken, sollen die Studenten rhythmisch atmen. Der zu lernende Stoff wird ihnen vom Lehrer in rhythmischen , die mit ihrer Atmung synchron sind, vermittelt. Die unterstützenden Mechanismen der Lozanov-Methode und anderer Methoden des Superlearning basieren auf Prigogines Idee der extremen Gehirnschwankungen, die ein Gehirn zu einer neuen, logischeren, komplexer verbundenen Ordnung treiben. Die Gehirn-KörperSynchronisation führt zu Gehirnschwankungen, ähnlich denen, die eine Gruppe von Menschen verursacht, die im Gleichschritt eine Brücke überquert: Die verschiedenen Bestandteile des Gehirns werden erschüttert. Sie sind nun fähig, alte Muster und Programme loszulassen, neue Informationen aufzunehmen und sich auf neue Weise zu reorganisieren. In diesem Stadium der können riesige Mengen neuer Informationen aufgenommen werden. LERNEN IM DÄMMERZUSTAND. Der Biofeedback-Experte Thomas Budzynski (University of Colorado Medical Center) hat ausgedehnte Forschungen über die Wirkung von Suggestion und Lernen im betrieben (Theta-Wellen haben, bei Perioden von 37 pro Sekunde, noch höhere Amplituden und geringere Frequenzen als Alpha-Wellen und verursachen deshalb stärkere Energieschwankungen im Gehirn). Normalerweise produzieren wir Theta-Wellen nur in den Momenten zwischen Wachen und Schlaf, wenn intensive bildliche Darstellungen, hypnagogische Bildersprache genannt, auftauchen. Budzynski hat eine Biofeedback-Apparatur entwickelt, die in dem Moment den Lernstoff abspielt, in dem der Anwender diesen ThetaZustand erreicht hat. «Wir nutzen den Vorteil aus, daß während des hypnagogischen Stadiums, dem Dämmerzustand zwischen Wachen und Schlaf, der Mensch die Eigenschaft hat, verbalen Lernstoff und fast alles, was sich verarbeiten läßt, unkritisch aufzunehmen. In solchen 93
verändertem Stadien des Bewußtseins «wird ein Haufen Arbeit sehr schnell bewältigt.» [59, 58] Was Budzynski beschreibt, erinnert wiederum, wie schon Gendlins Fokussieren und Lozanovs Gehirnsynchronisation, an das Gehirn als dissipative Struktur und seine unglaubliche Fähigkeit, sich faktisch innerhalb von Augenblicken zu reorganisieren. VOLLKOMMEN INS-GEDÄCHTNIS-ZURÜCKRUFEN. Viele Wissenschaftler glauben, daß ein großer Teil dessen, was wir sehen, hören oder auf andere Weise wahrnehmen, jene Dinge eingeschlossen, die uns nie wirklich bewußt werden, permanent in unserem Gehirn gespeichert wird und jederzeit abgerufen werden kann. Es gab immer wieder außergewöhnliche Menschen mit unglaublichem Gedächtnis, die zum Beispiel imstande sind, lange Nummernlisten oder unsinnige Wörter im Kopf zu behalten und sie 50 Jahre später exakt abzurufen. Der kanadische Forscher Dr. Wilder Penfield (McGill University) hat in einer Reihe inzwischen klassischen experimentellen Gehirnuntersuchungen menschliche Gehirne mit sehr schwachem Strom stimuliert. Da das Gehirn selbst keine Schmerzrezeptoren hat, konnte er verschiedene Stellen stimulieren, während der Patient bei Bewußtsein war, und ihn nach den Gefühlen und Reaktionen fragen. Die Patienten beschrieben die verschiedensten und verblüffendsten Empfindungen, während sie sich von einem Moment auf den ändern vergangener Erlebnisse erinnerten, als würden sie sie tatsächlich nochmals durchleben. Wurde die Elektrode leicht verschoben, wurden ganz andere Erlebnisse ins Gedächtnis zurückgerufen. Penfield stellte fest: «Jeder Patient berichtete von einem wortwörtlichen lange vergangener Gespräche, Lieder, Witze, Kindergeburtstage -Dinge, die nur ein einziges Mal in ihrem Leben zur Sprache kamen - alles perfekt aufgezeichnet.» Er schloß daraus, daß tatsächlich jedes Ereignis vom Gehirn ständig festgehalten wird. [261] Lozanov ist der gleichen Meinung, verweist darauf, daß seine Technik nichts mit dem ungewöhnlichen <Supergedächtnis> zu tun hat, sondern einfach das Abrufen vereinfacht: Wir haben fast alles, was wir jemals erfahren oder gelernt haben, gespeichert; das Problem ist, die Dinge wiederzufinden. «Der menschliche Geist erinnert sich an eine kolossale Menge von Informationen: die Anzahl Knöpfe an einem 94
Anzug, die Stufen einer Treppe, die Anzahl Scheiben eines Fensters, wieviele Schritte es bis zur Bushaltestelle sind. Diese «
THETA-WELLEN UND GEDÄCHTNIS
Auf was für einen enormen Reichtum an Informationen könnten wir uns berufen, hätten wir nur den Zugang zu jenem Speicher des verlorenem Wissens, den wir in unseren Köpfen mit uns herumtragen. Stellen Sie sich vor, wir könnten uns an all die Bücher erinnern, die wir gelesen haben. Wie gewinnen wir den Zugang zu unserem inneren Lexikon? Eine faszinierende Möglichkeit ist, diesen mysteriösen Geisteszustand zu gebrauchen, jenen schwer feststellbaren Zeitraum, während dem unser Gehirn große Mengen Theta-Wellen entwickelt: 95
den hypnagogischen Zustand oder Thetazustand. Interessanterweise stellt das Thetastadium auch die Periode dar, während der unser Gehirn lebendige Erinnerungen produziert. Budzynski und andere, die diesen Zustand untersucht haben, fanden heraus, daß die Versuchspersonen in diesen Zustand eintreten, wenn sie lang vergessene Ereignisse geistig wiedererleben oder sich ihrer erinnern. Der Psychobiologe Dr. James McGaugh (University of California at Irvine) ist zuerst darauf gestoßen, als er das Gedächtnis und die Lernfähigkeit von Ratten untersuchte. Es war bekannt, daß Elektroschocks dazu führen, daß Ratten soeben Gelerntes wieder vergessen, und so fragte sich McGaugh, ob gewisse Drogen diesem Effekt entgegenwirken könnten. Erstaunlicherweise konnten Medikamente tatsächlich Erinnerungen wiederbringen, die durch Elektroschocks komplett ausgelöscht worden waren. Weitere Untersuchungen zeigten, daß die Schocks eine neue Protein-Synthese verhinderten. Offensichtlich hängt die Erinnerungsfähigkeit von der Formation neuer Proteine im Gehirn ab. (Eine Erklärung für Rosenzweigs Entdeckung, daß die Gehirne von Ratten aus reizvollem Umfeld größer und komplexer werden, wäre demnach, daß erhöhtes Gehirngewicht und größere Neuronen aus einer erhöhten Protein-Synthese verbunden mit Gedächtnisformierung resultierten.) McGaugh und seine Kollegen beobachteten weiter, daß die Ratten während der Amnesie nach dem Schock in der Tat keine Theta-Wellen produzierten. «Je mehr Theta-Wellen im EEG eines Tieres nach dem Training auftauchten, desto besser konnte es sich erinnern. Dies war in allen Fällen so. . . » Offensichtlich ist die beste Vorhersage für das Erinnerungsvermögen eines Tieres, die Anzahl der aufgezeichneten Theta-Wellen. McGaugh sagt nun zu seinen Studenten, «wenn sie eine Ratte sind und lernen wollen, wäre es gut, einige Theta-Wellen aufweisen zu können». Aber er glaubt nicht, daß Theta-Wellen als solche ein Zeichen des Gedächtnisses sind. Sie zeigen eher an, daß sich das Gehirn im richtigen Stadium befindet, um Informationen zu verarbeiten und zu speichern. [267, 218]* * Gemäß neueren Erkenntnissen, nach denen ein Prozeß namens Long Term Potentiation (LTP) der Schlüssel zur Entstehung von Erinnerungen ist, fand der Gedächtnisforscher Gary Lynch (University of California at Irvine) heraus, daß 96
Als Folge dieser Untersuchung haben einige Biofeedback-Forscher begonnen, Menschen darauf zu trainieren. Unter diesen Forschern waren Eimer und Alyce Green von der Menninger Foundation. Sie fanden heraus, daß Theta-Wellen «mit einem tiefen, verinnerlichten Zustand und mit einer Beruhigung des Körpers, der Emotionen und Gedanken verbunden sei und dabei normalerweise Dinge in Form hypnagogischer Erinnerung ins Bewußtsein vordringen.» Unglücklicherweise ist es schwierig, größere Mengen von Theta-Wellen zu produzieren: Normalerweise erleben wir den entsprechenden Zustand nur in den Momenten zwischen Wachen und Schlafen. Auch wenn man willentlich Theta-Wellen zu produzieren versucht, schläft man in den meisten Fällen ein. Die Greens versuchten mit speziellen Biofeedback-Maschinen Versuchspersonen den Thetazustand erreichen zu lassen, ohne daß sie dabei einschliefen. Die Versuchspersonen berichteten wiederholt, sich lebhaft an längst vergessene Ereignisse aus ihrer Kindheit erinnert zu haben: «Es war nicht so, als machten sie eine Erinnerung in ihrem Geist durch», schrieben die Greens, «sondern mehr wie ein Erlebnis, ein Wieder-Erleben». Diejenigen, die Theta-Wellen öfters produzierten, hatten «neue und wertvolle Ideen oder Synthesen von Ideen, nicht in erster Linie auf Grund von Schlußfolgerungen, sondern der Intuition und dem Unbewußten entsprungen». [130] Dies erinnert an das A&M Experiment, das zeigte, daß die Gehirne der Studenten, die plötzlich eine HeurekaErfahrung, ein Aha-Erlebnis hatten, sich im Thetazustand befanden. Die Greens sind überzeugt, daß der Thetazustand nicht nur das Gedächtnis und den Lernprozeß fördert, sondern auch die Quelle kreativen Denkens ist. Wir müssen uns nur an all die Geschichten von großartigen Einfällen und zukunftsträchtigen Entdeckungen erinnern und auch an unsere eigenen Geistesblitze - die dann auftauchen, während der Denkende vor einem Feuer sitzt, allein am Strand entlangwandert oder gedankenlos in die Ferne starrt: In dem Zustand der schläfrigen Träumerei, wenn die lebhaften Erinnerungen und «SyntheLTP und Gedächtnis mit dem Thetarhythmus verbunden sind. «Wir haben den magischen Rhythmus, der LTP ausmacht, gefunden», jubelte er, «es gibt einen Rhythmus, den Thetarhythmus, den natürlichen, angeborenen Rhythmus des Hippocampus». 97
sen von Ideen, die der Intuition unbewußter Quellen entsprungen sind», durch dieses Thetastadium Form annehmen. Der wichtige, entspannende Effekt der Maschinen, die wir erforschen wollen, der in vielen Fällen zu jenem schwer faßbaren Thetazustand führt, macht es möglich, daß solche Maschinen unsere Lernfähigkeit verbessern, uns zu höheren Ebenen kreativen Denkens bringen und uns Zutritt zu jenem unermeßlichen Fundus an Information und Erinnerungen, die wir in unserem Gehirn gespeichert und haben, verschaffen. Vermutlich wäre es zuviel verlangt, zu erwarten, daß es uns diese Maschinen ermöglichen, unser Gedächtnis auf Befehl ein- bzw. auszuschalten oder gewisse Ereignisse und Informationen, die wir nur noch vage in Erinnerung haben, haargenau zu bestimmen und uns an alles perfekt zu erinnern. Viele Wissenschaftler glauben trotzdem, daß solches möglich ist. Sie sind dabei, solche Maschinen und Drogen zu entwickeln und mit ihnen zu experimentieren.
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AUF DER SUCHE NACH DER VERRÜCKTEN GEHIRNMASCHINE
Ich habe geschildert, wie zufällig einige Erlebnisse meine Neugier dafür geweckt haben, wie gewisse Anreize, die willentlich dem Gehirn zugeführt werden, die geistigen Funktionen verstärken können. Ein wenig Isolation in einer Hütte in den Bergen, das Klicken einer AlphaWellen-Biofeedback-Maschine und sofort begann ich mich zu fragen, wohin das führen würde. Wenn solch einfache Einrichtungen und Techniken derart starke Auswirkungen haben können, wäre es da nicht möglich, viel elegantere, spezialisiertere, technologisch fortschrittlichere Maschinen mit weit intensiveren und größeren Möglichkeiten zu entwickeln? Beim Studium der Literatur zu diesem Thema fiel mir auf, daß einige Wissenschaftler den Gebrauch von Maschinen zur Stimulation und Veränderung des Gehirns als die aufregendste und revolutionärste Entwicklung der modernen Neurowissenschaft betrachteten. Eine Entwicklung, die durch die Verknüpfung von plötzlichen und enormen Fortschritten auf zwei verschiedenen Gebieten möglich gemacht wurde. Auf der einen Seite sind diese Riesensprünge unseres Verständnisses des Gehirns, einschließlich der Entdeckungen über das Wachstum der Dendriten und Synapsen, die Folge der Entdeckung von hunderten und vielleicht lausenden von neuen Gehirnchemikalien. Auf der anderen Seite gibt es die enormen technologischen Fortschritte, höchst empfindliche, computergesteuerte Apparaturen, Laser, neuroelektrische Stimulatoren und Mikroelektroden, die elektrische Aktivitäten eines einzelnen Neurons aufzeichnen können. Diese gleichzeitigen Entwicklungen scheinen sich zu vereinen und gegensei99
tig zu verstärken; jede Entdeckung über das Gehirn spornte die Entwicklung verfeinerter Apparaturen an, mit denen man die neuen Aspekte des Gehirns untersuchen konnte, und jeder Sprung vorwärts in der Technologie brachte Geräte hervor, mit denen man noch überraschendere Entdeckungen über das Gehirn machen konnte. Ich begann die Literatur systematischer zu lesen, mit Hirnforschern zu sprechen, und stieß auf eine außerordentliche Einstimmigkeit von Meinungen und Interessen. Wissenschaftler aller Disziplinen, die sich mit Hirnforschung befassen, - Enzephalographie, Biophysik, Neuroendokrinologie, Neurochemie, Neuroanatomie, Bioelektrizität, Psychiatrie, Psychobiologie und Psychologie - waren in Aufregung über den Reichtum an neuen Ideen und Informationen und erforschten enthusiastisch die Möglichkeiten der Wechselwirkungen von Gehirn und Maschinen. Als ich bei der Lektüre tiefer drang, wurde in der offensichtlichen Einigkeit eine schwerwiegende Spaltung ersichtlich. Die Mind machine Forscher waren in zwei Lager geteilt. Die eine Gruppe bestand aus jenen Wissenschaftlern, die die neuen Maschinen zu medizinischen und therapeutischen Zwecken nutzen wollten. Sie interessierten sich dafür, wie die Apparate zur Behandlung von Schizophrenie, Depression, Angstzuständen, Parkinsonismus, Epilepsie, AlzheimerKrankheit, geistiger Unterentwicklung, Mongolismus usw. verwendet werden können. Wenn sie vom Gebrauch der Maschinen zur Erhöhung der geistigen Fähigkeiten reden, so gilt ihr Hauptanliegen der Wiederherstellung der Gehirne derer, die Gehirnschäden oder den Verlust geistiger Kräfte durch Krankheit, Hirnschlag, Unfall oder Geburtsfehler erlitten haben. Das andere Lager besteht aus Forschern, die versessen darauf sind, die Möglichkeiten der Maschinen an vollständig gesunden, psychisch ausgeglichenen Menschen auszuprobieren, ausdrücklich zum Zweck der Stimulation geistiger Spitzenleistungen. Eine Forschungsstiftung mit dieser Orientierung hat kürzlich eine Studie über «Die Neurobiologie der Spitzenleistungen» begonnen, mit dem Ziel, Instrumente für die Entwicklung «extremer Fertigkeit in der Ausführung ausgesuchter Aufgaben» zu suchen und «solch höhere Gehirnfunktionen wie Informationsverarbeitung, Gedächtnis (Kurzzeit/<enzyklopädisches>/ photographisches) und Konzentration» zu verbessern. [338] 100
TOM SWIFT UND SEINE WUNDERBARE MIND MACHINE
Das Problem der letzteren Gruppe von Wissenschaftlern besteht darin, daß Forschung außerordentlich teuer ist, und alles Geld, das von der US-Regierung und anderen Quellen für psychobiologische Forschung zur Verfügung gestellt wird, für Forschungsprojekte mit medizinischem und/oder therapeutischem Wert gedacht ist. Auch wenn Wissenschaftler solcher Institute wie des NIMH (National Institute of Mental Health) persönliches Interesse an der Entwicklung außergewöhnlicher geistiger Fähigkeiten haben mögen, werden ihre Projekte so auf Ziele gerichtet, die als sozial nützlicher gelten. Das ist durchaus sinnvoll, denn es ist die Pflicht einer demokratischen Gesellschaft, für das Wohl aller Bürger zu sorgen, und wir alle haben ein Interesse daran, Krankheit und körperliche Gebrechen zu eliminieren. Auf der anderen Seite bestehen die Erfinder von Mind machines darauf, daß das Wohl einer Gesellschaft auch davon abhängt, daß die Intelligenz aller Bürger gefördert wird und durch die originellen, kreativen Ideen derer mit dem feinsten Verstand bereichert werden müsse, denn es sind genau diese Ideen, die eine Gesellschaft anspornen, besondere Leistungen zu vollbringen. Dazu kommt, daß die Ideen des wissenschaftlichen Establishments darüber, was gerechtfertigte medizinische Forschung ausmacht, oft kurzsichtig oder sogar eigennützig erscheinen. Dr. Robert O. Becker ist einer der bekanntesten und am meisten respektierten Forscher auf dem Gebiet der elektrischen Stimulation von lebendem Gewebe. Er verblüffte die wissenschaftliche Welt mit seinen gut dokumentierten Experimenten, die beweisen, daß elektromagnetische Energie die Wiederherstellung amputierter Gliedmaßen gewisser Tiere hervorrufen kann. Seine Forschung brachte ihn dazu anzunehmen, daß elektrische Stimulation der Schlüssel zu bemerkenswerten menschlichen Heil- und Wachstumspotentialen sei. Becker sagt: «Ich glaube, daß wir mit der Zeit die totale Wiederherstellung beim Menschen herbeiführen können, nicht nur bei den Gliedmaßen, sondern auch beim Herzen und anderen lebenswichtigen Organen.» Zu den lebenswichtigen Organen, die zu solch einer Wiederherstellung fähig seien, gehöre auch das Gehirn. «Meiner Meinung nach», sagt Becker, «ist dies das wichtigste Gebiet der heutigen medizinischen Forschung. Zum ersten Mal 101
seit Hippokrates hat der Mediziner bis zu einem gewissen Grad die Möglichkeit den Wachstumsprozeß zu kontrollieren. Dies ist ein Quantensprung in der medizinischen Kunst.» «Wir haben die elektrische ... Technologie und wir haben das Beweismaterial», schränkt Becker ein, «aber wir haben nicht das Kapital. Die NIH (National Institutes of Health) würde uns noch nicht mal eine 25 Cent Marke geben, um dies genauer anzuschauen. Das Establishment ist viel zu sehr damit beschäftigt, riesige Summen zu kürzen, während Tausende weiterhin leiden.» [144] Während also die Psychobiologen an Instituten und Universitäten Zugang zu Forschungsgeldern haben, bleiben die Forscher der Verbesserung des Gehirns meist im Regen stehen und kratzen das Geld zusammen, wo immer sie es kriegen können. Oft müssen sie ihre Forschung mit Geld unterstützen, das sie in Nebenjobs verdienen, wie der ehemalige NASA-Ingenieur, der vor Kurzem zu etwas Berühmtheit kam, als er in seiner Garage eigenhändig eine Rakete und Weltraumkapsel baute, von der Experten glauben, daß sie erfolgreich einen Menschen ins All und wieder zurück auf die Eide befördern könnte. Er durchstöberte Schrottplätze und gebrauchte überflüssige Teile, deren Bau die Regierung Millionen gekostet hatten und die er für ein paar Dollar kaufte. Diese Gehirnforscher bauen ihre Maschinen aus allen Materialien, die sie sich leisten können. Natürlich finden das einige «Establishment»- Forscher verdächtig, vor allem deshalb, weil die auf dem Gebiet der Entwicklung des Geistes Innovativen oft mit einem Bein in der Welt der Wissenschaft stehen, mit dem ändern in der Wirtschaft. Das Grundprinzip dieser Mind-machine-Unternehmer besteht darin, daß, wenn das wissenschaftliche Establishment die notwendige Forschung nicht unterstützt, sie das Geld durch den öffentlichen Verkauf ihrer Maschinen beschaffen werden. Sollten sie zufälligerweise reich dabei werden, um so besser - in der Tat ist dies eine der großen amerikanischen Traditionen, durch die Beispiele von Thomas Edison und Tom Swift belegt, daß Erfindungsgabe im Dienste der Menschheit kombiniert mit Initiative und Verständnis für Geschäft mit Reichtum belohnt wird. Als ich mit ihnen sprach, entwickelte sich schnell ein einheitlicher Eindruck: sie alle glauben, daß ihre Maschinen ein enormes Potential 102
an Nutzen für die Menschheit bergen. Viele von ihnen haben einen medizinischen Titel oder eine akademische Ausbildung als Wissenschaftler. Alle von ihnen waren sehr versiert in der neusten Gehirnforschung und machten geltend, daß ihre Apparate auf dieser Forschung basieren. Sie alle zeigten haufenweise Forschungsartikel der wichtigsten Gehirnforscher vor, die die Prinzipien erklärten, auf denen ihre Maschinen aufgebaut sind. Und in allen Fällen betonten sie mit Eifer, daß die Wirksamkeit ihrer Maschinen durch gründliche, kontrollierte, wissenschaftliche Studien geprüft werden sollte. Aber trotz ihrer Ungeduld nach wissenschaftlicher Anerkennung arbeiten die Macher dieser Maschinen manchmal unter anderen Voraussetzungen als die anerkannte Wissenschaft. Wirkliche wissenschaftliche Forschung basiert aufwertfreien Studien, die durch andere aus der Gemeinde der Wissenschaftler genau überprüft werden und zurückgewiesen werden können. Die meisten Studien verwenden Kontrollgruppen, oft auch Doppelblind-Versuche (bei welchen weder die Versuchspersonen, noch die Forscher selbst wissen, bei welcher Testperson das zu untersuchende Phänomen auftreten kann, und sie so nicht durch Erwartungen beeinflußt werden). Die meisten Untersuchungen erstrecken sich auf eine große Anzahl von Versuchspersonen und beinhalten verschiedene Vor- und Nachuntersuchungstests sowie Langzeitstudien. Die Mind-machine-Unternehmer sagen, daß sie weder das Geld noch die Mittel für solch teure und zeitraubende Untersuchungen haben. Mit vielen der Apparaturen ist es unmöglich, DoppelblindVersuche zu machen. Außerdem können die Aspekte des Gehirns, die untersucht werden - Kreativität, Intuition, Intelligenz und Gelassenheit - schlecht in Statistiken ausgedrückt werden. Einer dieser Unternehmer, Robert Monroe, der ein patentiertes System zur Synchronisation des Gehirns erfunden hat, das er nennt, sagt, «reine Wissenschaft will ganz einfach nur herausfinden, aber will das Herausgefundene nicht anwenden... Mir macht es Spaß, etwas von großem Wert aus dieser Entdeckung zu machen. Ich weiß, daß das Phänomen existiert, aber ich kenne den Wirkungskreis nicht. Die wirkliche Wissenschaft ist Aufgabe der anderen. Warum funktioniert Hemi-Sync? Manchmal gerate ich an den Abgrund dieser Frage, obwohl ich es nicht will. Wenn etwas funktioniert, sage ich immer: gebrauch es!» [227] 103
Als ich die in den nächsten Kapiteln beschriebenen Maschinen untersuchte, haben mir die Erfinder/Forscher im allgemeinen viele Studien über die Wirksamkeit ihrer Apparaturen überlassen; und obwohl beeindruckend, waren diese Studien oft auf kleinen Versuchen aufgebaut, manchmal ohne Kontrollgruppen und ohne die nachfolgende Prozedur. Dies soll nicht heißen, daß die Studien falsch oder irreführend waren, in der Tat haben die meisten klar angegeben, daß etwas Eindringliches mit der Versuchsperson passierte, die das Gerät verwendete. Aber sie stellen einfach keinen wissenschaftlichen Beweis dar. Die Forscher verschafften mir sogar noch mehr Fallbeschreibungen, in welchen Einzelpersonen, die die Apparate verwendet hatten, deren Wirksamkeit attestierten und bemerkenswerte und manchmal erstaunliche Verwandlungen als Resultat ihrer Erlebnisse beschrieben. Aber während solche faszinierend, beeindruckend und in großen Mengen unwiderstehlich sind, so sind sie doch kein wissenschaftlicher Beweis. Sogar Wissenschaftler, die tief davon überzeugt sind, daß gewisse Arten der Stimulierung des Gehirns unvorhergesehenes Wachstum der Gehirnzellen und der geistigen Fähigkeiten hervorrufen können, zögern nach wie vor, einen weitverbreiteten Gebrauch der entsprechenden Maschinen zu empfehlen. Einer von ihnen ist Robert O. Becker, der warnt, «wissenschaftliche Beweise mögen andeuten, daß einige bestimmte dieser Praktiken spezielle und wichtige Effekte auf die Funktionsweise des Gehirns haben, aber wir benötigen felsenfeste wissenschaftliche Fakten. Benützt jemand solch eine Maschine und es passiert etwas Schlimmes, ginge die ganze Technologie den Bach runter, oder sie gälte als eine der Scharlatanerien, wie sie in den achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts häufig vorkamen.» [140] EIN 97-PFUND SCHWÄCHLING MACHTSICH UNERSCHROCKEN AUF DEN WEG, DEN LETZTEN GRENZBEREICH ZU ERFORSCHEN
Obwohl es keinen stichhaltigen Beweis für die Sicherheit dieser Maschinen gibt, wollte ich sie unbedingt ausprobieren. Durch meine Nachforschungen war ich überzeugt, das menschliche Gehirn verfüge über unentdeckte und unerschlossene Kapazitäten des Wachstums. 104
Aus meinen Gesprächen mit Wissenschaftlern wußte ich, daß das Gehirnwachstum mit erstaunlicher Geschwindigkeit vor sich geht und daß die erfolgsversprechendste Art, solches Wachstum herbeizuführen, ein <super-reizvolles Umfeld>, , erzwungene Herausforderung> und <Energiezuströme, die zu einer Reorganisation auf einer höheren, zusammenhängenderen Ebene führen>, wie es die Wissenschaftler nennen, ist. Es erschien logisch, daß die effektivsten Geräte zur Erreichung dieses Wachstums und dieser Umwandlung von Gehirnexperten speziell entwickelte Apparaturen waren, die an jenen Stellen im Gehirn, die dafür am zugänglichsten sind, einen Energiezustrom verursachen - entweder in Form von Blitzlichtern, gleichlaufenden Geräuschwellen, negativen Ionen, veränderter Schwerkraft im Kleinhirn oder Schwankungen der Gehirnwellen. Von meinen eigenen Erlebnissen her - mein in die Flammen Starren und die Visionen des Wieselauges auf der einsamen Bergspitze, sowie meine Energieinfusion von der Alpha-Wellen-Maschine - hatte ich den starken Verdacht, daß hochtechnisierte Gehirnstimulation die geistigen Fähigkeiten auf ungeheuerliche Weise steigern kann. Ich hatte keinen Zweifel daran, daß es in meinem Gehirn Dinge gab, die begierig darauf warteten, zum Vorschein zu kommen, daß mein 97-Pfund Schwächling von einem Gehirn geistiges Eisen stemmen könne, um dann als 200-Pfund Denker mit steinharten Muskeln imstande zu sein, jedem Metaphysiker Sand in die Augen zu streuen. Und außerdem war ich ein bißchen abenteuerlustig. Da war ein Gefühl der Unerschrockenheit. Ich war bereit. Seit meiner ersten Begegnung mit Jim Hawkins aus der Schatzinsel, der sich im Apfelfaß versteckte, hatte ich das Gefühl, für Abenteuer auf hoher See geschaffen zu sein, für alte spanische Pesos, Flaschen voller Rum und vergrabene Schatzkisten. Kulturanalytiker behaupten, daß es einst die Unzivilisierten, die Kriminellen, Verrückten und Abenteurer waren, die in unbekannte gefährliche Länder auszogen, um Städte aus Gold, doppelköpfige Kannibalen, im Labyrinth wohnende Mino-tauren, Fakire auf fliegenden Teppichen und paradiesische Tropeninseln zu finden. Inzwischen liegt das unbekannte Land im Innern. «Wir erkunden den letzten Grenzbereich», sagen die Hirnforscher. «Mit meinen verschmelzenden Geräuschvibrationen kann ich (die Leute) 105
vielleicht etwas erleben lassen, das jenseits ihrer fünf normalen Sinne liegt», sagt der Hemi-Sync-Erfinder Monroe. «Daraus wird dann eine aufregende Gelegenheit zur Entdeckung. Die meisten von uns wären gern Admiral Byrd oder Marco Polo. Wir können das gleiche sein, und diese tiefgreifenden Erkundungen in andere Zustände des Bewußtseins sind genauso abenteuerlich wie Entdeckungsreisen ins Weltall.» So war ich also bereit loszugehen, bereit mich durch die große Wüste des limbischen Systems zu wagen, die Berge und Canyons der Neokortexwildnis zu überqueren, die üppigen, dichten Dschungel verflochtener Neuronen, Axonen und Dendriten zu erforschen, mit Todesverachtung über die gähnenden Abgründe der Synapsen zu springen, den Monstern und Dämonen der Absonderungen des Hypothalamus zu begegnen, alles in der Hoffnung, tropische Inseln, über die ein leichter Wind weht und auf denen süße Früchte wachsen, zu finden. Was nun folgt ist ein Bericht über meine Erlebnisse mit einigen dieser . Die meisten der käuflichen Maschinen werden in der Werbung als <streßabbauend> verkauft - weitgehend der staatlichen Vorschrift wegen, gemäß der die Herseiler keine heilenden oder therapeutischen Wirkungen geltend machen dürfen. Die meisten davon werden tatsächlich als therapeutische Geräte verwendet und wurden als wirksam bei der Linderung einiger Krankheiten, wie hoher Blutdruck, Angstzustände, Depressionen, Schmerz, Mongolismus, Autismus, Schizophrenie, Lernschwierigkeiten und sexueller Dysfunktion, bezeichnet. Ich werde mich nicht mit der therapeutischen Anwendung dieser Einrichtungen beschäftigen und sie nur hin und wieder erwähnen. Mein Interesse gilt jenem Aspekt dieser Maschinen, von dem ihre Hersteller und Anwender heimlich und mit Inbrunst sprechen: Gehirnförderung. Können diese Maschinen das Wachstum des Gehirns stimulieren? Können sie uns zu neuen Ebenen geistiger Vollendung bringen? Können sie Kreativität fördern und unsere Fähigkeiten Probleme zu lösen steigern? Können sie uns schlauer machen? Verständiger? Besser?
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Teil
II
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8 DIE ELEKTRIFIZIERUNG DES GEISTES TEIL1: TENS
EINE REISE DURCH DIE WEIZENFELDER DES GEHIRNS. REISELEITER: MR. LIGHT
«Hier haben wir also einen transkutanen elektro-neuralen Stimula-tor», sagte Joseph Light, «kurz ein TENS.» Er legte ein schwarzes Kästchen von der Größe einer Zigarettenpackung auf den Tisch zwischen uns. Das Ding hatte einen Drehknopf, zwei lange Drähte und an deren Ende zwei kleine flache Metallplättchen, die mit feuchtem Frottiertuch überzogen waren. «Das sind die Elektroden», sagte er. «Schieb sie dir unter die Strümpfe, an jedes Fußgelenk eine, dann schalten wir dich an.» Er gluckste in sich hinein. Wir saßen in einem Schnellimbiß direkt neben der Salatbar. Der Besitzer füllte gerade frische Bohnenkeimlinge nach und beäugte den merkwürdigen Kasten auf dem Tisch und den sichtbar verwirrten Mann mit dem Draht im Schuh mißtrauisch. «Kontakt ist da», sagte Mr. Light (wirklich ein passender Name!) und befingerte den Knopf. «Ich dreh's erstmal nur ein bißchen auf. Merkst du jetzt was?» In meinen Fußgelenken begann es zu kribbeln, ein seltsames, aber durchaus angenehmes Gefühl. Und dann? Ich dachte, ich würde gleich strahlen wie eine Glühbirne oder eine Rede mit meinen intimsten Gedanken auf die nichtsahnenden Hamburgerkonsumenten ringsum loslassen. «Was geschieht mit mir», fragte ich Mr. Light. Er mußte es ja wissen. Schließlich hat er umfangreiche Forschungsarbeiten über die Auswirkungen von Elektromagnetismus auf das menschliche Nervensystem betrieben und ist 109
Inhaber der Firma Biomedical Instruments Inc., die Biofeedbackapparaturen und anderes elektromedizinisches Gerät verkauft. Er erklärte, der TENS sei batteriebetrieben und gebe extrem schwache pulsierende Stromsignale in meinen Körper und mein Gehirn ab (im Bereich zwischen 5 und 200 Mikroampere - zum Vergleich: eine normale 60-Watt-Birne arbeitet mit etwa 0,5 Ampere, also mit etwa der tausendfachen Stromstärke). Mr. Light gab folgende Erklärung: Das Gehirn ist im Grunde ein Organ, daß mit elektrischer Energie versorgt wird und selber auch Elektrizität produziert. Es setzt sich aus schätzungsweise 100 Milliarden Neuronen zusammen - mehr Neuronen als es Sterne im Universum gibt. Jedes dieser Neuronen ist so komplex wie ein kleiner Computer und erzeugt beziehungsweise übermittelt elektrische Impulse. Diese elektrischen Impulse bewegen sich dann von der Zelle aus entlang bestimmter langer Fasern, den Axonen, weiter, bis sie an einen Punkt kommen, an eine Synapse, wo sie sich mit einem ändern Neuron treffen. Hier <schießen> die elektrischen Impulse chemische Botensubstanzen, die Neurotransmitter, über den synaptischen Spalt. Hinüber also zum nächsten Neuron und seinen Rezeptoren. Das Empfängerneuron erzeugt daraufhin seinerseits einen elektrischen Impuls und schickt ihn zu weiteren Neuronen, mit denen es in Verbindung steht. Da jedes Neuron mit Tausenden anderer Neuronen verbunden sein kann, die wieder jeweils ständig Signale mit Tausenden weiterer Neuronen austauschen, kann ein einzelnes Signal eines Neurons rasch Millionen anderer Neuronen erreichen und deren elektrischen Zustand verändern. Jedes dieser Millionen Neuronen ist einzigartig und verfügt über Reaktionsmuster, die sich zumindest geringfügig von den der anderen unterscheiden. Deshalb ist das Gehirn ein unvorstellbar komplexes elektrisches Netzwerk, in dem in jeder Sekunde Milliarden elektrischer Impulse in sämtlichen Richtungen hin und her fliegen. Nach Aussagen der amerikanischen Akademie der Wissenschaften (National Academy of Science) ist in einem einzigen menschlichen Gehirn die Anzahl der möglichen Verbindungen zwischen den Nervenzellen größer als die Gesamtzahl der Atome im Universum. Zusätzlich zu den Neuronen enthält das Gehirn Milliarden von Gliazellen - nach einigen Schätzungen gibt es bis zu zehnmal mehr 110
Gliazellen als Neuronen. Joseph Light zufolge gibt es in der neuesten Forschung Hinweise darauf, daß auch diese Gliazellen, ähnlich wie flüssige Kristalle, für elektrische Signale empfänglich sind, und in Harmonie mit den sie umgebenden elektrischen Feldern schwingen. Wie Light weiter ausführte, könnte das bedeuten, daß die Gliazellen wie Halbleiter funktionieren, indem sie schwache elektrische Impulse aus Nervensystem und Umwelt auffangen und sie tausendfach verstärken, ähnlich wie Transistoren, die sehr schwache Signale in elektronischen Schaltkreisen verstärken. Die Neuronen können also Signale durch die Netzwerke der untereinander verbundenen Zellen senden. Man könnte sie mit einem äußerst komplizierten Telefonnetz vergleichen, bei dem aber alle Einzelanschlüsse wieder - zumindest indirekt untereinander verdrahtet wären. Gleichzeitig werden die Signale aber auch von den Gliazellen verstärkt und durch das Gehirn transportiert, bis sie auf ein Neuron treffen, das auf der richtigen Frequenz empfängt. Und mehr noch: Die Wissenschaft entdeckt zur Zeit, daß die einzelnen Neuronen nicht nur ihre individuellen Signale erzeugen können, sondern sich auch mit Vorliebe zu Netzen mit Tausenden oder Millionen von Zellen vereinen, die simultan in der Frequenz desselben elektrischen Signals summen und schwingen. Für Joseph Light ist klar, daß all unsere Gedanken und Wahrnehmungen im wesentlichen aus den Interaktionen komplexer elektromagnetischer Felder bestehen, die ständig durch unser Gehirn schießen. Stellen wir uns einmal ein riesiges Weizenfeld vor, in dem Millionen einzelner Ähren von machtvollen, ständig wechselnden, in der Richtung unberechenbaren Winden hin und her geblasen und durchgeschüttelt werden. Angenommen, wir ständen auf einem Hügel daneben, dann würden wir sehen, wie sich in bestimmten Bereichen alle Ähren nach Norden neigen und wie an anderen Stellen kreisförmige Windböen pulsierende Wirbel von Ähren erzeugen. Das Gehirn ähnelt in gewisser Hinsicht diesem Weizenfeld. Die einzelnen Ähren entsprechen den Neuronen. Die Energiemuster, die wir durch das Feld strömen sehen, entsprechen unseren Gedanken und Wahrnehmungen. Die unberechenbaren Wirbelwinde, die diese Gedanken und Wahrnehmungen verursachen, sind die Energie, die ständig in das Gehirn hinein und in seinem Inneren fließt. Diese Energie ist elektro111
magnetisch: indem wir einen elektromagnetischen Wind durch unser Gehirn blasen, können wir die neuralen Netze zu bestimmten Mustern formen. Diese Muster sind dann die Gedanken und Wahrnehmungen. Natürlich ist diese Metapher eine grobe Vereinfachung. Denn nicht nur der große Sturm der elektrischen Muster bläst ständig in unserem Gehirn, sondern gleichzeitig erzeugt jede einzelne Weizenähre selbst elektrische Energie. Also werden die majestätischen Muster, die wir von unserm Hügel aus beobachten können, auch durch die gemeinsame koordinierte Tätigkeit von Millionen Weizenähren erzeugt. Unser Gehirn erzeugt tatsächlich soviel elektrische Energie, daß wir sie leicht durch die dicken Schädelknochen hindurch messen können. Wir brauchen nur Sensoren (Elektroden) an der Kopfhaut anzulegen und erhalten ein Bild der elektrischen Schwingungen, das EEG. Inzwischen hat man mehrere Jahrzehnte die elektrischen Aktivitäten des Gehirns erforscht und ist zu dem Ergebnis gekommen, daß Veränderungen in der EEG-Struktur mit Veränderungen von Gedanken und Wahrnehmungen korrespondieren. Verändern sich diese elektrischen Wellen in Frequenz oder Amplitude, dann verändert sich auch unser Geisteszustand. Das eine Wellenmuster mag zum Beispiel auf mathematische Operationen hindeuten, ein anderes, sehr unterschiedliches auf Tagträume. Da erscheint es ganz logisch, was Joseph Light mir erklärte, daß man nämlich den geistigen Zustand eines Menschen direkt und unter Umständen geradezu dramatisch verändern kann, indem man einen elektrischen Strom durch das Gehirn schickt. Wie bereits erwähnt, können unterschiedliche Gehirnwellenfrequenzen zumindest grobe Hinweise auf die unterschiedlichen Tätigkeiten des Gehirns geben. Die schnellschwingenden Beta-Wellen (mit einer Frequenz zwischen 13 und 30 Hertz, abgekürzt Hz, also mit 13 bis 30 Schwingungen pro Sekunde) entsprechen dem <normalen> Niveau geistiger Aktivität, wobei die Aufmerksamkeit auf die Außenwelt gerichtet ist. Die langsameren Alpha-Wellen (8-13 Hz) treten im allgemeinen bei Entspannungszuständen auf. Die sehr langsamen ThetaWellen begleiten oft sehr weltvergessene Träumereien, geistiges Bilderleben und Situationen, in denen auf die Erinnerung zurückgegriffen wird. Die ultralangsamen Delta-Wellen (0,5-4 Hz) begleiten im allgemeinen den Tiefschlaf. Diese Beziehung zwischen elektrischer Gehirnaktivität und entsprechenden Geisteszuständen erklärt sich daraus, 112
daß elektrische Frequenzen die individuellen Neuronen oder auch Neuronengruppen zur Freisetzung bestimmter Neurochemikalien anregen. Diese elektrisch ausgelösten Gehirnchemikalien bedingen unsere Geisteszustände und das daraus resultierende Verhalten. Angst, Lust, Depression, Ekstase, Gier, Liebe, Schüchternheit - sie alle ergeben sich aus der Kombination bestimmter Neurotransmitter. Genau abgestimmte Mischungen dieser Gehirnsäfte können ganz spezifische Geisteszustände hervorrufen: Angst vor Dunkelheit etwa oder intensive Konzentration. Das Wichtigste dabei, sagte Light, sei die Tatsache, daß sehr spezifische elektrische Frequenzen die Freisetzung sehr genau eingrenzbarer Arten von Neurochemikalien auslösen. Lights Maschine war zum Beispiel auf die Frequenz von 7.83 Hz eingestellt. Diese Frequenz, behauptete er, sei dieselbe wie die des elektrischen Feldes, das zwischen Erde und Ionosphäre schwingt. Deshalb hätte sie die einzigartige Fähigkeit, Körper und Gehirn eines Menschen mit der elektromagnetischen Energie der Erde zu integrieren und zu harmonisieren. «Es ist, als ob die Erde wie eine große Glocke klingt und schwingt», sagte er. «Und dann fängt plötzlich dein Gehirn an, in derselben Frequenz zu schwingen, und paßt sich der Frequenz der Umgebung an, wird fast schon eins mit ihr.» Nach seinen Worten bringt eine derartige Integration oder Resonanz Gehirn und Körper dazu, mit großer Kohärenz zu arbeiten, und erzeugt gelegentlich erhöhte Bewußtseinszustände. Wenn ein Mensch in der Meditation den Zustand des Samadhi erfahre, jenes Gefühl der Einheit und Harmonie mit der gesamten Schöpfung, dann schwängen die Gehirnwellen in eben dieser Frequenz. Das sei durch EEG-Messungen erwiesen. Während Light so redete, fühlte ich, wie mir die Augen immer weiter aus dem Kopf traten - ein durchaus angenehmes Gefühl des Überquellens war das - und in mir regte sich ein starkes Bedürfnis, einfach ungehemmt loszulachen. Der Gedanke, daß ich auf einer Frequenz mit der Erde schwingen sollte, war bizarr, aber irgendwie auch erfreulich. Ich befand mich anscheinend in einem Zustand konzentriertester Aufmerksamkeit, also stellte ich eine Reihe bohrender Fragen an Light. Konnte das Ganze wirklich so einfach sein? Wenn man diese Gedanken weitersponn, dann müßte es möglich sein, genau den Geisteszustand in mir wieder wachzurufen, den ich bei einem erfolgreichen 113
Home Run in einem Baseballspiel von vor zwanzig Jahren hatte. «Die Frequenz der Welle ist von Bedeutung, weit wichtiger aber ist die Form der Welle», antwortete Light. Jede Frequenz, also auch 7,83 Hz, kann nämlich in unzähligen Wellenformen auftreten, vom bekannten regelmäßigen Auf und Ab der Sinus-Wellen über zackige, unregelmäßige Sägezahn-Wellen bis hin zu rechteckig oder quadratisch geformten Wellen, die am Wellenberg und am Wellental in einer geraden Linie verlaufen. Und jede neue Wellenform jeder neuen Frequenz wird nach dieser Theorie auch eine andere Auswirkung auf das Gehirn des Menschen haben und die Freisetzung unterschiedlicher Kombinationen von Neurochemikalien auslösen. Ein japanischer TENS-Forscher habe herausgefunden, so erfuhr ich, daß Vivaldis Vier Jahreszeiten sich ausgezeichnet zur Schmerzlinderung eignen, wenn man sie durch einen Computer verarbeiten läßt und in elektrische Signale umsetzt. «Manche Wellenformen sind sehr gut für Leute, die mit Rauchen aufhören wollen, wieder eine andere Frequenz und Wellenform kann beim Heroinentzug helfen, und eine dritte macht den Menschen besonders wach und aufmerksam», sagte Light. Er zeichnete die Wellenform auf, die er in seinem TENS verwendete (sie sah aus wie eine zackige Gebirgskette), und erklärte, diese Wellenform und Frequenz sei von einzigartiger Wirkung. Theoretisch, behauptete er, sei es möglich, ein Gerät zu entwickeln, mit dem man durch bestimmte Frequenzen und Wellenformen dem Benutzer alle möglichen Gemütszustände einflößen könnte, Angst und Schrecken, visionäre Phantasien, starke Übelkeit oder auch ozeanische Gefühle der Seligkeit. Ja, ja, rief ich. Ich hätte platzen können vor Begeisterung. Voller Neugier und Erregung erzählte ich Light über mein Interesse an der Gehirnforschung. Ich erzählte ihm von einem Artikel über das Gehirn, den ich gerade schrieb. Ich erzählte ihm, wie mein Interesse für das Gehirn entstanden war. In diesem Augenblick schössen mir eine Reihe von Studien zu verschiedenen Themen durch den Kopf (zum Beispiel über die Beziehung zwischen Proteinsynthese und Gedächtnis oder über die biochemische Grundlage von Suchtverhalten), und ich begriff etwas Neues. Ich begann wild zu gestikulieren, kritzelte hastig etwas auf meine Papierserviette und versuchte, meine neuen Einsichten zu erklären ... Plötzlich hielt ich mit offenem Munde inmitten der wildesten Vermutungen inne. Die Leute an den Nachbartischen hatten 114
meinen Vortrag mit großem Interesse verfolgt. «Was rede ich nur daher!» sagte ich zu Light. «Wirres Geplapper, wie eine Aufziehpuppe!» Light grinste dämonisch und zeigte auf das ominöse schwarze Ding auf dem Tisch. Mir fiel ein, daß sich die ganze Zeit über subtile kleine elektrische Wellen in mein Gehirn geschlichen hatten. Ich brach in lautes Gelächter aus, eine überwältigende Freude durchflutete mich. Ich spürte, daß mein Gehirn schneller und effizienter als je zuvor arbeitete - die Ideen und Gedanken setzten sich so schnell zusammen, daß ich sie kaum festhalten konnte. Light kicherte wieder vor sich hin und erklärte, die Maschine bringe mein Gehirn dazu, große Mengen schmerzlindernder und euphorisierender Endorphine freizusetzen und außerdem andere Gehirnchemikalien, die erhöhte geistige Aktivität förderten. «Ich mußte einmal etwa tausend Kilometer fahren, um mich mit einem Geschäftspartner zu treffen», sagte er. «Da habe ich mich an diesen Apparat angeschlossen und ihn den ganzen Weg lang eingeschaltet. Ich bin in einem Stück durchgefahren, brachte den Termin hinter mich und fuhr den ganzen Weg zurück. Unterwegs habe ich noch eine Menge geistige Arbeit geschafft und war nicht einmal müde, als ich wieder Zuhause war.»
DER GEHEIME KAMPF UM DIE ELEKTRISCHE WELTHERRSCHAFT
Dieses Maschinchen wirkte also durch die Stimulation bestimmter Neurochemikalien. Und da die Wissenschaftler heute annehmen, daß alle möglichen Gemütszustände von Neurochemikalien ausgelöst werden, müßte es möglich sein, all diese Gefühle und noch viele andere elektrisch auszulösen. Man müßte nur noch die richtige Wellenform und Frequenz finden. «Stell dir vor», witzelte ich, «dann könnte man ja jemand mit Liebeswellen bombardieren!» Light nickte und lächelte: «Ja, einige Forscher arbeiten tatsächlich genau an diesem Projekt.» Da fiel mir doch der Kiefer herunter. Und Light redete weiter, von anderen weit seltsameren, bedrohlichen und streng geheimgehaltenen Projekten - betrieben von der amerikanischen und russischen Regierung, aber auch von privaten Forschern. Von Maschinen, mit denen man elektrische Signale ohne Elektroden-115
kontakt direkt ins Gehirn senden kann (so daß man also aus einiger Entfernung damit auf jemanden zielen kann und seine Gehirnwellen verändern). Projekte, um das Bewußtsein ganzer Völker zu verändern, indem man spezielle elektrische Wellen von Satelliten oder vom Mond aussendet. Vor meinen Augen erschien ein riesiges Untergrundnetzwerk von Bioelektrikern, die alle munter mit elektromagnetischen Apparaten drauflosexperimentierten, mit denen man potentiell die Welt verändern könnte. «Das ist doch verrückt», sagte ich, «warum habe ich noch nie etwas davon gehört?» «Es gibt sehr bedeutende Gruppen in der Welt der Wissenschaft, einflußreiche Leute, die sehr an diesen Bereichen interessiert sind», antwortete Light, «aber sie müssen den Großteil ihrer Arbeit im Geheimen verrichten. Denn sobald sie etwas von diesen sensitiven Daten veröffentlichen, kriegen sie Probleme. Schließlich arbeiten sie mit Forschungsstipendien. Wenn man sich in diesen Kreisen auskennt, weiß man, daß die Stipendien gestrichen werden, sobald diese Wissenschaftler etwas über ihre Arbeit veröffentlichen. Es gibt Gebiete in der bioelektrischen Forschung, in denen schon sehr einfache Techniken und Apparate eine geradezu umwerfende Wirkung erzielen können. Wenn so etwas in die Hände eines Verrückten gerät, der über ein wenig technisches Wissen verfügt, dann kann er eine Menge Schaden anrichten.» Light lehnte sich zu mir herüber, er wurde immer erregter: «Es gibt Frequenzen, mit denen man ganze Städte außer Gefecht setzen kann. Den Menschen wird so übel, daß sie völlig wehrlos sind.» Er berichtete mir von dem exzentrischen Visionär und Elektronikgenie Nikola Tesla, dem Erfinder des fluoreszierenden Lichts, des Wechselstromgenerators, des Radios und vieler weiterer Geräte. Tesla habe eines Tages im Jahre 1898 einen einfachen elektrischen Oszillator von der Größe eines kleinen Weckers an einen Eisenpfosten in seiner Werkstatt in Manhattan angeschlossen. Als er ihn einschaltete, ging eine gewaltige Erschütterung durch den Boden von Manhattan, wie ein Erdbeben. Fenster zerbrachen, Gebäude bebten, die Menschen im gesamten unteren Bereich der Insel gerieten in Panik. «Elektrische Schwingungen!» flüsterte Light. «Das, wovon wir jetzt reden, ist extrem wirksam. Die Regierung unterdrückt konsequent alle Informationen darüber. Denn sie forschen seit 1940 an diesen 116
Sachen, und wir liegen ja immer noch in einem psychischen Krieg mit der UdSSR. Sie wollen, daß diese Informationen vertraulich bleiben, sie vertuschen alles, weil es gefährlich werden kann, wenn es in die falschen Hände gerät. Ich rede jetzt nicht von einfachen TENS-Apparaten. Aber wenn man diese Technik konsequent auf den menschlichen Geist anwendet, dann ist man schnell bei Dingen wie Gedankenkontrolle, Bewegung von Gegenständen durch Gedankenkraft usw. Und das würde bedeuten, daß man mit geistigen Mitteln Computer, Raketenleitsysteme und Satelliten unbrauchbar machen kann ...» Ich nickte und dachte mir mein Teil. Das war sicher wieder so eine Ausgeburt reiner Paranoia, wie man sie ja oft entlang der Grenzen der wissenschaftlichen Welt findet. Das ist doch alles Science Fiction, dachte ich, bösartige Wissenschaftler, die in dunklen Kellerlaboratorien ihr Unwesen treiben. Verfolgungswahn, irre Phantasien von magischen Kräften, elektromanichäische Kämpfe zwischen Gut und Böse. Das konnte nur Irrsinn sein. Allerdings ein verdammt interessanter Irrsinn. Ich brannte darauf, mehr zu erfahren. Ich drehte den TENS etwas weiter auf und genoß das angenehme Vibrieren an meinen Fußknöcheln. Unterdessen redete Joseph Light weiter, ernst und erregt, über Liebeskanonen, batteriebetriebene Intelligenzkisten, Angstkiller und Gedächtnismaschinen. Elektrische Erschütterungen stürmten durch meine Neuronen, und meine Gehirnstromkreise liefen heiß.
VOM ÄGYPTISCHEN ZITTERAAL ZUR SCHÄDELSEISMOLOGIE
Den ganzen Abend behielt ich das energiegeladene Gefühl, und auch am nächsten Tag wirkte es noch nach. Ich entschloß mich, mehr über Bioelektrizität zu lesen und mit den Wissenschaftlern dieses Gebietes zu sprechen. In den nächsten Wochen machte ich Recherchen und entdeckte, wie unwissend ich bisher in diesen Dingen gewesen war. Am meisten ernüchterte mich, daß die Geschichten, die Joseph Light mir erzählt hatte, von fast jedem Experten, mit dem ich sprach, bestätigt oder gestützt wurden. Das, was ich zunächst für paranoide Phantasien gehalten hatte, akzeptierten Elektronikfachleute als eindeutige Tatsachen. Ich fand heraus, daß sich eine ganze Reihe von Einrichtun117
gen der Sicherheits- und Verteidigungsbehörden tatsächlich mit diesen Forschungen befaßte, und daß ein Großteil dieser Arbeit wirklich streng geheimgehalten wurde. Ich hörte Gerüchte von dem großen mentalen Rüstungswettlauf zwischen den Supermächten, ich hörte von Schlachten, die nur durch psychische Kräfte und die sie erzeugenden bioelektrischen Felder ausgetragen werden sollten. Ich hörte, die Russen hätten die amerikanische Botschaft in Moskau mit einer besonders üblen Sorte von elektrischen Wellen bestrahlt, so daß sich bei den Botschaftsangestellten verschiedene Krankheiten, bis hin zu Krebs, eingestellt hätten. Ich hörte von Versuchen, das Bewußtsein bestimmter Staatsoberhäupter zu verändern, indem man sie von weitem mit elektronischen Sendern bestrahlte. Ich hörte von mysteriösen Bewußtseinsveränderungen durch Skalar- und Soliton-Wellen. Jeder, den ich fragte, schien eine schlimmere Story auf Lager zu haben. Schließlich beschloß ich, mich auf die verifizierbaren Fakten zu beschränken. Zunächst einmal galt es zu verstehen, wie Elektrizität die Gehirnfunktion beeinflussen kann. Als erstes entdeckte ich, daß die therapeutische Anwendung elektrischer Stimulation alles andere als neu ist. Die alten Ägypter zum Beispiel haben anscheinend recht häufig auf natürliche elektrische Stimulatoren in Form von Nilwelsen zurückgegriffen. Diese Fische können Stromstöße von sich geben - ähnlich wie Zitteraale. Das ist auf den ägyptischen Grabreliefs deutlich zu erkennen. Vor etwa zweitausend Jahren war der griechische Arzt Scribonius Largus für seine speziellen Meerwasserkuren bekannt, die er besonders bei Gicht verschrieb. Er ließ seine Patienten einen Fuß auf einen elektrischen Zitterrochen stellen, den anderen in den feuchten Sand. Damit war der elektrische Stromkreis geschlossen, der Patient wurde durchströmt und der Schmerz gemildert. Ähnliche Berichte über Zitteraal-Therapien findet man immer wieder in der Geschichte, und einige primitive Kulturen wenden sie noch heute an. Im 19. Jahrhundert war der Gebrauch diverser Apparate, die einen gleichmäßigen oder pulsierenden elektrischen Strom abgaben, weit verbreitet. Die Menschen waren von den nahezu mystischen Qualitäten fasziniert, die damals der Elektrizität zugeschrieben wurden. Viele betrachteten sie als einen Schlüssel zum Leben selber. Mary Shelley schrieb ihren berühmten Roman über den Arzt, der Leichenteile 118
zusammensetzt und dann das tote Fleisch (und das tote Gehirn) mit einem machtvollen Stromstoß zum Leben erweckte. Unseligerweise ergaben sich aus Dr. Frankensteins Experimenten einige unvorhergesehene Komplikationen. Die therapeutische Anwendung elektrischer Stimulationsapparate war weitverbreitet, die Literatur ist voll von elektrischen Behandlungsmethoden zur Heilung von Beschwerden wie Epilepsie, Nervenschwäche, Rheumatismus, Diabetes, Impotenz und Neuralgie. Interessanterweise gab es auch immer wieder Berichte über bemerkenswerte Auswirkungen der elektrischen Stimulation auf das Gehirn oder zumindest auf den Geisteszustand - manche Patienten gerieten in tranceähnliche oder euphorische Zustände, erlebten intensive, mentale Bilder und erhöhte Bewußtseinszustände. Es gibt Erfolgsberichte über Personen, die unter dem litten, was wir heute Depression und Angstzustände nennen würden. Sie erreichten in vielen Fällen durch elektrische Stimulation wieder einen Normalzustand. (Die elektrotherapeutischen Geräte jener Zeit verwendeten nur schwache Ströme und hatten nur wenig Ähnlichkeit mit den heutigen Elektroschockverfahren, bei denen ein so starker Stromschlag ins Gehirn geschickt wird, daß der Patient sich in Krämpfen windet.) Leider war es sehr leicht, einen Apparat zu bauen, mit dem man Strom durch den Körper williger Opfer leiten konnte. Deshalb tauchten bald viele Scharlatane und großsprecherische Wunderheiler auf, die ihre «galvanischen Wunderkuren» und «voltaischen Mesmerismus» auf Jahrmärkten, in Theatern und in den Salons leichtgläubiger Zeitgenossen feilboten. Art, Stärke, Wellenform und Frequenz des verwendeten Stroms waren bei diesen Geräten sehr unterschiedlich, deshalb waren einige von ihnen sicher vorwiegend gefährlich. Folglich kam es vor, daß Menschen starke Stromschläge erhielten, wenn sie nicht gar angesengt oder verbrannt wurden. Besorgt griff in Amerika das medizinische Establishment ein, und eine Kommission zur Erforschung der Elektrotherapie wurde eingesetzt. Der Bericht der Kommission erschien 1910 und erhielt breite Publizität. Die elektrotherapeutischen Praktiken wurden darin derart scharf kritisiert, daß sie fast über Nacht aus der Reihe der legalen Therapieverfahren verschwanden. Die Mediziner scheuten die Verwendung elektrischer Stimulation, die in der Forschung tätigen Wissenschaftler aber wandten sich mit 119
wachsendem Interesse der Erkundung der physiologischen und psychologischen Wirkungen der Elektrizität zu, insbesondere in Bezug auf die elektrische Aktivität des Gehirns. In den späten zwanziger Jahren hatten die Wissenschaftler herausgefunden, daß man durch am Schädel angebrachte Elektroden die elektrische Aktivität bestimmter Gehirnbereiche auffangen und registrieren konnte. Diese Gehirnwellenaktivität, das Elektroenzephalogramm, wurde in zackigen Linien auf langen Papierstreifen aufgezeichnet. Doch obwohl das EEG einige Informationen über die Vorgänge im Inneren des Gehirns lieferte (bestimmte Frequenzen gaben Hinweise auf Aufmerksamkeit, Schlaf, Erregung und Schläfrigkeit), blieb doch ein Großteil der Informationen unzugänglich. Ein Problem bestand darin, daß die EEG-Elektroden durch die dicke Barriere der Schädelknochen vom Gehirn getrennt waren. Man könnte diese Wissenschaftler mit Erdbebenforschern vergleichen, die feine Erschütterungen an der Oberfläche der Erde messen und versuchen zu erraten, welche Vorgänge im Erdinneren stattfinden. Die Lösung lag auf der Hand: Da das EEG an der Schädelaußenwand nicht die nötigen Informationen erbrachte, mußten die Wissenschaftler den Schädel durchbohren und die Elektroden im Gehirngewebe anbringen.
EKSTASE AUF KNOPFDRUCK
Schon in der Mitte der zwanziger Jahre hatte der Schweizer Physiologe Walter Hess begonnen, die Auswirkungen der elektrischen Stimulation bestimmter Bereiche tief im Inneren von Katzenhirnen zu untersuchen. Er implantierte den Tieren dünne elektrische Drähte, die bis auf die Spitze isoliert waren. Dabei stellte er fest, daß man durch extrem schwache elektrische Ströme bei den Katzen unmittelbare dramatische Verhaltensänderungen hervorrufen konnte. Die Stimulation eines Bereiches löste zum Beispiel bei den Tieren plötzliche wilde Wutanfälle aus. Wenn man den Strom in eine andere Gehirnregion schickte, versetzte man sie in Angst und Schrecken. Hess fand heraus, daß man jedes Verhalten, das irgendwie mit starken Emotionen zusammenhing, durch Stimulation des entsprechenden Gehirnbereichs 120
auslösen konnte. Die Frage war: Durchlitt die Katze die echten Gefühle, oder handelte es sich nur um mechanische Reflexe? War es denkbar, daß die Gefühle selber - also das, was wir als ureigenen Teil unserer Persönlichkeit betrachten - per Knopfdruck ausgelöst werden konnten? Dr. Wilder Penfield entdeckte, daß sich durch elektrische Stimulation des menschlichen Gehirns lückenlose Erinnerungen an längst vergangene Ereignisse wecken lassen. Ein erster Hinweis darauf, daß vieles von dem, was wir erfahren (auch wenn wir es nur unbewußt wahrnehmen), im Gehirn derart gespeichert wird, daß es zu jedem beliebigen Zeitpunkt in der Zukunft wieder abgerufen (oder erstmals ins Bewußtsein gehoben) werden kann. Penfield folgerte: «Wenn man davon ausgeht, daß jede neue Erfahrung eine synaptische Bahn etabliert, dann müßten diese bleibenden Bahnen auch Jahre später noch einen Strom von neuronalen Impulsen steuern können, der durch eine Elektrode stimuliert wird.» [261] Unterstellen wir einmal, daß Penfields «synaptische Bahnen» ständig auf der Ebene von tausenden oder millionen untereinander verbundenen Neuronen angelegt werden, dann wird klar, daß der Inhalt unserer Gehirne in der Form riesiger, aber klar abgegrenzter neuraler Netzwerke gespeichert wird, die untereinander durch neuronale Impulse verbunden sind. Netzwerke, die für benachbarte Ideen oder Wahrnehmungen zuständig sind - zum Beispiel die feinen Geschmacksunterschiede zwischen verschiedenen Weinen aus demselben Anbaugebiet - würde dann überwiegend aus denselben Neuronen bestehen, abgesehen von ein paar tausend hier und ein paar tausend da, die zur Unterscheidung der Geschmacksmerkmale dienen. So würde sich erklären, daß ein einfacher Schwachstromimpuls in einer hochspezialisierten Gruppe von Neuronen durch «synaptische Bahnen» ein umfangreiches und vielfach verästeltes Gebiet von Erinnerungen, Wahrnehmungen oder Sinneseindrücken erwecken kann. Genau wie schon ein Hauch des geliebten Weines im Weinkenner ein ganzes neurales Netzwerk aktiviert. Penfield stimulierte verschiedene Gehirnbereiche und versuchte kartographisch festzuhalten, welches Gebiet für Sprache, für Erinnerung, spezifische Gefühle oder Sinneseindrücke zuständig ist. Gleichzeitig beschritten die Wissenschaftler James Olds und sein Mitarbeiter 121
Peter Milner andere Wege. Sie implantierten Elektroden in Rattengehirne und stellten fest, daß die elektrische Stimulation bei den Ratten intensive Lustgefühle hervorrief. Wenn sie die Elektroden etwas versetzten, durchlebten die Ratten bei der Stimulation anscheinend Wut, Angst und eindeutige Unlustgefühle. Was würde wohl geschehen, dachte sich Olds, wenn man den Ratten Gelegenheit gab, ihre eigenen Lust- oder
hirn implantierte und sie auch längere Zeit dort ließ. Er verwendete diese Elektroden sowohl zur Beobachtung als auch zur Stimulation. Er erstellte EEGs der Gehirne von Menschen, die unter Wutanfällen, psychotischen Attacken oder Halluzinationen litten, aber auch von Personen im Zustand sexueller Erregung. Indem er verschiedene Bereiche in den Gehirnen der Versuchspersonen stimulierte, rief er systematisch Ausbrüche von Freude oder von Furcht hervor. Seine Patienten litten allesamt unter scheinbar unheilbaren Geisteskrankheiten - Schizophrene im fortgeschrittenen Stadium, allgemeingefährliche Psychotiker, selbstmordgefährdete Depressive. Durch seine Forschungen kam Heath zu der zwingenden Schlußfolgerung, daß alle diese Geisteskrankheiten ein einheitliches Charakteristikum hatten, ein Ungleichgewicht zwischen Lust und Schmerz>. Sie hatten wenig oder keine Fähigkeiten, Lust zu erfahren, stattdessen aber ein stark überentwickeltes Vermögen zum Erleben von Schmerz, Angst und Einsamkeit. Heath erkannte, daß diese schweren Psychotiker sich verhielten wie die Ratten des James Olds. Ihr Alltagsleben lief so ab, als ob ständig Elektroden ihre Schmerz- beziehungsweise Unlustzentren stimulierten. Da lag es doch nahe, einfach echte Elektroden in ihren Lustzentren zu implantieren und ihnen so zu den Freuden zu verhelfen, die sie nie im Leben hatten erfahren können. Heath setzte also Elektroden in die Gehirne dieser Menschen ein und gab ihnen Gelegenheit, sich durch Selbststimulation Lustgefühle zu verschaffen. Viele seiner schwierigsten Fälle, die er bereits als unbehandelbar abgeschrieben hatte, erfuhren unmittelbare Veränderungen und erholten sich zusehends. Einigen Patienten gab Heath kleine Kontrollkästen, mit denen sie ihre Lustzentren nach Belieben stimulieren konnten. Diese Selbststimulation vertrieb nicht nur Depressionen, Wahnvorstellungen, gewalttätige Anfälle, Halluzinationen und manchmal auch epileptische Anfälle, sondern wirkte auch schmerzlindernd bei Patienten, die schon seit Jahren unter chronischen Schmerzen gelitten hatten. Heath schrieb damals: «Jedes System des Gehirns (das Schmerzzentrum und das Lustzentrum) ist anscheinend in der Lage, das jeweils andere zu überlagern oder zu hemmen. Die Aktivierung des Lustsystems durch elektrische Stimulation oder Verabreichung von Drogen eliminiert die Anzeichen und Symptome gefühlsmäßigen oder körperlichen Schmerzes, oder 123
auch beide, und unterbindet die Persönlichkeitsveränderungen oder Phänomene, die mit dem schmerzhaften Zustand in Zusammenhang stehen.» [276] In den fünfziger Jahren war die Psychoanalyse die vorherrschende Herangehensweise an geistige Störungen. Eine beherrschende Rolle spielt dabei die Lehre Freuds, daß man psychologische Probleme zu Kindheitstraumata und ungelösten Komplexen zurückverfolgen könnte. Heath brach in diese Welt ein wie ein Elefant in den Porzellanladen. «Ich habe immer gedacht, daß Geisteskrankheit ausschließlich biologische Ursachen haben müßte», sagte er. Zur damaligen Zeit waren solche Aussagen reine Ketzerei, Reduktionismus von der schlimmsten Sorte. Die Freudianer hatten anscheinend vergessen, daß auch der Meister selbst an eine biologische Grundlage geistiger Krankheit geglaubt hatte. Er schrieb: «In Anbetracht der intimen Verbindung zwischen den Dingen des Körpers und des Geistes, können wir schon jetzt absehen, daß sich eines Tages Wege des Wissens öffnen werden, die vom Gebiet der organischen Biologie und Chemie zum Gebiet der neurotischen Erscheinungen führen.» Und weiter: «All unsere vorläufigen Ideen im Bereich der Psychologie werden eines Tages festen Grund in der organischen Struktur finden. Das macht es wahrscheinlich, daß besondere Substanzen und besondere Chemikalien die Funktion der Psyche kontrollieren.» Im Laufe der sechziger und frühen siebziger Jahre führten die Wissenschaftler ihre Experimente mit elektrischer Gehirnstimulierung fort. Man entdeckte, daß sich die elektrische Aktivität des Gehirns und des Nervensystems auch ohne direkte Stimulation (also ohne die Implantation von Elektroden) verändern ließ, indem der elektrische Strom über die Hautoberfläche einwirkte. Die Technik der transkutanen Nervenstimulation (TENS) erwies sich als besonders wirksam zur Schmerzlinderung. In der Mitte der Siebziger benutzte jedermann, vom Arzt zum Zahnarzt bis hin zu Sporttrainern, TENS-Geräte zur Schmerzlinderung. Ein weiter Weg von den alten Ägyptern und Griechen mit ihren Zitteraaltherapien. Oder war man im Grunde doch nicht weiter gekommen? Scribonius wußte zwar, daß der elektrische Zitterrochen schmerzlindernd wirkt, aber nicht warum. In der Mitte der siebziger Jahre verwendeten Millionen Menschen TENS-Geräte 124
zur Schmerzlinderung. Doch trotz umfangreicher Forschungen war niemand in der Lage, die stark schmerzabschwächende Wirkung von Elektrizität genau zu erklären.
DER ELEKTRISCHE SCHLÜSSEL ZUM PARADIES
Dann aber, ab Mitte der siebziger Jahre, entdeckte die Wissenschaft die Existenz der Endorphine, der körpereigenen Opiate. Wir alle wissen, daß Opiate wie Heroin, Morphium und Opium tiefgreifende Auswirkungen auf das menschliche Gehirn haben. Sie lindern nicht nur den Schmerz, sondern erzeugen eine derartige Euphorie, daß Millionen Menschen nach ihnen süchtig geworden sind und sich für diese teuren Lustspender selbst zerstören. Der Grund für die destruktive Anziehungskraft der Opiate auf den Menschen liegt anscheinend in einer phantastisch anmutenden Koinzidenz: Die Moleküle der Opiate haben dieselbe Form wie eine Gruppe von Molekülen, die auf natürliche Weise in unserm Körper und Gehirn erzeugt werden: Die mittlerweile berühmtgewordenen <Endorphine> (das Wort ist eine Zusammenziehung des Begriffs <endogene Morphine> also <Morphine, die in uns selbst produziert werden>). Diese Neurochemikalien, die man schon als <Schlüssel zum Paradies> bezeichnet hat, dienen im Körper einer ganzen Reihe von Zwecken. Sie lindern Schmerz, mildern Streß, verschaffen uns Lust, belohnen uns für Verhalten, das unserem Überleben dienlich ist, verstärken oder unterdrücken bestimmte Erinnerungen und entscheiden, welchen Informationen wir den Zugang zu unserem Gehirn gestatten. Wenn unser Gehirn durch den richtigen Reiz stimuliert wird, sondert es Endorphine ab. Sie fließen dann von Neuron zu Neuron, wie die Neurotransmitter, aber sie überschwemmen auch unser Nervensystem, wie Hormone. Im Gehirn werden sie von passenden Neuronen empfangen - an den sogenannten Rezeptoren. Dabei handelt es sich um Regionen mit einer Molekularstruktur, deren Form zum Empfang der Endorphine geeignet ist, so wie ein Schloß zum Schlüssel paßt. Wenn sie einmal vom Rezeptor empfangen worden sind, verursachen die Endorphine elektrische Veränderungen im Neuron, die dann an andere Neuronen weitergegeben werden. Merkwürdigerweise gibt es eine Droge, deren Molekularstruktur 125
praktisch identisch mit der der Opiate ist, die aber keine der typischen Wirkungen von Opiaten aufweist. Sie heißt Naloxon und wird als Opiatantagonist bezeichnet, da sie genau auf die Opiatrezeptoren paßt und dadurch die echten Opiate daran hindert, sich dort zu verankern. Folglich blockiert Naloxon die Wirkungen sowohl der körpereigenen als auch der von außen zugeführten Opiate. Für unser Thema ist die Substanz Naloxon deshalb wichtig, weil nach der Entdeckung der Endorphine im Jahre 1975 einige Wissenschaftler, die mit elektrischer Stimulation zur Schmerzlinderung arbeiteten, vermuteten, daß diese Stimulation vielleicht über die Freisetzung körpereigener Endorphine wirken könnte. Demnach hätte eine Naloxoninjektion die Wirkung der elektrischen Stimulation unterbinden müssen, somit den schmerzlindernden Effekt aufheben. Also spritzten sie Naloxon, die elektrische Stimulation wirkte nicht mehr schmerzlindernd, und das Geheimnis der schmerzstillenden Wirkung elektrischer Ströme war endlich gelüftet: Sie wirken durch die Freisetzung von Endorphinen. [3, 316] Es entstanden Labortechniken, mit denen man die Menge der Endorphine und ihre Wege durch Gehirn und Zerebrospinalflüssigkeit messen konnte. Bald sah man, daß durch elektrische Stimulation bestimmter Gehirnbereiche das Endorphinniveau rapid anstieg. [1] Die berühmte Studie von Yoshio Hosobuchi (University of California in San Francisco) und dem Nobelpreisträger und Pionier der Endorphinforschung Roger Guillemin (Salk Institute) ergab, daß bei Patienten, die elektrische Stimulation erhielten, die Konzentration der Endorphine sehr deutlich anstieg. [131, 151, 285] Eine derartige Endor-phinflut kann ein Gefühl großer Euphorie hervorrufen. Kein, Wunder also, daß so viele, die ihre Schmerzen durch elektrische Stimulation bekämpfen wollten, das Ganze durchaus als lustvoll empfunden hatten. Und kein Wunder, daß ich mich von einer wärmenden Flut von Lust durchströmt fühlte, als ich Joseph Light gegenübersaß - den sanften Kitzel seines TENS-Geräts an den Fußknöcheln und die Säfte der guten Laune in meinem Gehirn.
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9 DIE ELEKTRIFIZIERUNG DES GEISTES TEIL 2: DER ALPHA-STIMULATOR
Als ich nach meiner ersten Erfahrung mit dem TENS Joseph Light mit Fragen über seine kleine schwarze Kiste löcherte, zuckte er nur mit den Schultern: «Das Ding taugt eigentlich nicht viel. Jeder, der ein bißchen von Elektronik versteht, kann es mit Bauteilen für etwa neunzehn Dollar zusammensetzen. Wenn du was wirklich Effektives ausprobieren willst, versuch's mal mit dem Alpha-Stimulator. Das ist etwas wirklich Neues, einen Quantensprung gegenüber diesen TENS-Geräten.» Light deckte mich mit einer Menge wissenschaftlicher Studien aus bioelektrischen Zeitschriften ein, darunter auch eine Beschreibung des Alpha-Stimulators. Und schon ein paar Wochen später, das Gehirn randvoll mit allen möglichen bioelektrischen Daten und Anekdoten, saß ich vor einer -Maschine. Das Gerät war so groß wie eine Schreibmaschine und übersät mit Drehknöpfen, Drähten, Anzeigeinstrumenten und blinkenden Lichtern. Ich klemmte mir die weichen Elektroden an die Ohrläppchen und wartete, daß der Techniker den Strom einschaltete. Ich wußte, daß es nur Strom von sehr geringer Stärke sein würde, denn das gehörte nach Angaben der Bioelektrikexperten zu den revolutionärsten Eigenschaften des Geräts. Die Signale der konventionellen TENS Apparate lagen im Milliamperebereich (ein Milliampere ist ein Tausendstel von einem Ampere), beim Alpha-Stimulator aber lag die Stromstärke im Mikroamperebereich. Ein Mikroampere ist ein Millionstel eines Amperes. Die vom Alpha-Stimulator erzeugten Ströme sind hundertmal schwächer als die der meisten TENS Geräte. Bioelektrische Forschungen der jüngsten Vergangenheit haben ge127
zeigt, daß diese Stromstärke viel näher an der Stärke der natürlich von den Körperzellen produzierten Ströme herankommt als die der stärkeren TENS-Geräte. Die Zellen werden also auf natürliche Weise stimuliert. Auch die Wellenform unterscheidet sich von der der meisten TENSGeräte. Es handelt sich um eine modifizierte quadratische Welle, die nach Aussagen der Experten eine effektivere und natürlichere Übermittlung des Stroms an die Zellen ermöglicht. Wie die TENS-Geräte wird auch der Alpha-Stimulator vorwiegend zur Schmerzlinderung verwendet. Wenn die schmerzende Region elektrisch mit den entsprechenden Frequenzen und Amplituden stimuliert wird, reagiert der Körper mit einer Flut von Endorphinen, die auch schwere oder chronische Schmerzen zumindest stunden- oder tagelang lindern können. In den drei Jahren seit der Entwicklung der Maschine durch den Neurobiologen Dr. Daniel Kirsch hat es zahlreiche Berichte gegeben, darunter auch kontrollierte wissenschaftliche Studien und Fallbeschreibungen, die alle bestätigen, daß der AlphaStimulator den gewöhnlichen TENS-Geräten auf dem Gebiet der Schmerzbekämpfung weit überlegen ist. Auf Erlaß der FD A [Food and Drug Administration - die Nationale Gesundheitsbehörde der USA] ist der Alpha-Stimulator ebenso wie die TENS-Geräte Laien nur auf Verordnung durch Ärzte, Zahnärzte, Psychiater, Osteopathen oder anderer Berufsmediziner zugänglich. Doch Schmerzlinderung ist keineswegs das einzige Anwendungsgebiet des Alpha-Stimulators. Eine wachsende Zahl von Psychiatern und anderen Forschern haben festgestellt, daß das Gerät in einem bestimmten Funktionsmodus (der transkranialen Elektrotherapie - TCET) rasch den Zustand der Elektronarkose erzeugt, der durch tiefe Entspannung, erhöhte Aufmerksamkeit und ein Gefühl des Wohlbefindens und der Euphorie charakterisiert ist. Dabei werden die Elektroden an Ohren oder Schläfen angebracht und die elektrischen Ströme direkt ins Gehirn geschickt. Viele Menschen benutzen das Gerät ausschließlich zur TCET, und ein Großteil der Forschung, die mit diesem Gerät betrieben wird, erkundet die weiteren Möglichkeiten der TCET. Experten für geistige Erkrankungen konnten feststellen, daß TCET bemerkenswert wirksam bei der Reduzierung von Ängsten und allgemeinem Streß ist. Mitch Lewis zum Beispiel, der Konditionstrainer der ameri128
kanischen Ruder- und Judo-Mannschaften, setzte den Alpha-Stimulator anfangs zur Schmerzreduzierung ein, stellte aber bald fest, daß der TCET-Modus noch nützlicher sein konnte. Er sagt: «Ich habe die transkraniale Elektrostimulation mit großem Erfolg zur Entspannung und Regeneration eingesetzt. Die Athleten berichten, daß sie vor wichtigen Wettkämpfen ruhig durchschlafen. Außerdem sagen sie, sie hätten eine entspanntere innere Haltung zum Streß der Wettbewerbe.» [201] In einer kontrollierten Studie über Kokainsüchtige stellte der Psychiater Dr. Alan Brovar (Los Angeles) fest, daß Personen, die mit TCET behandelt wurden, bei Entzugs- und Rehabilitationsprogrammen erfolgreicher abschnitten als die Kontrollgruppe. Sie hatten weniger Rückfälle und mußten seltener erneut in Behandlung. Brovar vermutet, daß die TCET durch die Freisetzung von Endorphinen die charakteristische Dysphorie (die mangelnde Fähigkeit, Lust zu empfinden) der Süchtigen während des Entzuges abgemildert hat. «Vielleicht synchronisieren sich dabei auch die beiden Gehirnhälften», sagte Bovar, «und die Süchtigen sind deshalb eher bereit, sich innerlich auf eine Gesundung einzustellen.» Die TCET habe eine sedative Wirkung, sagt er, wobei «ein Zustand entspannter Aufmerksamkeit» entstehe, der «das körperliche Verlangen nach der Droge» herabsetze. [46] In einer Studie (von A. Cox und R. G. Heath) erwies sich, daß TCET deutliche Veränderungen des EEG hervorruft. Bei der Behandlung von Patienten mit langanhaltenden Depressionen, registrierten die beiden Wissenschaftler nach der Behandlung einen signifikanten Anstieg der Alpha-Wellen-Aktivität. Sie meinen, daß die anschließende Besserung des Zustands ihrer Patienten mit dieser Alpha-WellenZunahme zusammenhängt. Andere Studien haben gezeigt, daß sich durch die tiefe Entspannung und die ruhige Aufmerksamkeit auch die Empfänglichkeit für Suggestionen und die Hypnotisierbarkeit erhöhen. Viele Psychologen und Zahnärzte arbeiten ja mit Hypnose, und eine ganze Reihe von ihnen bedient sich mittlerweile des Alpha-Stimulators, um den Weg in die Hypnose zu erleichtern. Einige Psychiater benutzen TCET vor und während der Behandlung, um ihre Patienten zu entspannen und einen Zustand von Offenheit und erhöhter Aufmerksamkeit zu schaffen. Dabei kommen neue Ideen, Erinne129
rungen und Dinge aus dem Unterbewußtsein eher an die Oberfläche. Viele regelmäßige Benutzer behaupten, TCET fördere ihre Kreativität und schärfe ihre Wahrnehmung und Sensibilität.
DER SPRUNG ZU HÖHERER GEHIRNKOHÄRENZ
Wenn wir erst einmal verstehen, wie die Elektrizität mit den Neuronen im Gehirn zusammenwirkt, dann wird es durchaus plausibel, daß elektrische Stimulation Kreativität und andere hochentwickelte geistige Funktionen steigern könnte. Dr. William Bauer (Case Western Reserve University School of Medicine), Leiter der Abteilung für Hals-Nasen-Ohren-Erkrankungen des VA Medical Centers in Cleveland, Ohio, erklärt diese Interaktionen folgendermaßen: Prinzipiell erhöht die Absorption elektromagnetischer Energie die kinetische Energie der molekularen Bestandteile des Absorptionsmediums. Es gibt viele Hinweise darauf, daß die molekulare Organisation biologischer Systeme, die zum Empfang von thermalen, chemischen oder elektromagnetischen Stimuli benötigt wird, in den vereinten Funktionen von Molekülansammlungen oder Untergruppen dieser Ansammlungen liegt. Diese Ansammlungen bilden komplexe Fließmuster, die sich plötzlich zu neuen, selbsterhaltenden Arrangements umgruppieren, die über längere Zeit stabil bleiben können. Die Transformation komplexer Fließmuster in größere Muster einer höheren Ordnung erfolgt sprunghaft. ... Da diese Muster durch ständigen Input von Energie initiiert und aufrechterhalten werden, bezeichnet man sie als oder einen Positionswechsel der molekularen Plasmamembran der Zellen. Dieses wiederum könnte die Enzymsysteme der Zellmembran beeinflussen, indem sie die paarigen Konfigurationen von Molekülen positiv 130
verändern - ähnlich wie auch chemische Katalysatoren Moleküle in der richtigen Position für chemische Reaktionen halten. Das bekannteste Enzym der Zellmembran ist Adenylcyclase. Es wandelt ATP (Adenosin-triphosphat) in zyklisches AMP (Adenosin-monophosphat) um, welches dann intrazellulär als zweiter Bote füngiert. Mit anderen Worten: Ein elektromagnetisches Feld kann auf die Zellmembran wie ein Hormon wirken. [25] Elektromagnetische Felder der richtigen Größenordnung und Frequenz können also dieselbe Wirkung auf Gehirnzellen ausüben wie viele Gehirnchemikalien. Sie können sie verändern, das Größenwachstum und das Wachstum der Dendriten beeinflussen (der von Bauer erwähnte Prozeß der Umwandlung von ATP in zyklisches AMP ist der Schlüssel zum Zellwachstum). Daraus folgt, daß ein elektromagnetisches Feld als Energielieferant für dissipative Strukturen dienen kann. Dabei können Fluktuationen entstehen, die das Gehirn dazu bringen, den Sprung in einen qualitativ anderen Zustand zu machen. Wenn das also die Wirkung der TCET sein sollte, dann war das nicht nur hochinteressant, sondern auch durchaus wünschenswert. Deshalb saß ich jetzt vor dem Alpha-Stimulator mit den Elektroden an den Ohrläppchen. Ich erinnere mich an das, was Marian Diamond geantwortet hatte, als man sie im Hinblick auf ihre Experimente mit Tieren in reichen Umgebungen gefragt hatte, was denn nun genau diese Umgebungen seien. «Der wichtigste Faktor ist Stimulation», hatte sie geantwortet. «Die Nervenzellen sind zum Empfangen von Stimuli gemacht.» Der Alpha-Stimulator scheint diese Art von Stimulation denkbar direkt zu vermitteln. Der Techniker schaltete die Maschine an, und ich verspürte ein leichtes Kribbeln an den winzigen Ohrklemmen. Ein paar Mikroampere einer zweiphasigen quadratischen Welle drangen in mein Gehirn. Das Kribbeln war zu schwach, als daß es mir unangenehm gewesen wäre. Bei dem TENS-Gerät hatten sich die neuen Wahrnehmungen nach und nach, sozusagen schleichend, eingestellt, diesmal geschah die Verschiebung des Bewußtseins rasch und unverwechselbar. Mein Körper fühlte sich sofort schwerer an, als wenn ich in mich selbst einsänke. Mir wurde klar, daß ich dabei war, mich vollkommen zu entspannen. Und dann war ich auf einmal voll da. Es war das Gefühl, das man auch 131
hat, wenn man mit den Augen blinzelt und plötzlich hellwach ist. Nicht daß man im eigentlichen Sinne geschlafen hätte. Aber als ob man die ganze Zeit der Umgebung nicht genügend Aufmerksamkeit geschenkt hätte, wie ein Tagträumer, der schlafwandlerisch durchs Leben geht. Und dann plötzlich ist man wach und alles ist sehr, sehr klar. Ich war nicht oder in einem überirdischen Zustand, sondern ich fühlte mich, als ob ich genau da war, wo ich sein sollte, zu Haus in mir selber. Ich hatte das Gefühl, als ob mein Gehirn genau, effizient und klar arbeitete. Ich nahm alles, was um mich herum vorging, intensiv wahr - das lärmerfüllte Büro einer Firma, Telephonklingeln, verschiedene Gespräche. Gleichzeitig war ich mir intensiv all dessen, was in meinem Kopf vorging, bewußt. Mein Körper war nicht mehr schwer, sondern sehr leicht und energieerfüllt. Ich hatte ein Gefühl der Offenheit und Klarheit. Als hätte ich wochenlang eine Sonnenbrille getragen und sie nun plötzlich abgenommen. Es war eigentlich nichts besonders Großartiges. Nichts Besonderes, aber ich hatte das Gefühl, daß wir uns eigentlich ständig in diesem Zustand befinden sollten. DAS GEWÜRZ IN DER GEHIRNSUPPE: LERNEN, GEDÄCHTNIS UND ELEKTRIZITÄT
Während ich mich weiter theoretisch und praktisch mit dem AlphaStimulator und anderen elektrischen Stimulationsgeräten beschäftigte (dem , dem , dem u.a.), stiegen einige Fragen in mir auf. Kein Zweifel, diese Maschinen, insbesondere das Alpha Stirn Gerät, brachten mein Gehirn dazu, Endorphine auszuschütten - der Zusammenhang zwischen elektrischer Stimulation und Endorphinausschüttung ist mittlerweile wissenschaftlich immer wieder erhärtet worden. Doch stellte sich mir die Frage: Na und? Zugegeben, elektrische Stimulation kann die Endorphinwerte anheben; das lindert Schmerzen, Depressionen, Ängste; es verschafft mir ein gutes Gefühl. Was aber hat das alles mit dem Thema dieses Buches zu tun, mit der Verstärkung geistiger Funktionen? Können, wenn man einmal weggeht von den therapeutischen Indikationen, auch gesunde Menschen von diesen elektrischen Stimulationsgeräten profitieren? Kann 132
man sie zur Stimulation des Gehirnwachstums einsetzen? Oder um den Geist zu höheren Ebenen des Bewußtseins, der Konzentration und der Kreativität zu führen? Können also solche Geräte tatsächlich als Lernhilfsmittel wirken? Was auch immer diese Begriffe bedeuten mögen (und die Wissenschaftler sind sich immer noch nicht über die spezifischen physiologischen Aktivitäten einig, die solche Phänomene wie , Gedächtnis), und erzeugen), sind doch die Neurologen heute praktisch einstimmig der Meinung, daß es sich bei den allgemeinen Prozessen im wesentlichen um chemische Vorgänge handelt, die von Veränderungen der Mengen bestimmter Säfte im Gehirn abhängen. Es ist also weithin akzeptiert, daß die Grundlagen der höheren geistigen Funktionen biochemischer Natur sind. Darin kommt eine umfassende wissenschaftliche Kehrtwendung zum Ausdruck. Bis tief in die sechziger Jahre hinein waren viele Wissenschaftler überzeugt, daß kognitive Funktionen wie das Gedächtnis auf bleibenden elektrischen Abdrücken im Gehirn basierten, auf Mustern, die man Engramme nannte (obwohl es nie einem Wissenschaftler gelang, eins dieser Engramme <einzufangen> oder sonstwie nachzuweisen). Bis zu dieser Zeit war man sich übrigens noch nicht sicher, ob Neuronen ihre Signale mit elektrischen oder chemischen Mitteln über die Synapsen schickten. Noch war die Verbindung zwischen kognitiven Funktionen und Neurochemikalien nicht allgemein akzeptiert. Dann aber kamen die bahnbrechenden Arbeiten von Mark Rosenzweig und seinen Kollegen, die eine kontroverse und fruchtbare Diskussion auslösten. Es ging dabei um die Gehirne von Ratten in reichen beziehungsweise armen Umgebungen. Diese Experimente demonstrierten deutlich, daß es eine Beziehung zwischen Lernprozessen und der Gehirnchemie gibt: Bei den Ratten, die man stärker stimuliert hatte und die demzufolge bessere Lern-, Gedächtnis-, Intelligenz- und Informationsverarbeitungsleistungen erbrachten, konnte man auch höhere Werte der Gehirnchemikalie Acetylcholinesterase (AChE) nachweisen. Dieses Enzym ist ein Indikator für höhere Werte des Neurotransmitters Acetylcholin. Erhöhte AChE-Werte hängen mit erhöhter Intelligenz und Lernfähigkeit zusammen. 133
Als Folge dieser Studien wuchs das Interesse an den Gehirnchemikalien beträchtlich. Sobald man einmal Lernen und Gedächtnis als chemische Prozesse erkannt hatte, begannen die Forscher Stück für Stück die chemische <Suppe> des Gehirns zu analysieren, um herauszufinden, welche Chemikalien denn genau an diesen Prozessen beteiligt waren. Allerdings wurden erst zum Ende der Sechziger und Anfang der Siebziger Laborapparaturen und Techniken entwickelt, die sensibel genug waren, um die genaue Position bestimmter Gehirnchemikalien festzuhalten. Damit begann das, was heute vielfach als Revolution in der Gehirnforschung> angesehen wird. NEUROTRANSMITTER. Die ersten Chemikalien, die die Gehirnforscher genauer untersuchten, waren die offensichtlichsten und am häufigsten vorkommenden: die einfachen Moleküle, die als Neurotransmitter bekannt sind. Diese Substanzen befinden sich in Hunderten von kleinen Beuteln, die um die Spitze des Axons herum gruppiert sind. Wenn das Neuron eine elektrische Ladung entlang des Axons aussendet, werden die Neurotransmitter aus den Bläschen freigesetzt, überqueren den synaptischen Spalt und interagieren mit Rezeptoren an den angrenzenden Neuronen, wobei Neurotransmitter und Rezeptoren wie Schlüssel und Schloß zueinander passen. Dort verändern die Neurotransmitter die Zellmembran derart, daß ein elektrisches Potential entsteht, welches dann zum Kernkörperchen der Zelle transportiert wird. Die übermittelte Botschaft kann in zwei Formen wirken: stimulativ (anregend - ein elektrischer Strom in der benachbarten Zelle wird stimuliert) oder inhibitorisch (hemmend - indem die Fähigkeit zur Produktion von elektrischem Strom herabgesetzt wird). Schon früh entdeckten die Wissenschaftler, daß der häufigste Neurotransmitter im Gehirn Acetylcholin war. Sie stellten fest, daß diese Substanz für höhere mentale Vorgänge wie etwa Lernen und Gedächtnis wesentlich ist. [199] Wie wichtig diese Substanz ist, läßt sich an ihrem unterschiedlichen Vorkommen in den Gehirnen von Tieren aus unterschiedlichen Stadien der Evolution ablesen: Ein größeres Gehirn hat nicht nur eine größere Anzahl von Neuronen im Cortex, sondern auch eine höhere Acetylcholindichte, wobei die Werte bei Menschen am höchsten liegen. Diese Substanz steht nicht nur an evolutionären Zeitspannen gemessen in Beziehung zur Gehirngröße, sondern auch innerhalb eines individuellen Tier- oder Menschenlebens. Neuere Stu134
dien zeigen, daß eine Unterversorgung mit Acetylcholin zu Gedächtnisverlust führt und Lernfähigkeit und Intelligenz mindert. [108] Auch die Verwirrung und den Gedächtnisverlust bei der Alzheimer-Krankheit hat man teilweise mit einem Mangel von Acetylcholin in bestimmten Gehirnbereichen in Verbindung gebracht - wenn man Acetylcholin in diese Regionen injiziert oder den Patienten Drogen gibt, die die Acetylcholinproduktion anregen, kommt es zu drastischen Verbesserungen der Gedächtnisleistungen und anderer mentaler Fähigkeiten. Aber auch gesunde Menschen mit <normalem> Acetylcholinspiegel profitieren von einer Vermehrung dieses Neurotransmitters. Normale Personen schneiden nach der Einnahme acetylcholinstimulierender Drogen signifikant besser in Gedächtnis- und anderen Intelligenztests ab. Am National Institute of Mental Health zum Beispiel lernten Menschen, denen man solche Substanzen gegeben hatte, Serien von Namen oder Zahlen schneller auswendig als die Kontrollgruppe. Als man ihnen hingegen eine Droge, die den Acetylcholinspiegel senkt, verabreichte, litt ihre Lernfähigkeit darunter; bei jungen Versuchspersonen zeigten sich Symptome von Gedächtnisverlust, wie sie sonst für alte, senile Menschen typisch sind. [314, 315] Ein Forscherteam am Veterans Administration Hospital in Palo Alto fand heraus, daß sich bei normalen Versuchspersonen das Langzeitgedächtnis deutlich verbesserte, wenn man ihnen acetylcholinstimulierende Drogen gab. Bei einer anderen Studie verbesserten sich die Gedächtnisleistungen von Studenten nach Einnahme solcher Substanzen, und sie schnitten beim Lernen von Wörterlisten besser ab. [231] In einem Zeitschriftenartikel hieß es neulich: «Wie Fingerfarbe auf einem Stück Papier hilft diese Substanz den Neuronen im Kortex, den Abdruck eintreffender Informationen festzuhalten.» [152] Eine Schlüsselrolle bei diesen Prozessen spielt auch der Neurotransmitter Norepinephrin (auch als Noradrenalin bekannt). Es handelt sich um eine Vorstufe des Adrenalins, die eine anregende, schärfende Wirkung auf das Gehirn hat. Jeder Mensch hat schon einmal beobachten können, daß er sich an die Erfahrungen, die er in Augenblicken erhöhter Erregung macht, besonders lebhaft und intensiv erinnnern kann - an Zeiten intensiver Freude oder großen Schreckens, an Krisenmomente oder die Zeit des Verliebtseins (wenn er also auf einer Welle von Adrenalin reitet). Es ist fast unmöglich, sie zu vergessen. 135
Die Droge Amphetamin hat strukturelle Ähnlichkeit mit Norepinephrin und wirkt, indem sie die Wirkungen dieser Substanz im Gehirn verstärkt. Amphetamin (<Speed>) ist seit langem bei Studenten beliebt, die fürs Examen büffeln müssen. Sie behaupten, es rufe einen Zustand intensiver geistiger Wachheit hervor, in dem sie große Informationsmengen verdauen und behalten können. Von manchen ist dieser -effekt der Droge bestritten worden. Sie meinen, daß die erhöhten Lernleistungen nur eine Folge der durch die Droge hervorgerufenen Anregung und allgemeinen Stimulation des Nervensystems sei, und nicht ein echter Anstieg der Fähigkeit zur Informationsverarbeitung. Allerdings hat es zahlreiche Laboruntersuchungen gegeben, die bestätigen, daß die gedächtnisverbessernde Wirkung dieser Aufputschpille durchaus real ist. Selbst wenn man nämlich die anregenden Wirkungen ausschaltet (indem man die Aktivität der Nebennieren bei diesem Prozeß unterbindet), verbessert der durch Amphetamin bewirkte Norepinephrin-Zuwachs noch direkt die Lern- und Gedächtnisleistung. Reines Norepinephrin allerdings kann offensichtlich dasselbe wie Amphetamin, nur besser. Wenn man den Norepinephrinspiegel im Gehirn experimentell verringert, verschlechtern sich Lern- und Gedächtnisleistungen. Erhöht man aber den Norepinephrinspiegel in bestimmten Gehirnregionen, verbessern sich Lernfähigkeit und Gedächtnis. [333] Wissenschaftler der Cornell University fanden heraus, daß man durch Hemmung der Norepinephrinsynthese bei Ratten die Erinnerungsfähigkeit der Tiere für mehr als vierundzwanzig Stunden unterbrechen konnte. Sie kamen zu dem Schluß: «Die Norepinephrinsynthese scheint wesentlich für die Bildung von Erinnerungen zu sein.» [274] Wenn man einen Vergleich aus der Computersprache wählt, könnte man sagen, daß Norepinephrin wie der Befehl wirkt; es befiehlt dem Gehirn, die Informationen, die es gerade verarbeitet oder erhält, mit unauslöschlicher Tinte festzuhalten. EINÄUGIGE KATZEN UND FORMBARE GEHIRNE. Andere Studien scheinen darauf hinzuweisen, daß Norepinephrin nicht nur Gedächtnis und Lernleistung verbessert, sondern auch das Gehirn zurück in einen Zustand jugendlicher Flexibilität und Formbarkeit bringt. In einem Experiment hat man mit Kätzchen gearbeitet, denen man in den ersten Lebensmonaten die Benutzung eines Auges unmög136
lieh gemacht hatte. Später, als man sie beide Augen benutzen ließ, waren sie nicht zur Tiefenwahrnehmung (stereoskopischem Sehen) fähig. So etwas kommt auch unter natürlichen Bedingungen häufig vor, und die Wissenschaftler hatten angenommen, daß die Enwicklung bestimmter Funktionen ausschließlich von der zeitlichen Abfolge abhängt. Wenn also das Gehirn die Funktion nicht im Zustand jugendlicher Formbarkeit entwickeln könnte, dann würde es seine Struktur auch im Stadium der Reife nicht mehr ändern können. Aus diesem Grund lernen Vierjährige neue Sprachen leichter als Vierunddreißigjährige: Ihre Gehirne sind empfänglicher für Veränderungen durch neue Erfahrungen. Dann aber injizierte Takuji Kasamatsu (California Institute of Technology) Norepinephrin in die Gehirne der Katzen, und schon bald enwickelte sich die Fähigkeit zu stereoskopischem Sehen! Kasamatsu führte sein Experiment auch umgekehrt durch, er nähte einer erwachsenen Katze zeitweilig ein Auge zu und injizierte ihr Norepinephrin. Rasch entwickelte das Tier ein einäugiges Sehverhalten, das auch noch blieb, als das zweite Auge wieder geöffnet wurde. Die <einäugige Erfahrung> prägte sich dem Gehirn der erwachsenen Katzen ebenso rasch und leicht ein, als wäre sie ein junges Kätzchen. Das Norepinephrin machte das Gehirn außerordentlich empfänglich und formbar und bewirkte, daß wohletablierte neurale Bahnen aufgegeben und neue neurale Verbindungen entwickelt wurden. Deshalb hat man Norepinephrin auch Jungbrunnen des Gehirns> genannt. «Das ist unser Traum», sagt Kasamatsu, «das Gehirn wieder jung zu machen.» [148] Ein weiterer Neurotransmitter, das Glutamat, ist bisher wenig untersucht und kaum verstanden. Jetzt aber deuten die jüngsten Arbeiten von Gary Lynch (University of California at Irvine) darauf hin, daß Glutamat ein Schlüssel zur Bildung von Erinnerungen sein könnte. In Experimenten mit Kaninchen und Ratten stellte er fest, daß die Bildung von Erinnerungen in Beziehung zu einer langandauernden Vermehrung der Glutamatrezeptoren steht. [122] Lynch fand außerdem heraus, daß man die Glutamatwerte durch elektrische Stimulation in Rhythmen und Amplituden stark verändern und so die Bildung von Erinnerungen beeinflussen kann. Andere Untersuchungen haben gezeigt, daß auch weitere Neurotransmitter, unter anderem das Serotonin, im Zusammenhang mit Lernen und Erinnerungsbildung stehen. 137
Wenn man all dies berücksichtigt, kann man die Bedeutung der Untersuchungen zur elektrischen Stimulation des Gehirns besser einschätzen. Es hat weitreichende Konsequenzen, wenn tatsächlich Elektrizität in der richtigen Frequenz, Wellenlänge und Stromstärke rasch und sprunghaft den Spiegel dieser und anderer Neurotransmitter im Gehirn anhebt. 1979 entdeckte der Neurologe Aryeh Routtenberg (Northwestern University), daß die elektrische Stimulation auch die Freisetzung großer Mengen von Neurotransmittern (die als Katecholamine bekannt sind) hervorrief - darunter Norepinephrin und Dopamin. Nach seiner Ansicht erklärt sich ein Großteil der lustvollen Empfindungen bei der elektrischen Stimulation aus diesem vermehrten Fluß der Katecholamine. Kokain wirkt übrigens sehr ähnlich auf das Gehirn, es stimuliert nämlich die Katecholamine in denselben Regionen. Dr. Solomon Snyder, Professor für Psychiatrie und Pharmakologie an der John Hopkins University und einer der Entdecker der Opiatrezeptoren, meint, daß Norepinephrin an sich schon so viel Lust bereiten kann, daß man mit einer Droge, die nur die Norepinephrin-, nicht aber die Dopaminproduktion stimulieren würde, reine, uneingeschränkte Ekstase auslösen könnte. [267] Die Erfindung einer solchen Droge steht noch aus. Routtenberg stellte fest, daß katecholaminfördernde Drogen die Lernfähigkeit positiv beeinflussen, und daß die Zentren und Bahnen für Belohnung im Gehirn auch die Zentren und Bahnen der Verfestigung von Erinnerung sind. Er schloß daraus, daß ein Mensch, der lernt, dafür belohnt wird, und daß die Aktivität der Belohnungszentren und -bahnen die Bildung von Erinnerungen fördert. Routtenberg: «Die verbesserte Lernfähigkeit könnte sich daraus erklären, daß die Tiere den Grad der Stimulation selbst regulieren, so daß sie ihr Verhalten selbst verstärken.» [286] Die Forschungen der Pionierin auf dem Gebiet der neuroelektrischen Therapie, Dr. Margaret Patterson, und ihres Mitarbeiters, des Biochemikers Dr. Ifor Capel, beide vom Marie Curie Cancer Memorial Foundation Research Department im britischen Surrey, zeigten, daß einfache Niederfrequenzströme, die durch externe Elektroden von Maschinen wie TENS, Alphapacer und Alpha Stirn ins Gehirn geleitet werden, die Produktion diverser Neurotransmitter drastisch beschleunigen können. Durch verschiedene Frequenzen und Wellenformen werden dabei auch verschiedene Gehirnsäfte stimuliert (zum 138
Beispiel stellen Patterson und Capel angeblich fest, daß ein Signal von 10Hz Produktion und Umsatz von Serotonin erhöht). Capel dazu: «Soweit wir es beurteilen können, erzeugt jedes Gehirnzentrum Impulse einer spezifischen Frequenz, die auf der des vorherrschenden Neurotransmitters basieren, der sie absondert. Mit anderen Worten: Die internen Kommunikationssysteme des Gehirns - seine Sprache, wenn man so will - basieren auf Frequenz. ... Vermutlich ist es so, daß bestimmte Zellen im unteren Gehirnstamm deshalb auf elektrische Wellen von zum Beispiel 10 Hz reagieren, weil sie auch sonst immer in dieser Frequenz arbeiten. Als Folge werden besondere stimmungsverändernde Chemikalien freigesetzt, die mit dieser Region in Beziehung stehen.» [215]
DIE MUSIK DER HEMISPHÄREN
Wie wir gesehen haben, gibt es heute Beweise, daß Neuronen in Kooperation mit diversen Unterpopulationen funktionieren, die untereinander als Netzwerke von Millionen Zellen verbunden sind. Jede Unterpopulation reagiert auf Schwingungen einer bestimmten Frequenz, so wie ein Spinnennetz in seiner gesamten Struktur schwingt, wenn man es nur an einer Stelle berührt, oder wie ein Kristallglas mit einem reinen Ton mitschwingt. Gedächtnis, Denken, ja das Bewußtsein selbst sind Produkte eines komplexen ausgeklügelten Arrangements all dieser Neuronen und Unterpopulationen, die alle zusammen harmonisch wie ein Orchester arbeiten. Die verschiedenen Neuronen-gruppen und Zentren entsprechen den verschiedenen Musikinstrumenten in diesem Orchester; jedes schwingt innerhalb seines charakteristischen Frequenzbereichs. Zusammen erzeugen sie das Lied, das wir als Bewußtsein hören, die volltönende, feinabgestimmte, unendlich ausdrucksvolle Symphonie, die erklingt, wenn das ganze Gehirn arbeitet. Und indem man spezifische Gehirnzentren oder neurale Unterpopulationen mit elektrischem Strom der richtigen Frequenz und Wellenform stimuliert, kann man zum Dirigenten des Orchesters werden und zum Beispiel die Trompeten des Norepinephrin dazu bringen, mit ihrem blechernen Fortissimo alles zu übertönen; oder auch die Streicher des Acetylcholins in den Vordergrund heben. 139
Viele Forscher glauben, daß zusätzlich zu dem Effekt, den bestimmte Wellenformen und Frequenzen auf einzelne Neurotransmit-ter haben, noch eine andere Einflußmöglichkeit wesentlich ist. Elektrische Ströme, wie zum Beispiel die sehr langsame 0,5 Hz Welle des Alpha Stims, können wirken, indem sie alle Gehirnzellen stimulieren, in Schwingung versetzen und so einen Gleichgewichtszustand herstellen. Die Neurotransmitter scheinen am besten zu funktionieren, wenn ihre Zahl sich innerhalb eines gewissen Spielraums bewegt. Zum Beispiel kann zu viel Norepinephrin zu Ängsten, Verspannungen und Hyperaktivität führen, während ein Mangel das Gedächtnis beeinträchtigen und Depressionen auslösen kann. Zu viel Acetylcholin führt zu Lethargie, zu wenig zu Schwäche und Halluzinationen. Zu viel Serotonin verursacht Halluzinationen und Schlaf, zu wenig bringt Depressionen, Aggressivität und Schlaflosigkeit. Unsere Gehirne funktionieren am besten, wenn die diversen Neurotransmitter sich innerhalb ihrer optimalen Bandbreite bewegen, ganz wie ein Orchester dann am besten klingt, wenn kein Instrument so laut spielt, daß sich sein Klang verzerrt und die anderen Instrumente übertönt. Viele von denen, die sich heute mit der Erforschung des menschlichen Gehirns befassen, glauben allerdings, daß große Bereiche unserer Gehirne nicht nach ihren optimalen Möglichkeiten funktionieren und nur unzureichende Mengen von Neurotransmittern produzieren. Dies meinen die Wissenschaftler, wenn sie davon sprechen, daß die Menschen nur fünf Prozent oder weniger ihres Gehirns benutzen. Doch es mehren sich die Hinweise darauf, daß sich durch elektrische Stimulation das Gehirn wieder <stimmen> läßt, daß sich dadurch Neuronen mit Unter- oder Fehlfunktion wieder aktivieren lassen und anfangen, optimale Leistungen zu bringen. Daraus würde sich eine Erhöhung der Gesamtmenge der Neurotransmitter im Gehirn ergeben, wobei allerdings keines der Neurone und neuralen Netzwerke mehr als eben gerade die optimale Menge produzieren würde. Einer der angesehensten Experten auf dem Gebiet der Elektromedizin, Dr. William Bauer, hat diesen stimmendem oder ausgleichenden Effekt ebenfalls bemerkt. Zum Einfluß elektrischer Stimulation auf die Neurotransmitter sagt er: «Ich denke, dabei passiert folgendes: . .. Wenn wir die richtige Frequenz, die richtige Wellen140
form und den richtigen Strom eingeben, ... dann verändern wir tendenziell die Konfigurationen der Zellmembran... Zellen, die unter ihren optimalen Möglichkeiten arbeiten, werden dabei angeregt, sich sozusagen und das zu produzieren, was sie eigentlich produzieren sollten. Dies geschieht wahrscheinlich über die DNS, die durch die Zellmembran stimuliert wird. Nach meiner Ansicht schwingt normales gesundes Gewebe einfach mit den von uns eingegebenen elektrischen Impulsen mit, weil es da nichts anzuschalten gibt... diese Zellen tun ihre Arbeit bereits gut. Kranke Zellen aber nehmen diese Energie auf und werden buchstäblich angeschaltet. Man die Zellen durch einen biochemischen Prozeß auf, der möglicherweise die Produktion von Acetylcholin und jedes anderen Neurotransmitters nach Bedarf einschalten und regulieren kann. Man bringt damit buchstäblich den Körper zurück ins Gleichgewicht.» [140] UNENTDECKT UND UNAUFSPURBAR DURCH DIE BLUT-GEHIRN-SCHRANKE
In vielen Fällen regte man die Produktion der Neurotransmitter durch oral oder intravenös verabreichte Drogen an. Dabei gibt es ein Problem: Bevor eine Droge auf das Gehirn Einfluß nehmen kann, muß sie die >Blut-Gehirn-Schranke> überwinden, ein kaum durchdringbares Dickicht von filternden Kapillaren, die das Gehirngewebe vor schädlichen Substanzen in der Blutbahn schützen. Alle Chemikalien in der Blutbahn gehen also normalerweise am Gehirngewebe vorbei, und nur wenige von ihnen erreichen tatsächlich das Gehirngewebe. Wenn man also eine Droge oder eine andere beliebige Substanz oral einnimmt, wird nur sehr wenig davon ins Gehirn gelangen. Wenn nur ein Prozent der Droge ins Gehirn gelangt, verteilen sich die restlichen neunundneunzig Prozent auf die anderen Körperteile, wo sie eine Vielzahl gefährlicher Nebenwirkungen verursachen können, zum Beispiel trokkene Mundschleimhaut, Leberschäden, Herzversagen oder Krebs. Die elektrische Stimulation jedoch dringt direkt ins Gehirngewebe ein, so daß die Möglichkeit von Nebenwirkungen in anderen Körperbereichen ausgeschlossen ist. Damit scheint es durchaus plausibel und vernünftig, Geräte wie den Alpha Stirn zur Verbesserung von Lernen, 141
Gedächtnis und anderer geistiger Vorgänge einzusetzen, indem sie die Synthese bestimmter Neurotransmitter im Gehirn fördern.
VIERTAUSEND RATTEN UND DIE ANGST VOR DUNKELHEIT
Die neurologische Wissenschaft war fasziniert von den neuen Fakten über Neurotransmitter, die Anfang der siebziger Jahre entdeckt wurden. Gleichzeitig war aber klar, daß die Neurotransmitter selber nicht die subtilsten Phänomene und Mysterien des Bewußtseins erklären konnten. Neurotransmitter sind sehr kurze, einfache Moleküle. Diese Moleküle setzen sich aus Bausteinen zusammen, die man Aminosäuren nennt. Die Neurotransmitter bestehen vielfach nur aus einem oder zweien dieser Bausteine. Diese kleinen Moleküle durchqueren nur äußerst kurze Entfernungen, wenn sie den synaptischen Spalt zwischen benachbarten Neuronen innerhalb von Millisekunden überspringen und kurzfristige Veränderungen im Erregungszustand eines spezifischen Empfängerneurons verursachen. Die Wissenschaftler konnten zwar annehmen, daß diese einfachen Moleküle Botschaften wie <Werde jetzt empfindlicher!) oder <Werde jetzt weniger empfindlich!) übertrugen. Jedoch erschien es unmöglich, daß Neurotransmitter auch komplizierte Botschaften übertragen können, wie sie zur Kontrolle komplexer und subtiler Geisteszustände nötig scheinen. Eine Studie von Dr. Georges Ungar (University of Tennessee Medical Center) warf Licht auf diese Frage und entfachte nach ihrer Veröffentlichung 1970 eine höchst kontroverse Diskussion. Ungar hatte etwa 4000 Ratten (Geschöpfe, die normalerweise bevorzugt an dunklen Orten leben) mit Elektroschocks Angst vor Dunkelheit antrainiert. Dann entnahm Ungar aus den Gehirnen der dunkelscheuen Ratten Extrakte und injizierte das Material in gewöhnliche, untrainierte Ratten, worauf auch diese unmittelbar danach die Dunkelheit fürchteten! Irgendwie war es Ungar anscheinend gelungen, ein ziemlich komplexes, nicht natürliches (gelerntes) Verhaltensmuster von einer Gruppe Ratten auf eine andere zu übertragen. Ungar analysierte den Gehirnextrakt gewissenhaft und konnte schließlich ein Molekül isolieren, daß aus Aminosäuren in einer elfgliedrigen Kette bestand. Dieses Molekül nannte er Scotophobin, aus 142
den griechischen Worten skotos für undphobos für . Dann schuf er eine dem Scotophobin analoge Substanz, ein synthetisches, im Labor hergestelltes Äquivalent, und injizierte sie einer weiteren Gruppe nicht trainierter Ratten. Auch sie reagierten mit plötzlicher Angst vor Dunkelheit. Ungars Experiment ließ vermuten, daß man spezifische Erinnerungen oder Verhaltensweisen aus einfachen Chemikalien synthetisch erzeugen konnte. Zur damaligen Zeit klang diese Entdeckung wie eine bizarre Idee aus einem Science Fiction Roman, und die meisten Wissenschaftler spotteten über Ungars Schlußfolgerungen. Dann wurden ein paar Jahre später die Endorphine entdeckt, begleitet von großem Aufsehen und Nobelpreisverleihungen. Bis dahin hatten die Wissenschaftler an zwei getrennte chemische Systeme geglaubt, die die Gehirn- beziehungsweise die Gehirn-Körper-Aktivitäten koordinierten - Neurotransmitter und Hormone. Neurotransmit-ter sind kleine Moleküle, die sich mit großer Geschwindigkeit über kurze Entfernungen bewegen. Die Hormone galten traditionell als komplexe Moleküle - lange Ketten mit vielen, manchmal Hunderten von Gliedern, die von bestimmten Zellgruppen, den endokrinen Drüsen, abgesondert werden (zum Beispiel Adrenalin aus den Drüsen der Nebennieren oder Thyroxin aus der Schilddrüse). Diese komplexen Moleküle werden in die Blutbahn freigesetzt (anstatt wie die Neurotransmitter den synaptischen Spalt zu überqueren) und dort zu einem oder mehreren Zielgebieten transportiert. Anders als Neurotransmitter wirken sie nicht in Millisekunden, sondern brauchen längere Zeit (Sekunden, manchmal auch Stunden), um ihr Ziel zu erreichen. Während die Neurotransmitter kurzfristige Veränderungen im Erregungszustand des Zielneurons verursachen, rufen Hormone komplexe Veränderungen in den Zielzellen hervor, die eventuell ziemlich lange anhalten können (zum Beispiel können männliche Sexualhormone das Wachstum der Gesichtshaare fördern). Mit der Entdeckung der Endorphine und mehrerer ihnen verwandter Substanzen aber begann plötzlich diese strikte Trennung unhaltbar zu werden. Endorphine konnten sich gelegentlich wie Neurotransmitter verhalten, indem sie über den synaptischen Spalt sprangen, bei anderen Gelegenheiten aber auch wie Hormone: Sie wurden durch Blutbahn und Zerebrospinalflüssigkeit befördert, auch über große Ent143
fernungen, und verursachten in den Zielgebieten langanhaltende und komplexe Veränderungen. Man kann sie mit Hormonen vergleichen, die im Gehirn freigesetzt werden und direkt auf das Gehirn wirken. Die Wissenschaftler tauften diese komplexen Moleküle Neuropeptide oder Peptide. Anders als die Neurotransmitter, die nur Botschaften wie und beziehungsweise <mehr> oder <weniger> transportieren konnten, schienen diese in der Lage, sehr spezifische Ideen, Stimmungen, Erinnerungen, Gefühlszustände und Verhaltensweisen zu übermitteln. Verwenden wir noch einmal die Metapher von Joseph Light: Neurotransmitter funktionieren wie Drähte, die individuelle Telefonapparate miteinander verbinden, Peptide aber sind eher mit einer Fernsehausstrahlung zu vergleichen, die von jedermann mit dem richtigen Gerät empfangen werden kann. Die Genauigkeit, mit der diese Peptide eine Vielzahl von geistigen Zuständen vermitteln können, ist wirklich umwerfend. Jedes Peptid ist eine Kette von Aminosäuren. Es gibt zwanzig wichtige Aminosäuren, die an jedem Punkt und in jeder beliebigen Reihenfolge innerhalb dieser Kette auftreten können. Das heißt, dieselbe Aminosäure kann mehrmals innerhalb der Kette eines Peptids auftauchen (was sie auch häufig tut), so wie derselbe Buchstabe mehrmals in einem einzigen Wort vorkommen kann. Und wie bei den Buchstaben entscheidet auch bei den Aminosäuren die Reihenfolge über die der Peptide. bedeutet etwas ganz anderes als >rot>, obwohl beide Worte aus denselben Buchstaben zusammengesetzt sind. Ebenso können eine Vielzahl von Peptiden aus nur wenigen Aminosäuren zusammengesetzt sein und jeweils eine völlig andere Botschaft transportieren. Denken wir daran, daß der genetische Code nur aus vier Buchstaben in Form von Aminosäuren besteht und doch in der Lage ist, eine derart komplexe und einzigartige genetische Botschaft zu transportieren, daß er unsere gesamte physische Struktur daraus erschaffen und aufrechterhalten kann. Also ist in einer Molekülkette mit zwei Dutzend oder mehr Gliedern beziehungsweise Bausteinen (von denen jeder wieder eine beliebige der zwanzig Aminosäuren sein kann) die Zahl der möglichen Kombinationen praktisch unbegrenzt. Nimmt man an, daß die Kette nur aus zwei Gliedern besteht, wobei jede der zwanzig Aminosäuren verwendet werden kann, dann könnte man daraus 20x20, also vierhundert verschiedene Peptide schaffen. Bei drei Glie144
dem könnte man aus den zwanzig Aminosäuren schon 8000 verschiedene Peptide bauen. Eine Kombination 15 verschiedener Aminosäuren kann 33,66 Trillionen verschiedene Peptide ergeben, weit mehr als es Neuronen im Hirn gibt. Und das sind noch relativ einfache Aminosäureketten im Vergleich zu der faszinierenden 263-Aminosäuren-Kette Pro-opiomelanocortin, ein Peptid, das im Zentrum intensiver Untersuchungen der Neurowissenschaftler steht, weil es in sich die kürzeren Peptide des Endorphins (zweiunddreißig Glieder), des Enkephalins (sechs Glieder) und eines anderen Peptids namens MSHACTH 4-10 [MSH steht für Melanozyten-stimulierendes Hormon, ACTH für adrenocorticotropes Hormon], das anscheinend beim Menschen ein deutliches Ansteigen der Lern- und Gedächtnisleistungen bewirkt. Verglichen mit komplexen Proteinen, die durchaus mehrere Tausend Glieder haben können, erscheinen auch solche Peptide relativ bedeutungslos. Wenn man die riesige Zahl möglicher Peptide bedenkt, erscheint die Existenz von Peptiden möglich, die Botschaften zur Auslösung praktisch jedes erdenklichen geistigen Zustands oder Verhaltensmusters transportieren können. Wieder kann man die zwanzig Aminosäuren mit den sechsundzwanzig Buchstaben des Alphabets vergleichen: Die Buchstaben lassen sich zu einer unendlichen Vielfalt von Botschaften kombinieren, die teils aus kurzen, teils aus langen Wörtern, teils aus zu Sätzen geordneten Wortgruppen bestehen. Ebenso lassen sich die Aminosäuren zu einer Vielfalt von Peptiden arrangieren, die den unendlichen Ausdrucksmöglichkeiten der Sprache gleichkommt. In einem Peptid aus einer Kette von hundert Aminosäuren kann eine Botschaft einkodiert sein, deren Informationsgehalt drei oder vier Sätzen entspricht. Wenn also ein Peptid freigesetzt und zu einem bestimmten Neuron transportiert wird, dann bringt es diesem Neuron eine Botschaft von der Länge mehrerer Sätze. Den Wissenschaftlern ist es gelungen, eine Reihe dieser Peptide synthetisch zu erzeugen, darunter synthetische Endorphine. Und da Peptide in ihrer Wirkung weit spezifischer als Neurotransmitter sind, ist es wahrscheinlich, daß demnächst Peptide synthetisiert werden, die praktisch alles können: die Fähigkeit (oder den Wunsch) des Menschen zum Lesen oder zum Erinnern an Melodien verstärken, Menschen beim Klang einer Glocke in Hochstimmung versetzen, Men145
sehen die Farbe Blau meiden lassen oder nur noch rothaarige Personen attraktiv zu finden. Damit wären wir wieder im Jahre 1970 bei Georges Ungars Entdeckung des Scotophobins, denn jetzt erscheint es möglich, daß Ungars mysteriöse Substanz, die soviele Kontroversen ausgelöst hat, ein relativ einfaches (elfgliedriges) Peptid ist, daß die Botschaft enthält: Fürchte dich vor der Dunkelheit! (Hier muß angemerkt werden, daß Ungars Arbeiten weiterhin nicht allgemein akzeptiert werden, denn andere Wissenschaftler, die seine Versuche wiederholen wollten, kamen nicht zu denselben Ergebnissen.) Ungar hat inzwischen eine Reihe weiterer Peptide synthetisch hergestellt, darunter eins, das Ratten dazu bringt, sich an ein bestimmtes Geräusch zu gewöhnen, und zwei, die Goldfische dazu veranlassen, die Farben Grün beziehungsweise Blau zu meiden. Andere Wissenschaftler haben bei Ratten ein Peptid gefunden, mit dem man auch andere Ratten dazu bringen kann, eher auf einer Plattform zu bleiben als hinunterzuklettern. Mehr und mehr wird klar, daß Peptide fast unbegrenzte Vielfalt und Spezialisierungsmöglichkeiten haben.
SCHLAUE PILLEN - BESSER LERNEN DURCH CHEMIE
»Neuropeptide spielen bei Erwerb und Aufrechterhaltung neuer Verhaltensmuster eine Rolle», sagt der niederländische Pharmakologe David de Wied, ein Pionier in der Peptidforschung. «Sie fördern das Registrieren, die Konsolidierung, die Unterdrückung und das Wiederauffinden von Informationen und ermöglichen so die Wahl des angemessenen Verhaltens.» [65] Mit den Peptiden scheint man an die Wurzel des Mysteriums menschlichen Verhaltens gelangt zu sein - wie wir lernen, wie Erinnerungen gebildet, gespeichert und im Gehirn wieder abgerufen werden. Die Peptide scheinen die Kontrolle über bestimmte Fähigkeiten des Gehirns zu haben. Dies ist in vielen Untersuchungen der letzten Zeit nachgewiesen worden, darunter in Doppelblind-Studien mit Kontrollgruppen, wobei weder die Versuchspersonen noch die Forscher wußten, ob die verabreichte Substanz aktiv (also ein endorphinähnliches synthetisches Peptid) war oder ein neutrales, unwirksames Placebo. Bei allen diesen Studien zeigte sich bei den Versuchspersonen, die die 146
Peptide erhalten hatten, eine deutliche Verbesserung bei verschiedenen Tests zur Messung von Lern- und Gedächtnisleistung. Bei einer Reihe von Untersuchungen hat man zum Beispiel das synthetisch hergestellte Peptid namens Vasopressin verwendet, das eng mit den Endorphinen verwandt ist. Eine dieser Studien wurde an fünfzig- bis sechzigjährigen Männern durchgeführt. Durch Einnahme von Vasopressin kam es bei ihnen zu signifikanten Verbesserungen der Gedächtnis- und Lernleistung, und ihre Reaktionszeiten wurden kürzer. Bei einem anderen Experiment verabreichte man Vasopressin mehrmals an sechzehn gesunde Personen durchschnittlicher Intelligenz, worauf sich eine drastische Verbesserung ihrer Lern- und Erinnerungsfähigkeit einstellte, die zehn Tage bis zwei Wochen anhielt. Niederländische Wissenschaftler stellten fest, daß Vasopressin einen langfristig Effekt auf die Konsolidierung von Informationen hat. [65] Wenn Menschen dieses Peptid erhalten, sind sie weit eher in der Lage, sich lange Listen von Gegenständen zu merken. Forschungen am National Institute of Mental Health (NIMH) weisen darauf hin, daß Vasopressin die Gedächtnisleistung erhöht, indem es die Versuchspersonen in die Lage versetzt, große Mengen zu erinnernder Informationen zu größeren Gruppen zusammenzufassen, die sich dann leichter erinnern lassen. Außerdem werden die Informationen besser , wohingegen niedrige Vasopressinwerte mit verschlechterter Gedächtnisleistung einhergehen. Das Peptid fördert auch die Entstehung von Theta-Wellen, die in Zusammenhang mit verbessertem Zugang zu Erinnerungen, besserer Erinnerungsfähigkeit und erhöhter Kreativität stehen. Die NIMH Studien deuten auch darauf hin, daß Vasopressin die Freisetzung von Endorphinen stimuliert, wobei Endorphine auch umgekehrt wieder die Freisetzung von Vasopressin stimulieren. In anderen Untersuchungen hat Vasopressin bei Personen mit Gedächtnisverlust die Erinnerungsfähigkeit wiederhergestellt. [190, 192] Ein weiteres, natürlich vorkommendes Peptid, das bereits erwähnte MSH-ACTH 4-10, erhöht ganz beträchtlich das Aufmerksamkeitsspektrum, außerdem bei Männern das visuelle Gedächtnis und bei Frauen das verbale Gedächtnis. Dieses Peptid kommt als Fragment in Beta-Endorphinen und anderen Peptiden vor und scheint die Kommunikation zwischen Zellen zu verbessern, wodurch die Übertragung von 147
Signalen im Gehirn und außerdem Lern- und Gedächtnisleistung verbessert werden. Nach der Einnahme wird man aufmerksam, bleibt aber in tiefer Entspannung. [149] In Schweden stellten Forscher fest, daß dieses Peptidfragment bei gesunden Versuchspersonen die visuelle Aufmerksamkeit und Merkfähigkeit erhöht, die Angst reduziert und die Fähigkeit des Gehirns zur Informationsverarbeitung verbessert. Außerdem verstärken kleine Mengen dieses Peptids ebenso wie Vasopressin die Theta-Aktivität des Gehirns. Von ähnlichen Befunden berichten niederländische Forscher. Sie behaupten, dieses Peptid steigere Motivation, Erregbarkeit, Wachsamkeit, selektive Aufmerksamkeit und das Abrufen von Erinnerungen. Wenn man an Labortieren, nachdem sie etwas gelernt hatten, künstlich einen Zustand des Gedächtnisverlusts (Amnesie) hervorrief, ließ sich die Amnesie wieder aufheben, indem man innerhalb von vierundzwanzig Stunden dieses Peptid verabreichte. Alte Tiere brachten es nach Verabreichung dieses Peptids auf Gedächtnisleistungen, zu denen sonst nur junge Tiere in der Lage sind. Bei menschlichen Versuchspersonen verzögert dieses Peptid eine Gewöhnung an Aufgaben, bei denen es auf rasches Reagieren ankommt. Dies läßt sich durch EEG messen. Außerdem verbesserte dieses Peptid das Niveau von Höchstleistungen und verminderte die Fehlerzahl bei einer Reihe von sensomotorischen und Intelligenztests. Wie Vasopressin hat man dieses Peptid synthetisch hergestellt, und es ist in Tablettenform für experimentelle Zwecke erhältlich. Auch von den am besten bekannten Peptiden, den Endorphinen, weiß man inzwischen, daß sie einen gewaltigen Verstärkungseffekt auf Lern- und Gedächtnisleistungen ausüben. Bei einer Untersuchung injizierte man winzige Dosen einiger Endorphine (Beta-Endorphin und Leu- und Met-Enkephalin) unter die Haut von Ratten. Wohlgemerkt, die Injektionen wurden unter die Haut gespritzt, nicht ins Gehirn, so daß wegen der Blut-Gehirn-Schranke nur wenige Endorphine ins Gehirn vordringen konnten. Dennoch zeigten die Tests bei diesen Ratten, daß selbst solche winzige Mengen von Endorphinen im Gehirn deutlich dem Gedächtnisverlust entgegenwirken. In den Untersuchungen von David de Wied, bei denen er Ratten winzige Mengen bestimmter Endorphine injizierte, verlängerte sich der Zeitraum, in dem die Ratten Gelerntes behalten konnten. Andrew Schally, der Nobelpreisträger für Medizin des Jahres 1977, führte 148
zusammen mit Kollegen einen Test an Ratten durch, bei dem die Tiere gezwungen wurden, ein komplexes Labyrinth zu durchqueren, um zu ihrem Futter zu gelangen. Bevor sie sich mit dem Labyrinth auseinandersetzten, erhielten die Ratten Injektionen zweier verschiedener Endorphine. Beide Drogen förderten ihre Fähigkeit zur Bewältigung des Labyrinths. Interessanterweise hatte Morphium die entgegengesetzte Wirkung, obwohl sowohl Morphium als auch Endorphine Schmerzen lindern und Euphorie verursachen. Larry Stein und James Belluzzi von der Firma Wyeth Laboratories brachten einer Gruppe von Ratten bei, daß der Maschendraht am Boden ihrer Käfige ihnen Elektroschocks versetzen würde. Dann teilten sie die Tiere in zwei Gruppen, von denen eine Endorphin-Injektionen erhielt. Danach wurden die Elektroschocks eine Zeitlang abgesetzt. Die Ratten, die keine Endorphine erhielten, vergaßen die Schocks bald, während die Tiere, denen man Endorphine gespritzt hatte, sich länger daran erinnerten. Diese Verbesserungen werden schon durch sehr kleine Mengen der Peptide ausgelöst - wenn man sie einmal mit den gewaltigen Mengen vergleicht, die man braucht, um Schmerzlinderung zu erzielen. [84] LERNEN IM ZENTRUM DER LUST
Wie können Endorphine, die vorwiegend für ihre opiatähnlichen physischen Wirkungen der Schmerzlinderung und Euphorisierung bekannt sind, solche machtvollen geistigen und kognitiven Verbesserungen auslösen? Die Neurologen sind heute überzeugt, daß zumindest ein Teil der Antwort darin liegt, daß beim Menschen die Stellen im Gehirn, die am meisten Endorphine produzieren und die größte Konzentration von Endorphinrezeptoren enthalten, auch am engsten mit den Prozessen von Lernen und Gedächtnis verbunden sind. Nach der Entdeckung der Endorphine haben, wie beschrieben, zahlreiche Forscher bestätigt, daß die elektrische Stimulation der Lustzentren die Endorphinproduktion steil ansteigen läßt. 1978 lokalisierte Aryeh Routtenberg (Northwestern University) diese Lustzentren und fand heraus, daß sie untereinander verbunden waren, durch Bahnen der Lust, wie er es nannte (pleasure pathways). Diese Bahnen sind nach seiner Ansicht sehr weit ausgedehnt und erstrecken sich von den 149
Tiefen des Hirnstamms, also dem evolutionsgeschichtlich frühesten Teil des Gehirns, bis weit in den Kortex der Stirnlappen, also dem Teil des Gehirns, der sich zuletzt entwickelt hat. Während er diesen nachspürte, stellte Routtenberg fest, daß sie mit anderen Bahnen im Gehirn verbunden waren, die mit den Katecholaminen (also Norepinephrin und Dopamin) in Beziehung stehen und mit Bahnen und Bereichen mit der größten Konzentration von Endorphinen und Endorphinrezeptoren. Weiter bemerkte Routtenberg, daß diese in enger Beziehung zu den Regionen des Gehirns stehen, von denen man weiß, daß sie für Lernen und die Bildung von Erinnerung zuständig sind, Routtenberg zitierte Experimente von Olds und anderen, bei denen sich ein Zusammenhang zwischen der Stimulation von Lustzentren (oder Belohnungszentren) und dem Prozeß des Lernens erwiesen hatte, und schloß daraus: «Das Beweismaterial zeigt klar und deutlich, daß die Belohnungsbahnen im Gehirn eine wichtige Rolle beim Lernen und Gedächtnis spielen.» Wie? Laut Routtenberg folgendermaßen: «Ich habe Vermutungen darüber angestellt, ob die Belohnungsbahnen im Gehirn vielleicht als Bahnen der Gedächtniskonsolidierung wirken. Damit meine ich, daß, wenn etwas gelernt wird, die Aktivität in den Belohnungsbahnen die Bildung von Erinnerungen fördert... Das Beweismaterial für die belohnenden Wirkungen lokaler elektrischer Stimulation... und für den Zusammenhang zwischen Belohnungsbahnen und Erinnerungsbildung weist darauf hin, daß die neura-len Substrate der Selbststimulation eine entscheidende Rolle bei der Lenkung von Verhalten spielen.» [286]
DIE EGOISTISCHEN GENE DER ROBOTERENTE
Lernen und Lust, Gedächtnis und Belohnung - sie sind anscheinend unentwirrbar miteinander verflochten. Diese Wahrheit haben wir alle schon einmal erfahren: Wir versuchen, etwas zu verstehen; wollen ein Problem lösen, das uns schon länger belastet; müssen unsern Geist strecken, damit er neue Ideen aufnimmt. Dabei verspüren wir ein unbestimmtes Gefühl der Anstrengung und Mühe. Dann aber, plötzlich, durchläuft uns ein Schauer der Erregung, wir verstehen, das 150
Problem ist gelöst, die neuen Ideen werden klar, und ein Gefühl der Freude durchfließt uns, eine sinnliche Befriedigung, die unsern Körper mit Wärme überflutet. Warum hängen Lernen und Lust so eng zusammen? Die Neurologen betrachten diese Kombination als evolutionären Entwicklungsschritt, ein System, das sich vor Millionen von Jahren bei Tieren entwickelte, um ihre Chancen zum Überleben zu verbessern. Jahrzehnte der Forschung an Versuchstieren und Versuchspersonen haben erwiesen, daß einer der wirksamsten Wege, etwas zu lehren, darin besteht, den Lernenden während des Lernens Belohnungen zu geben. Nach Ansicht der Neurologen dienen die Endorphine als natürliches Belohnungssystem> des Körpers, die uns immer dann einen Stoß von lustvollen Gefühlen verschaffen, wenn wir etwas lernen oder so handeln, daß es zu unserm Überleben als Gattung beiträgt. 1973 verblüffte die Neurologin Candace Pert (NIMM) die Wissenschaftswelt, indem sie in jungen Jahren, noch als Studentin, den Opiatrezeptor entdeckte. Seitdem hat sie sich intensiv mit der Wirkungsweise der Endorphine befaßt. Sie betrachtet sie als einen Schlüssel für auf Überleben orientiertes Verhalten. Wenn man die Fähigkeit, als Individuum und als Gattung zu überleben, mit gleichsetzen kann, sagt sie, dann könnte man die Endorphine als intelligenzsteigernd betrachten. «Wenn man ein Roboterfahrzeug bauen wollte, das eine Reise in die Zukunft machen und dort überleben soll (so wie Gott es tat, als er die Menschen schuf), dann würde man es so verdrahten, daß sich die Verhaltensbereiche, die das Überleben der Gattung sichern sollen - Sex und Nahrungsaufnahme zum Beispiel - von Natur aus selbst verstärken. Verhalten ist modifizierbar und wird durch die Antizipation von Schmerz oder Lust, Strafe oder Belohnung kontrolliert. Und die Antizipation von Schmerz oder Lust muß im Gehirn kodiert sein.» Dieses natürliche Verstärkungssystem ist nach Meinung von Candace Pert das Endorphinsystem. Einen überzeugenden Schlüssel zu dieser Auffassung gibt uns Richard Dawkins in seinem Buch The Selfish Gene (Das egoistische Gen): Jedes Geschöpf auf der Erde ist ein hochentwickeltes subtiles Gebilde, das sich reproduzieren und überleben möchte. Eine Ente ist einfach ein kleines Robotvehikel, das in sich Entengene zur Erzeugung weiterer Entengene trägt. Pert sagt: «Ein menschliches Wesen ist ein Robot151
vehikel, daß der Fortpflanzung menschlicher Gene dient. Doch scheinen die menschlichen Gene zu ihrem Weiterbestehen immer mehr und noch mehr Intelligenz zu benötigen. Wir entwickeln uns in Richtung auf das vollkommene Wissen. Man bedenke, alle Menschen, die heute leben, sind Abkommen einer langen Kette von Vorfahren, von denen jeder schlau genug zum Überleben war.» [Hervorhebungen durch den Autor.] Endorphine belohnen uns aber nicht nur mit Lust für unsere Lernerfolge, sondern sie helfen uns auch beim Lernen und Überleben, indem sie entscheiden, welche Information wir in unser Gehirn lassen. Nach den Worten von Pert funktioniert das menschliche Gehirn als ein , das eine unendliche Zahl möglicher Wahrnehmungen herausfiltert, so daß es uns möglich wird, nur eine bestimmte Anzahl ausgewählter oder gefilterter Eindrücke wahrzunehmen. Als Beispiel nennt sie unter anderem das elektromagnetische Spektrum. «Jeder Organismus hat sich evolutionär so entwickelt, daß er in der Lage ist, die elektromagnetischen Energien zu entdecken, die am nützlichsten für sein Überleben sind. Jeder hat sein eigenes Fenster zur Wirklichkeit. Die Menschen können das Farbspektrum im Bereich zwischen Infrarot und Ultraviolett sehen. Bienen können überhaupt kein Rot sehen. Dafür können sie allerdings bis hinauf in den Bereich der Purpurtöne sehen. Das können wir nicht.» Solch ein Filterungsprozeß ist natürlich wesentlich für unser Überleben: Wenn all die Informationen, die ständig in Form von Licht, Geräuschen, Geschmack, Geruch, Gefühl, Denken usw. auf uns eindringen, ständig um die Aufmerksamkeit unseres Bewußtseins kämpfen würden, wären wir bald verrückt. Pert und ihr Team am National Institute of Mental Health haben die folgende Erklärung: «Die Endorphine, unsere natürlichen Opiate, sind ein Filtermechanismus im Gehirn. Das Opiatsystem filtert die eintreffenden Informationen aller Sinnesorgane - Sehen, Hören, Geruch, Geschmack und Tastsinn - und hält einen Teil davon ab, bis zu den höheren Bewußtseinsebenen durchzusickern... Jeder Mensch hat eine deutlich andere Version von der Welt als der andere.» Pert selber dazu: «Während eintreffende Informationen von den Sinnesorganen durch immer höhere Ebenen des Nervensystems reisen, werden sie auf jeder Stufe bearbeitet. Ein Teil davon wird verworfen, und 152
einiges wird weitergegeben in die höheren Gehirnregionen. Ein Filterungsprozeß findet statt - ein Prozeß der Selektion - der auf emotionalen Wertungen, Erfahrungen der Vergangenheit usw. beruht.» [367] Nach Pert filtern die Endorphine Informationen heraus, die nicht wesentlich oder hilfreich für unser Überleben sind. Wenn wir uns zum Beispiel einer lebensgefährlichen Situation, etwa einem drohenden Autounfall, gegenübersehen, konzentriert sich unsere Aufmerksamkeit vollständig auf diese Situation. Unsere Sinne scheinen mit ungeheurer Intensität zu arbeiten, die subjektive Zeitwahrnehmung verlangsamt sich, während andere vorliegende Informationen (zum Beispiel die Musik im Autoradio oder Werbeplakate an Hauswänden) aus unserm Bewußtsein zu verschwinden scheinen. Sie werden herausgefiltert, weil für unser Überleben irrelevant. Die Endorphine wählen die Wirklichkeit, die wir erfahren, und zwar auf der Basis dessen, was und werden deshalb mit Lustempfindungen belohnt. Endorphine filtern und bestimmen die <Wirklichkeit>. Als Belohnung für überlebensorientiertes - d . h . intelligentes - Verhalten, scheinen sie uns in eine Richtung zu lenken, die Pert «vollkommenes Wissen» nennt.
DER GÄNSEHAUT-QUOTIENT
Es gibt viele Wege des Lernens, und Überleben bedeutet mehr als einfach am Leben bleiben. Viele der erwähnten Untersuchungen haben die Steigerung von Lern- und Gedächtnisleistung durch Endorphine und andere Peptide in kalten quantitativen Begriffen beschrieben - die relative Fähigkeit zum Merken langer Wörter- oder Zahlenreihen, die Reaktionszeit, die Geschwindigkeit, mit der Ratten lernen, den Weg durch ein Labyrinth zu finden. Doch solche meßbaren Elemente sind nicht die einzigen Merkmale von Gedächtnis und Lernen. Wir alle wissen instinktiv, daß der Schlüssel zu einem sinnvollen Lernen und Behalten die innere emotionale Beteiligung ist. Schauspieler 153
stellen fest, daß sie ihre Rollen besser behalten können, wenn sie versuchen, ganz und gar die Person zu werden, die sie auf der Bühne spielen. Sie finden die gefühlsmäßige Bedeutung des Textes und verbinden sie mit einer Gefühlsreaktion in sich selbst. Wir erinnern uns lebhafter an Ereignisse, die unsere Gefühle stark erregt haben, und wir lernen mehr aus einem Universitätsseminar oder einem Buch, dessen Thema viel für uns bedeutet, auf das wir emotional reagieren. Bei dieser Art von Lernen durch emotionale Beteiligung spielen die Endorphine eine Schlüsselrolle. Eine Untersuchung wirft ein wenig Licht auf die Zusammenhänge zwischen Endorphinen und hochintensiven gefühlsmäßigen Erfahrungen. Außerdem gibt sie einen Hinweis darauf, wie dies mit erhöhter Lernfähigkeit in Beziehung steht. Avram Goldstein, der Leiter des Addiction Research Centers (Suchtforschungszentrums) in Palo Alto, Kalifornien, und Professor für Pharmakologie an der Stanford University, gilt seit langem als Pionier auf dem Gebiet der Endorphinforschung. Goldstein war fasziniert von dem <musikalischen Schauer>, dem Kribbeln im Nacken, dem plötzlichen warmen Prickeln im ganzen Körper, also den Phänomenen, die sich bei uns einstellen, wenn wir Musik hören, die uns emotional ergreift. Er vermutete, daß diese Sinneseindrücke durch die Freisetzung von Endorphinen verursacht sein könnten. Er ließ seine Versuchspersonen Musik auswählen, die bei ihnen diesen Schauer auslöste. Sie sollten ihm signalisieren, wann und wie intensiv sie die erwähnten Phänomene verspürten. Er teilte sie in zwei Gruppen und ließ der einen Gruppe den Endorphinantagonisten Naloxon, der anderen Gruppe ein Placebo injizieren. Das ganze geschah unter Doppelblind-Bedingungen. Er stellte fest, daß die Droge die Erregungserscheinungen bei einer signifikanten Zahl von Versuchspersonen blockierte oder unterbrach. [23] Die musikalischen Schauer waren Reaktionen auf durch die Musik freigesetzte Endorphine. Die meisten Menschen nehmen diesen Schauer als natürlichen Bestandteil jeder Erfahrung hin, die tiefbewegend oder gefühlsmäßig ergreifend ist. Es wäre sogar möglich, diese Reaktion als Skala zu benutzen, an der wir ablesen können, wie stark wir auf eine Situation reagieren, ob das nun ein Gedicht, ein Roman, eine mathematische Gleichung, eine Landschaft, ein Film, eine philosophische Abhand154
lung oder ein Lied ist. Je stärker unsere Reaktion nach dieser Skala (die wir einmal den Gänsehaut-Quotienten nennen wollen), desto stärker unsere innere Beteiligung an dem, was wir erfahren. Wenn man die Implikationen von Goldsteins Untersuchungen über den Erregungsfaktor Musik weiterdenkt, dann könnte man sagen: Je größer der Gänsehaut-Quotient, desto größer auch die Menge der in unserm Körper freigesetzten Endorphine. Am wichtigsten dabei ist, daß man den Gänsehaut-Quotienten auch als groben Indikator einer bestimmten Art des Lernens verwenden kann. Dieser Schauer ist die Reaktion auf ein plötzliches Begreifen, ein Gefühl des Wissens, das nicht auf kalter Logik und Rationalität basiert, sondern kommt, intensiv, stark emotional gefärbt, ein Wissen, das ein Menschenleben verändern kann. Auf lange Sicht prägt sich diese Art von Lernen aus dem Bauch am besten ein, es ist praktisch unvergeßlich und im wahrsten Sinne des Wortes ein <überlebensorientiertes> Lernen. Die Tatsache, daß die Endorphine diese Art der emotionalen Reaktion belohnen und begünstigen, ist ein Hinweis darauf, daß diese ästhetischen Erfahrungen äußerst wohltuend und wertvoll sind, vielleicht sogar wesentlich für unser intellektuelles und emotionales Wachstum. Indem die Endorphine diese Art des emotionalen Lernens fördern und unterstützen, scheinen sie uns zu ermutigen, diejenigen Teile unseres Gehirns und unseres Geistes zu erweitern und vergrößern, die einzigartig menschlich sind.
ENDORPHINE UND DIE MENTALE EVOLUTION
Wir haben mehrmals über die Situation, wenn einem <ein Licht aufgeht>, das Heureka-Ereignis, das Aha-Erlebnis gesprochen. Weiter oben haben wir dieses Heureka-Erlebnis, diesen Augenblick des Lernens, als bewußtes Resultat einer Umstrukturierung innerhalb unseres Gehirns beschrieben: Hineinfließende Energie (in Form von Information, Elektrizität oder ähnlichem) verursacht zunehmende Fluktuationen und Schwankungen in der feinabgestimmten dissipativen Struktur des Gehirns, bis die Fluktuationen zu stark werden, um noch absorbiert werden zu können. Dann sieht sich das Gehirn gezwungen, seine gegenwärtige Struktur aufzugeben und sich auf einer höheren Ebene 155
von Komplexität und Kommunikation neu zu organisieren. Diese Evolution zu neuen kohärenteren Strukturen wird als äußerst lustvoll und erfreulich empfunden. Es ist wirklich eine fühlbare Verschiebung, wenn sich Unsicherheit und Verwirrung in neue geistige Klarheit, in eine Ausweitung des Verstehens verwandeln, in das Gefühl, daß die Dinge einen Sinn ergeben. Wir sind jetzt in der Lage zu sehen, daß dieses Gefühl der , das sich in diesen Augenblicken des Lernens einstellt, ein Ergebnis der in den unseres Gehirns freigesetzten Endorphinflut ist. Es ist eine einfache Gleichung. Endorphine belohnen Verhalten, das zu unserm Überleben als Gattung beiträgt. Überleben erfordert heutzutage zunehmend mehr Intelligenz. Deshalb werden Lernen und Intelligenzwachstum belohnt. Mit anderen Worten: Geistige Entwicklung und Wachstum, mentale Evolution werden honoriert.
DIE ELEKTRISCH BETRIEBENE PEPTIDPUMPE
Die enge Verbindung zwischen Lernen und Belohnung läßt vermuten, daß in Maschinen wie dem Alpha Stirn ein bisher kaum ausgelotetes Potential zur Erhöhung menschlicher Lernfähigkeit und Intelligenz steckt. Es ist entgegen jedem Zweifel erwiesen, daß diese Maschinen die Erzeugung und Freisetzung von Endorphinen im Gehirn stimulieren. Außerdem ist es wahrscheinlich, daß gleichzeitig mit den BelohnungsSystemen des Gehirns die damit in enger Beziehung stehenden Lernund Gedächtnis-Systeme aktiviert werden. Spekulieren wir einmal: Angenommen, diese Maschinen geben dem Benutzer ein Gefühl von Belohnung und positiver Motivation, das Gefühl, einer wesentlichen Beschäftigung nachzugehen, das greifbare Empfinden, daß die Information, die in seinem Gehirn zugelassen wird, wichtig ist, und deshalb dem Bewußtsein zugänglich gemacht und auf Dauer im Gehirn gespeichert werden sollte. Dann wäre es durchaus denkbar, daß solche elektrischen Stimulatoren unsere Fähigkeiten im Bereich von Lernen, Erinnerung, Denken und Kreativität erhöhen könnten. Die Untersuchungen über die elektrisch ausgelöste EndorphinAusschüttung haben erwiesen, daß elektrische Stimulation nicht direkt stattfinden muß (also nicht durch Implantation von Elektroden). 156
Untersuchungen an TENS-Geräten der jüngeren Generation (wie dem von Joseph Light verwendeten Apparat) zeigen, daß auch die Stimulation des Gehirns durch an der Kopfhaut angelegte Elektroden eine vermehrte Endorphin-Sekretion auslösen. Dr. Ifor Capel (Marie Curie Cancer Memorial Foundation Research Department in Surrey, England) stellte fest, daß TENS-Geräte zu einer dreifachen Erhöhung der Endorphinwerte führen. [215] Das läßt vermuten, daß man sich einfach an einen Alpha Stirn oder einen TENS-Apparat anschließen muß, der auf die richtige Frequenz, Amplitude und Wellenform eingestellt ist, um die Lernbahnen des Gehirns zu aktivieren. Die Benutzer könnten zum Beispiel ihrem Gehirn die Informationen vorlegen, die sie lernen wollen (etwa in Form von Audio- oder Videokassetten, Büchern oder Zeitschriftenartikeln, Bildern oder Ideen), und sich gleichzeitig an so ein Gerät anschließen. Oder sie könnten sich in den Stunden nach der Elektrostimulation wichtige Lernaufgaben vornehmen (denn die Forschungsergebnisse deuten daraufhin, daß die Werte von Endorphinen und anderen Peptiden auch längere Zeit nach der Stimulation noch hoch bleiben). Wenn ich von Endorphinen spreche, benutze ich eine allgemeine Bezeichnung für eine Reihe verwandter Peptide. Die Wissenschaft kennt mindestens sieben Chemikalien aus der Endorphin-Familie, die Auswirkungen auf Gedächtnis und Lernen haben. Außerdem gibt es, wie wir gesehen haben, andere recht ähnliche oder eng verwandte Peptide, wie etwa Vasopressin und MSH-ACTH 4-10, die ebenfalls bestimmte Aspekte oder Komponenten von Lernen und Gedächtnis drastisch anheben können. Wir wissen, daß die Zahl möglicher Peptide praktisch unbegrenzt ist und daß vielleicht zu jedem Verhaltensmuster und jeder Information, die gelernt werden soll, ein spezifisches Peptid gehört. Mathematik lernen, Kant lesen, lebendige und farbige Vorstellungsbilder entwickeln, die Quantenmechanik begreifen, die Erfahrung transzendenter Liebe, oder dabeisein, wenn ein Wirbelwind durch ein eben noch still daliegendes Azaleengebüsch fährt. Möglicherweise gehört idealerweise zu jedem dieser geistigen Vorgänge ein ganz spezielles Peptid. Womöglich löst jede spezifische Art elektrischer Stimulation die Freisetzung eines bestimmten Peptids aus. Dann wäre es denkbar, daß 157
man in Zukunft Elektrostimulatoren bauen wird, an denen der Benutzer selbst Wellenform, Frequenz und Amplitude einstellen kann, um sich selbst in den passenden geistigen Zustand zu versetzen. Für ein Chemieseminar, zur Vorbereitung aufs Juraexamen, fürs Musikhören oder zur Entwicklung eines Computerprogramms. Möglicherweise erhöhen Geräte wie der TENS oder der Alpha Stirn nicht nur unsere Endorphinwerte, sondern regen auch die Produktion von Vasopressin, MSH-ACTH 4-10 und anderer Peptide an, die positiv auf die geistigen Fähigkeiten des Menschen wirken. Zur Zeit wissen wir darüber einfach nichts, weil noch niemand die Wirkung elektrischer Stimulation auf diese Peptide erforscht hat. Das ganze Gebiet ist noch sehr neu. Die Wissenschaftler verstehen wenig von Peptiden, und die bisherigen Studien kratzen kaum an der Oberfläche der Phänomene. Bis jetzt ist nur die Wirkung elektrischer Stimulation auf Endorphine ansatzweise erforscht.* Das Potential der elektrischen Stimulation zur Förderung geistiger Prozesse ist also noch weitgehend unerforscht. Kein Zweifel aber herrscht daran, daß eine solche Stimulation die Werte von Endorphinen und einer Reihe von wichtigen Neurotransmittern erhöht. Die Frage ist also nicht, ob elektrische Stimulationsgeräte geistige Funktionen verbessern können, sondern in welchem Maße und auf welche Weise das geschieht. Da diese Geräte zur Zeit in mehreren Typen auf dem freien Markt oder auf Verschreibung erhältlich sind, steht die weitere Erkundung dieser Zusammenhänge jedem Menschen offen, der daran interessiert ist, seine geistigen Fähigkeiten zu verbessern.
* Seit dem Erscheinen der Erstauflage dieses Buches haben eine Reihe von Wissenschaftlern Untersuchungen zur Wirkung elektrischer Stimulation auf Lernen und Gedächtnis eingeleitet. Mehr darüber im Nachwort. 158
10 VIDEOSPIELE IM GEHIRN: DER CAP-SCAN
BAUARBEITEN AN DER TOPOGRAPHISCHEN KARTE DES GEISTES
Sie sitzen in einem bequemen Stuhl mit nach hinten verstellbarer Lehne und schauen wie gebannt in ein Farbfernsehgerät. Auf dem Bildschirm sehen Sie ein menschliches Gehirn - von oben. Das erkennen Sie daran, daß zu beiden Seiten des mehr oder minder ovalen Gebildes in der Mitte kleine rosa Dinger hervorschauen - die Ohren. Zwischen den Ohren sieht das Gehirn wie die topographische Karte irgendeiner exotischen Insel aus - rot und orangefarbene Bergspitzen türmen sich zur Linken, hellblaue Ebenen erstrecken sich auf der rechten Seite der Insel, durchschnitten von tiefblauen Schluchten. Hier und da verstreut sehen Sie tiefgrüne Flecken - ob das Wälder sind? Aber irgendetwas stimmt nicht ganz an dieser topographischen Karte. Die Farben verschieben sich ständig, als ob die Insel ständig von Erdbeben durchschüttelt würde. «Jetzt», sagt die ruhige Stimme, «stellen Sie sich vor, Sie säßen dort am Strand, hörten die heranrollenden Wellen, fühlten die salzigen Winde, den Sand. . . » Sofort verschieben sich die Farben, die blauen Flächen wachsen, die roten und orangefarbenen nehmen ab. In diesem Augenblick wird Ihnen klar, daß es sich nicht um das Bild irgendeines fremden Gehirns handelt, sondern um Ihr eigenes, das hier und jetzt auf die inneren Bilder des friedlichen Sandstrandes reagiert. Als Ihnen dies bewußt wird - daß Sie nämlich Ihr eigenes Gehirn bei der Arbeit beobachten! - verschieben sich die Farben von neuem, rote und orangefarbene Spitzen erheben sich urplötzlich aus den blauen Ebenen. Sie 159
beobachten Ihr eigenes Gehirn beim Vorgang der Bewußtwerdung, Ihr eigenes Gehirn verändert sich, während es sich selbst dabei beobachtet, wie es sich ändert, gerade weil es sich bei der Veränderung beobachtet... Alles scheint recht einfach zu sein. Sie sitzen in einem Lehnstuhl mit einer einfachen <Elektrodenkappe> auf dem Kopf. Diese Kappe preßt Elektroden gegen den Schädel, die die elektrische Aktivität des Gehirns auffangen sollen - bis zu achtzehn verschiedene Elektroden lassen sich an dieser Kappe anbringen. Die Elektroden senden die Informationen, die sie über die elektrische Aktivität des Gehirns empfangen haben, in einen kleinen Kasten, ein sogenanntes . Sie senden ohne Draht, auf dem Wege der (nach demselben Prinzip arbeitet auch die Fernbedienung Ihres Farbfernsehers). Das Modul seinerseits arbeitet ebenfalls mit Infrarotstrahlen und schickt die Informationen damit an einen Computer. Sie können Ihren Kopf ruhig bewegen, Sie können auch aufstehen und im Zimmer hin und her gehen. Ihre Gehirnaktivität wird weiter an den Computer gesendet und auf dem Bildschirm abgebildet. Dieses Gerät, das so tief in den Geist blicken läßt, nennt sich CAP-Scan (Computerized Automated Psychophysiological Scan - deutsch etwa: computergestützte automatisierte psychophysiologische Abtastung). Es vereint diverse Fortschritte der jüngsten Entwicklung auf dem Gebiet von Computerforschung, computergestützter Elektroenzephalographie (Gehirnwellenmessung) und Biofeedback.
DIE UNERFORSCHLICHKEIT DER KRAKELIGEN LINIEN
Seit Ende der zwanziger Jahre ist die Wissenschaft in der Lage, die elektrische Aktivität des Gehirns aufzuzeichnen: Man setzt Elektroden auf die Kopfhaut, und die elektrischen Wellen werden als zackige Linie aufgezeichnet - durch einen Stift, der sich über eine lange Rolle Millimeterpapier bewegt. Elektroden kann man allerdings praktisch überall am menschlichen Schädel befestigen, und je nach Position der Elektroden ist auch die zackige Linie anders als an allen anderen Positionen. Um ein Bild von der Tätigkeit des gesamten Gehirns zu erhalten, muß man also viele Elektroden verwenden, von denen jede 160
wieder ihre eigene krakelige Linie schreibt. Die Resultate sind äußerst komplex und schwer zu interpretieren. Manchmal scheinen bestimmte krakelige Linien anderen zu ähneln, indem sie ähnliche Muster bilden, oder dieselben Muster spiegelverkehrt. Oder ein Rhythmus scheint zwischen den verschiedenen Gehirnbereichen hin und her zu schwingen. Manchmal messen Elektroden, die nur millimeterweit voneinander entfernt auf der Kopfhaut sitzen, völlig verschiedene Gehirnwellenmuster. Andererseits ergeben die EEG-Aufzeichnungen auch für große Bereiche des Gehirns sehr ähnliche und konstante Ergebnisse. Und außerdem ist jede Linie Störungen unterworfen, elektrischem , Störfrequenzen, zufälligen elektrischen Wellen, die durch Bewegungen der Kopfhautmuskulatur erzeugt werden. » So viele Variablen und Unsicherheiten gibt es, so groß ist die Informationsmenge auf den langen Papierstreifen, daß es nicht wundert, daß das EEG weitgehend unverstanden bleibt, obwohl es von unschätzbarem Wert bei der Diagnose bestimmter pathologischer Gehirnzustände ist (bei einigen Formen von Epilepsie etwa). Lange Zeit glichen die Bemühungen der Neurologen um die Deutung von EEGs den tappenden Versuchen heutiger Archäologen, die Hieroglyphen der Mayas zu entziffern. Bis dann Computer entwickelt wurden, die in der Lage waren, alle Informationen von verschiedenen Elektroden gleichzeitig zu verarbeiten - alle Spitzen und alle Täler zu vergleichen, die abnormen oder zufälligen Ausschläge auszusortieren. Um es mit den Worten des Neuroanatomen Floyd Bloom (Scribbs Clinic in La Jolla, Kalifornien) zu sagen: Früher ging es einem Wissenschaftler, der anhand eines EEGs Rückschlüsse auf die Vorgänge im Gehirninneren ziehen wolle, «wie dem Piloten eines Werbezeppelins über einem Fußballstadion - er hörte das Publikum grölen, weiter nichts.»
DER GEIST ALS ELEKTRISCHES FELD, BEETHOVENS FÜNFTE ALS HYPERNEURON
Viele Jahrzehnte hielten die Neurologen das menschliche Gehirn für ein ungeheuer komplexes Netzwerk von Schaltungen, das aus Milliarden und Abermilliarden einzelner Neuronen besteht, die untereinander durch elektrische Impulse kommunizieren. Nach einer häufig be161
nutzten Metapher gleicht das Gehirn einem riesigen Telefonsystem: Zu jedem beliebigen Zeitpunkt fliegen Millionen von Telefonanrufen in einem komplexen Netz von Informationen quer durch die Welt. Und doch könnte man theoretisch an jedem beliebigen Punkt eine Verbindung anzapfen und genau mithören, welche Information zwischen den beiden Personen, die sich da unterhalten, vermittelt wird. Dabei dürfen wir allerdings nicht vergessen, daß die Gehirn-Telefonsystem-Metapher, selbst als grobe Vereinfachung gesehen, kaum einen Begriff von der unglaublichen Komplexität des Kommunikationssystems des Gehirns geben kann. Hier gibt es zehnmilliardenfach Neuronen, die wieder durch zehn Billionen Synapsen und weit mehr als hunderttausend Kilometern von Dendriten untereinander verbunden sind. Man sagt, das Telefonsystem der gesamten Welt entspreche etwa einem Gramm eines menschlichen Gehirns - also einem winzigen erbsengroßen Stückchen. Den Neurologen schwindelte es angesichts dieser Vision vom Gehirn als elektrischer Schaltzentrale. Seit der Entdeckung des EEGs unterstellten die meisten von ihnen, daß seine krakeligen Wellenmuster einfach die zufällige Summe der elektrischen Impulse einzelner Neuronen seien. Das EEG wurde also gewissermaßen als der gesammelte Lärm von allen Neuronen zusammen gesehen, so als wenn wir gleichzeitig all die Milliarden von Telefongesprächen hören könnten, die überall auf der Welt geführt werden. Die neuere computergestützte Forschung allerdings läßt vermuten, daß das EEG nicht die Summe individueller Nervenimpulse ist, nicht die Summe individueller Entladungen, die nach bestimmten Mustern an- oder ausgeschaltet werden, sondern daß es durch langsame, abgestufte elektrische Potentiale entsteht, die von den Kernkörperchen der Nervenzellen produziert werden. Diese langsam-welligen Potentiale scheinen oft Tausende oder Millionen von Neuronen zu durchqueren wie jener Wind, der durch das Weizenfeld bläst - und dabei diese riesigen Gebiete zur Synchronisation ihrer langsam-welligen Potentiale zu bringen. Aus diesen wechselnden Mustern von elektromagnetischen Feldern, nicht aus den Impulsen der einzelnen Neuronen, setzen sich die <Wellen> des EEGs zusammen. Diese großen Gruppen von Neuronen, die zusammenarbeiten, beziehungsweise -schwingen oder resonieren, bilden zusammen Muster, die quer durchs gesamte 162
Gehirn fegen, an manchen Punkten einander verstärken, an anderen einander beeinträchtigen. Wieder paßt der Vergleich mit den Winden, die über das Weizenfeld herfallen, manchmal sich vereinen und die Ähren nach der einen Seite niederdrücken, manchmal aber auch gegeneinander arbeiten und das Weizenfeld mit merkwürdigen Mustern und Wirbeln überziehen, die in verschiedene Richtungen verweht werden. Durch die Verwendung von Computern zur Analyse von EEGMustern fanden die Wissenschaftler heraus, daß man die Muster direkt mit bestimmten kognitiven Prozessen in Verbindung bringen kann. Die wechselnden Muster der elektromagnetischen Felder sind tatsächlich die Form unserer Gedanken und Wahrnehmungen. Der Wissenschaftler Robert Chapman und seine Kollegen von der Universität Rochester zeigten ihren Versuchspersonen Worte, die nach sechs Untergruppen mit unterschiedlichen Konnotationen unterteilt waren ( Worte wie <schön> und <schlechte> Worte wie Wörter in allen Kulturen auf der Welt ähnlich ist! Die Forscher Warren Brown und James March (University of California in Los Angeles) haben kürzlich zusammen mit dem Schweizer Wissenschaftler Dietrich Lehman die EEGs von Versuchspersonen bei Wörtern aufgezeichnet, die zwar ähnlich klangen, aber unterschiedliche linguistische Funktionen hatten (wie etwa das Adjektiv und das Substantiv ). Als man nun die Computer mit diesen EEGs fütterte und verglich, stellte sich heraus, daß die Gehirnwellen, die durch Worte in unterschiedlichen Funktionen ausgelöst wurden, sich deutlich und regelmäßig voneinander unterschieden. [198] Diese und andere Untersuchungen haben die Gehirnwissenschaftler heute davon überzeugt, daß die ständig in Veränderung befindlichen räumlichen und zeitlichen Muster elektromagnetischer Felder 163
einen Schlüssel zu dem Gehirnvorgang darstellen, den man nennt. Einer dieser Wissenschaftler ist E. Roy John, der Direktor der New York University Medical Center's Brain Research Group. Er arbeitet an einem Projekt, in dem große Mengen von EEG-Mustern durch Computer zusammengetragen und analysiert werden. Man hofft, dadurch präzise elektrophysiologische Profile eines breiten Spektrums von Gehirnzuständen zu erhalten. Anstatt sich auf allgemeine Diagnosen mentaler Phänomene wie oder zu stützen, werden die Wissenschaftler mit Johns Technik (die er nennt) in der Lage sein, das EEG ihrer Patienten mit EEGs normaler Personen aus derselben Altersgruppe zu vergleichen, um dann mit Hilfe der ungeheuren Rechenfähigkeiten des Computers sofort die genaue Position und Art der Abnormität im EEG des Patienten zu ermitteln, so daß eine sehr spezifische und genau abgestimmte Therapie durchgeführt werden kann. Seine umfangreichen Forschungen haben Dr. John zu der Überzeugung gelangen lassen, daß die Energieverteilungen im Gehirn und ihr ständiges Fließen etwas formen, das er nennt. Dr. Richard Restak beschreibt Johns Konzept folgendermaßen: «Dabei handelt es sich nicht um die Bienenkönigin im Bienenkorb,... das Hyperneuron ist nicht ein , sondern ein Energievorgang - und zwar die Gesamtsumme der Ladungen in den Nervenzellen, in den Gliazellen und in den extrazellulären Räumen im Gehirn. John postuliert, daß Bewußtsein aus der kooperativen Interaktion neuronaler Populationem hervorgehe, aus der sich Hyperneuronen ergeben. , sagt John.» [276] Dem endlosen Fließen des Hyperneurons entspricht das endlose Fließen der Bewußtseinsinhalte. Indem verschiedene sensorische Stimuli dieses Gesamtmuster, das , hervorrufen, es nach Johns Auffassung mit früheren im Gedächtnis gespeicherten Mustern. Und genau wie das Zupfen einer Violinsaite, die auf eine bestimmte Frequenz gestimmt ist, eine andere ebenso gestimmte Saite zum Mitschwingen bewegen wird, so bringt ein mit bestimmten vergangenen Stimuli verwandtes Hyperneuron Millionen oder Milliarden von Zellen zum <Mitschwingen>, so daß sie ein elektromagnetisches Muster erzeugen, das dem in der Struktur der individuellen Neurone gespeicherten entspricht. 164
Diese Speicherung geschieht vermutlich im Verlauf des Prozesses, den, wie weiter oben erwähnt, der Neurochirurg Wilder Penfield <synaptische Tendenz> genannt hat. Dieser Resonanzeffekt geschieht natürlich kooperativ und nonlinear - läuft also nicht in einer Folge linear verbundener Neuronen ab, sondern in elektromagnetischen Feldern, die von der synchronen Aktivität von Milliarden Neuronen erzeugt werden. Deshalb kann ein von außen eintreffendes Wellenmuster, daß dem gespeicherten Muster nur entfernt oder in bestimmten Punkten ähnelt, stark genug sein, um das Muster zu aktivieren. So wie die ersten vier Noten von Beethovens fünfter Symphonie unmittelbar ein reich orchestriertes inneres Erinnerungsbild wachrufen. Oder wie ein neuer Schlager mit einer vage vertrauten Melodie im Gehirn Resonanzen auslöst und gespeicherte Wellenmuster eines Liedes wachruft, das man zuletzt vor vielen Jahren gehört hat. Dieses Muster löst seinerseits wieder neue Resonanzen aus: Wir erinnern uns an den Menschen, mit dem wir getanzt haben, als wir das Lied zum ersten Mal hörten. Dadurch wird wieder eine Flut anderer gespeicherter Wellenmuster ausgelöst, der Duft eines Parfüms, die Gesichter von Freunden, mit denen man an jenem Abend zusammen war. John dazu: «Bewußtsein ist eine Eigenschaft dieser unwahrscheinlichen Verteilungen von Energie in Raum und Zeit, so wie Schwerkraft eine Eigenschaft der Materie ist. Die Neuronen sind zur Erschaffung des Energiemusters wesentlich, die subjektive Erfahrung aber wird durch das Muster selbst erzeugt, nicht durch die individuellen Neuronen.» [198] Erinnern wir uns an die Forschungen, die zeigten, daß Worte mit ähnlichen Konnotationen (zum Beispiel Worte) bemerkenswert ähnliche Gehirnwellenmuster (oder Hyperneuronen) verursachen, und daß diese Muster einheitlich bei praktisch allen Menschen auftreten. Das läßt vermuten, daß die Auslösung oder Erzeugung eines solch übergreifenden Musters fließender elektromagnetischer Felder im Gehirn mit Hilfe der eng verwandte Gehirnwellen-Konfigurationen wachrufen könnte. Dies ist von ungeheurer Bedeutung, denn wenn wir irgendwie lernen könnten, ein Gehirnwellenmuster in einer Person wachzurufen, die sich gerade in einem neutralen oder negativen Geisteszustand befindet, dann könnte der Resonanzeffekt gespeicherte ähnliche Muster wachrufen. Diese würden dann in einer 165
Assoziationskette weitere Resonanzen auslösen und zu einer Abfolge subjektiver Erfahrungen von Dingen, Ideen, Erinnerungen oder Gefühlen führen, die alle mit der Idee des Guten in Beziehung stehen oder resonieren. Womit wir wieder bei dem farbigen Bild Ihres Gehirns auf dem CAP-Scan-Bildschirm wären. Denn diese vielfarbigen Konfigurationen repräsentieren tatsächlich Gehirn wellen. Und es ist möglich, daß die wechselnden Farbmuster, die da durch Ihr Gehirn fegen, tatsächliche Repräsentationen von Hyperneuronen sind und universelle Gedanken Vorgänge bei der Arbeit abbilden. In dieser Hinsicht ist der CAP-Scan etwas wirklich Neues.
PAC-MAN MIT DEM CAP-SCAN
Bis zur Entwicklung neuer leistungsfähiger Hochgeschwindigkeitsrechner war es schon schwierig, die ständig wechselnden EEG-Muster auch nur eines einzelnen menschlichen Gehirns sinnvoll zu interpretieren. Und noch weit weniger war man in der Lage, die EEG-Muster tausender Versuchspersonen gleichzeitig zu speichern, miteinander zu vergleichen und festzustellen, welche Gehirnmuster in bestimmten Situationen als <normal> gelten können (zum Beispiel bei mathematischen Berechnungen, bei Visualisationen, beim plötzlichen Auftauchen einer neuen Idee). Jetzt allerdings hat eine Reihe von Wissenschaftlern bahnbrechende Erfindungen der Computerwissenschaft mit bahnbrechenden Entwicklungen im Bereich von Elektroenzephalographie und Gehirnwissenschaft kombiniert und daraus mehrere sehr raffinierte Apparate zur Kartographierung des Gehirns entwickelt. Unter ihnen ist der CAP-Scan vielleicht der bemerkenswerteste. Das erste CAP-ScanGerät haben der Psychiater Dr. Dr. Charles Stroebel und seine Kollegen am Institute of Living in Hartford, Connecticut, im Jahre 1983 gebaut. Stroebel ist mittlerweile Direktor des Institute for Advanced Studies in Behavioral Medicine (ebenfalls in Hartford) und beschäftigt sich weiter mit Entwicklung, Verfeinerung und Erforschung der Möglichkeiten dieser Maschine. Das Gerät ist in der Lage, gleichzeitig Informationen von bis zu zwanzig Elektroden zu verarbeiten, der Computer ungeheure 166
Zahlenmengen. Dadurch verwandelt der CAP-Scan automatisch und ohne nennenswerte Verzögerung das EEG des gesamten Gehirns in eine vielfarbige Karte und zeigt sie auf dem Bildschirm. Dabei wird jede Art von Gehirnaktivität durch eine andere Farbe repräsentiert. Um das zu erreichen, werden automatisch die kaum merklichen Fluktuationen elektrischer Aktivität, die jede einzelne Elektrode aufnimmt, summiert und zu Durchschnittswerten verarbeitet. Die zufällig verursachten Strukturveränderungen, der zufällige Hintergrundlärm und die von den Kopfhautmuskeln freigesetzten elektrischen Energien werden nicht berücksichtigt. Kaum zu glauben, aber all das geschieht ohne Verzögerung, in der Echtzeit (real time), so daß man seine eigenen Gehirnwellenmuster beobachten und auch bewußt verändern kann. Allein dieses Novum eröffnet eine unendliche Zahl von Möglichkeiten zu Diagnose und Behandlung. Wenn einem das viele Rot (BetaWellen, die einer hohen Aktivität entsprechen) nicht gefällt, das da auf dem Bildschirm in der rechten Gehirnhälfte wütet, dann versucht man's eben mit dem friedlichen Hellblau (Alpha) oder Dunkelblau (Theta). E. Roy John fand präzis definierbare elektrophysiologische Profile, die genau beschreibbaren mentalen Funktionen entsprachen. Auch Stroebel erklärt aufgrund seiner Erfahrungen mit dem CAPScan, daß bestimmte Gehirnmuster für sehr spezifische Emotionen oder Gedanken stehen, etwa für Zwangsvorstellungen, Kreativität oder beginnende Wutanfälle. Wenn man lernt, die Zustände zu erkennen und sie zu verändern, dann können Menschen sich nach Belieben nicht nur selber kurzschließen, um unerwünschte Gedanken loszuwerden, sondern auch lernen, wie man sich in wünschenswerte Zustände (intensives logisches Denken oder transzendentale Geisteszustände) versetzt - einfach indem man die Farben des Musters auf dem Bildschirm ändert. Und all das geschieht mit fast derselben Leichtigkeit, mit der beim Videospiel <Pac-Man> das Männchen durchs Labyrinth gelotst wird. Das Wesentliche am CAP-Scan ist, wie Stroebel mir erklärte, seine einzigartige Fähigkeit, dem Benutzer drei Variablen gleichzeitig zugänglich zu machen: DIE GEHIRNWELLENFREQUENZ. Der Anwender bekommt ein sofortiges visuelles Abbild der Gehirnwellenmuster und Wellenty167
pen, die er im gesamten Gehirn erzeugt. Die Elektroden befinden sich an verschiedenen Schädelbereichen und werden insgesamt wiedergegeben, um ein ungefähres Bild der EEG-Aktivität im gesamten Gehirn zu erhalten: Schnelle Beta-Wellen erscheinen als hellrote Flecken; langsamere Beta-Wellen sind orange; Alpha-Wellen sind hellblau; Theta-Wellen erscheinen dunkelblau auf dem Bildschirm; Delta-Wellen tiefgrün. So kann der Benutzer auf einen Blick sehen, welche Bereiche seines Gehirns aktiv sind und welche eher friedlich daliegen beziehungsweise einfach nicht gut arbeiten. Auf den Wert der entspannenden Alpha-Wellen und der gedächtnis- und kreativitätsfördernden Theta-Wellen ist mehrfach hingewiesen worden. Neuere Forschungen im Bereich der Gehirnlateralisierung lassen vermuten, daß es auch eine wertvolle Fähigkeit sein kann, wenn man die Hemisphären-Dominanz willkürlich verändern kann. Bei den meisten Menschen ist die linke Gehirnhälfte bei der Verarbeitung verbalen Materials überlegen, während die rechte Hälfte bei der Verarbeitung visuell/räumlicher Informationen eindeutig dominiert. Jetzt aber deuten die Forschungen des Neurologen David ShannahoffKhalsa (Salk Institute for Biological Sciences) darauf hin, daß die Hemisphären-Dominanz sich ständig verschiebt. Er sagt: «Mit dem Elektroenzephalographen maßen wir gleichzeitig die Gehirnwellen auf der linken und auf der rechten Seite. Als wir die Wellen sorgfältig verglichen, wurde recht deutlich, daß jede Hemisphäre eine Zeitlang dominiert und dann der anderen Platz macht. Jede Hälfte dominiert in Zeiträumen zwischen 25 und 200 Minuten, im Durchschnitt zwei Stunden. Zu ähnlichen Schlußfolgerungen gelangten andere Wissenschaftler, die «ihre Versuchspersonen acht Stunden lang in regelmäßigen Abständen verbale (linkshirnige) beziehungsweise räumliche (rechtshirnige) Aufgaben ausführen ließen. Sie stellten fest, daß die Leistungen auf verbalem Gebiet dann hoch waren, wenn die räumlichen niedrig lagen, und umgekehrt. Das ist ein Hinweis darauf, daß die beiden Gehirnhälften phasenverschoben arbeiten.» Weiter erklärt Shannahoff-Khalsa, diese Entdeckung lasse «vermuten, daß wir mehr Kontrolle über unsere alltäglichen mentalen Funktionen ausüben können. Zum Beispiel ist es vorstellbar, daß man bestimmte kognitive Funktionen gezielt verstärken könnte, etwa sprachliche Fertigkeiten, 168
Mathematik und andere rationale Prozesse, von denen man annimmt, daß sie vorwiegend in der linken Hälfte ihren Sitz haben.» Und zwar, indem man die Gehirndominanz «mit Gewalt ändert». Und ebenso könnte man womöglich «den Akzent eher auf Kreativität legen, von der man ja annimmt, daß sie charakteristisch für Rechtshirn-Dominanz ist.» Wieder, indem man gewaltsam eingriffe. [52] Leider haben die meisten unter uns praktisch keinen Begriff davon, welche Hemisphäre zu einem bestimmten Zeitpunkt bei uns dominiert. Und erst recht keinen Begriff, wie man zerebrale Dominanz <mit Gewalt ändern> könnte. Der CAP-Scan scheint dieses Problem zu lösen, indem er uns eine klare Farbabbildung unseres Gehirns liefert. Wenn der CAP-Scan zeigt, daß unsere rechte Gehirnhälfte hellrot oder in hohem Maße angeregt ist, während die linke tiefblau oder -grün erscheint, dann wissen wir sofort, daß die rechte dominiert. Dann können wir unsere Aufmerksamkeit auf alle möglichen anderen psychophysiologischen Hinweise richten und ein Gespür dafür entwickeln, wie man sich fühlt, wie Geist und Körper funktionieren, wenn die rechte Gehirnhälfte dominiert. Stroebel ist der Überzeugung, daß ein Mensch mit ausreichender CAP-Scan-Praxis lernen kann, die Hemisphären-Dominanz fast augenblicklich zu verschieben, um einer vorliegenden Aufgabe oder Situation mit der Gehirnhälfte zu begegnen, die dafür besser ausgerüstet ist. Für das Leistungsvermögen unserer Gehirne wäre es wirklich ein großer Schritt nach vorne, wenn wir zum Beispiel vor einer wichtigen Konferenz, bei der all unsere linkshirnigen Fähigkeiten gefordert sind, absichtlich und schnell in einen Zustand linker Hemisphären-Dominanz gleiten könnten - vorausgesetzt, wir haben vorher das Gefühl, uns in einer rechtshirnigen Phase zu befinden. GEHIRNSYNCHRONISATION. Die zweite Variable, die der CAP-Scan augenblicklich enthüllt, ist die Synchronisation des Gehirns, ob beide Gehirnhälften harmonisch zusammenarbeiten. In den frühen siebziger Jahren haben Stroebel und seine Mitarbeiter eine mittlerweile klassisch gewordene Versuchsreihe an einer großen Zahl von Menschen mit Meditationspraxis durchgeführt. Sie stellten fest, daß in dem Augenblick, in dem die Personen mit der größten Meditationserfahrung besonders tiefe meditative Zustände erreichten, sich die elektrischen Wellen beider Hemisphären zu einem gemeinsamen 169
synchronen Rhythmus vereinten. Normalerweise arbeiten sie unabhängig voneinander, in verschiedenen Frequenzen und Amplituden. Dieser synchrone Rhythmus hat zwei Komponenten: Kohärenz und einen identischen Phasenwinkel. Kohärenz zwischen den beiden Gehirnhälften liegt, wie mir Stroebel erklärte, dann vor, wenn beide Seiten des Gehirns Wellen derselben Frequenz erzeugen. Im Zustand der Kohärenz, sagte er, «bewegen sich die Wellen zusammen, können aber durchaus phasenverschoben sein. Zum Beispiel können zwei Wellen von 10 Hz vorliegen, von denen aber die eine positiv, die andere negativ ist - wobei eine Welle ihren Gipfel erreicht, wenn die andere am niedrigsten Punkt angelangt ist. Also muß man den
diese Art der Gehirnaktivität nicht nur wohltuend wirkt, sondern möglicherweise der natürliche Zustand des menschlichen Gehirns ist. Zum Beispiel hat der Neuropathologe Edward Bird vom McLean Hospital's Mailman Research Center in der Nähe von Boston in jahrelanger Arbeit Gehirne untersucht, die man seinem GehirngewebeForschungszentrum gespendet hatte. Bei einer dieser Untersuchungen ging es um die Unterschiede in der chemischen Zusammensetzung der linken und rechten Gehirnhälfte. Bird zitiert Forschungsergebnisse, die darauf hinweisen, daß Rechtshänder mit Depressionen deutlich weniger Glukose in die linke Seite ihres Gehirns aufnehmen (die Glukoseaufnahme des Gehirns wird mittels Positronen-Ernissions-Tomographie gemessen). Wird die Depression erfolgreich behandelt, dann normalisiert sich auch die Glukoseaufnahme. Bird dazu: «Es kann sein, daß Unterschiede zwischen den beiden Gehirnhälften bei einer Reihe von mentalen Störungen eine Rolle spielen. Vielleicht ist es in manchen Fällen normal, daß sich beide Seiten im Gleichgewicht befinden - vielleicht macht uns das erst zu ausgeglichenen menschlichen Wesen.» [105 - Hervorhebung durch den Autor] Lester Fehmi, Direktor der Princeton Behavioral Medicine and Biofeedback Clinic, arbeitet mit einem Multikanal-EEG, der jeden größeren Gehirnlappen gleichzeitig abbildet und so ein detailliertes Bild der Aktivität des gesamten Gehirns liefert. Auch er setzt die hemisphärische Synchronisation in Beziehung zu Normalität und Homeostase. «Einen Großteil unserer Zeit verbringen wir desynchronisiert, engstirnig, verdinglichend, besitzergreifend», erklärte er mir, «und wir haben in unserer Kultur kein Normalisierungsmodell, keinen Weg, der uns wieder zum Ausgangspunkt zurückbringen kann. Deshalb ist eine große Amplitude und eine phasenharmonische Synchronisation der beste Weg zu rascher Normalisierung. Das muß unser Ziel sein, wenn wir auf schnelle Heilerfolge und Normalisierung von Funktionen aus sind.» Der britische Physiker C. Maxwell Cade benutzt ein EEG-Gerät, das im Multikanalverfahren die Aktivität beider Gehirnhälften darstellt (den Mind Mirror - deutsch: Spiegel des Geistes - der in Kapitel 11 näher beschrieben wird). Bei der Untersuchung der Gehirnwellen von über viertausend Menschen entdeckte er, daß die Muster sich zwischen den beiden Hälften mehr und mehr synchronisierten, wenn 171
diese Personen Mechanismen der mentalen Selbstregulierung entwikkelten. Im höchsten Zustand, den Cade auf der neuropsychologischen Ebene dem entspricht, was C. G. Jung transzendente Funktion> genannt hat. Dieser Zustand wird durch die Integration links- und rechtshirniger Funktionen in unbehinderter, reziproker Übertragung von Nervenimpulsen über das Corpus callosum erreicht, über die große Brücke aus Nervengewebe, die die beiden Gehirnhälften vereint. Daraus, so schlössen wir weiter, würden sich zum großen Teil die Vereinigung bewußter und unbewußter Geistesinhalte erklären lassen. Und die Integration der extravertierten, verbalen, rationalen und abstrakten Prozesse in der linken Hälfte mit den introvertierten, visuell/räumlichen, synthetischen und holistischen... Prozessen in der rechten.» [66] Auch der Neurologe J. P. Banquet hat EEG-Studien an Meditierenden betrieben. Er gab ihnen Knöpfe in die Hand, die sie drücken sollten, wenn sie in eine andere Ebene der Meditation gelangten. Seine Ergebnisse: Wenn sie anzeigten, daß sie sich in oder befanden, synchronisierten sich auch die beiden Gehirnhälften: kohärent und in einer Phase. Er nannte diesen Zustand Hypersynchronisation und folgerte, daß diese hemisphärische Symmetrie das wichtigste einzelne EEG-Charakteristikum bei Bewußtseinszuständen ist. [17] Die Gehirnwissenschaftlerin Jerry Levy von der Universität Chicago, eine Autorität auf dem Gebiet hemisphärischer Lateralisation, ist ebenfalls vom Wert bilateraler Symmetrie im Gehirn überzeugt. «Normale Gehirne sind gemacht, um herausgefordert zu werden», sagt sie. «Sie arbeiten nur dann optimal, wenn die Anforderungen an die kognitive Verarbeitung ausreichend komplex sind, um beide Seiten des Gehirns zu aktivieren.» Sie warnt vor populären Vereinfachungen, wie der Gleichsetzung von rationalem Denken mit der linken Hemi172
Sphäre und von Kreativität mit der rechten: «Historisch bedeutende Männer und Frauen haben nicht nur überlegene intellektuelle Fähigkeiten in beiden Hemisphären, sondern sie sind auch in geradezu phänomenaler Weise zu emotionaler Beteiligung, Motivation und Aufmerksamkeitsleistung fähig - allesamt charakteristisch für ein in hohem Maße integriertes Gehirn in Aktion.» [173] Es scheinen wenig Zweifel daran zu bestehen, daß Gehirnsynchronisation (beziehungsweise Denken mit dem ganzen Gehirn) mentale Funktionen auf ein hohes Niveau heben kann. Es gab dabei bisher allerdings ein Problem: Nur erfahrene Meditierende schienen in der Lage zu sein, diesen Zustand willkürlich herbeizuführen. Hier nun erweist sich die bahnbrechende Bedeutung des CAP-Scan. Da der CAP-Scan den Grad der Synchronisation messen und sofort dem Anwender vor Augen führen kann, braucht man sich nur vor einen Bildschirm zu setzen und sein Gehirn zu beobachten. Vielleicht könnte man gleichzeitig meditieren oder eine Selbstregulierungstechnik einsetzen. Oder einfach verschiedene Geisteszustände ausprobieren und beobachten, wie sich die Gehirnaktivität auf dem Monitor verändert. Wenn an einem bestimmten Punkt das Gehirn einen Zustand bilateraler Symmetrie erreicht, <weiß> man, wie es sich anfühlt, wird sensibel für die inneren Zeichen, die zeigen, daß das Gehirn synchron arbeitet. Und mit ausreichender Praxis lernt man, auch im Alltagsleben in diesen schwer faßbaren und so vorteilhaften Zustand einzutreten. ABWEICHUNGEN VON DER NORM. Die dritte Variable, die der CAP-Scan augenblicklich enthüllt, sind abnorme Gehirnaktivitäten. Der Computer ist in der Lage, gewaltige Informationsmengen zu speichern und zu verarbeiten. In seinem Gedächtnis sind Tausende von EEGs abgelegt. Stroebel hat eine riesige Zahl EEGs von <normalen> Menschen bei verschiedenen Beschäftigungen gesammelt. Wenn dann jemand mit emotionalen oder psychischen Problemen den CAP-Scan benutzt, vergleicht der Computer das EEG dieses Menschen mit den zahlreichen <normalen> EEGs und berechnet, welche Gehirnbereiche statistisch gesehen von der Norm abweichen. Auf der rechten Seite des Bildschirms bildet der CAP-Scan diese abnormen Bereiche ab, auf der linken das Gesamtbild des Gehirns. Dann unterweist Stroebel seine Versuchspersonen in Techniken, mit denen sie ihre Gehirne so beeinflussen können, daß die abnormen Farben . 173
Der Begriff ließ mich mißtrauisch werden, also fragte ich Stroebel, ob sich tatsächlich die elektrischen Muster in menschlichen Gehirnen derart ähneln, wenn Menschen dieselbe Aufgabe verrichten. «Ja», sagte er, «die Ähnlichkeiten sind wirklich sehr groß, wenn diese Menschen nicht falsch denken. Dann nämlich taucht sowas auf dem Bildschirm auf...» Er zeigt auf den Bildschirm, wo das Gehirn eines zu Gewalttätigkeiten neigenden jungen Drogensüchtigen abgebildet war. Tiefgrüne Inseln der Abnormität fielen mir auf der rechten Seite des Bildschirms sofort ins Auge. Stroebels Vorgehensweise mit diesem Patienten wäre es, ihn in bestimmten Entspannungs- und Gehirnveränderungstechniken zu unterweisen, um womöglich das Grün zu lassen. Stroebels Interesse an der Entwicklung dieser Maschine war entstanden, weil er ursprünglich der Meinung war, daß die damals gängigen Methoden zur Erkennung von Gehirnabnormitäten einfach schlecht und sehr ungenau funktionierten. «Die große Mehrzahl der Menschen, die unter behandlungsbedürftigen emotionalen Problemen leiden, haben EEGs, die in den Augen von Neurologen durchaus normal erscheinen», erklärte mir Stroebel. «Das menschliche Auge ist nicht in der Lage, aus den sechzehn oder zwanzig Krakellinien, die da die Spannung aufzeichnen, signifikante Daten abzulesen, die irgendwie zur Psychopathologie in Korrelation stehen. Also versuchten wir, die Fähigkeiten des Computers zur Verarbeitung dieser Information einzusetzen, um eine eventuell doch vorhandene Korrelation festzustellen.» Nachdem er nun die Maschine bei zahlreichen Personen eingesetzt hat, stellte Stroebel fest, daß sich abnorme geistige Zustände wie Hyperaktivität bei Kindern, Schizophrenie, Zwangsvorstellungen, Neigung zu Wutanfällen, Ängste und Depression, sofort auf dem CAP-Scan-Bildschirm ablesen lassen. «Diese Zustände offenbaren sich durch elektrische Abnormitäten, die ein durchschnittlicher Neurologe an einem normalen EEG-Streifen nicht erkennen würde.» Der wichtigste durch den CAP-Scan erzielte Fortschritt aber liegt darin, daß der Benutzer damit tatsächlich sein eigenes Gehirnmuster bei der Entstehung beobachten und in der Beobachtung verändern kann. Stroebel: «Lange bestand das größte Problem darin, daß wir zwar alle Informationen hatten, die auch dem CAP-Scan vorliegen, 174
aber sie mußten erst verarbeitet werden, so daß die Daten erst sehr lange nach dem eigentlichen Geschehen vorlagen. Jetzt aber kann man den Zustand des Gehirns in dem Augenblick sehen, in dem sich Veränderungen einstellen.» Nach Stroebels Meinung können Menschen, indem sie diese Zustände bei der Entstehung beobachten und ändern lernen, nicht nur sich selbst kurzschließen, um sich von unerwünschten Gedanken und Emotionen zu befreien, sondern auch lernen, nach Belieben in wünschenswerte Zustände einzutreten.
BIOFEEDBACK UND DIE ERSCHAFFUNG IDEALER GEHIRNMUSTER
Also gut. Der CAP-Scan versetzt den Menschen in die Lage, seine Gehirntätigkeit, die Hemisphären-Dominanz beziehungsweise - Synchronisation zu beobachten. Wie aber soll man etwas deswegen verändern können, weil man es sieht! Die Antwort trägt uns in die dunstigen Gefilde des Zusammenwirkens zwischen Körper und Geist: zum Biofeedback. Die Auffassung, daß es im menschlichen Körper bestimmte Bereiche gibt, die wir bewußt kontrollieren können, und andere, über die wir keine bewußte Kontrolle haben, war bis vor zwei Jahrzehnten eine unerschütterliche Lehrmeinung der westlichen Wissenschaft. Zu den nicht dem Willen unterworfenen Komponenten des Körpers wurden zum Beispiel Rhythmus und Amplitude der Gehirnwellen gerechnet, außerdem Expansion und Kontraktion der Blutgefäße, Blutdruck, Heilungsgeschwindigkeit, Stärke des Immunsystems und Sekretion von Hormonen. Dann baute man in den sechziger Jahren Apparate, mit denen man winzige Veränderungen in den Körpern von Labortieren messen konnte. Dabei fanden die Wissenschaftler etwas Interessantes: Wenn man die von den Maschinen gemessenen winzigen Veränderungen verstärkte und wieder an die Tiere (feed back = zurückfüttern), so daß sie also bei der Bewältigung erwünschter Aufgaben (zum Beispiel ein Ohr heiß und das andere kalt werden zu lassen) eine <positive Verstärkung) bekamen (in Form von Nahrung oder Stromstimulation ihrer Lustzentren), dann lernten die Tiere, praktisch jeden Teil ihres Körpers zu kontrollieren - selbst diejenigen, 175
die man zum System rechnete. Und sie lernten es ziemlich rasch. [235, 236, 89] Was würde geschehen, wenn man Menschen an diese Maschinen anschloß und sie anstatt mit Nahrung mit einem Blinklicht, einem Klicken oder irgendeinem anderen deutlichen Signal belohnte. Schon früh führte der Psychophysiologe Joe Kamiya (Langley Porter Neuropsychiatric Institute of the University of California Medical Center) derartige Untersuchungen durch und überwachte dabei die Gehirnwellen der Versuchspersonen. Kamiya fand, daß die meisten Menschen innerhalb einer Stunde lernen konnten, die angeblich unwillkürlichem Gehirnwellen zu kontrollieren und Alpha-Wellen in großen Mengen zu erzeugen. Merkwürdigerweise konnten die Versuchspersonen nie erklären, wie sie Alpha-Wellen erzeugten. Das einzige, was sie sagen konnten, war, daß sie irgendwie <wußten>, wann sie sich im Alpha-Zustand befanden. Die Forschung weitete sich aus, und schon bald konnte der Biofeedback-Forscher C. Maxwell Cade als wichtigstes Ergebnis resümieren: «Wenn man körperlich in die Lage versetzt wird, einen biologischen Vorgang an sich selbst zu beobachten, dessen man sich normalerweise nicht bewußt ist, zum Beispiel die Gegenwart des sogenannten AlphaRhythmus in den eigenen Gehirnwellen, dann kann man durch Übung Kontrolle über diesen Vorgang erlangen.» Nach den Worten von Cade ist Biofeedback einfach die Verstärkung und damit Bewußtmachung bestimmter innerer Vorgänge mit mechanischen Mitteln. «Da man Dinge, deren man sich nicht bewußt ist, nicht kontrollieren kann, könnte man sagen, daß Biofeedback uns die Mittel liefert, mit denen wir ein klares Bewußtsein von uns selbst erlangen können und somit auch die Möglichkeit zur Selbstkontrolle.» Mit raffinierten EEGÜberwachungsinstrumenten lernten Tausende von Menschen unter Anleitung von Cade, wie man sehr spezifische Gehirnwellenmuster in sich selbst erzeugt - bestimmte Mischungen aus Beta-, Alpha-, Thetaund Delta-Wellen. Doch es war wie bei Kamiyas Versuchspersonen, die ja auch nie erklären konnten, wie sie Alpha-Wellen erzeugten: Cades Versuchspersonen lernten nicht, weil man ihnen irgendeine spezifische mentale Kontrolltechnik beigebracht hätte, sondern über <Echtzeit>-Feedback, in Form von Blinklichtern, die ihr Gehirnwellenmuster wiedergaben. [66] 176
Nach und nach stellten die Wissenschaftler fest, daß sie nicht nur Signale, die Alpha-Wellen repräsentierten, konnten, sondern auch andere Signale, die für alle denkbaren psychophysiologischen Vorgänge standen. Zu ihrem wachsenden Erstaunen konnte jeder dieser Vorgänge unter Kontrolle gebracht werden. Wesentlich dabei war, daß das Feedback-Signal, das die beobachteten Phänomene wieder an den Menschen zurückvermittelt, der Versuchsperson in der Echtzeit vorliegen mußte. Wenn also jemand die Erzeugung von Alpha-Wellen erlernen wollte und das Signal, das die Erzeugung von Alpha-Wellen anzeigte, kam fünf Minuten oder auch nur fünf Sekunden später als der tatsächliche Vorgang, dann gelang das Erlernen der Selbstregulierung nicht. Andererseits ließen sich alle inneren Vorgänge, die man in Echtzeit abbilden konnte, regulieren. Daraus mußte man den überraschenden Schluß ziehen, daß die alte Unterscheidung zwischen dem Willen unterworfenen und unwillkürlichem Bestandteilen des menschlichen Organismus nicht den Tatsachen entsprach. Die Versuchspersonen waren in der Lage, ihren Blutdruck zu senken, die Temperatur der Hände zu erhöhen oder zu verringern, den Herzschlag langsamer oder schneller werden zu lassen, die Säuresekretion des Magens zu verstärken oder zu verringern, die Dicke der Magenwand zu beeinflussen und die Werte verschiedener Hormone in ihrem Organismus zu verändern - zum Beispiel die Produktion schädlicher Streßhormone zu verringern und die der angenehmen Entspannungshormone zu erhöhen. Ja, anscheinend waren Menschen sogar in der Lage, über jede einzelne Zelle ihres Körpers Kontrolle auszuüben, vorausgesetzt es lag ihnen das richtige Feedback vor. Der Forscher John Basmajian zum Beispiel entdeckte, daß seine Versuchspersonen rasch die Entladung einzelner Zellen in komplexen, bewußt kontrollierten Rhythmus steuern lernten, nachdem er ihnen Gelegenheit gegeben hatte, die Entladung eines einzelnen spezifischen Neurons (und zwar einer sogenannten <motorischen Einheit>) durch Biofeedback-Verfahren zu beobachten. [22] Menschen können also durch Biofeedback-Techniken eine einzelne Zelle unter den vielen Milliarden Zellen, aus denen der Körper besteht, ausmachen und kontrollieren. Sollte es dann nicht auch möglich sein, eine ähnliche Kontrolle über die Neuronennetzwerke zu erlangen, die anscheinend 177
je nach Art der elektromagnetischen Wellen, die durch das menschliche Gehirn wirbeln, mal mehr, mal weniger aktiv sind? Sollte es möglich sein, ein Biofeedbackgerät zu bauen, das die im Gehirn gebildeten elektromagnetischen Muster überwacht und abbildet. Muster, die, wie wir gesehen haben, möglicherweise identisch mit Wahrnehmungen und Gedanken sind, Muster, die das Bewußtsein repräsentieren könnten. Und könnten wir wohlmöglich, indem wir die elektrischen Muster unseres Gehirns, die Hyperneuronen, in Echtzeit beobachten, sie auch ändern und über ihre Änderung auch unser Bewußtsein verändern? Wenn es so ist, wie die Forschung vermuten läßt, - daß sich bestimmte Gehirnwellenmuster um Worte mit ähnlichen Konnotationen bilden (zum Beispiel um Worte) und daß diese Muster bei fast allen Menschen ähnlich sind, - daß bestimmte Gehirnwellenmuster durch spezifische linguistische Formen hervorgerufen werden (etwa durch den Unterschied zwischen Adjektiv und Substantiv, zum Beispiel zwischen und ) und daß diese Muster anscheinend von universeller Gültigkeit sind, - und daß bestimmte Gehirnwellenmuster auf spezifische, intensiv emotionale Zustände, Gedanken oder Wahrnehmungen verweisen oder gar diese sind, ist es dann nicht logisch anzunehmen, daß der Benutzer einer Biofeedbackmaschine tatsächlich seine Gehirnwellenmuster verändern kann vorausgesetzt, die Maschine liefert ihm ein Echtzeit-Abbild seiner Gehirnwellenmuster. Es müßte möglich sein, mit solchen Maschinen von Wut und Ärger zu einer liebevollen Stimmung zu gelangen, von Angst zu heiterer Gelassenheit, von Erregung zu tiefer Konzentration, die allen Ablenkungen widersteht, vom engstirnigen Ablehnen neuer Informationen zu einer Bereitschaft, große Mengen neuer Information aufzunehmen, zu verarbeiten und im Langzeitgedächtnis zu speichern. Stroebel glaubt an diese Möglichkeiten. «Das Gehirn hat eine ungeheure Fähigkeit, sich selbst neu zu programmieren, insbesondere wenn man den Menschen eine entsprechende Motivationsstruktur dafür in die Hand gibt.» Zu seinen mittlerweile klassischen EEG-Studien, die die Existenz von Gehirnwellen-Synchronisation in einem Zustand tie178
fer Meditation nachgewiesen hatten, sagte mir Stroebel: «Die Informationen, die wir durch den CAP-Scan erhalten, sind den alten EEGs einfach schon durch die reine Informationsmenge meilenweit überlegen. Jetzt setzen wir dem Anwender einfach die Elektrodenkappe auf, setzen ihn vor eine Abbildung seines Gehirns auf einem Bildschirm, vergleichen sein Gehirnmuster mit den Mustern, die wir aus den Mustern vieler Menschen, die sich in einem wünschenswerten Zustand befanden, abstrahiert haben, und sagen: , weil die vielfältigen Fähigkeiten des Gehirns, die es besonders dann zeigt, wenn es hoch motiviert ist, mich immer wieder überraschen.»
DIE PRODUKTIONSMITTEL IN DIE HÄNDE DES VOLKES!
In den letzten Jahren hat man eine Reihe von Maschinen entwickelt, die Abbilder des Gehirns liefern, darunter den (CAT), den (PET) und den (NMR). Diese Maschinen allerdings sind so ungeheuer teuer, daß selbst ansonsten wohlausgerüstete Krankenhäuser vor dieser Investition zurückschrecken. Der CAP-Scan ist im Verhältnis dazu relativ preisgünstig und wird mit jeder neuen Computergeneration noch günstiger. Der Schlüssel zur Echtzeit-Funktion, die ja beim CAP-Scan wesentlich ist, ist ein sogenannter (Reihenprozessor). Stroebel: «Dieses Teil allein kostete noch vor einem Jahr 30000 Dollar, jetzt ist es in Form einer Karte, die man hinten in den Computer steckt, schon für unter 500 Dollar zu haben.» Stroebel ist fest entschlossen, das System so billig wie möglich zu machen. Weil er nicht nur vom diagnostischen und therapeutischen Wert der Maschine überzeugt ist, sondern in ihr auch eine große 179
Chance für alle sieht, die ihr Bewußtsein verändern und ihre Kreativität fördern wollen. «Ich will, daß sich jeder diese Maschine leisten kann», sagt Stroebel. «Sie sollte bei allen Leuten, die sich mit den emotionalen Problemen anderer Menschen befassen, auf dem Schreibtisch stehen.» Aus diesem Grunde ist Stroebel nicht an einer kommerziellen Produktion und Vermarktung der Computer-Software interessiert, mit der das Programm arbeitet, sondern will das ganze eher gemeinnützig halten. «Man mache sich bewußt», sagt er, «daß es nur einen kleinen PC (Personal Computer) braucht, dazu ein BiocompSystem, ein paar Extratastaturen und eine Software Diskette, die nicht durch Copyright oder Patente geschützt ist. Und schon hat man einen CAP-Scan - wobei die Gesamtinvestition deutlich unter 20 000 Dollar liegt.» Für alle, die bereits einen Computer besitzen, sind die Kosten noch wesentlich geringer.* Ein Nachteil der erwähnten teureren Tomographie-Geräte ist nach den Aussagen von Stroebel die Möglichkeit schädlicher Nebenwirkungen. Denn das Gehirn wird unter anderem mit Röntgenstrahlen beschossen, ihm werden radioaktive Substanzen oder Xenongase injiziert oder es wird ungeheuer starken Magnetfeldern ausgesetzt. Diese Maschinen sind erst seit so kurzer Zeit im Gebrauch, daß bisher niemand die Langzeitwirkungen abschätzen kann. Der CAP-Scan hingegen ist völlig <non-invasiv> (dringt also nicht in den Körper ein) man braucht nur die Elektrodenkappe aufsetzen. Stroebel: «Faszinierenderweise ist es praktisch unmöglich, sich selbst durch Biofeedback Schaden zuzufügen.»
WIE STÜTZRÄDER AN KINDERFAHRRÄDERN
Wenn der Patient erst einmal gelernt hat, den erwünschten Gehirnzustand nach Gefühl herbeizuführen, kann er das Gelernte auch auf das tägliche Leben übertragen. Stroebel vergleicht den CAP-Scan mit den * Seit der Erstveröffentlichung dieses Buches sind eine ganze Reihe relativ günstiger Geräte zur Wiedergabe der Gehirnaktivität auf den Markt gekommen. Der CAPScan zum Beispiel wird mittlerweile in einer vereinfachten für den Hausgebrauch zugeschnittenen Version produziert, die weniger als 10000 Dollar kosten soll. Mit weiterem Fortschreiten der Technik werden auch die Preise weiter fallen. 180
Stützrädern an Kinderfahrrädern. Der Anfänger braucht diese Stütze, bis er gelernt hat, auf zwei Rädern die Balance zu halten. Danach sind die Stützräder nicht mehr nötig. Die Aussichten sind faszinierend: Hat ein Mensch erst einmal durch Beobachtung und Erfahrung der wechselnden Muster seines Gehirns auf dem Bildschirm gelernt, wie sich dieser Zustand anfühlt, dann könnte er denselben Zustand in allen Alltagssituationen abrufen - zum Beispiel bei einer Prüfung oder einem sportlichen Wettbewerb. Doch weiter gedacht: Wenn spezifische Gehirnmuster tatsächlich für spezifische geistige Zustände stehen - für Gedanken, Wahrnehmungen und Visionen - könnte man dann Männer und Frauen mit wahrhaft originellen kreativen geistigen Begabungen, also unsere großen Wissenschaftler, Philosophen und Künstler, an das Gerät anschließen? Und sie dann solange ihre fließenden Gehirnmuster betrachten lassen, bis sie plötzlich, in Bruchteilen von Sekunden, eine neue Idee haben also das Heureka-Erlebnis? Oder bis sie das Gefühl haben, daß ihr Geist optimal arbeitet? Und dann dieses flüchtige Gehirnmuster im Computer speichern? Dann müßte man nur noch den Computer so programmieren, daß er dieses Muster als <normal> ansieht, und schon könnten Sie und ich uns vor den Computer setzen, die Elektrodenkappe aufsetzen und unsere Gehirnmuster korrigieren. Erst wären sie noch voller , dann aber, langsam, würden wir das Rot von hier nach da verschieben, die grünen Flecken blau werden lassen und nach und nach den <normalen> Zustand erreichen, der den menschlichen Geist bei optimaler Funktion charakterisiert. Und wenn unser Gehirn dann dasselbe Muster hätte wie das des großen Künstlers, des Wissenschaftlers, des Philosophen, was dann? Stroebel: «Wir gebrauchen normalerweise nur einen sehr kleinen Teil unseres Gehirns, wahrscheinlich weniger als fünf Prozent.» Der CAP-Scan läßt uns das Gehirn bei der Arbeit beobachten und kann so einen Weg in die terra incognita der restlichen fünfundneunzig Prozent eröffnen. Vielleicht könnten wir so lernen, unsere Gehirnkapazität gewaltig zu erweitern. «Über das, was letztendlich möglich sein wird, kann ich nur spekulieren», sagt Stroebel, «aber ich glaube, der CAPScan eröffnet eine völlig neue Dimension.»
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11 MIND MIRROR DER SPIEGEL DES GEISTES
Ich begegnete Joseph Light zum ersten Mal in der Redaktion einer beliebten Zeitschrift mitten in New York. Kurz zuvor hatte ich ein Buch gelesen, The Awakened Mind: Biofeedback and the Development of Higher States of Awareness (deutsch etwa: Der erwachte Geist Biofeedback und die Entwicklung höherer Bewußtseinszustände), in dem der britische Physiker und Psychologe C. Maxwell Cade seine Experimente mit einer neuen Maschine namens <Mind Mirror> (Spiegel des Geistes) beschreibt. Ich hatte gehört, daß Joseph Light diese Maschine in den Vereinigten Staaten vertrieb. Nach Aussagen von Cades Buch versetzte die einzigartige EEG-Meßmethode des Mind Mirrors den Benutzer in die Lage, seine Gehirn wellen so zu beobachten, daß er durch <eine Reihe hierarchisch angeordneter Bewußtseinszustände> aufsteigen könnte. Dieser Fortschritt nach oben enthielt unter anderem Tiefenentspannung und den Zustand tiefer Meditation und hemisphärischer Synchronisation. Hier hört das EEG-Bio-feedback Training meistens auf, da man diesen Zustand für das erreichbare Optimum hält. Cade indessen behauptet in seinem Buch, daß der Benutzer des Mind Mirrors lernen könnte, in einen noch höheren Zustand einzutreten, den er nennt. In diesem Zustand können die Versuchspersonen angeblich die Augen öffnen, hin und her gehen, sich unterhalten, Literatur und Werke von beträchtlicher Schwierigkeit und Komplexität lesen und verstehen, knifflige mathematische Probleme im Kopf lösen und absichtlich erwünschte emotionale Zustände herbeiführen, ohne dabei jemals aus dem Zustand herauszutreten. [66] Das 182
klang für mich wie die ideale Denkmaschine, und natürlich brannte ich darauf, sie auszuprobieren. Was es auch sein mochte, es mußte Spaß machen. Ich rief Joseph Light an und er lud mich zu einer Demonstration ein. Wir verabredeten uns in der Redaktion der Zeitschrift, so daß ein dort als Redakteur tätiger Freund von mir das Gerät ebenfalls ausprobieren konnte (derselbe, der ein paar Wochen zuvor skeptisch den audiovisuellen Stimulator aufgesetzt und dann singende Mönche und alle möglichen anderen auditiven Halluzinationen erlebt hatte). Gemessen an dem beachtlichen Ruf, der dem Gerät vorausging, war es eher klein - wie eine kleine Aktentasche. Geöffnet bot die Aktentasche ein Gewirr von Drehknöpfen und Schaltern dar, in deren Zentrum sich ein kleines Display befand. Dieser Bildschirm bestand aus vierzehn Reihen von jeweils etwa dreißig Lämpchen. Die Reihen waren in der Mitte unterteilt. Light erklärte, jede der Lämpchenreihen stehe für eine spezifische Gehirnwellen-Frequenz. Die vierzehn Reihen auf der linken Seite sollten die Tätigkeit der linken Gehirnhälfte abbilden, die Lämpchen auf der rechten Seite repräsentierten die rechte Hälfte des Gehirns. Die unterste Reihe stand für die Frequenz 0.75 Hertz - also einen sehr tiefen Delta-Zustand. Die Reihen weiter oben entsprachen höheren Frequenzen. Im einzelnen standen die Lämpchenketten für folgende Frequenzen: 0.75 Hertz, der tiefe Delta-Zustand; 1.5 und 2.75 Hertz, die höheren Delta-Frequenzen; 4.5 und 6.0 Hertz, der Theta-Bereich; 7.5, 9, 10.5 und 12.5 Hertz, der Alpha-Bereich und schließlich die schnelleren Beta-Wellen (15, 19, 24, 30 und 38 Hertz). Der Redakteur kam auch hinzu, und da er das letzte Mal als erster den audio-visuellen Stimulator ausprobiert hatte, beschlossen wir, daß ich diesmal als erster dran sein sollte. Light schloß mich an die Maschine an. Das ging rasch und einfach, er befestigte mit Hilfe eines Klettbandes je eine Elektrode an meinem rechten und linken Okzipitallappen (das heißt, an meinem Hinterkopf). Dann stellte er die Maschine an. Und siehe! Die Lichter auf allen vierzehn Kanälen leuchteten auf und begannen, sich auf verwirrende Weise hin und her zu bewegen. Light riet mir, mich innerlich zu sammeln, und schon zogen sich die meisten der Lichter in die Mitte des Bildschirms zurück. Light erklärte, jede Lichterreihe bestehe aus Leuchtdioden und 183
stelle die Amplitude bzw. Stärke der Gehirnwellen dar, die ich auf der entsprechenden Frequenz abstrahlte. Je näher zur Mitte die Lichter sich bewegten - je weniger Leuchtdioden also angeschaltet waren desto kleiner die Amplitude der entsprechenden Gehirnwellenfrequenz. Je länger die Lichtreihen wurden - je mehr Leuchtdioden also brannten - desto größer die Amplitude der Wellen, die mein Gehirn auf dieser Frequenz erzeugte. Ich war verwirrt. Ich hatte gedacht, daß unser Gehirn an bestimmten Punkten - zum Beispiel direkt unter den Elektroden - eine einzelne Frequenz, etwa Alpha- oder Beta-Wellen abstrahlte. Der Mind Mirror zeigte durch seine Lichter Gehirnaktivitäten auf allen 14 Kanälen an, von tiefem Delta- bis zum hohen Beta-Zustand. «Ich begreife nicht», sagte ich, «wie mein Gehirn all dise Frequenzen zur selben Zeit am gleichen Ort erzeugen kann.» In dem Augenblick, in dem ich diese Frage aussprach, schössen die Leuchtdioden im oberen linken Beta-Bereich in hektischer Aktivität hinaus zur linken Seite. «Siehst du», sagte Light, «dein Gehirn hat gerade einen Ausbruch hoher Beta-Aktivität in der linken Hemisphäre erlebt - also in der Hälfte, die für rationales detailorientiertes Denken zuständig ist. Diese Aktivität wurde dadurch ausgelöst, daß du diese Frage gestellt hast. Dein Denken hat sich in diesem charakteristischen Muster auf der Anzeige niedergeschlagen.» Die Frage war damit noch nicht beantwortet; der Redakteur und ich blieben weiter verwirrt. Deshalb gab uns Light einen Grundkurs in Elektroenzephalographie. «Der Mind Mirror hat einzigartige Eigenschaften, denn alle anderen EEGs, seien sie nun klinisch oder experimentell eingesetzt, arbeiten nach dem Prinzip, daß eine Elektrode an einem bestimmten Punkt der Kopfhaut angelegt wird. Das Aufzeichnungsgerät gibt dann nur die Frequenz mit der höchsten Spannung wieder, die an diesem Punkt empfangen wird; alle anderen Frequenzen werden herausgefiltert. Wenn man eine Elektrode dieser Geräte auf deinen Okzipitallappen setzen würde, so wie ich's eben gemacht habe, und diese Elektrode wäre zum Beispiel auf eine Frequenz von acht Hertz programmiert, also niedriges Alpha, dann würde das Gerät nur die 8 Hz-Wellen an diesem Punkt messen. Dann weißt du also, daß acht Hertz die dominante Spannung beziehungsweise die Frequenz mit der höchsten Spannung ist, die sie an diesem Punkt auffangen.» 184
«Ich will das an einer Analogie verdeutlichen», sagte Light. «Wo immer man sich in seinem Haus bewegt, ist man von den Frequenzen lausender Radio- und Fernsehstationen umgeben. Alle diese Wellenformen durchqueren ständig jedes Zimmer des Hauses. Nimmt man ein Radio mit geringer Empfangsleistung und dreht am Knopf, dann empfängt man manche Stationen nur sehr schwach und andere stark. Traditionelle EEGs zeichnen nur die Frequenz der stärksten Rundfunkstation auf. Der Mind Mirror aber empfängt vierzehn verschiedene Frequenzen, nicht nur den stärksten Sender. Er verarbeitet und bildet sie im Display ab und zwar in einem logisch leicht verständlichen Muster. Und all das geschieht in Echtzeit. Bei den traditionellen EEGs gibt es ein großes Problem: Viele EEG-Fachleute kennen die Grenzen ihrer Apparaturen nicht. Wenn sie also ihre Maschine so einstellen, daß sie an einem bestimmten Punkt des Gehirns die Acht-Hertz-Aktivität mißt, dann gehen sie davon aus, daß acht Hertz die einzige elektrische Frequenz ist, die das Gehirn an diesem Punkt erzeugt. Das stimmt aber nicht. Wenn man die Elektrode des Mind Mirrors auf denselben Punkt am Okzipitallappen aufsetzt, zeigt er vierzehn verschiedene Frequenzen und Spannungen an einem einzigen Punkt an. Das Gehirn produziert viele Frequenzen und Spannungen gleichzeitig. Mit den traditionellen EEGs filtert man alles heraus und mißt nur noch die stärkste Spannung.» «Und all diese Geräte, die Hunderttausende von Dollars gekostet haben», sagte Light, «kommen nicht an die Empfangsmöglichkeiten des MM heran. Ich will damit nicht sagen, daß der MM Geräte im Wert von 350000 Dollar übertrifft. Denn das kann er nicht - die traditionellen klinisch verwendeten EEG-Geräte haben Funktionen, von denen der MM teilweise nur träumen kann. Ich will nur sagen, daß ich für bestimmte Zwecke nie etwas gesehen habe, was dem MM das Wasser reichen könnte. Zum Beispiel zum Messen bestimmter veränderter Gehirnzustände (beziehungsweise Kognitionstypen), zur Bewußtseinserhöhung oder um zu entscheiden, welche Meditationstechnik für einen Menschen am besten geeignet ist. Die EEG-Fachleute sind einfach darauf programmiert zu glauben, daß nur eine Frequenz und Spannung an einem bestimmmten Punkt erzeugt wird. Es gibt in diesem Gebiet so viele Möglichkeiten. Wenn sich die Leute in den Entwicklungsländern der medizintechnischen Firmen 185
das klar machen würden, engagierte junge Elektroingenieure, dann könnten sie ganz phänomenale EEG-Geräte bauen. Alles, was zur Zeit auf dem Markt ist, ist im Grunde primitiv. Die Elektroenzephalographie selbst ist primitiv.» Inzwischen zeigte der Mind Mirror weiter eine wüste Aktivität meiner linken Gehirnhälfte in den hohen Beta-Frequenzen an, während der Rest meines Gehirns eher untätig schien. Offensichtlich bemühte ich mich angestrengt um logisches Denken. Also gut, dachte ich mir, dann machen wir doch mal eine Probefahrt mit diesem Mind Mirror. In den nächsten fünfzehn Minuten bemühte ich mich, ruhig zu sitzen, und beobachtete die Veränderungen der Lichterketten auf der Anzeige. Light schlug mir unterdessen verschiedene Techniken vor, darunter langsames Atmen, den Atem anhalten, die Wiederholung eines Mantras, die Visualisierung diverser Bilder, schließlich einfach zu versuchen, meinen Geist leer zu machen. Manchmal erzeugte mein Gehirn dabei in beiden Hemisphären AlphaWellen mit großer Amplitude. Dann fühlte ich mich sehr ruhig und gleichzeitig sehr aufmerksam und wach. Ich wußte genau, was um mich herum geschah - und doch war mein Gehirn leer. Manchmal erzeugte ich Theta-Wellen in großen Mengen. In diesen Perioden trieb ich ab in eine Art Traumzustand; lebhafte Bilder, die mit den Vorgängen um mich herum überhaupt nichts zu tun hatten, schössen durch meinen Geist. Oft fühlte ich mich auch total frustriert, dann spielten die BetaLichter oben auf der Anzeige verrückt. Mit der Zeit konnte ich die Lichtreihen auf dem kleinen Schirm als klare Muster erkennen, als zwei schwankende Linien, die mehr oder weniger Gehirnaktivität anzeigten. Manchmal waren die Hemisphären völlig unsynchronisiert, dann wieder befanden sie sich im Gleichgewicht, und das Muster nahm eine wunderbare symmetrische Form an. Einmal sah das Bild genau wie eine Colaflasche aus - oben eng (ein Hinweis auf wenig oder keine Beta-Aktivität), mit einer Ausbuchtung im mittleren Alpha-Bereich; dann wieder etwas enger werdend, da wo Alpha in Theta übergeht, etwas breiter im unteren Theta-Bereich und keine Aktivität im Deltabereich, also am Boden der Flasche. «Du hast's geschafft», sagte Light (bei diesen Worten löste sich das Muster sofort auf), «das ist ein perfektes - typisch für tiefe Meditation. Dahinter liegt das, was der Erfinder der Maschine, 186
Maxwell Cade, das genannt hat, luzide Bewußtheit, den erwachten Geist. Es besteht aus einem starken Alpha- und ThetaMuster, und zusätzlicher Aktivität im Beta-Bereich zwischen 16 und 18 Hertz. Es enthält die ganze ruhige, distanzierte, nach innen und außen gewendete Aufmerksamkeit des vierten Stadiums, das einzigartige daran aber ist, daß es mit Gedankenprozessen vereinbar ist.» Das war der Zustand, von dem ich gehört hatte, in dem Menschen scheinbar mit normalem Bewußtsein herumlaufen, ihr Gehirn aber eigentlich auf einem dem normalen Bewußtsein weit überlegenen Niveau arbeitet, so daß sie komplexe Aufgaben ausführen können. Als ich Cades Buch später noch einmal las, erfuhr ich, daß dieses fünfte Stadium praktisch immer «bilateral symmetrisch ablief, daß also Amplitude und Frequenz in beiden Gehirnhälften übereinstimmten.» Cade hat mehrere hundert Personen untersucht, die fähig waren, dieses fünfte Stadium zu erreichen (meistens allerdings erst nach mehreren Übungs-Sessions mit Cade). Dabei stellte er fest, daß sie schon bald in der Lage waren, diesen Zustand auch im Alltagsleben zu erreichen - ein Effekt, der typisch für Biofeedback ist. Sie konnten also die Stützräder weglassen. Nach Cades Aussagen nahmen alle diese Personen das fünfte Stadium als außerordentlich angenehm wahr. Sie hatten das Gefühl, daß ihr Geist eine höhere Ebene der Integration erreicht hatte, daß ihre geistigen Kräfte wuchsen. Unverkennbar war außerdem bei allen die eindeutige Hinwendung zum Leben. Ein über fünfzig Jahre alter Mann berichtete: «Der Geist arbeitet in diesem sehr entspannten Zustand noch auf einer intellektuellen Ebene, aber andere Fähigkeiten treten hinzu. Ich hatte das Gefühl, daß die Bedeutung neuer Informationen mir nicht aufgezwungen wurde, sondern daß ich eher intuitiv den inneren Sinn des Lernstoffes begriff - nicht durch einen logischen Denkvorgang.» Nach Aussagen anderer Versuchspersonen zeichnete sich das fünfte Stadium durch plötzliche Kreativitätsschübe, Euphorie und mystische Gefühle der Einheit mit dem Universum aus. All das nahm ich mit gewissen Vorbehalten auf. Denn wie alle hochmotivierten Menschengruppen hatten Cades Versuchspersonen natürlich ein großes Interesse daran, daß das, wofür sie soviel Zeit und Mühe aufgewendet hatten, sich schließlich als wertvoll und nützlich herausstellen möge. Außerdem hatte er bei der Wahl der Versuchspersonen bestimmte selektive Kriterien angelegt. Ein Mensch zum Bei187
spiel, der das fünfte Stadium langweilig, irritierend, verwirrend oder beängstigend gefunden hätte, wäre längst aus den Mind Mirror-Schulungsgruppen aussortiert worden. Es handelte sich also nicht um eine im wissenschaftlichen Sinn kontrollierte Studie mit nach Zufallskriterien ausgewählten Teilnehmern. Dennoch schien mit den Menschen etwas Außergewöhnliches zu geschehen, wenn ihre Gehirnwellen Cades entsprachen. Ich dachte an Prigogines Möglicherweise konnte der Mind Mirror das Gehirn zu nie zuvor erfahrenen Wellenmustern mit großer Amplitude hochtreiben, so daß sich die Fluktuationen im Gehirn derart verstärkten, daß es sich auf einer höheren Ebene innerer Ordnung neu organisieren könnte. «Meinst du, ich könnte mit der Maschine dieses fünfte Stadium erreichen?» fragte ich Light. «Es ist ein Lernprozeß», antwortete er. «Du siehst dein Gehirnmuster, du siehst, wie du es durch verschiedene Techniken verändern kannst. Je nach deiner natürlichen geistigen Ausgangssituation verändern sich bei dir diese Muster schneller oder langsamer. Es kann zum Beispiel passieren, daß man einen Menschen, der nie in seinem Leben meditiert hat, an den Mind Mirror anschließt, ihn die Augen schließen läßt, ihm sein grundlegendes EEG zeigt und ihn dann ein Mantra sagen läßt. Unmittelbar darauf, innerhalb von Sekunden verändert sich sein Gehirnwellenmuster drastisch. Man kann durch den Mind Mirror auch ablesen, wie viele Jahre jemand schon meditiert. Bei Anfängern liegt der Alpha-Bereich im allgemeinen zwischen acht und dreizehn Hertz. Wenn also Anfänger meditieren, dann zeigt sich das auf dem Mind Mirror als ein Ausschlag bei 12.5 Hertz. Ein Mensch mit längerer Meditationserfahrung hingegen produziert dabei Alpha-Wellen auf der Frequenz von 7.5 Hertz. Außerdem scheinen Menschen, die schon länger meditieren, ein breiteres Spektrum von Alpha-Wellen zu erzeugen, 12.5, 10.5, 9 und 7.5 Hertz gleichzeitig - starke Alpha-Wellen auf der ganzen Bandbreite. Mit dem Mind Mirror läßt sich sehr viel über meditative Zustände erkennen. Ich habe zum Beispiel Yogis und andere Leute, die ihre Gehirnwellen besonders gut manipulieren können, daran angeschlossen diese Fertigkeiten zeigen sich ganz deutlich auf dem Mind Mirror. Die setzen sich hin und sind - rumms! - im fünften Stadium. Ich 188
habe Leute, die regelmäßig T'ai Chi machen, an den Apparat angeschlossen und sie eine Zentrierungsübung ausführen lassen. Plötzlich werden linke und rechte Gehirnhälfte völlig synchron, und sie erzeugen mit offenen Augen das Muster des fünften Stadiums.» «Kann man das lernen?» fragte der Redakteur. «Ja. Um die Wahrheit zu sagen, viele Menschen kennen den Zustand wohl schon - es ist wahrscheinlich der Zustand, in dem sich alle hochbegabten Menschen befinden, wenn sie das tun, was sie am besten können, und an der oberen Grenze ihrer Möglichkeiten arbeiten -seien es mathematische Berechnungen, Basketball, Tanzen oder ZenMeditation.» Ich mußte sofort an Mihaly Csikszentmihalyis Beschreibung des Fließzustandes denken. War der Begriff des vielleicht nur ein anderer Ausdruck für diesen Zustand von Integration des gesamten Gehirns - gekennzeichnet durch Symmetrie und Synchronisation. Womöglich befinden sich ein hervorragender Torwart, der fast instinktiv einen scharfen Schuß aus kurzer Distanz abfängt, ein Sportler, der mühelos, flüssig und souverän zu spielen scheint, und alle Menschen, die im Sinne von Maslow machen, in einem Zustand spontaner Synchronisation. Und sofort stellte sich mir die Frage, ob es technisch möglich wäre, Menschen in solchen Situationen an den Mind Mirror oder ein ähnliches Gerät anzuschließen, um ihr Gehirn dabei zu beobachten. «Nach Aussagen von Cade», sagte Light, «erkennen etwa acht Prozent aller Menschen diesen Zustand augenblicklich als einen Zustand, den sie schon auf natürliche Weise erlebt haben. Weiteren acht Prozent kann man mit geringfügigem Trainingsaufwand beibringen, wie man sich in diesen Zustand versetzt. Bei ändern kann es länger dauern. Aber der Mind Mirror steht einem ja wie ein ständiges Abbild direkt vor der Nase. Die Maschine greift in keiner Weise in das Bewußtsein des Anwenders ein, er muß alles selber machen. Die Maschine erzeugt nur eine Feedback-Schleife. Mit ihr lernt man schneller und wirksamer, sich in einen meditativen Zustand zu versetzen. Der Apparat gibt einem positive Verstärkung und zeigt, daß da wirklich etwas passiert - da man ja die Veränderungen im Gehirnzustand augenblicklich ablesen kann. Ich habe mit Hilfe des Mind Mirrors eine Liste von ungefähr fünfzig verschiedenen meditativen Techniken erstellt. Man kann die Maschine 189
nämlich auch an einen Kassettenrecorder anschließen und die Gehirnwellen über längere Zeit aufzeichnen. Ich habe also mit geschlossenen Augen nach und nach all diese Meditationstechniken ausprobiert und dann einige ausgewählt, die bei mir bemerkenswerte Veränderungen des Gehirnwellenmusters hervorriefen. Auf diese Weise fand ich meine persönlichen Meditationstechniken.» Es erschien mir nicht ganz passend, Light zu fragen, ob ihn die Maschine ins fünfte Stadium erhoben hätte, also bat ich ihn, mir mit einer weiteren letzten Demonstration zu zeigen, wie die Maschine mir helfen könnte, mein Gehirn zu verändern. Der Redakteur neben mir brannte schließlich auch darauf, den Apparat auszuprobieren. «Okay», sagte Light. «Bitte, fang an, langsam zu atmen, langsam und gleichmäßig, etwa zwei oder drei Atemzüge pro Minute ... Jetzt denk dir dazu ein Mantra - jedes beliebige Mantra. Atme weiter und wiederhole innerlich das Mantra.» Ich tat, wie mir geheißen, und alsbald verformte sich mein Muster zu einem wunderbar gerundeten Überschuß an Alpha- und Thetawellen. «Jetzt», sagte Light, «stell dir Energie vor, einen Lichtstrom, der aus deinem rechten Auge kommt, dann in dein linkes Auge geht, die Hemisphären umkreist, wieder aus dem rechten Auge hervortritt, dann wieder ins linke... Laß einfach diesen Energiestrom fließen. Atme weiter, wiederhole das Mantra und halte diesen Energiestrom aufrecht.» In den Beta-Kanälen auf der rechten Seite begann es zu flackern. «Ist ja irre», sagte ich. «Jetzt», sagte Light, «nimm noch eine vierte Übung hinzu. Bewege deinen Körper rhythmisch, schaukele ein bißchen von hinten nach vorne. Ja. so ist's richtig. Weiter so - alle vier auf einmal.» Ich machte es eine Zeitlang. Es muß ziemlich viel Zeit verstrichen sein, denn auf meiner Tonbandaufnahme von diesem Termin herrscht hier langes Schweigen. Ich kann kaum beschreiben, was während dieses Schweigens geschah. Eine Flut von Licht strömte von oben in meinen Kopf, ich bekam überall eine Gänsehaut, mein gesamter Körper fühlte sich an, als ob er schwach, aber mit einer unglaublichen Frequenz vibrierte. Ich fühlte mich von Kraft durchströmt. Ich hätte die Wände des Hauses durchbrechen und die Park Avenue hinunterfliegen können. 190
«Sieh dir das an», sagte der Redakteur leise. Ich öffnete die Augen und sah. Große Ausbuchtungen bei Alpha, Ausbuchtungen bei Theta, Beta-Wellen, die auf beiden Seiten bis ganz an den Rand gingen - alle symmetrisch. In dem Moment, als ich hinschaute, zerfloß alles in ein willkürliches Muster ohne Ordnung. WENN DU GOTT SIEHST, DRÜCK SCHNELL AUF DEN KNOPF
Ich nahm die Elektroden ab und befestigte sie am Kopf des Redakteurs. Light erzählte, wie Cade, nachdem er mehr als viertausend Menschen im Gebrauch des Mind Mirrors unterwiesen hatte, vier häufig vorkommende charakteristische Muster identifizierte, von denen jedes einen spezifischen geistigen Zustand repräsentiert. Es waren (vergleiche die Abbildung): 1. Hohe Beta-Aktivität in der linken Hemisphäre, ohne wesentliche weitere Gehirnaktivität. Dies ist charakteristisch für die nach außen gewendete Aufmerksamkeit oder mentale Aktivitäten wie verbales, lineares oder logisches Denken. Der Mensch versucht, zu oder die Kontrolle aufrecht zu erhalten. 2. Symmetrische Alpha-Rhythmen. Dies ist der klassische AlphaZustand, den die frühen Biofeedback Forscher untersucht haben. In diesem Zustand ist man gelassen und aufmerksam, hat aber keine inneren Bilder oder Ideen. 191
3. Blockierung der Alpha-Wellen. Der Mensch befindet sich in einem Zustand passiver Aufmerksamkeit - die hohe Beta-Aktivität deutet auf Wachheit hin, die ebenso starken Ausschläge im Theta- und DeltaBereich zeigen tiefe Entspannung. Die Ergebnisse anderer Forscher deuten darauf hin, daß dieser Zustand mit erhöhter Empfänglichkeit für Suggestionen und der Fähigkeit, große Informationsmengen zu verarbeiten, in Beziehung steht. 4. Symmetrische Alpha-Ausschläge und Theta-Wellen mit geringerer Amplitude. Dies ist der typische <meditative> Zustand. Der Mensch ist ruhig, sich innerer und äußerer Wirklichkeiten klar bewußt, und doch von beidem losgelöst. Dies ist der Zustand, wenn ein Mensch die <Entspannungsreaktion> bei sich ausgelöst hat. 5. Der erwachte Geist, luzide Aufmerksamkeit, das fünfte Stadium. Alpha-Wellen mit sehr hoher Amplitude, gleichzeitig Aktivitäten im Theta-Bereich und im Beta-Bereich zwischen 16 und 18 Hertz, hier aber mit geringerer Amplitude. Die Gehirnwellenaktivität ist synchron. Dieser Zustand bringt Gefühle der Euphorie, erhöhte geistige Kräfte, Kreativität, die Fähigkeit, gleichzeitig in der Welt und über ihr zu stehen. Unterdessen saß der Redakteur wie gebannt auf seinem Stuhl und verfolgte starren Blickes, wie seine Gehirnwellenmuster auf dem Mind Mirror auf und ab gingen. «Atme mal durch das linke Nasenloch», sagte Light. Der Redakteur tat es, und sofort tauchten Ausbrüche im Alpha-Bereich der rechten Hemisphäre auf. Dann erklärte Light mir weitere Funktionen seiner Maschine. Schließlich war er ja unter anderm als Verkäufer da. «Ein großer Vorteil ist der Playback-Modus», sagte er. Man kann die Sitzung aufzeichnen und nachher wieder abspielen. Die Informationen werden auf einer ganz normalen Audiokassette gespeichert, und lassen sich dann jederzeit wieder auf der Anzeige abspielen. Da kann man dann sehen, was besonders gut geklappt hat. Damit wären wir auch schon bei einer anderen praktischen Sonderfunktion, dem <Ereignisknopf>. Man sitzt zum Beispiel alleine da und experimentiert mit verschiedenen Meditationstechniken. Und dann passiert plötzlich etwas Außergewöhnliches, man hat eine Erscheinung - wohlmöglich Gott persönlich. Dann drückt man einfach diesen kleinen Knopf hier 192
und hält das in diesem Augenblick herrschende Gehirnwellenmuster fest. Später kann man dann versuchen, wieder dieses Gehirnwellenmuster und dieselben Visionen zu erzeugen.» Wieder tauchten in meinem Kopf die Fragen auf, die mir auch schon gekommen waren, als ich den CAP-Scan kennenlernte: Sind diese schwankenden Muster elektromagnetischer Energie synonym mit spezifischen Geisteszuständen? Hat jeder denkbare Gehirnzustand eine Entsprechung in einem spezifischen Hyperneuron beziehungsweise einer spezifischen energetischen Konfiguration innerhalb riesiger Neuronennetzwerke? Können wir bestimmte erhöhte Bewußtseinszustände zu unsterblichen Augenblicken> machen, indem wir sie mittels <Ereignisknöpfen> oder festhalten? Existieren möglicherweise Gedanken und Wahrnehmungen als präzis bestimmbare elektromagnetische Konfigurationen, denen es vollkommen egal ist, in wessen Geist sie sich befinden - ähnlich wie die platonischen Ideen. So, daß wir sie mit genügend Übung in uns selbst reproduzieren und tatsächlich mit Hilfe von Tonbandkassetten oder Computerdisketten von einer Person auf die andere übertragen können? Werden wir möglicherweise eines Tages ausgewählte Gehirnwellenkonfigurationen auf Kassette mit nach Hause nehmen - so wie Teenager heute im Schallplattengeschäft den neuesten Hit kaufen? Und dann einfach die Kassette in den Mind Mirror stecken, die Elektroden anlegen und üben und noch mal üben, bis unser Gehirn nach denselben Mustern arbeitet wie die Gehirne der größten Genies, wenn sie gerade Spitzenleistungen bringen? Das Gehirn ist nach den Worten der Neurologin Candace Pert (National Institute of Mental Health) «nicht mehr als ein feuchter kleiner Miniempfänger kollektiver Wirklichkeit.» Ein Radio, das man auf jede beliebige Frequenz einstellen kann. Die Frage ist: Welche Programme wollen wir hören? Welche Programme können wir hören? Welche Programme sind außerdem denkbar? Der Redakteur experimentierte weiter. Jetzt hatte er sich gerade seinen Walkman aufgesetzt und beschallte sich mit dem letzten RockHit. «Schau dir das an!» schrie er. Während die Musik in seine Ohren dröhnte, waren alle Lichter auf der rechten Seite seines Gehirns ganz nach rechts ausgeschlagen, während links kein einziges mehr leuchtete. Totaler Kurzschluß in der rechten Hemisphäre!
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12 WIE MAN DAS GEHIRN MIT KLANGWELLEN IN HOCHFORM BRINGT: HEMI-SYNC
Es geschah in einer dunklen Nacht in der Mitte der fünfziger Jahre, als die Welt noch in Ordnung war. Der Mann hatte sich in letzter Zeit öfters seltsam gefühlt, immer wieder schössen kleine Vibrationsstöße durch ihn hindurch, wie schmerzlose Elektroschocks. Jetzt - im Bett neben seiner schlafenden Frau - waren sie wieder da, die Vibrationen. Um sich von den beängstigenden Empfindungen abzulenken, richtete er seine Gedanken auf den morgigen Tag, auf das Vergnügen, mit seinem Motorboot über die Wellen zu gleiten. Plötzlich stieß seine Schulter an einen harten Gegenstand. War er aus dem Bett gefallen? Er streckte die Hand aus, um den Gegenstand zu befühlen - ein seltsames Gefühl, aber irgendwie doch vertraut. Er drehte sich um und sah, daß er unter der Zimmerdecke schwebte. Bei jeder Bewegung hüpfte er ein Stück von der Decke herunter und wieder zurück - wie ein gasgefüllter Ballon. Verwirrt drehte er sich erneut um und spähte hinunter ins Dämmerlicht. Zwei Gestalten lagen da unten auf dem Bett! Die eine war seine Frau. Ein merkwürdiger Traum, dachte er. Wer konnte da mit seiner Frau im Bett liegen? Neugierig sah er genauer hin. Dann das jähe Erkennen - ein Schauer lief ihm den Rücken herunter: Der Mann im Bett war er selbst... Jetzt haben wir den Sommer 1985, und ich liege ausgestreckt in der totalen Dunkelheit eines Isolationstanks. In den Stereokopfhörern auf meinen Ohren ertönen gruselige, pochende Geräusche. Die pulsierenden Töne scheinen meinen ganzen Körper zur Resonanz anzuregen, wie ein schmerzloser Elektroschock. Mein Körper ist auf merkwürdige Weise entspannt - tief und angenehm. Auf merkwürdige 194
Weise, weil die Entspannung mir sozusagen von außen nahegebracht wurde. Es ist nicht diese schrittweise Auflösung der Körperverspannungen, die man normalerweise erlebt, sondern ein spürbares Fallen, als ob ich eben noch auf der Meeresoberfläche geschwebt hätte und dann sanft, aber unwiderstehlich in die Tiefe gezogen würde, bis ich schließlich bequem und weich unten auf dem Meeresgrund in dreißig Meter Tiefe gelandet wäre. Ich bin mir bewußt, daß dieser Zustand in mir durch die Klänge des Tonbands hervorgerufen wird. Ich bin kurz vorm Einschlafen. Doch genau in diesem Moment verändert sich das dumpfe Pulsieren auf dem Tonband kaum merklich. Ein höheres summendes Geräusch überlagert das tiefe Pochen. Es ist, als wenn man irgendwo entspannt herumliegen würde, müßig ins Leere schauend, weit entfernt von allen Problemen, die Pupillen entspannt und nicht fokussiert, bis mir plötzlich bewußt wird, daß etwas in mein Gesichtsfeld getreten ist, und die Augen sofort die Scharfeinstellung wiederfinden. Mit demselben Gefühl der blitzschnellen Rückkehr zu wacher Aufmerksamkeit ist jetzt mein Gehirn klar und konzentriert geworden. Während der Körper weiter total entspannt ist. Ich scheine meinen Körper zurückgelassen zu haben und bin ganz Gehirn, wach, energiegeladen, konzentriert. Von irgendwoher ertönt ein seltsames Prusten. Neugierig versuche ich zu entdecken, woher das Geräusch kommt. Da ist es wieder. Was ist das? Mein eigenes Schnarchen! Mein Körper schläft, aber mein Geist ist vollkommen wach. Zu den pochenden Tönen in den Kopfhörern gesellt sich eine Stimme, die mir sagt, es sei an der Zeit, daß ich meinen Körper verließe. Indem ich mich aus ihm wie ein Stück Holz. Was? Plötzlich erinnere ich mich: Ich befinde mich im Monroe Institute of Applied Sciences, in der abgelegenen Hügellandschaft Zentral-Virginias. Die freundliche Stimme, die mich drängt, meinen Körper zu verlassen, gehört dem Gründer des Instituts und meinem Wegbegleiter, Robert Monroe. Er ist der Mann, der sich eines Nachts vor dreißig Jahren plötzlich wie ein Ballon unter der Decke wiederfand. In den drei Jahrzehnten danach hat er eine lange Reise in seinem Körper gemacht. Aus dem hart arbeitenden Geschäftsführer einer großen Firma ist ein Bewußtseinserweiterungs-Guru mit eigenem High-Tech-Ashram geworden. Wie kam es dazu? Das ist eine lange Geschichte.. . 195
DER VIELGEREISTE GESCHÄFTSMANN: KOBOLDE UND ASTRALER SEX
Wäre Bob Monroe Wissenschaftler gewesen, dann hätte er diese erste körperlose Reise womöglich als zu <subjektiv> empfunden und sofort als reine Halluzination abgetan. Wäre er ein mehr nach innen gewendeter Mensch gewesen, dann hätte er das Erlebnis als Produkt irgendeines inneren Aufruhrs oder frühkindlichen Traumas gesehen und sich sofort auf die Suche nach den Wunden in seiner Seele gemacht und wäre womöglich beim Psychoanalytiker gelandet. Wäre er aber eher spirituell interessiert gewesen und mit okkultem Gedankengut vertraut, dann hätte er sofort das bekannte Phänomen der identifiziert. In diesem Fall hätte er sich vermutlich dem seltenen Vergnügen einer Astralreise hingegeben - ohne sich über Ursachen, Bedeutung und praktische Anwendungsmöglichkeiten dieses Phänomens in der <wirklichen> Welt weiter Gedanken zu machen. Zum Glück war Monroe ein selbstbewußter, pragmatischer, neugieriger Mann. Nach seiner eigenen Beschreibung ein «Manager mit Prinzipien... fest auf dem Boden der Tatsachen und in der materiellen Welt aktiv». Sein Motto war: «Wenn's funktioniert, nehmen wir's.» Also machte er sich auf, um diesen zu erforschen. Mit einer Mischung aus Angst und Staunen stieß er ins Unbekannte vor, hielt alle seine Erlebnisse genauestens fest, beobachtete alles mit einem wachen und unvoreingenommenen Auge und vergaß dabei nie die für ihn wichtigste Frage: Wie kann man aus dem ganzen Zeug einen praktischen Nutzen ziehen? Monroe behauptet, er habe rasch gelernt, sich mit Hilfe der Vibrationen «von der physischen Welt mit geradezu lachhafter Leichtigkeit zu lösen». Er stellte fest, daß er durch Wände gehen konnte und in der wirklichen Welt umherreisen. Er Freunde und andere Leute in der Stadt. Alle seine Beobachtungen, die er sorgfältig in sein Tagebuch eintrug, worüber sie sprachen, was sie taten, welche Kleider sie trugen, stellten sich im Nachhinein als zutreffend heraus. Bei einer seiner unsichtbaren Besuche stach Monroe der Hafer, und er versetzte einer nichtsahnenden Freundin einen Puff. Am nächsten Tag hatte sie an dieser Stelle einen blauen Fleck und wußte nicht warum. 196
Als nächstes stellte Monroe fest, daß er sich «vom Stadtverkehr befreien und stattdessen weite Reisen auf der Autobahn hinter sich bringen konnte». Er bewegte sich in Gefilden, die von der Alltagswelt, wie wir sie wahrnehmen, sehr verschieden waren. Monroe behauptet, einer der halluzinatorischen , die er frequentierte, sei von Geistern bewohnt gewesen, den Astralkörpern schlafender Menschen, und von scheußlichen kleinen Kobolden, die auf ihm geritten wären wie auf einem Pferd. Ein weiterer schien ein Duplikat unserer physischen Erde zu sein, bestand aber aus Antimaterie. Gelegentlich wurde er bei seinen Reisen von unterstützt, die unerwartet auftauchten und ihn zu größerer Weisheit zu führen schienen. In seinem Buch Der Mann mit den zwei Leben erzählt er von seinen Erlebnissen. Mit trockenem Humor berichtet er von parasitenähnlichen Unholden, Begegnungen mit Toten, astralem Sex, von furchterregenden Vorstößen in unglaublich andere Dimensionen. Außerdem gibt er praktische Tips, wie man aus dem eigenen Körper heraustreten könne. Schon bald nach der Erstveröffentlichung im Jahre 1971 war sein Werk ein Kultbuch. Es hat mittlerweile unzählige Auflagen erlebt. Wenn man die <wirkliche> Erklärung einmal beiseite läßt, ist das Buch auf jeden Fall eine äußerst unterhaltsame Lektüre. KLANGHEXEREI: GEHEIMNISVOLLEWELLEN FLIEGEN DURCH DIE LÜFTE
Schon bald hatten Monroes Abenteuer unerwartete Nebenwirkungen. Obwohl er nie ein religiöser Mensch gewesen war, hatte er nun das Gefühl eines inneren spirituellen Friedens. Seine außerkörperlichen Erfahrungen hatten ihn davon überzeugt, daß alle Menschen den physischen Tod überleben. Für ihn bestand kein Zweifel mehr daran, daß unsere <Wirklichkeit> nur ein kleiner Teil eines riesigen Spektrums von Energiesystemen ist, die außerhalb des Rahmens von Raum und Zeit existieren. Seine Begegnungen mit den Helfern überzeugten ihn davon, daß wir Menschen aus der Überschreitung der physischen Welt das Wissen gewinnen können, um uns zu weiseren und lebensfroheren Wesen zu entwickeln. Er glaubt mittlerweile, daß jeder Mensch in der Lage ist, in den einzutreten. Wenn die Menschen 197
nur diese Technik erlernten, meint er, dann könnten sie sich von der Angst vor dem Tod befreien, die er als Wurzel der meisten menschlichen Probleme ansieht. Monroe war fest entschlossen, einen Weg zu finden, auf dem er ändern beibringen konnte, nach Belieben aus ihren Körpern
daß er tatsächlich einen Antrieb oder eine Kopplung (englisch: entrainment) der Gehirnwellen erzeugen konnte. So wie ein Kristallpokal von einem reinen Ton angeregt mitschwingt, so entwickelte auch das Gehirn Resonanzen, wenn man es pulsierenden Klangwellen aussetzte. 1975 ließ sich Monroe dieses Phänomen patentieren und nannte es eine Frequenzfolgereaktion (FFR - englisch: frequency following response). Das Hauptproblem war, daß die Gehirnwellen sehr langsam sind (überwiegend unter 30 Hz) und daß das menschliche Ohr Töne unter 40 Hertz kaum noch wahrnimmt. Während Monroe in seinem kleinen Laboratorium in Virginia über diesem Problem brütete, stellte Dr. Gerald Oster, ein Biophysiker (Mount Sinai School of Medicine, New York), Untersuchungen über die Wirkungen von Klangwellen auf das Gehirn an. Er entdeckte, daß im Gehirn Vibrationen auftraten, wenn er die beiden Ohren getrennt mit Tönen verschiedener Frequenz beschallte. Diese Vibrationen nannte er binaurikulare Schwingungen (englisch: binaural beats). Binaurikulare Schwingungen basieren auf einem Effekt, den wir alle kennen. Wenn man zwei Stimmgabeln, die auf zwei geringfügig verschiedene Tonhöhen gestimmt sind, gleichzeitig anschlägt, erzeugen sie einen an- und abschwellenden pulsierenden -Klang oder -Schwingungsrhythmus, die Schwebung. Das Tempo dieser Schwebung entspricht dem Unterschied zwischen den beiden Frequenzen. Wenn man zum Beispiel eine Stimmgabel der Frequenz 400 Hz gleichzeitig mit einer 404 HZ-Stimmgabel anschlägt, entsteht eine pulsierende Schwebung von 4 Hz. Oster und Monroe erforschten unabhängig voneinander dieses Phänomen. Statt Stimmgabeln benutzten sie elektronische Oszillatoren mit Tönen, deren Frequenz, Reinheit und Intensität sich genau kontrollieren ließen. Kombiniert man zwei auf unterschiedliche Frequenzen eingestellte Oszillatoren und schickt ihre Signale durch einen oder auch zwei getrennte (so daß sie sich erst in der Luft vermischen) Lautsprecher, dann erzeugen sie eine sehr regelmäßige Schwebung, die man sowohl mit beiden, aber auch mit einem Ohr wahrnehmen kann. Diese Signale nennt man monaurikulare Schwingungen (englisch: monaural beats). 1973 schrieb Oster: «Ein ganz anderes Phänomen entsteht, wenn man Stereokopfhörer benutzt und die Signale den beiden Ohren getrennt zuführt. Auch dann nimmt man unter bestimm199
ten Umständen Rhythmen wahr, die sich allerdings deutlich von den monaurikularen unterscheiden. Binaurikulare Schwingungen erfordern die kombinierte Tätigkeit beider Ohren. Sie entstehen als Folge der Interaktion von Wahrnehmungen im Gehirn.» [251] Im Innern des Gehirns vermischen sich die Töne so, daß eine binaurikulare Frequenz entsteht. Das heißt, im Innern des Gehirns wird die Schwingung nicht als tatsächlicher Ton , sondern nur als Frequenzunterschied zwischen zwei Tönen - als Ergebnis der gemeinsamen Tätigkeit der beiden Gehirnhälften. Das gesamte Gehirn wird an den inneren Rhythmus gekoppelt und beginnt entsprechend dem Frequenzunterschied zu schwingen. Damit war für Monroe das Problem gelöst, wie man das Gehirn zur Reaktion auf Klangfrequenzen brachte, die weit unter der Hörschwelle lagen. Wenn das Gehirn Frequenzen kann, die zu langsam sind, um von den Ohren wahrgenommen zu werden, kann man daraus schließen, daß es auf diese Frequenz mit einer Folgereaktion antwortet - das Gehirn müßte sich an den inneren Rhythmus anpassen und anfangen, sympathetisch in dieser Frequenz mitzuschwingen. Es folgten Tausende von Experimenten. Monroe beschallte die Ohren von Versuchspersonen mit den verschiedensten Frequenzen und maß gleichzeitig ihre Gehirnwellen. Es war tatsächlich möglich, Gehirnwellen durch binaurikulare Schwingungen zu koppeln und zu stimulieren. Während er noch an diesen Problemen arbeitete, stolperte er über ein Phänomen von weit größerer Bedeutung. Zu seinem großen Erstaunen trat die Koppelung beziehungsweise Frequenzfolgereaktion nicht etwa nur in dem fürs Hören zuständigen Gehirnbereich auf oder nur in der linken oder rechten Hemisphäre. Vielmehr schwang das gesamte Gehirn mit, die Wellenformen beider Hemisphären wurden identisch in bezug auf Frequenz, Amplitude, Phase und Kohärenz. Monroe hatte eine Technik zur Erzeugung von Gleichgewicht zwischen den beiden Gehirnhemisphären entdeckt.
DAS SYNCHRONIEKONZERT IM KOPF
Schon die Möglichkeit absichtlich herbeigeführter bilateraler Synchronisation war aufregend, die weiteren Implikationen aber waren gera200
dezu revolutionär. Wissenschaftler hatten sich mit dem Gebiet befaßt und bei ihren Versuchspersonen festgestellt, daß bei der Synchronisation der Hemisphären jede beliebige Frequenz dominieren konnte. Es schien unmöglich vorauszusagen, geschweige denn zu kontrollieren, welche Gehirnwellenfrequenz im Zustand der Synchronisation dominieren würde. Mit Monroes Technik aber war genau das plötzlich möglich. Wenn er einen Menschen in einen synchronisierten Theta-Zustand versetzen wollte, dann schickte er einfach 400 Hertz in das eine Ohr und 404Hertz ins andere. Die binaurikulare Schwingung versetzte dann das gesamte Gehirn mit Sicherheit in Schwingungen der Frequenz von 4 Hertz, also in den Theta-Bereich. Schon lange wußten die Wissenschaftler, daß spezifische Gehirnwellenfrequenzen vorhersagbare Geisteszustände hervorrufen., Erregung im Beta-Bereich, Entspannung im Alpha-Bereich, Kreativität und Gedächtnisleistung im Theta-Bereich, Tiefschlaf im Delta-Bereich 3 Jetzt war es Monroe gelungen, Gehirnwellenfrequenzen einfach durch die entsprechende binaurikulare Schwingung festzulegen. Man konnte also nach Belieben einheitliche Gehirnwellenmuster in beiden Hemisphären und damit erwünschte physiologische und geistige Zustände erzeugen. Um dies zu testen, beschallte Monroe Hunderte von Personen mit einer sehr langsamen binaurikularen Delta-Frequenz. Sie schliefen prompt ein. Die Zuführung von Theta-Wellen löste nicht nur ThetaWellen in den Gehirnen dieser Personen aus, sondern auch den ThetaZustand. EEG-Messungen zeigten nicht nur synchronisierte ThetaWellen, sondern die Versuchspersonen berichteten nach den Tests auch übereinstimmend von allen mentalen Phänomenen, die dem Theta-Zustand zugerechnet werden: lebhaftes hypnagoges Bilderleben, schöpferische Gedanken, integrative Erfahrungen und spontane Erinnerungsbilder. Monroe stellte umfangreiche EEG-Untersuchungen zur Wirkung spezifischer Schwingungen auf die Gehirnwellen an. Als die Experimente immer neue Beweise für die Stichhaltigkeit seiner Entdeckung lieferten, war ihm klar, daß er etwas wirklich Neues herausgefunden hatte, und nannte den Prozeß . Bei der weiteren Erforschung dieser Phänomene stellte Monroe fest, daß er Menschen in jeden beliebigen Erregungszustand versetzen konnte, indem er ihnen 201
verschiedene übereinandergelagerte Signale gleichzeitig zuführte. Er konnte tiefste Bewußtlosigkeit hervorrufen, REM-Schlaf (die Traumphase des Schlafes), Halbschlaf, intensive Konzentration, Fixierung der Aufmerksamkeit auf einen einzelnen Punkt, bis hin zu Übererregung und unerträglichen Angstzuständen. Indem er die verschiedenen Signale in der passenden Folge vermischte, gelang es Monroe, geistige Erlebnisse von ungewöhnlicher Intensität herbeizuführen. Zum Beispiel schickte er seinen Versuchspersonen zunächst sehr langsame entspannende Signale und legte dann ein schnelles Signal darüber, das normalerweise zu nervenaufreibend gewesen wäre. Dadurch entstand ein Zustand tiefer körperlicher Entspannung bei gleichzeitiger äußerster geistiger Wachheit und Aufmerksamkeit. Nach demselben Rezept versetzte Monroe Menschen zunächst in tiefen Schlaf und löste gleichzeitig durch sehr schnelle Beta-Signale wache Aufmerksamkeit aus. So führte er dem Körper Schwingungen und andere Empfindungen zu, die bei vielen seiner Versuchspersonen zu mysteriösen geistigen Erlebnissen führten, zu
DER GEHIRNVERSTÄRKER - VON DER GLÜHBIRNE ZUM LASERSTRAHL
Aus den Tausenden von möglichen Frequenzen isolierten Monroe und seine Mitarbeiter etwa dreiundfünfzig, die starke positive Wirkungen aufs menschliche Gehirn hatten. Dabei stellten sie unter anderm fest, daß sich die Amplitude von Gehirnwellen einer bestimmten Frequenz beträchtlich vergrößerte, wenn das Gehirn der entsprechenden Frequenz ausgesetzt war. Hemi-Sync führt also nicht nur hemisphärische Synchronisation herbei, sondern bringt auch die Gehirnhälften dazu, auf der erwünschten Frequenz stärker zu arbeiten. Dazu der Psychiater Dr. Stuart Twemlow aus Topeka in Kansas: «In unseren Untersuchungen über die Auswirkung des Monroe-Tonband-Systems auf Gehirnwellen stellten wir fest, daß die Tonbänder die Fokussierung von Gehirnenergie auf ein immer engeres Frequenzspektrum fördern. Diese Fokussierung ähnelt der aus dem Yoga bekannten Konzentration auf einen Punkt. .. Vom Fokus 10 (dem Zustand des wachen Geistes bei schlafendem Körper) abwärts läßt sich eine schrittweise 202
Zunahme der Wellengröße, also eine Zunahme der Gehirnenergie oder -stärke ablesen.» Twemlow vermutet, daß «das Tonband-System die Rekrutierung von Neuronen im Gehirn fördert, die dann ihre Aufmerksamkeit auf eine einzige Aufgabe richten - sei es Muskelentspannung, verbesserten Schlaf oder Schmerzkontrolle.» Diese Vorstellung der Energiekonzentration auf ein schmales Frequenzspektrum erinnert an das Prinzip des Laserstrahls. Der Laser ist in der Lage, Energie in ungeheurem Maße zu konzentrieren und zu intensivieren - ein Laserstrahl verbraucht womöglich weniger Eneigie, als zum Kochen eines Eis notwendig wäre, und ist doch so konzentriert, daß er eine dicke Metallplatte wie Butter zerschneiden kann. Laserlicht bezieht seine Stärke aus der Tatsache, daß es sowohl kohärent (die Lichtwellen sind phasengleich beziehungsweise synchronisiert) als auch rein ist (die Wellen haben alle dieselbe Länge). Anders als die ordinäre Glühbirne, die nicht-kohärente Lichtwellen produziert (die Atome erzeugen Energie nach zufälligen Mustern) und selbst wenn ihr Licht auf einen bestimmten Brennpunkt konzentriert wird, immer noch nur einen unregelmäßigen Photonenstrom abgibt: Selbst äußerst stark fokussierte normale Glühbirnen können nie eine Metallplatte durchbrennen. Wenn die durch binaurikulare Schwingungen erzeugte hemisphärische Synchronisation tatsächlich die Gehirnwellen kohärenter und reiner machen kann, dann kann womöglich das Gehirn, wie der Laser, Zugang zu einer völlig neuen Ebene von Fähigkeiten und Möglichkeiten finden. Monroes ursprüngliches Forschungsziel war die künstliche Herbeiführung außerkörperlicher Erfahrungen gewesen. Aus den Ergebnissen seiner Experimente mit Hemi-Sync aber wurde deutlich, daß der Prozeß ein weit größeres Anwendungsspektrum eröffnet, darunter die Verstärkung oder Verbesserung einer Reihe von Gehirn- und Geistesfunktionen, die Fokussierung von Aufmerksamkeit, die Empfänglichkeit für Suggestionen, Problemlösungen, Kreativität, Gedächtnisleistung und Lernen. Auf der Basis der Kombination von Hemi-SyncFrequenzen mit gesprochenen Suggestionen und gelenkten Visualisierungsübungen erarbeitete Monroe mit der Zeit eine ganze Tonbandbibliothek für verschiedene Anwendungsgebiete: Herbeiführung von Schlaf, Schmerzkontrolle, beschleunigte Heilung, psychiatrische Kurzbehandlung, verbesserte Lernleistungen. 203
Gegen Ende der siebziger Jahre verbreitete sich die Nachricht von Monroes Entdeckung wie ein Lauffeuer. Das geschah nach einer Serie erfolgreicher Hemi-Sync-Workshops, die Monroe am Esalen Institute in Kalifornien und anderen Einrichtungen gehalten hatte, die sich für menschliches Wachstum und Entwicklung einsetzen. In Virginia gab es etwas Neues zu entdecken. Robert Monroe setzte auf bemerkenswerte Weise Klänge zur Herbeiführung von außerkörperlichen Erfahrungen und Bewußtseinsveränderungen ein. Als Reaktion auf das wachsende Interesse erweiterte Monroe sein bescheidenes Tonlaboratorium in eine Bildungs- und Forschungsorganisation, das Monroe Institute of Applied Sciences. BEGEGNUNGEN IM SCHWARZEN WÜRFEL: ÄGYPTISCHE NEKROMANTIE,ENERGIERÖHREN, DIE GANDHI-GRUPPE UND DIE REVOLUTION VON BAGDAD
«Schon immer ist in der Geschichte», sagt Bob Monroe, «die Suche nach anderen intelligenten Wesen die treibende Kraft der menschlichen Zivilisation gewesen. Kontakt und Kommunikation zwischen Menschen und anderen intelligenten Wesen gehört zum Inhalt aller Religionssysteme.» Monroe spottet über Such Werkzeuge wie die riesigen Radioteleskope, mit denen man heutzutage das Universum durchkämmt. «Als ob man versuchte, die Existenz intelligenten Lebens auf der Erde durch Messen der Autoabgase zu ermitteln», urteilt er lachend. Monroe zieht es vor, «selbst hinauszugehen und nach Artefakten und anderen Lebensformen zu suchen» - im außerkörperlichen Zustand, in dem man nicht mehr von den Bedürfnissen des physischen Körpers oder den Begrenzungen der räumlich/zeitlichen Wirklichkeit behindert wird. Diese Suche scheint der zentrale Zweck der Forschungsabteilung des MI AS zu sein, insbesondere für jene Gruppe fortgeschrittener Astralreisender, die zum gehören. Seit mehreren Jahren stehen diese Reisenden in Verbindung mit einer Reihe intelligenter Energieformen, immer auf der Suche nach der Antwort auf die ewige Frage nach dem Sinn des menschlichen Lebens. (Nach Monroes bisherigen Erkenntnissen scheint die Antwort in einer Art 204
fürs menschliche Leben und seinem Begriff von Raum und Zeit zu bestehen. Nach diesem Examen steigt man in andere Ebenen auf. Leider ist diese Prüfung nicht einfach - denn «leider», so Monroe, «sind wir alle menschliche Suchtkranke, denn das menschliche Leben ist auf schlimmste Weise suchterzeugend.» Wie macht man dieses Abschlußexamen, das einen von der irdischen Existenz löst? Nach Aussagen Monroes muß man, wie eine Rakete, eine gewisse erreichen. Wie? Einmal, indem man den verringert, also überflüssiges Gepäck abstößt, etwa unkontrollierte Emotionen. Ein anderer Weg besteht in der Entwicklung dessen, was Monroe Agape oder nennt. Damit wäre seine Kosmologie eine neue Version des antiken Gnostizismus fürs Raumzeitalter. Leider gehöre ich jedoch zur abnehmenden Zahl jener wenig beneidenswerten Menschen, die nicht die blasseste Ahnung von ihren vergangenen Leben, außerkörperlichen Erfahrungen und persönlichen Begegnungen mit fliegenden Untertassen haben. Ich bin weiterhin nicht ganz davon überzeugt, daß die Große Pyramide tatsächlich eine kodierte Botschaft außerirdischer Wesen ist. Ich bin in diesen Dingen skeptisch. Und doch reizen sie mich in einer Weise, die für einen coolen Journalisten wie mich schon fast peinlich ist. Ich hatte einen einwöchigen Gateway-Voyage-Kurs gebucht (natürlich nur zum Zwecke der Recherche), als man mir plötzlich anbot, fünf Tage früher zu kommen und als Beobachter an einer Reihe von teilzunehmen, bei denen drei der fähigsten Kundschafter des Instituts mit nichtmenschlichen Arten kommunizieren und über Wirklichkeiten außerhalb des Raum-Zeit-Kontinuums berichten würden. Ich sagte sofort zu. Hätten Sie anders gehandelt? Bei meinem ersten Besuch im Laboratorium stellte man mir eine l
kleine Frau in mittleren Jahren vor, mit leiser Stimme und ländlichem Südstaatenakzent. Ihr Name: . Mit ihren Augen rund wie Untertassen, zurückhaltend bis an die Grenze der Schüchternheit, erschien sie mir wie ein Hinterwäldlermädchen, das in eine rätselhafte neue Welt gestolpert ist, obwohl dies bereits ihre sechsundsiebzigste Kundschafter-Session war. Sie kletterte in einen schwarzen Würfel von der Größe einer kleinen Garage, eine sensorische Deprivationskammer nach den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen. Drin205
nen stand ein Wasserbett. Der ganze Würfel war von oben bis unten mit Kupferabschirmungen tapeziert, damit die empfindlichen Instrumente und der Geisteszustand des Kundschafters nicht durch elektromagnetische Strahlung von außen gestört werden. Das Ganze stand auf vier dicken Beinen, die jeweils in einem Bett aus Sand endeten. So sollten auch die Einflüsse eventueller Erderschütterungen ausgeschaltet werden. IMEC wurde an diverse Überwachungsgeräte angeschlossen (darunter ein Mind Mirror), die ihre Gehirnwellen aufzeichneten, ihr elektromagnetisches Feld und ihren galvanischen Hautwiderstand maßen (letzterer ist ein verläßlicher Indikator von Erregung oder tiefer Entspannung). Dann wurde die Tür des Würfels verschlossen, so daß sie von vollkommener Dunkelheit und Stille umgeben war. Das Überwachungspersonal am Kontrolltisch und ich setzten Kopfhörer auf, durch die wir IMEC atmen hören konnten. Dann warteten wir, während sie ein spezielles für die Kundschafter entwickeltes HemiSync-Signal zugespielt bekam - ein sehr langsamer entspannender Rhythmus im Theta-Bereich, überlagert von einer extrem schnellen Frequenz von über 200 Hertz. «Guten Tag», sagte plötzlich eine laute Stimme, und IMEC war nicht mehr unter uns, ersetzt durch eine <Wesenheit>, die den anderen Anwesenden als bekannt war. Die Leute am Kontrolltisch hatten mir erklärt, IMEC sei eine spezielle Art von Kundschafter, die man auch nannte. Channels gewähren zeitweise anderen Energieformen Zugang zu ihrem Körper, so daß sie direkt mit anderen Menschen kommunizieren können. Hier hatten wir es also mit zu tun. Er sprach mit tiefer, kraftvoller, autoritätsbewußter Stimme - ganz anders in Intonation, Vokabular und Akzent als die sanfte IMEC. Die Stimme erinnerte mich an einen eingebildeten Philosophieprofessor aus meiner Studienzeit. Freunds erste Amtshandlung war, mich willkommen zu heißen und sich zu erkundigen, ob ich irgendwelche Fragen hätte. Ich war noch verblüfft von der Verwandlung, die ich soeben miterlebt hatte, und der Skeptiker in mir fragte sich, ob das Ganze vielleicht nur für mich inszeniert worden war. Ich stellte also eine Frage, vergaß aber in meiner Verwirrung, mein Mikrophon anzustellen. Auf meinem Mitschnitt von der Session befindet sich an dieser Stelle eine lange Lücke. Zu meiner Überraschung beantwortete Freund sofort ausführlich 206
meine Frage, obwohl er sie eigentlich nicht gehört haben konnte. (Und was noch irritierender war: in den folgenden Sessions mit IMEC unterbrach Freund jedesmal, wenn ich zur Formulierung einer Frage ansetzte, seine Abhandlungen und antwortete, bevor ich die Frage ausgesprochen hatte.) Der nächste Kundschafter war Harald Wessbecher, ein junger deutscher Architekt, außerdem Heiler und Medium. Normalerweise ein mitteilsamer, freundlicher, vor Selbstvertrauen und Charme sprühender Mann. Doch auch mit ihm vollzog sich in dem Würfel eine erstaunliche Wandlung. Nach langem Schweigen rief der Mann am Kontrolltisch seinen Namen. Zögernd antwortete eine kleine kindliche Stimme, anscheinend aus weiter Ferne, atemlos vor Scheu oder Angst. «Versuche mit einer hohen Informationsquelle in Kontakt zu kommen», sagte der Mann am Kontrolltisch. Während Harald das tat, beobachteten wir die Instrumente - die galvanische Hautreaktion veränderte sich mit außerordentlicher Geschwindigkeit. Ich wurde zum ersten Mal Zeuge eines Phänomens, das nach Aussagen von Bob Monroe zu den deutlichsten und wichtigsten Kriterien gehört, um zu entscheiden, ob jemand eine bedeutende Verschiebung des Bewußtseins erlebt, wie etwa eine außerkörperliche Erfahrung: Die Polarität des Körpers, sein elektromagnetisches Feld kehrt sich einfach um. Nach den Worten von Dave Wallis, Ex-Raumfahrtingenieur und jetzt technischer Direktor des Institutslaboratoriums, kann man sich diese Umpolung so vorstellen, «als ob jemand dir die Batterie rausnimmt, sie umdreht, und dann wieder reinsteckt. Das haut dich um! Was hat es zu bedeuten? Wer weiß?» Unterdessen war Harald in dem schwarzen Würfel unerwarteterweise in die medialen Netze irgendeines scheußlichen vergangenen Lebens geraten, das er als Zauberer und Geisterbeschwörer im alten Ägypten verbracht hatte. Er hatte Menschen geopfert, um sich ihre Lebenskraft anzueignen. Schließlich entkam er diesem vergangenen Leben und machte sich an die Erforschung der <Mysterien der Materialisation^ Nachdem er sich ein bißchen umgeschaut hatte, berichtete er: «Ich sehe hier so etwas wie ein Netz aus Energieströmen, die alle kreuz und quer in einem sehr dichten Netz miteinander in Verbindung stehen. Jedes Individuum, das heute im Netzwerk von Raum und Zeit existiert - Menschen, Tiere, Pflanzen - sendet diese Energieströme 207
aus, und sie verweben sich miteinander wie ein multidimensionales Spinnennetz. Ich sehe diese Ströme, sie sind wie Energieröhren. Und an den Kreuzungspunkten geschieht es: Materialisation.» Plötzlich klang Haralds Stimme wie die eines aufgeregten kleinen Jungen, der ein Feuerwerk sieht: «Wenn man einen Menschen anschaut, dann fließen aus jeder Zelle des Körpers in alle Richtungen diese Energieströme. Ein irrer Anblick!» Nach der Session fragte ich Harald, ob diese Ereignisse echte außerkörperliche Erfahrungen waren oder nur Produkte seiner Phantasie. Er antwortete: «Es kommt einem total unglaublich vor. Aber vielleicht macht es gerade die Tatsache, daß es so unglaublich ist, eher glaubhaft, einfach weil es so verrückt ist, daß ich mir nie zutrauen würde, von selber auf so etwas zu kommen!» Gedankenverloren schüttelte er den Kopf: «Die Wesenheiten machen, was sie wollen.» Ich war bei mehr als einem Dutzend Sessions dabei, und jedesmal brachten die Kundschafter Informationen zurück, die in höchstem Maße faszinierend waren. Dennoch begann mein innerer Skeptiker zu nörgeln: «Wie soll man das ganze denn überprüfen?» Dann aber kam die Stunde von Terri Pope, einer medial begabten Frau aus Virginia. Bisher hatte sie Informationen aus der (einer Ansammlung oder Mischung vieler nichtkörperlicher Intelligenzen, zu denen anscheinend auch der Geist oder die Energie von Gandhi gehört). Es ging um die Zukunft der menschlichen Rasse (große evolutionäre Veränderungen stehen uns bevor, darunter auch größere Füße und geschicktere und gelenkigere Hände). Jetzt aber wurde sie einem Test in Fernsichtigkeit unterzogen (also der Fähigkeit, einen weit entfernten Ort zu <sehen>, dessen genaue Position man gar nicht kennt). Terry bekam eine Adresse, die nur aus Breiten- und Längengraden bestand, bis auf Minute und Sekunde genau. Dann wies man sie an: «Schicke dein Bewußtsein an diesen Punkt, und wenn du da bist, berichte über deine Wahrnehmungen.» Es war ihr erster Versuch im . Schon nach kurzer Zeit berichtete sie, sie <sähe> eine Landstraße entlang eines Flusses, in der Nähe eines alten Ziegelgebäudes, das «Teil einer historischen Stätte oder eines Parks» war und mit irgendeiner «revolutionären geschichtlichen Periode» zusammenhing. In der Nähe befand sich ein Dorf mit «eng beieinanderstehenden Häusern». Später verglich man die Mit208
schrift ihres Berichts mit dem tatsächlichen Ort (der nur einem Menschen bekannt war, der aber an dieser Session nicht teilnahm). Es war ein Denkmal für Männer, die bei einer Revolution gestorben waren, und stand in der Nähe von Bagdad. Nah dabei verlief eine Straße, daneben ein Fluß, unweit davon lag ein Dorf mit eng beieinander stehenden Häusern. Das Denkmal war sehr alt, bestand aus roten Ziegeln und gehörte zu einem historischen Park. Sprachen diese Kundschafter wirklich mit Energie-Gruppen? Reisten sie wirklich jenseits der Grenzen von Zeit und Raum? Nach vier Tagen war ich nicht klüger. Zwei Dinge jedoch waren klar: Sie glaubten wirklich an das, was sie sahen. Und in ihrem Geist und in ihren Körpern geschah wirklich etwas Außergewöhnliches: Das war an den einzigartigen EEG-Mustern (der Mind Mirror zeigte extreme Synchronisation) , der Umkehr der Polarität und den raschen Veränderungen der galvanischen Hautreaktion abzulesen. Doch der Skeptiker in mir dachte weiter: Natürlich waren das alles sorgfältig ausgewählte Leute, mit einer deutlich erwiesenen Veranlagung für derartige Erfahrungen. Auch mit Hilfe der Hemi-Sync-Töne, sagte ich zu Bob Monroe, würden normale Menschen ohne mediale Begabung wie ich nie Zugang zu derart bizarren Parallelwirklichkeiten haben. Bob sagte: «Es ist ganz leicht.» Er lachte: «Sie werden ja sehen.»
ÜBER DIE SCHWELLE: LUST IN DER VORHÖLLE, MEDIALER SCHWERTKAMPF UND DAS WEISSE LICHT
Alle paar Wochen kam eine Gruppe von etwa zwanzig Personen im Institut an, um an den Wochenkursen in Entwicklung, Erkundung und Anwendung erweiterter Bewußtseinszustände> teilzunehmen. Ich hatte erwartet,! die anderen Teilnehmer würden merkwürdige Leute mit einem Hang zu Esoterik und Okkultismus sein, abgedrehte Typen wie von einem anderen Stern. Ich wurde eines Besseren belehrt: Da kamen ein Verkaufsfachmann, ein Lehrer, eine Universitätsbibliothekarin, eine Schauspielerin, ein Segelbootkapitän, ein Student der Wirtschaftswissenschaften, ein Organisator für politische Kampagnen und ein Psychologe - alle fest in dieser Welt verwurzelt, gebildet und voll intellektueller Neugier. Die meisten unter ihnen hatten wie ich 209
noch nie eine außerkörperliche oder sonstige mediale Erfahrung erlebt. Von Anbeginn war klar, daß in diesem Programm eine Reihe von Techniken zur Anwendung kam, mit denen sich die Verbindung zur normalen Realität lockern und die Erfahrung des Augenblicks intensivieren ließen. Wir mußten unsere Armbanduhren und Wecker abgeben. In dieser Woche aßen wir, wenn die Mahlzeiten fertig waren, gingen ins Bett, wenn wir müde waren, erschienen bei den Gruppensitzungen, wenn die Glocke klingelte - ohne Bezug zur äußeren Zeit. Es gab keine Tageszeitungen, Zeitschriften, Radios oder Fernsehgeräte, die uns durch Nachrichten über unseren Heimatplaneten hätten ablenken können. Die Teilnehmer nahmen keine Drogen ein. Von der Zivilisation abgeschlossen (wir verließen niemals das Institutsgelände) wußten wir bald nicht mehr, wie spät es war. Und es erschien auch nicht mehr sicher, ob da draußen wirklich eine Welt existierte. Der Hauptgrund für diese Bewußtseinsverschiebung schien die fast ständige Berieselung durch die Hemi-Sync-Tonbänder zu sein. Jeder Teilnehmer hatte in seinem Zimmer eine individuelle Schlaf- und Hörecke, eine sogenannte kontrollierte ganzheitliche Umwelt-Kammer (englisch: Controlled Holistic Environmental Chamber -CHEC). Die Wände waren gegen Geräusche und elektromagnetische Strahlung abgeschirmt, frische Luft und negative Ionen wurden von außen zugeführt. Dann setzte man Kopfhörer auf und zog den schweren schwarzen Vorhang vor den Eingang, so daß kein Licht mehr eindrang. Wir schliefen in unseren CHEC-Einheiten, umgeben von Ozeanwellen, die über Stereolautsprecher zu uns drangen, während aus den Kopfhörern die pulsierenden Hemi-Sync-Klänge flössen. Zum Aufwachen spielten die Lautsprecher ein fröhliches Lied, das durch schnelle Hemi-Sync-Rhythmen zusätzlich energetisiert wurde. Vorm Frühstück machten wir Streckübungen und T'ai Chi, während aus den Lautsprechern im Gruppenraum wieder Hemi-Sync-Töne erklangen. Den ganzen Tag lang hörten wir abwechselnd Hemi-Sync-Tonbänder (jeweils etwa eine Dreiviertelstunde lang) und versammelten uns dann wieder im Gruppenraum, um über unsere Erfahrungen zu sprechen und uns auf die nächsten vorzubereiten. Jeden Tag hörten wir ungefähr sieben Hemi-Sync-Bänder, die uns immer weiter weg vom gewöhnlichen Bewußtsein in eine erweiterte Bewußtheit trugen. 210
Anscheinend wirkten diese praktisch ununterbrochenen HemiSync-Erfahrungen kumulativ. Denn man war von der normalen Wirklichkeit abgeschlossen und hatte keinerlei Anhaltspunkte, an denen man die eigenen ins Wanken geratenden Wahrnehmungen hätte messen können. Während einer Kaffeepause am dritten Tag stand ich auf dem Balkon des Hauses und blickte über die Wiese auf die dicht bewaldeten Hügel im Hintergrund. Plötzlich bemerkte ich, daß ich diese Szenerie anders als sonst wahrnahm. Jedes einzelne Blatt war klar erkennbar, deutlich konturiert und hell, jeder Baum schien umgeben von vibrierenden strahlenden und blitzenden Energiefeldern. Die gesamte Landschaft erschien mir wie ein glühendes und vibrierendes Lichtspiel aus zahllosen grünen Feldern. Ich drehte mich zu dem Mann neben mir um und wollte ihm erzählen, was ich sah. Er lächelte mit großen Augen und nickte erleichtert: «Ja, freut mich, daß du es auch siehst.» Robert Monroe beschrieb mir das Seminar als ein Trainingssystem, das den Teilnehmern zur «Überwindung der Angstbarriere» und zum Fortschritt zu immer höheren Bewußtseinsstufen verhelfen sollte. Es sei als ob man Lichtungen in einen riesigen Dschungel schlüge und sich ein gemütliches Lager inmitten der großen unbekannten Wildnis einrichtete - umgeben von wilden Tieren. Und dann tiefer und tiefer in den Dschungel eindränge, bis die Pfade und Lichtungen schließlich vertrauter würden. Die Teilnehmer erlebten dieses Vorgehen mit zunehmendem Selbstbewußtsein und konnten immer geschickter mit den uns zur Verfügung gestellten Werkzeugen umgehen. Gleich am Anfang nämlich hatte man uns eine Reihe von Werkzeugen gezeigt, die uns helfen sollten, die normale Realität hinter uns zu lassen. Darunter eine mentale <Energieumwandlungsbox>, in die wir alle denkbaren Ablenkungen und weltlichen Sorgen packen sollten, bevor wir uns auf die Reise begaben. Auch sexuelle Phantasien gehörten in diese Box Monroe erzählte uns lachend, in der Frühzeit seiner außerkörperlichen Erfahrungen sei es sein größtes Problem gewesen, daß ihn häufig mitten auf der Astralreise ein unwiderstehliches Bedürfnis gepackt habe, mit seiner Frau zu schlafen. Dann sei er triebhaft in seine physische Hülle zurückgesprungen und habe sich der körperlichen Leidenschaft hingegeben. Außerdem zeigte man uns eine Atem- und Chant-Technik [ ist eine von östlichen Religionen übernommene Art des Singens, bei der ständig dieselben Formeln wiederholt werden - Anm. 211
d. Übs.], das sogenannte (deutsch etwa: Einstimmung auf Resonanzen), das uns bewußter und offener für den Einfluß von Klangschwingungen machen sollte. Als nächstes zeigte man uns, wie man sich mit den wechselnden Hemi-Sync-Rhythmen zu Fokus 10 bewegt, dem Zustand <schlafender Körper, wacher Geist>. Alsbald war uns das Ritual vertraut und angenehm: Wir benutzten die Energieumwandlungsbox, das und sanken in Fokus 10. Dann gingen wir über zu Fokus 12, einem Zustand, in dem sich die «bewußte Wahrnehmung über die Grenzen des physischen Körpers hinaus erweitert». Hier übten wir uns im Gebrauch des <Energy Bar> [deutsch etwa: Energiestab], eines Vielzweckgeräts, das ich mir ungefähr so vorstellte wie die Laserschwerter von Luke Skywalker und Darth Vader [Figuren aus dem Film Krieg der Sterne - Anm. d. Übs.]. Wir erkundeten Techniken der Selbstheilung, Problemlösung und der Erforschung nicht-physischer Wirklichkeiten. Bald waren wir in der Lage, uns rasch in Fokus 15 zu versetzen, einen Zustand, in dem die Zeit nicht existiert. Hier übten wir, in die Vergangenheit und Zukunft zu gelangen, und versuchten, mit nicht-materiellen Wesen Kontakt aufzunehmen. Mit unserem wachsenden Selbstvertrauen führte man uns auch in die Stufen oberhalb von 15. Jede Stufe stand in Beziehung zu einem Energiemuster unterschiedlicher Farbe, bis wir uns schließlich ganz oben im reinen weißen Licht von Fokus 21 befanden, der
den in der Dunkelheit schienen uns für andere zu sensibilisieren. Wenn die Gruppe sich nach dem Anhören der Bänder versammelte, berichteten wir von unseren Erfahrungen und profitierten von den Entdeckungen der anderen. Bei unserm ersten Sprung in Fokus 15 (dort, wo die Zeit nicht existiert) erblickte ein Mann einen großen Drehknopf, an dem sich die Geschwindigkeit der Zeit einstellen ließ. Diesen Knopf konnte er derart einstellen, daß er subjektiv viele Stunden in Fokus 15 verharren konnte, obwohl nur wenige Minuten der wirklichen Zeit> verstrichen. Das war ganz offensichtlich ein sehr brauchbares Instrument, deshalb übernahmen die meisten unter uns es für ihre zukünftigen Fokus-15-Erfahrungen. Auf unseren Ausflügen zu anderen Ebenen trafen wir häufig andere Gruppenmitglieder. Eine Frau erzählte der Gruppe, sie hätte mich in Fokus 12 gesehen, mit einer Rüstung bekleidet, auf einem weißen Pferd, ein Baby auf einem Arm. Auf meiner nächsten Reise begegnete ich selbst diesem Ritter, der ich selber war. Dabei stellte ich fest, daß das Baby auf dem Arm ebenfalls ich selbst als Kleinkind war. Eine dritte Person aus der Gruppe berichtete mir nachher, sie sei Zeugin dieser Begegnung geworden. Dieses Miteinanderteilen bereicherte unsere Erfahrungen und verlieh uns mehr Energie. Alle Zweifel, die wir eventuell in Bezug auf Wert und Wirklichkeit unserer Erfahrungen gehabt hatten, verschwanden. Jeder von uns machte total verrückte Erfahrungen, die allgemeine Begeisterung war ansteckend. Am Ende der Woche waren wir nicht nur Freunde geworden, sondern hatten auch intime Kenntnisse über die verborgensten Sehnsüchte, Phantasien und Ängste der anderen erworben. Wie durch einen seltsamen alchimistischen Prozeß schienen wir alle bedeutend verändert.
FUNKTIONIERT DAS DENN WIRKLICH?
Als ich nach der Gateway Voyage wieder zu Hause war, bemerkte ich einige Nachwirkungen. Zum Beispiel hatte ich mein Leben lang unter Schlafstörungen gelitten. Jetzt schlief ich tiefer und regelmäßiger. Die mitgebrachten Hemi-Sync-Bänder erwiesen sich als sehr wirksam, besonders kurz nach dem Aufwachen oder kurz vorm Einschlafen. Auch ohne Verwendung der Bänder konnte ich einige Stützräder 213
weglassen: Ich konnte mich in normalerweise streßgeladenen Situationen mit bestem Erfolg in Fokus 10,12 und 15 versetzen. Weit schwerer war es, ohne den Antrieb durch die Hochfrequenzimpulse der Tonbänder in die Zustände jenseits von Fokus 15 zu gelangen. Die Tonbänder über Fokus 15 werden nicht für den Hausgebrauch abgegeben. Und nur wenige meiner Reisen hatten den erstaunlichen Bilder- und Erlebnisreichtum der Erfahrungen am Institut. Das war verständlich, denn schließlich hatte ich am Institut viele Stunden täglich sensorisch depriviert in einem Kokon verbracht und nur die Bänder gehört. Zum Vergleich stelle man sich die mentalen Veränderungen vor, die man mit einfacher Meditation erreichen könnte, wenn man täglich sieben bis acht Stunden in völliger Dunkelheit meditierte. Wenn man zudem den Verstärkungseffekt des ständigen Kontakts mit zwanzig anderen Personen bedenkt, die ähnlich desorientierende Erfahrungen machen, außerdem die fast schon unheimliche Idylle um das Institut herum, dann hat man ein todsicheres Rezept für intensive spirituelle Erfahrungen. Im Rückblick hatte ich keinen Zweifel daran, daß mir und den anderen Gruppenmitgliedern einige sehr außergewöhnliche Dinge zugestoßen waren. Aber wieviel davon war durch die Hemi-Sync-Technik ausgelöst worden? Ich brannte auf Fakten, wissenschaftliche Beweise. Ein Großteil des verfügbaren Beweismaterials kommt von den Mitgliedern der professionellen Abteilung des Instituts - Ärzten, Psychologen, Pädagogen, Wissenschaftler, Therapeuten und anderen, die überall auf der Welt die Wirkungen der Hemi-Sync-Techniken in ihren Spezialgebieten erforschen und dokumentieren.* Die im Institut vorliegenden Forschungsergebnisse lassen darauf schließen, daß HemiSync bei Alkoholikern und Drogensüchtigen eindrucksvoll wirkt, daß es die Lernfähigkeit behinderter, zurückgebliebener, autistischer und emotional gestörter Kinder erhöht, daß es die Sehkraft verbessert, Schmerzen vor und nach Operationen lindert, kreatives Denken und Problemlösungsfähigkeiten fördert, Lernprozesse beschleunigt, die Erholung nach Schlaganfällen anregt, sensomotorische Fertigkeiten stimuliert und die schulischen Leistungen ganz wesentlich steigert. * Es befinden sich zur Zeit mehr als fünfzig Hemi-Sync-Tonbänder auf dem freien Markt, darunter Tonbänder zur Erhöhung der Konzentration, zur Verbesserung 214
LERNEN MIT DEM GANZEN GEHIRN
Einige der interessantesten Untersuchungen befassen sich mit der Beschleunigung und Verbesserung von Lernleistungen. Der Psychologe Dr. William Schul setzte einen <Sprachkompressor> ein und spielte seinen Versuchspersonen gesprochene Informationen in einem Tempo von tausend Worten pro Minute vor. Dabei konnte er durch Hemi-Sync die Aufnahme- und Erinnerungsfähigkeit deutlich erhöhen. [301] Eine Studie der U.S. Army Defense Information School in Fort Benjamin Harrison kommt zu dem Schluß, daß Studenten, die mit HemiSync arbeiten, eine 77,8-prozentige Verbesserung ihrer sensomotorischen Fähigkeiten erfahren und gleichzeitig weniger Streß, verbesserte Selbstkontrolle, höhere persönliche Motivation und Leistung hatten. Der Pädagoge Devon Edrington (Tacoma Community College) erforscht seit 1978 die Anwendungsmöglichkeiten des Hemi-Sync zu Lernzwecken. In einem unlängst erschienenen Aufsatz schrieb er, er habe Hemi-Sync an College-Studenten «in vier wichtigen Bereichen erprobt: 1. Verbesserung kognitiven Lernens; 2. Verbesserung mentalen Bilderlebens; 3. Förderung von Kreativität; 4. Linderung von Angst. Alle diese Verwendungsmöglichkeiten hängen von der Fokussierung der Aufmerksamkeit ab. Diese wird erreicht durch das Anbieten auditiver Stimuli in Frequenzen, die das Gehirn in einen geeigneten Zustand bringen und gleichzeitig die Hemisphären synchronisieren . .., um hemisphärische Rivalitäten auszuschalten.» Edrington und mehrere seiner Kollegen setzten Hemi-Sync im College in den verschiedensten Fachgebieten ein: Philosophie, Ethik, freie Rede, Psychologie, Zeichnen, schöpferisches Schreiben und Spanisch. In einer Studie wurden die Teilnehmer eines Psychologiesemider Golf- oder Tennistechnik, zum besseren Einschlafen, zur Schmerzreduzierung, zur Entspannung, zur Erhöhung der Gedächtnisleistung und zur Unterweisung in einer Reihe von Instrumenten und Techniken zur Selbstveränderung. «Waves of Change» (Wellen der Veränderung) heißt eine Serie von sechs Sets mit jeweils sechs Kassetten, eine systematische Anleitung zum Erreichen und Erforschen <erweiterter> Bewußtseinszustände. In vielen Fällen sind diese Bänder mit denen identisch, die auch bei den Gateway Voyages am Monroe Institut eingesetzt werden. Der erste Set, «Discovery» (Entdeckung) ist zugleich die beste Einführung in das Hemi-Sync-Verfahren und eine Anleitung zum Erreichen von Fokus 10. 215
nars in zwei Gruppen unterteilt. Beide Gruppen wurden von derselben Person unterrichtet, beide Gruppen bestanden aus 24 Studentinnen und Studenten, die Zusammensetzung der Gruppen war zufällig. Beide Gruppen nahmen an denselben Vorlesungen teil, lasen dieselben Bücher und absolvierten dieselben Prüfungen. Die Kontrollgruppe hörte sich ganz normal die Vorlesung an. Die andere Gruppe hörte gleichzeitig im Hintergrund einen Hemi-Sync-Rhythmus, den Robert Monroe speziell zur Verbesserung von Lernleistung, Gedächtnis und Aufmerksamkeit entwickelt hat. Die Hemi-Sync-Gruppe schnitt in allen Tests besser ab als die Kontrollgruppe, und zwar im Durchschnitt um 10,19 Prozent. Edrington dazu: «Das bedeutete, nach den üblichen Bewertungskriterien im Normalfall ein um eine Note verbessertes Abschneiden.» Auch die Lehrerin Jo Dee Owens aus Tacoma setzte, beeindruckt von Edringtons Ergebnissen, den Hemi-Sync an der Grundschule und der höheren Schule ein - mit großem Erfolg. Dann wurde die Schulaufsichtsbehörde von Tacoma auf die Methode aufmerksam und kam zu dem Schluß, daß Hemi-Sync wirklich außerordentlich wirkungsvoll sei, «Unabhängigkeit und kooperatives Verhalten», Aufmerksamkeit, Kreativität und kognitives Lernen fördere. Mittlerweile hat Edrington einen Hemi-Sync-Synthesizer entwickelt, der Hemi-Sync-Signale produziert, sie automatisch mit Musik oder anderen Geräuschen von einem Tonbandgerät oder Plattenspieler kombiniert und die so entstandene Mischung durch Stereokopfhörer oder Lautsprecher schickt. Da das von der Maschine produzierte Hemi-Sync-Signal in der Lautstärke grundsätzlich 20 Dezibel unter der Amplitude der gleichzeitig abgespielten Musik oder gesprochenen Worte liegt, bleibt es immer unhörbar. Das Gerät kann eine ganze Reihe verschiedener Signale erzeugen, darunter eine Mischung aus Theta und Delta (für Tiefenentspannung), reine Theta (für Visualisationen und , gefühlsbetontes Lernen), eine Mischung aus Theta, Delta und Beta (zur Fokussierung der Aufmerksamkeit und für kognitives Lernen) und eine Mischung aus Theta und Beta (zur Kombination von Visualisation und affektivem Lernen mit Aufmerksamkeit und kognitivem Lernen). Als Folge der Arbeit von Edrington und Owens wird der Synthesizer inzwischen an vielen öffentlichen Schulen zur Verbesserung der Lernleistung eingesetzt, darunter Tacoma, Boise, Idaho und Nelson 216
County in Virginia. Auch an vielen Universitäten ist Hemi-Sync in Gebrauch, darunter die Brown University Medical School, die University of Hawaii, die University of North Carolina, die University of Kansas Medical School und die Sprachschulen der amerikanischen Armee. Durch die Erfolge von Hemi-Sync ermutigt, beschloß Edrington genau zu analysieren, welche Wirkung die Technik auf Gehirnwellen hatte. Von allen Untersuchungen, die bis jetzt zu Hemi-Sync angestellt wurden, legt seine die schärfsten Kriterien an. Sie ist sorgfältig kontrolliert und wissenschaftlich eindrucksvoll. Edrington setzte seine Versuchspersonen in eine neutrale Umgebung (ein Bett in einem abgedunkelten stillen Raum) und spielte ihnen durch Stereokopfhörer diverse Klangstimuli vor, darunter Hemi-Sync im Theta-Bereich (4Hz), rosa Rauschen, Musik, rhythmische Impulse ohne Hemi-Sync, Stille und diverse Kombinationen dieser Stimuli. Die Ergebnisse waren überwältigend: Als Reaktion auf die 4-Hz-Hemi-Sync-Beschal-lung verstärkte sich bei den Versuchspersonen die Produktion von ThetaWellen ganz beträchtlich, und der Theta-Bereich «zeigte durchweg eine Erhöhung der Amplitude bei sämtlichen Versuchspersonen, was sich bei fast jedem Test bestätigte. Mit anderen Worten: Bei allen Versuchspersonen wurde der Theta-Bereich deutlich und auf Dauer angeregt.» Diese Koppelung trat nur als Reaktion auf Hemi-Sync ein. Des weiteren ergaben die Messungen der hemisphärischen Synchronisation eine signifikante Zunahme der Synchronisation bei 87 Prozent der Versuchspersonen. Nach der Studie, sagte mir Edrington, bestehen für ihn keine Zweifel mehr daran, daß Hemi-Sync einen direkten und signifikanten Koppelungs- und Synchronisationseffekt auf das Gehirn ausübt.
IM MAGISCHEN BEREICH: FAHRRADSTÜTZRÄDER ODER DAS HINTERBEIN EINES HUNDES?
Die Bedeutung von Edringtons Ergebnissen wird noch klarer, wenn man sie im Lichte verwandter Forschungen anderer Wissenschaftler betrachtet. Der renommierte Biophysiker Dr. Gerald Oster, der die oben erwähnten zukunftsweisenden Untersuchungen über die Wir217
kung binaurikularer Schwingungen durchführte, entdeckte, daß das Gehirn tatsächlich durch eine Anpassung an die Differenz zwischen den beiden Frequenzen reagiert. Mehr noch, er glaubt, daß die Schwingungen zwischen vier und sechs Hertz (der bei den Hemi-SyncBändern verwendete Theta-Bereich) einen geradezu <magischen Bereiche bilden. «Dieser Frequenzbereich hat einen kontemplativen Charakter, sehr angenehm und interessant.» Binaurikulare Schwingungen in diesem Bereich haben nach seinen Aussagen, eine «wahnsinnig beruhigende Wirkung». Bevor er allerdings diesen Schwingungen außergewöhnlich positive Wirkungen zuspricht, wünscht er sich weitere Forschungen. Es besteht aber für ihn kein Zweifel, daß die Verwendung dieser Signale eine bewußtseinsverändernde Wirkung haben kann. Er schließt: «Wenn's aber einfach um Entspannung geht, dann ist da garantiert etwas dran!» Wahrscheinlich die bedeutendste Autorität auf dem Gebiet der hemisphärischen Synchronisation ist Dr. Lester Fehmi, der Direktor der Princeton Behavioral Medicine and Biofeedback Clinic. Er forschte mit Hilfe von Multikanal-EEG-Überwachungsgeräten, die ein Bild der gesamten Gehirnaktivität liefern. Fehmi bestätigt, daß sich hemisphärische Synchronisation und eine Koppelung auf die Gehirnwellen durch binaurikulare Schwingungen erzeugen lassen. Seine umfangreichen Forschungen lassen vermuten, daß dieser Zustand recht wohltuend ist. Er sagte mir: «Dabei tritt eine sensorische Integration des gesamten Gehirns ein. Es ist, als ob man sich selbst weniger beobachtet und verunsichert. Man funktioniert eher intuitiv ... Das Spektrum des Bewußtseins wird beträchtlich erweitert, so daß man viel mehr Erfahrungen gleichzeitig machen kann.» Nach Fehmis Ansicht könnte eine Kombination von niederfrequenten Signalen mit hochfrequenten Schwingungen (die Monroe ja für seinen <schlafender Körper, wacher Geist>-Zustand einsetzte) zu einer Situation führen, in der man «durchaus nicht den Faden der logischen, eingeschränkten und zielgerichteten Aufmerksamkeit verlieren müßte. Diese Funktionen könnten also innerhalb des ganzheitlichen integrierten Gehirns, in dieser diffusen ozeanischen Erfahrung, durchaus weiterexistieren.» Der Biofeedback- und Gehirnwellen-Experte Dr. Eimer Green (Menninger Foundation in Topeka, Kansas) Mitautor des Werkes Beyond Biofeedback, ist sich mit Fehmi über die potentiellen Möglich218
keilen der Gehirnsynchronisation einig («In meinen Augen stellt sie einen Lernzustand dar»). Er ist überzeugt, daß die erhöhte Amplitude im Theta-Bereich von einzigartiger Wirkung ist, indem sie «integrative Erfahrungen» erzeuge und «neue und gültige Ideen oder Synthesen von Ideen», die aus «der Intuition unbewußter Quellen» entsprängen. Die Forschungen dieser Wissenschaftler scheinen Bob Monroes Behauptungen zu stützen, daß sein Hemi-Sync-System durch Hemisphärensynchronisation und erhöhte Amplitude der Theta-Wellen positive körperliche und geistige Veränderungen bewirke. Allerdings äußern sich sowohl Green als auch Fehmi nur zurückhaltend über Hemi-Sync. Fehmi sagt: «Es wirkt zweifellos, aber man lernt dadurch nicht, wie man den Zustand selber erzeugen kann. Es ist eher wie eine Pille - man weiß nicht, wie die Pille wirkt, man weiß nicht, warum diese Klänge wirken. Nachher ist man durchaus erfrischt. Aber wäre es nicht viel besser, wenn man ein Gerät hätte, mit dem man in sich selbst die Vorbedingungen zur Erzeugung dieser Synchronisation schaffen könnte? Das könnte man dann überall ohne weitere Hilfsmittel anwenden und schließlich diese Funktionen ins Alltagsleben integrieren. Ich bin an Selbstbeherrschung interessiert, und andere Zugangsweisen erfüllen diese Bedingungen eben nicht.» Green sieht es ähnlich: «Wir versuchen, das Gehirn nicht in irgendwelche Zustände hineinzutreiben, sondern Menschen zu zeigen, wie man Kontrolle über das eigene Gehirn erlangen kann: kontrollierte Synchronisation ohne äußere Beeinflussung... Man hat einmal versucht, einen Hund zur Kontrolle seines Zentralnervensystems zu bringen, indem man systematisch sein Hinterbein anhob. Damit man das Zentralnervensystem von außen. Die haben das Hinterbein bestimmt zehntausendmal angehoben, und der Hund hat trotzdem nichts gelernt! Dann aber haben sie's mit Elektroschocks versucht, so daß er das Bein selber heben mußte. Schon nach fünf Sitzungen hatte er's gelernt. Mit anderen Worten: Ich glaube nicht, daß man durch passive Beeinflussung viel ausrichten kann. Nur wenn man etwas wirklich will, um aus einer unangenehmen Lage zu entkommen oder um etwas zu leisten, dann lernt man auch etwas. Eine Menge Leute haben LSD genommen und dabei interessante Erfahrungen gemacht. Haben die etwa im späteren Leben etwas Besonderes geleistet? Nein! Denn sie haben dabei nie etwas gelernt.» 219
Als Antwort auf solche Kritik behauptet Bob Monroe, seine Erfahrungen mit Tausenden von Versuchspersonen hätten gezeigt, daß «sich spezifische Hemi-Sync-Zustände lernen und auch ohne den ursprünglichen Reiz wieder herbeiführen lassen». Stützräder, die nach kurzer Zeit nicht mehr gebraucht werden, also. Green stellt die Frage: «Hat das schon mal jemand untersucht? Wo sind die Daten?» Wieder einmal werden wir Zeuge der Konfrontation zwischen den GehirnmaschinenPionieren mit ihrem überschäumenden Optimismus, ihrem Vertrauen in das Wissen, das aus dem Bauch kommt, ihren , und auf der anderen Seite den reinen Wissenschaftlern mit ihrer angeborenen Skepsis und ihrem Verlangen nach harten Daten und unwiderlegbaren Beweisen. Green, mit Monroe und dem Gateway Programm durchaus vertraut, überschüttete mich mit skeptischen Fragen: «Es steht außer Frage, daß die Teilnehmer der Gateway-Kurse sehr reale Erfahrungen machen. Doch wieviele davon werden durch ihre Erwartungen beeinflußt? Das hat niemand untersucht. Erwartungen und der PlaceboEffekt sind ungeheuer stark, wie soll man da den wahren Grund herausfiltern? Es gibt viele Leute, die in Trance geraten, wenn sie sich einfach hinlegen und bestimmte Geräusche, etwa weißes Rauschen, hören. Bevor man nicht alle anderen Faktoren ausschaltet, kann man nicht wissen, was Hemi-Sync zu verdanken ist und was einfach auf die Gesamtumstände zurückzuführen ist. Monroe stellt ja wirklich eine eindrucksvolle Inszenierung auf die Beine. Man geht rein, legt sich auf ein Wasserbett, macht all diese Prozeduren mit, sehr eindrucksvoll, und die erzählen einem schon vorher, was man alles erleben wird. Wie kann man so was machen, schließlich haben die doch ihr Hemi-Sync und ihre Erfahrungen, da kann man den Leuten doch nicht schon vorher alles verraten! Ich sage nicht, daß Hemi-Sync nicht wirkt, ich sage nur: Wo sind die Beweise? Ich bin ein geborener Skeptiker. Es fällt mir schwer, einfach zu glauben, besonders wenn keine Daten vorliegen. Wenn die Leute hingehen, weil ihnen solche Erfahrungen gefallen, okay! Dagegen ist nichts zu sagen. Aber vielleicht werden diese Erfahrungen eben nicht durch ein bestimmtes Gerät ausgelöst.» Edringtons Forschungen der letzten Zeit beantworten diese Fragen zum Teil: Hemi-Sync hat eindeutig signifikante bewußtseinsverändernde Wirkungen. Doch als Green von den diversen Unsicher220
heitsfaktoren sprach, erschien in meinem Kopf ein Bild von Bob Monroe bei einem Vortrag vor unserer Gruppe. Ich hatte gefragt, warum bisher keine verifizierbaren Studien von Leuten vorlägen, die im außerkörperlichen Zustand zum Beispiel nach San Francisco gereist wären, dort mal eben die Tageszeitung gelesen hätten und mit diesen Informationen zurückgekehrt wären. Monroe hatte nur gelacht: «Eine außerkörperliche Reise von hier nach San Francisco kann man mit einer Autofahrt durch dichten Nebel vergleichen. Das macht nicht gerade Spaß. Man fährt vielleicht einmal im außerkörperlichen Zustand nach San Francisco, dann wird's langweilig, schrecklich langweilig sogar. Warum sollte man das also tun, wenn droben in den höheren Gefilden all die hellen Lichter und aufregenden Abenteuer auf einen warten? Da oben ist ja unser eigentliches Zuhause. Man hat das Gefühl, daß man genau da hingehört. Mit solchen Alternativen bleibt man doch nicht hier unten in der irdischen Tretmühle! Die Wissenschaftler bauen ihre Versuchsanordnungen auf, aber sobald die Versuchspersonen ihren Körper verlassen haben, sind sie - hui - auf und davon!» Monroe lachte und zeigte nach oben. Kein Zweifel, hier müssen weitere Forschungen angestellt werden. In der Zwischenzeit kann aber jeder Mensch einen Teil dieser Forschung selber betreiben. Das Ziel der Forschung ist die Antwort auf gewisse Fragen: Erzeugen die binaurikularen Schwingungen von Hemi-Sync im Benutzer eine Bewußtseinsveränderung? Wird dieser Zustand als wohltuend, nützlich oder angenehm empfunden? Kann man lernen, diese Zustände willentlich auszulösen? Es geht nicht um Forschungen an manipulierten Genen oder radioaktivem Material, man braucht keine Geräte im Wert von Milliarden, keinen Doktortitel der Mikrobiologie oder Nuklearphysik. Man braucht auch nicht an außerkörperliche Erfahrungen zu glauben, was immer es damit auf sich hat. Oder an Bob Monroes geheimnisumwitterte gnostische Lehre vom spirituellen Wert der Ablösung von der physischen Ebene - so bezaubernd und exotisch diese Anschauungen auch sein mögen. Alles was man braucht, sind ein wenig Neugier und einen Kassettenrecorder mit Kopfhörern. Man kann diese Forschungen zuhause durchführen, in der Freizeit. Die Werkzeuge sind frei zugänglich. Vergewissern Sie sich selbst! 221
13 DIE GEHIRNSCHRITTMACHER: AUDIOVISUELLE SYNCHRONISATION
Ich habe einmal eine Zeitlang allein im Gebirge gewohnt. Dabei verbrachte ich einen Großteil meiner Zeit damit, ins Feuer zu starren. Neben dem Schuppen hatte ich aus ein paar Steinen eine Feuerstelle gebaut und abends saß ich dort auf einem Stück Holz und schaute in die züngelnden Flammen und die vielfarbige mal tiefrot, mal hell und weiß leuchtende Glut. Ich geriet in eine Art Halbtrance, sah Bilder und ganze Szenen vor mir, die durchaus realistisch waren - Städte, die sich in der Wüste erhoben, marschierende Armeen, eine Gruppe von Nonnen, die mit untergehakten Armen spazierengingen, Affen, die sich von Baum zu Baum schwangen. Ich wußte, daß diese Dinge nicht wirklich da waren, aber ich wußte auch, daß ich sie nicht wahrnehmen würde, wenn ich nicht ins Feuer starrte. Die ständig wechselnden flackernden Lichter regten Visionen in meinem Kopf an. Manchmal fühlte ich mich losgelöst von der Zeit - nicht wie ein Staatsbürger des zwanzigsten Jahrhunderts, sondern einfach nur als Mensch, der in dasselbe Feuer starrte, in das die Menschen schon seit Hunderttausenden von Jahren starren und immer dieselben Dinge sehen. Plötzlich wurde mir klar, wie geheimnisvoll das Feuer unseren frühen Vorfahren erschienen sein muß, und wie unterhaltsam - wer braucht schon einen Fernseher, wenn er diese ständige Bildquelle vor sich hat? Seit der Entdeckung des Feuers wissen die Menschen, daß ein flackerndes Licht visuelle Halluzinationen verursachen kann. Sowohl antike als auch moderne Wissenschaftler haben dieses Phänomen beobachtet. Als Ptolemäus etwa 200 Jahre vor Christus ein sich drehendes Rad zwischen die Sonne und einen Beobachter stellte, bemerkte 222
er, daß bei einer bestimmten Drehgeschwindigkeit die Speichen des Rades für den Beobachter scheinbar unbeweglich wurden oder sich gar rückwärts bewegten (ein Phänomen, das alle kennen, die schon einmal eine Kutschenverfolgungsjagd in einem Western gesehen haben). Außerdem bemerkte Ptolemäus, daß das Flackern des Sonnenlichts durch die Speichen des sich drehenden Rades Muster und Farben vor dem Auge des Betrachters entstehen lassen und ein Gefühl der Benommenheit und Euphorie erzeugen konnte. Im neunzehnten Jahrhundert bemerkte der französische Psychologe Pierre Janet, der einen bedeutenden Einfluß auf Sigmund Freud ausgeübt hat, daß die Patienten des Salpetriere-Krankenhauses in Paris weniger hysterische Anfälle hatten und entspannter wurden, wenn man sie flackerndem Licht aussetzte. Die moderne Wissenschaft hat versucht, dieses Phänomen zu analysieren. Natürlich waren die dabei verwendeten Lichtquellen technisch komplizierter als ein einfaches Feuer. Der Neurologe W. Gray Walter führte in den späten Vierzigern und in den fünfziger Jahren eine Versuchsreihe durch, bei der er ein elektronisches Stroboskop in Kombination mit EEG-Instrumenten einsetzte. Dabei wurden die Augen der Versuchspersonen mit rhythmischen Lichtblitzen in Frequenzen zwischen zehn und fünfundzwanzig Blitzen pro Sekunde bestrahlt. Zu seiner Überraschung schien das Flackern die Gehirnwellenaktivität des gesamten Kortex zu verändern, nicht nur die für das Sehen zuständigen Bereiche. Walter schrieb damals: «Die rhythmische Folge der Blitze bricht anscheinend die physiologischen Barrieren zwischen verschiedenen Gehirnregionen zum Teil nieder. Der Stimulus des Flakkerns, der von der visuellen Projektionsfläche des Kortex empfangen wird, durchbricht Grenzen - strahlt in andere Bereiche aus.» Noch rätselhafter waren die subjektiven Erfahrungen der Menschen, die den Blitzen ausgesetzt waren: «Die Versuchspersonen berichteten von Visionen von Kometen, überirdischen Farben, Farben geistiger, nicht visueller Art.» Das Flackern der Lichter veränderte die EEGs der Versuchspersonen derart, daß sich die Gehirnwellen dem Rhythmus der blinkenden Lichter anpaßten - was allerdings nicht die merkwürdigen visuellen Phänomene erklärte. Dieses Phänomen war bereits allgemein bekannt. Schon unmittelbar nach der Entwicklung der ersten EEG223
Aufzeichnungsgeräte Ende der zwanziger Jahre hatten die Forscher bemerkt, daß photische (Licht-) Stimulation das EEG verändern konnte. 1934 stellten Wissenschaftler fest, daß sich das EEG-Muster nicht nur durch wiederholte visuelle Stimulierung auf einer bestimmten Frequenz verändern ließ, sondern daß auch das Gehirn rasch darauf reagierte, indem es sich eben dieser Frequenz anpaßte. Dieser Effekt ist als photische Beeinflussung (englisch: photic driving) bekannt. Es ist das visuelle Äquivalent zu der Reaktion, über die Monroe und andere zufällig im Bereich des Hörens gestolpert waren. In den sechziger Jahren erfuhren einige britische Künstler und der amerikanische Schriftsteller William Burroughs von Walters Experimenten. Sie waren fasziniert von den Berichten, daß visuelle Beeinflussung in bestimmten Frequenzen anscheinend visuelle Halluzinationen verursachte, bauten eine einfache Maschine, die nach diesem Prinzip arbeitete, und nannten sie (Traummaschine). Einer der Erfinder beschrieb sie folgendermaßen - ganz im aufrüttelnden, apokalyptischen Stil der psychedelischen Ära: Die Traummaschine ... ist ein Zylinder mit Löchern, der sich um eine Lichtquelle herum dreht und so ein stroboskopisches Flackern auf den geschlossenen Augenlidern des Benutzers hervorruft. Flakkern in einer bestimmten Frequenz verändert die Alpha- beziehungsweise die abtastenden Rhythmen des Gehirns, wie die elektroenzephalographische Forschung beweist. Die Versuchspersonen berichten von blendenden Lichtern von überirdischer Strahlkraft und Farbe, die während der Dauer der Bestrahlung an Größe und Komplexität noch zunehmen. Ist das Flackern in derselben Phase wie die Alpha-Rhythmen der Versuchsperson, dann sieht sie ausgedehnte Felder aus farbigen Mustern, die sich über das gesamte Sehfeld erstrecken, 360 Grad halluzinatorische Visionen, in denen verschiedene Bildkonstellationen erscheinen. Aufwendige geometrische Konstruktionen von unglaublicher Komplexität verwandeln sich aus einem multidimensionalen Mosaik in lebende Feuerbälle (wie die Mandalas des östlichen Mystizismus). Oder sie lösen sich von einem Augenblick zum ändern in scheinbar individuelle Bilder und packende dramatische Szenen wie farbenprächtige Träume auf... Das Flackern ist eine Grenzerfahrung induzierten Erle224
bens, die durch die Veränderung der Lichtgeschwindigkeit hervorgerufen wird, um den größten Teil unserer Alpha-Rythmen einander anzugleichen. Das Flackern schafft eine verblüffende Vielfalt von Bildern in ständig wechselnder Interaktion. Im Vergleich dazu erscheinen die und der sogenannten <modernen> Kunst absolut ineffektiv und langsam. Kunstgeschichte wird nicht länger erschaffen. Kunstgeschichte als Aufzählung einzelner Bilder ist durch die Einführung des Lichts als vorrangigem Agens bei der Erschaffung von Bildern beendet. Diese Bilder sind allumfassend, von unbegrenzter Vielfalt und Komplexität. Der Komet heißt Licht. [64] Im Laufe der sechziger Jahre wuchs das wissenschaftliche Interesse an dem Flackereffekt, aber erst Anfang bis Mitte der siebziger Jahre kam es zu einem großen Aufschwung, als plötzlich reihenweise überall auf der Welt unabhängige Studien dieser Phänomene durchgeführt wurden. [9, 53, 74, 111, 163, 242, 257, 275, 360, 374, 379] Es wurde wiederholt bestätigt, daß rhythmisch blitzende Lichter eine rasch eintretende Koppelungswirkung auf Gehirnwellen hatten. Die Forscher verifizierten allerdings nicht nur die photische Anregung, sondern untersuchten auch ihre Auswirkungen bei den Versuchspersonen. Dabei kamen sie zu überraschenden und aufregenden Ergebnissen, die vermuten ließen, daß man mit der photischen Stimulation ein machtvolles Werkzeug zur Verbesserung der Funktionen von Geist und Körper in der Hand hatte. Unabhängig von einander entdeckten mehrere Forscher, daß: - auf bestimmten Frequenzen (insbesondere im Alpha- und ThetaBereich) das rhythmische Flackern Ängste während der Zeit der Stimulation lindern konnte; - Personen, die derart stimuliert worden waren, über einen langanhaltenden und substantiellen Rückgang ihrer Ängste berichteten; - das blinkende Licht in eben diesen Frequenzen in den Versuchspersonen einen Zustand tiefer körperlicher Entspannung und geistiger Klarheit auslöste; - man durch photische Stimulation das Gehirn in der Modifizierung seiner EEG-Frequenzen konnte; - sich nach solch einem Training die verbale Ausdrucksfähigkeit der 225
Versuchspersonen und ihre verbalen Leistungen bei Intelligenztests erhöhten; - auf bestimmten Frequenzen (wieder im Alpha- und Theta- Bereich) das blinkende Licht die Hypnotisierbarkeit und die Empfänglichkeit für Suggestionen bei den Testpersonen erhöhte; - flackernde Lichter die beiden Hemisphären des Gehirns in einen Zustand größerer Kohärenz und Synchronisation bringen konnten; - eine derartige Kohärenz zwischen den Hemisphären in Beziehung zu verbesserten intellektuellen Funktionen steht; - bei Kindern bis zum Alter von vierzehn Jahren die am häufigsten erzeugte Frequenz Theta ist, bei Erwachsenen hingegen Beta. Das heißt, der Prozentsatz von Theta-Wellen im normalen EEG nimmt mit dem Alter ab, während die Menge der Beta-Wellen steigt. Indem man nun die Gehirnwellen eines Erwachsenen im Theta-Bereich anregt, kann der Erwachsene zu einem freieren, eher kindlichen Geisteszustand zurückkehren, der sich durch lebhaftes und spontanes geistiges Bilderleben und phantasievolles, kreatives Denken auszeichnet. Während diese Vielzahl von Untersuchungen zur photischen Anregung von Gehirnwellen im Gange war, beschäftigten sich andere Forscher mit der auditiven Anregung von Gehirn wellen. Sie überwachten das Gehirn mit EEG-Geräten, während sie es mit Klängen stimulierten, etwa rhythmischem Klicken, Tönen, pulsierendem weißem Rauschen. Dabei stellte sich heraus, daß das Gehirn auf auditive rhythmische Stimulation mit erhöhter Gehirnwellenaktivität der entsprechenden Frequenz reagiert. Allein durch die Anwendung rhythmischer Klänge war es möglich, die Gehirn Wellentätigkeit zu beeinflussen, obwohl der Kopplungseffekt von Tönen allein nicht so wirkungsvoll und dauerhaft wie der von Licht schien. Außerdem erwies sich, daß auditive ebenso wie die photische Beeinflussung, die beiden Hälften des Gehirns in einen Zustand größerer hemisphärischer Kohärenz und Synchronisation brachte.
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SON ET LUMIERE: EINE IDEE SETZT SICH DURCH
Wenn sowohl flackerndes Licht als auch pulsierende Klänge alleine genommen die Gehirnwellenaktivität koppeln und die hemisphärische Synchronisation verbessern konnten, dann würde wohlmöglich eine Kombination von Klang- und Licht-Stimulation diesen Effekt noch verstärken. Fasziniert von den Möglichkeiten, machte sich eine Reihe unabhängiger Forscher daran, die Wirkungen kombinierter Klangund Licht-Stimulation zu untersuchen und neue Geräte zu entwickeln. Die Zeit war reif für die Entwicklung und Anwendung von Klangund-Licht-Maschinen beziehungsweise audiovisuelle Integratoren (AVI). Die Anwendung von Stroboskoplicht in Verbindung mit der psychedelischen Rockmusik der sechziger Jahre (und oft auch in Verbindung mit psychedelischen Drogen) hatte das Bewußtsein von Millionen Menschen für die faszinierenden visuellen und mentalen (und in manchen Fällen auch spirituellen) Wirkungen des flackernden Lichts aufnahmebereit gemacht. Auch auf die Wissenschaft blieb diese Popularität nicht ohne Wirkung, wie sich an dem plötzlichen Aufschwung in der wissenschaftlichen Erforschung der photischen Beeinflussung in den siebziger Jahren ablesen läßt. Auch waren die Menschen schon immer von den Auswirkungen rhythmischer Klänge fasziniert gewesen. Seit frühester Zeit war man sich der bewußtseinsverändernden und gehirnwellenstimulierenden Wirkungen rhythmischer Geräusche bewußt, was sich an den hochentwickelten Techniken der auditiven Beeinflussung erkennen läßt, die die Medizinmänner und Schamanen der Stammesvölker schon vor Tausenden von Jahren entwickelt haben. Der Anthropologe und Schamanismus-Experte Michael Harner erläutert: «Die grundlegenden Instrumente zum Eintritt in den schamanischen Bewußtseinszustand sind Trommel und Rassel. Der Schamane beschränkt im allgemeinen den Gebrauch von Trommel und Rassel auf die Auslösung und Aufrechterhaltung des schamanischen Bewußtseinszustandes ... Der repetitive Klang der Trommel ist grundlegend für die Vollbringung der Aufgaben im schamanischen Bewußtseinszustand. Mit gutem Grund sprechen sibirische und andere Schamanen gelegentlich von ihren Trommeln als oder , die sie in die niederen oder höheren Welten transportieren. Der regelmäßige monotone Schlag 227
der Trommel wirkt wie eine Trägerwelle, die ihm zunächst zum Eintritt in den schamanischen Bewußtseinszustand verhilft und diesen dann auf seiner Reise aufrechterhält.» Bei der Untersuchung der Auswirkungen des Trommelklangs auf die EEG-Muster stellte der Forscher Andrew Neher fest, daß rhythmische Schläge die Gehirnwellenaktivität geradezu dramatisch verändern. Andere Beobachter schamanistischer Rituale haben nach Aussagen Harners festgestellt, «daß während der Initiationsriten Trommelschlagfrequenzen im Theta-Bereich vorherrschten.» Die Menschen sind sich der bewußtseinserweiternden Kraft der Musik immer deutlich bewußt gewesen. Musik ist nichts anderes als eine Folge rhythmischer auditiver Signale. Tausende von Jahren haben Musiker und Komponisten bewußt und absichtlich die Gehirnzustände ihrer Zuhörer beeinflußt, indem sie die Frequenz der Rhythmen und Töne ihrer Musik manipulierten. Seit langem auch sind die Menschen fasziniert von der möglichen Einflußnahme auf mentale Funktionen durch die Kombination rhythmischen Lichts und rhythmischer Klangstimulation. Die alten Rituale zum Erreichen des Trance-Zustands umfaßten oft sowohl rhythmische Klänge, in Form von Trommelschlägen, Rasseln, Beckenschlägen oder Gesängen, als auch flackernde Lichter, erzeugt von Kerzen, Fackeln, Freudenfeuern oder von langen Reihen menschlicher Körper in rhythmischem Tanz, deren Formen nacheinander am Lagerfeuer vorbeihuschten und das Licht in hypnotische rhythmische Blitze zerhackte. Einige Komponisten, so etwa Scriabin, haben in der Vergangenheit sogar Musik geschaffen, die in Kombination mit rhythmischen Lichtspielen genossen werden sollte. Der technische Fortschritt ermöglichte noch weit wirksamere Kombinationen von Klang und Licht. Zu den bewegten Bildern des Stummfilms kam bald die Hintergrundmusik (der <Soundtrack>). Rasch hatten die Filmemacher begriffen, wie sehr der Klang zur Verstärkung der flackernden Bilder auf der Leinwand beitragen konnte. Filme wie Vom Winde verweht oder Der Zauberer von Oz waren bereits audiovisuelle Erfahrungen, in denen der rhythmische Klang sich so mit den flackernden Lichtern des Films verband, daß im Bewußtsein der Zuschauer Veränderungen bewirkt wurden, die bei alleiniger Verwendung von Klang oder Licht nicht vorstellbar gewesen wären. Die Kombination 228
von gewaltig verstärkten elektronischen Musikinstrumenten mit psychedelischen Stroboskop-, die in den Rockkonzerten der Sechziger üblich wurde, konnte rasche und tiefgreifende Bewußtseinsveränderungen hervorrufen. Immer in der Geschichte hat man sich technische Fortschritte rasch zunutze gemacht, wenn es darum ging, die menschliche Begeisterung durch rhythmische Klänge und Licht zu stimulieren. Im Laufe der siebziger und auch Anfang der achtziger Jahre begannen die Wissenschaftler besser zu verstehen, wie Klang und Licht die elektrochemische Aktivität des Gehirns beeinflussen. Die Folge war die bereits erwähnte Flut von Untersuchungen, die sich mit photischen und auditiven Koppelungseffekten und hemisphärischer Synchronisation befaßten. In den frühen achtziger Jahren war der Zeitpunkt für einen Durchbruch der Kombination von Klang und Licht gekommen. Katalysator war die damals stattfindende Revolution der Mikroelektronik. Sie ermöglichte elektronisch bewanderten Heimwerkern und Hobbyerfindern den Bau erstaunlich hochentwickelter und komplizierter Geräte zur Erzeugung und Kombination von Klang und Licht. Wie bei so vielen guten Ideen kamen viele Menschen gleichzeitig auf denselben Einfall. Innerhalb eines kurzen Zeitraums brachten eine ganze Reihe von Erfindern eine Vielzahl audiovisueller Integratoren (AVI) auf den Markt. Die Modelle waren in vieler Hinsicht unterschiedlich, hatten aber auch einige Charakteristika gemeinsam. Sie hatten Augenstimulatoren (die oft einfache, abgewandelte Ski- oder Schweißbrillen waren), in denen Miniaturlichter um die Augen herum angeordnet waren. Diese Brillen waren an ein Schaltpult angeschlossen, mit dessen Hilfe der Benutzer Intensität und Muster der Blitze bestimmen und jede Frequenz zwischen extrem hohem Beta und sehr langsamen Delta per Drehknopf wählen konnte. Außerdem verfügten alle Geräte über Stereokopfhörer, die auch an das Schaltpult angeschlossen waren. Mit ihnen konnte der Anwender eine fast unbegrenzte Vielfalt elektronisch synthetisierter Klänge in jeder beliebigen Intensität und Frequenz abrufen (Klicken, Herzschlag, Meeresrauschen, weißes Rauschen und ein buntes Spektrum musikalischer Klänge). Durch computergesteuerte Schaltsysteme verbanden die Geräte auditive und visuelle Impulse zu einem synchronen 229
Ganzen. Blitze und Klänge wurden gemeinsam langsamer oder schneller. Wenn die Lichter das Gehirn durch die Sehnerven auf einer Frequenz von zum Beispiel 8 Hz stimulierten, dann wurden durch die Gehörgänge Klänge eben dieser Frequenz eingegeben. Nach den Vorstellungen der Erfinder sollten so die Gehirnwellen auf zwei Wegen gleichzeitig angeregt oder gekoppelt werden. Diese Geräte erweiterten auch die Kombinationsmöglichkeiten von photischer und auditiver Anregung, indem sie den Benutzer zwischen vier verschiedenen Modi der Gehirnstimulation wählen ließen: man konnte die Impulse simultan beiden Augen und Ohren zuführen, oder abwechselnd Augen und Ohren (erst blitzt es vor den Augen, dann ertönt ein Geräusch in den Ohren), oder abwechselnd linkem Auge und Ohr und rechtem Auge und Ohr, oder schließlich überkreuz, durch abwechselnde Stimulation des rechten Ohrs und des linken Auges und dann des linken Ohrs und des rechten Auges. Vor der Revolution der Mikroelektronik wären solche computergesteuerten Geräte ungeheuer teuer und ihre Schaltkreise und Komponenten sperrig und unhandlich gewesen. Die neuen audiovisuellen Stimulatoren aber waren relativ preisgünstig und klein - die ersten Modelle waren zum Teil nicht größer als eine tragbare Schreibmaschine, und schon bald kamen solche auf den Markt, deren Schaltpulte nicht größer als ein Kartenspiel waren. Die wissenschaftliche Erforschung der photischen Beeinflussung zeigte klar und deutlich, daß die Gehirnwellen sich den Lichtfrequenzen anpaßten und die Hemisphären sich synchronisierten. Auch bei auditiver Beeinflussung wurde die Anpassung der Gehirnwellen nachgewiesen. Mit diesen neuen AVIs hofften die Erfinder durch die Kombination beider Stimulationsarten noch durchgreifendere Wirkungen zu erzielen. Schon bei den ersten Versuchen übertrafen die Wirkungen alle Erwartungen - die Kombination von Klang und Licht in variablen Frequenzen schien den Möglichkeiten von hemisphärischer Synchronisation und kontrollierten EEG-Mustern eine völlig neue Qualität zu geben. Die Versuchspersonen verfielen nicht hur rasch in einen Zustand tiefer Entspannung des ganzen Körpers, sondern berichteten auch von einem kaleidoskopartigen Strom brillanter und gefühlsmäßig aufgeladener Bilder. Ähnlich wie der , zu dem ich weiter oben 230
den Neurologen W. Gray Walter und William Burroughs zitiert habe, aber anscheinend noch intensiver. Oft erlebten die Anwender lebhafte Szenen, die ihnen außerordentlich wirklichkeitsnah erschienen (als ob sie wirklich selber dabei wären). Oder auch Visionen, die sich in eine Art von Geschichte, in eine Reihe verbundener Szenen oder Bilder verwandelten. Diese Szenen waren vielfach langvergessene Kindheitserlebnisse, bei anderen Gelegenheiten verblüffende . Außerdem berichteten die Anwender häufig von Heureka-Erlebnissen und Kreativitätsblitzen. Und in vielen Fällen hielten die Entspannung und das Gefühl mentaler Energiegeladenheit mehrere Tage nach der Benutzung des Geräts an. Die Erbauer der Geräte waren begeistert und begannen, die AVIs an Mediziner und Heilpraktiker, Pädagogen und Privatleute in der ganzen Welt zu verkaufen. In einigen Fällen stellten die Hersteller oder Erfinder Behauptungen auf, die eher auf ihrem Enthusiasmus als auf soliden wissenschaftlichen Beweisen gründeten. Der Geschäftsmann Denis Gorges zum Beispiel behauptete, die Maschine sei in der Lage, die Intelligenz zu erhöhen, die Wahrnehmung zu schärfen, Visualisationen zu intensivieren, Kurz- und Langzeitgedächtnis zu verbessern, Lernen zu beschleunigen, Kreativität zu verbessern, ganzheitliches Problemlösen zu fördern, die Nachwirkungen in der Kindheit entstandener Hemmungen zu verringern und «die Leistungsfähigkeit des Gehirns nachhaltig zu erhöhen». «Der Apparat», verkündete Gorges großspurig, «ist mit Abstand die bedeutsamste Anwendung der modernen Technik zur Erhöhung der Leistungsfähigkeit und Funktion des menschlichen Geistes.» Als Beweise führte er seine eigenen klinischen und experimentellen Ergebnisse mit dem <SynchroEnergizer>, einer Maschine aus der Frühzeit der AVIs, an. So weit, so gut. Ich habe bereits erwähnt, daß viele der Gehirnmaschinen-Hersteller zwar einen Fuß im wissenschaftlichen Bereich haben. Der andere aber steht fest und unverrückbar im Geschäftsleben. Von Gorges könnte man sagen, daß er mit beiden Beinen im Geschäftsleben steht und sich dabei das Mäntelchen der Wissenschaft umhängt. Zu der Zeit, als Gorges Mitte der achtziger Jahre die Tugenden seiner Wundermaschine anpries, existierten nach Aussagen anderer Experten eigentlich noch keine wirklich nach wissenschaftlichen Krite231
rien durchgeführten Untersuchungen über AVIs. Der Forscher Dr. Gene W. Brockopp, der sehr viel mit AVIs gearbeitet hat, meinte: «Zwar wird in den Werbebroschüren für den Synchro-Energizer erwähnt, das Gerät sei wissenschaftlich getestet, aber solche Untersuchungsergebnisse liegen nicht vor... Meines Wissens gibt es keine theoretischen, experimentellen oder klinischen Daten über den Synchro-Energizer.» Gorges befand es für unter seiner Würde, auf derartige Kritik zu antworten. Die Forschung wäre für ihn im Grunde uninteressant, gab er zu. Stattdessen erzählte er mir stolz: «Mich interessieren nur Ergebnisse!» Als ich ihn nach den Langzeitwirkungen und möglichen Nebenwirkungen seines Geräts bei regelmäßiger Benutzung fragte, rief er aus: «Nebenwirkungen? ... kein Arzt erzählt dir was von Nebenwirkungen.» Nach der genauen Wirkungsweise seines Apparats befragt, sagte er: «Wir wissen's eigentlich nicht. Ich glaube, der Mensch kann so was nicht begreifen. Niemand weiß, was das Gehirn macht.» Viele Erfinder und andere Forscher waren ebenfalls begeistert von den enormen Möglichkeiten der AVIs. Gorges gegenüber allerdings gingen sie auf Distanz, weil sie befürchteten, seine fragwürdigen und haltlosen Behauptungen über seine medizinischen Titel und die Wirkung audiovisueller Stimulation könnten das ganze Forschungsgebiet in schlechtem Licht erscheinen lassen. Andere Erfinder hatten inzwischen AVIs entwickelt, die technisch gesehen gegenüber Gorges' Gerät wesentlich komplexer waren, darunter Apparate wie DAVID (Digital Audio Visual Integration Device - digitales audiovisuelles Integrationsgerät), MindsEye, InnerQuest, Alphapacer II und MC2. Die Erfinder dieser Maschinen waren sich der Notwendigkeit streng kontrollierter wissenschaftlicher Forschung der Wirkung ihrer Maschinen sehr wohl bewußt. Ich konnte durchaus verstehen, daß sie von ihren Apparaten begeistert waren. Schließlich hatte ich eine ganze Reihe von Leuten bis über beide Ohren grinsend dasitzen sehen, mitten in von Lärm und Menschen erfüllten Räumen, Brille und Hörer auf dem Kopf, und schon bald weit weg in tiefer Trance oder heller Euphorie. Ich war dabei, als ein hartnäckiger Skeptiker einen AVI ausprobierte. Er verfiel in eine zwanzigminütige derart tiefe Trance, daß er nachher behauptete, es sei nur eine Minute verstrichen und nichts sei mit ihm geschehen! Nichts 232
konnte ihn vom Gegenteil überzeugen, bis ihm schließlich der Betreiber des AVI ein Polaroidfoto zeigte, das ihn zusammengesunken in seinem Stuhl mit einem seligen Lächeln auf den Lippen zeigte. Und auch ich selbst erlebte außergewöhnliche Visionen, Wachtraumzustände und friedliche Ekstasen, während ich in die blitzenden Lichter eines AVI schaute. Deshalb also konnte ich die Begeisterung der Erfinder und Benutzer der AVIs durchaus verstehen. Kein Zweifel, die Dinger haben eine verblüffende Wirkung. Die Frage war nur: Was geschieht dabei im einzelnen? Ich machte mich auf, um eine Reihe von Wissenschaftlern und Medizinern, die mehr Erfahrung in der Verwendung dieser Geräte hatten, zu interviewen.
LERNEN IN DER DÄMMERUNG - KINDHEITSERINNERUNGEN IM FLACKERNDEN LICHT
Als erstes sprach ich mit einer der bedeutendsten Autoritäten auf dem Gebiet des Biofeedback: mit Dr. Thomas Budzynski (Behavioral Medicine Associates Clinic in Denver). Zusammen mit mehreren Kollegen hatte er 1980 einen Bericht über einen der audiovisuellen Integratoren veröffentlicht. Damals war er noch am Biofeedback Institute in Denver. Laut diesem Bericht unterzogen sich sämtliche Mitarbeiter des Instituts mindestens fünf Sitzungen mit dem Gerät. «Die Ergebnisse waren unterschiedlich und schwankten zwischen hypnagogischen Zuständen (wenn Thetawellen verwendet wurden) und lebhaften hologrammartigen Bildern. Gelegentlich kamen Bilder aus der Kindheit an die Oberfläche.» Auch als die Mitarbeiter des Instituts das Gerät an Patienten einsetzten, waren die Ergebnisse «recht ermutigend». Dem Bericht zufolge war die wesentliche Wirkung des Geräts die «Erzeugung einer distanzierten Entspannung». Außerdem erwies sich die Maschine bei der «Herbeiführung hypnotischer Zustände» als sehr brauchbar. «Wenn man den Bereich zwischen 3 und 7Hz einstellte, gelangten die Klienten mit Leichtigkeit in den Zustand der Hypnose.» Verblüffend war auch, wie die Maschine als «Fundbüro des Unterbewußtseins» arbeitete. Die Mitarbeiter des Instituts nahmen die gelegentlichen Beschreibungen ihrer Klienten über die Bilder, die sie 233
erlebten, auf Tonband auf und setzten das so gewonnene Material bei der nächsten Therapiesitzung ein. Dem Bericht zufolge «lieferte dieses Material häufig wertvolle Einblicke in für das Problem des Klienten relevante unbewußte Vorgänge. Anscheinend läßt sich der therapeutische Prozeß durch dieses Vorgehen beschleunigen.» Vielleicht am interessantesten war der Einsatz des Geräts zur Beschleunigung und Verbesserung von Lern- und Gedächtnisleistungen. Im Bericht wird dieser Prozeß impliziert, daß dem Klienten zugeführt wird, während er sich in einem hypnagogen (oder Theta-) Zustand befindet. Der Bericht sagt weiter, daß der AVI «einen solchen Zustand innerhalb von zehn bis fünfzehn Minuten erzeugen konnte. Dann boten wir dem Klienten , zunächst mit sehr niedriger Lautstärke, die wir schrittweise bis zu normaler Zimmerlautstärke erhöhten. Der Stoff wird unkritisch absorbiert, das heißt bestimmte Widerstände, die bei vollem Bewußtsein hemmen, werden umgangen.» Der Bericht stellte weiter fest, daß die niedrigen Frequenzen (3-6 Hz) «anscheinend der Versuchsperson sehr realistische Kindheitserinnerungen vermitteln können.» An den EEG-Mustern der Versuchspersonen ließ sich erkennen, daß der AVI «die entsprechenden EEG-Frequenzen nach einer Verzögerung von fünf bis zehn Minuten bewirkt.» Abschließend fordert der Bericht weitere wissenschaftliche Untersuchungen der Maschine und bemerkt vorsichtig, daß sowohl «die Aufnahme verbalen Materials, das sich nahe an der Hörschwelle befindet» und die «Wiederauffindung unbewußten Materials» in der Tat durch den AVI positiv beeinflußt werden könnten. [350] Mehr als fünf Jahre nach diesem Bericht sprach ich mit Budzynski. Er betonte, daß immer noch keine wirklich soliden wissenschaftlichen Untersuchungen der AVI-Methode vorlägen, war aber nach wie vor von dem Gerät beeindruckt: «Die Maschine kann auf jeden Fall einen Gehirnwellenzustand der Entspannung auf der einfachsten Ebene hervorrufen - die Leute, die das Gerät benutzen, sagen, daß sie sich ziemlich entspannt und sehr wohl fühlen. Außerdem scheint das Gerät auf überängstliche Menschen mit dünnem Nervenkostüm eine beruhigende Wirkung auszuüben. In vielen Fällen sind sie nach der Sitzung drei oder vier Tage lang ruhiger. Nach zehn oder zwölf Sitzungen 234
scheint auch eine Langzeitwirkung einzutreten - sie fühlen sich friedlicher und gelassener. Vielleicht bewirkt das Gerät irgendeine Art von Integration. Oft berichten die Versuchspersonen von blitzartig hochkommenden Kindheitserinnerungen. Das nehmen wir dann in die Therapie mit auf. Sie erzählen, was sie während der Anwendung des AVI gesehen haben, und wir verarbeiten das in unser Psychotherapieprogramm. Das Gerät scheint wirklich sehr geeignet zu sein, um an diese frühen und längst vergessenen Erinnerungen heranzukommen.» Ich fragte, ob irgendwelche EEG-Messungen gezeigt hätten, daß die Gehirnwellen der Versuchspersonen sich dem Rhythmus des AVI angepaßt hätten. Budzynski antwortete, es gebe Hinweise darauf, daß «sich bei Verwendung der Theta-Frequenzen schließlich auch die Theta-Energie erhöhe. Also könne man wahrscheinlich von einem Kopplungseffekt sprechen. Nicht bei jedem Menschen, aber bei einigen. Anscheinend sind einige Leute eher bereit, ihre Gehirnwellen von der Maschine beeinflussen zu lassen als andere. Ich vermute, das liegt daran, daß ein gewisses Gefühl der Verwundbarkeit auftritt, wenn die Maschine einen in Richtung auf den Theta-Zustand zieht. Manche Leute leisten dann Widerstand, andere passen sich an.» Könnte man die Maschine zum <Superlearning> einsetzen? Budzynski meinte, in diesem Bereich wäre das Gerät möglicherweise sehr wirksam: «Wir kombinieren den Apparat mit Subliminal-Kassetten und bestimmten Bändern mit gelenkten Phantasiereisen. Diese Bänder werden verwendet, um positive geistige Prozesse zu unterstützen. Die Maschine fördert die Aufnahme des Materials. Ich würde ganz entschieden sagen, daß die Maschine die Empfänglichkeit für Suggestionen erhöht.» Weiter erläuterte Budzynski, seine eigenen Studien hätten gezeigt, daß der Theta-Zustand in Kombination mit einer Verstärkung der Funktionen der rechten Gehirnhälfte die Lernfähigkeit enorm erhöht. (Oder, wie er bei anderer Gelegenheit gesagt hat: «Man braucht nur Zugang zur rechten Gehirnhälfte der Menschen zu finden und sie dann in dem Zustand zu halten, dann lassen sich in kurzer Zeit große Fortschritte beobachten.» In diesem Theta- beziehungsweise Dämmerzustand zeichne sich das Gehirn «durch die Eigenschaft des unkritischen Akzeptierens verbalen und praktisch jeden anderen Materials aus, das es verarbeiten kann.» [59]) Da sich mit dem AVI sogar angstbesessene Menschen wirksam in diesen rezeptiven Zustand ver235
setzen lassen, vermutet Budzynski, daß er bei richtiger Anwendung die Lernfähigkeit drastisch erhöhen könnte. Budzynski fügte allerdings warnend hinzu, er würde die Maschine nicht ohne weiteres zum Allgemeingebrauch empfehlen, da sie das Aufsteigen unbewußter Erinnerungen stark anrege. Dabei könne jederzeit Beängstigendes und bisher Unterdrücktes an die Oberfläche treten, auf das der Benutzer nicht vorbereitet wäre. Auch Menschen, die zu epileptischen Anfällen neigen, sollten die Maschine nur unter medizinischer Aufsicht benutzen. Dann sprach ich mit Dr. Roman Chrucky, dem medizinischen Leiter des North Jersey Development Center in Totowa, New Jersey. Er hat den AVI vielfach in seiner Praxis eingesetzt. Seine Beobachtungen unterstützen die von Budzynski: Auch er hatte gefunden, daß die Maschine eine stark entspannende und beruhigende Wirkung hatte («Sie wirkt wie ein Tranquilizer und die Wirkung scheint zwei oder drei Tage anzuhalten. Das Maximum der Veränderung tritt normalerweise einen oder zwei Tage nach Anwendung ein.»). Auch er hatte festgestellt, daß das Gerät «die Einleitung der Hypnose fördert und beschleunigt» und die Empfänglichkeit für Suggestionen erhöht. («Durch die Benutzung des AVI werden die Klienten sehr aufnahmebereit, deshalb eignet er sich hervorragend, wenn man Suggestionen in Bezug auf Verhaltensmuster, die ein Mensch ändern will, anbringen will weniger essen, mit Rauchen aufhören etc.») Im Verlauf unseres Gesprächs aber kehrte Chrucky immer wieder zu einem Aspekt des AVI zurück, der für ihn am faszinierendsten war: die Steigerung kreativer Leistungen. «Viele Leute haben mir spontan mitgeteilt, daß sie sich während der Benutzung wesentlich kreativer fühlen. Ich habe diese Reaktion auch bei mir selbst festgestellt: Wenn ich die Theta-Frequenzen verwende, werde ich kreativer.» Der bereits erwähnte Dr. Gene W. Brockopp stellte fest, daß der AVI auf viele Menschen eine sehr tiefgreifende Wirkung ausübt. Er machte sich auf die Suche nach anderen Untersuchungen, die ein Licht auf die Wirkungsweise werfen konnten. Da sich herausstellte, daß zum AVI selber keine soliden Studien vorlagen, befaßte er sich mit Arbeiten zu Bereichen, die direkt für die Beurteilung des AVI relevant sein konnten. Seine Nachforschungen faßte er in einer Arbeit zusammen. [56] 236
Er beschäftigte sich auch mit Forschungen zur photischen und auditiven Stimulation des Gehirns, mit Untersuchungen zu Bewußtsein und hemisphärischer Differenzierung, zu EEG-Mustern und Persönlichkeitsvariablen und zum verhaltensverändernden Effekt induzierter Reizmuster. Er sichtete die Berichte der Kollegen und verglich sie mit seinen eigenen Forschungen und klinischen Erfahrungen mit dem AVI. Er fand unter anderem, daß «die Kohärenz der HochfrequenzEEG-Abgabe der Hemisphären anscheinend in Beziehung zu verbesserter intellektueller Funktion oder zur Qualität der intellektuellen Funktionen steht.» Wenn also der AVI in der Tat hemisphärische Kohärenz bei hochfrequenter EEG-Abgabe bei den Benutzern hervorruft, dann könnte er sehr wohl zu verbesserten intellektuellen Funktionen führen. Des weiteren fand Brockopp: «Wenn ein Gehirnwellenzustand über einen gewissen Zeitraum erfahren, gelernt und geübt wird, denn bleibt er zumindest kurzfristig resistent gegenüber den gewohnten alten Gehirnmustern.» Damit ließe sich die kumulative Wirkung der Maschine erklären, daß nämlich nach einer Reihe von Erfahrungen mit dem AVI die Benutzer leichter absichtlich in den erwünschten Zustand eintreten konnten. Was die klinischen Implikationen der vorhandenen Forschung angeht, so vermutet Brockopp, daß der AVI «womöglich das Gehirn nicht <energetisiert>, sondern einen Zustand der Deaktivierung hervorruft, in dem das Gehirn passiv ist, aber nicht schläft. Wach, aber nicht involviert in das Gewirr des Alltagslebens. Wenn das stimmt, dann könnte es sich um einen Zustand handeln, in dem sich neue kognitive Strategien entwerfen und entwickeln lassen.» Brockopp zitiert Studien, die darauf hinweisen, daß Kinder einen Großteil ihrer Zeit im Theta-Zustand verbringen. Er spekuliert, daß der AVI durch seinen Koppelungseffekt auf die Theta-Wellen ... zur Wiederentdeckung früher Kindheitserlebnisse führen kann ... Außerdem vermindert die Erhöhung der Theta-Aktivität die Fähigkeit eines Menschen zu Wachsamkeit. Als Ergebnis kann es vorkommen, daß der Mensch Ideen ohne die Überwachungsinstanz der durchdachteren Gehirnvorgänge äußert. Dadurch werden Informationen aus der Vorgeschichte dieser Instanzen der Bewertung und dem Verständnis durch diese durchdachteren und kognitiven Gehirnprozesse zugänglich. So 237
können sie gelöst und der Mensch von den Traumata seiner Vergangenheit befreit werden.» Diese Rückkehr zu kindlichen Denkmustern und vermehrtem Zugang zu unbewußten Ideen könnte erklären, warum so viele Benutzer berichten, daß das Gerät in vielen Fällen lebhafte Kindheitserinnerungen auslöst und als «Fundbüro des Unterbewußtseins wirkt», wie es Budzynski nennt. Auch Brockopp weist daraufhin, daß der durch einen AVI herbeigeführte Theta-Zustand bei manchen Menschen «die unerwünschte Nebenwirkung haben könnte, daß frühe Erinnerungsmuster, die der Mensch nicht ohne professionelle Hilfe in seine Persönlichkeit integrieren kann, überstürzt an die Oberfläche treten.» Des weiteren schließt Brockopp: «Sehr ordnungsbewußte oder zwanghafte Menschen, die immer die Wachsamkeit aufrechterhalten, reagieren auf den AVI entweder mit Unwohlsein oder indem sie einschlafen und damit den Konflikt umgehen.» Da er bemerkte, «daß es bestimmte Korrelationen zwischen funktionalem Gehirnwellen-Zustand und Persönlichkeitsmuster gibt», vermutet Brockopp: «Wenn wir einem Menschen zur bewußten Erfahrung unterschiedlicher Gehirnwellen-Zustände verhelfen können, indem wir diese extern stimulieren, dann fördern wir womöglich die Fähigkeit des Individuums, eine größere Bandbreite von Verhaltensfunktionen zuzulassen, indem wir Muster auf der neuralen Ebene zerbrechen. Das könnte den betreffenden Menschen bei der Entwicklung der Fähigkeit zum oder helfen, sie von gewohnheitsmäßigen Verhaltensmustern abbringen, so daß sie flexibler und kreativer würden und elegantere Funktionsstrategien entwickeln» [56] Die Idee, daß ein Zerbrechen von Mustern auf der neuralen Ebene zu mehr Flexibilität und Kreativität führen kann, bringt uns zurück zu Prigogines Konzept der dissipativen Struktur. Wenn das Gehirn als dissipative Struktur einem hohen Grad von Stimulation durch einen AVI ausgesetzt wird, dann sind seine Fluktuationen oder Schwankungen zu groß, um von der existierenden Struktur (also den neuralen Mustern) bewältigt zu werden. Es muß diese Struktur aufgeben und sich auf einem höheren, kohärenteren, flexibleren Niveau neu organisieren, mit einem höheren Grad von Kommunikation zwischen seinen neuralen Komponenten. Der AVI zwingt möglicherweise das Gehirn, , womit sich die häufigen 238
Berichte der Anwender über erhöhte Kreativität und verbesserte intellektuelle Funktionen erklären. Als Brockopp Mitte der achtziger Jahre seine Zusammenfassung schrieb, gab es wenig oder gar keine gesicherten Untersuchungen zu den Wirkungen von Klang- und Licht-Stimulation. Inzwischen aber wurden fortgeschrittene computergesteuerte AVI Geräte entwickelt, die sicherstellten, daß alle Versuchspersonen genau dieselbe Art der Stimulation erhalten. Deshalb brennen jetzt auch mehr und mehr orthodoxe Wissenschaftler darauf, die audiovisuellen Stimulationsgeräte weiter zu untersuchen. Einige Ergebnisse dieser Forschungen sind heute, im Jahre 1989, bereits zugänglich. An der Universität von Alberta stimulierten die Forscher Dr. Norman Thomas und David Siever eine Gruppe von Versuchspersonen mit einem der AVIs, dem DAVID I, fünfzehn Minuten lang auf einer Frequenz von 10Hz (also im Alpha-Bereich), während mittels EMG (Elektromyographie = Muskelspannungsmessung) ihre Muskelspannung und außerdem ihre Fingertemperatur überwacht wurde. Thema der Studie: «Die Auswirkungen wiederholter audiovisueller Stimulation auf skeletomotorische und vasomotorische Aktivität» [The Effect of Repetitive Audio/Visual Stimulation in Skeletomotor and Vasomotor Activity]. Von einer in gleicher Weise überwachten Kontrollgruppe verlangte man einfach, sich ohne audiovisuelle Stimulation fünfzehn Minuten lang zu entspannen und sich eine ruhige Szene vorzustellen. Sowohl die Testgruppe als auch die Kontrollgruppe bestand aus , nicht-hypnotisierbaren Personen. Die Angehörigen der Kontrollgruppe sagten, sie fühlten sich entspannter, gleichzeitig aber zeigten EMG und das Fingertemperatur-Meßgerät, daß die Muskelspannung bei ihnen zunahm und die Fingertemperatur zurückging (letzteres ein Phänomen, das mit Streß und Anspannung in Beziehung steht). Die Gruppe, die mit AVI behandelt wurde, erreichte tiefe Entspannungszustände, die auch nach den fünfzehn Minuten audiovisueller Stimulation lange anhielten. Die Forscher schrieben: «Daraus ist zu schließen, daß Entspannung durch Autosuggestion weniger wirksam ist als audiovisuell erzeugte. Elektroenzephalographische Messungen zeigen bei den audiovisuell stimulierten Versuchspersonen eine Frequenzfolgereaktion im Kort ex. Anscheinend liegt mit dem 239
audiovisuellen Stimulator ein Gerät vor, daß die Hypnose ansonsten resistenter Personen ermöglicht.» 1988 betrieb Dr. Dr. Robert Cosgrove Jr. vom Department of Anesthesia der Stanford University School of Medicine erste Untersuchungen eines anderen AVIs, des Alphapacer II. In seiner vorläufigen Auswertung schrieb Cosgrove, der als Experte in Pharmazie und biochemischer Verfahrenstechnik gilt, der AVI besitze «offensichtlich eine sehr wirkungsvolle Eigenschaft, die bei den meisten Versuchspersonen tiefe Entspannung auslöst. Auf diesem Gebiet ist die Wirksamkeit derart stark, daß wir sehr optimistisch weiteren Versuchen entgegensehen, bei denen wir Patienten vor, während und nach Operationen mit Hilfe des Alphapacer II sedieren wollen. Außerdem sind Untersuchungen in Vorbereitung, die seine Nützlichkeit bei chronischem Streß nachweisen sollen.» Und weiter: «Wir quantifizieren ebenfalls die elektroenzephalographischen Wirkungen des Alphapacer II, und zwar sowohl an Freiwilligen als auch an Patienten. Die vorläufigen Ergebnisse zeigen einen starken EEG-Koppelungseffekt. .. Auf die entsprechenden Stimulationsmodi eingestellt ist der Alphapacer II nach unseren Beobachtungen ein ausgezeichnetes Trainingsinstrument für die Nervenbahnen. Deshalb gibt es wahrscheinlich wichtige Anwendungsmöglichkeiten in der Förderung optimaler zerebraler Leistung... Des weiteren setzen wir große Hoffnungen in die Langzeitwirkung des Alphapacers bei regelmäßiger Benutzung. Womöglich erhöht er die zerebrale Leistungsfähigkeit das ganze Leben lang oder erhält sie zumindest aufrecht. Möglicherweise kann er den Rückgang der Gehirnleistung, der normalerweise mit zunehmendem Alter einhergeht, um Jahrzehnte verzögern. Es ist geplant, diese Hypothese an Personen mit Gehirnverletzungen zu überprüfen, bei denen ja der Grad der Wiederherstellung erwiesenermaßen in Beziehung zu sensorischen oder zerebralen Stimuli steht. Die Ergebnisse dürften auch Implikationen für die Langzeitanwendung an gesunden normalen Gehirnen haben.» Abschließend schreibt Dr. Cosgrove, das audiovisuelle Stimulationsgerät übertreffe «seine höchsten Erwartungen» und gibt der Meinung Ausdruck, daß die audiovisuelle Stimulation «durchaus sowohl Neurologie als auch Medizin revolutionieren könnte.» Mit fortschreitender Technik sind die Preise für die AVI-Geräte in 240
den letzten Jahren stark gefallen. Trotzdem sind sie immer noch nicht billig. Viele Menschen werden deshalb womöglich auf eine Stroboskop-Blitz-Maschine zurückgreifen, mit der sich eine zwar begrenztere, aber immer noch eindrucksvolle audiovisuelle Stimulation zu geringerem Preis erreichen läßt. (Bei Firmen, die mit BiofeedbackGeräten handeln, lassen sich mehrere derartige Geräte zu relativ günstigem Preis erwerben. Sie erzeugen Blitze in variablen Frequenzen, darunter auch Alpha und Theta.) Oder indem sie sich ihre eigene Traummaschine oder bauen. Wenn man sich selbst so eine Maschine bauen will, braucht man nur in ein größeres Stück Pappe eine entsprechend angeordnete Reihe von Löchern zu schneiden, die Pappe dann zu einem Zylinder zusammenzukleben, den Zylinder auf den Plattenteller eines Plattenspielers zu legen und eine Glühbirne hineinzuhängen. Wenn sich dann der Plattenteller dreht, schaut man auf den Zylinder, und das Licht erscheint als Flackern, indem die Löcher in der Pappe nacheinander am Auge vorbeiziehen. Dabei ist es wichtig, daß man die Entfernung der Löcher so wählt, daß das Flackern in der erwünschten Frequenz auftritt. Bei einer Geschwindigkeit von 33 Umdrehungen pro Minute müßte man für Alpha fünfzehn bis zwanzig Löcher schneiden und für Theta acht bis zwölf - jeweils gleichmäßig um den Zylinder herum verteilt. Die Preise der AVIs sind gefallen, gleichzeitig aber sind sie technologisch inzwischen enorm weiterentwickelt worden. Die meisten heute auf dem Markt befindlichen Geräte bieten zehn bis zwanzig vorprogrammierte <Sessions>, so daß der Benutzer per Knopfdruck ein Programm aus Licht- und Klang-Kombinationen wählen kann, die speziell zur Erzeugung optimaler audiovisueller Stimulation für bestimmte Zwecke zusammengestellt sind: Zum Einschlafen, zur Beschleunigung von Lernprozessen, für Visualisationen, Autosuggestionen, Kreativität und so weiter. Viele der Geräte ermöglichen dem Benutzer auch die eigenständige Programmierung oder Planung der erwünschten Klangund Licht-Stimulation, so daß man nach Herzenlust experimentieren und forschen kann. Viele der Maschinen verfügen außerdem über leistungsfähige Klangsynthesizer, die nicht nur vorprogrammierte Klänge enthalten, sondern auch die Möglichkeit, Tonhöhe und -färbe jedes vorprogrammierten Klanges zu ändern. Damit läßt sich dann eine unbegrenzte Vielfalt von Klängen erzeugen, indem man die 241
Tonhöhe verringert oder erhöht, bestimmte Höhen- oder Baßfilter dazuschaltet oder andere Wellenformen wählt beziehungsweise hinzufügt, etwa Sägezahnwellen, Dreieckswellen, pulsierende Wellen oder weißes Rauschen. Das alles läßt sich wieder mit externen Stereoklängen verbinden. Es gibt auch Geräte, die sich erweitern lassen, die Software wird dabei ständig auf den neuesten Stand gebracht, um die Bandbreite der Funktionen und Anwendungsmöglichkeiten des AVI zu erhöhen. Mit diesen Fortschritten ist auch die Zahl der AVI-Anwender gewaltig gestiegen. Tausende benutzen solche Geräte mittlerweile zu Hause, bei der Arbeit, zur Unterhaltung oder Entspannung, aber auch in klinischer Umgebung. Immer öfter widmet die Presse den Geräten ausführliche Artikel auf den ersten Seiten. Anscheinend steht der Einbruch der kleinen blitzenden Dinger in die Konsumgüterkultur kurz bevor, als nächster Schritt nach den tragbaren Kassettenrecordern: persönliche, tragbare Gehirnschrittmacher. Ich sehe es geradezu vor mir: die überfüllten Straßen der Großstadt, Tausende lächelnder Menschen, die ihrer Wege gehen, im Park joggen, Würstchen essen und Liebe machen, an den Köpfen kleine blitzende und piepsende Klang- und Licht-Geräte, die Augen umgeben von flackernden Lichtern, die die Gehirne synchronisieren. Und überall gibt es öffentlich AVIs: in Bars, in den Wartezimmern der Ärzte, in Flughäfen, in den Kantinen großer Firmen und Fabriken, in öffentlichen Toiletten Miniatur-Musikboxen für den Geist. Man setzt Brille und Kopfhörer auf und schon schaltet sich ein zehnminütiges Programm ein: ein Kreativitätsschub, ein bißchen entspannte Gelassenheit, ein Wachstumskick für die Dendriten, ein klassisches Werk zum Erreichen der Transzendenz, oder ein spannungsgeladener Gehirnthriller. Und manchmal beim Starren in das computergesteuerte High-Tech-Geflimmer wird jemand ein Dejä-vu-Erlebnis haben, ein schwindelerregendes Gefühl, als ob er eine halbe Million Jahre zurückversetzt wurde. Einen kurzen Augenblick lang würde er gebückte affenähnliche Schatten vor der Wand einer Höhle tanzen sehen, Bilder von fellbedeckten Mammuts, Säbelzahntigern, die glitzernden Augen der anderen Stammesmitglieder, wie sie ums Feuer sitzen und hineinstarren in die Mysterien des flackernden Feuers. 242
14 DIE FREUDEN DES RINGELREIHEN: DER GRAHAM POTENTIALIZER
Auf den ersten Blick ein beliebiges sonniges Apartment in Manhattan Topfpflanzen, Vorhangstoffe in fröhlichen Farben, ein Bett an der Wand. Unaufdringlich, gemütlich und für mich überraschend. Denn ich bin auf der Suche nach einem elektromechanischen Therapiegerät, daß mich einer Untersuchung zufolge in vollkommen «veränderte Bewußtseinszustände» katapultieren könnte. Dabei sollen sich «zunehmende Entspannung, innerer Frieden, Gelassenheit, bedeutsame persönliche Erkenntnisse und mystische Erfahrungen» einstellen, außerdem positive physiologische Veränderungen wie «Schmerzreduktion, Befreiung von Streßsymptomen, Erlösung von Schlaflosigkeit. .. beschleunigte Heilung von Schnittwunden und Verbrennungen und Linderung neurologischer Störungen». Das Gerät ist unter dem Namen bekannt. Wenn ich es im Gespräch erwähnte, verstanden die meisten Leute , ein wunderbar majestätischer und durchaus passender Titel für eine Maschine, der solch ungeheure Wirkungen nachgesagt wurden. Ich hatte einen klobigen, geheimnisvollen elektromechanischen Apparat erwartet, umgeben von einem Gewirr komplizierter elektronischer Schaltvorrichtungen. «Das ist er», sagt die Frau, die mir das Gerät erklären soll, und zeigt auf das Bett. Ich bemerke, daß unter dem Bett ein Motor angebracht ist, am Kopfende ein großer Kasten und am Fußende ein Metallstab, der wie eine Fernsehantenne aussieht. Das Ganze ist nicht besonders eindrucksvoll. Doch es handelt sich, wenn ich der Frau glauben darf, um ein einzigartiges Gerät, das mehrere Energieformen in sich verei243
nigt: Bewegung, Klang und ein elektromagnetisches Feld. Dadurch sollen Gehirn und Körper stimuliert werden, der Benutzer soll nach den Worten des Erfinders David Graham, ein kanadischer ElektronikIngenieur, eine <Energie-Transfusion>, eine Art energetische erhalten. Dabei stellen sich nach Aussagen Grahams im allgemeinen «stromlinienförmige neurale Reaktionen im Gehirn (ein meßbarer Intelligenzfaktor), Beschleunigung von Lernprozessen und eine Ausweitung der mentalen Kapazität» ein. Große Worte. Erwartungsvoll folge ich den Anweisungen der Frau, ziehe Schuhe und Strümpfe aus und lege mich auf das Bett, die nackten Füße auf die antennenähnliche Metallstange, die sich als Erdung herausstellt. Der Kasten über meinem Kopf, so die Frau, erzeugt ein pulsierendes elektromagnetisches Niederspannungsfeld (dahinter steckt ein 125 Hz Sinuswellengenerator, der im hemisphärischen Kupferkopfstück eine schwache Spannung von ein bis zwei Volt erzeugt). Mein Kopf ist mehrere Zoll weit vom Kasten entfernt, so daß mein ganzer Körper vom elektrischen Feld umgeben und die Füße geerdet sind.
DON'T MEAN A THING IF IT AIN'T GOT THAT SWING
Ich lege mich zurecht, die Frau setzt mir Stereokopfhörer auf und stellt den Motor unterm Bett an. Jetzt beginnt das Ganze sich kreisförmig zu bewegen. Nicht nach rechts oder links - mein Körper bleibt in der Waagerechten - sondern in einer Bewegung gegen den Uhrzeigersinn, die mich rhythmisch auf- und absteigen läßt. Die Bewegung ist sanft und harmonisch, man fühlt sich wohl dabei. Das Bett steigt und fällt etwa zehnmal pro Minute, schnell genug, daß man die Bewegung verspürt, aber auch langsam genug, daß der beruhigende Charakter der Bewegung nicht verlorengeht. Wenn mein Körper die kreisförmige Aufwärtsbewegung mitvollzieht, kommt ein leichtes Schweregefühl in mir auf - wie in einem nach oben steigenden Fahrstuhl. Beim Abwärtsschwung fühle ich mich etwas leichter - wie in einem Fahrstuhl nach unten. Diese Empfindungen werden begleitet von einem kaum wahrnehmbaren Hin- und Herschwingen, das sich aus der Kreisbewegung der Maschine erklärt. Ich fühle mich, als ob ich ausgestreckt in einem 244
sich mit rasender Geschwindigkeit drehenden Riesenrad liege. Allerdings beträgt der Radius des Riesenrads in diesem Fall nur etwa 12 Zentimeter. In meinen Ohren erklingt höchst entspannende Musik. Ich gebe meine Widerstände auf und werde mir überdeutlich der Bewegung bewußt. Ich fühle mich an Zugfahrten meiner Kindheit erinnert, als ich im Schlafwagenbett lag und das Gefühl genoß, wie eine Rakete durch die Nacht zu schießen, eingelullt von den Klickediklack-Geräuschen und Schaukelbewegungen des Zugs. Wie gern habe ich früher geschaukelt. Auf der Verandaschaukel - mit einem Buch in der Hand. Auf einem alten Reifen, der am Ast eines Baumes befestigt war. Hemmungslos auf der Schaukel am Spielplatz, bis meine Fußsohlen nach oben zum Himmel zeigten. Auch Babies beruhigt man mit sanftem Schaukeln in der Wiege oder im Arm der Mutter. Vielleicht haben wir eine evolutionäre Veranlagung zum Schaukeln, noch aus der Zeit, als unsere Vorfahren sich von Wipfel zu Wipfel schwangen. In tiefer Entspannung versuche ich zu spüren, wie der elektromagnetische Strom mich durchfließt, aber es gelingt mir nicht. Allerdings bemerke ich, daß mein Geist voller strahlender Bilder und Szenen ist. Dann nehmen die Visualisationen die Form mich durchfließender Energie an - plötzlich sehe ich mich unter einem Wasserfall stehen, der von oben in meinen Kopf und an den Füßen wieder heraus fließt. Der Wasserfall besteht aus Licht, aus Energie. Als die Maschine sich schließlich langsam ein letztes Mal dreht und anhält, sind fünfundvierzig Minuten vergangen, obwohl mir die Zeit nur wie ein paar Minuten erschien. Ich bin so entspannt, daß ich nicht die Augen öffnen will. Mehr davon! Beim Aufstehen bemerke ich ein angenehmes Kribbeln in Fingerspitzen und Zehen, ein Gefühl von Energie und geistiger Klarheit. Eigentlich überraschend, denn ich litt unter einer starken Grippe, hatte Halsschmerzen und mich am Tag zuvor einer Zahnoperation unterzogen. Jetzt aber fühle ich mich phantastisch. Denk an den Placebo-Effekt, flüstert eine Stimme in meinem Kopf. In den folgenden Wochen benutze ich die Maschine öfters. Mir scheint, die positiven Wirkungen bleiben mir erhalten; ich fühle mich nach Benutzung der Maschine mehrere Tage lang erfrischt. Anscheinend kann ich auch besser arbeiten, klarer denken, außerdem fühle ich 245
mich überraschend energiegeladen und entspannt. Wie konnte etwas so kindisch Einfaches, eine Kreisbewegung, so eine starke positive Wirkung entfalten? Ich bat den Erfinder der Maschine, David Graham, mir zu erklären, wie sie wirkt.
BEWEGUNG UND DER GEIST: LERNEN AUF DER ACHTERBAHN
Das wichtigste Element des Graham Potentializer (GP), so Graham, ist die rhythmische, kreisförmige Bewegung. Nach seinen Aussagen wirkt diese Kreisbewegung auf alle Körperflüssigkeiten. Unser Körper besteht zu etwa neunzig Prozent aus Flüssigkeit. Durch die Bewegung wird sie rhythmisch stimuliert und schwappt hin und her. Es ist wie eine sanfte und beruhigende Ganzkörpermassage, die sich innerhalb der Körperorgane und -gewebe abspielt. Die Bewegung wirkt insbesondere auf den Vestibularapparat im Innenohr, die Stelle, an der die Signale entstehen, die uns über die Stellung unseres Körpers, unsere genaue Position im Raum und unsere Bewegungsrichtung und Geschwindigkeit informieren. Eingebettet in der halbflüssigen gelatineartigen Membrane der statolithischen Organe des Innenohrs befinden sich Millionen winziger Haarzellen. Wenn wir bewegungslos dasitzen, registrieren diese Zellen nur die Schwerkraft, bei Bewegung aber (rückwärts, vorwärts nach oben oder unten) verschieben sie sich. Als Reaktion auf Bewegung oder Schwerkraft senden die Haarzellen Signale direkt ans Kleinhirn, den großen Lappen, der oberhalb des Hirnstamms im unteren hinteren Bereich des Gehirns sitzt. Ein zweites Element dieses inneren Orientierungssystems sind drei Röhren im Innenohr: die Bogengänge. Diese schneckenförmigen Röhren enthalten eine Flüssigkeit, die sich innerhalb der Gänge bewegt, wenn wir den Kopf drehen oder neigen. Auch die in diesen Gängen entstehenden Signale werden direkt ans Kleinhirn gesendet. Das Kleinhirn gehört zu den primitivsten Teilen unseres Gehirns (das heißt, zu den evolutionsgeschichtlich frühesten). Es bestimmt und reguliert Bewegung, Gleichgewicht, Balance und andere motorische Aktivitäten und ist durch ein dichtes Netz von Fasern mit dem limbischen System verbunden (dem Teil des Gehirns, der Hypothalamus, 246
Hippocampus und andere Zentren enthält, die mit Gefühlen und Lernen in Beziehung stehen - also die Stellen, an denen James Old und andere ihre Elektroden anbrachten, um die Lust- und Schmerzzentren im limbischen System zu stimulieren) und außerdem mit dem Neokortex. Laut Graham stimuliert die Bewegung des GP die empfindlichen Haarzellen und Bogengänge des Innenohrs. Da die meisten Menschen eine derartige ununterbrochene rhythmische Kreisbewegung nicht gewohnt sind, ist die Stimulation nicht nur anders, sondern auch wesentlich stärker als die Reize, die das Innenohr normalerweise erfährt. Die Nervenenden im Innenohr reagieren, indem sie eine enorme Menge elektrischer Signale ans Kleinhirn senden. Dort werden sie verarbeitet und ans limbische System und den Neokortex weitergeleitet. So löst die Kreisbewegung in allen Gehirnbereichen vermehrte neurale Aktivität aus: Man könnte buchstäblich von einem Training des Gehirns durch Bewegung sprechen; Neuronen werden auf neue Art und Weise stimuliert und senden Signale durch bisher ungenutzte neurale Netzwerke. «Wir Erwachsenen nehmen überwiegend stehende oder sitzende Körperhaltungen ein», sagte Graham, «außer beim Schwimmen oder Schlafen.» Kinder dagegen hätten einen angeborenen Hang zu vestibulärer Stimulation. Begeistert drehen sie sich um sich selber, bis sie in benommener Euphorie zusammenbrechen, sie schlagen Räder und Purzelbäume, rollen Abhänge hinunter, stürzen sich selig auf Karussells und Riesenräder und überschütten die Nerven im Innenohr mit den ekstatischen Gefühlen einer Achterbahnfahrt. Wenn wir älter und würdevoller werden, nimmt die Zahl der Räder und Purzelbäume, die wir schlagen, stark ab. Für viele von uns vergehen Jahre, bis wir uns einmal einen Abhang hinunterrollen lassen oder uns um uns selbst drehen wie ein Kreisel. Als Folge geschieht das, was mit allen Körperteilen geschieht, die man nicht genügend benutzt und trainiert: Was rastet, das rostet. Unser Vestibularapparat wird langsam steifer, da er nur wenige Orientierungsvarianten verarbeiten muß. Die Verbindungen zwischen Innenohr und Kleinhirn beziehungsweise limbischem System und Neokortex beschränken sich auf dieses schmale Spektrum von Varianten - die Nervenbahnen werden habituell, in unser Gehirn eingeschnitten wie 247
tiefe Spurrinnen in eine Straße. Erfahrungen außerhalb der normalen Bandbreite werden unangenehm, verursachen Übelkeit oder Angst. Man vergleiche einmal die Reaktionen von Kindern mit denen der Erwachsenen, wenn ein kleines Flug/eug, in dem sie sitzen, plötzlich in ein Luftloch gerät oder abdreht, wenn sie auf der Achterbahn sitzen oder sich auf unruhiger See befinden. Jetzt könnten Sie sagen: Na und? Okay, wir kriegen unsern Lustgewinn nicht mehr dadurch, daß wir uns wie Kreisel um uns selber drehen. Aber schließlich sind wir erwachsen, wir haben wichtigere Dinge zu tun als Achterbahn fahren, dafür haben wir andere verfeinerte Freuden. So etwa sah die Frage aus, die ich David Graham stellte. Zugegeben, sagte ich, Kinder drehen sich gern um sich selbst und stimulieren ihren Vestibularapparat auf diverse Weise. Zugegeben, ihre Maschine hat anscheinend diese vestibularstimulierende Wirkung. Und zugegeben, die Benutzung der Maschine ist wirklich sehr angenehm. Aber es gibt viele angenehme Erfahrungen. Was macht diese spezifische Erfahrung so besonders wertvoll? «Es ist im Grunde sehr einfach», sagte Graham, «vestibuläre Stimulation wird durchs Kleinhirn an andere Gehirnbereiche weitergegeben. Das heißt, die Millionen von Nervenendungen im Innenohr reagieren auf Bewegung mit elektrischen Impulsen, die überall ins Gehirn getragen werden und eine ungeheure Menge neuraler Aktivität auslösen. Die Art dieser neuralen Aktivität ist ungewöhnlich, weil sie nicht nur viele verschiedene Bereiche des Gehirns stimuliert, sondern auch die Neuronen dazu bringt, neue Verbindungen zu legen. Die Kreisbewegung trainiert also das Gehirn, indem sie den Fluß von Neuroelektrizität und Neurochemikalien zu großen Gehirnbereichen ändert und erhöht. Als erstes bewirkt diese Art der vestibulären Stimulation einen drastischen Zuwachs an motorischen Fähigkeiten und Lernleistung. Mit anderen Worten, man könnte das auch nennen, so wie man körperliches Training nennt.» «Es hat tatsächlich in den letzten Jahren eine Reihe von Untersuchungen gegeben, die klar zeigen, daß Bewegung, einfache Bewegung, absolut wesentlich für das Gehirnwachstum ist. Bewegung ist wie ein Nährstoff: Wenn wir nicht die richtige Menge Nährstoffe zu uns nähmen, wären wir nicht gesund, und es gäbe kein Gehirnwachstum. 248
Bewegung ist ebenso wie Nährstoffe ein Schlüssel zum Gehirnwachstum.» «Sie behaupten da», sagte ich, «daß der GP irgendwie nicht nur das Gehirn trainieren und einen schlauer machen kann, sondern daß er auch das Gehirn Wachstum anregt.» Graham nickte und zitierte einige der Untersuchungen zur Beziehung zwischen Bewegung, erhöhter Lernfähigkeit und Gehirnwachstum. Ich habe mir später einige dieser Berichte (soweit veröffentlicht) näher angeschaut. Am eindrucksvollsten war vielleicht eine Versuchsreihe, die der Neuroanatom David Clarke (Ohio State University College of Medicine) in der Mitte der siebziger Jahre durchgeführt hat. Seine Versuchspersonen waren Kinder, manche Gruppen bestanden aus gesunden Kindern, andere waren geistig behindert, litten unter dem Down-Syndrom (Mongolismus), Gehirnlähmung oder Hyperkinese. Clarke setzte die Kinder in einen speziell eingerichteten Stuhl, der sich in genau berechneter Weise um sich selbst drehte. Diese Drehbewegung war so geplant, «daß sie maximale Wirkung auf die Bogengänge des Innenohrs haben sollte». Clarke berichtet: «Gesunde Kinder, die diese Drehbehandlung erhielten, entwickelten schneller als die nicht behandelten Balance und Koordination. Bei Kindern mit Gehirnlähmung zeigten sich Verbesserungen in der Kontrolle von Kopf, Hals und Oberkörper, außerdem in der Koordination der Extremitäten und im Gleichgewichtssinn... Die mongoloiden Kinder erlebten eine im Vergleich zu einer Kontrollgruppe sehr rasche Entwicklung ihrer motorischen Fähigkeiten. Ihr Prozentsatz an neuerworbenen Fertigkeiten war fast dem von gesunden Kindern zu vergleichen.» [75] Auch der Neuropsychologe James Prescott (National Institute of Child Health and Human Development in Bethesda, Maryland) glaubt, daß «die Nervenbahnen zwischen Vestibularapparat und Kleinhirn, die das Gleichgewicht über die Registrierung der Schwerkraft regeln, eine wesentliche Rolle bei der Entwicklung normalen sozialen Verhaltens» und auch bei der Gehirnentwicklung spielen. Prescott meint: «Bewegungsmangel könnte der kritische Faktor bei sozialem Rückzugsverhalten sein, da hierdurch der Vestibularapparat reizdepriviert wird.» Prescott beschreibt weiter Studien, die gezeigt haben, daß Bewegungsmangel zu einer «Gehirnabnormität führt einem Verlust dendritischer Verbindungen im Kleinhirn.» [325] Bewe249
gungsmangel führt nicht nur zu psychologischen Veränderungen und Änderungen im sozialen Verhalten, sondern zur tatsächlichen physiologischen Degeneration von Gehirnneuronen. Es gibt Hinweise darauf, daß auch das Umgekehrte zutrifft: Vermehrte vestibuläre Stimulation führt zu einem Zuwachs an dendritischen Verbindungen und anderen Arten des Gehirnwachstums. SIE BEWEGT SICH, SIE BEWEGT SICH NICHT -DIE KÜNSTLICHE AFFENMUTTER
Sowohl Clarke als auch Prescott geben an, ihre Untersuchungen zur menschlichen Bewegung seien durch die berühmten Experimente inspiriert worden, die der Psychologe Harry Harlow (University of Wisconsin) in den fünfziger und sechziger Jahren durchführte. Bei diesen Untersuchungen nahm man kleinen Affenkindern die Mutter weg. Einige unter ihnen wuchsen isoliert auf, ohne Gelegenheit, andere Affen zu berühren oder mit ihnen zu spielen. Andere bekamen eine mit Fell oder Stoff bedeckte Ersatzmutter, die an den Fußboden geschraubt war und sich nicht bewegte. Innerhalb von drei Monaten waren diese jungen Affen sehr stark gestört, anscheinend schizophren. Sie saßen in einer Ecke und schaukelten hin und her (so wie es auch manche geistig zurückgebliebenen Kinder tun). Wenn man sie in Kontakt mit anderen Affen brachte, konnten sie keine Beziehung zu ihnen aufnehmen, zu sexuellen Handlungen waren sie nicht fähig. Häufig hatten sie gewalttätige Ausbrüche. Die Studie wurde im allgemeinen dahingehend interpretiert, daß Schizophrenie ein Ergebnis unzureichender Bemutterung sei. Harlow war anderer Meinung, denn eine Gruppe von Affen, die mit Gleichaltrigen ohne Mutter in einem gemeinsamen Käfig aufwuchsen, entwickelte sich durchaus normal. Die Forscher standen vor einem Rätsel. Was konnte die eigentliche Ursache der geistigen Störungen bei den Affen sein? Offensichtlich war der Schaden durch sensorische Deprivation ausgelöst worden, aber welcher sensorische Input ist wesentlich für die gesunde Entwicklung des Gehirns? Visuelle Reize, Klänge und Geräusche, Berührung? Ein Kollege von Harlow, Bill Mason, unternahm weitere Versuche. Er zog eine Affengruppe zusammen mit den Müttern auf, eine zweite mit 250
einer Ersatzmutter (einer mit Fell bezogenen fest verankerten Flasche) und eine dritte Gruppe mit derselben Ersatzmutter (also einer fellbedeckten Flasche), in diesem Fall aber mit einem Motor verbunden, der sie hin und her schaukelte. Der Apparat versetzte den kleinen Affen kleine Püffe, und wenn sich die Kleinen daran festklammerten, wurden sie heftig geschaukelt. Die Ergebnisse waren verblüffend: Die mit der stationären Mutter aufwachsenden Affen entwickelten dieselben Deprivationsschäden wie die in totaler Isolation aufgewachsenen, die mit der beweglichen Ersatzmutter aufwachsenden jedoch entwickelten sich normal. [276] Es war deutlich zu erkennen: Der entscheidende Faktor bei der Entwicklung normaler Gehirne und normaler sozialer Fertigkeiten war Bewegung.
DIE GEFÜHLS-BEWEGUNG
Der zweite Schlüssel zu den bewußtseinsverändernden Wirkungen des GP ist das schwache elektromagnetische Feld, das den Körper des Benutzers umgibt. Dieses Feld interagiert nach den Aussagen Grahams mit dem natürlichen, körpereigenen elektrischen Feld und verändert es. Die den Menschen umgebenden elektromagnetischen Felder, auch als oder <elektrodynamische> Felder bekannt, sind der Wissenschaft bisher nicht ganz verständlich. In den letzten Jahren aber hat sich ein sehr starkes Interesse an diesem Gebiet herausgebildet, das viele Untersuchungen nach sich zog. In den sechziger Jahren gab es kaum ein halbes Dutzend Untersuchungen zum Thema Bioelektrizität, während seit Beginn der achtziger Jahre jährlich etwa 6000 Studien zu diesem Thema veröffentlicht werden. Die heutigen Forscher nehmen an, daß dieses bioelektrische Feld den gesamten Körper durchdringt und dabei biologische Funktionen integriert und lenkt, darunter Wachstum, Heilung und Gehirntätigkeit. Einer der bedeutendsten Forscher auf dem Gebiet der Bioelektrizität ist Robert O. Becker. Seine Experimente veranlaßten ihn zu der Hypothese, es gäbe da ein «primitives Datenübertragungssystem». «Wir fanden heraus, daß die Potentiale zu einem durch Kraftlinien repräsentierten elektrischen Feld organisiert sind, dessen Muster ungefähr dem des Nervensystems entspricht.» 251
Becker vermutete, dieses primitive Datenübertragungssystem sei nicht nur der Schlüssel zu Heilung und Regeneration von Organen, sondern auch zu veränderten Bewußtseinszuständen. Da das Fließen der bioelektrischen Ströme eindeutig nicht im Nervensystem selber stattfand, suchte Becker nach Quelle und Struktur dieses bioelektrischen Netzwerks, das nach seinen Untersuchungsergebnissen den gesamten Körper durchzieht. Eine interessante Erklärung bot die uralte chinesische Theorie der Akupunktur, derzufolge eine als bekannte, grundlegende Energie den Körper entlang einer Reihe von Bahnen oder Meridianen durchfließt. Störungen in diesen Bahnen können zu körperlicher oder seelischer Krankheit führen; und solche Krankheiten lassen sich verhindern oder heilen, indem man an bestimmten Punkten entlang der Meridiane Nadeln in den Körper sticht, um die Chi-Energie zu verändern und zu harmonisieren. Neueste Forschungen haben ergeben, daß sich durch Anwendung spezifischer elektrischer Ströme an diesen Punkten dieselbe Wirkung wie mit den Nadeln erzielen läßt. Becker war fasziniert: Das Akupunktursystem schien in vieler Hinsicht parallel zu dem bioelektrischen System zu verlaufen, das er nachzuweisen suchte. Er testete die elektrischen Eigenschaften der Akupunkturmeridiane bei einer großen Zahl von Versuchspersonen und schloß: «Für einen Teil des Akupunktursy-stems konnten wir elektrische Korrelate nachweisen. Dies weist darauf hin, daß das Akupunktursystem objektiv nachweisbar und real ist.» [260] Diese Schlußfolgerung gewinnt zusätzlich an Bedeutung, wenn man sie im Licht einer Reihe anderer Studien betrachtet. Diese zeigen nämlich, daß als Ergebnis von Akupunktur (durch Nadeln oder elektrischen Strom) die Endorphinwerte im Körper steil ansteigen. Damit sind die schmerzlindernden und anästhetischen Wirkungen der Akupunktur erklärt. Zudem üben ja Endorphine viele Funktionen neben der Schmerzlinderung aus. Unter anderem verstärken sie bestimmte Formen der Gedächtnis- und Lernleistung. Bis jetzt ist nicht untersucht, wie weit elektrische Stimulation neben den Endorphinen auch andere Peptide anregt, trotzdem erscheint es sinnvoll anzunehmen, daß sich auch die Werte anderer Peptide durch elektrische Stimulation anheben lassen. Folglich muß unterstellt werden, daß die elektrische Stimulation des körpereigenen elektrischen Feldes eine Vielzahl tief252
greifender und langanhaltender Wirkungen auf Körper und Geist, Gefühle und Verhalten haben kann. Becker dazu: «Wir haben es hier mit sehr grundlegenden Mechanismen zu tun, die entscheidend für die Arbeit des Zentralnervensystems sind. In den frühen sechziger Jahren hatte ich die Idee, das Bewußtsein könnte zur Existenz von Gleichströmen in Beziehung stehen. Jede Veränderung des Bewußtseinszustandes könnte mit einer Verschiebung der Strommengen zusammenhängen. Wenn man zum Beispiel den Stromfluß hemmte, würde sich die Erregbarkeit des Menschen verringern, durch eine Verstärkung des Gleichstroms könnte man den Menschen in einen Zustand der Erregung versetzen. Diese Theorie wurde durch Tierversuche bekräftigt.» Becker folgert, daß «es so etwas wie einen zugrundeliegenden Zustand gibt, der nach den Prinzipien der Festkörperphysik funktioniert. Dieser Zustand würde durch Perturbationen in relativ kleinen Feldern beeinflußt werden, insbesondere durch bestimmte Frequenzen.» [27] Beckers Hypothesen sind durch die Arbeit des Mediziners W. ROSS Adey (Brain Research Institute der University of California in Los Angeles) bestätigt worden. Adey untersuchte die «Wirkungen schwacher elektrischer und elektromagnetischer Felder auf das Verhalten von Mensch und Tier». Dabei entdeckte er, daß solche Felder sehr signifikante Wirkungen auf das Verhalten haben, und daß man diese Wirkungen aus ganzheitlicher Sicht betrachten muß. Er kommt zu dem Schluß, daß «das Gehirn ein Organ ist, welches in einzigartiger Weise aus einer ungeheuren Zahl erregbarer Elemente zusammengesetzt ist. Es läßt sich auf eine subtile Weise beeinflussen, für die sich kein Vergleichsphänomen in Leber, Muskeln oder Nieren finden läßt... Wir können deshalb antizipieren, daß die Reaktionsbereitschaft zerebralen Gewebes auf schwache elektromagnetische Felder eine Manifestation der kollektiven Eigenschaften seiner zahlreichen zellulären Elemente ist, die sich im getrennten Verhalten seiner isolierten Elemente nicht erkennen ließe.» [5] Von Adeys Beschreibung der kollektiven Eigenschaften des Gehirns in Reaktion auf schwache elektromagnetische Felder können wir eine Verbindung ziehen zu unserer Auseinandersetzung mit dem Gehirn als dissipativer Struktur. Erinnern wir uns an Dr. William Bauers Schlußfolgerung, daß «zusammengefaßt, der Mechanismus der Inter253
aktion zwischen Gewebe und elektromagnetischen Feldern folgendermaßen aussehen könnte: ein elektromagnetisches Feld der richtigen Größe und Frequenz verursacht eine oder eine Umgruppierung der molekularen Plasmamembran der Zellen. Dies wiederum könnte die Membran-Emzymsysteme beeinflussen, indem die paarige Anordnung von Molekülen positiv verändert wird. Ähnlich wie chemische Katalysatoren die Moleküle in die günstigste Position für chemische Reaktionen bringen... Das elektromagnetische Feld kann ähnlich wie ein Hormon auf die Zellmembran wirken.» [25] Das geeignete elektromagnetische Feld könnte dadurch wirken, daß es die Fluktuationen oder Perturbationen in der Gehirnstruktur erhöht und dadurch das Gehirn zur Veränderung seiner internen Organisation und zum bringt, so daß es sich neu organisiert, und zwar auf einer höheren Stufe von Kohärenz und Komplexität und mit einem höheren Grad von Kommunikation zwischen seinen Komponenten. Auch könnte das elektromagnetische Feld nach Meinung Bauers wegen seiner katalytischen Wirkung auf die Gehirnzellen ähnlich wie ein Hormon wirken. Hormone, das wissen wir, sind von endokrinen Drüsen (zum Beispiel der Epiphyse und der Schilddrüse) abgesonderte Chemikalien, die ein Signal an ein oder mehrere Zielorgane weitergeben. Diese Signale werden oft über lange Zeit aufrechterhalten und kontrollieren langsame, aber lebenswichtige Prozesse wie Wachstum, Fortpflanzung, Regeneration, Reifung und Altern. Demnach lassen Bauers Aussagen vermuten, daß ein elektromagnetisches Feld der richtigen Frequenz und Amplitude nicht nur die Gehirntätigkeit drastisch verändern kann, sondern auch seine Struktur erhöht. Möglicherweise wirken solche Felder wie Katalysatoren oder Hormone, indem sie bestimmte angeborene, bisher noch nicht von der Wissenschaft entdeckte Regenerationsfähigkeiten der Neuronen ansprechen. Kenneth Pelletier (Langley Porter Psychiatrie Institute und University of California School of Medicine in San Francisco) faßt die Implikationen der jüngsten Flut von Entdeckungen zu Wirkungen elektromagnetischer Felder zusammen: Es wird immer deutlicher, daß psychologische Vorgänge nachweisbare Veränderungen der elektrischen und biochemischen Aktivität 254
des gesamten Zentralnervensystems hervorrufen. Winzige elektromagnetische Ladungen scheinen grundlegende biologische Funktionen zu steuern, wie sie sich zum Beispiel in der Genesung nach einer Verletzung und in allgemeiner Regeneration äußern. Durch elektrische Stimulation dieser elektrischen Ladungen lassen sich biologische Vorgänge direkt beeinflussen . .. Vielleicht ist [Beckers primitives Datenübertragungs- und Kontrollsystem] das Bindeglied zwischen dem menschlichen Bewußtsein und seinem Einfluß auf die Endorphin- und Enzephalin-Reaktion ... Wenn wir dieses Bindeglied verstehen, könnte es möglich werden, daß Bewußtsein systematisch so zu lenken, daß es diese internen elektrischen und biochemischen Prozesse reguliert, analog zu den heute üblichen klinischen Biofeedback-Praktiken. [260] Während David Graham die Wirkungsweise des von seinem Potentializer erzeugten elektromagnetischen Feldes erläutert, geht er auch auf diese Theorien ein: «Das Prinzip von Drogen ist es, daß sie Substanzen ins Gehirn tragen, die in der Tat die Gehirnchemie verändern. Dadurch wiederum verändert sich die elektrische Tätigkeit des Gehirns. Leider aber sind Drogen erstens meistens synthetischer Herkunft und können schädlich sein, zweitens lassen sie sich nur schwer durch die Blut-Gehirn-Schranke zu dem kleinen sehr spezifischen Bereich des Gehirns bringen, an denen sie ihre Wirkung entfalten sollen. Stattdessen schlagen sie wie ein Knüppel aufs ganze Gehirn ein. Ich stelle die Hypothese auf, daß die Medizin der Zukunft bioelektrisch sein wird. Dieser Vorgang funktioniert in beiden Richtungen. Wenn man weiß wie, kann man die elektrische Tätigkeit in Gehirn oder Körper von außen ändern. Dadurch wird die Produktion von Chemikalien oder die chemische Zusammensetzung des Körpers verändert. Genau das tut der Potentializer.» Könnte der GP möglicherweise Gehirnzellen zur Regeneration anregen? «Wie Sie wissen», antwortete Graham, «gehen die meisten Wissenschaftler noch immer davon aus, daß Neuronen sich nicht regenerieren können. Ich glaube das nicht. Ich meine, daß sich Gehirnzellen unter den richtigen Bedingungen selbst reproduzieren können, wie jede andere Zelle in unserm Körper. Das wird durch eine Reihe neuerer Studien nachgewiesen.» Womöglich die eindrucksvollste der 255
von Graham erwähnten Studien ist die bahnbrechende Arbeit von Clarence Cone (Cell and Molecular Biology Laboratory of the Veterans Administration Hospital Center, Hampton, Virginia). Im Zuge seiner Arbeiten für die NASA entdeckte Cone, daß sich die Neuronenregeneration durch «direkte elektromagnetische Veränderungen auf der Zelloberfläche» stimulieren läßt. [78] Cones Entdeckung ist inzwischen durch die NASA patentiert und von Wissenschaftlern in anderen Laboratorien bestätigt worden. [241] Außerdem haben Studien von Fernando Nottebohm und seinen Kollegen an der Rockefeiler University ergeben, daß die Neuronen in Vogelgehirnen Zyklen von Absterben und Regeneration durchlaufen, was ebenfalls dem traditionellen Glauben widerspricht, daß nach der Kindheit keine Neuronen mehr gebildet werden. Nottebohm hofft, dasselbe Phänomen der NeuralRegeneration auch an menschlichen Gehirnen nachweisen zu können. Sein Ziel ist, das Wachstum neuer Neuronen nach Gehirnschäden herbeizuführen. Wenn Neurologen die richtigen Bedingungen herstellen, sagt Nottebohm, «dann könnten sie womöglich das Wachstum neuer Neuronen und neuer neuraler Verbindungen stimulieren und eine Wiederherstellung der Gehirnfunktionen» bewirken. Graham wies darauf hin, daß eins der gängigsten therapeutischen Anwendungsgebiete des GP in der Behandlung gehirngeschädigter Kinder liegt, zum Beispiel bei Kindern, die unter dem Down-Syndrom (Mongolismus) leiden. Bei einer Reihe unabhängiger Studien stellte sich heraus, daß solche Kinder durch eine Behandlung mit dem GP verblüffende Verbesserungen in vielen Bereichen erfahren, darunter Intelligenz, Aufmerksamkeit und Sprache. Eine Untersuchung von Harvey Grady, dem Forschungsleiter an der A.R.E. Clinic in Phoenix, entdeckte «erweiterte geistige Fähigkeiten» und signifikante «neurologische Entwicklung» bei einem mongoloiden Kind, das mit dem GP behandelt wurde. In der zweiundzwanzigmonatigen Behandlungszeit erhöhte sich die «neurologische Entwicklung» dieses Kindes «von 39 Prozent auf 48,2 Prozent der Normalentwicklung», so Grady. «In diesem Fall scheint die Therapie [mit dem Graham Potentializer] Katalysator für eine Beschleunigung leicht meßbarer physiologischer und neurologischer Wachstumsprozesse gewesen zu sein. . . » [128] Sollte solches neurologisches Wachstum in der Tat durch den GP ausgelöst werden? In welchen Teilen des Gehirns spielte sich das Wachstum ab? 256
Drückte es sich in Dendritenlänge aus? In Vermehrung der Gliazellen? Oder der Neuronen? Geht eine tatsächliche neurale Regeneration mit diesem Wachstum einher? Wenn der GP die Regeneration von Gehirnneuronen bei gehirngeschädigten Versuchspersonen auslösen kann, könnte er dann denselben wachstumsfördernden Effekt auf Menschen mit gesundem Gehirn haben? Auf diese Fragen konnte Graham keine sichere Antwort geben, da ihm bisher keine Forschungen über die Wirkung des GP auf neurales Wachstum oder neurale Regeneration vorliegen. «Ich kann es zur Zeit nicht beweisen», sagte er, «aber ich habe das Gefühl, wenn wir erst alle Fakten kennen, wird sich womöglich herausstellen, daß die Maschine Alterungsprozesse verlangsamen und durch Stimulation regenerativer Vorgänge das Immunsystem und somit Heilungsvorgänge positiv beeinflussen kann.»
ELEKTRISCHE MENSCHEN AUF EINER ELEKTRISCHEN ERDE
Vielleicht erscheint Ihnen der Gedanke, Ihren Körper mit einem elektromagnetischen Feld zu umgeben, etwas unheimlich. Dann sollten Sie bedenken, daß, wie Graham mir sagte, «die Erde ständig ein elektrisches Feld aussendet. Dieses natürliche Feld schwankt zwischen 100 und 15 000 Volt pro Meter. Das gesamte wissenschaftliche Material deutet darauf hin, daß dieses Feld auf alle lebenden Organismen eine wohltuende Wirkung ausübt. Leider haben wir Menschen unsere natürliche Umwelt mit Eisen und Beton verändert. Dabei haben wir uns nichtsahnend gegen einen Großteil des natürlichen Erdmagnetfeldes abgeschirmt. Die Forschung hat aber gezeigt, daß bei Menschen, die von den natürlichen Magnetfeldern der Erde abgeschnitten sind, eine ganze Reihe körperlicher und verhaltensmäßiger Unregelmäßigkeiten auftreten. Im Laboratorium ist es möglich, Menschen durch Metallplatten vollständig von jeder elektromagnetischen Energie abzuschotten. So eine Abschirmkammer nennt man Faradaykäfig. Wie sich herausstellte, reagieren Menschen mit Symptomen wie Mattigkeit, Schläfrigkeit, Langeweile, Lethargie, Reizbarkeit etc., wenn man ihnen das natürliche Magnetfeld der Erde wegnimmt. Heutzutage haben sich die Menschen besonders in den großen Städten in Gebäude eingeschlossen, die im Grunde nichts anderes sind als riesige Faraday257
käfige - die großen Stahlbetonbauten halten die natürlichen Magnetfelder der Erde ab. «Doch wir haben uns nicht nur von den natürlichen Kraftfeldern der Erde abgeschnitten», sagte Graham, «sondern uns außerdem mit einer unglaublichen Vielfalt künstlicher Felder umgeben, von denen viele, wie wir heute entdecken, geradezu katastrophale Auswirkungen auf den menschlichen Körper und Geist haben können. Zu den schädlichen Feldern, denen wir ständig ausgesetzt sind, gehören die Hochleistungsstrahlen der Radio- und Fernsehsender, die Strahlen der elektrischen Hochspannungsleitungen, die das Land kreuz und quer durchziehen, und die der Haushaltsgeräte wie Mikrowellenherde, Fernsehgeräte und Computer. Man hat entdeckt, daß diese elektromagnetische Umweltverschmutzung, der <Elektro-Smog>, alle möglichen nachteiligen Wirkungen auf Menschen ausübt. Sie verursacht Streß, Krebs, Tumorbildung, schwächt das Immunsystem und führt zu einer Reihe von Verhaltensstörungen und mentalen Beschwerden.» Der Potentializer jedoch erzeugt nach Angaben Grahams ein sehr schwaches Feld (weniger als 2 Volt) einer Frequenz (125Hz), der er eine wohltuende Wirkung zuschreibt. Das Feld «interagiert mit dem körpereigenen natürlichen Feld und gleicht es je nach Bedarf aus oder verstärkt es. Es tritt eine Energietransfusion ein. Das Gehirn genießt ein Training, das die neuralen Reaktionen verbessert. In einem Fall konnten wir bei einem Studenten einen fünfundzwanzigprozentigen Sprung im neuralen Effizienz-Quotienten beobachten - nach einer einzigen fünfzehnminütigen Sitzung mit dem Potentializer.» (Die Anwendung elektromagnetischer Felder ist nicht ohne Gefahren. Dr. Becker: «Bitte warnen Sie Ihre Leser, damit die nicht in ein Geschäft für Elektronikbauteile rennen und sich selbst etwas zusammenbasteln, das Knochen heilen oder Haare zum Wachsen bringen soll. Denn man weiß mittlerweile, daß sich aus elektromagnetischer Energie sehr gefährliche Nebenwirkungen ergeben können.» Dr. Wendell Winters von der University of Texas in San Antonio berichtete im Jahre 1984, daß fünf verschiedene Typen von Tumorzellen um 600 Prozent schneller wuchsen, nachdem sie nur einen Tag einem 60-HzFeld ausgesetzt gewesen waren. Diese Frequenz entspricht der unserer elektrischen Leitungen, deren Abstrahlungen wir ständig ausgesetzt sind.) [140] 258
FELDER, DIE UM FELDER KREISEN
Das elektromagnetische Feld sei ein wesentlicher Bestandteil des Geräts, so Graham. Allerdings machte er bei seinen Untersuchungen eine interessante Beobachtung. Für sich genommen hatte das Feld eine kleine, aber doch merkliche Wirkung auf die Versuchspersonen. Menschen, die man auf das Gerät legte und einfach nur kreisen ließ, ohne das Magnetfeld einzuschalten, wurden stärker beeinflußt als Personen, die sich nur dem Magnetfeld, nicht aber der Bewegung aussetzten. Kombinierte man aber Bewegung mit elektromagnetischem Feld, stieg die Wirksamkeit steil an. «Beide zusammen», sagte Graham, «haben eine synergistische oder katalytische Wirkung, so daß sich der Effekt wesentlich verstärkt.» Der Gedanke, daß Bewegung und elektromagnetische Energie sich gegenseitig potenzieren, erscheint durchaus sinnvoll, wenn man bedenkt, daß diese Kombination im Grunde natürlich ist. Graham: «Wir Menschen leben auf einer sich drehenden Erde und bewegen uns durch ihr Magnetfeld. Vielleicht ist das eine natürliche Vorbedingung zur Entwicklung menschlichen Bewußtseins.» Menschen erzeugen und senden ständig ihr eigenes natürliches elektrisches Feld aus. Auch die Erde hat ein natürliches Feld. Wenn sich also Menschen auf der Erde kreisförmig bewegen, wird im Grunde jedes individuelle Feld kreisförmig um ein anderes Feld herum gedreht. Graham: «Denken Sie mal daran, wie Elektrizität erzeugt wird. Dabei spielt immer Bewegung eine Rolle. Man dreht das eine Feld um das andere. Ohne diese Drehbewegung gibt es auch keine Elektrizität. Der Potentializer funktioniert sehr ähnlich. Ohne die Bewegung geschieht nicht sehr viel. Wenn man aber das körpereigene Feld des Menschen gegen das der Maschine dreht, kommt eine bestimmte Interaktion auf, eine bestimmte Form von Energie wird geschaffen, so wie zwei sich gegeneinander drehende elektrische Felder Elektrizität erzeugen. Dabei bekommt der Mensch eine <Energie-Transfusion>, wie ich es genannt habe. Die Maschine beschleunigt im Grund nur natürliche Vorgänge. Wenn man sich nachts schlafen legt, dreht sich die Erde und man dreht sich mit. Dabei bewegt man sich auch durch das Magnetfeld der Erde. Erfrischt wacht man auf. Das geschieht auch durch die Maschine. Aber 259
beim Schlafen vollzieht man nur einen Teil der großen Kreisbewegung, wohingegen die Maschine viele kleine Kreise beschreibt.» «Dann simuliert man also bei jeder Kreisbewegung der Maschine eine Erdumdrehung?» fragte ich. «Genau», sagte Graham, «und das stimuliert das intellektuelle Wachstum. Sehen Sie, das menschliche Gehirn ist im Alter von sieben Jahren ausgewachsen und im Grunde vollständig, sein volles Wachstum in puncto Intellekt oder Bewußtsein also auch Lernfähigkeit - erreicht es aber erst im Alter von sechzehn Jahren oder noch später. In all diesen Jahren dazwischen legt man sich immer wieder nachts zum Schlafen hin und läßt sich von Magnetfeld und Drehung der Erde mitbewegen. Genau das macht auch die Maschine. Sie simuliert das in kleinem, beschleunigtem Maßstab.» Das alles erschien mir ziemlich spekulativ. Manch einer hätte aus Grahams Worten auch eine sich abzeichnende Geistesgestörtheit abgelesen. Graham behauptete, die Kreisbewegung in einem elektromagnetischen Feld der richtigen Beschaffenheit fördere Intelligenz und intellektuelles Wachstum. Meines Wissens gab es keine Möglichkeit, das zu beweisen oder zu widerlegen. Aber Graham behauptete auch, daß seine Maschine Intelligenz und intellektuelles Wachstum fördere. Wenn er dafür Beweise hatte, war es dann noch wichtig, wodurch diese Gehirnverbesserung zustande kam? Ich fragte ihn, welche Beweise er dafür habe, daß der GP in der Tat meßbar das Bewußtsein verändere und die Intelligenz erhöhe. Daraufhin unterbreitete er mir eine von ihm durchgeführte EEGVersuchsreihe, an der dreißig Personen jeweils insgesamt 215mal den Messungen unterzogen wurden. Bei diesen kontrollierten Versuchsreihen analysierte er eine Reihe von Gehirnwellen-Charakteristika, die der EEG-Experte (und Erfinder der Neurometrie) E. Roy John als «die empfindlichsten Indikatoren der Gehirnfunktion» bezeichnet hat. Zu diesen Indikatoren gehören die durchschnittliche Gehirn Wellenfrequenz, die Menge der Alpha-Wellen und die Phasenbeziehung zwischen linker und rechter Gehirnhälfte (der Grad der hemisphärischen Synchronisation). Der hochangesehene kanadische Psychologe Dr. J. P. Ertl, der vor allem für seine Pionierarbeit auf dem Gebiet der Beziehung zwischen Intelligenzquotient und Gehirnwellentätigkeit bekannt ist, hat ein spezielles EEG-Verfahren entwickelt, mit dem man diese «empfindlichen Indikatoren» messen kann. Außer260
dem entwickelte Ertl eine Maschine, mit der sich der Neuro-EffizienzQuotient (NEQ) messen läßt. Ertl hat durch umfangreiche Forschungen festgestellt, daß der NEQ (der im wesentlichen die Assimilationsgeschwindigkeit des Gehirns mißt) äußerst eng mit der durch IQ-Tests gemessenen Intelligenz korreliert. Der Gedanke, daß sich Intelligenz physiologisch messen läßt, hat enorme Implikationen, da sich mit solchen Tests die Intelligenz messen ließe. Anders als bei den heute gängigen IQ-Tests, die alle bis zu einem gewissen Grad durch kulturelle Vorurteile verfälscht werden, indem sie bestimmte Bildungsvoraussetzungen, Rassenzugehörigkeit oder soziale beziehungsweise familiäre Abstammung begünstigen. Die Ergebnisse von Grahams Versuchen mit Ertls EEG-Apparatur waren umwerfend. Der Potentializer verursacht einen Zuwachs bei der Erzeugung von Alpha-Wellen. Die Versuchspersonen zeigten außerdem deutliche Verschiebungen der hemisphärischen Dominanz (woraus ein Ausgleich oder eine Synchronisation der beiden Gehirnhemisphären resultierte). Rätselhaft aber war die Tatsache, daß die Maschine ganz eindeutig den NEQ anhob. Ertls Forschungen hatten vermuten lassen, daß der durchschnittliche NEQ, der einem IQ von 100 bis 120 entspricht, im allgemeinen zwischen 15 und 18 liegt. Die Werte aus Grahams Studie zeigten nun, daß der Potentializer «die NeuroEffizienz auf 20 bis 21 anhebt. Dieses Niveau liegt 3 bis 4 Punkte höher als die Werte der Durchschnittsbevölkerung und würde einem allgemeinen Zuwachs der Neuro-Effizienz um ungefähr 25 Prozent gleichkommen. Die Neuro-Effizienz steht ebenso wie die evozierte Potential-Reaktion (ein spezielles EEG-Meßverfahren - Anm. d. Übs.) sehr eng mit dem IQ in Beziehung. Der [Graham Potentializer] könnte durchaus in der Lage sein, die ursprüngliche Intelligenz zu erhöhen.» [129] Nach Prüfung der Daten folgerte der Gehirn Wellenanalytiker Ertl, daß die Maschine «eindeutig eine günstige Wirkung auf die Gehirnwellen hat. . . bei den grundlegenden Gehirnwellenparametern trat eine handfeste Veränderung ein.» Ertl schreibt: «Ich kann bestätigen, daß die Hypothese, der [Graham Potentializer] übe keine Wirkung auf Gehirn wellen aus, von jedem Menschen zurückgewiesen werden muß, der mit wissenschaftlicher Methodologie vertraut ist. Die Veränderungen der EEG-Parameter waren sehr deutlich, konsistent und von 261
hoher statistischer Signifikanz... Ich bin davon überzeugt, daß die beobachteten EEG-Veränderungen durch den [GP] ausgelöst wurden. Aus der Möglichkeit, die Spektralcharakteristik von Gehirnwellen ohne Drogen und chirurgische Eingriffe zu verändern, könnte sich enormer Nutzen für die Medizin ergeben.» Interessanterweise zeigte auch diese Untersuchung, daß das elektromagnetische Feld und die Drehbewegung jeweils alleine genommen einen gewissen Einfluß auf Gehirnwellen hatten (wobei die Bewegung stärker wirkte als das Feld). Die Kombination beider Faktoren erwies sich aber als weit wirkungsvoller, so daß jetzt statistische Beweise für die synergistische beziehungsweise potenzierende Wirkung von Feld und Bewegung vorliegen. (Diese Untersuchung war bereits abgeschlossen, als Graham sein Gerät mit einem dritten Element versah, nämlich Klang. Allerdings sprechen alle vorliegenden Erfahrungen, wie wir in den vorangegangenen Kapiteln gesehen haben, dafür, daß die Hinzufügung entspannender Klänge die Wirksamkeit des Geräts weiter erhöhen müßte.) Graham hat für seine Maschine praktisch keine Werbung gemacht. Trotzdem hat eine wachsende Zahl von Medizinern und Therapeuten in den Vereinigten Staaten und Kanada sie zu einem integralen Bestandteil ihrer Behandlungsprogramme gemacht. Das Gerät steht vor allem in den Praxen von Ärzten, Psychiatern, Psychologen, Pädagogen und Chiropraktikern, aber auch bei Geistlichen, Lebensberatern und interessierten Wissenschaftlern. Obwohl sie sich bei der Beschreibung der Wirkungen des Geräts nur auf ihre eigenen Wahrnehmungen stützen können, stellte ich fest, daß ihre Erfahrungen Grahams Ausführungen bestätigen. Benutzer und Therapeuten berichteten übereinstimmend und unabhängig voneinander, das Gerät führe zu rascher Tiefenentspannung, reduziere oder beseitige Streß oder Streßsymptome, wirke schmerzlindernd, vermittle positive Einstellungen und Gefühlsinhalte, erweitere Lernfähigkeit, vermehre Intelligenz, Kreativität und Fähigkeiten zur Problemlösung. Außerdem verbessere es die grob- und feinmotorischen Funktionen und deren Koordination. Ein typischer Anwender des Geräts ist Chinmayee Chakrabarty vom Montefiore Hospital in der Bronx. Die Psychotherapeutin benutzt den GP in ihrer Privatpraxis und meint: «Die Maschine wirkt, das können Sie mir glauben. Ich habe durch sie oft erstaunliche Verände262
rungen miterlebt. Auch auf mein persönliches Leben hat sie eine wirklich tiefgreifende Wirkung gehabt.» Nach ihren Aussagen bewirkt die Maschine durchweg «bedeutende Schmerzlinderung» und macht den Benutzer «rasch gelassen und tief entspannt». Außerdem hebt die Psychologin (ebenso wie andere Benutzer) hervor, daß das Gerät «die Menschen sehr offen macht. Alles mögliche Material wird an die Oberfläche befördert. Das ist in den meisten Fällen äußerst hilfreich, indem die Menschen in sich Gefühle, Gedanken und Erinnerungen entdecken können, derer sie sich vorher nicht bewußt waren. Allerdings würde ich bestimmte Personen nicht auf das Gerät legen Grenzfälle, die womöglich nicht in der Lage sind, mit den hochkommenden Gefühlen und Erinnerungen fertig zu werden.» Ich fragte sie, was nach ihrer Erfahrung die häufigste und stärkste Wirkung der Maschine sei. Ohne zu zögern, antwortete sie: «Sie verbessert die Klarheit des Denkens - sie fokussiert den Geist, hilft einem, sich selbst und seine Probleme in neuer Perspektive zu sehen. Wenn ich das Gerät mit einem Wort charakterisieren sollte, würde ich sagen, es ist ein . Es löst alle Arten von Verwirrung auf und scheint zur Integration von Verstand und Gefühlen beizutragen. Außerdem erzeugt es einen starken Energiezuwachs - man denkt und arbeitet produktiver, weil der Geist neue Vitalität und Klarheit bekommt.» Eine der interessantesten informellen Untersuchungen des Potentializers hat der Bioelektrizität-Fachmann Joseph Light durchgeführt. Wie bereits erwähnt, hat Light sehr viel mit dem Mind Mirror experimentiert. Light schloß etwa fünfundzwanzig Personen an den Mind Mirror an und ließ sie verschiedene bewußtseinsverändernde Techniken (etwa Meditation, langsames Atmen, Selbsthypnose) und Geräte (zum Beispiel den TENS) durchprobieren. Dabei beobachtete er, welches Gerät oder welche Technik am besten geeignet war, um in den Versuchspersonen das für den <erwachten Geist> charakteristische Muster auf dem Mind Mirror zu erzeugen. «Zu meiner Überraschung stellte ich fest», sagte Light, «daß der Potentializer von allen Techniken und Geräten, die ich verwendete, mit Abstand am besten geeignet war, diesen tiefen meditativen Zustand hervorzurufen. Er funktioniert wirklich.» 263
15 DER BLICK INS LEERE: TRANQUILITE
Mit den großen runden Brillenschalen sieht man aus wie eine Kreuzung aus der Fliege [gemeint ist das Zwitterwesen - halb Mensch, halb Fliege, das ein verrückter Wissenschaftler bei seinen Experimenten versehentlich erzeugt - der Stoff wurde mehrfach verfilmt] und dem Monster der Schwarzen Lagune [ebenfalls ein Filmungeheuer]. Ich setze sie auf und stelle fest, daß auf der Innenseite diffuse indirekte Lichter glühen, die meinen Augen ein randloses, nicht-konturiertes Feld voll strahlendem, beruhigendem Türkis bieten. Als nächstes setze ich einen Stereokopfhörer auf. Er ist an ein Gerät von der Größe einer Zigarettenschachtel angeschlossen, das ein sanftes rhythmisches Geräusch von sich gibt - alle äußeren Geräusche werden vollkommen ausgeblendet, und ich höre nur noch ein pulsierendes flüssiges Gurgeln. In Kombination mit dem reinen Türkisblau, ruft das besänftigende Murmeln Erinnerungen an Taucherlebnisse im warmen klaren Wasser der Karibik in Mittelamerika wach: Etwa sechs Meter unter der Oberfläche treibe ich umher, schwer durch den erhöhten Wasserdruck. Über mir sehe ich durch das Wasser, wie der Himmel einen riesigen vollkommenen, azurblauen Dom bildet. Sehr rasch werde ich tief entspannt. Rasch ist eigentlich zuviel gesagt, denn ich habe jedes Zeitgefühl verloren, ich weiß nicht, ob es langsam oder schnell geschieht. Ich fühle mich bis an den Rand erfüllt von einer angenehmen benommenmachenden Entspannung. Am liebsten würde ich die Augen schließen, da fällt mir ein, daß man mir gesagt hat, ich sollte die Augen offen halten. Normalerweise kann ich die Augen nur kurze Zeit offenhalten, dann wird es mir unangenehm, 264
und ich beginne zu blinzeln. Dieses Blau aber ist derart entspannend, daß meine Augen regungslos werden, wie hypnotisiert. Farbenprächtige Visionen schießen an meinem inneren Auge vorbei, und ich schaue ihnen zu wie einem surrealen Film bei einer Privatvorführung. Plötzlich weiß ich nicht mehr, ob meine Augen offen oder geschlosen sind; ich könnte es wahrscheinlich herausfinden, aber wozu die Anstrengung? Bald habe ich vergessen, daß sich andere Leute im Raum befinden, die mich beobachten ... vergessen, daß sich um mich herum ein Zimmer befindet... daß noch irgendetwas existiert außer dieser wunderbaren heiteren Bläue ... ein glühendes Universum der Bläue. Und dann verschwindet die Bläue und ... hinterläßt eine Leere. Dieses Phänomen des Verschwindens entsteht, wenn man in ein sogenanntes Ganzfeld, ein homogenes Feld, blickt. Der Begriff wurde von den deutschen Wissenschaftlern geprägt, die in den dreißiger Jahren diese Technik entwickelten. Diese Psychologen umgaben Menschen mit einem dichten, gleichförmigen Nebel und entdeckten, daß die Versuchspersonen ebenso wie in sensorisch deprivierter Umgebung reagierten. Später, in den vierziger und fünfziger Jahren, führte der einflußreiche Psychologe Donald Hebb eine Reihe von Experimenten durch, bei denen er den Vesuchspersonen die meisten äußeren Reize nahm. Die visuelle Stimulation, die sie erhielten, kam durch Brillen, die das Dämmerlicht diffundierten und sie daran hinderten, irgendwelche Formen und Gestalten zu erkennen. Als Reaktion auf diese monotone Stimulation erlebten die Versuchspersonen veränderte Bewußtseinszustände, die durch halluzinatorische, hypnagoge Bilder, intensive Gefühle und einen freieren gedanklichen Assoziationsfluß charakterisiert waren. Hebb vermutete damals, daß das Gehirn nicht nur ständigen Reiz, sondern auch einen ständig wechselnden Reiz braucht, um die normale Aufmerksamkeit aufrechtzuerhalten. Eine Reihe von Wissenschaftlern war fasziniert von Hebbs Arbeiten. Sie entsannen sich der früheren Ganzfeld-Studien und beschlossen, seine Auswirkungen auf das Gehirn zu untersuchen. Um das dafür nötige, konturlose visuelle Feld zu erzeugen, halbierten sie Tischtennisbälle, setzten den Versuchspersonen die Hälften auf die Augen und schickten einen Lichtstrahl auf die weißen Halbkugeln. Nach kurzer Zeit geschah etwas Merkwürdiges. Die Versuchspersonen berichteten nämlich von einem vollkommenen Fehlen visueller Erfahrung - von 265
einem (englisch = Leere). Der Forscher Robert Ornstein (Langley Porter Neuropsychiatric Institute) berichtet, dieser Blankout «bedeute nicht nur die Erfahrung, nichts zu sehen, sondern die Erfahrung des Nichtsehens, ein vollkommenes Verschwinden des visuellen Sinns. Diese Personen wußten nicht mehr, ob ihre Augen offen oder geschlossen waren.» [249] Andere Wissenschaftler untersuchten diesen Blankout-Effekt, indem sie den Augen ihrer Versuchspersonen ein stabilisiertes Netz-hautBild> anboten. Normalerweise befinden sich unsere Augen ständig in Bewegung, und wir schauen niemals für längere Zeit auf denselben Punkt. Während wir die Dinge um uns herum betrachten, bewegen sich unsere Augen in raumgreifenden Bögen; und selbst wenn wir versuchen, die Aufmerksamkeit auf einen Gegenstand zu fixieren, zittern unsere Augäpfel noch unwillkürlich. Normalerweise wird alles, was wir sehen, auf der Netzhaut ständig in Bewegung gehalten, so daß von einem Augenblick zum ändern verschiedene Zellen angeregt werden. Um diese ständige Sehbewegung auszuschalten, konstruierten die Wissenschaftler einen winzigen Bildprojektor, der auf einer Kontaktlinse im Auge der Versuchsperson befestig war. Wohin sich der Augapfel auch drehte, die Linse und der Projektor bewegten sich mit; der Netzhaut wurde auf diese Weise ein unveränderliches, <stabilisiertes> Bild geboten. Nachdem die Versuchspersonen ein paar Minuten dieses unausweichliche Bild angestarrt hatten, geschah etwas Überraschendes: Das Bild verschwand! Die Forscher schlössen daraus, daß «ständige gleichförmige Stimulation ein völliges Fehlen jedweden Bildes im Bewußtsein zur Folge hat». Sehr merkwürdig. Sie verfolgten die Spur des Stimulus und stellten fest, daß er durchaus von der Netzhaut empfangen und durch sie hindurchgeleitet wurde. Dann aber verschwand er plötzlich vollständig - irgendwo im Zentralnervensystem! Sie folgerten, daß solche Perioden ständiger Stimulation «auf eine funktionale Ähnlichkeit zwischen ständiger Stimulation und dem Fehlen jeder Stimulation hindeuteten.» Das war wirklich überraschend - wer hätte gedacht, daß das menschliche Gehirn auf gar keine Stimulation und ständige Stimulation in genau der gleichen Weise reagiert? Was hatte das zu bedeuten?
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DER KOPF IN DEN WOLKEN DES NICHTWISSENS
Ein paar Kapitel weiter vorn habe ich der Vermutung Ausdruck verliehen, daß unsere primitiven Vorfahren zum Zwecke der Unterhaltung und der Erkundung des eigenen Geistes ins flackernde Licht des Lagerfeuers gestarrt haben, so daß die rhythmischen Blitze ihre Gehirnwellenrhythmen verstärkten oder veränderten. Die Ganzfeld-Experimente haben bewiesen, daß ein monotones und konstantes Licht ebenso unterhaltsam und in Bezug auf das geistige Innenleben aufschlußreich sein kann wie rhythmisches Flackern. Die Wissenschaftler sprechen von der <Entdeckung> der Ganzfeld-Methode. Aber eigentlich dürfte klar sein, daß auch dieser Effekt etwas ist, das die Menschen seit Tausenden, wenn nicht gar Millionen von Jahren kennen und praktisch anwenden. Jede Kultur, die jemals existierte, hat bestimmte Techniken angewendet, um die Aufmerksamkeit für mehr oder weniger lange Zeit auf eine einzelne gleichbleibende Stimulationsquelle zu beschränken. Diese Einschränkung der Aufmerksamkeit wird für eine Vielzahl von Zwecken eingesetzt: um einen Zustand der Ekstase zu erreichen, um spirituelle Einsichten zu erlangen, Schmerz und Leiden zu entgehen, neue Weisheiten zu erlangen, die Kreativität zu erhöhen, Zugang zu bestimmten geistigen oder körperlichen Kräften zu finden, die Gesundheit zu verbessern und Krankheit zu lindern, eins mit den Kräften des Universums zu werden, die Genauigkeit der Sinneswahrnehmung zu erhöhen, die Pforten der Wahrnehmung zu reinigen, ein besserer Jäger zu werden usw. Dabei werden viele unterschiedliche Techniken verwendet. Buddhisten konzentrieren sich auf ihre Atmung, indem sie zunächst jeden Atemzug zählen, ohne ihre Aufmerksamkeit fortwandern zu lassen, und wenn ihnen das gelungen ist, sich vollkommen und ausschließlich auf den Vorgang der Atmung konzentrieren. Wenn sie diese elementare Art der Konzentration oder Zielgerichtetheit des Geistes erlernt haben, gibt man den Zen-Adepten ein paradoxes, der Logik widersprechendes Rätsel, ein (wie etwa: <Was ist dein Gesicht vor der Geburt deiner Eltern?> oder ). Dann weist man sie an, ihre auf einen Punkt gerichtete Aufmerksamkeit intensiv und 267
unaufhörlich über lange Zeiträume nur auf dieses Koan zu richten. Im Yoga ist eine andere Methode der Konzentrationsförderung weit verbreitet: das monotone Wiederholen (laut oder leise) eines wohlklingenden Wortes oder Satzes, eines Mantras. Dabei konzentriert man sich nur auf das Mantra, das zum Beispiel aus dem Wort bestehen kann, und schließt alles andere aus. Eine weitere gängige Yogi-Praktik ist zum Beispiel das Tratakum beziehungsweise <stetige Starren>, bei dem man die Konzentration auf einen äußeren Gegenstand richtet, etwa eine Vase, eine Blume, einen Stein, eine Kerze oder ein Mandala (ein nach bestimmten Gesichtspunkten aufgebautes visuelles Bild -zum Beispiel ein Kreis, ein Kreuz oder ein Stern - bei dem die Aufmerksamkeit zur Bildmitte hin gezogen wird). Yogis erlangen die erwünschte Zielgerichtetheit des Geistes auch durch die Konzentration auf Klänge. Das können sowohl innere Klänge wie der Herzschlag, Atemgeräusche oder die feinen Töne des Innenohrs sein, als auch äußere Geräusche wie das monotone Rauschen eines Wasserfalls, ein strömender Fluß, Wind in den Baumwipfeln oder Regen. Einige Sufi-Sekten (hierzulande als tanzende Derwische bekannt) bündeln den Brennpunkt ihrer Aufmerksamkeit auf wirksame Weise und erreichen Zustände erhöhten Bewußtseins, indem sie sich endlos tanzend im Kreise drehen. Von den alten Ägyptern wird berichtet, sie hätten veränderte Bewußtseinszustände durch Anstarren der Sonne erreicht. Zu Beginn haben sie dabei angeblich nur durch kleine Löcher in die Sonne geblickt, dann die Löcher nach und nach vergrößert, bis sie schließlich, ohne ihre Augen zu schädigen, direkt ins Sonnenlicht schauen konnten. Das Streben nach dem Blankout durch monotone Reize ist auch ein wesentliches Element unserer westlichen jüdisch-christlichen Tradition gewesen. Der hebräische Gelehrte Gershom Scholem weiß von Berichten über solche Praktiken, die bis ins zweite Jahrhundert vor Christus zurückdatieren. Gläubige saßen mit dem Kopf zwischen den Knien, und wiederholten singend den Namen eines magischen Siegels. Der anonyme christliche Mystiker, der im vierzehnten Jahrhundert, das Buch Die Wolke des Nichtwissens schrieb, riet allen Weisheitssuchern zur Wiederholung eines einfachen Wortes, wie etwa oder : «Wähle, welches immer du bevorzugst, oder, wenn du willst, wähle ein anderes, daß dir besser behagt, vorausgesetzt, es besteht nur 268
aus einer Silbe. Dieses Wort schließe eng an dein Herz, so daß es dich niemals verläßt, was auch geschehe... mit diesem Wort wirst du Gedanken jedweder Art niederschlagen und sie unter die Wolke des Vergessens vertreiben.» Auch Jesus scheint öfters von der Konzentrierung der Aufmerksamkeit als spiritueller Praktik zu sprechen. Zum Beispiel in der folgenden Passage, in der es um das <eine Auge> geht: «Das Licht des Körpers ist das Auge: deshalb ist, wenn dein Auge nur eins ist, der gesamte Körper erfüllt mit Licht... Wenn dein gesamter Körper also erfüllt ist mit Licht, und kein Teil von ihm dunkel, dann soll auch das Ganze Licht sein, so wie der helle Schein einer Kerze dir Licht gibt.» Diese unterschiedlichen Traditionen und Praktiken basieren auf demselben zentralen Element: auf der absichtlichen Einschränkung der Aufmerksamkeit auf einen einzelnen monotonen Vorgang, so daß sich die Aufmerksamkeit vollkommen von Alltagsgedanken und Äußerlichkeiten zurückzieht. Und so unterschiedlich die Praktiken und Traditionen auch sind, sie alle scheinen doch zum selben Bewußtseinszustand zu führen. In den östlichen Traditionen wird er häufig die Leere oder das Nichts genannt. Westliche Mystiker sprechen einmal von der «Wolke des Nichtwissens», aber auch von der «mysteriösen Dunkelheit, die in sich das grenzenlose Gute birgt, eine Leere, die doch keine Einsamkeit ist» (Augustinus Poulain) oder von der «Auslöschung der Erinnerung» (Der Heilige Johannes vom Kreuz). Psychologen nennen den Zustand Blankout und führen ihn herbei, indem sie einem halbe Tischtennisbälle auf die Augen setzen oder schlau konstruierte Kontaktlinsen mit winzigen Projektoren. Und jetzt haben dank der stimulierenden Wirkung des amerikanischen Binnenmarktes ein paar einfallsreiche Unternehmer den käferäugigen und verbraucherfreundlichen Rolls-Royce unter den Ganzfeld-Erzeugern erfunden, das >Tranquilite>. Alle diese Geräte und Techniken zur Einschränkung der Aufmerksamkeit sind auf einer bestimmten Eigenschaft der menschlichen Physiologie begründet, die Robert Ornstein folgendermaßen erklärt: «Eine Konsequenz der Struktur unseres Nervensystems scheint es zu sein, daß sich ein des Bewußtseins von der Außenwelt einstellt, wenn die Aufmerksamkeit auf eine unveränderliche Stimulationsquelle beschränkt wird.» Dies ist ein wichtiger und oft mißver269
standener Punkt. Manche Menschen sagen stolz von sich selber, sie behielten jederzeit einen klaren Kopf oder hätten klare Vorstellungen von >richtigem> und Verhalten. Solchen Menschen fällt es oft schwer, die Behauptungen über erhöhte geistige und körperliche Fähigkeiten ernst zu nehmen, die bestimmte Meditationstechniken für sich beanspruchen. Das liegt einfach daran, daß ihnen diese Techniken so bizarr, exotisch oder auch einfach albern erscheinen, überladen mit Hokuspokus, Bühnennebel und Spiegelkabinetten. Doch, wie Ornstein bestätigt, sind der Tanz der Derwische, die Konzentration auf geheimnisvolle Symbole, das Rätsel, wie man mit einer Hand ein Klatschen erzeugen könne, klagende Gesänge und andere Meditationstechniken «nicht absichtlich mysteriös oder exotisch, sondern einfach praktisch angewandte Psychologie». [239] Diese Techniken bedienen sich einfach einer bestimmten Eigenschaft unseres Nervensystems, um unser Bewußtsein zu verändern - nicht die Methoden sind mysteriös, sondern das, was mit Gehirn als Folge ihrer Anwendung geschieht.
HERUMFUMMELN AN DEN KONTROLLKNÖPFEN DES GEHIRNS
Der Schlüssel zum Abschalten beziehungsweise zum Blankout scheint in einem Gebilde von der Größe eines kleinen Fingers zu bestehen, das tief im Kern des Gehirns verborgen liegt. Es handelt sich um das retikular aktivierende [Formatioreticularis] System (RAS). Es befindet sich oben am Hirnstamm und hat zwei Komponenten, die beide in vielfältiger Verbindung zu allen anderen Teilen des Gehirns stehen. Die eine Komponente kontrolliert unser Erregungsniveau, die andere kontrolliert und dirigiert unsere Aufmerksamkeit. Der Bestandteil, der Erregung kontrolliert, läßt sich mit dem Lautstärkerregler am Radio vergleichen: Er dreht in das Gehirn eindringende Sinneseindrücke lauter oder leiser. Hierdurch wird auch das Erregungsniveau der elektrischen Rhythmen des Gehirns kontrolliert: Im Tief schlaf verlangsamt das RAS unsere Gehirnwellen auf ein bis zwei Zyklen pro Sekunde - Delta beziehungsweise Schlaf. Wenn das RAS , uns zu erregen, dann beschleunigen sich die Gehirnwellen, und wir erwachen zu normalem Bewußtsein. Versetzt uns das 270
RAS in hochgradige Erregung, dann werden die Gehirnwellen noch schneller, und wir erleben Geisteszustände großer Aufregung, die sehr unangenehm sein können, Angst oder Panik zum Beispiel. Die zweite Komponente des RAS kontrolliert die selektive Aufmerksamkeit. Wenn die Erregungskontrolle dem Lautstärkeregler eines Radios entspricht, dann ist dieser Teil der Sendersuchknopf: Er <schaltet das ein>, was er für wichtig oder bedeutungsvoll befindet, und ermöglicht uns, all die Riesenmengen von Sinneseindrücken und Informationen zu ignorieren, die in jedem Augenblick auf unser Gehirn eindringen, aber nicht von unmittelbarem Interesse für uns sind. Dieser Teil des RAS macht es möglich, daß eine Mutter während Donner und Blitz weiterschläft, aber beim Schreien ihres Babys sofort erwacht. Er macht es möglich, daß wir den ständigen Druck und die Reibung der Kleidung auf unserer Haut ignorieren, aber sofort registrieren, wenn eine Mücke auch nur ein Haar auf unserm Arm berührt. Er macht es möglich, daß wir in einem lärmerfüllten Bahnhof ein Buch lesen und die Hektik um uns herum vergessen können. Eines der Grundprinzipien, nach denen das RAS entscheidet, ob etwas wichtig oder von Interesse für uns ist, scheint der Neuigkeitswert zu sein: Ist ein Reiz neu oder unerwartet, dann richtet das RAS unsere Aufmerksamkeit darauf, selbst wenn es einfach nur das Fehlen eines Reizes ist (so wie Eltern plötzlich die Stille aus dem Zimmer hören, in dem ihre Kinder spielen). Andererseits wird das RAS unsere Aufmerksamkeit nicht auf einen Reiz richten, den wir erwartet haben oder an den wir gewöhnt sind, selbst wenn er sehr stark sein sollte (Menschen, die in der Nähe von Flughäfen oder Autobahnen wohnen, hören bald auf, die Geräusche wahrzunehmen, die Besucher durchaus als störend empfinden). Wenn wir mit einem Ganzfeld konfrontiert sind (oder das Tranquilite aufsetzen), scheint folgendes zu passieren: Der Teil des RAS, der Erregung kontrolliert, sieht sich gleichbleibenden äußeren Sinneseindrücken gegenüber, die kein Muster und anscheinend keine haben. Folglich das RAS unser Erregungsniveau hinunter. EEG-Messungen an Personen, die die Ganzfeld-Technik (und das Tranquilite) benutzen, beweisen, daß die Erregung tatsächlich zurückgeht: Die elektrische Aktivität des Gehirns verlangsamt sich, die Gehirnwellen werden größer (höhere Amplitude) und langsamer (niedri271
gere Frequenz), fallen in den Alpha- und Theta-Bereich. Daraus ergibt sich tiefe Entspannung, und die Aktivität unserer Gehirnwellen wird ausgeglichener und in stärkerem Maße zwischen den Hemisphären synchronisiert. Gleichzeitig nimmt der Teil des RAS, der unsere Aufmerksamkeit lenkt, wahr, daß die von außen ankommenden Sinneseindrücke gleichbleibend, monoton, ohne Muster und Bedeutung sind. Da er Wert auf neue Informationen legt, findet er nichts Wichtiges oder Interessantes an den äußeren Sinneseindrücken und verschiebt unsere Aufmerksamkeit von der äußeren auf die innere Welt. So wie die Leute, die am Flughafen wohnen, den ohrenbetäubenden Lärm der Düsenflugzeuge nicht mehr wahrnehmen, so <sehen> wir das weiße Licht des Ganzfelds nicht mehr: es entsteht ein Blankout. Da von außen keine Informationen eintreffen, erscheinen unsere inneren Sinneswahrnehmungen wesentlich stärker und deutlicher. Bilder, Ideen, Erinnerungen, Gefühle, die normalerweise von den von außen eindringenden Sinneseindrücken überlagert sind, werden jetzt klar und lebhaft. Wie die Sterne, die tagsüber durch die helle Sonne überstrahlt werden und unsichtbar sind, dann aber in dunklen Neumondnächten leuchten und glitzern.
WARUM JEDER MAL EIN BLANKOUT BRAUCHT
In den letzten Jahren hat die wissenschaftliche Erforschung der Wirkungen verschiedener meditativer und bewußtseinsverändernder Techniken stark zugenommen. Mit komplizierten radio-immunologischen Verfahren werden die Werte vieler Neurochemikalien gemessen, man überwacht mit empfindlichen Geräten Funktionen wie galvanische Hautreaktion, Muskelspannung, Sauerstoffverbrauch. Computergesteuerte EEGs liefern äußerst exakte Daten über die elektrische Aktivität des Gehirns, darunter Werte wie den Neuro-Effizienz-Quotienten (NEQ), das durchschnittlich evozierte Potential und die Gehirnwellentätigkeit. Es gibt zahllose Methoden, mit denen sich das charakteristische Blankout des meditativen Zustands herstellen läßt, vom Tanz der Derwische über Holzhacken bis zu Dauerlauf und dem Mitzählen der Atemzüge. Alle haben im wesentlichen dieselben Aus272
Wirkungen auf Geist und Körper. Unter diesen Auswirkungen sind viele, die ganz eindeutig die geistigen Fähigkeiten der Versuchspersonen erhöhen. Zu den erwiesenen Ergebnissen tiefer Meditation gehören: - Streßreduktion. Die Werte der streßbezogenen Biochemikalien wie Adrenalin und Kortisol sinken ganz erheblich; der Blutdruck sinkt und der Puls verlangsamt sich (wie wir gesehen haben, zeigen zahlreiche Studien, daß Streß Lernen, Denken und Kreativität behindert. Einige Untersuchungen aus der jüngsten Vergangenheit haben erwiesen, daß auch hoher Blutdruck zu einem Rückgang der durch IQ- und andere Leistungstests meßbaren Intelligenz führt. Dieser Rückgang hängt wahrscheinlich mit einem verminderten Angebot von Sauerstoff und anderen blutgetragenen Nährstoffen im Gehirn zusammen, denn der erhöhte Blutdruck verursacht eine Verengung der Gehirnkapillaren). - Tiefenentspannung. Muskelspannung, Sauerstoffverbrauch und Leitfähigkeit der Haut gehen zurück. Eine Vielzahl von Untersuchungen haben gezeigt, daß das Gehirn weit mehr Information absorbieren, verarbeiten und speichern kann, wenn sich der Körper in einem Zustand tiefer Entspannung befindet, als wenn er angespannt ist. - Veränderte Gehirnwellentätigkeit. Die Gehirnwellen verändern sich - von Beta-Wellen zu Alpha- und Theta-Wellen. - Hemisphärische Synchronisation. Die elektrische Aktivität der beiden Gehirnhälften wird kohärent, phasengleich, so daß auf wirksame Weise ein ganzheitlicher Bewußtseinszustand, der auf der Tätigkeit des gesamten Gehirns beruht, gefördert wird. - Erhöhte Aufmerksamkeit. Mit EEG-Tests läßt sich die Aufmerksamkeit messen, indem man den Grad der Gewöhnung an bestimmte Reize beobachtet - etwa an ein klickendes Geräusch. Versuchspersonen im normalen Bewußtsein gewöhnen sich schnell an Reize, während Menschen im meditativen Blankout-Zustand einen hohen Grad an Aufmerksamkeit behalten. - Verbesserte Reaktionszeit. Untersuchungen zeigen, daß Menschen, die regelmäßig meditieren, auf einen äußeren Reiz mindestens dreißig Prozent schneller reagieren als Nichtmeditierende. Testete man Menschen mit Meditationspraxis direkt nach einer Meditation, waren ihre Reaktionen noch einmal 15 Prozent schneller, während Menschen ohne Meditationserfahrung, die sich in der Zeit, als die ändern medi273
tierten, einfach entspannt hatten, zehn Prozent langsamer als vorher reagierten. [103] - Erhöhte Schärfe der Sinneswahrnehmungen, Menschen, die regelmäßig meditieren, berichten, daß nach der Meditation die Welt frischer erscheint, die Farben intensiver, sinnliche Freuden noch reizvoller. Untersuchungen an Meditierenden zeigen einen ganz erheblichen Zuwachs an Sehschärfe; andere Studien haben erwiesen, daß Meditation die Hörschwelle herabsetzt, so daß sowohl Frequenz als auch Amplitude von Geräuschen oder Tönen besser unterschieden werden. [103] Man hat entdeckt, daß Perioden tiefer Meditation die Geistesfunktionen auch auf zahlreichen anderen Gebieten verbessern (unter anderem: Verbesserung von Selbstbild und Selbstvertrauen, vermehrte Kreativität, verbessertes Gedächtnis). Das Beweismaterial, das für eine wohltuende Wirkung von Meditation spricht, ist mittlerweile so überwältigend, daß selbst die traditionsbewußtesten und konservativsten Pädagogen, Therapeuten, Wissenschaftler, Künstler, Geschäftsleute, Sportler und Fitneß-Trainer die Tatsache akzeptieren, daß Meditieren äußerst nützlich und produktiv sein kann. Viele Menschen bemühen sich eifrig um Wege, bestimmte meditative Praktiken in ihr Leben zu integrieren. Leider mußten viele dabei feststellen, daß das nicht immer leicht ist. Ein Problem liegt darin, daß man erst tief entspannt sein muß, bevor man den Blankout-Zustand erreicht, der so wesentlich für die wohltuende Wirkung von Meditation zu sein scheint. Wir leben in einer Gesellschaft, in der die Fähigkeit, sich vollkommen entspannen zu können, nicht sehr hoch eingeschätzt wird. Mehrere Wissenschaftler sind sogar zu dem Schluß gekonmmen, daß wir zu einem hohen Prozentsatz niemals im Leben wahre tiefe Entspannung erlebt haben! Wenn wir aufgefordert werden, uns zu entspannen, dann lassen wir uns irgendwie fallen und behaupten, wir wären entspannt; testet man dann aber per Elektromyogramm (EMG) die Muskelspannung, so stellt sich heraus, daß auch bei sogenannter <Entspannung> die meisten von uns immer noch sehr verspannt sind. Die Spannungen sind so sehr Teil von uns geworden, daß wir ihrer nicht einmal mehr bewußt sind. Folglich ist für die meisten von uns wahre Entspannung etwas, das wir erst lernen müssen. Dazu braucht es disziplinierte Anstrengungen und 274
Zeit. Leider ist Selbstdisziplin selten, und wer hat schon Zeit, täglich eine Stunde darauf zu verwenden zu lernen, wie man sich entspannt. Zeit ist schließlich Geld. Das nächste Problem besteht darin, daß ein Mensch, der bereits gelernt hat, sich zu entspannen, immer noch nicht weiß, wie man seine Aufmerksamkeit derart konzentriert, daß der Blankout-Effekt eintritt. Wieder braucht man Mühe, Übung, Zeit und Disziplin. Mehrere Studien haben erwiesen, daß die Mehrzahl der Menschen, die meditieren lernen wollen, den Versuch innerhalb weniger Monate aufgeben (genau, wie die meisten Menschen das Joggen nach kurzer Zeit wieder aufgeben). Kein Zweifel, es ist nicht leicht. Viele stellen fest, daß man Monate entschlossener Anstrengung braucht, bevor es einem gelingt, in den authentischen meditativen Zustand zu gelangen. Und selbst hingebungsvolle Meditierer machen sich oft selber etwas vor - eine Untersuchung an Menschen, die seit langer Zeit meditierten, ergab, daß eine ganze Reihe von ihnen entgegen ihrer eigenen Überzeugung gar nicht in den tiefen meditativen Zustand gelangten. Gehirnmessungen zeigten, daß sie nur tief entspannt waren, ohne daß die starken Alpha- und Theta-Wellen und die hemisphärische Synchronisation vorgelegen hätten, die den echten meditativen Zustand charakterisieren. Dazu Ornstein: «Es ist nicht einfach, diesen Zustand [des Blankout] auf normalen Wegen zu erreichen, sagen die Vertreter der diversen Disziplinen der Meditation. Denn die normalen Mittel und Wege wirken hier nicht, die Menschen sind meistens noch der Sorge um irrelevante Dimensionen verhaftet, der erwünschte subjektive Zustand wird vielfach nicht durch die normalen Mittel und Wege ereicht, und wenn er erreicht wird, sind seine Nachwirkungen nicht bleibend. [239] Die Moral von der Geschichte: Meditation kann durchaus erstrebenswert sein, bedeutet aber ein gutes Stück Arbeit. Für die meisten Menschen ist der Weg zu den angeblichen weit entfernt in der Zukunft liegenden Vorteilen zu mühselig. Meditation wirkt, indem sie sich einer charakteristischen Eigenschaft unseres Nervensystems bedient wenn wir die Aufmerksamkeit auf einen gleichbleibenden Reiz richten, erreicht das Bewußtsein den Punkt des Blankout. Wir erfahren das, was die Leere, das Nichts, Unendlichkeit, Zeitlosigkeit, Satori, 275
Samadhi genannt wird, mal auch Zielgerichtetheit auf einen Punkt, Erlöschen der Erinnerung oder Friede. Wenn es nun aber ein Gerät oder eine Technik gäbe, die bei jedermann zuverlässig und rasch diesen Blankout-Zustand herbeiführen würde? Wenn das Gerät tatsächlich den Blankout-Zustand erzeugte, wäre er der Schlüssel zur wohltuenden Wirkung der Meditation. Die diversen Methoden zur Herbeiführung meditativer Zustände haben keinen Wert an sich. Sie alle - der Tanz der Derwische, Chanten, Atemübungen, das Zählen der Atemzüge, die Kontemplation von Symbolen - sind nur Mittel zum Zweck, nämlich den Blankout-Zustand des Gehirns zu erreichen. Ein Gerät oder eine Maschine, die diesen Blankout-Effekt in ein paar Minuten erzeugen könnte, wäre nichts anderes als eine wirkungsvollere Meditationstechnik. Viele Menschen schreiben Meditationstechniken einen Wert an sich zu, für sie ist Meditation eine Art religiöse oder spirituelle Disziplin. Sie würden den Gedanken, daß eine Maschine jeden dahergelaufenen Kerl in tiefe Meditation versetzen können soll, verächtlich von sich weisen. In ihren Augen wäre das ein Sakrileg. Ich gebe zu bedenken, daß das Ziel aller Meditationstechniken nicht ein inhärent religiöses ist, sondern es geht um das Erreichen der Blankout-Erfahrung, der Leere. Das Ziel hängt eher mit dem Erreichen der weiter oben beschriebenen positiven Wirkungen zusammen: einen hohen Grad geistiger Klarheit, erhöhte Intelligenz und Kreativität, verbesserte Reaktionen, schärfere Aufmerksamkeit und Konzentration, tiefe Entspannung, bessere Koordination, intensivere und schärfere Sinneswahrnehmungen. Diese wohltuenden Begleiterscheinungen der Meditation können zwar auf spirituelle oder religiöse Ziele bezogen werden, aber man kann sie genauso gut einsetzen, um Tennis spielen zu lernen, bessere Gedichte zu schreiben, perfekter Klavier zu spielen, sich auf eine SpringreiterPrüfung vorzubereiten, sich den Text eines Schauspiels besser einzuprägen, die Mathe-Hausaufgaben zu lösen oder das sexuelle Erleben intensiver zu gestalten. Wenn eine preiswerte kleine Maschine innerhalb weniger Minuten denselben Zweck erfüllt, anstatt daß man sich Wochen und Monate lang täglich abmühen muß, würden dann nicht auch Sie die Maschine wählen? Zugegeben, in gewisser Hinsicht haben auch die Befürworter der Meditation recht, wenn sie sagen, daß der lange Weg zur Meiste276
rung der Meditation wertvolle Erfahrungen mit sich bringen könne. Genauso wie jemand, der zu Fuß von New York nach Los Angeles geht, zwar Monate braucht, aber auch Erfahrungen hinzugewinnt. Wenn es aber sein eigentliches Ziel wäre, nach Los Angeles zu gelangen, dann würde er sich wahrscheinlich fürs Flugzeug entscheiden und in einem Tag dort sein. Das ist zwar nicht so abenteuerlich wie der Weg durch Des Meines und Tucumcari, aber man ist rechtzeitig in Los Angeles und tut das, was man vorhat, während der Fußgänger noch durch Union, New Jersey, trottet. Womit wir wieder bei dem blauen käferäugigen Ganzfeld-Derivat namens Tranquilite wären. Als ich die Brille nach meiner ersten Erfahrung absetzte, sagte Charlie Rush, der Mann, der das Gerät entwickelt hat, zu mir: «Einer der ersten, die dieses Gerät ausprobiert haben, war ein Mann mit großer Meditationserfahrung. Er war schon in einem Zenkloster gewesen und hat seit Jahren täglich stundenlang meditiert. Als er die Brille absetzte, sagte er: Er hat das Gerät öfters angewendet. Nach seinen Aussagen kam er damit an denselben Punkt wie durch die Meditation, nur schneller. Außerdem erleichterte ihm das Gerät den Zugang zur Meditation, wenn er sich nicht ganz in der Stimmung oder verspannt fühlte.» Das kann ich nur bestätigen. Angesichts des glimmenden blauen Feldes gelangte ich schnell in einen tiefreichenden Entspannungszustand; an einem bestimmten Punkt nach nicht allzu langer Zeit kam es zum Blankout, und ein ungeheuer angenehmes und friedliches Gefühl stellte sich ein. Gelegentlich wurde dieser Zustand von traumartigen Bildern oder plötzlichen Ideen unterbrochen, die in die Leere hineinglitten wie glatte Kiesel in einen stillen Teich. Nach Abnehmen der Brille kam es mir vor, als sei der Lautstärkerregler meiner Sinne aufgedreht worden - die Farben waren üppig, satt und intensiv, die Klänge volltönend und gewichtig.
WIE MAN DEN KLEINEN ROBOTER IM GEHIRN ABSCHALTET
«Wenn man die Pforten der Wahrnehmung einmal wirklich reinigen könnte, dann würde alles dem Menschen so erscheinen, wie es wirklich ist: unendlich. Denn der Mensch hat sich derart eingemauert, daß er 277
alles nur noch durch die schmalen Ritzen seiner Höhle sieht», schrieb William Blake. Ein Grund für die glänzenderen Farben und verschärften Sinneswahrnehmungen, die wir nach einer Meditation erleben, wurzelt im selben Phänomen, das sich auch das Tranquilite zunutze macht, um das Blankout in unseren Sinnen zu erzeugen. Dieses Phänomen heißt: Gewohnheit. Da der Reiz gleichbleibend ist, gewöhnt sich das Gehirn nach kurzer Zeit an ihn, das RAS entscheidet, daß er nicht von Wichtigkeit oder Interesse ist, der Reiz wird ausgeblendet, so daß wir ihn überhaupt nicht mehr wahrnehmen, da sich unsere gesamte Aufmerksamkeit anderen, bedeutungsvolleren Dingen zuwendet. Auf genau die gleiche Weise gewöhnen wir uns ständig an zahllose Bestandteile unseres Alltagslebens. Visuelle Eindrücke, Klänge, Gefühle oder Gedanken, die zunächst unser Interesse geweckt haben, werden schnell zu alten Hüten. In der Fahrstunde meint man noch, man müßte beim Autofahren auf Hunderte von Dingen gleichzeitig achten, bald aber fahren wir lange Strecken auf der Autobahn, ohne uns der vielen Dinge, die wir dabei registrieren, bewußt zu werden. Als wären wir Roboter oder Automaten. Das Blau des Himmels, die Welt, die uns umgibt, alltägliche Dinge erscheinen uns wie ein gleichbleibendes Ganzfeld, unser Gehirn gewöhnt sich daran, das RAS entscheidet, daß diese Dinge nicht wichtig oder interessant sind, und sie alle verschwinden im Blankout. Aber erst in der tiefen Meditation ist die äußere Welt wirklich vollkommen ausgeblendet; der Alltag verschwindet, wir erleben einen kurzen, aber vollständigen Urlaub von der Welt. Der Roboter wird abgeschaltet. Und bei unserer Rückkehr sehen wir mit erfrischten Augen, alle unsere Sinne sind wie blankgeputzt und nehmen die Welt wie neu wahr. Wie die meisten anderen Erfinder oder Hersteller von Gehirnmaschinen, die ich bei meinen Recherchen traf, ist Charlie Rush eher ein Einzelgänger. Das Tranquilite hat er mehr durch Zufall entwickelt, als Abfallprodukt seines drängenden persönlichen Interesses, auf wirksame Weise den eigenen Geist zu erforschen. «Seit langem hat mich die Idee fasziniert, eine Brücke zwischen östlicher Esoterik und westlicher Technologie zu schlagen», sagt er. «Ich wußte, daß die von den esoterischen Meistern beschriebenen Zustände echt waren, und ich wußte, daß es Wege geben müßte, diese Zustände mit Hilfe moderner Technologie zu erreichen. Ich las Dr. Lillys Werk über sensorische Depriva278
tion und den Isolationstank und brannte darauf, so etwas auszuprobieren, kannte aber in meiner Nähe niemand, der so einen Tank hatte. Dann stieß ich auf die Untersuchungen zum Ganzfeld-Effekt. Ich habe eine Menge Ganzfeld-Experimente an mir selber erfahren. Ich habe acht Stunden lange Ganzfeld-Intensivsit/ungen an mir selber durchgeführt, in dem Bemühen, bestimmte Experimente von Lilly mit dem Isolationstank nachzuvollziehen. Als Ergebnis dieser Experimente fühlte ich mich ausgelassen, fröhlich und sehr entspannt. Zur gleichen Zeit, als ich diese Experimente durchführte, benutzte ich auch eine Alpha-Theta-Biofeedback-Maschine. Dabei stellte ich fest, daß das Ganzfeld die Erzeugung von Theta-Wellen enorm ankurbelte - es wurde viel leichter, in diesen Zustand zu gelangen, inklusive hypnagoges Bilderleben. Zuerst habe ich einfach einen Tischtennisball entzwei geschnitten, die Hälften auf die Augen gesetzt und ein Licht darauf strahlen lassen. Dabei gab es aber viele Störfaktoren: Schlecht abschließende Ränder, durch die das Licht eindringen konnte, außerdem unangenehm scharfe Kanten. Also probierte ich alles Mögliche aus, bis die Pingpong-Bälle mir paßten. Ich konstruierte einen verstellbaren Rahmen aus Draht, so daß man die Halbkugeln bequem einstellen konnte. Plötzlich bemerkte ich, daß ich dabei war, etwas ganz Neues zu erfinden. Dann entdeckte ich die Arbeit von Robert Monroe. Ich verbrachte längere Zeit am Monroe-Institut und war sehr beeindruckt von seiner Anwendung von Klängen zur Bewußtseinsveränderung. Also beschloß ich, Klänge hinzuzufügen, um die Wirksamkeit des Ganzfelds zu erhöhen. Anfangs stellte ich meine Stereoanlage so ein, daß der Sendersuchlauf zwischen den UKW-Sendern stand und nur ein Zischen ertönte - im Prinzip also weißes Rauschen. Dieses Geräusch schnitt alle externen Geräusche ab und trug auf diese Weise zur konstanten gleichbleibenden GanzfeldStimulation bei. Allerdings kann weißes Rauschen nach einer gewissen Zeit Ängste auslösen, während
widerhallendes Tropfgeräusch, wie Wasser, das rhythmisch in einer Höhle von Stalaktiten fällt. Eine Freundin von mir aber empfand das Geräusch als das Rauschen des Windes in den Blättern eines Baumes. «Das passiert alles im Kopf», sagte Charlie Rush lachend. «Wenn man den Geist seiner normalen sensorischen Reize beraubt, fängt er an, selber etwas zu erschaffen. Es ist einfach nur rosa Rauschen, gleichbleibend und ohne Konturen. Die Veränderungen fügt das Gehirn hinzu. Für andere Leute klingt es wie ein Regenschauer, ein Zug, eine Fabrik, Wellen, die sich am Strand brechen - oft klingt es auch für die gleiche Person jedesmal anders. Ich habe Menschen erlebt, die sich dabei in die Mitte eines Symphonieorchesters versetzt fühlten, oder auch mitten in die Wildnis, wo Grillen zirpen und Frösche quaken. Jedenfalls habe ich dann entdeckt, daß verschiedenfarbige Ganzfelder auch unterschiedliche psychologische Wirkungen haben. Ich habe ungefähr dreißig verschiedene Schattierungen von Rosa durchprobiert. Zwei davon stellten sich als sehr beruhigend heraus. Rot hat eine sehr kräftige Wirkung, es vermittelt dem Anwender ein sehr euphorisches Stimmungshoch. Blau ist wahrscheinlich am entspannendsten. Zu diesem Zeitpunkt beschloß ich, all diese verschiedenen Elemente zu einem Ganzen zu verarbeiten. Tragbar sollte es sein, und die Farben auswechselbar. Jeder, der es ausprobierte, war begeistert. Ich habe es Krebspatienten gegeben, also Menschen, die wirklich starke Schmerzen hatten, und sie erlebten ganz bemerkenswerte Schmerzlinderungen. Ein paar Bekannte von mir standen praktisch kurz vorm Selbstmord, da habe ich ihnen eine Stunde lang das Tranquilite aufgesetzt, und ihre Ängste gingen deutlich zurück. Sie wollten sofort selber eins haben. Da wurde mir klar, daß ich das Gerät serienmäßig herstellen und verkaufen sollte. Also stellte ich den Antrag auf Patentierung und beschloß zu versuchen, das Ding auf den Markt zu bringen. Im letzten Jahr habe ich das Gerät an sehr vielen verschiedenen Menschen ausprobiert. Die Ergebnisse waren ziemlich ermutigend, aber auch sehr unterschiedlich. Ich kenne zum Beispiel eine Künstlerin, die es häufig anwendet. Ihr kommen dabei intensive starke Bilder. Schließlich fing sie an, sich diese Bilder zu merken und auf Leinwand zu übertragen - in sehr dichten Schichten. Sie ist sehr von M. C. Escher beeinflußt und nennt ihre Arbeit unmöglicher Raum. Sie findet, daß das Tranquilite ihr die Möglichkeit gibt, wirklich hinauszugelangen 280
und die . Sie sagt, daß sie ihren ganzen Terminkalender eine Woche im voraus planen kann, wenn sie das Ding auf hat. Ein Geschäftsmann, der beruflich unter großem Druck steht, setzt das Gerät während der Arbeit hier und da einmal fünf Minuten lang auf. Er sagt, daß er sich damit auch in Räumen, in denen es sehr hektisch zugeht, noch tief entspannen kann. Außerdem behauptet er, es befreie seinen Bewußtseinsstrom, lockere sein Denken und verhelfe ihm zu neuen Zugangsweisen zu Problemen und zu kreativerem Denken. Auch ein Rehabilitationszentrum für Drogen- und Alkoholsüchtige setzt das Gerät ein, um den Patienten zu helfen, sich zu entspannen und ihre Gedanken zu erforschen. Manche Menschen benutzen es zur Beschleunigung von Lernprozessen - wenn sie das Gerät tragen, können sie besser Informationen absorbieren. Mit einem Wort: Das Gerät verbessert die Gehirnleistung.»
DAS HUNGRIGE UND FORSCHUNGSFREUDIGE GEHIRN
Eine Erklärung für die anscheinend geistig stimulierende Wirkung des Geräts ist im Werk des Gehirnforschers Jerzy Konorski zu finden. In seinem Buch Integrative Activity ofthe Brain kommt Konorski zu dem Schluß, daß die wesentliche Funktion des Gehirns in seiner Tätigkeit als Überlebensmechanismus liegt. Diese Überlebensorientierung kommt auf allen Ebenen des Gehirns zur Geltung, von den individuellen Neuronen über die neuralen Netzwerke bis hin zum Geist als Ganzem. Sie scheint in zwei Formen aufzutreten, als <Suchverhalten) und als forschendes Verhalten). Das Suchverhalten ist auf ein bestimmtes Bedürfnis oder Ziel gerichtet - Sex, Nahrung, Wärme, Macht, Sicherheit. Das forschende Verhalten hingegen hat kein spezifisches Ziel; es basiert auf dem angeborenen Bedürfnis nach immer neuen Erfahrungen, Informationen und Reizen. Konorski behauptet: «Diese Reize sind fast ebenso notwendig für . . . unser Wohlbefinden wie Nahrung oder Wasser.» Wir empfangen diese Reize durch unsere Informations-Empfangssysteme (Augen, Ohren etc.); und die Information, die wir in Form von Stimuli empfangen, ist wie ein Nährstoff, der unsere Neuronen <ernährt>. Fehlt solche Stimulation aber, dann 281
entwickeln unsere Neuronen, neuralen Netzwerke und unser Geist einen . Konorski zufolge aktiviert dieser Hunger ein >Forschungssystem> im Gehirn. [189] Durch die Ausschaltung der meisten äußeren Stimuli aktiviert das Tranquilite das Forschungssystem des Gehirns und bringt es dazu, aktiv in der Außenwelt nach sinnvollen Reizen zu suchen. Wenn also Bilder, Ideen, Gefühle, Suggestionen und Sinneseindrücke auftreten, ergreift sie das reizhungringe Gehirn, erforscht sie und bewertet sie höher, als es das bei seinem normalen zielorientierten Suchverhalten täte. Wir nehmen diese Dinge dann als außerordentlich bedeutungsvoll und intensiv wahr. Auch wenn wir Informationen aus der Außenwelt in Form von Suggestionen, Lernkassetten etc. erhalten, ist unser Gehirn äußerst empfänglich für diese Informationen - aus Reizhunger. Informationen, die normalerweise schnell vergessen wären, weil sie in Konkurrenz mit einer Vielfalt anderer Reize stehen, werden nun vollkommen absorbiert und bleibender Bestandteil unseres Gedächtnisses. Das Ergebnis ist der von Charlie Rush erwähnte SuperlearningEffekt.
MEDIALE BLUMEN, DIE IN DER LEERE BLÜHEN
Ich bin in diesem Buch dem zentralen Gedanken nachgegangen, daß bestimmte Maschinen oder Geräte das Gehirn stimulieren und zu effektiverem und kohärenterem Arbeiten bringen können, indem sie Kräfte und Fähigkeiten wachrufen, die normalerweise schlummern. Es ist schon oft gesagt worden, daß die Menschen über eine ganze Reihe von Kräften und Fähigkeiten verfügen, die normalerweise schlafen und deren Existenz von Seiten vieler Wissenschaftler heftig bestritten wird. Diese Kräfte hat man auch <mediale Begabungen) oder genannt. Es gehören dazu Phänomene wie Telepathie, Telekinese, Präkognition, außerkörperliche Erfahrungen, Hellsehen und . Die interessante Frage, ob solche Phänomene existieren, kann leider nicht im Rahmen dieses Buches behandelt werden. Allerdings ist es von Bedeutung, daß diejenigen, die für die Existenz von Psi-Phäno-menen eintreten, im allgemeinen sagen, daß es sich um eine angebo282
rene menschliche Fertigkeit handele, die bei richtigem Training jeder Mensch entwickeln könne. Der Biologe Lyall Watson zum Beispiel zitiert neues Forschungsmaterial, demzufolge die Glia-Zellen elektrische Eigenschaften haben und wie Transistoren elektrische Signale tausendfach oder millionenfach verstärken. Er bemerkt, das sich dadurch das Phänomen der Telepathie erklären ließe: «Theoretisch besteht kein Grund, daß wir Botschaften nicht empfangen sollten, die von ähnlichen Organismen stammen, die viele Meilen von uns entfernt sind... vielleicht sogar von Sendern auf der anderen Seite des Planeten.» [364] Nehmen wir einmal an, Menschen hätten tatsächlich mediale Fähigkeiten, dann wäre es durchaus logisch, daß das Gehirn Quelle und Ursprung solcher Fähigkeiten sein müßte. (Man kann sich kaum vorstellen, telepathische Botschaften aus Leber oder Kniescheibe abzuschicken.) Wenn mediale Fähigkeiten angeboren sind, dann wäre es auch logisch, daß sich diese durch die richtige Stimulation verstärken ließen, so wie sich die elektrischen Wellen des Gehirns, die hemisphärische Synchronisation und unsere Fähigkeit zur Aufnahme von Informationen durch Stimulation erhöhen lassen. Wenn also diese Maschinen tatsächlich die Funktionen des Gehirns verbessern, dann müßten sie eigentlich auch die medialen Fähigkeiten positiv beeinflussen. Und in der Tat: Gerade diejenigen, die am meisten Erfahrung mit der Anwendung dieser Geräte haben, behaupten oft, daß die Maschinen diesen Effekt haben. Immer wieder tauchte in meinen Interviews mit den Machern und Benutzern das Thema <mediale Erfahrungen auf. Es war meine Absicht, dieses Buch auf soliden wissenschaftlichen Fakten aufzubauen und Aspekte des Gehirnwachstums und der geistigen Beeinflussung zu erkunden, für die es echte Beweise gibt. Also habe ich nie direkt nach medialen oder Psi-Erfahrungen gefragt. Und doch kam es auch ohne derartige Fragen wieder und wieder vor, daß meine Interviewpartner plötzlich erzählten, wie sie ihren Körper beim Hören eines Hemi-Sync-Bandes verlassen hätten. Oder telepathisch mit ihrer Gattin verkehrt hätten, während sie am Synchro-Energizer hingen. Oder mit einem längst verstorbenen Freund auf einer Farm in Vermont spazierengingen, während sie mitten in New York auf dem Graham Potentializer lagen. Es gibt viele Erklärungen für solche Phä283
nomene - es könnten Träume sein, die durch die tiefe Entspannung ausgelöst werden, Halluzinationen, die sich aus dem ungewohnten Energiefluß im Gehirn ergeben, hypnagoge Bilder, die im ThetaZustand auftreten, und so weiter. Doch im allgemeinen gibt es auch für diese Erklärungen keine Beweise. Im Falle des Ganzfelds (und seiner Weiterentwicklung durch das Tranquilite) aber liegt Beweismaterial vor, und es ist so substantiell, daß es Erwähnung verdient. Einer der bedeutendsten Psi-Forscher der Vereinigten Staaten ist Charles Honorton, der Leiter der Psychophysical Research Laboratories in Princeton, New Jersey. Nach frühen Untersuchungen unter der Leitung des Pioniers der wissenschaftlichen Psi-Forschung J. B. Rhine von der Duke University, begann Honorton vor fast zwanzig Jahren mit eigenen Arbeiten in den Traumlaboratorien des Maimonides Hospitals in Brooklyn. Nach sorgfältigem Studium fast der gesamten vorliegenden Literatur schloß er, daß die meisten Psi-Erfahrungen dann auftraten, wenn sich der Körper in einem Zustand tiefer Entspannung befand und der Geist zum großen Teil von sensorischen Eindrücken abgeschnitten war - in Hypnose, Trancezuständen, Schlaf und Meditation. Er folgerte, daß man womöglich die medialen Fähigkeiten von Menschen erhöhen kann, wenn man sie in den Idealzustand von tiefer Entspannung und reduzierten Sinneseindrücken bringt. Es zeigte sich, daß dieser Effekt am besten zu erzielen war, indem man die Versuchspersonen in eine Ganzfeldkammer setzte (einen kleinen schalldichten Raum, in dem die Versuchsperson in einem bequemen Stuhl sitzt, auf den Ohren Kopfhörer, über den Augen halbierte Tischtennisbälle, auf die ein helles Licht gerichtet ist). Mittlerweile haben mehr als Tausend Männer und Frauen an diesen Ganzfeld-Psi-Experimenten teilgenommen. Nach Aussagen von Honorton sind bei der Hälfte der untersuchten Personen mediale Phänomene aufgetreten. Ein Experiment wird dann als erfolgreich bezeichnet also als Nachweis der Existenz von Psi-Phänomenen - wenn die Versuchsperson zwanzigmal öfter richtig antwortet, als man nach Zufallsprinzipien erwarten sollte. Da die Versuchspersonen bei Honortons Ganzfeld-Experimenten bei 50 Prozent der Versuche erfolgreich abschnitten, muß man die Ergebnisse als statistisch hochsignifikant ansehen. 284
16 TREIBEN AUF DEM ROSSEN SEE DES NICHTWISSENS: DER ISOLATIONSTANK
Im letzten Kapitel ging es darum, wie eine gleichbleibende Umgebung oder ein gleichbleibender Reiz einen Menschen dazu bringen kann, ein Abschalten beziehungsweise ein Blankout der Außenwelt zu erleben - verbunden mit allen möglichen positiven Nebenwirkungen. Der wachsame Leser wird sich da vielleicht gefragt haben: Warum diese ganzen Prozeduren, um einen nichtveränderlichen Reiz oder ein Ganzfeld zu erzeugen, um eine bestimmte Eigenart des Zentralnervensystems auszunutzen. Warum läßt man nicht diese Zwischenschritte aus und versetzt den Menschen von vornherein in ein totales Blankout? Die Antwort lautet: Solch ein Blankout-Gerät gibt es. Es ist als Isolationstank bekannt und hat sich nicht nur als enorm wirksames Instrument zur Verbesserung mentaler Funktionen bewährt, sondern ist auch von allen in diesem Buch erwähnten Geräten dasjenige, das am intensivsten erforscht, am besten dokumentiert und am häufigsten in Gebrauch ist.
DER UNGLAUBLICHE FALL DES VERSCHWUNDENEN KÖRPERS
Moderne Isolationstanks bedienen sich zwar hochentwickelter Technologie, funktionieren aber im Grunde ganz einfach. Der Tank ist im wesentlichen ein geschlossener Behälter von der Größe eines waagerecht liegenden Kleiderschrankes. Das Behältnis birgt einen seichten Warmwasserteich (Tiefe: etwa fünfundzwanzig Zentimeter), in dem 285
etwa 350 Kilogramm Bittersalz aufgelöst sind. Auf diese Weise entsteht eine hochgesättigte Lösung, die weit mehr Auftrieb bewirkt als das Tote Meer oder der Große Salzsee. Wer sich in dieses Wasser legt, schwimmt oben wie ein Korken. Bei geschlossener Tür ist es im Innern des Tanks vollkommmen dunkel. Das vollständige Fehlen äußerer visueller Reize erleben die meisten von uns im Alltagsleben niemals -da wir selbst in den dunkelsten Räumen oder in der dunkelsten Nacht bei fest geschlossenen Augen immer noch etwas Licht aus der Umgebung wahrnehmen. Im Tank ist es nicht mehr möglich zu beurteilen, ob die Augen offen oder geschlossen sind. Man befindet sich also sofort in einem visuellen Blankout. Da die Ohren unter Wasser liegen und mit Stöpseln verschlossen sind, kommt es außerdem zu einem fast vollkommenen Fehlen von äußeren Geräuschen. Auch zu dieser Erfahrung gibt es kein Gegenstück im Alltagsleben. Durch dieses Abschalten von visuellen Eindrücken und Geräuschen erzeugt der Isolationstank einen BlankoutEffekt, der dem des gleichbleibenden Ganzfelds und rosa Rauschens beim Tranquilite gleichkommt. Der Tank aber geht noch weiter, indem er auch die Reize einschränkt, die die anderen Sinnesorgane erreichen. Das Wasser im Tank wird konstant auf einer Temperatur von 34 Grad Celsius gehalten, was der Körpertemperatur an der Hautoberfläche entspricht - man fühlt weder Wärme noch Kälte, alsbald verliert man jede Wahrnehmung für die Trennlinie zwischen Haut und Wasser, die Grenzen des Körpers scheinen sich aufzulösen. Dabei wird ein Blankout der Sinne für Berührung, Druck, Reibung und andere Hautwahrnehrnungen erzeugt. Noch eine weitere Sinneswahrnehmung wird durch das Schweben auf dem Wasser ausgeschaltet: der ewig gegenwärtige Druck der Schwerkraft. Dazu der Erfinder des Tanks, der Neurophysiologe John Lilly: «Man ist von der Schwerkraft befreit. Der ganze Kampf mit der Schwerkraft, dem man den ganzen Tag über ausgesetzt ist, ist nicht mehr da. Etwa neunzig Prozent der neuralen Aktivität sind immer damit beschäftigt zu beurteilen, wo die Schwerkraft ist, in welcher Richtung sie wirkt, wie man sich bewegen kann, ohne zu fallen. Sobald man sich auf dem Wasser treiben läßt, ist man von all diesen ständigen Schwerkraftberechnungen befreit. Plötzlich hat man einen riesigen Apparat von Werkzeugen in der Hand, der bisher zu anderen Zwecken 286
verwendet wurde, und man kann etwas Neues zum eigenen Nutzen damit anfangen. . . Es ist, als ob man irgendwo zwischen Mond und Erde treibt; nichts zieht an einem. Sobald man sich bewegt, weiß man natürlich, wo man ist. Bewegt man sich aber nicht, dann verschwindet die Umgebung, und sogar der Körper kann dabei verschwinden.» [203] Der Tank erreicht mit technischen Mitteln ein rasches, leichtes, zuverlässiges und ungefährliches Abschalten der Sinne. Einen Zustand, den all die Meditationstechniken wie Zählen der Atemzüge, Chanting, Wiederholen von Mantras und auf einen Punkt Starren erstreben, aber kaum einmal erreichen. Selbst Tankneulinge finden sich innerhalb von Minuten gewichtslos schwebend, körperlos, in einer schwarzen, stillen Leere wieder. Von Meditationstechniken gibt es so viele mit so vielen Variablen, daß man sie nur schwer zum Gegenstand großangelegter, objektiver, kontrollierter und wiederholbarer wissenschaftlicher Untersuchungen machen kann. Der Isolationstank hingegen ist eine kontrollierbare und gleichbleibende Umgebung, die sich ideal zur wissenschaftlichen Forschung eignet. Wenn man versucht, Informationen über Meditation zu gewinnen, muß man häufig Gruppen von Personen, die sich bestimmten Meditationstechniken widmen, mit Kontrollgruppen vergleichen, in denen die Menschen (normalerweise) einfach ruhig dasitzen. Doch, wie wir gesehen haben, ist es oft schwer zu beurteilen, ob ein Mensch während der Meditation einen wirklich meditativen Zustand erreicht. Bei Verwendung des Tanks jedoch kann es keinen Zweifel daran geben, wer drin ist und wer nicht. Deshalb liefert der Isolationstank genau das, was jedem Wissenschaftler so ans Herz gewachsen ist - harte Daten, wertfreie Statistiken, wiederholbare objektive Studien. In der Folge hat es in den letzten Jahren einen Boom von Isolationstank-Forschungen gegeben. An der Funktion des menschlichen Geistes interessierte Wissenschaftler haben sich in großer Zahl damit beschäftigt - darunter kognitive Psychologen, Neuroendokrinologen, Pädagogen und Psychiater. Dank dieser Forschungen steht eine vergleichsweise große Datenmenge über die Auswirkungen des Isolationstanks und sensorische Deprivation zur Verfügung. Der Aufenthalt im Tank wirkt sich danach unter anderm folgendermaßen aus: STRESSREDUZIERUNG. Ereignisse, die das natürliche Gleich287
gewicht des Körpers beziehungsweise die Homöostase stören, bezeichnet man als streßerzeugend. Streß beeinträchtigt, wie bereits erwähnt, unsere Fähigkeit zu klarem Denken. Auch erhöhter Blutdruck verringert eindeutig die geistigen Leistungen. Untersuchungen ergaben, daß Streß eine drastische Reduzierung der Fähigkeit zu kohärentem oder kreativem Denken verursacht und außerdem die Fähigkeit zu Bewegungen, die Übung und Geschick erfordern, stark beeinträchtigt. Deshalb ist es von ungeheurer Bedeutung, daß ein großer Teil des vorliegenden Materials (insbesondere mehrere Untersuchungen am Medical College of Ohio [106], am Lawrence College [330], am St. Elizabeth's Hospital in Appleton, Wisconsin [29] und an der University of British Columbia [345]) beweist, daß der Schwebezustand im Tank stark streßreduzierende Wirkung hat. Man stellte zum Beispiel fest, daß regelmäßiges den Puls verlangsamen, außerdem den Sauerstoffverbrauch und die Werte von streßbezogenen Biochemikalien (u. a. Kortisol, ACTH, Laktat und Adrenalin) in der Blutbahn verringern. Die Untersuchungen zeigen, daß das Schweben im Tank diese Biochemikalien nicht nur während der Schwebeperiode verringert, sondern daß die Werte auch noch Tage, in manchen Fällen sogar Wochen nach der Tank-Session niedrig bleiben. Anscheinend hat das Schweben im Tank eine vasodilatorische Wirkung - die Blutgefäße und Kapillaren entspannen und erweitern sich. Dadurch reduziert es nicht nur hohen Blutdruck, sondern beschleunigt und vermehrt auch den Blutfluß zu allen Bereichen des Gehirns, also auch die Zufuhr von Sauerstoff und anderen Nährstoffen. Wir können vermuten, daß dieser vermehrte Blutfluß zum Gehirn geistige Funktionen fördert und beim Aufbau neuen Gehirngewebes und der Ernährung der Neuronen hilfreich ist. Ein verstärkter Blutfluß ist auch wesentlich für die Proteinsynthese. Da die neuesten Forschungen der Neurologie ergeben haben, daß die Gedächtnisbildung von der Proteinsynthese im Gehirn abhängt, dürfen wir auch vermuten, daß der Blutanreicherungseffekt des Schwebens auch die Bildung von Erinnerungen begünstigt. ERHÖHTE STRESSTOLERANZ. Wir alle sind fähig, gewisse Streßmengen auszuhalten, der Punkt jedoch, an dem wir den Streß nicht mehr ertragen können, ist bei jedem Menschen verschieden. In den Worten des Biochemikers Philip Applewhite von der Yale Univer288
sity: «Das Gehirnprogramm des Hypothalamus, das Streß erkennt, wenn er durch die Nerven eintrifft, ist sicher ein Grund für diese Variationsbreite. Manche Menschen können sich schon gestreßt fühlen, wenn ihnen fast nichts geschehen ist; sie haben eine niedrige Streßtoleranz. Bei anderen wird womöglich wesentlich mehr Streß zugeführt werden müssen, bevor der Hypothalamus ihn als solchen erkennt; diese Personen haben eine hohe Streßtoleranz.» [8] Der Hypothalamus wirkt als homöostatischer Mechanismus, indem er dem Körper hilft, bei Streß im Gleichgewicht zu bleiben. Bei manchen Menschen ist der homöostatische Mechanismus wesentlich empfindlicher für Streß, das heißt, bei manchen Menschen ist der Sollwert des homöostatischen Mechanismus niedriger. Im Lichte dieser Tatsachen ist es von Bedeutung, daß die Untersuchungen des Neuroendokrinologen John Turner und des Psychologen Tom Fine vom Medical College of Ohio darauf hindeuten, daß das Schweben im Tank nicht nur die Werte der streßbezogenen Chemikalien signifikant reduziert, sondern auch mit den Worten von Turner und Fine eine stark «anhaltende Wirkung» hat. Das heißt, die Verringerung der streßbezogenen Biochemikalien hielt noch viele Tage nach dem letzten Schweben an. Dies führte die beiden Wissenschaftler zu dem Schluß, daß das Schweben geeignet ist, «die Sollwerte des endokrinen homöostatischen Mechanismus zu ändern, so daß der Mensch einen niedrigeren Adrenalin-Aktivierungs-Zustand erleben würde. Dies würde im wesentlichen mit einem höheren Grad von Entspannung einhergehen.» [358] Das ist wirklich verblüffend, denn es bedeutet, daß das Schweben nicht nur vorübergehend wohltuend wirkt, sondern den Stoffwechsel ändert (beziehungsweise den homöostatischen Sollwert) und damit im wesentlichen die Kampf-oder-Flucht-Reaktion dämpft. Wenn man dann unter einem starken Druck steht, der früher die Fähigkeit zu klarem Denken und körperlicher Leistung empfindlich gestört hätte, wird der Druck nach dem Aufenthalt im Tank weniger streßerzeugend wirken. Das heißt, das Schweben ist ein Weg zur Erhöhung der Streßtoleranz. TIEFENENTSPANNUNG. Wir alle wissen instinktiv, daß geistige Spitzenleistungen aus Entspannung heraus entstehen. Bei Beschreibungen von Gipfelerfahrungen, geistiger Klarheit und kreativer Ein289
gebungen liegt der Akzent auf Mühelosigkeit und Flüssigkeit: Probleme, über denen wir Monate gegrübelt haben, lösen sich plötzlich in einem Augenblick des Sich-Gehen-Lassens auf. Dann sagt man: Warum habe ich das nicht vorher gesehen - es ist ja so einfach! Ein Mensch aber, der sich geistig abmüht, bietet immer ein Bild muskulärer Verspannung - verkrümmt windet er sich auf seinem Stuhl, das Gesicht zu einer gequälten Grimasse verzogen. Außerdem zeigen, wie wir gesehen haben, Untersuchungen zum , daß wir in entspanntem Zustand am besten neue Informationen verarbeiten und klar denken können. Aber eine richtige Entspannung ist nicht einfach zu erreichen. Entspannungstechniken wie progressive Entspannung, Autogenes Training und Meditation erfordern Zeit und Disziplin, und sind dabei ohne jede Erfolgsgarantie. Viele Experten meinen heute, daß sogar die meisten von uns nie im Leben vollkommene Entspannung erfahren haben. Also haben wir keinen echten Begriff davon, wie sich Entspannung anfühlt, und keine Vorstellung, wie man den Körper in diesen Zustand bringen könnte. In der warmen Bittersalzlösung des Isolationstanks aber entfalten sich die Muskeln, befreit vom Gewicht der Schwerkraft, wie chinesische Papierblumen im Wasser und werden weich und flexibel. Bei den Untersuchungen wurden mehrfach Elektromyogramme von Personen erstellt, die im Isolationstank lagen, und mit denen von Menschen verglichen, die sich nicht im Tank befanden, sondern sich nur durch verschiedene Techniken zu entspannen suchten. Jede dieser Studien ergab, daß die Menschen im Tank sich wesentlich tiefer entspannten als die Gruppen, die nicht im Tank waren. Bedeutsamerweise blieb diese Reduzierung der Anspannung, wie eine Studie zeigte, bis zu drei Wochen nach dem Aufenthalt im Tank erhalten. In der Tat spricht das gesamte Beweismaterial dafür, daß das Schweben im Tank aktiv und automatisch das Gegenteil zur Kampfoder-Flucht-Reaktion auslöst: die Entspannungsreaktion. Diese reflektorische Reaktion geht einher mit einer Verlangsamung des Herzschlags, Verringerung des Blutdrucks, Veränderungen der Gehirnwellen-Tätigkeit, Muskelentspannung, vermindertem Sauerstoffverbrauch, geringeren Werten von streßbezogenen Biochemikalien und vermehrter Sekretion von Biochemikalien, die den Körper mit einem 290
Gefühl von Wohlbefinden, Freude, Sicherheit und geistiger Klarheit erfüllen. Wenn bei der Kampf-oder-Flucht-Reaktion der Akzent auf Energieverbrauch und Aktivität liegt, so liegt er bei der Entspannungsreaktion auf Energieeinsparung und Denken. Alles deutet darauf hin, daß beim Schweben diese gesundheitsfördernde Reaktion mühelos eintritt. Mit den Worten von Fine und Turner (Medical College of Ohio): «Diese [anderen Entspannungs-]Techniken lassen das Individuum Entspannung herbeiführen, indem es eine interne Strategie anwendet, mal mit, mal ohne äußeres Feedback zur Überprüfung des Entspannungserfolges. Im Gegensatz dazu benutzt die Entspannungstechnik [im Isolationstank] eine bestimmte Umgebung, um Entspannung herbeizuführen, wobei das Individuum den Vorgang passiv erlebt... Die kontrollierten wiederholten Erfahrungen der durch diesen [Tank] herbeigeführten mühelosen passiven Entspannung könnten jenen anderen Methoden überlegen sein, weil man sich dort mit der Methode von Versuch und Irrtum dem Zustand der Tiefenentspannung nähert.» [106] DIE ENDORPHINÜBERSCHWEMMUNG. Bei ihren bis heute andauernden Forschungen zu den psychobiologischen Wirkungen des Tanks stellten Fine und Turner fest, daß eine Sitzung im Tank stark schmerzlindernd wirkt und ein Gefühl leichter Euphorie hervorruft. Sie experimentierten auch mit Personen, die unter starken chronischen Schmerzen litten. Die Ergebnisse waren faszinierend. Fine berichtete mir: «Praktisch alle unsere chronischen Schmerzpatienten haben gesagt, sie hätten während des Schwebens ihren Schmerz vergessen.» Worin konnte dieser schmerzlindernde Mechanismus bestehen? Die Wissenschaftler führten einen Doppelblindversuch durch, bei dem eine Gruppe den Endorphin-Antagonisten Naloxon erhielt. Die andere Gruppe erhielt nur ein Placebo. Bei der Untersuchung erwies sich, daß die Versuchspersonen zu 100 Prozent beurteilen konnten, ob sie den Endorphinblocker bekommen hatten oder nicht. Dieses Ergebnis legt nahe, daß das Schweben den Körper zur Freisetzung von Endorphinen anregt, die der Grund für Schmerzreduktion und euphorische Gefühle sind. Wie wir bereits gesehen haben, stehen Endorphine in enger Beziehung zu einer Vielzahl von Gehirn-Geist-Funktionen - darunter Gedächtnisleistung und Lernen. Möglicherweise könnten erhöhte Endorphinwerte dazu beitragen, den Tankbenutzer in 291
einen idealen Lernzustand zu versetzen, indem unser natürliches Belohnungssystem aktiviert wird. ERHÖHTE PRODUKTION VON THETA-WELLEN. Die Benutzer des Tanks haben eine erhöhte Produktion von Theta-Wellen, Das liegt zum Teil an der tiefen Entspannung, die beim Schweben eintritt. Eine Untersuchung von Gary S. Stern (University of Colorado in Denver) ergab, daß «die signifikante Wirkung des Schwebens... daraufhindeutet, daß bei Menschen, die sich eine Stunde lang im Tank befanden, die Theta-Werte deutlich steigen.» [334] Der Theta-Zustand ist, wie unter anderem die Studien des Biofeedback-Experten Thomas Budzynski (University of Colorado Medical Center) zeigen, ein -Zustand, in dem das Gehirn «die Eigenschaft unkritischen Akzeptierens verbalen Materials oder jedes anderen Materials hat, das es verarbeiten kann. Was wäre, wenn man einen Menschen in diesem Zustand erhalten könnte, ohne daß er einschläft?» fragt Budzynski. «Ich glaube, der Isolationstank ist ein ideales Mittel, um das zu erreichen.» VERBESSERTER ZUGANG ZUR RECHTEN HEMISPHÄRE. Die Forschungsergebnisse deuten auch daraufhin, daß das Schweben die Funktion der rechten Gehirnhälfte oder den Zugang des Benutzers zur rechten Gehirnhälfte verbessert. Thomas Budzynski beschäftigt sich mit EEG-Messungen der Hemisphären unter wechselnden Bedingungen. Er bestätigt. «Im Schwebezustand werden die Fähigkeiten der linken Hemisphäre teilweise außer Kraft gesetzt, und die rechte Gehirnhälfte übernimmt die Vorherrschaft.» Oder, wie Budzynski salopp sagt: «Die rechte Gehirnhälfte stürmt im Tank nach vorn und schreit: Hurra, da bin ich!» Zusammen mit vielen anderen Gehirnforschern nimmt Budzynski an, daß dieser verbesserte Zugang zu den Fähigkeiten der rechten Hemisphäre zu erhöhten Lernleistungen führen kann. Er sagt: «Wenn man zur rechten Gehirnhälfte der Menschen Zugang findet und sie in diesem Zustand hält, dann läßt sich wirklich sehr viel in sehr kurzer Zeit erreichen. Diesen Punkt erreichen wir gleichermaßen mit der Schwebetechnik, dem , subliminalen Anweisungen und Hypnose.» [59] ERHÖHTE AUFNAHMEBEREITSCHAFT FÜR SUGGESTIONEN. Das Beweismaterial, das dafür spricht, daß der Isolationstank zu einer enormen Erhöhung der Empfänglichkeit für Suggestio292
nen führt, ist überwältigend. Jede Information, die man im Tank aufnimmt, wird voll und ganz akzeptiert - sei es in der Form von Autosuggestionen, die man sich leise selber gibt, oder in Form von auditiven oder visuellen Informationen, die einem während des Schwebens von außen zugeführt werden. Dies ist zum Teil auf die weiter oben beschriebenen veränderten Gehirnzustände zurückzuführen. Eine andere Erklärung beruht auf dem -Effekt - bei Abwesenheit externer Reize das RAS den Lautstärkeregler im Gehirn